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D eutscher Bundestag

63. Sitzung

Bonn, den 8. März 1963

Inhalt:

Glückwünsche zum Geburtstag des Abg. Fragen des Abg. Vogt:


Dr. Weber (Koblenz) 2901 A Veröffentlichung von Urteilen des Bun-
desfinanzhofs
Fragestunde (Drucksache IV/1019)
Grund, Staatssekretär . . . 2905 B, C, D
Frage des Abg. Dr. Mommer: Vogt (CDU/CSU) 2905 C, D
Unleserliche Stempelabdrucke auf Post-
sendungen 2901 B Frage des Abg. Vogt:
Wirkung des Urteils des Bundes-
Frage des Abg. Hammersen: finanzhofs vom 6. März 1953
Waffengesetz Grund, Staatssekretär . . 2905 D, 2906 B
Dr. Dr. h. c. Erhard, Bundesminister 2901 D, Vogt (CDU/CSU) . . . . . . . 2906 B
2902 A
Hammersen (FDP) . . . . . . . 2902 A Fragen des Abg. Dr. Wuermeling:
Wirtschaftliche Benachteiligung der
Frage des Abg. Jahn: Familien mit Kindern . . . . . . 2906 B
Angebliche Entführung des französi-
schen Staatsangehörigen Argoud aus Frage der Abg. Frau Schanzenbach:
München
Ausbildungsbeihilfen für soziale und
Dr. Bucher, Bundesminister . . . . 2902 B, pflegerische Berufe
2903 A, B, C, 2904 A, B
Blank, Bundesminister . 2906 D, 2907 B
Jahn (SPD) 2902 D, 2903 A
Frau Schanzenbach (SPD) . . . . 2907 A
Dr. Schmid (Frankfurt) (SPD) . . . 2903 A,
2904 A Frage der Abg. Frau Schanzenbach:
Ritzel (SPD) 2903 B Ausbildungsbeihilfen für entlassene
Dr. Mommer (SPD) 2903 C, D Schülerinnen der Volksschule
Wittrock (SPD) 2903 D Blank, Bundesminister . . . . 2907 B, C
Ertl (FDP) 2904 A Frau Schanzenbach (SPD) . . . . 2907 C

Frage des Abg. Dr. Czaja: Frage des Abg. Fritsch:


Beschleunigung der Abwicklung des Auflösung von Melde- und Zahlstellen
Lastenausgleichs für Arbeitslose im Bayerischen Wald
Grund, Staatssekretär . 2904 C, D, 2905 A Blank, Bundesminister 2907 D, 2908 A
Dr. Czaja (CDU/CSU) . . 2904 D, 2905 A Fritsch (SPD) . . . . . 2907 D, 2908 A
II Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 63. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. März 1963

Frage des Abg. Dr. Rinderspacher: Frage des Abg. Schmidt (Kempten) :
Erfahrungen mit Maschendrahtzäunen Behebung der Frostschäden
in den USA Dr. Seiermann, Staatssekretär . . . 2912 C,
Dr. Seiermann, Staatssekretär . . . 2908 B 2913 A
Schmidt (Kempten) (FDP) . . . . 2913 A
Frage des Abg. Oetzel:
Bedingungen für Zulassung von Öl- Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Ver-
transportwagen . . . . . . . . 2908 D längerung der Geltungsdauer des Ge-
setzes über die Sicherstellung von
Leistungen auf dem Gebiet der gewerb-
Frage des Abg. Stingl: lichen Wirtschaft (CDU/CSU, FDP) (Druck-
Erhöhung der Flugpreise von und nach sache IV/979) — Zweite und dritte Be-
Berlin ratung — 2913 A
Dr. Seiermann, Staatssekretär . . . 2908 D,
2909 C, D Entwurf eines Gesetzes über die Hand-
werkszählung 1963 (Handwerkszählungs-
Frau Dr. Maxsein (CDU/CSU) . . . 2909 C gesetz 1963) (Drucksache IV/876) ; Schrift-
Stingl (CDU/CSU) 2909 C, D licher Bericht des Wirtschaftsausschusses
(Drucksache IV/988) — Zweite und dritte
Beratung — 2913 B
Frage des Abg. Kubitza:
Autobahnstrecken Würzburg — Schwein- Entwurf eines Gesetzes zur Änderung von
furth und Schweinfurth —Brückenau Fristen des Gesetzes über den Abbau der
Dr. Seiermann, Staatssekretär . . . 2909 D, Wohnungszwangswirtschaft und über ein
2910A soziales Miet- und Wohnrecht (SPD)
(Drucksache IV/900) — Erste Beratung —;
Kubitza (FDP) . . . . . . . . 2910 A in Verbindung mit dem

Frage des Abg. Dr. Mommer: Entwurf eines Gesetzes über Wohnbeihilfen
Verzeichnisse über Ankunft und Ab- (CDU/CSU, FDP) (Drucksache IV/971) —
fahrt von Zügen Erste Beratung —
Dr. Seiermann, Staatssekretär . . . 2910.A Jacobi (Köln) (SPD) 2913 D
Dr. Hesberg (CDU/CSU) 2918 A
Frage des Abg. Wittrock: Lücke, Bundesminister 2921 A
Halteverbot an Feuerlöschhydranten Hammersen (FDP) 2923 A
Dr. Seiermann, Staatssekretär . . 2910 B, C, Frau Berger-Heise (SPD) 2923 C
2911 A Dr. Czaja (CDU/CSU) 2925 B
Wittrock (SPD) . . . . 2910C, 2911 A
Große Anfrage betr. Neuordnung der
Frage des Abg. Dr. Mommer: Kriegsopferversorgung (SPD) (Druck-
sache IV/882)
Züge mit Dampflokomotiven wegen
Strommangels Riegel (Göppingen) (SPD) . . . . 2928 D
Dr. Seiermann, Staatssekretär . . 2911 A, C Blank, Bundesminister . 2931 B, 2945 D,
2949 B
Dr. Mommer (SPD) . . . . . . . 2911 C
Stingl (CDU/CSU) . . . . . . . 2932 A
Fritsch (SPD) . . . . . .. . . 2935 A
Frage des Abg. Dr. Mommer:
Dr. Rutschke (FDP) . . . . . . . 2938 D
Zugverspätungen im Dezember 1962
Maucher (CDU/CSU) . . . . . . 2942 B
Dr. Seiermann, Staatssekretär . . . 2911 D
Frau Schanzenbach (SPD) . . . . 2943 A
Dr. Dahlgrün, Bundesminister . . . 2946 B
Frage des Abg. Liehr:
Reichmann (FDP) . . . . . . . 2947 B
Tariferhöhung im Flugverkehr von und
nach Berlin Bazille (SPD) . . . . . . . . ..2947 D
Dr. Seiermann, Staatssekretär . 2912 A, B, C Dorn (FDP) 2949 C
Liehr (SPD) 2912 B Josten (CDU/CSU) . . . . . . 2950 B
Börner (SPD) . . . . . . . . 2912 C Höhmann (Hessisch-Lichtenau) (SPD) 2950 D
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Entwurf eines Gesetzes zur Änderung Mündlicher Bericht des Immunitätsaus-


des Mineralölsteuergesetzes (Drucksache schusses betr. Genehmigung zur Durch-
IV/1021) — Erste Beratung — führung eines Strafverfahrens gegen den
Dr. Mommer (SPD) 2952 A Abg. Dr. Dörinkel (Drucksache IV/976)
Dr. h. c. Güde (CDU/CSU) . . . . 2953 C
Entwurf eines Gesetzes zu dem. Abkom-
men vom 30. April 1962 mit der Republik Ubersicht 10 des Rechtsausschusses über
Peru über den Luftverkehr (Drucksache Streitsachen vor dem Bundesverfassungs-
IV/973) — Erste Beratung — 2952 B gericht (Drucksache IV/994) 2953 D

Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Ä n- Entschließungen der 51. Jahreskonferenz


derung des Kriegsgefangenenentschädi- der Interparlamentarischen Union (Druck-
gungsgesetzes (3. ÄndG KgfEG) (Druck- sache IV/880) 2953 D
sache IV/997) — Erste Beratung — . . . 2952 B
Einundfünfzigste Verordnung zur Änderung
des Deutschen Zolltarifs 1962 (Zollaus-
Entwurf eines Gesetzes über die Gewäh-
setzungen 1963 — II. Teil) (Drucksache
rung von Darlehen zur Ablösung von
Schweizerfranken-Grundschulden IV/987) 2953 D
(Abg.
Frau Pitz-Savelsberg, Dr. Hesberg, Dr.
Kopf, Stiller u. Gen.) (Drucksache IV/953) Antrag betr. Anrufung des Vermittlungs-
— Erste Beratung — 2952 C ausschusses (Abg. Dr. Siemer, Wittmer-
Eigenbrodt, Bading, Müller [Worms],
Logemann u. Gen.) (Drucksache IV/951)
Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des
Kraftfahrzeugsteuergesetzes (CDU/CSU, Dr. Siemer (CDU/CSU) 2954 A
FDP) (Drucksache IV/902 [neu]) — Erste
Beratung — 2952 C Antwort des Bundesministers des Innern
betr. Einführung der Fünf-Tage-Woche
in der Bundesverwaltung (Drucksachen
Entwurf eines Gesetzes zur Änderung
IV/913, IV/1026) 2954 B
des Gewerbesteuergesetzes (Drucksache
IV/923) — Erste Beratung — 2952 D
Verordnung zur Änderung der Verordnung
über die Verringerung von Abschöp-
Mündlicher Bericht des Ausschusses für In- fungssätzen bei der Einfuhr von Ei-
neres über den Antrag der Fraktion der produkten (Drucksache IV/1017) . . . 2954 C
SPD betr. Abschlußgesetz zur Gesetz-
gebung nach Artikel 131 GG (Druck-
sachen IV/800, IV/969) 2952 D Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des
Einkommensteuergesetzes (FDP, CDU/
CSU) (Drucksache IV/974) 2954 D
Mündlicher Bericht des Immunitätsaus-
schusses betr. Genehmigung zur Durch-
führung eines Strafverfahrens gegen den Nächste Sitzung 2954 D
Abg. Unertl (Drucksache IV/975)
Wittrock (SPD) 2953 A Anlagen 2955
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63. Sitzung

Bonn, den 8. März 1963

Stenographischer Bericht ist inzwischen die schriftliche Antwort des Herrn


Bundesministers Stücklen vom 19. Februar 1963 ein-
Beginn: 9.03 Uhr gegangen. Sie lautet:
Die Deutsche Bundespost ist ständig bemüht, sowohl durch
technische Verbesserungen der Stempelgeräte und Stempel-
Vizepräsident Dr. Dehler: Die Sitzung ist maschinen als auch durch eine intensive Anleitung und Über-
wachung des im Stempeldienst tätigen Personals unleserliche
eröffnet. Stempelabdrucke auf Postsendungen zu verhindern. Leider sind
weder die Maschinen noch die Menschen unfehlbar, so daß sich
Ich habe die Freude, Herrn Kollegen Weber trotz aller technischen und personellen Maßnahmen unleserliche
Stempelabdrucke nicht ganz vermeiden lassen.
(Koblenz)distWücheHauz
seinem heutigen 65. Geburtstag auszusprechen. Wir beginnen mit der Fragestunde (Drucksache
IV/1019).
(Beifall.)
Ich rufe auf die Frage aus dem Geschäftsbereich
Die folgenden amtlichen Mitteilungen werden
des Herrn Bundesministers für Wirtschaft — des
ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht
Herrn Abgeordneten Hammersen —:
aufgenommen:
Wird die Bundesregierung noch in der 4. Legislaturperiode
Der Herr Bundesminister des Innern hat unter dem 5. März 1963 den angeblich bereits seit Jahren fertiggestellten Entwurf des
die Kleine Anfrage der Abgeordneten Wienand, Dr. Kliesing zivilen Waffengesetzes dem Bundestag vorlegen, sogenat
(Honnef) und Genossen betr. Internationale Zusammenarbeit auf nachdem der Bundeswirtschaftsminister in der Fragestunde des
dem Gebiet des Zivilschutzes — Drucksache IV/990 — beant- Bundestages am 17. Februar 1960 bereits für die 3. Legislatur-
wortet. Sein Schreiben ist als Drucksache IV/1028 verteilt. periode eine entsprechende Zusicherung gegeben hatte und
seiner Anregung entsprechend die Innenminister bzw. Senatoren
Der Herr Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und der Länder die Verabschiedung der Länderwaffengesetze bis zur
Forsten hat unter dem 6. März 1963 die Kleine Anfrage der Ab-
Verabschiedung des Bundeswaffengesetzes zurückgestellt haben?
geordneten Dr. Effertz, Ertl, Freiherr von Kühlmann-Stumm, Loge-
mann, Peters (Poppenbüll), Sander, Wächter und Genossen betr.
Einfuhren von Rindern, Rindfleisch und Kalbfleisch — Drucksache Bitte, Herr Minister.
IV/956 — beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache IV/
1045 verteilt.
Der Herr Staatssekretär des Auswärtigen Amts hat unter dem Dr. Dr. h. c. Erhard, Bundesminister für Wirt-
7. März 1963 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Frau Dr.
Maxsein, Frau Dr. Hubert und Genossen betr. Ratifizierung von schaft: Der Referentenentwurf für ein Bundeswaffen-
Abkommen des Europarates — Drucksache IV/989 — beant-
wortet. Sein Schreiben wird als Drucksache IV/1049 verteilt.
gesetz wird zur Zeit auf Grund der hierzu abgege-
benen Stellungnahmen der Länder, in denen eine
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll Vielzahl von Änderungen und Ergänzungen vorge-
die heutige Tagesordnung wie folgt abgewickelt schlagen werden, in meinem Haus überarbeitet. Die
werden: Erstens die Fragestunde, zweitens Punkt 2 Arbeiten an dem Entwurf haben sich bisher ver-
der Tagesordnung: zweite und dritte Beratung des zögert, weil in der letzten Zeit eine Reihe neuer
Wirtschaftssicherstellungsgesetzes, drittens Punkt 4 Waffentypen und neuartige Munition entwickelt
der Tagesordnung: Fortsetzung der zweiten und worden sind, die eine Überprüfung der bereits er-
dritten Beratung des Handwerkszählungsgesetzes; arbeiteten Begriffsbestimmungen erforderlich ma-
viertens Punkt 15 der Tagesordnung: a) erste Bera- chen.
tung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung von
Fristen des Gesetzes über den Abbau der Woh- So sind auf dem Gebiet der Waffenherstellung
-nungszwangswirtschaft und über ein soziales Miet Typen in den Verkehr gebracht worden, bei denen
und Wohnrecht, b) erste Beratung des Entwurfs bisher nicht gebräuchliche Treibmittel — z. B. Gas-
eines Gesetzes über Wohnbeihilfen; fünftens Punkt druck und Flüssigkeiten — verwendet werden. Fer-
35 der Tagesordnung: Große Anfrage der Fraktion ner werden in der Munitionsherstellung Patronen,
der SPD zur Kriegsopferversorgung. An sechster Geschosse oder Einsätze verwendet, die neuartige
Wirkstoffe — z. B. Farbstoffe — enthalten. Schließ-
Stelle folgt die Beratung aller Vorlagen ohne Aus-
lich sind jetzt Geschosse entwickelt worden, die
sprache; das sind die Punkte 16 bis 21 und 26 bis
unter Ausnutzung der in ihnen selbst enthaltenen
34 der Tagesordnung. Zuletzt kommen erste Bera-
Energieträger Licht, Schall, Rauch oder Nebel er-
tungen von Steuergesetzentwürfen; das sind die
zeugen.
Punkte 22 bis 25 der Tagesordnung.
Zu der in der Fragestunde der 61. Sitzung des Die dadurch aufgeworfenen technischen und recht-
Deutschen Bundestages am 15. Februar 1963 gestell- lichen Probleme müssen mit den Sachverständigen
eingehend beraten werden, um eine der Eigenart
ten Frage des Abgeordneten Dr. Mommer Nr. IV *)
und unter Umständen der Gefährlichkeit dieser
*) Siehe 61. Sitzung Seite 2781 A. Waffen entsprechende Regelung zu finden.
2902 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 63. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. März 1963

Bundesminister Erhard
Die Bundesregierung ist bemüht, die Arbeiten an bar geworden wären, das Hotel. Der Vorfall dauerte
dem Entwurf beschleunigt fortzusetzen und ihn noch kaum mehr als 20 bis 30 Sekunden. Draußen sollen
in dieser Legislaturperiode dem Bundestag zuzu- zwei weitere Männer zu der Gruppe getreten sein,
leiten. die sodann mit einem dunklen Pkw davonfuhr.
Nach dem Ergebnis der bisherigen Ermittlungen
Vizepräsident Dr. Dehler: Herr Abgeordne- ist als sicher anzusehen, daß Cinel mit Argoud per-
ter Hammersen zu einer Zusatzfrage. sonengleich ist. In der Hotelhalle befanden sich zur
fraglichen Zeit vier Personen, darunter die in der
Hammersen (FDP) : Herr Minister, werden die Presse bereits erwähnten zwei Schweizer Geist-
Waffengesetze auch in der Richtung verschärft wer- lichen. Eine dieser Personen machte den Hotelpor-
den können, daß infolge der erheblichen technischen tier auf den Vorgang aufmerksam. Dieser maß der
Verbesserungen, von denen Sie eben schon spra- Mitteilung jedoch keine Bedeutung bei und sah
chen, möglicherweise auch Kleinkalibergewehre in deshalb davon ab, die Hotelleitung oder die Polizei
die Gruppe der waffenscheinpflichtigen Gewehre zu unterrichten.
einbezogen werden?
Die Polizei erfuhr dann erst aus den Abendaus-
gaben der Tageszeitungen vom 27. Februar, also
Dr. Dr. h. c. Erhard, Bundesminister für Wirt- des übernächsten Tages, davon, daß ein Mann
schaft: Herr Abgeordneter, hier handelt es sich um namens Argoud entführt worden sei. Die sofort ge-
eine Frage, die in die Zuständigkeit der Länder bildete Sonderkommission der Münchener Kriminal-
fällt. Nach der gegenwärtigen Regelung unterlie- polizei überprüfte noch am gleichen Abend über 140
gen Luftdruckwaffen in allen Bundesländern mit Beherbergungsgaststätten im Zentrum Münchens,
Ausnahme Bayerns nicht der Waffenscheinpflicht. u. a. auch das Hotel „Eden-Wolff", ohne daß ihr
Sie können also ohne behördliche Erlaubnis geführt Auffälliges gemeldet wurde. Nach Angaben der
werden. Das Land Bayern hat im Jahre 1951 für die überprüften Beherbergungsstätten wurde kein Gast
Luftdruckwaffen die Waffenscheinpflicht eingeführt. vermißt, kein zurückgebliebenes Gepäck gefunden,
Die übrigen Länder prüfen zur Zeit die Frage, ob es keine Hotelrechnung unbezahlt gelassen und kein
nicht doch aus Sicherheitsgründen erforderlich ist, Zimmerschlüssel vermißt. Erst am 1. März teilte
die Waffenscheinpflicht für diese Waffen einzufüh- das Hotel „Eden-Wolff" mit, daß im Zimmer 435
ren. ein Lederkoffer und eine Reisetasche vorgefunden
worden seien, die offenbar dem Gast des Zimmers
Vizepräsident Dr. Dehler: Ich danke Ihnen, gehörten, der der Hotelleitung im Faschingstrubel
Herr Minister. aus den Augen gekommen sei.
Wir kommen zu der Frage des Abgeordneten Die Annahme, daß der eingangs erwähnte Cinel
Jahn aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers mit dem entführten Argoud personengleich ist,
der Justiz, Frage VIII/4: gründet sich in erster Linie auf einen Handschriften-
Was hat die Bundesregierung über die angebliche Entführung vergleich. Danach hat sich ergeben, daß die vorge-
des französischen Staatsangehörigen Argoud aus München und
seine gewaltsame Verschleppung nach Paris festgestellt? fundenen Aufzeichnungen, unter anderem eine Un-
terschrift mit dem Namen Argoud, und die Eintra-
Bitte, Herr Minister! gungen des angeblichen Cinel auf dem Hotelmelde-
zettel mit einer von den französischen Militärbe-
Dr. Bucher, Bundesminister der Justiz: Ich be- hörden in Baden-Baden zur Verfügung gestellten
antworte die Frage des Abgeordneten Jahn wie Schriftprobe Argouds übereinstimmen.
folgt.
Es wurden die Namen mehrerer Personen er-
Die Bundesregierung hat unmittelbar nach Be- mittelt, die dringend verdächtig sind, an der Ent-
kanntwerden , der ersten Mitteilungen über eine an- führung beteiligt zu sein. Möglicherweise handelt
gebliche Entführung Argouds aus München das es sich hier aber um Decknamen. Es liegen jedoch
Bayerische Staatsministerium der Justiz um Unter- Personenbeschreibungen vor. Die Fahndung nach
richtung gebeten. Über den Stand des Ermittlungs- den Verdächtigen ist aufgenommen. Die Ermittlun-
verfahrens, das der Oberstaatsanwalt beim Land- gen dauern an. Im Interesse des Erfolges dieser
gericht München I eingeleitet hat, ist mir inhaltlich Ermittlungen bin ich zur Zeit nicht in der Lage, wei-
folgendes mitgeteilt worden. tere Angaben hierüber zu machen. Ich bin bereit,
Am 25. Februar traf, mit dem Flugzeug aus Rom nach weiteren Fortschritten der Ermittlungen zu dem
kommend, ein Mann in München ein und mietete gegebenen Zeitpunkt den zuständigen Ausschuß des
das Zimmer 435 im Hotel „Eden-Wolff". In den Bundestages in vertraulicher Sitzung noch weiter zu
unterrichten.
Meldezettel trug er sich mit dem Namen Cinel ein.
Er begab sich auf sein Zimmer, stellte seinen Koffer
dort ab und versteckte seine Reisetasche im Bett. Vizepräsident Dr. Dehler: Eine Zusatzfrage?
Kurz darauf verließ er das Hotel. Um 23 Uhr kehrte — Herr Abgeordneter Jahn.
er in das Hotel „Eden-Wolff" zurück. Ihm folgten
unmittelbar zwei Männer, die ihn vor dem Aufzug Jahn (SPD): Herr Bundesjustizminister, sind Sie
einholten. Sie wechselten ein paar Worte mit dem der Meinung, daß ohne Rücksicht auf die Frage, wer
angeblichen Cinel und verließen dann mit ihm, an dieser Handlung — um es sehr neutral auszu-
ohne daß Anzeichen von Gewaltanwendungen sicht- drücken — beteiligt gewesen ist, schon nach den
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 63. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. März 1963 2903
Jahn
bisherigen Ermittlungen offenbar feststeht, daß es lege Ritzel, ich kann mir durchaus vorstellen, daß
sich hier in jedem Fall um eine strafbare Handlung ein Fahrzeug mit einem solchen Transportgegen-
handeln muß? stand — wenn ich mich so ausdrücken darf — völ-
lig unbemerkt über die Grenze kommt; denn es
Dr. Bucher, Bundesminister der Justiz: Ja, ich findet ja ganz allgemein keine Kontrolle der aus
bin dieser Ansicht. dem eigenen Land ausreisenden Fahrzeuge statt.

Jahn (SPD) : Hat die Bundesregierung gegebe- Vizepräsident Dr. Dehler: Eine Zusatzfrage
nenfalls ins Auge gefaßt, von der französischen des Herrn Abgeordneten Dr. Mommer.
Regierung die Rückführung des Obersten Argoud
in die Bundesrepublik zu fordern?
Dr. Mommer (SPD) : Herr Minister, welchen
Unterschied sehen Sie zwischen dem Menschenraub,
Dr. Bucher, Bundesminister der Justiz: Ob das der dutzendfach von bolschewistischen Stellen im
zu fordern ist, kann naturgemäß erst ins Auge ge-
Bundesgebiet und in Berlin verübt worden ist, und
faßt werden, wenn die Ermittlungen abgeschlossen
diesem Fall Argoud?
sind.

Vizepräsident Dr. Dehler: Herr Professor Dr. Bucher, Bundesminister der Justiz: Ich
Dr. Schmid zu einer Zusatzfrage. glaube, der Unterschied liegt schon in der verschie-
denen Formulierung der darauf zutreffenden Straf-
Dr. Schmid (Frankfurt) (SPD) : Ist Ihnen be- tatbestände. Wir haben ja drei Straftatbestände:
kannt, Herr Minister, daß sogar im „Dritten Reich" Menschenraub, Verschleppung und Freiheitsberau-
Personen, die von Gestapo-Agenten über den bung. Der Tatbestand, der auf den Menschenraub
Schlagbaum gelockt und dann verhaftet wurden, an sowjetzonaler Stellen zutrifft, ist die Verschleppung,
die Schweiz zurückgegeben worden sind — der Fall ein ganz präzise darauf zugespitzter Tatbestand.
Jacob? Also ich glaube, daß dieser Unterschied auch hier
zu machen ist.
-
Dr. Bucher, Bundesminister der Justiz: Das ist
mir nicht bekannt, aber ich nehme es zur Kenntnis. Vizepräsident Dr. Dehler: Abgeordneter Dr.
Mommer, eine weitere Frage.
Vizepräsident Dr. Dehler: Herr Abgeordneter
Ritzel zu einer Zusatzfrage.
Dr. Mommer (SPD) : Herr Minister, was ver
spricht sich die Bundesregierung von dem de Gaulle-
Ritzel (SPD) : Herr Minister, sind auch die Grenz- Adenauer-Vertrag,
stellen des Bundesgrenzschutzes befragt worden
darüber, ob ihnen nicht der Transport eines Man- (Zuruf von der Mitte: Aber, Herr Mommer!
nes aufgefallen ist, der ja offensichtlich nicht ganz - weitere Zurufe von der Mitte)
freiwillig nach Frankreich gegangen ist? wenn gleichzeitig mit der Unterzeichnung dieses
Vertrages
Dr. Bucher, Bundesminister der Justiz: Ich bin (anhaltende Zurufe von der Mitte)
sicher, daß diese Grenzstellen befragt worden sind.
uns das Veto zu dem größeren Europa ins Gesicht
Ich glaube aber nicht, daß auf diese Weise viel zu
ermitteln ist, da ja besondere Bestimmungen über geschleudert wurde und so kurz darauf französische
den Grenzverkehr Alliierter bestehen. Staatsorgane auf unserem Gebiet solche Aktionen
vornehmen?
Vizepräsident Dr. Dehler: Eine weitere Frage (Zuruf von der Mitte — Abg. Rasner: Man
des Herrn Abgeordneten Ritzel. kann es auch übertreiben!)

Ritzel (SPD) : Immerhin steht doch fest — das ist Dr. Bucher, Bundesminister der Justiz: Ob es
Anlaß für meine zweite Frage —, daß der betref- französische Staatsorgane waren, steht bis jetzt
fende Herr Argoud in Frankreich in gefesseltem noch nicht fest.
und geknebeltem Zustand in einem Auto gefunden
wurde, so daß anzunehmen ist, daß er auch nicht
irgendwie als freier Bürger über die Grenze ge- Vizepräsident Dr. Dehler: Bitte, Herr Abge-
bracht wurde und daß der Bundesgrenzschutz Ge- ordneter Wittrock, zu einer Zusatzfrage!
legenheit gehabt hätte, festzustellen, ob hier jemand
unter Ausschluß seiner freien Willensbestimmung Wittrock (SPD) : Herr Minister, treffen die in der
über die Grenze gebracht wird. Ich frage, ob Presse gelegentlich geäußerten Behauptungen zu,
darüber Erkundigungen eingezogen sind, und wenn daß die Bestimmungen über internationalen Rechts-
nein, ob Sie bereit sind, Herr Minister, das zu ver- hilfeverkehr und Auslieferung dann nicht gelten,
anlassen und dem Hause darüber zu berichten. wenn es sich um einen geflüchteten Angehörigen
der Stationierungsmächte handelt, und trifft es zu,
Dr. Bucher, Bundesminister der Justiz: Ich bin daß es hierüber ganz bestimmte vertragliche Ab-
gerne bereit, das zu veranlassen. Aber, Herr Kol machungen gibt?
2904 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 63. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. März 1963

Dr. Bucher, Bundesminister der Justiz: Es trifft von Bedeutung sein können. Er wird prüfen, ob An-
zu, daß der Truppenvertrag den Behörden der Streit- laß besteht, das wegen der angeblichen Umtriebe
kräfte auch auf dem Gebiete der Strafgerichtsbar- der OAS in der Bundesrepublik geführte Ermitt-
keit gewisse Rechte gegenüber ihren Soldaten gibt, lungsverfahren auf die Münchener Vorgänge zu er-
die sich in der Bundesrepublik aufhalten. Ob diese strecken.
Rechte in diesem Falle vorhanden waren, ist eine Außerdem haben sich auf Veranlassung des Gene-
sehr schwer zu entscheidende Frage; sie hängt unter ralbundesanwalts zwei Kriminalbeamte der Siche-
anderem davon ab, ob Argoud im Zeitpunkt der rungsgruppe ides Bundeskriminalamtes, die bisher
Entführung Soldat war. mit den Ermittlungen wegen der Umtriebe der OAS
befaßt waren, nach München begeben.
Vizepräsident Dr. Dehler: Herr Professor
Schmid, zu einer zweiten Frage! Vizepräsident Dr. Dehler: Keine weiteren
Fragen. — Ich danke Ihnen, Herr Minister.
Dr. Schmid (Frankfurt) (SPD) : Herr Minister,
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäfts-
halten Sie es mit der Selbstachtung, die sich ein
bereich des Bundesministers der Finanzen, zunächst
souveräner Staat schuldet, für vereinbar, solche
zu der Frage IX/7 — des Herrn Abgeordneten Dr.
Dinge, d. h. Verletzungen seines Hoheitsgebiets, auf
Czaja —:
sich beruhen zu lassen?
Beabsichtigt die Bundesregierung, Verhandlungen wegen der
wiederholt angekündigten Beschleunigung der Abwicklung des
Lastenausgleichs auch durch Barzahlungen mit den Ländern
Dr. Bucher, Bundesminister der Justiz: Nein, der aufzunehmen, die — abgesehen von den Lastenausgleichsabgaben
Ansicht ist die Bundesregierung nicht; denn die Art — den überwiegenden Anteil des Aufkommens der öffentlichen
Hand für den LAG-Fonds tragen?
und Weise, wie hier — von wem auch immer —
verfahren wurde, kann keineswegs gebilligt wer- Bitte, Herr Staatssekretär.
den.
Grund, Staatssekretär des Bundesministeriums
Vizepräsident Dr. Dehler: Eine Zusatzfrage der Finanzen: Ich nehme an, Herr Abgeordneter,
des Herrn Abgeordneten Ertl. daß sich Ihre Frage auf die Darlehensverpflichtun-
gen bezieht, welche die Länder aus der Gemein-
Ertl (FDP) : Herr Minister, was ist der Bundes- schaftshilfe nach dem Soforthilfegesetz, aus der
regierung über die Umtriebe der OAS in der Bundes- Wohnraumhilfe und der landwirtschaftlichen Ein-
republik bekannt, und was gedenkt sie dagegen zu gliederung der Geschädigten gegenüber dem Aus-
unternehmen? gleichsfonds haben. Die Summe dieser Verpflich-
tungen beträgt zur Zeit etwa 5,1 Milliarden DM. Die
Länder haben diese Darlehen nach § 348 des Lasten-
Dr. Bucher, Bundesminister der Justiz: Aus dem ausgleichsgesetzes zu einem Teil durch Verrechnung
Geschäftsbereich des Bundesjustizministeriums kann mit Zuschußleistungen nach § 6 des Lastenausgleichs-
ich Ihnen dazu folgendes mitteilen. gesetzes, im übrigen aber in Teilbeträgen bis zum
Bereits Anfang 1962 hat der Generalbundesanwalt Jahre 1982 zu tilgen.
ein Ermittlungsverfahren gegen Unbekannt wegen Die Frage, ob zur rascheren Abwicklung des La-
des Verdachts der Geheimbündelei und anderer stenausgleichs die Tilgungsleistungen teilweise vor-
Straftaten eingeleitet. Dieses Verfahren war ausge- gezogen werden können, war bereits mehrfach Ge-
löst worden durch zahlreiche an Zeitungsredaktionen genstand von Erörterungen. Eine Änderung der ge-
gerichtete Drohbriefe, die mit dem Namen „Organi- setzlichen Regelung setzt aber die Zustimmung ides
sation de l'Armée Secrète", also OAS, gezeichnet Bundesrates voraus. Die Bundesregierung wird die
waren. Die Täter konnten bisher nicht ermittelt wer- Angelegenheit zu gegebener Zeit weiter verfolgen.
den. Das Verfahren erstreckte sich auch noch auf
weitere Vorgänge. So wurde z. B. im Frühjahr 1962
Vizepräsident Dr. Dehler: Eine Zusatzfrage,
von privater Seite Mitteilung gemacht, daß die OAS
Herr Dr. Czaja?
ein Sprengstoffattentat in einer norddeutschen Stadt
plane.
Dr. Czaja (CDU/CSU) : Herr Staatssekretär, ist
Nach alledem lagen Anhaltspunkte für den Ver- Ihnen bekannt, daß der Landtag Baden-Württem-
dacht vor, daß innerhalb der Bundesrepublik eine bergs einstimmig beschlossen hat, seine Regierung
Organisation der OAS bestehe, die als Geheimbund aufzufordern, solche Verhandlungen bezüglich der
bzw. als kriminelle Vereinigung im Sinne der Raffung der öffentlichen Abgaben für den Lasten-
§§ 128 ff. des Strafgesetzbuches anzusehen wäre. Die ausgleichsfonds positiv zu bewerten und in solche
Ermittlungen des Generalbundesanwalts konnten Verhandlungen einzutreten?
noch nicht abgeschlossen werden, weil ein größerer
Personenkreis überprüft und umfangreiches Mate-
rial ausgewertet werden muß. Grund, Staatssekretär des Bundesministeriums
der Finanzen: Herr Abgeordneter, das ist mir be-
Der Generalbundesanwalt hat nunmehr einen kannt. Aber die anderen Länder sind diesem Bei-
Bundesanwalt nach München entsandt, um sich über spiel bisher nicht gefolgt. Ich glaube auch nicht, daß
die dort angefallenen oder nach anfallenden Erkennt- im gegenwärtigen Augenblick eine größere Bereit-
nisse zu informieren, soweit sie für sein Verfahren schaft bei der Mehrheit der Länder vorhanden ist.
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 63. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. März 1963 2905

Vizepräsident Dr. Dehler: Eine weitere Zu- Urteil die frühere Rechtsprechung lediglich bestätigt
satzfrage, Herr Dr. Czaja. hat und nach dem, was ich vorhin ausgeführt habe,
in solchen Fällen eine Veröffentlichung grundsätz-
Dr. Czaja (CDU/CSU): Würden Sie aber die Ge- lich nicht erfolgt.
neigtheit einzelner Länder dazu benutzen, diese
Verhandlungen intensivieren zu lassen? Vizepräsident Dr. Dehler: Eine Zusatzfrage,
Herr Abgeordneter Vogt.
Grund, Staatssekretär des Bundesministeriums
der Finanzen: Ich habe vorhin gesagt, Herr Abge- Vogt (CDU/CSU) : Ist Ihnen, Herr Staatssekretär,
ordneter: zu gegebener Zeit. Ich halte den gegen- oder Ihrem Hause bekannt, daß nach Bekanntwer-
wärtigen Augenblick für nicht geeignet, nämlich den des Urteils — das war immerhin im Jahre 1960
deswegen, weil Bund und Länder zur Zeit wegen — etliche Gemeinden eine Berichtigung der Ein-
einer Neuverteilung des Steueraufkommens im Ge- heitswertfeststellung bei den zuständigen Finanz-
spräch sind. ämtern oder den Oberfinanzdirektionen beantragt
haben und mit Ausnahme einer einzigen Kommune
Vizepräsident Dr. Dehler: Wir kommen zur — das ist die Gemeinde Pappenheim —, deren An-
Frage IX/8 — des Herrn Abgeordneten Vogt —: trag vom zuständigen Finanzamt Weißenburg posi-
tiv beschieden worden ist, natürlich abgewiesen
Welche Praxis wird hinsichtlich der Veröffentlichung von
Urteilen des BFH geübt? worden sind?

Grund, Staatssekretär des Bundesministeriums Grund, Staatssekretär des Bundesministeriums


der Finanzen: Die Entscheidung über die amtliche der Finanzen: Herr Abgeordneter, die Durchführung
Veröffentlichung von Urteilen des Bundesfinanzhofs der Steuergesetze liegt bekanntlich nicht in der Hand
liegt allein beim erkennenden Senat dieses Gerichts. des Bundes, sondern in der Hand der Länder. Über
Das Bundesfinanzministerium wirkt dabei nicht mit. die einzelnen konkreten Fälle dieser Art kann ich
Im amtlichen Veröffentlichungsorgan, dem Bundes- deshalb hier leider nichts sagen, also auch nicht zu
-
steuerblatt Teil III, und in der amtlichen Sammlung dem Pappenheimer Fall.
werden solche Urteile, Beschlüsse usw. veröffent-
licht, die nach der Auffassung des erkennenden Vizepräsident Dr. Dehler: Eine weitere Zu-
Senats entweder von grundsätzlicher Bedeutung — satzfrage des Herrn Abgeordneten Vogt.
das sind die sogenannten S-Urteile — oder aber,
auch wenn sie keine grundsätzliche Bedeutung ha- Vogt (CDU/CSU) : Würden Sie bitte, Herr Staats
ben, von allgemeinem Interesse sind, die sogenann- sekretär, zur Kenntnis nehmen, daß durch eine
ten U-Urteile. Es werden insgesamt etwa 20 v. H. solche — wenn ich mir das zu sagen erlauben darf —
der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs als S- oder Praxis immerhin einige Beunruhigung bei den be-
U-Urteile amtlich veröffentlicht. Das ist ein Vom- troffenen Gemeinden ausgelöst worden ist, die durch
hundertsatz, der etwa der Veröffentlichungspraxis eine für sie nachteilige Auslegung durch die Finanz-
der anderen oberen Bundesgerichte entspricht. behörden geschädigt worden sind!
Im allgemeinen werden insbesondere solche Ent-
scheidungen nicht veröffentlicht — das sind die so- Vizepräsident Dr. Dehler: Das ist keine
genannten KU-Urteile —, welche die Rechtssätze Frage, Herr Abgeordneter Vogt.
von früher veröffentlichten Entscheidungen lediglich
bestätigen oder aber einen nicht typischen Son- Grund, Staatssekretär des Bundesministeriums
derfall, weit zurückliegende Sachverhalte oder so- der Finanzen: Herr Abgeordneter, ich nehme das
genanntes „abgestorbenes Recht" betreffen. gern zur Kenntnis. Es wird noch in der nächsten
Antwort gesagt werden, wie wir uns die Regelung
Vizepräsident Dr. Dehler: Eine Zusatzfrage, denken. Aber ich würde doch empfehlen, sich wegen
Herr Abgeordneter Vogt? — Dann kommen wir zur der Fälle, die zu einer Beunruhigung geführt haben,
Frage IX/9 — des Herrn Abgeordneten Vogt —: an die bayerische Regierung, an das bayerische
Finanzministerium zu wenden.
Warum ist das BFH-Urteil vom 6. März 1953 — III 13/52
worden? —nichtveröf entlicht
Vizepräsident Dr. Dehler: Frage IX/10 — des
Grund, Staatssekretär des Bundesministeriums Herrn Abgeordneten Vogt —:
der Finanzen: Da, wie eben erwähnt, das Bundes- Welche Meinung vertritt die Bundesregierung hinsichtlich der
finanzministerium über die amtliche Veröffent- Wirkung des BFH-Urteils vom 6. März 1953 — III 13/52 — auf
vorher bereits rechtskräftige Einheitswertfeststellungen oder
lichung der BFH-Urteile nicht zu entscheiden hat, Veranlagungen zur Vermögensabgabe, denen eine von dieser
höchstrichterlichen Entscheidung abweichende Rechtsauffassung
vermag ich die Frage, warum das Urteil des Bun- der Verwaltung zugrunde liegt, die zum Nachteil der Veranlag-
desfinanzhofs vom 6. März 1953 nicht amtlich ver- ten — insbesondere Städte und Gemeinden — praktiziert wurde?
öffentlicht worden ist, nicht zu beantworten. Eine
offizielle Rückfrage beim Bundesfinanzhof scheint Grund, Staatssekretär des Bundesministeriums
mir im Hinblick darauf, daß die Entscheidung be- der Finanzen: In dem Steuerstreitverfahren, das die-
reits 10 Jahre zurückliegt, aussichtslos zu sein. Es sem Urteil zugrunde liegt, hatten die Vorinstanzen
besteht aber Grund zu der Vermutung, daß die bei der Bewertung des landwirtschaftlichen Betriebs
Veröffentlichung deshalb unterblieben ist, weil das einen Abschlag wegen fehlender Wohngebäude von
2906 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 63. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. März 1963

Staatssekretär Grund
20 v. H. berücksichtigt. Der Bundesfinanzhof hat das Ist die Bundesregierung bereit, gegenüber neuen Forderungen
von Interessentengruppen, die bereits durch Gewährung von
Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur wei- Überbrückungszahlungen bevorzugt wurden, den vom stellver-
tretenden Vorsitzenden der Fraktion der CDU/CSU Abg. Schmük-
teren Aufklärung und anderweitigen Entscheidung ker im Plenum am 7. Februar vertretenen Standpunkt durchzu-
an das Finanzgericht zurückverwiesen, und zwar mit halten, daß jetzt zunächst einmal familienpolitisch vorgegangen
und auf anderes verzichtet werden müsse, um wahrhaftig zu
der Begründung, der Abschlag von 20 v. H. gelte bleiben?
nur im Regelfall; gegebenenfalls sei sogar ein wei-
terer Abschlag wegen der Nichtzugehörigkeit von Der Fragesteller hat sich mit schriftlicher Beantwor-
Wirtschaftsgebäuden zu der wirtschaftlichen Einheit tung einverstanden erklärt. Die Antworten des
des landwirtschaftlichen Betriebs oder wegen des Herrn Bundesministers Blank vom 5. März 1963
schlechten Zustands der Wirtschaftsgebäude vorzu- lauten:
nehmen. Frage 1:

Soweit dem Bundesfinanzministerium bekannt, Wenn der Anteil der Familien mit Kindern am Sozialprodukt
seit der letzten Erhöhung des Kindergeldes im Jahre 1959 eine
wird der vom Bundesfinanzhof vertretene Rechts- rückläufige Tendenz zeigt, so ist das nicht das Ergebnis der
Familienpolitik der Bundesregierung, sondern eine Folge der
standpunkt auch in der Verwaltungspraxis der Län- Lohnerhöhungen. Da diese das Kindergeld nicht berühren, erhöht
der befolgt. Unter diesen Umständen würden sich durch sie das Bruttoeinkommen der Personen, die kein
Kindergeld beziehen, prozentual stärker als das Bruttoeinkom-
Folgerungen allgemeiner Art aus dem Urteil des men der Personen mit Anspruch auf Kindergeld. Das gilt jedoch
Bundesfinanzhofs nicht zu ziehen sein. nicht in dem gleichen Maße für die prozentuale Steigerung der
Nettoeinkommen; die Kinderfreibeträge wirken sich vielmehr im
mittleren Einkommensbereich dahin aus, daß Lohnerhöhungen
Sollte aber — und das klang ja bei Ihrer Zusatz- bei Familien mit mehreren Kindern zu einer dem Betrage nach
frage durch, Herr Abgeordneter — von den Finanz- stärkeren Erhöhung des Nettoeinkommens führen als bei Ledi-
gen. Das läßt der Aufsatz im „Rheinischen Merkur" vom 25. 1.
behörden der Länder in einzelnen Fällen eine 1963 unberücksichtigt. Einer Abnahme des Anteils der Familien
mit Kindern am Sozialprodukt wird — abgesehen von den
abweichende Entscheidung getroffen und rechts- Kinderfreibeträgen — auch die in dem Regierungsentwurf eines
kräftig geworden sein, so kann die fehlerhafte Bundeskindergeldgesetzes vorgesehene Erhöhung des Kinder-
geldes für die dritten und weiteren Kinder entgegenwirken.
Bewertung unter bestimmten Voraussetzungen ent-
Frage 2:
weder durch eine Wertfortschreibung oder nach
Der Regierungsentwurf eines Krankenversicherungs-Neurege-
Maßgabe von § 222 Abs. 1 Ziff. 4 der Reichsabgaben- lungsgesetzes enthält keine zusätzlichen Sonderbelastungen für
ordnung durch eine Berichtigungsfeststellung korri- Familien mit Kindern. Die vorgesehenen Maßnahmen der Neu-
regelung gelten für alle Versicherten gleichmäßig. Besonderen
giert werden. Wert hat die Bundesregierung auf die Verbesserung der Leistun-
gen gelegt, die den Versicherten mit Familienangehörigen zugute
Wird der Einheitswert auf den 21. Juni 1948 kommen (z. B. Erhöhung des bish erigen Hausgeldes, Einführung
der Haushaltshilfe, Verbesserungen der Familienmutterschafts-
durch eine solche Wertfortschreibung oder durch hilfe). Auch bei der Einführung der Selbstbeteiligung in der
eine solche Berichtigung nach § 222 geändert, so gesetzlichen Krankenversicherung wird auf die Belange der
kinderreichen Familien hinreichend Rücksicht genommen. So wird
wird die auf ihm beruhende Veranlagung zur Ver- die Häufung von Krankheiten in der Familie als ein Härtefall
angesehen,
-, der zur Befreiung von der Zuzahlung bei Arznei
mögensabgabe ebenfalls geändert. Das ergibt sich Verband- und Heilmitteln sowie bei Krankenhauspflege führen
aus § 218 der Reichsabgabenordnung. kann. Von der Selbstbeteiligung bei Krankenhauspflege sind die
Familienangehörigen ausdrücklich ausgenommen. Schließlich wer-
den Kosten der ärztlichen Behandlung im Rahmen der Mutter-
schaftshilfe von der Anrechnung auf den besonderen Beitrag
Vizepräsident Dr. Dehler: Eine Zusatzfrage. ausgenommen. Bei der Zahlung des besonderen Beitrages in
Höhe von 2 v. H. des beitragspflichtigen Entgelts wird, wie bei
dem allgemeinen Beitrag, kein Unterschied zwischen Versicherten
Vogt (CDU/CSU) : Habe ich Sie richtig verstan- mit und ohne Familienangehörigen gemacht. Bei gleichem Ein-
kommen zahlen sie den gleichen Betrag. Es ist zwar zuzugeben,
den, Herr Staatssekretär, daß ein solches Verfahren daß der Versicherte ohne Angehörige meist mit einer höheren
Rückerstattung rechnen kann. Dafür zahlt er aber im Verhältnis
dann für alle Gemeinden, die nachträglich eine zu seinem Leistungsanspruch einen weit höheren allgemeinen
Wertfortschreibung beantragen, Geltung hab en Beitrag als der Versicherte mit Familie. Die gesetzliche Kranken-
versicherung bleibt auch nach ihrer Neuordnung die Einrichtung
würde? mit dem denkbar besten Familienlastenausgleich. Dieser Lasten-
ausgleich darf aber nicht dazu führen, daß der Grundsatz der
versicherungsrechtlichen Gleichbehandlung verletzt wird. Soweit
Grund, Staatssekretär des Bundesministeriums zusätzliche familienpolitische Maßnahmen erforderlich sind, müs-
sen sie daher auf andere Weise getroffen werden.
der Finanzen: Ja, aber unter den Voraussetzungen, Frage 3:
die im Bewertungsgesetz dafür genannt sind. Es Die Bundesregierung hat durch die Vorlage des Entwurfs eines
sind gewisse Grenzen einzuhalten, und zwar Abwei- Bundeskindergeldgesetzes zu erkennen gegeben, daß sie eine
Verbesserung der wirtschaftlichen Lage der kinderreichen
chungen nach oben und nach unten. Familien für notwendig hält. An dieser Auffassung wird sie
auch dann festhalten, wenn es sich als notwendig erweisen
sollte, andere Sozialleistungen ebenfalls zu verbessern.
Vizepräsident Dr. Dehler: Ich danke Ihnen,
Herr Staatssekretär. Vizepräsident Dr. Dehler: Frage X/4 — der
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäfts- Abgeordneten Frau Schanzenbach —:
bereich des Bundesministers für Arbeit und Sozial- Trifft es zu, daß die Arbeitsverwaltung es ablehnt, Ausbil-
ordnung. dungsbeihilfen für soziale und pflegerische Berufe zur Verfügung
zu stellen?
Fragen X/1 bis X/3 — des Abgeordneten Dr.
Wuermeling — : Blank, Bundesminister für Arbeit und Sozialord-
Entspricht es den Richtlinien der Politik der Bundesregierung, nung: Ich darf die Frage wie folgt beantworten:
daß der Anteil der Familien mit Kindern am Sozialprodukt in
den letzten Jahren offensichtlich immer mehr zugunsten des
Anteils der Alleinstehenden und kinderlosen Verheirateten (vgl.
Die Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und
„Rheinischer Merkur" vom 25. Januar 1963 und Bundestagspro- Arbeitslosenversicherung gewährt Ausbildungsbei-
tokoll vom 7. Februar 1963, S. 2645 ff.) geschmälert wurde?
hilfen nach Maßgabe der einschlägigen Vorschriften
Will die Bundesregierung darauf bestehen, daß der wachsende
wirtschaftliche Rückstand der Familien mit Kindern noch durch
des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeits-
zusätzliche Sonderbelastungen gerade dieser Familien bei der losenversicherung (§§ 131, 137) und der hierzu er-
Krankenversicherungsreform vergrößert wird?
gangenen Richtlinien des Verwaltungsrats der Bun-
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 63. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. März 1963 2907
Bundesminister Blank
desanstalt. Hiernach wird in der Regel die Ausbil- falls nicht gesondert ausgezählt; ihre Zahl dürfte
dung in anerkannten Lehr- und Anlernberufen gering sein, weil durch die Gewährung von Sach-
gefördert. In besonderen Fällen kann auch für die bezügen und durch das Lehrlingsentgelt die Kosten
Ausbildung in bestimmten sozialen Berufen eine für den Lebensunterhalt während der Ausbildung in
Ausbildungsbeihilfe gewährt werden, z. B. wenn sie der Regel gedeckt sind.
wegen der besonderen Eignung des Jugendlichen Drittens: die fachliche und praktische einjährige
oder aus sonstigen Gründen wünschenswert erscheint Ausbildung in einem Haushalt, die Voraussetzung
oder der Träger der Sozialhilfe eine Ausbildungs- für den Besuch bestimmter Fachschulen ist. Auch
hilfe versagt, weil die Voraussetzungen nach § 32 diese Ausbildung fördert die Bundesanstalt. Die
des Bundessozialhilfegesetzes nicht erfüllt sind. hierfür gewährten Berufsausbildungsbeihilfen wer-
Zur Zeit sind folgende soziale Berufe für die den ebenfalls nicht gesondert ausgezählt. Ich weiß,
Förderung zugelassen: Krankenpfleger, Kranken- daß das ein Mangel ist.
schwester, Kinderkrankenschwester, Sozialarbeiter-
(in), Kindergärtner(in), Gemeindehelfer(in), Heim- Vizepräsident Dr. Dehler: Eine Zusatzfrage,
erzieher(in), Familienpflegerin, Beschäftigungsthera Frau Abgeordnete Schanzenbach!
peut (in).
Die Ausbildung der Familienpflegerin, die auch Frau Schanzenbach (SPD) : Ich meinte mit mei-
als Hauspflegerin, Hausschwester oder Dorfhelferin ner Frage im besonderen die Grundausbildungslehr-
bezeichnet wird, kann nur gefördert werden, wenn gänge für Hauswirtschaft. Da ich weiß, daß die
sich der Ausbildungszeitraum über wenigstens ein Arbeitsverwaltungen in den letzten Jahren nur we-
Jahr erstreckt. nige Mädchen in diese Ausbildungslehrgänge ein-
gewiesen haben, möchte ich jetzt die Frage stellen,
Vizepräsident Dr. Dehler: Bitte, Frau Schan- ob Sie der Meinung sind, daß auch heute, obwohl
zenbach, eine Zusatzfrage! viele Lehrstellen angeboten werden, die noch nicht
ganz berufsfähigen Mädchen, die 14- und 15jähri-
gen, von den Arbeitsverwaltungen auf die Mög-
Frau Schanzenbach (SPD) : Herr Minister,- ist lichkeit hingewiesen werden sollen, diese Ausbil-
anzunehmen, daß die Arbeitsverwaltung darauf auch dungslehrgänge für Hauswirtschaft zu besuchen.
hinweist, damit diese Berufe ergriffen werden, die
ja in der heutigen Zeit in hohem Maße Mangel-
berufe sind?
Blank, Bundesminister für Arbeit und Sozialord-
nung: Ich bin Ihrer Meinung, Frau Schanzenbach,
möchte Sie aber dennoch bitten — ich bitte um
Blank, Bundesminister für Arbeit und Sozialord- Entschuldigung, wenn dies den Rahmen der Frage-
nung: Ja. Ich will mich auch noch einmal mit der stunde etwas sprengt —, daß wir uns einmal zu-
Bundesanstalt ins Benehmen setzen, damit hier ein sammensetzen, um den Komplex gemeinsam zu be-
besonderer Hinweis erfolgt. Denn ich sehe ein: Ihr sprechen und einmal gemeinsam zu überlegen, in
Anliegen ist vollauf gerechtfertigt. welchem Sinne man diese Dinge aktivieren kann.

