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Plenarprotokoll 14/118

Deutscher Bundestag
Stenographischer Bericht

118. Sitzung

Berlin, Donnerstag, den 14. September 2000

Inhalt:

Entsendung des Abgeordneten Gunter Ekin Deligöz BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . 11309 A
Weißgerber als ordentliches Mitglied in das Dirk Niebel F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11310 B
Kuratorium der „Stiftung Archiv der Parteien
und Massenorganisationen der DDR“ . . . . . . . 11285 A Karl-Josef Laumann CDU/CSU . . . . . . . . . . . 11311 C
Erweiterung der Tagesordnung . . . . . . . . . . . 11285 B Adolf Ostertag SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11313 C
Renate Jäger SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11314 B
Tagesordnungspunkt 1 (Fortsetzung): Wolfgang Meckelburg CDU/CSU . . . . . . . . . . 11316 B

a) Erste Beratung des von der Bundesre-


gierung eingebrachten Entwurfs eines Einzelplan 09
Gesetzes über die Feststellung des Bun- Bundesministerium für Wirtschaft und
deshaushaltsplans für das Haushaltsjahr Technologie
2001 (Haushaltsgesetz 2001) (Druck- Dr. Werner Müller, Bundesminister BMWi . . . 11318 B
sache 14/4000) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11285 B
Gunnar Uldall CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . 11321 A
b) Unterrichtung durch die Bundesregie-
Margareta Wolf (Frankfurt) BÜNDNIS 90/
rung: Finanzplan des Bundes 2000 bis DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11324 B
2004
(Drucksache 14/4001) . . . . . . . . . . . . . 11285 B Rainer Brüderle F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11327 A
Hubertus Heil SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11329 C
Einzelplan 11 Rolf Kutzmutz PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11330 B
Bundesministerium für Arbeit und So- Dr. Norbert Wieczorek SPD . . . . . . . . . . . . . . . 11332 A
zialordnung
Klaus Brähmig CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . 11335 B
Walter Riester, Bundesminister BMA . . . . . . . 11285 C Dr. Ditmar Staffelt SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11336 D
Dr. Christa Luft PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11290 C Hubertus Heil SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11337 B
Horst Seehofer CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . 11290 D Gunnar Uldall CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . 11338 C
Dr. Thea Dückert BÜNDNIS 90/ Hartmut Schauerte CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 11339 A
DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11295 A
Dr. Ditmar Staffelt SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11339 B
Dr. Irmgard Schwaetzer F.D.P. . . . . . . . . . . . . . 11298 A
Dagmar Wöhrl CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . 11339 C
Dr. Heidi Knake-Werner PDS . . . . . . . . . . . . . 11300 B
Ulla Schmidt (Aachen) SPD . . . . . . . . . . . . . . 11302 B
Einzelplan 16
Dr. Klaus Grehn PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11306 A
Bundesministerium für Umwelt, Natur-
Ulla Schmidt (Aachen) SPD . . . . . . . . . . . . . . 11306 B schutz und Reaktorsicherheit
Hans-Joachim Fuchtel CDU/CSU . . . . . . . . . . 11306 D Jürgen Trittin, Bundesminister BMU . . . . . . . 11341 D
II Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. September 2000

Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach) CDU/CSU 11343 D Tierärzte, der Hebammen, der Apothe-
ker und der Ärzte
Oswald Metzger BÜNDNIS 90/DIE
(Drucksachen 14/3050 Nr. 2.2,
GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11346 B 14/3607) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11365 D
Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach) CDU/CSU 11347 A
Ulrike Mehl SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11347 C Einzelplan 12
Birgit Homburger F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . 11349 D Bundesministerium für Verkehr, Bau-
und Wohnungswesen
Eva Bulling-Schröter PDS . . . . . . . . . . . . . . . 11351 C
Reinhard Klimmt, Bundesminister BMVBW 11366 A
Waltraud Lehn SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11353 A
Eduard Oswald CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 11368 D
Jochen Borchert CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 11355 B
Matthias Berninger BÜNDNIS 90/DIE
Jürgen Trittin BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . 11357 B GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11371 D
Jochen Borchert CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 11357 C Wolfgang Dehnel CDU/CSU . . . . . . . . . . . 11373 D
Dr. Reinhard Loske BÜNDNIS 90/DIE Hans-Michael Goldmann F.D.P. . . . . . . . . . . . 11374 A
GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11358 A
Dr. Winfried Wolf PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11376 C
Dr. Peter Paziorek CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 11360 B
Annette Faße SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11378 A
Dr. Reinhard Loske BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11362 B Dr. Michael Meister CDU/CSU . . . . . . . . . . . 11380 B
Marion Caspers-Merk SPD . . . . . . . . . . . . . . . 11363 A Albert Schmidt (Hitzhofen) BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11382 D
Renate Blank CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 11363 C
Albert Schmidt (Hitzhofen) BÜNDNIS 90/
Dr. Peter Paziorek CDU/CSU . . . . . . . . . . . 11364 D DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11384 A
Dr. Winfried Wolf PDS . . . . . . . . . . . . . . . . 11384 D
Zusatztagesordnungspunkt:
Renate Blank CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . 11386 A
Erste Beratung des von den Fraktionen Albert Schmidt (Hitzhofen) BÜNDNIS 90/
SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11386 B
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Regelung der Bemessungsgrundlage für Dieter Maaß (Herne) SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 11386 C
Zuschlagsteuern
(Drucksache 14/3762) . . . . . . . . . . . . . . . . 11365 C
Einzelplan 10
Bundesministerium für Ernährung,
Tagesordnungspunkt 3: Landwirtschaft und Forsten
Abschließende Beratungen ohne Aus- Karl-Heinz Funke, Bundesminister BML . . . . 11388 B
sprache
Josef Hollerith CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . 11391 B
a) Beschlussempfehlung und Bericht des
Steffi Lemke BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . 11393 A
Haushaltsausschusses zu dem Antrag
der Präsidentin des Bundesrechnungs- Josef Hollerith CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 11394 C
hofes: Rechnung des Bundesrech- Ulrich Heinrich F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11395 C
nungshofes für das Haushaltsjahr 1999
– Einzelplan 20 – Kersten Naumann PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11397 A
(Drucksachen 14/2868, 14/3974) . . . . 11365 C Peter Bleser CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11398 A
b) Beschlussempfehlung und Bericht des Matthias Weisheit SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 11398 B
Ausschusses für Bildung, Forschung
Ulrike Höfken BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 11399 C
und Technikfolgenabschätzung zu der
Unterrichtung durch die Bundesregie- Peter Bleser CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11400 A
rung: Vorschlag für einen Beschluss des Waltraud Wolff (Wolmirstedt) SPD . . . . . . . . 11400 B
Rates zur Aufhebung der Beschlüsse
75/364/EWG, 7/454/EWG, 78/688/EWG, Norbert Schindler CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 11402 A
78/1028/EWG, 80/156/EWG und
85/434/EWG über die Einsetzung Be- Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11403 C
ratender Ausschüsse für die Ausbil-
dung der für die allgemeine Pflege ver-
Anlage
antwortlichen Krankenschwestern/
Krankenpfleger, der Zahnärzte, der Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 11405 A
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. September 2000 11285

(A) (C)

118. Sitzung

Berlin, Donnerstag, den 14. September 2000

Beginn: 9.00 Uhr

Präsident Wolfgang Thierse: Guten Morgen, liebe Wir kommen als Erstes zum Geschäftsbereich des
Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet. Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung,
Einzelplan 11. Das Wort hat Bundesminister Walter
Aus dem Kuratorium der „Stiftung Archiv der Par- Riester.
teien und Massenorganisationen der DDR“ scheidet
der Kollege Markus Meckel als ordentliches Mitglied aus.
Die Fraktion der SPD schlägt als Nachfolger den Kolle- Walter Riester, Bundesminister für Arbeit und So-
gen Gunter Weißgerber vor. Sind Sie mit diesem Vor- zialordnung: Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
schlag einverstanden? – Ich höre keinen Widerspruch. Der Bundeshaushalt hat im Bereich des Einzelplanes 11
Damit ist der Kollege Weißgerber in das Kuratorium ent- im nächsten Jahr eine Dimension von 169,5 Milliar-
sandt. den DM. Er ist damit Ausdruck aktiver Gestaltung des So-
zialen in dieser Republik in den vergangenen Jahren und
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die vor allem auch Ausdruck der Fortentwicklung des Sozia-
(B) verbundene Tagesordnung dieser Woche um die erste len im nächsten Jahr. Soziale Gestaltung – dies sagen wir (D)
Beratung des Gesetzentwurfs der Koalitionsfraktionen seit Jahren – misst sich vor allem daran, was wir aktiv für
zur Regelung der Bemessungsgrundlage für Zuschlag- die Beschäftigung und für die Reduzierung der Arbeitslo-
steuern auf Drucksache 14/3762 erweitert werden. Der sigkeit tun.
Punkt soll ohne Debatte behandelt werden. Sind Sie damit (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
einverstanden? – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist DIE GRÜNEN)
so beschlossen.
Ich erinnere daran, dass im letzten Jahr mehrmals die
Wir setzen die Haushaltsberatungen – Tagesordnungs- bohrende Frage gestellt wurde: Wie entwickeln sich die
punkt 1 – fort: Beschäftigtenzahlen, die Erwerbstätigkeit und die Jobs?
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- Im letzten Jahr waren wir aufgrund der Umstellung des
Statistischen Bundesamtes leider nicht in der Lage, die
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Fest-
Zahlen vorzulegen. Die Daten wurden nicht geliefert.
stellung des Bundeshaushaltsplans für das Haus- Jetzt liegen sie vor. Die Messlatte kann angelegt werden,
haltsjahr 2001 Bilanz kann gezogen werden.
(Haushaltsgesetz 2001) Meine Damen und Herren, im Juni 2000 hatten wir
– Drucksache 14/4000 – 38,55 Millionen Erwerbstätige in der Bundesrepublik und
Überweisungsvorschlag: damit mehr als eine Million Erwerbstätige mehr als zu Be-
Haushaltsausschuss ginn des letzten Jahres. Dies ist die höchste Zahl der Er-
werbstätigen seit 1991.
b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-
gierung (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN)
Finanzplan des Bundes 2000 bis 2004
Damit ist eine dramatische Entwicklung der Beschäfti-
– Drucksache 14/4001 –
gung nach unten in Deutschland gebrochen. Wir haben
Überweisungsvorschlag:
Wirtschaftswachstum, die Beschäftigung steigt. Sie
Haushaltsausschuss
steigt im Bereich der Selbstständigen, sie steigt im
Ich erinnere daran, dass wir am Dienstag für die heu- Bereich der abhängig Beschäftigten, sie steigt insgesamt.
tige Aussprache insgesamt acht Stunden beschlossen ha- Dies hat viele Ursachen. Es liegt nicht nur an der Ar-
ben. beitsmarktpolitik. Eine gute Beschäftigungspolitik ist
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Bundesminister Walter Riester

(A) die Zusammenfassung von Steuerpolitik, Finanzpolitik, siv weitergearbeitet werden. Ich kann Ihnen zusagen: (C)
Haushaltspolitik, Wirtschaftspolitik, Qualifizierungspoli- Exakt das werden wir tun.
tik und Arbeitsmarktpolitik. Dafür sind die Rahmen fest-
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
gelegt worden. Das kann man von der Regierung erwar- DIE GRÜNEN)
ten. Die großen Bereiche der Konsolidierung des
Haushaltes, die steuerpolitischen Maßnahmen, die den Ich komme nun zum engeren Teil der Arbeitsmarktpo-
Bürgern im Verlauf von sechs Jahren eine Entlastung von litik. Nach meinem Verständnis muss sich Arbeitsmarkt-
insgesamt über 90 Milliarden DM bringen, und die Re- politik denjenigen Gruppen der Bevölkerung verpflichtet
form unseres sozialen Sicherungssystems sind der Rah- fühlen, die vom Markt allein keine Arbeitsplatzangebote
men, den die Politik bestimmt, um wirtschaftliches bekommen. Dabei denke ich vor allem an junge Men-
Wachstum und die Entwicklung der Jobs zu fördern. schen, die in Gegenden wohnen, wo sie trotz guter Quali-
fikation zu wenige Ausbildungs- und Arbeitsmöglichkei-
Nehmen wir den engeren Bereich der sozialversiche- ten erhalten. Ich denke – das ist eine sehr bedrückende
rungspflichtig Beschäftigten. Im Juni 2000 hatten wir Sache – zum Beispiel an die 60 000 jungen Menschen, die
27,9 Millionen sozialversicherungspflichtig Beschäftigte. ohne Hauptschulabschluss ins Berufsleben eintreten wol-
Die 630-Mark-Arbeitsverhältnisse sind hierbei nicht ein- len und kaum Chancen haben. Auch für diese jungen
bezogen worden. Das sind weit mehr als eine halbe Mil- Menschen haben wir das JUMP-Programm aufgelegt,
lion Beschäftigungsverhältnisse mehr als im Jahr zuvor. ein Programm, das uns alle mit Stolz erfüllen soll.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) DIE GRÜNEN – Adolf Ostertag [SPD]: Ein
Mir ist ganz wichtig festzustellen, dass das nicht durch ein gutes Programm!)
Herauskaufen von Arbeitslosigkeit aus der Statistik er- Unsere Zielgröße im Jahr 1999 war, 100 000 jungen
folgt ist. Menschen zusätzliche Chancen in Ausbildung und Arbeit
Ich nenne Ihnen zwei Zahlen. Wir kennen die Kritik, zu geben. Ich freue mich, Ihnen berichten zu können: Wir
die sich in der Bezeichnung „Wahlkampf-ABM“ verdich- haben 179 000 jungen Menschen Chancen in Ausbildung
tet hat. Wir haben jetzt 150 000 Menschen weniger in und Arbeit gegeben.
SAM und ABM. Ich weiß um die Schwierigkeiten im (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
Osten; aber ich möchte keine ABM- und SAM-Politik DIE GRÜNEN)
machen, die sozusagen nur die Statistik bereinigt.
Nicht zuletzt deshalb sagen wir auch bei schwierigen
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Haushaltssituationen: Diese Förderung wird mindestens
(B) DIE GRÜNEN) bis zum Jahr 2003 weitergeführt; denn die jungen Men- (D)
schen brauchen Sicherheit. Dieses Programm darf nicht
Wir werden im Jahr 2000 rund eine halbe Million Ar-
nur kurz aufflackern.
beitslose weniger als zum Zeitpunkt der Regierungsüber-
nahme haben. Das reicht uns nicht aus. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN)
(Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Das ist sogar
schöngerechnet! Rechenkünstler sind Sie! – Ich komme zum nächsten Teil der Arbeitnehmer, die
Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Eine statis- besonderer Hilfen durch arbeitsmarktpolitische Maßnah-
tische Lüge!) men bedürfen, zu den älteren Arbeitnehmern. Es ist eine
bedrückende Situation, wenn in vielen Bereichen der Re-
An dieser Frage wird aktiv weitergearbeitet. publik Arbeitslose mit 50 oder 55 Jahren kaum Vermitt-
Man kann inzwischen belegen, dass 71 Prozent des lungschancen haben. Dieses Problem muss man differen-
Rückgangs der Arbeitslosigkeit eben nicht auf die Demo- ziert sehen. Wir haben über das Gesetz die Möglichkeit
graphie, sondern auf eine aktive Politik der Schaffung von der Altersteilzeit verbessert und geben damit denjenigen
Beschäftigung zurückzuführen ist. Das ist die Basis, für Menschen, die früher ausscheiden wollen und können, die
die wir einstehen. Chance, dies unter vertretbaren Bedingungen zu tun. Aber
ich weiß, das allein löst das Problem nicht. Es ist mindes-
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ tens genauso wichtig, dass wir älteren Menschen die
DIE GRÜNEN) Chancen auf Erwerbstätigkeit bieten, und zwar indem wir
Doch bei all diesen positiven Entwicklungen darf man dafür werben, dass auch über 50-Jährige Chancen im Ar-
nicht übersehen, dass die arbeitsmarktpolitische Entwick- beitsleben erhalten. Beides ist wichtig.
lung und die Beschäftigungsentwicklung uneinheitlich (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
sind. Wir verzeichnen – darüber freuen wir uns – ein star- DIE GRÜNEN)
kes Ansteigen der Beschäftigung in der gewerblichen
Wirtschaft, und zwar sowohl in West als auch in Ost. Wir Es war absolut richtig, in dem Vorschaltgesetz des letz-
verzeichnen aber auch weiterhin schwierige Strukturpro- ten Jahres gerade für die älteren Menschen, vor allem für
bleme und insbesondere große Beschäftigungsprobleme diejenigen aus den neuen Bundesländern, die arbeitslos
sind, besondere Chancen zu entwickeln.
im Bereich der Bauwirtschaft Ost. Die Gründe kennen
wir. Der Kanzler hat es gestern ausgeführt – ich brauche (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des
das nicht zu wiederholen –: An diesen Fragen muss inten- BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. September 2000 11287
Bundesminister Walter Riester

(A) Ziehen wir heute Bilanz: Für viele, die immer von Welche Konsequenzen ergeben sich aus alldem, was (C)
Demographieentlastung sprachen, war es überraschend, ich Ihnen sagte, für den Haushalt 2001? Zuerst eine, die
dass sich im Bereich der 55-Jährigen und Älteren bis zum ich sehr erfreulich finde: Zum ersten Mal seit 1987 wird
August letzten Jahres in der Arbeitsmarktstatistik fast vor dem Hintergrund dieser aktiven Beschäftigungspoli-
nichts bewegte. Aber jetzt greifen die von uns beschlos- tik die Bundesanstalt für Arbeit mit ihren Beitragszah-
senen Maßnahmen. Im Vergleich zum Vorjahresmonat lungen wieder auskommen. Wir sehen keinen besonderen
gibt es im letzten Monat insgesamt über 100 000 Arbeits- Bundeszuschuss mehr vor. Erstmals seit 1987! Dies ist
lose, die 55 Jahre oder älter sind, weniger. Über 100 000 das Ergebnis aktiver Arbeitsmarktpolitik.
haben ihre Chancen in den Maßnahmen ergriffen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten DIE GRÜNEN)
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Dafür haben wir gearbeitet, dafür haben wir uns ein-
Ich denke, dass das eine sehr gute Bilanz ist. gesetzt.
Nun kommen wir zu einer weiteren Gruppe, die unse- (Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Ja, und
rer Unterstützung bedarf, den Langzeitarbeitslosen. wie! Weitere Zurufe von der CDU/CSU)
Auch bei der Langzeitarbeitslosigkeit war der Anstieg – Ich höre gerade ein Grummeln vonseiten der Union. Ich
von 1992 bis 1998 von 750 000 auf 1,5 Millionen gravie- möchte da an die Haushaltsberatungen von vor einem Jahr
rend. 1,5 Millionen Langzeitarbeitslose! Wir konnten die- erinnern, als diese Fraktion uns empfahl, schon damals
sen Trend brechen und in den letzten beiden Jahren deren den Bundeszuschuss zu streichen.
Zahl um durchschnittlich 80 000 verringern. Das war eine
sehr schwierige Aufgabe. Damit ist das Problem noch (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Ja. da ha-
nicht gelöst. Es zeigt aber, dass der Ansatz richtig ist. ben wir gesagt, der Zuschuss ist nicht erforder-
lich!)
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) Wohin wären wir denn dann gekommen? Die 2,4 Milliar-
den DM, die wir jetzt aufgrund eines Verfassungs-
Erlauben Sie mir, meine Damen und Herren, dass ich gerichtsurteils, das sich gegen Sie wendet, zahlen müssen,
an dieser Stelle insbesondere einem Mann Dank ausspre- hätten wir gar nicht.
che: dem Präsidenten der Bundesanstalt für Arbeit, der
sich in einem Maße sowohl für die jungen Menschen als (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
auch für die älteren Menschen einsetzt, das mir alle Hoch- DIE GRÜNEN – Dietrich Austermann [CDU/
achtung abverlangt. Ich werde diesen Mann in besonde- CSU]: Das wussten Sie schon vor einem Jahr?)
rem Maße unterstützen. An Sie persönlich gerichtet, Herr Austermann, sage ich
(B) deswegen: (D)
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Fehl-
CDU/CSU und der F.D.P.) planung von 5 Milliarden DM!)
Nun zu einer Gruppe, die der besonderen Unterstüt- Diesen Zeitpunkt zu wählen ist richtig. Wir müssen jetzt
zung bedarf, weil der Markt alleine nicht die entspre- leider auch Belastungen aus Ihrer Regierungszeit, meine
chenden Möglichkeiten bietet. Es handelt sich um behin- Damen und Herren von der Union, abtragen.
derte Menschen. Die Situation hier ist bedrückend. Im
ersten Gespräch, das ich vor eineinhalb Jahren in meinem (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Bei den
damals neuen Amt mit Behinderten und deren Vertretern Pflegebedürftigen, bei der Arbeitslosenhilfe,
hatte, habe ich sehr viel gelernt. Es ist im Übrigen von ei- bei den Langzeitarbeitslosen!)
nem behinderten Kollegen der PDS-Fraktion angeregt Was bedeutet dies nun für die Gestaltung der Arbeits-
worden. Ich habe gelernt, dass Behinderte besondere marktpolitik im Jahre 2001? Wir werden diese Arbeits-
Qualifikationen haben und dass es notwendig ist, diesen marktpolitik mit gutem Mitteleinsatz auf hohem Niveau
besonderen Qualifikationen auch auf dem ersten Markt fortsetzen, wobei sorgfältig geprüft wird. Wir werden
Chancen zu eröffnen. weiterhin insgesamt 44 Milliarden DM für die aktive
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE Arbeitsmarktpolitik einsetzen.
GRÜNEN und der PDS) (Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Deswegen ist es richtig und erfüllt mich mit Stolz, dass es Um Ihnen einen Vergleich aufzuzeigen: Im Jahr 1997,
gelungen ist, Vertreter der Wirtschaft, die Gewerkschaften dem Jahr vor den Wahlkampf-ABM, hat die alte Regie-
und die Behindertenverbände im Vorfeld an der Erarbei- rung bei 4,4 Millionen Arbeitslosen gerade einmal 37 Mil-
tung eines Gesetzes zur Integration von Schwerbehinder- liarden DM eingesetzt. Wir setzen bei erwarteten 3,5 Mil-
ten zu beteiligen. Das Gesetz alleine wird nicht ausrei- lionen Arbeitslosen rund 44 Milliarden DM ein, und zwar
chen, sondern wir brauchen ihre weitere Unterstützung. gezielt in den Bereichen, in denen Menschen der Unter-
Die Zielsetzung, 50 000 Behinderte in den nächsten zwei stützung bedürfen, weil der Markt selbst, wie ich aufge-
Jahren zusätzlich in den Arbeitsmarkt zu integrieren, ist zeigt habe, diese Unterstützung nicht hergibt.
ehrgeizig; aber ich weiß, dass sie richtig ist. Dafür werden
wir kämpfen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN – Dietrich Austermann [CDU/
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ CSU]: 7 Milliarden DM mehr! – Zuruf von der
DIE GRÜNEN) SPD: Sehr vernünftig!)
11288 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. September 2000

Bundesminister Walter Riester

(A) Ich komme nun zum zweiten großen Komplex des Nun gab es einige Berechnungen und Nachfragen (C)
Haushaltes, zu den Sozialversicherungssystemen, insbe- dazu, was mit dem Geld geschehen ist. Ich will es Ihnen
sondere zur Alterssicherung. Wir werden 137 Milliar- sagen: Die Einnahmen aus der Ökosteuer im Jahr 1999
den DM für die Rentenversicherungssysteme einsetzen. und im Jahr 2000 – in 2000 können wir nur den Ansatz
Um zu verstehen, warum das notwendig ist, bedarf es ei- nehmen – werden voraussichtlich insgesamt bei etwas
ner kurzen Bilanz dessen, was wir in diesem Bereich vor- über 25 Milliarden DM liegen. Wie haben wir die Entlas-
gefunden haben, was wir gemacht haben und warum eine tung vorgenommen? Wir haben den Beitrag zur Renten-
weitere Förderung in diesem Umfang notwendig ist. versicherung um 1 Prozentpunkt abgesenkt und dadurch
Wir haben im Jahr 1998 eine sprunghafte Entwicklung den Betrieben und den Beschäftigen jeweils 8 Milliar-
des Beitrags und des Bundeszuschusses seit 1993 vorge- den DM, also 16 Milliarden DM, zurückgegeben. Wir ha-
funden. Die Beitragsbelastung ist insgesamt um 44 Milli- ben aber zudem bei der Rentenversicherung über 8,4 Mil-
arden DM gestiegen, der Beitrag von 17,5 Prozent auf liarden DM zusätzliche Rücklagen aufgebaut und
20,3 Prozent. Das sind rund 44 Milliarden DM, die die erstmals seit 1994 die Rentenversicherung in die Lage
Betriebe und die Beschäftigten mehr an Beitragsleistung versetzt, die vom Gesetzgeber vorgeschriebene Schwan-
erbringen mussten. Gleichzeitig ist der Bundeszuschuss kungsreserve für einen Monat Rentenzahlungen auch er-
in ähnlicher Größenordnung gestiegen. Rund 80 Milliar- reichen zu können.
den DM sind, um das einmal umzurechnen, das Volumen (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
von 5 Prozentpunkten Mehrwertsteuer. DIE GRÜNEN)
Sie hätten es, glaube ich, nicht gewagt, der Bevölke-
Ja, Kollege Blüm, es wäre gerechtfertigt, hier zu sagen,
rung zu sagen, es gibt fünf Jahre jedes Jahr eine Erhöhung
die Rente ist sicher. Damit das aber so bleibt, muss eini-
der Mehrwertsteuer um 1 Prozentpunkt.
ges getan werden.
(Dr. Irmgard Schwaetzer [F.D.P.]: Das hätten
wir nicht gemacht, weil es unvernünftig ist!) (Beifall bei der SPD – Dr. Norbert Blüm [CDU/
CSU]: 16 Jahre habt ihr blockiert! 16 Jahre habt
Wir haben Sie bei der Erhöhung der Mehrwertsteuer um ihr gemauert!)
1 Prozentpunkt unterstützt; denn hätten wir das nicht ge-
macht, dann hätte der Rentenversicherungsbeitrag nicht Die jetzigen Regelungen allein reichen nicht aus.
20,3 Prozent, sondern 21,3 Prozent betragen. Damit die Rente – ich greife jetzt Ihren Spruch auf – si-
(Ulla Schmidt [Aachen] [SPD]: Jawohl!) cher und bezahlbar bleibt, werden wir eine Rentenreform
einleiten, für die die Eckpunkte schon feststehen und für
Daran muss erinnert werden. die der entsprechende Gesetzentwurf in wenigen Tagen
(B) Dafür gab es Gründe. Dafür gab es Gründe, die Sie vorliegen wird. Unser Ziel ist es dabei – das werden wir (D)
nicht zu verantworten hatten; es gab aber auch Gründe, realisieren –, für die jungen Menschen klare Rahmenbe-
die die Politik zu verantworten hat, gleich, ob man die dingungen zu schaffen und sie durch bezahlbare Renten-
Verantwortung nun positiv oder negativ betrachtet. Es gab systeme abzusichern, und zwar über einen Zeitraum, der
Gründe, die im Prozess der deutschen Einigung lagen; es mindestens doppelt so lang ist wie der zugrunde liegende
gab Gründe, die in der Frühverrentungspraxis lagen. Mit Zeitraum des Rentenversicherungsberichts, den die Bun-
all diesen Dingen haben Sie sich zum Teil auseinander ge- desregierung jährlich erstellen muss, also 30 Jahre.
setzt und haben wir uns auseinander gesetzt. Wir werden den Beitragssatz, den wir abgesenkt haben,
Ein Punkt war, so genannte versicherungsfremde für mindestens 20 Jahre nicht wieder über 20 Prozent stei-
Leistungen nicht mehr dem Beitragszahler aufzubürden. gen lassen und damit eine langfristig planbare und sichere
In diesem Ziel war sich das gesamte Parlament einig, par- Linie für die erwerbstätige Generation und für die Be-
teiübergreifend. Nun ist das von uns konkret umgesetzt triebe schaffen.
worden.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
Wir haben diesen Komplex als Erstes angepackt. Wir DIE GRÜNEN)
haben die Rentenversicherung von solchen Aufgabenstel-
lungen entlastet. Wir haben die Steuermittel, die wir dafür Wir wissen – ich bin dankbar, dass der Kanzler gerade
einsetzen, über die Erhebung der Ökosteuer, die nun so dieser Frage einen großen Teil seiner Rede gewidmet hat –,
heftig diskutiert wird, finanziert. (Hans-Joachim Fuchtel [CDU/CSU]: Er hat
Aber in all der Hektik der Diskussion dieser Tage ein gestern gar nichts davon gesagt!)
paar ruhige Anmerkungen. Aus welchem Bereich der dass es trotzdem ergänzender Unterstützungen bedarf.
Steuer hätten wir das denn finanzieren sollen? Vor dem Wir wissen sehr genau, dass nicht alle Menschen zusätz-
Hintergrund der von allen geforderten Senkung der Ein- liche Versorgung ohne Unterstützung tragen können. Des-
kommensteuersätze doch wohl nicht über die Einkom- wegen müssen wir für diese Menschen die ergänzende
mensteuer, nach der gerade vollzogenen Erhöhung der Altersvorsorge betrieblich, tariflich und privat fördern.
Mehrwertsteuer doch wohl nicht über die Mehrwert- Die richtige Forderung nach dieser Altersvorsorge bleibt
steuer. Also bleibt nur dieser Bereich. Dann sollte man aber eine Luftblase, wenn man nicht die Grundlagen dafür
auch ehrlich und offen dazu stehen. Deswegen stehe ich legt, dass die Menschen sie in Anspruch nehmen können.
auch dazu. Wir werden das tun. Der Finanzminister arbeitet in die-
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ sem Punkt mit dem Arbeitsminister und mit dem Kanzler
DIE GRÜNEN) eng zusammen.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. September 2000 11289
Bundesminister Walter Riester

(A) Wir werden gerade die Verdiener mit geringem und den aufbricht und der Bevölkerung das Gesicht eines so- (C)
mittlerem Einkommen sowie die Familien mit Kindern in zialen Deutschlands zeigt.
einem Maße unterstützen, das unserem Anspruch hin-
(Birgit Schnieber-Jastram [CDU/CSU]: Das ist
sichtlich sozialer Gerechtigkeit gerecht wird. aber wirklich ein starkes Stück!)
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Dazu einige Punkte: Wir werden in der nächsten Wo-
DIE GRÜNEN) che im Kabinett eine Gesetzesinitiative zur Beschäfti-
Das Volumen von insgesamt 19,6 Milliarden DM, das wir gungsförderung und zur Förderung der Teilzeit einbrin-
in der Spitze und dann dauerhaft einsetzen, wird eine gute gen.
Investition zur Stabilisierung und zur Sicherung der Al- (Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Macht das
tersversorgung aller Menschen, insbesondere der Gering- mal!)
und Mittelverdiener und der Familien mit vielen Kindern,
sein. Zum ersten Punkt, zur Beschäftigungsförderung:
Ich sage klar – das habe ich auch den Gewerkschaften
Wir werden aber auch Klarheit über das Rentenniveau gesagt –, dass eine Abschaffung der Möglichkeiten des
schaffen. Wir werden nicht mit der Rasenmähermethode Beschäftigungsförderungsgesetzes nicht die bestehenden
vorgehen, sondern wir werden die Menschen in dem Probleme löst, sondern sie an anderer Stelle, in Bezug auf
Maße am Reformprozess beteiligen, in dem es ihre Leis- die notwendige Flexibilisierung, verstärkt. Deswegen
tungsfähigkeit erlaubt. geht es darum, die Möglichkeiten, befristete Einstellun-
(Beifall bei der SPD) gen vorzunehmen, von der Missbrauchspraxis, die sich
zum Teil daraus entwickelt hat, abzutrennen. Das ist ent-
Da unterscheiden wir uns von denen, die undifferenziert scheidend.
einen Demographiefaktor einführen wollen. Wir unter-
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
scheiden uns von ihnen aber nicht in dem Punkt, dass die
DIE GRÜNEN)
demographischen Probleme beachtet werden müssen.
Diese sehe ich möglicherweise als noch viel dringlicher Wir werden nach der vorgesehenen Novellierung nicht
an als manche in der Union. mehr zulassen, dass sich aus den richtigen Ansätzen einer
befristeten Beschäftigung kontinuierliche Kettenarbeits-
Wir werden darüber hinaus sicherstellen, dass sich die verträge entwickeln.
verschämte Altersarmut nicht ausweitet. Sie ist heute
quantitativ nur schlecht zu erfassen, weil sie nur verein- (Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Das ist gar
zelt erkennbar ist und daher statistisch gesehen nur einen nicht möglich!)
(B) geringen Anteil hat. Aber wenn ich die Situation gerade in – Jemand von der CDU/CSU sagt, das sei gar nicht mög- (D)
den neuen Bundesländern betrachte, dann komme ich zu lich. Sie sollten sich einmal über die Praxis informieren.
dem Schluss, dass die in höherem Maße unterbrochenen
Erwerbsbiografien, die höhere Arbeitslosigkeit, die gerin- (Franz Thönnes [SPD]: Das war ein Ruf aus
gere Anzahl von ergänzenden Alterssicherungssystemen dem Tal der Ahnungslosen!)
und die geringere Vermögensbildung dazu führen, dass Aus der Sicht der rechten Seite des Parlamentes ist dies
dort die Probleme der Altersarmut in 10 bis 15 Jahren vielleicht nicht denkbar; aus der Sicht der Praxis ist aber
deutlicher zutage treten werden, als wir es heute vermu- Folgendes festzustellen:
ten können. Darauf muss die Politik reagieren.
(Hans-Joachim Fuchtel [CDU/CSU]: Wo sind
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ die Gewerkschaften, die dagegen angehen,
DIE GRÜNEN) wenn so etwas stattfindet?)
Deswegen werden wir Regelungen korrigieren, die für Leider ist es so, dass in zahllosen Fällen eine Befristung
den von vielen Menschen als unwürdig empfundenen des Arbeitsvertrages, die ohne sachlichen Grund erfolgt
Gang zum Sozialamt und für den Rückgriff auf die Kin- ist, ergänzt wird durch eine Befristung mit sachlichem
der verantwortlich sind. Grund und dass anschließend wieder eine zweijährige Be-
fristung ohne sachlichen Grund erfolgt. Falls Sie daran
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Zweifel haben sollten, sollten Sie sich einmal an die Be-
DIE GRÜNEN) triebsräte wenden. Diese werden Ihnen das sehr genau
All das, was ich Ihnen berichtet habe, ist nicht nur Be- aufzeigen. Ein solche Aneinanderreihung von Befristun-
standteil einer aktiven Beschäftigungspolitik und einer gen werden wir künftig verhindern.
gezielten Arbeitsmarktpolitik für die Teile der Bevölke- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
rung, die vom Markt keine Angebote bekommen, sondern DIE GRÜNEN)
ist auch Bestandteil eines Aufbrechens des Reformstaus,
der wie Mehltau über der Gesellschaft lag. Für den Fall, dass Sie nicht wissen, wer das entsprechende
Gesetz gemacht hat, kann ich Ihnen sagen, wer es einge-
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ bracht hat: die damalige Regierung. Wir werden dies
DIE GRÜNEN – Widerspruch des Abg. sachgerecht korrigieren.
Dr. Norbert Blüm [CDU/CSU])
(Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Passen Sie
Der Haushalt 2001 wird die Grundlagen dafür schaffen, mal auf, dass es Ihnen nicht so ergeht wie bei
eine Politik fortzusetzen, die diesen Reformstau entschie- der Scheinselbstständigkeit!)
11290 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. September 2000

Bundesminister Walter Riester

(A) Zum zweiten Punkt, zur Teilzeitarbeit: Mit Genuss habe Wir werden den Haushalt 2001 dafür einsetzen, das so- (C)
ich im „Spiegel“ dieser Woche Folgendes gelesen: Auf die ziale Gesicht dieser Republik nicht nur im Hinblick auf
Frage nach seiner Meinung zu dem von uns geregelten Er- die Beschäftigungspolitik, die Arbeitsmarktpolitik und
ziehungsurlaub, der statt auf drei nun auf acht Jahre verteilt die sozialen Sicherungssystemen, sondern auch im Hin-
werden kann, antwortet Stoiber – ich zitiere –: blick auf die Betriebe so zu verändern, dass Menschen zu
Recht sagen können: Die jetzige Regierung steht für das
Es muss nicht nur der Erziehungsurlaub von drei auf
acht Jahre verteilt werden können, wir soziale Gesicht dieser Republik.

– ich weiß nicht, wer mit „wir“ gemeint ist – Herzlichen Dank.

wollen zudem einen Rechtsanspruch auf Teilzeitar- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
beit auch in der freien Wirtschaft durchsetzen. DIE GRÜNEN)

Da hat der Edmund Recht.


Präsident Wolfgang Thierse: Herr Minister, gestat-
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ ten Sie noch eine Zwischenfrage der Kollegin Luft?
DIE GRÜNEN)
Ich bin gespannt, ob er von Ihnen in der CDU/CSU un- Walter Riester, Bundesminister für Arbeit und So-
terstützt wird, wenn wir diesen Gesetzentwurf einbringen. zialordnung: Gerne. Dies ist eine Abschlussfrage.
Sie haben da die Möglichkeit, einen Praxistest zu machen.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Präsident Wolfgang Thierse: Bitte schön, Frau Kol-
DIE GRÜNEN – Horst Seehofer [CDU/CSU]: legin Luft.
Wir machen das! Wir führen die Befehle aus! –
Gegenruf des Abg. Rezzo Schlauch [BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir erwarten nichts Dr. Christa Luft (PDS): Danke, Herr Minister. Ich sah,
anderes!) dass Ihre Redezeit zu Ende ging, aber da Sie zu einem
Thema noch nichts gesagt haben und es Hunderttausende
Den nächsten großen Komplex beim Aufbrechen eines Betroffene gibt, die sicherlich heute Morgen zuhören,
Reformstaus stellt die Betriebsverfassung dar. Die Be- möchte ich Sie bitten, uns darüber zu informieren, wie der
triebsverfassung, das für die Betriebe wichtigste Regel- Stand der Umsetzung des Bundesverfassungsgerichtsur-
werk aus dem Jahre 1972, kann eigentlich nur den Blick teils zur Rentenüberleitung ist. Sie haben dazu bis zum
der damaligen Arbeitswelt, also die der 60er-Jahre, wie- 30. Juni 2001 Zeit, das heißt, dieser Zeitpunkt fällt in den
dergeben. Das ist nicht zu kritisieren; das ist ein Fakt. Kri-
Etat des nächsten Jahres. Ich möchte Sie fragen, wie sich
(B) tisieren aber muss man, dass über 30 Jahre hinweg ein die Umsetzung nach dem jetzigen Stand Ihrer Arbeit im (D)
Rechtsstillstand herrschte. Wenn man sich einmal vor Au-
Etat Ihres Ministeriums widerspiegelt.
gen führt, wie die Arbeitswelt vor 30 Jahren ausgesehen
hat und wie sie heute aussieht, dann ist festzustellen, dass
diese aus der damaligen Zeit stammenden Regeln nicht Walter Riester, Bundesminister für Arbeit und So-
mehr zu der heutigen Arbeitswelt passen. zialordnung: Frau Luft, ich möchte Ihnen diese Antwort
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ dann geben, wenn der Diskussions- und Vorbereitungs-
DIE GRÜNEN – Dietrich Austermann [CDU/ prozess abgeschlossen ist. Einen Zwischenbericht möchte
CSU]: Also weg damit, oder wie?) ich in diesem Fall nicht geben.

– Jemand aus der Union ruft gerade zu: Weg mit der Be- (Beifall bei der SPD – Dietrich Austermann
triebsverfassung! [CDU/CSU]: Typisch Riester! Das hat ihm kei-
ner aufgeschrieben!)
(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Das war
eine Frage! Vorsicht beim Schwindeln, Herr
Riester!) Präsident Wolfgang Thierse: Nun hat das Wort der
Kollege Horst Seehofer, CDU/CSU-Fraktion.
Das kann nur jemand sagen, der eine Beteiligung, Mit-
wirkung und Mitbestimmung der Belegschaften ablehnt.
Das werden wir nicht tun. Horst Seehofer (CDU/CSU) (von der CDU/CSU mit
Beifall begrüßt): Herr Präsident! Meine sehr verehrten
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des Damen und Herren! Es ist schon sehr enttäuschend, –
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
(Zuruf von der CDU/CSU: Ja!)
Wir wollen vielmehr eine sachgerechte, der neuen Ar-
beitswelt entsprechende Beteiligung, Mitwirkung und – dass der zuständige Minister auf das größte Reformpro-
Mitbestimmung der Menschen. Deswegen werden wir die jekt, das angeblich für 30 Jahre Sicherheit schaffen soll,
Betriebsverfassung ändern. Wir werden sie novellieren. die Rentenreform, in seiner 30-minütigen Rede ganze
drei Minuten verwendet.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN – Karl-Josef Laumann [CDU/ (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
CSU]: Wie wollen Sie das machen? – Hans- neten der F.D.P. – Peter Dreßen [SPD]: Inhalts-
Joachim Fuchtel [CDU/CSU]: Ihr wollt Min- volle! – Weiterer Zuruf von der SPD: Nicht zu-
derheitsrechte einschränken!) gehört!)
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. September 2000 11291
Horst Seehofer

(A) Herr Minister, wenn Sie heute die Vorlage eines Gesetz- Wenige Monate später werden die 40-jährige Sozialtradi- (C)
entwurfs für nächste Woche ankündigen, wäre es auch an tion in Deutschland, das Wahlversprechen und das Wort
der Zeit gewesen, der Öffentlichkeit nach zehnmonatiger des Kanzlers vom Februar 1999 gebrochen, und die Ren-
Diskussion endlich mitzuteilen, was Sie in der Renten- tenanpassung wird für zwei Jahre von der Nettolohn-
politik wirklich vorhaben. entwicklung abgekoppelt. Gestern sprach der Kanzler
(Beifall bei der CDU/CSU) von der Verantwortungsgemeinschaft und der Moral in
der Politik. Das Verhalten gegenüber den Rentnern in den
Ich kann allerdings verstehen, dass Sie diesem Thema letzten zwei Jahren war unmoralisch und verantwor-
ausweichen; denn die Rentenpolitik ist ohne Zweifel ei- tungslos.
ner der großen Schwachpunkte dieser Regierung.
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
(Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!)
Dann haben Sie gesagt: Regt euch nicht so stark auf,
Sie ist mangelhaft und konzeptionslos. Betrachtet man die ihr Rentner, wir sichern euch doch den Kaufkraft-
letzten zwei Jahre, so gab es nur Fehlentscheidungen, ausgleich. Das war der dritte Wortbruch.
Kehrtwendungen und Wortbrüche.
(Widerspruch bei der SPD)
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Herr Riester, Sie haben noch im September 1999
Erste Fehlentscheidung: Sie nehmen die Rentenreform gesagt: Die Rentenanpassungen entsprechen der Preis-
von Norbert Blüm, die den demographischen Faktor
steigerungsrate in den Jahren 2000 und 2001, und dies
berücksichtigte und nicht nur kurzfristig, sondern auch
bedeutet nichts anderes als die Sicherung der Kaufkraft.
langfristig mehr Stabilisierung in der Rentenversicherung
Sie haben also Kaufkraftsicherung für die Rentner ver-
geschaffen hätte, zurück. Das war ein großer Fehler.
sprochen. Mit der Rentenerhöhung für dieses Jahr am
(Beifall bei der CDU/CSU – Peter Dreßen 1. Juli 2000 haben Sie das Gegenteil gemacht. Sie haben
[SPD]: Rasenmäherpolitik!) mit dem Trick gearbeitet, dass Sie die Inflationsrate des
Viele Experten haben Ihnen damals gesagt: Das wird Vorjahres von 0,6 Prozent gewählt haben, –
teuer. Jetzt müssen Sie diese Rechnung einlösen. Sie spre- (Zuruf von der SPD: Das machen wir immer!)
chen vom Reformstau, und die große Rentenreform neh-
men Sie zurück. Es war nicht nur ein großer Fehler, es war – während die Inflationsrate im Juli dieses Jahres bei
auch töricht. 1,9 Prozent lag. Das heißt, die Höhe Ihrer Rentenanpas-
sung am 1. Juli dieses Jahres war dreimal niedriger als die
(Hans-Joachim Fuchtel [CDU/CSU]: Zwei aktuelle Inflationsrate.
(B) Jahre nichts!) (D)
(Gerd Andres [SPD]: Das ist doch unredlich!)
Meine Damen und Herren, hätten Sie den demographi-
schen Faktor, der ab 1999 gewirkt hätte, in Kraft gelassen, Sie haben also Ihr Versprechen der Kaufkraftsicherung
dann hätten Sie die gesetzliche Rente im Jahr 2001 allein für die Rentner nicht eingelöst.
durch den demographischen Faktor in einer Größenord- (Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!)
nung zwischen 5 und 6 Milliarden DM entlastet. Die
nächste Stufe der Ökosteuer zum 1. Januar 2001, die Sie Tatsächlich sind also die Renten gekürzt worden. Dies
beschlossen haben und gegen deren Aussetzung Sie sich trifft insbesondere die Rentner in den neuen Ländern. Was
wenden, führt zu zusätzlichen Einnahmen von 5,4 Milli- macht es für einen Sinn, wenn der Bundeskanzler die Ost-
arden DM. Das macht das Dilemma deutlich, das Sie mit problematik zur Chefsache macht, aber sein Arbeitsmi-
der Rücknahme der Blüm’schen Rentenreform angerich- nister die Renten im Osten kürzt? Dies ist die Folge die-
tet haben. ser Rentenanpassung.
(Michael Glos [CDU/CSU]: Sehr wahr!) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
Hätten Sie den Demographiefaktor in Kraft gelassen, neten der F.D.P.)
dann müssten Sie im nächsten Jahr die nächste Stufe der Dritter Punkt der Fehlentscheidungen und Wortbrüche:
Ökosteuer nicht in Kraft treten lassen, weil der De- Sie machen sich zum Anwalt der Langzeitarbeitslosen,
mographiefaktor für die Rentenversicherung finanziell aber was haben Sie tatsächlich getan? Sie haben die
die gleiche Wirkung gehabt hätte wie die Ökosteuer. Beiträge zur Rentenversicherung für Bezieher von Ar-
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) beitslosenhilfe, die der Bund zahlt, fast um die Hälfte
gekürzt. Arbeitslosenhilfe beziehen aber bekanntlich die
Meine Damen und Herren, die Regierung hat hier genau Menschen, die länger arbeitslos sind. Dies ist auch wieder
die Falle aufgestellt, in der sie jetzt selber sitzt. insbesondere in den neuen Ländern ein Problem, wo nicht
Zweiter Fehler: Wortbruch. Es gab große Töne vor der nur die Arbeitslosenquote doppelt so hoch ist wie im Wes-
Wahl: An die Renten wird nicht herangegangen, die Ren- ten, sondern wo die Menschen typischerweise auch länger
ten werden nicht angetastet. Noch im Februar 1999 hat der arbeitslos sind. Deswegen sind sie von der Absenkung der
Bundeskanzler in Bayern erklärt: Ich stehe dafür, dass die Rentenversicherungsbeiträge für Arbeitslosenhilfebezie-
Renten in Zukunft so steigen wie die Nettolöhne. her auch besonders betroffen.
(Dirk Niebel [F.D.P.]: In Vilshofen war das!) (Zuruf von der CDU/CSU: Leider wahr!)
11292 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. September 2000

Horst Seehofer

(A) Sie haben die Beiträge um fast die Hälfte gesenkt. Und an führender Position verantwortlich – und von der Ver- (C)
da machen Sie sich zum Anwalt der Langzeitarbeitslosen? haltensweise der Sozialdemokraten.
Tatsächlich haben Sie für jemanden, der vier oder fünf
Sie waren 1996/97 nicht nur nicht zum Konsens bereit,
Jahre lang Arbeitslosenhilfe bezieht, die monatliche Rente
sondern haben mit uns nicht einmal über eine Rentenre-
um 100 DM gekürzt. Herr Riester, nehmen Sie diese un-
soziale Maßnahme zurück! form gesprochen, weil Sie damals Blockadepolitik zum
Schaden unseres Landes betrieben haben. Da unterschei-
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- den wir uns entscheidend.
neten der F.D.P.)
(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der
Jetzt ist da auch noch dieser soziale und ökologische CDU/CSU: Das ist wahr! – Gerd Andres [SPD]:
Krüppel der Ökosteuer: Dies ist eine doppelte Ohrfeige So ein Quatsch! Das wird durch Wiederholen
für die Rentner. Die Rentner zahlen überproportional auch nicht besser! – Rezzo Schlauch [BÜND-
hohe Energiepreise, aber die Senkung der Rentenversi- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Was wahr ist, wissen
cherungsbeiträge, die Sie der Bürgerschaft immer als aus- wir! Was soll werden? – Lachen bei der
gleichende Entlastung verkaufen, hat für die Rentnerin- CDU/CSU)
nen und Rentner keine Bedeutung, weil sie keine Beiträge
mehr bezahlen. Die Ökosteuer ist eine reine Strafaktion – Herr Schlauch, wer laut schreit, hat keine Argumente
gegen die 18 Millionen Rentnerinnen und Rentner. oder, wie wir in Bayern sagen: Die lautesten Kühe geben
die wenigste Milch.
(Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!)
(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und
Dann sagen Sie, dass für die Aktiven die Beiträge ge- der F.D.P. – Zuruf von der CDU/CSU: Sehr
senkt werden. Ich habe mir jetzt noch einmal die ver- wahr! – Hans Georg Wagner [SPD]: Dann gibt
schiedenen Berechnungen besorgt. Der Rentenversiche- Ihre Fraktion aber überhaupt keine!)
rungsbeitrag im Jahre 2000 beträgt 19,3 Prozent. Der
Rentenversicherungsbeitrag im Jahre 2001 beträgt Herr Schlauch, die wirkliche Reform- und Konsens-
19,3 Prozent. Sagen Sie der deutschen Öffentlichkeit die bremse sitzt in der Regierung. Wir wissen nämlich bis
Wahrheit, dass im nächsten Jahr die Ökosteuer steigt – Sie zum heutigen Tag nicht – wir haben es auch heute nicht
haben sie beschlossen – und der Rentenversicherungsbei- erfahren –, was die Regierung jetzt eigentlich will, außer
trag gleich bleibt. Dies ist eine Zusatzbelastung, eine allgemeinen Grundsätzen.
Strafaktion, und trifft insbesondere die ältere Generation.
Was wir in den letzten Monaten erlebt haben, waren
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) drei völlig unterschiedliche Konzepte zur Rentenreform.
(B) Das ist jetzt nicht meine Konstruktion als Opposition. Die (D)
Rücknahme der Rentenreform, Wortbruch bei der Net-
tolohnanpassung, Wortbruch beim Kaufkraftausgleich, Frau Engelen-Kefer –
Strafaktion mit der Ökosteuer und ein Feldzug gegen die (Walter Riester, Bundesminister: Ach! – Lachen
Langzeitarbeitslosen durch die Kürzung der Rentenver- bei der CDU/CSU – Zuruf von der SPD: Sie ist
sicherungsbeiträge für Arbeitslosenhilfebezieher! Herr nicht in der Regierung!)
Riester, ich bin schon lange auf dem sozialpolitischen Ge-
biet tätig und traue mir hier wirklich ein Urteil zu. Eines – hat Ihnen am 4. Juli, ausgerechnet an meinem Geburts-
steht fest: In der deutschen Sozialgeschichte hat noch kein tag, einen netten Brief geschrieben, Herr Riester. Ich lese
Sozialminister in so kurzer Zeit Jung und Alt hinsichtlich jetzt gar nicht vor, was sie zu Demagogie und Diffamie-
der Alterssicherung so verunsichert und die Rentner so rung geschrieben hat. Ich lese Ihnen nur vor: Ich will gern
bestraft, wie Sie das in den letzten zwei Jahren gemacht zugestehen, dass wir nicht so flexibel sind wie du, Walter
haben, Herr Riester. Riester. Immerhin ist es dir gelungen, während deiner
Amtszeit als Minister mindestens drei unterschiedliche
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Rentenkonzepte vorzulegen.
Gerd Andres [SPD]: Sie waren doch bei
„Nobby“ Staatssekretär, Sie müssten es also (Zuruf von der CDU/CSU: Sehr gut!)
besser wissen!) Das war am 4. Juli dieses Jahres. Mittlerweile basteln Sie
Das größte innenpolitische und sozialpolitische Reform- am vierten Konzept, meine Damen und Herren. Sie kön-
projekt ist in der Tat die Rentenreform, wo Sie – ich wie- nen froh sein, dass Sie als Partner eine christliche Partei
derhole es – den akuten Handlungsbedarf durch die Rück- haben, die die Tugend der Barmherzigkeit beherrscht.
nahme unserer Rentenreform aus dem Jahre 1996/1997 (Zuruf von der SPD: Oje!)
verschärft haben. Auch hier unterscheiden wir uns funda-
mental. Wir haben uns – das war der Vorschlag von Aber lange hält unser Langmut mit Ihrer Herumstöpselei
Wolfgang Schäuble und Edmund Stoiber – im November nicht mehr.
1999 bereit erklärt, an die große Tradition anzuknüpfen (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU –
und die Alterssicherung parteiübergreifend und im Kon- Zuruf von der SPD)
sens zu lösen. Wir stehen auch zu unserem Vorschlag.
Dies ist kein Blankoscheck für die Regierung; die Inhalte Nachdem Sie für nächste Woche ein Rentenreformge-
müssen stimmen. Aber hiermit unterscheiden wir uns fun- setz angekündigt haben – von dem ich prognostiziere,
damental von Ihrer – Sie waren damals in der IG-Metall dass es erst über- oder überübernächste Woche vorgelegt
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. September 2000 11293
Horst Seehofer

(A) werden wird –, möchte ich Ihnen vorsorglich noch einmal welches Ziel Sie mit der Rentenreform eigentlich verfol- (C)
klipp und klar sagen, worauf es uns ankommt, – gen. Ist es Armutsvermeidung oder Lebensstandardsiche-
rung? Wir wollen Lebensstandardsicherung.
(Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Jetzt sind wir gespannt!) (Hans Georg Wagner [SPD]: Wo sind Ihre
Vorschläge?)
– und zwar etwas konkreter als Sie.
Zweitens. Wir wollen, dass wir mit der Rentenreform
Herr Riester, was ich an Ihren Einlassungen, auch nicht Altersarmut produzieren. Deshalb halten wir an
heute wieder, entscheidend bemängele, ist Folgendes. Sie dem Ziel fest, das wir vor der Bundestagswahl in unsere
haben keine rentenpolitische Konzeption. Rentenreform geschrieben haben, dass das Rentenniveau
(Lachen bei der SPD – Zuruf von der SPD: in der gesetzlichen Rente nicht unter 64 Prozent eines
Und ihr?) Nettodurchschnittsverdienstes sinken darf.
Sie verfechten nicht eine Idee, sondern: Wer zuletzt mit (Beifall bei der CDU/CSU)
Ihnen gesprochen hat, hat Recht bei der Rentenreform. Meine Damen und Herren, wenn es darunter sinkt, heißt
Das ist Ihre Vorgehensweise. das, dass auch für langjährig Versicherte im Alter Armut
(Zuruf von der CDU/CSU: Ganz genau! – Zu- angesagt ist. Es ist übrigens einer der größten Erfolge der
ruf von der SPD: Jetzt reicht es aber! – Abg. dynamischen Rente, dass Altersarmut heute in Deutsch-
Gerd Andres [SPD] meldet sich zu einer Zwi- land zwar nicht ausgeschlossen, aber kein Massenphäno-
schenfrage) men ist.
– Nein. Die Höhe des Rentenniveaus ist nicht nur eine mathe-
matische Größe. Sie ist insbesondere für jene Menschen
wichtig, die eben nicht 45 oder 40 Versicherungsjahre
Präsident Wolfgang Thierse: Herr Seehofer? vorweisen können. Dies sind bisher typischerweise
Frauen; sie kommen vielleicht auf 27 oder 28 Versiche-
Horst Seehofer (CDU/CSU): Nein. Wir waren ge- rungsjahre. Herr Riester, die Rentenversicherungsträger
rade gemeinsam im Fernsehen. Ich weiß, was er sagen sagen uns – wir bekommen von Ihnen seit acht Wochen
will. keine Berechnungen bezüglich der Rentenreform; des-
halb muss ich mich auf die Rentenversicherungsträger be-
(Heiterkeit bei der CDU/CSU) rufen –, dass nach Ihren Vorstellungen von einer Renten-
Es reicht nicht, Herr Riester, Rentenformeln und Fak- reform das Rentenniveau nicht, wie gegenüber Ihrer
(B) toren nur handwerklich abzuarbeiten. Die Menschen wol- eigenen Fraktion versprochen, bei 64 oder 65 Prozent lie- (D)
len von Ihnen endlich wissen, welche rentenpolitische gen wird, sondern bei 61 Prozent. Wenn Sie einen Kon-
Philosophie Sie haben, was Sie mit einer Rentenversiche- sens mit uns wollen, dann müssen Sie uns das erklären.
rung erreichen wollen. Ich sage Ihnen aber heute schon prophylaktisch: Wenn
Ihre Reform tatsächlich zu einem Rentenniveau von
(Zuruf von der CDU/CSU: So ist es! – Zuruf 61 Prozent führen sollte, dann wird es keinen Rentenkon-
von der SPD: Sagen Sie doch mal Ihre Vor- sens mit uns geben; denn das entspräche einer organisier-
schläge!) ten Altersarmut.
Ich muss Ihnen erstens sagen. Das Wichtigste ist, dass (Beifall bei der CDU/CSU)
wir den Menschen sagen: Die Alterssicherung muss auch
in der Zukunft Lebensstandardsicherung bedeuten. Wer Das Dritte hatten Sie eigentlich aufgegeben, aber ich
ein ganzes Leben lang gearbeitet hat, muss darauf ver- habe gehört, dass es unter dem Druck der Gewerkschaf-
trauen können, dass er im Alter seinen Lebensstandard ten und auch Ihrer Fraktion wieder aufleben kann: die be-
wie im aktiven Erwerbsleben fortführen kann. darfsabhängige Grundsicherung. Meine Damen und
Herren, die gesetzliche Rente muss ein Spiegelbild der
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Lebensarbeitsleistung, muss leistungsbezogen bleiben:
Das sind keine Selbstverständlichkeiten, meine Damen Wer mehr und wer länger Beiträge einzahlt, muss eine
und Herren. Bis 1957, bis zur großen Rentenreform unter höhere Rente bekommen als der, der das nicht tut.
Konrad Adenauer mit der Handschrift der Union, war die (Beifall bei der CDU/CSU)
gesetzliche Rente mehr oder weniger eine Überlebens-
hilfe. Erst die Einführung der dynamischen Rente 1957 Damit verträgt sich der Gedanke einer bedarfsabhängigen
hat zu einer Lebensstandardsicherung geführt, das heißt, Grundsicherung nicht.
die Rente ist ein Spiegelbild der beruflichen Lebensleis- Man muss es der Öffentlichkeit einmal sagen: Bei der
tung. Wir werden alles tun, dass diese Grundphilosophie Grundsicherung handelt es sich nicht um 800 oder
der Lebensstandardsicherung nicht ausgerechnet von So- 900 DM, wie es die Grünen in den 80er-Jahren diskutiert
zialdemokraten zerstört wird. haben. Sie selbst haben Professor Hauser beauftragt, ein
Es wäre gut, wenn Sie der Öffentlichkeit einmal sagen Gutachten vorzulegen, aus dem hervorgeht, wie hoch
die Grundsicherung jetzt wäre. Er kommt zu dem Ergeb-
würden, –
nis, dass nach Ihren ursprünglichen Vorstellungen in
(Hans Georg Wagner [SPD]: Sagen Sie mal Deutschland an ein Rentnerehepaar mit über 65 Jahren,
Ihren Vorschlag!) das Bedarf hat, im Monat 2 000 DM plus Kranken- und
11294 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. September 2000

Horst Seehofer

(A) Pflegeversicherungsbeiträge in Höhe von 150 DM, also Die Wirkung ist erstens: Je später man in Rente geht, (C)
insgesamt 2 150 DM, an Grundsicherung zu zahlen wä- desto höher ist der Abschlag. Die Wirkung ist zweitens,
ren. Um eine Rente in Höhe von 2 100 DM erhalten zu dass nur die junge Generation davon betroffen ist.
können, muss aber ein Durchschnittsverdiener 45 Jahre in
die gesetzliche Rentenversicherung eingezahlt haben. (Zuruf von der CDU/CSU: Sehr richtig!)
Wenn Sie also zu diesem Vorschlag zurückkehren – ich Wenn gestern, auch vom Finanzminister und vom Bun-
hoffe es nicht; denn dann gäbe es keinen Konsens –, deskanzler, so oft gesagt worden ist, die Sozialdimension
würde jemand, der wenig oder überhaupt nichts in die ge- hat eine Gegenwartsfunktion und eine Zukunftsfunktion,
setzliche Rentenversicherung eingezahlt hat, wegen Ihrer und man darf in der Gegenwart nicht die Zukunft zulasten
bedarfsabhän-gigen Grundsicherung am Ende genauso der kommenden Generationen „verfrühstücken“, dann
viel erhalten wie derjenige, der das ganze Leben hart ge- tun Sie jetzt bei der Rente genau das Gegenteil. Von Ihrer
arbeitet, geschuftet und Beiträge eingezahlt hat. Das wäre Rentenreform ist die junge Generation am stärksten be-
das Ende der guten alten gesetzlichen Rentenversiche- troffen.
rung.
(Zuruf von der CDU/CSU: Leider wahr!)
(Beifall bei der CDU/CSU)
Ich fordere Sie auf, dass Sie diesen Ausgleichsfaktor
Dass Sie wieder zur Nettolohnanpassung zurückkeh- – der in Wahrheit ein Kürzungsfaktor ist – aufgeben und
ren wollen, begrüßen wir. Das war immer unsere Forde- einen Vorschlag vorlegen, wie Sie die Generationenge-
rung; wir müssen weg von der Willkür. Uns geht es dabei rechtigkeit wirklich herstellen wollen und wie Sie auch
gar nicht so sehr um die Größenordnung. Aber es ist schon langfristig einen Beitragsatz von 22 Prozent für die junge
erstaunlich, meine Damen und Herren: Solange die Infla-
Generation vermeiden wollen; denn es kann nicht sein,
tionsrate bei 0,6 Prozent lag, haben Sie die Anpassung
dass diese junge Generation nach Ihrer Rentenreform die
nach der Inflationsrate vorgenommen. Jetzt, wo sich die
höchsten Beiträge, das geringste Rentenniveau, die längs-
Inflationsrate allmählich der Nettolohnentwicklung an-
nähert, nehmen Sie wieder Abstand davon – weil der te Lebensarbeitszeit und die höchsten Abschläge hat. Die
Spareffekt weg ist. Generationengerechtigkeit muss hergestellt werden!

(Renate Jäger [SPD]: Was haben Sie denn (Beifall bei der CDU/CSU)
gefordert?) Ein Letztes. Herr Riester, wir bitten Sie noch einmal
Was sollen die Leute eigentlich denken, wenn die Ren- dringendst – das ist ein dringender Wunsch meiner Frak-
tenanpassung alle halbe Jahre nach neuen Parametern er- tion –, nach Möglichkeiten zu suchen, das Solidarprin-
folgt, je nach Kassenlage und wie es dem Arbeitsminister zip dadurch zu stärken, dass Menschen, die 45 Jahre in die
(B) gerade passt? Das zerstört Verlässlichkeit und Vertrauen. Solidargemeinschaft der gesetzlichen Rentenversiche- (D)
rung eingezahlt haben, in Rente gehen können, ohne dass
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) sie einen rentenversicherungsmathematischen Abschlag
Aber Vorsicht, meine Damen und Herren: Der Bundes- bekommen. Wenden Sie sich dieser Sache noch einmal
kanzler hat gesagt, er kehre zu den „Grundzügen“ der Net- zu. Das ist ein dringender Wunsch meiner Fraktion. Da-
tolohnanpassung zurück. Es könnte also sein, dass Sie das rüber muss noch einmal gesprochen werden.
machen, was Sie ursprünglich vorhatten, nämlich eine (Beifall bei der CDU/CSU)
Anpassung nach der Inflationsrate, die Sie dann ein-
fach Nettolohnanpassung nennen. Solche semantischen Herr Riester, ich rate Ihnen dringend: Nehmen Sie un-
Schwindel sind ja in den letzten Monaten öfter erfolgt. sere Vorschläge auf. Es sind keine neuen Vorschläge. Wir
machen sie seit Monaten. Scheibchenweise, Zug um Zug,
(Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:
scheinen Sie uns entgegenzukommen. Aber entscheidend
Oh!)
kommt es darauf an, was Sie schwarz auf weiß vorlegen.
Deshalb werden wir uns sehr genau anschauen, was hier
passiert. (Michael Glos [CDU/CSU]: Sehr wahr!)

Es ist ein großer Schwachpunkt, Herr Arbeitsminister, Hören Sie endlich mit dem Zickzackkurs auf, dass Sie
dass Sie den Demographiefaktor von Blüm auf Gedeih in sieben Monaten vier Rentenkonzepte vorlegen. Sorgen
und Verderb nicht wollen, obwohl Sie jetzt eingesehen ha- Sie bitte dafür, dass Verlässlichkeit, Beständigkeit und
ben, dass Sie vom Inhalt her das Gleiche machen müssen. Vertrauen in die gesetzliche Rentenversicherung einzie-
Ich sichere Ihnen zu: Sie können es anders nennen. Aber hen. Wir wissen – auch das sagen wir der Öffentlichkeit –,
nehmen Sie den Gedanken des Demographiefaktors wie- dass die Lebensstandardsicherung durch die gesetzliche
der auf; denn er ist angesichts der Alterspyramide die ge- Rente allein nicht mehr gewährleistet werden kann, son-
rechteste Lösung, weil er die Lasten auf Jung und Alt ge- dern durch die private Vorsorge ergänzt werden muss. Das
recht verteilt. haben wir früher als Sie gesagt. Aber es muss so ausge-
staltet werden, dass man es auch gegenüber den Klein-
Sie wollen einen Ausgleichsfaktor, nach dem jeder, verdienern und den Familien mit Kindern verantworten
der ab dem Jahr 2011 in Rente geht, einen jährlichen Ab- kann.
schlag – deshalb ist es auch kein Ausgleichsfaktor, son-
dern ein „Kürzungsfaktor“ – von 0,3 Prozent über 20 Jah- Wenn Sie hierbei unseren Vorschlägen folgen, dann ha-
re hinweg hinzunehmen hat. Das entspricht innerhalb von ben Sie uns bei einem Rentenkonsens als verlässlichen
20 Jahren einer Rentenkürzung von 6 Prozentpunkten. Partner an Ihrer Seite. Wenn Sie das nicht tun, haben Sie
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. September 2000 11295
Horst Seehofer

(A) uns in der Rentenpolitik der nächsten Monate als ent- ist ein Teil eines Gesamtkonzeptes. Sozialpolitik ist auch (C)
schiedenen Gegner. ein Teil einer Finanzpolitik der Konsolidierung, einer
Politik der Steuer- und der Abgabensenkung. Nur darüber
(Beifall bei der CDU/CSU – Ulla Schmidt
erhalten wir den Handlungsspielraum, um zukünftig an-
[Aachen] [SPD]: Damit werden wir leben kön-
stehende Modernisierungen des Sozialstaates vorzuberei-
nen!)
ten und in Angriff zu nehmen.
Ich denke, dass die Politik der letzten zwei Jahre schon
Präsident Wolfgang Thierse: Nun erteile ich der
Früchte trägt. Wir sehen das an ganz knallharten Daten,
Kollegin Thea Dückert, Bündnis 90/Die Grünen, das die positiv sind: 3,3 Prozent reales Wachstum in diesem
Wort. Jahr, 1,8 Prozent Inflationsrate – das kann sich im euro-
päischen Vergleich wirklich sehen lassen – und dabei
Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): gleichzeitig und kontinuierlich seit dem letzten Herbst ein
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Abbau der Arbeitslosigkeit, eine kontinuierliche Steige-
Herr Seehofer hat uns eben wieder einige Rätsel aufgege- rung der Beschäftigung. Das macht wirklich froh für die
ben. Er hat viel über die Vergangenheit gesprochen. Aber Zukunft, für den Gestaltungsspielraum, den wir brauchen.
leider, Herr Seehofer, haben Sie uns immer noch nicht Ich glaube, an diesen Zahlen wird deutlich: Wir haben
verraten, an welcher Stelle und wie Sie sich die zukünf- es in den ersten zwei Jahren von Rot-Grün geschafft, die
tige Konzeption vorstellen. ersten Schritte eines Perspektivwechsels in der Politik
(Dr. Norbert Blüm [CDU/CSU]: Wir hatten umzusetzen – einer Politik, die endlich Fairness auch ge-
doch sogar ein Gesetz!) genüber der zukünftigen Generation walten lässt, die mit
dem Konzept aufhört, die Problematik der Schulden wei-
Aber wir werden Rentenkonsensgespräche haben. Dort ter in die Zukunft schieben zu wollen.
werden wir zur Sache kommen. Wir warten dann auf Ihre
Antworten. Was ich jetzt machen möchte, ist, nicht so sehr (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
über die Vergangenheit zu reden, wie Sie das gerade ge- sowie bei Abgeordneten der SPD)
tan haben. Es würde sich anbieten, weil wir natürlich ei- Meine Damen und Herren, der Sozialetat ist der größte
niges von dem aufzeigen könnten, was Sie uns hinterlas- Etat in diesem Haushalt. Deswegen wird der Löwenanteil
sen haben. Aber ich möchte doch lieber über das Heute dieser Politik der Konsolidierung und der Neukonzep-
und das Morgen reden. tionierung in diesem Haushalt vollbracht. Ohne die
Ich glaube, dass die letzten zwei Jahre der rot-grünen Reformbereitschaft und übrigens auch den Mut, gesell-
Koalition eines sehr deutlich gezeigt haben: Sie haben der schaftliche Konflikte auch anzugehen, ohne diese Hal-
(B) tung des Arbeitsministers Riester wäre die Konsoli- (D)
Bevölkerung konsequent deutlich machen können, dass
soziale Gerechtigkeit auch und insbesondere eine Zu- dierungspolitik der gesamten Regierung, wäre die Finanz-
kunftsdimension hat, dass es bei den Themen, über die wir und Haushaltspolitik auf Sand gebaut. Wir, der Minister,
reden, Sozialpolitik und Haushaltspolitik, darum geht, die Sozialpolitik sind das Rückgrat dafür, dass die Politik
über das Heute und das Morgen zu sprechen. der Konsolidierung und der Generationengerechtigkeit
auch in die Zukunft wirken kann.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
sowie bei Abgeordneten der SPD) Die rot-grüne Koalition hat bei allem, was wir in den
letzten zwei Jahren gemacht haben, und bei dem, was für
Ich denke, dass die Bevölkerung sehr eindrücklich ver- die nächsten Jahre veranschlagt ist, eines ins Zentrum ge-
standen hat, dass der Sozialstaat heute nicht mehr wie in stellt: mehr soziale Gerechtigkeit für die kleinen Leute
der Vergangenheit von der Hand in den Mund leben kann, – und zwar nachrechenbar in ihrer Kasse – zu schaffen.
sondern dass es auch eine sozialpolitische Aufgabe ist, Wir haben im Jahre 2001 durch die Steuerreform 45 Mil-
den großen Schuldenberg, den Sie uns hinterlassen haben, liarden DM, die an die Unternehmer und die Arbeitneh-
Stück für Stück abzutragen. mer und Arbeitnehmerinnen sowie an die Bevölkerung
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zurückgegeben werden. Es klingelt auch in der kleinen
sowie bei Abgeordneten der SPD) Geldbörse.

Ich finde es gerade auch unter sozialpolitischer Perspek- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
tive sehr beglückend, dass wir es geschafft haben, in die- und bei der SPD)
sem Jahr zweierlei zu erreichen, nämlich die Schulden ab- Hinzu kommen besonders für die kleinen Einkommen:
zubauen und gleichzeitig die Steuern zu senken. Das die zweimalige Erhöhung des Kindergeldes, die Erhö-
haben Sie in der letzten Zeit nicht fertig bringen können, hung des Kindergeldes auch für Sozialhilfeempfänger,
und es ist ein Gewinn für die Gesellschaft, der uns Zu- der höhere Kinderfreibetrag, die BAföG-Erhöhung und
kunftsperspektiven öffnet. nach zehn Jahren endlich zum ersten Mal wieder eine
Wohngelderhöhung.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
sowie bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS-
SES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)
Es ist für Sozialpolitiker manchmal ganz schwer, aber
ich glaube, gerade an dieser Haushalts- und Finanzpolitik, Ich finde, das markiert deutlich und zu Recht, wo un-
die den Rahmen liefert, wird sehr deutlich: Sozialpolitik sere Politik hinläuft: Für eine vierköpfige Familie mit
11296 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. September 2000

Dr. Thea Dückert

(A) jährlich 60 000 DM brutto im nächsten Jahr 2 900 DM Wer heute immer noch behauptet, dass die Beitrags- (C)
mehr in der Tasche – und zwar real –, für eine allein ste- entwicklung in den sozialen Sicherungssystemen nicht so
hende Frau mit jährlich 40 000 DM brutto im nächsten wichtig sei, und wer uns rät, in dieser Debatte über die
Jahr 1 209 DM mehr Entlastung. Es ist wirklich real, was Rentenstrukturreform den Konsolidierungskurs zu ver-
bei den Menschen ankommt. lassen, der hat die Schärfe des Problems überhaupt nicht
erkannt. Weder in der Rentenversicherung noch in den an-
Aber wir haben in der Sozialpolitik sehr viel mehr zu
deren Versicherungssystemen können wir Reformen ma-
leisten, als diese Beiträge zur Konsolidierung zu erbrin-
chen, die mit einer Steigerung der Beitragssätze verbun-
gen und neu zu gestalten.
den sind. Wir brauchen die Beitragsstabilität. Sie ist ein
(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist richtig! wichtiger Beitrag zur künftigen Beschäftigungsentwick-
Nur zu!) lung.
Wir müssen an die sozialen Sicherungssysteme heran, Bei aller Offenheit in der Debatte um die Rentenstruk-
weil sich der gesellschaftliche Zusammenhang, der Le- turreform ist eines vollständig klar, die Schmerzgrenze
benszusammenhang und die Arbeitswelt sehr stark verän- der Beitragssatzentwicklung ist in dem Konzept der Bun-
dert haben. Die Sicherungssysteme müssen auch an die desregierung benannt: bis zum Jahre 2020 unter 20 Pro-
veränderten Arbeits- und Lebensbedingungen angepasst zent – das ist wirklich eine reife Leistung – und bis zum
werden. Ich glaube, hier ist wirklich Ehrlichkeit gefordert. Jahre 2030 nicht über 22 Prozent. Diese Schmerzgrenze
können wir nicht überschreiten. Wir brauchen Fairness
Verändert hat sich ungeheuer viel: die Lebenszeit ver-
gegenüber der jungen Generation.
längert sich; die Geburtenrate geht zurück; die Allein-
erziehenden werden zahlreicher; die Scheidungsraten Meine Damen und Herren, in den Rentenkonsensge-
steigen; in der Zukunft werden immer weniger Leute es sprächen sind die wesentlichen Punkte für die Rentenre-
hinbekommen, 45 Jahre lang in einem Beruf tätig zu sein. form genannt worden. Herr Seehofer sagte erst, es gebe
Alle diese Faktoren waren bei der Konstruktion unseres kein Konzept; jetzt hat er beklagt, dass es vier Konzepte
jetzigen Sozialsystems ausschlaggebend. Darauf ist es gebe.
eingestellt. (Horst Seehofer [CDU/CSU]: Im vierten sind
Wir müssen die Philosophie, aber auch die Grundlagen wir jetzt!)
und die Struktur der Sozialsysteme an diese Veränderun- Herr Seehofer, Sie waren derjenige, der uns in den Ren-
gen anpassen. Da müssen wir eine sehr offene und ehrli- tenkonsensgesprächen hinter geschlossenen Türen – das
che Diskussion führen. Heute sind es 2,3 Erwerbstätige, will ich deutlich sagen, damit es jeder hört – mehrfach be-
(B) die auf einen Rentner, eine Rentnerin kommen. Schon im stätigt hat, dass die Eckpunkte der rot-grünen Regierung, (D)
Jahre 2030 werden es nur noch 1,3 Erwerbstätige sein. Je- die dort vorgelegt wurden, ein mutiges und der Zukunft
dem in der Bevölkerung, der rechnen kann – und die kön- zugewandtes Konzept sind, das das Problem der Genera-
nen rechnen –, wird doch klar, dass ein umlagefinanzier- tionengerechtigkeit ernst nimmt.
tes Rentensystem allein zukünftigen Generationen nicht
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
mehr den Lebensstandard sichern kann.
und bei der SPD – Ulla Schmidt [Aachen]
Herr Seehofer hat hier Ehrlichkeit in der Debatte ein- [SPD]: „Quantensprung“ hat Herr Seehofer mal
geklagt. Ehrlichkeit muss genau an dieser Stelle ansetzen: gesagt!)
Wir müssen sagen, dass wir das umlagefinanzierte System
– Genau! Herr Seehofer hat in Bezug auf das Regierungs-
durch eine private Säule und eine betriebliche Säule er- konzept sogar von einem „Quantensprung“ in der Ren-
gänzen müssen. Diese Ehrlichkeit bringen wir auf. tenpolitik geredet. – Herr Seehofer, entscheiden Sie sich!
(Dirk Niebel [F.D.P.]: Das ist ja nun keine Sie wissen, die Gespräche laufen weiter.
Erfindung der Grünen! Erinnern Sie sich doch Eines will ich Ihnen und der CDU/CSU insgesamt sa-
einmal, wie Sie uns geprügelt haben, als wir das gen: Machen Sie nicht den gleichen Fehler wie bei der
gefordert haben!) Steuerreform! Danach sieht es fast aus. Folgen Sie nicht
Sie dagegen stellen sich hier hin und behaupten, der Le- Stoiber, sondern folgen Sie der Vernunft bei der Frage der
bensstandard sei weiterhin über das umlagefinanzierte Rentenstrukturreform! Denn sie bietet Ihnen eine Chance,
System zu sichern. Das haben Sie hier gerade wiederum ein Stück Ihrer Glaubwürdigkeit zurückzugewinnen. Die
gemacht. Wir und auch unser Sozialminister bringen den Kampagne gegen die Ökosteuer, die Sie im Moment be-
Mut auf, – treiben und mit der Sie Verwirrung auslösen, ist unglaub-
würdig und an Unseriosität und Unredlichkeit gerade im
(Dirk Niebel [F.D.P.]: Sie haben den Mut ge- Zusammenhang mit der Rentenreform wirklich nicht zu
habt, den demographischen Faktor abzuschaf- überbieten.
fen, obwohl Sie ihn wollen!)
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
– die Wahrheit der demographischen Entwicklung in der und bei der SPD)
Gesellschaft zu diskutieren.
Herr Merz hat gestern die Eckpunkte der CDU/CSU-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Fraktion genannt, von denen die zwei ersten sehr interes-
und bei der SPD) sant sind.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. September 2000 11297
Dr. Thea Dückert

(A) Die erste Forderung war: Das Niveau der heutigen Ren- müssen wir aber reden. Aber das ist eine Frage des Weges; (C)
ten muss gehalten werden. Ich erinnere Sie daran – Sie ha- in einem Schritt geht es nicht. Wir müssen dazu natürlich
ben eben gerade wieder erwähnt, der demographische auch die betriebliche Altersvorsorge attraktiver gestalten.
Faktor sei die Lösung –, dass der demographische Faktor Wir laden Sie ein, diesen Weg weiterzugehen. Ich denke,
alle Generationen, mit Ausnahme der jetzigen Rentner- das ist auch für Sie sehr hilfreich.
generation, nach der Rasenmähermethode betreffen
Wir haben in der Sozialpolitik noch sehr viel mehr zu
würde. Bleiben Sie redlich in Ihrer Argumentation!
leisten. Wir haben dank der positiven Konjunkturent-
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- wicklung und dank der vorhin von mir genannten Daten
SES 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Dirk im Moment eine sehr günstige Ausgangsposition.
Niebel [F.D.P.]: Aber die Grünen wollen ihn Mir bleibt nicht genügend Zeit, um die positive Ent-
doch auch!) wicklung auf dem Arbeitsmarkt in Einzelheiten darzu-
– Sie fordern den demographischen Faktor immer noch. stellen. Klar ist aber, dass wir seit Herbst letzten Jahres
Wir haben eine bessere Antwort, die im Sinne der Gene- hier eine kontinuierliche Verbesserung erleben. Klar ist,
rationengerechtigkeit auch ehrlicher ist. dass wir – entgegen allen Ihren Unkenrufen – in diesem
Jahr eine positive Entwicklung haben, die Zahl der Be-
Die zweite Forderung – da wird es interessant, wenn schäftigungsverhältnisse von Monat zu Monat zunimmt,
die beiden Dinge zusammenkommen – von Herrn Merz allein im Mai dieses Jahres um mehr als 700 000. Dies
lautete: Die Beiträge dürfen dauerhaft nicht höher sein als lässt sich nicht allein durch die Demographie erklären,
zurzeit. Wir haben zurzeit einen Beitragssatz von sondern ist Folge der positiven Entwicklung auf dem Ar-
19,3 Prozent. Dieser Beitragssatz – das wissen Sie auch – beitsmarkt.
ist wegen der Ökosteuer zustande gekommen. Ohne Öko-
steuer läge in diesem Jahr der Beitragssatz in der Diese positive Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt
Rentenversicherung um einen Prozentpunkt höher, das macht uns für die Zukunft eines möglich: Wir müssen ver-
heißt, wir wären bei über 20 Prozent. Deshalb ist die Ar- suchen – die Zeichen sind günstig –, spätestens im Jahre
gumentation an dieser Stelle höchst unredlich. 2002 die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung um
0,8 bis 1 Prozent zu senken.
Wie Sie wissen, fließen die Einnahmen aus der Öko-
steuer in die Rentenkassen. Wenn Sie hier über Beitrags- (Dirk Niebel [F.D.P.]: Jetzt!)
sätze reden, die wir erreicht haben, und diese zur Grund- Ich denke, das können wir auch erreichen. Das wäre ein
lage Ihrer eigenen Vorstellungen machen, dann aber die guter Schritt, um mit den Lohnnebenkosten unter 40 Pro-
Ökosteuer abschaffen wollen, schlagen Sie – das wissen zent zu kommen. Das wäre wiederum ein effektiver Bei-
(B) auch Sie – dem Rentensystem ein Bein weg. Sagen Sie, trag zur Beschäftigungsförderung und zu der positiven (D)
wie Sie es finanzieren wollen, beispielsweise über Bei- Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt.
tragserhöhungen, eine Erhöhung der Mehrwertsteuer oder
eine höhere Nettoneuverschuldung! Meine Damen und Trotzdem werden die Aufgaben einer aktiven Arbeits-
Herren von der CDU, eine solche unehrliche Politik wer- marktpolitik nicht kleiner werden, auch wenn das viele
den wir nicht mitmachen. denken mögen. Es gibt nach wie vor strukturelle Verwer-
fungen zwischen Ost und West, insbesondere einen hohen
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Anteil an Langzeitarbeitslosigkeit, also an verfestigter
und bei der SPD) Arbeitslosigkeit. Aber die jetzige Situation gibt uns auch
Ich schlage Ihnen in aller Freundschaft – die Diskus- die Chance, über Veränderungen in der Arbeitsmarktpoli-
sionen sind oft sehr anregend – vor, von der Straße, von tik neu nachzudenken. Die Tatsache, dass ein großer Teil
der Zapfsäule zurückzukehren und wieder in die Renten- der Arbeitslosen Langzeitarbeitslose sind, macht deutlich,
konsensgespräche einzusteigen. Die Konzepte liegen vor, dass wir mit unserer Arbeitsmarktpolitik zukünftig nicht
wir werden weiter diskutieren. Sie haben Ihre Punkte ja erst dann eingreifen dürfen, wenn sich die Langzeitar-
benannt. Ich denke, Sie rennen mit Ihren Forderungen of- beitslosigkeit schon verfestigt hat; vielmehr müssen wir
fene Türen ein. die Arbeitsmarktpolitik sehr viel stärker präventiv aus-
richten, eher an die Betriebe herangehen und auf eine Ver-
Die betriebliche und private Vorsorge muss natür- änderung des Qualifikationsniveaus setzen. Das sind alles
lich weiter ausgebaut werden. Aber der Kanzler hat Ihnen Aufgaben, die wir zu bewältigen haben.
doch schon angeboten, noch einmal 20 Milliarden DM in
die Hand zu nehmen, um gerade Beziehern kleiner Ein-
kommen den Gang in die private und betriebliche Vor- Präsident Wolfgang Thierse: Liebe Kollegin, Sie
sorge zu erleichtern, und zwar mittels einer – was wir haben Ihre Redezeit deutlich überschritten.
Grünen schon immer gefordert haben – Kinderkompo-
nente. Darüber können wir doch reden, das ist doch über- Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ja,
haupt keine Frage. Sie brauchen doch nicht so zu tun, als ich weiß. Deswegen komme ich jetzt zum Schluss.
seien Sie hier auf einen unüberwindbaren Punkt gestoßen.
Wir haben an dieser Stelle zwar viele Aufgaben zu
Wir sind durchaus bereit, genau dieses zu tun.
bewältigen. Aber: Wir kehren nicht mehr zur Politik der
Das Ziel, für alle Altersvorsorgesysteme die nachgela- ungedeckten Schecks zurück; vielmehr werden wir in der
gerte Besteuerung zu erreichen, ist klar, über die Schritte Arbeitsmarkt-, Sozial- und Rentenpolitik die Fairness
11298 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. September 2000

Dr. Thea Dückert

(A) gegenüber den zukünftigen Generationen in den Mittel- Autofahrer jetzt beim Tanken und all diejenigen, die noch (C)
punkt stellen. Heizöl für den Winter brauchen, mit ihrer nächsten
Heizölrechnung bezahlen. Damit liefert die Bundesregie-
Ich danke Ihnen.
rung wieder einmal ein neues Stück Politik, das die Bür-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ger in Deutschland nicht mehr verstehen. Vielleicht war
und bei der SPD) das der Grund, weshalb Herr Riester nur sehr knapp auf
die Rentenversicherung eingegangen ist.
Präsident Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun die Die Diskussion um die Ökosteuer, meine Damen und
Kollegin Irmgard Schwaetzer, F.D.P.-Fraktion. Herren, zeigt nur, auf welch abschüssige Bahn sich die
Bundesregierung damit begeben hat. Bis zum Jahre 2003
werden die mobilitätshungrigen Deutschen mit ihren
Dr. Irmgard Schwaetzer (F.D.P.): Herr Präsident!
Tankfüllungen weitere 27 Milliarden DM in die Renten-
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das, was wir bisher in
kasse einzahlen. Sie wissen aber nicht, wo es bleibt. Sie
dieser Debatte erlebt haben, ist ja wohl etwas bizarr: Der
hatten damit gerechnet, dass so die Rentenversicherungs-
Arbeitsminister flicht 30 Minuten lang Lorbeerblatt um
beiträge gesenkt werden. Aber ab dem Jahr 2001 werden
Lorbeerblatt zu einem Kranz zusammen, den er sich an-
die Rentenversicherungsbeiträge nicht mehr gesenkt. Die
schließend selber aufsetzt.
zusätzliche steuerliche Spritze dient ausschließlich dazu,
(Beifall bei der F.D.P. – Gerd Andres [SPD]: den Rentenversicherungsbeitrag einigermaßen stabil zu
Wir haben so viele Blätter, dass ein Kranz da- halten. Was wird dadurch erreicht? Nichts anderes, als
raus wird!) dass die Notwendigkeit von Reformen in der Rentenver-
sicherung wieder einmal verschleiert wird,
Dabei hat er nichts, wirklich nichts zu den wichtigsten Re-
formvorhaben gesagt, über die wir gerade diskutieren. (Beifall bei der F.D.P.)
Wer aber beschreibt die Verblüffung, als Herr Seehofer einige wieder hasenfüßig werden und eine durchgreifende
nach dem Motto: „Was kümmern mich meine Sprüche Rentenreform nicht mehr anpacken wollen.
von gestern?“ eine Kehrtwende hin zu einer sicherlich gut
Selbst bei den Grünen kursiert inzwischen ein Papier,
gemeinten, aber doch in weiten Bereichen illusionären
das diesen Weg der zunehmenden Steuerfinanzierung als
Politik von Norbert Blüm machte? Herr Seehofer, Ihre
äußerst fragwürdig beschreibt. Ich weiß nicht, welchen
Forderung, es bei einem Rentenniveau von 64 Prozent zu
Stellenwert Herr Metzger heute noch in Ihrer Fraktion
belassen, ist – das haben die Rechnungen sehr klar ge-
hat – zumindest ist nicht mehr sehr viel von ihm zu
zeigt – entweder nur durch weitere massive Fütterung der
(B) Rentenversicherung mit Steuern oder durch weitere mas- hören –, aber Herr Metzger hat in einem Papier ganz klar (D)
festgestellt, dass dieses von den Grünen als Ideologie be-
sive Beitragsanhebungen zu erfüllen. Wir waren uns zu
triebene Konzept, nämlich die Ökosteuer zu erhöhen und
Beginn der Rentenkonsensgespräche darüber im Klaren,
deren Aufkommen anschließend in die Rentenversiche-
dass eine solche Politik nicht zukunftsfähig ist, weil die
rung fließen zu lassen, der Bevölkerung nur schwer zu
Grundlagen dafür nicht mehr vorhanden sind.
vermitteln ist und darüber hinaus die massiven Zuschüsse
(Beifall bei der F.D.P.) aus Steuermitteln das langfristige Konsolidierungsziel der
Bundesregierung gefährden. Hier kann ich nur die Frage
Wenn Sie, Herr Seehofer, eine solche Politik trotzdem for-
stellen: Welche Konsequenzen werden die Grünen inner-
dern, dann kann ich Ihnen nur sagen: Sie sind unverant-
halb der Koalition ziehen? Oder werden sie, wie in der
wortlich und tun nichts für einen Generationenausgleich,
Vergangenheit, solche Dinge einfach übergehen und
weil Sie nämlich nicht in der Lage sind, die Lasten so zu
nichts für den Generationenausgleich tun?
verteilen, wie sie verteilt werden sollten.
(Beifall bei der F.D.P.)
(Beifall bei der F.D.P.)
Herr Riester, Sie sind in der fraktionsübergreifenden
Lassen Sie mich zunächst den Aspekt ansprechen, dass
Konsensrunde zur Reform der Altersvorsorge in Deutsch-
ein gewisser Anteil an Steuern in die Rentenversiche-
land gut gestartet. Das Ziel, eine Stabilisierung der Ren-
rung fließt. Im Einzelplan 11, der mit knapp 170 Milliar-
tenversicherung bis 2030 zu erreichen, ist richtig und
den DM wieder der mit Abstand größte Einzelplan des
bleibt richtig. Die Entscheidung, die zwangsläufig aus
Bundeshaushalts ist, werden die Zuschüsse zur Renten-
dieser Umgestaltung entstehende geringere Versorgung
versicherung für dieses Jahr immerhin mit 137 Milliar-
aus der gesetzlichen Rentenversicherung frühzeitig durch
den DM ausgewiesen. Die drastische Erhöhung des steu-
den Aufbau einer privaten und einer betrieblichen Al-
erfinanzierten Zuschusses zur Rentenversicherung ist im
tersversorgung aufzufangen, ist richtig und bleibt rich-
Wesentlichen darauf zurückzuführen, dass Sie seit zwei
tig. Nach dem, was Herr Seehofer heute gesagt hat, ist es
Jahren das Aufkommen der Ökosteuer in die Rentenver-
ganz offensichtlich ein mutiges Konzept gewesen, dem
sicherung fließen lassen. Dies wollen Sie auch noch für
sich die größere Oppositionsfraktion derzeit noch nicht
weitere zwei Jahre fortsetzen. Insofern ist das schon eine
recht anschließen kann. Die Entscheidung, die hoffentlich
weitere Facette der Debatte über die Ökosteuer, die auch
im Bundeshaushalt 2001 ihren Niederschlag findet, den
die bisherige Haushaltdebatte sehr stark geprägt hat.
Aufbau der privaten Altersvorsorge für alle – nicht nur für
Sie werden auch im nächsten Jahr wiederum 8 Milliar- diejenigen, die Steuern zahlen, auch für diejenigen, die
den DM in die Rentenversicherung fließen lassen, die die keine Steuern zahlen – massiv aus Steuermitteln zu unter-
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. September 2000 11299
Dr. Irmgard Schwaetzer

