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eutscher Bundestag D
Stenographischer Bericht
69. Sitzung
Inhalt:
Ergebnis 6101 C
Anlage 3
Namentliche Abstimmung über Druck Zu Protokoll gegebene Reden zu Zusatz-
sache 13/2922 6092 A tagesordnungspunkt 3 (Arbeitslosenhilfe
Reformgesetz) 6107' C
Ergebnis 6099 B Heinz Schemken CDU/CSU 6107*C
Birgit Schnieber-Jastram CDU/CSU . . 6108*C
Tagesordnungspunkt IV: Adolf Ostertag SPD 6109* C
Abschließende Beratungen ohne Aus- Annelie Buntenbach BÜNDNIS 90/DIE
sprache GRÜNEN 6111*B
c) Zweite und dritte Beratung des vom Dr. Gisela Babel F.D.P 6112*B
Bundesrat eingebrachten Entwurfs Dr. Heidi Knake-Werner PDS 6113*A
eines Gesetzes zur Änderung des Ge-
setzes zur sozialen Absicherung des Dr. Norbert Blüm, Bundesminister BMA 6114*A
Risikos der Pflegebedürftigkeit (Druck-
sachen 13/2207, 13/2940) 6104 C Anlage 4
Petra Bläss PDS (Erklärung nach § 31 GO) 6104 C Amtliche Mitteilungen 6115* D
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 69. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. November 1995 6031
69. Sitzung
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Liebe Kolleginnen Interfraktionell ist vereinbart worden, den Gesetz-
und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet. entwurf des Bundesrates „Entsendegesetz" in erster
Beratung ohne Aussprache an die Ausschüsse zu
Ich möchte vor Eintritt in die Tagesordnung im überweisen.
Namen aller Fraktionen und der Gruppe eine Erklä-
rung für das Haus abgeben: Am 8. November 1995 Des weiteren ist vereinbart worden, den Tagesord-
hat die Militärjunta in Nigeria die Todesurteile nungspunkt IV d - es handelt sich um die abschlie-
gegen den nigerianischen Menschenrechtler Ken ßende Beratung eines Gesetzentwurfs der Fraktion
Saro-Wiwa und acht weitere Vertreter der Ogoni- Bündnis 90/Die Grünen zum Pflegeversicherungsge-
Minderheit bestätigt. Die Todesurteile, die von setz - abzusetzen. Sind Sie damit einverstanden? -
einem Militärgericht verhängt worden waren, stellen Ich höre keinen Widerspruch. Dann verfahren wir so.
eine eklatante Verletzung der Menschenrechte dar. Ich sehe hier gerade, daß wir zunächst eine
(Beifall im ganzen Hause) Geschäftsordnungsdebatte haben. Ich gehe von fol-
gendem aus: Die Fraktionen der CDU/CSU und der
Internationale Beobachter haben den Prozessen F.D.P. haben fristgerecht beantragt, die heutige
die Rechtmäßigkeit abgesprochen und wiederholt Tagesordnung um die erste Beratung ihres Entwurfs
auf den politischen Hintergrund der Verfahren hin- eines Arbeitslosenhilfe-Reformgesetzes zu erweitern.
gewiesen. Gegen die Todesurteile haben neben der Der Gesetzentwurf soll nach den Abstimmungen
Bundesregierung zahlreiche andere Regierungen zum Haushaltsgesetz 1996 mit einer Debattenzeit
sowie Menschenrechtsorganisationen protestiert. Der von einer Stunde aufgerufen werden.
Deutsche Bundestag hat sich bereits mit den Vorgän- Zu diesem Geschäftsordnungsantrag wird als
gen in Nigeria beschäftigt. erster Herr Hörster sprechen.
Die Todesurteile sind das neueste Glied in einer
langen Kette von Menschenrechtsverletzungen der Joachim Hörster (CDU/CSU): Frau Präsidentin!
nigerianischen Militärregierung. Seit der Annulie- Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Koali-
rung der freien Präsidentschaftswahlen im Juni 1993 tionsfraktionen hätten sich gewünscht, daß der
und der Machtübernahme durch das Militär wurden Gesetzentwurf zum Arbeitslosenhilfe-Reformgesetz
Oppositionspolitiker, Gewerkschaftsführer und Men- am gestrigen Donnerstag im Zusammenhang mit der
schenrechtler zu Hunderten verhaftet, gefoltert und Beratung des Haushaltes des Bundesministeriums
getötet. Es steht zu befürchten, daß die gegen Ken für Arbeit und Sozialordnung beraten worden wäre,
Saro-Wiwa und weitere acht Menschenrechtler ver- weil dieses Reformgesetz zusammen mit dem Asyl-
hängten Todesurteile binnen kürzester Zeit voll- bewerberleistungsgesetz eine zielgerichtete Neu-
streckt werden. orientierung von Sozialleistungen ermöglichen soll.
Dabei sollen auch Einsparungen in einer Größenord-
Deshalb fordert der Deutsche Bundestag die - nige- nung von zirka 3,4 Milliarden DM erzielt werden, die
rianische Militärregierung umgehend zur Rückkehr zum Haushalt für das Jahr 1996 gehören.
zu Demokratie und Rechtsstaatlichkeit auf. Wir ver-
urteilen die Todesurteile, verlangen deren unverzüg- Leider Gottes hat die Opposition ihr Einvernehmen
liche Aufhebung und die Freilassung von Ken Saro- zu der Beratung dieses Gesetzentwurfs am gestrigen
Wiwa und der mit der Todesstrafe bedrohten weite- Tag zusammen mit dem Haushalt verweigert,
ren Vertreter des Ogoni-Volkes.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Ich danke Ihnen. so daß uns nichts anderes übrigbleibt, als diesen
(Beifall im ganzen Hause) wichtigen Gesetzentwurf heute im Wege einer
Geschäftsordnungsentscheidung auf die Tagesord-
Ich komme jetzt zu den amtlichen Mitteilungen. nung aufzusetzen, damit 'er in die parlamentarischen
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Joachim Hörster
Beratungen eingeführt und ordentlich beraten wer- hier im Parlament eingebrachten Antrag auf Wegfall
den und schließlich auch in Kraft treten kann. der sogenannten originären Arbeitslosenhilfe sach-
lich geboten. Beide Male - sowohl beim Arbeitslo-
Dieser Gesetzentwurf will vor allem erreichen, daß
senbekämpfungsgesetz als auch beim geplanten
die Langzeitarbeitslosigkeit durch arbeitsmarktpoliti- -
Wegfall der originären Arbeitslosenhilfe - handelt es
sche Maßnahmen bekämpft werden kann und Lang-
sich um schwerwiegende Eingriffe in das im Arbeits-
zeitarbeitslose dem Arbeitsmarkt schneller wieder
förderungsgesetz geregelte Recht der Arbeitslosen-
zugeführt werden. Dazu sind verschiedene Maßnah-
hilfe. Hier gibt es einen unmittelbaren Sachzusam-
men in diesem Gesetzentwurf enthalten, wie zum
menhang, den Sie künstlich aufgelöst haben.
Beispiel die Zuweisung von Arbeitslosenhilfebe-
ziehern in allgemeine Maßnahmen zur Arbeitsbe- Die Bundesregierung hat umgekehrt den geplan-
schaffung, die Einführung von Trainingsmaßnahmen ten Wegfall der originären Arbeitslosenhilfe mit dem
für Arbeitslosenhilfebezieher zum Erwerb zusätz- sogenannten Asylbewerberleistungsgesetz gekop-
licher beruflicher Qualifikationen, die Einführung pelt und argumentiert, hier gäbe es einen Zusam-
einer Arbeitnehmerhilfe für Arbeitslosenhilfebe- menhang, weil es durch den geplanten Wegfall der
zieher, die ihnen die Entscheidung für die Aufnahme originären Arbeitslosenhilfe zu erheblichen Mehrbe-
auch einer schlechter entlohnten Arbeit erleichtern lastungen bei der Sozialhilfe käme. Zu diesen erheb-
soll, und schließlich auch die Verlängerung der Mög- lichen Mehrbelastungen bei der Sozialhilfe kommt es
lichkeit, einen bestehenden Anspruch auf Arbeits- aber auch beim Arbeitslosenbekämpfungsgesetz,
losenhilfe im Anschluß an eine selbständige Tätigkeit und zwar in massivem Umfang. Das haben die Kom-
oder an die Berücksichtigung von Einkommen und munen Ihnen vorgerechnet. Es hätte also, wenn
Vermögen geltend zu machen. überhaupt, nur Sinn gemacht, die drei Themen in
einem beratungsfähigen Gesetz zusammenzufassen.
Ich finde, daß diese vorgeschlagenen Maßnahmen
in die richtige Richtung gehen, notwendig sind und (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne-
im Parlament rechtzeitig beraten und entschieden ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRUNEN)
werden müssen. Deswegen ist es notwendig, die
Das wäre ein normales Verfahren gewesen.
Dinge heute im Anschluß an die Verabschiedung des
Bundeshaushaltes für das Jahr 1996 zu beraten. Statt dessen haben Sie, meine Damen und Herren
von der Koalition, eine geradezu chaotische Situation
Ich bitte das Haus, dem Aufsetzungsantrag zuzu-
heraufbeschworen.
stimmen.
(Dr. Peter Struck [SPD]: Wie immer bei die-
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
ser Regierung!)
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Zur Geschäftsord- Die parlamentarische Anhörung zur originären
nung Ottmar Schreiner. Arbeitslosenhilfe findet unter Federführung des gar
nicht zuständigen Gesundheitsausschusses noch im
November dieses Jahres statt, die parlamentarische
Ottmar Schreiner (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Anhörung zum Arbeitslosenbekämpfungsgesetz fin-
Kolleginnen und Kollegen! Für eine Erweiterung der det unter Federführung des Arbeits- und Sozialaus-
Tagesordnung um das Arbeitslosenbekämpfungsge- schusses im Dezember statt.
setz - das wäre der richtige Name, um den Sachver-
halt zu beschreiben - Ich sage Ihnen in aller Offenheit: Angesichts der
außerordentlich dramatischen Arbeitsbelastung des
(Beifall bei der SPD und der PDS sowie bei Arbeits- und Sozialausschusses führt dieses chaoti-
Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE sche Verfahren der Koalition zu einem Zustand, in
GRÜNEN) dem ein ordnungsgemäßes Verfahren, eine ord-
muß es schwerwiegende Gründe geben. Das gilt erst nungsgemäße Beratung der Gesetzentwürfe nicht
recht für eine Beratung während der Haushaltswo- möglich ist.
che. Denn bislang ist es guter parlamentarischer (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne-
Brauch, sich ganz auf die Haushaltsberatungen zu ten der PDS)
konzentrieren.
Sie stürzen den Arbeits- und Sozialausschuß ins
Im heutigen Fall sind schwerwiegende Gründe für blanke Chaos.
eine Ausnahme nicht zu erkennen. Wir lehnen die
Beratung deshalb ab. Das Gesetz soll schließlich erst Diese wirre Situation kann auch durch die Hals-
zum 1. April nächsten Jahres in Kraft treten. Warum über-Kopf-Debatte heute nicht verbessert werden. Es
angesichts dieser Datenlage der von der Koalition gibt keinen einzigen sachlichen Grund für eine Aus-
vorgesehene Schweinsgalopp noch in dieser Haus- nahmeregelung. Im Gegenteil: Die Handlungsmög-
haltswoche? Das gibt überhaupt keinen Sinn. Es gibt lichkeiten der Opposition werden ohne Grund
keinen Eilbedarf, um die Beratung in diesem beschnitten.
Schweinsgalopp durch das Parlament zu ziehen. Ich denke, der eigentliche Punkt, warum Sie die
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne Debatte in der Haushaltswoche geradezu verstecken
ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) wollen, liegt da rin, daß Sie die sozialpolitische Groß-
tat, vor allem die jährliche Herabstufung der Arbeits-
Zweiter Punkt. Was die Verbindung betrifft, wäre losenhilfe um 5 Prozent, vor der Öffentlichkeit ver-
eine Koppelung mit dem ebenfalls von der Koalition schleiern wollen. Das ist der eigentliche Grund,
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Ottmar Schreiner
warum Sie zu diesem merkwürdigen Manöver grei- nämlich auf Sozialkürzungen wie diese Arbeitslosen-
fen. hilfereform zu verzichten.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS-
ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN SES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der -
und der PDS) PDS)
Das Mindeste wäre doch, einmal darüber nachzu-
Nachdem der Kollege Hörster dazu ein paar Zah-
denken und nicht in einem solchen Hoppla-hopp-
len genannt hat, will ich denjenigen unter Ihnen, die
Verfahren, wie das hier gewünscht ist, darüber hin-
die Zahlen nicht kennen, zwei Zahlen zum Abschluß
wegzugehen. Wenn die IG Metall über ihren Schat-
nennen: 1994 betrug die durchschnittliche Arbeitslo-
ten springen kann, dann sollten auch Sie es versu-
senhilfe im Monat in Westdeutschland 1 008 DM. Die
chen; denn so lang ist der Schatten, den Sie, meine
durchschnittliche Arbeitslosenhilfe in Ostdeutsch-
Damen und Herren von den Regierungsfraktionen,
land betrug im Monat 782 DM.
werfen, auch nicht.
Rechnen Sie mir bitte vor, wie Menschen mit die- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
sem Einkommen im Monat über die Runden kom- sowie bei Abgeordneten der SPD und der
men sollen! PDS)
Sie sollten sich und uns nicht die Chance auf ein
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Schreiner, Sie „Bündnis für Arbeit" gleich wieder verscherzen.
reden zur Geschäftsordnung. Zumindest sind Sie der Gewerkschaft eine wirklich
öffentliche Debatte im angemessenen Rahmen schul-
dig.
Ottmar Schreiner (SPD): Sie wollen jetzt jährlich
um 5 Prozent abstufen. Das ist eine sozialpolitische (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Sauerei allerersten Grades, die Sie vor der Öffentlich- sowie bei Abgeordneten der SPD)
keit kaschieren wollen. Das würde Ihnen gleichzeitig die Zeit geben, über
eine andere Entscheidung ernsthaft zu diskutieren.
(Beifall bei der SPD und der PDS)
Sie, meine Damen und Herren von den Regie-
rungsfraktionen, wollen mit Ihrer Arbeitslosenhilfe-
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als nächste spricht reform für die Erwerbslosen eine Rutschbahn in den
zur Geschäftsordnung Frau Annelie Buntenbach für Billiglohnsektor installieren, einen Automatismus an
das Bündnis 90/Die Grünen. Absenkungen. Sie bieten den Menschen statt einer
Perspektive Ernteeinsätze und sogenannte Trai-
ningsmaßnahmen zur Überprüfung der Arbeitsbe-
Annelie Buntenbach (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- reitschaft.
NEN): Frau Präsidentin! Sehr geehrten Damen und
Herren! Auch wir lehnen die Aufsetzung des Tages- (Karsten D. Voigt [Frankfurt] [SPD]: Die
ordnungspunktes Arbeitslosenhilfereform für den Bundesregierung in den Ernteeinsatz!)
heutigen Tag ab; nicht weil wir früher ins Wochen- Sie verschärfen die Kontrollen, statt die Angebote
ende wollen, sondern weil die Debatte so zentral ist, zu erweitern. Dabei reden Sie aber ständig von all
daß sie zu einem vernünftigen Zeitpunkt in der näch- den neuen Brücken, die Sie in den Arbeitsmarkt hin-
sten Sitzungswoche geführt werden muß. einbauen wollen. Weil Sie aber nicht mehr aktive
Arbeitsmarktpolitik anbieten wollen, bleibt dies alles
Wir wissen doch alle aus Erfahrung, daß die Dis- pure Rhetorik,
kussionen am Freitagnachmittag so spät, wie sie
heute stattfinden werden, faktisch unter Ausschluß (Zuruf von der CDU/CSU: Zur Geschäfts-
der Öffentlichkeit stattfinden. Das ist dem öffentli- ordnung!)
chen Interesse und der Brisanz des vorliegenden
Gesetzentwurfs überhaupt nicht angemessen. sozial und anrührend, wie das Herr Blüm meisterhaft
beherrscht. Auch Minister Seehofer hat hier beachtli-
Er hat für die Betroffenen und für die, die es noch che Qualitäten unter Beweis gestellt.
treffen kann, große Bedeutung. Er hat für die Kom-
munen Bedeutung, auf die durch Ihre Politik des Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Frau Buntenbach,
Sozialabbaus und der Verschiebung von Kostenstel- reden Sie zur Geschäftsordnung?
len neue Belastungen und Anforderungen zukom-
men. Er hat nicht zuletzt für die Gewerkschaften
große Bedeutung. Annelle Buntenbach (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): Ja. - Wenn man unter dem wallenden Mantel
Wenn von diesem Redepult aus in der letzten Sit- der Sozialrhetorik die Härten einer unverantwortli-
zungswoche immer wieder positiv auf die Initiative chen Sparmaßnahme gegenüber den Armsten ver-
des IG-Metall-Vorsitzenden Zwickel Bezug genom- stecken will, dann ist es auch besser, wenn niemand
men worden ist, dann sollten Sie, Herr Blüm, doch mitbekommt, worum es in der Sache wirklich geht.
wenigstens ernst nehmen, daß diese Initiative Dafür sind ohne Zweifel Debatten, versteckt in der
„Bündnis für Arbeit" auch Ihnen etwas abverlangt, Vielfalt von Haushaltswochen oder spät an Freitag-
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Annelie Buntenbach
nachmittagen, bestens geeignet. Inzwischen glaube In der Debatte zum Einzelplan des Bundesmi-
ich, daß dieses Vorgehen Methode hat. nisters für Arbeit und Sozialordnung am gestrigen
Tage ist immer wieder darauf hingewiesen worden,
In der vorigen Sitzungswoche war es das Asylbe- daß gerade der Bereich der Langzeitarbeitslosigkeit
werberleistungsgesetz, das Sie auf diese Weise recht
einer besonderen Aufmerksamkeit bedarf. Durch
unauffällig durch die erste Lesung gebracht haben. den Gesetzentwurf zum Arbeitslosenhilfe-Reformge-
Die Diskussion über die Arbeitslosenhilfereform setz will die Koalition durch verschiedene Maßnah-
kann aber nicht am Rande des Plenargeschehens men den Menschen, die unter Arbeitslosigkeit lei-
abgehandelt werden. Das, meine Damen und Herren den, Möglichkeiten zur Verbesserung ihrer Situation
von den Regierungsfraktionen, sind Sie dem Parla- geben. Es geht um eine produktive Arbeitsförde-
ment schuldig, rung, um die Erschließung zumutbarer Beschäfti-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) gungsmöglichkeiten und gleichermaßen um eine
Garantie des Rechtsanspruchs auf Arbeitslosenhilfe,
denn Sie haben uns in dieser Sache schon einiges auch bei Übernahme zeitweiliger Beschäftigung.
zugemutet. Im Juli, in der parlamentarischen Som-
merpause, teilen Sie, Herr Blüm, Ihre Pläne der Gleichermaßen will der Gesetzentwurf den Bun-
Presse mit. deshaushalt entlasten, und zwar in den Haushalts-
jahren 1996 bis 1998 um jeweils 2,1 Milliarden DM.
(Dr. Hermann Otto Solms [F.D.P.]: Zur Das brauchen wir auch dringend, meine Damen und
Geschäftsordnung!) Herren.
Dann dauert es fast vier Monate, bis wir eine bera- Die Regierungskoalition kommt ihrem Gestal-
tungsfähige Vorlage im Parlament haben. Ein Haus- tungsauftrag nach, und Sie, Frau Kollegin Bunten-
halt wird aufgestellt und verabschiedet, in dem Ein- bach, haben heute nachmittag hinreichend Gelegen-
sparungen festgeschrieben sind, für die es überhaupt heit, hier ausführlich zu debattieren. Wir sind gerne
noch keine gesetzliche Grundlage gibt. Das hätten bereit, die Debattenzeit noch zu verlängern. Der Tag
Sie übrigens auch nicht mehr geheilt, wenn der hat 24 Stunden und endet nicht mittags um 14 Uhr.
Gesetzentwurf gestern beim Abschluß der Haus-
haltsplanberatung in erster Lesung zum ersten Mal (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)
beraten worden wäre. Solch seltsames Vorgehen ent-
spricht in keiner Weise der Bedeutung des Parla-
ments. Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Für die PDS spricht
Dagmar Enkelmann.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Wir werden die Aufsetzung dieses Tagesordnungs- Dr. Dagmar Enkelmann (PDS): Frau Präsidentin!
punktes für heute nachmittag ablehnen und fordern Meine Damen und Herren! Die PDS lehnt den
eine angemessene Debatte in der nächsten Sitzungs- Antrag der Koalition ab. Ich denke, es darf schon
woche. gefragt werden, aus welchem Grund dieser Gesetz-
entwurf in einem solchen Affentempo hier durchge-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
zockt werden soll.
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Für die F.D.P. die Kollege Schreiner, eigentlich paßt es aber doch
Kollegin Ina Albowitz. ganz gut in die Haushaltsberatungen. Denn das, was
hier Reform der Arbeitslosenhilfe genannt wird, ist
letzten Endes Teil eines Haushaltssanierungspro-
Ina Albowitz (F.D.P.): Frau Präsidentin! Meine sehr gramms, und zwar gerade zu Lasten der Nichtbesser-
verehrten Damen und Herren! Ich stelle fest: Sie verdienenden, Frau Kollegin Albowitz, ist Teil der
haben gerade die großen Reformer des sozialen Rotstiftpolitik dieser Bundesregierung im Sozialbe-
Umbaus gehört. reich, ist Teil des Sozialabbaus, der hier stattfindet.
Meine Damen und Herren, die F.D.P.-Fraktion (Beifall bei der PDS)
befürwortet die Aufsetzung des Entwurfs eines
Gesetzes zur Reform des Rechtes der Arbeitslosen- Hier wurden ja in den letzten Tagen während der
hilfe auf die heutige Tagesordnung. Dieser Gesetz- Haushaltsberatung wahre Krokodilstränen vergos-
entwurf flankiert die Haushaltsberatungen, insbe- sen. Kanzler Kohl beispielsweise hat am Mittwoch
sondere die zum Einzelplan des Bundesministers für gesagt, Arbeitslose hätten vor allem das Gefühl,
Arbeit und Sozialordnung. Es besteht - das ist in die- nicht gebraucht zu werden. „Deshalb", so Kohl,
sem Hause doch völlig unumstritten - dringender „werden wir die Wettbewerbsfähigkeit der Wirt-
Handlungsbedarf für den Gesetzgeber, der Tendenz schaft stärken. " Warum tun Sie es dann nicht?
entgegenzuwirken, daß die Arbeitslosenhilfe zuneh-
mend zu einer Dauerleistung wird, und dafür zu sor- Einer zusätzlichen Debatte über eine arbeitsplatz-
gen, daß die Bezieher von Arbeitslosenhilfe bessere schaffende Steuer- und Investitionspolitik hätten wir
Möglichkeiten erhalten, durch vorübergehende freudig zugestimmt. Nur: Sie zäumen das Pferd am
Tätigkeiten bessere Aussichten zur Wiedereingliede- Schwanz auf. Sie halten sich schamlos an den
rung in den Arbeitsprozeß zu bekommen. Schwächsten dieser Gesellschaft schadlos, bei denen
ohnehin nicht mehr allzu viel zu holen ist. Da küm-
(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU - mert Sie das Gefühl der Betroffenen offenkundig
Zuruf von der SPD: Schafft Arbeit!) einen feuchten Kehricht.
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 69. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. November 1995 6035
Dr. Dagmar Enkelmann
Am Donnerstag war von Graf Lambsdorff hier mit Es liegen zwei Änderungsanträge der Fraktion
fast tränenerstickter Stimme zu hören, die Kürzung Bündnis 90/Die Grünen und ein Änderungsantrag
der Arbeitslosenhilfe sei sicher „für manche bitter". der Gruppe der PDS vor.
DiesMtgfühlkancdemKogLbsrf
allerdings nicht abnehmen. Auch Minister Blüm Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für
sprach von menschlichen Schicksalen, die hinter den die Aussprache anderthalb Stunden vorgesehen. -
Zahlen der Arbeitslosenentwicklung stehen, und Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Wir können so
sagte, man müsse den Betroffenen massive Hilfe verfahren.
geben. Wie die aussieht, genau das werden wir wohl Ich eröffne die Aussprache. Es beginnt der Kollege
heute nachmittag sehen: Leistungskürzung über die Dieter Schanz.
Schmerzgrenze hinaus. (Unruhe)
Warum gehen Sie nicht endlich an den Kragen
- Ich bitte Sie, Platz zu nehmen, damit Herr Kollege
derer, die sich mit Steuerhinterziehung und Subven-
Schanz beginnen kann. - Ich bitte die Kollegen, ihre
tionsbetrug eine goldene Nase machen?
Gespräche draußen zu führen und den Saal zu ver-
(Beifall bei der PDS) lassen. Wir möchten hier weitermachen. - Herr
Schanz.
Der Bundestag wird sicher dank Ihrer Mehrheit
nachher den chaotischsten Haushalt aller Zeiten ver-
abschieden. Die anschließende Debatte zur Arbeits- Dieter Schanz (SPD): Frau Präsidentin! Meine
losenhilfereform macht dann auf das Dilemma auf- Damen und Herren! Die „Frankfurter Rundschau"
merksam. Sie kündigen hier Hilfe an, unter anderem vom 18. Oktober 1995 schrieb unter der Überschrift
durch den verstärkten Einsatz von Arbeitsbeschaf- „Zukunft als Zauberwort der CDU - Rüttgers möchte
fungsmaßnahmen. Aber im Haushalt 1996 sind keine Pakt mit den Kreativen", daß der CDU-Politiker für
zusätzlichen Mittel dafür eingestellt. Damit werden seine von zahlreichen Delegierten als schwach emp-
die Löcher im sozialen Netz immer größer. Es wird fundene Rede nur mäßigen Beifall erhielt.
ein wahnsinniger Verdrängungswettbewerb stattfin-
den. Die Kommunen werden immer stärker belastet. (Michael Glos [CDU/CSU]: Ja, so ein
Unsinn! Stimmt doch gar nicht! Ist eine Zei-
Genau da machen wir nicht mit, und ich fordere tungsente! Typisch „Frankfu rter Rund-
Sie deshalb auf: Lassen Sie das heute bleiben! schau" !)
(Beifall bei der PDS) Das verwundert schon, ist aber auch erklärlich. Denn
wer mit so viel Vorschußlorbeeren angetreten ist und
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Wir kommen zur zum zweiten Mal einen Einzelplan für den Bereich
Abstimmung. Wer stimmt für den Aufsetzungsantrag Forschung, Technologie und Bildung verantworten
der Koalitionsfraktionen? - Wer stimmt dagegen? - muß, der die Erwartungen in keiner Weise erfüllt, hat
Enthaltungen? - Damit ist der Aufsetzungsantrag mit selbstverständlich nichts im Rücken, und das hat er
den Stimmen der CDU/CSU und F.D.P. gegen die auch gespürt.
Stimmen der SPD, des Bündnisses 90/Die Grünen (Beifall bei der SPD)
und der PDS angenommen. Der Gesetzentwurf wird
Wenn dann noch ein bißchen Sensibilität hinzu-
als letzter Punkt der heutigen Tagesordnung aufge-
kommt, was ich ihm gern unterstelle, wirkt man, so
rufen.
weiß man, selten überzeugend. Seine Truppen in
Bonn haben ihn mal wieder im Regen stehenlassen.
Wir setzen die Haushaltsberatungen - Punkt I -
fort: Von der zugesagten Offensive für Bildung, Wissen-
schaft, Forschung und Technologie ist auch im Bun-
Zweite Beratung des von der Bundesregierung
deshaushalt 1996 nichts zu spüren.
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über
die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für (Beifall bei Abgeordneten der SPD)
das Haushaltsjahr 1996
(Haushaltsgesetz 1996) Statt eines überproportionalen Wachstums, wie
angekündigt, wird nicht einmal die Preissteigerungs-
- Drucksachen 13/2000, 13/2593 -
rate ausgeglichen. Entgegen dem Regierungsent-
(Erste Beratung 50. Sitzung) wurf, der Ausgaben in Höhe von 15,62 Milliarden
DM vorsah, hat die Koalition für diesen Geschäftsbe-
Ich rufe den Einzelplan 30 auf: reich einen um 24,5 Millionen DM reduzierten Pla-
Einzelplan 30 fond, d. h. einen solchen von rund 15,595 Milliarden
DM, beschlossen. Meine Damen und Herren, ohne
Bundesministerium für Bildung, Wissen- zusätzliche Mittel können aber neue Themen, kön-
schaft, Forschung und Technologie nen Innovationen so gut wie nicht angestoßen wer-
- Drucksachen 13/2622, 13/2626 - den.
Berichterstattung: Forschungspolitik verkommt unter dieser Bundes-
Abgeordnete Dieter Schanz regierung zu einer Politik der Mängelverwaltung
Antje Hermenau und des Stopfens von Löchern.
Steffen Kampeter
Jürgen Koppelin (Beifall bei der SPD)
6036 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 69. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. November 1995
Dieter Schanz
Spielraum für neue Maßnahmen, wie die überfällige Meine Damen und Herren, die Aufwendungen der
Aufstiegsfortbildung und die notwendige Aufstok- Wirtschaft für Forschung und Entwicklung fallen
kung beim Hochschulbau sowie die Förderung von drastisch. Hierfür tragen Sie Mitverantwortung, weil
Wissenschaftsorganisationen, soll durch die vorgese- es der Bundesregierung insgesamt nicht gelingt, die
hene volle Verzinsung der auf einen Schattenhaus- deutsche Wirtschaft davon zu überzeugen, daß sie-
halt übertragenen BAföG-Darlehen gewonnen wer- auf diesem Feld mehr tun muß. Im Rahmen der Ver-
den. Diese Pläne werden von den Ländern ebenso abschiedung des Haushalts 1995 habe ich Ihnen für
wie von den Betroffenen abgelehnt. die SPD-Fraktion für die Bemühungen, die deutsche
Industrie zu animieren, mehr für Forschung und Ent-
Meine Damen und Herren, es ist wahr: Eine Indu- wicklung auszugeben, unsere volle Unterstützung
strienation, zugegebenermaßen eine große Industrie- zugesagt. Dies gilt auch heute noch.
nation, die über ausreichende Bodenschätze nicht
verfügt, muß, wenn sie ökonomisch und ökologisch Ein Beispiel dafür sind die in den EVU angesam-
überleben will, wenn sie sich weiterentwickeln will, melten Rücklagen, die nunmehr auch im Einsatz
andere Ressourcen mobilisieren und einsetzen. etwa beim Rückbau der Reaktoren oder bei Markt-
Wenn der Haushalt das Schicksalsbuch der Nation einführungsstrategien für alternative Energietechno-
ist, so sind Forschung und Technologie, Innovation logie aktiviert werden müssen. Hier müssen die Rah-
und Entwicklung neuer Produkte, sind Bildung und menbedingungen entsprechend den Erfordernissen
Wissenschaft sowie qualifizierte Berufsausbildung der Modernisierung unserer Industriegesellschaft
grundlegende Voraussetzungen für die Weiterent- gesetzt werden.
wicklung des Forschungs- und Bildungsstandorts
Deutschland. Es sind die Voraussetzungen für wirt- Aber auch durch gezielte Unterstützung von for-
schaftliche und soziale Stabilität in unserem Lande. schungs- und technologieintensiven Unternehmen
insbesondere in den neuen Ländern muß die Umset-
(Beifall bei der SPD) zung neuer Produkte beschleunigt werden. Gerade
kleinere und mittlere Unternehmen bieten durch die
Im Grunde genommen hängen die Bedeutung des schnelle Reaktion auf den Markt die Garantie für
Standorts und seine Wettbewerbsfähigkeit an drei langfristige Erfolge. Bisher hat die Bundesregierung
Fragen. Das ist einmal die Frage der Investitionskraft versäumt, mit entsprechenden Hilfen die nötige
der Unternehmen, das ist zweitens die Frage von For- Unterstützung zu leisten.
schung und Entwicklung, und es ist drittens die
Frage von Bildung und Ausbildung. (Beifall bei der SPD)
Vor diesem Hintergrund, Herr Minister Rüttgers, Unseren diesbezüglichen Antrag im Haushaltsaus-
will ich Ihnen nicht allein die Verantwortung und schuß zum Einzelplan 30 haben Sie abgelehnt.
schon gar nicht die Schuld dafür zuweisen, daß in Gegen die Stimmen der gesamten Opposition hat die
den zurückliegenden Jahren dieser Einzelplan die Koalition gegen die Aufstockung der Beteiligung am
Ausgaben für Bildung und Forschung, im Vergleich Innovationsrisiko von technologieorientierten Unter-
zu anderen Staatsausgaben und -aufgaben nicht mit nehmen gestimmt und den Ansatz auf einem Niveau
gewachsen ist. Nicht zu Unrecht spricht man von der von 72,2 Millionen DM festgeschrieben.
Wilms- und Riesenhuber-Delle, die für 1996, bezogen
auf den Einzelplan 30, hochgerechnet ein Defizit von Abgelehnt haben sie auch unseren Antrag auf Ein-
etwa 3,5 Milliarden DM ausmacht. stellung eines Lehrtitels zur Fortführung des Hoch-
schulsonderprogramms I, obwohl alle Experten im
Stellen wir uns einmal vor, stellen Sie sich einmal Rahmen einer öffentlichen Anhörung des Fachaus-
vor, Herr Rüttgers, was heute, da alle Welt erkannt schusses diese Notwendigkeit eindeutig unterstri-
hat, daß Forschung und Entwicklung für eine Indu- chen haben. Der Auf- und Ausbau einer Forschungs-
strienation von höchster Bedeutung sind, machbar landschaft, einer gesunden Hochschullandschaft in
wäre, machbar auch für die Entwicklung einer funk- den neuen Ländern ist aber die Voraussetzung für
tionierenden Forschungslandschaft in den neuen wirtschaftliche Entwicklung und Stabilität. Dies miß-
Bundesländern! achteten Sie auch, als Sie unseren Antrag für den
Aus- und Neubau von Hochschulen ablehnten.
(Beifall bei der SPD)
Gefolgt sind Sie unserem Antrag, für 1996, aber
Die Technologiebasis der deutschen Wirtschaft auch für die Folgejahre für die Ausbildungsplatzsi-
erodiert. Im Kern besteht unsere Exportbasis aus cherung als Gemeinschaftsaufgabe von Bund und
Branchen und Produkten mit mittlerem Technologie- neuen Ländern Mittel in Höhe von 137 Millionen DM
gehalt. Hier ziehen die Wettbewerber aus Asien und einzustellen.
in Zukunft aus Osteuropa zunehmend nach, viel-
leicht auch vorbei. Daß Sie, Herr Rüttgers, jetzt vom (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das war
Bundeskanzler anstelle des Wirtschaftsministers für doch nicht Ihre Idee!)
die südostasiatischen Wachstumsregionen Verant-
wortung übertragen bekommen haben, unterstreicht - Sehr wohl, Herr Kampeter.
diese Feststellung. Ich wünsche Ihnen bei dieser
Arbeit viel Erfolg; denn es stimmt: Dort liegt die Meine Fraktion und ich begrüßen diesen Sachver-
Zukunft unserer Exporte, dort liegen die Zukunfts- halt; denn es kann nicht hingenommen werden, daß
märkte. junge Menschen in den neuen Ländern nach Entlas-
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Dieter Schanz
sung aus den Grundschulen etc. ohne Perspektive schung fällt, denn diese ist allzumal notwendig. Man
ins Leben gehen. könnte diese frohe Botschaft nach draußen vertreten.
Das ist aber nicht so.
(Beifall bei der SPD)
Die Koalition war sich nicht zu schade - im Gegen- -
Dennoch, meine Damen und Herren von der Koali- satz zur Meinung Ihres Hauses, Herr Rüttgers -, in
tion, Herr Rüttgers, sollten wir aus ordnungspoliti- diesem Punkte sogar einen Haushaltsvermerk zu
schen Gründen sehr sorgfältig mit dieser Subventio- beschließen, welcher besagt, daß diese Mittel aus-
nierung von Ausbildungsplätzen umgehen. schließlich zur Finanzierung eines Projekts, nämlich
Wer beispielsweise das duale System in der beruf- des Strato-C2-Fliegers der Firma Grob, zur Verfü-
lichen Bildung - hier geht es nicht nur um Handwerk gung gestellt werden.
und Gewerbe - feiert, sollte immer wieder deutlich (Karl Diller [SPD]: Da hört man genau hin!
machen, daß es sich dabei nur um eine vorüberge- Rossmaniths Wahlkreis!)
hende, aus der Not geborene Aufgabe handeln darf.
Wenn nämlich Handwerksbetriebe und Unterneh- Dies ist vor dem Hintergrund der Tatsache gesche-
men der gewerblichen Wirtschaft Ausbildungsplätze hen, daß wir im Mai dieses Jahres einen sehr kriti-
nur deshalb zur Verfügung stellen, weil der Staat schen Bericht über Ablauf und Ergebnis dieser For-
entsprechend hoch subventioniert, befinden wir uns schungslinie im Haushaltsausschuß diskutiert haben
auf einem gefährlichen, ja, sehr gefährlichen Weg. mit der Maßgabe, strengste Kriterien anzuwenden,
um hier endlich zu einem positiven Ergebnis zu kom-
(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Antje men.
Hermenau [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) (Beifall bei der SPD)
Ich will nicht mißverstanden werden: Diese Auf- Dabei ist die Rolle der F.D.P. besonders bemerkens-
gabe muß finanziert werden; denn die Leidtragen- wert, handelt es sich doch fast um eine direkte Sub-
den wären die jungen Menschen in den neuen Län- vention.
dern. Es darf aber keine Dauersubvention erfolgen,
nur weil die Bundesregierung insgesamt auf diesem Auch an dieser Stelle möchte ich nicht mißverstan-
Feld ihre großspurigen Versprechungen nicht einge- den werden. Ich weiß, daß es sich bei der genannten
löst hat. Firma um ein hochinnovatives Unternehmen han-
delt. Ich weiß auch, daß diese Forschungslinie,
Abgelehnt haben Sie ebenfalls einen Titel, den wir würde sie zum Erfolg führen, für die Bundesrepublik
unter der Überschrift „Starthilfe An-Institute neue Deutschland und für die Klimaforschung von großem
Länder" beantragten. Jedem von uns ist klar, daß Wert wären, und ich bin mir auch darüber klar, daß
über An-Institute der Hochschulen flächendeckend bei dieser Firma Arbeitsplätze gesichert werden müs-
eher eine Forschungs- und Entwicklungslandschaft sen. Wenn das aber so ist, meine Damen und Herren,
aufgebaut werden kann, als wenn man nur am warum dann in aller Heimlichkeit und Stille und
Standort der Hochschulen entsprechend investiert. außerhalb einer öffentlichen Debatte? Warum so
Gerade in Nordrhein-Westfalen, insbesondere in der klammheimlich? Gibt es da etwas zu verbergen?
strukturschwachen Region des nördlichen Reviers,
hat sich gezeigt, daß über An-Institute der Universi- Hinsichtlich des IPP Stellerator Experiments,
täten Duisburg, Essen, Bochum und Dortmund Ent- eines Forschungsprojekts der Max-Planck-Gesell-
wicklungschancen für schwächere Regionen wach- schaft in Greifswald, habe ich im Haushaltsausschuß
sen. Diese Erfahrung sollten wir, vor allem Sie, für auf einen entsprechenden Antrag zur Realisierung
die neuen Länder nutzen. dieses Forschungsprojekts verzichtet, weil mir im
Rahmen des Berichterstattergesprächs zugesichert
Meine Damen und Herren, vor dem Hintergrund wurde, die Maßnahme könne, wenn die entspre-
der Debatten der letzten Tage, in denen seitens der chenden Rahmenbedingungen gesetzt sind, aus dem
Koalition wiederholt die interessanten Vorschläge laufenden Haushalt finanziert werden. Herr Minister,
des IG-Metall-Vorsitzenden Zwickel erwähnt wur- meine Damen und Herren, ich erinnere Sie daran,
den, stimmt es fast traurig, daß die Koalition seit Jah- hier Wort zu halten, denn es ist wichtig für die For-
ren dabei ist, den Haushaltstitel „Arbeit und Tech- schungslandschaft Ost.
nik" zurückzufahren. Alle Appelle des DGB und der
Einzelgewerkschaften, aber auch andere Wissen- Zum wiederholten Male haben wir uns bei den
schaftseinrichtungen unter der Überschrift „For- Erörterungen zum Geschäftsbereich des Einzel-
schung im Bereich einer sich ständig verändernden plans 30 mit der Etatisierung der globalen Minder-
Arbeitswelt" auch unter der Überschrift „Flexibili- ausgabe beschäftigt. Für Haushälter ist es uner-
sierung nicht behindern" haben die Koalition nicht träglich, hinzunehmen, daß ein Ministerium die
daran gehindert, unseren Antrag auf entsprechende Möglichkeit hat, frei über 129 Millionen DM ohne
Erhöhung abzulehnen. Herr Rüttgers behauptet eigentliche Haushaltskontrolle, die notwendig wäre,
gerade zu diesem Forschungsfeld, es sei eine Spiel- zu operieren.
wiese für irgendwelche Zurückgebliebene. Meine Damen und Herren, statt mit uns gegen die
globale Minderausgabe zu stimmen, sattelt die Koali-
Vor diesem Hintergrund empfinde ich es, meine
tion noch 29 Millionen DM drauf. Ich halte das für
Damen und Herren, geradezu als Bubenstück, daß
einen Skandal.
mir nichts, dir nichts rund 22 Millionen DM für die
Klimaforschung zusätzlich bereitgestellt werden. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne-
Nun könnte man jubeln, wenn das Wort Klimafor ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
6038 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 69. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. November 1995
Dieter Schanz
Ich frage meine Kollegen Mitberichterstatter, ob sie Erfolg zu wünschen; denn dieser Erfolg wäre unser
das weiterhin so mittragen wollen. Wenn mein Kol- aller Erfolg.
lege Karl Diller den Haushalt 1996 generell mit dem
Etikett „ohne Klarheit und Wahrheit" versehen hat, (Beifall bei Abgeordneten der SPD - Beifall
so tut er recht damit, denn gerade dies ist ein klassi- bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
sches Beispiel für eine Haushaltsvernebelungsak- Die Präsenz Deutschlands auf den neu entstehen-
tion. den Märkten Asiens, Lateinamerikas, Osteuropas
(Beifall bei der SPD) und der GUS muß dringend verstärkt werden. Wir
Nun wird sich sowohl der Fachausschuß als auch fordern die Unterstützung kleinerer und mittlerer
der Haushaltsausschuß in Kürze mit dem Entwurf Unternehmen, damit eine handels- und kooperati-
eines Gesetzes zur Förderung der beruflichen Auf- onsfördernde Infrastruktur in diesen neu entstehen-
stiegsbildung auseinandersetzen. Meine Damen und den Märkten aufgebaut werden kann. Herr Rüttgers
Herren, meine Fraktion begrüßt grundsätzlich diese hat die Zuständigkeit dafür anstelle des Wirtschafts-
Absicht, nämlich die Förderung der beruflichen Auf- ministers erhalten - ich verstehe das sehr gut -; er
stiegsfortbildung wiederherzustellen und einen muß schnell handeln. Wie auch mein Kollege Uwe
Rechtsanspruch auf individuelle Förderung gesetz- Jens festgestellt und gefordert hat, brauchen wir eine
lich zu verankern. Die berufliche Aufstiegsfortbil- Industriepolitik, die versucht, Wachstumshemmnisse
dung ist ein überfälliger Beitrag zur Herstellung der abzubauen und Innovationskräfte freizusetzen.