Vizepräsident Dr. Dehler: Ich rufe auf die Vizepräsident Dr. Dehler: Ich rufe auf die
Frage X/5 — der Frau Abgeordneten Schanzen- Frage X/6 — des Herrn Abgeordneten Fritsch —:
bach — :

Billigt die Bundesregierung die Auflösung zahlreicher Melde-


In wieviel Fällen sind in den letzten zwei Jahren für ent- und Zahlstellen für Arbeitslose im Bayerischen Wald durch die
lassene Schülerinnen der Volksschule die Kosten im Zusammen- Dienststellen der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und
hang mit der Ableistung eines Haushaltsvolljahres von der Arbeitslosenversicherung?
Arbeitsverwaltung übernommen worden?
Bitte, Herr Minister!
Bitte, Herr Minister!
Blank, Bundesminister für Arbeit und Sozialord-
Blank, Bundesminister für Arbeit und Sozialord-
nung: Es ist Sache der Direktoren der Arbeitsämter,
nung: Der Begriff „Haushaltsvolljahr" ist als solcher
in ihren Arbeitsamtsbezirken je nach Bedarf Melde-
nicht geläufig. Ich habe angenommen, daß Sie damit
und Zahlstellen, also Auszahlungsstellen, einzurich-
folgende Möglichkeiten meinen.
ten. Der Präsident der Bundesanstalt hat mir auf
Erstens: die Teilnahme an Grundlehrgängen für Anfrage am 1. März 1963 mitgeteilt, daß den Dienst-
Hauswirtschaft. Hierfür werden Ausbildungsbeihil- stellen der Bundesanstalt von einer Auflösung von
fen aus Mitteln der Bundesanstalt für Arbeitsver- Melde- und Zahlstellen für Arbeitslose im Bayeri-
mittlung und Arbeitslosenversicherung gewährt. Die schen Wald nichts bekannt sei.
Zahl der Förderungsfälle kann ich Ihnen leider nicht
nennen, da diese für den Besuch von Grundlehr- Vizepräsident Dr. Dehler: Eine Zusatzfrage
gängen nicht ausgezählt werden. Ich glaube, das ist Herr Abgeordneter Fritsch!
ein Mangel; aber es ist so, Frau Schanzenbach.
Zweitens: die einjährige Ausbildung in einem an- Fritsch (SPD) : Herr Minister, ungeachtet dieser
erkannten Lehrhaushalt nach dem einjährigen Besuch Ihnen erteilten Auskunft: Ist Ihnen nicht bekannt,
einer Haushaltungsschule. Für die Ausbildung im daß im Bayerischen Wald seit Jahren bereits diese
Lehrhaushalt können Berufsausbildungsbeihilfen ge- Zusammenlegung von Zahl- und Meldestellen und
währt werden. Diese Förderungsfälle werden eben deren Auflösung in den Kreisen der von Arbeits-
2908 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 63. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. März 1963
Fritsch
losigkeit betroffenen Mitmenschen heftige Empö- als bei Leitplanken. Entgegen der Erwartung zeigte
rung ausgelöst haben und daß insoweit die Aus- jedoch die Erfahrung eines Jahres auf den Test-
kunft des Herrn Präsidenten der Bundesanstalt nicht strecken an den Autobahnen — ich zitiere aus dem
ganz den Verhältnissen entsprechen kann? Bericht — „nicht eindeutig, daß Kollisionen mit
Maschendrahtzäunen weniger schwer sind als mit
Blank, Bundesminister für Arbeit und Sozialord- Leitplanken". Es ergab sich weiterhin, daß die
nung: Das ist mir nicht bekannt. Ich weiß, daß die Reparaturkosten an den Maschendrahtzäunen 2,9
Neuordnung der Arbeitsamtsbezirke usw., die mal höher waren als bei den Leitplanken. Dagegen
gegenwärtig in diesem Raum vorgenommen wird, waren die Beschaffungskosten für die Maschen-
selbstverständlich — wie es immer bei solchen drahtzäune wesentlich niedriger. Diese Zäune be-
Maßnahmen ist — die unterschiedlichste Beurtei- dürfen jedoch einer Verstärkung im Hinblick auf
lung findet. Aber hier bei den sogenannten Melde- Kollisionen mit Lastkraftfahrzeugen. An unseren
und Zahlstellen ist es ja, wie ich eben sagte, in das Autobahnen mit ihren hohen Verkehrszahlen an
Belieben der Direktoren der Arbeitsämter gestellt, Lastzügen und Sattelaufliegern muß dieser Umstand
ob und wann und wo solche errichtet werden; und bei der weiteren Prüfung besonders berücksichtigt
da ist von einer Schließung nichts bekannt. werden.
Das Kuratorium „Wir und die Straße", das in
Vizepräsident Dr. Dehler: Eine weitere Frage, Sindelfingen Anfahrversuche an Leitplanken durch-
Herr Abgeordneter Fritsch! führen läßt, beabsichtigt, Maschendrahtzäune in
diese Untersuchungen einzubeziehen. Bei günstigen
Fritsch (SPD) : Herr Minister, würden Sie nicht Ergebnissen würde dann zunächst die praktische
ungeachtet dessen an den Herrn Präsidenten der Erprobung eines geeigneten Maschendrahtzauns auf
Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeits- einer Prüfstrecke an der Autobahn in Betracht zu
losenversicherung mit dem Ziele herantreten, zu- ziehen sein. Dabei ist anzustreben, daß die einge-
künftig die Schließung von Melde- und Zahlstellen setzten Maschendrahtzäune zugleich einen ausrei-
auf Kosten der Arbeitslosen einzuschränken oder chenden Blendschutz bewirken.
ganz zu unterbinden?
Vizepräsident Dr. Dehler: Keine Zusatzfrage.
Blank, Bundesminister für Arbeit und Sozialord-
nung: Eine derartige Weisung dem Präsidenten zu Ich rufe auf die Frage XI/2 — des Herrn Abgeord-
erteilen, bin ich nicht befugt. neten Oetzel —:
(Abg. Dr. Dittrich: Sehr richtig!) Beabsichtigt die Bundesregierung für Ö ltransportwagen im
Straßenverkehr und für die Fahrer derselben verschärfte Zulas-
sungsbedingungen einzuführen, um die in letzter Zeit sich häu-
fenden Unfälle und die damit sehr oft verbundenen Trinkwasser-
Vizepräsident Dr. Dehler: Wir kommen zu verschmutzungen weitmöglichst einzuschränken?
den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundes-
ministers für Verkehr. Ich rufe auf die Frage XI/1 Ist Herr Abgeordneter Oetzel im Raum? — Wird
er vertreten? — Das ist nicht der Fall. Die Frage
— des Herrn Abgeordneten Dr. Rinderspacher —:
wird schriftlich beantwortet.
Hat die Bundesregierung die Erfahrungen der Straßenbehörden
in den USA mit Maschendrahtzäunen geprüft und ist sie bei Ich rufe die Frage XI/3 — des Herrn Abgeordne-
positiver Beurteilung bereit, auch in der Bundesrepublik anstatt
der Leitplanken diese Maschendrahtzäune einzuführen? ten Stingl — auf:
Inwieweit treffen Berichte zu, daß die Flugpreise von und nach
Bitte, Herr Staatssekretär! Berlin erhöht werden und daß verbilligte Hin- und Rückflüge
künftig wegfallen sollen?

Dr. Seiermann, Staatssekretär im Bundesmini- Wird Herr Abgeordneter Stingl vertreten? —


sterium für Verkehr: Maschendrahtzäune als f Abg. Frau Dr. Maxsein: Ja, ich vertrete
Sicherheitseinrichtungen auf dem Mittelstreifen von Herrn Stingl!)
Autobahnen sind in den Vereinigten Staaten nach
— Herr Abgeordneter Stingl wird durch Frau Dr.
unserer Kenntnis in erster Linie von der Straßen-
Maxsein vertreten.
bauverwaltung des Staates Kalifornien aufgestellt
worden. Nach den vorliegenden Berichten vom Bitte, Herr Staatssekretär.
Jahre 1962 werden dort jedoch auch weiterhin Leit-
planken gebaut, wobei für beide Bauweisen weitere Dr. Seiermann, Staatssekretär im Bundesmini-
Verbesserungen gesucht werden. Es sind im Zuge sterium für Verkehr: Auf Grund der Bestimmungen
der dortigen Autobahnen mehrere Teststrecken des Deutschlandvertrages haben drei alliierte Flug-
von 4 bis 7 km Länge für Maschendrahtzäune und gesellschaften — eine amerikanische, eine englische
Leitplanken eingerichtet worden, auf denen Zahl und eine französische — das Monopol für den zivi-
und Art der Unfälle, die Beschädigungen der Fahr- len Luftverkehr zwischen der Bundesrepublik und
zeuge sowie die Bau- und Reparaturkosten festge- Berlin. Die Aufsicht über den Luftverkehr zwischen
stellt werden. Außerdem werden auf besonderen der Bundesrepublik und Berlin steht nach dem
Prüffeldern Anfahrversuche mit Personenkraft- Deutschlandvertrag den drei alliierten Mächten zu.
wagen durchgeführt, um die Wirkungsweise dieser Die Tarife für den zivilen Luftverkehr zwischen Ber-
Sicherheitseinrichtungen im einzelnen zu studieren. lin und Landepunkten im Bundesgebiet bestimmen
Die Anfahrversuche ergaben bei Maschendraht- die drei alliierten Mächte, die dazu ihre Luftfahrt-
zäunen geringere Stoßwirkungen auf die Fahrzeuge attachés bevollmächtigen. Die Luftfahrtattachés der
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 63. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. März 1963 2909
Staatssekretär Dr. Seiermann
amerikanischen, britischen und französischen Bot- Frau Dr. Maxsein (CDU/CSU) : Ist die Bundes-
schaft haben uns unterrichtet, daß nach eingehenden regierung bereit, nochmals in Verhandlungen mit
Verhandlungen, die seit Februar 1962 zwischen den Fluggesellschaften einzutreten, um diesen bei
ihnen und den drei Luftfahrtgesellschaften, der der Preisfestsetzung zum Bewußtsein zu bringen, daß
British European Airways, der Pan American Air- .die Flugzeuge von und nach Berlin durchschnittlich
ways und der Air France, geführt worden sind, sehr gut, zumindest besser belegt sind als die Ma-
diese drei Luftfahrtgesellschaften unter dem 20. Juni schinen auf anderen Fluglinien, also ein gutes Ge-
1962 Vorschläge für eine Neugestaltung der Preise schäft dabei gemacht wird, daß ferner mindestens
im zivilen Luftverkehr zwischen Berlin und Lande zum Teil — ich betone: zum Teil — zweitklassige,
punkten im Bundesgebiet gemacht haben. Auf sehr überholungsbedürftige Maschinen im Berlin-
Grund der Absprachen zwischen der Bundesrepublik Verkehr eingesetzt werden und daß schließlich der
und den genannten drei Botschaften sollen vor Fest- Service auf dieser Strecke in keinem Verhältnis zu
setzung neuer Luftverkehrstarife die Luftfahrt- dem steht, was auf anderen Fluglinien geboten
attachés mit der Luftfahrtabteilung des Bundesver- wird?
kehrsministeriums Konsultationen pflegen. Zu die-
sen Konsultationen haben die drei Botschaften unter Dr. Seiermann, Staatssekretär im Bundesmini-
dem 30. Oktober 1962 eingeladen. Die Vorschläge, sterium für Verkehr: Frau Abgeordnete, diese und
die Tarife zu erhöhen, sind dabei auf scharfe Ab- noch viel mehr Argumente sind in aller Deutlich-
lehnung des Bundesministers für Verkehr, des Aus- keit bei den Konsultationen vorgetragen worden,
wärtigen Amtes und des Senats von Berlin gesto- aber leider ohne den von uns gewünschten Erfolg.
Ben. Es haben darüber im Wege der Konsultation Im übrigen haben wir keine Möglichkeit, mit den
eingehende Verhandlungen im Dezember vorigen Fluggesellschaften zu verhandeln, da nach den
Jahres und im Januar 1963 stattgefunden. In diesen erwähnten Bestimmungen Konsultationspartner für
Verhandlungen ist nur erreicht worden, daß die zu- uns ausschließlich die Luftfahrtattachés sind.
nächst für den 1. Januar 1963, dann für den 1. Fe-
bruar 1963 vorgesehene Erhöhung der Berlin-Tarife Vizepräsident Dr. Dehler: Herr Abgeordne-
erst am 1. April 1963 in Kraft treten soll. - ter Stingl zu einer Zusatzfrage.
Dagegen haben alle Proteste der bundesdeutschen
und Berliner amtlichen Stellen gegen die Entschei- Stingl (CDU/CSU) : Herr Staatssekretär, hat die
dung der drei alliierten Luftfahrtattachés die Zu- Bundesregierung bei ihren Überlegungen mit Nach-
stimmung zu einer gewissen Anhebung der Tarife druck darauf hingewiesen, daß die Flugpreise von
für den zivilen Luftverkehr zwischen Berlin und dem und nach Berlin eine eminent politische Bedeutung
Bundesgebiet nicht verhindern können. Jedoch haben erstens für die Berliner selbst, die in großer
konnten die Sätze verschiedentlich gegenüber den Zahl für ihre Urlaubsreisen Flugzeuge benutzen
ursprünglichen Forderungen der drei Luftverkehrs- müssen, und zweitens für die Besucher Berlins?
gesellschaften herabgesetzt werden. Bei den Ver-
handlungen wurden die Luftfahrtattachés ausdrück- Dr. Seiermann, Staatssekretär im Bundesmini-
lich darauf hingewiesen, daß eine Erhöhung der Zu- sterium für Verkehr: Mit allem Nachdruck, Herr
schüsse zum Berlin-Verkehr wegen der beschränk- Abgeordneter!
ten Finanzlage des Bundeshaushalts nicht möglich
sein wird. Es treten daher im Luftverkehr mit Berlin Stingl (CDU/CSU) : Herr Staatssekretär, ist auch
am 1. April 1963 die neuen Tarife in Kraft, die im über die Wirtschaftlichkeit auf dieser Strecke ein-
Ergebnis eine Erhöhung des seither vom Fluggast gehend gesprochen worden, oder hatten Sie über-
zu bezahlenden Rückflugpreises um 1 DM bis 22 DM haupt die Möglichkeit, über die Botschaft über die
bringt. Der Verkehr zwischen Berlin und Hamburg Wirtschaftlichkeit orientiert zu werden?
wird nur um 1 DM für Hin- und Rückflug, der Ver-
kehr zwischen Berlin und Hannover um 6 DM für Dr. Seiermann, Staatssekretär im Bundesmini-
Hin- und Rückflug erhöht. Gleichzeitig tritt eine sterium für Verkehr: Auch über die Frage der Wirt-
Senkung des Preises für Flüge in nur einer Richtung schaftlichkeit ist sehr eingehend gesprochen worden.
um 9 DM bis 29 DM in Kraft. Allerdings machen
die Flüge in nur einer Richtung nur 10% des ge- Vizepräsident Dr. Dehler: Frage XI/4 — des
samten Luftverkehrsaufkommens aus. An der Tat- Herrn Abgeordneten Kubitza —:
sache, daß durch Bundeszuschüsse sämtliche Hin-
Stimmen die Pressemeldungen, wonach sich die für 1965 in
und Rückflüge verbilligt werden, ändert sich nichts, Aussicht genommene Fertigstellung der Autobahnstrecke Würz-
jedoch bleiben die absoluten Sätze der Verbilligung burg—Schweinfurth sowie die für 1966 vorgesehene Strecke
Schweinfurth—Brückenau aus Mangel an Mitteln verzögert?
die gleichen wie bisher. Die Versuche, die Tarif-
erhöhung durch Anhebung der Subventionssätze
des Berlin-Luftverkehrs auszugleichen, konnten lei- Dr. Seiermann, Staatssekretär im Bundesmini-
der bei der beschränkten Haushaltslage nicht zum sterium für Verkehr: Herr Abgeordneter, ich muß
Erfolg führen. Ihre Frage leider bejahen. Sie wissen, daß die Mittel
für den Straßenbau auch auf dem Gebiet des Bundes-
autobahnbaues gekürzt worden sind. Dazu kommt
Vizepräsident Dr. Dehler: Eine Zusatzfrage, die ganz neue Finanzierungslage, vor 'die uns die
Frau Dr. Maxsein! Auswirkungen dieses Winters, die noch gar nicht
2910 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 63. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. März 1963

Staatssekretär Dr. Seiermann


zu übersehen sind, hinsichtlich der Beseitigung der Die obersten Landesbehörden haben jedoch keine
kleinen und großen Frostschäden stellen werden. Ich Bedenken dagegen, daß die Feuerschutzbehörden
kann Sie aber insoweit beruhigen, als nach meinen die Hydranten deutlich kenntlich machen. Die Auf-
eingehenden Feststellungen in unserem Hause die nahme eines besonderen Zeichens hierfür in die
besondere Verkehrsbedeutung der Strecke, die Sie Straßenverkehrs-Ordnung halten sie jedoch nicht für
im Auge haben, auch von uns weiterhin bejaht und erforderlich. Ich möchte mich dieser Auffassung der
bei der Zuteilung der Mittel im Auge behalten wird. obersten Landesbehörden zunächst anschließen.

Vizepräsident Dr. Dehler: Zusatzfrage! Vizepräsident Dr. Dehler: Herr Abgeordneter


Wittrock zu einer Zusatzfrage!
Kubitza (FDP) : Herr Staatssekretär, inwieweit
ist die Prüfung der Frage gediehen, ob nicht in ähn- Wittrock (SPD) : Herr Staatssekretär, ist Ihnen
licher Weise wie früher eine Mittelbereitstellung bekannt, daß die Arbeitsgemeinschaft Feuerschutz —
über Öffa-Wechsel erfolgen könnte? das ist die Arbeitsgemeinschaft der Landesdienst-
stellen für Feuerschutz in den Bundesländern —
eindringlich und an Hand von Beispielen — z. B.
Dr. Seiermann, Staatssekretär im Bundesmini-
sterium für Verkehr: Die Frage ist geprüft und wird unter Hinweis auf die unerträglichen Verhältnisse
weiter geprüft. Ich komme bei der Beantwortung bei einem Großbrand vor einiger Zeit in Nürn-
einer anderen Frage darauf noch näher zurück. berg — geltend macht, daß hier ein Regelungs-
bedürfnis bestehe und daß man insbesondere auf
eine für das Bundesgebiet einheitliche Kennzeich-
Vizepräsident Dr. Dehler: Ich rufe auf die nung hinwirken solle, so wie sie nach meiner Kennt-
Frage XI/5 — des Herrn Abgeordneten Dr. Mom nis in den amerikanischen Wohngebieten in der
mer — : Stadt Wiesbaden üblich ist?
Ist der Herr Bundesverkehrsminister bereit, bei der Deutschen
Bundesbahn anzuregen, daß die in den Bahnhöfen aushängenden
Verzeichnisse über Ankunft und Abfahrt der Züge - in Klein- Dr. Seiermann, Staatssekretär im Bundesmini-
format gedruckt und den Interessierten als Werbeschrift oder sterium für Verkehr: Ich kenne diese Eingabe nicht.
gegen Entgelt zur Verfügung gestellt werden?
Wahrscheinlich wird sie unserem Hause bekannt
sein, vielleicht aber auch nur, da es sich um eine
Dr. Seiermann, Staatssekretär im Bundesmini- Feuerschutzangelegenheit handelt, an die Landes-
sterium für Verkehr: Herr Abgeordneter Dr. Mom-
regierungen gegangen sein.
mer, ich bin gerne bereit, Ihre Anregung an die
Deutsche Bundesbahn weiterzugeben. Ich darf aber Es ist aber so — ich habe das schon angedeutet,
darauf hinweisen, daß die Deutsche Bundesbahn der kann es aber noch näher ausführen —, daß sich eine
Anregung, die Ankunft- und Abfahrt-Pläne der gewisse einheitliche Kennzeichnung dieser Hydran-
Bahnhöfe an Interessenten abzugeben, schon seit ten bereits eingebürgert hat, nämlich in der Form
längerer Zeit in großem Umfang nachkommt, da sie eines 20 cm breiten Kreises von 1 m Durchmesser.
Abdrucke dieser Pläne in Originalgröße oder ver- Nur die Farbe ist in den einzelnen Ländern oder
kleinert an Hotels, Gaststätten und sonstige Interes- Bezirken noch verschieden; teils sind es weiße
senten auf Anforderung kostenlos abgibt. Eine Ab- Kreise, teils sind es rote Kreise.
gabe oder ein Verkauf an den Schaltern war aller-
dings bisher nicht üblich. Die Anregung wird aber Der gewünschten Vereinheitlichung steht natürlich
sicher geprüft werden. nichts entgegen. Ich werde mich noch einmal an die
Länder wenden, um auf eine solche Vereinheitlichung
hinzuwirken. Sie werden aber verstehen, Herr Abge-
Vizepräsident Dr. Dehler: Wir kommen zur
ordneter, daß der Bundesverkehrsminister jeder
Frage XI/6 — des Herrn Abgeordneten Wittrock —
Anregung, neue Schilder aufzustellen, die zwangs-
:

Anerkennt die Bundesregierung die Notwendigkeit, durch weise im ganzen Bundesgebiet eingeführt werden
eine Regelung in der Straßenveikehrs-Ordnung einheitlich und
für das gesamte Bundesgebiet verbindlich ein amtliches Ver- müssen, mit einer gewissen Skepsis gegenüber-
kehrszeichen für ein besonderes Halteverbot an Feuerlösch-
hydranten zu schaffen, um so einen durch haltende Kraftfahr- steht. Sie wissen genausogut wie ich, daß der
zeuge unbehinderten Einsatz der Feuerwehren zu gewährleisten? sogenannte Schilderwald einer der beliebtesten An-
griffspunkte der Straßenverkehrspolitik ist. Ich habe
Dr. Seiermann, Staatssekretär im Bundesmini- Ihnen gesagt, daß wir die von Ihnen heute aufge-
sterium für Verkehr: Die Hydranten befinden sich worfene Frage bereits im Vorjahr zum Gegenstand
nur noch selten auf der Fahrbahn. Sie werden im einer Rundfrage bei den Ländern gemacht haben,
allgemeinen als Unterflurhydranten auf den Geh- die ja über die ortsnächsten Erfahrungen verfügen
wegen oder Seitenwegen angelegt. und als die zuständigen Behörden auch für den
§ 16 der Straßenverkehrs-Ordnung enthält bereits Feuerschutz am ehesten an einer einheitlichen Rege-
das Verbot, auf den Gehwegen Schachtdeckel und lung interessant sein müßten. Sie haben erklärt, daß
andere Verschlüsse zu befahren oder über ihnen zu ein Bedürfnis für eine bundeseinheitliche Regelung
parken, soweit das Parken auf den Bürgersteigen in Form eines einheitlichen Verkehrszeichens nicht
überhaupt erlaubt ist. Nach dem Ergebnis einer gegeben erscheint.
Rundfrage im vergangenen Jahr sind die obersten
Landesbehörden der Ansicht, daß diese Vorschrift Vizepräsident Dr. Dehler: Eine weitere Frage,
nach den bisherigen Erfahrungen ausreicht. Herr Abgeordneter Wittrock!
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 63. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. März 1963 2911

Wittrock (SPD) : Herr Staatssekretär, würden Sie bahn im Gegensatz zu unseren Nachbarn erfreu
berücksichtigen, daß dieses Bedürfnis, den Schilder- licherweise gut meistern können.
wald zu entrümpeln, voll anerkannt wird und daß
es in keinem Widerspruch zu dem Anliegen steht, Vizepräsident Dr. Dehler: Eine Zusatzfrage,
das hier Gegenstand der Frage ist? Herr Dr. Mommer. bitte!

Dr. Seiermann, Staatssekretär im Bundesmini- Dr. Mommer (SPD) : Herr Staatssekretär, wie
sterium für Verkehr: Insoweit vielleicht doch, Herr
steht es denn jetzt? Hat die Bundesbahn auf ihren
Abgeordneter: Wenn die zunächst beteiligten Auf-
elektrifizierten Strecken genügend Strom oder nicht,
sichtsbehörden und die zuständigen Behörden, näm-
und wird es also jetzt zu Ende sein mit den Verspä-
lich die Landesbehörden, die Notwendigkeit eines tungen, der Benutzung von Dampfloks statt E-Loks
bundeseinheitlichen Verkehrszeichens in Abrede
und mit den Abschaltungen der Heizungen, oder
stellen, dann müßten natürlich schon außergewöhn-
wird das noch weitergehen?
liche neue Tatbestände vorgetragen werden, um
Verhandlungen mit den Ländern mit Aussicht auf
Erfolg neu aufzunehmen. Dr. Seiermann, Staatssekretär im Bundesmini-
sterium für Verkehr: Herr Abgeordneter, ich glaube,
Vizepräsident Dr. Dehler: Ich rufe auf die daß dieser Zeitpunkt, der von mir genauso ge-
Frage XI/7 — des Abgeordneten Dr. Mommer — :
wünscht wird wie von Ihnen, in allernächster Nähe
steht. Sie müssen allerdings noch berücksichtigen,
Ist es richtig, daß wegen Strommangels schon seit Juni 1962 daß die Rheinwasserstraße zwar frei ist, aber wegen
im Betriebswerk Kornwestheim folgende Züge mit Dampf statt
mit Elektrolokomotiven gefahren werden: 8116, 8167, 15114, 8810, des außerordentlich geringen Wasserstandes und
6708, 8817, 8007, 6850. 5325, 9212, 6701, 8804, 8177, 6859, 6722,
6706, 6872, 6713 und 6732? der noch erforderlichen Verbaggerungen der soge-
nannten Gebirgsstrecke noch nicht so aufnahme-
fähig ist, daß die Eisenbahn insbesondere im Rhein-
Dr. Seiermann, Staatssekretär im Bundesmini-
gebiet von Höchstleistungen heute schon freigestellt
sterium für Verkehr: Mit Beginn des Sommerfahr-
wäre. Aber wie gesagt, es kann sich nur noch um
plans 1962 wurde auf der rechten Rheinstrecke
- der
Tage handeln.
elektrische Zugbetrieb aufgenommen. Für die Strom-
versorgung waren insbesondere die in Berlin be-
stellten Umformer 2 und 3 des Umformerwerks Vizepräsident Dr. Dehler: Nun die Frage
Köln vorgesehen. Der Umformer 2 wurde termin- XI/8 — des Herrn Abgeordneten Dr. Mommer — :

gemäß geliefert. Beim Umformer 3 aber traten ist es richtig, daß Anfang Dezember 1962 z. B. auf der Strecke
Lieferverzögerungen auf, die zum Teil auf die Ber- Stuttgart—München wegen Spannungsabfalls die Güterzüge auf
Wartestellung gehen mußten und trotzdem die Fernschnellzüge
liner Mauer zurückzuführen sind. Er konnte erst bis zu zwei Stunden Verspätung hatten?
am 3. August 1962 in Betrieb genommen werden.
Dadurch war es notwendig, daß ab 6. Juni 1962 Bitte, Herr Staatssekretär!
Züge, für die E-Lok-Bespannung vorgesehen war,
auch auf anderen als der rechten Rheinstrecke vor- Dr. Seiermann, Staatssekretär im Bundesmini-
übergehend mit Dampflok gefahren wurden. Ihre sterium für Verkehr: Der Pünktlichkeitsgrad im
Zahl betrug aber, jedenfalls nach unseren Feststel- Zugverkehr hat sich im Monat Dezember 1962 unter
lungen, nicht 19 Züge, sondern höchstens 12 Züge dem Einfluß strengen Frostes, starker Schneefälle
je Tag und ist im Laufe des Sommers auf 4 Züge je und zeitweise heftigen Südweststurmes allgemein
Tag zurückgegangen. Anfang Dezember 1962 wurde verschlechtert. Die angespannte Bahnstromversor-
die Lage in der Bahnstromversorgung durch außer- gung infolge der bereits erwähnten außergewöhn-
gewöhnliche Belastung und Wintereinflüsse mit lichen Belastung und Winterschwierigkeiten, die
großem Strombedarf für die elektrische Zugheizung vorübergehend auch zum Abstellen — aber nicht
sowie durch den Ausfall der 34-MW-Maschine im wie bei unseren Nachbarn zum Ausfall oder zur
Kraftwerk Düsseldorf-Lausward infolge Induktor- Nichtabnahme — von Güterzügen während des Be-
schadens erneut schwierig, so daß etwa 4 Wochen rufsverkehrs zwangen, hatte auf den Pünktlichkeits-
lang 16 der in Anfrage genannten 19 Züge mit grad keinen nennenswerten Einfluß. Die durch
Dampflok zu fahren waren. Spannungsabfall während der Verbrauchsspitzen im
In der Fragestunde am 8. Februar berichtete Herr frühen und späten Berufsverkehr stellenweise ver-
Minister Dr. Seebohm dem Hohen Hause davon, daß ursachten Zuglaufstörungen hielten sich in mäßigen
die eben genannte Maschine kurz zuvor wieder in Grenzen. Der Fernreisezugdienst war davon aber
Betrieb gegangen ist. Die vorübergehende Änderung kaum wesentlich betroffen.
der für Elektroloktraktion bestimmten Züge auf Wenn bei einzelnen Fernschnellzügen auf der
Dampfloktraktion ist also einmal eine im Zuge einer Strecke Stuttgart—München Verspätungen in der
grundsätzlichen Umstellung nicht ganz zu vermei- angegebenen Höhe vorgekommen sind, sind sie
dende Folge von Übergangsschwierigkeiten, zum überwiegend nicht auf Störungen in der Stromver-
anderen Anfang Dezember auf eine durch den unver- sorgung, die natürlich in hartem Frost oder bei
muteten Ausfall einer Primärerzeugungsmaschine Schneesturm immer einmal vorkommen können,
bedingte vorübergehende Betriebsstörung, jedoch sondern meistens auf andere Ursachen zurückzufüh-
nicht auf grundsätzliche Mängel zurückzuführen. Die ren, wie verspäteter Zulauf von ausländischen Bahn-
jahreszeitlich bedingten Überlastungen des Netzes verwaltungen und die damit verbundenen An-
durch vermehrten Stromverbrauch hat die Bundes schlußverspätungen, zugefrorene oder verschneite
2912 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 63. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. März 1963

Staatssekretär Dr. Seiermann


Weichen und vorübergehende frostbedingte Fahr- Vizepräsident Dr. Dehler: Eine Zusatzfrage
leitungsschäden wie z. B. Isolatorenbrüche, nicht des Herrn Abgeordneten Börner.
aber auf grundsätzliche Mängel in der Stromver-
sorgung. Börner (SPD) : Herr Staatssekretär, haben Sie im
Rahmen dieser Verhandlungen mit den Fluggesell-
Vizepräsident Dr. Dehler: Keine weitere schaften, die Berlin anfliegen, auch erneut die Frage
Frage. der Flugunfallversicherung für Berlin-Flüge in die
Diskussion gebracht?
Frage XI/9 — des Herrn Abgeordneten Liehr —:

Kann die zum 1. April 1963 beabsichtigte, im Schnitt 10%ige


Erhöhung der Tarife im Flugverkehr von und nach Berlin durch
Dr. Seiermann, Staatssekretär im Bundesmini-
zusätzliche Subventionen der Bundesregierung ausgeglichen sterium für Verkehr: Da bin ich im Augenblick über-
werden?
fragt. Ich werde das aber überprüfen und Ihnen
Bitte, Herr Staatssekretär. schriftlich Bescheid geben.

Dr. Seiermann, Staatssekretär im Bundesmini- Vizepräsident Dr. Dehler: Frage XI/10 — des
sterium für Verkehr: Die Bundesregierung sieht Herrn Abgeordneten Schmidt (Kempten) —:
sich, wie ich bereits bei der Beantwortung einer
Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung bereits in Erwä-
vorhergehenden Frage angedeutet habe, wegen der gung gezogen, um eine möglichst rasche Behebung der durch den
äußerst angespannten Haushaltslage, aber auch we- übernormal starken Winter in wesentlich umfangreicherem Maße
aufgetretenen Frostschäden zu gewährleisten und damit die
gen der mit einer Erhöhung der Subventionen ver- besonders betroffenen Gebiete und deren Wirtschaft vor auf-
tretenden Sonderbelastungen zu bewahren?
bundenen sonstigen Auswirkungen nicht in der
Lage, die Mehrbelastung für Flugreisende im Berlin Bitte, Herr Staatssekretär.
Verkehr auszugleichen. Im Jahre 1962 sind etwa
25 Millionen DM für die Subventionen der Berlin
Flüge gebraucht worden. In diesem Rahmen halten Dr. Seiermann, Staatssekretär im Bundesmini-
sich auch die für 1963 veranschlagten Summen. Bei sterium für Verkehr: Das Bundesverkehrsministerium
-
Übernahme der Tariferhöhung auf die Subventionen hat die obersten Straßenbaubehörden der Länder
müßten diese um 50 bis 60 % erhöht werden. als Auftragsverwaltungen des Bundes mit Schnell-
brief vom 16. Februar dieses Jahres nochmals ange-
wiesen, darauf zu achten, daß die durch den unge-
Vizepräsident Dr. Dehler: Zu einer Zusatz- wöhnlich strengen Winter zu erwartenden Schäden
frage Herr Abgeordneter Liehr.
an den Bundesfernstraßen unverzüglich ausgebessert
werden, um die Ausweitung von Zerstörungen zu
Liehr (SPD) : Herr Staatssekretär, hält die Bun-
vermeiden und 'den Verkehrswert der Straßen zu
desregierung die finanziellen Forderungen der im
erhalten. Die Mittel für die Durchführung der dazu
Berlin-Verkehr außer Konkurrenz tätigen Flug-
gesellschaften für gerechtfertigt? notwendigen Arbeiten sind in erster Linie nach den
Kennzahlen des Straßenbauhaushalts zu entnehmen,
die für die Unterhaltung und vor allem für den klei-
Dr. Seiermann, Staatssekretär im Bundesmini- neren Um- und Ausbau, insbesondere für den soge-
sterium für Verkehr: Zur Entscheidung dieser Frage nannten Zwischenausbau, vorgesehen sind und die
sind wir nach den bereits genannten Vertragsbe- im Rechnungsjahr 1963 einen Betrag von über 400
stimmungen natürlich nicht zuständig. Daß wir Millionen DM ausmachen. Die teilweise Umlagerung
schwerste Bedenken gegen die Beweisführung hat-
dieser Mittel zugunsten der Beseitigung von Frost-
ten, habe ich bereits zum Ausdruck gebracht, und
schäden wird aber nicht ohne eine Zurückstellung
diese Bedenken bestehen bei uns auch weiterhin.
von Maßnahmen des Zwischen- bzw. Deckenausbaus
möglich sein. Das wird man zunächst hinnehmen und
Vizepräsident Dr. Dehler: Eine weitere Zu- später vielleicht wieder ausgleichen können, wenn
satzfrage des Herrn Abgeordneten Liehr. die finanziellen Auswirkungen der Frostperiode
in vollem Umfang zu übersehen sind, was zur Zeit
Liehr (SPD) : Herr Staatssekretär, würde nicht noch nicht annähernd möglich ist, und wenn insbe-
allein die Möglichkeit, daß die Erhöhung der Flug- sondere feststeht, inwieweit auch die veranschlagten
preise zu einer unerwünschten Beeinträchtigung des großen Aus- und Neubaumaßnahmen durch die
Berlin-Verkehrs führen kann, eine Überprüfung des lange Dauer des strengen Winters beeinträchtigt
Standpunktes der Bundesregierung in bezug auf worden sind.
verstärkte Subventionen erforderlich machen?
Zur Zeit ist noch nicht abzusehen, ob die dafür
vorgesehenen Investitionsmittel infolge bereits ein-
Dr. Seiermann, Staatssekretär im Bundesmini-
getretener Verzögerungen bei der Bauinangriff-
sterium für Verkehr: Herr Abgeordneter, ich bitte
nahme in vollem Umfang beansprucht werden. Soll-
Verständnis dafür zu haben, daß wir zunächst die
ten dadurch Mittel frei werden, so könnten auch
Auswirkungen — jedenfalls für einige Wochen ein-
diese der Beseitigung von Frostschäden zugeführt
mal — verfolgen. Wir haben nämlich während der
werden.
Dauer der Subventionen festgestellt, daß eine nicht
unerhebliche Verlagerung des Berlin-Verkehrs von Die finanziellen Voraussetzungen für die Behe-
der Schiene und von der Straße auf den Luftweg bung von Frostschäden sind demnach vorhanden,
erfolgt ist. und es besteht auch keine Veranlassung, besorgt
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 63. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. März 1963 2913
Staatssekretär Dr. Seiermann
zu sein, daß Verwaltung und Bauindustrie etwa Berichterstatter ist der Herr Abgeordnete Stein.
auftretende technische Schwierigkeiten nicht rasch In der vorgestrigen Sitzung ist die Beratung bei der
und befriedigend lösen werden. Das wird um so Behandlung des Antrags der Fraktion der SPD Um-
weniger der Fall sein, wenn die Öffentlichkeit den druck 207 *) Ziffer 1 unterbrochen worden. — Das
dabei notwendigen vorübergehenden Beschränkun- Wort wird nicht gewünscht. Wir können also in der
gen im Verkehr mit Verständnis begegnet. Abstimmung fortfahren.
Wer dem Antrag der Fraktion der SPD Umdruck
Vizepräsident Dr. Dehler: Zu einer Zusatz- 207 Ziffer 1 zustimmt, gebe bitte Zeichen. — Ge-
frage Herr Abgeordneter Schmidt. genprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag ist abge-
lehnt.
Schmidt (Kempten) (FDP) : Herr Staatssekretär,
hat das Ministerium schon eine Vorstellung dar- Wir kommen zur Beratung der Ziffer 2 des An-
über, wie das Volumen der Frostaufbrüche heuer trags der SPD auf Umdruck 207, wonach § 4 Abs. 1
gegenüber dem Vorjahr abzuschätzen ist? Nr. 5 gestrichen werden soll. Wer zustimmt, gebe
bitte Zeichen. — Gegenprobe! — Ebenfalls abge-
Dr. Seiermann, Staatssekretär im Bundesmini- lehnt.
sterium für Verkehr: Nein. Ich werde darüber bei Ich lasse über Abs. 4 in der Fassung der Aus-
der Beantwortung einer anderen Frage noch nähere schußvorlage abstimmen. Wer zustimmt, gebe bitte
Auskunft geben. Zeichen. — § 4 ist mit großer Mehrheit angenom-
men.
Vizepräsident Dr. Dehler: Ich danke Ihnen, Ich rufe auf § 5. Hierzu liegt der Änderungsantrag
Herr Staatssekretär. der Fraktion der SPD Umdruck 207 Ziffer 3 vor.
Wir sind am Ende der heutigen Fragestunde. — Eine Begründung wird nicht gewünscht. Wer dem
Die nicht beantworteten Fragen werden schriftlich Antrag zustimmt, gebe bitte Zeichen. — Gegen-
beantwortet. probe! — Mit derselben Mehrheit wie vorhin ab-
gelehnt.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf: -
Wer § 5 in der Fassung der Ausschußvorlage zu-
Zweite und dritte Beratung des von , den stimmt, gebe bitte Zeichen. — Mit großer Mehrheit
Fraktionen der CDU/CSU, FDP eingebrachten angenommen.
Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Ver- § 6, — § 7, § 8, — Einleitung und Überschrift.
längerung der Geltungsdauer des Gesetzes — Wer zustimmt, gebe bitte Zeichen. — Mit großer
über die Sicherstellung von Leistungen auf Mehrheit angenommen.
dem Gebiet der gewerblichen Wirtschaft
(Drucksache IV/979), Ich schließe die zweite Beratung und rufe auf zur
(Erste Beratung 62. Sitzung). dritten Beratung

