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Deutscher Bundestag
Stenografischer Bericht
116. Sitzung
Inhalt:
Antwort
Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär Mündliche Frage 30
BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13313 C Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/
Zusatzfragen DIE GRÜNEN)
Lisa Paus (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13313 D Konsequenzen aus dem russischen Import-
verbot für deutsche Fleisch- und Milchpro-
dukte wegen angeblicher Ehec-Belastung
Mündliche Frage 8 Antwort
Lisa Paus (BÜNDNIS 90/ Peter Bleser, Parl. Staatssekretär
DIE GRÜNEN) BMELV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13317 C
Voraussichtliche Höhe der Einnahmeaus-
fälle bei einer Indexierung des Einkom- Zusatzfrage
mensteuertarifs Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13317 D
Antwort
Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär
BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13314 B Mündliche Frage 67
Zusatzfragen Dr. h. c. Susanne Kastner (SPD)
Lisa Paus (BÜNDNIS 90/
Schließung von Auslandsvertretungen in
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13314 B
Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ Rumänien
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13314 C Antwort
Cornelia Pieper, Staatsministerin
AA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13318 C
Mündliche Frage 14
Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ Zusatzfragen
DIE GRÜNEN) Dr. h. c. Susanne Kastner (SPD) . . . . . . . . . . 13318 D
Etwaige Streichung eines Großteils der
Schulden Griechenlands bei privaten Gläu-
bigern Mündliche Frage 68
Dr. h. c. Susanne Kastner (SPD)
Antwort
Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär Konsularische Betreuung der deutschen
BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13314 D Minderheit in Rumänien
Zusatzfragen Antwort
Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ Cornelia Pieper, Staatsministerin
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13315 B AA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13319 C
Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13316 B Zusatzfrage
Dr. Carsten Sieling (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 13316 C Dr. h. c. Susanne Kastner (SPD) . . . . . . . . . . 13319 D
IV Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 116. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 29. Juni 2011
Antwort Antwort
Hans-Joachim Fuchtel, Parl. Staatssekretär Hans-Joachim Fuchtel, Parl. Staatssekretär
BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13342 C BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13344 A
Anlage 9 Anlage 14
Anlage 11 Anlage 16
Mündliche Frage 19 Mündliche Frage 24
Anette Kramme (SPD) Sabine Zimmermann (DIE LINKE)
Verlängerung der Beschränkungen bei der Entwicklung der Teilnehmerzahlen für den
Arbeitnehmerfreizügigkeit für Bulgarien Vermittlungsgutschein
und Rumänien Antwort
Antwort Hans-Joachim Fuchtel, Parl. Staatssekretär
Hans-Joachim Fuchtel, Parl. Staatssekretär BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13345 B
BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13343 C
Anlage 17
Anlage 12
Mündliche Frage 25
Mündliche Frage 20 Markus Kurth (BÜNDNIS 90/
Anette Kramme (SPD) DIE GRÜNEN)
VI Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 116. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 29. Juni 2011
Anlage 28 Antwort
Dr. Andreas Scheuer, Parl. Staatssekretär
Mündliche Frage 41 BMVBS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13352 B
Uwe Beckmeyer (SPD)
Einführung der Lkw-Maut auf vierspuri-
gen Bundesstraßen Anlage 33
Antwort Mündliche Frage 47
Dr. Andreas Scheuer, Parl. Staatssekretär Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/
BMVBS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13351 C DIE GRÜNEN)
Anfahren der vom Moratorium betroffe-
Anlage 29 nen Atomkraftwerke vor dem Auslaufen
des Moratoriums
Mündliche Frage 42
Uwe Beckmeyer (SPD) Antwort
Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin
Seitens der Länder gemeldete Streckenab- BMU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13352 C
schnitte und Brückenbauwerke von Bun-
desfernstraßen für das Erhaltungspro-
gramm 2011
Anlage 34
Antwort
Dr. Andreas Scheuer, Parl. Staatssekretär Mündliche Frage 48
BMVBS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13351 C Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN)
Umsetzung von Empfehlungen des Abtei-
Anlage 30 lungsleiters RS im BMU für eine spezifi-
Mündliche Fragen 43 und 44 schere Begründung des der Anordnung zur
Hans-Joachim Hacker (SPD) vorübergehenden Betriebseinstellung zu-
grunde liegenden Gefahrenverdachts
Neuregelung der Altschuldenhilfe für ost-
deutsche Wohnungsunternehmen in Ver- Antwort
bindung mit einer Sanierungsverpflichtung Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin
für Wohngebäude in Innenstädten BMU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13352 D
Antwort
Dr. Andreas Scheuer, Parl. Staatssekretär
Anlage 35
BMVBS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13351 D
Mündliche Frage 49
Dorothee Menzner (DIE LINKE)
Anlage 31
Zustand der Kernkraftwerke Fort Calhoun
Mündliche Frage 45 und Cooper Nuclear Station in USA
Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) Antwort
Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin
Einführung lärmabhängiger Trassenpreise BMU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13353 A
im Schienenverkehr; Zeitplan zur Ab-
schaffung des Schienenbonus
Antwort Anlage 36
Dr. Andreas Scheuer, Parl. Staatssekretär
BMVBS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13352 A Mündliche Fragen 52 und 53
Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN)
Anlage 32
Forderung des Bundesrates bezüglich Ab-
Mündliche Frage 46 senkung der Solarstromförderung; Local-
Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/ Content-Regelung für eine differenzierte
DIE GRÜNEN) Einspeiseförderung bei Solarstromanlagen
Abschluss der Untersuchungen zum Zug- Antwort
unglück in Hordorf am 29. Januar 2011; Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin
Vorlage des Unfallprüfungsberichts BMU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13353 B
VIII Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 116. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 29. Juni 2011
Anlage 37 Anlage 42
Mündliche Fragen 54 und 55 Mündliche Frage 63
Michael Gerdes (SPD) Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN)
Planungsstand und Kosten für den Neubau
des Forschungsschiffes „Polarstern II“; Geplante Förderung fossiler Kraftwerke
Weiternutzung des bisherigen Forschungs-
schiffs „Polarstern“ Antwort
Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär
Antwort BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13356 A
Dr. Helge Braun, Parl. Staatssekretär
BMBF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13353 D
Anlage 43
Anlage 38 Mündliche Frage 64
Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/
Mündliche Fragen 56 und 57 DIE GRÜNEN)
Marianne Schieder (Schwandorf) (SPD)
Vorlage einer Übersicht der in Kaltreserve
Deutsche Position zur Zukunft und Finan- stehenden Kraftwerke
zierung des EU-Projekts „Aurora Borea-
lis“ Antwort
Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär
Antwort BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13356 B
Dr. Helge Braun, Parl. Staatssekretär
BMBF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13354 B
Anlage 44
Anlage 39 Mündliche Frage 65
Dorothee Menzner (DIE LINKE)
Mündliche Fragen 58 und 59
Ulla Burchardt (SPD) Verzögerungen in Planungsverfahren beim
Ausbau der Elektrizitätsnetze
Vergebene Stipendien zur Einführung des
Nationalen Stipendienprogramms im lau- Antwort
fenden Sommersemester; Umfang der Ko- Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär
finanzierung durch Unternehmen BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13356 C
Antwort
Dr. Helge Braun, Parl. Staatssekretär
BMBF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13354 D Anlage 45
Mündliche Frage 66
Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/
Anlage 40 DIE GRÜNEN)
Mündliche Frage 60 Senkung des Stromverbrauchs bis 2020
Sabine Stüber (DIE LINKE)
Antwort
Beantwortung offener Fragen zur Yasuní- Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär
ITT-Initiative durch das BMZ BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13356 D
Antwort
Gudrun Kopp, Parl. Staatssekretärin
BMZ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13354 D Anlage 46
Mündliche Fragen 69 und 70
Tom Koenigs (BÜNDNIS 90/
Anlage 41 DIE GRÜNEN)
Mündliche Fragen 61 und 62
Menschenrechtsklauseln in Abkommen der
Ingrid Nestle (BÜNDNIS 90/
Europäischen Union mit Drittstaaten; Stel-
DIE GRÜNEN)
lenwert der Menschenrechte im Rücküber-
Zubau von Kohle- und Gaskraftwerken; nahmeabkommen Italiens mit dem natio-
etwaige Förderung nalen Übergangsrat in Bengasi
Antwort Antwort
Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär Cornelia Pieper, Staatsministerin
BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 B00 A AA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13357 A
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 116. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 29. Juni 2011 IX
(A) (C)
Redetext
116. Sitzung
(A) Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister des Aus- Vizepräsident Eduard Oswald: (C)
wärtigen: Herr Bundesminister.
Warum dieses Projekt, diese Zusammenarbeit in der
Abschlusspresseerklärung nicht erwähnt worden ist,
Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister des Aus-
kann ich Ihnen als Außenminister nicht sagen. Ich
müsste zunächst einmal die entsprechenden Kollegen in wärtigen:
der Bundesregierung, sprich die Kollegen aus dem BMF, Frau Kollegin Schuster, der Menschenrechtsbeauf-
konsultieren, die dieses vorbereitet haben. Ich bitte, mir tragte der Bundesregierung hat – ausdrücklich und ab-
zu erlauben, Ihnen die Antwort auf diese Frage nachzu- sichtlich – an einem bilateralen Gespräch, das ich ges-
liefern. Ich weiß schlichtweg nicht, welchen Hintergrund tern Morgen mit Außenminister Yang geführt habe,
das hat. teilgenommen. Das allein ist, denke ich, eine Aussage,
die von allen Experten hier verstanden wird; denn das ist
Sie wissen, dass wir diese Kooperation wollen. Sie nicht die normale, übliche Delegationszusammenset-
wissen auch, dass sie absolut notwendig ist. Ich habe in zung bei derartigen Gesprächen. Jedenfalls ist das nicht
meinem Eingangsstatement auf die Notwendigkeit die- immer so in dieser Weise der Fall.
ser Kooperation ausdrücklich hingewiesen. Warum das
jetzt in dieser Abschlusspresseerklärung nicht erwähnt Ich habe das absichtlich entschieden, weil ich der
wird – sie umfasst, wenn ich es richtig im Kopf habe, Überzeugung bin, dass es, wenn man mit China bzw. mit
neun Seiten –, kann ich Ihnen nicht beantworten. Da der chinesischen Regierung respektvoll umgeht, nicht
müsste ich erst bei den Kollegen im Finanzministerium als Lehrmeister auftritt, sondern auf gleicher Augenhöhe
nachfragen. spricht, möglich ist, schwierige Fragen wie die Frage der
Menschenrechte anzusprechen. Ich denke, dass die Be-
ziehungen zwischen unseren Ländern mittlerweile so in-
Vizepräsident Eduard Oswald:
tensiv und so tragfähig sind, dass dies erlaubt, auch aus
Vielen herzlichen Dank. – Nächste Fragestellerin ist chinesischer Sicht sehr heikle Fragen ausdrücklich zu er-
unsere Kollegin Kerstin Müller. wähnen.
Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Ich will noch etwas hinzufügen: Die Tatsache, dass
NEN): sowohl von mir als auch von der Bundeskanzlerin
Herr Minister, ich habe eine Nachfrage zum Thema – übrigens auch öffentlich in der Pressekonferenz – das
Sudan. Parallel zu den Konsultationen hier hält sich Schicksal zum Beispiel des Künstlers Ai Weiwei na-
Staatschef Umar al-Baschir in China auf. Er wird mit in- mentlich erwähnt worden ist, sagt etwas aus. Die Tatsa-
(B) ternationalem Haftbefehl gesucht. Haben Sie auch ange- che, dass wir uns beide auch öffentlich für bessere Ar- (D)
sprochen, wie Deutschlands Position in dieser Frage ist? beitsbedingungen der internationalen – sprich: auch der
deutschen – Journalisten in China eingesetzt haben, ist
aussagekräftig und belegt, denke ich, dass wir es ernst
Vizepräsident Eduard Oswald: meinen, wenn wir sagen: Interessengeleitete und werte-
Herr Bundesminister. geleitete Außenpolitik sind zwei Seiten derselben Me-
daille.
Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister des Aus-
Umgekehrt muss ich sagen, dass das Thema Kunst-
wärtigen: freiheit bzw. die Freiheit der Kunst in den letzten Mona-
Frau Kollegin, selbstverständlich ist dies von mir an- ten ohnehin eine große Rolle gespielt hat. Für mich ist
gesprochen worden. Es lag auch auf der Hand, dass es das Teil der Menschenrechte; um auch das zu sagen. Für
angesprochen wird. Sie wissen, dass es die Position der mich ist das wichtig. Ich möchte mich auch bei den Kol-
deutschen Bundesregierung ist, dass alles zu unterlassen leginnen und Kollegen hier im Deutschen Bundestag be-
ist, was die Autorität des internationalen Rechts und des danken, die nicht dem leichten Reflex gefolgt sind und
Internationalen Strafgerichtshofs schmälern könnte. die Schließung der Ausstellung „Kunst der Aufklärung“
Diese Position ist auch zum Ausdruck gebracht worden. gefordert haben, sondern genau wussten, dass ein sol-
ches Projekt eine enorme Chance für viele Hundert-
Vizepräsident Eduard Oswald: tausend Menschen ist, mit dem Gedankengut der Auf-
Vielen Dank. – Nächste Fragestellerin ist unsere Kol- klärung ganz persönlich in Kontakt und in Berührung zu
legin Marina Schuster. kommen. Genau das ist die Idee: Wandel durch Annähe-
rung. Derzeit gehen etwa 1 500 Menschen täglich in
diese Ausstellung. Am Wochenende sind es mehr als
Marina Schuster (FDP):
4 000 Menschen. Es war eine richtige Entscheidung der
Vielen Dank. – Herr Minister, der Menschenrechts- Bundesregierung, diese Ausstellung zu eröffnen, und es
beauftragte der Bundesregierung, Markus Löning, war in war ebenso eine richtige Entscheidung der Bundesregie-
China und hat vor Ort mit Bloggern gesprochen. Auch rung, sie auch in schwieriger Zeit nicht zu schließen.
hat er Gespräche zum Thema „Abschaffung der Todes-
strafe“ geführt. Des Weiteren hat er im Rahmen der jetzi-
gen Konsultationen Gespräche geführt. Können Sie uns Vizepräsident Eduard Oswald:
sagen, was Bestandteil der Gespräche des Menschen- Vielen Dank. – Nächster Fragesteller ist unser Kol-
rechtsbeauftragten war? lege Dr. Frithjof Schmidt.
13306 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 116. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 29. Juni 2011
(A) Dr. Frithjof Schmidt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): schaft zu Tibet und seine Unterstützung verhält. Können (C)
Herr Minister, Deutschland hat angekündigt, sich da- Sie sich zum Beispiel vorstellen, dass der Dalai-Lama
für einzusetzen, dass China von der Europäischen Union trotzdem offiziell in Deutschland empfangen wird, wie
der sogenannte Marktwirtschaftsstatus eingeräumt wird. es die Kanzlerin vor einigen Jahren getan hat? Oder um-
Wenn China dieser Status eingeräumt wird, bedeutet dies gekehrt: Muss man fürchten, dass solche Begegnungen
praktisch, dass Dumpingverfahren im Hinblick auf chi- für diese strategischen Dialoge und Partnerschaften ge-
nesische Produkte durch die Europäische Union massiv opfert werden?
erschwert werden. Dumping ist in der Regel mit massi-
ven Verletzungen sozialer und ökologischer Standards Vizepräsident Eduard Oswald:
verbunden und führt zu unlauterem Wettbewerb. Herr Bundesminister.
Die EU-Kommission berichtet seit vielen Jahren, dass
in China auch die chinesischen Gesetze auf breiter Front Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister des Aus-
nicht eingehalten werden. Sie vertritt deshalb die Auf- wärtigen:
fassung, dass man solche Dumpingverfahren braucht; Frau Kollegin Beck, ich habe bereits in meinem ein-
die letzten gab es in großem Umfang in der Schuhindus- führenden Bericht zum Ausdruck gebracht, dass Tibet
trie. Meine Frage in diesem Zusammenhang: Wieso ver- und der Umgang mit dem Dalai-Lama Themen unserer
tritt Deutschland hier eine gegenteilige Position zu den Gespräche und unseres Austausches gewesen sind. Es ist
Berichten der EU-Kommission? Wurden China in den bekannt, dass China und Deutschland hierzu unter-
Verhandlungen entsprechende Zusagen und Versprechen schiedliche Auffassungen vertreten. Das ändert aber
gegeben, dass sich Deutschland dafür in der Europäi- nichts daran, dass die deutschen Bundesregierungen seit
schen Union einsetzt? Aufnahme der diplomatischen Beziehungen im Jahre
1972 der Überzeugung sind, dass die Ein-China-Politik
Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister des Aus- nicht infrage gestellt werden darf. Ich kenne niemanden,
wärtigen: jedenfalls keine Fraktion in diesem Hause, der anderer
Ja, wir setzen uns dafür ein, dass China der Markt- Auffassung ist. Die Ein-China-Politik bleibt Richtlinie
wirtschaftsstatus gewährt wird, aber erst dann, wenn die unserer China-Politik. Sie ist für uns wichtig, damit die
Kriterien erfüllt werden. So ist unsere Haltung. Des- andere Seite das nötige Vertrauen für weitere Schritte
wegen kann ich hier keinen Gegensatz zwischen der hat.
deutschen Politik und der Haltung der Europäischen
Der Dalai-Lama ist meines Wissens zum ersten Mal
Kommission erkennen. Wir haben das immer klar kondi-
von Außenminister Klaus Kinkel persönlich empfangen
(B) tioniert. worden; dies ist in den 90er-Jahren geschehen. Es hat (D)
Sie haben auch etwas anderes angesprochen, nämlich weitere offizielle oder quasioffizielle Begegnungen ge-
die Frage des Schutzes des geistigen Eigentums. Die geben. Ich kann Ihnen nicht berichten, ob es seitens der
Bundesregierung – nicht nur die Justizministerin, son- Bundesregierung oder einzelner Bundesminister zurzeit
dern auch ich selbst – hat immer wieder zum Ausdruck konkrete Planungen in dieser Richtung gibt; ich weiß es
gebracht, dass dieses Thema für uns essenziell ist; übri- nicht und kann deswegen keine Stellungnahme dazu ab-
gens ist es auch Teil des Rechtsstaatsdialogs. Einen Ge- geben. Ich weiß, dass der Dalai-Lama als religiöser Füh-
gensatz zwischen der Auffassung der EU und unserer rer bei einigen Persönlichkeiten der Landespolitik hohes
Haltung kann ich in der Frage des Marktwirtschaftssta- Ansehen hat und dass zu einzelnen Bundesländern tradi-
tus nicht erkennen. Aber es ist richtig: Wir wollen, dass tionell engere Beziehungen herrschen; auch dazu kann
China den Marktwirtschaftsstatus erhält, wenn die ob- ich derzeit aber keine detaillierte Einschätzung abgeben.
jektiven Kriterien dafür erfüllt sind. Dazu gehört auch Es hat Begegnungen mit dem Dalai-Lama gegeben, und
der Komplex, den Sie beschrieben haben. es wird sie, wenn es sich ergibt und wenn es richtig und
angemessen ist, weiterhin geben. Hier sind keinerlei Zu-
rückhaltung oder Zögerlichkeiten zu erkennen.
Vizepräsident Eduard Oswald:
Vielen Dank. – Nächste Fragestellerin ist unsere Kol-
legin Marieluise Beck. Vizepräsident Eduard Oswald:
Vielen Dank. – Jetzt stellt noch unsere Kollegin von
Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Cramon-Taubadel eine Frage.
NEN):
Herr Minister, Sie sagten, dass Sie mit Ihrem Kolle- Viola von Cramon-Taubadel (BÜNDNIS 90/DIE
gen einen strategischen Dialog auf Außenministerebene GRÜNEN):
vereinbart haben. Nun gibt es ja in China das Prinzip der Ich wollte noch eine Frage bezüglich des Airbus-
Nichteinmischung in innere Angelegenheiten. Es wird Deals stellen. Es war ja geplant, zwei Airbus-Verträge
dort immer wieder sehr bemüht und tritt in Gegensatz zu mit den Chinesen abschließen zu lassen. Am Ende ist
einem strategischen Dialog und zu Gemeinsamkeiten, nur einer unterzeichnet worden. Womit genau hängt das
die auf Institutionen, denen man beigetreten ist und de- zusammen? Ist die Bundesregierung bei dem einen un-
ren Werte zu teilen sind, gründen. Ich denke, ein Lack- terzeichneten Vertrag den Chinesen in puncto Klima-
mustest wird ganz konkret sein, wie offensiv sich die schutz – Stichwort: Minderung des Engagements für den
deutsche Seite weiterhin im Hinblick auf die Freund- Klimaschutz – und in puncto Emissionshandel entgegen-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 116. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 29. Juni 2011 13307
Viola von Cramon-Taubadel
(A) gekommen? Vielleicht können Sie das noch ein bisschen können auch keine Aussagen über Auswirkungen auf (C)
erläutern. das kommunale Steueraufkommen gemacht werden.
Die Lage und die Perspektiven der Kommunalfinan-
Vizepräsident Eduard Oswald: zen – das möchte ich deutlich machen – haben sich
Herr Bundesminister. grundlegend verbessert. Hierzu trägt neben dem allge-
meinen Wirtschaftsaufschwung auch das von der Bun-
Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister des Aus- desregierung jetzt auf den Weg gebrachte Paket zur Ent-
wärtigen: lastung der Kommunen bei, das auch ein Ergebnis der
Es ist ein privatwirtschaftlicher Vertrag abgeschlos- Gemeindefinanzkommission ist und bis zum Jahr 2014
sen worden. Mit Vertrag vom 28. Juni 2011 wurden die vollständige Übernahme der Kosten für die Grund-
88 Airbus-Flugzeuge gekauft oder geleast. Natürlich sicherung im Alter vorsieht. Das ist eine der größten
wünscht sich der europäische Hersteller noch mehr; das Entlastungen, die es im letzten Jahrzehnt für die Kom-
hat der Vertreter des Unternehmens bei dem Mittages- munen auf der Ausgabenseite gegeben hat. Auch durch
sen, das gestern mit Repräsentanten der Wirtschaft statt- die jüngsten Steuerschätzungen, Frau Kollegin, wird
gefunden hat, in meiner Anwesenheit auch zum Aus- deutlich, dass die Kommunen gesamtstaatlich bereits im
druck gebracht. Aber 88 Airbus-Flugzeuge: Das ist ja Jahr 2012 wieder zu einem ausgeglichenen Ergebnis
schon einmal etwas. Das ist ja wohl sehr bemerkenswert kommen und damit wieder das Niveau von vor der Fi-
für das Unternehmen und auch für die europäische Wirt- nanzmarkt- und Wirtschaftskrise erreichen werden.
schaft. Das ist ein enormes Volumen. Dies ist uns auch
durch die politische Unterstützung seitens der Bundes- Vizepräsident Eduard Oswald:
regierung gelungen. Dass wir deswegen von irgendwel- Ihre erste Nachfrage, Frau Kollegin Britta
chen anderen Punkten Abstand genommen haben, wie
Haßelmann.
zum Beispiel unserem gemeinsamen Engagement für
globalen Klimaschutz, kann ich nicht erkennen.
Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Staatssekretär, in
Vielen Dank. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich der veröffentlichten Meinung – durch Einlassung sowohl
frage, ob es Fragen zu anderen Themen der heutigen Ka- der Bundesregierung als auch von Mitgliedern der
binettssitzung gibt. – Da das nicht der Fall ist, beende Koalitionsfraktionen von CDU/CSU und FDP – ist ja
ich nun die Fragen zu dem Themenbereich der heutigen von Steuersenkungen in Höhe von 8 bis 10 Milliarden
Euro als nächstem Schritt die Rede. Nach meinen Be-
(B) Kabinettssitzung. rechnungen würde sich das auf die Kommunen mit ei- (D)
Gibt es darüber hinaus sonstige Fragen an die Bun- nem Minus von mindestens 1,5 Milliarden Euro auswir-
desregierung? – Das ist nicht der Fall. Dann beende ich ken. Von daher kann ich nicht verstehen, dass Sie mir
die Regierungsbefragung. nicht geantwortet haben.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 3 auf: Auch der Vorschlag von Herrn Kirchhof, der in Ihren
Fragestunde Reihen begrüßt wird, hat negative Auswirkungen auf die
kommunale Finanzsituation. Meine Frage ist: Teilen Sie
– Drucksache 17/6273 – die Einschätzung des hessischen CDU-Finanzministers
– ähnliche Auswirkungen weisen auch Berechnungen
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundes-
aus Baden-Württemberg aus dem Jahre 2003 aus –, dass
ministeriums der Finanzen. Als Beantworter steht der
wir dann, wenn wir diese Pläne realisieren würden, mit
Parlamentarische Staatssekretär Hartmut Koschyk zur
Steuermindereinnahmen in Höhe von 40 Milliarden
Verfügung.
Euro zu rechnen hätten?
Ich rufe die Frage 1 der Frau Kollegin Britta
Haßelmann auf: Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär beim Bun-
Wie hoch werden die Steuerausfälle aufgrund der geplan- desminister der Finanzen:
ten Steuersenkungen für 2012, gegebenenfalls auch ab 2013,
von bis zu 10 Milliarden Euro für die Kommunen sein, und Verehrte Frau Kollegin, ich kann nur noch einmal da-
wie beurteilt die Bundesregierung die zu erwartenden Steuer- rauf hinweisen, dass die Bundesregierung bisher keiner-
ausfälle für die Kommunen vor dem Hintergrund ihrer Erklä- lei Entscheidung über Zeitpunkt, Art und Umfang mög-
rung anlässlich der abschließenden Sitzung der Gemeinde- licher Steuerentlastungen getroffen hat. Sie haben der
finanzkommission am 15. Juli 2011, einen wesentlichen
Beitrag zur nachhaltigen Verbesserung der kommunalen Fi-
öffentlichen Diskussion entnommen, dass das auch kurz-
nanzsituation leisten zu wollen? fristig nicht der Fall sein wird. Deshalb verbieten sich
aus Sicht der Bundesregierung öffentliche Diskussionen
über damit auf allen staatlichen Ebenen einhergehende
Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär beim Bun-
Steuermindereinnahmen.
desminister der Finanzen:
Herr Präsident! Frau Kollegin Haßelmann, auf Ihre
Frage antworte ich Ihnen, dass die Bundesregierung bis- Vizepräsident Eduard Oswald:
lang keine Entscheidung über Zeitpunkt, Art und Um- Die zweite Nachfrage von der Frau Kollegin Britta
fang möglicher Steuerentlastungen getroffen hat. Daher Haßelmann.
13308 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 116. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 29. Juni 2011
(A) Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): gierung die Auffassung von Volker Kauder – auch ein (C)
Das heißt, ich kann Ihre Antwort so interpretieren, Zitat aus der vergangenen Woche –, dass stattdessen die
dass die Bundesregierung nicht mehr beabsichtigt, in Sozialabgaben gesenkt werden sollten, oder teilt die
dieser Legislaturperiode eine Steuersenkung vorzuneh- Bundesregierung die Auffassung des Bundesfinanz-
men? ministers Wolfgang Schäuble, der gesagt hat, dass wir
nicht im Geld schwimmen, sondern in Schulden ertrin-
Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär beim Bun- ken und dass eine Minisenkung politischer Unsinn ist,
desminister der Finanzen: weil sie bei den Bürgern nur Enttäuschung hervorruft?
Nein, so können Sie meine Antwort nicht interpretie-
ren. Sie wissen, dass wir uns in unserem Koalitionsver- Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär beim Bun-
trag das Ziel gesetzt haben, Bezieher von kleinen und desminister der Finanzen:
mittleren Einkommen im steuerlichen Bereich zu entlas- Verehrte Frau Kollegin, ich erlaube mir, zu sagen,
ten, wenn dies die Haushaltslage zulässt. Deshalb wird dass Sie aus mehreren Aussagen sehr einseitig und sehr
sicher im Hinblick auf steuerliche Maßnahmen der Bun- pointiert zitiert haben.
desregierung zu prüfen sein, ob und wann haushalte-
(Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
risch, auch im Hinblick auf die in unserem Grundgesetz
Sehr plural war das!)
verankerte Schuldenbremse, Spielräume vorhanden sind,
die zum Beispiel eine Entlastung der Bezieher von klei- Alle genannten Äußerungen bedeuten, dass die Bundes-
nen und mittleren Einkommen im steuerlichen Bereich regierung in ihre Entscheidungsfindung bezüglich der
zulassen würden. Aber ich wiederhole noch einmal: Die Frage, ob, wann und wie es unter Vorrang der Haushalts-
Bundesregierung hat über Zeitpunkt, Umfang und Art konsolidierung und unter strikter Beachtung der Schul-
steuerlicher Maßnahmen keinerlei Entscheidung getrof- denregelung möglich sein wird, Bezieher von unteren
fen. und mittleren Einkommen steuerlich zu entlasten – Sie
haben in Ihrer Frage von „Unternehmen“ gesprochen,
Vizepräsident Eduard Oswald: ich darf deutlich machen, dass im Koalitionsvertrag von
Eine weitere Zusatzfrage unserer Frau Kollegin Beziehern unterer und mittlerer Einkommen die Rede ist –,
Nicolette Kressl. eine Fülle von Sachverhalten wird einbeziehen müssen.
