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D eutscher Bundestag

33. Sitzung

Bonn, Mittwoch, den 25. Februar 1970

Inhalt:

Nachruf auf den Abg. Dohmann . . . 1549 A Fragen des Abg. Müller (Mülheim) :
Amtliche Mitteilungen 1549 B Standort der Sportschule der Bundes-
wehr
Weitergeltung der Geschäftsordnung für Berkhan, Parlamentarischer
das Verfahren nach Art. 115 d GG und Staatssekretär 1587 C
der Geschäftsordnung des Gemeinsamen
Müller (Mülheim) (SPD) 1587 C
Ausschusses 1550 A
Entwurf eines Gesetzes über die Feststel- Frage des Abg. Jung:
lung des Bundeshaushaltsplans für das Berechnung der ruhegehaltfähigen Zei-
Rechnungsjahr 1970 (Haushaltsgesetz ten von Soldaten
1970) (Drucksache VI/300) — Erste Be Berkhan, Parlamentarischer
ratung — in Verbindung mit 1550 A Staatssekretär 1587 D
Beratung des Finanzplans des Bundes 1969 Jung (FDP) 1588 A
bis 1973 (Drucksache VI/301) 1550 A Josten (CDU/CSU) . . . . . . 1588 D
Fortsetzung der Aussprache Frage des Abg. Dr. Schmitt-Vockenhausen:
Scheel, Bundesminister . . . . . 1550 B
Verfahren bei der Unterbringung von
Dr. Barzel (CDU/CSU) 1555 D Angehörigen der Bundeswehr auf
Mattick (SPD) . . . . . . . . 1563 C Dienstreisen . . . . . . . . . . 1588 D
-
Dr. Achenbach (FDP) 1567 D
Frage des Abg. Dr. Kempfler:
Strauß (CDU/CSU) 1569 B
Vergabe von vergabereifen Straßen
Dr. Dahrendorf (FDP) 1578 B
bauprojekten in Bundesfördergebieten
Wischnewski (SPD) . . . . . 1581 C
Börner, Parlamentarischer
Baron von Wrangel (CDU/CSU) . 1584 A Staatssekretär . . . . . . . . 1589 A
Dr. Schmid, Vizepräsident . . . 1585 D Dr. Kempfler (CDU/CSU) . . . . . 1589 B
Fragestunde (Drucksache VI/415) Frage des Abg. Jung:
Frage des Abg. Dichgans: Hochwasserschutzmaßnahmen im Zu
Inhaftierung eines im Besitz von Ein- sammenhang mit dem Ausbau des
bruchswerkzeug angetroffenen Auslän- Rheins zwischen Kehl und Lauterburg
ders Börner, Parlamentarischer
Jahn, Bundesminister 1586 B Staatssekretär . . . . . . . . 1589 C
Dichgans (CDU/CSU) 1586 D
Frage des Abg. Folger:
Frage des Abg. Weigl: Erweiterung des Autoreisezugsystems
Einschaltung deutscher Fachkräfte beim der Bundesbahn
Aufbau sozialer Sicherungssysteme in Börner, Parlamentarischer
den Entwicklungsländern 1587 A Staatssekretär . . . . . . . . 1589 D
II Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 33. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Februar 1970

Frage des Abg. Dr. Apel: Börner, Parlamentarischer


Staatssekretär . . . . . . . . 1594 D
Benachteiligung der westdeutschen Ree-
dereien im überseeischen Linienfracht- Dr. Hermesdorf (Schleiden)
verkehr (CDU/CSU) 1595 A
Börner, Parlamentarischer
Fragen des Abg. Dr. Unland:
Staatssekretär 1590 A
Dr. Apel (SPD) . . . . . . . 1590 B Herausnahme von Orten im westlichen
Münsterland aus dem Amtlichen Fern-
Blumenfeld (CDU/CSU) 1590 C
sprechbuch 8
Fragen des Abg. Baron von Wrangel: Börner, Parlamentarischer
Staatssekretär 1595 B
Behebung der durch Frostaufbrüche auf
Dr. Unland (CDU/CSU) 1595 D
Bundesstraßen im Zonenrandgebiet ein-
getretenen Schäden Frage des Abg. Wittmann:
Börner, Parlamentarischer
Fahrpreisvergünstigungen für ältere
Staatssekretär 1590 C
Bürger im Personenkraftverkehr der
Baron von Wrangel (CDU/CSU) . 1591 A Bundespost

Frage des Abg. Dr. Früh: Börner, Parlamentarischer


Staatssekretär 1596 C
Benachteiligung der Landwirtschaft
durch das Verbot der Autobahnbenut- Frage des Abg. Wittmann:
zung für Lastkraftwagen während des
Ferienreiseverkehrs Erlaß der Fernsprechgebühren für ge-
brechliche ältere Bürger
Börner, Parlamentarischer
Staatssekretär . . . . . . . . 1591 C Börner, Parlamentarischer
Staatssekretär 1596 D
Dr. Früh (CDU/CSU) 1591 C
Jung (FDP) 1592 A Fragen des Abg. Bäuerle:
Niegel (CDU/CSU) . . . . . . . 1592 B
Kosten der Errichtung von Telefon-
Frage des Abg. Niegel: nebenanschlüssen
Beförderung von frischem Weichobst Börner, Parlamentarischer
durch die Bundesbahn Staatssekretär 1597 A
Börner, Parlamentarischer Bäuerle (SPD) . . . . . . . . 1597 B
Staatssekretär 1592 C
Niegel (CDU/CSU) . . . . . . . 1592 C Frage des Abg. Dr. Riedl (München) :
Leicht (CDU/CSU) . . . . . . . 1593 A Sonderbriefmarke zum 100. Geburtstag -
Lenins
Frage des Abg. Susset: Börner, Parlamentarischer
Wettbewerbsvorteile Belgiens und Hol- Staatssekretär . . . . . . . . 1597 C
lands durch Erweiterung des Fahrver-
bots an Wochenenden Frage des Abg. Cramer:

Börner, Parlamentarischer Beförderung von Briefdrucksachen


Staatssekretär . . . . . . . 1593 A Börner, Parlamentarischer
Susset (CDU/CSU) 1593 B Staatssekretär 1597 D

Fragen des Abg. Dr. Hauser (Sasbach) : Fragen des Abg. Suck:
Risikoübernahme durch die Bundes- Durchführung von Arbeitsgerichtspro-
bahn für Obsttransporte — Verordnung zessen der öffentlichen Hand bis zur
zur Erleichterung des Ferienreisever- letzten Instanz
kehrs Rohde, Parlamentarischer
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär . . . . . . . 1598 A
Staatssekretär 1593 D
Suck (SPD) 1598 B
Dr. Hauser (Sasbach) (CDU/CSU) . 1593 D
Fragen des Abg. Maucher:
Fragen des Abg. Dr. Hermesdorf (Schlei
Verbesserung der Renten der Krieger-
den) :
witwen
Abkommen mit Belgien zur Erleichte-
rung des grenzüberschreitenden Güter- Rohde, Parlamentarischer
verkehrs und zur Berichtigung der Staatssekretär 1598 C
deutsch-belgischen Grenze Maucher (CDU/CSU) 1598 D
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 33. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Februar 1970 III

Frage des Abg. Roser: (Drucksache VI/322) — Zweite und dritte


Weiterzahlung von Waisenrente, Kin- Beratung — 1646 C
derzuschuß und Kinderzulage über das
Entwurf eines ... Gesetzes zur Änderung
18. bzw. 25. Lebensjahr hinaus des Grundgesetzes (Drucksache VI/304) —
Rohde, Parlamentarischer Erste Beratung — . . . . . . . . . 1646 D
Staatssekretär . . . . . . . 1599 D
Roser (CDU/CSU) 1600 A Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag
vom 31. Mai 1967 zwischen der Bundes-
Frage des Abg. Dröscher: republik Deutschland und der Republik
Österreich über zoll- und paßrechtliche
Berechnung von Elternrenten für Land- Fragen, die sich an der deutsch-österrei-
verpachtung 1600 A chischen Grenze bei Staustufen und
Grenzbrücken ergeben (Drucksache VI/305)
Frage des Abg. Niegel: Erste Beratung — . . . . . . . . . 1646 D
Lebenslauf eines neuernannten Vize-
präsidenten der Bundesanstalt für Entwurf eines Gesetzes zu dem Abkommen
Arbeit vom 23. Juli 1968 zwischen der Bundes-
republik Deutschland und Malaysia über
Rohde, Parlamentarischer den Luftverkehr zwischen ihren. Hoheits-
Staatssekretär . . . . . . . 1600 B gebieten und darüber hinaus (Drucksache
Niegel (CDU/CSU) 1600 C VI/307) — Erste Beratung — . . . . . 1647 A
Dr. Schmitt-Vockenhausen,
Vizepräsident . . . . . . . . 1600 D Entwurf eines Gesetzes zu dem Abkommen
vom 25. November 1968 zwischen der
Dank an die zum Schutz des Bundeshauses Bundesrepublik Deutschland und der Re-
vor dem Hochwasser des Rheins einge- publik Kolumbien über den Luftverkehr
setzten Männer des Bundesgrenzschutzes (Drucksache VI/308) — Erste Beratung — 1647 A
und des Betriebsselbstschutzes sowie an
die Helfer bei der Bekämpfung der Hoch- Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag
wasserkatastrophe vom 4. Juli 1969 zwischen der Bundes-
republik Deutschland und der Französi-
Dr. Schmitt-Vockenhausen, schen Republik über den Ausbau des
Vizepräsident . . . . . . . . 1600 D Rheins zwischen Kehl/Straßburg und
Neuburgweier/Lauterburg (Drucksache
Entwurf eines Gesetzes über die Feststel- VI/309) — Erste Beratung — . . . . . 1647 A
lung des Bundeshaushaltplans für das
Rechnungsjahr 1970 (Haushaltsgesetz Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag
1970) (Drucksache VI/300) — Erste Be- vom 18. März 1969 zwischen der Bundes-
ratung — in Verbindung mit republik Deutschland und der Demokra-
tischen Republik Kongo über die Förde-
Beratung des Finanzplans des Bundes 1969 rung und den gegenseitigen Schutz von
bis 1973 (Drucksache VI/301) Kapitalanlagen (Drucksache VI/310) —
Fortsetzung der Aussprache Erste Beratung — 1647 A
Brandt, Bundeskanzler 1600 D Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag
Dr. h. c. Kiesinger (CDU/CSU) . . 1608 A vom 16. Mai 1969 zwischen der Bundes-
Mischnick (FDP) . . . . . . . 1611 C republik Deutschland und der Republik
Dr. Apel (SPD) . . . . . . . 1615 D Gabun über die Förderung und den ge-
genseitigen Schutz von Kapitalanlagen
Dr. Ehmke, Bundesminister . . . 1618 D
(Drucksache VI/311) — Erste Beratung — 1647 B
Dr. Becher (Pullach) (CDU/CSU) . 1619 C
Freiherr von Kühlmann-Stumm (FDP) 1622 C Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag
Dr. Haack (SPD) . . . . . . . . 1624 B vom 8. November 1968 zwischen der Bun-
desrepublik Deutschland und der Repu-
Frau Dr. Focke (SPD) 1625 D
blik Indonesien über die Förderung und
Blumenfeld (CDU/CSU) 1627 B den gegenseitigen Schutz von Kapitalan-
Schmidt, Bundesminister 1629 C lagen (Drucksache VI/312) — Erste Be-
Wehner (SPD) . . . . . . . 1632 B ratung — 1647 B
Dr. Barzel (CDU/CSU) 1636 A Entwurf eines Gesetzes zu der Langfristi-
Dr. Czaja (CDU/CSU) 1638 B gen Vereinbarung vom 9. Februar über
Scheel, Bundesminister 1640 D den internationalen Handel mit Baum-
wolltextilien im Rahmen des Allgemei-
Entwurf eines Gaststättengesetzes (CDU/ nen Zoll- und Handelsabkommens (GATT)
CSU) (Drucksache VI/5); Schriftlicher Be- und des Protokolls vom 1. Mai 1967 zur
richt des Ausschusses für Wirtschaft Verlängerung der Vereinbarung über
IV Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 33. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Februar 1970

den internationalen Handel mit Baum- Kommission der Europäischen Gemein-


wolltextilien (Drucksache VI/313) — Erste schaften für eine Verordnung des Rates
Beratung — 1647 B über die Festsetzung der allgemeinen An-
wendungsbedingungen für die in der
Entwurf eines Gesetzes über die am 14. Juli Verordnung (EWG) Nr. 1174/68 des Rates
1967 in Stockholm -unterzeichneten Über- vom 30. Juli 1968 über die Einführung
einkünfte auf dem Gebiet des geistigen eines Margentarifsystems im Güterkraft-
Eigentums (Drucksache VI/401) — Erste verkehr zwischen den Mitgliedstaaten
Beratung — 1647 B vorgesehenen Tarife (Drucksachen
V/4554, VI/373) . . . . . . . . . 1648 C
Entwurf eines Siebenten Gesetzes zur Ä n-
derung des Bundesbesoldungsgesetzes Nächste Sitzung 1648 D
(Bundesrat) (Drucksache VI/332) — Erste
Beratung — 1647 C Anlagen
Übersicht 2 des Rechtsausschusses über die Anlage 1
dem Bundestag zugeleiteten Streitsachen
1649 A
Liste der beurlaubten Abgeordneten .1649
vor dem Bundesverfassungsgericht
(Drucksache VI/283) . . . . . . . . 1647 D Anlage 2
Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Schriftliche Erklärung des Abg. Borm
Verkehr und für das Post- und Fern- (FDP) zu Punkt III der Tagesordnung . . 1649 B
meldewesen über den Vorschlag der
Kommission der Europäischen Gemein- Anlage 3
schaften für eine Verordnung des Rates Schriftliche Antwort auf die Mündliche
über die Einführung gemeinsamer Re- Frage des Abg. Koenig betr. Handhabung
geln für den Linienverkehr und die Son- des Tatbestandes der illegalen Einreise
derformen des Linienverkehrs mit Kraft- von arbeitsuchenden Ausländern . . . 1650 B
omnibussen (Drucksachen V/4676, VI/320) 1648 A
Anlage 4
Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Schriftliche Antwort auf die Mündlichen
Wirtschaft über den Vorschlag der Korn- Anfragen des Abg. Picard betr. Anwen-
mission der Europäischen Gemeinschaften dung der Mehrwertsteuer auf den Kraft-
für eine Richtlinie des Rates über die fahrzeughandel 1650 C
Einführung einer gemeinsamen Police für
mittel- und langfristige Geschäfte mit Anlage 5
öffentlichen Käufern (Drucksachen VI/61,
Schriftliche Antwort auf die Mündliche
VI/321) 1648 A
Frage des Abg. Memmel betr. Schaffung
Schriftlicher Bericht des Ausschusses für einer neuen Finanzverfassung der Euro-
Wirtschaft über die Vorschläge der EG- päischen Gemeinschaften 1650 D-
Kommission für eine
Anlage 6
Verordnung des Rates zur Einführung Schriftliche Antwort auf die Mündliche
eines gemeinsamen Verfahrens für die Frage des Abg. Pieroth betr. Untersu-
Verwaltung mengenmäßiger Kontingente chung über die Bildung und Verteilung
Verordnung des Rates über die Anwen- des Vermögens . . . . . . . . . . 1651 A
dung der Verordnung (EWG) Nr ... über
die Einführung eines gemeinsamen Ver- Anlage 7
fahrens für die Verwaltung mengen- Schriftliche Antwort auf die Mündlichen
mäßiger Kontingente auf die französi Fragen des Abg. Dr. Eyrich betr. Kran-
schen überseeischen Departements kenversicherungsschutz für Bauern und
Verordnung des Rates zur Schaffung einer Altenteiler 1651 B
gemeinsamen Regelung für die Einfuhren
Anlage 8
aus anderen als Staatshandelsländern
Schriftliche Antwort auf die Mündliche
Verordnung des Rates über die Anwen-
Frage des Abg. Peters (Poppenbüll) betr.
dung der Verordnung (EWG) Nr. ... zur
Deckung des Bedarfs der landwirtschaft-
Schaffung einer gemeinsamen Regelung
lichen Betriebe an technisch ausgebilde-
für die Einfuhren aus anderen als Staats-
ten Arbeitnehmern 1651 C
handelsländern auf die französischen
überseeischen Departements (Drucksachen Anlage 9
V1/48, VI/89, VI/325) . . . . . . . . 1648 B
Schriftliche Antwort auf die Mündlichen
Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Fragen des Abg. Westphal betr. Verfah-
Verkehr und für das Post- und Fern- ren bei der Umschulung ehemaliger Berg-
meldewesen über den Vorschlag der baubeschäftigten zu Volksschullehrern 1652 A
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 33. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Februar 1970 1549

33. Sitzung

Bonn, den 25. Februar 1970

Stenographischer Bericht Der Bundesminister der Finanzen hat am 20. Februar 1970
die Kleine Anfrage der Abgeordneten Strauß, Leicht, Dr. Pohle,
Dr. Althammer und der Fraktion der CDU/CSU betr. finanz-
wirksame Vorschläge der Bundesregierung und der Fraktionen
Beginn: 9.00 Uhr der SPD, FDP — Drucksache VI/265 — beantwortet. Sein
Schreiben ist als Drucksache VI/418 verteilt.
Der Parlamentarische Staatssekretär des Bundesministers für
Vizepräsident Frau Funcke: Die Sitzung ist Wirtschaft hat am 20. Februar 1970 die Kleine Anfrage der
Abgeordneten Wohlrabe, Dr. Kotowski, Frau Pieser, Prinz
eröffnet. zu Sayn Wittgenstein-Hohenstein, Hussing und Genossen betr.
(Die Abgeordneten erheben sich.) Verbraucherpolitik — Drucksache VI/262 — beantwortet. Sein
Schreiben ist als Drucksache VI/419 verteilt.
Meine Herren und Damen! In den Nachmittags-
stunden des 20. Februar 1970 isst unser Kollege Der Vorsitzende des Innenausschusses hat am 18. Februar
1970 mitgeteilt, daß der Ausschuß die
Friedhelm Dohmann in einem Dortmunder Kranken-
Vorschläge der Kommission der Europäischen Gemein-
haus an den Folgen einer kurzen, aber schweren schaften für eine Verordnung
Krankheit gestorben. zur Ä nderung der Dienstbezüge der Beamten und der son-
stigen Bediensteten der Europäischen Gemeinschaften
Friedhelm Dohmann wurde am 24. August 1931 zur Änderung der Berichtigungskoeffizienten für die Dienst-
in Dortmund geboren. Nach dem Schulbesuch und und Versorgungsbezüge der Beamten
einer Industriekaufmannslehre war er zunächst An- zur Festlegung der Höhe der in Anhang VII Artikel 4 a des
Statuts der Beamten vorgesehenen vorübergehenden Pau-
gestellter und seit 1961 Geschäftsführer einer Be- schalzulagen
triebskrankenkasse im Ruhrgebiet. — Drucksache VI/88 —
zur Kenntnis genommen und beschlossen hat, von einem Be-
1 Sein politisches Wirken begann 1951 mit dem Ein- richt an den Deutschen Bundestag abzusehen.
tritt in die SPD. In seiner Partei bekleidete er ver- Der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung hat am 23.
schiedene Ämter. Er war von 1964 bis 1968 stellver- Februar 1970 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Müller (Ber-
lin), Ruf, Dr. Götz, Frau Kalinke, Dr. Barzel, Stücklen und der
tretender Vorsitzender und seit 1968 Vorsitzender Fraktion der CDU/CSU betr. wirtschaftliche Situation der Rentner
des Unterbezirks Dortmund und zugleich Beisitzer — Drucksache VI/258 — beantwortet. Sein Schreiben wird als
Drucksache VI/421 verteilt.
im Vorstand des Bezirks Westliches Westfalen. Sie-
Der Präsident des Bundestages hat entsprechend dem Be-
ben Jahre lang, von 1957 bis 1964, war er Mitglied schluß des Bundestages vom 25. Juni 1959 die nachstehenden
des Rates der Stadt Dortmund. Vorlagen überwiesen:
Verordnung des Rates über die Herstellung und das ge-
Dem Deutschen Bundestag gehörte Friedhelm werbsmäßige Inverkehrbringen von Dauermilcherzeugnissen,
die für die menschliche Ernährung bestimmt sind
Dohmann seit der 6. Legislaturperiode an. Es ent-
— Drucksache VI/394 —
sprach seinen Kenntnissen und seinen Erfahrungen,
überwiesen an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesund-
daß er sich für den sozialpolitischen Bereich ent- heit mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der
schied. Er war Mitglied des Ausschusses für Arbeit endgültigen Beschlußfassung im Rat

und Sozialordnung und gehörte dem entsprechenden Verordnung des Rates über die zeitweilige Aussetzung des
autonomen Zollsatzes des Gemeinsamen Zolltarifs für Silizium
Arbeitskreis seiner Fraktion an. (polykristallin oder monokristallin) durch Zusatz oder se-
lektive Reinigung dotiert, in Form von Scheiben, Plättchen,
Friedhelm Dohmann hinterläßt Frau und fünf Rondellen und dergleichen, auch poliert, der Tarif-
stelle 38.19 T
Kinder. Ich spreche der Familie unseres so jung — Drucksache VI/395 —
verstorbenen Kollegen und zugleich der Fraktion der überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um
Sozialdemokratischen Partei Deutschlands die tief Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschluß-
fassung im Rat
empfundene Anteilnahme des Hauses aus.
Verordnung (EWG) Nr. 225/70 des Rates vom 5. Februar
Ich danke Ihnen. 1970 zur Ergänzung der Verordnung (EWG) Nr. 2599/69 zur
Festsetzung des Grundpreises und des Ankaufspreises für
Apfel
Folgende amtliche Mitteilungen werden ohne Ver-
überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und
lesung in den Stenographischen Bericht aufgenom- Forsten mit der Bitte um Berichterstattung innerhalb eines
men: Monats, wenn im Ausschuß Bedenken gegen die Verordnung er-
Der Bundesminister für Verkehr und für das Post- und Fern- hoben werden
meldewesen hat am 19. Februar 1970 die Kleine Anfrage der Verordnung zur Ä nderung der Regelung der Bezüge und
Abgeordneten Dr. Jobst, Dr. Dittrich, Dr. Fuchs, Rainer, Weigl der sozialen Sicherheit der Atomanlagenbediensteten der
und Genossen betr. Stillegung von Eisenbahnstrecken im Zonen- Gemeinsamen Kernforschungsstelle, die in der Bundes-
randgebiet — Drucksache VI/306 — beantwortet. Sein Schreiben republik Deutschland dienstlich verwendet werden
ist als Drucksache VI/413 verteilt.
Der Bundesminister der Verteidigung hat am 20. Februar 1970 Verordnung zur Ä nderung der Regelung der Bezüge und
die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Klepsch, Ernesti, der sozialen Sicherheit der Atomanlagenbediensteten der
Damm, Dr. Zimmermann, Dr. Marx (Kaiserslautern) und Ge- Gemeinsamen Kernforschungsstelle, die in den Niederlanden
nossen betr. Wehrdienstausnahmen — Drucksache VI/319 — be- dienstlich verwendet werden
antwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache VI/416 verteilt. — Drucksache VI/408 —
1550 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 33. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Februar 1970

Vizepräsident Frau Funcke


überwiesen an den Innenausschuß (federführend), Haushalts-
ausschuß mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor
Sie alle erinnern sich an den einleitenden Satz der
der endgültigen Beschlußfassung im Rat Regierungserklärung vom 28. Oktober 1969:
Der Präsident des Bundestages hat entsprechend dem Be-
schluß des Bundestages vom 23. Februar 1962 die nachstehenden Wir sind entschlossen, die Sicherheit der Bun-
Vorlagen überwiesen: desrepublik Deutschland und den Zusammen-
Verordnung zur Ä nderung des Deutschen Teil-Zolltarifs halt der deutschen Nation zu wahren, den Frie-
(Nr. 4/70 — Zollkontingent für Bananen)
— Drucksache VI/398 —
den zu erhalten und an einer europäischen Frie-
überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um
densordnung mitzuarbeiten, die Freiheitsrechte
Vorlage des Berichts rechtzeitig vor dem Plenum am 29. April und den Wohlstand unseres Volkes zu erwei-
1970
tern und unser Land so zu entwickeln, daß sein
Ich rufe Punkt II der Tagesordnung auf: Rang in der Welt von morgen anerkannt und
gesichert sein wird.
Weitergeltung .der Geschäftsordnung für das
Verfahren nach Artikel 115 d des Grundge- So wie am ersten Tag dieser Regierung steht auch
setzes und 'der Geschäftsordnung des Gemein- heute unser außenpolitisches Handeln unter die-
samen Ausschusses sen Leitlinien. Wir sind in den wenigen Monaten,
die wir im Amte sind, ans Werk gegangen, und was
Meine Damen und Herren, der Ältestenrat schlägt
wir in Gang gesetzt haben, entspricht den von uns
Ihnen vor, zu beschließen, die Geschäftsordnung
selbst gesteckten Zielen und ihrer Bedeutung für
für das Verfahren nach Art. 115 d des Grund-
unser Volk.
gesetzes und die Geschäftsordnung des Gemein-
samen Ausschusses auch für die 6. Wahlperiode Man kann nun nicht gleichzeitig sich zu diesen
fortgelten zu lassen. — Das Haus ist damit einver- Zielen bekennen wollen, aber die Mittel und Wege,
standen; es ist so beschlossen. die sie erreichen lassen, verweigern. Ich darf zu-
nächst einmal sachlich und nüchtern aufzählen, in
Wir kommen nunmehr zu Punkt III der Tagesord-
welchen wichtigen Bereichen unserer Außen- und
nung:
Deutschlandpolitik die Bundesregierung aktiv oder
1. Fortsetzung der ersten Beratung des von der initiativ geworden ist.
Bundesregierung eingebrachten Entwurfs
Die europäische Gipfelkonferenz im Dezember
eines Gesetzes über die Feststellung des Bun-
des vergangenen Jahres ist, wie wir heute feststel-
deshaushaltsplans für das Rechnungsjahr 1970
len können, für die Überwindung der bis dahin ja
(Haushaltsgesetz 1970)
von uns allen beklagten Stagnation in der euro-
— Drucksache VI/300 — päischen Politik entscheidend gewesen, und jeder-
mann weiß inzwischen, daß das vertrauensvolle Zu-
2. Fortsetzung der Beratung des von der Bun- sammenwirken der deutschen und der französischen
desregierung vorgelegten Finanzplans des Regierung nicht zuletzt die positiven Ergebnisse
Bundes 1969 bis 1973 dieser Konferenz ermöglicht hat.
— Drucksache VI/301 — Die Bundesregierung ist in jene Konferenz hin-
eingegangen mit der festen Überzeugung, daß eine
Das Wort hat der Herr Bundesaußenminister
Aussöhnung und ein konstruktives Verhältnis zu
Scheel.
den osteuropäischen Staaten — allen voran die
Sowjetunion — auf dem Boden eines rivalisieren-
Scheel, Bundesminister des Auswärtigen: Frau den Westeuropa nicht möglich ist. Hier bestand und
Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine besteht für die Bundesregierung ein innerer Zusam-
Herren! Die außenpolitische Aussprache im Rahmen menhang. Das Prinzip der Zusammenarbeit kann
der diesjährigen Haushaltsdebatte findet zu einem nicht geographisch limitiert werden.
Zeitpunkt statt, da die Bundesregierung sich an- Seit Anfang Dezember haben wir mit unseren
schickt, mit der Sowjetunion und Polen begonnene Partnern in der EWG eine Fülle von Grundsatz-
Gespräche fortzusetzen und den Dialog mit der beschlüssen für das gefaßt, was man die Vollendung
Regierung der DDR vorzubereiten. Ich will damit der Gemeinschaft nennt, also für die noch ausste-
sagen, daß diese Debatte der Bundesregierung eine henden Regelungen der Zoll- und Agrarunion sowie
willkommene und auch notwendige Gelegenheit bie- für die Finanzierung der gesamten Integration. Die
tet, das Parlament mit ihren Vorstellungen und Übergangsphase ist damit beendet, und die Ge-
ihren ernsten Erwägungen, aber auch mit ihren Hoff- meinschaft, um deren Bestand man noch vor weni-
nungen vertraut zu machen. gen Monaten ernste Sorgen haben mußte, ist nun
Ein bedeutender Franzose — der Name ist mir in ihre Endphase eingetreten. Damit sind wir defini-
entfallen - hat einmal — es war nach dem Ende tiv in Westeuropa aus der Konfrontation der Staa-
des Zweiten Weltkrieges — gesagt, daß die über- ten und ihrer Interessen in deren volle Interdepen-
wundene Verzweiflung die höchste Form der Hoff- denz gelangt. Diese Entwicklung muß über kurz
nung sei. Die Außen- und Deutschlandpolitik ist in oder lang zu einer vollständigen Wirtschafts- und
der Tat von dieser Art Hoffnung beseelt. Wie sonst Währungsunion führen. Das Hohe Haus weiß, daß
könnte man in unserer Welt der Konflikte, der die Bundesregierung einen Stufenplan zur Errei-
Gewalttätigkeiten und der Kriege den Mut aufbrin- chung dieses Zieles vorgeschlagen und ausgearbei-
gen, den Frieden und den Verzicht auf Gewalt zu tet hat. Ein solcher Plan soll noch in diesem Jahr
den bestimmenden Prinzipien der Außenpolitik zu von der Gemeinschaft beschlossen werden und das
machen? Kernstück dessen sein, was wir die Vertiefung der
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 33. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Februar 1970 1551
Bundesminister Scheel
Gemeinschaft nennen — in der Übersetzung der be- Aber darüber hinaus, meine Damen und Herren,
rühmten französischen drei Begriffe. ist sie auch ein zunehmend wichtiges Instrument
unserer Außenpolitik. Wir müssen uns fragen, wel-
Für Frankreich waren die Beschlüsse über die chen außenpolitischen Nutzen die Bundesrepublik
Vollendung der Gemeinschaft eine Voraussetzung aus der Verstärkung ihrer internationalen Bezie-
für 'die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit hungen auf diesem Gebiet ziehen kann und auf
Großbritannien, Dänemark, Norwegen und Irland. welche Weise sich unser wissenschaftlich-technisches
Im Vertrauen auf das gegebene Wort haben wir Potential außenpolitisch einsetzen läßt, welche For-
unsererseits auf ein Junktim in deser Frage ver- men für die Gestaltung der technologischen Bezie-
zichtet. hungen mit anderen Staaten geeignet sind und
Der Aufnahme von Beitrittsverhandlungen steht welche politischen Schwerpunkte bei der Gestaltung
nichts mehr im Wege. Wir wünschen deshalb die dieser Beziehungen gebildet werden sollen.
Beratungen in Brüssel über die Herstellung einer In der Praxis versuchen wir, diese Zusammen-
gemeinsamen Verhandlungsposition der Gemein- hänge jetzt in die Tat umzusetzen. Im Rahmen
schaft so rasch wie möglich abzuschließen, um unserer Europapolitik, um einige Beispiele zu nen-
mit allen Beitrittsbewerbern noch vor der Sommer- nen, haben wir uns einer Schwächung der gemein-
pause Verhandlungen einleiten zu können. Dann samen Einrichtung Euratom widersetzt, als wir auf
werden wir uns zu gegebener Zeit den übrigen der Grundlage von Art. III des Nichtverbreitungs-
europäischen Staaten zuwenden müssen, deren wirt- vertrags auf ein Verifikationsabkommen zwischen
schaftliche Interessen mit den unseren schließlich der internationalen Atomenergiebehörde und Eura-
auch untrennbar verbunden sind. tom hinwirkten, das die Euratom-Kontrolle nicht
Die Bundesregierung hat auf der Gipfelkonferenz beeinträchtigt.
einen Vorschlag über die politische Zusammenarbeit Auch die deutschen Vorschläge für die Neustruk-
in Europa gemacht, der als Ziffer 15 in das Ab- turierung der Atomforschungsstelle und zur Aus-
schlußkommuniqué Eingang gefunden hat. Damit ist dehnung ihrer Tätigkeitsbereiche auf nichtnukleare
auch auf dem Gebiet der politischen Zusammenarbeit Gebiete sind von dieser Zielsetzung, in Europa die
die Stagnation der letzten Jahre überwunden und technische Zusammenarbeit wirkungsvoller zu ge-
der Entschluß gefaßt worden, endlich zu der von uns stalten, bestimmt. In der gleichen Weise sehen wir
allen als dringend notwendig erachteten außen- die im Oktober 1967 beschlossene technologische
politischen Zusammenarbeit zu kommen. Die vorbe- Zusammenarbeit im Rahmen der EWG und ihre
reitenden Gespräche sind im Gange, und die nächste Erweiterung auf andere europäische Länder als Teil
Sitzung des Ministerrats der Europäischen Wirt- unserer Bemühungen zur Stärkung und zur Erweite-
schaftsgemeinschaft wird sich zum erstenmal aus- rung der europäischen Gemeinschaft.
führlicher ,am Rande der formellen Sitzung mit die- An den Arbeiten zur Verschmelzung der europäi-
ser Frage befassen. schen Weltraumorganisationen ELDO und ESRO be-
Bei der Darstellung der Grundlinien unserer teiligen wir uns aktiv, weil wir der Auffassung sind,
Außenpolitik sind auch einige Bemerkungen über daß die westeuropäischen Staaten ihre Kräfte auf
eine Dimension der Außenpolitik angebracht, die in diesem Gebiet zusammenfassen müssen, um sich im
Zukunft mehr und mehr Bedeutung erlangen wird. Bereich der Nachrichtensatelliten eine gewisse Un-
abhängigkeit sichern und in anderen Bereichen der
Der schnelle Fortschritt von Wissenschaft und Tech-
Weltraumtechnik zu einem wirklichen Partner der
nik hat nicht nur unmittelbare Folgen für die Wirt-
Vereinigten Staaten entwickeln zu können.
schaft eines Staates; er bestimmt auch in zunehmen-
dem Maße seinen internationalen Stellenwert. An Der Sicherung einer gewissen europäischen Eigen-
diesem Fortschritt teilzunehmen und die daraus ständigkeit auf dem informations- und kulturpoli-
erwachsenden Gefahren für den Menschen und für tisch so bedeutsamen Gebiet der Nachrichtensatel-
seine Umwelt abzuwehren, sind Aufgaben, die heute liten dient unsere konsequente Haltung bei den zur
im nationalen Rahmen nicht mehr zu bewältigen Zeit in Washington laufenden Intelsat-Verhand-
sind. Die ungeheure Wissensexplosion der letzten lungen. Wir wollen dabei auch eine angemessene
Jahrzehnte, die Größenordnung der modernen Tech- Form transatlantischer Zusammenarbeit erreichen,
nologie und die noch nicht abzusehenden Nutzungs- denn die weitere Zusammenarbeit auf dem Welt-
möglichkeiten des Meeres und des Weltraums sowie raumgebiet erfordert partnerschaftliche Formen,
die Tatsache, daß die Verschmutzung der Luft und nicht nur finanzielle oder untergeordnete Beteili-
des Wassers keine nationalen Grenzen kennt, zwin- gung eines Teiles der Welt an den Arbeiten eines
gen uns zu einer stetig wachsenden internationalen anderen Kontinents.
Zusammenarbeit. Auch das deutsch-britisch-niederländische Abkom-
(Beifall bei den Regierungsparteien.) men über die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der
Gaszentrifugen, das wir am 4. März unterzeichnen
Das gilt insbesondere für die europäischen Staaten, werden, ist von Belang für die Europapolitik, da es
die der Entwicklung der zukunftsbestimmenden For- die vertragliche Grundlage für die Errichtung einer
schungs- und Industriezweige nur dann folgen kön- europäischen, der ersten europäischen Urananrei-
nen, wenn sie ihre Kräfte auf diesem Gebiet ver- cherungskapazität abgibt. Es ist in den letzten Tagen
einigen. Technologische Zusammenarbeit ist daher in Genf auf der Abrüstungskonferenz darüber ge-
ein notwendiges Element unserer auswärtigen Be- sprochen worden, daß dieser Vertrag Sicherheits-
ziehungen. risiken enthalten würde. Dazu kann man sagen,
1552 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 33. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Februar 1970

Bundesminister Scheel
daß die in dem Nichtverbreitungsvertrag vorgese- Meinungsaustausch begonnen, der um die Jahres-
henen Sicherheitsvorkehrungen in unserem Vertrag wende für vier Wochen unterbrochen worden ist. Es
über die Gaszentrifuge mit eingebaut sind. geht dabei um ein Thema, das dem Hause bekannt
ist und über das mehrfach diskutiert worden ist.
(Abg. Dr. Barzel: Gegen die Gaszentrifuge
Ich kann es mir also versagen, grundsätzlich auf
wird doch nun Kritik geübt, in Genf und in
diese Fragen einzugehen, so als handele es sich um
Polen!)
etwas noch nie Dagewesenes oder etwas Neues.
— Ich sage gerade: in Genf von einem Polen. Dazu Neu, meine Kollegen, ist die Intensität, mit der beide
habe ichgerade Stellung genommen, Herr Dr. Regierungen .dieses Gespräch führen. Es liegt in der
Barzel, weil offenbar übersehen worden ist, daß Natur der Sache und im deutschen Interesse, daß ich
auch in diesem Vertrage die Sicherheitsvorkehrun- hier und heute keine Einzelheiten über einen Mei-
gen des Nichtverbreitungsvertrages aufgenommen nungsaustausch ausbreite, der, wie gesagt, noch gar
worden sind. nicht abgeschlossen ist und über den deshalb auch
Dem Ziel der Friedenssicherung durch Entspan- lein Urteil heute noch nicht möglich ist.
nung zwischen Ost und West sollen die kürzlich auf- Die Bundesregierung hat die Fraktionsvorsit-
genommenen Gespräche mit der Sowjetunion auf zenden und die Vorsitzenden des Außenpolitischen
wirtschaftlich-technischem und wissenschaftlich-tech- Ausschusses über den augenblicklichen Stand der
nologischem Gebiet dienen. Wir sind bereit, auch Gespräche informiert. Wir werden diese Information
mit anderen europäischen Staaten in solche Ge- fortsietzen, sobald diese Phase in Moskau abge-
spräche einzutreten. schlossen sein wird. Es wird für dieses Thema wie
Der Verbesserung bilateraler Beziehungen, aber auch für andere Themen gelten, daß die Bundes-
auch der Verringerung des Gefälles zwischen Nord regierung bemüht ist und bemüht bleiben wird,
und Süd dienen wissenschaftlich-technologische Rah- über die Information hinaus auch zu einer Koopera-
menabkommen, die wir im letzten Jahr schon mit tion mit der Oppositionsfraktion zu kommen. Ich
Argentinien und Brasilien abgeschlossen haben. Wir möchte hier und jetzt nur einige Feststellungen zu
haben die Absicht, weitere Abkommen dieser Art diesem Thema treffen.
auch mit Indien, Pakistan, Spanien und Chile in (Abg. Dr. Barzel: Erlaubt Wehner das auch?)
Kürze zu unterzeichnen.
— Der Vorsitzende der sozialdemokratischen Frak-
Schließlich gilt es, eine 'unserem wissenschaftlich- tion hat in diesem Hause mehrfach betont, wie sehr
technischen Potential entsprechende Beteiligung der er sich von der Regierung unterscheidet und wie
Bundesrepublik an der weltweiten multilateralen selbständig er die Regierung handeln sehen möchte,
Zusammenarbeit auf dem technologischen Gebiet zu
damit er selber selbständig handeln kann.
erreichen. Aus diesem Grunde streben wir eine stän-
dige Mitgliedschaft im Gouverneursrat der Inter- (Beifall bei der SPD und der FDP.)
nationalen Atomenergie-Organisation an, und wir Meine Kollegen, ich möchte zu diesem Thema
bemühen uns, im Rahmen der durch die Nichtmit- hier nur einige Dinge sagen.
gliedschaft in der UNO gezogenen Grenzen aktiv an
der weiteren Diskussion über wissenschaftliche und Erstens. Die Bundesregierung betrachtet die
technolgisFramtzuwken. Offenheit und die Dauer der Verhandlungen, aber
auch den Rang der Verhandelnden und die Art und
In dem Maße, meine sehr verehrten Damen und Weise, in der dieser Meinungsaustausch bisher
Herren, in dem die Bundesregierung an der kon- schon von sowjetischer Seite geführt worden ist, als
struktiven Entwicklung i n der Welt , aktiven Anteil Zeichen des Ernstes, mit dem die sowjetische Regie-
nimmt, wenden das Außerordentliche der inner- rung untersucht, ob es Wege gibt, die den Beginn
deutschen Lage und die Notwendigkeit, zu einem einer wirksamen Entspannung zwischen der Sowjet-
besseren Verhältnis zu den osteuropäischen Län- union und der Bundesrepublik einleiten können,
dern zu kommen, noch stärker spürbar als bisher. einer Entspannung, die dann zweifellos auch Europa
Wir werden den Anforderungen unseres Anteils insgesamt zugute kommen würde. Die Bundesregie-
an einer aktiven Friedenspolitik nur gerecht und rung führt diesen Meinungsaustausch mit dem glei-
wir werden in der Welt von morgen nur dann einen chen Ernst und mit der gleichen Offenheit.
angemessenen Rang einnehmen können, wenn wir
in Deutschland selbst, aber fauch mit den osteuro- Zweitens. Ich möchte bekräftigen, daß die Er-
päischen Ländern zu vernünftigen und tragbaren klärung, die der Herr Bundeskanzler am 14. Januar
Verhältnissen kommen. zur Lage der Nation hier abgegeben hat, unver-
ändert den Rahmen darstellt, innerhalb dessen die-
(Beifall bei den Regierungsparteien.) ser Meinungsaustausch von unserer Seite geführt
Die Aktivität der Bundesregierung in diesem Bereich wird. Sie wissen, was ich damit meine: die bekann-
ist nur das notwendige Korrelat zu unserer aktiven ten vier Grundvoraussetzungen, die die Basis un-
Westpolitik. serer Politik den osteuropäischen Ländern gegen-
über bilden.
Die Bundesregierung hatte bereits in ihrer Regie-
rungserklärung vom 28. Oktober 1969 als einen Drittens. Wir können schon jetzt feststellen, daß
unmittelbar bevorstehenden Schritt angekündigt, wir nach den bisherigen Gesprächen zwischen dem
der Sowjetunion die Aufnahme von Gewaltver- sowjetischen Ministerpräsidenten Kossygin und dem
zichtsgesprächen vorzuschlagen. Nachdem die so- sowjetischen Außenminister Gromyko einerseits
wjetische Regierung darauf eingegangen ist, hat ein und Botschafter Allardt und Staatssekretär Bahr an-
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 33. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Februar 1970 1553
Bundesminister Scheel
dererseits eine Reihe von Positionen der Sowjet- zur Verbesserung der Lage in Deutschland bis zum
union besser beurteilen können. Ich hoffe, das gilt letzten auszuloten.
auch umgekehrt: daß man das gegenwärtige Ver-
(Beifall bei den Regierungsparteien.)
halten besser verstehen kann, selbst wenn man sich,
wie es in der Natur der Sache liegt, über gewisse Wir dürfen Genugtuung darüber empfinden, daß
Meinungsverschiedenheiten nicht verständigen kön- die mit uns verbündeten und befreundeten Staaten
nen wird. Nicht zu vereinbarende Ziele beispiels- unser Konzept der Deutschland- und der Ostpolitik
weise müssen aber kein Hindernis sein, zu Verein- unterstützen. In den Gesprächen mit der fran-
barungen zu gelangen, die jetzt möglich sind. zöischen Regierung im Dezember haben wir fest-
stellen dürfen, daß der sogenannte Rapallo-Kom-
Im Auftrage der Bundesregierung hat Staatssekre- plex, der eine Zeitlang auch in die französische
tär Duckwitz mit dem stellvertretenden polnischen öffentliche Meinung einzudringen drohte, einer part-
Außenminister ein erstes Gespräch über die Pro- nerschaftlichen Solidarität zwischen unseren beiden
bleme, die beide Staaten und Völker bewegen, ge- Ländern gewichen ist. Das gilt genauso für die
führt. In der zweiten Märzhälfte wind es fortgesetzt. anderen Alliierten des atlantischen Bündnisses. Hier
(Abg. Dr. Stoltenberg: Alles, was Sie sagen, ist es wichtig, noch einmal zu betonen, daß die
istaudenZgbkt!Könewir politische Aktivität der Bundesregierung Osteuropa
noch ein bißchen mehr erfahren?) gegenüber auch fest in das Atlantische Bündnis
gegründet ist, das allein unsere Sicherheit garan-
— Dies ist, Herr Dr. Stoltenberg, bei vielem so, weil tiert. Ohne die Gerantie dieser Sicherheit ist eine
die Zeitungen ja ungewöhnlich schnell Meldungen Politik Osteuropa gegenüber, die der Entspannung
weitergeben und sehr viele Überlegungen daran dienen soll, nicht denkbar.
knüpfen. Herr Dr. Stoltenberg, es wind Sie aber
(Beifall bei den Regierungsparteien.)
sicherlich interessieren, wie die Bundesregierung
darüber denkt, ebenso wie es mich interessiert, wie Meine Damen und Herren, Zustimmung zu unserer
Sie über Dinge denken, die ich aus den Zeitungen Politik habe ich auch in Asien bei meinem Besuch
natürlich längst vorher kenne festgestellt: daß man auch dort unsere Bemühungen,
zu einem Ausgleich in Europa zu kommen, mit gro-
(Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. ßer Sympathie verfolgt.
Dr. Stoltenberg: Können wir noch ein biß
chen mehr erfahren?) Ein westlicher Diplomat hat vor kurzem einmal
in einem Gespräch gesagt: „Die Bundesrepublik war
Die Gespräche, die Herr Duckwitz begonnen hat, noch nie so angesehen in der Welt, wie sie es heute
werden in der zweiten Märzwoche in Warschau ist."
fortgesetzt werden. Wenn ich sage, daß uns ein Aus- (Beifall bei den Regierungsparteien. —
gleich mit Polen aus vielen Gründen besonders am Lachen bei der CDU/CSU — Abg. Dr. Bar-
Herzen liegt, so glaube ich, daß das eine gemein- zel: Dais liegt am Außenminister?! — Abg.
same Auffassung des Hohen Hauses ist. Sowenig Rasner: „Man schenkt sich Blumen" !)
man die Zukunft nur mit den Lasten der Vergangen-
— Ich weiß gar nicht, meine Damen und Herren,
heit bestreiten kann, so sicher ist auch, daß wir sie -
warum Sie das nicht sehr positiv aufnehmen;
in unsere Überlegungen einbeziehen müssen. Es
wird ein langer und beschwerlicher Weg sein bis (Zurufe von der CDU/CSU: Vorher schon!
zur vollständigen und für beide Seiten befriedigen- — Wir freuen uns!)
den Lösung. Aber er muß beschritten werden, wenn denn letzten Endes ist das eine lange Entwicklung,
wir die Zukunft für unser Volk meistern wollen. die uns dahin geführt hat. Sie sollten sich freuen, daß
diese Regierung weiter Stein auf Stein zur Stärkung
Meine Damen und Herren, was hätten alle unsere des Ansehens der Bundesrepublik beigetragen hat.
Bemühungen in West und Ost für einen Sinn, wenn
es nicht gelänge, in Deutschland selbst das Zusam- (Beifall bei den Regierungsparteien.)
menleben der beiden deutschen Staaten erträglich zu Ich nehme nicht an, daß Sie gewünscht hätten,
machen? Das sind wir der Bevölkerung hüben und es wäre das Gegenteil eingetreten.
drüben schuldig. Das ist auch notwendig, wenn die
Glaubwürdigkeit unserer gesamten Politik erhalten (Abg. Rasner: „Laßt Blumen sprechen" !)
bleiben soll. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch
ein Wort zu Berlin sagen. Wir messen der alliierten
Ich will nicht in eine Polemik über vergangene Initiative bezüglich der Verbesserung der Lage in
Versäumnisse hier verfallen. Wer die Dokumen- Berlin und in bezug auf die Verbesserung der Lage
tation der Deutschlandpolitik studiert, der kann sich der Bevölkerung dieser Stadt große Bedeutung bei.
des Eindrucks nicht erwehren, daß er Zeitgenosse Wir können nur hoffen und wünschen, daß sich
eines dramatischen und tragischen Schattenboxens auch die sowje tische Regierung und die Regierung
um das Schicksal Deutschlands gewesen ist. Man der DDR darüber im klaren sind, daß es ohne eine
mag von der sowjetischen Note aus dem Jahre 1952 Entspannung der Verhältnisse lin und um Berlin
und vom sowjetischen Friedensvertragsentwurf keine wirkliche Entspannung in Europa geben kann.
aus dem Jahre 1959 halten, was man will; aber
eines steht fest: diese Bundesregierung wird keinen (Beifall bei den Regierungsparteien.)
Weg und auch kein Hindernis auf diesem Wege Deshalb erwarten nicht nur unsere Verbündeten
scheuen, um auch die geringsten Möglichkeiten mit uns, sondern auch unsere Nachbarn mit dem
1554 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 33. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Februar 1970

Bundesminister Scheel
Blick auf Berlin einen entscheidenden Beitrag der — Herr Dr. Barzel, ich habe mich dabei bezogen auf
östlichen Seite zur Sicherung das Friedens. die Beurteilung der Politik einer der früheren Regie-
rungen diesem Gebiete gegenüber, die uns ja in
(Beifall bei den Regierungsparteien und
außerordentliche Schwierigkeiten gebracht hat, einer
vereinzelt bei der CDU/CSU.)
Bundesregierung, der ich selbst angehört habe.
Der freie Zugang nach Berlin muß gewährleistet (Abg. Dr. Barzel: Wie wir uns erinnern, ja!)
sein. Die engen Bindungen der Stadt an die Bundes-
republik müssen respektiert werden; die Menschen Sie wissen, worauf ich Bezug nehme?
und die Wirtschaft in Westberlin dürfen nicht we- (Abg. Dr. Barzel: Wo Sie für einen Teil
gen dieser selbstgewählten Bindungen diskriminiert dieser Politik zuständig waren, Herr Scheel!)
werden.
— Herr Dr. Barzel, da Sie schon auf Einzelheiten ein-
Meine Damen und Herren, ,der Vorsitzende der gehen, muß ich sagen: Dieser Teil der Politik, der
CSU-Landesgruppe in Bonn hat nach dem Bericht uns Schwierigkeiten gemacht hat, ist allerdings den
des Bundeskanzlers zur Lage der Nation erklärt, Partnern dieser Regierung vorenthalten worden.
die Opposition der CDU werde jetzt „eisenhaltiger"
(Abg. Dr. Barzel: Na!)
werden.
(Abg. Stücklen: Wie, bitte? — Herr Außen Wir haben ihn vorgefunden, als die öffentliche Mei-
minister, ich zitierte aus einer anderen nung darauf gestoßen ist.
Quelle! — Abg. Strauß: Außerdem war es (Beifall bei den Regierungsparteien.)
vorher!)
Sie werden aber einige Kollegen in diesem Raum
— Ich meine, Herr Kollege, die politische Atmo- finden, die daran durch direkte Aktionen beteiligt
sphäre in unserer Welt ist „eisenhaltig" genug. gewesen sind.
Wir brauchen diesen Begriff nicht noch auf die In- (Abg. Dr. Martin: Links und rechts!)
nenpolitik zu übertragen.
— Rechts mehr durch Aktionen, links mehr dadurch,
(Beifall bei den Regierungsparteien.) daß man von den Aktionen einiges gewußt hat.
Gerade jetzt beim Besuch des israelischen Außen- (Lachen des Abg. Dr. Martin.)
ministers haben wir über diese Spannungsherde
Meine verehrten Kollegen, ich will noch einmal
sprechen können. Wir hatten Gelegenhelit, die be-
wiederholen: Wir verzichten darauf. So wünschens-
drohliche Lage dm Nahen Osten ausführlich zu er-
wert nun eine Ausgewogenheit — von der immer
örtern.
gesprochen wird — unserer Beziehungen zu den
(Zurufe von der CDU/CSU. — Abg. Stück arabischen Ländern einerseits und Israel anderer-
len: Glauben Sie, ich habe d ie Absicht ge seits sein mag, ist diese Ausgewogenheit jedoch
habt, hier mit Kanonen aufzufahren?) nicht das Entscheidende unserer Beziehungen zu die-
— Sicher nicht! sem Raum. Das höchste Interesse, das wir haben,
liegtndrBwahusFien,drmNah
(Abg. Stücklen: Was soll denn das!? —
Osten in gefährlicher Weise bedroht ist. Unsere
Weitere Zurufe von der CDU/CSU. — Abg.
Politik gegenüber diesem Raum wird daher vor-
Dr. Martin: Etwas kohärenter zur Sache!)
allem bestimmt sein von diesem alles beherrschen-
— Ja, gut. den Wunsch, zu einer friedlichen und dauerhaften
Regelung des Konflikts beizutragen. Wir haben
Meine Damen und Herren, ich darf wiederholen: keine direkte Möglichkeit, weil wir nicht zu den
Es gibt Konflikte, die uns mit großer Sorge erfüllen. Weltmächten gehören, die an diesem Problem direkt
Wir haben nicht nur in diesen Tagen in einer aus- beteiligt sind; wir haben auch zu einem Teil der
führlichen Besprechung einen dieser Konfliktherde Länder in diesem Raum keine diplomatischen Be-
diskutiert, sondern auch anläßlich des Besuchs des ziehungen. Unser Einfluß ist dadurch auf natürliche
jordanischen Ministerpräsidenten vor einigen Wo- Weise beschränkt. Wir werden aber im Rahmen
chen. Die Bundesregierung hat sich, um das Verhält- unserer Möglichkeiten alles tun, um der Friedens-
nis der Regierungspolitik zu diesem Krisenherd dar- regelung in diesem Raum zu dienen.
zustellen, in ihrer Nahostpolitik zum Ziel gesetzt,
auf jede Doppelzüngigkeit zu verzichten und ihren Meine Damen und Herren, lassen Sie mich in die-
Standpunkt gegenüber allen Regierungen dieses sem Zusammenhang ein Wort zu den terroristischen
Raumes in gleicher Weise zur Geltung zu bringen. Anschlägen auf zivile Luftverkehrslinien und zivile
Flugplätze sagen. Die Bundesregierung ist nicht ge-
(Abg. Dr. Barzel: Herr Scheel, das gilt hof willt, der allgemeinen Verwilderung des internatio-
fentlich nicht nur für die Nahostpolitik der nalen Zusammenlebens tatenlos zuzusehen.
Bundesregierung!)
(Beifall bei den Regierungsparteien und bei
— Darauf können Sie sich verlassen, Herr Dr. Barzel. Abgeordneten der CDU/CSU.)
(Abg. Dr. Barzel: Danke sehr!) Was .die Sicherheit unserer Flugplätze angeht, so
hat der Bundesinnenminister die nötigen Maßnah-
Ich glaube, dies ist auch von niemandem bisher be-
men ergriffen. Er hat gestern mit den Innenmini-
zweifelt worden.
stern der Länder ausführlich darüber gesprochen,
(Abg. Dr. Barzel: Nur durch Ihren eigenen und er bemüht sich auch, zu einer internationalen
Satz soeben!) Zusammenarbeit auf diesem Gebiete zu kommen,
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 33. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Februar 1970 1555
Bundesminister Scheel
die es leider bis zum heutigen Tage noch nicht gibt. Wer könnte die Stirn haben, von der Sowjetunion
Der Gedanke der schweizerischen Regierung, die als von dem „Wunschverhandlungspartner" der
Fragen der Sicherheit im internationalen Flugver- Bundesregierung zu sprechen, wenn man bedenkt,
kehr auf eine Konferenz zu erörtern, findet unsere was Rußland und Deutschland in der modernen Ge-
lebhafte Unterstützung. schichte füreinander bedeutet haben?
(Zustimmung bei den Regierungsparteien.) Wir sind weder dem „Rechts- noch dem Tat-
Wir werden aber auch die Urheber solcher Terror- sachenfetichismus" verfallen, obgleich ich diese Be-
akte mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln merkung für eine kluge Bemerkung gehalten habe;
dingfest zu machen versuchen. aber sie hat uns wohl etwas zusehr auf eine der
beiden Seiten zu drängen versucht. Wir versuchen
Im übrigen muß man sagen: Wenn es sich um
die Dinge so nüchtern wie möglich zu sehen, und
politische Gruppen handelt, müßten die Urheber
wir glauben trotzdem, daß die Vernunft schließlich
solcher Terrorakte wissen, daß diese Maßnahmen,
eine stärkere Triebfeder ist als dogmatische Ver-
die das Leben Unschuldiger fordern, der von ihnen
blendung, wie sie auf der anderen Seite anzutreffen
vertretenen politischen Sache weiß Gott keinen
ist. Wir sehen aber auch die weltpolitische Ent-
Nutzen bringen, sondern schwersten Schaden zu-
wicklung mit wachen Augen. Sie lehrt uns, daß nur
fügen müssen.
dasjenige Land eine Chance in der modernen Welt
(Beifall bei den Regierungsparteien.) hat, das weniger nach den Formalien und dem Sta-
Meine verehrten Kollegen, die 'deutsche Bundes- tus, dafür aber mehr nach Leistung und Funktion
regierung ist beseelt von dem Wunsch nach mehr fragt. Die Wirklichkeit nicht sehen wollen, wie sie
Frieden, nach mehr Sicherheit und nach mehr ist, das heißt sich selbst fesseln. Das gilt für den
Menschlichkeit. Über ihrer Politik steht das Prinzip einzelnen ebenso wie für die Staaten. In unserem
der freien Selbstbestimmung. Sie gibt nichts auf; sie Verhältnis zum anderen Staat in Deutschland, in der
verschleudert nichts. Aussöhnung und Zusammenarbeit mit Osteuropa,
(Zuruf des Abg. Dr. Barzel.) vor allem auch mit der Sowjetunion, wird sich zei-
Sie will die Einheit der Nation bewahren, die in gen, ob die Bundesrepublik ein wahrhaft moderner
allen Phasen der deutschen Geschichte umstritten Staat ist, d. h. ein Staat, der ohne 'Rücksicht auf
und manchmal bestritten gewesen ist. Sie handelt Formalismus und Ideologie seinen Beitrag zur Lö-
im Bewußtsein der Vergangenheit, in Kenntnis der sung der großen Probleme unserer Zeit zu leisten
Wirklichkeiten der Gegenwart und in der Perspek- vermag.
tive des Morgen. (Lebhafter Beifall bei den Regierungspar
Was bedeutet da eine herabsetzende Kritik, die teien. — Abg. Dr. ,Stoltenberg: Was heißt
ihre inneren Widersprüche nicht verbergen kann? das?)
Was soll der Ausdruck „hochgejubelte Osteuphorie",
wenn man daran denkt, daß wir im Osten das Vizepräsident Frau Funcke: Das Wort hat der
Gegenstück zur Aussöhnung im Westen schaffen Abgeordnete Dr. Barzel.
müssen, die wir alle betrieben, alle bejaht haben
und 'die uns gelungen ist. -
Dr. Barzel (CDU/CSU) : Herr Präsident! Meine
(Abg. Dr. h. c. Kiesinger: Welches sind die Damen und Herren! Der offensichtlich informativste
Voraussetzungen dieser Aussöhnung mit und sicher für das ganze Haus erregendste Satz die-
dem Osten im Vergleich zur Aussöhnung ser sehr bedeutenden Morgenrede war,
mit dem Westen?)
(Heiterkeit 'und Beifall bei der CDU/CSU
— Es sind andere Voraussetzungen, Herr Dr. — Oh-Rufe und weitere lebhafte Zurufe
Kiesinger, von den Regierungsparteien — Abg. Dr.
(Abg. Dr. h. c. Kiesinger: Sehr richtig!) Stoltenberg: Eine Provokation war diese
und das sind die Wirklichkeiten, von denen ich Rede!)
gesprochen habe. die Bundesregierung sei draußen noch nie so an-
(Beifall bei den Regierungsparteien.) gesehen gewesen wie jetzt. Dies freilich, Herr Kol-
Wer hat denn den Mut, vom „Zirkus der hek- le Scheel, sich selber Blumen zu schenken, ist ein
tischen Verhandlungen im Osten" zu sprechen, neuer Stil.
(Beifall bei der CDU/CSU.)
(Zuruf von der SPD: Strauß!)
wenn man bedenkt, daß 'diese Regierung 25 Jahre Heute stehen im wesentlichen die außen- und
nach Kriegsende im Begriff ist, entscheidende deutschlandpolitischen Dinge an. Ich möchte gern
Schritte zu tun, um den Berg von Mißtrauen ab- nur einen einzigen Punkt aus der innenpolitischen
zubauen, den es ja immer noch gibt? Debatte der vergangenen Woche eben noch an die
(Abg. Dr. Stoltenberg: Welche Schritte AdresHnBukazlersg,wi
in diese Woche herüberspielt.
denn? 'Sagen Sie uns das mal!)
— Zu verhandeln, Herr. Dr. Stoltenberg. Dies hat (Zuruf von der SPD.)
ja bisher noch niemand begonnen und beginnen — Ja, er spielt in diese Woche herüber. Meine
können. Damen und Herren, wir haben nach der Debatte
(Beifall bei den Regierungsparteien. — der vergangenen Woche und den Festlegungen der
Zuruf von der CDU/CSU.) Regierung am Sonntag gehört, daß der Bundeswirt-
1556 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 33. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Februar 1970

Dr. Barzel
schaftsminister mit sehr deutlichen Worten gesagt lungen in Moskau, die Konrad Adenauer geführt
hat, nun müsse gehandelt werden. Das ist in der hat?
Öffentlichkeit als die Ankündigung aufgefaßt wor- (Zustimmung bei der CDU/CSU. — Zuruf
den, die Steuern zu erhöhen oder mindestens vor- von der SPD.)
weg Steuererhebungen vorzunehmen. Wir haben Waren nicht Sie, Herr Kollege Scheel, Mitglied
dann eine Menge von Presseerklärungen beider seiner Regierung,
Koalitionsfraktionen gehört. Wir lesen heute mor-
gen eine groß aufgemachte Erklärung des Herrn (Zuruf des Abg. Wehner)
Bundesministers der Finanzen. Herr Bundeskanzler, die z. B. im Jahre 1959 die Genfer Dinge verhandelt
ich glaube, es ist a n der Zelt, daß , dieses Durch hat und die unter dem Außenminister Schröder da-
einander durch ein Wort des Mannes, der die Richt- mals die Mission in den Ländern Ost- und Mittel-
linien der Politik für seine Regierung bestimmt, europas zu errichten begann? Das alles, meine Da-
beendet wird, meine Damen und Herren. men und Herren, können Sie doch nicht unter den
Tisch fegen; das sollten Sie eigentlich nicht tun.
(Beifall bei der CDU/CSU.)
(Beifall bei der CDU/CSU.)
Herr Kollege Scheel, ich möchte mich bei Ihnen
in einem Punkt bedanken, auf den ich am Schluß Wenn Sie unter , der Überschrift, hier mehr De-
zurückkommen möchte, nämlich dafür, daß Sie mokratie zu wagen und die Wahrheit zu sagen und
war wohltuend — in einem außenpoliti- —undas im Hause sehr informativ zu sein, nach den Ge-
schen Bericht mit der doch wohl für uns alle funda- sprächen zwischen Staatssekretär Bahr und den Mit-
mentalsten Frage begannen, der Lage in Europa und gliedern der sowjetrussischen Führung wirklich
dem Fortschritt in Europa. Ich komme darauf zurück. nur zu sagen wissen, die Positionen würden nun
besser verstanden, dann ist das ein bißchen wenig
Aber ich muß einen fundamentalen Punkt bestrei- für dieses Haus.
ten, den Sie allgemein gesagt haben. Er ist sehr
wichtig für die ganze Debatte, die wir heute und (Beifall bei der CDU/CSU.)
in Zukunft halben werden. Sie haben gesagt, man Das ist deshalb ein bißchen wenig, weil Sie vor der
könne nicht die Ziele bejahen — das war wohl mit Presse mehr gesagt haben. Vor der Presse haben Sie
dem Blick auf Ihre Ostpolitik gesagt —, aber die nämlich gesagt, in der Sowjetunion bestünde das In-
Mittel und Wege verneinen. Sehen Sie, das ist ein teresse, zu geregelten Abmachungen mit uns zu
fundamentaler Satz, der sich aus dem Mund eines kommen. Hier hätten wir gern mindestens diesen
Liberalen schlecht und dem eines Demokraten un- Satz gehört. Wir wünschen nichts zu stören, Herr
möglich anhört, meine Damen und Herren. Kollege Scheel. Glauben Sie nicht, daß wir hier
(Beifall bei der CDU/CSU.) etwas kaputtmachen, was vielleicht im deutschen
Interesse liegt, nein. Aber hier weniger zu sagen
Denn die Ziele dieses Landes sind im Grundgesetz als vor der Presse, das ist uns zuwenig.
normiert. Sie gelten für alle.
(Beifall bei der CDU/CSU.)
(Sehr gut! in der Mitte.) Ich will hier nicht die Debatte über den Sperr--
Seit mehr als 20 Jahren streiten wir hier, mit unter- vertrag wiederaufnehmen, die uns der Herr Kol-
schiedlichen Erfolgen, über Wege und Methoden. lege Scheel eigentlich angeboten hat. Aber ich
Deshalb kann keiner sagen: „Ich will hier die Aus- denke, wenn wir die neuesten Dinge sehen, wenn
söhnung, und wenn du hier nicht jeden Schritt mit- wir die Tatsache sehen, daß von hier und da erheb-
vollziehst, dann bestreitest du das Ziel." Das ist liche Proteste, wie wir vorhergesagt haben, gegen
doch die Logik dieser Einlassung, Herr Kollege die friedliche europäische Gaszentrifuge erhoben
Scheel. Das kann man ja wohl so nicht machen. werden, wenn wir sehen, daß von europäischen Mit-
gliedsländern der Gemeinschaft eine gemeinsame
(Beifall bei der CDU/CSU.) Verhandlungsposition gegenüber der Wiener Be-
Dann war davon die Rede, man wolle die Ver- hörde erheblich in Frage gestellt wird, ist doch un-
gangenheitsbilanz in der Deutschlandfrage ser Vorwurf, daß hier mit mangelnder Sorgfalt zur
nicht
Unzeit unterschrieben worden ist, einfach in der
machen. Wir sind gern bereit, dies zu tun. Nur s o
Lektüre dieser Tage bestätigt, meine Damen und
einfach sollte man es sich nicht machen, daß man
erklärt, eine Wiedervereinigung gäbe es nicht, und Herren.
dann jede bilaterale Klimaverbesserung für einen (Beifall bei der CDU/CSU.)
Erfolg ausgibt. Meine Damen und Herren, das ist Hier ist doch an einem klassischen Punkt gezeigt,
wohl der leichteste Beitrag zur deutschen Politik, daß das Weggeben von Konzessionen bei der an-
der jemals geleistet warden ist. deren Seite nur neuen Appetit fördert.
Herr Kollege Scheel, wie können Sie sagen, es sei (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)
niemals verhandelt worden? Dieses Beispiel nehme ich bewußt jetzt bei der
Überleitung zu dem deutschlandpolitischen Kapitel,
(Abg. Dr. Stoltenberg: Groteske so etwas!)
zu dem ich jetzt sprechen möchte. Wir haben hier
Sie waren vielleicht damals nicht da. Aber hier sitzt vor etwa 6 Wochen eine Debatte über den Bericht
doch Carlo Schmid. Verehrter Herr Vizepräsident, zur Lage der Nation gehabt. Ich will davon nichts
waren Sie nicht Zeuge und beteiligt an Verhand wiederholen. Die Regierung hat damals gesagt, es
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 33. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Februar 1970 1557
Dr. Barzel
sei der erste Teil des Berichts, der zweite Teil eines muß man heute sagen: der Zeitpunkt naht, zu
stehe aus. Wir haben das damals nicht kritisiert, dem die Bundesregierung dem deutschen Volk sagen
weil die Argumente, die für das Ausstehen des muß, um was es geht und um was es nicht geht.
zweiten Teils vorgetragen wurden, überzeugend (Beifall bei der CDU/CSU.)
waren. Aber wir würden doch gern wissen, wann
endlich wir einen vollständigen Bericht mit dem Ich hoffe, daß dies dann von dieser Stelle aus ge-
zweiten Teil haben, um auch den diskutieren zu schieht und nicht in Interviews und mit lancierten
können. Meldungen. Wer hier gegen den Kollegen Strauß,
wie ich das gehört habe, in der Debatte der vori-
Seit der letzten Debatte sind nun einige Dinge gen Woche den Vorwurf erhoben hat — er wird
passiert, und ich will einige davon in diese Debatte sich heute in der Debatte zu Wort melden —, er
einführen. Wir würden, Herr Bundeskanzler und
würde nicht das hier im Hause sagen, was hier ins
Herr Außenminister und Herr Minister Franke und
Haus gehört, der sollte zunächst einmal sich selbst
Sie alle, die damit zu tun haben — und auch von
prüfen.
Herrn Kollegen Wehner vielleicht —, gern hören,
ob die Meinungsverschiedenheit, die es damals in Herr Bundeskanzler, Sie sind uns bisher hier im
der Frage gab, die ich jetzt bezeichnen werde, noch Haus die Antwort schuldig geblieben, warum es
fortbesteht. Wir haben in der Analyse der Positio- keine Wiedervereinigung gibt, während Sie sich in
nen der Mitglieder des Warschauer Pakts auf Grund einer Fülle von Interviews im Inland und Ausland
unserer Bemühungen gesagt, die Positionen aller dazu geäußert haben.
dieser Mitglieder seien fugenlos. Die Bundesregie- (Beifall bei der CDU/CSU. — Widerspruch
rung hat damals noch durch den Mund des Bundes- bei den Regierungsparteien.)
kanzlers an Hand von drei Beispielen behauptet, es
seien Differenzen in den Auffassungen dieser Län- Das wollen wir heute hören. Und die Absage an
der. Es wäre wichtig für dieses Haus, zu wissen, die Gemeinsamkeiten mit der Opposition hat der
wer hier recht gehabt hat. Ich meine, das stört keine Kollege Wehner nicht hier im Hause, sondern im
Verhandlungen, „Spiegel" erklärt.
(Sehr gut! bei der CDU/CSU) (Beifall bei der 'CDU/CSU.)
ob man feststellt, daß es Differenzen gibt, oder ob Und die neue Konzeption der Verteidigungspolitik
man feststellt, die Positionen seien fugenlos und die haben wir in der Presse gelesen auf Grund einer
Sowjetunion trete vielleicht als Mandatar all der an- Erklärung des Verteidigungsministers vor sozial-
deren auf. demokratischen Gremien und nicht nach Erklärung
hier im Hause. Also, meine Damen und Herren, mit
Das andere, was sich zwischendurch sicherlich
weiter entwickelt hat — das wird im Laufe dieser dem Vorwurf sind Sie — —
Debatte noch eine Rolle spielen —, ist das, was ich (Beifall bei der CDU/CSU. — Zurufe.)
als die innenpolitischen Voraussetzungen dieser
Es wird Zeit sein, Herr Bundeskanzler, daß Sie hier
Ostpolitik bezeichnen möchte. Ich weiß nicht, wie
im Hause sagen — zwar nicht öffentlich Ihre ganze
die Bundesregierung inzwischen die Notwendig-
Verhandlungsposition, das verlangen wir gar
keiten breiterer Mehrheiten in diesem Hause für
nicht — —
fundamentale Lösungen beurteilt. Am 15. war der
Herr Bundeskanzler noch der Meinung, er könne
sich hier nicht etwa in irgend etwas einschränken Vizepräsident Frau Funcke: Herr Kollege Dr.
lassen. Inzwischen hören wir aus der Zeitung, daß Barzel, gestatten Sie eine Zwischenfrage dies Herrn
einige der Länder, mit denen verhandelt wird, auf Abgeordneten Borm?
eine breite Mehrheit hier Wert legen, weil sonst
nichts dauerhaft genug abgesichert sei. Wir räumen
ein, Herr Bundeskanzler, daß sich Ihre Regierung, Dr. Barzel (CDU/CSU) : Dies ist mir ein Ver-
auch Sie selbst, auch der Herr Außenminister und gnügen, dem Kollegen Borm eine Frage zu beant-
manchmal in Ihrem Auftrag Beamte um punktuelle worten.
Information der Opposition bemühen. Das räumen
wir ein, und das stellen wir fest, daß dies geschieht. Borm (FDP) : Danke, Herr Kollege Barzel. Wären
Wir stellen zugleich fest, daß wir ein Papier nie Sie bereit, zuzugeben, .daß das Niveau der Äuße-
sehen und daß es zu der Kooperation, die wir an- rungen, die außerhalb dieses Hauses fallen, beim
geboten haben, nicht gekommen ist. Herrn Bundeskanzler einanderes ist als bei dem
(Beifall bei der CDU/CSU.) Kollegen, den Sie vorher genannt haben?
Das werden wir im einzelnen noch zu behandeln (Beifall bei den Regierungsparteien. —
haben.. Widerspruch und Lachen bei der CDU/CSU.)
Die Bundesregierung hat nun in direkten Ge-
sprächen — und wir waren für diese direkten Ge- Dr. Barzel (CSU/CSU) : Herr Kollege Borm, Sie
spräche und sind dafür — mit Moskau, Warschau werden sich im Laufe dieses Tages selbst ein Bild
und Ost-Berlin begonnen, sich ein eigenes, vollstän- vom Niveau machen können. Wir haben ja alle un-
digeres Bild zu machen. Sie wird sicherlich selbst den sere Zettelkästen. Ich versuche, dazu beizutragen,
Zeitpunkt ermessen, in dem sie das Bild für so voll- Herr Borm — und wie Sie wissen, gegenüber jeder-
ständig hält, daß sie weitere Gespräche sucht. Nur mann dazu beizutragen —, daß die fundamentalen
1558 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 33. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Februar 1970
Dr. Barzel
Erklärungen zuerst hier im Hause abgegeben wer- zu stärken. Wir haben die Erfahrungen der
den. Tschechoslowakei nicht vergessen, und - uns hier in
(Beifall bei der CDU/CSU.) Deutschland sitzt die Breschnew-Doktrin im Nacken.
Das sollte für alle hier gelten, vielleicht sogar für Es wäre wichtig, zu hören, ob insoweit, Herr Bun-
Herrn Wischnewski. Er versucht, in der Presse alle deskanzler, die Unaufhebbarkeit aller Grenzen, die
möglichen schweren Hände auf Gewissen zu legen. die Sowjetunion von uns verlangt, den Verzicht auf
Hier im Hause, Herr Wischnewski, und nicht so mit die Wiedervereinigung beinhaltet.
Presseerklärungen, das ist bessere Demokratie. Es liegt, meine Damen und Herren, im Interesse
der deutschen Politik, jeden Eindruck zu vermeiden,
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung als sei gerade etwa sie, die doch hauptsächlich von.
könnte nun wirklich — das ist sie uns wohl schul- diesen Unmenschlichkeiten betroffen ist, dabei, die-
dig, nachdem Herr Kollege Scheel gesagt hat, die sen uneuropäischen Status quo auch noch zu billi-
Positionen würden nun besser verstanden —, ohne gen. Es ist doch die Aufgabe der deutschen Politik,
ihre Verhandlungsposition zu schmälern, dem Hause die deutsche Frage zumindest offenzuhalten, eine
sagen, welche die Absichten und die erkennbaren europäische Friedensordnung nicht dadurch zu ver-
Intentionen der Sowjetunion sind, die dort als Man- bauen, daß man diese Verkrustungen zementiert.
datar der anderen auftritt, wenn nicht heute, dann Deshalb muß man Verhandlungen für Fortschritte in
doch in absehbarer Zeit. Das zu wissen, hat dieses dieser Richtung führen und nicht Verhandlungen in
Haus wohl einen Anspruch. Ich glaube, wir sollten Richtung auf die Zementierung dieses Status quo
langsam doch wissen dürfen, wo diese Regierung mit der Hegemonie der Sowjetunion, meine Damen
eine Chance sieht, den verstaubten und verkruste- und Herren!
ten und, wie ich hinzufügen will, menschenrechts- (Beifall bei der CDU/CSU.)
widrigen Status quo wenigstens schrittweise zu ver-
ändern, und zwar im Interesse der Menschen schritt- Die CDU/CSU weiß, daß sich keiner um Schmerz-
weise zu einer besseren Ordnung in Europa zu ver- lichkeiten, um Wahrheiten, um Tatsachen und um
ändern. Leistungen drücken darf, der ostpolitisch weiter-
kommen will. Sie weiß, daß zu einer besseren euro-
Sehen Sie, meine. Damen und Herren, wir brau- päischen Ordnung ein deutscher Beitrag gehört. Sie
chen doch in Europa zumindest Ansätze, welche die weiß aber ebenso, daß es vom Wege zu einer bes-
Verhärtungen überwinden und die Zusammenarbeit seren, friedlichen, menschlicheren Ordnung in
stärken. Wir brauchen Bemühungen um den Abbau Europa weg — und ins Gegenteil führt, wenn etwa
von Rüstung auf allen Seiten. Wir brauchen mehr dieser deutsche Beitrag ins Nichts verschenkt würde,
noch. Wir brauchen, daß in ganz Europa die Gren- wenn er ohne Verbesserungen und ohne reale Ver-
zen offener werden; die Freizügigkeit muß stärker änderungen für die Menschen und Völker geleistet
werden, die Informationsmöglichkeiten für alle würde und wenn lediglich die sowjetische Vor-
müssen besser, der Austausch der Meinungen sowie herrschaft in Europa bestätigt und deren Einfluß
die Begegnungen der Menschen müssen reger wer- dadurch ausgedehnt würde.
den. Es müssen überall in Europa Möglichkeiten des
es müssenSchutzesvonMidrgchafen, Aus dieser Sicht, meine Damen und Herren —
Diskriminierungen von Menschen nach Religion und etwas einbringen für eine bessere Ordnung, etwas-
Nation und Sprache und Meinung gemildert und leisten für eine Gegenleistung —,
dann überwunden werden. (Zuruf von der SPD: Hätten Sie ja machen
(Zuruf von der SPD: Warum haben Sie nicht können!)
dafür gesorgt?)
sind unsere Dokumente wie die Friedensnote Lud-
— Sehen Sie, ich verstehe, warum Sie unruhig wig Erhards und die Friedenspolitik Kurt Georg
werden. Kiesingers — übrigens Dokumente, auf die sich
(Lachen bei der SPD.) diese Regerung mit Recht, zum Teil mit Recht, be-
— Ja, ja, Sie merken, meine Damen und Herren, daß ruft — entstanden.
ich dabei bin, an Versäumnisse dieser Bundesregie- Meine Damen und Herren, deshalb haben wir
rung zu erinnern, Verhandlungen mit den Verantwortlichen in Ost
(erneutes Lachen bei der SPD) Berlin gefordert, deshalb haben wir konkrete Vor-
schläge für Verbesserungen gemacht, deshalb haben
denn wir haben von dieser Stelle aus deutlich ge- wir Beziehungen mit den Ländern Ost- und Mittel-
macht — und das, meine Damen und Herren, sollten europas befürwortet, Rüstungsbegrenzungen und all
Sie sorgsam hören und auch sorgsam wägen —, daß diese Dinge, und deshalb forderten wir auch — und
für solche substantiellen Zwecke im Interesse der jetzt komme ich auf einen wichtigen Punkt —, daß
MenschudrVölkeinbsOrd- Grenzfragen nur lösbar werden, wenn Grenzen offe-
nung in Europa Leistungen, auch schmerzhafte Lei- ner, Freizügigkeit besser und Minderheiten ge-
stungen, auch politische Leistungen, erbracht werden schützt würden usf.
können und vielleicht erbracht werden müssen.
(Beifall bei der CDU/CSU.)
Aber eben deshalb halten wir es für fundamental
uneuropäisch, den gegenwärtigen und ganz anders Wir haben hier am 29. Oktober der Bundesregie-
gearteten Status quo in Europa etwa zu zementieren rung einige Angebote gemacht. Wir haben gesagt —
und dadurch die Sowjetunion gegenüber allen Euro- und ich wiederhole dies hier, und es gilt für uns
päern, auch uns gegenüber, in ihrem Einfluß noch fort —:
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 33. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Februar 1970 1559
Dr. Barzel
Wir begrüßen, daß die Bundesregierung auf die Jeder von uns wird in den letzten Wochen pol-
Gesprächsbereitschaft Polens eingehen will. ... nische Gesprächspartner gehabt habe. Ich habe vie-
Ohne Kooperation mit der Opposition werden len von denen gesagt: wie soll ich eigentlich ein
Sie in dieser Frage kaum zu einem Erfolg kom- Gespräch über Lösungen dieser Frage beginnen
men können. können, wenn nicht einmal der Vater mit seinem
Wir meinen: Deutsche und Polen wollen ... in Sohn in aller Freiheit an den Ort seiner Geburt soll
gesicherten Grenzen leben, die frei vereinbart reisen können?
werden und die Zustimmung beider Völker fin- (Beifall bei der CDU/CSU.)
den müssen. Gespräche hierüber Das sind doch ganz praktische Punkte. Solche
Punkte, um die es hier wirklich geht, gehören in die
— zur Vorbereitung —
Debatte.
sind auch vor einem Friedensvertrag sinnvoll.
Verbindliche Regelungen bedürfen der Zustim- Dann lesen wir in der Zeitung, in der Grenzfrage
mung des deutschen Volkes. . . . Wer Grenz- gehe es für die Bundesregierung nun zwischen
fragen lösen oder auch nur entschärfen will, Warschau und Bonn nur noch um eine Formel.
muß -außer dem Verzicht auf Gewalt . . . — (Hört! Hört! bei der CDU/CSU.)
der Grenze, um die es geht, . . . etwas von ihrer Das muß man wirklich hören — „nur noch um eine
Totalität nehmen. In der Zeit der Raumfahrt Formel". Dabei .geht es um ein Stück von Deutsch-
gilt es, . . . Grenzen zu überwinden, sie durch- land, das uns alle angeht und nicht etwa nur die,
lässig und den Menschen erträglicher zu machen. die dorther stammen.
(Beifall bei der CDU/CSU. — Unruhe bei der (Beifall bei der CDU/CSU.)
SPD.)
Hier geht es nicht um eine Formel, sondern hier
- Sie werden schon merken, warum ich daran er- geht es um Menschen, hier geht es um Schicksale,
innere. Bei Freizügigkeit, bei europäischem Volks hier geht es um Recht, hier geht es um Schlesien
gruppenrecht, bei Abbau aller Diskriminierungen und Pommern und Ostpreußen.
nach der Herkunft, dem Stand, der Religion, der (Unruhe bei der SPD.)
Meinung überall in Europa erschienen und erschei-
nen uns Grenzfragen in einem anderen Licht. Sehen Sie, meine Damen und Herren, dies werfen
wir dieser Regierung vor: Dem deutschen Volk
Wir haben deshalb angeregt, die Bundesregierung nicht mit aller Offenheit gesagt zu haben, um was
möge nicht nur reagieren auf gesamteuropäische es hier wirklich geht, und statt dessen hier nur mit
Vorschläge anderer, sondern sie möge sich selbst mit einer Formel zu arbeiten,
einem Entwurf einer Charta der Freizügigkeit, des
(Beifall bei der CDU/CSU)
Volksgruppenrechts und des Minderheitenschutzes
an alle europäischen Regierungen wenden, um alle mit einer Formel, von der Herr Wehner sagt: Es
Grenzfragen überall in Europa lösbarer zu machen. ginumeAtwor,diPlenbfg
Dies haben wir gesagt. kann und die hier politisch zu tragen ist. Offenbar
haben Sie die Formel noch nicht gefunden, die die
(Beifall bei der CDU/CSU.)
Polen befriedigt und die hier innenpolitisch das ein -
Wir haben die Bundesregierung ermuntert, einen bißchen vernebeln soll, was in Wirklichkeit an voll-
Beitrag zu dieser europäischen Sicherheitskonferenz endeten Tatsachen geschaffen werden wird.
dadurch zu leisten, daß sie hilft, daß man nicht vorn (Beifall bei der CDU/CSU.)
staatlichen Status quo, sondern von der Sicherheit
menschenwürdigen Lebens ausgeht. Wir haben da- Herr Bundeskanzler, wenn Sie wirklich Lösungen
von gesprochen, daß ein europäisches Sicherheits- suchen, Lösungen eines Problems, dann lassen Sie
system und mehr noch eine europäische Friedens- uns ernsthaft, offen und geduldig miteinander
ordnung gemeinsame Normen zur inneren Festigung sprechen. Die Deutschlandpolitik braucht nicht kurz-
der deutschen Lage brauchen. fristige klimatische Erfolge bei den doch wechseln-
den Verantwortlichen in den Ländern des War-
Die Bundesregierung hat alle diese Anregungen, schauer Paktes, sondern sie braucht langfristig wir-
die wir hier im Hause vorgetragen haben, überhört. kende und haltbare Lösungen, Lösungen im Inter-
Sie hat sie auch nicht aufgenommen in dem ersten esse der Menschen, Lösungen im Interesse der Völ-
Gespräch, das wir über die Vorbereitung des Ge- ker 'und einer besseren europäischen Ordnung, und
sprächs mit Polen hatten, und nicht aufgenommen, nicht Lösungen, die, weil sie heute à la mode sind,
als wir sie dort konkretisiert und erneuert haben. gefunden und vielleicht morgen oder von künftigen
Wir nehmen das zur Kenntnis. Die Koalition wird Generationen verworfen werden.
schon sehen, wie weit sie auf diese Weise kommt.
Ich sage dies heute, damit niemand später Verant- Meine Damen und Herren, wir würden an Lö-
wortlichkeiten und Geschichte hier durcheinander- sungen mitarbeiten. Das weiß man auch in Polen.
bringt. Wir werden an Formeln, die Inhalte verbergen