Es liegt der Schriftliche Bericht des Wirtschafts und zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetztenwurf
ausschusses durch Herrn Abgeordneten Mertes vor. in der soeben beschlossenen Fassung zustimmt, er-
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Eine Ergän- hebe sich. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Ich
stelle einstimmige Annahme fest.
zung wird nicht gewünscht.
Wir können in die Beratung eintreten. Es ist be- Ich rufe auf Punkt 15 der Tagesordnung:
antragt, in Art. 1 des Entwurfs die Worte „31. De- a) Erste Beratung des von der Fraktion der
zember 1963" durch „30. Juni 1964" zu ersetzen. Ich SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
rufe in dieser Fassung Art. 1, Art. 2 und Art. 3 zur Änderung von Fristen des Gesetzes über
sowie Einleitung und Überschrift auf. Wer zu- den Abbau der Wohnungszwangswirtschaft
stimmt, gebe bitte Zeichen. — Gegenprobe! — Ent- und über ein soziales Miet- und Wohnrecht
haltungen? — Einstimmig angenommen. (Drucksache IV/900),
Ich schließe die zweite Beratung und eröffne die b) Erste Beratung des von den Fraktionen der
dritte Beratung. CDU/CSU, FDP eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes über Wohnbeihilfen (Drucksache IV/
Wer dem Entwurf in dieser Fassung zustimmt, 971).
erhebe sich. — Gegenprobe! — Enthaltungen? —
Der Entwurf ist einstimmig angenommen. Wird das Wort zur Begründung verlangt? —
Bitte, Herr Abgeordneter Dr. Hesberg!
Wir fahren dann im Tagesordnungspunkt 4 fort: (Zuruf des Abg. Jacobi [Köln].)
Fortsetzung der zweiten und dritte Bera- — Es hat sich niemand von Ihnen gemeldet. Aber
tung des von der Bundesregierung einge vielleicht sind Sie einverstanden, Herr Dr. Hesberg,
brachten Entwurfs eines Gesetzes über die daß zunächst die SPD ihren Gesetzentwurf be-
Handwerkszählung 1963 (Handwerkszäh- gründet. — Herr Abgeordneter Jacobi hat das Wort.
lungsgesetez 1963) (Drucksache 1V/876);
Schriftlicher Bericht des Wirtschaftsauschus Jacobi (Köln) (SPD) : Herr Präsident, ich bitte
ses (16. Ausschuß) (Drucksache IV/988) sehr um Entschuldigung. Aber die Verständigung in
(Erste Beratung 54. Sitzung). *) Siehe Anlage 2
2914 Deutscher Bundestag - 4. Wahlperiode — 63. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. März 1963

Jacobi (Köln)
diesem Hause ist um so schlechter, je weiter vorn zeitigen? Ist nicht jedem von uns klar, daß alle
man sitzt. Ich habe nicht richtig verstanden, daß Wohnungsbauten terminlich eine zusätzliche Ver-
Sie bereits den Gesetzentwurf Drucksache 900 auf- zögerung erfahren haben? Das aber bedeutet, daß
gerufen hatten. Ich darf namens der sozialdemokra- beim Abbau des Wohnungsdefizits zusätzliche Er-
tischen Bundestagsfraktion diesen Gesetzentwurf schwerungen eingetreten sind, mit denen bei der
begründen. Verabschiedung der Lücke-Gesetze im Jahre 1960
Meine Damen und Herren! Das Gesetz über den niemand gerechnet hat und niemand rechnen konnte.
Abbau der Wohnungszwangswirtschaft und über Meine Damen und Herren, das ist festzustellen
ein soziales Miet- und Wohnrecht, im Volksmund bei einem an sich schon besorgniserregenden Bau-
kurz „Lücke-Plan" genannt, hat bekanntlich für überhang von annähernd 800 000 Wohnungen. Nach
seine Abbaumaßnahmen Fristen gesetzt. Mit dem
den in den letzten Tagen bekanntgewordenen sta-
Ende des Jahres 1965 sollen im ganzen Bundesgebiet
tistischen Zahlen beträgt dieser Überhang 784 000
die Wohnraumbewirtschaftung, die Bindung der
Wohnungen. Allein der Winter hat es mit sich ge-
Mietpreise und der Mieterschutz in seiner bisheri-
bracht, daß in diesem Jahr an die 120 000 Wohnun-
gen Form entfallen. Dieser Übergang in die Markt-
gen weniger gebaut werden. Vielleicht ist dieses
wirtschaft mit den erwähnten, tief in die bisherigen
frostbedingte Manko sogar noch größer. Das will,
rechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse eingrei-
das muß beachtet werden; denn allein diese Tat-
fenden Begleiterscheinungen ist nach dem Gesetz
sachen haben die im Jahre 1960 hinsichtlich der Be-
für die sogenannten „weißen Kreise", d. h. für die
seitigung des Wohnungsdefizits selbstsicher kund-
Stadt- und Landkreise mit einem statistischen Woh-
nungsdefizit von unter 3 %, bereits für den 1. Juli gegebenen Prognosen fragwürdig gemacht.
1963 vorgesehen. Nach allem, was bisher bekannt- Sie selbst haben in gelegentlichen Verlautbarun-
geworden ist, werden von dieser globalen Zwischen- gen keinen Zweifel darüber gelassen, daß Sie auf
regelung etwa 300 Stadt- und Landkreise des Bun- diese Dinge achten wollen. Ich entsinne mich einer
desgebiets berührt. Veröffentlichung aus der Feder des Kollegen Mick,
Der Gesetzentwurf, der heute zur ersten Beratung in der darauf hingewiesen wurde: Wenn in der Tat
ansteht und der Ihnen mit der Drucksache - IV/900 die Nachprüfung der statistischen Daten ergebe, daß
vorliegt, will das erwähnte Datum des 1. Juli 1963 diese auf Irrtümern beruhten, müsse an die Über-
durch das Datum des 1. Juli 1964 ersetzen. Ich darf prüfung der Fristen herangegangen werden. Es ist
ihn namens der sozialdemokratischen Fraktion be- meine Aufgabe, darzutun, daß dazu schon jetzt eine
gründen und die Bitte aussprechen, ihm zur als- Notwendigkeit besteht.
baldigen Beratung an den Ausschuß für Wohnungs-
wesen, Städtebau und Raumordnung zu überweisen. Ich habe also auf eine Reihe von Umständen hin
gewiesen, die vielleicht überraschend, nicht voraus-
Die sozialdemokratische Gesetzesinitiative zielt sehbar, in jedem Fall aber erschwerend eingetreten
nicht auf eine Aufhebung des Abbaugesetzes, son- sind. Darüber hinaus ist daran zu denken — und es
dern auf die Überprüfung seiner Fristen ab. Auch ist eine gewisse Konsequenz aus Tatsachen zu
wir Sozialdemokraten sind nicht gegen eine Ein- ziehen —, daß zum Beispiel vorausgesagte Entwick-
ordnung der Wohnungswirtschaft in das System lungen ausgeblieben sind, die direkt und indirekt
der sozialen Marktwirtschaft. Wir sind jedoch der Voraussetzungen für einen Übergang zu marktwirt-
Auffassung, daß für eine solche marktwirtschaftliche schaftlichen Regelungen dargestellt hätten. Ich
Regelung andere objektive Voraussetzungen ge- brauche nur stichwortartig einige dieser Punkte zu
schaffen werden müssen, als sie zur Zeit vorliegen. erwähnen.
Wir halten demgemäß die vom zweiten Bundestag
Der Baulandmangel hat seit der Verabschiedung
mit dem Abbaugesetz festgelegten Fristen für ver-
des Abbaugesetzes keinerlei Milderung erfahren.
früht und im Hinblick auf die Grundsätze einer
sozialrechtsstaatlichen Ordnung für bedenklich, ja Die Baulandnot blieb und bleibt ein akutes Problem,
das nicht gelöst worden ist, und es ist auch heute
für unvertretbar.
noch nicht abzusehen, wie sie angesichts der Pas-
Bei der Verabschiedung des Abbaugesetzes sind sivität der Bundesregierung und der Mehrheit die-
Daten über die Entwicklung des Wohnungsbaus und
ses Hauses in bezug auf dieses Problem erleichtert
statistische Zahlen zugrunde gelegt worden, die sich werden soll. Die Baulandaktion des Bundes, laut-
heute als viel zu optimistische Prognosen oder sogar
hals vor den Bundestagswahlen als ein Mittel zur
als irreal herausstellen. Man hörte und las damals
Auflockerung des Bodenmarktes und zur Dämpfung
unter anderem: Es wird weiter gebaut wie bisher; da-
der Baulandpreise angekündigt, hat sich als ein
bei behält der soziale Wohnungsbau den Vorrang.—
Fehlschlag sondergleichen, als völlig wirkungslos
Das ist ein Zitat aus einer amtlichen Schrift des Bun-
erwiesen. Wenige hundert Hektar, weit verstreut
deswohnungsbauministeriums. Es ist in der Tat
dazu, sind vom Bund zur Verfügung gestellt wor-
weitergebaut worden, doch mit rückläufigen Ent-
den. Es sollten ursprünglich 40 000 ha werden. Es
wicklungen des sozialen Wohnungsbaus, der im
gab viele, die den damit betriebenen Zahlengauke-
Jahre 1962 nur noch einen Anteil von 39 v. H. der
leien — davon muß man schon sprechen — eine
fertiggestellten Wohnungen aufwies — 1962, meine
Zeitlang geglaubt haben. Fürwahr, eine „schöne"
Damen und Herren! Und was wird schließlich erst im
Baulandaktion!
Jahre 1963 in dieser Hinsicht festzustellen sein?!
Meinen Sie denn wirklich, der langandauernde Win- Die Baulandpreise sind munter weiter gestiegen.
ter werde nur Frostaufbrüche auf unseren Straßen Wo sie zum Stillstand gekommen sind, geschah dies
Deutscher Bundestag— 4. Wahlperiode — 63. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. März 1963 2915
Jacobi (Köln)
auf der schwindelnden Höhe legalisierter Schwarz- Zunächst: Wie wird denn dieses Defizit überhaupt
marktpreise oder von Verkehrswertpreisen, die je- festgestellt? Man muß sich das vor Augen führen,
der Vernunft spotten und die sowohl den Bauland- um Klarheit über die gesamte Problematik zu er-
sparern wie .den Trägern von Mietwohnungsbauten halten.
unverändert größte Sorge bereiten. Die Berechnung des Wohnungsfehlbestandes rich-
Die anderslautenden, selbstsicheren Prognosen tet sich nach Art. II § 3 c Abs. 2 des Abbaugesetzes.
der Bundesregierung haben sich nicht erfüllt. Sie Danach ergibt sich die Zahl der fehlenden Wohnun-
wurden erneut verkündigt, als die Abbaugesetze gen aus der Differenz der Zahl der Wohnparteien
hier zur Beratung anstanden. und der Zahl der vorhandenen Normalwohnungen.
Der Wohnungsbestand wird nach der amtlichen
Auch das vielgerühmte Bundesbaugesetz hat als Statistik über die Bautätigkeit auf Grund der jähr-
Instrument der Bodenordnung versagt. Baustopp lichen Reinzugänge fortgeschrieben. Die Zahl der
maßnahmen, von denen man sich preisregulierende Wohnparteien andererseits wird aus der amtlich
Wirkungen versprach, haben ebenfalls keinerlei fortgeschriebenen Einwohnerzahl errechnet, indem
Hilfe gebracht, kurz, eine ganze Reihe von Hoff- man das Verhältnis der Wohnparteien zur Einwoh-
nungen sind gestrandet, die als Voraussetzungen nerzahl nach der Wohnungsstatistik 1956/57 auf die
für eine forcierte Behebung des Wohnungsmangels fortgeschriebenen Einwohnerzahlen überträgt. Von
gegolten haben. der so errechneten Zahl der Wohnparteien zählen
Doch über diese an sich schon gravierenden Tat- alle Mehr-Personen-Haushalte und 50 %, in den
sachen hinaus besteht Anlaß, ein kritisches Wort zu Großstädten 60 % aller Ein - Personen - Haushalte als
dem zu sagen, was im Zusammenhang mit den an- Wohnungsbedarfsträger.
gekündigten Maßnahmen des Abbaugesetzes ge- Der Aussagewert der auf diese Weise zustande
schehen oder unterblieben ist. Erst heute liegt uns gekommenen Statistik aber ist höchst problematisch.
ein Gesetzentwurf zur endgültigen Regelung der Denn diese Statistik ergibt ein rein rechnerisches
Miet- und Lastenbeihilfen, der Entwurf des soge- Wohnungsdefizit, das sich nur bedingt mit dem tat-
nannten Wohnbeihilfengesetzes vor, jedoch nicht sächlichen Bedarf deckt. Auf einige Fehlerquellen
als Regierungsvorlage, sondern als Initiativgesetz-
- sei hingewiesen.
entwurf der Koalitionsparteien. Zu ihm wird im Erstens. Die Berechnungsmethode unterstellt, daß
weiteren Verlauf unserer Verhandlungen noch Stel- die Zusammensetzung der Haushalte nach ihrer
lung zu nehmen sein, sobald der Herr Kollege Dr. Größe seit 1956 unverändert geblieben ist. In Wirk-
Hesberg diesen Koalitionsentwurf begründet hat. lichkeit sind die Zahl der tatsächlichen Haushalte
Ich darf mich auf den Hinweis beschränken, daß und die damit verbundenen zahlenmäßigen Wohn-
die Bundesregierung über einen Referentenentwurf ansprüche größer geworden. Man denke in diesem
zu dieser Materie nicht hinausgekommen ist, ob- Zusammenhang nur daran, daß die besonders ge-
wohl seit der Verabschiedung des Abbaugesetzes burtenstarken Jahrgänge der letzten Vorkriegsjahre
inzwischen heiratsfähig und heiratswillig geworden
mehr als zwei Jahre vergangen sind und obwohl
sind. Sie drängen aus der bisherigen, oft mit den
das Inkrafttreten eines solchen Gesetzes die Vor-
Eltern geteilten Wohnungseinheit hinaus.
aussetzung für die Aufhebung der Wohnraumbewirt-
schaftung, die Freigabe der Mietpreise und die Be- Zweitens. Viele inzwischen für freiberufliche und
endigung des bisherigen Mieterschutzes ist. gewerbliche Zwecke zweckentfremdete Wohnungen
werden nach wie vor dem Wohnungsbestand zuge-
Zu diesem unabdingbaren gesetzlichen Junktim rechnet.
kommt das moralische Junktim hinzu, das mit der
Schaffung eines sozialen Miet- und Wohnrechts an- Drittens. In Eigennutzung genommene Einlieger-
wohnungen erscheinen in der Fortschreibung nicht
gekündigt worden ist. Auch hier hat sich die Bun-
als Abgang.
desregierung unvorstellbar viel Zeit genommen,
um dem Bundestag eine Vorlage zu unterbreiten. Viertens. Doppelwohnungen decken den Wohn-
Erst vor wenigen Wochen konnte die erste Lesung bedarf für nur einen Haushalt, erscheinen aber im
des Entwurfs stattfinden. Gesamtwohnungsbestand als Normalwohnungen,
was sich heute besonders in vielen Landkreisen
Das bisher Gesagte, meine Damen und Herren, auswirkt und worüber ich Ihnen nachher einige Zah-
würde allein ausreichen, um die Frage zu recht- len vortragen werde.
fertigen, wer es unter solch widrigen Umständen
Fünftens. Es erfolgt keine Erfassung von Ein-
wagen kann, die Fristen des Abbaugesetzes auf-
pendlern, von denen Hunderttausende an den Platz
rechtzuerhalten und demgemäß am 1. Juli 1963 in
ihrer Arbeitsstätte ziehen möchten.
den sogenannten weißen Kreisen marktwirtschaft-
liche Regelungen an die Stelle der bisherigen Preis- Sechstens. Ebensowenig wie über den Einpendler
bindungen und des Mieterschutzes treten zu lassen. bedarf ergibt die Statistik Anhaltspunkte für den
Aber. stimmen denn, völlig unabhängig von dem Wohnungsbedarf, der sich bei den nach einer bes-
bisher Dargelegten, die statistischen Daten über- seren oder größeren Wohnung Suchenden oder aus
haupt, auf die die vorgesehene gebietsweise Auf- der Unzulänglichkeit schlechter, auch durch Moder-
hebung der Wohnraumbewirtschaftung, des bishe- nisierung nicht mehr verbesserungsfähiger Woh-
rigen Mieterschutzes und der Mietpreisbindungen nungen ergibt. Alle diese unzureichenden Wohnun-
zum 1. Juli 1963 gestützt wird? Nun, wir werden gen aber werden schematisch als Normalwohnungen
sehen. angerechnet. Statistisch ist also keine Problem zu er-
2916 Deutscher Bundestag - 4. Wahlperiode - 63. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. März 1963

Jacobi (Köln)
kennen; Wohnung gilt gleich Wohnung. Wir wissen - Nein, das ist kein weißer Kreis, das weiß ich auch,
aber allein aus der Repräsentativerhebung, die Herr Kollege; aber ich nenne eine ganze Reihe von
durch Befragung von 1 % aller Haushalte des Bun- Zahlen, um darzutun, daß die statistischen Unter-
desgebiets 1960 erfolgt ist, daß ein riesiger zusätz- lagen einfach nicht in Ordnung sind, daß man auf
licher Wohnungsbedarf angemeldet ist. Er geht in diese die Entscheidungen nicht stützen darf, die Sie
die Hunderttausende allein in den Fällen, in denen mit dem Abbaugesetz getroffen haben, und daß
Haushalte ihre derzeitige Wohnung wechseln wol- sich die Konsequenzen nunmehr im Einzelfall bei
len, beileibe nicht aus einem Sozialprestigedenken, den weißen Kreisen schon am 1. Juli dieses Jahres
sondern wegen billigenswerter, bisher zu kurz ge- zeigen. Wir wollen doch hier nicht so tun, als ob
kommener Wohnansprüche. Unsere Statistik, die die wir nicht alle wüßten, worum es geht. Ich kann
„weißen Kreise" betrifft, sagt auch hierüber nichts Ihnen auch weiße Kreise nennen, daß Ihnen die
aus. Sie kennt das Problem einfach nicht. Augen übergehen; Sie werden das gleich noch er-
leben.
Ganz allgemein wird durch die Defizitberechnung (Abg. D. Czaja: Los!)
der Wohnungsfehlbestand als eine rein statistische
Kategorie angegangen. Die wohnungsmarktpolitisch Stadt Münster: 6,9 % - 11,8%. Recklinghausen:
entscheidende Frage nach den Wohnungswünschen 0,2 % - das ist ein weißer Stadtkreis - 3,7 %;
der Bevölkerung und den Notwendigkeiten, ihnen Landkreis Recklinghausen: 2,4 % - das ist ein wei-
hinsichtlich der Größe, Qualität und Lage der Woh- ßer Landkreis - 3,1 %. Beckum: dieselben Zahlen,
nungen in Verbindung mit Mieten, Lasten und Ein- 2,4 % auf der Basis von 1956, 3,1 % auf der Basis
kommen Rechnung zu tragen, d. h. der Fehlbestand von 1961. Und so geht es fort: Landkreis Lübbecke:
als marktwirtschaftliche Kategorie wird nicht erfaßt. 0,5% auf der Basis der Berechnung von 1956, also
ein weißer Kreis, der so weiß ist, wie was weiß ich
Aber selbst wenn man das alles, meine Damen und nur;
Herren, unberücksichtigt ließe, selbst wenn man sich (Heiterkeit)
also mit den statistischen Berechnungen abfände,
ergibt eine Überprüfung der statistischen Daten bei in Wirklichkeit, meine Damen und Herren, ergibt
einer Gegenüberstellung der Berechnungsbasis von die Berechnung auf der Basis von 1961 statt der
- genannten 0,5 % beim Landkreis Lübbecke 5,8 %.
1956, die der Berechnung der weißen Kreise be-
kanntlich zugrunde gelegt wird, zu der Berechnungs- (Dr. Czaja: Dann bleibt der in der Miet
basis der Gebäudezählung von 1961 erstaunliche und preisbindung!)
überraschende Ergebnisse. Von Flensburg bis Kon-
- Nein, er bleibt eben nicht in der Wohnraum-
stanz wird nicht nur von den örtlichen Behörden
bewirtschaftung, er bleibt nicht unter den bisherigen
1 darauf hingewiesen, daß die statistischen Daten aus
Bedingungen, wenn keine neuen Entscheidungen
dem Jahre 1956 keinen realen Aussagewert haben,
ergehen; und was sich dann entwickelt, wissen Sie
sondern auch die amtlichen Zahlen der Statistischen
selber. Trösten Sie doch nicht die Leute, die damit
Landesämter bestätigen dies. Sie zeigen in vielen
gar nicht getröstet werden können.
Fällen, daß die neueren Zahlen, nämlich die von
1961, keine Minderung des Wohnungsdefizits, son- Stadt Bochum - weißer Kreis -: 2,4 %, in Wirk-
dern eine Steigerung ausweisen. Ich beschränke mich lichkeit 4,5 %; Stadt Dortmund: 1,8 %, in Wirklich-
bei den Beispielen, die ich nunmehr anführe, auf keit 4,1%; Herne auf der Basis von 1956 1,9 %, in
solche amtlichen Zahlen, berücksichtige also bewußt Wirklichkeit 4 %. So geht das fort. Stadt Siegen,
keine örtlichen Angaben, die auf privaten Berech- ebenfalls ein weißer Kreis, auf 'der Basis von 1956
nungen oder solchen der kommunalen Verwaltungen 2 %, auf Grund der neuen Berechnungen 11,9 %.
beruhen. Als Letztes aus Nordrhein-Westfalen - ich könnte
Ich greife zwei Länder heraus. Zunächst Nordrhein- die Vorlesung aus der Gesamtstatistik fortsetzen -:
Westfalen. Hier ergibt sich bei der Gegenüberstel- Landkreis Siegen auf der Basis von 1956 3,5 %, auf
lung der Zahlen von 1956 - das ist immer die erste der von 1961 11,4 % Wohnungsdefizit.
Zahl, die ich nenne - zu den Zahlen auf der Berech- Ich glaube nicht, meine Damen und Herren, daß
nungsbasis von 1961 - das ist die zweite Vom- Sie sich damit zufrieden geben können, solche gra-
hundertziffer, die ich nenne - folgende Unterschied- vierenden Unterschiede zur Kenntnis zu nehmen.
lichkeit bei einer ganzen Reihe von Städten und Ich glaube nicht, daß Sie sie mit einer Handbewe-
Landkreisen: gung abtun können: Na ja, es wird trotzdem nicht
Stadt Düsseldorf: Wohnungsdefizit auf der Basis viel passieren. Das geht nicht.
von 1956 7,9 %, auf Grund der Berechnungen von (Sehr wahr! bei der SPD.)
1961 13,2 %. Stadt Duisburg: 1956 3,3 %, 1961 7,5 %.
Das zweite Land, über das ich Ihnen berichten
Krefeld: 10,3 %, zweite Zahl: 19,7 %. Oberhausen:
werde, ist Hessen. Hier werde ich mich, um Ihre
2,6 % - ein weißer Kreis, als Stadtkreis mitten im
Geduld nicht allzusehr in Anspruch zu nehmen -
Ruhrgebiet -, in Wirklichkeit 4,1 %. Das und was
obwohl die Sache es wert wäre, sehr eingehend er-
ich noch an Zahlen nenne sind die amtlichen Ziffern
örtert zu werden -, darauf beschränken, die Zah-
des Landesstatistischen Amtes aus dem Jahre 1961.
len aus den weißen Kreisen, und zwar aus den
Stadt Bonn: 1956 13 %, 1961 dagegen 19,9%. Köln:
Landkreisen, zu nennen. Hier zeigt sich mit einer
8,6 % gegenüber 13 %.
frappierenden Deutlichkeit, wie ungeeignet die pau-
(Abg. Dr. Czaja: In diesen Kreisen wird schale Bewertung der Kreise zur Analyse des Woh-
der Mietpreis nicht freigegeben!) nungsdefizits ist.
Deutscher Bundestag - 4. Wahlperiode - 63. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. März 1963 2917
Jacobi (Köln)
Die detaillierte Beobachtung der Kreise ergibt und bei dem 35 von insgesamt 51 Gemeinden ein
folgendes Bild. Defizit aufweisen, das über 3 % liegt, im Höchstfalle
Erstens: Landkreis Limburg. Das offizielle Defizit bei einer Gemeinde - das ist die Gemeinde Ricken
beträgt 2,1 %. Aber von 51 Gemeinden dieses - bei 45,3 %
Landkreises weisen 29 - das sind 57 % - ein All das ist auf Grund der amtlich zugänglichen
Defizit von mehr als 3 % auf. Ich nenne einige die- Zahlen nachprüfbar. Ich glaube, wir sollten uns
ser Gemeinden: Stadt Camberg 8,5 %; jetzt kom- schon jetzt darüber im klaren sein, welches Ge-
men kleinere Gemeinden: Gemeinde Dauborn 9,3 %, wicht hinter diesen Zahlen steckt. Die genannten
Dorndorf 15,2 %, Frickhofen 13,9 %, Haintchen Zahlen sollten uns alle - auch Sie - nachdenklich
12,9 %, Lahr 18,5 %, Mahneneich, ein kleiner Ort, stimmen. Sie zeigen die Problematik von Statistiken,
42,6 %, Neederbreck 12,3 %, Niederweyer 43,4 %, die global auf Verhältnisse in den politischen Krei-
Niederzeuzheim 19,8 %, Werschau 21,6 %, Wilsen- sen abstellen und die örtliche Situation außer acht
roth 15,4 %. lassen. Ich habe - auch das wollen Sie bitte be-
Zweitens: Landkreis Usingen. Das ist einer von denken - nur eine beschränkte Anzahl von Bei-
den Kreisen, in denen sich die Zweitwohnungen spielen angeführt. Allein die hierbei dargelegten
bemerkbar machen, über die ich soeben schon zahlenmäßigen Widersprüche gegenüber den Be-
sprach. Hier liegt ein amtliches Wohnungsdefizit rechnungsgrundlagen für die weißen Kreise, wie sie
von 2,995 % vor, also von etwas unter 3 %. In die- heute amtlich zugrunde gelegt werden, sollten uns
sem Landkreis Usingen mit 43 Gemeinden weisen zur Vorsicht mahnen. In jedem Falle machen sie
21 Gemeinden ein Defizit von mehr als 3 % auf. eine sorgfältige Überprüfung der gesamten Lage
Das sind immerhin auch hier 49 % der Gemeinden erforderlich. Sie sollten auch Ihnen zu denken geben.
dieses Kreises. Die Gemeinde Arnoldshain hat ein Sie sollten dabei darauf achten, daß es nicht uninter-
Defizit von 5,6 %, die Gemeinde Brombach eines essant ist, daß ausgerechnet in den ländlichen Ge-
von 24,1 %. Weitere Gemeinden dieses Kreises: bieten, von denen wir meist die Vorstellung haben,
Eschbach 9,8 %, Finsternthal 14,3 %, Hundstadt es gebe dort keine Wohnungsprobleme, nach wie
16,9 %, Neunstadt 35,4 %, Seelenberg 9,2 %, die vor Wohnungsnot besteht, von den Ballungsge-
Stadt Usingen 9,2 % und die Gemeinde Wilhelms- bieten einmal ganz abgesehen.
dorf 35 % Defizit.
(Beifall bei der SPD.)
Dritter Kreis: Landkreis Bergstraße. Offizielles
Defizit: 2 %. Von 104 Gemeinden weisen 52 ein Bitte, setzen Sie sich nicht dem späteren Vorwurf
Defizit von mehr als 3 % auf. Das sind 50 % der aus, Sie hätten unsere besorgten Mahnungen mit
beteiligten Gemeinden. Ich nenne hier folgende Ge- einer Handbewegung abgetan. Unser Gesetzentwurf
meinden: Biblis 10,5 %, Bobstadt 23,1 %, Bürstadt will Ihnen die Möglichkeit einer sorgfältigen Ü ber-
18,8 %, Ellenbach 25,5 %, Elmshausen 12,2 %, Fehl- prüfung der Aufhebungsfristen geben. Er will die
heim 24,2 %, Hambach 18,7 % , Hofheim 24,6 % , Frist für die weißen Kreise nur um ein Jahr - auf
Nieder-Liebersbach 19,8 %, Nordheim 16,8 %, Ro- den 1. Juli 1964 - verschieben. Wir haben diese
dau 31,5 %, Wald-Erlenbach 19,4 %, Zotzenbach kurze Verschiebung vorgeschlagen, um Ihnen die
18 % . Zustimmung zu erleichtern. Es geht uns bei unserer
Ich nenne Ihnen jetzt nur noch einen Kreis, meine Gesetzesvorlage - wie ich eingangs bemerkt habe
sehr verehrten Damen und Herren. Ich weiß, solche - nicht darum, marktwirtschaftliche Regelungen zu
Zahlen sich anzuhören, ist an sich schon unange- verhindern, sondern die zeitliche Vertretbarkeit
nehm. Aber wenn man sich auch noch Gedanken ihrer Einführung sachlich überprüfen zu lassen. So,
darüber macht, was hinter diesen Zahlen steckt, wie die Dinge im Augenblick stehen, ist der 1. Juli
dann ergibt sich, daß das noch viel unangenehmer 1963 kein vertretbares Datum.
als bei anderen Fällen ist, bei denen man es mit Eine der Zwischenüberschriften der vom Bundes-
Statistik zu tun hat. Zahlen der Statistik erscheinen wohnungsbauministerium herausgegebenen Schrift:
ja immer tot; aber hinter ihnen verbergen sich „Grundsätze, Leistungen, Aufgaben der Wohnungs-
Leben und Schicksale. baupolitik der Bundesregierung" lautet: „Freiheit
(Sehr richtig! bei der SPD.) ohne Experimente". Uns scheint, daß unser Gesetz-
Als letzter Landkreis aus Hessen der Landkreis entwurf dieser These Rechnung trägt und daß es
fürwahr ein Experiment, und zwar ein unverant-
Hersfeld! Er hat ein offizielles Defizit von 2,5 %.
Von 82 Gemeinden weisen hier 50 Gemeinden ein wortliches, sein würde, wenn Sie unseren Entwurf
Difizit von mehr als 3 % auf; das sind 60 %. Die nicht ernst nehmen würden. Vielleicht mag bei
Gemeinde Asbach hat ein Defizit von 4 %, Friede- denen unter Ihnen, die sich mit der Komplexität der
Materie nicht beschäftigen konnten, bisher die Mei-
wald 13,2%, Friedlos 11,1%, Humboldshausen 19%,
nung geherrscht haben, es stehe doch nur die Frage
Niederaula 10,1 %, Obergeis 28,1 %, Röhrigshof
an, ob das gesetzliche Junktim - die Wohnbei-
19,2 %, Wölfershausen 5,7 %.
hilfe - noch rechtzeitig verwirklicht werden könnte.
Ich könnte diese Darstellung fortsetzen und Meine Damen und Herren, das ist doch nur eines
könnte über den Landkreis Kassel berichten, der ein der offenen Probleme. Selbst wenn es terminlich
Defizit von 2,9 % hat und in dem 19 Gemeinden ein noch unter Dach und Fach gebracht werden sollte
Defizit von mehr als 3 % aufweisen, darunter Sätze und selbst wenn es sachlich zufriedenstellend gelöst
bis zu 38 %. Ich könnte über den Landkreis Dieburg werden könnte, woran doch einige Zweifel berech-
berichten, der ein offizielles Defizit von 2,3 % hat tigt erscheinen, bleibt die Tatsache, daß seit der
2918 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 63. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. März 1963
Jacobi (Köln)
1 Verabschiedung des Abbaugesetzes manches schief Aufhebung der Mietpreisbindungen für den Altwoh-
gelaufen ist. Wichtige Voraussetzungen haben sich nungsbestand — für die vor der Währungsreform
nicht erfüllt, und die Statistiken täuschen. bezugsfertig gewordenen Wohnungen — beginnen
soll. Diese Überleitung soll nur insoweit erfolgen,
Bedenken Sie dies bitte und helfen Sie mit, un-
zähligen Mietern in den sogenannten weißen Krei- als das rechnerische Wohnungsdefizit — ebenso
sen die Sorge zu nehmen, daß sie in eine wirtschaft- wie bei der Aufhebung der Wohnraumbewirtschaf-
liche, sozial nicht vertretbare Bedrängnis geraten! tung — dies vertretbar und geboten erscheinen
Auch den Vermietern wird daran liegen, daß der läßt. Ab 1. Juli dieses Jahres werden also nur in
Übergang in eine marktwirtschaftliche Ordnung sich den Landkreisen und in den kreisfreien Städten,
ohne vermeidbare Reibungen vollzieht, daß er ob- in denen die Wohnraumbewirtschaftung durch ent-
jektiv vertretbar ist und als allgemein billigens- sprechende Rechtsverordnungen der Landesregie-
werte Regelung den Rechtsfrieden beibehält. Unser rungen aufgehoben worden ist, die Mietpreise für
Gesetzesantrag stellt hierzu die Brücke dar. Er be- die alten Wohnungen freigegeben. In den übrigen
wahrt Sie vor einem Experiment, das Ihnen nur Kreisen fällt die Mietpreisbindung erst dann, wenn
Starrsinn und Blindheit eingeben könnten, vor dem auch die Wohnraumbewirtschaftung wegfällt, d. h.
Sie Vernunft und staatspolitisches Verantwortungs- nach Erreichen eines rechnerischen Wohnungsdefi-
bewußtsein jedoch bewahren sollten. zits von weniger als 3 v. H. Neben der Umgestaltung
des bisherigen starren Mieterschutzes in ein so-
(Beifall bei der SPD.) ziales Miet- und Wohnrecht ist die Beseitigung der
mietpreisrechtlichen Eingriffe in das Vertragsver-
Vizepräsident Dr. Dehler: Das Wort hat der hältnis zwischen Mietern und Vermietern der ent-
Abgeordnete Dr. Hesberg. scheidende Schritt bei der Überleitung des Woh-
nungswesens in die soziale Marktwirtschaft, die bis
zum 1. Januar 1966 in allen Gebieten der Bundes-
Dr. Hesberg (CDU/CSU) : Herr Präsident! Meine republik vollzogen sein soll.
Damen und Herren! Da mir namens der Koalitions-
fraktionen die Begründung des Gesetzentwurfs über Schon mit Erlaß des Abbaugesetzes war eine vor-
Wohnbeihilfen obliegt, darf ich einleitend bemer- -läufige Regelung über die Gewährung von Miet
ken, daß die Regierungsparteien die soeben vorge- und Lastenbeihilfen eingeführt worden. Sie be-
tragenen Auffassungen zum Termin des 1. Juli 1963 schränkte sich aber darauf, in der Übergangszeit
nicht teilen. Im Verlauf der Aussprache werden die eventuell auftretende soziale Härten abzufangen.
Argumente der Opposition seitens der Regierung Darüber hinaus wurde aber schon zwingend vor-
und gegebenenfalls auch von Vertretern der Koali- geschrieben, daß die Mietpreisfreigabe erst erfolgen
tionsparteien entkräftet werden. soll, wenn zuvor ein endgültiges Miet- und Lasten-
Da der Vollzug der 1960 beschlossenen Maß- beihilfengesetz verabschiedet ist. In dieser program-
nahmen zum Abbau der Wohnungszwangswirtschaft, matischen Bestimmung kam die Absicht des Gesetz-
nämlich die Anhebung der Altbaumieten und die gebers zum Ausdruck, die Wohnungswirtschaft nicht
stufenweise Aufhebung der Wohnraumbewirtschaf- ohne soziale Absicherung für den einzelnen Bürger
tung, bisher nirgends zu nennenswerten Schwierig- dem freien Wohnungsmarkt zu überlassen. Denn
keiten geführt hat und auch nicht auf Unverständnis ein sozialer Rechtsstaat hat die Verpflichtung, auch
in der Öffentlichkeit gestoßen ist, steht der Ein- das Wohnen als Elementarbedürfnis seiner Bürger
leitung der zweiten Etappe der Abbaugesetzgebung in einem bestimmten, gegenüber den Allgemein-
nichts im Wege. Daß wir uns Korrekturen der Be- interessen vertretbaren Umfang wirtschaftlich abzu-
rechnungsmethode des Wohnungsdefizits für den sichern, wenn und insoweit der einzelne ohne sein
Fall vorbehalten haben, daß die Wohnungsstatistik Verschulden nicht in der Lage ist, die erforderliche
auf Grund der Zählungsergebnisse wesentliche Ab- Gegenleistung für ein angemessenes Wohnen auf-
weichungen ergibt, führte ich bereits vor einigen zubringen. Das bedeutet im Hinblick auf eine markt-
Wochen bei der ersten Beratung des Gesetzentwurfs wirtschaftliche Ordnung des Wohnungswesens, daß
über ein soziales Mietrecht an dieser Stelle aus. in Zukunft bei der Bildung freier Marktmieten im
Einzelfall auftretende soziale Härten durch einen
Herr Kollege Jacobi, Sie hätten sich daher vieles zweckbestimmten Zuschuß der öffentlichen Hand
sparen können. Wir verwahren uns gegen den Vor- ausgeglichen werden können. Das bedeutet ferner
wurf, nicht mit der genügenden Verantwortung an im Hinblick auf die Eigentumspolitik der Bundes-
diese Sache heranzugehen. regierung, daß der Staat sich einer gleichgearteten
(Beifall bei der CDU/CSU.) Verpflichtung nicht entziehen darf, wenn im Falle
einer Wohnungsversorgung durch privates Einzel-
Wir sind der Meinung, daß in den Kreisen, in denen eigentum eine Familie infolge Todesfalls, Arbeits-
wirklich die Voraussetzungen der Durchschnitts- unfähigkeit und anderer unverschuldeter persön-
quote von 3 % am 1. Juli vorliegen, der Übergang
licher Notlagen die auf dem Familienheim ruhenden
auch am 1. Juli vollzogen werden kann.
Lasten nicht mehr voll aufbringen kann. Diese
Wir gehen also davon aus, daß am 1. Juli dieses Grundsätze sind bereits im Abbaugesetz festgelegt
Jahres nach mehr als vierzigjähriger Wohnungs- und für das neue Wohnbeihilfengesetz verbindlich.
zwangswirtschaft die vorgesehene Überführung des Es kommt jetzt darauf an, diese Grundsätze zu ver-
Wohnungswesens in die soziale Marktwirtschaft wirklichen und auf die Gegebenheiten einer freien
beginnen kann, d. h. daß von diesem Tage an die Mietpreisbildung auszurichten.
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 63. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. März 1963 2919
Dr. Hesberg
Wenn das Wohnbeihilfengesetz diesen Zweck Der Gesetzentwurf verlangt von jedem einzelnen
erfüllen soll, muß es so rechtzeitig verabschiedet daß er zunächst einen bestimmten Prozentsatz des
werden, daß die betroffenen Staatsbürger ausrei- Familieneinkommens für die Deckung seines Woh-
chend Gelegenheit haben, sich über die Hilfe, die nungsbedarfs aufwendet, bevor er die Hilfe des
ihnen zuteil werden soll, vorher zu unterrichten. Staates in Anspruch nehmen kann. Diese „Selbst-
Ebenso müssen die mit der Durchführung dieser beteiligungsquote" ist nach der Einkommenshöhe
Maßnahmen befaßten Stellen sich auf ihre Aufgabe und nach der Familiengröße abgestuft, und zwar
vorbereiten können. In Anbetracht des gesetzlichen von 7 v. H. bis 24 v. H. des jeweiligen Familienein-
Termins vom 1. Juli haben sich deshalb die Frak- kommens, wobei unter Einkommen das um die
tionen der CDU/CSU und der FDP entschlossen, Steuern, Versicherungsanteile und gewisse Wer-
den Entwurf eines Gesetzes über Wohnbeihilfen bungskosten verminderte Bruttoeinkommen zu ver-
einzubringen, obwohl auch von der Bundesregie- stehen ist. Ein kinderloses Ehepaar mit einem Ein-
rung ein entsprechender Gesetzentwurf vorberei- kommen zwischen 800 und 900 DM im Monat, also
tet wird, der nach Beschlußfassung der Bundes- Einkommen in dem Sinne, wie ich es eben dargelegt
regierung und Stellungnahme des Bundesrates dem habe, muß zum Beispiel erst einmal 24 v. H. dieses
Bundestag ebenfalls vorgelegt wird. Einkommens selbst für Miete aufwenden. Liegt die
Sinn der Gewährung von Wohnbeihilfen kann es zu zahlende Miete höher als diese Grenze des Fa-
nicht sein, den Staatsbürger der eigenen Verant- milieneinkommens, so kommt die Gewährung einer
wortung für seine wohnliche Unterbringung und die Mietbeihilfe in Betracht. Demgegenüber braucht
seiner Angehörigen zu entheben. Das würde der eine Familie mit fünf Kindern und einem anrechen-
für die Bundesrepublik gültigen, angestrebten Wirt- baren Einkommen von 400 DM im Monat nur
schafts- und Gesellschaftsordnung nicht entsprechen. 10 v. H., also nur 40 DM Miete, selbst zu zahlen, ob-
Die soziale Verpflichtung muß aber dort einsetzen, wohl zweifellos die Miete für eine der Familien-
wo 'die wirtschaftliche Leistungskraft einer Familie größe entsprechende Wohnung wesentlich höher
augenscheinlich überfordert ist. liegen wird. Wie Sie hieraus ersehen werden, meine
Damen und Herren, sind die Tabellen bewußt nach
Die Koalitionsparteien haben deshalb in dem familiengerechten Maßstäben ausgestaltet. Es war
Entwurf auf Drucksache IV/971 nach einem Mittel- eines der Hauptziele des Koalitionsentwurfs, ge-
weg gesucht, der auf der einen Seite eine versor-
rade den kinderreichen Familien den Bezug einer
gungsstaatliche Ausrichtung der Ansprüche vermei-
familiengerechten Wohnung wirtschaftlich zu er-
det, der auf der anderen Seite aber eine wirkliche
möglichen.
und fühlbare Hilfe in den Fällen echter Not bedeu-
tet. Gleichzeitig war darauf zu achten, daß die finan- Die Gewährung einer Mietbeihilfe ist nicht mehr
zielle Belastung der öffentlichen Hand, in diesem davon abhängig, daß eine Mieterhöhung stattgefun-
Falle des Bundes und der Länder, die die Kosten den hat. Sie wird vielmehr bewilligt, wenn jemand
je zur Hälfte aufzubringen haben, angesichts der bisher unzulänglich untergebracht war und nunmehr
Haushaltslage in einem angemessenen und vertret- eine angemessene Wohnung bezieht, jedoch die
baren Rahmen bleibt. Miete nicht in voller Höhe aufbringen kann.
Der Entwurf der Koalitionsparteien verfolgt aber Die Miete wird in voller Höhe als beihilfefähig
nicht nur das Ziel, soziale Härten zu beseitigen, die anerkannt, wenn die Größe der Wohnung im an-
sich bei der Überführung des Wohnungswesens in gemessenen Verhältnis zur Größe der Familie steht.
die Marktwirtschaft im Einzelfall ergeben können. Es ist dem Mieter nicht verwehrt, in einer größeren
Er will auch die bisher schon geltenden Vorschrif- Wohnung zu leben, aber er muß dann den über die
ten über Miet- und Lastenbeihilfen, die auf ver- ihm zugebilligte Wohnfläche hinausgehenden Teil
schiedener Rechtsgrundlage beruhen und unter- der Miete voll aus eigener Tasche aufbringen. Bei
schiedlich ausgestaltet sind, gesetzlich neu ordnen, der Festlegung der Wohnflächen für die einzelnen
möglichst vereinheitlichen und die Unübersichtlich- Familiengrößen konnte auf die bisherigen Bestim-
keit der geltenden Vorschriften beseitigen. Dabei mungen zurückgegriffen werden, die sich durchaus
haben die Koalitionsparteien sich bemüht, die Er- bewährt haben. Dabei sind die Regelungen gegen-
fahrungen mit den bisherigen Bestimmungen im über dem Abbaugesetz verbessert worden.
Rahmen des Möglichen zu berücksichtigen. Im ein-
Der Entwurf der Koalitionsparteien trifft Vor-
zelnen möchte ich auf folgende Kernpunkte des Ge-
sorge, daß die Mietbeihilfen die Ausuferung der
setzentwurfs eingehen.
Mieten nicht begünstigen. Deshalb sollen offensicht-
Der Geltungsbereich des Gesetzes wird ' auf alle lich überhöhte Mieten außer Ansatz bleiben. Nach
Wohnungen ausgedehnt, ohne Rücksicht auf das dem Gesetzentwurf sind die Länder dazu ermäch-
Baujahr und die Art ihrer Finanzierung. Damit tigt, Obergrenzen festzusetzen. Für den die Ober-
kommen Wohnbeihilfen in Zukunft auch für frei grenze überschießenden Teil muß der Mieter selbst
finanzierten Wohnraum in Betracht. Es wäre un- eintreten. Dem gleichen Ziel dient auch die Festset-
billig, eine Wohnbeihilfe beispielsweise einem jun- zung einer Eigenleistung des Mieters, d. h. eines
gen Ehepaar vorzuenthalten, das sich unter Verzicht prozentualen Betrages der Miete, den der Mieter
auf die heute fast allgemeinen Konsumgüter wie stets selbst aufbringen muß. Deshalb wird die
Fernsehapparat usw. eine frei finanzierte Wohnung Wohnbeihilfe grundsätzlich auf einen bestimmten
gemietet hat, weil es auf die Zuteilung einer So- Vomhundertsatz der Miete begrenzt, normalerweise
zialwohnung noch lange hätte warten müssen. auf 40 v. H., bei Haushalten mit fünf und mehr Fa-
2920 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 63. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. März 1963
Dr. Hesberg
m il ienmitgliedern auf 60 v. H. Das bedeutet, der Schließlich möchte ich noch auf die Verbesserun-
Mieter erhält im Höchstfall 40 v. H. bzw. 60 v. H. gen bei der Lastenbeihilfe eingehen. Hierzu war
der Miete ersetzt, ganz gleich, welche Wohnung er schon bei der Beratung ,der Abbaugesetzgebung eine
auch immer bezieht. Die Eigenverantwortung für weitere Ausgestaltung in der endgültigen Regelung
das Wohnen soll gewährleistet bleiben. vorbehalten worden. Bisher kam eine Lastenbeihilfe
nur in Betracht, wenn der Eigentümer eines Fami-
Aus der gleichen Erwägung haben sich die Koali-
lienheimes oder ein mitverdienendes Familienmit-
tionsparteien entschlossen, Einkommensgrenzen fest-
glied verstorben war und sich dadurch das Familien-
zulegen und die Anspruchsberechtigung nur den Per-
einkommen erheblich verringert hat. Künftig wird
sonenkreisen zuzubilligen, die in Anbetracht ihrer
eine Lastenbeihilfe auch gewährt, wenn der Eigen-
wirtschaftlichen Verhältnisse staatliche Hilfe benö-
tümer oder das mitverdienende Familienmitglied nur
tigen und verdienen. Dabei sind aber die Grenzen zeitweise erwerbsunfähig wird, z. B. infolge schwerer
durchaus großzügig bemessen, wenn sie an die des Erkrankung, oder wenn Arbeitslosigkeit eintritt.
Zweiten Wohnungsbaugesetzes angelehnt sind. Das
ist ein Jahreseinkommen von 9000 DM zuzüglich Es würde unserer Eigentumspolitik, nachhaltig für
1800 DM pro Familienangehörigen. das Familienheim zu werben, widersprechen, später
den Eigentümer, der in eine unverschuldete Notlage
Maßgebend ist das Familieneinkommen. Berück- geraten ist, seinem Schicksal zu überlassen. Seit
sichtigt wird dabei nur das Nettoeinkommen, das jeher haben wir deshalb die Auffassung vertreten,
nach pauschalierten. Abzügen für Werbungskosten, daß es nicht nur Aufgabe des Staates sei, Eigentum
Steuern und Versicherungen übrigbleibt. Im allge- in breitester Streuung zu begründen, sondern auch
meinen wird also von einem etwa um 15 % ge- dieses Eigentum zu erhalten. Zur Erhaltung dieses
kürzten Bruttoeinkommen auszugehen sein. Eigentums in Fällen der Notlage wird künftig die
Die Berechnung des Familieneinkommens enthält Lastenbeihilfe beitragen.
auch eine Reihe von Verbesserungen gegen- Der Entwurf der Koalitionsparteien enthält noch
über den bisherigen gesetzlichen Regelungen. Be- keine Regelungen über das Verhältnis zu den
stimmte Einnahmen bleiben bei der Berechnung des Miet und Lastenbeihilfen nach dem Zweiten Woh-
-