(A) Vizepräsident Eduard Oswald: Da Sie mir unterstellt haben, dass ich bestätigt hätte, (C)
Erste Nachfrage, Kollegin Britta Haßelmann. dass das Koalitionsvertragsziel, untere und mittlere Ein-
kommen zu entlasten, nur durch Maßnahmen im Ein-
kommensteuerbereich zu erreichen sei, möchte ich rich-
Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
tigstellen: Der Kollege Beck hat darauf hingewiesen,
Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Staatsekretär, Sie dass man sich theoretisch durchaus auch vorstellen kann,
stimmen aber sicherlich mit mir darin überein, dass jede untere und mittlere Einkommen im Bereich der Sozial-
Veränderung bei der Einkommensteuer durch Ihr Steuer- versicherungsbeiträge zu entlasten. Die Entlastung unte-
konzept, das Sie zum dritten Mal angekündigt und mit rer und mittlerer Einkommen als Ziel des Koalitions-
konkreten Zahlen unterlegt haben – zumindest in der vertrages ist also auf vielfältige Weise möglich. Die
Presse, wenn auch nicht hier im Parlament –, auch nega- Bundesregierung wird Entscheidungen treffen, entspre-
tive Auswirkungen auf die kommunalen Haushalte hat, chende Vorschläge machen und diese dann einem geord-
da ein bestimmter Prozentsatz der Einkommensteuerein- neten parlamentarischen Verfahren zuführen. Bislang ist
nahmen den Kommunen zufließt, nämlich 15 Prozent. über Zeitpunkt, Umfang und Art von steuerlichen Verän-
Wenn wir von 8 Milliarden bis 10 Milliarden Euro aus- derungen in der Bundesregierung noch in keiner Weise
gehen – diese Zahlen kann man der Presse entnehmen –, entschieden.
können wir ausrechnen, zu welchen Defiziten das allein
auf kommunaler Ebene führt. (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Die Kanzlerin hat das doch angekün-
digt!)
Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär beim Bun-
desminister der Finanzen:
Verehrte Frau Kollegin, Sie werden keine Aussage ei- Vizepräsident Eduard Oswald:
nes Mitglieds der Bundesregierung über eventuelle Vo- Jetzt gibt es eine Wortmeldung unseres Kollegen
lumina von steuerlichen Veränderungen finden. Dass es Volker Beck.
hierzu Aussagen von Vertretern der Koalitionsfraktionen
gibt, ist in einem öffentlichen Diskurs über ein so wichti- Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
ges Thema verständlich. Ich kann nur wiederholen, dass Ich melde mich zur Geschäftsordnung. Nachdem die
die Bundesregierung keine Entscheidung über Art, Um- Kanzlerin großspurig angekündigt hat, dass es jetzt Steuer-
fang und Zeitpunkt steuerlicher Veränderungen getroffen senkungen gebe, und es dann den Aufstand im Bundes-
hat. Selbstverständlich ist es richtig, dass Veränderungen rat – auch aus den Reihen der Ministerpräsidenten der
im Bereich der Einkommensteuer zu Auswirkungen auf Union – gab, scheint sich das Finanzministerium in ein
(B) die Haushalte von Bund, Ländern und Kommunen füh- „Nichts Genaues weiß man nicht“ zu flüchten. Ich (D)
ren würden und dass dies bei der Entscheidungsfindung denke, dass es vor diesem Hintergrund wichtig ist, dass
berücksichtigt werden müsste. die Öffentlichkeit erfährt, wie die Koalition genau denkt.
Deshalb beantragen wir im Zusammenhang mit den
Vizepräsident Eduard Oswald: Steuersenkungsplänen der Bundesregierung eine Aktu-
Ihre zweite Nachfrage, Frau Kollegin Haßelmann. elle Stunde zu den Steuerausfällen für Bund, Länder und
Kommunen und zu den Auswirkungen auf die Schulden-
Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): bremse.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Staatssekretär,
Ihre jetzige Antwort verunklart die Situation erneut. Vor- Vizepräsident Eduard Oswald:
hin haben Sie gesagt, dass Sie in dieser Legislaturpe- Vielen Dank, Kollege Volker Beck. – Die Fraktion
riode eine Steuersenkung vornehmen werden. Also wird Bündnis 90/Die Grünen hat eben zu der Antwort der
es doch zu Mindereinnahmen bei den Kommunen und Bundesregierung auf eine mündliche Anfrage – Druck-
den Ländern sowie beim Bund kommen. Meine Frage sache 17/6273 – eine Aktuelle Stunde verlangt. Dies ent-
lautet: Werden Sie in Ihrem Steuerentlastungskonzept spricht der Nr. 1 b der Richtlinien für die Aktuelle
die Pläne von Herrn Kirchhof – diese will ich hier im Stunde. Somit findet im Anschluss an die Fragestunde
Einzelnen nicht erläutern – berücksichtigen? diese Aktuelle Stunde statt. Die ursprünglich vorgese-
hene Aktuelle Stunde wird auf morgen verschoben.
Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär beim Bun- Es gibt noch weitere Nachfragen an den Herrn Staats-
desminister der Finanzen: sekretär. Zunächst hat Frau Kollegin Paus das Wort.
Frau Kollegin, Sie wissen, dass, wenn man über steu-
erliche Veränderungen nachdenkt, nicht nur Überlegun- (Zuruf von der CDU/CSU: Das könnten wir
gen aus dem entsprechenden Fachministerium, dem uns jetzt sparen!)
Bundesministerium der Finanzen, sondern auch die
fachpolitische Ebene in den Koalitionsfraktionen und all Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
das, was aus dem Wissenschaftsbereich zu diesem Sach- Ich will zum Thema Schuldenbremse nachfragen.
verhalt gesagt wird, einbezogen werden. Insofern kann Teilt die Bundesregierung im Hinblick auf die Debatte
man niemals ausschließen, dass man auch Anregungen über die Schuldenbremse noch die grundsätzliche An-
aus der Wissenschaft in steuerpolitische Entscheidungs- sicht, dass in Phasen der Hochkonjunktur Überschüsse
findungen einbezieht. gebildet werden sollten, um in Phasen einer niedrigen
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 116. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 29. Juni 2011 13311
Lisa Paus
(A) Konjunktur eine Unterdeckung des Haushalts ausglei- Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär beim Bun- (C)
chen zu können? Wie passt das mit den anhaltenden Dis- desminister der Finanzen:
kussionen darüber zusammen, dass es in der aktuellen Frau Kollegin, Überlegungen auch im Bereich des
Phase der Hochkonjunktur zwar steigende Steuereinnah- Solidaritätszuschlags sind in der öffentlichen Diskus-
men gibt, jedoch noch keine Überschüsse und nach wie sion; sie werden sicher auch bei der weiter gehenden
vor eine Lücke im zweistelligen Milliardenbereich Diskussion eine Rolle spielen. Aber ich darf noch einmal
klafft? sagen: Es wird der Entscheidung der Bundesregierung
vorbehalten bleiben, wie sie das genannte Ziel aus dem
Koalitionsvertrag umsetzt.
Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär beim Bun-
desminister der Finanzen:
Die Bundesregierung wird genau dies bei der Ent- Vizepräsident Eduard Oswald:
scheidungsfindung über mögliche steuerliche Maßnah- Vielen Dank. – Es gibt zu der Frage keine weitere Zu-
men berücksichtigen. satzfrage.
Ich rufe die Frage 3 des Abgeordneten Dr. Gerhard
Vizepräsident Eduard Oswald: Schick auf:
Es gibt zwei weitere Fragen. Zunächst Kollege Lothar Inwiefern sind die Ankündigungen der Bundesregierung,
kleine und mittlere Einkommen durch eine Steuersenkung zu
Binding. entlasten, aus Sicht der Bundesregierung vereinbar mit einer
Senkung der Einkommensteuer, bei der eine Tarifsenkung im
unteren Einkommensbereich stets eine höhere Entlastung im
Lothar Binding (Heidelberg) (SPD): oberen Einkommensbereich bewirkt – vergleiche beispiels-
Herr Koschyk, zunächst vielen Dank für die Antwort weise „Wer von Steuersenkungen profitieren würde“, Spiegel
auf eine von mir überhaupt nicht gestellte Frage. Die Online vom 23. Juni 2011 – und erwägt die Bundesregierung
vor diesem Hintergrund, die Entlastungswirkung für obere
kalte Progression wäre auf meine Frage die falsche Ant- Einkommen über eine Erhöhung der Grenzsteuersätze im obe-
wort gewesen; denn die kalte Progression betrifft alle ren Einkommensbereich auszugleichen?
Einkommen.
Deshalb eine ganz einfache Frage: Sie benutzen den Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär beim Bun-
Begriff „untere und mittlere Einkommen“. Ich frage: desminister der Finanzen:
Was ist das? Wie definieren Sie ein unteres, wie ein mitt- Herr Kollege Schick, ich wiederhole, dass es keine
leres Einkommen? Das findet sich auch in der Koali- Entscheidung über Umfang, Zeitpunkt und konkrete
Ausgestaltung von Steueränderungen gibt.
(B) tionsvereinbarung. Es muss irgendwo eine Definition (D)
dieses Begriffs geben. Ansonsten würden Sie auf un- Eine aussagefähige Beurteilung von Tarifsenkungen
scharfer Basis Gesetze machen, und das kann ich mir allein auf Grundlage von absoluten Entlastungsbeiträgen
einfach nicht vorstellen. ist nicht möglich. Zu berücksichtigen wären sicher auch
bisherige und die nach einer möglichen Steueränderung
Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär beim Bun- verbleibenden Belastungen. Es sind bei einer theoreti-
desminister der Finanzen: schen Diskussion dieser Art keine sachlichen Gründe er-
kennbar, bestimmte Gruppen von Steuerzahlern von
Sie werden die Antwort dann finden, Herr Kollege
möglichen Steueränderungen auszuschließen.
Binding, wenn wir unsere Überlegungen darüber abge-
schlossen haben, welche Einkommensschichten wir
durch entsprechende Maßnahmen – welche auch immer – Vizepräsident Eduard Oswald:
entlasten werden. Wie ich sehe, haben Sie, Kollege Dr. Schick, keine
Nachfrage. Auch keine andere Kollegin und kein ande-
(Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Das war rer Kollege möchte eine Zusatzfrage stellen.
doch eine klare Antwort! Vielen Dank!)
Wir kommen zur Frage 4 des Kollegen Dr. Gerhard
Schick:
Vizepräsident Eduard Oswald:
Wie hat sich im Zeitraum seit 1990 die sogenannte kalte
Die nächste Fragestellerin ist Frau Kollegin Nicolette Progression tatsächlich auf die Steuerzahlung von Bürgerin-
Kressl. nen und Bürgern mit kleinen und mittleren Einkommen aus-
gewirkt, und wie stark wurde dies von den Einkommensteuer-
senkungen in diesem Zeitraum kompensiert?
Nicolette Kressl (SPD):
Vielen Dank. – Herr Staatssekretär, ich möchte auf Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär beim Bun-
die Steuermindereinnahmen, die auch die Kommunen desminister der Finanzen:
belasten würden, eingehen. Es gäbe einen Weg, die Die Wirkung der kalten Progression besteht darin,
Kommunen nicht zu belasten. Auch in den Zeitungen dass infolge der Progression des Einkommensteuertarifs
wurde diese Diskussion geführt; es geht um den Solida- die tarifliche Durchschnittsbelastung auch dann steigt,
ritätszuschlag. Sind Sie im Hinblick auf eine Steuerent- wenn das zu versteuernde Einkommen lediglich im Um-
lastung in diesem Bereich der Ansicht, dass damit untere fang der Preiserhöhung zugenommen hat. Die kalte Pro-
und mittlere Einkommen entlastet werden? gression trifft grundsätzlich alle Steuerzahler. Sie wirkt
13312 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 116. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 29. Juni 2011
(A) Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär beim Bun- beschränken, um das Ziel einer gesicherten Unterneh- (C)
desminister der Finanzen: mensfortführung nicht zu gefährden. Dieses Ziel wurde
Selbstverständlich, Herr Kollege Binding, müssten mit dem seinerzeit beschlossenen Gesetz – ich glaube,
mögliche Steueränderungen im Rahmen eines tragfähi- auch Sie haben zugestimmt – erreicht. Die Bundesregie-
gen stabilitäts- und finanzpolitischen Gesamtkonzepts rung plant in dieser Frage keinen Gesetzentwurf.
umgesetzt werden. Von daher ist es selbstverständlich,
(Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Vielen
dass die Bundesregierung bei steuerlichen Überlegungen
Dank!)
und Entscheidungen die Einhaltung der Schuldenbremse
strikt beachten muss.
Vizepräsident Eduard Oswald:
Keine weitere Nachfrage.
Vizepräsident Eduard Oswald:
Erste Nachfrage, Kollege Lothar Binding. So kommen wir jetzt zur Frage 7 der Frau Kollegin
Lisa Paus:
Lothar Binding (Heidelberg) (SPD): Teilt die Bundesregierung die Ansicht, dass eine Senkung
oder Streichung des Solidaritätszuschlags die oberen Einkom-
Wie verträgt sich Ihre Antwort mit Ihrer Aussage, men überproportional gegenüber den unteren und mittleren
dass Sie zuerst an die Haushaltskonsolidierung gehen Einkommen entlasten würde, und hält die Bundesregierung
wollen? Zur Erinnerung: Wir hatten 1 700 Milliarden vor diesem Hintergrund an ihren Überlegungen zur Senkung
Euro Schulden, nach der Krise haben wir 2 000 Milliar- oder Abschaffung des Solidaritätszuschlags fest?
den Euro Schulden, wir haben eine Neuverschuldung
von 80 Milliarden Euro erwartet, sind aber jetzt froh, Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär beim Bun-
dass es nur 40 Milliarden Euro sind. Meinen Sie, in die- desminister der Finanzen:
ser Phase könne man unter Einhaltung des Gedankens Frau Kollegin Paus, weil Sie in Ihrer Frage davon
der Konsolidierung des Haushalts Steuern senken? Diese ausgehen, dass es innerhalb der Bundesregierung bereits
Rechnung – das ist ein einfacher Dreisatz – leuchtet mir Entscheidungen über eine Senkung oder Streichung des
nicht ein. Solidaritätszuschlags gibt, darf ich wiederholen, dass es
vonseiten der Bundesregierung keinerlei Entscheidun-
Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär beim Bun- gen über Art, Umfang und Zeitpunkt von steuerlichen
desminister der Finanzen: Maßnahmen gibt.
Ich lege noch einmal Wert auf die Feststellung, Herr Zum Solidaritätszuschlag noch einmal eine deutliche
Kollege Binding – das habe ich in jeder der Antworten Anmerkung der Bundesregierung: Der Solidaritäts-
(B) gesagt, die ich in dieser Fragestunde bislang gegeben zuschlag wurde als Zuschlag zur progressiven Ein- (D)
habe –, dass steuerliche Maßnahmen nur unter dem ab- kommensteuer festgesetzt und belastet daher Bezieher
soluten Vorrang der Verträglichkeit mit dem Ziel der höherer Einkommen überproportional. Er ist sozial aus-
Haushaltskonsolidierung und unter strikter Beachtung gewogen, weil alle Steuerpflichtigen entsprechend ihrer
der Schuldenregel möglich sind. Dies wird der Vorbehalt Leistungsfähigkeit belastet und niedrigere Einkommen
bei allen steuerlichen Überlegungen der Bundesregie- verschont werden. Für die Bundesregierung ist und
rung sein. bleibt der Solidaritätszuschlag ein wichtiges Element,
(Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Keine um den Finanztransfer zugunsten der ostdeutschen Bun-
weiteren Fragen!) desländer zu gewährleisten.
So kommen wir zur Frage 6, die ebenfalls vom Kolle- Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
gen Lothar Binding gestellt wird:
Herr Staatssekretär Koschyk, könnten Sie, auch wenn
Wann plant die Bundesregierung, einen Gesetzentwurf zur Sie der Auffassung sind, dass der Soli, so wie er exis-
Verhinderung steuerlicher Gestaltungsmöglichkeiten bei der
Abgrenzung zwischen Betriebs- und Verwaltungsvermögen in
tiert, sozial ausgewogen ist, den ersten Teil meiner Frage
der Erbschaft- und Schenkungsteuer vorzulegen (vergleiche beantworten, nämlich ob Sie die Ansicht teilen, dass eine
etwa Financial Times Deutschland vom 25. Mai 2011)? Abschaffung des Soli vor allen Dingen den oberen Ein-
kommen zugutekäme? Würden Sie also bestätigen, dass
Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär beim Bun- seine Abschaffung vor allen Dingen den oberen Einkom-
desminister der Finanzen: men zugutekäme? Würden Sie ebenfalls bestätigen, dass
Herr Kollege Binding, die Abgrenzung zwischen Be- seine Abschaffung den unteren und mittleren Einkom-
triebs- und Verwaltungsvermögen bei der Erbschaft- und men nicht zugutekäme?
Schenkungsteuer, die die Regierung der Großen Koali-
tion im Erbschaftsteuerreformgesetz beschlossen hat, Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär beim Bun-
soll einerseits missbräuchliche Gestaltung durch Verla- desminister der Finanzen:
gerung von Privatvermögen in Betriebsvermögen ver- Ich darf noch einmal sagen, dass die Bundesregierung
hindern und andererseits die Betriebe in ihrer Finanzie- in keiner Weise Überlegungen anstellt, die auf eine Ab-
rungsfähigkeit und Anlageflexibilität nicht übermäßig schaffung des Solidaritätszuschlags hinauslaufen.
13314 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 116. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 29. Juni 2011
(A) Vizepräsident Eduard Oswald: Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär beim Bun- (C)
Sie haben eine weitere Zusatzfrage. desminister der Finanzen:
Das kann ich Ihnen gerne schriftlich nachreichen.
Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Das freut mich. Ich würde trotzdem gerne eine Ant- Vizepräsident Eduard Oswald:
wort auf die Frage bekommen: Teilen Sie meine Ein- Eine Nachfrage des Kollegen Dr. Gerhard Schick.
schätzung, dass eine Abschaffung des Soli vor allen Din-
gen den oberen Einkommen zugutekäme und deswegen Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
ungeeignet wäre, mittlere und untere Einkommen zu ent- Würden Sie denn sagen, Herr Staatssekretär, dass die-
lasten? ses Thema der Indexierung, bei dem es auch um die
kalte Progression geht, angesichts der derzeitigen Infla-
Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär beim Bun- tionsrate besonders gravierend ist? Halten Sie die Infla-
desminister der Finanzen: tionsrate in diesem Zusammenhang für hoch und deswe-
Ich glaube, das ist eine eher theoretische Betrachtung. gen durch die kalte Progression für eine hohe Belastung
Ich werde auch von Beziehern unterer und mittlerer Ein- für die Bürger, oder wie ist Ihre Einschätzung?
kommen gefragt, ob der Solidaritätszuschlag weiterhin
und wie lange er noch erhoben wird. Ich glaube, jeder Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär beim Bun-
empfindet den Solidaritätszuschlag als steuerliche Belas- desminister der Finanzen:
tung und sähe ihn lieber heute als morgen abgeschafft. Ich möchte dazu keine subjektive Einschätzung abge-
Aber auch im Hinblick auf die gesamtstaatlichen Finan- ben. Die Bundesregierung wird diese Frage im Zusam-
zierungsverpflichtungen muss man den Menschen im- menhang mit allen steuerlichen Maßnahmen im Bereich
mer wieder erklären, dass dies nicht möglich ist. des Einkommensteuertarifs insgesamt fundiert beant-
worten müssen. Ich bitte um Verständnis, dass ich einer
Vizepräsident Eduard Oswald: entsprechenden Entscheidungsfindung der Bundesregie-
rung mit einer subjektiven Einschätzung in keiner Weise
Vielen Dank. – Wir kommen nun zur Frage 8, eben-
vorgreifen möchte.
falls von unserer Kollegin Lisa Paus:
Mit jährlichen Einnahmeausfällen in welcher Höhe rech-
net die Bundesregierung, wenn eine an der jährlichen Infla- Vizepräsident Eduard Oswald:
tionsrate orientierte Indexierung des Einkommensteuertarifs Vielen Dank. – Die Fragen 9 und 10 der Kollegin
stattfände? Hilde Mattheis, die Frage 11 der Kollegin Bärbel Höhn (D)
(B)
und die Fragen 12 und 13 der Kollegin Dr. Barbara Höll
Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär beim Bun- werden schriftlich beantwortet.
desminister der Finanzen:
Damit kommen wir zur Frage 14 des Abgeordneten
Frau Kollegin Paus, die Bundesregierung beabsichtigt Hans-Christian Ströbele:
keine Indexierung des Einkommensteuertarifs. Dies
Warum setzt sich die Bundesregierung für weitere ein-
schließt nicht aus, dass zukünftig bei einer möglichen schneidende Sparmaßgaben Griechenlands als Voraussetzung
Weiterentwicklung des Einkommensteuertarifs die Ver- für die Gewährung weiterer Garantien und anderer Hilfen ein
änderung verschiedener wirtschaftlicher Größen wie und nicht für die Streichung eines Großteils der Schulden
zum Beispiel der Inflationsrate berücksichtigt wird. Griechenlands bei privaten Gläubigern, um dem Land eine
realistische Chance zu verschaffen, durch Investitions- und
Konjunkturprogramme der Bevölkerung Arbeit und Einkom-
Vizepräsident Eduard Oswald: men zu geben und aus der Krise zu kommen?
Ihre erste Nachfrage.
Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär beim Bun-
desminister der Finanzen:
Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Lieber Herr Kollege Ströbele, nicht nur die Bundesre-
Welche Schätzung liegt denn der Haushaltsplanung publik Deutschland, sondern alle, die zurzeit bemüht
der Bundesregierung in Bezug auf die Inflationsrate ak- sind, durch internationale Solidarität im Rahmen des
tuell zugrunde, und welche Wirkung hätte die Indexie- IWF und der Europäischen Union Griechenland zu un-
rung der Einkommensteuer entsprechend der Inflations- terstützen, erwarten, dass im Hinblick auf weitere Hilfs-
rate? maßnahmen in Griechenland entsprechende Einsparun-
gen vorgenommen werden. Das ist auch die Erwartung
Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär beim Bun- der griechischen Regierung selbst. Ich darf mit Geneh-
desminister der Finanzen: migung des Herrn Präsidenten die Süddeutsche Zeitung
Ich kann Ihnen aus dem Stegreif nicht beantworten, von gestern zitieren. Dort wird berichtet, dass Vizepre-
welche Wirkung das hätte. mierminister Pangalos in einer leidenschaftlichen Rede
die griechische Öffentlichkeit daran erinnert hat, dass
alle miteinander für den Bankrott des alten Systems ver-
Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): antwortlich seien. Der Vizepremierminister sagte wört-
Würden Sie das schriftlich nachreichen? lich:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 116. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 29. Juni 2011 13315
Parl. Staatssekretär Hartmut Koschyk
(A) „Der größte Teil des Defizits geht auf Ausgaben für Es ist zu einem Generalstreik gekommen. Es kommt vor (C)
Beamtengehälter und Renten zurück“ … Jahrelang dem Parlament zu schweren Tumulten. Ich kann das an-
hätten die Wähler den Parteien „ihre Stimme ver- gesichts dessen, was der Bevölkerung dort zugemutet
kauft“, im Tausch gegen einen Job im Staatsdienst. wird, verstehen. Wenn ich solche Nachrichten sehe,
frage ich mich schon, ob die Europäische Gemeinschaft
Sie sehen also, Herr Kollege Ströbele, dass die grie- – also auch Deutschland und die Bundesregierung –
chische Regierung selbst im Hinblick auf die Verschul- nicht eine erhebliche Verantwortung dafür trägt, was
dungssituation Griechenlands Handlungsbedarf sieht. sich derzeit im Urland unserer Demokratie abspielt.
Sie wissen, Herr Kollege Ströbele, dass die Bundesre- Ich frage mich, ob man allein mit zusätzlichen ein-
gierung die Beteiligung privater Gläubiger im Falle ei- schneidenden Sparmaßnahmen in Griechenland etwas
nes neuen Hilfsprogramms für Griechenland als Voraus- erreichen kann. Ich frage mich auch, ob wir den Grie-
setzung für einen deutschen Beitrag genannt hat. Mit chen nicht falsche Hoffnungen machen. Wir sollten uns
dieser Position war die Bundesregierung anfangs inner- an diejenigen halten, die nach wie vor Gewinne machen.
halb der Europäischen Union, der Euro-Gruppe, aber Dabei handelt es sich um die großen Gläubiger und die
auch der entsprechenden internationalen Institutionen Reichen in Griechenland. Nach allem, was ich aus Grie-
sehr isoliert. Inzwischen haben wir erreicht, dass eine chenland gehört habe, werden ebendiese nicht zur Steuer
private Gläubigerbeteiligung zur Voraussetzung für ein
herangezogen bzw. nicht in dem Maße, wie das in ande-
neues Programm für Griechenland geworden ist. Unser
ren europäischen Ländern der Fall ist. Ich frage mich da-
Haus und auch Bundesfinanzminister Schäuble persön-
her, ob die Bundesregierung nicht eher eine andere Linie
lich stehen mit den Spitzen der deutschen Finanzwirt-
fahren und sagen sollte: Wir versuchen, euch wieder auf
schaft in Kontakt, um diesbezüglich einen entsprechen-
die Beine zu helfen. Dann kann man über vieles andere
den Beitrag der deutschen Finanzwirtschaft zu erreichen.
reden.
Sie fragten, warum die Bundesregierung nichts unter-
nimmt, um den Griechen mittels Investitions- und Kon- Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär beim Bun-
junkturprogrammen aus der Krise herauszuhelfen. Ich desminister der Finanzen:
darf darauf hinweisen, dass gerade Bundesminister
Schäuble gegenüber der Europäischen Kommission, der Herr Kollege Ströbele, niemanden lassen die Bilder
Euro-Gruppe und der Europäischen Union sehr darauf aus Griechenland unberührt. Ich sage aber noch einmal:
drängt, dass Griechenland durch entsprechende Wirt- Es geht um eine Kombination von Maßnahmen der
schaftsfördermaßnahmen – zum Beispiel soll durch die Haushaltskonsolidierung, die unerlässlich sind. Das ist
nicht nur die Einschätzung der Bundesregierung, son-
(B) Erzeugung von Solarstrom und durch Solartechnik Wert- dern auch die Einschätzung der Troika aus IWF, Euro- (D)
schöpfung erfolgen – Wachstumsperspektiven gegeben
werden. Diese Position der Bundesregierung hat dazu päischer Kommission und Europäischer Zentralbank.
geführt, dass der Präsident der Europäischen Kommis-
Sie sollten in diesen Tagen einmal das Gespräch mit
sion Barroso inzwischen angekündigt hat, dass eine Be-
Menschen aus anderen Ländern und Regionen der Welt
schleunigung der Auszahlung und eine Bündelung von
führen, die in den letzten Jahren von starken Verände-
Maßnahmen zur Förderung der griechischen Volkswirt-
rungen ihrer Wirtschaft und von einem starken Reform-
schaft auf den Weg gebracht werden sollen. Auf diese
Weise sollen die Wachstumsperspektiven verbessert druck geprägt wurden, gerade auch im Hinblick auf
werden. Hilfsmaßnahmen. In Gesprächen mit Vertretern asiati-
scher oder lateinamerikanischer Staaten werden Sie hö-
ren, dass auch diese einem harten Anpassungsprozess
Vizepräsident Eduard Oswald: ausgesetzt waren, um Hilfen des IWF zu bekommen.
Ihre erste Zusatzfrage, Herr Kollege Ströbele. Am Schluss hat sich gezeigt, dass diese Maßnahmen er-
folgreich waren.
Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Wenn man sich verschiedene Staaten Asiens und La-
NEN): teinamerikas anschaut, die in den letzten Jahren von ähn-
Herr Staatssekretär, ich weiß nicht, wie es der Bun- lichen Anpassungsprogrammen des IWF betroffen wa-
desregierung geht, aber wenn ich sehe, was in Griechen- ren und die sich heute durch Prosperität, gesundes
land jetzt passiert und was dort beschlossen werden soll, Wachstum und soziale Stabilität auszeichnen, dann wird
dann bin ich nicht nur erschrocken, sondern ich will man, glaube ich, sagen können, dass dieses Bündel von
auch solidarisch sein. Nachdem bereits insbesondere im Maßnahmen – jetzt den Griechen durch ein angepasstes
Gesundheits- und Sozialbereich ganz erhebliche Spar- Programm mehr Zeit zu geben, die privaten Gläubiger
maßnahmen beschlossen wurden, werden den Griechen zu beteiligen, aber auch wachstumsfördernde Maßnah-
nun noch zusätzliche erhebliche Einsparungen aufge- men mit Unterstützung der Europäischen Union auf den
drückt. Man kann fast sagen, dass sie damit erpresst wer- Weg zu bringen – richtig ist, um Griechenland neue Per-
den. spektiven zu geben.
(A) Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Bundesregierung, wenn sie von der Beteiligung privater (C)
NEN): Gläubiger redet, in Bezug auf diese einzelnen Gruppen?