Ich verweise noch einmal auf eine jugoslawische (Abg. Dr. Stoltenberg: Sehr wahr!)
Stimme, die ich ausführlich in der letzten Debatte oder die von dem einen als endgültig und von dem
zitiert habe und die uns alle mahnt, nicht diesen anderen als vorläufig interpretiert werden, nicht
schrecklichen Status quo festzuschreiben, sondern mitwirken.
eine bessere Ordnung zu suchen. (Beifall bei der CDU/CSU.)
1560 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 33. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Februar 1970

Dr. Barzel
Denn nur Offenheit, Geben und Nehmen, die volle daß hier die Gefahr nicht :auszuschließen ist, daß
Glaubwürdigkeit und Redlichkeit sowie der Respekt dem am Schluß :der Schaden einer Erstarkung des
vor dem geltenden Recht werden unsere Position Rechtsradikalismus in Deutschland gegenüberstehen
in den Verhandlungen mit diesen Ländern stärken. könnte.
(Sehr richtig! bei der CDU/CSU. — Zurufe
Meine Damen und Herren, je ernster wir das von der SPD.)
auch insoweit jedermann in Ost und West und im
eigenen Volk sichtbar machen, je ernster war das Dies abzuwägen und deshalb nicht Formeln, son-
Grundgesetz und den Deutschlandvertrag als für dern Lösungen zu suchen und hier ein Verhältnis
uns verbindlich ansehen und nirgendwo augenzwin zu finden, das nicht so ist wie Wehner sagte auf
kernd in Frage stellen, desto eher wird man uns die Frage nach Polen: „Ich brauche die Opposition
glauben, daß das neue verbindliche Wort, um das nicht" — das, meine Damen und Herren, ist der
wir ringen, von uns genauso eingehalten werden Punkt, um den es hier in Wahrheit geht.
wird. (Beifall bei der CDU/CSU.)
(Beifall bei der CDU/CSU.)
Herr Bundeskanzler, ich appelliere hier nicht an
Wer, wie wir, neues Recht und andere Verbind- Sie. Ich stelle hierzu auch keine Frage. Ihr Ohr war
lichkeiten zum Ausgleich der Interessen und zur zu oft taub. Nur: wenn Sie, mit dem Blick auf die
Aussöhnung sucht und zugleich — und kein De- ungetzMölichkdrKopeatnmis
mokrat kann etwas anderes tun — für Selbstbestim- Opposition, eines Tages zu :der Erkenntnis kommen
mung ist, der muß nicht den Formelweg, sondern sollten, eine Chance für :die deutsche Politik nicht
der muß den Lösungsweg gehen, und er muß den haben gebührend wahrnehmen zu können, dann
mühsamen Weg gehen, durch Zustimmung der Be- würde diese verpaßte Chance im Geschichtsbuch
teiligten und durch Verbesserungen für die Men- der deutschen Politik Mit Ihrem Namen überschrie-
schen neues Recht verbindlich zu machen. Meine ben sein.
Damen und Herren, es gibt keinen anderen Weg. (Beifall bei der CDU/CSU. — Oh-Rufe von
Wir haben auf die begrenzte Legitimation der Bun- der SPD.)
desregierung, wir haben auf 'die begrenzte Legiti- Zum Gespräch mit Moskau möchten wir ganz
mation selbst dieses Hauses in diesen Fragen hin- weniges sagen. Wir würden es begrüßen, wenn ein
gewiesen, und zwar rechtzeitig, intern, und wir tun Gewaltverzichtsvertrag zustande käme.
es auch öffentlich. Diese begrenzte Legitimation gibt
es für uns als Demokraten doch nicht nur deswegen, (Zuruf.)
weil sie im Grundgesetz und im Deutschlandvertrag — Es gibt bekanntlich einen Entwurf der Regierung
steht, sondern wer es mit der Selbstbestimmung Kiesinger ,dazu, und wir haben erklärt, daß wir
ernst meint, kann doch gar nicht anders, als eine dazu stehen. Nur erscheint natürlich ein solcher Ent-
Lösung nur mit Zustimmung der Beteiligten und wurf, wenn eine Regierung ihn vorlegt, die in ihrer
nicht durch eine Formel zwischen Regierungen eigenen Erklärung sagt, sie spreche für alle Deut-
suchen. schen, und wenn in der Präambel steht, wir wollten
(Beifall bei der CDU/CSU.) die Wiedervereinigung, und wenn sie dann sagt,
wir verzichten auf Gewalt als ein Mittel auch der -
Ich sage das auch noch aus folgenden zwei Grün- deutschen Politik, in einem ganz anderen Licht, als
den. Einmal sind der Deutschlandvertrag und auch wenn denselben Entwurf eine Regierung vorlegt, die
sein Art. 7 nicht nur geltendes Recht. Sie sind nicht sagt, eine Wiedervereinigung gibt es nicht, und hier
nur ein verbindlich und feierlich durch Ratifikation existieren zwei deutsche Staaten.
erhärtetes Wort, an dessen Einhaltung die Glaub-
(Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Rasner:
würdigkeit der deutschen Politik von vielen gemes-
Genau das! — Abg. Dr. Martin (zur Regie-
sen wird, sondern zugleich ein verbindlicher B e-
rungsbank gewandt) : Sie werden es noch
standteil eines sehr komplizierten Geflechts von
spüren!)
Normen, Verträgen und Wirklichkeiten, die im Inter-
esse unseres Landes, konkret: im Interesse unserer Herr Bundeskanzler, ich kann mir nicht vorstel-
Sicherheit, noch konkreter: vor allem im Interesse len — ich möchte dies sagen und hoffe, daß es ver-
der Lebensfähigkeit und Sicherheit des freien Ber- standen wird —, daß etwa die Bundesregierung
lins stehen; aus diesem Geflecht kann man nicht über diese Fragen anders verhandelt und gesprochen
einen Punkt herausbrechen oder in seiner Rechts- hat, als es ihren verbindlichen Erklärungen vor die-
kraft mindern, indem man es nur noch zu einer sem Hause am 14. Januar in ihrem Bericht zur Lage
Abladestelle für Terminvorbehallte macht. Nein, :der Nation entspricht.
dies ist eine inhaltlich gemeinte Norm. Das sollte (Zuruf von der SPD: Ja, Herr Lehrer!)
hier niemand übersehen.
Ich bin jedermann, drinnen und draußen, entgegen-
Und :das andere, Herr Bundeskanzler: Formeln getreten, der vermutet hat, diese Regierung würde
statt Lösungen und der Versuch, das ohne das Ge- in Wirklichkeit in Moskau anders sprechen als hier
spräch und die Zustimmung :der Beteiligten zu lö- am 14. Januar im Bundestag,
sen, was mühsam ist, können vielleicht dazu füh- (Zurufe von der SPD: Ja: und? Und?)
ren, daß Sie kurzfristig bei dem einen oder anderen
der gegenwärtig Verantwortlichen in den Ländern und ich bin dabei, das jetzt zu erklären.
des Warschauer Paktes Gewinn davon haben. Aber (Zuruf von der SPD: Sie müssen Herrn
Sie müssen doch einrechnen, Herr Bundeskanzler, Strauß entgegentreten!)
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 33. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Februar 1970 1561
Dr. Barzel
Ich kann mir nicht vorstellen, Herr Bundeskanzler Auffassung, daß solche Gespräche auf der Basis
— vielleicht ist es ganz interessant für jemanden, gründlicher Vorgespräche erfolgen müssen. Die
daß die Opposition das hier heute sagt, nicht Fraktion warnt jedoch die Bundesregierung davor,
wahr? —, daß die Bundesregierung einen Vertrag solche Gespräche mit der Bedingung der völker-
aushandeln oder dem Hause vorlegen würde, wel- rechtlichen Anerkennung der DDR verquicken zu
cher mit dem Grundgesetz, mit dem Deutschland- lassen. — So weit dieser Beschluß.
vertrag, mit dem Selbstbestimmungsrecht, mit dem
Wiedervereinigungsgebot nicht übereinstimmte oder Ich halte fest, indem wir dies heute von dieser
etwa das Interventionsproblem nicht löste. Wir Stelle erklären, geben wir nichts von unserer Unge-
gehen davon aus, daß für die Bundesregierung un- bundenheit auf, unsere Meinung frei und kritisch
verändert fortgilt, was der Herr Bundeskanzler am zu sagen, wann und wie wir es für geboten halten.
14.Janur970hievbdlckärt:Einhe Wir — das soll auch jeder wissen — wissen nichts
Nation, Selbstbestimmungsrecht des deutschen Vol- von den Motiven für dieses Treffen, von den kon-
kes, keine völkerrechtliche Anerkennung der DDR, kreten Vorbereitungen, von den Absichten, mit
keine Beeinträchtigung des Deutschlandvertrages. denmaisGprächegt.MinDam
Wir fügen hinzu, daß für uns Gewaltverzicht nicht und Herren, auch das soll jedermann wissen.
ein Ersatz für einen Friedensvertrag sein kann. Um Gegen uns — das gehört in diesen Zusammen-
das bilateral gegenüber dieser Großmacht durchzu- hang — hat die Bundesregierung die Zwei-Staaten-
setzen, fehlt uns neben der Vollmacht, die nur das Theorie akzeptiert, wie sie gegen uns den Sperr-
ganze deutsche Volk hat, politisch und rechtlich vertrag unterschrieb. Sie sagt, wenn ich sie recht
auch die Kraft. Für uns ist Gewaltverzicht nicht etwa verstehe, die DDR sei ein Staat, aber sie sei ein
der Verzicht auf die politische Forderung nach Teil Deutschlands und daher für uns kein Ausland.
friedlichen Bemühungen, nach einer friedlichen Lö- Darum könne die Bundesrepublik Deutschland die
sung der deutschen Frage auf der Basis der Selbst- DDR völkerrechtlich nicht anerkennen. Demgegen-
bestimmung. Wir hielten es für unerträglich, wenn über sagten wir bisher, und wir sagen dies noch:
wir etwa am Schluß von Wiedervereinigung nicht wir können die DDR nicht anerkennen, weil den
einmal mehr sprechen dürften, während Ulbricht dort lebenden Deutschen das Selbstbestimmungs-
diese Forderung erhebt. recht vorenthalten wird.
(Sehr wahr! bei der CDU/CSU.) (Zustimmung bei der CDU/CSU.)
Meine Damen und Herren, hier gibt es keinen Ver- Bedeutet nun die Formel, welche die Regierung ver-
handlungsspielraum, ich nehme an, für niemanden wendet, daß alle anderen Staaten der Weh, für
in diesem Hause. Selbstbestimmung, Menschen- die die DDR natürlich Ausland ist, die DDR auch
rechte und die Forderung nach Freiheit sind für völkerrechtlich anerkennen können? Eine solche
jeden Demokraten das schlechthin Unverzichtbare. Konzession bedeutete nach meiner Auffassung —
Dies sollte man in dieser Phase internationaler Über- vielleicht stellt die Regierung hier etwas klar; Fra-
legungen auch aus dem Mund der Opposition hier gen werden ja hier nicht sehr vielle beantwortet —
im Hause hören. doch wohl den Verzicht auf das Selbstbestimmungs-
Was im übrigen konkret zu diesem Thema zu recht für die Deutschen in der DDR. Denn wer die
sagen ist, habe ich am 16. Januar für unsere Frak- DRvölkerchtian,swerlichm
lion gesagt. Ich nehme darauf Bezug. — gleichen Augenblick sagen: Abler der Bevölkerung
dort wird das Selbstbestimmungsrecht vorenthalten.
Nun zu dem Gespräch mit Ost-Berlin. Die Bundes- Bisher war es die Stärke unserer Position, daß die
regierung hat unsere Vorschläge, die wir seit Okto- ganz überwiegende Staatengemeinschaft im Inter-
ber gemacht haben, abgelehnt, den Verantwortlichen esse des fundamentalen Völkerrechtsprinzips der
im anderen Teil Deutschlands rein konkretes Ver- Selbstb estimmung dem anderen Teil Deutschlands
handlungsangebot zu machen. Wir hatten dazu im die Anerkennung versagt hat.
Ausschuß an eine Erklärung und einen Briefwechsel
des Bundeskanzlers Kiesinger sehr präzise Punkte Meine Damen und Herren, wenn die Bundesregie-
vorgelegt. Die Bundesregierung hat, was ihr gutes rung künftig die völkerrechtliche Anerkennung der
Recht ist, eine andere Politik eingeschlagen. Sie hat DDR etwa nur noch mit der Begründung ablehnt, sie
uns zugleich aber, was schlechter Stil ist, eine Be- sei für uns kein Ausland, dann wird es auch für
gründung für ihre Argumente und eine Antwort uns schwerer, die These von der Verweigerung des
auf unsere Argumente vorenthalten. Das muß klar Selbstbestimmungsrechts für alle Deutschen auf-
sein. rechtzuerhalten. Wir beeinträchtigen damit unsere
Nun hat sich der Bundeskanzlerentschlossen, nach Position, in der wir bis zur Stunde mit der über-
Ost-Berlin zu fahren. Da es uns nicht um Recht- wiegenden Mehrheit der Staatengemeinschaft iden-
haberei geht, sondern allein um Fortschritt für alle tisch sind, in einer negativen Weise.
Deutschen, erklären wir heute zu dieser Sache nur Ich habe dies so formuliert, weil es vielleicht eine
folgendes — dies ist ein Beschluß der Bundestags- Möglichkeit gibt, hier Klarstellungen vorzunehmen.
fraktion der CDU/CSU —: Die CDU/CSU-Bundes- Wenn es das nicht gäbe, müßte man diese Position
tagsfraktion unterstützt den Beschluß 'der Bundes- hier anders darstellen, wenn man im Bericht zur
regierung, mit Ost-Berlin in Gespräche über alle Lage der Nation über Selbstbestimmung spricht und
Fragen des Zusammenlebens der Deutschen ein- diese Politik vollzieht. Vielleicht gibt es hier noch
schließlich Gewaltverzicht einzutreten. Sie ist der eine Klarstellung. Sonst besteht die Pflicht, nicht
1562 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 33. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Februar 1970

Dr. Barzel
von Selbstbestimmung zu reden und dann hier auch Wir haben dem zugestimmt. Aber in der Woche
insoweit kontrovers zu verhandeln. darauf erklärt dann Herbert Wehner — wieder
Meine Damen und Herren, in der ersten Aus- nicht hier, sondern in einem Interview —, „daß
sprache über die erste Erklärung dieser Bundes- Nichtanerkennung in dem völkerrechtlichen Sinne
regierung am 29. Oktober 1969 hat die CDU/CSU keine absolute Angelegenheit ist". Dies, Herr Kol-
der Koalition ein Angebot gemacht, das ich im lege Wehner, war eine Schwächung deutscher Ver-
handlungspositionen.
Wortlaut noch einmal verlesen möchte. Wir haben
gesagt: (Beifall bei der CDU/CSU.)
Wir bieten auch in aller Form die Möglichkeit Ich kann nur singen, man muß die Verhandler
an, in den Lebensfragen der Nation zur Koope- ser Regierung wirklich eher bedauern als beneiden.
ration aller zu kommen. Ob das zum Nutzen Denn wo sollen die eigentlich hinkommen — wir
aller Deutschen erreicht wird, liegt ganz we- sind doch hier alle in irgendeiner Weise innenpoli-
sentlich an Ihnen, Herr Bundeskanzler, nämlich tisch in Verhandlungen —, wenn außerdem Her-
an dem Ausmaß, der Stetigkeit und der Offen- bert Wehner in demselben Interview, angesprochen
heit, mit der Sie uns unterrichten, mit uns spre- auf die Risiken, die Gefahren Ides Scheliterns, von
chen und unsere Meinungen in Ihre Entschei- denen der Bundeskanzler gestern noch gesprochen
dungen einbeziehen. hat, als er „Skepsis" sagte, erklärt: „Wird ja nicht
Das ist das, was die CDU/CSU damals und auch scheitern". Wessen Verhandlungsposition hat dies
heute noch meint und versteht, wenn sie „Koopera- gestärkt, meine Damen und Herren? Nun, dais muß
tion", „Zusammenwirken" sagt. der Bundeskanzler ja wissen.

Da genügt es nicht, nach vollzogenen Entschei- Meine Damen und Herren, zu den Moden unserer
dungen und nachdem ein Teil der Presse informiert Zeitghörs—undwet,aßirslb
worden ist, der Opposition noch einiges zu sagen. davon nicht frei sind und uns beteiligen —, jede
Damals haben Sie, Herr Bundeskanzler, diesen Vor- Woche zu studieren, ab — wenn ich ein Beispiel sa-
schlag akzeptiert, und Sie haben ihn am 15. Januar gen darf — das Freitagskommuniqué des Zentral-
1970 nach einer Intervention meines Kollegen von komitees -der kommunistischen Partei Bulgariens
Weizsäcker noch einmal bestätigt. Eine Woche dar- noch im Komma mit dem Mittwochskommuniqué
auf bezeichnete dann Herbert Wehner in einem identisch ist. Das ist wichtig, das muß man verfol-
„Spiegel"-Interview unseren, der CDU/CSU, Katalog gen. Ich weiß aber nicht, ob Wir darüber nicht
gemeinsamer Vorstellungen als, wie er sich aus- manchmal in unserem Bewußtsein und vielleicht
drückte, eine „Fassade" und als „Bedingungen". Er auch in der Öffentlichkeit sehr viel wichtigere Do-
erklärte auf Fragen im Zusammenhang mit Oder/ kumente und Erklärungen übersehen.
Neiße und mit deutsch-polnischen Fragen: „Nein, (Zuruf von der SPD: Kiesinger zum Bei-
ich brauche die Opposition nicht." spiel!)
(Hört! Hört! bei der CDU/CSU.) Ich möchte Ihnen z. B. das Dokument vorlesen, in
Nun gut, der Bundeskanzler muß ja wissen, ob das dem der amerikanische Außenminister Rogers
hilfreich für seine Politik ist, ob er das als eine — und Idas ist ja hier verteilt worden mit dem Hin-
Unterstützung oder eigentlich mehr von hinten weis, das sei die erste Rede in Europa ganz klar
empfunden hat. gesagt hat, daß jene Amerikaner, die einen größe-
ren .europäischen Beitrag zu den Kosten der Wah-
Wir können nur feststellen, meine Damen und rung unserer gemeinsamen Sicherheit fordern, nicht
Herren, daß es bisher zur Kooperation, mit einer ganz unrecht haben. Weiter heißt es:
Ausnahme im Zusammenhang mit der Haager Kon-
Es wird allgemein anerkannt, nicht nur in Ame-
ferenz, nicht gekommen ist. Dies stellen wir hier
rika, daß die Lasten heute nicht gerecht ver-
heute fest; und das stellen wir .nicht erfreut fest,
teilt sind. Ein Fortschritt in Richtung auf die
aber wir stellen die Verantwortlichkeiten fest.
Herstellung eines Ausgleichs wird die Verei-
Ich habe vorher etwas über die Chance, Chancen nigten Staaten in die Lage versetzen, ihrer Ver-
zu verpassen, wenn man Kooperation verpaßt, ge- pflichtung zur Aufrechterhaltung von Tappen
sagt. Uns interessiert aber noch ein anderes — und in Europa besser nachzukommen.
ich glaube, dieses ganze Haus interessiert es —: in
diesem Bericht zur Lage der Nation, und zwar, wie Das war der 8. Dezember.
wir damals noch gar nicht wußten, vor einer sehr Dann kam der Präsident der USA, Nixon, mit
schwierigen internationalen Verhandlung — wir seinem Kongreßbericht über die Lage seiner Nation,
waren ja über den Besuch von Herrn Staatssekre- und das muß in diese Debatte eingeführt werden.
tär Bahr und dessen Auftrag in Moskau nicht unter- Ich hätte eigentlich erwartet, daß das der Herr
richtet, was das gute Recht ist; aber das ist eben Außenminister gemacht hätte, denn das betrifft einen
keine Kooperation —, hat der Bundeskanzler vor fundamentalen Punkt der deutschen Politik.
dieser schwierigen Lage und immerhin nach mehre- (Zuruf von der CDU/CSU: In der Tat!)
ren Besprechungen des Botschafters Allardt und
nach der Eröffnung von Vorverhandlungen mit Ich zitiere nur zwei Sätze aus diese Kongreßbot-
Polen wörtlich erklärt: schaft, die uns ja allen zugegangen ist:
Eine völkerrechtliche Anerkennung der DDR Die Länder
kommt für uns nicht in Betracht. — so sagte Präsident Nixon —
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 33. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Februar 1970 1563
Dr. Barzel
in allen Teilen der Welt ,sollten die Hauptver- Mattick (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr ver-
antwortung für ihren eigenen Wohlstand über- ehrten Damen und Herren!
nehmen, und sie sollten selbst die Bedingungen (Abg. Rasner: Wehner hat es die Sprache
dieses Wohlstandes bestimmen. Wir werden verschlagen!)
treu zu unseren vertraglichen Verpflichtungen
stehen, aber wir werden unser Engagement und Als wir vor rund vier Wochen in diesem Hause
unsere Präsenz, was die Angelegenheiten der über den Bericht zur Lage der Nation diskutierten,
anderLäbtif,auen. haben wir eigentlich alle diese Fragen, die heute
noch einmal auf der Tagesordnung stehen, behan-
Herr Bundesaußenminister, dazu hätte ich von Ih- delt. Nachdem diese ausführliche Aussprache statt-
nen gern etwas .gehört. Das ist ein fundamentaler gefunden hat, nachdem die 'Regierung in ihrem
Punkt, gerade wenn man Ostpolitik betreiben will. Bericht zur Lage sehr deutlich dargelegt hat, was
Haben Sie mit Ihren europäischen Kollegen über sie in den nächsten Wochen vorhat, und nachdem
diese Dinge gesprochen? Haben Sie mit dem Finanz- die Opposition auch Gelegenheit hatte, diese Aus-
mini ster und mit dem Verteidigungsminister diese sprache hier zu führen, habe ich mich gefragt, ob es
Dinge bei der mittelfristigen Finanzplanung einge- überhaupt vernünftig war, die erste Lesung des
rechnet? Haushalts dazu auszunutzen — was wir bisher noch
(Beifall bei der CDU/CSU.) nie getan haben —, eine solche Aussprache in einer
bestimmten Situation, i n der diese Regierung schon
Was ist in Europa geschehen? Haben Sie, Herr im Handeln begriffen ist, zu provozieren. Beim Be-
Bundesaußenminister — an Sie stelle ich eine richt zur Lage der Nation und der Debatte dazu war
Frage, weil ich immer noch hoffe, ich bekomme von deutlich, Herr Barzel, daß die Mehrheit dieses
Ihnen eine Antwort — einmal die Frage geprüft, Hauses die Politik der Regierung unterstützt. Die
ob es einen Zusammenhang gibt zwischen der Wek- Regierung hatte durch die damalige Auseinander-
kung von Erwartungen über Entspannungen und bi- setzung das Mandat für ihr Handeln.
lateralen Entspannungsbemühungen eines NATO-
Partners auf der einen Seite und der Tatsache des Nun will ich Ihnen eines sagen, meine Damen
Anwachsens der Mehrheit im Senat der USA für und Herren: Es ist eine Geschmacksfrage, hier in
den Abzug des wesentlichen Teils der Truppen aus einer solchen Phase diese Diskussion zu führen.
Mitteleuropa? Eines sollten Sie von vornherein wissen: Wir wer-
den nicht rückwärts über jeden Stock springen, den
(Abg. Dr. h. c. Kiesinger: Sehr richtig!) Sie uns in dieser Situation in die Kniekehlen zu
schlagen versuchen. Der kategorische Imperativ ist
Wie beurteilen Sie diese Zusammenhänge, Herr
eben nicht bei der Opposition, verehrte Damen und
Bundesaußenminister? Das ist doch die fundamen-
Herren von der Opposition. Sie hat nicht die Mehr-
tale Frage. Denn wer von den Realitäten redet, muß
heit in diesem Hause, sie kann nicht dirigieren,
doch davon ausgehen, daß wir Sicherheit nur im
sondern muß sich mit idem auseinandersetzen, was
Bündnis haben. Wer von Realitäten ausgeht, muß
durch die heutige Mehrheit in diesem Hause ge-
an die Breschnew-Doktrin und die Realität der
schieht.
Tschechoslowakei denken. Wer von Realitäten redet,
(Beifall bei den Regierungsparteien.)
muß wissen: wir können uns allein nicht ver-
teidigen. Ich halte es auch nicht für gut, in einer solchen Si-
(Beifall bei der CDU/CSU.) tuation — in vornehmeren Formen — die Ausein-
Wir können, meine Damen und Herren, in den andersetzung von Vilshofen fortzusetzen; damit
Fragen unserer Zukunft, in Bildung und Wissen- auch das ganz klar ist!
schaft, im Sozialen und in der Politik nicht einmal (Zurufe von der CDU/CSU.)
Schritt halten mit der Welt, wenn es nicht in Europa
weitergeht. Und welche Anstrengungen unternimmt Meine Damen und Herren, nach dieser Vorbemer-
die Regierung — wir hatten sie öffentlich dazu auf- kung möchte ich zu den sachlichen Ausführungen
gefordert nach dieser Erklärung des Präsidenten kommen. Ich bin Herrn Außenminister Scheel sehr
Nixon —, um nun mit den europäischen Ländern dankbar, daß er einleitend einiges über das gesagt
weiterzukommen, nachdem doch die Chancen in hat, was diese Regierung — Herr Barzel hat daran
Paris anders sind, und in London doch sicher befe- etwas vorbeigeredet — in den wenigen Monaten,
stigt werden, wenn es in Europa schnell zu Ent- in denen sie im Amt ist, außenpolitisch getan und
scheidungen kommt? Wo bleibt hier eine Initiative auch erreicht hat. Die Fragen, die hier gestellt wor-
zur schnellen Verbesserung der politischen und den sind, hat u. a. Herr Scheel zum Teil schon be-
ökonomischen Zusammenarbeit in Europa? Das ist antwortet.
doch die Basis, meine Damen und Herren, an der Durch das, was der Herr Außenminister hier über
die Entscheidung für das ganze Europa, die Friedens- die bisherige Auseinandersetzung dieser Regierung
ordnung eingeschlossen, hängt. dargelegt hat, ist einiges deutlich geworden, und
da muß ich ihn jetzt einmal unterstützen, obwohl
(Anhaltender lebhafter Beifall bei der
Sie das vorhin mit einem Lächeln quittiert haben.
CDU/CSU.)
Auch Sie beobachten doch die internationale Presse
— das tun Sie ja, bis zu Rumänien, wie hier
Vizepräsident Frau Funcke: Das Wort hat der deutlich geworden ist —, und da können Sie doch
Abgeordnete Mattick. nicht abstreiten, daß diese Bundesregierung in ihrer
1564 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 33. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Februar 1970
Mattick
außenpolitischen Tätigkeit auf allen Seiten, wo wir Barzel: Heute wissen wir ja einiges über die Jahre
Wert darauf legen müssen, ein internationales Fun- 1952 bis 1954. Ich weiß heute sogar noch etwas
dament hat, das es seit langem für die Bundes- mehr darüber als vor vier Wochen, nachdem wir die
republik nicht gegeben hat. Protokolle über die Auseinandersetzung zwischen
(Abg. Dr. Stoltenberg: Lesen Sie einmal die der damaligen Bundesregierung und Herrn Dulles
„Neue Zürcher Zeitung" !) zu sehen bekommen haben. Nun frage ich Sie:
Warum hat denn der damalige Bundeskanzler hier
— Na ja, zwei Zeitungen kann auch ich Ihnen her- in diesem Hause nicht gesagt, was ihn veranlaßt,
aussuchen, Herr Stoltenberg. Aber Sie wissen ganz sich so zu verhalten, wie er sich 1952 bis 1954 ver-
genau, daß das allgemeine Echo eine Zustimmung halten hat? Warum hat er denn nicht gesagt, daß
zu der Politik dieser Bundesregierung ist. Wir waren die Freundschaft zwischen Dulles und ihm im
doch zusammen, z. B. in der Nordatlantik-Brücke Grunde genommen nicht die Unterstützung einer
und bei anderen Zusammenkünften, wo Sie versucht eigenen deutschen Politik fand? Allerdings wäre da-
haben, für Ihre Politik Partner bei den Alliierten durch die Sache nicht einfacher geworden; denn der
zu finden. Das ist Ihnen doch nirgends geglückt. Wir Unterschied zwischen dem Verhalten Dr. Adenauers
haben ja zum Teil die Diskussion zusammen geführt. zu den Amerikanern, die wir auch damals als
Insofern können Sie Ihre Vorstellung, die Sie hier Freunde angesehen haben, und dem Verhalten z. B.
dem Volke vermitteln wollen, nämlich als ob diese Ernst Reuters gegenüber den Amerikanern in
Bundesregierung von der internationalen Verbin- schwierigen Auseinandersetzungen bestand darin,
dung nicht gestützt werde, hier in keiner Weise ver- daß Herr Reuter wußte: Man muß auch mit den be-
treten; denn Sie wissen ganz genau, daß das nicht freundeten Mächten um seine Position kämpfen,
stimmt. wenn es nicht anders geht. Er hat das auch öffentlich
Lassen Sie mich nun ein paar Bemerkungen zu getan; das war seine Position.
dem machen, was Herr Barzel ausgeführt hat. Vor-
gestern mittag hatte ich Gelegenheit, Herrn Barzel (Abg. Dr. Barzel: Würden Sie die Güte
auf der Straße zu begrüßen. Ich freute mich über haben, ... !)
sein Aussehen, und er erzählte mir, daß er zwei Heute ist mir klar, warum Herr von Guttenberg hier
Wochen in Urlaub gewesen sei. So etwas ist not- vor vier Wochen bei meinen Erinnerungen an diese
wendig, und ich wünsche es jedem von uns. Aber Zeit gesagt hat: Mein Gott! Denn er weiß selber,
ich muß sagen: bei einigen Passagen in der Rede daß die damalige CDU in einer Situation war, die
von Herrn Barzel bin ich im Zweifel gewesen, ob er sie hier nicht auf den Tisch gelegt haft.
zwei Wochen oder 20 Jahre in Urlaub war. (Abg. Dr. Barzel: Ich denke, die Einlassung
(Beifall bei den Regierungsparteien. — Zu von Kurt Schumacher von 1952 ist auch
rufe von der CDU/CSU.) Ihnen bekannt!)
Denn das, was Herr Barzel hier über die Vergangen- — Gehen Sie doch ans Mikrofon! Ich gestatte Ihnen
heit gesagt hat, kann doch wirklich nur jemand gern die Zwischenbemerkung. Aber ich verstehe Sie
sagen, der die 20 Jahre verpaßt hat oder die Ohren so nicht; es tut mir sehr leid.
davor verschließen will. -
Mir kam es darauf an, .einmal daran zu erinnern,
Der Herr Barzel hat also hier all die Bedingungen wenn Sie schon von der Vergangenheit reden. Wenn
aufgezählt, um die es eigentlich geht, all die Fragen wir uns heute die Frage vorlegen, wo denn diese
aufgeworfen, die wir seit 25 Jahren immer wieder Bundesrepublik steht und wo die deutsche Politik
erörtern: Was ist eigentlich unser Ziel? — Selbst- steht, dann müssen wir sagen, Herr Barzel, ob Ver-
bestimmungsrecht, Freizügigkeit und Wiederver- säumnisse oder Fehler der Vergangenheit — nicht
einigung, wobei die Freizügigkeit immer im Vorder- nur unsere, sondern allerseits — da sind. Wir stehen
grund steht. Verehrter Herr Barzel, Sie wissen doch nach 25 Jahren Spaltung seit Kriegsende vor der
ganz genau, daß das nicht das Problem von heute schrecklichen Tatsache, daß wir eine wirkliche Ver-
ist, und daß das Problem, das Sie angeschnitten änderung dieser deutschen Lage in dem Wissen, wie
haben, von uns und nicht von den westlichen Alliier- die internationale Lage aussieht, nicht durchführen
ten allein zu meistern ist, sondern nur durch eine können. Das liegt nicht an uns, es liegt nicht an der
Veränderung der Weltpolitik, .die aber zur Zeit westlichen Seite allein. Nur ausgehend von diesem
überhaupt nicht sichtbar ist. Standpunkt, meine Damen und Herren, kann man
(Abg. Dr. h. c. Kiesinger: Na also!) die Politik der heutigen Bundesregierung doch über-
haupt fair und sachlich beurteilen und sich auch die
Das, was Sie in dem Zusammenhang gesagt haben,
Frage vorlegen, was denn jetzt zu tun ist.
ist nicht neu. Daß wir die Freizügigkeit, die Wieder-
vereinigung und das Selbstbestimmungsrecht erstre- Herr Barzel hat hier Präsident Nixon zitiert. Auch
ben, steht ja seit 20 Jahren in allen Regierungs- ich darf das tun, und zwar mit einem anderen Zitat,
erklärungen. Aber das Problem lautet doch: Was wozu ich um Erlaubnis der Frau Präsidentin bitte.
kann man jetzt tun? Nixon hat sich am 18. Februar mit der außenpoliti-
Sie haben noch einmal die Vergangenheit be- schen. Lage beschäftigt und dazu unter anderem fol-
schworen oder nur angedeutet. Ich möchte nicht gendes gesagt:
noch einmal zurückblicken. Wir haben das hier vor Die Teilung Europas wirft eine Reihe miteinan
vier Wochen getan. Aber lassen Sie mich in diesem der zusammenhängender Fragen auf: die Tei
Zusammenhang nur eines sagen, verehrter Herr lung Deutschlands, der Zugang nach Berlin, die
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 33. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Februar 1970 1565
Mattick
Stärke der Streitkräfte auf beiden Seiten der Ich möchte das Hohe Haus sehr herzlich bitten,
Linie, die Hindernisse für wirtschaftliche und in dieser Lage schwieriger Verhandlungen die
kulturelle Beziehungen und andere Fragen. Bundesregierung mit aller Kraft zu unterstüt-
Wir sind bereit, über diese Fragen in jeder zen. Für den Fall, daß man bessere Ratschläge
geeigneten Form zu verhandeln. hat als die Erkenntnisse oder die bekannten Ab-
Er sagt zum Schluß: sichten der Bundesregierung, würde ich darum
bitten, sie uns so diskret wie möglich mitzu-
Letztlich hängt ein Fortschritt nicht nur von
teilen und nicht etwa die Verhandlungsposition,
uns und unseren Verbündeten allein ab. Für
die wir eingenommen haben, in irgendeiner
die Aussichten auf ein dauerhaftes Abkommen
Weise beeinträchtigen. Meine Damen und Her-
spielen auch Haltung, die Interessen und die
ren, wir kämpfen hier nicht für den Erfolg einer
Politik der Sowjetunion und ihrer Verbünde-
ten in Osteuropa eine Rolle. Schließlich wird Regierung sicherlich, auch das tun wir, das
ist das Natürlichste von der Welt —, wir
einarbtsfähgSceiym,dasgnz
kämpfen hier für die Interessen unseres Lan-
Europa umfaßt, auch eine Bereitschaft auf sei-
des, und die Interessen unseres Landes verlan-
ten der Sowjetunion bedingen, ihre eigenen
gen zwingend die Unterstützung des ganzen
Beziehungen zu Osteuropa zu normalisieren,
Hauses.
die anachronistische Furcht vor Deutschland zu
über winden und zu erkennen, daß ihrer eige- Das war die Bemerkung, die Herr Schröder 1966
nen Sicherheit und der Stabilität Mitteleuropas hier gemacht hat. Ich habe gar keinen Grund, dieser
am besten durch ein Gefüge der Aussöhnung Bemerkung noch etwas hinzuzufügen.
gedient ist. Nur dann wird eine Ara der Ver- Mir liegt jetzt daran, vor diesem Haus noch
handlungen in Europa in einer Ara des Frie- einige Bemerkungen darüber zu machen, wie wir
dens gipfeln. zur Politik dieser Regierung stehen. Wir haben das
Das ist Nixon mit seiner Botschaft an sein Volk in der Debatte über den Bericht zur Lage deutlich
und auch mit seiner Botschaft an die Welt. Diese dargelegt, und wir haben heute keinen anderen
Botschaft ist ja auch an uns und die heutige Bundes- Standpunkt als damals. Die Zitate, die Herr Barzel
regierung gerichtet, dieses Bemühen zu unterstüt- hier aus dem Zusammenhang heraus über einige
zen. Bemerkungen oder Interviews vorgetragen hat, sind
keine Zitate, Herr Barzel, die Sie zu Recht veran-
Nun hat Herr Barzel — ich darf das in Erinne-
lassen könnten, an der Festigkeit des Standpunktes
rung rufen — mit Recht den Bericht des Bundes-
der Regierung, der in der Regierungserklärung zum
kanzlers zur Lage in einigen Punkten zitiert. Ich
Ausdruck gekommen ist, zu zweifeln.
habe den Eindruck gehabt, Herr Barzel, daß Sie den
Bericht zur Lage heute mit anderen Augen sehen (Abg. Dr. Barzel: Das würde ich gern von
als noch vor fünf Wochen; denn da gibt es be- Herrn Wehner hören!)
stimmte Positionen, zu denen Sie fragten, ob diese — Das wird er Ihnen nachher auch sagen. Dessen
noch gültig sind, die also Ihre Unterstützung fan- können Sie ganz sicher sein. Daran zweifle ich nicht.
den. Ich frage Sie nun, Herr Barzel: Was veranlaßt
Sie eigentlich, von damals bis zum heutigen Tage Mir liegt nur daran, hier der Regierung noch ein--
daran zu zweifeln, daß das, was die Regierung hier mal die Unterstützung zu geben, die sie in dieser
dargelegt hat, der Bericht zur Lage, nicht mehr gül- Phase notwendig hat. Herr Barzel, wenn Sie diesen
tig ist? Standpunkt in einer solchen Situation vertreten,
wie Sie es getan haben, dann gilt doch das Wort,
(Abg. Dr. Barzel: Herbert Wehners Inter
das Herr Wehner zu sagen sich veranlaßt sah: Diese
vi ew!)
Regierung soll handeln, wenn es sein muß, auch
Was veranlaßt Sie, sich in einer Phase, in der diese ohne Unterstützung der Opposition in dieser Phase.
Regierung nunmehr Gespräche begonnen hat, die
vor vier Wochen angekündigt wurden, so zu ver- (Abg. Dr. Barzel: So hat er ja nicht gesagt!)
halten, wile sie es hier getan haben? — Natürlich! Das sind doch Auslegungen von kurz
Ich darf Sie daran erinnern, daß die Bundesre- gefaßten Wiedergaben, die Sie hier einfach benut-
gierung des Herrn Bundeskanzlers Erhard im Jahre zen, um eine Darstellung zu geben, die der Sache
1966 in einer anderen Frage an dieses Haus durch nicht gerecht wird.
den Außenminister appelliert hatte, der Regierung (Abg. Dr. Barzel: Ich habe den ganzen Text
die Möglichkeit zu verschaffen, wirklich gestützt hier!)
von diesem Hause zu verhandeln. Herr Außenmi-
Mir liegt daran, meine Damen und Herren, noch
nister Schröder hatte am 17. Mai 1966 hier gesagt:
folgende Bemerkung zu machen, die Berlin betrifft
Ich habe die Überzeugung, daß die nächsten und gleichzeitig an die Berliner gerichtet ist. Ich
Wochen, und vielleicht nicht nur die nächsten sage das auch gerichtet an einige Berliner Journa-
Wochen, sondern die nächsten Monate von uns, listen, die in diesen Wochen über die Fragen der
von unserem politischen Stehvermögen, von deutschen Politik geschrieben haben. Es werden in
unseren guten Nerven, von unserer Festigkeit diesen Wochen so oft Zweifel daran geäußert, ob
sehr viel verlangen werden. Ich will das jetzt diese Politik der Bundesregierung eine Gefährdung
nicht dm einzelnen beschreiben, ich kann nur für Berlin darstellt oder nicht. Ich möchte all denen,
meine Überzeugung ausdrücken, daß das so die aus berechtigten Überlegungen, die ich zwar
sein wird. nicht teile, die man aber untersuchen muß, eine
1566 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 33. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Februar 1970

Mattick
. solche Frage überhaupt stellen, folgendes sagen — ständlichsten. Ich halte es für selbstverständlich,
und ich als Berliner bin vielleicht mehr in der Lage, daß diese Bundesregierung keinen Weg beschreitet,
das aus dieser Sicht zu sehen und zu unterstützen, bei dem idie Amerikaner sich veranlaßt sehen könn-
als mancher andere —: Dieses Berlin, meine Damen ten, aus ihrer Sachlage heraus die Position Europas
und Herren, lebt seit 25 Jahren unter besonderen in eine so geschwächte Situation zu bringen, die ge-
Umständen. Es lebt seit 1948 im Zustand der abso- fährlich werden könnte. Das ist doch für diese Re-
luten Spaltung und seit 1961 mit der Mauer. Diese gierung sicher. Diese kritischen Bemerkungen von
21/4 Millionen Berliner leben auf einer Insel, wenn Herrn Barzel müssen, wenn man sie draußen hört,
man davon ausgeht, daß sie beim Verlassen dieses den Eindruck erwecken, diese 'Bundesregierung
Stückchen Landes ständig Unbilligkeiten auf sich könnte leichtfertig genug sein, eine 'Politik zu be-
nehmen müssen, die kein anderer in Westeuropa treiben, ,die dazu führt, , daß die Amerikaner ihren
gewöhnt ist. Das Bemühen der Bundesregierung, Schutz dieser Stadt 'und diesem Land nicht mehr im
dieses Berlin aus dieser Lage etwas herauszubrin- Rahmen , des Vertrages zur Verfügung stellen.
gen, ist an sich nicht neu. Jede Bundesregierung hat
So etwas hier in , einer Situation auszusprechen, in
das von Schritt zu Schritt, von Fall zu Fall einmal
der diese Regierung vor schwierigen Auseinander-
versucht. Gelungen ist bis heute gar nichts, son-
setzungen steht, halte ich nicht für eine gute Sache.
dern die Lage ist nicht einfacher geworden. Wir
Da erinnere ich an die Worte, die Herr Schröder
haben zwar in Berlin heute keine unmittelbaren
hier 1966 gesagt hat.
innenpolitischen Sorgen. Aber dieses Besondere,
was Berlin betrifft, hat sich nicht verändert. Diese (Abg. Dr. Barzel: Diese Realität soll man
Regierung hat in ihrem Bericht zur Lage ganz klar verschweigen?!)
umrissen, wie sie in der Frage Berlin steht und was — Diese Realität? Was nennen Sie hier Realität?
für Berlin gilt. Ich brauche hier nicht zu wieder-
holen, was für Berlin gilt. (Abg. Wehner: Daß er ,die Regierung mies-
machen will!)
Darum möchte ich wirklich mit allem Ernst den-
Realität ist, daß diese Regierung sich vom ersten
jenigen sagen, die ihre Zweifel haben: unter den
Tage an bemüht hat, nicht nur die Rückendeckung
Voraussetzungen, unter denen die Bundesregierung
der westlichen Alliierten, sondern in ihrer Politik
ihre Stellung zu Berlin dargelegt hat, kann doch
volle Übereinstimmung mit ihnen auch in der Berlin-
jeder nur zufrieden sein, wenn es unter irgend-
Frage zu haben. Das ist doch wohl unbestreitbar.
einem Gesichtspunkt einer Entwicklung der kom-
Was ist denn Realität ihrerseits? Realität ist, daß
menden Monate gelingen könnte — ich möchte das
diese Bundesregierung in keiner Phase irgend etwas
jetzt einmal in Erinnerung rufen —, wieder einen
solchen Zustand herzustellen, wie er vor einigen tun wird oder getan hat, was Ihre Vermutungen,
Ihre durchsichtigen Äußerungen hier in irgendeiner
Jahren einmal war, daß z. B. die Durchfahrt von
Berlin nach Westdeutschland unter normalen Grenz- Art rechtfertigt. Wenn Sie , die Debatte auf der Nord-
atlantik-Brücke und auch anderwärts kennen, dann
verhaltensbedingungen vor sich geht — wir hatten
wissen Sie, daß es unter uns keinen Unterschied in
einen solchen Zustand schon einmal — und daß die
der Fragestellung gibt, wie man an das, was in be-
Übelkeiten aufhören, die heute auf dieser Straße
zug auf gemeinsame Verteidigung notwendig ist,
üblich sind, und unter Umständen von Schritt zu
herangehen wird. Da werdenauchmterilA,
Schritt auch Berliner wieder einmal in den anderen
Sie nachher wahrscheinlich in größere Schwierig-
Teil der Stadt und in den anderen Teil Deutschlands
keiten kommen als wir.
kommen.
(Beifall bei der SPD.) Meine Damen und Herren, lassen Sie mich nun
ein paar Bemerkungen zu dem machen, was sich
Das sind doch die Fragen, die heute darum vor- wahrscheinlich in den nächsten Wochen zutragen
dringlich sind, weil die Zielvorstellungen, die Herr wird. Sollte es zu dieser Begegnung Brandt/Stoph
Barzel hier dargestellt hat und die unser aller sind, kommen, dann wäre das — das muß sich einmal
zur Zeit überhaupt keine Aussicht haben, erreicht jeder Deutsche überlegen — seit der Spaltung die
zu werden. Sie setzen eine internationale politische erste Begegnung überhaupt, das erste Gespräch, die
Entwicklung voraus, die, wie Sie wissen, für viele erste Fühlungnahme offizieller Art zwischen den
Jahre oder Jahrzehnte nicht kommt. Daher geht es Verantwortlichen — ganz gleich, wie sie zu dieser
nur um diese unmittelbare Problematik. Da können Position gekommen sind — der beiden Teile
die Berliner — und das ist meine feste Überzeugung Deutschlands seit dem Chaos 1945. Ich sage Ihnen:
— wirklich beruhigt sein. Der Standpunkt, der hier Die Geschichte wird darüber einmal lachen!
festgelegt ist, .schafft keine Änderung für diese Stadt,
die irgendeine Gefahr mit sich 'bringen kann, weil (Abg. Dr. h. c. Kiesinger: Fühlungnahme
nämlich diese Bundesregierung — und da habe ich stimmt nicht!)
die Zweifel des Herrn Barzel nicht verstanden, weil Und wenn wir uns diese schreckliche Welt ansehen,
es dafür keinerlei Begründung gibt — bisher ihre wie sie heute aussieht, dann haben wir Deutschen
ganze Politik genauso sicher wie alle anderen Bun- sehr wenig Recht, darüber ein Urteil zu fällen, denn
desregierungen auf das Bündnis- und Freundschafts- wir sind ja — das trifft beide Teile — bis heute nicht
system mit den Alliierten und den westlichen Ver- in der Lage gewesen, untereinander ein einziges
bündeten abgestützt hat. Das steht doch wohl fest, offizielles Gespräch zu führen.
Daran können Sie doch nicht zweifeln, Herr Barzel.
Daher war mir Ihre letzte Bemerkung am unver- (Abg. Wehner: Sehr wahr!)
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 33. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Februar 1970 1567
Mattick
Verzeihen Sie, Herr Dr. Kiesinger, ich habe Ihren fen. Keiner von uns, meine Damen und Herren,
Zwischenruf nicht ganz verstanden. Aber zu den keiner von uns erwartet von dieser Begegnung und
Zweifeln, die Sie hier damit ausdrücken: Es gibt von diesen Gesprächen eine veränderte Großwetter-
doch seit 1948 keine einzige Gelegenheit, die ge- lage. Aber was ich erwarte und was möglich ist, ist
sucht und gefunden wurde, eine atmosphärische Veränderung, die von außen
(Zustimmung des Abg. Wehner) allmählich auch in dieses Gebiet Ost-Berlin hinein-
drückt und der man dann nicht mehr voll aus-
um die offiziell verantwortlichen Männer oder weichen kann.
Frauen dieser beiden Teile Deutschlands irgendwo
an einen Tisch zu bringen. Atmosphärische Veränderungen zu bewirken, die
letztlich den Menschen dienen — und daraum geht
(Abg. Dr. h. c. Kiesinger: Ich habe nur ge es uns doch wohl allen in einer Phase, in der wir
sagt: Der Ausdruck „Fühlungnahme" stimmt wissen: die Großwetterlage ist für Jahre nicht zu
nicht!) verändern —, Veränderungen, die den Menschen in
Nun, meine Damen und Herren, ich möchte Ihnen beiden Teilen Deutschlands dienen, das ist die Auf-
jetzt noch einmal vor Augen führen, in welche gabe, die im Augenblick diese Regierung zu erfül-
Mondlandschaft — entschuldigen Sie diese Bemer- len versucht.
kung — unser Bundeskanzler mit seinem Gefolge (Abg. Dr. Kiesinger: Vage!)
kommt, wenn er in dieses Gespräch geht. Es ist ja Seien wir uns darüber klar: Das sind ganz schwere
grotesk, wenn ich Ihre Rede höre, Herr Barzel, ge- Wege, und sie können durchaus genauso scheitern.
gen diese Regierung und gegen ihre Versäumnisse
und ihre Fehler und wenn ich dann in diesen Tagen (Vorsitz : Vizepräsident Dr. Schmid.)
„Neues Deutschland" lese. Sie lesen etwas aus
Rumänien; das „Neue Deutschland" liegt viel näher. Ich wiederhole meine Schlußbemerkung von vor
Da spricht also der Herr Honecker in diesen Tagen vier Wochen. Wenn sie scheitern, hat diese Bundes-
in seiner Rede erst einmal davon, daß die Sozial- regierung durch ihre Vorarbeiten, durch ihre
demokratische Partei den Imperialismus mit unter- Rückendeckung und durch ihre sonstige Politik alle
stützt usw. Das ist alles nicht neu. Und dann schreibt Voraussetzungen dafür geschaffen, daß nicht nur in
er unter anderem folgendes: Westeuropa und der westlichen Welt, sondern auch
im anderen Teil dieses Europa die Bundesrepublik
So betrachtet, läuft die Politik der gegenwär- mit ihrer Bundesregierung eine bessere Position hat,
tigen Bonner Regierung darauf hinaus, mit
etwas geänderten Methoden die Hegemonie der (Abg. Frau Griesinger: Nein!)
herrschenden Kreise Westdeutschlands über immer ganz gleich, wie diese Beratungen ausgehen
West-, Süd- und Nordeuropa zu festigen und werden, eine bessere Position hat als vorher.
mit Hilfe der Politik des Brückenschlages, der
(Beifall bei der SPD.)
Konvergenz, der Wirtschaftshilfe den Stoß in
die sozialistischen Länder zu führen. Der Brük- Denn das wissen Sie, Frau Griesinger, ganz genau:
kenschlag soll, wenn es die Großwetterlage er- wir handeln ja nicht nur aus dem Empfinden heraus,
laubt, offensichtlich der Bundeswehr erlauben, alles abzutasten, was möglich ist. Wir handeln -
zum entsprechenden Zeitpunkt über diese letzten Endes auch auf den Ruf vieler Menschen in
Brücke zu marschieren. Diesem Ziel dient auch Westeuropa: „Ihr müßt es versuchen." Wir müssen
der große Übungsplan der Bundeswehr. wissen, wo die Grenzen sind. Aber der Versuch er-
folgt auch, um international gesehen die Voraus-
Ich könnte Ihnen hier ausführlich darlegen, mit
setzungen zu schaffen, etwas zu erreichen, jeden
welchen Schwierigkeiten es die Führung der SED
falls für dieses Drängen deutlich gemacht zu haben:
drüben anläßlich dieser deutschen Politik in dieser
es liegt nicht an uns, wenn in dieser Runde noch
Runde heute schon wieder zu tun hat.
gar nichts erreicht werden kann. Aber ich glaube, es
(Beifall bei Abgeordneten der SPD.) wird in dem Maße etwas erericht werden, wie die-
Wir werden hier durch manche Zitate an den Ver- ses ganze deutsche Volk und sein Parlament hinter
such des Redneraustauschs erinnert, und dazu der Regierung in dieser schweren Phase stehen.
möchte ich jetzt zu unserer Regierung noch einmal (Beifall bei den Regierungsparteien. —
ein Wort sagen. Der Redneraustausch war damals Abg. Frau Griesinger: Sie können nicht
versucht worden von der Oppositionspartei SPD, mehr zurück!)
weil sie keine andere Form und Möglichkeit hatte,
denn sie regierte nicht. Die heutige Regierung hat
den Schritt, der unter Umständen zu der Begegnung Vizepräsident Dr. Schmid: Das Wort hat der
in Berlin führen wird, im Ostblock soweit vorbe- Abgeordnete Dr. Achenbach.
reitet, daß wahrscheinlich für die SED eine ähnliche
Reaktion wie beim Redneraustausch kaum noch Dr. Achenbach (FDP) : Herr Präsident! Meine
möglich ist. sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte zu-
Ich glaube wirklich, Sie sollten in einer Situation, nächst im Namen der Freien Demokratischen Partei
die, wenn sie zustande kommt, geschichtliche Be- unserem Freunde Walter Scheel sehr herzlich dan-
deutung haben könnte, alles tun, um der Regierung ken für seine ausgezeichnete abgewogene Rede
wenn auch nicht den Rücken zu stärken, doch zu- über die jetzige Situation in der Welt.
mindest nicht Knüppel zwischen die Beine zu wer (Beifall bei den Regierungsparteien.)
1568 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 33. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Februar 1970

Dr. Achenbach
Bei der Gelegenheit möchte ich im besonderen das Das ist schwierig; das wissen wir. Aber, meine
unterstreichen, Herr Barzel — nachher gehe ich Damen und Herren, ein echter Frieden zwischen
noch auf einige Argumente von Ihnen ein —, was Polen und uns — das wissen Sie genausogut wie
Herr Scheel am Schluß ausgeführt hat. Wir wollen wir — ist natürlich nur möglich und von Dauer,
mehr Frieden, wir wollen mehr Sicherheit, wir wenn in den Verhandlungen ein Ergebnis erzielt
wollen mehr Menschlichkeit. Sie auch, wie ich an- wird, das sowohl den Polen als auch den Deutschen
nehme. Diese Regierung wird ebensowenig etwas zusagt. Darum werden wir uns bemühen. Lassen Sie
aufgeben wie Sie. Diese Regierung wird nichts ver- deshalb doch bitte solche Unterstellungen, die zu
schleudern. Diese Regierung wird sich um den nichts führen. Ich unterstelle Ihnen auch keine Ab-
Frieden der Welt und die Einheit der Nation nach sichten, die von vornherein unsinnig sind.
Kräften bemühen.
Sie haben auch nichts gegen die Verhandlungen
Ich habe in diesem Hause schon verschiedentlich mit der Sowjetunion. Gut, natürlich nicht! Aber
meiner alten Überzeugung Ausdruck verliehen, daß wenn hier gesagt wird, die Regierung habe die Ab-
in kritischen Zeiten der Nation eine Außenpolitik, sicht, auf die Wiedervereinigung zu verzichten, ist
die von allen Seiten des Hauses aus ehrlicher Über- das doch schlichter Unsinn. Die Regierung bemüht
zeugung mitgetragen wird, unzweifelhaft ein stärke- sich keineswegs weniger intensiv um die Wieder-
res Gewicht hat, als wenn sich in wesentlichen vereinigung. Sie hat auch keineswegs die Absicht,
Lebensfragen der Regierung ganz verschiedene fundamentale Positionen aufzugeben, genau wie
Auffassungen der Regierung und der Opposition ge- jede andere Regierung vorher. Selbstverständlich
genüberstehen. Herr Kollege Kiesinger, ich habe es können wir in voller Übereinstimmung zu den Rus-
neulich noch gesagt bei der Debatte über die Gipfel- sen sagen, wie wir es auch schon seit vielen Jahren
konferenz: ich hatte damals den Eindruck, daß Sie sagen: Wir wollen eine Aussöhnung mit dem in vie-
dieser Generalthese zustimmten, und bei der Dis- ler Hinsicht liebenswerten russischen Volk, wir wol-
kussion über die europäischen Fragen haben wir ja len mit diesem großen Volk, mit dem wir jahrhun-
auch eine übereinstimmende Meinung hier in die- dertelang in Frieden gelebt haben, wieder ver-
sem Hause festgestellt. trauensvoll zusammenleben.
Aber, meine Damen und Herren, selbstverständ-
Auch Walter Scheel hat diesen Wunsch zur lich kann ein echter Frieden nur aus einem frei aus-
Kooperation unterstrichen und der Herr Bundes- gehandelten Kompromiß resultieren. Man muß wis-
kanzler ebenfalls. Nun, Herr Kollege Barzel, gehen
sen, daß das nicht geht, wenn man die alte Formel
wir doch einmal in Ruhe und ohne Polemik die gebraucht: Du hast den Krieg verloren; also mußt
einzelnen Punkte durch, und stellen wir fest, ob tat-
du das und das tun. Das ist dieselbe Formel, mit der
sächlich wesentliche Unterschiede vorhanden sind.
man in den letzten 10 000 Jahren alle zukünftigen
Ich glaube, bei den ganzen europäischen Fragen Konflikte vorbereitet hat. Wir, aber selbstverständ-
haben wir Übereinstimmung festgestellt. Dieses lich auch unsere Partner, müssen einsehen, daß ein
ganze Haus will die europäischen Dinge vorwärts- dauerhafter und echter Frieden nur auf einen frei
treiben. Unser Ziel ist eine echte europäische Föde- ausgehandelten Kompromiß gegründet werden kann.
ration. Wir haben uns alle darüber gefreut, daß
nach der Gipfelkonferenz und nach den letzten Ent- Zu einer echten Friedensbereitschaft gehört natür-
scheidungen ein Gutteil Weg zurückgelegt worden lich auch — darüber sollten wir uns alle einig
ist. Wir sind der festen Überzeugung — Walter sein —, daß man einsieht, daß es gewisse funda-
Scheel hat auf das von den Franzosen gegebene mentale Dinge gibt, auf die niemand verzichten
Wort hingewiesen —, daß auch in der Frage der kann, z. B. die Tatsache, daß wir ein Volk sind, das
Erweiterung der Europäischen Wirtschaftsgemein- unzweifelhaft nicht gewillt ist, auf seine Selbstach-
schaft demnächst die Verhandlungen beginnen wer- tung zu verzichten. Wir wollen den Frieden mit al-
den. Ich darf erneut — wie neulich — hier unter- len, die guten Willens sind. Ich darf eine Formel von
streichen: wir hoffen auch sehr, daß es zu einer Walter Scheel aufgreifen: Wir wollen vernünftig
echten außenpolitischen Zusammenarbeit kommt, mit jedem reden. Es hat keinen Zweck, sich über
die einfach notwendig ist. dogmatische oder ideologische Fragen zu streiten.
Ich gestehe offen, daß ich, wenn ich Gelegenheit
Herr Kollege Barzel hat ,erklärt, daß auch er für habe, mit Leuten aus diem Osten zusprechen, ihnen
Verhandlungen mit Polen sei. Nun gut, solche Ver- von vornherein sage, daß mich Diskussionen über
handlungen mit Polen werden geführt. Aber was ideologische Fragen tatsächlich im Stehen zum Ein-
soll denn die polemische Bemerkung, er wolle Lö- schlafen bringen.
sungen, und die Regierung begnüge sich mit For-
meln. Es lohnt doch nicht, daß wir uns dabei auf- (Abg. Dr. h. c. Kiesinger: Kommen Sie dann
halten. Meine Damen und Herren, wir — ich glaube, in dem Gespräch weiter?)
auch Sie — betrachten doch alle unser Verhältnis — Herr Kollege Kiesinger, ich bemühe mich wie Sie
zu Polen wie unser Verhältnis zu Frankreich als darum. Vor allen Dingen kommt es dabei auf die
Problem höchsten Ranges. So wie eis uns gelungen Stetigkeit, die Willenskraft und die Gelassenheit
ist, mit unserem westlichen Nachbarn zu einer ech- an. Wenn ich höre, daß manche Leute sagen: die
ten Versöhnung, einer 'gemeinsamen Politik zu werden Ihnen nie zustimmen, pflege ich zu sagen,
kommen, müssen wir das auch in bezug 'auf Polen daß man nach meinem Eindruck in Westfalen, mei-
anstreben. ner engeren Heimat, auch nicht unbedingt in dem
(Beifall bei der FDP.) Ruf 'steht, besonders nachgiebig zu sein. Wir werden
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 33. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Februar 1970 1569
Dr. Achenbach
in Ruhe über das, was wir gerechterweise beanspru- Diese Beantwortung ist offensichtlich nach den mir
chen können, verhandeln, wir werden davon nicht zugegangenen Informationen auch nicht bei der
heruntergehen, wir werden ständig und fest um den Sonderinformation gegeben worden.
Frieden kämpfen, den wir brauchen.
Zum zweiten bitte ich davon auszugehen, daß
Deshalb richte ich in diesem Zusammenhang noch das, was Kollege Dr. Barzel heute vorgetragen hat,
einmal dein Appell an die Opposition — in Überein- die gemeinsame Auffassung der CDU und der CSU
stimmung mit dem Herrn Bundeskanzler und dem ist.
Herrn Bundesaußenminister —: Die Außenpolitik (Abg. Dr. Apel: Dafür war diese Auffassung
eignet sich nicht, Herr Kollege Kiesinger, für pole- auch unklar genug!)
mische Auseinandersetzungen. Das wissen Sie doch.
Ich sage das deshalb, weil man nicht nur den ersten
Herr Barzel, Sie wissen es auch. Deshalb: Verzich-
Satz, sondern auch den zweiten und den dritten Satz
ten wir doch freundlichst darauf! Sie sagen: „Wir
lesen soll. Der erste Satz unserer Resolution — die,
wollen die Kooperation."
nebenbei gesagt, ich formuliert habe —
(Abg. Dr. Barzel: Wird je nichtgemacht!)
(Zurufe von der SPD)
Wir wollen sie auch. Nun stellen Sie doch nicht
gleich fest, es würde keine geben, stellen Sie nicht ist die Bestätigung dessen, was. die Regierung der
gleich fest, die verpaßten Gelegenheiten gingen auf Großen Koalition in dieser Beziehung unternommen
das Konto des einen oder des anderen. Sie sehen hat. In Satz 2 beginnt bereits der Dissens: daß wir
doch z. B., daß ich völlig darauf verzichte, darüber nämlich unter „Vorgesprächen" auch politische Vor-
zu sprechen, wofür ich mich in den letzten zehn gespräche verstehen und nicht nur technische Klä-
Jahren im Auswärtigen Ausschuß eingesetzt habe rungen. In Satz 3 beginnt dann die große Streit-
und wo ich heute froh bin, daß Sie alle in diesem frage, nämlich unsere Feststellung, daß wir die
Hause das wollen, nämlich daß man, wenn man den Regierung warnen, bei solchen Gesprächen auch die
Frieden will, man mit jedem reden muß, insbe- Frage der völkerrechtlichen Anerkennung mit dem
sondere auch mit denen, mit denen man in Span- Gespräch zu verquicken. Deshalb ist es gut, wenn
nung lebt. man alle drei Sätze im Zusammenhang liest und
Herr Kollege Kiesinger, Sie entsinnen sich: als nicht nur den ersten einzelnen herausnimmt.
Sie seinerzeit die Regierung gebildet haben, sind Aber ich muß noch einige Bemerkungen zu dem
Sie im Auswärtigen Ausschuß erschienen und ha- machen, was letzte Woche gesagt worden ist. Herr
ben von einer neuen Politik gesprochen. Sie haben Kollege Mattick, was gilt jetzt eigentlich? Sie haben
diesen Grundsatz herausgestellt. Ich habe gesagt: heute beanstandet, daß heute eine deutschlandpoli-
„Nun, wenn das Ihr Grundsatz ist, dann werden wir tische Debatte überhaupt stattfindet, es wäre bes-
als Opposition Sie unterstützen." Nun, dieser Grund- ser, keine zu halten. Waren Sie neulich nicht da,
satz ist auch vornehmster Grundsatz dieser Regie- als Kollege Helmut Schmidt uns vorgehalten hat,
rung. Deshalb mein Apell an Sie: Verzichten Sie auf daß wir — absprachegemäß! — uns auf Haushalts-
Polemik, unterstützen Sie die Regierung, und arbei- und Wirtschaftsfragen beschränkt und auf Bitte der
ten wir gemeinsam für den Frieden dieses Volkes. Regierung die Deutschland- und außenpolitische De-
(Beifall bei den Regierungsparteien.) batte auf diese Woche vertagt haben? Damals hat
Kollege Schmidt — ist er hier?; leider nicht — ein
Denn das, meine Damen und Herren, werden Sie
bißchen schnell und unüberlegt aus der Hüfte ge-
mir zugeben: Es ist die Pflicht jedes deutschen Pa-
schossen, und das ging daneben. Er hätte wissen
trioten, diesem Volke, das i n diesem Jahrhundert
müssen, daß wir diese Woche für die Behandlung
zweimal durch große Kriege mit all dem Leid hat
dieses Themas vorgesehen hatten. Ich hätte wider
hindurchgehen müssen, den Frieden zu sichern. Ich
die Absprache gehandelt, wenn ich letzte Woche
bin überzeugt, di e Opposition will das. Die Koalition
über dieses Thema gesprochen hätte. Von mir aus,
will es ganz sicher. Arbeiten wir zusammen, damit Herr Kollege Mattick, wäre ich auch bereit gewe-
aus den Verhandlungen, di e jetzt nach allen Seiten
sen, heute auf eine Rede zu verzichten, aber der
laufen und die vernünftig sind, etwas Gutes her- Kollege Schmidt hat ausdrücklich gesagt, ich solle
auskommt. mich doch endlich einmal auch hier im Hause zu
(Beifall bei den Regierungsparteien.) Wort melden. Ich habe nicht den Eindruck, daß ich
mich bis jetzt hier zu wenig zu Wort gemeldet habe.
Vizepräsident Dr. Schmid: Das Wort hat der Ich habe eher den Eindruck, daß ich nicht genug
Abgeordnete Strauß. Seine Fraktion hat gebeten, Redezeit habe.
seine Redezeit auf 45 Minuten festzusetzen. (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU.)

Für mich war es erstaunlich, Herr Kollege Schmidt,


Strauß (CDU/CSU) : Herr Präsident! Meine sehr daß Sie als Verteidigungsminister auf einmal die
verehrten Damen und Herren! Zunächst darf ich be- Rolle des Fraktionsvorsitzenden übernommen ha-
merken, daß die Bundesregierung die zahlreichen ben. Der Kollege Wehner war ja hier vertreten.
von uns in der Vergangenheit gestellten und heute Ich habe so ein bißchen das Gefühl, daß hier eine
vom Kollegen Barzel wiederholten und neu aufge- innerparteiliche Pflichtübung absolviert worden ist,
worfenen Fragen bis jetzt nicht beantwortet hat. daß sich hier der Kollege Helmut Schmidt aus seiner
(Abg. Dr. Barzel: Sehr richtig!) Exilposition wieder einmal nicht nur als Verteidi-
1570 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 33. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Februar 1970

Strauß
gungsminister, sondern auch als politischer Kämpfer Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich
in Erinnerung gebracht hat. bitte den Kollegen Schmidt auch, gegenüber Aus-
drücken, die außerhalb dieses Hauses gebraucht
(Zuruf von der SPD: Stoltenberg — Barzel!)
werden, nicht allzu zimperlich zu sein. Der Kollege
Das Ganze dürfte auch mit personellen Überlegun- Schmidt würde, wenn er sich sein Vokabular in Er-
gen zusammenhängen, die Sie mehr beschäftigen als innerung riefe, das er in all den Jahren sowohl
uns; aber das sei nur am Rande bemerkt. außerhalb wie innerhalb des Hauses angewandt hat,
vielleicht etwas zurückhaltender sein.
(Beifall bei der CDU/CSU. — Lachen bei
der SPD.) (Zustimmung bei der CDU/CSU.)
Ich möchte allerdings gerade hier noch einmal Der Kollege Schmidt — das habe ich neulich gesagt
feststellen, was ich letzte Woche schon sagte — ich — hat nicht so sehr Grund, sich mit uns auseinander-
glaube, das gilt nicht nur für mich, aber ich sage zusetzen; er hat mehr Grund, sich mit denen in
es nur für meine Person —: Ich lasse mir vom Kolle- seiner Partei auseinanderzusetzen, die — zum Teil
gen Schmidt hier doch nicht vorschreiben, wann ich ist es der Nachwuchs, zum Teil der linksradikale
in der Öffentlichkeit wo was zu wem worüber spre- Flügel — an die Umfunktionierung unserer Gesell-
chen darf. schaftsordnung herangehen.
(Beifall bei der CDU/CSU.)
(Beifall bei der CDU/CSU.)
Das beste Beispiel hat er selbst geboten, indem er
alte Entwürfe des Verteidigungsministeriums — ob Ich würde von ihm gern einmal eine Stellung-
sie nun noch in der Schublade lagen oder ob sie von nahme dazu hören, daß — ich wollte das gar nicht
ihm nachgeahnt, ich sage nicht „nachgeahmt", nach- glauben — im Hamburger Gondel-Verlag so eine
empfunden worden sind — und für uns alle höchst komische Postille unter dem Titel „Spontan" er-
bedeutsame Fragen — Umbau der Wehrpflicht, Be- schienen ist. Da gibt es eine Verherrlichung der
rufsarmee, Miliztruppe — vor einem Parteigremium Pornographie und eine Verhöhnung der sogenann-
der SPD erörterte, ohne sie vorher im Verteidi- ten staatserhaltenden Kräfte, und dann geht der
gungsausschuß oder in diesem Hohen Hause zur KampfgendiBuswhrlo.Danite
Sprache gebracht zu haben. programmatisches Interview des SPD-Vorsitzenden
(Beifall bei der CDU/CSU.) Steffen von Schleswig-Holstein und Mitglied des
Bundesvorstands enthalten. Auf drei Seiten befaßt
Das ist doch ein Musterbeispiel für eine solche Ver- er sich in gekonntem APO-Deutsch mit „Systemüber-
haltensweise. windung", deutlicher ausgedrückt, mit der notwen-
Meine sehr verehrten Damen und Herren, der digen Titoisierung der Bundesrepublik — das ist
Kollege Schmidt hat, auch wenn er die Gemeinsam- meine Interpretation —, die man noch nicht erreicht
keit in dem Fall nicht liebt, von seinem Kollegen, hat. Das ganze ist deshalb so eindrucksvoll, weil
dem Verteidigungsminister Armeegeneral Hoff- dort eine Soldatenmütze der Bundeswehr gezeigt
mann, eine Kennzeichnung erhalten, die ich nicht wird, unter der ein Kohlkopf zu sehen ist.
deshalb erwähne, weil ich an die Richtigkeit dieser (Zuruf von der CDU/CSU: Unerhört!)
Kennzeichnung glaubte, sondern nur deshalb, weil
sie für den Stil bezeichnend ist, mit dem von drü- Ob das ein Beitrag zur wehrpolitischen Erziehung
ben her auf diese Regierung und die sie tragenden oder ein Beitrag zur inneren Stärkung der Bundes-
Parteien eingewirkt wird. Herr Hoffmann sagt: wehr ist, ist eine Frage, die zur Zeit Herr Kollege
Schmidt mehr zu beantworten hat als ich. Ich glaube,
Wir stehen einem gefährlichen Feind gegen- er sollte sich mehr damit auseinandersetzen, was in
über. Jenseits der Elbe und Werra liegen die seiner eigenen Partei in Sachen Bundeswehr heute
Hauptkräfte der NATO auf der Lauer. Nach wie propagiert wird, als etwa mit uns hier.
vor versucht der westdeutsche Imperialismus,
die Gemeinschaft unserer sozialistischen Staa- Auch Herr Bundesminister Ehmke hat einige Be-
ten zu schwächen. Sein Ziel ist es, die DDR von merkungen gemacht. Ich darf ihm nur sagen, daß der
ihren Verbündeten zu isolieren und die sozia- Richtigkeitsgehalt dieser Bemerkungen höchst
listische Gemeinschaft zu liquidieren. Daran hat dubios ist. Ich habe heute die gleiche seelsorge-
sich auch unter der neuen Bonner Regierung rische Anwandlung Ihnen gegenüber, wie Sie sie
nichts geändert. Trotz vieler demagogischer Er- als Dauerzustand mir gegenüber haben. Bei den
klärungen über eine neue Politik der Entspan- Bremer Vorgängen scheinen Sie einen frisierten Be-
nung und Annäherung zeigt sich immer deut- richt in der Hand gehabt zu haben.
licher: Die militärpolitische Grundkonzeption (Sehr gut! bei der CDU/CSU.)
der rechten SPD-Führung und besonders des
Jetzt gibt es ja darüber ganz konkrete Tatsachen-
neuen Bonner Kriegsministers Helmut Schmidt
feststellungen. Aber natürlich wünscht man, Ihnen
ist die gleiche wie die aller seiner Vorgänger
für Ihre Behauptung hier Unterstützung zu geben.
Blank, Strauß, von Hassel und Schröder.
Es ist auch schlechterdings nicht richtig, Herr
Das gehört zu dem Stil der Kalt-Heiß-Bäder, der
Bundesminister Ehmke, .daß, wie Sie sagten — habe
Wechselbäder, die dieser Regierung und den sie
ich es richtig in Erinnerung? —, von dieser Um-
tragenden Parteien von drüben her verpaßt werden.
funktionierung im Bundeskanzleramt zwei Beamte
(Zurufe von der SPD.) betroffen worden seien. Insgesamt sind es an die
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 33. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Februar 1970 1571
Strauß
zwanzig. Vielleicht ist da nur die Null vor dem Sie sich eigentlich gedacht, als Sie sich so besonders
Komma hinter das Komma gerutscht. eindrucksvoll und intensiv der Einreisegenehmigung
für „Big Man" der „Black Panther"-Bewegung an-
Dann darf ich noch auf den Bundesminister Gen- nahmen? Ich bin auch der Meinung, daß man hier bei
scher eingehen. Er hätte die dpa-Fassung nehmen den Formalitäten gar nicht kleinlich sein soll, wenn
sollen. Dann hätte er gar keinen Grund gehabt, sich einmal jemand seinen Paß vergessen hat oder wenn
zu erregen. Zu dieser Fassung stehe ich. Ich habe er sonstwie in irgendwelchen Formalitäten ein De-
von einer Politik gesprochen, nicht von einer Politik fizit aufzuweisen hat, aber die Black Panther-Be-
einer bestimmten politischen Kraft, obwohl es in wegung ist doch nachweislich eine revolutionäre
dieser oder jener Gruppierung Elemente oder Ten- Bewegung, die in dauerndem Kampf mit der ameri-
denzen dieser Art gibt. Ich habe wörtlich gesagt: kanischen Polizei steht. Wenn Sie Einzelheiten dar-
eine Politik, die Gewalttaten und Verbrechen — über außerhalb amtlicher Akten lesen wollen, emp-
nicht: Kriminalität und Verbrechen — nicht mehr fehle ich Ihnen eine der letzten Nummern von
unter Kontrolle hält. „Newsweek". Da ist unter anderem auch der Ge-
Das eine, was ich damit meine, trifft uns alle, sang dieser Organisation zitiert:
selbstverständlich auch mich, wenn ich nicht an der Nun dann, glaube es, mein Freund, das Schwei-
Abstimmung teilgenommen haben sollte. Die seiner- gen wird enden. Wir haben uns Gewehre zu be-
zeitige Änderung der Strafprozeßordnung ist nach schaffen und Männer zu sein.
Ansicht aller Polizeibeamten, Staatsanwälte und der
Und eine Aussage eines hohen amerikanischen Po-
meisten Richter nämlich zu weit gegangen, und die
Tatsache, daß es für einen Richter unmöglich ist, lizeioffiziers besagte, „daß diese Bewegung darauf
aus ist, so viele wie möglich von unseren Polizei-
auch einen überführten Verbrecher in Haft zu hal-
beamten zu ermorden".
ten, wenn er nur einen festen Wohnsitz nachweisen
kann, erschwert die Verbrechensbekämpfung außer- Warum es ausgerechnet notwendig war, auf den
ordentlich. Protest des SDS hin so zu reagieren, verstehen viele
(Beifall bei der CDU/CSU.) auch in Ihren eigenen Reihen sicherlich nicht. Sie
haben in keiner Weise auf die Drohungen des SDS-
Daran sind im letzten Bundestag einige Übungen
Vorsitzenden Wolff mit rechtlichen Mitteln, wie es
gemacht worden, Herr Kollege Hirsch — ich sehe
notwendig oder zumindest wünschenswert gewesen
ihn im Augenblick nicht —, aber man hat dann wie-
wäre, reagiert, als er sagte, man werde es Ihnen
der den Rückzug angetreten.
schon eintränken und unter Umständen „Big Man"
Ich habe dann noch einen weiteren Zeugen, den mit einem gepanzerten Fahrzeug aus Ost-Berlin bis
Bundesminister Eppler, der in seiner ersten Er- nach Frankfurt bringen, damit er dort ja seine
schütterung über die Münchener Vorgänge laut den heilsverkündende Lehre beim SDS loswerden kann.
mir zugänglichen Pressemeldungen gesagt hat: Sie haben daraufhin erklärt, Sie bedauerten, daß er
Wenn das geltende Ausländerrecht es nicht mehr aufgehalten worden sei. Sie hätten davon nichts
möglich macht, hier eine wirksame Vorbeugung zu gewußt. Sie sind also Ihrer Polizei in den Arm ge-
treffen — ich zitiere ihn jetzt inhaltsgemäß, weil fallen, haben die Polizeibeamten desavouiert.
ich das wörtliche Zitat nicht mehr gefunden habe —, (Zustimmung bei der CDU/CSU.)
dann muß man eben das Ausländerrecht ändern. Das
ist eine zutreffende Bemerkung, die aus diesem Wenn Sie es gewußt hätten, wäre die Einreise nicht
Munde sicher wesentlich unverdächtiger wirkt, als verhindert worden, und wenn „Big Man" noch ein-
wenn ich eine solche Äußerung erstmals getan hätte. mal käme oder so gütig wäre, noch einmal zu kom-
Offensichtlich scheint also auch Herrn Eppler hier men, würden Sie dafür sorgen, daß ihm nichts in den
etwas nicht ganz in Ordnung zu sein. Weg gelegt würde. So ist es in der Zwischenzeit
auch geschehen.
Den Herrn Bundesinnenminister darf ich darauf (Beifall bei der CDU/CSU.)
hinweisen, daß in einer Belgrader Zeitung schon im Wenn das der für die innere Sicherheit der Bundes-
Laufe des letzten Jahres eine Mitteilung erschienen republik zuständige Minister in dieser Weise hand-
ist, nach der man sich dort offen dazu bekennt, daß habt, darf er es uns nicht übelnehmen, wenn dadurch
der jugoslawische Nachrichtendienst die Morde in bei uns ernste Zweifel an der Ernsthaftigkeit dieser
München begangen habe. Diese Serie von Morden in Sicherheitspolitik und , dieser Maßnahmen automa-
München, die nie aufgeklärt worden sind, für die
tisch :hervorgerufen werden.
auch die Mittel der örtlichen Polizei nicht ausrei-
chen, weil es sich um eine übergreifende Angele- (Beifall bei der CDU/CSU.)
genheit handelt, sollte angesichts der jüngsten Vor- Dann noch zum Herrn Bundeskanzler. Der Herr
gänge das Bundesinnenministerium' beschäftigen. Bundeskanzler hat den Ausdruck „mieser Stil" zu-
Die Frage, ob man überhaupt in Belgrad interveniert rückgewiesen
und gefragt hat, ob diese Meldung stimmt, daß der (Zurufe von der SPD)
jugoslawische Nachrichtendienst diese Morde un-
mittelbar vorgenommen habe, wage ich nicht einmal und hat gesagt, es sei in seinen Augen ein mieser
zu stellen, weil die Antwort darauf sicherlich nein Stil, wenn man die Frage .der Verfassungsmäßigkeit
heißen würde. der Politik der Bundesregierung, wie ich es schreck-
licherweise getan hätte, überhaupt zur Diskussion
Nun komme ich noch auf einen anderen Vorgang stellte.
zu sprechen. Herr Bundesinnenminister, was haben (Erneute Zurufe von der SPD.)
1572 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 33. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Februar 1970

Strauß
Nun, einmal bin ich aufgefordert worden, zur Ver- Es tritt nun die Frage auf, ob einem Gebilde,
fassungswidrigkeit und ihrer Nachprüfung Stellung dem in Wirklichkeit die Merkmale des Staates
zu nehmen. Das war die Formulierung in der Frage- im Rechtssinne und des Völkerrechtssubjektes
stellung, die nicht von mir stammt. Ich habe darauf- fehlen,
hin geantwortet, wie Ihnen bekannt ist, daß es
— er meinte damit den anderen Teil Deutschlands —
durchaus reizvoll wäre, diese Frage einmal verfas-
sungsgerichtlich nachzuprüfen, habe alber hinzuge- durch solche Erklärungen
fügt, daß ich an sich von der richterlichen Entschei-
dung politischer Fragen nicht viel hielte, weil das die — wie sie von der Bundesregierung kommen —
Richter überfordere. Nun sitzen Sie hier, Herr Kol- die Rechtsqualität des Staates und Völkerrechts-
lege Brandt, in einem ganz schlechten Boot, weil die subjektes verliehen werden kann. Das ist klar
SPD in früheren Jahren alles, auch einwandfrei ver- zu verneinen. Es ist aber weiter zu - fragen —
fassungswdrige Mittel, aufgeboten hat, um die Poli- und das ist ernster —, wie weit die so beschaf-
tik der damaligen Bundesregierung zu Fall zu brin- fenen Erklärungen und Angebote der Bundes-
gen. republik in sich selbst rechtlich gültig sind, d. h.
(Beifall bei der CDU/CSU.) ob und wie sie mit dem Deutschlandvertrag und
Sie werden sich doch noch erinnern, daß man nicht mit der Präambel des Grundgesetzes vereinbar
nur beim EVG-Vertrag das Verfassungsgericht ange- sind oder vereinbar wären. Von besonderer
rufen hat, was Ihr gutes Recht war. Da hat man aber rechtlicher Bedeutung ist dabei die Präambel
auch der Bundesregierung unterstellt, daß sie eine des Grundgesetzes. Sie ruft in feierlicher und
verfassungswidrige Politik treibe, und das Verfas- grundsätzlicher Form das gesamte deutsche
sungsgericht angerufen, nein, man hat auch ver- Volk auf, ...
sucht, auf dem Wege von Volksabstimmungen in Es folgt die bekannte Formulierung.
den Ländern Entscheidungen der Bundespolitik zu
sabotieren, zu unterminieren und zu torpedieren — Das hat nicht nur politische Bedeutung, sondern
das ist damals so geschehen —, und man hat dar- durchaus auch rechtlichen Gehalt. Es ist ein ver-
über hinaus i n. Zusammenarbeit mit dem DGB die fassungsrechtliches Gebot. Das hat das Bundes-
berühmtLisnalugvoHzsmitder verfassungsgericht wiederholt ausgesprochen; .. .
ganz einleuchtenden Fragestellung durchgeführt: Den politischen Staatsorganen bleibt dabei
„Für die Pariser Verträge: Krieg; gegen die 'Pariser allerdings ein sehr weites Maß politischen Er-
Verträge: Frieden! Wofür sind Sie?" So ist doch messens. Ihre Maßnahmen dürfen jedoch die
in diesem Lande jahrelang gearbeitet worden. staatliche Wiedervereinigung nicht praktisch
unmöglich machen oder so erschweren, daß die
(Beifall bei der CDU/CSU.) Aussicht auf ihre Verwirklichung gegenüber
Die, Antwort, Herr Bundeskanzler, haben Sie mir dem jetzigen Zustand entscheidend verschlech-
selbst in den Mund gelegt. Sie haben nämlich da- tert wird. Die völkerrechtliche Anerkennung der
mals, fünf Tage nach dem Mauerhau, hier in diesem DDR,
Hause als Regierender Bürgermeister von Berlin
— so schreibt er zum Schluß —
gesagt:
Die 'Berliner stehen ganz gewiß nicht allein, gleichgültig, ob sie ausdrücklich oder durch
wenn sie sagen: Die Bundesrepublik wird sich schlüssige Handlungen erfolgt,
mit einem Teilungsdiktat nicht abfinden kön- — ausdrücklich oder durch schlüssige Handlun-
nen. ... Sie wird es niemals anerkennen kön- gen! —
nen, nicht nur, weil sie ihre eigene Verfassung
nicht brechen darf, ... ... Die Bundesrepublik würde dem Verfassungsgebot widersprechen.
kann und darf ein Teilungsdiktat nicht aner- (Beifall bei der CDU/CSU.)
kennen, ohne die Verfassung zu brechen.
Was dann noch schlechter oder mieser Stil sein soll,
So der Regierende Bürgermeister Brandt am wenn ein Mitglied dieses Hohen Hauses es wagt,
18. August 1961 in diesem Hohen Hause. zu sagen, es wäre durchaus reizvoll, die Verfas-
(Hört! Hört! bei der CDU/CSU.) sungswidrigkeit dieser Politik durch das dafür zu-
ständige Organ nachprüfen zu lassen, weiß ich wirk-
Da dürfen Sie sich doch nicht wundern, wenn in lich nicht mehr. Was soll dann noch etwa guter Stil
einem Interview die Frage der Verfassungswidrig- sein? Ich habe hier nur einmal die Originalzitate
keit aufgeworfen wird und ich erkläre, es wäre verlesen.
durchaus reizvoll und interessant, die Frage auch
einmal mit diesen Methoden zu klären, wovon ich Nun hat der Kollege Genscher — da haben ihm
im allgemeinen viel weniger halte, als es bei Ihnen allerdings seine „Büchsenspanner" die falsche Rede
aus Ihren Reihen praktiziert worden ist. vorgelegt — behauptet, ich hätte am 20. März 1958
auf die Wiedervereinigung sozusagen schon ver-
(Beifall bei der CDU/CSU.)
zichtet und auf das Österreich-Modell verwiesen.
Wenn Sie aber schon diese Frage stellen, dann Ich glaube, das steht nicht in der Rede vom 20. März
darf ich Sie auf ein Gutachten eines frührenden Ju- 1958; dort finde ich es beim besten Willen nicht. Ich
risten hinweisen, des ehemaligen Präsidenten des habe sie gestern noch dreimal durchgelesen, weil ich
Bundesgerichtshofs, Herrn Weinkauff, der in diesem mir dachte, ein so kluger Mann wie der Herr Gen-
Gutachten sagte: scher muß doch sicherlich das Richtige gelesen ha-
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 33. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Februar 1970 1573
Strauß
ben. Aber da hat man ihm einen falschen Zettel vor- fikation für diese Mission sage, noch eine relativ
gelegt. Ich hatte nicht mehr die Möglichkeit, alle harmlose Kennzeichnung.
Bundestagsprotokolle zu prüfen, um festzustellen, (Beifall bei der CDU/CSU. — Zuruf von der
in welcher Rede das war. Aber ich habe einmal dar- SPD: Das war aber schwach, Herr Strauß!)
über gesprochen. Ich habe gefragt: Was bedrückt
uns am meisten, das Fehlen der staatlichen Einheit — Na, wenn das schwach sein soll, dann glaube ich
oder das Fehlen an Freiheit? Uns bedrückt zunächst eher, daß der Verstand schwach ist, der 'das nicht
am meisten das Fehlen an Freiheit. begreift.