Gleichwertigkeit von allgemeiner und beruflicher Der südostasiatische Markt wäre auch für die deut-
Bildung. sche Forschungs- und Entwicklungslandschaft von
Ich vermag nicht einzusehen, daß ein qualifizierter großem Interesse. Dazu gehört natürlich auch die
Facharbeiter in dieser Gesellschaft nicht gleiche Auf- Koordination von Forschungs und Entwicklungs-
-
stiegschancen hat wie ein Abiturient oder Hoch- aktivitäten zwischen Unternehmen, Universitäten
schulabsolvent. Auch der Zugang zur Hochschulbil- und sonstigen Forschungseinrichtungen. Über diese
dung muß liberalisiert und für jede Frau und jeden verfügt die Bundesrepublik Deutschland. Ich erin-
Mann offen gestaltet werden. Selbstverständlich sind nere hier nur an die Max-Planck-Gesellschaft, die
Qualifizierungskriterien notwendig. Hierüber sollten Fraunhofer-Gesellschaft und die Deutsche For-
wir sachgerecht diskutieren. Die deutsche Wirtschaft schungsgemeinschaft. Ich verweise auf ein beträcht-
und die Gesellschaft schlechthin benötigen qualifi- liches Kapital. Die Politik, Herr Minister Rüttgers, hat
zierte, bildungsorientierte Facharbeiter. Sie sind die entsprechenden Rahmenbedingungen zu setzen.
heute oftmals dringend notwendiger als Absolventen Sie müssen organisieren und koordinieren, initiieren,
von Hochschulen. aber auch finanzieren. Damit ist es in Ihrem Hause
nicht gut genug bestellt.
Ich will nun der Debatte im Fachausschuß und im
Haushaltsausschuß nicht vorgreifen und vorschnell (Beifall bei der SPD)
bewerten. Kritisieren muß ich aber den vorgelegten Die Ausstattung des Einzelplans 30, der Finanzrah-
Gesetzentwurf, denn er ist unzureichend; kritisieren men Ihres Hauses, reicht hierfür nicht aus. Sie wer-
muß ich den Zeitdruck, unter dem wieder beraten den verstehen, daß wir dem Einzelplan 30 unsere
und entschieden werden soll; und kritisieren muß ich Zustimmung nicht geben können. Wir hätten das
die erkennbare Finanzierungslücke für diese Sach- gern getan, weil er, wie ich schon gesagt habe, von
entscheidung. einem hohen Stellenwert für die Bundesrepublik
(Beifall bei der SPD) Deutschland ist.
Meine Damen und Herren, die Förderung der Aus- Herzlichen Dank.
bildung von qualifzierten Fach- und Führungskräf-
ten in mittleren Managementbereichen ist zur Siche- (Beifall bei der SPD)
rung der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wi rt
-schaftdringeol.Dsurwiebh
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als nächster
unter der Überschrift „Meister-BAföG" zu subsumie-
spricht zum Einzelplan 30 der Kollege Steffen Kam-
ren reicht, wie Sie ja selbst sagen und wissen, nicht
peter.
aus.
Die von meiner Fraktion eingebrachten Anträge Steffen Kampeter (CDU/CSU): Frau Präsidentin!
zum Einzelplan 30 wurden, wie Sie wissen, ausrei- Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vor eini-
chend begründet. Wenn der Zukunftsminister eine gen Tagen hat der Präsident der Deutschen For-
Zukunft haben soll, hätten Sie diesen Anträgen schungsgemeinschaft, Professor Wolfgang Frühwald,
zustimmen müssen; denn wir sind uns ja darin einig, auf einem Kongreß auf die rasch zunehmende
daß die in diesem Ministe rium zusammengefaßten Geschwindigkeit aller Lebensprozesse hingewiesen.
Zielsetzungen und Aufgaben tatsächlich für den Ein heute geborenes Kind werde mit 75 Jahren, in
Wirtschaftsstandort Deutschland von höchster Priori- der zweiten Hälfte des 21. Jahrhunderts, zu den
tät sind. Wenn ich das aus der Opposition heraus erfahrenen Menschen gezählt werden können.
sage, will ich damit durchaus unterstreichen, daß die
Aufgabe, die er zu erfüllen hat, eine sehr wichtige Wenn wir heute einmal zurückblicken, was in den
und lohnende ist; denn sie liegt im Interesse unseres vergangenen 75 Jahren alles geschehen ist: Aufstieg
Volkes, in unser aller Interesse. Ich komme deshalb und Fall des Nationalsozialismus, Aufstieg und Fall
nicht umhin, Ihnen, Herr Rüttgers, bei Ihrer Aufgabe des Kommunismus, Weltkrieg, Völkermord, die
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Steffen Kampeter
Atombombe, der erste Mensch auf dem Mond, Ich erinnere an dieser Stelle auch daran, was in
eine enorme Explosion von Wissenschaft, Technik den letzten Jahren an Anpassungslasten z. B. im Wis-
und Verkehr; und in der gleichen Zeit, in der 1927 senschaftsbereich in den neuen Ländern passiert ist.
Charles Lindbergh den Atlantik von New York Wir haben diesen Instituten viel zugemutet. Wir sind
nach Paris überquerte, nämlich in 33 Stunden, auf großen Veränderungs- und Anpassungswillen
fliegt heute ein Jet um die Welt, wird deutlich, gestoßen. Ich würde mir wünschen, daß sich manche
welchen unvorstellbaren Wandel der Erfahrung wir andere Wissenschaftseinrichtungen in den anderen
in den nächsten 75 Jahren in dieser Welt zu erwar- Bundesländern hiervon wenigstens ein Stückchen
ten haben. abschneiden würden und bereit wären, die Lasten zu
tragen, die viele Forschungs- und Wissenschaftsein-
Damit wird auch deutlich, daß die Gestaltung der richtungen in den neuen Bundesländern in den ver-
Zukunft, die emotional bei vielen Menschen in gangenen Jahren haben tragen müssen.
Deutschland mit dem Weg und dem Wechsel ins
21. Jahrhundert verbunden ist, zu den wichtigsten Für den Etat 1996 gilt: Bildung, Wissenschaft, For-
Anliegen der politischen Gegenwartsdiskussion schung und Technologie sind Kernanliegen unserer
gehört. Die Union ist in Deutschland die politische Politik. Dabei wollen wir alle Kreativitätsreserven für
Kraft, in der die Zukunftsgestaltung im Mittelpunkt die Zukunftsgestaltung mobilisieren.
des politischen Handelns steht.
(Beifall bei der CDU/CSU)
(Beifall bei der CDU/CSU - Zurufe von der
SPD) Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren von
der Opposition, gefallen sich hingegen - das wird
Dabei geht es sowohl darum, Bewährtes für das durch Ihr Verhalten bei den Haushaltsberatungen
21. Jahrhundert zu sichern, als auch darum, zugleich sehr, sehr deutlich - in der Rolle des Zukunftsverwei-
auf die vielfältigen und neuen Fragen hinreichende gerers, des Verhinderers von technischem Fortschritt.
Antworten zu entwickeln. Dies wird, um ein Beispiel
zu nennen, deutlich durch die politischen Akzente (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:
im Einzelplan 30, im Etat des Bundesministers für Bil- Das ist doch Quatsch!)
dung, Wissenschaft, Forschung und Technologie
oder neuerdings: des Zukunftsministers. Sie versagen vor der politischen Aufgabe, den Weg
ins 21. Jahrhundert zu gestalten.
Während der Bundeshaushalt insgesamt in den
Etatberatungen um 1,4 Prozent sinkt, haben wir in Um noch einmal das Bild von dem heute neugebo-
diesem Etat einen Aufwuchs um rund 2,9 Prozent für renen Kind zu verwenden: Wenn wir heute den Ein-
das Jahr 1996. stieg in die Zukunftstechnologie nicht beherzt ange-
hen, wird es dem Neugeborenen bei sozialdemokra-
(Beifall bei der CDU/CSU) tischer Regierung, sagen wir einmal, im Jahre 2070,
doch wie folgt ergehen: Es würde in einem Deutsch-
Das ist ein politischer Beleg für die Bedeutung dieses land leben, welches im Weltvergleich eher einem
Bereichs. Museum der Technik des 20. Jahrhunderts als einem
leistungsfähigen Dienstleistungs- und Industriestaat
Wenn Sie darüber hinaus noch in Betracht ziehen, des 21. Jahrhunderts gleicht.
daß in den Beratungen des Haushaltsausschusses
eine Vielzahl von anderen Etats mit guten Gründen (Beifall bei der CDU/CSU)
Kürzungen haben hinnehmen müssen und der
Zukunftsetat trotz erheblicher Umschichtungen im Da reicht es einfach nicht aus - wie es Herr Fischer
Ergebnis noch einen Aufwuchs erfahren hat, wird vorgestern hier getan hat -, sich auf angebliches
uns die Bedeutung dieser Entwicklungen angesichts nächtliches Surfen im Internet zu berufen. Denn
der knappen haushaltspolitischen Jahre für das Jahr gerade die Grünen, zumeist gemeinsam mit Ihnen
1996 erst im vollen Umfang bewußt. von der SPD - darauf werde ich später noch einge-
hen -, spielen doch die zentrale Rolle bei der
Mit einem Gesamtausgabevolumen von knapp Zukunftsverweigerung in Deutschland.
15,7 Milliarden DM wird der in Zahlen geronnene
Wille zu einer aktiven Zukunftsgestaltung deutlich. (Beifall bei der CDU/CSU - Lachen und
Dies ist ein guter Beitrag für die Zukunft in unserem Widerspruch bei der SPD und dem BÜND-
Land. NIS 90/DIE GRÜNEN)
(Beifall bei der CDU/CSU) Herr Kollege Schanz, Sie haben im Zusammen-
hang mit der Entwicklung des zukunftswichtigen
Natürlich konnten nicht alle Wünsche befriedigt Projekts Strato 2C vorhin von Heimlichkeiten im
werden. Das kann aber auch nicht gewollt sein. Es Ausschuß gesprochen. Das empfinde ich als dreist.
kann nicht Sinn und Aufgabe des Staates sein,
Wunschlisten von Interessenten zu erfüllen. Ich gebe (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
eines zu bedenken: Gerade im Etat von Herrn Bun-
desminister Rüttgers, wo es ein Herzensanliegen ist, Sie ziehen aus der Sitzung des Haushaltsausschusses
Kreativität und Intelligenz zu fördern, sollte es gelin- aus. Wir erledigen ordnungsgemäß unsere Aufga-
gen, mit kreativer und intelligenter Mittelbewirt- ben, für die wir vom Wähler beauftragt worden sind.
schaftung zukünftige Aufgaben zu erledigen. Sie hätten in der Zeit, in der Sie sich draußen vor den
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Steffen Kampeter
Kameras der Presse vergnügt haben, im Haushalts- Anwendungen im Dienstleistungsbereich hoch ein-
ausschuß jede Frage mit uns diskutieren können. geschätzt werden.
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Die Förderung der Biotechnologie stellt daher, wie
Uns dann heute vorzuwerfen, wir hätten eine Ent- in den vergangenen Jahren, einen Schwerpunkt der
scheidung heimlich getroffen, ist wirklich dreist und Forschungs- und Innovationspolitik ouch im Haus-
empörend. halt 1996 dar. Es muß doch unsere Aufgabe sein,
alles Verantwortbare zu leisten, um Unternehmen zu
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU ermutigen, bei uns zu investieren. Arbeitsplätze
und der F.D.P.) müssen auch in diesem Bereich geschaffen werden,
Ich möchte einige Beispiele aufzeigen, an Hand dürfen nicht verhindert werden.
deren die Unterschiede zwischen Regierung und (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU
Opposition, die Unterschiede zwischen Zukunftsge- und der F.D.P.)
staltung und Zukunftsverweigerung, deutlich wer-
den. Doch in den Haushaltsberatungen wollte die
(Wolf-Michael Catenhusen [SPD]: Das ist Opposition, insbesondere Bündnis 90/Die Grünen,
eine interessante Frage!) streichen.
Trotz gelegentlicher rhetorischer Appelle - Herr (Abg. Dr. Manuel Kiper [BÜNDNIS 90/DIE
Schanz hat ja auch gesagt, er sei im Prinzip für dieses GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwischen-
oder jenes Anliegen - haben Sie im Kern Ihre alte frage)
Politik beibehalten. Chancen werden von Ihnen
nicht erkannt oder, was noch schwerer wiegt, igno- - Ich komme auf Sie und die Haltung der Grünen zur
riert. Risiken werden in der Regel heillos überschätzt. Gentechnologie ausführlich zu sprechen. Deshalb
Während wir die Möglichkeiten des 21. Jahrhunderts bäte ich Sie, auf eine Zwischenfrage zu verzichten.
gestalten wollen, beabsichtigen Sie mit Ihrer intellek- (Dr. Manuel Kiper [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
tuellen Vollkaskomentalität, den Jahrtausendwech- NEN]: Offensichtlich ist Ihr Wissen nicht so
sel noch ein paar Jahre nach hinten zu verschieben. besonders toll!)
Dies gilt zum Beispiel für die Gen- und Biotechno-
logie, die in vielen Bereichen an der Schwelle zum Bei Ihnen zeichnen sich starke ideologische Bar ri e-
kommerziellen Durchbruch steht. Neues biotechno- ren ab. So hat Ihre für die Gentechnologie zustän-
logisches Wissen wird im Rahmen des Umweltschut- dige Sprecherin in einem Interview die Gentechnik
zes, in der Landwirtschaft, in der Pharmazie und in als „gefährlichen Unsinn" bezeichnet. Und auf die
vielen anderen Bereichen eingesetzt. Stärken der Frage, ob geninduzierte Ertragssteigerungen bei
deutschen Chemie bei neueren organischen Chemi- Lebensmitteln nicht einen Beitrag gegen den Hun-
kalien, in der Pharmakologie und im Pflanzenschutz ger in der Welt leisten könnten, antwortete sie ableh-
werden in den kommenden Jahren durch neue bio- nend.
technologische Verfahren revolutioniert. Die Genthe- Meine sehr verehrten Damen und Herren, solche
rapie weckt Hoffnungen auf substantiellen Fort- Stellungnahmen sind nicht nur Zukunftsverweige-
schritt bei der Heilung von Krankheiten wie Krebs. rung, sondern zynisch. Mit ideologischer Verweige-
Aus wissenschaftlichen Untersuchungen wird rung werden wir den Hunger in dieser Welt nicht stil-
deutlich, daß unter den 30 wichtigsten Innovationen len können. Das geht nur im Wege technologischer
bis zum Jahr 2000 die Hälfte ganz wesentlich mitbe- Innovationen.
stimmt wird von der Biotechnologie.
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
(Jörg Tauss [SPD]: Aber nicht von der
Regierung!) Unsere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaft-
ler, die Unternehmerinnen und Unternehmer in
Nach Schätzungen der OECD wird die Biotechnolo- der Gen- und Biotechnologie brauchen mehr als
gie im 21. Jahrhundert eine ähnliche Bedeutung nur materielle Forschungsförderung. Sie brauchen
gewinnen, wie sie heute die Informationstechnik rechtliche, administrative und moralische Unter-
innehat. Gar nicht absehbar sind die neuen Märkte, stützung.
die sich aus der Diffusion der Biotechnologie in
Grenzbereichen wie Elektronikinformatik oder Mate- (Wolf-Michael Catenhusen [SPD]: Dann mal
rialwissenschaft ergeben. los!)
Die Wachstumsraten sind heute groß. Aber der Meine sehr verehrten Damen und Herren, was die
Weltmarkt für Biotechnologie - für 1991 auf SPD darunter versteht, kann am rot-grünen hessi-
6 Milliarden US-Dollar geschätzt - wird weiter schen Beispiel gezeigt werden. Die Förderung eines
wachsen. Für das Jahr 2000 wird von der Industrie Kongresses von Gentechnikgegnern durch die Lan-
ein Weltumsatz von 150 Milliarden US-Dollar desregierung in Wiesbaden beweist, daß man Wis-
erwartet. Damit ist dies einer der am schnellsten senschaftsgelder auch gezielt zur Verhinderung von
wachsenden Märkte. Im engeren Bereich der Bio- Zukunftsgestaltung einsetzen kann.
technologie sind in Deutschland zur Zeit 40 000
Menschen beschäftigt. Das Beschäftigungspotential (Beifall bei der CDU/CSU - Joachim Tappe
muß auch wegen der zahlreichen beschriebenen [SPD]: Ach, du lieber Himmel!)
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 69. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. November 1995 6041
Steffen Kampeter
Ich will an dieser Stelle aus einem Be richt der nach einer längeren Verlustphase erstmals wieder
„Neuen Osnabrücker Zeitung" über diesen Kongreß Gewinne - ich behaupte: nicht zuletzt wegen unserer
zitieren: Förderpolitik. Denn im Etat 1996 wachsen die Mittel
für diesen Bereich überproportional.
Zur freien gentechnik Landwirtschaft hat der -
Kongreß „Gegen Gen" aufgerufen, der im Hessi- Europa darf sich aus dieser für die Innovationskraft
schen stattfand. Vier Tage wurde diskutiert. wichtigen Technik nicht verdrängen lassen.
Gründe für die Gentechnologie, so heißt es, seien
irrational und unreflektie rt . Die Gentechnik führe (Joachim Tappe [SPD]: 13 Jahre lang ist ver-
zu einer weiteren Verarmung an So rten, zu mehr drängt worden!)
Chemieeinsatz und Bodenreaktionen. Es wird Wir brauchen die Anwendungen wie Multimedia,
von einem nicht abschätzbaren Risiko gespro- Informationshighways und Kommunikationstechnik.
chen. All diese modernen Anwendungen, die zukünftigen
(Kristin Heyne [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ Wachstumsmärkte der Welt, sind ohne eine moderne
NEN]: Das sollten Sie sich hinter die Ohren Mikroelektronik nicht erschließbar.
schreiben!) (Wolf-Michael Catenhusen [SPD]: Donner-
Wir haben gegen die Förderung dieses Kongresses wetter, Herr Kampeter!)
protestiert. Die hessische Staatsministerin für Wis- Im Etat 1996 werden die Mittel für die Förderung
senschaft und Kunst behauptet in einem Schreiben der Informationstechnik erstmals die Milliarden-
an Bundesminister Rüttgers, dies sei ein Kongreß, grenze überschreiten. Damit wird wiederum deut-
der sowohl Chancen als auch Risiken darstelle. lich: Wir reden nicht nur von Zukunft,
Meine sehr verehrten Damen und Herren, von Risi-
ken habe ich in diesem Be richt gelesen, aber wo hat (Zuruf von der SPD: Doch!)
dieser Kongreß die Chancen der Gentechnik aufge-
sondern wir gestalten sie ganz konkret.
zeigt?
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
Ein weiteres Beispiel: Vor einigen Tagen hat beim
Wenn solche Berichte deutlich machen, daß Chan-
Deutschen Indust rie- und Handelstag ein achtzehn-
cen offensichtlich irgendwo vergraben werden, die
jähriger Unternehmer aus Ostwestfalen seine Unter-
Risiken ideologisch überhöht werden, dann ist das
nehmensgruppe vorgestellt, die im zweiten Ge-
Zukunftsverweigerung. Das ist die Vernichtung von
schäftsjahr dreistellige Millionenumsätze im Compu-
möglichen Arbeitsplätzen in diesem Land, meine
terbereich erwirtschaftet und über 200 Arbeitsplätze
sehr verehrten Damen und Herren.
geschaffen hat. Mit 18 Jahren, meine sehr verehrten
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge Damen und Herren!
ordneten der F.D.P.)
Angesichts dieses ungewöhnlichen Erfolges hat
So sieht es konkret aus, Herr Kollege Schanz, ein Kollege aus der Opposition - ich glaube, er war
früher mal wirtschaftspolitischer Experte - sofort
(Joachim Tappe [SPD]: So sieht es nicht aus! nach der Gefahr des Scheiterns gefragt. Das finde ich
Das ist Unfug!) symptomatisch für das Verhalten der SPD zu
wenn Sie sagen, Sie seien bereit, Forschung und Wis- Zukunftschancen. Da gibt es einen jungen Unterneh-
senschaft in diesem Land zu unterstützen. Rhetori- mer, der 200 Arbeitsplätze - er hat mit 16 Jahren
sche Bekenntnisse reichen nicht aus. Es geht um begonnen - geschaffen hat, der dreistellige Millio-
konkrete Unterstützung. nenumsätze erzielt. Anstatt sich über diesen Erfolg
zu freuen, wird nach der Angst vor dem Scheitern
(Joachim Tappe [SPD]: Die haben Sie auch gefragt. Hätte sich dieser junge Mensch von dem
noch nicht geboten!) Bedenkenträger aus der SPD beraten lassen, wäre
Das Beispiel Transrapid zeigt ein weiteres, meine das Unternehmen heute überhaupt noch nicht
sehr verehrten Damen und Herren. gegründet.
(Zurufe von der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
- Ja, das tut Ihnen weh. Gerade diese Frage sollte Meine sehr verehrten Damen und Herren, wie bei
Ihnen auch wehtun, denn es ist ein weiteres wichti- allen Haushaltsberatungen wird natürlich über eine
ges Beispiel, wo Sie technologischen Fortschritt, wo zu knappe Mittelzuweisung in verschiedenen Berei-
Sie Arbeitsplätze in Deutschland blockieren. chen geklagt. Herr Kollege Schanz hat in dieses Kla-
gelied auch eingestimmt. Ich teile diese Klage nicht.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Knappe Mittel sind eine Aufforderung zur intelligen-
ten Bewirtschaftung von Budgets. Jedes am Markt
Lassen Sie mich zu einem weiteren Bereich kom- tätige Unternehmen weiß, daß, wenn Einnahmen
men. Schon heute werden in Deutschland pro Jahr ausbleiben, für den dauerhaften Erhalt des Unter-
mehr Computer als Autos verkauft. Die Mikroelek- nehmens deutliche Kostenreduzierungen erforder-
tronik ist weltweit auf dem Vormarsch. Der Welt- lich sind.
markt für Halbleiter wuchs 1994 um 28 Prozent auf
110 Milliarden Dollar. Die europäischen Hersteller (Jörg Tauss [SPD]: Ja, vor allem bei Bil-
befinden sich ebenfalls im Aufwind und erzielen dung!)
6042 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 69. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. November 1995
Steffen Kampeter
Die Kostensituation hat das Unternehmen selbst in geforderte Gleichbehandlung von akademischer und
der Hand. Eigenverantwortliches, kreatives, ja intelli- beruflicher Bildung sein?
gentes Handeln ist gefragt. Auf den hier zur Diskus-
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge-
sion stehenden Bereich übertragen bedeutet dies, -
ordneten der F.D.P. - Jörg Tauss [SPD]: Es
daß bei konstanten oder langsam wachsenden Bud-
ist doch eine Notlösung, was Sie jetzt
gets neue Formen des Kostenmanagements gefun- machen müssen!)
den werden müssen.
Ich möchte mit einem Bild schließen. In diesen
Ich möchte dies an einem Beispiel deutlich Tagen hat ein niederländischer Unternehmer das
machen, nämlich an dem des schon angesprochenen Gelände des Reaktors von Kalkar gekauft, um do rt
Studenten-BAföG und der beruflichen Aufstiegsqua- Freizeitpark zu errichten. ein
lifikation, des Meister-BAföG. Im Kern der Diskus- (Christian Lenzer [CDU/CSU]: Das ist eine
sion über die Studenten-BAföG-Reform steht die Schande!)
Stärkung von Eigenverantwortung und damit der
Grundgedanke, Ich freue mich über die in Kalkar dadurch geschaffe-
nen Arbeitsplätze. Es ist sicherlich ein wirtschaftli-
(Zuruf von der SPD: Soziale Ausgrenzung cher Impuls. Aber wir können nicht auf Dauer zum
steht im Kern!) Prinzip erheben, daß wir technologische Hochent-
wicklungen von Rot und Grün stoppen lassen und
daß nach erfolgter Ausbildung und bei hohem Ein- daraus dann Freizeitparks machen.
kommen aus einer akademischen Tätigkeit ein Teil (Christian Lenzer [CDU/CSU]: Acht Milliar-
der Fördermittel in den BAföG-Topf zurückfließen den verpulvert!)
soll. Damit sollen wichtige Strukturverbesserungen
für die heutigen Studenten finanziert werden. Als Dann lese ich in der Zeitung auch noch „Achterbahn
jemand, der selbst BAföG-Student war, finde ich statt Atommeiler" und daß dieser Unternehmer als
dies gut. Das ist ein gelungener Generationenver- „König von Kalkar" charakterisiert wird.
trag. Ehemalige Studenten leisten ihren Möglich- (Zuruf von der SPD: Das ist ein gelehriger
keiten entsprechend einen Beitrag dazu, daß bei- Schüler des Kanzlers!)
spielsweise im Jahr 1996 ein Anstieg der BAföG
Leistungen um etwa 6 Prozent für die folgende Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen
Studentengeneration ermöglicht wird. Diese Sie uns gemeinsam darum ringen, daß wir hinrei-
BAföG-Strukturreform, würde sie umgesetzt, be- chend Geld haben, um in Freizeitparks zu investie-
ren, daß wir aber die technologische Zukunft unseres
deutete innerhalb von zwei Jahren 12 Prozent
Landes nicht verspielen.
mehr BAföG bei gleichzeitig geringerer Belastung
für die öffentlichen Haushalte. Dies nenne ich eine Wir stimmen dem Einzelplan 30 zu.
innovative Finanzierung und eine, die die Eigen-
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. -
verantwortung stärkt. Denn mit den zusätzlichen
Karl Diller [SPD]: Was heutzutage alles im
266 Millionen DM können allein im Jahr 1996 wei- Haushaltsausschuß sitzt, mein Gott!)
tere wichtige zentrale Aufgaben in der Hochschul-
und Wissenschaftspolitik finanziert werden, für die
ohne BAföG-Reform kein Spielraum wäre. Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als nächste spricht
die Kollegin Elisabeth Altmann.
(Tilo Braune [SPD]: Haushaltssanierung auf
Kosten sozial Schwacher ist das!) Elisabeth Altmann (Pommelsbrunn) (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr
Im engen fachlich-politischen Zusammenhang geehrte Damen und Herren! Wie Kollege Kampeter,
hierzu steht das Vorhaben, die Meisterausbildung so versuchte neulich auch die „FAZ" in anschauli-
finanziell zu unterstützen. Diese Unterstützung wird cher Sprache darzustellen, „die CDU sei jetzt vorge-
von den Betroffenen zu Recht erwartet. Sie soll nach prescht und habe das Thema Zukunft besetzt". Ich
den gleichen Strukturprinzipien wie die Studenten- habe mir darunter eine Art Pferderennen - atembe-
förderung organisiert werden. In den Diskussionen raubendes Tempo, dampfende Nüstern - vorgestellt.
mit dem Handwerk wurde nie bezweifelt, daß auch In dem einen Jahr Bundestag habe ich die CDU im
hier ein Element der Eigenverantwortung enthalten Bereich Zukunft allerdings eher als Schildkröte denn
sein muß. Das ist um so anerkennenswerter, als die als Rennpferd empfunden.
finanziellen Belastungen beim Selbständigmachen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN -
eines Handwerkers erheblich höher sind als bei der Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ein
Berufsaufnahme eines Akademikers. Der Bundesrat Kampeter macht noch keine CDU!)
hat diesen Gesetzentwurf in seiner letzten Sitzung
zwar grundsätzlich begrüßt - Rhetorik -, aber gleich- Der zweite Vergleich allerdings ist sehr treffend:
zeitig jede Form der Finanzierung verweigert. Meine Da kommt die CDU/CSU, läßt sich behäbig auf dem
sehr verehrten Damen und Herren, die politische Sessel der Zukunft nieder, besetzt das Thema und
steht drei Jahre lang nicht mehr auf.
Konsequenz heißt: Es gibt weiterhin - richtigerweise -
viel Geld für die Studenten, aber kein Geld für die Jetzt möchte ich einmal fragen, ob der vorgelegte
Handwerker. Soll etwa das die von Herrn Schanz Einzelplan 30 wirklich die Perspektive für das
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 69. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. November 1995 6043
Elisabeth Altmann (Pommelsbrunn)
21. Jahrhundert bietet, wie der Kollege Kampeter Hier drohen viele Arbeitsplätze verlorenzugehen. Es
eben versuchte auszuführen. Zwei namhafte Fach- handelt sich immerhin um 5 800 qualifizierte Arbeits-
leute teilen meine Zweifel. Dieter Simon, der ehema- plätze!
lige Vorsitzende des Wissenschaftsrates, findet die
Auch die Nachwuchsförderung muß der Bund wei- -
Steigerungen des Haushaltsentwurfs - nämlich nicht
terführen.
10 Prozent, nicht 5 Prozent, nicht 3 Prozent, sondern
reichlich 1 Prozent - eher „dürftig". Karl-Heinz Hoff- (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das ist doch
mann, der jetzige Vorsitzende des Wissenschaftsra- eine originäre Aufgabe der Länder! Das war
tes, fürchtet zu Recht, daß „Deutschland ... in eine Sondermaßnahme, die befristet war!)
Sachen Bildung und Forschung zum Entwicklungs-
land" wird. Es nützt nichts, wenn Mittel für Programme ausge-
wiesen werden, die dann auf Grund der Vergabe-
(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das stimmt und Qualifikationskriterien nicht abgerufen werden
doch alles gar nicht!) können. Das nützt doch nichts! Frauenförderung vor
allem darf ja nicht nur auf dem Papier stehen, son-
Zum ersten Schwerpunkt des Ministeriums: Bil- dern muß real praktiziert werden.
dung. Meine Damen und Herren, schon trägt die
Bundesrepublik laut der dritten OECD-Bildungsstati- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
stik die Schlußlaterne bei den öffentlichen Bildungs- Wie sieht die Zukunft konkret für Empfänger und
ausgaben. Der prozentuale Anteil liegt bei Empfängerinnen von BAföG aus?
8,5 Prozent der gesamten Staatsausgaben. Zum Ver-
gleich: Die Schweiz gibt das Doppelte aus, die USA (Zuruf von der SPD: Düster!)
80 Prozent mehr. Was sagen Sie, Herr Minister, zu den bundesweiten
Wie sieht die Situation vor Ort aus? In den Hoch- Auftaktaktionen, auch heute in Bonn, die jetzt zum
„heißen Herbst" beginnen? Das BMBF bringt ein
schulen drängeln sich die Studentinnen und Studen-
ten; auf knapp 900 000 ausgewiesenen Studienplät- Rechenbeispiel: Bei elf Semestern Vollförderung
müssen statt bisher 35 000 DM nun verzinst 70 000
zen müssen zirka 1,9 Millionen Studentinnen und
Studenten Platz finden. Das heißt, jeder Stuhl ist dop- DM zurückgezahlt werden, also doppelt soviel. Die
pelt besetzt! Professorenstellen und Studienplätze Studierendenvertretung der Uni Erlangen/Nürnberg
spricht von einer „Ausgrenzung ... materiell
werden gestrichen, Vorlesungsräume und Laborato-
rien vergammeln, Bibliotheken verkümmern. schlechter gestellter Studenten" . Die Probleme der
Bildungsfinanzierung werden hier auf die Schwäch-
Minister Rüttgers sollte einmal den „Spiegel" sten abgewälzt. Zu Recht rufen unter diesen Umstän-
lesen, wenn er darf, den die Studenten und Studentinnen zu dem eben
genannten „heißen Herbst" auf.
(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Er darf vie
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
les, was Sie nicht dürfen, zum Beispiel gut
sowie bei Abgeordneten der SPD)
regieren! - Dr. Peter Glotz [SPD]: Das darf
der, das ist nachgewiesen!) Meine Erfahrungen vor Ort sind: Studenten, Stu-
dentinnen, Professoren und Professorinnen sind
oder an einem Regentag nach Greifswald fahren und guten Willens, Sparmaßnahmen mitzutragen. Ich
sehen, wie es durch die Dächer der Uni tropft. Das ist warne Sie jedoch: Überspannen Sie den Bogen nicht.
ja kein Einzelfall. Der Pfeil könnte sonst als Bumerang zu Ihnen
zurückkehren.
(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Es werden
80 Millionen DM mehr für Hochschulbau Das Meister-BAföG wird hochgelobt. Den Hand-
ausgegeben!) lungsbedarf aber haben Sie, meine Damen und Her-
ren von der Regierungsbank, durch die Novelle des
Gerade in den neuen Bundesländern müßten Hoch- AFG selbst verursacht. Erst streichen Sie die Förde-
schulgebäude renoviert werden. Die von Minister rung, die reichlicher war als die jetzt eingesetzten
Rüttgers in Aussicht gestellten Mittel sind gerade Mittel, und dann weisen Sie ein Meister-BAföG aus,
einmal ein Tropfen auf den heißen Stein. das nicht ausreichend ist. Wir benötigen dringend
Anmeldungen zu Meisterprüfungen! Hiermit werden
Auch die vorgeschlagenen Leasing-Verfahren wir das nicht erreichen. Das ist eine Mängelverwal-
beim Hochschulbau kommen längerfristig teurer. tung.
Außerdem sagt ein Rechtsgutachten eindeutig, daß
im Hochschulbau „Formen der Miete oder des Lea- Um Mängelverwaltung geht es auch bei der nach
sings ohne Erwerbsabsicht unzulässig sind". Wer will wie vor schlechten Ausbildungsplatzsituation. Ich
schon auf die Dauer mit einem geleasten Auto fah- habe dazu schon einmal gesagt: Wir müssen da
ren, meine Herren? etwas tun; wir werden Vorschläge zur Umlagefinan-
zierung bringen. Besonders Großbetriebe, die nicht
In dieser angespannten Situation ist es dringend ausbilden, sollen in diesem Zusammenhang zahlen.
nötig, die Hochschulsonderprogramme fortzuführen
und zusammenzufassen. Nun möchte ich zum zweiten Schwerpunkt des
Ministeriums kommen, zur Technologiepolitik. Die
(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das haben Bundesregierung finanziert unserer Meinung nach
wir schon beschlossen!) überholte Großforschungsanlagen ebenso wie Atom-
6044 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 69. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. November 1995
Jürgen Koppelin (F.D.P.): Frau Präsidentin! Liebe mehr Mittel für die Forschung und die Bildung gefor-
Kolleginnen und Kollegen! Die Haushaltspolitik der dert.
Freien Demokratischen Partei war beim Bundeshaus-
(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)
haltsplan 1996 von zwei Schwerpunkten gekenn-
zeichnet: zum einen die Staatsausgaben zu drosseln, Es ist erfreulich, daß es in den Koalitionsgesprä-
auf der anderen Seite jedoch bewußt die Ausgaben chen gelungen ist - wir Freien Demokraten haben ja
für Bildung und Forschung zu steigern. Koalitionsgespräche zu diesem Bereich verlangt -,
mehr Mittel zu bekommen. Das Versprechen wurde
(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU -
eingehalten. Das ist ein Erfolg der F.D.P.; das ist ein
Dr. Peter Glotz [SPD]: Das letztere ist Ihnen
Erfolg der Koalition insgesamt.
aber nicht geglückt!)
(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)
Nur so war und ist es nach unserer Auffassung mög-
lich, neue Arbeitsplätze zu schaffen oder Arbeits- Trotz der Erhöhung der Mittel für Forschung und
plätze zu erhalten. Der Bundeshaushaltsplan 1996 Bildung bleibt Kreativität gefragt, damit mit dem vor-
spiegelt das wider. Es ist erfreulich, daß die Mittel für handenen Geld mehr gemacht werden kann. Wissen-
den Einzelplan für Bildung und Forschung gesteigert schaftliche Höchstleistungen, Spitzenforschung und
werden konnten. Spitzentechnologie sichern auch unseren Wohlstand
Der Kollege Schanz hat hier eine kritische Anmer- und unseren Sozialstaat. Deshalb bedauern wir
kung zu einem Bereich im Haushaltsplan gemacht, Freien Demokraten, daß in vielen Bundesländern in
den wir ebenfalls durchaus kritisch gesehen haben, letzter Zeit die Mittel für die Hochschulen und für die
Forschung heruntergefahren worden sind.
nämlich zum Bereich der globalen Minderausgabe.
Herr Kollege Schanz, ich will Ihnen dazu nur folgen- (Jörg Tauss [SPD]: Gucken Sie sich mal die
des sagen: Das ist sicher eine Sache, über die man Bundesanteile in den letzten 20 Jahren an!)
diskutieren kann.
- Herr Kollege, ich sage nur einen Satz zu Ihnen: Ich
(Dieter Schanz [SPD]: Muß!) stelle auch bei diesen Haushaltsberatungen fest: Das
einzige, was Sie können, ist krakeelen. Ich ahne
Aber ich halte es da mit der Kollegin Ing rid Mat-
thäus-Maier. Sie hat in einer Haushaltsdebatte fol- schon, warum Ihre Fraktion Sie hier nie ans Pult
schickt.
gendes gesagt - ich bitte die Sozialdemokraten, ein-
mal zuzuhören, weil sie vorhin bei der Kritik an der (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Aber das
globalen Minderausgabe alle geklatscht haben -: war nun kein Krakeelen! Zu einem Parla-
ment gehören Zwischenrufe, Herr Kollege!
Ich glaube, über dieses Instrument der Haushalts-
Das ist kein Krakeelen!)
politik kann man streiten.
- Doch, er macht es ja ständig. Wenn er einen Zwi-
Das bestätige ich.
schenruf machen würde, wäre es ja in Ordnung.