Herr Staatssekretär, ich will mich jetzt nicht mit Ihnen Wie gestaltet sich der Wille der Bundesregierung hin-
auf eine Diskussion einlassen – das darf ich laut Ge- sichtlich einer Beteiligung?
schäftsordnung gar nicht – über das, was in Afrika oder
Lateinamerika tatsächlich angerichtet worden ist. Wir Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär beim Bun-
befinden uns in Europa; auch Griechenland gehört zu desminister der Finanzen:
Europa und zur Europäischen Union. Wir haben immer Herr Kollege Schick, ich hatte Ihnen heute im Aus-
großen Wert darauf gelegt, dass wir zu einer weitgehen- schuss bereits ausführlich erklärt, dass für uns die
den Anpassung der Lebensverhältnisse in Europa kom- Grundlage das sogenannte französische Modell ist, das
men – so habe ich das immer verstanden – und dass wir von der französischen Finanzwirtschaft entwickelt und
auf längere Frist gesehen immer enger zusammenwach- der französischen Politik unterstützt worden ist. Wir
sen wollen. überlegen zurzeit gemeinsam mit allen genannten Betei-
Ich weiß nicht, ob es dann richtig ist, ein ganzes Volk ligten der Finanzwirtschaft, welchen Beitrag die Finanz-
in dieser Weise in Haftung zu nehmen und unter Druck wirtschaft in Deutschland hierzu leisten kann. Wir wer-
zu setzen. Ich kann mir vorstellen, dass diese Vorgehens- den Parlament und Öffentlichkeit unverzüglich über das
weise die Sympathien und die Begeisterung für Europa Ergebnis unterrichten, sobald diese Gespräche abge-
in Griechenland erheblich dämpft, um das einmal milde schlossen sind.
auszudrücken.
Vizepräsident Eduard Oswald:
Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär beim Bun- Es gibt eine weitere Nachfrage des Kollegen Carsten
desminister der Finanzen: Sieling.
Herr Kollege Ströbele, es ist die griechische Regierung
selbst, die jetzt in einer sehr mutigen, bewundernswerten Dr. Carsten Sieling (SPD):
Art und Weise Versäumnisse früherer griechischer Regie- Genau an dem Punkt möchte ich nachsetzen. Darf ich
rungen – gleich welcher politischen Zuordnung – aufar- Ihre Antwort so verstehen, dass dann auf der Seite der
beiten muss. privaten Gläubiger beispielsweise auch die Bad Bank
Es sind auch eindrucksvolle Persönlichkeiten griechi- der HRE sitzt? Führen Sie Verhandlungen darüber, in-
scher Herkunft wie mehrere Nobelpreisträger, die inter- wieweit sie sich beteiligen kann?
national als Wissenschaftler anerkannt sind, die der grie-
chischen Gesellschaft sagen, dass dieser harte Weg, die Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär beim Bun-
(B) Krise zu überwinden – nämlich durch Konsolidierung, desminister der Finanzen: (D)
verbunden mit Wachstumsperspektiven –, unerlässlich Herr Kollege Sieling, ich habe es heute schon im Aus-
ist. Dass es an deutscher oder gesamteuropäischer Soli- schuss gesagt: Wenn klar ist, dass es trotz der vereinbar-
darität fehlt, Herr Kollege Ströbele, das kann man, ten Vertraulichkeit möglich ist, Beteiligte dieser Gesprä-
glaube ich, nicht ernsthaft behaupten angesichts des Ga- che zu nennen, werde ich dies entsprechend tun.
rantierahmens im Milliardenbereich, den Deutschland
und die Europäische Union zur Absicherung der griechi- Vizepräsident Eduard Oswald:
schen Finanzprobleme bereits auf den Weg gebracht ha- Vielen Dank. – Die Frage 15 der Kollegin Daniela
ben. Wagner wird schriftlich beantwortet.
Vizepräsident Eduard Oswald: Wir kommen somit zum Geschäftsbereich des Bun-
desministeriums für Arbeit und Soziales. Alle Fragen zu
Eine Nachfrage unseres Kollegen Dr. Gerhard Schick.
diesem Geschäftsbereich werden schriftlich beantwortet.
Es handelt sich um die Fragen 16 und 17 des Abgeord-
Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): neten Dr. Ilja Seifert, die Frage 18 des Abgeordneten
Herr Staatssekretär, ich will hinsichtlich der Gläubi- Klaus Ernst, die Fragen 19 und 20 der Abgeordneten
gerbeteiligung nachhaken. Wir hatten im Ausschuss be- Anette Kramme, die Fragen 21 und 22 des Abgeordne-
reits kurz darüber gesprochen. Bei den Gläubigern gibt ten Werner Dreibus, die Fragen 23 und 24 der Abgeord-
es drei Gruppen: Die eine Gruppe sind die neu hinzuge- neten Sabine Zimmermann sowie die Fragen 25 und 26
kommenen Gläubiger wie KfW oder Staaten, die in der des Abgeordneten Markus Kurth.
derzeitigen Situation Hilfskredite bereitstellen. Dann
gibt es die rein privaten Gläubiger. Es gibt noch eine Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bun-
dritte Gruppe von Gläubigern privatrechtlicher Natur, desministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Ver-
hinter denen aber de facto der Staat steht, zum Beispiel braucherschutz. Die Fragen 27 und 28 des Abgeordneten
Landesbanken oder die Bad Bank der HRE. Bei den rein Gustav Herzog werden ebenfalls schriftlich beantwortet.
Privaten kann es sich wiederum um Banken, Versiche- Ich rufe die Frage 29 des Kollegen Ostendorff auf:
rungen oder Fonds handeln. Hat der Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die
Zum einen würde mich interessieren: Wer sitzt wirk- Informationsfreiheit, BfDI, nach Kenntnis der Bundesregie-
rung bereits geprüft, ob das Gutachten des Bundesministe-
lich am Tisch, vor allem, wenn es um die Bad Bank der riums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz,
HRE geht, aber auch bei Versicherungen und Fonds? BMELV, zur Bewertung der Ehrwürdigkeit ehemaliger Mit-
Zum anderen würde mich interessieren: Was meint die arbeiter des Bundesministeriums bzw. der Vorgängerbundes-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 116. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 29. Juni 2011 13317
Vizepräsident Eduard Oswald
(A) ministerien im Hinblick auf die Zeit des Nationalsozialismus Vizepräsident Eduard Oswald: (C)
aus Datenschutzgründen veröffentlicht werden kann, und,
Vielen Dank. – Nun rufe ich die Frage 30 ebenfalls
wenn ja, zu welchem Ergebnis kommt der BfDI?
unseres Kollegen Friedrich Ostendorff auf:
Bitte schön, Herr Staatssekretär. Welche Konsequenzen haben die deutschen Behörden aus
den Hinweisen seitens des russischen Chefveterinärs Sergej
Dankwert gezogen, der mit Hinweis auf eine angebliche
Peter Bleser, Parl. Staatssekretär bei der Bundes- Ehec-Belastung deutscher Fleisch- und Milchprodukte ab
ministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau- 27. Juni 2011 für bestimmte deutsche Lieferanten ein Import-
cherschutz: verbot erlassen hat?
Herr Kollege Ostendorff, die Stellungnahme des Bun-
Bitte schön.
desbeauftragten für den Datenschutz und die Informa-
tionsfreiheit liegt dem BMELV seit dem 7. Juni 2011
vor. Der Bundesdatenschutzbeauftragte kommt darin zu Peter Bleser, Parl. Staatssekretär bei der Bundes-
dem Ergebnis, dass ein Informationsanspruch nach dem ministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau-
Informationsfreiheitsgesetz hinsichtlich der im Gutach- cherschutz:
ten enthaltenen personenbezogenen Daten von ehemali- Kollege Ostendorff, der Föderale Dienst für veterinär-
gen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des damaligen rechtliche und phytosanitäre Überwachung der Russi-
BML und des BMVEL wegen des Personalaktengeheim- schen Föderation, Rosselchosnadsor, hat mit Wirkung
nisses, von einem Einzelfall abgesehen, nicht besteht. vom 27. Juni temporäre Beschränkungen für die Liefe-
rung tierischer Erzeugnisse in die Russische Föderation
von zehn Milch- und drei Fleischverarbeitungsbetrieben
Vizepräsident Eduard Oswald: angeordnet. Der Leiter des russischen Veterinärdienstes,
Ihre erste Nachfrage, Herr Kollege. Dr. Nikolai Wlassow, hat gegenüber dem ELV-Referen-
ten der Botschaft in Moskau bestätigt, dass die Sperre
Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): nicht im Zusammenhang mit dem in Deutschland seit
Schönen Dank, Herr Staatssekretär Bleser. Nach un- Mai 2011 beobachteten Ehec-Ausbruchsgeschehen beim
seren Informationen hat der Datenschutzbeauftragte sehr Menschen steht. Sie ist vielmehr Ergebnis einer von
wohl gesagt – meine Frage ist, ob Sie diesen Vorschlag Ehec unabhängigen Inspektion durch Vertreter von
kennen –, dass man ein Splitting zwischen den Mitarbei- Rosselchosnadsor in der Zeit vom 10. bis zum 22. April
tern, die in öffentlicher Funktion tätig waren, und – ich dieses Jahres. Dabei wurde die Einhaltung der veterinär-
sage es jetzt einmal stark vereinfacht, weil wir nicht zu rechtlichen Anforderungen und Normen der Zollunion
tief in die Materie einsteigen wollen – dem Hausmeister und der Russischen Föderation überprüft.
(B) vornehmen sollte. Wenn Sie bestätigen können, dass Sie (D)
den Vorschlag kennen: Wie bewerten Sie grundsätzlich Vizepräsident Eduard Oswald:
den Vorschlag, eine Aufteilung zwischen den uns inte- Sie haben eine Nachfrage? – Bitte schön, Herr Kol-
ressierenden Personen der Zeitgeschichte und den Mit- lege.
arbeitern des Hauses in unteren Funktionen vorzuneh-
men? Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Ich möchte meine Frage gerne erweitern. Das hängt
Peter Bleser, Parl. Staatssekretär bei der Bundes- mit der Tatsache zusammen, dass es hier um einen Wirt-
ministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau- schaftsbereich geht, der sehr stark von dritten Märkten
cherschutz: abhängig ist. Die nachgelagerte Wirtschaft, die deutsche
Wir sind diesem Vorschlag gefolgt. Das betrifft den Fleisch-, Gemüse- und Milchwirtschaft, ist heftig betrof-
genannten Einzelfall. Hier handelt es sich um den beam- fen. Das zur Erklärung.
teten Staatssekretär Dr. Walther Florian, der 1984 im
Zur Debatte über Ehec. Uns liegt eine Expertise von
Amt war und inzwischen verstorben ist.
amerikanischen Wissenschaftlern vor, die schon 1998
darauf hingewiesen haben, dass bei sehr starkem Kraft-
Vizepräsident Eduard Oswald: futtereinsatz bei Milchkühen das Aufkommen von Ehec
Eine weitere Frage, Herr Kollege. sehr viel häufiger zu verzeichnen ist, als bei Kühen, die
weniger mit Kraftfutter, dafür mehr mit Heu gefüttert
Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): werden. Kennt die Bundesregierung diese wissenschaft-
Wurde dem Staatssekretär, Herrn Dr. Florian, die Ehr- lichen Ergebnisse? Wenn Ja, was schließen Sie daraus?
würdigkeit aberkannt, wie es bei ähnlichen zeitge-
schichtlichen Prüfungen bei anderen Ministerien gesche- Peter Bleser, Parl. Staatssekretär bei der Bundes-
hen ist? Wie gedenken Sie dort vorzugehen? ministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau-
cherschutz:
Peter Bleser, Parl. Staatssekretär bei der Bundes- Diese Frage steht nicht im Zusammenhang mit der
ministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau- Ursprungsfrage. Insofern konnte ich keine Antwort vor-
cherschutz: bereiten. Ich werde Ihnen dazu eine schriftliche Antwort
zukommen lassen.
Das kann ich Ihnen jetzt nicht beantworten. Ich werde
Ihnen aber eine schriftliche Antwort auf Ihre Frage zu- (Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE
kommen lassen. GRÜNEN]: Schönen Dank!)
13318 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 116. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 29. Juni 2011
(A) Vizepräsident Eduard Oswald: Ich rufe die Frage 67 unserer Kollegin Dr. Susanne (C)
Vielen Dank. Die weiteren Fragen zu diesem Ge- Kastner auf:
schäftsbereich werden schriftlich beantwortet. Das be- Welche Kriterien und Maßstäbe werden vom Auswärtigen
trifft die Fragen 31 und 32 der Kollegin Cornelia Behm Amt bei der jährlichen Ressourcenplanung angesetzt hinsicht-
lich der Entscheidung über die Schließung bzw. den Erhalt
sowie die Fragen 33 und 34 der Kollegin Dr. Kirsten von konsularischen Vertretungen in Rumänien, und wie erfol-
Tackmann. gen deren Evaluation und Gewichtung?
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundes- Bitte schön, Frau Staatsministerin Cornelia Pieper.
ministeriums der Verteidigung. Die Fragen 35 und 36
des Kollegen Omid Nouripour werden ebenfalls schrift- Cornelia Pieper, Staatsministerin im Auswärtigen
lich beantwortet. Amt:
Vielen Dank, Herr Präsident. – Sehr geehrte Frau
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundes-
Kastner, im Rahmen der jährlichen Ressourcenplanung
ministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.
hat das Auswärtige Amt entschieden, in Rumänien ne-
Nach meinen Unterlagen ist zwischenzeitlich die schrift-
ben der Deutschen Botschaft in Bukarest weiterhin an
liche Beantwortung aller Fragen zu diesem Geschäftsbe-
zwei Standorten, in Temeswar und in Hermannstadt,
reich erbeten worden. Das betrifft die Frage 37 der Kol-
konsularisch vertreten zu sein. Das Berufskonsulat
legin Heidrun Dittrich sowie die Fragen 38 und 39 der
Temeswar wird allerdings in ein Honorarkonsulat umge-
Kollegin Caren Marks.
wandelt. Diese Entscheidung war Teil eines Pakets von
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundes- Veränderungen im Netz der Auslandsvertretungen, die
ministeriums für Gesundheit. Die Frage 40 der Kollegin erforderlich wurden, um das Netz unserer Auslandsver-
Dr. Marlies Volkmer wird ebenfalls schriftlich beantwor- tretungen an neue außenpolitische Rahmenbedingungen
tet. anzupassen.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundes- Für die Veränderungen in Rumänien, insbesondere in
ministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung. Temeswar, sprechen folgende Gründe:
Die Fragen 41 und 42 des Kollegen Uwe Beckmeyer so- Erstens. Der Beitritt Rumäniens zur EU und zur
wie die Fragen 43 und 44 des Kollegen Hans-Joachim NATO hat neue Rahmenbedingungen geschaffen. Bezie-
Hacker werden schriftlich beantwortet. Das gilt eben- hungen können nun mit schlankeren organisatorischen
falls für die Fragen 45 und 46 des Kollegin Dr. Anton Strukturen gepflegt werden.
Hofreiter.
Zweitens. Der Bedarf an rechtskonsularischen Dienst-
(B) Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundes- leistungen ist rückläufig. (D)
ministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktor- Drittens. Unser Netz in Rumänien ist angesichts der
sicherheit. Die Fragen 47 und 48 der Kollegin Sylvia andernorts bereits erfolgten Verschlankung unserer Kon-
Kotting-Uhl und die Frage 49 der Kollegin Dorothee sularpräsenz im EU-Raum immer noch vergleichsweise
Menzner werden schriftlich beantwortet. Ist der Kollege dicht.
Dr. Hermann Ott zur Beantwortung der Fragen 50 und
51 anwesend? – Das ist nicht der Fall. Es wird verfahren, Viertens. Mit der Vertretung in Temeswar haben wir
wie in der Geschäftsordnung vorgesehen. Die Fragen 52 die im Vergleich mit Hermannstadt kleinere Vertretung
und 53 des Kollegen Hans-Josef Fell werden ebenfalls zur Umwandlung in ein Honorarkonsulat vorgesehen.
schriftlich beantwortet. Auch ist das Aufkommen an Konsularfällen in Temes-
war geringer als in Hermannstadt.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums für Bildung und Forschung. Die Fragen 54
Vizepräsident Eduard Oswald:
und 55 des Kollegen Michael Gerdes, die Fragen 56 und 57
Ihre erste Nachfrage, Frau Kollegin.
der Kollegin Marianne Schieder sowie die Fragen 58
und 59 der Kollegin Ulla Burchardt werden schriftlich
beantwortet. Dr. h. c. Susanne Kastner (SPD):
Frau Kollegin Pieper, geben Sie mir recht, wenn ich
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundes- sage, dass ein Honorarkonsulat längst nicht die Ausstat-
ministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und tung hat, die ein Generalkonsulat hat, und dass ein Ho-
Entwicklung. Die Frage 60 der Kollegin Sabine Stüber norarkonsul nicht die gleichen Interessen verfolgt wie
wird schriftlich beantwortet. ein hauptamtlicher Konsul?
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums für Wirtschaft und Technologie. Die Fra- Cornelia Pieper, Staatsministerin im Auswärtigen
gen 61 und 62 der Kollegin Ingrid Nestle, die Fragen 63 Amt:
und 64 des Kollegen Oliver Krischer, die Frage 65 der Ich muss Ihnen widersprechen, weil ich in meinem
Kollegin Dorothee Menzner sowie die Frage 66 der Kol- Amt weltweit die Erfahrung gemacht habe, dass Hono-
legin Bärbel Höhn werden schriftlich beantwortet. rarkonsulate sehr gut arbeiten können, wenn sie vom
Auswärtigen Amt eine entsprechende Unterstützung er-
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Auswärtigen halten. Diese Unterstützung werden wir natürlich weiter-
Amtes. hin gewähren.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 116. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 29. Juni 2011 13319
Staatsministerin Cornelia Pieper
(A) In Temeswar geht es nicht um eine Umwandlung von Ich rufe die Frage 68 der Kollegin Dr. Kastner auf: (C)
heute auf morgen, sondern es geht um einen geordneten Aus welchen Gründen strebt das Auswärtige Amt bei den
und unter Partnern von Anfang an transparent kommuni- Einsparungen in der Globalplanung keine paritätische Lasten-
zierten Übergang, bei dem gewährleistet ist, dass die Be- verteilung bei den Auslandsvertretungen in Rumänien an, und
treuungsfunktion des Konsulats in die neue Organisa- wie sollen die Präsenz in der Fläche sowie die Betreuung der
deutschen Minderheiten künftig gewährleistet werden?
tionsform überführt werden kann. Der Termin wird
maßgeblich davon abhängen, wann ein geeigneter Hono- Bitte schön, Frau Staatsministerin.
rarkonsul zur Verfügung steht. Auch diesbezüglich ist
noch keine Entscheidung gefallen.
Cornelia Pieper, Staatsministerin im Auswärtigen
Amt:
Dr. h. c. Susanne Kastner (SPD): Frau Abgeordnete, eine paritätische Lastenverteilung,
Frau Staatsministerin, Temeswar ist von drei Haupt- also eine gleichmäßige Personalreduzierung, in den drei
städten umgeben. In Temeswar lebt im Vergleich zu Her- Vertretungen in Rumänien ist unter dem Gesichtspunkt
mannstadt die größere deutsche Minderheit. In Her- der Ressourceneinsparung keine Alternative zur Um-
mannstadt leben ausweislich der Volkszählung nicht so wandlung des Berufskonsulats Temeswar in eine hono-
viele Angehörige von Minderheiten. Sie machen das rarkonsularische Präsenz. Denn Sachkosten wie zum
Ganze ja aus Einspargründen. Warum haben Sie vor die- Beispiel Mieten, Kosten für Dienstwagen und Personal-
sem Hintergrund nicht überlegt, einen halbwegs norma- kosten für Ortskräfte würden in unveränderter Höhe an-
len Ausgleich zu schaffen, sprich, das Generalkonsulat fallen.
in Hermannstadt als normales Konsulat beizubehalten,
um unter dieser Prämisse das Konsulat in Temeswar In Rumänien erfolgt kein Rückzug auf der Fläche. Ich
weiter als normales Konsulat betreiben zu können? Wa- sage es noch einmal: Die Präsenz in der Fläche wird
rum haben Sie über so eine Möglichkeit nicht nachge- durch Einsetzung eines Honorarkonsuls in Temeswar ge-
dacht? währleistet bleiben. Der Standort Temeswar wird nicht
aufgegeben. Nach wie vor werden wir an drei Dienst-
Cornelia Pieper, Staatsministerin im Auswärtigen orten in Rumänien präsent sein: mit der Botschaft in Bu-
Amt: karest, mit dem Generalkonsulat in Hermannstadt und
– zukünftig – mit dem Honorarkonsulat in Temeswar.
Wir haben über diese Möglichkeit nachgedacht, Frau
Abgeordnete. Wir sind nach der Überprüfung aber zu der
Erkenntnis gelangt, dass es – das sagte ich schon – in Vizepräsident Eduard Oswald:
Hermannstadt das größere Konsularaufkommen gibt und Ihre erste Nachfrage.
(B) eben nicht in Temeswar. Wir gehen aber davon aus und (D)
legen auch großen Wert darauf, dass wir weiterhin mit
Dr. h. c. Susanne Kastner (SPD):
der deutschen Minderheit in Temeswar auf gleichem Ni-
veau zusammenarbeiten werden. Das Auswärtige Amt Frau Staatsministerin, ich hätte dann gerne eine Über-
beabsichtigt nicht, das Ausmaß der Zusammenarbeit und sicht über die Aufgliederung der Kosten für Botschaft,
der Unterstützung für die deutsche Minderheit zu mini- Generalkonsulat und Konsulat in Rumänien. Ich glaube,
mieren oder herabzusetzen. dass ein Rückzug auf der Fläche durchaus gegeben ist;
denn der Westen des Landes wird durch die Auflösung
Wenn Sie erlauben, gebe ich Ihnen noch die Informa- des Konsulats in Temeswar völlig entvölkert.
tion, dass kein anderes Land außer Rumänien – Ungarn
ausgenommen – neben einer Botschaft über zwei berufs- Ich stelle gleich meine zweite Nachfrage. Ich möchte
konsularische Vertretungen verfügt. Im Vergleich mit der gerne wissen, welche Ausstattung ein Honorarkonsul
konsularischen Präsenz anderer Staaten in Rumänien hat. Ich glaube, es ist eindeutig Augenwischerei, wenn
bleiben wir selbst nach den geplanten Änderungen in Te- Sie sagen, dass ein Honorarkonsul dasselbe leisten kann
meswar an vorderer Stelle. Das gilt auch für die Präsenz wie ein Konsulat.
von Auslandsvertretungen des Auswärtigen Amtes. Ich
kann Ihnen das gerne in Zahlen darstellen: Die Gesamt- Cornelia Pieper, Staatsministerin im Auswärtigen
kosten des Auswärtigen Amtes für die Vertretungen Amt:
– Botschaften und Konsulate – in Rumänien betragen Ich möchte ergänzen, dass das geplante Honorarkon-
7 Millionen Euro. Im Vergleich dazu betragen sie in Bul- sulat, also der Honorarkonsul, weiterhin bestimmte kon-
garien 4,3 Millionen Euro, in Tschechien 3,5 Millionen sularische Dienstleistungen anbieten wird, auch für die
Euro und in Ungarn 4,7 Millionen Euro. Daran sieht deutsche Minderheit, und in Zusammenarbeit mit der
man, dass wir eine sehr starke Präsenz in Rumänien ha- Botschaft natürlich unsere Interessen in der Region um
ben. Diese wollen wir natürlich behalten. Temeswar wahren wird. Es wird Konsularsprechtage ge-
(Dr. h. c. Susanne Kastner [SPD]: Ich wollte ben. Vieles – das sagte ich schon – soll beibehalten wer-
eigentlich noch mal nachfragen!) den.
Selbstverständlich bekommen Sie einen Einblick in
Vizepräsident Eduard Oswald: die Details. Ich werde Ihnen eine Darstellung der Haus-
Wir können das mit der Frage 68 verbinden. Sie kön- haltsmittel und deren Aufteilung für die Botschaft und
nen Ihre Frage dann einbauen. die Konsulate und auch eine Darstellung der Kosten der
13320 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 116. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 29. Juni 2011
(A) Vizepräsident Eduard Oswald: Die Sitzung ist bis 15.35 Uhr unterbrochen. (C)
Ihre weitere Nachfrage, Herr Kollege Ströbele.
(Unterbrechung von 14.55 bis 15.35 Uhr)
Fritz Kuhn
(A) Im Klartext heißt das: Es gibt enorm viele Notwen- Herr Brüderle, eines kommt hinzu – das sage ich auch (C)
digkeiten für staatliches Handeln, und Sie greifen in die an Herrn Rösler gerichtet; er ist ja jetzt der Vorsitzende,
Kasse des Staates. wenn ich das richtig sehe –:
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Christian Lange [Backnang] [SPD]: Amtie-
und bei der SPD) render Vorsitzender!)
Herr Brüderle, wir finden es spannend und bemer- Können tut ihr es immer noch nicht. Ihr seid mit eurer
kenswert, dass Sie die Schuldenbremse nicht kapiert ha- Steuersenkungsdiskussion jetzt fünfmal – ganz vornehm
ben. Sie haben nicht verstanden, was zur Schulden- formuliert – auf die Fresse geflogen. Und was macht ihr?
bremse jetzt in unserer Finanzverfassung steht. Ich darf Ihr ruft wieder aus – dabei könnt ihr euch kaum brem-
einmal Art. 115 Abs. 2 des Grundgesetzes zitieren. Dort sen –: Hurra, wir machen eine Steuersenkung! – Ihr habt
heißt es: noch nicht kapiert, wie das geht, aber sagt der staunenden
Bevölkerung schon, dass das geht. Da hilft, Herr
Zusätzlich sind bei einer von der Normallage ab- Brüderle, eine alte Weisheit aus dem Turnsport. Sie heißt:
weichenden konjunkturellen Entwicklung die Aus- Schwung ersetzt die Technik nicht.
wirkungen auf den Haushalt im Auf- und Ab-
schwung symmetrisch zu berücksichtigen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
und bei der SPD)
Das heißt, durch die Schuldenbremse werden wir
dazu verpflichtet, Schulden zu tilgen, Geld zurückzule- Was euch fehlt, ist einfache und schlichte Regierungs-
gen und vorsichtig zu sein, wenn konjunkturell bedingt technik: Wenn ich etwas machen will, dann erkundige
mehr Geld in der Staatskasse ist, um in der Krise inves- ich mich vorher, wie das geht.
tieren oder Steuern senken zu können. Wir haben also
In der FDP müsste man eigentlich wissen – da könnte
eine antizyklisch zu verstehende Schuldenbremse im
man Herrn Solms fragen –, dass man bei einer Senkung
Grundgesetz.
der Einkommensteuer die Länder fragen muss. Sie sind
Was macht die FDP? mit 42,5 Prozent und die Kommunen mit 15 Prozent an
den Einnahmen aus dieser Steuer beteiligt. Das heißt,
(Dr. Birgit Reinemund [FDP]: Genau das ehe so etwas verkündet wird, muss man schauen, was die
Richtige!) Ministerpräsidenten der Länder dazu sagen. Interessant
Sie sagt: „Nein, da gehen wir lieber prozyklisch dran, ist: Mit Ausnahme Bayerns haben auch die unionsregier-
wir senken jetzt die Steuern“, obwohl Sie Geld zurück- ten Länder, auch die wenigen, in denen die FDP noch
legen und die Schulden senken müssten. mitregiert, erklärt, dass Steuersenkungen nicht möglich
(B) sind. Auch die Bundesländer haben eine Schulden- (D)
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bremse. Sie ist sogar noch rigider als die des Bundes.
und bei der SPD)
Ich komme zum Schluss. Manche haben gesagt, das
Ich werfe Ihnen vor, dass Sie gar nicht verstanden ha- sei ein Rettungsschirm für die FDP. Es gibt die schöne
ben, was dieses Haus in die Verfassung geschrieben hat. Frage: Was ist der Unterschied zwischen Griechenland
(Dr. Volker Wissing [FDP]: Ohne Ihre Zustim- und der FDP? Die Antwort ist ganz einfach: Griechen-
mung, Herr Kuhn!) land ist mit Sicherheit – das gilt für den Euro sowieso –
die 180 Milliarden Euro wert, die die beiden Rettungs-
Verstanden hat das der Ministerpräsident von Sachsen, schirme kosten. Aber ich habe noch keinen getroffen,
der ja nicht an uns, sondern an die CDU und die FDP der gesagt hat, die FDP sei jährlich 7 Milliarden Euro
adressiert gesagt hat – ich zitiere Herrn Tillich –: „In gu- wert. Ich glaube, Sie finden niemanden, der diese Aus-
ten Zeiten werden die Haushalte versaut.“ sage bejahen würde. Denken Sie noch einmal über Ihre
Im Klartext heißt das: Was Sie hier vorschlagen und Idee nach. Vielleicht kommen Sie auf eine bessere Lö-
diskutieren sung.
Ich will Ihnen auch ganz genau sagen, warum. Ers- Dazu zwingt uns auch die Schuldenregel. Eine der
tens. Wir sind uns vollkommen darin einig – darüber großen Leistungen der Großen Koalition – aus meiner
habe ich noch gestern Abend mit Herrn Brüderle ge- Sicht eine historische Leistung – war die Einführung die-
redet –, dass wir beide, CDU/CSU und FDP, an die kalte ser Schuldenregel im Grundgesetz. Wenn Sie auf die bis-
Progression herangehen wollen. Diese kalte Progression her zwei Jahre unserer jetzigen Regierung zurückbli-
cken, dann werden Sie feststellen, dass wir die Vorgaben
(B) in unserem Steuersystem bedeutet – das sage ich für die der Schuldenregel sogar unterschreiten. Wir machen we- (D)
Bürger außerhalb dieses Saales – im Gegensatz zum li-
near-progressiv ansteigenden Tarif einen Tarif mit einem niger neue Schulden, als wir dürfen. Das zeigt, dass wir
Buckel, dem sogenannten Mittelstandsbauch. Der Tarif nicht nur wild entschlossen sind, die Schuldenregel ein-
steigt in den unteren und mittleren Einkommensgruppie- zuhalten, sondern sie sogar unterbieten. Das ist unser
rungen, bis etwa über 50 000 Euro Jahreseinkommen, fester Wille. Denn oberste Priorität – so steht es im Ko-
schneller an als in den anderen Einkommensgruppierun- alitionsvertrag – hat die Konsolidierung des Haushalts.
gen. Das steht über allen politischen Zielsetzungen. Dabei
bleibt es auch nach dieser Aktuellen Stunde.