Familieneinkommens gänzlich außer Betracht, so nungsbaugesetz. Wir wissen, daß den Ländern aus
z. B. die Entschädigungsrenten nach dem Lasten- Gründen der Verwaltungsvereinfachung sehr an
ausgleichsgesetz. Unterhaltshilfen und Beihilfen zum einer weitgehenden Vereinheitlichung der Bestim-
Lebensunteihalt nach dem Lastenausgleichsgesetz mungen gelegen ist. Wir halten es aber für erfor-
sowie Unterhaltshilfen nach dem Allgemeinen derlich, in den Ausschußberatungen nähere Über-
Kriegsfolgengesetz sollen nur zur Hälfte auf das legungen in Zusammenarbeit mit den Länderver-
Einkommen angerechnet werden. tretungen darüber anzustellen, wie man diesem
Anliegen Rechnung tragen kann. Dabei wird man
Das Kindergeld nach der Kindergeldgesetzgebung, sich bewußt sein müssen, daß die Mietbeihilfen des
wie auch die gesetzlichen und tariflichen Kinder- § 73 des Wohnungsbau- und Familienheimgesetzes
zulagen sowie vergleichbare Bezüge sollen einheit- eine Finanzierungskomponente im sozialen Woh-
lich vom dritten Kinde an bei der Ermittlung des nungsbau darstellen.
Einkommens außer Betracht bleiben, soweit sie 40 (Sehr richtig! Bei der CDU/CSU.)
DM je Kind im Monat nicht übersteigen. Dieser Be-
trag entspricht dem nach geltendem Recht höchst- Der Entwurf der Koalitionsparteien erhebt keinen
zulässigen Kindergeld der Kindergeldgesetzgebung. Anspruch darauf, in allen Punkten schon jetzt die
beste Lösung gefunden zu haben. Soweit im Ver-
Neu sind auch Freibeträge für SBZ Flüchtlinge. Bei
- laufe der Ausschußberatungen Verbesserungen vor-
diesem Personenkreis soll für die Dauer von 4 Jah- geschlagen werden, sind wir gerne bereit, diese
ren ein Freibetrag von 100 DM monatlich vom Ein- gewissenhaft zu prüfen. Der Koalition ging es vor
kommen abgesetzt werden, wenn das Einkommen allem darum, den Termin des 1. Juli 1963 nicht in
des Flüchtlings bei Ermittlung des für die Höhe der Frage zu stellen. Deshalb haben wir uns zunächst
Wohnbeihilfe maßgebenden Familieneinkommens auf diesen Entwurf verständigt, sind uns aber im
berücksichtigt worden ist. Der Freibetrag gilt für je- klaren darüber, daß er nur eine Beratungsgrund-
des mitverdienende Familienmitglied, das Flücht- lage ist und die Tür zu echten Verbesserungen
lingseigenschaften hat. Die Freibeträge sollen dazu offen läßt. Wir sind davon überzeugt, daß die Bera-
beitragen, die wirtschaftliche und wohnraummäße tungen rechtzeitig abgeschlossen werden können,
Integration der Flüchtlinge in das Bundesgebiet zu nachdem eine jahrelange Praxis vorliegt, und erbit-
erleichtern. Die Flüchtlinge mußten meistens alle ten die entsprechende Mitarbeit des Hohen Hauses.
Vermögenswerte in der Heimat zurücklassen. Die Namens der Koalitionsfraktionen bitte ich, diesen
Vollbeschäftigung in der Bundesrepublik läßt zwar Gesetzentwurf dem Ausschuß für Wohnungswesen,
ihre rasche Eingliederung in den Arbeitsprozeß zu. Städtebau und Raumordnung — federführend —
Trotzdem müssen sie zumeist jahrelang für die Wie- und dem Haushaltsausschuß zur Mitberatung zu
derbeschaffung einer Wohnung zu einer tragbaren überweisen.
Miete, von Hausrat und Bekleidung sparen. Daher (Beifall bei den Regierungsparteien.)
ist es angezeigt, ihnen für eine Übergangszeit be-
sondere Vergünstigungen im Rahmen der Wohn- Vizepräsident Dr. Dehler: Das Wort hat der
beihilfe zuteil werden zu lassen, durch die ihnen Herr Bundesminister für Wohnungswesen, Städte-
eine beschleunigte Eingliederung erleichtert wird. bau und Raumordnung.
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 63. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. März 1963 2921

3 Lücke, Bundesminister für Wohnungswesen, erreicht ist. Was den Politiker hier interessiert, ist
Städtebau und Raumordnung: Herr Präsident! Meine doch
sehr verehrten Damen und Herren! Ich darf zunächst (Abg. Jacobi [Köln] : Nanu!)
dem Herrn Ausschußvorsitzenden Dr. Hesberg ant-
worten und zum Ausdruck bringen, daß das Gesetz die Frage, was und warum gebaut wird. Wo gibt es
über die Miet- und Lastenbeihilfen zu den bedeu- in Deutschland ein Wohnungsamt, das eine Woh-
tendsten sozialpolitischen Gesetzen zählt, die es zu nung erstellen kann?!
verabschieden gilt. Wird doch hier zum erstenmal Worum es hier geht — eine Frage, die Sie, Herr
in Deutschland und, ich glaube, auch darüber hinaus
Kollege Jacobi, nicht beantwortet, nicht einmal an-
der Versuch unternommen, sicherzustellen, daß
geschnitten haben —, ist, daß für uns, den Bundestag,
keine Familie unter ein Minimum an Wohnraum und
die Sorge, die uns seit 13 Jahren gemeinsam bewegt,
Eigentum gelangt, auch dann nicht, wenn wirtschaft-
ohne Rücksicht auf Statistiken weitergelten muß:
liche Krisen über unser Volk kommen.
Es muß so lange weitergebaut werden, bis die letzte
Wir sind bei den jahrelangen Vorbereitungen Familie ihre Wohnung oder ihr Eigenheim hat.
für diese Vorlage davon ausgegangen, daß in der
(Beifall bei den Regierungsparteien. —
Weimarer Zeit, vor allem in den Jahren 1930 bis 1933,
Abg. Jacobi [Köln] : Das stand doch gar
eine Reihe von Familien deshalb in Notlagern und
nicht zur Diskussion!)
Notunterkünften untergebracht werden mußten, weil
sie nicht mehr in der Lage waren, die Mittel für ein — Doch, Sie haben mit Ihren Äußerungen den Ein-
Minimum an Wohnraum aufzubringen. Das ist der druck erweckt, die statistischen Unterlagen hätten
Anlaß zu dieser Vorlage. Sie deckt sich weithin mit eine überaus große Not aufgezeigt.
dem, was die Regierung vorbereitet hat. Ich begrüße
(Abg. Jacobi [Köln] : Nein, nein, eine Ver
deshalb die Initiative der Koalition, die so dazu
kennung!)
beiträgt, daß es gelingt, den 1. Juli als Termin für
die Verabschiedung dieses wichtigen Gesetzes ein- Nun ein Wort zur Sache. Ich habe bereits vor
zuhalten. einem halben Jahr gesagt, auch Ihnen, Herr Kollege
- Sache
Herr Kollege Jacobi, Sie haben auf diese Jacobi, daß tatsächlich Veränderungen gegenüber
etaws polemisch reagiert. den statistischen Erhebungen zur Zeit des Abbau-
gesetzes und der letzten statistischen Erhebung im
(Abg. Jacobi [Köln] : Polemisch?) Jahre 1961 eingetreten sind. Unsere statistische Ab-
— Ja, es war etwas polemisch, als Sie den Hinweis teilung hat von den 300 Kreisen 140 bereits über-
gaben, daß die Regierung nicht über einen Referen- prüft. Das Ergebnis ist, daß die Veränderungen plus
tenentwurf hinausgekommen sei. Nun hat alle Welt und minus sich in sehr engen Grenzen halten. Unbe-
erlebt, daß eine Regierungsumbildung stattgefunden schadet dieser Tatsache habe ich vor einem halben
hat. Das hat leider sehr viel Zeit gebraucht. Neue Jahr öffentlich geäußert, daß ich diese Erhebungen
Herren kamen ins Amt, und diese Vorlage mußte anstellen ließe, um exakte Unterlagen zu bekom-
wieder neu abgestimmt werden. Ich kann aber zum men. Sie wissen, daß die Erstellung dieser Unter-
Trost sagen, Herr Abgeordneter Jacobi, die Regie- lagen nicht eher möglich ist. Ich wollte von mir aus
rungsvorlage ist unter den beteiligten Ressorts ab- dem Hohen Hause den Vorschlag machen, den Ver-
gestimmt. Sie wird in einer der nächsten Kabinett- änderungen beim Abbaugesetz und den Terminen
sitzungen — ich hoffe, schon am kommenden Mitt- Rechnung zu tragen. Ich möchte also den Herrn Aus-
woch — verabschiedet werden, um dann auf dem schußvorsitzenden und Sie bitten, dafür zu sorgen,
normalen Weg das Parlament zu erreichen und auch daß die Unterlagen, die in den nächsten Wochen
dem Bundesrat, der schon frühzeitig in die Beratun- fertig werden und die Ihren und unseren Wünschen
gen dieser Vorlage einbezogen wurde, Gelegenheit dann exakt Rechnung tragen, und die daraus abge-
zu geben, zu diesem Gesetzentwurf Stellung zu neh- leiteten Ergebnisse bei der Beratung der Initiativ-
men. Hier zeigt sich, daß Regierung und Koalition vorlage im Ausschuß berücksichtigt werden. Dem
ganz ausgezeichnet zusammengearbeitet haben. könnten Sie wohl zustimmen. Wir werden diese
Ich darf auf Ihre Ausführungen eingehen, Herr Überlegungen exakt einbauen.
Kollege Jacobi. Was Sie heute gesagt haben, habe (Abg. Jacobi [Köln] : Wir werden exakt
ich eigentlich so aufgenommen, als ob wir in den überprüfen!)
letzten 13 1/2 Jahren — Sie sind einer der ältesten
Dann möchte ich das Hohe Haus und insbeson-
Kollegen in unserem Ausschuß — nicht fast 7 Mil- dere auch die Opposition bitten — da lasse ich nicht
lionen Wohnungen gebaut hätten. Diese Zahl ist locker —, uns bei der Durchsetzung der Auffassung
nicht über Ihre Lippen gekommen. zu unterstützen, daß die Bautätigkeit, die Fertigstel-
(Abg. Jacobi [Köln]: Diese Zahl ist ja allge lung von Wohnungen wichtiger ist als alle noch so
mein bekannt!) gründlichen Überlegungen in bezug auf Statistiken.
Ich kann hier bekanntgeben, daß es im letzten Jahr
Sie haben sich, Herr Kollege Jacobi, mit dem gelungen ist, etwa 572 000 Wohnungen im Bundes-
statistischen Defizit befaßt. Statistiken sind für Poli- gebiet und in Berlin fertigzustellen. Das ist eine
tiker Hilfsmittel, um zu einem Ziel zu kommen. Das ungewöhnliche Leistung. Sie wissen, daß wir einen
gilt auch für diese Statistik, die den Abbau der Überhang von etwa 750- bis 800 000 im Bau befind-
Wohnraumbewirtschaftung dann einleiten soll, lichen, finanzierten Wohnungen haben. Sie kennen
wenn 3 % Defizit gegenüber der Vollversorgung unsere Sorge, daß nach dem strengen Winter bei
2922 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 63. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. März 1963
Bundesminister Lücke
Beginn des warmen Wetters ein großer Druck auf Zum Schluß muß ich noch etwas zu zwei Berner-
die Bauwirtschaft und das Baugewerbe entsteht. kungen sagen, die man nicht stehen lassen kann.
Wir werden alle miteinander Mühe haben, zu ver- Herr Kollege Jacobi, Sie sollten in bezug auf das
hindern, daß eine unverhältnismäßig starke Kosten- Bundesbaugesetz nicht so global in Finsternis
steigerung eintritt. Für die Bundesregierung erkläre machen und sagen: Das hat nicht funktioniert! Denn
ich ausdrücklich, es ist schon jetzt sichergestellt, Sie sind ein ausgezeichneter Kenner dieser schwie-
daß wie in den vergangenen Jahren so auch in den rigen Materie. Das Bundesbaugesetz trifft auf eine
nächsten zwei bis drei Jahren jeweils 500 000 Woh- sehr schwierige Lage, und es ist nicht einfach, alles
nungen fertiggestellt werden. das durchzuführen. Es fehlen uns hochqualifizierte
Nun haben Sie gesagt, es würden aber nicht so Fachkräfte bis zum Katasteramtssekretär hinunter.
viele Sozialwohnungen fertiggestellt, wie vorge- Sie kennen die allgemeinen Schwierigkeiten. Darum
sehen sei. Meine Damen und Herren, es sind in den ist es nicht richtig, daß das Bundesbaugesetz nicht
letzten Jahren rund 200 000 Wohnungen mehr funktioniert habe.
fertiggestellt worden, als das Abbaugesetz für die- Was noch nicht funktionieren konnte, ist seine
sen Zeitraum verlangt. Es sind mehr Sozialwoh- völlige Durchführung in einer Anzahl unserer Ge-
nungen fertiggestellt worden, als e s das Wohnungs- meinden, Kreise und Städte. Dennoch wird Ihnen
bau- und Familienheimgesetz vorsieht. Im neuen jeder Fachmann in den Gemeinden, vor allem bei
Haushalt ist die Finanzierung — darüber hat der den großen Städten, die über hochqualifizierte Fach-
Abgeordnete Jacobi kurz gesprochen — von etwa kräfte zur Durchführung dieses Gesetzes verfügen,
220 000 Sozialwohnungen vorgesehen. Das ist das bestätigen, daß damit endlich ein brauchbares Gesetz
Programm. geschaffen wurde, das die baupolitische Zukunft der
Sie wissen, daß es daneben natürlich auch Woh- Städte und Gemeinden ordnet.
nungen gibt, die den gleichen Charakter haben, aber
nicht mit öffentlichen Mitteln gefördert werden. Das Ganz zum Schluß, Herr Jacobi, das alte Lied —
ist immerhin ein Volumen von 30- bis 50 000 Woh- ich höre ès immer wieder —, daß die Baulandpreise
nungen; es ist also jetzt schon mit Hilfe des Über- zu hoch sind. Meine Damen und Herren, ist denn
hangs und der bereitgestellten Finanzierungsmittel der Wohnungsbauminister dafür verantwortlich,
- oder wen wollten Sie mit diesem Hinweis auf die
sichergestellt, daß in den Jahren 1963, 1964 und
1965 je 500 000 Wohnungen fertiggestellt werden Baulandpreise anreden?
können. Damit hat sich der Abbauplan, der nun- (Abg. Jacobi [Köln] : Ich will nur Tatsachen
mehr 2 1/2 Jahre in Kraft ist, bewährt, und die Ziele feststellen!)
sind ganz klar zu erkennen. Es darf nun nicht wie
der geschehen, daß der wichtigste Termin, das ist Meine Damen und Herren, jeder Volksvertreter
richtig, versäumt wird, nämlich der 1. Juli 1963. und jedermann, der sich mit diesem Thema befaßt,
weiß, daß diese Frage zu den schwierigsten zählt,
Am 1. Juli 1963 werden etwa 300 kreisfreie Städte die es zu regeln gilt. Wenn es nicht gelingt, das
und Landkreise aus der Wohnraumbewirtschaftung Bundesbaugesetz schrittweise durchzuführen, wenn
und der Mieterschutzbindung herausgenommen. es nicht gelingt, die Marktwirtschaft auch auf dem
Dann sollen die Gesetze, die Herr Abgeordneter Gebiete des Wohnungswesens immer mehr in Kraft
Hesberg für die Koalition vertreten hat, in Kraft treten zu lassen, wird es schwierig bleiben, Bauland
treten. Es handelt sich vor allem um die Wohnungs- zu vernünftigen Preisen auf den Markt zu bringen.
beihilfen. Ich bitte sehr darum, daß das dem Hause Der Bund hat das Menschenmögliche getan. Er hat
vorliegende Gesetz über den rechtlichen Teil des getan, was er tun konnte.
Mieterschutzes dann auch in Kraft gesetzt wird. Das
wird Arbeit kosten. Ich bin aber überzeugt, daß (Vorsitz: Vizepräsident Dr. Schmid.)
der Ausschuß dieses Ziel in guter Zusammenarbeit
schaffen wird. Mein Appell richtet sich noch einmal an die Län-
Der einzige, der nämlich auf der Strecke bleibt — der und die Gemeinden, vor allem aber an die
wie das in unserer Sprache so allgemein immer wie- gemeinnützige Wohnungswirtschaft und die freien
der heißt —, sind große Teile des kleinen Althaus- Wohnungsunternehmen, auch ihrerseits preiswertes
besitzes. Der kleine Althausbesitz leidet Not. Er ist Bauland bereitzustellen und so die Marktsituation
durch die Entwicklung der letzten 40 Jahre vielfach etwas zu erleichtern. Wir sollten nicht nur das, was
nicht in die Lage versetzt worden, seinen Bestand der Bund getan hat, kritisieren, sondern gemeinsam
zu modernisieren. Wir haben hier eine Menge nach- versuchen, diese schwierige Situation zu erleichtern.
zuholen, und es ist darum dringend notwendig, daß Schließlich weiß jeder Fachmann, daß auf die Dauer
hier der Markt zum Tragen kommt, wie es das Ab- nur durch eine wirksame Raumordnung und durch
baugesetz vorsieht. eine durchgreifende Städtebaupolitik Bauland zu
vernünftigen Preisen auf den Markt kommt.
Ich bin dankbar, daß die sozialdemokratische
Fraktion hier erklären ließ, sie sei dafür, daß die (Zustimmung bei der CDU/CSU.)
Marktwirtschaft auf dem Gebiete des Wohnungs- Solange die Menschen weiter in die Ballungsräume
wesens eingeführt wird. Ich glaube, daß durch die strömen — und hier liegen die Ursachen für viele
Zusagen, die gegeben werden konnten, Ihre Beden- Ihrer statistischen Zahlen —, solange diese Räume
ken beseitigt worden sind. unter , dem Druck des Verkehrs der hineinströmen-
(Abg. Jacobi [Köln] : Das werden wir den Menschen ersticken, solange man in diesen
sehen!) Ballungsräumen mit dem Problem nicht fertigwer-
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 63. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. März 1963 2923
Bundesminister Lücke
den kann, ist es nicht möglich, etwa in Köln-Mitte, Vizepräsident Dr. Schmid: Das Wort hat Frau
in Frankfurt-Mitte, in München-Mitte billiges Bau- Abgeordnete Berger-Heise.
land etwa für Eigenheime und Kleinsiedlerstellen
zu finden. Darum wird das Raumordnungsgesetz Frau Berger-Heise (SPD) : Meine Herren!
vorgelegt. Es wird in den nächsten Wochen dem Meine Damen! Ich habe nur zu der Drucksache
Bundestag zugeleitet werden. Ich hoffe, daß damit IV/971 zu sprechen, dem soeben von Herrn Dr. Hes-
endgültig der Rahmen abgesteckt wird, in dem wir berg begründeten Entwurf eines Gesetzes über
mit dieser ungewöhnlich schwierigen Frage fertig- Wohnbeihilfen.
werden können.
Herr Minister, wenn jetzt, vier Monate vor der
(Beifall bei der CDU/CSU.) Freigabe der Mieten und der Aufhebung des Mieter-
schutzgesetzes in den 300 sogenannten weißen Krei-
sen, die Bundesregierung noch immer nicht in der
Vizepräsident Dr. Schmid: Das Wort hat der Lage ist, ihr seit Jahren angekündigtes Wohnbei-
Abgeordnete Hammersen. hilfengesetz dem Bundestag vorzulegen, so läßt sich
das wohl schwer damit erklären, daß zwei neue
Hammersen (FDP) : Herr Präsident! Meine sehr Herren in Ihr Ministerium eingezogen sind.
verehrten Damen und Herren! Die Fraktion der Auf die Frage meines Kollegen Reitz in der Frage-
Freien Demokratischen Partei verkennt keineswegs stunde am 16. Dezember 1960 antwortete der Herr
das Risiko, das mit der Einführung der für den Staatssekretär Ernst, er wolle dem Kabinett die
1. Juli 1963 in den sogenannten weißen Kreisen Vorlage über die endgültigen Miet- und Lastenbei-
in Kraft zu setzenden Gesetze, nämlich des Gesetzes hilfen im Frühjahr 1961 zuleiten. Wie wir den Herrn
zur Änderung mietrechtlicher Vorschriften und des Staatssekretär kennen, ist anzunehmen, daß er das
Gesetzes über Wohnbeihilfen, verbunden sein
getan hat, was er zugesagt hatte. Aber jetzt, zwei
könnte. Insbesondere ist die Möglichkeit nicht aus-
Jahre später, wissen wir, daß das Bundeskabinett
zuschließen, daß auch bei Zugrundelegung der
noch immer nicht dazu gekommen ist, die wider-
amtlichen statistischen Angaben über den Woh-
streitenden Ansichten der Ressortminister auf einen
nungsfehlbestand in den weißen Landkreisen, in
Nenner zu bringen, um uns einen eigenen Entwurf
denen neben Landgemeinden, die vielleicht sogar
vorzulegen. Oder sollte, Herr Minister, der Erb-
schon jetzt über leerstehende Wohnungen verfügen,
folgekrieg hinter den Kulissen die ganze Zeit der
andere Landgemeinden, insbesondere aber kreisan-
Herren Minister in Anspruch nehmen? Ich hoffe,
gehörige Städte, mit einem höheren Wohnungsfehl-
nicht. Wenigstens haben wir jetzt nach Ihren Aus-
bestand als 3 % vorhanden sind, gewisse Schwie-
rigkeiten entstehen können und zeitweilige Härten sagen die Aussicht, daß wir kurz vor dem Termin
des 1. Juli wieder einen neuen Entwurf in den Aus-
nicht zu vermeiden sind. Andererseits haben die
schuß bekommen, den wir heute noch nicht kennen.
Ausführungen des Sprechers der sozialdemokrati-
schen Bundestagsfraktion meine politischen Freunde Wir haben immer noch das schlechte Beispiel des
nicht davon überzeugen können, daß aus den vor- Lückeschen Abbaugesetzes aus dem Jahre 1960 in
genannten Gründen eine Verschiebung des Stich- Erinnerung. Sie entsinnen sich, da war bei einer
tages für die Einführung der bereits in oder kurz Beratung über den Umbau des geheiligten Bürger-
vor der Ausschußberatung befindlichen Gesetzent- lichen Gesetzbuchs immer ein Aktenträger zwischen
würfe um ein Jahr unvermeidlich ist. den Ausschüssen unterwegs, der dem einen Aus-
schuß die Ergebnisse des anderen mitteilte. Wir
Wir glauben vielmehr — und die Erfahrungen haben das für eine unwürdige Behandlung eines
mit der seinerzeitigen Einführung der Marktwirt- solchen Gesetzeswerks gehalten, und wir halten eis
schaft, für die wir Freien Demokraten uns i n erster auch in diesem Fall nicht für statthaft, daß so ver-
Linie verantwortlich fühlen, ermutigen uns in die- fahren wird.
ser Hinsicht —, daß sich die möglichst baldige Ein-
führung marktwirtschaftlicher Prinzipien auch , auf Nun haben die Koalitionsparteien heute diesen
dem zugegebenermaßen gesondert gelagerten Woh- Gesetzentwurf IV/971 eingebracht. Aber es bleibt
nungsmarkt aus vielerlei Gründen heilsam auswir- eben immer noch offen, ob das, was sie an finan-
ken wird. Es wird darauf ankommen, bei den Aus- ziellen Belastungen in diesem Gesetz vorsehen,
schußberatungen sicherzustellen, daß soziale Här- nachher auch die Koalitionsmehrheit finden wird.
ten vermieden werden. Hierfür bieten die vorge- (Abg. Jacobi [Köln] : Sehr richtig!)
legten Gesetzentwürfe nach unserer Ansicht eine
Wir wollen es hoffen, weil sich dieser Entwurf vor-
durchaus brauchbare Grundlage. Der Sprecher der nehmlich durch stark heraufgesetzte Einkommens-
sozialdemokratischen Fraktion hat durch seinen
grenzen von dem Referentenentwurf der Regierung
Zwischenruf zu erkennen gegeben, daß er mit sei-
unterscheidet.
nen Freunden zu einer exakten Prüfung bereit ist.
(Zuruf von der CDU/CSU.)
Die FDP-Fraktion spricht sich daher gegen die — Ich kann Ihnen jetzt nicht antworten; ich kann
Annahme des Antrags der SPD-Fraktion auf Druck- Sie kaum verstehen.
sache IV/900 und für die Ausschußüberweisung des
Antrags auf Drucksache IV/971 aus. Das ist schon deswegen wichtig, weil dieses Ge-
setz das endgültige Wohnbeihilfengesetz darstellen
(Beifall bei der FDP.) soll, das nach und nach — so nehme ich an — das
2924 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 63. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. März 1963

Frau Berger-Heise
r halbe Dutzend anderer Mietbeihilfenregelungen lange wir keinen Wohnungsmarkt mit ausreichen-
ablösen soll. Dieses Gesetz wird benötigt. Der Bun- den Wohnungen haben, steigen auch diese Miet-
deswohnungsbauminister rechnet, wie man nach- preise. Der Bewohner einer solchen Wohnung aber
lesen kann, mit einer Mietensteigerung von unge- kann keine Beihilfe beantragen; er wird also für
fähr 40 % in den Jahren von 1960 bis 1966, während eine schlechte Wohnung mehr bezahlen müssen, ist
der Bundesfinanzminister bei seiner Berechnung jedoch von der Mietbeihilfe ausgeschlossen.
der Kosten Ihres Entwurfs, meine Herren, eine Wenn die Mieten der schlechten Wohnungen frei
Mietensteigerung von 60 % zugrunde legt. Das werden und steigen und Wohnbeihilfen nicht ge-
würde, wenn der Entwurf so Gesetz wird, wie er währt werden, andere Wohnungen aber noch nicht
hier vorgelegt worden ist, Bund und Länder mit zur Verfügung stehen, dann sind diese Mieter dop-
je ungefähr 250 Millionen DM jährlich belasten. pelt gestraft.
Nun wird in der Begründung dieses Entwurfs dar- Es müßte also eine Revision des „Bruchbuden-
auf verwiesen, daß die bisherigen gesetzlichen paragraphen" erfolgen, eine viel weiter ausgelegte
Mietbeihilfen Bund und Länder nicht wesentlich be- Begriffsbestimmung menschenunwürdiger Wohnun-
lasten, und es klingt die Hoffnung durch, die Mieter gen vorgenommen werden, die dann von der Miet-
mögen auch von diesem Gesetz möglichst wenig preisfreigabe auszunehmen sind. Die Wohnungen,
Gebrauch machen. die der Ausschuß in Berliner Hinterhöfen oft schau-
(Zuruf von der CDU/CSU: Na!) dernd besichtigt hat, sind durch Urteile der letzten
Jahre immer wieder als mieterhöhungswürdig an-
Welche Gründe gab es denn bisher für die Zu- erkannt worden, weil eben der § 9 des Zweiten Woh-
rückhaltung der Mieter? Erstens lag diese Zurück- nungsbaugesetzes so auslegungsfähig ist.
haltung daran, daß die Mieten bisher gesetzlich be-
grenzt waren — das werden Sie mir zugestehen —, Um dem Bürger die Sorge vor dem 1. Juli zu neh-
zweitens an den bisher zu niedrig festgelegten Ein- men, weist nun der Pressedienst der CDU/CSU die-
kommensgrenzen — die Beihilfen hätten oftmals nur ser Tage auf den § 23 des Ersten Bundesmietenge-
wenige Mark für die Familie ausgemacht, und die setzes hin, nach dem bei lauf e n d en Mietver-
-
Familie hat dann darauf verzichtet —, drittens an hältnissen die Mieterhöhung nur bis zu einer ange-
messenen Höhe erfolgen kann. Das trifft aber nur
dem umständlichen Verfahren, wenigstens zu Be-
so lange zu — und das weiß der Pressedienst natür-
ginn der Mietbeihilfenregelung — um eine Miet-
lich auch —, wie nicht der Vermieter durch Kündi-
beihilfe bewilligt zu bekommen, mußten zunächst
gung das laufende Mietverhältnis unterbricht und
einmal insgesamt 6 DIN-A-4-Seiten ausgefüllt wer-
einen neuen Vertrag fordert, in dem er sich an die
den —, und viertens kommt der Behördenkasse noch
Kostenmiete nicht mehr zu halten braucht. Immer-
immer zugute, daß die meisten Menschen nur höchst
hin ist die Kostenmiete eine erste Bremse, aber nur
ungern für ein paar Mark zum Amt gehen und ihre für bestimmte Wohnungen. Wenn diese vorläufige
wirtschaftlichen Verhältnisse bloßlegen. Auch für Begrenzung etwas wirksamer werden soll — und
dieses Wohnbeihilfegesetz kann man voraussagen, dafür wären wir —, dann müßten der Bundes-
daß die Scheu vor der Offenlegung der Verhältnisse minister für Wohnungsbau und der Bundesminister
bleiben wird. für Wirtschaft beide von ihrem Recht gemäß § 23
Aber diesmal besteht, weil die Mieten nicht mehr des Ersten Bundesmietengesetzes Gebrauch machen
begrenzt sein werden, die Gefahr, daß die Menschen und durch Rechtsverordnung Vorschriften darüber
dann lieber in hygienisch und sozial unzulängliche erlassen, wann in Fällen anderer Preisfreigaben —
Wohnungen umziehen, um ihre Miete aus der eige- also am 1. Juli — eine Miete als angemessen erhöht
nen Tasche zahlen zu können. Aus sozialen und aus anzusehen ist.
gesundheitlichen Gründen wäre so eine Nivellierung Darum frage ich den Herrn Minister, wann er von
nach unten höchst bedenklich! diesem damals im Ersten Bundesmietengesetz fest-
Darum muß diesem Entwurf der Fürsorgecharakter gelegten Recht Gebrauch zu machen gedenkt. Denn
genommen werden. Es genügt dabei nicht, in dieses wenn in dieser Vorlage Drucksache IV/971 nach
Gesetz hineinzuschreiben, daß die Mietbeihilfen § 43 Abs. 5 die Länderregierungen ermächtigt wer-
keine Fürsorgeleistungen darstellen. Die Behörden den, durch Rechtsverordnung Obergrenzen für die
müssen vielmehr ausdrücklich darauf hingewiesen Berücksichtigung der Mieten und Belastung festzu-
werden, daß das auch bei der Behandlung der An- setzen, die sich an die Mieten des öffentlich geför-
tragsteller zum Ausdruck kommen muß. derten Wohnungsbaues anlehnen, so werden da-
durch ja nur die Wohnbeihilfen begrenzt, aber nicht
Daß in diesem Entwurf nun vorgeschlagen wird, etwa die Mieten.
für Kellerwohnungen und abbruchreife Behausungen
keine Wohnbeihilfen zu geben, ist wohnungspoli- Es wäre zu diesem Entwurf noch vieles zu sagen;
tisch durchaus richtig. Nur müßte sich der Gesetz- z. B. dazu, daß das Kindergeld des zweiten Kindes
geber dann auch endlich dazu bereit finden, für alle dem Einkommen zugeschlagen wird, während das
diese schlechten Wohnungen, für all die Bruchbuden, beim dritten Kind nicht der Fall ist. Das zweite Kind,
die von dem § 9 des Zweiten Wohnungsbaugesetzes meine Herren, ißt und will gekleidet sein und
noch nicht einmal alle erfaßt werden, generell auch wohnt genauso wie das dritte Kind.
jede Mieterhöhung auszuschließen. Statt dessen wer- Die übrigen Unebenheiten dieses Entwurfs wer-
den am 1. Juli auch die miserabelsten Behausungen den wir Sozialdemokraten im Ausschuß gemeinsam
frei von jeder bisherigen Mietpreisbindung, und so mit Ihnen zu planieren versuchen. Nur über eines
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 63. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. März 1963 2925
Frau Berger-Heise
sollten wir uns hier und heute schon klar sein — -Ja,dnbileSscho tinUrel,
und das sage ich, weil Sie, Herr Minister, vorhin Herr Kollege Jacobi. Derjenige, der das tut, nimmt
wieder davon sprachen, daß keine Familie unter irgendwie dem bedrohten Vertragspartner — und
ein Minimum an Wohnraum gelangen wird —: das möchte ich nur vermeiden — beim Mietvertrag
(Abg. Jacobi [Köln] : Das hört sich doch so den Mut, sich zu wehren. Er treibt ihm Schrecken
schön an!) ein; er läßt ihn dann unter diesem Schrecken unzu-
lässige und ungesetzliche Forderungen akzeptieren
Ein soziales Wohnbeihilfengesetz kann in bestimm- oder gar in seiner Wohnungssituation und in seinen
ten Grenzen einem Wohnungsinhaber wirtschaftlich familiären Verhältnissen verzweifeln. Und gerade
helfen. Es kann ihm aber niemals — wie man im- das möchten wir nicht. Weder dies möchten wir noch
mer wieder in Ihrer Presse liest — die Wohnung die unterschwellige Propaganda, daß man nach dem
sichern. Die Sicherung der Wohnung wurde durch 1. Juli in weißen Kreisen alles fordern, daß man
den Kündigungsschutz des Mieterschutzgesetzes ge- dort Uberforderungen zumuten könne und daß es
währleistet. Wenn das Mieterschutzgesetz nach, keine geordneten Vertragsverhältnisse gebe.
dem Willen der CDU/CSU und der FDP am 1. Juli
in den 300 weißen Kreisen wegfiele, bliebe nach (Abg. Jacobi [Köln] : Wer hat das heute
den vorliegenden Entwürfen lediglich ein befriste- hier gesagt?)
ter Räumungsschutz übrig und nicht mehr. Darum
kann man nicht behaupten, dieses Wohngeldgesetz — Ich habe nicht gesagt, daß das heute jemand hier
sichere jeder Familie ihre Wohnung. Sicherheit gesagt hat. Ich habe Ihnen gesagt: bilden Sie sich
liegt nur in einem weiter fortgeführten Wohnungs- selbst ein Urteil darüber, ob Sie dazu beitragen
bau — da sind wir mit Ihnen völlig einer Meinung, oder nicht. Ich habe diese Behauptung nicht aufge-
Herr Minister —, vor allem auch in einer Weiter- stellt. Ich habe nur gesagt, wer so handelt, der tut
führung des preisregulierenden sozialen Wohnungs- es. Ich habe hier nicht Roß und Reiter genannt. Ich
baues, und in einer Einkommens- und Rentengestal will nur die Bevölkerung davor warnen und er-
tung, die es dem Mieter gestattet, ohne Beihilfen reichen, daß man die Dinge nüchtern überschaut.
seine Miete selbst zu bezahlen. Bis wir dahin kom- (Zustimmung bei der CDU/CSU.)
men, ist ein Wohnungsgeldgesetz nötig. Wenn - es
aber richtig ist — was in der anscheinend gut unter- Es gilt, die Bevölkerung auf die Möglichkeiten und
richteten Wohnungsbaupresse zu lesen steht —, Grenzen des Vertragsrechts und der sozialen Hilfen
daß sich der Finanzminister, der Wirtschaftsminister aufmerksam zu machen.
und der Wohnungsbauminister auch heute noch
nicht über die Grundsatzfragen und die finanzielle Und nun zum Praktischen! Ich glaube, daß das,
Seite einig sind, möchte ich an dieses Haus appel- was Sie an wohnungsstatistischen Angaben gemacht
lieren, daß es gemeinsam ein möglichst gutes haben, wichtig ist. Ich glaube — und auch das sollte
Wohnbeihilfengesetz schafft. Wir Sozialdemokraten zur Beruhigung beitragen —, daß der Bundesmini-
sind gern bereit, daran mitzuarbeiten. ster — und ich darf das auch für die CDU/CSU
erklären — sich auf den Standpunkt stellt, daß die
(Beifall bei der SPD.) neuesten Ergebnisse der Wohnungsstatistik der
Entscheidung zugrunde gelegt werden müssen, ob in
Vizepräsident Dr. Schmid: Das Wort hat der
einem Kreis die Mietpreisbindung aufgegeben wird
Abgeordnete Czaja.
oder nicht. Das bedeutet — um auch hier das etwas
Dr. Czaja (CDU/CSU) : Herr Präsident! Meine düstere Bild, das Sie gezeichnet haben, aufzulok-
sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich, kern —: dort, wo heute nach den neuesten Ergeb-
bevor ich auf einige sehr wesentliche Punkte der nissen die 3 % überschritten werden, kann eine
Ausführungen von Frau Berger-Heise eingehe, etwas Freigabe nicht erfolgen.
Grundsätzliches sagen. Ich glaube, daß derjenige (Abg. Jacobi [Köln] : Das werden wir sehen,
zum schweren Schaden des Mieters, aber auch des Herr Kollege!)
anständigen Hausbesitzers handelt, der übertrie-
bene Behauptungen in die Welt setzt, statt beide — Das ist unsere Auffassung, und das werden wir
Teile, Mieter und Vermieter, auf die rechtlichen auch bei der Gesetzesberatung vertreten.
Möglichkeiten hinzuweisen und über die zukünf-
(Zustimmung bei der CDU/CSU.)
tigen Wege geordneten Vertragsrechts zu informie-
ren. Wer nicht ununterbrochen beiden Teilen die Ich hätte es eigentlich begrüßt, Herr Kollege
rechtlichen Möglichkeiten und die Pflichten aufzeigt, Jacobi, wenn Sie, um die Bevölkerung aufzuklären
sondern im Nebel allgemeinen Geredes mit Schlag- — ich bin davon überzeugt, daß die wohnungssta-
worten um sich wirft, verwirrt und schadet der tistischen Daten, die Sie hier bis hinunter zu den
Bevölkerung. kleinsten Gemeinden bekanntgegeben haben, dazu
(Sehr gut! bei der CDU/CSU. — Abg. Jacobi bestimmt sind, auch in der Ortspresse abgedruckt zu
[Köln] : Wen meinen Sie damit?) werden —, auch darauf hingewiesen hätten — inso-
fern möchte ich Ihre Ausführungen jetzt ergänzen —,
— Den, der das tut. Ich habe hier keinen Namen daß jede Gemeinde mit über 10 000 Einwohnern,
genannt. Ich weiß gar nicht, warum Sie an dieser auch in einem weißen Kreis, das Recht hatte, den
Stelle Ihren Zwischenruf gemacht haben. Antrag auf Ausnahme von der Aufhebung der
(Abg. Jacobi [Köln] : Ich will immer wissen, Wohnraumbewirtschaftung am 1. Juli 1963 zu stel-
wer wen und was meint!) len, wenn sie jetzt noch einen Fehlbestand von 5 %
2926 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 63. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. März 1963

Dr. Czaja
hatte. Auch das muß zur Beruhigung und Aufklä- benutzen, damit ich vom Präsidenten nicht gerügt
rung der Bevölkerung draußen gesagt werden. werde —, ich hätte die Bestimmung des § 3 d des
Wohnungsabbaugesetzes nicht gekannt, nach der
(Abg. Jacobi [Köln] : Das steht doch bereits
die Möglichkeit besteht, daß Gemeinden über
seit Jahren im Gesetz!)
10 000 Einwohner, wenn ihr Defizit höher als 5 v. H.
— Doch, es steht im Gesetz, im Abbaugesetz. ist, einen entsprechenden Befreiungsantrag stellen
(Abg. Jacobi [Köln] : Ja, natürlich im Ab können und Gemeinden von über 2000 Einwohnern
baugesetz!) dann einen solchen Antrag stellen können, wenn das
Defizit mindestens 3 v. H. beträgt? Ich habe das
Auch das muß man zur Abrundung sagen. Es muß
selbstverständlich gewußt; aber die Rechtsverord-
hinzugefügt werden, daß die dynamisch wachsenden
nungen sind erlassen. Ich würde mich freuen, wenn
Gemeinden auch unter 10 000 Einwohnern ebenfalls
die Bundesregierung den Landesregierungen ent-
dieses Antrags- und Ausnahmerecht haben. Schon sprechende Hinweise gäbe, daß auch das revidiert
damit könnten Sie in manchen weißen Kreisen viel werden kann.
von der Beunruhigung wegnehmen.
Lassen Sie mich folgendes zur Situation in den Dr. Czaja (CDU/CSU) : Ich kann natürlich nicht
weißen Kreisen hinzufügen, in denen die Mietpreis- wissen, ob Sie das gewußt haben; Sie haben es hier
bindung nur unter der Voraussetzung auslaufen nicht gesagt, Herr Kollege Jacobi. Ich wollte ganz
wird, daß die Miet- und Lastenbeihilfen bis 1. Juli klar gesagt haben, daß es in der Hand dieser Ge-
in Kraft sind. In diesen Kreisen wird niemand frist- meinden liegt, zu verhindern, daß sie aus der Miet-
los auf die Straße gesetzt werden. Für niemand be- preisbindung herausfallen. Das sollte dann auch
steht dort die Gefahr, daß er bei Mietpreisanhebun- in den Ortsblättern stehen.
gen in seiner Miete überfordert wird. Zwei Dinge
(Abg. Jacobi [Köln] : Das sind zum Teil
werden das hemmen.
CDU-Bürgermeister, die das Gesetz nicht
Als erstes nenne ich die bereits in Kraft getre- gekannt haben!)
tenen Vorschriften des BGB. Frau Kollegin Berger
— Das müssen Sie auf der örtlichen Ebene austragen.
Heise, Sie haben — vielleicht mit Recht — kritisiert,
- Da gibt es auch Gemeinderäte. Ich glaube nicht, daß
daß die Begleitumstände der Verabschiedung dieser in diesen Gemeinderäten nur die CDU vertreten ist;
Vorschriften infolge der Überlastung des Rechtsaus- wahrscheinlich werden dort auch vereinzelt SPD-
schusses nicht immer erhebend waren. Aber Gott Gemeinderäte sitzen.
sei Dank haben wir nun die Bestimmungen zur
Sicherung des Mieters in den weißen Kreisen. Die (Heiterkeit.)
wichtigste Bestimmung davon bezieht sich auf die Nun haben wir hier das Wohnbeihilfengesetz
verlängerten Kündigungsfristen mit der Sozial- vorliegen. Ich verstehe eine gewisse Verärgerung
klausel, nach denen der Mieter vor Gericht sein bei der SPD, die das mit einer Kritik an der Regie-
Recht suchen kann, wenn seine Existenz vernichtet rung verknüpft, daß das noch nicht vorgelegt worden
würde. Diesen Bestimmungen, die Gott sei Dank ist, eine Verärgerung darüber, daß die Partei, die
schon gültig sind, brauchen wir nur noch einige Er- sonst manchmal das Monopol für die Ausgestaltung
gänzungen hinzuzufügen. Hoffentlich bringen wir des sozialen Rechtsstaates besitzen zu müssen meint,
sie schneller als das letzte Mal durch. Eine Regie- nun erleben muß, daß in dieser für einen sozialen
rungsvorlage dazu liegt ja bereits vor. Rechtsstaat grundlegenden Angelegenheit die CDU/
Zweitens möchte ich die Initiative erwähnen, die CSU die Initiative ergriffen und das endgültige
die Regierungsmehrheit — CDU/CSU und FDP — Wohnbeihilfengesetz eingebracht hat.
ergriffen hat. Wir glauben, daß sie schon vor dem (Lachen und Zurufe bei der SPD.)
1. Juli 1963 zum Ziele führen wird. Dabei hoffen wir — Ich weiß, daß Sie das stört; aber freuen Sie sich
auf Ihre loyale Mitarbeit bei einer sorgfältigen, doch darüber, daß die CDU/CSU und die FDP hier
zügigen, aber nicht überhasteten Beratung; diese Be- so stark den Gedanken des sozialen Rechtsstaates
ratung soll, soweit das von der Sache her möglich durch eine Initiative zu verwirklichen suchen.
ist, rasch erfolgen. Diese Wohnbeihilfen werden
dann dazu führen, daß niemand über ein Maß hin- Vizepräsident Dr. Schmid: Herr Abgeordne-
aus mit Mietzahlungen für einen ausreichend be- ter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
messenen Wohnraum belastet wird, das bei seinen
Einkünften vertretbar ist.
Dr. Czaja (CDU/CSU) : Wenn ich den Satz be-
Diese zwei Punkte müssen hier einmal klar her- endet habe, Herr Präsident! — Und denken Sie
ausgestellt werden, damit draußen in den Kreisen daran, daß Sie einer Entschließung, die wir in der
keine Panik entsteht. — Wollen Sie eine Zwischen- 117. Sitzung des Deutschen Bundestages der ver-
frage stellen, Herr Kollege Jacobi? gangenen Legislaturperiode im Mai 1960 einge-
(Abg. Jacobi [Köln] : Ja, ich kann das viel- bracht haben, zugestimmt haben, einer Entschließung,
leicht im Wege der Zwischenfrage klären!) in der sich das Haus gemeinsam dafür ausgesprochen
hat, daß bald ein Gesetzentwurf vorgelegt werden
— Bitte sehr! solle. Nun, die konstruktive Opposition hätte das
tun können, aber die Koalition ist ihr — für uns
Jacobi (Köln) (SPD) : Sind Sie wirklich der Auf- Gott sei Dank, für Sie vielleicht leider — zuvor-
fassung, Herr Kollege — ich muß die Frageform gekommen.
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 63. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. März 1963 2927

