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Deutscher Bundestag
Stenografischer Bericht
14. Sitzung
Inhalt:
Glückwünsche zum Geburtstag der Abgeord- Dr. Guido Westerwelle (FDP) . . . . . . . . . . . . 1147 C
neten Franz Müntefering, Dr. Christel
Joachim Poß (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1147 D
Happach-Kasan und Willi Zylajew . . . . . . . 1131 A
Dr. Michael Meister (CDU/CSU) . . . . . . . . . 1148 A
Einzelplan 07 Anlage 2
Bundesministerium der Justiz . . . . . . . . . . . 1204 C Erklärung des Abgeordneten Dr. Peter Tauber
(CDU/CSU) zur namentlichen Abstimmung
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, über den Änderungsantrag der Fraktion BÜND-
Bundesministerin BMJ . . . . . . . . . . . . . . . 1204 C NIS 90/DIE GRÜNEN zur zweiten Beratung
Christine Lambrecht (SPD) . . . . . . . . . . . . . . 1206 A über den Entwurf eines Gesetzes zur Beschleu-
nigung des Wirtschaftswachstums (Wachs-
Dr. Günter Krings (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 1207 C tumsbeschleunigungsgesetz (10. Sitzung, Ta-
Steffen Bockhahn (DIE LINKE) . . . . . . . . . . 1209 C gesordnungspunkt 13 a) . . . . . . . . . . . . . . . . . 1245 A
Ingrid Hönlinger (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1211 A Anlage 3
Florian Toncar (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1212 C Namensverzeichnis der Mitglieder des Deut-
Dr. Peter Danckert (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 1214 A schen Bundestages, die an der Wahl eines
Mitglieds des Parlamentarischen Kontrollgre-
Dr. Martin Lindner (Berlin) (FDP) . . . . . . . . . 1215 C miums gemäß Artikel 45 d des Grundgesetzes
Dr. Peter Danckert (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 1216 A teilgenommen haben (Tagesordnungspunkt 1) 1245 B
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 14. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 19. Januar 2010 1131
(A) (C)
Redetext
14. Sitzung
Peter Altmaier
(A) gen im Gegensatz zu dem, was der Kollege Beck gesagt Bei einer Umfrage von n-tv heute Morgen, ob die Bun- (C)
hat, auf die Geschäftsordnung beziehen. desregierung käuflich sei, haben 82 Prozent mit Ja und
8 Prozent mit Nein geantwortet.
Der letzte Gedanke ist, dass Ihr Antrag auch für die
politische Kultur problematisch ist. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE
(Lachen bei Abgeordneten der SPD und des GRÜNEN)
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Ich weiß nicht, ob die Spenden von 820 000 Euro an
Über die in Rede stehende Maßnahme diskutieren wir in die CSU und von 1,1 Millionen Euro an die FDP durch
Deutschland seit über einem Jahr. Diese Forderung war Baron August von Finck mit dem Parteiengesetz verein-
im Wahlprogramm der FDP, im Wahlprogramm anderer bar sind. Das wird der Präsident des Deutschen Bundes-
Parteien, auch in dem der Linkspartei, wenn ich richtig tages prüfen. Wir warten das Ergebnis dieser Prüfung ab.
nachgelesen habe, enthalten.
Eines können wir aber schon heute feststellen: Das
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Mehrwertsteuergeschenk für Hotelketten ist mit den
der CDU/CSU) Grundsätzen des allgemeinen Wohls im demokratischen
Sie haben im Bundestagswahlkampf diese Forderung be- und sozialen Rechtsstaat in eklatanter Weise unverein-
kämpft. Sie haben leider Gottes in puncto Wählerzustim- bar.
mung nicht recht bekommen; Sie haben die Bundestags- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
wahl verloren. DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der
Zu dieser Forderung hat ein Gesetzgebungsverfahren LINKEN)
stattgefunden. Im Gegensatz zur rot-grünen Koalition, Dieses allgemeine Wohl wird nicht durch die Summe
die seit 1998 ständig Maßnahmen umgesetzt hat, die nie mächtiger Einzelinteressen definiert.
im Wahlprogramm standen, hat diese Koalition bisher
ausschließlich Maßnahmen umgesetzt, die schon vor der (Zuruf von der FDP: Geschäftsordnung!)
Wahl in den Wahlprogrammen der Parteien standen. Da-
bei wird es auch in absehbarer Zeit bleiben. Maßstab für das allgemeine Wohl ist vielmehr das grund-
legende Bedürfnis der Menschen, ihren Lebensunterhalt
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) aus eigener Anstrengung zu verdienen und deshalb an Ar-
beit, Bildung, Gesundheit und sozialer Sicherheit teilzu-
Sie haben in erster, zweiter und dritter Lesung im haben. Das ist der Maßstab und nicht die Interessen von
(B) Deutschen Bundestag gegen diese Maßnahme argumen- Apothekern, von Hotelbesitzern, von Steuerberatern und (D)
tiert. Sie haben verloren. Sie haben im Bundesrat dage- anderen einzelnen Gruppen, die Sie bisher bedient haben.
gen argumentiert. Sie haben erneut verloren. Sie haben
zum dritten Mal verloren. Irgendwann einmal muss man (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
in der Demokratie dann auch zugeben können, dass man DIE GRÜNEN)
verloren hat; sonst wird man so schnell auch nicht wie-
der gewinnen. Wir werden Ihren Antrag heute ablehnen, In einer parlamentarischen Demokratie muss man zu-
damit Sie Zeit haben, darüber nachzudenken, dass Sie in mindest den Versuch unternehmen, für ein Gesetz eine
Zukunft vielleicht das eine oder andere in Ihrer Vorge- allgemeine Plausibilität zu bekommen. Ich sage Ihnen:
hensweise ändern müssen. Das ist Ihnen beim Steuergeschenkgesetz nicht gelun-
gen. 15 von 16 Experten haben den Gesetzentwurf bei
Vielen Dank. der Anhörung abgelehnt.
(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und (Zuruf von der SPD: Ja!)
der FDP)
Der Finanzwissenschaftler Professor Homburg hat es als
ökonomischen Irrsinn bezeichnet, und Norbert Lammert
Präsident Dr. Norbert Lammert: von der CDU hat gesagt, es sei willkürlich, bürokratisch
Kollege Oppermann hat nun das Wort für die SPD- und unsinnig.
Fraktion.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
(Beifall bei der SPD) DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der
LINKEN)
Thomas Oppermann (SPD): Ich frage Sie: Warum haben Sie dieses Gesetz trotz-
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber dem durchgesetzt? Sie haben es durchgesetzt, weil Sie
Kollege Altmaier, wer in der falschen Sache immer wie- die Interessen einer ganz bestimmten Gruppe befriedi-
der gewinnt, kann trotzdem der Verlierer sein. gen wollen. Sie haben das allgemeine Wohl aus den Au-
gen verloren.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
GRÜNEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Da DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der
spricht sich einer Mut zu! So ist es recht!) LINKEN)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 14. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 19. Januar 2010 1135
(A) Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich prophezeie Ihnen: Wenn es Ihnen nicht gelingt, die (C)
Herr Kollege Oppermann, Sie wollten sicherlich auch Rückkehr in die „Bimbesrepublik“ zu verhindern, dann
noch einen Satz zur Geschäftsordnung sagen. ist das der Anfang Ihres politischen Abstiegs.
(Heiterkeit im ganzen Hause – Beifall bei Ab- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
geordneten der CDU/CSU und der FDP) DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der
LINKEN)
Thomas Oppermann (SPD):
Gerne. Ich habe verstanden, Herr Präsident. – Ich Präsident Dr. Norbert Lammert:
finde es unerträglich, dass ein Milliardär mit einer Mil- Für die FDP-Fraktion erhält nun der Kollege van
lionenspende maßgeblich Einfluss darauf nehmen kann, Essen das Wort.
was die Mehrheit hier im Bundestag beschließt.
(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Peter
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Altmaier [CDU/CSU])
DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der
LINKEN – Zuruf von der FDP: Kann er Jörg van Essen (FDP):
nicht!) Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
Ich finde es schlimm, dass Sie damit den Anschein er- haben Begründungen gehört, warum heute sofort über
weckt haben, als ob unser Staat käuflich sei. die Frage des reduzierten Mehrwertsteuersatzes disku-
tiert werden muss. Diese Notwendigkeit besteht nicht,
(Zuruf von der CDU/CSU: Das haben Sie ge-
wie ich Ihnen jetzt ganz schnell darlegen werde.
macht!)
(Zurufe von der SPD: Oh! Oh! – Sehr interes-
Deshalb tragen Sie jetzt die Verantwortung und die Be-
sant! – Lachen bei Abgeordneten des BÜND-
weislast dafür, dass dieser böse Anschein einer gekauf-
NISSES 90/DIE GRÜNEN)
ten Koalition widerlegt wird.
Mit dieser Frage hat sich unter anderem die Partei Die
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE Linke befasst. Auf Seite 30 des Bundestagswahlpro-
GRÜNEN) gramms der Linken, das mir vorliegt,
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der der CDU/CSU – Widerspruch bei der LIN-
LINKEN) KEN – Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP], an die
LINKE gewandt: Aha! So ist das also! Jetzt
Drittens. Frau Bundeskanzlerin, Sie haben den Koali- seid ihr endlich einmal aufgefallen!)
tionsvertrag verhandelt,
Mir liegen die tourismuspolitischen Leitlinien der
(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- SPD aus dem Jahre 1998 vor.
NEN]: Moderiert!)
(Zuruf von der SPD: 1998? Wie aktuell!)
und deshalb tragen Sie Verantwortung dafür, dass für
den hemmungslosen Durchmarsch der Lobbyisten in Darin fordert die SPD den halbierten Mehrwertsteuer-
Deutschland alle Türen aufgemacht worden sind. satz für Gastronomie und Hotellerie.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Heiterkeit und Beifall bei der FDP sowie bei
DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der Abgeordneten der CDU/CSU)
LINKEN) Mir liegt der Antrag des Vorsitzenden der SPD-Frak-
Ich fordere Sie auf: Machen Sie diese Türen wieder zu tion im Bayerischen Landtag, Franz Maget, und der
und kehren Sie zurück zu einer Politik, die am allgemei- Fraktion der SPD vom 18. Januar 2006 vor. Er hat fol-
nen Wohl interessiert ist! genden Inhalt:
Ich sage Ihnen noch etwas, Frau Bundeskanzlerin: Ihr Die Staatsregierung wird aufgefordert, ihren Ein-
persönlicher politischer Aufstieg war verbunden mit fluss dahin gehend geltend zu machen, dass der
dem Ende der „Bimbesrepublik“ Deutschland. Bund für die Hotellerie den reduzierten Mehrwert-
steuersatz in Höhe von 7 % einführt.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zuruf
von der CDU/CSU: Ach herrje!) So viel zur SPD.
1136 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 14. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 19. Januar 2010
(B) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der LINKEN) (D)
der CDU/CSU)
So weit unser Wahlprogramm; ich stelle es Ihnen gerne
Liebe Kolleginnen und Kollegen, in Anbetracht des- zur Verfügung.
sen, was ich gerade vorgetragen habe – die Linken for- Die Entscheidung, die Mehrwertsteuer allein für die
dern den ermäßigten Mehrwertsteuersatz, die SPD for- Hotellerie abzusenken, wirft ein bezeichnendes Licht.
dert den ermäßigten Mehrwertsteuersatz,
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord-
(Dr. Frank-Walter Steinmeier [SPD]: Nein! – neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE
Weitere Zurufe von der SPD: Tun wir nicht! – GRÜNEN)
Stimmt nicht! – Das ist nicht wahr!)
Das ist genau das Problem: dass diese Entscheidung an-
bei den Grünen gibt es welche, die ihn absolut befürwor- gesichts dieser Spenden in einem völlig neuen Licht er-
ten –, muss ich sagen: Die Gründe, die Sie vorgetragen scheint. Auch die weiteren Forderungen der FDP nach
haben, warum dieses Thema heute zu debattieren ist, Steuersenkungen erscheinen jetzt in einem völlig ande-
gibt es offensichtlich gar nicht. ren Licht. Wir werden uns das sehr genau anschauen und
auch die Spendentätigkeit danach sehr genau verfolgen.
(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
Die interessante Frage ist ja, warum Sie diese (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Jörg
Auffassung zur Parteimeinung gemacht haben, van Essen [FDP]: Sie werden genauso eine
Herr van Essen!) Pleite erleben!)
Ich weise alle Vorwürfe, die Sie erhoben haben, mit Die Entscheidung hat Auswirkungen auf den Haus-
Nachdruck zurück. halt. Deswegen ist es richtig, diesen Antrag im Zuge der
Haushaltsberatungen zu beraten.
(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition,
NEN]: Na gut! Und jetzt zum Geld, Herr van ist nicht auch unter Ihnen der eine oder andere – viel-
Essen!) leicht auch unser Bundestagspräsident –, der vor dem
Der Skandal ist nicht, dass eine Parteispende angenom- Hintergrund, dass es diese Spende aus der Hotellerie ge-
men und ordnungsgemäß deklariert worden ist, sondern geben hat, eine andere Entscheidung getroffen hätte?
der Skandal ist das, was Sie hier und heute präsentieren. Würde es, auch angesichts des Protestes, der von außen
kommt, heute tatsächlich noch eine Mehrheit für diese
Vielen Dank. Entscheidung geben? Ich wage das zu bezweifeln.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 14. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 19. Januar 2010 1137
Dr. Dagmar Enkelmann
(A) (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- Ich rufe nun Tagesordnungspunkt 1 auf: (C)
NIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordne-
ten der SPD) Wahl eines Mitglieds des Parlamentarischen
Kontrollgremiums gemäß Artikel 45 d des
Eine Aufhebung dieser Entscheidung hätte genauso Grundgesetzes
Auswirkungen auf den Haushalt. Deswegen ist es not- – Drucksache 17/437 –
wendig, dass wir in dieser Haushaltsdebatte über diesen
Antrag debattieren. Die Fraktion Die Linke schlägt den Abgeordneten
Wolfgang Nešković vor.
Lieber Kollege Altmaier, Sie haben recht: Das Lob-
byunwesen hat in den letzten Jahren unverschämte Aus- Bevor wir zur Abstimmung kommen, bitte ich Sie um
maße angenommen. Ich will daran erinnern, dass Vertre- Aufmerksamkeit für einige Hinweise zum Verfahren:
ter von Lobbyunternehmen zum Beispiel an Gesetzen Die für die Wahl erforderlichen Stimmkarten werden
mitgearbeitet haben, in der letzten Wahlperiode unter an- bzw. sind im Saal verteilt. Sie benötigen außerdem Ihren
derem an dem Entwurf zur Gesundheitsreform. Ich will Wahlausweis aus dem Stimmkartenfach.
daran erinnern, dass es Gefälligkeitsgutachten gibt. Gewählt ist, wer die Stimmen der Mehrheit der Mit-
Auch kennen wir Dankbarkeit in Form von Spenden glieder des Bundestages auf sich vereint, also mindes-
nicht erst seit der Spende an die FDP. Unter anderem ha- tens 312 Stimmen. Gültig sind nur Stimmkarten mit ei-
ben sich große Versicherungskonzerne sehr dankbar er- nem Kreuz bei „Ja“, „Nein“ oder „enthalte mich“.
wiesen für Wohlverhalten angesichts der Einführung der Ungültig sind Stimmkarten, die mehr als ein solches
Riester-Rente, Kreuz, andere Namen oder Zusätze enthalten.
(Beifall bei der LINKEN) Die Wahl ist nicht geheim. Sie können die Stimm-
karte deshalb an Ihren Plätzen ankreuzen. Bevor Sie die
und zwar gegenüber allen Parteien in diesem Bundestag Stimmkarte in eine der Wahlurnen werfen, übergeben
mit Ausnahme der Linken. Sie bitte den Schriftführerinnen und Schriftführern an
Diese Spende an die FDP wirft ein schlechtes Licht den Wahlurnen Ihren Wahlausweis. Die Abgabe des
auf den Parlamentarismus, auf die Demokratie in diesem Wahlausweises gilt als Nachweis der Teilnahme an der
Land. Wahl.
Ich bitte nun die Schriftführerinnen und Schriftführer,
(Jörg van Essen [FDP]: Alles entspricht genau
ihre vorgesehenen Plätze einzunehmen und mir zu signa-
den Regeln des Bundesverfassungsgerichts!)
lisieren, ob das an allen Wahlurnen der Fall ist. – Dies
(B) scheint der Fall zu sein. (D)
Wir müssen grundsätzlich klären, welche Spenden ange-
nommen werden dürfen und wo wir als Politik sagen: Dann eröffne ich hiermit den Wahlgang.
Jetzt ist Schluss! Spenden von großen Unternehmen dür-
fen nicht an Parteien gehen. Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimmkarte noch nicht abgegeben hat? – Das ist offen-
(Beifall bei der LINKEN – Jörg van Essen sichtlich nicht der Fall. Dann schließe ich die Wahl und
[FDP]: Das Bundesverfassungsgericht sagt et- bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der
was anderes!) Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Wahl werde
ich Ihnen später bekannt geben.1)
In den Medien ist jetzt von Käuflichkeit der Regie-
rung die Rede. Sie, sehr geehrte Ministerinnen und Für den nächsten Tagesordnungspunkt darf ich dieje-
Minister, haben vor diesem Parlament einen Amtseid ab- nigen, die daran teilnehmen wollen, bitten, Platz zu neh-
gelegt, dass Sie Schaden vom Volk abwenden, dass Sie men, sodass wir dann mit der nachfolgenden Debatte be-
nur im Interesse des Volkes arbeiten wollen. Diese ginnen können.
Spende wirft auch darauf ein anderes Licht: Sie müssen
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 2 unserer heuti-
Schaden abwenden vom deutschen Volk und nicht von
gen Plenarsitzung auf:
Ihren Parteien. Diese Spende ist unzulässig; sie muss
deswegen zurückgezahlt werden. Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die
Ich danke Ihnen. Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Haushaltsjahr 2010
neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE (Haushaltsgesetz 2010)
GRÜNEN)
– Drucksache 17/200 –
Überweisungsvorschlag:
Präsident Dr. Norbert Lammert: Haushaltsausschuss
Wir kommen nun zur Abstimmung. Wer stimmt für
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind im
den Geschäftsordnungsantrag der Fraktion Bündnis 90/
Rahmen der Haushaltsberatung für die heutige Ausspra-
Die Grünen? – Wer stimmt dagegen? – Wer möchte sich
der Stimme enthalten? – Damit ist der Geschäftsord-
nungsantrag von der Mehrheit des Hauses abgelehnt. 1) Ergebnis siehe Seite 1145 C
1138 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 14. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 19. Januar 2010
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – – Nein, man muss es zur Kenntnis nehmen. Dann weiß
Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- man nämlich auch, welche Spielräume man im Haushalt
NEN]: Unglaublich! – Jürgen Trittin [BÜND- hat.
NIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben gar nichts An zweiter Stelle stehen gleich die Zinsausgaben. Sie
gelernt! Wer hat denn die 100 000 DM von betragen in diesem Bundeshaushalt 38 Milliarden Euro;
Schreiber angenommen, Herr Schäuble?) das entspricht 11,7 Prozent.
Im Übrigen, verehrte Kolleginnen und Kollegen, will Die Personalausgaben belaufen sich im Bundeshaus-
ich zu manchen öffentlichen Debatten eine weitere Be- halt, wenn man alles zusammenrechnet, auf insgesamt
merkung machen. Wir haben nach der Bundestagswahl 28 Milliarden Euro; das entspricht 8,6 Prozent.
die Regierungsbildung in ungewöhnlich kurzer Zeit voll-
zogen, und das Kabinett hat den Entwurf des Bundes- Die Ausgaben für flexibilisierte Verwaltungsaufga-
haushalts 2010 in einer ungewöhnlich kurzen Zeit aufge- ben, wiederum alle zusammengerechnet, summieren
stellt; das haben viele zunächst gar nicht für möglich sich auf 16,1 Milliarden Euro; das entspricht 4,9 Prozent
gehalten. Das war möglich, weil wir uns entschieden ha- des Bundeshaushaltes.
ben – auch das war für eine neue Regierung nicht selbst-
Die Verteidigungsausgaben belaufen sich auf 31,1 Mil-
verständlich –, dass wir die Ansätze des ersten Regie-
liarden Euro; das entspricht 9,6 Prozent des Bundeshaus-
rungsentwurfs, den wir noch in der vergangenen
haltes.
Legislaturperiode, nämlich im Juli 2009, aufgestellt ha-
ben, lediglich um die im Koalitionsvertrag vereinbarten Die Leistungen für Bildung, Wissenschaft, Forschung
Sofortmaßnahmen zum 1. Januar 2010 ergänzen. und kulturelle Angelegenheiten belaufen sich auf (D)
(B)
15,4 Milliarden Euro; das entspricht 4,7 Prozent des
Es ist in diesem Zusammenhang kritisiert worden,
Haushaltes.
dass wir auf die Fortschreibung der mittelfristigen
Finanzplanung verzichtet haben. Die Ausgaben für Entwicklungszusammenarbeit be-
(Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: laufen sich auf 5,8 Milliarden Euro; das entspricht
Ja!) 1,8 Prozent des Bundeshaushaltes.
– Es ist in Ordnung, dass man so etwas kritisiert. Ich Die Investitionen für den Verkehrsbereich belaufen
setze mich mit diesem Argument auseinander. – Es ist sich auf insgesamt 12,6 Milliarden Euro; das entspricht
unstreitig, dass das, was wir tun, durch die geltende Ge- 3,9 Prozent.
setzeslage gedeckt ist. Ich will Ihnen sagen, warum ich Die Ausgaben für Umweltschutz, Klima und Nach-
mich dazu entschieden habe, so zu verfahren: weil es an- haltigkeit belaufen sich auf 1,58 Milliarden Euro; das
dernfalls noch Monate gedauert hätte, bis wir einen entspricht knapp 0,5 Prozent des Bundeshaushaltes.
Haushaltsplan mit einer fortgeschriebenen mittelfristi-
gen Finanzplanung aufgestellt hätten. Wir könnten dann Ich habe hier jetzt nur einmal die großen Ausgaben-
selbst in einigen Monaten noch nicht einmal die erste blöcke bzw. die Eckdaten des Bundeshaushaltes be-
Lesung durchführen. Wir hätten vor Jahresmitte keinen nannt, damit man ein Stück weit weiß, wofür im Bundes-
verabschiedeten Haushalt, und wir müssten bis in die haushalt die wesentlichen Leistungen in der Struktur
zweite Jahreshälfte hinein mit den Regeln zur vorläufi- unserer föderalen Ordnung erbracht werden.
gen Haushaltsführung arbeiten. Das ist in einer so unsi- Noch einmal zurück: Der vorliegende Haushaltsent-
cheren konjunkturellen Lage nicht zu verantworten.
wurf mit seiner krisenbedingten Rekordneuverschuldung
Deshalb haben wir uns für ein anderes Verfahren ent- entspricht wirtschaftspolitischen Notwendigkeiten. Wenn,
schieden. was allgemeiner nationaler wie internationaler Annahme
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) entspricht und was wir alle dringend hoffen, die Krise in
diesem Jahr zu Ende geht, dann werden wir diese Neuver-
Damit man sich nun bei der Einbringung auch einmal schuldung ab 2011 den Regeln der Schuldenbremse des
die grundsätzliche Struktur dieses Haushaltes vor Augen Grundgesetzes entsprechend zurückführen müssen.
führen kann, ist es vielleicht einfach einmal wichtig, jen-
seits der hohen Neuverschuldung und der Gesamtausga- (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
ben und -einnahmen die wesentlichen Ausgabenblöcke NEN]: Jetzt spricht er nur noch in Richtung
des Bundeshaushaltes zur Kenntnis zu nehmen. der FDP!)
1142 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 14. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 19. Januar 2010
Es muss uns zu denken geben, dass das Vertrauen der Präsident Dr. Norbert Lammert:
Menschen in die soziale Marktwirtschaft – Umfragen Bevor ich die Aussprache eröffne, gebe ich Ihnen das
belegen das – gelitten hat. Deswegen ist es wichtig, dass von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte
wir uns in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft wieder Ergebnis der Wahl eines Mitglieds des Parlamentari-
und wieder der Grundlagen unserer Freiheit und unserer schen Kontrollgremiums bekannt: abgegebene Stim-
Ordnung der sozialen Marktwirtschaft vergewissern. men 586, davon gültige Stimmen 581, ungültig 5. Mit Ja
Freiheit, Gerechtigkeit und soziale Verantwortung sind haben gestimmt 320, mit Nein haben gestimmt 226,
die Grundlagen dieser sozialen Marktwirtschaft. 35 Kolleginnen und Kollegen haben sich der Stimme
Auslöser der Krise war übrigens nicht die soziale enthalten.1)
Marktwirtschaft, sondern die Verletzung zentraler (Thomas Oppermann [SPD]: Hat Nešković
marktwirtschaftlicher Prinzipien wie Haftung und Ver- mitgestimmt?)
antwortung.
Damit hat der Kollege Wolfgang Nešković die erforder-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
liche Mehrheit erhalten und ist zum Mitglied des Parla-
Deswegen sind die Probleme bei aller Tragweite nicht mentarischen Kontrollgremiums gewählt.
ein Beleg für eine Krise der sozialen Marktwirtschaft,
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten
sondern sie stehen für eine Krise im System, und wir
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
müssen sie durch eine Bestärkung der Grundlagen unse-
rer Ordnung überwinden. In der Aussprache erhält als Erster der Kollege
Joachim Poß für die SPD-Fraktion das Wort.
Im Grundsatz ist die Überlegenheit der sozialen
Marktwirtschaft in Europa und weit darüber hinaus nicht (Beifall bei Abgeordneten der SPD)
mehr bestritten. Das war in früheren Zeiten anders. Ich
(B) (D)
habe vor kurzem mit großem Interesse und der mir eige- Joachim Poß (SPD):
nen Fähigkeit, mich ein Stück weit ironisch zu freuen, Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr
einen Kommentar des Wirtschaftsnobelpreisträgers Paul Dr. Schäuble, mit Ihrer Rede haben Sie zumindest be-
Krugman in der New York Times gelesen. Krugman ist wiesen, dass Sie sich in den langen Jahren Ihrer parla-
bisher nicht unbedingt als Vertreter der Reaganomics be- mentarischen Tätigkeit eine gewisse Raffinesse ange-
kannt geworden. Er schreibt mit viel Überzeugungskraft wöhnen mussten – ich meine das positiv –; denn Sie
in der New York Times – ich empfehle diesen Kommen- haben in einer für die Koalition so schwierigen Situation
tar zur Lektüre –, die Amerikaner sollten das europäi- wie dieser eine staatspolitische, pathetische Vorlesung
sche Modell der sozialen Marktwirtschaft ein bisschen einer Haushaltsrede vorgezogen.
ernster nehmen. Vieles sei in Europa viel erfolgreicher,
als man in den Vereinigten Staaten von Amerika gele- (Beifall bei der SPD)
gentlich glaube.
Das ist das, was Ihnen nach all der Unbill noch übrig
(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Sagen Sie das blieb. Und dann diese großen Worte: Glaubwürdigkeit
der FDP!) und andere. Das Problem ist aber – Herr Schäuble, Sie
wissen das –, dass die Öffentlichkeit bei dieser Koalition
Damit sind nicht alle Probleme in Europa gelöst.
in den letzten Wochen nur Theater erlebt hat. Das letzte
Aber, verehrte Kolleginnen und Kollegen, wenn das
Treffen im Borchardt war die Krönung. Eine Zeitung hat
schon in Amerika von einem so bedeutenden Vertreter
dazu geschrieben: „Programm statt Prosecco“. Mit die-
der Wirtschaftswissenschaft so gesehen wird, dann soll-
sem Theater konnten Sie die Öffentlichkeit doch nicht
ten wir daraus die Überzeugung ableiten, dass wir im
überzeugen. Das ist das Problem, vor dem Sie stehen.
Rahmen der sozialen Marktwirtschaft
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
(Petra Merkel [Berlin] [SPD]: Nur Mut!)
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
für Nachhaltigkeit, für Wettbewerbsfähigkeit, für Leis-
Ihnen fehlt eine klare Orientierung nach vorne. Wo ist
tungsfähigkeit und für soziale Gerechtigkeit in unserem
denn jenseits der pathetischen Worte die Wachstumsstra-
Land auch für die kommenden Generationen sorgen
tegie für das nächste Jahrzehnt?
können.
(Beifall bei der SPD)
(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Lesen Sie einmal Thomas Friedman!
Der schreibt auch etwas dazu!) 1) Namensverzeichnis der Teilnehmer an der Wahl siehe Anlage 3
1146 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 14. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 19. Januar 2010
Joachim Poß
(A) Wo sind die Überlegungen, wie man Stabilität und gen der Finanz- und Wirtschaftskrise in Kauf genommen (C)
Wachstum zum Wohle unseres Volkes miteinander ver- werden musste – das ist unbestritten, Herr Schäuble –,
bindet? Nichts ist dazu heute von Ihnen gekommen. besteht jedenfalls nicht. Bis zur Landtagswahl in Nord-
Auch in dieser Rede war null und nichts dazu zu regis- rhein-Westfalen wird geeiert und laviert. Trotz aller Än-
trieren. derungen der Wirtschaftsdaten, Herr Schäuble, wissen
auch Sie: Egal wie die Steuerschätzung im Mai dieses
(Beifall bei der SPD)
Jahres ausfällt, ob einige Milliarden höher oder niedri-
Wie gesagt, das, was Sie geboten haben, war Ablen- ger, ändert das doch nichts daran, dass weder im Jahre
kung; denn ein werteorientiertes Verhalten kann man Ih- 2011 noch im Jahre 2012 noch im Jahre 2013 Spiel-
nen so nicht attestieren. räume für Steuersenkungen in Höhe von 20 Milliarden
Euro vorhanden sein werden, wenn man glaubwürdig
Die Politik der Klientelregierung Merkel wird zur Be-
eine Politik betreibt, die auf Investition und Konsolidie-
drohung unserer Zukunft. Darum geht es in diesen Ta-
rung setzt. Das weiß jeder, und die meisten Ökonomen
gen.
sagen Ihnen das jeden Tag.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Jeden Tag wird klarer – das ist belegt; lesen Sie doch die
Warum verfolgen Sie denn einen solch bedrohlichen
Zeitungen –, wie eng die neue Koalition mit Lobbyisten,
Weg? Es ist nicht einzusehen, warum offenkundig nicht
mit bestimmten Wirtschaftsinteressen, mit einzelnen
nur Sie, sondern auch Frau Merkel da mitmachen. Sie
Klientelgruppen verbändelt ist. Das betrifft nicht nur die
haben sich in die Falle einer übereilten und falschen Ko-
FDP, sondern auch die CDU/CSU.
alitionsvereinbarung begeben. Die ach so geschickte
(Dr. Volker Wissing [FDP]: Auch die SPD!) Frau Merkel als unsere Bundeskanzlerin ist in der Tat
zum ersten Mal in der Gefahr, politisch unterzugehen.