Das führt dazu, dass der normale Arbeitnehmer, die
normale Arbeitnehmerin, bedingt durch Inflationsrate Herzlichen Dank.
und Lohnerhöhungen, netto nicht mehr in der Tasche ha- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
ben, sondern dass dieser Lohnzuwachs durch die kalte
Progression wegbesteuert wird. Dieses Stück Ungerech-
tigkeit wollen wir gemeinsam bereinigen. Darin sind wir Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
uns vollkommen einig, da gibt es keinen Dissens. Joachim Poß hat das Wort für die SPD-Fraktion.
Zweitens. Beim Einhalten der Schuldenregel gibt es (Beifall bei der SPD)
erst recht keinen Dissens. Im Gegenteil: Wenn eine
Koalition in diesem Hohen Hause in der Lage ist, den Joachim Poß (SPD):
Haushalt zu konsolidieren, dann ist es diese bürgerliche Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Koalition und niemand anderes. Lieber Kollege Barthle, ich weiß nicht, in welcher Welt
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Sie sich befinden,
Lachen bei der SPD) (Norbert Barthle [CDU/CSU]: Hier im Bun-
– Das Gelächter auf der einen Seite dieses Hauses ist destag!)
hier wirklich demaskierend. Ich erlaube mir einen klei- oder ob Sie sozusagen automatisch die Realität ausschal-
nen Blick in die Geschichte. Herr Kuhn, Sie hatten wäh- ten, wenn Sie an das Rednerpult treten. Das hörte sich so
rend der rot-grünen Regierungszeit in Ihrer Fraktion eine an und war offenkundig Ausdruck Ihrer Verlegenheit.
entscheidende Position inne. 2005 hat die Regierung
Schröder vorzeitig das Handtuch geworfen, und zwar (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
unter anderem deshalb, weil eine Verschuldung von DIE GRÜNEN)
13324 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 116. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 29. Juni 2011
Joachim Poß
(A) Sie wissen es doch besser. Sie wissen auch, dass wir kungsdebatte angestimmt wird. Statt Neuanfang ein ju- (C)
im Jahr 2008 für den gesamtstaatlichen Ausgleich ge- gendlicher Rösler als jüngere Kopie von Westerwelle!
sorgt hatten, der erstrebenswert ist, um auf Bundesebene Zukunft und Erfolg, Herr Kollege Brüderle, sind hier al-
ohne Neuverschuldung auszukommen. Sie wissen, was lerdings nicht zu sehen. Ihre Fixierung auf Steuersen-
angesagt ist. Jeder in Deutschland, auch die Mitglieder kungen hat Sie doch in die Niederungen geführt, in de-
Ihrer Parteien, sind sehr unglücklich über den Klamauk nen Sie sich jetzt schon seit langem befinden. Es ist nicht
in dem Laden, der sich Koalition nennt. Das ist doch je- mehr überraschend, dass auch die Bundeskanzlerin aus
den Tag spürbar. reinem Machtkalkül offenkundig bereit war, hier mitzu-
spielen und dafür wieder einmal eine 180-Grad-Drehung
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ in der Sache zu machen. So kennen wir sie, die Kanzle-
DIE GRÜNEN) rin: eine Kanzlerin ohne klare Orientierung, ohne Lei-
Ich bin etwas unglücklich über die öffentliche De- denschaft in der Sache, bestimmt ausschließlich vom
batte, die den Eindruck erweckt, wir hätten große Machterhalt. Das ist die Kanzlerin der Bundesrepublik
Spielräume für Steuersenkungen. Die haben wir Deutschland.
nicht … (Patrick Döring [FDP]: Die haben Sie auch
mal gewählt!)
So Wolfgang Schäuble.
– Ja, sicher, und die Kanzlerin hat hervorragend von den
(Zuruf von der SPD: Da hat er recht!)
Arbeitsergebnissen der SPD gelebt. Das ist ja das Trau-
Es hat zwar eine Woche gedauert, bis der Bundesfinanz- rige daran.
minister auf die schuldenfinanzierten FDP-Steuersen- (Beifall bei der SPD – Georg Schirmbeck
kungsforderungen reagiert hat, dann aber hat er sich un- [CDU/CSU]: Angeber!)
missverständlich geäußert. Schäuble weiter:
Ein Jahr lang standen Haushaltskonsolidierung und
Grundsätzlich kann ich aber nur feststellen: Die Sparsamkeit über allem. Jetzt auf einmal soll das nicht
Steuerbelastung in Deutschland liegt unter dem mehr gelten. Auf einmal spielen die verschiedenen
Durchschnitt der anderen Industriestaaten, und die Haushaltsrisiken und die Schuldenbremse keine Rolle
Herausforderungen, die auf uns und die Haushalte mehr und werden von der Koalitionsspitze einfach igno-
warten, sind groß. riert. Das wird Herr Schäuble nicht mitmachen können.
Damit hat Minister Schäuble höflich, aber eindeutig Mal sehen, was sein Parlamentarischer Staatssekretär
seinen jungen Koalitionskollegen gesagt, was Sache ist: dazu sagt! Die Meinungsverschiedenheiten zwischen
Trotz guter Wirtschaftslage und Steuerschätzung ist kein Merkel und Schäuble zum Beispiel in der Europapolitik
(B) Geld für Steuersenkungen da. Erst muss konsolidiert haben uns schon genug geschadet. (D)
werden, und erst gilt es, die anstehenden Aufgaben wie (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
die Energiewende und die Bundeswehrreform zu finan- DIE GRÜNEN)
zieren. Auch seien, so Schäuble weiter, die Steuerlasten
in Deutschland längst nicht so hoch, wie es uns die Die Fortsetzung in der Innenpolitik ist höchst überflüs-
Röslers, Lindners und gelegentlich auch CSU-Politiker sig.
weismachen wollen. Im Übrigen finde ich es bemerkenswert, Herr
Brüderle,
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) (Norbert Barthle [CDU/CSU]: Reden Sie mal
zur Sache!)
Wo der Bundesfinanzminister recht hat, muss ihm
auch die Opposition recht geben. Diese klare Aussage dass Sie alle im krampfhaften Bemühen um Steuersen-
Schäubles entlarvt das, was hier seit zwei Wochen ge- kungen auf einmal zu Keynesianern mutiert sind. Jetzt
spielt wird, als reine Polittaktik. Es geht um nichts ande- auf einmal seien Steuerentlastungen zwingend, um im
res als um die Rettung der FDP, allerdings mit untaugli- kommenden konjunkturellen Abschwung positive finan-
chen Mitteln. zielle Impulse zu setzen. Da wird an keiner Stelle fach-
lich sauber argumentiert. Deshalb fordere ich Herrn
(Patrick Döring [FDP]: Wenn Sie sich so viele Schäuble oder Herrn Kampeter auf: Legen Sie uns be-
Sorgen um uns machen!) lastbare Zahlen darüber vor, wie hoch die kalte Progres-
Hier gibt uns diese Koalition erneut eine ganz er- sion gegenwärtig und voraussichtlich in nächster Zeit
bärmliche Vorstellung: eine von vielen. Auch fast zwei sein wird!
Jahre nach der Übernahme der Regierungsverantwor- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
tung kann es nur ein Urteil über diese Regierung geben: DIE GRÜNEN)
Die können es nicht.
Der Umstand, dass Begriffe wie „kalte Progression“ und
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ „Mittelstandsbauch“ flugs durcheinandergeworfen wer-
DIE GRÜNEN – Norbert Barthle [CDU/CSU]: den, zeigt: Sie haben meistens von den Sachen, über die
Das hätten Sie gerne!) Sie reden, keine Ahnung. Das muss man wirklich kon-
statieren.
Offenbar ist die Verzweiflung und Ratlosigkeit bei der
FDP so groß, dass als alleiniges vermeintliches politi- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
sches Erfolgsrezept erneut eine irrationale Steuersen- DIE GRÜNEN)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 116. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 29. Juni 2011 13325
Joachim Poß
(A) Ich wüsste auch gerne einmal, – erbracht haben, nicht ungehört bleiben. Dafür werden (C)
wir sorgen.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Herr Kollege Poß.
Was insbesondere die Sozialdemokraten und die Grü-
nen hier veranstalten, spottet jeder Beschreibung. In
Joachim Poß (SPD): Rheinland-Pfalz versenken die Sozialdemokraten unter
– was Herr Rösler oder Herr Lindner unter kleinen Kurt Beck Hunderte Millionen in einen Vergnügungs-
und mittleren Einkommen verstehen. Das alles erinnert park. Aber Sie erklären uns, man könne die Bürgerinnen
an eine Gespensterdebatte. und Bürger nicht entlasten. Rot-Grün bedient sich in
Mainz und Stuttgart an der Staatskasse, um zusätzliche
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Ministerpöstchen zu schaffen.
Herr Poß. (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der Ich bedauere Sie da wirklich ein bisschen; schließlich
CDU/CSU) müssen Sie sich so vorkommen, als wenn Sie hier per-
manent irgendwie mit der Schüler-Union agierten. Etwa
Ein Arbeitnehmer mit durchschnittlichem Einkom- so ist nämlich das Niveau der Auseinandersetzung auf
men, der heute einen Euro mehr erarbeitet, wird vom finanzpolitischem Gebiet.
Staat mit 54 Cent abkassiert. SPD, Grüne und Linke
(Norbert Barthle [CDU/CSU]: Noch sieht der
wollen, dass das so bleibt. Union und FDP, meine Da-
ganz glücklich aus!)
men und Herren in der Öffentlichkeit, wollen, dass sich
das ändert, weil das kein gerechtes Steuersystem mehr Ich will noch einmal festhalten: Diese Koalition will
ist. Das unterscheidet die Opposition von der Koalition. in dieser Legislatur – das ist ihr Eckwertebeschluss –
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 116. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 29. Juni 2011 13327
Dr. Dietmar Bartsch
(A) 117 Milliarden Euro neue Schulden machen – 117 Mil- (Beifall bei der LINKEN) (C)
liarden Euro! Keine einzige Koalition der Bundesrepu-
blik Deutschland hat in einer Legislatur jemals einen sol- um gegebenenfalls bei denjenigen in dieser Gesellschaft,
chen Schuldenberg angehäuft. Das ist die Realität. Das die wenig haben, etwas zu finanzieren? Warum ist das
ist Ihre Politik. nicht so?
(Norbert Barthle [CDU/CSU]: Damit müssen Als die FDP an der Regierung war, lag der Spitzen-
Sie uns nicht kommen! Da war mal was! Die steuersatz bei 53 Prozent; Rot-Grün hat ihn gesenkt. Wa-
Finanzkrise!) rum haben Sie nicht den Mut, in der Spitze etwas drauf-
zulegen? Wenn man unten entlasten will, dann könnte
Der Haushalt birgt diverse Risiken, was wir alle mit- man über diese Dinge doch wirklich reden. Aber das al-
einander wissen. Wir haben es mit dem Thema Grie- les machen Sie nicht.
chenland zu tun, mit der EU insgesamt – Portugal,
Irland –, das alles wissen Sie. Wir haben es mit der Tat- Genauso ist es beim Thema Erbschaftsteuer. Wir
sache zu tun, dass die Finanztransaktionsteuer im Mo- brauchen für die öffentlichen Haushalte – Bund, Kom-
ment, auch dank Ihrer Inaktivität, vermutlich nicht kom- mune, Land – eindeutig mehr Einnahmen, um gegebe-
men wird. Wir haben es mit dem Thema „Ausfall der nenfalls entlasten zu können. Jeder andere Weg – der
Brennelementesteuer“ zu tun. Außerdem haben wir es wirklich nur eine Hilfe für die FDP ist – wird letztlich
mit einer Energiewende zu tun, die selbstverständlich scheitern müssen, und er wird auch bei den Menschen in
Geld kosten wird. Das alles sind einfach Wahrheiten. Ich diesem Land kaum anerkannt werden.
sage noch einmal: Die 117 Milliarden Euro sind Ihre (Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Wer hilft
Zahl. Dennoch reden Sie in dieser Situation über Steuer- Ihnen eigentlich?)
senkungen.
– Um uns, Herr Lindner, machen Sie sich keine Sorgen.
Ich will klar und eindeutig sagen: Niemand hier im Sie machen Ihre Politik doch vor allem mit Blick auf die
Hause, so hoffe ich, hätte etwas dagegen, bei kleinen Wahlen in Berlin und in Mecklenburg-Vorpommern. Wir
und mittleren Einkommen Entlastungen vorzunehmen. wollen einmal sehen, welche Partei in die dortigen Parla-
Das ist selbstverständlich möglich. Es ist doch Fakt, dass mente einzieht und welche nicht.
die Normalverdiener in den letzten zehn Jahren Einkom-
mensverluste mit all den Folgen für die Altersvorsorge (Eckhardt Rehberg [CDU/CSU]: Das sieht für
und für die Konjunktur gehabt haben. Das ist die Reali- Sie aber schlecht in Schwerin aus!)
tät.
Wir wollen einmal ganz in Ruhe schauen, wer was
(Eckhardt Rehberg [CDU/CSU]: Was? Da schafft.
(B) müsste die SPD jetzt aufschreien!) (D)
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord-
Niemand hat grundsätzlich etwas gegen Steuersenkun- neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE
gen. GRÜNEN)
Ich will noch auf die Themen „Mittelstandsbauch“ Es gibt sogar Menschen, die davon reden, dass diese
und „kalte Progression“ eingehen. Natürlich können wir Steuerentlastung von 10 Milliarden Euro nur Sym-
sie gemeinsam angehen. Legen Sie die Zahlen auf den bolcharakter hat, wie Herr Bräuninger, der Konjunktur-
Tisch, präsentieren Sie einen Gesetzentwurf! Und dann experte des HWWI. Er sagt: Diese Politik hat nur einen
können wir handeln. Schon die damalige Partei PDS hat Symbolwert. Ich sage: Das ist nicht so. Es gibt nämlich
einen Vorschlag zur Abschaffung des Mittelstands- viel zu viel, was durch den Bundeshaushalt derzeit nicht
bauchs gemacht. finanziert wird. Ich will nur ein Stichwort anführen – ich
(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: könnte viele nennen –: Städtebauförderung. Da haben
Genau!) Sie grandios gestrichen. Das war eine Fehlentscheidung;
das sagen auch die Kommunalpolitiker von FDP und
Legen Sie etwas vor! Dann können wir hier gern in der CDU. Dennoch wollen Sie entlasten und auch an dieser
Sache diskutieren. Stelle vielleicht noch mehr streichen. Das ist eine falsche
(Beifall bei der LINKEN) Politik.
Jetzt kommt das Entscheidende: Wenn Sie das ma- Ich will Sie einmal daran erinnern, wie der FDP-Slo-
chen wollen, müssen Sie über Steuerpolitik als Einnah- gan vor der Wahl hieß: Steuersystem – einfach, niedrig
mepolitik nachdenken. Ihr Vorgehen muss doch dazu und gerecht. Jetzt gilt:
führen, dass die Einnahmen des Bundes, der Länder und (Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Jetzt
der Kommunen erhöht werden. Warum ist es in dieser kommt ein Kalauer, oder?)
Situation nicht möglich, einmal darüber nachzudenken,
bei den Vermögenden etwas abzuholen, um bei kleinen Umfragewerte der FDP – einfach, niedrig und gerecht.
und mittleren Einkommen zu entlasten? In dem schwie- Schönen Dank.
rigen Jahr der Krise ist das Bruttoinlandsprodukt zwar
um 4,7 Prozent zurückgegangen, allerdings ist die Zahl (Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN sowie
der Vermögensmillionäre um 6,4 Prozent gestiegen. Das bei Abgeordneten der SPD und des BÜND-
ist die Wahrheit. Es gibt 861 700 Vermögensmillionäre. NISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Martin
Warum haben Sie nicht den Mut, hier etwas abzuholen, Lindner [Berlin] [FDP]: Vor einem halben Jahr
13328 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 116. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 29. Juni 2011
(Klaus Hagemann [SPD]: Wie haben denn die auf ihre Fahnen geschrieben haben, dieser fiskalpoliti-
schen Regelung, dieser grundgesetzlichen Ausgestaltung
Konservativen gestimmt?)
der Schuldenbremse, nicht zugestimmt haben, entlarvt,
wahrscheinlich die umfangreichste Sparaktion in der Ge- dass bei ihnen Tun und Reden nicht übereinstimmen.
schichte dieses Landes, beschlossen. (Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
(Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Überhaupt nicht! Wir wollten eine bessere
Die Konservativen haben sich verdrückt in Schuldenbremse! Das wissen Sie doch! Du
zehn Jahren! – Christian Lange [Backnang] warst doch dabei! Tu nicht so scheinheilig!)
[SPD]: Was haben denn Ihre Schwesterpar- Wir tun etwas für Nachhaltigkeit. Wir tun etwas für eine
teien gemacht?) generationengerechte Finanzpolitik. Die Grünen reden
nur, und dann, wenn es konkret wird, machen sie sich
Auch wir werden unsere Nettokreditaufnahme in den
vom Acker.
nächsten Jahren erfreulicherweise zurückfahren.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
(Christian Lange [Backnang] [SPD]: Sie müs-
sen Ihre Schwesterparteien ins Gebet neh- Wir tun dies auch im Konzert mit unseren europäi-
men!) schen Partnern. Wenn Deutschland von anderen in
Europa oder auch transatlantisch mehr Stabilität in den
In der mittelfristigen Finanzplanung wird das abgebildet. öffentlichen Finanzen verlangt, dann müssen wir für das
Wir halten die Schuldenbremse ein. Ausland auch vorbildlich sein.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Lisa (Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weniger Genau! Bei einem Schuldenstand von 80 Pro-
Schulden sind immer noch Schulden! Wo sind zent heißt das nicht zusätzliche Schulden, son-
die Überschüsse?) dern den Abbau von Schulden!)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 116. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 29. Juni 2011 13329
Parl. Staatssekretär Steffen Kampeter
(A) Wir haben im Jahr 2011 in der Haushalts- und Finanz- Konzept in der Haushalts- und Steuerpolitik hat, wer für (C)
politik zum ersten Mal das Europäische Semester. Das mehr Freiheit, für mehr Nachhaltigkeit und für mehr
heißt, wir haben bereits mit unseren europäischen Part- Verlässlichkeit steht:
nern diskutiert, wie wir unsere Politik koordinieren
wollen – im Interesse von Wettbewerbsfähigkeit und fis- (Christian Lange [Backnang] [SPD]: Das
kalpolitisch konservativer Nachhaltigkeit. Dieses Ver- glaubt er selber nicht, was er da erzählt! – Fritz
ständnis von Haushaltspolitik ist unser Beitrag zu mehr Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wieso
Stabilität in Europa. werden Sie gar nicht rot? – Christian Lange
[Backnang] [SPD]: Aber lachen muss er!)
In diesem Zusammenhang ist ein Begriff, nämlich
„Wachstumsorientierung“, ganz wichtig. Ein Teil des Er- Es sind die christlich-liberale Koalition und die Bundes-
folgs, den wir haben, ist lediglich konjunktureller und regierung, die von dieser Koalition getragen wird.
nicht struktureller Natur. Wir müssen uns um ein nach- Deshalb sollte die SPD jetzt nicht von dem ablenken,
haltiges wirtschaftliches Wachstum kümmern. Wir müs- was ich vor ein paar Tagen gelesen habe, nämlich die
sen auch außerhalb der Haushalts- und Steuerpolitik un- SPD fordere zwar, dass diese oder jene steuerpolitische
sere Reformen fortsetzen, damit das erfreuliche Entscheidung der Bundesregierung, die zum gegenwärti-
wirtschaftliche Wachstum und die Stabilität in den öf- gen Zeitpunkt gar nicht getroffen werde, erläutert werde,
fentlichen Finanzen nicht eine vorübergehende Entwick-
lung bleiben. (Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
Im Oktober, oder?)
Zur Steuerpolitik ist festzustellen, dass in der Vergan-
genheit viel zu oft konjunkturelle, sprich: vorüberge- mache sich aber gleichzeitig damit, dass sie ihre steuer-
hende, Aufhellungen dazu geführt haben, den Haushalt politischen Festlegungen auf die zweite Jahreshälfte
strukturell zu verschlechtern. Vor diesem Hintergrund oder den Winter verschiebe, erst einmal aus dem Staub.
verstehe ich die Debatte und auch die Beiträge aus der Auch da zeigt sich ein Mangel an Seriosität in der der-
Koalition so, dass es eine Zweiteilung in diesem Hause zeitigen Opposition.
gibt – die Bundesregierung nimmt das gerne zur Kennt-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Fritz
nis –: Der eine Teil des Hauses denkt, wenn er den Be-
Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
griff „Steuerpolitik“ hört, an die Belastung der Bürger
Schwere Regierungskrise! – Christian Lange
und daran, wie man die Belastung möglicherweise erhö-
[Backnang] [SPD]: Scheidungsunfähig seid
hen kann. Der andere Teil denkt zum einen an den Haus-
ihr!)
halt, aber er denkt auch an die Entlastung der Bürgerin-
(B) nen und Bürger. Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Fortset- (D)
zung der Konsolidierung schafft die Freiräume, die wir
(Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
brauchen, um dauerhaft handlungsfähig und gestaltungs-
Und an die Hoteliers denkt er auch! –
fähig zu sein. In diesem Sinne freuen wir uns über die
Christian Lange [Backnang] [SPD]: Die Frage
Unterstützung durch eine breite Mehrheit in diesem
ist: Zu welchem Teil gehören Sie? Das ist die
Hause und appellieren an diejenigen, die bei der Schul-
eigentliche Frage!)
denbremse noch zögern und die bei Konsolidierung oder
Eine Haushalts- und Finanzpolitik, die zuerst an die Be- Steuerpolitik immer nur an die Belastung der Bürger
lastung der Bürger denkt, ist nicht klug, nachhaltig oder denken, den Blick auch auf Freiheit und Leistungsbereit-
vernünftig. Deswegen nehmen wir die Signale aus dem schaft zu richten, ohne die Konsolidierung und Nachhal-
Parlament gerne zur Kenntnis. tigkeit der öffentlichen Finanzen dabei aus dem Auge zu
verlieren.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Herr Herzlichen Dank.
Kampeter hat alle Meinungen dazu! – Fritz
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Fritz
Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Halten
Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das
Sie eigentlich zu Schäuble oder zur FDP?)
war Ihre drittbeste Rede! – Christian Lange
Wenn, Herr Kollege, Schulden die Steuererhöhungen [Backnang] [SPD]: Das war ja wieder ein
von morgen sind, wie Finanzpolitiker wissen, dann be- Rumgeeiere!)
deutet die Fortsetzung der Konsolidierungspolitik die
Chance auf steuerpolitische Freiräume in der Zukunft. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Deswegen hat die Regierungskoalition festgelegt – das
Johannes Kahrs hat das Wort für die SPD-Fraktion.
gilt auch für Wolfgang Schäuble –, dass wir uns zu gege-
bener Zeit darüber verständigen, was in dieser Legisla- (Beifall bei der SPD)
turperiode steuerpolitisch noch geht.
(Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Johannes Kahrs (SPD):
Das ist doch alles schon verkündet!) Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Wir alle kennen und schätzen den Kollegen
Mit der Entscheidung zum Haushalt und zur mittelfristi- Steffen Kampeter.
gen Finanzplanung und mit der Festlegung innerhalb der
Koalition wird deutlich, wer für dieses Land das richtige (Joachim Poß [SPD]: Kennen schon!)
13330 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 116. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 29. Juni 2011
Johannes Kahrs
(A) Wenn man ihn heute hier gehört hat, dann hat man ge- 10 Mal versprochen, 10 Mal gebrochen. Was wurde (C)
merkt, dass er erstens deutlich unter seinen Möglichkei- nicht alles verkündet im Wahlkampf und im Koali-
ten geblieben ist, tionsvertrag? Ein ernüchternder Blick auf zehn
schwarz-gelbe Baustellen.
(Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
Absolut! – Eckhardt Rehberg [CDU/CSU]: Wenn man diesen Artikel liest, stellt man fest: So et-
Finde ich nicht!) was bekommt selbst das Willy-Brandt-Haus nicht hin.
dass er zweitens seine eigene Überzeugung tapfer unter- Ich war schwer beeindruckt. Außerdem heißt es:
drückt hat Steuern: Einfacher? Niedriger? Gerechter? Von we-
(Beifall bei der SPD) gen!
und dass er drittens alles getan hat, um in dieser Koali- Der Artikel in der Welt am Sonntag dürfte Ihnen den
tion etwas zu heilen, was in den letzten Tagen sichtlich Sonntag nicht gerade verschönert haben. Er zeigt aber, in
in die Brüche gegangen ist. welchem Zustand sich Ihr Laden befindet. Ich glaube,
dieses Land hat deutlich Besseres verdient.
Wenn man sich mit diesem Thema beschäftigt, kann
man als Sozialdemokrat kaum das Grinsen aus dem Ge- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
sicht bekommen. Immer wenn man über Steuersenkun- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
gen redet, stellt man Pleiten, Pech und Pannen fest. Für Wir haben eben sehr salbungsvolle Reden darüber ge-
die Bürger und Steuerzahler dieses Landes ist das aller- hört, dass man hart arbeitende Bürger entlasten muss.
dings eher peinlich. Beim Thema Steuersenkungen muss Wir haben das getan. Rot-Grün hat das getan, und zwar
man sich, finde ich, von der FDP und der CDU/CSU 2002, 2003 und 2004.
nichts erzählen lassen. SPD und Grüne haben in diesem
Bereich 2003/2004 relativ viel getan. Es gibt viele Bür- (Dr. Volker Wissing [FDP]: Oberlehrer!)
ger, viele Niedrigverdiener, die heute gar keine Steuern
zahlen müssen. Das war damals die größte Steuersen- Wenn man sich die jetzige Situation anschaut, dann stellt
kung, die wir je hatten. Daran sind Sie mit Ihren Kon- man fest, dass wir keine Steuermehreinnahmen haben,
zepten nicht einmal im Ansatz herangekommen. die wir an das zahlende Volk zurückgeben können.
Selbst wenn diese Regierung ihre optimistischsten Ziele
(Beifall bei der SPD) erreicht, schafft sie es vielleicht gerade einmal, die Neu-
verschuldung auf unter 30 Milliarden Euro zu drücken.
Jetzt unterhalten wir uns wieder über das Thema Steu-
Dann sind es aber immer noch 30 Milliarden Euro neue
ersenkungen. Schauen wir einmal, was die geneigte
Schulden. (D)
(B) Presse zu diesem Thema zu sagen hat.
(Norbert Barthle [CDU/CSU]: Die einen Steu- (Beifall bei der SPD)
ersenkungen sind richtig, die anderen sind Man will jetzt neue Schulden machen, um den Bürger
falsch! Na ja! – Gegenruf der Abg. Lisa Paus zu entlasten. Das heißt, die Steuerschuld wird ständig
[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Alles zu sei- größer. Das ist doch absurd. Worüber reden wir denn
ner Zeit!) hier alles? Wir reden über Griechenland, über den Euro
Der SPD wurde gerade vorgeworfen, dass wir unser und über Atombelastung. Dann aber kommt die Regie-
Konzept nicht sofort vorlegen – und das machen wir des- rung, die mit Solidität protzen will, um die Kurve und
halb nicht, weil wir es sauber und vernünftig durchdekli- macht genau das Gegenteil. Das ist Entlastung auf
nieren wollen, da wir nicht die Fehler machen wollen, Pump. Die zukünftigen Generationen werden dies zah-
die Sie machen. Das Hamburger Abendblatt titelt ge- len müssen. Das ist weder seriös, noch ist es gerecht,
rade: noch ist es eine Entlastung. Denn der Bereich der Entlas-
tung ist dürftig. Wir reden über gerade einmal 6 oder
Entscheidung über Steuersenkungen auf Herbst 7 Milliarden Euro. Rot-Grün hat deutlich mehr geliefert.
vertagt Das, was Sie hier veranstalten, ist peinlich.
Spitzentreffen der Koalition abgesagt. Schäuble be- Vor kurzem erklärte uns die FDP noch: Man muss die
harrt auf Abbau der Neuverschuldung. Steuern senken, um die Wirtschaft anzukurbeln. – Jetzt
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ brummt die Wirtschaft. Man kann sich übrigens auch
DIE GRÜNEN) fragen, warum sie brummt. Weil es diese hervorragende
Agenda 2010 gegeben hat,
Wenn man findet, dass das Hamburger Abendblatt ein
Linksaußen in der deutschen Presselandschaft ist, dann (Lachen bei der CDU/CSU und der FDP)
empfehle ich die Lektüre der Welt am Sonntag. Sie ist weil es die Rente mit 67 gegeben hat und weil wir als
zwar für Sozialdemokraten normalerweise nicht gerade Sozialdemokraten dieses Land anständig und sauber re-
das Leib- und Magenblatt, aber manchmal kann man formiert haben. Wir haben regiert. Wir hatten einen Plan.
sich das ja antun.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Eckhardt
(Christian Lange [Backnang] [SPD]: Ist in
Rehberg [CDU/CSU]: Matter Beifall bei der
letzter Zeit Pflichtlektüre geworden!)