Frau Berger-Heise (SPD): Herr Dr. Czaja, sind je Quadratmeter Wohnfläche. Was darüber hinaus-
Sie nicht vielleicht der Meinung, daß der Grund für geht, wird bei dieser kinderreichen Familie durch
die Initiative der Koalitionsparteien eher darin zu Miet- und Lastenbeihilfen getragen.
suchen ist, daß man die Regierung aus einer etwas Wir wissen, daß noch einige Härten darin sind.
schwierigen Lage befreien wollte, nämlich aus der Wir müssen uns die Kappungsgrenzen ansehen.
Zeitbedrängnis? Immerhin wissen wir ja alle, daß Ebenso müssen wir uns das Verfahren ansehen.
Sie mit diesem Initiativgesetzentwurf ungefähr vier Da sind wir für die Vorschläge dankbar, die Sie uns
Wochen für den ersten Bundesratsdurchgang ein- vielleicht machen werden, damit das nicht in den
sparen können, und ,das wäre der Regierung mit Geruch der sozialen Fürsorge gerät. Wir sind, wenn
ihrem Entwurf nicht möglich. Sie uns bei der Schaffung einer weiteren Übersicht-
lichkeit helfen können, immer wieder dankbar, und
Dr. Czaja (CDU/CSU) : Ich glaube nicht, daß Sie ich glaube, daß sich die Beratungen über diesen Ge-
die CDU dafür geißeln wollen, daß sie sich darum setzentwurf im Ausschuß gut entwickeln werden,
bemüht, dieses sozial so wichtige Gesetz, das mit weil wir dort doch wahrscheinlich das Gemeinsame
zur Verankerung des sozialen Rechtsstaates bei- wollen. Aber einmal muß ja auch die CDU/CSU
trägt, in sorgfältiger Prüfung, aber möglichst bald zusammen mit der FDP früher kommen als die
über die Runden zu bringen. SPD, und das ist hier nun gelungen.
(Zurufe von der SPD.) (Lachen und Zurufe von der SPD.)
Ich hoffe, daß Sie dabei fleißig und entschieden mit- Da wollen wir uns doch nicht gegenseitig böse sein.
arbeiten werden. Ich bin das aus der sachlichen
Noch ein Wort zu der Frage der Baulandpreise. Ich
Arbeit im Ausschuß, die Sie heute schon durch Ihre
habe hier viel Kritik vom Herrn Kollegen Jacobi
Hinweise praktischer Art angedeutet haben, nicht
gehört, aber ich habe keinen konstruktiven Vor-
anders gewohnt.
schlag von ihm gehört, was man nun tun soll. Ich
Nun zu dem Gesetz selbst. Wir sind der Mei- habe sehr genau hingehört, ob er irgend etwas dazu
nung, es ist ein mutiger Schritt. Es ist aber - nicht sagen würde. Er hat nicht einmal , die alte Wert-
der Weisheit letzter Schluß. Wir bedürfen in der zuwachssteuer genannt, die die SPD früher zur Dis-
Beratung insbesondere auch der konstruktiven Mit- kussion gestellt hat; sonst hätte man ihm ja ent-
arbeit der Opposition, für die wir dankbar sind. Wir gegnen müssen: Nach dem Grundgesetz ist das eine
bedürfen aber in der Beratung auch der Erfahrung Ländersteuer, und nicht einmal ein Parlament, in
von der Front seitens der Länder. In diesem Zu- dem die SPD die Mehrheit hat, hat bisher diese Län-
sammenhang will ich auf etwas eingehen, was Sie derregelung beschlossen.
gesagt haben. Wir haben das Gesetz nicht einge- (Abg. Jacobi: Das gehört doch nicht zur
bracht, um die Länder zu überspielen, sondern Tagesordnung!)
haben es eingebracht, damit es rechtzeitig vor dem
1. Juli in Kraft treten kann. Wir erhoffen, erwarten Sie haben sehr breit über die Baulandpreise gespro-
und erbitten, daß die Länder mit ihren Leuten, die chen und sehr viel Kritik angemeldet, aber keinen
Fronterfahrung haben, zumindest als Experten an konstruktiven Vorschlag gemacht.
.der Beratung teilnehmen. Die Argebau hat sich ja (Abg. Jacobi: Ich habe negative facts fest
lange damit befaßt. Wir wissen, daß die einzelnen gehalten!)
Herren im Ausschuß nicht namens der Kabinette
sprechen können, aber wir erhoffen ihre Mitwir- Nun zum Bundesbauland. Sie haben dieses Thema
kung auf Grund ihrer Fronterfahrung. angeschnitten, Herr Kollege Jacobi. Wir wissen, daß
die Ergebnisse nicht weltbewegend sind.
Nun ein praktisches Beispiel dafür, daß das
Wohnbeihilfengesetz in bezug auf eine wirtschaft- (Abg. Jacobi: Kann man wohl sagen')
liche Sicherung tatsächlich etwas erbringt. Da bin Aber, Herr Kollege, mit Hilfe Ihres verehrten ver-
ich mit Ihnen, Frau Kollegin Heise, einig: es kommt storbenen Kollegen Dr. Brecht ist es gelungen, hier
auf die wirtschaftliche Sicherung desjenigen an, der ein Tabu zu durchbrechen; denn zum erstenmal hat
eine Wohnung hat oder eine Wohnung anstrebt, der Bund — freilich vom Parlament gestützt — er-
damit er sie aus wirtschaftlichen bzw. finanziellen klärt: Wenn wir Land verkaufen, verkaufen wir es
Gründen nicht verliert. Wer 600 DM an Einkünften in erster Linie zum Zwecke des Wohnungsbaus und
hat — das entspricht, da es sich um „bereinigte" des Eigenheimbaus und zur Privatisierung. Immerhin
Einkünfte handelt, wahrscheinlich einer Nettoein- sind für 5600 ha Entbehrlichkeitsprüfungen einge-
nahme von 700 DM monatlich — und drei Kinder leitet worden. Das sind 57 Millionen qm. Es sind
besitzt, braucht an Selbstbehalt nur 96 DM aufzu- 421 ha in dieser Entbehrlichkeitsprüfung in dem
bringen. Das sind bei einer 80-qm-Wohnung, die Ausschuß, in dem auch Ihre Vertreter sitzen, freige-
noch zur benötigten Wohnfläche zählt, nur 1,20 DM geben worden. Das bedeutet immerhin Bauland für
pro Quadratmeter Wohnfläche; darüber hinaus wird 15 000 Menschen. Zwar ist das kein sensationeller
der Rest durch Miet- und Lastenbeihilfen getragen. Anfang, aber es ist ein Anfang, der erweiterungs-
Bei einer Familie mit fünf Kindern und 600 DM an fähig wäre, und um diese Erweiterung — darum
Einkünften — praktisch 750 DM ohne Bereinigung möchte ich Sie bitten — sollten wir gemeinsam
— ergibt sich — bitte hören Sie genau zu! — ein kämpfen. Ich weiß, daß dadurch nicht die Bauland-
Selbstbehalt von 72 DM für 100 qm. Das ergibt 72 Pf preise gesenkt werden können, sondern das nur
2928 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 63. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. März 1963
Dr. Czaja
durch die Dekonzentration, von der der Herr Mini- Wenn wir in diesem Geiste an die Beratungen
ster gesprochen hat, geschehen kann. — Bitte sehr, gehen, so werden wir wahrscheinlich noch nicht das
Herr Kollege Jacobi. auf Jahrzehnte endgültige Wohnbeihilfengesetz
haben, wir werden aber das gewinnen, was uns im
Jacobi (Köln) (SPD) : Herr Kollege Dr. Czaja, jetzigen Augenblick mit einigen Schönheitsfehlern
ist Ihnen bewußt, daß einmal diese Zahlen in einem möglich ist.
unvertretbaren Verhältnis zu den ursprünglich ge- (Beifall bei den Regierungsparteien.)
nannten Zahlen von 40 000 und 30 000 ha stehen und
daß zum anderen das, was der Bund dann schließlich Vizepräsident Dr. Schmid: Weitere Wortmel-
mit wenigen 100 ha getan hat, nichts anderes war dungen liegen nicht vor.
und ist als ein Nachziehen im Hinblick auf das, was
die Gemeinden schon seit Jahren getan haben? Der Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat
Bund hat also nur seiner durch die Wohnungsbau- hat sich auf den Vorschlag geeinigt, den Punkt 15 a
gesetze begründeten Pflicht genügt. Ist das wirklich an de n Ausschuß für Wohnungswesen, Städtebau
ein Anlaß, hier besonders zu triumphieren? und Raumordnung — federführend — sowie an den
Rechtsausschuß und an den Ausschuß für Kommu-
nalpolitik und Sozialhilfe zu überweisen und den
Dr. Czaja (CDU/CSU) : Ich habe nicht triumphiert, Punkt 15 b an den Ausschuß für Wohnungswesen,
Herr Kollege Jacobi. Es ist aber auch nicht so, daß Städtebau und Raumordnung — federführend — so-
von irgendeiner Seite hier 40 000 ha als verfügbares wie an den Wirtschaftsausschuß und an den Haus-
Bauland genannt worden sind. Mir ist bekannt, daß haltsausschuß zu überweisen. Einverstanden? —
40 000 ha als in der Verwaltung des Bundes
(Zustimmung.)
(Abg. Jacobi: Nein!)
— Dann ist so beschlossen. Damit ist der Punkt er-
und nicht in einzelnen Bundesvermögensverwaltun- ledigt.
gen befindlich genannt worden sind. Meines Wis-
sens ist eine zweite Zahl genannt worden - — ob Es kommt nun Punkt 5 der heutigen Tagesord-
offiziell oder inoffiziell, weiß ich nicht —: es ist ge- nung, das ist Punkt 35 der gedruckten Tagesord-
sagt worden, daß man versuchen wolle, die Entbehr- nung:
lichkeitsprüfung für 8000 ha für Bauzwecke einzu-
Große Anfrage der Fraktion der SPD
leiten.
betreffend Neuordnung der Kriegsopferver-
(Abg. Jacobi: Das war die dritte Etappe!) sorgung (Drucksache IV/882).
Nach Beantwortung einer Anfrage im Bundestag ist Wer begründet die Anfrage? — Das Wort hat der
inzwischen vom Bundesschatzministerium festge- Abgeordnete Riegel (Göppingen) zur Begründung
stellt worden, daß für 5600 ha die Entbehrlichkeits- der Großen Anfrage.
prüfung eingeleitet worden ist. Ich habe Sie soeben
gebeten, in dem Ausschuß, in dem Vertreter auch Riegel (Göppingen) (SPD) : Herr Präsident!
aus Ihren Reihen früher intensiv mitgearbeitet Meine Damen und Herren! Anläßlich der dritten
haben — ich bin dort nur stellvertretendes Mitglied; Lesung des Ersten Neuordnungsgesetzes zur Kriegs-
ich kann dort nicht so viel drängen —, darauf hin- opferversorgung in der Sitzung des 3. Bundestages
zuwirken, daß die Entbehrlichkeitsprüfung schneller am 18. Mai 1960 wurde in Schlußerklärungen von
und besser als bisher durchgeführt wird. den Sprechern aller Fraktionen festgestellt, daß
Lassen Sie mich zum Schluß sagen: auch wir sind das Kriegsopferrecht unbeschadet der erfolgten Än-
der Meinung, daß der Weg nach 40- bis 50jähriger derungen weiterentwickelt werden muß. Auf Grund
Zwangswirtschaft, auch in den weißen Kreisen, in dieser Aussagen durften die Kriegsopfer die Hoff-
eine Zeit ohne Mietpreisbindung und ohne den bis- nung haben, daß der 4. Deutsche Bundestag sich
herigen Mieterschutz nicht gefahrlos ist. Wir haben alsbald mit der Weiterentwicklung des Kriegsopfer
aber versucht, alles an sachlichen Dingen hier vor- rechts befassen wird. Dieser Annahme konnten die
zubereiten — und wir sind auch jetzt dabei —, um Opfer des Krieges, aber auch die Angehörigen der
möglichst viele Risiken auszuschalten. Bundeswehr sein, zumal vor der Bundestagswahl
namhafte Vertreter der Parteien entsprechende Er-
Ich würde nur den Herrn Minister bitten, so wie
klärungen abgegeben hatten.
bei den Abbaugesetzen auch hier zu veranlassen,
daß durch eine breit gestreute Broschüre den Men- So hat der Herr Bundeskanzler in seiner Eigen-
schen draußen klargemacht wird, welche Rechte sie schaft als Vorsitzender der CDU in einem Schreiben
haben, welche Pflichten sie in dieser Zeit haben, die an einen Kriegsopferverband am 14. September
unter das Vertragsrecht tritt, und daß sie die Mög- 1961 versichert, daß die CDU bereit ist, eine Weiter-
lichkeit haben — ich glaube, Sie werden diesem entwicklung der Kriegsopferversorgung im Sinne
meinem Wunsche zustimmen —, alle Mittel, die des Ausbaus der Leistungen im 4. Deutschen Bun-
ihnen das Gesetz gibt, sowohl zur Verteidigung destag vorrangig zu behandeln. Wie ernst es der
ihres Räumungsschutzes als auch zur Verteidigung Herr Bundeskanzler bei dieser Zusage gemeint hat,
gegenüber Überforderungen und zur Inanspruch- war aus der ersten Regierungserklärung der vierten
nahme der sozialen staatlichen Maßnahmen, tat- Regierung Adenauer zu ersehen, die vom Herrn
sächlich wahrzunehmen. Vizekanzler und Bundeswirtschaftsminister am
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 63. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. März 1963 2929
Riegel (Göppingen)
14. September 1962 dem Hohen Hause zur Kenntnis Zweck dienen sollten, eine Verbesserung, die auf
gebracht wurde. In dieser Regierungserklärung war Grund der gestiegenen Lebenshaltungskosten voll
von dem versprochenen Ausbau der Leistungen gerechtfertigt gewesen wäre, ohne daß damit der
nicht mehr die Rede. Der zum viertenmal installierte Neuordnung etwas vorweggenommen worden wäre,
Regierungschef Dr. Adenauer ließ erklären, daß le- zu verhindern, und daß die Absicht dahinterstand,
diglich die Heilbehandlung der Kriegsopfer so zu eine Neuordnung auf die lange Bank zu schieben.
gestalten sei, daß sie dem neuesten Stand der wis- Bereits am 13. Juni 1962 stellte die Fraktion der
senschaftlichen Kenntnisse entspreche. SPD auf Drucksache IV/469 einen Antrag, in dem die
Diese im krassen Gegensatz zu den Wahlverspre- Bundesregierung ersucht wurde, dem Bundestag bis
chen stehenden Erklärungen wurden in der Aus- zum 30. September 1962 den Entwurf eines zweiten
sprache von dem Vorsitzenden der FDP-Fraktion, Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des. Kriegs-
dem Herrn Kollegen Dr. Mende, ergänzt. Herr Dr. opferrechts vorzulegen. Wie Ihnen bekannt ist, kam
Mende äußerte, daß in der Kriegsopferversorgung dieser Antrag erst am 24. Oktober des vergangenen
„endlich an Stelle der nivellierenden, vom Bedürf- Jahres zur Verhandlung. Der Vorlagetermin für den
tigkeitsprinzip ausgehenden Ausgleichsrente eine beantragten Gesetzentwurf wurde, da der 30. Sep-
angemessene Verwirklichung des Entschädigungs- tember verstrichen war, auf den 30. November 1962
prinzips zu treten hat". Der Vorsitzende der FDP- verlegt. Dieser Antrag wurde von der überwiegen-
Fraktion erklärte sogar, daß die Koalitionsparteien den Mehrheit des Hohen Hauses angenommen. Da-
„sich darüber einig sind, daß die Kriegsfolgengesetz- mit schien die Voraussetzung für die Einlösung der
gebung in diesem Bundestag abgeschlossen werden gegebenen Versprechen, die Versorgung der Kriegs-
soll". Wir vermögen uns des Eindrucks nicht zu er- opfer weiterzuentwickeln, geschaffen zu sein, wenn
wehren, daß die durchaus richtigen Feststellungen von einer vorrangigen Behandlung, wie sie der Herr
des Herrn Kollegen Dr. Mende absichtlich von dem Bundeskanzler versichert hatte, auch nicht mehr ge-
Koalitionspartner unwidersprochen hingenommen sprochen werden konnte.
wurden, um die vage Aussage zur Weiterentwick- Daß diese Annahme falsch war, wurde bekannt,
lung des Kriegsopferrechts in der Regierungserklä- als der Herr Präsident des Bundestages den Frak-
-
rung zwar auszugleichen, daß aber eine Absprache tionen den Inhalt eines Schreibens des Bundesmini-
zu dieser Frage unter den Koalitionsparteien ver- sters für Arbeit und Sozialordnung vom 12. Dezem-
bindlich nicht erfolgt ist. ber 1962 mitteilte. Den Inhalt des Schreibens möchte
Im Verlaufe der folgenden Monate wurden anläß- ich mit der Genehmigung des Herrn Präsidenten
lich der Bundesparteitage der Regierungsparteien und Ihnen, meine Damen und Herren, in Erinnerung
bei Aussprachen zwischen Vertretern der Kriegs- bringen. Der Herr Bundesarbeitsminister teilte fol
opferverbände und den Fraktionsvorsitzenden immer gendes mit:
wieder die Notwendigkeit einer weiteren Neuord- Der Deutsche Bundestag hat in seiner 42. Sit-
nung der Kriegsopferversorgung anerkannt. Es war zung am 24. Oktober 1962 beschlossen, die Bun-
am 12. Juli 1962, als der Fraktionsvorsitzende der desregierung zu ersuchen, bis zum 30. Novem-
CDU/CSU-Fraktion, Herr Dr. von Brentano, Vertre- ber dieses Jahres den Entwurf eines zweiten
tern eines Kriegsopferverbandes konkrete Zusagen Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des
gemacht hat. Der Herr Kollege Dr. von Brentano Kriegsopferrechts vorzulegen. Die Bundesregie-
versicherte, daß noch im Jahre 1962 die Vorausset- rung sieht sich leider außerstande, diesen Ter-
zungen für eine Verbesserung der Kriegsopferver- min einzuhalten, zumal da der Deutsche Bun-
sorgung geschaffen werden müßten. Er stellte fest, destag, wie die Sprecher der einzelnen Frak-
daß die Ansprüche nicht vom Ermessen abhängen tionen erkennen ließen, offensichtlich eine
dürften. Besonders bedeutungsvoll war die Aussage Gesetzesvorlage von großer finanzieller Bedeu-
des Vorsitzenden der CDU/CSU-Fraktion, weil er tung erwartet, die vorzulegen die Bundesregie-
erklärte, daß der Staat seine Pflicht gegenüber den rung angesichts der angespannten Haushalts-
Kriegsopfern nicht abweisen könne, auch wenn die lage zur Zeit sich nicht in der Lage sieht.
Haushaltslage schwierig sei. Bei der erwähnten Aus-
Meine Damen und Herren, ich habe das Protokoll
sprache versicherte der Herr Kollege Dr. von Bren-
der 42. Sitzung noch einmal gelesen, uni zu ermit-
tano, daß das neue Kriegsopferrecht keinesfalls spä-
teln, ob die Ausführungen des Herrn Bundesarbeits-
ter ,als am 1. Januar 1963 in Kraft treten solle.
ministers bei der Beratung des Antrags die parla-
Ich will es mir versagen, all die Argumente anzu- mentarische Ungewöhnlichkeit, die sein Schreiben
führen, die seitens der Regierungsfraktionen gegen doch darstellt, rechtfertigen. Der Minister hat in
den Gesetzentwurf der SPD-Fraktion über die An- seiner Stellungnahme damals zwar ausdrücklich
passung der Grund- und Elternrenten um 10 % ab über die Leistungen in der Kriegsopferversorgung
1. Januar 1962 angeführt wurden. Es wurde bei der seit Bestehen der Bundesrepublik und über andere
Beratung des Gesetzentwurfes meiner Fraktion im Bereiche der Sozialpolitik gesprochen. Er gab auf
Kriegsopferausschuß immer wieder seitens der Re- die Feststellung des Kollegen Professor Schellen-
gierungsparteien erklärt, daß eine 10%ige Erhöhung berg, daß der Anteil der sozialen Leistungen sowohl
der Grund- und Elternrenten die baldige Vorlage am Bundeshaushalt als auch am Sozialprodukt rück-
eines zweiten Neuordnungsgesetzes nur verzögern läufig sei, seiner Befriedigung über diese Entwick-
könne. lung Ausdruck. Mit keinem Wort aber hat der Herr
Rückschauend dürfen wir doch feststellen, daß die Minister aus finanziellen Gründen Bedenken gegen
Behauptungen falsch waren und wohl nur dem die Vorlage eines Gesetzes zur Neuordnung des
2930 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 63. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. März 1963

Riegel (Göppingen)
Kriegsopferrechts erhoben. Er verlangte, daß das Bundeskanzler doch zwei Tage später, und zwar in
Datum für die Vorlage eines Gesetzentwurfs — es der 53. Sitzung am 14. Dezember 1962, unmittelbar
war, wie bereits erwähnt, der 30. November 1962 nach der Vereidigung der fünften Bundesregierung
beantragt — aus diesem Antrag gestrichen werde. zu einigen Fragen über die Absichten der neuen
Das Verlangen wurde damit begründet, daß der Regierung geäußert hat. Zu der Frage der Kriegs-
Bundesarbeitsminister erst den Gesamtüberblick opferversorgung erklärte der Herr Bundeskanzler
zum Zwecke der Verteilung der Mittel nach den wörtlich:
Maßstäben sozialer Gerechtigkeit benötige.
Die Bundesregierung wird weiter die in der
Das sagte der Herr Arbeitsminister dem Parla- Haushaltsrede vom 7. November angekündig-
ment, als der Haushaltsplan 1963 im Kabinett be- ten Gesetzentwürfe über die Beseitigung von
reits behandelt worden war. Das sagte der Herr Härten in der Kriegsopferversorgung vorlegen.
Bundesarbeitsminister in voller Kenntnis der Tat-
sache, daß für das sogenannte Sozialpaket keine In der Haushaltsrede hat der damalige Bundes-
Mittel im Haushalt eingeplant waren, er also voll finanzminister die Vorlage eines Gesetzentwurfs
übersehen konnte, welche finanziellen Möglichkei- angekündigt. Obzwar wir in diesem Hause einiges
ten vorhanden oder nicht vorhanden waren. gewöhnt sind, können wir uns doch nicht vorstel-
len, daß nach den konkreten Zusagen des Regie-
Uns würde interessieren, welche Bemühungen bis rungschefs und seines Bundesfinanzministers .die
zum Absenden des Schreibens vom 12. Dezember
Bundesregierung einen Monat später den Bundes-
1962 eingeleitet wurden, um dem Hohen Hause
minister für Arbeit zum Absenden eines Briefes
einen Gesetzentwurf vorzulegen und damit dem
an den Bundestagspräsidenten ermächtigt, in dem
Beschluß vom 24. Oktober zu entsprechen. Aus dem
eine völlig gegensätzliche Auffassung vertreten
Inhalt und der Art des Schreibens an Herrn Bundes-
tagspräsidenten ist doch zu entnehmen, daß dieser wird.
Versuch gar nicht unternommen wurde. Ich habe Damit komme ich zur Ziffer 2 der Großen An-
festgestellt, daß seit Bestehen der Bundesrepublik frage, in der wir die Bundesregierung fragen, was
in der Entwicklung des Versorgungsrechts, begin- sie zu tun beabsichtigt, um im Sinne der Erklärung
nend mit dem Bundesversorgungsgesetz, die Bun- des Bundeskanzlers vom 14. Dezember 1962 Härten
desregierung immer erst dann tätig wurde, wenn in der Kriegsopferversorgung zu beseitigen. Wir
das Parlament die Initiative ergriff. Das ist für die erwarten eine ausführliche Auskunft darüber, was
Einstellung der maßgebenden Regierungsparteien die Bundesregierung unter Härten in der Kriegs-
und für die FDP, die ja bis auf den 3. Deutschen opferversorgung tatsächlich versteht. Für die Frak-
Bundestag mit von der Partie war, bezeichnend. tion der SPD ist von besonderem Interesse, ob die
Die Konzeption des Herrn Ministers für Arbeit Bundesregierung die krassen Unterschiede zwischen
und Sozialordnung auf dem Gebiet der Kriegsopfer- den Leistungen der Kriegsopferversorgung und ver-
versorgung, , den Bedürftigkeits- und Wohfahrts- gleichbaren Sozialleistungen als eine Härte ansieht.
charakter zu stärken, und die Art seines Umgangs Das betrifft vor allem die anrechnungsfreien Lei-
mit den Kriegsopfern haben zu einer Vertrauens- stungen für Beschädigte, Kriegerwitwen und Krie-
krise geführt, und es stellt sich die Frage, wielange gerwaisen.
der Herr Bundeskanzler bereit ist, diesen Minister Wir fragen weiter: Teilt die Bundesregierung die
noch im Kabinett zu behalten. Auffassung, daß die derzeitige Art der Anrechnung
(Zurufe von der CDU/CSU.) von Einkommen auf die Ausgleichsrenten eine Stei-
gerung der Lebenshaltung verhindert? Ist sie be-
In der Großen Anfrage auf Drucksache 882 fragt reit, das Unrecht zu beseitigen, daß den Beziehern
die Fraktion der SPD unter Ziffer 1 die Bundesregie- von Renten aus der Rentenversicherung bei Renten-
rung, ob sie das Schreiben des Herrn Bundesarbeits- anpassungen der Steigerungsbetrag an der Aus-
ministers vom 12. Dezember 1962 an den Herrn gleichsrente abgezogen wird? Ferner erbitten wir
Präsidenten des Bundestages, wonach der Bundes- Auskunft darüber, ob die Bundesregierung die auf
tagsbeschluß auf Vorlage eines Entwurfs eines dem Gebiete der Kriegs-Elternversorgung geltende
Zweiten Gesetzes zur Neuordnung der Kriegsopfer- Regelung ebenfalls als eine zu beseitigende Härte
versorgung nicht ausgeführt werden kann, billigt. ansieht.
Am 12. Dezember 1962 hatten wir, da bis auf den Meine Damen und Herren, ich will mich bei der
Bundeskanzler alle anderen Regierungsmitglieder Begründung auf die wenigen, aber entscheidenden
im Verlauf der Regierungskrise zurückgetreten wa- Fragen im Rahmen der Großen Anfrage beschrän-
ren, nur geschäftsführende Minister. Wir erwarten ken.
eine Auskunft darüber, ob das bis auf den Kanzler In Abs. 3 unserer Anfrage begehren wir eine
nur geschäftsführende Kabinett sich tatsächlich mit Aussage über folgende Frage:
der Frage beschäftigt hat und der Brief an den Herrn Welche Vorstellungen hat die Bundesregierung
Bundestagspräsidenten vom 12. Dezember 1962 von über die Neuordnung des Kriegsopferversor-
der Bundesregierung beschlossen worden ist. gungsrechts?
Die Fraktion der SPD bezweifelt, daß die Bundes- Bei der Betrachtung der sich widersprechenden
regierung sich mit der Frage „Ablehnung der Vor- Veröffentlichungen über eine Neuregelung der
lage eines Gesetzes zur Neuordnung der Kriegs- Kriegsopferversorgung in ,den letzten Wochen und
opferversorgung" beschäftigt hat, da sich der Herr letzten Monaten, vor allen Dingen in den letzten
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 63. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. März 1963 2931
Riegel (Göppingen)
Tagen, kommen wir zu der Auffassung, daß es nun- hören; Aufregung ist da gar nicht am Platze - na-
mehr höchste Zeit ist und daß die Bundesregierung türlich namens und im Auftrage der Bundesregie-
die Pflicht hat, der Bevölkerung, besonders aber rung; denn nicht ich als Ressortminister bin gefragt,
den Opfern der beiden Weltkriege ihre Absichten sondern die Bundesregierung ist gefragt.
auf dem Gebiete der Kriegsopferversorgung klar
Nun beantworte ich die Große Anfrage wie folgt.
und eindeutig mitzuteilen und endlich Schluß zu
Zu Punkt 1: Das Schreiben des Bundesministers für
machen mit Versprechungen und vagen Andeutun-
Arbeit und Sozialordnung vom 12. Dezember 1962
gen, wie sie seit 1 1/2 Jahren gemacht werden.
an den Herrn Präsidenten des Deutschen Bundes-
Dabei sollte die Bundesregierung nicht vergessen, tages erging auf Grund des § 115 der Geschäftsord-
daß das Bundesversorgungsgesetz immer mehr Be- nung des Deutschen Bundestages. Es beruht nach
deutung für die Angehörigen der Bundeswehr ge- Form und Inhalt auf einem Beschluß des Bundeska-
winnt. Es ist doch bekannt, daß die Zahl der Bun- binetts.
deswehrdienstbeschädigten steigt, und wir empfin-
den es als unerträglich, daß die jungen Bundes- Zur zweiten Frage: Der Herr Bundeskanzler hat
wehrsoldaten, die im Zusammenhang mit ihrem bereits in der Regierungserklärung vom 6. Februar
Dienst einen Schaden an ihrer Gesundheit erleiden, 1963 dargelegt, daß es die Bundesregierung für
ihre Versorgung nach den geringen Sätzen des Bun- erforderlich hält, besonders diejenigen Personen-
desversorgungsgesetzes erhalten, während die Ver- gruppen unter den Kriegsopfern durch Leistungsver-
sorgung in vergleichbaren Gesetzen doch gerechter besserungen zu fördern, die infolge ihrer gesund-
geregelt ist. heitlichen Schädigung oder des Verlusts ihres Ehe-
mannes, Vaters oder Sohnes wirtschaftlich in einer
Die Fraktion der SPD ist der Auffassung, daß die Weise geschädigt worden sind, daß sie einer be-
Kriegsopfer 18 Jahre nach Beendigung des Krieges sonderen, fühlbaren Hilfe bedürfen. Daher wird die
Anspruch auf eine der Eigenart der gebrachten Bundesregierung vorschlagen, den Berufsschadens-
Opfer entsprechende Versorgung haben. Die Frak- ausgleich, den bisher nur erwerbsunfähige Beschä-
tion der SPD gibt der Hoffnung Ausdruck, daß durch digte erhalten können, auch auf die übrigen Be-
ihre Große Anfrage die dringend erforderliche Klar- schädigten, die beruflich besonders betroffen sind,
-
stellung erfolgt. auszudehnen und für Witwen einen entsprechenden
(Beifall bei der SPD.) Ausgleich für den durch den Tod des Ehemannes
eingetretenen wirtschaftlichen Schaden einzuführen.
Vizepräsident Dr. Schmid: Das Wort hat der Die Bundesregierung hält es ferner für wünschens-
Bundesarbeitsminister. wert, daß in der Elternversorgung in Zukunft auf die
Prüfung der Ernährereigenschaft des Gefallenen ver-
Blank, Bundesminister für Arbeit und Sozialord- zichtet wird,
nung: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen (Rufe von der FDP und der SPD: Sehr gut!)
und Herren! Ich muß zunächst einen Irrtum des
Herrn Abgeordneten Riegel beheben. Ich war nie- weil die Frage, ob der Gefallene Ernährer gewor-
mals geschäftsführender Minister. Wie Ihnen be- den wäre, in der Praxis zu großen Schwierigkeiten
kannt sein dürfte, hatten damals sämtliche Bundes- geführt und zu Zweifeln Anlaß gegeben hat.
minister dem Herrn Bundeskanzler ihren Rücktritt (Zuruf von der SPD: Das hat man nach
angeboten. Der Herr Bundeskanzler hat sich nicht 13 Jahren schon gemerkt!)
veranlaßt gesehen, dieses Rücktrittsgesuch anzuneh-
men und an den Herrn Bundespräsidenten weiterzu- Des weiteren beabsichtigt die Bundesregierung
leiten. Aber selbst wenn ich damals nur geschäftsfüh- vorzuschlagen, die Anrechnungsbestimmungen für
render Minister gewesen wäre, so wäre ich im Rah- die Bemessung der Ausgleichs- und Elternrenten so
men meiner Dienstaufgaben ebenso zum Handeln zu gestalten, daß bei künftigen Erhöhungen der So-
berechtigt gewesen, wie ich das als Minister bin. zialrenten die Erhöhungsbeträge nicht in vollem
(Abg. Riegel [Göppingen]: Das habe ich Umfange angerechnet werden, sondern zu einem
nicht bestritten!) Teil dem Versorgungsberechtigten erhalten bleiben.
— Doch, Sie haben den Umstand besonders hervor- Zu 3: Die Bundesregierung sieht in den vorge-
gehoben, daß ich damals nur geschäftsführender Mi- nannten Änderungsvorschlägen zum Bundesversor-
nister gewesen sei. Das war ich gar nicht. Es hätte gungsgesetz und in einer geplanten Anhebung be-
aber an der Sache nichts geändert. reits bestehender Rentenleistungen — auch der
Nun ein zweites. Sie haben soeben die gestellten Grundrenten — die Fortsetzung der mit dem Gesetz
Fragen ausgeweitet. Ich halte mich bei meiner Ant- zur Änderung und Ergänzung des Kriegsopferrechts
wort — das schließt nicht aus, daß ich im Laufe der begonnenen Neuordnung dieses Rechtsgebietes.
Debatte zu einzelnen Ausführungen spreche — Damit habe ich drei Fragen präzise beantwortet.
streng an die gestellten Fragen. Ich danke Ihnen.
(Zuruf von der SPD: Das war ja kaum an (Beifall in der Mitte — Zuruf von der
ders zu erwarten!) SPD: Kümmerlich!)
— Eben, weil man Fragen, die gestellt werden, kon
kret und korrekt beantworten muß. Ich beantworte Vizepräsident Dr. Schmid: Das Wort hat der
sie — warten Sie ruhig ab, Sie werden es schon Abgeordnete Stingl.
2932 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 63. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. März 1963

Stingl (CDU/CSU) : Herr Präsident! Meine Da- aber, weil wir meinen, daß die Kriegsopfer an der
men und Herren! Ich habe die Aufgabe, für die Frak- Fortentwicklung unserer Wirtschaft und an dem
tion der CDU/CSU zu sprechen. größeren Sozialprodukt teilhaben sollen, — —
Wir behandeln eine Große Anfrage der sozial- (Abg. Höhmann [Hessisch Lichtenau] : Dann
demokratischen Fraktion. Die Bundesregierung hat streichen Sie doch die Renten wieder!)
die Große Anfrage beantwortet. Meine Fraktion
— Eine solche Bemerkung, lieber Herr Kollege,
nimmt dazu folgende Stellung ein.
würde ich nie machen, weil das eine ganz dumme
Meine Damen und Herren, ich gebe diese Stel- Unterstellung ist.
lungnahme ungeachtet dessen ab, daß eine kleine
(Abg. Höhmann [Hessisch Lichtenau] : Na,
Gruppe aus unserer Fraktion einen eigenen Initia-
Sie haben es doch gesagt!)
tivantrag eingebracht hat,
(Bravo-Rufe bei der SPD) — Dann müssen Sie besser zuhören, wenn Sie mei-
nen, daß Sie solche dummen Zwischenbemerkungen
was wir bedauern, weil wir meinten, daß intensive machen können.
mit Aussicht auf Erfolg begonnene Gespräche noch
eine breitere Basis hätten finden lassen. (Zuruf des Abg. Schmitt-Vockenhausen.)
(Zuruf von der SPD: Bedauert das die ganze — Ja, Herr Schmitt, solche Bemerkungen können
Fraktion?) einem einfach über die Hutschnur gehen. Sie wis-
Wir, meine Damen und Herren, sind von der Regie- sen, daß ich mich gern jeder Debatte stelle und daß
rungserklärung, die der Herr Bundesarbeitsminister ich auch im ganzen Gespräch durchaus immer
eben abgegeben hat, befriedigt. freundlich bin. Aber solche Bemerkungen gehen
wirklich ein bißchen zu weit.
(Zuruf von der SPD: Prima!)
Nun, meine Damen und Herren, weiter in der
Der Vorsitzende unserer Fraktion hat in Gesprä-
Sache. Wir meinen nach wie vor — wie es auch das
chen mit Vertretern der Kriegsopferverbände mehr-
Wollen dieses Hauses ist —, daß es nicht in erster
' fach zum Ausdruck gebracht, daß unsere Fraktion für
Linie darauf ankommt, die Geldleistungen zu mes-
die Wünsche der Betroffenen aufgeschlossen ist und
sen, obwohl sie natürlich nicht außer Betracht blei-
und der Meinung ist, daß das Kriegsopferrecht auf
ben sollen, sondern daß vor allem weiterhin Wert
auf jeden Fall weiterentwickelt werden sollte. Wir
darauf gelegt werden sollte, den Kriegsopfern durch
sind allerdings auch der Meinung, daß man der Bun- Rehabilitationsmaßnahmen und durch Maßnahmen
desregierung dabei zugestehen muß, daß sie die des Schwerbeschädigtengesetzes die Möglichkeit zu
Frage der Neuordnung der Kriegsopferversorgung geben, wieder im Arbeitsprozeß zu stehen, und da-
in ihrer Verantwortung für den Gesamtstaat, in mit ihr Selbstwertgefühl zu steigern und sie am
diesem Zusammenhang insbesondere für den Ge- Wirtschaftsaufschwung teilhaben zu lassen.
samthaushalt, prüfen muß. Die Bundesregierung
kann sich nicht ihrer Verantwortung entziehen, auch Trotzdem, meine Damen und Herren, sind wir der
die Leistungen auf anderen Gebieten, insbesondere Meinung — und ich sage das zum wiederholten
auf anderen sozialpolitischen Gebieten, zu sehen. Male, wie es auch schon unsere Sprecherin mehr-
Ich darf hier für meine Fraktion ganz besonders fach gesagt hat —, daß das Kriegsopferrecht weiter
darauf hinweisen, daß die Bundesregierung die Ver- ausgestaltet werden muß, insbesondere auf dem
pflichtung hat, auch die Fragen der Familienpolitik, Gebiet der individuellen Leistungen. Nach unserer
die sicherlich im Haushalt einen gewaltigen Nieder- Meinung war es daher gut, daß uns der Herr Bun-
schlag finden werden, nicht außer acht zu lassen. desarbeitsminister gesagt hat, daß die Überlegun-
gen der Regierung dahin gehen, den Berufsschadens-
(Zurufe von der SPD: Wie? — Wann?) ausgleich zu erweitern, insbesondere ihm auch auf
Aus der Erklärung unseres Fraktionsvorsitzenden, die Witwen auszudehnen; denn die Witwen können
daß das Kriegsopferrecht weiterentwickelt werden heute, wenn sie eine einheitliche Rente haben, nicht
soll, und auch aus seinem Schreiben an einen Ver- an dem teilnehmen, was der Gefallene hätte er-
band, in dem er zum Ausdruck gebracht hat, daß reichen können.
wir für diese Forderungen Verständnis haben, kann Wir meinen im übrigen auch, daß es notwendig
gewiß niemand herauslesen, daß jede einzelne For- ist — das Hohe Haus hat sich mehrfach damit be-
derung in der Form, wie sie gestellt wird, im zu- schäftigt, ich selber habe mich bei der letzten Ren-
künftigen Recht auch berücksichtigt werden müßte. tenanpassung von dieser Stelle aus damit ausein-
Das Ziel, das unsere Fraktion — und, so nehme andersetzen müssen —, in der Kriegsopferversor-
ich an, die Mehrheit dieses Hauses, wenn nicht das gung eine Form der Anrechnungsbestimmungen zu
ganze Haus — anstrebt, ist, die Kriegsopfer, deren finden, die sicherstellt, daß auch die Kriegsopfer,
leibliche und seelische Opfer nicht in Geld ausge- die neben ihrer Kriegsopferversorgung eine Rente
drückt werden können, in das Wirtschaftsgeschehen aus den gesetzlichen Rentenversicherungen haben,
unserer Bundesrepublik einzugliedern. nicht jedes Mal bei den Rentenanpassungen mit
Klagen zu uns kommen müssen. Wir meinen auch,
(Zuruf von der SPD: Machen Sie es doch daß die Bundesregierung wohlberaten ist, wenn sie
nicht zu billig!) die Witwen und die Elternversorgung von ande-
-

Dabei können die seelischen Belastungen sicherlich ren Bedingungen, von leichteren Bedingungen ab-
niemals durch Geld ausgeglichen werden. Darum hängig macht und im übrigen auch verbessert.
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 63. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. März 1963 2933
Stingl
Mit großer Befriedigung und Genugtuung stellt maligen Leistungen sich im Gesamtgefüge unserer
meine Fraktion fest, daß der Herr Bundesminister Wirtschaft durchaus sehen lassen kann.
für Arbeit und Sozialordnung soeben gesagt hat,
daß auch eine Anhebung der Grundrente in dem Gewiß, niemand wird bestreiten, daß man trotz-
von der Regierung vorzulegenden Gesetzentwurf dem sagen kann, es sei immer noch nicht genug.
berücksichtigt werden wird. Auch wir sind der Meinung, daß es noch nicht genug
ist. Wir sind aber nicht der Meinung, daß es eine
Meine Damen und Herren, ich sage sofort: in wel- Leistung sei, die deshalb nun verbessert werden
chem Maß dies alles geschehen wird, das wird inten- müsse, weil die Kriegsopfer unter dem Existenz-
siver Beratungen innerhalb der Bundesregierung minimum seien. Wir sind der Meinung, die Lei-
bedürfen. Denn dieser Termin vom 30. November stungen müssen verbessert werden, weil die Kriegs-
war einfach zu früh. Die Bundesregierung kann, opfer auch in die neue wirtschaftliche Situation in
wenn sie einen Gesetzentwurf vorlegt, nicht einfach der Bundesrepublik hineingeführt werden sollen.
so tun, als sei es damit erledigt, daß sie sage: „In
Die Gesamtsumme von 4,2 Milliarden DM im
diesem Jahr können wir 200" — oder „400", oder
Jahre 1962 — gegenüber 2,2 Milliarden DM im
was für einen Betrag Sie genannt haben wollen —
Jahre 1950 — spricht schließlich auch für sich. Die
„bezahlen". Die Bundesregierung steht in der Ver-
Gesamtaufwendungen für die Kriegsopfer mit rund
antwortung für die zukünftigen Haushalte, insbe-
44 Milliarden DM entsprechen den Leistungen, die
sondere aber für den Haushalt 1964, der — das
der Bund für den Lastenausgleich gewährt hat, und
wissen Sie alle, und die Mitglieder des Haushalts-
den Leistungen, die im übrigen für die Rentenver-
ausschusses wissen es ganz besonders — noch eine
sicherungsträger im gleichen Zeitraum gewährt wor-
ganze Menge von Forderungen bringt, für die man
den sind. — Bitte, Herr Rutschke!
eine Deckung überhaupt noch nicht absehen kann.
Man kann es nicht einfach damit abtun, daß man
sagt, dann müsse man den Ländern mehr Geld ab- Dr. Rutschke (FDP) : Herr Kollege Stingl, sind
nehmen. Denn wenn man den Ländern mehr Geld Ihnen die Unterschiede zwischen dem Bundesent-
für eine Sache abnimmt, werden die Länder um so schädigungsgesetz und der Kriegsopferversorgung
hartnäckiger sein gegenüber der Forderung - nach bekannt?
einer Veränderung der Prozentzahlen bei der Ein-
kommensteuer.
Stingl (CDU/CSU) : Sie sind mir sehr wohl be-
Niemand soll aber nach dieser neuen Regierungs- kannt, Herr Rutschke. Sie waren Gott sei Dank so
vorlage sagen können, daß das unabweisbar Not- vorsichtig, nicht auch noch die Unfallversicherung
wendige nicht getan sei. Wir meinen aber, daß über anzuführen. Das haben Sie schon vorgestern abend
das unabweisbar Notwendige hinaus noch etwas ge- getan. Die Unterschiede sind mir durchaus bekannt.
tan werden kann, soweit es der Haushalt zuläßt. Eben darum wollen wir ja das Kriegsopferrecht
Notfalls, meine Damen und Herren, müssen auch weiter ausgestalten. Aber gegen eines muß ich mich
noch Stufen in der Verbesserung der Leistungen ein- in diesem Zusammenhang- noch einmal wenden.
geführt werden. Wir können die Regierung nicht Wer die Unfallrente, die angeblich ein jung dienen-
aus der Verantwortung entlassen, die ihr auf- der Soldat bekommen könnte, mit der Kriegsopfer
gegeben ist, unsere Währung stabil zu halten, für rente vergleicht, der übersieht, daß dieser junge
die Familie zu sorgen. Soldat in der Unfallversorgung im allgemeinen ver-
Wir möchten aber in diesem Zusammenhang auch mutlich eine geringere Rente hätte, als die Gesamt-
einmal darauf hinweisen, daß die Kriegsopfer auch versorgung ausmacht, weil sich die Unfallrente
bei den Verbesserungen aller anderen sozialen Lei- nämlich aus idem Jahresarbeitsverdienst ergibt, und
stungen ja mit beteiligt werden, und soweit sie als der Jahresarbeitsverdienst vor dem Eintritt in die
Arbeiter in Lohn und Brot stehen, auch an der Ver- Bundeswehr ist sicherlich nicht allzu hoch. Nehmen
besserung des Lohnfortzahlungsgesetzes teilnehmen. Sie nur einmal den Abiturienten, der in die Bundes-
Ich will damit nicht etwa sagen, daß man damit alles wehr eingetreten ist! Dem würden Sie überhaupt
andere erledigen könne. Aber ich will darauf hin- keine Rente gewähren, weil er noch kein Jahres-
weisen, daß die Kriegsopfer auch an den Zuschüssen, einkommen hatte.
die vom Bund her in die Rentenversicherungen (Zurufe von der SPD.)
gehen, einen wesentlichen Anteil haben. In diesen
Zuschüssen, die sich jetzt immerhin schon auf nahezu — Ich unterstelle Ihnen das nicht. Aber wenn Sie
7 Milliarden DM im Jahr belaufen, stecken die Lei- solche Reden halten, muß man Ihnen das vor Augen
stungen des Bundes, die früher über den § 90 zu führen.
zahlen waren, jetzt aber einfach in eine General-
berechnung für die Frühinvalidität eingegangen sind; Es ist sehr billig, Zahlen in der Weise zu ver-
und die Frühinvalidität, meine Damen und Herren, gleichen, wie ich es unlängst in einem Fall gesehen
ist wesentlich von Kriegsereignissen ausgelöst. habe, wo es hieß, ein Unfallbeschädigter mit einer
Beschädigung von 35 % erhalte eine Rente von 120
Die Leistungen in der Kriegsopferversorgung sind DM. Welcher denn? Da muß man dann doch erklären,
immerhin von 549 DM je Betroffenen im Jahre 1950 was er vorher für ein Einkommen hatte. In der Un-
auf 1316 DM je Betroffenen im Jahre 1962 gestiegen. fallversicherung — wir haben sie vorgestern be-
Wer dies einmal überlegt, wird zugeben müssen, handelt, und wer aufmerksam zugehört hat, weiß ja,
daß diese Steigerung um 140 % auf 240 % der da daß die Unfallversicherungsrente auf ganz anderen
2934 Deutscher Bundestag - 4. Wahlperiode — 63. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. März 1963

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Prinzipien beruht, daß hier das Versicherungsprin- Meine Damen und Herren, meine Fraktion ist
zip zugrunde gelegt wird — — gewillt, die Regierungsvorlage abzuwarten und sie
(Abg. Dr. Rutschke: Aber mindestens das dann, wie immer, verantwortungsbewußt zu bera-
Doppelte!) ten.