Wenn das Problem wäre: Sicherheit der Sowjet- (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU.)
union — man sagte doch immer: Das Potential der Noch ein Wort zu der Polemik und der Ausein-
Zone, der DDR, darf nicht der NATO zugute kom- andersetzung mit der Vergangenheit in der letzten
men, es darf keine Bundesrepublik mit NATO-Bin- Woche. Es ist ein hartes Wort gefallen; das gebe ich
dung entstehen und damit eine Vorverlegung der zu. Aber jetzt haben wir schon die Äußerung des
Militärgrenze nach dem Osten; das war doch das Herrn U Thant, daß der Abschluß des Vertrages
Anliegen vieler, die glaubten, es gehe um Sicher- über die Gaszentrifuge ein Verstoß gegen den
heit, weil sie die Frage der ideologischen Zusam- Atomsperrvertrag sei.
mengehörigkeit und ihre Bedeutung für die interne (Sehr wahr! bei der CDU/CSU.)
Konsistenz des Sowjetblocks nicht begriffen ha-
ben —, könnte man doch, so habe ich damals gesagt, Herr U Thant ist ja kein kommunistischer Agitator,
sich von unserer Seite zunächst durchaus einmal der den Vertrag mißgünstig auslegt, sondern immer-
mit der Forderung nach Freiheit begnügen, und wir hin ein Mann, unter dessen Segen dieser Vertrag
wären zunächst völlig zufrieden, wenn, bis die zustande gekommen ist. Wenn uns heute schon vor-
Schatten .der Vergangenheit in der Versenkung ver- geworfen wird, daß der Abschluß des Vertrages
schwunden sind, die Menschen im anderen Teil über die Gaszentrifuge, der in Ihre Regierungszeit
Deutschlands das Maß an bürgerlichen Rechten und fällt, sozusagen im Vorgriff ein Verstoß gegen den
Freiheiten und an innerer und äußerer Souveränität noch nicht ratifizierten Atomsperrvertrag bedeute,
hätten, was unser österreichisches Nachbarland auf- dann heißt das doch, daß dieser Vertrag wahrlich
zuweisen hat. ohne Klärung der essentiellen Probleme
(Beifall bei der CDU/CSU.) (Beifall bei der CDU/CSU)
Es bleibt mir schlechterdings unerfindlich, wie in der Hoffnung geschlossen worden ist, daß da-
man diese analysierende und auf Widerlegung fal- durch eine Atmosphäre eintreten werde, in der man
scher Argumente bedachte Rede dazu verwenden sich leichter über die Sachprobleme einigen könne,
kann, zu sagen, das Österreich-Modell für die DDR daß aber diese Hoffnung leider getrogen hat
wäre ja dann genau derselbe Bruch der Verfassung (Zustimmung bei der CDU/CSU)
gewesen wie heute die Anerkennung von zwei Staa-
und daß man hier etwas, worauf auch unsere öst-
ten und die völkerrechtliche Anerkennung der DDR.
lichen Gesprächspartner, vor allem in Moskau, einen
Das sind zwei ganz verschiedene Paar Schuhe, die
gewissen Wert legen, um der Atmosphäre und der -
man in keiner Weise miteinander vergleichen kann.
Klimapflege willen aus der Hand gegeben hat.
Das möchte ich gerade dem Herrn Verfassungs-
minister sagen. Jetzt kommt auch schon das Nächste. In dem
(Beifall bei der CDU/CSU.) Katalog der Einheitsforderungen, bei denen sich nur
die Reihenfolge je nach Partner ändert — aber so-
Herr Bundeskanzler, Sie werfen mir vor, ich hätte wohl Ost-Berlin wie Warschau wie Prag wie Buka-
Ihren Unterhändler in Moskau herabgesetzt. rest wie Sofia und wie Moskau haben genau den-
(Zuruf von der SPD: Ist doch wahr!) selben Katalog der fünf oder sechs Forderungen,
nur ,daß jeder die Erlaubnis hat, das, was ihn selbst
Ich glaube nicht, daß der Brief, aus dem ich jetzt betrifft, an erster Stelle zu nennen;
zwei Sätze zitieren will, durch Herrn Springer in
(Sehr wahr! bei der CDU/CSU)
den „Spiegel" gekommen ist. Ich habe ihn nämlich
im „Spiegel" gelesen. Da gibt es ja andere, unmittel- das nennt man dann die Dissonanzen in der Politik
bare Kanäle und Verbindungen. In einem Brief an des kommunistischen Blockes —,
Herrn Springer sagt Herr Bahr: Ich finde es unge- (Beifall und Zurufe bei der CDU/CSU)
heuerlich, mit welcher Heuchelei einige unserer
Leute Volksverdummung betreiben oder Haß säen, in diesem Katalog wird bereits die Forderung auf
deren Politik uns in 25 Jahren dahin gebracht hat, Ratifizierung des Atomsperrvertrages als eine un-
wo wir heute stehen. abdingbare Forderung für die Normalisierung der
Beziehungen erhoben. Hier wird also schon in die
(Hört! Hört! bei der CDU/CSU. — Beifall
souveränRchtdiHoeausngrif-
bei der SPD.)
fen und präjudiziert, daß wir die von Ihnen — auch
Wenn es sich Herr Bahr als Chefdiplomat erlaubt, von uns, von jedermann — gewünschte Normali-
die führenden politischen Kräfte, angefangen von sierung nur erreichen können, indem wir den Kata-
Adenauer bis in die Reihen der Fraktion hinein, mit log der Forderungen, darunter auch die nach der
diesen Ausdrücken zu bezeichnen, dann ist das, was Ratifizierung des Vertrages, für dessen Unterschrift
ich als Ausdruck meiner Meinung über seine Quali wir gar nichts bekommen haben, nun endlich erfül-
1574 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 33. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Februar 1970

Strauß
len. Das ist das, was ich, an einem Beispiel ,darge- unter Federführung der Sowjetunion zu geben. Sie
legt — es gäbe noch zwei oder drei mehr —, mit soll tauglich erscheinen, den politischen Besitzstand
einem „Ausverkauf" bezeichne. Man muß in diesem der Sowjetunion in Europa zu sichern, ein Plazet
Lande immer noch gewisse Dinge sagen dürfen, des Westens zur blockinternen Politik der Bre-
wenn man sie erstens für richtig hält und wenn schnew-Doktrin zu erreichen. — das ist doch der
zweitens die Umstände sehr dafür sprechen, .daß sie große Unterschied, ob man die Breschnew-Doktrin
auch so sind, wie man sie ausgedrückt hat. als ein Unrecht zur Kenntnis nimmt oder ob man
(Beifall bei der CDU/CSU.) sein in einem feierlich unterschriebenen, internatio-
nal sozusagen protokollierten Vertrag von uns aus
Ich darf Sie, Herr Bundeskanzler, daran erinnern, mit Zustimmung besiegelt; das ist der Unterschied,
daß nicht Sie persönlich — Sie gehörten damals dem der auch in der Frage der deutschen Teilung zu ver-
Hohen Hause nicht an —, aber einer Ihrer führenden zeichnen ist —, d. h. für die Sowjetunion, reale
Redner — nach meiner Erinnerung war es der Ab- Vorteile diner Zementierung des Status quo in
geordnete Dr. Arndt —damals, als es in der Frage Europa gegen nur atmosphärische Verbesserungen
der Pariser Verträge zu einem erregten Wortspiel einzutauschen.
zwischen ihm und ,den Abgeordneten auf den vor-
Lieber Herr Außenminister, wenn Sie meinen,
dersten Bänken kam, gesagt hat: Hier geht es um
daß die Sowjetunion ihre Bereitschaft zu einem Ab-
eine Straße, an deren Endstation der Krieg steht.
kommen schon dadurch beweist, daß Sie um Mitter-
Meine Damen und Herren, wenn jemand mit solchen
nacht in Moskau mit .einem, ich hoffe, einigermaßen
Ausdrücken um sich wirft, dann darf man doch wohl
anständigen Mitternachtsmahl bedacht worden sind
auch von unserer Seite angesichts dieser Vorgänge
die Frage .stellen, ob das ein Ausverkauf deutscher (Heiterkeit bei 'der CDU/CSU)
Interessen ist.
und daß Sie den Tee in Taschkent — —
(Beifall bei der CDU/CSU. — Zurufe von
(Abg. Wehner: Sie werden immer unver
der SPD.)
schämt! — Weitere Zurufe von der SPD.)
Erlauben Sie mir, einiges zur Analyse zu sagen.
— Ich zitiere ja nur, was ich in den Agenturmel-
Ich werde damit kein Kontrastprogramm zu Herrn
dungen als Äußerungen des Herrn Außenministers
Barzel liefern — wie manche vielleicht erhoffen oder
lang und breit gefunden habe, daß er als Indizien
erwarten —, sondern im Gegenteil das noch fundie-
das Mitternachtessen in Moskau und den Tee in
ran. Es erhebt sich einmal die Frage: Ist die Sowjet-
Taschkentrwä.I anhreStl
union vor dem Abschluß Ihrer Gespräche mit den
nicht so humorlos, Herr Kollege Wehner, daraus
USA — diese Helsinki-Gespräche sind ja unter-
hier noch ein großes Theater zu machen.
brochen worden — überhaupt an ernsthaften Ver-
handlungen mit Bonn interessiert? Trotz zähen Hin- (Beifall und Heiterkeit bei 'der CDU/CSU.)
schleichens der Gespräche von Helsinki veranstal-
Lange vor diesem Projekt einer neuen Friedens-
tet die Sowjetunion 'im Gegensatz zu sonst kein
linie legte die Sowjetunion den Anreiz dazu aus,
öffentliches Palaver um diese Gespräche, wie bei den
die Wirtschaftskraft der Bundesrepublik in das
Gesprächen mit uns, um damit Meinungen zu erzeu-
Spiel der atmosphärischen Verbesserungen einzu--
gen, Hoffnungen zu erwecken und 'dann bestimmte
beziehen. Heute ist man weit davon entfernt, noch
Resultate herbeizuführen. Hier findet kein Palaver
vom Einholen und Überholen des Westens zu spre-
statt. Der amerikanische Präsident Nixon setzt mit
chen. Die Sowjetunion und in ihrem westlichen
Recht Zweifel in die Friedfertigkeit der sowjeti-
Vorfeld das ganze COMECON sehen sich gezwun-
schen Außenpolitik und empfiehlt einen behutsa- gen, wirtschaftliche, wissenschaftliche und tech-
men Stil und ein besonnenes Tempo.
nische Zusammenarbeit mit dem westlichen Aus-
Zwei Projekte stehen für die Sowjetunion in Euro- land zu suchen. Wir bejahen — ich sage das, da-
pa an der Spitze. Das eine ist die europäische Sicher- mit gar kein Zweifel entsteht — diese Zusammen-
heitskonferenz und damit das Streben nach wirt- arbeit, alber nicht um den Preis der Aufgabe essen-
schaftlicher Kooperation. Der sowjetische Vorschlag tieller politischer Rechte und Forderungen.
zu einer europäischen Sicherheitskonferenz — milde
(Beifall bei der CDU/CSU.)
im Ton und unklar im Inhalt, psychopolitisch in der
Linie europäischer Sehnsucht nach Ausgleich der Der Druck scheint so zwangsvoll zu sein, daß eine
Gegensätze und der Friedensliebe — ist in der möglichst hautnahme Kooperation mit der kapita-
Öfentlichkswrugoazend,ßkiSt listischen Wirtschaft angestrebt wird, um Lieferun-
a priori nein sagen kann. gen, Inspirationen und Kredite zu erhalten. Dabei
blicken natürlich — das ist auch im Zeichen der
Aber zugleich zeigt sich der Vorschlag zugunsten Dissonanz im Ostblock zu sehen — die Verbünde-
der Sowjets geeignet, die in der Politik neuerdings ten Ulbrichts mit Neid auf die Vorteile, die er aus
beschworene Bedeutung der Atmosphäre schon seiner Rolle als Nichtausland im Handel mit uns
für eine Grundlage der Normalisierung des Ver- bezieht.
hältnisses anderer Staaten zur Sowjetunion zu hal-
ten. Das ist ein gefährlicher Trugschluß. Für die Bei den Wirtschaftsprojekten hat die Sowjetunion
Sowjetunion handelt es sich darum, den unter der nie einen Zweifel gelassen, daß es sich um Handel
Breschnew-Doktrin stehenden Staaten eine neue, und Wirtschaft und nicht um Politik handelt. Ich
ofefnsichtlich bindende außenpolitische Zielsetzung habe schon einmal in einer drastischen Formulie-
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 33. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Februar 1970 1575
Strauß
rung in diesem Hause und mehrmals im Rundfunk solle nicht immer von „ausloten" reden, man solle
und im Fernsehen gesagt, daß es keinen Preis gäbe, endlich einmal — „Butter bei die Fische tun", wür-
mit dem wir die Zustimmung der Sowjetunion zur den Sie sagen, Herr Wehner — Farbe bekennen,
deutschen Wiedervereinigung oder — vorerst würde ob man bereit ist, die Realitäten anzuerkennen; das
ich das noch verstehen - in der Weise erreichen, Gerede von „ausloten" und „sondieren" und „ex-
daß dafür die Zone den inneren und äußeren Sta- plorieren" habe überhaupt keinen Sinn mehr; die
tus Österreichs erhält. Wir könnten aus allen euro- Karten lägen ganz klar auf dem Tisch; entweder so
päischen und atlantischen Bindungen austreten. Wir oder so, das sei die einzige Alternative — —
könnten uns für hundert Jahre zur Neutralisierung (Abg. Wehner: Für die nächsten Wochen
und Entmilitarisierung verpflichten. Wir könnten haben die wieder Stoff, Herr Strauß!)
darüber hinaus noch das Thema der Wiedervereini-
gung für 25 Jahre nicht mehr in den Mund nehmen — Ja, ich weiß nicht, welche Rede Sie noch halten
und vielleicht 100 Milliarden DM Wiedergutma- wollen.
chungs-Investitionshilfe für die in Rußland ange-
Meine sehr verehrten Damen sund Herren, wie
richteten Schäden anbieten. Wenn wir das anbieten
das auch in befreundeten Kreisen des Auslandes
würden, was wäre dann die Antwort auf unsere
wirkt — ich kann es ,der Kürze der Zeit halber nicht
Gegenforderung, der Zone den österreichischen
vorlesen —, können Sie feststellen, wenn Sie bei-
Status zu geben? Die Antwort wäre — nicht daß ich
spielsweise den Artikel im „ Daily Telegraph" le-
eine solche Politik befürworten würde, weil sie eine
sen.
Politik zwischen allen Stühlen wäre; aber heute gibt
(Abg. Wehner: Lesen Sie doch ruhig wei
es so viele Denkmodelle bei den Beratungen, daß
ter! Das wäre so schön!)
man es ruhig einmal durchdenken kann —, daß die
Bundesrepublik gut beraten wäre, all diese Schritte — Ja , wissen Sie, Kollege Wehner, mit dem Spiel
zu unternehmen, damit man sich über ihren Vor- des hämischen Herabsetzens — —
schlag dann in besserer Atmosphäre unterhalten
(Abg. Wehner: Im Gegenteil! Ich bin be
kann.
gierig!)
(Beifall bei der CDU/CSU.)
Ich rede ernst und kritisiere und gebe auch meine
Die Regierung der Großen Koalition hatte auf
Meinung zu bestimmten Vorgängen und Personen.
diese Situation und diese Projekte mit der deut-
Aber ich würde mich nie dazu hinreißen lassen, Sie
schen Lage angemessenen Annährungsvorschlägen
etwa persönlich so verächtlich zu machen, Herr
und Annäherungswegen reagiert. Eine breite Mehr-
Wehner, als ob das, was Sie sagten, kein Gewicht
heit im Parlament trug diesen politischen Willen,
hätte. Ich bin sogar vom Gegenteil überzeugt, daß
dem als Mittel der deutschen Außenpolitik nur Ge-
spräche und Verhandlungen zur Verfügung standen das, was Sie sagen, auch neulich gesagt haben, mehr
und stehen, eine Mehrheit, die auch dem Zielpartner Gewicht hat als das, was in der Regierungserklärung
an Festlegungen und angeblich unwiderruflichen
Sowjetunion bedeutsam, kompetent und verläßlich
erscheinen mußte. Die Große Koalition hat die Prinzipien enthalten ist.
Politik der Entspannung aktiv fortgesetzt und er- (Beifall bei ,der CDU/CSU.)
-
weitert, hat aber — und das ist der Unterschied —
in der Durchführung gewisse Grenzen gezogen, klar Seit Mitte Dezember 1969, nach dem Moskauer
und deutlich. Gipfeltreffen und dem 12. Plenum ides ZK kann es
doch keine Illusionen mehr geben, was die Bundes-
Heute ist die Grenzlinie unklar, und daraus er- republ ik vom Osten zu erwarten hat. Es wird ihr
wächst die Chance für Moskau, seinen Spielraum doch überall und ständig die Pistole auf die Brust
zu immer maßloseren Forderungen auszuweiten, gesetzt mit der Frage: Wann endlich, wann endlich
und zwar Forderungen, die nicht nur der Bundes- werdet Ihr? Springt doch endlich ins Wasser! Dann
republik, sondern eines Tages auch dem ganzen kommt eine Reihe von Anerkennungen sogenannter
Westen ernsthafte Sorgen machen werden. Man hat Realitäten, bei denen die Erfüllung der einen sofort
alle Karten auf den Tisch gelegt — ich hoffe, man die Forderung einer neuen hervorruft. Das ist der
hat schon alle auf den Tisch gelegt; die anderen Katalog, wie er hier zusammengekommen ist. Da
glauben es allerdings nicht —, aber man hat damit hat man sich mit gewissen Vorleistungen, die ich
die politische und diplomatische Position der Bun- heute schon erwähnt habe — das eine ist die Unter-
desrepublik und der Bundesregierung nicht etwa schrift unter den Atomsperrvertrag, das andere ist
verbessert, Herr Außenminister, sondern man hat die Erklärung, man gehe von der Existenz zweier
sie gegenüber dem Ausgangspunkt der Großen deutscher Staaten aus, aber ohne völkerrechtliche
Koalition erheblich verschlechtert. Anerkennung; eine Sache, die ohnehin sehr schwie-
(Beifall bei der CDU/CSU.) rig zu unterscheiden ist, wie ich mich in der Zwi-
schenzeit eingehend von solchen, die vom Völker-
Man kann auch nicht erwarten, daß das alles so recht etwas verstehen, habe informieren lassen —,
nebensächliche Stimmen wären, wenn Herr Ho- hineinkatapultiert und kommt nunmehr sehr schwer
necker spricht, wenn Herr Spichalski spricht, wenn
da heraus.
der Sender 904 spricht. Das sind doch nicht freiheit-
liche Organe, in denen die vom Recht der Presse- Meine sehr verehrten Damen und Herren, die
freiheit Gebrauch machenden Redakteure ihre pri- Sowjetunion wollte ursprünglich mit ihrem Projekt
vate Meinung ausdrücken. Wenn der Sender 904 einer europäischen Sicherheitskonferenz ihre Ab-
vor wenigen Tagen hohnlächelnd erklärte, man sichten multilateral verwirklichen. Die westlichen
1576 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 33. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Februar 1970
Strauß
Reaktionen arisch gewisser NATO-Partner-Staaten fährt der Bundeskanzler hinter dem Ball her in die
auf den Propagandarummel, der die Völker West- Hauptstadt des anderen Teils Deutschlands.
europas wundergläubig und 'ungeduldig machen (Zurufe von den Regierungsparteien.)
sollte, bewirkten, daß sich die Sowjetunion ent-
schloß, auch bilaterale Verhandlungen, aber immer Wir haben eben andere Vorstellungen von Vorge-
auf der Grundlage ein und desselben Textes, in dem sprächen. Wir verstehen unter Vorgesprächen, daß
nur gewisse Sätze in der Reihenfolge ausgetauscht auf diplomatischem Wege die Möglichkeiten einer
werden, durchzuführen. Bilaterale Gespräche, Dia- sachlichen Einigung über bestimmte Sachprobleme,
loge in der Politik, setzen den erkundeten oder er- wie sie in der Regierungserklärung Kiesingers ein-
klärten Willen der Gesprächspartner voraus, sich, mal und sonst mehrmals aufzufinden sind, erkundet
von verschiedenen Ausgangspunkten ausgehend, und bei erfolgreichem Verlauf dann ein Treffen auf
schließlich doch mit einem gemeinsamen Verständ- dieser — nun, sagen wir einmal — hohen Ebene
nis der Probleme zu begegnen, um eine gemein- durchgeführt wird. Mit dieser Einschränkung bei der
same Plattform zu finden, die den Interessen beider „hohen Ebene" wollte ich nicht Ihre Funktion be-
Seiten entspricht. zweifeln, Herr Bundeskanzler, sondern die Funktion
des anderen, der zu diesem Gespräch weniger Legi-
Die sowjetische Seite ist bezüglich des Willens timation mitbringt als Sie.
dieser Bundesregierung im Bilde. Die Bundesregie-
rung kann bis jetzt nur darauf hinweisen, daß die Wenn die Vorgespräche aber zu keinem Erfolg
Sowjetunion deutsche Gesprächspartner mit außer- führen, dann wäre es besser, das Ganze nicht so in
gewöhnlichen Gesten, mit einer Atmosphäre ange- den von sämtlichen Fernsehstationen der Welt be-
nehmen Wohlwollens behandelt und damit Kontak- dachten großen Auftritt einmünden zu lassen, wo
interesse bekundet. Wenn es etwas anderes ist, dann die zwei sich die Hand geben, wo sie unter Umstän-
muß ich die Frage stellen: Wie soll man das aus- den noch eine Ehrenformation abschreiten und in der
legen, was in der letzten Ausgabe der „Welt der Welt kein Mensch mehr versteht, daß das keine
Arbeit" als Leitartikel steht, wo es heißt, daß Bahr völkerrechtliche Anerkennung ist.
und Gromyko bereits an der Ausarbeitung eines (Beifall bei der CDU/CSU.)
Textes arbeiten, unter dem die eine Seite die völ- Wir gehen sehr weit. Wir gehen weit über das
kerrechtliche Anerkennung versteht und die andere hinaus, was unter den früheren Umständen nach
Seite nicht? unserer Meinung richtig war, was aber nach den
(Hört! Hört! bei der CDU/CSU.) heutigen Umständen geboten ist. Wir sitzen ja nicht
Ich glaube nicht, daß sich ein solcher Text schon in fest, inflexibel und unelastisch auf gewissen Posi-
Ausarbeitung befindet. Oder sollte der Redakteur tionen, aber wenn man sich weiterentwickelt, heißt
der „Welt der Arbeit" bessere Informationen haben das noch nicht, daß man sich so weit weiterentwik-
kelt, daß man sich dabei zum Schluß selbst aufgibt.
als die Kollegen, die gestern Sonderinformationen
bekommen haben? Das ist das, was hier heute zur Diskussion steht.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, auch
(Abg. Rasner: Denkbar ist es!)
in der Sache Oder-Neiße-Linie — —

Genau vor diesem Spiel müssen wir warnen, daß


man glaubt, Formeln zu finden, unter denen der eine Vizepräsident Dr. Schmid: Gestatten Sie eine
das und der andere das Gegenteil verstehen kann. Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Schultz?
(Beifall bei der CDU/CSU.)
Strauß (CDU/CSU) : Bitte sehr!
Das ist genau dasselbe, wie auch beim Atomsperr-
vertrag argumentiert wurde, es wäre gut, wenn die
Gegensätzlichkeiten in der Interpretation nicht Schultz (Gau-Bischofsheim) (FDP) : Herr Kollege
durch Klärung offenkundig würden, es wäre besser, Dr. Strauß, verstehe ich Sie richtig, daß Sie meinen,
es sollten vor einem Treffen von Bundeskanzler
die Dinge in dubio zu lassen. Von dieser Politik, die
in Lebensfragen nicht die letzte Klärung herbeiführt Brandt mit Herrn Stoph diplomatische Beziehungen
und glaubt, sich mit dem sanften Öl doppeldeutiger aufgenommen werden, damit die Dinge ausgelotet
Formulierungen einreiben zu können, um damit werden können?
leichter durchzukommen, halten wir gar nichts. (Abg. Dr. Giulini: Hinhören! — Lachen und
weitere Zurufe von der CDU/CSU.)
(Beifall bei der CDU/CSU.)
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wie Strauß (CDU/CSU) : Ich glaube, Herr Kollege
heute der Ball zwischen Moskau und Ost-Berlin hin Schultz, Sie sind schon so mit der Vorbereitung auf
und her gespielt wird, das ist nun wirklich unschwer Ihr neues Amt beschäftigt, daß Ihnen völlig ent-
zu erkennen. Bonn spielt auf Ost-Berlin zu, Bonn gangen ist, daß Bundeskanzler Kiesinger damals
spielt auf Warschau zu, Bonn spielt gleichzeitig in Staatssekretär Carstens, einen Berufsdiplomaten, für
Moskau. Ost-Berlin spielt unter Hinweis auf die diese Vorverhandlungen zum Zwecke der lautlosen
Priorität der Sowjetunion nach Moskau zu, Bonn Sondierung angeboten hat und daß die Bundesre-
schickt dann einen Emissär nach Moskau, und wäh- gierung ebenfalls einen Berufsdiplomaten, Ministe-
rend der glaubt, dort noch am Ball zu sein, ist der rialdirektor Sahm, jetzt für vorbereitende Ge-
Ball schon an Ulbricht zurückgespielt. Der läßt ihn spräche schickt. Wo ist denn jemals gesagt worden,
von Stoph wieder nach Bonn zurückrollen, und nun daß solche vorbereitenden Gespräche eines vor-
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 33. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Februar 1970 1577
Strauß
hergehenden Aktes der diplomatischen Anerken- Wir können schon deshalb keine Ratschläge im
nung bedürfen? Da haben Sie doch ein Eigentor von einzelnen geben, weil sich die Ausgangslage gegen-
beachtlichen Ausmaßen geschossen! über damals so verändert hat, daß sie wesentlich
ungünstiger ist, da wir uns bereits in Etappen vor-
(Beifall bei der CDU/CSU.) gewagt haben, aus denen wir entweder ohne Ge-
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich sichtsverlust kaum mehr zurückkommen oder in
brauche jetzt zur Oder-Neiße-Grenze nicht auf das denen wir Rechte aufgeben müssen, die aufzugeben
zu verweisen, was Sie, Herr Bundeskanzler, gesagt wir seinerzeit feierlich als unmöglich erklärt haben.
und geschrieben haben. Auch das, was Kollege Das ist die Schwierigkeit dieser Politik, und darum
Erler noch im Jahre 1965 in seinem bei Seewald können Sie auch von uns keine Ratschläge dieser Art
erschienenen Buch gesagt hat, möchte ich jetzt gar bekommen oder die Antwort auf die berühmte
nicht wiederholen. Aber ich möchte eine Stimme Frage: Was ist denn die Gegenkonzeption? Die
zitieren, di e sicherlich nicht ohne Billigung und In- Gegenkonzeption kann nicht eine Frage von weni-
spiration der polnischen Regierung dies formuliert gen Monaten oder Jahren sein. Die Gegenkonzep-
hat, die des Herrn Raykowski, der im Januar 1970 tion ist ,aufgebaut worden durch Adenauer mit der
in „Polityka" nach seiner Rückkehr aus der Bundes- westlichen Absicherung, die Sie damals verhindern
republik schreibt, die SPD-FDP-Koalition sei der wollten, die aber heute von Ihnen mit Stolz als der
Auffassung, für Polen sei aus nationalen und psy- Rückhalt dieser Ihrer neuen Ostpolitik in Anspruch
chologischen Gründen die Frage der Oder-Neiße- genommen wird.
Grenze am wichtigsten. Er fährt fort: (Beifall bei der CDU/CSU.)
Ich antwortete, daß dies nicht ganz so ,ist. An Die Gegenkonzeption ist durch Erhard fortgesetzt
die Frage der Anerkennung der Oder-Neiße- worden, unter anderem mit der Friedensnote und
Grenze ,durch die Bundesrepublik gehen wir dem Gewaltverzichtsangebot. Die Gegenkonzeption
nicht nur vom polnischen Standpunkt heran. ist weiter fortgesetzt worden durch Bundeskanzler
Unsere Westgrenze wird von der DDR als end- Kiesinger mit seinem völlig in der Entwicklung der
gültige polnisch-deutsche Grenze anerkannt. DingeldWa rAuslegnd-
Ihre Sicherheit garantiert unser großer Ver- wendung dieser sogenannten Doktrin, die es ja in
bündeter, die Sowjetunion. Für uns bedeutet der Form gar nicht gibt — siehe diplomatische Be-
die Anerkennung der Grenze durch die Bundes- ziehungen mit Rumänien, diplomatische Beziehun-
republik, daß in diesem Staate gen mit Jugoslawien. Damit kein Zweifel entsteht:
— hier in der Bundesrepublik Ich habe im Kabinett beidem zugestimmt und nicht
etwa 'dagegen Warnungen erhoben. In der Sache der
jene Kräftestärker werden, die endlich nach
Handelsmio rTchslwakeiät
20 Jahren die Situation in Europa realistisch man vielleicht ein bißchen mehr herausholen kön-
einzuschätzen beginnen.
nen, hätte sich vor allen Dingen nicht nur auf die
Das heißt, man legt weder aus ,atmosphärischen unklare Terminologie „Deutsche Bundesrepublik"
noch aus psychologischen Gründen Wert , auf die usw. festlegen sollen.
Anerkennung der Oder-Neiße-Linie, sondern be- Wir haben diese Politik weiterentwickelt, haben
trachtet diese Anerkennung als einen Teilakt der allerdings nie den Boden unter den Füßen verloren.
Unterwerfung unter das kaudinische Joch des For- Jetzt sind im Inland Hoffnungen erweckt worden,
derungskatalogs und nicht etwa als eine politische und Sie stehen unter Zeitdruck und unter Erfolgs-
Lösung. zwang. Deshalb muß auch manches als Erfolg aus-
(Beifall bei der CDU/CSU.) gegeben werden, was kaum als atmosphärische
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nun Verbesserung erwähnenswert ist, wenn man an die
ist ja die Frage nach der Rolle der Opposition ge- Substanz der Dinge herangeht, um die es hier geht.
stellt worden. Die Opposition kann ,sich angesichts (Beifall bei 'der CDU/CSU.)
der Ostpolitik der gegenwärtigen Bundesregierung
drei Methoden aussuchen. Sie könnte die Regie- Stehen Sie noch, Herr Bundeskanzler, zu dem,
rung auffordern, noch mehr in der Richtung zu tun, was Sie seinerzeit am 13. Dezember 1967 als Außen-
so wie es früher die FDP als Opposition getan hat. minister erklärt haben:
Das kommt für uns natürlich nicht in Betracht. Wir „Sinn und Zweck eines Gewaltverzichts ist es,
könnten die Regierung ständig loben und ihr unser strittige Fragen, für die die Möglichkeit eines
uneingeschränktes Vertrauen bekunden. Das ist gewaltsamen Lösungsversuchs besteht oder be-
schon mit der Funktion der Opposition kaum ver- fürchtet wird, in bindender Form endgültig auf
einbar, und dafür haben wir in dem Falle noch we- den Weg einer Lösung mit ausschließlich fried-
niger Grund als sonst. Ich verweise hier auch dar- lichen Mitteln zu verweisen, nicht jedoch die
auf, was Kollege Erler eines Tages gesagt hat, strittigen Fragen zu präjudizieren."
auch wenn man es nicht gerne hört. Er sagte sinn-
gemäß: Es ist nicht unsere Aufgabe, der Regierung (Abg. Dr. Stoltenberg: Sehr wahr!)
Ratschläge zu geben. Es ist unsere Aufgabe, der Das ist der große Dissens oder die große Unklarheit.
Regierung auf die Finger zu sehen, sie zu kontrol-
lieren und zu kritisieren. Ich wiederhole unsere Bereitschaft — ich darf hier
wohl für die gesamte CDU/CSU sprechen —, ein
(Sehr gut! bei der CDU/CSU.) Gewaltverzichtsabkommen auszuhandeln, das dem
1578 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 33. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Februar 1970
Strauß
Inhalt nach das zum Ausdruck bringt, was Gewalt- Lösungen, und er wolle von dieser Regierung hören,
verzicht bedeutet, nämlich: auf die Anwendung oder wo sie ihre Lösungen ansetzen möchte. Herr Barzel,
Androhung physischer Gewalt für die Austragung ich teile Ihre Meinung: wir brauchen nicht Formeln,
von Meinungsverschiedenheiten oder für die Durch sondern wir brauchen Lösungen. Ich bin aber auch
etzung politischer Ziele zu verzichten, aber nicht der Meinung, daß sich diese Regierung genau auf
auf die Verfolgung dieser Ziele mit politischen, d. h. den Weg begeben hat, auf dem sich mindestens
friedlichen Mitteln ebenfalls zu verzichten. herausstellen wird, ob Lösungen möglich sind. Es
(Beifall bei der CDU/CSU.) ist ein Weg, von dem ich sehr hoffe, daß er an
einigen entscheidenden Punkten zu Lösungen führt.
Das ist die Frage, Herr Bundeskanzler, in der Sie
hier — wenn Sie es jetzt nicht können, dann mög- Lassen Sie mich das noch einmal ganz knapp
lichst bald — Farbe bekennen sollten. Sie haben uns skizzieren, um auch den Zusammenhang der Lö-
auf Ihrer Seite, wenn es um das Nein zur physischen sungsmöglichkeiten deutlich zu machen, wie er sich
Gewalt und zur Androhung der physischen Gewalt uns in den Koalitionsfraktionen und in der Bundes-
geht. Sie haben uns nicht auf Ihrer Seite, wenn Sie regierung darstellt. Der erste Schritt der Bundesre-
gierung war ein Schritt der Konsolidierung der be-
die sowjetische Interpretation, die offensichtlich in
stehenden Bündnisse. Ich glaube, daß das immer
Moskau auf den Tisch gelegt worden ist, als disku-
tabel betrachten, daß wir auf 'die Verfolgung der wieder betont werden muß, weil das ein notwen-
diger Ausgangspunkt und der minimale Endpunkt
Ziele, d. h. auf Wiedervereinigung mit friedlichen
dessen ist, was wir im übrigen in unserer Politik
Mitteln, verzichten. Denn damit würden wir nach
unternommen haben. Konsolidierung der Bündnisse
Abschluß eines solchen Gewaltverzichtabkommens
hieß in erster Linie Konsolidierung der westeuro-
eine unerschöpfliche Serie von Interventionsmöglich-
päischen Bündnisse und Konsolidierung im Bereich
keiten und Eingreifmöglichkeiten überhaupt erst
des Nordatlantischen Verteidigungspaktes.
heraufbeschwören, und wir würden uns selber des
primitivsten und einfachsten Rechts berauben, das (Abg. Dr. Stoltenberg: Davon kann doch
jede Nation für sich beanspruchen darf: für ihre Frei- keine Rede sein, Herr Dahrendorf!)
heit und für ihre Einheit ohne Gewalt kämpfen zu Diese Konsolidierung ist keineswegs abgeschlossen.
dürfen. — Ich komme gleich darauf. — Es gibt noch eine
(Anhaltender lebhafter Beifall bei der CDU/ ganze Reihe von Dingen zu tun, Dinge, bei denen
CSU.) aber die Haltung dieser Bundesregierung keinen
Augenblick in Zweifel gezogen werden kann. Wir
wünschen eine erweiterte Europäische Gemeinschaft,
Vizepräsident Dr. Schmid: Das Wort hat der
die in ihrer Erweiterung nicht nur neue Länder,
Abgeordnete Professor Dahrendorf; seine Fraktion
sondern auch neue Aufgaben umfaßt und die durch
hat für ihn eine Verlängerung der Redezeit auf 30
Minuten beantragt. diese Erweiterung selbst eine Stärkung unserer po-
litischen Position bedeutet. Wir wünschen auch ein
wirksames Sicherheitssystem, wobei „wirksam"
Dr. Dahrendorf (FDP) : Herr Präsident! Meine nicht immer in der Zahl der in den verschiedenen
Damen und Herren! Zum Unterschied von meinem -s
Bereichen Europas stehenden Divisionen oder in der
Herrn Vorredner brauche ich nicht mit einem Kata- Menge der dort vorhandenen Waffen ausgedrückt
log von mehr oder minder erheblichen Richtigstel- werden muß.
lungen früherer Äußerungen von mir zu beginnen,
sondern kann gleich zur Sache kommen. Herr Barzel hat die Frage gestellt, wie wir den
Zusammenhang zwischen der in den Vereinigten
(Beifall bei den Regierungsparteien. — Staaten offenkundig wachsenden Abneigung gegen
Lachen und Zurufe von der CDU/CSU. — ein Engagement außerhalb der USA und unseren
Abg. Schulhoff: Das ist kein Verdienst! — eigenen Entspannungsbemühungen beurteilten. Herr
Abg. Frau Griesinger: Das kann auch ein Kollege Barzel, wenn ich es richtig sehe, liegt der
Nachteil sein!) Zusammenhang doch darin, daß diese Art von Mehr-
Herr Barzel. hat vorhin eine Reihe von Fragen heit oder diese Art von wachsender Stimmung in
gestellt, die nach meiner Meinung eine Antwort den USA seit Jahren spürbar ist. In gewisser Weise
verdienen. Herr Strauß hat eine ganze Reihe von sind unsere Entspannungsbemühungen auch eine
„Gewißheiten" vorgetragen, die, wenn sie so stimm- Antwort auf internationale Entwicklungen, die zu
ten, jedenfalls gegen die These sprächen, daß die einem geringeren Engagement insbesondere der
Opposition nicht informiert worden ist. Denn, Herr Vereinigten Staaten in der Welt führen könnten.
Strauß, wenn ich Sie richtig verstanden habe, wis- Das heißt, in gewisser Weise sind unsere Entspan-
sen Sie sogar unvergleichlich viel mehr, als der nungsbemühungen ein Versuch, genau das zu tun,
Regierung bekannt ist, über sowjetische Motive, was Präsident Nixon an vielen Stellen angedeutet
über das politische Handeln in der Welt und in den hat, nämlich in einer neuartigen weltpolitischen
verschiedenen Ländern. Situation europäische Lösungen z u finden, bei denen
wir selber treibende Kraft sind. Ich würde den Zu-
(Zurufe von der CDU/CSU.) sammenhang so sehen, ohne damit, um das ganz
Vielleicht ist es nützlich, durch die Beantwortung deutlich zu sagen, in irgendeiner Form den Wunsch
der Fragen von Herrn Barzel die „Gewißheiten" zu verbinden, daß diese Neigung in Iden Vereinigten
von Herrn Strauß ein bißchen zu relativieren. Herr Staaten, sich weniger zu engagieren, fortschreiten
Barzel hat gesagt, er wolle nicht Formeln, sondern möge. Im Gegenteil! Wir werden immer wieder,
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 33. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Februar 1970 1579
Dr. Dahrendorf
und zwar auch durch unser Handeln, deutlich ma- es keine Beweise gibt; wir sind nur bereit, uns in
chen, daß wir ein solches amerikanisches Engage- Möglichketnzuäßr.
ment wünschen. — Ich komme gleich noch zum
(Beifall bei der CDU/CSU.)
Thema der europäischen Sicherheitskonferenz in
eben diesem Zusammenhang. Jetzt lassen Sie mich .ein Wort zu der Frage un-
serer Verhandlungen mit Polen sagen und damit
Der zweite Schritt — nach der Konsolidierung — unterstreichen — hier sage ich meine persönliche
war ein Schnitt, der uns in bilaterale Verhandlungen Meinung —, daß die Verhandlungen, die wir in
oder Gespräche, zum Teil auch Vorgespräche, an Moskauführen,tUmädianer
einer Reihe von Stellen geführt hat. Nun weiß diese Charakter haben als die, die wir in Warschau füh-
Bundesregierung genau, daß diese, bilateralen Ver- ren.
handlungen bis zu einem gewissen Grad schein- (Zustimmung bei der CDU/CSU.)
bilateral sind. Das heißt, wir wissen ganz genau,
daß es Konsultationen nicht nur auf unserer Seite Sicher ist es richtig. Herr Strauß, daß von Polen aus
mit unseren Bündnispartnern, sondern selbstver- gesehen an der Endgültigkeit der polnischen West-
ständlich auch auf der anderen Seite gibt. Dennoch grenze kein Zweifel besteht; von Polen heute aus
meine ich, daß die Art der Probleme, die sich in den gesehen. Ebenso list aber richtig, daß für die polni-
bilateralen Verhandlungen stellen, verschieden ist, schen Gesprächspartner die Frage, wie sich die Bun-
was unsere Verhandlungen mit Moskau betrifft, desrepublik zu dieser unrechtmäßig zustande ge-
einerseits, was unsere Verhandlungen mit Warschau kommenen Grenze stellt, von ausschlaggebender
betrifft, andererseits, ganz zu schweigen von der Bedeutung ist. Ich selber hätte den Wunsch, daß
völlig andersartigen Problematik im Bereich der wir durch Diskussionen in diesem Hause und in sei-
innerdeutschen Beziehungen. nen Ausschüssen, durch Diskussionen auch in unse-
rer Öffentlichkeit den Sinn dafür wecken könnten,
Wir haben Grund zu der Annahme, daß die So- daß im Hinblick auf unsere Gespräche mit Polen
wejtunion mindestens in den letzten sechs Monaten eine Friedensregelung gesucht werden sollte, die in
deutliche Gesten gezeigt hat, die als Verhandlungs- stärkerem Maße endgültigen Charakter hat als die
bereitschaft und Bereitschaft zum erfolgreichen Ab- derAbmachunge,diwrzsmZtpunki
schluß von Verhandlungen gedeutet werden können. Sowjetunirfkö.
Wir wissen noch nicht, ob diese Annahme wirklich
richtig ist, und es bleibt ein Sinn der Verhandlungen Ich möchte dem etwas hinzufügen — was ich
oder Gespräche, die wir führen, festzustellen, ob es ebenfalls ausdrücklich als meine persönliche Mei-
sich hier um Änderungen in der Substanz oder nur nung kennzeichne —: ich bin allerdings auch der
um Änderungen im Stil handelt. Es bleibt festzu- Meinung, daß eine solche endgültige Friedensrege-
stellen, ob die Ziele, die wir verfolgen, in diesem lung nur dann verantwortbar und vertretbar ist,
Bereich der Verhandlungen und Gespräche auch nur wenn sie die Zustimmung der großen Mehrheit der
ein bißchen vorangetrieben werden können oder ob Bevölkerung unsere Landes findet.
sich in der Tat der Verdacht derer bestätigt, die
vermuten, daß das gar nicht geht. (Beifall bei der CDU/CSU.)
Ich selber möchte meinen, aber natürlich auch hof- Ich habe daher oft — ich sage das als eine Art
fen, das es gelingen sollte, zwischen dem Status quo, Richtigstellung zu manchen Behauptungen, die da
den auch ich als verkrustet und verstaubt und men- aufgestellt worden sind — vor und nach der Bun-
schenrechtswidrig bezeichnen würde, und einer ein destagswahl gesagt, ich würde es für richtig halten,
für allemal endgültigen Regelung in der Form von daß in einer solchen Frage das ganze Volk entschei-
Gewaltverzichtsabkommen mit der Sowjetunion in den kann — was, wie ich weiß, nach der gegenwär-
absehbarer Zeit zu einem Ergebnis zu kommen, das tigen Verfassungslage nicht möglich ist —; denn
ich als Ansatzpunkt für .europäische Regelungen in nur wenn eine solche Entscheidung möglich ist,
einem umfassenderen Sinn des Begriffs Europa be-
kanmvoeirRglunspch,dieaf
trachte. Das und nicht mehr ist die Hoffnung,
Dauer verläßlich ist und die den politischen Spiel-
(Abg. Dr. Barzel: Sehr gut!) raum schafft, den wir suchen.
ich betone noch einmal: eine Hoffnung, deren Er- Ein Wort muß zu Berlin gesagt werden. Ich
folgsaussicht mit Sicherheit einzuschätzen zu diesem meine, daß sich an der Frage der Haltung zur Stel-
Zeitpunkt nicht möglich ist.
lung Berlins entscheiden wird, ob eine ernsthafte
(Abg. Dr. Barzel: Das ist die Sprache, die Bereitschaft zu wechselseitig sinnvollen Abmachun-
wir gern von der Regierung gehört hätten! gen auch im Osten vorhanden ist oder nicht. Ich
— Abg. Dr. Stoltenberg: Herr Wehner würde daher sagen: wir alle tun gut daran, die Ver-
weiß das aber ganz anders! — Abg. Dr. handlungen rings um die Berlin-Frage mit großer
Barzel: Aber Wehner sagt: Die scheitern Aufmerksamkeit zu beobachten. Damit will ich sa-
nicht!) gen, daß für uns auch die Verhandlungen, die die
— Auch Herr Wehner hat damit seiner Hoffnung Alliierten — hoffentlich bald — mit den Sowjets
Ausdruck geben wollen. Es gibt in diesem Bereich aufnehmen werden, im Hinblick auf die Verbesse-
keine Gewißheiten, und wir jedenfalls sind nicht rung der Lage Berlins von entscheidender Bedeu-
bereit, uns hier in Gewißheiten zu äußern, für die tung sind im Zusammenhang des Gesamtkomplexes
1580 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 33. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Februar 1970
Dr. Dahrendorf
der Verhandlungen, die gegenwärtig geführt wer- renz der Blöcke sein sollte, die Ziele deutscher aus-
den. wärtiger Politik in einer Weise sichtbar gemacht
(Abg. Dr. h. c. Kiesinger: Sehr richtig!) werden kann, die uns allen nachher zum Nutzen
gereicht.
Der Herr Bundeskanzler fährt nach Ost-Berlin,
weil er, wie sein Vorgänger, mit Recht gesagt hat, (Abg. Dr. h. c. Kiesinger: Darüber läßt sich
er sei bereit, an jedem Ort mit den Herren der DDR reden!)
zu sprechen. Es sollte aber ganz klargelegt werden Herr Präsident, meine Damen und Herren, ich
und es sollte uns allen daran liegen, dies hier ganz teile die Auffassung, daß wir verschiedene Wege zu
klarzulegen, daß weder diese Reise nach Ost-Berlin gemeinsamen Zielen suchen. _Ich unterschätze, so
noch die Gespräche, die in West-Berlin von den hoffe ich, keine Minute das Gebot, das durch die
Alliierten geführt werden, irgend etwas an unserer Präambel des Grundgesetzes gegeben ist. Ich möchte
Auffassung ändern, daß West-Berlin in seinen Bin- dennoch — auch im Hinblick auf die hier auftau-
dungen zur Bundesrepublik gestärkt werden muß chende Frage unseres Verhaltens zur DDR — eine
und nicht geschwächt werden darf, These formulieren, die mir für die gesamten zukünf-
(Sehr gut! bei der CDU/CSU) tigen Verhandlungen wichtig zu sein scheint. Wenn
und lassen Sie mich noch weiter gehen: daß Berlin ich es richtig sehe, ist es Zeit, daß wirr im Hinblick
nicht die Hauptstadt der DDR ist. auf unser Verhalten gegenüber der DDR — das gilt
sowohl für das direkte Verhalten als auch für das
(Lebhafter Beifall bei der 'CDU/CSU. — Bei indirekte Verhalten draußen in der übrigen Welt —
fall bei der FDP und vereinzelt' bei der SPD. aus einem Schattenboxen mit Phänomenen heraus-
— Abg. Dr. Barzel: Kein Beifall bei der kommen und in eine vielleicht neuartige, vielleicht
SPD! Für's Protokoll!) anstrengende, aber dringend notwendige, ja über-
— Der Beifall der Opposition wird mir wahrschein- fällige Haltung hineinkommen. Ich meine, wir soll-
lich nicht bis zum Schluß erhalten bleiben. ten unser eigenes Tun als den Anfang des Versuchs
einer aktiven Konkurrenz zwischen diesen beiden
(Abg. Dr. Barzel: Das ist auch nicht die deutschen Staaten, die nicht durch unseren Willen
Absicht, Herr Kollege! — Abg. Rasner: Die entstanden sind, empfinden. Wir sollten unser Tun
SPD hat nicht geklatscht!) als Anfang 'des Versuches empfinden, bei voller
Im übrigen bin ich aber der Meinung, daß die poli- Vergegenwärtigung der tieigehenden Unterschiede
tische Diskussion in , diesem Hause mit Argumenten in den inneren Ordnungen dennoch in der direkten
und unter Umstanden auch einmal quer durch die Auseinandersetzung und an dritter Stelle sichtbar
Fronten geführt werden sollte. zu machen, was wir in der Bundesrepublik an inne-
(Beifall bei , der CDU/CSU.) ren Entwicklungen erlebt haben und zu bieten ha-
ben, was unsere Interessen sind und was an Energie
Auf die Phase der Konsolidierung ist die Phase hinter diesen Interessen in diesem Lande und in
der bilateralen Gespräche und Verhandlungen ge- diesem Volke steht. Eine solche Politik der aktiven
folgt. Ich selber sehe — ich glaube, daß das für viele Konkurrenz setzt unter Umständen voraus, daß eine
von uns gilt — hinter dieser Phase bilateraler Ge- Reihe von Orten gefunden wird, an denen diese-
spräche und Verhandlungen die mir sehr wichtig er- aktive Konkurrenz nach außen sichtbar wird. Die
scheinende Möglichkeit multilateraler Gespräche, an Politik des Verschweigens des anderen hilft uns
denen sowohl die Länder des Ostens als auch die nicht mehr weiter.
Länder des Westens, selbstverständlich unter Ein-
schluß der Vereinigten Staaten, beteiligt sind. Ich bin der Auffassung, daß eine solche aktive
Konkurrenz auch im Rahmen von internationalen
Herr Strauß hat zum wiederholten Male darauf Organisationen sichtbar werden kann. Ich denke,
hingewiesen, daß die bisherigen Vorschläge der daß diese Formulierung in gewisser Weise auch
Mächte des Warschauer Paktes und insonderheit der eine Antwort auf manche Fragen ist, die von der
Sowjetunion für die Tagesordnung einer Europä- Opposition gestellt worden sind. Es ist kein Ver-
ischen Sicherheitskonferenz unklar und undeutlich schenken, wenn man in der direkten friedlichen
sind. Diese Feststellung ist bis zu einem gewissen Auseinandersetzung der Systeme der Welt deutlich
Grade richtig. Man kann auf diese Feststellung aber macht, wo unsere Stärke liegt, und zugleich die
in sehr verschiedener Weise reagieren. Ich würde Voraussetzungen dafür schafft, im Zuge der Aus-
darauf so reagieren, daß ich sage: Hier liegt eine einandersetzung manches abzubauen, was nur er-
Aufforderung zu einer Aktivität, die wir entfalten höht und gesteigert wird, wenn man die Auseinan-
können, weil die Vorschläge bisher noch ungenau dersetzung scheut.
und undeutlich sind.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD.) Die Bundesrepublik ist stark. Warum machen wir
das nicht sichtbar? Wir sind viel zu stark, als daß
Weil bisher nicht festgelegt ist, wie die Tagesord-
wir uns den läppischen Rückzug auf jene Formeln
nung einer solchen Konferenz aussehen wird und
leisten könnten, in denen immer wieder vom Aus-
was dort diskutiert werden kann, können wir, viel
verkauf und Verschenken die Rede ist.
leicht sogar maßgeblich, mit entscheiden, was auf
einer solchen Konferenz diskutiert wird. Ich würde (Beifall bei den Regierungsparteien.)
es für möglich halten, daß auf einer solchen Konfe-
renz, bei der wir im Kreise unserer Verbündeten Gehen wir also hinein in die internationale Aus-
sitzen, die aber nichtsdestoweniger keine Konfe einandersetzung! Gehen wir hinein in die direkte
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 33. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Februar 1970 1581
Dr. Dahrendorf
innernationale Auseinandersetzung! Scheuen wir sie kann, weil man die innenpolitischen und parlamen-
nicht mehr! tarischen Voraussetzungen für Möglichkeiten ver-
säumt hat? Dies war meine Aussage. Ich bitte, sie
Herr Strauß hat gesagt — damit komme ich zum
nicht anders zu interpretieren.
Schluß —, daß er ein Gegner der Lösung politischer
Fragen durch Gerichte ist. Ich teile diese Meinung.
Ich möchte das, was in dieser Meinung steckt, auch Wischnewski (SPD) : Ich muß mich an die For-
auf unsere auswärtigen Beziehungen übertragen. mel halten, die Sie vorhin hier gebraucht haben,
Jawohl, es gibt Rechtsansprüche und Rechtsstand- und ich bleibe dabei, daß Sie in bezug auf die Pro-
punkte, und es gibt nicht .den geringsten Grund, von bleme, die ich genannt habe, von Versäumnissen
diesen Rechtsansprüchen und Rechtsstandpunkten gesprochen haben.
abzugehen. Aber Rechtsansprüche und Rechtsstand- Eine zweite Frage möchte ich hier noch zu Beginn
punkte sind auch nicht mehr als die Basis oder der aufwerfen. Wohl noch niemals ist eine Opposition
Rahmen unserer Politik, d. h. das Ständig-sich-auf- über entscheidende vertrauliche politische Vorgänge
die-Rechte-Beziehen entlastet uns nicht von der Auf- in so hervorragender Weise informiert worden, wie
gabe, in unserem politischen Handeln — darf ich es es seit Bestehen dieser Regierung der Fall ist.
einmal so ausdrücken; ich hoffe, ich werde nicht
mißverstanden — offensiver zu werden, lebendiger, (Beifall bei den Regierungsparteien. —
offener eigene Initiativen zu entfalten. Widerspruch und Lachen bei der CDU/CSU.)

(Beifall bei den Regierungsparteien.) — Ich könnte Ihnen an praktischen Beispielen klar-
machen, daß Sie zu der Zeit, als Sie Regierungspar-
Auf der Grundlage unserer Rechte, auf der sicheren tei waren, über manche politische Vorgänge nicht
Grundlage unserer Rechtsansprüche also werden wir so informiert waren, wie es heute der Fall ist.
eine Politik betreiben, die dahin führt, daß sich der
ganzen Welt dieses Deutschland, zunächst gespalten (Lachen und Widerspruch bei der CDU/CSU.)
und in vieler Hinsicht widersprüchlich, doch als ein Nun möchte ich einige Bemerkungen zu dem ma-
Land darstellt, in dem die Auseinandersetzungen chen, was Herr Kollege Strauß gesagt hat. Herrn
ausgetragen werden, die viele beschäftigen, in dem Kollegen Strauß kennen wir mit drei Gesichtern.
Interesse eines Beitrages zu einer europäischen (Zuruf des Abg. Strauß.)
Friedensordnung.
Da gibt es einmal das Gesicht von Vilshofen. Das
(Beifall bei den Regierungsparteien und bei hat er heute zu verhüllen sich bemüht. Dann gibt es
Abgeordneten der CDU/CSU.) das Gesicht hier im, Deutschen Bundestag. Das be-
müht er sich in Vilshofen zu verhüllen. Und dann
Vizepräsident Dr. Schmid: Das Wort hat der gibt es allerdings auch noch das Gesicht desjenigen,
Abgeordnete Wischnewski. Seine Fraktion hat für der ernsthaft politische Überlegungen anstellt: da
ihn eine Redezeit von 30 Minuten angegeben. habe ich den Eindruck, da hat er sich in der letzten
Zeit bemüht, das in Vilshofen und hier im Deutschen
Wischnewski (SPD) : Herr Präsident! Meine sehr Bundestag zu verhüllen.
verehrten Damen und Herren! In dieser Debatte des (Beifall bei den Regierungsparteien.)
Deutschen Bundestages war heute vormittag von
Versäumnissen dieser Bundesregierung die Rede. Herr Kollege Strauß, Sie haben sich erfreulicher-
Der Vorwurf der Versäumnisse bezog sich auf die weise in Ihren verschiedenen politischen Funktionen
Fragen der Öffnung der Grenzen, der Rüstungsbe- mehr als einmal mit der Deutschlandpolitik be-
grenzung, von mehr Menschlichkeit und auf andere schäftigt, und Sie sind ja auch heute darauf zu spre-
Fragen. chen gekommen. Ich habe aber den Eindruck, daß
ein paar Formulierungen, vor allen Dingen ein paar
Diese Bundesregierung ist hundertdreißig Tage im
Formulierungen, die Sie sehr ernstlich niederge-
Amt. Der Redner, der diese Vorwürfe erhoben hat, schrieben, nicht nur in Interviews wiedergegeben
gehört der Partei an, die 7300 Tage die politische haben, sondern in Büchern oder in Vorträgen im
Verantwortung getragen hat. Wer unter diesen Ge- Ausland, bei Ihnen in Vergessenheit geraten sind
gebenheiten von politischen Versäumnissen der oder daß Sie der Auffassung sind, das sollte auch bei
jetzigen Regierung spricht, setzt sich der Gefahr aus, uns in Vergessenheit geraten. Deshalb bitte ich um
politisch nicht ernst genommen zu werden. Verständnis dafür, daß ich an einige dieser frühe-
(Beifall bei den Regierungsparteien. — ren Formulierungen in bezug auf das, was Sie ge-
Lachen bei der CDU/CSU.) rade in den letzten Tagen gesagt haben, noch ein-
mal erinnern möchte.
Vizepräsident Dr. Schmid: Gestatten Sie eine (Abg. Strauß: Im Zusammenhang, bitte!)
Zwischenfrage des Abgeordneten Barzel?
— Im Zusammenhang, selbstverständlich, sogar mit
besonderer Freude.
Wischnewski (SPD) : Bitte, Herr Kollege Dr. Bar-
zel! Sie sind selbst auf Ihre Ausführungen am
20. März 1958 hier vor dem Deutschen Bundestag
eingegangen.
Dr. Barzel (CDU/CSU) : Herr Kollege Wi-
schnewski, würden Sie zur Kenntnis nehmen, daß ich (Abg. Strauß: Das ist ein Irrtum, das hat
davon sprach, daß man Chancen auch versäumen Herr Genscher falsch zitiert!)
1582 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 33. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Februar 1970

Wischnewski
— Ich werde es jetzt ganz genau zitieren. Ich weiß Behandlung des deutschen Problems denken.
nicht, wie der Herr Bundesinnenminister zitiert hat, Das deutsche Volk wäre sicherlich bereit, dem
aber ich werde es ganz genau zitieren. Beitritt eines allerdings mit allen freiheitlichen
(Abg. Strauß: Das war eine andere Rede!) Rechten ausgestatteten östlichen deutschen Teil-
staates in eine europäische Konföderation zuzu-
Da haben Sie folgendes gesagt: stimmen.
Ist es denn wirklich die Wiedervereinigung, die ' Sie haben ein Buch geschrieben — nein, Sie haben
uns in erster Linie drängt, quält, bedrückt und mehrere Bücher geschrieben, ich bitte um Entschul-
treibt? Es ist doch weniger die Wiedervereini- digung. Ich will mich erst an das Buch halten, das Sie
gung im Sinne der Wiederherstellung der staat- im Jahre 1966 geschrieben haben.
lichen Einheit Deutschlands; es ist doch mehr (Abg. Rasner: Er spricht immer noch von vor-
das Herzensanliegen der Wiederherstellung de- gestern statt von heute!)
mokratischer und menschenwürdiger Zustände
in diesem Gebiet. Da haben Sie folgendes gesagt:
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU. — Wir müssen die zu unser aller Schaden
Abg. Haase (Kassel) : Genau das hat er hier — zu unser aller Schaden! —
gesagt!)
noch immer herumgeisternden falschverstande-
Sehen Sie, meine Damen und Herren, diese Regie- nen deutsch-nationalen Leitbilder von vorge-
rung ist darum bemüht, auf diesem Gebiet einen stern zum alten Eisen werfen.
entscheidenden Schritt vorwärtszukommen. Sie ha-
(Zuruf von der CDU/CSU: Ist ja auch völlig
ben aber in Vilshofen in dieser Hinsicht völlig an-
richtig! — Abg. Strauß: Europäischer Bun-
dere Formulierungen gebraucht.
desstaat mit Deutschland!)
(Abg. Baron von Wrangel: Vilshofen ist
Sie haben sich dann weiterentwickelt
doch nur ein Ablenkungsmanöver für Sie!)
(Abg. Dr. Apel: Aber nicht zum Guten!)
— Vilshofen ist kein Ablenkungsmanöver, sondern
Vilshofen ist für mich ein politisches Dokument und halben in Vilshofen vom Deutschen Reich ge-
eines der Parteivorsitzenden in der Bundesrepublik sprochen, das die Regierung Brandt mit einer neuen
Deutschland. Trümmerpolitik verspielen wolle. Hier frage ich
mich, ob das nicht deutschnationale Leitbilder sind,
(Abg. Rasner: Wir sind doch hier im Bun
in einer derartigen Sprache solche Probleme anzu-
destag, Herr Wischnewski! — Abg. Weh
sprechen.
ner: Vilshofen, wo das Herz schlägt!)
(Beifall bei der SPD. — Abg. Strauß: Das
Herr Kollege Dr. Strauß, Sie haben am 8 . April
Reich ist doch noch die Grundlage!)
1966 zu diesen Fragen in einem Interview der „Zeit"
Stellung genommen, und ich zitiere wiederum wört- — Herr Kollege Dr. Strauß, ich habe noch ein viel
lich und im Zusammenhang: interessanteres Dokument gefunden. Da heißt es:
Und ich glaube nicht an die Wiederherstellung Hier handelt es sich um eine richtungweisende-
eines deutschen Nationalstaats, auch nicht in Darstellung unserer Politik.
nerhalb der Grenzen der vier Besatzungszonen. Sie haben das geäußert in der Zeitschrift „Die poli-
Das, Herr Kollege Strauß, haben Sie gesagt. tische Meinung", und zwar in Heft Nr. 120 im Jahre
1967. Sie sprechen dort eigentlich sogar davon, daß
Ich kann mir unter den gegebenen und voraus die Wiederherstellung der nationalen Einheit nicht
schaubaren Umständen und den möglichen Ent- wünschenswert (ist.
wicklungen und Entwicklungslinien nicht vor-
stellen, daß ein gesamtdeutscher Nationalstaat (Hört! Hört! bei der SPD.)
wieder entsteht, sei er auch neutralisiert, aber IchmötedasuiGrnhewötlc
ungebunden. zitieren:
(Abg. Strauß: Wegen der Sowjetunion!) Da das deutsche Volk in der Mitte eines macht-
Das, meine sehr verehrten Damen und Herren, wa- politisch und ideologisch geteilten Europas
ren Vorstellungen, die der Kollege Strauß früher lebt, darf es eine Krätfe nicht im Streben nach
vertreten hat. einer nationalstaatlichen Restauration verzeh-
ren, die selbst theoretisch in nur unbefriedigen-
(Abg. Baron von Wrangel: Na und?) der Begrenztheit denkbar wäre, aber grund-
sätzlich der allgemeinen Entwicklungstendenz
Sie haben am 17. Juni 1966 vor einem internatio-
weder entsprechen noch ihr förderlich sein
nalen Forum zu diesen Fragen Stellung genommen,
und zwar vor dem Royal Institute of International würde.
Affairs in London. Sie haben bei dieser Gelegenheit (Zuruf von der CDU/CSU: Na und?)
folgendes gesagt: Es wäre eine nicht nur unnötige, sondern für
Eine westeuropäische Konföderation kann nur das Wohl und den Fortbestand der euro-
als Zwischenstufe auf dem Weg zu einem euro- päischen Völker äußerst bedrohliche Zeitver-
päischen Bundesstaat betrachtet werden. Unter geudung, wenn man sich noch weiterhin mit
diesem Aspekt darf man sogar an eine analoge den überholten Problemen der nationalstaat-
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 33. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Februar 1970 1583
Wischnewski
lichen Organisation und Reorganisation in Mit- republik und die sowjetisch besetzte Zone um-
teleuropa beschäftigte, anstatt politische Ent- faßt, brächte ein hartes wirtschaftliches und
scheidungen einzig unter dem Gesichtspunkt politisches Problem für die Welt mit sich, das
einer Harmonisierung der Interessen aller Völ- man nicht beiseite schieben kann.
ker dieses Kontinents zu treffen. Das national- (Abg. Freiherr von und zu Guttenberg: Sie
staatliche Verantwortungsbewußtsein der Deut- wollen beweisen, daß Herr Strauß kein
schen findet daher einen zeitgemäßen Aus- Deutschnationaler ist!)
druck weniger im Beharren auf einer staat-
lichen Wiedervereinigung, die nun einmal Das sind Ihre Aussagen, und ich bringe das damit in
durch die Gegebenheit im Augenblick weder Zusammenhang. Herr Kollege Dr. Strauß, Sie sind
realistisch ist, obgleich sie selbstverständlich derjenige gewesen, der gesagt hat, daß man an die
vom menschlichen Standpunkt aus wünschens- Politik dieser Regierung den verfassungsgericht-
wert und rechtlich absolut begründet ist, lichen Test anlegen müsse.
(Abg. Rasner: Das klingt doch alles viel (Abg. Strauß: Hat ja Herr Brandt vorge
besser als das, was er selber sagt!) schlagen!)
sondern vielmehr in dem politischen Entschluß, — Sie sind derjenige gewesen, der das gesagt hat.
Verhältnisse in Europa herbeiführen zu helfen, Ich halte es für zwingend notwendig, Ihre Ausfüh-
mit denen die freiheitliche Existenz, das soziale rungen einem solchen Test einmal in aller Deutlich-
Wohlergehen, ,die kulturelle und wirtschaft- keit auszusetzen,
liche Leistungsfähigkeit auch für die kommen- (Beifall bei den Regierungsparteien)
den Generationen ides ganzen Volkes gesichert
sein können. vor allem dann, wenn Sie in Ihrem Buch sogar auf
die Problematik und auf die Gefahr einer national-
(Beifall bei der CDU/CSU.)
staatlichen Wiedervereinigung für die übrigen Län-
Wenn Sie etwas Derartiges schreiben, muß ich ganz der in ,der Welt hinweisen.
ehrlich sagen, kann ich überhaupt nicht verstehen,
Mir liegt daran, hier noch einmal in aller Deut-
(Abg. Rasner: Richtig!) lichkeit zu sagen, daß sich die Bundesregierung und
wieso Sie sich in einer Differenz zur jetzigen Poli- diese Koalition in ihrer Politik in völliger Überein-
tik befinden. stimmung mit den Verbündeten befinden. Weil
immer wieder versucht wird, Mißtrauen zu säen,
(Abg. Windelen: Wo ist denn bei Ihnen muß hier auf einige Tatbestände hingewiesen wer-
von Freiheit die Rede?) den.
Jetzt ein Letztes — und das halte ich für, beson- Der französische Staatspräsident hat am 30. Ja-
ders interessant —: In dem Buch „Herausforderung nuar dieses Jahres ausdrücklich seine Zustimmung
und Antwort", das Sie im Jahre 1968 geschrieben zur Osteuropapolitik der Bundesregierung erklärt.
haben, haben Sie noch einmal Stellung genommen Der belgische Außenminister Harmel, der politisch
zur staatlichen Wiedervereinigung Deutschlands, Ihnen sehr viel näher steht als uns, hat am 13. Fe- -
ganz gleich, unter welchen gesellschaftspolitischen bruar dieses Jahres , die derzeitige Politik dieser Bun-
oder hegemonialen Vorzeichen, und sind zu der desregierung eindeutig unterstützt. Diese Einstel-
Überzeugung gekommen, daß das mit den Interes- lung gilt auch für den dänischen Ministerpräsiden-
sen der übrigen Welt unvereinbar wäre, Herr Kol- ten; sie gilt auch für den schwedischen Minister-
lege Dr. Strauß. Sie haben gesagt — ich zitiere präsidenten,
wörtlich — :
(Abg. Rasner: Soviel Alibis!)
Ihr Ziel
der das am 20. Februar in der Bundesrepublik zum
— damit ist .das Ziel der Sowjetunion gemeint — Ausdruck gebracht hat. Sie gilt aber auch für die
heute ist jedenfalls nicht mehr — für wie großen internationalen Organisationen, insbeson-
lange, ist eine andere Frage —, ein kommuni- dere für den Ministerrat des Nordatlantikpaktes.
stisches Gesamtdeutschland herbeizuführen. Auch in Straßburg hat man sich mit diesen Fragen
Das ist die Aussage des Kollegen Dr. Strauß. beschäftigt.

Schon Ulbricht fällt seiner kommunistischen In einer Hinsicht gebe ich .dem Kollegen Barzel
Protektoratsmacht und seinen kommunisti- recht. Ich gehe von , der Voraussetzung aus, daß die
schen Verbündeten lästig. Wieviel mehr Regierung der Vereinigten Staaten nicht daran inte-
fürchtet man die Entfaltung der schlechten ressiert ist, ihr Engagement in Europa zu mindern;
deutschen Eigenschaften auch einer kommuni- aber wir alle, die wir die Verhältnisse in den USA
stischen deutschen Regierung, wenn sie über kennen, wissen, daß es dort innerhalb der beiden
das Potential von 70 Millionen Menschen und Häuser eine Reihe von politischen Vertretern gibt,
350 000 Quadratkilometern mit der Kombina- die eine Politik der Minderung des Engagements
tion der integrierten Wirtschaftskraft beider vertreten. Alle Fraktionen dieses Hauses sollten ge-
Teile Deutschlands verfügen könnte. meinsam darum bemüht sein, das Gespräch mit die-
sen Kollegen in der amerikanischen Politik aufzu-
Und dann heißt es weiter: nehmen, um sie davon zu überzeugen, daß eine
Ein rein nationalstaatlich wiedervereinigtes Minderung des Engagements der Vereinigten Staa-
Deutschland, das auch nur die heutige Bundes ten von Amerika in Europa nicht in unserem Inter-
1584 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 33. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Februar 1970
Wischnewski
esse und auch nicht im Interesse der Politik der rikanische Politik — den ganzen Fragenkomplex,
Vereinigten Staaten von Amerika in Europa liegen den man mit „sharing of the burden" umreißen kann,
kann. Ich kann mir vorstellen, daß wir, wenn wir das im einzelnen vorstellt. Das ist ein Punkt, über den
gemeinsam tun, auf diese Art und Weise der offi- diese Regierung in der letzten Zeit sehr wenig ge-
ziellen Regierungspolitik , der Vereinigten Staaten sagt hat. Ich meine auch, daß es gut gewesen wäre,
nutzen können. wenn Sie, Herr Kollege Scheel, heute morgen zu
Die Bundesregierung hat Gespräche eingeleitet, dieser Frage ein bißchen mehr gesagt hätten, als Sie
die hoffentlich zu Verhandlungen führen werden: in es getan haben.
Moskau, in Warschau und demnächst in Ostberlin. (Beifall bei der CDU/CSU.)
Dabei geht es um mehr Frieden, um mehr Sicherheit Hier ist von der Viermächte-Verantwortung für
und um mehr Menschlichkeit.
Berlin, leider wenig von der Viermächte-Verantwor-
(Abg. Katzer: Mehr Freiheit!) tung für Deutschland gesprochen worden. Diese Ver-
Es geht darum, die Einheit der Nation zu erhalten. antwortung besteht. Ich kann das leider nur sehr
Wir sollten die Regierung bei ihrer schwierigen summarisch erwähnen. Wenn hier von der Notwen-
Arbeit unterstützen. digkeit gesprochen worden ist, westliche Freunde
für die deutsche Sache zu interessieren, dann kann
(Beifall bei den Re gierungspartei'en.)
'
ich nur anmerken, durch Verbalismus innerhalb der
Bannmeile des Regierungsviertels — ich will mich
Vizepräsident Dr. Schmid: Das Wort hat der vorsichtig ausdrücken — werden vielleicht doch die
Abgeordnete von Wrangel. Kräfte, die sich ganz gern aus der Verantwortung in
Deutschland zurückziehen würden, geradezu dazu
Baron von Wrangel (CDU/CSU) : Herr Präsi- ermutigt, sich aus dieser Verantwortung zurückzu-
dent! Meine Damen und Herren! Wir haben hier ziehen. Diese Politik kann die CDU/CSU nicht unter-
jetzt zwei Reden von recht unterschiedlicher Quali- stützen.
tät gehört. (Beifall bei der CDU/CSU.)
(Sehr wahr! in der Mitte.) Meine Damen und Herren, wir haben auch zur
Herr Kollege Wischnewski, ich habe den Eindruck, Kenntnis genommen, daß Herr Kollege Dahrendorf
als hätten Sie zeitweise zwar versucht zu polemi- noch einmal gesagt hat — so deutlich war das vor-
sieren. Sie haben andererseits dankenswerterweise her leider nicht —, daß Ost-Berlin nicht die Haupt-
die Redezeit unseres Freundes Strauß ein bißchen stadt der DDR sein kann. Wir wollen das für alle
verlängert. Das war sicherlich auch in unserem nächsten Debatten in diesem Hause festhalten.
Interesse. (Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Rasner:
(Beifall bei der CDU/CSU.) Die SPD hat nicht geklatscht!)
Zweitens. Auch nach Ihren vielen Zitaten ist mir — Ja, die SPD hat nicht geklatscht. Das stimmt, Herr
nicht ganz klargeworden, ob Sie Herrn Kollegen Kollege Rasner.
Strauß hier nun doch als einen Nationalisten apo-
strophieren wollten oder ob Sie ebenso wie wir — (Abg. Rasner: Sie hat dabei geschwiegen!
— Abg. Dr. Barzel: Sehr wahr!)
und dafür hat die CDU/CSU, insbesondere der Kol-
lege Strauß, jahrzehntelang ja gestritten — natio- — Auch das sollten wir festhalten.
nale und europäische Politik als identisch empfin- Ich möchte zu Polen nur bemerken, daß man be-
den; denn dies ist unser Standpunkt. dauerlicherweise immer versucht, uns in eine falsche
(Beifall bei der CDU/CSU.) Ecke zu stellen, obwohl doch gerade die CDU/CSU
gesagt hat, daß sie Grenzen europäisieren und daß
Ich möchte hier, Herr Kollege Wischnewski, doch
sie sie durchlässig machen will. Wir wollen weg von
auch ein Wort zur Gemeinsamkeit sagen. Wir ha-
der Konfrontation der Phrasen. Wir wollen hin zu
ben — das ist von Herrn Barzel und anderen schon
einem sachbezogenen Gespräch, in dem man dann
betont worden, zu diesem Thema von Herrn Kolle-
auch gemeinsam z. B. über eine Definition des
gen Wehner ja leider ganz andere Worte gehört.
Volksgruppenrechts und des Heimatrechts sprechen
Wir möchten hier noch einmal klipp und klar fest-
könnte. Von Regierungsseite hat man darüber eben-
stellen, daß die CDU/CSU in diesem Hause keine
falls nichts gehört. Dies wäre ein Weg, und diesen
Zustimmungsopposition sein wird. Weg würden wir mitgehen. Wir glauben aber, daß
Es war interessant, daß der Kollege Professor durch Formeln dieser Weg aber blockiert wird.
Dahrendorf hier einige Aspekte vorlegte — das hat (Beifall bei der CDU/CSU.)
uns alle interessiert, und man muß das festhalten —,
von denen wir durchaus sagen könnten, daß sie mit Deshalb müssen wir uns hier dagegen wehren, daß
unseren Auffassungen weitgehend übereinstimmen. man so tut, als sei man in den Verhandlungen oder
Ich freue mich darüber, daß hier die europäische und Gesprächen schon ein Stück vorangekommen.
die atlantische Politik noch einmal beschworen wor- Ich wollte kurz noch einige Bemerkungen zu dem
den ist. Wenn das aber so ist und wenn die Koa- machen, was der Kollege Professor Dahrendorf in
lition diese Anliegen ernst nimmt, dann muß sie seiner Rede anläßlich unserer Debatte über den
z. B. in der Haushaltspolitik und bei anderen Ein- Bericht zur Lage der Nation gesagt hat. Damals
lassungen auch klarer sagen, wie sie sich selber sagte Herr Dahrendorf, man müßte auch einmal
— Herr Wischnewski, hier komme ich auf die ame- überlegen, ob es nicht doch irgendwann ein gemein-
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 33. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Februar 1970 1585
Baron von Wrangel
saures Dach über den beiden Teilen Deutschlands wand — um einmal diesen Begriff des Bundeskanz-
gebe. Meine Damen und Herren, hier ist doch die lers zu gebrauchen — doch etwas, an dessen Ende
Frage .der Interessenidentität gestellt. Diese Inter- die völkerrechtliche Anerkennung stehen wird.
essenidentität — und hier, Herr Kollege Scheel, (Beifall bei der CDU/CSU.)
habe ich das Gefühl, daß es zwischen Ihrer und
unserer Analyse erhebliche Unterschiede gibt — ist Meine Damen und Herren. Wir werden über
nirgendwo erkennbar. Und weil sie nicht erkenn- einige dieser Punkte heute und sicherlich noch lange
bar ist, müssen wir befürchten, daß durch verbale miteinander reden. Aber, offen gesagt, die publizisti-
Preisgaben und verbale Konzessionen die Position schen Begleiter dieser Regierung versehen die Po-
der Bundesrepublik Deutschland letzten Endes litik dieser Regierung mit Attributen wie „fort-
demontiert werden könnte. schritl",„dynamusw.Siekndal
Wer aber einen totalitätren Staat auf deutschem Bo-
(Beifall bei der CDU/CSU.) den, der dem Souverän — um einmal Ihr Wort zu
Hier ist doch dann das Problem gestellt, wie sich gebrauchen, Herr Kollege Wehner — nicht zur Gel-
diese Bundesrepublik im Wettbewerb der Systeme tung verhelfen, also dem Volk keine Freiheiten ge-
behaupten soll — ich greife das Problem des Wett- ben will, wer eine solche Politik betreibt, der ver-
bewerbs gern einmal auf; Herr Dahrendorf hat es hält sich doch nicht dynamisch und fortschrittlich,
gesagt; der Bundeskanzler ist leider nicht da — sondern viel eher reaktionär.
Herr Außenminister, wenn wir freiwillig dem (Beifall bei der CDU/CSU.)
System, Idas offen erklärt, daß es die Bundesrepu-
Noch zwei Bemerkungen. Herr Dahrendorf hat
blik bekämpfen will, bessere Wettbewerbschancen
dann gesagt, die Rechtstitel, die Rechtspositionen
einräumen. Dies ist doch eine sehr wichtige Frage seien ja nicht aus der Hand gegeben. Man kann sie
für uns, und ich glaube, daß wir über diese Frage auch, ohne daß man sie formal preisgibt, unterhöh-
auch noch eingehend diskutieren müssen. Wenn wir
len und damit el iminie r en. Auch hier will ich Herrn
diesem System bessere Wettbewerbschancen ein-
Kollegen Wehner, weil er so oft zitiert wurde, aus
räumen, werden wir in eine Lage hineingeraten, in dem Kopf zitieren. Sie haben als gesamtdeutscher
der man eines Tages, so wie es bisweilen geschieht, Minister mit unserer Zustimmung gesagt: Rechts-
Deutschlandpolitik und Gesellschaftspolitik im titel gibt man auch dann nicht aus der Hand, wenn
sozialistischen Sinne miteinander verbinden will. man .sich im Augenblick nichts dafür kaufen kann. —
Wenn man das tut, wird man mit Sicherheit die Wir fordern .die Bundesregierung auf, hier zwischen
CDU/CSU-Fraktion nicht auf seiner Seite haben verbalen Erklärungen und Taten endlich eine Har-
können. monie herzustellen. Wenn Sie das nicht tut, Herr
(Beifall bei der CDU/CSU.) Kollege Scheel, werden wir, so fürchte ich, sehr bald
Herr Kollege Scheel, nehmen Sie es mir nicht weniger Frieden, wenigem Sicherheit und weniger
übel, wenn ich einmal sage, daß ich wirklich manch- Freiheit in Deutschland haben.
mal den Eindruck habe, als betrieben einige Ver- (Beifall bei der CDU/CSU.)
treter der Bundesregierung oder ihr nahestehender
Kreise auswärtige Politik zu stark unter dem Ge-
Vizepräsident Dr. Schmid: Meine Damen und
sichtspunkt innenpolitischer Effekthascherei. Man
Herren, ehe ich die Sitzung auf heute nachmittag
bewegt sich hier und da plaudernd auf der Einbahn-
vertage, habe ich einer Verpflichtung zu genügen,
straße, ohne überhaupt daran zu denken, wie denn
nämlich der Verpflichtung, das Protokoll der Sit-
die Gegenfahrbahn aussehen soll, um im Bild zu
zung vom 19. Februar zu ergänzen. Um Ihnen ins
bleiben. Hier ist die Regierung es dem Hohen Hause
Gedächtnis zurückzurufen, worum es sich handelt:
schuldig, klar zu sagen, mit welcher Zielsetzung
Während der Rede des Verteidigungsministers hat
verhandelt wird. Über d ie Zielsetzung haben wir der Abgeordnete Dr. Starkeine Frage an ihn ge-
auch heute wenig oder gar nichts gehört.
stellt:
(Beifall bei der CDU/CSU.) Herr Minister, darf ich Sie fragen: Leisten Sie
Meine Damen und Herren, erlauben Sie, daß ich jetzt im Augenblick Ressortarbeit, oder in wel-
noch auf die Frage eingehe, die Herr Kollege Dah- cher Eigenschaft sprechen Sie?
rendorf zum Schluß hier aufgeworfen hat. Er sagte, Daraufhin hat der Abgeordnete Wehner den Zwi-
daß dies sicherlich oder vermutlich nicht die Zu- schenruf gemacht:
stimmung der Opposition finden werde. Er hat recht. Hier ist ein Parlament! Lümmel!
Er fragte etwa: Wie stark sind wir denn? Er führte
dabei die internationalen Organisationen an. Meine Ich selber habe, während ich präsidierte, das Wort
Damen und Herren, wenn die Bundesregierung in „Lümmel" nicht gehört.
dieser Situation Grünlicht gäbe, um einen zweiten (Abg. Strauß: War das nicht i n Vilshofen?)
deutschen Staat in die internationalen Organisatio- — Nein, Herr Abgeordneter, man könnte sagen,
nen hineinzulassen, dann würde das bedeuten, daß wie Seldwyla sei Vilshofen ein bißchen überall.
die Mehrheit der Völkerrechtsgemeinschaft diesen
zweiten deutschen Staat zum Völkerrechtssubjekt (Heiterkeit. — Abg. Strauß: Der Ausdruck
macht. Hier besteht eine entscheidende Differenz. ist in Vilshofen gar nicht gefallen!)
Auf der einen Seite sagt man, daß die völkerrecht- Man könnte auch sagen, Vilshofen ist weniger ein
liche Anerkennung nicht in Betracht komme, und Ort 'als ein Zustand.
auf der anderen Seite tut man hinter einer Nebel- (Heiterkeit.)
1586 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 33. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Februar 1970

Vizepräsident Dr. Schmid


Ich habe das Wort „Lümmel" nicht gehört. Hätte zulässig ist, wenn diese Frist nicht ausreicht, um die
ich es gehört, dann hätte ich eingegriffen. Man hat im internationalen Polizeiverkehr notwendigen Fest-
mir nachher das Protokoll vorgelegt, und darin stellungen treffen zu können, darf ich zunächst auf
war der Zwischenruf vermerkt. Die CDU hat darauf Art. 104 Abs. 3 des Grundgesetzes hinweisen, wo-
bestanden, daß auf diesen Zwischenruf geschäftsord- nach jeder wegen des Verdachts einer straftbaren
nungsmäßig reagiert wird, und heute morgen hat Handlung vorläufig Festgenommene spätestens am
der Abgeordnete Dr. Stark mich noch einmal er- Tage nach der Festnahme. dem Richter vorzuführen
mahnt. ist, damit dieser darüber entscheiden kann, ob ein
Dem Präsidenten steht nur ein Urteil über die Haftbefehl zu veranlassen oder die Freilassung an-
Form des Ausdrucks zu. Ich stelle fest, daß der Aus- zuordnen ist.
druck „Lümmel" nicht parlamentarisch ist. Ich er- Gemäß § 16 Abs. 1 des Ausländergesetzes kann
teile darum dem Abgeordneten .Wehner mit Wir- ein Ausländer zur Vorbereitung der Ausweisung in
kung für die Sitzung des 19. Februar leinen Ord- Haft genommen werden.
nungsruf .
Für die Dauer jeder nicht strafrechtlichen Frei-
Ich vertage die Sitzung auf heute nachmittag, heitsentziehung bestimmt Art. 104 Abs. 2 des Grund-
14 Uhr. Wir beginnen dann mit der Fragestunde. Ich gesetzes, daß die Polizei aus eigener Machtvoll-
unterbreche die Sitzung. kommenheit niemanden länger als bis zum Ende
(Unterbrechung 12.59 Uhr bis 14.00 Uhr.) des Tages nach dem Ergreifen in eigenem Gewahr-
sam halten darf. Das zuständige Amtsgericht kann
auf Grund der genannten Vorschrift die weitere
Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen: Freiheitsentziehung, die die Dauer von sechs Wo-
Die Sitzung ist wieder eröffnet. chen nicht übersteigen soll, anordnen, wenn über
Meine Damen und Herren! Wir beginnen heute die Ausweisung nicht sofort entschieden werden
am Nachmittag mit Punkt I der Tagesordnung; an- kann und die Abschiebungshaft ohne die Inhaft-
schließend wird die Haushaltsdebatte fortgesetzt. nahme wesentlich erschwert oder vereitelt würde.
Das 'geltende Ausländerrecht bietet also sehr wohl
Ich rufe auf: die Möglichkeit, einen Ausländer länger als 24 Stun-
Fragestunde den in Haft zu halten, auch wenn ihm nicht schon
— Drucksache VI/415 — eine bestimmte Straftat vorgeworfen werden kann.