Neu ist das übrigens nicht. Die Namen Kohl und
Man kommt aus diesen Festlegungen offenkundig nicht
Strauß, Lambsdorff und Möllemann
mehr heraus. Man will ja auch nicht heraus. Schließlich
(Zurufe von der SPD: Schäuble!) wird von allen Seiten Druck gemacht. Ein großer Me-
dienkonzern steht dabei an der Spitze. Andere Wirt-
stehen für große Spendenskandale und schwarze Kassen schaftsverbände äußern sich jeden Tag dazu. Es wird für
in den 80er- und 90er-Jahren. Der Strauß-Spezi die Öffentlichkeit in diesen Tagen immer deutlicher,
Schreiber – einigen hier persönlich bekannt – wem Sie sich eigentlich verpflichtet fühlen, Frau
(Heiterkeit des Abg. Jürgen Trittin [BÜND- Merkel. Sie fühlen sich nicht in erster Linie den Men-
(B) (D)
NIS 90/DIE GRÜNEN]) schen verpflichtet, die Sie gewählt haben und für deren
Wohlergehen Sie zu sorgen haben, sondern offenkundig
steht gerade in Augsburg vor Gericht. Das heißt, die Ge- nur den Interessen Ihrer Klientel. Einem kann angst und
schichte holt die Klientelkoalition ein. Die Melodie von bange werden, wenn man das beobachtet.
der gekauften Republik ertönt wieder.
(Beifall bei der SPD sowie des Abg.
(Beifall bei der SPD) Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
Da gibt es durchaus geschichtliche Parallelen. 1982 NEN])
– ich erinnere mich, Herr Schäuble, mit Ihnen und ande-
Herr Schäuble, bis zum heutigen Tage in den Medien
ren hier im Deutschen Bundestag an diese Zeit – rief
hochgelobt, enttäuscht im Amt des Bundesfinanzminis-
Helmut Kohl die „geistig-moralische Erneuerung“ aus
ters mehr und mehr. Da, wo Peer Steinbrück für klare
und entging dann im Flick-Parteispendenskandal nach ei-
Kante stand, taktiert Schäuble aus parteipolitischen
ner Falschaussage nur knapp seinem Rücktritt. Das war
Gründen. Sehr wahrscheinlich kommt er wegen des Ge-
damals der Beleg für die „geistig-moralische Wende“, so
zerres, das wir tagtäglich erleben, gar nicht umhin, sich
wie er sie sich vorgestellt hat.
so zu verhalten.
2010 ruft wieder jemand aus einer solchen Koalition
Aber einige Dinge haben Bedeutung für die Zukunft
eine geistig-politische Wende aus. Diesmal ist es Herr
unseres Landes. Herr Schäuble hat am Anfang seine Be-
Westerwelle.
denken zum sogenannten Stufentarif in der Einkom-
Jetzt wissen wir auch, welchen Staat und welche Ge- mensteuer durchaus formuliert. Jetzt hat er nachgege-
sellschaft sich Herr Westerwelle darunter vorstellt: Steu- ben. Mit dem nun von ihm akzeptierten Stufentarif bei
ersenkungen für wenige zulasten von Kindergärten und der Einkommensteuer wird die Abkehr vom Sozial-
Schulen in den Städten, zulasten der Beschäftigung von staatsprinzip, von der Besteuerung nach der wirtschaftli-
Lehrern und Polizisten in den Ländern. Das, Herr chen Leistungsfähigkeit in Deutschland eingeleitet.
Westerwelle, ist jenseits großer Worte faktisch Ihre
(Klaus-Peter Willsch [CDU/CSU]: Quatsch! –
„geistig-politische Wende“.
Dr. Hans-Peter Friedrich [Hof] [CDU/CSU]:
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten So ein Quatsch!)
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Das bedeutet ein weiteres Stück Abkehr vom Sozial-
Klarheit seitens des Bundesfinanzministers über den staat, dessen Sicherheit wir brauchen und den wir auch
Weg aus der hohen öffentlichen Verschuldung, die we- finanzieren müssen.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 14. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 19. Januar 2010 1147
Joachim Poß
(A) (Beifall bei der SPD – Dr. Hans-Peter Friedrich Handelsblatt-Interview eindeutig zu weitreichenden (C)
[Hof] [CDU/CSU]: Keine Ahnung!) Steuersenkungen bekannt. Sie boxen diese völlig ver-
fehlten Steuersenkungen für wenige durch und nehmen
Unser Sozialstaat hat nicht nur einen Preis, er hat auch in Kauf, dass das für die Haushalte vieler Länder und
einen Wert. Diesen Wert müssen Sie langsam erkennen. Kommunen fast den Ruin bedeutet.
Dieser Sozialstaat darf nicht von Ihnen Stück für Stück
zerstört werden vor dem Hintergrund des Wahlergebnis- Wir haben leider nicht die politische Mehrheit, das zu
ses, das Sie in diese Lage versetzt hat. verändern. Solange die Sozialdemokraten in der Regie-
rung waren, war für eine anständige Regierungsleistung
(Beifall bei Abgeordneten der SPD) gesorgt. Jetzt zerfasert alles. Man sollte sich dieses Kabi-
Sie haben auch von Nachhaltigkeit gesprochen, Herr nett einmal im Einzelnen ansehen.
Schäuble. Diese Regierung besitzt keine nachhaltige Wir appellieren daher an Sie: Geben Sie diese aben-
Wachstumsstrategie im Interesse von Investitionen und teuerlichen Steuersenkungspläne auf! Finden Sie im In-
Arbeitsplätzen. Diese Regierung lebt von der Hand in teresse von Deutschland zu einer einigermaßen seriösen
den Mund. Das kann man exemplarisch festmachen. Politik zurück!
Über die Steuerentlastung für Hotels ist in den letz- (Beifall bei der SPD)
ten Tagen schon ausführlich berichtet worden. Im Übri-
gen wurde dies nicht nur von der FDP gefordert; die
CSU war auch an vorderster Front. Im Bayernkurier hat Präsident Dr. Norbert Lammert:
sich Herr Fahrenschon bereits im letzten Jahr dafür ge- Das Wort zu einer Kurzintervention erhält der Kol-
lobt, dass er Herrn Steinbrück bedrängt hat, diesen lege Westerwelle.
Quatsch mitzumachen. „Quatsch“ stand natürlich nicht (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
im Bayernkurier; so nenne ich es. NEN]: Er weiß immer noch nicht, dass er Mi-
Unerträglich war es mit der CSU auch schon zum nister ist! Peinlich!)
Ende der Großen Koalition. Wir haben die Erbschaft-
steuer gerettet zur Finanzierung von Bildung in den Dr. Guido Westerwelle (FDP):
Ländern. Herr Kollege, ich will inhaltlich nicht auf Ihre Rede
eingehen, sondern nur auf einen Punkt, der mich persön-
(Beifall bei Abgeordneten der SPD) lich und menschlich sehr betrübt. Sie haben mich jetzt
Wenn die Sozialdemokraten nicht gewesen wären, Frau mehrfach – aus Ihrer Sicht ist das ein schwerer Vorwurf –
Merkel, dann hätten Sie auch da nachgegeben, und dann mit unserem verstorbenen Ehrenvorsitzenden Graf
(B) wäre das Aufkommen aus der Erbschaftsteuer in Höhe Lambsdorff verglichen. Ich möchte Ihnen, weil er vor (D)
von 4 Milliarden Euro mit steigendem Potenzial de facto wenigen Wochen gestorben ist, in aller Ruhe sagen:
weg gewesen. Wenn Sie meinen, Sie würden mich beschimpfen, indem
Sie mich mit Graf Lambsdorff vergleichen, so möchte ich
(Beifall bei der SPD) Ihnen sagen, dass Sie mir damit gerade ein wunderbares
So ist es doch. Es wurde immer quietschiger. Kompliment gemacht haben.
Wessen Interessen wurden da eigentlich vertreten? (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
Die Betroffenen wohnen nicht alle am Starnberger See, der CDU/CSU – Zurufe von der SPD: Oh!)
manche wohnen auch in der Schweiz, aber sie betreiben
ihre Geschäfte nach wie vor über München. Es können Joachim Poß (SPD):
noch manche Unappetitlichkeiten zum Vorschein kom- Herr Westerwelle, ich wollte damit nicht auf die be-
men. Das ist die Klientelpolitik der CSU, die die Volks- achtliche Lebensleistung des Grafen Lambsdorff zu
partei in den letzten Jahren nur geschauspielert hat. Jetzt sprechen kommen. Ich war im Flick-Untersuchungsaus-
wird sichtbar, was hinter der CSU steckt, und deswegen schuss, ich habe die Vernehmungen von Lambsdorff und
ist sie in einer Krise. Das sage ich gar nicht hämisch; Kohl miterlebt und sie dort teilweise mitbefragt. Ich
denn wir Sozialdemokraten stehen auch nicht so gut da. habe darauf hingewiesen, dass Sie ein Nachfolger des
Es gibt auch in unserer Partei Diskussionen. Da bin ich späteren Parteivorsitzenden Lambsdorff sind und dass
ganz ehrlich. Das abzustreiten, hätte keinen Zweck. Ihre Partei über eine gewisse Erfahrung in der Klientel-
Aber Sie sind – vor allem zu Stoibers Zeiten – gesprun- politik verfügt. Auch Graf Lambsdorff – bei all seinen
gen, wenn in München bei der Allianz oder bei Siemens sonstigen Verdiensten – war da durchaus erfahren; denn
gepfiffen wurde. Das haben wir doch bei jeder Verhand- grundlos ist er damals nicht als Wirtschaftsminister der
lung in der Großen Koalition gemerkt. Regierung Kohl zurückgetreten. Freiwillig ist das nicht
geschehen.
(Beifall bei der SPD)
Es beschädigt in meinen Augen auch nicht das Anden-
Bemerkenswert ist, wie die Wirtschaftsverbände auf
ken an Herrn Lambsdorff, wenn man einwandfrei zutref-
die Nachfolger von Kohl, Strauß und Lambsdorff in den
fende Tatbestände mit den jetzigen Vorgängen in den his-
letzten Tagen Druck gemacht haben. Jetzt werden
torisch richtigen Zusammenhang stellt. Darum ging es.
Merkel, Seehofer und Westerwelle bedrängt und müssen
den Druck aushalten, der schon früher üblich war. Unter (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
diesem Druck haben Sie sich, Frau Merkel, dann im des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
1148 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 14. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 19. Januar 2010
(A) Präsident Dr. Norbert Lammert: das, was Sie gerade gesagt haben, großer (C)
Michael Meister ist der nächste Redner für die CDU/ Quatsch!)
CSU-Fraktion. Diese Sofortmaßnahmen bedeuten eine wesentliche
(Beifall bei der CDU/CSU) Entlastung der Familien in diesem Land.
(Zuruf von der SPD: Sie wollen die Familien
Dr. Michael Meister (CDU/CSU): entlasten? Welche Familien wollen Sie mit
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und diesen Maßnahmen denn entlasten?)
Herren! Ich möchte zunächst einmal im Namen der Sie führen dazu, dass Unternehmen in einer sehr schwie-
Unionsfraktion Danke sagen, dass wir hier und heute rigen Lage – im Jahre 2009 gab es mehr als 30 000 Un-
diese Plenardebatte zur Einbringung des Bundeshaus- ternehmensinsolvenzen –
halts führen können. Es ist richtig, dass die Bundesregie-
rung den Etatentwurf zügig vorgelegt hat; denn auch im (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
Jahre 2010 sind wir nach wie vor mit den Folgen der Ja, ja! Und am Ende ist alles teurer!)
Wirtschafts- und Finanzkrise konfrontiert. Wir müssen nicht noch weiter durch Steuergesetze in die Insolvenz-
Klarheit schaffen und dafür sorgen, dass die Investitio- gefahr oder in Sanierungsschwierigkeiten getrieben wer-
nen, die wir tätigen wollen, eine gesetzliche Grundlage den, und sie ermöglichen gerade mittelständischen Un-
haben und getätigt werden können. Es ist ein wichtiges ternehmen die Generationennachfolge. Deshalb ist diese
Signal, dass wir heute beginnen, diese Grundlage zu Politik richtig.
schaffen. Ich sage der Bundesregierung für die zügige
Vorlage des Etatentwurfes nochmals Danke. (Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Das wird auch durch Wiederholen nicht
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- wahr!)
neten der FDP)
Es ist gut, dass Sie diese Maßnahmen in der aktuellen
Wir haben seitens der neuen Bundesregierung in Per- Krise nicht länger verhindern konnten.
son des Bundesfinanzministers einen neuen Stil erlebt.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
Er hat diese Vorlage zuerst dem Haushaltsausschuss des
neten der FDP)
Deutschen Bundestages vorgestellt und ist dann an die
Öffentlichkeit gegangen. Ich glaube, dass wir alle diesen Natürlich können wir uns in dieser Debatte auch auf
Stil der Bundesregierung, des Bundesfinanzministers ein anderes Niveau begeben. Sie, Herr Poß, fordern hier
sehr positiv bewerten. Das ist eine neue Form des Um- Klarheit ein, vergessen aber, in Ihrer direkten Nachbar-
(B) gangs zwischen Regierung und Parlament. Auch dafür schaft, nämlich im Rahmen der Kommunalwahl in Dort- (D)
möchte ich Danke sagen. mund, darauf hinzuweisen, was haushalterisch bevor-
steht.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
neten der FDP) (Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Aha! Ein sehr
interessantes Vorgehen!)
Ich rate uns, liebe Kolleginnen und Kollegen, diesen Stil
auch im Deutschen Bundestag und in seinen Ausschüs- Ich finde, wir sollten in dieser Debatte einen anderen Stil
sen an den Tag zu legen. pflegen, weil dieses Niveau dem Ernst der Lage in unse-
rem Lande nicht gerecht wird. Wir sollten vielmehr
Ich muss sagen, Herr Kollege Poß: Der Haushaltsent- ernsthaft über die Frage diskutieren, wie Haushaltsan-
wurf, der uns jetzt vorliegt, entspricht mit Ausnahme der sätze auszusehen haben.
Sofortmaßnahmen aus dem Koalitionsvertrag eins zu
eins der Vorlage von Herrn Steinbrück vom Sommer Wir waren in dieser Krise der letzte Vertrauensanker.
vergangenen Jahres. Ich hätte von Ihnen erwartet, dass Wir waren die Letzten, die versucht haben, wieder Ver-
Sie ein Wort dazu sagen, dass Sie hinter dieser Vorlage trauen in die Finanzmärkte zu schaffen. Was Sie hier
stehen. Sie aber versuchen, sich von Ihrer eigenen Poli- heute Morgen abgeliefert haben, war allerdings ein we-
tik still und heimlich durch Polemik zu entfernen. sentlicher Beitrag dazu, das letzte noch vorhandene Ver-
trauen zu zerstören.
(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: So ein
(Joachim Poß [SPD]: Das ist doch scheinhei-
Quatsch!)
lig! Ihre Politik zerstört das Vertrauen!)
Das werden wir Ihnen nicht durchgehen lassen. Sie ha- Ich frage Sie: Wer soll denn Vertrauen schaffen, wenn
ben wesentliche Mitverantwortung für diesen Haushalt. nicht, wie es gegenwärtig geschieht, die Staaten und die
(Petra Merkel [Berlin] [SPD]: Das ist nicht Politik? Sie leisten der Krisenbewältigung einen Bären-
eins zu eins! Das stimmt so nicht! Was ist denn dienst. Kommen Sie wieder zu Bewusstsein, tragen Sie
mit dem Wachstumsbeschleunigungsgesetz?) Mitverantwortung, und machen Sie auch einmal Vor-
schläge, wie mit dieser Krise umgegangen werden soll!
– Natürlich haben Sie wesentliche Mitverantwortung für
diesen Haushalt, bis auf die Sofortmaßnahmen. (Joachim Poß [SPD]: Das sagt ja genau der
Richtige! Sie wollen wohl, dass wir Ihnen die
(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Aha! Also mit Arbeit abnehmen! – Nicolette Kressl [SPD]:
Ausnahme der Sofortmaßnahmen! Dann war Sie verwechseln Ursache und Wirkung! – Wei-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 14. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 19. Januar 2010 1149
Dr. Michael Meister
(A) tere Zurufe von der SPD: Wieso immer wir? nahmen mit beschlossen haben. Dann sollten sie auch (C)
Sie müssen auch mal nachdenken! – Wer re- dazu stehen und das Ganze nicht schlechtreden.
giert denn?)
(Beifall bei der CDU/CSU)
In Ihrer gesamten Rede haben Sie keinen eigenen Vor-
schlag vorgetragen. Das ist kein Beitrag zur Bewälti- Wir konzentrieren uns in diesem Bundeshaushalt
gung der Krise. auch auf die Frage: Wie steht unser Land nach der Krise
da? Deshalb möchte ich ausdrücklich sagen: Die
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Schwerpunkte in den Bereichen Forschung, Bildung,
Als Zwischenbilanz muss ich sagen, dass ich mit Entwicklung sind richtig – ebenso die Zukunftsinvesti-
dem, was wir in den vergangenen zweieinhalb Jahren er- tionen, die wir im Rahmen der Konjunkturprogramme
reicht haben, recht zufrieden bin. Was den Arbeits- tätigen –, weil wir damit die Chance für neues Wachs-
markt betrifft, so hätte sich damals niemand träumen tum in der Zukunft verbessern.
lassen, dass die Arbeitslosenzahl zum jetzigen Zeitpunkt (Beifall bei Abgeordneten der FDP)
so niedrig ist. Die meisten haben uns vor einem Jahr eine
Zahl in der Größenordnung von 5 Millionen vorherge- Alles sind Maßnahmen, die der Sache dienen, bessere
sagt. Wir stehen jetzt deutlich besser da. Wachstumsgrundlagen zu schaffen. Diese Ausgaben
werden uns in der Zukunft eine positive Rendite bringen.
(Zuruf von der SPD: Das ist die Leistung von Deshalb sind diese Ausgaben vernünftig.
Olaf Scholz!)
Bei den Diskussionen über den Haushalt 2010 ist zu
Das zeigt, dass sich die Tarifpartner verantwortlich ver-
Recht darauf hinzuweisen – der Bundesfinanzminister
halten. Aber auch wir haben unseren Beitrag geleistet
hat das getan –, dass die Neuverschuldung, die wir ein-
dadurch, dass wir Arbeit nicht teurer gemacht haben,
gehen, exorbitant ist. Wir müssen aber sehen, wo die Ur-
und durch unser Angebot des Kurzarbeitergeldes. Das
sachen liegen: 43 Milliarden Euro hängen schlicht und
findet sich in diesem Haushalt wieder. Das war Politik
ergreifend mit Einnahmeausfällen zusammen, die uns,
für die Menschen in Deutschland.
den Bund, aber auch die Länder und die Kommunen
(Beifall bei der CDU/CSU) treffen. Natürlich kann man diese Neuverschuldung kri-
tisieren. Ich will aber ausdrücklich sagen: Ich halte es für
Wir wissen alle nicht, wie es mit dem Wachstum richtig, dass wir die automatischen Stabilisatoren haben
weitergeht; die Schätzungen gehen an dieser Stelle weit wirken lassen und nicht versucht haben, durch Steuer-
auseinander. Ich glaube, wenn wir das Ziel der Haus- erhöhungen oder durch Ausgabenkürzungen in der Krise
haltskonsolidierung ernst nehmen, sollten wir alles da- entgegenzusteuern. Unsere Politik ist für die gegenwär-
(B) für tun, Politik für mehr Wachstum in diesem Land zu (D)
tige Situation die richtige Politik. Dann müssen wir das
machen. Es gibt einige Themen, bei denen Sie gesperrt aber auch im Haushalt hinnehmen.
haben: eine Energiepolitik, die es ermöglicht, langfristig
zu planen, sodass Investoren investieren können; Dasselbe gilt für die Sozialkassen. Natürlich kann
(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- man die Klage führen, in welcher Höhe wir an die Bun-
NEN]: Wo denn?) desagentur für Arbeit Transfers für den Gesundheits-
fonds leisten müssen, nämlich weit über 20 Milliarden
Bürokratieabbau, nicht nur formal, sondern auch inhalt- Euro. Aber auch an dieser Stelle haben wir eine Rendite,
lich; steuerliche Erleichterungen, um die Leistungsträger nämlich weil wir Arbeit nicht verteuern. Deshalb ist
zu mehr Leistung zu motivieren. auch hier absolut konsequent, die automatischen Stabili-
satoren wirken zu lassen.
(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Wie bei den
Hotels?) (Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
Hier müssen Maßnahmen ergriffen werden, damit wir NEN]: Warum diskutiert ihr dann über eine Er-
zusätzliches Wachstum in diesem Land aktivieren und höhung des BA-Beitrags?)
über zusätzliches Wachstum einen Beitrag zur Haus- Ich will noch etwas über die Zukunft sagen. Es gibt in
haltskonsolidierung leisten. der Bevölkerung massive Sorgen im Hinblick auf die
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Geldwertstabilität. Deshalb wird es wichtig sein, dass
wir jenseits aller Detaildebatten das klare Signal setzen:
Ich sage ausdrücklich: Ich halte es für richtig, dass Der Deutsche Bundestag steht für Geldwertstabilität.
wir die Menschen zu Beginn dieses Jahres in einem Um-
fang von über 20 Milliarden Euro entlastet haben. Wir (Beifall bei Abgeordneten der FDP)
sollten weniger darüber diskutieren, was wir in der Zu- Das heißt, wir müssen uns eins zu eins zu den
kunft tun wollen, und lieber darauf aufmerksam machen, Maastricht-Kriterien und zur Unabhängigkeit der Euro-
was zum 1. Januar dieses Jahres in Kraft getreten ist. päischen Zentralbank bekennen. Wir müssen die Konsoli-
(Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- dierungsverpflichtungen aus dem Vertrag von Maastricht
NEN]: Sie müssen auch sagen, wer das be- aufnehmen und ernst nehmen. Das ist keine Schwächung
zahlt!) des Staates, sondern eine Stärkung der Zukunft der Men-
schen in diesem Land.
Ich glaube, dass die Kollegen von der SPD an dieser
Stelle bedenken sollten, dass sie drei Viertel der Maß- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
1150 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 14. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 19. Januar 2010
Otto Fricke
(A) in die Haushalte einzuarbeiten, dass das zusätzliche gen schützt, von denen Sie selbstverständlich in An- (C)
Netto vom Brutto, was wir dem Bürger für die nächsten spruch nehmen, dass sie später Ihr Handeln bezahlen.
vier Jahre im Koalitionsvertrag versprochen haben, auch
umgesetzt werden kann. Sie haben die Koalitionsfraktio- Wir tragen heute die Verantwortung, trotz der großen
nen dabei an Ihrer Seite, und zwar nicht nur bei Schön- Krise den Schuldenberg in den Griff zu bekommen. Na-
wetterpolitik oder der Verteilung von drei zusätzlichen türlich entspricht es nicht dem politischen Tagesge-
Mehrwertsteuerprozentpunkten, sondern dann, wenn es schäft, wenn sich die Wirtschaft so entwickelt, wie sie es
windet, stürmt und schneit und wir dieses Land für die in den letzten Monaten getan hat. Deshalb muss gerade
Zukunft fit machen. in dieser Krise doch deutlich werden, dass man bereit ist,
die Verantwortung zu übernehmen und zu fragen, wie
Warum wollen wir eigentlich einen fitten Staat? man aus der Krise heraus- und von dem Schuldenberg
Selbst wenn man, wie Sie, Herr Trittin, nicht mehr an wieder herunterkommt. Die Verantwortung besteht auch
Wachstum glaubt, dann glaubt man doch immer noch da- darin, zu sehen, dass das nicht die einzige Krise ist, son-
ran, dass man diesen Staat umbauen muss. Wir werden dern dass die Bedrohung durch den Klimawandel eine
es nicht schaffen, diesen Staat umzubauen, indem wir Belastung von noch größerer Dimension für die Kinder,
immer wieder neue Subventionen gewähren. Enkel und Urenkel darstellt.
(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Ja, man darf der Krise nicht hinterhersparen. Aber
NEN]: Richtig! Zum Beispiel für die Hotelle- man muss gerade in der Krise mit den Ausgaben und den
rie! Super Argument!) Mitteln, die knapp sind, seriös umgehen. Das tun Sie
Sie von Rot-Grün – von den Linken rede ich gar nicht eben nicht. Sie haben von automatischen Stabilisatoren
mehr – greifen dem Bürger in die Tasche, ziehen ihm ei- gesprochen, die Sie ausfahren, weil das Wachstum ein-
nen Zehneuroschein heraus, holen einen Fünfeuroschein, bricht. Sie sparen also Steuermindereinnahmen und
stecken ihm einen Fünfeuroschein in die andere Tasche Mehrausgaben für den Arbeitsmarkt nicht hinterher. Das
und sagen: Freu Dich, denn wir haben Dir etwas gege- ist richtig. Nur, wenn das Wachstum wieder da ist, müs-
ben. – Wir wollen das nicht, wir wollen mehr Netto für sen Sie die Stabilisatoren wieder einfahren. Das tun Sie
den Bürger, wir wollen endlich eine Wende in der Aus- nicht. Gegenüber Herrn Steinbrücks Entwurf, der mit
gabenpolitik und wir wollen aufhören, dem Bürger vor- 0,7 Prozent Wachstum weniger kalkuliert hat als Sie, ha-
zumachen, der Staat könne alles. Der Bürger ist es, der ben Sie eine Verschuldungslücke von 10 Milliarden
alles – wirklich alles – kann – wenn man ihn denn lässt. Euro, die ganz allein auf Ihr Konto geht und die nichts,
aber auch gar nichts mit den Krisen zu tun hat, von denen
Herzlichen Dank. Sie hier gesprochen haben, und das wissen auch Sie.
(B) (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) (D)
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
und bei der SPD)
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Alexander Bonde ist der nächste Redner für das Damit sind wir an dem Punkt, was man verantwort-
Bündnis 90/Die Grünen. lich in diesem Haushalt machen kann. Warum gehen Sie
nicht an einen Bereich, wo Sie eine doppelte Rendite er-
Alexander Bonde (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): zielen können? Warum leisten wir uns den Irrsinn in die-
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! sem Bundeshaushalt, den Sie hier verabschieden, mas-
Der Koalition gelingt mit dem Haushalt 2010 eine Re- sive klimaschädliche Subventionen zu zahlen? Ich will
kordverschuldung von historischer Dimension. Die Neu- es einmal zusammenfassen: Das Umweltbundesamt kal-
verschuldung im Haushalt beträgt 86 Milliarden Euro, kuliert mit 42 Milliarden Euro umweltschädlichen Sub-
hinzu kommen Schattenhaushalte, die, nach dem, was ventionen im Bundeshaushalt. Warum tun Sie das in ei-
der Finanzminister zugibt, ein Volumen von 14 Milliar- ner Situation, in der Klimawandel eine harte Realität ist
den Euro haben. Wenn man alles zusammenrechnet, was und in der wir hart kämpfen müssen, alles Mögliche zu
im Hause Schäuble unter den Teppich gekehrt wird, dann tun, um den Klimawandel zu stoppen, und wir gleichzei-
ist man schon bei 130 Milliarden Euro, weil 30 Milliar- tig eine Rekordverschuldung haben? Warum legen Sie
den Euro reale Verschuldung für die Bankenrettung in einen Haushalt vor, der nach der Logik funktioniert: Mit
Ihrer Rechnung nie eine Rolle spielen. Die Verschuldung 42 Milliarden Euro Steuergeld, die ich nicht habe, för-
des Bundes reißt unter Ihrer Ägide, Frau Merkel, die dere ich umweltschädliches Handeln, um mit weiterem
1-Billion-Euro-Marke. Eigentlich liegt es in Ihrer Verant- Steuergeld, das ich auch nicht habe, wenigstens einige
wortung, ehrlich darüber zu reden, was dieser Haushalt der Auswirkungen wieder auszugleichen? Das ist die
für unsere Kinder, unsere Enkel und unsere Urenkel ökologische und ökonomische Logik Ihres Haushaltes,
heißt, die diese Veranstaltung bezahlen. Herr Schäuble. Das macht keinen Sinn.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
sowie bei Abgeordneten der SPD)
Wenn Sie hier von Verantwortung und Generationen-
gerechtigkeit sprechen, dann müssen Sie auch darüber Das Problem ist, dass Ihre Zukunftsbetrachtung mit
sprechen, ob dieser Haushalt der großen Verantwortung der NRW-Wahl endet. Warum machen Sie eigentlich
gerecht wird und ob Sie als Bundesregierung alles dafür Steuergeschenke in Höhe von 20 Milliarden Euro, die
tun, damit dieser Haushalt auch die Interessen derjeni- Sie laut Koalitionsvertrag und auf Beharren Ihres Koali-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 14. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 19. Januar 2010 1155
Alexander Bonde
(A) tionspartners mit Geld bezahlen wollen, das Sie auf die Sie müssen die Frage beantworten, ob Sie auf die Bil- (C)
Rekordverschuldung draufpacken? dungschancen unserer Kinder oder weiter auf den ermä-
ßigten Mehrwertsteuersatz für Rennpferde, auf den
Ich will noch einmal die Relation verständlich ma- Kampf gegen den Klimawandel oder weiter auf Steuer-
chen: 325 Milliarden Euro Ausgaben, davon 100 Mil- privilegien für Billigflieger setzen. All das sind Fragen
liarden Euro auf Pump. Jeder Mensch weiß, dass ein sol- der Generationengerechtigkeit.
cher Schuldenberg nicht abbaubar ist, wenn man auch
noch die Einnahmeseite kaputtmacht. (Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Das ist sehr
unsachlich!)
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
sowie bei Abgeordneten der SPD) Sie als Koalition stehen jedenfalls immer auf der fal-
schen Seite.