— Nein, das ist eben nicht wahr, daß sie mindestens Vizepräsident Dr. Schmid: Gestatten Sie eine
das Doppelte ausmacht. Nehmen Sie den zu 70 Zwischenfrage?
oder 80 % Beschädigten in der Unfallversicherung,
der nur ein Einkommen von 180 DM oder so hatte,
Stingl (CDU/CSU) : Bitte sehr!
und Sie werden sehen — —
(Zuruf von der SPD: Wo gibt es denn das?) Höhmann (Hessisch Lichtenau) (SPD) : Herr Kol-
lege Stingl, da Sie vom Zusammenbruch der Wäh-
— Ja, das gibt es auch!
rung sprachen: haben Sie einmal zusammengezählt,
(Widerspruch und lebhafte Zurufe von wie oft Sie im Verlaufe der Gesetzgebung zur
der SPD.) Kriegsopferversorgung schon den Zusammenbruch
der Währung prophezeit haben? Ist es nicht so,
— Das wissen Sie doch selbst! Im übrigen finde ich
es ganz interessant, daß Sie uns jetzt vorhalten, daß daß dieser Zusammenbruch trotz all Ihrer weisen
es das nicht gibt. Dank unserer Wirtschaftspolitik Voraussicht — auch der des Herrn Bundesarbeits-
ist es wirklich sehr selten. ministers — bisher noch nicht eingetreten ist und
daß er immer nur dann prophezeit wird, wenn es
(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU.) um die Kriegsopferversorgung geht?
Aber Sie halten es mir entgegen. Sie werden jedoch
nicht bestreiten können, daß es Teilarbeitsverhält- Stingl (CDU/CSU) : Lieber Herr Kollege, Sie sind
nisse gibt, in denen solche Einkommen vorkommen; offenbar bei sonstigen Debatten nicht im Hause;
und diese Einkommen liegen dann eben der Unfall- denn es wird von uns immer wieder angeführt, daß
rente zugrunde. Nicht wahr, Herr Börner, wir ver- wir in allen Bereichen die Gefahr für die Währung
stehen uns und wissen, daß es einfach falsch ist, sehen müssen. Ich behaupte nicht, daß allein die
Versicherung gleichzusetzen mit Versorgung. Das Kriegsopferversorgung unter Umständen eine Ge-
ist das gleiche, wie wenn man Äpfel und Birnen fahr für die Währung sein könnte. Wer wäre so
gleichsetzen wollte. törich,daszubepn?ArialMßh-
men, die wir treffen, immer, wenn es um die be-
(Zuruf des Abg. Schmitt-Vockenhausen.) berechtigten Forderungen einzelner Gruppen unse-
— Ich habe es gar nicht so schwer, Herr Schmitt! res Volkes geht, meine Damen und Herren, müs-
Das ist gar nicht so schlimm. sen wir eben das Ganze sehen und so maßhalten,
daß die Gewährung der Leistungen auch für die
Meine Damen und Herren, ich kann Ihnen für Zukunft sichergestellt ist.
meine Fraktion sagen: wir lassen uns in der Sorge
um die Kriegsopfer nicht übertreffen. Vizepräsident Dr. Schmid: Gestatten Sie noch
(Zurufe von der SPD.) eine Zwischenfrage?
Nur, meine Damen und Herren, wir werden dabei Stingl (CDU/CSU) : Nein, Herr Präsident, jetzt
nie vergessen, daß wir die Sorge für die Gesamt- nicht mehr!
heit haben. Denn was nützt es den Kriegsopfern, Dann haben Sie gesagt, daß Herr Minister Blank
wenn wir ihnen Versprechungen machen, daß wir vom Herrn Bundeskanzler hätte nach Hause ge-
ihre Leistungen um wer weiß wieviel erhöhen, wenn schickt werden sollen. Das ist Ihre Methode der Po-
wir nachher zugeben müssen, daß diese Gelder in lemik. Damit wollen Sie draußen wieder den Ein-
naher Zukunft ihren Kaufwert verloren haben?! druck erwecken: die Bundesregierung hätte ja Geld,
(Beifall bei der CDU/CSU.) der Finanzminister würde ja Geld geben, aber dieser
Blank, der nimmt's ja nicht. Das ist beinahe verleum-
Wir haben kein Verständnis für Landesminister, derisch, muß ich schon sagen. Denn selbstverständ-
die die drei Fraktionen dieses Hauses auffordern, lich will der Bundesarbeitsminister — das hat er
die Bundesregierung zu überrumpeln. Dieser gleiche jederzeit gesagt — die Kriegsopfer so stellen, daß
Landesminister möge dann auch sagen: Die Familien sie wirklich an unserem wirtschaftlichen Auf-
mögen die drei Fraktionen veranlassen, die Bun- schwung Anteil haben können. Wenn er Milliarden-
desregierung zu überrumpeln. — Meine Damen und beträge zur Verfügung hat, ist es für ihn keine
Herren, solche Überrumpelungsaktionen werden Kunst, sie gerecht aufzuteilen; das wird er in seinem
zum Schluß den Zusammenbruch unserer Währung Ministerium schon schaffen. Aber er ist von dem
zur Folge haben! abhängig, was das Bundeskabinett in seiner Verant-
wortung für den Gesamtetat überhaupt zur Verfü-
(Beifall bei der CDU/CSU.) gung stellen kann.
Nun habe ich genau 'das gemacht, was ich mir Wir haben jedenfalls das Vertrauen zu der Bun-
fest vorgenommen hatte nicht zu machen: ich habe desregierung, daß sie uns baldigst einen Reform-
mich auch etwas von der Emotion hinreißen lassen, entwurf vorlegt, der noch in diesem Jahr eine Ver-
weil Sie emotionell waren. besserung für die. Kriegsopfer bringt und im übrigen
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 63. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. März 1963 2935
Stingl
I den besonderen Bedürfnissen dieser Versorgung heit um des Staates und der Gemeinschaft willen
Rechnung trägt. verloren haben.
(Beifall bei der CDU/CSU.) Der Inhalt dieser Versorgung muß sich allein an
der Größe dieses gebrachten Opfers orientieren. Der
Vizepräsident Dr. Schmid: Meine Damen und rechtsstaatliche Gedanke, daß der Mensch für sein
Herren, ich darf bekanntgeben, daß auf Grund inter- Leben selbst verantwortlich ist, bindet ausschließlich
fraktioneller Vereinbarung der Punkt 22 — Erste den, der diese Selbstverantwortlichkeit des Mitmen-
Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrach- schen einschränkte oder ausschloß. Wenn also der
ten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Ein- Tatbestand des Versorgungsanspruchs durch den
kommensteuergesetzes und des Gewerbesteuerge- Krieg gesetzt und verursacht wurde, so muß dieses
setzes (Drucksache IV/722) —, der Punkt 24 — Erste Opfer für die Allgemeinheit die Gemeinschaft zu
Beratung des von der Fraktion der CDU/CSU einge- festen rechtsstaatlichen Leistungen verpflichten.
brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des
Bewertungsgesetzes (Drucksache IV/909) — und der Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang einige
Punkt 25 — Erste Beratung des von der Fraktion der Ausführungen dazu machen, was der Herr Bundes-
FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur arbeitsminister und die Bundesregierung bisher für
Änderung des Bundesbaugesetzes (Drucksache Rechtens und mit dem Begriff der Versorgung ver-
IV/924) — von der Tagesordnung abgesetzt werden. einbar hielten und nach dem, was der Herr Bundes-
arbeitsminister heute ausgeführt hat, offensichtlich
Das Wort hat der Abgeordnete Fritsch. weiterhin für sozial gerechtfertigt ansehen. Dem
sehr verehrten Herrn Kollegen Stingl will ich sagen,
Fritsch (SPD) : Herr Präsident! Meine Damen und daß an den nachfolgenden Beispielen, die beweisen
Herren! Gestatten Sie mir zunächst eine Vorbemer- sollen, welches Maß an Unrecht den Kriegsopfern
kung zu der heutigen, durch die Große Anfrage der bisher zugefügt wurde, nicht zu rütteln und nicht zu
Sozialdemokratischen Partei ausgelösten Debatte. deuteln ist.
Was immer als Ergebnis dieser Aussprache gesetz-
liche Wirklichkeit wird, es bleibt der Tatbestand, Folgendes Beispiel möchte ich anführen, um den
-
daß diese Bundesregierung und die sie tragenden Zustand der Versorgung der Opfer des Krieges an-
Parteien ausschließlich die Schuld daran haben, daß schaulich zu machen. Ein Beschädigter mit einer Er-
18 Jahre nach Beendigung des letzten Krieges die werbsminderung von 30 % bezieht heute noch eine
deutschen Kriegsopfer noch nicht annähernd aus- Beschädigtenrente nach dem Bundesversorgungsge-
reichend versorgt sind und daß der Passion des deut- setz in Höhe von sage und schreibe 35 DM.
schen Soldaten und seiner Angehörigen während
zweier Weltkriege der Leidensweg des Ringens um (Abg. Haase [Kassel] : Na und?)
eine menschenwürdige Versorgung im Frieden hin-
Wer von Ihnen die Art des Schadens kennt, die
zugefügt wurde. Es bleibt der Tatbestand, daß die
Voraussetzung dafür ist, eine MdE von 30 % zu be-
deutschen Kriegsopfer in all den bitteren Jahren der
kommen, mag sich allein aus diesem Tatbestand ein
Nachkriegszeit das Bitterste, nämlich zum Verlust
ausreichendes Bild darüber machen, wie die Beur-
von Leben und Gesundheit hinzu die Enttäuschung
teilung der Schäden innerhalb des Bundesversor
über einen Staat, zu tragen hatten, der trotz Mög-
gungsgesetzes vielfach von anderen Beurteilungen
lichkeiten und Mahnungen sie am Ende der An- ,
vergleichbarer Tatbestände abweicht. Ein mit der
spruchbetignlß,devorAg-
gleichen MdE versehener Anspruchsberechtigter
meinheit Recht und Gerechtigkeit erwarten dürfen.
nach dem Bundesentschädigungsgesetz erhält eine
Daß sie sich trotzdem zu diesem Staat und seinen monatliche Rente von 128 DM, ein Anspruchsberech-
Rechtssätzen bekannt haben und bekennen, bleibt tigter aus der gesetzlichen Unfallversicherung —
eines der glänzenden Kapitel deutscher Demokratie. wenn wir im Durchschnitt 480 DM nach den bisher
(Beifall bei der SPD.) geltenden Bestimmungen zugrunde legen — eine
monatliche Rente von 96 DM.
Wir stellen in diesem Zusammenhang fest, daß
das 1950 geschaffene Bundesversorgungsgesetz, hin- (Abg. Dr. Rutschke: Dann sorgen Sie immer
eingeboren in die damaligen finanziellen Verhält- dafür, daß die Disparität immer noch grö
nisse des Bundes, in all den Jahren seines Be- ßer wird! Wie vorgestern! — Gegenrufe
stehens durch seine Novellierungen keine echte von der SPD.)
Weiterentwicklung erfahren hat. Das erste Neuord-
nungsgesetz konnte nur ein Anfang sein, dem wir — Wir sind dazu da, Herr Kollege Dr. Rutschke,
nach unseren Vorstellungen nunmehr die entschei- dafür zu sorgen, daß die Priorität der Versorgung
denden Verbesserungen in allen Teilen hinzuzufü- der Opfer des Krieges ungeachtet anderer Gesetz-
gen haben. gebung hier in diesem Hause einmal klargestellt
Wir lehnen daher grundsätzlich alle sogenannten wird.
gezielten und sonstige lediglich auf einen Lasten- (Beifall bei der SPD. — Zurufe von der
ausgleich innerhalb der Kriegsopfergesetzgebung Mitte und rechts.)
hinauslaufenden weiteren Novellierungen ab. Das
Rechtsinstitut der Versorgung kann nur bestimmt Das schließt nicht aus, daß wir andere Gesetze
werden aus dem Gedanken der allumfassenden sozialer Art nach unseren besten Kräften fördern.
Sorge um die Mitmenschen, die Leben und Gesund Aber es darf nicht bestritten werden, daß der Vor-
2936 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 63. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. März 1963

Fritsch
rang der Kriegsopferversorgung, die Eigenart des rend des Krieges und nunmehr nach dem Kriege ge-
Anspruchs außer Zweifel steht. bracht haben.
(Erneuter Beifall bei der SPD. — Erneute Herr Bundesarbeitsminister Blank, ich komme aus
Zurufe von der Mitte und rechts.) dem Bayerischen Wald, also aus jenem Gebiet un-
— Meine Damen und Herren, wer trägt denn die seres Landes, in dem die Not größer ist als anders-
Schuld daran, daß wir 18 Jahre nach dem letzten wo. Der Anteil der Kriegsopfer, insbesondere der
Krieg immer noch über die Frage der Verbesserung älteren Menschen unter ihnen, ist höher als in ande-
der Kriegsopferversorgung sprechen müssen? Doch ren Gebieten der Bundesrepublik. Diese Kriegsopfer
sicher nicht die sozialdemokratische Fraktion die- leben zum .weitaus größten Teil unter Notständen,
die Sie sich sicher schlecht vorstellen können.
ses Hauses!
Körperliche, seelische und wirtschaftliche Not haben
(Abg. Stingl: Die Einstimmigkeit des gan sich dort wie zweifelsohne auch anderswo mit Ihrem
zen Hauses bei allen bisherigen Gesetzen!) Namen, Herr Bundesarbeitsminister, verbunden.
— Das berührt diese Frage nicht, sondern es be- (Oh-Rufe von der Mitte.)
rührt die Grundsatzfrage, ob und inwieweit und vor
Diese Kriegsopfer haben in all den Jahren verzwei-
allem wann wir bereit sind, die Versorgung der
felten Hoffens erwartet, daß Sie, der Sie ein Anwalt
Opfer des Krieges dem angemessen zu gestalten,
der Opfer des Krieges sein müßten, den Anspruch
was an Vorleistungen, was an Opfern an Gut und
von Millionen von Menschen verteidigen und seine
Blut und Leben in zwei furchtbaren Kriegen gebracht
Berechtigung außer Zweifel stellen würden.
worden ist.
Nachdem ich nun, wie ich annehme, mit dem vol-
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der
len Gewicht der moralischen Entrüstung über die
Herr Bundesarbeitsminister hat heute erklärt, daß
bisherigen Zustände in der Kriegsopferversorgung
er nach wie vor dem Bedürftigkeitsprinzip in der
dieses Problem beleuchtet habe, lassen Sie mich
Kriegsopferversorgung zweifelsohne den Vorzug
auch einiges zu dem sagen, was nach Ansicht der
gibt.
sozialdemokratischen Fraktion Voraussetzung für
(Zurufe von der CDU/CSU.) - eine bessergestellte, weiterentwickelte und den Be-
dürfnissen der Kriegsopfer entsprechend gestaltete
— Das ging doch aus seinen Ausführungen hervor! Versorgung ist.
Ich habe doch gehört, was der Herr Bundesarbeits-
minister gesagt hat! Er möge zur Kenntnis nehmen, Wir meinen, daß die Grundrente als eine allen
daß auf diesem Wege eine echte und beständige Beschädigten zufließende Leistung entscheidend an-
) Regelung der Kriegsopferversorgung einfach des- gehoben werden muß.
halb nicht erreicht werden kann, weil über das In- (Zuruf rechts: Wie denn?)
stitut der Ausgleichsrente nur 13,3 % aller Kriegs-
Wir meinen, daß der Berufsschadensausgleich für
opfer einen Anspruch verwirklichen können, wäh-
alle Beschädigten unter Anhebung der bisherigen
rend alle übrigen nur die Grundrente beziehen.
Leistungen verbessert werden muß. Wir sind der
(Zurufe.) Auffassung, daß die zweckgebundenen und vom
Einkommen unabhängigen Leistungen wie Schwer-
— Das ist nicht falsch. Ich werde nachher noch dar-
beschädigtenzulage, Ehegattenzuschlag, Pflegezu-
auf zu sprechen kommen. Es besteht also eine un-
lage und Kleiderverschleißzulage erhöht werden
abweisbare Notwendigkeit, die Grundrenten ent-
müssen. Wir sind der Meinung, daß eine weitere
scheidend anzuheben.
Verbesserung der Anrechnungsbestimmungen und
Es mag weiter von Interesse sein, daß man hier eine Hebung der Freibeträge im Rahmen der Aus-
wiederum das Bedürftigkeitsprinzip bei der Bemes- gleichsrenten erforderlich ist. Die Ausgleichsrenten-
sung der Leistungen an Kriegsopfer aufstellt, daß beträge müssen "den veränderten wirtschaftlichen
heute bei einem Einkommen von bereits 300 DM Verhältnissen angeglichen werden. Die Heil- und
aus Arbeit die Ausgleichsrente wegfällt und daß bei Krankenbehandlung der Beschädigten, der Hinter-
einem Einkommen aus Rente von bereits 150 DM bliebenen und der Familienangehörigen muß ver-
monatlich ebenfalls keine Ausgleichsrente mehr ge- bessert werden. Erforderlich ist die Existenzsiche-
währt wird. Die Aufzählung dieser Unrechtstat- rung für besonders sozialschwache Kreise der Ver-
bestände, die wir beseitigen müssen, nachdem sie sorgungsberechtigten. Für Kriegshinterbliebene ist
jahrelang im Bundesversorgungsgesetz von einer bei besonderer wirtschaftlicher Notlage ein Scha-
Novelle zur anderen mitgeschleppt worden sind, densausgleich zu schaffen. Die Voraussetzung der
läßt sich beliebig fortsetzen. Ich brauche gar nicht Ernährereigenschaft für die Gewährung von Eltern-
das ebenso trübe Kapitel der Versorgung unserer renten muß wegfallen. Hier haben wir es nicht nur
Hinterbliebenen besonders zu beleuchten. Eine Mil- mit einem versorgungsrechtlichen, sondern auch mit
lion Witwen und Hunderttausende von Krieger- einem menschlichen Problem zu tun. Wer es einmal
eltern, -insbesondere solche Kriegereltern, die kei- erlebt hat, wie enttäuscht Hunderttausende von
nen Rentenanspruch verwirklichen konnten, sind Kriegereltern, die einen oder mehrere Söhne ver-
Zeuge dafür, daß es an der Zeit ist und längst höch- loren haben, über die Bestreitung der Ernährereigen-
ste Zeit gewesen sein sollte, diese Kriegsopferver- schaft oder über die Ablehnung auf Grund des Ein-
sorgung in Ordnung zu bringen, sie in ein Verhält- kommens sind, obwohl sie in wirtschaftlicher Not —
nis zu den Opfern zu setzen, die unsere Kameraden auch in seelischer — leben, der hat keinen Zweifel
in zwei Weltkriegen, die die Hinterbliebenen wäh darüber, daß diese Bestimmung als eine der größten
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 63. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. März 1963 2937

Fritsch
Härten des Bundesversorgungsgesetzes beseitigt opferrechts auch ablehnen, irgendwelchen Stufen-
werden muß. plänen zuzustimmen. Sie bedeuten nur ein weiteres
Außerdem ist der Kreis der berechtigten Personen Hinausschieben eines Zustandes, der — und das
sagte Ihnen mein Freund Riegel bereits — unerträg-
dadurch zu erweitern, daß für Leistungen nach dem
lich geworden ist. Die Opfer in zwei Weltkriegen,
Bundesversorgungsgesetz der zeitliche Zusammen-
hang in den Fällen genügt, in denen über die meine sehr verehrten Damen und Herren, sind nicht
in Stufen erbracht worden, sondern elementar und
Ursache des Leidens in der ärztlichen Wissenschaft
Ungewißheit besteht. Es entspricht einem Gebot der mit dem Gewicht eines plötzlichen, ungeheuren Ein-
Billigkeit, einen Anspruch nicht einfach deshalb ab- griffs in den Bestand des Lebens und der Unver-
zulehnen, weil die Wissenschaft das Krankheitsge- sehrtheit. Keine auch noch so schwierige haushalts-
schehen nicht ausreichend zu analysieren vermag. mäßige Überlegung zur Finanzierung des Neuord-
nungsgesetzes sollte gegenüber diesen Ereignissen
Die berufliche Rehabilitation aller Schwerbeschä- ein allzu großes Gewicht haben.
digten- und Beschädigtengruppen bedarf der Förde-
rung und großzügigster Durchführung bei allen be- Wir haben gehört, was der Herr Bundesarbeits-
teiligten Stellen. Der volkswirtschaftliche und minister hier auszusagen wußte. Wir haben nun
menschliche Wert der beruflichen Leistungen un- auch den Willen der CDU/CSU-Fraktion heute uni-
serer Beschädigten und Schwerbeschädigten muß form präsentiert bekommen. Soweit man es aus
stärkere Anerkennung durch Wirtschaft und Gesetz- Zeitungen entnehmen konnte, hat es innerhalb der
gebung erfahren. Der Leistungswille des einzelnen CDU/CSU-Fraktion eine Rebellion gegeben, von der
darf nicht durch die Wegnahme eines großen Teiles heute gesagt wurde, daß sie sich auf einen kleinen
des Erworbenen über die Anrechnungsvorschriften Kreis, auf eine kleine Gruppe beschränkt habe und
des Gesetzes eingeengt werden. daß sie deshalb zweifelsohne, vom Gewicht der
Stimmen ausgehend, keine besondere Bedeutung
(Abg. Haase [Kassel] meldet sich zu einer haben könne. Aber es stellt sich in diesem Zusam-
Zwischenfrage.) menhang die Frage: War das eine Rebellion, wie
schon einmal, des guten Gewissens in dieser Frak-
Vizepräsident Dr. Schmid: Gestatten Sie eine tion, oder war es eine Rebellion gegen das schlechte
Zwischenfrage? -
Gewissen, die hier vollzogen worden ist?
Wir sind der Meinung, das ganze Haus müßte sich
Fritsch (SPD) : Sie haben Verständnis dafür, daß in der Frage der Verbesserung einig sein. Dann
ich eine Zwischenfrage nicht gestatte.
müßte es ein Leichtes sein, sich in der Frage der
Schließlich müssen wir im Rahmen einer echten Kriegsopferversorgung zu den Grundsätzen sozialer
Neuordnung zu einer Verbesserung der festgelegten und menschlicher Gerechtigkeit zu bekennen und all
Mindesthundertsätze bei der Beurteilung äußerer das zu vollziehen, was nach dem Leitbild, das wir
Körperschäden kommen. Wir, die wir uns zur Un- uns vom Menschen machen, nötig ist, um unseren
teilbarkeit des Menschen in seinen körperlichen, Schwerbeschädigten, um den Hinterbliebenen das
geistigen und seelischen Anlagen bekennen, müssen Gefühl zu geben, daß sie nicht fernerhin von diesem
es ablehnen, ihn einer schematischen Bewertung Staate vergessen sind.
der anatomischen Schäden auszusetzen. (Zurufe von der CDU/CSU.)
Wir dürfen das Bundessozialgerichtsurteil vom
19. Dezember 1959 zitieren, welches in seinem — Warten Sie, sehr verehrter Herr Kollege Spies,
Kernsatz ausführt, daß es bei Beurteilung der ich bin gleich fertig.
Frage, wieweit ein Mensch von versorgungsrechtlich Bei Betrachtung der Ausführungen des Herrn Bun-
erheblichen Ereignissen betroffen wurde, nicht dar- desarbeitsministers und des Herrn Kollegen Stingl
auf ankommen kann, ob er nach einem von seiner bietet sich die Frage an, wann das, was wir nun ge-
Person unabhängigen, generalisierenden Maßstab hört haben und was sie als Rechtens empfinden,
mit den Ereignissen, die ihn betroffen haben, äußer- denn geschehen soll, ob sie uns einen Termin nen-
lich oder innerlich hätte fertigwerden können, son- nen können, wann sie bereit sind, das längst Ver-
dern daß der Betroffene immer so zu beurteilen ist, säumte mit den Vorstellungen und mit den Mitteln
wie er tatsächlich individuell beschaffen ist und wie zu lösen, die sie heute angedeutet haben. Aber auch
aus dieser Sicht heraus die wehrdienstähnlichen darüber ist nichts gesagt worden. Wie so oft in die-
Verhältnisse auf ihn gewirkt haben müssen. sem Hause waren es leider nur Reden, Vertröstun-
gen, die die Hoffnung der Opfer des Krieges immer
Dieser keineswegs vollständige Katalog der Min-
erneut entzündeten und die erneut enttäuscht haben.
destbedingungen, unter denen Recht an den Opfern
des Krieges geschehen wird, war und ist die Richt- (Abg. Stingl: Dann lesen Sie doch das ein
schnur sozialdemokratischer Handlungsweise in die- mal nach! Das steht doch darin!)
sem Hohen Hause. Zum wiederholten Male appe- — Sehr verehrter Herr Kollege Stingl, meine bis-
lieren wir an die Bundesregierung und die Koali- herige ehrenamtliche Tätigkeit in den Kreisen der
tionsparteien, sich diesen Forderungen nicht zu ver- Opfer des Krieges hat mir so viel an innerem Leid
schließen. vermittelt, 'daß Sie es mir gestatten müssen, auch mit
Wir müssen es angesichts der bisherigen Verzö- dem Herzen bei dieser Diskussion dabei zu sein, daß
gerungen in der von den Kriegsopfern längst er- Sie es mir gestatten müssen, die Dinge so zu sehen,
warteten endgültigen Rechtsgestaltung des Kriegs wie sie sich draußen auf dem Lande jeden Tag er-
2938 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 63. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. März 1963
Fritsch
eignen, wie sie draußen von Menschen jeden Tag Schaden von ihm wenden, das Grundgesetz und die
gefühlt und erfühlt werden, Gesetze des Bundes wahren und verteidigen,
(Abg. Stingl: Die von Ihnen angeheizt wer (wiederholte Zurufe von der SPD)
den!) meine Pflichten gewissenhaft erfüllen — und jetzt
die nicht nur Opfer des Krieges, sondern auch Opfer achten Sie bitte auf — und Gerechtigkeit gegen
Ihrer Gesetzgebung geworden sind. jedermann über werde.
(Beifall bei der SPD. — Abg. Haase [Kas (Anhaltende Unruhe bei der SPD.)
sel]: Herr Kollege, gestatten Sie jetzt eine
Frage?) Ich habe es mit 3,1 Millionen Kriegsopfern zu tun,
ich habe es mit 8,2 Millionen Rentnern — Soziale
Vizepräsident Dr. Schmid: Herr Abgeordneter, Rentenversicherung — zu tun, ich habe es mit 3,5
Sie können nur fragen, solange die Tribüne besetzt Millionen Kindern — Kindergeldgesetzgebung —
ist. Es tut mir leid, Sie kamen zu spät. zu tun; ich spreche nur von meinem Ressort. Für
mich liegt die Priorität in sozialpolitischen Dingen
Herr Bundesarbeitsminister!
bei der Aufgabe, das Ganze in seinem Zusammen-
hang zu betrachten. Nur im Zusammenhang des
Blank, Bundesminister für Arbeit und Sozialord- Ganzen sind, wie ich glaube, gerechte Lösungen
nung: Herr Präsident! Meine Damen und Herren, möglich.
nur ein paar kurze Bemerkungen. Sie, Herr Kollege
Fritsch — um bei dem letzten zu beginnen — fragen: (Zuruf von der SPD: Was heißt das denn?)
„Wann?". Da darf ich mich auf das beziehen, was
ich i n der Antwort gesagt habe. Ich habe Ihre Fra- — Das will ich Ihnen gleich sagen! — Darf ich Sie
gen beantwortet. Fragen, die mir in der Großen einmal fragen — da Sie von „Vorleisten" spre-
Anfrage nicht gestellt waren, kann ich namens der chen —, wie „Vorleisten" gemessen werden soll für
Regierung heute und hier auch nicht beantworten. diejenigen, die im Kriege waren, für diejenigen,
die nach idem Krieg sich noch im Krieg befanden,
(Zurufe von der SPD.) indem sie aus Heimat, Hof und aus allem vertrie-
-
ben wurden? Darf ich Sie fragen, wie Prioritäten
— Ja, es fällt Ihnen sehr schwer, die Dinge immer
gemessen werden, wenn an einem einzigen Vor-
korrekt abzuhandeln.
mittag durch einen einzigen und, wie es scheint,
Sie sprachen von der Schuld der Regierung und unabwendbaren Unglücksfall Hunderte von Berg-
der sie tragenden Parteien, daß in 18 Jahren keine leuten ihr Leben einbüßen? Darf ich Sie fragen,
befriedigende Lösung gefunden worden sei. Wenn wie nach der Priorität zu entscheiden ist, wenn es
ich mich recht erinnere, hat einer Ihrer Redner hier sich in einem solchen Fall 'um einen Familienvater
einmal mit Stolz erklärt, daß alles, was auf diesem mit vier oder fünf Kindern handelt? Darf ich Sie
Gebiete geschehen sei, Ihrer Mitinitiative und fragen, ob ich das Recht habe, erst einen Prioritäts-
immer idem einstimmigen Beschluß dieses Hauses zu vergleich anzustellen, wenn es sich um einen zu
verdanken sei. Sie müssen sich daran erinnern! 30 % Beschädigten handelt? Nein, meine Damen und
Herren, damit, daß Sie an einem bestimmten Punkt
(Zurufe von der SPD.) das Emotionale ansprechen, kommen Sie nicht weit.
Aber ich habe mich gemeldet, um folgendes klar- Zum Schluß möchte ich Ihnen einen guten Rat
zustellen. Sie sprachen davon, daß ich ein Anwalt
geben. Sie haben Ihre Bemühungen, haben die
zu sein hätte. Dazu wollte ich Ihnen einmal ganz Hoffnung noch nicht aufgegeben — wenngleich ich
kurz etwas sagen. Ich habe in der 42. Sitzung ides die Aussichten auf Verwirklichung nicht allzu hoch
Deutschen Bundestages eine, wie ich glauben darf, veranschlage —, in Bälde hier in der Regierung zu
vielbeachtete Rede gehalten, als an einem einzigen stehen. Legen Sie sich nicht zu sehr durch Verspre-
Vormittag aus drei verschiedenen Sozialbereichen chungen fest, die Sie dann nicht erfüllen können!
Forderungen mit dem Anspruch auf Priorität gestellt
wurden. (Beifall bei den Regierungsparteien. —
(Abg. Dr. Rutschke: Sehr richtig!) Zuruf von der SPD: Ausgerechnet der
hat'snöig!)
Das veranlaßt mich immer wieder, zu überdenken,
was ich zu tun habe. Das habe ich hier vor Ihnen Vizepräsident Dr. Schmid: Das Wort hat der
bei meinem Amtsantritt mit meinem Eid bekräftigt, Abgeordnete Dr. Rutschke.
und der lautet: Ich schwöre, daß ich meine Kraft
dem Wohle des deutschen Volkes widmen,
Dr. Rutschke (FDP) : Herr Präsident! Meine Da-
(Unruhe und Lachen bei der SPD) men und Herren! Herr Kollege Fritsch, Sie haben
sich eben mit sehr viel Verve für die Belange der
seinen Nutzen mehren
Kriegsopfer eingesetzt. Ich stimme dem durchaus zu.
(Zurufe links) Aber man muß dann auch eine gewisse Logik wal-
ten lassen. Ich möchte hoffen, daß Sie sich mit der-
— wenn Ihnen ein Eid lächerlich vorkommt, muß selben Verve auch einmal vor eine Gewerkschafts-
ich das Ihnen überlassen — , funktionärsversammlung stellten und sagten:
(weitere Zurufe von der SPD) Nehmt das Sozialprodukt nicht ständig für euch in
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 63. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. März 1963 2939
Dr. Rutschke
Anspruch, sondern laßt auch noch etwas für andere das Entschädigungsprinzip verfolgen wollen, auf die
Leute übrig! Unverletzlichkeit seiner Person, die ihm durch das
(Zurufe von der SPD.) Grundgesetz gewährt wird. Wenn diese Unverletz-
lichkeit ihm vom Grundgesetz nicht garantiert wer-
Da würden Sie diese Sachen wahrscheinlich nicht so den konnte — und das ist im Kriegsfall nicht mög-
lautvorgen.Eisjwhlcr,meins lich —, dann muß der Staat auch bereit sein, eine
verehrten Damen und Herren, daß wir mehr, als das Entschädigung für die Opfer, die er dem Betreffen-
Sozialprodukt ergibt, nicht ausgeben können. Da den zugemutet hat, zu übernehmen. — Das ist der
bestehen nun einmal Zusammenhänge, die man ein- eine Grundsatz.
fach nicht voneinander trennen kann.
Ein anderer Grundsatz ist im Fürsorgeprinzip ent-
Herr Kollege Fritsch, Sie haben hier gerade den halten. Das ist der Gedanke der Alimentation, wie
Vergleich zwischen der Unfallversicherung und der er bei den Beamten im allgemeinen zur Anwendung
Kriegsopferversorgung gebracht. kommt.
(Abg. Stingl: Da würde ich vorsichtig sein!)
(Abg. Killat: Das haben auch Sie vor
Richtig, man ist in der Vergangenheit gerade mit
gestern schon gemacht!)
diesem Alimentationsprinzip der Beamten — das
— Jawohl, Herr Kollege Killat, und das würde ich Bundesverfassungs- oder das Bundesverwaltungs-
auch heute wieder tun. — Man muß dann auch den gericht hat sich sehr dezidiert dazu geäußert —
Mut haben, bei anderen Gesetzen, wie ich es vor- nicht immer so zu Rande gekommen, wie es ur-
gestern getan habe, zu sagen: Denkt daran, es sind sprünglich gedacht gewesen ist.
auch noch andere da! Das vergessen Sie leider Der Herr Kollege Dr. Dittrich von der CSU hat
immer. mich vorgestern, als ich einige Anmerkungen in der
Sie kommen heute, Kollege Fritsch, und sagen, Unfallversicherungsdebatte machte, gefragt, ob ich
daß der Unfallrentner mehr als das Doppelte von den Unterschied zwischen dem Versicherungsprinzip
dem erhält, was der Kriegsbeschädigte bekommt. und dem Versorgungsprinzip kennte. Er meinte, daß
Vorgestern haben Sie, Kollege Fritsch, aber - kräf- es sich da um zweierlei Paar Schuhe, um zwei ver-
tig mitgeholfen, diese Disparität noch zu vergrö- schiedene Dinge wie Äpfel und Birnen handle, die
ßern, anstatt, wie ich es getan habe, zu sagen: Jetzt man nicht miteinander vergleichen könne. Ich bin
warten wir erst einmal etwas zu, damit die Dispari- der Meinung, das sind durchaus Sachen, die man
tät nicht weiterhin so eklatant groß bleibt und noch miteinander vergleichen kann, denn der zugrunde
vergrößert wird. liegende Sachverhalt ist grundsätzlich derselbe,
nämlich, daß jemand entweder durch einen Arbeits-
(Zustimmung bei den Regierungsparteien.) unfall oder durch eine Verletzung im Kriege z. B.
ein Bein verloren hat. Dem Betreffenden ist es
Ich freue mich, daß sowohl die CDU/CSU-Frak- grundsätzlich völlig gleichgültig, ob er nach dem
tion als auch die Bundesregierung den Vorstellun- Versicherungsprinzip oder nach dem Versorgungs-
gen, die wir Freien Demokraten schon im vorigen prinzip behandelt wird. Er will jedenfalls so gestellt
Bundestag gehabt hatten — ich denke an die Rege- sein, daß er einen ausreichenden Ausgleich für den
lung der Berufsschadensrente im ersten Neuord- Verlust des Beines bekommt.
nungsgesetz —, gefolgt sind, daß Sie die Gewäh- Der Kollege Dr. Dittrich ist allem Anschein nach
rung der Berufsschadensrente, wie wir damals auch, der Auffassung, daß grundsätzlich die Anwendung
auf die Witwen ausdehnen wollen, um einen Scha- des Versorgungsprinzips die Hälfte der Leistungen
densausgleich zu erreichen. Wir glauben, daß hier ergebe, die nach dem Versicherungsprinzip zu ge-
noch sehr, sehr vieles im argen liegt und daß hier währen seien. Da kann ich nicht mehr mit, denn ich
noch sehr viel Ungerechtigkeit auszuräumen ist. bin der Meinung, daß das Versorgungsprinzip viel
Wir freuen uns darüber, daß das sowohl Sie, Herr umfassender ist als das Versicherungsprinzip.
Kollege Stingl — für die CDU/CSU —, als auch Sie,
(Abg. Stingl: Nur ist das Versorgungs
Herr Minister Blank — für die Regierung — gesagt
prinzip eben kollektiver, in seinen Leistun
haben. Damit sind wir sehr einverstanden.
gen egaler!)
Lassen Sie mich etwas zur Berufsschadensrente — Nein, die Kollektivität kommt im Versicherungs-
und zu der Frage der Grundrente sagen. Meine prinzip stärker zum Ausdruck. Allerdings läßt das
sehr verehrten Damen und Herren, die Kriegsopfer- Versicherungsprinzip verschiedene Steigerungen zu;
versorgung kann entweder nach dem Fürsorgeprin- das will ich Ihnen gern zugeben.
zip oder nach dem Entschädigungsprinzip behandelt Jedenfalls ist es durch den Sachverhalt nicht ge-
werden. Das Entschädigungsprinzip bedeutet in rechtfertigt, daß derjenige, der auf dem Weg zur
etwa, daß die Grundsätze des Bürgerlichen Gesetz- Arbeit durch einen Unfall ein Bein verloren hat —
buches — mindestens in den Grundlagen — gelten, vielleicht sogar durch eigenes Mitverschulden —,
also z. B. die Schadenshaftung und der Aufopfe- doppelt soviel erhält wie derjenige, der den glei-
rungsanspruch. Hierzu gehört eine strenge Kausali- chen Verlust an der Ostfront erlitten hat. Herr Kol-
tät. Außerdem müssen die Belange der Geschädigten lege Stingl, Sie mögen das bestreiten. Der Unfall-
mit dem in Einklang gebracht werden, was auf der rentner kann sogar noch viel mehr bekommen als
anderen Seite zu leisten ist. Der Geschädigte beruft das Doppelte. Wir gehen ja von dem Durchschnitts-
sich dann, wenn wir in der Kriegsopferversorgung bemessungsbetrag von 475 aus, und da bekommt
2940 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 63. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. März 1963

Dr. Rutschke
der Betreffende doch wirklich mindestens das Dop- — Herr Kollege Börner, ich habe mich vorhin be
pelte; das werden Sie mir zugeben müssen. müht, Ihnen klarzumachen, daß es dem Beschädig-
Das Ziel der Fraktion der Freien Demokraten war ten doch völlig wurscht ist, wo er sein Bein ver-
von jeher, das Kriegsopferrecht in Richtung auf das loren hat. Er stellt fest: Er hat sein Bein verloren
Bundesentschädigungsgesetz auszubauen. Das Bun- und bekommt das einemal 80 DM und das andere
desentschädigungsgesetz sieht für die Opfer des mal 170 DM. Das ist für ihn das Entscheidende.
Nationalsozialismus sehr gut durchdachte Regelun- (Abg. Börner: Das ist aber nicht richtig!)
gen vor. Die Tatbestände sind teilweise dieselben. — Ja, in dieser Auffassung unterscheiden wir uns
Ob jemand seine körperliche Integrität durch einen eben.
KZ-Aufenthalt oder an der Ostfront verloren hat, (Abg. Börner: Objektiv stimmt es nicht!)
ist im Effekt kein Unterschied. Wir meinen also,
daß das Bundesentschädigungsgesetz durchaus eine — Ich bin gerne bereit, mich von Ihnen überzeugen
Richtschnur, ein Ziel sein kann, welches wir für die zu lassen. Aber ich habe die Sache sehr wohl durch-
Kriegsopferversorgung anstreben sollten. dacht, und deshalb habe ich auch auf die volkswirt-
schaftlichen Zusammenhänge hingewiesen.
Seien Sie mir nicht böse, wenn ich jetzt einige
wenige Zahlen nenne. Bei einer Erwerbsminderung Meine Damen und Herren, lassen Sie mich ein
von 40 %, d. h. z. B. beim Verlust eines Fußes, be- paar Worte zur Grundrente sagen. Es wird — und
kommt man bei Zugrundelegung eines niedrigeren das scheint mir recht gedankenlos zu sein — von
durchschnittlichen Arbeitsverdienstes in der Unfall- vielen Leuten immer wieder gesagt: Wozu ist
versicherung den Betrag von 187,60 DM, nach dem eigentlich die Grundrentenerhöhung notwendig?
Bundesentschädigungsgesetz die Höchstrente — die Wozu ist es notwendig, daß nun bei einer Beschä-
also nicht für alle zutrifft — von 800 DM, aber digung von 30% die Grundrente, die etwa ein
sicherlich eine Rente von etwa 200 DM, und nach Generaldirektor oder ein Staatssekretär erhält, um
dem Bundesversorgungsgesetz sind es 45 DM. Das 3,50 oder 5 DM erhöht wird? Man soll doch lieber
sind Diskrepanzen, die auf die Dauer unerträglich denen helfen, die nun wirklich in Not sind usw.
sind. usw. Nun, es sind sicherlich nicht mehr als 8% der
(Beifall bei der FDP.) - gesamten Kriegsopfer, die in so hohen Einkom-
mensregionen schweben und, sagen wir einmal,
Daher rührte auch meine Empörung, oder wie man mehr als 1000 DM verdienen. Die können Sie wirk-
es nennen will, als ich vorgestern sah, wie groß- lich zählen. Ich habe aber auch niemals gehört, daß
zügig man die Unfallversicherung noch weiter stei- ganze Bataillone von Generaldirektoren oder von
gerte und sich keine Gedanken darüber machte, daß Staatssekretären an der Ostfront eingesetzt waren.
die Disparität zwischen der Kriegsopferversorgung Sie können das doch nicht daran messen.
und der Unfallrentenversicherung nun noch größer
Dabei möchte ich Sie, Herr Kollege Stingl, darauf
wird.
hinweisen, daß auch beim Kindergeldgesetz der Ge-
Es wird immer wieder der Einwand gebracht: Nun neraldirektor das Kindergeld genauso bekommen
ja, die Unfallversicherung wird doch von den soll, obwohl man hier denselben Einwand bringen
Arbeitgebern bezahlt, während die Kriegsopfer aus könnte. Offensichtlich haben Sie aber leider seiner-
dem Steueraufkommen versorgt werden müssen. — zeit vergessen, sich das bei Ihren Vorschlägen zu
Im Prinzip ist das volkswirtschaftlich völlig gleich- überlegen.
gültig; denn die Beiträge, die die Arbeitgeber zur Was ist denn der Sinn der Grundrente? Sinn der
Unfallversicherung leisten müssen — und das soll Grundrente ist doch der Ausgleich der Mehrkosten,
jetzt ein Mehr von etwa 350 Millionen DM sein —, die der Beschädigte durch seine Beschädigung
sind ja Faktoren in der Kalkulation der Preise und zwangsläufig im Vergleich zu Gesunden hat. Er
gehen in die Preise ein. Sie werden dann von der wird eben öfter einmal mit der Taxe fahren müssen,
Allgemeinheit bezahlt. Ob das nun ein so großer
wenn er Beinamputierter ist. Oder er wird den
Unterschied ist?! Sicherlich, für den Herrn Bundes- Gepäckträger mehr in Anspruch nehmen oder, wenn
finanzminister ist der Unterschied sehr groß, aber
er armamputiert ist, eine Taxe nehmen, mit der er
volkswirtschaftlich nicht. Herr Kollege Stingl hat
sein Gepäck befördern kann. Das kann Ihnen jeder
ja vorhin gesagt, wir müßten die volkswirtschaft-
Beschädigte an Beispielen nachweisen. Man denkt
lichen Belange berücksichtigen; denn es bestünde
ursprünglich gar nicht so daran, wenn man selbst
die Gefahr, daß sonst die Währung zusammen-
beschädigt ist, welche Mehraufwendungen sich prak-
brechen könne. Nun ja, deshalb sind die volkswirt-
tisch immer zwangsläufig einstellen. Man nimmt sie
schaftlichen Zusammenhänge auch in diesem Fall
schon als so selbstverständlich hin, daß man eigent-
zu berücksichtigen.
lich gar nicht mehr merkt, daß der Gesunde alle
Ich will Sie nicht weiter mit Zahlen langweilen, diese Aufwendungen nicht hat.
aber auch bei der Witwenversorgung sind die
Es ist also nicht so, daß die Grundrente ein Mehr
Unterschiede zwischen Unfallversicherung, Bundes-
für die Kriegsbeschädigten ist, sondern daß es von
entschädigungsgesetz und Kriegsopferversorgung
einem minus soundsoviel auf ± 0 geht. Das ist der
ganz offensichtlich, so daß wir alles tun sollten, um
Sinn der Grundrente. Die Aufwendungen entstehen
hier eine Änderung der Situation herbeizuführen.
dem Gutdotierten genauso wie dem Minderdotier-
(Abg. Börner: Wann werden Sie endlich ten. Derjenige, der ein Häuschen hat und beinampu-
begreifen, daß es sich um zwei ganz ver- tiert ist, wird nun mal eben sein 'Dach nicht mehr
schiedene Rechtstatbestände handelt?) reparieren können, wie er es früher getan hat, son-
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 63. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. März 1963 2941
Dr. Rutschke
dern wird den Dachdecker holen und diesen bezah- — Wissen Sie, in den menschlichen Beziehungen
len müssen. Man kann nicht von der Grundrente so bin ich dieser Meinung. Wenn wir sachlich verschie-
sprechen, als wenn das nur ein Zigarettengeld wäre, dener Meinung sind, dann wird das sehr hart aus-
das , den Beschädigten nun so in Gottes Namen hin- getragen. Darauf können Sie sich verlassen, Herr
geworfen wird, sondern. sie hat schon ihren Sinn, Kollege Börner. Aber, was das Menschliche anlangt,
und das steht ja im übrigen auch im Gesetz. das überlasse ich Ihnen; das ist Geschmacksfrage.
Eine sehr schlechte Argumentation ist es, wenn
man sagt, bei einem zu 30 % Beschädigten, der also Börner (SPD) : Herr Kollege Rutschke, darf ich
immerhin den Vorfuß abgenommen bekommen oder meine Eindrücke über Ihre Meinung dahin zusam-
ein Auge verloren hat, bedeutet eine 10%ige Er- menfassen, daß Sie sich im Rahmen der Koalition
höhung nur 3,50 DM, und was soll man so vielen dafür einsetzen wollen, daß die Beträge für die
Leuten, die das betrifft, 3,50 DM geben, man soll Kriegsopferversorgung in Zukunft im Verteidigungs-
dafür lieber den Schwerbeschädigten 200 DM oder haushalt etatisiert werden?
100 DM oder 30 DM mehr geben! Meine Damen und
Herren, das ist eine sehr gedankenlose Argumen- Dr. Rutschke (FDP) : Dazu wird eventuell mein
tation. Bei den Entschädigungsleistungen nach an- Kollege Reichmann noch sprechen. Das ist übrigens
deren 'Gesetzen, z. B. nach dem Bundesentschädi- ein Antrag, den wir bereits im 3. Bundestag gestellt
gungsgesetz oder dem Unfallversicherungsgesetz, hatten.
würde eine 10%ige Erhöhung beim selben Schadens-
(Abg. Börner: Deswegen, meine ich!)
tatbestand eben 10 oder 30 DM ausmachen. Man
kann nicht sagen: Weil ihr sowieso so wenig be- Der Kollege Mischnick — im Augenblick sitzt er
kommt, ihr zu 30 % beschädigten Kriegsopfer, lohnt nicht auf der hohen Regierungsbank, sondern unten
es sich überhaupt nicht, darüber zu reden, weil die im Plenum — hat damals, wenn ich mich recht ent-
10 % dann nur 3,50 DM ausmachen. Ich halte diese sinne, diesen Antrag begründet. Jetzt wird es für
Argumentation für unwürdig und eigentlich für ihn etwas schwierig sein. Aber wir sind ja nicht
empörend gegenüber den Kriegsopfern. so arm an Leuten. Vielleicht wird es Herr Kollege
Meine sehr verehrten Damen und Herren,- ich be- Reichmann nochmals tun.
dauere, daß bei dieser Debatte niemand vom Ver- Meine Damen und Herren, denken Sie auch an
teidigungsministerium anwesend ist. Die Kriegs- folgendes — und das ist auch ein Wort an den
opferversorgung gilt nämlich genauso für unsere Herrn Bundesverteidigungsminister —: Man hat,
Bundeswehrsoldaten, wenn sie durch Unfälle ver jedenfalls soweit ich es übersehen kann, eine sehr
letzt oder getötet werden. Hier folgender Tatbe- gute Regelung für den Unterhalt der Ehefrauen der
stand: Ein Schlosser steht in der Panzerwerkstatt eingezogenen Wehrpflichtigen gefunden. Hier wer-
im Arbeiter- oder Angestelltenverhältnis. Da ist nun den die Beträge großzügig gegeben, und das ist
andererseits der junge Soldat, der an sich einen auch gut. Nur eines darf diesem Ehemann nicht Aas-
ganz anderen Beruf haben möchte, der etwas ande- pieren: daß er einen Unfall erleidet mit tödlichem
res tun wollte, der aber nun seiner Dienstpflicht Ausgang. Dann werden nämlich die 400 DM, die
in der Bundeswehr genügen muß. Beide werden, sa- die Ehefrau auf Grund der Einkommensverhältnisse
gen wir, von einem Panzer verletzt, es wird ihnen vielleicht bekommt, radikal auf 100 DM, auf ein
ein Fuß abgefahren. Dann bekommt der Schlosser Viertel, gekürzt.
aus der Panzerwerkstatt eine Unfallrente von
187,60 DM, der Bundeswehrsoldat aus dem Bundes- (Abg. Arndgen: Das stimmt doch nicht!)
versorgungsgesetz 45,— DM. Also, auch hier diese Auch das ist eine Sache, die der Herr Verteidigungs-
Disparität! Das beeinträchtigt doch die Verteidi- minister einmal überprüfen sollte. — Das stimmt,
gungsbereitschaft. Man müßte den Soldaten das Ge- doch, Herr Kollege Arndgen. Es hängt natürlich, wie
fühl vermitteln, daß man auch dann für sie sorgt, ich sagte, von den Einkommensverhältnissen ab. —
wenn sie sich im Interesse der Allgemeinheit auf- Also schön, ich lasse gern mit mir handeln; vielleicht
opfern mußten. Meine Damen und Herren, auch waren es 350 DM. Ich habe das nur auf meinem
daran sollten Sie denken: Auf die Dauer ist das Notizzettel gefunden und nicht nochmals nachge-
unerträglich. prüft. Aber in etwa sind die Verhältnisse schon so.
Ich hoffe, daß der Herr Bundesverteidigungsmini-
ster von Hassel, der sich in dieser Richtung bisher Leider hat die Regierung, was auch ich bedaure,
sehr positiv geäußert haben soll, nicht die Tradition für das Zweite Neuordnungsgesetz noch keinen ge-
des Herrn Strauß fortsetzt, der sich um diese Fragen nauen Termin genannt. Auch wir sind der Meinung,
offensichtlich sehr wenig gekümmert hat. daß man nun endlich einen Termin festlegen sollte,
zumal von allen Parteien, auch von der meinen
(Zuruf von der SPD: Ebenso wie Herr durch ihren Bundesvorsitzenden und Fraktionsvor-
Blank! — Weitere Zurufe von der SPD) sitzenden Erich Mende im Jahre 1961, entsprechende
— Ich rede jetzt vom Verteidigungsminister, ver- Aussagen gemacht worden sind. Davon rücken wir
ehrter Herr Kollege Glombig, und ich meine, Sie gar nicht ab. Wir haben uns auch bemüht — der
haben es ja nun schon so gründlich besorgt, den damalige Bundesfinanzminister Dr. Starke z. B. legte
Bundesminister Blank zu kritisieren, daß ich es mir Wert darauf —, daß in das Sozialpaket auch wenig-
ersparen kann — — stens die Finanzierung der Zahlungen für ein
(Abg. Memmel: Daß Sie nicht auch noch mit Kriegsopferneuregelungsgesetz aufgenommen wur-
einstimmen! — Zuruf des Abg. Börner.) de. Wir hatten das keineswegs vergessen. Nun, es
2942 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 63. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. März 1963