Ich rufe zunächst die einzige Frage aus dem Ge- Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:
-

schäftsbereich des Bundesministers der Justiz, die Eine Zusatzfrage, Herr Kollege.
Frage 1 des Abgeordneten Dichgans, auf:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung eines Düsseldorfer
Haftrichters, daß das geltende Recht keine Möglichkeit biete, Dichgans (CDU/CSU) : Herr Minister, halten Sie
einen Ausländer, in dessen Besitz ein Trommelrevolver und es bei der heutigen Lage nicht doch für notwendig,
zwei Maschinenpistolen mit reichlich Munition, Einbruchswerk-
zeuge, Funksprechgeräte, zwei gefälschte Pässe und ein gefälsch- einmal rechtspolitisch zu prüfen, ob nicht Möglich-
ter Führerschein gefunden werden und der außerdem zugibt,
aus einem Gefangenentransport geflohen zu sein, länger als keiten geschaffen werden müßten, die einen Richter
24 Stunden in Haft zu halten, wenn ihm nicht eine bestimmte berechtigten, einen Verdächtigen — und zwar will
Straftat vorgeworfen werden kann, auch dann nicht, wenn die
24stündige Frist nicht einmal ausreicht, um im internationalen ich jetzt ganz von der Ausländereigenschaft ab-
Polizeiverkehr die notwendigen Feststellungen zu treffen? sehen, also auch einen Deutschen — jedenfalls so-
Für die Beantwortung steht der Herr Bundesmi- lange festzuhalten, bis die Bedeutung der in seinem
nister der Justiz zur Verfügung. Bitte schön, Herr Besitzbefindlichen Einbruchswerkzeuge geklärt ist,
Minister! auch wenn nicht klar ist, ob sie ihm gehören?

Jahn, Bundesminister der Justiz: Der Ihrer Frage Jahn, Bundesminister der Justiz: Ich bin im Prin-
zugrunde liegende Sachverhalt, Herr Kollege Dich- zip gerne, bereit, diesem Gedanken noch einmal
gans, berührt die Zuständigkeit des Justizministers nachzugehen, Herr Kollege Dichgans, aber ich muß
des Landes Nordrhein-Westfalen. Ich darf deshalb zunächst einmal darauf hinweisen, daß die Bestim-
um Ihr Verständnis dafür bitten, daß der Bundes- mungen des Grundgesetzes natürlich, wie Sie wis-
minister der Justiz keine Stellungnahme zu einem sen, zwingenden Charakter haben und daß zum an-
von den Justizbehörden eines Landes geführten deren die Entscheidung über diese Frage davon ab-
Ermittlungsverfahren abgeben kann. Nach meinen hängt, ob man ein allgemeines rechtspolitisches Be-
Informationen über den von Ihnen angesprochenen dürfnis dieser Art anerkennen kann.
Fall Kahvush konnte nicht festgestellt werden, daß Nach aller Erfahrung hat sich bisher gezeigt, daß
dieser der Besitzer der Waffen und Werkzeuge war, die 24-Stunden-Frist ausreichend ist, daß die haft-
die bei den gegen ihn und vier weitere Personen ge- rechtlichen Bestimmungen der Strafprozeßordnung
richteten polizeilichen Maßnahmen sichergestellt ausreichend sind. Es gibt Grenzfälle, aber darüber,
worden waren. Es stand nur fest, daß Kahvush zwei ob sie insgesamt eine Änderung rechtfertigen, läßt
gefälschte schwedische Pässe und einen für eine sich zumindest streiten. Dennoch will ich es gerne
andere Person ausgestellten Führerschein besaß. noch einmal prüfen.
Zu Ihrer Frage, ob die Inhaftierung eines Auslän-
ders, dem eine bestimmte Straftat nicht vorgeworfen Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:
-

werden kann, über die Frist von 24 Stunden hinaus Eine weitere Zusatzfrage.
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 33. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Februar 1970 1587

Welche Überlegungen gaben oder geben für die Entscheidung


Dichgans (CDU/CSU) : Herr Minister, fürchten den Ausschlag?
Sie nicht, daß gezielte Angriffe auf eine angeblich
allzu autoritäre Justiz allmählich einige junge Bitte, Herr Staatssekretär.
Staatsanwälte und junge Richter so weit verun-
sichern, daß sie, um keinesfalls Anstoß zu erregen, Berkhan, Parlamentarischer Staatssekretär beim
vorsorglich auch Gangster laufen lassen, wenn die Bundesminister der Verteidigung: Als Standort für
Polizei einmal einen schnappt? die Sportschule der Bundeswehr ist endgültig
Warendorf bestimmt worden. Ausschlaggebend für
Jahn, Bundesminister der Justiz: Zunächst ein- die Entscheidung waren erstens die zentrale, ver-
mal gibt die Erfahrung, soweit der Bundesminister kehrsmäßig und auch klimatisch günstigere Lage
der Justiz das übersehen kann, zu einer solchen und zweitens die Möglichkeit der besseren Unter-
Befürchtung keinen Anlaß. Zum , anderen würde ich bringung gegenüber Sonthofen. In Sonthofen wird
glauben, daß diejenigen, die sich für den Beruf eines eine Wintersportschule der Bundeswehr eingerich-
Richters oder Staatsanwalts entschieden haben, wis- tet. Sie wird organisatorisch Teil der Sportschule
sen, daß sie damit nicht von allen Anfechtungen der Bundeswehr sein.
dieser Gesellschaft frei sind, die also bereit sind,
dieses Risiko auf sich zu nehmen. Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen: -

Eine Zusatzfrage, Herr Kollege.


Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen: -

Keine Zusatzfragen? — Ich danke Ihnen, Herr Mini- Müller (Mülheim) (SPD) : Darf ich aus dem, was
ster. Sie gesagt haben, Herr Staatssekretär, schlüssig
Aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers folgern, daß es bei einer Bundeswehrsportschule
für wirtschaftliche Zusammenarbeit ist die Frage 2 bleiben wird und daß nicht in Betracht gezogen
des Abgeordneten Dr. Hein zurückgezogen worden. wird, zwei Schulen einzurichten, in denen differen-
ziert nach den verschiedenen Sportarten ausgebildet
Der Fragesteller der Frage 3, Abgeordneter Weigl, wird?
hat um schriftliche Antwort gebeten. Die Frage
lautet:
Berkhan, Parlamentarischer Staatssekretär beim
Sind deutsche Fachkräfte beratend eingeschaltet beim Aufbau
sozialer Sicherungssysteme in den Entwicklungsländern? Bundesminister der Verteidigung: Herr Kollege, ich
wiederhole: in Sonthofen wird eine Wintersport-
schule der Bundeswehr eingerichtet; sie wird orga-
Die Antwort des Bundesministers Dr. Eppler vom
nisatorisch Teil der Sportschule der Bundeswehr
25. Februar 1970 lautet: sein. Differenziert muß schon werden, weil Winter-
Die Bundesregierung steht Wünschen nach Entsendung von
Sachverständigen zur Beratung belm Aufbau sozialer Sicherungs- sport sich in Warendorf nicht durchführen läßt.
systeme aufgeschlossen gegenüber.
Sie hat im Wege der Technischen Hilfe in den Jahren 1960/61
für 1 1 /2 Jahre zwei Fachleute zum Aufbau eines Sozialversiche- Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen: -

rungssystems nach Griechenland entsandt. In den Jahren 1962/63


hat ein deutscher Sachverständiger für ein Jahr einen gleich- Die nächste Frage — Frage 77 — ist vom Abge-
artigen Auftrag der ILO in Birma und im Jahre 1966 für vier
Monate einen Auftrag der ILO in Äthiopien ausgeführt. Im
ordneten Jung gestellt:
Rahmen der deutschen Technischen Hilfe wird ein deutscher Ist die Bundesregierung bereit, einen Gesetzentwurf zur Ände-
Sachverständiger in diesem Jahre die zyprische Regierung beim rung des § 70 des Soldatenversorgungsgesetzes vorzulegen, durch
Aufbau ihrer Sozialversicherung beraten. den die unterschiedliche Behandlung von Berufssoldaten, die be-
Darüber hinaus ist die Bundesregierung auch bereit, Fach- reits am 8. Mai 1945 Berufssoldaten waren, und anderen, die
leute der Sozialversicherung aus Entwicklungsländern in Deutsch- damals Wehrdienst geleistet haben, bei der Berechnung der
land weiterzubilden. Eine solche fachliche Weiterbildung wurde ruhegehaltfähigen Zeiten beseitigt wird?
1966/67 einem Sozialversicherungsfachmann aus Haiti und 1967/68
zwei Sozialversicherungsexperten aus Marokko für jeweils ein
Jahr ermöglicht.
Bitte, Herr Staatssekretär!

Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundes-


ministers der Verteidigung. Zur Beantwortung steht Berkhan, Parlamentarischer Staatssekretär beim
Bundesminister der Verteidigung: Ich beantworte
der Herr Paralmentarische Staatssekretär Berkhan
die Frage folgendermaßen. Die Bundesregierung be-
zur Verfügung.
absichtigt nicht, einen Gesetzentwurf zur Änderung
Ich komme zur Frage 75 des Abgeordneten Müller des § 70 des Soldatenversorgungsgesetzes vorzu-
(Mülheim) . legen. Es ist nicht gerechtfertigt, die unterschiedliche
Behandlung zu beseitigen, weil § 70 des Soldaten-
Berkhan, Parlamentarischer Staatssekretär beim versorgungsgesetzes ebenso wie .§ 181 Abs. 3 des
Bundesminister der Verteidigung: Herr Präsident, Bundesbeamtengesetzes und § 92 des Beamten-
wenn Sie gestatten, beantworte ich die Fragen ge- rechtsrahmengesetzes auf dem Grundgedanken be-
meinsam. ruht, daß die Anrechnung der Zeit zwischen dem
8.Mai1945underEstlgiBundewhr
Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen: -
nur Personen zugute kommen soll, die am 8. Mai
Herr Fragesteller, sind Sie einverstanden? — Herr 1945 berufsmäßig als Beamter, Berufssoldat oder als
Staatssekretär, Sie können beide Fragen gemeinsam berufsmäßiger Angehöriger des Reichsarbeits-
beantworten. Ich rufe die Fragen 75 und 76 des dienstes im öffentlichen Dienst gestanden haben
Abgeordneten Müller (Mülheim) gemeinsam auf: und nach diesem Zeitpunkt infolge des staatlichen
Zusammenbruchs an der Fortsetzung ihres Lebens-
Kann die Bundesregierung bestätigen, daß der Standort für
die Sportschule der Bundeswehr endgültig bestimmt worden ist? berufes gehindert waren.
1588 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 33. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Februar 1970

Parlamentarischer Staatssekretär Berkhan


Für die Reservisten der ehemaligen Wehrmacht Jung (FDP) : Herr Staatssekretär, wären Sie be-
trifft dies aber nicht zu, ,da sie ihren Lebensberuf reit, in den Fällen, die mir bekannt sind, von Ihrer
allenfalls durch Heranziehung zur Wehrdienst- Seite aus zu versuchen, die Ungerechtigkeit zu be-
leistung unterbrechen mußten und nicht gehindert seitigen, die darin besteht, daß die Betreffenden sich
waren, ihren Beruf nach dem 8. Mai 1945 fortzu- zwar damals als Berufssoldaten beworben haben
setzen. Die Bundesregierung prüft zur Zeit aber im und eingestellt wurden, heute aber auf Grund der
Rahmen einer Novelle zum Soldatenversorgungs- Kriegswirren nicht mehr den Nachweis dafür führen
gesetz die Möglichkeiten, den Berufssoldaten das können, obgleich andere Soldaten bestätigen, daß sie
Höchstruhegehalt nach kürzerer Dienstzeit als bis- zu jener Zeit Berufssoldaten waren?
her zu gewähren. Die Folgen der unterschiedlichen
Berücksichtigung ,der sogenannten Zwischenzeiten Berkhan, Parlamentarischer Staatssekretär beim
nach dem 8. Mai 1945 würden durch eine solche Re- Bundesminister der Verteidigung: Herr Kollege
gelung gemildert werden. Jung, wenn Sie mir die Unterlagen, die zur Ver-
fügung stehen und die ,sicher spärlich sind, zuschik-
ken, werde ich selbstverständlich durch die ent-
Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:
-
sprechenden Abteilungen des Ministeriums prüfen
Eine Zusatzfrage.
lassen, ob man nicht einen Weg finden kann, diese
Härtefälle zu glätten. Aber ich kann hier nicht gene-
Jung (FDP) : Herr Staatssekretär, ist Ihnen die rell versprechen, daß es für jeden Härtefall eine
Tatsache bekannt, daß es eine große Zahl von Be- Lösung gibt. In diesem Volk werden als Folge des
rufssoldaten in der jetzigen Bundeswehr gibt, die in Kriegs Schicksale getragen, die, auf viele Schichten
Kürze wegen Erreichen der Altersgrenze ausschei- verteilt, nicht durch den Gesetzgeber und den
den und die bereits am 8. Mai 1945 Berufssoldaten Steuerzahler auszugleichen sind. Das sage ich mit
waren, heute aber auf Grund der Kriegs- und Nach- allem Respekt vor dem Leid, das über. unser Volk
kriegsereignisse nicht mehr den Nachweis führen gekommen ist.
können, daß sie am 8. Mai 1945 die Laufbahn des
Berufssoldaten eingeschlagen hatten? Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen: -

Herr Kollege Josten, eine Zusatzfrage.

Berkhan, Parlamentarischer Staatssekretär beim


Bundesminister der Verteidigung: Herr Kollege
Josten (CDU/CSU) : Herr Staatssekretär, ist die
Bundesregierung bereit, zu diesem Thema die
Jung, die rechtlichen Folgen treten bei Ernennung
Kriegsopferverbände und den Verband der Heim-
zu Beamten und Soldaten mit Übergabe der Urkunde
kehrer zu hören, die zu diesem Problem exakte
ein. Diese Herren, von denen Sie sprechen, sind
Vorstellungen haben?
durch die Umstände,, die nicht sie zu verantworten
haben, die aber auch die jetzige Regierung nicht zu
Berkhan, Parlamentarischer Staatssekretär beim
verantworten hat, nicht in den Besitz dieser Urkun-
Bundesminister der Verteidigung: Ich werde das
den gekommen. Ich mache Sie darauf aufmerksam,
prüfen lassen, Herr Kollege Josten. Wir sind selbst-
daß wir nur einheitlich für Soldaten und Beamte
verständlich immer bereit, sachverständigen Rat
handeln könnten. Ein Verfahren, wie Sie es offenbar entgegenzunehmen. Sie wissen, daß beispielsweise
im Auge haben, würde Folgerungen nach sich zie-
der Kollege, der links neben mir sitzt, Herr Rohde,
hen, die ich im Moment nicht überblicken kann. in einem engen Kontakt zu den Kriegsopferverbän-
Die Frage, ob es richtig ist, was Sie behaupten, den steht. Ich weiß nicht, was die Verbände vorzu-
nämlich daß es sich um eine große Zahl handle, tragen haben. Wenn die Verbände schreiben, werde
kann ich weder bestätigen noch dementieren. Ich ich sie mit den zuständigen Sachbearbeitern des
weiß nur, daß es eine gewisse Zahl von Soldaten Ministeriums in Kontakt bringen.
gibt, die diesen Dienst leisten.
Wenn Sie mir dies gestatten, Herr Präsident, Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen: -

möchte ich aber noch bemerken, daß alle diese Her- Ich rufe die Frage 78 des Abgeordneten Dr. Schmitt-
ren vorher einen zivilen Beruf hatten und daß aus Vockenhausen auf:
diesem zivilen Beruf, sofern sie arbeiter- oder ange- Läßt sich das in Presseberichten beanstandete und glossierte,
mit großem Verwaltungsaufwand verbundene Verfahren bei der
stelltenversichert waren, Ansprüche erwachsen sind, Unterbringung von auf Dienstreise befindlichen Angehörigen der
die zwischen 1945 und ihrem Eintritt in die Bundes- Bundeswehr vereinfachen?
wehr durch weitere Beitragsleistungen von Arbeit-
nehmer und Arbeitgeber angewachsen sind, so daß Der Fragesteller hat sich mit schriftlicher Beant-
diese Fälle nicht so pauschal betrachtet werden wortung einverstanden erklärt. Die Antwort des
können, wie Sie sie hier vortragen. Jeder einzelne Parlamentarischen Staatssekretärs Berkhan vom
Fall liegt anders. Das ist der Grund dafür, warum 25. Februar 1970 lautet:
wir uns bemühen, generell und nicht punktuell für Auch in der Bundeswehr besorgt sich normalerweise jeder
Dienstreisende seine Hotelunterkunft selbst und bezahlt sie aus
eine Gruppe zu einer besseren Lösung zu kommen. seiner Reisekostenvergütung.
Nimmt jedoch der Dienstreisende an einem Dienstgeschäft teil,
das reisekostenrechtlich als „Truppendienst" bezeichnet wird,
Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:
- so wird ihm im allgemeinen eine „amtliche Unterkunft" bereit-
gestellt.
Herr Kollege, Sie haben noch eine weitere Zusatz-
Anstelle der Reisekostenvergütung erhält er dann eine ge-
frage. ringere Aufwandsvergütung.
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 33. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Februar 1970 1589
Vizepräsident Schmitt-Vockenhausen
Wenn diese Unterbringung aber aus Platzmangel in der Ich rufe die Frage 92 des Kollegen Jung auf:
Kaserne unmöglich Ist, so hat ihm entweder die Standortver-
waltung ein Hotelquartier als amtliche Unterkunft zu beschaffen
oder er mietet sich selbst ein Hotelzimmer an und erhält dann Hat die Bundesregierung Verhandlungen mit Frankreich ge-
die volle Reisekostenvergütung. führt, um die durch die vorgesehenen Rhein-Ausbaumaßnahmen
zwischen Kehl/Straßburg und Neuburgweier/Lauterburg eintre-
Das in den Presseberichten glossierte Verfahren ist nur in tenden Verschlechterungen des Hochwasserabflusses sowie die
einem Einzelfall angewandt worden. Verlagerung der Erosion des Flußbettes durch Hochwasserschutz-
maßnahmen sowie andere schadenverhütende Maßnahmen zu
Die entsprechende Standortverwaltung ist inzwischen ange- vermeiden?
wiesen worden, künftig unkompliziert und unbürokratisch zu
verfahren.
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim
Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär. Bundesminister für Verkehr und für das Post- und
Fernmeldewesen: Herr Kollege, die Antwort lautet:
Wir kommen dann zu den Fragen aus den Ge-
ja. Die Bundesrepublik Deutschland und Frankreich
schäftsbereichen des Bundesministers für Verkehr
haben in dem Vertrag über den Ausbau des Rheins
und für das Post- und Fernmeldewesen. Die erste
zwischen Kehl/Straßburg und Neuburgweier/Lau-
Frage, Frage 91, hat Herr Abgeordneter Dr. Kempf-
terburg vom 4. Juli 1969 sowohl Vorkehrungen zur
ler eingebracht:
Verminderung der Hochwassergefahr vorgesehen
Sind Meldungen zutreffend, wonach die Bundesregierung eine als auch Maßnahmen zur Verhinderung der Erosion
Anordnung getroffen hat, daß für vergabereife Straßenbaupro-
jekte auch in Bundesfördergebieten eine Vergabe nicht erfolgen des Flußbettes unterhalb der letzten in diesem Ab-
darf?
schnitt zu errichtenden Staustufe Iffezheim verein-
Zur Beantwortung Herr Staatssekretär Börner. bart. Zur Zeit untersuchen beide Vertragspartner in
ständiger Fühlungnahme die technischen und hydro-
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim logischen Voraussetzungen der dafür erforderlichen
Bundesminister für Verkehr und für das Post- und Maßnahmen, die noch im einzelnen in besonderen
Fernmeldewesen: Herr Kollege, die Bundesregierung nach dem Vertrag geforderten Übereinkünften fest-
hat keine generelle Anordnung getroffen, daß die zulegen sein werden. Konkrete Vorkehrungen ge-
Vergabe von Baumaßnahmen an Bundesfernstraßen gen die durch den Ausbau bedingte Verschlechte-
in Bundesfördergebieten zurückgestellt wird. rung des Hochwasserabflusses sind geplant. Maß-
nahmen gegen die Verlagerung der Erosion kön-
nen erst nach Fertigstellung der Staustufe Iffezheim
Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen: - ergriffen werden.
Eine Zusatzfrage.
Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen: -

Dr. Kempfler (CDU/CSU) : Herr Staatssekretär, Keine Zusatzfrage.


ist Ihnen bekannt, daß sich die örtlichen Behörden
auch in Bundesfördergebieten auf eine solche An- Frage 93 des Abgeordneten Folger:
ordnung berufen? Ist die Bundesregierung bereit und in der Lage, der Deutschen
Bundesbahn zu helfen, damit das Autoreisezugsystem durch
Vermehrung der Verladebahnhöfe, der Züge, der Zielorte und
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Verbilligung erheblich erweitert und damit das Straßennetz
entlastet werden kann?
Bundesminister für Verkehr und für das Post- und
Fernmeldewesen: Nein, Herr Kollege, das ist mir
nicht bekannt. Mir ist aber bekannt, daß wir ver- Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim
schiedene Vergaben zurückstellen mußten, weil Bundesminister für Verkehr und für das Post- und
Preise gefordert wurden, die wir aus Gründen der Fernmeldewesen: Herr Kollege, die Bundesregie-
Preisehrlichkeit nicht zahlen wollten. Vielleicht liegt rung unterstützt die Deutsche Bundesbahn global
hier die Lösung des Problems. durch Investitionshilfen für Rationalisierungs- und
Modernisierungsmaßnahmen und zur Verbesserung
Dr. Kempfler (CDU/CSU) : Herr Staatssekretär, ihres Leistungsbildes. Sie verfolgt deshalb die Be-
wären Sie bereit, bei der bayerischen obersten Bau- strebungen der Deutschen Bundesbahn, ihren Dienst
behörde klarzustellen, daß ein Ausschreibungs- und „Auto im Reisezug" ,auszubauen, mit großem Inter-
Vergabeverbot mindestens nicht für die Förderge- esse, weil sie hierin einen Beitrag zur Entlastung
biete besteht, nachdem Sie erfreulicherweise vor des Straßennetzes sieht. Im Vergleich .zum Jahr
etwa vier Wochen erklärt haben, daß hier nichts 1968 hat die Deutsche Bundesbahn im letzten Jahr
gekürzt und nichts gesperrt werde? die Anzahl aller Autoreisezugverbindungen ver-
doppelt. Für den Fahrplanabschnitt 1970/71 werden
sechs weitere Verladestellen eingerichtet, 30 neue
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Relationen und zusätzliche Verkehrstage vorgese-
Bundesminister für Verkehr und für das Post- und hen. Die Deutsche Bundesbahn versucht, auch über
Fernmeldewesen: Ich bin gern bereit, diese Frage zu eine günstige Preisgestaltung einen Anreiz zur Be-
prüfen, Herr Kollege. Ich muß aber darauf hinwei- nutzung der Autoreisezüge zu geben. Untersuchun-
sen, daß gerade in dem Land, von dem Sie sprechen, gen über eine weitere Ausdehnung dieses Dienstes
ein akuter Fall vorlag, in dem wir Anlaß hatten, der wurden von der Deutschen Bundesbahn bereits ein-
Preisentwicklung unsere besondere Aufmerksamkeit geleitet. Die Entwicklung wird von der Ausnutzung
zuzuwenden. des Angebotes abhängig sein.

Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen: - Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen: -

Danke schön! — Keine Zusatzfrage.


1590 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 33. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Februar 1970

Vizepräsident Schmitt Vockenhausen


-

Frage 94 des Abgeordneten Dr. Apel: probleme hier in der Fragestunde auszudiskutieren,
Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, um der zu- weil von da her eventuell auch auf künftige Reak-
nehmenden Benachteiligung der westdeutschen Reedereien, der
sogenannten Flaggendiskriminierung, im überseeischen Linien-
tionen geschlossen werden könnte.
frachtverkehr zu begegnen?
Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen: -

Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Herr Kollege Blumenfeld!


Bundesminister für Verkehr und für das Post- und
Fernmeldewesen: Herr Kollege, die Bundesregie- Blumenfeld (CDU/CSU) : Herr Staatssekretär,
rung hat nur begrenzte Möglichkeiten, z. B. das darf ich der Antwort, die Sie dem Kollegen Apel
Außenwirtschaftsgesetz, dessen volle Anwendung soeben gegeben haben, entnehmen, daß der Ver-
sich bisher nicht empfohlen hat. Sie hat jedoch im kehrsminister mit den übrigen westeuropäischen
Zusammenhang mit Kredit- und Kapitalhilfeverträ- Ländern präzise Schritte unternommen hat, um zu
gen, u. a. auch im Zusammenhang mit der Gewäh- einer gemeinsamen Linie in der uns nunmehr seit
rung von Ausfuhrbürgschaften und -garantien, einen über zehn Jahren immer mehr bedrückenden Frage
gewissen Schutz der Schiffahrtsinteressen erreichen
der Flaggendiskriminierung zu gelangen?
können. Hierbei ist es notwendig, geeignete Maß-
nahmen ZUT Vermeidung einer Benachteiligung
deutscher Schiffahrtsunternehmen im Linienverkehr Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim
auf das jeweilige Land und das betreffende Fahrt- Bundesminister für Verkehr und für das Post- und
gebiet abzustellen. Fernmeldewesen: Das ist der Fall.
Im übrigen wird sich die Bundesregierung im
Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:
Rahmen der OECD dafür einsetzen, den Liberalisie-
-

Ich rufe die Frage 95 des Kollegen Baron von Wran-


rungskodex der OECD zu modernisieren, um ge-
gel auf:
genüber Staaten, deren Schiffahrtspolitik liberale
Durch welche Maßnahmen gedenkt die Bundesregierung, die
Grundsätze ausschließt, größere Handlungsfreiheit — wie jetzt schon erkennbar — in diesem Winter besonders
zu gewinnen. schweren Schäden durch Frostaufbrüche auf Bundesstraßen im
Zonenrandgebiet schnellstmöglich zu beheben, um wirtschaftliche
Nachteile durch Transportschwierigkeiten gerade in diesen
Gebieten zu vermeiden?
Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen: -

Eine Zusatzfrage. Herr Staatssekretär, wollen Sie die beiden Fragen


— im Einverständnis mit .dem Herrn Fragesteller —
zusammen 'beantworten?
Dr. Apel (SPD) : Herr Staatssekretär, Sie spra-
chen von der Modernisierung des Schiffahrts-
kodexes der OECD. Darf ich diese Aussage dahin Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim
interpretieren, daß Sie ihn einsatzfähiger gegen Bundesminister für Verkehr und für das Post- und
Diskriminierung westeuropäischer Flaggen machen, Fernmeldewesen: Ich wäre dankbar.
als notfalls auch zu einer gewissen Beschränkung
der Möglichkeiten, die man uns gegenüber hat, Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen: -

kommen wollen? Der Fragesteller ist einverstanden. Ich rufe also


auch die Frage 96 des Abgeordneten Baron von
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Wrangel auf:
Bundesminister für Verkehr und für das Post- und Ist die Bundesregierung bereit, dafür kurzfristig zusätzliche
Fernmeldewesen: Herr Kollege, ich habe ja im Mittel zur Verfügung zu stellen, damit nicht Finanzmittel und
Baukapazität, die für andere Projekte zur Verbesserung der
letzten Satz meiner ersten Antwort schon ange- Infrastruktur im Zonenrandgebiet eingeplant sind, für diese Aus-
besserungsarbeiten verwendet werden?
deutet, daß nach dieser Seite versucht wird, die
Dinge in Ordnung zu bringen.
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim
Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen: -
Bundesminister für Verkehr und für das Post- und
Eine weitere Zusatzfrage. Fernmeldewesen: Herr Kollege, Frostschäden an
Bundesstraßen werden nach Abklingen der Frost-
periode unverzüglich behoben, um wirtschaftliche
Dr. Apel (SPD) : Herr Staatssekretär, sind Sie
auch nach den letzten aktuellen Ereignissen, die Nachteile an den Fahrbahndecken zu vermeiden.
insbesondere das Fahrtgebiet Argentinien betref- Das ist die Praxis der zurückliegenden Jahre, die —
fen, der Meinung, daß wir in der Vergangenheit wenn nötig — auch im Jahre 1970 angewandt wer-
bereits genügend getan haben, um ungerechtfertigte den wird. Zur Zeit ist jedoch noch nicht erkennbar,
Flaggendiskriminierungen zu verhindern? ob Frostschäden größeren Ausmaßes auftreten wer-
den; bis jetzt konnten lediglich sogenannte Ober-
flächenschäden wahrgenommen werden.
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim
Bundesminister für. Verkehr und für das Post- und Die Bereitstellung zusätzlicher Haushaltsmittel für
Fernmeldewesen: Herr Kollege, ich habe Ihnen in die Beseitigung von Frostschäden an Bundesstra-
der Beantwortung Ihrer ersten Frage angedeutet, ßen, auch . für solche im Zonenrandgebiet, dürfte
daß es sich hier um einen außerordentlich kompli- voraussichtlich nicht notwendig werden. Für die
zierten Sachverhalt handelt, der außen- und han- Behebung von Schäden im normalen Ausmaß stehen
delspolitische Fragen und Schiffahrtsinteressen be- Haushaltsmittel in Kap. 1210, Titel 760 10 zur Ver-
rührt. Ich halte es für wenig hilfreich, die Detail- fügung. Bei größeren Schäden haben die obersten
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 33. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Februar 1970 1591
Parlamentarischer Staatssekretär Börner
Straßenbaubehörden der Länder die Möglichkeit, Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen: -

den Ansatz dieses Titels durch Mittelausgleich zu Ich rufe nunmehr die Frage 97 des Abgeordneten
verstärken. Es ist nicht anzunehmen, daß dafür die Dr. Früh auf:
Ansätze von Bauobjekten im Zonenrandgebiet her- Ist der Bundesregierung bekannt, daß ihre Absicht, während
angezogen werden müssen. desFrinvkh1970eAusnamöglichktfürde
Benutzung der Bundesautobahn an den Wochenenden zu ge-
währen, die Landwirtschaft in den süd- und südwestdeutschen,
marktfernen Sonderkulturgebieten außergewöhnlich benachteiligt
Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:
-
und ihre Wettbewerbslage entscheidend erschwert?

Zusatzfrage. Herr Staatssekretär!

Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim


Baron von Wrangel (CDU/CSU) : Herr Staats- Bundesminister für Verkehr und für das Post- und
sekretär, ist Ihnen bekannt, daß z. B. im Zonenrand- Fernmeldewesen: Herr Kollege, die Bundesregie-
gebiet von Schleswig-Holstein Bauprojekte mit dem rung sieht keine Benachteiligung der Landwirtschaft
Hinweis auf die Frostschäden zurückgestellt werden in Süd- und Südwestdeutschland, da der Vorstand
sollen? der Deutschen Bundesbahn sich grundsätzlich bereit
erklärt hat, das weitgehende Garantieangebot des
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Vorjahres auch in diesem Jahr zu wiederholen. Da-
Bundesminister für Verkehr und für das Post- und mit ist der Absatz der Produkte sichergestellt. Die
Fernmeldewesen: Herr Kollege, ich werde das gern zur Zeit laufenden Verhandlungen der Bundesbahn
nachprüfen lassen. Nach den Mitteilungen, die uns mit den Spitzenverbänden der Landwirtschaft wer-
bisher von den zuständigen Straßenbauämtern vor- den in Kürze abgeschlossen. Im übrigen stehen für
liegen, besteht kein Anlaß zu der Befürchtung, daß Straßentransporte fast alle Bundesstraßen und in
so verfahren wird. Ich gebe aber zu, daß die der Nacht von Freitag 21 Uhr bis Samstag 7 Uhr und
Situation auf Grund des Klimas von Land zu Land ab Sonntag 22 Uhr auch die Bundesautobahnen zur
verschieden sein kann. Ich habe jedoch eben bereits Verfügung.
darauf hingewiesen, daß, wenn eine solche Notwen-
digkeit 'bestünde, andere Titel heranzuziehen, wir Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen: -

auf keinen Fall wünschen, daß dadurch Bauobjekte Eine Zusatzfrage.


tangiert werden.
Dr. Früh (CDU/CSU) : Herr Staatssekretär, es ist
Ihnen sicherlich bekannt, daß sich das Angebot des
Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:
-
Wochenendes gerade auf den Sonntag zusammen-
Eine weitere Zusatzfrage. drängt. Würde es nicht gerade für die Gebiete, die
kleinbäuerlich strukturiert sind und in denen Sonder-
kulturen mit öffentlichen Mitteln gefördert worden
Baron von Wrangel (CDU/CSU) : Herr Staats- sind, eine schlimme Entwicklung bedeuten, wenn
sekretär, um ein gewisses Unsicherheitsmoment, das
dort der Absatz so benachteiligt wird?
in diesen Gebieten besteht, zu beseitigen: Wann
glauben Sie, werden Sie einen Überblick über das
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim
Ausmaß der Frostschäden erhalten? Ich denke jetzt
Bundesminister für Verkehr und für das Post- und
natürlich nicht an einen kurzfristigen, sondern an Fernmeldewesen: Herr Kollege, ich möchte schon im
einen längerfristigen Termin.
Vorgriff auf weitere Fragen dieser Art, die hier ge-
stellt worden sind, folgendes sagen: Diese Diskus-
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim sion ist ja nicht neu. Wir hatten uns im Vorjahr
Bundesminister für Verkehr und für das Post- und mit den gleichen Argumenten auseinanderzusetzen,
Fernmeldewesen: Herr Kollege, dies ist eine Klima- und wir haben festgestellt, daß das Angebot der
frage und keine Verwaltungsfrage. Ich muß darauf Bundesbahn, hier mit voller Transportgarantie zu
hinweisen, daß wir zwar den Wetterdienst in unse- helfen, von denen, die vorher so laut gerufen hatten,
rem Hause haben, daß wir aber das Wetter nicht überhaupt nicht genutzt wurde. Das ist der Sachver-
selber machen können. Deshalb kann ich nur sagen: halt. Daher glaube ich — ich stütze mach dabei auf
Wenn der Frost vorbei ist, wird eine gewisse Zeit die positiven Erfahrungen des vergangenen Jah-
vergehen, bis die Straßenbauämter eine Bestands- res —, daß auch in diesem Jahr keine Behinderung
aufnahme der Schäden durchgeführt haben. Ich des Absatzes eintreten wird. Es wird ja nicht ver-
rechne damit, daß uns im April eine Übersicht vor- boten, Erdbeeren auf den Autobahnen zu befördern.
liegt. Durch die Verordnung wird nur erreicht, daß an
Wochenenden, an denen ein überdurchschnittlich
Ich möchte aber darauf hinweisen, daß die Dinge starker Urlaubsverkehr herrscht, gewisse Interessen
im Falle von überdurchschnittlichen Schäden im zugunsten des Urlaubsverkehrs zurücktreten müs-
Rahmen des Mittelausgleichs, d. h. unter Heranzie- sen. Es ist die Meinung des Bundesverkehrsmini-
hung anderer Mittel für die Unterhaltung der Stra- sters, daß sich diese Regelung in der Vergangen-
ßen, kurzfristig behoben werden müssen, denn wir heit bewährt hat und daß man auch in diesem Jahr
wissen, daß leistungsfähige Straßen gerade im so verfahren sollte. Ich bin überzeugt, daß auch die
Zonenrandgebiet entscheidende Voraussetzung z. B. entsprechenden Landesregierungen so denken und
für die Wettbewerbsfähigkeit der dort ansässigen der vorgesehenen Regelung im Bundesrat ihre Zu-
Industrie sind. stimmung geben werden.
1592 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 33. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Februar 1970

Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:-


ben mußte, daß sie unmöglich alle Großverteilermärkte recht-
zeitig erreichen kann, um das von den Verbrauchern zurecht
Eine weitere Zusatzfrage. erwartete frische Weichobst über das Wochenende an die Emp-
fangsorte zu befördern und zu verteilen?

Dr. Früh (CDU/CSU) : Herr Staatssekretär, ist


Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim
Ihnen bekannt, daß die Ernte im letzten Jahr unter-
Bundesminister für Verkehr und für das Post- und
durchschnittlich war und daß damit zu rechnen ist,
Fernmeldewesen: Herr Kollege, der Vertreter der
daß im zweijährigen Turnus größere Mengen von
Hauptverwaltung der Deutschen Bundesbahn hat
Obst anfallen werden?
bei der Anhörung 'der Verbände am 27. Januar keine
Erklärung in 'dem angeführten Sinne abgegeben. Die
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Deutsche Bundesbahn 'ist durchaus in der Lage, die
Bundesminister für Verkehr und für das Post- und Großmärkte rechtzeitig zu erreichen. Entsprechende
Fernmeldewesen: Herr Kollege, das mag sein. Trotz- Verhandlungen mit den 'Spitzenverbänden der Land-
dem wird die Zeit ausreichen, wenn Sie die Nacht- wirtschaft sind im :Gange.
transporte noch hinzunehmen, diese Produkte auf
den Straßen an den Verbraucher heranzubringen
Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:
oder aber das Angebot der Bundesbahn in Anspruch
-

Eine Zusatzfrage.
zu nehmen. Die Kernfrage ist einfach die, ob man
wirklich den Ruin der Landwirtschaft herbeiführt,
wenn am Wochenende für anderthalb Tage einmal Niegel (CDU/CSU) : Ist Ihnen bekannt, Herr
auf die Beförderung von Weichobst auf den Bundes- Staatssekretär, daß die Bundesbahn keinesfalls in
autobahnen und auf einigen Bundesstraßen verzich- der Lage ist, bestimmte Zielorte wie z. B. Kassel,
tet wird. Osnabrück, Bielefeld, Kiel 'und Hamburg rechtzeitig
zu beliefern?
Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:-

Eine Zusatzfrage des Kollegen Jung. Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim


Bundesminister für Verkehr und für das Post- und
Fernmeldewesen: Herr Kollege, da Sie diese Orte
Jung (FDP) : Herr Staatssekretär, gilt dieses Be-
angeführt haben, muß ich Ihnen sagen: auch im
nutzungsverbot nur für deutsche Fahrzeuge oder
vorigen Jahr ist das behauptet worden. Die Bundes-
auch für ausländische Fahrzeuge aus dem benach-
bahn hat es geschafft.
barten EWG-Raum?

Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:-

Bundesminister für Verkehr und für das Post- und Eine weitere Zusatzfrage.
Fernmeldewesen: Für alle.
Niegel (CDU/CSU) : Ist Ihnen bekannt, Herr
Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:-
Staatssekretär, daß bei dem Angebot der Bundes-
Herr Kollege Niegel! bahn so rechtzeitig disponiert werden muß, daß die
Wagen lange, fast zwei Tage, vorher bestellt wer-
den müssen? Ist Ihnen bekannt, daß bei einem mo-
Niegel (CDU/CSU) : Herr Staatssekretär, hat der mentanen Ernteanfall bei günstiger Witterung, wenn
Bundeslandwirtschaftsminister bei den Beratungen
vorher schlechte Witterung war, unter Umständen
im Bundeskabinett die erheblichen Vorbehalte und
mehr als das Doppelte angeboten wird oder daß am
Einwände der betroffenen Obsterzeuger gegen die-
Montag unter Umständen bei bestimmten Großmärk-
ses Sonntagsfahrverbot nicht nachdrücklich vorgetra-
ten ein hoher Bedarf vorhanden ist, wodurch Trans-
gen, oder hat er bei der Behandlung dieses Ge-
portfragen auftreten können, für die die Bundesbahn
schäftsvorgangs in der Bundesregierung etwa für so kurzfristig nicht disponieren kann?
diese Vorlage gestimmt?

Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim


Bundesminister für Verkehr und für das Post- und Bundesminister für Verkehr und für das Post- und
Fernmeldewesen: Herr Kollege, ich habe ja schon Fernmeldewesen: Herr Kollege, ich glaube, daß das
angedeutet, es handelt sich hier um eine Verord- nicht der Fall ist. Ein bißchen verstehe ich ja auch
nung des Bundesverkehrsministers. Es ist selbstver- von Transportproblemen. Sie können sicher sein,
ständlich, daß auf die Landwirtschaft, soweit es geht, daß die Bundesbahn im letzten Jahr die erforder-
Rücksicht genommen wird. Man muß aber sehen, lichen Kühlwagen gestellt hätte und auch bereit-
daß sich hier bestimmte Erwartungen der Landwirt- gestellt hat. Sie wurden dann nur nicht abgenom-
schaft mit den Interessen von etwa 10 Millionen men. Auch wenn ein Volumen auf den Markt
Urlaubern kreuzen. kommt, das größer ist, wird sich Idas machen lassen.
Außerdem bitte ich nicht zu übersehen, daß das Obst
geerntet werden muß, ehe es transportiert werden
Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:-
kann. Die Dinge kumulieren ja nicht alle am Sams-
Ich rufe die Frage 98 des Abgeordneten Niegel auf:
tag oder am Sonntag.
Welche Folgerungen zieht das Bundesverkehrsministerium aus
der Tatsache, daß die Deutsche Bundesbahn in der Besprechung
mit den einschlägigen Wirtschaftsverbänden ausgangs Januar
1970 entgegen den Erwartungen des Parlamentarischen Staats-
Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:
-

sekretärs Börner in der Fragestunde des 30. Januar 1970 zuge- Eine Zusatzfrage, der Kollege Leicht.
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 33. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Februar 1970 1593

Leicht (CDU/CSU) : Herr Staatssekretär, ist es Susset (CDU/CSU) : Wie beurteilen Sie dann die
nicht möglich, das Ende des Fahrverbots — insbe- Situation, daß Gemüse- und Obsttransporte aus dem
sondere in den Abendstunden am Sonntag — dahin Ausland nicht unter das Fahrverbot fallen, also
gehend zu überprüfen, ob es nicht eventuell etwas praktisch ungehindert über die Grenzen gehen kön-
vorverlegt werden kann, damit weiter entfernt lie- nen, wenn sie auch nur kurze Strecken auf Auto-
gende Großstädte auch in der Nacht noch mit Lkw bahnen oder Fernstraßen, vielleicht in Grenznähe,
rechtzeitig erreicht werden können? fahren können, 'so daß hier doch ein Nachteil gegen-
über unseren Gebieten festzustellen ist?
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim
Bundesminister für Verkehr und für das Post- und Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim
Fernmeldewesen: Herr Kollege, ich bin gern bereit, Bundesminister für Verkehr und für das Post- und
dieses Argument einmal einer besonderen Prüfung Fernmeldewesen: Herr Kollege, ich habe vorhin
zuzuführen, wenn Sie mir sagen, welche Relationen schon auf die Frage von Herrn Kollegen Jung fest-
hier gemeint sind. Man muß das einmal mit dem gestellt, es wird kein Unterschied zwischen auslän-
Fahrplan der Bundesbahn vergleichen. dischen und inländischen Fahrzeugen gemacht. Auch
inländische Fahrzeuge können natürlich die nicht
Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen: -
gesperrten Straßen benutzen. Es sind ja nur das
Ich rufe die Frage 101 des Abgeordneten Susset auf: Netz der Bundesautobahnen und einige wenige Bun-
Weiß die Bundesregierung, daß sie mit der Erweiterung des
desstraßen überhaupt von dem Verbot betroffen.
Fahrverbots an Wochenenden den marktnäher gelegenen EWG- Von daher sehe ich keine Beeinträchtigung des jet-
Partnern Belgien und Holland entscheidende Wettbewerbsvorteile
gegenüber den Weichobst- und Gemüsegebieten in Baden-Würt- zigen Konkurrenzverhältnisses. Es gibt keine Strek-
temberg, Bayern und Rheinland-Pfalz einräumt? ken in Grenznähe, z. B. zur Westgrenze der Bundes-
Bitte schön, Herr Staatssekretär! republik Deutschland, die vom Verbot frei wären
und die dann eine solche Verschiebung des Konkur-
renzverhältnisses zur Folge hätten, wie Sie es an-
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim nehmen.
Bundesminister für Verkehr und für das Post- und
Fernmeldewesen: Herr Kollege, die Bundesregie-
Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:
rung sieht keine Wettbewerbsvorteile für Belgien
-

Dann die Frage 99 des Abgeordneten Dr. Hauser


und die Niederlande, da der Vorstand der Deut- (Sasbach) :
schen Bundesbahn sich grundsätzlich bereit erklärt
Ist der Bundesverkehrsminister bereit anzuerkennen, daß in
hat, das weitgehende Garantieangebot des Vorjah- die in Aussicht genommene Risikoübernahme durch die Deutsche
res in diesem Jahr zu wiederholen, und dadurch der Bundesbahn für die Obsttransporte notwendigerweise auch der
Bruch der Geschäftsbeziehungen zum Großversand und Groß-
Absatz des Obstes aus Süd- und Südwestdeutsch- verteilerhandel gehört, der bei verspäteter oder sonst zu bean-
standender Lieferung mit verhängnisvollen Wirkungen für die
l and in den herkömmlichen Absatzzentren gewähr- obsterzeugende Landwirtschaft befürchtet werden muß, wenn
leistet ist. Die zur Zeit laufenden Verhandlungen der eine zeitgerechte Lieferung über die Wochenenden nicht mehr
wie bisher über die Bundesautobahn erfolgen könnte?
Bundesbahn mit den Spitzenverbänden der Land-
wirtschaft werden in Kürze abgeschlossen.
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim
Bundesminister für Verkehr und für das Post- und
Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen: -
Fernmeldewesen: Herr Kollege, die Bundesregie-
Eine Zusatzfrage. rung verkennt nicht, daß der Handel durch die zeit-
weise Verlagerung der Obsttransporte auf die
Susset (CDU/CSU): Herr Staatssekretär, ist es Schiene Umdispositionen vornehmen muß. Das Ga-
richtig, daß einzelne Autobahntrassen, beispiels- rantieangebot der Deutschen Bundebahn gleicht da-
weise die Strecke Saarbrücken—Mannheim, von den mit eventuell verbundene finanzielle Risiken weit-
Verboten ausgenommen werden sollen, womit ja gehend aus. Etwa noch verbleibende Nachteile müs-
unweigerlich für das westliche Nachbarland eine sen im allgemeinen Interesse in Kauf genommen
Bevorzugung gegenüber unseren Anbauzonen ge- werden.
geben wäre?
Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen: -

Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Zusatzfrage.


Bundesminister für Verkehr und für das Post- und
Fernmeldewesen: Nein, Herr Kollege, hier liegt ein Dr. Hauser (Sasbach) (CDU/CSU) : Ist nach Ihrer
Mißverständnis vor. Es sind nicht solche Autobahn- Meinung, Herr Staatssekretär, meine Frage nach
strecken von dem Verbot ausgenommen, sondern es einem Schadensausgleich bei Abbruch der Geschäfts-
sind nur frei in der Fläche liegende Ausbaustrecken beziehungen nicht schon deshalb gerechtfertigt, weil
der Bundesautobahnen, die keine Beziehung zum die Warenempfänger — und ich erlebte das immer
vorhandenen Netz haben, davon freigestellt. Ich wieder — mit zur Vertragsbedingung gemacht ha-
denke z. B. an die Umgehung Regensburg oder an ben, daß die Fahrer der Obsttransporte bei größeren
Strecken der Sauerlandlinie, die bis jetzt noch nicht Kettengeschäften die Verteilung auf die einzelnen
in direkter Verbindung mit dem vorhandenen Auto- Filialen vornehmen und durchführen, und ist ange-
bahnnetz stehen. sichts dieser Tatsache die Bundesbahn bereit, auch
den möglichen Verlust der Geschäftsbeziehungen
Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen: - zwischen Erzeugern und Abnehmern dann zu über-
Eine letzte Zusatzfrage. nehmen?
1594 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 33. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Februar 1970

Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Würde die Erteilung von Ausnahmegenehmigungen


Bundesminister für Verkehr und für das Post- und auf Weichobst beschränkt werden, wäre in der Tat
Fernmeldewesen: Herr Kollege, ich kann mir wirk- eine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes gege-
lich nicht vorstellen, daß vernünftige Kaufleute aus ben, weil es zahlreiche andere Güter gibt, deren
der Eingrenzung der Transportmöglichkeit über we- Transport ebenso dringlich ist.
nige Stunden am Wochenende zu solchen Konse- Das Bundesverfassungsgericht hat bei der Über-
quenzen fähig sind, wie Sie sie eben angedeutet prüfung der vorjährigen Verordnung, die ebenfalls
haben. keine Ausnahmemöglichkeit vorsah, mit Beschluß
vom 25. Juni 1969 festgestellt, daß das Grundrecht
Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen: -
des Art. 3 Abs. 3 GG offensichtlich nicht verletzt ist.
Herr Kollege, ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie bei
weiteren Zusatzfragen die Richtlinien für die Frage-
Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen: -
stunde im Auge behalten würden. Sie haben eben
Herr Kollege!
ein Meisterbeispiel sehr extensiver Interpretation
dieser Richtlinien gegeben. — Bitte!
Dr. Hauser (Sasbach) (CDU/CSU) : Darf ich dar-
auf aufmerksam machen, Herr Staatssekretär, daß
Dr. Hauser (Sasbach) (CDU/CSU) : Danke, Herr jene Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts
Präsident, ich will es beachten. einen anderen Sachverhalt betraf als den, den ich
Herr Staatssekretär, ist in der Verordnung zur soeben angesprochen habe, und daß es hier im Ge-
Erleichterung des Ferienreiseverkehrs bei den Ver- gensatz dazu in der Tat um Existenzfragen klein-
kehrsrestriktionen, was den Lastkraftwagenverkehr bäuerlich parzellierter Landwirtschaft geht.
angeht, wenigstens eine Notstandsklausel vorge-
sehen, die .es bei überbordenden Situationen auf Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim
dem Obstmarkt in den kommenden Sommermonaten Bundesminister für Verkehr und für das Post- und
ermöglicht, auch über die Autobahn auszuweichen, Fernmeldewesen: Herr Kollege, ich kann Ihnen dar-
um einen völligen Marktzusammenbruch zu ver- auf nur antworten: Ich habe den Text der Verfas-
hüten? sungsgerichtsentscheidung hier vor mir. Ich kann
mich auf Grund der Kenntnis dieses Textes Ihren
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Argumenten nicht anschließen.
Bundesminister für Verkehr und für das Post- und
Fernmeldewesen: Herr Kollege, ich weiß nicht, wie Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen: -

Sie den Begriff ides Notstands interpretieren. Ich Es folgen die Fragen 102 und 103 des Kollegen Dr.
habe Ihnen ja angedeutet, daß selbst eine Verdop- Hermesdorf:
pelung des Angebots von der Bundesbahn im Rah- Wann ist mit dem Abschluß des in Artikel 9 des deutsch-
men ihrer Kapazität aufgefangen werden kann. Ich belgischen Vertrages vom 24. September 1956 vorgesehenen
Zusatzabkommens zu rechnen, dessen Inkrafttreten für den be-
kann mir nicht vorstellen, daß bei extremen Ernte- troffenen Wirtschaftsraum an der deutschen Westgrenze eine
erwartungen noch mehr Erzeugnisse dieser Art auf Erleichterung bei der Abwicklung des grenzüberschreitenden
Güterverkehrs bringen würde?
den Markt kommen und gegebenenfalls alle kurz -
Worauf ist es zurückzuführen, daß das die Fragen des Eisen
vor dem Wochenende reif werden. Ich halte also bahnverkehrs betreffende Zusatzabkommen zu dem Vertrag vom
eine Notstandsklausel für entbehrlich, zumal, wie 24. September 1956 zwischen der Bundesrepublik Deutschland
und dem Königreich Belgien über eine Berichtigung der deutsch-
gesagt, das Straßennetz neben der Autobahn noch belgischen Grenze und andere die Beziehungen zwischen beiden
Ländern betreffende Fragen bislang noch nicht abgeschlossen
zur Verfügung steht. Es ist ja keinesfalls so, daß worden ist?
verboten wird, mit Lkws zu fahren, sondern es ist
nur verboten, auf bestimmten Autobahnen zu Herr Staatssekretär, sollen die beiden Fragen ge-
fahren. meinsam beantwortet werden? — Wenn der Frage-
steller einverstanden ist. Ihr Zusatzfragerecht wird
dadurch nicht geschmälert, Herr Kollege. Sind Sie
Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen: -
einverstanden? — Bitte schön!
Dann die Frage 100 des Kollegen Dr. Hauser (Sas-
bach) :
Hält der Bundesverkehrsminister die von ihm vorgesehene
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim
Verordnung zur Erleichterung des Ferienreiseverkehrs, die nicht Bundesminister für Verkehr und für das Post- und
einmal eng begenzte Ausnahmegenehmigungen zur Beförderung
leicht verderblichen Weichobstes auf der Bundesautobahn vor- Fernmeldewesen: Herr Kollege, Art. 9 des von Ihnen
sieht, mit dem Gleichheitsgrundsatz nach Artikel 3 des Grund- genannten deutsch-belgischen Vertrages vom
gesetzes vereinbar, nachdem hier ernste Existenzfragen kleiner
Landwirte entscheidend in Rede stehen, wogegen auf der ande- 24. September 1956 sieht vor, daß die früheren Be-
ren Seite derart tiefgreifende Belange nicht berührt sind? stimmungen über die sogenannte Venn-Bahn, d. h.
die Eisenbahnstrecke Raeren-Kalterherberg, aus den
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Jahren 1922, 1929 und 1935 , den heutigen Verhält-
Bundesminister für Verkehr und für das Post- und nissen angepaßt werden. Die seit Jahren mit den
Fernmeldewesen: Herr Kollege, die Bundesregie- zuständigen belgischen Stellen laufenden Bemü-
rung sieht keine Verletzung des Gleichheitsgrund- hungen, zum Abschluß des vorgesehenen Zusatz-
satzes, wenn in der Verordnung zur Erleichterung abkommens zu gelangen, hatten zuletzt zu Dele-
des Ferienreiseverkehrs auf der Straße im Jahre gationsverhandlungen der Vertreter beider Staaten
1970 keine Ausnahmegenehmigungen für Transporte am 18. und 19. Januar 1968 in Bonn geführt, die mit
auf den Bundesautobahnen vorgesehen werden. einem Entwurf des vorgesehenen Zusatzabkom-
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 33. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Februar 1970 1595
Parlamentarischer Staatssekretär Börner
mens beendet wurden. Nach Erfüllung mehrerer Fernmeldewesen: Herr Präsident, ich wäre auch
belgischer Änderungswünsche wurden die endgül- hier dankbar, wenn ich die beiden Fragen zusam-
tigen Texte des Abkommens und der Verhand- men beantworten dürfte.
lungsniederschrift im November 1968 der belgi-
schen Seite übersandt. Eine ,abschließende Stellung- Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:
-

nahme der belgischen Seite liegt noch nicht vor. Herr Fragesteller, sind Sie einverstanden? — Bitte
Der letzten Mitteilung des Auswärtigen Amtes vom schön!
Oktober 1969 zufolge hat das belgische Außenmi-
nisterium lediglich verlauten lassen, daß sich die Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim
Unterzeichnung des Abkommens noch etwas hinzie- Bundesminister für Verkehr und für das Post- und
hen werde. Die beteiligten belgischen Ressorts Fernmeldewesen: Herr Kollege, die bisherigen
seien dankt beschäftigt, dem Außenministerium Fernsprechbücher im Rhein-Ruhr-Gebiet waren im
einen geeigneten Textvorschlag über die Vorstel- Laufe der Jahre unhandlich geworden. Die Deutsche
lungen der belgischen Seite zukommen zu lassen. Bundespost sah sich deshalb veranlaßt, ab Ausgabe
Ein solcher Vorschlag ist bisher der deutschen Seite 1970 die Geltungsbereiche der Fernsprechbücher im
noch nicht übermittelt worden. Rhein-Ruhr-Gebiet neu zu ordnen. Dabei entstan-
den aus bisher drei Büchern acht neue Bücher.
Ich bin gern bereit, das Auswärtige Amt zu bit-
ten, bei dem belgischen Vertragspartner nochmals Im Zuge dieser Neuordnung wurde auch in eini-
vorstellig zu werden. gen Randgebieten eine andere Abgrenzung der
Buchbereiche vorgenommen. Dabei wurden u. a. die
Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen: -
Knotenamtsbereiche Borken und Bocholt aus dem
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege? — Bitte! Fernsprechbuch des Münsterlandes heraus- und in
das Fernsprechbuch Wesel hineingenommen. Die
Gründe für diese Maßnahme waren ausschließlich
Dr. Hermesdorf (Schleiden) (CDU/CSU) : Ist die fernmeldebetrieblicher Art. Messungen der Ver-
Bundesregierung bereit, falls sich das Zustande- kehrsstruktur bestätigen, daß der Gesprächsverkehr
kommen des Zusatzabkommens — nach einer War- aus den Bereichen Borken und Bocholt in den Be-
tezeit von zwölf Jahren ist das zu erwarten — noch reich der Hauptvermittlungsstelle Wesel wesent-
verzögern sollte, mit dem Königreich Belgien in lich größer ist als in den Bereich der Hauptvermitt-
Verhandlungen einzutreten, um eine Zurückführung lungsstelle Münster. Damit liegt die durchgeführte
der Tarife auf ,den deutschen Tarifstand zu errei- Neuabgrenzung der Fernsprechbücher auch im In-
chen und dadurch diesen Teilkomplex des abzu- teresse der Teilnehmer, die dadurch ein Fernsprech-
schließenden Zusatzabkommens vorweg zu regeln? buch in die Hand bekommen, das ihrem Gesprächs-
verkehr besser Rechnung trägt.
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Das Argument der besseren Handlichkeit der
Bundesminister für Verkehr und für das Post- und
Bücher gilt generell für die Neuordnung der Fern-
Fernmeldewesen: Herr Kollege, ich will das gern
sprechbücher im Rhein-Ruhr-Gebiet. Bezüglich der
prüfen lassen. Ich bin aber persönlich der Meinung,
veränderten Zuordnung der Bereiche Borken und
daß eine Chance besteht, die Angelegenheit in an-
Bocholt trifft es allerdings nicht zu. In einer Mittei-
gemessener Frist generell zu bereinigen. Eventuell
lung an die Fernsprechteilnehmer wurde dieses
würden sich aus der Verwirklichung Ihres Vor-
Argument lediglich infolge eines redaktionellen
schlags noch weitere Komplikationen ergeben, die
Versehens verwendet. Ich möchte hier hinzufügen:
ich nach Lage der Dinge vermeiden möchte. Ich bitte
ich bedaure das sehr. Der Deutschen Bundespost
um Ihr Verständnis. liegt es fern, mit einer fernmeldebetrieblichen Orga-
nisationsänderung in die Diskussion um die Ge-
Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen: -
bietsreform einzugreifen.
Herr Kollege, damit sind Ihre beiden Fragen be-
antwortet. Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:
-

Ich rufe nunmehr die Fragen 104 und 105 des Eine Zusatzfrage.
Kollegen Dr. Unland auf:
Dr. Unland (CDU/CSU) : Herr Staatssekretär,
Was waren die wirklichen Gründe, die die Deutsche Bundes-
post veranlaßt haben, einige Orte im westlichen Münsterland sind Sie nicht bereit, zuzugestehen, daß in der Tat
aus dem Amtlichen Fernsprechbuch (AFB) 8 herauszunehmen und ein Eingriff in die offene politische Diskussion er-
sie in das AFB 10 einzufügen, da die von der Deutschen Bundes-
post gegebene Begründung, nämlich Handlichkeit der Telefon- folgt ist, sei es verschuldet oder unverschuldet, und
bücher, offensichtlich nicht zutreffen kann, wie etwa ein Ver-
gleich zwischen dem ca. 15 mm dicken und ca. 900 g schweren daß es im Grunde einer Verwaltungsbehörde nicht
AFB 8 „Münsterland" und dem ca. 52 mm dicken und ca. ansteht, in diese extrem politischen Diskussionen
5200 g schweren AFB 11 „Bereiche Köln, Aachen, Bonn" be-
weist? einzugreifen?
Von wem ging die Anregung zu dieser Änderung aus, wer
wurde gutachtlich oder sonstwie dazu gehört, und war sich die
Deutsche Bundespost bei ihrer Entscheidung darüber im klaren, Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim
daß sie damit in die offene Diskussion um die Gebietsreform
eingriff?
Bundesminister für Verkehr und für das Post- und
Fernmeldewesen: Herr Kollege, ich habe Ihnen so-
Herr Staatssekretär! eben schon angedeutet, daß ich bedaure, daß durch
eine ausschließlich betriebliche Maßnahme und ein
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim redaktionelles Versehen eine solche Wirkung bzw.
Bundesminister für Verkehr und für das Post- _und ein solches Mißverständnis entstehen konnte.
1596 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 33. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Februar 1970

Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:


- des Angebots zu verbesern, um dann später aus
Eine weitere Zusatzfrage. verwaltungstechnischen Gründen Maßnahmen hin-
sichtlich der Zuordnung der einzelnen Fernsprech-
Dr. Unland (CDU/CSU) : Herr Staatssekretär, netze zu treffen?
meinen Sie nicht, daß diese Begründung mit einer
betrieblichen Maßnahme bei der dortigen Bevölke- Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim
rung im Grunde deswegen nicht sehr glaubhaft ist, Bundesminister für Verkehr und für das Post- und
weil das derzeitige Telefonbuch, das Amtliche Fern- Fernmeldewesen: Herr Kollege, die Bundespost be-
sprechbuch 8, Münsterland, weder von der Dicke müht sich, ein Höchstmaß an Kundendienst aufrecht-
noch von der Schwere her diese Maßnahme im Rah- zuerhalten und ihre Einrichtungen immer den Kun-
men der derzeitigen Diskussion der Gebietsände- denwünschen laufend anzupassen. Nur ist das, wie
rung erforderlich gemacht hat? gesagt, ein schweres Investitionsproblem. Ich gebe
gern zu, daß da oder dort die Kundenwünsche noch
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim nicht mit den betrieblichen Möglichkeiten in Ein-
Bundesminister für Verkehr und für das Post- und klang gebracht werden können. Wir werden uns
Fernmeldewesen: Herr Kollege, Sie müssen aber aber bemühen, gerade beim Ausbau des Telefon-
sehen, daß wir hier nicht nur partiell vorgehen kön- netzes diesen Wünschen Rechnung zu tragen.
nen, sondern das gesamte Rhein-Ruhr-Gebiet neu
geordnet haben. Die Daten, die ich vorhin nannte,
nämlich die überwiegenden Gesprächsbeziehungen,
Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen: -

Ich rufe die Frage 106 des Kollegen Wittmann auf:


sind ja meßbar gewesen. Sie sind aus den Gebüh-
renzählern abzulesen, so daß also von daher nach Sieht die Bundesregierung eine Möglichkeit, in Anpassung an
die Fahrpreisvergünstigungen der Deutschen Bundesbahn für
Meinung der Post durchaus eine Berücksichtigung ältere Bürger zu bestimmten Zeiten, solche Ermäßigungen auch
des Kundenwunsches gegeben ist. Allerdings be- im Personenkraftverkehr der Deutschen Bundespost zu ge-
währen?
daure ich noch einmal die Nebenwirkung, die, wie
gesagt, von der Post nicht gewollt wurde.
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim
Bundesminister für Verkehr und für das Post- und
Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:
-

Fernmeldewesen: Die Bundesregierung sieht nicht


Eine weitere Zusatzfrage.
die Möglichkeit, im Omnibusverkehr der Deutschen
Bundespost ähnliche Fahrpreisvergünstigungen zu
Dr. Unland (CDU/CSU) : Herr Staatssekretär, gewähren, wie sie die Deutsche Bundesbahn älteren
g lauben Sie nicht, daß diese betrieblichen Begrün- Bürgern einräumt.
dungen dann auch zu weiteren Konsequenzen in der
Anschlußqualität führen müßten? Heute besteht Die Fahrpreisvergünstigungen der Deutschen
kaum die Möglichkeit, vom Ortsnetz Bocholt die Bundesbahn zielen darauf ab, ohnehin vorhandene
entsprechende Vermittlungsstelle in Wesel oder die und nicht immer voll ausgenutzte Kapazitäten bes-
Auskunft der Bundespost in Wesel zu erreichen. ser zu nutzen. Im Omnibusverkehr besteht dagegen
im allgemeinen nicht die Möglichkeit, eine größere
Anzahl zusätzlicher Fahrgäste ohne Inanspruch-
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim nahme zusätzlicher Fahrzeuge zu befördern. Hierfür
Bundesminister für Verkehr und für das Post- und
sind aber die Investitions- und Betriebskosten weit
Fernmeldewesen: Herr Kollege, das will ich gern
höher, als Einnahmen aus dem Mehrverkehr zu
prüfen lassen. Ich muß aber darauf hinweisen, daß
Sozialtarifen erwartet werden können.
natürlich im Rahmen der Notwendigkeit, das Fern-
meldenetz immer auf den technisch neuesten Stand Aus diesen Erwägungen gewährt auch die Deut-
zu bringen, da und dort Verengungen entstehen sche Bundesbahn die Fahrpreisvergünstigungen
können, auch solche Wirkungen, wie Sie sie im nicht im Bahnbusverkehr.
Moment zitieren. Das ist eine Frage der finanziel-
len Leistungsfähigkeit der Post, aber auch eine
Frage der Liefertermine der deutschen Fernmelde-
Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen: -

Keine Zusatzfrage.
industrie. Man muß sehen, daß es sich dabei um eine
für den Betroffenen manchmal sehr langsame Ent- Ich rufe die Frage 107 des Kollegen Wittmann
wicklung handelt. Insgesamt handelt es sich aber auf:
immer um Investitionen in einer Größenordnung Wie steht die Bundesregierung zu der Möglichkeit eines ge-
nerellen Erlasses der Fernsprechanschlußgebühren und monat-
von vielen hundert Millionen, die erst einmal auf- lichen Grundgebühren für alleinstehende körperbehinderte und
gebracht und dann auch technisch verarbeitet wer- gebrechliche ältere Bürger?
den müssen.
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim
Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:
-
Bundesminister für Verkehr und für das Post- und
Eine letzte Zusatzfrage. Fernmeldewesen: Herr Kollege, weder die einmalige
Einrichtungsgebühr von 90 DM noch die laufende
Dr. Unland (CDU/CSU) : Herr Staatssekretär, monatliche Grundgebühr decken die Selbstkosten
würden Sie mir dann nicht generell zugestehen, daß der Post. Damit stellen diese Gebühren bereits eine
es aus der Sicht eines Kunden der Deutschen Bun- verbilligte Eintrittskarte zum öffentlichen Fern-
despost besser wäre, zunächst einmal die Qualität sprechnetz dar.
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 33. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Februar 1970 1597
Parlamentarischer Staatssekretär Börner
Unter Berücksichtigung der Tatsache, daß die Die beiden letzten Bemerkungen bezogen sich auf
Deutsche Bundespost als wirtschaftliches Unterneh- Umschreibungen. Aber das erste ist eine echte Lei-
men nicht zur Erfüllung allgemeiner Fürsorge- stung auch technischer Art.
maßnahmen berufen ist, sieht sich die Bundesregie-
rung leider nicht in der Lage, die Fernsprechgebüh- Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen: -

ren für alleinstehende körperbehinderte und ge- Keine weitere Zusatzfrage.


brechliche ältere Bürger zu ermäßigen. Es besteht
Ich rufe die Frage 110 des Abgeordneten Dr. Riedl
allerdings die Möglichkeit, daß in Einzelfällen der (München) auf:
Träger der Sozialhilfe im Rahmen des Sozialhilfe- Ist der Bundesregierung bekannt, daß das Postministerium der
gesetzes einen Beitrag zu den Kosten eines Fern- UdSSR beim Weltpostverein die Herausgabe einer Sonderbrief-
marke zum 100. Geburtstag von Lenin in den einzelnen Mit-
sprechanschlusses leistet. gliedsländern des Weltpostvereins angeregt hat, und ist die
Bundesregierung bereit, dieser Empfehlung zu folgen?

Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen: -


Bitte, Herr Staatssekretär!
Zusatzfragen werden nicht gestellt.
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim
Ich rufe ,die Fragen 108 und 109 des Abgeord- Bundesminister für Verkehr und für das Post- und
neten Bäuerle auf: Fernmeldewesen: Herr Kollege, der Deutschen Bun-
Ist der Bundesregierung bekannt, daß bei neuen Nebenan- despost liegt eine Empfehlung der Postverwaltung
schlüssen eines Telefonanschlusses oder beim Namenswechsel des der UdSSR vor, die ihr über ein Rundschreiben des
Anschlußinhabers dem Antragsteller Anschlußgebühren von
90 DM entstehen — die mit den Kosten für die Neuverlegung Weltpostvereins zugegangen ist. In dieser Empfeh-
eines Anschlusses identisch sind —, ohne daß der Post tatsäch- lung regt die Postverwaltung der UdSSR die Mit-
lich Auslagen in Höhe von 90 DM entstehen?
gliedsländer des Weltpostvereins an, aus Anlaß des
Ist die Bundesregierung bereit, die förmlichen Verfahren dahin
gehend zu ändern, daß bei den vorgenannten Voraussetzungen 100. Geburtstages von Lenin eine Gedenkmarke her-
künftig den Anschlußinhabein in der Bundesrepublik Deutschland
nicht mehr in vollem Umfang die Kosten eines Neuanschlusses
auszugeben. Die Deutsche Bundespost wird dieser
berechnet werden? Anregung nicht folgen.

Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen: -

Bundesminister für Verkehr und für das Post- und Keine Zusatzfrage.
Fernmeldewesen: Herr Kollege, die Einrichtungsge- Ich rufe die Frage 111 des Abgeordneten Cramer
bühr von 90 DM wird als Pauschale für die Herstel- auf:
lung eines Fernsprechanschlusses erhoben. Die tat- Wird eine mit 20 Pf frankierte Briefdrucksache schneller be-
fördert als eine mit 10 Pf frankierte Drucksache?
sächlichen Kosten liegen bei den neu herzustellenden
Anschlüssen meistens weit über diesem Betrag und Bitte, Herr Staatssekretär!
nur in wenigen Fällen unter diesem Wert. Von der
Kostenseite her gibt es dabei keinen Unterschied Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim
zwischen Haupt- und Nebenanschluß. Deshalb ist die Bundesminister für Verkehr und für das Post- und
Einrichtungsgebühr für beide Anschlußarten gleich. Fernmeldewesen: Herr Kollege, die Antwort lautet
Bei der Änderung eines Namens eines Fernsprech- ja. Briefdrucksachen werden zusammen mit Briefen
teilnehmers wird für den Hauptanschluß eine Um- und Postkarten befördert. Drucksachen dagegen wer-
schreibgebühr von 30 DM erhoben. Diese wird je- den über stationäre Drucksachenverteilerleitstellen
doch nicht erhoben, wenn sich der Name einer Teil- geleitet und auch nicht über das Nachtluftpostnetz
nehmerin durch Eheschließung ändert. Wenn sich befördert.
die Person des Fernsprechteilnehmers durch Übertra-
gung des Anschlusses oder Erbgang ändert, wird Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen: -

ebenfalls nur die Umschreibgebühr von 30 DM er- Damit sind die Fragen aus diesem Geschäftsbereich
hoben. erledigt. Vielen Dank, Herr Staatssekretär!
Wir kommen nunmehr zu den Fragen aus dem Ge-
Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen: -
schäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und
Eine Zusatzfrage. Sozialordnung. Zur Beantwortung der Fragen steht
der Herr Parlamentarische Staatssekretär Rohde zur
Verfügung.
Bäuerle (SPD) : Herr Staatssekretär, sind nicht
auch Sie der Meinung, daß bei den hier angespro- Die Fragen 10 bis 13 der Abgeordneten Pieroth,
chenen Fällen keine Installationskosten entstehen Dr. Eyrich und Peters (Poppenbüll) werden schriftlich
und deshalb die verlangte Gebühr in Höhe von beantwortet, weil die Fragesteller nicht im Saal sind.
90 DM in keinem Verhältnis zu dem zusätzlichen Ich rufe die Fragen 14 und 15 des Abgeordneten
Verwaltungsaufwand steht, von dem Sie bei der Suck auf:
Beantwortung der Frage gesprochen haben? Teilt die Bundesregierung die Auffassung des Präsidenten des
Bundesarbeitsgerichts, daß die Exekutive in einer Vielzahl von
Fällen Arbeitsgerichtsprozesse ohne Rücksicht auf die Kosten,
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim manchmal nur aus Angst vor dem Rechnungshof, unnötigerweise
bis in die letzte Instanz treibt?
Bundesminister für Verkehr und für das Post- und Welche Maßnahme gedenkt die Bundesregierung zu ergreifen,
Fernmeldewesen: Herr Kollege, es entsteht doch ein um die fragwürdige Prozeßfreudigkeit der öffentlichen Hand,
durch die andere Rechtsuchende gehindert werden, ihr ernst-
Installationsaufwand. Ich habe Ihnen ja gesagt, daß haft im Zweifel stehendes Recht zeitgerecht klären zu lassen,
die Einrichtungsgebühr als Pauschale bei der Her- einzudämmen?
stellung eines Fernsprechanschlusses erhoben wird. Bitte schön, Herr Staatssekretär!
1598 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 33. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Februar 1970

Rohde, Parlamentarischer Staatssekretär beim Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen: -

Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung: Es Weitere Zusatzfragen? — Keine.


liegen keine genauen Angaben für den gesamten Be- Ich rufe nunmehr die Frage 16 des Kollegen Mau-
reich der öffentlichen Hand darüber vor, ob Arbeits- cher auf:
gerichtsverfahren aus den von Ihnen genannten
Gründen bis in die Revisionsinstanz gebracht wor- Ist die Bundesregierung bereit zuzugeben, daß auf Grund ihres
Inserates „Mehr soziale Gerechtigkeit für die Kriegsopfer" ein
den sind. Soweit es die Bundesbehörden angeht, falscher Eindruck bei den Betroffenen und in der Öffentlichkeit
entstehen muß, nämlich der, daß die Renten in der Kriegsopfer-
läßt sich feststellen, daß die meisten Arbeitsgerichts- versorgung bei allen Kriegerwitwen um 25,3 % verbessert wer-
prozesse in den letzten Jahren in der ersten oder den?
zweiten Instanz oder durch Vergleich beendet wor-
den sind. Rohde, Parlamentarischer Staatssekretär beim
Aus der Statistik ergibt sich, daß die öffentliche Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung: Auch
Hand folgenden Anteil an den beim Bundesarbeits- , da bitte ich, zu gestatten, Herr Präsident, daß ich
gericht eingelegten Revisionen hat: Von den 1969 beide Fragen zusammen beantworte.
beim Bundesarbeitsgericht eingelegten 542 Revi-
sionen entfallen auf den Bund 25, die Länder 20 und Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen: -

die Gemeinden 3 Revisionen. Das sind zusammen Der Fragesteller ist einverstanden. Ich rufe also
48 Revisionen öffentlich-rechtlicher Dienstherren. auch die Frage 17 des Kollegen Maucher auf:
Ihnen stehen 89 Revisionen von Bediensteten ge-
Bei wie vielen Kriegerwitwen wird der Schadensausgleich ge-
genüber. kürzt bzw. fällt er ganz weg?

Die überwiegende Zahl der Revisionen, also 405, Bitte, Herr Staatssekretär!
kommt aus dem privatwirtschaftlichen Bereich. Die-
ses Verhältnis der öffentlichen Hand gegenüber dem
privaten Bereich ist seit Jahren im großen und gan- Rohde, Parlamentarischer Staatssekretär beim
zen gleichbleibend. Es darf dabei auch nicht unbe- Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung: Mit
rücksichtigt bleiben, daß höchstrichterliche Entschei- der von Ihnen angesprochenen Anzeige, Herr Kol-
dungen gerade im öffentlichen Dienst sehr oft wegen lege, wurde angestrebt, in knapper Form die we-
der Vielzahl gleichgelagerter Fälle von grundsätz- sentlichen Leistungsänderungen des ersten Anpas-
licher Bedeutung sind. sungsgesetzes für die Kriegsopferversorgung im
Grundsatz darzustellen. Bei Anzeigen dieser Art ist
Ergänzend darf ich noch darauf hinweisen, Herr es .allgemein nicht üblich, die besonderen Probleme,
Kollege, daß die durchschnittliche Revisionsdauer die sich z. B. .aus der gegenseitigen Beeinflussung
beim Bundesarbeitsgericht 8 Monate beträgt. Das der Rentenleistungen des Bundesversorgungsgeset-
Bundesarbeitsgericht bemüht sich also, Revisionen zes ergeben, im einzelnen darzustellen. Im vorlie-
schnell und zügig zu entscheiden. genden Fall wird man außerdem davon ausgehen
können, daß die seit langem geltende gesetzliche
Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:
-
Regelung, nach der die Grund- und Ausgleichsren-
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege. ten der Witwen bei Feststellung der Schadensaus-
gleiche wie Einkommen zu behandeln sind, weit-
gehend, vor allem aber den betroffenen Witwen,
Suck (SPD) : Ich 'bedanke mich, daß Sie die Dinge bekannt ist. Darum kann ich der Tendenz ihrer
durchaus positiv beurteilt haben, Herr Staatssekre- Frage nicht folgen.
tär. Sind Sie aber nicht doch der Meinung, daß man
sich von seiten der Bundesregierung, vor allen Din- Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen: -

gen dann, wenn Grenzfälle der Bewertung bei Ein- Eine Zusatzfrage, Herr Kollege? — Bitte!
gruppierungsmaßnahmen auftreten, für den Ange-
stellten entscheiden sollte? Mir ist andererseits be-
kannt, daß einige Landesregierungen gerade dazu Maucher (CDU/CSU) : Damit ist aber die zweite
übergegangen sind, ihren entsprechenden Dienst- Frage nicht beantwortet.
herren durch Erlasse dieses Argument an die Hand
zu geben, um die Bediensteten der Behörden, vor
allen Dingen diejenigen, die die Verantwortung RohDe, Parlamentarischer Staatssekretär beim
Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung: Ich
zu tragen haben, im Hinblick auf den Bundesrech-
bitte um Entschuldigung, Herr Kollege. Ich darf die
nungshof, der hier sehr scharf eingreift, zu ent-
Antwort nachtragen.
lasten?
Infolge der Rentenerhöhungen des ersten Anpas-
sungsgesetzes treten bei denjenigen, die Schadens-
Rohde, Parlamentarischer Staatssekretär beim ausgleich erhalten, Kürzungen ein. Das wurde so-
Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung: Herr wohl im Parlament, wie Sie wissen, als auch sonst
Kollege, Sie werden Verständnis dafür haben, daß öffentlich erörtert. Nach dem Haushaltsansatz 1970
ich bei der besonderen Lage des jeweiligen Rechts- werden hiervon rund 375 000 Witwen betroffen.
falles auf Ihre Frage keine pauschale Antwort geben
kann. Aber ich werde diesen Einwand von Ihnen
zum Anlaß nehmen, von unserem Hause das Pro- Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen: -

blem an den Herrn Innenminister heranzutragen. Eine weitere Zusatzfrage.


Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 33. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Februar 1970 1599

Maucher (CDU/CSU) : Herr Staatssekretär, ich Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen: -

habe nach der Zahl gefragt und frage ergänzend, Eine letzte Zusatzfrage, Herr Kollege.
wieviel Witwen, die gleichzeitig Renten aus der
Sozialversicherung erhalten, infolge der Anrech-
nungsbestimmungen, die Sie genannt haben, eine Mancher (CDU/CSU) : Herr Staatssekretär, wären
verminderte Ausgleichsrente erhalten. Sie wenigstens bereit, zu überlegen, ob, wie Sie es
jetzt bei der Erleichterung in der sozialen Fürsorge
gemacht haben, durch einen Erlaß für diejenigen
Rohde, Parlamentarischer Staatssekretär beim Beschädigten und Witwen, deren Berufsschadens-
Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung: Herr ausgleich und Schadensausgleich nicht nach dem Be-
Kollege, auf die Zahl habe ich hingewiesen. Alle amtenrecht, sondern nach den wirtschaftlichen und
darüber hinausgehenden Angaben werde ich Ihnen tariflichen Sätzen errechnet wird, entsprechend der
schriftlich nachreichen. alljährlichen Anpassung am 1. Januar 1970 eine
Anpassung erfolgen kann?
Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:
-

Eine weitere Zusatzfrage. Rohde, Parlamentarischer Staatssekretär beim


Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung: Ich
Maucher (CDU/CSU) : Herr Staatssekretär, darf werde diese von Ihnen gegebene Anregung prüfen.
ich Sie 'fragen, ob es mehr Gerechtigkeit ist, wenn
infolge des dynamisierten 'Rückstands die Rente Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen: -

eines Erwerbsunfähigen, Grund- und Ausgleichs- Weitere Zusatzfragen liegen zu diesen beiden Fra-
rente, jetzt schon — ab 1. Januar 1970 — 277 DM gen nicht vor.
unter der allgemeinen Bemessungsgrundlage liegt
und, wenn wir das Glück haben ,in Zukunft ebenso Ich rufe die Frage 18 des Abgeordneten Roser
die Erhöhung der Renten zu erhalten, in etwa zehn auf:
Wie verhält sich die Bundesregierung der Anregung gegen-
Jahren der Rückstand 440 DM betragen wird? Ist über, die rechtlichen Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß
die Bundesregierung bereit, um diesen Rückstand Waisenrente, Kinderzuschuß und Kinderzulage über die Voll-
endung des 18. bzw. 25. Lebensjahres hinaus in den Fällen
im Laufe der Zeit nicht immer größer werden zu weitergezahlt werden, in denen die betroffenen Personen infolge
lassen, bei der jährlichen Anpassung wenigstens körperlicher oder geistiger Gebrechen auf Lebenszeit zu eigenem
Erwerb nicht in der Lage sind?
eine Zulage zu gewähren?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Rohde, Parlamentarischer Staatssekretär beim
Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung: Herr Rohde, Parlamentarischer Staatssekretär beim
Kollege, ich darf Sie an die Diskussionen im Sozial- Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung: Herr
politischen Ausschuß erinnern, in denen ausdrück- Kollege, Sie haben eine schwerwiegende Frage an-
lich darauf hingewiesen worden ist, daß im Zuge gesprochen, die es verdient, daß sie in der weiteren
der weiteren Entwicklung der Kriegsopferversor- sozialpolitischen Entwicklung gründlich erörtert
gung auch bei der jetzt vorgenommenen Dynamisie- wird. Sie wissen, daß im Rahmen der Sozialhilfe
rung Strukturprobleme sorgfältig beobachtet und in bereits heute in den von Ihnen genannten Fällen
die künftigen politischen Beratungen einbezogen gezielte, auf die besonderen Umstände des Betroffe-
werden sollen. nen abgestellte Hilfen gewährt werden. Das Bundes-
kindergeldgesetz und das Bundesversorgungsgesetz
sehen eine Fortzahlung des Kindergeldes über das
Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:
-
25. Lebensjahr hinaus vor. Ihre Frage bezieht sich
Eine weitere Zusatzfrage. aber offensichtlich auf die zeitliche Leistungsbegren-
zung in der Sozialversicherung, insbesondere der
Maucher (CDU/CSU) : Herr Staatssekretär, darf Renten- und Unfallversicherung.
ich Ihre Äußerungen jetzt so verstehen, daß Sie In den bisherigen Erörterungen dieses Hauses
unter einer künftigen Entwicklung der Strukturver- wurde überwiegend davon ausgegangen, daß die
änderung auch das Auseinanderklaffen zwischen der von Ihnen erfragten Leistungen eher als eine Auf-
allgemeinen Bemessungsgrundlage und der Höhe gabe der Allgemeinheit als lediglich des Kreises der
der Rente eines Erwerbsunfähigen verstehen? Sozialversicherten anzusehen sind. Ob die bisherige
Abgrenzung der Leistungen zwischen Sozialver-
sicherung und Sozialhilfe sowie anderen Leistungs-
Rohde, Parlamentarischer Staatssekretär beim
bereichen auf Grund der praktischen Erfahrungen
Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung: Herr
aufrechterhalten werden kann, bedarf nach meiner
Kollege, ich will Ihnen dazu freimütig sagen, daß es
Auffassung eingehender Prüfung. In unserem Haus
sich dabei um Fragen mit erheblichen Folgewirkun-
sind entsprechende Vorarbeiten eingeleitet worden.
gen handelt. Diese Art von Problemen gibt es wie-
Der Sachverhalt wird im übrigen auch mit dem
derholt in den Fragestunden. Ich meine, daß es den
Bundesministerium für Jugend, Familie und Ge-
Charakter der Fragestunde überschreiten würde,
sundheit erörtert.
darauf eine konkrete Antwort zu geben, ohne daß
alle Hintergründe der Sache in den sozialpolitischen
Diskussionen dieses Hohen Hauses gründlich er- Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen: -

örtert worden sind. Eine Zusatzfrage!