Herr Schäuble, wenn Sie ehrlich sind, dann müssen Sie
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
zugeben, dass ich recht habe.
sowie bei Abgeordneten der SPD)
Ich verlange von Ihnen in solch einer Situation eine Es gibt übrigens einen Grund dafür, dass Sie dieses
ehrliche Aussage, etwa: Ja, wir als Politiker werden sa- Jahr eine Rekordverschuldung wollen; das geben Sie
gen müssen, dass in dieser Krise starke Schultern mehr alle nicht zu. Es ist spannend, zu lesen, was alles geschrie-
tragen müssen, dass wir keine Luft für Steuersenkungen ben wird. Gestern hat Dr. Hermann Otto Solms, Vorsit-
haben und dass es vielmehr darum gehen wird, wie die zender des Arbeitskreises Wirtschaft und Finanzen der
Lasten gemeinsam solidarisch getragen werden: Auf die- FDP-Bundestagsfraktion, an seinen Fraktionsvorstand ge-
jenigen, die es in dieser Gesellschaft gut haben, kommt schrieben – das ist erhellend; es steht auf Seite 4 –:
eine besondere Verantwortung zu, deshalb müssen wir
über die Höhe des Spitzensteuersatzes reden, und des- In der Struktur kann die Konsolidierung aber erst
halb müssen wir über eine befristete Vermögensabgabe mit dem Haushalt 2011 beginnen.
reden. – Alles andere ist unehrlich und geht an das Fun- Dafür spricht zum einen die Mechanik der neuen
dament dieser Gesellschaft. Schuldenbremse.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Er erklärt sie dann kurz und schreibt weiter:
sowie bei Abgeordneten der SPD) Die strukturelle Kreditaufnahme des Jahres 2010 ist
Lassen Sie uns einmal über ein paar andere Irrsinnig- also die Ausgangsbasis für den Konsolidierungs-
keiten reden, die hier ebenfalls verteidigt werden. pfad bis 2016.
(B) Schauen wir uns einmal den Bereich der Subventionen Auf Deutsch gesagt: Bitte, dieses Jahr eine möglichst (D)
an, die Sie sich hier weiter munter leisten. Ich bin übri- hohe, eine Rekordverschuldung, dann wird es später
gens wirklich überzeugt, dass Sie in der Frage der Gene- nämlich einfacher, zu sparen, und wir können die
rationengerechtigkeit nicht ehrlich argumentieren. Sonst Scheißschulden
würden Sie sich nämlich fragen: Wovon haben unsere
Kinder mehr? Ich bin davon überzeugt, dass unsere Kin- (Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Der Aus-
der mehr davon haben, dass die Gemeinde das Schul- druck ist unparlamentarisch!)
haus sanieren kann, als davon, dass das Überraschungsei an die nächste Regierung abschieben. Und wir haben
weiter einem ermäßigten Mehrwertsteuersatz unterliegt. nichts mehr damit zu tun. Sie verschleiern hier mit Ihrer
ganzen Konsolidierungsstrategie bewusst, was für eine
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Operation hier läuft.
sowie bei Abgeordneten der SPD)
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Ich bin überzeugt davon, dass unsere Kinder mehr davon sowie bei Abgeordneten der SPD – Volker
haben, dass sich die Länder ordentliche Lehrerinnen und Kauder [CDU/CSU]: Die nächste Regierung
Lehrer leisten können, als davon, dass Baron von Finck stellen auch wir! Das ist also Unsinn!)
die nächste Steuererleichterung bekommt.
Sie von der FDP haben im Wahlkampf eine Schul-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN denreduzierung versprochen. Wir wissen jetzt alle, dass
sowie bei Abgeordneten der SPD) damit nur Ihre Parteikasse gemeint sein kann.
Die „Steuerdrohung“ in Ihrem Haushaltsentwurf ist (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
ein massiver Angriff auf die Kommunalfinanzen. Ich sowie bei Abgeordneten der SPD)
weiß nicht, auf welchen Neujahrsempfängen Sie unter-
wegs waren. Unabhängig vom Parteibuch klagen doch Der Begriff „Hotellobby“ hat eine ganz neue Bedeutung
jede Bürgermeisterin und jeder Bürgermeister über die bekommen, wie man feststellt, wenn man sich auf der
massiven Auswirkungen, die Ihre Politik hat. Mit Ver- rechten Seite des Parlaments umschaut.
laub, als Landsmann, Herr Kollege Schäuble: Bei den (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS-
Neujahrsempfängen in Ihrem Wahlkreis habe ich die SES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)
lautesten Klagen gehört, und das hat doch einen Grund.
Fragen Sie einmal, was eigentlich die Wirtschaft zu Ih-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ren Geschenken sagt. Fragen Sie einmal, was all die Un-
sowie bei Abgeordneten der SPD) ternehmen machen, für die es deutlich teurer wird. Sie
1156 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 14. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 19. Januar 2010
Alexander Bonde
(A) haben dieses Geschenk entgegen aller ökonomischen Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: (C)
Vernunft durchgesetzt. Sie haben sich auf die Seite Ihrer Der Kollege Norbert Barthle hat jetzt das Wort für die
Steuerspezies und Spendenspezies gestellt und eben CDU/CSU-Fraktion.
nicht auf die Seite derjenigen, die in diesem Land mit
harter Arbeit Wohlstand generieren wollen. (Beifall bei der CDU/CSU)
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS-
SES 90/DIE GRÜNEN und der SPD) Norbert Barthle (CDU/CSU):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten
Sie verstehen vielleicht etwas von Vetternwirtschaft, Damen und Herren! Zu den Reden der Oppositionsver-
aber nicht von Wirtschaft. Das haben Sie mit dieser treter, die ich hier gehört habe, kann ich nur sagen: Ganz
Maßnahme bewiesen. offenbar wollen Sie alles tun, um nicht über den Haus-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN halt 2010 zu reden, und versuchen lieber, sich in Debat-
sowie bei Abgeordneten der SPD) ten vergangener Jahrzehnte zu retten. Da wird ein Spen-
denskandal herbeigesehnt und herbeigeredet, der nicht
Ob BDI, DIHK oder der Zentralverband des Deut- vorhanden ist. Lieber Herr Poß, wenn Sie meinen, ent-
schen Handwerks – alle fordern von Ihnen: Schaffen Sie lang der Argumentationslinien der vergangenen Jahr-
diesen Unfug so schnell wie möglich ab! Wir haben zehnte die Zukunft unseres Landes gestalten zu können,
heute Morgen versucht, Ihnen die Möglichkeit hierzu zu
geben. Dem entsprechenden Geschäftsordnungsantrag (Joachim Poß [SPD]: Ich habe nur auf Zusam-
haben Sie mit Ihrer Mehrheit die Zustimmung verwei- menhänge hingewiesen!)
gert. Wir werden Sie da treiben. Sie wissen, dass in Ihren
dann ist das Ihre Entscheidung.
Reihen genügend Personen wissen, was für einen Unfug
Sie da angestellt haben. Sie wissen auch, welches Licht (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
dieser Vorgang auf die Bundesrepublik wirft. NEN]: Wer hat sich denn da in die Tradition
Die Frau Kanzlerin ist nicht mehr da, aber sie weiß, von Kohl gestellt? Sie doch wohl!)
welchen Begriff eine schwäbische Hausfrau wählt, wenn Ich bin aber überzeugt: Schon die Wählerinnen und
man sie bittet, den Vorgang – Steuern für jemanden sen- Wähler bei der NRW-Wahl werden Ihnen die Quittung
ken und dann von diesem Millionenspenden annehmen – dafür erteilen. Dieser sehe ich ganz gelassen entgegen.
zu beschreiben. Mit Verlaub, die Wahrnehmung der
schwäbischen Hausfrau unterscheidet sich da nicht sehr In den Reden, vor allem in der vom Bundesfinanz-
von der einer afghanischen Hausfrau, um einmal einen minister, war viel über die aktuelle Krisensituation, die
(B) Vergleich zu wählen, der auch in den Sphären, in denen es zu bewältigen gilt, zu hören. In dieser Krisensituation (D)
Herr Westerwelle schwebt, verstanden wird. ist tatsächlich rasches Handeln notwendig. Deshalb be-
danke auch ich mich beim Bundesfinanzminister dafür,
Ich frage mich schon, wie der Außenminister, wenn er dass er den Entwurf für den Bundeshaushalt 2010 so
daheim als Parteivorsitzender solche Spenden annimmt, schnell eingebracht hat. Das zeugt zum einen von der
mit so einer Geschichte im Gepäck auf der Welt für großen Kontinuität des Unionshandelns und zum ande-
Good Governance werben will. ren von der großen Verantwortung, die der FDP-Partner
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in dieser Koalition wahrnimmt. Das möchte ich einmal
sowie bei Abgeordneten der SPD – Wider- ganz deutlich sagen; denn die Bereitschaft, in weiten
spruch des Abg. Norbert Barthle [CDU/CSU]) Teilen den von der Vorgängerregierung aufgestellten
Bundeshaushalt zu übernehmen, ist Ausweis eines gro-
Ich frage mich, wie ein Entwicklungsminister weltweit ßen Verantwortungsbewusstseins.
Regierungen zu guter Regierungsführung ermahnen
will, wenn er zu Hause als Generalsekretär solche Spen- Die Kritik der Opposition, wenn sie denn überhaupt
den angenommen hat. ernst zu nehmen ist, macht sich ja an dem allerersten Ge-
setz fest, das wir beschlossen haben, nämlich dem
Ich finde das dröhnende Schweigen der Kanzlerin Wachstumsbeschleunigungsgesetz. Herr Poß, mit die-
und das dröhnende Verteidigen dieses Vorgangs durch sem Gesetz einher gehen für den Bund im Jahr 2010
die CDU-Fußtruppen schon bedenklich. Sie wissen, es Steuerausfälle bzw. Mehrausgaben mit einem Volumen
ist nicht sauber, was hier passiert ist. Sie wissen, dieses von knapp 4 Milliarden Euro. Gäbe es dieses Gesetz
Gesetz ist bar jeglicher ökonomischer Sinnhaftigkeit. nicht, könnten wir die Nettokreditaufnahme vielleicht
Hier hat sich Klientelpolitik durchgesetzt. Das kann sich um 4 Milliarden Euro absenken. Wenn Sie mir heute und
kein Land in dieser Welt leisten. jetzt die Zusicherung geben, dass Sie dann, wenn wir das
Kehren Sie um! Geben Sie die Spende zurück! Und machen, mit Ihrer Kritik aufhören, dann nehme ich Ihre
machen Sie endlich eine ordentliche Politik, von der die Kritik ernst, andernfalls nicht.
Wirtschaft etwas hat, und nicht nur Ihre Sponsoren!
(Joachim Poß [SPD]: Das hätten Sie wohl
Vielen Dank. gern!)
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Wenn Sie mir diese Zusicherung geben, dann können wir
sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. gerne auf dieser Basis in die Haushaltsberatungen eintre-
Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]) ten und uns Ende März wieder sprechen.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 14. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 19. Januar 2010 1157
Norbert Barthle
(A) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und regierung kennen. Dazu gibt es keine Alternative. Das (C)
der FDP – Joachim Poß [SPD]: Sie verhalten sind wir auch den folgenden Generationen schuldig.
sich jetzt wie der Erwischte! Das gefällt Ihnen
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
gar nicht!)
In dem Zusammenhang steht für uns außer Frage,
– Nein, nein! dass wir den Europäischen Stabilitäts- und Wachs-
Meine Damen und Herren, wir werden diesen Haus- tumspakt einhalten werden. Das haben wir den europäi-
halt sehr zügig beraten und uns damit der Fessel der vor- schen Partnern zugesichert. Ich hatte gerade gestern ein
läufigen Haushaltsführung entledigen. Das stärkt auch ausführliches Gespräch mit dem französischen Haus-
die Kräfte, die wir zur Überwindung der aktuellen Krise haltsminister Eric Woerth, der großes Interesse an dem
benötigen. Von daher ist es ganz wichtig, so zu verfah- erfolgreichen deutschen Weg aus der internationalen
ren. Finanz- und Wirtschaftskrise gezeigt hat. Das beweist,
dass wir auf dem richtigen Wege sind.
Dennoch muss ich sagen: Der Haushalt 2010 ist we-
der ein „Wunschhaushalt“ noch ein „Wünschehaushalt“. Die Europäische Kommission hat ein Defizitverfah-
Gäbe es diese aktuelle Krise nicht, dann hätten wir Par- ren für Deutschland eingeleitet; denn in 2009 haben wir
lamentarier es geschafft – davon bin ich überzeugt –, die die 3-Prozent-Grenze leicht überschritten. Wir werden
in der mittelfristigen Finanzplanung vorgegebene und die Grenze auch in 2010 und 2011 überschreiten müs-
auch vom Finanzminister wiederholte Wegmarke, näm- sen; 2010 werden es knapp 6 Prozent sein. Das ist das
lich eine Schuldenaufnahme von maximal 6 Milliarden Spiegelbild der krisenbekämpfenden Politik; das müssen
Euro, deutlich zu unterschreiten. Ich bin überzeugt, wir wir realisieren.
wären sogar bei Null angekommen. Wir werden die Überschreitung der 3-Prozent-Grenze
jedoch nicht auf Dauer hinnehmen. Die Zielsetzung ist,
Aber wir leben nicht unter einer Käseglocke. Wir
2013 wieder close to balance zu sein, also die 3-Prozent-
müssen uns mit der aktuellen Krisensituation auseinan-
Grenze einzuhalten. Außerdem haben wir auch das
dersetzen. Deshalb lassen wir die automatischen Stabi-
Schuldenstandskriterium im Blick, das sich aus dem
lisatoren wirken. Steuermindereinnahmen und steigende
Maastricht-Vertrag ergibt. Das heißt, die Verschuldung
Ausgaben für die Arbeitsplatzsicherung werden durch
darf 60 Prozent des BIP nicht überschreiten. Auch davon
eine höhere Kreditaufnahme aufgefangen. Außerdem
sind wir derzeit leider ein Stück entfernt. Aber wir wer-
haben wir gezielte konjunkturstützende Maßnahmen be-
den weder den Maastricht-Vertrag noch die Schulden-
schlossen, und zwar mit Teilen der Opposition. Das alles
bremse aus den Augen verlieren.
war richtig, um wieder positiver in die Zukunft blicken
(B) zu können. Wir von der Union haben schon einmal, nämlich (D)
2005, bewiesen, dass wir einen erfolgreichen Weg aus
Ich lade auch Sie, meine Damen und Herren von der dem Defizitverfahren heraus finden können.
Opposition, zu Beginn des Jahres 2010 dazu ein, sich die
aktuellen Arbeitsmarktzahlen, die aktuelle BIP-Entwick- (Joachim Poß [SPD]: Das war doch
lung und die unterschiedlichen Prognosen anzuschauen. Steinbrück!)
Ich sage als Mitglied der Union nicht ganz ohne Stolz:
Wir werden beweisen, dass wir das noch einmal schaffen
Wer hätte noch vor einem halben Jahr gedacht, dass wir
können. Wir werden diese erfolgreiche Politik im Sinne
bereits beim Haushaltsabschluss 2009 deutliche Wachs-
von Stabilität und Nachhaltigkeit fortsetzen. Das ist ein
tumsimpulse realisieren können – statt knapp 50 Milliar-
Markenzeichen der Union; dafür stehen wir.
den Euro Neuverschulung 35 Milliarden Euro? Das ist
eine tolle Leistung. Deshalb sind wir überzeugt: Es war (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
richtig, so zu handeln. Wir können die ersten zarten neten der FDP)
Pflänzchen einer wirtschaftlichen Ernte einbringen, und
Lassen Sie mich an dieser Stelle einen kleinen Blick
wir werden den erfolgreichen Kurs der neuen Koali-
ins europäische Ausland werfen, nicht um von der Krise
tionsregierung weiter fortführen.
abzulenken, sondern um zu beweisen, dass unser Weg
(Beifall bei der CDU/CSU) erfolgreich ist.
Wenn ich aus dem linken Lager die Unkenrufe bezüg- In Großbritannien, einem wirtschaftspolitisch be-
lich angeblicher sozialer Kälte der neuen Koalition höre, deutsamen Land, das nicht zur Eurozone gehört, liegt die
dann kann ich mich nur fragen, wie das begründet ist. Neuverschulung im zweistelligen Bereich: 2010 sind es
12,9 Prozent, 2011 sind es 11,1 Prozent. Großbritannien
(Lachen bei Abgeordneten der LINKEN) will die 3-Prozent-Grenze 2014/2015 wieder einhalten.
Die Briten sind aufgrund ihres Finanzplatzes von der
Der Haushalt 2010 ist allerdings – auch das sage ich
Finanzkrise schwer betroffen. Deshalb wird es auch dort
deutlich – kein Wünschehaushalt. Allein durch haus-
nur mit schmerzhaften Maßnahmen gelingen, diese Kon-
haltspolitische Zurückhaltung und strikte Prioritätenset-
solidierung zu erreichen.
zung werden Perspektiven geschaffen. Denn wir alle
wissen, dass das jetzige Volumen der Nettokreditauf- Schauen wir nach Irland. 2010 und ebenfalls 2011
nahme auf Dauer nicht so hoch bleiben kann. Deshalb wird die Neuverschuldung bei 14,7 Prozent liegen. Die
werden wir zielstrebig wieder auf den Konsolidierungs- Iren wollen bis zum Jahr 2014 wieder auf den „Pfad der
kurs einschwenken, den wir bereits aus der Vorgänger- Tugend“ zurückkehren. Auch für sie wird es schwer
1158 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 14. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 19. Januar 2010
Norbert Barthle
(A) werden, diesen Weg zu beschreiten; denn die Schulden- Das ist die beste Politik für die Menschen, die den Kar- (C)
standsquote in Irland liegt bei 100 Prozent. ren ziehen und die das Land voranbringen. Dafür stehen
wir.
Wie wichtig es ist, Glaubwürdigkeit, Verlässlichkeit
und Nachhaltigkeit in der Finanz- und Wirtschaftspolitik (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
zu bewahren, zeigt auch das Beispiel Griechenland. Die- Joachim Poß [SPD]: Viel Vergnügen mit dem
ses Beispiel hat uns in den vergangenen Wochen vor Stufentarif!)
Augen geführt, wie schnell die Glaubwürdigkeit eines
Landes verloren gehen kann. Wir stellen uns in den anstehenden Beratungen der
Verantwortung – das sind zwei Seiten einer Medaille –,
Lassen Sie uns nach Frankreich schauen. Frankreich den Haushalt konsequent zu konsolidieren und gleich-
wird im Jahre 2010 bei einer Neuverschuldung von zeitig Spielräume für weitere Entlastungen der Bürgerin-
8,2 Prozent und im Jahre 2011 bei einer Neuverschul- nen und Bürger zu schaffen. Das ist die erfolgreiche Po-
dung von 7,7 Prozent liegen. Wie Deutschland will litik der Union; das ist die erfolgreiche Politik der FDP.
Frankreich bereits 2013 das Defizitkriterium wieder ein- Das wird auch die erfolgreiche Politik dieser christlich-
halten. Auch für Frankreich gilt: Dieses Ziel ist nur mit liberalen Koalition sein. Wir haben dazu die Kraft und
strikten Konsolidierungsmaßnahmen zu erreichen. den politischen Willen. Wir werden das in die Tat umset-
Ich sage in aller Deutlichkeit: Es war eine großartige zen.
Leistung, die Maastricht-Kriterien einzuziehen. In die-
Danke.
sem Zusammenhang will ich an Helmut Kohl und Theo
Waigel erinnern. Es war auch eine großartige Leistung, (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
die Schuldenbremse im Grundgesetz zu verankern. Bei- Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
des zusammen wird dazu führen, dass allen Ausreißver- NEN]: Was ist daran christlich?)
suchen und allen Versuchungen, zu einer weicheren Po-
litik zu gelangen, Einhalt geboten wird.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Jetzt schlägt die Stunde des Euro. Wenn der Euro Carsten Schneider spricht jetzt für die SPD-Fraktion.
diese Feuertaufe besteht, die mit dieser Krise einhergeht,
dann wird er sich – davon bin ich überzeugt – zu einer (Beifall bei der SPD – Georg Schirmbeck
international stabilen und zuverlässigen Währung entwi- [CDU/CSU]: Denk an die Vergangenheit, an
ckeln. Davon profitieren wir alle. Auch das gehört zu un- die guten vier Jahre!)
serem Konzept einer weiteren Konsolidierung.
(Beifall bei der CDU/CSU) Carsten Schneider (Erfurt) (SPD):
(B) Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! (D)
Ich habe bereits erwähnt, dass der Haushalt 2010 kein Wenn man die Rede von Herrn Barthle verfolgt, dann
Wünschehaushalt ist. Mit Blick auf die Beratungen hat man den Eindruck, dass darin viel Autosuggestion
möchte ich betonen: Wer in dieser angespannten Lage und wenig Realität enthalten ist. Der Herr Minister hat in
neue Ausgaben vorschlagen möchte, der ist selbstver- seiner Einbringungsrede sehr pathetisch geredet, ohne
ständlich dazu aufgerufen, eine Idee zur Gegenfinanzie- konkret zu werden. Die FDP hält Sonntagsreden – ich
rung zu präsentieren. Denn nur so können wir die golde- sage gleich auch noch, warum –, in denen sie Verspre-
nen Regeln, die wir in unserem Koalitionsvertrag chungen macht, als sei sie immer noch nicht in der Re-
vereinbart haben, einhalten. Diese Regeln sind für uns gierung angekommen, und die Union macht alles mit.
Parlamentarier eine wichtige Leitlinie, die uns für die
anstehenden Haushaltsberatungen eine Orientierung ge- (Beifall bei der SPD)
ben.
Als Erstes muss man sich die Frage stellen: Wo stehen
Es wird immer wieder über die Frage diskutiert: Was wir? Aufgrund der Konjunkturprogramme, für die SPD-
ist mit den Steuersenkungen? Ich sage Ihnen klipp und Minister maßgeblich verantwortlich waren – ich nenne
klar: An dieser Stelle sind wir von der Union gar nicht so das Kurzarbeitergeld, aber auch die Investitionsmaßnah-
weit von der FDP entfernt, wie immer wieder der An- men, die auf Peer Steinbrück zurückgehen –, war die
schein zu erwecken versucht wird. Lage im Jahre 2009 besser, als es prognostiziert wurde.
(Christian Lange [Backnang] [SPD]: Das be- Herr Schäuble, Sie haben 15 Milliarden Euro weniger
fürchten auch wir! – Lachen des Abg. Jürgen Kreditaufnahme verbuchen können, als vorhergesagt
Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) wurde. Damit hat die FDP nicht viel zu tun gehabt. Das
einzige Gesetz, das Sie bisher gemacht haben, wird dazu
Denn eines ist vollkommen klar: Auch wir wollen eine führen, dass die eingesparten 15 Milliarden Euro, die im
Steuerstrukturreform; auch wir wollen die Abflachung Jahr 2010 einen Basiseffekt in Höhe von 10 Milliarden
des Mittelstandsbauchs; auch wir wollen die Bekämp- Euro haben, verjuxt und verpulvert werden – beispiels-
fung der kalten Progression. weise an Hoteliers –, ohne dass es einen nennenswerten
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Wachstumseffekt gibt.
der FDP) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
Auch die Kanzlerin hat dies gerade in den letzten Tagen des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
betont.
Das ist eine neue Währungseinheit: Für 1 Million
(Joachim Poß [SPD]: Das haben wir gelesen!) Euro bekommt man 1 Milliarde Euro. Das gibt es an-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 14. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 19. Januar 2010 1159
Carsten Schneider (Erfurt)
(A) scheinend nur bei der FDP. Ich frage mich nur, ob es (Joachim Poß [SPD]: Er hat das im Stil eines (C)
diese Million jetzt jährlich gibt oder ob Sie die 1-Mil- Philosophen gesagt!)
liarde-Lobbyvergünstigung wieder aufheben.
Meine Damen und Herren, was diesem Land bis 2016
75 Milliarden Euro betrüge die Nettoneuverschul- bevorsteht, um die europäischen Regelungen und die
dung auch – das gebe ich zu –, wenn die SPD noch an Maßgaben der deutschen Verfassung umzusetzen, da-
der Regierung wäre. Das ist krisenbedingt. 10 Milliarden rüber kann man nicht einfach mal im Hinterzimmer dis-
Euro packen Sie obendrauf. Bei einer jährlichen Durch- kutieren. Man kann nicht einfach kommen und sagen:
schnittsverzinsung von 4 Prozent – der jährliche Durch- Hoppla, hier bin ich; diese und jene Maßnahme gilt jetzt
schnitt wird in etwa so sein; die Zinsen werden wieder für diese Zeit.
steigen – macht dies jedes Jahr Mehrkosten in Höhe von Hier hätte es einer ehrlichen Wahlauseinandersetzung
400 Millionen Euro aus, die Sie zukünftigen Generatio- bedurft. Das haben Sie nicht gemacht. Das fällt Ihnen
nen aufbürden. jetzt auf die Füße. Ich weiß nicht, wie viele Treffen mit
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Beglückwünschungen und Beweihräucherungen Sie
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) noch abhalten wollen. Sie haben zu Beginn der Koali-
tion, zu dem Zeitpunkt, an dem man es tun muss, nicht
Sie halten Sonntagsreden. Wenn es nach der FDP ge- klar gesagt, was die Herausforderungen sind und was im
gangen wäre, dann hätten wir jetzt ein Grundgesetz, das Einzelnen umgesetzt werden muss. Das tun Sie auch
gar keine Neuverschuldung zulässt. Richtig? Ihr Punkt jetzt nicht. Sie verschieben das immer weiter. Sie ver-
war doch immer – um ein bisschen ökonomisch zu den- schieben es jetzt auf die Steuerschätzung im Mai. Nur,
ken –: Die Neuverschuldung muss null betragen; alles die findet kurz vor der nordrhein-westfälischen Land-
andere ist schlecht. tagswahl statt.
(Joachim Poß [SPD]: Das war übrigens der (Otto Fricke [FDP]: Aber vorher!)
Herr Burgbacher, der jetzt bei den Hoteliers so
Herr Schäuble, Sie haben gesagt, für 2010 müssten Sie
beliebt ist!)
keine mittelfristige Finanzplanung vorlegen. Da haben
Wir – auch Teile der Union wollten das – haben dann Sie recht. Aber für 2011 müssen Sie das tun.
durchgesetzt, dass man konjunkturreagibel vorgehen (Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister:
kann. Klar!)
Was würden Sie heute eigentlich machen? Was wäre Sie haben im Rahmen der goldenen Regeln – Herr
Ihre ökonomische Antwort? Wo würden Sie sparen? Ich Barthle hat sie eben hier zitiert – das Top-down-Prinzip
(B) warte, insbesondere nachdem Sie vier Monate – man (D)
festgelegt. Sie sagen also, wie hoch die maximale Kre-
weiß nicht so richtig, ob Sie nun zusammen regieren ditaufnahme ist, und dann sagen Sie den Ressorts, wie
oder nur gemeinsam die Pöstchen besetzen – in einer viel sie bekommen. Sie haben ein Haushaltsaufstellungs-
Koalition sind, darauf, dass Sie sagen, was denn nun rundschreiben herumgeschickt – das ist der Beginn der
kommt. Herr Minister Schäuble hat heute darüber ge- Verhandlungen –, in dem nichts davon steht. Außer Rhe-
sprochen, wie wichtig Vertrauen insgesamt und auch für torik und Ankündigungen, dass alles schwierig wird und
die wirtschaftlichen Akteure ist. gespart werden muss, steht keine politische Entschei-
(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE dung der Regierung, wohin es gehen soll, am Beginn
GRÜNEN]: Herr von Finck hat doch Ver- dieses Verfahrens.
trauen!) Das wollen Sie innerhalb eines Monats nach der Steu-
erschätzung machen. Was wird die Steuerschätzung
Dem widerspreche ich nicht; das nehme ich sehr gerne
denn bringen? Wir wissen, das strukturelle Defizit be-
auf. Dann müssen Sie aber auch bei den Bürgerinnen
trägt 70 Milliarden Euro. Vielleicht sind es 72 Milliarden
und Bürgern in diesem Land Vertrauen für die Politik,
Euro, vielleicht sind es 68 Milliarden Euro. Dies ändert
die Sie machen, schaffen, indem Sie sagen, was Sie tun
aber nichts an der Substanz.
wollen. Darum drücken Sie sich herum.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) LINKEN)
Sie wissen, Sie müssen im nächsten Jahr 10 bis Das ist angekündigter Wahlbetrug vor einer Landtags-
15 Milliarden Euro sparen, um die Regelungen zur wahl. Anders kann ich das – es tut mir leid – nicht for-
Schuldenbremse einzuhalten. Sparen kann eine Einnah- mulieren.
meverbesserung bedeuten. Sparen kann man auch bei
den Ausgaben. Sie sagen nicht, was Sie wollen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der
(Dr. Claudia Winterstein [FDP]: Das werden LINKEN)
sie schon noch sagen!)
Wir sind nicht irgendjemand. Das ist die größte
Herr Schäuble hat vorhin gesagt: Das machen wir lieber Volkswirtschaft Europas. Wir treffen wichtige Entschei-
ein bisschen später, dann bekommt das keiner mit; das dungen. Bald kommt das Jahr 2012. 2013 steht schon
ist besser, ansonsten wird es nur zerredet. wieder eine Wahl an. Ich weiß nicht, wann Sie mit der
1160 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 14. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 19. Januar 2010
(A) Carl-Ludwig Thiele (FDP): Bereichen unserer Gesellschaft zur Arbeit gehen und de- (C)
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr ren Selbstverständnis und Fähigkeiten darauf gerichtet
Kollege Schneider, ich glaube, die Bürger haben richtig sind, mit ihrer eigenen Arbeit den Lebensunterhalt für
entschieden, dass Sie der christliberalen Koalition den sich und ihre Familien sicherzustellen.
Auftrag gegeben haben, unser Land zu regieren und mit
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
neuen Weichenstellungen in eine bessere Zukunft zu
der CDU/CSU)
führen. Ich glaube, das sehen die Bürger nach wie vor
so, insbesondere, wenn sie die eine oder andere Rede der Deshalb war eines der zentralen Themen des letzten
Opposition heute gehört haben. Bundestagswahlkampfes, ob sich die Politik mehr um
(Beifall bei der FDP – Joachim Poß [SPD]: Sie das Verteilen oder das Erwirtschaften kümmern muss.
sind der Nächste, der einen Job bekommt!) Für uns steht fest: Nur wenn in unserem Land etwas er-
wirtschaftet wird, dann kann auch verteilt werden.