Es ist sehr großflächig und überläßt seine Wir- Aber das geht jetzt alles von meiner Zeit ab.
kung dem Haushaltsvollzug. Aber wenn man
Wir wissen sehr wohl, daß die Mittel für den Hoch-
sich aus rein praktischen Gründen zur Anwen-
dung entschließt, dann steht dieses Instrument schulbau schon lange nicht mehr ausreichen. Ich
kann auch die Polemik, die hier teilweise auftaucht -
Koalition und Opposition gemeinsam und glei-
chermaßen zur Verfügung. ich sage das an alle Seiten gerichtet -, nicht verste-
hen, weil nach Auffassung der F.D.P. „Bildung und
Dem kann ich mich anschließen. Forschung" ein Thema ist, bei dem wir in den Län-
dern und im Bund wirklich alle zusammenstehen
(Jörg Tauss [SPD]: Sie ist klug, nicht? So müßten.
etwas vermißt ihr heute!)
(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU -
Ingrid Matthäus-Maier hat vorhin kräftig geklatscht, Wolf-Michael Catenhusen [SPD]: Eine gute
als der Kollege Schanz das kritisierte. Ich denke, man Anmerkung zur Rede von Herrn Kampeter!)
kann sich auf diesem Weg einigen; das ist jedenfalls
auch unsere Auffassung. Ich werde nachher etwas dazu sagen. Sie werden bei
meinen Ausführungen auch feststellen, daß ich nicht
(Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Aber besser die Bundesregierung, und das, was sie macht, pau-
ist doch der andere Weg!) schal lobe, sondern daß ich durchaus bereit bin, auch
- Ja, selbstverständlich; aber wir haben doch immer kritische Anmerkungen zu machen.
mit der globalen Minderausgabe gearbeitet. Das (Jörg Tauss [SPD]: Aber Sie müssen dabei
haben Sie doch ebenfalls getan. korrekt bleiben!)
Wir Freien Demokraten haben jedenfalls alles Aber Sie müssen mir die Chance geben, indem Sie
unternommen, damit der Rotstift bei diesem Haus- zumindest zuhören.
haltsplan nicht angesetzt werden mußte. Es ist sehr
richtig, was Wolfgang Gerhardt, unser Parteivorsit- Ich habe gerade gesagt, daß nach unserer Auffas-
zender, nach seiner Wahl zum Parteivorsitzenden der sung die Mittel für den Hochschulbau zu knapp sind.
F.D.P. gesagt hat: Forschung, Entwicklung und neue 1,9 Milliarden DM sind zu wenig, zumal wenn man
Technologien sind immer Vorläufer für Beschäfti- feststellen muß, daß kaum neue Baumaßnahmen mit
gungsverhältnisse von morgen. Deswegen haben wir diesem Geld gefördert werden.
6046 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 69. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. November 1995
Jürgen Koppelin
Betrachtet man die unter dem Beg riff Hochschul- muß eingeräumt werden, daß auf diese Weise zusätz-
bauförderung zusammengefaßten Maßnahmen, so liche Mittel für die Belange der Bildungspolitik frei-
muß man sich doch oft wundern, was in Deutschland gemacht werden, die sonst nicht zur Verfügung stün-
alles unter diesen Beg riff fällt und entsprechend den. Es muß allerdings auch gesagt werden: Aus der
finanziert wird. Wir Freien Demokraten sind der Auf- Sicht der F.D.P. ist der gravierendste Nachteil des-
fassung, daß zum Beispiel die Ausgaben für Universi- BAföG-Modells, daß hier nur ein Viertel der Studie-
tätskliniken, medizinische Großgeräte oder Großge- renden zur Finanzierung allgemeiner Aufgaben des
räte der Grundlagenforschung nicht der Hochschul- Bildungsbereichs herangezogen werden.
bauförderung zugerechnet werden sollten. Statt des-
sen sollten wir überlegen, ob wir nicht besonders (Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Bibliotheken, Laboratorien und Hörsäle in das Zen- Da dies erst nach Abschluß des Studiums in einer
trum der Förderung stellen. Phase mit in der Regel überdurchschnittlichem Ein-
Lassen Sie uns, Länder und Bund, gemeinsam - kommen geschieht, ist das zwar nicht unsozial, aber
wohlgemerkt: gemeinsam - einen Vorstoß machen, nach unserer Auffassung ungerecht.
daß wir hier reformieren und - auch im Sinne von Mein Freund und Fraktionskollege Karlheinz Gutt-
Haushaltsklarheit und Haushaltswahrheit - für eine macher hat in der ersten Lesung etwas gesagt, was
stärkere Übereinstimmung zwischen Titelbezeich- ich hier gern wiederholen will: „Dieses Modell ist ein
nung und tatsächlicher Förderung sorgen. Modell der Gegenwart, nicht aber ein Modell der
(Beifall bei der F.D.P. - Dr. Wolfgang Weng Zukunft." Nach Auffassung der F.D.P. muß ein
[Gerlingen] [F.D.P.]: Das ist entscheidend!) BAföG-Modell für die Zukunft auch der Tatsache
Rechnung tragen, daß es sich bei den Studierenden
Die Hochschulbauförderung muß sich auf die nicht um Kinder, sondern um junge Erwachsene han-
unmittelbaren Belange der Hochschulen und der delt.
Studierenden konzentrieren. Die Freien Demokraten
in Rheinland-Pfalz haben sich zum Hochschulbau (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Das klingt
Gedanken gemacht und sind zu dem Ergebnis aber dem Zukunftsminister in den Ohren!)
gekommen, wir sollten in das Hochschulbau-Lea-
- Er wird nachher etwas dazu sagen.
singmodell einsteigen. Das halten wir durchaus für
einen gangbaren Weg, um mehr für unsere Hoch- Man muß allerdings wissen: Hätten wir das
schulen zu erreichen. BAföG-Modell abgelehnt, dann hätten wir damit
einen Stillstand im Hochschulbau, bei den Hoch-
(Antje Hermenau [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ
schulsonderprogrammen und auch im Bereich der
NEN]: Das ist eine kurzfristige Lösung!)
Forschung verursacht. Das war jedenfalls nach unse-
Ich finde es erfreulich, daß der Wissenschaftsminister rer Auffassung nicht zu verantworten.
von Rheinland-Pfalz in dieser Woche in einer Presse-
konferenz die besonderen Vorteile eines Hochschul- (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und der
bau-Leasingmodells vorgestellt hat. Wir Freien CDU/CSU)
Demokraten haben sehr viel Sympathie dafür. Neben der Förderung der beruflichen und akade-
(Beifall bei der F.D.P. - Dr. Wolfgang Weng mischen Bildung brauchen wir dringend die Einfüh-
[Gerlingen] [F.D.P.]: Auch die SPD in Rhein rung des Meister-BAföG. Wir Freien Demokraten
land-Pfalz!) sind für schulische, akademische und berufliche Bil-
dung, die gleichwertig sein muß.
- Auch die SPD in Rheinland-Pfalz. Das ist zu begrü-
ßen. Deswegen sprach ich auch davon, daß wir ver- (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Anders als
suchen sollten, uns gemeinsam, Opposition und Koa- die SPD!)
lition, an dieses Thema zu begeben. Eine Vielzahl selbständiger beruflicher Existenzen ist
Der zweite Bereich mit Reformbedarf ist sicher nach unserer Auffassung Voraussetzung für die
BAföG. Es war höchste Zeit, die Diskussion um die Sicherung und den Ausbau der Wettbewerbsfähig-
Reform des BAföG zu eröffnen. Die F.D.P. hat sich keit unseres Landes. Kleine und mittelständische
darauf konzentriert, daß ein tragfähiger Kompromiß Betriebe spielen bei der Schaffung neuer Ausbil-
gefunden wurde. Wichtig war uns, Fehlentwicklun- dungsplätze und Arbeitsplätze eine wichtige Rolle.
gen bei den Freibeträgen und bei den Bedarfssätzen (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne-
umgehend und unabhängig vom Fo rt gang des ten der CDU/CSU)
BAföG-Reformprozesses zu beseitigen. Deswegen
haben wir in den Beratungen des Haushaltsaus- In vielen Betrieben wird in den kommenden Jahren
schusses dafür gesorgt, daß die für die Erhöhung der ein Generationswechsel stattfinden. Der Bedarf an
Freibeträge und der Bedarfssätze um jeweils qualifizierten Nachfolgern ist dann vorhanden, und
6 Prozent notwendigen Mittel entsperrt wurden und dem müssen wir nachkommen. Meister-BAföG ist
jetzt ohne Bedingungen zur Verfügung stehen. Das nach unserer Auffassung ein Signal an junge Men-
bedeutet, die Studierenden erhalten ab Herbst 1996 schen, über die berufliche Ausbildung den Weg in
6 Prozent mehr. Dies wird etwa 30 Prozent der Stu- die Selbständigkeit zu suchen.
dierenden betreffen.
Die Länder verweigern sich nun. Meister-BAföG
Ich will durchaus zugestehen, daß das jetzige darf jedoch nach unserer Auffassung nicht auf dem
BAföG-Modell die F.D.P. nicht zufriedenstellt. Jedoch Altar eines Bund-Länder-Hickhacks geopfert wer-
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 69. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. November 1995 6047
Jürgen Koppelin
den. Wir Freien Demokraten sehen überhaupt nicht Das ist ein Erfolg der Koalition. Deswegen werden
ein, warum die Länder hier eine Blockadepolitik wir dem Einzelplan des Bundesministers für Bildung
betreiben. Natürlich sind die Mittel bei den Ländern und Forschung aus Überzeugung zustimmen.
genauso knapp wie beim Bund. Aber wie will man
Arbeitsplätze schaffen, wenn man nur davon redet, (Dr. Peter Glotz [SPD]: Da haben Sie die -
aber nicht bereit ist, die entsprechenden Mittel zur Kurve gerade noch gekriegt, Herr Koppe-
Verfügung zu stellen? Ich sehe ein, daß bei den Län- lin!)
dern die Mittel knapp sind, beim Bund sind sie auch Ich danke Ihnen für Ihre Geduld.
knapp, aber man muß hin und wieder den Knoten
durchschlagen, um Erfolg zu haben, Arbeitsplätze zu (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne-
schaffen und nicht nur davon zu reden. ten der CDU/CSU)
(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne
ten der CDU/CSU) Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Das Wort hat jetzt
Professor Ludwig Elm.
Es ist auch hier notwendig, daß wir gemeinsam,
Bund und Länder, an die Sache herangehen.
Dr. Ludwig Elm (PDS): Frau Präsidentin! Meine
Wenn die Länder das Meister-BAföG blockieren Damen und Herren! Man braucht keine Lupe, um im
und behaupten, dafür kein Geld zu haben, dann Haushalt des Bundesministeriums für Bildung und
müssen sie einmal überprüfen, ob wirklich alles aus Forschung die Schieflage des gesamten Bundeshaus-
Landeshaushalten gefördert werden muß, was man halts zu erkennen. Im Gegenteil: Das sogenannte
aus politischen Gründen gern fördern möchte, oder Zukunftsministerium gehört zu den auch in der
ob man nicht andere Schwerpunkte setzt. Öffentlichkeit sichtbaren Spitzen des Eisbergs und
(Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: zeigt die Drift an, weg vom Konsens des Sozialstaats
Vor allem Parteibuchpersonal!) hin zu einer Gesellschaft, die ihren Zusammenhang
in einer konservativ nationalen Standort-Deutsch-
- Kollege Weng, um es deutlich zu machen, nenne land-über-alles-Ideologie finden soll und die auf alles
ich ein Beispiel aus Schleswig-Holstein. Was meinen pfeift, was in dieses Konzept nicht hineinpaßt.
Sie, wofür da Geld zur Verfügung steht? Da stellt das
Frauenministerium Unmengen Gelder zur Verfü- So betrachtet ist der Haushalt dieses Ministeriums
gung, damit der Urschrei geübt und Trommelkurse ein rechtes Pfeifkonzert. Bundesregierung und Bil-
usw. angeboten werden können. Mir wäre es lieber, dungsministerium pfeifen auf das Grundgesetz, zum
das Geld würde in die Ausbildung junger Meister Beispiel auf A rt . 12, auf das Recht, Beruf, Arbeits-
investiert. Das wäre mir wichtiger. platz und Ausbildungsstätte frei zu wählen. 100 000
Ostdeutsche haben ihren Arbeitsplatz in Forschung
(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne und Entwicklung verloren. Seit Jahren fehlen in Ost-
ten der CDU/CSU) deutschland 100 000 betriebliche Ausbildungsplätze.
Mit dem Haushalt des Bundesministers für Bildung Die Verwirklichung von Rüttgers' BAföG-Plänen
und Forschung haben die Koalitionsparteien bei den wird Zehntausende Studierwillige aus einkommens-
Beratungen im Haushaltsausschuß Akzente gesetzt, schwächeren Schichten vom Studium fernhalten.
damit die öffentliche Forschung nicht zurückgefah- Der vorliegende Haushaltsentwurf setzt sich in
ren werden muß. Es muß jedoch auch bei der Indu- empörender Weise über geltendes Recht, nämlich
strie angemahnt werden, daß sie in ihrem eigenen über das gültige Bundesausbildungsförderungsge-
Verantwortungsbereich, in ihren Firmen, die notwen- setz hinweg.
dige praktische Industrieforschung fördert und nicht (Beifall bei der PDS)
zurückfährt.
An die Stelle des geltenden Rechts wird unverfroren
Die Forschungsmittel, die wir zur Verfügung stel- das Recht des aktuell Stärkeren, der Koalitionsmehr-
len, sind von erheblicher Schubkraft für die heit gesetzt. Diese Koalition pfeift auf die Chancen-
Zukunftsgestaltung. Forschung und Entwicklung gleichheit zwischen Ost und West und auf die Chan-
sind Investitionen für die Zukunft. Das dafür zur Ver- cengleichheit der sozial Schwächeren beim Bil-
fügung gestellte Geld ist Saat für Arbeitsplätze und dungserwerb.
für die Zukunft. Achten wir darauf, daß wir gut säen
und daß die aufgehende Saat zügig in marktfähige Allein in diesem Jahr überstieg die Zahl der
Produkte umgesetzt wird. Bewerber für eine betriebliche Ausbildungsstelle in
Ostdeutschland die Zahl der betrieblichen Ausbil-
(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und der
dungsplätze um zirka 100 000. Die Aufwendungen
CDU/CSU)
für Forschung und Entwicklung in Ostdeutschland
Dann können neue Arbeitsplätze geschaffen und bis- betragen 3 Prozent der Gesamtaufwendungen des
herige gesichert werden. Bundes für Forschung und Entwicklung.
Das war das Ziel der Arbeit der Koalition bei den Von 132 000 Beschäftigten im Bereich Forschung
Beratungen zum Einzelplan des Bundesministers für und Entwicklung 1990 in Ostdeutschland sind etwas
Bildung und Forschung. Ich habe schon dargelegt, mehr als 30 000 übriggeblieben. Durch das Aus-
daß wir Freie Demokraten über den Erfolg, den wir laufen verschiedener Förderprogramme, so des
als F.D.P. in diesem Bereich durch die Aufstockung Hochschulsonderprogramms Ost im Jahre 1996, und
der Mittel haben erreichen können, sehr erfreut sind. von Förderprogrammen des Bundesministeriums für
6048 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 69. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. November 1995
Erich Maaß (Wilhelmshaven) (CDU/CSU): Frau Ich denke dabei auch daran, welche Probleme Sie
Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Her- mit dem Gentechnikgesetz gehabt haben. Endlich ist
ren! Die letzten Ausführungen des Herrn Elm muß es uns gelungen, Herr Catenhusen, eine Novellie-
ich doch noch kurz aufgreifen. Ich finde es einfach rung hinzubekommen. Wir hoffen, daß der Wissen-
geschmacklos, daß er sich als ehemaliger SED-Spit- schaftsstandort Deutschland für die Gentechnologie
zenfunktionär mit solchen Reden von diesem Platz jetzt endlich wieder interessant wird.
aus an die deutsche Bevölkerung wendet. Das finde (Dr. Manuel Kiper [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
ich unverschämt! NEN]: Wo sind die Unternehmen, die sich
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) jetzt hier ansiedeln?)
Entschuldigung, das ist meine persönliche Meinung; Denken Sie bitte daran, wie Sie in diesem Bereich
ich möchte das hier einmal zum Ausdruck bringen. alles verhindern wollten. Ich danke Jürgen Rüttgers
und nenne nur das Stichwort „Bioregio". Hier kön-
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die nen Sie unter Beweis stellen, ob Sie mitmachen, ob
CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat vor zwei Jahren Sie zukunftsfähig sind. Wenn ich mir Ihre Reden
ein 22-Punkte-Programm einstimmig beschlossen anhöre, habe ich manchmal den Eindruck, daß Sie
und hier den Weg festgelegt, den wir in den näch- Ihre Zukunft schon hinter sich haben.
sten Jahren in der Forschungs- und Technologiepoli-
tik zur Sicherung des Standortes Bundesrepublik Meine Damen und Herren, wir haben noch weitere
Deutschland beschreiten wollen. Wir haben eine Schulaufgaben zu machen. Wir müssen beispiels-
ganze Reihe von Themen bereits abgearbeitet. Der weise das Thema Risikokapital aufgreifen. Wir
Technologierat beim Bundeskanzler ist installiert haben das Stiftungsrecht novelliert; hier muß noch
und funktioniert. einiges korrigiert werden. Ich spreche mich an dieser
Stelle auch eindeutig für eine steuerliche FuE-Förde-
(Zuruf von der CDU/CSU: Sehr richtig!) rung und -Unterstützung aus.
Meine Damen und Herren, ein weiterer Punkt: Wir (Jörg Tauss [SPD]: „Man müßte mal"!)
haben den hohen Standard der Grundlagenfor-
schung trotz vieler Unkenrufe erhalten. Es wäre viel- Wir brauchen auch wirtschaftliche Instrumenta-
leicht vermessen, zu sagen, diese Bundesregierung rien, um die Markteinführung von innovativen Pro-
nehme in Anspruch, die Zuständigkeit für Nobel- dukten tatsächlich erreichen zu können.
preise zu haben. Aber ich darf Ihnen einmal deutlich
sagen: Hätten wir nicht eine so exzellente Grundla- (Jörg Tauss [SPD]: „Man müßte mal"!)
genforschung, dann hätten wir auch die Leistungen - Lieber Kollege Tauss, Sie nehmen langsam neuroti
unserer Nobelpreisträger in diesem Lande nicht. Das sche Züge an mit Ihren Zwischenrufen hier im
sollte uns und auch die Opposition dazu bewegen, Hause. Meine Güte! Bremsen Sie sich doch bitte mal!
unsere Anstrengungen zu akzeptieren.
(Zuruf von der CDU/CSU: Sehr wahr!)
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
Meine Damen und Herren, wir brauchen in dieser
Ein weiterer Punkt: Vor zwei Jahren hörte ich noch Republik Innovationen, die uns in die Lage verset-
etliche Unkenrufe, als man gesagt hat, wir müßten zen, Produkte und Verfahren mit hoher Wertschöp-
uns antizyklisch verhalten. Wir verhalten uns antizy- fung herzustellen bzw. in Gang zu setzen. Das kön-
klisch. Wir haben in einer Zeit, in der die Haushalte nen wir nur mit Spitzentechnologien machen. Wer
zusammengestrichen worden sind, Aufwächse im sich diesen Spitzentechnologien verweigert, verwei-
Forschungshaushalt. Das muß man bitte auch einmal gert die Zukunft.
honorieren und akzeptieren. Jürgen Rüttgers hat den
Mut gehabt, den Forschungshaushalt in seinen (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
6050 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 69. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. November 1995
Aber auch da scheint der Bundeskanzler auf dem (Beifall bei Abgeordneten der SPD)
richtigen Weg zu sein. Dem „Spiegel" vom Gelegentlich ärgern wir uns aber auch über ihn. Er
30. Oktober konnten wir entnehmen, daß er jungen ist, wenn wir hier über unseren Etat diskutieren,
Leuten die Entscheidung zur Selbständigkeit leicht- höchst sachlich. Dann allerdings gibt er Interviews,
machen will. - die beispielsweise mit dem schönen Satz enden -
(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Wann zitie man muß sich das einmal richtig reintun, um in der
ren Sie eigentlich Herrn Scharping?) Sprache unserer Kinder zu reden -:
Unter Rudolf Scharping ist die SPD endgültig von
Er will seinen Reden auf dem CDU-Parteitag und einer Volkspartei zu einer Widerstandsgruppe
hier im Parlament offensichtlich Taten folgen lassen.
verkommen.
- Dann allerdings schreibt der „Spiegel" wörtlich:
Meine Damen und Herren, ich würde mir wünschen,
Doch die wichtigen Dinge überläßt Kohl schon daß Herr Rüttgers die Bissigkeiten, die er sich als
längst nicht mehr den zuständigen Ministern, er Funktionär der Jungen Union und als Geschäftsfüh-
beauftragte Sieghard Nehring, seinen Abtei- rer angeeignet hat, nicht nur bei Parteipolemik, son-
lungsleiter für Wi rt schaft im Kanzleramt, eine dern auch im Kabinett im Kampf um seinen Haushalt
Arbeitsgruppe zusammenzustellen und Ideen für anwenden würde.
ein günstiges Umfeld für Existenzgründer zu ent-
wickeln. (Beifall bei der SPD und der PDS)
6052 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 69. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. November 1995
(Beifall bei der SPD - Steffen Kampeter (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) -
[CDU/CSU]: Das war dürr und matt!) (Vorsitz: Vizepräsident Hans Klein)
und das bei einem Haushalt, der um 1,4 Prozent
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Das Wort hat jetzt zurückgeht. Das zeigt, daß man etwas bewegen
der Bundesminister Dr. Jürgen Rüttgers. kann.
Nun muß ich fairerweise allerdings auch benen-
Dr. Jürgen Rüttgers, Bundesminister für Bildung, nen, was der Kollege Glotz an Richtigem gesagt hat.
Wissenschaft, Forschung und Technologie: Frau Prä- In der Öffentlichkeit macht er das nicht so wie im
sidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Zuerst Ausschuß; im Ausschuß haben Sie, Kollege Glotz,
möchte ich mich beim Herrn Kollegen Glotz für das das ein bißchen klarer gesagt. Im Ausschuß hat Herr
Dürrenmatt-Zitat bedanken: Ich wußte nicht, daß Glotz - weil das so spannend ist, möchte ich es dem
schon Dürrenmatt über mich geschrieben hat. Sie Hohen Hause mitteilen - gesagt, daß ich mit diesem
geben mir ganz sicher die Fundstelle; das interessiert Haushalt die Schwerpunkte richtig gesetzt habe.
mich doch. Insofern, lieber Herr Glotz, bedanke ich mich für die
Zustimmung und den Konsens. Das ist wichtig. Auch
Nun verhält es sich ja so, daß diese Haushaltsde- ich finde, daß wir die bildungs- und forschungspoliti-
batte den Zweck hat, daß die Opposition auch sagen schen Schwerpunkte richtig gesetzt haben.
kann, was sie an der Regierung nicht gut findet und
Nun haben Sie gerade hier gefragt, Herr Glotz: Wo
was im Haushalt nicht in Ordnung ist. Daß natürlich
ist das Konzept? Nun ist das in dieser Beziehung so
dann in dem einen oder anderen Fall über das Ziel
wie mit dem Rechnen: Man kann nur zu richtigen
hinausgeschossen wird, das gehört zum Ritual; das
Ergebnissen kommen, wenn man es kann. Wenn
ist normal. Nun will ich zunächst einmal feststellen:
man Konzepte sehen will, kann man sie nur wahr-
Derjenige, der jetzt behaupten würde, daß alles, was
nehmen, wenn man die Augen aufmacht. Deshalb
die Opposition in dieser Woche gesagt hat, falsch ist,
will ich jetzt einfach einmal ein paar Punkte nennen.
der würde die Unwahrheit sagen. Wer aber das
Ich bitte die anderen Kollegen um Verständnis; das
Gegenteil behauptet, der sagt allerdings auch die
wird vielleicht jetzt ein bißchen schnell und ein biß-
Unwahrheit.
chen langweilig. Ich will einfach, damit Herr Glotz
(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU noch einmal die Chance hat, das wahrzunehmen, die
und der F.D.P.) Punkte vom letzten Jahr hintereinander schnell nen-
nen.
Deshalb will ich mich einfach auf das beziehen,
(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Besser in
was Herr Glotz und die anderen Redner jetzt gesagt
die Richtung der SPD! Der hat es nötig!)
haben. Ich will zunächst einmal feststellen: Er hat
sowohl im zuständigen Fachausschuß wie jetzt eben - Mir wäre lieber, Kollege Steffen Kampeter, wenn
hier sowohl etwas Richtiges als auch etwas Falsches wir jetzt erlebt hätten, daß zum Beispiel Herr Schar-
gesagt. Ich will einmal mit dem Fehler anfangen; das ping, der am Dienstag immer gesagt hat, es finde
scheint ein Problem der Rechenfähigkeit zu sein. Der keine Zukunftspolitik statt, hier wäre. Er könnte viel
Kollege Glotz hat moniert, wir hätten zuwenig Geld lernen, nicht nur für die Republik, sondern auch für
und wären nicht bereit, unsere Vorstellungen zu seine Zukunft.
finanzieren. - Lieber Herr Glotz, das ist falsch; egal,
wie Sie rechnen: Es ist falsch. 15,7 Milliarden DM (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]:
stehen im Haushalt 1996 für das BMBF zur Verfü- Der sitzt schon in der dritten Reihe!)
gung. Das sind im Vergleich zum bereinigten Haus- Es weiß ja auch jeder. Er hat es im Moment ein biß-
halt 1995 - man kann ja nicht Äpfel mit Birnen ver- chen schwer.
gleichen - nun einmal 456 Millionen DM mehr.
Herr Glotz, noch einmal ganz schnell und hinter-
(Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Zum berei einander:
nigten Haushalt! Aber wenn wir das
machen!) 900 Millionen DM Innovationskapital für kleine
Technologieunternehmen mobilisiert.
- Entschuldigen Sie mal, Frau Matthäus-Maier.
Wenn in einer Sache bestimmte Aufgaben nicht Weichen für mittelständische Unternehmen im
mehr drin sind, die im vorigen Haushalt enthalten Bereich der Produktion gestellt mit dem Konzept
waren, dann kann man das anhand dieser Basis nicht „Produktion 2000", 450 Millionen DM.
mehr vergleichen. Das muß ich dann eben ganz kon- Für 600 000 junge Leute eine sichere Lehrstelle
kret benennen, und das sind dann 456 Millionen und 14 500 außerbetriebliche Ausbildungsplätze in
DM. den neuen Ländern geschaffen.
(Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Wenn das Neue Verfahren zur Entwicklung von Zukunftsbe-
der Herr Waigel hört!) rufen eingeführt.
6054 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 69. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. November 1995
Damit wir weiter klar sehen: Ein Artikel von heute (Zustimmung bei der CDU/CSU)
über die Grünen in Rheinland-Pfalz: „Nein zur Gen- Ob es möglich ist, nach dem Modell der Ausbil-
technologie ". Das werden wir bis zum März diskutie- dungszusagen in den Kanzlerrunden verbindlich
ren. Denn diejenigen, die in Rheinland-Pfalz Arbeits- zuzusagen, für 300 000 Arbeitsplätze zu schaffen, ist
plätze verhindern wollen, dürfen do rt nicht in die eine Frage, die es meiner Ansicht nach wert ist, in
Regierung. diesen Runden besprochen zu werden. Das gilt
(Beifall bei der CDU/CSU) genauso für das Bestreben, in den nächsten Jahren
5 Prozent mehr Ausbildungsplätze zur Verfügung zu
Schließlich ein Informationsbrief der Sozialdemo- stellen. Dazu hat es bereits Verabredungen für 1995
kraten aus Schleswig-Holstein von Frauke Wallhorn: und 1996 gegeben.
„CDU ignoriert Risiken bei der Gentechnologie".
Horribile dictu, da könnte irgend jemand Gentechno- Allerdings werden wir kritisch miteinander disku-
logie in Schleswig-Holstein anwenden. Die Leute, tieren müssen, was Herr Zwickel zum Umbau unse-
6056 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 69. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. November 1995
Das ist ein konkretes Angebot zu Gesprächen. Vizepräsident Hans Klein: Herr Bundesminister,
Verzeihung, aber Sie sind ein riesiges Stück über
(Peter Dreßen [SPD]: Was sollen sie denn Ihre Redezeit hinaus.
verdienen? - Hans Georg Wagner [SPD]:
Nichts!) Dr. Jürgen Rüttgers, Bundesminister für Bildung,
Deshalb sage ich im Hinblick auf das, was heute in Wissenschaft, Forschung und Technologie: Ich werde
den Zeitungen steht: Zumindest mit mir hat es keine mich bemühen, ganz schnell zum Ende zu kommen,
Vereinbarung gegeben, in den nächsten Wochen bis Herr Präsident.
zum Januar etwa darüber zu sprechen, daß die Hür- (Karl Diller [SPD]: Am besten tritt er zurück!
den im Hinblick auf das Gespräch mit den Gewerk- - Weitere Zurufe von der SPD)
schaften höher gelegt werden und Themen, von
denen wir bereits wissen, daß das Gespräch nicht - Das mag Ihnen unangenehm sein, und deshalb will
möglich ist, in den Vordergrund gestellt werden. Ich ich die zwei, drei Sätze noch sagen. Das ist schon
zumindest halte eine solche Strategie für falsch und wichtig.
werde mich an ihr auch nicht beteiligen. Es geht nicht nur um die Umstellung der Ausbil-
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte noch dungsförderung, sondern auch um mehr Chancen für
etwas zu der Frage der Weichenstellungen in der Bil- unsere Hochschulen. Dann müssen wir den Studen-
dungspolitik sagen. Wir wissen, daß wir in den näch- tinnen und Studenten auch die Wahrheit sagen. Vor
sten Jahren das Tor zur Informationsgesellschaft allen Dingen dürfen wir sie nicht für Kampagnen
durchschreiten werden. Wir wissen, daß das Wissen instrumentalisieren.
das Kapital der Informationsgesellschaft ist und daß Gestern hat der „fzs" - das ist der Freie Zusam-
wir dafür ein leistungsfähiges und ausgewogenes menschluß von Studentinnen und Studenten in den
Bildungssystem brauchen. „Studentlnnenschaften" - in Bonn eine Pressekonfe-
renz zum sogenannten heißen Herbst gegeben.
Was mich wirklich erschreckt hat, war die Debatte
Dabei hat ein Mitglied des „fzs"-Vorstandes erklärt -
im Bundesrat und die Haltung der SPD zum Meister
liebe Kolleginnen und Kollegen, nun hören Sie
BAföG in der vergangenen Woche. Ich finde, daß ein
genau zu -, den Studierenden sei von der SPD signa-
solches Verhalten im Bundesrat Bände spricht. Da
lisiert worden, daß der „fzs" mit seinen Aktionen
gibt es junge Menschen, die auf Meister-BAföG hof-
jetzt fortfahren müsse, damit die SPD nicht umfalle.
fen und wollen, daß es zum 1. Januar 1996 in Kraft
tritt. Und dann kommen plötzlich die SPD-Bundes- (Widerspruch von der SPD)
länder und sagen, es habe mit Bildungspolitik über-
haupt nichts zu tun, es gehe um Arbeitsmarktpolitik, Mit solchen Tri cks Stimmung zu machen, das finde
sie könnten sich finanziell nicht beteiligen. Was ich abstoßend. Das ist der Versuch, junge Leute zu
waren das denn alles für Reden zur Gleichrangigkeit instrumentalisieren, statt ihnen Zukunftschancen zu
von beruflicher und akademischer Bildung? Sprüche eröffnen.
waren das, ausschließlich Sprüche, wenn man nicht (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. -
bereit ist, sich daran zu beteiligen. Zurufe von der SPD: Oh!)
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) - Entschuldigen Sie, ich habe das nicht gesagt. Ein
Vorstandsmitglied des „fzs" hat gesagt, die SPD-
Weil die Gleichrangigkeit von beruflicher und aka- Fraktion falle um, wenn man die Aktionen nicht wei-
demischer Ausbildung so wichtig ist, sage ich noch terführe.
eins: Wer als Arbeiterkind auf die SPD setzt, ist in sei-
nen Ausbildungschancen verlassen. (Anhaltende Zurufe von der SPD: Blödsinn!
Aufhören!)
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. -
Zurufe von der SPD: Oh! - Peter Dreßen - Ja, das tut weh. Ich weiß das. Aber die Wahrheit tut
[SPD]: Klassenkampf!) meistens weh.
Die Bundesregierung bleibt bei ihrem Konzept. Der heiße Herbst, der angekündigt worden ist,
Wir werden es auch durchsetzen, wenn es sein muß, wird wohl mehr ein milder Winter werden, nachdem
im Vermittlungsausschuß. sich noch nicht einmal 1 Prozent der 1,9 Millionen
Studentinnen und Studenten an diesen Veranstal-
Genauso ist das auch mit den Hochschulen. Wir tungen beteiligt haben.
haben es mit dem Vorschlag zur Reform der Ausbil- Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir brauchen
dungsförderung geschafft, die Hochschuldebatte mehr Geld für die Hochschulen. Wir werden sie
wieder in Bewegung zu setzen. Die Opposition hat angesichts der konkreten Lage aber von Theo Waigel
versucht, ein paar Modelle vorzulegen. Das Problem nicht bekommen können.
all dieser Modelle ist: Milliardendefizite. Man kann
halt nicht rechnen. (Zuruf von der SPD: Schlimm genug!)
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 69. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. November 1995 6057
Bundesminister Dr. Jürgen Rüttgers
Deshalb müssen wir versuchen, uns im Bereich des Es liegen zwei Änderungsanträge der Fraktion des
Bildungsetats selbst zu helfen. Wir können die alt- Bündnisses 90/Die Grünen vor.
backenen sozialistischen Rezepte, wie wir sie von der
Eine Aussprache ist nicht vorgesehen. Wir kom-
SPD bekommen, eben
men deshalb gleich zur Abstimmung, und zwar-
(Zurufe von der SPD: Oh!) zunächst über den Änderungsantrag der Fraktion
des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 13/
nicht übernehmen. Sie funktionieren nach dem 2869. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? - Wer
Motto: Im Parteihaus Benzingutscheine verteilen und stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? -
an der Tankstelle kein Benzin und lange Warte- Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
schlangen.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 13/
2870? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Ände-
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Bundesregie- rungsantrag ist abgelehnt.
rung versteht sich als Pa rtner eines Zukunftsbündnis-
ses mit den Menschen in unserem Land. Wir werden Wer stimmt für das Haushaltsgesetz 1996 ein-
mit dieser Politik auch im kommenden Jahr weiter- schließlich des Gesamtplans in der Ausschußf as
machen. Wir wollen ein Zukunftsbündnis von Wis- sung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der
senschaft und Wirtschaft, das die Innovationsdyna- Stimme? - Das Haushaltsgesetz 1996 ist damit in
mik in Deutschland stärkt. Ich freue mich darüber, zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitions-
daß auch die Gewerkschaften in diesen Zukunftsdia- fraktionen gegen die Stimmen der Opposition ange-
log mit uns eingetreten sind. Wir sind auf einem nommen.
guten Weg für Innovationen, für mehr Arbeitsplätze,
für Zukunft in Deutschland. Ich rufe die Tagesordnungspunkte II a und II b auf:
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - , a) Dritte Beratung des von der Bundesregierung
Zuruf von der SPD: Wir sind erlöst!) eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über
die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für
das Haushaltsjahr 1996
Vizepräsident Hans Klein: Ich schließe die Aus-
sprache. (Haushaltsgesetz 1996)
- Drucksachen 13/2000, 13/2593, 13/2601 bis
Wir kommen zu den Abstimmungen, und zwar 13/2626, 13/2627, 13/2630 -
zunächst zu den Änderungsanträgen der Fraktion
des Bündnisses 90/Die Grünen. Wer stimmt für den b) Beratung der Beschlußempfehlung und des
Änderungsantrag auf Drucksache 13/2911? - Wer Berichts des Haushaltsausschusses (8. Aus-
stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - schuß) zu der Unterrichtung durch die Bun-
Entschuldigung, das Stimmverhalten der PDS ist hier desregierung
leider nicht erkennbar. - Sie waren dafür. Der Ände- Der Finanzplan des Bundes 1995 bis 1999
rungsantrag ist abgelehnt.
- Drucksachen 13/2001, 13/2593, 13/2631 -
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksa- Berichterstattung:
che 13/2923? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Abgeordnete Dietrich Austermann
Änderungsantrag ist gegen die Stimmen der Antrag- Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen)
steller und der Gruppe der PDS bei Enthaltung der
Fraktion der SPD mit den Stimmen der Koalitions- Zum Haushaltsgesetz liegen zwei Entschließungs-
fraktionen abgelehnt. anträge der Fraktion der SPD und je ein Entschlie-
ßungsantrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die
Wer stimmt für den Änderungsantrag der Gruppe Grünen und der Gruppe der PDS vor. Zur Be-
der PDS auf Drucksache 13/2958? - Wer stimmt schlußempfehlung des Haushaltsausschusses zum
dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Der Finanzplan wurde von der Gruppe der PDS ein Ent-
Änderungsantrag ist abgelehnt. schließungs- und ein Änderungsantrag eingebracht.
Wer stimmt für den Einzelplan 30 in der Ausschuß- Der gemeinsame Entschließungsantrag der Frak-
fassung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich tionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen
der Stimme? - Der Einzelplan 30 ist mit den Stimmen auf Drucksache 13/2921 (neu) wurde zurückgezo-
der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der gen.
Opposition angenommen.
Ich weise darauf hin, daß wir im Anschluß an die
Aussprache über das Haushaltsgesetz und zwei Ent-
Ich rufe auf: schließungsanträge namentlich abstimmen werden.
Haushaltsgesetz 1996 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind
- Drucksachen 13/2627, 13/2630 - für die gemeinsame Aussprache zweieinhalb Stun-
den vorgesehen. - Dagegen erhebt sich kein Wider-
Berichterstattung: spruch. Dann ist das so beschlossen.
Abgeordnete Dietrich Austermann
Michael von Schmude Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wo rt
Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) demKolgnHutWiczrek.
6058 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 69. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. November 1995
Helmut Wieczorek (Duisburg) (SPD): Herr Präsi- tionen eingebracht wurden, nicht reduziert. Sie hat
dent! Meine sehr verehrten Damen und Herren! sich im Gegenteil von 450 Anträgen auf über 600
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am Ende einer erhöht. Dieses - ich will einmal sagen - Übersteuern
arbeitsreichen Beratungswoche haben wir heute in der Berichterstatter durch die Arbeitsgruppen
-
dritter Lesung über den Bundeshaushalt 1996 zu ent- schmälert die Reputation der Berichterstatter inner-
scheiden. Das ist für den Haushaltsausschußvorsit- halb der eigenen Fraktion und muß demotivierend
zenden eine Gelegenheit, dem Plenum zu berichten wirken. Insgesamt ist dies der Sache nicht dienlich.
und auch seine Meinung zu dem vorliegenden Ich hielte es für sehr viel vorteilhafter, wenn die Frak-
Gesetzeswerk deutlich zu machen. tionen die Weichen vor den Berichterstattergesprä-
chen stellten.
Damit Sie die Inhalte und Akzente meiner folgen-
den Ausführungen richtig einordnen und bewerten In diesem Zusammenhang möchte ich mir noch
können, erlauben Sie mir den Hinweis, daß ich einmal den Appell erlauben, in Zukunft im Ausschuß
meine Aufgabe als Ausschußvorsitzender darin sehe, wieder wirkliche Beratungen zu ermöglichen, bei
neutral den Ablauf der Sitzungen zu steuern und als denen jeder das Gefühl hat, sachlich begründete
Bindeglied oder Klammer zwischen Koalition und Veränderungen vornehmen zu können. Im Augen-
Opposition zu fungieren, um zielgerichtet nach blick scheint es mir nach wie vor durch die starren
gemeinsamem Dialog zu vertretbaren Ergebnissen Festlegungen in den Koalitionsabsprachen Ein-
zu kommen. schränkungen zu geben, die die Bewegungsfreiheit
(Jürgen Koppelin [F.D.P.]: Wir bestätigen, der einzelnen Kolleginnen und Kollegen stark beein-
daß du das machst!) trächtigen.