1600 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 33. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Februar 1970

Roser (CDU/CSU) : Herr Staatssekretär, können Niegel (CDU/CSU) : Herr Staatssekretär, würden
Sie mir Auskunft darüber geben, bis wann mit dem Sie dann als Aufsichtsbehörde .auf die Bundesan-
Abschluß Ihrer Prüfungen zu rechnen ist? stalt für Arbeit dahin einwirken, daß wenigstens
der Lebenslauf soweit ergänzt wird, daß er nicht
auffälligerweise 1912 beginnt und später 1946 wie-
Rohde, Parlamentarischer Staatssekretär beim der fortfährt, wobei der Verdacht auftritt, daß in
Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung: Ich der Zeit vor 1946 — man kann hier an bestimmte
hoffe, Herr Kollege, daß das noch im Laufe dieses Zeiten denken — auch etwas geschehen sein muß?
Jahres der Fall sein kann.
Rohde, Parlamentarischer Staatssekretär beim
Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen: -
Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung: Herr
Damit ist Ihre Frage beantwortet. Kollege, unsere Aufsicht über die Bundesanstalt ist
eine Rechtsaufsicht. Ich habe nicht die Möglichkeit,
Die Fragen 19 und 20 sind von dem Herrn Ab- in dem von Ihnen genannten Sinne auf di e Bun-
geordneten Westphal gestellt. Sie werden schriftlich desanstalt einzuwirken.
beantwortet, denn der Herr Fragesteller ist nicht im
Saal. Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:
-

Ich rufe die Frage 21 des Herrn Abgeordneten Eine weitere Zusatzfrage.
Dröscher auf:
Niegel (CDU/CSU) : Herr Staatssekretär, treffen
Hält es die Bundesregierung noch für zulässig, daß die Ver-
sorgungsämter bei der Berechnung von Elternrenten für Land- Pressemeldungen zu, wonach für die ausscheiden-
verpachtung theoretisch Beträge in einer Höhe einsetzen, die den Abteilungsleiter der Bundesanstalt für Arbeit
— was den möglichen Ertrag aus landwirtschaftlichen Grund-
stücken und die Verpachtungsmöglichkeit angeht — vor 20 Dr. Fritze und Komo, die zu Präsidenten von Lan-
Jahren vielleicht berechtigt waren, heute aber, gerade in den
Mittelgebirgslagen, unmöglich zu erzielen sind? desarbeitsämtern ernannt wurden, Neubesetzungen
nach DGB- oder SPD-Gesichtspunkten vorgesehen
Der Fragesteller hat um schriftliche Beantwortung sein sollen?
gebeten. Die Antwort des Parlamentarischen Staats-
sekretärs Rohde vom 25. Februar 1970 lautet: Rohde, Parlamentarischer Staatssekretär beim
Wenn ich Sie richtig verstehe, geht es Ihnen um die Frage, Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung:
nach welchen Grundsätzen Einkünfte aus der Verpachtung von
landwirtschaftlichen Nutzflächen für die Feststellung von Aus- Nein, Herr Kollege, diese Pressemeldungen tref-
gleichs- oder Elternrenten nach dem Bundesversorgungsgesetz fen — —
zu ermitteln sind.
Nach den einschlägigen Vorschriften der Durchführungsver-
ordnung zu § 33 des Bundesversorgungsgesetzes werden der
Rentenberechnung grundsätzlich die tatsächlich erzielten Pacht-
Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:
-

zinsen nach Abzug von Werbungskosten zugrundegelegt. Ledig- Herr Staatssekretär, diese Frage steht nicht im un-
lich in vereinzelt vorkommenden Sonderfällen kann für die mittelbaren Zusammenhang mit der von Ihnen,
Rentenberechnung ein fiktives Einkommen angesetzt werden, bei
dessen Festsetzung die Verwaltungsbehörde aber den tatsäch- Herr Kollege, ,gestellten Hauptfrage. Ich lasse da-
lichen Pachtwert zu berücksichtigen hat. Der Bundesregierung
sind bisher keine Fälle bekanntgeworden, die eine Änderung her diese Zusatzfrage nicht zu.
der gesetzlichen Vorschriften erforderlich erscheinen lassen.
Sollten Ihnen darüber Angaben vorliegen, wäre ich gern bereit, Damit ist die Fragestunde abgelaufen.
sie in jedem Einzelfall nachprüfen zu lassen.
Der Rhein, meine Damen und Herren, führt
Ich rufe die Frage 22 d e s Abgeordneten Niegel Hochwasser, wie wir es letztmals 1955 erlebt ha-
auf: ben. Daß wir hier nicht stärker betroffen wenden,
verdanken wir den Männern des Bundesgrenz-
Glaubt die Bundesregierung, daß es der zunehmenden Bedeu-
tung der Bundesanstalt für Arbeit als einer modernen Dienst- schutzes, die Hand in Hand mit unserem Betriebs-
leistungsbehörde dienlich ist, wenn anläßlich der Ernennung
eines neuen Vizepräsidenten in dieser Anstalt durch die Presse-
selbstschutz und anderen Mitarbeitern des Hauses
stelle in Nürnberg ein nicht ausreichender Lebenslauf veröffent- Tag und Nacht zum Schutze des Bundestages im
licht wird?
Einsatz sind. Ihnen und dem Betriebsselbstschutz
gilt daher unser laufrichtiger Dank.
Rohde, Parlamentarischer Staatssekretär beim (Beifall.)
Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung: Herr
Kollege, die Bundesregierung hat es 'bisher nicht Ich darf diesen Dank in Ihrem Namen, meine Da-
als ihre Aufgabe angesehen, Pressemitteilungen der men und Herren, ausdehnen auf alle, die draußen
Bundesanstalt für Arbeit redaktionell zu beurteilen. in unserem Lande als unermüdliche Helfer tätig
Sie wird auch in Zukunft nicht so verfahren. Mit- sind, um vielerorts diese Flutkatastrophe zu be-
teilungen, die von dieser Bundesanstalt zu machen kämpfen.
sind, fallen unter deren eigene Verantwortung. Im (Erneuter Beifall.)
übrigen habe ich den Eindruck, daß die Angaben Wir treten nunmehr wieder in die Haushaltsbe-
über den beruflichen Werdegang des neuen Vize- ratungen ein. Das Wort hat der Herr Bundeskanz-
präsidenten die besondere Beziehung zu seinem ler.
neuen Amt deutlich machen. Das entspricht allge-
meiner Übung.
Brandt, Bundeskanzler: Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Ich möchte zunächst zwei Be-
Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen: - merkungen machen, die außerhalb der außenpoliti-
Zusatzfrage! schen Debatte dieses Tages liegen. Di e eine Be-
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 33. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Februar 1970 1601
Bundeskanzler Brandt
merkurig bezieht sich auf eine Frage, die Herr DT. und zu dürfen, was sich an Rechten und Pflichten
Barzel heute früh gestellt hat. Ich darf daran er- aus dem Art. 5 des Grundgesetzes ergibt.
innern, daß ich heute vor einer Woche, am 17. Fe- Drittens. Die Regierung wird weiterhin für die
bruar, vor diesem Hohen Hause gesagt habe, daß Freiheit der Meinung und für die Pressefreiheit ein-
die Bundesregierung das Stabilitäts- und Wachstums- stehen, wie es das Grundgesetz und die eigene
gesetz ernst nehme und die Konjunkturlage sorgfäl- Überzeugung befehlen. Sie wird über ihre Mei-
tig prüfen werde. Diese Aussage gilt unverändert, nung nach bedenklichen oder gefährlichen Entwick-
und der fortlaufenden sorgfältigen Prüfung dient lungen, wenn und wo sich solche ergeben, nicht
auch die Sitzung des Wirtschaftskabinetts, die zu schweigen. Aber sie wird sich hüten, das Mißver-
Freitagnachmittag einberufen worden ist. ständnis aufkommen zu lassen, sie fürchte die kri-
Ich halte es nicht für richtig, zu sagen, nun haben tische Auseinandersetzung oder wolle sich ihr ent-
wir die Debatte halbwegs hinter uns gebracht, und ziehen.
nun lassen wir die Dinge zunächst einmal sich ent- Nun zu dem Gegenstand der heutigen Debatte im
wickeln. Vielmehr ist es richtig, daß nach einer sol- engeren Sinne! Wenn ich die letzten Monate über-
chen Debatte das zuständige Gremium vorbereitend blicke, mir auch die augenblickliche Lage in diesen
für das Kabinett das Ganze noch einmal sorgfältig Tagen deutlich mache, dann komme ich zu vier Fest-
überprüft unter Berücksichtigung dessen, was hier stellungen, die zunächst einmal den Rahmen des
im Hohen Hause erörtert worden ist und was sonst Gesprächs wieder etwas ausweiten, so wie auch
in der Öffentlichkeit vorgetragen wird. der Außenminister heute früh ganz bewußt nicht
Daß diese Fragen, Herr Kollege Barzel, auch nur von der Ostpolitik und von der Deutschland-
öffentlich erörtert werden, ist in der Demokratie politik gesprochen hatte.
selbstverständlich. Daß sich daran auch Mitglieder Die erste dieser vier Feststellungen ist, daß unser
des Kabinetts aktiv beteiligen, ist nicht ein Novum Bemühen um Fortschritt auf dem Wege zum Zusam-
dieser Bundesregierung. menschluß in Westeuropa nicht ohne Erfolg geblie-
(Abg. Dr. Barzel: Ich hab's auch nicht gerügt!) ben ist.
Ich kann nur wiederholen: Diese Bundesregierung (Beifall bei den Regierungsparteien.)
wird sich nicht zu voreiligen Handlungen verleiten Die schwierigen, natürlich nicht jeden befriedigen-
lassen. Sollten aber weitere Stabilisierungsmaßnah- den Verhandlungen - darüber wird das Hohe
men notwendig werden, dann hoffe ich sehr, bei Haus ja noch zu befinden haben — über den Ab-
denen, die in diesen Tagen nach zusätzlichen Maß- schluß der Übergangsphase für die EWG konnten
nahmen gerufen haben, auch volle Unterstützung zu zum Abschluß gebracht werden. Die Verhandlungen
finden. über die Erweiterung der EWG werden stattfinden.
(Beifall bei den Regierungsparteien.) Mehr kann man nicht sagen. Sie werden stattfinden.
Die zweite Bemerkung ergibt sich daraus, daß die Das wird in der nächsten Woche eine Rolle spielen,
Debatte am letzten Freitagmittag etwas abrupt zu wenn hierüber und über anderes während meines
Ende ging. Ich hätte sonst gerne noch, wie es mit Besuches in London mit der britischen Regierung
Recht erwartet wurde, ein Wort gesagt. Ich hätte gesprochen wird.
einen Nachtrag angebracht zu den Erörterungen Zweitens. Ostpolitisch haben wir uns genau an
über das Verhältnis zwischen Regierung und Presse. das gehalten, was wie hier vor dem Hohen Hause,
Lassen Sie mich das jetzt mit drei Feststellungen damit zugleich vor der deutschen und internationa-
versuchen. len Öffentlichkeit, am 28. Oktober vergangenen
Erstens. Wenn es nicht schon vorher klar gewesen Jahres angekündigt haben, nämlich das Gespräch
sein sollte, dann ist es doch wohl jedenfalls inzwi- mit der Sowjetunion, das diese wieder aufzuneh-
schen klar geworden, daß der Chef des Bundes- men noch vor den Bundestagswahlen vorgeschlagen
presseamtes, als er ein gewisses Verständnis für hatte, tatsächlich wieder aufzunehmen, ein Gespräch
Proteste gegen manipulierte Nachrichten zeigte, mit Warschau, mit der Regierung der Volksrepublik
auch nicht entfernt daran gedacht hat, sich mit Ge- Polen, aufzunehmen und einem Gespräch mit der
walttätigkeiten oder anderen rechtswidrigen Hand- Regierung in Ost -Berlin nicht auszuweichen.
lungen identifizieren zu wollen. Drittens. Unsere illusionslose, geduldige, aber
Zweitens. Herr Kollege Benda ist aus meiner Sicht beharrlich auf einen Abbau der Spannungen gerich-
der Dinge dem Problem insofern nicht gerecht ge- tete Politik hat in vielen Teilen der Welt eine starke
worden, als er — übrigens unter Hinweis auf einen politisch-moralische Unterstützung gefunden. Diese
südosteuropäischen Staat — meinte, es handele sich Politik ist abgesichert im Kreise unserer Verbünde-
bei , diesem Teil der Kontroverse darum, ob hier ten. Das gilt in ganz besonderem Maße für Wa-
irgendjemand aus der Regierung oder für die Re- shington, für Paris und auch für London.
gierung eine Kompetenz in Anspruch nehmen wolle, (Beifall bei der SPD.)
um über Art. 5 des Grundgesetzes zu entscheiden.
Davon kann natürlich überhaupt keine Rede sein. Viertens. Die bewährte freundschaftliche Zusam-
Es ging und es geht um etwas weit Bescheideneres: menarbeit mit den Vereinigten Staaten wird erneut
nicht um die Entscheidung, sondern um die Mei- deutlich werden, wenn ich Anfang April auf Einla-
nung, wenn Sie so wollen, die Freiheit der Meinung dung Präsident Nixons zur Besprechung aller aktu-
— auch für die Regierung und ihre Beauftragten —, ellen Fragen in Washington sein werde. In diesem
die Freiheit, sich tauch darüber äußern zu können Zusammenhang liegt mir daran, den heute früh nur
1602 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 33. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Februar 1970

Bundeskanzler Brandt
angedeuteten, aber doch wirklich sehr gewichtigen, bemühen uns um eine Verstärkung der Tendenzen
umfassenden. Bericht Präsident Nixons zur außenpo- zur friedlichen Kooperation im gesamteuropäischen
litischen Lage in diese Debatte des des Deutschen Sinne, nicht zuletzt auch deshalb, weil wir sehr
Bundestages einzuführen, jenen Bericht vom 18. Fe- genau beobachten, welche potentiellen Gefahren in
bruar, dessen Leitmotiv die Friedenssicherung ist. einer Verminderung des amerikanischen militäri-
Nachdem nur eine Wendung herausgegriffen wor- schen Engagements in der jetzt vor uns liegenden
den war, muß ich das Thema bitte ausweiten und Zeit liegen können.
sagen dürfen: Sie, meine Damen und Herren, können sich dar-
(Abg. Dr. Barzel: Ich wäre Ihnen sehr auf verlassen, daß die Bundesregierung alles in
dankbar dafür!) ihrer Macht Stehende tun wird, um die militärische
Präsenz der USA in Europa zu sichern, bis eines
Dieser Bericht des Präsidenten der Vereinigten
Tages im Zusammenwirken der Kräfte in West und
Staaten spricht sich für die Bekräftigung der ameri-
Ost eine Friedensordnung geschaffen sein wird.
kanischen Bindungen an Europa aus, für eine echte
Partnerschaft zwischen Amerika und Europa, für Wir achten selbstverständlich darauf und müssen
die anhaltende Förderung der westeuropäischen darauf achten — ich ließ es soeben schon anklin-
Einigungsbestrebungen. Er enthält auch das deutlich gen —, die auf ein amerikanisches Desengagement
ausgesprochene Verständnis der amerikanischen Re- — „disengagement" müßte man wohl sagen, wenn
gierung für unsere Friedenspolitik und expressis man von den Amerikanern spricht —
verbis die Unterstützung unserer Bemühungen um
(Abg. Dr. Barzel: Sagen Sie es auf deutsch!)
normalere Beziehungen zu unseren Nachbarn im
Osten. Das möchte ich zunächst einmal außerhalb hinwirkende Kräfte nicht zu verstärken. Aber die
jeder Polemik unter uns festhalten. Das möchte ich Situation stellt sich mir insofern umgekehrt dar, als
begrüßen dürfen, und ich wäre froh, wenn ich es sie hier heute früh von Herrn Barzel geschildert
von dieser Stelle aus mit Zustimmung vieler, also wurde. Eine Weigerung der Bundesregierung, sich
nicht nur für die Regierung, auch dankbar würdigen ihrerseits — ich sage noch einmal: illusionsfrei, aber
dürfte. beharrlich — um eine Entspannung und damit auf
(Allgemeiner Beifall.) eine mittlere Frist um eine Verringerung der mili-
tärischen Lasten 711 bemühen, würde nur dazu füh-
Im übrigen, meine Damen und Herren, möchte ich ren, entsprechende Tendenzen im amerikanischen
davon abraten, die Diskussion über die künftige
Senat zu fördern.
amerikanische Präsenz in Europa so zu führen, daß
sich daraus für uns zwangsläufig abträgliche Wir- (Abg. Dr. Barzel: Herr Bundeskanzler, hat
kungen ergeben. Dazu gehört, wenn Sie mir bitte hier jemand verlangt, man solle sich nicht
diesen Rat abnehmen wollen, in jeder öffentlichen um Entspannung bemühen?)
Erörterung — aber in einer nichtöffentlichen erst
recht — der klare Hinweis darauf, daß es hierbei — Nein. Dies war auch nicht der Punkt. Ich will
auch um uns - nicht zuletzt um uns — und um nur sagen: gerade auch dieser Zusammenhang ent-
Europa geht, daß es natürlich aber auch um die spricht den Notwendigkeiten, die sich für uns aus
Vereinigten Staaten von Amerika selbst, um ihren der gegenwärtigen Lage ergeben.
Rang als Weltmacht, um ihre Stellung in der Welt Ich hätte übrigens meine vier Punkte noch durch
und in diesem Teil der Welt geht. Jede Diskussion, einen fünften ergänzen können, wenn mir daran
die nicht von diesem Punkt aus startet, geht in die gelegen gewesen wäre, heute auch noch ausdrücklich
Irre, auch was die Regelung praktischer Fragen zwi- zu widerlegen, was Herr Kollege Strauß in der
schen den Vereinigten Staaten und uns angeht. Februar-Nummer des „Deutschland-Magazins" zu
Meine Damen und Herren, wenn man einigen Papier gebracht hat, nämlich seine Behauptung, die
Rednern zuhört, könnte man leicht den Eindruck ge- Stellung Deutschlands werde immer mehr ge-
winnen, als ob sie hinsichtlich der Möglichkeiten der schwächt — und jetzt habe ich ihn wörtlich zitiert.
deutschen Politik, Forderungen gegenüber der So- Ich will hier kein rosarotes, unerlaubt optimistisches
wjetunion durchzusetzen, die Bundesrepublik Bild malen — wie käme ich dazu! —; aber ich emp-
Deutschland als eine Weltmacht ansehen, die sogar fehle, Zeitungen zu lesen
stärker als die Vereinigten Staaten sei, andererseits
(Lachen bei ,der CDU/CSU)
aber, wenn es darum geht, die sowjetische Gefahr
darzustellen, die Möglichkeiten des Westens zur — ja, auch ausländische Zeitungen zu lesen, ich
Abwehr wesentlich geringer einschätzen, als sie in empfehle, mit Geschäftsleuten zu sprechen, ich emp-
Wirklichkeit sind. fehle, sonst mit Leuten zu sprechen, die sich in der
(Beifall bei der SPD und bei Welt auskennen. Das wird zu dem Ergebnis führen:
Abgeordneten der FDP.) wir stehen nicht schlechter da, wir stehen eher ein
wenig sicherer da in dem einen oder anderen inter-
Mit einer solchen Weltoptik kann man unter nationalen Zusammenhang, und es ist unser Inter-
Umständen naive Gemüter beeinflussen, aber man esse — nicht das Interesse einer Regierung, sondern
kann keine Politik damit machen. das Interesse dieser Bundesrepublik Deutschland —,
(Beifall bei den Regierungsparteien.) daß das so bleibt und, wenn es geht, etwas besser
wird.
Wir bemühen uns, die politische Kraft der Bun-
desrepublik Deutschland richtig zu kalkulieren. Wir (Beifall bei den Regierungsparteien.)
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 33. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Februar 1970 1603
Bundeskanzler Brandt
Nun zu den Fragen der Opposition. Zunächst Bundesregierung zu hören, es gehe in den Ver-
komme ich zu der vielleicht wichtigsten Frage, die handlungen zwischen Warschau und Bonn in der
heute früh gestellt worden ist. Es ist die Frage des Grenzfrage jetzt nur noch um eine Formel. Dann
Führers der Opposition, ob sich die Regierung mit habe ich gesagt: Was meint das? Das meint Schick-
ihren Gesprächen in Moskau und anderswo — ich sale, Menschen, Recht, Schlesien, Pommern usw.
zitiere jetzt nicht wörtlich, sondern gebe die Frage Dies war meine Einlassung, und wir wollen das,
sinngemäß wieder — im Rahmen ihrer eigenen hier weil es die Wahrheit ist, hier doch von niemandem
abgegebenen Regierungserklärungen bewege. Ich bestreiten lassen.
nehme a n, Herr Kollege Barzel hat sich insbesondere
(Beifall bei der CDU/CSU.)
auf die Erklärung vom 14. Januar bezogen. Ich be-
ziehe mich sowohl auf die Erklärung vom 28. Okto-
ber als auch auf die Erklärung vom 14. Januar. Nun Brandt, ' Bundeskanzler: Ich komme auf die For-
will ich es mir nicht zu leicht machen. Ich könnte meln gleich noch einmal zurück.
schließlich antworten: Herr Kollege Barzel kannte
die Antwort auf die gestellte Frage. Ihm lag aber Es geht erstens um die Sicherheit und die Wohl-
vermutlich daran — dies wäre legitim —, das, was fahrt der Bundesrepublik Deutschland. Es geht zwei-
er dazu schon Wußte, hier aktenkundig zu machen, tens um die Deutschen und darum, wo sie heute
nämlich durch eine Antwort, die ich auf die Frage leben, und es geht drittens darum, was sich für die
von dieser Stelle aus gebe. Ich versuche, dies zu Deutschen und durch ihre Mitwirkung an einer
europäischen Friedensordnung zum Besseren wen-
tun.
den mag.
(Abg. Dr. Barzel: Wegen des Interviews
von Wehner!) (Beifall bei den Regierungsparteien.)
Meine Damen und Herren, ich habe dem, was in Alles Bemühen liegt auf diesem schwierigen Wege,
der erwähnten Regierungserklärung vom 14. Ja- der zu einer europäischen Friedensordnung hin-
nuar, die damals im Januar etwas negativer aufge- führt. Es geht um vertragliche Regelungen — sie
nommen worden ist, als sie im Februar gedeutet werden schwer genug zu erreichen sein —, welche
wird — aber das lasse ich einmal beiseite —, und in mehr sein müssen als Formeln und welche den
der Regierungserklärung vom 28. Oktober vergan- legitimen Interessen unseres Volkes und den fried-
genen Jahres steht, in diesem Augenblick nichts lichen Zielen der deutschen Politik nicht zuwider-
hinzuzufügen, sondern ich unterstreiche ausdrück- laufen dürfen. Aber eines darf ich hier sagen, ohne
lich das, was dort zu dem Gegenstand unserer den Mund zu voll zu nehmen. Ein formalisierter
heutigen Debatte steht. Unsere Ziele und Absichten Gewaltverzicht, wenn wir ihn zustande bringen,
sind also bekannt, und zwar nicht nur hier, sondern wird das Buch der deutschen Geschichte ganz gewiß
auch anderswo. Sie werden auch anderswo bekannt- nicht zuschlagen, oder es wird ihn nicht geben.
gemacht. Wir sind alle miteinander doch nicht so (Beifall bei den Regierungsparteien und
naiv zu meinen, andere verfolgten — auch wenn bei Abgeordneten der CDU/CSU.)
Gewaltverzichtsabkommen geschlossen würden —
nicht weiterhin ihre Ziele. Ich finde, es wäre nicht Ich habe hier nicht das — wenn ich es so nennen
in Ordnung, wenn man hier oder anderswo unter- darf, ohne daß es falsch aufgefaßt wird — Vilshofe-
stellte, irgend jemand sei auf einen Verzicht auf ner Argument gehört, die dortige Sparkasse wolle
nationale Einheit aus, wenn er in Wirklichkeit ledig- ja auch nicht die Bundesbank schlucken. Dies als
lich versucht, die Lage in der Welt und die Lage Parallele zum Verhältnis Bundesrepublik Deutsch-
Deutschlands in der Welt deutlich zu machen. Ich land Sowjetunion.
-

sage Ihnen sehr offen, Herr Kollege Barzel, ich habe (Zuruf des Abg. Stücklen.)
heute früh fast etwas Angst bekommen, als ich den
Satz hörte: Es geht bei unseren gegenwärtigen ost- Es stimmt im übrigen, daß die Bundesrepublik
politischen Bemühungen — so habe ich es im Ohr — Deutschland die Sowjetunion weder bedrohen kann
um Schlesien, um Pommern, um Ostpreußen. noch will. Es stimmt aber auch, ob es uns Spaß
macht oder nicht, daß es in der Sowjetunion und im
(Abg. Dr. Barzel: O nein! — Abg. Dr. Apel: Ostblock, und nicht nur bei kommunistischen Regie-
Das haben Sie gesagt! — Zurufe von der renden, sondern auch bei anderen, immer noch
CDU/CSU.) Mißtrauen gegenüber den Deutschen und auch der
Bundesrepublik Deutschland gibt. Ich bin bzw.
Vizepräsident Dr. Schmitt - Vockenhausen: bleibe der Meinung von Präsident Nixon, ausge-
Herr Bundeskanzler, gestatten Sie dem Abgeord- drückt in dem vorhin erwähnten Bericht zum 18. Fe-
neten Barzel eine Zwischenfrage? bruar, daß die Sowjetunion — dies gehörte auch
dazu, zum Frieden in Europa zu kommen — die ana-
chronistische Furcht vor Deutschland überwinden
Brandt, Bundeskanzler: Gern. müsse.
Der Kollege. Barzel hat heute früh gefragt, ob die
Dr. Barzel (CDU/CSU) : Herr Bundeskanzler, wir Bundesregierung der Meinung sei, daß die Positio-
haben durch Zwischenrufe und Antworten zwei an- nen der östlichen Partner uns gegenüber fugenlos
dere Sachen in Ordnung gebracht; dann wollen wir aufeinander abgestimmt seien und ob, wenn dies
das auch gleich in Ordnung bringen. Ich habe ge- bejaht werde, die Regierung bereit sei — ich gebe
sagt, es sei in den Zeitungen zu lesen und von der es frei wieder —, zu akzeptieren, daß die Opposition
1604 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 33. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Februar 1970

Bundeskanzler Brandt
insoweit im Januar die Lage richtig eingeschätzt chen, was er will, und würde vor allem die deutsche
habe. Politik auf den womöglich metaphysischen Zeitpunkt
(Abg. Dr. Barzel: Die Frage habe ich gar verweisen, an dem die Geschichte ihre Phantasie
nicht gestellt, weil es gar nicht um Recht spielen ließe. Wer sagt uns denn, daß diese Phanta-
haben geht!) sie der Geschichte dann nicht gegen uns ausschlagen
und all unsere Bemühungen zunichte machen würde?
— Sie war dabei; aber es ist um so besser, wenn es
darum nicht geht. Meine Damen und Herren, zu einem Punkt hat
Herr Strauß mich mißverstanden, als er sich heute
(Zuruf von der CDU/CSU: Stellen Sie sich früh zum Thema der Verfassungsmäßigkeit oder
nicht selber Fragen, die Sie beantworten -widrigkeit äußerte. Er hat bei dem Zitat, das er da-
können!) zu vortrug, den unmittelbar sich anschließenden Satz
— Sehen Sie im Protokoll nach! Außerdem ist es nicht mit vorgetragen. Das passiert uns manchmal,
auch erlaubt, sich selbst Fragen zu stellen. Herr Kollege Strauß. Mir lag aber an dem Satz, der
an die beiden anschließt, die Sie zitiert haben, und
(Beifall bei der SPD.) der lautet, er würde es begrüßen — jetzt zitiere ich
Aber ich tue es in enger Anlehnung an das, was hier wörtlich, Herr Kollege Strauß, „Deutschland-Maga-
vorgetragen wurde. zin", Februarnummer —, „wenn Bundeskanzler
Meine Damen und Herren, jeder, der die Zusam- Brandt sich einmal zur Frage der Verfassungsmäßig-
menhänge kennt, muß wissen — ich bin ganz sicher, keit seiner Politik klar und deutlich äußern würde."
daß Herr Kollege Barzel es weiß —, daß eine Ant- (Hört! Hört! bei der SPD.)
wort des Bundeskanzlers auf diese Frage die Ope- Das war der Satz, der anschloß an das, was Sie vor-
ration stören muß, in die er Beauftragte hinein- getragen haben, und da habe ich sagen wollen und
gestellt hat. sage es jetzt so deutlich, wie ich meine, es sagen zu
(Abg. Wehner: Sehr wahr!) müssen: Wer mir Verfassungswidrigkeit unterstellt,
Trotzdem will ich jetzt nicht ausweichen. Es handelt sollte nicht die Beweislast verschieben!
sich, wie unterschiedlich die Regierungssysteme uns (Beifall bei den Regierungsparteien. — Zu-
gegenüber immer sein mögen, nach internationalem rufe von der CDU/CSU.)
Recht um souveräne Staaten, und solche haben
selten fugenlose Positionen. Das ist das eine. . Mich würde in diesem Zusammenhang z. B. inter-
essiert haben, wie der seinerzeitige Verteidigungs-
Herr Kollege Strauß hat es neulich in dem schon minister Strauß die Vorschläge des damaligen Bun-
erwähnten Interview — ich denke nicht an die Rede, deskanzlers Adenauer an die Regierung der Sowjet-
sondern an das schwarz auf weiß formulierte Inter- union verfassungsrechtlich gewürdigt hat oder ge-
view im „Deutschland-Magazin" — einen gefähr- würdigt haben würde, Vorschläge, die, glaube ich,
lichen Illusionismus genannt — das gehört zu die- nicht in diesem Hohen Hause erörtert worden sind
sem Komplex, und das ist nicht eine selbst gestellte — ich weiß nicht, ob sie im Kabinett erörtert worden
Frage, sondern das Anknüpfen an ein Zitat; jetzt sind, aber aus den Akten kann man sich über sie
zitiere ich wörtlich —, als ob man den Ostblock aus- informieren —, die darauf hinausliefen, für zehn-
einandermanövrieren könnte. Das ist eine krasse oder zwanzig Jahre in den Fragen, über die wir
Fehlinterpretation, und mir liegt daran, dies zurecht- streiten, immer noch streiten und uns Sorgen ma-
zurücken: Wir werden nicht, auch wenn wir es könn- chen, zu einem Stillhalteabkommen zu gelangen.
ten, andere gegeneinander ausspielen, weil wir zwi- Er hat damals die sowjetische Seite wissen lassen,
schen uns und den Staaten und Völkern Osteuropas daß man die erste Ziffer auch durch mehrere an-
Vertrauen und nicht neues Mißtrauen brauchen. dere Ziffern ersetzen könnte. Ich glaube, ich brauche
nicht deutlicher zu werden.
(Beifall bei den Regierungsparteien.)
(Hört! Hört! bei Abgeordnetnn der SPD. —
Im übrigen hat Herr Strauß heute vormittag — Zurufe von der CDU/CSU.)
durchaus zu Recht — darauf hingewiesen, daß die
Länder des Ostens, mit denen wir Gespräche führen, Meine Damen und Herren, noch in diesem Zu-
in enger Abstimmung miteinander vorgehen. Wir sammenhang, wo es um die Fragen der Opposition
tun das auf unsere ganz andere Weise und als demo- geht, ein paar Sätze zu den vermeintlichen Vorlei-
kratisch organisierte Staaten mit unseren Verbün- stungen. Herr Kollege Strauß hat das schon in der
deten. Von einem Alleingang kann und wird nicht vergangenen Woche deutlich gemacht. Das war je-
die Rede sein, weder hüben noch drüben. Aber diese denfalls hilfreich, weil man wußte, worauf dieser
konzertierte Aktion — jetzt auf die Seite drüben Vorwurf des Ausverkaufs beruhte. Ich denke an
bezogen oder auch auf die hiesige —, bei der gele- NV, Nichtverbreitung, und ich denke an das, was er
gentlich durchaus nicht voll übereinstimmende In- Zweistaatentheorie nennt. Diese beiden Themen
teressen der beteiligten Staaten sichtbar werden, sind zwar in einer anderen Form, aber doch inhalt-
darf uns nicht daran hindern, den Versuch zu lich heute früh durch den Vorsitzenden der Unions-
machen, Übereinkünfte zu erzielen. Wir spekulie- fraktion hier erörtert worden. Ich darf daran an-
ren — ich darf dies noch einmal in aller Deutlichkeit knüpfen.
sagen — nicht auf Uneinigkeit im Osten oder auf Zunächst zum NV-Vertrag, meine Damen und
Schwächeperioden dortiger Regierungen oder gar Herren! Es wird gesagt: Ja, nun haben wir das
auf die Kontroverse zwischen Rußland und China. soeben unterzeichnet — d. h. im November, wie wir
Wer das täte, würde das Gegenteil von dem errei- es im Oktober angekündigt hatten —, und schon
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 33. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Februar 1970 1605
Bundeskanzler Brandt
gibt es irgend jemanden in Polen, in New York, in tisch bleibt, haben wir immer gewußt. Wenn man
Genf oder anderswo, hier von Leistung spricht, dann ist es eine Leistung
(Zuruf von der CDU/CSU: U'Thant!) vieler Staaten für dasschwierige Werk des Frie-
dens und nicht die Leistung eines Staates — Bun-
der wirft Fragen auf, die sich auf den Vertrag über desrepublik Deutschland — zugunsten. anderer.
das gemeinsame Gasultrazentrifugen-Projekt zwi- Auch mein Vorgänger im Amt des Bundeskanzlers
schen uns, den Engländern und den Holländern be- hat, wenn ich es recht verstanden habe, genau ge-
ziehen. Meine Damen und Herren! Daß es viele wußt, daß er eine Abseitsstellung auf diesem Ge-
geben wird, die uns gegenüber noch lange kritische biet auf die Dauer nicht würde aufrechterhalten
Fragen aufwerfen, das überrascht mich nicht. Wir können.
müssen uns hier erst einmal darüber verständigen:
Zu diesem Projekt, das wichtig sein wird für West- (Abg. Dr. h. c. Kiesinger: Auf die Dauer! —
europa — Großbritannien, die Niederlande und die Abg. Dr. Barzel: Nein, aber vorher alles
Bundesrepublik Deutschland —, wäre es nicht ge- klären!)
kommen, es würde jetzt nicht zu einem Abschluß Meine Damen und Herren! Was die Zwei Staaten-
-

kommen können ohne die deutsche Unterschrift Theorie angeht: ich habe keine solche Theorie er-
unter den NV-Vertrag. Damit fängt die Geschichte funden,
erst einmal an.
(Zuruf von der CDU/CSU: Aber akzeptiert!)
(Beifall bei den Regierungsparteien. —
Zuruf von der CDU/CSU: Vorher schon die Bundesregierung hat keine solche Theorie er-
unterzeichnet!) funden, sondern die Bundesregierung hat wie viele
in unserem Volk zur Kenntnis nehmen müssen, daß
Dies sage ich in voller Kenntnis der Aktenlage und
sich eine Zwei Staaten Realität auf deutschem Boden
der übrigen Zusammenhänge. Daran gibt es über-
- -

entwickelt hat, nicht eine Theorie, sondern ein be-


haupt nichts zu deuteln, daran, daß es zu der tat-
klagenswertes Stück Wirklichkeit.
sächlichen Inkraftsetzung nicht gekommen wäre
ohne dieses Zwischenstück. (Beifall bei den Regierungsparteien.)
(Abg. Dr. h. c. Kiesinger: Davon war nie Damit sind wir bei den „Formeln" und bei den
die Rede! — Weitere Zurufe von der „Lösungen". Hat nicht während der vergangenen
CDU/CSU.) 20 Jahre der Formelkram allzusehr dominiert? Ich
Im übrigen bestreite ich nicht, daß es einen in- sage das nicht als Vorwurf, sondern ich schließe mich
direkten Zusammenhang dieser Unterschrift — selbst mit ein. Ich habe das lange genug selbst mit-
nicht der Ratifizierung; das ist ein anderer Punkt —, gemacht. Dies ist nicht eine Frage, um die es allein
unserer Unterschrift unter den Vertrag, mit uns- zwischen der Union und anderen geht. Ich greife das
seren ostpolitischen Bemühungen gibt. Das habe auf, was Herr Kollege Strauß heute vormittag vor-
ich gewußt. Deshalb habe ich am 28. Otkober hier gebracht hat. Er hat das zitiert, was ich damals als
ganz offen vor die drei Punkte Moskau, Warschau, Regierender Bürgermeister von dieser Stelle aus
Ost-Berlin in der Zusammenfassung den Punkt ge- wenige Tage nach dem 13. August 1961 in meiner
setzt: Wir werden diesen Vertrag unterzeichnen, und unser aller Verzweiflung gesagt habe. Ich stehe
nachdem die und die Punkte geklärt sind. zu dem. Aber glaubt denn hier jemand, daß sich
etwas an meiner Gesinnung und meinen Grund-
Was ich jetzt sage, sage ich nicht, um unnötig zu
sätzen geändert hätte? Will nicht auch Herr Kollege
polemisieren, aber Sie, Herr Kollege Barzel, ha- Strauß mir zugeben, daß damals ein Vorhang weg-
ben einen wichtigen Punkt zwar nicht ausgebreitet, gezogen worden ist und daß sich herausstellte: die
aber angetippt, und alle Kenner halben gewußt, Bühne war leer? Ich sage das nicht als Anklage,
was damit gemeint ist: Unsere Auseinandersetzung sondern als Tatsachenfeststellung. Keine Bundes-
um das Wegräumen einer uns schädlichen Deutung regierung, auch nicht diejenige mit dem Verteidi-
der Feindstaaten Klausel der Charta der Vereinten
-
gungsminister Strauß, hat den Berlinern und dem
Nationen ist nach dem, was ich heute überblicken
Berliner Bürgermeister Brandt helfen können. Auch
kann, erleichtert warden, aussichtsreicher gewor- die mächtigen Vereinigten Staaten haben uns nicht
den durch die Situation, in der wir uns befinden. helfen können, sondern wir haben zur Kenntnis neh-
Jedenfalls werden wir nicht davon ablassen kön- men müssen: dort ist die Grenze durch die Stadt
nen, daß auch für uns Art. 2 der Charta der Ver- gleichbedeutend mit einer Grenze zwischen den bei-
einten Nationen gelten muß, wie es die Westmächte den Supermächten dieser Welt.
uns gegenüber erklärt haben. Und es ist für mich
ebenso klar, daß die Unterschrift — der ja inzwi- (Abg. Freiherr von und zu Guttenberg mel-
schen u. a. auch die japanische gefolgt ist — eine det sich zu einer Zwischenfrage.)
Vorausetzung war, um erfolgreich über nicht dis-
kriminierende Kontrollen zu verhandeln. Die Part- Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen:
ner Italien und Benelux — von der Sonderlage Herr Bundeskanzler, — —
Frankreichs abgesehen — wollten ja halt nicht in
die Verhandlungen mit der Wiener Behörde eintre-
ten, bevor wir uns nicht insoweit in der gleichen Brandt, Bundeskanzler: Wer seitdem — darf ich
den Satz noch hinzufügen — geglaubt hat, daß er,
Situa ti on b efänen.
mit dem Kopf gegen diese schreckliche Mauer an-
Ich sehe also diesen Schritt nicht als eine deut- rennend, etwas erreichen könnte, der hat leider zur
sche Vorleistung. Daß der ganze Vertrag problema- Kenntnis nehmen müssen, daß das seinem Kopf
1606 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 33. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Februar 1970

Bundeskanzler Brandt
schlechter bekommt als der Mauer. Gestützt darauf schrieben hat, hat sie ja nicht verhehlt, sondern sie
hat mancher von uns in diesen Jahren zusätzliche hat es zweimal begründet, im Oktober 1969 und im
Überlegungen anstellen müssen. — Bitte, Herr Januar 1970. Ich weiß, Sie sehen das anders. Aber
von Guttenberg. das wird dadurch nicht besser. Wir kommen im
Augenblick in Punkt einander nicht näher,
Freiherr von und zu Guttenberg (CDU/CSU) : wenn ich die Begründungen wiederhole.
Herr Bundeskanzler, nachdem Sie soeben gesagt (Abg. Dr. Barzel: Die sind nicht gegeben!)
haben, daß nicht die Bundesregierung eine Zwei-
Ich möchte jetzt zum Thema Information und
Staaten-Theorie laufgestellt habe, sondern daß es
Kooperation kommen. — Bitte, Herr Barzel!
eine Tatsachenbeschreibung sei, wenn Ihre Regie-
rung von zwei deutschen Staaten rede, frage ich Sie:
Was hat sich eigentlich vom September 1968 bis zu Dr. Barzel (CDU/CSU) : Herr Bundeskanzler, die
Ihrer Regierungserklärung geändert? Im September Argumente für die Veränderung Ihrer Position,
1968 hat noch dieses ganze Haus erklärt, daß es nach denen Herr Guttenberg gefragt hat, sind die-
nicht zwei deutsche Staaten gebe; auch die SPD- sem Hause bisher nicht gegeben worden.
Fraktion hat das gesagt. (Zurufe von der SPD.)
Zweitens frage ich Sie, Herr Bundeskanzler, ob Sie haben bisher nur gesagt: Inzwischen war eine
nicht eine Erklärung der deutschen Bundesregierung, Wahl. Dann haben wir Sie gefragt, was seit Sep-
daß es zwei deutsche Staaten gebe, selbstverständ tember bis jetzt passiert sei, ob Sie neue Fakten,
lich mehr ist als eine reine Tatsachenbeschreibung? neue Argumente hätten, und wir haben Sie aufge-
Ist es nicht so, daß diese Erklärung draußen in der fordert, das mit uns zu diskutieren.
Welt als ein Politikum allererster Ordnung und als
(Zurufe von der SPD.)
ein Verlassen der bisherigen Rechtsposition ange-
sehen werden mußte? Diese Diskussion sind Sie uns bis zur Stunde schul-
dig geblieben, Herr Bundeskanzler.
(Beifall bei der CDU/CSU. — Ach!-Rufe von
der SPD.) (Beifall bei der CDU/CSU.)

Brandt, Bundeskanzler: Verehrter Herr von Gut- Brandt, Bundeskanzler: Verehrter Herr Barzel,
tenberg, die uns allen bekannten Rechtspositionen, das mit der Wahl ist natürlich nur ein Teilargument,
die ich gar nicht über Gebühr reduzieren will, haben welches sich allein darauf bezieht, daß sich nach
keinem Berliner geholfen, seine Familie im anderen unserer, nach meiner und der Überzeugung vieler
Teil der Stadt zu sehen. Sie haben mich nicht davor meiner Freunde während der Wahlauseinanderset-
bewahrt, den Geßler-Hut grüßen zu müssen, Papiere zung mehrere der Führer der Union von dem zu-
vorzeigen und Gebühren entrichten zu müssen. Nein, rückgezogen haben, was wir für eine gemeinsam
das geht alles eine gewisse Zeit, aber dann kommt erarbeitete Politik hielten,
man zu dem Punkt — jetzt folge ich dem Herrn (Widerspruch bei der CDU/CSU)
Kollegen Barzel —, wo man sagt: die Formeln rei- und daß wir es, um künftige Mißverständnisse zu
chen nicht mehr aus. vermeiden, daher für notwendig gehalten haben, -
(Beifall bei den Regierungsparteien.) unsere Politik weiter zu klären, 'z. B. — das darf ich
hier noch einmal deutlich sagen — zu erklären, daß
Man muß sich, so schwer es auch sein mag, von den wir zu dem Ergebnis gekommen sind, daß mit den
Formeln frei machen, um zu Lösungen zu kommen. Partnern des Warschauer Pakts Regelungen nicht zu
Aufgabe der Politik ist es, zu verhindern, daß eine erreichen sind, wenn man nicht von der Notwendig-
Besserung der Verhältnisse — da sind wir uns, keit ausgeht, auch mit Ost-Berlin zu Regelungen
glaube ich, einig — in der Zukunft durch Formeln auf dem Boden der Gleichberechtigung und der
der Vergangenheit unmöglich gemacht wird. Nichtdiskriminierung zu gelangen. Das ist in der
(Beifall bei den Regierungsparteien. — Tat die Situation.
Zurufe von der CDU/CSU.) (Beifall bei den Regierungsparteien.)
Meine Damen und Herren, ich möchte jetzt gleich Was die Information und die Kooperation angeht,
anschließend noch ein Wort zum Thema Information meine Damen und Herren, so lassen sie mich erstens
und Kooperation zwischen den Kräften dieses Hau- folgendes sagen. Ich sitze jetzt nicht auf der an-
ses und zwischen Opposition und Regierung sagen. deren Seite des Tisches. Trotzdem hoffe ich, daß ich
— Bitte, Herr Guttenberg! nicht ganz unobjektiv bin, wenn ich sage: In diesen
vier Monaten hat es auf diesen Gebieten im Ver-
Freiherr von und zu Guttenberg (CDU/CSU) : hältnis zwischen Regierung und Opposition mehr
Herr Bundeskanzler, darf ich Sie fragen, ob Sie Information gegeben, als es in früheren Zeiten
wirklich glauben, mit dem, was Sie eben gesagt häufig üblich war. Das ist das eine.
haben, meine beiden Fragen beantwortet zu haben?
Der zweite Punkt — und der macht mir die Sache
(Beifall bei der CDU/CSU. — Zurufe von so schwierig — ist folgendes. Herr Kollege Barzel
der SPD und der FDP.) sagt: Kooperation. Und Herr Kollege Strauß sagt
unter dem Beifall der gemeinsamen Fraktion von
Brandt, Bundeskanzler: Verehrter Herr Gut- Herrn Barzel und Herrn Strauß, wir betrieben einen
tenberg, daß die Regierung die Situation neu be- Ausverkauf deutscher Interessen. Das können Sie
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 33. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Februar 1970 1607
Bundeskanzler Brandt
doch nicht meinen. Sie wollen sich doch nicht durch Berlin. Ich bin dabei frei von Illusionen. Für diese
Kooperation an einem „Ausverkauf" deutscher In- Aktion kann auch nicht der Maßstab des momenta-
teressen beteiligen! Das ist unzumutbar. nen Erfolges gelten. Es geht darum, auszuloten, was
(Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. möglich ist und was nicht.
, Rasner: Es gibt ja keine!) Hier bin ich ganz kurz noch einmal bei Richard
Herr Kollege Barzel sagt: Kooperation. Und Herr Nixon, dem amerikanischen Präsidenten, und seinem
Kollege Strauß sagt: Wir denken doch nicht daran, umfassenden Bericht vom 18. Februar. Meine Damen
Ihnen Ratschläge zu geben. — Das brauchen Sie und Herren, ich stimme — da heute früh so viel von
auch nicht. Nur wenn man mehr will als Informa- „atmosphärisch" die Rede war — mit diesem Bericht
tion, nämlich Kommunikation und Kooperation, dann der amerikanischen Regierung ausdrücklich überein,
muß die eine Seite der anderen auch ihre Ratschläge wenn darin z. B. gesagt wird, daß man atmosphä-
rische nicht schon für reale Veränderungen halten
geben wollen.
darf,
(Zuruf von der CDU/CSU.) (Abg. Dr. Barzel: Sehr gut!)
Ich muß also bitten, sich dies noch einmal unter- daß es nicht genügt, von einer Milderung der Span-
einander zu überlegen. nungen zu sprechen, sofern wir uns nicht im klaren
(Beifall bei den Regierungsparteien.) darüber sind, daß 20 Jahre der Spannungen nicht
Ich bin für möglichst sachliche, auch umfassende einfach durch geringfügige Mißverständnisse ge-
Aussprachen. Aber ich könnte, wenn sich diese Lage schaffen worden sind, sondern durch sehr viel mehr
ergäbe, natürlich nicht Forderungen akzeptieren — als dies. Ich stimme auch der Auffassung zu, es ge-
heute hatte ich solche herausgehört, zumal beim nüge nicht, von der europäischen Sicherheit in ab-
Kollegen Strauß —, die zur Aktionsunfähigkeit mei- strakten Begriffen zu sprechen. Worauf es ankommt,
ner Regierung führen müßten. ist: Wir müssen die Elemente der Unsicherheit ken-
nen und immer wieder prüfen, wie sie beseitigt wer-
(Beifall bei den Regierungsparteien. — Zu den können.
rufe von der ,CDU/CSU.) Es geht um zwei nicht unproblematische, aber
Denn, meine Damen und Herren, daß sie hier keine große Aufgaben, nämlich einmal darum, in Fühlung
besonders breite Mehrheit in diesem Haus hat, das mit unseren westlichen Partnern und Verbündeten
weiß ich auch. Herr Scheel und ich wissen es ge- zu erkunden, ob gegenüber der Sowjetunion und
meinsam. Aber es gibt keine begrenzte, es gibt den mit ihr verbündeten Staaten die Chance für eine
nur eine volle Legitimation der deutschen Bundes- Verbesserung der Beziehungen gegeben ist oder ge-
regierung in diesem Haus und draußen. schaffen werden kann, und zum anderen darum, ob
im Verhältnis zwischen Bonn und Ost-Berlin trotz
(Beifall bei den Regierungsparteien.)
allem weiterhin nur das Trennende obwalten muß
Die Außenpolitik meiner Regierung ist in erster oder ob nicht durch das Herauspulen gewisser —
Linie europäisch. Aber sie ist nicht nur westeuro- wenn auch vielleicht zunächst nur minimaler — sich
päisch, sie versucht auch gesamteuropäisch orien- begegnender Interessen auch Gemeinsames zum
tiert zu sein. Zuge .kommen könnte. Darum geht es in der Tat,-
(Beifall bei den Regierungsparteien.) meine Damen und Herren.
(Beifall bei der SPD.)
Wir wollen geduldig und beharrlich mithelfen, Span-
nungen zwischen Ost und West abzubauen. Aber Die Menschen in diesem Lande, finde ich, sollten
man muß bitte wissen und uns abnehmen, daß es wissen, daß diejenigen unrecht haben, die Gespen-
für uns keine vernünftige Ostpolitik geben kann, ster an die Wand malen. Das Ringen um mehr
die nicht nach Westen voll abgesichert ist. Sicherheit, um ein Mehr an Frieden ist natürlich
nicht völlig frei von Risiken, und man darf meiner
Meine Damen und Herren, den Gang nach Ost
Meinung nach ein kalkulierbares Risiko in diesen
Berlin, wenn es zu ihm kommen sollte — und ich
Zusammenhängen nicht scheuen. Unsere Bündnis-
denke, es wird zu ihm kommen —, werde ich in dem
und unsere Entspannungspolitik gehören zusam-
Bewußtsein antreten, daß 25 Jahre nach der er-
men, unsere EWG-Politik und unsere Ostpolitik gel-
zwungenen Teilung unseres Landes der Versuch ge-
ten im Zusammenhang mit anderen einer europäi-
wagt werden muß, an das Problem heranzukommen,
schen Friedensordnung, die sich nur Schritt um
ob man und wie man die Last der Teilung abbauen
Schritt erreichen läßt. Vorsicht ist gut, Angstlichkeit
könnte. Ich habe gestern an anderer Stelle gesagt
ist schlecht.
und darf es hier wiederholen: Um mehr als einen
(Beifall bei den Regierungsparteien.)
allerdings sehr ernst gemeinten Versuch kann es
sich nicht handeln. Was unser Volk braucht, ist der gezügelte Mut,
Hier bin ich noch einmal bei den Formeln. Ab- einen stärkeren deutschen Beitrag für Europa und
strakte politische Theorien, juristische Vorbehalte für den Frieden zu wagen. Ich werbe hier und an-
und „Formeln" haben uns kaum weitergebracht, derswo um Verständnis und, wo es geht, auch um
weiterbringen können und werden uns auch jetzt Vertrauen; denn gestützt auf Vertrauen und kri-
nicht weiterhelfen. Die Deutschlandpolitik war in tische Hilfe ist es leichter, wichtige Aufgaben für
eine Stagnation geraten. Diese Bundesregierung unser Volk zu lösen.
wagt, ohne sich zu übernehmen, das. direkte Ge- (Anhaltender Beifall bei den Regierungs
spräch mit Moskau und mit Warschau, auch mit Ost parteien.)
1608 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 33. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Februar 1970

Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:


- das zugleich mit der Formel „Mehr Demokratie in
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kiesinger. diesem Staate", meine Damen und Herren! —
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Dr. h. c. Kiesinger (CDU/CSU) : Herr Präsident! so viele verwirrende Erklärungen von führenden
Meine Damen und Herren! Der Herr Außenminister Leuten der Regierungskoalition abgegeben worden
hat heute früh in den Mittelpunkt seiner Rede den sind, daß dies weiter dazu beitrug, das so bitter
Gedanken gestellt, daß als ein Gegenstück zur Aus- notwedigSchuzlfüresGpächzu
söhnung unseres Landes mit dem Westen nun die schwächen.
Aussöhnung mit dem Osten kommen müsse. Wer
würde dem nicht zustimmen! Ich habe dem Herrn Formelkram? Meine Damen und Herren, die
Außenminister dann die Frage zugerufen: Welche Frage Baron Guttenbergs war nur zu berechtigt,
Voraussetzungen sind nach Ihrer Meinung für eine die Wiederholung der Frage, die wir in allen bishe-
solche Aussöhnung mit dem Osten erforderlich? Sie rigenDbatslh.Waticden
haben mir, Herr Außenminister, darauf keine Ant- geändert? Herr Bundeskanzler, Sie haben davon
wort gegeben. Auch die folgenden Redner der Regie- gesprochen, ein Vorhang sei weggezogen worden,
rungskoalition in dieser Debatte haben dazu nichts und man habe die Bühne leer gefunden. Nein! Eine
gesagt. Herr Achenbach sprach von einem frei aus- Mauer ist gebaut worden, und ich frage, ob der
zuhandelnden Kompromiß. Welcher Kompromiß ist Bau dieser Mauer es rechtfertigt, daß wir eine ge-
ins Auge gefaßt? Oder es war die Rede von der meinsame Politik, über Jahre hinweg gemeinsam
Besserung der Atmophäre. Frage: um welchen durchgehalten, über Nacht aufgeben!
Preis? Oder sind diese Verhandlungen ein Wert an (Beifall bei der CDU/CSU.)
und für sich? Meine Damen und Herren, dann frei-
lich könnte man den Satz zu sagen wagen, solche Wir können miteinander darüber reden, was sich
Verhandlungen könnten nicht scheitern. Ich fürchte geändert hat. Natürlich hat sich z. B. durch den Bau
aber, daß solche Verhandlungen zu gefährlichen Er- der Mauer der unablässige Strom von Flüchtlingen
gebnissen führen könnten. aus der DDR, in welcher sie gefangengehalten wur-
den, geändert. Rechtfertigt das eine radikale Ände-
Der Herr Bundeskanzler sprach von einem ernst rung unserer Politik? Ich glaube, es rechtfertigt
gemeinten, illusionslosen Versuch, zu erkunden, ob diese Änderung nicht.
eine Chance für Verbesserung der Beziehungen ge-
Im Wahlkampf? Herr Bundeskanzler, ich kann
geben sei. Einem solchen Versuch, Herr Bundeskanz-
mich nicht erinnern, daß ich selbst zum Beispiel
ler, haben wir zugestimmt. Die Frage ist nur, welche
— und ich habe für meine Partei gesprochen — im
Risiken, von denen Sie sprachen, Sie bei einem
Wahlkampf im geringsten nur abgewichen wäre
solchen Versuch einzukalkulieren und zu überneh-
von dem, was wir gemeinsam vereinbart hatten.
men bereit sind. Wir haben zu Gesprächen mit Ost
Berlin unsere Zustimmung ausgesprochen. Aber, (Abg. Dr. Barzel: Sehr wahr!)
Herr Bundeskanzler, wir meinten geschützte Ge- Und 'ich stehe zu jedem Wort und zu jedem Satz,
spräche. Denn allein schon die Tatsache, daß ein
deutscher Bundeskanzler in Ost-Berlin zu solchen (Beifall bei der CDU/CSU) -
Gesprächen erscheint, ist eine politische Tatsache welchen wir gemeinsam während dieser drei Jahre
allerersten Ranges und von größter Tragweite, und gefunden haben, auch, Herr Kollege Wehner, zu
schon deswegen darf man nicht darauf verzichten, jener Rede vom 17. Juni, die Sie freundlicherweise
solche Gespräche abzusichern. in Ihrem letzten Beitrag zu dieser Frage hier zitiert
haben. Ich will darüber keinerlei Mißverständnis
Aber leider ist von dem Schutzgeleit für solche
aufkommen lassen.
Gespräche lin den vergangenen Wochen und Mona
ten schon allzuviel preisgegeben worden. Ich nenne Aber, Herr Bundeskanzler, das Risiko, von dem
eis nicht Vorleistung, Herr Bundeskanzler, ich nenne Sie gesprochen haben, zeigt sich ja schon hier in
es so: Preisgabe eines guten Teils des Schutzgelei- unsermLad,woiutengvra
tes für Gespräche, die auch wir wollen. Da ist es sind mit der Art, wie wir miteinander umgehen.
nun eben, dieses fatale Faktum der Anerkennung Wieviel mehr muß sich das Risiko im Ausland zei-
eines angeblichen zweiten souveränen deutschen gen, wo uns so viele sagen, daß sie uns einfach
Staates. Selbst diejenigen, die mit sich juristisch nicht mehr verstehen. Daß sie mit Formeln wie z. B.
darüber reden lassen würden, daß es .einen solchen der von der Anerkennung eines zweiten deutschen
Staat gibt, sagen uns schon heute, daß es dann je- Staates, der für uns allerdings nicht Ausland sei
denfalls ein Fehler war, in einer Regierungserklä- und den wir darum nicht völkerrechtlich anerkennen
rung diese dubiose Sache ausdrücklich zu bringen könnten, überhaupt nichts anfangen könnten. Daß
und anzuerkennen. sie nichtsanderes in diesen Erklärungen der Regie-
rung sehen könnten als eine — mindestens — De-
(Beifall bei der CDU/CSU.)
facto-Anerkennung der DDR.
Herr Bundeskanzler, es ist uns daher nicht leicht- (Beifall bei der CDU/CSU.)
gefallen, unsere Zustimmung zu diesen Gesprächen,
auszusprechen. Es ist uns nicht leichtgefallen, weil Wenn dem, so ist, dann muß man größere Klarheit
ja zu dieser über den Kopf der Mitglieder dieses in die Dinge bringen.
Hauses hinweg erklärten Feststellung der Existenz Da komme ich an einen Punkt, an dem wir schon
eines zweiten souveränen deutschen Staates — und einmal waren. Sie erinnern stich, Herr Bundeskanz-
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 33. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Februar 1970 1609
Dr. h. c. Kiesinger
ler, wir hatten im Sommer 1967 einige Schwierigkei- auf dem Wege der Aussöhnung mit dem Osten
ten miteinander, als eine ganze Reihe publizistischer stehen? Das ist unsere Frage.
Organe sich daranmachte, Ihre politischen Aussagen
zu interpre ti eren, und zwar in einem äußerst ge- (Beifall bei der CDU/CSU.)
fährlichen. Sinne. Es war damals nicht leicht, Sie dazu Hier muß ich auf Ihre Bemerkung eingehen, man
zu bewegen, diesen Interpreten entgegenzutreten. habe manchmal den Eindruck, als gäbe es in der
Nun sind sie schon wieder da, diese Interpreten, Opposition Leute, die uns für eine Weltmacht hiel-
sie geben Erklärungen ,ab, an denen wir in dieser ten, die gebieterische Forderungen an die Sowjet-
Debatte einfach nicht vorbeigehen können, vor allem union stellen könnte. Ich glaube nicht, daß Sie uns
weil Millionen Deutschen in 'diesen Tagen eine Dar- das ernsthaft unterstellen, Herr Bundeskanzler. Un-
stellung der Außen- und Deutschlandpolitik dieser ser Fraktionsvorsitzender hat heute früh schon von
Regierung zu vermitteln versucht wird, d ie ich — den bitteren Möglichkeiten gesprochen, die auf dem
das sage ich Ihnen gleich zu Beginn — Ihnen nicht Wege der Versöhnung liegen mögen. Bittere Mög-
unterstellen möchte. lichkeiten, aber eben nicht der Status quo, sondern
Opfer, bittere Opfer vielleicht für den Frieden, aber
Wie sind diese Unterstellungen? Man sagt, der für einen Frieden, der auch dem deutschen Volk
Friede in Europa hänge von einer 'Besiegelung des Gerechtigkeit widerfahren lassen soll.
Status quo ab. Von diesem zentralen Satz aus wird
fortgeleitet, daß daher die Bundesrepublik Deutsch- ((Beifall bei der CDU/CSU.)
land 'auf die Wiedervereinigung verzichten müsse
und auch eine Entscheidung über die Oder-Neiße- „Formelkram"? Wenn wir von Wiedervereini-
Frage nicht bis zu einem Friedensvertrag vertagen gung oder von Wiedergewinnung der staatlichen
dürfe. Man sagt weiter, wenn diese neue deutsche Einheit sprechen — wie oft haben wir das ge-
Ostpolitik nicht selbsttäuschend und tauschend sein sagt! —, meinen wir zuallerletzt einen Rückfall in
solle, habe sie von der Einsicht auszugehen, daß am den nationalstaatlichen Anarchismus vergangener
Ende der Verhandlungen die unmißverständliche Zeiten. Genau das ist es, was mein Freund Franz
Anerkennung der DDR stehen müsse. Nun kommt Josef Strauß in den vergangenen Jahren immer
das Bedenklichste: dieser Interpret behauptet, der wieder gesagt und wovor er, der Europäer, gewarnt
Bundeskanzler habe sowohl in der Regierungser- hat.
klärung als auch im Bericht zur Lage der Nation (Beifall bei der CDU/CSU.)
unmißverständlich ausgedrückt, daß er diese beiden Selbstverständlich wollen wir eine deutsche Lö-
Prämissen — Verzicht auf die Wiedervereinigung sung in übergreifende, überstaatliche Zusammen-
und Nichtantasten der Oder-Neiße-Linie — akzep- hänge eingebettet sehen. Das Grundgesetz ver-
tiert habe. Herr Bundeskanzler, ich glaube, es wäre pflichtet uns ja schon dazu. Soviel es an uns liegt,
an der Zeit, daß Sie sofort, bevor weiteres Inter- wollen wir mithelfen, sie in eine europäische Frie-
pretationsunheil geschieht, diesen Versuchen Ein- densordnung einzubetten — jawohl, Herr Kollege
halt geböten und noch einmal ganz klar sagten, Wehner —, die das Problem, wie ich es in jener
daß Sie diese beiden Prämissen nicht akzeptiert Rede zum 17. Juni ausgedrückt habe, lösbar machen
haben, daß es nicht Ihre Meinung ist, am Ende dieser soll. Ich hoffe, daß wir uns darin einig geblieben
Verhandlungen müsse die Anerkennung stehen, sind.
aber vor allen Dingen: daß Sie mit uns die Auffas-
sung teilen, daß (zur Sicherung des Friedens in Diese Formeln haben für uns — darüber haben
Europa nicht die Besiegelung des Status quo, son- wir nie einen Zweifel gelassen — als obersten
dern die Überwindung des Status quo in Frieden, Wert das Ziel der Freiheit, das Ziel freilich uns
Recht und Gerechtigkeit erfolgen muß. nicht mit Minifreiheiten, mit ein bißchen mehr Frei-
zügigkeit und der Möglichkeit, daß der eine die
(Beifall bei der CDU/CSU.) andere heiraten kann — das ist auch wichtig —,
Das ist wichtig, weil Sie nicht darüber hinweg- abspeisen zu lassen. Am Ende muß die große Frei-
sehen können, daß Sie offenbar von manchen Leu- heit stehen, und diese bedeutet: das Offenhalten
ten falsch verstanden worden sind; und das sind und Anbahnen der Ausübung des Rechts der Selbst-
keine dummen Leute. Der eine, der diesen Artikel bestimmung für alle Deutschen.
für Millionen Leser geschrieben hat, ist ja auch nur (Beifall bei der CDU/CSU.)
der Repräsentant einer ganzen Gruppe, über die wir
uns in den vergangenen Jahren des öfteren unter- Daß wir dabei die Deutschen drüben nicht bevor-
halten haben. Es ist nicht nur für dieses Volk wich- munden wollen, haben wir hundertmal gesagt und
tig, sondern wichtig für die ganze Welt, daß wir, sagen es noch einmal. Ihr Wille soll darüber ent-
Sie, nicht mißverstanden werden. scheiden, was sie wollen, wohin sie wollen, wo sie
einmal ihren Platz haben werden. Auch das haben
Auch wir wünschen, ich wiederhole es, eine Aus- wir in den vergangenen Jahren gemeinsam festge-
söhnung mit dem Osten. Aber wie leicht geht die halten und sollten es auch in Zukunft tun. Und da
Parallele über di e Zunge, wie einfach ist es zu ich, wenn ich Sie recht verstanden habe, dieses
sagen: Nach der Aussöhnung mit 'dem Westen muß Selbstbestimmungsrecht auch als das zentrale An-
nun halt auch die Aussöhnung mit dem Osten kom- liegen Ihrer Deutschland-Politik begreifen darf, muß
men. Darf ich an Frankreich erinnern? Auf dem ich Ihnen dazu sagen: Dann dürfen Sie sich aber
Wege der Aussöhnung mit Frankreich lag die Rück- auch bei keinen Verhandlungen, weder in Moskau
kehr des Saarlandes nach Deutschland. Was soll noch in Ost-Berlin noch in Warschau, den Weg zur
1610 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 33. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Februar 1970

Dr. h. c. Kiesinger
Ausübung dieses Selbstbestimmungsrechts ver- Information, Konsultation, Kooperation, Gemein-
bauen lassen. samkeit in der Außenpolitik ausgeführt haben.
(Beifall bei der CDU/CSU.) (Beifall bei der CDU/CSU.)
Wenn geschieht, was zu geschehen droht, die Was Sie und wir erstreben sollten, ist natürlich
völkerrechtliche Anerkennung oder der Anschein nicht nur Information, Konsultation, Kooperation,
der völkerrechtlichen Anerkennung de facto oder sondern Gemeinsamkeit. Aber gerade was die Ge-
de jure; wenn wir uns zwar dagegen verwahren, meinsamkeit angeht, so habe ich einen Satz Herbert
daß drüben Ausland sei, daß wir dabei aber bei- Wehners in Erinnerung, den er vor kurzem gesagt
nahe eine Einladung an die übrigen Staaten der hat. Er sagte, es gehe natürlich nicht, daß die Oppo-
Welt aussprechen, ihrerseits dieses Land nach ihrem sition etwa halbwegs mit bestimmen könne, was die-
Ermessen als Ausland, als ausländischen souveränen se Regierung nach ihrer Meinung zu tun habe. Kurt
Staat anzuerkennen — ja, meine Damen und Her- Schumacher hat seine Auffassung von der Rolle der
ren, dann nehmen wir eben unseren Landsleuten Opposition genau gegenteilig begriffen. Er hat da-
drüben dieses Selbstbestimmungsrecht aus den Hän- mals etwa gesagt — ich zitiere aus dem Gedächt-
den, und zwar für immer. nis —, daß es die Aufgabe der Opposition sei, so
(Abg. Matthöfer: Sollen die Ausländer die viel wie möglich von ihrer eigenen politischen Kon-
DDR als Inland betrachten?) zeption in die Politik der Regierung hineinzubrin-
gen. So müßte natürlich eine gemeinsame Außen-
— Aber das ist nun wirklich zu billig. Ich habe politik, eine gemeinsame Deutschland- und Ost-
gesagt, daß es fast wie eine Einladung an dritte politik aussehen.
Staaten klinge, diesen Staat, der, wie Sie sagen,
für uns nicht Ausland sei, ihrerseits als Ausland Es erhebt sich natürlich die Frage: Sind wir zu
völkerrechtlich anzuerkennen. Darauf liegt der einer solchen Gemeinsamkeit fähig, d. h. sind wir
Nachdruck: auf der völkerrechtlichen Anerkennung. nicht zu weit auseinander, und, wenn wir dazu
fähig sind, sind wir auch bereit, damit ernst zu
Der Herr Bundeskanzler hat vom Spiel der Phan- machen? Diese Frage muß viel ernster und viel
tasie der Geschichte gesprochen. Vielleicht war es gründlicher angegangen werden, als das bis jetzt
eine Anspielung auf manches, was ich zu diesem
geschehen ist.
Thema in der Vergangenheit gesagt habe. Ich bleibe
dabei: die Geschichte hat eine reichere Phantasie als (Beifall bei der CDU/CSU.)
wir. Ich bleibe dabei, daß es sehr schwer ist, in die- Es war im übrigen von den „angeblichen" Vorlei-
ser Situation unserer Welt Prognosen zu wagen und stungen die Rede. Herr Bundeskanzler, ich kann
auf Grund dieser Prognosen zu handeln, und zwar Ihnen in Ihren Argumenten zum Atomsperrvertrag
so zu handeln, daß es keine Rückkehr gibt. Vieles, nicht folgen. Sicher, Sie haben recht, meine politi-
das wir eben aus Ihrem Munde hören, gibt uns noch schen Freunde und ich waren .der Auffassung, daß
nicht Gewähr genug dafür, daß Sie sich nicht bis zu es für uns sehr schwer sein würde, einer Zustim-
einem solchen Punkte, von dem es keine Rückkehr mung zum Atomsperrvertrag letztlich auszuweichen,
mehr gibt, mit Ihrem einkalkulierten Risiko vor- zumal ja auch wir ein Interesse daran haben, daß
wagen wollen. Das ist unsere Sorge. Herr Mattick auf diesem gefährlichen. Gebiet die Dinge in der
hat davon gesprochen, daß die große Weltlage sich Welt geordnet werden. Aber ich kann beim besten
nicht ändern lasse. Dem muß zugestimmt werden. Willen nicht einsehen, daß die voreilige Unterschrift
Wenn 'dem aber so ist, dann muß man sich in seinen unter den Atomsperrvertrag Ihnen und uns im Hin-
Zielsetzungen sehr bescheiden und darf sich nicht in blick auf unser Verhältnis zur Sowjetunion und bei
Bereiche vorwagen, wo man mindestens den Ein- den begonnenen Verhandlungen irgendwo und
druck erwecken könnte, als wolle man versuchen, irgendwie genützt hätte. Ich bin im Gegenteil der
Geschichte 'zu antizipieren, wo sie schlechthin nicht Ansicht, daß sie uns geschadet hat; denn sie hat
vorweggenommen werden kann. Auch darüber ha- unsere Verhandlungsposition geschwächt.
ben wir unsere Sorgen. Denn wir wissen nicht genug (Beifall bei der CDU/CSU.)
von Ihren Vorstellungen über Ihren Erkundungs-
versuch, über das „Ausloten" der Möglichkeiten, die Warum diese Eile, wenn man schon mit der Macht
sich für eine, wie Sie es nennen, Besserung des Zu- über Gewaltverzicht verhandelt, für die unsere
sammenlebens oder Nebeneinanderlebens ergeben Unterschrift unter den Atomsperrvertrag, wie sie
könnten. selbst sagte, entscheidend war? Ich muß leider auch
bestreiten, Herr Bundeskanzler, daß die Überein-
Ich kann mir nicht helfen: hier bedarf es einfach kunft über die Gaszentrifuge von unserer Unter-
deutlicherer Klärungen. Wenn Sie manches nicht in schrift unter den Atomwaffensperrvertrag abhängig
voller Öffentlichkeit sagen wollen, dann sagen Sie gewesen sei. Ich habe ja die Entwicklung dieses
es uns eben nicht in voller Öffentlichkeit. Ich will Problems genau verfolgt: in keinem Augenblick
nicht sagen, daß das, was Sie uns gesagt haben, uns stand zur Debatte, daß es nur dann zum Abschluß
etwa täuschen oder beruhigen sollte. Aber manche dieses Vertrages kommen könne, wenn wir, die
Frage, die einem bei diesen Informationsgesprächen Bundesrepublik, den Atomsperrvertrag unterzeich-
auftauchte, ist eben unbeantwortet geblieben. Wenn nen würden.
wir schon von Kooperation sprechen, müssen wir
Ihnen sagen, daß die Antwort auf diese Fragen noch (Beifall bei der CDU/CSU.)
aussteht. Herr Bundeskanzler, ich bin nicht von dem Darf ich noch ein Wort zur Frage unserer West-
überzeugt worden, was Sie soeben im Hinblick auf politik in Beziehung zur Ostpolitik sagen. Natürlich
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 33. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Februar 1970 1611

Dr. h. c. Kiesinger
sind wir uns alle einig darin, daß eine erfolgver- mühens gebraucht, bis wir endlich festes Ansehen
sprechende Ostpolitik nur von der sicheren Grund- gewonnen haben, Herr Bundeskanzler. Das Beste,
lage der westlichen Basis aus betrieben werden was wir Ihnen wünschen können, ist nicht ein Stroh-
kann. Wer würde das bestreiten? Aber auch hier feuer billiger Zustimmungen, sondern daß Ihre Be-
muß tiefer gebohrt werden. Auch hier muß gefragt mühungen - und wenn es recht geht, mit unserer
werden, ob die Ostpolitik, die wir betreiben, unsere Zusammenarbeit — dazu führen, daß diese neue
westliche Basis nicht doch gefährdet. Es kann Ihnen, Strecke der Deutschland- und Ostpolitik einmal von
Herr Bundeskanzler, nicht verborgen geblieben sein, wirklichem Erfolg gekrönt sein wird. Dieser Erfolg
daß e s im Westen Sorgen gibt, die sich etwa so heißt dann Friede und Gerechtigkeit in Europa und
formulieren lassen: Diese neue Deutschland- und Ansehen für dieses Land, die Bundesrepublik, die
Ostpolitik der Regierung nimmt einen über Gebühr dieses Ziel erreicht hat.
großen Raum im Interesse der publizistischen Welt- (Beifall bei der CDU/CSU.)
öffentlichkeit ein, beschäftigt die Phantasie vieler
Menschen in der Welt in einer Weise, 'die sie davon
abhält — so haben mir es westliche Politiker darge- Vizepräsident Dr. Schmitt - Vockenhausen:
stellt —, dringendere Probleme im Aufbau und in Das Wort hat der Herr Abgeordnete Mischnick.
der Festigung der westlichen Gemeinschaft zu lösen.
Das bedeutet eine psychologisch-politische Rück-
Mischnick (FDP) : Herr Präsident! Meine sehr
wirkung z. B. in Amerika. Wenn das wahr ist, wenn
verehrten Damen und Herren! Ich glaube, es wäre
solche Sorgen bestehen, dann müssen wir doch
heute eine große Stunde der Opposition geworden,
damit rechnen, daß man uns entgegenhält, daß wir
wenn sie heute früh den Mut gehabt hätte, hier in
selbst den Willen des Westens zum Zusammenhalt
einer kurzen Erklärung zu erläutern, weshalb sie in
und zur Festigung durch diese über Gebühr aufge-
dieser Stunde, in diesen Tagen auf eine ausführ-
blähte politische Aktion schwächen. Man sollte
liche Ost- und Deutschlanddebatte verzichten würde.
diese Sorgen nichtgering schätzen. Jedenfalls ist es
Denn nachdem wir vor vier Wochen ausführlich
eine Aufgabe unserer Politik, dafür zu sorgen, daß
über diese Themen debattiert hatten, war es wenig
diese schwächende Wirkung im Westen nicht ein-
sinnvoll, zu diesem Zeitpunkt, wo alle Gespräche
tritt.
noch in ihrem Anfangsstadium sind, erneut das zu
Es war viel die Rede, Herr Bundeskanzler — Sie bekräftigen, was vor vier Wochen in diesem Hause
selbst haben es wieder gesagt —, vom Ansehen, bereits gesagt worden ist.
das diese neue Politik in der Welt gewonnen habe.
(Beifall bei Abgeordeten der Regierungs-
Ich will dem, was der Fraktionsvorsitzende und was
parteien. — Abg. Dr. Heck: Herr Schmidt
Franz Josef Strauß zu dieser Thematik gesagt ha-
hat es gewünscht!)
ben, nicht viel hinzufügen. Es ist so leicht, Zustim-
mung zu einer Politik zu erhalten, die anderen ein — Der Kollege Schmidt hat nicht gewünscht, daß
unbequemes, lästiges Problem aus der Welt schafft. heute eine Debatte stattfindet; das hatten Sie ge-
wünscht. Wenn Sie über die Westpolitik, wenn Sie
(Beifall bei der CDU/CSU.)
über die Fragen gesprochen hätten, die im Augen-
Diese Zustimmung können wir alle Tage zu allen blick nicht in besonderen Verhandlungen stehen,
möglichen Problemen erhalten. Aber wir dürfen sie wir hätten volles Verständnis dafür gehabt. Sie ha-
nicht unbesehen als eine Vermehrung unseres An- ben es aber so gewollt, und es hat sich sehr schnell
sehens in der Welt betrachten. gezeigt, daß all Ihre Kritik, all Ihre Bemühungen,
(Beifall bei der CDU/CSU.) irgend etwas zum Einhaken zu finden, doch zum
Scheitern verurteilt waren.
Was ist die Aufgabe der deutschen Politik? Was ist
die Aufgabe der Außenpolitik jedes Staates, der Wir stellen noch einmal fest, uns geht es um
ein schweres und für andere lästiges Problem mit folgende Punkte. Erstens: ein Bekenntnis zu einer
sich herumschleppt? Ist es, Zustimmung zu finden friedlichen gesamteuropäischen Entwicklung und die
für bequeme Lösungen? Oder ist es nicht vielmehr, grundsätzliche Zustimmung zu einer gut vorberei-
die Aufgabe, dieses lästige Problem der übrigen teten europäischen Sicherheitskonferenz.
Welt so überzeugend darzustellen, daß sie einsieht, Zweitens. Wir haben das Ziel, mit allen Staaten
.daß es zu keinem guten Ende führen kann, wenn Ost- und Südosteuropas diplomatische Beziehungen
man den bequemen Weg geht. Das war bisherige aufzunehmen und auch zu einer Aussöhnung mit
deutsche Politik. Das war unser gemeinsamer Ver- ihnen zu kommen. Wir wissen, daß das ein schwerer,
such in den vergangenen Jahren. Ich finde, diesen ein langwieriger Weg ist, um so notwendiger ist es
Versuch sollten wir fortsetzen. Dann werden wir aber, nicht die ersten Schritte schon mit ständigen
Ansehen für unsere Politik gewinnen. Mäkeleien zu bedenken, sondern sie konsequent erst
Darf ich eine kleine historische Erinnerung in Ihr einmal gehen zu lassen.
Gedächtnis rufen? Ich denke an eine Auseinander- Drittens. Ein weiteres Ziel, das wir haben, sind
setzung in der Beratenden Versammlung des Euro- verbindliche Abkommen über wechselseitige Ge-
parats 1953, als dort eine wilde Debatte gegen Kon- waltverzichtserklärungen mit allen Staaten des
rad Adenauer in Gang kam. Ich erinnere mich, was Warschauer Paktes.
damals in jenen Durchbruchsjahren Konrad Ade-
nauers und uns, die wir auf seiner Seite standen, Viertens schließlich haben wir das Ziel, zu ver-
entgegenstand. Es hat lange Jahre schwersten Be- traglichen Regelungen mit der DDR zu kommen.
1612 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 33. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Februar 1970