SPD! – Dr. Volker Wissing [FDP]: Davon ist
Die Welt am Sonntag titelte am 12. Juni 2011: doch nichts mehr übrig!)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 116. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 29. Juni 2011 13331
Johannes Kahrs
(A) Was ist das Problem dieser Regierung? Sie haben kei- zwar nur leicht vereinfacht, aber immerhin. Das ist ein (C)
nen Plan, Sie haben keinen Kompass, und Sie haben wichtiger Schritt. Mehr haben die Bundesländer nicht
keine innere Richtung. Der Fisch stinkt immer vom zugelassen. Weitere Schritte werden aber folgen. Jetzt
Kopf zuerst. zeigt es sich, dass wir aufgrund der positiven Entwick-
lung auf dem Arbeitsmarkt die besten Zahlen seit der
(Beifall bei der SPD) deutschen Einheit verzeichnen können. Das führt zu sehr
Hier ist es auch so. Hier kann man das erleben. Das ist viel höheren Steuereinnahmen, sehr viel höheren Abga-
das Ergebnis. Die Bürger dieses Landes werden es ertra- ben an die Sozialsysteme und dazu, dass wir Spielräume
gen müssen. Sie werden es so lange ertragen müssen, bis haben. Das sind keine Spielräume gegen die Konsolidie-
sie die Chance haben, darüber abzustimmen. Bei den rung, sondern das sind Spielräume und Konsolidierung.
Landtagswahlen können sie schon einmal üben. Ich
glaube, dass das, was Sie hier veranstalten, weder seriös (Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
noch gerecht noch anständig ist. Ich bin froh, dass wir Aber noch immer im Minus! – Christian
als Sozialdemokraten die Schuldenbremse durchgesetzt Lange [Backnang] [SPD]: Auf Pump!)
haben, damit das Elend mit Ihnen nicht noch schlimmer – Nein. – Über die Beachtung der Schuldenbremse hi-
wird. naus haben wir Spielräume, um bei den Steuern zu ent-
Vielen Dank. lasten. Die Grundfrage in der Steuerpolitik lautet: Ist es
das Geld des Staates oder das Geld der Bürger, von dem
(Beifall bei der SPD – Lachen bei der CDU/ wir hier reden?
CSU und der FDP – Andreas Mattfeldt [CDU/
CSU]: Das war wenig glaubwürdig! – (Johannes Kahrs [SPD]: Zurzeit sind es die
Dr. Volker Wissing [FDP]: Bei einigen fängt Schulden des Staates!)
der Karneval schon im Juni an!) Sie tun immer so, als wäre es das Geld des Staates und
die Bürger hätten nur zu liefern.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Der Kollege Dr. Hermann Otto Solms hat das Wort (Johannes Kahrs [SPD]: Das sind die Schulden
für die FDP-Fraktion. des Staates!)
(Beifall bei der FDP) Es ist aber das Geld der braven, fleißigen Bürger, die es
tagtäglich erarbeiten und die einen Anspruch darauf ha-
ben, dass sie nicht überproportional belastet werden. Un-
Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
ser Tarif ist ungerecht. Der Kollege Poß – wir kennen
(B) Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und uns schon lange – weiß genau, dass der Tarif im unteren (D)
Herren! Es wäre ganz gut, jede Parteisprecherin und je- Bereich stärker ansteigt als im oberen Bereich.
der Parteisprecher würde sich um die Belange der eige-
nen Partei kümmern. Dann wüssten Sie, wer bei Ihnen (Joachim Poß [SPD]: Das ist im Prinzip unbe-
angefangen hat, am Kopf zu stinken, Herr Kahrs. Wir stritten!)
haben damit keine Probleme.
Es geht darum, genau diese Ungerechtigkeit zu beseiti-
(Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: gen.
3 Prozent und keine Probleme!)
(Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
Es handelt sich hier um eine Debatte der Glaubwür- Das wissen wir alle!)
digkeit. Herr Clement, Ihr früherer Superminister, hat im
Handelsblatt gesagt: Was wundert ihr euch eigentlich? Wir tun das, was wir im Wahlkampf angekündigt ha-
Die FDP tut genau das, was sie im Wahlkampf angekün- ben – die CDU übrigens genauso. Sie hat in ihrem Wahl-
digt hat. – Genau das tun wir. programm geschrieben:
(Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Wo denn? Leistung und Einsatzbereitschaft müssen sich wie-
Wo tut sie denn was?) der mehr lohnen. Durch eine Korrektur des Tarif-
verlaufs (Abbau des „Mittelstandsbauches“) sor-
Das ist eine Frage der Glaubwürdigkeit. Wir haben im
gen wir dafür, dass Lohnerhöhungen auch wirklich
Wahlkampf gesagt: Haushaltskonsolidierung und Steuer-
bei denjenigen ankommen, die sie erarbeitet haben.
reform sind zwei Seiten ein und derselben Medaille. Das
muss Hand in Hand gehen. – Das ist genau das, was wir Respekt. Das ist eine richtige Aussage. So handeln wir
jetzt tun. Wir haben am Anfang der Legislaturperiode jetzt.
die Bürger und insbesondere die Familien um 24 Milliar-
den Euro entlastet (Beifall bei der FDP)
(Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was hat denn die SPD dazu gesagt? Das ist jetzt span-
Die Hoteliers! – Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE nend. Die SPD hat geschrieben:
GRÜNEN]: Sie nehmen weiter Schulden auf!
Entlastung der Normalverdienenden … Wir wollen
Das tun Sie! Das ist Steuersenkung auf Pump!)
die Entlastungen daher auf die Bezieher niedriger
und die Konjunktur damit unterstützt. Das trägt nun auch und mittlerer Einkommen sowie die Familien kon-
seine Früchte. Wir haben inzwischen das Steuersystem zentrieren.
13332 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 116. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 29. Juni 2011
(Joachim Poß [SPD]: Dafür sollten Sie sich zu Meine Damen und Herren, das Handelsblatt hat recht.
schade sein, Zitate aus dem Zusammenhang zu Bei einer Schuldenstandsquote von aktuell über 80 Pro-
reißen! Von Steuersenkung auf Pump haben zent des Bruttoinlandsprodukts – der Vertrag von Maastricht
wir nichts geschrieben!) sieht eine Obergrenze von 60 Prozent vor –, bei einem
Bundeshaushalt, der auch 2012 – Herr Kampeter hat es
Wenn wir auf dem Weg dorthin etwas warten muss- indirekt bestätigt – keine Überschüsse erwirtschaften,
ten, weil die Haushaltskonsolidierung noch nicht so weit sondern weiterhin ein Minus ausweisen wird, und zwar
war, dann ist das kein Fehler dieser Politik, sondern zeigt von bis zu 30 Milliarden Euro – trotz guter Konjunktur –,
vielmehr ihre Vernunft. Jetzt befinden wir uns in der Si- wollen Sie Steuersenkungen auf Pump finanzieren. Das
tuation, in der die nötigen Spielräume erarbeitet worden ist verantwortungslos.
sind, in der wir die beste Arbeitsmarktlage und die (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
höchste Beschäftigtenzahl seit den 90er-Jahren haben. und bei der SPD)
(B) Das verschafft uns auch im finanziellen Bereich die nö- (D)
tige Luft. Wenn Sie schon uns nicht glauben, dann hören Sie
wenigstens auf die mahnenden Stimmen aus den eigenen
Wenn wir jetzt nicht entsprechend handeln – das will Reihen, auf Ihren eigenen Bundesfinanzminister oder
ich Ihnen als letztes Argument auf den Weg geben –, auf Herrn Tillich, Ministerpräsident von Sachsen, der
dann wäre es so, dass die Lohnerhöhungen, die die Ge- warnte:
werkschaften und Arbeitgeberverbände mühsam ausge-
handelt haben, zum Schluss alle beim Staat landen. Das In guten Zeiten werden die Haushalte versaut.
war doch nicht die Absicht der Tarifvertragsparteien. Das ist das, was Sie gerade zu tun drohen. Frau
Diese wollten ihren Arbeitnehmern etwas Gutes tun und Lieberknecht, Ministerpräsidentin von Thüringen, be-
dafür sorgen, dass auch sie an dem Aufschwung beteiligt zeichnete die ganze Debatte als „irgendwie irre“; ich
werden. Es ist nun aber so, dass von diesen Lohnerhö- muss ihr zustimmen. McAllister, Ministerpräsident von
hungen über 50 Prozent beim Staat und in den Sozial- Niedersachsen, sagte:
kassen landen und der Rest durch die Inflationsrate auf-
gezehrt wird. Das ist doch alles im Moment eine virtuelle De-
batte!
Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die klei-
nen Handwerksbetriebe und die kleinen Selbstständigen Hören Sie auf Ihre Kolleginnen und Kollegen in den
haben davon überhaupt nichts. Das kann so nicht weiter- Ländern! Denn sie haben schlichtweg recht.
gehen. Es ist unsere Aufgabe, für eine gerechte Besteue- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
rung zu sorgen, bei der im Ergebnis alle, die für den Auf- sowie bei Abgeordneten der SPD)
schwung gearbeitet haben, ihren Anteil erhalten.
Wenn Sie trotzdem weiter über Steuersenkungen dis-
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. kutieren wollen, muss ich Ihnen sagen: Es gibt zwar die
Hoffnung, damit die FDP zu retten; aber dieses Ret-
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – tungspaket wird nicht wirken. Die Bürgerinnen und Bür-
Christian Lange [Backnang] [SPD]: Steuerent- ger werden nämlich merken, dass Sie das Versprechen,
lastung auf Pump!) das Sie geben, am Ende gar nicht einhalten werden, weil
Sie es nicht einhalten können.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: (Zuruf von der CDU/CSU: Wie bei euch in
Lisa Paus hat das Wort für Bündnis 90/Die Grünen. Stuttgart!)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 116. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 29. Juni 2011 13333
Lisa Paus
(A) Ich wiederhole das Versprechen, das Sie wie ein Man- richtig –, bei den Spitzenverdienern sind es 5 300 Euro (C)
tra formulieren: Wir entlasten vor allem die unteren und pro Jahr. Das nenne ich eine Entlastung der unteren und
mittleren Einkommen. – In der Diskussion über Vor- mittleren Einkommen à la Schwarz-Gelb.
schläge dazu hört man – auch wenn das noch eher
schwammig ist – das Stichwort „Mittelstandsbauch“. Es (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
heißt: Der muss weg. – Diese Debatte ist grundsätzlich sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Martin
richtig. Es geht darum, dass das schnellere Ansteigen der Lindner [Berlin] [FDP]: Ihr könnt ja zustim-
Steuern im unteren Einkommensteuerbereich – die men! Rot und Grün, stimmt der Abschaffung
Grenzsteuersätze sind dort höher – abgemildert wird, so- des Mittelstandsbauches zu!)
dass die Einkommen zwischen 8 004 und knapp 14 000 Ich ziehe das Fazit. Dieser Rettungsschirm für die
Euro entlastet werden. Wenn Sie aber beim Tarifverlauf FDP wird einfach nicht aufgehen. Deswegen: Bitte, las-
im oberen Bereich nichts tun, dann wird die Schere zwi- sen Sie es!
schen Arm und Reich, wenn man die absoluten Entlas-
tungen in den Blick nimmt, im Endeffekt nicht kleiner, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
sondern deutlich größer. sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Martin
Lindner [Berlin] [FDP]: Warum seid ihr denn
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN dann so hysterisch?)
sowie bei Abgeordneten der SPD)
Überdies würde das 23 Milliarden Euro kosten. Das kön- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
nen Sie gar nicht finanzieren; der Betrag ist auch gar Andreas Mattfeldt hat das Wort für die CDU/CSU-
nicht im Gespräch. Fraktion.
Wenn Sie den Mittelstandsbauch nur zur Hälfte auf- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
heben wollen, dann braucht man dafür nach Schätzung neten der FDP)
der CSU ungefähr 12 Milliarden Euro. Um es den Bür-
gerinnen und Bürgern zu erklären: Das heißt, man würde
Andreas Mattfeldt (CDU/CSU):
bei einem Einkommen von 12 000 Euro pro Jahr um
ganze 50 Euro pro Jahr entlastet, bei einem Einkommen Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
von 30 000 Euro aber schon um 550 Euro, bei einem Herren! Gestatten Sie, dass ich meine Besuchergruppe
Einkommen ab 52 000 Euro um 780 Euro. Das unter- auf der Tribüne begrüße; das mache ich sonst selten. Ich
streicht: Es geht hier nicht um eine Entlastung für die freue mich, dass Sie da sind.
unteren und mittleren Einkommen; Sie geben wie immer Herr Kuhn, einen Gefallen haben Sie sich mit der
(B) denen, die schon haben. heutigen Debatte nicht getan. Vielleicht haben Sie es (D)
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN noch nicht gemerkt, aber in Deutschland geht es uns so
sowie des Abg. Klaus Hagemann [SPD] – gut wie seit langem nicht mehr:
Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Wer hat (Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
denn den Spitzensteuersatz gesenkt? – Wir sind zufrieden!)
Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Da hat er
recht!) Die Wirtschaft boomt, die Steuereinnahmen stimmen
mehr als optimistisch, und die Arbeitslosigkeit hat einen
– Die Grünen haben ihn gesenkt; das ist richtig. nicht für möglich gehaltenen Tiefpunkt erreicht. Ich sage
(Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Wir küm- deutlich: Die christlich-liberale Koalition arbeitet ihren
mern uns um die Mitte!) Koalitionsvertrag Punkt für Punkt ab.
– Wir haben auch in den unteren Einkommensbereichen (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – La-
die Steuern gesenkt; das war ausgewogen. Wenn Sie an chen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so-
die Einkommensteuern herangehen wollen, schlagen wir wie bei Abgeordneten der SPD)
vor, gerecht vorzugehen. Die Vorschläge, die bisher auf Vieles ist in den vergangenen zwei Jahren bereits er-
dem Tisch liegen, leisten das jedenfalls nicht. reicht worden,
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Christian Lange [Backnang] [SPD]: Das ist
sowie bei Abgeordneten der SPD) doch einmal eine Meldung!)
Weil Sie wissen, dass Sie für Ihre Pläne im Bundesrat einiges ist in der Umsetzung begriffen. In den kommen-
keine Mehrheit bekommen, ist im Gespräch, stattdessen den zwei Jahren werden wir die verbleibenden Punkte
den Soli abzuschaffen. Da wird es natürlich völlig ab- angehen. Hierzu gehört auch eine Diskussion über anste-
surd; das passt natürlich überhaupt nicht zu dem Ver- hende Steuererleichterungen, wenn die Finanzlage es zu-
sprechen, vor allen Dingen die unteren und mittleren lässt.
Einkommen zu entlasten. Dazu nenne ich entsprechende
Zahlen: Für die unteren Einkommen bis 12 000 Euro Die aktuelle Situation ist an Erfolg, aber gleichzeitig
würde das eine Entlastung von 0 Euro – ich wiederhole: an Normalität nicht zu überbieten. Meine lieben Kolle-
0 Euro – bedeuten; bei einem Einkommen von 30 000 gen von der Opposition, natürlich ist es immer beque-
Euro sind es 936 Euro, bei einem Einkommen von mer, gegen alles zu sein, als konstruktive Vorschläge zu
53 000 Euro sind es 2 000 Euro – da lohnt es sich schon unterbreiten,
13334 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 116. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 29. Juni 2011
Andreas Mattfeldt
(A) (Christian Lange [Backnang] [SPD]: Wir sind kungen zur Entlastung der unteren und mittleren Ein- (C)
für Schäuble! Da haben Sie etwas missverstan- kommen zum Ziel gesetzt.
den!)
(Johannes Kahrs [SPD]: Nichts geschieht!)
um dafür zu sorgen, dass es den Menschen in unserem Steuervereinfachungen haben wir mit dem eben be-
Lande besser geht. Von den Grünen, der Dagegen-Partei, schlossenen Steuervereinfachungsgesetz bereits umge-
sind wir nichts anderes gewohnt, aber von der Sozial- setzt. Wir prüfen jetzt, ob wir Spielräume für Steuer-
demokratie hätte ich heute mehr erwartet, Herr Poß. senkungen haben.
(Joachim Poß [SPD]: Ich habe doch nur (Johannes Kahrs [SPD]: Haben wir nicht, sagt
Schäuble zitiert!) Schäuble!)
Hier schreien Sie, aber in Ihrer eigenen Partei können Dazu gönnen wir uns eine gewisse Ruhe.
Sie sich noch nicht einmal auf ein Steuerkonzept eini-
(Joachim Poß [SPD]: Lesen Sie Schäuble!)
gen,
Selbstverständlich gilt für uns weiterhin, dass die Kon-
(Rainer Brüderle [FDP]: So ist es!) solidierung des Haushaltes Vorrang haben muss. Ich
und voller gespielter Empörung kritisieren Sie die Über- sage ergebnisoffen: Beides schließt sich nicht aus.
legungen der christlich-liberalen Koalition. So geht das (Johannes Kahrs [SPD]: Hören Sie auf Herrn
nicht. Schäuble!)
(Joachim Poß [SPD]: Sie haben doch heute Wir stehen am Beginn eines Prozesses. Es ist heute völ-
gesagt, es gebe keine Überlegungen!) lig offen, wie die Steuersenkungen aussehen werden und
wie sie finanziert werden.
Sie sprechen derzeit parteiintern heimlich über Steuerer-
höhungen. Gleichzeitig kritisieren Sie uns, dass wir nur (Joachim Poß [SPD]: Sie sind doch noch gar
darüber diskutieren, ob wir die unteren und mittleren nicht aus den Startlöchern gekommen!)
Einkommen entlasten können. Erst nach dem Prozess kann man seriös sagen, welche
(Joachim Poß [SPD]: Wir wollen die höheren Auswirkungen diese Pläne auf Bundes-, Länder- und vor
Vermögen stärker belasten und die Niedrigver- allem Kommunalhaushalte haben werden.
diener entlasten! Vollkommen richtig!) Die positivsten Auswirkungen des wirtschaftlichen
Aufschwungs verzeichnen in diesen Tagen die Haushalte
– Herr Poß, mit einer Neiddebatte gönnen Sie einem Fa-
von Bund, Ländern und insbesondere Kommunen.
(B) milienvater, der morgens früh aufsteht, nicht die Butter (D)
auf dem Brot; denn Sie fordern gleichzeitig höhere Re- (Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
gelsätze für diejenigen, die nicht arbeiten, für Hartz-IV- Saustarke Rede bisher! – Heiterkeit beim
Empfänger. Ich sage Ihnen deutlich: Wo Sie Gerechtig- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
keit draufkleben wollen, ist noch lange keine Gerechtig-
Diesen Aufschwung hätte es ohne intensive Diskussio-
keit drin. nen und die daraus folgenden klugen Entscheidungen
(Johannes Kahrs [SPD]: „Frechheit siegt“ ist nicht gegeben. Dazu gehört auch das Wachstumsbe-
kein Motto! – Heiterkeit bei der SPD) schleunigungsgesetz, das diese Koalition beschlossen
hat.
Es ist doch völlig normal, dass innerhalb einer Koali-
tion auch kontroverse Debatten über das eine oder an- (Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/
dere Thema geführt werden. In einer Demokratie gehö- DIE GRÜNEN: Oh!)
ren Diskussionen innerhalb einer Regierungskoalition Deutschland stünde ohne dieses Gesetz heute nicht so
dazu. gut da.
(Christian Lange [Backnang] [SPD]: Irgend- (Christian Lange [Backnang] [SPD]: Das
wann müssen Sie mal etwas machen! – waren doch die Hotels!)
Johannes Kahrs [SPD]: Wie wäre es denn mal Sie haben dieses Gesetz bekämpft.
mit Ergebnissen!)
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Sie von Grün-Rot kennen das doch zur Genüge. Für uns
ist es selbstverständlich, Johannes Kahrs, dass wir das, Die positive wirtschaftliche Entwicklung lässt die Steu-
was wir im Koalitionsvertrag niedergeschrieben haben, ereinnahmen sprudeln. Möglicherweise entsteht dadurch
auch umsetzen wollen. Das mag für Sie vielleicht neu Spielraum für Steuersenkungen. Diesen Spielraum gilt
sein, meine Damen und Herren von der Opposition; es nun in Ruhe und mit Besonnenheit auszuloten.
denn Sie halten die Versprechen, die Sie machen, mit- (Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
nichten ein. Als Stichwort möchte ich nur Stuttgart 21 Haben Sie eine Besuchergruppe da oben, oder
und den Umgang der Grünen mit diesem Thema vor und was?)
nach der Landtagswahl nennen.
Bislang wurde jede Bundesregierung daran gemessen,
Wir als christlich-liberale Koalition haben uns im Ko- ob sie das Problem in den Griff bekam, das die Men-
alitionsvertrag Steuervereinfachungen und Steuersen- schen am meisten beschäftigte: die Arbeitslosenzahlen.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 116. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 29. Juni 2011 13335
Andreas Mattfeldt
(A) Wir können mit Stolz sagen, dass wir in diesen Tagen in Existenzminimums, und das bleibt auch so, wenn man (C)
vielen Regionen Vollbeschäftigung haben. die kalte Progression abschafft.
(Dr. Volker Wissing [FDP]: Worüber redet der
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: denn?)
Herr Kollege.
Ich glaube, wer auf diesem Niveau Politik macht, wird
ein größeres Problem bekommen.
Andreas Mattfeldt (CDU/CSU):
Wenn Gerhard Schröder in diesen Tagen noch Bun- Herr Solms hat gesagt, dass es um Glaubwürdigkeit
deskanzler wäre, geht.
(Johannes Kahrs [SPD]: Guter Mann!) (Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: So ist es!)
würde er – da bin ich mir sicher – jeden Tag ein Feuer- Ich würde Sie gerne fragen, wie Sie es rechtfertigen,
werk in Deutschland abfeuern und mit seinen guten dass Sie die Finanzdienstleister trotz eines exorbitant ge-
Leistungen prahlen. stiegenen Verschuldungsgrades der öffentlichen Haus-
halte nur auf freiwilliger Basis an den Kosten der Krise
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: beteiligen wollen, ihnen aber gleichzeitig die Zinsein-
Herr Kollege, bevor das Feuerwerk gezündet wird, nahmen überlassen wollen, die im Zusammenhang mit
müssen Sie zum Ende Ihrer Rede kommen. den Krediten fließen, die der Staat aufnehmen muss, um
Ihre Steuersenkung bezahlen zu können. Das heißt, Sie
Andreas Mattfeldt (CDU/CSU): schenken den Finanzdienstleistern die Zinseinnahmen,
Wir sind sachlicher und arbeiten anständig mit. Wir beteiligen sie aber nicht an der Krise.
fordern Sie auf, das ebenfalls zu tun. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
Danke schön. DIE GRÜNEN)
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Diese Finanzierung auf Pump ist lebensgefährlich für
unseren Staat. Außerdem basiert Ihr System auf einem
Denkfehler: Wir haben 300 Milliarden Euro mehr Schul-
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
den als vor der Krise. Wir haben mit einer Neuverschul-
Der Kollege Lothar Binding hat jetzt das Wort für die
dung in Höhe von 80 Milliarden Euro gerechnet. Jetzt
SPD-Fraktion.
sind es nur 40 Milliarden Euro. Wir haben aber noch im-
(Beifall bei der SPD) mer eine Neuverschuldung. Von diesen nicht erwarteten
(B) Mehreinnahmen, durch die die Neuverschuldung ein we- (D)
Lothar Binding (Heidelberg) (SPD): nig gesenkt wird, wollen Sie Steuerentlastungen bezah-
Frau Präsidentin! Sehr verehrte Damen und Herren! len? Wie wollen Sie das eigentlich machen? Durch Kre-
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Manchmal sagen Re- ditaufnahme! Das ist die Logik, die diesen Staat an den
den auch etwas über die psychische Konstitution des Rand führt.
Redners aus. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
(Christian Lange [Backnang] [SPD]: Das kann DIE GRÜNEN – Otto Fricke [FDP]: Das wür-
man wohl sagen!) det ihr nie machen!)
Ich habe mich gefragt, warum der erste Redner der FDP, – In dieser Weise würden wir das nie machen.
Volker Wissing, den Ausdruck „finanzpolitischer Suizid“ in (Otto Fricke [FDP]: Ihr habt es 2004 und 2005
den Mund genommen hat. „Suizid“ heißt Selbstmord. gemacht! Ihr habt es selber gemacht!)
Wieso fällt einem FDP-Politiker dieses Wort heute hier
ein? Dieses Wort scheint gar nicht zu passen. Ihr seid Herrn Steinbrück heute noch dankbar dafür, dass
er das so nicht gemacht hat, sondern vernünftig gehan-
(Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Er hat Sie
delt hat.
halt angeschaut! Er hat sich mit der SPD be-
schäftigt!) Mit der Phasentheorie lässt sich das erklären. Ich rufe
Ich habe vorhin den Parlamentarischen Staatssekretär in Erinnerung, was ich hier schon einmal gemacht habe.
Koschyk gefragt, wie er untere und mittlere Einkommen (Klaus-Peter Willsch [CDU/CSU]: Jetzt holt er
definiert. Er hat geantwortet, man wolle die kalte Pro- wieder das Holzspielzeug heraus!)
gression abschaffen. Die kalte Progression hat mit der
Beantwortung meiner Frage aber überhaupt nichts zu – Das ist eine gute Idee. Ich habe auch ein Holzspielzeug
tun. Joachim Poß hat das erläutert und gesagt: Oft wird dabei, um die Verschuldung darzustellen. Ich glaube
kalte Progression mit dem Mittelstandsbauch, dem stei- aber, dieses Bild hat noch jeder im Kopf.
len Anstieg der Grenzsteuerbelastung im unteren Be- Nein, ich meine die Art, wie die Koalition hier agiert.
reich, verwechselt. Das ist leider auch Herrn Koschyk Vorhin sagte jemand, diese Aktuelle Stunde mache gar
passiert. Deshalb hat er fälschlicherweise im Zusam- keinen Sinn.
menhang mit kalter Progression vom stark ansteigenden
Durchschnittssteuersatz gesprochen. Die Antwort ist (Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Das ist
aber: Der steigt immer, mit Ausnahme unterhalb des eher eine Phrasentheorie, oder?)
13336 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 116. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 29. Juni 2011
Eckhardt Rehberg
(A) ger Modell, im Bundesrat blockiert, es danach aber auf- Laut Mai-Steuerschätzung kommt es zu einem deutli- (C)
genommen und – das ist löblich gewesen – den Spitzen- chen Zuwachs bei den Steuereinnahmen, insbesondere
steuersatz von 53 Prozent auf 42 Prozent gesenkt. für Gemeinden und Länder. Wir werden, was das Volu-
men der Steuereinnahmen betrifft, aller Voraussicht nach
(Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: schon Ende 2011/Anfang 2012 wieder das Niveau des
Den Eingangssteuersatz auch!) Jahres 2008 erreichen. Außerdem – das ist ein Erfolg der
– Sie haben den Eingangssteuersatz von rund 24 Prozent Politik unter Bundeskanzlerin Merkel – hat sich die Zahl
auf 15 Prozent gesenkt. der Beschäftigten, die Sozialbeiträge und Steuern zah-
len, zwischen 2006 und 2010 um 1,5 Millionen erhöht.
(Joachim Poß [SPD]: Von rund 26 Prozent!)
(Zuruf des Abg. Johannes Kahrs [SPD])
Das ist sehr löblich gewesen. Herr Kuhn und Herr Poß,
Sie haben aber mit der Reform der Körperschaftsteuer – Herr Kollege Kahrs, wissen Sie: Die Aufrufe, die Sie
im Jahr 2000 Murks gemacht. Im Jahr 2000 hatten wir hier starten, sollten Sie in Ihrer Fraktionssitzung starten
noch ein Körperschaftsteueraufkommen von 23,6 Mil- (Johannes Kahrs [SPD]: Das muss ich nicht!
liarden Euro. Nach Ihrer Murks-Reform hatten wir im Da kennt das jeder!)
nächsten Jahr ein Defizit von 400 Millionen Euro. In Ih-
rer Regierungszeit sind knapp 80 Milliarden Euro an und die SPD-Fraktion dazu bringen, dass sie zu der Poli-
Körperschaftsteuer verloren gegangen, weil Sie es den tik, die Gerhard Schröder gemacht hat und die ich für
großen Kapitalgesellschaften ermöglicht haben, Veräu- richtig halte, steht. Uns brauchen Sie an dieser Stelle
ßerungen zu tätigen, die steuerfrei geblieben sind. Sie nicht katholisch zu machen. Wir sind katholisch genug.
haben Bund, Länder und Gemeinden in dieser Zeit mit (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
einer völlig vermurksten und unsoliden Steuerreform an
den Rande des Ruins gebracht. Lassen Sie mich zum Schluss ein weiteres Thema an-
sprechen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Genau! (Johannes Kahrs [SPD]: Schäuble loben!)
Aber jetzt den kleinen Leuten noch nicht mal Herr Kollege Poß, ich meine die Aussage, wir hätten
die Steuerreform gönnen!) keine Ahnung, was die kalte Progression und den Mittel-
Wer sich hier hinstellt und behauptet, dass andere etwas standsbauch anbetrifft.