(A) stützen, ist richtig und bleibt richtig. Falsch, Herr Riester, Die F.D.P. ist nach wie vor der Meinung, dass der de- (C)
ist es, dass Sie vor den massiven Forderungen und Dro- mographische Ausgleich nicht erst im Jahre 2011 einset-
hungen der Gewerkschaften innerhalb und außerhalb ih- zen darf. Er muss früher einsetzen.
rer eigenen Fraktion eingeknickt sind. Sie wollen die Ein-
(Beifall bei der F.D.P.)
führung eines Abschlagsfaktors, den Sie eigentlich als
eine Art demographischen Ausgleich ab dem Jahr 2011 Für die F.D.P. gilt ganz genauso, dass es Möglichkeiten
einsetzen wollten – das ist unserer Meinung nach sowieso der Verlängerung der Lebensarbeitzeit gibt: indem man
zu spät –, Schulzeiten verkürzt, nämlich beim Abitur von 13 auf
zwölf Jahre, indem man Studienzeiten verkürzt –
(Beifall bei der F.D.P.)
(Dirk Niebel [F.D.P.]: Und eine Freiwilligenar-
noch weiter hinausschieben. So können Sie niemandem
mee schafft!)
erklären, wieso Sie zu der Behauptung kommen, dass der
Beitragssatz in der gesetzlichen Rentenversicherung bei – und indem man möglicherweise, darüber werden wir am
22 Prozent stabil gehalten werden kann. nächsten Sonntag einen Beschluss fassen, eine Freiwilli-
genarmee schafft.
(Beifall bei der F.D.P.)
Sie belasten die Rentenversicherung stärker, Sie entlasten Das würde drastische Erleichterungen in der Renten-
sie an keiner anderen Stelle. Und das soll zum gleichen versicherung bringen. Man muss über eine Verlängerung
Beitragssatz gehen? Wir wissen doch, wer dann Beiträge der Lebensarbeitszeit über 65 Jahre hinaus zum jetzigen
zahlen wird, da sie alle schon heute geboren sind. – Das Zeitpunkt gar nicht diskutieren. Unser Drängen auf einen
Ganze wird nicht funktionieren. Herr Riester, seien Sie niedrigen Beitragssatz ist keine Marotte, sondern im Hin-
bitte ehrlich und sagen Sie, dass dies die falsche Ent- blick auf den Arbeitsmarkt schiere Notwendigkeit. Aus
scheidung ist, wenn Sie wirklich am Ziel der langfristigen diesem Grund unterstützen der DIHT, also der Deutsche
Stabilisierung festhalten wollen. Industrie- und Handelstag, aber auch die Arbeit-
geberverbände unser Drängen, vom jetzt eingeschlagenen
(Beifall bei der F.D.P.) Kurs der alten Gefälligkeitspolitik wieder zur Vernunft
Ich appelliere an Sie, wieder zu dem ziemlich radikalen zurückzukehren.
Reformer zu werden, der Sie zu Beginn dieses Jahres wa- Der Kuhhandel, der bei der Zusammenkunft von Re-
ren. gierung und Gewerkschaften getrieben wurde, hat aber
Dennoch muss man auch die Oppositionsparteien noch zwei weitere negative Konsequenzen gehabt. Ganz
CDU und CSU auffordern, auf den Boden der Realitä- offensichtlich soll jetzt die auch von mehreren SPD-Län-
(B) ten zurückzukehren. Herr Seehofer, Sie haben wirklich dern gewollte Reform des Ladenschlussgesetzes für diese (D)
nicht erklärt, wie Sie es schaffen wollen, mit einem Bei- Legislaturperiode wieder von der Agenda gestrichen wer-
tragssatz von 22 Prozent oder weniger ein Rentenniveau den. Aber so blind können doch eigentlich nur noch Men-
von 64 Prozent beim „Standardrentner“ zu erhalten. Das schen sein, die ihre Milch nicht selber einkaufen, dass sie
geht nicht. Das wird Ihnen sicherlich auch Ihr Renten- nicht sehen, wie ganz legal – manchmal auch an der
experte, Herr Storm, erklären. Insofern sind Sie hier wirk- Grenze der Legalität – das antiquierte Ladenschlussge-
lich noch Aufklärung schuldig, wie Sie dies tatsächlich setz unterlaufen wird.
machen wollen. Dies alles geschieht nur, damit die Gewerkschaft Han-
Der Bundeskanzler hat in seiner Rede gestern an einer del, Banken und Versicherungen zufrieden ist. Die Tank-
Stelle schon darauf hingewiesen, dass es in Zukunft, näm- stellen werden sich freuen, aber wir, die F.D.P., würden
lich bei den Rentnern der Jahre 2015/2020/2030, nicht da- gerne für Verbraucher, aber auch für moderne Einzel-
rauf ankommen wird, was sie aus der gesetzlichen Ren- händler noch in dieser Legislaturperiode eine Abschaf-
tenversicherung bekommen. Was für sie vielmehr zählen fung des Ladenschlussgesetzes sehen.
wird, ist, dass der Lebensstandard insgesamt gesichert (Beifall bei der F.D.P.)
wird. Das heißt, aus der gesetzlichen Rentenversicherung
und aus der privaten Vorsorge und aus der betrieblichen Das ist Reformbereitschaft, die im Übrigen auch die Grü-
Altersversorgung setzt sich das Einkommen zusammen, nen immer wieder einfordern. Also: Machen Sie es, un-
aus dem die Lebensstandardsicherung erfolgen soll. terstützen Sie unseren Antrag und setzen Sie sich gegen-
über den Gewerkschaften durch!
(Beifall bei der F.D.P.)
Unter die Räder gekommen ist im Gespräch mit den
Das war auch unser Ausgangspunkt. Übrigens, die Gewerkschaften auch der Ansatz zur Flexibilisierung des
F.D.P. hat dies leichten Herzens getan, weil wir es seit Arbeitsmarktes, den die alte Bundesregierung in ihrem
15 Jahren fordern. Wir freuen uns, dass es inzwischen die Beschäftigungsförderungsgesetz auf den Weg gebracht
eine oder andere Fraktion in diesem Hause gibt, die uns hat. Der Abschluss befristeter Arbeitsverträge hat sich ge-
auf diesem Wege folgen will. Entscheidend ist also die rade in Zeiten des Umbruchs in vielen Betrieben bewährt.
Lebensstandardsicherung, aufbauend auf allen drei Säu-
Da geht es darum, durch flexible Maßnahmen zusätzliche
len. Ich appelliere an die CDU, auch hier wieder auf den
Aufträge bewältigen zu können, ohne dass man weiß, ob
Boden der Tatsachen zurückzukehren.
es auch einen Nachfolgeauftrag gibt. Die bürokratische
(Beifall des Abg. Hans Georg Wagner [SPD]) Krücke, Herr Riester, die derzeit in Ihrem Ministerium
11300 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. September 2000

Dr. Irmgard Schwaetzer

(A) vorbereitet wird und die Sie als Gesetzentwurf vorlegen hilfeberechtigten. Allein bei den Langzeitarbeitslosen (C)
wollen, ist für den Abschluss befristeter Arbeitsverträge haben Sie im Rahmen dieses Pakets durch die Kürzung
so etwas wie der Tod. Damit werden Sie wieder eine der Rentenbeiträge 4,5 Milliarden DM gespart. Hier kann
Menge zusätzlicher Investitionen in osteuropäischen Län- ich Herrn Seehofers Kritik ausdrücklich zustimmen. Die
dern bewirken, aber sicherlich wenig zusätzliche Investi- neuen Maßnahmen, die Sie für diese Bevölkerungsgrup-
tionen in Deutschland. pen einleiten, werden diesen Kurs leider noch verschär-
fen, weil Sie penetrant die wirklich Vermögenden und
(Beifall bei der F.D.P.) Besserverdienenden, die so genannten Leistungsträger,
Aber es gibt – ich sehe das an der Reaktion – viele, die ins Zentrum Ihrer Politik stellen und aus allen Belastun-
diese Realität in Deutschland nicht wahrnehmen wollen. gen herauslassen.
Diese sind eher bereit, auf mehr Beschäftigung zu ver- Sie sind nicht nur dabei, die Sozialsysteme in der Bun-
zichten, als über ihren eigenen Schatten zu springen. desrepublik von der Reichtumsentwicklung abzukoppeln,
(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.) sondern sie sind auch dabei, den Sozialstaat auf seine
wettbewerbsfördernde Funktion einzudampfen. Dabei
Die F.D.P.-Fraktion hat einen eigenen Gesetzentwurf – das ist ja auch klar – wird dann eben zu oft nur noch nach
für befristete Arbeitsverhältnisse in den Bundestag einge- Nützlichkeitsgesichtspunkten entschieden und nicht vor-
bracht. Wir laden die Modernisierer in der Koalition ein, rangig danach, was der Sozialstaat heute und vor allen
uns dabei zu unterstützen. Dingen in Zukunft leisten muss und leisten soll, um den
sozialen Wandel in dieser Gesellschaft gestaltbar zu ma-
(Dr. Wolfgang Gerhardt [F.D.P.]: Wird eine chen.
Minderheit sein!)
Der berühmte Reformstau, den auch Sie jetzt immer
Deswegen freue ich mich, auch bei den Haushaltsbera- bemühen, wird doch nicht allein dadurch aufgelöst, dass
tungen, noch auf viele interessante Diskussionen. Sozialleistungen gekürzt und Sozialkosten gedeckelt wer-
Danke schön. den. Der Reformstau ist erst dann wirklich aufgelöst,
wenn den tatsächlich vorhandenen Umbrüchen in unse-
(Beifall bei der F.D.P.) rem Arbeitssystem aufgrund der Veränderung von Be-
schäftigungsverhältnissen und der Bevölkerungsstruktur
Präsident Wolfgang Thierse: Nun erteile ich das staatliche Konzepte gegenübergestellt werden, die auf so-
Wort der Kollegin Heidi Knake-Werner, PDS-Fraktion. zialer Sicherheit und Solidarität aufbauen und eben nicht
auf Privatisierung sozialer Risiken und Eigenverantwor-
tung.
(B) Dr. Heidi Knake-Werner (PDS): Herr Präsident! (D)
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nachdem ich hier heute (Beifall bei der PDS)
Morgen von verschiedenen Seiten Stellungnahmen zur Sie sind aber genau auf diesem Weg der Privatisierung so-
Rente gehört habe, bin ich wirklich auf Ihren möglichen zialer Risiken. Dabei verletzen oder verändern Sie will-
Konsens gespannt. kürlich grundlegende Prinzipien unseres sozialen Siche-
Für mich steht nach zwei Jahren rot-grüner Regie- rungssystems.
rungspolitik fest: Jawohl, es hat ein Politikwechsel statt- Das Abkoppeln der Rentenerhöhungen von der Netto-
gefunden, aber, ich fürchte, er wird vielen nicht gefallen, lohnentwicklung für zwei Jahre war ein erster Schritt
die noch 1998 ihre Hoffnung auf Rot-Grün gerichtet hat- dorthin. Nun schrecken Sie auch nicht davor zurück, die
ten. Ich gebe offen zu: Ich schließe mich dabei nicht aus. paritätische Finanzierung der Rente aufzukündigen. Ge-
Ich werde mich deshalb bei meiner Rede vor allen Dingen trieben von der fixen Idee – das sage ich ausdrücklich
auf die Punkte konzentrieren, die es zu kritisieren gilt, un- auch noch einmal an die Adresse der Kollegin Thea
abhängig davon, dass es auch das eine oder andere gege- Dückert –, die Unternehmen bei den Lohnkosten zu ent-
ben hat, dem wir frohen Herzens zustimmen konnten. lasten, wollen Sie die Rentenkassen einseitig durch pri-
vate Vorsorge der abhängig Beschäftigten sanieren. Das,
Wollte noch Bundeskanzler Schröder bei seinem Re- liebe Kolleginnen und Kollegen, ist doch weder gerecht
gierungsantritt den Abbau der Arbeitslosigkeit zur Mess- noch eine Reform, die diesen Namen wirklich verdient.
latte über Erfolg und Misserfolg seiner Politik machen, ist
es nun der Bundesfinanzminister, der mit seiner Konso- Nun hat uns gestern der Bundeskanzler in seiner Rede
lidierungspolitik allen den Rang abläuft. Sparen hat darüber belehrt, dass private Vorsorge noch nie paritä-
oberste Priorität, Schuldenabbau wird bei Ihnen zum Ga- tisch finanziert worden sei.
ranten für soziale Gerechtigkeit heute und in Zukunft (Ulla Schmidt [Aachen] [SPD]: Das stimmt!)
hochgeredet. Ich sage Ihnen: Schuldenabbau per se hat
weder etwas mit sozialer Gerechtigkeit noch mit Innova- Das ist wohl wahr. Der feine Unterschied besteht aller-
tion zu tun, wenn die Richtung nicht stimmt. dings darin: Sie wollen das Rentenniveau absenken. Da-
mit wird die private Vorsorge im Prinzip zur Pflicht für all
(Beifall bei der PDS) diejenigen, die auch in Zukunft eine Rente in der Höhe ha-
ben wollen, die die gesetzliche Rentenversicherung heute
Ich finde, Sie sparen an den Falschen. Schon das erste
noch garantiert. Das heißt doch, die private Vorsorge wird
eichelsche Sparpaket vom letzten Sommer – 30 Milliar-
bei Ihnen zum Ausfallbürgen Ihrer Rentenkürzungspläne.
den DM, Sie erinnern sich – ging eindeutig zulasten von
Rentnerinnen und Rentnern, Erwerbslosen und Sozial- (Beifall bei der PDS)
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. September 2000 11301
Dr. Heidi Knake-Werner

(A) Das ist der Ausstieg aus der solidarisch finanzierten Al- Nun zu Ihrer Arbeitsmarktpolitik. Die Arbeitslosen- (C)
terssicherung. Das führt dazu, dass die Rente nicht sicher zahlen sinken seit einigen Monaten. Das ist gut so. Die
ist, dass die Leistungen für die heutigen Rentnerinnen und Regierung, allen voran der Bundeskanzler, ist zufrieden.
Rentner gekürzt werden und dass die jungen Generatio- Aber ich sage Ihnen: Für Selbstzufriedenheit fehlt jede
nen unverantwortlich belastet werden. Grundlage. Die Veränderungen in unserer Arbeitsgesell-
(Peter Dreßen [SPD]: Das ist nicht wahr!) schaft, die zunehmende Auflösung des Normalarbeitsver-
hältnisses, die notwendige Neuverteilung bezahlter und
– Das Rentenniveau wird doch wohl abgesenkt; darüber unbezahlter Arbeit zwischen den Geschlechtern sind alles
waren wir uns hier schon einig. Herausforderungen, die wir angehen müssen. Die Men-
Diesen Weg gehen wir jedenfalls nicht mit. Die PDS schen, die uns in der Politik begleiten, erwarten, dass wir
hat Alternativen für eine Rentenreform vorgelegt. Sie sind endlich Lösungen anbieten.
bezahlbar, sie sind solidarisch, sie sind zukunftsfähig und Da drängt sich mir die Frage auf: Was ist eigentlich mit
sie verhindern Altersarmut. Das ist für uns der wichtigste dem Bündnis für Arbeit? Seit zwei Jahren dümpelt es da-
Punkt. hin. Es beschäftigt sich mit diesem und jenem und dient
(Beifall bei der PDS) vor allen Dingen dazu, die Gewerkschaften in die Kon-
senspolitik der Bundesregierung einzubinden. Auf Vor-
Ich empfehle Ihnen: Holen Sie uns mit an den Tisch.
Die soziale Grundsicherung, die Sie, Herr Minister schläge, die dazu führen, die Arbeitslosigkeit in diesem
Riester, heute wieder angeführt haben und die Sie ver- Land wirksam abzubauen, warten wir bisher vergeblich.
sprochen haben, als Sie die Rentenbeiträge der Langzeit- Was ist mit dem Überstundenabbau? Was ist mit einer
arbeitslosen abgesenkt haben, werden Sie mit dieser Seite Regelung zur sinnvollen Arbeitszeitverkürzung? All diese
jedenfalls nicht durchsetzen. Das sollte Ihnen klar sein. Schritte wären aber notwendig, um beim Abbau der
Arbeitslosigkeit vom Trippelschritt zum Laufschritt zu
(Ulla Schmidt [Aachen] [SPD]: Warten Sie kommen.
doch mal ab!)
(Beifall bei der PDS)
Wenn Sie das Vertrauen in den Sozialstaat und in die
Rente nicht ganz verspielen wollen, dann folgen Sie un- Natürlich, Herr Minister – ich habe alle Ihre Zahlen
serem Vorschlag und nutzen Sie einen kleinen, einen win- hier zur Kenntnis genommen –, bin auch ich froh über je-
zigen Teil der UMTS-Erlöse, um rückwirkend auch für den neuen Arbeitsplatz. Aber das bisschen Licht am Ende
das Jahr 2000 zur Nettolohnanbindung der Rente zurück- des Tunnels ist noch keine Trendwende und schon gar
zukehren. nicht ein Anlass, in der Arbeitsmarktpolitik nachzulassen,
(B) wie Sie es beabsichtigen. (D)
(Beifall bei der PDS – Gerd Andres [SPD]:
Machen wir nicht!) Natürlich – dagegen können Sie anreden, wie immer
Eine letzte Bemerkung zur Rente. Herr Minister, Ihre Sie wollen – ist es vor allem der Rückgang der Zahl der
Antwort auf die Frage meiner Kollegin Luft ist ja äußerst Erwerbstätigen, der die Statistik im Moment schön macht.
dürftig ausgefallen. Ich will es Ihnen noch einmal deutlich Die Zahl ist innerhalb von zwei Jahren um 361 000 gesun-
sagen: Die Rentnerinnen und Rentner in Ostdeutschland ken. Die Einbeziehung der 630-Mark-Jobs macht die Sta-
warten darauf, dass Sie endlich die Entscheidung des tistik noch ein bisschen schöner. Ein echter Beschäfti-
Bundesverfassungsgerichts umsetzen und die Überfüh- gungseffekt ist leider noch nicht zustande gekommen,
rungslücken im Rentenrecht schließen. vielleicht mit Ausnahme der zurzeit boomenden Export-
wirtschaft Westdeutschlands. In anderen Gebieten sind
(Beifall bei der PDS – Ulla Schmidt [Aachen] die Prognosen düster. Ich erinnere nur an die Bauwirt-
[SPD]: Werden wir machen!) schaft. Gerade gestern hat sie verkündet: 60 000 Arbeits-
Ich finde, nach zehn Jahren Einheitspolitik müsste Rot- plätze stehen auf dem Spiel.
Grün dies aus eigenem Antrieb tun und endlich das Ren-
In Ostdeutschland ist die Lage nach wie vor zutiefst de-
tenunrecht beseitigen. Im Übrigen: Die Rentnerinnen und
primierend. Im Vergleich zum Vorjahr gibt es dort einen
Rentner in Ostdeutschland wollen die Anpassung des
Rentenwerts Ost an den Rentenwert West noch bei Leb- Stillstand. Die Arbeitslosenquote ist dort mit 17 Prozent
zeiten mitbekommen. noch immer mehr als doppelt so hoch wie in Westdeutsch-
land. Auch in diesem Jahr stehen wieder Zehntausende
(Beifall bei der PDS) junge Menschen ohne eine Ausbildungsplatzperspektive
In der Behindertenpolitik hat es zaghafte Schritte auf der Straße. Das JUMP-Programm allein löst diese
voran gegeben, besonders beim Abbau der Arbeitslosig- Probleme nicht.
keit Schwerbehinderter. Aber ich sage auch: Der von den (Adolf Ostertag [SPD]: Das haben wir nie be-
Betroffenen ersehnte Schub zu einem wirklichen Nach- hauptet!)
teilsausgleich ist bisher ausgeblieben. Verunsicherung
hinsichtlich der Zukunft der Erwerbs- und Berufsun- In dieser Situation – das sage ich hier wirklich mit al-
fähigkeitsrente herrscht gegenwärtig gerade bei den Men- lem Nachdruck – den Bundeszuschuss an die Bundesan-
schen mit Behinderungen. Da müssen Sie endlich „aus stalt für Arbeit für das kommende Jahr komplett zu strei-
dem Knick“ kommen. chen halte ich für politisch völlig verantwortungslos.
(Beifall bei der PDS) (Beifall bei der PDS)
11302 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. September 2000

Dr. Heidi Knake-Werner

(A) Jede Einschränkung der aktiven Arbeitsmarktpolitik führt Prägung die wohl größte kulturelle Errungenschaft des (C)
im Osten Deutschlands zu dramatischen Einbrüchen. Das letzten Jahrhunderts gewesen ist.
hat sich im letzten Jahr allein daran gezeigt, dass Sie die
Kürzung der Sachkostenzuschüsse für AB-Maßnahmen (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
durchgesetzt haben. DIE GRÜNEN)

In Sachsen-Anhalt macht der Anteil der Teilnehmer an Wenn dieser Sozialstaat erhalten werden soll – dies
arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen 26,1 Prozent aller ist eine der größten Herausforderungen des 21. Jahrhun-
Beschäftigten aus. Während in Westdeutschland auf eine derts –, dann hat das nichts damit zu tun, Frau Kollegin
freie Stelle sieben Arbeitslose kommen, sind es in Sach- Knake-Werner, dass er einfach nur wettbewerbskompati-
sen-Anhalt 21. Ohne die Beibehaltung und Verstärkung bel gemacht werden soll. Vielmehr ist zu sagen: Wer den
der aktiven Arbeitsmarktpolitik geht hier gar nichts. Das Sozialstaat erhalten will, der muss Reformen einleiten,
Motto „Chefsache Ost“ ernst zu nehmen bedeutet, endlich damit die Wirklichkeit mit den Maßnahmen in Überein-
Zeichen zu setzen. Falsche Zeichen sind, AB-Maßnah- stimmung gebracht wird, die wir zu leisten haben.
men weiter auszubluten, die Kosten für Strukturanpas- (Dr. Heidi Knake-Werner [PDS]: Was ist denn
sungsmaßnahmen – zumindest in gleicher Höhe – nicht zu die Wirklichkeit?)
übernehmen und beim Kampf gegen die Jugendarbeitslo-
sigkeit nachzulassen. Wir müssen ihn in Übereinstimmung mit der sich verän-
dernden Arbeitswelt bringen. Wir müssen ihn in Überein-
Nun gibt es ja im Einzelplan 11 den wunderschönen Ti- stimmung mit der Tatsache bringen – diese Entwicklung
tel „Förderung der Erprobung und Entwicklung innovati- erfolgt Gott sei Dank –, dass die Lebenserwartung der
ver Maßnahmen zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit“. Menschen auf der einen Seite aufgrund des medizinischen
Sie wissen, das ist eines meiner Lieblingsthemen. Ich bin Fortschritts und auf der anderen Seite – das möchte ich an
nach wie vor enttäuscht und entsetzt darüber, was mit die- dieser Stelle ganz besonders betonen – aufgrund des Er-
sem Titel angestellt wird. 60 Prozent der dort eingestell- folges des Kampfes der Gewerkschaften um humane Ar-
ten Gelder werden zur Förderung der Beschäftigung im beitsbedingungen in den Betrieben, um Jugendarbeits-
Niedriglohnbereich eingesetzt. Das ist, so finde ich, kein schutz und um das Verbot von Kinderarbeit immer größer
bisschen innovativ. Es gibt zahlreiche Beschäftigte, die wird. Das ist gut so; das halte ich für positiv. Wir alle
heute darum bangen, ob sie in Zukunft ein Einkommen er- freuen uns darüber, weil wir hoffen, davon profitieren zu
zielen können, von dem sie und ihre Familien leben kön- können.
nen. Angesichts dessen, dass in diesem Zusammenhang
Modellversuche gemacht werden, muss ich Sie fragen: (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
(B) Was ist eigentlich der Erkenntniswert daraus? DIE GRÜNEN) (D)
Wir brauchen endlich den Einstieg in den öffentlich Trotzdem besteht das Problem, dass es angesichts die-
geförderten Beschäftigungssektor. ser wachsenden Lebenserwartung eine immer geringer
werdende Zahl an Menschen gibt, die am Erwerbsleben
teilnehmen und die die Leistungen für diejenigen aufzu-
Präsident Wolfgang Thierse: Frau Kollegin, Sie ha- bringen haben, die entweder noch nicht erwerbstätig sein
ben Ihre Redezeit bereits überschritten. können oder die, weil sie die Altersgrenze erreicht haben,
nicht mehr erwerbstätig sein müssen oder die nicht mehr
Dr. Heidi Knake-Werner (PDS): Ich komme sofort im Arbeitsleben stehen, weil es eine Massenarbeitslosig-
zum Ende. – Schauen Sie doch einmal nach Mecklenburg- keit gibt. Wenn es so bleibt, dass die entsprechenden Leis-
Vorpommern. Dort versucht die Regierung aus eigener tungen immer umfangreicher werden, dann verliert der
Kraft, die Langzeitarbeitslosigkeit durch den Einstieg in Sozialstaat seine Akzeptanz. Bei den jungen Menschen
den öffentlich geförderten Beschäftigungssektor zu wird dann der Trend, sich aus diesem Sozialstaat zu ver-
bekämpfen. Hier könnten Sie auf innovative Weise för- abschieden, immer größer werden.
dernd eingreifen. Dies wäre hier am Platz. Ich empfehle Deshalb glaube ich, dass eine der wichtigsten Fragen
Ihnen diese Stoßrichtung dringend für die Zukunft, damit im Rahmen des Einzelplans 11 ist – auch der Bundesar-
wir mit dem Problem der Arbeitslosigkeit fertig werden. beitsminister hat sie heute angesprochen –: Was müssen
(Beifall bei der PDS) wir tun, um die Massenarbeitslosigkeit zu überwinden?
Wie können wir wieder in Menschen investieren, um
dahin zu kommen, dass die Menschen in diesem Land für
Präsident Wolfgang Thierse: Ich erteile das Wort
ihre Arbeit bezahlt werden und sie nicht vom Staat bezahlt
der Kollegin Ulla Schmidt, SPD-Fraktion. werden müssen, weil sie nicht arbeiten dürfen und nicht
ihr eigenes Geld verdienen können?
Ulla Schmidt (Aachen) (SPD): Herr Präsident! Liebe
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
Kolleginnen und Kollegen! Es ist unbestritten: Wir sind
DIE GRÜNEN – Dirk Niebel [F.D.P.]: Runter
eine reiche Gesellschaft. Sie ist reicher als vor 100 oder
mit den Beiträgen!)
200 Jahren. Aber der Reichtum ist ungleich verteilt. Des-
halb möchte ich im Rahmen dieser Debatte einmal fest- Wir haben eine ganze Menge getan. Dass jemand von
stellen, dass der Sozialstaat deutscher und europäischer Ihnen jetzt einen Zwischenruf über Sozialabgaben macht,
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. September 2000 11303
Ulla Schmidt (Aachen)

(A) ist ein wenig früh, da Sie doch erst zwei Jahre aus der Re- für alle, für Frauen und Männer, attraktiv ist und in dem (C)
gierung sind. alle, die arbeiten wollen, auch ihren Platz finden. Wir
brauchen einen Arbeitsmarkt, der nicht nur auf wirt-
(Beifall bei Abgeordneten der SPD –
schaftliche Interessen ausgerichtet ist, sondern auch
Widerspruch bei der F.D.P)
denjenigen, die weniger leistungsfähig sind, wieder eine
Denn als wir die Mehrheit erhielten, hatten wir die höchs- Chance eröffnet. Wir brauchen einen Arbeitsmarkt, der
te Abgabenquote, die es in Deutschland jemals gegeben auf familiäre Belange Rücksicht nimmt.
hat.
Deshalb ist für mich eindeutig: Bei allem, was wir im
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Bereich Arbeit und Soziales machen, steht der Mensch im
DIE GRÜNEN) Mittelpunkt, der junge Mensch, der Mensch mittleren Al-
ters und der ältere Mensch. In sie müssen wir investieren,
Diese hohe Abgabenquote hat nicht dazu geführt, dass die
sie wollen wir qualifizieren. Für sie wollen wir die Vo-
öffentlichen Haushalte saniert wurden. Nein, zu den Ab-
raussetzungen für lebensbegleitendes Lernen schaffen,
gaben, die die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und
damit nicht nur der Wiedereinstieg in das Arbeitsleben ge-
die Unternehmen in diesem Land erbringen mussten, kam
auch noch die höchste Steuerbelastung, die es je in fördert wird, sondern auch die Zeiten zwischen dem
Deutschland gegeben hat. Wechsel von zwei Arbeitsplätzen wieder kürzer werden
und die Qualifikation der Menschen erhalten bleibt, damit
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ sie weiterhin ihre Arbeitskraft einsetzen können.
DIE GRÜNEN – Dirk Niebel [F.D.P.]: Weil Sie
die Steuerreform blockiert haben!) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
– Nein, nicht weil wir die Steuerreform blockiert haben.
Meine Damen und Herren, deshalb verbirgt sich hinter
Uns ging es immer darum, eine Steuerreform zu ma- dem Einzelplan 11 die grundsätzliche Verpflichtung des
chen, die sozial gerecht ist, die Beschäftigung fördert und Staates, sozial verantwortlich zu handeln. Das betrifft
die den Familien wieder das gibt, was sie brauchen, damit nicht nur die Ausgaben für Arbeitslosengeld und Ar-
sie ohne soziale Sorgen leben und ihre Kinder großziehen beitslosenhilfe oder Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen,
können. Das, meine Damen und Herren, ist Fakt. sondern auch die Möglichkeit, für die Problemgruppen
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ des Arbeitsmarktes initiativ zu werden und das geltende
DIE GRÜNEN) Arbeitsförderungsrecht, das weitgehend auf passive
Leistungen und, weil das so war, auf eine Beschränkung
In zwei Jahren haben wir schon eine ganze Menge des Ausgabenvolumens bei anwachsenden Arbeitslosen-
(B) geschafft. Die Investitionsstimmung ist viel positiver zahlen gesetzt hat, so weiterzuentwickeln, dass es tatsäch- (D)
geworden. Es kommen auch wieder Menschen nach lich ein aktivierendes Arbeitsförderungsrecht wird und je-
Deutschland, die sagen: Wir wollen investieren, wir dem Menschen die auf ihn abgestimmte individuelle
schaffen Arbeitsplätze. – Das hat nicht allein mit der de- Beratung gibt und Wiedereingliederung in den Arbeits-
mographischen Entwicklung zu tun. Ich habe es schon markt ermöglicht.
einmal gesagt: Demjenigen, der das immer wieder be-
hauptet, biete ich an, die Statistiken gemeinsam mit ihm (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
zu lesen. Dann ist er nämlich schlauer. DIE GRÜNEN)
(Beifall bei Abgeordneten der SPD) Eine der Gruppen, mit denen wir heute noch bei der
Entwicklung des Arbeitsmarkts Probleme haben, sind
Darum sage ich: Es ist unser Erfolg, dass die Zahl der zweifellos die älteren Arbeitslosen. Ich begrüße es des-
Beschäftigten in Deutschland wieder steigt. halb, dass die Bundesanstalt für Arbeit eine Vermittlungs-
(Lachen bei der CDU/CSU) offensive unter dem Motto „50 Plus“ anlaufen lässt. Es
soll dabei vor allen Dingen darauf ankommen, die Vorbe-
In diesem Jahr nahm sie um 730 000 gegenüber dem Vor- halte der Wirtschaft gegenüber der Einstellung älterer
vorjahr zu und gleichzeitig – da können Sie lachen – sank arbeitsloser Menschen abzubauen. Ich kann nur an die
die Zahl der Erwerbslosen. Vielleicht sollten Sie lieber Wirtschaft appellieren, dass sie sich darauf einlässt. Denn
nicht lachen, sondern sich freuen, – wenn wir auf der einen Seite die demographische Ent-
(Dr. Irmgard Schwaetzer [F.D.P.]: Wir sind wicklung beklagen und auch wissen, dass es in absehba-
fröhlich!) rer Zeit einen Mangel an qualifizierten Arbeitskräften ge-
ben wird, muss die Wirtschaft auf der anderen Seite ein
– dass die Zahl der Erwerbslosen sinkt und wieder mehr Interesse daran haben, die Qualifikation, die Fähigkeiten
Menschen eine Beschäftigung finden. Das wäre in der und die Kenntnisse der älteren Arbeitslosen für ihren Be-
Union, die sich christlich nennt, angebrachter, als darüber trieb zu erhalten.
zu lachen.
Ich nenne noch einen zweiten Punkt, der auch die Ren-
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ tenreform – sie ist wichtig – betrifft. Wenn wir wollen
DIE GRÜNEN) – das wird auch von der Wirtschaft gefordert –, dass das
Trotz dieser positiven wirtschaftlichen Entwicklung tatsächliche Renteneintrittsalter wieder mit dem gesetz-
braucht die Beschäftigungspolitik eine sozialstaatliche lichen Renteneintrittsalter übereinstimmt, dann kann und
Flankierung; denn wir brauchen einen Arbeitsmarkt, der darf es nicht sein, dass Menschen mit 58 oder 59 Jahren,
11304 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. September 2000

Ulla Schmidt (Aachen)

(A) die bis 65 arbeiten wollen, auf diesem Arbeitsmarkt keine schnittseinkommen höher zu bewerten. Wir bieten nicht (C)
Chance mehr haben. nur finanzielle Sicherheit in der Zeit, in der die Familie
davon leben muss, sondern wir sagen auch, dass derje-
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
nige, der dies aus familiären Gründen macht, im Alter
DIE GRÜNEN)
nicht durch eine geringere Rente gegenüber denjenigen,
Ich glaube, dass es eine Vielzahl von Instrumenten die Vollzeit arbeiten konnten, bestraft werden darf.
gibt, um auf die Entwicklung des Arbeitsmarktes Einfluss
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
zu nehmen. Hier möchte ich gar nicht weiter auf die In- DIE GRÜNEN)
strumente des Arbeitsförderungsrechts, sondern auf zwei
andere Punkte eingehen, die auch hier angesprochen wur- Genauso viel Abwehr ruft jetzt das Beschäftigungs-
den. Das eine ist die Frage, wie wir mehr Teilzeitarbeit förderungsgesetz hervor. Dazu lese ich von Herrn Hundt,
organisieren können. Deshalb halte ich im Gegensatz zu dass dies die wirtschaftliche Entwicklung behindere. Aber
anderen, die sich heute dazu geäußert haben, die Initiative ich glaube, hier liegt ein Missverständnis vor, Frau Kolle-
der Bundesregierung zur Förderung der Teilzeitarbeit für gin Schwaetzer. Ich bin für Flexibilisierung, weil ich
eine adäquate Antwort nicht nur auf die Bedürfnisse der glaube – ich bin auch ein sehr flexibler Mensch –, dass
Menschen, die in vielen verschiedenen Formen erwerbs- diese Welt ohne Flexibilisierung nicht gestaltet werden
tätig sein wollen, sondern auch auf die lange geforderte kann –
Flexibilisierung in der Wirtschaft. Denn wir müssen dahin (Hans-Joachim Fuchtel [CDU/CSU]: Aber?)
kommen, dass die individuelle Arbeitszeit von Maschi-
nenlaufzeiten oder anderen Dingen losgelöst wird. Wir – Kollege Fuchtel, vielleicht gilt das auch für Baden-
müssen versuchen, dies in Einklang zu bringen. Württemberg –, aber Flexibilisierung ist nicht gleichzu-
setzen mit Schutzlosigkeit. Darauf kommt es an.
Auf der einen Seite haben wir die Bedürfnisse der
Menschen, die weniger arbeiten möchten, weil sie die Fa- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
milie versorgen, weil sie sich weiterbilden oder andere DIE GRÜNEN)
Dinge machen wollen. Auf der anderen Seite stehen wir Das muss man sich doch einmal vorstellen. Ich bin ja
vor der Frage, wie wir Arbeit auf mehr Schultern vertei- für dieses Instrument. Die Abschaffung dieses Instrumen-
len können. Das ist vorausschauende Sozialpolitik. Wenn tes würde bedeuten, dass man in Überstunden, Leiharbeit
die Erwerbsarbeit auf mehr Schultern verteilt wird und oder Sonstiges ausweichen würde. Das ist keine Frage.
Männer und Frauen gleichermaßen erwerbstätig sein kön-
nen, sichert dies die soziale und finanzielle Situation der Nach zwei Jahren muss ein Unternehmen wissen, ob
Familien. Dadurch haben sie die Möglichkeit, dass dann, es eine Arbeitskraft braucht. Das ist – glaube ich – eine
(B) wenn der eine arbeitslos ist, der andere für den Lebens- lange Zeit: drei Mal Verlängerung, 24 Monate. Man muss (D)
unterhalt sorgen kann. Deshalb kommt eine vorausschau- sich doch einmal in die Situation desjenigen versetzen,
ende Sozialpolitik an einer Arbeitszeitflexibilisierung und der beschäftigt ist: Er weiß dann immer noch nicht, ob er
der Beendigung der Diskriminierung von Teilzeitarbeit in sechs Monaten wieder einen festen Arbeitsplatz hat.
nicht vorbei. Dies haben uns andere europäische Länder Es macht vielen auch Probleme bei Bankgeschäften oder
gezeigt, die dabei viel weiter sind und ihre Arbeitslosen- Mietverträgen. Das Instrument erhalten, Missbrauch be-
quote ganz dramatisch senken konnten. Diesen Weg wol- kämpfen und den Menschen, die in diesen Verhältnissen
len auch wir gehen. beschäftigt sind, wieder soziale Sicherheit zu geben, das
ist die Herausforderung der Zukunft. Diese werden wir
(Beifall bei der SPD) annehmen und nicht das Instrument abschaffen.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
Präsident Wolfgang Thierse: Kollegin Schmidt, ge- DIE GRÜNEN)
statten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Grehn von
der PDS-Fraktion? Jetzt komme ich zu einigem, was der Kollege
Seehofer gesagt hat.

Ulla Schmidt (Aachen) (SPD): Nein, ich möchte dies (Hans-Joachim Fuchtel [CDU/CSU]: Das hat
abschließen. aber lange gedauert!)

Wenn wir über Teilzeitarbeitzeit reden, dürfen wir dies – So wichtig ist er ja auch nicht.
nicht nur auf Altersteilzeit beschränken, auch wenn es (Heiterkeit und Beifall bei der SPD)
dazu sehr viele Fragen gibt. Ich nenne noch einige Zah-
Mir ist wichtiger, dass die Menschen, die hier zuschauen,
len: Wir haben 6,3 Millionen Teilzeitbeschäftigte. Davon
auch diejenigen vor den Fernsehgeräten, hören, was
sind 87 Prozent Frauen. Wir haben aber auch über 300 000
wir wirklich zur Zukunftssicherung in dieser Gesell-
Menschen, die eine Teilzeitstelle suchen. Wir sollten auch
schaft vorhaben, und ich will nicht den Kollegen
deren Chancen verbessern.
Seehofer mit der Antwort befriedigen.
Im Rahmen der Rentenreform haben wir vor, die Zei-
(Beifall bei der SPD – Gerd Andres [SPD]:
ten, in denen ein Vater oder eine Mutter bis zu dem Zeit-
So ist das!)
punkt, an dem das jüngste Kind zehn Jahre alt ist, seine
wöchentliche Arbeitszeit reduziert, bei den Renten- Herr Kollege Seehofer, es hat mich schon gewundert,
anwartschaften um 50 Prozent bis maximal zum Durch- dass Sie hier sagen: Die große Rentenreform Norbert
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. September 2000 11305
Ulla Schmidt (Aachen)

(A) Blüms mit dem demographischen Faktor nehmen Sie nun Auf die Frage der Generationengerechtigkeit möchte (C)
zurück. – Ich erinnere mich noch an die Gespräche, die ich nur kurz eingehen. Ich glaube, wir machen es uns zu
wir hatten, in denen Sie gesagt haben, die Rentenreform einfach, wenn wir Generationengerechtigkeit allein daran
Norbert Blüms greife zu kurz. Das, worüber wir jetzt dis- messen, was die heutige Generation an Rentenbeiträgen
kutieren und was wir gemeinsam machen wollen – ich zu zahlen hat. Ich werde oft dafür ausgelacht, aber trotz-
hoffe: auch werden –, ist ein Quantensprung. dem möchte ich es hier sagen: Wenn wir über Generatio-
nengerechtigkeit reden, müssen wir auch die eigene Ge-
(Gerd Andres [SPD]: Genau! – Weiterer Zuruf
schichte einer jeden Generation bedenken.
von der SPD: Was sagen Sie nun? – Horst
Seehofer [CDU/CSU]: Bei Ihnen!) (Beifall bei der SPD – Gerd Andres [SPD]:
Richtig!)
– Es ist nicht nur bei uns ein Quantensprung.
Jetzt sage ich Ihnen einmal eines: Als ich 17 war, stand
Ich will nur auf drei Dinge eingehen, die Sie hier ge-
ich vor dem Abitur. Als mein Vater 17 war, hat man ihn in
sagt haben, Herr Kollege Seehofer. den Zweiten Weltkrieg geschickt.
Blüms Modell war: 64 Prozent für alle spätestens 2015, (Gerd Andres [SPD]: Richtig!)
ohne dass auch nur eine einzige Initiative zum Aufbau der
kapitalgestützten Säule eingeleitet worden wäre, – Als meine Mutter 17 war, war ihre Ausbildung schon zu
Ende. Meine Eltern – nicht nur meine Eltern, sondern Ih-
(Beifall bei der SPD – Gerd Andres [SPD]: rer aller Eltern – haben sich nicht ausgesucht, dass sie in
Richtig!) den Krieg hineingeboren wurden. Sie haben sich auch
– ohne dass auch nur einmal diskutiert worden wäre, was nicht ausgesucht, dass sie in Diktaturen hineingeboren
denn getan werden muss, damit wir die Hemmnisse, die wurden. Sie hatten nicht das zur Verfügung, was sich zum
heute im Bereich der betrieblichen Altersvorsorge beste- Beispiel mir eröffnete, nicht die Infrastruktur, nicht die
hen, beseitigen, – Ausbildungs- und Beschäftigungschancen.
(Gerd Andres [SPD]: Richtig!) (Dirk Niebel [F.D.P.]: Deshalb haben wir ja
die Generationenbilanz beantragt!)
– und ohne dass nur ein Wort dazu gesagt worden wäre,
was wir denn tun müssen, um dann, wenn das Renten- Sie konnten nicht wissen, was sie würden aufbauen kön-
niveau sinkt, die bestehenden Anwartschaften von Men- nen.
schen, die wenig verdienen oder die, wie ich eben gesagt Deshalb, Kollege Seehofer, glaube ich, dass wir unab-
habe, aus familiären Gründen Teilzeit arbeiten, auszu- hängig von der Berücksichtigung der demographischen
(B) bauen. Das führt dazu, dass letztendlich das Niveau keine Entwicklung – im Übrigen hat die gesetzliche Rentenver- (D)
Rolle mehr spielt, wenn das, was faktisch in der Tasche sicherung heute nicht nur ein Einnahmen-, sondern auch
ist, mehr ist, nachdem man jahrelang dafür gearbeitet hat. ein Ausgabenproblem –
Das will ich nur festhalten.
(Gerd Andres [SPD]: Richtig!) Vizepräsidentin Petra Bläss: Frau Kollegin
Schmidt, Sie müssen bitte zum Schluss kommen.
Sie haben gesagt: Die Rente muss lebensstandard-
sichernd sein.
Ulla Schmidt (Aachen) (SPD): – die Generationen un-
(Zuruf von der CDU/CSU: Alterssichernd!) terschiedlich behandeln müssen.
Wir sagen: Eine angemessene Lebensstandardsiche- (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie der
rung wird es nur dann geben, wenn wir neben der umla- Abg. Dr. Christa Luft [PDS])
gefinanzierten Säule auch die kapitalgestützte Säule
fördern. Diejenigen, die jetzt 55 Jahre alt oder älter sind, haben de
facto keine Chance mehr, eine kapitalgestützte Säule auf-
(V o r s i t z: Vizepräsidentin Petra Bläss) zubauen, wenn sie nicht schon vorher damit begonnen
Vielleicht sollten Sie sich eine Untersuchung, die ges- haben. Und die Menschen in den neuen Bundesländern
tern veröffentlicht wurde, besorgen. Diese Untersuchung leben zu 90 Prozent allein von den Leistungen der gesetz-
lichen Rentenversicherung. Deshalb bin ich dafür, diesen
besagt, dass das, was Minister Riester in Bezug auf die ka-
Weg Zug um Zug zu gehen, begleitet durch den Aufbau
pitalgestützte Säule vorgelegt hat, dazu führt, dass das einer kapitalgestützten Säule. Wir wollen deutlich ma-
Rentenniveau für diejenigen, die heute jung sind, das heu- chen: Wir helfen euch, der jüngeren Generation. Wir ge-
tige übertreffen wird. ben euch Geld, wenn es anders nicht geht, damit ihr die
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ private Säule aufbauen könnt.
DIE GRÜNEN) (Horst Seehofer [CDU/CSU]: Warum ziehen
Das ist Fakt. So werden wir es auch machen. Sie ihnen denn dann die private Vorsorge ab?)

(Horst Seehofer [CDU/CSU]: Mit mir haben Wir halten die Rentenbeiträge stabil, damit ihr Spiel-
Sie keine Probleme! Da drüben!) räume habt, und wir versuchen, durch eine konsequente
Ausbildungs- und Arbeitsmarktpolitik wieder Beschäf-
– Ich habe da keine Probleme. Ich kenne meine Fraktion. tigungschancen für euch zu schaffen. – Das ist unser
11306 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. September 2000

Ulla Schmidt (Aachen)

(A) Angebot an die junge Generation. Deshalb bin ich für eine dass wir die Eingliederungszuschüsse für ältere Arbeit- (C)
Zweiteilung in der Rentenversicherung. nehmer und Arbeitnehmerinnen erhöht haben.
(Beifall bei der SPD) Die Tatsache, dass es Arbeitslosigkeit gibt und dass
Frauen über 40 bzw. 45 Jahren besonders in den neuen
Ich bitte Sie, noch einmal darüber nachzudenken. Ländern davon betroffen sind, ist doch kein Widerspruch
Vielen Dank. dazu, dass ich sage: Man muss die Mittel konzentrieren.
Das haben wir im Bereich von Ausbildungsplätzen für
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ junge Menschen getan. Sie wissen, dass mehr als die
DIE GRÜNEN) Hälfte der Mittel des JUMP-Programms in die neuen
Bundesländer geflossen ist, weil wir wissen, dass dort die
Vizepräsidentin Petra Bläss: Zu einer Kurzinter- Entwicklung in den Betrieben noch nicht so weit ist, dass
vention erteile ich jetzt dem Kollegen Dr. Klaus Grehn, genügend Ausbildungsplätze angeboten werden können.
PDS-Fraktion, das Wort. Ich bin der Meinung, dass auf dem ersten Arbeitsmarkt
alle außerhalb der Problemgruppen eher einen Arbeits-
Dr. Klaus Grehn (PDS): Frau Kollegin Schmidt, von platz finden. Aber wir wollen das nicht hinnehmen. Wir
den vielen Widersprüchen, die in Ihrer Rede aufgetaucht wollen für Männer und Frauen gleiche Beschäfti-
sind, möchte ich drei herausgreifen. gungschancen haben. Wir wollen, dass die neuen Bun-
desländer von dem Strukturwandel, den wir einleiten, pro-
Erstens. Sie haben davon gesprochen, dass die 58- und fitieren.
59-Jährigen auf dem Arbeitsmarkt eine größere Chance
haben sollen. Ist Ihnen nicht bekannt, dass Frauen sogar Bei der Teilzeitarbeit habe ich nicht von Hungerlöhnen
gesprochen, Herr Kollege. Mir geht es um sozialversiche-
schon ab 40 und Männer ab 45 Jahren in beängstigendem
rungspflichtige Teilzeitarbeitsplätze.
Maße zunehmend geringere Chancen auf dem Arbeits-
markt haben? (Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Zweitens. Sie haben von dem Programm „50 plus“ der Wenn in einer Familie zwei Personen zumindest einen
Bundesanstalt für Arbeit gesprochen. Mich interessiert, Teilzeitarbeitsplatz haben, dann ist das manchmal mehr,
wie Sie die Ergebnisse in jenen Ländern einschätzen, in als wenn einer acht Stunden am Tag arbeiten geht, und die
denen dieses Programm bereits seit Jahren läuft. Viel- Frau, die zu Hause bleibt und für den Haushalt zu sorgen
leicht würden Sie Ihre Hoffnungen dann etwas herunter- hat, für sich selber nichts verdienen kann.
schrauben. Vielen Dank.
(B) Drittens. Sie haben von der Möglichkeit gesprochen, (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (D)
durch Teilzeitarbeit Menschen in Arbeit zu bringen. Vor- DIE GRÜNEN)
her haben Sie gesagt, dass insbesondere Problemgruppen
arbeitslos sind, und Problemgruppen sind Niedriglohn-
bezieher. Aber ist Ihnen nicht bekannt, dass Niedriglohn- Vizepräsidentin Petra Bläss: Der nächste Redner in
arbeit als Teilzeitarbeit keine existenzsichernde Arbeit der Debatte ist der Kollege Hans-Joachim Fuchtel für die
ist? Teilzeitarbeit muss man sich leisten können. Wir Ab- Fraktion der CDU/CSU.
geordnete könnten uns Teilzeitarbeit leisten und trotzdem
existieren. Die Gruppen aber, um die es geht, können sich Hans-Joachim Fuchtel (CDU/CSU): Frau Präsiden-
Teilzeitarbeit unter dem Aspekt der Sicherung der Le- tin! Meine Damen und Herren! Zunächst wende ich mich
bensqualität und des Existenzminimums nicht leisten. direkt an den Minister. Herr Minister, aus haushaltspoliti-
scher Sicht ist eines ganz klar: Über Ihrem Haushalt hängt
(Dirk Niebel [F.D.P.]: Halbieren Sie doch Ihre
das Damoklesschwert der Ökosteuer. Das ist Ihr größtes
Fraktion! Das würde uns allen gut tun!)
Problem und wird es auch bleiben.
Insofern wüsste ich gern, wie Sie diesen Widerspruch auf- (Beifall bei der CDU/CSU)
lösen oder diese Fata Morgana zu einem richtigen Bild
ausmalen wollen. Die direkte Verknüpfung von Energie und Rente ist
kontraproduktiv. Das sagen wir nicht erst seit heute, seit
Sie die Probleme sehr handfest zu spüren bekommen, son-
Vizepräsidentin Petra Bläss: Frau Kollegin dern von Anfang an. Sie brauchen, um das Finanzie-
Schmidt, möchten Sie erwidern? – Bitte, ich erteile Ihnen rungssystem aufrechterhalten zu können, immer höhere
das Wort. Beiträge aus den Energiesteuern. Es ist doch keine ver-
nünftige Zusammenstellung von Haushaltsproportionen,
Ulla Schmidt (Aachen) (SPD): Ich hätte gedacht, dass die wir hier in Milliardenhöhe vorfinden, dass man Ab-
jemand wie Sie, der insbesondere die Interessen der Men- hängigkeiten schafft. Jede Turbulenz, die auf dem Ener-
schen in den neuen Ländern vertritt, weiß, dass wir gerade giesektor auftritt, führt automatisch zu Verunsicherungen
dort die arbeitsmarkpolitischen Instrumente intensiviert bei der Rente. Das darf doch nicht sein. Das hat die viel
haben, dass wir im letzten Jahr durch ein Vorschaltgesetz beschworene ältere Generation, Frau Schmidt, ganz si-
cher nicht verdient.
ermöglicht haben, dass Menschen, wenn sie 55 Jahre alt
sind, im Rahmen von Strukturanpassungsmaßnahmen bis (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Konstanze
zum 60. Lebensjahr stetig weiterarbeiten können, und Wegner: Nennen Sie die Alternative!)
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. September 2000 11307
Hans-Joachim Fuchtel

(A) Nur Ideologen können solchen volkswirtschaftlichen, 200 000 Beschäftigungsverhältnisse müssen Sie aus (C)
hauswirtschaftlichen und gesellschaftspolitischen Unsinn Gründen der Demographie ja abziehen, die können Sie
produzieren. doch gar nicht dazuzählen. Dann sehen Sie, wie mickrig
all Ihre Versprechungen sind, dass sie wie ein Kartenhaus
(Beifall bei der CDU/CSU) zusammenfallen und dass Sie all die Menschen mit Ihren
Man muss das Kleingedruckte lesen. Ich dachte, wir Wahlaussagen 1998 betrogen haben. Deswegen sollten
sind in der Haushaltsdebatte. Manchmal erscheint es mir, Sie wenigstens einen Schritt der Wiedergutmachung tun.
als hätte ich etwas versäumt. Man hat zum Beispiel fest- (Beifall bei der CDU/CSU)
gestellt, dass man für die Landwirtschaft Geld gebraucht
hat. Deshalb hat auf einmal nicht mehr so viel Ökosteuer Sie sollten den Mut haben, mit uns zusammen an der
sein sollen. Dazu heißt es: Dies bedeutet, dass das dem Senkung der Arbeitslosenversicherungsbeiträge zu arbei-
ten. Wir können hier mit Sicherheit 0,5 Beitragsprozent-
BMA zugeordnete Aufkommen aus der Ökosteuer im
punkte erreichen. Das ist im Übrigen die ganze Marge der
Jahre 2001 um 460 Millionen DM, im Jahre 2002 um
Ökosteuer, die Sie dem Volk zumuten wollen. Also: Statt
580 Millionen DM und ab 2003 jährlich um 700 Milli-
der Erhöhung in der nächsten Stufe der Ökosteuer machen
onen DM geringer ist als bisher unterstellt. wir uns auf und senken wir die Arbeitslosenversiche-
Wenn man die Rentenversicherung davon abhängig rungsbeiträge um 0,5 Prozentpunkte. Millionen von Men-
macht, dass man heute etwas in die Landwirtschaft und schen werden es uns danken.
morgen in einen anderen Bereich geben muss, dann frage (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
ich: Wie soll man denn dann die Sicherheit der Renten ga- der F.D.P.)
rantieren können? Es glaubt Ihnen doch niemand, dass Sie
das können. Sie sitzen in der selbst gemachten Ökofalle. Der Spielraum ist vorhanden.
Aus dieser müssen Sie sich lösen. (Hans Georg Wagner [SPD]: Wo denn?)
Eine ganz wichtige Forderung meiner Fraktion ist, dass – Er ist auf jeden Fall vorhanden.
wir eine Entkoppelung zwischen der Rentenfinanzierung
Zunächst einmal dürfen Sie keinen Sand in das Ge-
und der Ökosteuer herbeiführen.
triebe werfen. Wenn ich höre, was Sie alles mit dem Be-
(Beifall bei der CDU/CSU) schäftigungsförderungsgesetz vorhaben, kann ich Ihnen
nur sagen: Sobald Sie anfangen, den Einstieg in den Ar-
Das Zweite, was wir fordern, ist eine Absenkung der
beitsmarkt wieder zu erschweren, werden wir feststellen,
Arbeitslosenversicherungsbeiträge. Die Zeit ist reif, dass die Leute lieber Überstunden und nicht zusätzliche
dass wir diesen Schritt gehen. Jetzt, da die Konjunktur an- Beschäftigungen wählen. Was wir aber als Allererstes (D)
(B) springt, muss ein weiteres Zeichen gegeben werden.
brauchen, ist zusätzliche Beschäftigung.
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Deswegen: Lassen Sie bei diesem Punkt die Hände
Ich sage Ihnen auch, warum: Hinter Arbeitslosigkeit ste- weg von einer Veränderung bei dem Beschäftigungsför-
hen Einzelschicksale. Das wissen wir alle; das nehmen derungsgesetz. Sie können zu Kleinbetrieben gehen, da
wir alle sehr ernst. Arbeitslosigkeit ist nach zwei Jahren werden Sie das hören, und Sie können zu großen Firmen
Schröder immer noch das beherrschende Problem in gehen – ob zu Porsche oder zu Daimler –, überall im
Deutschland; von wegen: Wir sind bereit. Lande werden Sie das hören.

(Dr. Konstanze Wegner [SPD]: Die habt ihr Es stimmt eben nicht, dass die Zahl der befristeten Ar-
beitsverhältnisse so dramatisch zugenommen hätte, wie
16 Jahre lang aufgebaut! – Konrad Gilges
es diejenigen behaupten, die jetzt ihre Spielchen machen
[SPD]: Das kann in zwei Jahren nicht reguliert
wollen. Manus manum lavat – eine Hand wäscht die
werden!)
andere –: bei der Rente etwas Nachgeben der Gewerk-
Wir haben eine gute Konjunktur. Dazu haben Sie mit schaften, dafür beim Beschäftigungsförderungsgesetz
Ihrer Politik wenig beigetragen. Selbst vom Kanzler wird jetzt entsprechend zupacken. Das ist die alte Gewerk-
bei entsprechenden Industrieveranstaltungen akzeptiert, schaftsmauschelei, Herr Riester, die Sie jetzt wieder in die
wenn das gesagt wird. Aber eines ist auch klar: Im dritten Politik einführen, die aber aus der Politik herausgehalten
Regierungsjahr gehen Sie mit einem äußerst bescheide- gehört – viel mehr, als Sie das hier in Ihrer Person ver-
nen Beschäftigungszuwachs in diesen Haushalt. Wenn ich körpern.
das nicht als ein Versagen bezeichnen soll, dann weiß ich (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
nicht, was Versagen eigentlich ist. In Ostdeutschland sta- neten der F.D.P.)
bilisieren Sie Arbeitslosigkeit auf einem sehr hohen Ni-
veau. Das ist nicht tragbar. Deswegen muss hier mehr ge- Das kritisieren wir ganz besonders. Wir können die Ein-
schehen. stellungsmöglichkeiten im Zusammenhang mit dem An-
wachsen der Konjunktur nur dann nutzen, wenn nicht
Was sind denn 120 000 zusätzliche Beschäftigungs- neuer Sand ins Getriebe geworfen wird.
verhältnisse bei einer solchen konjunkturellen Entwick-
Ein anderes Thema, worüber auch einmal gesprochen
lung?
werden muss. Ich komme aus dem Wahlkreis Calw-Freu-
(Zuruf von der SPD: 120 000 Einzel- denstadt. Dort herrschen 3,7 Prozent Arbeitslosigkeit. Es
schicksale!) gibt in der Zwischenzeit 27 Arbeitsamtsbezirke, in denen
11308 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. September 2000

Hans-Joachim Fuchtel

(A) die Arbeitslosigkeit unter 5 Prozent liegt. Auf der anderen am Anfang sogar JUMP mit 2 Milliarden DM, also ins- (C)
Seite haben wir 29 Arbeitsamtsbezirke, in denen die Ar- gesamt 4,4 Milliarden DM. Das schieben Sie jetzt ganz
beitslosigkeit zwischen 15 Prozent und 22 Prozent liegt. einfach in die Bundesanstalt für Arbeit. Im klein ge-
Ich frage mich: Was ist das für ein Arbeitsmarkt? Der Ar- druckten Riester-Deutsch heißt das: Gleichzeitig wird die
beitsmarkt müsste doch eigentlich in der Lage sein, einen Kostentragung für die aktive Arbeitsmarktpolitik ab 2001
Ausgleich zwischen Angebot und Nachfrage zu organi- im Haushalt der Bundesanstalt konzentriert. – Hokuspo-
sieren. kus-Verschwindibus bei der Bundesanstalt für Arbeit!
(Dirk Niebel [F.D.P.]: Aber nur, wenn die Eichel macht sich eine weiße Weste und sagt, er senke die
Anreize stimmen!) Neuverschuldung. So primitiv sollten Sie mit diesem Par-
lament nicht umgehen.
Herr Minister, wo ist Ihr Konzept für diesen Ansatz? Es
ist kein Konzept vorhanden. Wir brauchen – das fordern (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
wir – eine neue Partnerschaft zwischen Regionen mit der F.D.P.)
ganz niedriger Arbeitslosigkeit und Regionen mit sehr ho-
Wenn die Arbeitslosenversicherung eine Versicherung
her Arbeitslosigkeit,
ist, wenn Leute, die von ihr Geld wollen, zuvor Anwart-
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) schaften ansammeln müssen, dann kann man doch der
damit wir mit intelligent angesetzten arbeitsmarktpoliti- Versichertengemeinschaft nicht einfach 5 Milliarden DM
schen Konzeptionen wieder einen Arbeitsmarkt schaffen ohne Gegenleistung auflasten. Das gehört in den steuer-
und allen helfen. finanzierten Teil. Dann sehen die Rechnungen ganz an-
ders aus. Sie sollten den Mut haben, das hier zu sagen.
(Renate Jäger [SPD]: Was habt ihr denn dazu
beigetragen? Gar nichts!) Inwieweit Sie dazu in der Lage sind, weiß ich nicht. Als
der zuständige Haushaltspolitiker habe ich zur Kenntnis
– Wenn Sie mir bitte eine Zwischenfrage stellen würden, genommen, dass Sie extra für Ihre Medienauftritte einen
könnte ich das noch ausführlicher beantworten; so kann
Berater brauchen.
ich es leider nicht tun.
(Dirk Niebel [F.D.P.]: Das war notwendig
Meine Damen und Herren, ich habe mich bei der Bun-
desanstalt für Arbeit auf den heutigen Tag hin informiert, damals!)
was es in diesem Zusammenhang an Instrumenten gibt. Das muss die Öffentlichkeit wissen. Offensichtlich haben
Was hat man mir gesagt? Man tut schon ein bisschen et- Sie vor jeder Pressekonferenz die Hosen so voll, dass Sie
was, aber man werde jetzt – ich denke, auch weil ich diese einen zusätzlichen Berater brauchen, der den Steuerzahler
(B) Anfrage als Haushaltsberichterstatter gemacht habe – eine nicht weniger als 130 000 DM kostet. (D)
neue Rundverfügung erarbeiten. Sie sei noch nicht fertig;
aber man wolle in diesem Sinne neue Initiativen ergreifen. (Zuruf von der CDU/CSU: Ungeheuerlich!)
Lieber Herr Riester, wo war Ihre Initiative auf diesem Ge- Das ist doch keine Leistung!
biet bisher? Hätten Sie Ihrem Kanzler mit auf den Weg
nach Ostdeutschland gegeben, dass er in die Bezirken mit Es ist schon gar keine Leistung – damit komme ich
hoher Arbeitslosigkeit gehen und dort Vorschläge machen zum Schluss, Frau Präsidentin –, wenn Sie in diesen
soll, dann wäre die gesamte Aktion nicht nur Volksschau- Haushalt einen neuen Haushaltstitel aufnehmen. Man
spielerei in der Sommerpause gewesen, sondern wäre glaubt es gar nicht: Man braucht 400 000 DM für Aus-
tatsächlich von großem politischem Nutzen gewesen. landsreisen, die der Herr Minister künftig zusammen mit
(Beifall bei der CDU/CSU) Vertretern aus dem Tarifbereich durchführen möchte.
Meine Damen und Herren, wer den Rentnern Einsparun-
Wenn jetzt die Arbeitslosenquote zurückgeht, dann er- gen zumutet, wer den Arbeitslosenhilfebeziehern riesige
warten wir, dass auch die Bundesanstalt selber schlanker Einsparungen zumutet, der sollte in dieser Phase nicht so
wird. mit Geld um sich werfen und für Auslandsreisen mit sei-
(Beifall des Abg. Dirk Niebel [F.D.P.]) ner direkten Umgebung 400 000 DM in einen Sparhaus-
halt einstellen.
Es kann nicht sein, dass die Arbeitslosenzahlen zurückge-
hen, aber die Beamten bleiben. Es muss daran gearbeitet (Hans Georg Wagner [SPD]: Dann können wir
werden, hier eine Reduzierung zu erreichen. Ihre Reisen ja gut einmal reduzieren!)
Meine Damen und Herren, eines können wir Ihnen Das ist nicht in Ordnung, Herr Minister. Verzichten Sie
nicht durchgehen lassen. Sie haben uns im Zusammen- wenigstens auf diesen Haushaltsansatz!
hang mit der deutschen Einheit ständig gescholten, dass
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. –
wir Aufgaben nicht im Steuerteil des Haushalts finanzier-
Hans Georg Wagner [SPD]: Herr Fuchtel, der
ten, sondern auf die Bundesanstalt für Arbeit abdrückten.
ständig in der Luft ist, muss so etwas reden!)
Im Entwurf zum Haushaltsgesetz 2001 sehen wir, dass
dieses Abdrücken ohne Not noch verstärkt wird. Bis
jetzt hatten wir ein Langzeitarbeitslosenprogramm mit Vizepräsidentin Petra Bläss: Nächste Rednerin ist
750 Millionen DM im Bundeshaushalt, ein Struktur- die Kollegin Ekin Deligöz für die Fraktion Bündnis 90/
anpassungsprogramm Ost mit 1,7 Milliarden DM, ganz Die Grünen.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. September 2000 11309

(A) Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr gen: gezielte Zuwanderung und Ausbildung. Beides zu- (C)
Kollege Fuchtel! Ich möchte einmal ganz kurz zusam- sammen bürgt dafür, dass wir Zukunftschancen für die Ju-
menfassen, was hier schon alles gesagt wurde. Die gend schaffen, diese Zukunftschancen nutzen und somit
Staatsverschuldung sinkt. Die Einkommensteuern sin- diese Gesellschaft weiterentwickeln.
ken. Familien bekommen über Kindergelderhöhung und
Familienlastenausgleich mehr Geld. Die Nettolöhne Es gibt bei der Ausbildung aber natürlich auch Pro-
steigen. Die Arbeitslosigkeit sinkt. Das ist die Antwort bleme. Mehr als 50 Prozent der Auszubildenden lassen
auf die Probleme, die die rot-grüne Regierung der jun- sich in Berufen ausbilden, in denen nur 25 Prozent der Be-
gen Generation bietet. rufstätigen arbeiten. 25 Prozent aller Azubis brechen ihre
Ausbildung ab. Das sind Zahlen, die wir kennen und auf
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN die wir reagieren müssen. Wir brauchen – auch von der
und bei der SPD) Bundesanstalt für Arbeit – spezifische Angebote für Be-
Welche Antworten bieten Sie mir und meiner Genera- nachteiligte, eine bessere Berufsberatung, eine Ausbil-
tion? Auf diese Frage möchte ich Antworten hören, und dung, die die Jugendlichen motiviert und sie mitreißt, und
zwar auf einem Niveau, das diesem Thema gerecht wird, nicht zuletzt zusätzliche Schlüsselqualifikationen für die
und nicht auf dem von Ihnen praktizierten Niveau, das Berufswelt von morgen. Kreativität, Team- und Kommu-
übrigens gestern in den Nachrichten als für das Parlament nikationsfähigkeit müssen in die Ausbildung integriert
beschämend bezeichnet wurde. Dieses Niveau möchte ich werden und dürfen nicht nur auf dem Papier stehen.
– ich spreche im Namen meiner Generation – hier nicht
weiterführen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
sowie bei Abgeordneten der SPD)
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
sowie bei Abgeordneten der SPD – Hans- Wir brauchen keine Debatte über die Probleme von
Joachim Fuchtel [CDU/CSU]: Zum Haushalt! – gestern, wir brauchen vielmehr eine Debatte über Aus-
Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Wie fanden und Weiterbildung und über zukunftsweisende Konzepte
Sie Herrn Struck?) für morgen. Wir brauchen eine Ausbildung in Modulen,
aber nicht, um das duale System zu unterwandern, son-
Wenn die Reduzierung der Arbeitslosigkeit die beste dern – ganz im Gegenteil – um das duale System zu stär-
Sozialpolitik ist, wie Sie, Herr Blüm, immer gesagt haben, ken, da dieses Ausbildungssystem ebenso verbesserungs-
sind wir doch jetzt auf dem besten Weg dazu. Vor einem bedürftig wie verbesserungsfähig ist.
Jahr hatten wir noch eine Jugendarbeitslosigkeit von
10 Prozent, inzwischen sind es nur noch 7 Prozent. Auf Es besteht ein Unterschied zu Ihnen: Wir schauen nicht
diesen Lorbeeren wollen wir uns nicht ausruhen. Ich einfach nur zu, wir kommentieren nicht nur, sondern wir
(B) möchte festhalten: Wir haben die niedrigste Jugend- sind aktiv. Wir spielen die Arbeitslosigkeit auch nicht ge- (D)
arbeitslosigkeit in ganz Europa und das ist ein Verdienst, gen andere sozialpolitische Notwendigkeiten aus. Im Ge-
das sich sehen lassen kann. genteil: Wir erkennen und stehen dazu, dass es in diesem
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Land Armut gibt. Vorhin gab es eine Andeutung, Armut
sowie bei Abgeordneten der SPD) betreffe ja nicht so viele Rentner im Alter. Ich möchte
nicht diejenige sein, die sagt: Armut im Alter ist einfacher
Wir haben die Rahmenbedingungen für die wirtschaft- zu bewältigen als Armut in der Jugend. Es ist nicht unsere
liche Entwicklung verbessert, wir haben mit dem JUMP- Aufgabe, das zu bewerten. Armut ist kein Naturschicksal,
Programm ein sehr erfolgreiches Programm gegen die Ju- sie ist in dieser Gesellschaft vorhanden und eine Heraus-
gendarbeitslosigkeit aufgelegt. Es handelt sich um ein forderung für die Politik, eine Herausforderung, vor der
Programm, das vielen Jugendlichen geholfen hat, die wir die Augen nicht verschließen dürfen.
sonst vielleicht aus der Arbeitslosenstatistik herausgefal-
len wären, keine Arbeit gefunden hätten oder nicht die lei- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
seste Hoffnung gehabt hätten, eine wirkliche Integration sowie bei Abgeordneten der SPD)
auf dem Arbeitsmarkt zu erfahren. Wir haben mit der Neuregelung des Familienlasten-
Ich freue mich von daher ganz besonders, dass wir sa- ausgleichs bereits sehr viel für die Familien getan. Es ist
gen können: Wir setzen JUMP fort, weil es erfolgreich bereits beschlossen worden, dass Familien für die ersten
war und weil es konkrete Früchte trägt. Wir setzen es so- beiden Kinder je 600 DM zusätzlich pro Jahr an Kinder-
wohl in diesem Jahr als auch im kommenden Jahr fort. geld bekommen. Erstmals profitieren auch Sozialhilfe-
empfängerinnen und -empfänger von der Kindergeld-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
sowie bei Abgeordneten der SPD) erhöhung. Genau das, was ich vor einem Jahr für meine
Fraktion gefordert habe, haben wir also in praktische Po-
Wir bleiben am Ball, was die Reform der beruflichen litik umgesetzt. Diese Umverteilung war dringend not-
Bildung angeht. 30 000 Ausbildungsverträge wurden im wendig.
vergangenen Jahr in Berufen geschlossen, die erst in den
vergangenen zwei Jahren entstanden sind. Wir moderni- Unser Leitspruch für die kommende Zeit wird sein:
Kinder dürfen in dieser Gesellschaft kein Armutsrisiko
sieren derzeit 50 Ausbildungsberufe, wir setzen sie in-
mehr sein.
stand, wir aktualisieren sie und bereiten sie für die Jugend
von morgen und deren Zukunftschancen vor. Wir reden (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS-
nicht über Green Card oder Ausbildung, sondern wir sa- SES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)
11310 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. September 2000

Ekin Deligöz

(A) Deshalb unterstützen wir ausdrücklich die Forderung der Spielräume für die Senkung der Beiträge zur Arbeitslo- (C)
Familienverbände nach einem Kindergeld, das das so- senversicherung.
zio-kulturelle Existenzminimum tatsächlich abdeckt.
(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten
Aber dies wird nur schrittweise zu verwirklichen sein. Wir
der CDU/CSU)
wollen – darauf steuern wir bereits mit großen Schritten
zu – am 1. Januar 2000 – hoffentlich – ein Kindergeld in Die Beiträge könnten schon heute um mindestens 0,5 Pro-
Höhe von mindestens 300 DM vorweisen können. zentpunkte gesenkt werden. Aber es gibt noch weitaus
größere Spielräume, auf die ich Sie hinweisen möchte.
(Ulla Schmidt [Aachen] [SPD]: 2002!)
Die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung könnten um
– 2001! gut 1 Prozentpunkt gesenkt werden, wenn der Bereich der
(Ulla Schmidt [Aachen] [SPD]: 2002! aktiven Arbeitsmarktpolitik nicht so von Ihnen aufgebläht
worden wäre. Eine neue Studie des Zentrums für Europä-
Die Forderung nach einem existenzsichernden Kinder- ische Wirtschaftsforschung bestätigt nicht nur das, was
geld in Höhe von 460 DM oder 600 DM ist zwar gut. Aber wir schon immer gesagt haben, nämlich dass übersteiger-
wie das bei der gegenwärtigen Kassenlage zu verwirkli- te Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und Strukturanpas-
chen sein soll, ist eine nicht einfach zu beantwortende sungsmaßnahmen die ungeförderte Beschäftigung behin-
Frage. Das heißt nicht, dass wir nicht weiterdenken soll- dern. Nein, es wird auch festgestellt, dass – erstens – den
ten. Wir sollten gerade deshalb weiterdenken und uns fra- Teilnehmern an diesen Maßnahmen die Teilnahme als
gen: Wo besteht Notwendigkeit zum Handeln? Wo besteht solches schadet, da sich diese während der Dauer der
Bedürftigkeit? Deshalb arbeitet gerade die grüne Fraktion Maßnahme weit weniger bemühen, eine ungeförderte Be-
– auch die SPD-Fraktion tut das – an Lösungen, die es uns schäftigung aufzunehmen, und dass – zweitens – viele Ar-
ermöglichen, direkt dort zu helfen, wo Armut entsteht, beitgeber die Teilnahme an einer ABM als Manko verste-
nämlich in den Familien, die von Sozialhilfe leben oder hen.
über ein niedriges Einkommen verfügen. Über ein exis-
tenzsicherndes Kindergeld müssen wir in den kommen- (Beifall der Abg. Dr. Irmgard Schwaetzer
den zwei Jahren dringend reden. [F.D.P.])
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Sie verschieben 2 Milliarden DM, die für das so ge-
sowie bei Abgeordneten der SPD) nannte JUMP-Programm gedacht sind, in den Haushalt
der Bundesanstalt für Arbeit und entlasten den Haushalt
des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung. Damit
Vizepräsidentin Petra Bläss: Frau Kollegin, Sie Herr Eichel sich einen schlanken Fuß machen kann, wer-
(B) müssen bitte zum Schluss kommen. den zulasten der Beitragszahler insgesamt über 4 Milliar- (D)
den DM in den BA-Haushalt verschoben. Hier wären
Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Mein Einsparmöglichkeiten.
letzter Satz: Diese Koalition meint es mit der Generatio- (Dr. Irmgard Schwaetzer [F.D.P.]: Richtig!)
nengerechtigkeit tatsächlich ernst. Diese Koalition bietet
Antworten auf die Fragen meiner Generation. Diese Ko- Die Einbeziehung von Einmalzahlungen wie Urlaubs-
alition wird ihre Politik in diesem und im nächsten Jahr und Weihnachtsgeld in die Berechnung des Arbeitslosen-
sowie in den weiteren Jahren fortsetzen. geldes war ein großer Fehler. Die Gewährung von Leis-
tungen auf Einmalzahlungen geht in die völlig falsche
Danke schön. Richtung, weil sich dadurch die Beitragslast erhöht. Wir
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hätten hier Beitragsspielräume nutzen können, weil kein
und bei der SPD) einziger Mensch weniger Leistungen bekommen hätte,
wenn Sie einfach die Einmalzahlungen freigestellt und
auf die Leistungsausweitung verzichtet hätten.
Vizepräsidentin Petra Bläss: Das Wort hat jetzt der
Kollege Dirk Niebel für die F.D.P.-Fraktion. (Beifall bei der F.D.P. – Zuruf der Abg. Dr. Thea
Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Dirk Niebel (F.D.P.): Frau Präsidentin! Meine sehr – Frau Dückert, wenn ich daran denke, was Sie und Ihre
verehrten Damen und Herren! Die Bundesregierung ju- Kollegin Deligöz über die Akzeptanz grüner Politik in der
belt über die leicht zurückgehenden Arbeitslosenzahlen. jungen Generation gesagt haben, kann ich Ihnen nur mit
Das ist verständlich. Auch ich freue mich über jeden ein- einem guten deutschen Sprichwort antworten: Wer im
zelnen Arbeitslosen, den es weniger gibt. Aber es ist un- Schlachthaus sitzt, soll nicht mit Schweinen werfen.
redlich, so zu tun, als sei dies das Ergebnis der grandiosen (Heiterkeit bei der CDU/CSU)
Arbeitsmarktpolitik dieser Regierung.
Was die Dauer des Arbeitslosengeldbezugs angeht,
Wir alle wissen, dass allein aufgrund der demographi- muss ich Ihnen sagen: Von einer Risikoabsicherung sind
schen Entwicklung 200 000 Arbeitslose weniger zu ver- wir mehr und mehr auf dem Weg zu einer Daueralimen-
zeichnen sind. Wir wissen auch, dass ein großer Teil des tierung. Wir brauchen dringend eine Neuregelung mit ei-
Zuwachses an Beschäftigung, den es glücklicherweise ner Bezugsdauer von 12 bis 18 Monaten. Dann hätten wir
gibt, leider aufgrund der Euroschwäche zu verzeichnen eine Beitragsentlastung von 1 Prozentpunkt für die Ar-
ist. Dessen ungeachtet bestehen bereits heute deutliche beitnehmer und für die Arbeitgeber. Auf diesem Wege
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. September 2000 11311
Dirk Niebel

(A) könnten wir neue Beschäftigungsmöglichkeiten schaffen. auf Kosten eines anderen Haushaltes hin- und herzu- (C)
Das ist das Beste, was wir für die Versichertengemein- schieben. Versuchen Sie endlich, die Zusammenfassung
schaft tun können. Neue Beschäftigungen haben doppelte von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe als steuerfinanzierte
Effekte: Erstens spart man Geld, weil man weniger Lohnersatzleistung auf den Weg zu bringen. Ich weiß,
Beiträge zahlt, und zweitens kommen mehr Arbeitslose in dass das schwierig ist. Die F.D.P.-Bundestagsfraktion
Arbeit, was wiederum die Beitragskosten senkt. So könn- wird Sie dabei nach allen Kräften unterstützen.
ten wir die Arbeitslosigkeit zum Teil bekämpfen.
Vielen Dank.
(Dr. Irmgard Schwaetzer [F.D.P.]: Richtig!)
(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)
Nichtsdestotrotz müssen wir auch an die Strukturen
der Bundesanstalt für Arbeit herangehen. Das haben
Vizepräsidentin Petra Bläss: Das Wort hat der Kol-
wir heute schon gehört. Der Arbeitsmarkt in Görlitz ist
lege Karl-Josef Laumann für die CDU/CSU-Fraktion.
halt anders als in Berlin oder in Heidelberg.
(Konrad Gilges [SPD]: Sie waren 16 Jahre an
Karl-Josef Laumann (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau
der Regierung!)
Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr ge-
Seien Sie mutig. Machen Sie wenigstens einen Mo- ehrter Herr Arbeitsminister, die heutige Debatte hat eines
dellversuch, indem Sie dezentralisieren, indem Sie einem gezeigt: Sie und die sozialdemokratische Partei haben bis
Modellarbeitsamt einen Globalhaushalt zur Verfügung heute noch keine Philosophie ihrer Sozialpolitik gefun-
stellen, damit dieses Arbeitsamt inklusive Personalhaus- den. Man kann sie einfach nicht erkennen.
halt vor Ort probieren kann, was der richtige Weg ist, um
(Beifall bei der CDU/CSU)
den Arbeitsmarktausgleich herbeizuführen.
In der Vergangenheit haben wir immer Grundsätze in
(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU –
der Sozialpolitik gehabt. Die haben wir auch heute noch.
Konrad Gilges [SPD]: Das hättet ihr alles ma-
Ein Grundsatz ist der soziale Ausgleich. In der Sozialver-
chen können!)
sicherung ist es die Beitragsbezogenheit. Ganz wichtig ist
Dann kann der Direktor entscheiden, ob er 150 000 DM für die Verlässlichkeit. Wenn man Arbeitsminister ist und
einen zusätzlichen Arbeitsvermittler investieren möchte, man zwei Millionen Einsprüche gegen die Rentenanpas-
der Langzeitarbeitslose assistierend vermittelt und sie sungen vom Juli hat, ist das der schlagende Beweis dafür,
nachgehend betreut, oder ob er 150 000 DM in eine Ar- dass in diesem Land kaum ein Rentner Riester und
beitsbeschaffungsmaßnahme steckt. Schröder noch ein Wort glaubt.
(B) (Zuruf von der SPD: Warum habt ihr das nicht (Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der (D)
gemacht?) SPD: Die glauben euch noch weniger! – Hans
Georg Wagner [SPD]: Nämlich gar nichts!)
Mittelfristig stellt sich die Frage, inwieweit die Ver-
waltungsstrukturen der Bundesanstalt für Arbeit noch zu- Zu den Grundsätzen gehört auch die Generationen-
kunftsfähig sind. Hier müssen wir feststellen, dass eine gerechtigkeit. Bei Ihnen ist es so, dass Sie sich von Vor-
Verwaltungsebene locker eingespart werden könnte. Die gaben des Bündnisses für Arbeit über Vorgaben des Kanz-
Rahmenbedingung soll die Hauptstelle setzen. Die Ar- leramtes bis hin zu europäischen Vorgaben Punkt für
beitsmarktpolitik vor Ort ist regional so unterschiedlich, Punkt durch die Probleme hangeln. Denken Sie einmal
dass wir den örtlichen Arbeitsämtern die Mittel an die zurück. Beim 630-Mark-Gesetz hat der Kanzler Ihnen das
Hand geben sollten. Der Wasserkopf Landesarbeitsämter Gesetz diktiert. Bei der Scheinselbstständigkeit war es
reicht als Stabsstelle beim besten Willen aus oder kann eine eingesetzte Kommission. Seitdem Sie im Arbeitsmi-
meinetwegen auch völlig abgeschafft werden. Hier kön- nisterium sind, kommt aus eigener Kraft gar nichts mehr.
nen wir die bürgernahe Verwaltung umsetzen. In den zehn Jahren, in denen ich dem Sozialausschuss an-
gehöre, sind in diesem Jahr zum ersten Mal Sitzungen
(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)
ausgefallen, weil es keine Initiativen der Bundesregierung
Ich möchte Sie herzlich auffordern, das einmal in einem gab. Dies ist ein Vorgang, der seinesgleichen sucht.
Modellprojekt auszuprobieren, Herr Riester. Seien Sie
(Konrad Gilges [SPD]: Vorhin habt ihr ge-
mutig, damit wir langfristig neue Wege gehen, auch was
meckert, wir machen zu viele Gesetze!)
die Verwaltung angeht.
Ich habe Verständnis dafür, dass Sie die leichten Ver-
besserungen auf dem Arbeitsmarkt hier als Ihren Erfolg
Vizepräsidentin Petra Bläss: Herr Kollege Niebel,
feiern. Aber können Sie, Herr Riester, mir eigentlich er-
Sie müssen bitte zum Schluss kommen.
klären, warum in dem Zeitraum, da Sie Minister sind, die
Arbeitslosigkeit in Frankreich um 2 Prozentpunkte, in
Dirk Niebel (F.D.P.): Ich komme zum Schluss, indem Spanien um 4 Punkte, in Finnland um 2 Punkte und in
ich Ihnen eine letzte Bitte auf den Weg mitgeben möchte. Deutschland nur um 1 Prozentpunkt abgenommen hat?
Sie haben die Zusammenarbeit der Arbeitsämter mit Die stellvertretende Vorsitzende des DGB sagte vor
den Sozialämtern verbessert. Gehen Sie diesen Weg mu- kurzem, dass wir in Deutschland eine Stagnation auf
tig weiter. Es kann nicht sein, dass unterschiedliche öf- dem Arbeitsmarkt haben. Auch die EU-Kommission
fentliche Haushalte versuchen, ihre Leistungsempfänger kritisiert die Beschäftigungspolitik in Deutschland und
11312 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. September 2000

Karl-Josef Laumann

(A) stellt fest: Es gibt kein Land in der Europäischen Ge- die Nachkriegsgeneration ist, die, wie ich immer sage, (C)
meinschaft, in dem die Belastungen auf Arbeit durch sicherlich eine sehr schlechte Jugend gehabt hat. Auch ich
Steuern und Abgaben so hoch wie bei uns sind. gönne dieser Generation eine etwas bessere Situation im
Alter von ganzem Herzen. Aber wenn man es so pathe-
(Peter Dreßen [SPD]: Was haben wir denn ge-
tisch darstellt, wie Sie es getan haben, dann muss man
macht? – Konrad Gilges [SPD]: Schwarz-gelbe auch sagen, dass es zur Wahrheit gehört, dass Sie bei der
Erbschaft mit blauen Tupfen aus Bayern!) Rentenreform planen, auch diese Renten um 4 Prozent
– Zu dem, was Sie, die Sozialpolitiker der SPD, in den abzusenken, indem Sie die Leistungen für die private Vor-
letzten zwei Jahren alles verteidigt haben, kann ich Ihnen sorge bei der Formel für die Berechnung von Renten-
nur noch eines sagen: Ich erkenne bei Ihnen nicht mehr erhöhungen berücksichtigen wollen.
das Rückgrat, das Gewerkschafter eigentlich haben soll- (Ulla Schmidt [Aachen] [SPD]: Nein! Das
ten. Sie haben im Rücken mittlerweile eine Fischgräte, stimmt ja nicht!)
damit Sie all die Windungen überhaupt noch hinbekom-
men, die Sie in den letzten Jahren zu verantworten hatten. Ich sage Ihnen eines: Wenn wir über die Gerechtigkeit
innerhalb einer Generation reden – bei der Rentenform
(Beifall bei der CDU/CSU) werden wir sicherlich noch manches Gespräch führen –,
Sie wissen doch, dass Sie mittlerweile in jedem Kreisvor- dann sollten wir einmal vorurteilsfrei prüfen, ob diejeni-
stand des DGB für Ihre Lügen im Wahlkampf verprügelt gen, die aus einer Generation kommen, in der viele mit 14
werden und dass Ihnen beim DGB heute keiner mehr oder 15 Jahren Beitragszahler in der Rentenversicherung
8 Millionen DM für den Wahlkampf geben würde, wie es geworden sind, nach 45 Jahren Arbeit und mit einem Al-
geschehen ist. Denn die Politik, die Sie jetzt machen, ha- ter von 63 Jahren nicht etwas anders behandelt werden
ben die Leute nicht gewollt. müssen als diejenigen, die bis zu ihrem 30. Lebensjahr
studiert haben und erst dann ihren ersten Beitrag zur Ren-
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – tenversicherung überwiesen haben.
Horst Seehofer [CDU/CSU]: Riester würde ich
auch nichts mehr zahlen!) (Zuruf von der SPD: Die werden ja anders
behandelt!)
Was ich Ihnen wirklich übel nehme, ist, dass Sie bei ei-
nem anspringenden Arbeitsmarkt nicht einmal eine ein- Die Frage, ab wann jemandem eine abschlagsfreie Rente
zige Idee entwickelt haben, wie wir mehr ältere Arbeit- zusteht, muss noch einmal unter dem Aspekt der Gerech-
nehmer auf dem ersten Arbeitsmarkt halten können. Wir tigkeit einer bestimmten Generation gegenüber diskutiert
wissen alle, dass Sie der Entwicklung, die Alten „heraus- werden. Ich glaube schon, dass die Leute, die mit 14, 15
zubomben“, die in den Unternehmen, vor allem in den oder 16 Jahren auf dem Bau zu arbeiten angefangen oder
(B) Großunternehmen, bei den Großbanken, bei der Ver- in diesem Alter schon Schichtarbeit auf sich genommen (D)
schmelzung von RWE und VEW – in meiner Region er- haben und dann auf eine lange Erwerbsbiografie zurück-
lebe ich mit, wie viel Geld in die Hand genommen wird, schauen können, aus Gerechtigkeitsgründen im Alter et-
um 50- oder 55-Jährige herauszunehmen – anläuft, nichts was anders bezüglich der Frage, wann sie in Ruhestand
entgegensetzen. gehen können, behandelt werden müssten, als es heute ge-
handhabt wird.
Wir haben im Deutschen Bundestag einen Antrag zur
Förderung der Beschäftigung älterer Arbeitnehmer einge- Wir hatten ja damals ins Rentenrecht eine Regelung für
bracht, in dem wir klare Vorschläge machen. Von Ihnen ist die vor 1941 Geborenen eingeführt – das sind die Jahr-
bis heute kein Vorschlag gekommen. Wir diskutieren mit gänge, die in den nächsten Jahren in Rente gehen oder
Ihnen in diesen Fragen wie mit einer alten Wand. Ich will schon gegangen sind –, gemäß deren sie nach 45 Jahren
Ihnen auch sagen, warum Sie wie eine alte Wand sind: Erwerbstätigkeit oder mit 63 Jahren ohne Abschläge in
weil sich noch vor einem Jahr zwei alte Männer in die Rente gehen können. Das war unsere Politik.
Deutschland getroffen haben, um zum letzten Mal einen Ich möchte Sie ermuntern, noch einmal über die Frage
Streit für alte Männer auszutragen, indem sie nämlich die nachzudenken, ob man hier nicht eine andere Lösung fin-
„Rente mit 60“ vereinbaren wollten. Diese Personen den kann.
hießen Riester und Zwickel. Sie haben das natürlich
Wir Sozialpolitiker müssen auch noch etwas anderes
unterstützt. Wer eine solche Politik macht, der muss sich
erreichen, worüber gar nicht mehr geredet wird. Es ist
nicht wundern, dass niemand mehr in die Weiterbildung
keine Kunst, die Lebensarbeitszeit bei den Älteren zu ver-
von 55-Jährigen investiert.
längern. Vielmehr ist in Deutschland eine nationale An-
Eines sage ich uns allen voraus: Wir werden die Pro- strengung nötig, um die Ausbildungszeiten zu verkür-
bleme bei der Alterssicherung – egal mit welchem Kon- zen, damit die Menschen wieder eher ins Berufsleben
zept – nicht in den Griff bekommen, wenn wir glauben, eintreten.
dass wir es uns bei einer steigenden Lebenserwartung er- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
lauben können, mit unter 65 Jahren in Rente zu gehen.
Das ist einfach die Wahrheit, auch wenn sie bei vielen Wenn wir dort ein Jahr gewinnen, macht das genauso gut
Leuten nicht sehr beliebt ist. 1,5 Prozent der Beiträge aus wie eine Verlängerung des
letzten Abschnitts des Erwerbslebens.
Frau Schmidt, Sie haben gesagt, dass Sie für die heu-
tige Rentnergeneration im Grunde wenig oder gar nichts (Ulla Schmidt [Aachen] [SPD]: Da stimme ich
verändern möchten, weil dies die Kriegsgeneration bzw. Ihnen uneingeschränkt zu!)
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. September 2000 11313
Karl-Josef Laumann