Dr. Rutschke
herrschen jetzt schwierige Etatverhältnisse. Aber nen. Damit erreicht man genau das Gegenteil. Ich
wir stehen zu unserem Wort. muß an dieser Stelle ganz klar und eindeutig fest-
stellen: es ist den deutschen Kriegsopfern in den
Die Kriegsopferversorgung muß eben vorrangig
letzten Jahren gut bekommen, daß wir uns immer
sein. Wir haben auch den Mut, meine Herren von
von allen Fraktionen zu einer einheitlichen Lösung
der SPD, zu sagen, daß andere Dinge etwas warten
zusammengefunden haben. Wenn ich ehrlich sozial-
oder zurücktreten müssen. Solange die Kriegsopfer-
politisch denke, dann denke ich sowohl an den Ge-
versorgung nicht in Ordnung gebracht ist, sollten
benden wie an den Nehmenden.
wir auch auf sozialpolitischem Gebiet die Kriegs-
opferversorgung erst einmal nachziehen, damit hier Herr Kollege Fritsch, ich muß Ihnen ganz ehrlich
nicht weitere Disparitäten entstehen. Wir werden sagen, dieser Stil hat mir nicht gefallen. Ich hätte
natürlich sehen, wie wir das mit der Haushaltslage, es begrüßt, wenn Sie hier nicht die Frage aufgewor-
die wir im Bund heute nun einmal haben, verein- fen hätten, wer das schlechte oder das gute Gewis-
baren können. Wir sind gern bereit, überall, ange- sen hat. An dem guten Gewissen sollten wir wirk-
fangen beim Verteidigungsetat, bis zum letzten lich in keiner Weise bei irgendeinem Abgeordneten
Etat zu prüfen, was für die Kriegsopferversorgung zweifeln.
an Mitteln herauszuholen ist. Wir werden nicht Wenn man weiter die Frage aufwirft, was getan
kleinlich darin sein, und wir werden uns bemühen, werden kann, so ist es ganz selbstverständlich —
diesen zu Recht gestellten Forderungen gerecht zu ich billige das der Opposition zu —, daß die Oppo-
werden. sition in manchen Fragen andere Anträge stellt als
Meine Damen und Herren, drei Millionen Kriegs- die Regierung. Herr Kollege Riegel, Sie wissen es
opfer leben noch. Diese drei Millionen haben doch ganz genau aus der Zeit, wo wir beide Land-
schwere, sehr schwere Opfer an Leib und Leben tagskollegen waren, wo ich in der Opposition war
bringen müssen, ein Opfer für die Allgemeinheit. und Sie in der Regierung, wo wir von der Opposi-
Jetzt sind wir als Vertreter des Volkes, also als tion auch eine andere Meinung hatten.
Vertreter dieser Allgemeinheit, aufgerufen, alles zu (Abg. Riegel [Göppingen] : Wir haben wirk
tun, um diesen Menschen im Rahmen des Menschen-
- lich etwas verbessert!)
möglichen zu helfen. Jetzt dürfen wir uns auch nicht
davor scheuen, ein, verglichen mit den Opfern, die Ihr mußtet eben in der Regierung, weil die Mittel
unsere Kriegsopfer erbringen mußten, viel gerin- nicht da waren, im Landtag von Baden-Württem-
geres Opfer zu bringen, nämlich nur ein finanzielles. berg einen Antrag von 8 Millionen DM ablehnen,
Wir müssen aber dazu den guten Willen haben. wo wir in der Opposition waren und ihr dort in
der Verantwortung. Ich mache das nur deutlich, da-
(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten mit man sieht, wie die Dinge im allgemeinen aus-
der CDU/CSU und der SPD.) sehen.
Wenn wir die ganze heutige Diskussion betrach-
Vizepräsident Dr. Schmid: Meine Damen und ten, können wir, glaube ich, doch eines feststellen:
Herren, es sind noch zwei Redner gemeldet. Außer- daß in den grundsätzlichen Sachfragen hier von der
dem wird der Herr Finanzminister noch sprechen Regierungsbank bis zur Opposition eine einheitliche
wollen, und wir haben noch 15 Punkte der Tages- Auffassung zu erkennen ist,
ordnung zu erledigen. Ich sage das, damit Sie über
Ihre Zeit richtig disponieren. (Widerspruch bei der SPD)

Das Wort hat der Abgeordnete Maucher. eine einheitliche Auffassung in der Frage der har-
monischen Weiterentwicklung des Rechts der
Maucher (CDU/CSU) : Herr Präsident! Meine Da- Kriegsopferversorgung. — Wenn das nicht der Fall
ist, dann hat der Sprecher der Sozialdemokratie, Herr
men und Herren! Haben Sie keine Sorge; ich werde
jetzt nicht auf die Vielfalt der Probleme der Kriegs- Kollege Fritsch, nicht die Meinung der Fraktion ver-
opferversorgung im einzelnen eingehen, werde auch treten. — Sie meinen vielleicht die Frage der Be-
rufsschadensrente. Bitte, das sind einzelne Dinge.
nicht wiederholen, was man vielfach zu dem Pro-
blem der Kriegsopferversorgung selbst sagt. Ich Aber klar und deutlich ist doch heute festzustellen,
daß das ganze Haus der Meinung ist, daß auch die
brauche persönlich gar nicht besonders zu betonen
Grundrente weiter entwickelt werden soll. Das ist
— ich gehe davon aus und darf das für meine ganze
also unbestritten. In der Frage der Elternrenten
Fraktion sagen —, daß wir es mit dem Kriegsopfer
gab es ebenfalls eine einheitliche Meinung. Was
problem ernst meinen und ernst mit ihm ringen.
die Frage der Weiterentwicklung der Einkom-
Wenn in der Sache vielleicht dann und wann ver-
mensanrechnung, der Ausgleichsrenten anbelangt,
schiedene Meinungen vertreten, vielleicht auch ver-
so werden wir das im Ausschuß miteinander be-
schiedene Wege gegangen werden, ist es doch kei-
sprechen und überlegen. Es ist ganz klar, daß man
neswegs so, daß in der grundsätzlichen Auffassung
die Witwe, deren Rente heute bei 220 DM liegt, da-
eine Meinungsverschiedenheit besteht.
bei nicht stehenlassen kann, daß sie praktisch hier
(Beifall bei der CDU/CSU.) eine Lebenssicherung erhalten muß. Das ist das
Kernproblem, das wir hier sehen müssen. Und das
Ich möchte deutlich sagen: man erweist den
will auch der Bundesarbeitsminister.
Kriegsopfern den schlechtesten Dienst, wenn man
glaubt, vielleicht aus der einen oder anderen Aktion Bei gutem Willen zur gemeinsamen Zusammen-
politisches und anderes Kapital schlagen zu kön arbeit können alle Risse und Lücken, die da und
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 63. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. März 1963 2943
Maucher
dort auftauchen, geschlossen werden. Nur wenn wir — Gerade weil Sie von der Ehrlichkeit sprechen,
den guten Willen zur Gemeinsamkeit haben, wer- bringe ich Ihnen jetzt sogar die Begründung meines
den wir das Bestmögliche erreichen und den Kriegs- Satzes. Wie wäre es sonst möglich, daß Herr Blank
opfern den besten Dienst erweisen. als der für die Kriegsopfer zuständige Bundesmini-
(Beifall bei der CDU/CSU.) ster kürzlich die Vertreterin eines großen Kriegs-
opferverbandes, als sie ihm mit ihren männlichen
Vizepräsident Dr. Schmid: Frau Abgeordnete Kollegen die Sorgen und Wünsche im Namen von
Schanzenbach hat das Wort. mehr als 600 000 Hinterbliebenen vortragen wollte,
nicht empfing, sondern daß er diese Kriegerwitwe
Frau Schanzenbach (SPD) : Herr Präsident! dreieinhalb Stunden vor seiner Tür warten ließ,
Meine Damen und Herren! Herr Maucher, ich glaube, ohne sie anzuhören? Mit der Begründung, die er
es trifft nicht zu, daß in diesem Hause eine einheit- dann gegeben hat, er liebe keine Demonstrationen,
liche Auffassung in der Frage der Weiterentwick- ist diese Sache leider nicht abgetan. Dieses Verhal-
lung des Kriegsopferrechts besteht. Es könnte sein, ten des zuständigen Fachministers ist doch sehr zu
Herr Maucher, daß gewisse Gruppen in der CDU beanstanden.
mit der Fraktion der SPD einige Gemeinsamkeiten (Zurufe von der CDU/CSU.)
haben. Aber nachdem Herr Stingl — Herr Stingl,
Sie sind schuld, daß ich hier stehe — Von den Kriegerwitwen darf wohl gesagt werden,
daß sie in der Vergangenheit in ihren Forderungen
(Heiterkeit — Abg. Stingl: Welcher sehr bescheiden waren. Mit der geringen Versor-
Kausalzusammenhang ist das?)
gung nach dem Bundesversorgungsgesetz und unter
— passen Sie nur auf! Nachdem also Herr Stingl ge- Einsatz ihrer eigenen Kraft und ihres Könnens
sagt hat, daß die CDU befriedigt ist über das, was haben sie ihre Familien wirtschaftlich durchge-
der Herr Bundesminister auf die Große Anfrage ge- bracht. Darüber hinaus wirken viele Kriegerwitwen
antwortet hat, muß ich sagen, daß mich das sehr be- im öffentlichen und sozialen Leben unseres Staates
denklich stimmt; denn diese Antwort war über alle mit. Ihre Arbeit ist aus dem wirtschaftlichen und
Maßen mager und hat die Kriegsopfer sehr - ent- gesellschaftlichen Leben unserer Demokratie nicht
täuscht. mehr wegzudenken.
Da Sie auch die Fragen der Familienpolitik ange- Kriegshinterbliebene haben in ihrem Lebenskreis
schnitten haben, muß ich etwas über die Hinter- Leistungen vollbracht, die höher zu bewerten sind
bliebenenversorgung sagen. als manche Leistungen, für die das Bundesverdienst-
(Zuruf von der CDU/CSU: Da hat der kreuz verliehen worden ist. Meine Damen und Her
Minister auch etwas gesagt!) ren, unter den 2 Millionen alleinstehenden Frauen,
die wir in der Bundesrepublik haben, sind 1,2 Mil-
— Ja, vielleicht ist aber das, was ich sage, ein biß-
lionen Kriegshinterbliebene. Nach dem Bundesetat
chen anders als das, was der Minister äußerte. Die
von 1963 sind 1 170 000 Witwen zu versorgen. 50 %
Hinterbliebenenversorgung ist seit eh und je eine
dieser Frauen erhalten ausschließlich Grundrente,
der schwächsten Stellen im Bundesversorgungs-
113 000 erhalten Grundrente und volle Ausgleichs-
gesetz. Angesichts der bisherigen wirtschaftlichen
Versorgung der Hinterbliebenen kann man sich des rente, und 520 000 Frauen beziehen Ausgleichsrente
Eindrucks leider nicht erwehren — und, Herr Stingl, in verschiedener Höhe je nach ihrem Rentenein-
auch Ihre Rede bestärkt mich in diesem Eindruck —, kommen oder ihrem Arbeitseinkommen.
daß ein Teil dieses Hauses und die Regierung wenig Über die Zahl der Hinterbliebenen, die einer vol-
Verständnis für das Opfer haben, das in den ver- len Erwerbsarbeit nachgehen, sind leider keine An-
gangenen Kriegen von Frauen, Kindern und Eltern gaben zu bekommen. Es wäre äußerst interessant,
gefordert wurde. einmal nachzuweisen, wie viele Millionen in den
(Abg. Stingl: Nein, Frau Schanzenbach, das vergangenen 12 Jahren, seit wir das Bundesversor-
können Sie nicht sagen!) gungsgesetz haben, dem Staat durch diese Frauen
eingespart worden sind. Wenn die Hinterbliebenen
Da nicht einmal die Einsicht vorhanden ist, daß Familien außer der Rente nach dem Bundesversor-
eine erträgliche wirtschaftliche Basis für die Familien gungsgesetz keine • weiteren Einnahmen hatten,
gesichert werden muß, deren Ernährer gefallen oder waren die Mütter aus wirtschaftlicher Not gezwun-
vermißt ist, ist wahrscheinlich schon gar nicht zu gen, einer Erwerbsarbeit nachzugehen, nicht weil sie
erwarten, daß der menschliche Verlust, der das Le- übermütig waren und arbeiten wollten oder weil sie
ben der Hinterbliebenen wesentlich beeinflußt hat,
sich, wie es schon manchmal in diesem Hause zum
in seinem ganzen Umfang auch nur annähernd eine
Ausdruck gekommen ist, einen Luxusgegenstand
gerechte Würdigung erfährt.
anschaffen wollten.
(Abg. Dr. Martin: Den Satz haben Sie sich
Diese Frauen waren wirklich aus wirtschaftlicher
aber aufgeschrieben!)
Not gezwungen, einer Erwerbsarbeit nachzugehen;
— Ich habe mir erst überlegt, was ich sagen will, denn die Versorgungsrente lag ja teilweise unter
dann habe ich es aufgeschrieben, und jetzt habe ich dem Fürsorgerichtsatz. Ich erinnere noch einmal
es fast abgelesen. daran, daß die erste Grundrente für die Witwe nach
(Abg. Dr. Martin: Das ist wirklich Ehrlich dem Bundesversorgungsgesetz 40 DM und die Aus-
keit!) gleichsrente 30 DM betrug. Einer Frau, die kein
2944 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 63. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. März 1963
Frau Schanzenbach
anderes Einkommen hatte, standen viele Jahre hin- bekommt auf Grund des Bundesversorgungsgesetzes
durch nur 70 DM zur Verfügung. Diesen Betrag haben nur 90 DM.
wir in der Zwischenzeit aufgestockt. Die Waisen Ich habe den Eindruck, daß die Kriegerwitwen
bekamen ursprünglich nur 10 DM Grundrente und und die Waisen außerhalb des allgemein gültigen
21 DM Ausgleichsrente. Das brachte die Frauen Rechts stehen, denn das Bundesversorgungsgesetz
viele Jahre hindurch in eine sehr schwierige hat eine schlechtere Regelung für Hinterbliebene als
Situation. Weder das Parlament noch die Regierung das Beamten- und Sozialversicherungsrecht. Die
hat während dieser Zeit den Hinterbliebenen aus- Witwe hat nach dem Bundesversorgungsgesetz einen
reichend geholfen. Sie waren sich selber überlassen. Rechtsanspruch auf eine Grundrente von 100 DM.
Diese Frauen nahmen die große Doppelbelastung Die Frau, die durch einen Unfall ihren Mann, der
der Haus- und Berufsarbeit auf sich und mußten einen Monatslohn von 480 DM hatte, verloren hat
auch noch die schwierige Aufgabe der Erziehung — jetzt komme ich Ihnen zur Hilfe, Herr Dr.
ihrer Kinder übernehmen. Niemand stand ihnen Rutschke; ich habe ein praktisches Beispiel, das nach
zur Seite. Gewiß, viele Kollegen der Gefallenen hat- dem Monatslohn errechnet worden ist —, hat einen
ten früher im Krieg ihren Kameraden gesagt und den Anspruch auf eine Unfallrente von 192 DM; also
Frauen versprochen, daß sie mitsorgen würden, nach dem Bundesversorgungsgesetz 100 DM, nach
wenn der Vater nicht mehr zurückkäme. Aber leider dem Unfallversicherungsgesetz 192 DM. Nach dem
war es später dann nicht so. Ich sage das nicht als Unterhaltssicherungsgesetz bekommt eine Frau, die
Vorwurf. Es ist klar, daß jeder dann seine eigenen selbst nebenher noch arbeitet und Unterhaltssiche-
Wege gehen mußte. Ich will nur zum Ausdruck rungsbeiträge erhält, wenn ihr Mann 500 DM ver-
bringen, daß die Frauen bei der ganzen Erziehungs- dient hat, während der Ableistung seiner Wehr-
aufgabe überwiegend auf sich allein gestellt sind. pflicht monatlich 320 DM. Trifft sie nun das Geschick,
daß ihr Mann tödlich verunglückt, bekommt sie nach
Untersuchungen haben ergeben, daß diese Kriegs- dem Bundesversorgungsgesetz nur einen Betrag von
hinterbliebenen meist schweren Herzens einer Er- 100 DM.
werbsarbeit nachgingen, weil sie dadurch ihren Kin
dern, eben weil sie keinen Vater mehr hatten, nicht (Abg. Stingl: Und die Ausgleichsrente!
- Unterschlagen Sie die nicht!)
das Zuhause bieten konnten, auf das gerade diese
Kinder einen Anspruch gehabt hätten. Um so höher — Nein, Sie haben nicht genug aufgepaßt, Herr
ist es zu bewerten, daß diese Frauen die so schwie- Stingl. Sie sind ein guter Sozialpolitiker, aber bei
rige Erziehungsaufgabe bewältigt haben. dieser Sache haben Sie nicht aufgepaßt. Ich habe
In zwei Fünfteln der Familien, in denen zwischen vorhin ganz deutlich gesagt: eine Frau, die eigenes
1945 und heute vorschulpflichtige und schulpflich- Arbeitseinkommen hat und deren Mann 500 DM
tige Kinder aufgewachsen sind, fehlt der Vater. Das verdient, bekommt dann die 320 DM. Dieselbe Frau,
sind überwiegend Kriegerwaisen. Das sind aber auch die weiterarbeitet, hat keinen Anspruch auf Aus-
die Kinder, die nun wieder der Bundeswehr zur Ver- gleichsrente, es sei denn, sie hat ein Arbeitseinkom-
fügung stehen müssen. Sie haben nun die völlig men von weit unter 300 DM. Ich habe es richtig ge-
unzureichende Versorgung ihrer Mütter vor Augen. sagt: dieselbe Frau bekommt, wenn ihr Mann töd-
Man kann sich vorstellen, daß das den Wehrwillen lich verunglückt, nach dem BVG nur 100 DM. Das
der jungen Leute nicht gerade erhöht. sind Regelungen, die in eine andere Ordnung ge-
bracht werden müssen.
In der Rothenfelser Denkschrift der vier Profes-
(Abg. Stingl: Dann stellen Sie diesem Fall
soren von 1955 heißt es zur Kriegsopferversorgung:
doch einmal den der Frau gegenüber, die
Die Erziehung der Kinder, die im Krieg den kein Einkommen hat! Dann hat sie plötz
Vater verloren haben, zur leiblichen, seelischen lich in der Kriegsopferversorgung mehr als
und gesellschaftlichen Tüchtigkeit ist ein staats- in der Unfallversicherung! — Gegenruf von
politisches und gesellschaftliches Anliegen, das der SPD: Wo gibt's denn so was?!)
nicht wiederkehrt und das wohl die größte Ver- — Nein, Herr Stingl, die Tatsachen sind andere!
pflichtung darstellt, die aus diesem Kriege
übriggeblieben ist. Von den Kriegshinterbliebenen, die Rente bezie-
hen, ist die Anrechnung der Rentenerhöhungen stets
So sollte es sein, wie diese Professoren in der Denk- als große Ungerechtigkeit empfunden worden.
schrift es gesagt haben. Aber die Wirklichkeit sieht
anders aus. Wie die wirtschaftliche Versorgung (Zurufe in der Mitte und rechts.)
während dieser Zeit war, habe ich vorhin schon an- — Nein, die kleinste Erhöhung der Invaliden- oder
geführt. Angestelltenrente führt zur Verringerung der Aus-
Der Herr Bundesminister sprach vorhin von der gleichsrente. Nun haben wir zwar gehört, daß auch
Gerechtigkeit, die jedem, auch den Kriegsopfern, die Regierung beabsichtigt, diese Schwierigkeiten
zuteil werden solle. Meinen Sie, es ist gerecht, Herr zu überbrücken; aber ich bin der Meinung, daß man
Bundesminister, wenn die Grundrente für eine Halb- das nicht wieder nur als Teillösung durchführen
waise heute 30 DM und die Ausgleichsrente 60 DM darf, sondern daß hier etwas Entscheidendes ge-
beträgt, wenn z. B. der Regelsatz nach dem Bundes- schehen muß.
sozialhilfegesetz zwischen 78 und 95 DM liegt? Das Was will die Bundesregierung künftig für die
Kind, das nach diesem Regelsatz unterstützt wird, Hinterbliebenen tun? Das, was der Herr Bundes-
bekommt in Großstädten 90 bis 95 DM. Die Waise minister hier vorgetragen hat, reicht nicht aus. Die
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 63. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. März 1963 2945
Frau Schanzenbach
Kriegshinterbliebenen kommen nun in die Jahre, richtig halten. Wir haben in der Kriegsopferversor-
in denen sie nicht mehr erwerbstätig sein können; gung immer urmitgestimmt, obwohl unsere Forderun-
das ist die Generation, die jetzt langsam an die gen nie restlos erfüllt worden sind; wir haben mit-
Grenze von 60 Jahren herankommt. gestimmt, weil wir jede Verbesserung gutgeheißen
(Zuruf des Abg. Stingl.) haben. Das heißt aber nicht, daß wir mit dem bisher
Erreichten zufrieden gewesen sind.
— Das ist meine Generation, Herr Stingl, Ganz so
jung sind wir nicht mehr. (Zustimmung bei der SPD.)
(Abg. Stingl: Ich meine: ich war auch im Alle Sozialpolitik — Herr Stingl, das haben Sie
Krieg!) gesagt — ist auch ein Stück Familienpolitik.
— Herr Stingl, Sie waren im Krieg. Aber Sie haben (Abg. Stingl: Selbstverständlich!)
nicht so wie die Hinterbliebenen den Ernährer Ihrer
— Auch wenn Sie eine schlechte Regelung in der
Familie gespielt, den Haushalt daneben geführt und
Krankenversicherung treffen, z. B. in der Frage der
die Kinder erzogen. Das ist etwas völlig anderes.
Selbstbeteiligung, wenn wir 'beim Kindergeld mit
Das ist für mich ein Zeichen, daß Sie das, was ich zu
der Einkommensbegrenzung ansetzen, ist das ein
Anfang ausführte, nicht einsehen, daß nämlich die
Stück — nach meiner Meinung: schlechter — Fami-
Belastung der Kriegshinterbliebenen weit schwerer
war als die der meisten Kriegsbeschädigten trotz lienpolitik.
ihrer Leiden. (Abg. Stingl: Darüber kann man verschie
(Abg. Stingel: Ich meine, daß ich jetzt erst dener Meinung sein!)
44 Jahre alt bin und noch nicht 60!) — Ich sage ja, nach meiner Meinung.
— Das ist gut; da können Sie hier noch manche
Schlacht schlagen! Vizepräsident Dr. Schmid: Herr Kollege Stingl,
(Heiterkeit. — Abg. Stingl: Dafür kann ich bitte nicht soviel Dialoge! Das ganze Haus möchte
nicht!) Sie hören. Kommen Sie lieber auf die Tribüne, und
sprechen Sie von dort aus.
Das Parlament jedenfalls sollte bei der Aufgabe
- (Abg. Stingl: Herr Präsident, man hört mich
der Kriegsopferversorgung nicht bloß die Zahlen
sehen, so wichtig das Geld auch ist und so notwen- heute nicht mehr gern!)
dig es ist, es zu beschaffen. Vielmehr müssen auch — Aber so geht es nicht.
die menschlichen Fragen gewürdigt und in die Be-
trachtungen einbezogen werden. Frau Schanzenbach (SPD) : Ich wiederhole: Alle
Genauso wie die Witwenversorgung muß auch Sozialpolitik ist gleichzeitig auch Familienpolitik.
die Versorgung der Eltern nach dem Bundesversor- Von diesem Grundsatz her kann ich nur feststellen,
gungsgesetz verbessert werden. Auch hier sind Ver- daß die Regierung den Familien der Hinterbliebenen
sprechungen gemacht worden, daß der berüchtigte bisher weder wirtschaftlich noch gesellschaftlich den
Begriff „Ernährereigenschaft" aus dem Gesetz her- Schutz und die Hilfe gegeben hat, auf die Krie-
ausgenommen werden wird. Die SPD-Fraktion hat gerwitwen, -waisen und -eltern einen berechtigten
das in den vergangenen Jahren immer wieder ver- Anspruch haben. Ich habe den Eindruck, daß das
sucht, ist aber stets von der Mehrheit dieses Hauses Ergebnis dieser Aussprache für die Kriegsopfer völ-
niedergestimmt worden. Ich hoffe aber, jetzt hat lig unbefriedigend ist.
sich die Erkenntnis durchgesetzt, daß eine Regelung
(Beifall bei der SPD. — Zuruf von der SPD:
mit dem Begriff „Ernährereigenschaft" einfach un- Geradezu deprimierend!)
tragbar und, ich möchte sagen, unmoralisch ist.
Die Regelsätze nach dem Sozialhilfegesetz liegen Vizepräsident Dr. Schmid: Das Wort hat der
zum Teil höher als die Elternrenten. Also auch Herr Bundesarbeitsminister.
hier muß unbedingt etwas in Ordnung gebracht
werden; denn es ist eine ungute Sache, wenn man Blank, Bundesminister für Arbeit und Sozialord-
den Kriegereltern zumutet, trotz ihrer Elternrenten nung: Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
nach dem BVG noch den Weg zum Sozialamt gehen Ich bedaure, daß ich Ihre Geduld noch einmal für
zu müssen. Ich wäre also sehr dankbar, wenn diese einen Augenblick in Anspruch nehmen muß. Ich
Anrechnungsbestimmungen so bald wie möglich sehe die „Fülle" des Hauses, und ich weiß, daß Sie
fielen. noch einiges zu tun haben.
Das Bundesversorgungsgesetz muß fortentwickelt
Frau Schanzenbach, ich muß etwas richtigstellen,
werden. In der Hinterbliebenenversorgung gilt es
was ich, wie Ihnen bekannt sein dürfte, schon ein-
noch vieles auszugleichen und zu verbessern. Wir
mal richtiggestellt habe, nämlich die infame Be-
werden darüber gelegentlich sprechen. Ich hoffe,
hauptung, ich hätte die Vertreterin der Krieger-
daß von den einzelnen Fraktionen Initiativen er-
griffen und wir zu einer Lösung kommen werden, witwen nicht empfangen.
der wir vielleicht wieder gemeinsam zustimmen Lassen Sie mich noch einmal den Vorgang kurz
können. Ich bin aber der Überzeugung, daß Ihre darstellen; ich habe das für die deutsche Presse
Forderungen — gerade nach dem, was Sie, Herr schon berichtigt. Die Kriegsopferverbände haben
Stingl, und was der Herr Minister heute gesagt ha- mich um eine Unterredung gebeten, der VdK ebenso
ben — weit unter dem liegen werden, was wir für wie der Reichsbund. Ich habe damals beiden Ver-
2946 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 63. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. März 1963

Bundesminister Blank
bänden mitgeteilt: Gern; die Besprechung soll im mehr als 1 Milliarde DM führen würden und damit,
kleinen Kreise stattfinden. Sie möchten bitte mit meine sehr geehrten Damen und Herren, weit über
je drei Vertretern kommen. Der Reichsbund hielt das hinausgehen, was die Bundesregierung im Hin-
sich daran. Im VdK gab es, wie ich erfahren habe, blick auf die Haushaltslage und die übrigen Ver-
einen internen Krach darüber, wer denn nun berech- pflichtungen des Bundes für durchführbar halten
tigt sei, einer von den Dreien zu sein. Das ging kann und halten darf.
mich gar nichts an. Oben in diesem kleinen Zimmer-
chen habe ich dann während einer Parlaments- Meine Damen und Herren, diese Gesetzentwürfe
debatte die Leute — sie kamen zu fünfen — an die zwingen mich, darauf hinzuweisen, daß die Bundes-
Abmachung erinnert und sie gebeten, sich darüber regierung die Entwicklung des Bundeshaushalts mit
zu einigen, wer an der Besprechung teilnehmen großer Sorge beobachtet. Im Rechnungsjahr 1963
solle.. Die Herren haben dann entschieden, daß der muß bereits jetzt mit unausweichlichen Mehraus-
Herr Präsident Weltersbach, der Herr Vizepräsident gaben von über 2 Milliarden DM gerechnet werden,
Weishäupl und der Hauptgeschäftsführer Brink die in dem Haushaltsentwurf der Bundesregierung
mann daran teilnehmen sollten. In der Tat hat die nicht enthalten sind und für die im Augenblick noch
Besprechung einige Stunden gedauert, und während keine gesicherte Deckung vorhanden ist. Hierin sind
diese Besprechung oben stattfand, haben Sie hier Mehrausgaben für eine Kriegsopfernovelle noch
unten meine Herbeiholung beschlossen. Das war an nicht einmal berücksichtigt.
dem Tag; darum hat sich mir das unauslöschlich Ich habe durchaus die Überzeugung, daß das Hohe
ins Gedächtnis eingeprägt. Frau Schanzenbach, neh- Haus in seiner Mehrheit den Ernst der Lage sehr
men Sie bitte von dieser Richtigstellung Kenntnis, wohl kennt. Daraus wird der einzige Schluß gezogen
die ich schon durch die deutsche Presse gegeben werden müssen, daß auf allen Gebieten der Haus-
habe. Ich muß es ablehnen, daß immer wieder ver- haltswirtschaft äußerste Sparsamkeit geboten ist.
sucht wird, politische Dinge dadurch zu lösen, daß Unmöglich ist in dieser Lage ein „Drang zur Kasse",
man Verleumdungen, auf einen Mann projiziert, um heute noch schnell zu erhalten, was möglicher-
in die Welt setzt. weise morgen nicht mehr möglich ist.
Heute morgen sprach mich ein Kriegsbeschädigter
- Jedem Einsichten wird einleuchten, daß finan-
hier im Hause an und sagte mir, ich hätte behauptet,
zielle Lasten solcher Größenordnung in ihrer Ge-
die Kriegsbechädigten müßten schneller sterben.
samtheit unmöglich getragen werden können. Es
(Zurufe von der CDU/CSU: Pfuil Unver wird unumgänglich sein, daß die mit der Gesetz-
schämt!) gebung befaßten Organe scharfe Abstriche an allen
Der Tatbestand ist folgender. Als einmal vor Jahren vorgeschlagenen Mehraufwendungen vornehmen.
beim Herrn Bundeskanzler eine Besprechung war,
(Abg. Dr. Rutschke: An allen!)
sagte ein Vertreter eines Kriegsopferverbandes: Ja,
ja; Kamerad stirb schneller! Darauf fuhr ich ihm Sosehr der Bundesregierung und mir persönlich
über den Schnabel und sagte, eine solche Berner eine ausreichende Versorgung gerade der Kriegs-
kung sei auch ihm nicht erlaubt. opfer am Herzen liegt, so dürfen auch in dieser
Frage weder die äußere Sicherheit der Bundesrepu-
Vizepräsident Dr. Schmid: Das Wort hat der blik außer acht gelassen noch die Ertragskraft der
Finanzminister. Wirtschaft und die Stabilität der Währung gefähr-
det werden. Beides aber würde unweigerlich eintre-
Dr. Dahlgrün, Bundesminister der Finanzen: ten, wenn der Ausgleich des Bundeshaushalts nicht,
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In aller wie von der Verfassung vorgeschrieben, gesichert
Kürze zu der heutigen Debatte ein paar kurze An- werden kann.
merkungen. Der Herr Bundesminister für Arbeit und
Es bedeutet auch keine Lösung der Schwierig-
Sozialordnung hat bei der Beantwortung der Großen
keiten, die Deckung der Ausgaben durch ein späte-
Anfrage heute morgen schon dargelegt, daß die Bun-
res Inkrafttreten in diesem Haushaltsjahr 1963
desregierung in ihrem Entwurf zu einem Zweiten
sicherstellen zu wollen. Die Ausgaben werden den
Neuordnungsgesetz in der Kriegsopferversorgung
Bundeshaushalt des Rechnungsjahres 1964 mit dem
Leistungsverbesserungen von erheblicher Größen-
vollen Jahresbetrag und mit voller Wucht treffen,
ordnung vorzuschlagen beabsichtigt.
obwohl der Haushaltsausgleich 1964 unter Berück-
Aber noch bevor der Gesetzentwurf der Bundes- sichtigung der notwendigen sonstigen Maßnahmen,
regierung zur Kriegsopferversorgung vorliegt, sind nicht zuletzt der Maßnahmen zur Verbesserung der
aus der Mitte dieses Hohen Hauses hier heute For- Sozialleistungen, auch noch nicht gesichert ist.
derungen angemeldet und als Initiativanträge Ge-
setzentwürfe zur Verbesserung der Kriegsopferver- Meine Damen und Herren, wir sollten uns dar-
sorgung eingebracht worden. Die Bundesregierung über klar werden, daß wir das Beste und das einzig
kennt die Vorschläge, die in den Entwürfen enthal- Richtige für die schwächeren Glieder in der Kette
ten sind, nicht in allen Einzelheiten. Aber aus der unseres Volkes, z. B. für die Alten, die Kranken,
heutigen Debatte und den bekanntgewordenen die Kriegsopfer, tun, wenn wir alle gemeinsam für
Äußerungen der Antragsteller muß geschlossen die Stabilität, für die Erhaltung der Kaufkraft ein-
werden, daß die eingereichten Gesetzentwürfe zu treten.
einer jährlichen Belastung des Bundeshaushalts von (Beifall bei den Regierungsparteien.)
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 63. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. März 1963 2947
Bundesminister Dr. Dahlgrün
— Auch der Beifall hindert mich nicht daran, Ihnen digungsfolgen. Deshalb hat die Bundestagsfraktion
zu sagen, daß das vielleicht den schmerzlichen Ver- der FDP bereits am 2. Juni 1959 auf Umdruck 282
zicht auf Pläne bedeutet, die im einzelnen gut und in diesem Hohen Hause einen Entschließungsantrag
erstrebenswert sein mögen, oder daß es zwingt, eingebracht, die Kriegsopferversorgung und gleich-
den einen oder anderen Plan zeitlich zu strecken, artige Leistungen in den Einzelplan 14 — Verteidi-
wenn es auch noch so wünschenswert sein mag, ihn gungsministerium — aufzunehmen. In der Sitzung
bald durchzuführen oder ihn sogar vorzuziehen. Die vom 2. Juni 1959 wurde dieser Antrag jedoch ab-
Sicherung des von allen durch Fleiß und Tüchtigkeit gelehnt.
Erreichten darf nicht durch unerfüllbare Wünsche
Herr Kollege Mischnick hat damals diesen Antrag
gefährdet werden. Was im Privatleben des einzel-
nen gilt, hat auch Gültigkeit für den Haushalt des begründet. Bis heute sind die Ursachen, die zu die-
Staates. sem Antrag geführt haben, die gleichen geblieben.
Im Verteidigungshaushalt wäre die Gewähr dafür
Das von der Bundesregierung in Aussicht genom- gegeben, daß die Kriegsopferaufwendungen bei der
mene erhebliche Finanzvolumen für eine Verbesse- Verteilung der Verteidigungslasten der NATO voll
rung der Kriegsopferversorgung wird bis an die berücksichtigt würden. Diese würden in ihrem gan-
Grenze des finanziell Vertretbaren gehen. zen Ausmaß konkret in der Öffentlichkeit in Erschei-
(Beifall bei den Regierungsparteien. — nung treten. Zudem kann angenommen werden,
Zurufe von der SPD: Wieviel? Wieviel ist daß die weitere Entwicklung der Kriegsopferver-
es denn?) sorgung im Rahmen des dynamischen Verteidi-
Ich bitte daher namens der Bundesregierung, zu- gungshaushalts leichter durchführbar sein könnte.
nächst den Gesetzentwurf abzuwarten und ihn dann Aus diesen Gründen halte ich es für angebracht,
zur Grundlage der Beratungen über eine Verbes- unseren diesbezüglichen Antrag vom 2. Juni 1959
serung der Kriegsopferversorgung zu machen. erneut zur Diskussion zu stellen.
(Beifall bei den Regierungsparteien.) Ergänzend darf ich dazu bemerken, daß mehrere
NATO-Staaten die Kriegsopferversorgung ebenfalls
Vizepräsident Dr. Schmid: Gestatten Sie eine im Verteidigungshaushalt führen. Was sich in ande-
Frage, Herr Minister? — Eine Frage des Herrn Ab- ren Staaten als zweckmäßig erwiesen hat, könnte
geordneten Riegel. bei uns aus den vorgenannten Gründen ebenso gut
sein.
Riegel (Göppingen) (SPD) : Herr Bundesminister, Wir alle sind uns der zusätzlichen Lasten der
können wir erfahren, wie hoch der Betrag ist, den gerechten Kriegsopferversorgung bewußt. Höher als
für eine Novellierung des Kriegsopferrechts zu be- die Kosten und größer als die Belastungen, die wir
willigen die Bundesregierung bereit ist? dadurch zu übernehmen haben, sind die Opfer, der
Verzicht auf Lebensfreude und Glück, die ein uner-
Dr. Dahlgrün, Bundesminister der Finanzen: forschliches Schicksal den Kriegsopfern auferlegt
Ich glaube, daß Sie, Herr Kollege, am meisten Ver- hat. Gestatten Sie mir den Wunsch, daß sich die
ständnis dafür haben, daß ich Ihnen keine genaue Mehrheit des Hohen Hauses dieser Verpflichtung
Zahl sage. Ich halte es auch im Interesse der Sache zu einer gerechten, den Opfern angemessenen und
für besser, es nicht zu tun. würdigen Kriegsopferversorgung nicht entziehen
(Beifall bei den Regierungsparteien. — möge.
Zurufe von der SPD: Ungefähr?) (Beifall der FDP.)

Vizepräsident Dr. Schmid: Das Wort hat der Vizepräsident Dr. Schmid: Das Wort hat der
Abgeordnete Reichmann. Es sind drei neue Wort- Abgeordnete Bazille.
meldungen eingelaufen.