Diese administrative Neutralität kann jedoch nicht (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]:
mit politischer Indifferenz im Sinne von Parteilosig- Wir haben es auch unter uns schwer!)
keit gleichgesetzt werden. Haben Sie deshalb Ver-
ständnis dafür, daß ich aus meinem Herzen im fol- - Ich glaube, daß Sie es unter sich schwer haben, Kol-
genden keine Mördergrube mache. lege Weng; man merkt das regelmäßig. Darum will
ich Ihren Zwischenruf ausdrücklich bestätigen.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN sowie des Abg. Jürgen Kop Meine Damen und Herren, der Beratungsablauf
pelin [F.D.P.]) gestaltete sich auch in diesem Jahr, obwohl ein
Die Beratungen des zweiten Bundeshaushaltes engerer Zeitrahmen vorgegeben war, sehr zügig, bis
innerhalb weniger Monate stellt an alle Ausschuß- die Einzelplanberatungen durch einen bemerkens-
mitglieder hohe Anforderungen. Denn, wie wir alle werten Vorgang jäh in Gefahr gerieten, zur Makula-
wissen, gehen den Sitzungen im Ausschuß vielerlei tur zu werden.
Zeit und arbeitsintensive Vorberatungen auf Bericht-
erstatterebene voraus. Ich stelle mit großer Befriedi- Ich darf zurückblenden: Der Bundesminister der
gung fest, daß sich alle Berichterstatter ihrer Auf- Finanzen hat am 29. September 1996 vor der eigenen
gabe mit großem Einsatzwillen und zwischenzeitlich Fraktion und vor der Presse als Hiobsbotschaft Steu-
immer mehr erworbenem Fachwissen gestellt haben ermindereinnahmen für den Bund in Höhe von
und die vielfältigen Diskussionen im Ausschuß in fai- 10 Milliarden DM für die Haushalte 1995 und 1996 in
rer und sachlicher Weise geführt haben. Aussicht gestellt. Letztlich hat sich allerdings eine
Größenordnung von 20 Milliarden DM für den Bund
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) allein im Jahre 1996 herausgestellt.
Mein Dank gilt in diesem Zusammenhang beson- Herr Minister, ich kritisiere nicht, daß Sie zu die-
ders den Obleuten Adolf Roth, Karl Di ller, Oswald sem Zeitpunkt das Ergebnis noch nicht veröffentlich-
Metzger, Dr. Wolfgang Weng, Frau Dr. Luft sowie ter Daten des Arbeitskreises Steuerschätzung vor-
meinem Stellvertreter Kurt J. Rossmanith und dem weggenommen haben. Ich halte es aber für skanda-
Vertreter der CSU, Bartholomäus Kalb. lös, daß der Finanzminister eine formelle Information
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und des Haushaltsausschusses über die neuesten Eckda-
dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ten für nicht erforderlich hielt und erst auf Antrag
des Obmanns der SPD-Fraktion den Ausschußmit-
Mein Dank gilt allerdings auch den Mitarbeitern gliedern mündlich Rede und Antwort stand.
des Sekretariates, die uns in hervorragender Weise
zugearbeitet haben. (Beifall bei der SPD - Adolf Roth [Gießen]
[CDU/CSU]: Das hat er zuvor schon hier im
(Beifall im ganzen Hause)
Deutschen Bundestag gemacht!)
In diesem Zusammenhang erlaube ich mir, unse-
rem Kollegen Dr. Schnell zum Geburtstag zu gratu- Die Aussagen, die dann kamen, waren global und
lieren. Er wird heute 42 Jahre alt. Er ist trotz seines unpräzise.
Geburtstages hier.
(Beifall) Daß sich der zuständige beamtete Staatssekretär
im Vorfeld sogar weigerte, den Berichterstattern zum
Zu meinem Bedauern hat sich die Flut der Ände- Einzelplan 32 und 60, die genau dafür zuständig
rungsanträge, die noch nach Abschluß der Berichter- waren, Auskunft auf deren konkrete Fragen zu
stattergespräche durch die Arbeitsgruppen der Frak geben - denn das ist ihr Recht -, halte ich für eine
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 69. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. November 1995 6059
Die Frage, wie weit Kritiker unseres Systems das Der Dienstleistende erbringt eine volkswirtschaft-
System des eigenen Vorteils wegen kritisieren, lich zwar berechenbare, aber nicht unbedingt ver-
möchte ich nicht untersuchen, sondern nur der Voll- mehrbare Wertschöpfung. Wenn wir nicht in dem pri-
ständigkeit halber ansprechen. Denn unredlich han- mären Wertschöpfungsbereich die Voraussetzungen
delt auch ein Journalist, der politische Zusammen- schaffen, werden uns auch die Mittel für den dienen-
hänge genau kennt und trotzdem reißerische Über- den Bereich und damit den ergänzenden Bereich
schriften wählt, um einen Artikel zu verkaufen, und nicht zur Verfügung stehen.
sich dann bei Ossi an der Bar damit entschuldigt, er Darum müssen wir in der Politik die Voraussetzun-
habe nur so gehandelt, weil auch die anderen das so gen dafür schaffen, daß wir den Wertschöpfungsan-
machten. teil der Arbeit deutlich erhöhen, wobei Aus- und
(Beifall bei der SPD und der F.D.P.) Weiterbildung ein zentrales Anliegen bleiben und
die Motivation der für dieses Ziel arbeitenden Men-
Ich ermahne Sie, zu logischen und ehrlichen schen gesteigert werden muß.
Schlußfolgerungen zurückzukehren, die sich aus der
Ableitung der Grunddaten ergeben, anstatt wie jetzt Unser Ziel muß es sein, mit einer aktiven Arbeits-
populistisch die politische Meinung und leider auch marktpolitik Arbeit statt Arbeitslosigkeit zu finanzie-
die politische Entscheidung nach der veröffentlichten ren.
Meinung zu richten.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne-
In diesem Zusammenhang müssen wir uns auch ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
darüber unterhalten und vielleicht auch klar werden,
wieweit wir wirklich in unserem Denken im System Arbeitslosigkeit und der Bezug von Arbeitslosenun-
noch reformfähig sind. Mir macht es große Sorgen, terstützung darf nicht die Regel sein, sondern muß
daß wir eine Generation von Schnellschußpolitikern die Ausnahme bleiben. Wir müssen uns ein neues
auf allen Seiten des Parlamentes haben, die jeden gesellschaftliches Klima zugunsten von Innovation
Gedanken, egal mit wieviel Aufwand er erarbeitet und technischem Fortschritt schaffen.
und formuliert wurde, sofort erfassen können, um ihn
abzulehnen, weil er nicht in das eigene vorgefaßte Eine moderne Wirtschaftspolitik heißt auch Flexibi-
Bild, das selten vorurteilsfrei ist, paßt. lisierung der Wirtschaft und Entlastung des Faktors
Arbeit von Steuern und Abgaben. Dabei wollen wir
Sicherlich haben wir nicht mehr die großen The- Sozialdemokraten keinesfalls unserer Verpflichtung
men, die sich aus der Blockbildung der Welt ergeben zum Sozialstaat untreu werden. Im Gegenteil: Der
haben und die es Konrad Adenauer mit der Aussöh- Standort Deutschland ist mit Lohnverzicht allein, so
nung nach Westen und Willy Brandt mit der Aussöh- wie die Bundesregierung es gern darstellt, nicht zu
nung nach Osten ermöglicht haben, die Parlamenta- sichern.
rier auf große Politikfelder zu führen und in der Sach-
auseinandersetzung auch den persönlichen Erfolg zu (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne-
ermöglichen. ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Wir haben heute andere Probleme in unserem Gedrückte Arbeitskosten können gefährdete
Lande, die jedoch von uns genauso große Phantasie Arbeitsplätze nur für eine Weile über die Runden ret-
und Innovation erfordern und die nicht mit dem ten. Gute Wirtschaftspolitik sorgt statt dessen von
Computer im Abgeordnetenbüro zu lösen sind, bei vornherein dafür, daß neue, sichere und gutbezahlte
denen auch nicht die Mitarbeiter und die parlamen- Arbeitsplätze geschaffen werden. Das kann sowohl
tarischen Hilfskräfte die Fragen und Antworten durch die Stärkung von Forschung, Bildung und Wis-
bestimmen können. senschaft geschehen, aber ebenso durch eine innova-
tive Industriepolitik, die neue Zukunftsmärkte
Wir sind alle persönlich gefragt und herausgefor- erschließt.
dert, wenn es darum geht, mit den Herausforderun-
gen unserer Zeit fertig zu werden. Die Massenar- Die Mittelstandspolitik muß sicherlich künftig ein
beitslosigkeit ist die Ursache für die Probleme im größeres Gewicht haben, weil der wirtschaftliche
Staat und die Ursache für die Einschränkung des Mittelstand und das Handwerk der Motor für
finanziellen Spielraums zur Politikgestaltung. Die Beschäftigung, Innovation und technischen Fort-
Frage, auf die ich noch keine Antwort weiß und auch schritt sind.
6062 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 69. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. November 1995
(Beifall bei der CDU/CSU) Meine sehr verehrten Damen und Herren, politi-
sches Gestalten mit vollen Kassen wäre schön. Nur,
Ganz nebenbei darf ich vielleicht der SPD eine jetzt ist verantwortliches Gestalten mit knappen Mit-
Information vermitteln. Die von der SPD-Finanzpoli teln nötig. Dieser Haushalt ist der Beleg für die Mög-
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 69. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. November 1995 6063
Hans-Peter Repnik
lichkeit und die Kunst solch verantwortlichen Gestal- Ich möchte ein drittes Beispiel herausgreifen. Sie
tens. schreiben auf Seite 8:
Die SPD - das kann ich Ihnen nicht ersparen - hat Durch eine gerechtere Finanzierung der aktiven
dies immer noch nicht begriffen. Ich nehme mir nur Arbeitsmarktpolitik sollen die Sozialversiche-
einmal den Entschließungsantrag vor, den die SPD rungsbeiträge gesenkt, Arbeitnehmer und Unter-
hier zur Beratung vorgelegt hat, und lenke Ihre nehmer entlastet und dadurch die Wettbewerbs-
geschätzte Aufmerksamkeit, Frau Matthäus-Maier, fähigkeit verbessert werden.
auf einige wenige Punkte. Insoweit werde ich auch Sie bleiben auch hier die Antwort schuldig, wie Sie
begründen, weshalb wir diesen Entschließungsan- diese Senkung vornehmen wollen und wer sie finan-
trag ablehnen müssen. Auf Seite 5 dieses Entschlie- zieren soll.
ßungsantrages sprechen Sie davon, daß Ihnen eine (Widerspruch von der SPD)
Konsolidierungsperspektive fehle, und sagen gleich-
zeitig auf Seite 6: „Nicht alles, was wünschenswert Vielmehr machen Sie eine ganz einfache Milchmäd-
ist, ist finanzierbar". chenrechnung auf,
(Zuruf von der SPD: Das ist doch richtig!) (Zuruf von der CDU/CSU: Wie immer!)
indem Sie sagen: Wir nehmen das aus dem Topf der
- Ja, da stimme ich Ihnen zu. Nur, ich habe den
Solidarversicherung heraus und finanzieren es über
Antrag sorgfältig gelesen und die Beratungen in die-
die Steuern. Das heißt, die Staatsquote bleibt erhalten,
ser Woche ebenfalls sorgfältig verfolgt. Sie haben in
die Steuern können nicht gesenkt werden, und wir
keinem einzigen Punkt seriöse Einsparungsvor-
haben nicht die dringend benötigte Entlastung für die
schläge vorgelegt. Gleichzeitig fordern Sie im selben
Arbeitnehmer und die Unternehmer. Ein Verschiebe-
Antrag, in dem Sie die Staatsverschuldung geißeln,
bahnhof ohne ein konkretes positives Ergebnis!
auf der Seite 1 Mehrausgaben beim sozialen Woh-
(Beifall bei der CDU/CSU)
nungsbau, im Forschungsbereich, beim Wohngeld,
beim Erziehungsgeld, beim Wehrsold, beim BAföG, Wenn ich bei der Seite 8 Ihres Entschließungsan-
bei der beruflichen Bildung usw. Das alles sind trages bin, dann will ich einen letzten Grund von vie-
zusätzliche Forderungen, ohne daß Sie dafür eine len, die ich hinzufügen könnte, dafür liefern, wes-
Deckung vorgelegt hätten. halb dieser Antrag von uns abgelehnt werden muß.
Sie schreiben völlig zu Recht:
(Ina Albowitz [F.D.P.]: Vollkaskomentalität!)
Bemühungen um einen deutlichen Anstieg der
Schon deshalb ist Ihr Antrag nicht zustimmungsfä- Beschäftigung ist Vorrang einzuräumen.
hig.
Dem stimmen wir zu.
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.-
Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Sagen Sie Ein wesentliches Element dazu ist die Stärkung
doch einmal, welche kostenwirksamen der Kaufkraft der unteren Einkommensschichten
Anträge wir hier gestellt haben!) durch Entlastung bei Steuern und Abgaben.
Verehrte Frau Kollegin Matthäus-Maier, ich (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Ja! Bravo!
komme auf Seite 6 Ihres Antrages zurück, um einen Müssen Sie auch zustimmen!)
anderen Widerspruch deutlich zu machen. Sie sagen: Verehrte Frau Matthäus-Maier, die Beratungen
Wir brauchen einen modernen, innovativen zum Jahressteuergesetz 1996 liegen wenige Wochen
Staat, der sich auf die wesentlichen Aufgaben zurück.
konzentriert. (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Die waren
sehr erfolgreich für uns!)
Prima gebrüllt, eine ganz hervorragende Geschichte,
der wir zustimmen! Nehme ich dann aber das Papier Die Koalition hat im Zusammenhang mit dem Jahres-
zur Hand, das Sie eine Woche früher in Ihrer Frak- steuergesetz 1996 vorgeschlagen, eine Entlastung in
tion beraten und verabschiedet haben, dann lese ich der Größenordnung von 23 Milliarden DM vorzuneh-
dort auf Seite 2: men. Und was hat die SPD mit ihrer Mehrheit im
Bundesrat gemacht,
Der Trugschluß konservativer und wirtschaftsli-
beraler Ideologien liegt in dem Glauben, sie (Zuruf von der CDU/CSU: Abgelehnt!)
könnten die Gesellschaft dadurch stärken, daß und was haben Sie im Vermittlungsverfahren
sie den Staat und seine Gestaltungsfähigkeit gemacht? Sie haben gesagt: Wir sind nicht in der
schwächen. Lage, diese Steuerermäßigung weiterzugeben, weil
das Saarland und Niedersachsen nicht in der Lage
Ja, was wollen Sie nun eigentlich? Wollen Sie weni-
sind, die Steuerausfälle in ihren Haushalten zu ver-
ger Staat, wollen Sie einen schlankeren Staat, oder
kraften. Aus 23 Milliarden DM Steuererleichterun-
haben Sie die Sorge, daß mit solchen Maßnahmen
gen wurden 19 Milliarden DM. 4 Milliarden DM
einmal mehr Ihre Politik konterkariert wird?
haben Sie den Bürgern vorenthalten!
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Sehr gute
Frage!) Auch deshalb lehnen wir diesen Antrag ab.
6064 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 69. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. November 1995
Hans-Peter Repnik
Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Kol- Die Rede ist von Gerhard Schröder. Dies ist sozialde-
lege Wieczorek - ich stimme ihm ausdrücklich zu - mokratisch verantwortete Finanzpolitik.
hat auch in dieser Debatte Haushaltswahrheit und
Haushaltsklarheit eingefordert. Nur, verehrter Kol- (Ina Albowitz [F.D.P.]: Die Überschrift ist
lege Wieczorek, was Sie von der Regierung und von besonders schön: „Der Blender"!) -
der Mehrheit der Koalition hier eingefordert haben, - Ja, ein schöner Titel: „Der Blender". Ich empfehle
gilt natürlich auch für die SPD. Sie haben nirgendwo Ihnen allen, das zu lesen.
eine vernünftige Deckung angeboten. Haushaltsklar-
heit und Haushaltswahrheit fehlen bei der Opposi- (Bundesminister Dr. Theodor Waigel: Der
tion. Sie haben eine Bringschuld, die Sie nicht einge- kommt doch wieder, wenn seine Resoziali-
löst haben. sierung abgeschlossen ist! - Weitere Zurufe
von der SPD)
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
Weshalb sage ich dies alles? - Frau Kollegin Mat-
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sprüche thäus-Maier, ich weiß, daß es Ihnen wehtut. Das ist
in Programmen und in Anträgen sind das eine; die gut so, das ist ja auch beabsichtigt. Ich will damit
verhängnisvollen Folgen Ihrer Politik do rt , wo Sie auch der Öffentlichkeit demonst rieren, daß das, was
Verantwortung tragen, sind das andere. Sie in Papieren auf Parteitagen möglicherweise ver-
abschieden, das eine ist, und daß dort, wo Sie kon-
(Karl Diller [SPD]: Gucken Sie sich mal krete finanzpolitische Verantwortung tragen, die
Herrn Waigel an!) Kehrseite dieser Medaille zu erkennen ist. Genauso,
- Hören Sie mir bitte zu! - Sprüche in Programmen wie es in Niedersachsen läuft, lief es von 1969 bis
sind das eine; verantwortliche Politik dort, wo Sie 1982 unter SPD-Kanzlern in der bundespolitischen
Verantwortung tragen, ist das andere. Verantwor- Verantwortung.
tung tragen Sie zum Beispiel - ich kann es Ihnen Meine sehr verehrten Damen und Herren, hinter
nicht ersparen, noch einmal auf Niedersachsen hin- uns liegen schon Jahre sparsamster Haushaltspolitik.
zuweisen - in Hannover, dem Sitz des früheren Chef-
ökonomen der SPD. Dieser hat in einem Interview (Lachen bei der SPD - Zurufe von der SPD)
einen Ausspruch getan, den ich gern zitieren Theo Waigel hat überzeugend darauf hingewie-
möchte; er könnte von Theo Waigel stammen, unse- sen: Wenn nicht in den ersten sieben Jahren, von
rem Finanzminister. 1982 bis 1989, unter Helmut Kohl und Gerhard Stol-
(Zuruf des Abg. Wilhelm Schmidt [Salzgit tenberg die maroden Staatsfinanzen von den SPD-
ter] [SPD]) Kanzlern und -Finanzministern saniert worden
wären,
- Nein. Ich werde auf den Widerspruch aufmerksam (Lachen bei der SPD)
machen, Kollege Schmidt.
hätten wir die große Leistung der Wiedervereinigung
Ministerpräsident Schröder hat gesagt: „Vor uns nie finanzieren können.
stehen Jahre des eisernen Sparens. "
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
(Ina Albowitz [F.D.P.]: Das ist ein Blender!)
Die D-Mark wäre nicht so stabil, wie sie es jetzt trotz
Allerdings - das unterscheidet ihn von dieser Bun- der Integration der ruinierten DDR ist. Dies muß doch
desregierung, dem Bundeskanzler und unserem deutlich gesagt werden.
Finanzminister -, hinter ihm und seiner Regierung
liegen Jahre der Verschwendung. Wenn Sie es mir und dem Finanzminister nicht
glauben, dann lesen Sie die Stellungnahmen des
(Zuruf der Abg. Ingrid Matthäus-Maier Internationalen Währungsfonds, der Weltbank und
[SPD]) der OECD. Sie alle haben dieser Bundesregierung,
auch diesem Finanzminister, eine herausragende
Die „FAZ" hat ihn in der Ausgabe vom letzten Mon- Qualität bescheinigt - ohne ideologische, parteipoliti-
tag wie folgt zitiert: sche Verblendung. Dies sind die Fakten.
Weil in der Vergangenheit gelegentlich die Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Herr
Augen zugedrückt wurden, war man großzügig. Kollege Verheugen, der im Moment nicht da ist,
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich emp- (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Es ist ganz
fehle Ihnen die Lektüre des Sonderdrucks aus gut, daß er nicht da ist!)
„Impulse" 11/95. Ich möchte drei oder vier Sätze dar-
aus zitieren. Hier steht: hat in seiner Rede am Dienstag dieser Woche mit
Blick auf den Bundeskanzler vom Kanzler der höch-
So sieht die Bilanz eines Verlierers aus: sten Steuern gesprochen.
Hören Sie bitte zu! (Ing rid Matthäus-Maier [SPD]: Das ist die
Wahrheit! - Weiterer Zuruf von der SPD: Zu
Er leistet sich einen der teuersten Verwaltungs- Recht!)
apparate in der Republik. Seit seinem Amtsantritt
macht seine Landesregierung mehr Schulden als Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir
jedes andere westliche Bundesland. Im nächsten haben es hier mit dem Kanzler der Einheit zu tun.
Jahr droht seinem Land die Zahlungsunfähigkeit. Ihm ist es trotz einer in den letzten fünf Jahren erfolg-
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 69. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. November 1995 6065
Hans-Peter Repnik
ten Transferleistung von West nach Ost in Höhe von Mit Ihrem Entschließungsantrag flüchten Sie sich
rund 1 Billion DM - das sind 1 000 Milliarden DM - erneut in persönliche Angriffe und Verfahrenstricks.
gelungen, die Staatsquote für das nächste Jahr nied-
riger zu halten, als sie bei der Abdankung des (Klaus Lennartz [SPD]: Das wollen wir
Kanzlers Helmut Schmidt war. Sie wird im nächsten dahingestellt sein lassen, wer hier T ricks -
Jahr niedriger sein als unter Helmut Schmidt, obwohl anwendet!)
wir die Lasten der Wiedervereinigung zu tragen Leider ist der Kollege Struck nicht da. Ich hätte ihn
haben. Dies sind die Fakten. gern persönlich angesprochen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Ich
Ich muß Ihnen von der Opposition entgegenhalten: vertrete ihn!)
Sie haben weder in den vergangenen Jahren noch in
- Richten Sie es ihm bitte aus, Herr Schmidt.
den letzten Wochen einen konkreten Beitrag zu die-
ser Stabilitätspolitik geleistet. Im Gegenteil: Sie scha- Wenn es noch eines Beweises für die Nervosität
den nur, indem Sie mit hektischen Ablenkungsmanö- und das schlechte Gewissen der SPD bedurft hätte,
vern Unruhe schaffen. ihre unsachliche Kritik, Ihr dann hat das Verhalten des Kollegen Struck während
kleinkariertes Beleidigtsein in der letzten Sitzungs- der Rede des Bundeskanzlers am Mittwoch dieser
woche und Ihr merkwürdiger Auszug aus der Aus- Woche den Beweis dafür geliefert.
schußsitzung
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sie wollten
nicht arbeiten!) Es war hoch spannend, wie der Bundeskanzler in
seinem Debattenbeitrag selbst Ihre Fraktion in den
haben das Vertrauen in die Arbeit des Parlaments Bann gezogen hat.
beschädigt.
(Lachen bei der SPD - Zuruf von der SPD:
(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das
Glauben Sie das wirklich?)
haben Sie doch gar nicht zu kommentie
ren!) Als alle Argumente nichts mehr nützten, haben Sie
Sie haben zudem keine politische Alte rn ative aufge- für Unruhe gesorgt. Dies ist Ihre Politik der Verwei-
zeigt. gerung.
Herr Kollege • Wieczorek, ich würde gerne eine (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg.
Ihrer Bemerkungen korrigieren. Sie haben beklagt, Jürgen Koppelin [F.D.P.])
daß der Finanzminister, nachdem die neuesten Zah- Meine sehr verehrten Damen und Herren, Tatsa-
len aus jener Schätzung, die ja nicht von ihm stammt, che - und damit konkret zu Ihrem Entschließungsan-
sondern von einem Arbeitskreis, an dem auch die trag - ist: Der Haushalt war zum Zeitpunkt der neuen
Länder beteiligt sind, vorgelegen haben, nicht sofort Steuerschätzung bereits im parlamentarischen Bera-
den Haushaltsausschuß unterrichtet hat. tungsverfahren. Damit war der Haushaltsausschuß,
Ich möchte darauf hinweisen, daß Theo Waigel wie der Vorsitzende zu Recht in seiner Rede gesagt
sofort, nachdem diese Zahlen vorlagen, im Plenum hat, Herr des Verfahrens. Er hat von diesem Recht
des Deutschen Bundestages einen Bericht abgege- Gebrauch gemacht und hat unter dem Vorsitz des
ben hat. Anschließend ist er zur Jahrestagung nach von uns sehr geschätzten Kollegen Wieczorek auch
Washington geflogen und direkt danach hat er sich getagt, beraten und beschlossen.
mit seinen Zahlen und Unterlagen dem Haushalts- (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Er hat
ausschuß gestellt. gesagt: Skandal! - Bundesminister
(Karl Diller [SPD]: Weil er zitiert wurde!) Dr. Theodor Waigel: Skandal! - Klaus Len-
nartz [SPD]: Herr Waigel, ein bißchen mehr
Ich bitte, dies zu würdigen und hier keine falschen Contenance! - Karl Diller [SPD]: Bei Waigel
Verdächtigungen auszusprechen. liegen die Nerven wieder blank!)
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Ich möchte Ihre Aufmerksamkeit auf ein anderes
Ihr Auszug aus dem Ausschuß, meine sehr verehr- Täuschungsmanöver lenken. In dramatischen Auftrit-
ten Damen und Herren von der Opposition, und Ihre ten - es war zettelschwenkend von einem „Wisch"
Debattenbeiträge in dieser Woche die Rede; Sie haben es diplomatischer ausgedrückt;
Sie sprachen von einer Tischvorlage - sind Sie auch
(Klaus Lennartz [SPD]: Waren berechtigt! - hier im Plenum dieses Parlamentes leichtfertig mit
Gegenruf des Abg. Steffen Kampeter [CDU/ der Wahrheit umgegangen. In den Beratungen des
CSU]: Sie waren doch gar nicht dabei, Herr Haushaltsausschusses wurden am Haushaltsentwurf
Lennartz!) der Bundesregierung Änderungen in einer Größen-
waren nichts als eine Flucht aus der politischen Ver- ordnung von zweistelligen Milliardenbeträgen vor-
antwortung. Enthaltung nach Enthaltung - das ist genommen. In rund 1 000 einzelnen Fällen wurde
keine Politik. Kehren Sie zur sachlichen, konstrukti- abgesenkt, aufgestockt, neu eingestellt oder gestri-
chen. Dies ist durch die Anträge belegt. Adolf Roth
ven Politik zurück.
hat vor sich einen Ordner mit diesen Anträgen lie-
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) gen. Für die Abstimmungen waren diese Anträge die
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Hans-Peter Repnik
Grundlage. Von daher ist Ihnen nichts vorenthalten Bundesparteitag für Papiere beraten. Auf Seite 10
worden. eines dieser Papiere steht:
(Adolf Roth [Gießen] [CDU/CSU]: Das sind Eine Unternehmensteuerreform muß günstige
allein die vom letzten Jahr! - Karl Diller Rahmenbedingungen für Innovationen und Inve--
[SPD]: Quatsch! Das ist schlicht unwahr, stitionen schaffen.
was Sie hier sagen!)
Richtig, kann ich nur sagen. Das ist eine prima Aus-
Ich sage für meine Fraktion: An der Beteiligung des sage, die wir mit unterstützen.
Finanzministers beim Abschluß des parlamentari- (Zuruf von der CDU/CSU: Aber Sie tun
schen Haushaltsverfahrens gibt es nichts zu bean-
nichts!)
standen. Wir weisen den Antrag der Opposition als
haltlos und unbegründet zurück. Theo Waigel hat Für mich ist interessant, daß dieses Papier, nachweis-
unser uneingeschränktes Vertrauen. lich des Vorspanns, wesentlich von Damen und Her-
ren, die im Bundesrat und im Vermittlungsausschuß
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Verantwortung tragen, geschrieben wurde. Auch sie
haben daran mitgewirkt.
Ich möchte Sie gerne noch an einem anderen Vor-
gang, der vermutlich nicht jedem in diesem Hohen Das Vermittlungsverfahren liegt wenige Wochen
Hause aufgefallen ist, schmunzelnd teilhaben lassen. zurück. Die Koalition hat in diesem Vermittlungsver-
Es lag ein Entschließungsantrag vom 7. November fahren die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer,
1995 betreffend eine Mißbilligung vor; das war am einer Unternehmensteuer, die mittelstandsfreundli-
Dienstag dieser Woche. Dieser Entschließungsantrag che Absenkung der Gewerbeertragsteuer, einer
war von Rudolf Scharping und Fraktion, von Joseph Unternehmensteuer, gefordert. Durch Ihre Blockade-
Fischer, Kerstin Müller und Fraktion unterzeichnet. politik im Bundesrat und im Vermittlungsausschuß
ist dies nicht zustande gekommen; wertvolle Monate
(Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: sind verstrichen.
Die beiden streiten doch dauernd!)
(Ina Albowitz [F.D.P.]: So ist es!)
Heute liegt uns ein Entschließungsantrag mit Datum
vom 9. November 1995, also zwei Tage später und Ich kann nur hoffen, daß Sie in den letzten Wochen
nach den Reden des Finanzministers und des Bun- hier dazugelernt haben.
deskanzlers, vor, der inhaltlich gleich ist. Dieser Ent-
schließungsantrag ist von Rudolf Scharping und (Ina Albowitz [F.D.P.]: Das sind die „Refor-
Fraktion unterschrieben. mer" ! Verhinderer!)
Ich würde mich freuen.
(Joseph Fischer [Frankfu rt ] [BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN]: Keine Sorge! Wir sind trotz Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich
dem gegen Waigel! - Heiterkeit und Beifall möchte Sie einladen. Wenn das, was Sie in Mann-
beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei heim beschließen wollen, umgesetzt werden soll: Sie
der SPD) haben bereits heute nachmittag oder nächste Woche
die Möglichkeit dazu.
- Herr Fischer, Ihre persönliche Unterschrift und die
von Frau Müller fehlen. Ich kann daraus nur den (Karl Diller [SPD]: Kommen Sie mal beim
Schluß ziehen, daß Herr Waigel und Bundeskanzler Parteitag vorbei!)
Kohl Sie in den vergangenen zwei Tagen überzeugt
haben; Sie wissen, das parlamentarische Beratungsverfah-
ren würde es zulassen, daß wir das ursprünglich avi-
(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU sierte Ziel der Abschaffung der Gewerbekapital-
und der F.D.P.) steuer und einer mittelstandsfreundlichen Ausgestal-
tung der Gewerbeertragsteuer zum 1. Januar 1996
sonst hätten Sie Ihre Unterschrift nicht zurückgezo- realisieren und • gleichzeitig den Kommunen eine
gen. Daraus schlußfolgere ich, daß Theo Waigel auch berechenbare Zukunftssicherung für ihre Finanzen
das Vertrauen Ihrer Fraktion hat. Ich bin sicher, daß geben könnten.
der Kollege Metzger dies gleich begründen wird.
(Joachim Poß [SPD]: Nach Verankerung der
(Joseph Fischer [Frankfurt]) [BÜNDNIS 90/ Gewerbesteuer in A rt . 106 des Grundgeset-
DIE GRÜNEN]: Wenn das Herr Stoiber hört, zes! Es gibt Voraussetzungen, die Sie ken-
ist das ein Rücktrittsgrund!) nen!)
Meine sehr verehrten Damen und Herren, das Ver- Wir laden Sie ein.
halten der SPD, das wir in den letzten Wochen erle-
ben mußten, ist für uns keine neue Erfahrung. Ähnli- Vizepräsident Hans Klein: Ihre Redezeit, Herr Kol-
ches haben wir bei den Beratungen zum Jahressteu- lege, ist ein gutes Stück überschritten.
ergesetz 1996 erlebt. Was wollen Sie eigentlich? Frau
Kollegin Matthäus-Maier, ich bin beim Jahressteuer-
gesetz und beim Verfahren. Ich habe mir einmal Hans-Peter Repnik (CDU/CSU): Ich möchte, wenn
angeschaut, was Sie auf dem vor Ihnen liegenden Sie gestatten, noch eine halbe Minute sprechen.
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 69. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. November 1995 6067
Vizepräsident Hans Klein: Ich gestatte es schon. Repnik, vorab eine Bemerkung: Loch für Loch wurde
Aber die anschließenden Kollegen? in dieser Woche in dieser Debatte bestätigt, was zum
Auszug der Opposition in der vorletzten Sitzungswo-
Hans-Peter Repnik (CDU/CSU): Wir laden Sie ein, che geführt hat.
-
in der nächsten Woche zu Gesprächen zusammenzu- (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Ihr wollt
kommen, nicht anständig arbeiten; das ist es!)
(Zuruf von der SPD: In Mannheim!)
Dieser Finanzminister, der „Herr der Schröpfung",
um diese Unternehmensteuerreform jetzt noch, in wie es heute der „Kölner Stadt-Anzeiger" schreibt,
diesem Jahr, abzuschließen. der im nächsten Jahr die Steuer- und Abgabenquote
nicht reduziert, der versucht, den Haushalt auf dem
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge Papier mit Luftbuchungen zu sanieren, sollte daraus,
ordneten der F.D.P. - Zuruf von der SPD: Da daß wir den SPD-Antrag nicht mit unterschreiben,
müssen Sie nach Mannheim kommen!) nicht ableiten, daß wir sein Vorgehen nicht mißbilli-
Abschließend, meine Damen und Herren: Ich bin gen. Man soll aber andererseits nicht glauben, daß
nicht so zuversichtlich, daß die guten Noten, die die- die grüne Fraktion gemeinsam mit der Sozialdemo-
ses Papier jetzt bekommen hat, auch Bestand haben kratie diesen Mißbilligungsantrag hätte einbringen
werden. müssen, da die Sozialdemokratie in dieser Woche
nicht den Mut hatte, selbst für die Anträge zu stim-
men, zu denen sie ansonsten im politischen Alltag in
Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege, bitte.
dieser Republik steht,
Hans-Peter Repnik (CDU/CSU): Die Fraktion hat (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
mir noch eine Minute Redezeit zugestanden, Herr sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und
Präsident. der F.D.P. - Steffen Kampeter [CDU/CSU]:
Mutlos!)
Vizepräsident Hans Klein: Das ist mir neu. Das ist beispielsweise in bezug auf die Gemeinschaftsauf-
gar nicht möglich, weil die gesamte Fraktion noch gabe Ost, den Eurofighter, die MEKO-Fregatten.
das an Redezeit „einholen" muß, was Minister Rütt- Man sollte sich nicht wundern, wenn wir unsere
gers überzogen hat. Unterschrift zurückziehen. Soviel dazu.
(Joseph Fischer [Frankfu rt ] [BÜNDNIS 90/ Ich möchte auf Grund der Eingangsrede des Kolle-
DIE GRÜNEN]: Das ist typisch! So geht ihr gen Wieczorek als Obmann unserer Fraktion ihm für
auch mit dem Haushalt um - wie mit der seine Arbeit im Ausschuß danken,
Redezeit! - Gegenruf der Abg. Ina Albowitz
[F.D.P.]: Ordentlich!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
auch den Obleuten der anderen Fraktionen. Ich
Hans-Peter Repnik (CDU/CSU): Gut. Dann komme
möchte ein Beispiel anführen: Trotz der Hektik der
ich zum Schluß.
vorletzten Sitzungswoche mit dem Auszug der Oppo-
Dieser Haushalt gibt Antwort auf viele uns sition hat Kollege Wieczorek dafür gesorgt, daß die
gestellte Zukunftsfragen. Er ist seriös; er ist stabili- traditionelle Abschlußfeier des Haushaltsausschus-
tätsgerecht, er ist inflationshemmend, ses zustande kam. Auch die Opposition hat mitgefei-
ert. Dies vielleicht als Beispiel dafür, daß Kollegialität
(Dr. Uwe Küster [SPD]: Jetzt ist aber im Haushaltsausschuß auch solche Strapazen über-
Schluß!) steht.
er ist international beispielhaft. Deshalb stimmen wir
ihm zu. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU -
Zuruf von der CDU/CSU: Helmut, wir dan-
(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und ken dir!)
der F.D.P.)
Nun aber zum Inhalt. Wir sind in einer Situation, in
der es überhaupt nicht weiterführt, wenn die Diskus-
Vizepräsident Hans Klein: Macht uns doch bitte sion auf dem Niveau läuft, um das sich Herr Kollege
das Leben hier oben angesichts des gewaltigen Zeit- Repnik heute wieder bemüht hat. Er hält der Opposi-
drucks, unter dem das ganze Haus steht, nicht tion vor, wie die Finanzsituation in Niedersachsen
schwer! Wenn ein Minister seine Redezeit deutlich und in den Ländern aussieht. Wer selber die Hosen
überzieht und nicht reagiert und wenn auch der voll hat, braucht doch nicht auf andere Leute mit vol-
nächste Kollege überzieht, dann muß ich sagen: Das len Hosen zu verweisen.
geht auf Kosten der folgenden Kollegen, die spre-
chen wollen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
Ich erteile das Wort dem Kollegen Oswald Metz- bei der SPD und der PDS)
ger. Die gesellschaftspolitische Situation ist nun einmal
so, daß wir eine Strukturkrise der öffentlichen Haus-
Oswald Metzger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): halte in Deutschland haben, vom Bund angefangen
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kollege über die Bundesländer bis zu den Gemeinden.
6068 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 69. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. November 1995
Oswald Metzger
Wenn einem nicht mehr dazu einfällt, als sich haben, was dazu führt, daß die Einnahmen der Bun-
gegenseitig irgendwelche Vorhaltungen zu machen, desanstalt für Arbeit geringer als erwartet ausfallen,
dann können wir einpacken. Kreativität ist gefragt. daß die Arbeitslosenhilfezahlungen im Bereich der
Insofern gab es in dieser Woche wenigstens eine Bot- Versorgung der von Arbeitslosigkeit Betroffenen
schaft hier im Haus: Der IG Metall-Chef Zwickel noch mehr steigen werden, als es die Koalition im
erzielte mit seinem Vorschlag zumindest eine Rahmen dieser Haushaltsberatungen eingeräumt
gewisse Resonanz, wobei es von Resonanz bis zur hat.
tatsächlichen Wirkung ein weiter Weg ist.
Wie wollen Sie angesichts einer solchen Vorbela-
Ich möchte ein paar strukturelle Bereiche skizzie- stung tatsächlich seriös glauben, daß dieser Haushalt
ren, die in unserem Entschließungsantrag auftau- in dem Rahmen bleibt, wie Sie sich ihn vorstellen?
chen. Dort, Kolleginnen und Kollegen von der SPD, Sie werden nächstes Jahr, weil die Kommunal- und
bemühen wir uns tatsächlich nicht nur - was wir Länderhaushalte ihre bisherigen Soll-Verschul-
auch hätten tun können - um Politlyrik, darum, pro- dungsansätze überschreiten, die in der Finanzpla-
grammatische Schwerpunkte aufzulisten, ohne ange- nung der Landesfinanzminister und vieler kommuna-
sichts der Deckungslücken im Bundeshaushalt ler Kämmerer enthalten sind, eine Überziehung in
eigene Streichungsvorschläge zu machen. Vielmehr der Fremdfinanzierung erhalten, die das Maastricht-
benennen wir auch Bereiche, in denen Kürzungen Kriterium, die 60-Prozent-Marge, bei der die Ver-
vorgeschlagen werden. schuldungssituation aller öffentlichen Haushalte eine
Insofern sind wir die einzige Fraktion in diesem Rolle spielt, wahrscheinlich übersteigen wird.
Haus, die heute, zumindest nach unseren Vorstellun- (Adolf Roth [Gießen] [CDU/CSU]: Deshalb
gen, ein relativ schlüssiges Deckungskonzept vor- haben wir ja den Solidaritätspakt!)
schlägt. Es muß uns erst einmal jemand nachma-
chen, daß eine Fraktion in einem Gesamtvolumen - Herr Kollege Roth, der Einwand ist richtig. Wir
von 8 Milliarden DM den Abbau von Steuervergün- brauchen einen Solidaritätspakt. Sie merken ja, ich
stigungen und von Subventionen vorschlägt und bemühe mich um eine differenzie rte Argumentation.
damit die eigenen Maßnahmen im Bereich Arbeits- Natürlich sitzen alle Gebietskörperschaften, was die
marktpolitik und Verkürzung der Arbeitslosenhilfe Finanzsituation betrifft, im gleichen Boot. Deshalb
sauber gegenfinanziert. nützt es überhaupt nichts, wenn wir eine Debatte auf
dem Niveau führen, wie wir es jetzt in den letzten
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Tagen hier gehabt haben. Solche Haushaltsdebatten
Zu den strukturellen Problemen dieses Bundes- langweilen mich als grünen Haushälter angesichts
haushalts. Wir haben eine Steuer- und Abgaben- der Herausforderungen, denen sich unsere Gesell-
quote, die im nächsten Jahr, Herr Finanzminister, schaft ausgesetzt sieht.
eben nicht sinkt. Vielmehr ist das in sich zusammen- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
gebrochen, was Sie im September noch jubelnd ver-
kündet haben: Das Jahr 1996 wird das Jahr der Steu- In jedem Kommunalparlament irgendwo in der ober-
ersenkungen sein, und damit wird der Wachstumslo- schwäbischen Provinz wird inzwischen quer durch
komotive, vor allem dem Bereich Kaufkraftnachfrage die Fraktionen seriöser als hier über Ausgabendiszi-
zusätzlich Geld zugeführt. plinierung und die Notwendigkeit geredet, Schwer-
punkte auf das zu legen, was zukunftsfähig ist.