(A) Es gibt viele Länder in Europa, die uns vormachen, dass zeigt deutlich, dass dafür Rot-Grün die Verantwortung (C)
man sehr wohl mit kürzeren Ausbildungszeiten leben trägt.
kann.
(Beifall bei der CDU/CSU und der PDS)
Hinzu kommt ein weiterer Punkt: Länder mit einer sehr
niedrigen Arbeitslosenquote, wie etwa die Schweiz, Nor- Dass ein Sozialminister dazu schweigt und nicht ver-
wegen, Schweden, Japan oder Amerika, haben zugleich sucht, den Finanzminister in die Schranken zu weisen, ist
eine sehr hohe Beschäftigungsquote von Menschen über schlimm. Dieses Land hätte einen Arbeitsminister mit ei-
55 Jahren. In den Ländern, in denen die Beschäftigungs- ner stärkeren Statur verdient, als wir ihn zur Zeit haben.
quote von Menschen über 55 Jahren sehr niedrig liegt, Schönen Dank.
etwa bei uns, in Italien oder in anderen Ländern, gibt es
mit die höchsten Arbeitslosenquoten. Angesichts dieser (Beifall bei der CDU/CSU sowie des
Tatsache sollten wir einfach einmal darüber reden, ob die Abg. Dirk Niebel [F.D.P.])
Formel, die ja manche von uns vertreten – die Alten in den
Vorruhestand, damit die Jungen Arbeit haben –, über- Vizepräsidentin Petra Bläss: Zu einer Kurzinter-
haupt funktioniert. Wenn ich mir die Tabellen anschaue, vention erteile ich jetzt dem Kollegen Adolf Ostertag,
kommen bei mir Zweifel daran hoch. Das kann ohnehin SPD-Fraktion, das Wort.
keine Antwort auf die Frage bieten, wie die Finanzierung
des Sozialstaates in Zukunft sicherzustellen ist.
Adolf Ostertag (SPD): Meine Damen und Herren!
Ich möchte Ihnen einen weiteren Punkt vorstellen. Herr Laumann, ich möchte zu zwei Aspekten etwas sagen.
Auch die Rednerin der Grünen hat davon gesprochen. Sie Sie haben erstens gesagt, wir hätten nichts zu tun gehabt,
tragen ähnlich wie wir Katholiken bei der Fronleichnams- deswegen seien sogar Ausschusssitzungen ausgefallen.
prozession das JUMP-Programm wie eine Monstranz Ich glaube, in diesem Parlament und auch in der Öffent-
vor sich her. Ich weiß, dass es bei großen Programmen im- lichkeit ist unbestritten, dass der Ausschuss für Arbeit und
mer auch eine Zielungenauigkeit und immer wieder ein- Sozialordnung einer der fleißigsten sein muss. Wir hatten
mal ein Projekt gibt, wo man sich fragt, ob es richtig war, allein in dieser Legislaturperiode schon 51 Sitzungen
was dort gemacht wurde. Darüber will ich heute gar nicht
reden. Es ist aber eine Frechheit, ab dem Haushalt 2001 (Beifall des Abg. Hans-Joachim Fuchtel
dieses Programm, das ja auch dazu dient, dass die Leute [CDU/CSU])
einen Hauptschulabschluss bekommen, nur noch aus Mit-
und wir hatten sechs Anhörungen. Warum wohl? Weil wir
teln der Bundesanstalt für Arbeit, also aus den Beiträgen
nämlich sehr intensiv gearbeitet haben. Es ist eine Sitzung
der Angestellten, Arbeiter und deren Arbeitgeber zu fi-
(B) nanzieren, während kein Beamter, kein Bundestagsabge- ausgefallen; das war, übrigens auch mit Ihren Obleuten, (D)
ordneter und kein Minister mehr für dieses Programm be- verabredet. Da haben wir einige Tagesordnungspunkte
zahlt. Damit ist jetzt eine versicherungsfremde Leistung zusammengelegt. Was Sie sagen, ist also wirklich nur bil-
der Arbeitslosenversicherung aufgebürdet. lige Polemik und Irreführung über den Fleiß der Sozial-
politiker. Das muss ich zurückweisen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.
sowie bei Abgeordneten der PDS) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN)
Ich hätte mir zumindest von den sozialdemokratischen
AfA-Leuten gewünscht, einmal eine Pressemitteilung zu Sie haben zweitens gesagt, wir hätten nichts zu tun,
diesem Thema zu lesen. Fehlanzeige, denn die AfA ist weil wir keine Konzeption und keine Programme hätten.
mittlerweile zum roten Teppich für das Bundeskanzleramt Dazu möchte ich gerne etwas sagen. Wir haben natürlich
geworden. Auch die Wahlen zum SPD-Fraktionsvorstand zu Beginn dieser Legislaturperiode viel Müll wegräumen
am Montag legen diesen Schluss nahe. müssen, den Sie hinterlassen haben.
Ich denke, dass es ein weiterer großer Fehler war, dass (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
Sie, ohne Widerstand zu leisten, dem Finanzminister DIE GRÜNEN – Birgit Schnieber-Jastram
nachgegeben und zugelassen haben, dass die Renten- [CDU/CSU]: Den eigenen Müll!)
versicherungsbeiträge so weit abgesenkt werden, wie es Das muss man ganz eindeutig sagen. Das waren die gan-
nun geschehen ist. Wer vorher fünf Jahre durchschnittlich zen Korrekturgesetze. Ich will sie jetzt nicht aufzählen,
verdient hat und dann fünf Jahre Arbeitslosengeld bezo- weil die Zeit einer Kurzintervention dafür nicht ausreicht.
gen hat, bekommt im Alter 100 DM weniger Rente. Wis-
sen Sie, wen Sie damit treffen? – Damit treffen Sie ganz (Birgit Schnieber-Jastram [CDU/CSU]: Ihre
besonders diejenigen, die vor zehn Jahren, als es durch die eigenen Gesetze mussten Sie korrigieren!)
Wende zu einem riesigen Strukturwandel auf dem ost- Diesen Müll mussten wir erst wegräumen.
deutschen Arbeitsmarkt kam, 45, 50 oder 55 Jahre alt wa-
ren. Diese hatten es sehr schwer, weil die Strukturen, in Außerdem haben wir in dieser Legislaturperiode vier
denen sie groß geworden waren, unter den Füßen wegge- große Vorhaben. Ich lade die CDU-Politiker gern ein, mit
brochen sind, im ersten Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Wenn uns zu Veranstaltungen des DGB oder anderen Veranstal-
ich durch die neuen Länder fahre, treffe ich unzählige die- tungen zu gehen und eine Diskussion darüber zu führen,
ser Schicksale an. Deren Rente kürzen Sie jetzt. Die wer- was wir alles machen werden. Wir haben mit den Ge-
den unter Altersarmut leiden. Das Verursacherprinzip werkschaften schwierige Diskussionen über die Rente.
11314 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. September 2000

Adolf Ostertag

(A) Das ist unbestritten; das kann man nachlesen. Aber diese das in allererster Konsequenz, den Staat handlungsfähig (C)
Diskussion können wir, glaube ich, gut bestehen, wenn zu erhalten und so zu stärken, dass er diese Ausgleiche
wir in der übernächsten Woche einen Gesetzentwurf auf schaffen kann.
dem Tisch liegen haben. Sie werden das nachvollziehen
(Beifall bei der SPD)
können. Wir werden manche Podiumsdiskussion gemein-
sam führen, bei der wir wirklich gute Gründe für diese Weil eine politische Entscheidung für oder gegen be-
weit reichende Reform vorbringen können. Das ist einer stimmte Maßnahmen immer ein Abwägungsprozess ist,
der großen Komplexe. ein Für und Wider zwischen einer Menge unterschiedli-
cher Faktoren und Wirkungen, darf die Verantwortung für
Wir können auch glänzend bestehen, wenn wir in den die Gesamtentwicklung in unserem Land bei noch so not-
nächsten Monaten über die Novellierung des Betriebs- wendiger Detaildiskussion niemals außer Acht gelassen
verfassungsgesetzes diskutieren. Die Regierung kann werden.
dann auf 16 Jahre Stillstand verweisen. Dieser Stillstand
wird jetzt mit diesem wirklich wichtigen, zentralen Ge- Deshalb ist es Frevel, wenn bei allen kritischen An-
setz für die Interessenvertretungen in den Betrieben auf- merkungen größere Rahmen und Zusammenhänge nicht
gelöst. beachtet oder Ursache und Wirkung verkannt werden.
Werden dann auch noch Fakten vorsätzlich in falsche Zu-
Wir haben – der Minister hat es schon gesagt – einen sammenhänge gestellt oder gar weggelassen, dann haben
weiteren großen Komplex vor uns, bei dem wir schon et- wir es bereits mit Demagogie zu tun.
was getan haben und weiterhin etwas tun werden. Wir
werden das Sozialgesetzbuch IX im Hinblick auf die ge- (Beifall bei Abgeordneten der SPD –
samte Behindertenpolitik novellieren. Auch in diesem Dr. Irmgard Schwaetzer [F.D.P.]: Da war
Punkt war Stillstand. Wir haben die Beschäftigung von Dreßler Meister!)
Behinderten mit einem Programm vorangebracht und nun Leider haben wir heute entsprechende Äußerungen von
wird eine grundlegende Novellierung des SGB IX erfol- Ihrer Seite, meine Damen und Herren von der Union,
gen. mehrfach gehört, weil offensichtlich sachkundige und
Wir werden auch für die Arbeitsförderung etwas tun. gute Argumente ausgegangen sind.
Mit Vorschaltgesetzen haben wir schon etwas dafür getan. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
Jetzt wird es eine Novellierung des Arbeitsförderungs- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
rechts geben. Da haben Sie in Ihren 16 Jahren doch nur
Übrigens tut das die CDU/CSU auch mit ihrer Unter-
herumgewurstelt.
stützung der Kampagne gegen die Ökosteuer. Dies ist
(B) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ ein Szenario der Sinnlosigkeit und Verantwortungslosig- (D)
DIE GRÜNEN – Karl-Josef Laumann [CDU/ keit ersten Ranges. Ich fordere Sie, liebe Kolleginnen und
CSU]: Ach!) Kollegen von der rechten Seite, deshalb auf: Prüfen Sie
wirklich Ihr Gewissen! Wollen Sie diese demagogische
Die Arbeitsämter kamen doch mit der Umsetzung der Re- Kampagne mit dem Verschweigen der wirklichen
gelungen, die Sie geschaffen haben, gar nicht nach. Wir Folgen – ich nenne sie noch einmal: Gewinne für die Öl-
werden das Ganze grundsätzlicher angehen. multis, Erhöhung der Rentenversicherungsbeiträge, Er-
Sie sollten vielleicht, Herr Laumann – dies als höhung der Lohnnebenkosten, keine dauerhafte Preissen-
Letztes –, nicht nur die schwarzen Blätter der CDU/CSU kung für die Verbraucher – tatsächlich mittragen?
lesen, sondern auch einmal in die roten Programmpunkte Von einem bin ich überzeugt: Selbst wenn ein Bürger
der SPD schauen. kurzfristig auf diese Demagogie hereinfällt, wird er sie
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten doch irgendwann durchschauen. Diese Kampagne trägt
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – La- dazu bei, Politikverdrossenheit zu schaffen, weil unver-
chen des Abg. Karl-Josef Laumann [CDU/ antwortlich mit der Aufgabe eines Abgeordneten umge-
CSU]) gangen wird. Verantwortungsvolle Politik bietet nicht Lö-
sungen an, die ein Problem kurzfristig aus dem Blickfeld
schaffen, um dann in einer Sackgasse ohne Ausweg zu en-
Vizepräsidentin Petra Bläss: Herr Kollege den. Verantwortungsvolle Politik bietet Lösungen an, die
Laumann, möchten Sie erwidern? – Wenn das nicht der gleichzeitig Vorsorge für die Zukunft bringen.
Fall ist, hat jetzt die Kollegin Renate Jäger für die SPD-
Fraktion das Wort. Haushaltskonsolidierung bedeutet die Herstellung
von Gerechtigkeit gegenüber unseren Kindern und En-
kelkindern.
Renate Jäger (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolle-
ginnen und Kollegen! Der Haushalt für Arbeit und So- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
zialordnung ist wie kein anderer geeignet, immer wieder des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
auch die Frage der Gerechtigkeit neu zu beleuchten und Haushaltskonsolidierung erbringt finanzielle Mittel für
an verschiedenen Punkten aufzuwerfen. Wenn aber Poli- soziale Leistungen, für die Schaffung von bezahlbarer Ar-
tik unter anderem die Funktion hat, Benachteiligungen beit und trägt zu einem solidarischen Zusammenleben in
und Chancenungleichheiten zu beseitigen, die durch unserer Gesellschaft bei. Deshalb ist Haushaltskonsoli-
Wettbewerb und Marktwirtschaft entstehen, dann heißt dierung für mich als Sozialpolitikerin neben allen anderen
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. September 2000 11315
Renate Jäger

(A) Maßnahmen das größte sozialpolitische Vorhaben dieser Hier sind tatsächlich neue Arbeitsplätze entstanden. Alle (C)
Regierung. Prognosen sagen aus, dass sich diese positive Entwick-
lung fortsetzen wird. Dass schließlich im Haushalt 2001
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
der Bundeszuschuss zur Bundesanstalt für Arbeit nicht
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
mehr nötig ist – das bekritteln Sie ja reichlich –, ist eine
Stellen wir uns doch einmal vor, wie die Lage ist, wenn Folge erfolgreicher Politik und nichts anderes.
wir erstmals im Jahr 2006 einen Haushalt ohne Schul-
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
den haben. Was wäre allein durch die Zinseinsparungen
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
in Milliardenhöhe möglich? Was könnten wir für Fami-
lien und Kinder, für Jugendarbeit, für Benachteiligte und Mehrfach ist in den letzten Tagen im Rahmen der
Schwache sowie für den sozialen Ausgleich ausgeben, Haushaltsdebatte von einer noch nicht zufrieden stellen-
ganz abgesehen von Investitionen für neue Arbeitsplätze, den Situation auf dem Arbeitsmarkt Ost gesprochen
Strukturentwicklung und Naturschutz sowie für For- worden. Es ist wahr: Man erschrickt fast, wenn man die
schung und Innovation mit allen positiven Folgewirkun- Arbeitslosenquote der westdeutschen Länder – sie beträgt
gen? Fast könnte man ins Träumen kommen, wenn nach 7,5 Prozent – und die der neuen Länder – sie beträgt
den Zwängen einiger konsequent härterer Jahre wieder 17 Prozent – gegenüberstellt.
ein Boden für Zukunftsvisionen entstünde, die allen Par-
(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Aber nur
teien mehr oder weniger abhanden gekommen sind. Die-
fast!)
ser heute von uns zu diskutierende Haushalt, den wir So-
zialpolitiker mitzuverantworten haben, trägt einen Lassen Sie uns die Situation einmal genauer ansehen:
würdigen Anteil dazu bei. Der Umstrukturierungsprozess in Wirtschaft und Verwal-
tung ist immer noch nicht abgeschlossen. Da die alte Re-
Unsere Politik, die wir mit diesem Haushalt vorlegen,
gierung diesen Prozess innerhalb von acht Jahren nicht
ist geprägt von der Verantwortung für die Zukunft. Nicht
bewältigte, müssen wir ihn weiterführen. Das heißt, ins-
nur die Tendenz zur höheren Neuverschuldung haben
besondere im öffentlichen Dienst sowie im Baubereich
wir aufgehalten und umgekehrt, auch die Tendenz der
müssen weitere Anpassungen vorgenommen werden.
Verteilung der Mittel von unten nach oben ist gestoppt
worden. Trotzdem gibt es bereits in diesem Jahr in einigen
Branchen des gewerblichen Bereiches Erfolgsquoten. Es
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
gibt Bereiche, in denen die Talsohle durchschritten wor-
Ich erinnere an die Senkung des Eingangsteuersatzes. den ist und die gute Wachstumsraten verzeichnen. Das
Ich erinnere Sie in diesem Zusammenhang an Ihren Statistische Bundesamt ermittelte für die neuen Länder
(B) Kampf um die Senkung des Spitzensteuersatzes, der eine und für Ostberlin im Vergleich zum Vorjahr einen Zu- (D)
Verteilung in die andere Richtung, nämlich von oben nach wachs an Beschäftigung in Höhe von 3,1 Prozent und ei-
unten, bewirkt hätte. nen Umsatzzuwachs von 5,5 Prozent – was noch nicht
ausreicht. Seit Juni 1999 sank die Arbeitslosenzahl erst-
(Dr. Irmgard Schwaetzer [F.D.P.]: Den Spitzen-
mals wieder leicht unter das Augustniveau des Vorjahres.
steuersatz senkt Ihr doch jetzt! Das machen wir
doch nicht!) (Zuruf von der PDS: um 500!)
Ich erinnere an die Senkung der Rentenversicherungs- Die durchschnittliche Dauer der Arbeitslosigkeit liegt
beiträge, an die Erhöhung des Kindergeldes – das ist nur noch gering über der in den alten Ländern. Angesichts
schon mehrfach zur Sprache gekommen – und an die wei- des Erbes, das wir vor zwei Jahren von der alten Regie-
tere Aufstockung im Jahre 2002. Ich erinnere an Verbes- rung übernommen haben, ist nunmehr ein leichter, zarter
serungen beim Erziehungsgeld und beim Wohngeld. Beginn eines Wandels, einer positiven Entwicklung spür-
bar.
(Beifall bei der SPD – Dr. Irmgard Schwaetzer
[F.D.P.]: Was beim Erziehungsgeld zu einer (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
Einsparung von 250 Millionen DM führt!) DIE GRÜNEN)
Wir haben auch solide Rahmenbedingungen für die Lassen Sie mich noch etwas zur Ausbildungs- und Be-
Entstehung neuer Arbeitsplätze geschaffen. Nicht die schäftigungssituation junger Menschen sagen. Nachdem
von der alten Regierung verlängerten Ladenöffnungszei- die CDU/CSU unser Programm zur Bekämpfung der
ten haben das von ihr versprochene Mehr an Arbeitsplät- Jugendarbeitslosigkeit in der Vergangenheit hart kritisiert
zen gebracht, auch nicht die Einschränkungen beim Kün- hat, ist es stiller geworden. Offensichtlich hat sie die
digungsschutz. In unserer bisher kurzen Regierungszeit Tatsache zur Kenntnis genommen, dass dadurch die
ist durch richtige politische Schwerpunktsetzung die Er- Jugendarbeitslosigkeit deutlich gesenkt werden konnte –
werbsquote gestiegen. Da zählt Ihr Argument, Herr leider aber auch hier nicht mit größerer Wirkung in den
Fuchtel, nicht mehr, dass der Rückgang der Arbeitslosig- neuen Ländern. Doch ohne dieses Programm sähe es
keit auf bundesweit 9,3 Prozent – übrigens der niedrigste in den neuen Ländern noch ungünstiger aus.
Stand seit fünf Jahren – ausschließlich auf demographi-
Lassen Sie mich das an einem Zahlenvergleich deut-
sche Gründe zurückzuführen sei.
lich machen: In Sachsen gab es im September 1999
(Dr. Irmgard Schwaetzer [F.D.P.]: Gerade die im Baugewerbe über 31 900Arbeitsuchende. Im August 2000
Erwerbsquote ist demographisch bestimmt!) war diese Zahl auf fast 40 300 angestiegen. Darunter
11316 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. September 2000

Renate Jäger

(A) befindet sich ein großer Anteil an jungen Menschen. Sie haben die Korrekturgesetze im Dezember im Hau- (C)
Dieser massive Arbeitsplatzrückgang – dort regiert die ruckverfahren durchgezogen. Der größte Fehler dabei war
CDU – konnte auch durch das Programm gegen die Ju- die Rücknahme des Blüm’schen Demographiefaktors.
gendarbeitslosigkeit nicht aufgefangen werden; es hat Ansonsten haben Sie Schwierigkeiten verursacht: Durch-
aber die Situation entschärft. Diese Tendenz besteht leider einander bei den 630-Mark-Jobs und Durcheinander bei
in allen ostdeutschen Ländern. Wir werden das JUMP- der Scheinselbstständigkeit. Ihre Korrektur bei der Schein-
Programm im Jahre 2001 weiterführen, und zwar mit ei- selbstständigkeit haben Sie inzwischen selbst wieder kor-
nem noch höheren Anteil für die ostdeutschen Länder. rigiert.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Wir lassen uns nicht davon täuschen, meine Damen
und Herren von der SPD, dass Sie sagen, das sei die För-
DIE GRÜNEN)
derung der Selbstständigkeit. So einfach geht das nicht.
Auch hinsichtlich der Ausbildungsplätze sind im Man kann nicht einfach ein neues Etikett darauf kleben.
Osten Deutschlands weitere Anstrengungen nötig. Die Das, was Sie geschaffen haben, bleibt einfach ein Durch-
schwächere Wirtschaftsstruktur mit einem geringen Indus- einander.
trieanteil, die wir als Erbe einer verfehlten Treuhand- und (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
Umstrukturierungspolitik von der alten Regierung über-
nommen haben, muss zunächst gestärkt werden. Doch mit Bei der Rente haben Sie geradezu einen Stufenplan der
unseren verbesserten Rahmenbedingungen für die Wirt- Verunsicherung in den letzten beiden Jahren entwickelt.
schafts- und Beschäftigungsentwicklung werden wir auch Ich ziehe das Korrekturgesetz heran, mit dem Sie den De-
mographiefaktor von Norbert Blüm entfernt haben. In der
diese Fehlentwicklung in die richtigen Bahnen lenken.
Gesetzesbegründung steht: Mit diesem Aussetzen soll
Die gesünderen Staatsfinanzen eröffnen weitere finanzi- Zeit gewonnen werden. Ich habe bisher nicht den Ein-
elle Spielräume für die Förderung der neuen Länder, auch druck, dass Sie Zeit gewonnen und genutzt hätten. Statt-
unter den Schwerpunkten Ausbildung und Arbeit für dessen haben Sie ein Rentendurcheinander produziert.
junge Menschen.
Das Aussetzen der Blüm’schen Reform war der An-
Ich hoffe auf Ihre konstruktive Mitarbeit und auf Ihre fang. Die Abkehr von der nettolohnbezogenen Rente war
konstruktiven Beiträge bei der Diskussion über den der nächste Schritt. Dann sagten Sie, es wird einen Infla-
Haushalt und über eine zukunftsträchtige Politik in unse- tionsausgleich geben. Kaum war das ausgesprochen, er-
rem Land überhaupt. fuhr man, es ist gar kein Inflationsausgleich, weil die In-
flation, die in diesem Jahr bei etwa 1,8 Prozent liegen
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
wird, mit 0,6 Prozent ausgeglichen wird.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Abg. Peter Dreßen [SPD] meldet sich zu einer
(B) des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (D)
Zwischenfrage)
– Sparen Sie sich die Zwischenfrage, Herr Dreßen. Ich
Vizepräsidentin Petra Bläss: Der letzte Redner in sage Ihnen knallhart: Wir haben früher niemals den Infla-
dieser Debatte zum Einzelplan 11 ist der Kollege tionsausgleich gehabt, deswegen können Sie nicht be-
Wolfgang Meckelburg für die Fraktion der CDU/CSU. haupten, das wäre früher immer so gewesen.
(Zurufe von der SPD)
Wolfgang Meckelburg (CDU/CSU): Frau Präsiden-
Sie haben den Inflationsausgleich eingeführt und die
tin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich hätte
Rentnerinnen und Rentner dadurch betrogen, –
dem Arbeitsminister gern das Angebot gemacht, ihm
meine zehn Minuten Redezeit zur Verfügung zu stellen (Peter Dreßen [SPD]: Das ist unwahr!)
(Beifall bei Abgeordneten der SPD) Dass Sie ihnen für 1,8 Prozent Inflationsrate 0,6 Prozent
Rentenanpassung in diesem Jahr geben. Das ist die Wahr-
– klatschen Sie nicht zu früh –, wenn damit zu rechnen heit.
gewesen wäre, dass er in diesen zehn Minuten noch etwas
Konkretes zu dem, was an Plänen vorliegt, sagen würde. (Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch bei
Bisher war alles staatstragend und nichtssagend, aber wir der SPD – Ulla Schmidt [Aachen] [SPD]: Wir
haben nichts Konkretes gehört. Es war der Knappschafts- haben die Anpassung einfach verschoben!)
minister; es war alles sehr knapp geraten, Herr Riester. Dann haben Sie den Rentnern gesagt, dass Sie irgend-
wann zur nettolohnbezogenen Rente zurückkehren wer-
(Beifall bei der CDU/CSU – Peter Dreßen den. Kaum war das ausgesprochen, hörte man, dann
[SPD]: Ihr wollt es nicht hören!) müsse man die Formel wieder neu berechnen. Das heißt
Ich will die Diskussion zwischen den Kollegen doch wahrscheinlich, man muss sie nach unten korrigie-
Laumann und Ostertag aufgreifen. Wenn ich als Obmann ren. Während das alles passierte, haben Sie die Rente mit
im Ausschuss Bilanz ziehe, muss ich sagen: Das, was wir 60 durchs Dorf getrieben. Es waren doch nicht wir, die
in der ersten Halbzeit von Rot-Grün in der Sozialpolitik diese Verunsicherungen verursacht haben.
im Ausschuss erlebt haben, war Hektik, Durcheinander Ihr Stufenplan der Verunsicherung ist ein Leidensweg
und Verunsicherung. Anschließend gab es eine Phase von für die Rente. Der Riester-Renten-Schlager heißt: tau-
gesetzgeberischem Stillstand. Das ist die Realität. Sie ha- sendmal berührt, tausendmal ist nichts passiert. Bisher je-
ben nichts mehr auf den Tisch gelegt. denfalls gilt diese Bilanz, Herr Arbeitsminister.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. September 2000 11317
Wolfgang Meckelburg

(A) Lassen Sie mich – Dazu sage ich Ihnen: Das ist nicht Programm, das ist kein (C)
mutiges Ziel oder sogar Superergebnis. Nein, das, was
(Zurufe von der SPD: Aufhören!)
Schröder da sagt, ist nichts anderes als die plumpe Be-
zum Thema Reformstau, das heute Morgen eine Rolle schreibung dessen, –
gespielt hat, etwas sagen. Ich finde es ziemlich dreist,
(Ulla Schmidt [Aachen] [SPD]: Was denn? –
wenn selbst der Bundeskanzler, weil er etwas vor der
Peter Dreßen [SPD]: Ach!)
Sommerpause abfeiern will, sagt, der Reformstau sei nun
aufgelöst. – was ohnehin aufgrund der Bevölkerungsentwicklung
passieren wird. Dabei ist es ganz egal, ob der Bundes-
(Zurufe von der SPD: Ja!) kanzler Schröder, Meier oder Schulze heißt.
Das glauben Sie doch wohl selber nicht. Bei der Rente ha- (Peter Dreßen [SPD]: Bei Ihnen ging es mit
ben Sie einen wahnsinnigen Reformstau produziert, in- der Arbeitslosigkeit immer aufwärts!)
dem Sie die Blüm’sche Reform ausgesetzt haben und jetzt
an anderen Reformen herumbasteln. Dieser Rückgang hat allein demographische Gründe.
Ich habe als Obmann ständig gefragt: Was wollt (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
ihr wirklich? In dem Moment, in dem wir gesagt haben, Wenn Sie wirklich daran gemessen werden wollen, wie
dass wir zu einem Konsens bereit sind, habt ihr euch Sie die Arbeitslosigkeit bekämpfen, müssen Sie weit un-
zurückgezogen und gesagt: Wir reden erst einmal mitei- ter den 3,5 Millionen landen. Das ist jedenfalls unsere
nander. Was die SPD, was Rot-Grün wirklich will, ist uns Vorstellung.
bisher nicht auf den Tisch gelegt worden.
(Peter Dreßen [SPD]: Warum ist sie bei Ihnen
(Zuruf von der CDU/CSU: So ist das!) immer gestiegen?)
Sie haben das benutzt, um sich dahinter zu verstecken. Entscheidend ist aber nicht nur, in welcher Größenord-
Sie haben auch den Reformstau bei der Steuerreform nung die Zahl der Arbeitslosen sinkt, sondern entschei-
– um das auch einmal zu sagen – produziert. Diesen hät- dend ist auch, wie Arbeitskräfte in Arbeit kommen, wie
ten wir 1997/1998 längst auflösen können. sich der Arbeitsmarkt wirklich entwickelt. Wenn Sie die
letzten drei Jahre nehmen, stellen Sie fest, dass das Jahr
(Ulla Schmidt [Aachen] [SPD]: Hätten, haben 1998 eines gewesen ist, in dem wir etwa 340 000 bis
Sie aber nicht!) 350 000 neue Arbeitsplätze geschaffen haben.
Dazu kommen die Reformnotwendigkeiten, die Sie selbst (Peter Dreßen [SPD]: Ha, ha! Die ABM müssen
(B) produziert haben. Bei den 630-Mark-Jobs und bei der Sie abziehen! – Adolf Ostertag [SPD]: Wie (D)
Scheinselbstständigkeit, wo Sie die Reform selbst wieder kann man nur so mit Zahlen manipulieren!)
zurückgenommen haben. Hier frage ich mich wirklich, Im letzten Jahr gab es hier eine Stagnation.
wie Sie die Dreistigkeit besitzen können, hier als Bilanz
festzuhalten, dass Sie den Reformstau beseitigt hätten. Ich bleibe dabei, dass die Arbeitsplatzsteigerung in die-
Das Gegenteil ist der Fall! sem Jahr im Wesentlichen darauf beruht, dass Sie jetzt
nach dem neuen Verfahren die 630-Mark-Jobs mit-
(Horst Seehofer [CDU/CSU]: Bilanzfälscher!) zählen.
Lassen Sie mich noch etwas zu den Arbeitsplätzen sa- (Ulla Schmidt [Aachen] [SPD]: Sie sollten doch
gen, denn dies ist die Herausforderung, die der Bundes- einmal einen Statistiklesekurs belegen, dann
kanzler schwerpunktmäßig in Angriff nehmen möchte. könnten Sie das besser!)
(Ulla Schmidt [Aachen] [SPD]: Jawohl!) Das heißt, es sind eigentlich mehr, als wir alle miteinan-
Dazu will ich Ihnen erst einmal sagen, dass es zurzeit al- der gedacht haben. Sie werden einfach mitgezählt und
lein durch den demographischen Faktor Veränderungen dies ist dann das Ergebnis. Parallel dazu sind natürlich –
das darf man nicht verschweigen – viele Arbeitsplätze da-
bei den Arbeitslosenzahlen nach unten gibt. Jedermann
durch verloren gegangen, dass Sie diesen Murks mit der
weiß das. Diese Zahlen hören Sie von Wirtschaftsverbän-
630-Mark-Regelung eingeführt haben. Auch dies ist die
den und von der Bundesanstalt für Arbeit. Dadurch, dass
Wahrheit.
immer mehr ältere Menschen aus dem Arbeitsleben
ausscheiden und immer weniger junge Menschen nach- Der Arbeitsminister hat uns heute Morgen gesagt, dass
rücken, haben wir Jahr für Jahr etwa 200 000 Arbeitslose es in diesem Jahr 750 000 neue Arbeitsplätze gibt, wobei
weniger. die 630-Mark-Jobs – so eben in der Debatte – nicht ein-
gerechnet sind. Ich würde ihn gern bitten, uns, wenn er
Nun kommt der Herr Bundeskanzler persönlich – ges- dies zeitlich noch schafft – ich weiß, dass er einen An-
tern noch einmal hier – und sagt: Wir werden es schaffen, schlusstermin hat –, zu erklären, welche Auswirkungen
die Zahl der Arbeitslosen bis zum Ende der Legislatur- dies in seinem Finanzplan auf den Bundeszuschuss, die
periode im Jahre 2002 auf unter 3,5 Millionen zu senken. Entwicklung bei der Arbeitslosenversicherung oder was
auch immer hat.
(Ulla Schmidt [Aachen] [SPD]: Im Gegensatz
zu Ihnen, wo sie trotz demographischen Faktors (Adolf Ostertag [SPD]: Zweistellige Milliar-
immer anstieg!) denbeträge!)
11318 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. September 2000

Wolfgang Meckelburg

(A) Dies würden wir gerne hören, weil sich dann für unsere Herren! In Deutschland haben sich in den letzten beiden (C)
Haushälter in den Beratungen eine völlig neue Situation Jahren alle Wirtschaftsdaten entscheidend verbessert. Die
ergibt. Wenn Sie das noch schaffen würden, wäre das sehr Wirtschaft wächst mit 3, vielleicht sogar mit über 3 Pro-
schön. zent. Die Unternehmen investieren wieder. Die Arbeitslo-
sigkeit sinkt spürbar, und zwar nicht nur demographisch
(Beifall bei der CDU/CSU)
bedingt, denn die Erwerbstätigkeit nimmt zu, vor allem
Ich möchte noch daran erinnern – das sind zum Teil im Dienstleistungsbereich. Aber keineswegs nur da, son-
Tricksereien –, dass die Änderung der Bezugsbasis für die dern auch im produzierenden Gewerbe, wie etwa dem
Arbeitslosenquotenberechnung – ab April werden die Maschinen- und Anlagenbau, aber auch in der Elektroin-
630-Mark-Jobs mit eingerechnet – 0,4 Prozent ausmacht. dustrie. Deutschland ist wieder zu einem Land der Inno-
vationen, der zukunftsweisenden Technologien, des
Ich will ein Letztes sagen. Für einen Kanzler, der Ost- strukturellen Wandels geworden.
deutschland, den Aufbau Ost zur Chefsache machen will,
ist es eigentlich ein schlechtes Ergebnis, wenn wir heute (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
nach wie vor feststellen müssen, dass es eben nicht ge- DIE GRÜNEN)
lungen ist, dies zur Chefsache zu machen. Das belegt die Für diese positive Entwicklung gibt es verschiedene
ständig steigende Arbeitslosigkeit im Osten. 1999 stieg Gründe, zum Beispiel die gute weltwirtschaftliche Ent-
die Arbeitslosigkeit um 37 000 auf 1,467 Millionen zum wicklung, die den Exportboom der deutschen Wirtschaft
Jahresanfang 2000. Im Juli betrug die Arbeitslosenquote ermöglich hat, und die Tarifpolitik, die von Wirtschaft und
im Osten 17 Prozent gegenüber 7,5 Prozent im Westen, Gewerkschaften mit Augenmaß betrieben wurde.
also mittlerweile knapp das Zweieinhalbfache. Dass da
offensichtlich Nachholbedarf ist, hat der Kanzler viel- Einen gehörigen Anteil am Erfolg hat zweifelsohne
leicht selber verspürt. Aber dadurch, dass man in die auch die Politik dieser Bundesregierung.
neuen Länder fährt und sich in den neuen Ländern die (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
möglicherweise blühenden Stellen anschaut, erreicht man DIE GRÜNEN – Zuruf von der CDU/CSU:
nichts. Von dem Thema „Chefsache Aufbau Ost“ ist Ihre Nein!)
Koalition noch weit entfernt.
Sie hat den Reformstau der letzten Jahre aufgelöst und mit
Wenn ich als Obmann heute eine Schlussbilanz für die ihrer Politik der Erneuerung der sozialen Marktwirtschaft
erste Halbzeit ziehe, so bleibt festzuhalten, Herr Ostertag: die Weichen in Richtung Zukunft gestellt. Wenn eben ge-
Hektik, Durcheinander, Verunsicherung bei den Rent- sagt worden ist, der Reformstau sei noch nicht richtig auf-
nern. Sie treffen Ihre bisherigen Stammwähler und gelöst, bin ich dankbar dafür, dass Sie wenigstens zur
Wähler der Neuen Mitte sicherlich alle an den Zapfsäu- Kenntnis genommen haben, dass ein enormer Reformstau
(B) len. bestanden hat. (D)
(Zuruf von der SPD: Bleiben Sie doch ein (Heiterkeit und Beifall bei der SPD und
bisschen sachlicher!) dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dietrich
Gehen Sie da mal hin und hören Sie sich an, was die über Austermann [CDU/CSU]: Sagen Sie doch mal
Ihre Politik sagen. Wenn sich da in den nächsten zwei Jah- etwas über die Ursachen!)
ren nichts wesentlich bessert, bin ich ganz optimistisch. Kernelemente unserer Politik sind die Ordnung und die
Was die Leute nämlich von Politik erwarten, sind Struk- Konsolidierung der Staatsfinanzen, die Rückführung der
turveränderungen, mutige Schritte nach vorne, die Sie Steuerabgaben und der Staatsquote zugunsten von mehr
nicht machen, und nicht nur vordergründiges Theater und Freiraum für private Initiative, –
einen glänzenden Medienkanzler.
(Ernst Burgbacher [F.D.P.]: Schön wäre es!)
(Zuruf von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Mit
der Regierung Kohl mutig nach vorn, ha ha!) – der Abbau der Belastungen von Arbeit und Kapital, die
Stärkung der IuK-Technologien und ihre breite Durchset-
Das ist zu wenig. Das hat Deutschland nicht verdient. zung, die Strukturreform in vielen Bereichen –
(Beifall bei der CDU/CSU) (Zuruf von der F.D.P.: Ladenschluss!)
– sowie die Fortführung der Politik der Marktöffnung,
Vizepräsidentin Petra Bläss: Weitere Meldungen zum Beispiel im Bahnnetz, bei den Energiemärkten oder
zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit der Telekommunikation, was teilweise zu deutlichen
und Sozialordnung liegen nicht vor. Kostenentlastungen der Gesellschaft geführt hat. Diese
Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bun- konsequente Politik trägt nun Früchte.
desministeriums für Wirtschaft und Technologie, Ein- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
zelplan 09. DIE GRÜNEN)
Zur Vorstellung des Einzelplans 09 erteile ich jetzt dem Deutschland hat sich in Europa zum führenden Markt
Herrn Bundesminister für Wirtschaft und Technologie, für Wagniskapital entwickelt. Die Gründerlandschaft in
Dr. Werner Müller, das Wort. Deutschland blüht wieder deutlich auf. Die am Neuen
Markt etablierten Unternehmen beschäftigen inzwischen
Dr. Werner Müller, Bundesminister für Wirtschaft 120 000 Menschen mit überwiegend sehr hochwertigen
und Technologie: Frau Präsidentin! Meine Damen und Arbeitsplätzen. Nach Einschätzung von Roland Berger ist
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. September 2000 11319
Bundesminister Dr. Werner Müller

(A) am Neuen Markt allein im Verlauf dieses Jahres ein Zu- Wirtschaftszweig werden, dann größer als die Automobil- (C)
wachs der Beschäftigung von etwa 80 000 möglich. industrie. Bis zum Jahr 2010 können wir bis zu 750 000
zusätzliche Arbeitsplätze im IuK-Sektor gewinnen. Wir
Auf wichtigen Feldern neuer Technologien hat sind fest entschlossen, diese Chancen für Deutschland zu
Deutschland kräftig aufgeholt; ich nenne beispielhaft die nutzen.
Biotechnologie. Um die Chancen optimal auszuschöpfen,
die die neuen Technologien bieten, schaffen wir inno- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
vationsfreudige Rahmenbedingungen, zum Beispiel DIE GRÜNEN)
durch die Unternehmensteuerreform und durch unseren Dies tun wir zum Beispiel durch Initiativen wie den
Einsatz auf EU-Ebene für geeignete Genehmigungsvor- Gründerwettbewerb Multimedia sowie die Umsetzung
schriften betreffend diese neuen Technologien. des Signaturgesetzes und der EG-Richtlinie für den elek-
Mit der Förderung von Unternehmensgründungen im tronischen Geschäftsverkehr.
Bereich der Hochtechnologie und von Forschungskoope- Einer sozialen Spaltung unserer Gesellschaft durch un-
rationen hat auch das Wirtschaftsministerium erheblich terschiedliche Zugangsmöglichkeiten zu den neuen digi-
dazu beigetragen, dass Deutschland gemessen an der Zahl talen Medien treten wir entschieden entgegen.
der Biotech-Unternehmen inzwischen in Europa führend
ist. Wir kommen generell technologisch dynamisch (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
voran, wie wir es nun anhand des steilen Anstiegs der Zahl DIE GRÜNEN)
der Anmeldungen von Patenten und Marken beobachten Auch das ist ein Aspekt der Schaffung von Chancen-
können. Das spricht für die Wiederbelebung der Innova- gleichheit in unserer Gesellschaft.
tionskraft.
Das Wirtschaftsministerium fördert im Rahmen seiner
Umso trauriger war übrigens der Zustand des Patent- Zuständigkeiten die marktwirtschaftliche Erneuerung al-
amtes, den wir beim Regierungswechsel vor zwei Jahren lenthalben sehr konkret. Das lässt sich auch auf Heller und
vorgefunden haben. Pfennig am vorgelegten Haushalt des BMWi belegen.
Zum einen leisten wir einen beträchtlichen Beitrag zur
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
Konsolidierung der Staatsfinanzen und zum anderen lei-
DIE GRÜNEN)
ten wir mehr Mittel in Zukunftsinvestitionen. Die Konso-
Gerade dieses Amt muss doch auf modernstem Stand sein, lidierung schafft auch Freiraum im BMWi-Haushalt, Frei-
um mit effizienter Verwaltung der innovatorischen Wirt- raum, der es ermöglicht, Zukunftsbereiche zu stärken, um
schaft zügig zu Dienst stehen zu können. Seit Anfang der die notwendigen Akzente für die Modernisierung der
90er-Jahre aber ist die Zahl der Prüfer Jahr für Jahr Wirtschaft zu setzen und Akzeptanz dafür zu bekommen.
(B) (D)
zurückgeschnitten worden. Den Einsatz elektronischer
Im Einzelnen: Die Mittel für Forschung und Innova-
Medien kannten die Prüfer nur, wenn sie entsprechende
tion werden um rund 4,5 Prozent auf knapp 900 Millio-
Patente durchzusehen hatten. nen DM aufgestockt. Mit Förderprogrammen zur For-
(Heiterkeit bei der SPD) schungskooperation, wie zum Beispiel der Maßnahme
PRO INNO, unterstützen wir den Austausch von Wissen
Ich habe damals mit Frau Däubler-Gmelin darüber ge-
und Personal zwischen Unternehmen sowie öffentlichen
sprochen und ich bin der Justizministerin sehr dankbar, Forschungseinrichtungen. In den neuen Ländern geben
dass sie sich sofort nach Amtsantritt um das Patentamt wir technologieorientierten Unternehmensgründungen
gekümmert und dort eine Trendwende eingeleitet hat: bei mit dem Programm FUTOUR 2000 zusätzliche Impulse.
den Patent- und Markenprüfern ebenso wie bei der EDV- Wir fördern Multimedia und IuK-Anwendungen im Mit-
Ausstattung und bei der Verbesserung der Arbeitsorgani- telstand.
sation.
Wir unterstützen die Mobilisierung von Beteiligungs-
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ kapital für innovative Unternehmen. Im vergangenen Jahr
DIE GRÜNEN) konnten wir immerhin 1,6 Milliarden DM Beteiligungs-
Die Modernisierung des Patentamtes – um Ihnen nur ei- kapital für junge Technologieunternehmen mobilisieren.
nen kleinen, aber überaus wichtigen Bereich von Re- Das waren 100 Prozent mehr als im Jahr zuvor. Das heißt,
formstau zu verdeutlichen – muss im Interesse der Inves- die jungen Unternehmen können auf uns vertrauen und
titionskraft unserer Wirtschaft konsequent weitergeführt auf uns bauen.
werden. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)
DIE GRÜNEN) Im neuen „Aktionsprogramm Mittelstand“ meines
Die Informations- und Kommunikationstechnologien Hauses sind die Initiativen der Bundesregierung für den
erobern alle Bereiche von Wirtschaft und Gesellschaft in Mittelstand zusammengefasst. Das Aktionsprogramm
rasendem Tempo. Unser Ziel ist, Deutschland bei der Nut- wird von den Wirtschaftsverbänden in seinen Grundlinien
zung dieser Techniken ganz nach vorne zu bringen; denn und Grundanliegen voll unterstützt. Zentrale Themen
die IuK-Technologien, einschließlich des E-Commerce, sind unter anderem die Modernisierung der Aus- und
sind Keimzellen unseres Wirtschaftswachstums. Bereits Weiterbildung, die Förderung der Innovationskraft und
in fünf Jahren will die Branche zum größten deutschen der internationalen Ausrichtung auch des Mittelstandes.
11320 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. September 2000

Bundesminister Dr. Werner Müller

(A) Hier besteht gerade auch für den Mittelstand ein großes preise seit Frühjahr 1999. Wenn jemand die Autofahrer (C)
Chancenpotenzial. „gemolken“ hat – um einmal Ihre Sprache zu verwenden –
dann waren Sie es; denn in den 16 Jahren Ihrer Regierung
Wir fördern 24 Kompetenzzentren – einige unter der
Regie des Handwerks – die den elektronischen Ge- wurde die Mineralölsteuer auf Benzin sage und schreibe
schäftsverkehr in Handwerk und Mittelstand gängig ma- verdoppelt. Oder in absoluten Zahlen: Seit Amtsantritt der
chen sollen. Wir fördern auch die technische Ausstattung Regierungen Kohl ist die abkassierte Mineralölsteuer von
von Berufsbildungsstätten des Handwerks. 20 Milliarden DM im Jahre 1982 auf über 80 Milliar-
den DM im Jahre 1998 erhöht worden.
Die bewährten Förderprogramme für Existenzgründer
und mittelständische Unternehmen werden auf hohem Ni- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
veau fortgesetzt. Die Deutsche Ausgleichsbank wird zur DIE GRÜNEN – Dagmar Wöhrl [CDU/CSU]:
Gründungs- und Mittelstandsbank des Bundes ausgebaut. Sie haben das schon nach zwei Jahren ge-
Nicht zuletzt mit der Steuerreform wird der Mittelstand schafft!)
netto um insgesamt 30 Milliarden DM entlastet. Die hohe Importabhängigkeit Deutschlands bei Ener-
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ gie spricht dafür, dass es durchaus Sinn macht, auch einen
DIE GRÜNEN) gewissen Kernbestand an nationaler Energie zu erhal-
ten.
Für den Aufbau Ost steht im Rahmen der Regionalför-
derung für neue Projekte ein Fördervolumen von rund (Beifall bei der SPD)
3,5 Milliarden DM zur Verfügung. Die Gemeinschafts- Auch deshalb setzen wir uns in Brüssel mit Nachdruck für
aufgabe wird auch weiterhin ein verlässlicher Eckpfeiler eine neue Beihilferegelung für die Zeit nach dem Auslau-
der Wirtschaftsförderung, insbesondere in den neuen fen des EGKS-Vertrages ein und wollen darin die Förde-
Ländern bleiben. rung regenerativer Energien einbinden; denn auch das ist
In der Energiepolitik haben wir Kurs in Richtung ei- eine nationale Energie, die wir fördern.
ner nachhaltigen Energieversorgung aufgenommen. Hier- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
für steht die Vereinbarung über die sehr allmähliche Be- DIE GRÜNEN)
endigung der Kernenergienutzung. Hierfür steht ein
ganzes Bündel von Maßnahmen zur Erhöhung der Ener- Noch eines: Ich finde es höchst befremdlich, dass mich
gieeffizienz. Hierfür steht die Förderung der erneuerbaren die heutige Opposition nun schon des Öfteren zum offe-
Energien. Die Nachfrage beim Marktanreizprogramm bei nen Bruch der von Ihnen selbst geschlossenen Verträge
regenerativen Energien und beim 100 000-Dächer-Solar- mit dem Bergbau auffordert.
(B) stromprogramm zeigt, dass die Bevölkerung längst zu- (Beifall bei der SPD) (D)
kunftsorientiert denkt und handelt.
Meine Damen und Herren, Konsolidierung und Mo-
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ dernisierung müssen sich nicht ausschließen. Hierfür
DIE GRÜNEN) steht der Haushaltsentwurf des Bundesministeriums für
Für mehr Nachhaltigkeit steht auch die Ökosteuer. Wirtschaft und Technologie. Ich werde diesen Kurs kon-
Meine Damen und Herren von der Opposition, es ist eine sequent fortsetzen. Wichtige Themen sind: das Aktions-
neuerliche Variante Ihres politischen Postkartenpopulis- programm „Innovation und Arbeitsplätze in der Infor-
mus, wenn Sie Bürgerinnen und Bürgern einzureden mationsgesellschaft des 21. Jahrhunderts“, das schon
versuchen, die Ökosteuer sei an den aktuellen Benzin- teilweise umgesetzt ist und weiter planmäßig umgesetzt
preisen schuld. wird. Die Umsetzung der E-Commerce-Richtlinie ist für
2001 vorgesehen. Die neu geordnete Technologieförde-
(Beifall bei der SPD) rung wird evaluiert und weiterentwickelt. Insbesondere
Keine Frage, dass die Benzin- und Heizölpreise so will ich mich darum kümmern, dass die Finanzierung von
hoch sind, dass sich alle ärgern, dass viele Familien unter Handwerk und Mittelstand auch dann weiter gesichert ist,
dieser Belastung leiden und einzelne Zweige der Wirt- wenn die Großbanken dieses Geschäftsfeld verlassen.
schaft, namentlich das Transportgewerbe, ernste Schwie- (Beifall bei Abgeordneten der SPD)
rigkeiten bekommen haben. Darüber muss man sachlich
reden und nicht etwa unter dem Vorzeichen, der Bundes- Der Bürokratieabbau bleibt eine ständige Aufgabe. Ich
kanzler sei der Benzinpreistreiber der Nation. werde ein neues verlässliches Energiekonzept für
Deutschland entwickeln. Schließlich: Ich werde in mei-
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ nen Bemühungen für eine neue und umfassende WTO-
DIE GRÜNEN) Runde nicht nachlassen. Eben für diese Vorhaben bitte ich
Gestatten Sie mir eine persönliche Bemerkung: Das ist um Ihre Unterstützung.
das, was einen Quereinsteiger in der Politik mitunter stört, Herzlichen Dank.
nämlich die unsägliche Primitivität.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)
DIE GRÜNEN)
Auslöser ist die Verdopplung der Rohölpreise in den Vizepräsidentin Petra Bläss: Das Wort für die Frak-
vergangenen Monaten bzw. die Verdreifachung der Rohöl- tion der CDU/CSU hat der Kollege Gunnar Uldall.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. September 2000 11321

(A) Gunnar Uldall (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine könnte. Solange ein Bundeskanzler seine eigene Währung (C)
Damen und Herren! Herr Minister Müller, es ist völlig le- herunterredet, können die Finanzminister nicht gegen
gitim, dass ein Wirtschaftsminister seine eigene Politik diese Marktschwäche anarbeiten.
gut findet und hier voller Lob vorträgt.
Die Schuld trifft den Bundeskanzler.
(Zuruf von der SPD: Sie ist aber auch gut!)
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
Aber es kommt nicht darauf an, ob ein Wirtschaftsminis-
ter seine eigene Politik gut findet. Die Entscheidung, ob Wenn Sie jetzt sagen, das sei alles nicht so schlimm,
die Politik gut ist oder nicht, treffen die internationalen dann kann ich nur den angesehenen Kommentator Heinz
Finanzmärkte. Brestel zitieren, –
(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der (Ilse Janz [SPD]: Wer ist das denn?)
SPD: Und die Bürger alle vier Jahre!) – der einen Londoner Devisenhändler gesprochen hat, der
Die Sprache, die an den internationalen Finanzmärkten sagte:
in der letzten Zeit gesprochen wurde, ist eindeutig. Die Ein solcher Sprachfehler
Schwäche des Euro deckt schonungslos auf, dass das ge-
samte wirtschaftspolitische Rahmenwerk bei uns in – damit ist der vermeintliche Versprecher von Gerhard
Euro-Land nicht stimmt. Die stärkste europäische Volks- Schröder gemeint –
wirtschaft ist mit großem Abstand die deutsche Volks-
wird den Euro viel Geld kosten. Die Devisenmärkte
wirtschaft. Deswegen ist die Schwäche des Euros
eine Kritik an der Wirtschaftspolitik, die Sie, Gerhard verstehen keinen Spaß, sie pflegen sehr grausam zu
Schröder und die anderen Minister dieses Kabinetts zu sein.
verantworten haben, Herr Minister. Diese Grausamkeit bekommen heute die deutschen Ver-
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- braucher zu spüren.
neten der F.D.P. – Zuruf von der SPD: Das glau- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
ben Sie doch wohl selber nicht!)
Es ist nicht nur die Ökosteuer, sondern das Zusam-
Herr Minister Müller, Sie sind in erster Linie für die menspiel von Ökosteuer und Euro-Schwäche, das die
Ordnungspolitik verantwortlich. Schwierigkeiten bei der Energieversorgung bei uns in
(Zuruf von der SPD: Wer hat denn das Deutschland hervorgerufen hat.
aufgeschrieben?) (Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk [SPD]:
(B) Erst in zweiter Linie sind Sie für die Eröffnung von Mes- Die OPEC haben Sie vergessen!) (D)
sen verantwortlich. Deswegen müssen Sie sich durchset- Ich habe es einmal ausgerechnet: Eine Tankfüllung Euro-
zen gegen einen Bundeskanzler, der rein punktuell ver-
Super kostete für ein normales Auto im Oktober 1998, als
sucht, wirtschaftspolitischen Einfluss zu nehmen. Sie sind
wir noch die Regierung hatten, 79,00 DM. Sie kostete im
dafür verantwortlich, dass insgesamt ein Rahmen ent-
steht, in dem die Betriebe, die Unternehmen, die Arbeit- August 2000 – die jüngste Preissteigerung habe ich noch
nehmer, die Verbände und die Verbraucher langfristig und nicht einmal mit eingerechnet – 100,55 DM. Das sind
kalkulierbar ihre Entscheidungen treffen können und 21,55 DM mehr.
nicht durch augenblickliche Überlegungen ein anderes (Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk [SPD]:
Rahmenwerk vorfinden. Was für ein Auto fahren Sie denn?)
So hat der Bundeskanzler die Schwäche des Euros Nun können wir uns gerne darüber streiten, ob man zwei-
als begrüßenswert bezeichnet. Die Finanzwelt war er- mal, dreimal oder viermal im Monat tankt. Aber es kommt
schrocken. eine Summe von knapp 1 000 DM zusammen. Das muss
(Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- der Verbraucher bezahlen. Die Entlastung durch Ihre
NEN]: Ökosteuer und Euro, sonst fällt Ihnen Steuerreform gleicht das nicht aus. Da können Sie viele
nichts ein!) Steuerreformen machen. Wir müssen hier bezahlen.
Zunächst hat man sich noch damit getröstet, indem man (Beifall bei der CDU/CSU)
gesagt hat: Er wird das so nicht gemeint haben, er hat sich Das betrifft nicht nur den privaten Haushalt, sondern
vielleicht versprochen. Dann wurde plötzlich irgendeine auch den Handwerksmeister. Ich habe gestern mit einem
schuldige junge Dame aus irgendeinem Ministerium ge- Schlachtermeister gesprochen. Der Schlachtermeister lie-
funden – so schrieb eine Zeitung –, die das Ganze eigent- fert sein Fleisch mit einem Pkw oder mit einem Lkw aus.
lich zu verantworten habe. Nein, meine Damen und Her- Er kann nicht den grünen Ratschlägen folgen und auf die
ren, gestern hat der Bundeskanzler hier diese Aussage U-Bahn oder den Bus umsteigen und sein Fleisch mit der
wiederholt, – Straßenbahn transportieren. Ihre Forderungen sind völlig
(Zurufe von der CDU/CSU: Er ist wirklichkeitsfremd.
unbelehrbar!)
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Zu-
– und zwar zur gleichen Zeit, zu der im Finanzministe- ruf von der SPD: Ich habe mit einem Bäcker-
rium und in den anderen europäischen Staaten darüber meister gesprochen! Das können wir mal ab-
nachgedacht wird, wie man den Euro wieder stützen gleichen!)
11322 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. September 2000

Gunnar Uldall

(A) Das Beste haben wir heute gelesen. Als Antwort auf die Natürlich kann der Arbeitsmarkt kein völlig freier (C)
Frage, wie ein Haushalt mit den gestiegenen Heizölkos- Markt sein, er muss auf die beteiligten Menschen Rück-
ten fertig werden könne, haben die Grünen sich etwas sicht nehmen. Heute funktioniert dieser Markt aber
Tolles ausgedacht. Ich habe auch das ausgerechnet: Eine nicht und schadet so den Menschen, die Arbeit suchen.
Heizöltankfüllung kostete im Oktober 1998 noch 1 640 DM. Millionen von Menschen suchen Arbeitsplätze, gleichzei-
Der gleiche Tank muss heute für 2 988 DM gefüllt wer- tig werden Millionen von Arbeitsplätzen angeboten.
den. Das ist ein Plus von 1 348 DM. (Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk [SPD]:
Millionen?)
(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Hört! Hört! –
Hubertus Heil [SPD]: Was hat das mit der Bun- Wenn man diese nicht zusammenführen kann, ist das ein
desregierung zu tun?) Zeichen dafür, dass es in Deutschland keinen Arbeits-
markt gibt.
Das probate Mittel, das die Grünen jetzt anzumelden ha-
ben, bezeichnet die „Bild“-Zeitung – (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU –
Dr. Norbert Wieczorek [SPD]: Der Realitäts-
(Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- verlust ist horrende!)
NEN]: Die „Bild“-Zeitung!) Das zeigen auch die geleisteten Überstunden. In die-
– heute als „rotzfrech“. Sie fordern in Schleswig- sem Jahr werden in Deutschland 2 Milliarden Überstun-
Holstein,– den geleistet werden, mit steigender Tendenz. Die IG Me-
tall nimmt das zum Anlass, über die Unternehmer
(Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- herzuziehen und diese zu beschimpfen. Viel klüger wäre
NEN]: „Die Grünen“! Haha!) es doch, einmal die Frage zu stellen: Warum ordnet ein
Unternehmer die teure Überstunde an anstatt einen kos-
– dass die Leute in Zukunft weniger Urlaub machen sol- tengünstigeren zusätzlichen Mitarbeiter oder eine Mitar-
len. Das ist die Folge einer falschen rot-grünen Energie- beiterin einzustellen? Wenn Sie einmal mit einem Unter-
politik. nehmer sprechen, wird er Ihnen sagen: Wir befürchten,
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – dass wir uns bei einem Auftragsmangel von neuen Mitar-
Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Da kann der Herr beitern nicht wieder werden trennen können; wir befürch-
ten langwierige Arbeitsgerichtsprozesse; wir befürchten
Schlauch seinen Porsche in der Garage stehen überhöhte Abfindungszahlungen. Deswegen entscheidet
lassen!) sich dann der Unternehmer gegen Neueinstellungen und
Meine Damen und Herren, die Aussage von Schröder, für die Ableistung von Überstunden.
ein schwacher Euro sei wünschenswert, weil er durch (Zuruf von der SPD: Das läuft doch schon seit
(B) niedrige Verkaufspreise die Exporte fördere, ist wirklich zehn Jahren so! Das ist doch nicht vorüber- (D)
nur auf den allerersten Blick richtig. Natürlich kann jeder gehend!)
Kaufmann mehr verkaufen, wenn er seine Preise senkt. Deswegen, Herr Minister Müller, muss die Wirt-
Aber nennen Sie mir irgendeinen Einzelhändler, der durch schaftspolitik hier eingreifen. Sie müssen dafür sorgen,
ein dauerhaftes Absenken seiner Preise seinen schlecht dass diese heute schon sehr eng gezogenen Regelungen
gehenden Laden saniert hätte! Sie sind auf die Dauer nicht noch weiter verschärft werden. Zum Ende dieses
pleite gegangen. Das müssen wir in Deutschland verhin- Jahres plant die Koalition, die Regelung über befristete
dern. Arbeitsverträge weiter einzuengen. Sie müssen sich ge-
gen den Arbeitsminister stemmen und müssen sagen: Aus
(Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk [SPD]: War das arbeitsmarktpolitischer Sicht dürfen wir das nicht durch-
jetzt Ihr Ratschlag an die OPEC?) setzen.
Deswegen ist die Politik von Gerhard Schröder, den Euro Sie planen ein weiteres Folterinstrument gegen den
herabzureden, ein Weg in die falsche Richtung. Mittelstand, nämlich den Rechtsanspruch auf Teilzeit-
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) arbeit.
(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Eine Gängelung
Zusammengefasst können wir sagen: Schwache Wech-
nach der anderen!)
selkurse sind Ergebnis einer schwachen Wirtschaftspoli-
tik. Deswegen muss die Wirtschaftspolitik geändert und Ein solcher Anspruch ist völlig wirklichkeitsfremd. Wenn
nicht der Wechselkurs herabgeredet werden. Sie, Herr Sie das gesetzlich festschreiben, werden Sie nicht mehr
Minister, sind für die Ordnungspolitik in Deutschland Arbeitsplätze, sondern weniger Arbeitsplätze bekommen.
verantwortlich. Sie stehen in unmittelbarer Verantwor- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
tung für diese Fehlentwicklungen.
Deswegen, Herr Minister, müssen Sie das verhindern.
(Dr. Werner Müller, Bundesminister: Na klar!) Sie müssen dafür sorgen, dass durch die Wiederein-
führung einer sinnvollen 630-DM-Regelung den Be-
Was muss bei uns in der Wirtschaftspolitik alles geän- trieben endlich wieder eine Möglichkeit gegeben wird,
dert werden? Die wichtigste Reform muss am Arbeits- einen Spitzenbedarf aufzufangen.
markt erfolgen. Wir müssen in Deutschland überhaupt
erst einmal zu einem Arbeitsmarkt kommen. Zu viele Re- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
glementierungen und Staatseingriffe setzen die Marktme- Sie müssen erreichen, dass junge Selbstständige nicht als
chanismen außer Kraft. Scheinselbstständige diskriminiert und gesetzlich behin-
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. September 2000 11323
Gunnar Uldall

(A) dert werden. Sie müssen dafür sorgen, dass der Geltungs- Deswegen gibt es mit uns auch keinen Bruch des Kom- (C)
bereich des Kündigungsschutzgesetzes nicht schon bei 5, promisses über die Kohlesubventionen aus dem Jahre 1997.
sondern erst bei 20 Arbeitnehmern greift. Sie sollten schon heute sagen, wie es nach 2005 weiterge-
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – hen soll. Man muss den Bergleuten, den Kommunalpoli-
Zuruf von der SPD: Aber es hat überhaupt tikern und den Unternehmern im Ruhrgebiet die Wahrheit
nichts genutzt, was Sie damals gemacht haben! sagen, damit sie die Weichen langfristig stellen können.
Es hat doch gar nichts gebracht!) Nachdem ich jetzt sehr viel Kritikwürdiges an Ihrer
Das sind die arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen, durch Ordnungspolitik festgestellt habe, werden Sie mir sicher-
die wir dann zu einer Belebung auf dem Arbeitsmarkt lich entgegnen: Wir haben doch gerade im Zuge der Ord-
kommen werden. nungspolitik eine großartige Steuerreform gemacht.
In den Wirtschaftsmagazinen kann man lesen: Der (Beifall des Abg. Hubertus Heil [SPD])
Minister Müller ist nett und sympathisch. Ich schließe Nein, das stimmt überhaupt nicht. Ihre Steuerreform
mich dem ausdrücklich an. Aber ich kenne viele, die nett leistet keinen Beitrag zu einer guten Ordnungspolitik.
und sympathisch sind.
(Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
(Rolf Kutzmutz [PDS]: Zählen Sie mal NEN]: Was für Zeitungen lesen Sie?)
zwei auf!)
Sie haben zwar die Tarife gesenkt; aber Sie haben keine
Das alleine reicht nicht. Sie müssen die harte Ausei- Steuerreform gemacht.
nandersetzung mit Kanzler und Sozialminister über die
Reform des Arbeitsmarktes aufnehmen. Das ist Ihre Auf- (Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
gabe als zuständiger Minister für Ordnungspolitik. Sie NEN]: Nicht?)
dürfen die Verantwortung nicht wegschieben! Sie müssen Das Steuersystem in Deutschland bleibt nämlich genauso
dafür streiten, Herr Minister, Sie müssen die Richtung kompliziert wie bisher oder wird sogar noch komplizier-
weisen!
ter. Trotzdem behauptet der Finanzminister im Bundes-
Es sind noch andere Fehler im ordnungspolitischen tag, das deutsche Steuerrecht sei gar nicht so kompliziert;
Rahmenwerk in Deutschland festzustellen, die aufmerk- es sei eigentlich einfach. So werden die Dinge verdreht.
sam beobachtet werden und die natürlich ebenfalls eine Tatsächlich ist das deutsche Steuerrecht mit eines der
der Ursachen für die schwache Einschätzung des Euro kompliziertesten Steuerrechte der Welt.
sind. Sie sprachen eben im Zusammenhang mit Ihrer
Energiepolitik über die Kernenergie. Auch die Tatsache, (Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Das ist ein alter, ausgelutschter
(B) dass sich eine Industrienation aus einer Spitzentechnolo- (D)
gie verabschiedet, – Kalauer!)

(Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Wir haben festgestellt: 70 Prozent der Weltliteratur über
NEN]: Atomenergie ist Spitzentechnologie? Da Steuerrecht erscheint in deutscher Sprache. Das mag zwar
sind Sie nicht auf der Höhe der Zeit!) ausgelutscht sein, lieber Herr Schlauch. Aber Sie sind mit
dafür verantwortlich, dass diese Steuerreform nicht ge-
– und zwar nicht deshalb, weil es sozusagen der Markt ge- nutzt wurde, um unser Steuerrecht entsprechend zu ver-
fordert hätte, sondern weil Parteitagsbeschlüsse umge- einfachen.
setzt werden sollen, ist etwas, was in der Welt nur mit ei-
nem Kopfschütteln beobachtet wird. Da kann ich nur (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. –
sagen: Dieses wird von keinem Menschen in der Welt Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
verstanden. NEN]: Für die Bände, die ihr produziert habt,
war ich nicht verantwortlich!)
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
Es gibt noch einen weiteren Hauptfehler. Sie besteuern
In diesen Zusammenhang gehören auch die Subventio- die Personengesellschaften in einer unverantwortlichen
nen, die wir im Energiebereich haben. Ohne dass es rich- Weise höher als die Kapitalgesellschaften.
tig wahrgenommen wird, baut sich eine neue Subven-
tionsgröße auf. (Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Wo leben Sie denn? – Zuruf von der
(Dagmar Wöhrl [CDU/CSU]: Bei der SPD: Das glaubt doch keiner mehr! Das ist doch
Steinkohle!) alles widerlegt!)
Wir werden in wenigen Jahren für die erneuerbaren Ener- Wenn Sie uns nicht glauben wollen, dann lesen Sie doch
gien mehr Subventionen aufwenden als für die Kohle. Da bitte den letzten Bericht der Deutschen Bundesbank.
kann ich nur sagen: Versuchen Sie mal, das später wieder
wegzubekommen. Deswegen muss heute gehandelt (Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
werden. NEN]: Wie war das denn mit Ihren Kollegen
aus Bremen, Brandenburg und Berlin?)
Es dürfen nur Einführungssubventionen, aber keine
Dauersubventionen gezahlt werden. Das ist der richtige Danach muss eine GmbH für 100 000 DM einbehaltenen
Gewinn in der Spitze 38 000 DM Steuern zahlen. Der
Weg.
Wettbewerber dieser GmbH, der sich in Form einer OHG
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) organisiert hat, muss für den gleichen Gewinn 51 000 DM
11324 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. September 2000

Gunnar Uldall

(A) Steuern zahlen. Kann mir irgendjemand diese Un- Aber vielleicht lesen Sie einmal die Wirtschaftspresse und (C)
gleichgewichtigkeit erklären? Wahrscheinlich kann das ziehen dann einen Schlussstrich. Wir haben jedenfalls
niemand; denn dafür gibt es keine Erklärung. Deswegen eine gute Unternehmensteuerreform auf den Weg ge-
kann ich nur sagen: Selbst wenn durch das In-Kraft-Tre- bracht.
ten der nächsten Reformstufe 2005 eine kleine Milderung
eintritt – weit ist sie entfernt –, wird diese Reform nach ei- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
ner kurzen Ernüchterungsphase eindeutig auf Kritik in und bei der SPD)
den Betrieben stoßen. Noch eine Bemerkung vorweg. Herr Kollege Uldall, zu
Heute konnte man lesen, dass die Betriebe durch die Ihrem Ausflug in die Weltwirtschaft: Sie reden ja gerne
Änderung der Abschreibungsbedingungen nicht mit – das haben wir auch heute wieder gemerkt – über Öster-
3,5 Milliarden DM, sondern mit 14 Milliarden DM zu- reich, die Ökosteuer und die Euro-Schwäche. Das sind die
sätzlich belastet werden. Dazu kann ich nur sagen: Diese drei Punkte, die in allen Reden der letzten Tage immer
Reform führt gerade in die falsche Richtung. Es hätte ein wieder hervorgehoben wurden.
einfacheres Steuerrecht mit einer besseren Entlastungs- Ich möchte Ihnen etwas zum Euro sagen. Lieber Herr
wirkung und einer besseren Struktur geschaffen werden Kollege, vielleicht ist Ihnen entgangen, dass der Dollar-
müssen. kurs im Jahr 1985 im Jahresschnitt bei 3,47 DM lag. Um-
(Beifall bei der CDU/CSU) gerechnet in Euro bedeutet dies einen Euro-Kurs von
0,56 Dollar. Niemand wäre bei diesem Höhenflug des
Dollar damals auf die Idee gekommen zu sagen, dass die
Vizepräsidentin Petra Bläss: Herr Kollege Uldall, D-Mark schwächelt.
Sie müssen bitte zum Schluss kommen.
(Zuruf des Abg. Karl-Heinz Scherhag
[CDU/CSU])
Gunnar Uldall (CDU/CSU): Seien Sie sich über den
Konjunkturverlauf in den nächsten Monaten nicht zu – Herr Scherhag, davon verstehen Sie nichts.
sicher!
Wenn Sie sagen, der Bundeskanzler redet den Euro
(Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- runter, so stimmt das nicht. Sie wissen selber, Herr Kol-
NEN]: Jetzt kommt der Schwarzseher!) lege Uldall – ich schätze Sie sehr –, dass die Unterbewer-
Die Schwäche des Euro ist eine erste Warnung. Verschie- tung des Euro wirtschaftspolitisch kein Problem ist. Sie
dene Frühindikatoren sind von einer Aufwärtsbewegung wissen auch, dass sich alle EU-Finanzminister für einen
in eine Abwärtsbewegung übergegangen. Schließlich stärkeren Euro ausgesprochen haben und dass die Chef-
mehren sich die Stimmen der Fachleute, die die Bundes- Volkswirte der großen deutschen Banken gesagt haben,
(B) regierung warnen. Jüngst sprach der Chefvolkswirt von dass sich der Kurs des Euro in den nächsten sechs Mona- (D)
Morgan Stanley, Joachim Fels, davon, dass die Konjunk- ten erholen wird. Man geht davon aus, dass er einen Kurs
tur ihren Höhepunkt bereits überschritten habe. Wir hof- von 1,05 Dollar haben wird.
fen das nicht, Herr Minister. Wir werden dazu beitragen, (Beifall bei Abgeordneten der SPD)
dass die deutsche Politik gute Rahmenbedingungen
schafft. Herr Uldall hat darauf hingewiesen, dass die Entschei-
dung, ob die Wirtschaftspolitik gut ist, nicht vom Wirt-
schaftsminister getroffen wird, sondern von der Bevölke-
Vizepräsidentin Petra Bläss: Herr Kollege Uldall, rung. In den letzten Tagen ist schon oft aus Gutachten von
Sie haben Ihre Redezeit weit überschritten. Forschungsinstituten zu Wachstumsprognosen und zur
Inflationsrate zitiert worden. Ich möchte heute aus einer
Gunnar Uldall (CDU/CSU): Aber Sie tragen die Ver- Bevölkerungsbefragung zitieren, die die Wirtschaftsju-
antwortung. Sie müssen sich in der Bundesregierung für nioren in Deutschland bis Ende August durchgeführt und
eine gute Ordnungspolitik stark machen. dokumentiert haben. Sie schreiben:
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Noch nie ... blickte die Bevölkerung so zuversicht-
Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Fangt mal lich in die Zukunft wie in diesem Jahr.
endlich an damit!)
(Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Das hat der Herr Uldall nicht mitbe-
Vizepräsidentin Petra Bläss: Die nächste Rednerin kommen!)
in der Debatte ist die Kollegin Margareta Wolf für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. – Das wurde auch seinem Büro zugesandt; es war gestern
in der Post.
Margareta Wolf (Frankfurt) (BÜNDNIS 90/DIE Den Tiefpunkt haben die Wirtschaftsjunioren im Jahr
GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kol- 1997 ausgemacht. Damals waren nur 18,1 Prozent der
leginnen und Kollegen! Herr Kollege Uldall, es tut mir für Deutschen optimistisch. Heute erwarten rund 50 Prozent
Sie Leid, dass Sie sich mit Ihren durchaus bemerkens- der Deutschen einen Konjunkturaufschwung und gerade
werten Vorstellungen über eine Steuerreform in Ihrer mal 12,8 Prozent einen Konjunkturrückgang. Auch in
Fraktion nicht durchsetzen konnten. Bezug auf die Entwicklung der persönlichen finanziellen
(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Das ist wohl Verhältnisse überwiegen, so schreiben die Wirtschafts-
wahr! Auch wir sind nicht frei von Tadel!) junioren, erstmals die Optimisten. Damit liegen, so
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. September 2000 11325
Margareta Wolf (Frankfurt)

(A) schreiben sie, erstmals beide Stimmungsbarometer im Kaum ein Bundesbürger hat den Begriff noch nicht ge- (C)
Plus. Dies spricht – das wissen wir alle – für ein verbes- hört. Das wissen Sie ganz genau.
sertes Konsumklima und damit für einen weiter anhalten-
(Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.]: Dürfen wir
den Konjunkturaufschwung. eigentlich Cola trinken?)
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Sie dürfen Cola trinken. Auch ich trinke Cola.
und bei der SPD)
(Rainer Brüderle [F.D.P.]: Auch aus
Besonders optimistisch – das möchte ich auch vor dem Flaschen?)
Hintergrund Ihrer arbeitsmarktpolitischen Bewertung
hervorheben, Herr Uldall –, weil es einmalig ist, blicken – Klar. Was denken Sie denn?
die Selbstständigen, die Auszubildenden und die Arbeits- (Dr. Wolfgang Gerhardt [F.D.P.]: Das war der
losen in die Zukunft. Das haben sie seit Jahren nicht mehr Werbeblock!)
getan. Das spricht für die Wirtschaftspolitik dieser Bun-
desregierung. – Das war der Werbeblock.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 15 Prozent der Deutschen kommunizieren inzwischen
und bei der SPD) über das Internet. Wir alle wissen, dass sich noch nie eine
Technologie derart schnell in der Welt verbreitet und da-
Die Menschen gehen nämlich von einem erheblichen rüber hinaus unser Leben so sehr verändert hat.
Konjunkturaufschwung aus und von einer signifikanten
(Anhaltende Heiterkeit bei der F.D.P.)
Belebung auf dem Arbeitsmarkt.
– Wenn Sie das so komisch finden, dann haben Sie die we-
Noch etwas, Herr Kollege: In dieser wunderbaren Stu-
sentlichen Dinge des Lebens nicht begriffen, wie man an
die steht auch, dass die Menschen in Hamburg und in
Ihren wunderbaren möllemannschen Werbekampagnen,
Rheinland-Pfalz die optimistischsten Menschen in diesem
die Sie immer wieder gerne auflegen, tatsächlich sehen
Land seien.
kann.
(Rezzo Schlauch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Auch die Produktionsprozesse werden in den Netz-
NEN): Herr Uldall, woher kommen Sie denn?) werkökonomien neu strukturiert. Der effiziente Einsatz
Um den Anschluss an die Bevölkerung wirklich zu halten, von Informations- und Kommunikationstechnologie ist
kann ich Herrn Brüderle und auch Ihnen mit auf den Weg heute Voraussetzung für die Wettbewerbsfähigkeit der
geben, dass Sie sich dem Optimismus gegenüber unserer Wirtschaft. Die Informationstechnologie ist zum Wachs-
(B) Wirtschafts- und Finanzpolitik anschließen sollten. tumsmotor Nummer eins geworden. Wir gehen davon (D)
aus, dass eine Erhöhung der Realeinkommen die Folge
(Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- dieser Entwicklung sein wird.
NEN]: In Hamburg liegt es an der Alster, in
Rheinland-Pfalz am Wein!) Wir wissen auch: Neue Arbeitsplätze entstehen bei den
Diensten im Internet, bei Softwareentwicklern und bei
Miesepetrigkeit – das wissen Sie so gut wie ich – ist über- IT-Beratern, bei Webdesignern und bei Dienstleistern.
haupt nicht gut. Bleiben Sie optimistisch! Sie werden Wir begrüßen die steigende Zahl von Unternehmens-
dafür belohnt. gründerinnen und -gründern. Sie entwickeln neue Pro-
(Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.]: Das war dukte und sie schaffen neue Arbeitsplätze. Man kann
aber jetzt lieb!) ohne Übertreibung sogar sagen, dass sich mit diesem
dot.com-Gründerboom tatsächlich eine neue Unterneh-
Meine Kolleginnen und Kollegen, ein zentraler menskultur in unserem Land entwickelt, die auf flache
Schwerpunkt des hier zur Debatte stehenden Einzelpla- Hierarchien und auf Mitarbeiterbeteiligung setzt. Man
nes 09 besteht in dem Komplex neue Technologien. Die setzt auf eine Unternehmenskultur, die in Teilen an die
Bundesregierung, federführend das Bundeswirtschafts- Debatte um den Kommunitarismus in den USA erinnert.
ministerium, hat das Aktionsprogramm „Innovation
Lassen Sie mich an dieser Stelle noch etwas sagen: Ich
und Arbeitsplätze in der Informationsgesellschaft des
halte die Kinokampagne des DGB – Herr Brüderle, das
21. Jahrhunderts“ vorgelegt. Die Umsetzung des Pro- wird Sie vielleicht interessieren –,
gramms finden wir in der Titelgruppe 09 des Einzelpla-
nes, die einen erfreulichen Aufwuchs zu verzeichnen hat. (Rainer Brüderle [F.D.P.]: Alles, was Sie
Binnen zwei Jahren ist das Internet so bekannt geworden sagen!)
wie Coca-Cola in Deutschland. Das ist ein Erfolg unserer – die die gesamte IT-Branche als vorindustrielle
Politik. Das ist ein Erfolg dieses Einzelplans. Hire-and-fire-Betriebe klassifiziert, nicht nur für kalt und
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hartherzig, sondern ich glaube auch, dass diese Kampa-
und bei der SPD – Zuruf des Abg. Dr. Guido gne an der Realität vorbeigeht und unser Land spaltet. Je-
Westerwelle [F.D.P.]) der, der Einfluss auf den DGB hat, sollte das zum Aus-
druck bringen. Vielleicht waren Sie noch nicht im Kino.
– Sie sind lange nicht so bekannt wie Coca-Cola, Herr Ich rate Ihnen dringend: Schauen Sie sich das an! Diese
Westerwelle. Hier haben Sie noch einiges nachzuholen. Kampagne ist kein Beitrag zur Verständigung zwischen
11326 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. September 2000

Margareta Wolf (Frankfurt)

(A) „old economy“ und „new economy“. Sie ist leider ein Bei- gibt. Ich finde besonders die sehr schnelle Einrichtung (C)
trag, der unsere soziale und ökologische Marktwirtschaft von Existenzgründerlehrstühlen bemerkenswert. Wir ha-
schwächt und nicht stärkt. ben inzwischen elf davon. Ich glaube, dass sich damit die
neue Unternehmenskultur tatsächlich auch in die Unis
Wir unterstützen und begrüßen die deutlichen Auf-
hereintransportieren lässt.
wüchse im Bereich FuE und Innovation im Mittelstand in
diesem Einzelplan. Wir haben deutliche Aufwüchse Man kann nicht über diesen Haushalt und über Mittel-
in den Titelgruppen „Beteiligungskapital für Technolo- standspolitik reden und gleichzeitig das Handwerk uner-
gieunternehmen“, „Multimediaunternehmen“ und „For- wähnt lassen. Meine sehr geehrten Damen und Herren,
schungskooperationen“. Innovationskompetenz wird durch zumindest diejenigen von Ihnen, die sich mit dem Einzel-
Mittelaufwüchse bei FUTOUR deutlich gestärkt. Darauf plan beschäftigt haben, werden wissen, dass rund 80 Pro-
ist hingewiesen worden. zent aller Mittel des Bundes für den Mittelstand dem
Handwerk zufließen. Ich begrüße ganz besonders, dass
Die Titelgruppe „Innovative Netzwerke“ sowie der Ti-
das Handwerk bereit ist, den Technologietransfer und
tel „IT-Anwendung und -Sicherheit“ bilden einen
die Innovationsfähigkeit der Betriebe zu fördern. Der
Schwerpunkt in diesem Haushaltsplan. Wir unterstützen
Schwerpunkt der Mittel, die jetzt in diesem Einzelplan
die so dokumentierte Intention des Bundeswirtschaftsmi-
dem Handwerk zufließen, liegt genau auf diesen beiden
nisters, den Mittelstand für die Zukunft und für den Struk-
Punkten. Umso mehr freue ich mich, dass der ZDH jetzt
turwandel fit zu machen. Wir müssen den Optimismus des
auch unter www.handwerk.de im Netz ist. Wir unterstüt-
Mittelstands und den der freien Berufe als Rückenwind
zen die Aktivitäten, wobei das Niveau in der mittelfristi-
für unsere Politik begreifen.
gen Finanzplanung von 23 Millionen DM bis auf 30 Mil-
Lassen Sie mich an dieser Stelle etwas zu den freien lionen DM im Jahre 2003 steigt.
Berufen und zu der Rolle sagen, die das EU-Kommissa-
Noch eine Bemerkung zum Handwerk: Ich freue mich,
riat für Wettbewerb bei der Gestaltung deutscher Politik
dass wir uns in einem sehr konstruktiven und freundlichen
zunehmend spielt. Ich halte es für eine denkwürdige
Diskurs mit dem Handwerk über notwendige Flexibilisie-
Angelegenheit, wenn Herr Monti – so vorgestern im Wirt-
rungsmaßnahmen befinden. Das Handwerk selber hat
schaftsteil der „FAZ“ dokumentiert – die Preisabsprachen
sehr diskussionswürdige Vorschläge gemacht, –
der freien Berufe als kriminell bezeichnet. Wir legen die
Gebührenordnungen für die freien Berufe fest. Ich bin (Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Die sind gut und
der Meinung, dass der EU-Kommissar darauf achten plausibel!)
sollte, dass er nicht durch Rundumschläge – es ist nicht
– wie wir gemeinsam auf das Urteil des Bundesverfas-
der erste dieser Art – den europäischen Gedanken be-
(B) schädigt und vielleicht sogar den Status seines Kommis- sungsgerichts reagieren, unterhalb einer HWO-Novelle (D)
Ausnahmetatbestände realisieren und somit die Existenz-
sariats schwächt. Ich fände das wettbewerbspolitisch
gründung im Handwerk erleichtern können.
problematisch.
(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Der Philipp ist
(Beifall bei Abgeordneten des BÜND-
ein guter Mann!)
NISSES 90/DIE GRÜNEN)
Lassen Sie mich aber auch noch auf einen anderen
Wir wissen, die Zukunft des Mittelstandes hängt ganz
Punkt eingehen. Mit der Erhöhung des Ansatzes – hier
entscheidend davon ab, ob und inwieweit es den Unter-
hat fast eine Verdreifachung stattgefunden – beim
nehmen gelingt, die Potenziale der modernen Kommuni-
100 000-Dächer-Programm wird einer entscheidenden
kationstechnologie auszuschöpfen und neue Technolo-
Anreizfunktion Rechnung getragen, die zum Ziel hat,
gien schnell umzusetzen. Von daher begrüßen wir, dass
die Photovoltaik marktwirtschaftlich auszugestalten.
das Bundeswirtschaftsministerium in einem Kraftakt
Deutschland ist hier auf dem Weg, in einer Zukunftstech-
der Bürokratieabbau fördert. Wir begrüßen, dass das
nologie die deutliche Marktführerschaft zu erlangen. Sie
Bundeswirtschaftsministerium mit dem großen Multi-
werden sich erinnern, dass die Anbieter vor zwei Jahren
mediaprojekt „Mediakomm“ die Nutzung neuer Kom-
noch ins Ausland gegangen sind. Heute kommen sie
munikationsmittel in den Kommunen fördert. Durch das
zurück, wie Shell in Gelsenkirchen. Ich glaube, das
digitale Rathaus und den digitalen Marktplatz werden alle
100 000-Dächer-Programm gehört zu einer der größten
Transaktionsprozesse, also Meldewesen, Bauanträge, öf-
ökologischen und ökonomischen Erfolgsstorys dieser
fentliche Ausschreibungen und Wirtschaftsförderung, er-
Bundesregierung, auf die wir, meine sehr geehrten Kolle-
heblich beschleunigt. Ich freue mich, dass ab Sommer
ginnen und Kollegen, stolz sein können.
2000, also ab jetzt, Unternehmen in unserem Land das In-
ternet im Rahmen der Auskunftspflichten gegenüber dem (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Statistischen Bundesamt nutzen können. Damit reagieren und bei der SPD)
wir auf die Klage des Mittelstandes, dass die Kosten für
Eine zukunftsfähige Energieversorgung hängt aber
statistische Erhebungen für ihn zu hoch seien, und bieten
vor allem davon ab, dass frühzeitig neue Technikoptionen
eine adäquate Lösung.
zur Verfügung stehen; ich verweise da auf die Debatte um
Gleichzeitig begrüßen wir ausdrücklich, dass sich die die Brennstoffzelle. So freue ich mich, dass das Energie-
Kultur der Selbstständigkeit in Deutschland verbessert forschungsprogramm mit einem fortgeschriebenen Haus-
hat. Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass es eine haltsvolumen von 230 Millionen DM dazu beiträgt, die
enge Zusammenarbeit mit der Deutschen Ausgleichsbank Emissionen klimaschädlicher Gase zu senken, die Ent-
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. September 2000 11327
Margareta Wolf (Frankfurt)

(A) wicklung von Hochtechnologie in Deutschland voranzu- (V o r s i t z: Vizepräsident Rudolf Seiters) (C)
bringen und die Exportchancen deutscher Unternehmen
Jetzt hat die EU bei den Steinkohlebeihilfen die Fleiß-
auf einem von starker Konkurrenz geprägten Weltmarkt
arbeit für Sie übernommen. Doch Ihnen fällt nichts Bes-
für Energietechniken zu verbessern und Arbeitsplätze in
seres ein, als zusammen mit dem nordrhein-westfälischen
dieser Zukunftsbranche zu schaffen.
Ministerpräsidenten Clement einen nationalen Energie-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sockel zu fordern. Ist Ihnen eigentlich bewusst, welch un-
und bei der SPD) sinniges Vorhaben das ist? Sie stellen damit den europä-
Ein weiteres Ziel dieses Einzelplans und unserer ge- ischen Binnenmarkt infrage; denn jetzt kann jedes Land
meinsamen Politik ist es, die Energieeffizienz zu er- nach Belieben einen Olivenöl-Sockel, einen nationalen
höhen. Es ist ein Ziel unserer Politik, erneuerbare Ener- Auto-Sockel, einen Camembert-Sockel fordern.
gien zu stärken und den Anteil der Erneuerbaren an der (Zuruf von der F.D.P.: Einen Wein-Sockel!)
Primärenergieversorgung zu verdoppeln.
Die Waren- und Dienstleistungsfreiheit in der EU ist
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, abschließend Ihnen offensichtlich völlig schnuppe.
lassen Sie mich sagen: Wir wollen, dass Deutschland im
Bereich der innovativen, zukunftsfähigen Technologien (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten
stark und wettbewerbsfähig wird. Mit dem vorliegenden der CDU/CSU)
Ansatz in diesem Haushalt setzen wir dafür hervorra- Wenn Sie tatsächlich einmal europarechtliche Pro-
gende Rahmenbedingungen. Es ist ein moderner Haus- bleme artikulieren, dann knicken Sie vor den Grünen ein,
halt, ein zukunftsfähiger Haushalt und ein Reform- etwa bei der Subventionierung erneuerbarer Energien
haushalt. oder bei der Kraft-Wärme-Kopplung. Wahrscheinlich
Ich danke Ihnen. kommt daher Ihre Sehnsucht nach einem grünen Staats-
sekretär. Ihr Stromeinspeisungsgesetz wird den Weg vor
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN den Europäischen Gerichtshof nehmen. Ihre geplante
und bei der SPD) Nachfolgeregelung zum Kraft-Wärme-Kopplung-Vor-
schaltgesetz wird dazu führen, dass 40 Prozent des deut-
Vizepräsidentin Petra Bläss: Nächster Redner für schen Energiemarktes wieder reguliert sind. Sie drehen
die Fraktion der F.D.P. ist der Kollege Rainer Brüderle. damit die Liberalisierung, die eine deutliche Preissen-
kung von 15, 16 Milliarden DM für alle, für Bürger und
Wirtschaft, gebracht hat, zurück. Sie haben entweder kei-
Rainer Brüderle (F.D.P.): Frau Präsident! Meine Da- nen Mumm, sich gegen die grünen Ideologen zu stellen,
men und Herren! Sehr geehrter Herr Wirtschaftsminister oder Sie stehen auf Kriegsfuß mit dem Wettbewerb. Bei- (D)
(B)
Müller, Ihr Etat ist zu meinem Bedauern ein Manifest der des ist für einen Wirtschaftsminister ein Armutszeugnis.
Rückwärtsgewandtheit und Zukunftsverweigerung.
(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten
(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
der CDU/CSU)
Ihre Politik für die Steinkohle offenbart auch die Wi-
Sie, Herr Müller, verordnen dem Standort Deutschland dersprüchlichkeit der Koalition in Umweltfragen. Letzte
Valium, obwohl er Viagra braucht. Woche verweisen Sie in einem Interview in der „Bild“-
(Lachen bei der SPD – Dr. Sigrid Skarpelis- Zeitung auf die Klimaschutzziele und wollen deshalb die
Sperk [SPD]: Da lacht er aber selber!) Ökosteuer weiter steigern. Dabei weiß jeder, dass auch
die Nutzung der Steinkohle den Treibhauseffekt verstärkt.
Sie halten an längst überkommenen Wirtschaftsstrukturen
fest und behindern den notwendigen Strukturwandel. In Sie zocken lieber kaltschnäuzig die Bürger an der
Ihrem Zahlenwerk finden hingegen New Economy und Zapfsäule ab, um mit dem Geld eine umweltschädliche
Mittelstand so gut wie keinen Platz. Für beide haben Sie Altindustrie am Leben zu erhalten.
nur warme Worte und kaum Geld übrig. Dafür wird die So sieht Ihre Wirtschaftspolitik aus: unausgegoren, in
Uralt-Economy mit viel Geld künstlich am Leben gehal- sich widersprüchlich und nicht mehr vermittelbar.
ten.
(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten
Ihr halber Etat fließt als Beihilfe in den Bergbau. Für der CDU/CSU)
zukunftsgewandte Wirtschaftspolitik spricht das nicht.
Anstatt die berechtigten Sorgen der Menschen über
(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten den dramatisch gestiegenen Sprit- und Heizölpreis ernst
der CDU/CSU – Margareta Wolf [Frankfurt] zu nehmen, ergehen Sie sich in Energiesparappellen. Sie
[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer hat die tun gerade so, als ob die Ökosteuer gottgegeben wäre! Das
denn gemacht?) ist unredlich.
Am Anfang dieser Legislaturperiode haben Sie von der Herr Müller, auch Sie wissen: Die Bundesregierung hat
Wirtschaft noch vollmundig eine Subventionsstreichliste es in der Hand, die drohende Konkurswelle bei mittel-
verlangt. Als die Betroffenen Ihrem Verlangen verständ- ständischen Fuhrunternehmen, den Verlust von Arbeits-
licherweise nicht mit der allergrößten Begeisterung ge- plätzen, die angekündigten Preiserhöhungen im öffentli-
folgt sind, haben Sie die Hände untätig in den Schoß ge- chen Nahverkehr und die enormen Belastungen von
legt. Millionen Pendlern abzuwenden.
11328 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. September 2000

Rainer Brüderle

(A) Es ist doch geradezu absurd: Sie führen die Ökosteuer mit Sie es besser verstehen. Aber dann können Sie gerne (C)
ein, der Kanzler erklärt, man müsse das sozial ausglei- Fragen stellen. Dadurch wird meine Redezeit verlängert.
chen, Bitte fragen Sie öfter.
(Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk [SPD]: Jetzt lacht er Doch anscheinend ist der Bundesregierung alles an-
selber! Er nimmt seine eigene Rede nicht ernst!) dere wichtiger als der Aufbau Ost. Da kann der Bundes-
und Sie nehmen das Steuergeld in die Hand, um die Wir- kanzler noch so oft in die neuen Länder reisen und Hof
kung Ihrer Besteuerung wieder auszugleichen. Das ist halten. Gestern sahen übrigens die Bilder in Schwerin
doch ein Stück aus dem Tollhaus, was Sie hier vorführen! ganz anders aus. Das war eine Riesenbegeisterung – aber
nicht für die Politik von Herrn Schröder.
(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)
Sie, Herr Müller, haben ihm – zumindest verbal – die
Die Grünen haben natürlich gleich einen kompetenten Schleppe getragen. Doch mehr als warme Worte haben
Vorschlag gemacht, wie man das ausgleichen kann. Der Sie für den Osten nicht übrig. Wie wollen Sie eigentlich
Vorsitzende in Schleswig-Holstein fordert, die Deutschen den ostdeutschen Bürgern und Unternehmen erklären,
sollten auf den Urlaub verzichten, um die Ökosteuer zah- dass Sie die Mittel für die Gemeinschaftsaufgabe zur Ver-
len zu können. Das ist blanker Zynismus. besserung der regionalen Wirtschaftsstruktur Ost um
(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten 300 Millionen DM kürzen, aber gleichzeitig nach Brüssel
der CDU/CSU) rennen, um mit 8 Milliarden DM die westdeutsche Stein-
kohle staatlich zu alimentieren? Das versteht niemand.
Lieber sollten die Ökopädagogen von ihrer politischen
Betätigung Urlaub nehmen und die Menschen nicht län- (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten
ger mit dem Unfug belästigen, den sie in die deutsche Po- der CDU/CSU)
litik einführen.
Ebenso wenig versteht jemand Ihr Verhalten im Zu-
(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) sammenhang mit der VEAG. Ein eigenständiges großes
Gerade jetzt aus ideologischen Gründen aus der Kern- Stromunternehmen wollten Sie den Ostdeutschen nicht
energie auszusteigen, da doch die Entwicklung auf dem gönnen, sondern lieber Ihrem ehemaligen Arbeitgeber
Energiemarkt schwer vorhersehbar ist, zeigt nicht von und anderen westdeutschen Stromriesen lästige Konkur-
Weitsicht, sondern eine Konzession der SPD wider besse- renz vom Hals halten. Erst als die Kartellwächter in Bonn
res Wissen – das will ich einigen attestieren – in Richtung und Brüssel auf einem starken neuen Stromkonzern im
des grünen Koalitionspartners. Osten bestanden, haben Sie eingelenkt. Wo bleibt bei die-
ser Wirtschaftspolitik der Weitblick und die Solidarität
(B) Nun erzählt Herr Müller immer: Mit der Ökosteuer mit den neuen Bundesländern? Beides bleibt leider auf (D)
senken wir die Rentenbeiträge. – Ich habe mir einmal die der Strecke.
Zahlen über das, was Sie wirklich machen, genau zusam-
menstellen lassen. Wenn Sie alle Einnahmen aus der Öko- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)
steuer für die Senkung der Rentenbeiträge verwenden Herr Müller, nach Ihrer Negativbilanz kann ich ja
würden, käme man auf 18,3 Prozent. Sie kommen aber nachvollziehen, dass Sie sich das Leben in der Politik ein-
nur um ein Zehntel herunter. Warum? Weil Sie von den facher vorgestellt haben. Offensichtlich sind Sie nach
7 Milliarden DM aus der zweiten Stufe 6 Milliarden DM zwei Jahren so ausgepowert und phantasielos,
für andere Zwecke verwenden und nicht für die Senkung
der Beiträge, wie Sie es vor der Wahl versprochen haben. (Zurufe von der SPD: Oh!)
Das ist der zweite Wahlbetrug, den Sie im Zusammen- dass Sie schon einmal Ihren Nachfolger benennen. Auch
hang mit der Ökosteuer begehen.
lassen Sie sich die – wie versprochen – zurückzuglie-
(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) dernde Grundsatzabteilung ohne großes Aufsehen wieder
aus den Händen reißen. Damit wird das ordnungspoliti-
Sie haben in Ihrem Wirtschaftsbericht großspurig die
Senkung der Lohnnebenkosten auf unter 40 Prozent sche Vakuum der Bundesregierung noch einmal sehr deut-
noch in dieser Legislaturperiode gefordert. Doch auch lich symbolisiert. Aber dass Sie sich nach Ihrem eigenen
nach zweimaliger Erhöhung der Mineralölsteuer sind wir Bekunden über nichts aufregen, kann ich nicht verstehen;
von dieser Marke meilenweit entfernt, weil eben ein denn noch sind Sie nicht im Ruhestand, auch wenn man
Großteil der Einnahmen anders verwendet wird. Der es oft nicht merkt. Vielleicht täte Ihnen ein bisschen Auf-
Steuermark sieht man es nicht an, ob sie für einen Krö- regung ganz gut.
tentunnel in Schleswig-Holstein oder für eine Straßen- (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.)
baumaßnahme in Mecklenburg-Vorpommern verwendet
wird. Mich jedenfalls regt es auf, dass der Euro Gefahr läuft,
zur Weichwährung zu verkommen, weil die Wirtschafts-
politik dieses Landes kein schlüssiges Konzept darstellt
Vizepräsident Rudolf Seiters: Herr Kollege und gleichzeitig leichtfertige Äußerungen des Kanzlers
Brüderle, gestatten Sie eine Zwischenfrage? diese Effekte verstärken.
(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)
Rainer Brüderle (F.D.P.): Ja, aber erst gegen Ende
meiner Rede. Ich will im Zusammenhang vortragen, da- Die importierte Inflation steht vor der Tür.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. September 2000 11329
Rainer Brüderle

(A) Mich regt es auf, dass die Bürger nicht einkaufen kön- Hubertus Heil (SPD): Herr Kollege Brüderle, ich (C)
nen, wann sie es möchten, weil die Bundesregierung beim halte Sie ja für einen vernunftbegabten Menschen, wie im
Ladenschluss weiter auf der Modernisierungsbremse Rahmen der Steuerreform deutlich wurde.
steht. (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. –
(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk [SPD]: Nein, der
der CDU/CSU) nicht!)
Heute hatte ich nicht immer diesen Eindruck.
Mich regt es auch auf, dass sich die Pendler dumm und
dämlich zahlen, weil die Regierung die Ökosteuer erhöht. Nun meine Frage: Sie zielen immer wieder darauf ab,
Das alles lässt Sie offensichtlich kalt. dass die in Deutschland bestehenden hohen Sprit- und
Energiepreise im Wesentlichen die Schuld der Bundesre-
So sieht auch Ihr Budget aus. Ihr Zahlenwerk lässt für gierung seien. Wie erklären Sie sich dann die Entwicklung
2001 weder eine Vision noch politisches Gewicht erken- in anderen europäischen Ländern bzw. in anderen Indus-
nen. Der Standort Deutschland verdient aber mehr als trienationen? Auch Sie schauen bestimmt manchmal
bunte Wirtschaftsberichte und einen phantasielosen Etat. Fernsehen und nehmen wahr, was sich in anderen Län-
dern abspielt. Sind die Grünen und die SPD auch dafür
Wir kommen nur voran, wenn wir die Dinge mit Phan- verantwortlich?
tasie und Mut verändern. Es gibt einen wahrlich großen
Bedarf an Reformen, nicht nur beim Ladenschluss, son-
dern auch auf dem Arbeitsmarkt, nämlich durch Fle- Rainer Brüderle (F.D.P.): Wenn – so wie in Deutsch-
xibilisierung. Alle Wirtschaftsforschungsinstitute, die land beim Benzin – auf ein Produkt Steuern in Höhe von
OECD sowie alle anderen wichtigen Instanzen sagen, 70 Prozent erhoben werden, dann können Sie doch den
Ölmultis – –
dass die Inflexibilität des deutschen Arbeitsmarktes eine
Kernursache dafür ist, dass wir beim Abbau der Arbeits- (Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk [SPD]: Das war
losigkeit nicht vorankommen. In dieser Hinsicht müssten nicht seine Frage!)
Sie sich als ordnungspolitisches Gewissen äußern. Statt- – Sie können fragen, was Sie wollen. Ich antworte, wie ich
dessen finden Sie als Feigenblatt im Rahmen von Mes- es für richtig halte.
seeröffnungen warme Worte für die von Ihnen gemachten
(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten
falschen Weichenstellungen. In dieser Beziehung sollten
der CDU/CSU)
Sie von dem ursprünglich vorgesehenen Wirtschaftsmi-
nister Herrn Stollmann ein wenig lernen. Der war sich So sind die Spielregeln im Parlament. Wenn Sie mir mit
(B) dann zu schade, ein Feigenblatt für nicht erfolgende Wei- der Frage auch noch die Antwort vorschreiben wollen, (D)
chenstellungen zu sein. dann können wir gleich zu Hause bleiben. In diesem Par-
lament herrschen doch wohl noch Meinungs- und Rede-
Wir werden nur dann vorankommen, wenn wir diese freiheit! Wollen Sie mir noch vorschreiben, was ich hier
Probleme in Angriff nehmen. Nur dann wird der Euro eine zu antworten habe? Was fällt Ihnen denn ein!
andere Bewertung erzielen. Diese kann man nicht herbei-
(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. – Lachen
reden. Vielmehr handelt es sich dabei um eine tägliche bei der SPD)
Abstimmung der Welt über die Einschätzung der Zu-
kunftsperspektiven in Euro-Land. Wir sind mit 80 Milli- Sie dürfen sich doch nicht wundern, wenn andere an-
onen Menschen der größte Teil von Euro-Land. Solange gesichts von 70 Prozent Steuern auf ein Produkt zugrei-
man uns weniger zutraut als der amerikanischen Wirt- fen. Die OPEC hat eine klare Aussage getroffen:
schaft, wird das Geld nach Amerika fließen und nicht in (Widerspruch bei der SPD)
Deutschland bleiben und hier keine Investitionen bzw. – Wer schreit, hat Unrecht. Hören Sie zu!
neue Arbeitsplätze auslösen. Deshalb ist eine Wende, eine
Renaissance der Ordnungspolitik unbedingt notwendig. (Ilse Janz [SPD]: Ja, das ist wahr! Sie
schreien!)
(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU –
Michaele Hustedt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Sie ist bereit, die Ölförderung so zu steigern, dass das
NEN]: Hören Sie auf, den Standort schlechtzu- Barrel Öl wieder rund 25 Dollar kostet. Aber sie fordert
reden!) gleichzeitig, dass auch die Industrieländer ihren Beitrag
leisten.