Wer beim Thema Kindergeld davon spricht, dass die
Regierung Geld verjuxt und verjubelt, der sieht die Vielen Menschen fällt es aufgrund eines niedrigen
Wirklichkeit unseres Landes durch eine falsche Brille. Einkommens schwer, den notwendigen Lebensunterhalt
für sich und ihre Familien aufzubringen. Deshalb brau-
Die Bundesrepublik Deutschland hat im vergangenen chen diese Bürger mehr Netto vom Brutto. Norbert
Jahr den stärksten Wachstumseinbruch in der Ge- Barthle, in diesem Zusammenhang danke ich dir für
schichte unseres Landes erlebt. 5 Prozent weniger sind deine klaren Worte.
erwirtschaftet worden. Was bedeutet das eigentlich? Der
Wachstumseinbruch bedeutet in realen Zahlen, dass im Schauen wir uns noch einmal an, was in der Zeit der
letzten Jahr 120 bis 130 Milliarden Euro weniger erwirt- Großen Koalition passiert ist: Da wurde ein sogenann-
schaftet wurden als im Vorjahr. Das sind unvorstellbare tes Bürgerentlastungsgesetz beschlossen – im letzten
Zahlen. Zudem ist von diesem Wachstumseinbruch nicht Jahr mit Wirkung ab diesem Jahr – mit einer Entlastung
jeder betroffen. Viele bekommen davon real gar nichts der Bürger in Höhe von 10 Milliarden Euro. Dann wurde
mit. Das bedeutet aber, dass diejenigen, die von diesem ein Gesetz zur Sicherung von Beschäftigung und Stabili-
Wachstumseinbruch betroffen sind, umso stärker betrof- tät in Deutschland beschlossen. Der Eingangssteuersatz
fen sind. Hunderttausende Menschen haben ihren wurde gesenkt und der Grundfreibetrag erhöht. Die Ent-
Arbeitsplatz verloren, befinden sich in Kurzarbeit, muss- lastung der Bürger betrug 6 Milliarden Euro pro Jahr.
ten Insolvenz anmelden oder haben Angst um ihren Ar- Das geschah in Verantwortung der Großen Koalition.
beitsplatz. Deshalb besteht die Hauptaufgabe der Politik (Joachim Poß [SPD]: Richtig!)
darin, die Weichen auf Wachstum zu stellen. Dies ist der
(B) einzige Weg, um bestehende Arbeitsplätze zu sichern Damals hat die SPD noch gesagt: Wenn wir die Leis- (D)
und den Rahmen dafür bereitzustellen, dass neue Ar- tungsträger, auch die kleinen Leistungsträger in unserem
beitsplätze geschaffen werden können. Land, entlasten, dann ist das der richtige Weg zu mehr
Wachstum und Beschäftigung. Deshalb ist es mir absolut
Für dieses Jahr wird zum Glück wieder mit einem unerklärlich, warum das, was vor der letzten Bundes-
Wachstum gerechnet. Die Regierung sagt aktuell, es tagswahl gegolten hat, aus Sicht der SPD jetzt, wo sie in
könnten 1,5 Prozent werden. Das weiß aber keiner ge- der Opposition sitzt, nicht mehr gilt.
nau, weil das gesamte Jahr noch vor uns liegt. Es kann
auch anders kommen. Die Politik muss die Weichen so (Joachim Poß [SPD]: Das ist doch Quatsch!)
stellen, dass es besser wird. Unsere Aufgabe ist es, die – Herr Poß, wenn es vor der Wahl richtig war, die Bürger
Rahmenbedingungen zu verbessern. Dafür setzen wir steuerlich zu entlasten, dann ist diese steuerliche Entlas-
uns ein. tung – das müssen Sie zur Kenntnis nehmen – auch nach
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der Wahl genauso richtig.
der CDU/CSU) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
Wachstum lässt sich nur erreichen, wenn in unserem der CDU/CSU – Joachim Poß [SPD]: Mit die-
Land etwas erwirtschaftet wird. Hierbei darf die Politik ser Rede beweisen Sie nicht den Sachverstand
nicht übersehen, dass nicht der Staat die Gelder erwirt- für die Bundesbank! Was wollen Sie eigent-
schaftet, die zum Bruttoinlandsprodukt und damit zu lich? Da wird Herr Weber nicht begeistert
Steuern und Sozialeinnahmen führen. Das Brutto- sein!)
inlandsprodukt wird in unserem Land Tag für Tag von In diesem schwierigen wirtschaftlichen Umfeld hal-
zig Millionen Menschen erwirtschaftet, die mit ihrer Tat- ten wir es für falsch, mit voller Kraft auf die Bremse zu
kraft den Lebensunterhalt für sich und ihre Familien si- treten. Dafür ist die Konjunktur noch viel zu gefährdet
cherstellen. Nur wenn diese Menschen positiv nach und noch nicht sicher genug. Wir werden den Haushalt
vorne schauen und anpacken, dann verfügt unser Ge- überarbeiten. Verschwendung wird herausgestrichen, wir
meinwesen über die Kraft, die nötig ist, damit wir den bemühen uns um eine sparsame Haushaltsführung.
Schwächeren in unserer Gesellschaft in dem Maße hel-
fen können, wie sie es benötigen. (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Wo denn?)
Deshalb ist es die erste Aufgabe der Politik, an diese Deshalb finde ich es richtig, dass die christliberale
Leistungsträger in unserer Gesellschaft zu denken, an Koalition die Weichen eindeutig gestellt hat und dies im
die Mittelschicht, an diejenigen, die jeden Tag in allen Haushaltsentwurf berücksichtigt wurde:
1162 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 14. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 19. Januar 2010
Carl-Ludwig Thiele
(A) Erstens. Mit dem Wachstumsbeschleunigungsgesetz herigen Regierungszeit waren Sie dabei schon kräftig am (C)
wurden Steuern insbesondere für Familien gesenkt. Werk. Ich will nur drei Beispiele nennen.
(Joachim Poß [SPD]: Damit wird nur Ihre Erstens. Heute wurde schon häufig die Frage des er-
Karriere beschleunigt!) mäßigten Mehrwertsteuersatzes für Beherbergungsleis-
tungen diskutiert. Sicher, es wäre schön, wenn alle so
Zweitens. Die Ausgaben für Bildung sind erhöht wor-
agieren könnten: 1,1 Millionen Euro für die FDP im ver-
den.
gangenen Jahr und laut Süddeutscher Zeitung für die
Drittens. Leistungsträger, die für ihr Alter vorgesorgt CSU seit 1998 insgesamt 3,7 Millionen Euro. Eine sol-
haben, können, wenn sie arbeitslos werden, von dem, che Rendite ist doch schon etwas. Da können sich alle
was sie für sich selbst erarbeitet haben, mehr für ihre ei- Hartz-IV-Empfängerinnen und -Empfänger nur fragen:
gene Sicherheit behalten, da das Schonvermögen erhöht Welche Chance haben wir denn überhaupt, in dieser Re-
wurde. Das alles haben wir in diesen Haushaltsentwurf publik demokratisch etwas mitzugestalten? Wir haben
eingearbeitet. Trotzdem ist die vorgesehene Neuverschul- nicht das Geld, um unsere berechtigten Forderungen zu
dung niedriger als das, was Finanzminister Steinbrück erkaufen.
im Sommer letzten Jahres vorgeschlagen hat.
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, für
Zweitens. Im Zusammenhang mit dem Wachstumsbe-
uns Liberale sind Steuersenkung und Reduzierung der
schleunigungsgesetz wurde auch das Kindergeld erhöht.
Staatsausgaben zwei Seiten derselben Medaille. Dies
Ja, die Kinder eines Millionärs bekommen 40 Euro mehr
werden wir jetzt im Frühjahr 2010 beim Haushalt 2010
im Monat. Die Kinder einer Lehrerin bekommen
und im Herbst bei der Aufstellung des Haushaltes 2011
20 Euro mehr im Monat. Die Kinder von Hartz-IV-Emp-
berücksichtigen.
fängerinnen und -Empfängern bekommen nichts. Den
Herzlichen Dank. Vorschlag der Linken, diese Erhöhung bei Hartz IV we-
nigstens nicht anzurechnen, gerade in dem Wissen, dass
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
die Regelsätze für Kinder viel zu niedrig bemessen sind,
der CDU/CSU)
haben Sie hier im Bundestag einhellig abgelehnt.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]:
Die Kollegin Dr. Barbara Höll hat das Wort für die Unglaublich!)
Fraktion Die Linke. Drittens. Ich komme zur Einkommensteuer und damit
(Beifall bei der LINKEN) zum sogenannten Steuerstreit. Die FDP fordert mehr
(B) Netto vom Brutto. Aber das, was Sie hier fordern, ist (D)
nichts anderes als die Aufkündigung des Sozialstaats.
Dr. Barbara Höll (DIE LINKE):
Das werden wir nicht zulassen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Es ist zwar Haushaltsdebatte, aber die Öffentlichkeit und (Beifall bei der LINKEN)
die Regierung diskutieren vor allem über die Steuern.
Leider ist es so, dass Rot-Grün und Große Koalition
Nicht nur, dass es von Unfähigkeit zeugt, wie Sie regie-
hier schon wesentliche Vorarbeiten geleistet haben: Teil-
ren. Nein, Sie versuchen auch, zu überspielen, dass es an
privatisierung von gesetzlicher Kranken- und Rentenver-
der Zeit wäre, zu fragen, ob der Kurs so wie bisher bei-
sicherung – auch das wurde mit Spenden belohnt – und
behalten werden soll, also Umverteilung von unten nach
der Ausstieg aus der paritätischen Finanzierung.
oben, oder ob endlich Nein gesagt und damit Schluss ge-
macht wird. Das Prinzip der direkten Besteuerung von Einkom-
men und Vermögen wird seit Jahren zugunsten der indi-
(Beifall bei der LINKEN)
rekten Besteuerung über verbrauchsabhängige Steuern
Bei dem, was bisher heute gesagt wurde, auch zu der zurückgefahren. Das ist ein Skandal. Sie ziehen allen
Frage, ob die Maßnahmen zur Bewältigung der Krise Bürgerinnen und Bürgern über die indirekte Besteue-
richtig waren oder nicht, war schmerzhaft festzustellen, rung, über die Erhöhung der Mehrwertsteuer von 16 auf
dass Sie sich bis heute weigern, eine der wichtigsten 19 Prozent, das Geld aus der Tasche. Überproportional
konjunkturpolitischen Maßnahmen endlich durchzuset- werden aber diejenigen belastet, die Monat für Monat
zen, nämlich die Stärkung der Binnennachfrage. Dafür sehen müssen, wie sie mit ihrem Geld überhaupt aus-
brauchen wir erst einmal einen Mindestlohn. kommen. Sie erklären, finanziert würden damit unter an-
derem die Steuersenkungen für die großen Unterneh-
(Beifall bei der LINKEN)
men. 8 Milliarden Euro hat das netto gekostet. Das war
Wir fordern in dieser Legislaturperiode einen Stunden- Ihnen das locker wert.
lohn von 10 Euro. Wir sind froh, dass die Gewerkschaf-
Das Sozialstaatsprinzip besagt: Besteuerung nach der
ten ihre Forderungen der Realität anpassen werden. Eine
wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit. Schauen wir uns
solche Maßnahme wäre notwendig.
einmal an, was das bei der FDP heißt. Diejenigen, die
Sie aber machen eine reine Klientelpolitik. Die Ban- acht Stunden arbeiten und deren Lohn trotzdem nicht
ken und die Manager wurden wohlbedacht. Dafür hatten ausreicht, zahlen keine Steuern. Sie wären froh, wenn sie
wir im letzten Jahr eine Rekordverschuldung und visie- Steuern zahlen könnten. Auch die 10 Prozent der ärms-
ren in diesem Jahr wieder eine an. Aber auch in der bis- ten Steuerpflichtigen werden überhaupt nicht entlastet.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 14. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 19. Januar 2010 1163
Dr. Barbara Höll
(A) Die 10 Prozent der reichsten Steuerzahler allerdings mit krise ergreifen. Seinerzeit musste schnell gehandelt wer- (C)
einem zu versteuernden Jahreseinkommen von über den. Unsere Maßnahmen zur Finanzmarktstabilisierung,
76 000 Euro dürften sich nach dem FDP-Modell über zur Sicherung der Kreditversorgung für die Wirtschaft
eine jährliche Steuerentlastung von 12 000 Euro freuen. und zur Sicherung und Stützung der Konjunktur haben
12 000 Euro Steuerentlastung, das ist Klientelpolitik pur. finanzielle Dimensionen erreicht, die bis dahin unvor-
stellbar waren.
(Beifall bei der LINKEN)
Jeder wusste, es musste schnell gehandelt werden.
Wenn man beim Steuerstreit hier so tut, als ob es um ei-
Aber niemand konnte sicher sein, dass alles richtig ist
nen Finanzierungsvorbehalt geht, so darf man sich natür-
und die Ziele erreicht werden würden. Die Notenbanken
lich nicht täuschen lassen; denn in Ihrem Ziel sind Sie
haben das Ihre getan, und die Maßnahmen mussten in-
sich einig: Umverteilung von unten nach oben. Das leh- ternational koordiniert werden. Deutschland, die Bun-
nen wir ab. deskanzlerin – ich stehe nicht an, zu sagen, auch der
(Beifall bei der LINKEN) damalige Finanzminister – und der Präsident der Bun-
desbank, Professor Weber, haben hier hervorragende Ar-
Wir haben Ihnen Vorschläge vorgelegt – wir werden beit geleistet. Erfreulicherweise bescheinigt heute die
das weiterhin machen –, wie man in der Krise Geld ein- Fachwelt, dass sowohl die Maßnahmen der Notenban-
nehmen kann. Auch die Verursacher der Krise sollen ken als auch der Staaten und Regierungen absolut richtig
zahlen. Wir fordern eine sozial gerechte Einkommen- waren und dass es keine ernsthaften Alternativen dazu
steuerreform mit Anhebung des Spitzensteuersatzes auf gab. Eine namhafte Wissenschaftlerin hat vor kurzem
das Kohl’sche Niveau von 53 Prozent. Außerdem for- gemeint, sie würde diese Leistungen der Notenbanken
dern wir eine Vermögensteuer als Millionärsbesteue- und der Regierungen mit summa cum laude bewerten.
rung, eine Besteuerung der Bonuszahlungen bei Banken
und Finanzinstituten als Sonderabgabe, eine Finanz- Wir können mit Genugtuung feststellen, dass es ge-
transaktionsteuer und eine Reform der Erbschaftsteuer. lungen ist, die größten Gefahren und Auswirkungen ab-
Das sind konkrete Antworten. Sie liegen vor. Lassen Sie zuwehren, und somit verhindert wurde, dass die Krise
uns darüber diskutieren und endlich umkehren auf dem mit ihrer vollen Wucht die Wirtschaft und die Bürger
Weg der Umverteilung von unten nach oben. Hierhin ge- trifft. Dabei hatten wir auch etwas Glück im Unglück.
hört ein Stoppschild. Denn sonst entziehen Sie Bürgerin- Die gesunkenen Importpreise sind uns etwas entgegen-
nen und Bürgern Bildung, Sport und Kultur, indem Sie gekommen. Finanzminister Schäuble hat besonders auf
Länder und Kommunen in den Ruin treiben. Dass Ein- die Einbrüche im Export hingewiesen. Aber wir sind ja
richtungen, zum Beispiel Schwimmbäder, geschlossen nicht nur Exportnation, sondern auch Importnation, und
die Importpreise sind laut Statistischem Bundesamt um
(B) werden müssen und Freizeitangebote gestrichen werden, über 12 Prozent gesunken, die Preise für Energie sogar (D)
entzieht den Menschen Teilhabe am gesellschaftlichen
Leben. Das lehnen wir ab. noch wesentlich stärker. Das haben die Bürger bemerkt.
Ich danke Ihnen. Glück hatten wir vor allem, weil die Menschen wie-
der näher zusammengerückt sind, weil viele bereit wa-
(Beifall bei der LINKEN) ren, große Verantwortung zu übernehmen. Wir reden zu
Recht und mit gewisser Verbitterung in diesen Tagen
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: über die Manager, über die Verantwortlichen, über die
Der Kollege Bartholomäus Kalb hat jetzt das Wort für Versager in Nadelstreifen, die ganz wesentlich Mit-
die CDU/CSU-Fraktion. schuld an der Krise haben, weil sie in Maßlosigkeit und
Verantwortungslosigkeit gehandelt haben.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Aber lassen Sie uns auch über diejenigen Unterneh-
Bartholomäus Kalb (CDU/CSU): mer, Manager, Betriebsräte und Mitarbeiter reden, die in
der Krise Verantwortung gezeigt und zusammengestan-
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten
den haben,
Damen und Herren! Wenn man die Rednerinnen und
Redner der Opposition hört, dann hat man den Eindruck, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
sie seien heilfroh, dass sie nicht in der Verantwortung
stehen. um für ihre Betriebe, ihre Unternehmen und ihre Ar-
beitsplätze Lösungen zu finden, um die schwierigen Zei-
(Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: So ist das!) ten zu meistern und die Existenzen und Arbeitsplätze zu
Insbesondere bei den SPD-Rednern hat man den Ein- sichern.
druck, dass sie geradezu dankbar sind, in dieser schwe-
Ich habe größten Respekt vor Betriebsräten, beispiels-
ren Zeit aus der Verantwortung entlassen worden zu weise vor zwei Betriebsratsvorsitzenden in meinem Wahl-
sein. kreis, die sich gemeinsam mit den Insolvenzverwaltern
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- bemüht haben, die Zukunft zu sichern, wodurch es mög-
neten der FDP – Zurufe von der SPD: Nee!) lich wurde, die Unternehmen erfolgreich aus der Insol-
venz zu führen. Für diese Leistung kann man nur Dank,
Wir mussten im Herbst 2008 und im Jahr 2009 eine Anerkennung und Respekt zum Ausdruck bringen.
Vielzahl von Maßnahmen zur Abwendung der größten
Gefahren aus der weltweiten Finanz- und Wirtschafts- (Beifall bei der CDU/CSU)
1164 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 14. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 19. Januar 2010
Bartholomäus Kalb
(A) Ich denke, da ist etwas Positives entstanden, das für die (Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (C)
Zukunft Mut macht und uns auch stärkt. NEN]: Und warum?)
Nach Beendigung der Krise müssen alle Kräfte auf Allerdings müssen wir gerade im Hinblick auf die de-
den Pfad der Konsolidierung konzentriert werden. Das mografische Entwicklung und die Leistungsfähigkeit
erfordern nicht nur die gerade erst verabschiedete und unserer Volkswirtschaft, sobald es irgendwie geht,
ins Grundgesetz aufgenommene Schuldenbremse und Spielräume schaffen, um auch im Steuer- und Abgaben-
die Vorgaben des Europäischen Stabilitäts- und Wachs- bereich Korrekturen vornehmen zu können.
tumspakts, sondern das erfordert auch die Generationen-
Lassen Sie mich noch auf eines hinweisen: Die Belas-
gerechtigkeit.
tung des Einzelnen durch Steuern und Abgaben wird in
Der heute in erster Lesung behandelte Bundeshaus- Bezug auf die Fachkräftegewinnung in den kommenden
halt 2010 ist der erste Haushalt der neuen Bundesregie- Jahren und Jahrzehnten zur entscheidenden Größe. Ich
rung. Die Nettokreditaufnahme liegt etwas unterhalb der habe beim Deutschen Arbeitgebertag, ohne dass es Wi-
des ersten Entwurfs. Damit kein Missverständnis ent- derspruch gegeben hätte, gesagt: Ich meine, dass die
steht: Ich halte gar nichts von der Diskussion darüber, Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands in Zukunft mehr
wer Schuldenweltmeister ist. Sie war in den 90er-Jahren von der Belastung des Einzelnen als etwa von der Unter-
nicht angebracht und ist heute nicht angebracht. Damals nehmensteuerbelastung abhängen wird.
hatten wir wie kein anderes Land dieser Erde Belastun-
Bestens ausgebildete junge Menschen dürfen wir in
gen aus der Überwindung der Teilung und des DDR-Un-
Deutschland künftig nicht mit so hohen Steuern und Ab-
rechtsregimes zu tragen. Heute müssen wir die Folgen
gaben belasten, dass sie lieber ins Ausland abwandern.
der größten weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise
Wir stehen hier vor Riesenherausforderungen, können
meistern.
aber nur einen Schritt nach dem anderen machen.
Wenn sich die Dinge nun etwas besser entwickeln als Aber auch global gesehen hat Deutschland Verant-
befürchtet, so sollten wir dies mit Genugtuung zur wortung: Deutschland muss der währungspolitische Sta-
Kenntnis nehmen. Das gilt sowohl für die geplante und bilitätsanker im Euroraum sein. Die währungspoliti-
angestrebte Nettokreditaufnahme als auch für den Haus- schen Spannungen und Verwerfungen im Euroraum
haltsabschluss des Jahres 2009. nehmen zu; ich brauche nur Griechenland zu nennen.
Mit einem Betrag von rund 85 Milliarden Euro wird Wir müssen vorangehen und konsequent einen Stabili-
die Nettokreditaufnahme im Jahr 2010 eine in der Ge- tätskurs beschreiten, mit dem wir die Maastricht-Krite-
schichte der Bundesrepublik Deutschland beispiellose rien zeitnah wieder einhalten.
(B) Höhe erreichen. Es ist heute schon gesagt worden: Ur- Die Menschen erwarten von uns, dass wir solide wirt- (D)
sprünglich war für das Jahr 2010 eine Nettokreditauf- schaften und Inflationsgefahren abwehren, dass wir die
nahme von 6 Milliarden Euro geplant. Währung stabil halten. Zu solidem Wirtschaften gehört
Der im Vergleich zur ursprünglichen Finanzplanung für mich, dass wir den Umfang der Investitionen stabil
hohe Anstieg der Neuverschuldung auf rund halten. Wir müssen die Leistungsfähigkeit unserer Infra-
80 Milliarden Euro ist im Wesentlichen auf das Wirken- struktur erhalten und sie weiter ausbauen. Desinvestitio-
lassen der automatischen Stabilisatoren und auf die von nen wären nichts anderes als verdeckte Verschuldung.
der Bundesregierung auf den Weg gebrachten zielgerich- Der dramatische Anstieg der Nettokreditaufnahme ist
teten Maßnahmen zur Überwindung der Wirtschafts- ein Spiegelbild der Wirtschafts- und Finanzkrise. Frei-
und Finanzkrise zurückzuführen. Die Erhöhung der Net- lich stellt man sich die Frage, ob alle Akteure aus der
tokreditaufnahme war also notwendig und kurzfristig Krise und von der Krise gelernt haben und bereit sind,
unvermeidlich, ist aber nur vorübergehend akzeptabel. Vorkehrungen zu treffen, um künftigen Krisen vorzubeu-
Deshalb steht fest: Ein konsequenter Konsolidierungs- gen.
kurs ist dringend notwendig, sobald es die konjunktu-
relle Entwicklung erlaubt. Ich bin Minister Dr. Schäuble Der Finanzminister hat wesentliche Punkte genannt,
sehr dankbar, dass er in Brüssel erklärt hat, dass kein wo Maßnahmen ergriffen werden müssen, und Ziele for-
Zweifel daran besteht, dass wir die europäischen Stabili- muliert; doch die Bereitschaft, gemeinsam international
tätskriterien ab 2013 wieder einhalten werden. gültige Regeln festzulegen, scheint bereits von Tag zu
Tag weniger ausgeprägt zu sein. Trotz alledem, dass wir
(Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Regeln und Vorschriften erlassen müssen, bleibt festzu-
NEN]: Aha! Und wie?) halten: Keine Vorschrift, keine Regel wird in der Lage
Das hat auch etwas damit zu tun, dass wir unseren sein, verantwortungsvolles Handeln zu ersetzen.
Kindern keinen Schuldenberg hinterlassen dürfen, der Ich danke Ihnen.
sie erdrückt.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
(Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- neten der FDP)
NEN]: Aber das tut ihr doch!)
Das gilt vor allem vor dem Hintergrund der demografi- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
schen Entwicklung. Die Schultern, die diese Lasten ein- Damit beenden wir die Debatte zur Einbringung des
mal tragen müssen, werden immer weniger. Haushalts und kommen zum Geschäftsbereich des Bun-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 14. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 19. Januar 2010 1165
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
(A) desministeriums für Bildung und Forschung, Einzel- etwas hat es in 60 Jahren Bundesrepublik Deutschland (C)
plan 30. noch nicht gegeben –, sie wolle das 10-Prozent-Ziel für
Bildung und Forschung, 7 Prozent davon für die Bil-
Als Erste hat Bundesministerin Dr. Annette Schavan
dung. Es gebe eine erhebliche Lücke und der Bund sei
das Wort.
bereit, in den nächsten Jahren 40 Prozent des Anteils zu
übernehmen, der notwendig ist, um diese Lücke zu
Dr. Annette Schavan, Bundesministerin für Bil- schließen. Das ist Verlässlichkeit im Blick auf das Ver-
dung und Forschung: hältnis zwischen Bund und Ländern.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Der Einzelplan 30, Bildung (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
und Forschung, spiegelt die konsequente Fortsetzung der Klaus Hagemann [SPD]: Aber noch nicht
Modernisierung und Internationalisierung unserer Poli- durchgesetzt!)
tik für bessere Bildung, für mehr Bildungsgerechtigkeit
und für starke Forschung als Grundlage der Innovations- Damit ist auch klar: Wir arbeiten zusammen, wenn es
fähigkeit unseres Landes wider. um Finanzen geht, und wir arbeiten auch zusammen,
wenn es um die Inhalte geht. Ich begrüße deshalb aus-
Wir verbinden zusätzliche Investitionen für Bildung drücklich die Stellungnahme des Präsidenten der Kultus-
und Forschung in Höhe von 12 Milliarden Euro in dieser ministerkonferenz aus den letzten Tagen, die besagt, wir
Legislaturperiode mit zukunftsfähigen Konzepten im könnten es schaffen, im Jahr 2014 erstmals in Deutsch-
Hinblick auf bessere Bildung, mehr Bildungsgerechtig- land ein gemeinsames Abitur zu machen. Das sind die
keit und die Weiterentwicklung des Forschungsstandor- richtigen Signale: mehr Vergleichbarkeit bei Schulab-
tes Deutschland. schlüssen. Dies ermutigt auch die Bürger – dass wir vor-
Wir sind davon überzeugt – der Bundesfinanzminister ankommen, wenn es um mehr Vergleichbarkeit und Mo-
hat heute Morgen darauf aufmerksam gemacht –, dass bilität geht.
wir uns gerade jetzt, in Zeiten wirtschaftlicher Krise,
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
ganz besonders um die Quellen des künftigen Wohl-
stands, um das Wohlergehen künftiger Generationen Der Blick in den Koalitionsvertrag und auch in die
kümmern müssen. Struktur des Haushalts macht deutlich, dass beim großen
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Thema Bildung für diese christlich-liberale Koalition ein
FDP sowie des Abg. René Röspel [SPD]) Thema ganz besonders im Vordergrund steht: Bildungs-
gerechtigkeit. Mit einem kurzen Satz gesagt: Niemand
– Eigentlich kann man nichts dagegen sagen, nicht darf verloren gehen. Jedes Kind, das in diesem wohlha- (D)
(B) wahr?
benden Land mit der Erfahrung aufwächst, an Bildung
Wir – damit möchte ich noch einmal Bezug nehmen und Kultur nicht teilhaben zu können, weil Geld oder
auf heute Vormittag –, damit meine ich die Bundesregie- aufmerksame Erwachsene fehlen, die ihm den Weg eb-
rung gemeinsam mit vielen Akteuren, den Kommunen nen, ist ein Hinweis darauf, dass wir noch nicht gut ge-
und den Ländern. Bildung muss eine gesamtstaatliche nug sind. Wir wissen, es gibt noch viele Kinder, in deren
Aufgabe werden; denn niemand in diesem Land hat Ver- Nähe kein Erwachsener ist, der Sorge dafür trägt, dass
ständnis dafür, wenn sich die Politik darüber streitet, wer sie den Weg hin zu den Möglichkeiten von Bildung und
was tun darf, statt zu tun, was notwendig ist. Kultur finden. Wir wissen auch, es gibt viele Kinder, bei
denen es an finanziellen Möglichkeiten fehlt. Das steht
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und im Zentrum unserer Bildungspolitik: Sorge dafür zu tra-
der FDP – Priska Hinz [Herborn] [BÜND- gen, dass jedes Kind die Chance auf Bildung und Kultur
NIS 90/DIE GRÜNEN]: Diese Situation ha- bekommt. Niemand darf verloren gehen.
ben Sie selbst verursacht!)
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Der Bildungsgipfel 2008 in Dresden und der Bil-
dungsgipfel 2009 in Berlin waren wichtige Meilensteine Deshalb auch die Initiativen, die sich im Bereich der
auf diesem Weg. Eine föderale Ordnung ist kein Hinder- frühkindlichen Bildung im Land immer stärker durchset-
nis für gute Bildungspolitik, für eine Bildungsrepublik zen. Deshalb die Initiative „Lernen vor Ort“, die uns hel-
Deutschland. Die Verfassungen vieler europäischer Län- fen wird, lokale Bildungspartnerschaften zu schaffen –
der sehen eine föderale Ordnung vor. Die Kollegen aus weil das Thema „Mehr Bildungsgerechtigkeit“ keines
diesen Ländern sagen uns: Wir sind in einer vergleichba- ist, das einfach nur an Schule delegiert werden kann. Es
ren Situation. Die Kunst besteht darin, eine überzeu- muss im Zentrum gesellschaftlicher Bemühungen ste-
gende Agenda für Reformen zur Modernisierung und hen, darauf zu achten, dass kein Kind verloren geht.
eine stabile, verlässliche finanzielle Perspektive zu Deshalb die Idee der lokalen Bildungspartnerschaften.
schaffen. Auf diese Bundesregierung ist Verlass, wenn
es um die Verlässlichkeit der finanziellen Perspektive Bildungspolitik erfolgt aus der Perspektive der Kin-
und der Konzepte geht. der und Jugendlichen, weil wir davon überzeugt sind,
dass Bildung nicht irgendwelchen Interessen dient, son-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
dern Kindern und Jugendlichen hilft, sich zu entfalten,
Die Bundesregierung – die Bundeskanzlerin persön- Chancen in dieser Gesellschaft wahrzunehmen. Bildung
lich – hat beim Bildungsgipfel den Ländern erklärt – so ist für uns Bürgerrecht.
1166 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 14. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 19. Januar 2010
Ich nenne beim Thema Bildung im internationalen Diese Impulse machen deutlich: Es gibt nicht nur po-
Kontext aber ausdrücklich auch spezielle Kooperatio- litische Verantwortung für gute Bildung und eine starke
nen. Ich denke etwa an die deutsch-türkische Universi- Forschung. Wir sind davon überzeugt, dass in beidem
tät, auf die wir gerade hinarbeiten und von der wir hof- viel Potenzial und Kreativität steckt und beides auch un-
fen, dass sie in den nächsten Monaten eine Stufe der seren internationalen Kooperationen zugutekommt. Wir
Konkretion erreichen wird. Hochschulen sind Teil unse- übernehmen damit ein Stück weit Verantwortung in in-
rer Internationalisierungsstrategie. Dazu gehören spezi- ternationalen Entwicklungsprozessen. Wir sind über-
elle Bildungskooperationen mit Blick auf viele türkische zeugt, dass gute Bildung und eine starke Forschung im
Kinder und Jugendliche, die in Deutschland leben und eigenen Land und international den Beitrag mit der
von denen wir überzeugt sind – das, was in allen unseren meisten Substanz für künftige Generationen darstellen.