Reichmann (FDP) : Herr Präsident! Sehr geehrte Bazille (SPD) : Herr Präsident! Meine sehr ver-
Damen und Herren! Ich weiß, die Zeit drängt, und ehrten Damen und Herren! Ich bedauere, am Ende
deshalb verzichte ich auf weitere Ausführungen. der Aussprache über die Große Anfrage der sozial-
Nur darf ich zu dem, was sich aus den Ausführun- demokratischen Bundestagsfraktion über die Kriegs-
gen meines Kollegen Rutschke und dem Zwischen- opferversorgung noch einige politische Bemerkun-
ruf ergab — bezüglich der Zusammenhänge zwi- gen machen zu müssen.
schen Kriegsopferversorgung und Verteidigung —, Als das Hohe Haus im Spätsommer vergangenen
folgendes ganz kurz erwähnen. Jahres beschloß, die Bundesregierung zu ersuchen,
Die Kriegsopferversorgung ist gleichzeitig Grund- mit der außergewöhnlich kurzen Terminsetzung zum
lage und Bestandteil der Versorgungsrechte der 30. November 1962 den Entwurf eines Gesetzes
Soldaten der Bundeswehr. Die Verstärkung der über die Neuordnung in der Kriegsopferversorgung
Streitkräfte, ihre Technisierung und Mechanisierung vorzulegen, geschah dies doch wohl nicht aus einer
haben zur Folge, daß der Anteil der Versorgungs- frohen Geberlaune des Augenblicks heraus, sondern
berechtigten aus der Bundeswehr ansteigt, während aus der Einsicht in die Notwendigkeit, daß es höchste
sich die Zahl der Kriegsopfer aus den zwei Welt- Zeit sei, den vor den Wahlen gegebenen Verspre-
kriegen vermindert. Kriegsopferlasten sind Vertei- chungen und den in Besprechungen nach den Wah-
2948 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 63. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. März 1963
Bazille
len gemachten Ankündigungen entsprechende Taten falt und mit der notwendigen Gründlichkeit klarzu-
folgen zu lassen. machen, was auf dem Gebiet der Kriegsopferversor-
gung geschehen soll, und davon der deutschen
Was der Herr Bundesminister für Arbeit hier
Offentlichkeit, vor allem diesem Hohen Hause, kon-
heute namens der Bundesregierung an Gründen
krete Vorschläge zu unterbreiten. Die Kriegsopfer
dafür, weshalb sie dem Ersuchen des Hohen Hauses
haben einen Anspruch darauf, daß man ihnen mit
nicht nachgekommen ist, vorgetragen hat, vermag
politischer Redlichkeit begegnet. Es ist Unerträglich,
in keinem Punkt zu überzeugen. Die Schwierigkeit
diesen Zustand der Ungewißheit, diesen Zustand
der Haushaltslage war im vergangenen Haushalts-
laufender Versprechungen und nicht folgender Taten
jahr bereits bekannt. Sowohl der Herr Bundesmini-
auf die Dauer aufrechtzuerhalten. Man vergegen-
ster für Arbeit als auch der damalige Bundesmini-
wärtige sich nur einmal die Pressemitteilungen der
ster der Finanzen haben im Kriegsopferausschuß letzten Wochen und Monate, in denen die verschie-
des Bundestages sehr eingehende Ausführungen densten Versionen über die Fortentwicklung des
über die Schwierigkeiten der Haushaltslage ge- Kriegsopferrechts verbreitet worden sind, Ver-
macht. Jedes Mitglied des Hauses wußte, daß die sionen, deren bunte Vielfalt noch dadurch erweitert
Probleme der Deckung für die Bundesausgaben mit wurde, daß Teile der FDP und Teile der CDU mit
fortschreitender Zeit nicht leichter, sondern schwie- eigenen Entwürfen an den Bundestag herangetreten
riger werden würden. Ich möchte das insbesondere sind. Wenn ich das mit dem vergleiche, was heute
für die Herren Dr. von Brentano als Vorsitzenden realiter aus dieser Debatte herausgekommen ist,
der CDU/CSU-Fraktion und Dr. Mende als Vorsit- dann muß ich sagen, daß der heutige Tag als ein
zenden der FDP-Fraktion feststellen. Beiden sind schwarzer Tag für die deutschen Kriegsopfer in die
schließlich jederzeit Gespräche mit den Mitgliedern Geschichte eingehen wird.
des Kabinetts möglich.
(Zurufe von der CDU/CSU: Na, na!)
Wenn also das Hohe Haus in seiner Gesamtheit
durch entsprechende Beschlüsse und durch immer- Es hat viele Bemerkungen zur Sache gegeben,
hin sehr maßgebende Vertreter der politischen Par- Rentenvergleiche, Darstellungen des Schicksals von
teien dem betroffenen Personenkreis der Kriegs- Beschädigten und Hinterbliebenen, alles mögliche;
-
opfer im Anschluß an vorausgegangene Wahlver- nur eines hat es nicht gegeben: eine konkrete Aus-
sprechen zu verstehen gibt, daß eine Fortsetzung der sage darüber, was die Kriegsopfer auf dem Gebiet
Neuordnung ihrer Versorgung als vordringlich an- ihrer Versorgung in absehbarer Zeit zu erwarten
erkannt wird und daß man unbeschadet der Schwie- haben.
rigkeiten der Haushaltslage die Mittel und Wege (Zuruf von der SPD: Von der Bundesregie
finden müsse, um das zu realisieren, dann, so glaube rung!)
ich, ist es in einer rechtsstaatlichen Demokratie ein-
fach eine politische Notwendigkeit, solchen Ankün- Ich habe Ihnen ganz offen zu erklären, daß die
digungen Taten folgen zu lassen. Sozialdemokratische Partei Deutschlands, nachdem
sie sich in den vergangenen Jahren unter Zurück-
Auch in der heutigen Aussprache ist es bei völlig stellung eigener Vorstellungen stets bemüht hat, in
unverbindlichen Aussagen geblieben. Weder der einem Höchstmaß von Gemeinsamkeit mit allen
Zeitpunkt des Einbringens der Regierungsvorlage politischen Kräften in diesem Hause und in diesem
noch der materielle Umfang dessen, was die Bundes- Lande das Bestmögliche für die Kriegsopferversor-
regierung glaubt für diese Zwecke zur Verfügung gung zu erreichen — wir haben bisher im Hause
stellen zu können, ist dem Hohen Haus bekannt- alle Gesetze auf diesem Gebiet einstimmig verab-
gegeben worden. schiedet —, nicht bereit ist, sich an dem zu betei-
Damit, daß der Herr Bundesfinanzminister hier ligen, was ich mit dem bösen Wort des politischen
aus Anlaß der Beratung der Frage, wie die Kriegs- Eiertanzes bezeichnen muß. Wir sind gewöhnt, dem,
opferversorgung fortentwickelt werden soll, unter was wir bei Wahlen versprechen, auch die entspre-
dem Gesichtspunkt des Haushalts die Schwierig- chenden Taten folgen zu lassen.
keiten der Deckung vortragen würde, haben wir
(Zurufe rechts: Hört! Hört! — Abg. Stingl:
gerechnet. Jeder Ihrer Vorgänger, Herr Bundes-
Gott sei Dank sind Sie nie in die Lage ge
minister der Finanzen, ist bei der Beratung dieses
-k ommen!)
Gegenstandes so verfahren. Das ist in einem Lande,
das nach einem total verlorenen Krieg vor einer Wir haben den Kriegsopfern gegenüber ebenso
Fülle von schwierigen Aufgaben steht, die selbst- wie auch Sie, meine Damen und Herren, die Zusage
verständlich die Staatsfinanzen bis aufs äußerste gemacht, daß ihr Versorgungsrecht fortentwickelt
in Anspruch nehmen, eine ganz natürliche Sache. werden muß. Wir haben diese Zusage gemacht in
Jeder Finanzminister, auch ein sozialdemokratischer, dem Bewußtsein, daß dies bei der Finanzlage des
wäre gezwungen, auf die Schwierigkeiten der finan- Bundes schwierig sein würde.
ziellen Deckung hinzuweisen, weil nun einmal die Sie können von uns nicht erwarten, daß wir uns mit
Kriegsopferversorgung nur durch die Bereitstellung dem zufriedengeben, was die Bundesregierung heute
von außerordentlich hohen öffentlichen Mitteln be- in der Beantwortung unserer Großen Anfrage er-
friedigend gelöst werden kann. klärt hat. Allen konkreten Fragen, die der Kollege
Aber alle diese .Schwierigkeiten, die Sie hier vor- Riegel bei der Begründung unserer Großen Anfrage
getragen haben, entbinden die Bundesregierung gestellt hat, ist der Bundesarbeitsminister ausgewi-
nicht davon, sich endlich mit der notwendigen Sorg chen, zum Teil mit dem Argument — Herr Minister,
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 63. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. März 1963 2949
Bazille
es tut mir leid, ich nehme Ihnen das einfach nicht Haushaltslage wäre nicht Sozialpolitik, sondern
ab —, daß er nur auf solche Fragen antworten wäre ein Spiel mit dem, worauf unsere gesamte
könne, die vorher gestellt worden seien. Die Kriegs- Sicherheit beruht, nämlich ein Spiel mit der Stabili-
opfer erwarten Aussagen, die sich aus dem Gegen- tät unserer Währung.
stand ergeben, und zwar völlig unabhängig davon,
ob die betreffende Frage nun zufällig in der formu- (Beifall bei den Regierungsparteien.)
lierten Anfrage der sozialdemokratischen Fraktion
wörtlich enthalten ist oder nicht. Sie haben heute Vizepräsident Dr. Dehler: Das Wort hat der
nur wieder Allgemeines und Unverbindliches dar- Abgeordnete Dorn.
über gehört, daß die Bundesregierung bereit sei —
selbstverständlich —, die Kriegsopferversorgung Dorn (FDP) : Herr Präsident! Meine sehr verehr-
fortzuentwickeln und Härten zu beseitigen. Meine ten Damen und Herren! Der Kollege Bazille hat
Damen und Herren, das ist nichts Neues; das hat seine Fraktion zum Schluß dieser Diskussion mit
der Herr Bundeskanzler schon bei der Regierungs- einer politischen Äußerung vertreten wollen. Lassen
erklärung seines vierten Kabinetts gesagt, das hat Sie mich deshalb darauf auch politisch anworten.
er bei der Regierungserklärung seines fünften Kabi- Herr Kollege Bazille, Sie haben gesagt: Das ist
netts bekräftigt, das hat schon der Vorgänger des heute ein schwarzer Tag für die Kriegsopfer, weil
Bundesfinanzministers gesagt, das ist schon vor über die Bundesregierung keine konkreten Aussagen ge-
einem Jahr im Kriegsopferausschuß erklärt worden, macht hat. Ich glaube — wenn man die Dinge so
aber irgendwelche Konkretionen fehlen. Von daher beurteilen will —, daß das, was hier von der Bun-
muß ich Ihnen sagen, daß wir uns eine sehr ernst- desregierung und auch von den beiden Fraktionen,
hafte Überprüfung unseres seitherigen Standpunk- die diese Bundesregierung tragen, vorgetragen wor-
tes angelegen sein lassen werden. Es wird für uns den ist, es nicht rechtfertigt, von einem schwarzen
ernsthaft die Frage zu prüfen sein, ob wir uns an- Tag zu sprechen. Denn es ist in vielen einzelnen
gesichts einer solchen Behandlung der Kriegsopfer- Argumenten, die hier vorgetragen worden sind, eine
probleme durch die Mehrheit des Hauses und durch Fülle von konkreten Aussagen gemacht worden,
die Bundesregierung an der seitherigen Gemein- wie die Weiterentwicklung des Neuordnungsgeset-
samkeit zukünftig beteiligen können. - zes zum Bundesversorgungsgesetz vor sich gehen
(Beifall bei der SPD.) soll.
Auch der Bundesarbeitsminister selbst hat auf
Vizepräsident Dr. Dehler: Das Wort hat der die vage Formulierung Ihrer Großen Anfrage hin
Herr Bundesarbeitsminister. in einer ganzen Reihe von Punkten konkrete Stel-
lungnahmen abgegeben. Ich meine, man kann das
Blank, Bundesminister für Arbeit und Sozialord- nicht einfach so abtun und sagen: Es ist ein schwar-
nung: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! zer Freitag oder ein schwarzer Tag. Die Vorredner
Wie Sie Ihre Haltung zu den anderen Fraktionen Ihrer Fraktion spüren dann auf, was in der Ver-
einrichten, ist Ihre Sache; dazu will ich mich nicht gangenheit von den Fraktionsvorsitzenden oder den
äußern. Ich will mich nur äußern zu dem Vorwurf, Parteivorsitzenden der Regierungskoalition vorge-
den Sie erheben, wenn Sie sagen, meine Erklärun- tragen worden ist. Zum Schluß kommen Sie zu der
gen seien nicht ausreichend. Sie haben hier nicht Frage: Was ist geschehen? Und Sie sagen: Gesche-
Erklärungen von mir gehört — daß ich das noch hen ist nichts, übrigbleibt ein schwarzer Tag.
einmal sagen muß! —, sondern die Antwort der Erstens einmal: Ihr Kollege Fritsch und Ihre Kol-
Bundesregierung auf die von Ihnen gestellte Große legin Frau Schanzenbach haben sich selbst wider-
Anfrage. Diese Antwort ist wortwörtlich im Kabinett sprochen. Der Kollege Fritsch, der diese Dinge heute
beschlossen worden. Deshalb habe ich mich auch hier in einer, na ja, nach meiner Auffassung sehr
so über den Punkt 1 Ihrer Anfrage gewundert. Der demagogischen Art vorgetragen hat, schloß seine
Tatbestand hätte Ihnen ja bekannt sein müssen, Ausführungen mit den Worten: Und nunmehr sind
daß solche Dinge im Kabinett beschlossen werden. die Kriegsopfer die Opfer Ihrer Gesetzgebung ,ge-
Ich habe zu jeder der gestellten Fragen sehr präzise worden. Er sprach damit die Koalitionsfraktionen
geantwortet. an. Die Frau Kollegin Schanzenbach hat genau wie
(Zuruf von der SPD.) Sie, Herr Kollege Bazille, zu Recht gesagt: Wir
— Ich glaube ja, sehr präzise. haben in der Kriegsopferfrage bei den gesetzlichen
Regelungen in der Vergangenheit immer gemeinsam
(Abg. Höhmann [Hessisch-Lichtenau] : Prä mit Ihnen gestimmt.
zise darum herumgeredet!)
Deswegen, meine ich, kann man die Dinge hier
Das Kabinett wird eine Regierungsvorlage machen; nicht so einseitig vortragen in der Hoffnung, daß
es wird auch noch andere machen, und wir werden die Verbände diese Rede — natürlich im Schnell
bei dieser Gelegenheit diskutieren. Es sind in die- verteilungsverfahren — allen mitteilen, und in der
sem und im nächsten Jahre noch große sozialpoli- Hoffnung, daraus parteipolitisches Kapital zu schla-
tische Vorhaben zu behandeln. Und glauben Sie gen. Anders ist diese Rede Ihres Kollegen Fritsch
mir, meine sehr verehrten Damen und Herren, sie hier am heutigen Tage absolut nicht zu verstehen.
sind nicht zu behandeln — ich habe hier soeben ein Lassen Sie mich das in aller Deutlichkeit hier sagen.
Wort gehört — unter Außerachtlassung der Haus-
haltslage. Sozialpolitik unter Außerachtlassung der (Beifall bei den Regierungsparteien.)
2950 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 63. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. März 1963
Dorn
Sie sind dann dazu übergegangen — auch Ihr Kriegsopfer liegt allen am Herzen. Das kann man
Kollege Fritsch hat das getan —, immer wieder auf doch nun wirklich behaupten: uns allen im Hause.
die Priorität der Kriegsopferversorgung anzuspie- Wir müssen auch sagen, daß man hier niemanden
len, und Sie haben gesagt: Na ja, aber konkret ist ausnehmen kann, erst recht nicht unseren Sozial-
nichts übriggeblieben! minister.
Nun, meine Damen und Herren, wir Freien De- (Zuruf von der SPD: Das haben wir nicht!)
mokraten haben auf unserem letzten Bundespartei- — Nun, wenn irgend jemand eine solche Bemer-
tag einen Beschluß gefaßt, der sich nur mit der kung von der Tribüne gemacht hätte, könnte ich
Kriegsopferversorgung und ihrer vordringlichen Be- das verstehen; aber ich glaube, hier unten im Ple-
handlung im Parlament befaßt. Wir haben daraus num ist diese Bemerkung nicht angebracht.
auch die Konsequenzen gezogen. Ein großer Teil
meiner Freunde hat —das ist Ihnen ja auch be- Der Finanzminister sprach auch von der äußeren
kannt — einen Gesetzentwurf eingebracht, über Sicherheit der Bundesrepublik. Deshalb gestatten
den wir aber heute nicht sprechen wollen. Sie mir noch einen kurzen Hinweis und die Bitte,
daß die Bundesregierung bei ihren Überlegungen
Eines ist sicher: daß Sie mit noch so vielen star- auch dem Problem der Versorgung unserer Wehr-
ken Worten die Vorschläge nicht aus der Welt pflichtigen noch mehr Rechnung trägt, als das bis
reden können, die auch heute morgen von den Ver- heute praktisch möglich war. Wir haben das Los-
tretern der beiden Koalitionsfraktionen und auch Verfahren. Ein großer Teil der Wehrpflichtigen
vom Bundesarbeitsminister zu Einzelfragen hier ge- braucht nicht .zu dienen. Die Wehrpflichtigen, wel-
macht worden sind, die uns Freie Demokraten — — che ihren Wehrdienst leisten müssen, haben viele
(Abg. Glombig: Was sind denn das für wirtschaftliche Nachteile in Kauf zu nehmen. Des-
Vorschläge?) halb sind wir alle sehr daran interessiert, daß bei
den kommenden Beratungen eine bessere Regelung
— Wenn Sie diese Frage stellen, kann ich nur an-
für die Versorgung unserer jungen Wehrpflichtigen
nehmen, daß Sie hier gar nicht zugehört haben.
getroffen wird, welche für uns alle Dienst als Staats-
(Abg. Glombig: Sie scheinen nicht zugehört bürger in Uniform leisten. — Diese Anregung wollte
zu haben!) ich unseren beiden Ministern hier noch mit auf den
— Dann würde ich Ihnen vorschlagen, im Protokoll Weg geben.
nachzulesen, welche Fülle von Einzelvorschlägen Wir sollten auch, wenn wir jetzt wieder drau-
heute morgen vorgetragen worden sind. ßen in die Versammlungen gehen — Herr Kollege
Lassen Sie mich zum Schluß eines sagen, meine Bazille, Sie werden ja am Sonntag auf dem Kriegs-
Damen und Herren. Die Verhandlungen der letzten opferkongreß in Mainz sein —, nicht die Formulie-
Wochen und Monate zwischen den Koalitiosfraktio- rung dorthin mitnehmen: Wir haben einen schwar-
nen und dem Bundesarbeitsminister haben dazu zen Tag gehabt, sondern: Wir haben heute einen
geführt, daß wir in den nächsten Monaten mit einer neuen Anfang zu einer Verbesserung des Kriegs-
Regierungsvorlage rechnen können, die weitest- opferrechts gefunden.
gehend den Konzeptionen entgegenkommt, die wir (Beifall bei den Regierungsparteien.)
in der Vergangenheit immer vorgetragen haben.
Wir freuen uns, daß auch der Kollege Stingl heute Vizepräsident Dr. Dehler: Für die Sozialdemo-
in zwei Punkten eine sehr positive Stellung zu kratische Partei hat das Schlußwort der Herr Abge-
diesen Vorschlägen eingenommen hat. ordnete Höhmann.
Ein Wort zum Schluß! Ich bin nicht der Meinung,
daß der heutige Tag ein schwarzer Tag für die Kriegs- Höhmann (Hessisch Lichtenau) (SPD) : Herr Prä-
opferversorgung gewesen ist. Die heutigen Diskus- sident! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
sionen werden — da bin ich mit Ihnen einig, Herr Als wir unsere Große Anfrage stellten, ahnten wir
Kollege Bazille — auch für die nächsten Monate schon voraus, in welchem Stil sie beantwortet wer-
ganz klare Richtpunkte dafür geben können, wie den würde. Daß das Ergebnis, diese Antwort, sehr
wir für eine Neuordnung — hoffentlich gemeinsam, mager sein würde, haben wir von vornherein ein-
aber dann Lauch in einer sachlicheren Atmosphäre kalkuliert. Der Herr Arbeitsminister beruft sich
— einen Weg finden können. darauf, diese Antwort habe deshalb so mager sein
müssen, weil in der Anfrage nicht mehr stecke. Das
(Beifall bei den Regierungsparteien.)
ist doch wohl ganz einfach nicht wahr. Denn hier
steht unter Punkt 3: Welche Vorstellungen hat die
Vizepräsident Dr. Dehler: Das Wort hat der Bundesregierung über die Neuordnung des Kriegs-
Abgeordnete Josten. opferrechts?
Herr Kollege Dorn, Sie meinen, die Antworten
Josten (CDU/CSU) : Herr Präsident! Meine Da- seien sehr konkret gewesen. Nun, wir hätten zu-
men und Herren! Der Kollege Dorn sagte vorhin mindest erwartet, hier zu hören — der Herr Finanz-
meines Erachtens mit Recht dem Herrn Kollegen minister hat es abgelehnt, das zu sagen —, in wel-
Bazille: Wir haben heute keinen schwarzen Tag für cher Größenordnung sich ein Zweites Neuordnungs-
die Kriegsopfer gehabt. Ich glaube, die Formulie- gesetz denn bewegen soll. Wir hätten auch erwar-
rung, die der Herr Finanzminister gewählt hat, be- tet, zu hören, wann man dieses Reformgesetz in
weist das auch. Er sagte: Die Versorgung der Kraft zu setzen gedenkt. Nur mit einer solchen ganz
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 63. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. März 1963 2951
Höhmann (Hessisch-Lichtenau)
klaren Beantwortung kann Ruhe unter die Kriegs- Ich bin ganz sicher, daß wir sehr schnell dahin kom-
beschädigten und unter die Kriegshinterbliebenen men könnten, wenn wir jetzt noch einmal in die
draußen gebracht werden; die wollen nämlich wis- Sachdebatte einsteigen wollten; wir kämen sehr
sen, was los ist. Man kann keinesfalls damit argu- schnell dahinter, wenn ich alles das, was der Herr
mentieren, Herr Kollege Dorn, daß es eine Reihe Bundesarbeitsminister hier gesagt hat, und alles
von Leuten gibt, die schon Gesetzentwürfe einge- das, was er bei Ihnen im Arbeitskreis gesagt hat,
bracht haben. Diese Gesetzentwürfe, die eingebracht was er bei Ihnen in der Fraktion gesagt hat, hier
worden sind, widersprechen völlig dem, was der ausbreiten wollte. Es ist hier nicht der Ort; wir
Herr Finanzminister hier gesagt hat. Jetzt rechnen werden uns im Ausschuß darüber unterhalten.
Sie mir doch einmal vor, wie Sie es machen wollen,
wenn Ihr Finanzminister sagt: Alles, was über eine Ich darf ankündigen, daß die sozialdemokratische
Milliarde hinausgeht oder in der Größenordnung Fraktion in aller Kürze einen Entwurf zur Kriegs-
um eine Milliarde liegt, ist völlig unerfüllbar! opferversorgung einbringen wird.. Dann werden Sie
unsere Vorstellungen zu dieser Frage kennenlernen,
(Abg. Dorn: Wir haben aber wenigstens und wir werden das ganz genau dem gegenüber-
gesagt, was wir wollen! Sie haben das bis stellen, was der Herr Bundesarbeitsminister gesagt
heute immer noch nicht gesagt!) hat.
— Bitte? Ich habe nicht verstanden. (Abg. Memmel: Sie haben es aber leichter!)
(Abg. Dorn: Sie haben bis heute immer
— Wir haben es überhaupt nicht leichter; wir tra-
noch nicht gesagt, was Sie wollen!)
gen die gleiche Verantwortung wie Sie, Herr Kol-
— Wir haben gefragt, was die Regierung tun will. lege Memmel, und wir sind uns dieser Tatsache auch
Wir sind jetzt nicht hier, um einen Antrag einzu- bewußt. Wollen Sie mir denn erzählen, daß der
bringen. Bundesarbeitsminister bei der Einbringung und bei
(Zuruf des Abg. Dorn.) der Verabschiedung des ersten Neuordnungsgeset-
— Was Arbeitsminister Blank vorbrachte, war über- zes recht gehabt hat, als er sagte: „Wir dürfen nicht
haupt keine Antwort. Das war ein Drumherumschlei- mehr als 500 Millionen geben, oder 550 Millionen;
chen um das gesamte Problem. Das war das Ma- sonst geht das ganze Währungsgefüge kaputt; das
gerste, was ich zu diesen Fragen je gehört habe. ist die Methode, anderen Leuten in die Tasche zu
fassen, das ist die Methode, das Geld mit beiden
(Beifall bei der SPD.)
Händen aus dem Fenster zu werfen" und so weiter?
Ich habe Verständnis dafür, daß man, wenn man Wollen wir das alles wieder aufwärmen? Sind wir
schon substantiell nichts zu sagen hat, versucht, sich dann nicht übereingekommen, haben wir nicht ein
wie der Herr Kollege Stingl mit Verbalinjurien gutes Neuordnungsgesetz mit sehr viel höheren
herauszureden und zu sagen: „Das ist mir zu dumm" Beträgen gemacht, und haben wir nicht ein sehr viel
oder: „Sie waren wohl nie im Plenarsaal!". Aber besseres Ergebnis gehabt
daß der Herr Minister, weil er nicht viel zu sagen
hat, hierherkommt und uns die Eidesformel vor- (Abg. Stingl: Also doch kein Armenhaus
liest, — das war doch wohl so ziemlich das letzte, des 17. Jahrhunderts!)
was man uns darbieten durfte. Wir haben wissen als das, was die Regierung sich vorstellte? Herr Kol-
wollen, welche Vorstellungen die Regierung in der lege Stingl, 'darüber waren wir uns einig, als wir
Frage der Neuordnung und Fortentwicklung des das Gesetz verabschiedeten, daß das nicht der End-
Kriegsopferrechts hat. Wir haben nicht wissen wol- punkt der Kriegsopferversorgung sein könne und
len, welchen Eid er geleistet hat. Das haben wir ge- daß es jetzt darum geht — —
wußt; wir haben dabeigesessen, Herr Minister.
(Abg. Stingl: Ja, sicher; aber Sie sagen
(Zurufe von der CDU/CSU: Gestanden!) ja jetzt: Was er draufgibt, ist Armenhaus!)
Ich darf hier in aller Deutlichkeit feststellen, daß — Genau! Genau das!
das Wort von dem schwarzen Tag für die Kriegs-
opferversorgung ein sehr wahres Wort gewesen ist. (Abg. Stingl: Dann ist ja das Bisherige
noch schlechter als Armenhaus!)
(Widerspruch bei der CDU/CSU.)
— Ich habe gesagt: „das sind Armenhaus-Vorstel-
Ich bin sogar bereit, darüber noch hinauszugehen.
Was sich in den Worten des Herrn Bundesarbeits- lungen",
ministers hier herauskristallisiert hat, das sind (Abg. Stingl: Dann ist das Bisherige noch
die sozialpolitischen Armenhausvorstellungen des schlechter als Armenhaus! Das ist übelste
17. Jahrhunderts, aber nicht die Vorstellungen, die Verhetzung!)
in eine moderne und wiederum mit solchen Proble-
men belastete Zeit hineingehören. Mit solchen Vor- um eine ganz bestimmte sozialpolitische Richtung
stellungen lösen wir die Probleme nicht. Mit dem hier klarzustellen.
Fürsorgeprinzip und auf ähnliche Weise lösen wir (Abg. Maucher: Das habt ihr doch mit
die Frage der Kriegsopferversorgung keinesfalls. gemacht!)
Das hier sind Armenhausvorstellungen des 17. Jahr-
hunderts und gar nichts anderes. Das allein war der Grund, weshalb ich dazu Stel-
lung genommen habe.
(Abg. Haase [Kassel] : Sie sprechen hier wie
der Herr Nölting!) (Abg. Stingl: Das ist üble Hetze!)
2952 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 63. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. März 1963

Höhmann (Hessisch-Lichtenau)
Im übrigen, meine Damen und Herren, sind wir Auch hier soll entsprechend verfahren werden.
Ihnen recht dankbar — nicht für die „üble Hetze" — Vorgeschlagen ist Überweisung an den Ausschuß für
für Ihre Aussagen, die Sie hier gemacht haben. Sie Kriegsopfer- und Heimkehrerfragen — federführend
werden die Aussagen, die Sie hier gemacht haben, — und an den Haushaltsausschuß. — Ich darf fest-
des öfteren sehr wahrscheinlich draußen im Lande stellen, daß so beschlossen ist.
in den nächsten Wochen hören.
(Beifall bei der SPD.) Tagesordnungspunkt 19:

Erste Beratung des von den Abgeordneten


Vizepräsident Dr. Dehler: Damit kann ich die Frau Pitz-Savelsberg, Dr. Hesberg, Dr. Kopf,
Beratung der Antwort der Bundesregierung auf die Stiller und Genossen eingebrachten Entwurfs
Große Anfrage der Fraktion der SPD schließen. eines Gesetzes über die Gewährung von Dar-
lehen zur Ablösung von Schweizerfranken-
Ich rufe Punkt 16 der Tagesordnung ,auf: Grundschulden (Drucksache IV/953).
Erste Beratung des von der Bundesregierung Es soll ohne Aussprache überwiesen werden an
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes den Ausschuß für Wohnungswesen, Städtebau und
zur Änderung des Mineralölsteuergesetzes Raumordnung — federführend — und an den Haus-
(Drucksache IV/1021). haltsausschuß zur Mitberatung. — Das Haus stimmt
Die Bundesregierung will den Entwurf nicht begrün- zu. Es ist so beschlossen.
den. Zur Aussprache hat das Wort Herr Abgeord-
neter Dr. Mommer. Tagesordnungspnkt 20:

Erste Beratung des von den Fraktionen der


Dr. Mommer (SPD) : Zu einer geschäftsordnungs-
CDU/CSU, FDP eingebrachten Entwurfs eines
mäßigen Bemerkung, Herr Präsident. — Wir waren
Gesetzes zur Änderung des Kraftfahrzeug-
uns hier einig geworden, den Entwurf heute ohne
steuergesetzes (Drucksache IV/902 [neu]).
Begründung und Aussprache den Ausschüssen zu
überweisen, aber mit der Maßgabe, daß am nächsten Vorgesehen ist Überweisung an den Finanzaus-
Freitag die Debatte darüber stattfindet, zusammen schuß — federführend — und an den Ausschuß für
mit der Beratung der Großen Anfrage zur Energie- Ernährung, Landwirtschaft und Forsten — mitbera-
politik, die meine Fraktion eingebracht hat. tend —, und zwar ohne Aussprache. — Ich stelle
fest, daß so beschlossen ist.
Vizepräsident Dr. Dehler: Es ist Einigkeit da-
hin geschaffen worden, daß wir beraten und über- Tagesordnungspunkt 21:
weisen wollen. Lediglich die Ausführungen zur Be-
gründung werden verbunden mit der Großen An- Erste Beratung des von der Bundesregierung
frage über die Energiepolitik der Bundesregierung. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
— Es wird also eine Aussprache nicht gewünscht; Änderung des Gewerbesteuergesetzes (Druck-
ich kann die erste Beratung schließen. Vorgesehen sache IV/923).
ist Überweisung an den Finanzausschuß — feder-
führend — und an den Wirtschaftsausschuß. — Es ist Es soll ohne Aussprache an den Finanzausschuß
so beschlossen. — federführend — und an den Ausschuß für Kom-
munalpolitik und Sozialhilfe — mitberatend —
Ich rufe Punkt 17 auf: überwiesen werden. — Es ist so beschlossen.

Erste Beratung des von der Bundesregierung


eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu Tagesordnungspunkt 26:
dem Abkommen vom 30. April 1962 zwischen
Beratung des Mündlichen Berichts des Aus-
der Bundesrepublik Deutschland und der Re-
schusses für Inneres (6. Ausschuß) über den
publik Peru über den Luftverkehr (Druck-
Antrag der Fraktion der SPD betreffend Ab-
sache IV/973).
schlußgesetz zur Gesetzgebung nach Artikel
Aussprache ist nicht vorgesehen. Ich kann die Be- 131 GG (Drucksachen IV/800, IV/969).
ratung schließen. Vorgesehen ist Überweisung an
den Ausschuß für Verkehr, Post- und Fernmelde- Hier liegt ein Bericht des Herrn Abgeordneten
wesen. — Ich darf feststellen, daß so beschlossen ist. Schmitt-Vockenhausen vor.
(Abg. Brück: Nur eine Terminverschiebung!)
Tagesordnungspunkt 18:
— Es war ursprünglich angenommen worden, daß
Erste Beratung des von der Bundesregierung der Entwurf des Abschlußgesetzes zu Art. 131 des
eingebrachten Entwurfs eines Dritten Geset- Grundgesetzes spätestens zum 1. Oktober 1963 vor-
zes zur Änderung des Kriegsgefangenenent- gelegt werden solle. Der Antrag des Ausschusses
schädigungsgesetzes (3. ÄndG KgfEG) (Druck- geht dahin, jetzt den 31. Dezember 1963 als Termin
sache IV/997). festzulegen. — Es ist so beschlossen.
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 63. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. März 1963 2953
Vizepräsident Dr. Dehler
Tagesordnungspunkt 27: Dr. h. c. Güde (CDU/CSU) : Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Es handelt sich hierbei
Beratung des Mündlichen Berichts des Aus-
um die Privatklage eines Schweizer Staatsangehö-
schusses für Wahlprüfung, Immunität und
rigen, vertreten durch einen deutschen Rechtsan-
Geschäftsordnung (1. Ausschuß) — Immuni-
walt, gegen den Abgeordneten Dr. Dörinkel. Gegen-
tätsanlegenheiten —
stand der Privatklage ist die angebliche Behauptung
betreffend Genehmigung zur Durchführung des Abgeordneten Dr. Dörinkel, der Privatkläger,
eines Strafverfahrens gegen den Abgeordne- der Schweizer Jakob Pruschy, sei wegen Betrugs,
ten Unertl gemäß Schreiben des Rechtsan- Urkundenfälschung und Konkursverbrechens zu
walts Dr. Maul, Passau, vom 13. August 1961 Zuchthaus verurteilt und diesem Schweizer sei Ge-
(Drucksache IV/975). legenheit gegeben worden, die Früchte seiner
Herr Abgeordneter Wittrock wird berichten. Bitte, Schwindeleien in der Schweiz zu genießen.
Sie haben das Wort. Der Immunitätsausschuß ist von folgendem Sach-
verhalt ausgegangen. Zwei junge Mädchen, die als
Wittrock (SPD) : Herr Präsident! Meine Damen Hostessen einen Ausbildungsvertrag abgeschlossen
und Herren! Der Bürgermeister Steindorfer aus As hatten, fühlten sich betrogen und haben sich an den
bach in Bayern beabsichtigt die Erhebung einer Abgeordneten Dr. Dörinkel gewandt. Dieser hat sich
Privatklage und hat deshalb durch seinen Rechts- im Laufe der Prüfung der Angelegenheit an die hes-
anwalt einen Antrag auf Genehmigung zur Durch- sische Justiz gewandt und hat schließlich auf einer
führung des Strafverfahrens gestellt, und zwar mit Pressekonferenz in Bad Nauheim im Mai 1961 in
Schriftsatz vom 23. August 1961. Der Ausschuß für seiner Eigenschaft als Landtagsabgeordneter und
Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung hat Bundestagskandidat das Verhalten der hessischen
sich wiederholt, und zwar erstmalig am 7. Mai 1962, Justiz kritisiert und im Laufe dieser Pressekonfe-
mit dem Antrag befaßt, mehrmals deshalb, weil man renz die Behauptungen aufgestellt, die Gegenstand
geglaubt hat, daß vielleicht eine außergerichtliche der Privatklage sind. Es handelt sich also um eine
Erledigung möglich sei. Betätigung eines Abgeordneten im Rahmen seines
- Mandats.
Die beabsichtigte Privatklage stützt sich darauf, daß
behauptet wird, der Abgeordnete Unertl habe § 185 Nach den Grundsätzen, die der Herr Kollege
des Strafgesetzbuchs — das ist der Beleidigungspa- Wittrock soeben dargestellt hat, hat der Immuni-
ragraph — verletzt. Der Privatkläger läßt in seinem tätsausschuß in seiner Sitzung vom 6. Februar be-
Schriftsatz vortragen, daß er in ein Gespräch gekom- schlossen, dem Hohen Hause vorzuschlagen, die
men sei, dessen Inhalt hier belanglos sei, das aber Genehmigung zur Strafverfolgung nicht zu erteilen.
schon irgendeine politische Färbung hatte. Der An-
tragsteller hat also durch seinen Rechtsanwalt zum Vizepräsident Dr. Dehler: Ich stelle den An-
Ausdruck bringen lassen, daß es sich um ein Ge- trag des Ausschusses zur Abstimmung. Wer zu-
spräch gehandelt hat, dessen Wurzeln im politischen stimmt, gebe bitte ein Zeichen. — Gegenprobe! —
Bereich lagen. Wenn es bei Gelegenheit eines Ge- Enthaltungen? — Es ist einstimmig nach dem An-
sprächs mit politischer Wurzel zu beleidigenden trag des Ausschusses beschlossen.
Äußerungen kommt, dann pflegt der Bundestag nach
den von ihm selber gesetzten Richtlinien die Immu- Tagesordnungspunkt 29:
nität nicht aufzuheben.
Ich bitte Sie deshalb, dem Antrag des Immunitäts- Beratung der Ubersicht 10 des Rechtsaus-
ausschusses, die Genehmigung zur Strafverfolgung schusses (12. Ausschuß) über die dem Deut-
zu versagen, zuzustimmen. schen Bundestag zugeleiteten Streitsachen
vor dem Bundesverfassungsgericht (Druck-
sache IV/994).
Vizepräsident Dr. Dehler: Ich stelle den An-
trag des Ausschusses zur Abstimmung. Wer zu- Der Ausschuß beantragt, von einer Äußerung ab-
stimmt, der gebe ein Zeichen. — Gegenprobe! — zusehen. Wer zustimmt, gebe bitte ein Zeichen. —
Enthaltungen? — Es ist einstimmig so beschlossen. Es ist so beschlossen.

Ich rufe Punkt 28 der Tagesordnung auf: Punkt 30:

Beratung des Mündlichen Berichts des Aus- Beratung der Entschließungen der 51. Jahres-
schusses für Wahlprüfung, Immunität und konferenz der Interparlamentarischen Union
Geschäftsordnung (1. Ausschuß) — Immuni- (Drucksache IV/880).
tätsangelegenheiten — Es ist die Überweisung an den Ausschuß für aus-
wärtige Angelegenheiten vorgesehen. — Ich nehme
betr. Genehmigung zur Durchführung eines
Strafverfahrens gegen den Abgeordneten Dr. an, daß das Haus einverstanden ist; es ist so be-
Dörinkel gemäß Schreiben des Rechtsanwalts schlossen.
Vogel, Frankfurt (Main), vom 27. Juni 1962
(Drucksache IV/976). Punkt 31 der Tagesordnung:

Zur Berichterstattung hat der Abgeordnete Dr. Beratung der von der Bundesregierung vor
Güde das Wort. gelegten Einundfünfzigsten Verordnung zur
2954 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 63. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. März 1963

Vizepräsident Dr. Dehler


Änderung des Deutschen Zolltarifs 1962 rung betr. Einführung der Fünf-Tage-Woche
(Zollaussetzungen 1963 — II. Teil) (Druck in der Bundesverwaltung (Drucksachen IV/913,
sache IV/987). IV/1026).
Vorgeschlagen ist die Überweisung an den Außen- Es wird vorgeschlagen, daß die Antwort zur Be-
handelsausschuß. — Ich stelle fest, daß das Haus so ratung an den Ausschuß für Inneres überwiesen
beschließt. wird. — Es besteht Einverständnis; es ist so be-
schlossen.
Tagesordnungspunkt 32:
Ich rufe auf Punkt 34 der Tagesordnung:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr.
Siemer, Wittmer-Eigenbrodt, Bading, Müller Beratung der von der Bundesregierung vor-
(Worms), Logemann und Genossen betr. An- gelegten Verordnung zur Änderung der Ver-
rufung des Vermittlungsausschusses (Druck- ordnung über die Verringerung von Ab-
sache IV/951). schöpfungssätzen bei der Einfuhr von Eipro-
Der Antrag geht dahin, daß gegen den Beschluß dukten (Drucksache IV/1017).
des Bundesrates vom 21. Dezember 1962 betreffend Die Verordnung soll ohne Beratung an den Au-
die Änderung des Gesetzes zur Förderung der deut- ßenhandelsausschuß — federführend — und an den
schen Eier- und Geflügelwirtschaft der Vermitt- Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und For-
lungsausschuß angerufen wird. Es wird vorgeschla-
sten — mitberatend — überwiesen werden. —
gen, diesen Antrag an den Ausschuß für Ernährung,
Kein Einwand; es ist so beschlossen.
Landwirtschaft und Forsten zu überweisen.
Wir kommen nun zu den noch ausstehenden
Zur Geschäftsordnung Herr Abgeordneter Dr. Sie-
Steuergesetzentwürfen. Punkt 22 der Tagesordnung
mer.
ist abgesetzt, Punkt 23 ist noch offen.
Dr. Siemer (CDU/CSU) : Herr Präsident! Meine (Abg. Dr. Mommer: Ja, können wir über
Damen und Herren! Das Gesetz zur Änderung - des weisen!)
Gesetzes zur Förderung der deutschen Eier- und
Geflügelwirtschaft ist bereits in zweiter und dritter — Ich rufe also Punkt 23 der Tagesordnung — —
Beratung vom Bundestag beschlossen worden. Ich (Abg. Spies: Der Herr Präsident hat be-
beantrage in Übereinstimmung mit den anderen An- kanntgegeben, daß die Punkte 22, 23 und
tragstellern, daß sofort Beschluß gefaßt und der An- 24 abgesetzt sind! — Abg. Dr. Mommer:
trag an den Vermittlungsausschuß überwiesen wird, Und 25!)
da in den Ausschüssen schon alles besprochen und
das Gesetz im Parlament beschlossen worden ist. — Hier ist noch das, was der Präsident bekannt-
gegeben hat. Nach dieser Unterlage sind die Punkte
Vizepräsident Dr. Dehler: Wie ist die Mei- 22, 24 und 25 auf Grund interfraktioneller Verein-
nung? barung von der Tagesordnung abgesetzt.
(Abg. Dr. Mommer: Einverstanden!)
Ich rufe deshalb Punkt 23 auf:
Keine Bedenken dagegen, daß das Haus über den
Antrag jetzt sofort abstimmt? Erste Beratung des von den Fraktionen der
FDP, CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines
(Zuruf von der SPD: Es liegt ja schon ein Gesetzes zur Änderung des Einkommensteu-
Beschluß des Hauses vor!) ergesetzes (Drucksache IV/974).
— Dann stelle ich den Antrag zur Abstimmung. Wer Auf Beratung wird verzichtet. Der Gesetzentwurf
zustimmt, geben ein Zeichen. — Gegenprobe! — soll an den Finanzausschuß überwiesen werden. —
Enthaltungen? — Gegen eine Stimme bei einigen Darüber besteht Einverständnis; es ist so beschlos-
Enthaltungen angenommen. Damit ist also beschlos- sen.
sen, daß in dieser Frage der Vermittlungsausschuß Damit sind wir am Ende der Tagesordnung .
angerufen wird.
Ich berufe die nächste Sitzung ein auf Mittwoch,
den 13. März, 9 Uhr.
Tagesordnungspunkt 33:

Beratung der Antwort des Bundesministers Ich schließe die heutige Sitzung.
des Innern auf die Bemerkungen der Frak
tion der SPD zur Auskunft der Bundesregie (Schluß der Sitzung: 14.45 Uhr.)
Deutscher Bundestag - 4. Wahlperiode - 63. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. März 1963 2955

Anlagen zum Stenographischen Bericht

Anlage 1 Abgeordneter) beurlaubt bis einschließlich

Liste der beurlaubten Abgeordneten Horn 15. 3.


Dr. Imle 11. 3.
Abgeordneter) beurlaubt bis einschließlich Katzer 31. 3.
a) Beurlaubungen Kemmer 8. 3.
Frau Dr. Kiep-Altenloh 10. 3.
Adorno 8. 3. Kohlberger 8. 3.
Dr. Arndt (Berlin) 16. 3. Dr. Kreyssig* 8. 3.
Dr. Arnold 8. 3. 8. 3.
Kühn (Hildesheim)
Dr. Atzenroth 8. 3. Kurlbaum 8. 3.
Dr. Dr. h. c. Baade 31. 3. Leber 8. 3.
Bals 9. 3. Leonhard 8. 3.
Bazille 8. 3. Lohmar 30. 4.
Dr. Bechert 15. 3. Maier (Mannheim) 8. 3.
Frau Beyer (Frankfurt) 8. 3. Majonica 8. 3.
Birkelbach* 8. 3. Dr. Mälzig 8. 3.
Dr. Birrenbach 8. 3. Margulies* 8. 3.
Fürst von Bismarck 8. 3.
Mattick 8. 3.
Frau Blohm 16. 3. Mauk 8. 3.
Frau Brauksiepe 8. 3.
Meis 8. 3.
Dr. Dichgans 8. 3.
Dr. h. c. Menne (Frankfurt) 15. 3.
Frau Dr. Diemer-Nicolaus 8. 3.
Michels 8. 3.
Frau Döhring (Stuttgart) 8. 3. Dr. Miessner 8. 3.
Dr. Dörinkel 15. 3. Müller (Berlin) 31. 3.
Dr. Dr. h. c. Dresbach 31. 3. Müller (Remscheid) 8. 3.
Frau Eilers 15. 3. Murr 8. 3.
Eisenmann 8. 3. Nieberg 8. 3.
Figgen 20. 4.
Frau Dr. Pannhoff 30. 3.
Dr. Frey (Bonn) 8. 3.
Frau Dr. Probst 8. 3.
Dr. h. c. Friedensburg 8. 3.
Richarts 8. 3.
Dr. Fritz (Ludwigshafen) 8. 3.
Dr. Rieger (Köln) 27. 3.
Funk (Neuses am Sand) 31. 3.
Frau Rudoll 8. 3.
Dr. Furler 8. 3.
Ruland 8. 3.
Gaßmann 8. 3.
Schlick 8. 3.
Gehring 8. 3.
Schultz 8. 3.
Geiger 8. 3.
Dr. Schwörer 8. 3.
Frau Geisendörfer 8. 3.
Seither 11. 3.
Gerlach 8. 3.
Seuffert 8. 3.
Gems 8. 3.
Stooß 8. 3.
Gewandt 8. 3.
Storm 8. 3.
Dr. Gleissner 8. 3.
Strauß 18. 3.
Günther 8. 3.
Haage (München) 8. 3. Striebeck 8. 3.
Hahn (Bielefeld)* 8. 3. Frau Strobel* 8. 3.
Dr. Hahn (Heidelberg) 12. 3. Dr. Tamblé 8. 3.
Hauffe 16. 3. Tobab en 8. 3.
Heiland 8. 3. Unertl 8. 3.
Hellenbrock 31. 3. Frau Vietje 31. 3.
Hoogen 8. 3. Wacher 15. 3.
Hörmann (Freiburg) 8. 3. Walter 8. 3.
Dr. Weber (Koblenz) 15. 3.
* Für die Teilnahme an Sitzungen des Europäischen Par- Wilhelm 8. 3.
laments Wischnewski 8. 3.
2956 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 63. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. März 1963

Abgeordneter) beurlaubt bis einschließlich werkszählung 1963 (Handwerkszählungsgesetz 1963)


(Drucksachen IV/876, IV/988).
Wittmer-Eigenbrodt 30. 4.
Frau Zimmermann (Brackwede) 8. 3. Der Bundestag wolle beschließen:
Dr. Zimmermann (München) 8. 3.
1. In § 4 wird Absatz 1 Nr. 2 Buchstabe a gestrichen.
b) Urlaubsanträge 2. In § 4 wird der Absatz 1 Nr. 5 gestrichen.
3. Hinter § 5 Nr. 5 wird eingefügt:
Dr. Frede 20. 4.
Dr. Hellige 20. 4. „6. das Lebensalter und die Staatsangehörigkeit
des Inhabers;
7. die Rechtsverhältnisse an den Räumen, die
dem Betriebe des Handwerks dienen."
Anlage 2 Umdruck 207

Änderungsantrag der Fraktion der SPD zur Bonn, den 6. März 1963
zweiten Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Hand- Ollenhauer und Fraktion

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