Vizepräsident Rudolf Seiters:Herr Kollege (Abg. Hubertus Heil [SPD] nimmt wieder
Brüderle, wollen Sie die Frage des Kollegen Heil beant- Platz)
worten? Ihre Rede können Sie dann gleich fortsetzen. – Ich bin mit meiner Antwort noch nicht ganz fertig. Das
interessiert Sie aber anscheinend nicht.
Rainer Brüderle (F.D.P.): Ja. (Ilse Janz [SPD]: Das ist nicht die Antwort auf
seine Frage!)
Vizepräsident Rudolf Seiters: Ich gebe jetzt dem Die OPEC hat gesagt: Wir helfen euch, wenn auch ihr
Kollegen Hubertus Heil das Wort zu einer Zwischenfrage. euren Beitrag dazu leistet, dass der Staat bei diesem Pro-
11330 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. September 2000

Rainer Brüderle

(A) dukt nicht 70 Prozent abkassiert, während wir durch un- zeit der Regierungspolitik. Ich will hier offen sagen: (C)
sere Preise eure Wirtschaft einseitig in Gang halten. Diese Wenn man den Wirtschaftsetat betrachtet, hält sich die
Forderung ist verständlich und nachvollziehbar. Innovation in Grenzen. Dafür feiert die Kreativität des
Verschleierns von Kosten und Risiken wie zu Herrn
(Zuruf der SPD: Die Frage ist in keinster
Rexrodts und Herrn Waigels seligen Zeiten fröhliche Wie-
Weise beantwortet!)
derauferstehung.
Eines müssen Sie sehen: In der Wirtschaftspolitik ist es
oft so, dass ein Tropfen das Fass zum Überlaufen bringt. Die Kohlesubventionen werden schätzungsweise eine
halbe Milliarde DM zu niedrig veranschlagt, ebenso die
(Zuruf von der SPD: Das ist die F.D.P.!) Kosten für bereits eingegangene Eigenkapitalhilfen und
Dies ist die unsinnige Ökosteuer, die ökologisch Technologiebeteiligungen. Letztere Programme sollen
gesehen keinen Effekt hat. Denn wenn sie wirken würde, wie schon in den Vorjahren die Eigenkapitalhilfe kurzer-
wären gar keine Einnahmen vorhanden, um Renten- hand aus dem Wirtschaftsetat entsorgt und im Schatten-
beiträge und anderes zu verringern. Dass dann, wenn eine haushalt ERP-Vermögen endgelagert werden. Der aber
solch unsinnige Steuer, die nun wirklich nicht ökologisch hat nicht nur Lasten und Risiken zu tragen, die jetzt schon
ist, eingeführt wird, die Scheunentore für andere, zuzu- substanzgefährdend sind; jetzt soll auch noch sein bisher
langen, weit geöffnet werden, ist doch geradezu logisch. vergleichsweise gut funktionierender Vergabeapparat, die
Deutsche Ausgleichsbank, als Mittelstandsbank der KfW
Haben Sie von der SPD doch endlich den Mut – in an- zugeschlagen werden.
deren Dingen haben Sie die Grünen doch auch platt ge-
macht –, eine unsinnige Sache zu revidieren, und gleichen Die Gefahr – ich sage ausdrücklich: die Gefahr –, dass
Sie nicht nur die aus dieser widersinnigen grün-ökologi- bei der Suche nach Synergien die Mittelstandspolitik lei-
schen Ökosteuer für die kleinen Leute entstandenen Be- det, ist nicht von der Hand zu weisen. Deshalb ist die
lastungen durch Sozialmaßnahmen aus! Haben Sie end- tatsächliche Einbeziehung des Parlaments in all diese
lich den Mut, etwas Vernünftiges zu tun! Ich sage Ihnen Entscheidungsprozesse dringend nötig.
voraus: Sie werden es nicht durchhalten – Sie werden es (Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Da hat er sogar
verpacken oder was auch immer –, dass es unter Ihrer Ver- recht!)
antwortung zu solch hohen Belastungen kommt.
Das Einzige, das mich bei der Argumentation zum Ver-
(Zuruf von der SPD: Herr Brüderle, es regt uns kauf der Deutschen Ausgleichsbank bisher überzeugt hat,
auf, dass Sie die Frage nicht beantworten!) ist, dass auch auf diesem Wege Geld in die Kassen des Fi-
Wer Unsinn sät, wird Protest ernten. Das erleben Sie zur- nanzministers fließt. Das mag kreativ erscheinen, in-
(B) zeit. novativ aber ist es auf keinen Fall. (D)
(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der PDS)
der CDU/CSU) Herr Minister, Sie haben das Aktionsprogramm „Mit-
Herr Präsident, habe ich noch ein bisschen Redezeit? telstand“ angesprochen, mit dem Existenzgründungs- und
Beteiligungsförderungen weiter auf hohem Niveau ver-
sprochen werden. Aber auch hier gilt: Ohne Moos nix los.
Vizepräsident Rudolf Seiters: Nein, Herr Kollege. Dem Aktionsprogramm droht ansonsten dasselbe Schick-
Alles hat einmal ein Ende, auch Ihre Rede. sal wie der Schöpfung des vorhergehenden Sommerlochs.
Nun gebe ich für die Fraktion der PDS dem Kollegen Ich meine damit die schon legendäre „Innovationsmil-
Rolf Kutzmutz das Wort. liarde“ im „Zukunftsprogramm 2000“, von der auch die
von Herrn Minister Müller verantwortete Mittelstands-
und Technologieförderung profitieren sollten.
Rolf Kutzmutz (PDS): Herr Präsident! Liebe Kolle-
ginnen und Kollegen! Lieber Kollege Brüderle, ich Inzwischen war wenigstens herauszubekommen, was
möchte zwei Anmerkungen zu Ihrer Rede machen: Die es mit dem Ding auf sich hat: Es geht um die Aufstockung
erste: Ich habe jetzt gelernt, wie man seine Redezeit ver- ausgewählter Titel gegenüber der ursprünglichen Finanz-
längern kann; wir versuchen es alle einmal. Die zweite: planung. Diese aber befand sich regelmäßig im freien
Mir war das Lied „Männer“ von Grönemeyer schon im Fall, sodass nicht 1 Milliarde DM mehr, sondern besten-
Kopf, als Sie richtig losgepoltert haben. Als Sie dann aber falls Geld auf dem Niveau der Vorjahre gesichert würde.
sagten, worüber Sie sich alles aufregen, habe ich gedacht, Aber selbst wenn man sich auf diese Phantomrechnung
ich empfehle Ihnen einfach einmal, da hineinzuhören, einlässt, stellt man fest: Im Wirtschaftsetat tauchen ganze
was Männern alles passieren kann, wenn sie sich zu sehr 119 Millionen DM auf. Da bleibt nur, den Minister in Ab-
aufregen. Vielleicht sollten wir uns auf ein Maß einigen. wandlung eines Oldies zu fragen: Sag mir, wo die Mil-
(Beifall bei der PDS – Zuruf von der F.D.P.) liarden sind, wo sind sie geblieben.
– Er kann noch mehr, ich weiß das. (Beifall bei der PDS)
Herr Minister Müller hat gesagt, noch mehr wirt- Dies zu fragen muss zumindest im Jahr des unerwarteten
schaftliche Kompetenz, Innovation und neue Arbeits- UMTS-Geldsegens erlaubt sein, zumal die Koalition ver-
plätze und noch mehr ökologische Modernisierung und sprochen hat, deren Zinsersparnis dauerhaft in Zukunfts-
Nachhaltigkeit sind die Zielmarken für die zweite Halb- investitionen zu stecken.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. September 2000 11331
Rolf Kutzmutz

(A) Zukunft aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist nicht Die Bundesregierung kann selbst keine Jobs schaf- (C)
nur Straße und Schienen. Ich stelle mir unter Zukunft ins- fen. Aber sie kann durch eine gute Politik die Bedin-
besondere Innovationsnetzwerke vor, die gefördert wer- gungen schaffen, dass Menschen wieder in Arbeit
den sollen. Ich meine damit auch das in den Schubladen kommen.
des Wirtschaftsministeriums schlummernde NEMO-Pro-
Nein, Herr Bundeskanzler, auch Politik kann Arbeits-
jekt oder die schon laufenden erfolgreichen Programme
plätze schaffen, beispielsweise indem der Bund die Ent-
wie Pro Inno und BTU/Futour.
wicklung des Airbus A3XX nur subventioniert, wenn im
Dabei – das gestehe ich den verehrten Kolleginnen Gegenzug die Hälfte der mit ihm einhergehenden Wert-
und Kollegen von den Koalitionsfraktionen gern zu – ist schöpfung in Ostdeutschland erfolgt.
ihre Politik nicht gänzlich innovationsarm. Ich will ein
(Beifall bei der PDS sowie des Abg.
Beispiel für deren Chancen, aber auch zugleich Grenzen
Aribert Wolf [CDU/CSU])
nennen: Anfang 1998 haben wir von der PDS konkrete
Vorschläge für eine vernetzte und homogene Arbeits- Es gibt dort leistungsbereite und gut ausgebildete Be-
markt-, Wirtschaftsförderungs-, Struktur- und Regional- schäftigte und Hochschulabsolventen für die Hightech-
politik eingebracht. Zugegeben: Das Ganze hatte den Industrie, die auf jeden Fall geschaffen werden muss, aber
ziemlich drögen Titel „Konsequente Ausrichtung der keinesfalls ohne Starthilfe entstehen wird.
staatlichen Instrumente zur Förderung der wirtschaft-
(Zustimmung bei der PDS)
lichen Tätigkeit auf Beschäftigungswirksamkeit“. Das
liest sich ziemlich schlimm. Aber das war für Sie nicht der Ob Sie es mit dem Osten tatsächlich ernst meinen, muss
Grund der Ablehnung. die Koalition in den nächsten Wochen auch im Umgang
mit einem PDS-Antrag beweisen.
Sie haben bessere Titel gefunden. Nach dem Regie-
rungswechsel mischten dann knackige Namen wie „Inno- Aber nicht nur bei Hochtechnologien muss die Koali-
Regio“ oder „soziale Stadt“ die tradierten Förderkulissen tion Flagge zeigen. Schon zum zweiten Mal in diesem
auf. Sie entsprachen durchaus unseren Vorstellungen, Jahr hungern Handwerkerinnen nur wenige Meter von
auch wenn sie nur Bausteine und noch keine durchge- hier, am Brandenburger Tor. Ich weiß, es gibt die Einstel-
hende Förderphilosophie darstellten. lung, dies gehe den Bund nichts an. Ich sage nur: Herr
Minister, Sie haben in einer bemerkenswerten Rede zum
Vor wenigen Tagen nun kam ein Bericht des zuständi-
Thema „Leistungseliten und soziale Gerechtigkeit – ein
gen Unterausschusses an den Planungsausschuss der Ge-
(auflösbarer) Widerspruch“ letzten Freitag in Münster ge-
meinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirt-
sagt, Leistung lasse sich
schaftsstruktur“ auf den Tisch. Und was kann ich dort
(B) unter „Handlungsempfehlungen“ hoffnungsfroh lesen? – nicht mit wirtschaftlichem Erfolg oder gar mit Spit- (D)
Vernetzung von aktiver Arbeitsmarktpolitik und insbe- zengehältern gleichsetzen. Handwerker oder Mittel-
sondere der GA Infrastrukturförderung, Vernetzung von ständler, die sich durch Kundennähe, Qualität und
Gemeinschaftsaufgabe und „sozialer Stadt“, von Gemein- Zuverlässigkeit auszeichnen, gehören selbstver-
schaftsaufgabe und „Inno-Regio“. Nun frage ich mich ständlich zu den Leistungseliten in diesem Land.
besorgt: Wann geht es los?
Aus meiner Sicht ergibt sich daraus auch eine große Ver-
In dem Bericht wird auch für die Vernetzung von Ge- antwortung.
meinschaftsaufgabe und „integrierter Konzeption zur
(Beifall bei der PDS)
Entwicklung des ländlichen Raumes“ plädiert. Im Ent-
wurf des später zu lesenden Landwirtschaftsetats wird in Kümmern Sie sich angesichts der grassierenden Zah-
den Vorbemerkungen zur dortigen Gemeinschaftsaufgabe lungsunmoral auch um diese Menschen; beispielsweise
„Verbesserung der Agrarstruktur“ bereits ausdrücklich mit einem Soforthilfefonds für unschuldig in Not geratene
auf vom Bundesministerium für Wirtschaft – Zitat – „in Handwerkerinnen und Handwerker. Bei einer Summe von
diesem Zusammenhang zu ergreifende Maßnahmen“ hin- 12 Millionen DM käme schon die Hälfte davon von einer
gewiesen. Nur finde ich dazu nichts im Wirtschaftsetat Frau, die da draußen mithungert. Sie hat durch ihre Re-
und frage mich noch besorgter: Womit soll das eigentlich cherchen für den Fiskus 6 Millionen DM vor einem Be-
losgehen? trüger gerettet, soll aber weiter vergeblich auf die ihr
zustehenden 400 000 DM warten.
Schließlich wird die Gemeinschaftsaufgabe im nächs-
ten Jahr nach dem Willen der Koalition erstmals unter die Ihr erster selbst gewählter Schwerpunkt für die zweite
2-Milliarden-Grenze sinken. 1996 wurden noch über Halbzeit der Wahlperiode, liebe Kolleginnen und Kolle-
3 Milliarden DM, im vergangenen Jahr noch über 2,5 Mil- gen von der Koalition, lautet: „Zukunftsfähigkeit und
liarden DM vom Bund ausgezahlt. Liebe Kolleginnen und Teilhabe“. Dafür ist noch einiges zu leisten.
Kollegen, zum Nulltarif ist die Schließung der zwischen
Danke schön.
beiden Landesteilen klaffenden Entwicklungsschere nicht
zu erreichen. (Beifall bei der PDS)
Es stimmt auch nicht – das wird von vielen und wurde
auch vom Bundeskanzler in Eisenhüttenstadt gesagt –, Vizepräsident Rudolf Seiters: Für die SPD-Frak-
dass Politik keine Arbeitsplätze schaffen könnte. Er hat tion gebe ich dem Kollegen Dr. Norbert Wieczorek das
dort gesagt: Wort.
11332 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. September 2000

(A) Dr. Norbert Wieczorek (SPD): Herr Brüderle, ich Zur Ökosteuer und Ihrer Argumentation sage ich gleich (C)
fand eines an Ihrer Rede gut: dass Sie sie gleich selber noch etwas.
zum Discount freigegeben haben. Sie haben nämlich ge-
sagt: „Wer brüllt, hat schlechte Argumente“, und so laut- Das Gleiche gilt für die Lohnnebenkosten. Man muss
stark habe ich Sie in diesem Haus noch nie gehört. einfach sehen: Es ist gelungen, die Lohnnebenkosten he-
runterzudrücken, und zwar sowohl für Arbeitnehmer als
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ auch für Arbeitgeber. Bei den Arbeitnehmern hat das mehr
DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Ernst Hinsken kaufkräftige Nachfrage mit sich gebracht. Schauen Sie
[CDU/CSU]: Wenn er mit Schröder über die sich einmal an, was die Bundesbank zur Entwicklung der
Steuerreform spricht, ist er vielleicht nicht so privaten Arbeitnehmereinkommen sagt. Die sind nämlich
laut!) im letzten Jahr deutlich gestiegen. Das muss man einfach
– Ja, da ist er sehr kooperativ. Das freut mich und das sehen.
kann ich nur begrüßen. Am Anfang hatten wir natürlich Schwierigkeiten in der
Ich möchte Ihnen keine Nachhilfe geben, sondern nur Koalition, also in der Regierung. Ich gebe das zu. Da
daran erinnern, dass wir hier eigentlich über die Wirt- brauchen wir uns nichts zu erzählen. Es hat ja keinen Sinn,
schaftspolitik reden. Es ist auch schon der Begriff „Ord- darum herumzureden. Nachdem sich das konsolidiert hat,
nungspolitik“ gefallen. Es gibt auch noch die Prozesspo- sehen Sie jetzt auch, dass sich die Konjunktur stabilisiert
litik. Die Frage ist vor allem, wie dies zusammengehört. hat.
Es wird nämlich immer nur über einzelne Kästchen dis-
kutiert. Es ist mitnichten nur der Export. Es ist vor allem der
Export. Dazu gleich eine Klammerbemerkung: Unser Ex-
Ich möchte daran erinnern: Als wir, die Koalition, die port, der auf Dollarbasis abgerechnet wird, ist bei weitem
Regierung übernommen haben, haben wir eine Zielset- geringer als der, der auf Euro-Basis abgerechnet wird.
zung gehabt – Zukunft zu gestalten, und zwar nachhaltig Und da spielt der Wechselkurs keine Rolle. Also muss es
zu gestalten und dabei soziale Gerechtigkeit walten zu andere Gründe dafür geben.
lassen.
Das können Sie an der deutlichen Steigerung der Pro-
Was haben wir vorgefunden? Hohe Arbeitslosigkeit,
duktivität, an der deutlichen Verbesserung der Kosten-
einen zerrütteten Haushalt, Reformstau und vor allen Din-
situation ablesen. Nehmen Sie die Entwicklung der Lohn-
gen ein negatives Image im In- und im Ausland.
stückkosten. Die Stabilisierung der Konjunktur erfolgt
Also galt es umzusteuern. Das ist gemacht worden auf der Basis einer solchen Politik, nämlich mit sehr ver-
durch Konsolidierung und neue Prioritätensetzung auf- nünftigen Tarifabschlüssen zwischen den Tarifvertrags-
grund der Erkenntnis, dass Nachfrage- und Angebotspo- parteien.
(B) litik zwei Seiten der gleichen Medaille sind und unver- (D)
rückbar zusammen gehören. Jeder Volkswirt weiß, dass (Zuruf von der SPD: Sehr richtig!)
Kreislaufzusammenhänge nicht dadurch aufgelöst wer- Das ist auch das Bündnis für Arbeit.
den, dass man über Einzelprojekte redet.
(Beifall bei der SPD)
(Beifall bei der SPD)
Das ist auch die Verbesserung der Ausbildungsplatz-
Es geht auch darum, Vertrauen zu schaffen. situation. Sie ist auch dieses Jahr noch nicht ideal. Der
Das haben wir angefangen mit der Steuerreform I. Hier September ist immer der kritische Monat. Aber zum ers-
ist die Konsolidierung der Steuerbasis geleistet worden. ten Mal sieht es so aus, als könne zumindest in West-
Sie brachte zugleich eine Stärkung der privaten Einkom- deutschland ein Ausgleich zwischen angebotenen Ausbil-
men. Ich erinnere nur an den Grundfreibetrag und die Ta- dungsplätzen und Nachfrage erfolgen; in Ostdeutschland
rifveränderungen, die auch den kleineren und mittleren aus vielen Gründen, die mit der Entwicklung seit 1990 zu
Unternehmen als Personenunternehmen zugute kommt, tun haben, noch nicht. Es ist aber bemerkenswert, dass
was Sie gern negieren, und ich darf weiter – Stichwort: so- sich in Ostdeutschland die Anzahl der von Betrieben an-
ziale Gerechtigkeit – an die Erhöhung des Kindergeldes gebotenen Ausbildungsplätze gesteigert hat. Das ist doch
erinnern. Und wir haben im letzten Jahr das berühmte auch kein Zufall. Nehmen Sie das einmal zur Kenntnis.
JUMP-Programm aufgelegt. Dann sieht das alles schon ein bisschen anders aus, als es
Nun sehen Sie sich einmal an, wie das zusammen- in Ihrem Lamento eben anklang.
gehört. Es besteht ein Angebot – durchaus mit einem ge- (Beifall bei der SPD)
wissen Druck, dass man es annimmt, weil ein Angebot
natürlich auch dazu verpflichtet, dass man es annimmt – Deswegen kommt es jetzt auch darauf an, diese Politik
zur weiteren Ausbildung, zur Aufnahme einer Arbeit. Das fortzusetzen. Das macht dieser Haushalt, nämlich mit ei-
ist der eine Teil. ner weiteren Konsolidierung, nicht etwa mit einer Ent-
scheidung, den plötzlichen Geldregen aus der UMTS-
Der andere Teil: Es war natürlich für die, die dort hi- Versteigerung für alles mögliche auszugeben. Es gab ja
neingekommen sind, ein Erfolg. Sie wissen, dass es ein viele Vorschläge. Vielmehr beschränkt er sich darauf, die
Erfolg war. Dass nicht alles ordentlich lief, ist klar. Aber aus ersparten Zinszahlungen freien Mittel gezielt einzu-
es war ein Erfolg, hat natürlich auch zur Stärkung der setzen.
Kaufkraft beigetragen und vor allen Dingen zum Ver-
trauen: Es geht wieder aufwärts. Das halte ich für ganz Ich möchte hier einmal nennen, was wir machen. Da ist
wichtig. die Steuerreform mit erheblichen Entlastungen – zusätz-
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. September 2000 11333
Dr. Norbert Wieczorek

(A) lich zu denen des letzten Jahres – bis 2005, Anfang im rüber nachzudenken, was man durch loses Reden anrich- (C)
nächsten Jahr. ten kann.
Die Mär, die Sie vorgelesen haben, war wirklich ganz (Beifall bei der SPD – Hartmut Schauerte
lustig: 51 Prozent. Sie wissen genauso gut wie ich, dass [CDU/CSU]: Das sagen Sie einmal Ihrem Bun-
über 90 Prozent der so genannten mittelständischen Un- deskanzler!)
ternehmen deutlich unter der Schwelle liegen, sogar noch
begünstigt werden, weil wir für sie die Gewerbesteuer – Ich weiß, was Sie hören wollen, werde aber etwas an-
praktisch abgeschafft haben. Die Gewerbesteuer für die deres sagen. Ich meine nämlich etwas viel Grundlegende-
Gemeinden bleibt erhalten, aber die Unternehmen brau- res.
chen sie in diesem Bereich nicht mehr zu bezahlen. Seien (Erich G. Fritz [CDU/CSU]: Warum schimpfen
Sie da einmal ein bisschen korrekter. Sie auf Ihren Bundeskanzler?)
Ich möchte darauf hinweisen – dies zu dem Stichwort – Das habe ich gar nicht nötig; ich unterstütze ihn. Sie
„soziale Gerechtigkeit“ –, dass wir gerade für die Grup- werden gleich erfahren, was ich meine.
pen, die es nötig haben, zu Beginn des nächsten Jahres
Einkommenssteigerungen in Kraft treten lassen. Ich darf (Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Wir sind
zum Beispiel an das Wohngeld erinnern; dies steht auch schon ganz gespannt!)
in direktem Zusammenhang mit dem Thema Heizöl. Nur Jetzt zurück: Diese Verbesserungen resultieren aber ins-
als kleine Randbemerkung betreffend das Heizöl: In die- besondere – Herr Brüderle, das ist sonst Ihr Thema – aus
sem Bereich ist überhaupt keine Erhöhung der Ökosteuer der verbesserten Flexibilität in den Unternehmen. Ich
geplant. Es kann also gar nichts ausgesetzt werden. – Das nenne einen konkreten Fall. Ich habe vorige Woche mit
aber nur zu Ihrer Information; denn es ist ja geradezu ab- dem Vorstand eines internationalen Konzerns gesprochen,
surd, was da erzählt wird. der jetzt Produktionen nach Groß-Gerau, in den Wahl-
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten kreis, den ich vertrete, verlagert, weil nach einer Kon-
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) zernstudie die Flexibilität des Arbeits- und Kapitaleinsat-
zes in Deutschland besser ist als an anderen Standorten,
Darüber hinaus erhöhen wir die BAföG-Leistungen; besser auch als zum Beispiel in Mexiko. Und das ist doch
das ist gleichzeitig eine Investition. Natürlich haben wir ein Land, von dem Sie immer sagen, wie toll das dort ist.
das Problem, dass zu wenig junge Leute Naturwissen- Ähnliches gilt übrigens auch für Opel – nur damit wir wis-
schaften und IT-Wissenschaften studieren. Aber wer hat
sen, wovon wir reden.
das BAföG denn eingefroren: Sie oder wir? Wir erhöhen
die Leistungen und geben den jungen Leuten gleichzeitig (Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk [SPD]: Sehr
(B) eine Zukunftschance. richtig!) (D)
(Beifall bei Abgeordneten der SPD) Wir sind also auf dem richtigen Weg mit einer in sich
aufeinander abgestimmten Politik. Wir alle wissen, dass
Ich darf an das Erziehungsgeld erinnern und auch daran,
nicht alle Einzelheiten genau aufeinander abgestimmt
dass wir die Förderkulissen stabilisieren. Das gilt auch
und gerade für den Aufbau Ost. Herr Minister Müller hat sein können. Ich warne aber davor, immer nur Kästchen-
schon darauf hingewiesen. Mein Kollege Staffelt wird denken zu betreiben. Wir sollten die Linie verfolgen, die
gleich ausdrücklich darauf eingehen. ich vorhin verdeutlicht habe.

Dies alles hat bereits zu deutlichen Verbesserungen ge- Ich möchte nun zu zwei Problemen kommen, die unser
führt, und zwar in Bezug auf das Vertrauen im Inneren, so- Wachstum beeinträchtigen können.
gar beim Handel. Ich habe hier ein Schaubild vorliegen, Erster Punkt. Benzin- bzw. Dieselpreis. Allen, die sa-
das zeigt, dass sich das Handelsklima schon deutlich ge- gen, man müsse nur die Ökosteuer aussetzen oder sen-
bessert hat. Das reicht zwar noch nicht aus. Aber unsere ken, dann würde der Preis sinken, empfehle ich, sich das
Politik wird fortgesetzt und das wird anerkannt. Schaubild aus dem „Spiegel“ dieser Woche dazu anzuse-
Dass es vorwärts geht, erkennen Sie auch daran, dass hen. Ich greife beispielhaft nur zwei Länder heraus: In Lu-
Deutschland im berühmten „competitive ranking“ von xemburg betragen die Steuern auf Dieselkraftstoff
Platz 6 auf Platz 3 gestiegen ist; das ist eine für uns sehr 0,68 DM pro Liter, in Deutschland 0,96 DM. In Luxem-
positive Einschätzung. Woher kommt das denn? Woher burg verbleiben den Anbietern – das ist der Nettopreis,
kommt es denn, dass „Business Week“ und “Financial also der Preis ohne Steuern – 0,75 DM pro Liter, in
Times“ die deutsche Politik jetzt loben, aber vorher von Deutschland 0,65 DM. Würde man bei uns die Ökosteuer
der deutschen Sklerose geredet haben? Insofern stimmt um 10 Pfennig senken, ginge sicher der Anteil der Anbie-
auch das, was Sie in Bezug auf den Euro gesagt haben, ter, also der Ölkonzerne, auf 0,75 DM hoch. Genau das
nämlich dass die Schwäche der Währung durch die Bun- würde eintreten. Machen Sie sich doch nichts vor!
desrepublik verursacht wird, nicht.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD –
Aber lassen Sie mich zum Thema zurückkommen. Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk [SPD]: Das ist
(Zuruf von der CDU/CSU) Marktwirtschaft!)
– Ich werde noch auf den Euro zu sprechen kommen, Zweitens. Wir erleben in der Ölbranche eine Konzen-
keine Sorge. Ich möchte Ihnen aber empfehlen, einmal da- tration sondergleichen. Denken Sie nur an die letzten Zu-
11334 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. September 2000

Dr. Norbert Wieczorek

(A) sammenschlüsse, zum Beispiel von Shell, BP, Arco und Punkte genannt. Über die Absicherung der Allerärmsten, (C)
anderen. Dies sind zum großen Teil die Ölförderer und die Bezieher von Sozialhilfe, kann man reden. Das wer-
-exporteure. Es geht ja nicht nur um die OPEC; wir be- den wir berücksichtigen.
kommen relativ wenig von der OPEC. Und fragen Sie Zum anderen: Es gibt doch mit dem Speditionsge-
sich einmal, warum die Charterraten für Tanker so merk- werbe Gespräche darüber, dass – was auch durch Ihre Po-
würdig gestiegen sind. Es ist doch kein Geheimnis: Eine litik mit verursacht wurde – die Wettbewerbsbedingun-
Reihe von Tankern wird als Lagerstätten für gefördertes gen, die in dieser Branche nicht normal sind – graue
Öl, das aus Spekulationsgründen nicht an den Markt ge- Cabotage, extreme Ausnutzung von ausländischen Fah-
bracht wird, genutzt. rern für 20 Dollar und weniger am Tag –, verbessert wer-
Das alles wollen Sie schützen? Sie behaupten, da den müssen. Dazu sind wir bereit, das müssen wir ange-
müsse jetzt etwas gemacht werden. Aber was Sie wollen, hen.
ist doch etwas ganz anders. Sie nutzen die Ökosteuer we- (Beifall bei der SPD)
gen des verständlichen Ärgers der Bevölkerung. Auch ich
ärgere mich, wenn ich tanke. Völlig klar! Aber ich kann Sie dürfen das jetzt nicht kaputt machen, indem Sie
es mir als Bundestagsabgeordneter noch eher leisten als gleichzeitig entweder eine Erhöhung der Rentenversiche-
rungsbeiträge – das wäre für unsere Konjunktur hervorra-
ein Facharbeiter bei Opel oder erst recht als ein Rentner.
gend – oder die Aufgabe der Haushaltskonsolidierung for-
(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Wenn das so dern, was alles andere als erfreulich ist. Wollen Sie das?
weitergeht, geht auch das nicht mehr lange!) Das ist doch der Hebel, den Sie strategisch benutzen. Sie
wissen genau: Das ist das eigentliche Ziel; alles andere
Ich fahre allerdings auch langsamer. Dabei kann man
sind doch Krokodilstränen.
eine Menge sparen. Ich fahre nicht mehr 160, sondern
130 Stundenkilometer. So spare ich mindestens 1,5 Liter. (Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Der Eichel ist
Aber das war nur eine kleine Randbemerkung. doch bei der Mehrwertsteuer ein Trittbrettfah-
rer!)
Was Sie mit Ihrer Kampagne wollen, ist etwas anderes.
Aber Sie müssen die Risiken bedenken: Erstens müssen Auch wenn meine Redezeit fast abgelaufen ist, möchte
Sie darauf achten, dass es nicht so wird wie in Großbri- ich noch ein Wort zum Euro sagen. Wer glaubt, dass der
tannien. Dann ist nämlich das Image dieser Bundesrepu- Euro nur von der deutschen Bundesregierung abhängt, der
blik auch wirtschaftspolitisch wieder kaputt. Insofern täuscht sich.
warne ich, was solche Reden angeht, vor Neugier. (Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Das hat kei-
(B) (Beifall bei der SPD – Zuruf des Abg. ner gesagt! Aber in besonderem Maße!) (D)
Gunnar Uldall [CDU/CSU]) Der Kollege Waigel ist im Grunde ein sehr seriöser Mann,
– Ich habe nicht dich gemeint. Es gibt aber solche Äuße- auch wenn er manchmal ganz schön polemisieren kann.
rungen, lieber Gunnar. Er hat zu Recht in der „FAZ“ etwas zu der Entwicklung
der Wechselkurse gesagt und darauf hingewiesen, dass
(Gunnar Uldall [CDU/CSU]: Es ist gestern wir zeitweise eine konkurrenzlos hohe Dollar/D-Mark-
eine Masche von Gerhard Schröder gewesen!) Relation hatten. Dies war einmal Anfang der 80er-Jahre
– in den 70er-Jahren gab es einen sehr niedrigen Dollar-
– Gunnar, muss ich dir denn die Zitate geben? Das brau-
kurs – und dann noch mal Ende der 80er-Jahre der Fall.
chen wir beide doch nicht.
Dazu kann man doch nur sagen: Wie kann man dann den-
(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Wenn ihr in ken, das liefe alles über die Politik?
der Opposition wärt, dann hättet ihr das längst
Der eigentliche Grund für die Euro-Schwäche ist doch
getan!) erstens, dass das Wachstum in den USA besser läuft. Wir
– Mein lieber Herr Kollege, jetzt will ich einmal deutlich sind gerade dabei aufzuholen. Wir haben übrigens die be-
werden. Ich fand es unverschämt, als gestern jemand in gründete Vermutung, dass die Statistik das Wachstum bei
diesem Zusammenhang auf die Kohledemonstration in uns unterschätzt. Das hat jetzt gerade auch deutlich
Bonn verwiesen hat. Damals gab es eine gesetzliche Eurostat gemerkt. Ein zweiter Grund sind die Kapitalbe-
Grundlage, übrigens von ihrem Kollegen Rexrodt mit wegungen. Hierbei muss man natürlich sehen, dass insbe-
unterschrieben, und trotzdem sollte die Fördermenge ge- sondere nach Asien viel Geld zurückfließt, weil dort, ins-
kippt werden. Dagegen hat man demonstriert. Das mit der besondere in Japan, Liquiditätsknappheit herrscht
jetzigen Situation zu vergleichen finde ich unverant- aufgrund der Tatsache, dass dort die Banken kaum Kre-
wortlich. dite mehr vergeben.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD) Der dritte Grund ist – damit komme ich darauf zurück,
was ich vorhin angedeutet habe – das lose Reden. Das
Wenn Sie diese Kampagne weitermachen, gehen Sie Theater, was wir hier veranstalten, aber auch das, was
also ein gewisses Risiko ein, was ich eben benannt habe. über die Entwicklung der Europäischen Union gesagt
Aber wir müssen zweitens auch darüber reden, was es an wird, stimmt natürlich einen mittelfristigen Anleger, der
notwendigen Änderungen gibt. Dazu zähle ich zum einen sich fragt, mit wem er kontrahiert, nachdenklich: nicht nur
die soziale Absicherung. Dazu habe ich schon einige mit der EZB, sondern auch mit der Politik. Deswegen plä-
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. September 2000 11335
Dr. Norbert Wieczorek

(A) diere ich sehr dafür, dass man gerade in der Europapoli- Seit dem Antritt der rot-grünen Bundesregierung wer- (C)
tik – ich war Europapolitiker und bin es nach wie vor –, den die Unterschiede zwischen Ost und West wieder
nicht einer Renationalisierung à la Stoiber das Wort redet, größer. Von der bundesweiten Arbeitsmarktentwicklung
sondern, wenn man Zukunftsvisionen beschreibt, sehr de- hat sich der Osten fast völlig abgekoppelt. Die ungleiche
tailliert sagt, wie man von dem Hier und Heute ohne Auf- Entwicklung führt auch zu einem deutlichen Anstieg der
gabe dessen, was man erreicht hat, zu einem neuen Stand- Abwanderung von Fachkräften von Ost nach West. Wie
punkt kommt, den wir, glaube ich, alle wollen. Denn wollen Sie den Menschen im Osten erklären, dass trotz
soweit ich weiß, könnten auch Sie sich, Herr Brüderle, dieser negativen wirtschaftlichen Kennzahlen die Mittel
eine andere EU vorstellen. für den Aufbau Ost im nächsten Jahr um knapp 3 Milliar-
den DM gekürzt werden sollen? Ich hätte mir gewünscht,
(Beifall bei Abgeordneten der SPD) dass der Ostminister, Herr Schwanitz, heute hier wäre.
Dieses ist für mich ganz wichtig. Wenn wir das ge- Einige besondere Misstöne in diesem Streichorchester
meinsam machen, dann haben wir eine Chance, um wei- stellen die Gemeinschaftsaufgabe „Regionale Wirtschafts-
terzukommen mit der Politik und den Ergebnissen, die wir förderung“ mit minus 299 Millionen DM, der Straßenbau
haben. Wir können uns über die Einzelheiten der Politik in den östlichen Bundesländern mit minus 207 Milli-
trefflich streiten, wie wir es bei der Steuerreform gern ge- onen DM und der Bereich Forschung und Entwicklung
macht hätten, wenn die CDU/CSU, Kollege Uldall, in der in Sachsen, Thüringen, Brandenburg, Mecklenburg-
Lage und bereit gewesen wäre, in echte Verhandlungen Vorpommern und Sachsen-Anhalt mit minus 30 Millio-
einzutreten. Die Papiere Bayerns dazu zum Beispiel sind nen DM dar.
ja in München liegen geblieben. Gestatten Sie mir eine genauere Betrachtung der Aus-
Dass du, lieber Gunnar Uldall, entsetzt und etwas trau- gaben für Forschung und Entwicklung in den ostdeut-
rig bist, ist klar. Nur, deine Steuerreform ist ja auch ge- schen Bundesländern. Unter der CDU/CSU-geführten
scheitert. Insofern konntest du mit der Vereinfachung Bundesregierung standen 1998 in diesem Bereich noch
auch nicht weiterkommen. Deswegen verstehe ich die mehr als 300 Millionen DM zur Verfügung. Das Bundes-
Frustration. ministerium für Wirtschaft und Technologie meldete für
den Haushalt 2001 einen Bedarf von 255 Millionen DM
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten an. Im Haushaltsentwurf wurden jedoch nur 225 Milli-
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) onen DM eingestellt. Die rot-grüne Bundesregierung hat
mit diesen Entscheidungen die Mittel für Forschung und
Vizepräsident Rudolf Seiters: Für die CDU/CSU- Entwicklung in den neuen Ländern nicht nur innerhalb
(B) Fraktion spricht nun der Kollege Klaus Brähmig. von drei Jahren um ein Drittel reduziert, sondern die mit- (D)
telfristige Finanzplanung sieht sogar vor, diesen Titel bis
2003 auf 50 Millionen DM zurückzuführen.
Klaus Brähmig (CDU/CSU): Herr Präsident! Sehr
geehrte Damen und Herren! Im Bundeshaushalt 2001 gibt (Gunnar Uldall [CDU/CSU]: Hört! Hört!)
es zwei Etatpläne, die gegenüber dem Vorjahr brutal zu- Mit dieser Maßnahme können keine neuen Anträge auf
sammengekürzt wurden: der Einzelplan Verkehr um Industrieforschung gestellt werden und die externe Indus-
9,8 Prozent und der Einzelplan Wirtschaft, über den wir trieforschung bzw. Ansiedlung von Forschung und Ent-
heute debattieren, um 7 Prozent. Mit einer Investitions- wicklung in ostdeutschen kleinen und mittelständischen
quote von 11,4 Prozent des Bundeshaushaltes wird der Unternehmen wird massiv behindert. Hier zeigt sich er-
Anteil für Straßenbau, Wirtschaftsförderung und Investi- neut, wie wenig das Kanzlerwort von Gerhard Schröder
tionen das niedrigste Niveau seit 1982 erreichen – ein wert ist. Wurde den ostdeutschen Ländern beim Amts-
trauriger Rekord, den die rot-grüne Bundesregierung hält. antritt nicht eine „Zukunftsmilliarde“ versprochen? –
Zwischen Anspruch und Wirklichkeit auch hier ein him-
Diese drastischen Kürzungen treffen in besonderer melweiter Unterschied!
Weise die mitteldeutschen Bundesländer. Dort besteht
nach wie vor – trotz der massiven Investitionen seit 1990 – Mit diesem Streichpaket trifft die Bundesregierung in
immer noch ein großer Nachholbedarf, um überhaupt erst besonderer Weise strukturschwache Regionen. Ist das Ihr
die richtigen Rahmenbedingungen für eine sich selbst tra- Beitrag zum Abbau der hohen Arbeitslosigkeit zwischen
gende, nachhaltige Wirtschaftsentwicklung zu schaffen. Erzgebirge und Rügen, die mittlerweile knapp das Zwei-
An diesen Fakten zeigt sich erneut, dass Anspruch und einhalbfache der westdeutschen Quote beträgt? Wie sieht
Wirklichkeit im politischen Handeln der rot-grünen Bun- es im Haushaltsentwurf im Bereich der Förderung des
desregierung noch weiter voneinander entfernt sind als Tourismus aus, der in der sich verändernden Wirtschafts-
der Mond von der Erde. landschaft des Ostens eine besondere Rolle spielt und
gerade dort einer der wichtigsten Hoffnungsträger bei der
(Beifall bei der CDU/CSU) Bekämpfung der Arbeitslosigkeit ist? Herr Minister
Wenn der Haushaltsentwurf 2001 die Lehre aus der Müller, leider haben Sie in Ihrer Rede kein einziges Wort
„Entdeckungsreise“ des Bundeskanzlers in „seinen per- zu diesem wichtigen Wirtschaftsfaktor gesagt.
sönlichen Fernen Osten“ ist, dann kann man nur hoffen Meine Damen und Herren, im Haushaltsentwurf kann
und wünschen, dass er sich mit dem nächsten intensiven man nicht erkennen, dass die Bundesregierung eine
Besuch wieder zehn Jahre Zeit lässt. besondere Kraftanstrengung unternehmen will, um die
11336 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. September 2000

Klaus Brähmig

(A) 2,8 Millionen Arbeitsplätze und 80 000 Lehrstellen in Sie unsere Forderung nach einer kräftigen Erhöhung der (C)
ganz Deutschland zu sichern bzw. zusätzliche Arbeits- Tourismusmittel im Haushalt!
platzpotenziale im Tourismus zu aktivieren. Im Gegenteil,
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und
die Gesamtmittel für die beiden Titel zur Förderung des
Kollegen, lassen Sie mich abschließend noch einen preis-
Fremdenverkehrs werden sogar noch um eine knappe
werten Marketingtipp in die Debatte einbringen: Auf ei-
Million gekürzt. Eine Expertenkommission der Europä-
ner Informationsreise der Arbeitsgruppe Tourismus unse-
ischen Union hat bis 2010 innerhalb der EU ein Potenzial
rer Fraktion nach Österreich konnten wir bei allen
für neue Arbeitsplätze im Tourismus in Höhe von 3,3 Mil-
Gesprächspartnern, vom Bundeskanzler Dr. Schüssel bis
lionen Arbeitsplätzen festgestellt.
hin zu Bürgermeistern von kleinen Gemeinden, die tiefe
Wir brauchen mehr internationale, kaufkräftige Besu- Verbitterung der Menschen und politisch Verantwortli-
cher, und das besonders im Osten der Republik, der auch chen in unserem Nachbarland spüren, die das unsägliche
hier erheblichen Nachholebedarf hat: Während im Westen Verhalten der rot-grünen Bundesregierung im Zusam-
unseres Vaterlandes der Anteil ausländischer Gäste bei menhang mit den EU-Sanktionen hervorgerufen hat. Gott
den Übernachtungen bei 12,9 Prozent liegt, beträgt dieser sei Dank hat die deutsche Bevölkerung der Regierung
Wert im Osten mit 5,6 Prozent nicht einmal die Hälfte. Schröder in doppelter Weise die rote Karte gezeigt:
Welchen Sinn macht denn die maßgeblich aus Bundes- (Beifall bei der CDU/CSU)
mitteln finanzierte Auslandswerbeorganisation DZT
Über 80 Prozent unserer Bevölkerung lehnt nach Umfra-
mit Vertretungen zum Beispiel in Stockholm, Wien, Oslo,
gen die Sanktionen gegen Österreich ab und auch bei der
Zürich, Toronto und New York, wenn die Marketingbud-
Wahl des Urlaubsziels ließen sich die Menschen nicht von
gets nicht ausreichen, um eine nachhaltige Marktdurch-
der Schröder-Regierung beeinflussen.
dringung für das Urlaubs- und Reiseland Deutschland zu
erreichen? Als Wiedergutmachung fordere ich Bundeskanzler
Schröder auf, sich bei seinem Amtskollegen Dr. Wolfgang
(Beifall bei der CDU/CSU)
Schüssel und dem gesamten österreichischen Volk zu ent-
Meine Damen und Herren, bei meinen Gesprächen mit schuldigen.
Auslandsvertretungen der DZT wurde deutlich, dass das
(Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch bei
Budget teilweise noch nicht einmal ausreicht, um alle
der SPD)
Prospektanfragen zu beantworten, geschweige denn, um
substanzielle Marketingkampagnen durchzuführen. Adäquat wäre eine Einladung der österreichischen Bun-
desregierung auf die EXPO in Hannover, um dort wieder
Auch die EXPO konnte in wichtigen Quellmärkten lei-
(B) der nicht adäquat vermarktet werden. Es sieht so aus, als auf den Weg der Kooperation und nachbarschaftlichen (D)
Zusammenarbeit zurückzukehren.
sei auch diese Chance von der Bundesregierung und den
Koalitionsfraktionen einfach verschlafen worden. Dabei (Beifall des Abg. Gunnar Uldall [CDU/CSU])
hat die Bundesregierung die große Bedeutung von Wer-
Dies wäre auch eine symbolische Wiedergutmachung ge-
bung und Marketing offensichtlich erkannt, aber leider
genüber dem misslungenen EXPO-Empfang für den
nur für sich selbst. Sonst hätten Sie ja nicht die Titel für
österreichischen Bundespräsidenten Thomas Klestil im
Werbung und Öffentlichkeitsarbeit in allen Bundesminis-
Juni und auch eine dringend notwendige Marketingmaß-
terien seit 1999 drastisch erhöht. Mit ganzseitigen Anzei-
nahme für mehr österreichische Besucher auf der
gen werden in „Stern“, „Spiegel“, „Focus“ und „Gala“ so-
EXPO 2000 in Hannover.
wie in Tageszeitungen die „Wohltaten“ der rot-grünen
Bundesregierung gelobhudelt. Sinnvoller als diese Ver- Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
wendung der Steuergelder wäre die verstärkte Vermark-
(Beifall bei der CDU/CSU)
tung unseres Landes als Tourismusstandort, von der
Deutschland auch als Wirtschafts-, Wissenschafts-, Kul-
tur- und Verkehrsstandort nachhaltig profitieren könnte. Vizepräsident Rudolf Seiters: Das Wort hat nun der
Kollege Dr. Ditmar Staffelt für die SPD-Fraktion.
Meinen Vorschlag, das Jahr 2001 zum „Jahr des Tou-
rismus“ in Deutschland auszurufen, haben Sie, Herr
Minister Müller und Herr Staatssekretär Mosdorf, dan- Dr. Ditmar Staffelt (SPD): Herr Präsident! Meine sehr
kenswerterweise aufgenommen und sich zu Eigen ge- verehrten Damen und Herren! Wir sollten im Zusammen-
macht. Da ich Sie bisher als redliche Verhandlungspartner hang mit dieser Haushaltsdebatte und der Kritik, die hier
kennen gelernt habe, gehe ich davon aus, dass Sie das laut geworden ist, noch einmal auf die Tatsachen und Fak-
Urheberrecht für diese Idee nicht für sich in Anspruch ten zurückkommen. Wenn ich es richtig sehe, enthält die-
nehmen. ser Haushalt des Bundesministers für Wirtschaft Schwer-
punkte, die wir hier im Hause hoffentlich alle teilen.
(Heiterkeit bei der CDU/CSU) Allein für die Mittelstandsförderung und für die Ent-
Dieses Projekt könnte für den Tourismusstandort wicklung des Mittelstandes sind 885 Millionen DM vor-
Deutschland eine große Chance sein, darf aber nicht halb- gesehen. Ich sage das hier, weil man anderenfalls, wenn
herzig gestartet werden. Nicht Kleckern, sondern Klotzen man Ihnen und Ihren Reden folgt, den Eindruck bekom-
men könnte, als werde hier gar nichts mehr getan.
muss dann die Devise heißen. Herr Müller, Herr Mosdorf,
nicht nur Worte, sondern Taten sind gefragt. Unterstützen (Beifall bei der SPD)
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. September 2000 11337
Dr. Ditmar Staffelt

(A) Wir haben in der Gewerbeförderung für den Mittel- in Bezug auf das, was Herr Uldall ausgeführt hat: Wie ver- (C)
stand über 300 Millionen DM zur Verfügung gestellt. Das hält es sich mit der angeblichen Diskriminierung von Per-
bedeutet: Beratungsförderung, Lehrlingsunterweisung und sonenunternehmen, die von der Opposition immer wieder
Meister-BAföG. Wir haben im Bereich von Innovation vorgebracht wird?
und Forschung 540 Millionen DM allein für die Energie-
forschung bereitgestellt. (Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Das könnt
ihr doch unter euch ausmachen!)
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
– Das ist das Forum des Volkes, wenn Sie das noch nicht
Für die Förderung der Außenwirtschaft haben wir in die- mitbekommen haben, und nicht eine Privatveranstaltung
sem Haushalt 177 Millionen DM verankert. Das sind Zah-
für irgendwelche Menschen mit Schnauzbart.
len, die sich sehen lassen können.
(Beifall bei der SPD)
Dr. Ditmar Staffelt (SPD): Schönen Dank, Herr Kol-
Noch eines müssten Sie uns eigentlich, wenn Sie eini- lege Heil. Ich wollte nur sagen: Ich habe ein ähnliches
germaßen redlich sind, zugestehen: Es ist doch nicht die Recht wie Herr Brüderle, auch ich kann auf Fragen ant-
Wahrheit, wenn behauptet wird, bei jeder Haushaltsauf- worten und dabei noch das sagen, was ich gerne sagen
stellung müsse ein Plus dazukommen, nur das bringe möchte. Insoweit, Herr Brüderle, sind wir wieder ganz
ein Mehr an Effektivität. Frau Wöhrl, das ist in keinem nahe beieinander.
Unternehmen so und das ist auch bei öffentlichen Haus-
halten nicht so. Unser Auftrag und die Aufgabe des Bun- Um Ihre Frage aufzunehmen: Ich halte es einfach für
desministers ist doch, dass wir die Programme so kon- eine Mär – die von Ihnen immer und immer wieder in die
zentrieren und so einsetzen, dass es wenig Leerlauf gibt, Öffentlichkeit gesetzt wird –, dass Personengesellschaf-
dass eine gezielte Förderung mit entsprechenden Auswir- ten gegenüber Kapitalgesellschaften benachteiligt wer-
kungen auf den Markt und auf die Unternehmen stattfin- den.
det. Das ist das Ziel und das wird mit den Zahlen dieses
Haushaltes allemal erreicht. (Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Das ist doch
richtig!)
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Die 38-prozentige Gewinnbelastung, von der wir bei Ka-
pitalgesellschaften ausgehen – Körperschaftsteuer plus
Damit auch die folgenden Zahlen das Licht der Öf- Gewerbesteuer –, wird ja überhaupt nur von Personen-
fentlichkeit erblicken: Wir haben allein im Bereich der unternehmen erreicht, die einen Gewinn vor Steuern von
Förderbanken des Bundes, nämlich der Deutschen Aus-
gleichsbank und der Kreditanstalt für Wiederaufbau, ein mehr als 240 000 DM ausweisen. Mehr als 90 Prozent
(B) Volumen von 42 Milliarden DM für Gründer- und Mittel- aller Personenunternehmen weisen aber einen Gewinn (D)
standsprogramme bereitgestellt. Auch das ist doch wohl vor Steuern von nur ungefähr 100 000 DM aus. Das, was
ein angemessener Beitrag zur Entwicklung des Mittel- Sie vorrechnen, mag zwar auf Einzelfälle zutreffen. Aber
standes in unserem Lande. im Grunde genommen haben wir durch die Reform des
Einkommensteuertarifs die Personengesellschaften bes-
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten ser gestellt als die Kapitalgesellschaften. Das soll hier
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) noch einmal ausdrücklich gesagt werden. Genau das ist
Tun Sie also nicht so, Herr Brüderle, als machten wir ein Beitrag zur Förderung des Mittelstandes.
eine Politik, die den Mittelstand nicht fördert. Seien Sie (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
ehrlich: Das Gegenteil ist der Fall. Jeder von uns hat seine DIE GRÜNEN)
eigenen Erfahrungen, hat – wir kennen das ja – mit dem
Präsidenten X oder Y gesprochen. Meine Erfahrung ist, Lassen Sie mich noch kurz etwas zu dem Thema Auf-
dass sehr viele Vertreter der Branchen des Mittelstandes bau Ost sagen, weil mich das die ganzen Ferien über
die Politik dieser Bundesregierung ausdrücklich begrü- geärgert hat. Ähnlich wie damals bei Holzmann erklärt
ßen. Das gilt übrigens auch für die Steuerreform, die wir man – je nachdem, wer gerade unterwegs ist –: Der macht
realisiert haben. das ja nur, um eine Shownummer abzuziehen. Diese Art
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der Beliebigkeit Ihrer Argumentation wird Ihnen noch auf
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) die Füße fallen. Es ist doch wohl zunächst festzuhalten:
Seit über 16 Jahren hat sich kein Bundeskanzler der Bun-
desrepublik Deutschland so intensiv um die ökonomi-
Vizepräsident Rudolf Seiters: Herr Kollege schen Fragen dieses Landes gekümmert wie Gerhard
Staffelt, Ihr Fraktionskollege Hubertus Heil möchte eine Schröder.
Frage an Sie stellen.
(Beifall bei der SPD – Hartmut Schauerte
(Dagmar Wöhrl [CDU/CSU]: So macht man [CDU/CSU]: Aber mit den falschen Ergebnis-
eine Verlängerung!) sen!)
– Hören Sie bloß auf! Sie praktizieren eine parteipoliti-
Dr. Ditmar Staffelt (SPD): Ja, bitte schön, Herr Heil. sche Instrumentalisierung. Sie aus dem Sauerland sind so
weit weg von den Realitäten Ostdeutschlands, dass Sie
jetzt besser ein bisschen ruhiger sein sollten.
Hubertus Heil (SPD): Herr Kollege Dr. Staffelt, Sie
haben das Thema Steuern angesprochen. Mich interessiert (Beifall bei der SPD)
11338 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. September 2000

Dr. Ditmar Staffelt

(A) Ich kann Ihnen nur eines sagen: Den Menschen ist zwar grund von Neueinstellungen und Investitionen positiv (C)
viel Herz vermittelt worden, aber das hat an vielen Stellen entwickelnde Arbeitslosenzahl.
leider nicht zu einer Verbesserung der ökonomischen
(Dagmar Wöhrl [CDU/CSU]: Demographi-
Lage geführt. Wenn ein Bundeskanzler durch Ostdeutsch-
scher Faktor!)
land reist und dabei auf die positiven Beispiele der wirt-
schaftlichen Entwicklung verweist, auf Produkte auf- – Frau Wöhrl, Sie machen auch solche Sprünge. Auf der
merksam macht, die in Ostdeutschland in hervorragender einen Seite erklären Sie im Ausschuss, dass das Rabattge-
Weise entwickelt worden sind, dann ist das ein Beitrag zur setz etwas ganz Gefährliches für den Mittelstand sei, und
Entwicklung Ostdeutschlands, den man nur begrüßen auf der anderen Seite bietet Ihre Firma das „knopfstarke“
kann. Alles andere ist doch nichts weiter als billige Agita- Wöhrl-Bonus-Programm mit vielen Extras an, neu und
tion. einzigartig.
(Beifall bei der SPD) (Dagmar Wöhrl [CDU/CSU]: Das ist etwas
ganz anderes!)
Lassen Sie mich schließlich noch auf Folgendes ver-
weisen: Dieses Land hat durch gute Rahmenbedingungen, Sie gehen in Wahrheit mit der Moderne mit. Aber Sie
die diese Regierung geschaffen hat – auch im Bereich der trauen sich nur noch nicht, dies der Öffentlichkeit zu
Unternehmen des Neuen Marktes –, eine Landschaft ent- sagen, wenn Sie den CSU-Rock anhaben.
wickelt, die sich sehen lassen kann. Wenn Sie sich alleine (Dagmar Wöhrl [CDU/CSU]: Das stimmt
die Zahlen über das Venture Capital anschauen, dann nicht!)
wissen Sie, welches Potenzial hier zur Verfügung steht.
Jeder dritte Euro, der in Beteiligungen investiert wird, Haben Sie mehr Mut! Tun Sie das! Dann können wir in
fließt in junge, neue Unternehmen. diesem Lande auch eine gemeinsame Wirtschaftspolitik
betreiben.
(Dagmar Wöhrl [CDU/CSU]: Aber nicht mehr
lange, nach der Steuerreform!) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN)
Das kommt doch nicht daher, weil sich diese Regierung
weigert, diese Entwicklung zu unterstützen. Das kommt
doch vielmehr daher, dass die Investoren wissen: Ja, diese Vizepräsident Rudolf Seiters: Zu einer Kurzinter-
Regierung fördert die Entwicklung der modernen Tech- vention gebe ich dem Kollegen Gunnar Uldall das Wort.
nologien. Das ist unser Ziel, das wir auch konsequent ver-
folgen. Gunnar Uldall (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Durch die SPD-Kollegen wurde ich
(B) Wir haben nie viel davon gehalten, Old und New Eco-
auf meinen Beitrag über die Auswirkung der Steuerreform (D)
nomy gegeneinander auszuspielen. Das wäre ja auch
auf die unterschiedliche Rechtsform der Betriebe ange-
Blödsinn; denn beide gehören zusammen und bedingen
sprochen. Es gibt einen absolut unabhängigen und wirk-
einander. Deshalb müssen wir einerseits zu dem stehen,
lich souveränen Beobachter der deutschen Wirtschafts-
was wir im Bereich der Old Economy zugesagt haben, und Finanzpolitik: Das ist die Deutsche Bundesbank. Es
und andererseits das Neue dynamisch aufbauen. Das ist geht nicht darum, verschiedene Beispiele zu konstruieren.
unsere Grundphilosophie. Wir sind alle lange genug im Geschäft, um das zu beherr-
(Beifall bei Abgeordneten der SPD) schen.
Ich möchte schließlich kurz und knapp auch noch auf Deswegen sage ich: Beziehen wir uns auf die Zahlen
das Handwerk eingehen, um Missverständnissen vorzu- der unabhängigen Deutschen Bundesbank. Sie schreibt in
beugen. Wir wollen auch beim Handwerk die notwendi- ihrem letzten Bericht: Wenn man einen Gewinn in der
gen Modernisierungsschritte mittragen, und zwar in Ab- Höhe von zum Beispiel 100 000 DM erzielt, der thesau-
stimmung mit dem Zentralverband des Deutschen riert wird, das heißt in die Rücklage gestellt wird, und man
Handwerks, und das aufnehmen, was Präsident Philipp bereits den höchsten Steuersatz erreicht hat – das ist bei
und Hauptgeschäftsführer Schleyer immer wieder gesagt einer Personengesellschaft bei 240 000 DM der Fall –,
haben: Auch das Handwerk ist beweglich und will die dann erfolgt bei einer KG, einer OHG, einer GbR die Be-
Moderne. Das werden wir im Konsens mit diesen Herren steuerung mit 51 Prozent. Eine GmbH, eine Aktiengesell-
machen. Die Gespräche laufen bereits. Niemand muss schaft, die auch über 240 000 DM Gewinn macht und
sich sorgen, dass diese Koalition etwa die Handwerksord- ebenfalls 100 000 DM thesaurieren will, wird nur mit
nung aushebelt und den großen Befähigungsnachweis 38 Prozent besteuert. Somit stehen den 38 000 DM
abschafft. Wir wissen, was dieses Land am Handwerk hat, 51 000 DM gegenüber. Diesen Unterschied können Sie
und zwar sowohl hinsichtlich Arbeitsplätzen als auch hin- nicht erklären. Ich prognostiziere, dass Sie diesen Unter-
sichtlich Ausbildungsplätzen. schied auf Dauer nicht vertreten können. Kein Mensch in
Deutschland versteht, dass eine Besteuerung nicht nach
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der Höhe des Gewinns erfolgt, sondern nach der Rechts-
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) form des Unternehmens. Solchen Unsinn werden Sie auf
Ich möchte auch erwähnen, dass die Entwicklung in Dauer nicht vertreten können. Deswegen garantiere ich
Ihnen: Sie werden dieses in den nächsten Jahren wieder
diesem Land – das können Sie doch gar nicht leugnen –
zurücknehmen.
insgesamt mehr als erfreulich ist: 3 Prozent, möglicher-
weise sogar 3,25 Prozent Wachstum und eine sich auf- (Beifall bei der CDU/CSU)
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. September 2000 11339

(A) Vizepräsident Rudolf Seiters: Nun hat der Sauer- Im Übrigen weise ich noch einmal darauf hin: In all (C)
land-Abgeordnete Hartmut Schauerte um eine Kurzinter- den Fällen, die wir Ihnen hier im Einzelnen dokumentie-
vention gebeten. ren können, sprechen wir überhaupt nicht über diese
Regionen. Ich habe Ihnen schon eben gesagt: 100 000 DM
sind für viele selbstständige Personengesellschaften – ich
Hartmut Schauerte (CDU/CSU): Herr Kollege spreche jetzt von Gewinnen vor Steuern – Beträge, die
Staffelt, ohne dass ich Ihnen einen Anlass dazu gegeben schon zu den Spitzenergebnissen zählen. Das ist so. Dem-
habe: Sie haben die herrliche Region des Sauerlandes in entsprechend gilt das, was ich hier gesagt habe: Die Be-
einer negativen Weise angesprochen, – steuerung nach Einkommensteuertarif ist – verglichen mit
(Dr. Ditmar Staffelt [SPD]: Aber nicht doch!) den Kapitalgesellschaften – diejenige Variante, die für
den Mittelstand günstiger ausfällt. Ich bitte, das noch ein-
– als sei der Standort Sauerland nicht geeignet, damit mal im Einzelnen zu prüfen.
man erkennt, was in den neuen Ländern los ist. Mögli-
cherweise haben Sie zunächst an Ihren Generalsekretär Außerdem möchte ich auf Folgendes hinweisen: Wir
Müntefering gedacht. haben natürlich immer das Problem, dass es Einzelfälle
gibt, die nicht ins Muster passen. Dies können wir bei Ge-
(Dr. Ditmar Staffelt [SPD]: Der hört ja zu, im legenheit – das will ich gerne tun – einmal gemeinsam be-
Gegensatz zu Ihnen!) sprechen. Wir wollen uns dieser Frage dann gerne anneh-
Das könnte ich noch nachvollziehen. Grundsätzlich lehne men.
ich ab, Herr Kollege Staffelt, dass man Regionen mit sol- (Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Das sind
chen Bemerkungen belastet. Es gibt in jeder Region Wert- Hunderttausende dieser Unternehmen! –
volle und weniger Wertvolle, Kluge und Dumme. Das soll Gunnar Uldall [CDU/CSU]: Das sind keine
auch für Berlin gelten. Einzelfälle!)
Lassen Sie mich eine Schlussbemerkung machen. Ich
bin mit der sauerländischen mittelständischen Wirtschaft Vizepräsident Rudolf Seiters: Ich gebe der Kollegin
und Industrie sehr verbunden. Die sauerländischen Unter- Dagmar Wöhrl für die CDU/CSU-Fraktion das Wort –
nehmen haben mit Investitionsentscheidungen und der aber nicht zum Firmenprogramm.
Schaffung von Arbeitsplätzen in den neuen Ländern un-
glaublich erfolgreich gewirkt und Gutes gestiftet. Ich be-
haupte, dass sie mehr Gutes bewirkt haben, als die Berli- Dagmar Wöhrl (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe
ner Wirtschaft zusammen in allen neuen Ländern geleistet Kolleginnen und Kollegen! Ich will nichts zur Firmenpo-
hat. litik sagen. Ich werde mich nachher mit dem Kollegen
Staffelt zusammensetzen und ihm etwas über die Wöhrl-
(B) (Beifall bei der CDU/CSU) Card erzählen. Ich glaube, dass er weiß, was richtig ist. (D)

Herr Staffelt, Sie haben am Anfang Ihrer Rede Haus-


Vizepräsident Rudolf Seiters: Zur Erwiderung der haltszahlen auf den Tisch gelegt. Aber Sie haben etwas
Kollege Staffelt. nicht gemacht: Sie haben keine Vergleichszahlen aus dem
Jahre 1998, als Sie an die Regierung gekommen sind, ge-
Dr. Ditmar Staffelt (SPD): Herr Präsident! Meine Da- nannt. Damals waren die Zahlen nämlich bei weitem
men und Herren! Zunächst einmal, Herr Schauerte: Sollte höher – gerade im mittelständischen Bereich –, als sie es
ich die Sauerländer oder das Sauerland hier beleidigt jetzt sind. Allein derjenige Titel, der dem Handwerk zu-
haben, nehme ich das sofort zurück. Ich habe überhaupt gute kommt, wird von 271 Millionen DM auf 238 Milli-
keinen Anlass, das zu tun. Es gibt nur einige vorwitzige onen DM gekürzt. Das sind mehr als 12 Prozent. Dennoch
Bewohner des Sauerlandes, die nie zuhören können. De- stellen Sie sich hier als großer Freund des Handwerks dar.
nen muss man einmal sagen, dass sie die Kirche im Dorf
lassen sollen. Diese Zahlen passen genau in das Bild: Mittelständler
und Handwerker sind für Ihren „Genossen der Bosse“
Im Übrigen wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie die Ver- nämlich ein ganz großer Störfaktor, weil sie diejenigen
gleiche mit dieser schönen Hauptstadt in Zukunft etwas
vorsichtiger formulieren, damit es nicht zu atmosphäri- sind, die sich der Umarmungsstrategie entziehen. Wer bei
schen Störungen zwischen diesen beiden sehr schönen Ihnen nicht gleich genügend Beifall spendet, der wird ein-
und bedeutenden Regionen unseres Landes kommt. So fach abgestraft. So ist auch Ihre Politik.
viel zu diesem Thema. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
Noch ein kurzes Wort zu Ihnen, Herr Uldall. Ich muss der F.D.P.)
Ihnen sagen: Ich kann nicht verstehen, warum Sie eigent- Das beweist auch die Diskussion über den großen Be-
lich dann, wenn es so ist, wie Sie gesagt haben, vom Op-
fähigungsnachweis, die Sie auf den Weg gebracht haben.
tionsmodell Abstand genommen haben. Beim Options-
modell hätte nämlich jede der Personengesellschaften den Allein diese Diskussion hat nämlich dazu geführt, dass
Weg wählen können – wenn es sich am Ende, errechnet viele junge Gesellen jetzt nicht mehr bereit sind, den
durch den Steuerberater, als vorteilhaft ergeben hätte –, Meisterbrief zu machen, weil sie auf eine Änderung war-
steuerlich als Kapitalgesellschaft betrachtet zu werden. ten.
Das wollten Sie ausdrücklich nicht. Das muss man hier (Wolfgang Weiermann [SPD]: Das ist doch ein
einmal sagen. Schmarren! Gucken Sie sich einmal die Statis-
(Beifall bei Abgeordneten der SPD) tiken an!)
11340 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. September 2000

Dagmar Wöhrl

(A) Sie wissen genau, was das bedeutet: weniger Existenz- Kollege Mosdorf hat uns ja im Ausschuss erklärt, man (C)
gründungen. Ihre Taten strafen Sie doch Lügen, wenn Sie bemühe sich, bei diesem Problem zu einer Lösung mit
hier von Förderungen des Handwerks sprechen. Sie ge- dem Finanzministerium zu kommen. Die Lösung sieht
fährden unter anderem die 40 Prozent der Ausbildungs- jetzt so aus: Das Finanzministerium hat sich voll und ganz
plätze, die das Handwerk stellt. Ich möchte jetzt einen an- durchgesetzt und die Existenzgründer schauen in die
Röhre. Was ist denn mit der Besteuerung von Aktienop-
deren Bereich nennen. Im Güterkraftverkehrsgewerbe
tionen? Wir wissen ganz genau, dass diese Stock-Options
sind jetzt allein 40 000 Unternehmen und 380 000 Ar- unwahrscheinlich wichtige Anreize sind, um Spitzen-
beitsplätze durch die hohen Dieselpreise akut bedroht. kräfte zu bekommen, auch nach Deutschland. Tatsache
Das Problem sind nicht die Nettopreise. ist, dass der Fiskus bei uns viel stärker zugreift als in den
(Wolfgang Weiermann [SPD]: Das sind Sie!) meisten anderen Wirtschaftsnationen, denn er greift schon
mit dem hohen persönlichen Einkommensteuersatz zum
Das will ich ganz ausdrücklich sagen. Diese müssen die Zeitpunkt der Optionsausübung und nicht erst bei der Ver-
Konkurrenten im Ausland auch bezahlen. Das Problem ist äußerung zu. Ich fordere Sie auf, endlich Freibeträge und
der massive Wettbewerbsnachteil aufgrund der hohen ein Wahlrecht hinsichtlich des Besteuerungszeitpunktes
Steuerbelastung. Was geschieht im Ausland? Das Ausland einzuführen, damit wir wenigstens diesen Standortnach-
kommt seinen Lkw-Unternehmen entgegen. teil abbauen.

(Manfred Grund [CDU/CSU]: Ja, Frankreich, (Zuruf von der SPD: Wie war das denn vor ein
paar Jahren?)
Belgien!)
Meine liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie schaden
Diese Länder senken nämlich die Dieselsteuer oder erlas- dem Mittelstand nicht nur durch die Steuergesetzgebung
sen sie ihnen vollständig. – da können Sie, Herr Staffelt, sagen, was Sie wollen –,
(Michael Glos [CDU/CSU]: Weil es Sie schaden ihm auch woanders.
Sozialisten sind!) (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Ditmar Staffelt
[SPD]: Das Komische ist nur, dass alle Leute,
Was ist bei uns? Sie drehen immer mehr an der Öko- die wir treffen, das begrüßen, was wir machen!)
steuer-Schraube. Das ist wie eine steuerliche Rolltreppe:
immer feste nach oben, anstatt diesen Unternehmen ent- So werden am 1. Januar 2001 nicht nur die Abschrei-
gegenzukommen. bungsbedingungen hinsichtlich der Nutzungsdauer total
verschlechtert werden, –
(Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch bei
der SPD) (Dr. Ditmar Staffelt [SPD]: Das sagt kein
verantwortungsbewusster Vertreter der Wirt-
(B) (D)
Transportkosten sind zur Standortfrage geworden. Der schaft, was Sie hier erzählen!)
zuständige Verband rechnet mit 10 000 Betriebsaufgaben – hören Sie zu, Herr Staffelt, ich habe Ihnen auch anstän-
und Pleiten; über 100 000 Arbeitsplätze sollen allein hier dig und brav zugehört, so, wie ich erzogen worden bin –,
gefährdet sein. Daraus folgt aber nicht, dass der Verkehr
jetzt einfach auf die Bahn verlagert wird, wie es sich ja (Dr. Ditmar Staffelt [SPD]: Entschuldigung!)
vielleicht viele erhoffen. Ganz etwas anderes wird passie- sondern auch die Hindernisse im Arbeitsrecht erhöht.
ren: Die in den Ländern ringsherum subventionierten
Transportunternehmen, in Frankreich, den Niederlanden, (Dr. Ditmar Staffelt [SPD]: Auch ich schätze
Italien und demnächst auch noch in Belgien, werden das Sie, Frau Wöhrl, wegen der „Details mit Raf-
Geschäft hier übernehmen. Auf diesem Wege exportieren finesse“!)
Sie die Arbeitsplätze ins Ausland. Ich denke zum Beispiel an die Novellierung des Betriebs-
(Beifall bei der CDU/CSU – Michael Glos verfassungsgesetzes. Herr Riester wird hier offensichtlich
[CDU/CSU]: Und auch die Steuern!) von Albträumen geplagt und sieht gewisse weiße Flecken
auf der Landkarte der betrieblichen Mitbestimmung vor
Sie schaden nicht nur dem traditionellen Mittelstand, sich, wie er sagt. Ich weiß nicht, warum sich der Minister
auch Existenzgründern aus dem Hightechbereich und Riester eigentlich vor diesen weißen Flecken fürchtet. Die
Unternehmen der New Economy schaden Sie. Was haben Menschen, die in den kleineren und mittleren Betrieben
Sie denn mit denen im Rahmen der Steuerreform ge- im Bereich dieser weißen Flecken arbeiten, sind glück-
macht? Es ist schon paradox, auf der einen Seite mehr lich. Sie wollen ihre Interessen nicht kollektiv, sondern in-
Existenzgründungen zu fordern und sie gleichzeitig steu- dividuell vertreten.
erlich wesentlich höher als anonyme Unternehmen zu be- (Wolfgang Weiermann [SPD]: Nach dem
lasten. Außerdem muss nach Ihrer Steuerreform zukünf- Motto: Der Unternehmer ist gut!)
tig jeder, der mehr als 1 Prozent Beteiligung an einer
Firma hat, bei einer Veräußerung den Gewinn vollständig Leider steht zu befürchten, dass sich der DGB seine Zu-
versteuern; vorher lag diese Grenze bei 10 Prozent. Das stimmung zur Rentenreform nicht nur mit einem Still-
heißt, Sie erschweren jungen Unternehmen so die Eigen- stand beim Ladenschluss, sondern auch mit einem Be-
kapitalbeschaffung. Es muss schon ein sehr idealistischer triebsverfassungsgesetz à la DGB abkaufen lässt.
Business-Angel sein, der das erhebliche Risiko einer Un- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU –
ternehmensbeteiligung eingeht, wenn er zugleich einen Wolfgang Weiermann [SPD]: So ein Schmar-
späteren Veräußerungsgewinn kräftig versteuern muss. ren!)
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. September 2000 11341
Dagmar Wöhrl

(A) Das bedeutet: zukünftig auch Betriebsräte bereits in Be- Aber bei der Kategorie „Lohnfindung“ – hören Sie zu – (C)
trieben mit drei Mitarbeitern. Das bedeutet ferner eine Er- steht Deutschland auf Platz 57, bei der Kategorie „Kündi-
weiterung der Mitbestimmung durch den DGB. Alle gungsschutz“ auf Platz 58 und bei der Kategorie „Ar-
wirtschaftlichen Angelegenheiten, heißt es in diesem Pa- beitslosenversicherung“ auf dem letzten Platz. Das zeigt
pier, sollen zukünftig der Mitbestimmung unterliegen, erschreckend deutlich, wo Nachholbedarf besteht, wo
also nicht nur Umstrukturierungen bei Unternehmen, son- sich zukünftig auch die wirtschaftliche Kompetenz zeigen
dern auch der Verkauf von Unternehmensteilen, die wird; es besteht Handlungsbedarf bei der Arbeitsmarkt-
Eingliederung von Unternehmen und vieles andere mehr. ordnung.
Wissen Sie, was dem Unternehmer noch bleibt? Eines
lasst ihr ihm: das Risiko und sonst nichts. (Dr. Norbert Wieczorek [SPD]: Sie sollten die
Unternehmen nach Manchester verlegen! Da
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) gab es den Manchester-Kapitalismus! Das ist
Das wäre eine Enteignung, wenn so etwas wirklich kom- der Standort für Sie!)
men sollte. Und was machen Sie, außer dass Sie hier immer
(Lachen bei der SPD) dazwischenrufen?
Ein Betriebsinhaber, meine Damen und Herren von der (Dr. Ditmar Staffelt [SPD]: Ich glaube, diese
Koalition, der das unternehmerische Risiko trägt, der Rede wird noch oft zitiert werden bei anderer
meist auch noch persönlich haftet und bei einer unterneh- Gelegenheit! Das würde Herr Ost im Ruhrge-
merischen Entscheidung nicht mehr das letzte Wort haben biet nie sagen!)
darf – was ist denn das? Sie stecken einfach den Kopf in den Sand. Packen Sie
(Wolfgang Weiermann [SPD]: Sie haben keine doch endlich einmal die Reformen an, die hier notwendig
Spur von Ahnung von Mitbestimmungsfragen sind, damit wir zukunftsfähig werden, damit Deregulie-
und auch nicht vom Betriebsverfassungsrecht! rung geschaffen wird, damit wir zu einer Flexibilisierung
Entschuldigen Sie!) des Arbeitsmarktes kommen. Trauen Sie sich bitte auch
einmal an das Günstigkeitsprinzip heran.
Hier wird Art. 14 des Grundgesetzes angegriffen. Versu-
chen Sie einmal, eine Änderung des Art. 14 zu erreichen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Viel Spaß dabei! Ich glaube, betriebliche Vereinbarungen, mit denen beste-
(Wolfgang Weiermann [SPD]: Sie beleidigen hende Arbeitsplätze gesichert und neu geschaffen werden
einen Großteil der Menschen, die an Fragen der können, dürfen zukünftig nicht mehr von einem Tarifkar-
Mitbestimmung gearbeitet haben! Dann seien tell verhindert werden.
(B) (D)
Sie ruhig, wenn Sie keine Ahnung haben!) Herr Minister Müller, Sie haben kürzlich das Aktions-
Sie wissen, dass wir in Deutschland eines der schärfs- programm für den Mittelstand vorgestellt. Sie dürfen mir
ten Mitbestimmungsgesetze weltweit haben. Wenn wir es nicht böse sein, wenn ich sage: Für uns war es sehr ent-
noch mehr verschärfen, schaden wir uns im internationa- täuschend. Es stand nichts Neues, nichts Zukunftsweisen-
len Wettbewerb. Das lenkt Investitionskapital nicht hier- des drin. Aber es bleibt Ihnen überlassen, ob Sie zukünf-
her, wo wir es haben wollen; das wissen Sie. tig wieder solche Papiere verfassen wollen, die eigentlich
nichts bringen. Es wäre viel besser, wenn Sie sich mit dem
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Mittelstand an einen Tisch setzten und mit ihm sprächen
Wir sind in einem Zeitalter der New Economy. Da und dem dann Taten folgen ließen. Denn schon in der Bi-
brauchen wir nicht mehr Restriktionen und mehr Regle- bel steht geschrieben: „An ihren Taten sollt ihr sie erken-
mentierungen, sondern da brauchen wir Flexibilisierung. nen.“

Und was machen Sie mit dem Anspruch auf Teilzeitar- Vielen Dank.
beit? Das ist doch das Allerletzte! (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
(Wolfgang Weiermann [SPD]: Das Allerletzte
ist das, was ich hier hören muss!) Vizepräsident Rudolf Seiters: Weitere Wortmel-
dungen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums
Sie greifen in die Vertragsfreiheit ein. Wie soll denn ein für Wirtschaft und Technologie liegen nicht vor.
Unternehmer zukünftig überhaupt noch Personalplanung
gestalten? Man merkt, dass Sie in vielen Dingen so pra- Daher rufe ich jetzt den Geschäftsbereich des Bun-
xisfremd, so weit weg von der Wirtschaft sind, dass man desministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reak-
es sich überhaupt nicht vorstellen kann. torsicherheit auf. Das ist der Einzelplan 16. Ich gebe das
Wort zunächst Herrn Bundesminister Jürgen Trittin.
Das Weltwirtschaftsforum in Genf hat kürzlich zusam-
men mit der amerikanischen Harvard-Universität eine
Vergleichsstudie über 59 Wirtschaftsstandorte durchge- Jürgen Trittin, Bundesminister für Umwelt, Natur-
führt. In der Rubrik „Leistungskraft der Unternehmen“ schutz und Reaktorsicherheit: Herr Präsident! Meine Da-
haben wir sehr gut abgeschnitten. men und Herren! Auch dieser Haushalt ist eine solide
Grundlage für eine Politik der ökologischen Modernisie-
(Uwe Hiksch [PDS]: Bei solchen Chefinnen rung. Der Haushalt ist die Grundlage für eine moderne
wie Ihnen ist das auch kein Wunder!) Umweltpolitik: ökologisch, nachhaltig und innovativ.
11342 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. September 2000

Bundesminister Jürgen Trittin

(A) Der Haushalt des Bundesumweltministeriums bildet nämlich Verkehr und private Haushalte. Grundlage un- (C)
bekanntlich nur einen kleinen Teil der Umweltausgaben serer Politik wird deshalb ein Konzept zur Verringerung
des Gesamthaushaltes ab, ungefähr 15 Prozent. Insgesamt des Energiebedarfs von Neubauten sein. Hier soll durch
sind die Ausgaben des Bundes für Umweltschutz in die- die Energiesparverordnung eine Reduktion des Energie-
sem Jahr mit rund 8 Milliarden DM zu veranschlagen. einsatzes um 30 Prozent erfolgen. Wir wollen eine CO2-
Trotz Sparens ist es uns gelungen, große Programmtitel Minderung im Gebäudebestand erreichen; insbesondere
des BMU im Wesentlichen auf dem Vorjahresniveau gilt dieses auch für den Altbaubereich. Wir werden also
fortzuschreiben: etwa die Naturschutzgroßprojekte mit einen Teil der Zinserlöse aus der Versteigerung der
40 Millionen DM oder Umweltschutzpilotprojekte im UMTS-Lizenzen in einem angemessenen Umfang zur
Ausland. Gegen-finanzierung eines Altbau-Sanierungsprogramms
Im Wege der Umschichtung ist es uns aber auch ge- einsetzen. Das schafft übrigens Arbeitsplätze in einer
lungen, für wichtige Bereiche zusätzliche Mittel bereitzu- sechsstelligen Größenordnung.
stellen. Das gilt insbesondere und vor allem – dies ist sehr
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
wichtig – für den Bereich des Naturschutzes. Naturschutz
und bei der SPD)
ist einer der Bereiche, die über keine wirtschaftliche
Lobby verfügen und wo sich der wirtschaftliche Nutzen Gegen den Widerstand der Union wollen wir unseren
häufig erst auf den zweiten Blick erschließt. Kurs der Förderung des Ausbaus erneuerbarer Energien
Wir wollen im kommenden und im nächsten Jahr und der Kraft-Wärme-Kopplung konsequent fortsetzen.
20 neue Stellen schaffen, um das Bundesamt für Natur- Wir haben in diesem Jahr 200 Millionen DM – übrigens
schutz stärker auszubauen. Das wird mit einer grundle- durch Einnahmen aus der Ökosteuer finanziert – für ein
genden Novellierung des Bundesnaturschutzgesetzes Marktanreizprogramm zur Förderung erneuerbarer Ener-
verbunden. Dadurch wollen wir das deutsche Natur- gien eingesetzt. Das gilt auch für die folgenden Jahre. Al-
schutzrecht insgesamt modernisieren. lein mit diesen Maßnahmen, die darauf abzielen, kleine
Wasserkraftwerke, einzelne Windanlagen, Anlagen zur
Ebenfalls in diesem Zusammenhang erfreulich: Wir Nutzung von Biomasse und Geothermieanlagen zur
haben die Projektfördermittel für die Umwelt- und die
Marktreife zu führen, rechnen wir bei einem durch-
Naturschutzverbände erhöhen können. Sie steigen jetzt
schnittlichen Förderanteil von 20 Prozent mit 12 000 bis
auf 6,3 Millionen DM. Verglichen mit den Ausgaben der
Vorgängerregierung haben wir es hier mit einer Steige- 15 000 neuen Arbeitsplätzen.
rung von insgesamt 37,1 Prozent zu tun. Wir stellen damit Hinzu kommt das 100 000-Dächer-Programm für So-
die Arbeit der Verbände, der Anwältinnen und Anwälte larstromanlagen mit einem Fördervolumen von ungefähr
(B) der Natur, auf eine solide Grundlage. 280 Millionen DM. Zusammen mit dem Erneuerbare- (D)
Der Klimawandel ist das größte Umweltproblem, dem Energien-Gesetz haben wir bei Photovoltaikanlagen ei-
die Menschheit heute gegenübersteht. In vielen Teilen der nen Boom ausgelöst. Die Industrie kommt zurzeit mit der
Welt – auch hier bei uns – sind extreme und ungewöhnli- Produktion kaum nach. Die Kurse der Aktien der führen-
che Wetterphänomene verstärkt zu beobachten. Ich setze den Photovoltaikunternehmen haben sich seit Jahresan-
mich gerade mit meinen Kolleginnen und Kollegen in- fang mehr als verdoppelt.
nerhalb der EU dafür ein, dass wir im November 2000 bei Das meine ich, wenn ich sage: Umweltpolitik ist mo-
der großen Klimakonferenz in Den Haag tatsächlich die dern und innovativ, schafft Arbeitsplätze und bedeutet den
Grundlagen schaffen, damit das Protokoll von Kioto end- Einstieg in eine neue Ökonomie.
lich ratifiziert werden und in Kraft treten kann. Das setzt
allerdings glaubwürdige Regeln bei der Ausgestaltung (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
dieses Protokolls voraus. Es setzt auch voraus, dass ins- und bei der SPD)
besondere die Industriestaaten ihren eingegangenen Ver- Meine Damen und Herren, die Erfolge der Bundesre-
pflichtungen nachkommen. publik beim Klimaschutz waren möglich, weil wir in un-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN serer Klimaschutzpolitik auf ein ganzes Bündel von Maß-
und bei der SPD) nahmen gesetzt haben. Ich betone: In diesem Bündel von
Maßnahmen war die ökologische Steuerreform ein zen-
Wir haben in der Bundesrepublik Deutschland – übri-
trales Element.
gens: mit dem Ausstieg aus der Atomenergie – neben
Großbritannien als einziges Industrieland tatsächlich (Dr. Christian Ruck [CDU/CSU]: Etiketten-
messbare Reduktionsleistungen zu verzeichnen. Gemes- schwindel!)
sen an der EU-Verhandlungsposition, die besagt, dass die
Hälfte der Reduktionen auf nationaler Ebene erbracht Grundsätzlich bin ich der festen Überzeugung, dass
werden muss, hätten wir unser Ziel heute schon erreicht. Steuern ein wichtiges Instrument sind, um die richti-
gen Signale für die Nutzung knapper Umweltgüter
Doch wir wollen mehr. Wir haben deswegen am zu setzen ... Die knappen Güter Umwelt und Res-
26. Juli mit dem Zwischenbericht zum Klimaschutzpro- sourcen werden während ihrer Nutzung nicht ausrei-
gramm erstmals sektorale Minderungsziele festgelegt, chend bewertet. Die Folge: Es entstehen soziale
weil wir uns damit auf die besonders problematischen Be- Kosten. Diese können durch eine Steuer ausgegli-
reiche konzentrieren können, bei denen CO2 entsteht, chen werden ... Damit stellen ökologisch orientierte
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. September 2000 11343
Bundesminister Jürgen Trittin