Programmen steht, ist richtig –: Für sie ist es wichtig, Vielen Dank.
souverän über die deutsche Sprache zu verfügen.
(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU – Bei-
Mit der Sprache allein ist es aber nicht getan. Wir fall bei der FDP)
müssen darüber hinaus auch die Stärken dieser Kinder
und Jugendlichen im Blick haben. Das meine ich mit Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Bildungskooperation. Auch das muss in der Bildungsre- Der Kollege Ernst Dieter Rossmann hat das Wort für
publik Deutschland selbstverständlich werden. die SPD-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Beifall bei der SPD)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 14. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 19. Januar 2010 1167
(A) Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD): Auf jeden Fall sind im Einzelplan 30 an den wichtigsten (C)
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Stellen Kabinettsvorbehalte gegen die eigene Ministerin
Frau Ministerin Schavan, Sie haben sich wirklich Mühe verankert. Die 3 Milliarden Euro, die Sie für die Bildung
gegeben, Bildungseuphorie zu verbreiten. Aber haben zusätzlich aufwenden wollen, müssen erst durch den
Sie eigentlich ein Gespür dafür, warum das alles im Haushaltsausschuss freigegeben werden. Im Kabinett
Land nicht zündet? Ich gebe Ihnen eine politisch-psy- war es offensichtlich nicht möglich, im Rahmen der ge-
chologische Beratung: Solange Sie sich so verlässlich meinsamen Bildungsfinanzierung und der großen Bil-
über Brutto und Netto, niedrige Mehrwertsteuersätze für dungsoffensive zu einem Beschluss zu kommen.
Hotelketten und andere Steuern streiten, kann es trotz Ih-
rer Bemühungen keine Bildungseuphorie in Deutschland (Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Herr Kol-
geben. Sie müssen das im Zusammenhang sehen. lege, ohne Haushaltsausschuss läuft gar nichts!
Das sollten Sie wissen!)
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) Wir finden, es ist kein gutes Zeichen, dass es diesen Ka-
binettsvorbehalt gegen die eigene Ministerin gibt.
Sie haben gesagt, Sie seien verlässlich. Wir befürchten,
dass Sie verlässlich im Streit sind. Die Chancen, dass (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
Ihre Prognose, Bildung werde zu einem gemeinsamen DIE GRÜNEN – Dr. Michael Fuchs [CDU/
Anliegen, in Erfüllung geht, stehen daher schlecht. Man CSU]: Seit wann steht das Kabinett alleine in
kann es auch härter sagen: Wie wollen Sie auf gesamt- der Verantwortung? Haushaltsausschuss!)
staatlicher Ebene, bei Bund, Ländern, Kommunen, Be-
geisterung für Bildung hervorrufen, wenn Sie gleichzei- Aber nicht nur in struktureller und prozessualer Hin-
tig den Ländern und Kommunen Mittel wegnehmen, die sicht haben wir Kritik anzubringen, sondern auch bei be-
sie brauchen, um in eine gesamtstaatliche kooperative stimmten inhaltlichen Orientierungen. Ich will das für
Bildungsoffensive einzusteigen? Ich will das an einem die Sozialdemokratie und – da es um die Bildungsrepu-
Beispiel konkretisieren. Ein kleines Land wie Schles- blik geht – für viele andere mehr an zwei bis drei Bei-
wig-Holstein verliert nun jährlich 60 Millionen Euro bei spielen erläutern.
den Landesfinanzen. Damit könnten 800 Lehrer finan- Wenn Bildungsgerechtigkeit nicht nur ein wohlfeiler
ziert werden. Die Kommunen verlieren insgesamt Begriff bleiben soll, dann müssen wir die Frage stellen,
70 Millionen Euro. Dafür könnten über 1 000 Erziehe- was eigentlich gerechter ist: Ist ein System gerecht, in
rinnen und Erzieher eingestellt werden. Glauben Sie, dem man die Chancen von Kindern davon abhängig
dass Sie so eine Bildungseuphorie in Bund, Ländern und macht, dass die Eltern gespart haben? Ist es gerecht, die
(B) Kommunen erzeugen können? Das wird so nicht gehen. Chancen von Kindern davon abhängig zu machen, wie (D)
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Bildungsgutscheine über das Land verstreut werden?
DIE GRÜNEN) Oder wären nicht starke und gute Schulen für starke
Kinder am gerechtesten? Starke Schulen für starke Kin-
Es steht noch mehr Schlimmes in Aussicht. Ihre ver- der – das ist es!
meintliche Einigung, dass der Bund 40 Prozent der Bil-
dungsausgaben finanziert, stellt keine passende Antwort (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
auf das strukturelle Bildungsdefizit bei Ländern und DIE GRÜNEN)
Kommunen dar. Dieses Defizit vergrößert sich aufgrund
Das ist unser konzeptioneller Ansatz. Besser als Bil-
Ihrer Steuerpolitik noch. Sie rechnen das schön. Länder
dungssparen und Bildungsgutscheine ist es, Schulsozial-
und Kommunen kommen zu ganz anderen Berechnun-
arbeit so zu fördern, dass es gute Ganztagsschulen geben
gen. Eine gemeinsame Bildungsrepublik sieht anders
kann. Es gibt dafür ein Beispiel aus rot-grüner Zeit. Mit
aus. Sie muss ehrlicher sein und finanziell anders unter-
4 Milliarden Euro wurde eine strukturelle Ganztags-
legt sein.
schulentwicklung in Gang gesetzt, die mittlerweile breit
Man muss aber auch bei den Zeitabläufen ehrlich anerkannt ist. Wenn Sie noch einmal etwas über die Güte
bleiben. Frau Schavan, ich kann Ihnen den Vorwurf nicht dieser Entwicklung nachlesen wollen, dann können Sie
ersparen: Diese Bundesregierung hat schon viel Zeit ver- das in einer soeben von Frau Ministerin Schavan heraus-
schenkt, indem sie von Gipfel zu Gipfel nur das Flach- gegebenen Broschüre tun.
land entdeckt hat; denn auf den bisherigen Bildungsgip-
feln ist nicht wirklich etwas verabredet worden. Das Man kann weiterhin fragen, ob ein wirklich starkes
wissen auch die Hochschulen, die Schulen, die Kommu- BAföG oder ein dubioses Stipendienprogramm für
nen und die übrige Bildungsrepublik. 200 000 Menschen gerechter ist und mehr Bildungsre-
serven an den Stellen, an denen es nötig ist, mobilisiert.
Schauen wir uns einmal den Hochschulbereich ge- Wäre nicht mehr gewonnen, wenn man die Familien, die
nauer an. Schon vor fast einem Jahr sind die Studenten jetzt nicht vom BAföG profitieren, weil sie vermeintlich
mit ihrer Bologna-Kritik vorstellig geworden. Aber was zu viel verdienen, obwohl sie zur unteren Mittelschicht
ist bisher passiert? Ein Datum im April wird in Aussicht gehören, durch deutlich erhöhte Freibeträge fördern
gestellt. Das ist verschenkte Zeit. Sie bemerken inzwi- würde? Bei der Alternative eines dubiosen Stipendien-
schen selber, dass sich diese verschenkte Zeit auch im programms für 200 000 Menschen und eines Rechts-
Haushaltsentwurf niederschlägt. Ich weiß nicht, ob es anspruchs auf BAföG-Förderung für 200 000 mehr ist
Haushälter gibt, die sich an so etwas erinnern können. die Entscheidung für uns klar: Nur das BAföG kann die
1168 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 14. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 19. Januar 2010
Auch darin sehen wir einen Unterschied zu dem, was (Zuruf von der SPD: Elf Jahre!)
diese Bundesregierung hier einbringt. mit einer sozialdemokratischen Bildungsministerin von
Aber es muss nicht nur Kritik sein. Frau Ministerin, Zeitverzug reden.
wir wollen gegenüber der Koalition auch gerne anerken- (Beifall bei der FDP)
nen, dass bei der Berufseinstiegsorientierung ab Klasse 7
zusätzliche 50 Millionen Euro sehr gezielt eingesetzt Der Zeitverzug ist sicherlich bei Ihnen zu finden; denn
werden. Das unterstützen wir, und das wollen wir gerne das, was Sie fordern, hätten Sie in diesen zwölf Jahren
noch verstärken. Es müssen aber kooperative Ansätze umsetzen können. Wenn man mit zwei Fingern auf je-
gefunden werden, mit denen die guten Ideen zur Ein- manden zeigt, zeigen immer drei auf einen selbst zurück.
stiegsqualifizierung und zur Berufsorientierung so um-
gesetzt werden, dass vollwertige Ausbildungsangebote Bildung und Forschung sind das, was diese Koalition
daraus erwachsen; dafür muss das gesamte System des verbindet, und zwar an allererster Stelle.
Übergangs von der Schule in den Beruf durchforstet
werden. Dazu brauchen Sie nicht nur die Kooperation (Zuruf von der SPD: Mehr nicht?)
von Bund, Ländern und Kommunen, sondern auch die Wir wissen, dass genau diese Punkte für den sozialen
der Tarifpartner. Fortschritt in diesem Lande wichtig sind, wir wissen,
Diese brauchen Sie auch bei dem Übergang von der dass der Aufstieg in einem Lande nur möglich ist, wenn
Arbeitslosenversicherung zur Arbeitsversicherung. Das Bildung und Forschung wirklich optimal organisiert
kam uns bei dem, was Sie zum Bildungsaufbruch darge- werden. Deswegen haben wir uns zu diesem Koalitions-
legt haben, zu kurz. Wir müssen die Fachkräftequalifi- vertrag nicht durchgerungen – Frau Schavan, ich glaube,
zierung mit allen uns zur Verfügung stehenden Instru- wir waren eine der friedlichsten Koalitionsrunden, die es
menten voranbringen, weil uns sonst die Zeit wegläuft. überhaupt gegeben hat –, sondern wir haben uns gemein-
Sonst ist die Fachkräftelücke schneller da, als die politi- sam auf ihn geeinigt. Wir sind stolz auf diesen Koali-
schen Anstrengungen dieser Bundesregierung ihr entge- tionsvertrag und auf die Schwerpunkte, die wir gesetzt
genwirken können. haben.
(B) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten (D)
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) der CDU/CSU)
Frau Ministerin, Sie haben die Gesamtstaatlichkeit Dieser Einzelplan spiegelt das natürlich wider; denn
beschworen, und es ist Ihnen nicht abzusprechen, dass wir sind jetzt bei 10,9 Milliarden Euro. Das sind immer-
Sie an bestimmten Stellen Anflüge von Ehrlichkeit ha- hin 702 Millionen Euro mehr als letztes Jahr unter Ihrer
ben. Ägide. Man muss in Erinnerung rufen: Frau Bulmahn
(Lachen bei der CDU/CSU) hatte zweieinhalb Milliarden Euro weniger. Ich weiß
nicht, woher Sie immer Ihre frohgemute Kritik nehmen.
Einen dieser Anflüge hatten Sie, als Sie sagten, dass das An dieser Stelle ist wirklich ein Aufwuchs da, den wir
im Rahmen der Föderalismusreform I vereinbarte Ko- immer gefordert haben.
operationsverbot, das ein hessischer Ministerpräsident
brutalstmöglich in die politische Debatte eingebracht (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
hatte, ein Fehler war. Das wollen wir ausdrücklich aner-
Satte 12 Milliarden Euro werden bis 2013 für Bildung
kennen.
und Forschung ausgegeben.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) (Zuruf von der SPD: Warten wir mal ab!)
Wir möchten Ihnen Gelegenheit geben, diesen Fehler Genau dieser Punkt ist es, der dem widerspricht, was Sie
zu korrigieren. Wir können das Grundgesetz, wo Ein- den Leuten immer weiszumachen versuchen. Natürlich
sicht gewachsen ist, auch wieder ändern. Als sozialde- wird investiert, und zwar in die Fläche. Herr Rossmann,
mokratische Opposition wollen wir gerne alles dafür tun, der Fehler der Föderalismusreform liegt doch bei Ihnen.
dass dieser Ministerin keine weiteren Fehler unterlaufen. Hätten Sie damals mit uns gestimmt, wären wir nicht in
der Situation.
Danke.
(Widerspruch bei der SPD – Klaus Hagemann
(Beifall bei der SPD) [SPD]: Gucken Sie mal auf Ihren Koalitions-
partner!)
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Insofern finde ich: Dass es uns jetzt gelingen wird, diese
Für die FDP-Fraktion hat jetzt die Kollegin Ulrike
Flach das Wort. 12 Milliarden Euro für Investitionen in der Fläche be-
reitzustellen, ist ein großer Fortschritt, Frau Schavan. Ich
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) hoffe, dass uns dies in nächster Zukunft gelingen wird.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 14. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 19. Januar 2010 1169
Ulrike Flach
(A) Ausgesprochen wichtig für uns war die finanzielle (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – (C)
Absicherung des Hochschulpakts, der Exzellenzini- Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Die erreichen
tiative und des Paktes für Forschung. Sie damit doch gar nicht!)
(Klaus Hagemann [SPD]: Die waren schon ab- Na, die sind ja da; die haben es ja. Frau Sitte, ich lade
gesichert!) Sie ein: Kommen Sie mit mir nach Duisburg. Sprechen
wir mit dem Rektor.
– Eben. Dass wir dieses trotz der harten Zeiten weiter
(Klaus Hagemann [SPD]: Wie viele Personen
getan haben, ist etwas, was uns beide erfreuen sollte,
sind das?)
Herr Hagemann. Das ist nicht immer selbstverständlich
gewesen. – 1 400 seit zwei Monaten. Bitte schön!
(Beifall bei der FDP) (René Röspel [SPD]: In ganz NRW!)
– Es hat doch gerade erst angefangen. – Ich bitte sehr:
Der Bund steigt in ein Stipendiensystem ein, das
Machen Sie einmal einen Ausflug dahin. Reisen bildet.
10 Prozent der begabtesten Studierenden ein Stipendium
garantiert. Damit vervierfacht sich die Zahl der Geför- Ebenso passt sicherlich nicht in Ihr Weltbild, dass wir
derten. Dieses Stipendiensystem – auch das will ich an das BAföG erhöhen werden,
dieser Stelle sehr deutlich sagen – ist ein Kernelement li-
(Klaus Hagemann [SPD]: Das haben wir er-
beraler Bildungspolitik. Wir haben dies hineinverhan-
höht!)
delt, und wir sind stolz auf dieses Stipendiensystem. Ich
möchte Sie einfach einmal an Folgendes erinnern: In dass die Aufstiegsförderung verbessert wird, dass es Zu-
60 Jahren Bundesrepublik mit sozialdemokratischer, schüsse für Begabtenförderungswerke gibt. Das ist doch
grüner und CDU-Beteiligung sind wir zu dem mageren etwas, was den Geist dieser Koalition ausmacht. Das
Ergebnis gekommen, dass es junge Menschen gibt, die sollten Sie einfach einmal akzeptieren. Wir wären froh,
eine Begabtenförderung von nur 80 Euro bekommen. wenn an dieser Stelle einmal Wahrheit über uns käme
Das ist Ihr Ergebnis. und nicht einfach nur Verdunkelung.
(Klaus Hagemann [SPD]: Wo waren denn Ihre Wir wissen, dass wir noch viel vor uns haben. Dazu
Anträge?) gehört das große Thema steuerliche Förderung für
FuE. Ich will auch an dieser Stelle als Haushälter sehr
Wir setzen jetzt ein Stipendiensystem dagegen. Überle- klar sagen: Es wird sehr schwierig werden, das durchzu-
gen wir uns doch einmal vor diesem Hintergrund, was in setzen.
(B) Nordrhein-Westfalen abläuft. (D)
(Klaus Hagemann [SPD]: Aha!)
(Klaus Hagemann [SPD]: Und? Was?) Ich setze da auf die Durchschlagskraft meiner Kollegen
von der CDU.
Wir haben dank der privaten Initiative – die Leute kom-
men zu uns, nicht wir zu ihnen; das ist übrigens der Un- (Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Im Haus-
terschied – inzwischen 1 400 Studierende seit dem letz- haltsausschuss! Ulrike, auf mich kannst du
ten Herbst, die ein Stipendium von 300 Euro im Monat zählen!)
bekommen. Das ist doch etwas.
Helfen Sie uns, dass wir das schaffen. Das ist nämlich ei-
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten nes der Kernelemente unseres Koalitionsvertrages.
der CDU/CSU) Abschließend möchte ich Ihnen einen weiteren Punkt
mit auf den Weg geben – auch dies ist ein Punkt, der bei
Ich bin an dieser Stelle ganz der Meinung meiner ge-
Haushältern normalerweise nicht so beliebt ist –: das
schätzten Kollegin Edelgard Bulmahn, die gesagt hat: Es
Wissenschaftsfreiheitsgesetz. Ich fühle mich als Libe-
wird Zeit, dass endlich der Spruch des Verfassungsge-
rale verpflichtet, dafür zu sorgen, dass nach diesen vier
richts erfüllt wird. – Selbstverständlich müssen wir Sti-
Jahren ein Wissenschaftsfreiheitsgesetz umgesetzt sein
pendiensysteme entwickeln. Wer, wie wir, für Studien-
wird, und zwar haushalterisch.
gebühren ist, ist selbstverständlich dazu verpflichtet,
Stipendien bereitzustellen. Wir tun dies – das ist eine (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
sehr typisch liberale Lösung – mit Beteiligung der Wirt- der CDU/CSU)
schaft; denn die will die Leute doch einstellen. Das ha-
Unser Gegner an dieser Stelle ist natürlich der Finanzmi-
ben wir hineinverhandelt, das ist ein Aufstiegsmotor für
nister und nicht die Bildungsministerin, um das einmal
junge begabte Menschen. Ich denke an meine Heimat-
ganz klar zu sagen.
stadt Duisburg und die Uni von Essen nebenan. Jeder
Dritte, der dort ein Stipendium erhält, ist ein Studieren- Das sind die wichtigsten Punkte, die wir gemeinsam
der – auch das einmal in Ihre Richtung – mit Migrations- vereinbart haben. Wir haben uns eben große Aufgaben
hintergrund. Ich frage mich, warum Linke, Sozialdemo- vorgenommen. Ich glaube, dieses Land ist es wert, Bil-
kraten und Grüne gegen dieses Stipendiensystem sind. dung und Forschung wirklich zu dem zu machen, was
Das sind doch gerade die Menschen, die wir mitnehmen wir alle in Sonntagsreden immer versprechen. Wir wol-
wollen. Es sind doch nicht meine Kinder; die brauchen len es. Wir stehen dafür. Messen Sie uns bitte in vier Jah-
kein Stipendium. ren daran, ob wir es auch so umgesetzt haben.
1170 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 14. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 19. Januar 2010
Ulrike Flach
(A) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten müsste die Steigerung des Bildungshaushaltes über (C)
der CDU/CSU – Klaus Hagemann [SPD]: Das dem Durchschnitt liegen.
werden wir machen! – Weiterer Zuruf von der
SPD: Bei der Abschiedsbilanz!) (Beifall der Abg. Petra Hinz [Essen] [SPD])
Das tut sie aber nicht. Das heißt, der Aufwuchs für
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Bildung und Forschung beträgt insgesamt nur
Die Kollegin Dr. Petra Sitte hat jetzt das Wort für die 750 Millionen Euro – von Milliarden kann nicht mehr
Fraktion Die Linke. die Rede sein –, und nur 350 Millionen Euro fließen in
die Bildung. Bezogen auf den Ausgangswert bleibt also
(Beifall bei der LINKEN) ein Riesenabstand.
Dr. Petra Sitte (DIE LINKE): Ich will einmal daran erinnern: Die Steuersenkungen
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich will ab dem Jahr 2011 sind Ihnen jedes Jahr 24 Milliarden
es noch einmal auf den Punkt bringen: In diversen Gut- Euro wert. Jetzt vergleichen Sie das bitte noch einmal
achten wurde der Politik in der letzten Zeit sehr genau mit Ihren 350 Millionen Euro.
vorgerechnet, wie viel Geld für gute Bildung in diesem (Beifall bei der LINKEN)
Land fehlt: 6 Milliarden Euro für Kindertagesstätten,
8 Milliarden Euro bei Schulen, 3,5 Milliarden Euro in Am Ende ist somit völlig fraglich, wie Sie auf der Basis
der Berufsbildung, 5 Milliarden Euro an den Hochschu- dieses Haushalts die Summen erreichen wollen, die auf
len und letztlich 14 Milliarden Euro in der Weiterbil- dem Bildungsgipfel vereinbart wurden, und wie es gelin-
dung. Das heißt, jährlich müssten 37 Milliarden Euro in- gen soll, dass 7 Prozent des Bruttoinlandsproduktes real
vestiert werden. Ich erinnere alle in diesem Hause daran, für Bildung ausgegeben werden.
dass Bildung der Leitstrahl war, auf dem alle Parteien Unter dem Label „Mehr Wettbewerb“, Frau Schavan,
durch den Wahlkampf navigierten. nicht etwa unter dem Label „Bildung ist Bürgerrecht“,
Noch auf dem Bildungsgipfel 2008 haben Bund und betreiben Sie hier Bildungspolitik. Das heißt, Sie unter-
Länder vereinbart, 7 Prozent des Bruttoinlandspro- werfen Bildung, Forschung und den Erwerb wissen-
duktes für Bildung auszugeben. Das wären damals schaftlicher Kompetenzen wirtschaftlicher Standortlo-
30 Milliarden Euro gewesen. Mittlerweile haben wir gik – das entspricht auch der Vereinbarung auf EU-
eine Krise gehabt, und das Bruttoinlandsprodukt ist et- Ebene –, und Sie rechnen damit Bildung gegen Verwert-
was gesunken, weshalb eigentlich etwas weniger Geld barkeit auf. Die Linke hat das immer kritisiert, aber blei-
für Bildung zur Verfügung stehen müsste. Weniger Geld ben wir einmal in Ihrer Logik: Wenn man ihr folgt,
(B) für Bildung könnte aber bedeuten, dass sich der nächste müsste in Bildung eigentlich wesentlich mehr investiert (D)
Bildungsgipfel auf eine Summe verständigt, die in der werden, weil die Bildungsrendite deutlich höher als die
Nähe dieser 30 Milliarden Euro liegt. Renditen von allen Kapitalanlagen liegt, nämlich im
zweistelligen Bereich. Außerdem ist der Bund über Ein-
Im Vorfeld des Bildungsgipfels ein Jahr später hat der kommensteuern und Beiträge zur Sozialversicherung ein
Vorsitzende der Ministerpräsidentenkonferenz, Genosse weit größerer Nutznießer von guter Bildung als die Län-
Kurt Beck, von notwendigen Mehrausgaben von 25 bis der.
28 Milliarden Euro gesprochen. Herr Pinkwart von der
FDP aus Nordrhein-Westfalen hat ihm zugestimmt und (Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Muss man
gesagt: Ja, seriös sind 25 bis 28 Milliarden Euro. – Was das glauben, was Sie hier erzählen?)
ist auf dem Weihnachtsgipfel 2009 wirklich herausge-
kommen? 13 Milliarden Euro – aber nicht für ein Jahr, Das heißt, auch unter diesem Blickwinkel ergibt sich die
sondern bis 2015. Von den notwendigen 37 Milliarden Verpflichtung für den Bund, sich jetzt und heute viel
Euro blieben nur 13 Milliarden Euro übrig, und die auch stärker bei der Bildungsfinanzierung zu engagieren.
nur unter Zuhilfenahme diverser Rechentricks von Fi- (Beifall bei der LINKEN)
nanzministern. Gott sei Dank hat die Öffentlichkeit, ins-
besondere die Bildungsöffentlichkeit, sehr schnell dage- Der Bund müsste also eigentlich die Steuerausfälle der
gengehalten. Ich sage Ihnen: Diese 13 Milliarden Euro Länder kompensieren, da diese höher als beim Bund
sind eben nicht Ausdruck einer Bildungsrepublik, son- ausfallen.
dern ein schwarz-gelbes Nachtschattengewächs. Auf dem Bildungsgipfel wurde leider keine zwin-
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- gende Vereinbarung getroffen, wie die Länder ihren An-
neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE teil aufbringen sollen. Den Ländern sitzt dann ab 2012
GRÜNEN) – das sei angemerkt – auch noch die Schuldenbremse im
Nacken. Damit ist ihnen verwehrt, mehr Bildung durch
Da ist nichts mit Verlässlichkeit, Frau Schavan. höhere Kreditaufnahme zu finanzieren. Wissen Sie, was
Nun freuen Sie sich darüber – auch Frau Flach von das bedeutet?
der FDP rühmt es –, dass Ihr Haushalt um 6,9 Prozent (Albert Rupprecht [Weiden] [CDU/CSU]:
steigt. Da staunt der Laie, und der Fachmann oder die Prioritätensetzung!)
Fachfrau wundert sich; denn die Steigerung des gesam-
ten Bundeshaushaltes liegt bei 7,3 Prozent. Wenn man In meinem Land, in Sachsen-Anhalt, sitzen derzeit
wirklich so viel Wert auf Bildung legen würde, dann 51 000 Studierende auf 34 000 Studienplätzen.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 14. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 19. Januar 2010 1171
Dr. Petra Sitte
(A) Nun müsste ja durch den Kurswechsel bei der Umset- Erkenntnisse werden disziplinübergreifend geboren. Das (C)
zung des Bologna-Prozesses, den alle den Studierenden heißt, interdisziplinäre Zusammenarbeit ist angesagt.
während des Streiks versprochen haben, zusätzlich noch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, immerhin
ein 15-prozentiger Aufwuchs bei der Ausstattung und vier Fünftel ohne Professur, werden durch hierarchische
dem Personal an den Universitäten eingerechnet werden. Strukturen an einer Umgestaltung gehindert. Personelle
Das findet aber nicht statt, weil den Ländern die Mittel Abhängigkeiten hindern sie an eigenverantwortlichem
dafür fehlen. Insofern, Frau Flach und Herr Hagemann, Lehren und Forschen. Nicht selten gleichen die prekären
ist der Hochschulpakt eben nicht abgesichert, was die und zudem wiederholt befristeten, schlecht vergüteten
Länderseite betrifft. Die Folge in meinem Land ist, dass Beschäftigungsverhältnisse einem Kampf um die eigene
der Finanzminister von der SPD sagt: Ich will in den Daseinberechtigung. Da habe ich überhaupt kein Ver-
nächsten Jahren 1 239 Stellen im Bildungsbereich strei- trauen in Ihr Wissenschaftsfreiheitsgesetz, Frau Flach.
chen bzw. die Personalkosten um 20 Prozent absenken. –
Die Linke meint, dass nicht nur die Grenzen zwischen
Das würde natürlich dazu führen, dass sich die Studien-
den Fachdisziplinen, sondern vor allem die Hierarchien
bedingungen durch schlechtere Betreuungsverhältnisse
im Hochschulsystem aufzuheben sind. Denn Professo-
noch weiter verschlechtern werden.
rinnen und Professoren sowie anderes wissenschaftli-
(Eckhardt Rehberg [CDU/CSU]: Diese böse ches Personal müssen sich bei Lehre und Forschung auf
SPD!) Augenhöhe treffen. Dadurch könnte die Chance eröffnet
werden, Wissenschaft endlich zu einem Beruf mit Per-
Es ist also nichts mit Kurskorrektur und Verbesserung
spektive zu machen. Verlässliche Perspektiven und mehr
nach der Bologna-Misere.
Selbstständigkeit halten auch wissenschaftlichen Nach-
Einer Studienreform sollte vor diesem Hintergrund wuchs eher im Land. Personalstruktur ist also an der
gegenüber der Exzellenzinitiative ganz klare Priorität Profession zu orientieren.
eingeräumt werden. Deshalb haben wir gesagt: Für uns
(Beifall bei der LINKEN)
ist es derzeit nicht akzeptabel, Milliarden Euro in die
Exzellenzinitiative zu stecken, weil dadurch das Hoch- Ein solches Herangehen würde im Übrigen auch mehr
schulwesen weiter segmentiert wird. Die für die Exzel- Frauen ermutigen, in der Wissenschaft zu bleiben; denn
lenzinitiative vorgesehenen Summen sollten vielmehr für sie wäre eine akademische Laufbahn dadurch attrak-
zugunsten des Hochschulpakts transferiert werden. Dann tiv. Dann würden sich Beruf und Familie nicht mehr wie
könnte man den verschulten Bachelor mit seinen zahlrei- zwei Fresszellen zueinander verhalten, die vielleicht auf
chen Prüfungen – für diejenigen, die das nicht so genau privater Ebene auch noch Blutspuren hinter sich herzie-
wissen: Das ist der Abschluss nach drei Jahren – ent- hen.
(B) schlacken, die Regelstudienzeiten korrigieren, die Mobi- (D)
(Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Hallo! Woher
lität der Studierenden fördern und für einen sicheren Zu-
haben Sie denn Ihre Lebenserfahrung?)
gang vom Bachelor zum Master sorgen.
Dazu erwarten wir Initiativen von der Bundesregie-
Nun reden Sie von einer Erhöhung des BAföG um
rung. Sie aber packen in den Haushalt nur Versatzstücke.
2 Prozent. Wie würde sich eine solche Erhöhung konkret
Es ist beispielsweise vom „Qualitätspakt Lehre“ und von
bei den Studierenden auswirken? Alle einschlägigen Or-
der „Weiterentwicklung des Bologna-Prozesses“ zu le-
ganisationen wie beispielsweise Studentenwerk und Ge-
sen. Wenn man nachfragt, bekommt man keine vernünf-
werkschaft für Erziehung und Wissenschaft haben Ihnen
tige Antwort; denn Sie haben noch nichts konkret vorbe-
ja vorgerechnet, dass es mindestens eine 5-prozentige
reitet oder mit den Ländern abgestimmt.