Mischnick
Das sind die vier Punkte, die wir uns zum Ziel Meine Damen und Herren, es war der Kollege
gesetzt haben mit den Initiativen, die im Augenblick Schröder, der als Außenminister in den sechziger
im Gange sind. — Bitte! Jahren gesagt hat — ich zitiere wörtlich —: „Unbe-
weglichkeit ist noch keine Politik."
Freiherr von und zu Guttenberg (CDU/CSU) : (Abg. Dr. h. c. Kiesinger: Beweglichkeit
Herr Kollege Mischnick, geben Sie mir nicht recht, aber auch nicht!)
wenn ich sage, daß es in allen Beiträgen der Oppo- Wir unterstreichen diesen Satz voll und ganz. Wir
sition zu der heutigen Debatte keinesfalls darum müssen aber feststellen, daß diese Unbeweglichkeit
ging, etwas zu finden, was man der Regierung am und Tatenlosigkeit sowie das Schweigen zu diesen
Zeug flicken könnte — zu mäkeln, wie Sie gesagt Dingen jahrelang, Kollege Kiesinger, jahrzehntelang
haben —, sondern lediglich darum, einige Grund- von Ihren Freunden als das bessere Mittel ange-
sätze und Prinzipien dazu aufzustellen, was bei jenen sehen wurde, als man immer sagte: Die Zeit arbeitet
Verhandlungen berücksichtigt werden sollte, die vor für uns. Heute müssen wir doch feststellen: Die
uns stehen und von denen seinerzeit, als das letzte Zeit hat gegen uns gearbeitet. Deshalb ist es not-
Mal hier über diese Thematik gesprochen wurde, wendig, jetzt anzupacken, wo sich noch eine Chance
noch nicht die Rede war? • bietet.
(Abg. Heck: Welche denn?)
Mischnick (EDP) : Aber Herr Kollege von Gutten- — Herr Kollege Heck, wenn Sie jetzt schon wieder
berg, all die Punkte, die heute in der Debatte be- fragen: „Welche denn?", dann wird doch daraus
handelt worden sind, sind bereits im Bericht zur deutlich, daß alles Beteuern: Sie seien auch der
Lage der Nation hier besprochen worden. Es ist Meinung, wir sollten zu Gesprächen kommen, offen-
keine Veränderung der Situation eingetreten. Es sichtlich nur eine Abschirmung gegenüber der öffent-
war angekündigt, daß entsprechende .Gespräche, lichen Meinung darstellt, aber nicht der bewußte
Briefwechsel usw. stattfinden sollen. Insofern hat Versuch, diesen Weg mit zu gehen und zu ver-
sich wirklich . nichts geändert gegenüber vor vier suchen, aus diesen Gesprächen zu Verhandlungen
Wochen. zu kommen. Welches Ergebnis die Gespräche haben
werden? — Wir haben nie im ,Zweifel gelassen, daß
Meine Damen und Herren, wenn Sie eben die
das sehr offen ist.
Grundsätze noch einmal darlegen wollen, wenn Sie
sich noch einmal auseinandersetzen wollen: wir (Abg. Heck: Sie müssen nicht so viel im
sind dem nicht entgegengetreten. Uns kommt es voraus weggeben wollen!)
aber darauf an, hier deutlich zu machen — und hier — Herr Kollege 'Heck, wenn Sie jetzt sagen: vieles
ist zum Teil Übereinstimmung festzustellen —, daß im voraus weggeben wollen — ich wäre später noch
auch das, was jetzt geschieht, in der Deutschland-, darauf gekommen —, dann ist das doch ein weiterer
in der Ostpolitik, als ein Teil unserer gesamteuro- Beweis dafür, daß mit den Vokabeln „Verzicht",
päischen Politik zu sehen ist und daß wir in der „Ausverkauf" versucht wird, diese Bemühungen zu
Deutschlandpolitik, genauso wie wir es in der West- diskreditieren, während gleichzeitig gesagt wird:
politik getan haben, nun gegenüber der Sowjet- wir sind bereit, alles zu unterstützen.
nion, gegenüber den osteuropäischen Staaten und
gegenüber der DDR das laufende Gespräch, das (Beifall bei den Regierungsparteien.)
laufende Auseinandersetzen um die uns gemeinsam Hier liegt die Diskrepanz, gegen die wir unis weh-
berührenden Fragen wollen. ren.
Viele Vorwürfe und viele Kritik gipfelten doch (Abg. Heck: Jetzt lenken Sie doch ab, Herr
darin, wir würden gebannt nur nach Ost-Berlin, Kollege! Der Herr Bundeskanzler hat doch
nach Warschau, nach Moskau starren. Ich habe selber von Vorleistungen gesprochen!)
manchmal das Gefühl, meine verehrten Kolleginnen Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es
und Kollegen von der CDU/CSU, Sie starren wie kann doch von der Opposition nicht bestritten wer-
das Kaninchen .auf die Schlange, ob heute oder den, daß diese Regierung mit ihrer Politik nach dem
morgen dieser oder jener Satz in der Zeitung steht. Westen, insbesondere in Den Haag und Brüssel, da-
Es wäre gut, wenn Sie selber mit mehr Gelassenheit zu beigetragen hat, daß die westeuropäische Politik
an diese Dinge herangingen, statt ständig in Hektik wieder flottgemacht worden ist, daß die EWG wie-
zu machen. der handlungsfähig gemacht worden ist, da ß für den
(Beifall bei den Regierungsparteien.) Beitritt Englands und der anderen Staaten zur EWG
Wir verhandeln oder versuchen, das konstruktive realistische Daten gesetzt worden sind. Das sind
Gespräch, und zwar mit Sorgfalt und mit Gewissen- doch, wenn Sie so wollen, begleitende Abschirmun-
haftigkeit, mit Gelassenheit, zu finden. Uns geht es gen unserer Politik gegenüber der DDR, gegenüber
darum, hier endlich das an Versäumnissen zu über- den Warschauer-Pakt-Staaten. Hier ist genau das
winden, was eben zu einer Festschreibung des heute geschehen, was vorhin vom Kollegen Kiesinger ver-
mißt wurde, nämlich daß diese Aktionen abge-
früh auch vom Kollegen Barzel beklagten Status
quo geführt hat. Das zu überwinden, ist aber doch schirmt werden.
nur möglich, wenn man das Gespräch aufnimmt und Uns erscheint es wenig sinnvoll, im Augenblick
nicht mit Kleinmut herangeht oder auch teilweise etwas im .einzelnen zu den Gesprächen zu sagen,
durch böse Unterstellungen versucht, davon abzu- die Staatssekretär Bahr in den vergangenen Wo-
lenken. chen in Moskau geführt hat. Wir freuen uns d ar-
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 33. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Februar 1970 1613
Mischnick
über, daß es ihm gelungen ist, das Klima in Mos- er in Büchern schreibt, ein solcher Unterschied b e-
kau für ständige deutschsowjetische Verhandlun- steht, , daß man fast zu der Überzeugung kommt:
gen spürbar zu verbessern. Wir hören daraufhin: das ist eine Art Meinungskarussel, in Bayern
Aber das ist doch kein Erfolg! Meine sehr verehr- rechts, national, hier europäisch und in den Bü-
ten Damen und Herren von der CDU/CSU, zunächst chern international. Es wäre gut, wenn das überall
muß es doch einmal darum gehen, daß wir durch gleichmäßig und nicht s o unterschiedlich dargestellt
die Klimaverbesserung die Voraussetzungen für würde.
Verhandlungen schaffen, und das ist eben die erste
(Abg. Dr. Althammer: Das verstehen nur
Runde, die jetzt endlich eingeläutet worden ist und
Sie nicht! — Weitere Zurufe von der
die Sie jahrzehntelang leider versäumt haben.
CDU/CSU.)
(Beifall bei den Regierungsparteien.)
— Lieber Herr Althammer, wenn Sie sagen: „Das
Staatssekretär Bahr wird in Kürze nach Moskau verstehen nur Sie nicht!", kann ich nur fragen: wie
zurückkehren. Wir wünschen ihm und uns — las- ist es denn zu verstehen, daß der Herr Kollege
sen Sie mich das in aller Härte und Deutlichkeit Strauß heute wiederum, um seine Äußerung ein biß-
sagen —, daß ,die politischen Heckenschützen in der chen abzudecken, entscheidende Sätze, die der Herr
Bundesrepublik, die ihn anschießen, während er in Bundeskanzler nach zitierte, wegläßt? — Doch
MoskaufreibndGpächütusein offensichtlich aus der Sorge, daß daraus deutlich
Pflicht tut, endlich schweigen und nicht mehr würde, wie unterschiedlich seine Meinungsäußerun-
Schwierigkeiten bereiten. gen sind, je nachdem, wo er gerade spricht.
(Beifall bei den Regierungsparteien. — La Unsere Bemühungen um eine innerdeutsche Ent-
chen bei der CDU/CSU. — Abg. Dr. Bar spannung sind mit einer Erklärung der CDU/CSU
zel: Das war kräftig gegen Wehner!) begrüßt worden. Aber bei dem, was ich heute dazu
— Herr Kollege Barzel, wenn Sie sagen: ,,Das war höre, habe ich fast den Eindruck, als täte es Ihnen
kräftig gegen Wehner", so sage ich Ihnen: das ist schon wieder leid, grundsätzlich ja zur Eröffnung
einer der vielen Versuche, von Ihren eigenen Feh der Gespräche gesagt zu haben. Oder aber — die
ernudIhigMäelnabzuk;d Frage stellt sich dann natürlich — geschah das nur,
aus Ihren Reihen kamen die Heckenschützen gegen weil man das Gefühl hatte, die öffentliche Meinung
den Kollegen Bahr und nicht aus den Reihen der würde ein Nein zu diesen Gesprächen nicht ver-
Koalition. stehen? Mir wäre es lieb, wenn Sie aus Überzeugung
die Aufnahme der Gespräche, die jetzt vor uns
(Beifall bei den Regierungsparteien.) stehen, mittragen. Ich erwarte nicht von Ihnen, daß
Es fällt uns .allerdings schwer — und das sage Sie sagen — das ist nicht Ihre Aufgabe als Opposi-
ich ganz offen —, an die Ernsthaftigkeit der Be- tion —: Wir werden das Ergebnis, gleich wie es sei,
mühungen der CDU/CSU-Opposition um eine ge- billigen. Das erwarte ich nicht. Aber daß Sie bis
meinsame Außenpolitik mit der Bundesregierung zu dem Zeitpunkt, wo hier über das, was schließlich
zu glauben, solange der Kollege Strauß sich so herausgekommen ist, berichtet werden kann, all
äußert, wie er es getan hat. Wir sind immer — so- das mit abschirmen helfen und nicht ständig wieder
lange wir in der Regierung waren, solange wir in Schwierigkeiten bereiten, z. B. mit der Diskussion --l
und auch jetzt wieder — für derOpositnwa darüber, ob nun Teppiche ausgelegt werden, wel-
eine Außenpolitik gewesen, die möglichst auch von cher Weg gefahren wird, ob es Ehrenformationen
der Opposition abgestützt wird. gibt. Auch da hat sich ja Herr Kollege Strauß in
einer Weise geäußert, daß man das Gefühl hatte,
Herr Kollege Kiesinger, Sie sprachen davon, daß hier gehe es nur darum, die nebensächlichen Schwie-
die gesamte Politik über Nacht geändert worden rigkeiten herauszustellen, aber nicht an das Pro-
sei. Wie reimt sich denn das damit zusammen, daß blem selbst heranzukommen.
auf der anderen Seite gesagt wird, der Briefwechsel,
Wir hoffen und wünschen, daß die Gespräche er-
das Annehmen des Gesprächs, sei nur eine konse-
folgreich sind, d. h. daß wir dazu kommen, mit
quente Fortsetzung der Politik, die Sie früher selbst
diesem ersten Zusammentreffen eine Gesprächs-
getrieben hätten? Hier sind doch die Widersrpüche
serie zu eröffnen, und daß daraus genau die Erleich-
aus Ihren eigenen Reihen, die einmal unter der
terung für die Menschen kommt, die Sie, Herr Kol-
CDU/CSU geklärt werden müssen.
lege Barzel, heute mit Ihrem Katalog angesprochen
Eine gemeinsame Arbeit setzt auch ein Mindest- haben. Aber Sie müssen mir doch zugeben, daß die
maß .an Einsicht in die Notwendigkeiten voraus. In Menschenrechte in der Verfassung, in der Charta
dieser Beziehung ist doch festzustellen, daß Teile der Vereinten Nationen und beim Europarat in
der Opposition immer wieder lautstark Thesen ver- den verschiedensten Formen heute schon stipuliert
künden, die im Gegensatz zu solchen Bemühungen sind. Schlimm ist nur, daß sie nicht überall be-
einer gemeinsamen Politik stehen. Hier wird doch achtet werden. Deshalb ist das Entscheidende jetzt
deutlich, daß mit diesen lautstarken Verkündungen, doch, durch die Gespräche Voraussetzungen dafür
die meist draußen im Lande stattfinden — nicht zu schaffen, daß das, was Sie als Katalog genannt
hier im Hause —, die Arbeit der Bundesregierung haben, verwirklicht werden kann. Das ist unsere
in diesen diffizilen Fragen erschwert, aber nicht Politik, die wir treiben.
erleichtert wird. Wir haben es doch wieder erlebt, (Abg. Dr. Barzel: Ich habe ja gesagt: Brin
daß zwischen dem, was der Kollege Strauß in gen Sie etwas für die Menschen mit; dann
Vilshofen sagt, dem, wais er hier sagt, und dem, was unterschreiben wir sogar!)
1614 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 33. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Februar 1970
Mischnick
— Aber, Herr Kollege Barzel, wenn Sie der Mei- Denken der vergangenen Jahre — auch Ihrer
nung sind, schon gleich das erste Gespräch könnte Freunde — in der Zukunft wieder aneignen würden.
den Katalog bringen — — Ich meine nicht Sie persönlich, aber viele in Ihren
(Abg. Dr. Barzel: Aber nein!) Reihen haben doch die Formel immer für wichtiger
gehalten als die Lösung.
— Auch nicht. Sie meinen also auch, daß das am
Ende einer Reihe von Gesprächen stehen kann. Ich
Vizepräsident Dr. Schmitt - Vockenhausen:
bin sehr dankbar, daß Sie das hier klargestellt ha- Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
ben und nicht die falsche Hoffnung erwecken, schon
am Anfang könnten solche Ergebnisse vor uns ste-
hen. Es wäre aber auch falsch, das am Anfang als Dr. Barzel (CDU/CSU) : Wie wäre es, Herr Kol-
Katalog zu präsentieren, wie es oft aus Ihren Rei- lege Mischnick, wenn Sie die vom Herrn Bundes-
hen geschehen ist. Das würde ich nicht für richtig kanzler und von anderen Sprechern auch Ihrer Frak-
halten. tion offensichtlich sehr ernst genommenen gemein-
samen Auffassungen der CDU/CSU, heute morgen
(Abg. Dr. Barzel: War es eigentlich eine von mir hier vorgetragen, möglicherweise auch als
FDP-Forderung, einen Gegenvertragsent ernst und dauerhaft gemeint betrachten würden und
wurf vorzulegen?) nicht in Zweifel ziehen würden? Wie sonst soll
— Aber, Herr Kollege Barzel, unser Gegenvertrags- demokratisches Gespräch möglich sein?
entwurf kam ja, weil Sie damals, als Sie den Re-
gierungschef stellten, trotz zweimaliger Bitte von Mischnick (FDP) : Herr Kollege Barzel, ich nehme
dieser Stelle aus nicht bereit waren, mit der dama- Ihre Bereitschaft ernst, zu Lösungen zu kommen. Ich
ligen Opposition überhaupt über die Möglichkeit habe sie nicht bezweifelt. Ich warne heute nur davor,
eines Vertragsentwurfs zu sprechen. Erst nachdem wenn die Lösungen auf dem Tisch liegen, dann die
Sie das zweimal abgelehnt hatten und wir an- Formeln wieder auszugraben und diese Lösungen,
gekündigt hatten, daß wir, wenn die Regierung die gefunden sind, in Frage zu stellen. Darum geht
nicht handele, einen Vertragsentwurf vorlegen es mir und um nichts anderes.
würden, ist er zur Einbringung gekommen. Wir sind
im Gegensatz dazu von Anfang an bereit gewesen,
mit Ihnen damals über all diese Dinge zu sprechen. Vizepräsident Dr. Schmitt - Vockenhausen:
Herr Kollege Mischnick, gestatten Sie eine Zwi-
Das ist eben der Unterschied im Stil zwischen der
schenfrage des Kollegen von Guttenberg?
heutigen und Ihrer damaligen Regierung.
(Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Freiherr von und zu Guttenberg (CDU/CSU) :
Dr. Barzel: Aber Sie haben sich bei Ihrem Herr Kollege Mischnick, ist nach Ihrer Meinung auch
Partner nicht durchgesetzt!) die von der Regierung 'ausgesprochene „Ablehnung
— Sie täuschen sich. Wir sind gemeinsam der Auf- der völkerrechtlichen Anerkennung der DDR" eine
fassung, daß am Ende der Vertrag steht. Jetzt solche Formel?
brauchten wir den Partner ja gar nicht mit einem
eigenen Entwurf zu überzeugen; denn er ist mit uns Mischnick (FDP) : Das, was in der Regierungs--
der Meinung, daß am Ende der Gespräche vertrag- erklärung steht, ist die gemeinsame Auffassung der
liche Reglungen stehen sollen, wenn wir es er- Regierung und der Koalitionsfraktionen. Dazu ste-
reichen können. Nichts anderes ist die gemeinsame hen wir. Auf dieser Basis werden die Gespräche ge-
Basis. führt.
Meine Damen und Herren, heute ist wieder die
Diskussion darüber geführt worden, ob es zwei Freiherr von und zu Guttenberg (CDU/CSU) :
deutsche Staaten gibt oder nicht. Wer in der Welt Mit anderen Worten, auch Sie sind also der Mei-
bezweifelt eigentlich heute noch, daß es in Ostberlin nung, daß es in der Tat solche Formeln geben muß,
eine Regierung gibt und daß sie Macht ausübt? um vernünftige Politik zu machen?
(Abg. Dr. h. c. Kiesinger: Das ist etwas
anderes!) Mischnick (FDP) : Wenn Sie das als Formel be-
— Das ist nichts anderes, das ist der Tatbestand. zeichnen, dann kann ich nur sagen: Hier ist in der
Das ist alles schon von uns in der Regierungserklä- Regierungserklärung eine Feststellung getroffen
rung, in den Debattenbeiträgen deutlich gemacht worden, aber nicht von Formeln geredet worden.
worden. Wir werden uns jedenfalls nicht auf den Wenn Sie das zu Formeln umformulieren wollen,
Holzweg juristischer oder formalistischer Diskus- dann werden wir Ihnen dabei nicht folgen.
sionen locken lassen. (Beifall bei der FDP. — Abg. Dr. Heck: Was
Allerdings, Herr Kollege Barzel, als Sie heute bezeichnen Sie denn als Formeln?)
früh davon sprachen, es gehe nicht um Formeln, Wir alle müssen uns bewußt sein, ganz gleich,
sondern um Lösungen, hatte ich das Gefühl: Wenn welche Abmachungen und welche Vereinbarungen
wir die Lösungen präsentierten, würden Sie viel- zwischen der Bundesrepublik und der DDR zustande
leicht wieder ,die Formeln aus der Kiste holen und kommen, daß alles vom Grundsatz der Gleichberech-
meinen, die Lösungen paßten nicht zu den Formeln. tigung und der Nichtdiskriminierung ausgehen muß;
Ich wäre 'dankbar, wenn Sie sich immer zu Lösungen denn alles andere hätte keinen Sinn. Wir sind ent-
bekennen würden und nicht mehr das formelhafte schlossen, solche Verträge, wenn sie zustande kom-
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 33. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Februar 1970 1615
Mischnick
men, zu halten. Über die juristischen Details müs- beachtet werden als heute, ist größer, wenn wir zu
sen sich dann die Fachleute 'unterhalten. einer Normalisierung kommen, als wenn wir es bei
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum dem verhärteten Zustand lassen, den wir heute ha-
Abschluß nur noch ;einige Bemerkungen zu dem ben.
politischen Stil machen, mit ;dem diese Fragen in den (Beifall bei den Regierungsparteien.)
letzten Tagen behandelt wurden. Ich bin wirklich Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen
zutiefst überzeugt, daß die Form schlecht war, in der Sie mich zum Abschluß darauf hinweisen, daß in die-
diese außenpolitische Aussprache vom heutigen ser Debatte, insgesamt gesehen, deutlich geworden
Tage in der Öffentlichkeit vorbereitet wurde. Heute ist, daß die Koalitionsfraktionen hinter der Bereit-
ist wieder davon gesprochen worden, daß die Ver- schaft der Regierung stehen, ins Gespräch zu kom-
fassungswidrigkeit der Vorschläge, die hier gemacht men, das, was die Regierung vorhat, abzudecken.
worden sind, geprüft werden muß, daß Herr Bahr — Dabei darf ich an ein Wort von Thomas Dehler er-
so war es jedenfalls in der vorigen Woche — nicht innern, das er hier am 28. Januar 1958, vor zwölf
ausreichend für seine Funktion sei. Es geht nicht Jahren, gesagt hat. Er sagte damals:
darum, daß hier etwas geäußert worden ist. Es geht Wir wollen den Eisernen Vorhang nicht aner-
nicht darum, daß Sie in der Öffentlichkeit Ihre Mei- kennen, sondern wollen uns leidenschaftlich da-
nungen zu diesen Fragen sagen. Es geht einfach dar- gegen wenden. Wir wollen das Gespräch. Wir
um, 'daß mit Herrn Bahr ein Mann angegriffen wollen diesen Eisernen Vorhang durchstoßen.
wurde, der gar nicht selbst hier dazu Stellung Wir suchen das Gespräch mit den deutschen
nehmen konnte, und das bedauern wir. Es wäre Menschen drüben.
gut, wenn wir in den nächsten Wochen nicht Ähn-
liches erleben, wenn die Gespräche in Ost-Berlin Dieses Wort möchte ich heute ergänzen. Wir suchen
beginnen. Auch die Gegner der Politik der Bundes- bewußt das Gespräch mit Moskau, Warschau und
regierung und der sie tragenden Koalitionsfraktio- Ost-Berlin im Interesse und zum Wohle des gesam-
nen sollten sich vor Vokabeln hüten, die vielleicht ten deutschen Volkes. Uns dabei zu unterstützen,
für eine kurze Zeit den innenpolitischen Beifall wäre eine Aufgabe der Opposition, die insgesamt
wecken, die aber den deutschen Interessen mehr allen nützlich sein kann. Dazu sind Sie aufgerufen,
schaden als nützen. Es sollte 'endlich aufhören — und wir würden uns freuen, wenn Sie das endlich
und das sage ich mit aller Deutlichkeit, meine ver- richtig erkennen würden.
ehrten Damen und Herren von der CDU/CSU —, ('Beifall bei den Regierungsparteien.)
daß Sie die Deutschlandpolitik als innenpolitisches
Hauptkampfinstrument benutzen; denn das ist das
Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:
schlechteste, was der Deutschlandpolitik, was der
-

Das Wort hat ;der Herr Abgeordnete Dr. Apel.


Ostpolitik überhaupt passieren kann.
(Beifall bei den Regierungsparteien. — Dr. Apel (SPD) : Herr Präsident! Meine Damen
Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU.) und Herren! In der Tat muß man sich fragen, worin
— Daß Sie darüber lachen, zeigt mir, daß es Ihnen der Sinn liegt, daß wir nun schon seit heute morgen,
eben mehr darum geht, mit der Deutschlandpolitik 9 Uhr, eine deutschland- und ostpolitische Debatte
innenpolitisch zu wirken, als in der Sache selbst führen, obwohl in den letzten Wochen wirklich
einen Schritt weiter zu kommen. Uns geht es um die nichts Neues stattgefunden hat und wir immer noch
Sacheunditm polscheAuinadr- in der Vorphase der Verhandlungen sind. Insofern
setzung mit diesen Fragen. können wir Sozialdemokraten dem voll zustimmen,
was 'unser Kollege Schröder in einem Interview des
(Beifall bei den Regierungsparteien.)
Saarländischen Rundfunks gesagt hat. Ich möchte
Meine Damen und Herren, Kollege Barzel hat da- das hier mit Genehmigung des Herrn Präsidenten
von gesprochen, es bestehe die Gefahr, daß, wenn zitieren. Herr Kollege Schröder sagte:
andere Staaten die DDR anerkennen würden, das als
Ich halte es nicht 'für 'gut, jedenfalls für den
Verzicht auf das Selbstbestimmungsrecht ausgedeu-
Politiker, wenn diese Reise
tet werden könnte; so sagten Sie 'heute vormittag.
Ja, verehrter Herr Kollege Barzel, wenn das so — es geht also um die Reise nach Ost-Berlin —
wäre, daß eine diplomatische Anerkennung eines mit allzuviel schwerem Gepäck vorbefrachtet
Staates durch einen anderen gleichzeitig bedeutet, wird. Jedes Wort, das vorher gesagt wird,
daß man seine eigene Auffassung über das Selbst- kann sich möglicherweise als eine Behinderung
bestimmungsrecht für die Betreffenden in. diesem des Gesprächs auswirken. Und das sollte man
Land aufgibt, dann hätte das natürlich weitgehende nicht tun. Es ist nicht Sache der Opposition, das
Konsequenzen für viele diplomatische Beziehungen, zu tun. Die Opposition hat ihren grundsätz-
die wir haben. Daran denken Sie doch wohl nicht. lichen Standpunkt vorher klargemacht.
Sie werden mir entgegenhalten: Aber es ist doch ein Wir Sozialdemokraten können 'das voll unter-
Unterschied in den beiden Teilen Deutschlands, ob streichen,
da das Selbstbestimmungsrecht aufgegeben wird
oder nicht. Ich antworte Ihnen darauf: mit der (Beifall bei den Regierungsparteien)
Gleichberechtigung der beiden deutschen Staaten und wir möchten hier deutlich machen, daß diese
durch vertragliche Abmachungen wind das Selbst- Debatte insofern hoffentlich nicht allzu viel Vor-
bestimmungsrecht nicht aufgegeben, aber die fracht für das, was in Ost-Berlin zu besprechen sein
Chance, daß die Freiheitsrechte in der DDR stärker wird, geliefert hat. In jedem Fall kann man nicht
1616 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 33. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Februar 1970
Dr. Apel
behaupten, daß das, was die Opposition heute mor- anzukommen, und es kann nicht darum gehen,
gen hier versucht hat, für diese Gespräche hilfreich schnell zu Ergebnissen zu kommen — entscheiden
war. müssen, ob das, was herausgekommen ist, gut ist
Herr Präsident, ich möchte ein zweites Zitat an- oder schlecht ist. Und insofern gibt es auch hier
bringen. Herr Kollege Kiesinger hat sich hier mit keine Notwendigkeit, irgendwie in Panik zu ma-
bewegten Worten darüber beklagt, daß die Oppo- chen und zu meinen, es führen Züge ab, die nicht
sition nicht in genügendem Maße informiert wor- mehr zu bremsen sind. Denn — das müßte zum Kol-
den sei. Sie haben das mit dem Argument begrün- legen Strauß gesagt werden — wir stehen eben
det: Mehr Demokratie - wo ist sie, denn nun nicht unter Zeitdruck, und wir stehen auch nicht
eigentlich? — Sie selbst, Herr Kollege Kiesinger, unter Erfolgszwang. Der Herr Bundeskanzler hat
haben zu diesem Thema 1958 — ich gebe zu, ich sehr deutlich gemacht, mit wie wenig Illusionen,
war zu der Zeit gerade eben in die SPD eingetreten, aber mit wieviel Dynamik er dennoch an diese
aber immerhin — gesagt — ich zitiere wörtlich aus Dinge herangeht.
dem Protokoll vom 23. Januar 1958 —: Sie, Herr Kiesinger, und auch Herr Strauß haben
(Abg. Dr. h. c. Kiesinger: Ich kenne meine es als eine große, bedenkliche Vorleistung bezeich-
Sünden!) net, daß wir von der DDR als einem Staat sprechen.
Ich unterstreiche, daß das keine Vorleistung ist.
Das ist einfach die Übung, und zwar deswegen, Auch das ist bereits in der letzten Debatte gesagt
weil überall in der Welt die Regierungen das worden. Es ist Tatsachenbeschreibung, an der wir
Recht haben, Außenpolitik zu machen, und das nicht vorbeikommen. Und wenn Sie, Herr Kiesin-
Parlament sich darauf beschränkt, die Regierung ger, meinen, das verwirre die Gemüter weltweit,
dabei zu kontrollieren. dann meine ich, daß die Politik, die Sie versucht
Sie haben dann süffisant hinzugefügt und haben haben, nämlich mit einem Phänomen und dessen
dabei die Heiterkeit des Hauses erregt, wie im Repräsentanten zu sprechen, die Gemüter minde-
Protokoll festzustellen ist, man könne sich ja eine stens ebensosehr verwirrt hätte.
andere Regierung suchen, wenn einem das nicht Dies ist eine Position — der Herr Außenminister
passe. hat das klargemacht —, die weltweit durchaus be-
(Abg. Dr. h. c. Kiesinger: Mit größtem Ver griffen wird, weil sie ja im übrigen auch nicht ohne
gnügen!) historische, staatspolitische und völkerrechtliche
Vorbilder ist. Es ist eben nicht so, daß wir in eine
Auch das müssen wir hier mit allem Nachdruck sa-
Zwangsläufigkeit der völkerrechtlichen Anerken-
gen: Sie haben leider nicht die Mehrheit, das ist das
nung hineinlaufen. Es gibt eine ganze Reihe von
Traurige für Sie.
Gutachten, die deutlich machen, daß dazu ein politi-
(Abg. Wehner: Was heißt hier „leider"? scher Schritt, ein gewollter politischer Schritt dieses
Gott sei Dank, die haben sie lange genug Hauses und der Bundesregierung notwendig ist, daß
gehabt!) man nicht so, ohne daß man es will, plötzlich —
(Abg. Baron von Wrangel: Es gibt auch
Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen: Umwege, Herr Kollege Apel!) -
Herr Kollege Dr. Apel, erlauben Sie eine Zwischen-
frage des Kollegen von Guttenberg? — auch nicht auf. Umwegen — hineinschlittert. Hier-
zu ist ein deutlicher Willensakt notwendig, und
Freiherr von und zu Guttenberg (CDU/CSU) : Herr Mischnick hat ja auf die Regierungserklärung
Herr Kollege Apel, ist es nicht so, daß das Ver- hingewiesen. Dort sind dazu klare Aussagen ent-
lassen einer zwanzig Jahre lang gemeinsam von halten.
diesem ganzen Haus getragenen Rechtsposition mehr (Abg. Freiherr von und zu Guttenberg:
ist als lediglich ein Akt der außenpolitischen Aber es gibt den Anstoß für Drittstaaten,
Routine? Herr Apel!)
Auf der anderen ,Seite müssen wir die Debatte
Dr. Apel , (SPD) : Ja, aber Herr von Guttenberg, um den zweiten deutschen Staat mit einer größeren
Sie haben Ihre Argumentation doch nun schon min- Realistik sehen. Beide Seiten müssen wissen, daß
destens zweimal in diesem Hause darstellen können, es Positionen gibt, die nicht verrückbar sind, denn
und insofern hat sich inzwischen wirklich kein neuer wir werden uns in den Verhandlungen eben nicht
Tatbestand ergeben. Und ich stütze mich auf die heraustreiben lassen laus den Festlegungen des
Ansicht, die Herr.. Kiesinger als Jugendsünde be- Grundgesetzes. Wir werden nicht bereit sein, am
zeichnet, nämlich daß es jetzt die Aufgabe und die Grundgesetz irgendetwas zu verändern. Wir haben
Stunde der Exekutive ist, ihre Verantwortung wahr- im Bericht zur Lage der Nation unterstrichen, daß
zunehmen und ohne Vorbefrachtung, wie es Herr wir Wert darauf legen, daß die Dreimächteverant-
Schröder sagt, in diese Gespräche hineinzugehen. wortung für West-Berlin und die Bundesrepublik
und für Deutschland als ganzes — so heißt es dort —
Meine Damen und Herren, ich möchte eine wei-
tere Bemerkung machen. Ich verstehe auch nicht erhalten bleibt, und wir unterstreichen immer wie-
die Kassandrarufe hier in diesem Hause von seiten der, daß wir Mitglied der NATO und Mitglied der
der Opposition, denn natürlich wird dieses Haus am EWG sind.
Ende dieser langen Phase ostpolitischer Verhandlun- Insofern gibt es hier feste Positionen, die es aller-
gen — und es wird nicht darum gehen, schnell vor- dings auf der anderen Seite, meine Herren von der
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 33. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Februar 1970 1617
Dr. Apel
CDU/CSU, auch gibt. Hier gibt es eine Verfassung es eine einheitliche Bundesregierung gibt, einheit-
der DDR, die im übrigen sogar auch von Wiederver- liche Koalitionsfraktionen, und daß in diese Regie-
einigung spricht; hier gibt es Vorbehaltsrechte der rung auch Helmut Schmidt, der heute morgen in
UdSSR, was die Viermächteverantwortung anlangt; einem Zitat angesprochen wurde, hineingehört und
hier gibt es Comecon und Warschauer Pakt. daß er unser volles Vertrauen genießt, Mitglied die-
(Abg. Stücklen: Breschnew-Doktrin!) ser Mannschaft ist, und daß, wenn man versuchen
sollte, Sozialdemokraten nach gewissen Güteklas-
Wenn man die ganze Diskussion um ,,.Anerken- sen zu sortieren, es keinen Erfolg geben kann.
nung — ja oder nein?" — betreiben will, dann muß
man diese beiden Positionen auch sehen, diese bei- (Zustimmung bei der SPD. — Abg. Dr. Müller
den Positionen, in denen keine der beiden Seiten Hermann: Das machen Sie umgekehrt!)
bereit sein wird, sich aus ihrer Position — unsere
Wir haben heute morgen mit großer Spannung
Position habe ich skizziert, die andere, die der DDR,
auf die Rede von Herrn Barzel gewartet. Denn als
ist deutlich — heraustreiben zu lassen. Insofern habe
ich heute morgen im Hause Kaffee trank, verkün-
ich volles Verständnis dafür, daß in der Diskussion
dete der Westdeutsche Rundfunk, der Herr Barzel
eben auch über die Fragen der Anerkennung und
würde zweierlei tun, erstens große politische Linien
ihrer Bedeutung für diese Verhandlungen etwas
darstellen, eine Art Kontrastprogramm — so wenig-
gesagt und versucht wird, Konstruktionen zu finden,
stens der WDR — zur Ost- und Deutschlandpolitik
die diese Schwierigkeiten vielleicht überbrücken
der Bundesregierung, und zum zweiten würde er
oder auch nicht.
darstellen, daß es doch eine einheitliche Konzeption
(Vorsitz : Vizepräsident Dr. Schmid.) bei den beiden Oppositionsgruppierungen gebe.
In jedem Falle ist das eine sehr ernsthafte Diskus- Wenn ich genau hingehört habe, muß ich sagen,
sion, der wir uns auch in diesem Hause stellen müs- Herr Barzel, daß wir das eigentlich doch nicht fest-
sen. gestellt haben. Denn Sie haben zwar — —
Was die Reise des Herrn Bundeskanzlers nach (Abg. Dr. Barzel: Es tut mir leid, daß das an
Ost-Berlin anlangt, sind wir Sozialdemokraten der Ihnen vorbeigegangen ist!)
Meinung, daß wir natürlich darauf achten müssen,
— Das mag durchaus sein. Sie haben sehr viel
in welchem Rahmen, mit welchem Dekor, mit wel-
Wortgeklingel geliefert, sehr viel Phraseologie —
chen äußeren Gegebenheiten diese Reise bedacht
nach meinem Geschmack —, aber sehr wenig prak-
wird. Aber — das muß zu Herrn Strauß gesagt wer-
tische Aussagen.
den — wir lehnen es ab, Fragen des Protokolls, Fra-
gen des Roten Teppichs oder andere Probleme zur (Abg. Dr. Barzel: Aber das ist doch, Herr
zentralen Argumentation machen zu lassen. Apel — —! Warum hat denn der Bundes
(Abg. Freiherr von und zu Guttenberg: Das kanzler darauf geantwortet?)
hat Herr Strauß auch nicht gemacht!) — Lassen Sie mich versuchen, das in einzelnen
— Nun, Sie kennen die Äußerung von Herrn Strauß; Punkten darzustellen. Die Regierungserklärung von
ich will sie nicht vertiefen. Denn ich bin nicht dazu Herrn Kiesinger hat am 13. Dezember 1966 sehr -
da, für Herrn Strauß hier Schleichwerbung zu be- deutlich ausgesprochen, daß wir Polens leidvolle
treiben; er tut es schon genügend selbst. Geschichte kennen und daß wir Verständnis dafür
haben, und zwar wachsendes Verständnis, daß Polen
(Abg. Dr. Barzel: Dann sind Sie schon etwas endlich in einem Staatsgebiet mit gesicherten Gren-
erfahrener als Herr Wischnewski!) zen leben will und daß wir das um so besser begrei-
fen, als wir selbst ein geteiltes Volk sind. Wenn das
Was also die Reise anlangt, so werten wir die
aber so ist, Herr Kollege Barzel, dann geht es bei
Tatsache, daß es jetzt diese Einladung gibt und daß
dem, was in Warschau verhandelt wurde und noch
es Vorgespräche gibt, als ein positives Zeichen,
verhandelt werden wird, eben nicht um Formeln,
wenn nicht sogar als einen gewissen Erfolg dieser
sondern — basierend auf dieser Erklärung — um
Politik. Wir haben ja alle gelesen, wie sehr Herr
die Notwendigkeit, in dieser Frage zu einer gewis-
Ulbricht doch eigentlich gezögert hatte, in diese Ge-
sen Regelung zu kommen, mit der beide Seiten leben
spräche einzutreten. Das heißt nicht, daß wir uns
können. Sie muß deutlich machen, daß wir eben
irgend etwas erwarten, daß wir jetzt hoffen, es
dieses Verständnis haben, von dem Herr Kiesinger
ginge schnell voran. Wir wissen um den dornigen
am 13. Dezember 1966 gesprochen hat.
Weg. Aber wir sollten doch anmerken, daß hier
ein neues Element — nachdem wir zuvor nichts er- (Abg. Dr. Barzel: Und von dem ich heute
hoffen durften — nach der Pressekonferenz von wieder gesprochen habe! Das bezeichnen
Herrn Ulbricht festzustellen ist. Sie dann heute als Phraseologie!)
In der Debatte heute morgen ist auf Äußerungen Dann können Sie, Herr Kollege Barzel, dieser Dis-
in der DDR Bezug genommen worden, insbesondere kussion auch nicht ausweichen, indem Sie von der
auf eine Rede von Herrn Honnecker. Wir Sozialde- Durchlässigkeit von Grenzen und von Rechten der
mokraten denken nicht daran, an dieser Stelle dazu Minderheiten sprechen. All das sind Themen, die
irgend etwas zu sagen, weil das die Gespräche nur vielleicht in den Zusammenhang hineingehören.
vorbelasten würde. Allerdings meine ich eine Be- Aber dem zentralen Thema, nämlich der Grenzfrage,
merkung machen zu sollen, und das ist die, daß weichen wir damit nicht aus, wenn wir echte Ver-
auch die Führung der DDR wissen soll und muß, daß handlungen wollen.
1618 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 33. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Februar 1970

Vizepräsident Dr. Schmid: Eine Zwischen- sagt, ich sei zu frech gewesen. Ich werfe den Zettel
frage, Herr Czaja. gleich weg.
(Heiterkeit. — Abg. Stücklen: Das ist auch
Dr. Czaja (CDU/CSU) : Herr Kollege, hätten Sie, nötig, denn Sie handeln nicht danach!)
nachdem Sie Herrn Bundeskanzler Kiesingers Er-
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich auf
klärung vom 13. Dezember 1966 vorhin zitiert haben,
einen weiteren Widerspruch aufmerksam machen.
die Freundlichkeit festzustellen, ob der Satz, den
Herr Kollege Strauß hat gesagt, wir könnten tun,
Sie hier nicht zitiert haben, ebenfalls noch gilt, näm-
was wir wollten; wir könnten Opfer bringen, so viel
lich der Satz:
wir wollten: all das sei Unsinn — ich versuche wört-
Die Grenzen eines wiedervereinigten Deutsch- lich zu zitieren, wie ich es mitgeschrieben habe —,
lands können nur in einer frei vereinbarten Re- denn um keinen Preis gebe es für die DDR das
gelung mit einer gesamtdeutschen Regierung österreichische Modell. Herr Kollege Kiesinger,
festgelegt werden, einer Regelung, die die Vor- wenn das die Aussage von Herrn Strauß ist, wider-
aussetzung für ein von beiden Völkern gebil- spricht sie Ihrer Aussage. Denn Sie sprechen von
ligtes dauerhaftes und friedliches Verhältnis gu- Opfern, von großen Opfern, und erhoffen sich von
ter Nachbarschaft schaffen soll. diesen Opfern etwas. Dann gibt es hier einen deut-
Gilt dieser Satz auch heute noch? lichen Widerspruch. Denn entweder bringen diese
Opfer etwas oder sie sind vergeblich.
Dr. Apel (SPD) : Ich will den Verhandlungen, die Wir sollten von dieser Art der Debatte wegkom-
in Warschau laufen, nicht vorgreifen. men.
(Abg. Stücklen: Ja, das wäre gut!)
(Aha-Rufe bei der CDU/CSU.)
— Sie haben doch diese Debatte angeregt, nicht wir.
Ich gehe aber davon aus, daß e s darauf ankommt,
eine für beide Seiten befriedigende Formulierung (Abg. Stücklen: Nein, ich meine: von dieser
zu finden. Art!)
(Abg. Schulhoff: Das ist doch eine Phrase! Wir sollten , das tun, was Herr Kiesinger am 17. Juni
— Weitere Zurufe von der CDU/CSU.) 1967 gesagt hat, nämlich daß wir endlich wegkom-
men müßten von glatt eingespielten Denkgewöh-
— Augenblick! Ich könnte mir deswegen vorstellen,
nungen, einem bequemen Formelkult, der das tö-
daß wir mit diesem Satz dort nicht durchkommen.
nende Wort, Herr Barzel, an die Stelle mühsam
Ich wäre dann auch bereit zu überdenken, ob das
politischen Denkens und Handelns setzt. Das ist die
heute noch meine Position ist.
Situation, in der sich diese Bundesregierung zur Zeit
befindet. Sie ist von dem „tönenden Wort" weg-
Vizepräsident Dr. Schmid: Eine weitere Zwi- gekommen. Sie ist in der Phase des mühsam poli-
schenfrage des Abgeordneten Barzel. tischen Tastens und Versuchens. In dieser Phase ist
es einfach unzulässig, hier oder draußen im Lande
Dr. Barzel (CDU/CSU) : Herr Kollege Apel, habe so zu diskutieren, als gebe es gute und bessere
-
ich Sie richtig verstanden, daß die Forderung nach Deutsche.
Durchlässigkeit der Grenze ein Ausweichen vor dem Der bequeme Weg hat sich als nicht gangbar er-
Problem sei? War das Ihre These? wiesen. Er ist in 20 Jahren gescheitert. Es bleibt,
wenn wir den Auftrag des Grundgesetzes und un-
Dr. Apel (SPD) : Ja. seren Willen, den Frieden in Europa sicherer zu
machen, erfüllen wollen, nur noch der unbequeme
Weg. Ich bewundere den Bundeskanzler, weil er
Dr. Barzel (CDU/CSU) : Dann beklage ich diese diesen unbequemen Weg geht. Denn es wird ein
Kritik an der Regierungserklärung des Bundeskanz-
sehr 'unbequemer Weg nach Ost-Berlin sein.
lers Willy Brandt, der am 14. Januar diese Forde-
rung der Opposition übernommen und von der Angesichts der Tatsache wäre es gut, meine Da-
Durchlässigkeit der Grenze als einer unerläßlichen men und Herren von der Opposition, wenn Sie das
Forderung gesprochen hat. beherzigten, was Herr Schröder im Saarländischen
Rundfunk gesagt hat: Wir sollten diesen Weg der
(Beifall bei der CDU/CSU.)
Bundesregierung in den nächsten Wochen nicht be-
frachten mit Vorbedingungen, mit Argumenten, mit
Dr. Apel (SPD) : Herr Kollege Barzel, natürlich Peinlichkeiten, mit unsauberen Vokabeln, denn das
geht es auch um diese Frage. wird eines Tages auch auf Sie, die Sie für Deutsch-
(Aha-Rufe bei der CDU/CSU.) land auch Verantwortung tragen, mit zurückschla-
gen.
Aber wenn wir jetzt mit Polen verhandeln, geht es (Beifall bei den Regierungsparteien.)
vorrangig um die Grenzfrage.
(Abg. Dr. Barzel: Wenn er es sagt, ist es Vizepräsident Dr. Schmid: Das Wort hat Herr
ernst, wenn ich es sage, nicht!) Bundesminister Ehmke.
— Herr Barzel, was soll denn das? Ich hatte mir
einen Zettel zurechtgelegt, auf dem steht: „Sei nett Dr. Ehmke, Bundesminister für besondere Auf-
zur CDU!" Sie haben nämlich beim letztenmal ge gaben: Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 33. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Februar 1970 1619
Bundesminister Dr. Ehmke
Da sich auf der Rednerliste als nächster ein Kollege Dr. Becher (Pullach) (CDU/CSU) : Herr Präsident!
der CSU eingetragen hat, möchte ich ihm die Ge- Meine Damen und Herren! Der schnelle, ras ante
legenheit geben, gleich auf das zu antworten, was Ablauf der Ereignisse und die Widersprüchlich-
ich auf zwei Bemerkungen von Herrn Kollegen keit in so manchen Aussagen in der Dis-
Strauß zu sagen habe, die er heute morgen gemacht sion der letzten Wochen mache es meiner Mei-
hat, betreffend die Debatte der vergangenen Woche. nung ach erforderlich, daß hier einmal auch ein
Er hat gemeint, daß ich in zwei Dingen dem Hause Sprecher derjenigen Deutschen zu Wort kommt, auf
etwas Unrichtiges berichtet habe. deren Kasten im wesentlichen, möchte ich sagen,
Einmal in der Frage, wie viele nichtpolitische die neue Ostpolitik durchgeführt werden soll, also
Beamte im beamtrechtlichen Sinne „Briefe" bekom- der Deutschen, bei denen es wirklich nicht um For-
men hätten, mit denen sie von der Funktion ent- meln, sondern um die Heimat geht, in der sie ge-
bunden worden seien; das seien zwanzig gewesen boren wurden.
und nicht zwei. Hier ist Herr Strauß ein Opfer seiner Es ist sehr einfach, über die Millionenmasse der
unpräzisen Fragestellung. Die Frage war, wie viele Deutschen, die unter Raub und Mord und Totschlag
der nichtpolitischen Beamten solche Briefe bekom- und unter Zurücklassung ihres gesamten Eigentums
men haben. Heute hat Herr Strauß dagegen irgend aus ihrer Heimat vertrieben wurden, einfach mit
etwas von „Umfuktionieren" gesprochen, in Auf- dem Hinweis darauf zur Tagesordnung überzu-
nahme von APO-Terminologie. Die Frage der ver- gehen, das sei eben eine Folge des verlorenen Krie-
gangenen Woche habe ich beantwortet. Es kann. ges, diese Realität müßten wir anerkennen, respek-
sein, daß ich einen Herrn vergessen habe, nämlich tieren oder zumindest in unsere Deutschland- und
(Zuruf) Ostpolitik einkalkulieren. Ich meine, diese Rech-
nung ist falsch ud eine Rechnug ohne den Wirt.
— Vorsicht, Herr Stücklen, Vorsicht! — Herrn Liegen, so möchte ich fragen, Schuld und Verant-
Ministerialdirigenten Neusel, den ich auf Bitten der wortung nicht auch auf seiten derer, , die sich damals
CDU dem Herrn Altbundeskanzler Kiesinger zur — denken wir an den Hitler-Stalin-Pakt — zu einem
Verfügung gestellt habe. Teufelsbund zusammengefunden haben? Ist der von
(Heiterkeit und Beifall bei der SPD.) beiden ausgelöste Eroberungsfeldzug nicht heute
noch gegen die ganze freie Welt im Gange? Und
Der zweite Vorgang betrifft die drei Nachrichten- sind die unmittelbar betroffenen Deutschen, um
manipulationen, die ich in der vergangenen Woche
deren Hab und Gut und Boden es in erster Linie
hier ausgebreitet habe. Es ging um den Fall Bahr, geht, im heutigen Zusammenhang nicht auch als
um die Frage „Lage der Nation" und um die Bremer eine Realität anzuführen? Ist man des Glaubens, daß
Vorgänge im Anschluß an die Äußerungen von ein Volk oder eine Volksgruppe im Laufe von we-
Herrn Ahlers. Nur ein Vorgang ist aufgegriffen nigen Jahrzehnten einfach so dahinschmilzt? Kann
worden, und zwar in der „Bild am Sonntag" vom
man das Ethos unseres Volkes, des Staates gesund
22. Februar. Da wird behauptet, daß die Darstellung,
erhalten, wenn man zuläßt, daß man jene denunziert
die ich hier gegeben habe, gestützt auf den Polizei-
und schmäht und herabsetzt, welche sich einer Ver-
bericht von Bremen, unrichtig sei. Herr Strauß hat
pflichtung verbunden fühlen, die letztlich den inne-
sich heute beeilt, hier die Version von „Bild am
ren Kitt unseres ganzen Gemeinwesens ausmacht?
Sonntag" zu vertreten. Das hat er übrigens mit Vor-
würfen gegen die Bremer Polizei verbunden, die ich Ich glaube, man kann nicht der Meinung sein, daß
eigentlich nicht machen würde, wenn ich anderer- dann, wenn die Rechts- und Verfassungstreue dieser
seits so sehr den Aspekt der inneren Sicherheit Deutschen dahinschmilzt, nicht auch die Gefahr be-
unterstreiche, wie Herr Strauß das getan hat. Dann steht, daß die Bundesrepublik als ganzes ins Wan-
sollte man auch die Arbeit der Polizei ernstnehmen. ken kommt und einer Zeit zustrebt, in der sie sich
Ich habe keinen Grund zu glauben, daß die Darstel- eben nicht, wie der Herr Bundeskanzler in seiner
lung der Bremer Polizei weniger glaubwürdig ist Rede zur Lage der Nation sagte, selbst anerkennt,
als die Darstellung der „Bild am Sonntag" . Ich sondern in .der die Gefahr besteht, daß sie sich
wiederhole hier: Die Darstellung in „Bild am Sonn- selbst aufgibt. Niemand will hier — ich möchte das
tag" war in allen den Punkten falsch, wie die Gegen- betonen — gegen den Strom schwimmen oder kein
überstellung von Herrn Ahlers gezeigt hat. Für den Opfer für das Ganze und für die Freiheit bringen.
Bremer Senat hat der Anwalt heute den Verlag des Aus der Rede des Herrn Bundeskanzlers möchte ich
Blattes aufgefordert, eine Gegendarstellung zu brin- in der Tat die Erklärung herausgreifen, er handele
gen. Er hat mir mitgeteilt, daß er diese Gegendar- für die Freiheit und Sicherheit der Deutschen, der
stellung notfalls auch gerichtlich durchsetzen will. Bundesrepublik, aller Deutschen, wo immer sie
Ich wäre also dankbar, wenn dem abwesenden leben; es gehe daher nicht um Ostpreußen, um
Herrn Strauß berichtet werden könnte, daß er sich Schlesien, um die deutschen Ostgehiete. Ich möchte
in diesem Streit vielleicht etwas voreilig auf die das unterstreichen. Ich bin der Meinung, daß jeder
Seite von „Bild am Sonntag" gestellt hat. verantwortliche Bundeskanzler so handeln muß. Die
Schönen Dank. Frage ist nur, ob man durch die Aufgabe verbriefter
Rechte auf deutsche Gebiete die Sicherheit und die
(Beifall bei den Regierungsparteien.)
Freiheit der Bundesrepublik schwächt oder stärkt.
Vizepräsident Dr. Schmid: Das Wort hat der Ich meine, man sollte den Menschen aus diesen
Abgeordnete Dr. Becher. Seine Fraktion hat für ihn Gebieten auch nicht unterschieben, sie würden
20 Minuten Redezeit beantragt. nationalistische oder deutschnationale Ziele anstre-
1620 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 33. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Februar 1970

Dr. Becher (Pullach)


ben. Ich glaube unterstreichen zu können, daß nie- daß die Ablehnung der völkerrechtlichen Anerken-
mand hier im Hause und niemand aus den Reihen nung keine absolute Angelegenheit sei.
derer, über die ich hier spreche, der Meinung ist, Ich darf hier vielleicht ganz wörtlich das zitieren,
unsere Zukunft könne von einer Wiederkonstitu- worauf auch Herr Dr. Kiesinger schon hinwies. Ich
ierung eines großdeutschen Reiches oder irgendeiner meine, nicht, daß Herr Günter Gaus ein Präzeptor
ähnlichen Kombination abhängen. Es wird in der Germaniens. ist. Aber ich glaube doch, daß er eini-
Zukunft weder ein großdeutsches noch ein großeng- germaßen Verbindungen zu den Persönlichkeiten
lisches noch ein großfranzösisches Reich geben. Wir hat, die hier Verantwortung tragen. Er schreibt
alle sind felsenfest davon überzeugt, daß die Aus- heute im „Spiegel" in seiner Diskussion über die
söhnung mit allen Völkern Europas nur im Rahmen Reise des Bundeskanzlers nach Ost-Berlin:
einer Partnerschaft freier Völker und Volksgruppen
in Europa möglich ist. Ohne Täuschung und Selbsttäuschung aber ge-
hört zur jetzigen Bonner Ostpolitik die Ein-
(Abg. Dr. Barzel: Sehr wahr!) sicht, daß am Ende die unmißverständliche An-
Aber ich glaube, diese Aussöhnung ist von vorn- erkennung der DDR steht, eine Anerkennung,
herein auf Sand gebaut, wenn man sie unter Aus- — wie er sich ausdrückt —
schaltung der Deutschen erreichen will, um die es an deren Eindeutigkeit dann nur noch berufs-
hier geht. Meiner Meinung nach ist eine Normalisie- mäßige Exegeten des Völkerrechtes akade-
rung der Beziehungen zwischen den Deutschen in mische Zweifel haben können.
Mitteleuropa und ihren östlichen Nachbarn nur mög-
lich, wenn man Entwicklungen anstrebt, die beiden Daraus geht hervor, daß man mit Recht Zweifel
Teilen Recht und Gerechtigkeit bringen. Ich meine darüber haben kann, wohin die Reise führt. Wenn
also, es ist in der Tat zu fragen, ob die Opfer, die das wahr wäre, was hier ein der Regierungspolitik
man diesen Deutschen abverlangt, zur Freiheit von immerhin sehr nahestehender Journalist schreibt,.
uns al len, zur Sicherung unserer freiheitlichen Zu- dann würde der Bundeskanzler, wenn er nach dem
kunft hinführen. anderen Teil Deutschlands fährt, nicht eine Reise
von Amtsgericht zu Amtsgericht antreten, sondern
Ich will hier noch einmal ein Problemgebiet an- dann würde das die Reise eines Mannes sein, der
schneiden, das heute schon diskutiert worden ist. — wenn das wahr wäre — Rechtsfundamente be-
Viele Menschen, vor allem unter den besonders reits aufgegeben hat, zu einem Mann, der seiner-
Betroffenen, Herr Bundeskanzler, sind darüber er- seits sehr wohl Rechtsfundamente anstrebt, nämlich
schrocken, daß man in einer gewissen Leichtigkeit die Position der Anerkennung der Unrechtszustände
Gegebenheiten des Rechtszustandes zu relativieren, in dem von ihm beherrschten Teil Deutschlands.
herunterzuspielen, beiseite zu schieben bereit ist.
In der Tat geht die Alternative „hie Politik, hie (Abg. Freiherr von und zu Guttenberg: Sehr
Rechtspositionen" w ie ein roter Faden durch s o richtig!)
manche Erklärungen der Regierungsseite. In Ihrer Rede zur Lage der deutschen Nation,
Was heißt es denn, was wir heute s o oft wieder Herr Bundeskanzler, hat mir am besten der Pas-
hörten: Rechtskampf, Rechtsvorbehalte seien kein sus gefallen, mit .dem Sie sich zum Prinzip der
Ersatz für Politik? Was heißt das, man könne poli- Selbstbestimmung bekannt und mit dem kühnen
Verlangen der anderen Seite auseinandergesetzt
tische Lösungen nicht mit rechtlichem Formelkram
erreichen? Und was heißt dieses so prägnant über haben, wir sollten eine Volksabstimmung darüber
das Fernsehen ausgesprochene Wort des Herrn Bun- durchführen, ob wir weiterhin dem Westbündnis
deskanzlers, die Weltgeschichte sei kein Amts- angehören sollen oder nicht. Ich würde sagen, wenn
Sie Verhandlungen führen, schlagen Sie diese
gericht? Ich meine natürlich, man soll dieser Formel
nichts Böswilliges unterschieben. Das tue ich auch Volksabstimmung aller Deutschen vor. Reden wir
nicht. Aber ich glaube, ein Bundeskanzler der Bun- deutlich — dais versteht die Welt —: Verlangen
desrepublik muß sich im klaren sein, daß er mit wir Volksabstimmung aller Deutschen, wo sie le-
solchen Formeln Mißtrauen genau bei jenen er- ben, über den Status Deutschlands!
weckt, die ganz besonders an den Rechtspositionen (Beifall bei der CDU/CSU.)
hängen, die für sie mehr bedeuten als nur Formeln.
Er muß sich im klaren sein, daß diese Herabwürdi- Große Teile unseres Volkes verstehen es nicht,
gung der Rechtspositionen, der Rechtsstandpunkte wenn man auf der einen Seite von Gewaltverzicht
eine Eskalation der rechtlichen Selbstaufgabe ein- spricht und — das mit guten Gründen tut und an-
leiten kann, die immerhin eine Gefahr für uns wäre. spricht und auf der anderen Seite Rechtsverzichte
zumindest anbietet. Gewaltverzicht kann man nicht
Ich darf auch von mir aus noch einmal darauf anstreben, wenn man ihn mit Rechtsverzicht paart.
verweisen, daß Tatbestände vorliegen, die diese Gewaltverzicht ist entweder die legalisierte Kapi-
Eskalation unterstützen. Der Herr Bundeskanzler tulation oder die Voraussetzung für ,eine Lösung
hat hier von Selbstbestimmung gesprochen. Er hat aus dem Recht. Darum geht es.
davon gesprochen, daß für ihn die völkerrechtliche
Anerkennung nicht in Frage kommt. Aber wir haben Ich meine auch, Herr Kollege Dahrendorf, dessen
dann — das ist in der Zwischenzeit, in der Zeit seit Argumenten ich sehr viel Positives abgewinnen
der letzten außenpolitischen Debatte geschehen — möchte, hat heute nicht so ganz die Rolle des Rechts
die Formel des Herrn Kollegen Wehner gehört, der erfaßt, als er auch seinerseits sagte: ,,Rechtsan-
diese Behauptung sehr relativierte, indem er sagte, sprüche sind nicht mehr als die Basis unserer Poli-
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 33. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Februar 1970 1621
Dr. Becher (Pullach)
tik". Ich gehe davon aus. daß das zutrifft. Aber ich mit einem Partner zu tun, dem es lediglich um den
meine, wir sollten uns mehr noch, als das bisher ge- Status quo gehe.
schah, das zentrale Phänomen der Zeit vor Augen (Abg. Wehner: Das haben Sie doch schon
halten, in der wir leben. Ich meine damit die Erfin- bei der Fernsehsendung gesehen, worum
dung der atomaren Zerstörungskraft und die da- es geht!)
durch ausgelöste Tatsache, ,daß es Gott sei Dank zu
einer Selbstentmachtung der kriegerischen Möglich- Wenn man schon von der Stunde der Wahrheit
keiten weitgehendst gekommen ist. spricht und wenn man die Realitäten ansprechen
will,
Diesem atomaren Phänomen steht aber, ich möchte (anhaltende Zurufe von der SPD)
sagen, .ein rechtliches Phänomen gegenüber: Zum dann möchte ich sagen: Die realste der Realitäten
erstenmal seit Adam .und Eva werden Gott sei Dank ist die Tatsache,
die Entscheidungen nicht auf der militärischen
Ebene, sondern auf der politisch-moralischen Ebene (Zuruf des Abg. Wehner)
getroffen, auf jener Ebene also, wo das Recht eben daß es den Sowjets eben nicht auf den Status quo
nicht nur „Juristerei" ist, sondern ein Element des ankommt, sondern daß es ihnen darauf ankommt,
politischen Manövrierens, ein Element der politi- den Status quo lediglich als Ausgangspunkt für eine
schen Selbsterhaltung. Deshalb würde ich sagen, es offensive Politik nicht nur gegenüber der Bundes-
ist ,eine Sünde gegen dieses zentrale Phänomen, republik, sondern der gesamten freien Welt zu be-
wenn wir Rechtspositionen aufgeben, statt sie auf- nützen.
rechtzuerhalten. (Zuruf von der SPD: Ja, j a , ja!)
Von hier aus gesehen ist auch das viel zitierte Und in der Tat: Wenn Sie die Dokumente studieren,
Selbstbestimmungsrecht und Recht auf die Heimat wenn Sie die Kongresse der östlichen Welt und de-
eben mehr als nur ein sentimentaler Traum. Von ren Beschlüsse studieren, dann finden Sie den ge-
hier aus gesehen sind die Rechte aller Deutschen, samten Katalog der deutschlandpolitischen Forde-
auch der Vertriebenen, auch der Ostdeutschen, in rungen jeweils immer verbunden, so möchte ich sa-
der Strategie des Gleichgewichts bedeutungsvoll. gen, mit dem weltrevolutionären offensiven Auftrag.
Das Recht auf die Heimat ist deshalb auch kein (Zuruf von der SPD: Ja, ja, ja!)
Fossil, wie Herr Klaus Schutz, ,der Regierende Bür-
Das ist einfach Wahrheit; das kann man nicht hin
germeister von Berlin, sich auszudrücken pflegt, ein
wegleugnen. Und wer das deutsche Volk darüber
Fossil, das man angeblich in das Museum stellen soll.
nicht auch aufklärt, macht sich einer Unterlassungs-
Gebe Gott, daß es nicht morgen schon — und ich sünde schuldig.
möchte das von hier aus einmal sagen — Menschen So gesehen geht es den Sowjets, wenn sie die An-
bei uns gibt, die das Recht auf das freie Berlin erkennung der Oder-Neiße-Linie fordern, nicht um
als Fossil bezeichnen. Ich meine, diese Formulie- das Wohl Polens, wenn sie Anerkennung des Ul-
rung des Herrn Schütz war wohl ein Schlag in die bricht-Regimes fordern, nicht um das Wohl der
eigene Niere, traf .er doch genau jene Gruppen in Deutschen, und wenn sie die Annullierung des -
Deutschland, nämlich die Deutschen aus den Ostge- Münchener Abkommens wollen, nicht um das Wohl
bieten, die sich in der Treue zu Berlin, wie ich der Tschechen und der Slowaken. Sie rufen hier
glaube, kaum von jemandem übertreffen ließen. nach Annullierung national und international ver-
(Sehr richtig! bei der CDU/CSU.) briefter Rechte und meinen in Wirklichkeit die An-
nullierung der Freiheit in der Bundesrepublik und
Nun muß man sich aber auch fragen: Wofür Auf- in der westlichen Welt. Das ist zumindest eine Tat-
gabe von Rechtspositionen oder Schwächung von sache, die man feststellen muß, wenn man die Do-
Rechtspositionen? Das ist doch die entscheidende kumente zur Kenntnis nimmt. Man muß eben zur
Frage. Der schon zitierte Herr Günter Gaus hat Kenntnis nehmen, daß es der anderen Seite nicht
unter dem Titel „Das einfache Konzept" darauf im um die Formel „Von der Konfrontation zur Koopera-
neuesten „Spiegel" — ich darf dieses ehrenwerte tion", sondern um die Formel „Von der Konfronta-
regierungsfreundliche Magazin hier nennen — tion zur Revolution" geht.
(Abg. Wehner: Sparen Sie sich diese Ver Ich will nicht bestreiten, daß Ihnen das auch be-
zierungen! Sie sind auch so lästig!) kannt ist. Ich will nicht bestreiten, daß Sie das auch
zur Kenntnis nehmen wollen. Die Frage ist nur, wie
eine sehr einfache Antwort gegeben. Er hat gesagt, man sich gegenüber diesem Faktum einer gelenkten
das alles sei deshalb sinnvoll, die Aufgabe recht- politischen Offensive verhalten soll. Wir sind uns
licher Positionen sei sinnvoll, weil man dann im darin einig, daß das nur aus der Kraft und aus dem
Strom der Ostpolitik schwimmen könne und weil Zusammenhang des westlichen Bündnisses heraus
man dann der Entspannungsthese der Sowjets ent- geschehen kann. Was uns unterscheidet, ist lediglich
spreche, die ihre Politik auf der Festigung und Lega- die Methode.
lisierung des Status quo aufbauten.
Wir befürchten, daß der Verzicht auf die Wieder-
Auch wenn Ihnen das nicht lieb ist, Herr Wehner, vereinigung, wenn er ausgesprochen wird — da und
möchte ich sagen: Genau darin sehe ich den zen- dort ist er ausgesprochen worden —, daß die Aner-
tralen Irrtum der Denkschule, die davon ausgeht, kennung des Ulbricht- Regimes die Machtbasis nicht
wir hätten es — nun, ich möchte einmal sagen — nur legalisieren, sondern auch zementieren wird,
1622 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 33. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Februar 1970

Dr. Becher (Pullach)


von der aus nicht nur die Bundesrepublik, sondern stimmung der Geschäftsordnung strikte wahrzuneh-
das gesamte europäische Feld, das gesamte West- men. Ich werde das tun.
europa auf dem Wege über die Durchsetzung der
Das Wort hat der Abgeordnete von Kühlmann-
sogenannten sozialen Errungenschaften irgendwie
Stumm.
machtmäßig vereinnahmt wenden soll. Die Umkeh-
rung der Hallstein-Doktrin, die Erweiterung der
Breschnew-Doktrin auf die Bundesrepublik und auf Freiherr von Kühlmann Stumm (FDP) : Herr
-

Europa ist die Gefahr, die wir da vor Augen haben. Präsident! Meine Damen und Herren! Heute morgen
Das alles könnte geschehen, ohne daß die Mauer hörte ich im Radio die Ausführungen des Herrn
vorher beseitigt wird und ohne daß die mensch- Fraktionsvorsitzenden, des Kollegen Barzel, er
lichen Erleichterungen eintreten, von denen gespro- werde diese Debatte aus Sorge um Deutschland
chen wird. führen. Ich erkenne das an. Aber ich glaube, Herr
Dr. Barzel, nachdem wir vor vier Wochen in diesem
Ich weiß — nehmen Sie das bitte zur Kenntnis — , Hohen Hause eine ausgiebige Aussprache über die
daß genau die Menschen, um deren Güter, deren Deutschland- und Außenpolitik gehabt haben, wäre
heilige Güter, möchte ich sagen, e s hier zuvörderst es nicht notwendig gewesen, ausgerechnet zu die-
geht, unter dem größten Druck einer Propaganda sem Zeitpunkt die Debatte noch einmal zu führen.
vom Osten und zum Teil auch von hier aus leben.
Aber ich meine, wir werden unter Umständen die Ich freue mich aber, feststellen zu können, daß
Verfassungs-, die Rechts- und die Freiheitstreue bisher in dieser Debatte nichts verschüttet worden
dieser Menschen sehr brauchen. ist und auch die Möglichkeiten der Bundesregierung
in ihren weiteren Verhandlungen nicht einge-
Ich darf hier Matthias Walden zitieren, der in schränkt worden sind. Das war meine Befürchtung,
einer, wie ich glaube, guten Analyse anführte: als ich vor unserer Debatte unerfreuliche Töne aus
Die Freiheit, die wir einmal meinten, wird nun Saarbrücken und Niederbayern hörte. Ich hätte es
nur noch konsumiert. Als Ideal ist sie einem bedauert, wenn diese Debatte dazu geführt hätte,
Wandel durch Annäherung an Diktaturen unter- die Position der Bundesregierung auf den vielen
worfen und Erosionen ausgesetzt. Wer heute Ebenen, auf denen sie zu verhandeln gezwungen
etwas Vitales über die Freiheit hören will, der ist, negativ zu beeinträchtigen. Zur Zeit wird im
muß nach dem Osten lauschen. Ost-West-Verhältnis auf fünf Ebenen verhandelt:
zwischen der Bundesrepublik und der Sowjetunion,
zwischen der Bundesrepublik und Warschau, zwi-
Vizepräsident Dr. Schmid: Kommen Sie zum schen der Bundesrepublik und der DDR, zwischen
Schluß! Frankreich, England, Amerika auf der einen und
Rußland auf der anderen Seite wegen Berlin, und
Dr. Becher (Pullach) (CDU/CSU) : In der Tat, zwar wegen Gesamtberlin, nicht wegen West-
möchte ich meinen, ist hier der Ort, daß man einmal Berlin; das ist eine sehr ernste Situation. Außerdem
'erinnert an die Freiheit der Völker — etwa der finden Verhandlungen zwischen den Vereinigten
Tschechen und 'der Slowaken —, die seit dem Staaten und der Sowjetunion über die berühmte
21. August genau von denen, weiß Gott, bedrängt SALT-Frage statt; diese Gespräche beginnen wieder
werden, die sich uns als Träger Ides Gewaltverzichts Anfang April in Wien. Es wird sehr schwierig
offerieren. sein, diese fünf verschiedenen Ebenen so zu koordi-
nieren, daß im Sinne der Entspannung zwischen Ost
Vizepräsident Dr. Schmid: Herr Abgeord- und West das maximal Mögliche herauskommt. Wir
neter, kommen Sie bitte zum Schluß! Ich habe noch werden uns zumindest mit unseren westlichen Ver-
sieben Wortmeldungen 'hier. bündeten sehr sorgfältig abstimmen müssen, damit
keine Überschneidungen erfolgen. Ich hoffe, daß das
gelingen wird. Der Herr Bundeskanzler hat in einer
Dr. Becher (Pullach) (CDU/CSU) : Ich habe mir seiner Reden gesagt, es werde sehr langwierige Ver-
erlaubt, dies hier anzuführen, weil wir der Über- handlungen geben, und er hat von den 80er und
zeugung sind, daß es nicht wenige, daß es Hundert- 90er Jahren im Zusammenhang z. B. mit den Pro-
tausende und Millionen von Menschen sind, die blemen der Teilung Deutschlands gesprochen. Ich
übervildaufgwonFreAkläug hoffe, daß wir in die Lage versetzt werden, die
verlangen und die .an den 'Bundeskanzler die Bitte Verhandlungen kurzfristig aufzunehmen bzw. fort-
richten, den auf Grund dieser Tatbestände vielfach zusetzen. Wir sind auf gutem Wege, und ich glaube
gestörten Glauben an ihn wi'ederherzustell'en durch auch, daß die Verhandlungen der Bundesrepublik
eine klare, überzeugende Sprache auch denen gegen- mit der Sowjetunion auf gutem Wege sind. Der
über, um deren Grund und Boden und Heimat es in russische Außenminister ist nach Ost-Berlin ge-
erster Linie geht. fahren, um dort die Regierung zu informieren. Offen-
(Beifall bei der CDU/CSU.) bar liegt der Sowjetunion etwas daran, daß diese
Gespräche fortgesetzt werden. Ich habe aber nicht
die Illusion, daß dabei kurzfristig Ergebnisse erzielt
Vizepräsident Dr. Schmid: Meine Damen und werden könnten.
Herren, Sie kennen die Bestimmung der Geschäfts-
ordnung über die Redezeit. Wir haben noch sieben Bei den Verhandlungen mit Polen sind wir wohl
Redner. Da sie alle miteinander ein Recht darauf in der Lage, die hier aufgeworfene Frage der Oder-
haben, gehört zu werden, zwingt mich das, die Be- Neiße-Linie so zu behandeln, wie sie verfassungs-
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 33. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Februar 1970 1623
Freiherr von Kühlmann Stumm
-

rechtlich behandelt werden muß. Ich glaube, daß Ich halte das für sehr dringend; denn ich weiß,
unser polnischer Gesprächspartner darauf eingehen daß die Kräfte in Amerika immer mehr zunehmen,
wird, nachdem neben dieser für ihn sicher sehr wich- die auch in Europa die Truppen schrittweise redu-
tigen Frage andere wesentliche Punkte im Zusam- zieren wollen. Ich würde es für sehr bedauerlich
menhang mit diesen Verhandlungen auf der Tages- halten, wenn ein auch nur stufenweiser Abzug der
ordnung stehen. US-Truppen in einem Zeitpunkt erfolgen würde, an
Ich habe Sorgen, und zwar im Hinblick auch auf dem wir in den Verhandlungen mit dem Osten, ins-
unsere Politik gegenüber dem Westen. Ich habe besondere mit der Sowjetunion, in eine aktuelle
Sorgen bezüglich der Situation im Mittelmeer, Phase getreten sein werden. Das würde auf jeden
Fall unsere Position ganz erheblich schwächen. Man
(Abg. Dr. Barzel: Sehr wahr!) sollte versuchen, die Amerikaner davon zu über-
an der Südflanke der NATO. Ich würde gern er- zeugen, daß diese Präsenz auch in dieser Stärke
fahren, wie unsere englischen und amerikanischen notwendig ist, daß wir aber auch bereit sind, unse-
Freunde über diese Frage denken: Gibraltar, Mers- ren Part bei dieser Präsenz der amerikanischen
el-Kebir, Türkei, Griechenland, Italien. Dort ent- Truppen in Europa zu spielen, und zwar einen
steht eine Situation, die mir große Sorgen bereitet. echten Part, keinen verschwommenen.
Denn unsere Deutschland- und auch unsere Ost-
Wir sollten uns darüber klar sein, was uns das
politik wird nur dann wirksam sein können, wenn
außenpolitisch wert sein muß. Auch die Amerikaner
sie auf einer sicheren Basis der westlichen Verträge
werden das erkennen. 'Herr Präsident Nixon hat ja
weitergeführt werden kann. Innerhalb der west-
sehr wohlwollend in seiner Rede darauf Bezug
lichen Verträge spielt für mich nach wie vor das
genommen.
NATO-Bündnis eine ganz entscheidende Rolle. Des-
wegen glaube ich, daß wir mit unseren westlichen Hier ist gesagt worden, wir hätten die Wieder-
Verbündeten absprechen müßten, wie wir diese vereinigung in Zweifel gezogen. Meine Damen und
Situation bessern und den wachsenden Einfluß der Herren, die FDP und auch diese Bundesregierung
Sowjetunion im Mittelmeerraum einschränken stehen nach wie vor auf der Basis des Grundgesetzes
können. und seiner Präambel; damit es dafür keinen Zweifel
gibt. In der Verfassung der DDR steht in Art. 8 eine
Sorgen habe ich auch bezüglich unserer Beziehun- sehr eindrucksvolle Formulierung über deren Auf-
gen zu den Vereinigten Staaten, und zwar im Ge- fassung von Wiedervereinigung. Ich stehe zu dieser
gensatz zu dem Herrn Bundeskanzler. Hier sind Präambel des Grundgesetzes, wie wir selbstver-
einige Ereignisse zu verzeichnen. Ich denke an das ständlich überhaupt zum Grundgesetz stehen. Also
Röhrengeschäft; ich denke an die Aktion der Bun- dieses Gerede, man habe die Wiedervereinigung ab-
desbank mit den Schatzanweisungen und an andere geschrieben oder diese Forderung werde nur noch
Fragen; ich denke an die Besprechung der Atlantik- verwaschen gestellt, ist einfach nicht richtig. Wir
brücke hier in Bonn, wo uns Herr Senator Percy müssen uns nur darüber klar sein, daß die Möglich-
eine sehr beachtliche Lektion erteilte. Der Herr keiten einer Wiedervereinigung, so wie die Väter
Bundeskanzler hat dann am Abend sehr zu meiner des Grundgesetzes sie gesehen haben, als sie diese
Freude den Amerikanern mitgeteilt, daß die Bun- Präambel entwarfen, heute in der Form natürlich
desregierung nach wie vor die Verträge mit dem nicht mehr gegeben sind. Wir werden andere Wege
Westen als das Rückgrat ihrer Außenpolitik ansieht. suchen müssen, um die Zusammenführung der bei-
Vom Herrn Bundeskanzler ist als Termin für seine den Teile Deutschlands zu erreichen, z. B. auf dem
Wege einer Sicherheitskonferenz mit einer anschlie-
Reise in die USA der April genannt worden. Herr
ßenden, späteren europäischen Friedensordnung.
Präsident Nixon ist vor der Sommerpause 1969 hier
gewesen. Das erste Parlament, vor dem er gespro- Von der völkerrechtlichen Anerkennung wird hier
chen hat — einschließlich seines eigenen —, war immer wieder gesprochen. Der Herr Bundeskanzler
der Deutsche Bundestag. Seitdem ist von maßgeb- hat diese Frage in seinen beiden Reden, in der Re-
lichen Persönlichkeiten unserer Bundesregierung gierungserklärung und in der Debatte über die Lage
niemand in Amerika gewesen. Genauso wie ich bei der geteilten Nation, erläutert und expressiv verbis
den Ostverhandlungen den Verhandlungen mit der festgestellt, wie die Bundesregierung zu der Frage
Sowjetunion die Priorität geben würde, halte ich der völkerrechtlichen Anerkennung der DDR steht.
bei unseren Beziehungen mit dem Westen und im Es gibt doch keine Verzichtpolitik in dieser Frage.
Rahmen unserer westlichen Bündnisse die Bindun- Die Schwelle der Anerkennung wird nach Ansicht
gen mit den Vereinigten Staaten nach wie vor für von Völkerrechtlern — und zwar von völkerrecht-
vordringlich. lichen Kapazitäten — nur dann überschritten, wenn
Ich hoffe also, daß es dem Bundeskanzler gelingen ein Staat sich ausdrücklich positiv zu diesem Akt
wird — Herr Nixon hat ja eine sehr beeindruckende bekennt und die Anerkennung erklärt, damit es da
Rede gehalten, die Sie heute gelesen haben —, die auch gar keinen Zweifel gibt.
Dinge in Amerika — es gibt dort verschiedene Daß heute von zwei Staaten gesprochen wird, ist
Gruppen und Schattierungen; Herr Pompidou hat eine Tatsache. Die DDR wird in München anläßlich
jetzt bei seinem Besuch einige zu spüren bekom- der olympischen Spiele mit Flagge und Hymne
men — genauso ins richtige Licht zu setzen, wie es einziehen. Inzwischen haben die Innenminister be-
in Frankreich, Dänemark, Norwegen, Indien, Singa- schlossen, daß das auch für die übrigen Sportveran-
pur inzwischen von der Bundesregierung geschehen staltungen gelten soll, auf denen die DDR hier auf-
ist. treten wird. Man soll doch zur Kenntnis nehmen,
1624 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 33. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Februar 1970

Freiherr von Kühlmann Stumm


-

daß das so ist, und nicht dauernd um den heißen eben, daß wir heute in Deutschland auf Grund der
Brei herumreden. Das hat mit völkerrechtlicher An- Entwicklung der letzten 25 Jahre zwei deutsche
erkennung überhaupt nichts zu tun. Staaten haben. Auf diesem Hintergrund einer meiner
Ich möchte auch hier noch einmal ganz klar sagen: Ansicht nach richtigen Analyse und Einschätzung
Wir verschenken nichts, wir versilbern nichts, wir wird das Ziel dieser Regierung deutlich, nämlich
veranstalten auch keinen Ausverkauf deutscher In- den Versuch, den in der Tat schwierigen Versuch
teressen. zu unternehmen, zu einer Kooperation zwischen
West und Ost und darin eingeschlossen auch zu
Ich habe jetzt gerade einen kleinen, sehr beschei- einer Kooperation der beiden deutschen Teilstaaten
denen Wahlkampf hinter mir, bei dem ich eine ganze zu kommen.
Menge Menschen gesehen und gesprochen habe. Ich
kann Ihnen sagen: diese Reise des Herrn Bundes- Es gibt für uns Deutsche, wenn wir die Dinge ob-
kanzlers ist sehr, sehr populär draußen, und man jektiv betrachten, zu dieser Politik keine Alterna-
freut sich, daß endlich gesprochen wird. tive. Wenn heute früh von der Opposition gesagt
worden ist, es sei nicht Sache und Aufgabe der
(Beifall bei den Regierungsparteien.) Opposition, hier eine Alternative zu bieten, so
Man ist sich völlig klar, daß das nicht in einem möchte ich dazu nur bemerken: wenn diese Opposi-
Zuge zu einem Erfolg führen wird. Aber man hofft, tion eine Alternative hätte, dann würde sie bei der
daß diesem Spitzengespräch andere Gespräche fol- Gegnerschaft, die sie zu dieser Regierung hat, diese
gen werden, letzten Endes mit dem Ziel, das Los der Alternative sicher auf den Tisch legen.
Menschen in beiden Teilen Deutschlands — denn wir (Zurufe von der CDU/CSU.)
leiden unter der Spaltung ebenso wie die Menschen
jenseits der Mauer — zu erleichtern. Ich kann nur Es gibt aber keine Alternative, sondern wir müs-
sagen: Meine Fraktion wünscht dem Herrn Bundes- sen, wenn wir es ernst meinen, gemeinsam unseren
kanzler viel Glück und Erfolg auf dieser Reise im Beitrag für eine Überwindung der Konfrontation in
Interesse der Menschen im geteilten Deutschland. Europa und in Deutschland leisten. Diejenigen, die
gegen diese Politik polemisieren und die sagen, sie
(Beifall bei den Regierungsparteien.) sei illusionär, vergessen, daß wir als Deutsche in
der Bundesrepublik nicht über den Erfolg dieser
Vizepräsident Dr. Schmid: Das Wort hat der Politik entscheiden. Wir können nur darüber ent-
Abgeordnete Dr. Haack. scheiden, was wir als unseren Beitrag zu der Ent-
spannung und der Friedenssicherung in Europa tun
wollen. Das heißt für uns, daß wir eben eine glaub-
Dr. Haack (SPD) : Herr Präsident! Meine Damen würdige und eine konsequente Friedens- und Ent-
und Herren! Wenn wir über Deutschlandpolitik dis- spannungspolitik treiben müssen. Glaubwürdigkeit
kutieren, sowohl hier in diesem Hohen Hause als heißt, daß wir jeden Versuch unternehmen müssen,
auch draußen im Land, dann geistern immer noch auch mit dem Osten zur Verständigung zu kommen,
drei Begriffe durch die Diskussion, wie wir es auch d. h. vor allem keine Chancen einer solchen Ver-
heute teilweise, ganz besonders bei Herrn Kollegen ständigung zu versäumen.
Becher vorhin, gehört haben: Aufgaben von Rechts-
Ich meine, daß zur Glaubwürdigkeit dieser
positionen, Anerkennung von Unrechtstatbeständen;
Deutschlandpolitik drei Dinge gehören. Einmal soll-
illusionäre Ziele dieser Politik; falsche Analysen
ten wir von dem ausgehen, was ist, und das ist
dessen, was im Osten gewollt und geplant ist.
eben in Deutschland die Tatsache, daß sich hier
Meine Damen und Herren von der Opposition, man 25 Jahre nach dem verlorenen Krieg zwei deutsche
muß oft fragen, ob die Regierungserklärung des Teilstaaten gebildet haben. Ich glaube, daß diese
neuen Bundeskanzlers vom 28. Oktober 1969 zu Tatsachenbeschreibung zu Unrecht immer noch mit
wenig gelesen wird. Ich glaube, viele vergessen, einer Aufgabe von Rechten verwechselt wird. Auch
daß diese Regierungserklärung gilt. Es sollte mehr das ist mir heute _früh wieder deutlich geworden,
auf die Regierungserklärung vom Oktober 1969 hin- gerade in der Rede des Oppositionsführers. Wir
gewiesen werden als auf andere, frühere Regie- sind uns doch alle einig, wenn es um Menschen-
rungserklärungen. Dort steht doch deutlich: rechte, um Selbstbestimmung und um nationale Ein-
Wir sind frei heit geht. Ich glaube, es ist in einem Aufsatz in der
— und das gilt nicht nur für die Regierung, sondern, „Zeit", .der in der vorigen Debatte hier schon einmal
wie ich glaube, auch für die Parteien dieses Hau- diskutiert worden ist — „Ist die Einheit noch zu
ses — retten?" —, von Martin Kriele im Dezember richtig
gesagt worden:
von Illusionen, zu glauben, das Werk der Ver-
söhnung sei leicht oder schnell zu vollenden. Nicht die Liebe zum Recht unterscheidet die
Es handelt sich um einen Prozeß; aber es ist Gruppen,
an der Zeit, diesen Prozeß voranzubringen. — gemeint sind die gegensätzlichen Positionen in
der Bundesrepublik —
Also keine Illusionen.
sondern die unterschiedliche Beurteilung seiner
Und was heißt hier „falsche Analyse"? Diese Bun-
Realisierungsbedingungen?
desregierung und die Parteien dieses Hauses, die
diese Bundesregierung unterstützen, gehen davon Ich glaube, das ist gerade der entscheidende Unter-
aus, daß zu einer richtigen Analyse auch eine rich- schied, der aber für die praktische Politik von be-
tige Tatsachenbeschreibung gehört, und das heißt sonderer Bedeutung ist.
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 33. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Februar 1970 1625
Dr. Haack
Zweitens meine ich zur Glaubwürdigkeit dieser Risikobeladen ist jedes politische Handeln. Es
Deutschlandpolitik, daß sich Deutschlandpolitik ganz gibt nie einen Garantieschein dafür, daß alles
konsequent als Friedenspolitik artikulieren muß, sich nur zum besten wendet. Risiko hin, Risiko
d. h. daß sie aus der Erkenntnis heraus getrieben her, den Mut dazu muß man haben, um wirklich
werden muß, daß wir Deutschen gerade in der weiterkommen zu können. Oder man muß sich
Situation der Teilung unseres Landes nationale zur Ruhe setzen und darauf warten, daß andere
Interessen nur dann wahrnehmen können, wenn wir in der eigenen Sache sich bewegen. Und das
Vertrauen bei unseren Nachbarn haben. haben wir ja wohl lange genug erlebt, und da
hat sich nichts getan.
Und ein Drittes gehört meiner Auffassung nach
auch noch zu dieser Glaubwürdigkeit, nämlich daß Ich glaube, das sind die richtigen Worte. Wenn der
wir zu dem Stellung nehmen, was hier auch heute Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen,
immer über den Status quo gesagt worden ist, daß wenn die ganze Bundesregierung in diesem Sinn
wir deutlich machen, daß es zunächst nicht darum und in diesem Geist an dieses schwierige Gebiet
geht, diesen Status quo in seiner territorialen Aus- geht, das wir in den nächsten Jahren zu bewältigen
formung zu ändern, sondern daß es darum geht, haben, dann, glaube ich, können wir hoffen, daß
den Status quo inhaltlich, qualitativ zu ändern, daß wir in der nächsten Zeit wenigstens ein kleines
wir zu der von uns gewünschten und angestrebten Stück weiterkommen.
Zusammenarbeit zwischen West und Ost kommen. (Beifall bei den Regierungsparteien.)