(A) Steuern wichtige Instrumente für die Trendwende zu Dies sei zur Vollständigkeit noch hinzugefügt: Wer die (C)
einer nachhaltigen Entwicklung dar. Ökosteuer abschaffen oder aussetzen will, der muss den
Bürgerinnen und Bürgern sagen, was das für die Renten-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
beiträge bedeutet.
und bei der SPD)
(Birgit Homburger [F.D.P.]: Das ist die einzige
Dieses Zitat stammt aus dem Jahre 1997. Zwei Jahre
Begründung, die Sie haben!)
zuvor hat die gleiche Autorin unterstrichen, die Ein-
führung einer CO2-Energiesteuer sei „ein notwendiges Wo sollen 2001 22,4 Milliarden DM, 2002 27,2 Milliar-
Element der nationalen Klimaschutzpolitik“. 1998 nannte den DM und 2003 32,4 Milliarden DM Bundeszuschüsse
die gleiche Autorin den von der Partei Bündnis 90/Die herkommen? Wollen Sie die Rentenbeiträge erneut er-
Grünen in Magdeburg gefassten Beschluss bezüglich des höhen? Das wäre in der Tat ein Anschlag auf die Be-
Benzinpreises eine „gute Grundidee“. Es handelt sich, schäftigung in Deutschland.
wie einige von Ihnen gemerkt haben, um Angela Merkel. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Frau Merkel, ich finde es peinlich und beschämend, und bei der SPD – Dr. Christian Ruck
dass Sie sich nun hinstellen und die Umsetzung Ihrer Vor- [CDU/CSU]: Sie bekommen keinen Pfennig!)
stellungen mit einer dümmlichen Kampagne bekämpfen. Das ist der Grund dafür, warum alle seriösen Wirt-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN schaftsinstitute dieser Republik, vom Ifo bis zum DIW,
und bei der SPD) eine Aussetzung der Ökosteuer ablehnen.
Sie können sich nicht einmal darauf berufen, dass Sie im- Meine Damen und Herren, eine Frage sei mir noch er-
mer von einer Ökosteuer im europäischen Kontext ge- laubt: Sind Sie sich sicher, dass ein Aussetzen der Öko-
sprochen haben. steuer Auswirkungen auf den Preis haben wird? Die Er-
fahrungen mit dem Heizöl belegen das Gegenteil. Obwohl
Denn es ist und bleibt wahr: Deutschland liegt bei den es von den Erhöhungen der Ökosteuer ausgenommen ist,
Mineralölsteuersätzen und bei den Benzinpreisen im eu- steigt der Preis des Heizöls.
ropäischen Vergleich in der unteren Mitte. Die von Ihnen,
Frau Merkel, 1997 angemahnte „nüchterne Auseinander- Nein, meine Damen und Herren, die Ökosteuer ist gut
setzung um Steuern und Abgaben als umweltpolitische In- für Umwelt und Beschäftigung. Es ist und bleibt klüger,
strumente“ – Originalton Angela Merkel – müsste es Ih- Kilowattstunden zu rationalisieren als Arbeitsplätze.
nen verbieten, mit der Lüge über das Land zu ziehen, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Autofahren sei noch nie so teuer gewesen wie heute. und bei der SPD)
(B) (Zuruf von der CDU/CSU: Stimmt doch!) Die Ökosteuer macht das Dreiliterauto lohnend. Sie bringt (D)
Nehmen Sie zur Kenntnis: Im gleichen Zeitraum, in das Wasserstoffauto näher und sie ist der Weg, um schnel-
dem sich die Haushaltseinkommen verachtfacht haben, in ler von Ölkartellen und knapper werdenden Ressourcen
dem sich der Brotpreis verfünffacht hat und eine Busfahr- unabhängig zu werden.
karte elfmal so teuer geworden ist, wurde das Benzin le- (Birgit Homburger [F.D.P.]: Also ist doch die
diglich zweieinhalbmal so teuer. Ökosteuer schuld am Benzinpreis!)
(Dr. Christian Ruck [CDU/CSU]: Das ist et- Deswegen ist die Ökosteuer die nachhaltige Antwort auf
was ganz anderes!) die Herausforderungen der Zukunft.
Gemessen an der Preisentwicklung und der Einkom- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
mensentwicklung war Autofahren in Deutschland noch und bei der SPD)
nie so billig wie heute.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Vizepräsident Rudolf Seiters: Für die CDU/CSU-
und bei der SPD – Dr. Christian Ruck Fraktion spricht nun der Kollege Dr. Klaus Lippold.
[CDU/CSU]: Scharlatan!)
Ihre Kampagne gegen die Ökosteuer ist verlogen und Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach) (CDU/CSU): Herr
verhetzend, weil sie den Menschen weismacht, dass all Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr
das, was die jetzige Regierung im Hinblick auf die Entlas- Bundesumweltminister, Sie werden nicht müde, bei jeder
tung von Geringverdienenden und Familien mit Kindern sich bietenden Gelegenheit darauf hinzuweisen – Sie ha-
durch eine Steuerreform und durch die Anhebung des ben das auch gerade wieder getan –, dass die Klimaver-
Kindergeldes geleistet hat, änderungen die zentralen Probleme sind, vor denen wir
stehen. Auch der Kollege Rezzo Schlauch hat das Pro-
(Dr. Christian Ruck [CDU/CSU]: Quatsch!)
blem gestern gestreift. Darauf komme ich gleich noch
nicht stattgefunden habe und dass nun der nackte Not- zurück.
stand drohe, weil sich die Benzinpreise nach oben ent-
Ich erinnere daran, was Sie am 6. Mai 1999 gesagt ha-
wickelt haben.
ben: Tatenlosigkeit, gerade beim Klimaschutz, ist ein
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Luxus, den wir uns nicht mehr leisten können. – Bundes-
und bei der SPD – Dr. Christian Ruck kanzler Schröder hat den Delegierten der Weltklimakon-
[CDU/CSU]: Scharlatan!) ferenz zugesagt – ich habe es mir notiert, als wir in Bonn
11344 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. September 2000

Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach)

(A) waren –, bis Mitte 2000 eine umfassende nationale Stra- schon ganz andere Konzepte überlegen. Ich weiß nicht, ob (C)
tegie mit Handlungselementen, nicht nur mit Zielvor- Sie jetzt schon aufgrund von Verhandlungen, nämlich
gaben, die noch nicht abgestimmt sind, vorzulegen. Energieaudit, davon Abstand genommen haben, um ein
Was machen Sie? Sie machen nichts als Ankündigun- wirklich effizientes Instrument zu bekommen. Aber dies
gen, Herr Trittin. ist wieder ein anderes Thema. Sie haben erkannt, dass Sie
falsch liegen, und weil Sie falsch liegen, rudern Sie herum
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) und versuchen abzulenken.
Diese umfassende Strategie liegt bis heute nicht vor. Die- Sie können nicht zwischen Ihrer Ökosteuer und einer
ses Handlungskonzept liegt nicht vor. Sie brauchen sich europäisch orientierten Klimaschutzsteuer differenzieren.
gar nicht so selbstzufrieden zurücksetzen. Der Bundeskanzler hat das partiell begriffen. Er sieht we-
(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Hinfläzen!) nigstens, dass man Dinge nicht nur national, sondern auch
europäisch angehen soll, und ist insofern klüger als Sie.
Arroganz, Herr Minister, wie schon neulich bei Ihrem
Auftritt in einer Fernsehsendung, zahlt sich nicht aus. Sie (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Dazu gehört
können das versuchen, aber Sie werden damit nicht wei- auch nicht viel!)
terkommen. Er hat damals bei der Einführung der Ökosteuer gesagt:
Das alles führt nicht an dem Fakt vorbei, dass Sie nur die erste Stufe national und alles andere nur europäisch.
angekündigt und nichts getan haben. Ich darf dazu den Aber bei diesem Bundeskanzler ist es so, dass das, was er
Sachverständigenrat heranziehen, der gesagt hat, dass die gestern gesagt hat, heute nicht mehr gilt. Dies war einer
Bundesrepublik Deutschland in den früheren Jahren Vor- der vielen Wortbrüche, die wir bei ihm erleben mussten.
reiter im Klimaschutz war und jetzt zurückgefallen ist. Dadurch wird diese Politik nicht besser und auch nicht
Das sind Sie, Herr Trittin. Sie sind kein Vorreiter, wir sind glaubwürdiger.
im internationalen Vergleich zurückgefallen, weil Sie die
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
Akzente Ihrer Politik falsch setzen, weil Sie ankündigen
und nicht handeln. Das einzige, was Sie an Nachhaltig- Auch der Kollege Rezzo Schlauch – gerade war er
keitsstrategien übernommen haben, sind Punkte, die wir noch da –
bereits auf den Weg gebracht haben. Diese führen Sie jetzt
(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Der ist mit
fort, allerdings ohne jedes neue innovative Konzept.
seinem Porsche weggefahren!)
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
neten der F.D.P.) – kennt den Unterschied nicht, aber ich bin gern bereit,
(B) Herr Kollege, mich mit Ihnen einmal intensiv zu unter- (D)
Meine sehr geehrten Damen und Herren, meine Frak- halten, damit Sie den Unterschied zwischen europäischer
tion greift nicht nur auf Bewährtes zurück. Wir gehen in Klimaschutzsteuer und Ökosteuer, wie Sie sie praktizie-
der Klimaschutzpolitik weiter und wir haben die Akzente ren, begreifen.
anders gesetzt. Wir setzen darauf, dass wir in Zukunft
nicht nur mit dem Ordnungsrecht und mit Belastungen ar- (Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
beiten. Unser Konzept zielt wesentlich stärker auf An- NEN]: Ich bin hier!)
reize, auf Selbstverpflichtung, auf Fördermaßnahmen und Wenn Sie dann ganz einfach unser Eckpunktepapier
auf marktwirtschaftliche Lenkungsmechanismen, die falsch zitieren, Herr Schlauch, und sagen, dass wir selbst
keine Belastung darstellen. Das ist der Schwerpunkt des- eine Lkw-Maut fordern und das, was wir machen, sei
sen, was wir im Fraktionsvorstand mit einem Eck- Heuchelei, sage ich Ihnen: Der Unterschied ist, dass Sie
punktepapier zur Energiepolitik vorgelegt haben. Straßennutzungsgebühren fordern und wir zwar ein
Ich durfte heute vom Herrn Wirtschaftsminister erfah- ähnliches Konzept haben, es aber – jetzt hören Sie zu,
ren, dass auch das Energiekonzept, das er vorlegen wollte, Herr Schlauch –, belastungsneutral ist, –
verschoben wird. Das heißt, in dieser Regierung wird nur (Widerspruch des Abg. Rezzo Schlauch
verschoben. Es wird angekündigt, es solle etwas kommen, [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
und wenn der Zeitpunkt da ist, wird gesagt: Wir kündigen
– und wir das benötigte Geld an anderer Stelle wieder
an, jetzt geschieht endlich wirklich etwas. – Bei Ihnen ge-
zurückgeben. In Ihrem Konzept steht das nicht. Ihr Fi-
schieht gar nichts, außer dass Sie untätig auf der Regie-
nanzminister hat die Einnahmen schon wieder ganz an-
rungsbank sitzen! Genau das ist der Punkt.
ders eingeplant. Es stellt nur eine zusätzliche Belastung
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) des Verkehrsgewerbes dar. Es ist keine Entlastung, wie
das bei uns der Fall wäre. Das ist der Unterschied, Herr
Sie versuchen immer wieder, die Ökosteuer als In-
Schlauch. Aber das kommt davon, dass sich andere Frak-
strument näher zu bringen. Herr Loske hat in verschiede-
tionsvorsitzende in die Materie hineinknien, Sie sich aber
nen Papieren zum Ausdruck gebracht, dass der Len-
etwas auftragen lassen, es ablehnen und nicht begriffen
kungseffekt nicht da ist. Die Gutachten Ihres eigenen
haben. Dies müssen wir noch einmal aufarbeiten, denn so
Hauses belegen, dass die Ökosteuer nicht lenkt, dass sie
geht es wirklich nicht.
keine Klimaschutzsteuer ist, sondern dass sie lediglich die
Menschen belastet. Ich sage das so deutlich, weil Sie (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. September 2000 11345
Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach)

(A) In diesem Zusammenhang sage ich Ihnen noch etwas: Das können wir Ihnen aber nicht ersparen. (C)
Sie haben seinerzeit, als Ihre Fraktion einen Schwächean-
Sie und auch der Bundeskanzler, der mittlerweile ner-
fall hatte, eine Kampagne gemacht, mit der Sie nachwei-
vös wird, sagen, wir würden eine harte Kampagne fahren,
sen wollten, dass Sie gar nicht so sehr gegen das Auto und
für Automobilität sind. Von dieser Automobilität, Herr das sei unangemessen und Anstachelung zum Aufruhr.
Schlauch, ist nichts außer den frommen Sprüchen, die Sie Wer hat denn seinerzeit die Bergarbeiter aufgewiegelt, als
damals so pressewirksam formuliert haben, übrig geblie- es in Bonn um die Subventionen ging?
ben. Mit Ihrer Politik der Verteuerung von Benzin lassen (Ulrike Mehl [SPD]: Sie!)
Sie die Reichen Auto fahren und die armen Schlucker sol-
len von der Straße weggehen. Wer hat denn damals davon gesprochen, dass das alles
richtig sei, und hat Öl ins Feuer gegossen? Nein, es kann
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- nicht sein, dass Sie sich eine Bevölkerungsgruppe aussu-
neten der F.D.P. – Michael Glos [CDU/CSU]: chen und nur deren Anliegen als berechtigt ansehen, und
So ist es! – Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE dann, wenn es um das Verkehrsgewerbe, um die Bauern
GRÜNEN]: Ein völliger Quatsch!) oder die Taxifahrer geht, sagen: Das ist uns Wurscht und
Dazu sagt dann Herr Trittin arrogant, man könne ja schnuppe.
ausweichen. Herr Trittin, fahren Sie doch einmal ohne (Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch bei
Dienstwagen aufs flache Land und erkundigen Sie sich, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
wie die Menschen ihre Arbeitsplätze erreichen. Dies ha- NEN)
ben Sie nie begriffen und das werden Sie auch nicht be-
greifen. Aber Ihre Arroganz, mit der Sie dies einfachen Bei den Kumpeln haben Sie damals Öl ins Feuer ge-
Menschen vorhalten, teilen wir in der Union nicht. gossen. Wenn Sie jetzt die Argumente existenzbedrohter
Menschen nicht ernst nehmen, müssen Sie sich entgegen-
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
halten lassen: Uns ist es nicht egal, ob ein Taxifahrer mit
einem 12-Stunden-Einsatz am Tag hinterher nur noch
Vizepräsident Rudolf Seiters: Herr Kollege knappe 100 DM in der Tasche hat. Das mögen Sie für ein
Lippold, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Trinkgeld halten. Aber diese Menschen müssen hart ar-
Metzger? beiten. Da sollten Sie einmal von Ihrer Arroganz herun-
terkommen, Herr Schlauch.
Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach) (CDU/CSU): (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Peter Paziorek
Nein, ich will erst diesen Gedanken zu Ende führen. [CDU/CSU]: Das tut er ja nicht! Er ruft weiter
(B) (D)
Es kulminiert ja: Auf dem Höhepunkt der seinerzeiti- dazwischen!)
gen 5-DM-pro-Liter-Kampagne haben Sie auch noch ge- Das Gleiche gilt für den Bundesumweltminister. So
sagt: Alle drei Jahre einmal Urlaub auf Mallorca langt. können wir es wirklich nicht machen.
(Dietmar Schütz [Oldenburg] [SPD]: Das hat (Christoph Matschie [SPD]: Ein paar Dezibel
er nicht gesagt! Das war jemand anders!) weniger reichen auch!)
Dies ist schon eine Zumutung für die Bürger. Diese arro-
Dieses Argument hat früher Ihr heutiger Außenminister
ganten Hansel, die jedes Jahr in Urlaub fahren, wollen
verwandt, bis er gemerkt hat, dass es nicht zieht, sondern
dem Bürger vorschreiben, nur einmal in drei Jahren in Ur-
laub zu fahren. dass es ganz gut ist, wenn jemand in diesem Haus vor-
weisen kann, dass er eine ordentliche Ausbildung hat,
(Beifall bei der CDU/CSU) dass er ordentlich arbeiten kann und dass er es im Beruf
Jetzt sagt Ihr Kollege aus Schleswig-Holstein: Dann zu etwas gebracht hat. Ich habe keine Pflastersteine ge-
verzichten Sie doch einmal auf Urlaub. worfen. Auf Mutlangen-Geschichten wollen wir in die-
sem Zusammenhang gar nicht eingehen.
(Birgit Homburger [F.D.P.]: Ganz!)
(Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch bei
Die Menschen in diesem Lande arbeiten hart und haben
Urlaub verdient. Sie haben es nicht verdient, dass eine so der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
nachlässige Fraktion mit so wenig Überlegung ihnen das NEN – Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE
abspricht. Hier zeigt sich eine durch Macht entstandene GRÜNEN]: 20 Millionen in der Schweiz! –
Arroganz, die eine Partei, die so jung wie die Ihre ist, ein- Ulrike Mehl [SPD]: Nichts tun ist manchmal
fach nicht haben dürfte. schlimmer!)
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Ich will Ihnen noch eines sagen, Herr Schlauch, auch
Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- wenn es Ihnen weh tut: Der wesentliche Teil kommt doch
NEN]: Halten Sie einmal den Schaum vor noch, wenn es um die Erhöhung der zweiten Miete geht,
Ihrem Mund zurück!) weil die Preise jetzt explodieren, und Sie Ihren Beitrag
Ich weiß, das tut weh, Herr Schlauch. nicht leisten wollen, –
(Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Das tut mir überhaupt nicht weh!) NEN]: Hessische Dreckschleuder!)
11346 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. September 2000

Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach)

(A) – wenn die kleinen Leute die steigenden Nebenkosten bei rier erwarte ich normalerweise die Souveränität, dass er (C)
der Miete tragen müssen, was Sie ja nicht interessiert, – Zwischenfragen aus dem Plenum zulässt. Da Sie meine
Zwischenfrage nicht zugelassen haben, mache ich jetzt
(Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- eine Kurzintervention.
NEN]: White-Collar-Kriminalität!)
Erstens. Ich wollte Sie beim Stichwort „ländlicher
– weil Sie als Großverdiener überhaupt kein Gespür mehr Raum“ fragen, warum Sie hier der Bevölkerung ver-
dafür haben. Ich sage Ihnen ganz offen: Wer nach so kur- schweigen, dass noch im Steuerkonzept der Union vom
zer Zeit so abhebt wie Sie, dem werden die Leute das nicht Frühsommer als Gegenfinanzierung für die Senkung der
vergessen. Steuertarife steht, dass zum Ersten Pendler nur ab einer
(Beifall bei der CDU/CSU) Entfernung von 15 Kilometern überhaupt eine Entfer-
nungspauschale bekommen und dass zum Zweiten die
Ich sage jedenfalls: Wenn unsere Nachbarn in Europa Entfernungspauschale für Pendler bei Pkw-Nutzung auf
in dieser Frage handeln können, obgleich sie sich politisch 50 Pfennig gesenkt wird?
festlegen, könnten auch Sie eigentlich handeln, wenn Sie
nicht so verbohrt wären. Herr Schlauch, es wird mir gut (Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/
tun: Wenn der Kanzler mit den Kuba-Zigarren dann ir- DIE GRÜNEN]: Aha!)
gendwann vor den nächsten Wahlen feststellt, – Wie wollen Sie sich jetzt als Vertreter des ländlichen
(Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Raumes aufspielen, obgleich Ihre Fraktion, um den Spit-
NEN]: Nicht in Kuba!) zensteuersatz weiter zu senken, nicht eine Entlastung der
Pendler im ländlichen Raum will, sondern eine Belas-
– dass die Nervosität in reale Existenzangst umschlägt, tung?
dann wird dieser Kanzler Sie dort sitzen lassen, wo Sie sit-
(Zuruf von der SPD: Er ist ein kleiner Mann,
zen, und auf Ihre Argumentation keine Rücksicht nehmen. aber nicht ein Vertreter des kleinen Mannes!)
(Beifall bei der CDU/CSU – Rezzo Schlauch Zweitens. Kollege Lippold, Sie vergessen, dass diese
[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lippold for Koalition mit einer soliden Finanzpolitik im nächsten Jahr
Kanzler!) – trotz Sparzeiten – das erste Mal seit zehn Jahren sicher-
Er hat Ihnen schon in der Kernenergiedebatte das stellt, dass das Wohngeld, jedenfalls im Westen, wieder
Rückgrat gebrochen. angehoben wird, dass das Erziehungsgeld steigt, dass das
BAföG wieder mehr BAföG-Bezieher erreicht und dass
(Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- mit dem Abbau der Staatsverschuldung langfristig die
NEN]: Der Jungpate von Hessen!) Weichen dafür gestellt werden, dass die Menschen in die-
(B) sem Land eher weniger als mehr Steuern zahlen, dass die (D)
Sie haben doch politisch kein Rückgrat mehr. Bei allem,
was Sie Ihren Wählern politisch versprochen haben Abgaben sinken.
– Kernenergieausstieg –, hat er so getan, als wäre es das. Sie verschweigen außerdem, dass mit der nächsten
Der Kernenergieausstieg, Herr Trittin, kann doch die CO2- Stufe der Ökosteuer der Rentenversicherungsbeitrag wei-
Ausstöße gar nicht beeinflussen. Es ist doch noch gar kein ter sinken wird. Es ist keine Frage: Der Beitragssatz bei
einziges Kraftwerk abgeschaltet. Sagen Sie das doch den der Rente wird sich im nächsten Jahr nach unten bewegen
Leuten einmal und erwecken Sie nicht den Eindruck, als müssen, genauso wie bei der Arbeitslosenversicherung im
sei Ihr Beschluss schon Realität. Ich sage Ihnen heute vo- Jahr 2002 eine Senkung der Beiträge ansteht, wenn unsere
raus: Ihr Beschluss wird keine Realität werden und wir Politik dazu führt, dass auf dem Arbeitsmarkt die Be-
werden einen Beitrag zum Klimaschutz leisten. schäftigung steigt, und zwar nicht nur aus demographi-
(Beifall bei der CDU/CSU) schen Gründen, sondern auch konjunkturbedingt.

Nehmen Sie Abstand von Ihrer unerträglichen Arro- Diese Conditio können Sie durchaus als Realität anse-
ganz. Denken Sie wenigstens einmal an die kleinen Leute, hen. Bereits heute ist es nicht so, wie Ihr Fraktionsspre-
Herr Schlauch. Der SPD empfehle ich, dem zu folgen. cher gestern hier zum Ausdruck brachte, dass die Arbeits-
losigkeit in Deutschland nur aus demographischen
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Gründen sinkt. Inzwischen geht selbst Ihr CDU-Freund
Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Jagoda, an der Spitze der Bundesanstalt für Arbeit, davon
NEN]: Die CDU, die Partei der kleinen Leute! aus, dass die Arbeitslosigkeit im August überwiegend aus
Das ist doch lächerlich! – Dietmar Schütz konjunkturellen Gründen zurückgegangen ist. Wenn
[Oldenburg] [SPD]: Bravo! – Rezzo Schlauch wir als Koalition diesen Weg fortsetzen, dann, Kollege
[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der hessische Lippold, wird das magische Quadrat Realität: Wir wirt-
Jungpate!) schaften solide mit den Staatsfinanzen, bauen die Ver-
schuldung des Staates ab und geben die dadurch geschaf-
fenen Spielräume in Gestalt niedrigerer Steuern und
Vizepräsident Rudolf Seiters: Zu einer Kurzinter-
Abgaben an die Bevölkerung weiter. Gleichzeitig tun wir
vention gebe ich das Wort dem Kollegen Oswald
etwas für den ökologischen Umbau in dieser Gesellschaft.
Metzger.
Vielen Dank.
Oswald Metzger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Herr Präsident! Kollege Lippold, von einem Parlamenta- und bei der SPD)
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. September 2000 11347

(A) Vizepräsident Rudolf Seiters: Zu einer Erwiderung furt, sitzen die Softwareunternehmen mit den vielen Ar- (C)
der Kollege Lippold. beitsplätzen. Ohne uns wäre das nicht passiert.
(Lachen bei der SPD)
Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach) (CDU/CSU): Herr
Und dies ist gegen den entschiedenen Widerstand Ihrer
Kollege Metzger, Sie wissen, dass ich keiner Diskussion
Fraktion – nicht von Ihnen selbst – und der Sozialdemo-
aus dem Wege gehe. Ich wollte vorhin lediglich einen Ge-
kratie geleistet worden. Ich will es nur einmal in Erinne-
danken zu Ende führen, der Ihren Kollegen Schlauch
rung rufen: Die Weichen sind von uns gestellt worden,
motiviert hat, unruhig zu werden, und dabei lasse ich mich
nicht von Ihnen.
ungern stören.
(Beifall bei der CDU/CSU)
(Zurufe von der SPD: Oh!)
Lassen Sie mich mit dem letzten Punkt beginnen. Der
Vizepräsident Rudolf Seiters: Nun hat für die SPD-
ökologische Umbau, wie Sie ihn vorhaben, klappt nicht.
Fraktion die Kollegin Ulrike Mehl das Wort.
Dazu habe ich gerade einiges gesagt. Ich könnte dies im
Detail ausführen.
Ulrike Mehl (SPD): Lieber Herr Kollege Lippold, Sie
Lassen Sie mich etwas zu der Entfernungspauschale
sind doch nun stellvertretender Fraktionsvorsitzender. Ich
sagen. Wir handeln anders als Sie, Herr Metzger, wir for-
dachte, dass Sie daher etwas ruhiger und in Ihren Reden
mulieren neu. Wenn Sie das Eckpunktepapier lesen, wer-
etwas sachlicher und konkreter würden.
den Sie feststellen, dass wir, wenn Handlungsbedarf ist,
auf die aktuelle Situation Rücksicht nehmen. Das Gleiche (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Er ärgert sich
hatte ich von Ihnen erwartet. Aber Ihre Fraktion ist nicht auch in dieser Position, Frau Kollegin!)
wie Sie. Ihre Fraktion analysiert nicht, bevor sie spricht.
Schade, dass das nicht der Fall ist. Sie haben Ihr altes
Ihre Fraktion hat vielmehr ein vorgegebenes Bild und
Temperament behalten.
versucht noch nicht einmal, dies der Realität anzupassen.
Aufgrund Ihrer vielfachen Analysen sage ich mit Bewun- (Beifall bei der CDU/CSU)
derung: Wie viel Mut haben Sie in dieser Fraktion!
Leider hat sich die Qualität Ihrer Redeinhalte nicht erhöht.
Aber lassen Sie mich noch einiges zu dem einen oder
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
anderen Aspekt sagen, Herr Kollege Metzger. Bezüglich
DIE GRÜNEN – Dr. Klaus W. Lippold
der Senkung der Arbeitslosigkeit haben Sie zutreffend auf
[Offenbach] [CDU/CSU]: Sagen Sie auch et-
die Demographie hingewiesen; das ist ein Element. Sie
(B) sollten aber hinzufügen, dass der rapide Werteverfall des was zu Inhalten oder nur zum Stil?) (D)
Euro gegenüber dem Dollar zu einer ganz erheblichen Sie haben eine ganze Reihe von Punkten angespro-
Verstärkung der Exporte beigetragen hat. Sie wie ich wis- chen, die Herr Trittin gewissermaßen im Vorgriff wider-
sen, dass der Export ein ganz erheblicher Arbeitsplatzga- legt hat. Deshalb will ich gar nicht im Einzelnen darauf
rant ist. Man sollte sich aber jetzt nicht darauf berufen, eingehen.
dass unser Geld an Wert verliert, und dies in einer Debatte Aber eines ist bei der Ökosteuerdebatte interessant:
darüber, wie sich langfristig der Arbeitsmarkt orientiert, Diese Debatte ist nicht neu, sondern wir führen sie seit
als positiv darstellen. So kann es nicht weitergehen; da über zehn Jahren, sowohl in Ihrer Fraktion als auch in al-
sind wir uns doch wohl einig, Herr Metzger. Kurzfristig len anderen Fraktionen. Es sind viele Modelle diskutiert
mögen Sie von diesem Element arbeitsmarktpolitisch worden, aber über eines waren wir uns zumindest pha-
profitieren. Langfristig aber – das wissen Sie wie ich – ist senweise einig, dass die Ökosteuer in sich ein sinnvolles
ein Werteverfall des Geldes das Tödlichste, was einer Instrument ist. Sie sind auch maßgeblich in der Enquete-
Marktwirtschaft und übrigens auch im Hinblick auf die Kommission zum Klimaschutz beteiligt gewesen. Über
Zahl der Arbeitplätze passieren kann. das, was die CDU in dieser Kommission alles mitgetragen
(Beifall bei der CDU/CSU) hat, muss man sich heute manchmal die Augen reiben, be-
sonders wenn ich dann höre, was jetzt zum Thema Öko-
Dass Sie durch die Verkäufe der UMTS-Lizenzen Ein- steuer gesagt wird. Das kann ich nicht mehr nachvollzie-
nahmen erzielt haben – über diese wollen wir gar nicht hen.
verfügen, allenfalls über die Zinseinsparungen –, ist un-
bestritten. Aber ohne unsere Politik der Privatisierung hät- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
ten Sie diese Einnahmen nie erzielt. des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

(Beifall der Abg. Marita Sehn [F.D.P.]) Sie wissen ganz genau, dass nicht die Ökosteuer für
den dramatischen Anstieg der Energiepreise verant-
Ich erinnere mich noch daran – da waren Sie noch nicht wortlich ist, sondern die vielen Faktoren, die vorhin schon
im Parlament, Herr Metzger –, wie ich mit meinem Kol- alle genannt worden sind: der Markt, die Mineralölun-
legen Schwarz-Schilling gegen Ihre Fraktion und gegen ternehmen. Alle möglichen Mechanismen spielen dabei
die Sozialdemokraten fighten musste, damit wir die Pri- eine Rolle, aber auf jeden Fall nicht die Ökosteuer. Sie
vatisierung überhaupt auf den Weg bringen konnten. Die spielt die kleinste Rolle und die Einnahmen werden an
Arbeitsplätze, die jetzt in diesem Bereich entstehen, rech- Arbeitnehmer und an Arbeitgeber komplett zurückgege-
nen Sie jetzt sich zu. In meiner Heimat, im Raum Frank- ben. Wir wissen heute aufgrund von Umfragen, dass
11348 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. September 2000

Ulrike Mehl

(A) dadurch Arbeitsplätze geschaffen werden. Auch dies ist solche, die mehr Sprit verbrauchen, dann hat es doch in (C)
schon mehrfach über die Tage gesagt worden. Es werden den Köpfen geschaltet. Diesen Lenkungseffekt sollte die
keine bestehenden Arbeitsplätze zerstört, sondern es wer- Ökosteuer auch haben.
den in großer Zahl neue geschaffen.
Wir haben hier ein sehr differenziertes Konzept. Der
Selbst die Wirtschaft – jedenfalls ihre fortschrittlichen Steueranteil für die Landwirtschaft liegt durch die teil-
Teile – hat im Laufe dieser Diskussion über die Jahre hin- weise Rückvergütung bei 57 Pfennig, der ÖPNV wird in
weg immer gesagt: Jetzt beschließt doch endlich einmal der zweiten Stufe der Ökosteuer nur mit dem halben Steu-
die Ökosteuer, damit die Energiepreise Schritt für Schritt ersatz belastet und –, das wird für viele private Haushalte
kalkulierbar ansteigen. Darauf können wir uns dann ein- für den bevorstehenden Winter interessant – Heizöl
stellen. Wir halten das Konzept im Prinzip für richtig. kommt in den nächsten Stufen der Ökosteuer überhaupt
Nun soll das alles nicht mehr wahr sein? Sie suchen nicht vor. Leichtes Heizöl wurde nur in der ersten Stufe ab
händeringend nach Themen, mit denen Sie die Öffent- April 1999 einmalig mit 4 Pfennig belastet. Außerdem
lichkeit richtig aufmischen können. Wenn Sie sich einmal werden hier wiederum produzierendes Gewerbe sowie
ansehen, wie die Leute befragt werden und was im Fern- Land- und Forstwirtschaft mit einem gemäßigten Steuer-
sehen und in der Presse übertragen wird, dann wird deut- satz versehen. Bei den Gaspreisen für private Endver-
lich, mit welchen Argumenten, nämlich falschen, gear- braucher liegt der Steueranteil unter 10 Prozent. Da wird
beitet wird. Ich habe manchmal den Eindruck, dass Teile auch keine Verschiebung zulasten der Verbraucher vorge-
der Presse auf der Suche danach sind, dass in der Repu- nommen.
blik wieder einmal so richtig etwas los ist. Es geht alles
Also: Wer im Zusammenhang mit der Ökosteuer von
viel zu glatt. Deswegen wird dieses Thema benutzt. Das
Abzockerei spricht, der ist nicht nur des billigen Populis-
hat aber überhaupt nichts mit vernünftiger oder mit ökolo-
mus entlarvt, sondern betreibt gezielte Volksverdum-
giefreundlicher Politik zu tun. Deswegen lehne ich das ab.
mung.
(Beifall bei der SPD)
(Walter Hirche [F.D.P.]: Es ist schon deshalb
Wer aus billigem Populismus das Aussetzen oder gar Abzockerei, weil es im Widerspruch zu den Ko-
die komplette Rücknahme der Ökosteuer verlangt, der alitionsvereinbarungen steht!)
setzt erstens gegenüber den OPEC-Staaten und den Mi-
neralölfirmen ein völlig falsches Signal. Zweitens gaukelt Ich kann nur sagen: Das machen wir nicht mit.
er den Bürgerinnen und Bürgern vor, dass die Bundesre- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
gierung stabile Verbraucherpreise garantieren könnte. Die DIE GRÜNEN)
These, die dieser Ökosteuer zugrunde liegt, ist nach wie
(B) vor richtig, nämlich: Umweltverbrauch muss verteuert Wir haben von vornherein erklärt, dass wir mit der (D)
und Arbeit billiger werden. Das ist die Überschrift, unter Ökosteuer die maßvolle und berechenbare Verteuerung
der wir die eingenommenen Mittel aus der Ökosteuer ein- der Energie gewollt haben, um einen Lenkungseffekt, von
setzen, nämlich nicht zum Stopfen irgendwelcher Haus- dem ich gesprochen habe, zu erreichen. Besonders wirk-
haltslöcher, so wie Sie es über viele Jahre gemacht haben, sam muss sie – da bin ich einmal auf Ihre Konzepte ge-
sondern sie zielt darauf ab, die Rentenversicherungs- spannt – im Verkehrsbereich sein. Gerade der Kfz- und
beiträge zu senken. Lkw-Verkehr ist es doch, der nach wie vor steigende CO2-
Emissionen zu verbuchen hat.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Wenn ich mich recht erinnere, war es die Regierung
Die Einnahmen fließen also zurück. Es wird immer wie-
Kohl, die eine 25-prozentige CO2-Reduzierung bis zum
der rätselhafterweise behauptet, sie flössen in irgendwel-
Jahre 2005 beschlossen und jahrelang auch offensiv ver-
che Haushaltslöcher, was nicht der Fall ist.
treten hat. Ich möchte einmal wissen, wie Sie das eigent-
Diese Ökosteuer hilft im Bereich Energiesparen. In- lich erreichen wollen. Ich kann Ihnen nur sagen: Wer im
vestitionen in höhere Effizienz werden für private Haus- Glashaus sitzt, soll nicht mit Steinen werfen. Sie hatten
halte und Gewerbe attraktiver. Sie haben am Anfang, als 16 Jahre Zeit, an diesem Thema zu arbeiten. Sie haben das
wir diese Ökosteuer diskutiert haben, immer gesagt, das nur begrenzt getan. Deswegen müssen wir jetzt in aller
sei nur ein Abkassieren – das wird zum Teil jetzt noch be- Kürze der Zeit das rausholen, was bei Ihnen versäumt
hauptet –, das Ganze habe überhaupt nichts mit Ökologie worden ist. Also: Legen Sie Ihre Konzepte vor, wie Sie
zu tun und auch nichts mit Energiesparen. Wenn dem so sich vorstellen, wie Sie es in den letzten Jahren bis zur Er-
wäre, dann weiß ich gar nicht, was hier diskutiert wird. füllung 2005 geschafft hätten. Konzepte hatten Sie auch,
Natürlich hat es damit zu tun, weil es jetzt für den Einzel- aber sie wurden leider von der Regierung nicht beschlos-
nen interessant wird, Energie einzusparen, und viele sen.
Leute sich darüber Gedanken machen.
Wir können jetzt jedenfalls angesichts der hysterischen
(Zuruf von der CDU/CSU: Neue Autos, neue Reaktionen auf die von uns nicht beeinflussbaren Fakto-
Heizkessel!) ren wie Dollarkurs und Ölpreisentwicklung nicht alle klu-
Wenn die Automobilindustrie heute offensiv für Au- gen Erkenntnisse und sinnvollen Steuerungselemente
tos wirbt, die weniger Sprit verbrauchen, und zwar in ei- über Bord werfen und uns zum Spielball der Ölkonzerne
ner Zeit, in der das Thema in der Öffentlichkeit uninte- und OPEC-Staaten machen lassen. Das ist jedenfalls nicht
ressanter wurde, weil die großen Autos verkauft wurden, mein Politikverständnis.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. September 2000 11349
Ulrike Mehl

(A) Wenn ich dann auch noch an die Liebäugeleien einiger Wir haben eine ganze Menge im Bereich erneuerba- (C)
Politiker mit der Nötigung durch Lkw-Blockaden denke, rer Energien, beim 100 000-Dächer-Programm und bei
dann hört, muss ich Ihnen sagen, mein Verständnis für der Förderung regenerativer Energien gemacht. Das ist
Populismus vollends auf. auch in den Haushaltsplänen wiederzufinden. Ich ver-
zichte darauf, das alles zu wiederholen.
Wir wollen eine Politik der Nachhaltigkeit, die sich an
zukünftigen ökonomischen und ökologischen Anforde- Wir haben zehn Jahre lang über die Weiterentwicklung
rungen orientiert und nicht wie Fähnlein im Winde jeder des Naturschutzes gestritten. Ein Gesetz ist in diesen
unkalkulierbaren Preisentwicklung folgt. Wir brauchen zehn Jahren nicht zustande gekommen. Wir werden jetzt
langfristig eine drastische Verminderung des Energie- und einen Gesetzentwurf vorlegen und uns dann, wie ich an-
Ressourcenverbrauchs. Das müsste an dieser Stelle ei- nehme, weiter streiten. Dabei werden wir uns aber in ei-
gentlich der zentrale Punkt sein; denn wir wissen, dass wir ner anderen Rolle als früher befinden und das ist gut so.
zu 74 Prozent von Energieimporten abhängig sind. In Zusammenarbeit von Parlament und Regierung ha-
(Walter Hirche [F.D.P.]: Sie verschärfen das ben wir im Hinblick auf die anstehende Veräußerung bun-
doch!) deseigener Liegenschaften in den neuen Ländern einen
wirklich großen Erfolg erzielt. Wir haben 50 000 Hektar
Diese Diskussion ist ja vor 20 Jahren geführt worden. der wichtigsten naturschutzrelevanten Flächen heraus-
Heute wird sie auf einmal nicht mehr geführt. Heute wird nehmen können und erreicht, dass diese Flächen kosten-
mit Scheinargumenten debattiert, statt zu sagen: Es muss los übertragen werden. So etwas wäre bei Ihnen überhaupt
doch unser Ziel sein, dies alles mithilfe neuer Technolo- nicht möglich und denkbar gewesen. Deswegen bin ich
gien und Energieeinsparungen – all das ist ja schon in sehr froh, dass 1998 der Regierungswechsel kam. Wäre er
Gutachten und Enquete-Kommissionen usw. erarbeitet früher gekommen, hätten wir dieses Problem wahrschein-
worden – zu erreichen, und zwar möglichst schnell. Es lich gar nicht gehabt.
kann nicht hilfreich sein, mit einer solchen Kampagne
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
hausieren zu gehen. Vielmehr muss man sagen: Wir müs- DIE GRÜNEN)
sen weitgehend unabhängig vom Energieimport werden.
Daran müssen wir arbeiten und genau das tut diese Re-
gierung. Vizepräsidentin Anke Fuchs: Frau Kollegin, Sie
müssen bitte an die Redezeit denken.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Ulrike Mehl (SPD): Ich sehe es hier schon und komme
Energie- und Ressourceneinsparungen sollen das ei- auch gleich zum Schluss.
(B) gentliche Stichwort in dieser Debatte sein. Das ist auch (D)
nahe liegend, es zog sich ja wie ein roter Faden durch die Eine ganze Reihe von Fördermaßnahmen konnten wir
Debatten der letzten Tage. Der Haushalt 2001 ist ein gu- im Bundeshaushalt erhalten und erweitern, beispielsweise
tes Beispiel dafür, dass mit konsequenter Einsparung auf die institutionelle Förderung von – –
Dauer ein solides Fundament für eine zielgerichtete Poli-
tik zur ökonomischen und ökologischen Nachhaltigkeit Vizepräsidentin Anke Fuchs: Sie können jetzt keine
gelegt werden kann. Beispiele mehr bringen. Ihre Redezeit ist weit überschrit-
(V o r s i t z : Vizepräsidentin Anke Fuchs) ten.

Ich bitte, immer noch einmal einen Blick darauf zu


Ulrike Mehl (SPD): Deswegen komme ich jetzt zum
richten, dass wir jetzt seit zwei Jahren an der Regierung
Ende. Vielen Dank.
sind, wir einen einigermaßen großen Trümmerhaufen hin-
terlassen bekommen haben und deswegen zunächst erst (Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem
einmal sehen müssen, wie man wieder richtig auf Kurs BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
kommen kann. Wir tun das. Der BMU hat im Zusammen-
hang mit diesem Haushalt erstaunlich deutlich gemacht, Vizepräsidentin Anke Fuchs: Das Wort hat jetzt die
was es an Möglichkeiten gibt – nicht nur im BMU-Be- Kollegin Birgit Homburger, F.D.P.-Fraktion.
reich an sich, sondern insgesamt in der Bundesregierung;
denn Nachhaltigkeit kann sicherlich nicht nur in dem (Horst Kubatschka [SPD]: Bitte nicht so
Haushalt des Umweltministeriums erreicht werden. schnell reden! Langsam und deutlich!)
Wir haben den Ausstieg aus Ihrem Atomkonzept er-
reicht. Wir werden das Atomgesetz novellieren und Birgit Homburger (F.D.P.): Kleiner Tipp am Rande:
die ersten Kraftwerke werden 2002, 2003 abgeschaltet. Ohren spitzen! Dann wird das schon gehen.
Mülheim-Kärlich wird nicht mehr ans Netz gehen. Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ein
(Zuruf von der SPD: Sehr gut!) Großteil dessen, was für die Umwelt getan wird oder, bes-
ser gesagt, getan werden müsste, findet außerhalb des
Das Konzept, das jetzt vorliegt, ist natürlich diskussi- Haushalts statt; das hat der Herr Minister auch gesagt.
onsbedürftig und wird auch ins Parlament kommen. Aber auch innerhalb des Haushalts gibt es nichts groß-
Aber es wird mit Sicherheit dazu geeignet sein, dass der artig Neues. Ihrer Rede hat man auch nicht viel entneh-
Ausstieg aus der Atomenergie kommen wird. men können, außer – das fand ich bemerkenswert – dass
11350 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. September 2000

Birgit Homburger

(A) Sie diesmal noch weniger als bisher angekündigt haben. lich ökologische Projekte zur Verfügung haben – weiter (C)
Offensichtlich sind einige Projekte zwischenzeitlich be- sinkt.
reits gestorben. Der Chef von Greenpeace Deutschland
Insofern werden von den Gesamtmitteln demnach we-
hat das Fiasko vor kurzem noch beim Namen genannt. Er
niger für Umweltschutz und mehr für die Verwaltung aus-
hat gesagt, die Bundesregierung habe kein zukunftswei-
gegeben. Auf den ersten Blick – diesen Eindruck haben
sendes Umweltkonzept.
Sie versucht zu vermitteln – haben wir einen gestiegenen
In Deutschland existieren also keine klaren Ziele und Umwelthaushalt. Auf den zweiten Blick verkehrt sich
überzeugenden Konzepte für die Umweltpolitik. Folge- aber die Aussage in das Gegenteil. So werden in den Fuß-
richtig sucht man im Haushaltsplan vergeblich nach ent- noten des Haushaltes Sachverhalte versteckt, die die
sprechenden Niederschlägen. Damit nicht genug: Der Grundaussagen der Tabellen ändern. Das heißt also: Ver-
Einzelplan des Umweltressorts, Herr Minister, ist ein dras- schleierung, Zahlenschieberei, um dem flüchtigen Be-
tisches Beispiel für Augenwischerei und Geldverschwen- trachter umweltpolitisches Engagement vorzugaukeln.
dung. Das möchte ich Ihnen jetzt einmal vorführen. Offenkundig, Herr Minister Trittin, ist aber, was wir Ihnen
durch viele Beispiele bewiesen haben: Sie haben weder
(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Interesse noch Engagement für die Umweltpolitik.
Als erstes Beispiel nehme ich die Endlagerung radio- (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten
aktiven Mülls. Die Bundesregierung erzwingt jetzt die der CDU/CSU – Walter Hirche [F.D.P.]: Leider
provisorische Lagerung radioaktiven Mülls in oberirdi- sehr wahr!)
schen Zwischenlagern. Die Tatsache, dass an anderen
Orten dieser Republik Endlagerstätten zur Verfügung Das zeigt sich auch bei dem Thema Verpackung und
stehen, deren Eignung von seriösen Wissenschaftlern Mehrweg. Ich wunderte mich vorhin, dass Sie sich dazu
nicht mehr bestritten wird, schert Sie offensichtlich über- nicht geäußert haben. Auf der anderen Seite muss man
haupt nicht. Mit dem Stopp der Endlagerprojekte sich vielleicht auch wieder nicht wundern, –
„Schacht Konrad“ und in Gorleben werden jetzt Milliar- (Zuruf von der CDU/CSU: Er weiß nichts, er
deninvestitionen, die bisher schon getätigt wurden, aus kann nichts!)
ideologischen Gründen kaputtgemacht.
– dass Sie hier dieses Thema aussparen, obwohl Sie genau
Das ist aber noch nicht genug: Wenn Sie dieses Ziel wissen, dass Entscheidungen getroffen werden müssten.
weiter verfolgen, das Sie sich gesetzt haben, brauchen wir Wir haben im Sommer die Ökobilanzen des UBA bekom-
weitere Mittel im Haushalt für die Erkundung anderer men. Danach sind moderne Getränkekartons in einigen
Endlagerstandorte. In den Haushalt 2001 haben Sie Bereichen dem Mehrweg ökologisch gleichwertig. Trotz-
(B) 10 Millionen DM statt bisher 5 Millionen DM eingestellt. dem klammern Sie sich wie ein störrischer Esel an dieses (D)
Diese Zahl ist aber eine Täuschung der Öffentlichkeit, Zwangspfand. Auch wenn Sie es nicht wahrhaben wollen:
und zwar in zweifacher Hinsicht: Erstens wird die Erkun- Vor dem Hintergrund dieser Erkenntnisse müssen drin-
dung neuer Standorte tatsächlich noch ein Hundertfaches gend die Verpackungsverordnung novelliert und die
der Summe verschlingen, die Sie jetzt in den Haushalt ein- Mehrwegquote flexibilisiert werden.
gestellt haben, ohne dass aber solche Bemühungen zu (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten
neuen Erkenntnissen führen werden. Die Verausgabung der CDU/CSU)
dieser Gelder ist also unnötig und überflüssig. Millionen
Mark werden so aus ideologischen Gründen zur Ver- Das haben wir aus ökologischen und ökonomischen
schwendung freigegeben. Gründen in einem Antrag gefordert.
Zweitens sind die Projekttitel „Schacht Konrad“ und Ich will Ihnen an dieser Stelle sehr deutlich sagen: Die
„Gorleben“ nach wie vor mit Blick auf die Haushalts- Zwangspfandregelung mit den starren Quoten ist zwi-
grundsätze der Wahrheit und Klarheit bedenklich. Es gibt schenzeitlich ökologisch kontraproduktiv, technisch völ-
nämlich eine Refinanzierungsvereinbarung, nach der lig unzeitgemäß und wirtschaftlich unvertretbar.
diese Projektkosten an die Staatskasse zurückerstattet (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten
werden. Das wissen Sie auch. Eine Erhöhung der Titel- der CDU/CSU – Walter Hirche [F.D.P.]: Trittin
ansätze im Haushalt des BMU täuscht also staatliches ist doch das Zwangspfand der Regierung
Handeln vor, obwohl Sie tatsächlich nur das Geld anderer Schröder!)
Leute ausgeben.
Nun komme ich zum Themenbereich Klimaschutz.
(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Die Erwartungen, die man an diese Regierung gestellt hat,
Die Ironie ist natürlich, dass ausgerechnet diese Aus- waren wirklich hoch. Aber auch hier ist das Ergebnis völ-
gaben für den Endlagerbereich maßgeblich dafür verant- lig enttäuschend. Die Bundesregierung hat das anspruchs-
wortlich sind, dass der Gesamthaushalt des BMU im volle Ziel, die CO2-Emissionen in Deutschland bis zum
Jahr 2001 im Vergleich zum Vorjahr um 2,7 Prozent an- Jahre 2005 um 25 Prozent zu senken, offensichtlich auf-
steigt. Ohne diese Geldverschwendung und ohne den gegeben. Anders kann ich es nicht deuten. Nach wie vor
Sonderbedarf wegen Tschernobyl sinkt der Stammhaus- liegt kein Klimaschutzprogramm vor.
halt im Vergleich zum Vorjahr aber um 0,4 Prozent. Der- Wissenschaftler haben deswegen vor kurzem wieder
art bereinigt steigt also der Verwaltungshaushalt, während bestätigt, dass die klimapolitischen Ankündigungen der
der Programmhaushalt – also die Mittel, die Sie für wirk- Bundesregierung zu spät kommen und allenfalls – wenn
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. September 2000 11351
Birgit Homburger

(A) überhaupt – langfristig greifen könnten. Alle Chancen für tenversicherungsbeitrag automatisch steige. Das hat Herr (C)
einen modernen und flexiblen Klimaschutz in Deutsch- Poß, das hat Herr Eichel und heute haben auch Sie es, Herr
land haben Sie vertan. Das letzte Beispiel dafür war die Minister Trittin, in diesem Hause gesagt. Wer sich so
Debatte um die Energienutzung im Gebäudebereich. äußert und als Einziges diese Begründung anführen kann,
(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der offenbart ganz klar, dass er mit dem Instrument Öko-
der CDU/CSU) steuer nie ökologische Ziele verfolgt hat. Ihnen ging es
nur um das Abkassieren.
Klimaschutz ist also bei Ihnen auf salbungsvolle Worte
beschränkt. Es gibt keine Impulse für eine wirkungsvolle (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)
Klimapolitik auf nationaler oder internationaler Ebene. Sie wollten mit der Ökosteuer nie ernsthaft ökologisch
Ich muss Ihnen auch sagen: Ich habe Sie und – im Um- lenken. Diese Steuer ist ökologisch widersprüchlich. Wir
weltausschuss – Ihre Staatssekretärin Altmann mehrfach haben das in diesem Hause mehrfach deutlich ausgeführt.
gefragt, was Sie für Initiativen ergriffen haben, um für den Sie ist ohne Wirkung. Sie, meine Damen und Herren von
Bereich des Klimaschutzes in Den Haag zu einem Ergeb- den Koalitionsfraktionen, versuchen die Bürgerinnen und
nis zu kommen. Die Fragen sind bisher unbeantwortet Bürger für dumm zu verkaufen.
geblieben. Ich habe auf eine schriftliche Nachfrage nach Meine sehr verehrten Damen und Herren von den Ko-
Ihren Initiativen eine ausgesprochen peinliche Auflistung alitionsfraktionen, Herr Minister, auch mit Ihrem jetzt
Ihrer Staatssekretärin erhalten. Darin werden selbst vorgelegten dritten Bundeshaushalt versuchen Sie, die
Punkte wie irgendwelche Gutachten, die üblicherweise Bürger durch Rechentricks zu blenden. Sie scheren sich
sowieso von der Verwaltung in Auftrag gegeben werden, überhaupt nicht um ökologische Fragen. Alles in allem ist
sowie Fragen, die Sie im Rahmen von Konferenzen ge- das ein umweltpolitisches Fiasko.
stellt haben, und Gespräche, die Sie im Rahmen von nor-
malen Treffen geführt haben, aufgeführt, um zu beweisen, (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)
dass Sie etwas für den Klimaschutz tun. Wer so etwas
nötig hat, Herr Minister Trittin, der offenbart, dass er in Vizepräsidentin Anke Fuchs: Jetzt hat das Wort die
dieser Frage keinerlei Interesse hat und nichts unter- Kollegin Eva Bulling-Schröter, PDS-Fraktion.
nimmt.
(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten Eva Bulling-Schröter (PDS): Frau Präsidentin!
der CDU/CSU) Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dass Umweltpolitik
Wenn es so weitergeht wie bisher, dann werden Stand- auf Bundesebene nicht alleine über den Etat des Umwelt-
(B) orte für Klimabörsen im Ausland und nicht in Deutsch- ministeriums betrieben wird, haben wir alle sicherlich in (D)
land eingerichtet. Die Spielregeln für internationale Kli- den vergangenen Tagen mitbekommen. Die Ökosteuer
matransaktionen werden dann ohne Einflussnahme berührt diesen Haushalt allerdings nicht direkt. Gleich-
Deutschlands ausgehandelt. Die F.D.P. fordert die Bun- wohl ist sie eine Bundesangelegenheit mit höchster um-
desregierung deswegen auf, den Börsenhandel mit Emis- welt- und sozialpolitischer Relevanz.
sionszertifikaten endlich in die Tat umzusetzen. Wenn
Sie schon nicht auf mich hören wollen und die Vorschläge Nicht nur die jetzige Regierung meinte die Einnahmen
der F.D.P. zur Kenntnis nehmen wollen, dann sage ich aus der Ökosteuer zur Senkung der Lohnnebenkosten
Ihnen: Reden Sie doch vielleicht einmal mit dem um- und nicht für den ökologischen Umbau verwenden zu
weltpolitischen Sprecher Ihrer eigenen Fraktion, der in müssen. Nicht nur für die jetzige Regierung kam die
der Sommerpause in ein paar Presseveröffentlichungen Steuer nur infrage, wenn sie üppige Ausnahmen für die
genau die Position vertreten hat, die die F.D.P. seit Mona- großen Energieverbraucher beinhaltet. Die Wirtschaft
ten einnimmt. hat anständig zugelangt. Sie, liebe Kolleginnen und Kol-
legen von Rot-Grün, haben dem Ausverkauf der Öko-
(Beifall bei der F.D.P.) steueridee zugesehen oder ihn sogar selber betrieben.
Deutschland hat international auf dem Gebiet des Kli- (Beifall bei der PDS)
maschutzes nicht nur seine Vorreiter- bzw. Initiativrolle,
sondern auch gänzlich den Anschluss verloren. Weil Unternehmen 96 Prozent ihrer Energiesteuern,
die sie über 1 000 DM zu zahlen hätten, erstattet bekom-
Sie haben immer wieder die Ökosteuer angesprochen. men, gibt es keine ökologische Lenkungswirkungen. Weil
Auch die Kollegin Mehl hat sie noch einmal ins Gespräch die Unternehmen gleichzeitig durch die Senkung der
gebracht. Hier wird immer behauptet, die Ökosteuer sei Lohnnebenkosten in vollem Umfang entlastet werden, ist
die Maßnahme dieser Bundesregierung schlechthin für die Ökosteuer – netto – eine Gelddruckmaschine für die
den Klimaschutz. großen Unternehmen. Weil sie dies ist, fehlt das Geld für
(Monika Ganseforth [SPD]: Das hat keiner den sozialen Ausgleich für untere Einkommensgruppen
gesagt!) und für den ökologischen Umbau. Es fehlt Geld für einen
bezahlbaren ÖPNV und für eine leistungsfähige Bahn, die
Dazu kann ich nur sagen: Das ist gänzlich lächerlich. Sie
uns die Laster von der Straße und die Bürgerinnen und
haben in den Debatten der letzten Tage um die Ökosteuer
Bürger in die Züge holt.
mehrfach deutlich gemacht, dass die Ökosteuer deswegen
nicht abgeschafft werden könne, weil ansonsten der Ren- (Beifall bei der PDS)
11352 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. September 2000

Eva Bulling-Schröter

(A) Hinzu kommt, dass durch die sinnlose Kopplung an die 1999. Das sind immerhin noch fast 800 Millionen DM (C)
Lohnnebenkosten diejenigen, die es eigentlich nicht nötig weniger als unter der Regierung Kohl. Das hat seine Lo-
hätten, anständig entlastet werden, während Geringver- gik. Wer mit Gelb-Schwarz in den Wettbewerb um Wirt-
diener in die Röhre gucken. schaftsfreundlichkeit und Liberalismus tritt, dem fehlt ir-
gendwann der Schotter für den Otter.
Jetzt zu Ihrer Kampagne, meine lieben Kolleginnen
und Kollegen von CDU/CSU und F.D.P. Sie erklären sich (Beifall bei der PDS – Dr. Christian Ruck
zum Anwalt der kleinen Leute. Darüber kann ich nur la- [CDU/CSU]: Das war aber ein Bonmot!)
chen. 16 Jahre lang konnten Sie beweisen, wie toll Sie als Es versteht sich also von selbst, dass der Stammhaus-
Anwalt der kleinen Leute sind. Mit Ihren Raubrittergeset- halt des BMU zwecks Konsolidierung Jahr für Jahr blu-
zen zum Sozialabbau ten muss. In diesem Jahr haben wir nur eine Reduzierung
(Beifall bei der PDS) von einem halben Prozent, doch im letzten Jahr waren es
immerhin noch 7 Prozent.
haben Sie bewiesen, wie sozial Sie eigentlich sind. Dafür
wurden Sie abgewählt. Also stellen Sie sich nicht als so Im Umwelthaushalt gibt es nur den Lichtblick, dass Sie
sozial dar. Sie sind die Partei derjenigen, die freie Fahrt endlich ein paar Mark mehr für die Umweltverbände
für freie Bürger gefordert hat. Wir kennen das aus dem locker machen. Bis heute verstehe ich aber nicht, warum
Wahlkampf. Einige haben das schon vergessen. Seien Sie der virtuelle Bund für Umwelt und Heimat fast genauso
also nicht so scheinheilig. Einer Ihrer größten Vertreter in viel oder wenig bekommt wie der Dachverband der
Bayern hatte dafür gesorgt, dass das Flugbenzin nicht be- tatsächlichen Umweltverbände DNR. Dafür werden die
steuert wurde. Er hatte selber ein Flugzeug. Mittel für Investitionen zur Verminderung der Umwelt-
belastung mit 4,5 Prozent Minus genauso gekürzt wie für
(Beifall bei der PDS) den Naturschutz, der zweieinhalb Prozent weniger be-
Die Menschen in diesem Lande sollten sehen, welche kommt. Und weil Umweltpolitik künftig wohl in Plau-
Interessen Sie haben. Sie wollen Ihr Mütchen kühlen und derrunden bei Sabine Christiansen verabredet und nicht
sonst überhaupt nichts. Wir sollten die Menschen auf- wie bisher mit Fachleuten erarbeitet wird, werden im
klären: Nicht die Ökosteuer, sondern die Ölpreise sind die BMU im nächsten Jahr – genauso wie in diesem – 36 Stel-
Hauptverantwortlichen für den rasant gestiegenen Ben- len gestrichen.
zinpreis. In Bezug auf den Naturschutz beklagen übrigens schon
(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Das sagt ein- jetzt die Verwaltungen von ostdeutschen Naturschutz-
mal euren Wählern im Osten!) gebieten, dass durch den Geiz der Bundesregierung – die
Vorgängerregierung war auch nicht besser – und durch die
(B) Es sollte uns nach zehn Jahren Nachhaltigkeitsdiskussion Vorrangregelung für Alteigentümer und Wiedereinrichter (D)
auch klar sein, dass die Umwelt ihren Preis hat. Im Um- im vor der Sommerpause novellierten Ausgleichsleis-
weltausschuss diskutieren wir auch darüber. So ist es tungsgesetz bis zu 80 Prozent der betroffenen Natur-
nicht. schutzflächen in private Hände gelangen werden. Der
Um die Verteuerung des Straßenverkehrs kommen wir Bund freut sich über klingelnde Kassen. Die Ländernatur-
schutzhaushalte werden den Naturschutz wohl in vielen
nicht herum, aber wir brauchen bezahlbare Alternativen
Fällen den neuen Besitzern abkaufen müssen. Ich meine,
und den sozialen Ausgleich.
eine wirklich überzeugende Leistung ist das nicht. Sie
(Beifall bei der PDS) müssen hier nachbessern.
Warum stecken Sie nicht das aus Benzinsteuern einge- (Beifall bei der PDS)
nommene Geld in bezahlbare Alternativen oder in For- Zum Atomausstieg können wir noch einmal feststel-
schung und Investitionen zur Energieeinsparung? Dann len: Es war keiner. Herr Lippold hat angemahnt, dass in
bräuchten Sie im Wirtschaftshaushalt auch nicht die dafür dieser Legislaturperiode endlich ein Atomkraftwerk still-
vorgesehenen Titel um 59 Millionen DM zu kürzen. gelegt wird.
Lehnen Sie sich einmal zurück und denken Sie darüber (Horst Kubatschka [SPD]: Was ja pikant ist!)
nach, welche Dynamik bei den erneuerbaren Energien
nach Ihrem EEG auf dem entsprechenden Arbeitsmarkt – Ja, ich finde das sehr pikant, weil Sie das nicht wollen
eingetreten ist. Das sind intelligente Finanzierungsideen und bekämpfen werden. – Ich unterstütze die Forderung,
für den direkten ökologischen Umbau. Es ist sogar haus- mindestens eins stillzulegen. Uns wären natürlich we-
haltsneutral. Das Ganze hat klar messbare umwelt- und sentlich mehr lieber. Doch so wird es nicht kommen und
beschäftigungspolitische Wirkungen. Wie teuer ist in vie- wir werden einmal schauen, ob überhaupt etwas passiert.
lerlei Hinsicht dagegen die Ökosteuer? Und für was wird Ich bezweifle es.
sie gezahlt? Sie wird für Unternehmenssubventionen auf (Horst Kubatschka [SPD]: Da werden Sie
Kosten der Armen und zulasten umweltpolitischer Hand- schauen, Frau Kollegin!)
lungsfähigkeit gezahlt.
– Sie können es ja beweisen.
Dieses Politikversagen setzt sich im Haushalt fort. Um
Wir sind dafür, die Gelder für Schacht Konrad und für
bald 1 Milliarde DM liegen die Mittel, die Sie im Finanz-
Gorleben zu streichen.
bericht als Bundesausgaben mit umweltverbessernder
Wirkung für 2001 ausweisen, unter denen des Jahres (Beifall bei der PDS)
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. September 2000 11353
Eva Bulling-Schröter

(A) Wir wollen sie gegen null fahren und in Titel zur Finan- Umweltschutz aus. Auch hier entfallen 365 Millionen DM (C)
zierung der Stilllegung umwidmen. Das Gleiche fordern auf Projekte zur umweltgerechten, nachhaltigen Entwick-
wir für den Sicherheitsfonds, da sich dahinter in der Re- lung. Es gibt erstmals den Zustand, dass so viel Geld, so
gel eine Förderung der Atomwirtschaft durch die Hinter- viele Milliarden DM konsequent für die Umweltpolitik
tür verbirgt. eingesetzt werden. Das, Herr Lippold – ich weiß nicht, wo
Ich habe leider wenig Zeit. Abschließend möchte ich er gerade steckt –, ist nicht nur kein Stillstand, sondern es
nur folgende Bemerkung machen: Es gibt am 23. Sep- sind förmlich Sprünge nach vorne, gemessen an dem, was
tember eine Halbzeitkonferenz in der Berliner Hum- Sie früher gemacht haben.
boldt-Uni. Dort werden Umwelt- und Sozialverbände so- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
wie entwicklungspolitische Organisationen über zwei DIE GRÜNEN – Walter Hirche [F.D.P.]: Da
Jahre Rot-Grün diskutieren. Das wird für die eingela-
war das alles noch nicht im Umweltministe-
denen Grünen und Sozialdemokraten – Stichwort Atom-
rium! Jetzt brauchen Sie das gar nicht mehr!)
politik – wohl ein Gang nach Canossa werden; denn die
NGOs lassen sich glücklicherweise noch nicht so schnell – Die Begrenztheit Ihres Denkens wird in dieser Zwi-
wie manche auf Parteitagen einlullen. schenbemerkung wirklich sehr deutlich.
Danke. (Lachen bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
(Beifall bei der PDS) Wenn wir nämlich Umweltpolitik nur ressortbezogen und
nicht als Querschnittsaufgabe begreifen, als etwas, was in
Vizepräsidentin Anke Fuchs: Für die SPD-Fraktion alle anderen Bereiche hineinwirkt, dann können wir uns
spricht jetzt die Kollegin Waltraud Lehn. in der Tat von Umweltpolitik verabschieden. Darin liegt
ja auch wohl der Grund, warum Sie keine gemacht haben.
Waltraud Lehn (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kol- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
leginnen und Kollegen! Auch im Umwelthaushalt hält die DIE GRÜNEN)
Regierungskoalition Kurs. Auch bei der Verwendung der Zinsersparnisse aus
(Dr. Klaus W. Lippold [Offenbach] dem Versteigerungserlös der UMTS-Lizenzen wird der
[CDU/CSU]: Starke Bemerkung!) Umweltschutz angemessen berücksichtigt. Mit einem
Sonderprogramm zur Wärmedämmung in Altbauten
Wir halten die haushaltspolitische Gesamtlinie, Staatsver-
unternehmen wir einen wichtigen Schritt, um das Klima-
schuldung abzubauen, ein und wir setzen unseren Weg,
schutzziel, die CO2-Emissionen bis 2005 gegenüber 1990
(B) Zukunft zu gestalten, fort. um 25 Prozent zu reduzieren, zu erreichen. Hier liegt übri- (D)
(Beifall bei Abgeordneten der SPD) gens auch eine Antwort auf die Ölpreiserhöhung. Kolle-
Unsere Haushaltspolitik orientiert sich wie unsere Um- ginnen und Kollegen, viele Familien, aber auch Rentner,
weltpolitik nicht nur an den Bedürfnissen der Bevölke- deren Einkommen gerade so ausreicht, wohnen aus Kos-
rung von heute, sondern auch an der zukünftigen Genera- tengründen sehr häufig in Altbauten. Ihnen haben wir
tion. Beide, Haushalts- wie Umweltpolitik, dürfen nicht durch eine Erhöhung des Wohngeldes, wenn sie ein ent-
auf Kosten unserer Kinder und Enkel gehen. Danach rich- sprechend niedriges Einkommen haben, und durch die
ten wir uns. Steuerreform geholfen.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Birgit Homburger [F.D.P.]: Na!)
DIE GRÜNEN) Übrigens – das sei am Rande noch einmal gesagt – haben
Dass dies keine abstrakten Ziele sind, dass wir ganz wir diese Maßnahmen nicht durchgeführt, um damit die
konkret lebens- und alltagsnah handeln, dafür steht auch Konten der Ölmultis zu füllen.
der Haushalt des BMU und dafür stehen die Ausgaben für (Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Darauf
eine nachhaltige Umweltpolitik, auch in anderen Res- wären wir auch gar nicht gekommen!)
sorts. Umweltschutz ist bei dieser Regierung eine wich-
tige Querschnittsaufgabe. Im Bundeshaushalt 2001 Zugleich ist aber das Sonderprogramm zur Wärmedäm-
belaufen sich die Ausgaben für den Umweltschutz insge- mung in Altbauten in diesem Zusammenhang auch ein
samt auf mehr als 7,8 Milliarden DM, obwohl der Haus- wichtiger Beitrag zur Senkung der Heizkosten.
halt des BMU selbst nur 1,18 Milliarden DM ausweist. Steigende Ausgaben für Benzin und Diesel belasten
Für diesen Querschnitt möchte ich zwei Beispiele an- nicht nur Sport- und Spaßfahrer – das müsste uns ja auch
führen. nicht weiter tangieren –, sondern eben auch Menschen,
Zum einen sind im Haushalt des Bundeswirtschaftsmi- die lange Anfahrtswege zu ihrer Arbeitsstätte haben. Je
nisteriums rund 1,4 Milliarden DM für umweltrelevante geringer deren Einkommen ist, umso höher liegt natürlich
Aufgaben vorgesehen. Davon entfallen rund 450 Milli- in diesem Zusammenhang die Belastung. Obwohl wir
onen DM, also rund ein Drittel, auf die Förderung der er- diese Problematik sehen, wäre es völlig falsch, hier panik-
neuerbaren Energieträger. Das Bundesministerium für artig zu reagieren. Eine Reduzierung oder gar Streichung
Bildung und Forschung weist in seinem Haushalt der Ökosteuer würde den Öl produzierenden Staaten und
962 Millionen DM für die Grundlagenforschung zum der Ölindustrie doch nur weiteren Spielraum für eine
11354 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. September 2000

Waltraud Lehn

(A) Anhebung der Preise – geradezu auf dem Silbertablett ser- Wir bleiben mit dem Haushalt 2001 unserem Weg treu, (C)
viert – eröffnen. das Prinzip der Nachhaltigkeit auch in der Haushaltspoli-
tik anzuwenden. Die Sicherung der natürlichen Lebens-
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten grundlagen als Voraussetzung für wirtschaftliche Leis-
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) tungsfähigkeit und soziale Stabilität auch im Interesse
Richtig ist es stattdessen, auch hier auf langfristige, nach- kommender Generationen, das ist das Ziel und das ist der
haltig wirksame Maßnahmen zu setzen, wie etwa auf das Auftrag der Konferenz von Rio 1992. Umweltminister
Dreiliterauto. Trittin unternimmt mit dem Haushalt 2001 einen weiteren
wichtigen Schritt zur Umsetzung dieses Ziels. Es wurde
Energieeffizienz heißt also das Stichwort. Andere, vor höchste Zeit, auf dieses Ziel hinzuarbeiten. Wir haben, als
allem erneuerbare Energieträger müssen verstärkt in Sie an der Regierung waren, wichtige Zeit verloren, weil
den Mittelpunkt rücken. Der Klimaschutz ist nach wir vor von der damaligen Bundesregierung nach der Konferenz
eines unserer wichtigsten umweltpolitischen Ziele. Nicht von Rio über Jahre hinweg nur Lippenbekenntnisse und
zuletzt hat die aktuelle Entwicklung der Ölpreise deutlich Sonntagsreden zu hören waren.
gemacht, dass eine nachhaltige Energieeinsparpolitik zu
unseren wichtigsten Aufgaben gehören muss, sehr wohl (Dr. Christian Ruck [CDU/CSU]: So ein
aus ökologischen, aber eben auch aus ökonomischen Schmarren!)
Gründen. Es gab zwar gute Ansätze von einzelnen Personen, aber
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten anschließend kein Handeln.
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Heute, da wir den Stillstand beenden, bewegen Sie sich –
nur leider in die falsche Richtung.
Noch eine weitere Antwort auf die Ölpreiserhöhung
hat die Regierungskoalition: 2 Milliarden DM aus einge- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
sparten Zinszahlungen im Zusammenhang mit dem Erlös des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN –
aus der Versteigerung der UMTS-Lizenzen werden für Dr. Christian Ruck [CDU/CSU]: Ja, dann
zusätzliche Investitionen in den Schienenverkehr bereit- machen Sie mal!)
gestellt. Auch hier gibt es einen doppelten Effekt: Zum ei- Statt mitzumachen, bauen Sie an Blockaden mit und tür-
nen haben diese hohe beschäftigungspolitische Effekte, men Hindernisse auf.
zum anderen sind sie umweltpolitisch unverzichtbar.
Ich will Ihnen einmal etwas sagen:
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) (Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Muss nicht
(B) sein!) (D)
Trotz der anhaltenden Notwendigkeit zum Sparen ist es
gelungen, im Wege der Umschichtung für umweltpoli- Es gibt im Fernsehen einen tollen Werbespot. In diesem
tisch wichtige Bereiche zusätzliche Mittel bereitzustellen. Werbespot fährt ein Mann, übrigens in einem schicken ro-
So werden die Projektfördermittel für die Umwelt- und ten Auto, zur Arbeit, zur Bank, Brötchen holen, mit der
Naturschutzverbände weiter erhöht. Für die Ansiedlung Familie übers Land. Nach einer Woche fährt er zur Tank-
einer Abteilung des Europäischen Zentrums für Um- stelle. Da zeigt der Kilometerzähler genau 100 Kilometer
an und die Benzinanzeige zeigt 4,4 Liter an. – Damit wird
welt und Gesundheit des europäischen Regionalbüros
heute geworben und nicht mehr, wie zu Ihrer Zeit, mit
der WHO in Bonn werden 2001 zusätzlich 3 Milli-
mehr als 120 PS. Es hat ein Umdenken stattgefunden, das
onen DM bereitgestellt. Insgesamt sollen dort bis zu 20
müssen Sie doch endlich einmal kapieren!
Mitarbeiter arbeiten.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
(Birgit Homburger [F.D.P.]: Das ist eine be- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
deutende umweltpolitische Maßnahme!)
So weit sind wir heute schon, dass mit dem sparsamen
Das stärkt nicht nur die Region Bonn, sondern es hilft Auto geworben wird, und wir wollen, dass in diesem Be-
auch, dass das wichtige Thema Umwelt und Gesundheit reich noch mehr passiert.
gerade auch in der Bundesrepublik Deutschland – denn
dort, wo die Kapelle sitzt, wird die Musik gespielt – Und wie verhalten Sie sich? Wie verhält sich die
prophylaktisch, also vorbeugend, aufgegriffen und ver- Opposition, stellvertretend Herr Lippold und Frau
tieft wird. Homburger? Wie der Tankwart in dem Fernsehspot:
höchst unzufrieden. Nachdem Sie jahrelang erst bewe-
Eine besondere Priorität – darauf hat Minister Trittin gungsarm –
bereits hingewiesen – genießt der Naturschutz. Die Per-
sonalverstärkung um fast 10 Prozent, bei insgesamt (Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Nicht bewe-
zurückgehenden Zahlen, ist der richtige Schritt, um end- gungsarm!)
lich Brachland zu bestellen, – und dann sogar bewegungslos waren, kommt Ihnen ge-
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des rade zur rechten Zeit eine gute – nein, falsch: eine böse –
Fee zu Hilfe, verwandelt Sie beide in zwei kleine Wichte,
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
die neben den Bremspedalen hocken und jedes Mal, wenn
das Sie hinterlassen haben und das sich, gut bearbeitet und der Fahrer Gas gibt, versuchen, durch kräftige Brems-
gut behandelt, gut entwickeln kann. bewegungen deutlich zu machen, dass das Auto doch
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. September 2000 11355
Waltraud Lehn

(A) mehr Benzin braucht, wie Sie es schon immer gesagt ha- – hat das Forsa-Institut beauftragt, eine repräsentative An- (C)
ben. So konstruktiv ist Ihre Oppositionspolitik! zahl von Bürgern zu befragen. Die Meinung der Bürger ist
eindeutig: 58 Prozent der Bürger würden dem Umwelt-
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
minister lieber heute als morgen einen blauen Brief
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN –
schicken. Hätte man diese Umfrage allein unter Mitglie-
Dr. Christian Ruck [CDU/CSU]: Das habe ich
dern des Bündnisses 90/Die Grünen durchgeführt, dann
jetzt nicht verstanden! Können Sie das bitte
wäre die Zahl der Unzufriedenen sicher noch größer ge-
wiederholen?)
wesen.
Wir haben begonnen, zu handeln und Weichen für die
(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Wohl wahr!)
Zukunft zu stellen – in der Energiepolitik, mit der Konso-
lidierung des Haushaltes und mit dem Bemühen um mehr Deswegen schreibt der „Stern“ auch zu Recht: „Jürgen
Generationengerechtigkeit in der Sozialversicherung, um Trittin ... versagt als ökologisches Gewissen der Regie-
nur einige Stichworte zu nennen. Nachhaltige Entwick- rung.“
lung ist bei uns Chefsache. Deshalb hat das Kabinett Ende Frau Zahrnt, die Vorsitzende des BUND, hat am
Juli beschlossen, hierfür eine nationale Gesamtstrategie 20. Juli in der „FAZ“ festgestellt:
zu erarbeiten.
Trittin hat noch kein Profil. Man weiß noch nicht, für
(Dr. Klaus W. Lippold [Offenbach] [CDU/ welche Umweltthemen ... er sich konsequent einset-
CSU]: Das haben Sie schon vor einem Jahr so zen will.
gesagt! – Dr. Christian Ruck [CDU/CSU]: Das
wird in den nächsten zehn Jahren kommen!) Und das nach zwei Jahren als Bundesumweltminister!
Wir begrüßen es, dass die Bundesregierung einen stän- Auch der Haushalt 2001 ist wie in den Vorjahren eine
digen Staatssekretärsausschuss aus diesen Ressorts einge- konsequente Fortführung der zerfahrenen und letztlich er-
richtet hat, der die nationale Gesamtstrategie entwickeln folglosen Umweltpolitik. Ich will dies an einigen Punkten
wird – im Haushalt deutlich machen.
Mit 1,118 Milliarden DM bleibt der Gesamthaushalt
Vizepräsidentin Anke Fuchs: Frau Kollegin, den- des BMU im Jahr 2001 weiterhin auf einem erschütternd
ken Sie an Ihre Redezeit. niedrigen Niveau. Bereinigt um Sonderfaktoren sinkt der
Haushalt des BMU wieder um fast ein halbes Prozent.
Verglichen mit dem letzten Haushalt der Regierung
Waltraud Lehn (SPD): – ja –, und zwar in einer ge- Helmut Kohl ergibt sich ein Minus von rund 10 Prozent,
(B) meinschaftlichen Anstrengung über die Ressortgrenzen (D)
während in der Zwischenzeit der Gesamthaushalt weiter
hinweg. gestiegen ist.
Wir möchten, dass möglichst viele Menschen – und (Dr. Christian Ruck [CDU/CSU]: Das ist die
irgendwann vielleicht sogar auch die Opposition, wenn Wahrheit!)
sie denn ein Thema gefunden hat, das ihr hilft, ihr eige-
nes Profil wieder zu finden; dann wird sie auch die Gemessen am Gesamthaushalt betrug der Haushalt des
Nebenkriegsschauplätze nicht mehr benötigen – diesen Bundesumweltministers 1998 noch 0,26 Prozent. Heute
sind es noch 0,23 Prozent. Wenn wir im Jahr 2001 für den
Weg gehen. Wenn die Opposition das nicht tut, ist es auch
Einzelplan 16 den gleichen Anteil am Gesamthaushalt
nicht schlimm; dann haben wir es nur um so leichter.
wie im Jahre 1998 hätten, dann wäre er um 127 Milli-
Vielen Dank. onen DM höher. Dies kennzeichnet Ihre Umweltpolitik.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Der Verwaltungsanteil des BMU-Haushalts beträgt
DIE GRÜNEN) weiterhin über 50 Prozent. Weniger als 50 Prozent der
Mittel werden für die eigentliche Programmarbeit einge-
setzt. Von jeder eingesetzten Mark fließen also über
Vizepräsidentin Anke Fuchs: Für die CDU/CSU- 50 Pfennige in die Verwaltung. Deutlich unter 50 Pfen-
Fraktion spricht jetzt der Kollege Jochen Borchert. nige werden für den Umweltschutz eingesetzt.
Wenn Frau Lehn darauf hinweist, dass Umweltschutz
Jochen Borchert (CDU/CSU): Frau Präsidentin! eine Querschnittsaufgabe ist, und den niedrigen Ansatz
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich denke, nach zwei für das Umweltministerium damit rechtfertigt, dass die
Jahren rot-grüner Koalition ist es an der Zeit, auch im Be- Mittel in anderen Bereichen des Haushaltes eingesetzt
reich der Umweltpolitik eine Zwischenbilanz des Han- werden, dann wird deutlich, dass aufgrund dieser Ent-
delns bei der Bundesregierung zu ziehen. Sie fällt alles an- wicklung das BMU immer überflüssiger wird.
dere als positiv aus. (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Wohl wahr!)
Das Magazin „Stern“ – es steht ja nun nicht in dem Ruf, Die Mittel befinden sich in anderen Haushalten. Die Ent-
uns besonders nahe zu stehen – scheidungen fallen etwa im Wirtschaftsministerium und
(Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Wer tut im Kanzleramt, aber nicht im Umweltministerium.
das auch!) (Beifall bei der CDU/CSU)
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Jochen Borchert

(A) Mit dem einseitigen Ausstieg aus der Kernenergie Die Energieeffizienz und die Schadstoffabgabe müssen (C)
– immerhin wird ein Drittel des Stroms aus Kernenergie dabei berücksichtigt werden. So wie Sie die Ökosteuer
erzeugt – wird die Abhängigkeit von fossilen Energieträ- konzipiert haben, ist dies nichts anderes als eine reine Zu-
gern weiter erhöht. satzbelastung. Die Verbraucher haben Recht, wenn sie sa-
gen, hier sei eine Schmerzgrenze erreicht worden.
(Zuruf des Abg. Christoph Matschie [SPD])
(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Rasen für die
– Diese Tatsache können Sie auch mit Zwischenrufen Rente!)
nicht wegdiskutieren.
Frau Lehn, Sie haben darauf hingewiesen, dass Auto-
(Rainer Brinkmann [Detmold] [SPD]: konzerne heute damit werben, Autos mit einem Verbrauch
Natürlich!) von vier Litern herzustellen. Das ist doch kein Ergebnis
Aus dem Blickwinkel des Klimaschutzes ist es schlicht Ihrer Ökosteuer.
paradox. Da hilft auch der ständige Hinweis auf Wind- (Waltraud Lehn [SPD]: Nicht nur, sondern
und Sonnenergie nichts. Es macht schon nachdenklich, unserer Politik insgesamt!)
dass Sie bisher kein Konzept vorlegen können, wie Sie
den Ausfall der Kernenergie etwa im Bereich der Um- Es gibt keinen Konzern, der neue Kraftfahrzeugkonzepte
weltpolitik und damit des Umweltschutzes ausgleichen in zwei Jahren entwickelt. Das ist vielmehr eine Entwick-
wollen. Es fehlt jedes Konzept, wie Sie angesichts der lung, die während unserer Regierungszeit in Gang gesetzt
Aufgabe der Kernenergie die Zusagen von Kioto in den worden ist.
nächsten Jahren umsetzen wollen. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. –
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Waltraud Lehn [SPD]: Dass die dafür werben,
ist der Punkt!)
Im Laufe der Diskussion um den so genannten Atom-
ausstieg hat sich gezeigt – die Vereinbarung zwischen der – Da hilft auch Ihr Zuruf nichts.
Bundesregierung und den EVUs beweist dies ja –, dass Ich bin ganz sicher: Sie werden in den nächsten Wo-
das jahrelang von den Grünen angeführte Argument von chen erkennen, dass Ihre Ökosteuer unsinnig ist. Ein
der mangelnden Sicherheit der deutschen Atomkraft- Lernprozess hat ja teilweise eingesetzt. Zum Beispiel for-
werke reine Rhetorik war. Denn wer eine Laufzeit von dert der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, Herr
32 Jahren verabredet, der würde doch unverantwortlich Clement, die Erhebung der Ökosteuer auf Heizöl auszu-
handeln, wenn er nicht von der Sicherheit der Anlagen setzen. Zumindest ist dies intelligenter als die Forderung
überzeugt wäre. des Vorsitzenden der Grünen in Schleswig-Holstein, auf
(B) das eine oder andere zu verzichten, zum Beispiel auf den (D)
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Urlaub. Dies zeigt, wie weit Sie sich von den Bürgern ent-
In Ihrer Broschüre „Deutschland erneuern“ schreiben fernt haben – nach dem Motto: Tausche Urlaub gegen
Sie unter dem Stichwort „Energiepolitik“, dass Sie das Heizöl!
Ziel, die CO2-Emissionen im Zeitraum von 1990 bis (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
2005 um 25 Prozent zu vermindern, weiter erreichen wol-
Sie werden nicht bei Ihrer unsinnigen Ökosteuer blei-
len. Diese Zusage haben wir auf der Klimakonferenz in
ben. Der Bundeskanzler weiß schon, warum er gestern
Kioto gemacht. Aber wenn Sie diese Zusagen wirklich
eine diesbezüglich von Friedrich Merz angebotene Wette
einhalten wollen, sollten Sie jetzt endlich einmal deutlich
nicht angenommen hat.
machen, wie Sie den Ausfall der Kernenergie ersetzen
wollen, ohne dass die CO2-Belastung steigt. (Widerspruch bei der SPD)
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Sie beschwören hier Ihre Standhaftigkeit in dieser Frage.
neten der F.D.P.) Man hat in Ihrer Partei in Baden-Württemberg, in Rhein-
land-Pfalz und in Nordrhein-Westfalen längst begonnen,
Da der Klimaschutz eine Querschnittsaufgabe ist, müs- darüber nachzudenken, wie man von diesem Unsinn weg-
sen in diesem Bereich das Bau-, das Verkehrs- und das kommt.
Wirtschaftsministerium eng zusammenarbeiten. Diese
Zusammenarbeit ist leider nicht zu erkennen – weder bei Herr Bundesminister, in der mir verbleibenden Rede-
der Altbausanierung noch bei der Förderung der Kraft- zeit will ich noch kurz auf die geplante Novelle des Bun-
Wärme-Kopplung. Nach zwei Jahren rot-grüner Umwelt- desnaturschutzgesetzes eingehen. Sie wollen weiter
politik hat sich die Klimaschutzpolitik auf zwei bröcklige reglementieren. Sie wollen die mit Einschränkungen ver-
Säulen reduziert: auf die so genannte Ökosteuer und den sehenen Biotopflächen ausweiten und die Ausgleichsre-
Ausstieg aus der Kernenergie. gelungen für staatliche Auflagen streichen.

Den Bürgern ist inzwischen deutlich geworden – dies Was Sie erreichen wollen, zeigen Ihre Vorschläge hin-
sichtlich des Spreewaldes. Sie fordern die weitere Ein-
zeigt auch die heutige Diskussion –, dass die Ökosteuer
schränkung des Fahrens auf der Spree mit Kähnen, den
nichts mit Ökologie zu tun hat. Sicher, Steuern und Abga-
Rückbau von Wegen und Straßen, damit die dortigen
ben sind ein Instrument der Umweltpolitik. Aber diese
Gaststätten nicht mehr erreicht werden können, und eine
müssen richtig konstruiert sein.
weitere Reglementierung der Bepflanzungen. Sie berufen
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) sich in diesem Zusammenhang auf Nachhaltigkeit. Ich
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Jochen Borchert

(A) weise darauf hin, dass der Begriff der Nachhaltigkeit bäu- Dass nach Bau des Wehres Motorkähne – ich betone: (C)
erlichem Wirtschaften entstammt. Motorkähne – nicht mehr fahren dürfen, ist am 24. Fe-
(Rainer Brinkmann [Detmold] [SPD]: Aus der bruar dieses Jahres mit dem Land Brandenburg und dem
Forstwirtschaft!) Landrat Wille abgestimmt worden. Was in der „Bild“-Zei-
tung steht – wir wollten Kahnfahrten verbieten –, ist
Landwirte haben immer bäuerlich gewirtschaftet. Sie „Bild“-zeitungsgemäß Blödsinn.
brauchen hier nicht weiter reglementierend einzugreifen
und Auflagen, die über die gute fachliche Praxis hinaus- Es steht in dem Förderbescheid auch nicht, dass der
gehen, dadurch zusätzlich zu erweitern, dass Sie die Aus- Rückbau von Wegen stattzufinden hat. Es versteht sich
gleichszulage für diese Auflagen streichen. aber schließlich von selbst, dass in einem solchen Reser-
vat kein Neu- und Ausbau von Wegen mehr stattzufinden
Wie sollen denn Bauern in Deutschland – diese Frage hat.
ist mir sehr wichtig – überleben angesichts der Politik des
Landwirtschaftsministers, die darauf abzielt, dass sich die Anders gesagt: Es ist nicht der Naturschutz, der den
Bauern dem Wettbewerb stellen und Fördermittel gekürzt Spreewald bedroht, sondern es sind diejenigen, die ein
werden, und angesichts dessen, dass der Umweltminister wichtiges Naturschutzprojekt, mit dem diese einmalige
gleichzeitig die Belastungen für die Bauern weiter er- Landschaft in der Bundesrepublik Deutschland erhalten
höht? Zwischen diesen beiden Mühlsteinen Ihrer Politik werden soll, durch solche fahrlässigen Äußerungen, wie
werden Bauern nicht überleben. sie Herr Wille gemacht hat und Sie sie wiederholt haben,
zu gefährden drohen.
(Beifall bei der CDU/CSU)
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Die rot-grüne Regierung hat die Umweltpolitik dem und bei der SPD)
Diktat von Ideologen untergeordnet, statt Fortschritt gibt
es Rückschritt, statt globaler Zusammenarbeit nationalen
Alleingang. Von umweltpolitischer Innovation keine Vizepräsidentin Anke Fuchs: Herr Borchert, Sie
Spur. Sie stellen den Sinn der Umweltpolitik und vor al- möchten antworten. – Bitte sehr.
len Dingen den Sinn des Umweltministeriums in Frage.
Vielen Dank. Jochen Borchert (CDU/CSU): Herr Kollege Trittin,
Sie haben soeben gesagt, dass Sie das auch dem Landrat
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) im Spreewald, Herrn Wille – er ist SPD-Mitglied –, er-
läutert haben. Ich will Ihnen auf Ihre langen Ausführun-
(B) Vizepräsidentin Anke Fuchs: Zu einer Kurzinter- gen – schon die Länge der Ausführungen zeigt, dass Sie (D)
vention erteile ich dem Abgeordneten Trittin das Wort. bei diesem Thema offensichtlich ein schlechtes Gewissen
haben –
Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wer- (Beifall bei der CDU/CSU – Lachen und Zurufe
ter Herr Kollege Borchert, gelegentlich ist es hilfreich bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/DIE
– Sie waren so freundlich, den Spreewald anzusprechen –, GRÜNEN)
sich nicht nur aus der „Bild“-Zeitung zu informieren. Tat-
sache ist: Der Spreewald ist akut bedroht. Die Bedrohung – da hilft auch das Dazwischenschreien nichts – mit einem
des Spreewaldes beruht darauf, dass aufgrund des Rück- Zitat von Herrn Wille, SPD-Mitglied und Landrat, ant-
baus beim Braunkohletagebau die Wasserzuführung in worten.
den Spreewald geringer wird. Der Spreewald droht aus- (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
zutrocknen. NEN]: Aus der „Bild“-Zeitung!)
Vor dieses Problem gestellt hat das Bundesumweltmi- – Natürlich aus der „Bild“-Zeitung. Herr Wille hat das bis
nisterium gesagt: Wir müssen den Spreewald retten. Wir heute nicht dementiert. Er hätte das sicher getan, wenn es
wollen dafür über 22 Millionen DM aus Bundesmitteln nicht stimmen würde. Ich habe keine Veranlassung, nicht
– Sie wissen als Haushaltspolitiker, dass der Naturschutz aus einer Zeitung zu zitieren, solange das, was da steht,
eigentlich Ländersache ist – zur Verfügung stellen, um das nicht dementiert worden ist.
Wasser länger im Spreewald zu halten. Dies haben wir in
enger Abstimmung mit dem Landkreis, dem Vorsitzenden Nun hören Sie zu, was Herr Wille sagt. Er sagt zu den
des dortigen Zweckverbandes und dem Land Branden- Auflagen, die Herr Trittin fordert:
burg getan. Das ist Quatsch! ... Da hat ... jemand am Schreibtisch
Zur Sicherung des Spreewaldes war unter anderem gesessen, der von der Sache keine Ahnung hat.
vorgesehen, ein Wehr zu bauen, das die Fließgeschwin- Recht hat Herr Wille.
digkeit in diesem Gewässer vermindert, sodass das Was-
ser länger gehalten wird. Nach Verringerung der Fließ- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
geschwindigkeit ist es nicht mehr nötig, dort mit neten der F.D.P.)
Motorkraft zu fahren, weil man – wie es sich für einen or-
dentlichen Kahnschipper gehört – weiterhin durch Staken Vizepräsidentin Anke Fuchs: Jetzt hat das Wort der
die Gewässer befahren kann. Kollege Dr. Reinhard Loske, Bündnis 90/Die Grünen.
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(A) Dr. Reinhard Loske (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): – Stellen Sie eine Zwischenfrage, wenn Sie etwas wissen (C)
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In wollen. – Wir haben das bereits durch ein Fördergesetz
diesen Tagen findet die Vorbereitungskonferenz der getan und wollen dies perspektivisch durch ein Quoten-
nächsten Vertragsstaatenkonferenz zur Klimarahmenkon- gesetz ausbauen, sodass jedes Unternehmen einen be-
vention in Lyon statt. Dort wird darüber entschieden, ob stimmten Anteil an Kraft-Wärme-Kopplung nachweisen
es den Industriestaaten gelingt, ihre Verpflichtungen zum muss. Auch dies ist ein großer klimapolitischer Fort-
Klimaschutz einzuhalten. schritt.
Wir wissen alle, dass es einen elementaren Zusam- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
menhang zwischen Fortschritten in der internationalen
Drittens. Im Verkehrsbereich – das ist zugegebener-
Klimapolitik auf der einen Seite und der Glaubwürdigkeit
maßen der Bereich mit der größten Dynamik – haben wir
der nationalen Klimapolitik der Unterzeichnerstaaten auf
der anderen Seite gibt. bereits einige Beschlüsse, so zum Beispiel den über die
Schwerverkehrsabgabe, gefasst. Diese ist wettbewerbs-
(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das stimmt!) neutral, denn sie wird auch von den Ausländern gezahlt.
Deswegen ist es auch ein großer Fortschritt – das muss ich Hier wird sicherlich noch einiges nachzuliefern sein, aber
Ihnen, Frau Homburger, leider sagen –, dass das Kabinett summa summarum kann man sagen: Der qualitative
am 27. Juli dieses Jahres einen Zwischenbericht zum Kli- Sprung liegt darin, dass es eben nicht mehr wie früher ein
maschutzprogramm verabschiedet hat. Hobby des Umweltministers, sondern eine Aufgabe der
Gesamtregierung ist, für die sich auch die gesamte Regie-
(Birgit Homburger [F.D.P.]: Nichts als Ankün- rung verantwortlich fühlt.
digungen! – Dr. Klaus W. Lippold [Offenbach]
[CDU/CSU]: Das habt Ihr schon vor einem Jahr (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
gesagt! Wann kommt es denn? In einem Jahr und bei der SPD)
sagt Ihr das wieder!) Jetzt komme ich zu der Frage, was das volkswirt-
Dieses Klimaschutzprogramm wird in den nächsten Wo- schaftlich bedeutet. Für diese Frage sollten Sie eigentlich
chen verabschiedet werden. ein gewisses Verständnis haben. Erster Punkt: Was pas-
siert denn, wenn wir Klimaschutz, wenn wir Energieein-
In dem Klimaschutzprogramm ist erstmals ein ressort- sparung betreiben? Dies ist nichts anderes, als Ölimporte
übergreifender Ansatz gewählt worden. Es ist also nicht durch inländischen Ingenieurverstand und durch inländi-
mehr so wie früher zu Ihrer Regierungszeit, als Herr sche Handwerksleistungen zu ersetzen. Dies ist doch
Töpfer oder Frau Merkel auf der einen Seite im Regen ge- mehr als vernünftig.
(B) standen haben und Wissmann, Rexrodt und Waigel auf der (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (D)
anderen Seite ihnen nicht geholfen haben, sodass Sie
nichts machen konnten und damit Deutschlands Glaub- und bei der SPD)
würdigkeit auf dem internationalen Parkett ruiniert war. Zweiter Punkt: Wir stimulieren Innovationen auf brei-
Das ist heute nicht mehr so. Jetzt ist jedem Sektor und ter Front. Dies können Sie beispielsweise an den Werbe-
jedem Ressort ein Orientierungsziel an die Hand gegeben kampagnen eben nicht nur der Automobilkonzerne, son-
worden und von den Ressorts sind Vorschläge gemacht dern auch der Heizungsanlagenbauer, der Installateure
worden, wie diese Ziele zu erreichen sind. Ich werde Ih- und der Kraftwerkstechniker sehen. Hier wird mit Effizi-
nen jetzt einige präsentieren und möchte Sie bitten, genau enztechnologien Reklame gemacht. Die Leute wissen,
zuzuhören. warum sie das machen, nämlich weil sie auf den Welt-
märkten der Zukunft die erste Geige spielen wollen. Und
Erstens. Gerade wurde gesagt, das Altbausanierungs- wir helfen ihnen dabei.
programm gebe es gar nicht. Frau Kollegin, das ist
schlicht und einfach unzutreffend. Die Koalitionsfraktio- Der dritte Punkt – das wird bei Ihnen immer wieder
nen haben sich darauf geeinigt, dass wir ein Altbausanie- ausgeblendet – ist: Wenn wir Klimaschutz aktiv betreiben,
rungsprogramm auflegen werden und dass damit etwa die bedeutet das auch eine Vermeidung von Zukunftskosten.
Hälfte der Einsparungen im Bereich Altbausanierungen Denn wenn wir nichts tun – so wie Sie das empfehlen –,
erreicht wird. Das ist ein ganz wichtiger Beschluss. passiert nichts anderes, als Kosten auf zukünftige Gene-
rationen abzuwälzen. Diese Kosten wären erheblich. Das
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wäre schlicht und einfach unverantwortlich. Deswegen
und bei der SPD – Steffen Kampeter [CDU/ werfe ich Ihnen in diesem Punkt auch Unverantwortlich-
CSU]: Da hat sie Recht gehabt, das gibt es noch keit vor.
nicht! – Dr. Klaus W. Lippold [Offenbach]
[CDU/CSU]: Also, es gibt es noch nicht! An- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
kündigung Nummer zwei!) sowie bei Abgeordneten der SPD)
Über das Altbausanierungsprogramm selbst werde ich Ich komme zur europäischen Integration. Die Behaup-
gleich reden. tung „Wenn es nur europäisch harmonisiert wäre, würden
wir mitgehen.“ halte ich für eine faule Ausrede. Die Wahr-
Zweitens haben wir bereits beschlossen, dass wir die
heit ist, dass wir bei den Benzinpreisen in Europa im Mit-
Kraft-Wärme-Kopplung in besonderer Weise fördern.
telfeld liegen. Muss man dies denn immer wiederholen?
(Zuruf der Abg. Birgit Homburger [F.D.P.]) Sie müssen doch zumindest die Fakten zur Kenntnis neh-
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Dr. Reinhard Loske

(A) men. Ich möchte hier einmal einfach die Benzinpreise Das war unsere Strategie. Diese Strategie hat sich auch (C)
von gestern bekannt geben. ausgezahlt; denn wenn Sie an der Regierung geblieben
wären, lägen die Rentenversicherungsbeiträge heute bei
(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Die gelten
21 Prozent und nicht bei 19,3 Prozent.
aber heute nicht mehr!)
(Zuruf von der F.D.P.: Die Leute fühlen sich
Wir liegen innerhalb der Europäischen Union auf Platz 9
von 15: Großbritannien 2,54 DM, Niederlande 2,37 DM, verlassen! – Birgit Homburger [F.D.P.]: Das ist
Finnland 2,30 DM, Schweden 2,29 DM. nicht wahr!)