Erhöhung geben müsste, um die Preisentwicklung abzu-
federn. Zugleich wollen Sie erreichen, dass künftig (Zuruf der Abg. Ulrike Flach [FDP])
50 Prozent eines Jahrgangs das Studium aufnehmen. Das
– Ich höre Ihnen später noch einmal zu.
heißt doch nichts weiter, als dass Sie das BAföG be-
darfsgerecht umgestalten und um einem elternunabhän- Meine Damen und Herren, auch bei den Ausgaben für
gigen Sockel erweitern müssen, sonst erreichen Sie ein- Forschung und Entwicklung ist die Bundesregierung
kommensschwache Familien ja überhaupt nicht. schlicht und ergreifend schief gewickelt. Mit den Mil-
liarden der Hightech-Strategie werden nach wie vor
(Beifall bei der LINKEN)
insbesondere Großunternehmen massiv unterstützt, vor
All das gehört zu den Forderungen, die im Rahmen allem Global Player. Deren unternehmerische Kernauf-
des Bildungsstreiks erhoben wurden. All das findet sich gabe wäre eigentlich, Forschung und Entwicklung zu
aber in diesem Haushalt nicht wieder. Somit bringt er unterstützen. Von den 1,5 Millionen Arbeitsplätzen, die
nicht mehr Bildungsgerechtigkeit mit sich. Sie, Frau Minister, im Zusammenhang mit der Hightech-
Strategie versprochen haben, ist nichts übrig geblieben.
Meine Damen und Herren, die Qualifizierung von
Jedenfalls können Sie das nicht genau beziffern. Statt-
Lehre und Forschung sowie die Verbesserung der Ar-
dessen sagen Sie, es dauere noch ein bisschen, bis sie
beits- und Studienbedingungen der Hochschulangehöri-
richtig wirke.
gen sind unter diesen Voraussetzungen nicht zu schaffen.
Forschung und Lehre sind hochkommunikative und Sichtbar wird im Haushalt hingegen, dass die Förde-
kooperative Prozesse. Beide haben sich in den letzten rung innovativer kleiner und mittelständischer Unterneh-
Jahren infolge neuer technischer und technologischer men deutlich hinter der Förderung von Großunterneh-
Möglichkeiten verändert. Fachleute sagen, die großen men zurückbleibt. Klar wird auch – insofern habe ich
1172 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 14. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 19. Januar 2010
Klaus Hagemann
(A) dass den Kommunen weniger Mittel zur Verfügung ge- Wenn Sie diese Fragen beantworten, ist das ein Bei- (C)
stellt werden, Mittel, die sie für ihre Schulen, für die trag zur Zukunftssicherung. In diesem Sinne hoffe ich,
Kindergärten und Kindertagesstätten brauchen. Diese dass die Haushaltsberatungen interessant werden und
Mittel aber fehlen. Gerade auf den Neujahrsempfängen, wir vielleicht das eine oder andere bewegen können.
auf denen zurzeit alle Abgeordneten zu finden sind, wird
von den Bürgermeistern in den Kommunen, gerade auch Vielen Dank.
in meinem Wahlkreis – das wird in anderen Wahlkreisen (Beifall bei der SPD)
nicht anders sein –, auch von CDU-Bürgermeistern, kri-
tisiert, dass ihnen der Bund weniger Mittel zukommen
lässt. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Das Wort hat nun Kollege Patrick Meinhardt von der
Es gab für die Kommunen einen Lichtblick: das FDP-Fraktion.
Ganztagsschulprogramm. Warum wird das nicht fort-
geführt? Alle Kommunen sind für diese Mittel dankbar. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
Sie waren damals dagegen, Frau Ministerin, als Sie noch der CDU/CSU – Hartwig Fischer [Göttingen]
Landesministerin waren; Herr Koch war sowieso dage- [CDU/CSU]: Jetzt gibt es die liberale Note!)
gen.
Patrick Meinhardt (FDP):
Es gab aus Sicht der Kommunen einen weiteren
Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen
Lichtblick: das Konjunkturprogramm II, mit dem Mittel
und Kollegen! Meine Damen und Herren von der ver-
zur Verfügung gestellt wurden. Warum wird das nicht
sammelten Linken hier in diesem Hohen Haus! Es ist
weitergeführt, um Schulen, Kitas oder Sporteinrichtun-
wirklich unglaublich, was Sie hier alles an den Haaren
gen energetisch zu sanieren?
herbeiziehen.
Ein anderer Lichtblick aus Sicht der Kommunen ist (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der
das 4-Milliarden-Euro-Programm zum Ausbau der Kin- CDU/CSU)
derbetreuung. Frühkindliche Bildung ist besonders
wichtig. Dafür müssen Mittel zur Verfügung gestellt Sie können noch so sehr Ihr ideologisches Trommel-
werden. Da wird aber meiner Ansicht nach zu Recht be- feuer entfachen, und gerade die Sozialdemokraten kön-
klagt: Das Geld reicht nicht aus, damit wir den Rechts- nen vorgaukeln, sie hätten die letzten elf Jahre in diesem
anspruch auf einen Kindergartenplatz umsetzen können. Land nicht regiert. Nein! Die Kernbotschaft dieser Bun-
Da besteht Handlungsbedarf. Das gilt auch für die Aus- desregierung der Mitte ist klar, kurz und prägnant: In
(B) bildung von ausreichend Erzieherinnen und Erziehern. vier Jahren wollen wir Deutschland in der Bildung ge- (D)
rechter, in der Forschung dynamischer und in der Tech-
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten nologie stärker machen. Das ist die zentrale Botschaft
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) dieser Bundesregierung der Mitte.
Hier sind also viele Gebiete anzusprechen. Es geht (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
natürlich auch darum, wie Ihre Programme umgesetzt
werden, Frau Ministerin. An dieser Stelle hapert es bei 750 Millionen Euro nehmen wir für Bildung, For-
einer Reihe von Programmen. Ich denke etwa an das schung und Technologie mehr in die Hand, davon allein
Freiwillige Technische Jahr, jetzt Technikum. Bisher 702 Millionen im Haushalt des Bildungs- und For-
ist ein einziger Platz geschaffen worden. schungsministeriums. Das ist eine Steigerung um
7 Prozent in einem Haushalt von 11 Milliarden Euro.
Ich kann noch andere Bereiche erwähnen. Ich denke Das ist in Zeiten der Krise die richtige Antwort. Das ist
beispielsweise an den Weiterbildungsbereich. Im ver- in Zeiten der Krise ein Handlungspaket, das auf die
gangenen Jahr sind 178 000 Euro für Prämien, aber Menschen, auf ihre Fähigkeiten und auf ihre Talente
3,8 Millionen Euro für Werbung und Verwaltung ausge- setzt. Das ist in Zeiten der Krise ein mutiges Investi-
geben worden. An diesen Punkten zeigt sich, dass meine tionsprogramm.
Frage berechtigt ist: Inwieweit schaffen Sie es, die Mit-
tel, die auf dem Papier stehen, sinnvoll einzusetzen? (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Mit der Fortsetzung des Hochschulpaktes, der Exzel-
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: lenzinitiative und des Pakts für Forschung und Innova-
Herr Kollege, Sie müssen bitte zum Ende kommen. tion sowie der Stärkung der Hightech-Strategie bringen
wir unseren Wissenschaftsstandort Deutschland
voran. Die Stärkung der Spitzenforschung in den neuen
Klaus Hagemann (SPD): Bundesländern mit zusätzlichen 15 Millionen Euro in
Ich komme zum Ende, Herr Präsident. – Ich erinnere diesem Haushalt ist ein Zeichen dafür. Die Projektmittel
an einen anderen Punkt. Viele junge Leute fragen: Was in den Zukunftsbereichen Lebenswissenschaften, Klima,
passiert, wenn es nicht genügend Ausbildungsplätze Umwelt und neue Technologien werden um 13 Prozent
gibt? Die Bundesagentur für Arbeit weist auf dieses Pro- erhöht. Zentral wichtig ist der Bereich der neuen Tech-
blem hin. Was sind Ihre Initiativen, damit die jungen nologien; hier steigen die Mittel um 14 Prozent. Wir
Leute nicht auf der Straße stehen und keine Perspektive wollen in der ersten Liga der Forschungs- und Spitzen-
haben? technologie spielen. Dafür steht diese Bundesregierung.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 14. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 19. Januar 2010 1177
Patrick Meinhardt
(A) (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – bei der BAföG-Modernisierung das Wichtigste ist? Das (C)
Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Wir wollen Wichtigste ist, dass Studierende nicht wie bei der letzten
Bayern München sein!) von uns damals als Opposition mitgetragenen Erhöhung
sieben Jahre warten müssen, sondern dass wir uns selbst
Um das zu erreichen, brauchen wir viele Diskussio- in die Pflicht nehmen, die Sätze alle zwei Jahre anzupas-
nen in der ganzen Breite der Gesellschaft, der Wissen- sen. Diese Regelmäßigkeit war überfällig und wird jetzt
schaft und der Wirtschaft. Das gilt auch für die steuerli- unter dieser Regierung Realität.
che Forschungs- und Entwicklungsförderung. Hier
werden wir nicht irgendwo am grünen Tisch, sondern im (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
Dialog den bestmöglichen Weg ausloten, um eine opti- der CDU/CSU)
male Förderung insbesondere der kleinen und mittleren
Unternehmen zu erreichen. Denn diesen Wettbewerbs- Der Qualitätspakt Lehre, die kritische Weiterentwick-
nachteil bei der FuE-Förderung müssen wir beseitigen, lung des Bologna-Prozesses, die massive Weiterbil-
wenn wir als Technologieland durchstarten wollen. dungsoffensive mit der Einführung eines Zukunftskon-
tos, das Fortbildungsprogramm für Erzieherinnen und
Wir sind ein Land, in dem viel zu viele verborgene Erzieher, die Modernisierung der beruflichen Bildung,
Talente schlummern. die Förderung der Berufsorientierung an Schulen und
der Ausbildungsqualifizierung, um dem Bug von Altbe-
(Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Ich warte auf werbern entgegenzuwirken, die Stärkung der frühkindli-
Ihres!) chen Bildung, die Stärkung von E-Learning durch eine
Das muss Konsequenzen für eine moderne Bildungspoli- Verdoppelung des Haushaltsansatzes für neue Medien in
tik haben. Diese Bundesregierung wird alle Anstrengun- der Bildung – all das hat für diese Regierung der Mitte
gen unternehmen, um die Förderung von Begabung und Priorität. Unsere Antwort auf diese Wirtschaftskrise
Hochbegabung voranzutreiben. Ab und zu hat man den kann sich auch die Opposition merken: Bildung, Bil-
Verdacht, dass man die Begriffe „Elite“ und „Leistung“ dung, Bildung.
in unserem Land nicht mehr benutzen darf. Wir brau- Vielen Dank.
chen Leistungs- und Begabungseliten. Wir müssen
junge Menschen unabhängig vom Geldbeutel ihrer El- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU –
tern und allein orientiert an ihren Talenten fördern. Das Klaus Hagemann [SPD]: Ja! Ja! Ja!)
ist eine gerechte Bildungspolitik.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
der CDU/CSU – Klaus Hagemann [SPD]: Ich erteile das Wort Kollegin Ekin Deligöz, Fraktion
(B) 70 000 ohne Schulabschluss!) Bündnis 90/Die Grünen. (D)
Ekin Deligöz
(A) treuung über die Sprachförderung bis hin zu einer guten gerecht noch hat das etwas mit Verantwortung zu tun. (C)
Grund- und Ganztagsschule? Sie bleiben uns Ihre Antworten schuldig.
(Patrick Meinhardt [FDP]: Ja! Das ist alles (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
sehr wichtig! Auch frühkindliche Förderung sowie bei Abgeordneten der SPD)
ist vollkommen richtig!)
Leider vermisse ich auch in fachlicher Hinsicht eine
Diese Kinder kommen in Ihrem Konzept von Gerechtig- gewisse Navigation; der Navigator scheint Ihnen tat-
keit nicht vor. Das vermisse ich. sächlich abhandengekommen zu sein.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ich nenne Ihnen einige Beispiele. Soziale Hürden
und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der beim Zugang zur Uni werden nicht systematisch abge-
LINKEN) baut, wenn man lediglich ein Stipendiensystem und Bil-
dungs- oder Zukunftskonten einführt. Was wir in diesem
Frau Schavan, Sie haben eine Rede gehalten, die sehr
Land brauchen, ist eine vernünftige Weiterentwicklung
schön geklungen hat.
des BAföG. Indem Sie das BAföG um 2 Prozent erhö-
(Florian Pronold [SPD]: Na ja! So toll war sie hen, können Sie wirklich niemanden davon überzeugen,
nun auch wieder nicht!) dass dies eine Reform oder gar eine Weiterentwicklung
ist. Halten Sie die Menschen doch nicht für dumm!
Sie haben die Dinge schöngeredet und manche Zahlen
schöngerechnet. Die Lage, die Sie beschrieben haben, ist Ein anderes Beispiel sind die bundesweit verbindli-
aber in Wirklichkeit nicht so schön. Und deshalb haben chen, vergleichbaren Sprachtests für Kinder mit einer
Sie auch allerdings keine angemessenen Antworten. Sie verpflichtenden Förderung. Wie soll denn eine Förde-
verschieben alles, was zu tun ist, in eine möglichst ferne rung durchgeführt werden, wenn Sie den Kommunen bei
Zukunft. Sie waren in Ihrer gesamten Rede an keiner der frühkindlichen Förderung jegliche Luft zum Atmen
einzigen Stelle verbindlich. Nirgendwo haben Sie ausrei- nehmen? Wie soll denn eine verbindliche Sprachförde-
chend konkrete Ansätze vorgetragen. rung funktionieren, wenn Sie durch ein Instrument wie
das Betreuungsgeld das Signal aussenden, dass es gera-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN dezu bestraft wird, wenn Kinder gefördert werden?
sowie bei Abgeordneten der SPD)
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Ich nenne Ihnen ein Beispiel. Sie haben zwei Bil- sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN-
dungsgipfel durchgeführt. Eigentlich ist durch die bei- KEN)
den Bildungsgipfel aber nur eines erreicht worden: dass
(B) der finanzielle Mehrbedarf für Bildung und Forschung Wie soll das funktionieren? Erklären Sie das einmal, und (D)
von rund 60 Milliarden Euro, die einmal veranschlagt stehen Sie dazu. Das Betreuungsgeld ist eine bildungs-
waren, auf 13 Milliarden Euro heruntergerechnet wurde. politische Katastrophe. Das, was Sie sich wünschen,
Würde man noch zwei Bildungsgipfel durchführen, funktioniert nicht, weil Sie die Kommunen im Stich las-
würde man wahrscheinlich feststellen, dass wir über- sen, und es funktioniert nicht, wenn Bildung nicht von
haupt kein Geld mehr in die Hand nehmen müssen oder Anfang an, also bereits im Kindergarten und in der Kin-
dass womöglich sogar noch Sparpotenziale bestehen. derkrippe, als solche definiert wird.
(Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Ja, richtig!) Noch ein Beispiel. Der Hochschulpakt hat einen
Konstruktionsfehler. Er bringt pro Studienplatz viel zu
Das ist Ihre Art, Bildungspolitik zu machen. Das ist aber wenig und setzt keinerlei Anreize, zusätzliche Studien-
nicht die Bildungspolitik, die wir in diesem Land brau- plätze zu schaffen oder gar die Qualität zu erhöhen, die
chen. Studienbedingungen in diesem Land also zu verbessern.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Die Bologna-Reform bringt nun einmal nicht das, was
sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN- man sich von ihr erhofft hat; das müssen Sie zur Kennt-
KEN) nis nehmen. Das zeigen uns auch die Forderungen der
Studierenden, die auf die Straße gehen.
Was wir brauchen, ist eine Gesamtaufstellung, ein
Gesamtkonzept. Es gibt genug Felder, in denen es kon- Wir brauchen mehr Studienplätze, wir brauchen aber
krete Bedarfe gibt. Dabei geht es um klar bezifferbare auch eine Debatte über die Qualität und verbindliche Lö-
Sachinvestitionen, erforderliches Personal, Qualität, sungsansätze in diesem Bereich. Wir brauchen eine kon-
Qualifizierung, Studien- und Ausbildungsförderung, zertierte Aktion, eine effiziente, finanzstarke Überarbei-
Transparenz in der Bildungspolitik und eine Zusammen- tung. Reine Absichtserklärungen reichen nicht.
arbeit von Bund, Ländern und Kommunen. Hier brau- (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS-
chen wir eine dezidierte Gesamtaufstellung. Sie dagegen SES 90/DIE GRÜNEN)
haben uns vor den Weihnachtsferien gezeigt, dass Bil-
dungspolitik für Sie Verhandlungsmasse ist. Sie haben Ein letztes Wort auch von mir zum Kooperationsver-
uns gezeigt, dass Sie um die BIP-Quoten lieber feil- bot. Das Kooperationsverbot war ein Fehler. Sie haben
schen. Sie haben damit deutlich gemacht, dass Sie um das inzwischen eingesehen, Frau Schavan, und es ehrt
die Zukunftschancen der Kinder in diesem Land, auch Sie, dass Sie das eingestehen. Das reicht aber nicht. Eine
meiner Kinder, lieber feilschen, als eine ernsthafte Bil- Dummheit wie das Kooperationsverbot darf keinen Platz
dungspolitik zu betreiben. Frau Schavan, das ist weder haben in der Politik, schon gar nicht in der Bildungspoli-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 14. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 19. Januar 2010 1179
Ekin Deligöz
(A) tik. Das Kooperationsverbot geht zulasten der Kinder. ßen 909 000 junge Menschen die Schulen, 2020 werden (C)
Sie sind es den Eltern, den Kindern, den Schülern, den es weniger als 800 000 sein.
Studierenden – allen, die davon betroffen sind – schul-
dig, dass Sie an dieser Stelle nacharbeiten. Da ist noch Wir haben darauf reagiert: Bildung ist ein Marken-
eine Menge zu tun. kern unserer Politik; die Regierung Merkel setzt seit Jah-
ren einen Schwerpunkt bei Bildung und Forschung. Die
Einen Aufbruch habe ich aus Ihrer Rede leider nicht Wahrheit ist immer sehr konkret. 2005, im letzten Jahr
heraushören können. Einen solchen Aufbruch brauchen von „Basta!“-Schröder, waren im Haushalt für Bildung
wir aber in diesem Land. und Forschung 7,6 Milliarden Euro vorgesehen. Im
Haushalt 2010 sind es fast 11 Milliarden Euro, ein An-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN stieg von 30 Prozent, den wir in den letzten Jahren ge-
sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN- meinsam mit Frau Merkel und Frau Schavan durchgezo-
KEN) gen haben. 12 Milliarden Euro haben wir zugesagt, die
bis 2012 ergänzend hinzukommen sollen. Keine Bun-
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: desregierung seit 1949 hat für Bildung und Forschung
Das Wort hat nun Uwe Schummer für die CDU/CSU- mehr ausgegeben als das, was die christlich-liberale Ko-
Fraktion. alition jetzt bereitstellt.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
der FDP) Wenn kritisiert wird, dass der Aufwuchs in anderen
Ministerien stärker sei als im Ministerium für Bildung
Uwe Schummer (CDU/CSU): und Forschung, muss man auch sehen, wo der Aufwuchs
Verehrtes Präsidium! Meine Damen! Meine Herren! stärker ist, nämlich im Ministerium für Gesundheit und
im Ministerium für Arbeit und Soziales. Herr
Bildung ist ein Schlüssel zur persönlichen Entfal- Hagemann, Sie können doch nicht auf der einen Seite sa-
tung, zur sozialen Gerechtigkeit und zum Wohl- gen: „Wir brauchen einen starken Sozialstaat“, auf der
stand … Bildung ermöglicht Aufstieg und schafft anderen Seite aber gegenüberstellen, was für Bildung,
Zusammenhalt. Deshalb wollen wir die Bildungsre- was für Gesundheit und was für Arbeitsmarktpolitik aus-
publik Deutschland. gegeben wird. Der Bildungshaushalt ist bei den nichtge-
Das sind die Kernsätze der Präambel des Koalitionsver- setzlichen Maßnahmen der am stärksten wachsende
trages. Damit skizzieren wir sehr eindeutig das zentrale Haushalt. Das ist zentral, und das ist ein Erfolg von
Projekt christlich-liberaler Politik Annette Schavan.
(B) (D)
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
der FDP) neten der FDP)
und die Erkenntnis: Menschen sind unser Potenzial. Man muss nicht nur nach vorne schauen: 2003 – auch
da ist die Wahrheit sehr konkret – saßen Sie von den
Auch in der Wirtschaft sieht man es mittlerweile so, Grünen in der ersten Reihe, als mit den Hartz-Gesetzen
dass Arbeitnehmer keine reinen Kostenfaktoren sind, die die gesamte Berufsberatung, die Berufsorientierung, die
man eliminiert, sondern Aktivposten im Unternehmen, Weiterbildung in Grund und Boden geschossen wurde.
Innovationsfaktoren im Unternehmen. Wir wissen, dass
83 Prozent aller Patente, die in Deutschland entwickelt In der Weltwirtschaftskrise, die wir derzeit haben,
werden, von in Unternehmen Beschäftigten kommen. müssen wir uns fragen: Woher kommen wir, und was
Darauf müssen wir setzen. Eine zentrale Voraussetzung mussten wir aufbauen, was Rot-Grün in Weiterbildung
dafür ist, dass wir eine Bildungsrepublik sind. und Berufsorientierung an verbrannter Erde hinterlassen
hatte? Wer Zukunft sichern will, muss früh fordern und
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) bei der Berufsorientierung früh fördern. Daher ist es
wichtig, dass im aktuellen Haushalt die Ausgaben für die
Es wäre undenkbar, dass die arabischen Länder ihre Öl- Modernisierung und Stärkung der beruflichen Bildung
vorräte im Wüstensand versickern lassen. Es wäre un- auf 190 Millionen Euro fast verdoppelt werden.
denkbar, dass die Südafrikaner ihre Goldschätze nicht
nutzen. Für uns muss es undenkbar sein, dass wir unser (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Potenzial – den Menschen – nicht entsprechend fördern,
aber auch fordern. Die Erkenntnis aus der Börsenkrise Ich mache es an einem Programm ganz konkret fest,
ist doch: Wir müssen weniger an der Börse spekulieren das wir gemeinsam mit dem Handwerk und vielen Ver-
und stärker in Menschen investieren. bänden noch in der Großen Koalition entwickelt haben:
Nicht zwei Monate, sondern zwei Jahre vor der Schul-
Das Institut der deutschen Wirtschaft Köln beziffert entlassung soll eine frühzeitige Berufsorientierung in
die Einkommensverluste und die Auftragsverluste der überbetrieblichen Ausbildungswerkstätten stattfinden,
deutschen Unternehmen, die durch Facharbeitermangel bei Kolping oder wo auch immer. Zwar kann man nicht
und Ingenieurmangel entstehen, schon heute auf alle 342 Berufsbilder in der Schule vortragen, aber zu-
18,5 Milliarden Euro jährlich. Wir müssen aufpassen, mindest die wichtigsten Berufsfelder in 14 Tagen
dass dieses Wachstumshemmnis durch die demografi- Berufsorientierung mit pädagogischer Begleitung und
sche Entwicklung nicht noch größer wird. 2008 verlie- einem Profiling am Ende kennenlernen. Dann schaut
1180 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 14. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 19. Januar 2010
Uwe Schummer
(A) man eben – in den Bereichen Holz, Metall, Hauswirt- mit die Eltern Wahlfreiheit haben! Es gibt (C)
schaft, Gartenbau, Verwaltung –, was die Talente, Eigen- heute keine!)
schaften und Fähigkeiten sind und wie die zwei Jahre in
– Liebe Frau Hinz, Sie sind charmant, wenn Sie nicht im
der Schule genutzt werden können, um den Übergang
Plenarsaal sind; aber hier im Plenum ist es unerträglich.
von der allgemeinen Bildung in die berufliche Qualifi-
zierung zielgenauer zu gestalten. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Knapp 76 000 Schülerinnen und Schüler haben dieses Die Oppositionsfraktionen haben in dieser Debatte
Programm im letzten Jahr durchlaufen. Die Mittel für drei Schlüsselbegriffe gebracht: kostenfrei, billig und
dieses Programm werden im neuen Haushalt verfünf- umsonst. Die Bildungspolitik, die wir anstreben, muss
facht, hinzu kommen die Ausgaben im Bereich Arbeit finanziell barrierefrei sein, Qualität schaffen und lebens-
und Soziales. So werden wir erstmals in der Lage sein, langes Lernen ermöglichen. Dafür stehen wir.
diese frühzeitige Berufsorientierung flächendeckend al-
len Schülerinnen und Schüler anzubieten. Nach Aussage (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
des Berufsbildungsinstituts ist die Abbrecherquote auch
durch diese Maßnahmen von 25 Prozent auf 19 Prozent Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
abgebaut worden. Das heißt, sie finden schneller eine Das Wort hat nun Kollegen René Röspel für die SPD-
vernünftige berufliche Qualifizierung, wenn man früh- Fraktion.
zeitig solche Instrumente einsetzt.
(Beifall bei der SPD)
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
René Röspel (SPD):
Sie schimpfen immer über das Bildungssparen, das
wir doch gemeinsam mit der Merkel-Regierung in den Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
letzten Jahren durch die Öffnung des Vermögensbil- Herren! Das ist meine erste Haushaltsrede als Opposi-
dungsgesetzes durchgesetzt haben: für die Erwerbstäti- tionspolitiker,
gen, die aufgrund der Hebelwirkung ihrer eigenen (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der
Beiträge die Arbeitgeberbeiträge, die Zinsen und die CDU/CSU und der FDP)
steuerfinanzierten Prämien nutzen können.
was mich gleichwohl nicht daran hindert, das Erfreuli-
(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Welche che im Etat zu erkennen und auch zu benennen. Frau
Beiträge? Es gibt einen Unterschied zwischen Schavan, ausdrücklich freue ich mich, dass es Ihnen ge-
Erwachsenen und Kindern!) lingt, eine fünfte oder auch sechste Stufe einer Rakete
(B) – Wir schließen jetzt die Lücke, verehrter Herr zu zünden, die die Forschung in Deutschland voranbrin- (D)
gen soll. Aber es sei mir auch erlaubt, darauf hinzuwei-
Rossmann, von der Geburt bis zur Erwerbstätigkeit, weil
sen, wer diese Rakete denn gestartet hat – wir haben ge-
bereits früher Bildungssparen möglich sein sollte.
rade ein paar Zahlen von dem Kollegen gehört –: Als
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Rot-Grün 1998 die Regierung übernahm, gab es keine
Startrampe und auch keine Rakete in Sachen Forschung.
Wenn diese 150 Euro als Startkapital bereitgestellt Seinerzeit hatten der damalige Forschungsminister
werden, dann für alle. Aber dann lasst uns doch einmal Rüttgers und Herr Kohl die Ausgaben für Bildung und
kreativ überlegen, statt nur zu schimpfen. Wie kann man Forschung gesenkt.
denn ein solches Bildungskonto weiter nutzen, beispiels-
weise diskriminierungsfrei für Bildungsschecks, die man (Zuruf von der SPD: Das ist mehr als zehn
über das Bildungskonto transferieren könnte? Man kann Jahre her!)
dem Geld ja nicht ansehen, ob es öffentlich geförderte Wir haben das erst wieder mühsam aufbauen müssen.
Mittel oder privat angesparte Gelder sind. Oder warum Die Startphase einer Rakete ist immer die schwierigste.
soll das Schulstarterpaket, das wir gemeinsam bis zum Wir haben auch Widerstände überwinden müssen. Wer
Abitur durchgesetzt haben, nicht über das Bildungskonto das nicht glauben mag, kann es in den Protokollen des
laufen können? Dies könnte auch für das Betreuungsgeld Bundestags nachlesen, beispielsweise als wir das Ganz-
gelten. tagsschulprogramm diskutiert haben, das in allen Kom-
Herr Rossmann, Sie haben im Grunde eine starke munen gut ankommt und über das viele froh sind. Wenn
Schulsozialarbeit – da bin ich an Ihrer Seite – starken El- man einige Reden heute hört, könnte man glauben, dass
tern, die starke Kinder erziehen, als Alternative gegen- es die jetzige Koalition erfunden hätte. Das ist aber nicht
übergestellt. Bei Letzterem sind wir nicht auf Ihrer Seite. der Fall. Aber geschenkt; es sei Ihnen unbenommen,
dass Sie sich mit fremden Federn schmücken.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
(Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Helmut Schmidt
Wir wollen das nicht gegen die Eltern ausspielen, son- hat sogar das Kindergeld gesenkt!)
dern wir wollen die Wahlfreiheit der Eltern, damit sie
entscheiden können, wie sie die Mittel einsetzen und Ich will nach ehrlichem Lob allerdings auch ehrliche
nutzen. Kritik im Forschungsbereich vorbringen und stakkato-
artig einige Beispiele nennen. Erstes Beispiel: In der
(Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE Sicherheitsforschung erhöhen Sie gegenüber dem Etat
GRÜNEN]: Wir brauchen aber Strukturen, da- aus dem Jahr 2008 mit 18 Millionen Euro die Ausgaben
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 14. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 19. Januar 2010 1181
René Röspel
(A) auf nunmehr 55 Millionen Euro. Wir haben als Sozialde- (Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Was Sie da (C)
mokraten die Sicherheitsforschung stets sehr kritisch ge- erzählen, ist doch absoluter Schwachsinn! Sie
sehen, weil wir fürchten, dass eine militärische Nutzung haben überhaupt keine Ahnung, worüber Sie
möglich ist, und weil sie zu technikzentriert erscheint. reden! Putzlappen sind da eingelagert!)
Wir brauchen in diesem Bereich aber einen ganzheitli-
– Stellen Sie eine Zwischenfrage, statt einfach herumzu-
chen Blick.
schreien.
Ich nenne ein Beispiel. Wir diskutieren zurzeit sehr
viel über Nacktscanner. Gleichzeitig wird das deutsche Für Asse – seit 2008 fällt Asse glücklicherweise nicht
Sicherheitspersonal an Flughäfen demotivierend misera- mehr unter diesen Etat – waren Kosten in Höhe von
bel bezahlt. Die Israelis setzen auch auf Technologie, 350 Millionen Euro im Etat enthalten. Umweltminister
aber sie setzen den Schwerpunkt auf den Menschen. Sie Röttgen wird sich darum kümmern müssen, wie er bei
haben gut ausgebildetes und gut bezahltes Sicherheits- den auf 2 Milliarden Euro geschätzten Kosten die Atom-
personal. fässer wieder aus der Asse herausbekommt. Das ist un-
verantwortlich.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
(Klaus-Peter Willsch [CDU/CSU]: Weil
In der Gesamtbetrachtung kann es also nicht nur um Gabriel nichts gemacht hat!)
Technologie gehen, sondern wir brauchen einen ganz-
heitlichen Blick. Im Sicherheitsbereich geht es aber vor Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
allen Dingen um die Vermeidung von Konflikten und Herr Kollege, Sie haben eine Zwischenfrage ge-
Krisen. Leider finden wir in diesem Etat nichts zu dem wünscht. Jetzt gibt es sie.