Das können wir draußen in der Welt nur deutlich


und glaubwürdig machen, wenn wir bereit sind, im
Vizepräsident Dr. Schmid: Das Wort hat der
Herr Abgeordnete Amrehn.
innerdeutschen Verhältnis zu einer Kooperation zu
kommen. Ich glaube, wer sich von der starren Hal- (Zurufe von der SPD: Er ist doch nicht da!
tung der SED beeinflussen läßt, der hemmt in Wirk- — Abg. Dr. Barzel: Ist doch zurückgezogen!
lichkeit unseren Spielraum. Wir wissen doch alle, — Abg. Stücklen: Zurückgezogen!)
daß die Ideologen und die Propagandisten in Ost (Vorsitz : Vizepräsident Dr. Jaeger.)
Berlin den Haß und die Verteufelung der Bundes-
republik, vor allem der Sozialdemokraten, sozu-
sagen als konstitutives Element ihres Staates brau-
Vizepräsident Dr. Jaeger: Das Wort hat Frau
Dr. Focke, ich weiß nicht, ob als Abgeordnete oder
chen. Sie suchen, weil sie in Schwierigkeiten ge-
als Staatssekretärin.
kommen sind, bei uns kalte Krieger als ihre Partner.
Das wissen wir doch alle; das ist für uns doch nichts (Abg. Frau Dr. Focke: Als Abgeordnete!)
Neues. Warum wundern wir uns darüber? — Als Abgeordnete. Bitte sehr!
Aber wir müssen hier ganz deutlich sagen, daß
wir uns in dieser konsequenten Politik eben nicht Frau Dr. Focke (SPD) : Herr Präsident! Meine
irremachen lassen, weder von den Propagandisten Herren und Damen! Herr Kiesinger hat im Laufe
in Ost-Berlin noch von denen hier in der Bundes- seiner Rede gesagt, daß durch die sehr starken
republik, die glauben, diese Politik verdächtigen zu Akzente auf der Ostpolitik zu Lasten der West- -
müssen. Wir sind bereit, diese Politik fortzuführen. politik optisch der Eindruck entstehen könnte, daß
Eines sollte man nicht übersehen — das ist hier hierauf sehr viel Wert gelegt würde, und er sah
auch schon gerade von Herrn von Kühlmann-Stumm darin eine psychologische Gefahr. Herr Kiesinger,
erwähnt worden —, daß diese Politik der Friedens- ich möchte mir Ihnen und Ihren Kollegen in der
sicherung, diese Politik der Entspannung eine ganz Fraktion gegenüber die Bemerkung erlauben, daß
große Zustimmung in der Bevölkerung der Bundes- Sie zu dieser psychologischen Gefahr beigetragen
republik Deutschland findet, eine Zustimmung, die haben, indem hier heute in der Debatte die Akzente
viel größer ist als die Mehrheit, die wir und diese auch von Ihnen so sehr stark auf die Ostpolitik
Regierung hier in diesem Parlament haben. gelegt worden sind und in bezug auf die Erfolge
und die Aktivitäten in der Westpolitik sehr wenig
Meine Damen und Herren! „Es scheint an der Zeit gesagt worden ist.
zu sein, den Versuch zu unternehmen, das Tren-
(Sehr wahr! bei der SPD.)
nende zurückzustellen und das Verbindende zu
suchen", so sagte der Bundeskanzler in seinem letz- Ich möchte meinerseits versuchen, die Diskussion
ten Brief an den Ostberliner Ministerpräsidenten. weg von diesem sehr starken Akzent zu ziehen und
Ich glaube, darum geht es. Das ist das Leitmotiv auf eine geschlossene europäische Außenpolitik der
dieser Politik, einen Modus vivendi zwischen den Bundesregierung zu sprechen zu kommen. Dabei
getrennten Teilen Deutschlands zu finden. knüpfe ich insbesondere an das an, was Bundes-
minister Scheel und Bundeskanzler Brandt hierzu
Lassen Sie mich schließen mit einer Bemerkung, schon gesagt haben. Es gibt — auf diese Feststel-
die der Bundesminister für innerdeutsche Beziehun- lung lege ich Wert — nicht zwei getrennte Schub-
gen vor wenigen Tagen in einem Interview mit dem laden „Westpolitik" und „Ostpolitik", auch keinen
Norddeutschen Rundfunk gemacht hat, die mir es Gegensatz oder Widerspruch zwischen beiden, son-
aber wert zu sein scheint, auch hier noch einmal dern, wie es in der Regierungserklärung heißt, bzw.
hervorgehoben zu werden. Bundesminister Franke wie Bundeskanzler Brandt es in seiner Eingangs-
hat dort, als er nach dem Risiko der Politik gefragt erklärung in Den Haag gesagt hat: die Bundes-
wurde, folgendes gesagt: republik sucht die Verständigung mit dem Osten in
1626 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 33. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Februar 1970

Frau Dr. Focke


Zusammenarbeit und Abstimmung mit ihren Part- Dies ist ein Zitat des damaligen Außenministers
nern im Westen. Brandt vor dem Überseeclub in Hamburg im ver-
gangenen Jahr. — Die Stimme der Bundesrepublik
Diese Bundesregierung hat wahrlich seit ihrem
wird - das ist eine Maxime dieser Regierung — um
Antritt bewiesen, daß aktive Ostpolitik nicht nach-
so besser Gehör finden, je mehr sie ihren Beitrag
lassendes Interesse an Westeuropapolitik bedeutet,
zu den Sorgen vieler leistet.
sondern im Gegenteil aktivere Westeuropapolitik.
Dabei ist sehr deutlich hervorzukehren, daß nach Mit dieser Einstellung ist die Bundesregierung zur
dem Willen dieser Regierung die Bundesrepublik Gipfelkonferenz nach den Haag gegangen. Das
eigebettet bleibt in westliche Bündnisse und Ge- Interesse der Öffentlichkeit am Meinungsaustausch
meinschaften. Unsere Politik gegenüber der Sowjet- in Moskau und Warschau und am Zusammentreffen
union und den osteuropäischen Ländern ist um so des Kanzlers mit Stoph verdeckt — ich gebe es
wirkungsvoller, je eindeutiger und umfassender wir Herrn Kiesinger zu — gelegentlich, ,daß diese Bun-
in Übereinstimmung mit unseren westlichen Part- desregierung seit ihrem Antritt im Oktober nach
nern vorgehen. Westen weit umfangreichere Aktivität entwickelt
hat als nach Osten. Mit Recht hat der Bundeskanzler
Im Grunde gibt es gar keine eigene Ostpolitik
die Haager Gipfelkonferenz kürzlich das bisher
der Bundesregierung, sondern eine westliche Ost-
wichtigste außenpolitische Ereignis seiner Regie-
politik, angepaßt an die eigene Interessenlage der
rungszeit genannt. Die SPD stimmt dieser Auffas-
Bundesrepublik. Ostpolitik geschieht bei uns weder
sung zu. In Den Haag ist eine Entscheidung für die
auf Kosten anderer Partner noch hinter deren Rük-
europäische Zukunft gefallen.
ken. Diese Tatsache ist — darauf wurde heute schon
mehrfach hingewiesen — auch von unseren übrigen Erstens. Das grüne Licht für die Beitrittsverhand-
Bündnispartnern und anderen Regierungen voll an- lungen wird es der Gemeinschaft in den nächsten
erkannt worden. Jahren endlich erlauben, den Test für ihre Erwei-
Nach Auffassung der Bundesregierung und der terungsfähigkeit anzutreten. Das ist, um nun wieder
sie tragenden Parteien ist es selbstverständlich, daß die Brücke zur Ostpolitik zu schlagen, ein entschei-
der immer engere Zusammenschluß der europäi- dender Test für unsere Fähigkeit, später auch zu
schen Völker und des westlichen Bündnisses nicht einer gesamteuropäischen Friedensordnung zu ge-
zur Disposition steht und nicht Gegenstand von langen.
Verhandlungen mit dem Osten sein kann. Zweitens. Der in Auftrag gegebene, gestern und
Andererseits ist die Gemeinschaft auch kein Block vorgestern in Paris von den Wirtschafts- und
mit einer antikommunistischen Kreuzzugsideologie, Finanzministern diskutierte Stufenplan für eine
sondern sie ist in den Augen von SPD und FDP das, Wirtschafts- und Währungsunion ist eine unerläß-
was der Bundeskanzler in den Haag ein Bauelement liche Voraussetzung für eine Gemeinschaft der inne-
bzw. eine exemplarische Ordnung in einer ausge- ren Reformen. Nur wenn diese Reformen gemein-
wogenen gesamteuropäischen Friedensordnung ge- schaftlich konzipiert und verwirklicht werden, wer-
nannt hat. In diesem Sinne liegt der eigentliche den wir bestehen. Nur dann werden wir auch gesell-
Beitrag der Gemeinschaft zur gesamteuropäischen schaftspolitisch in den Stand gesetzt, eine euro-
Friedensordnung in dem in ihr realisierten Aus- päische Friedensordnung zu erreichen.
gleich nationaler Interessen in übernationalen Ord- Drittens. Der Auftrag an die Außenminister, For-
nungen. Aus der Erkenntnis gemeinsamen Schick- men qualifizierter politischer Zusammenarbeit zu
sals und gemeinsam in der Zukunft zu lösender finden und zu entwickeln, wird unsere Instrumente
Aufgaben muß eine Arbeitsteilung und auch eine zur Abstimmung unserer Politik im Westen auch im
Umverteilung der Lasten in solidarischer Gemein- Hinblick auf eine gemeinsame Ostpolitik und eine
samkeit erfolgen. Dies gilt auf die Dauer, wenn gemeinsame aktive Haltung gegenüber der soge-
auch in anderen Formen der Zusammenarbeit, eben- nannten europäischen Sicherheitskonferenz verbes-
falls für den Bau Gesamteuropas. sern.
Außerdem ist eine Friedensordnung für Europa nur Ich möchte nun nicht so mißverstanden werden —
denkbar, wenn Europa ein geachteter Partner der das sollte ich vielleicht hier einflechten —, als be-
Großmächte ist. Dazu gehört ein Mindestmaß euro- trachtete ich die westeuropäische Politik nur noch
päischer Organisation und europäischen Willens. als eine instrumentale Angelegenheit und als Rück-
Schließlich. ist die Lösung der Deutschen Frage, halt und Stütze für die Ostpolitik. Aber es liegt mir
für 'die sich auch unsere Bündnispartner verantwort- daran aufzuzeigen, daß richtig verstandene west-
lich fühlen, von der Lösung , der europäischen Frage liche Gemeinschaftspolitik in eine Politik der euro-
nicht zu trennen. Eine nationale Lösung des deut- päischen Friedensordnung eingebettet ist und kon-
schen Problems ohne Einbettung in eine euro- struktive Konsequenzen für eine solche Politik hat,
päische Zusammenarbeit halte ich weder für mög- genauso wie richtig verstandene deutsche Außen-
lich noch für wünschenswert. politik eingebettet ist in die Gemeinschaft und die
Bundesrepublik sich nicht als national abgekapsel-
Es hat deshalb nichts mit einer falsch verstande- tes, sondern als ein mit seiner Umwelt eng verwo-
nen Führungsrolle zu tun, wenn gerade die Bundes-
benes System begreift.
republik ihre Rolle darin sieht, den europäischen
Völkern überzeugend Vorstellungen davon zu ge- Den Haag hat , das Signal und den Auftakt für eine
ben, wie 'in unserem Teil der Welt der Friede siche- Reihe erfolgreicher Maßnahmen und Entscheidungen
rer und vielleicht sogar weniger kostspielig wird. — gegeben. Die Gipfelkonferenz beendete den lähmen-
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 33. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Februar 1970 1627
Frau Dr. Focke
den Stillstand und die drohende Auszehrung. Nach Lassen Sie mich zu Ihren beiden Kernsätzen im
langer Zeit ergab sich wieder ein ausgesprochen Hinblick auf die Europapolitik zurückkehren, nach-
gutes Klima gegenseitigen Vertrauens in der Ge- dem auch Frau Kollegin Focke eben das Loblied der
meinschaft. Seither häufen sich die Verhandlungs- „Europapolitik dieser Regierung aus einem Guß"
erfolge, die verdienen, immer wieder herausgestri- vorgetragen hat.
chen zu werden. Für Euratom ist eine Wiedergesun- (Abg. Dr. Barzel: Nach Noten vorgetragen
dung, eine Reorganisation der Kernforschungsstelle hat! — Abg. Dr. Klepsch: Vorgelesen hat!)
eingeleitet worden. In der Wirtschafts- und Wäh-
rungspolitik ist mit dem Barre-Plan endlich ernst- Herr Außenminister, Sie sagten heute früh:
gemacht worden. Bereits im März wird sich der Rat Wir sind damit definitiv in Westeuropa aus der
auf Grund der Vorbereitungen, die inzwischen ge- Konfrontation der Staaten und ihrer Interessen
troffen sind, der Verhandlungslinie für den Beitritt zu deren voller Interdependenz gelangt.
Englands und der anderen Staaten zuwenden. Die
Entscheidung für eigene Einnahmen der Gemein- Ein paar Augenblicke später sagten Sie:
schaft ist gefallen. Das Europäische Parlament erhält Damit ist auch auf dem Gebiete der politischen
ab 1975 das letzte Wort über den Haushalt der Zusammenarbeit die Stagnation der letzten
Gemeinschaften. Jahre überwunden und der Entschluß gefaßt
worden, endlich zu der von uns allen als drin-
Die europapolitische Erfolgsbilanz dieser Bundes- gend notwendig erachteten außenpolitischen
regierung läßt sich also wahrlich vorzeigen. Die Zusammenarbeit zu kommen. Die vorbereiten-
Erinnerung an unsere kurze Debatte hier in diesem den Gespräche
Hohen Hause nach der Rückkehr der Deutschen
Delegation aus Den Haag läßt mich hoffen, daß Sie, — haben Sie hinzugefügt —
meine Damen und Herren von der Opposition, diese sind im Gange.
Erfolgsbilanz im Ernst auch nicht bestreiten. Wie
wäre es aber, wenn Sie sich bemühten, Ihrerseits Herr Minister, darf ich Sie und die Bundesregie-
diese Bundesregierung als eine Regierung mit einer rung fragen, wie ernst Sie es eigentlich mit diesen
einheitlichen Politik nach Osten wie nach Westen zu poltischen Gesprächen meinen. Nach dem, was uns
betrachten und ihr nicht, wenn sie nach Westen aus der Presse bekanntgeworden ist, hat die Bundes-
schaut, mit relativem Vertrauen, aber wenn sie nach regierung bisher auf einer relativ unteren Ebene
Osten schaut, mit übergroßem Mißtrauen zu begeg- sehr minimalistische Vorstellungen entwickelt, und
nen? Mir scheint, das wäre eine Voraussetzung für das auf dem Hintergrund dessen, was hier in der
die von Ihnen immer wieder geforderte Gemeinsam- Debatte angeklungen ist, daß nämlich der Bundes-
keit zwischen Regierung und Regierungsfraktionen kanzler in Den Haag ein großes Wort ausgesprochen
einerseits und ,der Oppositionsfraktion andererseits. hat, indem er sagte: Wir wollen uns endlich zu dem
neuen Versuch für die außenpolitische Zusammen-
Nehmen Sie diese Debatte zum Anlaß, endlich arbeit entschließen„ und das nicht nur im Rahmen
diese Voraussetzung zu schaffen. der Westeuropäischen Union. Darf ich Sie fragen,
(Beifall bei den Regierungsparteien.) Herr Scheel: Welche konkreten Vorstellungen hat
die Regierung bisher auf dem Gebiete der politi-
Vizepräsident Dr. Jaeger: Das Wort hat der schen Einigung entwickelt und welche Haltung wird
Abgeordnete Blumenfeld. sie in den kommenden Gespräche einnehmen? Ist sie
bereit, über ein unverbindliche Kooperationsformel
Blumenfeld (CDU/CSU) : Herr Präsident! Meine hinaus eine beständige Ebene des politischen Mei-
nungsaustausches anzustreben und eine Abstim-
Damen und Herren! Auch ich möchte den Versuch
mung in allen politischen Fragen herbeizuführen?
unternehmen, einen Bogen zum Ausgangspunkt
Ist sie vor allen Dingen bereit, Herr Minister, diese
unserer Diskussion heute früh um 9 Uhr zu schla-
Abstimmung vorzunehmen in Verbindung mit den
gen.
Organen der Gemeinschaft — Rat, Kommission und
Die Ausführungen des Herrn Außenministers ver- Parlament —, der Gemeinschaft, deren Aktivität in-
anlassen mich, ein paar Bemerkungen zu machen. zwischen weit über den wirtschaftlichen Aspekt hin-
Herr Scheel, Sie haben heute früh in der Ihnen eige- ausgeht, wie wir ja wissen. Ich erinnere an den
nen persönlichen und liebenswürdigen Weise einen Versuch, eine gemeinsame Währungs-, Wirtschafts-
kleinen Spaziergang durch die Außenpolitik und ins- und Handelspolitik herzustellen.
besondere am Anfang Ihrer Rede durch die Europa-
politik vorgenommen. Ich verstehe zu würdigen —,
Herr Außenminister, ist die Regierung bereit,
wie wir alle —, daß Sie unter Zeitdruck stehen und diese Abstimmung nicht nur auf die Außenpolitik,
gestanden sind, nachdem Sie in den letzten Wochen sondern auch auf die Verteidigungspolitik auszu-
sehr viel gereist sind. Wir hatten uns allerdings dehnen? Ich frage das insbesondere deswegen, weil
gewünscht, in diesem Hause auch etwas über die wir auch anläßlich der Haushaltsdebatte—ich möchte
Bewertung Ihrer Ostasien-Reise zu hören, das in Erinnerung zurückrufen — bisher keine Ant-
wort darauf bekommen haben. Der Herr Finanzmini-
(Abg. Dr. Klepsch: Sehr gut!) ster hat erklärt, daß für die gesicherte Basis unserer
insonderheit im Hinblick auf die Deutschland- und Politik die europäische Basis, also die Westpolitik,
Ostpolitik der Regierung. Aber das meiste haben und im Zusammenhang damit der Verbleib der ame-
wir ja aus der Presse entnehmen können und dür- rikanischen Truppen in Europa und in der Bundes-
fen. republik Deutschland wichtig seien. In diesem Zu-
1628 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 33. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Februar 1970

Blumenfeld
sammenhang hat Herr Finanzminister Möller ausge- Sie heute früh in Ihren Ausführungen auf einen Punkt
führt: nur ganz kursorisch zu sprechen gekommen sind,
Ich bedaure, daß einige öffentliche Stellungnah- nämlich auf Euratom. Ich möchte Sie fragen, Herr
men aus Kreisen, die nicht zur Regierungskoali- Minister, warum Sie diesem Hause die aktuellen
tion gehören, in den Vereinigten Staaten leider Entwicklungen, die sich jetzt anbahnen, verschwei-
den irreführenden Eindruck erweckt haben, als gen. Warum müssen wir diese Dinge aus der Presse
besäßen wir einen Dukatenesel. Man darf nicht bzw. aus den Couloir-Gesprächen entnehmen? Ich
unverantwortliche Andeutungen machen, die möchte an die Bundesregierung, insbesondere an
bei anderen unerfüllbare Hoffnungen erwecken. Sie und an den Herrn Bundeskanzler die Frage stel-
len, ob Sie bei Ihren Pariser Gesprächen Vor knapp
Herr Minister Möller, ich wäre sehr dankbar, wenn
vier Wochen von dem französischen Partner nicht
Sie das ein bißchen präzisieren würden. Ich glaube,
unterrichtet worden sind. Oder haben Sie über diese
Sie bringen Ihren Kollegen, den Herrn Verteidi-
Frage überhaupt nicht gesprochen? Haben Sie nicht
gungsminister, in einige Schwierigkeiten, wenn diese
ein bißchen nachgefühlt und nachgebohrt, ob die
Äußerung als eine verbindliche Äußerung der Bun-
Kommission in der Tat das Mandat zur Aushand-
desregierung im Raum stehenbleibt. Die Antwort
lung der Verifikationsurkunden und Kontrollen mit
aus Amerika ist an diesem Wochenende jedenfalls
der Wiener Behörde bekommt? Wir wissen doch,
sehr schnell zu uns herübergeschallt, nämlich von
Herr Minister, daß sich hier eine ganz schwierige
Herrn Senator Mansfield, von Senator Kennedy und
politische Situation entwickelt. Ich will dieses. Thema
auch von Senator Percy. Die Antwort lautete: Wenn
im Augenblick gar nicht vertiefen. Sie wissen genau,
der politische Wille in der Bundesrepublik, formu-
worauf meine Äußerung abzielt.
liert durch die Bundesregierung, sich etwa in einem
solchen Satz ausdrückt, so ist das nicht ausreichend. Es wäre sehr gut, Herr Minister, wenn Sie uns,
— Wir werden im nächsten Jahr dann eben erleben, anstatt einen kurzen Gang durch das dornige Feld
daß sich die amerikanische Regierung unter dem der Außenpolitik, das Sie heute früh mit ein paar
Druck ihres eigenen Abgeordnetenhauses und des Blümchen versehen haben, zu unternehmen, genau
Senats dazu veranlaßt sehen wird, mehr Truppen und präzise über den aktuellen Stand der Dinge
— :sprich Sicherheit — abzuziehen, als uns lieb ist. informierten, damit wir uns wirklich miteinander un-
Meine sehr verehrten Herren der Bundesregierung, terhalten können, damit wir die Informationen von
ich weiß nicht, ob das in Ihrem Interesse liegt. Wir Ihnen bekommen, auf die wir Anspruch zu haben
wären jedenfalls sehr dankbar, wenn Sie diese glauben.
Äußerung des Herrn Finanzministers einmal rich- Ein Wort noch an Herrn Kollegen Dahrendorf.
tig- oder klarstellen würden. Im übrigen haben wir, Seine Ausführungen in der heutigen Diskussion
die wir uns dazu geäußert haben, gesagt, daß wir haben unser aller Ohr gehabt und haben viele von
meinen, daß ernsthaft zu prüfen ist, ob nicht ein Teil uns nachdenklich gemacht. Ich möchte Herrn Kol-
derjenigen Ausgaben, die in der Bundesrepublik legen Dahrendorf für seine Ausführungen und auch
Deutschland entstehen, auch budgetär ausgewiesen für die Form, in der er sie vorgetragen hat, danken.
werden sollte. Wir glauben, daß das besser wäre.
Nur zu zwei Punkten möchte ich ein Fragezeichen
Herr Außenminister, würden Sie uns bitte auch anmerken. Herr Kollege Dahrendorf, Sie sprachen
erklären, ob Sie es nicht für notwendig halten, daß von der Aktivkonkurrenz zwischen der DDR und
neben den Plänen für die Wirtschafts- und Wäh- der Bundesrepublik in internationalen Organisa-
rungsunion, über die im Prinzip inzwischen anschei- tionen. Was haben Sie damit eigentlich gemeint?
nend Einvernehmen hergestellt worden ist, ein Pro- Haben Sie damit eine exekutive Funktion gemeint,
gramm für die politische Einigung Europas ent- sagen wir, eine Zusammenarbeit im GATT oder in
wickelt werden muß. Ich sage das insbesondere des- der OECD, oder haben Sie damit parlamentarische
wegen, weil der Herr Bundeskanzler während seines Gremien gemeint oder große internationale Gre-
Besuches in Paris „Le Monde" — und das ist ja mien wie die Vereinten Nationen? Das würde
schließlich nicht irgendeine Zeitung — ein Interview doch in etwa verdeutlichen, was Sie meinen. Im
gewährt hat, das in der Diskussion in der vergan- übrigen, glauben Sie denn oder glauben wir denn
genen Woche schon einmal angesprochen wo rden ist, alle, daß Pankow sich in solchen internationalen
in dem der Herr Bundeskanzler auf eine entspre- Organisationen anders verhalten würde, als es dies
chende Frage erklärt hat: heute schon z. B. im Olympischen Komitee oder in
Es ist noch nicht die Zeit gekommen, supranatio- dem Internationalen Leichtathletikverband tut? Wir
nale Elemente in die Gemeinschaftsverfassung wissen alle, wie „kooperativ" und wie außerordent-
einzuführen. Wir sind davon weit entfernt. lich „aktiv konkurrenzfähig" die DDR in diesen Gre-
mien zum Nachteil aller Beteiligten gewesen ist.
Was wollen Sie denn nun eigentlich? Wollen Sie
Intregration, so wie sie Frau Kollegin Focke hier Im übrigen, eine Aktivkonkurrenz zwischen der
eben beredt darzustellen versucht hat? Wollen Sie Bundesrepublik und der DDR hat es seit weit über
in dieser Westpolitik wirklich vorankommen? Oder einem Jahrzehnt gegeben. Jeden Tag hat es das
wollen Sie — das hat Herr Kiesinger gefragt — in gegeben. Was hat denn letzten Endes den Bau der
der Ostpolitik ein weiteres Stück anbauen, das unter Mauer bewirkt, wenn nicht die Tatsache, daß diese
Umständen dazu führt, daß es zu einer Kollision mit Aktivkonkurrenz in der Bewertung der Betroffenen
der europäischen Integrationspolitik kommt? Herr selbst zu einem eindeutigen Votum für die freiheit-
Außenminister, ich meine, Sie sind uns hier doch liche Demokratie in der Bundesrepublik geführt hat?
wohl eine Erklärung schuldig; auch deswegen, weil (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 33. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Februar 1970 1629
Blumenfeld
Der zweite Punkt betrifft die europäische Sicher- Schmidt, Bundesminister der Verteidigung: Herr
heitskonferenz. Sie haben davon gesprochen, weil Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe nur
so vieles unklar sei, sollte man die Chance für auf zwei Bemerkungen zu antworten, die die Kolle-
eigene Initiativen nicht versäumen. Ich sage ja, Herr gen von Kühlmann-Stumm und Blumenfeld gemacht
Kollege Dahrendorf. Ich muß aber auch fragen: haben. Aber wenn ich schon hier heraufgehe, möchte
welche Initiativen? In der Wirtschaft vollziehen sie ich mir doch wenigsten im Vorübergehen auch noch
sich bilateral schon seit einigen Jahren. Im kulturel- eine kleine Antwort auf eine Bemerkung erlauben,
len Rahmen könnte mehr geschehen, vor allem in die einerseits Herr Kollege Barzel heute morgen ge-
der Präsenz unsererseits mit gütiger Erlaubnis der macht hat, andererseits Herr Strauß — —
Staaten in Osteuropa, in der Präsenz unserer kul- (Abg. Stücklen: Er kann es nicht lassen!)
turellen Darbietungen und nicht nur bei dem relativ
starken Angebot an osteuropäischen oder sowje- — Aber hören Sie mal, wie kann ich denn Herrn
tischen „Kultur"-Darstellungen oder -Darbietungen Strauß zufriedenlassen, wenn er sich immer wieder
vom Zirkus bis hin zu Ballettaufführungen. Was so äußert. Ich habe ja nichts dagegen, mit einem
meinen wir denn eigentlich mit den Initiativen? feuerspeienden Panzerwagen — oder wie war das —
Herr Kollege Dahrendorf, da Sie diesen Punkt mit verglichen zu werden, nur nett finde ich es nicht.
Recht anschneiden, meine ich, daß wir ganz be- In der vorigen Woche hatte es eine Auseinander-
sonders und bewußt von uns aus in die Diskussion setzung mit Herrn Strauß gegeben — ich muß jetzt
mit unseren Partnern die Forderung einführen müs- immer stellvertretend Sie anschauen, Herr Stücklen;
sen, dafür zu sorgen, daß neben den Dingen, die ich das kennen wir schon aus früheren Zeiten; da war
soeben erwähnt habe, das grundlegende Element der andere auch manchmal nicht da —, und dann
der Freizügigkeit der Menschen in Europa an die habe ich mich nach der Mittagspause hingesetzt und
oberste Stelle der Tagesordnung einer solchen euro- mir die Antwort angehört — die war ganz manier-
päischen Sicherheitskonferenz gelangt. Das scheint lich —, und dann bin ich nach Hause gegangen..
mir wesentlich zu sein neben den Fragen der Sicher- Aber abends um sechs gab es eine zweite Antwort,
heit und der militärischen Abdeckung, einer Thema- und dann gab es im Interview in der „Welt am
tik, bei der wir in den Vorbereitungen im Rahmen Sonntag" eine dritte Antwort und heute morgen die
der NATO und der europäischen Regierungen ja vierte. Jedesmal kam dabei die Bemerkung: Der
noch nicht sehr weit gekommen sind. Ich habe mir andere ist aber nicht da, und das sei nicht nett. Ich
sagen lassen, daß wir eigentlich seit vielen Wochen zahle diese Bemerkungen nicht heim, nur: in der
auf der Stelle treten. Sache, um die es mir ging, hat der Vorsitzende der
CSU auch heute in seiner Rede nur eine Teilanwort
Anmerkbar ist auch der Skeptizismus unserer gegeben.
wesentlichen Partner, der Vereinigten Staaten, Groß-
britanniens und Frankreichs, im Hinblick auf eine Dies ist eine ganz eigenartige Haushaltsdebatte,
solche europäische Sicherheitskonferenz. In allen die wir hier erleben. Sie wird in lauter Fachdebatten
Gremien, in denen ich in Europa und im atlantischen zerlegt. Heute ist offenbar das Äußere dran.
Bereich parlamentarisch tätig bin, wird mir sowohl (Zuruf von der CDU/CSU: Haben wir immer
von der Exekutive wie von den parlamentarischen gehabt!)
Kollegen gesagt: Wir haben unsere Erfahrungen;
zwanzig Jahre Verhandlungen mit der Sowjetunion — Das haben wir nicht immer gehabt, das ist ganz
haben uns beigebracht, daß wir in dieser Frage sehr einmalig.
vorsichtig vorgehen sollten. Auch das sollte uns (Zurufe von der CDU/CSU)
leiten, wenn wir eigene Initiativen entwickeln. Normalerweise ist die erste Lesung des Haushalts
Herr Bundeskanzler und Herr Außenminister, eine Generalaussprache.
wir wären sehr dankbar, wenn — vielleicht nicht Was ich Herrn Strauß immer noch vorwerfen
mehr heute abend, aber doch zu einem sehr baldi- muß, ist, daß er auch heute trotz langer Ankündi-
gen Zeitpunkt — die gewisse Unverbindlichkeit, mit gung die Generaldebatte nicht geführt, sondern sich
der Sie sowohl die westeuropäische Politik wie das, wiederum sehr eng auf einen anderen Ausschnitt
was Sie in den übrigen Bereichen der Ostpolitik beschränkt hat. Ich will das einmal auf sich beruhen
vorhaben, aufhörte und uns das konkreter, präziser lassen. Er hat heute relativ gemäßigt gesprochen.
dargelegt werden könnte, damit Sie dann auch wie- Es ist nicht im Stil jenes vielgenannten Ortes in
derum von der Opposition eine entsprechende klare Niederbayern geschehen.
Antwort und Darstellung ihres Standpunktes erhal-
ten. (Abg. Stücklen: Der Bayernkurier gibt auch
(Beifall bei der CDU/CSU.) keinen Anlaß!)
— Das will ich ungelesen nicht glauben, Herr Stück-
Vizepräsident Dr. Jaeger: Meine Damen und len; den müßte ich mir erst einmal anschauen.
Herren, der Abgeordnete Borm bittet, seine Rede zu
Protokoll zu nehmen *). Ich denke, daß das Haus Ich will aber auch eine Bemerkung zu Ihnen
macher, Herr Barzel. Wenn ich das richtig im Ohr
dem entspricht.
habe, haben Sie in einem Nebensatz, in dem Sie
Das Wort hat der Herr Bundesminister der Ver- viele Minister des Kabinetts in einem Aufwaschen
teidigung. mit kritischen Noten bedachten, auch kritisiert, daß
ich vor einem Gremium meiner Partei zu Vertei-
*) Siehe Anlage 2 digungsfragen geredet hätte. Sie haben das etwas
1630 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 33. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Februar 1970
Bundesminister Schmidt
vornehmer gemacht, als ich das aus anderem Munde - zu bringen bei ihrem eindeutigen Willen, die Ver-
schon gehört habe. Ich sehe Herrn Rasner neben pflichtungen auszuführen, die sie uns gegenüber ver-
Ihnen sitzen, und ich habe den Deutschland-Union- traglich eingegangen sind, sondern die Diskussion
Dienst gelesen. Das hat allerdings niemand mit sei- ist auch geeignet, hier in Europa Besorgnisse zu
nem Namen gezeichnet; das war es auch nicht wert, erwecken hinsichtlich der Zuverlässigkeit solcher
was dort gedruckt war. Dazu möchte ich etwas Vereinbarungen. Die Besorgnis ist nicht nur im
sagen. Sind eigentlich nach Ihrer Vorstellung Partei- Deutschen Bundestag vorhanden, sie ist auch in
gremien oder Parteitage dazu da, daß man dort un- Frankreich vorhanden — sogar auch in Frank-
verbindlich redet? Ich kann mich an manche Reden reich! —, sie ist auch in England vorhanden. Ich
erinnern, die Herr Kiesinger damals als Kanzler bei will dazu nur sagen, daß ich mich immer bemühen
solcher Gelegenheit gehalten hat. würde, unseren amerikanischen Freunden — auch
(Abg. Baron von Wrangel: Das Parlament solchen, die sich in diesem Punkte in ihrer Argu-
hat den Vorrang!) mentation nicht sehr freundlich der Bundesrepublik
Deutschland gegenüber bewegen — zu sagen, daß
— Ja, bitte, ich bin ja bereit, im Parlament zu reden.
es für die Anwesenheit der Truppen dieser einen
Bin ich denn von Ihnen gefragt? Haben Sie eine Weltmacht USA auf dem europäischen Kontinent,
Große Anfrage eingebracht? solange hier Truppen der anderen Weltmacht, außer-
(Abg. Baron von Wrangel: Sie können ja halb von deren Territorium, stehen, überhaupt kei-
auch s o reden!) nen politischen Ersatz gibt. Das ist keine militäri-
sche, das ist eine politisch-psychologische Feststel-
— Ich könnte sie ja bei Ihnen bestellen: Bringen Sie
sie doch. lung. Sie muß am Anfang stehen.

(Abg. Dr. Barzel: Meinen Sie, Ihre Bezie- Nicht am Anfang sollten stehen — und da ant-
hungen zu uns sind besser als zur anderen worte ich auf die Bemerkung, die Herr Blumenfeld
Seite?) andieArsvoD.Mölgeichta—B-
merkungen aus unseren Bänken darüber, was und
Ich bin ja nicht derjenige, der sich vor einer Aus- wieviel wir uns das denn vielleicht kosten lassen
einandersetzung drückt. Ich werde ja wohl noch und könnten. Ich bin da ganz der Meinung, die der
jeder von uns wird ja wohl noch vor den Gremien Finanzminister vorige Woche ausgesprochen hat.
seiner Partei und vor anderen Gremien zur Sache
reden dürfen. (Abg. Bumenfeld: Ich habe nicht gesagt:
wieviel!)
(Beifall bei den Regierungsparteien.)
— Na gut, aber es war eine etwas humorvoll gefaßte
Es ist doch wohl nicht so, daß eine politische Zu- kritische Bemerkung, wenn ich mich richtig erinnere,
sammenkunft unter Parteifreunden dem Austausch die der Finanzminister an die Adresse jemandes
von Gemeinplätzen zu dienen hat. Das würden gemacht hat, der nicht Blumenfeld heißt, aber mei-
weder Sie noch Ihre Parteifreunde noch die unsrigen stens nicht weit weg von Ihnen zu finden ist, Herr
akzeptieren. Blumenfeld. Sie wissen genau, wen ich meine.
Zur Sache, die dort zur Rede stand, will ich sagen: (Abg. Blumenfeld: Ich habe viele Freunde!)
Ich wäre dankbar, wenn sich die Kollegen den Text
der Stelle ansähen — er ist ja auch offiziell heraus- — Gut, ich kann auch deutlicher sprechen. Herr Kiep
gegeben worden —, die sie besonders interessiert z. B. hat sich nach meinem Gefühl sowohl auf deut-
hat. Ich habe gesprochen von einer Option für das schem Boden als auch auf amerikanischem Boden
Ende dieses Jahrzehnts, die wir uns eröffnen müß- in bezug auf die Andeutungen zukünftiger deutscher
ten. Was „Option" auf deutsch heißt, muß ich nicht Leistungsfähigkeiten und -möglichkeiten viel weiter
übersetzen; es heißt: eine Möglichkeit, die man vorgewagt, als er hätte gehen können, wenn er sich
wählen kann, aber nicht wählen muß; eine Option einmal vorher mit dem Finanzminister, dem Außen-
sichern heißt, sich die Wahlmöglichkeit eröffnen. Ich minister oder dem Bundeskanzler unterhalten hätte.
will das jetzt nicht weiter ausführen; ich habe das (Abg. Matthöfer: Er ist von seiner persön
nur gesagt, weil es von dem einen oder anderen lichen Finanzlage ausgegangen! — Heiter
mißverständlich zitiert worden ist. keit bei der SPD. — Abg. Dr. Barzel: Das
Nun aber zu Herrn Kollegen von Kühlmann- war ein wunderbarer Beitrag zur Überwin
Stumm! Die Sorgen, Herr von Kühlmann, über diese dung des Klassenkampfes!)
Diskussion in der öffentlichen Meinung der Ver- Schauen Sie, hier ist den ganzen Morgen über,
einigten Staaten Amerikas, genauer gesagt: die zum Teil ausgesprochenerweise, zum Teil unausge-
Diskussion im amerikanischen Senat sprochenerweise, die Rede davon gewesen, was
(Zuruf von der CDU/CSU: Nicht nur!) eigentlich die möglichen Rollen — Herr Strauß hat
drei Rollen in Erinnerung gerufen — der Opposition
— nicht nur dort, aber dort im Zentrum — über sein können, während die Regierung mit einem aus-
eine einseitige Verringerung der amerikanischen ländischen Partner in Verhandlungen steht oder
Truppenpräsenz in Europa, diese Sorgen, die Sie wenn solche Verhandlungen bevorstehen. Es gibt
ausgesprochen haben, werden von der ganzen Bun- mehrere Rollen, sehr nützliche Rollen, die die Oppo-
desregierung geteilt. Diese Diskussion ist geeignet, sition dabei spielen kann. In diesem Fall ist es so:
nicht nur — was zu beurteilen nicht unsere Sache ist Wir haben mit den Vereinigten Staaten von Ame-
— die amerikanische Regierung in Schwierigkeiten rika ein Offset-Abkommen, dessen Laufzeit noch
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 33. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Februar 1970 1631
Bundesminister Schmidt
nicht zur Hälfte beendet ist. Noch nicht einmal die - sen können, aber erfahren hätten, wenn Sie gefragt
Hälfte ist erreicht. Das Abkommen läuft bis zum hätten — seit ungefähr drei Wochen nach ihrem
Sommer nächsten Jahres, und es liegt überhaupt Amtsantritt.
kein Grund vor, von uns aus Zweifel in die Ver- Zweitens bin ich keineswegs der Meinung, daß
tragstreue der anderen Seite zu säen. Es liegt kein wir Vorschläge zu machen hätten, die die Amerika-
Grund vor, von uns aus an den Verhandlungen über ner von vornherein befriedigen und die sie anneh-
ein späteres Anschlußabkommen vorzugreifen, erst men würden. So ist das nicht. Die Amerikaner spie-
recht nicht in der Weise, in der es geschehen ist, len die Rolle einer Weltmacht, auch in Europa. Es
nämlich mit der Attitüde, wir würden uns das zu gibt — ich weiß nicht, wie viele — 30, 32 sowjeti-
Herzen nehmen, was einige vorwitzige amerika- sche Divisionen außerhalb der Sowjetunion auf dem
nische Senatoren vorbringen, nicht so sehr deshalb, östlichen Teil des zentraleuropäischen Theaters. Es
weil sie die Lage Europas richtig verstehen, sondern gib demgegenüber hier knapp fünf der amerikani-
aus Gründen — mir sehr verständlichen Gründen; schen. Weltmacht. Ich rede hier nicht von Panzern
ich bin ja Politiker — ihrer eigenen Wahlkreis- und Kanonen und Soldaten. Ich zähle da nicht die
situation. Wir beobachten doch nun Mike Mansfield Beine oder die Köpfe, sondern ich rede von dem
seit was weiß ich wieviel Jahren, und das Wort politischen Gewicht, das sich hier gegenübersteht.
„Wahlkreis" ist nur eine Umschreibung für eine Wir können nicht auf die Dauer eine Weltmacht mit
etwas größere Gemeinde, die er hat. Geld dazu bewegen, von ihrer Rolle in Europa nicht
Ich meine also, Herr Blumenfeld, daß Sie sich abzudanken — falls das wirklich die Vorstellung
diese Retourkutsche Ihrer Kritik am Finanzminister einiger drüben sein sollte. Das können wir nicht.
gefallen lassen müssen. Aber Sie wollen eine Zwi- (Beifall bei den Regierungsparteien und bei
schenfrage stellen. Abgeordneten der CDU/CSU.)
Der Präsident will das ja keineswegs. Deswegen
Blumenfeld (CDU/CSU) : Herr Kollege Schmidt, habe ich mir das Wort „vorwitzig" erlaubt. Ich hatte
sind Sie sich ganz klar darüber, daß ich nicht einer durchaus den Herrn vor Augen, von dem Sie dann
Ausweitung des Budgets das Wort geredet, sondern an zweiter Stelle sprachen. Aber der Präsident will
gemeint habe, daß die Elementarformel, der sich das ja gar nicht. Wie kommen wir Deutschen eigent-
der Herr Bundesfinanzminister mit dem „Dukaten- lich dazu, jenen Herren in Amerika zu helfen, dem
esel" bedient hat, eben in der Tat nicht nur bei den, Präsidenten in diesem Punkt das Leben und uns in
wie Sie sagen, vorwitzigen amerikanischen Sena- dieser Frage das Herz zusätzlich schwerzumachen?
toren — immerhin ist Senator Mansfield der Frak- Das muß ich nun doch darauf erwidern dürfen.
tionsführer der Mehrheitspartei im amerikanischen
Senat — schlecht ankommt — —
Der Kollege von Kühlmann-Stumm hat in diesem
Zusammenhang aufs Mittelmeer hingewiesen. Ich
teile seine Sorgen; es sind ja auch die Sorgen ande-
Schmidt, Bundesminister der Verteidigung: Den rer, nicht nur der Deutschen; wir sind ja verhältnis-
meinte ich jetzt gerade nicht.
mäßig weit weg vom Mittelmeer. Das Mittelmeer ist
ein glänzendes Beispiel, das man den Amerikanern
Blumenfeld (CDU/CSU) : Na, dann müssen Sie vor Augen führen kann, ein Beispiel dafür, was pas-
deutlicher werden, wen Sie meinen. Vielleicht mein- sieren würde, wenn sich aus einem Gebiet eine
ten Sie Percy. Aber auch der ist eine nicht ganz un- Weltmacht einseitig zurückzöge, vielleicht mit dem
bedeutende Figur im amerikanischen politischen Argument, im Notfall könnte man in 14 Tagen zu-
Leben und hat eine Menge Möglichkeiten der Ein- rückkommen. Stellen Sie sich einmal das Mittel
flußnahme auf die derzeitige Regierung. meer vor, entleert von der Präsenz der 6. amerika-
nischen Flotte bei andauernder Anwesenheit der so-
Wollen Sie doch bitte davon Kenntnis nehmen,
wjetischen Flotte, und denken Sie an alle Länder
daß ich damit zum Ausdruck bringen wollte — ich einzeln, an den Libanon, an die Türkei, an Syrien,
glaube, es sollte auch Ihre Sorge sein und die der an Israel, an die Vereinigte Arabische Republik, an
Regierung —, daß man sich rechtzeitig Ge danken
Libyen,umafdsWzepin,was
darüber machen muß, ob man diese Form des
psychologisch-politisch entstünde, wenn die eine
Offset weiter fortsetzen kann, die in den vergange- Weltmacht der Vereinigten Staaten ein solches Ge-
nen Jahren soviel Kopfschmerzen bereitet und so- biet von ihrer Präsenz befreite und die andere Welt-
viel politische Unzuträglichkeiten auf beiden Sei- macht Sowjetunion dort bliebe!
ten erbracht hat, oder ob es nicht besser wäre, daß
Sie rechtzeitig Ihren politischen Willen als Regie- Dies ist .dass Argument, das man mit den Ameri-
rung erkennen ließen, diese Frage anders zu regeln, kanern austauschen muß — denn das Beispiel gilt
und zwar so, daß der amerikanische Partner damit ja für Europa ,genauso! —, und nicht so sehr die
einverstanden sein wird. Frage, ob wir bereit sind, ein bißchen mehr Geld
oder ein bißchen weniger oder !in anderer Form
(Abg. Dr. Schäfer [Tübingen] : Man könnte zu zahlen, Herr Blumenfeld. Natürlich müssen wir
die Frage ja auch noch länger formulieren!)
uns irgendwie mit Ihnen einigen. Wir sind doch
nicht die Leute, die sich mit den Amerikanern ver-
Schmidt, Bundesminister der Verteidigung: Zu- krachen wollen, ganz im Gegenteil. Wir wissen
nächst möchte ich Ihnen recht geben: die Bundes- doch — der Bundeskanzler hat es heute wieder ge-
regierung muß sich darüber den Kopf zerbrechen. sagt, und der Außenminister hat es erneut ge-
Sie tut das aber auch — was Sie vielleicht nicht wis- sagt -, daß diese ostpolitische Auslotungsopera-
1632 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 33. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Februar 1970

Bundesminister Schmidt
tion gar nicht anders möglich ist als mit dem Rück- das in Angriff nehmen und dann wieder weggehen
halt, den wir im Westen brauchen. Aber das heißt und dann mal .das in Angriff nehmen. Das ist nun
doch nun nicht, daß wir den von sehr verschiedenen so. Da hat sich einiges zusammenmassiert. Wir
Motiven getragenen Operationen einiger ameri- könnten gern mal darüber reden, warum das eigent-
kanischer Senatoren und Zeitungen allzu früh auf lich so ist; aber heute hat es keinen Zweck.
den Leim kriechen müssen. Ich hoffe, wir werden
Ich wollte nur zu einigen Bemerkungen, die hier
überhaupt nicht auf irgendeinen Leim kriechen.
in der Diskussion offensichtlich Streitfragen berüh-
Was wir den Amerikanern sagen müssen, ist: ren, etwas sagen, soweit e s sich in der kurzen Zeit
„Jawohl, ,das verstehen wir sehr gut, daß ihr auf machen läßt.
die Dauer weniger Truppen unterhalten wollt. Auch
wir möchten gern weniger Truppen unterhalten. Ich halte es für falsch, anzunehmen und die Dinge
Und wir vermuten, daß eis auch die Sowjetunion so darzustellen, als verlaufe bei dieser Auseinander-
auf die Dauer nicht ertragen kann, 10 % ihres So- setzung eine Front 'zwischen solchen, die, wie man
zialprodukts für Rüstung abzuzweigen!" Das ist ein so sagt, völkerrechtlich anerkennen wollten, was die
schrecklich hoher Prozentsatz von einem Sozial- Gegenseite verlangt, und anderen, die das nicht
produkt, das per capita relativ niedrig ist. Wir wollen. Ich halte das für falsch. Vielleicht geschieht
sind der Meinung, man muß versuchen, das alles das irrtümlich, vielleicht ist das auch bei anderen
herunterzubringen. Wir Sind dafür, daß die mili- bewußt so gemacht. Aber mit diesen Worten wird
tärische Rüstung auf beiden Seiten verringert wird. sowieso viel Staub gemacht. In der Tat geht es mei-
Wir schlagen das vor. Die NATO hat das auf ner Ansicht darum, ob alle mit unserer .Selbstbe-
deutsche Initiative auf der NATO-Ratssitzung in hauptung zu vereinbarenden Bemühungen um Ver-
Reykjavik im Sommer 1968 vorgeschlagen. ständigung unternommen werden sollen und kön-
nen oder ob davon ausgegangen werden soll, es
Bleiben wir doch bitte bei der Linie! Das ist eine hätte eigentlich keinen Sinn, ja, es wäre vielleicht
Linie, die auch Herr Kiesinger und die die dama- sogar gefährlich, weil es sich eben auf der anderen
ligen Minister Ihrer Fraktion für richtig gehalten, Seite um Regime handele, die aus Gewalt entstan-
mitgemacht, mitgetragen haben! Bleiben wir doch den und auch vorwiegend mit Gewalt aufrechterhal-
dabei, daß dies, wie ich denke, der einzige Weg ist, ten werden.
der es ohne Verletzung amerikanischer und euro-
Meines Erachtens aber müssen wir imstande sein,
päischer Interessen und des deutschen Sicherheits-
Wege zu prüfen, d. h. zu probieren — nicht zu prü-
interesses erlauben würde, die Truppen zu verrin-
gern! Wie groß die Aussichten dafür sind, daß das fen, indem man darüber redet, ob man wohl oder
möglich gemacht werden kann, kann keiner vor- ob man wohl nicht; das ist eh und je gemacht wor-
hersagen, genauso wie keiner heute sagen kann, den; nein, zu probieren —, statt von vornherein zu
wie groß die Aussichten sind, daß beim ersten oder erklären: nur das gibt es und sonst nichts, oder:
zweiten oder wievielten Zusammentreffen mit Ver- nie jenes, sondern nur das. Das ist unmöglich in der
tretern der Regierung der DDR etwas Positives her- Lage, in die unser Land gekommen ist, um nicht zu
ausgeholt wird. Aber versuchen muß man es, wenn sagen: hat gebracht werden können.
man mit einem guten Gewissen nach Hause gehen Wenn ich mir solche Reden auf der anderen Seite
will. anhöre wie Honeckers — sie sind heute hier von
(Beifall bei den Regierungsparteien.) einigen erwähnt worden —, so stelle ich fest, daß
es dort darum geht, daß die natürlich am liebsten
Vizepräsident Dr. Jaeger: Das Wort hat der nichts möchten. Insofern ist es völlig falsch, anzu-
Abgeordnete Wehner. nehmen, wir wollten etwas, das vielleicht in einem
geheimen Einverständnis ist. Ich meine die Insinua-
Wehner (SPD) : Herr Präsident! Meine Damen tion, die die Ihnen zur Verfügung stehenden Dienste
und Herren! Ich bin bezüglich des Zeitpunkts dieser gegen Leute wie mich und andere ausstreuen. Ich
Debatte 'derselben Meinung, wie sie heute hier Herr habe gerade heute wie der solch einen Schmutz auf
Mischnick zum Ausdruck gebracht hat. Denn zu die- den Tisch bekommen. — Na ja, Sie waschen ihre
ser Zeit kann man weder eine Zwischenbilanz, die Hände wie üblich in Lavendel und Unschuld. Das
alles Wesentliche enthielte, erwarten noch kann ist auch gar nicht mein Vorwurf an Sie, Herr Kie-
man miteinander abrechnen. Das kann man zwar, singer. Aber irgendwo gibt es eine Grenze für Ge-
aber wenn man es tut, dann zeigt man ja wohl, wie duld, wenn man hier lauter Gentlemen hat, die sich
man 'zu den internationalen Notwendigkeiten der als solche auch gerieren, und wenn man von denen,
Politik steht. die mit Tinte oder mit dem Diktiergerät umgehen,
die aber mit diesen Gentlemen offenbar gute Bezie-
Es ist an sich rührend, Herr Kollege Kiesinger, hungen haben, fortgesetzt von unten angegangen
Fragen weitestreichender Art zu stellen, welche wird. Aber lassen wir das. Vielleicht gibt es mal
Voraussetzungen für die Aussöhnung mit dem eine günstige Gelegenheit, darüber zu reden.
Osten erforderlich seien, welche Kompromisse ins
Auge gefaßt seien usw. Das ist gut gemeint. Das Ich meine nur, die Honeckers wollen nicht. Das
alles während eines Meinungsaustausches, um des- sind ihre eigenen Gründe, die sie haben. Mich inter-
sen Fortsetzung man an verschiedenen Stellen doch essiert eines: daß sie so tun, als ginge es bei den
beträchtliche Aufmerksamkeit und auch beträcht- Auseinandersetzungen um Deutschland darum, so-
liche Mühe aufbringen muß. Wir konnten uns das zusagen über eine Stunde Null zu streiten. Die gibt
nicht aussuchen: erst einmal weggehen und später es gar nicht mehr und das sollten wir uns auch hier
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 33. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Februar 1970 1633
Wehner
klarmachen. Ich hatte den Eindruck, wir seien - nicht jener These der SED-Spitze' Vorschub leisten,
eigentlich hier längst darüber hinweg, als müßte wir erstrebten sozusagen in einer betrügerischen
man hier noch darüber reden, als könnte es eine Absicht eine Art von Scheinverträgen, mit denen
Stunde Null geben. wir, wie es ja fortgesetzt behauptet wird, die DDR
Wir — das ist unsere Auffassung — haben es zu unterordnen wollten, als ob das, was wir inner-
tun und wir rechnen auch mit dem, was sich DDR deutsches Verhältnis nennen, ein innerbundesrepu-
nennen läßt in ihrem Block, in ihrem Vertrags- blikanisches Verhältnis sei.
system. Die Auseinandersetzungen, in die wir ge- Schon deswegen wäre es gut, wenn man deutlich
hen, gehen nicht um die Fragen, um die es ginge, machen kann, daß jede der beiden Seiten ihre Ziel-
wäre eine Stunde Null erdenkbar. Sie ist nicht mehr vorstellungen hat, die nicht miteinander vereinbar
erdenkbar, und der täuscht sich selbst, der so tut, sind. Ich würde mich gegen die Phrase — in diesem
als gäbe es sie. Fall Phrase — von der Wiedervereinigung wenden,
(Abg. Dr. h. c. Kiesinger: Wer denkt so?) wenn es eine unter deren Vorzeichen wäre, und
natürlich wehren die sich gegen die Wiedervereini-
— Ja, bitte, dann sagen Sie das mal und gaukeln gung, wenn es eine unter unseren Vorzeichen ist.
hier nicht auf irgendwelchen Wogen herum, als
könne es eine Stunde Null geben! (Zustimmung bei der SPD und bei Abge
ordneten der CDU/CSU.)
(Beifall bei den Regierungsparteien.)
Darüber streiten wir, ob sie dasselbe Recht haben
Wir haben es mit Machtpositionen zu tun, die wir wie wir. Aber das sind Zielvorstellungen, und ich
nur ganz geringfügig ändern können zum Heil der denke — ich bin auch kein Prophet —, daß diese
Menschen in beiden Teilen und um uns herum. Zielvorstellungen in den vielen Jahren immer deut-
(Erneuter Beifall bei den Regierungsparteien.) licher gegeneinander stehen werden, wobei man
hoffen kann, daß die Entwicklungen in der Welt
Das ist sicher ihre Auffassung, genau wie es die und in den einzelnen Bereichen unserer nicht gerade
unsere ist, was ich jetzt sagen will, bei all den Aus- ungünstig entgegenwirken werden.
einandersetzungen, die es jetzt gegeben hat mit
denen auf der anderen Seite, so tun, als könnte man Ich möchte es so sagen. Wir sollten versuchen, zu
jetzt noch einmal alles von den Verträgen und von verdeutlichen: nicht die Bundesrepublik Deutsch-
den Vorbehaltsrechten usw. aufrollen; da hätte man land verlangt die Eingliederung der DDR, aber die
am Ende nichts mehr an, wenn man das machen Bundesrepublik Deutschland und die DDR, d. h. die
würde. Keine Seite hätte mehr etwas am Leib. Menschen in beiden, sollen, wenn es beide wollen
und wollen können, sich vereinigen können. Das ist
(Abg. Dr. h. c. Kiesinger: So ist es!)
etwas, wofür wir streiten, und da kann man sich
— So ist es. sogar auf jene Verträge stützen, Herr Kollege Bar-
Nein, bei dem wovon wir ausgehen, gibt es zel, die 1967 — aus ganz anderen Gründen — bila-
etwas, glaube ich, was zwischen uns nicht streitig teral gemacht worden sind, das sogenannte „eiserne
ist, wenn auch vielleicht dann die nächste Über- Dreieck" mit dem jeweiligen Art. 7 oder Art. 11.
legung schon Anlaß zu Streit gibt, nämlich daß es Sogar der Vertrag vom 12. Juni 1964 zwischen
sich darum handelt, daß beide Teile Deutschlands in Moskau und der Ostberliner Regierung hat eine
ihren jeweiligen Vertragssystemen, die wir sehr solche Klausel. Für die, es ist nicht unsere Klausel.
unterschiedlich bewerten — ich meine jetzt: denen Aber wir haben das Recht, eine entsprechende Klau-
gegenüber in der Sache unterschiedlich bewerten —, sel zu haben, und deswegen brauchen wir uns von
um das Verhältnis beider Teile zueinander reden Herrn Honecker und anderen, die ihre eigenen
und diese Versuche durchführen. Sorgen haben, jetzt nicht in dieser Frage durchein-
anderbringen zu lassen.
Da gibt es das sehr starke Berufen einiger derer,
Eine andere Sache. Ich glaube, daß es eine er-
die heute hier in der Diskussion von der Opposition
örternswerte Frage ist. Nicht die Bundesrepublik
her gesprochen haben: das habe doch die Regierung Deutschland verlangt einen Teil Berlins oder ganz
gesagt, füreinander sollten beide Teile oder Staaten Berlin. Aber die Bundesrepublik Deutschland will
Deutschlands nicht Ausland sein. Ich verstehe das gesichert wissen, daß Berlin-West nicht in den
so: ein Verhältnis zueinander zu finden suchen,
Prozeß der Einverleibung in die DDR gezogen wird.
durch das beide vertraglich der Tatsache Rechnung
Deshalb in diesem Falle Sicherung dessen, was man
tragen, daß beide — nach ihren eigenen Aussagen
dort den Status quo nennt, und Verstärkung der
und Verfassungen — Staaten deutscher Nation sind.
Garantien; dabei nicht Aufgabe unserer Auffassung
Entsprechende Verträge, auf die man hin will — das
über die Rolle, die die Vier als die oberste Gewalt,
möchte ich einmal so ausdrücken 'sind nicht Ver- die de jure besteht, in der ganzen Stadt haben. Sie
träge minderer Art und minderen Werts als andere
machen nur ab und zu de facto von ihr Gebrauch.
Verträge, die wir schließen. Wenn wir uns darauf
nicht verständigen könnten, dann täten wir etwas Ich möchte es auch so sagen: Nicht die Bundes-
— ich meine aus Sorge, daß man sagen könnte: ja, republik Deutschland verlangt Änderung der Gren-
aber —, was jener auf der anderen Seite in seiner zen Polens. Aber die Bundesrepublik Deutschland
Weise ausnützt und sagt: Es ist doch nun klar, die will oder möchte, daß die polnische Westgrenze bis
wollen uns in Wirklichkeit unterlaufen. Dann muß zu dem, was man etwas lieblos Formalisierung
man sich darüber klarwerden, ob es Verträge sol- nennt, nicht die Teilung Deutschlands und auch das
cher Art sein sollen oder nicht. Denn ich möchte Verhältnis zwischen der Bundesrepublik und Polen
1634 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 33. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Februar 1970

Wehner
verschlimmert. Das ist etwas, das meinetwegen bes- - gegeben hat. Sie war heute nur sehr, sehr lebendig
ser, schärfer formuliert werden kann. Aber die Ten- dargebracht.
denz wird sicher auch von Ihnen nicht unbedingt (Abg. Dr. Barzel: Ferien gehabt!)
bestritten werden können.
— Was soll das? Nein, gar nicht! Hören Sie mal, da
Ich wollte noch — ich muß mich sehr beeilen — unterscheide ich mich ein wenig. Ich habe es als sehr
auf einige Bemerkungen der Debatte selbst kommen. taktlos empfunden, wie Sie heute vormittag hier
Man kann nicht, wollte ich sagen, mitten in einem einstiegen. Aber ich gönne Ihnen das Vergnügen.
Meinungsaustausch, dabei in einem so komplizier- Ich repliziere so nicht, mit Ferien und sowas. Das
ten, im Ernst die Frage stellen, wer denn nun Recht habe ich nicht gemacht.
gehabt hätte mit der Analyse. Ich bitte Sie, Herr (Zuruf von der CDU/CSU: Hier wurde ge
Kollege Dr. Barzel: Sie wissen ganz genau, daß man sagt, daß Herr Barzel Ferien gehabt hat!)
zwar die Frage stellen kann, aber daß man nicht er-
— Das habe ich nicht gesagt.
warten kann, daß man hier jetzt eine solche Auf-
rechnung macht, wer hier Recht gehabt habe und (Zuruf des Abg. Dr. Barzel.)
wer nicht Recht gehabt habe. Denn ich nehme nicht — Gut, das brauchen wir nicht, es geht um meine
an, daß Sie dastehen wollen und daß man dann Redezeit, nicht urn Ihre.
sagt: Ja, das haben die gemacht um den Preis, die
eigene Seite bloßgestellt zu sehen. Das würde ich (Heiterkeit.)
Ihnen nicht unterstellen, aber das käme faktisch Ich wollte nur sagen, es wäre eine Verkennung
dabei heraus, zu einer solchen Zeit, einer Unzeit, der Lage, jetzt mit neu aufgelegten und im einzel-
eine Aufrechnung sogar noch mit dem Blick zurück, nen, in jedem einzelnen Detail noch so wesentlichen
wessen Analysen und Schätzungen von Anfang an und unstrittigen Punkten kommen zu wollen. Wie
richtig waren, machen zu wollen. Aber, wie gesagt, gesagt, das ist nicht drin. Da holt man nichts heraus,
ich muß das jetzt so hinsagen und bitte um Ent- und wenn man nichts herausholt mit solch einem
schuldigung, weil ich meine Zeit schon bald über- Katalog, dann soll man sich nicht in eine Lage brin-
zogen haben werde. gen lassen, von der aus man dann kaum etwas in
Bewegung bringen kann.
Eines macht mich sehr nachdenklich. Sie be-
gründen Ihre Position hier — das haben einige So gesehen, ist das auch eine — ich sage es so,
getan — u. a. damit, daß in jenen Ländern gesagt Herr Kiesinger — beinahe tragische Erinnerung, die
worden sei, man wünsche für das, worum es denen Sie hier heraufbeschwören: daß bei dem Bemühen
gehe, breite Mehrheiten. Ich nehme an, das betrifft um und der Bewerkstelligung der Freundschaft mit
Polen, das betrifft wohl auch die Sowjetunion; ich Frankreich wieder das Saarland kam. Soll man nun
bin so genau nicht informiert wie Sie; Sie haben darüber reden, wann man darüber hätte reden kön-
mehr Informationen, als ich sie habe, von dem, was nen? Ich würde es nicht wagen. Aber glauben Sie
die Regierung und ihre Umgebung durch ihre Unter- selbst im Ernst bei dem, was Sie sonst so gerne
händler mitgebracht haben, und ich bin darüber sagen, daß man nämlich Geschichte nicht antizipie-
nicht böse, denn was ich nicht weiß, das macht mich ren könne, daß es da eine Analogie geben könnte
nicht heiß. (Abg. Dr. Kiesinger: Im Gegenteil!)
(Lachen bei der CDU/CSU.) bei der Unterschiedlichkeit der Partner — um hier
- Ja, sicher, es ist Ihnen gegenüber eine recht einmal wertfrei „Partner" zu sagen —, mit denen wir
loyale Regierung. — Kann ja sein, daß das gesagt es . da zu tun haben? Na, ich bitte Sie!
wurde. Ich zweifle das nicht an, weil ich nicht in (Abg. Dr. Kiesinger: Das war ja meine
Abrede stellen will, daß Sie solche Informationen Meinung!)
bekommen haben. Aber ich muß Sie doch bitten:
— Na gut, aber da werden Sie doch hoffentlich nicht
Nun möchten Sie wohl zeigen — könnte man sa-
sagen, deswegen müssen wir. die Hände einstecken.
gen , daß Sie eben dies nicht wollen, daß es breite
Das dürfen wir gar nicht.
Mehrheiten gibt.
(Abg. Dr. Kiesinger: Nur vorsichtig!)
(Abg. Dr. Kiesinger: Doch!)
Sie haben ja in der einen Rede, die ich so gern zi-
Aber Sie können doch nicht annehmen, daß die tiert habe — monatelang bin ich mit der Rede her-
Haltung in Moskau und die Haltung in Warschau — umgelaufen,
von Ost-Berlin rede ich in diesem Zusammenhang (Heiterkeit)
gar nicht — dadurch anders und man dort dadurch
obwohl keine Zeitung sie abgedruckt hat; Sie kön-
verhandlungsbereiter würde, daß Sie hier sagen:
nen sie immer nur im Bulletin vom 20. Juli finden;
Na, die haben ja selber gesagt, sie wollten breite
keine deutsche Zeitung hat die Rede des damaligen
Mehrheiten haben. Oder wollten Sie damit sagen, es
Bundeskanzlers abgedruckt; das ist eine späte Ge-
wird sowieso nicht viel herauskommen? Kann ja
nugtuung für die Behandlung, die ich durch manche
auch sein. Das wäre kein Malheur, aber mit der Auf-
Zeitung erfahren habe, aber das war ganz am An-
fassung kommt man nicht sehr viel weiter.
fang —
(erneute Heiterkeit)
Herrn Barzels Aufzählung steht in einer sympa-
thischen Nachbarschaft zu einer, die unlängst einmal dazu etwas gesagt. Ich meine, das sind eben schreck-
der Minister für innerdeutsche Beziehungen hier liche Unterschiede.
Deutscher Bundestag - 6. Wahlperiode — 33. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Februar 1970 1635
Wehner
-
Herr Kollege Barzel, es tut mir leid, da muß ich es wünscht, sondern weil es so ist. Wissen Sie, was
noch einmal auf das zurückkommen, wie Sie das jetzt da der alte Herr gesagt hätte — ich will es nicht
— natürlich sehr geschickt — machen: zu peitschen. nachahmen, wie er es gesagt hätte —; aber der
Was Sie sich da mit der Formel gedacht haben, war wäre hier gleich aufgestanden, sofort nachdem der
gekonnt. Den Text der Formel habe ich hier, den andere herunter war und hätte gesagt, daß diese
könnte man sehr schnell erklären. Selbstverständ- Rede ein Unglück für Deutschland gewesen sei. Das
lich, man stellt sich dann so vor, vor wem man hat sich geändert,
spricht, vor denen nämlich, von denen heute gesagt (Beifall bei den Regierungsparteien)
worden ist, sie seien „die eigentlichen Leidtragen-
den". Ich denke an Herrn Becher, der das hier gesagt das tut der jetzige Bundeskanzler nicht.
Da gebraucht man dann so das Wort „vernebeln", Ich möchte nur sagen: die Legende, mit der erklärt
in der Wendung: „will dir das vernebeln". Das ist werden soll, was nicht erreichbar ist auf dem Weg,
zu deutlich, welche Absicht mit dieser Übung ver- den wir gehen und ausschreiten müssen, ohne uns
folgt wird. Ich weiß, daß das für uns sehr schwer dabei irgendwo verlieren zu dürfen, diese Legende,
wird, so wie Sie das aufziehen werden. Aber auch mit der erklärt werden soll, wenn nichts erreicht
da sind die Zeiten ein wenig anders. würde oder nicht das, was eigentlich zu erreichen
Sie sagen, „augenzwinkernd" rede man davon. notwendig wäre, sei das die Folge des Angetreten
Das werden Sie von mir nicht erleben. Ich habe aber seins mit einer Theorie von zwei Staaten — die ja
schon Freunde Ihrer eigenen Partei gehört, die mich in Wirklichkeit eine Beschreibung eines Zustandes
beschworen haben, doch ja nicht jene sieben schreck- ist —, diese Legende soll offensichtlich dazu dienen,
lichen Worte vom Ende des Feldzugs in Polen, so weniger deutlich zu machen und die Überlegung
wie ich sie in der Erinnerung habe, in irgendeinem weniger schmerzhaft für die meisten Betroffenen zu
Zusammenhang wieder zu sagen. Denn das habe machen, daß das eigentlich eine Folge einer Politik
schauerlich gewirkt. Das hatte ich auch gemeint, daß ist, die Deutschlands Spaltung nicht verhindert, son-
das wirkte. dern schließlich besiegelt hat. Das ist es, was damit
umspielt werden soll. Wir werden sehen.
Ich wollte nur sagen: wenn wir uns begegnen
werden bei allfälligen Tagungen, werde ich so red- Meine Herren von der Opposition. Sie haben sich
lich reden und werden auch Sie so redlich reden, wie einige Male daran gerieben, daß ich gesagt habe:
Sie sind, und dann müssen wir mal sehen, was die Die Verträge, wenn es welche gibt, werden natür-
Leute von dem halten, was wir ihnen zu bieten lich Verträge sein, die nicht weniger wert sind als
haben. Aber bitte, lassen Sie die Bemerkungen sein. jeder andere Vertrag. Ich würde streiten, wenn man
Das sollen sie selber merken, ob ich z. B. augen- den Versuch machte, sie irgendwie nach unten abzu-
zwinkernd in der Richtung Polens rede oder so. Das stufen. Wer schon vorher sagt: dies und dies, und
gleiche gilt für die Formel und für das mit dem jenes nicht, der erfreut jene drüben, die sagen:
Vernebeln. Das ist nicht gut. Natürlich — das haben ohne das und das — jenes nicht! Das ist die fatale
Sie ja heute schon aus einer Replik gehört, die hier Situation, in der Sie selber sind,
gemacht worden ist —: der, dem Sie nun das Wort (Beifall bei den Regierungsparteien)
von der Formel anhängen, der ist natürlich in den in der alle diejenigen sind, die es so machen.
Augen derer, die hier als die Betroffenen hingestellt
worden sind — viel zu früh übrigens — ganz was Was das Verhältnis hier im Hause betrifft, meine
anderes als die, die Schlesien und andere Heimat- Herren: Es geht hier doch nicht um eine abstrakte
länder nennen. Politformel, sondern es geht um das Ringen und
den Versuch, dieses Ringen so fair durchzuführen,
Ich gehe nicht in Wettbewerb mit Ihnen über wie es Ihnen möglich ist und wie wir es verstehen.
Grabstätten und so. Nicht. Ich könnte das. Das liegt Aber das ist eben die Änderung: Sie sind nicht auf
mir nicht. Wir müssen sehen, was wir dort, wo wir das erste und das letzte Wort der konkreten Politik
Politik relativ nach eigenem Empfinden und nach abonniert. Wenn Ihnen das die Regierung nicht
eigenem Interesse machen können, was wir mit dem so trocken sagt, wie ich es Ihnen sage, mag es daran
zugunsten des friedlichen Zusammenlebens und liegen, daß ihre Mitglieder bessere Kavaliere sind.
unseres ganzen Volkes machen können. Das ist es, Sonst wäre ich auch noch in einer Regierung.
was unsere Aufgabe ist. Und das andere: Sie brau-
chen es sich nicht zu sparen; ich jedenfalls würde (Heiterkeit.)
es mir sparen. — Natürlich! Ich bin nun einmal so.
Wissen Sie, es hat sich da doch etwas geändert. Sie wollten, nachdem in der Diskussion darauf
Ich stelle mir vor, der Bundeskanzler wäre nicht der, hingewiesen worden war, daß inzwischen eine Wahl
der hier sitzt, sondern wäre jener gewesen, den stattgefunden habe, darauf noch einmal eine Ant-
manche hier noch erlebt haben von 1949 an, was der wort haben. Ich möchte das verdolmetschen, weil
gesagt hätte nach einer solchen Rede, wie es die ich mit Unzufriedenheit bemerkt habe, daß der Ur-
war, die Sie gehalten haben: was wir angerichtet heber dieses Wortes trotz mehrerer Fragen darauf
hätten, indem wir von zwei Staaten sprächen; es nie wieder zurückgekommen ist. Ich kann nicht an
sei eben ein riesiger Unterschied, ob ein Gewalt- seiner Stelle sprechen, sondern ich sage nur: Sie,
verzichtsabkommen von einer Regierung geboten meine Herren von der CDU/CSU, bei aller Achtung
wird, die sagt, sie spricht für alle Deutschen, oder vor Ihnen, können — das ist der Unterschied —
von einer Regierung, die von vornherein gesagt nicht mehr bestimmen, was alles unterlassen wer-
hat: „Das sind eben zwei Staaten" —, nicht weil sie den muß oder was nur hinhaltend gemacht werden
1636 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 33. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Februar 1970

Wehner
darf. Das ist das Ergebnis der Wahl, und das ver- - ten und nicht in den vielfältigen Interviewmöglich-
suchen wir für die deutsche Politik nutzbar zu keiten, die auch uns zur Verfügung stehen. Fraglos
machen. Darum ringen wir. stehen uns nicht die Hauspostillen der Regierung,
„Der Spiegel" oder „Der Stern" zur Verfügung.
(Anhaltender lebhafter Beifall bei den
Regierungsparteien.) Ich möchte zunächst ein Wort zur 'Rede des Bun-
deskanzlers sagen. Auf das, was Herr Wehner ge-
sagt hat, komme ich gleich zurück. Der Bundeskanz-
Vizepräsident Dr. Jaeger: Das Wort hat der
ler hat sich in einigen Fragen doch in einen von der
Abgeordnete Dr. Barzel.
Opposition angenehm empfundenen Gegensatz be-
geben — wieweit er damit fertig wird, wird seine
Dr. Barzel (CDU/CSU) : Herr Präsident! Meine Sache sein —, indem er hier einige der Fragen be-
Damen und Herren! Ich möchte, wie ich es dem Bun- antwortet hat, bei deren Beantwortung manche sei-
desaußenminister über Mittag persönlich gesagt ner Kollegen aus der eigenen Fraktion heute mor-
habe, mit einem persönlichen Wort beginnen. Es tut gen zu lachen für richtig hielten und die der Kollege
mir leid, daß ich heute früh von Ihrer „besonderen Apel , als Phrasen abzutun für den richtigen Stil die-
Strapaze als Parteivorsitzender" gesprochen habe. ser Debatte fand.
(Beifall bei dein Regierungsparteien.) Freilich, Herr Bundeskanzler, den größeren Teil
— Ich füge hinzu: Ich habe mir selbst den schlech- der Fragen haben Sie nicht beantwortet. Ich habe
testen Dienst erwiesen, mit einem so schlechten An- ein gewisses Verständnis für die Situation eines
fang zu beginnen. Regierungschefs, der in Verhandlungen und vor
Verhandlungen steht. Deshalb will ich hier nicht in-
Meine Damen und Herren, ich komme nun zur sistieren. Aber alle diese Fragen bleiben auf dem
Debatte. Diese Debatte war nötig —hier bin ich Tisch, nicht zuletzt, weil Sie, Herr Bundeskanzler,
anderer Meinung als Herr Mischnick, Herr Wehner vor diesem Gang, den Herr von Kühlmann als
und andere, die etwas anderes gesagt haben —, weil schwer bezeichnet und ,den andere mit allen mög
seit dem 14. Januar, dem Bericht zur Lage der Na- lichen guten Wünschen begleitet haben, nicht ein-
tion und der Aussprache darüber, neue Tatbestände, mal in dieser Debatte gesagt haben: Dann laßt uns
Entwicklungen und Erklärungen zu verzeichnen , ge- doch vorher noch einmal sprechen! Deshalb bleibt
wesen sind. Sie war ferner notwendig, weil es keine natürlich dieser unbeantwortete Teil der Fragen bis
Kooperation und keinen Ort für Gespräche gab. Wer Gegenstand öffentlicher Auseinander- dahinuc
diese Debatte ,als .ein Sachkundiger der deutschen setzung. Nicht, weil wir es so wollen, Herr Kollege
Politik und auch als einer, der die Personen hier und Wehner, sondern weil die Regierung es nicht anders
die Zwischentöne kennt, nachliest, wird es in der will oder weil Sie es nicht anders wollen. Das, meine
Tat, Herr Bundeskanzler, als Ihr Versäumnis be- Damen und Herren, müssen Sie verantworten.
trachten müssen, nicht mehr Gemeinsamkeit, die
doch keineswegs unmöglich wäre, herbeigeführt zu Offengeblieben ist u. a. die Frage nach den Inten-
haben. tionen der Sowjetunion und dem, was sie in der
Zentralen Frage des Verzichts auf die friedliche
Meine Damen und Herren, da es keine Koopera-
Wiedervereinigung verlangt.
tion gab, da Fragen nicht beantwortet worden sind,
mußte die Opposition (Beifall bei der CDU/CSU.)
(Zuruf von der SDP: Sie waren doch im Diese Frage ist nicht dadurch beantwortet, daß der
Urlaub!) Herr Bundeskanzler sagt, das Buch der Geschichte
über die deutsche Frage dürfe nicht zugeschlagen
— die Debatte findet auch statt, wenn ich im Ur-
werden. Sie ist nicht durch das beantwortet, was
laub bin; das haben Sie vorige Woche gesehen,
Herr Wehner sagt, es sollten sich alle Deutschen,
meine Damen und Herren — hier einiges sagen. Es
wenn sie wollen und können, vereinigen dürfen —
mußte auch deshalb gesagt werden, weil die Koali-
ein Fortschritt 'in der Formulierung, für die ich mich
tionspolitik — das haben wir öffentlich gesagt —
bedanke.
durch eine Erklärung von Herrn Wehner aus un-
serer Sicht in Frage gestellt worden ist. Durch die Wir freuen uns, daß der 'Bundeskanzler und auch
Erklärungen des Bundeskanzlers und des Kollegen der Verteidigungsminister auf unsere Anregung hin
Wehner, die gerade bezüglich dessen, was nicht oder zu dem Problem .der Tendenz in den USA Stellung
nicht mehr gesagt wurde, interessant waren, ist genommen haben. Die Stunde ist zu spät, um hier
sicherlich hinsichtlich dieser Fragen einiges aus der flüchtige Antworten zu geben. Wir sind nicht zu-
Welt geräumt worden. Das zeigt, wie notwendig die frieden mit dem, was gesagt worden ist. Wir behal-
Debatte war. ten uns darüber eine spätere Debatte im Gesamt-
Sie war aber auch notwendig, weil öffentlich, zusammenhang vor.
draußen immer wieder die Frage gestellt wurde: Der Widerspruch ist nicht aufgeklärt zwischen
Wo ist eigentlich die Alternative der CDU/CSU? dem Bundeskanzler, der an dieser Stelle noch einmal
Nun hat sich mancher gefragt und bedauert, warum von der Skepsis gesprochen hat, mit der er an all
sie nicht groß genug sei. Aber der Bundeskanzler diese Dinge herangeht — das haben wir gehört, und
hätte es sicherlich vor seinen schweren Gängen es war sicherlich klug, das zu erklären —, und dem
gerne, wenn sie noch geringer wäre. Aber ich Fraktionsvorsitzenden der SPD, der vorher mit Ge-
komme auf dieses Alternative-Problem zurück. Wir wißheit sagte: Das alles wird nicht scheitern. Wissen
wollten alle diese Fragen hier im Hause beantwor- Sie, wenn man da bei uns nach einem solchen Tag
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 33. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Februar 1970 1637
Dr. Barzel
wie heute 'immer noch versucht — ich weiß nicht, so, wie er es anlegte, würde es hier schwerer. Sie
wer der .Debattenredner war —, zwischen Strauß, haben recht, es soll bei den großen innenpolitischen
Kiesinger, Barzel und Schrader irgendwo einen Kontroversen hier schwerer werden, wo wir auf die
Punkt zu finden, an dem einer im Temperament et- Initiativen dieser Regierung, die die inneren Refor-
was anderes gesagt hat, dann sind das fast keine men ,durchführen wollte, warten.
Differenzen im Vergleich nicht nur zu den steuer- (Beifall bei der CDU/CSU.)
politischen in Ihrer Regierung, vo n der ich jetzt nicht
reden will, sondern auch zu ,der Skepsis und der Aber, meine Damen und Herren, es soll doch nicht
Sicherheit, es werde zum Ergebnis führen, es werde auf diesem Gebiet schwerer werden! Herr Wehner,
kein Scheitern geben. das sollte mir niemand unterstellen, schon gar nicht,
Nun, Herr Kollege Wehner, zu ,dem, was Sie eben wenn man sich kennt.
gesagt haben. Ich bin froh, daß Sie gesprochen ha- Meine Einlassung über den Gewaltverzichtsvor-
ben; denn ich hatte schon den ganzen Tag darauf schlag der Regierung Kiesinger mit den Attributen
gewartet und dachte schon, ich müßte wieder den und Vokabeln, die Sie gebraucht haben, zu belegen,
„Spiegel" der nächsten Woche abwarten. dazu gehört schon entweder eine große Portion von
(Zurufe von der SPD.) Nichtkenntnis der Vorlagen oder eine große Por-
tion Unverfrorenheit der Darstellung. Wenn eine
Herr Wehner, ich möchte zunächst einen Punkt Regierung, die sagt, sie spreche für alle Deutschen,
aufgreifen, bei dem Sie sehr leidenschaftlich waren. hier ein Gewaltverzichtsabkommen vorschlägt, in
Sie wandten sich zunächst gegen den Honnecker — dem in der Präambel steht „Um die Wiedervereini-
das war sicher hilfreich für alle — und dann gegen gung in Freiheit friedlich herzustellen, versichern
die Honneckers — das war sicher auch gut ge- wir uns gegenseitig entsprechend der UNO-Charta,
meint —; Sie sagten weiter, daß es keine Stunde das Mittel der Gewalt feierlich auszuschließen",
Null gebe. Wir sehen natürlich, daß das heißt — dann ist dies eine gute Vorlage. Dieselbe Vorlage
so betrachte ich Ihre Antwort; hoffentlich habe ich erscheint aber natürlich nicht nur rechtlich, sondern
das jetzt richtig interpretiert —: Die ganze Propa- auch politisch in einem anderen Licht, wenn sie von
ganda, die drüben getrieben wird, um die Sozial- der Anerkennung zweier Staaten ausgeht, weil die
demokratische Partei 'Deutschlands in .die Positionen Grenzfrage dann einen ganz anderen Gehalt be-
des Jahres 1954 zurückzudrängen, ist erfolglos. So kommt. Herr Kollege Wehner, wenn Sie sich mit
habe ich Ihre Erklärung verstanden. Ihrer Regierung darüber unterhalten, worin die
(Abg. Wehner: Ja, genau das!) größten Schwierigkeiten im Hinblick auf ein solches
Abkommen liegen — ich weiß das nur aus den
Dafür wollte ich mich bedanken, Herr Wehner, weil Dokumenten von 1967 und 1968 über den Gewalt-
das hilfreich ist. Sie haben alber dann von der verzicht, die ich studiert habe; sie sind ja veröffent-
Stunde Null gesprochen. Herr Wehner, die gibt es licht —, werden Sie immer wieder auf eben diese
inderPoltkmas.E'gibernudLast Frage stoßen. Da haben Sie sich durch das, was Sie
von ,gestern, die Verantwortung von heute und .den hier getan haben, die deutsche Position nicht er-
Weg für morgen. leichtert, sondern erschwert. Das hier darzustellen,
Ich komme nun zu .einem Punkt, in dem wir nicht um es dann über die Ecke dialektisch als nationales
übereinstimmen. Sie sagen, Herr Kollege Wehner, Unglück zu behaupten, Herr Wehner, das war ei-
die Verträge mit dem anderen Teil Deutschlands — gentlich genauso ein schlechter Schluß bei Ihnen,
das ist eine wichtige Frage — seien nicht von min- wie ich heute einen schlechten Anfang hatte.
derer Art als andere. Sie haben dann später von Einige haben in dieser Debatte behauptet, die
Verbindlichkeit gesprochen. Wenn Sie sagen wür- Alternative der Opposition sei nicht verstanden
den, die Verträge mit dem anderen Teil Deutsch- worden oder nicht deutlich genug geworden. Nun,
lands seien nicht von minderer Rechtskraft als an-
es ist manchmal so, Herr Kollege Apel — das geht
dere, so vermöchte ich dem zu folgen, weil dies ein auch uns manchmal so —, daß man erst bei längerem
fundamentaler politischer und juristischer Unter-
Zusehen merkt, was da wirklich passiert ist. Bei uns
schied ist. Wir leben ja nun eine ganze Weile mit haben manche damals am 30. Juni die Worte von
Abmachungen — Sie haben einige zitiert —, die Herbert Wehner als taktische Tagesrede empfunden
eingehalten werden, ohne daß man eine völker-
und erst später gemerkt, was passiert war. Na ja,
rechtliche Anerkennung in allen möglichen Formen
es kann so sein, daß es Ihnen heute ähnlich ergeht.
vollzieht. Das sollte hier noch gesagt sein. Vielleicht lesen Sie, Herr Apel und andere, einmal
Herr Wehner, ich hoffe, an der Stelle, an der Sie nach, was für eine Konzeption wir heute vorgelegt
sagten, ich wünschte gar keine breiten Mehrheiten, haben, wo wir gesagt haben, für Lösungen und die
habe ich Sie mißverstanden. Wir 'beide kennen uns Bereitschaft, etwas für Europa einzubringen, seien
nun schon .eine ganze Weile, im Guten wie im wir bereit, politische Leistungen zu erbringen. Wir
Schlechten. Vielleicht haben Sie einmal abgewogen, haben die Maßstäbe gesetzt, und da es eine Koope-
was es eigentlich hieß, was nach dieser Art der ration nicht gibt, haben wie sie hier im Hause ge-
Regierungsbildung dazugehörte, hier für meine setzt, damit jeder wissen kann, wozu man mit dem
Fraktion mit deren Billigung nach langen Debatten Ja der Opposition rechnen kann und wozu man das
erklären zu können: Trotzdem 'bieten wir die Ko- Nein der Opposition mit an Sicherheit grenzender
operation in nationalen Fragen an. — Glauben Sie, Wahrscheinlichkeit voraussehen muß. Das können
das war leicht? Und dann sagen Sie einem Mann Sie aus dem, was hier heute gesagt worden ist,
wie mir, er suchte keine breiten Mehrheiten, und sehen.
1638 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 33. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Februar 1970

Dr. Barzel
Nun kommen Leute und sagen uns, wir hätten hier - einige unbeantwortete Fragen festzuhalten, nicht
gesagt: das nicht und jenes nicht! Dann müssen Sie Sorgen darüber, daß gesprochen wird, aber wohl
Reden zum Fenster hinaus halten, aber nicht gegen Sorgen darüber, worüber nicht gesprochen wird und
die Position, die hier die CDU/CSU eingenommen worüber gesprochen wird. Sosehr die Bundesregie-
hat. Diese hat nämlich gesagt — ich zitiere —: rung einen Spielraum haben muß, sosehr hat das
Uns geht es um die Anerkennung der Menschen- Staatsvolk und sosehr haben die Betroffenen, um
rechte. Wenn es das zu besiegeln gilt, fragen deren Menschenrechte und um deren nach der euro-
wir nicht nach der Farbe der Tinte und der Form päischen Menschenrechtskonvention zu achtende
des Unterschriftsformulars. Wohnsitzrechte es geht, Anspruch darauf, über die
Grundvorstellungen, und zwar über alle Grundvor-
Diese Fraktion hat gesagt — ich lese es jetzt noch stellungen der Bundesregierung, mit denen sie an
einmal vor —: die Gespräche herangeht, Klarheit zu erhalten, dies
Wir brauchen in Europa zumindest Ansätze, wel- um so mehr, als der polnische Staatspräsident in
che die Verhärtung überwinden und die Zusam- sehr eindeutiger Weise nicht nur Grundvorstellun-
menarbeit stärken, Bemühungen um den Abbau gen, sondern Einzelheiten genannt hat. Hier sind
der Rüstung auf allen Seiten und mehr noch: doch gerade auch nach der heutigen Debatte ent-
In ganz Europa müssen die Grenzen offener scheidende Unklarheiten geblieben.
werden. Die Freizügigkeit muß stärker, die In- Ich stelle noch einmal die Frage, die Herr Dr.
formationsmöglichkeiten für alle müssen besser Barzel hier zweimal von diesem Pult aus gestellt
und der Austausch der Meinungen sowie die hat und die bisher nicht beantwortet ist: Gilt das
Begegnung der Menschen müssen reger werden. Wort des Bundesaußenministers Willy Brandt vom
Überall in Europa müssen Minderheiten ge- 2. Juli 1967 gerade zu den Verhandlungen noch?
schützt sein, und es müssen die Diskriminierun- Das ist im Bulletin vom 4. Juli überschrieben:
gen nach Nation, Sprache, Religion und Mei- „Grundvorstellungen einer europäischen Friedens-
nung gemildert werden mit dem Ziel, sie ganz ordnung". Auf diese europäische Friedensordnung
zu überwinden. Für solche Zwecke auch politi- hat sich ja der Herr Bundeskanzler heute berufen.
sche Leistungen zu erbringen erscheint uns sinn- Gilt das noch nach zweieinhalb Jahren, oder gilt das
voll. Wir halten es aber eben deshalb für fun nicht mehr? Dieses Wort — ich darf mit Geneh-
damental uneuropäisch, den gegenwärtig ganz migung des Herrn Präsidenten vier bis fünf Sätze
anders gearteten Status quo in Europa etwa zu zitieren — lautete so, daß es nach einer Ablehnung
zementieren und dadurch die Sowjetunion ge- des sterilen Status quo — so damals der Herr Bun-
genüber allen Europäern, auch uns gegenüber, desaußenminister Willy Brandt — folgendermaßen
in ihrem Einfluß noch zu stärken. hieß:
Ich habe dies noch einmal vorgelesen, damit das Eine europäische Friedensordnung
hier vielleicht doch besser verstanden wird.
— und auf die hat sich der Herr Bundeskanzler
Meine Damen und Herren, der Bundesregierung heute berufen —
ist es nicht gelungen, Kooperation herzustellen. Es soll man sich
ist ihr nicht gelungen, heute unsere Besorgnisse zu
zerstreuen. Sie war nicht bereit, wesentliche Fragen — und das sagte er damals mit Rücksicht auf die
zu beantworten. Diese Bundesregierung hat auf Ostgrenzen —
dem Wege in Verhandlungen, für die wir sind, Vor- auch in anderer Hinsicht nicht so vorstellen, als
leistungen erbracht, gegen die wir sind und waren. ob einfach nur zu bestätigen wäre, was der
Herr Bundeskanzler, in der Steuerpolitik können Sie zweite Weltkrieg in Europa hinterlassen hat.
ohne Schaden für uns alle, was die Steuersenkung Die europäische Friedensordnung müßte Gren-
damals betraf, Ihr Wort mit guten Gründen ändern. zen einebnen und neue Formen der Zusammen-
Das zeiht keiner sehr. Nur, auf dem Gebiet der arbeit möglich machen. Zu ihr müßte deshalb
Außenpolitik sind die Worte einer Regierung auch beispielsweise auch ein europäisches Volks
auf dem Wege zu einer Verhandlung Tatsachen. gruppenrecht gehören. Sie müßte die Menschen-
Diese Tatsachen, auch viele von denen, die Sie ge- rechte nicht nur deklarieren, sondern auf we-
schaffen haben, sind unverrückbar, und sie sind sentlichen Gebieten praktizieren.
weggegeben, ohne in einem der Punkte, die wir als Gilt dieser Satz noch heute? Wir haben im Aus-
Maßstab genannt haben, auch nur den Schatten schuß gefragt; auch dort ist die Frage nicht beant-
eines Fortschritts erkennbar werden zu lassen. wortet worden. Das sind ja Grundvorstellungen,
(Beifall bei der CDU/CSU.) und hier ist keine leere Bühne seit 1967 geschaf-
fen worden oder übriggeblieben.