Unsolides und Unseriöses machen, der muss erst einmal (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Das ha-
selbst solide Arbeit leisten. ben Sie heute bewiesen! Das kann man nachle-
(B) sen!) (D)
Wissen Sie, Herr Kollege Kahrs: Ich verstehe Ihre
Partei überhaupt nicht mehr. Erstens. Beim Thema Herr Poß, auch Sie scheinen unter Gedächtnisschwund
Hartz IV schlagen sich die meisten in die Büsche. zu leiden.
(Johannes Kahrs [SPD]: Na, na, na! – (Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Ja! So ist Na, na! Jetzt mach die Leute hier mal nicht so
es!) runter!)
Zweitens. Steuerpolitik sollte kontinuierliche Politik In der Großen Koalition haben wir die Bürger um insge-
sein. samt fast 43 Milliarden Euro entlastet.
(Dr. Volker Wissing [FDP]: Sehr richtig!) (Johannes Kahrs [SPD]: Ja! Guter Mann, der
Peer Steinbrück!)
Sie haben den Spitzensteuersatz auf 42 Prozent gesenkt.
– Nein, das hat mit Peer Steinbrück nichts zu tun. Es wa-
(Joachim Poß [SPD]: Das waren wir doch ren die Finanzpolitiker der Union – daran kann ich mich
nicht alleine! Zu dem Zeitpunkt wollten Sie noch sehr gut erinnern –, die darauf gedrungen haben,
36 Prozent Spitzensteuersatz!) dass wir den Grundfreibetrag in zwei Stufen anheben
Heute fabulieren Sie darüber, den Spitzensteuersatz wie- und eine Rechtsverschiebung des Tarifes vornehmen.
der anzuheben; die Effekte, die dies hätte, hat der Kol- Das war, wie gesagt, eine Forderung der Finanzpolitiker
lege Karl beschrieben. Das träfe doch nicht in erster der Union. Sie haben dabei zum Glück mitgemacht.
Linie Chefärzte und Großverdiener. Davon wären insbe- (Joachim Poß [SPD]: Ja!)
sondere qualifizierte Facharbeiter und der Mittelstand
betroffen. Das ist der richtige Weg, gegen Mittelstandsbauch und
kalte Progression vorzugehen.
(Joachim Poß [SPD]: Noch mal: Sie haben damals
36 Prozent Spitzensteuersatz gefordert!) (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Nein!
Das ist falsch!)
Das heißt: Wer den Spitzensteuersatz erhöht, der belastet
die Leistungsträger in Deutschland. Das ist die falsche – Nein, Herr Kollege Binding, das ist nicht falsch. – Wer
Politik. gegen die kalte Progression und den Mittelstandsbauch
vorgeht, der tut etwas für die unteren und mittleren Ein-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) kommen.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 116. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 29. Juni 2011 13339
Eckhardt Rehberg
(A) (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Machen Brüderle fragen! Er ist jetzt nicht da! Er kann (C)
wir doch mal ein bisschen Mathematik zusam- Ihnen Aufklärung geben!)
men! – Joachim Poß [SPD]: Der Grundfreibe-
trag hat mit dem Mittelstandsbauch nichts zu
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
tun!)
Die Aktuelle Stunde ist beendet.
Wir können es den Bürgerinnen und Bürgern nicht ver-
mitteln, meine Damen und Herren von der linken Seite Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-
des Hauses, dass die Hartz-IV-Regelsätze aufgrund ge- ordnung.
setzlicher Vorgaben im nächsten Jahr um 2,7 Prozent
steigen werden, dass bei den Arbeitnehmerinnen und Ar- Die nächste Sitzung berufe ich auf morgen, Donners-
beitnehmern, die Hartz IV mit ihren Steuern bezahlen, tag, den 30. Juni 2011, 9 Uhr, ein.
aber nichts ankommt.
Genießen Sie den Abend und die gewonnenen Ein-
Herzlichen Dank. sichten.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Die Sitzung ist geschlossen.
Joachim Poß [SPD]: Was den Spitzensteuer-
satz betrifft, müssen Sie den Kollegen (Schluss: 16.54 Uhr)
(B) (D)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 116. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 29. Juni 2011 13341
entschuldigt bis
Anlage 3
Abgeordnete(r) einschließlich
Antwort
des Parl. Staatssekretärs Hartmut Koschyk auf die Frage
Dağdelen, Sevim DIE LINKE 29.06.2011
der Abgeordneten Hilde Mattheis (SPD) (Drucksa-
Dr. Danckert, Peter SPD 29.06.2011 che 17/6273, Frage 10):
Wie viele der im Jahr 2010 durch Selbstanzeigen und
Gleicke, Iris SPD 29.06.2011 Steuerdaten-CDs zusätzlich angefallenen Steuerfälle belaufen
sich auf einen Hinterziehungsbetrag, der 50 000 Euro über-
steigt?
Höger, Inge DIE LINKE 29.06.2011
Zur Anzahl der in Deutschland durch Selbstanzeigen
Homburger, Birgit FDP 29.06.2011 und Steuerdaten-CDs zusätzlich angefallenen Steuerfälle
und zur Höhe des jeweiligen Hinterziehungsbetrages
Kolbe, Manfred CDU/CSU 29.06.2011 gibt es kein bundeseinheitliches Zählverfahren. Jedes
Land ermittelt die Zahlen in eigener Zuständigkeit. In
Meinhardt, Patrick FDP 29.06.2011 Wiederholung meiner Antwort zu Ihrer Frage Nr. 9: In
die Steuerschätzung wurden 2010 dafür jedenfalls insge-
Nink, Manfred SPD 29.06.2011 samt rund 2 Milliarden Euro an Mehreinnahmen einge-
stellt.
Nord, Thomas DIE LINKE 29.06.2011
(A) sehbar, ob sich eine mit der Schweiz gefundene Lösung vollen Wert, zu veräußern, zum Verkehrswert. Mit der (C)
auch auf andere Staaten übertragen lässt. Gründung der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben
sind die bis Ende 2004 bestehenden Verbilligungsrichtli-
nien für Bundesgrundstücke abgeschafft worden. Eine
Anlage 6 Wiedereinführung ist nicht beabsichtigt.
Antwort Nach der grundgesetzlichen Aufgabenverteilung sind
für die regionale Wirtschaftsförderung die Länder zu-
des Parl. Staatssekretärs Hartmut Koschyk auf die Frage ständig. Aus seiner gesamtstaatlichen Verantwortung
der Abgeordneten Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) kam der Bund den Ländern bei der Bewältigung der
(Drucksache 17/6273, Frage 13): Konversionsprobleme bereits in der Vergangenheit ent-
Wie ist die Änderung durch das Steuervereinfachungsge- gegen. So profitieren die Länder seit 1993 von der dama-
setz in § 32 Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes, EStG, zu ligen Erhöhung des Umsatzsteueranteils um 2 Prozent-
verstehen, wonach eine Schädlichkeit dann vorliegt, wenn das punkte, die anstelle eines verbindlich zugesagten Kon-
volljährige Kind nach Abschluss einer erstmaligen Berufsaus-
bildung und eines Erststudiums eine bestimmte Zeitgrenze versionsprogramms gewährt worden war.
überschreitet, im Hinblick auf die Verbindung der beiden Vo-
raussetzungen mit dem Wort „und“, was sprachlich andeutet,
dass beide Aspekte kumulativ erfüllt sein müssen, und wie ist Anlage 8
die wöchentliche Arbeitszeit gemäß dem geänderten § 32
Abs. 4 EStG zu berechnen, auch vor dem Hintergrund von Antwort
schwankenden oder unregelmäßigen wöchentlichen Arbeits-
zeiten bzw. kurzfristigen Überschreitungen dieser Grenze? des Parl. Staatssekretärs Hans-Joachim Fuchtel auf die
Mit der Änderung sollte die Formulierung wortgleich Frage des Abgeordneten Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE)
an die Regelung zu den Berufsausbildungskosten in § 12 (Drucksache 17/6273, Frage 16):
Nr. 5 EStG angepasst werden. Die von Ihnen dargestellte In welchen der zahlreichen Aktivitäten und Maßnahmen
im Programm der Zusammenarbeit anlässlich des 20. Jahres-
Rechtsfolge, dass die Restriktion – keine Berücksichti- tags der Unterzeichnung des Vertrags zwischen der Bundesre-
gung bei Erwerbstätigkeit – nur greift, wenn beide Vo- publik Deutschland und der Republik Polen über gute Nach-
raussetzungen kumulativ vorliegen, ist nicht Sinn und barschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit, zwischen
Zweck dieser Regelung. Denn aus dem Regelungszu- den Regierungen der Bundesrepublik Deutschland und der
sammenhang und der Bezugnahme auf § 12 Nr. 5 EStG Republik Polen vereinbart, welches am 21. Juni 2011 zwi-
schen beiden Regierungen beschlossen wurde, sind – auch mit
in der Gesetzesbegründung wird deutlich, dass die Res- Blick auf die UN-Behindertenrechtskonvention und den Na-
triktion in beiden Fällen – sowohl bei Berufsausbildung tionalen Aktionsplan der Bundesregierung zu deren Umset-
(B) als auch bei Erststudium – greifen soll. Dies kann auch
zung – die Belange von Menschen mit Behinderung berück-
sichtigt, und wie wurden sie und deren Organisationen bei der
(D)
durch ein „und“ ausgedrückt werden.
Erarbeitung des Programms einbezogen?
Ferner bewirkt die Regelung, dass die Erwerbstätig-
Anlässlich der diesjährigen deutsch-polnischen Re-
keit nur dann schädlich sein soll, wenn sie den Umfang ei-
gierungskonsultationen am 21. Juni 2011 in Warschau
ner Halbtagstätigkeit überschreitet. Deshalb wurde im
ging es vor allem, was den beschäftigungs- und sozial-
Steuervereinfachungsgesetz 2011 eine 20-Stunden-Grenze
politischen Teil betrifft, um Fragen im Zusammenhang
eingeführt. Dass geringfügige Überschreitungen dieser
mit der Arbeitnehmerfreizügigkeit, insbesondere um ein
Grenze nicht zum Ausschluss des Kindergeldes führen,
neues Beratungs- und Betreuungsprojekt von polnischen
wird durch die Formulierung „20 Stunden regelmäßiger
Arbeitnehmern, die in Deutschland eine Beschäftigung
wöchentlicher Arbeitszeit“ zum Ausdruck gebracht.
aufnehmen. Die Umsetzung der UN-Behindertenrechts-
konvention war am 21. Juni 2011 kein eigenes Thema.
Gleichwohl findet auf bilateraler Ebene und auf
Anlage 7 EU-Ebene, unter anderem im Rahmen der regelmäßig
Antwort stattfindenden Treffen der Beschäftigungs- und Sozial-
minister, ein Austausch zur Umsetzung der UN-Behin-
des Parl. Staatssekretärs Hartmut Koschyk auf die Frage dertenrechtskonvention statt. Das schließt Gespräche
der Abgeordneten Daniela Wagner (BÜNDNIS 90/DIE zwischen der deutschen und polnischen Seite ein.
GRÜNEN) (Drucksache 17/6273, Frage 15):
Sieht die Bundesregierung aufgrund der öffentlich im
Hamburger Abendblatt erhobenen Forderungen, beim Ver- Anlage 9
kauf von Liegenschaften des Bundes die frei werdenden Lie-
genschaften möglichst schnell den Kommunen oder Privaten Antwort
zu vertretbaren Preisen zur Verfügung zu stellen und nicht auf
steigende Immobilienpreise zu spekulieren, Handlungsbedarf, des Parl. Staatssekretärs Hans-Joachim Fuchtel auf die
und inwiefern teilt der Bund die Auffassung, dass er hier in ei- Frage des Abgeordneten Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE)
ner besonderen Verantwortung steht? (Drucksache 17/6273, Frage 17):
Nach dem gesetzlichen Auftrag des Gesetzes über die Wie werden bei den kommenden deutsch-russischen Re-
Bundesanstalt für Immobilienaufgaben, BImAG, und der gierungskonsultationen sowie bei dem unter Schirmherrschaft
der Bundeskanzlerin vom 17. bis 19. Juli 2011 stattfindenden
Bundeshaushaltsordnung ist die Bundesanstalt für Im- Petersburger Dialog in Niedersachsen – auch mit Blick auf die
mobilienaufgaben verpflichtet, nicht betriebsnotwendi- UN-Behindertenrechtskonvention und den Nationalen Aktions-
ges Vermögen des Bundes wirtschaftlich, das heißt zum plan der Bundesregierung zu deren Umsetzung – die Belange
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 116. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 29. Juni 2011 13343
(A) von Menschen mit Behinderung berücksichtigt, und wie wer- Ausgleichsbedarf – wird in den kommenden Jahren abge- (C)
den sie und deren Organisationen dabei selbst einbezogen? baut, indem ab diesem Jahr positive Rentenanpassungen
Die Behindertenpolitik und die Umsetzung der UN- halbiert werden. Der Abbau des Ausgleichsbedarfs ist aus
Behindertenrechtskonvention ist ein grundsätzliches An- Gründen der Generationengerechtigkeit erforderlich, da-
liegen in der bilateralen Zusammenarbeit des BMAS mit mit die Jüngeren nicht durch ihre Beiträge zur Alterssi-
Russland. Russland befindet sich gegenwärtig im Rati- cherung überfordert werden.
fizierungsverfahren der UN-Behindertenrechtskonvention
und ist an einem Austausch über Erfahrungen zur Um-
setzung der Behindertenrechtskonvention interessiert. Anlage 11
Deshalb ist auch geplant, dieses Thema zeitnah im Rah- Antwort
men eines bilateralen arbeitsmarkt- und sozialpolitischen
Austausches aufzugreifen. Zudem finden vom 18. bis des Parl. Staatssekretärs Hans-Joachim Fuchtel auf die
19. Juli 2011 deutsch-russische Regierungskonsultatio- Frage der Abgeordneten Anette Kramme (SPD)
nen statt, bei der das Thema „Politik für Menschen mit (Drucksache 17/6273, Frage 19):
Behinderungen“ eine Rolle spielen könnte. Wie verläuft die derzeitige Diskussion in der Bundesregie-
rung über die Frage, ob sie sich bei der Europäischen Kommis-
sion für eine Verlängerung der vorerst bis zum 31. Dezember
2011 geltenden Beschränkungen der Arbeitnehmerfreizügig-
Anlage 10 keit für bulgarische und rumänische Staatsangehörige einset-
zen will, und wann ist mit einer offiziellen Entscheidung zu
Antwort rechnen?
des Parl. Staatssekretärs Hans-Joachim Fuchtel auf die Nach dem Beitrittsvertrag mit den zum 1. Januar 2007
Fragen des Abgeordneten Klaus Ernst (DIE LINKE) der EU beigetretenen Mitgliedstaaten Bulgarien und Ru-
(Drucksache 17/6273, Frage 18): mänien kann der Arbeitsmarktzugang von Staatsangehö-
Wie hat sich der Realwert bzw. die Kaufkraft der Brutto- rigen der beiden genannten Mitgliedstaaten während
standardrente seit 2001 entwickelt (bitte Entwicklung der einer dreiphasigen, insgesamt siebenjährigen Über-
Bruttostandardrente in Verhältnis zur Entwicklung des Ver- gangsfrist weiterhin nach nationalem Recht gesteuert
braucherpreisindexes setzen, jeweils 1991 = 100, bitte auch werden. Gegenwärtig machen neben Deutschland neun
Rentenerhöhung zum 1. Juli 2011 berücksichtigen und Jahres-
werte angeben)? weitere Mitgliedstaaten hiervon Gebrauch. In der am
1. Januar 2012 beginnenden 3. Phase können die Über-
Um den Realwert der gesetzlichen Renten berechnen gangsbestimmungen nach dem Beitrittsvertrag im Falle
zu können, sind Angaben über die Entwicklung des Ver- schwerwiegender Störungen des Arbeitsmarktes oder
(B) braucherpreisindex erforderlich. Diese liegen derzeit nur der Gefahr derartiger Störungen nach entsprechender (D)
bis zum Jahr 2010 vor. Mitteilung an die Kommission für zwei weitere Jahre in
Anspruch genommen werden. Diese Mitteilungspflicht
Im Zeitraum von 2001 bis zum Jahr 2010 betrug die ändert nichts daran, dass es sich um eine autonome Ent-
durchschnittliche Preissteigerung rund 1,36 Prozent pro scheidung der Mitgliedstaaten handelt, es keiner Geneh-
Jahr. Im gleichen Zeitraum wurden die Renten jahres- migung und damit auch keines „Einsatzes“ bei der Euro-
durchschnittlich mit rund 0,82 Prozent pro Jahr ange- päischen Kommission bedarf. Die Bundesregierung wird
passt. Berücksichtigt man hierzu noch die von den Rent- eine Verlängerung sorgfältig prüfen, die Sozialpartner in
nerinnen und Rentnern zu zahlenden Beiträge zur gewohnter Weise vorab konsultieren und gegebenenfalls
Kranken- und Pflegeversicherung, so waren es rund rechtzeitig vor Ablauf der 2. Phase zum 31. Dezember
0,56 Prozent pro Jahr. 2011 die Kommission über eine etwaige Verlängerung
und ihre Begründung unterrichten. Im Falle einer Ver-
Der in der Frage unterstellte Zusammenhang verkennt
längerung wird entsprechend der Praxis bei früheren
aber vollständig Aufgabe und Systematik der gesetzli-
Verlängerungen die Mitteilung an die Europäische Kom-
chen Rente: Die Rente ist eine Lohnersatzleistung. Ihre
mission im Anschluss an ihre Übermittlung im Bundes-
jährliche Anpassung orientiert sich an der Entwicklung anzeiger veröffentlicht werden.
der Löhne und nicht an der Preisentwicklung. Auch die
Löhne der Beschäftigten genießen keinen Schutz vor In-
flation. So sind zum Beispiel im Jahr 2009 die Löhne um Anlage 12
0,24 Prozent gesunken, während die Preise um 0,38 Pro-
zent gestiegen sind. Antwort
Bei der Rentenanpassung 2010 kam aber die Schutz- des Parl. Staatssekretärs Hans-Joachim Fuchtel auf die
klausel zur Anwendung. Zum Schutz des Vertrauens der Frage der Abgeordneten Anette Kramme (SPD)
Rentenbezieher konnten hierdurch Kürzungen der Rente (Drucksache 17/6273, Frage 20):
vermieden werden, obwohl die zugrundeliegende Lohn- Wie viele Beschäftigte arbeiten in den Integrationsämtern
entwicklung des Jahres 2009 negativ war. Den Rentne- und Bußgeldstellen, die für die Umsetzung der Bußgeldrege-
rinnen und Rentnern sind also Kaufkraftverluste, wie sie lung nach § 156 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX zuständig sind – aufge-
schlüsselt nach Region und Jahr –, und hält die Bundesregie-
die Beschäftigten infolge der Wirtschafts- und Finanz- rung diese Beschäftigtenzahl für ausreichend, um angesichts
krise besonders stark trafen, erspart geblieben. von über 38 000 pflichtwidrig keinen Schwerbehinderten be-
schäftigenden Arbeitgebern die Durchsetzung der Pflicht der
Die Renten sind daher momentan höher, als sie es ohne Beschäftigung von Schwerbehinderten wirksam zu kontrollie-
Schutzklausel wären. Dieser Effekt – der sogenannte ren?
13344 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 116. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 29. Juni 2011
Die Teilnehmerzahlen und Ausgaben für den Vermittlungsgutschein, VGS, sind beiliegender Tabelle zu entnehmen:
SGB III (Pflichtleistung) SGB II (Ermessensleistung)
Jahr eingelöste VGS Ausgaben in eingelöste VGS Ausgaben in
(1. Rate) Millionen Euro (1. Rate) Millionen Euro
2002 12 950 13,6
2003 35 409 47,0
2004 54 221 74,7
2005 36 504 61,4 13 798 18,9
2006 34 624 58,3 28 423 44,0
2007 33 463 54,7 35 008 51,1
2008 29 741 49,4 31 946 49,3
2009 27 841 45,1 22 237 38,0
2010 29 666 50,8 29 305 43,0
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 116. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 29. Juni 2011 13345
(A) Beschäftigungsverhältnisse, deren Zustandekommen Ergebnisse für alle Förderungen im Jahr 2010 erst zum (C)
ab 2010 durch eingelöste Vermittlungsgutscheine geför- Jahresende 2011 vor. Zu Förderungen durch Vermitt-
dert wurden, können im Rahmen des Statistikverfahrens lungsgutscheine bis einschließlich 2009 liegen entspre-
danach untersucht werden, wie viele geförderte Perso- chende statistische Daten zur Beschäftigung 6 Monate
nen 6, 9 oder 12 Monate nach dem Förderzeitpunkt, der nach dem Förderzeitpunkt nicht vor.
6 Wochen nach Beschäftigungsaufnahme liegt, sich in
Zur Beurteilung der Nachhaltigkeit von durch Ver-
sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung befanden mittlungsgutscheine geförderten Beschäftigungsaufnah-
oder nicht arbeitslos waren. Um zur Ermittlung der so- men kann auch untersucht werden, wie oft die 2. Rate
zialversicherungspflichtigen Beschäftigung und damit der Vergütung nach einer sechsmonatigen Beschäftigung
zur Eingliederungsquote belastbare statistische Ergeb- bewilligt werden konnte. Im überwiegenden Teil der
nisse zu erlangen, ist es erforderlich für einen Förder- Fälle, bei denen es nicht zu einer Zahlung der 2. Rate ge-
zeitraum von 12 Monaten neben dem Untersuchungsin- kommen ist, ist davon auszugehen, dass das Beschäfti-
tervall auch eine Zeit von 6 Monaten abzuwarten, bis die gungsverhältnis vor Ablauf von 6 Monaten beendet
Beschäftigungsmeldungen an die Sozialversicherung in wurde. Von allen zwischen Januar und November 2010
den statistischen Daten verarbeitet sind. Durch die Be- eingelösten 54 700 Vermittlungsgutscheinen wurde in
trachtung der Gesamtzahl von Förderungen eines Jahres 28 730 Fällen die 2. Rate bewilligt, 52,5 Prozent. Die Er-
werden saisonale Schwankungen und eventuelle Sonder- gebnisse seit 2006 können der nachfolgenden Tabelle
effekte ausgeglichen. Somit liegen die entsprechenden entnommen werden.
Deutschland
Zeitreihe, Datenstand: Januar 2010
(A) Eingelöste Vermittlungsgutscheine (bewilligt 1. Rate)1 nach Wirtschaftszweigen der Einstellungsbetriebe (C)
Ohne Förderinformationen zugelassener kommunaler Träger (zkT), da Daten an die Statistik der BA nicht übermittelt
werden.
Deutschland
Berichtsjahr 2010
darunter
Deutschland
Westdeutschland Ostdeutschland
Wirtschaftszweige
absolut in % absolut in % absolut in %
1 2 3 4 5 6
Insgesamt 58 971 100,0 24 467 100,0 34 494 100,0
davon
A Land- und Forstwirtschaft, Fischerei 180 0,3 42 0,2 138 0,4
B Bergbau u. Gewinnung v. Steinen u. Erden 15 0,0 9 0,0 6 0,0
C Verarbeitendes Gewerbe 3 452 5,9 1 654 6,8 1 798 5,2
D Energieversorgung 26 0,0 18 0,1 8 0,0
E WassVers, Abwasser/AbfaN, Umwelt- 302 0,5 124 0,5 178 0,5
verschm.
F Baugewerbe 4 032 6,8 920 3,8 3 111 9,0
G Handel; Instandhalt. u. Rep. v. Kfz 5 079 8,6 2 908 11,9 2 171 6,3
H Verkehr und Lagerei 3 507 5,9 1 733 7,1 1 774 5,1
I Gastgewerbe 2 532 4,3 983 4,0 1 549 4,5
J Information und Kommunikation 415 0,7 233 1,0 182 0,5
K Finanz- u. Versicherungs-DL 186 0,3 86 0,4 100 0,3
(B) L Grundstücks- und Wohnungswesen 299 0,5 98 0,4 201 0,6 (D)
M Freiberufl., wissensch. u. techn. DL 1 391 2,4 737 3,0 654 1,9
N Sonstige wirtschaftliche DL 30 596 51,9 12 302 50,3 18 293 53,0
darunter
78 Vermittl. u. Überlassung v. Arbeits- 22 649 38,4 8 529 34,9 14 119 40,9
kräften
O Öffentl.Verwalt.,Verteidigung; Soz.vers. 101 0,2 60 0,2 41 0,1
P Erziehung und Unterricht 351 0,6 123 0,5 228 0,7
Q Gesundheits- und Sozialwesen 2 019 3,4 697 2,8 1 322 3,8
R Kunst, Unterhaltung und Erholung 371 0,6 219 0,9 152 0,4
S Erbringung v. sonstigen Dienstleistungen 1 259 2,1 355 1,5 904 2,6
T PH m. Hauspers.; DL+Herst. v. Waren 97 0,2 74 0,3 23 0,1
d. PH
7 Keine Angabe 2 760 4,7 1.091 4,5 1 661 4,8
9 Keine Zuordnung möglich * * * * – –
Zitierhinweis: Statistik der Bundesagentur für Arbeit, Vermittlungsgutschein (VGS), Berichtsjahr 2010
© Statistik der Bundesagentur für Arbeit
1 Ein eingelöster Vermittlungsgutschein (bewilligt 1. Rate) wird in dem Berichtsmonat gezählt, in dem die Voraussetzung für die Zahlung der
ersten Rate erfüllt ist, das heißt, eine mindestens sechswöchige Beschäftigung bestanden hat. Hierzu werden zu dem in coSachNT (AV) erfass-
ten Beschäftigungsbeginn 6 Wochen = 42 Tage addiert.
* Die erhobenen Daten unterliegen grundsätzlich der Geheimhaltung nach § 16 BStatG. Eine Übermittlung von Einzelangaben ist daher ausge-
schlossen.
Aus diesem Grund werden bei den Ihnen zur Verfügung gestellten Daten auch Zahlenwerte kleiner 3 und Daten, aus denen sich rechnerisch
eine Differenz ermitteln lässt, anonymisiert oder zu Gruppen zusammengefasst.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 116. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 29. Juni 2011 13347
Antwort Antwort
des Parl. Staatssekretärs Peter Bleser auf die Frage des
des Parl. Staatssekretärs Hans-Joachim Fuchtel auf die Abgeordneten Gustav Herzog (SPD) (Drucksache 17/6273,
Frage des Abgeordneten Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ Frage 27):
DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/6273, Frage 25): Wann wird die Bundesregierung einen abgestimmten Ent-
wurf des bereits überfälligen Gesetzes zur Neuordnung des
Wen sollte nach Ansicht der Bundesregierung der nach
Pflanzenschutzrechts vorlegen, und wann rechnet sie mit dem
dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch, SGB II, Leistungsbe-
Inkrafttreten der rechtlichen Umsetzung verbindlicher Rechts-
ziehende bei einem Wohnungswechsel mit der Prüfung der
akte der Europäischen Union?
angemessenen Mietkosten des vorgelegten Mietangebotes so-
wie dem Antrag auf Übernahme ebendieser Mietkosten an- Die neuen EU-Regelungen im Pflanzenschutzrecht,
schreiben, wenn es aufgrund eines Wohnortwechsels nicht nur
das sogenannte EU-Pflanzenschutzpaket, werden von
zu einem Wechsel des Jobcenters, sondern auch des SGB-II-
Trägers kommt? der Bundesregierung ausdrücklich begrüßt, insbesondere
da sie deutliche Verfahrensvereinfachungen und eine Er-
Der Gesetzgeber hat hierzu eindeutig geregelt, dass höhung des Schutzniveaus für Mensch und Umwelt vor-
vor Abschluss eines Vertrages über eine neue Unter- sehen.
kunft die erwerbsfähige leistungsberechtigte Person die
Zusicherung des für die Leistungserbringung bisher ört- Die EU-Zulassungsverordnung gilt unmittelbar in al-
lich zuständigen kommunalen Trägers zur Berücksichti- len EU-Mitgliedstaaten ab dem 14. Juni 2011. National
gung der Aufwendungen für die neue Unterkunft einho- festzulegen sind aber die Zuständigkeiten für die Durch-
len soll. Hierbei ist der für den Ort der neuen führung der Verfahren, die den Mitgliedstaaten zugewie-
Unterkunft örtlich zuständige Träger zu beteiligen (§ 22 sen werden. Die sogenannte Pflanzenschutz-Rahmen-
Abs. 4 SGB II). richtlinie zur Anwendung von Pflanzenschutzmitteln
muss rechtlich umgesetzt werden. Umsetzungsfrist ist der
Nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II sind die kreis- 26. November 2011. Teilweise sind für Regelungsgegen-
freien Städte und die Kreise Träger der Leistungen, die stände der Rahmenrichtlinie bereits im geltenden Pflan-
im Rahmen von Arbeitslosengeld II und Sozialgeld für zenschutzrecht Regelungen enthalten; Anpassungen sind
den Bedarf für Heizung und Träger erbracht werden, so- erforderlich.
weit nicht durch Landesrecht andere Träger bestimmt Der Gesetzentwurf zur Neuordnung des Pflanzen-
sind (kommunale Träger). schutzrechts ist somit äußerst umfangreich und dient im
(B) Wesentlichen der Umsetzung des „EU-Pflanzenschutz- (D)
paketes“.