Wir haben nächstes Jahr durch die Pflegeversiche-
rung und durch die Erhöhung der Sozialversiche- Die Schwerpunkte der Investitionen der öffentli-
rungsbeiträge in der Rentenversicherung tatsächlich chen Haushalte müssen aus betriebswi rtschaftlicher
die Situation, daß der Kaufkraftzufluß an die Bevöl- Sicht gesetzt werden. Wir müssen die Energiewende
kerung praktisch ein Nullsummenspiel ergibt. Die finanzieren, zum Beispiel - ganz banal gesprochen -
grüne Bundestagsfraktion hat Ihnen aber schon Energiesparinvestitionen für öffentliche Gebäude
lange vor dem September vorgehalten, daß die Rech- fördern oder Anreize dafür geben, daß die Bevölke-
nung mit der Steuerentlastung nicht aufgeht. Das ist rung vorsorgende Investitionen tätigt, um künftige
der eine Punkt, wo Sie im nächsten Jahr auf das Prin- Kosten zu vermeiden. Von der Kraft-Wärme-Kopp-
zip Hoffnung setzen müssen, weil Sie das wahr- lung beispielsweise - das wissen Sie genau - würden
scheinlich nicht realisieren können, was Sie sich im die mittelständischen Bet riebe der Installationswirt-
Bereich Wachstum erhoffen. schaft profitieren. Sie zu fördern würde Arbeitsplätze
schaffen. Das wäre nicht nur ökologisch, sondern
Sie wissen, daß die OECD und die Wirtschaftsfor- auch ökonomisch sinnvoll.
schungsinstitute die Wachstumsraten im Bereich der
Konjunktur inzwischen deutlich nach unten reduziert (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
haben. Ihre Finanzplanung geht von viel zu optimi-
stischen Erwartungen aus. Deshalb ist es aus Sicht Ähnlich ist es, wenn Sie eine Verkehrswende
des Novembers 1995 absolut ausgeschlossen, daß Sie angehen: Was nützen uns die schönsten Autobah-
im Bereich der Steuereinnahmen wesentlich günsti- nen, die schönsten Umgehungsstraßen, wenn damit
ger fahren als dieses Jahr. Es fehlen die Rahmenbe- nur mehr individueller Verkehr, ein höherer CO2-
dingungen dafür. Ausstoß, mehr Staus, ein größeres Chaos produziert
werden und mehr Verkehrsopfer zu beklagen sind,
Sie brauchen sich nur die Daten auf dem Arbeits- während sinnvolle Investitionen in das Schienennetz
markt anschauen. Die Zahl der Arbeitslosen wird dieser Republik verabsäumt werden? Sie fördern lie-
eine Größenordnung von 3,5 Millionen oder mehr ber eine Paralleltechnologie wie den Transrapid, die
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 69. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. November 1995 6069
Oswald Metzger
Investitionen in Höhe von -zig Milliarden bindet, blik in den letzten Jahren systematisch ihre tatsäch-
statt sinnvollerweise ein Programm zur Förderung lich bezahlten Ertragsteuern reduzieren konnten.
des öffentlichen Personennahverkehrs aufzustellen. Auf Grund der weltweiten Verflechtung mittels Hol-
dings und Beteiligungsgesellschaften ist es ihnen
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN möglich, ihre Erträge im Ausland, wo die Ertragsteu- -
sowie der Abg. Dr. Dagmar Enkelmann ern niedriger sind, zu versteuern. Dieses Problem
[PDS] - Roland Sauer [Stuttgart] [CDU/ führt dazu, daß selbst in Zeiten, in denen die Wi rt
CSU]: Wieso sind Sie denn zu Hause für die -schaftlorie,EägdGßbtrieamu-
Straßen?) schen Fiskus vorbeifließen. Dieses Problem müssen
Wir müssen der Tatsache Rechnung tragen, daß wir angehen. Das erkennen auch wir als Grüne.
ein struktureller Mangel in dieser Gesellschaft auch
in der zu hohen Steuer- und Abgabenquote liegt. (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Dann müssen
Dies führt dazu, daß auch der Durchschnittsbürger in Sie unseren Vorschlägen zustimmen! -
die Schattenwirtschaft gedrängt wird. Extrem viele Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Sie
Umsätze und damit potentielle Steuereinnahmen sind schon weiter als die SPD!)
gehen am Staat vorbei, weil jeder Mensch - aus mir
durchaus nachvollziehbaren Gründen - versucht, Seriöse Wirtschafts- und Finanzpolitik verlangt sol-
seine persönliche Steuerlast zu minimieren. che Erkenntnisse.
Also hilft doch nur eines: Machen wir Ernst mit der Diese baren Selbstverständlichkeiten - sie sind für
Ankündigung - diese Aufforderung geht auch an manche im Raum wahrscheinlich nur deshalb inter-
den kleinen Koalitionspartner F.D.P. -, Steuervergün- essant, weil sie ein Grüner sagt - spreche ich an, weil
stigungen und Subventionen abzubauen, um die wir Sparpotentiale realisieren und ein Umsteuern in
nominelle Steuerbelastung tatsächlich reduzieren zu dieser Gesellschaft erreichen wollen, das auf eine
können. Nur so kann die Steuerbelastung eines nachhaltige Finanz- und Haushaltspolitik hinaus-
Systems, das heute nur die Begüterten dieser Gesell- läuft.
schaft überdurchschnittlich begünstigt, in das rich-
tige Lot gebracht werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Uwe-Jens Rössel [PDS])
sowie bei Abgeordneten der PDS)
Ich fühle mich nicht als häushälterischer Erbsen-
Gehen wir diese Herkulesaufgabe einmal an, Kol- zähler, wie viele der Kolleginnen und Kollegen,
lege Weng, Kollegin Albowitz! Ihr wirtschaftspoliti- manchmal auch der eigenen Fraktion, Haushälter
scher Sprecher Lambsdorff hat - nachdem er jetzt bezeichnen,
zwei Wochen zum Stillhalten vergattert war, weil die
F.D.P. entgegen ihrer ursprünglichen Forderung (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Man muß
beim Haushaltssicherungsgesetz eingeknickt ist - sich auch in Details auskennen!)
diese Woche das gleiche gefordert.
Wir müssen dieser Situation Rechnung tragen und sondern mir geht es darum, tatsächlich die Schief-
die nominelle Steuerbelastung zurückfahren, aber lage der öffentlichen Haushalte strukturell in eine
um den Preis des Abbaus von Steuervergünstigun- andere Situation zu bringen. Wir brauchen Investi-
gen und Subventionen. tionsspielräume.
Es geht natürlich auch um folgendes, Herr Finanz- Wir müssen noch an einen anderen Bereich den-
minister: Eine Regierung, die mit einer so knappen ken, nämlich den Ausgabenbereich des Staates. Der
Mehrheit regiert, kann es sich offensichtlich nicht lei- Staat soll tun, was des Staates ist, aber nicht alles an
sten und hat nicht die Kraft dazu, tatsächlich die Axt sich ziehen, weil der Staat nicht alles besser macht.
an liebgewonnene Gewohnheiten zu legen. Wir müs-
sen diese Kraft aber aufbringen, weil wir sonst das (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS-
Umsteuern nicht schaffen. SES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und
Genau das gleiche Problem gibt es im Bereich der der F.D.P.)
Unternehmensteuern. Die Bundesrepublik Deutsch-
land hat die höchsten nominalen Steuerquoten für - Der Beifall kommt zu früh. Da sind Sie zu kurz
Kapitalgesellschaften: im Westen - wo noch die gesprungen.
Gewerbekapitalsteuer erhoben wird - von mehr als
60 Prozent, Allerdings ist Privatisierung als solche kein All-
heilmittel, wie viele Beispiele zeigen. Wenn Sie nach
(Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Dann dem Motto verfahren: Die guten Risiken des Staates
schaffen wir sie ab!) werden privatisiert und die schlechten bleiben beim
Staat hängen, verschlechtern Sie natürlich insgesamt
im Osten noch von knapp 60 Prozent. Damit liegen
die fiskalischen Rahmenbedingungen für den öffent-
wir knapp vor Japan. Ich weiß, Herr Schäuble, daß
lichen Haushalt.
ich Ihnen das nicht zu sagen brauche. Ich sage das
auch in Richtung der Sozialdemokraten.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Dieses Maß der nominalen Steuerbelastung hat sowie bei Abgeordneten der SPD und des
dazu geführt, daß die großen Konzerne dieser Repu Abg. Dr. Uwe-Jens Rössel [PDS])
6070 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 69. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. November 1995
Oswald Metzger
Die Haushälter wissen, daß das keine seriöse und dern in den nächsten Jahren dauerhaft die politische
nachhaltige Haushaltspolitik wäre. Debatte bestimmen wird.
(Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Das dürfen Sie nicht statisch sehen! - Zuruf sowie bei Abgeordneten der SPD und der -
von der SPD) PDS)
Hier fiel gerade das Stichwort Tafelsilber. Herr Deshalb noch einmal mein Appell an alle in diesem
Finanzminister, schauen Sie sich doch an, wie die Haus: Wer glaubt, vor dem Hintergrund der Ver-
Finanzplanung in den nächsten Jahren aussieht. Sie knappung der öffentlichen Mittel parteipolitisches
sind im September bei der Finanzplanung mit dem Kapital aus der Debatte schlagen zu können, der
Anspruch angetreten, die Staatsquote zurückzufüh- täuscht sich. Jeder von uns in diesem Haus trägt, mit
ren. Das Ziel ist okay. Das werden Sie aber auf Grund wenigen Ausnahmen, irgendwo auf Bundesländer-
der Ausgangssituation mit der reduzierten Steuer- ebene Regierungsverantwortung; im kommunalen
schätzung jetzt nicht erreichen, weil die Finanzpla- Bereich tun dies ohnehin ganz viele. Alle stehen vor
nung Makulatur ist. Sie glauben doch selber nicht, der gleichen Aufgabe, und niemand ist bereit, um
daß Sie im Jahr 1999 mit 29 Milliarden DM Neuver- des Populismus willen tatsächlich entsprechende
schuldung auskommen, wie es jetzt in der Finanzpla- Antworten zu geben.
nung steht. Wenn wir finanzpolitisch redlich argumentieren
wollen, wie es der Haushaltsausschußvorsitzende
Für das Jahr 1996 haben Sie nach den Verände-
Helmut Wieczorek gesagt hat, müssen wir uns an
rungen, die der Regierungsentwurf seit September
dem Punkt selbst ein Stück weit zurücknehmen und
erfahren hat, allein rund 10 Milliarden DM Einmaler- ein Stück Gemeinsamkeit in der Finanzpolitik als
löse. Stichwort: Verscherbelung des Tafelsilbers.
Basis der Lebensqualität einer Gesellschaft an den
Diese Einnahmen können Sie ab 1997 nicht wieder- Tag legen.
holen.
(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Gemein-
(Uta Titze-Stecher [SPD]: Die machen alles!) samkeit mit euch kostet immer nur Geld!)
Sie werden auch nicht jedes Jahr, weil das ein reiner Diese Gemeinsamkeit fordere ich ein. Sie verlangt
Buchungstrick ist, durch das Vorziehen der Mineral- aber, daß sich natürlich auch die Regierungskoalition
ölsteuer 2,6 Milliarden DM auf der Habenseite des ein Stück weit zurücknimmt. Deshalb hätte ich es gut
Bundeshaushalts einstellen können. gefunden, wenn sich die Haushälter der Koalitions-
fraktionen in der vorletzten Woche eben nicht zu
(Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Da Jasagern entwickelt hätten, die innerhalb von weni-
haben Sie recht!) gen Tagen die unse ri ösen Deckungsvorschläge des
Finanzministers durchgewinkt hätten,
Hier fehlen Ihnen dann im Prinzip schon runde
13 Milliarden DM als Ausgangsbasis. Wenn Sie dann (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Wir haben
wirklich Ihre Nettoneuverschuldung ab 1997 unter ordentlich beraten und unsere Pflicht
50 Mill iarden DM fahren müßten, müßten Sie im erfüllt, ganz im Gegensatz zu Ihnen!)
Saldo nach meiner Rechnung schon über 20 Mil-
liarden DM als Einnahmeverbesserung des Bundes sondern gesagt hätten: Wir wollen ausreichende
erzielen. Das werden Sie nach menschlichem Ermes- Beratungszeit. Eigentlich wäre die Zeit reif für eine
sen nie und nimmer schaffen, weil auch das Steuer- Ergänzungsvorlage der Regierung. - Wir hätten dann
recht selbst im nächsten Jahr ein großes Risiko birgt. eine seriöse Diskussion unter Beteiligung der Oppo-
Das wissen Sie so gut wie ich. sition gehabt und hätten vielleicht ein Ergebnis
erreicht, das besser aussähe als das, was wir heute
Durch das Auslaufen der hohen Sonderabschrei- haben.
bungen für den Osten ist möglicherweise zu erwar-
Vielen Dank.
ten, daß es ähnlich wie beim Auslaufen von
Abschreibungsregelungen, zum Beispiel beim Kauf (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
von Altbauwohnungen, nächstes Jahr eine A rt bei der SPD und der PDS)
Finsh-Efektgb,daßLusichnoverg
und ihre veranlagte Einkommensteuer und Körper-
Vizepräsident Hans Klein: Das Wort hat Kollege
schaftsteuer in den Keller fährt.
Dr. Wolfgang Weng.
Vor dem Hintergrund, daß bisher nur ein Drittel
der Steuerrückgänge konjunkturbedingt ist und die Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) (F.D.P.): Herr Präsi-
Wachstumserwartungen inzwischen nach unten kor- dent! Meine Damen und Herren! Die Äußerungen
rigiert wurden, ist möglicherweise im nächsten Jahr des Kollegen Metzger sind in einigen Punkten sicher
der Anteil der konjunkturell bedingten Steueraus- interessant und richtig. Aber an einer Stelle hat er
fälle höher als dieses Jahr. Der Basiseffekt der Steu- sich ganz eklatant selber widersprochen. Das macht
erabzüge durch die Sonderabschreibungen Ost dann immer deutlich, daß es sehr leicht ist, aus der
kommt dazu. Dann können wir hier gemeinsam das Oppositionsrolle heraus große Worte zu führen. Herr
Kreuz schlagen, weil viele im Haus dann erst begrei- Kollege Metzger, eingangs Ihrer Rede haben Sie
fen, daß die Finanzkrise der öffentlichen Haushalte gesagt, über das, was in den Bundesländern los sei,
kein Einmaleffekt und kein Zweimaleffekt ist, son sollten wir hier überhaupt nicht reden. Ausgangs
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 69. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. November 1995 6071
Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen)
haben Sie gesagt, überall sei irgend jemand mit in Boden verliert, dann kann die Koalition ruhig und
der Verantwortung, und deswegen müsse über alles gelassen sein.
gesprochen werden. Dies paßt natürlich nicht zusam-
men. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU -
Ingrid Matthäus-Maier [SPD] Die „Leon--
(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) berger Kreiszeitung"!)
Wir haben durch die Mehrheitsverhältnisse im Bun- Ich meine, ein Herausforderer, der sitzen bleibt, hat
desrat, durch die Mehrheitsverhältnisse im Vermitt- versagt.
lungsausschuß und durch die Pflicht des Bundes,
bankrotte Länder zu sanieren, nämlich genau die (Lachen bei der SPD - Peter Dreßen [SPD]:
Situation, daß schon über alles gesprochen werden Keiner klatscht!)
muß, was in den einzelnen Gebietskörperschaften
vor sich geht. Deswegen gibt es einen Stabilitätspakt Haushaltsdebatte als Stunde der Opposition? Hier
aller Gebietskörperschaften. hat sich wieder einmal gezeigt, daß die SPD nicht
einmal diese Rolle spielen kann.
Der SPD muß man vorhalten, daß sie, als Kollege
Repnik von „sparsamster Haushaltspolitik" gespro- (Ina Albowitz [F.D.P.]: Die können über-
chen hat, furchtbar gelacht hat. Meine Damen und haupt keine Rolle!)
Herren, die gleiche SPD hat an anderer Stelle immer
Die Grünen wenigstens haben beg riffen, daß der
vom „Kaputtsparen" geredet. gemeinsame Auszug aller Oppositionsgruppierun-
(Jürgen Koppelin [F.D.P.]: Genau!) gen aus dem Haushaltsausschuß ein Schlag ins Was-
ser war,
Entweder war es zuviel, oder es war zuwenig, aber
es kann nicht beides gewesen sein. Sie machen sich (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)
mit solchem Verhalten lächerlich.
und sind in der Plenarberatung in der zweiten
(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne Lesung in dieser Woche zur Sacharbeit zurückge-
ten der CDU/CSU) kehrt.
Bei der dritten Lesung des Bundeshaushalts läßt (Karl Diller [SPD]: Herr Weng, wo ist denn
man natürlich auch die abgelaufene Woche einmal Graf Lambsdorff? Ist der wieder in der Toi-
Revue passieren. Ich habe vor allem die Medien im lette eingesperrt worden? - Ina Albowitz
Laufe dieser Woche sehr aufmerksam verfolgt, weil [F.D.P.]: Er ist immer bei uns!)
das, was sie darstellen, nachher die Öffentlichkeit
zur Kenntnis erhält. Erwartungsgemäß hat die Strate- Die Oppositionsfraktion SPD dagegen hat sich
gie der SPD-Oppositionsfraktion und ihres Vorsitzen- darin gefallen, sich zu allen Sachanträgen der
den vom Mittwoch bei der Debatte über den Kanzler- Stimme zu enthalten und selbst keine Anträge zu
haushalt interessante Medienreaktionen ausgelöst. stellen. Sie hat auch keine Alternativen aufgezeigt.
Natürlich haben wie immer die SPD-nahen Bericht- Zwischen Grün-Rot und Knallrot eingekeilt, fällt der
erstatter einen großen Erfolg gefeiert, die eher kon- SPD nichts mehr ein.
servativen von einem Schlag ins Wasser geredet. Das (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne-
kennen wir schon. Für mich war aber interessant, wo ten der CDU/CSU - Peter Dreßen [SPD]: Ist
und wie politisch neutrale Journalisten die Tatsache das das Niveau der F.D.P. im Jahre 1996?)
bewertet haben, daß Herr Scharping versucht hat,
den Bundeskanzler auszusitzen - nach meinem Wer sich an den Beratungen nicht beteiligt, kann
Gefühl übrigens nicht intelligent. tatsächlich gleich zu Hause bleiben und das Opposi-
tionsfeld räumen. Die SPD hat es freiwillig den Grü-
(Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Auch das ist nen überlassen.
richtig!)
(Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Sehr wahr!)
Ich zitiere Gunter Hartwig aus der „Leonberger
Kreiszeitung": Deren Oppositionsrolle bedeutet natürlich keine
Regierungsfähigkeit. Zu Unterschiedliches und zu
(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Sehr
Gegensätzliches ist aus den grünen Reihen vorgetra-
neutral! - Peter Dreßen [SPD]: Eine füh gen worden. Die Positionen gehen wild durcheinan-
rende Zeitung!)
der.
Kohl bot Grundsätzliches zu Europa, etwas Lyrik
Auch geschickte Verschleierung, Herr Kollege
zur Wirtschaftspolitik und zum Schluß Bissiges.
Metzger, kann nicht verdecken, daß man immer nur
Scharping antwortete mit bekannten Vorwürfen
weitere Belastung der Bürger mit zusätzlichen Abga-
und bohrender Klage über die Bilanz, zumindest
ben und Steuern im Auge hat. Wenn die Deckungs-
verlor Scharping nicht weiter an Boden.
vorschläge, mit denen die Grünen ihre Mehrausga-
(Heiterkeit bei der F.D.P.) ben bestreiten wollten - auf sie hat Herr Metzger vor-
hin wieder hingewiesen, aber geschickt getarnt -,
Meine Damen und Herren, wenn der Erfolg des auf sogenannten Einnahmeverbesserungen beruhen,
Herausforderers sein soll, daß er nicht weiter an dann wird hier genau das gemacht, was wir nicht
6072 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 69. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. November 1995
(Zuruf des Abg. Peter Dreßen [SPD]) (Beifall bei der F.D.P. - Peter Dreßen [SPD]:
Sie sind doch auf dem Bauch damit gelan-
Die SPD entlarvt sich selbst, Herr Gewerkschafts- det! - Gegenruf der Abg. Ina Albowitz
funktionär, an vielen Stellen mit ihrem Parteitagsan- [F.D.P.]: Warten wir einmal ab!)
trag, der in dieser Woche hier kursierte.
- Die sehr unterschiedlichen Äußerungen von der
Lassen Sie mich ein kleines Beispiel nennen, weil linken Seite des Hauses lasse ich dahingestellt. Das
kleine Beispiele oft für die große Dimension stehen. kennen wir schon.
Seit langem hat die F.D.P. gefordert, auch den Privat-
haushalt als einen ganz normalen Arbeitsplatz zu Hier braucht es eine schnelle Entscheidung der
ermöglichen. Unionsfraktionen.
(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne (Beifall bei der F.D.P.)
ten der CDU/CSU)
Meine Damen und Herren Kollegen von der Union,
Hierzu hat Frau Matthäus-Maier auf der Suche nach wir alle blicken auf die anstehenden Wahlen im
Kampfbegriffen die diffamierende Bezeichnung März, darunter auch die Landtagswahl in Baden
„Dienstmädchenprivileg" erfunden. Württemberg. Dort stellt sich eine große Koalition
nach vier Jahren kleiner Politik den Wählern.
(Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Frechheit!)
(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Nein! Sie
Jetzt schreibt die SPD in ihren Parteitagsantrag -
stellt sich nicht den Wählern!)
wörtlich -:
Bei uns gibt es die Sorge, Herr Kollege Repnik, daß
Es sind Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß
eine Hängepartie in Sachen Ladenschluß von eini-
bei Dienstleistungen für p rivate Haushalte gut
gen Politikern aus Ihren Reihen zu einer Doppelstra-
bezahlte und sozial abgesicherte Arbeitsplätze
tegie Anlaß sein könnte. Während in Bonn der
entstehen.
gemeinsame Kompromiß, den auch viele von Ihnen
(Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Das ist ver wollen, auf die lange Bank geschoben wird, wirbt
nünftig! - Ing rid Matthäus-Maier [SPD]: man vor Ort um Stimmen aus dem Einzelhandel
Weiterlesen! Wie heißt der nächste Satz?) gegen die F.D.P.
Genau dies haben wir immer gefordert. Die Bezah- Jeder weiß, daß bei einem laufenden politischen
lung wird sicherlich wie überall am Markt zwischen Vorhaben immer viel Unruhe gegeben ist, daß aber
Angebot und Nachfrage durch die Tarifparteien ent- nach Abschluß dieser Vorhaben üblicherweise alle
schieden, und sie wird durch die Tarifparteien gere- Betroffenen sehen, daß das Ganze doch in Ordnung
gelt. Die soziale Absicherung muß bei einem ordent- war und daß es Besserung gibt, und sie ihre Chancen
lichen Arbeitsverhältnis wohl selbstverständlich sein. erkennen, und dann wieder Ruhe einkehrt. Deswe-
gen ist ein solches offenes Verfahren niemals wün-
(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU - schenswert.
Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Sonst ist es
nämlich keins! - Karl Diller [SPD]: Feigling, Ich erinnere Sie, meine Damen und Herren Kolle-
lies den nächsten Satz!) gen von der Union: Es war Ihr baden-württembergi-
scher CDU-Kollege Haungs, der als erster öffentlich
Die totale Umkehr der SPD in Richtung Vernunft den Durchbruch verkündet hat.
wäre zu loben. Aber das Ganze wird kaschiert, weil
man nämlich über die Frage der steuerlichen Absetz- (Jürgen Koppelin [F.D.P.]: Jawohl, das wer-
barkeit dieser Aufwendungen keinen Ton verliert, den wir auch immer erzählen!)
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 69. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. November 1995 6073
Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen)
Es war der baden-württembergische Vorsitzende Erhöhung der Verschuldung die Rahmendaten einar-
Ihrer Fraktion, Dr. Schäuble, der bei dem gefunde- beiten. Das wird nicht einfach sein.
nen Kompromiß die Feder geführt hat.
(Karl Diller [SPD]: Aha! Schlampiger
Daß der Herr Bundeskanzler, der dieses Thema Finanzminister!)
mehrfach als nicht ganz so wichtig bezeichnet hat, -
bei dieser Koalitionsberatung dabei war, zeigt auch Bei Ihrem geplanten und mit Blick auf die europäi-
unter dem Aspekt dessen, was vor zwei Jahren in sche Währungsunion auch notwendigen nationalen
gleicher Sache gewesen ist, daß er dieser Sache und Stabilitätspakt unterstützt die F.D.P. Sie vorbehaltlos,
diesem Verfahren doch ein besonderes Gewicht bei- und die Opposition wird sich hier nicht verweigern
mißt. können. Da ist das vom grünen Kollegen Metzger
hier Gesagte sehr viel vernünftiger als das Geschrei
(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Jetzt lupft der SPD.
er sich über die 5 Prozent!)
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Unions- Der Haushaltsvollzug im kommenden Jahr
fraktion, Sie sind jetzt in der Pflicht. Zeigen Sie Ihre braucht Ihre ganze Kraft, Herr Minister Waigel. Mit
Handlungsfähigkeit bei diesem uralten Thema jetzt der Durchführung der geplanten Privatisierungen
schnell! sind Sie persönlich im Wort . Hierbei haben Sie uns
an Ihrer Seite.
(Beifall bei der F.D.P.)
Wir brauchen Sie, und Sie brauchen uns. (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Da kommt
die grüne Kröte! - Albe rt Schmidt [Hitz-
Meine Damen und Herren, beim Stichwort Koali- hofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wol-
tionen habe ich immer die Karikatur aus einer Zeit- len Sie ihn küssen?)
schrift vor Augen, in der am Brunnenrand ein dicker
häßlicher grüner Frosch mit dem Gesicht von Joseph Zusätzlich haben Sie erklärt, 1998 einen ersten
Fischer neben einer Goldkugel sitzt, Schritt bei der Rückführung des Solidarzuschlags zu
machen. Richten Sie sich ruhig schon einmal auf
(Freimut Duve [SPD]: Vorsicht! Vorsicht! Da 1997 ein! Denn wenn dem Herrn Bundeskanzler das
wäre ich als F.D.P.-Mann ganz vorsichtig!) ständige Drängeln der Freien Demokraten zu dieser
und zwei Frauen bewegen sich auf diesen Brunnen Steuersenkung lästig wird, wird er Ihnen sicherlich
hin, eine Frau im roten und eine Frau im schwarzen raten, diesen ersten Schritt schon für 1997 zu planen.
Kleid. Wenn dies politisch gewünscht wird, wird das auch
möglich sein.
Jedes Kind weiß: Nur im Märchen wird der grüne
Frosch zum Prinzen, wenn er geküßt wird. Das hat (Beifall bei der F.D.P. - Joseph Fischer
die SPD in den Bundesländern, in denen sie mit den [Frankfu rt ] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
Grünen koaliert, schon bitter erfahren müssen. Ich bin der Froschkönig, und er ist die Prin-
zessin? - Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Er
(Zustimmung bei der F.D.P. und der CDU/ ist die Kugel!)
CSU - Freimut Duve [SPD]: Ein sehr gefähr
liches Bild für einen F.D.P.-Politiker!) Darf ich Sie, Herr Minister Waigel, gerade weil ich
in dieser Woche die Medien sehr sorgfältig verfolgt
Deswegen mein Rat an die Union: Lassen Sie den
habe, heute hier auch als Vorsitzenden der CSU
häßlichen grünen Frosch ungeküßt! Halten Sie sich
ansprechen: Ein Mitglied des Bundeskabinetts, das
lieber an die goldene Kugel, die F.D.P.: klein, aber
Ihrer Partei angehört, hat in dieser Woche öffentlich
wertvoll!
in Deutschlands auflagenstärkster Zeitung die Ein-
(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne führung des Mehrheitswahlrechts gefordert.
ten der CDU/CSU - Lachen bei der SPD,
dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der (Joseph Fischer [Frankfu rt ] [BÜNDNIS 90/
PDS - Karl Diller [SPD]: Wo seid ihr denn DIE GRÜNEN]: Sehr gut!)
noch vertreten?)
Das bedeutet bekanntlich eine Wahlrechtsmanipula-
Herr Bundesfinanzminister, Sie haben in dieser tion zugunsten der Großparteien.
Woche darauf hingewiesen, daß die Dauer Ihrer
Amtszeit die des Kollegen Stoltenberg überschritten Ich weiß nicht, ob ein Minister besonders gut bera-
hat. Heute nochmals herzlichen Glückwunsch dazu! ten ist, gerade in der Woche, in der es mit dem Haus-
halt auch um sein Ministergehalt geht und er hier die
(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne Zustimmung der F.D.P. braucht, an einer solchen
ten der CDU/CSU) Stelle dem Partner den parlamentarischen Tod zu
Aber Sie sind noch lange nicht aus der Pflicht, und wünschen.
das nächste Spiel ist bekanntlich das schwerste. (Karl Diller [SPD]: Herr Waigel, das ist das
(Freimut Duve [SPD]: Das kann man wohl Drohen eines zahnlosen Tigers!)
sagen!)
Ich stelle mir umgekehrt Ihr Gesicht vor, Herr Mi-
Im nächsten Jahr bleibt viel zu tun: Sie müssen den nister Waigel, wenn Frau Leutheusser-Schnarrenber-
Finanzplan in Ordnung bringen, das heißt, ohne ger in der „Bild-Zeitung" den Vorschlag gemacht
6074 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 69. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. November 1995
Dies wäre übrigens auch ein Arbeitsbeschaffungs- Diese Haushaltswoche hat statt dessen einmal
programm für Tausende von Finanzbeamten. mehr bestätigt: Sie haben kein Konzept, sondern nur
Polemik angeboten.
Verlängern Sie die Verjährungsfristen für Finanz-
delikte im gewerblichen Bereich, beispielsweise auf (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
15 Jahre. Holen Sie die zweistelligen Milliardenbe- Sie erweisen sich als unfähig, dringende Zukunfts-
träge zurück, um die westdeutsche Geldinstitute den probleme des Standorts Deutschland mit einer
Bund und damit den west- und ostdeutschen Steuer- modernen Wirtschafts- und Finanzpolitik anzugehen.
zahler beim Verkauf der DDR-Banken geprellt Die Diskussion in dieser Woche hat wieder einmal
haben. bewiesen: Zur Finanzpolitik dieser Koalition gibt es
(Beifall bei der PDS) keine Alternative.
Die altbundesdeutschen Geldinstitute haben die (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
DDR-Schulden, von denen man abschätzig sagt, sie
seien ja nur in Aluchips gemacht, inzwischen versil- Zu Ihnen, Herr Wieczorek, auch als Vorsitzender
bert und vergoldet. des Haushaltsausschusses: Ich habe am 29. Sep-
tember keine neuen Eckdaten, sondern Annahmen
(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist ja zum und Schätzungen von mir gegeben. Der SPD und
Totlachen!) Ihnen standen die gleichen Informationen zur Verfü-
6078 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 69. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. November 1995
Ihnen von der Opposition ist es doch nicht darum (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
gegangen, ein anderes Haushaltsverfahren zu errei- Auch weiterhin fließt ein überproportionaler Teil
chen. Was Sie wollen, ist Unruhe. Was Sie wollen, ist der Investitionsausgaben in die neuen Länder.
Unsicherheit. Was Sie wollen, ist, aus der Unsicher-
heit Kapital zu schlagen. Damit, meine Damen und Meine Damen und Herren, noch ein Wo rt zu den
Herren, haben Sie bei uns aber keinen Erfolg! Subventionen. Der Konsolidierungskurs des Bundes
wird auch bei den Subventionen und Finanzhilfen
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) fortgesetzt. Zwar steigen die Finanzhilfen im Jahre
6080 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 69. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. November 1995
300 Milliarden DM Schulden hat diese Koalition von Klar ist doch auch, daß die Unternehmen in Ost
ihren Vorgängern übernommen. 700 Milliarden DM und West, die wir zu Investitionen im Osten ermutigt
Schulden gehen auf das Konto von Ländern und haben und denen wir die Voraussetzungen dafür
Gemeinden. 450 Milliarden DM Schulden gehen geschaffen haben, heute nicht die entsprechende
direkt auf das Konto von 40 Jahren Sozialismus, im Einkommensteuer- oder Körperschaftsteuer zahlen
Erblastentilgungsfonds und im Fonds „Deutsche Ein- können.
heit". Wir haben gerade auch in unserer Steuerpolitik,
beim Jahressteuergesetz die unteren Einkommens-
Daß die PDS hierherkommt und diese Schulden
schichten und die Familien überproportional im
kritisiert, das ist eine intellektuelle Unredlichkeit
Sinne einer vernünftigen sozialen Symmetrie entla-
ganz besonderer Art.
stet.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: So ist das!
ordneten der F.D.P.) - Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Sehr richtig!)
Was haben wir in den letzten vier Jahren finanzpoli- Wenn Sie, Herr Kollege Poß, und Ihre Freunde die
tisch bewegt? Der Bund hat 500 Milliarden DM für Gegenfinanzierung der Unternehmensteuerreform
den Aufbau der neuen Bundesländer ausgegeben. durch Rückführung der degressiven Abschreibung
An die GUS-Staaten gingen 100 Milliarden DM, um für bewegliche Wirtschaftsgüter kritisieren, so
dort Stabilität und Demokratie herbeizuführen, möchte ich an Ihr Modell für eine Reform der Unter-
45 Milliarden DM an die mittel- und osteuropäi- nehmensteuern aus dem Jahr 1992 erinnern.
schen Staaten, um ihnen die Chance zu geben, wie-
der nach Europa zurückzukommen und an der Inte- In diesem Modell haben Sie selber eine Rückfüh-
gration Europas teilzunehmen, 30 Milliarden DM an rung der Abschreibung von 30 auf 25 Prozent vorge-
6082 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 69. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. November 1995
Ingrid Matthäus-Maier
steuer nun Ihr Steckenpferd ist, das Sie jeden Tag ganz genau wissen, kommen Sie mit dem Käse an,
dreimal hier vortragen. man könne nur Soll-Zahlen mit Soll-Zahlen und
nicht mit Ist-Zahlen vergleichen.
(Zuruf von der CDU/CSU: Weil es notwen
dig ist!) Ich gebe Ihnen einmal einen guten Rat: -
Ist Ihnen eigentlich nicht klar, daß die Lohnsteuer (Zurufe von der CDU/CSU)
aus allen Nähten platzt, daß die Mehrwertsteuer aus
allen Nähten platzt, daß also die Masse der Lohn- Schauen Sie auf Seite 46 Ihres Finanzplans. Do rt ver-
steuerzahler und der Verbraucher unter immer gleicht dieser Finanzminister Ist-Zahlen mit Soll-Zah-
höheren Steuern stöhnt, daß sich aber der Anteil der len. Genau das tun wir auch.
Unternehmensteuern am Steuerkuchen über die letz-
ten Jahre drastisch verringert hat? Wir haben also (Beifall bei Abgeordneten der SPD)
weiß Gott andere Aufgaben. Lassen Sie deswegen das Märchen, daß Sie 1996
Aber wenn man sich schon mit der Gewerbekapi- weniger ausgeben als 1995!
talsteuer beschäftigt - sie ist international zweifellos (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne
keine besonders glückliche Steuer -, dann haben Sie ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
hier doch eine Bringschuld, Herr Waigel. Wer an die
Gewerbekapitalsteuer herangeht, läuft Gefahr, daß Zusammen mit dem Haushalt 1996 beraten wir
auch der Rest, die Gewerbeertragsteuer, in Karls- heute auch die mittelfristige Finanzplanung bis
ruhe fällt, weil sie dann keine Realsteuer mehr ist. 1999, einen Finanzplan, der in seiner Grundstruktur
völlig überholt ist. Was in der Debatte bisher ganz
(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Grober untergegangen ist, sind die mittelfristigen Auswir-
Unfug!) kungen, die sich aus dem finanzpolitischen Chaos
Das ist auch Ihr Ziel, denn in Ihrer Koalitionsverein- dieser Wochen ergeben.
barung steht ausdrücklich: Abschaffung der Gewer- Drei Beispiele. Die konjunkturbedingten Steuer-
besteuer. ausfälle werden als Basiseffekt auch in den kommen-
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der den Jahren weiterwirken. Damit sind die Annahmen
CDU/CSU) der mittelfristigen Finanzplanung falsch.
Deswegen sagen wir Ihnen ganz deutlich: Mit uns (Beifall bei der SPD)
werden Sie eine wie auch immer gea rtete Regelung
nur bekommen, wenn die Gewerbeertragsteuer für Zweitens. In der Finanzplanung sind die Ansätze
die Gemeinden gesichert ist und wenn sie zweifels- für die Bundesanstalt für Arbeit für 1997 - man höre
frei in der Verfassung niedergelegt ist. Da stehen wir und staune - auf Null gesetzt. Das ist doch völlig
an der Seite der Städte und Gemeinden, meine unrealistisch. Wollen Sie denn die Fehlprognose
Damen und Herren. Ihres Jahreswirtschaftsberichts von diesem Februar
noch einmal fortschreiben? Do rt gingen Sie von
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne einem Rückgang der Arbeitslosenzahlen in diesem
ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Jahr von 350 000 aus. Tatsächlich, wie jedermann
nachlesen kann, steigen die Arbeitslosenzahlen im
Auch in dieser Woche hört das Täuschen und Jahresdurchschnitt sogar noch an, wie die neuesten
Tricksen nicht auf. Sie beharren auf der Behauptung, Zahlen zeigen. Also auch an dieser Stelle ist Ihre
die Ausgaben würden im Jahr 1996 gegenüber 1995 Finanzplanung reine Makulatur.
sinken. Das ist schlicht und einfach die Unwahrheit.
Wenn man die Ausgaben 1995 und 1996 um die Drittes Beispiel. Sie haben im Bundeshaushalt
Umstellung des Kindergeldes bereinigt und gleich- 1996 rund 16 Mi lliarden DM an Einmalzahlungen
zeitig berücksichtigt, daß Herr Waigel schon offiziell vorgesehen: Vorziehung der Mineralölsteuerzahlung
verkündet hat, er werde im Jahr 1995 10 Mil li arden und ganz überwiegend Privatisierung. Ich frage Sie,
DM weniger ausgeben, meine Damen und Herren: Wie soll das denn eigent-
lich weitergehen? Haben Sie denn die Absicht, auch
(Adolf Roth [Gießen] [CDU/CSU]: Werfen in den Folgejahren einmal eben zwischen Mittwoch
Sie ihm das vor? Kritisieren Sie das etwa? - mittag und Donnerstag mittag den Verkauf einer
Dankward Buwitt [CDU/CSU]: Sie tricksen ganzen Stadt mit 48 000 Wohnungen zum Stopfen
doch hier!) Ihrer Haushaltslöcher zu beschließen?
so stellt sich heraus, daß die Ausgaben 1995 etwa
448 Mil li arden DM betragen, die Ausgaben 1996 Nicht nur, daß diese Regierung unseren Kindern
demgegenüber 451,3 Mi ll iarden DM. einen riesigen Schuldenberg mit der bekannten
Zinsfalle hinterläßt, gleichzeitig verringert sie auch
(Dankward Buwitt [CDU/CSU]: So eine noch zu Lasten der kommenden Generationen das
dümmliche Rechnung! - Hans-Peter Repnik öffentliche Vermögen immer weiter. Diese doppelte
[CDU/CSU]: Sollen wir jetzt sparen oder Erblast, höhere Schulden und geringeres Vermögen
Geld ausgeben? - Adolf Roth [Gießen] zu Lasten unserer Kinder und Enkel, ist einfach
[CDU/CSU]: Was sollen wir denn machen?) unverantwortlich.