Bereich Friedens- und Konfliktforschung. Er kommt
schlicht und einfach nicht vor. Das werden wir nicht zu-
lassen. Wir fordern ausdrücklich Verbesserungen im Be- Georg Schirmbeck (CDU/CSU):
reich der Friedens- und Konfliktforschung. Herr Kollege, ich finde es unglaublich, wenn Sie hier
über Dinge sprechen, von denen Sie offensichtlich keine
(Beifall bei der SPD) Ahnung haben. Wissen Sie, was in Asse eingelagert ist,
Lassen Sie mich ein zweites Beispiel nennen. Der wer das dort eingerichtet hat und die Verantwortung da-
Etat für innovative Dienstleistungen und Arbeitsfor- für trägt, und wer seinerzeit Ministerpräsident und Um-
schung stagniert leider, wie ein Vergleich dieses Haus- weltminister war? Jetzt stellen Sie es so hin, als würde
haltes mit dem des Vorjahres zeigt. Wir wissen aber aus Frau Schavan die Verantwortung dafür tragen.
Gutachten, dass der Bereich wissensintensive Dienstleis- Diese Bundesregierung muss jetzt sehen, dass sie den
(B) tungen einer der Wachstumsmotoren der Zukunft ist, Mist dort herausschafft. Sie sollten sich auf der Zeit- (D)
was Arbeitsplätze und Technologien anbelangt. Wie wir achse vor Augen führen, wer wirklich in Niedersachsen
in Zukunft arbeiten und erwerbstätig sein werden, ist die politische Verantwortung hatte. Wie viele Millionen
eine zentrale Frage. Dafür brauchen wir Forschung und oder gar Milliarden sind für irgendein Theater ausgege-
Expertise. Deswegen halten wir es für notwendig, dass ben worden, das Sie veranstaltet haben, um die nukleare
dieser Bereich stärker gefördert wird. Entsorgung in Deutschland zu behindern? Wenn Sie das
Als drittes Beispiel nenne ich die Energietechnolo- alles als gefährlich bezeichnen, dann müssen Sie sich
gien. Auch hier gibt es keine Veränderungen gegenüber fragen, warum Sie den Schaden nicht rechtzeitig abge-
dem Vorjahr. Das ist sträflich, weil auch das ein Wachs- wendet haben. Was haben Sie konkret gemacht, als Sie
tumsbereich ist. Hinzu kommt, dass die Hälfte der die Regierungsverantwortung hier und in Niedersachsen
58 Millionen, die in den Haushalt eingestellt sind, in getragen haben?
Kernfusion und Atomenergieforschung fließen. Das ist (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
falsch. Wir müssten eigentlich aus der Erfahrung lernen. Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Na, junger
Gleichzeitig redet diese schwarz-gelbe Koalition da- Mann, das wird schwer!)
von, die Bedingungen für die Einspeisung von regenera-
tivem Strom dramatisch zu verschlechtern. Damit wer- René Röspel (SPD):
den die Menschen davon abgehalten, sich entsprechende Sie können gerne im Protokoll nachlesen, was ich ge-
Anlagen aufs Dach zu stellen. sagt habe. Das ist etwas völlig anderes als das, was Sie
versuchen mir zu unterstellen. Ich habe gesagt, dass bis
(Klaus Hagemann [SPD]: Und die Restlaufzeit
zum Jahr 2008 die Mittel für den Bereich Asse II über
wird verlängert!)
die Helmholtz-Gesellschaft im Haushalt des Bundes-
Gleichzeitig wird über die Verlängerung der Laufzei- ministeriums für Bildung und Forschung etatisiert wa-
ten von Atomkraftwerken gesprochen. Im Bergwerk ren. Ich habe keine Schuldzuweisung vorgenommen,
Asse gibt es 125 000 Fässer mit schwach- oder mittelra- sondern gesagt, dass wir froh sein können, dass wir die
dioaktivem – man weiß es nicht genau – Müll. Jedes Jahr Ausgabenpolitik – bisher 350 Millionen Euro – nicht
einer Verlängerung der Laufzeiten bedeutet Tausende fortsetzen müssen. In den letzten Jahrzehnten haben si-
von Fässern zusätzlich. Wir haben 172 Millionen Euro cherlich mehrere Personen und nicht nur eine Person
für den Rückbau kerntechnischer Anlagen in diesen Verantwortung getragen; hier gebe ich Ihnen recht. Ich
Haushalt einstellen müssen, und dabei handelt es sich habe aber auch nichts anderes behauptet. Das ist kein
nur um Forschungsreaktoren. Vorwurf an Frau Schavan. Wenn ich mir allerdings die
1182 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 14. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 19. Januar 2010
René Röspel
(A) schwarz-gelbe Politik anschaue, dann stelle ich fest, dass rhein-Westfalen mache, sind aber ganz anders. Als Bun- (C)
Sie es sind, die weiteren Atommüll produzieren wollen, destagsabgeordneter mit einem entsprechendem Gehalt
obwohl Sie noch keine Antwort darauf haben, wo dieser kann man vielleicht solche wohlfeilen Reden wie Sie
Müll gelagert werden soll. halten. Aber die Wirklichkeit sieht für einen normalen
Facharbeiter ganz anders aus. In Nordrhein-Westfalen
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ führt die Politik von Schwarz-Gelb dazu, dass Kinder
DIE GRÜNEN) ausgegrenzt und regelrecht verschlissen werden und dass
Diese Regierung wird in den nächsten Jahren vor dem ihnen Chancen genommen werden. Sie werden ausge-
Problem stehen, mindestens 2,5 Milliarden Euro dafür grenzt, weil die Grundschulbezirke aufgehoben werden.
auszugeben, dass alle Bundesregierungen und Landes- Sie werden ausgegrenzt, weil Lehrer entscheiden müs-
regierungen zuvor falsch gehandelt haben und Atommüll sen, ob 10-Jährige Mathematikprofessor oder Kranken-
unterirdisch gelagert haben. Wo der Atommüll gelagert schwester werden sollen.
werden soll, wird die Kernfrage sein. Darüber werden (Zuruf von der CDU/CSU)
wir in den nächsten Jahren noch diskutieren.
– Das ist kein Wahlkampf. – Die Kinder werden durch
Bitte, Herr Schirmbeck, wenn Sie weiter fragen das Turboabitur verschlissen. Die meisten werden in ih-
möchten. rer Entwicklung behindert, weil ein normaler Facharbei-
(Zuruf von der CDU/CSU) ter die dort erhobenen Studiengebühren nicht oder nicht
so einfach aufbringen kann.
– Ich erwarte Gegenbeispiele, die meine Position wider-
legen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der
LINKEN)
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Ich erlaube noch eine Nachfrage. Aber dann sollte mit Es gibt sicherlich positive Ansätze im Forschungsetat.
dem Dialog Schluss sein. Aber Bildung und Forschung müssen als Einheit gese-
hen werden. Bei der Bildung funktioniert Schwarz-Gelb
Bitte, Herr Schirmbeck. überhaupt nicht, sondern verschlimmert die Situation.
Deswegen hat das Land Schwarz-Gelb nicht verdient.
Georg Schirmbeck (CDU/CSU):
Herr Kollege, sind Sie bereit, zuzugestehen, dass in Vielen Dank.
Asse schwach Wärme entwickelnde Abfallstoffe aus (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
(B) medizinischen Einrichtungen eingelagert sind, und sind DIE GRÜNEN) (D)
Sie bereit, Vorschläge zu machen, wo diese Abfälle gela-
gert werden sollen? Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Das Wort hat nun Kollege Eckhardt Rehberg für die
René Röspel (SPD): CDU/CSU-Fraktion.
In Asse sind 125 000 Fässer mit schwach radioakti-
vem Müll gelagert. Ich kann mich an das Datum meiner (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Frage, die ich dem Ministerium gestellt habe, nicht mehr
erinnern. Die Antwort lautet aber sinngemäß, dass es Eckhardt Rehberg (CDU/CSU):
sich überwiegend nicht um medizinisch-technischen Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeord-
Müll, sondern um betrieblichen Müll handelt. Der Anteil neten! Es ist natürlich schwierig, Realitäten anzuerken-
des medizinischen Mülls wie Krankenhausabfälle am nen. Kollege Hagemann, mich verwundert, wie schnell
Atommüll liegt bei 2 oder 3 Prozent. Die genauen Zah- Sie sich in die Büsche schlagen. Wenn Sie sich den
len liefere ich Ihnen gerne nach. Jedenfalls ist der Anteil Einzelplan 30 ganz genau anschauen – das ist bei den
verschwindend gering. Mit dem, was Sie gerade vorge- anderen Einzelplänen ähnlich –, dann stellen Sie fest,
tragen haben, liegen Sie völlig falsch. Es tut mir leid. dass der Haushaltsentwurf vom Juni 2009 die Basis dar-
stellt. Hinzu kommt das – ich glaube, das liegt Ihnen be-
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
sonders schwer im Magen –, was CDU/CSU und FDP
DIE GRÜNEN)
im Koalitionsvertrag draufgelegt haben. Wir haben uns
In der letzten Minute meiner Redezeit möchte ich Sie gefragt, was in Deutschland die drängendsten Probleme
ausdrücklich loben. Ich finde es richtig und wichtig, dass im Bereich von Bildung und Forschung sind und wie wir
Sie den von der SPD auf den Weg gebrachten Pakt für diesen begegnen können. Diese Richtung passt Ihnen
Forschung und Innovation weiterhin fördern und aus- nicht. Ich will Ihnen einen guten Rat geben: Man kann
bauen. Die Forschungsorganisationen sind wichtig und viele Haare in einer Suppe finden. Aber die Gefahr ist,
brauchen mehr Geld. Es geht allerdings nicht nur um fi- dass die Suppe kalt wird, bevor man alle gefunden hat.
nanzielle Verbesserungen. Vielmehr brauchen wir auch (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
junge Menschen, die begeistert Forschung betreiben.
Herr Meinhardt und Frau Schavan, Ihre Worte habe ich Ich möchte einen Satz zu den Steuern sagen. Herr
sehr wohl vernommen, dass Sie jedem jungen Menschen Rossmann, aber auch Frau Sitte, ich kann mich noch gut
eine Chance geben wollen. Meine Erfahrungen, die ich an den Juni 2000 erinnern, als Sie, Rot-Grün, im Stil der
mit meinen beiden schulpflichtigen Kindern in Nord- „Basta-Politik“, eine Steuerreform durchgedrückt ha-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 14. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 19. Januar 2010 1183
Eckhardt Rehberg
(A) ben, die zu einem Minus bei der Körperschaftsteuer, ins- Jahre 2009 waren 7,5 Millionen Euro dafür veran- (C)
besondere aber bei der Gewerbesteuer geführt hat. schlagt, und heute sind es 50 Millionen Euro. Denn eines
der zentralen Probleme im Ausbildungsbereich ist die
(Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Wir?) Abbrecherquote von durchschnittlich 22 Prozent. Wir
– Sie haben mit den Stimmen aus Schwerin im Bundes- können es uns nicht leisten, dass jeder fünfte Auszubil-
rat zu dem Minus von 24 Milliarden Euro im Jahr 2001 dende seine Lehre abbricht. Deswegen ist die Berufs-
gegenüber 2000 beigetragen, weil Sie insbesondere gro- orientierung etwas ganz Wichtiges. Denn wenn jemand
ßen deutschen Kapitalgesellschaften die Möglichkeit nach ein oder zwei Jahren eine Ausbildung abbricht, ist
gegeben haben, ihre Beteiligungen insbesondere im das eine Verschwendung von privaten und gesellschaft-
Ausland steuerfrei zu veräußern. Das war Ihre Politik! lichen Ressourcen. Genau diesen Herausforderungen
stellen wir uns.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Herr Kollege Rossmann, wir sind hier nicht in einem
Alleine in Mecklenburg-Vorpommern haben sich bei Landtag, sondern im Deutschen Bundestag. Wenn Sie
vielen Kommunen die Gewerbesteuereinnahmen hal- die Schulpolitik kritisieren, sollten Sie an die Ergebnisse
biert und erst fünf Jahre später wieder erholt. Das gehört der letzten PISA-Studie denken, die ich noch gut im
auch zur Wahrheit bei der Steuerpolitik. Herr Kopf habe. Auf Platz eins, zwei, drei und vier sind
Hagemann, sagen Sie, wenn Sie bei den Neujahrsemp- unionsgeführte Länder, und zwar seit Jahren. Den größ-
fängen sind, dass es im Jahr 2010 Steuerentlastungen in ten Sprung hat in den letzten Jahren Sachsen-Anhalt ge-
Höhe von insgesamt 25 Milliarden Euro gibt, von denen macht; von 2003 bis 2006 hat es sich um über 30 Punkte
zwei Drittel auf Schwarz-Rot und ein Drittel auf die verbessert.
christlich-liberale Koalition entfallen.
(Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Wir haben
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) 15 Prozent Abbrecher!)
Ihnen passt unsere Richtung nicht. Es passt Ihnen, – Ja, Sie in Sachsen-Anhalt.
Frau Hinz, nicht, dass Sie sich 2005 mit Rot-Grün aus
der Regierung verabschiedet haben. (Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Sie reden doch
auch von Sachsen-Anhalt!)
(Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Wir hätten gern weiterregiert!) – Ja, dort wurde ein großer Sprung bei PISA gemacht.
– Sie sind abgewählt worden, und das war richtig so, da- (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Sie mein-
mit Deutschland eine bessere Zukunft hat. ten Thüringen, Herr Kollege!)
(B) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Frau Kollegin Sitte, das ist eigentlich gar nicht Sache des (D)
Bundes. Aber wir nehmen Geld für die Sprachförderung
Wir haben jetzt einen Etat von knapp 11 Milliarden und die frühkindliche Bildung in die Hand. Aber – auch
Euro. Herr Kollege Hagemann, wie hätten Sie debattiert, das muss ich deutlich sagen – es kann nicht so sein, wie
wenn wir – was haushälterisch unsinnig gewesen wäre – es manchmal an der einen oder anderen Stelle der Fall
die kompletten 3 Milliarden Euro von heute auf morgen ist, dass nämlich der Bund Geld in die Hand nimmt und
sofort obendrauf gepackt hätten. Sie haben in der ganzen manche Länder sich aus dem Staub machen.
Debatte eines verschwiegen: Wir haben 750 Millionen
Euro an Barmitteln eingestellt, davon 35 Millionen Euro Es liegt in unserer Verantwortung, dafür zu sorgen,
in anderen Haushalten, dass das Geld, das wir an die Länder durchreichen, auch
dort ankommt, wo es hingehört.
(Klaus Hagemann [SPD]: Bar haben Sie noch
gar nichts!) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Wollen wir
und die Verpflichtungsermächtigungen haben wir deut- mal sehen, ob Sie das so hinbekommen!)
lich erhöht, über 2 Milliarden Euro. Die Verpflichtungs-
ermächtigungen zeigen, dass unsere Politik keine Ein- Herr Rossmann, Sie haben gesagt, es fehle Begeiste-
tagsfliege ist, sondern über die nächsten Jahre mit einem rung für Bildung und wir weckten keine Begeisterung.
Aufwuchs im Barabfluss von bis zu 3 Milliarden Euro Ich bin der Auffassung, dass Bildung eine gesamtgesell-
per annum kontinuierlich fortgesetzt werden soll. So schaftliche Aufgabe ist. Das kommt mir bei Ihnen von
werden wir im Jahre 2015 auch das 10-Prozent-Ziel er- der ganz linken Seite immer viel zu kurz.
reichen.
(Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Nein, im
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Gegenteil!)
Was sind die Herausforderungen? Herr Kollege Dazu gehören Eltern und Großeltern, die sich ihren Kin-
Hagemann, Sie haben über Ausbildungsplätze gespro- dern und der schulischen Erziehung ihrer Kinder ver-
chen. Es gibt allein 30 Millionen Euro für ein Pro- pflichtet fühlen. Dazu gehört die Begleitung durch Kin-
gramm, mit dem Ausbildungsplätze insbesondere in derkrippen, durch Kindergärten, durch Horte und durch
strukturschwachen Regionen gefördert werden sollen. Schulen. Dazu gehören gute Rahmenbedingungen. Ich
Außerdem stocken wir die Mittel für die Berufsorientie- sage Ihnen ganz klar: Vor Begeisterung kommt für mich
rung auf. Das ist völlig neu. 2008 gab es dafür keine ein Wort in diesem Bereich, und das heißt „Verpflich-
Mittel, im ersten Entwurf des Haushaltsgesetzes im tung“. Bildung und Erziehung junger Menschen in
1184 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 14. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 19. Januar 2010
Eckhardt Rehberg
(A) Deutschland ist Verpflichtung für die ganze Gesell- Eine weitere wichtige Herausforderung sehe ich in (C)
schaft. der Verbindung zwischen Landwirtschaft, Klimaschutz
und Energieversorgung. Deshalb war und ist es mir ein
Herzlichen Dank.
Anliegen, dieses Thema inhaltlich zu diskutieren. Ich
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) freue mich, dass im Rahmen der Internationalen Grünen
Woche beim zweiten Agrarministergipfel über
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: 50 Nationen vertreten waren. Das ist eine Verdopplung
Weitere Wortmeldungen zu diesem Einzelplan liegen zum letzten Mal. Das zeigt, welchen Stellenwert diese
nicht vor. Thematik international erfahren hat. Ich kann nur sagen:
Es war eine große Bereicherung, auf der Grünen Woche
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bun- mit den Kolleginnen und Kollegen zu diesem Thema
desministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und lang und intensiv zu diskutieren.
Verbraucherschutz, Einzelplan 10.
(Peter Bleser [CDU/CSU]: Toller Erfolg!)
Das Wort hat Bundesministerin Ilse Aigner.
Ressortminister freuen sich immer über einen größe-
(Beifall bei der CDU/CSU) ren Etat; ich tue es natürlich auch. Dafür erst einmal ein
herzliches Dankeschön. Wichtig ist aber nicht nur die
Ilse Aigner, Bundesministerin für Ernährung, Land- Frage des Wieviel, sondern auch des Wofür. In manchen
wirtschaft und Verbraucherschutz: Bereichen geht es nicht nur um Geld; da sind es viel-
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und mehr im wahrsten Sinne des Wortes dicke Bretter, die
Kollegen! Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirt- man bohren muss. Das ist insbesondere im Bereich des
schaft sind – das kann man, glaube ich, nicht oft genug Verbraucherschutzes ein zentrales Thema. Das werde
sagen – Kernfragen einer modernen Gesellschaft und un- ich in Zukunft behandeln, und das habe ich auch in der
serer Zukunft. Ich kann nur immer wieder davor warnen, Vergangenheit getan. Die christlich-liberale Devise da-
diese Themen gegeneinander auszuspielen. Meine feste bei ist: nicht bevormunden, sondern informieren.
Überzeugung ist, dass man diese Bereiche nur gemein- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
sam gestalten kann.
Das hat viel mit Vertrauen zu tun. Nur wenn Verbrau-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
cher und Verbraucherinnen Vertrauen in die Märkte ha-
Allen, die das nicht glauben oder nicht sehen, kann ich ben, dann können sie überhaupt kluge Entscheidungen
nur empfehlen, die Grüne Woche zu besuchen. Hier tref- treffen, die Möglichkeiten des Wettbewerbs nutzen und
damit auch die Wachstumskräfte stärken. In diesem Zu-
(B) fen sich Erzeuger und Verbraucherinnen und Verbrau- (D)
cher hunderttausendfach. Es gibt hier kein Gegeneinan- sammenhang freue ich mich besonders über die Stiftung
der, sondern ein kräftiges Miteinander. Warentest. Zu ihrem 45-jährigen Jubiläum hatte sie große
Erfolge zu vermelden: 85 000 Produkte, 1 600 Dienstleis-
In Deutschland haben wir im Vergleich zu anderen tungen wurden begutachtet, an objektiven Kriterien ge-
Ländern eine komfortable Situation. Das sage ich insbe- messen, und über sie wurde informiert. Ich glaube, dass
sondere mit Blick auf Haiti. Ich möchte in diesem Rah- es in diesem Zusammenhang ein wichtiger Schritt in die
men zusichern, dass unser Haus gemeinsam mit der FAO richtige Richtung war, dass wir diese Stiftung in Zukunft
versuchen wird, nach Wegen zu suchen, wie wir die mit- mit mehr Mitteln ausstatten. Das ist übrigens ein Her-
tel- und langfristige Ernährungssicherung in diesem zenswunsch von Volker Kauder. Ich bedanke mich aus-
Land unterstützen können. Das halte ich für eine zwin- drücklich beim Haushaltsausschuss – zumindest bei den-
gende Verpflichtung. jenigen, die dafürgestimmt haben –, dass er diesen
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ansatz mitgetragen hat, sodass das Stiftungskapital im
letzten Jahr aufgestockt werden konnte.
Auch wenn in Deutschland die Ernährungsfrage keine
Frage des Überlebens ist, so ist sie für mich doch eine (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
zentrale Frage. Sie sollte und muss einen sehr hohen ge-
Verbesserung der Bankberatung, Kundenrechte im
sellschaftlichen Stellenwert haben. Lebensmittel sind
Personennahverkehr, die Frage des Schutzes der Daten
nicht nur irgendeine Handelsware. Es geht um eine Ver-
in der digitalen Welt, das sind nur einige wenige The-
sorgung mit gesunden Lebensmitteln. Dazu gehört eine
men, die zum Kernbereich eines modernen Verbraucher-
stabile Landwirtschaft, die existieren kann. Beides ge-
schutzes gehören. Es gibt gute Argumente dafür, dass
hört zusammen.
wir die umfangreiche Verbraucherinformation weiter
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- mitgestalten und für eine gute Zusammenarbeit mit der
neten der FDP) Bundeszentrale für Verbraucherschutz sorgen.
Ich finde, wir dürfen diese Grundfragen nicht unter- Wie Sie wissen, ist seit meinem Amtsantritt die Frage
schätzen. Wir müssen diese in der Öffentlichkeit immer der Ernährung ein wichtiges Thema. Auch hier geht es
wieder deutlich machen. Wenn ich „wir“ sage, dann im Wesentlichen um die Information über einen verant-
meine ich nicht irgendjemanden, sondern damit meine wortungsvollen Umgang mit Lebensmitteln. Ein Kern-
ich ganz bewusst uns Abgeordnete, die wir in der Ver- punkt ist unsere Aktion „IN FORM“, mit der wir infor-
antwortung stehen. Wir müssen für diese Themen im mieren, nicht verbieten, sondern motivieren wollen. Wir
Lande werben. Das ist eine Zukunftsfrage. wollen die Menschen dafür begeistern, sich gesund zu
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 14. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 19. Januar 2010 1185
Bundesministerin Ilse Aigner:
(A) ernähren und sich mehr zu bewegen, und zwar immer an irgendwelche Masterpläne entwickelt, sondern ihre Ent- (C)
den Stellen, wo sie sich befinden, egal ob im Kindergar- wicklung hängt ganz wesentlich von dem Engagement
ten, in der Schule, im Seniorenheim oder am Arbeits- und von den Interessen der Menschen vor Ort ab.
platz, etwa in der Kantine. Das ist die entscheidende
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Frage: Motivation, nicht Bevormundung.
Umso wichtiger war und ist es für uns, dass wir auch
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) im Bereich der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung
Um sich gesund ernähren zu können, braucht man der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ einen weite-
auch fleißige Produzenten. Das sind unsere Bäuerinnen, ren Aufwuchs verzeichnen konnten auf mittlerweile
das sind unsere Bauern, die tagtäglich für unsere Versor- 725 Millionen Euro. Ich kann mich an ganz andere Zei-
gung stehen. Ich sehe, mit welchen großen Anstrengun- ten erinnern, Zeiten, als wir noch in der Opposition wa-
gen sie sich auch in der Krise behaupten. Ich sage ein ren: Da war das ganz anders. Es handelt sich um gut ein-
herzliches Dankeschön an unsere Bäuerinnen und Bau- gesetztes Geld, es fließt in den ländlichen Raum und
ern. wird in der nächsten Zeit auch dafür bereitstehen, die
sogenannten neuen Herausforderungen zu bewältigen,
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) nämlich Anpassungen an den Klimawandel und Bewälti-
Im letzten Jahr hatten wir, das wissen wir alle, in ei- gung des Quotenausstiegs, und wird auch in viele andere
nem Bereich, im Milchbereich, ziemlich intensive Dis- Bereiche fließen, in denen es direkte Wirkung auf die
ländlichen Räume erzielt. Es handelt sich also um gut
kussionen, auch deshalb, weil er das erste Mal, und zwar
eingesetztes Geld.
sehr abrupt, mit den Mechanismen des Marktes konfron-
tiert wurde. Ich freue mich deshalb ganz besonders, dass Lassen Sie uns noch ein Stück weiter in die Zukunft
wir es in den Koalitionsverhandlungen geschafft haben, schauen. Wir müssen uns hier insbesondere die Frage
ein Sonderprogramm mit dem Schwerpunkt auf Milch- stellen: Wo entwickeln sich neue Märkte? Vor diesem
viehwirtschaft zu entwickeln. Hintergrund halte ich es für wichtig, die weitere Ent-
wicklung nach dem Wegfall der CMA vonseiten unseres
Wer in unserem Land behauptet, Politik arbeite lang- Hauses zu begleiten. Auch um den Bereich Agrarexport
sam, den können wir belehren: In diesem Fall ist es sehr wollen wir uns in der nächsten Zeit kümmern. Deshalb
zügig gegangen. Innerhalb von drei Wochen nach Be- haben wir hierzu einen neuen Haushaltstitel mit 3 Mil-
ginn der neuen Koalition haben wir dieses Programm ge- lionen Euro ausgestattet. Wir haben auch unseren Mes-
strickt. Darüber freue ich mich vor allem im Sinne der setitel aufgestockt, damit wir in der gerade für diesen
Bäuerinnen und Bauern. Bereich schwierigen Übergangsphase helfen können. In
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) diesem Bereich werden wir auch mit der neu gegründe-
(B) ten GEFA zusammenarbeiten und sie vonseiten unseres (D)
Ein solches Programm in dieser Größenordnung hat Hauses da unterstützen, wo wir es können.
es in der Bundesrepublik Deutschland noch nicht gege-
ben. Um was geht es uns? Es geht uns darum, lebensfä- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
hige Betriebe weiterhin zu unterstützen, Existenzen und Nicht zuletzt ist Forschung und Innovation ein zen-
Arbeitsplätze zu erhalten. Wir wollen ferner wertvolles trales Thema in unserem Ressort. Allein rund 400 Mil-
Grünland erhalten, und wir wollen die Betriebe und da- lionen Euro gehen an die Ressortforschungseinrichtungen
mit die Familien insbesondere im Bereich der landwirt- und in die Förderung von Innovationen in Ernährung,
schaftlichen Unfallversicherung unterstützen. Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Das ist ange-
sichts unseres Gesamtetats eine, wie ich denke, doch ge-
Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolle- waltige Summe. Es handelt sich um den viertgrößten
ginnen und Kollegen, die agrarsoziale Sicherung ist ei- Forschungsetat der Bundesregierung. Dazu fördern wir
ner der Kernpunkte unseres Haushaltes. Ungefähr zwei noch mit 50 Millionen Euro nachwachsende Rohstoffe.
Drittel der Mittel fließen in diesen Bereich. Ich sage Ih- Das ist meiner Überzeugung nach auch ein Zukunfts-
nen ganz ehrlich: Diese Stabilisierung landwirtschaftli- thema für die Landwirtschaft.
cher Betriebe ist sowohl Kernpunkt der Sozialpolitik,
aber auch Kernpunkt der verlässlichen Politik, für die (Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Jawohl!)
wir stehen. Meine Damen und Herren, nicht zuletzt geht es mir
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) immer um eine Balance zwischen den unterschiedlichen
Interessen und Zielsetzungen. Das ist manchmal nicht
Ein wichtiges Element dieses Sonderprogramms ist ganz einfach. Aber es lohnt sich, sich dafür im Bereich
die Liquiditätshilfe, ein wirklicher Erfolgsschlager, Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz mas-
wenn man es so sagen darf. Wir hatten diese zum ersten siv einzusetzen. Hier geht es letztendlich um unsere Le-
Mal im Jahr 2009 aufgelegt. Über 12 000 Betriebe nah- bensgrundlagen und um ein Stück Lebensqualität.
men dieses Programm in Anspruch. Daran kann man se-
hen, dass wir in der richtigen Art und Weise den Betrie- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
ben geholfen haben. Diese Hilfe werden wir auch in
Zukunft fortsetzen. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Das Wort hat nun Wilhelm Priesmeier für die SPD-
Die Leistungen und das Engagement der Menschen Fraktion.
auf dem Lande bilden das Fundament für die Zukunft
ländlicher Räume. Ländliche Räume werden nicht durch (Beifall bei der SPD)
1186 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 14. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 19. Januar 2010
(A) Dr. Wilhelm Priesmeier (SPD): Interessen Bayerns ausgerichtet. Über ein Viertel der (C)
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Ausgaben, mehr als 210 Millionen Euro, im Rahmen
Herren! Verehrte Frau Ministerin! Wohl wahr: Man kann dieses Programms fließt nach Bayern. Der Rest der Re-
immer stolz darauf sein, wenn der eigene Ansatz wächst. publik wird nicht gerade im Stich gelassen, aber doch
Sie haben eben zu Recht gesagt, es habe nur drei Wo- extrem benachteiligt. Gerade die Betriebe in den neuen
chen gedauert. So sieht das Programm natürlich auch Bundesländern, die in erheblichem Umfang Beschäfti-
aus: wie mit der heißen Nadel gestrickt, ohne das, was in gung sichern, geraten ins Abseits. Minister Aeikens
der gegenwärtigen Situation insgesamt erforderlich sagte, dass er zunächst einmal nicht beabsichtige, wegen
wäre. Angesichts der exorbitanten Verschuldung in die- der möglichen Verzögerung verschiedener Programme
sem Haushalt mit 86 Milliarden Euro neuen Schulden ist den Vermittlungsausschuss anzurufen. Das wäre eine
es nicht an der Zeit, schuldenfinanzierte Geschenke zu Gelegenheit gewesen; denn auch die Verteilungswirkung
machen. Mit Ihrem Haushaltsentwurf verschenken Sie ist entscheidend.
den finanzpolitischen Spielraum im Agrarhaushalt, den
Da muss man sagen: Alle Achtung, Frau Ministerin,
wir in den nächsten Jahren noch sehr dringend brauchen
Sie haben für Bayern etwas herausgeholt! Aber verges-
werden.
sen Sie nicht die Stimmen der bayerischen Landwirte.
(Peter Bleser [CDU/CSU]: Wir heißen doch Bei drastisch eingebrochenen Ergebnissen lassen sie sich
nicht SPD!) mit Geschenken weiß Gott nicht dauerhaft kaufen. So
dumm sind sie nicht.