Anlage 18 In naher Zukunft sollen die Beteiligung der Länder
und Verbände sowie die Unterrichtung der Fraktionen
Antwort erfolgen.
des Parl. Staatssekretärs Hans-Joachim Fuchtel auf die Der Entwurf des weiterentwickelten nationalen Ak-
Frage des Abgeordneten Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ tionsplans zur nachhaltigen Anwendung von Pflanzen-
DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/6273, Frage 26): schutzmitteln wird bis Ende 2011 weiter mit betroffenen
Kreisen, Ländern und Bundesbehörden diskutiert wer-
Ist der Bundesregierung bekannt, dass es bei der Bearbei-
tung ebendieser Mietsachen beim Wohnungswechsel regelmä- den. Danach wird die Bundesregierung den nationalen
ßig immer dann zu Problemen bezüglich der Zuständigkeiten Aktionsplan unter Mitwirkung der Länder und nach ei-
zwischen den Jobcentern kommt, wenn auch Optionskommu- ner abschließenden Öffentlichkeitsbeteiligung beschlie-
nen als Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende invol- ßen und bis Ende 2012 der Europäischen Kommission
viert sind, und wie will die Bundesregierung Sorge dafür tragen, übersenden, wie es die Rahmenrichtlinie vorsieht.
dass die SGB-II-Leistungsbeziehenden wissen, bei welchem
Träger sie entsprechende Unterlagen einreichen müssen?
(A) läufige Durchführung unmittelbar geltender Vorschriften Es ist vornehmlich Aufgabe der Erzeugerorganisatio- (C)
der Europäischen Union über die Zulassung oder Geneh- nen, das Überangebot marktgerecht zu steuern. Gefor-
migung des Inverkehrbringens von Pflanzenschutzmit- dert ist insoweit insbesondere die Transnationale Erzeu-
teln“ in Kraft getreten ist. gerorganisation, denn nur eine gemeinsame, für alle
geltende Regelung kann faire und gerechte Preise sicher-
Mit diesem Gesetz wird sichergestellt, dass die bishe- stellen.
rigen Zuständigkeiten der Bundesbehörden bei der Zu-
lassung von Pflanzenschutzmitteln über den 14. Juni Schon im Jahre 2008 hat das BMELV versucht, durch
2011 hinaus bestehen bleiben und der bisherigen Rechts- einen Gesetzentwurf zur Durchführung der Rechtsakte
lage entsprechen und somit die Kontinuität bei der Zu- der Europäischen Gemeinschaft über die Ausdehnung
lassung von Pflanzenschutzmitteln bis zum Inkrafttreten bestimmter von Erzeugerorganisationen des Fischerei-
des neuen Pflanzenschutzgesetzes gewahrt sind. sektors festgelegter Regeln auf Nichtmitglieder (Allge-
Das Übergangsgesetz soll neben dem derzeitigen meinverbindlichkeitsgesetz) eine Regelung zu schaffen,
Pflanzenschutzgesetz gelten und zusammen mit diesem die von den Erzeugerorganisationen festgelegte Produk-
durch das Gesetz zur Neuordnung des Pflanzenschutz- tions- und Vermarktungsregelungen auf Nichtmitglieder
rechtes abgelöst werden. auszudehnen. Dieser vollständig ausgearbeitete Gesetz-
entwurf stieß jedoch bereits im Vorfeld auf den massiven
Während zwischenzeitlich in Deutschland eine deutli- Widerstand der Küstenländer, die die Folgen einer sol-
che Reduktion der Fristüberschreitungen bei der Zulas- chen Ausdehnung der Regelungen auf Nichtmitglieder
sung von Pflanzenschutzmitteln erreicht werden konnte, scheuten. Da die Länder für die Anerkennung der Erzeu-
hat sich dieser Trend in den vergangenen Monaten wie- gerorganisationen zuständig sind, wären sie auch für die
der umgekehrt. Durchführung – einschließlich der notwendigen Sanktio-
nierungen – dieses Gesetzes verantwortlich.
Wesentlicher Grund für diese Verfristungen ist die au-
ßergewöhnlich starke Zunahme der Zulassungsanträge Ob die Länder aufgrund der derzeitigen Entwicklung
seit Anfang 2011. bereit sind, diesen Widerstand inzwischen aufzugeben,
Es lagen Anfang Juni bereits mehr Zulassungsanträge ist gegenwärtig noch offen.
vor als im gesamten vergangenen Jahr.
Zu Frage 32:
Offensichtlich wollten zahlreiche Unternehmen noch
Zulassungsanträge stellen, bevor die neue Zulassungs- Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass Fangmengenre-
verordnung anzuwenden ist. gulierungen nach dem EU-Recht nur aus Gründen der
(B) Bestandserhaltung und Nachhaltigkeit vorgenommen (D)
Es zeichnet sich jedoch bereits ab, dass die Zahl der
werden können, nicht jedoch aus Marktgründen.
Zulassungsanträge nun wieder deutlich abnimmt.
Ich gehe deshalb davon aus, dass der Antragsstau in Des Weiteren muss bedacht werden, dass gerade die
den kommenden Monaten wieder reduziert werden Krabbenfischerei als Fischerei auf eine unquotierte Art
kann. eine Vielzahl von Ausnahmetatbeständen im Rahmen der
technischen Maßnahmen, Beifangregelungen, Seetagere-
gelungen etc. in Anspruch nehmen kann. Mit Einführung
Anlage 21 einer Quotenregelung auf EU-Ebene muss deshalb davon
ausgegangen werden, dass sämtliche Ausnahmetatbe-
Antwort stände für die Nordseekrabbenfischerei entfallen würden.
Zudem schlägt die EU-KOM derzeit eine Anlandever-
des Parl. Staatssekretärs Peter Bleser auf die Fragen der pflichtung ab 2013 vor, die dann auch für die Krabbenfi-
Abgeordneten Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/DIE scher gelten würde.
GRÜNEN) (Drucksache 17/6273, Fragen 31 und 32):
Welche bundes-, landes- und europapolitischen Maßnah- Es wäre mehr als bedenklich und fachlich nicht zu
men können und sollten aus Sicht der Bundesregierung ergrif- vertreten, wegen eines kurzzeitigen Zusammenbruches
fen werden, um der Krise der deutschen Krabbenfischerei ef- des Marktes eine solche gravierende Änderung der Fi-
fektiv zu begegnen?
schereiregelungen auf Nordseekrabben in Kauf zu neh-
Wie bewertet die Bundesregierung in dem Zusammenhang men.
die Forderung, auch für die Krabben eine Fangmengenbe-
grenzung einzuführen, und wie sollte eine solche gegebenen-
falls ausgestaltet werden?
Anlage 22
Zu Frage 31:
Antwort
Der Krabbenmarkt in Deutschland, wie auch in den
Niederlande, Dänemark und Belgien als weitere Krab- des Parl. Staatssekretärs Peter Bleser auf die Frage der
ben produzierende Mitgliedstaaten der EU, ist schon seit Abgeordneten Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE)
Jahren geprägt durch ein Überangebot an Krabben bei (Drucksache 17/6273, Frage 33):
gleichbleibender Nachfrage, das sich aus verschiedenen Welche Konsequenzen hätte aus Sicht der Bundesregie-
Gründen in den letzten Wintermonaten deutlich erhöht rung die Aufnahme des Wolfs als bejagbare Art in das Bun-
hat. des- oder in einzelne Landesjagdgesetze?
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 116. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 29. Juni 2011 13349
(A) Der Wolf ist eine nach FFH-Richtlinie streng zu Alpenschneehuhn (Lagopus mutus MONTIN) (C)
schützende Art, deren Bejagung grundsätzlich verboten Wildtauben (Columbidae)
ist – Art. 12 in Verbindung mit Anhang IV FFH-Richt-
linie. Dieser Schutzstatus müsste bei Aufnahme des Wildgänse (Gattungen Anser BRISSON und Branta
Wolfes als jagdbare Tierart ins Jagdrecht auch jagdrecht- SCOPOLI)
lich gewährleistet werden. Aus Sicht der Bundesregie- Wildenten (Anatinae)
rung besteht jedoch kein Anlass, den Wolf nach § 2 Säger (Gattung Mergus L.)
Abs. 1 des Bundesjagdgesetzes, BJagdG, dem Jagdrecht
zu unterstellen. Auch eine Aufnahme des Wolfs ins Lan- Möwen (Laridae)
desjagdrecht hätte die Vorgaben der FFH-Richtlinie zu Haubentaucher (Podiceps cristatus L.)
beachten, die ein grundsätzliches Jagdverbot vorsieht. Großtrappe (Otis tarda L.)
Durch die Aufnahme des Wolfes in das Jagdrecht Graureiher (Ardea cinerea L.)
würden für den Wolf außerdem die speziellen Hege- und Greife (Accipitridae)
Schutzbestimmungen des Jagdrechtes gelten.
Falken (Falconidae)
Beispielsweise ist zu nennen: Kolkrabe (Corvus corax L.)
Nach § 1 Abs. 1 Bundesjagdgesetz ist das Jagdrecht
Die artenscharfe Konkretisierung der im Bundesjagd-
mit der Pflicht zur Hege verbunden, das heißt der
gesetz oben genannten Gattungen „Wildtauben“, „Wild-
Jagdausübungsberechtigte hat sich um einen gesunden
gänse“, „Wildenten“ und „Möwen“ ergibt sich in Ver-
Wildbestand und die Pflege und Sicherung der Lebens-
bindung mit der Bundeswildschutzverordnung.
grundlagen des Wildbestandes zu bemühen.
Die Bundesregierung geht gegenwärtig davon aus,
Nach § 19 a Bundesjagdgesetz ist es verboten, Wild,
dass sich die Bestände von Wildarten mit ganzjähriger
insbesondere soweit es in seinem Bestand gefährdet oder
Schonzeit in den kommenden Jahren nicht in einem
bedroht ist, unbefugt an seinen Zufluchts-, Nist-, Brut-
Maße positiv entwickeln werden, dass eine Bejagung in
oder Wohnstätten durch Aufsuchen, Fotografieren, Fil-
Erwägung gezogen werden könnte. Im Übrigen bedürfte
men oder ähnliche Handlungen zu stören.
es hierzu einer Änderung von FFH- und Vogelschutz-
richtlinie, die gegenwärtig bei vielen dieser Arten ein
Jagdverbot vorsehen.
Anlage 23
Antwort
(B) des Parl. Staatssekretärs Peter Bleser auf die Frage der Anlage 24 (D)
Abgeordneten Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE) Antwort
(Drucksache 17/6273, Frage 34):
des Parl. Staatssekretärs Christian Schmidt auf die Fra-
Welche bejagbaren Tierarten sind momentan im Bundes-
jagdgesetz aufgeführt, die ganzjährig nicht bejagt werden dür-
gen des Abgeordneten Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/
fen, und wie schätzt die Bundesregierung die Entwicklung der DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/6273, Fragen 35 und
Bestände dieser Arten in den kommenden Jahren unter dem 36):
Gesichtspunkt einer Bejagbarkeit ein?
Wann erklärt die NATO ein Boot für in Seenot geraten und
Tierarten, die dem Bundesjagdgesetz unterliegen und geht zur Rettung über, und inwiefern arbeitet die NATO dabei
mit der Europäischen Grenzschutzagentur Frontex zusam-
ganzjährig nicht bejagt werden, sind gegenwärtig: men?
1. Haarwild: Welche Maßnahmen unternimmt die Bundesregierung, um
die Seenotrettung insbesondere im Mittelmeer und vor dem
Wisent (Bison bonasus L.) Hintergrund des Libyen-Krieges zu verbessern, und welche
Elchwild (Alces alces L.) Initiativen hat die Bundesregierung hierzu auf NATO- und
EU-Ebene bisher ergriffen?
Steinwild (Capra ibex L.)
Schneehase (Lepus timidus L.) Zu Frage 35:
Murmeltier (Marmota marmota L.) Ein „Seenotfall“ ist anzunehmen, wenn der Kapitän
Wildkatze (Felis silvestris SCHREBER) eines in Not geratenen Bootes oder Schiffes einen ent-
Luchs (Lynx lynx L.) sprechenden Notruf absetzt bzw. wenn erkennbar ist,
Fischotter (Lutra lutra L.) dass sich Personen auf See in Lebensgefahr bzw. in See-
not befinden. Für einen Notruf können alle dazu zur Ver-
Seehund (Phoca vitulina L.) fügung stehenden Mittel – automatische Systeme, Funk,
2. Federwild: Leuchtsignale etc. – genutzt werden.
Wachtel (Coturnix coturnix L.) Völkerrechtlich besteht für die Schifffahrt die Pflicht
Auerwild (Tetrao urogallus L.) zur Hilfeleistung – Art. 98 (1) UN-Seerechtsüberein-
kommen – United Nations Convention on the Law of the
Birkwild (Lyrurus tetrix L.)
Sea/UNCLOS. Im Falle von Seenot auf der hohen See
Rackelwild (Lyrus tetrix x Tetrao urogallus) ist der Kommandant oder Kapitän eines Schiffes, das
Haselwild (Tetrastes bonasia L.) sich vor Ort befindet, verpflichtet, alles Notwendige zur
13350 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 116. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 29. Juni 2011
(A) Rettung von Schiffbrüchigen oder sonst auf See an- Mit Interesse erwartet die Bundesregierung die parla- (C)
getroffenen in Lebensgefahr befindlichen Personen zu mentarische Behandlung des Berichts.
veranlassen, soweit keine unvertretbare Gefährdung ei-
Nach § 75 Abs. 1 der Geschäftsordnung des Deut-
gener Kräfte besteht. Wenn er in sonstiger Weise von
schen Bundestages können Vorlagen wie Berichte zur
einem Hilfsbedürfnis Kenntnis erhält, eilt er Personen in
Unterrichtung des Bundestages als Verhandlungsgegen-
Seenot zu Hilfe, wenn dies vernünftigerweise von ihm
stand auf die Tagesordnung des Deutschen Bundestages
erwartet werden kann. Dies gilt auch für die Komman-
gesetzt werden. Termin und Tagesordnung jeder Sitzung
danten und Einheiten der Deutschen Marine.
des Bundestages werden im Ältestenrat vereinbart.
Die NATO unterhält keine eigene „Search and
Rescue“ (SAR)-Organisation im Frieden. Vielmehr wer-
den die durch die Internationale Seeschifffahrtsorganisa- Anlage 26
tion – Internationale Maritime Organisation, IMO – fest- Antwort
gelegten Standards auch für Kriegsschiffe übernommen.
des Parl. Staatssekretärs Dr. Hermann Kues auf die Fra-
Ein Arbeitsübereinkommen zur Zusammenarbeit zwi- gen der Abgeordneten Caren Marks (SPD) (Drucksa-
schen der NATO und Frontex besteht nicht. Bei den im che 17/6273, Fragen 38 und 39):
Rahmen der Frontex Joint Operation „Hermes“ einge-
Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus
setzten Schiffen zur Seegrenzüberwachung handelt es der Zwischenevaluierung des Finanzwissenschaftlichen For-
sich bis dato ausschließlich um Schiffe der italienischen schungsinstituts an der Universität in Köln „Föderale Finan-
Behörden. Diese unterliegen in Fällen von Seenot eben- zierung des Kinderbetreuungsausbaus: Ermittlung der Lasten-
falls dem UN-Seerechtsübereinkommen. Darüber hinaus verteilung“, wonach für Gesamtdeutschland die bisherige
Ausbaugeschwindigkeit nicht ausreiche und gesteigert wer-
gilt die Ergänzung des Schengener Grenzkodexes vom
den müsse, um das bundesweite Ausbauziel zu erreichen, und
26. April 2010 sogenannte Frontex Leitlinien. Diese ent- welche Initiativen plant bzw. ergreift die Bundesregierung an-
hält verbindliche Vorschriften für das Abfangen und den lässlich dieses Gutachtens?
Aufgriff von Schiffen bzw. Booten sowie Leitlinien für Welche Initiativen ergreift die Bundesregierung bezüglich
die Durchführung von Such- und Rettungsmaßnahmen der Länder, die ihr landeseigenes Ausbauziel nur schwerlich
an den Seegrenzen. Im Rahmen der Frontex Joint Opera- erreichen, weil sowohl die bisherige Ausbaugeschwindigkeit
tion „Hermes“ wurden seit Ende Februar über 9 000 Per- als auch die Finanzierungsplanung nicht ausreichend sind, um
das anvisierte Ausbauziel zu erreichen?
sonen aus Seenot gerettet.
Sinn und Zweck der Zwischenevaluierung nach Art. 5
Zu Frage 36: Abs. 3 der Verwaltungsvereinbarung zum Investitions-
programm „Kinderbetreuungsfinanzierung“ 2008 bis 2013
(B) Neben der Beachtung der Pflicht zur Hilfeleistung auf (D)
ist die Überprüfung der Erreichung des bundesweit
See unterliegt die Bundesregierung als Nichtanrainer- durchschnittlichen Ausbauziels von 35 Prozent – rund
Staat im Mittelmeer keinen weitergehenden Pflichten 750 000 Betreuungsplätze.
zur Verbesserung der Seenotrettung. Da sich die Bundes-
republik Deutschland im Mittelmeer nicht an der NATO Die Bundesregierung hat ihre Finanzierungsbeiträge
geführten Operation UNIFIED PROTECTOR mit See- für die Investitionen in den Ausbau der Kinderbetreuung
kriegsmitteln, Schiffen, Booten beteiligt, wurden seitens nachvollziehbar erbracht. Die Mittel des Bundes stehen
der Bundesregierung insoweit keine speziellen Maßnah- im Rahmen des Sondervermögens „Kinderbetreuungs-
men initiiert. Da weder NATO noch Europäischer Union ausbau“ für die Länder bereit.
– außerhalb der Pflicht der jeweiligen Schiffe zur Hilfe- Die Mehrzahl der Länder hat bisher überwiegend die
leistung – eine Rolle für den Fall von Seenotrettungs- Bundesmittel für die Investitionen eingesetzt. Die Ver-
maßnahmen zufällt, wurden seitens der Bundesregierung antwortung liegt damit nun bei den Ländern, zur Errei-
keine Initiativen hierzu ergriffen. chung des Ausbauziels verlässliche Finanzierungsanteile
am Kinderbetreuungsausbau zu erbringen und damit die
Kommunen beim Ausbau zu unterstützen. Die Bundes-
Anlage 25 regierung hat darüber hinaus nach Art. 3 Abs. 3 der Ver-
Antwort waltungsvereinbarung die Möglichkeit, von einzelnen
Ländern nicht benötigte Bundesmittel zugunsten anderer
des Parl. Staatssekretärs Dr. Hermann Kues auf die Länder zu verteilen.
Frage der Abgeordneten Heidrun Dittrich (DIE
LINKE) (Drucksache 17/6273, Frage 37):
Wann wird im Deutschen Bundestag der sechste Altenbe- Anlage 27
richt der Bundesregierung debattiert?
Antwort
Das Bundeskabinett hat am 17. November 2010 den der Parl. Staatssekretärin Annette Widmann-Mauz auf
Sechsten Altenbericht behandelt und die dazu unter Fe- die Frage der Abgeordneten Dr. Marlies Volkmer
derführung des Bundesministeriums für Familie, Senio- (SPD) (Drucksache 17/6273, Frage 40):
ren, Frauen und Jugend erarbeitete Stellungnahme der
Wie erklärt und bewertet die Bundesregierung, dass das
Bundesregierung beschlossen. Im Anschluss an die Ka- Robert Koch-Institut, RKI, laut einer offiziellen Stellung-
binettbefassung wurde der Sechste Altenbericht eben- nahme erst am 19. Mai 2011 von den Ehec-Infektionen in
falls am 17. November 2010 dem Bundestag zugeleitet. Hamburg erfahren hat, jedoch in einem Report auf Eurosur-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 116. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 29. Juni 2011 13351
(A) veillance.org, der am 2. Juni 2011 erschien und an dessen Er- Anlage 28 (C)
arbeitung mehrere Mitarbeiter des RKI beteiligt waren, davon
die Rede ist, dass vom 9. Mai 2011 an eine stetig steigende Antwort
Zahl von Ehec-Fällen beobachtet wurde, mit einem Maximum
von HUS-Fällen am 16. Mai 2011? des Parl. Staatssekretärs Dr. Andreas Scheuer auf die
Frage des Abgeordneten Uwe Beckmeyer (SPD)
Die in dem Artikel in der Zeitschrift Eurosurveillance (Drucksache 17/6273, Frage 41):
beschriebene stetig wachsende Zahl von Ehec-Fällen ab Welches sind die Gründe dafür, dass die für den 1. Juli
dem 9. Mai 2011 bezieht sich auf das Datum des Erkran- 2011 geplante Einführung der Lkw-Maut auf vierspurigen
kungsbeginns, nicht auf das Datum der Meldung an das Bundesstraßen verschoben werden muss, und warum geht die
Bundesregierung davon aus, dass sie trotz einer von der Toll
RKI. Collect GmbH bereits öffentlich angekündigten Vorlaufzeit
von acht Monaten ab Vertragsabschluss im Jahr 2011 50 Mil-
Beim gegenwärtigen Ehec-Ausbruchsgeschehen wur- lionen Euro an Einnahmen erzielen wird?
den im Rahmen der epidemiologischen Analysen retro-
spektiv alle Erkrankungsfälle, die seit dem 1. Mai 2011 Eine Aussage hierzu ist der Bundesregierung zum ge-
genwärtigen Zeitpunkt noch nicht möglich, da die Ver-
erkrankt waren, aber in der Regel erst später gemeldet
tragsverhandlungen mit dem Mautbetreiber Toll Collect
wurden, mit einbezogen. Hierbei muss zwischen dem
intensiv geführt werden und andauern.
Datum des Erkrankungsbeginns, dem Datum der Dia-
gnose (und gegebenenfalls Krankenhausaufnahme) und Zum Zeitpunkt der Einstellung von Mautmehreinnah-
dem Datum der Meldung an das Gesundheitsamt unter- men in Höhe von 50 Millionen Euro aus der Einführung
schieden werden. der Maut auf vierstreifigen Bundesstraßen in den Bun-
deshaushalt 2011 wurde entsprechend der Erfahrungen
Nach den Vorgaben des Infektionsschutzgesetzes, in der Vergangenheit bei Vertragsanpassungen davon
IfSG, muss ein Fall durch den diagnostizierenden Arzt ausgegangen, dass die Vertragsverhandlungen schneller
und ein Erregernachweis durch das Labor innerhalb von zum Abschluss kommen.
24 Stunden an das Gesundheitsamt gemeldet werden.
Das Gesundheitsamt überprüft die Information und gibt
sie in eine elektronische Datenbank ein. Spätestens am Anlage 29
dritten Arbeitstag der folgenden Woche wird die Infor- Antwort
mation an die zuständige Landesbehörde elektronisch
übermittelt und von dort spätestens innerhalb einer wei- des Parl. Staatssekretärs Dr. Andreas Scheuer auf die
teren Woche elektronisch an das RKI. Frage des Abgeordneten Uwe Beckmeyer (SPD)
(B) (Drucksache 17/6273, Frage 42): (D)
In der Praxis vergeht vom Beginn der Erkrankung bis Welche Streckenabschnitte und Brückenbauwerke von
zum Arztbesuch bzw. bis zur Krankenhauseinweisung Bundesfernstraßen haben die einzelnen Bundesländer im jähr-
lich einzureichenden Erhaltungsprogramm 2011 an das Bun-
und anschließend bis zur Meldung an das Gesundheits- desministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ge-
amt und elektronischen Weiterübermittlung der Daten meldet (bitte in tabellarischer Übersicht nach Bundesländern,
über die zuständigen Landesstellen an das RKI ein unter- Bundesfernstraßen und Maßnahmen unter Bezug auf das fi-
schiedlich langer Zeitraum von wenigen Tagen bis zu ei- nanzielle Volumen und den Beginn der Maßnahme unterglie-
dert darstellen)?
nigen Wochen.
Eine zusammenfassende Aufstellung sämtlicher in
Ehec- und HUS-Fälle treten in geringer Anzahl das 2011 geplanten Erhaltungsmaßnahmen mit Angabe der
ganze Jahr über auf, ohne dass diese einer außergewöhn- Streckenabschnitte und Brückenbauwerke sowie Maß-
lichen Häufung oder einem anderen außergewöhnlichem nahmebeginn liegt der Bundesregierung nicht vor.
Geschehen zuzuordnen sind. Ein Anstieg der den Ge-
sundheitsämtern gemeldeten und von dort über die zu- Eine Übersicht über das finanzielle Volumen des ak-
ständigen Landesbehörden an das RKI übermittelten tuellen Erhaltungsprogramms für 2011 sowie der finan-
zielle Anteil für Brücken und andere Ingenieurbauwerke
Ehec- und HUS-Fälle über die zu erwartende Zahl hi-
für die einzelnen Bundesländer lasse ich Ihnen gerne
naus konnte erst ab der 20. Kalenderwoche – Woche
schriftlich zukommen.
vom 16. Mai 2011 – erkannt werden.
Das RKI hat erstmalig am 19. Mai 2011 von einer er-
höhten Anzahl von HUS-Erkrankungsfällen in Hamburg Anlage 30
erfahren. Seit dem 20. Mai 2011 untersucht das RKI in Antwort
enger Zusammenarbeit mit Gesundheits- und Lebens-
mittelbehörden des Bundes und der Länder den Aus- des Parl. Staatssekretärs Dr. Andreas Scheuer auf die
bruch in Norddeutschland. Die Ursache des Ausbruchs Fragen des Abgeordneten Hans-Joachim Hacker
konnte durch die epidemiologischen Studien des RKI, (SPD) (Drucksache 17/6273, Fragen 43 und 44):
die aufeinander aufbauten, zunehmend eingegrenzt wer- Welche Schlüsse zieht die Bundesregierung aus dem Be-
schluss des Bundesrates in der 884. Sitzung vom 17. Juni
den. 2011 mit der Forderung nach einer neuen Regelung der Alt-
schuldenhilfe für ostdeutsche Wohnungsunternehmen, und
Weitere Informationen hierzu sind unter www.rki.de welche konkreten Schritte der Umsetzung dieses Beschlusses
und www.bmg.bund.de abrufbar. wird die Bundesregierung unternehmen?
13352 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 116. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 29. Juni 2011
(A) Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, eine Der Untersuchungsbericht soll gemäß § 5 Abs. 5 Eisen- (C)
Anschlussregelung für die Altschuldenproblematik ostdeutscher bahn-Unfalluntersuchungsverordnung innerhalb eines Jah-
Wohnungsunternehmen an eine Sanierungsverpflichtung für
Wohngebäude in Innenstädten zu knüpfen, und ist die Bun- res nach dem gefährlichen Ereignis fertiggestellt werden.
desregierung dazu bereit, dies zu unterstützen?
(A) Anlage 35 Unterstützt die Bundesregierung die Forderung des Bun- (C)
desrates vom 17. Juni 2011 (Bundesratsdrucksache 341/11
Antwort (Beschluss)), die Vergütung bzw. Absenkung der Vergütung
von Strom aus solarer Strahlungsenergie im Verlaufe des Ge-
der Parl. Staatssekretärin Katherina Reiche auf die Frage setzgebungsverfahrens nicht dahin gehend zu verändern, dass
der Abgeordneten Dorothee Menzner (DIE LINKE) es zu einer weiteren Absenkung der Solarstromförderung über
(Drucksache 17/6273, Frage 49): das bisherige Maß des Kabinettsbeschlusses hinaus kommt?
Welche Informationen hat die Bundesregierung über den Kann sich die Bundesregierung vorstellen, zu erwägen,
Zustand der Atomkraftwerke Fort Calhoun und Cooper die kürzlich eingeführte sogenannte Local-Content-Regelung
Nuclear Station in Nebraska, USA, die nach Medienberich- der italienischen Regierung zu übernehmen, mit der eine dif-
ten – junge Welt, 21. Juni 2011 – durch das gegenwärtige ferenzierte Einspeiseförderung zwischen solchen Solarstrom-
Missouri-Hochwasser überschwemmt wurden, und den von anlagen ermöglicht wird, die zu mindestens 60 Prozent aus in-
ihnen ausgehenden Gefahren für Menschen und Umwelt? ländischer Wertschöpfung stammen, und solchen, die diesen
Anteil nicht einhalten, oder denkt die Bundesregierung da-
In den USA hat der Fluss Missouri zurzeit Hochwas- rüber nach, andere gesetzliche Instrumente zu prüfen, die zwi-
ser. Das Hochwasser ist bedingt durch Schneeschmelze schen Herkunftsländern bzw. Regionen differenzieren, in de-
in den Rocky Mountains in Montana und Wyoming zu- nen Märkte für Solartechnik geschaffen werden, und jenen,
die eine rein exportorientierte Solarförderung betreiben?
sammen mit ergiebigen Regenfällen in Montana und Ab-
lassen hoher Wassermengen aus Talsperren. Von dem
Hochwasser sind die Kernkraftwerksstandorte in Fort Zu Frage 52:
Calhoun und Cooper in Nebraska betroffen. Die Kern-
Der Regierungsentwurf vom 6. Juni 2011 enthält die
kraftwerksstandorte sind nicht überschwemmt.