Da können Sie sich drehen und wenden, wie Sie (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
wollen, Ihre Ausgaben steigen in 1996. Da Sie das DIE GRÜNEN)
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 69. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. November 1995 6085
Ingrid Matthäus-Maier
Schließlich: Der Bundeshaushalt 1995 schrammt Der Bundeskanzler sagte dieser Tage, es müsse
mit knapp 3 Prozent Haushaltsdefizit und der 1996 eine Gründerwelle her. Da hat er recht. Aber wäh-
mit knapp unter 60 Prozent beim Schuldenstand nur rend er von Gründerwelle redet, findet eine Pleite-
ganz knapp an den Kriterien von Maastricht vorbei. welle statt. 22 000 Pleiten in diesem Jahr sind ein-
Im Klartext: Bei der chaotischen Finanzpolitik dieser trauriger Nachkriegsrekord. Die Negativrekorde
Bundesregierung ist auch noch zu befürchten, daß häufen sich doch. Die Regierung Kohl ist die Regie-
wir die Stabilitätskriterien bald selber nicht mehr rung mit der höchsten Zahl an Pleiten, mit der höch-
erfüllen, die für einen Beitritt zur Wirtschafts- und sten Steuer- und Abgabenbelastung, mit dem höch-
Währungsunion erforderlich sind. sten Schuldenberg, mit der höchsten Zinsbelastung
und mit der höchsten Arbeitslosigkeit seit Bestehen
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne
dieser Republik. Ich füge hinzu, Herr Bundeskanzler:
ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Sie sind auch die Regierung mit der höchsten Armut.
Da Sie es nicht lassen können, hier immer Helmut
Schmidt und seine Schulden zu zitieren, schreibe ich (Widerspruch bei der CDU/CSU und der
Ihnen noch einmal ins Stammbuch, Herr Waigel: Als F.D.P.)
Helmut Schmidt im Oktober 1982 durch Vertrauens-
bruch gestürzt wurde, Wir leben in einem reichen Land; aber nicht alle in
diesem reichen Land sind reich. Wir haben nämlich
(Lachen bei der CDU/CSU) eine doppelte Entwicklung: Noch nie waren die Ver-
betrugen die Schulden des Bundes und seiner mögen in diesem Lande so hoch wie heute. Aber es
Nebenhaushalte 390 Milliarden DM. Heute betragen gilt auch: Noch nie gab es soviel Arme in diesem
die Schulden des Bundes unter Finanzminister Wai- Lande.
gel inklusive aller Nebenhaushalte 1,4 Billionen DM,
(Beifall bei der SPD - Widerspruch bei der
das sind 1 400 Milliarden DM. Sie haben in der Zeit
CDU/CSU - Dr. Wolfgang Weng [Gerlin-
der Regierung Kohl 1 Billion DM Schulden oben-
gen] [F.D.P.]: Geistige Armut auf der Oppo-
draufgepackt. Dann lassen Sie endlich Helmut
sitionsbank!)
Schmidt in Ruhe! Es ist schlimm, was Sie hier
machen. So richtig es ist, den Wohlstand zu wahren und zu
(Beifall bei der SPD) mehren, so wichtig ist es, dafür zu sorgen, daß dieje-
Im Haushalt 1996 werden 92 Milliarden DM allein nigen, die im Schatten leben, daß die eine Million
an Zinszahlungen ausgewiesen. Das bedeutet, daß Kinder, die in Armut aufwachsen, wie uns allen die
die Handlungsspielräume für die öffentliche Hand Kirchen sagen, endlich ausreichend gefördert wer-
dramatisch eng geworden sind. Um so wichtiger ist, den, um aus diesem Teufelskreis herauszukommen.
daß man die Schwerpunkte richtig setzt. Das ist aber Wer in dieser Situation bei Langzeitarbeitslosen
leider nicht der Fall. kürzt und gleichzeitig die Vermögensteuer abschaf-
fen will, der hat jedes Gefühl für soziale Gerechtig-
Ich nehme nur drei einfache Zahlen. Der Verteidi- keit verloren.
gungshaushalt steigt um 378 Millionen DM, der Etat
des Zukunftsministers steigt dagegen nur um (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne-
169 Millionen DM, und der Haushalt des Umweltmi- ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
nisters sinkt sogar um über 45 Millionen DM. Wer
seine Koalitionsvereinbarung vom letzten Herbst mit Unsere konkreten Einsparvorschläge liegen auf
der Überschrift „Das vereinte Deutschland zukunfts- dem Tisch.
fähig machen" versieht, muß sich schon den Vorwurf
des Etikettenschwindels gefallen lassen, wenn er (Zurufe von der CDU/CSU und der F.D.P.:
einen solchen rückwärtsgewandten Haushalt vor- Wo?)
legt.
- Kommt, kommt! - Sie haben sie beim Jahressteuer-
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne gesetz und im Haushaltsausschuß abgelehnt. Wir
ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) beharren selbstverständlich darauf, daß bei den rund
Für die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirt- 450 Millionen DM für Öffentlichkeitsarbeit dieser
schaft in der Welt brauchen wir dringend neue Inve- Regierung kräftig gekürzt wird, daß ebenso bei den
stitionen im Bereich Forschung, Technologie, Markt- über 2 Milliarden DM für Kernenergie gekürzt wird.
einführungshilfen für neue Produkte, zusätzliche Daß bei einem 48-Milliarden-DM-Verteidigungs-
Anstrengungen im Hightech-Bereich und keine haushalt noch Luft ist, ist auch selbstverständlich. Es
Absenkung der Studienförderung. Wer angesichts ist außerdem nicht in Ordnung, daß Sie 54 Staats-
einer solchen internationalen Herausforderung beim sekretäre beschäftigen. Das ist Verschleuderung der
Verteidigungshaushalt doppelt so viel drauflegt wie Steuergelder der Bürger.
beim Zukunftsetat und auch noch die Ausgaben im
Umwelthaushalt senkt, der mag vielleicht einen Par- (Beifall bei der SPD)
teitag nach dem Motto „Der Weg ins 21. Jahrhun-
dert" abhalten; aber in Wahrheit verschläft er die Hat Ihnen der Rechnungshof nicht gerade beschei-
Zukunft unseres Landes. nigt, daß Sie bei der Abwicklung der Altkredite der
ehemaligen DDR Milliarden D-Mark verschleudert
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne haben? Herr Schily und Herr Beucher haben es
ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ihnen vorgeführt: Hätten Sie im Jahre 1990 auf uns
6086 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 69. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. November 1995
Ingrid Matthäus-Maier
gehört und die Altkredite vernünftig abgewickelt, Meine Damen und Herren, wer wie Sie eine solche
hätten Sie heute Milliarden mehr zur Verfügung. gesetzliche Regelung mit Händen und Füßen vertei-
digt, gleichzeitig aber dem Lohnsteuerzahler jeden
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne Tag tiefer in die Tasche greift, der hat jeden Sinn für -
ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN die Wirklichkeit verloren.
und der PDS - Widerspruch bei der CDU/
CSU) (Beifall bei der SPD)
Ein anderes Beispiel: Die Bundesregierung zeigt, Auch unsere Forderung, die Steuerhinterziehung
wie man aus 300 Millionen DM mickrige 15 315 DM endlich aktiv zu bekämpfen, bleibt auf der Tagesord-
macht. Ganz einfach: Die Bundeswehr bestellt ein nung. Herr Waigel wird sich wundern: Es ist nicht
300 Millionen DM teures Landesystem namens mehr nur die Frau Matthäus-Maier, die sagt, daß die
SETAC für die Luftwaffe. Es stellt sich heraus, daß es Zinsbesteuerung verfassungswidrig sei - darauf will
nicht funktioniert; das kann ja passieren. Aber statt er nicht hören; das muß er auch nicht. Der Präsident
dieses System zu stoppen, machen Sie weiter, bis Sie des Bundesfinanzhofs hat in der vorigen Woche
es zum Schluß als Schrott für genau 15 315 DM ver- gesagt, daß er die Zinsbesteuerung für verfassungs-
kaufen. Nein, meine Damen und Herren, so darf man widrig halte, weil es nicht angehen könne, daß der
mit Steuergeldern des Bürgers nicht umgehen. ehrliche Steuerzahler der Dumme sei. Deshalb
schließen Sie endlich das Steuerschlupfloch nach
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne Luxemburg!
ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der SPD)
Unsere Einsparvorschläge bei den Steuersubven-
tionen haben wir alle aufgeschrieben. Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Frau Matthäus-
Maier, gestatten Sie dem Kollegen Lambsdorff eine
(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Wo?) Zwischenfrage?
- Bei den Veräußerungsgewinnen, beim Betriebsaus-
gabenabzug für steuerfreie Schachteldividenden, bei Ingrid Matthäus-Maier (SPD): Bitte schön.
den Verlusten ausländischer Bet riebsstätten, bei der
Abzinsung von Rückstellungen und bei der Absetz-
barkeit von Betriebs-Pkw. Dr. O tt o Graf Lambsdorff (F.D.P.): Frau Matthäus-
Maier, darf ich Sie nach den beiden Fällen, die Sie
Allein diese Vorschläge erbringen zusammen jähr- eben zitiert haben, fragen?
lich mehrere Milliarden DM. Also, stellen Sie sich
nicht hin, und sagen Sie nicht, wir hätten keine Vor- Erstens. Sie haben den Bundesfinanzhof mit die-
schläge. Geben Sie lieber endlich offen zu, daß Sie sem in der Tat unglaublichen Absetzungsvorschlag
diese alle abblocken. für soundso viele Autos zitiert. Müssen wir Ihrer Dar-
stellung entnehmen, daß der Bundesfinanzhof das
Im übrigen bin ich ganz sicher - das sehe ich sehr gutgeheißen hat, oder hat es der Bundesfinanzhof
gelassen -: Bei der Finanznot dieses Finanzministers nicht gutgeheißen, womit die Rechtsgrundlage wohl
werden Sie einen Teil unserer Vorschläge überneh- einigermaßen in Ordnung wäre?
men müssen. Das haben Sie auch in der Vergangen-
heit gemacht. Ich erinnere nur an das Beispiel der Zweitens. Sie haben eben den Präsidenten des
steuerlichen Absetzbarkeit von Schmiergeldern. Bundesfinanzhofs zitiert. Sind auch Sie seiner Mei-
Das wurde jahrelang von Ihnen abgelehnt; es gab nung, daß an die Stelle der derzeitigen Regelung
ein riesiges Gezeter hier im Bundestag. Dann haben eine Abgeltungssteuer bei der Zinsbesteuerung tre-
Sie Gott sei Dank nach heftiger Kritik der Opposition ten muß?
uns im Jahressteuergesetz zugestimmt.
Das gleiche werden Sie zum Beispiel bei der Ingrid Matthäus-Maier (SPD): Zur zweiten Frage
sage ich eindeutig: nein.
Begrenzung der steuerlichen Absetzbarkeit von
Betriebs-Pkws machen müssen. Meine Damen und Zur ersten Frage sage ich: Ich habe hier doch vor-
Herren, manche Leute wissen nicht, wovon ich rede. getragen, daß es geltendes Recht ist - wie war das so
schön? -, daß ein Werbefachmann, der repräsentative
(Zuruf von der CDU/CSU: Sie wissen es sel
Gefährte braucht, drei Porsche, einen Simca, einen
ber nicht!) Innocenti und noch einen Mercedes absetzen kann.
Ich nenne einmal ein Beispiel: Es ist doch wirklich (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]:
nicht einzusehen, daß es, wie der Bundesfinanzhof in Das entscheidet das Finanzamt, nicht das
einem Urteil bestätigt hat, in diesem Lande möglich Gesetz!)
ist, die Anschaffung von drei Porsche, einem Simca,
einem Innocenti und einem Mercedes von der Steuer Ich weiß gar nicht, was man alles auf einmal mit die-
abzusetzen, und zwar durch einen Werbefachmann, sen Autos macht. - Das ist geltendes Recht. Der Bun-
der angab, für seinen Beruf über repräsentative desfinanzhof hat natürlich geltendes Recht beschlos-
Gefährte verfügen zu müssen. sen. Was soll er denn sonst tun?
(Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Aber daß Sie sich weigern, mit uns zusammen eine
Das entscheidet doch das Finanzamt!) Obergrenze bei der steuerlichen Absetzbarkeit ein-
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 69. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. November 1995 6087
Ingrid Matthäus-Maier
zuführen, das ist der eigentliche Skandal, Graf einen Großteil der Entlastungen durch das Jahres-
Lambsdorff. steuergesetz auf, was ich ausdrücklich bedauere.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne Unser Vorschlag: Senken Sie die Beiträge zur
ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Arbeitslosenversicherung um rund ein Drittel! Das -
und der PDS) kommt den Arbeitgebern zugute, weil die Lohnne-
Meine Damen und Herren, die wichtigste Konso- benkosten sinken; das kommt den Arbeitnehmern
lidierungsaufgabe liegt aber an anderer Stelle: zugute, weil sie mehr Geld in der Tasche haben.
Solange Sie nicht ernsthaft an die Bekämpfung der Heben Sie statt dessen die Energiepreise maßvoll
Arbeitslosigkeit herangehen, werden Sie die öffent- an! Das ist ein aufkommensneutrales Modell. Unser
Vorschlag ist ein gutes Beispiel für den Dreiklang
lichen Haushalte nicht in den Griff bekommen. Auf
140 Milliarden DM belaufen sich die Kosten der von Modernisierung der Wirtschaft, ökologischer
Arbeitslosigkeit 1994. Deswegen ist die aktive Erneuerung der Industriegesellschaft
Bekämpfung der Arbeitslosigkeit nicht nur ein Gebot (Zuruf von der CDU/CSU: Und Steuererhö-
der Mitmenschlichkeit, sondern auch finanzwirt- hungen!)
schaftlich unumgänglich.
und sozialer Verantwortung. Dieser Weg führt ins
(Beifall bei Abgeordneten der SPD) nächste Jahrhundert, nicht das, was Sie vorschlagen.
Die Philosophie der Bundesregierung ist, die Lei- (Beifall bei der SPD)
stungen für die Leistungsempfänger immer weiter zu
kürzen. Die Philosophie der SPD ist aber, aus Lei- Ich fasse zusammen. Die Fehlleistungen von
stungsempfängern Beitragszahler zu machen. Das ist Finanzminister Waigel untergraben das Vertrauen
der bessere Weg. von Wirtschaft und Bürgern. Schönrechnen und Luft-
buchungen kennzeichnen seinen Bundeshaushalt.
(Beifall bei der SPD) Eine dramatisch hohe Steuer- und Abgabenbela-
Patentlösungen gibt es dafür nicht, aber wir haben stung lähmt den Leistungswillen.
viele konkrete Einzelvorschläge gemacht. Zum Bei- (Zuruf von der CDU/CSU: Das wird durch
spiel: erstens ein Arbeits- und Strukturförderungs- häufiges Wiederholen nicht richtiger, was
gesetz, mit dem endlich Arbeit statt Arbeitslosigkeit Sie da sagen!)
bezahlt werden soll.
Schuldenberge, Zinsfalle und falsche Schwerpunkt-
(Beifall bei Abgeordneten der SPD) setzungen dieser Bundesregierung verbauen eine
Zweitens: eine Teilzeitarbeitsoffensive, die aber aktive Politik für mehr Arbeitsplätze.
nicht zu noch mehr ungesicherten Beschäftigungs- Die Bundesregierung redet - wie Rudolf Scharping
verhältnissen führen darf. Wir dürfen doch alle
gesagt hat - nach dem Motto der drei M, nämlich
gemeinsam nicht länger zusehen, daß in Deutsch- „Man müßte mal" . Wir fordern Sie auf: Handeln Sie
land mittlerweile fast 5 Millionen 580-DM-Beschäfti-
endlich! Da Sie es immer noch nicht tun, lehnen wir
gungsverhältnisse ohne soziale Absicherung existie- Ihren Bundeshaushalt ab.
ren. Sogar die christlichen Arbeitnehmer, die CDA,
sagen doch, daß das Thema Ladenschluß und die (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne-
Einschränkung der 580-DM-Jobs nicht voneinander ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
getrennt werden dürfen. und der PDS)
(Zustimmung bei der SPD)
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich erteile das
Drittens: ein wirksames Entsendegesetz. Wir kön- Wort dem Abgeordneten Diet rich Austermann.
nen doch nicht zulassen, daß Zigtausende Bauarbei-
ter in Deutschland arbeitslos sind, weil polnische
oder portugiesische Arbeiter für 5 oder 6 oder 7 DM Dietrich Austermann (CDU/CSU): Herr Präsident!
die Stunde deren Arbeitsplatz einnehmen. Tun Sie Meine Damen und Herren! In unserer Fraktion über-
endlich etwas und lassen Sie die arbeitslosen Bauar- setzen wir die drei M etwas anders: „Matthäus-Maier
beiter nicht im Regen stehen! mault".
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU)
ten der PDS)
Das zeigt eigentlich deutlich, was Sie die letzten
Viertens: ein Arbeitszeitgesetz, das Überstunden 25 Minuten gemacht haben.
zugunsten neuer Arbeitsplätze reduziert.
Ich habe gerade unter das Pult geguckt, deswegen
(Vorsitz : Vizepräsident Dr. Burkhard meine Irritation. Nachdem Sie a lles wiederholt
Hirsch) haben, was Sie jedes Jahr vortragen - wie ich gleich
kurz belegen werde -, habe ich gedacht, do rt läge
Mein letzter Punkt: Wir brauchen eine Senkung
der Teil, der den Jäger 90 bet rifft. Aber er war nicht
der Lohnnebenkosten. Durch die verfehlte Politik dort , Sie haben ihn offensichtlich vergessen.
der Bundesregierung zur Finanzierung der deut-
schen Einheit vorwiegend über die Sozialversiche- (Zustimmung bei der CDU/CSU - Zuruf von
rungen sind die Lohnnebenkosten dramatisch ange- der CDU/CSU: Und das Dienstmädchen
stiegen. Der Anstieg frißt im nächsten Jahr sogar fehlt auch noch!)
6088 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 69. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. November 1995
Dietrich Austermann
Sie haben Ihre Rede damit begonnen, daß Sie Zei- haupt nichts in Deutschland, was der Bürger in posi-
tungsausschnitte über die Arbeit des Bundesfinanz- tiver Hinsicht an Auswirkungen spüren würde.
ministers zitiert haben. Es wäre ja einmal interessant,
Wir haben die Ausgaben um 10,7 Milliarden DM
die Zeitungsausschnitte zu zitieren, die die Presse
gekürzt und die Einnahmen um 10 Milliarden DM
zur Zeit über den Zustand der SPD verbreitet.
erhöht. Das ergibt 20 Milliarden DM. Wir haben also
(Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Oh ja, unsere Haushaltsarbeit ernst genommen. Die SPD
lesen Sie einmal vor!) stand vor der Tür, gab Interviews, lamentierte über
die schwierige Situation und forderte Vertagung. Das
Das war die Situation vor dem Abschluß der Haus- ist das Grundproblem der SPD, daß sie nicht mehr
haltsberatungen und vor allen Dingen vor der dritten entscheidungs-, sondern nur noch vertagungsfähig
Lesung, die wir heute haben. Nun fragt man sich: ist.
Was hat sie denn eigentlich gesagt? Worin hat sich
das unterschieden? Was wissen die Bürger heute, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
wenn sie sich überlegen: Der Bundeshaushalt wird
Wir haben darüber hinaus eine ganze Reihe von
beschlossen, was bedeutet das für mich persönlich?
Entscheidungen getroffen, die positiv in die Zukunft
Dann schaut man sich einmal ein paar Zitate an.
gerichtet sind: zusätzliche Hilfen im Bereich des
Matthäus-Maier am 1. Dezember 1993: „Der Etat
Wohnungsbaus und der Rentenversicherung,
1994 hält keine drei Monate." Ebenfalls im Dezem-
Finanzbeiträge für Seeschiffahrt und Straßenbau.
ber 1993: „Die Finanzpolitik der Bundesrepublik
wird immer mehr zum Jahrmarkt der Chaoten. " Hel- Ich möchte noch einmal das Thema Steuerschät-
mut Wieczorek in ähnlicher Weise 1992: „Der Bun- zung aufnehmen. Wenn einzelne Ministerpräsiden-
desfinanzminister hat die Bundesrepublik in eine ten aus einzelnen Bundesländern dem Bundesfinanz-
ausweglose Schuldenfalle geführt." Auch noch 1992: minister vorwerfen, er habe sie hier nicht richtig
Matthäus-Maier fordert die Ablösung von Waigel. An informiert, kann ich nur fragen: Hat denn Frau Simo-
anderer Stelle heißt es: „Die SPD beantragt bei der nis keine Oberfinanzdirektion? Führt denn ihr
Bundestagspräsidentin die Absetzung der Endbera- Finanzminister keine Steuerstatistik? Warum, so fragt
tung des Haushaltstorsos. " Das war am 13. November das renommierte Kieler Wirtschaftsinstitut, sind ihr
1992. nicht die hohen Steuererstattungen angesichts
beträchtlicher Vorauszahlungen aufgefallen? Warum
Es wiederholt sich alles. Sie haben nichts einzu- ist das nicht richtig gewertet und nach Bonn weiter-
bringen. Sie wiederholen den gleichen Klamauk, den
gemeldet worden?
Sie in den letzten Jahren gemacht haben.
(Zuruf von der CDU/CSU: Sehr richtig!)
(Beifall bei der CDU/CSU)
Hat auch Ministerpräsident Eichel keine Oberfi-
Ich brauche als Gegenäußerung gewissermaßen nanzdirektion? Hat er keine eigenen Steuerschätzer?
nur eine einzige Stimme zu zitieren. Das ist der Wir wissen doch alle, daß die Zahl der roten Steuer-
OECD-Bericht, der deutliche Kritik an der Blockade- schätzer in dem verantwortlichen Gremium inzwi-
haltung der Opposition übt. Da werden ausdrücklich schen größer ist als die der schwarzen. Sind denn da
die beeindruckenden Erfolge bei der Konsolidierung nur Schlafmützen oder Leute, die von dem Thema
der Finanzen der Bundesrepublik gelobt. Dem ist, überhaupt keine Ahnung haben?
glaube ich, nicht viel hinzuzufügen.
(Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CDU]: Wahr-
Wir haben in den letzten Wochen - das ging scheinlich!)
immerhin über drei Monate - den Haushalt gründ-
lich beraten, zum Teil auch gründlich umgekrempelt. Die Haushaltsberatungen haben einen interessan-
Man kann heute den Bürgern sagen, daß sie sich auf ten Einblick in die bundesstaatliche Realität
die Finanz- und Haushaltspolitik dieser Bundesregie- gebracht. Das zeigt sich, wenn man sich fragt: Was
rung verlassen können und daß nach der Diskussion wird in Bonn gefordert, und was passiert in den Län-
um ein angebliches 20-Milliarden-DM-Loch heute dern, insbesondere in den SPD-regierten Ländern?
klar ist - das werden wir mit unserer Abstimmung Da fordern Länder Zuschüsse des Bundes, sind aber
deutlich machen -: Die Regierung ist handlungsfä- nicht in der Lage, diese auszugeben, weil die Des-
hig. Sie hat die Finanzen im G riff. Die Neuverschul- organisation der Verwaltung einen zügigen Vollzug
dung liegt nicht über der mittelfristigen Finanzpla- hindert . Da wird darüber diskutiert, ob man Lehrer
nung. Wir werden unserer haushaltspolitischen Ver- als Beamte oder als Angestellte braucht. Entschei-
antwortung gerecht. Wir haben dabei Entscheidun- dend ist, glaube ich, die Frage, ob diejenigen ihren
gen getroffen, die durchaus in die Zukunft gerichtet erzieherischen Auftrag wahrnehmen. Nicht bezopfte
sind, haben die neue Steuerschätzung aufgefangen Beamte müssen weg, sondern bezopfte Gesetze und
und zusätzliche Milliardenbeträge zum Abbau der Verwaltungen mit ihrer Blockade in den Ländern
Arbeitslosigkeit bereitgestellt. sowie Medusenhäupter von Staatskanzleien in Kiel,
Wiesbaden, Hannover und anderswo, die Entschei-
Dazu kommt von Ihnen kein Wort wie auch kein dungsausführung ständig verhindern.
konkreter Antrag zu diesem Thema. Das, was heute
als Entschließungsantrag vorgelegt wird, ist noch In den Ländern, in denen die SPD regiert, wird
nicht einmal gute Lyrik, sondern das ist eine Fülle nicht gehandelt. Es mangelt am Vollzug. Es werden
von Textseiten ohne eine einzige konkrete Zahl. Man schöne Reden gehalten, vielleicht auch über den
könnte den Entschließungsantrag annehmen oder Handlungsbedarf in Sachen innere Sicherheit, und
ablehnen - wenn man ihn beschließt, geschieht über- dann läßt man „Chaostage" zu.
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 69. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. November 1995 6089
Die tr ich Austermann
Es paßt dazu, daß Sie in dieser Position auch hier „Kiel" und „glaubwürdige Politik" sind übrigens
heute Unterschiedliches vortragen. Da beklagt Frau wichtige Stichworte: Da sich Frau Simonis seit dem
Matthäus-Maier wieder einmal, der Verteidigungs- Thema Parlamentsreform als erste Adresse in Sachen
etat sei zu hoch, obwohl wir ihn gekürzt haben. Ihre politische Moral empfohlen hat, muß gestattet sein,
Ministerpräsidenten aber kommen und fordern, wir hier einige Fragen zu stellen, die die politische-
müßten in Sachen DASA kräftige Anstrengungen Moral betreffen.
unternehmen und Investitionen unterstützen. Was
Vorausgeschickt sei, daß es in Kiel einen zweiten
sollen wir denn? Wer redet denn da offensichtlich
Untersuchungsausschuß gibt, der sich mit den
nicht miteinander?
Machenschaften eines Herrn Pfeiffer, mehr noch
Ich glaube, die SPD hatte gut daran getan, daß sich aber mit einer Geldsammelstelle eines Herrn Jansen
ihre Genossen bei dieser desolaten Position in den befaßt.
Bundesländern an den Beratungen nicht beteiligt (Jörg Tauss [SPD]: Mit Barschel auch!)
haben. Das ist schon eine merkwürdige Arbeitstei-
lung: In Bonn fordert man mehr Geld für die For- Ein paar Hauptbetroffene der Vergangenheit sind
schung, und in Geesthacht können sich die nord- - wohl wegen der Ein-Stimmen-Mehrheit im Land-
deutschen Mitgliedsländer nicht über den mickrigen tag - immer noch oder wieder in öffentlicher Funk-
Eigenanteil der Bundesländer einigen. tion. Das kann nur mit Duldung der Ministerpräsi-
dentin geschehen sein.
In Bonn werden Milliarden für die Bahn gefordert,
in den Ländern werden die Planfeststellungsverfah- Ich frage deshalb: Was waren die Gründe, warum
ren verschleppt. Wissmann soll mehr Geld für den ein gewisser Genosse Pelny, früher Verfassungs-
Straßenbau geben, aber außer Autofahrerschikanen schutzvize, bereits am 14. Juni 1987, lange vor
fällt der SPD nichts ein. Sie wollen die Biotechnolo- Bekanntwerden der Kieler Affäre, vom Simonis-Vor-
gie fördern - selbst Herr Fischer hat sich vorgestern ganger angeworben wurde?
so geäußert -, und die rot-grüne Landesregierung in (Unruhe bei der SPD)
Hessen muß sich anmahnen lassen, daß sie nicht
ständig Gegenkongresse zu Bundesveranstaltungen Was sind die Gründe, warum Pelny zunächst über
durchführt. die Staatskanzlei unter Engholm - die Älteren wer-
den ihn noch kennen - und jetzt als Staatssekretär im
In Bonn wird die zu hohe Steuer- und Abgabenlast Justizministerium weiter beschäftigt wird?
kritisiert, und im Vermittlungsausschuß fordert die
SPD die Verdoppelung des Solidarzuschlags. Forde- Was sind die Gründe, weshalb Simonis ihn und
rungen werden dort erzwungen. Am Rentenreform- den Justizminister
und am Pflegepaket haben die Länderfürsten mitge- (Zurufe von der SPD)
wirkt, und Frau Matthäus-Maier beklagt heute, daß
die Lohnnebenkosten zu hoch seien. - ich weiß, daß das weh tut - als Hauptbetroffene des
zweiten Untersuchungsausschusses nicht abberuft?
Auch beim Entsendegesetz ist das so. Sie fordern Ist es politisch-moralisch sauber, daß Simonis seit
hier das Entsendegesetz für die Bauarbeiter, und 1993 einen von einem Genossen geleiteten Parla-
eine Tür weiter, im Bundesrat, wird das Ganze von mentsausschuß runtermacht?
der SPD-Mehrheit abgelehnt.
(Zuruf von der SPD: Zur Sache!)
(Jörg Tauss [SPD]: Sie haben einen Wahr
nehmungsverlust! Das ist Ihr Problem!) Weder Pelny noch Klingner, noch Nilius, noch
Frau Schröder, die Ex-Freundin von Herrn Pfeiffer,
Der Parteivorsitzende der SPD muß sich einmal mit wären in den Kieler Funktionen, die sie innehaben,
den Fraktionsvorsitzenden der SPD unterhalten, wenn es nicht Grund gäbe, sie zu versorgen. Ent-
damit nicht ständig solche Pleiten passieren: Chaos spricht es politischer Moral, wenn Simonis versucht,
in der Berliner SPD, rot-grüner Streit in Düsseldorf, in bezug auf CDU-Mitglieder den Unschuldsbeweis
grüne Selbstbedienung in Wiesbaden, rote Pleite in umzudrehen? Ist es politisch-moralisch vertretbar,
Hannover, in Brandenburg ist die Haushaltslage daß sie im Interesse ihrer Partei versuchte, Ausschuß-
düster, und Sie kommen hierher und wollen kritisie- mitglieder unter Druck zu setzen? Ist es politisch-
ren, daß wir die falsche Politik machen. moralisch vertretbar, daß sie versuchte, Zeugen zu
beeinflussen?
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge
ordneten der F.D.P.) (Widerspruch bei der SPD)
Da ist es eigentlich nur logisch, wenn die Opposition Ich glaube, daß diese Fragen hier gestellt werden
am 25. Oktober die Mitarbeit am Haushalt eingestellt müssen, weil in Kürze der Bundesetat, über den wir
und heute keinen konkreten Finanzantrag vorgelegt heute diskutieren, im Bundesrat zur Diskussion
hat. gestellt wird
(Zurufe von der SPD)
Auch in Sachen Technologiepolitik ist das so. Die
Grünen nehmen die typische Radio-Eriwan-Position und dann wieder einzelne Positionen - -
ein: Im Prinzip vielleicht, aber nicht hier - oder noch
nicht. Da sind sich die grünen Technologiestänkerer Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Kollege
mit den roten Technikfolgenabschätzern in Bonn und Austermann, darf ich Sie einen Augenblick unterbre-
Kiel einig. chen? - Meine verehrten Kollegen, so lange dauert
6090 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 69. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. November 1995
Dietrich Austermann (CDU/CSU): Herr Glotz, Ich möchte abschließend zur Haushaltssituation
wenn Sie über den Sachverhalt informiert wären - ein paar Worte sagen.
deswegen wäre es gut, wenn Sie mir bei diesem (Lachen bei der SPD)
Thema zuhörten -, dann wüßten Sie, daß es Mei-
nungs- und Positionsunterschiede do rt gab, wo es Es ist bei Ihnen wie immer so: Theoretisch weiß man,
um die Frage der Glaubwürdigkeit bei diesem wo es langgeht, praktisch erweist man sich als unge-
Staatssekretär und bei unserem Kollegen Gansel eignet. Jetzt wird der Versuch unternommen, die
geht. Ich möchte Ihnen gerne die Frage zurückge- positiven Entscheidungen zum Januar 1996 auf die
ben: Wessen Glaubwürdigkeit zu diesem Thema eigenen Fahnen zu heften. Wir können heute den
zählt für Sie höher? Ich glaube schon, daß man diese Bürgern sagen: Zum 1. Januar 1996 werden Kinder-
Frage kritisch stellen muß. Sie hätten sie mit Sicher- geld und Kinderfreibetrag netto um 7,6 Milliarden
heit gestellt, wenn sich das gleiche unter einer unse- DM erhöht. Das Jahressteuergesetz läßt den Bürgern
rer Landesregierungen zugetragen hätte. Es ist ri ch- 27 Milliarden DM mehr Kaufkraft von ihrem Einkom-
tig, daß man die Frage stellt, ob Menschen, die durch men, vor allem den Beziehern kleiner Einkommen.
ihre eigene Tätigkeit dermaßen ins Zwielicht geraten 1,5 Millionen Menschen werden von der Steuerlast
sind, noch in der Regierungsverantwortung belassen befreit. Das Wohneigentum wird neu gefördert. Der
werden können. Wir sind der Meinung, hier muß Strompreis sinkt um 9 Prozent. Ein Facharbeiter mit
dringend eine Änderung erfolgen. 4 700 DM brutto im Monat, verheiratet, zwei Kinder,
wird ab 1. Januar 1996 monatlich um 211 DM entla-
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge stet. Hinzu kommt die Einsparung bei der Stromrech-
ordneten der F.D.P.) nung.
Ich will das gerne noch fortsetzen, weil Sie wissen, Das ist das, was Sie einen „unsoliden Haushalt"
daß 1988 die Regierung in Kiel wegen der Vorkomm- nennen. Das ist das, was wir unter verantwortlicher
nisse gewechselt hat, die von Ihnen damals mit fal- Haushaltspolitik im Interesse der Bürger verstehen:
schen Behauptungen der Öffentlichkeit zugespielt Entlastung von Steuern und Abgaben.
worden sind.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
(Widerspruch bei der SPD)
Selbst wenn man einbezieht, daß sich der Rentenbei-
Frau Simonis ist nicht durch eine Wahl der Bürger ins trag um 0,3 Prozent für den Arbeitnehmer erhöht,
Amt gekommen. Ihr Amt basiert auf dem notwendi- bleibt eine deutliche Nettoentlastung im zweistelli-
gen Rücktritt von Engholm, der 1987 die politische gen Milliardenbereich. Die SPD kommt bei Entschei-
Kultur erfunden haben wollte und 1994 zur Atom- dungen immer Jahre zu spät. Die Standortdebatte
lobby übertrat. Dieser wiederum hat sein Wissen von hat sie drei Jahre lang verschlafen,
den Machenschaften eines Herrn Pfeiffer gezielt
dazu genutzt, die gesamte CDU im Lande in Mißkre- (Jörg Tauss [SPD]: 13 Jahre haben Sie selbst
verschlafen!)
dit zu bringen und den Wahlausgang zu beeinflus-
sen. beschließt dann allmählich mit, behauptet, aus-
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) schließlich die eigenen Vorstellungen durchgesetzt
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 69. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. November 1995 6091
Dietrich Austermann
zu haben, da man schon immer gleiches wollte, und überflüssig geworden? Das ist gegen das Grundge-
will dann anschließend die Konsequenzen, in diesem setz!
Falle die Lohnsteuerauswirkungen, nicht mehr mit-
tragen. Nach diesem Thema wird nun auch beim
Jahressteuergesetz verfahren. Wir werden das nicht Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Frau Kollegin,-
zulassen. Wir informieren die Bürger über die Politik, ich muß Sie unterbrechen. Sie sprechen zur Sache,
die wir machen. können aber nur eine Erklärung abgeben, die sich
auf Ihre Person bezieht.
Dies sind die guten Nachrichten vom Bundeshaus-
halt: Die Ausgaben gehen erstmals seit 40 Jahren
zurück. Der Privatisierungsschub wird vorbereitet. Dr. Christa Lu ft (PDS): Ja. - Zweitens. Die Regie-
Ein neuer Familienleistungsausgleich wird einge- rung, der ich angehört habe, die Modrow-Regierung,
führt. Der Aufbau Ost genießt weiter Priorität. Die hat nachweislich keinen Verkauf von DDR-Banken
Stabilitätskriterien für Maastricht sind erfüllt. Mit uns an westdeutsche Kreditinstitute vorbereitet bzw.
gibt es kein Tutti-Frutti-Geld. Neue Wege auf dem betrieben. Wenn Sie, Herr Bundesfinanzminister, der
Arbeitsmarkt werden beschritten. Es wird mehr Geld Öffentlichkeit hier das Gegenteil suggerieren wollen,
für Forschung ausgegeben. Die Zuschüsse für Ren- so ist dies eine Irreführung. Sie müssen dann schon
ten- und Arbeitslosenversicherung werden gestei- Roß und Reiter benennen und sagen, an wen Sie die-
gert. Der Umbau des Sozialstaats wird in Ang riff ses adressieren. Die nachfolgende Regierung war im
genommen. Die Zinsen sinken weiter. Die Steuern übrigen eine CDU-geführte Regierung, also eine
werden gesenkt. Regierung, mit der Sie sehr gute Kontakte gehabt
haben. Wenn es Unredlichkeiten gegeben hätte, so
Dies sind alles Daten, die uns dazu veranlassen, hätten Sie dies mit Ihren politischen Freunden unmit-
dem Haushalt auch in dritter Lesung zuzustimmen telbar und mit Leichtigkeit korrigieren können.
und dem Finanzminister und der Regierung das Ver-
trauen auszusprechen. Danke schön.
Herzlichen Dank. (Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordne-
ten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge
GRÜNEN)
ordneten der F.D.P.)
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Zu einer Erklä- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich schließe die
rung nach § 30 der Geschäftsordnung erteile ich nun Aussprache.
der Abgeordneten Luft das Wo rt . - Frau Kollegin, Sie
Wir kommen zur Schlußabstimmung über das
wissen, daß sich eine Erklärung nach § 30 nur auf
Haushaltsgesetz 1996 auf den Drucksachen 13/2000,
eine Äußerung beziehen kann, die sich während der
13/2593, 13/2601 bis 13/2626, 13/2627 und 13/2630.
Debatte auf Sie selbst bezogen hat.
Die Fraktion der CDU/CSU verlangt namentliche
Dr. Christa Luft (PDS): Ja, ich weiß. - Herr Präsi- Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen und
dent! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen.
bedaure, daß ich erst jetzt das Wort bekomme. Ich - Sind alle Urnen besetzt? - Dann eröffne ich die
hatte mich unmittelbar nach der Rede des Finanzmi- Abstimmung.
nisters gemeldet. Ich möchte zwei Bemerkungen Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das
machen, weil er sich in seiner Rede auf mich bezo-
seine Stimme nicht abgegeben hat? - Das ist nicht
gen hat.
der Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte die
Erstens. Mit meiner Forderung an den Bundesfi- Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das
nanzminister oder an die Regierung überhaupt, die Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später
zweistelligen Milliardenbeträge zurückzuholen, um bekanntgegeben. )
die die DDR-Kreditinstitute zu billig verkauft worden
sind, habe ich mich auf einen Bericht des Bundes- (Unruhe)
rechnungshofes vom 27. September 1995 bezogen. - Ich bitte Sie, Ihre Plätze wieder einzunehmen.
Das ist nichts, was ich mir ausgedacht habe. Der Bun-
desfinanzminister hat nach meinem Empfinden die Wir setzen die Abstimmungen fo rt und kommen
Fakten und auch die Verdachtsmomente, die es in zum Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf
diesem Bericht gibt, nicht explizit entkräftet. Sein Drucksache 13/2972. Die Fraktion der SPD verlangt
Staatssekretär Faltlhauser hat auf zwischenzeitlich namentliche Abstimmung. Ich bitte die Schriftführe-
ergangene Anfragen nach dem Verkaufserlös rinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze
gepaßt. Er hat diese Angabe nicht gemacht. Ich einzunehmen. - Sind alle Urnen besetzt? - Das ist der
finde, der Steuerzahler hat schon einen Anspruch Fall. Ich eröffne die Abstimmung.
darauf, solche Informationen zu bekommen.
Ich darf die Damen und Herren Geschäftsführer
Im übrigen muß ich sagen: Sie wischen Belege bitten, zu mir zu kommen.
des Bundesrechnungshofes vom Tisch, Sie fechten
Urteile des Bundesverfassungsgerichtes an. Ich frage
mich: Sind denn diese Institutionen aus Ihrer Sicht *) Seite 6092 B
6092 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 69. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. November 1995
Günter Verheugen (SPD): Herr Präsident! Meine Signal der deutschen Demokratie für Menschen-
sehr verehrten Damen und Herren! Es gibt Zeiten, rechte und Menschenwürde zu setzen.
in denen kritischer Dialog, ein diplomatisches Ge-
spräch richtig ist, und es gibt Zeiten, in denen deut- (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE
liche Signale vonnöten sind. GRÜNEN und der PDS sowie bei Abgeord--
neten der CDU/CSU)
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN und der PDS sowie bei Abgeord Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich erteile nun
neten der CDU/CSU) dem Abgeordneten Ulrich Irmer das Wort.