Selbst dann, wenn die Dieselsteuer in Frankreich ge- – Das ist die Wahrheit.
senkt, das von der Kommission notifiziert und nicht als (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Beihilfetatbestand gewertet würde – was noch keines- und bei der SPD – Birgit Schnieber-Jastram
wegs sicher ist –, läge Frankreich mit seinen Dieselprei- [CDU/CSU]: Nein, das ist nicht die Wahrheit!)
sen noch über dem Niveau in Deutschland. Dies ist die
Realität. Nehmen Sie dies bitte zur Kenntnis. – Sie müssen den Leuten sagen, dass Sie, wenn Sie die
Ökosteuer abschaffen wollen, die Rentenversicherungs-
Hinsichtlich der Harmonisierung gilt Folgendes: Sie beiträge um zwei Prozentpunkte erhöhen müssen. Das ist
wissen doch alle aus Ihrer eigenen Erfahrung, dass man es die Wahrheit.
dann, wenn man wartet, bis auch der Langsamste das
Tempo des Geleitzuges erreicht, niemals schaffen wird, (Zuruf von der F.D.P.: Sie stecken das Geld in
hier Fortschritte zu erzielen. Deshalb ist auch das harmo- andere Bereiche statt in die sinnvolle Senkung
nisierte, das gleichgerichtete Handeln von vielen Staaten der Lohnnebenkosten!)
der Europäischen Union genau der richtige Weg. Der Lenkungseffekt sieht so aus, dass alle Leute, die
Ich komme jetzt zum zweiten Thema, – Geld mit Effizienztechnologien verdienen – seien es Au-
tomobilkonzerne, seien es Handwerksbauer, seien es
(Zuruf von der F.D.P.: Mit dem richtigen Be- Kraftwerksbauer –, heute damit Reklame machen, dass
wusstsein ist jede diktatorische Einwirkung
sie die Technologie der Zukunft haben, dass wir gut ge-
möglich!)
wappnet sind und dass wir vom Öl unabhängiger gewor-
– obwohl ich viel lieber über das Naturschutzgesetz reden den sind. Heute nämlich ist es so: Wir hängen am Öl wie
würde, über die BVVG-Flächen, die jetzt gesichert sind, ein Junkie an der Nadel. Das kann so nicht bleiben. Ich
über die Tatsache, dass die Deutsche Bundesstiftung Um- glaube, das ist eine ganz wichtige Strategie.
welt in Zukunft mehr Geld für Naturschutz ausgibt. Aber
ich muss einfach noch auf die Debatte zur ökologischen Jetzt zur CDU-Kampagne. Das ist ja wirklich eine in-
tellektuelle Zumutung hoch drei. Das fängt mit diesem
(B) Steuerreform eingehen, denn die Flachheit, mit der sie (D)
von Ihrer Seite geführt wird, ist eine intellektuelle Zumu- Balken an. Die CDU behauptet, 70:30 sei das Problem:
tung, auch für die Bürgerinnen und Bürger. 70 Prozent Steuern, 30 Prozent reine Marktkosten. Ein-
fach zu Ihrer Information: Als wir an die Regierung ka-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN men, war die Relation 80:20, nämlich 80 Prozent Steuern,
und bei der SPD – Zuruf von der CDU/CSU: 20 Prozent Marktkosten.
Das sehen wir aber anders!)
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Nehmen Sie einfach einmal die Realitäten zur Kennt- und bei der SPD)
nis. Vor eineinhalb Jahren, Anfang 1999, kostete das Fass
Öl 10 Dollar, heute sind es knapp 35 Dollar. Vor einein- Ich habe hier eine Auflistung über Zitate en masse aus
halb Jahren, als der Euro eingeführt wurde, lag die Rela- der Union. Das ist alles Schnee von gestern. Ich will Ih-
tion zwischen Euro und Dollar bei 1:1,12, das heißt, nen nur eines, weil es so wunderbar ist, von der CSU aus
1 Euro kostete 1,12 Dollar. Heute ist das Verhältnis um- dem Jahre 1996 vorlesen. Ich zitiere wörtlich:
gekehrt. Heute bekommen Sie für 1 Euro 0,85 Dollar. Das Das jetzige Steuer- und Abgabensystem belastet ein-
sind die beiden Hauptfaktoren, für die hohen Benzin-
seitig den Faktor Arbeit. Sein Anteil am Gesamtauf-
preise. Das wissen Sie natürlich auch.
kommen aller Steuern und Abgaben ist von 45 % im
Jetzt zur ökologischen Steuerreform. Das Hauptkrite- Jahr 1970 auf 67 % im Jahr 1996 gestiegen! Im Ver-
rium der ökologischen Steuerreform war immer die Ste- hältnis dazu ging der Steueranteil aus ... Ressourcen-
tigkeit. Es war nie so, wie Sie es gemacht haben: einmal verbrauch zurück. Das Gleichgewicht von direkten
kräftig zulangen und dann das Geld in Theo Waigels und indirekten Steuern ist nicht mehr stimmig. Die
schwarzen Löchern untergehen lassen. überhöhte Belastung des Faktors Arbeit begünstigt
(Birgit Homburger [F.D.P.]: Das ist ja nicht den Anstieg der Arbeitslosigkeit. ...
wahr!) Der Umweltarbeitskreis der CSU fordert deshalb, ...
Vielmehr haben wir immer gesagt, die Leute sollen sich den Verbrauch von Ressourcen aufkommensneutral
darauf verlassen können. Deshalb machen wir es in klei- stärker steuerlich zu belasten. Insbesondere fossile
nen, aufkommensneutralen Schritten und geben ihnen das Brenn- und Treibstoffe sollen sich ... über einen Zeit-
Geld bei der Rente zurück. raum von mindestens 5 Jahren hinweg um jährlich
5 % verteuern.
(Birgit Homburger [F.D.P.]: Wo ist das aufkom-
mensneutral? Das ist doch gar nicht wahr! Das 5 Prozent von 2 DM! Nach dem CSU-Konzept müsste
ist gelogen!) das Benzin also jährlich um 10 Pfennig teurer werden. Wo
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Dr. Reinhard Loske

(A) liegt da der Unterschied zu dem, was die Regierung haltsberatungen, dass Sie im Stile von „Zusammenfassen, (C)
macht? Auflisten von kleineren Einzelmaßnahmen und großen
(Zuruf von der CDU/CSU: Bei Ihnen waren es Ankündigungen“ alles in einen Topf packen. Dieser Stil
5 DM! Das ist der Unterschied!) kann aber nicht verschleiern, dass Sie einen Haushalt po-
litisch zu verantworten haben, der nichts anderes ist als
– Es ist ein bisschen mehr, okay. Aber es ist grundsätzlich das Dokument umweltpolitischer Ratlosigkeit.
nichts anderes.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
Ihre erbärmliche Kampagne – das muss man einmal in neten der F.D.P.)
der Deutlichkeit sagen – wäre ja dann glaubwürdig, wenn
Sie Gegenvorschläge machten. Was haben Sie denn hier Das ist nicht erstaunlich; denn die rot-grüne Bundesregie-
im Bundestag gemacht? – Sie haben gegen die Förderung rung verfügt nicht über ein zukunftsweisendes Umwelt-
erneuerbarer Energien gestimmt! konzept.
(Zuruf von der CDU/CSU: Das stimmt nicht!) Sie, Herr Minister, haben heute bei Ihrer Haushaltsrede
eine große Chance verpasst. Sie haben an keiner Stelle
Sie haben gegen das 100 000-Dächer-Programm/Photo-
langfristige und mittelfristige Visionen dargelegt. Sie ha-
voltaik gestimmt. Sie haben gegen das Förderprogramm
„Erneuerbare Energien“ gestimmt. Sie haben gegen ben an keiner Stelle gezeigt, wie die Umweltpolitik zur
Kraft-Wärme-Kopplung gestimmt. Sie haben gegen eine Modernisierung des Standortes Deutschland beitragen
steuerliche Besserstellung von hoch effizienten Kraftwer- kann.
ken gestimmt. Das ist die ganze Verlogenheit der Union, (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
die immer unerträglicher wird.
Wir sagen Ihnen ganz deutlich: Mit diesem Stil, mit der
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Klein-Klein-Politik, mit der Sie angetreten sind, werden
und bei der SPD) Sie Deutschland im Bereich der Umweltpolitik nicht mo-
Zum Schluss Folgendes. Sie sind ja eine konservative dernisieren und Deutschland nicht nach vorne bringen
Partei. Sie haben sicherlich konservative Staatsphiloso- können.
phen wie Burke oder andere gelesen. Was macht denn den (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. –
Konservativen aus? Ein Kriterium, das den Konservati- Michaele Hustedt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
ven ausmacht, ist, dass er sich nicht bei jedem Windchen
NEN]: Das sind alles Sprechblasen! – Gegenruf
flach auf den Boden legt, sondern auch in schwieriger Zeit
von der CDU/CSU: Aber nicht so schöne wie
Kurs hält.
(B) Ihre!) (D)
Was Sie machen, ist nichts anderes, als dem vermeint-
lichen Druck der Straße zu weichen, den Sie selber ver- Mit welch hehren Zielen sind Sie angetreten! Sie haben
stärken. Aber Ihr gebrochenes Verhältnis zum Recht ha- vor kurzem lesen müssen, was Thilo Bode, der scheidende
ben Sie ja an anderer Stelle schon hinreichend bewiesen. Chef von Greenpeace International, am 31. August in der
„FAZ“ festgestellt hat: Die Bundesregierung hat kein um-
Danke Schön. weltpolitisches Gesamtkonzept. Sie hat den Atomausstieg
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vereinbart, jedoch keine alternative Energiepolitik. – Des-
und bei der SPD) halb gibt es im Augenblick noch kein belastbares Ener-
gieprogramm aufseiten der rot-grünen Bundesregierung.
– Sie hat Ökosteuern eingeführt mit Schlupflöchern und
Vizepräsidentin Anke Fuchs: Das Wort hat jetzt der
Inkonsistenzen. – NABU, BUND und alle anderen aus
Kollege Dr. Peter Paziorek, CDU/CSU-Fraktion.
dem Bereich der Umweltpolitik schließen sich dem an.

Dr. Peter Paziorek (CDU/CSU): Frau Präsidentin!


(Zuruf des Abg. Albert Schmidt [Hitzhofen]
Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kolle- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
gen! Es ist ja sehr interessant zu hören, Herr Loske, dass – Herr Schmidt, dass es Ihnen nicht so gut geht, wo Sie
Sie sich mit konservativen Philosophen auseinander set- doch in den letzten Jahren immer lautstark auf den Putz
zen. gehauen haben, kann ich verstehen; denn jetzt müssen Sie
(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das hat er aus feststellen, dass Sie in der Verkehrspolitik auch nur kleine
dem Konversationslexikon!) Brötchen backen können.
Ein Wesenszug der konservativen Grundhaltung aber ist, (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. –
dass man seine politischen Schritte pragmatisch und nicht Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/
ideologisch formuliert. Sie aber formulieren sie bei der DIE GRÜNEN]: 2 Milliarden DM!)
Ökosteuer ideologisch. Es mag ja sein, lieber Kollege Schmidt, dass die rot-grüne
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Bundesregierung noch irgendwo Schwerpunkte setzt. Ei-
nes aber ist sicher: Die Umweltpolitik stellt keinen
Herr Minister Trittin, es ist nun seit 1998 das dritte
Schwerpunkt dieser Bundesregierung dar.
Mal, dass Sie einen Haushaltsentwurf politisch zu verant-
worten haben. Zum dritten Mal erleben wir bei den Haus- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. September 2000 11361
Dr. Peter Paziorek

(A) Wenn Sie meinen, Sie würden mit der Atomausstiegs- ich mich bekenne und das wir 1991 mit dem damaligen (C)
politik Umweltpolitik betreiben, so müssen wir Ihnen sa- Umweltminister Töpfer auf den Weg gebracht haben, –
gen: Damit betreiben Sie Politik für Ihre Parteibasis, nicht
(Birgit Schnieber-Jastram [CDU/CSU]: Das
aber für den Standort Deutschland.
war ein guter Mann!)
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
– in der Abfallpolitik große Erfolge erzielt hat. Aber Sie
neten der F.D.P.)
müssen den Mut haben, wie wir es schon mehrfach ein-
Es ist ja auch interessant, an welcher Stelle die Atomaus- gefordert haben, nun zu sagen: Es haben sich nach zehn
stiegspolitik organisiert worden ist: nicht im eigentlich Jahren Strukturen verändert. Jetzt kommt es auf die Krea-
zuständigen Ministerium für Umwelt und Reaktorsi- tivität des Umweltministers an, darauf, ob er in der Lage
cherheit, sondern im Kanzleramt und vielleicht noch ein ist, neue Entwicklungen, die nach zehn Jahren aufgetreten
wenig im Wirtschaftsministerium. Herr Bundesminister sind, tatsächlich aufzugreifen und den Weg, der von
Trittin jedenfalls war nicht zuständig. Töpfer gegangen ist, erfolgreich fortzusetzen. Aber Sie
kneifen. Sie haben kein Konzept und sind nicht in der
Wir stellen fest, dass dieses System jetzt fortgesetzt Lage, in dieser Frage einen modernen Weg zwischen
wird. Wir sind ja dabei, den Prozess, der in Rio ange- Ökonomie und Ökologie zu gehen.
stoßen worden ist, im Sinne eines Nachhaltigkeitsprozes-
ses fortzusetzen. Wenn die Informationen stimmen, die (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
jetzt in der Presse kolportiert werden, dann wird auch die neten der F.D.P.)
Federführung für den Nachhaltigkeitsprozess nicht beim Sie sprechen die Naturschutzpolitik an. Sie haben bis
Umweltministerium liegen, sondern beim Kanzleramt. zum heutigen Tag hier im Parlament keine Novelle des
Alle in der Regierung wissen, warum dies notwendig Bundesnaturschutzgesetzes vorgelegt.
ist. Dieser Umweltminister profiliert sich nämlich in vie- (Ulrike Mehl [SPD]: Sie haben es nach zehn
len Bereichen als Ankündigungsminister. Wenn es aber Jahren auch nicht geschafft!)
darauf ankommt, seine Ankündigungen umzusetzen, kann
er sein Wort nicht halten. Einem solchen Umweltminister – Doch, wir haben in der letzten Legislaturperiode eine
vertraut noch nicht einmal mehr die rot-grüne Bundesre- solche Novelle noch vorgelegt.
gierung. (Ulrike Mehl [SPD]: Das hat lange gedauert!)
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Sie kündigen seit gut zwei Jahren eine Novelle des Bun-
Schauen Sie sich doch nur einmal Ihre Abfallpolitik desnaturschutzgesetzes an. Wir müssen sagen: Sie kündi-
(B) an, Herr Minister. Sie taktieren nur. Sie kämpfen nicht, Sie gen es an; aber in diesem Hause liegt dieser Gesetzent- (D)
geben keine Richtung vor. So haben Sie großartig an- wurf noch nicht vor.
gekündigt, dass Sie die europarechtlichen Vorgaben in die Ich stimme dem Kollegen Borchert zu, wenn er fragt:
Kreislaufwirtschaft einbinden werden, und zwar über eine Sind denn die Erfolge in der Umweltpolitik, die wir in den
Reihe von neuen Verwaltungsvorschriften. Dann schi- letzten Jahren beim Ausgleich der verschiedenen Interes-
cken Sie Ihre Parlamentarische Staatssekretärin Frau sen zwischen Landwirtschaft, Naturschutz und Umwelt-
Probst zur Eröffnung der ENTSORGA nach Köln, wo die schutz erzielt haben, nicht in Gefahr zum Beispiel durch
Staatsekretärin verkünden muss, dass Sie von dem großen Ihre Ankündigung zur Aufhebung der bundeseinheitli-
Wurf der neuen Regelung im Abfallrecht, der Anpassung chen Verpflichtung, dass Eingriffe in die Landwirtschaft
an das Europarecht, Abstand nehmen, weil Sie im Augen- auch von der Gemeinschaft honoriert werden müssen und
blick keine Chance sehen, diese neuen Grundsätze einer nicht nur von denjenigen, die diese Belastungen zu tragen
Abfallpolitik tatsächlich durchzusetzen. haben? Dabei haben wir in den letzten Jahren eine ganze
Wo ist die lange angekündigte Novellierung der Menge erreicht.
Verpackungsverordnung? Immer wieder sagen Sie: Wir Jetzt erklären Sie bei einer Ihrer vielen Ankündigungs-
müssen abwarten, bis ein Gutachten vorliegt. Dann liegt konferenzen: Von diesem gesellschaftlichen Konsens
das Gutachten vor. Daraufhin stellen Sie auf einer Presse- wollen wir abgehen. Dabei berücksichtigen Sie gar nicht,
konferenz mehrere Denkmodelle vor, die Sie umsetzen dass so langfristig der Naturschutz der Unterlegene ist.
wollen. Aber Sie sagen nicht, wo die Reise hingeht und Machen Sie auf diesem Weg bitte nicht so weiter, sondern
wie Sie es wirklich machen wollen. Sie taktieren und Sie versuchen Sie, Naturschutz, Landwirtschaft und Umwelt-
haben Angst, sich festzulegen, weil Sie genau wissen: schutz zu einem Konsens zusammenzubinden! Dann hät-
Wenn es hart auf hart geht, dann werden Sie als Umwelt- ten Sie eine politische Aufgabe hervorragend bewältigt.
minister vom Bundeskanzler zurückgepfiffen. Das ist Aber gehen Sie bei dieser Frage nicht weiter auf Kon-
schon mehrfach passiert. Jetzt wollen Sie dieses Risiko frontation! Denn dann wird der Gedanke des Natur-
nicht mehr eingehen. schutzgesetzes scheitern.
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
Michaele Hustedt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- neten der F.D.P.)
NEN]: Der Bundesrat ist das Problem!)
Nun zur Ökosteuer. Lieber Kollege Loske, eines muss
Dabei geben Sie zum Beispiel bei der Verpackungs- ich ganz klar und deutlich sagen: Auch jemand, der sich
verordnung selbst zu erkennen, dass ein System, zu dem zum konservativen Spektrum und zur CDU/CSU bekennt,
11362 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. September 2000

Dr. Peter Paziorek

(A) wird im Grundsatz gegen eine Ökosteuer nichts haben. Zweitens. In den letzten Tagen gab es völlig krause (C)
Ganz im Gegenteil: Er wird eine solche ökologische Vorschläge, man sollte die nächsten Stufen der Ökosteuer
Steuer fordern. Aber es kommt auf die Ausgestaltung an. für das Heizöl aussetzen. Ist Ihnen bekannt, dass es bei
Das, was Sie gemacht haben, hat in der Tat mit einer öko- den Stufen 2 bis 5 überhaupt keine Einbeziehung der
logischen Steuerreform überhaupt nichts zu tun. Heizstoffe gibt, das heißt, dass Öl und Gas in die Öko-
steuer gar nicht einbezogen sind, ergo auch keine Forde-
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
rung erhoben werden kann, man solle die nächsten Stufen
Damit Sie nicht wieder sagen, dies sei die typische Pro- aussetzen? Wissen Sie das?
paganda eines CDU-Mannes, will ich aus der gestrigen (Renate Jäger [SPD]: Die wollen das nicht
Ausgabe von „Die Welt“ zitieren. Professor Eekhoff er- wissen!)
klärt darin:
Die Ökosteuer setzt am Energieverbrauch an und Dr. Peter Paziorek (CDU/CSU): Lieber Kollege
nicht direkt am Schadstoffausstoß, wie es eigentlich Loske, natürlich weiß ich, dass die Ökosteuer in der Form
sein sollte. Man muss näher an die Emissionen he- eine Stromsteuer ist. Sie wissen aber genauso gut – dazu
rankommen. Und selbst wenn man weiter indirekt haben Sie persönlich auch schon etwas geschrieben –,
besteuern will, müssten stärker die spezifischen Um- dass an anderer Stelle eine breite Steuerbefreiung der
weltbelastungen der verschiedenen Energieträger Kohle stattfindet. Das war ja eine große Diskussion, als es
berücksichtigt werden. Es ist zum Beispiel völlig ab- um die Frage der Gaskraftwerke ging. Da haben Sie sich
surd, die Besteuerung von Kohle herauszunehmen. ja in diesem Hause gerade zur Steuerbefreiung der Kohle
Grundsätzlich ist eine Ökosteuer aber durchaus et- geäußert. – So, bitte schön, damit klar ist, dass dort eine
was Vernünftiges. Man kann sie allerdings nur erhe- breite Befreiung stattfindet.
ben, wenn man sich international abstimmt. Sonst
Ich sage Ihnen ganz deutlich: Ich bin persönlich nicht
belasten die Kosten allein die Deutschen, aber nur
nur für einen ersten Schritt, für die Aussetzung der Öko-
rund 4 Prozent der Vorteile bleiben im Lande – der
steuer der dritten Stufe. Ich bin vielmehr der Ansicht,
große Rest kommt anderen Staaten zugute.
diese Ökosteuer muss revidiert werden. Sie muss weg, sie
Eine solche Ökosteuer wäre sinnvoll, aber nicht die, muss neu gestaltet werden, damit sie wirklich eine ökolo-
die Sie eingeführt haben, weil sie nicht der Umwelt und gische Steuer ist.
auch nicht dem Standort Deutschland dient. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Zu-
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- ruf von der SPD: Sagen Sie doch einmal, wie!)
(B) neten der F.D.P. – Dr. Reinhard Loske [BÜND- Ganz zum Schluss noch eines zur Klimaschutzpoli- (D)
NIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum haben Sie es tik: Das DIW sagt – ich will mit Ihrer Erlaubnis, Frau Prä-
denn nicht gemacht?) sidentin, das Klimaschutzprogramm der Bundesregierung
Wenn ich jetzt höre, dass in Nordrhein-Westfalen vom Juli 2000, das hier sehr oft angesprochen wurde, zi-
Finanzminister Steinbrück überlegt, einen Ausgleich für tieren –:
sozial Schwache über die Sozialhilfe zu schaffen, dann Erfolgreich wird er
stelle ich natürlich fest, dass dies über die bekannte
Schiene läuft: erst Geld ausgeben und dann eine Entlas- – das heißt, der Ansatz der Bundesregierung –
tung wollen. Aber wer soll die Entlastung zahlen? – Die aber nur dann sein können, wenn dazu die entspre-
Kommunen. Für die Sozialhilfe sind die Kommunen zu- chenden Maßnahmen nicht nur angekündigt, sondern
ständig. Sie sind nicht bereit, ihnen durch Ihren Haushalt auch tatsächlich in Kürze umgesetzt werden. Anders
zu helfen, obwohl Sie bis zum Jahre 2003 8 Milliarden DM besteht wohl ohnehin keine Aussicht mehr, das für
nicht in die Rentenkasse, sondern in den allgemeinen 2005 angestrebte Ziel wenigstens noch näherungs-
Haushalt stecken. weise zu verwirklichen.
(Renate Jäger [SPD]: Wohngeld!) Dass Sie überhaupt eine Chance haben, 2005 das Ziel
tatsächlich zu erreichen, hängt doch damit zusammen,
dass Sie heute sagen können: Wir haben in Deutschland
Vizepräsidentin Anke Fuchs: Herr Kollege, gestat-
gegenüber 1990 schon eine Reduktion des CO2-Aus-
ten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dr. Loske? stoßes um nahezu 16 Prozent. Das können Sie aber nur
sagen, weil wir in der Zeit von 1990 bis 1998 ein erfol-
Dr. Peter Paziorek (CDU/CSU): Ja, gestatte ich. greiches Klimaschutzprogramm auf den Weg gebracht
haben, mit dem Ergebnis, dass wir heute schon eine CO2-
Reduktion um 16 Prozent haben. Es sind unsere Erfolge,
Dr. Reinhard Loske (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): mit denen Sie sich heute in der Politik brüsten.
Herr Kollege Paziorek, wissen Sie, dass die Kohle bei der
Ökosteuer selbstverständlich eingeschlossen ist? Denn es (Beifall bei der CDU/CSU – Ulrich Kelber
ist eine Steuer, die am Ende ansetzt. Es ist eine Strom- [SPD]: So ein Quatsch!)
steuer und die Stromsteuer wird auf alle Energieträger
gleichermaßen erhoben, das heißt, die Kohle ist einbezo- Vizepräsidentin Anke Fuchs: Denken Sie an Ihre
gen. Wissen Sie das? Redezeit!
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. September 2000 11363

(A) Dr. Peter Paziorek (CDU/CSU): Ich sage nur eines: kung der Rentenversicherungsbeiträge die Ökosteuer voll (C)
Herr Umweltminister Trittin, zwei Jahre sind Sie jetzt zurück.
Umweltminister. Bei einer Bilanz mitten in einer Legisla-
(Birgit Homburger [F.D.P.]: Das stimmt doch
turperiode kann man sagen: Es waren zwei Jahre Lehr-
einfach nicht!)
jahre. Wenn Umweltpolitiker ein Lehrberuf in Deutsch-
land wäre, dann wären Sie der teuerste Lehrling. Das wäre Das heißt, Sie haben abkassiert. Heute aber setzen Sie sich
vielleicht für Sie im dritten Lehrjahr ganz interessant, aber an die Spitze der Bewegung. Ich finde das heuchlerisch.
für die deutsche Umweltpolitik ist das eine schlechte Si- (Beifall bei der SPD)
tuation.
Sie verschweigen bei Ihrer Kampagne außerdem, dass
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) bei Rücknahme der Ökosteuer, wenn man ehrlich bilan-
ziert, die Rentenbeiträge steigen müssten.
Vizepräsidentin Anke Fuchs: Das Wort hat nun die
Kollegin Marion Caspers-Merk, SPD-Fraktion. Vizepräsidentin Anke Fuchs: Frau Kollegin, gestat-
ten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Blank?
Marion Caspers-Merk (SPD): Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Paziorek, Sie ha- Marion Caspers-Merk (SPD): Jederzeit.
ben Ihren Redebeitrag damit begonnen, dass Sie gesagt
haben, als Konservativer sei man für pragmatische und
Renate Blank (CDU/CSU): Frau Kollegin, Sie haben
gegen ideologische Lösungen.
gerade erwähnt, dass zu unserer Regierungszeit die Mi-
(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Ja!) neralölsteuer erhöht wurde. Können Sie mir sagen, für
welchen Zweck?
Ich finde es unerhört, dass Sie heute eine derartige ideo-
logische Kampagne hier losgetreten haben.
Marion Caspers-Merk (SPD): Es gab damals unter-
(Beifall bei der SPD – Dr. Peter Paziorek schiedliche Begründungen: Einmal war es für den Golf-
[CDU/CSU]: Was ist das denn? Ich habe ganz krieg, einmal für die deutsche Einheit.
sauber argumentiert!)
(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Das war ehr-
Die CDU/CSU hat eine Kampagne losgetreten, und zwar licher als das, was ihr heute macht!)
mithilfe der Ex-Umweltministerin, die sich früher zum
Konzept Ökosteuer bekannt hat. Sie hat heute um 11 Uhr Fakt ist: Noch nie wurde die Mineralölsteuer so stark er-
(B) von Mitgliedern der Jungen Union hier in Berlin an Auto- höht wie in Ihrer Regierungszeit. (D)
fahrer einen Aufkleber mit dem schönen Spruch verteilen (Beifall bei der SPD)
lassen: „Öko“. Das „Ö“ ist durchgestrichen und es heißt: Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU,
„k.o.: Diese Steuer muss weg“. Das ist die Kampagne, die Sie sind auch insofern unehrlich, als Sie nicht fordern,
Sie machen. Und hier bei den Fachpolitikern sagen Sie: dass teilweise das zurückgenommen wird, was Sie damals
Ja, wir sind ja für eine Ökosteuer, aber anders. angerichtet haben. Vielmehr fordern Sie, dass wir unsere
(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Gegen eure!) Politik zurücknehmen, und gleichzeitig sagen Sie den
Bürgerinnen und Bürgern nicht, woher das Geld kommen
Aber Sie bleiben die Antwort schuldig, wie sie denn soll. Es gibt ja nur eine Alternative: Entweder zahlen die
nun ausgestaltet werden soll. Sie müssen sich nun schon Menschen es an der Zapfsäule oder sie haben die Kosten
einmal entscheiden: Sind Sie für oder gegen eine Öko- auf dem Lohnstreifen.
steuer? Wie und in welchen Schritten soll sie gestaltet
werden? Sind Sie bereit, das dann auch draußen bei der (Walter Hirche [F.D.P.]: Eine dritte Möglich-
keit wäre Sparen!)
Hetzkampagne, die Sie hier begonnen haben, so zu ver-
treten, wie Sie es hier im Hause vertreten? Wir bekennen uns voll und ganz zu unserer Verantwor-
tung auch für künftige Generationen und erklären, dass
(Beifall bei der SPD) der Faktor Arbeit billiger und der Faktor Umwelt teurer
Eigentlich ist es eine schlimme Sache, dass man über werden muss. Deshalb werden wir Ihrer Kampagne auch
die anderen Punkte des Haushalts gar nicht ausführlich re- standhalten.
den kann, sondern sich überwiegend mit diesem Thema Im Übrigen verschweigen Sie bei Ihrer Kampagne,
befassen muss. Gleichwohl muss ich Sie im Zusammen- dass gerade heute die Mineralölpreise um 5 Pfennig an-
hang mit der Ökosteuer daran erinnern, dass Sie während gehoben worden sind. Ich kann mich aber nicht daran er-
Ihrer Regierungszeit viermal die Mineralölsteuer erhöht innern, dass wir gestern die Ökosteuer erhöht hätten. Die
haben: 1989, zweimal 1991 und dann noch einmal 1994. Rohölpreise sind gesunken und trotzdem steigen jetzt die
Preise an der Zapfsäule. Deswegen weiß jeder, dass die
(Zuruf von der CDU/CSU: Deutsche Einheit!) Rücknahme der Ökosteuer nichts weiter als eine Umver-
Insgesamt haben Sie die Mineralölsteuer in dieser Zeit teilung in die Taschen der Mineralölkonzerne oder der
um 55 Pfennig erhöht. Dieses Geld haben Sie aber nicht OPEC wäre. Das müssen Sie einmal zur Kenntnis neh-
den Menschen zurückgegeben, sondern Sie haben damit men.
Haushaltslöcher gestopft. Wir geben jetzt durch die Sen- (Beifall bei der SPD)
11364 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. September 2000

Marion Caspers-Merk

(A) Heute habe ich gelernt, dass dies von vielen bestritten Ihr Kollege Lippold fordert gleichzeitig die Umwand- (C)
wird und dass manche ein anderes Konzept haben. Des- lung der Pendlerpauschale in eine nicht nur für Pkw gel-
halb möchte ich Sie, Herr Kollege Paziorek, zu Ihrem tende Entfernungspauschale, das heißt in eine verkehrs-
Konzept befragen. mittelunabhängige Entfernungspauschale.
Sie haben in Ihrer Fraktion ein Eckpunktepapier ein- (Zuruf von der F.D.P.: Deshalb habt ihr es
gebracht. Ich weiß nicht, ob es schon beschlossen ist. doch abgelehnt!)
(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Nein!) Lieber Herr Kollege, da ich diese Forderung selbst gut
Dazu konnte man im „Handelsblatt“ dieser Woche fol- kenne, weiß ich sogar, was es heißt. Er blieb allerdings die
gende Überschrift lesen: „Union will EU-weite Klima- Antwort schuldig, als er im „Handelsblatt“ gefragt wurde,
steuer und Maut für Lkws“. Jetzt frage ich mich: Wie ob es bedeutete, dass die Mittel dafür erhöht würden. Er
passt denn das zusammen? Hier machen Sie eine Kam- verneinte dies und sagte, man wolle es aufkommensneu-
pagne gegen das, was Sie dort fordern. Entsprechend tral gestalten; aber das letzte Wort sei noch nicht ge-
abenteuerlich waren die Argumente des Kollegen sprochen.
Lippold.
Was heißt das denn? Stellen Sie sich doch bitte hierhin
Sie fordern also wieder eine EU-weite Klimasteuer. und sagen Sie die Wahrheit. Wenn das eintritt, was Sie
Dabei wissen Sie ganz genau – das war nämlich noch zu hier vorschlagen, nämlich eine aufkommensneutrale Um-
Ihrer Regierungszeit –, dass es damals nicht gelungen ist, gestaltung, bedeutet dies, dass die Berufspendler in Zu-
im Ecofin-Rat einen einstimmigen Beschluss aller EU- kunft durch Ihre Politik weniger in der Tasche haben als
Länder zu bekommen. derzeit. Es ist also eine Politik gegen den ländlichen
(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Das stimmt! Raum und gegen die Berufspendler.
Das bedauere ich noch heute!) (Beifall bei der SPD)
Diesen Weg einer EU-weiten Harmonisierung wollten wir Auch wir hätten gerne eine Umgestaltung, wissen aber,
damals alle gemeinsam gehen. Sie wissen auch, dass in dass wir bei der derzeitigen Situation etwas draufpacken
der EU nach wie vor das Einstimmigkeitsprinzip herrscht. müssten. Nachdem Sie uns einen derart desolaten Haus-
(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Also müssen halt hinterlassen haben, sehen wir dafür im Moment keine
wir darangehen!) Gestaltungsspielräume. Das ist die Wahrheit.
Insoweit haben Sie uns eine Menge Arbeit übrig gelassen. Sie haben in Ihrer Fraktion ein Konzept als Fachpoliti-
Das nennt sich elegant die „leftovers von Amsterdam“. kerinnen und Fachpolitiker vorgelegt, gegen das Sie im
(B) Das heißt, dass wir jetzt dafür sorgen müssen – das wollen Augenblick eine öffentliche Kampagne starten. Ich finde, (D)
wir in Nizza auch tun –, das muss man sich erst einmal auf der Zunge zergehen las-
sen. Wenn Sie so etwas gleichzeitig machen, leiden Sie
(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Dafür seid ihr
an der Regierung! Ihr könnt die Regierung auch entweder unter Gedächtnisschwund oder blenden einen
wieder zurückgeben!) Bereich der Wirklichkeit systematisch aus.

– dass das Einstimmigkeitsprinzip überwunden wird und (Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Wie heißt es
in Zukunft Mehrheitsentscheidungen möglich sein wer- in Ihrer Koalitionsvereinbarung. Frau Caspers-
den. Merk? „Abhängig von den Energiepreisen“!)

Aber Sie fordern die EU-weite Steuer jetzt, obwohl Sie – Stellen Sie mir doch bitte eine Zwischenfrage; dann
wissen, dass im Moment noch das Einstimmigkeitsprin- habe ich vielleicht noch mehr Zeit, Ihnen ausführlich zu
zip gilt. Dies bedeutet, dass Sie de facto diese Steuer antworten.
überhaupt nicht wollen; denn an der Haltung von Spanien
oder Griechenland hat sich in den letzten beiden Jahren Vizepräsidentin Anke Fuchs: Frau Kollegin, gestat-
nichts geändert. ten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Paziorek?
Uns wäre ein europaweit harmonisiertes Vorgehen
auch lieber gewesen als unterschiedliche Systeme in Marion Caspers-Merk (SPD): Ja, bitte sehr.
zwölf oder 13 Ländern; das ist doch gar keine Frage. Aber
damals hat der Wirtschaftsminister, an dessen Namen man
sich kaum noch erinnert – Rexrodt hieß er –, Dr. Peter Paziorek (CDU/CSU): Frau Caspers-Merk,
wie steht es denn mit den Aussagen in Ihrer Koalitions-
(Zuruf von der F.D.P.: Guter Mann!)
vereinbarung? Sie erklären dort ausdrücklich, eine Öko-
– zugestimmt, dass, wenn es keine gemeinsame Position steuer solle in Abhängigkeit von der allgemeinen Ent-
der Wirtschaftsminister in Europa gibt, nationales Vorge- wicklung der Energiepreise eingeführt werden. War das
hen in bestimmtem Umfange ausdrücklich erlaubt wurde. damals nur eine Aussage zur Beruhigung einer interes-
Das war die Position, die damals eingenommen wurde. sierten Öffentlichkeit und rücken Sie jetzt von einer sol-
Insofern wissen Sie, dass wir damals eine europaweite chen Einbeziehung der Energiepreise ab? Wann kommt
Harmonisierung nicht hingekriegt haben. Wir werden sie der Punkt, an dem Sie sagen: Wenn der Energiepreis diese
auch in Zukunft nicht hinbekommen, wenn wir nicht zu oder jene Messlatte überschritten hat, stellt sich für uns
einem Mehrheitsprinzip gelangen. die Ökosteuerfrage neu?
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. September 2000 11365

(A) Marion Caspers-Merk (SPD): Es ist klar, dass wir in Vizepräsidentin Anke Fuchs: Weitere Wortmeldun- (C)
die Koalitionsvereinbarung zunächst ganz allgemein das gen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für
Thema Ökosteuer aufgenommen hatten, nicht aber die Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit liegen nicht
einzelnen Stufen. Sie wissen, dass damals sogar über vor.
höhere Stufen diskutiert wurde. Wir haben gesagt: Wir
machen niedrigere Stufen, dafür aber eine verlässliche Wir kommen jetzt zu einer Überweisung im verein-
Politik, damit wir wissen, welche Beträge hereinkommen fachten Verfahren ohne Debatte.
und in welchem Umfang wir die Rentenbeiträge senken Ich rufe den Zusatzpunkt auf:
können. Auf diese Weise bleibt das Ganze auch kalkulier-
bar. Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD
und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten
Die Debatte dreht sich im Moment um jeweils 7 Pfen- Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung der Be-
nig. Dafür sind wir verantwortlich. Für alles andere sind messungsgrundlage für Zuschlagsteuern
die Mineralölkonzerne und die OPEC verantwortlich.
Nennen Sie doch zunächst einmal die Verantwortlichen – Drucksache 14/3762 –
beim Namen, bevor Sie eine Kampagne gegen die Öko- Überweisungsvorschlag:
steuer lostreten, die Sie gleichzeitig europaweit fordern. Finanzausschuss (f)
Innenausschuss
(Beifall bei der SPD – Abg. Dr. Peter Paziorek Rechtsausschuss
[CDU/CSU] meldet sich zu einer weiteren Zwi- Interfraktionell wird vorgeschlagen, den Gesetzent-
schenfrage)
wurf der Fraktion der SPD und des Bündnisses 90/Die
Grünen zur Regelung der Bemessungsgrundlage für Zu-
Vizepräsidentin Anke Fuchs: Nun lasse ich keine schlagsteuern, Drucksache 14/3762, zur federführenden
Zwischenfrage mehr zu, weil wir sehr aus dem Zeitplan Beratung an den Finanzausschuss und zur Mitberatung an
geraten sind. Ich bitte dafür um Verständnis. – Frau Kol- den Innenausschuss und den Rechtsausschuss zu über-
legin, Sie haben das Wort. weisen. Gibt es dazu andere Vorschläge? – Das ist nicht
(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Was ist mit der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
dem Energiepreisniveau? Das haben Sie nicht Wir kommen nun zur Beschlussfassung zu Vorlagen,
beantwortet!) über die keine Aussprachen vorgesehen sind.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 3 a auf:
Marion Caspers-Merk (SPD): Zum Thema Energie-
preise gab es einen interessanten Artikel der deutschen Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) zu
(B) Ausgabe der „Financial Times“ in dieser Woche, die un- (D)
verdächtig ist, sozialdemokratischen Umtrieben hold zu dem Antrag der Präsidentin des Bundesrechnungs-
sein. Dort wird zum Thema Benzinsteuer und Rohölpreise hofes
ausdrücklich darauf hingewiesen, dass für den Fall, dass Rechnung des Bundesrechnungshofes für das
wir täten, was Sie forderten, die Instrumente des Marktes Haushaltsjahr 1999 – Einzelplan 20 –
greifen würden. Das heißt, der Verbraucher hätte unter
dem Strich keine Entlastung. Vielmehr würde jede von – Drucksachen 14/2868, 14/3974 –
uns gegebene Entlastung sofort – wie man es ja heute an Berichterstattung:
jeder Zapfsäule sieht – von den Mineralölkonzernen auf- Abgeordnete Ewald Schurer
gefressen werden. Josef Hollerith
Oswald Metzger
Der Kommentator endet mit der Aussage: Dr. Werner Hoyer
Dr. Uwe-Jens Rössel
Nur ein Teil des verlorenen Steueraufkommens käme
den Verbrauchern zugute. Der andere Teil wäre durch Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegen-
den Anstieg der Preise der Reingewinn der Ölförder- probe! – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist
länder. einstimmig angenommen.
Wer also eine solche Kampagne wie Sie führt, der muss Ich rufe den Tagesordnungspunkt 3 b auf:
sich – erstens – den Vorwurf machen lassen, dass er ver- Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
brannte Erde für das Thema Klimaschutz hinterlässt. richts des Ausschusses für Bildung, Forschung und
(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.) Technikfolgenabschätzung (19. Ausschuss) zu der
Unterrichtung durch die Bundesregierung
Er muss sich – zweitens – auch vorwerfen lassen, dass
er ein Stück weit die Unwahrheit sagt, wenn er wie Sie Vorschlag für einen Beschluss des Rates zur
nicht erwähnt, dass er auch eine EU-weite Ökosteuer Aufhebung der Beschlüsse 75/364/EWG,
möchte. 77/454/EWG, 78/688/EWG, 78/1028/EWG,
Er muss sich – drittens – den Vorwurf gefallen lassen, 80/156/EWG und 85/434/EWG über die Einset-
dass er das Geschäft der OPEC und der Mineralölkon- zung Beratender Ausschüsse für die Ausbil-
zerne betreibt. dung der für die allgemeine Pflege verantwort-
lichen Krankenschwestern/Krankenpfleger,
Herzlichen Dank. der Zahnärzte, der Tierärzte, der Hebammen,
(Beifall bei der SPD) der Apotheker und der Ärzte
11366 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. September 2000

Vizepräsidentin Anke Fuchs

(A) – Drucksache 14/3050 Nr. 2.2, 14/3607 – arbeiten wir. Ein wichtiger Punkt ist zum Beispiel, dass (C)
Berichterstattung: die Automobilunternehmen im Interesse der Klimaver-
Abgeordnete Hans-Werner Bertl besserung mit uns vereinbart haben, den Flottenver-
Norbert Hauser (Bonn) brauch der Autos zu senken. Das ist auch gelungen.
Matthias Berninger
Cornelia Pieper (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
Angela Marquardt DIE GRÜNEN)
Der Ausschuss für Bildung, Forschung und Technik- Im Baubereich fördern wir das kosten- und flächen-
folgenabschätzung empfiehlt auf Drucksache 14/3607, sparende Bauen. Außerdem werden wir das Modernisie-
die Bundesregierung aufzufordern, den Vorschlag der ren mit Unterstützung der Mehrheit noch stärker in den
EU-Kommission abzulehnen. Wer stimmt für diese Be- Mittelpunkt unserer Arbeit stellen. Wir fördern die erneu-
schlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – erbaren Energien. Mit der Energieeinsparverordnung
Damit ist die Beschlussempfehlung einstimmig ange- werden wir Bedingungen setzen. Das, was an Ergebnissen
nommen. erzielt werden wird, wird für die Verbraucher in Mark und
Pfennig zu messen sein. Wir dürfen aber nicht nur über
Wir setzen jetzt die Haushaltsberatungen fort und Verordnungen nachdenken; unsere wichtigste und vor-
kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeri- nehmste Aufgabe ist vielmehr, das richtige Verhalten zu
ums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen, Einzel- unterstützen und zu fördern.
plan 19.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
Ich erteile das Wort dem Herrn Bundesminister DIE GRÜNEN)
Reinhard Klimmt.
Soziale Verantwortung heißt für uns, Verkehrssicher-
heit sorgfältig zu beobachten, ausreichend bezahlbaren
Reinhard Klimmt, Bundesminister für Verkehr, Bau- Wohnraum zur Verfügung zu stellen, Eigentum zu fördern
und Wohnungswesen: Frau Präsidentin! Meine Damen und das Zusammenhalten in der sozialen Stadt zu fördern.
und Herren! Haushaltskonsolidierung ist eine allgemeine Ich bin wirklich stolz darauf, dass wir das Wohngeld end-
Aufgabe, auch in meinem Ressort. Des Weiteren ist es un- lich erhöhen können. Denjenigen, die das mitgetragen ha-
sere Aufgabe, die Weichen für die Zukunft zu stellen, und ben und gefördert haben, bin ich dankbar. Damit konnten
zwar mit einer integrierten Politik, die Verantwortung für wir Mietern und Vermietern gleichermaßen einen Dienst
Infrastruktur und Arbeitsplätze, Verantwortung für Um- erweisen.
welt und Klima – hier kann ich an das anschließen, was
vorher diskutiert worden ist –, Verantwortung für soziale (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN)
(B) Gerechtigkeit – dieses Thema wurde heute auch schon (D)
diskutiert – und selbstverständlich auch Verantwortung Beim Aufbau Ost werden wir an den Verkehrsprojek-
für den Aufbau Ost zeigt – ten „Deutsche Einheit“ weiterarbeiten, die unsere Kraft in
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten starkem Maße beanspruchen. Bei der Städtebauförderung
ist die Priorität ganz eindeutig: Von 600 Millionen DM
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
gehen allein 520 Millionen DM in die neuen Bundeslän-
Als Infrastrukturministerium kümmern wir uns um der. Wir arbeiten an Lösungen für die Probleme bei den
Raumordnung – den entsprechenden Bericht haben wir strukturellen Altlasten, zum Beispiel beim Wohnungsbau
vorgelegt –, um Städtebau – die Fördermittel sind etati- und bei der Bahn. Ich kann den Menschen in Ostdeutsch-
siert – und um das Wohnungswesen. Auch dafür gibt es land sagen – der Kanzler hat es ihnen signalisiert –: Wir
entsprechende Haushaltstitel. Wir wissen, dass die werden sie in dem schwierigen Prozess, in dem sie noch
Arbeitsplätze im Bereich des Verkehrs direkt von den In- immer stehen, nicht allein lassen, sondern werden sie wei-
vestitionen des Bundes abhängen, wenn es um den Aus- ter unterstützen.
bau der Infrastruktur und die Förderung der Mobilität (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
geht, und dass das gewünschte Wirtschaftswachstum des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
gleichzeitig mit Verkehrswachstum verbunden ist. Dafür
wollen und müssen wir rechtzeitig Vorsorge treffen. Der Haushalt sieht so, wie er jetzt vorgelegt ist, mehr
als 24 Milliarden DM für Investitionen vor. Mit der
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Mehrheit dieses Hauses werden noch einige Mittel mehr
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) zu erwarten sein. Im Verkehrsbereich ist der hohe Investi-
In unserer Verantwortung für das Klima verfolgen wir tionsanteil schon jetzt unvermindert erhalten. Darauf
das Ziel der Minderung des CO2-Ausstoßes auf unter- möchte ich Sie aufmerksam machen, weil ich mich an die
schiedlichen Wegen. Wir stärken die Bahn und den öf- Diskussion des vergangenen Jahres erinnern kann. Es ist
fentlichen Personennahverkehr. Hier müssen wir uns auch mir in Gesprächen mit dem Finanzminister gelungen, die
mit der EU auseinander setzen, damit die bereits von uns globale Minderausgabe abzubiegen.
erreichten Fortschritte nicht durch die Erfüllung falscher (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
Harmonisierungsbedürfnisse zerstört werden. Es geht da- DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Hans-Michael
rum, die Forschung voranzutreiben. Es wird an einem Goldmann [F.D.P.])
Kraftstoff der Zukunft gearbeitet. Welche Auswirkungen
eine Ölknappheit haben kann, wird uns zurzeit ja deutlich – Ja, das ist uns gelungen. Maßnahmen, die wir in Maß-
gemacht. Insofern müssen wir Alternativen finden. Daran nahmen mit hoher Priorität und solche mit Priorität ge-
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. September 2000 11367
Bundesminister Reinhard Klimmt

(A) trennt hatten, haben wir jetzt wieder zusammengeführt. müssen einfach die notwendigen Investitionen in Gang (C)
Das heißt, wir können auch die prioritären Maßnahmen bringen, damit das Netz überhaupt in einen Zustand
im Investitionsprogramm in Angriff nehmen. Das verfährt kommt, von dem man sagen kann, dass die Bahn in unse-
nach dem Motto: Nicht immer prahlen, nicht immer rem Lande eine sichere und gute Zukunft haben wird.
angeben, sondern daran arbeiten, dass man das schafft.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
Das Motto muss sein: Mehr sein als scheinen, nicht
umgekehrt. DIE GRÜNEN)

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Dabei ist es ganz wichtig, dass wir den Güterverkehr
DIE GRÜNEN) im Auge behalten; denn in diesem Bereich gibt es ein ex-
plosionsartiges Wachstum. Es geht nicht nur darum, was
Es wird vermutlich noch mehr Geld da sein. Wenn es sich bei uns im Inneren aufgrund der – Gott sei Dank
so kommt, wie es vom Finanzminister vorgesehen ist, und hochtourenden – Konjunktur abspielt, sondern auch da-
wenn es so kommt, wie es von den Koalitionsfraktionen rum, was aufgrund der Entwicklung in Europa an Transit-
besprochen worden ist, dann werden wir erheblich mehr verkehr auf uns zukommen wird.
für die Verkehrsinfrastruktur zur Verfügung haben, als Sie
in Ihrer mittelfristigen Finanzplanung, die damals unse- Die jetzt – trotz der ungeheuer hohen Zahl an Aufträ-
riös war, vorgesehen hatten. Wir sind auf dem Wege, nicht gen – aufgetretenen Probleme der Spediteure und unsere
nur das zu korrigieren, was Sie falsch gemacht haben; wir Probleme bei der Bewältigung des Güterverkehrs zeigen,
kommen sogar in einen Bereich, den Sie sich überhaupt dass wir auf diesem Gebiet einen hochgradig gestörten
nicht vorstellen konnten. Markt haben. Da liegt das eigentliche Problem, mit dem
wir uns auseinander setzen müssen. Bahn und Wasser-
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ straße haben einen viel zu geringen Anteil am Güterver-
DIE GRÜNEN – Zuruf von der CDU/CSU: Ist kehrsaufkommen. Wir müssen diesen Anteil stärken.
ja nicht zu fassen!)
(Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Sehr
Außerdem sind wir dabei, zusätzliche Mittel zu mobili-
richtig!)
sieren wie zum Beispiel das Anti-Stau-Programm, mit
dem wir nach 2003 erhebliche Maßnahmen „on top“ fi- Deswegen ist es mein Ziel, dass wir es in den Jahren
nanzieren können. Das ist auch unter anderem die Privat- bis 2015 schaffen, den Anteil der Bahn am Güterver-
finanzierung für Rostock und Lübeck, die schon in trocke- kehrsaufkommen wenigstens zu verdoppeln.
nen Tüchern ist. Und das sind auch fantasievolle
Vorfinanzierungsmodelle, die wir – nicht auf Kosten des (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
Bundeshaushaltes, sondern im wechselseitigen Interesse, DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der
(B) wie bei der A 31 in Niedersachsen – mit den Ländern ab- PDS) (D)
schließen. Wir brauchen die Bahn und die Wasserstraßen einfach,
(Beifall des Abg. Hans-Michael Goldmann um dem wachsenden Güterverkehr Rechnung zu tragen.
[F.D.P.] – Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜND- Auch im Straßengüterverkehr insgesamt funktioniert
NIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr gut!) der Wettbewerb nicht mehr richtig. Deswegen möchte ich
– Danke für den Beifall! – Wir verhandeln mit Baden- eine Nebenbemerkung zur Ökosteuer machen, die in die-
Württemberg und Bayern über Stuttgart 21 und die Voll- ser Haushaltsdebatte einer der zentralen Punkte ist. Wir
endung der Neubaustrecke zwischen Stuttgart und Ulm alle wollen den Haushalt konsolidieren. Wir alle wollen
und die Weiterführung nach München. Das zeigt, dass Lohnnebenkosten senken. Wir alle wollen Renten auf
man auch bei knappen Kassen den Mut haben muss, zu- möglichst hohem Niveau. Wir alle wollen die CO2-Belas-
sätzliche Fantasie zu entwickeln, damit wir die Lücken in tung mindern. Über all diese Punkte sind wir uns einig.
unserer Infrastruktur wirklich schließen können.
Verfolgt man die Debatte über die einzelnen Haushalte
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten und die damit verbundenen Probleme, merkt man, dass
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Forderungen gestellt werden, den Haushalt zu konsolidie-
Wir werden noch in diesem Herbst den Verkehrsbericht ren, ohne dass gleichzeitig die notwendigen Änderungen
2000 vorlegen. Unser Ziel ist ein integriertes Verkehrs- bei den Steuern vorgenommen werden sollen. Es wird ge-
system. Dazu gehört die Überarbeitung des Bundesver- fordert, die explodierenden Lohnnebenkosten zu senken.
kehrswegeplans, dazu gehört das Flughafenkonzept, das Beschreitet man aber einen Weg, sie zu senken, dann ist
wir Ihnen zugeleitet haben, und dazu gehört ein Zukunfts- das plötzlich nicht richtig. Dabei war es doch auch das
paket für die Schiene. Jetzt muss alles auf den Tisch. In Duo Merkel/Schäuble, das von sich aus gesagt hat: Es gibt
der Vergangenheit ist, aus welchen Gründen auch immer, einen Zusammenhang zwischen zu hohen Lohnnebenkos-
zu viel, was die Probleme der Bahn angeht, zugedeckt ten und zu niedrigen Energiekosten.
worden. Es muss jetzt alles auf den Tisch, damit wir eine (Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/
treffende Analyse bekommen und im Rahmen der Thera- DIE GRÜNEN]: So ist es! Genau!)
pie dann die richtigen Antworten geben können.
Das ist keine Erfindung von uns; vielmehr ist das etwas,
Ich weiß, dass wir dazu Geld brauchen. Ich weiß, dass
was auch von Ihrer Seite politisch vorgetragen worden ist.
wir in vielen Bereichen etwas tun müssen. Es ist momen-
tan völlig egal, wer für das Netz verantwortlich ist. Wir (Widerspruch bei der CDU/CSU)
11368 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. September 2000

Bundesminister Reinhard Klimmt

(A) Deswegen verstehe ich Ihr politisches Sperrfeuer nicht, Grundlage. Er bekommt eine realistische Perspektive, (C)
das Sie jetzt entfachen. Ihr Sperrfeuer dient den Konzer- einmal bei uns im Inneren.
nen und der OPEC. Gemessen am deutschen Interesse ist
(Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: Sie ma-
es geradezu irrational, was Sie im Zusammenhang mit der
chen überhaupt nichts außer Machbarkeitsstu-
Ökosteuer politisch betreiben.
dien bis zur nächsten Bundestagswahl!)
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
– Ich mache sehr viel. Ich werde zum Beispiel im Okto-
DIE GRÜNEN – Dirk Fischer [Hamburg]
ber unter anderem in die USA reisen, um dort mit den
[CDU/CSU]: Das hat Frau Dr. Merkel gestern
Amerikanern über die Anwendung dieser Technologie zu
schon erklärt! Sie haben es immer noch nicht
verstanden!) reden.

Beim Güterverkehrsgewerbe muss man wirklich et- (Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: Eine
was tun. Anwendung in Deutschland machen Sie nicht!)

(Zustimmung bei Abgeordneten der CDU/CSU Bezüglich eines Einsatzes im Inland werden, wie Sie wis-
– Beifall des Abg. Hans-Michael Goldmann sen, fünf Projekte von uns untersucht. Davon werden wir
[F.D.P.]) wenigstens eins oder zwei umsetzen.

Auch das ist mir völlig klar. Es geht darum, einen fairen (Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: Nach
internationalen Wettbewerb zu garantieren. Der interna- der nächsten Bundestagswahl wird die Mach-
tionale Wettbewerb ist nicht mehr fair. Deswegen werde barkeitsstudie fertig!)
ich im Rahmen der EU darauf drängen, dass es wieder ei- Selbst in diesem Bereich haben wir das, was bei Ihnen in
nen fairen Wettbewerb gibt. die falsche Richtung gelenkt worden ist, auf die richtige
(Hans-Michael Goldmann [F.D.P.]: Wie Spur gebracht.
denn?) (Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: Sie
Hier ist aber ein weiterer Punkt zu nennen: Es gibt auch machen vor der nächsten Wahl nichts!)
einen unfairen Wettbewerb in Deutschland zwischen Auch darauf bin ich stolz.
Großen und Kleinen; auch gegen den müssen wir vorge-
hen und dürfen nicht nur die Schuld bei anderen suchen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN)
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN – Hans-Michael Goldmann Deswegen ist es, meine Damen und Herren, vielleicht
(B) (D)
[F.D.P.]: Das ist doch nicht das Problem!) gar nicht so verwunderlich, dass das Weltwirtschaftsfo-
Es gibt genug deutsche Unternehmen, die bei uns mit Fir- rum in Genf festgestellt hat, dass sich die wirtschaftliche
men Kabotage fahren, die in osteuropäischen Ländern an- Position Deutschlands gegenüber dem Jahre 1999 er-
gesiedelt sind, und so bei uns Dumpingpreise anbieten heblich verbessert hat: bei der Attraktivität von Platz 6 auf
können. Das tun nicht nur ausländische Unternehmer; es Platz 3 und bei der Wettbewerbsfähigkeit von Platz 25 auf
gibt auch genug Deutsche, die das tun. Auch dagegen Platz 15. Ich freue mich, dass wir, Sie – allerdings mit un-
muss man etwas tun. Man darf darüber nicht einfach den terschiedlicher Intensität, das muss ich sagen –, meine
Mantel christlicher Nächstenliebe decken. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und auch ich zu diesem
erfreulichen Ergebnis beitragen konnten.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) Ich danke Ihnen.
Meine Damen und Herren, wichtige Punkte habe ich (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
genannt. Wir werden beim Wohnungs- und Städtebau DIE GRÜNEN)
mit etwa 4,5 Milliarden DM die Investitionen hoch halten,
wir werden zusätzlich die Modernisierung vor allem im
Vizepräsidentin Anke Fuchs: Nun erteile ich das
Wohnungsbestand zusätzlich fördern. Es ist gut, dass sich
Wort dem Kollegen Eduard Oswald, CDU/CSU-Fraktion.
das im Bewusstsein durchgesetzt hat. Das KfW-Pro-
gramm und spezielle Hilfen, die wir jetzt dank kluger Po-
litik zum Beispiel des Hans im Glück – der ja nicht nur ein Eduard Oswald (CDU/CSU) (von der CDU/CSU mit
Hans im Glück ist, sondern gleichzeitig ein kluger und Beifall begrüßt): Frau Präsidentin! Meine liebe Kollegin-
tüchtiger Finanzminister, denn nur wer tüchtig ist, hat nen und Kollegen! Liebe Kolleginnen und Kollegen von
auch Glück – finanzieren können, tragen dazu bei. den Regierungsfraktionen, der Beifall, den Sie hier eben
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ dem Bundesminister gezollt haben, spiegelt im Grunde
DIE GRÜNEN) genommen nur Ihr schlechtes Gewissen über die Tatsache
wider, wie schlecht Sie den Haushalt des Bundesministers
Wir werden in die Straßeninfrastruktur, in die Wasser- Klimmt ausgestattet haben. Insofern mussten sie das mit
straßen und in die Schienenwege investieren. Mir fällt dem Beifall hier wieder kompensieren.
auch noch ein Thema ein, mit dem wir uns letztes Mal
schon befasst haben: Es handelt sich um den Transrapid. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. –
Wir stellen den Transrapid jetzt auf eine realistische Widerspruch bei der SPD)
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. September 2000 11369
Eduard Oswald

(A) Lieber Herr Bundesminister, hier wurde vonseiten der Nehmen Sie Ihre Koalitionsvereinbarung ernst und (C)
Bundesregierung vieles schöngeredet oder die Schuld der stärken Sie die Verkehrsinvestitionen in unserem Lande!
Vergangenheit gegeben. Sie sollten erstens den Abhängigkeiten von Mobilität
(Matthias Berninger [BÜNDNIS 90/DIE und Wirtschaftswachstum größere Aufmerksamkeit
GRÜNEN]: Wohngeld!) widmen und die Verkehrsinfrastrukturinvestitionen ver-
stärken.
Die Realität der Verkehrspolitik in unserem Lande haben
viele Urlauber im Sommer dieses Jahres erlebt: Ihre Öko- Sie sollten zweitens die Straße als Rückgrat des ge-
steuer war die Urlaubssteuer und Ihr Investitionsstau war samten Verkehrssystems anerkennen und als Konsequenz
der Verkehrsstau. Das ist die Realität im Jahre 2000. den ökologisch und ökonomisch ausgewogenen Neu-
und Ausbau des Bundesfernstraßennetzes nicht weiter
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) vernachlässigen.
Sie bremsen die Mobilität in unserem Lande. Wir stel- Sie sollten drittens die Investitionsquote für den Bun-
len fest, dass Sie die Investitionen in Ihrem Haushalt im- desfernstraßenbau entsprechend den bisherigen und den
mer weiter zusammengestrichen haben. Die Investitio- zu erwartenden Verkehrsleistungen des Straßengüter- und
nen im Verkehrshaushalt in den Jahren 1999 und 2000 des Straßenpersonenverkehrs erhöhen.
hatten Sie um rund 500 Millionen DM gegenüber dem
Ansatz der unionsgeführten Regierung gekürzt, und im Sie sollten viertens die investiven Voraussetzungen für
vorliegenden Haushaltsentwurf für 2001 kürzen Sie um eine weitgehend staufreie Verkehrsabwicklung schaf-
weitere 1,4 Milliarden DM. fen. Denn der Stau auf unseren Straßen zieht jährlich
volkswirtschaftliche Verluste in zweistelliger Milliarden-
Wir stellen fest, dass das Investitionsprogramm im höhe nach sich. Übrigens sind Ortsumgehungen Men-
Zeitraum 1999 bis 2002 allein beim Straßenbau Kürzun- schenschutz. Auch dies ist wichtig festzuhalten.
gen von 5 Milliarden DM gegenüber der Mittelfristpla-
nung der alten Bundesregierung vornimmt. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
(Zurufe von der CDU/CSU: Das stimmt! – Wir begrüßen alles, Herr Bundesminister, was Sie für
Skandalös!) den Verkehrsbereich zusätzlich tun wollen; denn Investi-
tionen in die Verkehrsinfrastruktur sind Investitionen in
Wir stellen fest, dass der Autofahrer bereits aus den ers- die Zukunft. Aber sagen Sie bitte auch, ob die rot-grüne
ten beiden Stufen der Ökosteuer, 1999 und 2000, rund Koalition den politischen Willen hat, mehr Geld für den
10 Milliarden DM Mineralölsteuer zusätzlich in die Bun- Straßenbau auszugeben. Das wird spannende Frage sein,
deskasse abliefert, davon aber keine einzige Mark der die wir hier noch zu behandeln haben.
Verkehrsinfrastruktur zugute kommt.
(B) (Hans Büttner [Ingolstadt] [SPD]: Und wer (D)
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) soll das bezahlen?)
Beim Autofahrer wird abkassiert, ohne dass er eine ent- Für uns gilt: Wir brauchen jeden unserer Verkehrsträ-
sprechende Gegenleistung erhält. ger; jeder Verkehrsträger muss seine eigenen Stärken ent-
(Iris Gleicke [SPD]: Das war in Ihrer Regie- falten können. Deshalb fordern wir von Ihnen: Geben Sie
rung ganz anders!) der Bahn den notwendigen Flankenschutz. Gefordert ist
neuer Schwung für die Bahn. Die Bahn muss in unserem
Wir stellen fest, dass das Lkw-Gewerbe aus der ge- Verkehrssystem des 21. Jahrhunderts einen unverändert
planten elektronischen Straßenmaut ab 2003 mehr als wichtigen Platz einnehmen. Nur so werden wir die He-
4 Milliarden DM pro Jahr erbringen soll, davon aber nur rausforderungen der Mobilität bewältigen.
1,5 Milliarden DM für die Verkehrsinfrastruktur verwen-
det werden sollen und nur die Hälfte davon, rund 750 Mil- (Dr. Peter Danckert [SPD]: Hört sich gut an!)
lionen DM, in den Straßenbau fließen sollen. Wir werden alle Vorschläge der Bahn und der Bundes-
Wir stellen fest, dass das mit dem viel versprechenden regierung, auch die heutigen, daraufhin überprüfen, ob sie
Etikett „Anti-Stauprogramm“ öffentlich gemachte Vorha- zu mehr Zufriedenheit bei den Bahnkunden führen und ob
ben erst ab 2003 und damit also nach der Bundestagswahl die Sicherheit bei der Bahnbenutzung im Mittelpunkt
2002 realisiert werden soll. steht. Zufriedenheit und Sicherheit sind die Voraussetzun-
gen für den Erfolg des Unternehmens und seiner Mitar-
Wir stellen fest, dass für die Maut als Finanzierungs- beiter. Wir werden alle Vorschläge daraufhin überprüfen,
grundlage Ihres Anti-Stau-Programms der Zeitpunkt, die ob sie dazu beitragen, insgesamt wieder mehr Verkehr auf
technischen und nationalen rechtlichen Voraussetzungen, die Schiene zu bringen.
die Vereinbarkeit mit dem EU-Abkommen sowie die Ein-
nahmehöhe noch völlig ungesichert sind. (Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN]: Sehr gut!)
Wir stellen fest, dass im Anti-Stau-Programm weniger
Mittel für dringliche Straßenbaumaßnahmen eingeplant Wir wollen das Rad-Schiene-System wieder attraktiver
sind, nämlich 3,7 Milliarden DM in den Jahren 2003 bis machen. Das muss unser Ziel sein. Wir sollten dieses Ziel
2007, als Rot-Grün zuvor im Zeitraum 1999 bis 2002 gemeinsam verfolgen.
gekürzt hat, nämlich rund 5 Milliarden DM. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie
Das ist die Wahrheit, das sind die Fakten. bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/
DIE GRÜNEN – Zuruf von der SPD: Das fällt
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Ihnen aber spät ein!)
11370 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. September 2000

Eduard Oswald

(A) Wenn Sie hier ankündigen, im Güterverkehr einen großen so fehlt Ihnen bei der Binnenschifffahrt der notwendige (C)
Wurf zu machen, dann sage ich, dass wir mit großem In- Schwung.
teresse verfolgen werden, ob Ihnen dies gelingt. Wir for- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU –
dern Bundesregierung und Bahn auf – das ist für uns als Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/
Union ein ganz entscheidender Punkt –, am Ziel eines DIE GRÜNEN]: Schub, bei der Binnenschiff-
flächendeckenden Bahnangebots festzuhalten. fahrt!)
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie – Schub oder Schwung, je nachdem. – Die Donau ist zwi-
bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNIS- schen Straubing und Vilshofen ein Engpass für die Schiff-
SES 90/DIE GRÜNEN und der PDS) fahrt, der dringend beseitigt werden muss.
Die Bahnreform ist erfolgreich gewesen, indem sie zur (Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/
Steigerung der Produktivität um mehr als 100 Prozent DIE GRÜNEN]: Um Himmels willen!)
geführt hat und deutliche Erfolge auf der Kostenseite ein-
Setzen Sie hier ein Zeichen, dass es Ihnen mit der Förde-
getreten sind. rung der umweltfreundlichen Gütertransporte auf der
(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ Wasserstraße Ernst ist! Auch dies ist eine wichtige Forde-
DIE GRÜNEN]: Stimmt!) rung.
Der Durchbruch auf der Marktseite ist jedoch noch nicht (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
gelungen. Wir begrüßen es, dass Sie ein Flughafenkonzept vor-
(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ gelegt haben. Wir sind der Meinung, dass wir im Aus-
DIE GRÜNEN]: Das schaffen wir auch noch!) schuss, aber auch im Plenum insgesamt darüber intensiv
reden müssen.
Ziel der Verkehrspolitik muss es sein, Qualität und Leis-
tungsfähigkeit der Schiene mit dem Ziel einer umweltge- Sie sind angetreten, die Mobilität zu verbessern. Die-
rechten Mobilität für alle Bürger zu steigern. sem Anspruch sind Sie bisher nicht gerecht geworden. Es
ist gestern und heute sehr viel über die Ökosteuer ge-
(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ sprochen worden. Allein in den ersten beiden Stufen die-
DIE GRÜNEN]: Jawohl!) ser Ökosteuer haben Sie durch die Erhöhung der Kraft-
stoffpreise um rund 14 Pfennige pro Liter – einschließlich
Mir persönlich ist klar, dass der Staat aus seiner Verant- Mehrwertsteuer – Mehreinnahmen von über 10 Milliar-
wortung für das Schienennetz auf lange Sicht nicht ent- den DM erzielt, ohne dass eine Mark zusätzlich in den
lassen werden kann. Ausbau der Verkehrsinfrastruktur geflossen wäre. Auch (D)
(B)
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- dies muss man festhalten.
neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. –
und der PDS) Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/
Wir erwarten von der Bundesregierung, dass sie als DIE GRÜNEN]: Ökosteuer für den Straßen-
Vertreter des Eigentümers Bund konstruktive Hilfe für die bau!)
Bahn leistet. Dies bedeutet auch, dass Sie die Rahmenbe- Sie wissen doch auch, dass viele Mitbürgerinnen und
dingungen und die Wettbewerbschancen der Bahn ver- Mitbürger gerade im ländlichen Raum tagtäglich auf das
bessern müssen, die Sie durch Ökosteuern und durch die Auto angewiesen sind. Für sie ist die Ökosteuer eine fi-
Gebühr für die Leistungen des Bundesgrenzschutzes er- nanziell unerträgliche Belastung. Sie ist alles andere als
heblich verschlechtert haben. Auch dies muss auf den sozial gerecht.
Tisch. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
(Beifall bei der CDU/CSU) Sie wissen doch auch, dass Ihre Ökosteuer nicht zur
Natürlich kann es überhaupt keine Diskussion darüber Umkehr im Mobilitätsverhalten geführt hat. Tatsache ist,
geben, dass der Fernverkehr auf der Schiene eine Sache dass die Ökosteuer die öffentlichen Verkehrsträger belas-
des Bundes ist. Wir brauchen ein kontinuierliches Inves- tet und infolgedessen die Tarife in vielen Bereichen erhöht
titionsniveau, um die Schieneninfrastruktur sicherzustel- wurden, dass die Benutzerzahlen des ÖPNV – ich sage
len. Wir mahnen das überfällige Konzept der Bundesre- ganz bewusst: leider – rückläufig sind und die Benzin-
gierung für den kombinierten Ladungsverkehr an. Es wird und Strompreiserhöhungen die sozial Schwächeren tref-
fen. Genau das müssen Sie sich vorhalten lassen: Sie tref-
Zeit, dass wir darüber endlich ein Papier bekommen. Wir
fen gerade diejenigen, die im ländlichen Raum auf das
fordern, dass die EU-weite Wettbewerbsfähigkeit der Ei- Auto angewiesen sind. In weiten Teilen unseres Landes
senbahn und der europaweite Zugang zur Schieneninfra- ist das Auto auch Nahverkehrsmittel, weil es dazu keine
struktur beschleunigt vorangetrieben werden. Hier ist oder kaum eine Alternative gibt.
nicht nur die Verkehrspolitik gefordert; hier muss die
ganze Bundesregierung handeln und tätig werden. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Ich sage auch – wir haben darüber schon viel im Um-
weltbereich diskutiert –: Nicht nur angesichts der hohen
So wie Sie die Mobilität auf der Straße bremsen und bei Energiepreise, Herr Bundesminister, sondern auch aus
der Bahn die Rahmenbedingungen verschlechtert haben, umweltpolitischer Verantwortung stellt sich für mich
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. September 2000 11371
Eduard Oswald

(A) schon die Frage: Was tut die Bundesregierung insgesamt, Wir benötigen ferner eine ausführliche parlamentari- (C)
um der Innovation Wasserstoff auch den notwendigen po- sche Diskussion über die Fragen des alpenquerenden
litischen Schub zu geben, um diese Energiebasis als sau- Verkehrs. Auch die Klärung dieser Fragen, die nur
berste und sicherste Energiequelle in die Breite zu brin- scheinbar weit entfernt von Berlin sind, liegt in der Ver-
gen? Auch diese Diskussion müssen wir gemeinsam antwortung des Bundes. Dieser Verantwortung müssen
führen. wir uns stellen. Ich fordere Sie auf, sehr intensiv darüber
zu sprechen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
Es freut mich sehr, dass Sie, Herr Bundesminister, ge-
sagt haben, dass Sie die Sorgen des Güterkraftver- Meine Damen und Herren, die Mobilität ist die große
kehrsgewerbes ernst nehmen. Ich hoffe sehr, dass dies Herausforderung dieses Jahrzehnts. Mehr Mobilität darf
geschieht. Tatsache aber ist, dass mit dem Lkw mit rund aber nicht zu weniger Sicherheit führen. Deswegen lautet
85 Prozent des Gütervolumens zwölfmal so viel wie auf unsere Forderung: Die Verkehrssicherheit muss einen
der Schiene transportiert wird. Dies beweist, dass der Lkw höheren Stellenwert erhalten. Wir brauchen eine umfas-
nach wie vor das Rückgrat der Versorgung von Wirtschaft sende Debatte über die Sicherheit aller Verkehrsträger in
und Bevölkerung ist. unserem Lande, eine Debatte über die Verkehrssicherheit
(Michael Glos [CDU/CSU]: Sehr wahr!) insgesamt, wobei eines klar ist: An der Verkehrssicher-
heitsarbeit zu sparen bedeutet, das Signal falsch zu stel-
80 Prozent des gesamten Lkw-Verkehrs spielen sich im len.
Bereich unter 100 Kilometern ab. Deshalb wird auch
zukünftig auf den Lkw nicht verzichtet werden können. (Zuruf von der SPD: Ein schönes Bild!)
(Beifall bei der CDU/CSU – Annette Faße Wenn die „Wirtschaftswoche“ mit Blick auf den Ver-
[SPD]: Das ist unbestritten!) kehrsminister schreibt, „der Stau im eigenen Hause ist
mindestens so dramatisch wie beim Rückreiseverkehr auf
Die Beschäftigten und die mittelständischen Betriebe – dem Brenner“,
(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ (Heiterkeit bei der CDU/CSU)
DIE GRÜNEN]: Die wir mit der Unternehmen-
steuerreform entlasten!) so wird auf die Vielzahl der offenen Fragen abgestellt, die
einer Lösung bedürfen. Wir erwarten Ihren Verkehrsbe-
– des deutschen Güterkraftverkehrsgewerbes befinden richt 2000 mit Spannung. Wir erwarten die Aufstockung
sich derzeit in einer schwierigen und bedrohlichen Exis- der Verkehrsinvestitionen des Bundes, damit der Wirt-
tenzkrise, die sich gerade in jüngster Zeit noch verschärft
(B) hat. Wir fordern Sie auf: Nehmen Sie die Sorgen des schaftsstandort Deutschland keinen Schaden nimmt. (D)
Güterkraftverkehrsgewerbes ernst und sichern Sie die (Michael Glos [CDU/CSU]: Sehr wahr!)
Arbeitsplätze im deutschen Transportgewerbe!
Wir brauchen ein leistungsfähiges Straßen-, Schienen-,
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Wasserstraßen- und Luftverkehrsnetz. Wir werden Ihnen,
Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Was ha- Herr Bundesminister, immer zur Seite stehen – denn es ist
ben Sie denn während Ihrer Regierungszeit ge- ja unsere gemeinsame Verkehrsinfrastruktur –, wenn es
macht? Abgezockt haben Sie sie!) darum geht, beim Finanzminister Mittel loszueisen.
Die großen Wirtschaftsverbände haben sich gegen die (Dr. Theodor Waigel [CDU/CSU]: So ist es!)
Mautpläne der Bundesregierung gestellt.
Unser Wirtschaftsstandort Deutschland braucht klare Zu-
(Zuruf von der CDU/CSU: Zu Recht!) kunftsperspektiven. Dazu, liebe Kolleginnen und Kolle-
Wir bleiben bei unserer Forderung: Die streckenbe- gen von der rot-grünen Koalition, ist zu sagen: Zeigen Sie
zogene Lkw-Maut muss für das deutsche Gewerbe belas- beim Verkehrshaushalt mehr Mumm und sorgen Sie für
tungsneutral sein. Ein Abkassieren ohne Gegenleistung ist mehr Moneten!
mit der CDU/CSU nicht zu machen. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. –
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/
Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Genau das tun wir!)
DIE GRÜNEN]: Dann können wir gleich da-
rauf verzichten!) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Als
Das Pällmann-Gutachten wird uns Verkehrspolitiker nächster Redner hat das Wort der Kollege Matthias
sehr ausführlich beschäftigen. Wir müssen uns damit sehr Berninger vom Bündnis 90/Die Grünen.
intensiv auseinander setzen. Sollten Sie diesen Bericht
möglicherweise nur als Argumentationshilfe dazu benut- Matthias Berninger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
zen, die Höhe der Lkw-Maut festzulegen, und ihn im Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege
Übrigen in der Schublade verschwinden lassen, werden Oswald, da Sie in dem Bereich, um den es jetzt geht, näm-
Sie bei den notwendigen Investitionen scheitern. lich den Bereich des Bau- und Verkehrsministers, nicht
(V o r s i t z: Vizepräsident Dr. Hermann Otto unwesentliche Verantwortung getragen haben, müssen
Solms) Sie sich an einigen Punkten ein paar unangenehme Fragen
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Matthias Berninger

(A) gefallen lassen. Erstaunlich in der aktuellen Diskussion deuten sanierte Häuser eine höhere Wohnqualität. Das (C)
über die Ökosteuer ist die Dreistigkeit, mit der Sie versu- dritte große Ziel – in zwei Jahren ist der zehnte Jahrestag
chen, die Bevölkerung für dumm zu verkaufen. der Konferenz von Rio, und wir müssen uns darüber un-
Dreistigkeit Nummer eins – weil Sie vorhin etwas zum terhalten, wie die CO2-Einsparungen gelaufen sind – ist
Thema Ökosteuer und Straßenbau gesagt haben –: Sie ha- die Einsparung von Kohlendioxidemissionen, damit
ben zu Zeiten von Theo Waigel 50 Pfennig bei der Mine- Deutschland die Versprechungen, die es wie viele andere
ralölsteuer aufgesattelt und nichts davon an die Leute Länder in Rio gemacht hat, einhalten kann. All das wol-
zurückgegeben, sondern Haushaltslöcher gestopft, und len wir mit dem Altbausanierungsprogramm erreichen.
regen sich heute über die Benzinpreise auf. Das finde ich Ein Programm, das so viele neue Arbeitsplätze schafft
empörend. und solch positive Effekte hat, bedarf der lobenden Er-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wähnung. Ich werde jedenfalls – ich kann das auch für
und bei der SPD) meine Fraktion sagen – in den Haushaltsberatungen alles
tun, damit wir ein vernünftiges Altbausanierungspro-
– Der Kollege Waigel lacht, weil er genau weiß, dass es gramm im Haushalt unterbringen können.
so war.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Zweiter Punkt: Jetzt wird hier die Sorge formuliert, und bei der SPD)
durch die Ökosteuer und die gestiegenen Heizölpreise
könnten Haushalte mit einem geringen Einkommen bei Im Verkehrsbereich – der Kollege Fischer hat sich im
den Heizkosten ins Hintertreffen geraten. Der Kollege November des letzten Jahres dazu sehr klar geäußert – ist
Oswald hat die Wohngelderhöhung nicht durchgesetzt, der Koalition eine weitere sehr wichtige Sache gelungen,
sondern er hat uns ein zu geringes Wohngeld hinterlassen. die dem Klimaschutz dient. Auch darauf haben sich die
Wir waren es, die diese Erhöhung durchgesetzt und damit Koalitionsfraktionen verständigt. Schon im November
haben wir gesagt, wir bekräftigen das Ziel, dass Investi-
die Voraussetzung dafür geschaffen haben, Bezieher nied-
tionen, die in die Straße fließen, denen in die Schiene
riger Einkommen zu entlasten.
angeglichen werden. Sie haben sich damals hämisch da-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN rüber lustig gemacht, wir würden das ohnehin nicht schaf-
und bei der SPD) fen. Jetzt, Herr Kollege Fischer – ich sage das, auch wenn
Sie telefonieren –, haben wir uns auf eine Angleichung der
Ich finde es dreist, wenn Sie jetzt Ängste schüren, obwohl
Investitionen in Straße und Schiene geeinigt.
Sie untätig waren.
Diese Angleichung bedeutet nicht, dass wir keinen
Ein drittes Beispiel, die Sozialhilfeempfänger. Es ist
(B) Straßenbau betreiben wollen. Sie bedeutet, dass wir end- (D)
bereits mehrfach gesagt worden, dass gerade die Sozial-
lich bei der Schiene aufholen, bei der Sie eine riesige
hilfeempfänger nicht zusätzlich belastet werden, denn die Investitionslücke gelassen haben. Schauen Sie sich die
Sozialhilfe vollzieht derartige Entwicklungen nach, etwa entsprechenden Ausgaben der letzten Jahre Ihrer Regie-
wenn, wie jetzt, die Heizkosten steigen. rungspolitik an! Die Misere bei der Bahn ist nicht die Mi-
Ich will zunächst etwas zur Wohnungspolitik sagen, sere unserer bisherigen Bundesverkehrsminister, es ist die
die bisher noch nicht so stark angesprochen wurde. Die Misere von Matthias Wissmann und Theo Waigel. An
Koalitionspartner haben sich im Zuge der Diskussion um diese müssten sich die Bahnkunden wenden.
die Vergabe der UMTS-Milliarden – (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
(Walter Hirche [F.D.P.]: Wissen Sie, dass die und bei der SPD – Dr. Theodor Waigel
erst durch die Liberalisierung der Telekommu- [CDU/CSU]: Das nehmen Sie sofort zurück!)
nikation möglich war?) Wir nehmen uns dieses Themas an und sorgen dafür, dass
– auf ein ganz wichtiges neues Thema geeinigt, nämlich die Bahnreform tatsächlich ein Erfolg wird.
darauf, dass wir in den Haushaltsberatungen die Voraus- Die Leute, die Sie an die Spitze der Bahn geschickt ha-
setzungen für ein Altbausanierungsprogramm schaffen ben, haben die Bahn noch mehr in die Misere getrieben.
wollen.
(Dr. Theodor Waigel [CDU/CSU]: Zeigen Sie
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) nicht immer mit dem Finger auf mich!)
Das Altbausanierungsprogramm ist gefordert worden Diese Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen da-
von den Branchenverbänden und den Gewerkschaften gegen werden einen wichtigen Beitrag zur Bahnreform
– die einen besonderen Akzent im Bündnis für Arbeit ge- leisten.
setzt haben – und hat das Ziel, mehrere Fliegen mit einer Wir Grüne verschließen uns nicht gegenüber Verkehrs-
Klappe zu schlagen. Das oberste und wichtigste Ziel ist, infrastrukturmaßnahmen, auch nicht beim Straßenbau.
Arbeitsplätze für kleine und mittlere Handwerksbe-
triebe – eben nicht für die Großen – zu schaffen. Das (Dr. Theodor Waigel [CDU/CSU]: Das wäre
zweite wichtige Ziel ist, die Wohnqualität der Menschen auch noch schöner!)
zu erhöhen. Neue Fenster zum Beispiel bedeuten mehr Mit uns kann man über viele Projekte reden, bei denen es
Ruhe und wärmere Wohnungen. Neue Heizungen bedeu- in der Bevölkerung Konsens gibt, zum Beispiel wenn es
ten einen niedrigeren Energieverbrauch. Insgesamt be- bei Ortsumgehungen tatsächlich darum geht, die Orte
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. September 2000 11373
Matthias Berninger

(A) vom Schwerverkehr zu entlasten. Das ist für uns keine der Tat festgestellt, wie das mit der Ökosteuer ist: Wenn (C)
Frage von Ideologie. sie zum Beispiel in Großbritannien waren, haben sie für
(Eduard Oswald [CDU/CSU]: Bauen, nicht einen Liter Benzin 2,54 DM bezahlen müssen. Schon in
reden!) Holland kostete sie dieser 2,33 DM. Auch in Frankreich
oder Italien mussten sie mehr bezahlen. Die Behauptung,
– Der im Moment noch vorhandene Stau ist immer noch dass wir in Deutschland die höchsten Energiekosten ha-
Ihr Stau, denn so schnell bauen sich Straßen nicht. ben, ist einfach falsch. Wir liegen im unteren Drittel. Vor
Entscheidend ist, dass man pragmatisch an die Sache diesem Hintergrund sollten Sie auch hier keine Panik ma-
herangeht und versucht, die Menschen dort, wo es mög- chen.
lich ist, zu entlasten. Genauso, wie wir ein Programm auf- Sie stellen sich hin und versuchen, die Leute mit Flug-
gelegt haben, um an bestehenden Schienenwegen für blättern auf Ihre Seite zu bringen. Sie erzählen, der Anteil
Lärmschutz zu sorgen, sind auch Ortsumgehungen sinn- der Steuern am Energiepreis betrage 70 Prozent – tatsäch-
voll, damit die Leute nicht vom Durchgangsverkehr be- lich sind es nur 30 Prozent –, aber verschweigen, dass zu
lastet werden. Das ist überhaupt keine Frage. Ihrer Amtszeit der Anteil der Steuern am Energiepreis so-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gar noch höher war, die Leute also tatsächlich abgezockt
sowie bei Abgeordneten der SPD) worden sind.
Aber für mich ist entscheidend, dass sich unsere Ver-
kehrspolitik nicht in dem Motto „Mehr Autos auf die Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Herr Kol-
Straße!“ erschöpft, dass wir nicht unkonzeptionell nur im- lege Berninger, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kol-
mer neue Straßen bauen, ein großes Programm auflegen, legen Dehnel?
ein Märchenbuch wie den alten Bundesverkehrswege-
plan – hoffnungslos unterfinanziert –, und Erwartungen
Matthias Berninger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
der Menschen wecken, ohne ein vernünftiges Verkehrs-
konzept zu haben. Wir wollen die Verlagerung von Gütern Selbstverständlich erlaube ich die, wenn ich den Gedan-
von der Straße auf die Wasserstraßen und die Schiene. ken zu Ende geführt habe. – Sie stellen sich also hin und
Hier werden wir einen besonders wichtigen Akzent set- versuchen, auf ein Problem zu zeigen, das tatsächlich zu
zen. Ihrer Regierungszeit bestand: Damals waren die Men-
schen zwar nicht durch die Ökosteuer belastet, aber wur-
Zu Beginn der Befassung mit dem Haushalt im Kabi- den durch die Mineralölsteuererhöhungen abgezockt,
nett ist uns vorgeworfen worden, die Investitionen in dem während wir die Ökosteuereinnahmen – wie das der Fi-
Bereich würden zurückgehen. Am Ende der Haushaltsbe- nanzminister gestern eindrücklich deutlich gemacht hat –
(B) ratungen werden Sie diesen Vorwurf nicht mehr aufrecht- komplett zur Senkung der Rentenversicherungsbeiträge (D)
erhalten können. Wir werden investieren, und zwar an den einsetzen. – Jetzt können Sie Ihre Frage stellen.
Stellen, die gut für die Umwelt sind und neue Arbeits-
plätze schaffen. Dies ist etwas, worauf wir dann auch sehr
stolz sein können. Wolfgang Dehnel (CDU/CSU): Herr Kollege
Berninger, Sie haben gerade gesagt, dass Sie zum letzten
Ich möchte noch etwas zu den Zahlen sagen, die Sie Punkt kommen. Bisher haben Sie aber an keiner Stelle die
hier immer vortragen. Es wird davon geredet, diese Bun- neuen Bundesländer erwähnt, und dies, obwohl Sie der
desregierung kürze die Investitionen um 9 Milliar- haushaltspolitische Sprecher der Grünen sind. So brauche
den DM. Sie wissen es besser. Der Kollege Barthel Kalb
ich mich auch nicht zu wundern, wenn Ihre Partei bei uns
steht hinter einer Presseerklärung mit dem Satz „9 Milli-
immer mehr im Ansehen sinkt, wenn Sie nicht mit einem
arden Kürzung im Investitionsbereich“. Herr Kollege, Sie
wissen genau, dass sich diese 9 Milliarden DM aus einer Wort die Kürzungen für den Verkehrsbereich in den neuen
Reihe von Dingen zusammensetzen: Ländern erwähnt haben. Was haben Sie dazu zu sagen?