Vizepräsident Dr. Jaeger: Das Wort hat der Unklar und widersprüchlich ist auch die Frage be-
Abgeordnete Dr. Czaja. antwortet, wozu sich die Bundesregierung bezüglich
Anerkennung und Zustimmung zu Gebietsänderun-
gen für legitimiert hält und welches ihr politischer
Dr. Czaja (CDU/CSU) : Herr Präsident! Meine Wille hierzu ist. Ich muß gestehen, vorbehaltlich der
Damen und Herren! Zu den Warschauer Gesprächen, weiteren Prüfung der persönlichen Meinung von
die aktuell sind und in den nächsten Wochen weiter- Herrn Professor Dahrendorf zu dieser Frage scheint
gehen, sei mir gestattet, noch einige Sorgen und mir durch die heutige Debatte die Verhandlungs-
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 33. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Februar 1970 1639
Dr. Czaja
situation der Bundesrepublik Deutschland nicht ver- mit sachlicher Klarheit entgegengetreten wird. Kein
bessert worden zu sein, gerecht denkender Mensch kann und darf verschwei-
(Zuruf des Abg. Hermsdorf [Cuxhaven]) gen, was im deutschen Namen Grausames und
Grauenhaftes getan wurde. Bei aller berechtigten
insbesondere nicht durch die widersprüchlichen Aus- Forderung nach Sühne, die die schuldigen Personen,
führungen, Herr Kollege Hermsdorf, von Herrn Kol- Täter und Urheber, in geordnetem Rechtsgang zu
legen Apel und von Herrn Kollegen Haack. Sosehr leisten haben, und politischer Haftung — nicht Kol-
ich vieles von Herrn Kollegen Haack bejahen und lektivschuld, sondern politische Haftung für Fal-
unterschreiben kann, so kann ich nicht verstehen, sches, was die unwürdige Vertretung unseres Vol-
daß Herr Kollege Apel genau das, was ich hier kes getan hat —, muß es zurückgewiesen werden,
zitiert habe und was Herr Dr. Barzel angesprochen daß 'deshalb über das Unrecht der gegenüber zehn
hat, als Wortgeklüngel, als Phraseologie und ähn- Millionen Menschen begangenen Vertreibung ohne
liches bezeichnet. den letzten friedlichen Versuch zur zeitgemäßen
Offensichtlich drehten sich die Gespräche in War- Wiederherstellung von Völkerrecht und Menschen-
schau bisher nur um die Frage, was der andere rechten hinweggegangen und daß dieses Unrecht
Gesprächspartner will. Meine Damen und Herren, hingenommen wird ohne diesen letzten Versuch.
eine solide Grundlage für Beziehungen ergibt sich Wenn wir das täten, würden wir dem Faustrecht
aber nur aus klaren Willensäußerungen auf beiden und der Gewalt statt der Durchsetzung der Normen
Seiten. Formeln, die sie überdecken, machen solche des Völkerrechts und der Menschenrechte Vorschub
Beziehungen nicht frei von ungutem Mißtrauen und leisten. Auch 25 Jahre heilen das nicht.
Unsicherheit mit allen Folgen, also auch von Miß- Vielmehr muß, wie Willy Brandt am 2. Juli 1967
trauen gegen uns. Art. 7 des Deutschland-Vertrages erklärt hat, zu gegebener Zeit eine umfassende Frie-
ist wichtig und wertvoll, wenn ein klarer politischer densordnung, eine gemeinsame Aufbauarbeit in
Wille des am meisten betroffenen Vertragspart- neuen Formen des Zusammenlebens gesucht und
ners — das sind wir — dahintersteht. ermöglicht werden. Wenn man Grausamkeiten als
- In dem langen Prozeß eines Sich-wieder-besser Motivierung für politische Entscheidungen vorgehal-
Verstehens zwischen dem deutschen und dem polni- ten bekommt — obwohl das Völkerrecht dies nicht
schen Volke, der wiederholt hier angesprochen wor- kennt —, sollte allerdings auch nicht systematisch
den ist, müssen die großzügige wirtschaftliche Zu- das Grausame verschwiegen werden — ohne auf-
sammenarbeit ich sage ausdrücklich: großzü- zurechnen; ,denn Unmenschlichkeiten sind nicht ge-
gige —, ein Austausch wirklicher kultureller Lei- geneinander aufrechenbar —, das auch an Deutschen
stungen auf beiden Seiten, bessere Beziehungen begangen wurde.
der Menschen und Völker, ein häufigeres Zusam- (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)
menkommen der Fachleute, der Techniker und der
Kaufleute vorangehen. Dauerhafte geschichtliche Es ist nicht gerecht, das eine zu nennen und das
Lösungen, annehmbar für beide Völker, können andere überhaupt nicht zu nennen.
aber nicht erzwungenes und daher weder glaub- Nicht zu verschweigen ist, daß die Hauptursache
würdiges noch haltbares Ergebnis am Anfang sein. des Grausamen, ein frevelhaft übersteigerter Natio-
Sie erfordern einen langen Prozeß. nalismus, zwar ganz besonders in deutschem Namen
An seinem Ende — das scheint mir doch eine ausgeübt wurde, aber auch bei denen, die uns ankla-
erwägenswerte Alternative zu sein — sollte nicht, gen, keineswegs beseitigt ist, sondern heute noch
wie der polnische Außenminister Jendrichowski Vertreibung verursacht, und daß dort, wo andere
meint, eine Fixierung expansiver national-staat- vor dem Nationalsozialismus Gewalt und Macht
licher Barrieren, sondern, wie es der Bundesaußen- über Deutsche hatten, ebenfalls schwere, aus einem
min i ster Willy Brandt am 2. Juli 1967 ausgespro- solchen Nationalismus herauskommende Diskrimi-
chen hat, eine enge Zusammenarbeit, eine enge nierungen, ja Verfolgungen von Deutschen lange
menschliche und gruppenmäßige Zusammenarbeit vor 1933 zu verzeichnen waren. Wer einmal die
auch in umstrittenen Gebieten stehen. Solche dauer- Übersetzungen von Aussagen einiger Unterhändler
haften Lösungen lassen sich weder rasch noch in in den Jahren vor 1933 durchliest, der wird merken,
einem 'für einen gerechten Ausgleich ungünstigen daß auch einzelne Unterhändler an diesem nationa-
geschichtlichen Moment des erheblichen Ungleich- len Chauvinismus nicht unschuldig waren.
gewichtes in Europa erreichen. Dauerhafte Lösungen So muß die Ursache jener Übersteigerung eines
liegen aber — das möchte ich ganz deutlich sagen — maßvollen und notwendigen Nationalbewußtseins,
im wohlverstandenen Interesse beider Seiten: nicht die nicht nur Fehler der Deutschen ist, im Alltag
nur unseres, sondern auch des polnischen Volkes. durch neue Formen der Zusammenarbeit — nicht
Eines aber ist gewiß, und daß möchte ich auch zu aber durch neue fixierte Grenzpfähle, die dem einen
den Ausführungen von Herrn Professor Dahrendorf alles und dem anderen nichts geben — ersetzt wer-
sagen: Sosehr über Territorien Mehrheiten der ver- den. Die nach dem Furchtbaren verbliebenen tiefen
tragschließenden Parteien — Mehrheiten in den Lücken in der Wirtschaft, in der Technologie, im
Parlamenten — entscheiden: über Menschenrechte Vollzug des Strukturwandels und in den kulturellen
können sich auch Mehrheiten nicht hinwegsetzen. Begegnungen bieten reichliche Ansatzpunkte zur
Kooperation, nicht nur im Finanziellen und im Han-
Wir bedauern es ,auch, daß dem mit irrigen Argu- del, sondern auch in der Begegnung der Fachleute
menten arbeitenden Druck auf Scheinlösungen nicht und der Menschen.
1640 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 33. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Februar 1970

Dr. Czaja
Zu den Irrtümern, denen entgegenzutreten ist, - zum anderen im Auswärtigen Ausschuß. Ich habe
gehört auch die Meinung, daß Annexionen statt hier aber festgestellt, daß nach meiner Erfahrung
durch ein erträgliches und umfassendes Vertrags- und meines Wissens davon in den Gesprächen bis-
werk durch Formeln oder durch politische Absichts- her nicht in ausreichendem Maße die Rede war; ge-
erklärungen ersetzt werden können. Das Annexions- nau das habe ich vorher festgestellt.
verbot zählt zu den Normen des Völkerrechts. Der Nicht zuletzt deshalb, weil der Verdrängung der
Sicherheitsrat der UNO hat im Nahostkonflikt noch Beteiligten und Betroffenen aus der Mitgestaltung
im November 1967 daraus eindeutige und einstim- widerstanden werden muß, habe ich aus meiner
mige Beschlüsse abgeleitet. Art. 25 des Grundge- Fraktion heraus, die sich zu der Schicksalsgemein-
setzes verkettet damit unsere staatliche Grundord- schaft auch mit den Vertriebenen bekennt, das Wort
nung und verbietet damit die Hinnahme von An- genommen. Ich hoffe, daß Sprecher aller Fraktionen
nexionen durch Formeln anstatt ihrer Ablösung dies auch weiterhin tun werden.
durch den Abschluß eines umfassenden Vertrags-
werkes. Hier wird auch in diesem Bundestag nicht Wo man versucht, die vernünftige und gleichbe-
nur nach der einfachen Mehrheit, sondern auch nach rechtigte Mitwirkung an den politischen Entschei-
der verfassungsmäßig geltenden Mehrheit gefragt dungen den Betroffenen zu versagen, wird man
werden. nicht auf Resignation stoßen, sondern auf die
Zähigkeit derer, die in langem politischem Ringen
Bei der Kritik an den Verhandlungen stoßen wir im Grenzland Selbstbehauptung gelernt haben. Wo
auf einen schweren Mangel hinsichtlich der bishe- man sich aber um die zähe Hilfe zu einem dauer-
rigen Traktandenliste, der bisherigen Gegenstände. haften, gerechten, ' zeitgemäßen Ausgleich in der
Unsere Regierung muß auch die menschenrechtliche europäischen Friedensordnung auf der Grundlage
Lage der Deutschen zur Sprache bringen. Bisher war der Menschenrechte, der Gruppenrechte und der fö-
das offensichtlich nicht der Fall. Wir machen keine deralen Zusammenarbeit bemüht, wird diese Hilfe
Vorschriften über den Zeitpunkt zur Führung des zäh geleistet.
Gesprächs, aber wir fordern, daß die Menschen-
rechte, die Grundrechte, die es gestatten, ohne Dis- Aus vielen Briefen einfacher Menschen — auch
kriminierung am angestammten Wohnsitz zu leben Frauen — des polnischen Volkes weiß ich, daß un-
und die Persönlichkeit zu entfalten, in die Verhand- sere Nachbarn um diese Aufgabe ebenfalls wissen.
lungen aufgenommen werden. Dies auf der politischen Ebene quer durch die Par-
teien zu nutzen, bleibt, so meine ich, auch weiterhin
Unlängst hat die Bundesregierung zum Ausdruck eine sinnvolle staatspolitische Aufgabe.
bringen wollen, daß sie die Vertreter der von der
Tragödie Betroffenen nicht nur informieren, sondern (Beifall bei der CDU/CSU.)
auch ihre Sachkenntnis nutzen möchte. Es wäre auch
schwer verständlich, wenn man Sachkenner von Vizepräsident Dr. Jaeger: Das Wort hat der
Land und Leuten und Problemen ausklammern und Herr Bundesminister des Auswärtigen.
sich zur Vervollständigung der Meinungsbildung im
Auswärtigen Amt nur Eindrücke von raschen Tou-
risten ohne Sprachkenntnisse holen wollte. Scheel, Bundesminister des Auswärtigen: Herr
Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her-
Der Staat muß sich allen Teilen des Volkes ver-
ren! Diese Haushaltsdebatte konnte naturgemäß
pflichtet fühlen, auch den hart getroffenen Teilen,
keine Wertung der Politik der Bundesregierung
die nicht die Mehrheit sind. Ihre von Irrtümern
bringen, noch nicht einmal ein Zwischenergebnis;
gereinigte Sachkenntnis ist nötig. Dem Versuch aus-
denn wir sind mitten in einem Prozeß von Verhand-
ländischer Kräfte, die die Vertreibung billigten,
lungen und können in einer solchen Debatte nichts
nunmehr die Vertriebenen in der deutschen Politik
und Gesellschaft aus der Rolle politischer Mitwir- anderes als die Ausgangspositionen darstellen und
über Zielvorstellungen diskutieren. Ich glaube, daß
kung und Mitgestaltung zu verdrängen, muß wider-
standen werden, selbst wenn Strömungen in der das heute allerdings in einem überreichen Maß ge-
Massengesellschaft, die immer. wieder Buh-Männer schehen ist. Ich muß am Schluß noch einmal auf man-
brauchen, sich dieser Minderheiten bemächtigen. che Probleme zurückkommen, die hier schon be-
handelt worden sind.
Vizepräsident Dr. Jaeger: Herr Abgeordneter Ich darf mit Herrn Dr. Czaja beginnen, weil ich
Dr. Czaja, gestatten Sie eine Zwischenfrage? den Eindruck gewonnen habe, daß er sich hier vor
uns allen über gewisse Mängel an Informationen
Dr. Wichert (SPD) : Herr Abgeordneter, sollte es beklagte. Aber ich weiß, daß Herr Dr. Czaja wie an-
Ihnen bei Abfassung Ihres Manuskripts entgangen dere Vertreter der Vertriebenenverbände nicht ein-
sein, daß der Bundeskanzler heute nachmittag er- mal, sondern mehrfach über die Absichten und die
klärt hat, daß bei den Verhandlungen mit Polen Positionen der Bundesrepublik, gerade auch bei den
auch die Rechte und die Angelegenheit der dort Verhandlungen in Polen, unterrichtet worden ist.
lebenden Deutschen behandelt werden sollen? Ich hatte soeben das Gefühl, als ob einiges von dem,
was Herr Dr. Czaja hier eben vorgetragen hat, aus
solchen Unterrichtungen stammt.
Dr. Czaja (CDU/CSU) : Herr Kollege, mir ist das
gar nicht entgangen. Ich höre diese Erklärung jetzt (Abg. Dr. Schmitt-Vockenhausen: Die De
schon zum drittenmal, einmal in der Debatte über battenreden werden hier auch so gehalten
die Regierungserklärung der SPD/FDP-Koalition, wie manche Reden in der grünen Debatte!)
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 33. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Februar 1970 1641
Bundesminister Scheel
— Ja, einiges aber stammt aus diesen Unterrich- Zu Euratom, Herr Kollege Blumenfeld, kann ich
tungen, und ich bin im Hinblick auf den Nutzen der Ihnen eigentlich nur den letzten Stand der Vorbe-
Verhandlungen noch nicht einmal so sicher, ob man reitung dies Verifikationsabkommens mitteilen. Ich
so viel von diesen Unterrichtungen in der öffent- glaube, darauf haben Sie sich bezogen, als Sie von
lichen Diskussion verwerten sollte. gewissen Schwierigkeiten sprachen. Die Kommis-
Jetzt möchte ich einige Fragen beantworten, die sion hat auf unseren Antrag und nachdem wir unter-
schrieben hatten nunmehr eine Grundlage für ihre
noch offengeblieben sind, vor allem die des Kolle-
Verhandlungen mit der Internationalen Atomener-
gen Blumenfeld, der sich auf die europäische Politik
giebehörde erarbeitet. Diese Grundlage, die erar-
bezogen hat. Er hat danach gefragt, welche Absich-
beitet worden ist, wird im Augenblick im Minister-
ten die Bundesregierung in der politischen Zusam-
rat diskutiert. Die Diskussion ist noch nicht abge-
menarbeit in Europa hat. Ich will ihm gern darauf
schlossen.
antworten. Wir stehen mittendrin in den Unter-
haltungen mit unseren Partnern aus der Europä- Bisher hatte die französische Regierung die Posi-
ischen Wirtschaftsgemeinschaft. Die erste Diskussion tion der Bundesrepublik, die sich mit der Kommis-
der Außenminister wird am 6. und 7. März im Zu- sionsvorlage deckt, auch immer unterstützt. Ich
sammenhang mit einer Ministerratstagung sein. Dort habe keinen Anlaß, in diesem Augenblick zu zwei-
wird die Bundesregierung zum erstenmal auch feln, daß das auch weiterhin der Fall sein wird,
eigene Vorstellungen in der Diskussion vortragen wenn auch diese Verhandlungen in dem Gremium
und vertreten. der ständigen Vertreter möglicherweise noch einige
Zeit dauern werden. Aber wir tun alles, um sie zu
Sie haben gesagt, Herr Blumenfeld, wir hätten beschleunigen, damit wir zu den Verhandlungen mit
das bisher auf niedrigerer Ebene betrieben. Das ist der Internationalen Atomenergiebehörde kommen,
ein Irrtum über das Verfahren. Wir haben auf hoher die ja Voraussetzungen für die Möglichkeit der Bun-
Ebene, nämlich durch den Direktor der politischen desregierung sind, dem Bundestag den Vertrag zur
Abteilung, Kontakte mit den übrigen Partnern auf- Ratifikation vorzulegen. Vorher kann er ja über-
nehmen lassen, um unsere eigenen Vorstellungen haupt nicht vorgelegt werden. Das ist der letzte
etwas an der Wirklichkeit zu orientieren, nämlich Stand, den ich Ihnen mitteilen kann, Herr Kollege
an der Meinung auch unserer Partner. Jetzt konn- Blumenfeld.
ten wir sie ausarbeiten und in die Diskussion der
Minister einführen, was wir am 6. und 7. März zum Jetzt darf ich etwas zu Herrn von Kühlmann sa-
erstenmal tun werden. gen, der mit Recht auf die bedrohliche Situation im
Nahen Osten hingewiesen hat. Auch wir finden es
Sie haben danach gefragt, wie sich unsere Mei- außerordentlich bedrohlich, daß die UdSSR den Kon-
nung denn nun entwickelt habe. Herr Blumenfeld, flikt im Nahen Osten als ein Vehikel benutzen
ich kann keine Einzelheiten sagen. Nur soviel: Wir möchte, ihren Einfluß in diesem Bereich zu verstär-
wollen keine festen Formen für die politische Zu- ken. Man sieht, daß ein solcher Konflikt in der Tat
sammenarbeit der Sechs in der ersten Phase, son- geeignet ist, den Einfluß der Sowjetunion in diesem
dern wir möchten, daß sich diese Zusammenarbeit Bereich zu verstärken, und das, wiederum im Rück-
organisch entwickelt, natürlich beginnend mit Kon- kehrschluß, legt den Verdacht nahe, daß es vielleicht
sultationen. Dann wird man sich darüber unterhal- Interessenten geben könnte, die diesen Konflikt so
ten müssen, ob man aus den Konsultationen heraus auf Sparflamme unterhalten, die an seiner Beseiti-
gemeinsame Verhaltensweisen in der Außenpolitik gung gar kein so außergewöhnliches Interesse zei-
entwickelt, vielleicht sogar erst in einer zweiten gen, wie man es wünschen möchte.
Phase. Aber es wäre geradezu ein Hindernis auf
dem Wege der politischen Zusammenarbeit, wenn Dies alles macht uns sehr besorgt, und in den
wir zu früh mit festen Formen für diese Zusammen- Gremien, in denen wir mitarbeiten, versuchen wir,
arbeit aufwarteten. Ich darf nur sagen, daß nicht nur das zu tun, was wir können. Das ist nicht viel. Wir
die Sechs, sondern auch Großbritannien und die haben wenig Einfluß in diesem Bereich. Wir sind
übrigen beitrittswilligen Länder an solcher politi- keine Großmacht, wir sind nicht in der UNO, wir
scher Zusammenarbeit interessiert sind, und sie verhandeln nicht mit. Wir haben zu einem Teil der
könnten irritiert werden, wenn vor ihrer Aufnahme dort beteiligten Länder keine diplomatischen Bezie-
in die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft schon hungen, und das hat unseren Einfluß vermindert.
Formen der Zusammenarbeit entwickelt worden Was wir hier dem Bundestag erklärt haben, ist dies:
wären. Wir wollen den Versuch unternehmen, mit den Län-
dern, mit denen wir keine diplomatischen Bezie-
Darüber hinaus haben wir auf diesem Gebiet mit
hungen unterhalten, wieder zu einer Normalisie-
festen Programmen immer Pech gehabt. Wir hüten
rung zurückzufinden. Das würde auch unseren Ein-
uns, jetzt ein festes Programm zu entwickeln und
fluß auf diesen Konflikt vermehren.
das vielleicht weltweit zu verkünden und damit
möglicherweise, was man könnte, Propaganda für Wir können heute nur sagen, daß wir glauben,
unsere Politik zu machen. Wir wollen es der Sache daß auf der Grundlage der Entschließung des Sicher-
halber nicht tun, weil man sich nämlich dann leicht heitsrats 'der UNO eine Regelung möglich wäre.
in ein Programm festrennt, von dem man nicht mehr Aber wir wissen, daß die beteiligten Parteien diese
herunterkommt zum Schaden der Verwirklichung Entschließung unterschiedlich auslegen, nämlich die
der Zusammenarbeit, und wir möchten Zusammen- Entschließung vom 12. November 1967, was die
arbeit verwirklichen. — Das zur politischen Zusam- Zeitfolge der Inkraftsetzung der einzelnen Maßnah-
menarbeit. men angeht. Aber es gilt, das ganze Paket zu ver-
1642 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 33. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Februar 1970

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wirklichen. Im Grunde hatten die Beteiligten schon - men wir wieder an die Tragik der Entwicklung,
einmal ihre Zustimmung dazu geben. Die Bundes- denn wir sehen ja, daß das heute so ist, ohne daß
regierung glaubt, daß 'das 'der Weg ist, aber sie kann wir daran etwas hätten ändern können.
auf diesem Wege nur indirekt nutzen, und das tun
Aber, meine Damen und Herren, was wir mit un-
wir, soweit es überhaupt möglich ist.
seren westlichen Verbündeten in Konsultationen
Nun möchte ich, meine verehrten Kollegen, ein verabredet haben, ist, die Position Berlins in Ver-
Wort zu einer Bemerkung von Herrn Strauß zu der handlungen mit dem vierten Alliierten, mit der
Gaszentrifuge sagen. Er hat darauf hingewiesen, Sowjetunion, zu stärken — parallel zu unseren Be-
daß Kritik laut geworden sei oder daß Zweifel laut mühungen in den Verhandlungen mit osteuropäi-
geworden seien. Er hat 'auf die Äußerungen des schen Ländern, an deren Spitze die Sowjetunion
Generalsekretärs der Vereinten Nationen, U Thant, steht.
hingewiesen, die in der Tat am 18. Februar vor der
Es geht dabei darum, über den innerstädtischen
Abrüstungskonferenz von ihm gemacht worden
Verkehr zu sprechen, über die Sicherheit der Zu-
sind. Sie heißen folgendermaßen:
fahrtswege, über die Grundlage der Wirtschaft in
In den letzten Jahren haben einige Delegatio- Berlin und darüber, daß die Berliner Wirtschaft
nen bei der Generalversammlung der Verein- nicht diskriminiert werden soll. Das sind Fragen, die
ten Nationen auf mögliche militärische Ver- von unseren Verbündeten verhandelt werden sollen,
wendung der Gaszentrifugenmethode zur Pro- und ich hoffe, daß die Verhandlungen bald beginnen
duktion angereicherten Uraniums 'aufmerksam können; die Antwort der Sowjetunion auf die An-
gemacht, und ich selbst habe mir Gedanken regung der westlichen Verbündeten ist ja positiv,
gemacht über die Auswirkung dieser techni- und die Vorbereitungen dazu sind im Gange, wie
schen Entwicklung. Deshalb sehe ich mich ver- Sie wissen.
anlaßt, darauf hinzuweisen, daß für die Konfe-
renz vielleicht der Zeitpunkt gekommen sein Es kommt uns darauf .an, parallel zu unseren Ver
mag, auch diesem 'Bereich technologischer For- handlungen diese so wichtige Berliner Frage in dem
schung und Entwicklung ihre Aufmerksamkeit Sinne zu fördern, wie die Position Berlins in diesen
zuzuwenden. Jahren gewachsen ist, um die Bindungen Berlins an
die Bundesrepublik im wirtschaftlichen Bereich, im
Soweit das Zitat. Bereich des Rechts, im Bereich der Währung und die
Und gleich hat sich die Versammlung damit befaßt. Bindungen der Menschen an die Bundesrepublik auf
Der britische und ,der niederländische Vertreter in eine sichere Basis zu stellen.
Genf haben in ausführlichen Erklärungen vor der (Beifall bei den Regierungsparteien.)
Konferenz darauf hingewiesen, daß es sich bei die-
sem Verfahren und vor allen Dingen bei dem Ver- Meine Damen und Herren! Nun ist hier — auch
trag, der von den drei Vertragspartnern abgeschlos- heute wieder, und ich weiß gar nicht, warum —
sen ist, um eine Entwicklung handelt, die absolut viel die Rede gewesen vom „Ausverkauf" und vom
nicht militärischen Charakter hat. Die Erklärung, „Verzicht", und jetzt gibt es eine neue Formulierung
die die Vertreter Großbritanniens und der Nieder- von der „Preisgabe", und die wird abgeändert auf
lande abgegeben haben, deckt sich mit unserer Mei- „verbale Preisgabe irgendwelcher Rechte". — Meine
nung, und sie ist Gegenstand des Vertrages gewe- Damen und Herren, was hat diese Regierung bei den
sen, den wir im übrigen — wenn ich das sagen darf, eingeleiteten Verhandlungen aufgegeben? Ich
um Herrn Kollegen Stücklen zu antworten — noch möchte wissen, wer mir da etwas sagen kann außer
nicht unterzeichnet haben. Nein, es ist richtig, was der Behauptung, die Unterschrift unter den NV-
der Bundeskanzler gesagt hat, daß die Unterzeich- Vertrag sei eine Preisgabe irgendwelcher Güter
nung 'des Nichtweiterverbreitungsvertrages eine oder irgendwelcher Atouts. Das ist doch eine Be-
Voraussetzung dafür gewesen ist, den Vertrag über hauptung, die gänzlich unbewiesen ist! In Wahrheit
die Gaszentrifuge zu unterzeichnen. Der wird erst ist es so, daß wir sowohl in dem Bereich, den ich
am 4. März, also in einigen Tagen, unterzeichnet eben genannt habe, als auch bei der Eröffnung der
werden. Verhandlungen mit der Sowjetunion die Unter-
Meine Damen und Herren, dies zu der Gaszentri- schrift unter den NV-Vertrag als ein Plus mit ein-
fuge. Jetzt vielleicht ein Wort zur Berichtigung führen konnten.
eines Eindrucks, der heute morgen hier über die (Beifall bei den Regierungsparteien.)
Bemerkungen meines Freundes Professor Dahren-
dorf hinsichtlich dessen, was er über Berlin gesagt In Wahrheit ist es so, wie es der Bundeskanzler
hat, entstanden sein muß. Das nämlich hat in einer gesagt hat, daß wir natürlich, wenn es darum geht,
Wiederholung von Herrn von Wrangel eine gewisse unsere Sicherheit — auch im Zusammenhang mit der
Veränderung erfahren, wodurch die Meinung von Anwendung der Grundrechte der UNO-Charta —
Herrn Dahrendorf nicht richtig zum Ausdruck kam. zu erhöhen, wenn es darum geht, hier einen wei-
Sie haben seine Feststellung, er will, daß Berlin teren Fortschritt zu machen, diese Unterschrift als
nicht Hauptstadt der DDR werden soll, etwas ver- ein Plus mit in unsere Verhandlungen einführen
ändert und haben gesagt, er habe gemeint, daß können. Es hat diese Regierung nichts aufgegeben,
Ostberlin nicht Hauptstadt der DDR sein soll. — Das was den Menschen in Deutschland etwa Schaden zu-
hat der Professor Dahrendorf nicht gesagt und fügen könnte. Aufgegeben hat sie ein paar vielleicht
konnte er schlechterdings auch nicht sagen. Da kom- in der Vergangenheit viel zu lange gepflegter Illu-
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 33. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Februar 1970 1643
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sionen, um endlich zu praktischem Handeln zu - — Das kann ich verstehen aus der Lage, Herr Dr.
kommen. Barzel, in der Sie sich in diesem Teil der Diskussion
(Beifall bei den Regierungsparteien.) befinden.
Erfüllt denn diese Regierung nicht das Verfas- (Beifall und Heiterkeit bei den Regierungs
sungsgebot des Grundgesetzes, von dem Herr Strauß parteien. — Zuruf von der SPD: Jetzt steht
gesprochen hat, das er also sozusagen verfassungs- es 1:1!)
rechtlich einklagen will? Hätte denn Herr Strauß Ich will sagen, Herr Dr. Barzel: da steht das alles
nicht in den letzten 20 Jahren permanent vor dem darin. Dann hätte Herr Strauß Herrn Dr. Adenauer
Verfassungsgericht stehen und sich und andere an- vor ein Verfassungsgericht bringen müssen, denn
klagen müssen, daß dieses Gebot nicht erfüllt wer- der war bereit, da eine ganze Menge Konzessionen
den konnte? Was wir heute tun, ist doch keine Ver- zu machen.
schlechterung der bestehenden Situation, sondern
wir versuchen, sie mit allen Mitteln zu verbessern. Die Bundesregierung treibt weder einen Ausver-
Wir versuchen, auf einem anderen Wege dem nicht kauf irgendwelcher Rechte noch eine verbale Preis-
aufgegebenen Ziel, die Deutschen wieder zusammen- gabe irgendwelcher Güter. Aber sie löst sich — jetzt
zubringen, ein Stück, einen Schritt näherzukommen, will ich ein Wort von Herrn Barzel wieder auf-
was in der Vergangenheit doch nun nachweislich greifen — von Formeln, und sie sucht nach Lösun-
nicht gelungen ist. gen. Das war bei Herrn Dr. Barzel heute ja eine
seiner großen Meisterleistungen, daß er diese be-
(Sehr gut! bei der FDP.)
rechtigte Gegenüberstellung von Formeln und von
Im Gegenteil, wir haben uns von diesem Ziel ent- Lösungen sozusagen zu seinen Gunsten umfunktio-
fernt, entfernen müssen wegen der Verhältnisse. nieren wollte. Aber, Herr Dr. Barzel: wir müssen
Wir könnten ja Herrn Strauß auch einmal fragen, schon dabei bleiben, daß wir in den letzten 20 Jah-
wenn es um das Verfassungsgericht geht, was er ren in unserer Politik eine Politik der Formeln ver-
von — — sucht haben und zu Lösungen gekommen sind.
(Abg. Baron von Wrangel: Das ist doch Eines werden Sie doch nicht bestreiten können:
Polemik!) daß der erste Schritt zu dieser Lösung das Gespräch
— Herr von Wrangel, das ist keine Polemik, son- mit dem ist, mit dem ich nun mal eine Lösung her-
dern das ist eine sehr nüchterne Antwort auf das, beiführen muß. Dieser erste Schritt ist getan wor-
was Herr Strauß gesagt hat. Sie können ihn einmal den: mit der Sowjetunion, mit Polen, und er wird
fragen, was er von den Bemerkungen — — getan auch mit der DDR. Man muß miteinander
reden; damit beginnt jede Lösung. Wir können
(Zuruf des Abg. Dr. Schmitt-Vockenhausen.) heute nicht etwa das Ergebnis dieser Gespräche an-
— Das wird er auch selbst tun; dagegen kann er bieten. Aber niemand hat das hier gesagt. In der
sich selbst in Schutz nehmen. — Sie können ihn ein- Bundesregierung gibt es kein Mitglied, das irgend-
mal fragen, was er von den Bemerkungen und An- welche besonderen Aussichten gemacht hätte, son-
geboten hält, die der verstorbene Bundeskanzler dern im Gegenteil: wir sind sehr zurückhaltend ge-
Adenauer in seinem Gespräch mit Herrn Smirnow wesen bei der Beurteilung der möglichen Ergeb-
damals der Sowjetunion gemacht hat. Das ist gar nisse. Aber wenn Sie eine Lösung haben wollen,
keine Geheimaufzeichnung. Der Bundeskanzler hat dann müssen Sie den ersten Schritt tun, sonst gibt
sich heute morgen darauf bezogen, und er hat ge- es nie eine Lösung.
sagt: „Das geht aus den Akten hervor". Es ist zwar Es gibt auch keine „Politik des Augenzwinkerns",
richtig, daß das aus den Akten hervorgeht. Aber der wie es heute morgen von einem der Diskussions-
verstorbene Bundeskanzler Adenauer war so frei,
redner — ich glaube, es war Herr Dr. Barzel —
diese Akten in vollem Umfange in seinen Memoiren
befürchtet worden ist. Es gibt keine solche Politik,
zu verwenden. Das steht also auch in einem in-
und in diesen Fragen darf es auch keine geben. Wir
zwischen veröffentlichten Buch, das allzu wenig
müssen die Fundamente unserer Politik, von denen
Leute gelesen haben; da steht das drin.
wir ausgehen, jedem nennen, auch dem Verhand-
(Abg. Dr. Barzel: Die Auflage war hoch!) lungspartner, und wir müssen die politischen Ziele,
— Die Auflage war sehr hoch, und es steht in jedem die wir verfolgen, jedem nennen und jedem nennen
Bücherschrank, aber es gibt wenig Leute, die es können, auch dem Verhandlungspartner, und wir
gelesen haben. Ohne dem verstorbenen Bundes- tun das.
kanzler Adenauer nahetreten zu wollen — ich habe (Beifall bei der FDP.)
ihn nämlich persönlich sehr geschätzt —, Ich darf noch einmal wiederholen, was ich selber
(Hört! Hört! bei der SPD) in einer der letzten Debatten gesagt habe. Funda-
ment unserer Bemühungen ist es die Sicherheit und
muß ich sagen: es liest sich auch ein bißchen schwer. Freiheit der Menschen in der Bundesrepublik
Ich habe also Verständnis für diejenigen, die es Deutschland zu garantieren. Fundament ist es, das
nur als Nachschlagewerk und zum Quellenstudium Selbstbestimmungsrecht der Deutschen unangetastet
benutzen.
zu lassen und es zu verteidigen, und Fundament ist,
(Abg. Dr. Barzel: Ich erlaube mir den Zu alles zu versuchen, um die Einheit der Nation nicht
ruf: es ist auch schwer, Ihnen jetzt zuzu nur zu erhalten, sondern in dem Zustand, in dem
hören!) wir uns befinden, auch etwas zur Förderung der
1644 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 33. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Februar 1970

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Einheit der Nation zu tun. Fundament unserer Poli- ich die Schatten dieser Ereignisse in Gesprächen sehr
tik schließlich ist 'es, für die Deutschen die Option, wohl habe feststellen können.
ihr Schicksal, wenn sie das wollen und können, ge- Dieser Entwicklung können wir uns nicht ent-
meinsam selbst zu bestimmen, aufrechtzuerhalten. ziehen. Wenn wir für die Politik der Bundesrepublik
Das sind die Fundamente unserer Politik, und das Deutschland Spielraum gewinnen wollen, dann nur
bleibt so. in einer gewissen parallelen Bewegung zu dieser
von mir eben angedeuteten Entwicklung, über die
Ziel unserer Politik ist es, eine Aussöhnung mit
den Völkern des Ostens herbeizuführen, wie es uns man noch sehr viel sagen könnte.
mit den Völkern des Westens gelungen ist. Aber Der Präsident der Vereinigten Staaten, Nixon, hat
jeder von uns weiß und jeder von uns erkennt an, in dem Ihnen zugegangenen Bericht mit der Über-
daß die Voraussetzungen dafür schwieriger und schrift „Die amerikanische Außenpolitik für die 70er
auch durch den Zeitablauf nicht einfacher geworden Jahre" eine neue Friedensstrategie entwickelt. Ein
sind, was ich, meine sehr verehrten Damen und Teil dieses Berichts ist mit dem Satz „eine Ära der
Herren, vor 20 Jahren nicht geglaubt hätte. Ich Verhandlungen" überschrieben. Das ist auch der
hätte vor 20 Jahren auch eine ganz andere Ent- Kerngedanke der amerikanischen Politik. Auch wir
wicklung bei der deutschen Jugend, was ihre Beur- sind in einer Ara der Verhandlungen. Im Gegen-
teilung der Vergangenheit angeht, angenommen. satz zu unseren Partnern im Westen liegen wir —
Auch dabei hat sich die Wirklichkeit anders heraus- wenn Sie so wollen — an der Nahtstelle der beiden
gestellt, als wir es uns damals vorgestellt haben, großen Blöcke. Bei uns ist es natürlich, daß wir Ver-
als wir glaubten, darüber werde Gras wachsen, das handlungen mit dem Westen und mit dem Osten
werde einfacher, das werde man vergessen, man pflegen.
werde nicht mehr über die Bewältigung der Ver- Ich sehe gerade meinen Kollegen Dr. Schröder
gangenheit reden müssen, die junge Generation da sitzen. Alles, was ich hier sage, ist sein Kate-
werde sich dafür nicht interesiseren. Sie interessiert chismus gewesen, als er in einer Bundesregierung
sich in höchstem Maße dafür, und zwar mit viel mit mir gemeinsam die ersten tastenden Schritte zu
größerer Schärfe im Urteil, als wir, die wir alle einer solchen Entwicklung vorgeschlagen und auch
beteiligt waren, .an Schärfe im Urteil entwickeln durchgesetzt hat. Wenn ich weiter zurückgehe, darf
können. Das ist der Grund dafür, warum dieses Be- ich sogar erklären, daß bei der Bildung der dama-
mühen heute schwerer geworden ist, als wir es uns ligen Koalitionsregierung die Aussicht auf diese
vorgestellt haben und als es vielelicht vor Jahren seine Politik ein wesentlicher Grund gewesen ist,
gewesen wäre Aber wir wollen auch mit unserer ihn uns als Außenminister sozusagen zu wünschen.
Politik einen Modus vivendi im Zusammenleben So weit reicht die Entwicklung einer solchen Politik
der beiden Teile Deutschlands finden. zurück, mit der wir aber in die richtige Richtung
gehen.
Meine Damen und Herren, wenn uns das nicht
gelingt, ist es nicht möglich, in Europa zu einer Frie- Präsident Nixon sagt in dem Zusammenhang —
densordnung zu kommen, die alle anstreben. Ich ich will nur drei Sätze vorlesen —:
habe hier schon einmal erklärt, daß die Bundes-
regierung dieses Bemühen um einen Modus vivendi Aber die Veränderungen zweier Jahrzehnte
im Zusammenleben der beiden Teile Deutschlands haben neue Verhältnisse geschaffen und die
als einen Teil ihrer umfassenden Europapolitik sieht. Risiken einer halsstarrigen Feindseligkeit ver-
Es ist in der Tat — und das ist heute mit Recht größert.
positiv aufgenommen worden — die Voraussetzung Meine Damen und Herren, wir machen unsere Poli-
für eine europäische Friedensordnung. Aber es wird tik, um aus der halsstarrigen Feindseligkeit heraus-
auch Teil einer europäischen Friedensordnung sein, zukommen, in die die Blöcke hineingeraten waren.
in der sich allein die deutsche Frage in der Zukunft
lösen lassen wird. Wir müssen von der Konfron- Präsident Nixon sagt weiter:
tation zu einer Koordination auch zwischen West- In einer sich wandelnden Welt erfordert daher
europa und Osteuropa kommen, so wie es uns im der Aufbau des Friedens eine geduldige und
Westen gelungen ist. kontinuierliche Kommunikation.
Wir werden geduldig und kontinuierlich arbeiten
Meine Damen und Herren, die Großmächte be-
mühen sich genau wie wir — sie haben es schon müssen. Das verbietet, daß wir alle drei Monate in
vor uns getan; das ist eine weltweite Entwicklung — diesem Kreise gemeinsam Ergebnisse errechnen,
um den Übergang von der Konfrontation der großen nachrechnen und saldieren. Wir müssen auch im
Mächte zu einem Minimum an Kooperation auf allen Deutschen Bundestag Vertrauen zueinander haben,
Gebieten, und zwar auch auf dem Gebiet der Sicher- auch zwischen Regierung und Opposition. Wir tun
heitspolitik. Wir haben die Gespräche zwischen den das unsere dazu.
USA und der UdSSR über Rüstungsprobleme, über Herr Dr. Barzel hat heute morgen die Information
Sicherheitsfragen, über atomare Rüstungsbereiche. durch die Regierung erwähnt und gewürdigt. Das
Wir haben gleichzeitig Gespräche zwischen den Ver- rechne ich ihm hoch an. Er hat sich darüber beklagt,
einigten Staaten von Amerika und der Volksrepu- daß in einzelnen Bereichen keine Kooperation ent-
blik China, die in Warschau wieder aufgenommen standen ist. Herr Dr. Barzel, das liegt in der Natur
worden sind. Diese Ereignisse werfen lange Schat- der Sache. Der Herr Bundeskanzler hat eben darauf
ten, nicht nur in Europa, sondern auch in Asien, wo hingewiesen, daß und warum man nicht in allen
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 33. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Februar 1970 1645
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Bereichen Kooperation mit der Opposition in Gang - Regierung Einfluß nehmen können, die ja zum
setzen kann. Das würde die Regierung fesseln, das wiederholten Male erklärt hat, daß sie an ihren
würde die Opposition fesseln. Dadurch würde die Verpflichtungen festzuhalten gedenkt. Ich beziehe
Qualität der Politik nicht verbessert werden. Es gibt mich auf das, was Helmut Schmidt gesagt hat. Sie
Bereiche, da können und wollen wir nicht koope- muß das schon deswegen tun, weil es eine politische
rieren. Unmöglichkeit ist, in dieser Situation die Ameri-
(Zuruf des Abg. Dr. Barzel.) kaner in Europa zu ersetzen. Durch wen sollten sie
Aber in der Außenpolitik, Herr Dr. Barzel, hat ersetzt werden? Etwa durch die Bundesrepublik
sich die Regierung bereiterklärt, ein Höchstmaß an Deutschland?
gemeinsamen Grundauffassungen, ein Höchstmaß (Abg. Baron von Wrangel: Warum sagen
an gemeinsamen Zielvorstellungen zu entwickeln Sie das an unsere Adresse?)
und ein Höchstmaß an Information zu versuchen.
Sie sollten sich einmal vorstellen, wie sich das poli-
Außerdem hat sie den Versuch gemacht, da, wo es
tisch auswirken könnte. Das müssen wir unseren
geht, Kooperation in Gang zu setzen. Das hat die
amerikanischen Freunden sagen und das haben wir
Opposition bisher auch gewürdigt, was ich aner-
auch getan.
kenne.
Wenn man über das Burden-sharing spricht und
Der dritte Satz, den ich hier noch verlesen möchte, darüber diskutiert, ob eine Änderung nach Qualität
ist folgender. Nixon sagt: eintreten sollte, sollte man nicht vergessen, daß dies
Wir werden mit den kommunistischen Ländern eine Frage ist, die nicht die Bundesrepublik Deutsch-
auf der Grundlage eines genauen Verständnis- land allein angeht. Dies ist eine Frage der Allianz,
ses dessen verhandeln, was sie in der Welt er- der wir angehören, zu der wir stehen, in der wir
reichen wollen, und damit auf der Basis dessen, unsere Verpflichtungen voll erfüllen wollen, in der
was wir vernünftigerweise von ihnen und sie wir dafür sorgen wollen, daß andere wichtige Part-
von uns erwarten können. ner ihre Sicherheitsverpflichtungen voll erfüllen
können. Das ist unser Interesse in dieser Allianz.
Meine Damen und Herren, darin liegt genau das, Das ist aber, wie gesagt, eine Frage des Bündnisses.
was wir, sozusagen relativierend, zu unseren eige-
Die Vereinigten Staaten als der wichtigste Bünd-
nen Bemühungen sagen müssen. Wir haben es mit
nispartner haben keinen Anlaß gegeben, daran zu
Partnern zu tun, die nicht seit 20 Jahren darauf ge-
zweifeln, daß sie ihre Verpflichtungen erfüllen. Wir
wartet haben, nunmehr die aufgespeicherten Be
haben, was den materiellen Teil angeht, eine Ab-
dürfnisse der Bundesrepublik Deutschland zu er-
machung getroffen, die noch lange Zeit gilt. Noch
füllen. Unsere Partner sind Weltmächte — zumin-
nicht einmal die Hälfte der Zeit, die dieser Vertrag
dest gilt das für die Sowjetunion —, die einen
läuft, ist verstrichen. Es wird Aufgabe der nächsten
festen politischen Willen haben, den wir kennen.
Monate sein, sich Gedanken darüber zu machen, wie
Ich brauche ihn mir aus den verschiedenen Unter-
man Schwierigkeiten, die entstanden sind, zu über-
lagen, auf die hier noch- einmal Bezug genommen
winden in der Lage ist.
worden ist, gar nicht vorlesen zu lassen. Ich kenne
den politischen Willen der Sowjetunion. Aber wir An die Adresse von Herrn Barzel will ich fol-
sind nicht ausgezogen, um uns diesem Willen unter- gendes sagen. Natürlich habe ich mir, ohne auf
zuordnen, sondern um in wohlverstandener Verfol- Ihre Anregung zu warten, die Freiheit genommen,
gung der Interessen der Bundesrepublik zu einem mit meinem Kollegen Helmut Schmidt sehr frühzei-
Ausgleich mit unseren Partnern zu kommen. tig auch über die Möglichkeiten der Sicherheits-
politik der siebziger Jahre in Europa im Zusam-
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich menhang mit unseren bilateralen Konsultationen
möchte, weil es sich hier um ein wichtiges Gebiet in Paris zu sprechen. Wir haben auch mit unseren
handelt, noch ein paar Worte zu einer Frage sagen, französischen Partnern darüber eine Zusammen-
die Dr. Barzel aufgegriffen hat, nämlich zur Mög- kunft vereinbart. Wir sehen das auch im engen Zu-
lichkeit einer Veränderung der amerikanischen Prä- sammenhang mit einer möglichen Konferenz über
senz in Europa. Herr Dr. Barzel hat sich auf Äuße- die europäische Sicherheit, der ich auch gerne diesen
rungen des Außenministers Rogers vom 8. Dezem- Titel geben möchte, einer Konferenz, die sehr viel
ber des vorigen Jahres bezogen. Es ist nicht so, wie Positives bringen kann, die aber auch Gefahren hat.
Herr Wrangel befürchtet — er hat diesen Verdacht Ich brauche nicht zu wiederholen, was ich darüber
ausgesprochen —, daß etwa das Verhalten der Bun- hier gesagt habe. Die Bundesregierung hat ihre
desregierung oder einzelner Politiker der Koali- feste Meinung. Aber wir wollen vor allem auch,
tionsparteien die Kräfte ermutigt hätte, sich aus der daß auf einer solchen Konferenz über Sicherheits-
Verantwortung zurückzuziehen, die das seit Jahren fragen gesprochen wird, über die ausgewogene
zur Grundlage ihrer Politik gemacht haben, also Minderung von Rüstung und von Truppen auf bei-
schon zu einer Zeit, in der es diese Bundesregierung den Seiten der Demarkationslinie in Europa. Wenn
und ihre Politik überhaupt noch nicht gab. Es ist wir das vorbereiten wollen, dann bedarf es der
doch offensichtlich, daß Mansfield und andere seit engsten Zusammenarbeit vor allem der europäischen
vielen Jahren mit absoluter Konsequenz auf eine Partner und hier in erster Linie der Zusammenarbeit
Veränderung der amerikanischen Politik hingewirkt zwischen Frankreich und der Bundesrepublik. Der
haben. Daran haben wir nichts ändern können. Kollege Schmidt hat dasselbe Thema auch mit
Darauf haben wir keinen Einfluß nehmen können. seinem britischen Kollegeen erörtert. Ich glaube,
Wir haben aber auf die Haltung der amerikanischen daß Sie, meine verehrten Damen und Herren, sicher
1646 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 33. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Februar 1970

Bundesminister Scheel
sein können, daß wir der Zeit nicht hinterherhinken - handlungen die Bundesregierung zu unterstüt-
werden. zen. Wir kämpfen hier für die Interessen unse-
res Landes, und die Interessen unseres Landes
Zum Abschluß möchte ich nun ein paar allge-
verlangen die Unterstützung des ganzen Hauses.
meine Worte sagen. Ich muß folgendes feststellen.
Trotz aller Kritik und trotz mancher warnender (Beifall bei den Regierungsparteien.)
Fragestellung von seiten der Opposition habe ich
nicht den Eindruck gewonnen — Herr Dr. Barzel,
Vizepräsident Dr. Jaeger: Meine Damen und
auch nach Ihren letzten Bemerkungen nicht —, daß
Herren, wird noch das Wort gewünscht? — Das ist
die heutige Opposition, wenn sie heute oder mor-
nicht der Fall. Ich schließe die Aussprache.
gen wieder, was sie ja anstrebt, die Regierungsver-
antwortung übernähme, eine wirkliche Alternative Ich schlage Ihnen vor, das Haushaltsgesetz und
zur Ostpolitik, zur Westpolitik, zur Deutschland- den Finanzplan an den Haushaltsausschuß zu über-
politik und insgesamt zu der auf Friedenssicherung weisen. — Widerspruch erfolgt nicht; es ist so be-
gerichteten Politik dieser Regierung anbieten würde. schlossen.
Sie haben von dem Ja und dem Nein gesprochen, Meine Damen und Herren, ich darf Sie bitten, noch
daß Sie zur Regierungspolitik sagen werden. Das einige wenige Minuten hier im Saale zu verbleiben.
kommt mir so vor wie der Peilstrahl, auf dem sich
ein Flugzeug bewegt, wie die Punkte auf der einen Ich rufe 'Punkt IV der Tagesordnung auf:
Seite und die Striche auf der anderen Seite, was
Zweite und dritte Beratung des von der Frak-
ich sehr wohl positiv würdige.
tion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs
.(Abg. Dr. Barzel: Wie soll es auch anders eines Gaststättengesetzes
sein! Wir sind ja beide Flieger!) — Drucksache VI/5 —
— Sie haben aus diesem Bereich Ihr Beispiel ge- Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Wirt-
nommen. schaft (8. Ausschuß)
Aber damit geben Sie zu, daß die Bundesregie- — Drucksache VI/322 —
rung auf dem rechten Wege ist. Hier möchte ich Berichterstatter: Abgeordneter Junghans
die erste Bemerkung von Ihnen von heute morgen (Erste Beratung 10. Sitzung)
aufgreifen, als Sie sagten: Wenn man sich in den
Zielen einig ist, dann heißt das noch lange nicht, Ich danke dem Berichterstatter für seinen Schrift-
daß man Wege und Methoden billigt. Das ist zwar lichen Bericht und rufe in zweiter Beratung die §§ 1
absolut richtig, aber, Herr Dr. Barzel, man kann die bis 38, Einleitung und Überschrift auf. — Das Wort
Wege und die Methoden nicht verneinen, wenn wird nichtgewünscht. Wer den aufgerufenen Bestim-
man nicht festgestellt hat, daß sie ungeeignet sind, mungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um
oder wenn man keine besseren Wege und Metho- das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. —
den anbieten kann. Das ist es, was ich heute morgen Es ist so beschlossen.
gesagt habe.
Ich komme zur
Meine sehr verehrten Damen und Herren, diese dritten Beratung
Unterhaltung zwischen den wichtigen Besprechun-
gen, die die Bundesregierung führt, zwischen Ver- und eröffne die allgemeine Aussprache. — Das Wort
handlungen, die sie beginnen will, hat sicherlich wird nicht begehrt; ich schließe die allgemeine Aus-
Sinn gehabt für Sie, für die Bundesregierung, auch sprache.
für die deutsche Öffentlichkeit. Ich möchte am
Schluß dieser Unterhaltung noch einmal sagen, daß Ich komme zur Schlußabstimmung. Wer dem Ge-
es mir darauf ankommt, die begonnene Zusammen- setzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, den
arbeit, auch wenn es nur ein Stück dieser Zusam- bitte ich, sich zu erheben. — Ich bitte um die Gegen-
menarbeit ist, weiter zu pflegen. Ich ringe in diesem probe. — Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? —
Parlament um die Mehrheit für die Außenpolitik Keine Enthaltungen. Einstimmig angenommen.
der Bundesregierung, ich ringe auch um die Stim-
Meine Damen und Herren, ich rufe die Punkte V
men, die nicht in der Regierungskoalition zusam-
mengefaßt sind, zumal ich weiß, daß in diesen bis XV auf:
wichtigen Fragen in der Opposition die Meinungen V. Erste Beratung des von der Bundesregierung
ganz unterschiedlich sind. Das ist auch ganz gut so. eingebrachten Entwurfs eines . . . Gesetzes
zur Änderung des Grundgesetzes
(Abg. Baron von Wrangel: Nein, nein, — Drucksache VI/304 —
Herr Scheel! Nicht so wie bei der FDP!
Da ist das anders!) VI. Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu
Ich möchte deswegen meine Schlußbemerkungen dem Vertrag vorn 31. Mai 1967 zwischen der
mit einem Zitat von Herrn Dr. Schröder beenden, Bundesrepublik Deutschland und der Republik
das heute morgen schon einmal von Herrn Mattick Osterreich über zoll- und paßrechtliche Fra-
genannt worden ist. Ich will nur wenige Sätze dar- gen, die sich an der deutsch-österreichischen
aus zitieren: Grenze bei Staustufen und Grenzbrücken er-
Ich möchte das Hohe Haus bitten, meine Damen geben
und Herren, in dieser Lage schwieriger Ver — Drucksache VI/305 —
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 33. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Februar 1970 1647
Vizepräsident Dr. Jaeger
VII. Erste Beratung des von der Bundesregierung XV. Erste Beratung des vom Bundesrat einge-
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem brachten Entwurfs eines Siebenten Gesetzes
Abkommen vom 23. Juli 1968 zwischen der zur Änderung des Bundesbesoldungsgesetzes
Bundesrepublik Deutschland und Malaysia — Drucksache VI/332 —
über den Luftverkehr zwischen ihren Hoheits-
gebieten und darüber hinaus Es handelt sich um von der Bundesregierung vor-
— Drucksache VI/307 — gelegte Gesetzentwürfe und um einen Gesetzent-
wurf des Bundesrates. Das Wort wird nicht ge-
VIII. Erste Beratung des von der Bundesregierung wünscht? — Die Überweisungsvorschläge des Älte-
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem stenrates ersehen Sie aus der Tagesordnung. Bei
Abkommen vom 25. November 1968 zwischen Punkt XII, Drucksache VI/312, hat zusätzlich der
der Bundesrepublik Deutschland und der Auswärtige Ausschuß um Mitberatung gebeten. Ist
Republik Kolumbien über den Luftverkehr das Haus mit den vorgeschlagenen Überweisungen
— Drucksache VI/308 — in der geänderten Fassung einverstanden? — Ich
höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
IX. Erste Beratung des von der Bundesregierung
Demnach ist überwiesen:
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu
dem Vertrag vom 4. Juli 1969 zwischen der der Gesetzentwurf auf Drucksache VI/304 an den
Bundesrepublik Deutschland und der Franzö- Rechtsausschuß — federführend —, an den Innen-
sischen Republik über den Ausbau des Rheins ausschuß — mitberatend — sowie an den Haushalts-
zwischen Kehl/Straßburg und Neuburgweier/ ausschuß gemäß § 96 der Geschäftsordnung;
Lauterburg
der Gesetzentwurf auf Drucksache VI/305 an den
— Drucksache VI/309 —
Finanzausschuß — federführend — sowie zur Mit-
beratung an den Innenausschuß;
X. Erste Beratung des von der Bundesregierung
die Gesetzentwürfe auf den Drucksachen VI/307 und
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu
VI/308 an den Ausschuß für Verkehr und für das
dem Vertrag vom 18. März 1969 zwischen der
Post- und Fernmeldewesen;
Bundesrepublik Deutschland und der Demo-
kratischen Republik Kongo über die Förde- der Gesetzentwurf für Drucksache VI/309 an den
rung und den gegenseitigen Schutz von Kapi- Ausschuß für Verkehr und für das Post- und Fern-
talanlagen meldewesen sowie an den Haushaltsausschuß ge-
— Drucksache VI/310 — mäß § 96 der Geschäftsordnung;

XI. Erste Beratung des von der Bundesregierung die Gesetzentwürfe auf den Drucksachen VI/310,
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu VI/311 und VI/312 an den Ausschuß für Wirtschaft
dem Vertrag vom 16. Mai 1969 zwischen der — federführend — sowie zur Mitberatung an den
Bundesrepublik Deutschland und der Republik Auswärtigen Ausschuß;
Gabun über die Förderung und den gegen- der Gesetzentwurf auf Drucksache VI/313 an den
seitigen Schutz von Kapitalanlagen Ausschuß für Wirtschaft;
— Drucksache VI/311 —
der Gesetzentwurf auf Drucksache VI/401 an den
XII. Erste Beratung des von der Bundesregierung Rechtsausschuß — federführend — sowie zur Mit-
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu beratung an den Auswärtigen Ausschuß, den Aus-
dem Vertrag vom 8. November 1968 zwischen schuß für Wirtschaft, den Ausschuß für wirtschaft-
der Bundesrepublik Deutschland und der liche Zusammenarbeit und den Ausschuß für Bil-
Republik Indonesien über die Förderung und dung und Wissenschaft;
den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen
— Drucksache VI/312 — der Gesetzentwurf auf Drucksache VI/332 an den
Innenausschuß — federführend —, den Rechtsaus-
XIII. Erste Beratung des von der Bundesregierung schuß — mitberatend — sowie an den Haushalts-
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu der ausschuß zur Mitberatung und gemäß § 96 der Ge-
Langfristigen Vereinbarung vom 9. Februar schäftsordnung.
1962 über den internationalen Handel mit
Baumwolltextilien im Rahmen des Allgemei- Ich rufe Punkt XVI der Tagesordnung auf:
nen Zoll- und Handelsabkommens (GATT) XVI. Beratung der Übersicht 2 des Rechtsauschusses
und des Protokolls vom 1. Mai 1967 zur Ver- (5. Ausschuß) über die dem Deutschen Bun-
längerung der Vereinbarung über den inter- destag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bun-
nationalen Handel mit Baumwolltextilien desverfassungsgericht
— Drucksache VI/313 — — Drucksache VI/283 —
XIV. Erste Beratung des von der Bundesregierung Das Haus verzichtet im Hinblick auf die fortge-
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über schrittene Zeit auf einen mündlichen Bericht. — Das
die am 14. Juli 1967 in Stockholm unterzeich- Wort wird nicht gewünscht.
neten Übereinkünfte auf dem Gebiet des gei-
stigen Eigentums Meine Damen und Herren, wer ,dem Antrag des
— Drucksache VI/401 — Ausschusses zuzustimmen wünscht, den bitte ich
1648 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 33. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Februar 1970

Vizepräsident Dr. Jaeger


um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegen- XX. Beratung des Schriftlichen Berichts des Aus-
probe. — Es ist so beschlossen. schusses für Verkehr und für das Post- und
Fernmeldewesen (13. Ausschuß) über den von
Ich rufe die Punkte XVII bis XX auf: der Bundesregierung zur Unterrichtung vor-
gelegten Vorschlag der Kommission. der Euro-
XVII. Beratung des Schriftlichen Berichts ides Aus- päischen Gemeinschaften für eine Verordnung
schusses für Verkehr und für das Post- und
des Rates über die Festsetzung der allge-
Fernmeldewesen (13. Ausschuß) über den
meinen Anwendungsbedingungen für die in
von .der Bundesregierung zur Unterrichtung
der Verordnung (EWG) Nr. 1174/68 des Rates
vorgelegten Vorschlag der Kommission der
vom 30. Juli 1968 über die Einführung eines
Europäischen Gemeinschaften für eine Ver-
Margentarifsystems im Güterkraftverkehr
ordnung des Rates über die Einführung ge- zwischen den Mitgliedstaaten vorgesehenen
meinsamer Regeln für den Linienverkehr und
Tarife
die Sonderformen des Linienverkehrs mit
— Drucksachen VI/4554, VI/373 —
Kraftomnibussen
— Drucksachen V/4676, VI/320 — Berichterstatter: Abgeordneter Haar (Stutt-
gart)
Berichterstatter: Abgeordneter Ollesch
Es handelt sich um Berichte der Ausschüsse zu
XVIII. Beratung des Schriftlichen Berichts des Aus- Vorschlägen der Kommission der EWG. Die Aus-
schusses für Wirtschaft (8. Ausschuß) über
schüsse empfehlen Kenntnisnahme der Vorschläge
den von der Bundesregierung zur Unterrich-
und darüber hinaus die Annahme von Entschließun-
tung vorgelegten Vorschlag der Kommission gen. Ich danke den Herren Berichterstattern für ihre
der Europäischen Gemeinschaften für. eine
Schriftlichen Berichte.
Richtlinie des Rates über .die Einführung einer
gemeinsamen Police für mittel- und lang- Das Wort wird nicht gewünscht? — Ist das Haus
fristige Geschäfte mit öffentlichen Käufern damit einverstanden, daß wir der Einfachheit halber
— Drucksachen VI/61, VI/321 — gemeinsam abstimmen? — Ich höre keinen Wider-
spruch.
Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Frerichs
Ich komme zur Abstimmung über , die Ausschuß-
XIX. Beratung des Schriftlichen Berichts des Aus- anträge auf den Drucksachen VI/320, VI/321, VI/325
schusses für Wirtschaft (8. Ausschuß) über und VI/373. Wer zustimmen will, der gebe ein Hand-
die von der Bundesregierung zur Unterrich- zeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Es ist
tung vorgelegten Vorschläge der EG-Kom- so beschlossen.
mission für eine Meine Damen und Herren, ,ich berufe die nächste
Verordnung des Rates zur Einführung eines Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen,
gemeinsamen Verfahrens für die Verwaltung Donnerstag, den 26. Februar 1970, 9 Uhr, ein, und
mengenmäßiger Kontingente zwar mit folgender Tagesordnung:
Verordnung des Rates über die Anwendung 1. Punkt XXI der Tagesordnung. Das sind die
der Verordnung (EWG) Nr.... über die Ein- Wahleinsprüche.
führung eines gemeinsamen Verfahrens für 2. Punkt XXIII der Tagesordnung. Das ist die
die Verwaltung mengenmäßiger Kontingente zweite und dritte Beratung ides Zehnten Straf-
auf die französischen überseeischen Departe- rechtsänderungsgesetzes.
ments
3., 4. und 5. d i e Punkte XXV, XXVI und XXVII
Verordnung des Rates zur Schaffung einer ge- der Tagesordnung, die alle di e Landwirtschaft be-
meinsamen Regelung für die Einfuhren aus treffen.
anderen als Staatshandelsländern
Unabhängig davon, wie lange die Sitzung dauert,
Verordnung des Rates über die Anwendung findet um 14 Uhr eine Fragestunde statt. Der Nach-
der Verordnung (EWG) Nr.... zur Schaffung mittag ist für die Ausschüsse freigegeben.
einer gemeinsamen Regelung für die Ein- Am Freitag werden nur noch die Beamtenbesol-
fuhren aus anderen als Staatshandelsländern
dung und die Amnestie behandelt, außerdem findet
auf die französischen überseeischen Departe- eine Fragestunde statt.
ments
— Drucksachen VI/48, VI/89, VI/325 — Die Sitzung ist ,geschlossen.
Berichterstatter: Abgeordneter Lange (Schluß der Sitzung: 20.35 Uhr.)

Berichtigung
Es ist zu lesen:
32. Sitzung, Seite 1488 B, Zeile 7 statt „SPD": „SED"
Deutscher Bundestag - 6. Wahlperiode - 33. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Februar 1970 1649

-
Anlagen zum Stenographischen Bericht

Anlage 1 Bundestages zu entnehmen brauchen, sondern sie


Liste der beurlaubten Abgeordneten auch stets und ständig bei den Verhandlungen von
den Vertretern der Bundesregierung zu hören be-
Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich kommen.
Berlin gehört sowohl nach seiner Verfassung als
Beurlaubungen auch nach dem Grundgesetz zur Bundesrepublik.
Dr. Achenbach * 26. 2. Kraft höheren Besatzungsrechts haben die West
Dr. Arndt (Berlin) 25. 2. Alliierten dabei lediglich den Vorbehalt gemacht,
Dr. Artzinger * 25. 2. daß dieser Teil der Bundesrepublik vom Bund nicht
Dr. Bayerl 28. 2. regiert werden darf. Wir alle wissen, daß die Bun-
Behrendt * 26. 2. desrepublik sich an den Vorbehalt der Besatzungs-
Berlin 31. 3. mächte stets gehalten hat. Die Folge ist u. a. ein
Biechele 28. 2. besonderes gesetzgeberisches Verfahren zur Über-
Bittelmann 25. 2. nahme westdeutscher Gesetze in Berlin.
Burgemeister 31. 3.
Dr. Dittrich* 27. 2. Diese Rechtstatsachen gehören zu den Realitäten,
Faller * 25. 2. auf die sich die Regierung der DDR oft und gern
Frehsee 28. 2. beruft. Sie täte gut daran, sie endlich anzuerkennen.
Dr. Furler * 25. 2. Das sollte ihr um so leichter fallen, als ihre frühere
Geldner 6. 3. Haltung in bezug tauf alle Punkte, die die Zuständig-
Gerlach * 25. 5. keit Berlins zum Bund betreffen, durchaus anders
von Hassel 28. 2. war als ihre heutige. Lassen Sie mich nur einige
Hauck 28.2. Punkte aufgreifen:
Dr. Hein 26. 2. 1. Noch 1957 hat die DDR-Volkskammer den
Jacobi (Köln/Iserlohn) 28. 2. Besuch des Bundestages in West-Berlin begrüßt und
Dr. Jahn (Braunschweig) * 26. 2. dabei die Hoffnung geäußert, die damalige Dele-
Dr. Koch* 25. 2. gation des Bundestages würde die Gelegenheit be-
Kriedemann* 25. 2. nutzen, sich in ganz Berlin umzuschauen. Was da-
Lücke (Bensberg) 28. 2. mals also auch nach Ansicht der DDR zulässig war,
Lücker (München) * 27. 2. kann heute nicht falsch sein. Es ist nicht einzusehen,
Müller (Aachen-Land) * 27. 2. warum die Regierung der DDR heute ablehnt, was
Frau Dr. Orth * 25. 2. sie ,damals begrüßt hat, es sei denn, wir wollen
Ott 27. 2. unterstellen, daß die Machthaber in Ost-Berlin einer
Dr. Pohle 28. 2. von Adenauer geführten CDU-Alleinregierung mehr
Dr. Schober 25. 2. konzedieren wollten als der sozial-liberalen Bundes-
Schröder (Sellstedt) 6. 3. regierung von heute. Soweit dürfte die Abneigung
Schwabe * 25. 2. selbst eingefleischter Kommunisten wohl kaum
Dr. Schwörer * 25. 2. gehen.
Dr. Siemer 27. 2.
Wurbs 27. 2. 2. Noch Ende der 50er Jahre hat die DDR-Regie-
rung vom Bundesministerium des Innern ausgege-
bene, in Berlin ausgefertigte Reisepässe von West-
berlinern anerkannt. Ihre Grenzorgane haben da-
Anlage 2 mals nie gezögert, ihre Stempel in diese Reisepässe
Schriftliche Erklärung zu drücken. Erst später ist den Behörden in Ost-
Berlin eingefallen, in der Ausgabe von Bundes-
des Abgeordneten Borm (FDP) zu Punkt III der pässen an Berliner eine Provokation zu sehen. Mit
Tagesordnung: Folgerichtigkeit hat diese Einstellung allerdings
nichts zu tun.
Die Sowjetunion und die Regierung der DDR wer-
den nicht müde, uns ihre Auffassung bezüglich der 3. Auch im internationalen Verkehr wurde die
Rechtslage Berlins vorzutragen. Sie gipfelt in der Zuständigkeit Berlins zum Bund nicht immer be-
Forderung, West-Berlin sei eine selbständige Ein- stritten. In die ersten Verträge mit osteuropäischen
heit und gehöre daher nicht zur Bundesrepublik. Staaten wurde Berlin durchaus miteinbezogen. Auch
Wir dürfen dagegen genauso wenig müde wer- das ist ein Faktum, das wir nicht vergessen und das
den, unsere - besseren - Argumente entgegen- auch unsere Gesprächspartner im Osten nachträg-
zusetzen. Lassen Sie mich nochmals zusammen- lich nicht ungeschehen machen können.
fassen, wobei ich davon ausgehe, daß sowohl die Damit kein Mißverständnis entsteht: Wir Freien
Regierung in Ost-Berlin als auch die in Moskau Demokraten sind 'keine großen Freunde von spek-
diese Argumente nicht nur aus den Protokollen des takulären Demonstrationen des Bundes in Berlin.
Wir sind allerdings nicht bereit, daraus einen Ver-
* Für die Teilnahme an Ausschußsitzungen des Euro- zicht auf unbestreitbare rechtliche und tatsächliche
päischen Parlaments Positionen, die früher auch im Osten anerkannt wur-
1650 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 33. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Februar 1970

den, herleiten zu lassen. Die Westberliner können fahren unterzogen haben, und darüber hinaus ein
im Gegensatz zu den Ostberlinern ihren Willen frei Anreiz dafür, sich über unsere Rechtsvorschriften
artikulieren. Sie haben bei allen Wahlen der Ver- hinwegzusetzen.
gangenheit nie einen Zweifel daran gelassen, daß
sie sich dem Bund zugehörig fühlen und sich der
Bedeutung des Bundes für ihr Schicksal voll bewußt
sind. Unsere Gesprächspartner in Moskau und die Anlage 4
in Ost-BerlinPartnezuküfigVhdlne Schriftliche Antwort
werden auf ein um so freundlicheres Klima von
unserer Seite treffen, je weniger sie derartige
des Parlamentarischen Staatssekretärs Dr. Reischl
Realitäten in Frage stellen. Wir erwarten von ihnen
vom 20. Februar 1970 auf die Mündlichen Fragen
keine spektakulären Gesten. Auch sie sollen die
des Abgeordneten Picard (Drucksache VI/381 Fra-
Möglichkeit haben, ihr Gesicht zu wahren. Wir müs-
gen A 77 und 78):
sen allerdings darauf bestehen, daß die kleinlichen
Inwieweit hat die Anwendung der Mehrwertsteuer zu : Ergeb-
Schikanen, denen insbesondere die Teilnehmer im nissen geführt, die den bei ihrer Einführung von Parlament und
Berlin-Verkehr — einfache Menschen, Busfahrer, Regierung geäußerten Erwartungen und Vorstellungen nicht ent-
sprechen?
Reisende, kaum Politiker — ausgesetzt sind, in Zu-
Ist die Bundesregierung bereit, bei einer gegebenenfalls not-
kunft unterbleiben. Mit Recht haben wir Freien De- wendig werdenden Reform den Kraftfahrzeughandel aus der
mokraten in unserem Entwurf eines Vertrages zwi- Mehrwertsteuer herauszunehmen?

schen Bundesrepublik und DDR vom Januar 1969 der Die Anwendung der Mehrwertsteuer seit über
Berlin-Frage breiten Raumgewidmet. Das Problem zwei Jahren hat gezeigt, daß die Erwartungen, die
der Zufahrtswege und ihre Sicherung ist nach wie man mit der Umsatzsteuerreform verbunden hatte,
vor besonders aktuell. Wir sind nicht so illusionär erfüllt worden sind. Auch das Aufkommen hat sich
zu erwarten, , daß der Bundeskanzler gleich in seiner trotz der mit einer solchen Systemumstellung not-
ersten oder zweiten Beratung mit Herrn Stoph hier wendig verbundenen großen Schätzungsrisiken
Erfolge zu verzeichnen haben wird. Dieses Pro- unter Berücksichtigung der konjunkturellen Lage er-
blem muß aber ganz besonders in der Diskussion ge- wartungsgemäß entwickelt, wenn man einmal von
halten werden. Berlin darf nicht übrigbleiben. den bekannten Problemen der Selbstverbrauch-
Friedenssicherung und Gewaltverzicht sind wich- steuer absieht. In steuertechnischer Hinsicht waren
tig und werden in ihrer Bedeutung von uns nicht Wirtschaft und Verwaltung durch die Systemumstel-
verkannt. Für den Mann auf der Straße in Berlin lung zwar vor besondere Anforderungen gestellt.
ist allerdings genauso wichtig, ob er auch in Zu- Das war wegen der tiefgreifenden Auswirkungen
kunft sinnlosen Schikanen auf den Zufahrtwegen des Reformwerks aber unvermeidbar und wurde
nach Berlin ausgesetzt bleiben soll. auch von Anfang an gesehen. Selbstverständlich
läßt sich das Gesetz noch in einigen Punkten verbes-
sern. Das wird nach Auswertung der inzwischen ge-
wonnenen Erfahrungen in einem Änderungsgesetz
geschehen, das nach den gegenwärtigen Planungen
Anlage 3 dem Hohen Hause im Laufe dieses Jahres vorgelegt
Schriftliche Antwort werden soll.
Ich kann hierauf nur mit „nein" antworten. Der
des Parlamentarischen Staatssekretärs Dorn vom Bundesregierung ist auch nicht bekannt, daß von
23. Februar 1970 auf die Mündliche Frage des Ab- irgendeiner Seite aus angestrebt wird, den gesam-
geordneten Koenig (Drucksache VI/381 Frage A 36) : ten Kraftfahrzeughandel von der Mehrwertsteuer
freizustellen.
Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß die Handhabung
des Tatbestandes der „illegalen Einreise" zu unnotigen Härten
geführt hat, wenn z. B. Ausländer zur Rückreise in ihre Heimat-
länder gezwungen werden, obwohl sie alle Voraussetzungen für
einen legalen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland er-
füllen und ist sie bereit, auf die Konferenz der Innenminister
der Länder einzuwirken, den Auslandsämtern nach Prüfung des Anlage 5
Einzelfalles einen größeren Ermessensspielraum zu geben?
Schriftliche Antwort
Es besteht ein nachdrückliches Interesse daran,
daß arbeitsuchende Ausländer in die Bundesrepu- des Parlamentarischen Staatssekretärs Dr. Reischl
blik nur auf einem der beiden dafür gesetzlich vor- vom 20. Februar 1970 auf die Mündliche Frage des
gesehenen Wege einreisen: entweder durch Ver- Abgeordneten Memmel (Drucksache VI/381 Frage
mittlung einer deutschen Anwerbekommission oder A 79):
mit einem Sichtvermerk einer deutschen Auslands- Beabsichtigt die Bundesregierung, noch in diesem Jahr dem
Deutschen Bundestag die Vereinbarung der Mitgliedstaaten der
vertretung. Nur so kann verhindert werden, daß Europäischen Gemeinschaften über eine neue Finanzverfassung
mehr Arbeitsuchende hereinkommen, als unser der Gemeinschaften zur Ratifizierung vorzulegen, auch wenn die
damit verbundene Erweiterung der Befugnisse des Europäischen
Arbeitsmarkt übernehmen kann, oder daß anstek- Parlaments in der vorgesehenen Art in Wegfall kommen sollte?
kend Erkrankte oder Kriminelle in unser Land
Mit Recht gehen Sie davon aus, daß die Schaffung
einreisen.
einer neuen Finanzverfassung der Europäischen Ge-
Nachsicht gegenüber einer Umgehung dieser meinschaften, d. h. die Ersetzung der Finanzbeiträge
Schutzbestimmungen wäre eine Unbilligkeit denen der Mitgliedstaaten durch eigene Einnahmen in
gegenüber, die sich dem ordnungsgemäßen Ver- engem Zusammenhang steht mit der Erweiterung
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 33. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Februar 1970 1651

der Haushaltsbefugnisse des Europäischen Parla- - Sieht die Bundesregierung eine Möglichkeit der Verbesserung
des Krankenversicherungsschutzes der in Frage 11 genannten
ments. Die Bundesregierung hat diesen Zusammen- Bevölkerungsgruppe durch Einführung einer Pflichtversicherung
unter Eingliederung in die bestehende Unfallversicherung und
hang stets gesehen und sich immer für eine weit- Alterskasse?
gehende Stärkung der Rechte des Europäischen Par-
laments ausgesprochen. Der Bundesregierung ist bekannt, daß viele selb-
ständige Landwirte und ihre Familien sowie Alten-
Der Rat der Europäischen Gemeinschaften hat auf teiler gegen das finanzielle Risiko der Krankheit
seiner Tagung am 5./6. Februar 1970 in allseitigem nicht ausreichend geschützt sind. Sie hält eine ge-
Einvernehmen eine Lösung erarbeitet, die dem
setzliche Regelung der Krankenversicherung für
Europäischen Parlament innerhalb eines bestimm- selbständige Landwirte, Familienangehörige und
ten Rahmens das „letzte Wort" im Haushaltsverfah-
Altenteiler für erforderlich.
ren zuweist und insoweit eine bereits im Dezem-
ber 1969 beschlossene Regelung, gegen die ein Mit- Der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung
gliedstaat einen Vorbehalt eingelegt hatte, bestä- hat im Einvernehmen mit dem Bundesminister für
tigt. Ihre Frage ist daher durch die Entwicklung Ernährung, Landwirtschaft und Forsten einen Ar-
gegenstandslos geworden. beitskreis von Sachverständigen gebildet, der prüft,
in welcher Weise die Krankenversicherung für den
genannten Personenkreis gesetzlich geregelt wer-
den kann.
Anlage 6
Schriftliche Antwort

des Parlamentarischen Staatssekretärs Rohde vom


25. Februar 1970 auf die Mündliche Frage des Ab Anlage 8
geordneten Pieroth (Drucksache VI/415 Frage A 10) : Schriftliche Antwort
Ist die Bundesregierung bereit, eine Untersuchung über die
Bildung und Verteilung des Vermögens in der deutschen Be-
völkerung — ähnlich wie die frühere „Konzentrations-Enquete" — des Parlamentarischen Staatssekretärs Rohde vom
durchführen zu lassen, damit die vielfältigen Überlegungen, die
gegenwärtig zur Förderung der Vermögensbildung angestellt
25. Februar 1970 auf die Mündliche Frage des Ab-
werden, eine zuverlässige Grundlage bekommen? geordneten Peters (Poppenbüll) (Drucksache VI/13
Frage A 13) :
Der Bundeskanzler kündigte in seiner Regierungs-
Wie kann nach Ansicht der Bundesregierung sichergestellt
erklärung einen Vermögensbildungsbericht an, den werden, daß der ansteigende Bedarf der landwirtschaftlichen Be-
die Bundesregierung in diesem Jahr dem Bundestag triebe an fachlich qualifizierten, vor allem technisch ausgebilde-
ten Arbeitnehmern auch in Zukunft ohne Schwierigkeiten zu
vorlegen will. Er soll u. a. einen Überblick über die decken ist?
Entwicklung der Vermögensverhältnisse aufgrund
des dann zur Verfügung stehenden Datenmaterials Im Zuge des Strukturwandels in der Landwirt-
enthalten. Gegenwärtig werden dafür alle zugäng- schaft ist an die Stelle des landwirtschaftlichen Ar-
lichen statistischen Informationen zusammengetra- beiters früherer Jahre vielfach die landwirtschaft-
gen und ausgewertet. Im Zusammenhang mit den liche Fachkraft mit vielseitigen Kenntnissen getre-
Arbeiten an diesem Vermögensbericht wird z. Z. ten, der auch die Bedienung und Pflege wertvoller
geprüft, auf welche Weise noch bestehende Informa- Maschinen und sonstiger Einrichtungen obliegt. Um
tionslücken geschlossen werden können. den Bedarf an derartigen Fachkräften besser decken
zu können, hat die Bundesanstalt für Arbeit den be-
Was die von Ihnen erfragte Enquête angeht, so reits bestehenden Fachvermittlungsstellen für Mel-
bestehen dagegen grundsätzlich keine Bedenken. ker und Tierpfleger auch die Vermittlung anderer
Allerdings muß ich darauf hinweisen, daß die Durch- landwirtschaftlicher Fachkräfte übertragen. Diese
führung einer Entquête erfahrungsgemäß viel Zeit überbezirklich tätigen Fachvermittlungsstellen be-
erfordert. Mit den Ergebnissen der Vermögensbil- stehen in Hannover, Hamm, Krefeld, Friedberg, Hei-
dungsenquête wäre vermutlich erst nach Jahren zu delberg, Würzburg und München. Von ihnen wur-
rechnen. Da die Bundesregierung jedoch der Ver- den 1968 4175 und 1969 4252 landwirtschaftliche
mögenspolitik eine große Dringlichkeit beimißt, Fachkräfte vermittelt. Die Bundesanstalt für Arbeit
wird sie von sich aus alle geeigneten Schritte unter- wird .die Organisation, dieser besonderen Fachver-
nehmen, die möglichst rasch zur Verbesserung der mittlungssparte für die Landwirtschaft ständig der
Information über die Bildung und Verteilung des Entwicklung anpassen.
Vermögens beitragen.
Bei der Anwerbung von qualifizierten Kräften
dürfte die Landwirtschaft vor den gleichen Schwie-
Anlage 7 rigkeiten stehen, wie andere Wirtschaftszweige. Um
das Angebot .an qualifizierten Kräften zu erhöhen,
Schriftliche Antwort ermöglicht die Bundesanstalt für Arbeit geeigneten
und bildungswilligen Arbeitnehmern die beruf-
des Parlamentarischen Staatssekretärs Rohde vom liche Fortbildung und Umschulung. Die Landwirt-
25. Februar 1970 auf die Mündlichen Fragen des schaft ist in vollem Umfang in die beruflichen Bil-
Abgeordneten Dr. Eyrich Drucksache VI/415 Fragen dungsmaßnahmen und die Maßnahmen zur Förde-
A 11 und 12) : rung der Arbeitsaufnahme einbezogen.
Ist der Bundesregierung bekannt, daß in mittleren und kleine-
ren landwirtschaftlichen Betrieben ein ausreichender Kranken- Durch eine intensive Zusammenarbeit der Land-
versicherungsschutz für die bäuerliche Familie und die Alten-
teiler weitgehend nicht besteht? wirtschaftsverbände mit der Bundesanstalt für Ar-
1652 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 33. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Februar 1970

beit und deren Fachvermittlungsstellen sollen Studiums an einer Pädagogischen Hochschule, gefördert durch
das Arbeitsamt, oder Einstellung als Aushilfslehrkraft nach
Schwierigkeiten hinsichtlich des Bedarfs an qualifi- einem vom Arbeitsamt geförderten Umschulungslehrgang — mit
der Konsequenz einer unterschiedlichen finanziellen Förderung
zierten Arbeitskräften soweit wie möglich vermie- und der Minderung des sozialen Besitzstandes für die zweitge-
den werden. nannte Umschülergruppe?
Was gedenkt die Bundesregierung zusammen mit den zustän-
digen Landesregierungen zu tun, um eine Gleichbehandlung
beider Umschülergruppen zu bewirken, insbesondere hinsicht-
lich des Ausgleichs für die als Aushilfslehrkräfte eingestellten
ehemaligen Bergbaubeschäftigten während ihres Studiums an der
Anlage 9 Pädagogischen Hochschule?

Schriftliche Antwort Sie haben, Herr Kollege, einen sehr speziellen


Sonderfall angeschnitten, der durch besondere Vor-
des Parlamentarischen Staatssekretärs Rohde vom schriften für eine Übergangsregelung noch kompli-
25. Februar 1970 auf die Mündlichen Fragen des zierter wurde. Die sehr technische Antwort läßt sich
Abgeordneten Westphal (Drucksache VI/415 Fragen nur schwer im Rahmen der Fragestunde geben.
A 19 und Ich bitte um die Erlaubnis, Ihnen die Antwort
Trifft es zu, daß bei der Umschulung ehemaliger Bergbau- schriftlich zu geben, zumal ich auch noch in den
beschäftigter zu Volksschullehrern zwei unterschiedliche Ver-
fahren Anwendung finden — entweder sofortige Aufnahme eines Ländern Rückfrage halten will.

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