Und dies ist die Zeit, in der ein deutliches Signal
gebraucht wird. Eine Woche nach der Beisetzung des Ulrich Irmer (F.D.P.): Herr Präsident! Meine Damen
israelischen Ministerpräsidenten den iranischen und Herren! Ich will nicht verhehlen, daß dem
Außenminister in Bonn zu empfangen ist von unse- Antrag, der jetzt von Bündnis 90/Die Grünen und
rem Selbstverständnis her nicht möglich, SPD eingebracht wird, viel Sympathie entgegen-
schlägt.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN und der PDS sowie bei Abgeord (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und der
neten der CDU/CSU) CDU/CSU sowie bei der SPD)
weil er dann auch hier die Politik einer Regierung Auch ich halte die Vokabel im Antrag der Koalition
vertreten wird, deren Präsident den Mord am israeli- nicht für ausreichend, wenn es dort heißt, diese
schen Ministerpräsidenten ja nicht nur gerechtfer- Erklärungen von iranischer Seite seien „unakzepta-
tigt, sondern mit dieser Rechtfertigung geradezu bel" . Das sind sie natürlich. Sie sind aber darüber
dazu aufgerufen hat, Terrorismus in der Welt zu ver- hinaus menschenverachtend. Sie sind verwerflich.
breiten. (Beifall im ganzen Hause)
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE Ich bitte um Verständnis dafür, daß der Text in der
GRÜNEN und der PDS sowie bei Abgeord Hektik dieses Vorgangs sehr schnell gezimmert wer-
neten der CDU/CSU) den mußte. Sie alle kennen das.
Wer wird der nächste sein, der sich unter Berufung (Dr. Uschi Eid [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
auf das, was der iranische Präsident gesagt hat, näm- NEN]: Das ist doch ein Herumgeeiere! -
lich diese Ermordung sei eine „Strafe Gottes" gewe- Weitere Zurufe von der SPD und dem
sen, als Werkzeug Gottes mißversteht und den näch- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
sten, Herr Bundeskanzler, aus dem Kreis der Regie-
rungschefs oder Staatsoberhäupter ermordet? Wer Nehmen Sie es bitte hin, daß ich hier für meine Frak-
wird der nächste sein, der das tut? - Das muß man tion erkläre: Das, was von iranischer Seite zum Tode
überlegen. von Yitzhak Rabin gesagt worden ist, ist menschen-
verachtend und verwerflich.
Deshalb muß der iranischen Regierung, die von (Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/
unseren amerikanischen Freunden, wie Sie wissen, DIE GRÜNEN)
nachdrücklich und öffentlich mit der Förderung des
Staatsterrorismus in der ganzen Welt in Beziehung - Ich habe gesagt, es gibt viel Sympathie für die
gebracht wird, ein klares und deutliches Stoppsignal Reaktion, die uns hier vorgeschlagen wird, nämlich
gesetzt werden. jetzt zu sagen: Wir laden Herrn Welajati aus.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE Meine Damen und Herren, leider - gerade dieser
GRÜNEN, der PDS sowie bei Abgeordneten Vorgang zeigt es - ist die Welt nicht so, wie wir sie
der CDU/CSU) gerne hätten, wie wir sie uns wünschen und erträu-
men.
Der iranische Außenminister kann hier nicht erschei-
nen, als wäre nichts geschehen. Es reicht nicht aus, (Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/
Herr Kollege Seiters, die Bundesregierung aufzufor- DIE GRÜNEN)
dern, sie möge die iranische Regierung zu einer - Ich weiß, Herr Duve, daß wir uns hier auf einem
Erklärung drängen. Was geschieht, wenn diese schmalen Grat bewegen. Ich halte aber daran fest:
Erklärung nicht kommt? - Nein, Herr Seiters, die Wir melden uns aus der Politik ab, wenn wir nicht
Erklärung ist bereits da, von der höchsten Autorität den Versuch machen, selbst mit den Schlimmsten zu
jenes Landes. reden.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE (Widerspruch bei der SPD und dem BÜND-
GRÜNEN und der PDS) NIS 90/DIE GRÜNEN)
Diese Erklärung reicht aus, um ein klares Nein zu Die Bundesregierung hat bereits im Vorfeld klarge-
sagen. stellt - sie wird das erneut tun -, was wir von diesen
Äußerungen halten, wie entsetzlich, wie schrecklich,
Ich bitte Sie: Stimmen Sie unserem Antrag zu! Ver- wie furchtbar wir dies finden. Aber ich meine, daß
ständigen wir uns darauf, hier ein gemeinsames die Chance eröffnet werden sollte, den Iranern noch
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 69. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. November 1995 6097
Ulrich Irmer
einmal klarzumachen, wie empört die Weltöffentlich- das Verhältnis der Bundesregierung zu Kuba und
keit ist. zum Iran zu vergleichen. Egal, was Sie über Kuba
sagen mögen: Der Unterschied zwischen Iran und
(Siegfried Scheffler [SPD]: Unglaublich, Kuba ist der, daß in dem einen Land, Herr Joschka
diese Regierung! - Weitere Zurufe von der Fischer, die Menschenrechte flächendeckend ver--
SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) letzt werden und es in dem anderen vielleicht punk-
Ich halte daran fest: Die Islam-Konferenz, die näch- tuell passiert.
ste Woche hier stattfindet,
Drittens. Die PDS hat in diesem Bundestag einen
(Freimut Duve [SPD]: Wird dadurch beschä Antrag eingebracht, der sich gegen privilegierte
digt!) Beziehungen zwischen der Bundesrepublik
Deutschland und dem Iran richtet, und dies begrün-
kann nicht aussparen, daß es im Islam eben nicht nur det - denn dies bringt diese privilegierten Beziehun-
friedliche Gesprächspartner, sondern auch blutrün- gen zum Ausdruck - mit der Vergabe neuer Hermes-
stige Verbrecher und Terroristen gibt. Das müssen Kredite an den Iran. Wir halten diesen Antrag auf-
wir einfach zur Kenntnis nehmen. Deshalb bitte ich recht, gerade in diesem Zusammenhang.
noch einmal darum, jetzt nicht mit moralischen Fin-
gern auf diejenigen zu zeigen, die Ihrem Antrag Viertens. Der CDU-Antrag, der jetzt vorgelegt wor-
nicht von vornherein in dieser Weise zustimmen. den ist, ist heuchlerisch und pharisäerhaft. Mit ihm
soll ein Nebelschleier gelegt werden. Ich bitte Sie
(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und der noch einmal, den Text, der jetzt schriftlich vorliegt,
CDU/CSU - Freimut Duve [SPD]: Das ist exakt zu lesen. Dort steht, es werde „im Vorfeld der
eine hochpolitische Frage, Herr Irmer! - Islam-Konferenz auf eine eindeutige Erklärung"
Dieter Wiefelspütz [SPD]: Der Bundeskanz gedrängt. Das heißt, wenn sie vorgelegt werden
ler und der Bundesaußenminister sind würde, dann würde die Einladung trotzdem aufrecht-
sprachlos! Unglaublich!) erhalten werden, während der Antrag, der von Grü-
nen und SPD vorgelegt worden ist, fordert, diese Ein-
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich erteile nun ladung generell zurückzuziehen.
dem Abgeordneten Dr. Winfried Wolf das Wo rt .
Eine kleine Anmerkung am Schluß: Es gab bei der
kurzen Absprache in der PDS einzelne Meinungen,
Dr. Winfried Wolf (PDS): Sehr geehrter Herr Präsi- die dahin gingen, daß auch die Unterstützung des
dent! Werte Kolleginnen und Kollegen! Die Diskus- Antrags von Grünen und SPD falsch verstanden wer-
sion zum Thema Iran und Welajati kommt etwas den könnte, als gegen das iranische Volk gerichtet.
überraschend. Die Äußerungen von Welajati zu der Ich möchte klar sagen: Damit hat es nichts zu tun. Es
Ermordung des israelischen Ministerpräsidenten hat mit dem Verhältnis unseres Landes zur Regie-
sind empörend. Aber es ist weit mehr über den Iran rung des Iran zu tun.
und Welajati bekannt, und deshalb müßte zu diesem
Thema weit mehr gesagt werden. Ich werde hierzu Danke schön.
vier Punkte nennen.
(Beifall bei der PDS)
Erstens. Die iranische Regierung hat den Charak-
ter einer systematisch die Menschenrechte im Iran
verletztenden Regierung. Diese Regierung prakti- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich erteile nun
ziert Menschenrechtsverletzung flächendeckend dem Bundesminister Dr. Klaus Kinkel das Wort.
und seit mehr als einem Jahrzehnt - dies ist doku-
mentiert auf Hunderten von Seiten, von Amnesty Dr. Klaus Kinkel, Bundesminister des Auswärtigen:
International und einer ganzen Reihe anderer promi- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bun-
nenter Menschenrechtsorganisationen -; dies hat desregierung verfolgt im Rahmen der EU gegenüber
unter anderem kulminiert in dem systematisch auf- dem Iran eine Politik des kritischen Dialogs.
rechterhaltenen Mordaufruf gegen Salman Rushdie.
Dieses Land unterdrückt vor allem die Rechte der (Zuruf von der SPD: Ja, das kennen wir!)
schwächsten Menschen im Iran, der Kinder - auch
sie werden zum Tode verurteilt - und der Frauen. Dieser Dialog bezieht ausdrücklich und nachdrück-
lich die Themen mit ein, die Anlaß nicht nur zur
Zweitens. Die Bundesregierung betreibt seit vielen Sorge, sondern zu massivster Kritik geben. - Ich
Jahren eine systematische Sympathiewerbung für habe mich in meiner Zeit als Staatssekretär im Justiz-
das verbrecherische Regime in Teheran. ministerium, in meiner Zeit als Justizminister und
auch in meiner Zeit als Außenminister seit Jahren in
(Zuruf von der CDU/CSU: Frechheit! Neh
dieser Beziehung eingesetzt. - Hierzu zählen insbe-
men Sie das zurück!)
sondere die Lage der Menschenrechte, terroristische
Die Bundesregierung hat während des ersten Golf- Bestrebungen, die Fatwa gegen Salman Rushdie -
kriegs in den 80er Jahren beide Seiten wirtschaftlich, ich habe ihn empfangen und dafür gesorgt, daß er in
mit Krediten und zum Teil militärisch unterstützt. Brüssel empfangen wird - und die Ablehnung des
Nahost-Friedensprozesses.
Vor diesem Hintergrund hat die Bundesregierung
die Einladung an Welajati ausgesprochen und damit (Freimut Duve [SPD]: Sie haben gar nicht
eine empörende Provokation begangen. Ich bitte Sie, gemerkt, um was es geht!)
6098 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 69. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. November 1995
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie- Beschlußempfehlung und Bericht des Aus-
ßungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen schusses für Arbeit und Sozialordnung
auf Drucksache 13/2971. Wer für den Entschlie- (11. Ausschuß)
ßungsantrag - ursprünglich Änderungsantrag -
stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegen- - Drucksache 13/2940 -
probe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß Berichterstattung:
dieser Antrag mit den Stimmen der Koalition und der Abgeordneter Karl-Josef Laumann
Fraktion der SPD gegen die Stimmen der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen und der Gruppe der PDS Eine Aussprache ist nicht vorgesehen.
abgelehnt worden ist.
Das Wort zu einer Erklärung zur Abstimmung hat
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie-
die Kollegin Bläss.
ßungsantrag der Gruppe der PDS auf Drucksache
13/2975. Wer für diesen Entschließungsantrag
stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegen-
probe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß Petra Bläss (PDS): Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Der unbestritten notwendig geworde-
dieser Antrag mit den Stimmen der Koalition, der
nen Neufassung des Art. 51 des Pflege-Versiche
Fraktion der SPD und der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen gegen die Stimmen der Gruppe der PDS rungsgesetzes kann ich in der zur Beschlußfassung
vorliegenden Form nicht zustimmen.
abgelehnt worden ist.
Wir setzen die Abstimmungen fort und kommen Selbstverständlich begrüße ich, daß Menschen
zur Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses mit Behinderungen, die nach dem Pflege-Versiche-
zum Finanzplan des Bundes 1995 bis 1999 auf den rungsgesetz keinen oder einen geringeren
Drucksachen 13/2001, 13/2593 und 13/2631. Dazu Anspruch auf Leistungen gegenüber vorherigen
liegt ein Änderungsantrag der Gruppe der PDS auf Regelungen nach SGB V und BSHG haben, durch
Drucksache 13/2950 vor, über den wir zuerst abstim- diese Klarstellung keine Leistungseinbußen hinneh-
men. Wer dem Änderungsantrag der Gruppe der men müssen. Das darf aber nicht darüber hinweg-
PDS auf Drucksache 13/2950 zustimmen will, den täuschen, daß Art. 51 seinem Namen, nämlich
bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Bestand zu schützen, nicht gerecht wird. Denn für
Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß dieser einen nicht unerheblichen Betroffenenkreis - für
Antrag mit den Stimmen der Koalition und einzelnen diejenigen, die Geld- und Sachleistungen kombi-
Stimmen aus der Fraktion der SPD bei Stimmenthal- niert erhalten - werden reale Leistungseinbußen
-
tungen im übrigen gegen die Stimmen der PDS festgeschrieben.
abgelehnt worden ist.
Das bedeutet, daß von der vorgesehenen Besitz-
Dann stimmen wir über die Beschlußempfehlung standsregelung nur die Menschen profitieren, die
des Haushaltsausschusses ab. Wer der Beschlußem- bisher nur Pflegegeld und keine weiteren Leistun-
pfehlung des Haushaltsausschusses zum Finanzplan gen erhielten und auch jetzt nur ein Pflegegeld
des Bundes zustimmt, den bitte ich um das Handzei- benötigen oder beanspruchen. Alle diejenigen, die
chen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich vor dem 1. April 1995 neben dem Pflegegeld wei-
stelle fest, daß dieser Finanzplan mit den Stimmen tere Leistungen erhielten, haben bedeutende Nach-
der Koalition gegen die Stimmen der Opposition teile. Insbesondere die behinderten Menschen, die
angenommen worden ist. sich ihre Pflege nach dem Arbeitgebermodell
selbst organisieren, werden damit einen Verlust
Dann kommen wir zur Abstimmung über den Ent- von zirka 400 bis 715 DM monatlich in Kauf neh-
schließungsantrag der Gruppe der PDS auf Drucksa- men müssen.
che 13/2974. Wer für diesen Entschließungsantrag
der Gruppe der PDS stimmt, den bitte ich um das Andere schon vorgesehene Einschränkungen sind
Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? noch offen. Noch nicht klar ist, wie sich die Sozialhil-
Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 69. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. November 1995 6105
Petra Bläss
feträger in bezug auf die neue Fassung des § 69 c Ich rufe den Zusatzpunkt 2 auf:
Abs. 4 BSHG verhalten werden. Hier ist festgelegt:
Erste Beratung des vom Bundesrat einge-
Leistungen nach § 69b Abs. 1 werden insoweit brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anglei-
nicht gewährt, als der Pflegebedürftige in der chung der Arbeitsbedingungen bei der Ent-
Lage ist, entsprechende Leistungen nach ande- sendung von Arbeitnehmern (Entsendegesetz)
ren Rechtsvorschriften in Anspruch zu nehmen. - Drucksache 13/2834 —
Überweisungsvorschlag:
Auf jeden Fall aber kann das Arbeitgebermodell Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung (federführend)
einer selbstorganisierten Pflege in der bisherigen Rechtsausschuß
Form nicht weitergeführt werden. Ausschuß für Wi rt schaft
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau
Hinzu kommt, daß über die Regelungen in Abs. 3 Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union
der Besitzstandsschutz an die Einkommensgrenzen
zum 31. März 1995 gebunden ist. Damit fallen Eine Aussprache ist nicht vorgesehen.
jetzt noch geschützte Leistungsempfängerinnen und
Interfraktionell wird vorgeschlagen, den Gesetzent-
-empfänger bei entsprechenden Einkommenserhö-
wurf auf Drucksache 13/2834 federführend an den Aus-
hungen heraus. Das heißt, hier ist der Besitzstands-
schuß für Arbeit und Sozialordnung, mitberatend an
schutz zeitlich begrenzt.
den Rechtsausschuß, an den Ausschuß für Wirtschaft,
an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und
Der neugefaßte Art. 51 sichert zwar, daß sich die
Forsten, an den Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen
Sozialhilfeträger nicht ganz aus der Leistungserbrin-
und Städtebau und an den Ausschuß für die Angele-
gung „Hilfe zur Pflege" zurückziehen können. Ein-
genheiten der Europäischen Union zu überweisen. Gibt
schnitte sind jedoch einkalkuliert.
es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der
Da die ebenfalls zur Abstimmung vorgelegte Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Änderung des Art. 52 - die Möglichkeit, Investitions-
hilfen für die neuen Bundesländer mit Verwahrkon- Ich rufe den Zusatzpunkt 3 auf:
ten ins nächste Jahr zu übertragen - zu begrüßen ist, Erste Beratung des von den Fraktionen der
werde ich mich bei der Gesamtabstimmung der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs
Stimme enthalten. Ich gehe davon aus, daß meine eines Gesetzes zur Reform des Rechts der Ar-
Kolleginnen und Kollegen aus der PDS meinem beitslosenhilfe (Arbeitslosenhilfe-Reformge-
Abstimmungsverhalten folgen werden. setz - AlhiRG)
Ich danke. - Drucksache 13/2898 —
Überweisungsvorschlag:
(Beifall bei der PDS)
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung (federführend)
Innenausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Wir kommen Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
zu den Abstimmungen. Ich bitte diejenigen, die dem Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau
Ausschuß für Gesundheit
Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? -
Enthaltungen? - Ich stelle fest, daß der Gesetzent- Ich stelle fest, daß darüber Einverständnis besteht,
wurf in der Ausschußfassung bei Stimmenthaltung daß sämtliche Reden zu Protokoll gegeben werden. *)
der Gruppe der PDS in zweiter Beratung angenom- Es wird vorgeschlagen, den Gesetzentwurf auf
men worden ist. Drucksache 13/2898 zur federführenden Beratung an
den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung und mit-
Wir kommen zur
beratend an den Innenausschuß, an den Ausschuß für
Wirtschaft, an den Ausschuß für Ernährung, Landwirt-
dritten Beratung
schaft und Forsten, an den Ausschuß für Raumord-
und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die nung, Bauwesen und Städtebau, an den Ausschuß für
dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erhe- Gesundheit und an den Haushaltsausschuß zur Mit-
ben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Ich stelle beratung und gemäß § 96 GO zu überweisen. - Ich
fest, daß der Gesetzentwurf mit derselben Mehrheit sehe und höre dazu keine anderweitigen Vorschläge.
Dann ist die Überweisung so beschlossen.
wie in der zweiten Beratung angenommen worden
ist. Wir sind damit am Schluß unserer Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
Ich gebe bekannt, daß der Abgeordnete Oswald destages auf Mittwoch, den 22. November 1995,
Metzger zu dem Antrag der SPD auf Drucksache 13 Uhr ein.
13/2984 eine schriftliche Erklärung zu Protokoll
Die Sitzung ist geschlossen.
gegeben hat. - Ich sehe und höre keinen Wider-
spruch. *) (Schluß der Sitzung: 15.33 Uhr)
*) Anlage 2 *) Anlage 3
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 69. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. November 1995 6107*
Anlage 1 Anlage 3
Beck (Bremen), BÜNDNIS 10. 11. 95 Heinz Schemken (CDU/CSU): In den vergangenen
Marieluise 90/DIE Jahren ist die Zahl der Arbeitslosenhilfebezieher und
GRÜNEN die Bezugsdauer erheblich angestiegen. Der mit der
Dauer der Arbeitslosigkeit regelmäßig zunehmende
Dr. Dobberthien, SPD 10. 11. 95 Verlust von beruflicher Qualifikation erschwert die
Marliese Wiedereingliederung von Langzeitarbeitslosen in
das Arbeitsleben. Es hat sich ein Sockel von Arbeits-
Hörsken, Heinz-Adolf CDU/CSU 10. 11.95
losenhilfebeziehern gebildet, der die Arbeitslosen-
Meißner, Herbe rt SPD 10. 11. 95 hilfe nicht nur vorübergehend, sondern immer häufi-
ger mehr als zehn Jahre in Anspruch nimmt.
Möllemann, Jürgen W. F.D.P. 10. 11. 95
Im geltenden Recht gewährleisten Arbeitslosen-
Nickels, Christa BÜNDNIS 10. 11. 95 geld und Arbeitslosenhilfe den Schutz vor den finan-
90/DIE ziellen Folgen der Arbeitslosigkeit.
GRÜNEN
Der vorliegende Gesetzentwuf zur Reform des
Odendahl, Doris SPD 10. 11. 95 Rechts der Arbeitslosenhilfe enthält die im wesent-
lichen notwendigen strukturellen Änderungen:
Schoppe, Waltraud BÜNDNIS 10. 11.95
90/DIE Erstens. Der Anspruch auf die Arbeitslosenhilfe
GRÜNEN setzt voraus, daß der Arbeitslose ein Jahr gearbeitet
und im Anschluß daran Arbeitslosengeld bezogen
Schwanitz, Rolf SPD 10. 11. 95 hat. Arbeitslose, die diese Voraussetzungen nicht
erfüllen, haben den Anspruch auf Sozialhilfe. Diese
Steindor, Ma rina BÜNDNIS 10. 11. 95
unterschiedliche Behandlung muß bei einer Lang-
90/DIE
zeitarbeitslosigkeit mehr oder weniger als Zufall
GRÜNEN
gesehen werden. Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe
Terborg, Margitta SPD 10. 11. 95 sind deshalb stärker aufeinander abzustimmen und
systemgerechter abzugrenzen. Dieses Ziel könnte
Vogt (Düren), Wolfgang CDU/CSU 10. 11. 95 durch eine Bef ri stung der Arbeitslosenhilfe erreicht
werden. Der Entwurf sieht dies eben nicht vor. Er
beruht vielmehr auf der Abwägung, daß es besser ist,
durch arbeitsmarktpolitische Maßnahmen langjähri-
gen Arbeitslosen, die auch einen Verlust von berufli-
cher Qualifikation haben, einen Einstieg ins Berufs-
Anlage 2 leben zu ermöglichen.
Es ist verwaltungsaufwendig und wegen des wei- Birgit Schnieber-Jastram (CDU/CSU): Eines,
ten Beurteilungsspielraums in der Höhe des Arbeits- glaube ich, ist in diesem Hause unstrittig: Die Sozial-
losengeldes nicht hilfreich. versicherungssysteme Arbeitslosenversicherung, Ar-
beitslosenhilfe und Sozialhilfe müssen effektiver als
Der Entwurf sieht deshalb vor, daß die Neufestset- bisher miteinander kooperieren und aufeinander ab-
zung und Anpassung an die Entwicklung der Brutto- gestimmt werden. Aber diese Forderung ist nur sinn-
arbeitsentgelte jährlich erfolgt und an die Stelle der voll, wenn eine Reform der einzelnen Systeme - eben
individuellen Neufestsetzung ein pauschaler Ansatz auch der Arbeitslosenhilfe - akzeptiert wird. Man
tritt. muß den Mund nicht nur spitzen, sondern auch pfei-
fen.
Drittens. Da die Nachfrage nach Arbeitsplätzen
das Angebot übersteigt, kann die Arbeitsbereitschaft Die Voraussetzungen des Bezuges dieser Soziallei-
von Arbeitslosenhilfebeziehern vielfach nicht über- stung haben sich geändert: Arbeitslosenhilfe ist lei-
prüft werden. der nicht mehr nur eine Übergangsleistung bei
einem kurzfristigen Verlust des Arbeitsplatzes, son-
Arbeitslosenhilfe können deshalb auch Personen dern sie wird mehr und mehr zu einer Dauerleistung.
beziehen, die keine Arbeit suchen. Sie nehmen die
Über die Ursachen dieser Entwicklung kann man
Arbeitslosenhilfe mißbräuchlich in Anspruch.
sich streiten, das Faktum jedoch bleibt bestehen: Die
Viertens. Die Arbeitslosenhilfe ist eine aus Steuer- Zahl der Langzeitarbeitslosen und ihr Verbleib in der
mitteln des Bundes finanzierte staatliche Fürsorgelei- Arbeitslosenhilfe nehmen zu.
stung. Der Arbeitslose erhält sie, soweit er seinen
Wie soll die Sozialpolitik auf diese Entwicklung
Lebensunterhalt nicht auf andere Weise bestreiten
reagieren? Soll weiterhin ein reines Versorgungs-
kann.
system aufrecht erhalten werden, oder können den
Die Arbeitslosenhilfe soll deshalb ruhen, wenn Langzeitarbeitslosen, denen in ihrer Gesamtheit hier
der Arbeitslose voraussichtlich die Voraussetzungen niemand den Arbeitswillen abspricht, nicht auch Per-
einer Rente wegen Alters erfüllt, diese aber nicht spektiven auf eine Beschäftigung eröffnet werden?
beantragt. Ich denke, das wäre ein vernünftiger Weg.
Fünftens. Das geltende Recht bietet dem Ehegat- Ich möchte einige Punkte des Gesetzentwurfes der
ten des Arbeitslosenhilfebeziehers vielfach keinen Koalition besonders hervorheben: So sollen in
Anreiz, eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen, weil das Zukunft mit geringen Ausnahmen nur noch Lang-
Einkommen bei der Arbeitslosenhilfe angerechnet zeitarbeitslose in die Allgemeinen Maßnahmen zur
wird. Arbeitsbeschaffung zugewiesen werden können.
Außerdem werden Trainingsmaßnahmen für Arbeits-
Wie in der Sozialhilfe soll deshalb durch einen lose eingeführt, die ihnen nicht nur bei der Bewer-
zusätzlichen Freibetrag ein entsprechender finanziel- bung helfen sollen sondern unter Umständen auch
ler Anreiz für den Ehegatten geschaffen werden. ihre Eignung und Begabung für eine neue Tätigkeit
aufzeigen, insgesamt ihre „Professionalität" verbes-
Sechstens. Der vorliegende Entwurf setzt bei der sern sollen.
Reform der Arbeitslosenhilfe folgende Schwer-
punkte: Erhöhung des Anteils von Arbeitslosenhilfe- Eine weitere geplante Maßnahme, die ich für sinn-
beziehern an Maßnahmen der Arbeitsbeschaffung voll halte, sind Zuschüsse an jüngere Arbeitslosen-
und der produktiven Arbeitsförderung - §§ 242s, hilfeempfänger, die sich für befristete und nicht
249h AFG -, Einführung von Trainingsmaßnahmen gerade hoch dotierte Beschäftigungen zur Verfügung
für Arbeitslosenhilfebezieher unter Weiterzahlung stellen. Wer etwa bei der Ernte mitarbeitet, erhält
der Arbeitslosenhilfe, Erschließung zumutbarer Be- 25 DM täglich als Zuschlag zu seinem Entgelt.
schäftigungsmöglichkeiten durch Einführung einer
Arbeitnehmerhilfe - über 60 Prozent der Arbeits- Wenn man bedenkt, daß ein beträchtlicher Anteil
losenhilfeempfänger sind unter 45 Jahre alt - Verlän- der Arbeitslosenhilfebezieher zu einer solchen Tätig-
gerung der Fristen, innerhalb deren ein Arbeitsloser keit in der Lage ist, ist dieses Angebot - ich möchte
eine selbständige Tätigkeit ohne Nachteile bei der die Freiwilligkeit unterstreichen wünschenswert und
Arbeitslosenhilfe ausüben kann, Verlängerung der erfreulich. Wer in diesem Zusammenhang von
Fristen, innerhalb deren ein Arbeitsloser sein Recht „Arbeitsdienst" redet, zeigt nicht nur sein histori-
auf Arbeitslosenhilfe nicht verliert, wenn er wegen sches Unverständnis, sondern offenbart auch natio-
der Berücksichtigung von Einkommen und Vermö- nalen Hochmut nach dem Motto: „Ein Deutscher
gen nicht bedürftig war, pauschalierende und weni- bückt sich nicht vor einer Erdbeere." Hunderttau-
ger verwaltungsaufwendige jährliche Anpassung sende ausländischer Arbeitnehmer kennen diese
des für die Arbeitslosenhilfe maßgeblichen Arbeits- Scheu nicht und sind sich für Erntearbeiten in
entgelts, Begrenzung der Arbeitslosenhilfe bis zu Deutschland nicht zu schade.
dem Zeitpunkt, in dem der Arbeitslose frühestens
eine Altersrente beanspruchen kann. Außerdem möchte ich in diesem Zusammenhang
an einen Satz von Willy Brandt erinnern, der zutref-
Natürlich wird durch diese Gesetzgebung auch der fend bemerkte, daß das Sozialstaatsangebot „nicht
Bundeshaushalt entlastet; dies ist erforderlich, um nur Pflichten des Gemeinwesens gegenüber dem
Spielräume für arbeitsmarkt- und wirtschaftspoliti- Bürger, sondern auch soziale Verpflichtungen der
sche Maßnahmen zu schaffen. Bürger im Verhältnis zum Staat" beinhaltet.
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 69. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. November 1995 6109*
Liebe Kollegen von der SPD, ich interpretiere in Abschließend möchte ich den Kollegen von der
dem heutigen Zusammenhang die Worte ihres Ex SPD, deren Kriegsgeheul von sozialem Kahlschlag
Vorsitzenden so: Wer Hilfe vom Gemeinwesen erhält, und „menschlicher Sauerei" (Ottmar Schreiner) in
der soll sich nach seinen Möglichkeiten auch bemü- den letzten Wochen wieder lauter geworden ist, in
hen, diese Hilfe nicht mehr oder in geringerem Erinnerung rufen: Es sind eure Engel, die den Teufel-
Umfang zu benötigen. an die Wand malen. Unter Ihrer Ägide wurden die
ersten einschneidenden Kürzungen bei der Arbeits-
Nur für den Fall, daß Sie mir vorwerfen sollten, ich losenhilfe geplant, nämlich eine Senkung der
würde Sie auf alte Kamellen von vorgestern fest- Arbeitslosenhilfe und eine Verschärfung der Zumut-
nageln, möchte ich auf Äußerungen des Hambur- barkeitskriterien. Damals, im März 1981, titelte der
ger Bürgermeisters, Ihres Parteifreundes Henning „Spiegel" sogar: „Sozialleistungen werden einge-
Voscherau, hinweisen. Der forde rte in einem Inter- sammelt". Ihr Parteifreund Hans Matthöfer erklärte,
view vor knapp einer Woche die Abschaffung „von einer Phase des Ausbaus sozialer Leistungen"
„überkommener Zumutbarkeitsgrenzen" und er- sei nun - 1981 - „in eine Phase gesunden Abwägens
klärte, es könne nicht Sache des einzelnen sein, sich von sozialer Sicherung und Eigenverantwortung
zwischen Arbeit und „einem Einkommen aus der überzugehen".
Tasche des Steuerzahlers" zu entscheiden. Ist das,
liebe Kollegen von der SPD, ein Anschlag auf den Was damals richtig war, ist auch heute gültig. Inso-
Sozialstaat? fern sollten auch die Kollegen von der SPD den vor-
liegenden Entwurf, der jene Forderung des Abwä-
Ich habe die meines Erachtens positiven Aspekte
gens erfüllt, als das sehen, was er ist: Eine Siche-
des vorliegenden Gesetzentwurfes hervorgehoben
rungsmaßnahme im Sozialstaat.
und möchte nun einige Sätze zu einer Neuregelung
sagen, der ich - und auch einige meiner Fraktions-
kollegen - nicht ganz ohne Bedenken zustimmen Adolf Ostertag (SPD): Heute vor einer Woche hat
kann: Geplant ist, die Minderung der beruflichen der Bundesarbeitsminister auf dem Gewerkschafts-
Qualifikation dadurch auszugleichen, daß das tag der IG Metall das „Bündnis für Arbeit" als „be-
Bemessungsentgelt um fünf Prozent gekürzt wird, deutsamen Beitrag" bezeichnet und angeboten:
bis der durchschnittliche Tariflohn der untersten
Gruppe erreicht ist. Tatsächlich ist eine Kürzung der Laßt uns auf dem Boden der Vorschläge von Klaus
Arbeitslosenhilfe, die ja im Vergleich zum Arbeits- Zwickel, nicht auf der Höhe abstrakter Diskussio-
losengeld bereits reduziert ist, nicht unproblema- nen, sondern im Rahmen ganz konkreter Projekte
tisch. Dies gilt um so mehr, wenn es sich um eine zusammenarbeiten, wo es geht.
pauschale Kürzung handelt. Das individue lle Schick- Vorgestern hat der Kanzler auch lobende Worte
sal verliert an Bedeutung, die eigenen Anstrengun- gefunden.
gen, der Notlage zu entkommen, können nicht
gewürdigt werden. Ich bezweifle aber, ob Sie dieses Angebot der IG
Metall wirklich gelesen haben und auch ernst neh-
Dies begründet auch mein Bedenken gegen die men. Wörtlich heißt es da: „Dieses Bündnis verpflich-
Vorlage. Die Kürzung der Arbeitslosenhilfe nach drei tet die Bundesregierung, die Arbeitgeber und auch
Jahren wegen der Abnahme beruflicher Qualifika- uns zur Einhaltung ... Wenn die Bundesregierung
tion ist ja bekanntlich geltendes Recht; die Durchset- verbindlich erklärt, bei der Novellierung des Arbeits-
zung wurde wiederholt vom Bundesrechnungshof förderungsgesetzes auf die Kürzung des Arbeitslo-
angemahnt. Es ist aber wichtig, daß ältere Arbeits- sengeldes und der Arbeitslosenhilfe zu verzichten
lose, die nur noch geringe Vermittlungschancen und die Sozialhilfekriterien nicht zu verschlechtern",
haben, nicht das Gefühl bekommen, bestraft zu wer- nur dann wird es ein „Bündnis für Arbeit" geben.
den. Gerade sie müssen im Gegenteil eine besondere
Förderung erfahren. Einen Tag nach diesem Angebot hat das Kabinett
unter Leitung des Bundesarbeitsministers den
Andererseits war eine Regelung, die alle Gesetzentwurf mit dem irreführenden Etikett
Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen hatte, „Reform des Rechts der Arbeitslosenhilfe" - besser:
nur sehr schwer in die Praxis umzusetzen. Bereits bei „Arbeitslosenbekämpfungsgesetz" - beschlossen.
der alten Regelung endete die Neufestlegung der Darin stehen genau die Verschlechterungen, die
Arbeitslosenhilfe häufig vor dem Sozialgericht. Ein- das angebotene „Bündnis für Arbeit" unmöglich
deutige gesetzliche Regelungen sind hier wohl tat- machen. Herr Bundesarbeitsminister, was ist mit den
sächlich nötig, um Rechtsklarheit zu erhalten und „ganz konkreten Projekten" ? Gehört dieser Entwurf
Ungerechtigkeiten vorzubeugen. dazu?
Wie gesagt, nicht allen Einzelpunkten der Novel- Meine Damen und Herren, dieses Beispiel zeigt
lierung stimme ich aus vollem Herzen zu. Ich ak- erneut, wie diese Regierung schönfärberisch redet
zeptiere die aus meiner Sicht problematischen und gleichzeitig eiskalt ihre Politik des sozialen Aus-
Abschnitte als Notwendigkeit, auf die nicht nur der grenzens weite rtreibt.
Sparzwang hinweist. Auch eine Anpassung an den
geänderten Charakter der Arbeitslosenhilfe als Sie bekämpfen doch die Arbeitslosen statt die Mas-
„Massenleistung" macht eine Reform in der vorge- senarbeitslosigkeit. Sie wälzen die sozialen Risiken
schlagenen Art nötig. Insofern kann ich den Gesetz- einseitig auf die Beitragszahler ab; Sie ruinieren die
entwurf der Koalition als Gesamtpaket mit gutem Finanzen der Gemeinden in unverantwo rtlicher
Gewissen als gelungen bezeichnen. Weise.
6110* Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 69. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. November 1995
Damit hat diese Regierung den Konsens, der für werden. In erster Linie geht es aber darum, die
einen Sozialstaat unerläßlich ist, längst verlassen. Arbeitsbereitschaft zu testen. Bei einer Verweige-
rung gibt's Sperrzeit. Damit können die Empfänger
Und jetzt kommt gleich ein dreifacher Salto zur
von Arbeitslosenhilfe aus dem Leistungsbezug
weiteren Demontage der Arbeitsmarktpolitik:
gedrängt werden. Von den Kosten für diese Trai--
Erstens. Mit den aktuellen Änderungen im Bereich ningsmaßnahmen verabschiedet sich der Bund, den
des Asylbewerberleistungsgesetzes werden 35 000 Beitragszahlern werden sie aufgehalst.
Personen aus der originären Arbeitslosenhilfe in die
Viertens. Ältere Arbeitslose sollen gezwungen
Sozialhilfe abgeschoben, und die Arbeitslosigkeit
werden, zum frühestmöglichen Termin Rente wegen
wird weiter kommunalisiert und statistisch verklei-
Alters zu beantragen. Dies würde bei den Betroffe-
nert. Der Bund stiehlt sich aus seiner Verantwortung.
nen zu niedrigeren Renten führen, da sich der Zeit-
Zweitens. Mit den angekündigten Veränderungen raum der Beitragszahlung verkürzt. Falls sich die
im AFG, die den wohlklingenden Namen „Arbeits- Bundesregierung mit den von ihr geplanten Abschlä-
förderungs-Reformgesetz" erhalten sollen, wird das gen durchsetzt, würden die Renten noch weiter
Instrumenta rium der aktiven Arbeitsmarktpolitik gekürzt.
weiter demontiert. Es wird eine Pseudoreform wer-
den, die wieder der Finanzminister diktiert. Fünftens. Die Bundesregierung will das für die
Berechnung der Arbeitslosenhilfe maßgebliche
Drittens. Auch mit dem sogenannten Arbeitslosen- Arbeitsentgelt jährlich pauschal um 5 Prozent sen-
hilfe„reform"gesetz, das wir heute beraten müssen, ken. Als Untergrenze sollen 50 Prozent der Bezugs-
setzt diese Bundesregierung ihre Strategie des größe nach § 18 SGB IV festgelegt werden. In West-
Sozialabbaus und der Ausgrenzung konsequent fo rt . deutschland sind das zur Zeit 2 030 DM, in Ost-
Die Arbeitslosenhilfe soll weiter auf das Sozialhilfeni- deutschland 1 645 DM brutto monatlich.
veau gedrückt werden. Die Ausgliederung aus dem
AFG ist der erste Schritt zur generellen Abschaffung. Arbeitslosenhilfeempfänger und -empfängerinnen
im Westen würden danach wöchentlich 215 DM, im
Für viele Arbeitslose und ihre Familien werden Osten 174 DM (Leistungsklasse C) erhalten.
diese gesetzgeberischen Untaten zum Salto mortale.
Als Konsequenz ist einmal eine deutlich stärkere
Mit Ihren Vorschlägen zur Arbeitslosenhilfe wird Belastung der Sozialhilfe zu erwarten und zum ande-
sich die finanzielle und soziale Lage der Arbeitslosen ren ein verstärkter Druck auf die Arbeitslosen,
verschärfen, von dem psychischen Druck einmal gering entlohnte Arbeit zu akzeptieren.
ganz zu schweigen.
Sechstens. Eingeführt werden soll eine sogenannte
Erstens. Sie behaupten, mit den vorgeschlagenen „Arbeitnehmerhilfe" in Höhe von 25 DM täglich.
Regelungen eine bessere Integration der Arbeitslo- Dadurch leistet die Bundesregierung einem staatlich
senhilfempfänger zu ermöglichen. geförderten Niedriglohnsektor Vorschub. Der Druck
In Wahrheit geht es Ihnen nur um Kostenverschie- auf Arbeitslose, niedrig bezahlte Beschäftigung -
bung. Der Deutsche Städte- und Gemeindebund möglicherweise unter Ta rif - anzunehmen, wird
spricht von „Flickschusterei zu Lasten der Kommu- erhöht.
nen". Die Stadt Frankfurt wird Verfassungsbe- Die Tatsache, daß jede Arbeit angenommen wer-
schwerde gegen das Gesetz einlegen. Das wurde mit den muß, führt zu einer Dequalifizierung und zu
den CDU-Stimmen beschlossen. Durch den Gesetz- einer Fehlsteuerung von Arbeitskräften.
entwurf wollen Sie den Bund in Milliardenhöhe ent-
lasten auf Kosten der Arbeitslosenhilfeempfänger, Zusammenfassend heißt das: Diese Bundesregie-
der Sozialhilfeempfänger sowie der beitragsfinan- rung zieht sich mit diesem Gesetzentwurf immer wei-
zierten Arbeitsmarktpolitik. ter von einer sinnvollen Arbeitsmarktpolitik zurück.