(Walter Hirche [F.D.P.]: Das ist doch egal! Ist


es eine Kürzung oder ist es keine?) Matthias Berninger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Kollege Dehnel, meines Wissens gibt es in den neuen
Es beruht beispielsweise darauf, dass viele Investitionen Ländern Unmengen an Altbauten, die saniert werden
im Zusammenhang mit dem Regierungsumzug standen, müssen. Meines Wissens gehen die Verkehrsinvestitio-
der aber nun bereits stattgefunden hat. Es liegt beispiels- nen – so wie im Investitionsprogramm festgelegt – nicht
weise daran, dass die 5,5 Milliarden DM Bundeseisen- nur in die alten Länder, auch wenn die Bayern dies am
bahnvermögen früher als Investitionen galten, heute aber liebsten so hätten, dass alles nach Bayern geht, sondern
nicht mehr in den Haushalt eingestellt werden. Lassen Sie natürlich auch in die neuen Länder.
uns vernünftig über die Zahlen reden! Am Ende des Tages
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
wird man nämlich feststellen, dass wir trotz Haushalts-
sowie bei Abgeordneten der SPD)
konsolidierung im Investitionsbereich einen Schwerpunkt
setzen. Meines Wissens werden die Verkehrsprojekte „Deut-
sche Einheit“ von diesem Minister realisiert und finan-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
ziert, während Sie damals nur Versprechungen gemacht
sowie bei Abgeordneten der SPD)
haben, die keiner halten konnte. Meines Wissens hat diese
Der letzte Punkt betrifft die Ökosteuer. Herr Kollege Bundesregierung durchaus einen Akzent auf die Förde-
Oswald, die Leute, die in Urlaub gefahren sind, haben in rung der neuen Länder gesetzt. Wenn ich diese hier nicht
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Matthias Berninger

(A) extra erwähnt habe, dann liegt das daran, dass ich ein noch gnal, das uns auffordern muss, die Weichen richtig zu (C)
relativ junger Abgeordneter bin, – stellen.
(Eduard Oswald [CDU/CSU]: (Beifall bei der F.D.P.)
Zunehmend älter!)
Da hilft leider nicht, sehr geehrter Herr Minister
– politisch eigentlich nur das vereinigte Deutschland Klimmt, wenn Sie an irgendeiner Stelle einmal leise und
kenne und die Differenzierung zwischen alten und neuen klammheimlich sagen, man könne ja die Kfz-Steuer ein
Ländern in der Form, wie Sie es hier andeuten wollen, für bisschen senken, sondern da hilft nur, dass Sie das ma-
unvernünftig halte. chen, was Sie – wenn ich Ihre Konstitution richtig ein-
schätze – früher als Fußballer hoffentlich gemacht haben,
Vielen Dank.
nämlich mit Macht zu kämpfen um die eigene Position, zu
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- stürmen und endlich darauf hinzuarbeiten, dass die Öko-
wie bei Abgeordneten der SPD – Eduard steuer abgeschafft oder zumindest ausgesetzt wird. Denn
Oswald [CDU/CSU]: Der Zahn der Zeit nagt sonst werden die Arbeitsplätze in den Bereichen, die wir
auch schon an Ihnen!) zu vertreten haben, in den Bereichen Verkehr, Bau und
Wohnungswesen, in einem Maß verloren gehen, dass wir
uns alle noch darüber wundern werden. Dann werden wir
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort
vor einem ganz schweren und kalten Winter stehen.
hat jetzt der Kollege Hans-Michael Goldmann von der
F.D.P.-Fraktion. (Beifall bei der F.D.P. – Iris Gleicke [SPD]:
Das glauben Sie ja selbst nicht!)
Hans-Michael Goldmann (F.D.P.): Sehr geehrter – Doch, das glaube ich selbst, weil ich die Signale sehe,
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich liebe Kollegin, genauso wie Sie, wenn Sie hingucken.
werde, natürlich aus gutem Grund, als Erstes die Öko- Der privat finanzierte Wohnungsbau ist nahezu zum
steuer ansprechen müssen, – Erliegen gekommen. Gucken Sie sich die neuen Zahlen
(Iris Gleicke [SPD]: Das haben wir uns an! Der soziale Wohnungsbau wird gekürzt. Die Eigen-
gedacht!) heimförderung ist gekürzt, die Investitionen, generell und
speziell, sind eingedampft worden.
– weil wir sie schon so oft gehabt haben und weil sie
natürlich in unserem Bereich, im Bereich von Verkehr, Herr Berninger, wenn Sie sagen, Sie werden Erlöse aus
Bau und Wohnungswesen, von ganz elementarer Bedeu- der UMTS-Versteigerung in diesen Bereich investieren,
(B) tung ist. Ich werde – das werden Sie feststellen – hier nicht dann kommt mir das so vor, als drohten Sie jemandem (D)
als Brandstifter auftreten. Ich glaube, an der einen oder Prügel an und hauten ihm hinterher nur ein paar runter.
anderen Stelle muss man einfach auf Probleme hinweisen, Sie haben massiv durchgekürzt. Wenn Sie an der einen
die wir hier gemeinsam lösen müssen. oder anderen Stelle wieder ein bisschen anheben, werden
(Iris Gleicke [SPD]: Sehr richtig!) Sie bei weitem nicht das notwendige Niveau erreichen
und bei weitem nicht das Niveau, das für diese Bereiche
In diesem Punkt bitte ich Sie jetzt schon, endlich zu re- schon einmal zur Verfügung gestellt worden ist. Das ist
gieren, indem Sie auf das reagieren, was sich in unserem nicht die Lösung der Probleme.
Land tut.
(Beifall bei der F.D.P.)
(Beifall bei der F.D.P.)
Wir stellen doch gemeinsam fest – das müssen wir be-
Wenn Bauern im Emsland heute die Raffinerie in Lin- klagen –, dass die Bahn Anteile am Verkehrsmarkt ver-
gen blockieren, – liert. Die Lösung dieses Problems ist aber doch nicht der
(Iris Gleicke [SPD]: Wir haben gerade den Rückweg in die Staatsbahn. Nein, das kann nicht die Lö-
Biodiesel subventioniert!) sung sein. Ich respektiere bestimmte Dinge, die Sie ge-
leistet haben. Beim Wohngeld haben Sie uns an Ihrer
– dann tun Sie das nicht, Frau Kollegin, weil sie nichts Seite. Es wäre natürlich besser gewesen, wenn die Er-
Besseres zu tun haben, sondern dann tun sie das, weil die höhung schon jetzt gekommen wäre. Es wäre auch besser
Landwirte in Frankreich für die gleiche Menge Antriebs- gewesen, wenn es nicht zulasten der Förderung des Ei-
stoff 75 Pfennig bezahlen, während der Landwirt in genheimbaus gegangen wäre.
Deutschland im Moment 1,80 DM bezahlen muss.
(Beifall bei der F.D.P.)
(Walter Hirche [F.D.P.]: Hört! Hört! – Zuruf
von der SPD: Es sind keine 1,80 DM! Das ist Sie haben uns auch an Ihrer Seite, wenn es um die „So-
Unsinn!) ziale Stadt“ geht. Natürlich kennen wir uns mit den Pro-
blemen aus, die das Land in bestimmten Städten hat. In-
Wenn heute eine Meldung über den Ticker geht, die si- sofern sind wir für die „Soziale Stadt“. Aber es wäre
cher auch Sie bekommen haben, dass in den neuen Län- fairer, ehrlicher und klarer gewesen und ein deutliches
dern die Zahl der Arbeitslosen im Baugewerbe auf Re- Zeichen, Herr Minister, wenn Sie darauf gesetzt hätten,
kordstand ist – 114 000 Menschen; auf zwei gewerblich dass das Geld nicht aus dem sozialen Wohnungsbau um-
Beschäftigte ein Arbeitsloser –, dann ist auch das ein Si- geleitet wird.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. September 2000 11375
Hans-Michael Goldmann

(A) Das ist eine Politik, die keine Klarheit aufweist. Das ist – Es ist schön, Sie zu hören, Frau Mertens. Heute Morgen (C)
eine Wohnungsbaupolitik, bei der man nicht weiß, wo das wurden Sie noch krank gemeldet. Ich freue mich, dass Sie
Ziel ist. Das ist Durchwurschteln ohne Qualität. Dieses so munter sind.
Durchwurschteln ohne Qualität kostet uns Arbeitsplätze, Aber was machen Sie, Frau Mertens? Sie modifizieren
das kostet uns Perspektive, das kostet uns Mobilität. das alte, das teure, das ungerechte, das überbürokratische
(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Fördersystem.
Sehr geehrter Herr Minister, ich bin nun wirklich der (Angelika Mertens [SPD]: Das stimmt doch
Letzte, der Sie irgendwie abqualifizieren will. Aber es ist überhaupt nicht! Wir haben doch die Reform
natürlich schon bedenklich, wenn eine große Zeitung Sie auf den Weg gebracht! Ich gebe Ihnen einmal
als „Beifahrer“ bezeichnet. Nein, Sie dürfen nicht Bei- eine Nachhilfestunde!)
fahrer sein, sondern Sie müssen Steuermann sein bei ei- Sie fördern nach wie vor diejenigen, die Wohnungen
ner Investitionspolitik, die darauf setzt, eine Verkehrsin- bauen, und nicht diejenigen, die in den Wohnungen leben.
frastruktur zu schaffen, die unser Land insgesamt Genau das wollen wir nicht.
zukunftsfähig macht. Sie werden uns nicht vorwerfen
können, dass wir für Sie in diesen Bereichen keine Ak- (Beifall bei der F.D.P.)
zente vorgebracht hätten. Im Ausschuss haben wir all das, Wir wollen die Menschen fördern, die in den Wohnungen
was für unseren Bereich wesentlich ist, mit parlamentari- leben, damit sie mit den Belastungen, die Sie ihnen auch
schen Initiativen begleitet. Aber Sie nehmen unsere Anre- über die Ökosteuer zumuten, einigermaßen fertig werden.
gungen nicht ernst und das ist sehr bedauerlich, weil Sie
damit Zukunftschancen verspielen. Durch unsere konstruktive Oppositionsarbeit haben
wir Ihnen auf die Sprünge geholfen; wir können es auch
Wir stellen doch gemeinsam fest: Der Bundesver- weiterhin tun. Wir haben Ihnen bereits im Bereich der
kehrswegeplan kommt nicht voran. Die Menschen war- Verkehrsinfrastruktur und der Eisenbahnpolitik eine gute
ten nach wie vor darauf, dass die starren Planungen um- Antwort gegeben. Beim sozialen Wohnungsbau wollen
gesetzt werden. Herr Minister, Sie haben vorhin gesagt, wir genau das machen, was notwendig ist: Wir wollen ein
die A 31 sei auf den Weg gebracht. Wir sollten einmal fest- Bürgergeld, durch das der Mieter gefördert wird und nicht
halten, dass die betroffene Region – ich komme aus die- der Wohnraum als solcher.
sem Gebiet – ein Drittel der Gesamtinvestition aufbringt.
Oder nehmen Sie die CO2-Minderung im Gebäu-
(Beifall bei der F.D.P.) debereich. Nichts ist hier bisher zustande gebracht wor-
den.
(B) Wir tun dies – und damit nehmen wir Ihnen etwas ab, weil (D)
es primär Ihre Aufgabe ist –, weil wir uns für die Men- (Dietmar Schütz [Oldenburg] [SPD]:
schen und die Arbeitsplätze in dieser Region verantwort- Warten Sie mal ab!)
lich fühlen. Gerade hier werfe ich Ihnen eklatantes Versa- – Warten Sie mal ab? Wir warten seit zwei Jahren, seit
gen vor. Sie spüren weder die Sorgen der Menschen um zwei Jahren sind Sie an der Regierung, Herr Schütz.
ihre Arbeitsplätze noch die Sorgen der Menschen um die
Weichenstellungen für die Zukunft. Das ist fatal, weil es (Angelika Mertens [SPD]: 16 Jahre haben wir
hier, wie die Zeitung zu Recht feststellt, um einen Bereich darauf gewartet! So schnell wie wir ist keiner!
mit einem großen Ministerium geht, der einen großen – Weitere Zurufe von der SPD)
Minister braucht und große Antworten auf die Herausfor- – Nun mal langsam. Sie sind doch vor zwei Jahren ange-
derungen, die vor uns liegen. treten, und zwar um nicht alle Dinge anders, aber doch ein
Die Zukunftsfragen – Privatfinanzierung und nutzer- Stück besser zu machen. Warum nehmen Sie nicht den
bezogene Anlastung der Kosten für die Straße, strikte Gedanken auf, der in anderen Ländern schon lange disku-
Trennung von Netz und Betrieb auf der Schiene, ein zu- tiert wird, nämlich den des so genannten Zertifikathan-
kunftsfähiges und mutiges Luftfahrtkonzept – haben Sie dels? Warum gehen Sie nicht auf die Idee der Einführung
bisher nicht aufgegriffen. Sie setzen die Pällmann-Kom- von CO2-Schecks ein? Diese würden doch gerade den
mission ein, vergessen fast alles, was sie sagt, greifen nur Verbraucher belohnen, der sich dafür entscheidet, in sei-
einen Punkt auf, den Sie zielgerichtet einsetzen, um wie- nem persönlichen Bereich zu sparen. Warum greifen Sie
der den Autofahrer zu melken. Das kann doch nicht die das nicht auf? Warum setzen Sie nach wie vor auf Büro-
Antwort auf das sein, was uns in der Sache bewegt. kratie, auf Verwaltung, auf Kontrolle, auf Gängelung?
Das können nicht die Antworten sein, die in der Verkehrs-
(Beifall bei der F.D.P.) und Baupolitik gebraucht werden.
In der Verkehrs- und Wohnungsbaupolitik wurschteln Sie (Beifall bei der F.D.P. – Angelika Mertens
sich durch. Das ist angesichts der Herausforderungen, vor [SPD]: Ich glaube, Sie verwechseln das!)
denen wir stehen, schlicht und ergreifend zu wenig.
Sehr geehrter Herr Minister, Sie legen keine breite
Sie haben den sozialen Wohnungsbau zu einer Rest- Spur, sondern fahren lediglich Schmalspur. Sie drehen
größe verkommen lassen. kein großes Rad, Sie wurschteln sich durch.
(Angelika Mertens [SPD]: Sie wollen den sozia- Wir werden bei den Haushaltsberatungen darauf drin-
len Wohnungsbau doch überhaupt nicht!) gen, dass es in diesem Bereich neben der Qualität, der
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Hans-Michael Goldmann

(A) sachlichen und konstruktiven Arbeit, auch so etwas wie Sie waren doch immer dagegen, wenn in diesem Land (C)
Visionen gibt. Weichenstellungen für die Zukunft vorgenommen wor-
den sind. Ich sage Ihnen: Wenn Sie diese Politik weiter
(Dietmar Schütz [Oldenburg] [SPD]: Ja!) fortsetzen, dann werden Sie zu einem nachhaltigen Scha-
Wir brauchen Haushaltsmittel zur Finanzierung von Un- den für dieses Land. Nehmen Sie unsere Anregung auf.
tersuchungen und Modellprojekten zu verschiedenen For- Lassen Sie uns darüber in eine Diskussion eintreten. Las-
men der Privatfinanzierung deutscher Bundesfern- sen Sie uns ein großes Rad für den Bereich Verkehr, Bau
straßen. Ich habe nie verstanden, warum es so viele und Wohnungspolitik drehen!
Menschen gibt, die Geld in Unternehmungen stecken, die Herzlichen Dank.
sich zum Beispiel mit der Produktion von Maschinen be-
schäftigen und darin auch erfolgreich sind, wir aber nicht (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)
endlich dazu übergehen können, private Investitionen in
die Infrastruktur auf den Weg zu bringen. Privates Geld Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Als
kann in diesen Bereichen eine sehr sinnvolle Rendite er- nächster Redner hat der Kollege Dr. Winfried Wolf von
zielen und Weichen in Richtung auf mehr Arbeitsplätze der PDS-Fraktion das Wort.
und mehr Zukunft in allen Regionen stellen.
(Beifall bei der F.D.P.) Dr. Winfried Wolf (PDS): Sehr geehrter Herr Präsi-
Ihr Staatssekretär, Herr Tacke, hat mich bei einer Dis- dent! Werte Kolleginnen und Kollegen! Diese Bundesre-
kussion über diesen Sachverhalt in dieser Auffassung gierung hat im Koalitionsvertrag als verkehrspolitisches
hundertprozentig bestätigt. Ziel festgehalten, die Verkehrswegeinvestitionen seien –
Zitat –
(Iris Gleicke [SPD]: Warum? Wie denn?)
in ein umfassendes Verkehrskonzept zu integrieren,
– Warum? Ich könnte mir, so hat er wörtlich gesagt, das die Voraussetzungen für die Verlagerung mög-
durchaus Folgendes vorstellen: Die Autobahn Hamburg- lichst hoher Anteile des Straßen- und Luftverkehrs
Berlin wird an einen privaten Investor vergeben. Mit den auf Schiene und Wasserstraßen schafft.
Erlösen erhalten und sichern wir Infrastruktur in Berei-
chen, die aus sich selbst heraus eine solche Infrastruktur Untersucht man im Einzelplan 12 die Verkehrsausga-
nicht finanzieren können. Das ist eine Haltung der Für- ben – darauf werden wir uns in der ersten Lesung kon-
sorge gegenüber ländlichen, strukturschwachen Räumen. zentrieren –, dann ist dort von diesem Ziel nichts zu er-
Wir werden Ihnen den Beweis der Umsetzbarkeit gerne kennen. Auch im Jahr 2001 sollen 87 Millionen DM für
liefern, wenn Sie bereit sind zuzuhören. die Magnetschwebebahntechnik ausgegeben werden. Die
(B) Investitionen in die Wasserwege sind nicht nur leicht re- (D)
Wir brauchen Haushaltsmittel, um im Schienenverkehr duziert worden. Der größte Teil fließt weiterhin in das
Untersuchungen und Forschungsaufträge auf den Weg zu grotesk überdimensionierte Projekt Elbe-Havel-Ausbau.
bringen, die darauf zielen, die Trennung von Netz und Der Güterverkehr wird so nie und nimmer auf Wasser-
Betrieb abzuarbeiten. Die Trennung von Netz und Be- wege verlegt werden.
trieb ist zwingend erforderlich. Jeder weiß das. Die Tren-
nung von Netz und Betrieb wird Konsequenzen haben. Beim Verhältnis Straße zu Schiene erleben wir bei die-
Wir müssen diese Konsequenzen abarbeiten, Lösungs- sem Haushalt ein altes Spiel: Formal sei annähernd eine
vorstellungen entwickeln und uns dann alle gemeinsam – Gleichbehandlung erreicht worden, so tönt die Koalition,
fast im Sinne einer Bewegung, wie es sie zum Beispiel in zumal man großzügigerweise 2 Milliarden DM aus den
der Schweiz gibt – auf den Weg machen, um etwas, was Mobilfunkerlösen dazugeben will. Doch damit sollte
im Moment noch ein Stück visionär ist, zur realen Politik nur – pünktlich zur Messe Innotrans – Gelegenheit gege-
zu machen. Wir brauchen diese Weichenstellung für eine ben werden, bei den Beschäftigten, bei der Bahn und bei
zukunftsfähige Verkehrsinfrastruktur in Deutschland. den Beschäftigten der Bahnindustrie, Dampf abzulassen.

Wir wollen eine Untersuchung zu den Auswirkungen Von „Gleichbehandlung“ kann bereits dann nicht mehr
eines Carboscheck-Modells und werden dazu haushalts- die Rede sein, wenn die Bahninvestitionen, die der Bahn
relevante Anträge vorlegen; denn die von Ihnen bis jetzt über zinslose Kredite ermöglicht werden, herausgerech-
angedachte Energiesparverordnung wollen wir nicht. net werden und wenn der Straßenbau im Bereich des Ge-
meindeverkehrsfinanzierungsgesetzes noch hinzuaddiert
Liebe Kolleginnen und Kollegen, in zentralen Berei- wird. Auch dieser Haushalt läuft materiell darauf hinaus,
chen unserer Wirtschaft und Gesellschaft hat es durch Pri- dass es am 31. Dezember 2001 rund 800 Kilometer mehr
vatisierung und Deregulierung entscheidende Schübe ge- Straße und rund 400 Kilometer weniger Schiene geben
geben. Wenn wir nicht gewesen wären – ich glaube, das wird.
kann man mit aller Bescheidenheit sagen –, wenn der
Minister Rexrodt, den Sie vorhin hier kritisiert haben, Norbert Hansen, Vorsitzender der Gewerkschaft
nicht im Post- und Telekommunikationsbereich tätig ge- Transnet, hat vorgestern auf der Demonstration der
wesen wäre, dann würden Sie heute von UMTS-Erlösen Bahnbeschäftigten nochmals vorgerechnet: Seit 1950
nur träumen. Das wollen wir doch hier einmal festhalten. wurden 300 000 Kilometer neue Straßen gebaut und ma-
ximal 3 000 Kilometer Schienenwege; entsprechend wur-
(Beifall bei der F.D.P. – Walter Hirche [F.D.P.]: de Verkehr auf die Straße und in die Luft verlagert. SPD
Genauso ist es! Das ist von Ihnen alles abge- und Grüne setzen diese Politik im schlechten Sinne kon-
lehnt worden! – Widerspruch bei der SPD) sequent fort.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. September 2000 11377
Dr. Winfried Wolf

(A) Sehen Sie sich bitte diesen Zeitungsausschnitt, den ich Protestieren tut auch unser geschätzter Kollege Brunn- (C)
hier in Händen habe, an. Die Überschrift hier lautet: „Der huber von der CDU. Das ist sein Wahlkreis. Inzwischen
Bundesverkehrswegeplan muss in den Papierkorb“ – so hat er für seinen geharnischten Protest erheblich mehr
die Kollegin Elke Ferner in der „Deutschen Verkehrs-Zei- Spielraum als zu Wissmann´schen Zeiten, das heißt, in der
tung“; – Opposition kommt der Kollege Brunnhuber locker über
den Öko-Hocker.
(Beifall bei der PDS)
– allerdings war das Februar 1998. (Beifall bei der PDS)

Elke Ferner ist jetzt Staatssekretärin. Tatsächlich wird Doch Königsbronn ist überall. Seit dem Jahr 1992
der Bundesverkehrswegeplan nicht in den Papierkorb ge- wurde im deutschen Schienennetz die Zahl der Gleisan-
worfen. Er besteht weiter fort, in Form eines Investi- schlüsse für Unternehmen von 13 600 auf 6 500 halbiert.
tionsprogramms. Tatsächlich haben wir heute eine Situa- Trotzdem, Herr Klimmt, erklärten Sie vorgestern auf der
tion, in der das Programm von Herrn Krause und Herrn Innotrans und tönten Sie heute im Parlament, Ihr Ziel sei,
Wissmann weiter realisiert wird. den Güterverkehr auf der Schiene zu verdoppeln. Das wi-
derspricht den Vorgaben Ihres Ministeriums und es wi-
Ähnlich beim Koalitionspartner: Der verkehrspoliti- derspricht der Praxis vor Ort.
sche Sprecher der Grünen, Ali Schmidt, erklärte im De-
zember 1998: Besuch vor Ort Nummer zwei in Mörfelden-Wall-
dorf. Dort soll die neue Landebahn Nord-West des Flug-
Kernaufgabe unserer neuen Verkehrspolitik ist die hafens Frankfurt/Main gebaut werden. Neuer Lärm von
Herstellung der Chancengleichheit für die Bahn. oben kommt hinzu. Natürlicher Lärmschutz am Boden
Wo, so fragen wir die Regierung, gab es seither eine ein- kommt weg. Als „brutalstmöglicher Abholzer“ will Mi-
zige ernsthafte Maßnahme, die bestehende Chancen- nisterpräsident Koch dafür 200 Hektar Wald abholzen las-
ungleichheit zulasten der Bahn zu beseitigen? Wo gab es sen.
zum Beispiel die Initiative zur Befreiung der Bahn von
Der neue ICE-Airport-Bahnhof dient ganz offensicht-
der Mineralölsteuer? Es gab sie nicht; es kam noch eine
lich nicht dazu, Flugverkehr auf die Schiene zu verlagern.
Ökosteuer zu den real existierenden Belastungen hinzu.
Der ICE wird immer mehr als Zubringer de luxe zum
(Beifall bei der PDS – Angelika Mertens [SPD]: Flugverkehr benutzt. Und: Mörfelden-Walldorf ist über-
Es ist Unsinn, was Sie hier erzählen!) all. Überall werden Großflughäfen aufgebaut und schie-
Auf diese Weise kommt es nie und nimmer zu einer ßen Regionalflughäfen aus dem Boden.
(B) Verlagerung des Verkehrs auf Schiene und Wasser. Im Ge- Exakt so steht es auch im Papier von Herrn Klimmt: (D)
genteil: Deren beider Anteile am Verkehrsmarkt nehmen Verdopplung des Flugverkehrs. Umweltpolitisch und für
von Jahr zu Jahr ab. Das Perverse ist: All das wird hinge- die Menschen vor Ort ist dies unerträglich, doch ist es vor-
nommen und soll fortgesetzt werden. Ihr Ministerium, teilhaft für den „Shareholder Value“ von Lufthansa, Air-
Herr Klimmt, geht davon aus, dass sich der Lkw-Verkehr bus und EADS.
in den nächsten 15 Jahren verdoppeln soll, eben-so der
Flugverkehr, und der Pkw-Verkehr um 22 Prozent wach- Besuch vor Ort Nummer drei im südthüringischen
sen soll. Die Schiene dagegen soll stagnieren. All das sind Sonnefeld. Dort hat die Bahn bereits im Jahr 1997 zwi-
Zahlen – schwarz auf weiß festgehalten als Prognose für schen Probstzella und Sonneberg mehrere Trassen wegen
den nächsten Bundesverkehrswegeplan ab dem Jahre ihres maroden Zustands gesperrt. Das Eisenbahnbundes-
2002 –, die vorgestern in der „Süddeutschen Zeitung“ ver- amt moniert, es gebe dort seither keinerlei Instandset-
öffentlicht worden sind. zungsaktivitäten. Dazu sei die Bahn jedoch nach dem
Grundgesetz verpflichtet. Auch Sonneberg ist überall.
(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ Das beweisen die 2000 Langsamfahrstellen im Schienen-
DIE GRÜNEN]: Es ist ein Szenario, das ver- netz. Hören Sie dazu die folgende Klage:
worfen wurde!)
Ich hatte geglaubt, dass die Herstellung des Eisen-
Sie, Kollegin Angelika Mertens, wurden dazu zitiert bahnamtes als einem Aufsichtsamt dem Mangel ab-
mit den Worten: Man muss das hinnehmen, muss der helfen könnte. Ich habe mich darin vollständig
Wahrheit ins Auge sehen. Die CO2-Emissionen im Ver- getäuscht. Das Eisenbahnamt ist ... eine bittende
kehr können nicht reduziert werden. Behörde geworden, die sehr viel schreibt und tut,
Werte Kolleginnen und Kollegen, Papier und Zahlen ohne dass jemand Folge leistet.
sind geduldig. Machen wir doch einen dreifachen Praxis- Das ist Originalton Reichskanzler Bismarck am
test der SPD/Grünen-Verkehrspolitik: 26. April 1876 im Reichstag. Seine Regierung zog daraus
Besuch vor Ort Nummer eins im nordwürttembergi- die Konsequenz, die damals überwiegend privaten Eisen-
schen Königsbronn. Da kappt die DB Cargo gerade den bahnen zu verstaatlichen. Doch hierzulande läuft es genau
Schienenanschluss für den gesamten Güterverkehr. Der umgekehrt: Es wird privatisiert und es wird ein machtlo-
Bürgermeister weiß von nichts. Die Unternehmen vor Ort ses Eisenbahn-Bundesamt als „bittende Behörde“ einge-
protestieren; eine Firma war extra von Oberkochen nach richtet.
Königsbronn zum Schienenanschluss gezogen. (Beifall bei der PDS)
11378 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. September 2000

Dr. Winfried Wolf

(A) Diese Politik kostet eine immens große Zahl von Ar- Im Jahr 2001 stehen rund 19,8 Milliarden DM für den (C)
beitsplätzen bei der Bahn und in der Bahnindustrie. Als Verkehrsbereich zur Verfügung. Die Grundlage für die In-
Sie, Herr Klimmt, vorgestern auf der Kundgebung der vestitionen ist unser Investitionsprogramm, das, um
Kolleginnen und Kollegen von Adtranz, von DWA-Bom- auch dies hier deutlich zu sagen, den kontinuierlichen
bardier und von der Deutschen Bahn sprachen, sagten Sie, Übergang zu einem neuen Bundesverkehrswegeplan ga-
Bahn und Bahnindustrie müssten vor allem selbst für sich rantiert. Das dauert zwar seine Zeit; dann werden wir aber
sorgen, der Staat tue schon genug. Zu Recht hat niemand einen Plan haben, mit dem wir gut und sicher sowie ehr-
nach Ihrer Rede geklatscht, weil das schlicht unwahr ist. lich gegenüber den Bürgern arbeiten können.
Die Kollegen dort wissen, dass diese Regierung die Poli-
tik von Wissmann fortsetzt. Die Verlagerung von Verkehr Immer mehr der Investitionsmittel gehen in den Be-
auf Schiene und Wasser ist ein Tag für Tag gebrochenes stand; das gilt sowohl für die Schiene als auch für die
Versprechen. Straße. Fast ein Drittel der Investitionen geht heute in die
Erhaltung des Bestandes. Das müssen wir zur Kenntnis
(Beifall bei der PDS)
nehmen; denn wir haben viele Schwachstellen in unseren
Die Kolleginnen und Kollegen dort fordern mit uns: Bür- Verkehrsnetzen. Wir bringen hier eine neue Wertigkeit
gerbahn statt Börsenwahn. Sie fordern dies für sich, für ein.
ihre Arbeitsplätze und auch für die Umwelt.
Wir wurden von Ihnen aufgefordert, aktiv zu werden.
Danke schön. Herr Minister Klimmt ist aktiv geworden und ich danke
(Beifall bei der PDS) ihm für seinen Einsatz, was die globale Minderausgabe
betrifft.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort (Beifall bei der SPD)
hat jetzt die Kollegin Annette Faße von der SPD-Fraktion. Sie haben uns immer vorgeworfen, daraus werde nichts,
die Liste 2 des Investitionsprogramms sei ohnehin nicht
Annette Faße (SPD): Herr Präsident! Meine sehr ge- abgesichert. Wir aber erfüllen die Liste 2. Darüber können
ehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kolle- wir uns alle freuen, meine Kolleginnen und Kollegen.
gen! Mit dem Haushalt 2001 setzen wir ein richtiges und
(Beifall bei der SPD)
wichtiges Zeichen für eine zukunftsorientierte Verkehrs-
politik. Bei Regierungsantritt im Herbst 1998 haben wir Dieses Investitionsprogramm haben wir nicht mal eben
versprochen, den Schutt der alten Regierung wegzufegen, so aus Jux gemacht, sondern deswegen, weil wir einen
die Verkehrsinvestitionen wieder auf eine solide Grund- Bundesverkehrswegeplan haben, der völlig unrealistische
(B) lage zu stellen und im Sinne des Koalitionsvertrages eine Zahlen aufweist. (D)
effiziente und umweltgerechte Verkehrspolitik zu ver-
wirklichen. Das halten wir ein. Es sind nicht 90 Milliarden DM, sondern – wenn man ge-
nau hinsieht – 100 Milliarden DM, die uns dort fehlen. Es
(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Albert ist jedoch richtig: Das alleine kann es nicht sein. Wir
Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE bemühen uns jeden Tag, neue Gelder für Investitionen zu
GRÜNEN]) bekommen. Zusätzlich war und ist das Geld, das wir in
Darüber hinaus sorgen wir dafür, dass das infrastruktu- das Anti-Stau-Programm stecken. Das ist Ihnen nicht ein-
relle Wunschdenken wieder mit den harten haushaltspoli- gefallen, das ist nur uns eingefallen. Sie können sich, Herr
tischen Realitäten in Einklang gebracht wird. Wir machen Oswald, darauf verlassen, dass das im Jahre 2003 kom-
eines nicht, was der alten Regierung vorzuwerfen ist: Wir men wird. Das Erhebungssystem für die Lkw-Abgabe
versprechen nicht vieles, um dann nichts zu halten, son- wird rechtlich wie technisch abgesichert sein, da wir die
dern wir versprechen nur das, was wir auch halten kön- Einnahmen für den Verkehrsbereich brauchen.
nen.
Ich möchte an dieser Stelle auf die Pällmann-Kom-
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten mission eingehen, da dies in engem Zusammenhang zum
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf
vorher Gesagten steht. Es wäre ein Fehler, wenn wir nur
von der SPD: Das haben wir sehr erfolgreich
gemacht bislang!) einen Punkt der Vorschläge diskutieren würden. Es wäre
falsch, sich in die Frage zu verrennen, ob wir 25, 40, 35
Der Anteil der Investitionen innerhalb des Verkehrs- oder 30 Pfennig nehmen. Wir werden diese Diskussion
und Bauetats steigt von 52,5 auf 54,1 Prozent. Der Inves- führen müssen; das allein kann es aber nicht sein. Diese
titionsansatz im Verkehrsbereich konnte auf hohem Vor- Kommission hat sehr weitreichende Vorschläge gemacht.
jahresniveau gehalten werden. Wenn Sie Vergleiche mit Ich sage aber ganz deutlich: Eine Kommission macht Vor-
Ihren Finanzplanungen anstellen, dann sage ich: Es waren schläge, aber die Politik hat zu entscheiden. Demjenigen,
eben Planungen à la Waigel. Es waren Scheinpläne; das
der den einen oder anderen Punkt herausgreift und damit
wissen Sie genauso gut wie ich. Wir versuchen mühsam,
mit mehr Geld und neuen Ideen eine sichere Investitions- Unruhe in die Bevölkerung bringt, wie jetzt mit der Pkw-
politik zu betreiben. Das war damals nicht Ihr Stil. Darum Maut, muss man ganz klar sagen – ich kann das mit gutem
ziehen die von Ihnen genannten Zahlen heute überhaupt Gewissen tun –: Eine Pkw-Maut wird es mit dieser Bun-
nicht. desregierung nicht geben.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der SPD – Eduard Oswald
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) [CDU/CSU]: Sag’ niemals „nie“!)
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. September 2000 11379
Annette Faße

(A) Der letzte Teil – er geht sehr häufig unter – befasst sich Dieser Haushaltstitel ist – gemessen an den Anforderun- (C)
mit den Wasserstraßen. Mit dieser Bundesregierung wird gen – noch viel zu gering. Das Volumen der Anträge ist
es eine zusätzliche Abgabenbelastung der Binnenschiff- sehr viel höher. Es ist klar und deutlich zu erkennen, dass
fahrt nicht geben, so wie sie vorgeschlagen wird. Das an- die Mittel abfließen. Viele Menschen in den Regionen ha-
dere werden wir miteinander in der politischen Diskus- ben bisher davon profitiert. Es ist daher wichtig – das ist
sion austragen. auch angemahnt worden –, dass wir das Thema KV, also
den kombinierten Verkehr, noch einmal miteinander an-
Sie sehen, dass wir versuchen, Mittel für Investitionen gehen. Dieses Thema darf nicht in der Schublade ver-
lockerzumachen, weil wir den Zusammenhang zwischen schwinden. Ohne den kombinierten Verkehr bekommen
Investitionen und Wirtschaft sehr wohl sehen, aber auch
wir das Verkehrsaufkommen nicht in den Griff.
den zwischen Investitionen und Arbeitsplätzen. Wir tra-
gen damit zu einem Abbau der Arbeitslosigkeit, zur Siche- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
rung von Arbeitsplätzen und zu einer Planungssicherheit, DIE GRÜNEN sowie des Abg. Eduard Oswald
die die Industrie natürlich braucht, bei. Wir wissen sehr [CDU/CSU])
wohl um die schwierige Situation im Baubereich, auch im
Tiefbaubereich. Wir setzen mit den in diesem Haushalt Im nächsten Jahr fördern wir die Straße mit 8,2 Milli-
eingesetzten Mitteln ein wichtiges Zeichen für die Bau- arden DM. Ich habe schon gesagt, dass das Gros der Mit-
wirtschaft. tel in den Erhalt geht. Für die Verkehrsprojekte „Deutsche
Einheit“ – das wurde moniert – sind 2,2 Milliarden DM
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten vorgesehen. Es ist vorrangig – das ist uns sehr wichtig –,
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) dass die Lücken im Straßennetz geschlossen werden. Wir
Man muss zur Kenntnis nehmen, dass eine Investition werden alles versuchen, um noch zusätzliche Mittel – da-
in Höhe von 1 Milliarde DM den Erhalt bzw. die Schaf- rauf werde ich noch näher eingehen – für den Straßen-
fung von 12 000 bis 15 000 Arbeitsplätzen bedeutet. Da- bereich zur Verfügung zu stellen.
rum meine ich: Wir sollten uns nicht gegenseitig vorwer- Ein Punkt, der auch schon von anderen Rednern ange-
fen, es könnte noch eine Mark mehr sein, sondern wir sprochen worden ist, betrifft die Verkehrssicherheit. Wir
müssen ganz klar sagen, dass auch die bisherigen Mittel
haben dieses Jahr 22 Millionen DM eingestellt, um die
Arbeitsplätze für unser Land bedeuten.
Verkehrssicherheit zu verbessern. Sie ist uns ein großes
Zur Schiene: Wir haben mit Investitionen von 6,9 Mil- Anliegen. Wir haben das Thema heute Morgen schon bei
liarden DM plus Eigenmitteln der Bahn ein solides Inves- den Obleuten angesprochen. Wir müssen dafür sorgen,
titionspolster. Es ist richtig, dass von dieser Summe – das dass die für die Verbesserung der Verkehrssicherheit ein-
war lange unser Wunsch – 100 Millionen DM für die gestellte Summe durch das Bilden von Schwerpunkten so
(B) Lärmsanierung an bestehenden Schienenwegen aufge- effizient wie möglich eingesetzt wird. Ich denke, hierüber (D)
wendet werden. Diese Vorgaben haben wir eingehalten gibt es Konsens.
und auch dieses Jahr das Geld zur Verfügung gestellt. Ich
denke, das sollte man nicht kleinreden. Der Etatansatz für die Bundeswasserstraßen liegt bei
1,3 Milliarden DM. Ich sage hier ganz klar und deutlich:
Es ist für uns wichtig, dem Verkehrsträger DB, dem Die Binnenschifffahrt spielt in unseren Überlegungen
Verkehrsträger Schiene eine sichere Zukunft zu geben. Es eine bedeutende Rolle. Sie können mir abnehmen, dass
ist klar, dass wir dafür Rahmenbedingungen erarbeiten wir es damit ernst meinen. Diese Summe ist nicht nur für
müssen. Genauso klar ist, worin der politische Auftrag be- die Binnenwasserstraßen, sondern auch für die seewärti-
steht. Nicht alles aber ist politischer Auftrag. Die DB AG gen Anbindungen gedacht. Dieser Haushaltstitel enthält
muss ihre Hausaufgaben auch ein ganzes Stück weit selbst also auch die Mittel für die Sicherung der Häfen Hamburg
lösen. Davon können wir sie nicht befreien.
und Bremen. Für uns sind die seewärtigen Anbindungen,
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ das Kanalnetz und auch das Verkehrsprojekt „Deutsche
DIE GRÜNEN) Einheit“ Nr. 17 wichtig. Wo immer wir eine Mark locker-
Bei einer gescheiterten Bahnreform gäbe es keine Gewin- machen können, werden wir sie in diese drei Schwer-
ner, sondern wir wären dann alle Verlierer. punkte fließen lassen.

Deshalb müssen wir die Situation der Bahn und die der Zur Ausbildungsförderung werden dieses Jahr 3 Milli-
Schiene sehr ernst nehmen. Ich spreche nicht nur von der onen DM für die Binnenschifffahrt und 5 Millionen DM
DB AG, sondern von Bahn und Schiene, da wir auch da- für die Seeschifffahrt eingesetzt. Man kann sich auch
rüber zu diskutieren haben, wie ein fairer Zugang Dritter mehr vorstellen. Ich denke, wir werden in der weiteren
zu den Schienenwegen umgesetzt werden soll. Schiene ist Beratung hier noch aktiv werden.
das eine, DB AG das andere. Insofern sollten wir auch Das „Maritime Bündnis für Beschäftigung, Ausbil-
eine saubere Argumentation führen. dung und Wettbewerbsfähigkeit“ zugunsten der deut-
Ich freue mich sehr, dass im Haushalt wieder 90 Milli- schen Seeschifffahrt, der wirtschaftlichen Entwicklung
onen DM für den kombinierten Verkehr und die Förde- der Küstenländer und auch – nicht zu vergessen – der Bin-
rung von Umschlaganlagen eingestellt sind. Bisher ist es nenländer sowie zur Sicherung der Arbeitsplätze ist aus-
noch so, dass wir das Geld dafür aus nicht verausgabten drücklich zu begrüßen. Ich meine, dass die Konferenz in
Mitteln bekommen. Ich hoffe, dass wir hierfür noch eine Emden ein gutes Zeichen für die Küste war. Wir müssen
andere Lösung miteinander werden erarbeiten können. darauf achten, dass die Prüfungsaufträge, die dort erteilt
Der kombinierte Verkehr dient allen Verkehrsträgern. worden sind, auch umgesetzt werden.
11380 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. September 2000

(A) Die GVFG-Mittel sind nicht gekürzt worden. Das war auf mittelfristige Folgewirkungen einseitigen Sparbe- (C)
für unsere Kommunen und den Nahverkehr ein wichtiger schlüssen ausgesetzt ist.
Punkt.
(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Irgend-
Lassen Sie mich noch einige Worte zu den UMTS-Mit- wie sind Sie auf der falschen Veranstaltung!)
teln sagen, die wir in der Höhe nicht erwartet haben. Es ist Die Quittung für diese verfehlte Baupolitik, Herr
doch schön, einmal Geld zu haben und darüber zu disku- Schmidt, erhält die Bundesregierung früher, als manche
tieren, wie wir es verteilen sollen. Prognose erwarten ließ.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
DIE GRÜNEN)
Die Halbjahreszahlen der Baugenehmigungen im Miet-
wohnungsbau sind für das erste Halbjahr dieses Jahres um
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Frau Kol- über 20 Prozent zurückgegangen. Setzt sich dieser Trend
legin, das ist der richtige Moment, Sie daran zu erinnern, fort, dann könnten die Genehmigungszahlen einschließ-
dass Sie zum Schluss kommen müssen. lich der bei Eigentumswohnungen dieses Jahr in West-
deutschland unter die Marke von 100 000 fallen. Das ist
Annette Faße (SPD): Ja, das mache ich auch gleich. ein „Erfolg“, ein Ergebnis Ihrer Steuerrechtsänderung.
Weil der Punkt so schön ist, habe ich ihn mir für zuletzt Erstmals ist auch der Ein- und Zweifamilienhausbau
aufgehoben. von diesem Abwärtstrend erfasst: Im ersten Halbjahr
Auch wenn noch nicht ganz klar ist, wie groß der An- 2000 sind für diesen Bereich 7 Prozent weniger Bauge-
teil für Verkehr und Bau nun sein wird, muss ich doch fest- nehmigungen erteilt worden als im Vorjahr. Das ist das Er-
stellen, dass ich das alles ganz spannend finde. Wir wer- gebnis Ihrer Manipulationen am Eigenheimzulagenge-
den unsere Schwerpunkte setzen. Das ist vollkommen setz.
klar. Aber wir werden nicht – das sage ich deutlich – ein- Der Rückgang der Zahl der Baugenehmigungen ist für
fach zu all den netten Kollegen, die hier sitzen, sagen: Ja- uns ein Signal für verringerte Fertigstellungszahlen. Die
wohl, das ist deine Straße; jawohl, das ist deine Ortsum- Baunachfrage bricht auf breiter Front zusammen. Wie
gehung; jawohl, das ist deine Bahnstrecke. am Rückgang der Genehmigungen zu sehen, werden in
(Eduard Oswald [CDU/CSU]: Aber der Reiz Deutschland im ersten Halbjahr 2000 30 000 Wohnungen
wäre schon sehr groß!) weniger gebaut; das sind 12 Prozent weniger in den alten
Bundesländern und 24 Prozent weniger in den neuen Bun-
Die Diskussion und das Meinungsbild sind im Moment ja desländern. Auch der Einfamilienhausbau – bis jetzt Mo- (D)
(B) so schön bunt. Aber es ist auch schön, nachher entschei-
tor der Baukonjunktur – wurde von Ihnen abgewürgt. Sie
den zu können, was wir mit dem Geld wirklich tun. haben vollkommen Recht, Frau Faße: Diese Politik kos-
Unsere Fraktionen haben beschlossen, dass die tet Arbeitsplätze.
Schwerpunkte im Bereich der Verkehrsinfrastruktur bei (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
Schiene, Straße und Kombiverkehr, bei Investitionen in
Forschung und Bildung, bei der Altbausanierung, bei der Mit der Wohnungsbaupolitik dieser rot-grünen Bun-
Energieeinsparung und beim Städtebau liegen. Wunder- desregierung sinkt die Neubaurate sogar unter die Rate
bar! In diese Richtung werden wir marschieren. Ich freue zur Bestandssicherung. Herr Bundesminister Klimmt, –
mich auf interessante Ausschussberatungen. Ich bin heute (Renate Blank [CDU/CSU]: Der ist nicht da!)
sehr zukunftsfroh für die Verkehrspolitik in diesem Land.
– Sie sollten diese Entwicklung endlich zur Kenntnis
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ nehmen, Ihrer Verantwortung Rechnung tragen und das
DIE GRÜNEN) Ruder herumreißen. Zu dieser gefährlichen Entwicklung,
die unmittelbare Auswirkungen auf die Baukonjunktur
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort
und auf den Arbeitsmarkt im Baubereich nach sich ziehen
wird, haben zahlreiche baupolitische Fehlentscheidungen
hat jetzt der Kollege Dr. Michael Meister von der
der vergangenen zwei Jahre geführt. Ich darf Ihr Sünden-
CDU/CSU-Fraktion.
register aufzählen: Sünde eins: Abschaffung des Vorkos-
tenabzugs; Sünde zwei: gravierende Verschlechterungen
Dr. Michael Meister (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr der steuerlichen Rahmenbedingungen für den Mietwoh-
Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Seit nungsbau; Sünde drei: Ausweitung der Spekulationsfrist
Antritt der Regierung Schröder befindet sich der Woh- von zwei auf zehn Jahre; Sünde vier: Aufhebung der
nungsbau in Deutschland auf einem permanenten Sink- Möglichkeit, den Erhaltungsaufwand auf bis zu fünf Jahre
flug. zu verteilen; Sünde fünf: Das Ansparen wurde ver-
schlechtert, indem die steuerlichen Rahmenbedingungen
(Christine Ostrowski [PDS]: Sehr richtig!)
schlechter gestaltet wurden; Sünde sechs: Sie kündigen
Die Baupolitik der rot-grünen Bundesregierung ist eine eine Erhöhung der Erbschaftsteuer an; Sünde sieben: Im
Aneinanderreihung gebrochener Wahlversprechen. Der neuen Mietrecht wollen Sie die Kappungsgrenzen senken
Baubereich ist nicht mehr als ein haushaltspolitischer und tragen damit dazu bei, dass weniger in Mietwohnun-
Steinbruch, der völlig konzeptionslos und ohne Rücksicht gen investiert wird. Das ist Politik gegen den Wohnungs-
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. September 2000 11381
Dr. Michael Meister

(A) bau, die auch im Bundeshaushalt 2001 konsequent fort- waren 600 Millionen DM vorgesehen. Das ist ebenfalls (C)
gesetzt wird. weniger als 1,347 Milliarden DM. Sie haben den sozialen
Wohnungsbau auch im zweiten Jahr abgeschafft. Für das
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
Jahr 2001 sind 450 Millionen DM vorgesehen. Das ist
neten der F.D.P.)
wieder weniger als 1,347 Milliarden DM. Damit haben
Auch im Haushalt 2001 heißt die Leitlinie Ihres Re- Sie den sozialen Wohnungsbau im dritten Jahr in Folge
gierungshandelns: Es werden Investitionen zugunsten abgeschafft. Wo bleibt der Aufschrei der Baupolitiker,
konsumtiver Ausgaben gekürzt. Die in Ihrer Finanzpla- dass durch die von Ihrer Mehrheit getragene Bundesre-
nung für das Jahr 2004 geplanten Ausgaben in Höhe von gierung der soziale Wohnungsbau in Deutschland abge-
45,3 Milliarden DM liegen um fast 10 Milliarden DM schafft wird?
niedriger als im Jahr 1998, als Theo Waigel letztmals Ver-
antwortung trug. Der Anteil des Verkehrs- und Bau- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
haushalts als des größten Investitionshaushalts im Bun- Ich beziehe mich auf Ihre eigenen Anträge aus dem Fach-
deshaushalt sinkt im Jahr 2004 auf 9 Prozent; im Jahre ausschuss. Frau Mertens, Sie sind der Totengräber des so-
1998 lag er bei 12 Prozent. Das sind vom Anteil her zialen Wohnungsbaus in Deutschland.
25 Prozent weniger. Da können Sie doch nicht sagen, es
werde weitergeführt und es würden Investitionen ge- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
stärkt. Das genaue Gegenteil von dem, was Sie hier vor- Hier stellt sich nun in aller Schärfe nicht nur die Frage
tragen, ist der Fall. nach Ihrer politischen Glaubwürdigkeit, sondern auch die
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- nach Ihrem Gewicht als Bau- und Verkehrspolitiker in der
neten der F.D.P. – Angelika Mertens [SPD]: Das Koalition insgesamt. Ihre Sachkompetenz, die wir im
könnten wir machen, wenn Sie uns nicht diese Ausschuss wahrnehmen, kommt Ihrem Durchsetzungs-
Verschuldung hinterlassen hätten!) vermögen in der konkreten Politik leider nicht gleich.
(Angelika Mertens [SPD]: Wie viele Jahre ha-
Frau Mertens, für den Baubereich weist Ihre mittelfris-
ben Sie denn für Wohngeld gekämpft? Was ha-
tige Finanzplanung – ich nehme an, Sie haben sie gele-
ben Sie gekriegt? Frechheit!)
sen – aus, dass für die Unterstützung des Wohnungs- und
Städtebauwesens die Ausgaben bis zum Jahr 2004 auf Die Ansätze für den sozialen Wohnungsbau stellen
2,6 Milliarden DM zurückgeführt werden; 1998 standen verschärft die Frage nach einem Verstoß gegen die
an der Stelle noch 4,8 Milliarden DM. Das ist eine Kür- Vorschriften des Wohnungsbaugesetzes. Dort ist die
zung um nahezu 50 Prozent. Zweckbindung für die Rückflussmittel aus dem sozialen
Wohnungsbau vorgesehen. Für das Jahr 2001 stellt sich
(B) Angesichts der eingangs genannten Rahmenbedingun- die zweckgebundene Verwendung der Einnahmen und (D)
gen für den Wohnungsbau brauchen wir dringender denn Ausgaben im sozialen Wohnungsbau so dar, dass Sie über
je eine finanzpolitische Neuausrichtung, die beim Kon- 72 000 DM an Rückflussmitteln mehr haben, als Sie aus-
sum spart und stattdessen auf Investitionen setzt. Die geben. Das heißt, Sie machen beim sozialen Wohnungs-
CDU/CSU-Fraktion wird dies auch in den Beratungen des bau im Bundeshaushalt Gewinn.
Haushalts zum Ausdruck bringen. Wir werden vorschla-
gen, die Investitionssumme im Bau- und Verkehrssektor Die Schere zwischen Einnahmen und Ausgaben wird
zu erhöhen. Dafür werden wir seriöse Gegenfinanzie- sich im Finanzplanungszeitraum weiter öffnen. Die Aus-
rungsvorschläge unterbreiten. gaben sinken bei Ihnen auf 1 Milliarde DM. Die Rück-
flüsse bleiben auf dem Niveau von 1,8 Milliarden DM
(Beifall bei der CDU/CSU – Angelika Mertens pro Jahr. Der Bundeskanzler, Herr Schröder, hat noch in
[SPD]: Darauf sind wir aber ganz toll gespannt! – der „Mieter-Zeitung“ im letzten Quartal 1998 erklärt,
Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Geld ist ja da, die SPD wolle den sozialen Wohnungsbau wieder zum
wie wir gehört haben!) schlagkräftigsten Instrument der Wohnungspolitik ma-
Die Finanzplanung bis 2004 spiegelt die Demontage chen. In Wahrheit ist die Entwicklung im sozialen Woh-
des sozialen Wohnungsbaus wider. Die Finanzhilfen des nungsbau ein Schlag ins Gesicht der Bedürftigen in unse-
Bundes werden im Vergleichszeitraum von 4,2 Milliar- rer Gesellschaft, ein eindeutiger Offenbarungseid in der
den DM auf gerade einmal 1,9 Milliarden DM zurückge- Wohnungspolitik, der die Ärmsten in unserer Gesellschaft
führt. Für den sozialen Wohnungsbau markiert der trifft.
Haushaltsentwurf 2001 einen weiteren Tiefpunkt gebro- (Beifall bei der CDU/CSU)
chener Wahlversprechungen der SPD. 1997 haben Ihre
Wohnungsbaupolitiker im Fachausschuss unseren vorge- Der „Genosse der Bosse“ ist kein Genosse der Sozial-
sehenen Verpflichtungsrahmen von 1,347 Milliarden DM mieter in diesem Land. Die baupolitischen Ziele haben in
als „Abschaffung des sozialen Wohnungsbaus“ tituliert. dieser Koalition keine einflussreichen Fürsprecher.

(Zuruf von der SPD: Zu der Zeit war das auch (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das müs-
richtig!) sen wir uns von Ihnen gerade anhören! Unsinn!)

Was ist unter rot-grüner Verantwortung passiert? Im Dies ist insofern – auch wenn es Ihnen nicht gefällt, Herr
Schmidt –
Jahre 1999 haben Sie 1,1 Milliarden DM vorgesehen. Das
ist weniger als 1,347 Milliarden DM. Sie haben 1999 den (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Weil es
sozialen Wohnungsbau abgeschafft. Für das Jahr 2000 Unsinn ist!)
11382 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. September 2000

Dr. Michael Meister

(A) – nicht überraschend, wenn man bedenkt, wie die Spitzen – Frau Mertens, die Mieterhaushalte in Deutschland wer- (C)
dieses Hauses politisch besetzt worden sind. Wenn man den für die Fehlentscheidungen zahlen, die Sie in der Po-
deren Vita ansieht, dann kann man sich erklären, warum litik treffen, wenn Wohnungsverknappung zu steigenden
das so läuft. Mieten führt.
Dennoch muss man von Bauminister Klimmt verlan- (Iris Gleicke [SPD]: Was Sie uns hinterlassen
gen, dass er sich der Eingriffe des Bundesfinanzministers haben, das zahlen die ab!)
in sein Ressort erwehrt. Zum Beispiel bricht die Regie-
rungskoalition ebenfalls bei der Städtebauförderung Die Haushalte sind heute bereits, wenn wir an die
ihre Wahlversprechungen, – zweite Miete denken, von der Politik der Bundesregie-
rung stark negativ betroffen, weil sie aufgrund der Öko-
(Angelika Mertens [SPD]: Das warten Sie steuer und aufgrund des vom Kanzler heruntergeredeten
einmal ab!) Euro mit erheblichen Mehrkosten bei der Energie rech-
– wenn die Mittel nicht aufgestockt werden, wie es unsere nen müssen. Nachdem sich das Heizöl um nahezu
Fraktion beantragen wird. Wir treten für eine Aufstockung 50 Pfennig pro Liter verteuert hat, –
der Städtebaumittel ein.
(Angelika Mertens [SPD]: Es sind 4 Pfennige! –
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/
Angelika Mertens [SPD]: Das müssen Sie DIE GRÜNEN]: Durch die Ökosteuer wahr-
gerade sagen!) scheinlich!)
– Frau Mertens, es sieht so aus, dass in der Kanzlervilla – müssen sie heute, wenn sie ihren Tank mit 4 000 Liter
die sozialen Fragen des Landes ein bisschen aus dem füllen, 2 000 DM mehr bezahlen. Welcher Normalverdie-
Blickfeld geraten. ner in Deutschland soll 2 000 DM mehr finanzieren?
(Widerspruch bei der SPD – Angelika Mertens (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg.
[SPD]: Ihre Partei sitzt doch im Glashaus! – Dr. Karlheinz Guttmacher [F.D.P.])
Iris Gleicke [SPD]: Vielleicht gibt uns Herr
Koch ja was ab!) 2 000 DM ist bedeutend mehr, als ein Durchschnittsver-
diener an Steuervergünstigungen, die Sie immer so prei-
Ich weise Sie einmal auf die Obdachlosigkeit hin. Wir sen, zurückerhält.
haben uns in der Vergangenheit gemeinsam darauf ver-
ständigt, in jedem Jahr 50 Millionen DM für die Bekämp- (Widerspruch bei der SPD)
fung der Obdachlosigkeit in diesem Land zur Verfügung Sie ziehen den Leuten aus der einen Tasche mehr heraus,
zu stellen. Was tun Sie? Sie heben die Zweckbindung auf. als Sie ihnen in die andere hineinstecken. Das sind die
(B) Die Ärmsten der Armen werden bei Ihnen zu Opfern des (D)
Fakten.
Streichkonzerts.
(Beifall bei der CDU/CSU)
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
Was hätten Sie gerufen, wenn wir dies getan hätten?
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Herr Kol-
Wo ist Ihre Antwort auf die Strukturveränderungen in lege Meister, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kolle-
den neuen Bundesländern? Es gibt riesige Strukturver- gen Schmidt?
änderungen, die durch die Wandlung des Arbeitsmarkts
ausgelöst werden und jetzt auch auf die Wohnungsmärkte
Dr. Michael Meister (CDU/CSU): Gerne, Herr Präsi-
durchschlagen. Ich habe in der Haushaltsrede von Herrn
Klimmt dazu kein Wort gehört. Die Schaffung von preis- dent. Bitte sehr.
günstigem und vor allem ausreichendem Wohnraum, ins-
besondere für diese Problemgruppen, ist eine zentrale Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Herr
Aufgabe der Baupolitik. Dieser Aufgabe wird die Bun- Schmidt, bitte schön.
desregierung nicht gerecht. Offensichtlich befindet sich
die Bundesregierung angesichts der Wohnungsbaupolitik (Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Ihr kennt eure eige-
der Union und der Kollegen von der F.D.P. nach wie vor nen Zahlen nicht! – Gegenruf der Abg. Iris
in einer entspannten Lage. Man hat sich deshalb in eine Gleicke [SPD]: Er kennt seine Zahlen nicht! –
Art von Dornröschenschlaf begeben. Da kann man dem Gegenruf des Abg. Ulrich Heinrich [F.D.P.]:
Herrn Klimmt nur sagen: Wachen Sie auf, Herr Klimmt! Doch, er hat die richtigen!)
Erwachen Sie aus diesem Dornröschenschlaf! Das wird
Sie früher einholen, als Sie glauben. Albert Schmidt (Hitzhofen) (BÜNDNIS 90/DIE
(Beifall bei der CDU/CSU) GRÜNEN): Herr Kollege Meister, Sie haben gerade die
Verteuerung beim Heizöl angesprochen. Sie haben ge-
Was wir heute an Investitionen im Wohnungsbau ver- sagt, das Heizöl sei 50 Pfennig teurer geworden.
säumen, werden wir morgen mit sehr viel mehr finanziel-
lem Aufwand reparieren müssen. Morgen werden die (Zurufe von der CDU/CSU)
Mieterhaushalte in Deutschland diese Zeche zahlen. – Gut, mehr noch. – Wie hoch ist Ihrer Schätzung nach der
(Angelika Mertens [SPD]: Das sagt ein hessi- Anteil der Ökosteuer an dieser Verteuerung, also der Teil,
scher CDU-Abgeordneter!) der durch uns verursacht worden ist?
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. September 2000 11383

(A) Dr. Michael Meister (CDU/CSU): Lieber Kollege cherheit in Bezug auf das Heizöl den Ratschlag geben, wir (C)
Schmidt, ich habe eben die zwei Faktoren erwähnt, die sollten Energie sparen.
dazu beigetragen haben. (Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]:
(Zuruf von der SPD: Geben Sie einmal eine Wärmer anziehen!)
Antwort!) Da muss man sich natürlich auch die Frage stellen, warum
Der eine Faktor war, dass unser Bundeskanzler den Euro es unser Bundesbauminister nicht geschafft hat – es ist
herunterredet und damit maßgeblich dazu beiträgt, den mittlerweile Halbzeit dieser Legislaturperiode –, endlich
Einkauf des Heizöls teurer zu machen. eine Energieeinsparverordnung auf den Weg zu brin-
gen. Sie sollte ursprünglich zum 1. Januar 2000 in Kraft
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. –
treten.
Widerspruch bei der SPD)
(Zuruf von der SPD: Sie haben in 16 Jahren
Den zweiten Faktor habe ich mit dem Stichwort Öko-
gar nichts gemacht!)
steuer umschrieben.
Wo ist die Energieeinsparverordnung, Herr Klimmt? Wo
(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/
sind die Anreize zum Energiesparen? Ich weise darauf
DIE GRÜNEN]: Wie hoch ist der Anteil?)
hin, dass am 31. Dezember 2000 die Ökozulage im Rah-
Die Antwort, die der Landesvorsitzende der Grünen, men des Eigenheimzulagengesetzes ausläuft. Sie kündi-
Swane, den Bürgern in Norddeutschland gegeben hat, als gen neue Förderprogramme an, tatsächlich laufen aber die
er ihnen erklärte, wie sie diesem Problem gerecht werden bisherigen Förderprogramme der alten Bundesregierung
können, – aus, ohne dass Sie bisher einen Ersatz dafür anbieten. Wir
(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ fordern Sie auf: Verlängern Sie zumindest die bisherigen
DIE GRÜNEN]: Wie viele Pfennige sind durch Förderprogramme und machen Sie nicht nur Ankündi-
die Ökosteuer bedingt, Herr Meister?) gungen. Legen Sie neue Förderprogramme auf, damit Ener-
giesparen in Deutschland im Baubereich möglich wird.
– gipfelte in dem Vorschlag: Fahren Sie dieses Jahr nicht
in Urlaub, dann ist das Problem gelöst. So lautete die Ant- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
wort der Grünen in Deutschland. Meine Damen und Herren, eine zukunftsorientierte,
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) konzeptionelle Baupolitik würde sich darum bemühen,
den Neubau von Mietwohnungen zu verstetigen, die Rah-
Das war die Antwort eines der Ihren; meine Antwort ha- menbedingungen für den Eigenheimbau zu verbessern
(B) ben Sie gehört. Sie sollten vielleicht einmal in Ihrer eige- und zu verdeutlichen, dass Wohneigentum eine besonders (D)
nen Partei klären, wie man damit umgeht. Ich habe jetzt wichtige und attraktive Form der Altersvorsorge ist. Statt
einmal die Antwort eines norddeutschen Landesvorsit- diese Punkte anzupacken, denkt diese Koalition darüber
zenden wiedergegeben. nach, nicht die Altersvorsorge im privaten Bereich zu stär-
(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ ken, sondern die Erbschaftsteuer zu erhöhen, um das Ge-
DIE GRÜNEN]: Der Kandidat hat null Punkte! genteil einzuleiten, nämlich das Eigentum an Wohnimmo-
4 Pfennige sind es! Davon faseln Sie!) bilie zu schwächen und zu verteuern. Das ist eine Politik,
die in die falsche Richtung läuft. Wir werden uns gegen
Sie haben vorhin von Ihrem Kollegen Berninger ein
diese Politik wehren.
Lob über das Wohngeld gehört. Meine Damen und Her-
ren, Sie können das Wohngeld gar nicht so schnell er- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
höhen, wie Sie den Bürgern in diesem Land das Geld über
Wir wollen eine Stärkung des Wohneigentums als Teil der
die Ökosteuer wieder aus der Tasche ziehen.
Altersvorsorge.
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
Eine zukunftsgewandte Baupolitik würde schnellst-
Mit Ihrer Vorlage zum Wohngeld wollten Sie ein Geschäft möglich dafür sorgen, dass das soziale Wohnungsbau-
machen. Sie haben versucht, von den Kommunen und den recht modernen Anforderungen gerecht wird und dass
Ländern 2,5 Milliarden DM zu bekommen, wollten den im Miet- und Steuerrecht keine neuen Barrieren für In-
Bürgern aber nur 1,5 Milliarden DM zukommen lassen. vestitionen geschaffen werden. Eine zukunftsgewandte
Das wäre ein Geschäft zulasten von Kommunen und Län- Baupolitik würde über den notwendigen Beitrag des
dern gewesen. Ohne den Widerstand von CDU und CSU Baubereichs nicht nur Sonntagsreden halten, sondern im
im Bundesrat wäre Ihnen dieser Coup sogar noch gelun- Rahmen der Energieeinsparverordnung ordnungspoliti-
gen. Sie hätten sich nach außen sozial gezeigt und insge- sche Signale setzen und die steuerpolitischen Förderin-
heim Ihre Taschen gefüllt. strumente schaffen, um sowohl im Neubau als auch im
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Bestand das vorhandene Einsparungspotenzial auszu-
Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Eine verlo- schöpfen.
gene Politik!) Diese Probleme müssen wir gemeinsam anpacken und
Wenn wir an dieser Stelle nun nicht den Bundesbaumi- lösen. Wir haben eine Unionsfraktion, die an Ihrer Seite
nister fragen würden, sondern den Bundesumweltmini- ist, wenn Sie die Investitionen in diesen Sektoren stärken
ster, Herr Kollege Schmidt, dann würde er uns mit Si- wollen. Wir sind bereit, an dieser Stelle mit Ihnen zu
11384 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. September 2000

Dr. Michael Meister

(A) kämpfen. Wir sind aber nicht bereit, weiter Ihren Kurs in Rede davon –: Was wollt ihr denn mit diesem bisschen (C)
Richtung Konsum und gegen Investitionen mitzutragen. Ökosteuer? Die Erhöhung um 6 Pfennig wird doch keinen
Lenkungseffekt entfalten. Kollege Wolf hat gefragt: Wo
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ist denn die Verlagerung von der Straße auf die Schiene?
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Wo sind die Signale für eine solche Verkehrspolitik?
Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Gute Rede!) Dazu möchte ich Ihnen nur die aktuellsten Verkehrsda-
ten zur Kenntnis geben.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort
hat jetzt der Kollege Albert Schmidt von Bündnis 90/Die Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Herr Kol-
Grünen. lege Schmidt, Frau Blank hat sich schon länger zu einer
(Iris Gleicke [SPD]: Ali, stell das mal klar, da- Zwischenfrage gemeldet.
mit der Dr. Meister auch weiß, wie das mit dem
Heizöl und der Ökosteuer ist!) Albert Schmidt (Hitzhofen) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN): Ja, aber das ist jetzt wieder zu dem alten
Albert Schmidt (Hitzhofen) (BÜNDNIS 90/DIE Thema. Ich würde jetzt gerne bei der anderen Seite des
GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kol- Hauses verweilen, weil sie immer zu kurz kommt.
legen! Wir hatten in den letzten Tagen hier eine Haus-
haltsdebatte, die im Wesentlichen eine Ökosteuerdebatte Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Genehmi-
war. Ich setze Ihr Einverständnis voraus, wenn ich jetzt gen Sie die Zwischenfrage?
nicht noch einmal alle Pro- und Kontraargumente auf-
zähle, die in dieser Debatte schon hundertmal aufgeführt
worden sind. Albert Schmidt (Hitzhofen) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN): In diesem Fall nein.
(Beifall des Abg. Winfried Hermann [BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN] – Iris Gleicke [SPD]: (Renate Blank [CDU/CSU]: Es ist schon klar,
Schade!) warum!)
Ich möchte nur eine einzige Bemerkung machen, und Die Daten im deutschen Verkehrsmarkt sehen in der
zwar an die Adresse der Kolleginnen und Kollegen von ersten Hälfte des Geschäftsjahres 2000 wie folgt aus: Wir
der CDU/CSU. Ich habe großes Verständnis dafür, dass haben im Schienengüterverkehr erstmals seit Ewigkeiten
sich jemand darüber ärgert, wenn er für etwas mehr, sogar einen Zuwachs von 10,2 Prozent. Das hat es seit Jahren
sehr viel mehr, bezahlen muss als noch vor einem Jahr, in nicht mehr gegeben. Auch beim Personenverkehr haben
(B) (D)
diesem Fall für Benzin. Aber ich habe überhaupt kein Ver- wir auf der Schiene eine zusätzliche Nachfrage, und zwar
ständnis dafür, wenn ausgerechnet diejenigen, die bei den sowohl im Personenfern- als auch im Personennahver-
Benzinpreisen jahrelang abgezockt haben, sich jetzt in kehr.
höchst scheinheiliger Weise zum Retter der Entrechteten
aufspielen. Ich will nun nicht sagen, das sei schon die große Ver-
kehrswende, Kollege Wolf. Aber das sind nach meinem
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sicheren Gefühl die ersten Anzeichen einer vorsichtigen
und bei der SPD) Trendwende. Das hat natürlich auch damit zu tun, Kollege
Niemand anders als der CSU-Finanzminister Theo Wolf, dass vom ersten Tag an im öffentlichen Verkehr, und
Waigel hat Anfang der 90er-Jahre die Mineralölsteuer in zwar von der Buslinie bis zum ICE, nur der halbe Öko-
mehreren Schritten um 50 Pfennig erhöht, und zwar nicht, steuersatz aufgelegt wurde, was einen relativen Preisvor-
um die Sozialbeiträge zu senken – die wurden zusätzlich teil für den öffentlichen Verkehr gegenüber dem Indi-
um 10 Prozentpunkte erhöht –, und auch nicht, um Schul- vidualverkehr gebracht hat.
den abzubauen; das Schuldengebirge wurde weiter aufge- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
türmt. Das war Ihre Politik! Nachdem gerade Sie hier je- und bei der SPD)
den Rest von Glaubwürdigkeit verspielt haben, sollten Sie
sich in Zukunft zu dieser Frage wesentlich bescheidener Das war so gewollt und das wird auch so bleiben.
äußern. (Abg. Dr. Winfried Wolf [PDS] meldet sich zu
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN einer Zwischenfrage)
und bei der SPD sowie des Abg. Dr. Winfried – Jetzt gestatte ich eine Zwischenfrage.
Wolf [PDS])
Es gibt aber auch eine ganz andere Kritik an der Öko- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Herr Kol-
steuer, nämlich von der anderen Seite des Hauses, auf die lege Wolf, bitte.
ich einmal zu sprechen kommen möchte, weil diese Seite
nämlich meistens zu kurz oder gar nicht zu Wort kommt.
Dr. Winfried Wolf (PDS): Herr Kollege Ali Schmidt,
(Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Jetzt rede doch mal ist Ihnen bekannt, dass die Quellen, die Sie gerade aus
über die Ökosteuer!) dem letzten halben Jahr zitieren, eine Methode angewandt
Bei dem Kollegen Winfried Wolf ist angeklungen – auch haben, über die wir uns unter Herrn Wissmann vier Jahre
bei vielen Natur- und Umweltschutzverbänden war die lang geärgert haben, nämlich dass zu den allgemeinen
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. September 2000 11385
Dr. Winfried Wolf

(A) Daten, die einen längerfristigen Trend in die negative Das heißt im Klartext: Als ich 1994 Mitglied dieses (C)
Richtung auswiesen, kurzfristige Daten dazugenommen Hauses wurde, lag der Bahnetat bei 10 Milliarden DM.
wurden, die angeblich in eine andere Richtung zeigten? 1998, als wir den Laden übernommen hatten, hatten Sie
Zweite Frage. Trifft das Zitat von Frau Angelika ihn auf 6,7 Milliarden DM zusammengestrichen. Sie ha-
Mertens aus der „Süddeutschen Zeitung“ zu, das ich in ben wie die Weltmeister gekürzt. Wir satteln wieder drauf
meiner Rede erwähnt habe, wonach dem Ministerium und gleichen aus. Das ist bitter notwendig. Das Bahnnetz
ganz klare Trenddaten anderer Art vorliegen, auf deren muss saniert und modernisiert werden. Wichtige Strecken
Basis der neue Verkehrswegeplan 2002 ausgearbeitet müssen schneller und attraktiver ausgebaut werden.
werden soll, der kein Wachstum bei der Schiene, aber ex- Ich möchte Ihnen nur vier Projekte nennen, die von
tremes Wachstum beim Luftverkehr und beim Lkw-Ver- größter strategischer Bedeutung gerade für den Güterver-
kehr vorsieht? Im Rahmen dieses Verkehrswegeplanes kehr sind. Beschleunigt wird das Projekt Berlin–Frank-
wurde sogar ein Ökomodell diskutiert – das kam sicher- furt/Oder – jetzt hören Sie gut zu; irgendjemand hat
lich von Ihnen –, das aber laut einem Bericht in der „Süd- vorhin nach Ostdeutschland gefragt – Richtung Polen.
deutschen Zeitung“ von vor zwei Tagen wieder verworfen Dies ist von größter Bedeutung für die EU-Osterweite-
worden sein soll. rung im Hinblick auf den Güterverkehr als auch auf
den Personenverkehr. Dazu gehört weiterhin die Strecke
Albert Schmidt (Hitzhofen) (BÜNDNIS 90/DIE Paris–Saarbrücken–Mannheim–Frankfurt. Dies ist nicht
GRÜNEN): Herr Kollege Wolf, ich bin sehr dankbar für der Fall, weil der Minister in Saarbrücken zu Hause ist,
diese Zwischenfrage; denn sie gibt mir Gelegenheit, auf sondern weil dies die strategisch wichtige Verbindung in
diesen etwas schrägen Artikel in der „Süddeutschen Zei- Richtung Westen nach Frankreich ist. Die dritte wichtige
tung“ einzugehen. Strecke ist die Oberrheinstrecke Richtung Basel, weil die
Schweizer für viel Geld Alpentunnel bauen und wir bis
Zu der ersten Frage. Mir ist sehr wohl bekannt, dass 2006/2007 mit der Zulaufstrecke fertig sein müssen. Die
man kurzfristige Daten nicht überbewerten darf. Deswe- vierte wichtige Strecke ist die Strecke München–Mühl-
gen habe ich auch vorsichtig von einem ersten Anzeichen dorf–Freilassing in Bayern, also die strategische Achse
einer Trendwende gesprochen. Wir müssen die Entwick- nach Südosteuropa in Richtung Österreich. All das wird
lung nicht nur weiter beobachten, sondern auch unterstüt- beschleunigt möglich sein. Diese zusätzlichen Aufwen-
zen. Durch welche Maßnahmen dies geschehen soll, dungen sind einer zukunftsfähigen Schiene geschuldet.
werde ich im Laufe meiner Rede noch ausführen.
Ich habe schon fast Mitleid mit der Opposition. Wenn
Zu der zweiten Frage. Der von Ihnen angesprochene Sie einmal so einen Batzen für irgendein Projekt bekom-
Trend, dass es erhebliche Steigerungen im Straßengüter- men hätten, dann hätten Sie sich wahrscheinlich die Fin-
(B) verkehr bis hin zu einer Verdoppelung und dass es nur (D)
ger bis zum Hintern abgeleckt.
maßvolle Steigerungen im Schienengüterverkehr gebe,
der in der „Süddeutschen Zeitung“ reportiert wurde, ist (Eduard Oswald [CDU/CSU]: Keine Details,
quasi ein Fortschreibungstrend nach einem Szenario, das bitte! – Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/
eben keine wesentlichen Veränderungen an den verkehrs- CSU]: Darauf verzichten wir lieber! Das über-
politischen Rahmenbedingungen vorgesehen hat. Deswe- lassen wir Ihnen!)
gen ist dieses so genannte Trendszenario nicht das, was Wir sind sehr froh und dankbar für diese Mittel. Aber
wir zur Grundlage für den neuen Bundesverkehrswege- ich sage Ihnen auch: Wir als Grüne sind in dieser Frage
plan nehmen wollen und werden. Wir werden stattdessen unersättlich; wir wollen sogar noch mehr.
das so genannte Integrationsszenario zugrunde legen, das
von ganz anderen Voraussetzungen ausgeht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Der Kollege Klaus Ott von der „Süddeutschen Zei- Kollege Oswald hat die Bedeutung des kombinierten
tung“ hatte also nur die halbe Information, da die Infor- Verkehrs angesprochen. Ich stimme ihm ausdrücklich zu.
mation darüber, was wir nicht zugrunde legen werden, Deswegen werden wir auch die für den kombinierten Ver-
falsch war. Deshalb bin ich sehr froh, dass ich jetzt die kehr vorgesehenen Haushaltsmittel verstärken. Überall
Chance hatte, diesen Punkt klarzustellen. dort, wo DB Cargo es meint nicht zu schaffen, müssen
verstärkt Förderungen für dritte, für nicht staatliche Ei-
Was aber auch gesagt werden muss: Die Preissignale senbahnunternehmungen ins Auge gefasst werden.
über die Ökosteuer allein werden nicht ausreichen. Zu
Kurskorrekturen in der Verkehrspolitik gehört – damit Damit komme ich zu einem weiteren Punkt, der von
komme ich auf den Verkehrshaushalt zu sprechen – auch großer Bedeutung ist – dies ist eine alte Forderung der
die Setzung richtiger Investitionsschwerpunkte. Deshalb Grünen –, zu niedrigeren Trassenpreisen auf der Schiene.
Wir werden ab 1. Januar 2001 – das ist beschlossene Sa-
bin ich sehr froh, dass niemand anderes als der Minister
che – bei der Bahn ein einstufiges Trassenpreissystem
selbst öffentlich das Zukunftspaket Schiene angekün-
einführen, ein System, bei dem nicht staatliche Eisen-
digt hat. Dieses beinhaltet, dass zusätzliche Investitionen
bahnunternehmen – sei es die BASF-Chemie-Bahn oder
zur Modernisierung der Bahn in der Größenordnung von
wer auch immer – dann, wenn sie das Schienennetz nut-
rund 2 Milliarden DM – nicht als Einmaleffekt, sondern
zen, keine höheren Preise mehr als die DB Cargo zahlen
als verstetigte Zusatzaufwendungen aus den UMTS-Erlö-
müssen. Bisher erschienen durch die Selbstrabattierung
sen – aufgewendet werden sollen.
von DB Cargo vergünstigte Preise nur für die DB Cargo
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) möglich. Künftig wird es zu einer Verbilligung um rund
11386 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. September 2000

Albert Schmidt (Hitzhofen)

(A) 30 Prozent im privaten Güterverkehr kommen. Das wird kung und Stabilisierung der Rentenbeiträge eingesetzt (C)
den Laden zum Brummen bringen. Das ist eine minde- wird.
stens ebenso wichtige strategische Entscheidung wie die
Lkw-Maut, die ab 2003 greifen wird. (Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Vollkommen
falsch! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU und
(Beifall der Abg. Sylvia Voß [BÜNDNIS 90/ der F.D.P.)
DIE GRÜNEN])
Wenn auch Sie bereit sind, das zur Kenntnis zu nehmen,
Meine Damen und Herren, das Schönste an diesem dann werde ich bei künftigen Reden zu diesem Thema je-
Verkehrshaushalt ist das, was noch nicht im Haushalt des Mal die Kriegskasse erwähnen.
steht, was sich aber bereits abzeichnet und was dem-
nächst, wie ich hoffe, also zur dritten Lesung, im Haushalt (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
stehen wird, nämlich das Zukunftspaket Schiene, die Ver- sowie bei Abgeordneten der SPD)
stärkung der Mittel für den kombinierten Verkehr. Damit
werden die richtigen Weichen für eine Zukunft gestellt, in Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Als letz-
der die Verkehrspolitik in der Mischung aus Markt- und tem Redner zu diesem Geschäftsbereich gebe ich das
Preissignalen sowie Investitionen zu dem von uns ge- Wort dem Kollegen Dieter Maaß von der SPD-Fraktion.
wünschten Ergebnis führen wird.
Ich danke Ihnen. Dieter Maaß (Herne) (SPD): Herr Präsident! Meine
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Damen und Herren! Ich überrasche sicher niemanden,
und bei der SPD) wenn ich sage: Wir Sozialdemokraten unterstützen Fi-
nanzminister Eichel in seinem Bemühen, die Verschul-
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Zu einer
dung des Bundes in Höhe von 1 500 Milliarden DM abzu-
Kurzintervention gebe ich das Wort der Kollegin Renate bauen. Für diese Verschuldung tragen Sie, meine Damen
Blank von der CDU/CSU-Fraktion. und Herren von der CDU/CSU und der F.D.P., die Ver-
antwortung.

Renate Blank (CDU/CSU): Herr Kollege Schmidt, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
mir ist natürlich klar, warum Sie meine Zwischenfrage des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN –
nicht zulassen wollten, nachdem Sie das Thema Öko- Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Das war der
steuer angesprochen hatten. Ich halte Ihnen zugute – denn Anfangssatz Ihrer Rede vor einem Jahr! Das
die Partei Bündnis 90/Die Grünen war in den Jahren von habe ich noch gut in Erinnerung!)
(B) 1990 bis 1994 nicht im Bundestag vertreten –, dass Sie (D)
Wir unterstützen auch die Steuerreform der Bundesregie-
nicht wissen können, wofür wir die Erhöhung der Mine- rung. Sie wird die Bürgerinnen und Bürger um 45 Milli-
ralölsteuer um insgesamt 50 Pfennig verwendet haben – arden DM entlasten. Dies, meine Damen und Herren von
ich möchte Ihnen das sagen, damit wir endlich einmal von der Opposition, sollten Sie beachten, wenn Sie den vor-
der Legende, die in diesem Zusammenhang besteht, weg- liegenden Haushaltsentwurf für das Jahr 2001 bewerten.
kommen –: Die sich aus der Erhöhung um 20 Pfennig
ergebenden Einnahmen wurden für die Bahnreform ver- Wir setzen in Zeiten, in denen die Politik sparen muss,
wendet, der Rest für die deutsche Einheit und den Golf- klare politische Akzente. Diese möchte ich am Einzel-
krieg. Für diese drei Dinge wurden damals in Überein- plan 12 für den Bereich Bau- und Wohnungswesen dar-
stimmung mit der Opposition die sich aus der Erhöhung stellen. Zunächst einmal möchte ich die Aufmerksamkeit
um insgesamt 50 Pfennig ergebenden Einnahmen ver- des Hauses auf das Wohngeld lenken. 1,4 Milliarden DM
wendet. Das sollten Sie sich endlich einmal merken und werden dafür mehr ausgegeben. Davon trägt der Bund die
nicht immer wieder die Mär anführen, dass diese Mittel Hälfte. Der Finanzminister rechnet bereits für 2001 mit
für irgendetwas verwendet wurden. Vielleicht dienen 500 Millionen DM. Das ist in Zahlen dargestellt das Er-
diese Worte der Klarstellung. gebnis unserer Wohngeldnovelle. Diese Reform bewirkt
deutliche Leistungsverbesserungen, vor allem zugunsten
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Herr der Tabellenwohngeldempfänger.
Schmidt, wollen Sie erwidern? – Bitte. In den alten Bundesländern erhalten Wohngeldemp-
fänger zukünftig im Durchschnitt 83 DM. Das sind über
Albert Schmidt (Hitzhofen) (BÜNDNIS 90/DIE 50 Prozent mehr Wohngeld als bisher. Große Familien
GRÜNEN): Herr Präsident, ich mache es auch ganz kurz. profitieren mit durchschnittlichen Verbesserungen von
Frau Kollegin Blank, ich nehme das gerne zur Kenntnis, 120 DM sogar noch deutlicher. Außerdem beseitigen wir
wenngleich ich nicht zum ersten Mal höre, dass ein we- eine soziale Schieflage, weil durch unsere Reform
sentlicher Teil der damaligen Mineralölsteuererhöhung 420 000 Haushalte zusätzlich wohngeldberechtigt wer-
für die Kriegskasse verwendet wurde. Das haben wir nicht den. Diese Wohngeldreform, die dringend geboten war,
getan. ist im Reformstau der Regierung Kohl stecken geblieben.
Ich bitte Sie, endlich ebenso zur Kenntnis zu nehmen, (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Eduard
dass das, was wir durch die Ökosteuer draufgesattelt Oswald [CDU/CSU]: Eine lafontainsche
haben, 1 : 1, Mark für Mark, Pfennig für Pfennig zur Sen- Blockade!)
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. September 2000 11387
Dieter Maaß (Herne)

(A) Wir bleiben auch bei der Förderung des sozialen Woh- Die gesamte Städtebauförderung wird Investitionen von (C)
nungsbaus, wenn auch nicht mehr in der Größenordnung 5 bis 6 Milliarden DM nach sich ziehen. Damit schaffen
der vergangenen Jahre. Bei aller Kritik der Opposition wir Arbeitsplätze in Deutschland.
sage ich: Es gibt eine Entspannung auf dem Wohnungs- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
markt, auch im unteren Preissegment, allerdings nicht in DIE GRÜNEN)
manchen Ballungszentren und auch nicht in sozialen
Brennpunkten. Deshalb ist eine zeitgemäße gesetzliche Wir werden einen weiteren wichtigen Vorschlag für die
Verbesserung des sozialen Wohnungsbaus dringend erfor- Verknüpfung von sozialer Wohnraumversorgung mit
derlich. städtebaulichen Aspekten machen, ein Programm, das wir
mit der Überschrift „Soziale Stadt“ versehen haben. Hier
Es geht heute nicht mehr darum, ständig neue Woh- möchten wir die 100 Millionen DM gerne weiter auf-
nungen zu bauen, sondern wir müssen jetzt unsere Auf- wachsen lassen.
merksamkeit und die knappen finanziellen Mittel auf Re-
gionen und Stadteile konzentrieren, in denen sich soziale (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
Probleme durch die Entmischung der Bevölkerung ver- DIE GRÜNEN)
schärfen. Auch diese Mittel ziehen erheblich größere Investitionen
Der Antrag der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/ nach sich: im Baubereich, wenn sie mit Städtebauförder-
Die Grünen „Den sozialen Wohnungsbau erhalten und re- mitteln verzahnt werden, und im sozialen Bereich.
formieren“ wird den neuen Herausforderungen gerecht Liebe Kolleginnen und Kollegen, bei der Haushalts-
und definiert die richtigen politischen Ziele. lektüre empfehle ich, das KfW-Wohnraummodernisie-
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten rungsprogramm Ost genau zu studieren. Mit 79 Milliar-
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) den DM Darlehen hat das Programm in den letzten Jahren
dazu beigetragen, dass rund 3,6 Millionen Wohnungen in-
Die Bundesregierung wird bald einen Gesetzentwurf stand gesetzt und rund 107 000 neue Wohnungen erstellt
zur Reform des sozialen Wohnungsbaus vorlegen. worden sind. Wegen des hohen Modernisierungsbedarfs
CDU/CSU und F.D.P. haben das viele Jahre lang ohne Er- insbesondere bei Altbauten starteten der Bund und die
folg versucht. Wir lösen auch hier den Reformstau auf. neuen Länder im Februar dieses Jahres ein gemeinsam fi-
Wir Sozialdemokraten wissen: Soziale Verantwortung nanziertes Nachfolgeprogramm. Darüber hinaus setzen
braucht konkrete politische Instrumente. Deshalb haben SPD und Grüne entsprechend ihrer Koalitionsvereinba-
wir, meine Damen und Herren von der F.D.P., dafür ge- rung einen besonderen Schwerpunkt bei der Förderung
sorgt, auf der Bundesebene weiterhin wohnungspolitisch von Energiesparinvestitionen durch das CO2-Minde-
(B) handlungsfähig zu bleiben. Das ist in Zeiten einer stren- rungsprogramm. (D)
gen Haushaltskonsolidierung eine Leistung, die sich se-
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
hen lassen kann. DIE GRÜNEN)
(Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Damit leistet diese Bundesregierung einen wichtigen Bei-
450 Millionen DM!) trag zum Klimaschutz und zur Entspannung der Arbeits-
– Im Übrigen, Herr Dr. Kansy, stehen in 2001 für den so- marktsituation in der Bauwirtschaft. Das entsprechende
zialen Wohnungsbau noch 1,6 Milliarden DM zur Verfü- KfW-Programm wurde mehrmals aufgestockt und um-
gung. fasst zurzeit ein Darlehensvolumen von 11,8 Milliar-
den DM. Hier möchten wir mit Mitteln aus der UMTS-
Sie wissen, meine Damen und Herren, dass der uns Zinsersparnis noch einiges verbessern, indem wir ein
vorliegende Haushaltsentwurf der Bundesregierung in zusätzliches Energie- und CO2-Einsparpotenzial im Ge-
den parlamentarischen Beratungen verändert, ich sage: bäudebestand erschließen.
verbessert wird. So hat meine Fraktion bereits beschlos-
sen, die Konsolidierung des Haushalts mit Zukunftsinves- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
titionen zu vereinen. DIE GRÜNEN)
Zu den Schwerpunkten dieses Grundsatzbeschlusses Wir veranlassen damit umfassende Sanierungsmaßnah-
gehört die Aussage, die zusätzlichen Zinsersparnisse im men an Gebäudehüllen und Heizungstechnik und schaf-
Zusammenhang mit der Versteigerung der UMTS-Lizen- fen Arbeitsplätze im Handwerk und in der mittel-
zen auch für die Altbausanierung, zur Energieeinsparung ständischen Bauwirtschaft. Jede Milliarde Förderkredit in
und im Städtebau einzusetzen. Wir Baupolitiker werden diesen Maßnahmen sichert rund 12 500 Arbeitsplätze für
das gern aufnehmen und Vorschläge dazu machen. ein Jahr.