Position der Bundesregierung. Ob es zu Veränderungen
Nach den Informationen, die der Bundesregierung durch des Erneuerbare-Energien-Gesetzes, EEG, in Bezug auf
eine Meldung der Aufsichtsbehörde der USA (US NRC), die Degression kommt, wird am 30. Juni 2011 im Deut-
dem Power Reaktor Information System (PRIS) der In- schen Bundestag entschieden.
ternationalen Atomenergie-Organisation (IAEO) und
nach Meldungen der Presse vorliegen, stellt sich die Zu Frage 53:
Situation an den Standorten der Kernkraftwerke Fort
Calhoun und Cooper in den USA momentan wie folgt Nein.
dar:
Es ist mit den WTO-Regelungen nicht vereinbar, den
Das Kernkraftwerk Fort Calhoun befindet sich zurzeit Marktzugang aus industriepolitischen Gründen zu be-
im kalt abgeschalteten Zustand und ist seit dem 9. April schränken. Zudem sind Marktzugangsbeschränkungen,
2011 in Revision. Die Anlage war auf den Anstieg des die sich gegen andere Mitgliedstaaten der EU richten, (D)
(B) Missouri vorbereitet und es wurden unter anderem
vor dem Hintergrund der europarechtlichen Grundfrei-
Schutzwälle gegen das Hochwasser errichtet, zusätzliche heiten grundsätzlich unzulässig.
Dieselvorräte für Notstromdiesel angelegt und Stromlei-
tung auf einem höheren Niveau verlegt. Der Missouri Deutschland würde sich zudem als Exportnation un-
hatte am 19. Juni 2011 einen Pegel von circa 306,5 m glaubwürdig machen: Handelsbeschränkungen führen zu
über Meeresniveau erreicht. Die Anlage Fort Calhoun ist Nachteilen bei eigenen Exportanstrengungen. Die Bun-
nach Betreiberaussage bis auf eine Höhe von 308,5 m desregierung hat sich im Gegenteil das Regierungsziel
Meeresniveau geschützt. gesetzt, für die Abschaffung von Zöllen im Rahmen der
Das Kernkraftwerk Cooper befindet sich zurzeit im WTO-Verhandlungen zu Umweltgütern einzutreten.
Leistungsbetrieb. Seit dem 30. Mai 2011 wurden Maß- Dies würde sowohl den Entwicklungs- als auch Indus-
nahmen zur Vorsorge gegen Hochwasser getroffen. Es trieländern Vorteile bringen und den Handel von Um-
wurden unter anderem Sandsäcke bereitgestellt, Schutz- weltgütern befördern. Die deutsche Solarbranche ist
wälle errichtet und die Zufahrtsstraße verstärkt. Sollte auch selbst auf Export angewiesen: Zellen werden in
der Pegel weiter ansteigen, wird die Anlage abgefahren. großem Maße exportiert und Module wieder reimpor-
tiert. Auch der Anlagenbau exportiert Produktionsma-
Nach Presseangaben lag der Pegel am Montagmor- schinen für Solarmodule.
gen, dem 20. Juni 2011, circa 0,46 m unterhalb des
Grenzwertes zum Abfahren der Anlage. Am Montagmit- Vor diesem Hintergrund werden Handelsbeschrän-
tag war ein leichtes Abfallen des Pegels sichtbar. kungen nicht erwogen.
Die Bundesregierung geht momentan davon aus, dass
von den Kernkraftwerken keine Gefahren für Menschen
und Umwelt ausgehen. Anlage 37
Antwort
Anlage 36 des Parl. Staatssekretärs Dr. Helge Braun auf die Fragen
des Abgeordneten Michael Gerdes (SPD) (Drucksache
Antwort
17/6273, Fragen 54 und 55):
der Parl. Staatssekretärin Katherina Reiche auf die Fra- In welchem Stadium befinden sich die Pläne für den Bau
gen des Abgeordneten Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/ des Forschungsschiffes „Polarstern II“, und welche Kosten
DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/6273, Fragen 52 und 53): werden durch den Neubau voraussichtlich entstehen?
13354 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 116. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 29. Juni 2011
(A) Plant die Bundesregierung, die „Polarstern“ bis zum Ende planes zum Bau und Betrieb eines paneuropäischen (C)
des Jahrzehnts weiter als Forschungsschiff zu nutzen, und Forschungsschiffes durch das European Research Ice-
welche Kosten werden entstehen, um die „Polarstern“ ent-
sprechend zu modernisieren? breaker Consortium/Ericon-Aurora Borealis. Dies wird
im Rahmen der „Preparatory Phase“ für ESFRI-Projekte
Zu Frage 54: durch die EU-Kommission finanziert. Die im Frühsom-
mer 2012 zu erwartenden Ergebnisse liefern wichtige
Basierend auf den Empfehlungen des Wissenschafts- und weitreichende Grundlagen für den Bau und Betrieb
rates vom 12. November 2010 zur künftigen Entwick- internationaler Infrastrukturen in der Meeres- und Polar-
lung der deutschen marinen Forschungsflotte erarbeitet forschung.
das Bundesministerium für Bildung und Forschung,
BMBF, derzeit eine Gesamtschiffsstrategie. Diese Ge- Zu Frage 57:
samtschiffsstrategie des BMBF beinhaltet unter anderem
auch die notwendige Erneuerung der deutschen For- Im Rahmen der durch die EU-Kommission finanzier-
schungsflotte. Hierfür wird das positive Votum des Wis- ten „Preparatory Phase“ für ESFRI-Projekte werden die
senschaftsrates für einen Neubau des Forschungsschiffes wissenschaftlichen und organisatorischen Voraussetzun-
„Polarstern“ seitens des BMBF als hilfreich für die Rea- gen für den Bau und Betrieb eines paneuropäischen
lisierung dieses neuen Forschungseisbrechers aufgenom- Forschungsschiffes durch das European Research Ice-
men. breaker Consortium/Ericon-Aurora Borealis grundsätz-
lich geprüft. Zu welchem Ergebnis die Projektplanungen
Zum jetzigen Verfahrensstand ist eine belastbare Kos- bis Frühsommer 2012 kommen werden, kann derzeit
tenschätzung für einen Nachfolgebau noch nicht mög- nicht vorweggenommen werden. Auf Basis der derzeiti-
lich. gen Gegebenheiten sind mittelfristig seitens des BMBF
keinerlei finanzielle Zusagen für ein paneuropäisches
Zu Frage 55: Forschungsschiff möglich.
Der Wissenschaftsrat votierte in seinen Empfehlun-
gen vom 12. November 2010 zur zukünftigen Entwick-
lung der deutschen marinen Forschungsflotte für einen Anlage 39
Parallelbetrieb von „FS Polarstern I“ und „FS Polar- Antwort
stern II“ für drei bis fünf Jahre bis zum Ende dieses Jahr-
zehnts. des Parl. Staatssekretärs Dr. Helge Braun auf die Frage
der Abgeordneten Ulla Burchardt (SPD) (Drucksache
Bei einer Entscheidung für einen Parallelbetrieb müs- 17/6273, Fragen 58 und 59):
(B) sen jedoch unter anderem Kostengesichtspunkte und die Wie viele Stipendien wurden zur Einführung des nationa- (D)
Frage, wie nachhaltig die wissenschaftliche Arbeit bei len Stipendienprogramms im laufenden Sommersemester ver-
zeitlich befristetem Betrieb sein kann, berücksichtigt geben – aufgeschlüsselt nach Hochschulen –, und wie bewer-
werden. Auch sind Zweifel hinsichtlich einer europäi- tet die Bundesregierung die vorliegenden Stipendienzahlen?
schen Wissenschafts- und Organisationslösung für die Wie hoch ist der Umfang der Kofinanzierung durch Unter-
Gestaltung des Parallelbetriebs angebracht. nehmen (aufgeschlüsselt nach Unternehmen)?
Die Kosten für die Ertüchtigung von „FS Polarstern“ für Die Vergabe der Deutschlandstipendien und die Ein-
einen Weiterbetrieb bis zum Ende des Jahrzehntes wer- werbung privater Stipendienmittel sind Aufgabe der
den seitens des Bundesministeriums für Bildung und Hochschulen. Einen verlässlichen Überblick über die
Forschung auf etwa 30 Millionen Euro geschätzt. Zahl der vergebenen Stipendien bietet die jährliche Bun-
desstatistik, die erstmals nach Ablauf des Kalenderjahres
2011 erstellt werden wird. Die bislang von den Ländern
Anlage 38 mitgeteilten Prognosen erlauben weder verlässliche
Rückschlüsse hinsichtlich der Stipendienzahlen noch
Antwort hinsichtlich der privaten Mittelgeber.
des Parl. Staatssekretärs Dr. Helge Braun auf die Fragen
der Abgeordneten Marianne Schieder (Schwandorf)
(SPD) (Drucksache 17/6273, Fragen 56 und 57): Anlage 40
Welche Optionen zur Zukunft des Projekts „Aurora Borea- Antwort
lis“ werden derzeit auf EU-Ebene diskutiert, und welche Hal-
tung vertritt die Bundesregierung in dieser Frage? der Parl. Staatssekretärin Gudrun Kopp auf die Frage der
Ist es zutreffend, dass, nachdem sich die europäischen Abgeordneten Sabine Stüber (DIE LINKE) (Druck-
Partner nicht auf eine Finanzierung für die „Aurora Borealis“ sache 17/6273, Frage 60):
haben einigen können, nunmehr über eine „abgespeckte Va-
riante“ des Projekts diskutiert wird, und wie soll diese ausse- Wann ist mit der Beendigung der Prüfung der offenen Fra-
hen? gen des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenar-
beit und Entwicklung und damit mit der mir zugesagten Ant-
wort auf meine mündliche Frage vom 6. Oktober 2010
Zu Frage 56: (Plenarprotokoll 17/64, Seite 6741 D) zur Yasuní-ITT-Initia-
tive zu rechnen?
Das Ericon-Aurora-Borealis-Projekt wurde aktuell
von der ESFRI-Roadmap gestrichen. Das BMBF be- Die ecuadorianische Regierung hat ernsthaftes Bemü-
grüßt dennoch weiterhin die Ausarbeitung eines Projekt- hen gezeigt, auf die Fragen, die vom Deutschen Bundes-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 116. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 29. Juni 2011 13355
(A) tag und der Bundesregierung gestellt worden sind, 10 000 MW Leistung gefördert werden, Aussage des Staats- (C)
einzugehen und eine Klärung herbeizuführen. Die Bun- sekretärs im Bundesministerium für Wirtschaft und Technolo-
gie, Jochen Homann, bei der Diskussion der CDU/CSU-Bun-
desregierung hat sorgfältig geprüft, ob grundsätzliche destagsfraktion am 20. Juni 2011 – Energate-Meldung vom
Vorbehalte aus dem Weg geräumt werden konnten, und 20. Juni 2011, und von welchen sonstigen Rahmenbedingun-
hat sich hierzu intensiv mit der ecuadorianischen Regie- gen – Entwicklung der Erzeugung aus erneuerbaren Energien,
rung ausgetauscht. Verbrauch, Jahreshöchstlast – gehen diese Untersuchungen
aus, die einen notwendigen Zubau von Kohle- und Gaskraft-
Unter anderem bleibt für die Bundesregierung das werken in einer Größenordnung von 10 000 MW ermitteln?
Problem der fehlenden Abgrenzung der Initiative zu den Welche Bedingungen stellt die Bundesregierung für eine
Forderungen einiger ölfördernder Länder bestehen, die eventuelle Förderung von Kohle- oder Gaskraftwerken, und
für unterlassene Ölförderung im Rahmen der internatio- welche „Anforderungen an die technische und betriebliche
nalen Klimaverhandlungen Kompensationen verlangen. Flexibilität neuer Anlagen zur Erzeugung von Energie“ plant
die Bundesregierung vor einer Förderung aufzustellen, wie es
Eine Vereinbarung, im Rahmen der ITT-Initiative Kom- mit der aktuellen Änderung des § 49 Abs. 4 des Energiewirt-
pensationen für den Verzicht auf Ölförderungen zu leis- schaftsgesetzes durch Rechtsverordnung ermöglicht wird?
ten, könnte als Präjudiz für die Zustimmung der Bundes-
regierung zu derartigen Forderungen einiger öl- und Zu Frage 61:
gegebenenfalls auch gasfördernder Länder in den Klima-
verhandlungen missverstanden werden. Solche – im Ver- Die Bundesregierung strebt mit ihren energiepoliti-
gleich zu den im Rahmen von Waldschutzmaßnahmen, schen Beschlüssen vom 6. Juni 2011 die Steigerung des
REDD – Reducing Emissions from Deforestation and Anteils der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien
Forest Degradation, diskutierten – ungleich teureren am Bruttostromverbrauch in Deutschland von 17 Pro-
Kompensationszahlungen würden daher ein falsches zent auf 35 Prozent bis 2020 an. Aufgrund der ange-
Signal darstellen. Weiterhin bleibt die fehlende Einbet- strebten Abschaltung aller Kernkraftwerke bis Ende des
tung des Schutzes des Yasuní-Gebietes in einen nationa- Jahres 2022 sowie der Außerbetriebnahme weiterer alter
len REDD-Ansatz mit den international diskutierten dargebotsunabhängiger Erzeugungskapazitäten in den
Auflagen im Hinblick auf soziale und ökologische Min- nächsten Jahren werden für die Integration dieses zuneh-
deststandards, die Beteiligung zivilgesellschaftlicher menden Anteils erneuerbarer Energien in das Netz aus
Gruppen/Indigener und das notwendige Monitoring von Gründen der Versorgungssicherheit und Netzstabilität
nachzuweisenden Emissionseinsparungen durch Wald- flexible konventionelle Kraftwerke zum Ausgleich der
schutz bestehen. Schwankungen benötigt. Nach Ansicht der Bundesregie-
rung ist hierfür eine schnelle Fertigstellung der derzeit
Die Bundesregierung fördert in Lateinamerika im
(B) im Bau befindlichen Gas- und Kohlekraftwerke und bis (D)
Rahmen des bestehenden EZ-Engagements Maßnahmen
zum Jahr 2020 ein weiterer Zubau von bis zu 10 Giga-
zum Schutz der Biodiversität, zum Klimaschutz, zum
watt gesicherter Kraftwerksleistung notwendig. Hierzu
Schutz der indigenen Bevölkerung, zur Förderung er-
neuerbarer Energien sowie zur sozialen Entwicklung. soll das angesprochene Kraftwerksförderprogramm ei-
Mit Blick auf die ITT-Initiative in Ecuador hat die Bun- nen Beitrag leisten.
desregierung der ecuadorianischen Regierung eine An-
passung der laufenden Programme an die Ziele der Ini- Zu Frage 62:
tiative sowie eine Ausweitung des EZ-Engagements auf
Die Bundesregierung hat mit ihren Beschlüssen vom
den Yasuní-Nationalpark vorgeschlagen. Die Bundes-
6. Juni 2011 das bereits im Energiekonzept vom Septem-
regierung hofft, dass der Dialog über diese Vorschläge
ber 2010 enthaltene Vorhaben bekräftigt, in den Jahren
im Rahmen der voraussichtlich im Oktober 2011 statt-
findenden deutsch-ecuadorianischen Regierungsver- 2013 bis 2016 den Neubau hocheffizienter und CCS-fä-
handlungen konkretisiert werden kann. Darüber hinaus higer fossiler Kraftwerke, vorrangig mit Kraft-Wärme-
hat die Bundesregierung mit UNEP einen Dialog ini- Kopplung, mit 5 Prozent der jährlichen Ausgaben des
tiiert, um die Frage der Kohärenz der ITT-Initiative mit Energie- und Klimafonds zu fördern. Dabei sollen nur
dem entstehenden REDD-Ansatz in Ecuador zu erörtern. Betreiber mit einem Anteil von weniger als 5 Prozent der
UNEP ist wie Deutschland Partner der ecuadorianischen deutschen Erzeugungskapazitäten gefördert werden. Die
Regierung bei der Ausgestaltung von REDD in Ecuador. konkretere Ausgestaltung des deutschen Förderpro-
gramms wird stark von den EU-Vorgaben abhängen. Die
Europäische Kommission hatte in einer Erklärung im
Energie- und Klimapaket 2008 eine entsprechende bei-
Anlage 41
hilferechtliche Möglichkeit grundsätzlich zugesagt. Die
Antwort Kommission hat nunmehr angekündigt, dass sie diese
Option bis spätestens Anfang nächsten Jahres näher ko-
des Parl. Staatssekretärs Hans-Joachim Otto auf die Fra- difizieren will. Das deutsche Programm wird parallel zu
gen der Abgeordneten Ingrid Nestle (BÜNDNIS 90/ diesem Prozess vorbereitet. Ob und gegebenenfalls wie
DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/6273, Fragen 61 und eine Verknüpfung mit den Möglichkeiten zur Regelung
62): der Anforderungen an die technische und betriebliche
Aufbauend auf welchen Untersuchungen sollen bis 2020 Flexibilität neuer Anlagen gemäß § 49 Abs. 4 EnWG-E
neue Kohle- und Gaskraftwerke in einer Größenordnung von erfolgt, wird in diesem Kontext zu entscheiden sein.
13356 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 116. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 29. Juni 2011
(A) Die EU-Sonderbeauftragte für den Sudan, Rosalind Zu Frage 77: (C)
Marsden, legte am 8. Juni 2011 ein Strategiepapier zum
Ich verweise auf meine Antwort zu Ihrer ersten Frage.
umfassenden Ansatz der EU gegenüber Sudan und Süd-
Sudan vor. Auf dem Gebiet des zivilen GSVP- Erkenntnisse über ein angebliches Treffen von Herrn
Engagements werden – mit jeweils unterschiedlichen Thaksin mit dem thailändischen Kronprinzen in Mün-
zeitlichen Perspektiven für ihre Umsetzung – vier mögli- chen liegen der Bundesregierung nicht vor.
che Einsatzszenarien vorgestellt:
– Unterstützung beim Aufbau von Sicherheitsstruktu-
Anlage 52
ren am Flughafen Juba, Flugsicherung, Grenzschutz,
Zoll, Antwort
– Grenzsicherheit bzw. Grenzschutz im Rahmen des des Parl. Staatssekretärs Dr. Ole Schröder auf die Fragen
VN-Engagements, des Abgeordneten Memet Kilic (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN) (Drucksache 17/6273, Fragen 80 und 81):
– Beitrag zum Aufbau einer Wasserschutzpolizei sowie
Mit welchen Statistiken kann die Bundeskanzlerin
– Stärkung der südsudanesischen Strafermittlungs- und Dr. Angela Merkel belegen, dass die Kriminalität von jungen
Migranten höher ist als die der Jugendlichen ohne Migrations-
Strafverfolgungskapazitäten durch Aufbau der Krimi- hintergrund?
nalpolizei.
Sind nach Ansicht der Bundeskanzlerin die mangelnde
Die Vorschläge der EU-Sonderbeauftragten Marsden Chancengleichheit im Bildungssystem und die Perspektiv-
losigkeit aufgrund finanzieller Schwierigkeiten ursächlich für
erlauben einen guten Einstieg in erste Überlegungen zur das angebliche Kriminalitätsproblem, und, wenn nein, wie be-
Unterstützung eines unabhängigen Süd-Sudan durch die gründet dies die Bundeskanzlerin?
EU.
Die Bundesregierung befürwortet ein Engagement im Zu Frage 80:
Südsudan, das Instrumente der zivilen GSVP ein- Die Polizeiliche Kriminalstatistik des Bundes erfasst
schliesst, und wird sich an der Diskussion um deren wei- nicht den Migrationshintergrund der Tatverdächtigen,
tere Ausarbeitung und spätere Umsetzung weiter aktiv TV, sondern unterscheidet nur nach deutschen und nicht-
beteiligen. deutschen TV. Danach ist die Gewaltkriminalität bei
deutschen und nichtdeutschen Jugendlichen – 14 bis un-
ter 18 Jahre – zwischen 2007 und 2010 zurückgegangen.
Anlage 51 Nichtdeutsche Jugendliche – 14 bis unter 18 Jahre – sind
(B) beim Anteil der TV an den Gewaltdelikten jedoch statis- (D)
Antwort tisch deutlich überrepräsentiert: konkret betrug ihr An-
der Staatsministerin Cornelia Pieper auf die Fragen des teil in 2010 23,14 Prozent – 2007: 22,6 Prozent – am
Abgeordneten Dr. h. c. Jürgen Koppelin (FDP) (Druck- Gesamttatverdächtigenaufkommen. Demgegenüber be-
sache 17/6273, Fragen 76 und 77): trug der Anteil der jugendlichen deutschen Tatverdächti-
In welcher Form hat sich die Bundesregierung bemüht, Er-
gen in diesem Deliktsfeld 18,6 Prozent (2007:
kenntnisse über eine eventuelle Einreise des früheren thai- 22,3 Prozent). Da Aussiedler und eingebürgerte Deut-
ländischen Ministerpräsidenten Thaksin Shinawatra zu erhal- sche bei den deutschen Tatverdächtigen mitgezählt wer-
ten, um meine schriftlichen Fragen auf Bundestagsdrucksache den, dürfte bei Jugendlichen mit Migrationshintergrund
17/6272 zu beantworten? sogar von einem noch höheren tatsächlichen Anteil am
Ist die Bundesregierung der Darstellung der Badischen Gesamttatverdächtigenaufkommen bei Gewalttaten aus-
Zeitung vom 14. Juni 2011 nachgegangen, dass der frühere zugehen sein.
thailändische Ministerpräsident Thaksin Shinawatra den thai-
ländischen Kronprinzen in München getroffen haben soll? Getragen wird diese Bewertung zur tatsächlichen Kri-
minalitätsbelastung von Jugendlichen mit Migrations-
Zu Frage 76: hintergrund bei Gewalttaten auch von der Dunkelfeld-
Das Auswärtige Amt hat am 21. Juni 2011 das Bun- forschung. Das BMI hat von 2007 bis 2010 gemeinsam
desministerium des Innern, das Bundesministerium der mit dem Kriminologischen Forschungsinstitut Nieder-
Justiz sowie den Deutschen Botschafter in Bangkok um sachsen e. V. das Forschungsprojekt „Jugendliche in
Mitteilung zu etwaigen Erkenntnissen über eine even- Deutschland als Opfer und Täter von Gewalt“ durchge-
tuelle Einreise und Aufenthalt von Herrn Thaksin führt. Auch nach diesen Forschungsergebnissen zur
Shinawatra im Bundesgebiet in den vergangenen 12 Mo- selbstberichteten Jugendgewalt begehen Jugendliche mit
naten gebeten. Migrationshintergrund deutlich häufiger Gewalttaten als
Jugendliche ohne Migrationshintergrund.
Die befassten Stellen haben mitgeteilt, dass keine Er-
kenntnisse über eine Einreise nach Deutschland in die- Zu Frage 81:
sem Zeitraum vorlägen.
Kriminalität ist in ihren Ursachen komplex und multi-
Das Auswärtige Amt hat außerdem informell bei der kausal. Eine Beschränkung auf isolierte Ursachen ver-
Botschaft des Königreichs Thailand in der Bundesrepu- bietet sich. Auch nach den Ergebnissen des oben ge-
blik Deutschland nachgefragt. Auch dort lagen keine Er- nannten gemeinsamen Forschungsprojekts beruht die
kenntnisse über einen Aufenthalt in Deutschland vor. insgesamt deutlich höhere Gewalttäterquote von jungen
13360 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 116. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 29. Juni 2011
(A) Migranten auf einem Bündel von Belastungsfaktoren, Das von Ihnen in Bezug genommene Urteil des Bun- (C)
die bei ihnen stärker ausgeprägt sind als bei deutschen desverfassungsgerichts vom 2. März 2010 betrifft die
Jugendlichen. Von zentraler Bedeutung ist dabei, dass Vorratsdatenspeicherung. Das Bundesverfassungsgericht
junge Migranten weit häufiger als deutsche Jugendliche hat insoweit unter anderem ausgeführt, dass eine Spei-
Opfer innerfamiliärer Gewalt werden und dass sie öfter cherungsdauer von sechs Monaten angesichts des Um-
Gewalt zwischen den eigenen Eltern beobachten müs- fangs und der Aussagekraft der gespeicherten Vorrats-
sen. daten sehr lang ist und an der Obergrenze dessen liegt,
was unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten rechtfer-
tigungsfähig ist, Absatz-Nr. 215. Dies bezieht sich indes-
Anlage 53 sen auf anlasslos gespeicherte Vorratsdaten. Bei der
Funkzellenabfrage werden die Daten hingegen nicht an-
Antwort
lasslos, sondern anlassbezogen aufgrund des konkreten
des Parl. Staatssekretärs Dr. Ole Schröder auf die Frage Verdachts einer erheblichen Straftat während eines be-
der Abgeordneten Sevim Dağdelen (DIE LINKE) stimmten Zeitraums erhoben und für Strafverfolgungs-
(Drucksache 17/6273, Frage 82): zwecke ausgewertet und gegebenenfalls verwertet. Hier-
Wie bewertet die Bundesregierung den Umstand, dass im für gilt keine Sechsmonatsfrist, sondern die bereits
Zusammenhang mit den Antinaziprotesten am 19. Februar dargestellte Vorgabe des § 101 Abs. 8 StPO, dass die Da-
2011 in Dresden eine Funkzellenabfrage angeordnet wurde, ten unverzüglich zu löschen sind, sobald sie zur Straf-
obwohl bekannt war, dass sich dort auch viele Mitglieder des verfolgung sowie für eine etwaige gerichtliche Überprü-
Deutschen Bundestages aufgehalten haben und diese einen
besonderen grundrechtlichen Schutz genießen, und wie will fung der Maßnahme nicht mehr benötigt werden.
die Bundesregierung sicherstellen, dass nach Auffassung der
Fragestellerin rechtswidrig erlangte und gespeicherte Daten
der betroffenen Bundestagsabgeordneten gelöscht werden?
Anlage 55
Die Bundesregierung hat bereits im Rahmen der Ant-
wort auf Ihre Schriftliche Frage vom 20. Juni 2011 da- Antwort
rauf hingewiesen, keine amtlichen Informationen über
des Parl. Staatssekretärs Dr. Max Stadler auf die Frage
die Anordnung von Funkzellenabfragen im Zusammen-
des Abgeordneten Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/
hang mit den Protesten am 19. Februar 2011 in Dresden
DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/6273, Frage 84):
zu haben. Unabhängig davon enthält sich die Bundes-
regierung grundsätzlich einer Bewertung von Maßnah- Wann genau – angesichts der Absichtserklärung „in
men, die ein Land im Rahmen seiner Zuständigkeit ge- Kürze“ auf Bundestagsdrucksache 17/5315 – beabsichtigt die
Bundesregierung, dem Deutschen Bundestag einen Gesetzent-
(B) troffen hat. wurf zur Ratifizierung des Protokolls Nr. 12 zur Konvention (D)
zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten SEV
Nr. 177, gezeichnet am 4. November 2000, vorzulegen, und
Anlage 54 welche Ergebnisse der mehr als zehnjährigen Beobachtung
des weiteren Fortgangs der Ratifizierung durch andere Staaten
Antwort und der Entwicklung der Rechtsprechung des Europäischen
Gerichtshofs für Menschenrechte nach dem Inkrafttreten des
des Parl. Staatssekretärs Dr. Max Stadler auf die Frage Protokolls (vergleiche Bundestagsdrucksache 17/5315) führ-
des Abgeordneten Dr. Konstantin von Notz (BÜND- ten die Bundesregierung dazu, das Protokoll nun in Kürze ra-
NIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/6273, Frage 83): tifizieren lassen zu wollen?
Wie bewertet die Bundesregierung vor dem Hintergrund Der Bericht der Bundesregierung über den Stand der
der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 2. März
2010 (Az. 1 BvR 256/08; 1 BvR 263/08; 1 BvR 586/08) die Zu-
Zeichnung und Ratifikation europäischer Konventionen
lässigkeit der Speicherung von Verkehrsdaten aus Funkzellen- ist traditionell in drei Gruppen gegliedert: Abkommen,
abfragen für die Dauer von bis zu sechs Monaten? die ratifiziert sind oder ratifiziert werden sollen, solche,
bei denen noch eine längere Prüfung bevorsteht und sol-
Das geltende Recht sieht eine bestimmte Frist für die
che, bei denen keine Ratifikation beabsichtigt ist. Das
Aufbewahrung von Verkehrsdaten, die aus einer Funk-
12. Protokoll zur EMRK war von Anfang an in Gruppe 1
zellenabfrage gewonnen wurden, nicht vor.
eingegliedert, da die Bundesregierung davon ausging,
Verkehrsdaten dürfen unter den Voraussetzungen des dass relativ bald Rechtsprechung des EGMR dazu vor-
§ 100 g Abs. 2 Satz 2 der Strafprozessordnung, StPO, liegen würde, die eine Entscheidung über die Ratifika-
aufgrund richterlicher Anordnung, nach § 100 g Abs. 2 tion ermöglicht hätte. Solche Rechtsprechung lässt aber
Satz 1 in Verbindung mit § 100 b Abs. 1 und 2 StPO, immer noch auf sich warten. Insofern hat sich mit dem
durch eine Funkzellenabfrage erhoben werden. Sind die aktuellen Bericht keine veränderte Situation ergeben.
durch diese Maßnahme erlangten personenbezogenen Eine Verschiebung in Gruppe 2 hätte als Signal dafür
Daten zur Strafverfolgung und für eine etwaige gerichtli- missgedeutet werden können, dass die Bundesregierung
che Überprüfung der Maßnahme nicht mehr erforder- der Ratifikation des Protokolls nunmehr skeptischer ge-
lich, sind sie nach § 101 Abs. 8 Satz 1 StPO unverzüg- genübersteht. Das ist nicht der Fall; die Haltung der
lich zu löschen. Bundesregierung ist unverändert.
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ISSN 0722-7980