Die Erwerbslosen werden mehr und mehr zum Sün-
Zweitens. Sie wollen den Anteil von Arbeitslosen- denbock der Nation gemacht.
hilfebeziehern in Maßnahmen der Arbeitsbeschaf-
fung und der produktiven Arbeitsförderung erhöhen. Die Folgen sind eine weitere Verarmung der
In diese Maßnahmen dürfen allerdings nur noch Arbeitslosen und eine weiter um sich greifende Kom-
Bezieher von Arbeitslosenhilfe einbezogen werden. munalisierung der Massenarbeitslosigkeit. Konkret
in Zahlen heißt das: Auf Kosten der Beitragszahler
Diese Maßnahmen werden aus Beitragsmitteln und Kommunen will der Bund seinen Haushalt um
finanziert. Der Bund entlastet sich somit, indem er insgesamt 3,4 Milliarden DM im Jahr 1996 bezie-
sich bei den Beitragszahlern „bedient". Darüber hin- hungsweise 3,8 Milliarden DM in den folgenden
aus bringt dies auch arbeitsmarktpolitisch nichts, da Jahren entlasten.
erst nach einer Verfestigung der Arbeitslosigkeit die
Teilnahme an einer derartigen Maßnahme möglich Diese Politik steht im krassen Widerspruch zu den
ist. Statt zügiger Eingliederung von Arbeitslosen in ständigen Versprechungen des Bundesarbeitsmini-
den Arbeitsmarkt wird ein Abgleiten von Arbeitslo- sters, die Beitragszahler zu entlasten. Seit 13 Jahren
sengeldempfängern in die Arbeitslosenhilfe pro könnte diese Regierung was tun - sie redet aber nur
grammiert. und macht das Gegenteil.
Drittens. Mit den vorgesehenen Trainingsmaßnah- Ihre Vorschläge zur Arbeitslosenhilfe werden von
men bei gleichzeitigem Bezug von Arbeitslosenhilfe allen gesellschaftlich wichtigen Gruppen, den Kir-
sollen die Wiedereingliederungschancen verbessert chen, den Gewerkschaften, dem Städte- und
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 69. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. November 1995 6111*
Gemeindebund, vielen Arbeitgebern und auch vom die Zugangsvoraussetzung für Arbeitsbeschaffungs-
Verwaltungsrat der Bundesanstalt für Arbeit abge- maßnahmen von sechs auf zwölf Monate erhöhen,
lehnt. produzieren Sie neue Langzeitarbeitslose. Wenn Sie
nicht wirklich neue Maßnahmen ergreifen, mehr
Deshalb fordere ich auch namens der SPD-Bundes-
Angebote an aktiver Arbeitsmarktpolitik machen,-
tagsfraktion die Bundesregierung nachdrücklich auf,
führt das zu einem Verdrängungswettbewerb zwi-
den Entwurf zurückzuziehen und auch die originäre
schen denjenigen, die unsere Unterstützung drin-
Arbeitslosenhilfe beizubehalten.
gend brauchen.
Meine Damen und Herren, wir brauchen ein
„Bündnis für Arbeit" und ein „Bündnis gegen Dem Bundeshaushalt für 1996, der heute von
Arbeitslosigkeit". Im Gegensatz zur Bundesregie- Ihnen hier verabschiedet worden ist, liegt die so-
rung wollen wir Sozialdemokraten, daß die Mittel für genannte Arbeitslosenhilfereform schon zugrunde,
die Arbeitsmarktpolitik produktiv eingesetzt werden obwohl wir den Gesetzentwurf der Regierung heute
und ein einheitliches AFG erhalten bleibt. Ich ver- zum ersten Mal im Parlament beraten. Das macht
weise auf unseren Entwurf eines Arbeits- und Struk- deutlich, worum es eigentlich geht: nicht um sinn-
turförderungsgesetzes, das wir am 22. Juni des Jah- volle Sozial- und Arbeitspolitik im Konzept, sondern
res erstmals beraten haben. um das Verschieben von Kostenstellen weg vom Bun-
deshaushalt. Belastet werden sozial Schwache, die
Unsere Vorstellungen decken sich mit den Forde- wirkli ch keine Mark entbehren können, nämlich die
rungen der Gewerkschaften, Sozialverbände, Kir- betroffenen Arbeitslosenhilfebezieher und -bezieher-
chen und Wissenschaftlern. innen, belastet wird die Arbeitslosenversicherung
und auch die Rentenversicherung, belastet werden
Meine Damen und Herren, zu Recht wird Klaus die Kommunen.
Zwickel jetzt viel gelobt. Vorgestern hat der Kanzler
aufgefordert, den IG-Metall-Vorsitzenden vollständig Die Kommunen müssen bluten: durch die Abschaf-
zu zitieren. Ich empfehle dem Kanzler, das Grund- fung der originären Arbeitslosenhilfe, mit der die
satzreferat vollständig zu lesen. Leute gleich an die Sozialhilfe durchgereicht werden ,
mit der Steigerung der ergänzenden Sozialhilfe, mit
Da steht auch:
der Produktion neuer Langzeitarbeitsloser. Dieses
Bundeskanzler Helmut Kohl hat in seiner Regie- Faktum können Sie auch nicht dadurch verdecken,
rungserklärung von 1994 davon gesprochen, in daß Sie völlig sachfremd einen Teil Ihrer gesetzlichen
der laufenden Legislaturperiode drei Millionen Änderungen ins Asylbewerberleistungsgesetz abge-
zusätzliche Arbeitsplätze zu schaffen. Weder schoben haben. Für so dumm können Sie den Deut-
drei Millionen Arbeitsplätze noch blühende schen Städtetag doch nicht ernstlich halten! Ich
Landschaften wurden bislang geschaffen. hoffe, daß Sie mit dem Versuch gründlich auf die
Nase fallen, in Ihrem ausländerfeindlichen Asylbe-
Bundeskanzler Kohl verspricht vieles, hält jedoch werberleistungsgesetz eine Rechnung aufzumachen,
wenig. die den Kommunen die neuen Belastungen als finan-
Ich fürchte, das bleibt auch so. zielle Erleichterungen verkaufen soll und die Haus-
haltsdruck gegen politischen Anstand ausspielen
will.
Annelie Buntenbach (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): Wenn sich eine unbefangene Zuhörerin - Die durchschnittliche Arbeitslosenhilfe reicht
sollte es sie denn an einem Freitag nachmittag um schon jetzt kaum zum Leben. Viele - fast ein Viertel -
diese Uhrzeit noch geben - diese Debatte anhört, beziehen weniger als 600 DM im Monat. Sie leben in
muß sie glauben, daß hier von ganz unterschied- oder am Rande der Armut.
lichen Gesetzen die Rede ist. Der Kollege Schreiner
spricht - und da hat er meine volle Zustimmung - Genau diese Verarmung wollen Sie jetzt noch
vom Arbeitslosenbekämpfungsgesetz. CDU und FDP beschleunigen: Sie konstruieren eine Rutschbahn in
behaupten, es ginge um Hilfen für Langzeitarbeits- Armut und Billiglohnsektor. Die jetztige ist Ihnen,
lose, darum, den Ausgegrenzten und sozial meine Damen und Herren von den Regierungsfrak-
Schwachen dieser Gesellschaft die Hand zu reichen. tionen, offensichtlich noch nicht steil genug -
Schade, daß das nichts als blanke Rhetorik ist. Sie, 5 Prozent jährlich sollen die Bemessungsentgelte
meine Damen und Herren von den Regierungsfrak- automatisch abgesenkt werden. Den Vorwurf
tionen, tun genau das Gegenteil von dem, was Sie „Marktwert", Herr Minister, werden Sie sich damit
hier behaupten. Was Sie hier vorlegen, ist und bleibt nicht mehr einhandeln; denn mit Markt hat ein
soziale Demontage. Absenkungsautomatismus nichts mehr zu schaffen.
Allerdings hat er auch nichts mehr zu tun mit einer
Kern des Gesetzentwurfs ist die Verschärfung von Versicherungsleistung, die die Arbeitslosenhilfe bis-
Kontrollen gegenüber den Erwerbslosen, das weitere her gewesen ist. Denn zum Wesen der Erwerbslosig-
Abdrängen der Betroffenen in Armut und Billiglohn keit, dem Risiko, gegen das die Arbeitnehmerinnen
sektor. Die versprochenen zusätzlichen Maßnahmen und Arbeitnehmer sich versichern, gehört doch
für Langzeitarbeitslose sind eben keine zusätzlichen gerade, die eigene Arbeitskraft nicht verkaufen zu
- dafür haben Sie der Bundesanstalt ja auch gar kein können, zur Zeit nicht gebraucht zu werden und
Geld zur Verfügung gestellt -, sondern gehen zu „überschüssig" zu sein. Die Ausgrenzung von Milli-
Lasten anderer Erwerbsloser. Wenn Sie, meine onen Menschen aus der Erwerbsarbeit zur Waffe zu
Damen und Herren von den Regierungsfraktionen, machen und gegen die Betroffenen zu wenden ist
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schon abenteuerlich. Mit dieser automatischen Bezieher von Arbeitslosenhilfe erhalten ihr Geld
Abwertung hebeln Sie den Charakter der Arbeitslo- auf der Grundlage ihres letzten Nettogehaltes. Sie
senhilfe als Versicherungsleistung, auf die Anspruch bekommen es zur Hälfte unbegrenzt - was einmalig
besteht, weiter aus und verändern ihren Charakter ist, wenn Sie einmal europäische Nachbarländer zum
hin zur Sozialhilfe. Vergleich heranziehen - und erleben jährlich die
Anpassung an die Steigerungen der Bruttoentgelte.
Sie verschärfen den Druck auf die Arbeitslosen-
hilfebezieher, jede Arbeit unter jeder Bedingung Schon nach geltendem Recht ist die Bemessungs-
anzunehmen. Perspektiven bieten Sie ihnen keine, grundlage nicht statisch, über alle Jahre hinweg auf
sondern hier wird lediglich die Situation der derselben Höhe. Auch heute werden in einem Zeit-
Schwäche ausgenutzt, um das Angebot an Billig- raum von drei Jahren die Beträge „unter Berücksich-
lohnarbeitskräften zu vergrößern. Das gilt für die tigung aller Umstände des Einzelfalles" neu festge-
Ernteeinsätze genauso wie für die Trainingsmaß- setzt. In die Praxis ist diese Vorschrift aber kaum
nahmen für ALH-Bezieher, die der Gesetzentwurf umgesetzt worden. Jetzt soll die Bemessungsgrund-
vorsieht. Bei entsprechender Ausgestaltung könnte lage - kurz: der letzte Lohn - jährlich um 5 Prozent
ja z. B. ein Bewerbungstraining zumindest eine sinn- gekürzt werden, herunter bis zum niedrigsten Tarif-
volle Förderung im Einzelfall darstellen. Aber darum lohn der entsprechenden Branche. Daß also jemand,
geht es nicht, das steht erfrischend offen in der der 600 DM Arbeitslosenhilfe bekommt, diese
Begründung. Die Trainingsmaßnahmen dienen der gekürzt bekommt, wie gestern Redner von der SPD
Einsparung von Haushaltsmitteln, sie sollen die behauptet haben, stimmt nicht. Im Grunde ist es
Arbeitsbereitschaft überprüfen und Leistungsmiß- doch schwierig zu begründen, warum jemand, der
brauch feststellen. Sie sind also vor allem Instrument seit längerem aus dem Arbeitsprozeß herausgefallen
der Kontrolle und eine Schikane gegen Erwerbslose, ist, immer noch fiktiv auf der selben Lohnstufe die
keineswegs ein Instrument zur Integration in den Unterstützungsleistung erhalten soll. Es zeigt sich
Arbeitsmarkt. eben, daß das Fürsorgesystem des Bundes - nichts
anderes ist ja das Arbeitslosenhilferecht -, orientiert
Und hier, so muß ich sagen, macht mir eines am einmal verdienten Lohn, in innere Widersprüche
wirklich Sorgen: Der ganze Gesetzentwurf spricht gerät.
immer wieder von Mißbrauchsvermeidung, von
schärferen Kontrollen gegenüber den Erwerbslosen. Der Absenkung auf der einen Seite stehen nun
Das gilt genauso für die entsprechenden Passagen aber auch verstärkte Hilfen auf der anderen gegen-
im Asylbewerberleistungsgesetz. Sie erwecken in über. Eine Verbesserung sehe ich darin, daß den
der Öffentlichkeit den Eindruck, als wollten die Empfängern von Arbeitslosenhilfe Trainingsmaßnah-
Menschen die Allgemeinheit betrügen, als wollten men angeboten werden können, daß das Instrument
sie nicht arbeiten, als bräuchten sie, wie Herr der Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen ihnen mehr als
Schäuble das am Mittwoch in der Haushaltsbera- jetzt zugedacht wird. Damit entwickelt sich die
tung wieder gesagt hat, Anreize zur Arbeit. Ange- Arbeitsbeschaffungsmaßnahme zu einem Angebot
sichts von zirka 6 Millionen fehlenden Erwerbsar- gerade für den Personenkreis, der länger arbeitslos
beitsplätzen ist diese Unterstellung doch offensicht- ist. Daß die in solchen Maßnahmen Beschäftigten
lich absurd. Sie öffnen Tür und Tor für eine Miß- dann gleich wieder Ansprüche erwerben und unter
brauchskampagne, die jetzt schon in Teilen der Umständen wieder Arbeitslosengeld bekommen
Presse begonnen hat. Das bedeutet Stammtischneid können, gehört zu den Fragwürdigkeiten dieses
auf das angeblich goldene Leben der ALH-Bezie- Instruments. Es macht aber durchaus Sinn aus sozial-
her, auf die, die auf unsere Kosten leben. Für die politischer Sicht, AB-Maßnahmen auf Arbeitslosen-
Betroffenen heißt das neben der schweren Bela- hilfeempfänger zu konzentrieren.
stung, aus dem Erwerbsleben ausgegrenzt zu sein, Bedenken habe ich bei dieser Operation eher, was
außerdem noch Diffamierung und Entmutigung. die Finanzierung angeht. Sparen tut der Finanzmini-
Für das gesellschaftliche Klima ist das ein weiterer ster, zahlen müssen die Beitragszahler. Denn AB-
Schritt hin zu Entsolidarisierung und Ellbogenge- Maßnahmen werden von den Beiträgen der Arbeit-
sellschaft. Wir werden alles tun, um solchen Diffa- geber und Arbeitnehmer gezahlt. Die über diesen
mierungen entgegenzutreten. Weg erzielten Einsparungen sind also keine Kür-
zungen am Unterhalt der Arbeitslosenhilfeempfän-
Dr. Gisela Babel (F.D.P.): Die Gesetzesänderungen ger, im Gegenteil eher eine Verstärkung der Hilfen,
im Arbeitsförderungsgesetz, die wir heute beschlie- sie gehen aber zu Lasten der Lohnzusatzkosten. Das
ßen, sind Teil der Haushaltsgesetzgebung. Sie betref- widerspricht ganz klar den Absichten der Koalition,
fen die Arbeitslosenhilfeempfänger. Da durch die die Lohnzusatzkosten zu senken - was auch in der
vorgesehenen Änderungen 1,3 Milliarden DM ge- Koalitionsvereinbarung steht.
spart werden sollen, ist schnell erklärlich, daß diese Also, Herr Minister Blüm, von dieser Bürde hat Sie
Sparvorschläge in der öffentlichen Diskussion sehr das vorliegende Gesetz nicht befreit. Aus dieser Ver-
polemisch erörtert werden. Manchem Sozialpolitiker antwortung können wir Sie auch nicht entlassen. Set-
fällt es schwer, die von Finanzen diktierte Sozialpoli- zen Sie Ihre Hoffnungen nicht auf Theo Waigel, brin-
tik hier im Bundestag zu verteidigen. Allemal ist es gen Sie selbst Sparvorschläge ein, die dem Ziel
leichter, mit grünem Feldgetöse oder kirchlicher Be- „Senkung der Lohnnebenkosten" dienen.
rufsentrüstung vom Leder zu ziehen, als sich die
Mühe zu machen, die Vorschriften genauer anzuse- Jede Veränderung im Bereich der Arbeitslosenhilfe
hen und zu bewerten. wird von den Kommunen besonders kritisch beäugt.
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 69. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. November 1995 6113*
Sie sorgen sich um zusätzliche Belastungen in der warum Sie nicht längst mehr getan haben, sondern
Sozialhilfe. Diese Befürchtungen entzünden sich zur warten, bis die Zahl der Langzeitarbeitslosen auf fast
Zeit insbesondere an der Absenkung der Bemes- eine Million angewachsen ist. Und auch das Son-
sungsgrundlage der Arbeitslosenhilfe sowie an der derprogramm gegen Langzeitarbeitslosigkeit haben
Streichung der originären Arbeitslosenhilfe, die an Sie ja nicht freiwillig wiederaufgelegt. Jetzt sollen
anderer Stelle im Asylbewerberleistungsgesetz vor- Arbeitslosenhilfebezieher verstärkt in § 240h-Maß-
gesehen ist. nahmen. Wie soll das gehen, wenn doch heute schon
klar ist, daß z. B. die Mittel für die BVS für 1996
Ich möchte feststellen, daß ich diese Befürchtun- gesenkt sind und dort 25 000 bis 28 000 Stellen zur
gen diesmal für unbegründet halte. Geringfügigen Disposition stehen?
Mehrbelastungen durch die Reform der Arbeitslosen-
hilfe stehen deutliche Entlastungen der Kommunen Aber in diesem Gesetz geht es ja im Kern auch um
durch die Novellierung des Sozialhilfegesetzes und etwas ganz anderes: Dieses Gesetz ist ein rüdes Spar-
des Asylbewerberleistungsgesetzes gegenüber. Vor- programm auf Kosten der Arbeitslosenhilfebezieher/
aussetzung ist allerdings, daß die Länder diesen Ent- Innen. Um 5 % soll ihre Arbeitslosenhilfe jährlich
lastungen im Bundesrat auch zustimmen. Daher soll- runtergestuft werden. Ihr Qualifizierungsgerede soll
ten die Städte und Gemeinden ihr Klagelied weniger ja nur den Rauchvorhang für diese Ihre eigentliche
an den Bund als vielmehr an ihre jeweiligen Landes- Absicht abgeben, Ihre Absicht nämlich: ausgerech-
regierungen richten. Diese stehen für die kommuna- net die Leistungen für Langzeitarbeitslose zu kürzen,
len Haushalte nämlich in erster Linie in der Verant- um Ihren Chaoshaushalt zu sanieren.
wortung.
Sie wollen weg von der Arbeitslosenhilfe als Dau-
Meine Damen und Herren, bei näherer Betrach- erleistung, einer Leistung, die Arbeitslose auch für
tung halte ich die hier zu beschließende Gesetzes- den Fall des dauerhaften Verlustes der Beschäfti-
änderung für sozial vertretbar. Der Absenkung auf gung sozial sichern soll.
der einen Seite stehen verstärkte Hilfen auf der Und weil Sie davon weg wollen, Herr Blüm, gehen
anderen gegenüber. Die Belastung der Beitragzahler Sie landauf, landab mit Ihrem arbeitslosen Diplom-
bleibt bedenklich. Ingenieur hausieren. Selbst die IG-Metall-Delegier-
ten haben Sie damit veralbert. Das kommt gar nicht
Dr. Heidi Knake-Werner (PDS): Freitag nachmit- gut an; da helfen Ihnen auch 40 Jahre als Metaller
tag - der übliche Zeitpunkt, dieselbe bekannte nichts.
Runde, gemütlich eigentlich, wenn da nicht diese Zurück zu Ihrem Diplom-Ingenieur also, der nach
Themen wären. Woche für Woche werden unter die- einem Einkommen von 8 000 DM nunmehr seit
sen Bedingungen - unter faktischem Ausschluß der 20 Jahren eine üppige Arbeitslosenhilfe kassiert und
Öffentlichkeit - Beschlüsse gefaßt, die das Sozial- sich in der sozialen Hängematte ausruht. Für dieses
system fortgesetzt aushöhlen. Nun das neueste Ela- so trefflich demagogisch einzusetzende Einzelbei-
borat aus dem Hause Blüm: Arbeitslosenhilfe-Re- spiel sollen nun 950 000 Arbeitslosenhilfeempfänger
formgesetz. Ein Blick in die Zielsetzung legt die Ver- bestraft werden. Das ist soziale Brunnenvergiftung
mutung nahe: Der Arbeitsminister hat es geschafft, übelster Art. So schafft man ein gesellschaftliches
endlich ist der Kreis quadriert. Klima, in dem ein angeblich seriöses Wochenjournal
Da heißt es, Fallzahlen und Bezugsdauer der mit Sto ries „Zum süßen Leben der Sozialschmarot-
Arbeitslosenhilfe seien „erheblich gestiegen", mit zer" aufmacht und vor allem kritisiert, „daß
„der Dauer der Arbeitslosigkeit entstehe ein regel- 90 Prozent der Bundesbürger das soziale Netz ... in
mäßiger Verlust an beruflicher Qualifikation", und Anspruch nehmen". Haben wir uns also schon so
das erschwere die Wiedereingliederung; deshalb ver- weit von der Sozialen Marktwirtschaft verabschiedet,
bessere die Bundesregierung die bestehenden Mög- daß diejenigen zu Schmarotzern erklärt werden, die
lichkeiten, schaffe zusätzliche, verbessere die Ver- den Sozialstaat beim Wo rt nehmen? Und Sie machen
mittlungsaussichten, erleichtere die Selbständigkeit da noch mit!
usw. usw. Wie sieht es wirklich aus? Die maximale Arbeitslo-
So viele Wohltaten! Und das Tollste: Diese Aktivi- senhilfe beträgt 1995 im günstigsten Fall - verheira-
täten für Arbeitslose kosten nicht nur nichts, sie ent- tet, ein Kind - 2 740 DM im Monat. Den Anteil derje-
lasten den Bundeshaushalt auch noch um 2,1 Mil- nigen, die Arbeitslosenhilfe in dieser Höhe bekom-
liarden DM. Fürwahr, ein Glanzstück - ein Glanz- men, weiß nicht mal Ihre eigene Statistik auszuwei-
stück nicht der arbeitsmarktpolitischen Intelligenz sen, so klein ist er. Aber wir brauchen gar nicht so
der Bundesregierung, sondern ein Glanzstück ihrer hoch zu gehen. Nehmen wir nur diejenigen, die
demagogischen Entsorgungssprache: Die Sorgen der Arbeitslosenhilfe nach einem Bruttogehalt oberhalb
Menschen werden durch Sprachregelungen besei- der Bezugsgröße der Sozialversicherung - 4 060 DM
tigt. in 1995 - erhalten. Im Februar 1995 waren das
14 Prozent, im günstigsten Fall sind das 1 557 DM im
Gestern, Herr Minister, haben Sie uns dafür wieder Monat; davon kann eine dreiköpfige Familie nach-
ein bemerkenswertes Beispiel geliefert. Sie fragten weislich nicht leben. Diese Fami li e „entlasten" Sie
uns, was wir denn dagegen hätten, wenn endlich mit Ihren Kürzungsabsichten nun noch um 67 DM im
auch mal die Langzeitarbeitslosen von der Arbeits- Monat. Aber 86 Prozent bekommen eben noch weni-
förderung profitierten. Sie wissen natürlich, daß wir ger Geld. Im August 1995 erhielten 75 Prozent der
dagegen gar nichts haben, uns allerdings fragen, Männer und 93 Prozent der Frauen in der Bundesre-
6114* Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 69. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. November 1995
publik Beträge noch unterhalb der Sozialhilfe- Unser Reformvorschlag zur Verbesserung der Lage
schwelle. Jede Kürzung der Arbeitslosenhilfe erhöht der Arbeitslosen enthält folgende Maßnahmen.
die Sozialhilfeausgaben und damit die Belastung der
Kommunen in unverantwo rtlicher Weise. Erstens. Wir konzentrieren die Mittel für Arbeits-
beschaffungsmaßnahmen auf langzeitarbeitslose Be-
Selbst die an sich gute Idee der verstärkten zieher von Arbeitslosenhilfe. Das sind Personen, die
Arbeitsförderung für Arbeitslosenhilfebezieher ist ja es nachweislich schwerer als andere haben, aus eige-
nichts anderes als eine Kostenabwälzung auf die nen Kräften in den regulären Arbeitsmarkt zurückzu-
Bundesanstalt. Wann begreifen Sie endlich, daß sich kommen, und denen wir deshalb besonders helfen
fehlende Jobs nicht durch höheren Druck auf müssen. Künftig werden in ABM in der Regel nur
Arbeitslose schaffen lassen? noch Arbeitslose gefördert, die 12 Monate arbeitslos
waren. Diese Maßnahme fördert die Benachteiligten
Lassen Sie mich mit einem Zitat aus den keinerlei und verbessert die Chancen der beruflichen Integra-
Sympathien für die PDS verdächtigen „Lübecker tion.
Nachrichten" vom 4. November schließen:
Zweitens. Wir werden Arbeitslosenhilfebeziehern
Um 3,4 Milliarden Mark kürzt das Kabinett bei der
Arbeitstrainingsmaßnahmen anbieten. Dadurch soll
Arbeitslosenhilfe, der zungenfertige Blüm aber
die Eignung des Arbeitslosen für bestimmte Tätig-
münzt das ganz als Anstrengung für mehr Beschäfti-
keiten festgestellt, der Erwerb zusätzlicher Qualifika-
gung um - fürwahr ein echter Verpackungskünstler.
tionen gefördert und Unterstützung bei Bewerbun-
Ich hoffe nur, die Betroffenen lassen sich nicht län- gen geleistet werden. Der Arbeitslose erhält wäh-
ger einpacken. rend der Trainingsmaßnahmen weiterhin Arbeits-
losenhilfe.
Dr. Norbert Blüm, Bundesminister für Arbeit und Drittens. Wir werden jüngeren Arbeitslosenhilfe-
Sozialordnung: Zur Zeit gibt es in Deutschland mehr beziehern eine Arbeitnehmerhilfe anbieten, um
als 900 000 Bezieher von Arbeitslosenhilfe. Ihre Zahl ihnen die Aufnahme einer befristeten Beschäftigung,
nimmt ebenso zu wie die Bezugsdauer der Leistung. insbesondere im Bereich der Saisonarbeiten, zu
Tatsache ist auch: Mit jedem Jahr der Arbeitslosig- ermöglichen. Seit einigen Jahren besteht die para-
keit nimmt die berufliche Qualifikation des Arbeits- doxe Situation, daß derartige Tätigkeiten trotz hoher
losenhilfebeziehers ab. Das erschwert eine Wieder- Arbeitslosigkeit im Inland von einer großen Zahl aus-
eingliederung in das Arbeitsleben. ländischer Arbeitnehmer verrichtet werden. So wer-
den zur Zeit jährlich etwa 150 000 Arbeitserlaubnisse
Ein weiterer Punkt, der uns zum Handeln veran- an ausländische Arbeitnehmer erteilt.
laßt hat: Die unterschiedliche Behandlung von
Arbeitslosenhilfe- und Sozialhilfebeziehern nach Es ist vor diesem Hintergrund nicht einzusehen,
langjähriger Arbeitslosigkeit ist unverständlich und weshalb nicht auch jüngere inländische Arbeitslose
mutet willkürlich an. Wer einmal, wenn auch nur derartige Saisonarbeiten durchführen können. Die
kurze Zeit, erwerbstätig war, bezieht den Rest seines Bundesanstalt für Arbeit zahlt daher künftig als
Lebens Arbeitslosenhilfe. Der Arbeitslose, der nicht Arbeitsanreiz zusätzlich zum Arbeitslohn 25 DM pro
mit dem Erwerbsleben in Kontakt war, bekommt im Tag - und zwar ohne Anrechnung auf die Arbeits-
gleichen Fall Sozialhilfe. losenhilfe.
Darum wollen und müssen wir das Recht der Viertens. Wir erleichtern Arbeitslosenhilfebezieh-
Arbeitslosenhilfe reformieren. Um was geht es uns ern die Aufnahme einer selbständigen Erwerbstätig-
bei der Reform? Drei Gesichtspunkte stehen im Vor- keit. Nach der bisherigen Rechtslage gilt: Der
dergrund. Arbeitslose, der bei dem Versuch gescheitert ist, sei-
nen Lebensunterhalt länger als ein Jahr aus einer
Erstens. Wir wollen Arbeitslosenhilfebeziehern, selbständigen Erwerbstätigkeit zu bestreiten, hat
und zwar insbesondere den Langzeitarbeitslosen, keinen Anspruch auf Arbeitslosenhilfe. Unser
Brücken aus der Arbeitslosigkeit in den ersten Gesetzentwurf sieht vor: Arbeitslosenhilfebezieher
Arbeitsmarkt bauen. Sie sollen vom Leistungsbezug sollen eine selbständige Tätigkeit aufnehmen und
unabhängig werden. fast drei Jahre ausüben können, ohne das Recht auf
Zweitens. Wir wollen den Anreiz zur Aufnahme erneute Inanspruchnahme der Leistung zu verlieren.
einer Beschäftigung verbessern. Fünftens. Wir wollen die Subsidiarität der bedürf-
Drittens. Wir wollen Arbeitslosenhilfe und Sozial- tigkeitsabhängigen Arbeitslosenhilfe stärken. Der
hilfe stärker aufeinander abstimmen. Anspruch auf Arbeitslosenhilfe soll begrenzt werden,
wenn der Arbeitslose eine Altersrente beanspruchen
Wir wollen vor allem durch Arbeitsmarktmaßnah- könnte oder wenn er die Voraussetzungen für eine
men die Qualifikation der Arbeitslosenhilfebezieher solche Altersrente in absehbarer Zeit erfüllt. Denn
erhalten und verbessern. Sie sollen fit für den allge- die aus Steuermitteln des Bundes finanzierte Arbeits-
meinen Arbeitsmarkt gemacht werden. Wir müssen losenhilfe ist eine gegenüber der Versicherungsrente
die Zugbrücken zur Festung der Arbeitswelt herun- nachrangige Fürsorgeleistung. Es ist nicht einzuse-
terlassen. Wir müssen eine intelligente Arbeitsmarkt- hen, weshalb jemand, der Anspruch auf eine Versi-
politik betreiben, die den Übergang in den allgemei- cherungsleistung hat, statt dessen die ihr gegenüber
nen Arbeitsmarkt auch tatsächlich ermöglicht. subsidiäre Arbeitslosenhilfe beanspruchen kann.
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 69. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. November 1995 6115*
Lassen Sie mich schließlich auf die geplanten Die Entlastung wird - anders als die Opposition
Änderungen bei der Bemessung der Arbeitslosen- glauben machen will - nur zu einem geringeren Teil
hilfe eingehen. Dazu hat es in den letzten Wochen ja durch eine Begrenzung von Leistungen erzielt:
viel Kritik und noch mehr Polemik gegeben - auch in Gerade einmal 300 Millionen DM werden durch die-
diesem Hohen Hause. geplante Änderung bei der Neubemessung der
Arbeitslosenhilfe eingespart. Das sind noch nicht ein-
Worum geht es eigentlich? Das Bemessungsentgelt mal 10 Prozent der Mittel zur Verbesserung der Ein-
für die Arbeitslosenhilfe soll entsprechend der Dyna- gliederung von Langzeitarbeitslosen in den allgemei-
misierung der Bruttoarbeitsentgelte steigen. Gleich- nen Arbeitsmarkt, wie wir sie im Arbeitslosenhilfe-
zeitig soll der Qualifikationsverlust, der mit der Reformgesetz und Asylbewerberleistungsgesetz be-
zunehmenden Dauer der Arbeitslosigkeit unbestreit- reitstellen. 600 Millionen DM werden durch die Strei-
bar verbunden ist, jedes Jahr durch einen pauscha- chung der originären Arbeitslosenhilfe eingespart.
lierten Abschlag vom Bemessungsentgelt in Höhe Der überwiegende Teil der Entlastung wird durch
von 5 Prozent berücksichtigt werden. Da die Dynami- strukturelle Änderungen der Arbeitslosenhilfe er-
sierung in der Regel zu einer Erhöhung der Brutto- reicht werden, bei denen die Wiedereingliederung
arbeitsentgelte führt, wird die reale Minderung des der Arbeitslosenhilfebezieher in den allgemeinen
neuen Bemessungsentgelts tatsächlich geringer sein Arbeitsmarkt im Vordergrund steht.
als 5 Prozent.
An zwei Gesichtspunkte möchte ich in diesem Deshalb appelliere ich an Sie: Lesen Sie den Ent-
Zusammenhang nochmals erinnern, um insbeson- wurf zum Arbeitslosenhilfe-Reformgesetz aufmerk-
dere der Gedächtnisschwäche der Opposition auf die sam. Sie werden dann feststellen, daß dieses weniger
Beine zu helfen: Das neue Bemessungsentgelt darf ein Spargesetz als ein konstruktiver Beitrag zur Ver-
eine Grenze nicht unterschreiten, die sich an der besserung der Lage von Langzeitarbeitslosen ist.
untersten Tariflohngruppe orientiert, denn unter der Lassen Sie uns darüber unvoreingenommen diskutie-
ren.
niedrigsten Tarifgruppe kann niemand Geld verdie-
nen. Die Arbeitslosenhilfe im Anschluß an Arbeits-
losengeld wird weiterhin unbefristet gezahlt. Eine
Befristung der Arbeitslosenhilfe ist - anders als Sie,
Herr Scharping, vorgestern wahrheitswidrig behaup-
tet haben - vom Tisch.
Anlage 4
Unser Vorschlag ist im übrigen keine revolutionäre
Neuerung. Denn bereits das geltende Recht sieht vor, Amtliche Mitteilungen
daß die Entwicklung der beruflichen Leistungsfähig- Der Bundesrat hat in seiner 690. Sitzung am 3. November
keit alle drei Jahre berücksichtigt wird. Wir machen 1995 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zuzustimmen
bzw. einen Antrag gemäß § 77 Abs. 2 GG nicht zu stellen:
lediglich das geltende Recht praktikabel. Die bishe-
rige Regelung ist schwer handhabbar. Sie kann zu - Viertes Gesetz zur Änderung des Fünften Buches Sozial
gesetzbuch (4. SGB V-Änderungsgesetz - 4. SGB V-ÄndG)
willkürlichen Ergebnissen führen und ist in der Ver-
gangenheit so gut wie nie umgesetzt worden. Das - Gesetz zu der Vereinbarung vom 21. Juni 1994 zur Durch-
hat auch der Bundesrechnungshof beanstandet. führung des Abkommens vom 5. März 1993 zwischen der
Bundesrepublik Deutschland und der Republik Chile über
Rentenversicherung
Wer, wie die Opposition, unsere Reformvorschläge
- Gesetz zu dem Abkommen vom 15. März 1994 zwischen der
als „Etikettenschwindel", als „Bestrafung der Ar- Bundesrepublik Deutschland und der Republik Litauen
beitslosen" oder als „p rimitive Konfliktstrategie auf über die gegenseitige Hilfeleistung bei Katastrophen oder
dem Rücken der Arbeitnehmer" bezeichnet, der hat schweren Unglücksfällen
gar nicht beg riffen, um was es eigentlich geht. Wir - Gesetz zu dem Vertrag vom 2. April 1993 zwischen der Bun-
finanzieren nicht Arbeitlosigkeit, wir finanzieren desrepublik Deutschland und der Republik Belarus über die
Rückkehrhilfen in den regulären Arbeitsmarkt. Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapital-
anlagen
Wenn es gelingt, die Arbeitslosen wieder in Arbeit - Gesetz zu dem Vertrag vom 12. November 1992 zwischen
der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Estland
zu bringen, dann wird dadurch automatisch Geld über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von
gespart. So erzielen wir durch die Maßnahmen zur Kapitalanlagen
Rückkehr der Arbeitslosen in den Arbeitsmarkt - Gesetz zu dem Vertrag vom 24. September 1992 zwischen
einen Einspareffekt von 1,5 Milliarden DM im der Bundesrepublik Deutschland und Jamaika über die ge-
Bundeshaushalt. Die Leistungsempfänger verlieren genseitige Förderung und den Schutz von Kapitalanlagen
dadurch keine einzige Mark. Sie stehen sich sogar - Gesetz zu dem Vertrag vom 20. April 1993 zwischen der
besser, weil sie eine neue Arbeit erhalten oder weil Bundesrepublik Deutschland und der Republik Lettland
sie in ABM ein höheres Entgelt bekommen. über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von
Kapitalanlagen
Das Gesamtpaket zur Reform der Arbeitslosenhilfe - Gesetz zu dem Vertrag vom 26. Juni 1991 zwischen der Bun-
wird 1996 zu einer Entlastung des Bundeshaushalts desrepublik Deutschland und der Mongolischen Volks-
republik über die Förderung und den gegenseitigen Schutz
in Höhe von 3,4 M il liarden DM führen. Davon ent- von Kapitalanlagen
fallen 2,1 Milliarden DM auf das Arbeitslosenhilfe
- Gesetz zu dem Vertrag vom 15. Februar 1993 zwischen der
Reformgesetz, 1,3 Milliarden DM auf die im Asylbe- Bundesrepublik Deutschland und der Ukraine über die För-
werberleistungsgesetz vorgesehenen Maßnahmen. derung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen
6116* Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 69. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. November 1995
Die Gruppe der PDS hat mit Schreiben vom 8. November Drucksache 13/2306, Nr. 2.11
1995 folgende Vorlagen zurückgezogen: Drucksache 13/2306, Nr. 2.12
Drucksache 13/2306, Nr. 2.21
- Antrag: Überarbeitung der Eckpunkte zur Regulierung der
Telekommunikation - Drucksache 13/1224 - Drucksache 13/2306, Nr. 2.28
Drucksache 13/2306, Nr. 2.46
- Antrag: Erstattung eines Berichtes der Bundesregierung Drucksache 13/2306, Nr. 2.47
zur „Lage der Nation" und zur Durchsetzung des Drucksache 13/2306, Nr. 2.56
Einigungsvertrages anläßlich des fünften Jahres- Drucksache 13/2306, Nr. 2.59
tages der staatlichen Vereingung am 3. Oktober Drucksache 13/2306, Nr. 2.70
1995 - Drucksache 13/2227 - Drucksache 13/2306, Nr. 2.75
Die Vorsitzenden folgender Ausschüsse haben mitgeteilt, daß Drucksache 13/2306, Nr. 2.84
der Ausschuß gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der Geschäftsordnung Drucksache 13/2306, Nr. 2.92
von einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen Drucksache 13/2306, Nr. 2.93
absieht: Drucksache 13/2306, Nr. 2.104
Drucksache 13/2306, Nr. 2.105
Innenausschuß
Drucksachen 13/1360, 13/1616 Nr. 2 Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
Drucksache 13/1442, Nr. 2.1
Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Drucksache 13/1799, Nr. 2.5 bis 2.8
Union
Drucksachen 13/1070, 13/1233 Nr. 1.4 Ausschuß für Verkehr
Drucksache 13/2306, Nr. 1.13
Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitge- Drucksache 13/2306, Nr. 2.18
teilt, daß der Ausschuß die nachstehenden EU-Vorlagen bzw.
Unterrichtungen durch das Europäische Parlament zu Kenntnis Ausschuß für Post und Telekommunikation
genommen oder von einer Beratung abgesehen hat: Drucksache 13/2306, Nr. 2.20
Innenausschuß Drucksache 13/2306, Nr. 2.23
Drucksache 13/2306, Nr. 2.31
Drucksache 13/1614, Nr. 1.6
Drucksache 13/2306, Nr. 2.83
Drucksache 13/1614, Nr. 1.8
Drucksache 13/2306, Nr. 2.101
Drucksache 13/2306, Nr. 2.33
Drucksache 13/2306, Nr. 2.85 Ausschuß für Fremdenverkehr und Tourismus
Haushaltsausschuß Drucksache 13/1614, Nr. 1.1
Drucksache 13/2306, Nr. 2.37 Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen
Union
Ausschuß für Wirtschaft
Drucksache 13/1338, Nr. 1.2
Drucksache 13/1614, Nr. 1.4, 13/2306 (Berichtigung) Drucksache 13/1614, Nr. 1.5
Drucksache 13/2306, Nr. 1.10 Drucksache 13/1898, Nr. 1.1
Drucksache 13/2306, Nr. 2.2 Drucksache 13/1898, Nr. 1.2
Drucksache 13/2306, Nr. 2.3 Drucksache 13/2306, Nr. 1.2
Drucksache 13/2306, Nr. 2.6 Drucksache 13/2306, Nr. 2.74
Drucksache 13/2306, Nr. 2.7 Drucksache 13/2306, Nr. 2.102