Einer dieser Vorschläge wird die Städtebauförder- Ich möchte ein weiteres Beispiel nennen, das zum ei-
mittel betreffen. Dafür sind jetzt 600 Millionen DM aus- nen den Wohnungsbau begünstigt, zum anderen Wohnei-
gewiesen, 520 Millionen DM für Ostdeutschland und gentum für unsere Bürgerinnen und Bürger fördert. Ge-
80 Millionen DM für die alten Bundesländer. Der Anteil meint sind die Wohnungsbauprämien, für die wir
1 Milliarde DM im Einzelplan 12 eingestellt haben. Sie
für die alten Bundesländer müsste unserer Meinung nach
wissen, meine Damen und Herren: Das Wohnungsbau-
deutlich aufgestockt werden.
Prämiengesetz ist ein wichtiger Bestandteil des staat-
(Ina Albowitz [F.D.P.]: Sie regieren doch!) lichen Wohneigentums. Auch dieser Haushaltstitel zeigt
11388 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. September 2000

Dieter Maaß (Herne)

(A) die klare Linie unserer Politik. Obwohl die Sparschrauben unterschiedlich. Ich war sehr überrascht – das ist mir (C)
in diesem Haushalt fest angezogen sind, helfen wir brei- heute Nachmittag wieder so ergangen –, dass man einige
ten Bevölkerungsschichten beim Erwerb von Wohn- daran erinnern musste, dass aufgrund der Tatsache, dass
eigentum. wir den Steuersatz für den so genannten Agrardiesel auf
57 Pfennig festschreiben werden, ein Aussetzen der Öko-
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
steuer für die Landwirtschaft am 1. Januar überhaupt
DIE GRÜNEN)
nichts brächte.
Seit der Einheit Deutschlands und nach dem Be-
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
schluss, die Regierung und das Parlament von Bonn nach
DIE GRÜNEN – Zuruf von der SPD: Hört!
Berlin zu verlegen, ist die Höhe der Ausgaben von Inte-
Hört!)
resse. Bereits 1994 ist der Kostenrahmen für die Verlage-
rung des Parlamentssitzes und von Regierungsfunk- Das hat sich offensichtlich noch nicht genügend herum-
tionen von Bonn nach Berlin in Höhe von gesprochen, obwohl lange diskutiert.
20 Milliarden DM festgesetzt worden. Dieser Kostenrah-
Ich will gleichwohl sagen, dass wir – ich allemal – die
men wird eingehalten. Auch die Stadt Bonn bekommt als
Wettbewerbsverzerrung, die es in der Europäischen
Ausgleich für den Umzug der Regierung und des Bun-
Union auch und gerade auf dem Energiesektor gibt,
destages nach Berlin ihre zugesagten Finanzhilfen. In
außerordentlich bedauern.
2001 sind das 350 Millionen DM.
(Beifall des Abg. Hans-Günter Bruckmann
Zum Ende meiner Ausführungen ein Fazit, das in
[SPD] – Zuruf von der CDU/CSU: Was?)
Zusammenhang mit meinen Eingangsbemerkungen steht:
Von den 10,4 Milliarden DM im Einzelplan 12 für Woh- Das hat mit Binnenmarkt im Grunde wenig zu tun. Ich
nungswesen und Städtebau, einschließlich Hochbau und will am Rande nur Folgendes sagen: Als der Binnenmarkt
Förderungsmaßnahmen, fließen etwa 4,5 Milliarden DM am 1. Januar 1993 geschaffen wurde, hat es viele gegeben,
direkt in Investitionen. Wir beginnen in den nächsten Aus- die gesagt haben, man könne diesen Binnenmarkt eigent-
schusssitzungen mit den intensiven Beratungen. Ich freue lich erst dann schaffen – analog zur Zollunion im Deut-
mich auf kritische und sachliche Beiträge meiner Kolle- schen Reich des 19. Jahrhunderts etwa –, wenn man auch
ginnen und Kollegen aus den Reihen der Opposition. in der Steuer- und Abgabenpolitik vorher annähernd ver-
gleichbare Wettbewerbsbedingungen herbeigeführt habe.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Man hätte auf diese Kritiker doch etwas mehr hören sol-
DIE GRÜNEN) len.
Darum sage ich: Wer das damals so gemacht hat, sollte
(B) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Weitere
heute nicht so auf den Putz hauen. Dazu gibt es nun wirk- (D)
Wortmeldungen zum Geschäftsbereich des Bundesmini- lich keine Gründe.
steriums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen liegen
nicht vor. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN)
Deshalb kommen wir zum Geschäftsbereich des
Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft Im Übrigen erinnere ich mich überhaupt nicht daran – ich
und Forsten, Einzelplan 10. Als erster Redner hat das habe noch einmal nachgefragt –, dass es bei denen, die
Wort der Bundesminister Karl-Heinz Funke. sich heute aus der Opposition heraus beschweren, früher
etwa Bemühungen gegeben hätte, annähernd gleiche
Wettbewerbsbedingungen auf europäischer Ebene zu er-
Karl-Heinz Funke, Bundesminister für Ernährung, reichen. Das hat in der Diskussion schlichtweg überhaupt
Landwirtschaft und Forsten: Herr Präsident! Meine sehr gar keine Rolle gespielt.
verehrten Damen und Herren! Natürlich sind auch wir –
damit will ich beginnen – von der Diskussion der letzten (Detlev von Larcher [SPD]: Im Gegenteil! Sie
Tage in Sachen Dieselbesteuerung, Verhalten der Mine- haben es früher zurückgewiesen!)
ralölkonzerne und der Diskussion um die Ökosteuer be- Sich heute hinzustellen und diese Wettbewerbsverzer-
troffen. Wir haben dazu auch einiges zur Kenntnis neh- rung für eine vehemente Kritik an der Bundesregierung zu
men und lesen können. Vorgestern ist mir vom benutzen, ist überhaupt nicht berechtigt. Das muss ich
Präsidenten des Deutschen Bauernverbandes eine ent- einmal so deutlich sagen.
sprechende Resolution überreicht worden.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
Um es vorweg zu sagen: Ich verstehe sehr wohl die DIE GRÜNEN)
Sorgen, die im Bereich der Landwirtschaft wie auch in an-
deren Bereichen mit den steigenden Preisen verbunden Sie als Opposition haben überhaupt keinen Grund, das zu
sind. Keiner ist froh darüber, wenn wir Kostenanstiege in tun.
dieser Größenordnung zu verzeichnen haben. Um noch ein paar Argumente nachzuschieben, will ich
Eines allerdings habe ich überhaupt nicht verstanden, Folgendes sagen: Wie gesagt, wir haben den Steuersatz
nämlich dass es hier und da aus der Opposition heraus und für Agrardiesel auf 57 Pfennig festgeschrieben. Gott sei
von einigen Vertretern des Berufsstandes die Forderung Dank, kann man da im Nachhinein nur sagen. Ich bedanke
gab, man solle die Ökosteuer zum 1. Januar für die Land- mich da bei den Koalitionsfraktionen. Wenn wir die Öko-
wirtschaft aussetzen oder verschieben. Die Wortwahl war steuer aussetzten, wäre zum Beispiel die Frage zu beant-
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. September 2000 11389
Bundesminister Karl-Heinz Funke

(A) worten – ich will das Thema Rentenversicherung nicht von „Katastrophe“ und „Krise“ zu reden, halte ich für (C)
ansprechen, weil uns das nicht so sehr berührt, wenn auch nicht in Ordnung. Das geht an der Sache vorbei.
sehr wohl andere; es ist auch schon ausreichend diskutiert
(Beifall bei der SPD)
worden –, wie unsere Programme mit klaren Vorteilen für
die Landwirtschaft, die wir auch aus der Ökosteuer finan- Meine Damen und Herren, es ist völlig klar, wie hier
zieren, was etwa erneuerbare Energien anbelangt – unter die Sachlage ist. Ich will ein paar Positionen herausneh-
anderem Biomasse mit 70 Millionen DM –, zu finanzie- men.
ren wären. Diese Antwort müsste man dann auch bekom- Ich bin dankbar, dass wir wieder einen Betrag von gut
men. Darüber lese ich überhaupt nichts. 50 Millionen DM für nachwachsende Rohstoffe im
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Haushalt haben. Ich bedanke mich dafür ausdrücklich. Ich
DIE GRÜNEN) halte das auch für notwendig, gerade vor dem Hintergrund
dessen, was ich eben gesagt habe und was wir diskutieren.
Das ist ein Programm, das in der Landwirtschaft unisono, Das „Marktanreizprogramm erneuerbare Energien“ und
unstrittig auch von der Opposition gelobt wird. Aber alles das „Förderprogramm zur Markteinführung biogener
das wird unterschlagen; darüber wird nicht geredet. Treib- und Schmierstoffe“ sind sinnvolle Programme.
Ich habe im Übrigen Berechnungen gelesen, auch in Was alternative Energien anbelangt, haben wir mit dem
Pressemitteilungen der Opposition. Wenn man Ökonomie Gesetz über erneuerbare Energien verlässliche und für die
studiert hat, hat man sich leider Gottes – ich habe es gar Landwirtschaft wirtschaftlich bessere Grundlagen ge-
nicht gern gemacht – in praktischer und theoretischer Art schaffen. Das kommt dem ländlichen Raum und der
mit Statistiken zu beschäftigen. Dann weiß man auch, wie Landwirtschaft, die sich in dieser Form ein zweites Stand-
Statistiken und Daten aufbereitet werden. Ich verstehe, bein schaffen kann, zugute. Ich bin dafür außerordentlich
dass Sie, um das rein von den Zahlen her zu belegen, das dankbar. Das ist der richtige Weg.
Ausgangsjahr 1998/99 und nicht den Zeitraum von 1989
Bei der ganzen Diskussion über Energie vermisse ich
bis 1994 nehmen. Überlegungen – ich will mir darüber Gedanken machen –,
Es ist schon darauf hingewiesen worden, dass Sie die wie wir Biotreibstoff aus Raps wettbewerbsfähiger ma-
Mineralölsteuer damals um über 50 Pfennig erhöht ha- chen können, als es in der Vergangenheit der Fall gewe-
ben. Wären Sie in der Argumentation von 1989 bis heute sen ist.
konsequent, hätten Sie damals die Rückerstattung für Die- (Beifall bei der SPD)
sel an die Landwirtschaft entsprechend erhöhen müssen.
Hätten Sie das getan, wäre Ihre Argumentation heute Das nützt der Landwirtschaft insgesamt und macht uns
(B) nachvollziehbar. Denn Sie haben damals dadurch, dass ein Stück unabhängiger vom Weltmarkt. Das muss unser (D)
Sie die Mineralölsteuer erhöht haben, den Rückerstat- Ziel sein.
tungsbetrag aber gleich ließen, den Subventionswert für (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des
die Landwirtschaft, ökonomisch formuliert, zurückge- BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
fahren.
Weil das in der gegenwärtigen Diskussion untergeht,
(Beifall bei Abgeordneten der SPD) will ich einflechten: Die Abhängigkeit vom Weltmarkt,
Das kann man vertreten, aus welchen Gründen auch im- die wir im Energiesektor erleben, sollten wir nicht bei der
Versorgung mit Nahrungsmitteln nachmachen. Das sage
mer. Aber sich heute hier hinzustellen und so zu tun, als
ich im Hinblick auf die WTO und die damit verbundenen
hätten Sie damit überhaupt nichts zu tun, das geht nicht.
Verhandlungen.
Das müssen wir eindeutig zurückweisen.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der
DIE GRÜNEN) F.D.P.)
Damit wir uns da richtig verstehen: Wir sind für ver- Was wir hier sehen, ist ein Lehrstück.
gleichbare Wettbewerbsbedingungen. Es gibt keinen
Grund, über die steigenden Energiekosten froh zu sein. Ich verweise ausdrücklich auf den Titel „Nachwach-
Das ist völlig klar. Weil ich das Wort „Katastrophe“ und sende Rohstoffe“. Ich meine, wir verfolgen da ein gutes
das Wort „Krise“ lese – man liest das heute oft; ich ver- Konzept angesichts dessen, was wir erleben und was mit-
wende diese Worte auch in anderen Zusammenhängen tel- und langfristig für uns wichtig und entscheidend sein
nicht so gerne –, will ich daran erinnern, dass die Aus- muss.
gaben für Treibstoffe, Schmierstoffe usw. pro Hektar Meine Damen und Herren, ich will, weil das in der
landwirtschaftlicher Nutzfläche von 1998/99 – um Ihre Diskussion zu Recht immer wieder eine Rolle spielt, in
Ausgangsposition zu nehmen – bis heute von 125 DM um diesem Zusammenhang darauf hinweisen, wie es mit der
44 DM gestiegen sind und der Anteil von Treibstoffen, sozialen Sicherung in der Landwirtschaft aussieht. Im-
Schmierstoffen usw. an den Gesamtkosten eines Betrie- mer wieder wird pauschal behauptet, wir würden die Mit-
bes, im Schnitt gerechnet – ich weiß, das ist von Be- tel zurückführen. Natürlich kann man das an dem einen
triebszweig zu Betriebszweig unterschiedlich; damit mir oder anderen Punkt kritisieren. Aber insgesamt steigt der
das gar nicht entgegengehalten wird –, bei 3 bis 5 Prozent Agraretat, was die soziale Sicherung anbelangt – im Übri-
liegt. Die Verteuerung der Energie ist bedauerlich, aber gen zu Recht. Ich brauche nur das Stichwort „alte Last“
11390 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. September 2000

Bundesminister Karl-Heinz Funke

(A) anzusprechen. Ich will nur darauf hinweisen, damit nicht durch die EU-Kommission in Brüssel zur Kenntnis (C)
der Eindruck entsteht, die Beträge seien Jahr für Jahr ge- genommen.
ringer. Das ist nicht richtig. Vielmehr bringt der Struktur-
Ich zitiere weiterhin:
wandel in der Landwirtschaft – das, was mit „alte Last“
umschrieben wird – Verpflichtungen mit sich, denen wir Damit haben sich unsere harten und zähen Verhand-
aufgrund früherer Beschlüsse des Deutschen Bundestages lungen gelohnt.
gerecht werden müssen und denen wir damit nachkom-
(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem
men.
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Ich bin sehr froh darüber, dass wir die 375 Milli-
Das bringt Freude.
onen DM im Haushalt behalten haben. Sie wissen, dass
ich eher dafür bin, etwas in der Gemeinschaftsaufgabe zu An sich sagt man mir ein gutes Gedächtnis nach. Ich
tun. Darüber wird man aber in den Ausschüssen reden. erinnere mich, dass ich mit Kommissar Fischler allein zu-
sammengesessen habe, um die Beträge auszuhandeln. Ich
Ich habe vernommen, dass die bayerische Staatskanz-
habe mich im Büro des Kommissars noch mal vergewis-
lei die Gemeinschaftsaufgabe infrage gestellt hat. Es ist
sert, ob außer mir noch jemand dabei war. Nein, es war
schon bemerkenswert, was aus südlichen Gefilden
außer mir niemand dabei.
manchmal so kommt. Ich bin gespannt, was hier dazu ge-
sagt wird, ob wir in der Tat die Gemeinschaftsaufgabe ab- (Heiterkeit bei der SPD und dem BÜND-
schaffen sollten. Wir brauchen sie unter anderem für das, NIS 90/DIE GRÜNEN)
was wir im Rahmen der so heftig gescholtenen Agenda als
Aber ich gratuliere zu dieser Pressemitteilung. Der Kol-
zweite Säule der Agrarpolitik bezeichnen, um Entwick-
lege Deß freut sich über die gelungene Pressemitteilung
lungsmöglichkeiten des ländlichen Raumes einschließ-
gar nicht. Das verstehe ich überhaupt nicht.
lich Landwirtschaft, Tourismus und Handwerk zu gestal-
ten. Wir brauchen diese Gemeinschaftsaufgabe dringend. Um unter anderem die Entwicklungsprogramme zu be-
Darum ist das, was aus der Staatskanzlei kommt, hoffent- dienen, brauchen wir die Gemeinschaftsaufgabe. Darum
lich eine Einzelmeinung und nichts anderes. sage ich: Das, was da aus der bayerischen Staatskanzlei
Im Übrigen freue ich mich auch ein bisschen darüber. kommt, ist zurückzuweisen und nicht richtig.
So etwas macht mir Spaß. Ich habe hier eine Pressemit- Ich will – die Uhr läuft unerbittlich weiter – noch ein
teilung – ich sprach gerade von Bayern –, in der es um die paar Worte zu den Märkten sagen. Ich bin wie sicherlich
zweite Säule der Agenda und die Mittel, die wir dafür wir alle froh darüber, dass wir auch aufgrund der Be-
bekommen, geht. Die Überschrift lautet: Miller sichert schlüsse in der Agenda – sie ist aber nicht ausschließlich
(B) 3,3 Milliarden DM EU-Gelder für Bayern. dafür verantwortlich, das will ich nicht sagen – und (D)
ebenso deswegen, weil das Verhältnis zwischen Euro
(Heiterkeit bei der SPD und dem BÜND-
und Dollar so ist, wie es ist, Chancen haben, in einer
NIS 90/DIE GRÜNEN)
Größenordnung zu exportieren, wie es bisher nicht der
Auch ich musste darüber lachen. Darüber kann ich nicht Fall gewesen ist. Auch freue ich mich nicht nur darüber,
einmal schimpfen. Die Bayern würden wahrscheinlich sa- dass wir nicht nur das Lager, was Rindfleisch anbelangt,
gen: Das ist eben ein Hund – positiv gemeint. leer haben – dies als Folge der Agenda-Beschlüsse und
des Einsatzes von Exporterstattungen –, sondern auch da-
(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem
rüber, dass die Märkte anziehen und wir an den Märkten
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
– Gott sei Dank! – wieder Preisverhältnisse haben, die für
Nein, das ist natürlich das Geld, das wir im Rahmen der die Landwirtschaft positiv sind.
zweiten Säule der Agenda bekommen, nämlich 17 Milli-
Aus landwirtschaftlicher Sicht kann ich mich ange-
arden DM von 2000 bis 2006. Das ist ein Betrag, mit dem
sichts des jetzigen Verhältnisses von Euro und Dollar
in dieser Größenordnung niemand gerechnet hat. Das ha-
– ich sage ausdrücklich: des jetzigen Verhältnisses – über-
ben wir seitens des Bundes auf die Länder verteilt. Das
haupt nicht beklagen. Die Landwirtschaft profitiert da-
sind 3,3 Milliarden DM für Bayern.
von. Auch das müssen wir einmal festhalten.
(Zuruf von der SPD: So viel?)
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
Einige fragen schon, warum Bayern so viel bekommt. Das DIE GRÜNEN)
hängt unter anderem mit der Struktur der Landwirtschaft
In Ergänzung dessen, was der Bundeskanzler gestern
dort zusammen. Aber Miller wird zusammen mit 3,3 Mil-
von Helmut Schmidt zitiert hat, möchte ich Folgendes an-
liarden DM in der Überschrift genannt. Schön ist dann
führen: Während meiner Lehre – das war von 1960 bis un-
das, was im ersten Satz formuliert wird:
gefähr 1963 – musste ich bei dem damaligen Stand der
Mit Genugtuung hat Landwirtschaftsminister Josef Währung noch für einen Dollar mit 4,20 DM und nicht
Miller mit 4 DM rechnen. Ich erinnere mich sehr genau: Das
englische Pfund lag bei gut 12 DM. Das waren die Preise.
– ich mag ihn sehr, wir verstehen uns persönlich gut, des-
Deswegen haben wir da auch keinen Grund zum Jam-
wegen trage ich das in dieser Art vor –
mern. Ich sage das ausdrücklich, weil ich mich an diese
die Genehmigung der bayerischen Programmpla- Dinge erinnere. Also, wir profitieren davon, und das ist
nung für die Entwicklung des ländlichen Raumes gut so.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. September 2000 11391
Bundesminister Karl-Heinz Funke

(A) Ich hoffe sehr, Herr Kollege Deß – deswegen unsere in unserer heimischen Landwirtschaft weiter und be- (C)
gemeinsamen Bemühungen in Brasilien –, dass wir auf- schleunigen den schmerzhaften Strukturwandel.
grund dessen, dass wir jetzt zusätzlich Märkte erobern
können, imstande sind, diese Märkte dauerhaft zu sichern, (Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der
um dann diese Märkte, wenn die Relationen wieder an- SPD: Die Scheinselbstständigkeit habt ihr ver-
ders werden, für uns zu haben und dorthin exportieren zu gessen!)
können, um so am Binnenmarkt in Europa wieder bessere Der Gewinn der landwirtschaftlichen Haupterwerbs-
Preise zu erzielen. Das Wort „Markt“ kommt mir in die- betriebe ist im Wirtschaftsjahr 1998/99 gegenüber dem
sem Zusammenhang viel zu selten über die Lippen der Vorjahr um 7,3 Prozent auf 53 457 DM je Unternehmen
Kritiker der Agrarpolitik. gesunken.
Ich frage mich manchmal, wo eigentlich diese Kritiker (Hans Büttner [Ingolstadt] [SPD]: Sie müssen
in den Parteien bleiben, die sich sonst als die Parteien der Ihre Rede aktualisieren, Herr Kollege! Die ist
Marktwirtschaft begreifen. Wenn es um diese Dinge geht, von vor zwei Jahren! – Heinrich-Wilhelm
haben Sie verdammt wenig Zutrauen zum Markt – ich al- Ronsöhr [CDU/CSU]: Die Ahnungslosen soll-
lerdings sehr viel. Deswegen beurteile ich das genauso ten nicht dazwischenrufen!)
optimistisch, wie die Stimmung in der Landwirtschaft op-
timistisch ist – jetzt sage ich nicht: wegen der Bundesre- Auch das Unternehmensergebnis je Familienarbeitskraft
gierung, wie Sie das zu Ihrer Zeit wahrscheinlich formu- lag mit 37 600 DM deutlich unter dem Vorjahresniveau
liert hätten. Nein, da spielen verschiedene Dinge eine von 39 600 DM minus 5 Prozent. 9,7 Prozent der Betriebe
Rolle, aber auch, glaube ich, der Umstand, dass wir Klar- schreiben rote Zahlen – das sind nahezu doppelt so viele
text reden. Wir sagen, wohin das führt. Wir machen nicht wie vor Jahresfrist. Die Mehrzahl der Betriebe lebt von
jedem Hoffnung, sondern entwickeln dabei auch sehr der Substanz. Nicht einmal mehr ein Drittel der Betriebe
klare betriebswirtschaftliche, ökonomische Konzepte. – genau: 28 Prozent – erbringt heute noch die positive Ei-
genkapitalbildung, die notwendig ist, um über Investitio-
Jedenfalls freue ich mich sehr darüber, dass heute nen nachhaltig die Wettbewerbsfähigkeit zu sichern.
50 Prozent der Landwirte – mehr als je zuvor – ihre Lage
als positiv umschreiben, insbesondere auch was die Beur- (Beifall bei der CDU/CSU – Detlev von
teilung „gut“ oder „sehr gut“ angeht, sind es jetzt 16 Pro- Larcher [SPD]: Warum sind dann 50 Prozent
zent – das sind auch mehr als in den Jahren zuvor. Das ist zufrieden?)
ein gutes Zeichen. Allein von 1998 bis 1999 haben 22 700 Betriebe bzw.
5 Prozent aller Betriebe über zwei Hektar ihre Hoftore für
Wir wollen durch eine sehr klar orientierte Agrarpoli-
immer geschlossen. In den Jahren der Regierungszeit von
(B) tik dazu beitragen, dass diese Stimmung anhält. Wir las- CDU/CSU und F.D.P. lag die Hofaufgabequote bei (D)
sen uns nicht von Diskussionen, die zwischendurch sehr 2,5 Prozent jährlich. Das ist ein dramatischer beschleu-
vordergründig geführt werden, irremachen. nigter Strukturwandel, mitverursacht durch die rot-grüne
Ich bedanke mich. Politik.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Beifall bei der CDU/CSU)
DIE GRÜNEN) Anstatt bäuerliche Betriebe nachhaltig zu fördern und
zu stützen, schwächt Rot-Grün die heimischen Betriebe.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Als (Detlev von Larcher [SPD]: Ach, das glauben
nächster Redner hat das Wort der Kollege Josef Hollerith Sie doch selber nicht!)
von der CDU/CSU-Fraktion. Allein die Ökosteuer führt zu einseitigen Belastungen für
die Landwirtschaft in Höhe von rund 900 Millionen DM,
Josef Hollerith (CDU/CSU): Meine sehr geehrten die nicht mehr zurückkommen, weil die bäuerlichen Be-
Damen und Herren! Herr Präsident! Die Menschen im triebe bei uns eben nicht Fremdarbeiter beschäftigen und
Lande erwarten auf drängende Frage klare Antworten. aus strukturellen Gründen auch nicht mit reduzierten
Dies gilt in besonderer Weise für die deutsche Landwirt- Steuersätzen bedient werden, wie sie für das produzie-
schaft, die sich – zumindest was die alten Bundesländer rende Gewerbe gelten.
angeht –, in der wohl schwersten Strukturveränderung, in (Matthias Weisheit [SPD]: 3 Prozent!)
der wohl schwersten Strukturkrise der Nachkriegszeit be-
Des Weiteren stellen wir fest, dass sich innerhalb eines
findet.
Jahres die Dieselkosten pro Hektar Getreidebewirtschaf-
Der im Mai dieses Jahres vorgelegte Agrarbericht of- tung von rund 100 DM auf 200 DM verdoppelt haben.
fenbart den Kahlschlag der Bundesregierung bei der Sicherlich ist die Preisexplosion auch vom knappen An-
Landwirtschaft. Die Ökosteuer, die Kürzung der Gasöl- gebot und der erhöhten Nachfrage verursacht worden.
rückvergütung, die Neuregelung der 630-Mark-Jobs, Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, das ist nur
eine Ursache. Die zweite Ursache ist die rot-grüne Politik
(Lachen bei der SPD) der Ökosteuer und der Mineralölsteuererhöhung für die
die Kürzung der Mittel für den Agrarsozialbereich gegen- Landwirtschaft.
über der mittelfristigen Finanzplanung von Jochen (Zuruf von der SPD: Sie haben wohl nicht
Borchert verschlechtern die schwierige Gewinnsituation zugehört?)
11392 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. September 2000

Josef Hollerith

(A) – Ich trage Ihnen jetzt die wahrhaftigen Zahlen vor: Be- lionen DM gegenüber der ursprünglichen mittelfristigen (C)
trug 1998 die Nettosteuerlast nach Rückerstattung der Finanzplanung von Jochen Borchert.
Gasölbeihilfe für den Bauern pro Liter Diesel 21 Pfen- Schließlich ein Wort zur Diskussion um eine Novellie-
nige, stieg diese Last im Jahr 2000 auf 44 Pfennige. Im rung des Bundesnaturschutzgesetzes: abenteuerliche
Jahr 2001 wird sie auf 57 Pfennige pro Liter steigen. Das Vorstellungen, ein Anschlag auf das Eigentum.
sind objektive Zahlen, die von Rot-Grün politisch zu ver-
antworten sind. (Lachen bei der SPD)
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Es wird nämlich beabsichtigt, 5 Prozent der Flächen in
Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Rot-grüner eine ökologische Zwangsstilllegung zum Ausgleich von
Wucher!) Bauflächen in den Gemeinden zu geben. Das ist blanke
Enteignung landwirtschaftlicher Grundstücke.
Die dritte Ursache für steigende Dieselpreise ist
schließlich der politisch bedingte schwache Euro. Auch (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
das hat diese Regierung von Rot-Grün zu verantworten. neten der F.D.P. – Dr. Peter Ramsauer [CDU/
CSU]: Leider Gottes! Die haben kein Verhältnis
(Beifall bei der CDU/CSU – Lachen bei der zum Eigentum!)
SPD)
Wir fordern, dass Rot-Grün die einseitige Belastung
Meine sehr verehrten Damen und Herren, dies alles der deutschen Landwirtschaft beendet und damit die
passiert vor dem Hintergrund einer Wettbewerbssituation, Wettbewerbsbedingungen im europäischen Vergleich ver-
die dadurch gekennzeichnet ist, dass die Nachbarländer bessert. Wir fordern, dass die Mehrbelastung durch die
Holland, Frankreich und Österreich nur 12 Pfennige Mi- Ökosteuer den Bauern voll zurückgegeben wird.
neralölsteuer pro Liter Diesel von den Bauern nehmen.
(Beifall des Abg. Albert Deß [CDU/CSU])
Die Dänen nehmen von ihrer Landwirtschaft überhaupt
keine Mineralölsteuer. Wir fordern eine Rücknahme der Kürzungen im
Agrarsozialbereich, die zum Beispiel bei der Unfallversi-
(Detlev von Larcher [SPD]: Sagen Sie doch was cherung zu einer Verdoppelung der Beitragslast bei mitt-
zu den Exporten! – Hans Büttner [Ingolstadt] leren und kleineren Betrieben geführt haben. Wir fordern
[SPD]: Sagen Sie etwas zur Ochsenfurter bei der Gemeinschaftsaufgabe eine Aufstockung der
Rapsölfabrik!) Mittel.
Diese Energiepreissituation schlägt nicht nur bei Die- (Lachen bei der SPD)
sel, Heizöl und Gas belastend auf die Landwirtschaft
(B) durch, sondern auch bei den auf Erdöl basierenden Dün- Ein Wort zu Bayern: Der Minister hat richtig bemerkt, (D)
gemitteln wie Stickstoffdünger, die jetzt schon um bis dass die Tatsache, dass Bayern 31 Prozent bekommt, auch
zu 20 Prozent teurer geworden sind. mit der Struktur zusammenhängt. Es hängt aber auch
damit zusammen, dass Bayern kofinanziert und die Land-
(Annette Faße [SPD]: Brauchen sie auch wirtschaft in der bayerischen Politik, in der Politik der
weniger!) CSU, den richtigen Stellenwert hat.
Persönlich freue ich mich – das sage ich ausdrücklich (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
an die Adresse des Ministeriums –, dass meiner Idee ge-
Wenn über die Neuverteilung der Aufgaben und damit
folgt wurde und in dem Programm „Biogene Treibstoffe“
über die Beendigung der Gemeinschaftsfinanzierung im
mit Veröffentlichungsdatum vom 7. September auch ein
gesamten Verhältnis zwischen Bund und Ländern disku-
Pilotprojekt zur Bezuschussung der Umrüstung von
tiert wird, müssen alle Ausgaben auf den Prüfstand, vom
100 Traktoren enthalten ist, damit diese Traktoren mit na-
Hochschulbau bis hin zur Agrarstruktur, aber eben vor
turbelassenem Rapsöl fahren können. Das könnte eine dem Hintergrund einer Neuverteilung der Finanzströme
Initialzündung dafür sein, dass die Landwirtschaft wieder zwischen dem Bund und den Ländern. So ist die Diskus-
wie in der Vergangenheit der Produzent ihrer eigenen sion zu verstehen.
Energie wird und auf Stilllegungsflächen mit Gen-Mais
die Energiebasis für Traktoren sicherstellt. Voraussetzung (Beifall bei der CDU/CSU)
bleibt allerdings, dass die Industrie auch klug genug ist, Wir fordern, dass bei der anstehenden Osterweiterung
die entsprechenden Technologien dem Markt rechtzeitig die dafür notwendige Finanzierung nicht zusätzlich den
zur Verfügung zu stellen. Agrarhaushalt belasten wird. Wir werden die entspre-
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- chenden Anträge bei den bevorstehenden Beratungen im
neten der F.D.P.) Ausschuss stellen. Sie von Rot-Grün haben die Gelegen-
heit, unseren Anträgen zuzustimmen, um damit die Be-
Die Neuregelung der 630-Mark-Jobs erschwert es den dingungen für die Landwirtschaft in Deutschland zu ver-
Landwirten, flexibel zu reagieren und die saisonal be- bessern.
dingten Schwankungen der Arbeitsbelastung wirtschaft-
lich aufzufangen. (Hans Büttner [Ingolstadt] [SPD]: Werden Sie
auch die Gegenfinanzierung bringen?)
Zusätzliche Belastungen bedeuten die Kürzungen der
Herzlichen Dank.
Mittel im Agrarsozialbereich. Es geht in der jetzigen
mittelfristigen Finanzplanung um ein Minus von 705 Mil- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. September 2000 11393

(A) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Als Wir haben auch für eine bessere ökologische Ausrichtung (C)
nächste Rednerin hat die Kollegin Steffi Lemke von gesorgt.
Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
In einem Punkt haben wir uns in den Verhandlungen
mit den Ländern nicht durchsetzen können: die weitere
Steffi Lemke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ver- Ausrichtung auf den Erhalt der genetischen Ressour-
ehrte Kolleginnen und Kollegen! Verehrter Herr Präsi- cen. Das ist eine Aufgabe, die aus meiner Sicht bisher
dent! Die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen noch nicht ausreichend wahrgenommen wird. Hier wer-
setzen mit dem Haushalt 2001 den Mix aus Sparen und den weitere Gespräche nötig sein, um auch dafür im
Zukunftsinvestitionen fort. Agrarhaushalt entsprechende Mittel zur Verfügung stellen
(Zuruf von der PDS: Das ist ein Witz!) zu können.

Der Agrarhaushalt 2000 hat ebenso wie seine Vorgän- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
ger das größte Volumen im Agrarsozialbereich. Die Aus- sowie bei Abgeordneten der SPD)
gaben des Bundes für die Agrarsozialpolitik steigen im Im Haushalt 2001 setzen wir mit dem Bündnis für Ar-
Haushaltsjahr 2000 an und werden auch in den darauffol- beit im ländlichen Raum neue Schwerpunkte. Wir haben
genden Jahren weiter steigen. erreichen können, dass auch hier eine Entwicklung für
Im Jahre 2004 wird der Bund für Alterssicherung und Arbeitsplätze, für Weiterbildung, für Qualifikation und
Krankenversicherung fast 1 Milliarde DM mehr ausgeben Regionalentwicklung, beispielsweise Holzvermarktung
als heute. Auch wenn das natürlich keine höhere Leistung oder Gebäudeumnutzung, erfolgen kann. Ich denke, dass
für den Einzelnen bedeutet und für die Betroffenen im es hier viele gute Beispiele gibt, die dazu beitragen, dass
vergangenen Jahr im Zuge der Haushaltssanierung bittere neue Arbeitsplätze im ländlichen Raum entstehen können.
Kürzungen erfolgt sind, bleibt die Sozialpolitik eine der Ich plädiere dafür, dass wir auch während der Haushalts-
Hauptaufgaben im Agrarhaushalt. beratungen darüber nachdenken, ob diese Richtung nicht
noch weiter verstärkt werden sollte.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
und bei der SPD) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
und bei der SPD)
Die Fraktionen von Bündnis 90/Die Grünen und SPD
werden darüber hinaus die Organisationsreform der land- Am erfolgreichsten waren Bündnis 90/Die Grünen und
wirtschaftlichen Sozialversicherung vorantreiben, damit SPD aus meiner Sicht bei der Förderung der erneuerba-
eine moderne Struktur entsteht, die das Sozialversiche- ren Energien. Hier ist ein ganzes Bündel von Maßnah-
men beschlossen worden, das insbesondere der Landwirt-
(B) rungssystem langfristig tragen kann. schaft zugute kommen wird. Den erneuerbaren Energien (D)
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gehört die Zukunft. Dafür haben wir den Weg mit dem
sowie bei Abgeordneten der SPD) Gesetz zur Förderung der erneuerbaren Energien, mit der
Danach werden noch weitere Veränderungen in der Aus- Förderung der erneuerbaren Energien durch Mittel aus
gestaltung, insbesondere bei der Unfallversicherung, zu dem Wirtschaftshaushalt und mit der Förderung von bio-
diskutieren sein. Dabei müssen aber in der zukünftigen genen Treib- und Schmierstoffen durch Mittel aus dem
Diskussion stärker die Qualität der Leistungen für die Ver- Agrarhaushalt freigemacht. Die ersten Traktoren werden
sicherten und auch die Unfallprävention im Vordergrund bald mit diesen Mitteln fahren. Ich möchte auch noch das
stehen. 100 000-Dächer-Programm erwähnen.
Die zweite Säule im Agrarhaushalt, die Gemein- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
schaftsaufgabe, ist von den Koalitionsfraktionen und der und bei der SPD)
Bundesregierung auf hohem Niveau fortgesetzt worden. Landwirte können in Zukunft als Energieproduzenten
Die CDU/CSU-F.D.P.-Regierung hatte die Mittel für für sich selber neue Einkommensquellen in großem Maß-
diese Gemeinschaftsaufgabe in den vergangenen Jahren stab erschließen. Viele Betriebe tun das inzwischen auch
heruntergekürzt. Wir werden sie mit mindestens 1,7 Mil- schon ohne großes Aufheben. Biogasanlagen boomen. Es
liarden DM in den nächsten Jahren im Haushalt fort- wird weiter kräftig in die Windkraft investiert. Viele
führen. Bündnis 90/Die Grünen haben sich auch dafür Landwirte haben diese zukunftsfähige Ausrichtung für
eingesetzt – das wurde auch erreicht –, dass die Gemein- sich als Chance erkannt und werden sie intensiv nutzen.
schaftsaufgabe eine neue zukunftsträchtige Ausrichtung
erfährt. Wir haben die nachwachsenden Rohstoffe um den Be-
reich der Rest- und Abfallstoffe erweitert. Ich halte das
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN für sehr wichtig, weil ich nicht glaube, dass nachwach-
sowie bei Abgeordneten der SPD) sende Rohstoffe wie Holz und Pflanzen, die nur zu
Wir haben durchgesetzt, dass eine integrierte Förde- Nutzzwecken angebaut werden, ausreichend genutzt wer-
rung der ländlichen Räume in der Zukunft möglich ist und den können. Ich denke, dass wir den Bereich „Abfallstoffe
dass die Förderung der Regionalvermarktung neu in die und Reststoffe“ noch viel stärker ausbauen können, um
Gemeinschaftsaufgabe aufgenommen werden konnte. unsere Stoffströme effektiver zu nutzen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
sowie bei Abgeordneten der SPD) und bei der SPD)
11394 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. September 2000

Steffi Lemke

(A) Wir sollten infolge der Biomassenverordnung darauf die von Kollegen Hollerith in Auftrag gegebene Studie, (C)
drängen, dass ungiftige Holzmittelanstriche entwickelt die ich begrüße, zitieren, dass der Einsatz von Biodiesel
werden können und dass Holz beispielsweise nach seiner schon im nächsten Jahr zu Kostenvorteilen führen würde,
Verwendung im Baubereich unkompliziert einer energeti- wenn die Ökosteuerreform planmäßig umgesetzt, die
schen Verwertung zugeführt werden kann. Gasölbeihilfe abgeschafft und kein steuerlich verbilligter
Agrardiesel eingeführt würde.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
und bei der SPD) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
und bei der SPD)
Wir haben in den letzten Wochen über Trockenschä-
den, die insbesondere in den neuen Bundesländern durch Herr Hollerith, mit dem festen Steuersatz bei Agrar-
die schlechte Witterung hervorgerufen wurden, diskutiert. diesel, den die Bundesregierung einführen wird, werden
Ich denke, dass sich diese Schäden genauso wenig wie die Biodiesel und Rapsöl kostenmäßig immerhin gleichauf
Schäden, die ein Orkan in der Weihnachtszeit in Baden- liegen. Wollen Sie das nun oder wollen Sie das nicht? Ich
Württemberg angerichtet hat, für eine polemische Dis- glaube, Sie müssen sich da entscheiden.
kussion eignen, nach dem Motto: Wer hilft wem besser?
Wer sagt als Erster irgendwelche Finanzmittel zu? Ich plä-
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Frau Kollegin,
diere dafür, das so umzusetzen, wie es die Bundesregie-
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hollerith?
rung begonnen hat, Gespräche mit den Ländern zu führen
und eine Arbeitsgruppe einzusetzen, die genau ermitteln
soll, welche Schäden in welchen Regionen aufgetreten Steffi Lemke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Bitte
sind, weil es hier regional große Unterschiede gibt. Wir schön, Herr Hollerith.
sollten dann gemeinsam mit den Ländern beraten, wie
Einzelbetriebe auch vom Bund unterstützt werden kön-
Josef Hollerith (CDU/CSU): Frau Kollegin, Sie ha-
nen.
ben einen Pressebericht zitiert. Haben Sie auch den Voll-
Für viele in der CDU/CSU und für viele Bürgerinnen text dieser Studie, der im Internet eingestellt ist, gelesen?
und Bürger war die Ökosteuer das beherrschende Me- Dort hätten Sie lesen können, dass sich unter den beste-
dienthema in der vergangenen Woche. Ich glaube, dass henden Bedingungen nur bei Großbetrieben – über
die Art und Weise, wie im Moment in der Landwirtschaft 500 Hektar – der Einsatz von naturbelassenem Rapsöl als
über dieses Thema diskutiert wird, nicht besonders ehr- Treibstoff für Motoren von Traktoren rechnen wird.
lich ist. Wir haben beschlossen, den Agrardiesel auch wei-
terhin zu verbilligen. Die Landwirtschaft wird also wei- Steffi Lemke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr
(B) terhin vom Staat unterstützt. Auch im Haushalt 2000 sind Hollerith, ich bin Ihnen für diese Frage dankbar, weil Sie (D)
Mittel eingestellt, um die durch die hohen Kraftstoffpreise mir damit Gelegenheit geben, auf den Gesamtkomplex
von 1999 belasteten Landwirte zu entlasten. Wir werden der Wettbewerbsverzerrung einzugehen. Da die „Bau-
für weitere Entlastungen sorgen, indem wir einen festen ern Zeitung“, deren Agrarberichterstattung ich bisher im-
Steuersatz von 57 Pfennig einführen. Die Ökosteuer- mer als seriös empfunden habe, leider nicht auf Ihre In-
erhöhung am 1. Januar nächsten Jahres wird also in der ternetseite hingewiesen hat, habe ich es versäumt, die
Landwirtschaft überhaupt nicht zum Tragen kommen. Studie im Volltext zu lesen.
(Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Sie (Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Nachholen!)
haben damit die Steuern von 21 auf 57 Pfennig
erhöht! Das sind 36 Pfennig! Sie müssen Men- – Das werde ich natürlich tun, Herr Heinrich, weil es mich
genlehre, aber nicht die Grundrechenarten ge- interessiert, was der Kollege Hollerith noch alles heraus-
lernt haben!) gefunden hat.
Ich finde deshalb, dass der Bauernverband und auch die (Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/
Bauern selber gut beraten sind, wenn sie mit kühlem Kopf DIE GRÜNEN und bei der SPD)
darüber nachdenken, ob sie eventuell der Versuchung er- Herr Hollerith, wenn es beispielsweise zwischen
liegen sollen, sich von der CDU/CSU für eine politische großen und kleinen Betrieben Wettbewerbsverzerrungen
Kampagne instrumentalisieren zu lassen. gibt, dann bin ich dafür, dass wir Mittel und Wege finden,
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN diese zu beseitigen. Ich will nicht, dass die Vorteile durch
und bei der SPD – Heinrich-Wilhelm Ronsöhr Biodiesel, die die Landwirtschaft hat, nur einer bestimm-
[CDU/CSU]: Größter Preistreiber!) ten Betriebsart zugute kommt. Das ist nicht unser Ziel.
Wir wollen, dass das auch in Bayern eingesetzt werden
Wir haben darüber hinaus den in der Landwirtschaft kann.
eingesetzten Biodiesel von der Ökosteuer befreit.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
(V o r s i t z: Vizepräsidentin Dr. Antje DIE GRÜNEN)
Vollmer)
Die von der CDU/CSU immer wieder beklagten Wett-
Herr Hollerith, ich habe mich gewundert, dass Sie die bewerbsverzerrungen auf EU-Ebene sind, so denke ich,
Ergebnisse der Studie, die Sie in Weihenstephan in Auf- tatsächlich ein Problem. Darauf haben wir schon seit Jah-
trag gegeben haben, heute nicht vorgetragen haben. Ich ren hingewiesen und haben uns dafür eingesetzt, dass sie
möchte deshalb aus der Zeitungsberichterstattung über beseitigt werden. Auf unser Betreiben hat das Ministe-
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. September 2000 11395
Steffi Lemke

(A) rium wenigstens einen Erlass herausgegeben, um an der Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat (C)
deutsch-niederländischen Grenze das Problem der „Heiz- jetzt der Kollege Heinrich.
öltanktouristen“ in den Griff zu bekommen.
(Matthias Weisheit [SPD]: Der Chefideologe!)
(Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Mit Kontrollen, die
nichts taugen!)
Ulrich Heinrich (F.D.P.): Frau Präsidentin! Meine lie-
Ich denke, dass das eine Maßnahme ist, die der Landwirt- ben Kolleginnen und Kollegen! Wir haben vor wenigen
schaft helfen wird. Tagen eine Halbzeitbilanz des Ministers gehört. Heute hat
Ich plädiere dafür, dass wir auf EU-Ebene einen neuen der Minister eine Rede gehalten, mit der er seinen Haus-
Vorstoß unternehmen, um diese Wettbewerbsverzerrun- halt begründet und eingebracht hat. Beide Beiträge waren
gen zu beseitigen. glanzlos.

(Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: (Beifall des Abg. Heinrich-Wilhelm Ronsöhr


Kampfhundeeinsatz!) [CDU/CSU])

Die Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen fordert die Bun- Ich muss Ihnen ausdrücklich ein Lob dafür erteilen,
desregierung ausdrücklich dazu auf. Wenn die Diskussion dass Sie die ganz wenigen Pluspunkte dieses Haushalts
auf europäischer Ebene in den letzten Wochen und Mo- herausgearbeitet haben; denn im Durchschnitt besteht
naten nicht den Durchbruch zu einer solchen dieser Haushalt fast ausschließlich aus Streichungen und
Harmonisierung bringt, dann haben wir, denke ich, eine Belastungen gegenüber der Landwirtschaft, die Sie zu
Chance verspielt. vertreten haben. Wenn Sie hier sagen, die Stimmung
draußen im Land sei gut, dann muss ich dem entgegnen:
(Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Gehen Sie einmal raus, reden Sie mit den Bauern und
Dann senken Sie den Agrardieselpreis!) glauben Sie nicht so viel den Umfragen, die Sie zitiert ha-
Ich fordere die CDU/CSU noch einmal auf, bei der ben.
Diskussion um Wettbewerbsverzerrungen ein bisschen (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten
ehrlicher zu sein. Das haben wir schon zwei- oder dreimal der CDU/CSU – Holger Ortel [SPD]: Wir noch
angemerkt; offensichtlich haben Sie das nicht verstehen weniger!)
wollen. Es gibt Wettbewerbsverzerrungen zum Beispiel
auch im Bereich der Sozialversicherungen oder Nachbau. Herr Minister Funke, Sie sagten, die Aussetzung der
Das ist eine Diskussion, mit der Sie sich in den nächsten Ökosteuer bringe nichts. Die Abschaffung der Ökosteuer
Tagen, glaube ich, intensiver beschäftigen werden. ist das Einzige, was etwas bringt.
(B) (D)
Zum Schluss möchte ich auf folgenden Punkt hinwei- (Matthias Weisheit [SPD]: Das hatten wir
sen. Auch ich habe – wie der Minister – eine Pressemit- heute schon einmal!)
teilung mitgebracht. Wir stehen ja unter Beschuss, weil Das von Ihnen genannte Beispiel trifft natürlich nur für
die Steuerreform die Landwirtschaft belastet. Dieses den Bereich des Agrardiesels zu.
Thema sollte man etwas differenzierter betrachten. Herr
Heinrich, ich habe diesen Pressebericht damals gelesen (Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Da
und wollte Sie – Sie haben ja vorhin mit dem Fraktions- habt ihr doch auch um 36 Pfennig erhöht!)
vorsitzenden zusammengesessen – darauf aufmerksam Im gärtnerischen Bereich haben wir es mit ganz anderen
machen, dass die F.D.P. nach ihren eigenen Aussagen im Zahlen zu tun. Wenn Sie ausschließlich die Energiekos-
Vermittlungsausschuss der Steuerreform mit ihrer offen- ten eines holländischen und eines deutschen Betriebs im
sichtlichen Schieflage – gemeint waren die Länder Hes- Unterglasgartenbau vergleichen, dann werden Sie fest-
sen, Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg, wo die stellen, dass es für den deutschen Betrieb gegenüber
F.D.P. mitregiert – nicht zustimmen wollte. dem holländischen einen Wettbewerbsnachteil von
170 000 DM gibt.
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Frau Kollegin, (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
Ihre Redezeit. Die haben doch die Freistellung!)
Dennoch sagen Sie, die Abschaffung der Ökosteuer
Steffi Lemke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das bringe nichts. Sie kennen Ihre eigenen Gesetze nicht;
war zwei Tage, bevor die F.D.P. umgefallen ist wie die sonst wüssten Sie genau, dass die Energiekosten solch ne-
Hühner von der Stange. Wir lachen über diese Kehrt- gative Auswirkungen im Gartenbaubereich haben.
wende innerhalb von 48 Stunden. Schauen Sie sich die
Steuerreform einmal etwas dezidierter an. Dann werden (Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
Sie erkennen, dass sie für die Landwirtschaft auch viele NEN]: Gar nicht wahr!)
Vorteile bringt. Das ist unverantwortlich.
Danke. (Beifall bei der F.D.P.)
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Gute Betriebe werden in Schwierigkeiten gebracht und
und bei der SPD) viele Betriebe haben schon aufgegeben, weil sie diese
11396 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. September 2000

Ulrich Heinrich

(A) Wettbewerbsbelastungen nicht mehr durchhalten können. man hier eine entsprechende Bilanz gesundbeten will und (C)
Jeder, der rechnen kann, muss das einsehen. an den Bedürfnissen einer auf Eigentum begründeten
Land- und Forstwirtschaft vorbeigeht.
(Albert Deß [CDU/CSU]: Dafür werden Blu-
men aus Südamerika eingeflogen!) Was Sie mit der Änderung des Bundesnaturschutzge-
setzes in Aussicht genommen haben, ist schleichende Ent-
Wir reden in den Haushaltsberatungen fast nur über die
eignung.
Ökosteuer – das gilt auch für mich –, weil dieses Thema
von großer Bedeutung ist. Derzeit beschäftigt es auch die (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU –
Landwirtschaft. Lachen bei der SPD)
(Lachen bei Abgeordneten der SPD – Holger Was Sie im Vermögensrechtsänderungsgesetz mit den
Ortel [SPD]: Weil euch nichts anderes einfällt!) Alteigentümern gemacht haben, ist ebenfalls schlei-
chende Enteignung.
Wir bekommen angeblich über den Agrardiesel 700 Mil-
lionen DM, während die Landwirtschaft gleichzeitig (Holger Ortel [SPD]: Noch so ein Klas-
durch die Ökosteuer mit über 900 Millionen DM belastet senkämpfer!)
wird.
Einen berechtigten Anspruch haben Sie gestrichen bzw.
(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: nicht fortgelten lassen und eine Gleichstellung mit den
Genau 857!) LPG-Nachfolgebetrieben und den Neueinrichtern vorge-
Gleichzeitig verschweigt man, dass man im Agrardiesel- nommen.
bereich die Steuern erhöht hat. Kollege Hollerith hat vor- Meine Damen und Herren, das zeigt sehr deutlich, dass
hin darauf hingewiesen: 21 Pfennig Steuern 1998, diese Bundesregierung – ich wiederhole: Ich bin ausge-
27 Pfennig 1999, 44 Pfennig 2000 und 57 Pfennig 2001, sprochen offen gegenüber den Verbesserungen, die Sie
die der Landwirt zu zahlen hat. Sie können Ihre Luftbu- bringen, und erkenne sie auch an – bei 90 Prozent ihrer
chungen machen, solange Sie wollen, Sie können Ihre Handlungen die Landwirtschaft belastet und nicht entlas-
Rechnungen gestalten, wie Sie wollen: Es ist eine zusätz- tet, zusätzlich den Strukturwandel beschleunigt und
liche Belastung für die Landwirtschaft und eine Wettbe- außerdem noch Arbeitsplätze gefährdet hat. Wer so eine
werbsverzerrung, die diese Betriebe nicht mehr aushalten. Bilanz vorlegt, der darf sich nicht wundern, dass die Op-
(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) position hier so klare Worte findet.
Ich komme aus Baden-Württemberg und bin, direkt am (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU –
(B) Rhein, Anrainer des Elsass. Wie sehen die Zahlen bei den Lachen bei der SPD) (D)
Kollegen in Frankreich aus? Im Elsass zahlt man nicht
Nicht nur die Opposition redet so. Gehen Sie einmal hi-
57 Pfennig, sondern 11 Pfennig Steuern für den Diesel in
naus und fragen Sie die Betroffenen. Wir dürfen hier re-
der Landwirtschaft. Jeder, der weiß, dass über 100 Liter
den, aber fragen Sie einmal diejenigen, die sich hier nicht
Diesel pro Hektar eingesetzt werden müssen, kann er-
messen, was das für eine zusätzliche Belastung ist. hinstellen dürfen, aber davon betroffen sind und deren Be-
triebe durch das Handeln dieser Bundesregierung in rich-
(Albert Deß [CDU/CSU]: Das ist rot-grüne Ab- tige Existenznot gebracht werden.
zockerei! – Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/
CSU]: Rot-grüne Ölscheiche!) (Detlev von Larcher [SPD]: Das machen wir! –
Gegenruf des Abg. Heinrich-Wilhelm Ronsöhr
Hier zu sagen: „Die Stimmung ist gut und das, was wir ge- [CDU/CSU]: Ihr habt doch gar keine Betroffe-
macht haben, ist noch besser“, das ist blanker Zynismus nen im Bundestag sitzen!)
(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Ich kann hier nicht viel Gutes erkennen. Der Haushalt
gegenüber den Betroffenen aus Gartenbau, Land- und ist so schlecht wie die Bilanz: kein Spielraum für politi-
Forstwirtschaft und all denjenigen, die unter der Belas- sche Akzente, über 70 Prozent werden aufgrund des ver-
tung einer Steuererhöhung von 21 Pfennig auf 57 Pfen- stärkten Strukturwandels, den nicht die Landwirtschaft zu
nig – das ist mehr als das Doppelte und mehr, als durch verantworten hat, sondern zusätzlich noch ertragen muss,
die Ökosteuer draufgeschlagen wird – leiden. in den Bereich Soziales fließen müssen. Im Agrarhaushalt
(Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Das wird über diese 70 Prozent hinaus noch zusätzliches Geld
ist richtig!) benötigt, sodass mehr als 8,4 Milliarden DM auf Soziales
entfallen und dann nur noch weniger als 3 Milliarden DM,
Die Verteuerung geht in einer Zangenwirkung vor sich: also der Rest von den 11 Milliarden DM, für andere Maß-
mehr als doppelt so viel Steuern für den Diesel, mehr nahmen zur Verfügung stehen.
Steuern für das Heizöl und mehr Steuern für den Treib-
stoff, der nicht durch die Maschinen geht, sondern zum (Zuruf von der SPD: Das ist das, was Ihr uns
Heizen der Anlagen der Gärtnereien dient. hinterlassen habt!)
Es ist wirklich toll: Eine Steuerreform wird verab- Ich möchte mit den Worten schließen: Ich hoffe, dass
schiedet, deren erste Entlastung 2006 eintritt. Bis dahin man endlich begreift, dass man insbesondere auf dem
bringt sie ausschließlich eine Belastung. Toll ist auch, wie Energiesektor mit der Land- und Forstwirtschaft, aber vor
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. September 2000 11397
Ulrich Heinrich

(A) allen Dingen mit dem Gartenbau so nicht weiter verfah- Bei den ostdeutschen Bedingungen, unter denen sich (C)
ren kann. kaum Investoren auf das flache Land und erst recht keine
in entlegene und strukturschwache ländliche Regionen
Herzlichen Dank. verirren, gilt es, zuallererst an vorhandene lokale Poten-
(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – ziale anzuknüpfen. Gerade Agrarunternehmen in Form
Detlev von Larcher [SPD]: Der Hüter der juristischer Personen bieten mit ihrem Management und
Marktwirtschaft fordert Subventionen!) Potenzial an Boden, Gebäuden, Maschinen und Arbeits-
kräften günstige Voraussetzungen zur Entwicklung außer-
landwirtschaftlicher Einkommens- und Beschäftigungs-
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat potenziale.
jetzt die Abgeordnete Kersten Naumann.
Dazu gehören die derzeitige Förderkulisse, aber auch
die rechtlichen Rahmenbedingungen, vom Baurecht bis
Kersten Naumann (PDS): Frau Präsidentin! Meine zum Steuerrecht, auf den Prüfstand. In den neuen Ländern
Damen und Herren! Eines der Kernprobleme des vorlie- wurde zwar viel für die Dorferneuerung getan. Trotzdem
genden Agrarhaushaltsentwurfs ist für mich: Wird mit ist der Nachholebedarf noch immer groß. Nicht unwich-
diesem Haushalt die Entwicklung von Wirtschaft und Be- tig war und ist der damit verbundene Beschäftigungsef-
schäftigung im ländlichen Raum tatsächlich angeregt? fekt. Denn Dorferneuerung bedeutet Aufträge für das re-
Angesichts der gravierenden Probleme, wie zum Beispiel gionale und lokale Handwerk und Baugewerbe. Deshalb
Arbeitslosigkeit, Strukturschwäche, geringe Wirtschafts- möchte ich mit Blick auf den Haushalt 2002 anregen, die
dynamik und damit verbundene Entleerung von Dörfern, dann freien 375 Millionen DM Gasölbeihilfe in die Ge-
muss es doch vorrangig um die Chancen der Landbewoh- meinschaftsaufgabe „Agrarstruktur“ einzuspeisen.
ner in der Gegenwart und in der Zukunft gehen.
(Beifall bei der PDS)
Fakt ist, dass das von der PDS wiederholt kritisierte
Konzept der herrschenden Politik, die Landwirtschaft Zum Problem der Dieselpreise war bereits viel zu
durch beschleunigte Liberalisierung international konkur- hören. Ich möchte dennoch als PDS-Position anmerken:
renzfähig zu machen, den Zwang zur Rationalisierung Wer A sagt, muss auch B sagen. Die Funktionsfähigkeit
und Modernisierung der Agrarbetriebe weiter verstärkt. des gemeinsamen EU-Binnenmarktes schließt nun einmal
die – übrigens von der Bundesregierung selbst beschwo-
(Beifall bei der PDS) rene – Harmonisierung der Wettbewerbsbedingungen ein.
Jede Mark an Investitionen und damit auch jede Insoweit besteht für Agrardiesel im Interesse der deut-
Mark, die aus der Gemeinschaftsaufgabe für die einzel- schen Bauern Handlungsbedarf im laufenden Gesetz-
(B) betriebliche Investitionsförderung verausgabt wird, kos- gebungsverfahren. Versprechungen sind von meinen Vor- (D)
tet Arbeitsplätze. Das Brandenburger Ministerium hat rednern der Regierungskoalition ja soeben hier gemacht
zum Beispiel im Juni für das Land eine Konzeption zur worden.
Entwicklung der tierischen Erzeugung im Zeitraum 2000 (Matthias Weisheit [SPD]: Was? Ich habe
bis 2006 vorgestellt. Danach wird bis zum Jahre 2006 mit keine Versprechungen gemacht!)
Investitionen in Höhe von 1,2 Milliarden DM und einem
weiteren Abbau der Vollarbeitsplätze um 27 Prozent ge- Herr Minister Funke, die Landwirte aus den von der
rechnet. Somit kostet die zur Sicherung der Konkurrenz- diesjährigen Dürre besonders stark betroffenen Regionen
fähigkeit erforderliche Vernichtung von Arbeitsplätzen erwarten, dass die Bundesregierung nicht länger nur ihr
417 000 DM je wegrationalisierten Arbeitsplatz. Mitgefühl bekundet und das Finden von Modalitäten
ankündigt, wie Staatssekretär Thalheim am Mittwoch vor
Weil das so ist, muss die Lösung der Probleme vor-
den ostdeutschen Agrarministern verlauten ließ, sondern
wiegend außerhalb der Landwirtschaft durch die Ent-
endlich definitiv sagt, ob und wie sie helfen wird. Immer-
wicklung von Handwerk, Gewerbe, Dienstleistungen und
hin liegen jetzt, nachdem die Getreideernte gelaufen ist,
Tourismus erfolgen. Jede Mark Investition in die Land-
wirtschaft sollte in angemessenem Maße Investitionen hinreichend genaue Daten über die materiellen und finan-
und die Unterstützung von agrarpolitischen Maßnahmen ziellen Einbußen der am schlimmsten betroffenen Agrar-
im ländlichen Raum nach sich ziehen. betriebe vor. Ihre Anzahl ist nicht überwältigend groß. In-
sofern ist die Situation nur bedingt mit der von 1992
(Beifall bei der PDS) vergleichbar. Aber in Südbrandenburg sowie in einigen
Fakt ist aber, dass diese weder konkret greifbar sind Gebieten Sachsen-Anhalts und Mecklenburg-Vorpom-
noch über Modellvorhaben, Dorferneuerung etc., in der merns ist die Situation teilweise katastrophaler als da-
Gemeinschaftsaufgabe „Agrarstruktur“ auch nur annä- mals. Hieraus folgt, dass zumindest diese drei Länder al-
hernd abgedeckt werden können. Nach meiner Über- lein überfordert sind.
zeugung muss die Verzahnung der beiden großen Ge- Deshalb erwartet die PDS-Fraktion, dass der Bund mit
meinschaftsaufgaben „Agrarstruktur“ und „Regionale einsteigt, dass ein Bund-Länder-Nothilfefonds installiert
Wirtschaftsförderung“ auf die Tagesordnung. oder eine vergleichbare Lösung initiiert wird.
Das im ländlichen Raum angesiedelte bzw. anzusie- (Beifall bei der PDS)
delnde unternehmerische Potenzial muss ressortübergrei-
fend gefördert werden. Auch dazu muss der Bund seinen Zugleich hoffen wir, dass die begonnene Diskussion um
Beitrag leisten. den schrittweisen Aufbau einer Mehrschadenversiche-
11398 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. September 2000

Kersten Naumann

(A) rung, ähnlich wie in Spanien und den USA, nicht im letztendlich nicht haben wollen? Das sind nämlich Leute, (C)
Sande verläuft. die über jede Mark Subvention motzen und die dauernd
Subventionen erfinden, die es im Prinzip gar nicht gibt.
Sie können sich darauf verlassen, dass die PDS-Frak- Dies gegen den Landwirtschaftsminister ins Feld zu
tion im Laufe der Haushaltsberatungen die Diskussion führen halte ich nicht für gut. Würden Sie mir also in der
weiterer Fragen, von der Erhöhung der Mittel für nach- Einschätzung Recht geben, dass diejenigen, die das
wachsende Rohstoffe bis hin zur Einführung einer schreiben, an der Landwirtschaft null Komma null Inte-
Betriebsabgaberente, unterstützen bzw. selbst initiieren resse haben?
wird.
Danke. Peter Bleser (CDU/CSU): Herr Kollege Weisheit, ich
(Beifall bei der PDS) gebe Ihnen nicht Recht, und zwar deswegen nicht, weil
dieser Minister es nicht schafft, die Bedeutung der Land-
wirtschaft in der Öffentlichkeit zu vermitteln. Könnte er
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat dies, wären die Umfrageergebnisse diesbezüglich anders.
jetzt der Abgeordnete Peter Bleser.
Verehrter Herr Minister, –
(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Wie kann
Peter Bleser (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine
das ein „verehrter“ Minister sein, wenn Sie das
Damen und Herren! Herr Minister Funke, in der Beurtei-
gerade vorher gesagt haben?)
lung Ihrer bisherigen Amtszeit kommen die Menschen zu
einem verheerenden Ergebnis. – die Menschen sind enttäuscht, weil Sie es nicht ge-
schafft haben – wie in den übrigen Bereichen der Sozial-
(Beifall bei der CDU/CSU) versicherung –, für die landwirtschaftliche Sozialversi-
50 Prozent der Bundesbürger, so der „Stern“, sind der cherung entsprechende Zuschüsse zu requirieren. Sie
Meinung, dass Sie abgelöst werden sollten. haben zu verantworten, dass insbesondere in den unteren
Einkommensgruppen die Beiträge um bis zu 110 Prozent
(Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Die Leute gestiegen sind. Sie haben es zu verantworten, dass die Zu-
haben Recht!) schüsse für die agrarsozialen Systeme um 719 Millio-
Der „Stern“ schreibt weiter – ich zitiere, Frau Präsiden- nen DM gekürzt worden sind.
tin –: Auf der anderen Seite wird von dieser Bundesregie-
Er kann die Notwendigkeit des Landwirtschafts- rung – das will ich ja gar nicht kritisieren – der Zuschuss
(B) ministeriums nicht beweisen. in die Rentenkasse von 100 Milliarden DM im Jahre 1998 (D)
auf 137 Milliarden DM im Jahre 2001 erhöht. Auch an
Vernichtender kann man eine Amtsführung nicht beurtei- diesen Zahlen erkennen wir den Stellenwert, den die
len. Landwirtschaft in dieser Bundesregierung hat, und auch,
(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Peter welchen Stellenwert Ihr Ministerium in der Bundesregie-
Ramsauer [CDU/CSU]: Manchmal hat auch der rung hat.
„Stern“ Recht!) Die CDU/CSU fordert, zumindest die nicht mehr trag-
Eigentlich könnte das einen als Oppositionspolitiker ja bare Belastung durch die landwirtschaftlichen Berufs-
erfreuen. Aber wenn man, wie ich, mit ansehen muss, wie genossenschaften abzumildern. Der überdurchschnittlich
diese Politik in den bäuerlichen Familien wirkt, dann ist hohe Anteil älterer Menschen in den landwirtschaftlichen
man schon erschüttert und besorgt über das bevorstehende Berufsgenossenschaften führt zu enormen Beitragsbelas-
Schicksal vieler bäuerlicher Existenzen. tungen. Wir fordern deshalb, dass Sie die Kosten für diese
so genannten Altenlasten in Höhe von 850 Millionen DM
(Albert Deß [CDU/CSU]: So ist es!) übernehmen. Dann könnte es zu einem Neuanfang mit er-
Die rote Liste Ihrer Grausamkeiten, Herr Minister, ist träglichen Beiträgen kommen.
mittlerweile lang. Mit dem Steuerentlastungsgesetz 1999 wurden die
Landwirte mit insgesamt 1,5 Milliarden DM belastet. Da-
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Herr Kollege von sind allein 400 Millionen DM durch eine willkürliche
Bleser, gestatten Sie eine Zwischenfrage? Absenkung der Vorsteuerpauschale verursacht. Das war
schon damals ungerecht. Aber mittlerweile sind die Kos-
ten, die die Bauern zu tragen haben, noch weiter gestie-
Peter Bleser (CDU/CSU): Ich möchte noch einen gen. Deshalb fordern wir eine Anhebung der Vorsteuer-
Satz sagen, Frau Präsidentin. Wenn Sie es nicht bald pauschale um 1 Prozent.
schaffen, diese Politik zu ändern, dann stehen die Bauern
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
noch vor Ihnen auf der roten Liste der bedrohten Berufe.
Jetzt können Sie Ihre Zwischenfrage stellen. Wenn Sie jetzt sagen, die Bauern sollen die Vorsteuer ein-
zeln verrechnen – also optieren –, dann ist das mehr als
zynisch. Sie wollen den Bauern weiteren Bürokratismus
Matthias Weisheit (SPD): Herr Kollege Bleser, wür-
aufbürden,
den Sie mir in der Annahme Recht geben, dass die Leute,
die dies im „Stern“ geschrieben haben, die Landwirtschaft (Lachen bei der SPD)
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. September 2000 11399
Peter Bleser

(A) und dies in Anbetracht der ohnehin schon hohen Belas- Wir fordern deshalb von Ihnen – darin sind wir uns mit (C)
tungen, die durch die Rindfleischetikettierung auf die Be- dem Bauernverband einig – eine Absenkung der Diesel-
triebe zukommen. besteuerung auf Heizölniveau – das sind dann 11 bzw.
(Matthias Weisheit [SPD]: Entweder Unter- 12 Pfennig –, wie das bei unseren europäischen Kollegen
nehmer oder nicht Unternehmer!) schon seit Jahren der Fall ist.

Herr Minister, den Gipfel für die Belastung der deut- Herr Minister, es tut mir Leid, dass ich in der Kürze der
schen Landwirtschaft – es ist schon mehrfach angespro- Zeit nicht auf alle Ihre Fehltaten hinweisen kann. Es ist
chen worden, dass die Belastung größer ist als für die schon schlimm genug, dass man hier überhaupt nicht über
übrige Bevölkerung – stellt die Ökosteuer dar. Sie führt die Perspektiven der Agrarpolitik sprechen kann.
zu Mehraufwendungen von über 1 Milliarde DM. Auf un- Ich komme deshalb zum Schluss zum Anfang meiner
seren Druck hin haben Sie es immerhin geschafft, die Rede zurück: Die rot-grüne Koalition ist zu einem unkal-
Landwirtschaft zum produzierenden Gewerbe zu rech- kulierbaren Risiko für die deutsche Landwirtschaft ge-
nen, allerdings verkannt, dass durch den Sockelbetrag von worden. Die deutschen Bauern hätten wahrlich eine bes-
1 000 DM pro Betrieb die Entlastung bei nur etwa 10 000 sere Regierung verdient.
von einer halben Million Betrieben ankommt. Schon aus
Gleichheitsgründen wäre eine vollständige Befreiung von (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
der Ökosteuer gerechtfertigt.
Was aber macht diese Bundesregierung? Sie macht ge- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Zu einer Kurz-
nau das Gegenteil. Mit der Senkung der Gasölverbilli- intervention erhält jetzt die Kollegin Höfken das Wort.
gung auf 30 Pfennige pro Liter und maximal 3 000 DM
pro Jahr sinkt das Einkommen der bäuerlichen Familien Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich
nochmals. Sie steigern die Steuerbelastung für Diesel in möchte noch etwas richtig stellen. Als der Minister vorhin
der Landwirtschaft von 21 Pfennigen 1998 auf 57 Pfen- sagte, die Stimmung sei gut, meinte er natürlich nicht die
nige am Ende der Ökosteuererhöhung. Dann behaupten aktuellen Auseinandersetzungen über die Energiepreise,
Sie noch, das sei eine Entlastung. Bei Gelegenheit sollten sondern ganz andere Entwicklungen.
Sie mir diese Logik einmal erklären.
Erstens. Die Erzeugerpreise sind zum Teil sehr gut.
Zu den steuerbedingten Preissteigerungen bei Treib-
stoff und Heizöl kommt die Preistreiberei der Erdölför- (Albert Deß [CDU/CSU]: Das hängt doch mit
derländer. Dagegen sind wir relativ machtlos; das will ich dem Euro-Verfall zusammen! Das ist eine Folge
des Dollarkurses!)
(B) gerne eingestehen. Aber die Tatsache, dass die jetzige Re- (D)
gierung den Euro ganz bewusst absaufen lässt, – Es gibt in einigen Bereichen Überkompensationen. Der
(Lachen bei der SPD – Detlev von Larcher Weltmarktpreis für Zucker beispielsweise hat sich ver-
[SPD]: Was ist mit dem Export?) doppelt. Entsprechend gibt es auf diesem Gebiet – auch
wenn das Gejammer über die Agenda 2000 groß ist –
– dessen Wert schon um fast 30 Prozent geringer ist als zu durchaus eine Verbesserung.
Zeiten seiner Einführung, führt zu weiteren hausgemach-
ten Erhöhungen der Energiekosten. Die Betriebe können Zweitens. Die Landwirtschaft profitiert bei etwa
die Dimensionen dieser Einkommenseinbrüche nicht 60 Prozent ihres Einkommens von Transferleistungen.
mehr verkraften. Die Energiekosten machen gerade einmal etwa 3 Prozent
aus. Ich denke, das ist durchaus in Relation zu stellen zu
Ich will Ihnen dies an einem Beispiel verdeutlichen: dem, was hier in diesem Zusammenhang immer erwähnt
Nehmen wir einen Betrieb von 150 Hektar Fläche, der pro wird.
Jahr etwa 20 000 Liter Diesel verbraucht. Bei Mehrkosten
von 70 Pfennig im Vergleich zu den Dieselpreisen Ende Drittens. Der Strom ist erheblich billiger geworden.
1998, Anfang 1999 führt dies zu höheren Ausgaben von (Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Aber
14 000 DM. Sie haben zudem die Gasölverbilligung auf nicht durch eure, sondern durch unsere Politik!
3 000 DM reduziert. Früher, unter unserer Regierung, Durch euch wird alles wieder teurer!)
hätte der Betreffende 8 000 DM erhalten. Also fehlen ihm
weitere 5 000 DM. Es entstehen also bereits jetzt höhere Es wurden Erzeugergemeinschaften gebildet. Ich bitte,
Kosten von 19 000 DM. Verbraucht dieser Betrieb dann das gegenzurechnen. Darüber hinaus zählt der Gartenbau
noch 8 000 Liter Heizöl – Gartenbaubetriebe verbrauchen zum produzierenden Gewerbe und hat, wie Herr Bleser
wesentlich mehr –, dann hat er weitere Kosten von 5 000 DM. richtig gesagt hat, bis zu einer Schwelle von 1 000 DM
Das heißt unterm Strich, dieser landwirtschaftliche Be- Ökosteuer auf seinen Energieverbrauch zu zahlen. Über
trieb hat pro Jahr höhere Kosten von 24 000 DM, dem diesen Betrag hinaus muss er keine Ökosteuer zahlen.
keine Mehreinnahmen gegenüberstehen. Auch wenn wir etwas tun wollen, um die Energiekos-
(Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Das ist die ten zu senken – das ist mein letzter Punkt –, ist festzustel-
Wahrheit! – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] len: Es gibt in der Landwirtschaft und im Gartenbau viel
[SPD]: Er spart Steuern, weil das nämlich Be- mehr als in anderen Wirtschaftsbereichen die Möglich-
triebsausgaben sind! Nur, damit Ihnen das klar keit, Biodiesel, Biogas, Biomasse, Pflanzenöle und sons-
ist!) tige erneuerbare Energien wie zum Beispiel Sonne über
11400 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. September 2000

Ulrike Höfken

(A) Solaranlagen, zu nutzen. Nicht nur eine Energiekosten- gelegt, damit es ordentlich stöhnen lernt. Heute habe ich (C)
senkung, sondern auch eine Einkommenserzielung ist gedacht, Sie hätten Ihren Stein mit hergebracht, Herr
hier in hohem Maße möglich. Das wollen wir verstärkt Bleser.
fördern. Ich denke, da bestehen Chancen. (Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem
In der „Süddeutschen Zeitung“ war die Berechnung zu BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abge-
lesen, dass der Erdölpreis auf 90 Pfennig steigt. Dazu ordneten der PDS)
kann man nur sagen: Genau das ist die richtige Politik, um Ich komme jetzt zum Haushalt 2001, weil auch meine
für die Zukunft gewappnet zu sein und sich von der Redezeit nicht unbegrenzt ist. Für mich wird mit der Ein-
Abhängigkeit vom Erdöl und von dessen unheilvollen bringung des Haushalts 2001 wieder ein Teil des Koaliti-
Emissionen zu lösen. onsvertrags eingelöst. Schauen Sie sich den Koalitions-
vertrag an. Da steht auf Seite 1 ganz weit oben:
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Sanierung der Staatsfinanzen. Auch das muss an dieser
und bei der SPD)
Stelle noch einmal deutlich gesagt werden; denn die Men-
schen im Land haben das verstanden.
Peter Bleser (CDU/CSU): Frau Kollegin Höfken, ich Auch die Landwirtschaft konnte von einem Beitrag zur
weiß nicht, woher Sie die Zahlen haben. Fragen Sie ers- Finanzierung der Entlastung des Bundeshaushalts nicht
tens einmal die Getreidebauern, die in diesem Jahr auf- ausgenommen werden. Das ist schmerzlich, aber jeder
grund der veränderten Interventionskriterien geringere Haushalt musste Einsparungen erbringen. Trotzdem ist es
Feuchtigkeitsgehalte beim Getreide einhalten mussten uns gelungen, überproportionale Belastungen der Land-
bzw. mit hohen Energiekosten dafür sorgen mussten, wirtschaft zu verhindern.
dass das Getreide diesen Feuchtigkeitsgehalt überhaupt
erreichte, ob sie Mehrerlöse erzielt haben oder Minder- (Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Jetzt aber!)
erlöse hinnehmen mussten. Sie werden sehr schnell fest- Zwar stellen Vertreter des Berufsstands das in der Öffent-
stellen, dass Ihre Aussage definitiv falsch ist. lichkeit immer wieder gern ein bisschen anders dar, aber
es muss dennoch eindeutig festgestellt werden, dass die
Zweitens. Ich habe nicht verstanden, wie Sie auf den
700 Millionen DM, die wir zur Verbilligung des Agrar-
Energiekostenanteil in Höhe von 3 Prozent bei den bäu-
diesels einsetzen, einen großen Teil der Belastungen in
erlichen Betrieben gekommen sind. Ich habe Ihnen doch
der Landwirtschaft ausgleichen.
gerade die Zahlen genannt. 24 000 DM Mehrkosten sind
wesentlich mehr als 3 Prozent. Auch diese Zahl ist defini- (Beifall bei Abgeordneten der SPD)
tiv falsch.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, viele haben sich
(B) Das Dritte ist der Hinweis darauf, dass die Strom- (D)
schon zu den Einnahmen aus der Versteigerung der
preise gesunken sind. Zunächst einmal sage ich: Wir ha- UMTS-Lizenzen geäußert. Auch ich hätte ganz tolle
ben die Liberalisierung auf dem Strommarkt eingeführt. Ideen, wie wir dieses Geld verbraten könnten, aber mit ei-
ner Last von 1,5 Billionen DM Staatsschulden, die wir
(Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Gegen Sie!)
übernommen haben, konnten wir das natürlich nicht.
Aber auch hier haben Sie die Ökosteuer draufgeschlagen
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
und es wird nicht mehr lange dauern, bis auch diese Vor-
DIE GRÜNEN)
teile von Ihnen wegbesteuert werden.
Es nützt also überhaupt nichts, hier Wünsche und Fanta-
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
sien zu äußern; denn Realismus ist gefragt.
Innerhalb des Bundeshaushalts hat der Einzelplan 10
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat
– Ernährung, Landwirtschaft und Forsten – ein Volumen
jetzt die Abgeordnete Waltraud Wolff.
von fast 11 Milliarden DM. Davon ist der Löwenanteil
von etwa 7,6 Milliarden DM für die landwirtschaftliche
Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD): Sehr geehrte Sozialpolitik. Auch dazu ist schon vieles gesagt worden.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich will es Der zweite ausgesprochen wichtige Posten ist der Bun-
mir ersparen, auf die Polemik der Opposition einzuge- desanteil zur Finanzierung der GAK. Wir werden das Ni-
hen, veau des Bundeszuschusses beibehalten, um auch künftig
die EU-Mittel in vollem Umfang nutzen zu können.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Inhaltlich unterstützt die SPD-Bundestagsfraktion aus-
und nur sagen, dass ich es äußerst bedauerlich finde, dass
drücklich die Aussagen des Bundesministers; denn die
Sie bei den einführenden Worten von Bundesminister
Entwicklung der ländlichen Räume ist für uns ein ganz
Funke nicht aufgepasst haben. Da hätten Sie Klartext
elementares Anliegen.
hören können. Ich glaube, das wäre richtig gewesen.
Nach der Verabschiedung des Agrardieselgesetzes
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
zum 1. Januar 2001 wird die Summe von 375 Milli-
DIE GRÜNEN)
onen DM für die Gasölverbilligung letztmalig eingestellt.
Ich möchte noch einige Worte zum Kollegen Bleser sa- Dann verbleiben sie komplett im Agrarhaushalt und wir
gen. Sie haben mir einmal erzählt: Ein Bauernkind be- können damit den Bundeszuschuss zur GAK stabil halten,
kommt nach der Geburt als erstes einen Stein auf die Brust im Jahre 2002 sogar anheben.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. September 2000 11401
Waltraud Wolff (Wolmirstedt)

(A) Mit der Festschreibung des ermäßigten Steuersatzes soziale Sicherung einzugehen. Unser wichtigstes Anlie- (C)
auf 57 Pfennig je Liter Diesel – dazu haben wir jetzt auch gen ist es, ein eigenständiges Sicherungssystem in der
schon mehrere gehört –, der ausschließlich der Land- Landwirtschaft zu erhalten. Sie alle und auch die betrof-
wirtschaft eingeräumt wird, werden die Landwirte prak- fenen Versicherten wissen, dass die stets steigenden Auf-
tisch von der Ökosteuer ausgenommen. Die Opposition, wendungen des Bundes für die landwirtschaftliche So-
die sich hier hinstellt und unter Verweis auf die hohen zialversicherung weder wirtschaftlich noch dem
Dieselpreise weitergehende Maßnahmen fordert – das ist Steuerzahler gegenüber vertretbar sind. Deshalb werden
für mich ganz eindeutig –, muss erst einmal darlegen, wie wir noch in diesem Jahr den Gesetzentwurf zur Neuorga-
sie das finanzieren will. nisation der landwirtschaftlichen Sozialversicherung in
(Albert Deß [CDU/CSU]: Wenn man die Die- den Bundestag einbringen.
selsteuer fast verdreifacht, kann man kein Lob (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
erwarten!) DIE GRÜNEN)
Außerdem müssen Sie sich fragen lassen, was die frühere Gleichzeitig wissen wir natürlich auch um die großen
Bundesregierung denn getan hat, um die großen Unter- Probleme in der landwirtschaftlichen Unfallversiche-
schiede bei den Dieselbezugskosten für die Landwirte in rung. Hier haben sich der Berufsstand und auch die Ver-
der EU auszugleichen. sicherer eine zeitgleiche Bearbeitung erhofft; sie haben
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ das auch ganz deutlich gemacht. Aber an dieser Stelle will
DIE GRÜNEN) ich noch einmal mit Nachdruck sagen, dass beides nicht
miteinander verquickt werden kann. Wir nehmen jetzt
In all den Jahren Ihrer Regierungszeit haben Sie, meine zwar die verschiedenen Modelle auf und beschäftigen uns
Damen und Herren von der Opposition, hier nämlich inhaltlich damit, aber man muss natürlich klipp und klar
nichts erreicht. Sie haben die Fragen nicht einmal öffent- sagen: Das A und O ist die Neuorganisation der landwirt-
lich gestellt. Wir aber diskutieren über jeden einzelnen schaftlichen Sozialversicherung. Diese muss zuerst um-
Pfennig. gesetzt werden; nicht eher kann die Reform der landwirt-
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ schaftlichen Unfallversicherung gelingen.
DIE GRÜNEN – Albert Deß [CDU/CSU]: Zu
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
der Zeit war der Unterschied sehr gering!)
DIE GRÜNEN)
Wichtige politische Ziele wie die Förderung biogener
Vom Reformstau der alten Bundesregierung ist in die-
Treib- und Schmierstoffe wurden erst von unserer Regie-
sen Tagen schon mehrfach die Rede gewesen. Beide eben
(B) rung aufgegriffen. Der Etat für diese Maßnahmen wird im genannten Reformen gehören auch in diese lange Reihe. (D)
nächsten Jahr auf 20 Millionen DM erhöht. Für die För-
derung nachwachsender Rohstoffe – eine wichtige Inves- (Albert Deß [CDU/CSU]: Wer hat denn die Re-
tition in die Zukunft – sind konstant 51 Millionen DM bis formen blockiert? Ihr habt doch jahrelang
2004 eingeplant. Wir haben mit dem Gesetz zur Förde- blockiert!)
rung erneuerbarer Energien eine wirksame Förderung
der energetischen Nutzung von Biomasse geschaffen – – Herr Deß, Sie wissen das ganz genau. Wir werden die
und das trotz Sparhaushalt. Reformen umsetzen, aber sorgfältig und nacheinander.

Bei nachwachsenden Rohstoffen fällt mir natürlich so- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
fort die EU-Marktordnung für Faserflachs und Hanf ein. des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Dabei haben wir in einem Paradestück bewiesen, dass Zum Schluss möchte ich noch auf einen kleineren
sich gemeinsames Handeln lohnt. Länder, Bund und un- Haushaltstitel eingehen, der mir persönlich aber sehr
sere EU-Abgeordneten haben sich konsequent für eine wichtig gewesen ist und über den ich auch sehr froh bin:
kompromissfähige Lösung in Bezug auf Deutschland ein- Dies ist die Billigkeitsregelung für Kartoffelexporte
gesetzt. nach Rumänien. Sie werden sich vielleicht wundern,
(Albert Deß [CDU/CSU]: Auch die Oppo- aber auch das ist eine Sache, die die alte Regierung längst
sition!) hätte abarbeiten müssen.
– Erst nachdem ich Sie im Ausschuss darauf hingewiesen (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
habe. Vorher hat kein Mensch darüber Bescheid gewusst. DIE GRÜNEN)
Keiner hat davon geredet. Es geht um getätigte Kartoffellieferungen aus der ehema-
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ ligen DDR nach Rumänien. Bis heute warten die Land-
DIE GRÜNEN – Albert Deß [CDU/CSU]: Das wirtschaftsbetriebe auf ihre Bezahlung, und das nur, weil
stimmt überhaupt nicht!) in Ihrem Verrechnungssystem die Genehmigungen nicht
erteilt wurden. Hier reparieren wir mit 1,7 Millionen DM
Dank Minister Funke haben wir das dann auch durchge- und zehn Jahren Verspätung eine Regelung, die echte Här-
setzt. ten zur Folge hatte. Damit erfüllen wir ein Versprechen
Zur Einbringung des Haushaltes kann man hier nur die gegenüber den betroffenen Betrieben. Das Kapitel „Kar-
Eckdaten benennen. Aber ich kann natürlich nicht von toffelexporte nach Rumänien“ kann endlich abgeschlos-
diesem Pult weggehen, ohne noch einmal auf die agrar- sen werden.
11402 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. September 2000

Waltraud Wolff (Wolmirstedt)

(A) Meine Damen und Herren, heute findet die erste Le- Jetzt ziehe ich einen Vergleich innerhalb der Europä- (C)
sung des Haushaltes statt. Nun beginnt auch die eigentli- ischen Union. Wir haben mit dem Euro eine Verrech-
che Arbeit. Ich fordere Sie alle dazu auf, konstruktiv im nungseinheit. 1998/99 lag der Dieselölpreis für die Land-
Sinne der Landwirtschaft mitzuarbeiten. wirtschaft bei 1,10 DM. Wir bekamen eine Verbilligung
um 42 Pfennig, weil wir unseren Diesel auf den Äckern
Danke. und nicht auf den Straßen verbrennen. Heute kostet der
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Liter Diesel 1,80 DM. Wenn ich den Sockelbetrag in Höhe
DIE GRÜNEN) von 3 000 DM umlege, entspricht das einer Verbilligung
von derzeit durchschnittlich 30 Pfennig. Dabei bin ich
noch großzügig. So komme ich auf circa 1,40 DM. Die
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat Franzosen liegen im Vergleich 80 Pfennig billiger, wenn
jetzt der Abgeordnete Norbert Schindler, nach meiner wir die von ihnen errungene Verbilligung der Treibstoff-
Liste der letzte Redner in dieser Debatte. kosten von 16 Pfennig auf 11 Pfennig, und dies rückwir-
kend zum 1. Januar 2000, in die Rechnung einbeziehen.
Norbert Schindler (CDU/CSU): Guten Abend, liebe Was derzeit, in diesen Stunden, in diesen Tagen, in der
Kolleginnen und Kollegen! Frau Präsidentin! Meine Da- Landwirtschaft an Stimmung herrscht, wie sich der Zorn
men und Herren! Heute wird der Haushalt für das Jahr draußen auflädt! Wir reden hier nicht als Opposition. Das
2001 eingebracht. Herr Minister Funke, wenn man die ist keine verantwortungslose Hetze, wie das auch gestern
letzten zwei Jahre – es ist Halbzeit dieser Legislaturperi- hier im Plenum zum Teil gesagt wurde. Sie gehen nicht
ode – und nun diesen Haushalt betrachtet, ist eigentlich fair mit diesen Menschen um.
festzustellen, dass der deutschen Landwirtschaft kein Si- Es ist der Zorn aller Mitbürgerinnen, aller Bürger da-
gnal zur Zukunftssicherung gegeben wird. Die Verände- rüber, hier unnötig Preispolitik betrieben wird und – jetzt
rungen in Höhe von 5 Milliarden DM durch politische Be- kommt der große Hammer – auch der Diesel in Höhe von
schlüsse von der Agenda bis zur Steuerbelastung, die 12 Pfennig mit der Ökosteuer belastet wird.
natürlich Sie zu verantworten haben, sind zum Schaden
der deutschen Landwirtschaft. Dies sind keine guten Zwi- Wir kriegen vielleicht eine Gasölverbilligung hin
schenbilanzergebnisse, eigentlich ist es eine Bankrotter- – wir müssen warten, wie die Regierungsvorlage aus-
klärung. sieht –, mit der der Anstieg durch die Ökosteuer ausgegli-
chen wird. Die alte Gasölverbilligung ist zweckentfrem-
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Zu- det, weggezogen worden. Ich erinnere noch einmal daran:
ruf von der CDU/CSU: So ist es! – Zuruf von Von der alten Regierung wurde uns dies immer wieder er-
(B) der SPD: Nun übertreiben Sie aber!) halten, weil wir unseren Diesel auf den Feldern verbren- (D)
nen.
Sie, die Regierung, stellen dar, die augenblickliche Si-
tuation draußen auf den Straßen schlage in Stimmung um. Was aufgrund der Belastungen durch Ökosteuer und
Wenn man dies staatspolitisch sieht, könnte es eine sehr Heizölkosten derzeit beim deutschen Gartenbau, gerade
gefährliche Entwicklung geben. an der Rheinschiene, im Westen, an der Grenze zu
Holland abläuft, das spricht Bände. Belastungen in Höhe
(Widerspruch bei der SPD) von 80 bis 120 DM pro Hektar landwirtschaftlicher
Sie haben hier heute behauptet, die Stimmung in der Fläche und Jahr führen zu einer Wettbewerbsverzerrung
deutschen Landwirtschaft sei ausgesprochen positiv. und zu keiner guten Stimmung.
Also, Herr Minister, dann fahren Sie nach Rostock, dann Der Haushalt gibt keine Antwort auf die Fragen der
fahren Sie nach Heilbronn, dann fahren Sie nach Agrarstrukturreform. In den nächsten Wochen soll in
München. diesem Haus über die Sozialversicherungsträger dis-
(Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Sind kutiert und beschlossen werden. Herr Minister Funke, wo
bleibt der Ansatz zur Übernahme der „alten Last“, damit
wir aus der Welt?)
man wirklich reformieren kann, wie es in der mittelfristi-
Dort herrschte in den letzten 24 Stunden nicht der organi- gen Finanzplanung zum Jahre 2004 vorgesehen ist? Man
sierte Zorn. Es waren die Bauern, die ihre Verbände kann unmöglich eine Fusion der Träger aus Rheinland-
drängten: Ihr müsst Autobahnen blockieren. Pfalz, Hessen und dem Saarland beschließen, wenn sie
mit Beitragssteigerungen verbunden ist. Das können wir
Wie schwer ist es, diesen Zorn über diese hohen Treib- beim besten Willen nicht akzeptieren. Hier muss haus-
stoffpreise zurückzuhalten! Die betreffen neben den haltspolitisch eine Antwort auf den massiven Struktur-
Landwirten auch die übrige Republik: die Spediteure, die wandel und das infolge Ihrer Politik erfolgte rasante
Mieter, die in einem halben Jahr Gasölrechnungen zu be- Höfesterben gegeben werden, damit nicht Lasten un-
zahlen haben, den normalen Autofahrer. Sie sind durch wahrscheinlichen Ausmaßes auf die noch in der Produk-
leichtfertiges Runterreden des Euro gegenüber dem tion stehenden Betriebe abgewälzt werden müssen. Der-
Dollar betroffen. Es ist noch keine acht bis zehn Tage her, zeit muss ein bäuerlicher Betrieb Mehrkosten für Dieselöl
als der Bundeskanzler etwas locker über die Wertbezie- von 5 000 bis 25 000 DM – Sie hören richtig – und Be-
hung zwischen Euro und Dollar gesprochen hat. Es rufsgenossenschaftsbeiträge von 7 000 bis 18 000 DM fi-
kommt hinzu, dass der innereuropäische Diesel- und Ben- nanzieren, was einen erheblichen Anteil an der „alten
zinpreis enorm angestiegen ist. Last“ enthält, obwohl sich viele Kinder aus bäuerlichen
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. September 2000 11403
Norbert Schindler

(A) Familien, was eine politische Notwendigkeit war, als qua- Wir tragen hier eine hohe politische Verantwortung. Die (C)
lifizierte Arbeitskräfte in die übrige Gesellschaft einge- Bundesregierung muss sich dieser Verantwortung mittel-
bracht haben. Hier mahne ich einen höheren Haushalts- und langfristig stellen. Herr Minister Funke, Herr Staats-
ansatz an, um die Sozialversicherungsreform auf den Weg sekretär Thalheim, liebe Kollegen von der Regierungsko-
bringen zu können. Die Mittel aus der Ökosteuer wurden alition, wir sind gerne bereit, konstruktiv mitzuarbeiten.
in die Rentenversicherung eingebracht, nicht aber in die Aber dieser Haushaltsansatz ist bei weitem nicht genug.
landwirtschaftlichen Alterskassen. Es stehen uns schlimme Zeiten bevor.
Dass jeder Betrieb automatisch mit 1 000 DM Öko- Vielen Dank.
steuer dabei ist, obwohl die Lohnnebenkosten in der
(Beifall bei der CDU/CSU)
Landwirtschaft nicht gesenkt wurden, ist auch ein Ergeb-
nis Ihrer Beschlüsse. Ich weiß nicht, wie die Landwirt-
schaft, aber auch die Spediteure und die übrige Wirtschaft Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Danke schön.
den Strukturwandel durchhalten sollen. Hier ist die Poli-
Weitere Wortmeldungen für die heutige Sitzung liegen
tik wirklich gefragt. Bundeskanzler Schröder hat gestern
nicht vor.
an dieser Stelle verkündet, über Maßnahmen in dem einen
oder anderen Bereich nachdenken zu wollen, und damit Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes-
Hoffnungen geweckt. Er muss schnell eine Antwort auf tages auf morgen, Freitag, den 15. September 2000, 9 Uhr,
die Frage geben, wie wir entlastet werden. ein.
Die Ökosteuer auf der einen Seite und die Entlastung Ich wünsche allen Kolleginnen und Kollegen und den
für uns Bauern auf der anderen Seite sind in diesen Tagen Besuchern auf den Tribünen einen schönen Abend.
ein Generalthema; da hat der Kollege Heinrich absolut
Die Sitzung ist geschlossen.
Recht. Wie halten wir es mit dem Zorn nicht nur bei der
normalen Bevölkerung, sondern auch bei uns Bauern? (Schluss: 19.49 Uhr)
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. September 2000 11405

(A) Anlage zum Stenographischen Bericht (C)

Liste der entschuldigten Abgeordneten

entschuldigt bis entschuldigt bis


Abgeordnete(r) einschließlich Abgeordnete(r) einschließlich

Brudlewsky, Monika CDU/CSU 14.09.2000 Dr.-Ing. Jork, Rainer CDU/CSU 14.09.2000


Carstensen (Nordstrand), CDU/CSU 14.09.2000 Dr. Kolb, Heinrich L. F.D.P. 14.09.2000
Peter H.
Kolbe, Manfred CDU/CSU 14.09.2000
Dr. Eid, Uschi BÜNDNIS 90/ 14.09.2000
DIE GRÜNEN Dr. Kues, Hermann CDU/CSU 14.09.2000
Elser, Marga SPD 14.09.2000 Dr. Lippelt, Helmut BÜNDNIS 90/ 14.09.2000
Fischer (Frankfurt), BÜNDNIS 90/ 14.09.2000 DIE GRÜNEN
Joseph DIE GRÜNEN Lüth, Heidemarie PDS 14.09.2000
Frick, Gisela F.D.P. 14.09.2000
Marquardt, Angela PDS 14.09.2000
Hauer, Nina SPD 14.09.2000
Dr. Protzner, Bernd CDU/CSU 14.09.2000
Heyne, Kristin BÜNDNIS 90/ 14.09.2000
DIE GRÜNEN Schmitz (Baesweiler), CDU/CSU 14.09.2000
Hans Peter
Hoffmann (Chemnitz), SPD 14.09.2000
Jelena Spranger, Carl-Dieter CDU/CSU 14.09.2000
Druck: MuK. Medien-und Kommunikations GmbH, Berlin
Vertrieb: Bundesanzeiger Verlagsgesellschaft mbH, Postfach 13 20, 53003 Bonn, Telefon: 02 28 / 3 82 08 40, Telefax: 02 28 / 3 82 08 44
ISSN 0722-7980

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