Zum gegenwärtigen Zeitpunkt wird das Geld des Etats
mit der Gießkanne ausgeschüttet, aber nicht zielgerichtet (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
verteilt. des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Das Grünlandprogramm ist einer der Kerne Ihrer Ich frage mich allen Ernstes aber auch, wie die FDP
Politik. Dafür werden in diesem und im nächsten Jahr als Koalitionspartner, der auf Markt- und unternehmeri-
750 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Vom Bau- sche Freiheiten setzt, dieses Spielchen mitmachen kann.
ernverband wird das natürlich begrüßt – wer verteilt, er- Herr Geisen, ich zitiere einmal aus einem Schreiben, das
hält auch Zuspruch –, aber durchaus nicht von allen Sie von einem Fleischrinderhalter aus der Eifel bekom-
Landwirten. Wer die DLG-Wintertagung verfolgt hat, men haben: Wir gönnen den Milchviehhaltern dieses
weiß, dass Dr. Hesse, ein renommierter Agrarwissen- Grünlandprogramm. Aber lassen Sie nicht zu, dass sich
schaftler, dieses Programm als „ordnungspolitischen eine Zweiklassengesellschaft bildet. Wir beanspruchen
Sündenfall“ bezeichnet. die gleiche Prämie für alle Großvieheinheiten. Es darf
nicht sein, dass durch lauthalsiges Geschrei und De-
(Zuruf des Abg. Peter Bleser [CDU/CSU])
(B) monstrationen einer gewissen Milchlobby Politiker in (D)
– Stellen Sie eine Frage, Herr Kollege Bleser, oder las- die Knie gezwungen werden.
sen Sie mich in meiner Rede fortfahren!
Herr Geisen, was ist eigentlich mit den Ziegen- und
(Peter Bleser [CDU/CSU]: Mach ich!) Schafhaltern? Die Einzelbetriebe bzw. einzelnen Halter
haben in diesem Jahr erhebliche Kosten durch die Ein-
Carl-Albrecht Bartmer, Präsident der DLG, bezeichnete
führung der elektronischen Einzeltierkennzeichnung.
das Programm als „Placebo“ für die Milchbetriebe. Ich
Dafür bekommen sie nichts. Und was war mit den Sau-
finde, beide haben recht – leider.
enhaltern und den Schweinemästern in den letzten Jah-
Frau Ministerin, Ihr Grünlandprogramm steht zu- ren? Deren Zahl ist innerhalb von zehn Jahren um
nächst für kurzfristige Mitnahmeeffekte statt für sinn- 73 000 auf nunmehr 68 000 Betriebe zurückgegangen.
volle Investitionen in die Zukunft des Milchsektors. Sie Da hat ein dramatischer Strukturwandel stattgefunden.
begleiten den erforderlichen Strukturwandel nicht; nein, Sie haben keine Unterstützung erhalten. Ich befürchte,
Sie bremsen ihn regelrecht aus. Darüber hinaus haben wer sich im Agrarsektor zu den Grundprinzipien der
Sie zu der Entwicklung auf dem Milchmarkt durch Ihre Marktwirtschaft bekennt, hat in diesem und im nächsten
zögerlichen Aussagen in erheblicher Weise beigetragen, Jahr Pech gehabt. Darum fordere ich Sie von der FDP
sodass viele Milchbauern verunsichert worden sind. Wir auf: Bringen Sie diesen konfusen Haushaltsansatz end-
erinnern uns noch an erfolglose runde Tische und an Ihre lich in Ordnung und sorgen Sie dafür, dass eine zielge-
zögerlichen Aussagen zur Milchquote. Letztendlich war richtete Politik betrieben wird! Bekennen Sie sich zu Ih-
Ihre Position nicht zu halten. Aber die Diskussion hat ren Grundprinzipien!
dafür gesorgt, dass die Quotenkosten um 20 Prozent ge-
Frau Ministerin, die politischen Vorschläge, die Sie
stiegen sind. Damit haben Sie allen deutschen Milchbau-
machen, sind nicht zukunftsweisend, sondern rückwärts-
ern schweren Schaden zugefügt. Das sollten Sie erken-
gewandt. Wir brauchen kurz- und mittelfristig eine
nen. Gerade Sie und die CSU sind dafür verantwortlich,
Milchpolitik, die der Wettbewerbssituation gerecht wird
während andere, beispielsweise an sich immer koopera-
und die vor allen Dingen die Wettbewerbsfähigkeit der
tiv denkende Kollegen aus der CDU, Ihre Ansicht nicht
einzelnen Milcherzeuger stärkt. Nehmen Sie doch die
in jedem Falle vertreten haben; das muss ich denen zu-
Vorschläge aus dem Vorbericht des Bundeskartellamtes
gutehalten.
auf! Sorgen Sie dafür, dass die Landwirte gefördert wer-
Sie verteilen jetzt weiße Salbe und Pflaster. Das wird den – das ist nach EU-Recht mit 500 000 Euro pro
aber den betroffenen Betrieben nicht in entscheidender Erzeugergemeinschaft möglich –, wenn sie Erzeugerge-
Weise helfen. Das Programm ist im Wesentlichen an den meinschaften gründen! Erstellen Sie dafür einen konkre-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 14. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 19. Januar 2010 1187
Dr. Wilhelm Priesmeier
(A) ten Ansatz und fördern Sie damit die Wettbewerbsfähig- Heinz-Peter Haustein (FDP): (C)
keit der Landwirte! Sorgen Sie im Wettbewerbsrecht Werter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen
dafür, dass die Molkereien als weiterverarbeitender Sek- und Herren!
tor auf Augenhöhe mit dem Lebensmitteleinzelhandel
Bauernstand ist Ehrenstand,
verhandeln können! Wenn Sie das tun, dann braucht man
erhält die Stadt, erhält das Land.
keine exorbitanten Ausgaben in Millionenhöhe, die
Er ist der Pionier der Zeit
letztendlich in verschiedenen Bereichen unter Mitnah-
und bleibt es bis in Ewigkeit.
meeffekten verpuffen.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der
(Beifall bei der SPD)
CDU/CSU – Peter Bleser [CDU/CSU]: Sehr
Ich fordere von Ihnen ein Unterstützungsprogramm gut!)
und ein Strukturprogramm, die den Anforderungen ge-
Unter dem Motto dieses im Volksmund üblichen
recht werden. Die Gießkanne hat bekanntlich längst aus-
Spruchs möchte ich mich heute mit dem Einzelplan 10,
gedient, und sie ist auch nicht groß genug, um alle An-
Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und
sprüche zu bedienen.
Verbraucherschutz, beschäftigen.
Frau Aigner, wir haben mit Spannung Ihre Rede auf
Die Zahlen sind ernüchternd. Der Etat für diesen
der Grünen Woche erwartet. Wir hätten uns einige präg-
wichtigen Bereich umfasst 5,8 Milliarden Euro. Genau
nante Aussagen zur Weiterentwicklung der Gemeinsa-
genommen, handelt es sich um das Wichtigste über-
men Agrarpolitik nach 2013 gewünscht. Aber diesbe-
haupt; denn wenn die Ernährung im Land nicht stimmt,
züglich war von Ihnen nicht viel zu vernehmen. Den an
dann kann man alles andere vergessen.
sich begrüßenswerten Vorschlag der neuen Agrarminis-
terin aus Schleswig-Holstein haben Sie mit der Bemer- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
kung, es sei noch viel zu früh, darüber nachzudenken,
5,8 Milliarden Euro entsprechen 1,9 Prozent des Ge-
nicht weiter kommentiert. Sie haben gesagt, dass Sie bei
samtetats in Höhe von 325,4 Milliarden Euro. Wenn
den Verhandlungen harte Auseinandersetzungen und
man sich anschaut, wie groß der Anteil des sozialen
schwere Verteilungskämpfe erwarten. Das ist richtig. Sie
Bereichs an diesem Einzelplan 10 ist, dann ergibt sich
wollen eine starke erste Säule, die ausgewogen ausge-
ein ganz anderes Bild. Im Einzelnen handelt es sich hier-
richtet ist. Auch das ist aus Ihrer Sicht richtig. Aber Sie
bei um folgende Posten: Zuschüsse zur Alterssicherung
wissen wie auch wir ganz genau, dass das historische
der Landwirte: 2,28 Milliarden Euro; Zuschüsse zur
Modell der Direktzahlung längst ausgedient hat. Das
landwirtschaftlichen Unfallversicherung: 200 Millionen
werden Sie politisch nicht mehr legitimieren und nicht
Euro; Zuschüsse zur Gewährung einer Rente an Klein-
(B) mehr begründen können. (D)
landwirte: 44,5 Millionen Euro; Zuschüsse an die Träger
Die neuen Aufgaben und Herausforderungen sind der Krankenversicherung: 1,25 Milliarden Euro; Zu-
– Sie haben vorhin einige genannt – Klimaschutz, Biodi- schüsse zur Zusatzaltersversorgung für Arbeitnehmer in
versität, Erhaltung der Bodenfruchtbarkeit und flächen- der Land- und Forstwirtschaft: 24,5 Millionen Euro. Das
deckende Landwirtschaft. Die Leistungen in Bezug auf heißt, alles in allem fließen rund 65 Prozent des Einzel-
diese öffentlichen Güter müssen den Landwirten auch in plans 10 in den sozialen Bereich.
Zukunft vergolten werden und sollten nicht pauschal ab-
(Zuruf von der SPD: Das war immer so!)
gerechnet werden. Dazu hätte ich mir einige Aussagen
gewünscht. Zieht man dann noch die Kosten für das Ministerium
bzw. die Verwaltung – das muss ja sein – ab, dann ver-
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: bleiben diesem Ministerium zur freien Politikgestaltung
Herr Kollege, Sie müssen bitte zum Ende kommen. rund 2 Milliarden Euro. Das ist wahrlich nicht viel. Aber
wir haben Glück gehabt: Seitdem es eine christlich-libe-
rale Koalition gibt, hat auch dieses Ministerium eine
Dr. Wilhelm Priesmeier (SPD): christlich-liberale Handschrift.
Frau Ministerin, Sie eröffnen keine politischen Per-
spektiven. Sie halten bei passender Gelegenheit Schön- (Zurufe von der SPD: Oh! – Christian Lange
wetterreden. Sie bieten tolle Broschüren und bunte Ka- [Backnang] [SPD]: Das ist uns noch gar nicht
lender aus dem BMELV an. Aber Sie haben keine aufgefallen!)
Antworten auf die drängenden Fragen des Agrarsektors. Diese ist wesentlich besser als die von 2002 bis 2005.
Zu Ihrer Politik kann ich nur sagen: Mangelhaft!
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Vielen Dank.
Dieser Haushalt trägt auch eine liberale Handschrift,
(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Friedrich zumindest beim Grünlandmilchprogramm. Dieses
Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Programm ist eine gute Sache; denn es hilft den Milch-
bauern, durch diese Krise zu kommen. Es war äußerst
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: wichtig, dass man da etwas getan hat. Auch hier zeigt
Das Wort hat nun Kollege Heinz-Peter Haustein für sich eine liberale Handschrift.
die FDP-Fraktion.
Ein weiterer Punkt, der den Liberalen am Herzen
(Beifall bei der FDP) liegt, sind die Liquiditätshilfekredite für die Bauern. Die
1188 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 14. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 19. Januar 2010
Heinz-Peter Haustein
(A) Politik muss in einer Krise helfen. Wir tun es, natürlich mand abnehmen. Auch die Öffentlichkeit wird Ihnen (C)
unter Leitung der sehr verehrten und geschätzten Minis- dies nicht abnehmen. Das nennen wir Täuschung.
terin Frau Aigner, die sehr dynamisch handelt.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord-
(Christian Lange [Backnang] [SPD]: Jetzt neten der SPD)
aber! – Ulrich Kelber [SPD]: Wie sich die Be-
urteilung in sechs Monaten geändert hat!) Ich will zwei Schwerpunkte aus dem Einzelplan 10
aufgreifen, zum einen die Agrarpolitik am Beispiel von
Auch der Zuschuss zur landwirtschaftlichen Unfall- Bodenverkäufen besonders in Ostdeutschland – ein aktu-
versicherung ist zu erwähnen. Er trägt dazu bei, dass die elles Thema – und zum anderen den Verbraucherschutz
Lohnnebenkosten der Landwirte gleich hoch bleiben. in Zeiten der Krise, wozu ich, was ich ehrlich gestehen
An all diesen Beispielen sieht man, wie wichtig es ist, muss, nach den herzhaften Worten der Frau Ministerin
dass die FDP hier mitredet; wie wichtig es ist, dass über heute etwas mehr erwartet hätte.
deutschen Äckern und Feldern ein neuer Wind weht und Zu den Verkäufen von Böden und Seen. Die Mittel
es auch in diesem Bereich aufwärtsgeht. Es ist wichtig, für das bundeseigene Unternehmen BVVG – dies heißt
in der Krise zu helfen. Andere vor uns haben im Bereich Bodenverwertungs- und -verwaltungs GmbH; das soll-
der Autoindustrie geholfen. Deshalb möchte ich mit ei- ten wir unseren Zuhörern mitteilen – sind zwar nicht in
nem Trost für die gebeutelte Autoindustrie, mit einem diesem Etat veranschlagt; aber dieses Unternehmen hat
weiteren Spruch enden: Ist das Geld bis Herbst nicht bekanntlich großen Einfluss auf die Entwicklung ländli-
sauer, kauft sich einen Benz der Bauer. cher Räume. Wir finden, die Bodenverkaufspolitik der
In diesem Sinne ein herzliches Glückauf aus dem Erz- Bundesregierung hat inzwischen zerstörerische Folgen
gebirge! insbesondere für Ostdeutschland. Das wollen wir deut-
lich sagen und auf keinen Fall hinnehmen.
(Heiterkeit und Beifall bei der FDP und der
CDU/CSU – Christian Lange [Backnang] (Beifall bei der LINKEN)
[SPD]: Das freut mich als Schwaben! So ist es
Wir haben es mit einer Explosion der Bodenpreise,
recht!)
mit einem Run auf die verbliebenen 400 000 Hektar und
damit vor allem mit einer Gefährdung der Agrarbe-
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: triebe im Osten zu tun.
Das Wort hat nun Kollege Roland Claus für die Frak-
tion Die Linke. Ich will deutlich sagen: Die Geschichte der Agrarun-
ternehmen in Ostdeutschland ist weitgehend eine Er-
(B) (Beifall bei der LINKEN) folgsgeschichte. Diese Bäuerinnen und Bauern und ihre (D)
Mitstreiterinnen und Mitstreiter haben große gesell-
Roland Claus (DIE LINKE): schaftliche und ökonomische Umbrüche gemeistert. Sie
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und haben Umbruchserfahrung gesammelt, die anderen Tei-
Herren! Der Etat des Bundesministeriums für Ernäh- len Deutschlands, vor allen in ländlichen Räumen, noch
rung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz spiegelt au- bevorstehen wird. Das alles passt natürlich einem Teil
thentisch die Haushaltspolitik der Bundesregierung wi- von Ihnen nicht, weil es sich hierbei häufig um die
der. Er ist Teil eines Ganzen; man muss leider sagen: Nachfolgeunternehmen von landwirtschaftlichen Pro-
eines trefflich misslungenen Ganzen. duktionsgenossenschaften handelt. Dazu will ich Ihnen
eines sagen: Hören Sie endlich auf, die agrarischen Pro-
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord-
duzenten gegeneinander in Stellung zu bringen.
neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Wie der Gesamtetat ist auch der Einzelplan 10 ein Ver- (Beifall bei der LINKEN)
such, die Öffentlichkeit zu täuschen. Das ist der falsche Weg. Wir müssen gemeinsam han-
(Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Genau!) deln.
Sie haben für Ihren Etat einen Begriff in die Öffentlich- In Ihrem Koalitionsvertrag – der einen weiteren An-
keit gesetzt, nämlich den Begriff des Antikrisenhaus- schlag dieser Art enthält; der Einigungsvertrag hat be-
halts. Sie versuchen, der Öffentlichkeit irgendwie beizu- kanntlich den Fortbestand der Bodenreform festge-
bringen, dass wir uns auf der einen Seite in einem schrieben – überraschen Sie die Öffentlichkeit mit der
absoluten Schuldenrekordjahr befinden und dass auf der Bildung einer Arbeitsgruppe, die das alles noch einmal
anderen Seite mit der Schuldenbremse, mit Ihrer Fata überprüfen soll. Dazu sagen wir Ihnen: Das ist ein weite-
Morgana von übermorgen, künftighin alles wieder gut rer Akt von Lobbyismus. Das lassen wir Ihnen nicht
werden soll. Sparen ab Neujahr, aber wo? Wenn wir uns durchgehen.
den Einzelplan 10 anschauen, stellen wir fest: Er ist ein (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg.
sehr überschaubares Werk. Wo soll denn da in den Di- Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD])
mensionen, um die es künftig geht, gespart werden?
Doch nicht etwa bei den Agrarsozialfonds? Wenn Sie Wir fordern: Kein weiterer Verkauf ehemals volkseige-
uns die Steuerschätzung im Mai jetzt ständig als Alibi ner Flächen, sondern faire Verpachtung, keine Boden-
vorhalten und sagen: „Erst dann können wir Ihnen die spekulationen, sondern Stärkung regionaler Produzen-
Wahrheit sagen“, so wird Ihnen das hier im Hause nie- ten!
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 14. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 19. Januar 2010 1189
Roland Claus
(A) Zum Verbraucherschutz in den Zeiten der Krise. Ich Standorten Berlin und Bonn. Meine Fraktion meint, es (C)
muss leider feststellen: Dem Verbraucherschutz geht es ist Zeit für eine Wiedervereinigung der Bundesregierung
wie dem Datenschutz. Es gibt dafür Behörden und Sonn- in Berlin.
tagsreden, und es gibt – das will ich ausdrücklich aner-
kennen – sehr viele ehrenamtlich und hauptamtlich En- Vielen Dank.
gagierte. Dennoch findet Daten- und Verbraucherschutz (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg.
faktisch nicht statt. Verbraucherinnen und Verbraucher Mechthild Rawert [SPD])
sind den Anbietern von Produkten und Dienstleistungen
weitgehend schutzlos ausgeliefert, und diese nutzen ihre
Monopolstellung doppelt: zum einen in der Diskriminie- Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
rung von Verbraucherinnen und Verbrauchern und zum Das Wort hat nun Friedrich Ostendorff für die Frak-
anderen auch in der Diskriminierung von Kleinprodu- tion Bündnis 90/Die Grünen.
zentinnen und -produzenten. Am Beispiel der Milch (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS-
wird Ihnen das mein Kollege Süßmair später noch erläu- SES 90/DIE GRÜNEN)
tern. Wir fordern für diesen Etat eine bessere finanzielle
Ausstattung der Verbraucherschutzverbände, mehr Geld
für das Bundesinstitut für Risikoforschung – entspre- Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
chende Anträge werden Sie bekommen, einschließlich NEN):
der Gegenfinanzierung – und mehr Aufsicht und Kon- Sehr geehrter Herr Präsident! Frau Ministerin! Meine
trolle gegenüber den Monopolisten in der Lebensmittel- Damen und Herren! Was ist eigentlich das agrarpoliti-
branche. sche Leitbild dieser Bundesregierung? Wenn man Ihren
Reden zur Grünen Woche zuhört, hat man den Eindruck,
Frau Bundesministerin, ich hatte es eingangs schon Sie hätten den Buchtitel Fleisch ist mein Gemüse zum al-
erwähnt: Sie haben ziemlich klare Worte an die Adresse leinigen Leitbild gemacht.
der Banken und deren Kundenberatung gerichtet, die wir
unterstützen. In Ihrer Rede sagten Sie, ein Weiter-so darf (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
es nicht geben. Sie fanden die Vorgänge beschämend. und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten
Ich warte schon seit zwei Jahren darauf, dass sich einmal der SPD)
jemand anfängt zu schämen, der für den Laden zuständig
ist. Es ist schon atemberaubend, wie Sie, Frau Ministerin,
sich bei dieser Frage von Ihren eigenen Leuten wie Peter
(Beifall bei der LINKEN) Bleser, vom Bauernverband und der Fleischlobby vor-
(B) Sie werden auch die Unterstützung der Vorsitzenden der führen lassen. Noch im Dezember hatten Sie zum Kli- (D)
Verbraucherschutzministerkonferenz bekommen. Das maschutz reduzierten Fleischkonsum empfohlen. Wir
war im vergangenen Jahr die Berliner Senatorin Katrin finden das sehr richtig. Zum Start der Grünen Woche
Lompscher. In diesem Jahr ist die Vorsitzende der Kon- kam aber die Kehrtwende unter dem Motto: Alle reden
ferenz die Ministerin Anita Tack aus Brandenburg. vom Klima, nur wir vom Schweinebraten. Da waren Sie
Beide sind Mitglied der Linken. auf einmal wieder ganz dicht an der Seite von Herrn
Sonnleitner, der erst gestern, auf dem Milchabend, wie-
Wir verstehen allerdings Ihre Kritik, Frau Aigner, der verkündete: Wer kein Fleisch isst, kann nicht klar
auch als eine Kritik an Ihrem Kollegen Finanzminister denken.
Schäuble. Denn wozu müssen Sie so harsche Worte wäh-
len? Doch nur deshalb, weil er seine Hausaufgaben nicht (Peter Bleser [CDU/CSU]: So ist es!)
macht. Wie zu besten CMA-Zeiten preisen Sie auf einmal wie-
(Beifall bei der LINKEN) der den ungebremsten Fleischkonsum und erklären
wörtlich:
Wenn wir uns alle so übermütig einig sind, was die Ma-
nagerschelte betrifft – da mache ich gerne mit –, dann Wir müssen Treibhausgase aus der Landwirtschaft
möchte ich doch daran erinnern, dass es dieser Deutsche in Kauf nehmen.
Bundestag war, der 2004 die Zulassung all jener Finanz-
produkte veranlasst und beschlossen hat, über deren Fol- Als hätte es den Gipfel in Kopenhagen nicht gegeben,
gen wir uns jetzt aufregen. Das kam nicht vom Himmel als gäbe es kein 2-Grad-Ziel der Bundeskanzlerin, der
gefallen, das war eine politische Entscheidung. Wenn Regierung und der sie tragenden Koalition, rechnen Sie
Beschämung angebracht ist, dann müssen auch Sie an öffentlich den Anteil der Landwirtschaft an den Klima-
dieser Stelle mitwirken. gasen, der laut Umweltbundesamt 13 bis 15 Prozent be-
trägt, auf abenteuerliche 6 Prozent herunter und erklären
(Beifall bei der LINKEN) die Landwirtschaft kurzerhand als vom Klimaschutz
ausgenommen. Bei Ihrem klimapolitischen Blindflug
Der Einzelplan 10 ist ein Beleg für schlechte Agrar- und
werden Sie von einer FDP unterstützt, die am liebsten
Verbraucherschutzpolitik. Das muss sich ändern, und das
den Dieselverbrauch mit Steuergeldern zusätzlich ankur-
kann sich ändern.
beln würde. Welch ein Wahnsinn, Frau Happach-Kasan,
Zum Schluss will ich Ihnen sagen, Frau Ministerin: den Dieselverbrauch mit Steuergeldern zu subventionie-
Ihr Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Ver- ren! So sind Sie, Frau Ministerin, in dieser Woche in das
braucherschutz ist noch immer ein zweigeteiltes, mit den internationale Agrarministertreffen zu Landwirtschaft
1190 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 14. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 19. Januar 2010
Friedrich Ostendorff
(A) und Klimawandel hier in Berlin eingestiegen. Entspre- geldern gefördert werden, die sich für Klima-, Umwelt-, (C)
chend dürftig waren die Ergebnisse. Natur- und Tierschutz sowie für Arbeitsplätze engagie-
ren. Es liegt in Ihrer Verantwortung, dafür den politi-
Frau Ministerin, Ihr Ziel scheint es zu sein, Deutsch-
schen Rahmen zu schaffen.
land zum Fleischexportweltmeister zu machen. Ihre
Partner dabei sind die Wesjohanns dieser Welt, deren Zur Gentechnik. Wann immer es dieser Tage um die
Slogan ist: Mit der Wahrheit machen wir das beste Ge- Gentech-Kartoffel Amflora geht, erklären Sie lediglich,
schäft. Sie nennen ihre Betriebe „Wiesenhof“, obwohl Sie würden die Entscheidungen aus Brüssel abwarten
sie in Wahrheit „Qualhof“ heißen müssten, und machen und akzeptieren. Das ist zu wenig, Frau Aigner. Sie sind
die Bauerfamilien zu Lohnarbeitern auf ihren eigenen die Ministerin, Sie tragen die politische Verantwortung.
Höfen. Wissen Sie eigentlich, was auf dem Land los ist, Ihr kleiner Koalitionspartner überlässt das weit weniger
wo die Agrarindustrie ihre Hähnchen-, Hühner-, dem Zufall. Er verfolgt ganz offen die Interessen einer
Schweine-, Puten- und Ziegenbatterien errichten will? zahlungskräftigen Klientel und funktioniert den Koali-
Es herrscht Krieg zwischen den Dorfbewohnern und den tionsvertrag zum Vermarktungskatalog einzelner Pro-
Investoren. Das ist die Realität. dukte um.
(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Das ist (Dr. Edmund Peter Geisen [FDP]: Wir wollen,
Quatsch!) dass es allen gut geht!)
Wir überschwemmen die Welt mit billigem Fleisch;
Da fragt man sich, was BASF und Monsanto wohl lo-
wir plündern die Welt für unsere Futtermittel aus, zerstö-
ckergemacht haben, um ihre Lieblingsprodukte Amflora
ren das Klima, und Sie feiern das auf dem Erlebnisbau-
und MON 810 in den Koalitionsvertrag zu bekommen.
ernhof der Grünen Woche als Erfolg. Welch ein Irrsinn!
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Hans-Michael Goldmann [FDP]:
sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN- Unterstellung!)
KEN) Meine Damen und Herren von der FDP, Sie machen die
Dabei hat die Landwirtschaft ein gewaltiges Poten- Politik leider zu einem schmuddeligen Krämerladen.
zial, nicht nur klimaneutral zu werden, sondern aktiv Wir erwarten von Ihnen, Frau Aigner, mehr als diese
Klimaschutz zu betreiben. Die Landwirtschaft kann Schmalspurklientelpolitik. Wir erwarten, dass Sie die
eine echte Zukunftsbranche werden. Dafür müssen wir große Mehrheit der Deutschen vertreten, die nun einmal
aber jetzt umsteuern: Wir müssen auf Regionalität statt keine Gentechnik auf dem Acker und auf dem Teller
auf den Weltmarkt setzen, auf Grünland statt auf Mais, will.
(B) auf ökologische Anbauverfahren statt auf Kunstdünger, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (D)
auf gutes statt auf unbegrenzt viel Fleisch, sowie bei Abgeordneten der SPD)
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Handeln Sie danach, dann werden auch wir Sie unter-
auf Bauernhöfe statt auf Agrarfabriken. Das ist die Auf- stützen.
gabe der Zukunft. Wir müssen den derzeitigen Vernich-
tungsfeldzug gegen die bäuerliche Landwirtschaft Gleiches gilt für die Milch. Ob die bäuerliche Mil-
endlich stoppen. cherzeugung bei uns weiterbestehen wird oder nicht, ist
eine Frage der politischen Rahmenbedingungen. Die set-
Es geht hier nicht um Nostalgie. Es geht nicht um Ro- zen momentan nur Sie von der Koalition. Erzählen Sie
mantik. Es geht auch nicht um ein paar Bauern wie uns nicht, es sei ein Naturgesetz, dass die bäuerliche
mich. Es geht darum, dass wir drauf und dran sind, mit Milchwirtschaft verschwinden muss. Sagen Sie klipp
der bäuerlichen Landwirtschaft die Form der Landwirt- und klar, was Sie wollen. Stehen Sie dazu!
schaft zu verlieren, die im Weltagrarbericht im Hinblick
auf Klimawandel, Ressourcenschutz, Armut, Hunger Es ist ja nun nicht so, dass Sie mit den öffentlichen
und soziale Gerechtigkeit als das Zukunftsmodell he- Geldern aus dem Agrarhaushalt besonders sparsam um-
rausgestellt wurde. gehen. 750 Millionen Euro für die Milchbauern sind eine
Menge Geld, mit dem Zukunftsimpulse für die Land-
Wir alle zusammen können diese Entwicklung stop- wirtschaft hätten gesetzt werden können. Aber was ma-
pen. Das erfordert aber eine klare Richtungsentschei- chen Sie damit? Sie erfinden die Abwrackprämie für
dung und Führungskraft. Beides vermissen wir bei Ih- Milchbauern. Für meine Frau daheim mit 30 Kühen
nen, Frau Ministerin Aigner. heißt das: 1 Cent pro Liter für zwei Jahre – und dann ab
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) auf den Schrotthaufen mit der bäuerlichen Milchwirt-
schaft. Ihnen fehlt der Gestaltungswille. Ihnen fehlen die
Sie sind die Ministerin aller Bäuerinnen und Bauern und Ideen. Das versuchen Sie mit kopflosem Geldausgeben
nicht nur die Ministerin des Deutschen Bauernverban- zu kaschieren.
des. Die Agrarreform 2013 darf nicht darauf hinauslau-
fen, dass weiterhin vor allem die Großbetriebe profitie- Frau Aigner, erkennen Sie, dass Sie von Herrn
ren, dass weiterhin 80 Prozent der Fördermittel an Sonnleitner schlecht beraten worden sind, oder warum
20 Prozent der Betriebe fließen und weiterhin 70 Prozent musste der Kopf des Bauernverbands in Ihrem Haus,
der Betriebe, eben die kleinen, nur 10 Prozent der Gelder Staatssekretär Lindemann, an diesem Wochenende so
erhalten. Künftig dürfen nur noch Betriebe mit Steuer- plötzlich seinen Hut nehmen? Ihre Vorgängerin, Renate
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 14. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 19. Januar 2010 1191
Friedrich Ostendorff
(A) Künast, hat mit der Agrarwende den richtigen Weg ein- (Beifall bei Abgeordneten der FDP) (C)
geschlagen.
Jetzt werden Sie sagen: Was ist denn in dem Bereich,
(Lachen bei Abgeordneten der FDP) Schirmbeck, in dem du seit sieben Jahren mitarbeiten
darfst und in dem du im Haushalt die Dinge mitgestalten
Sie hat den Bäuerinnen und Bauern eine Zukunftsper- darfst, geschehen? Wir haben die Ressortforschung neu
spektive aufgezeigt. Knüpfen Sie daran an! Übernehmen organisiert. Die Ministerin hat erklärt: Uns stehen
Sie die Führung in dieser Richtung! Richten Sie Ihren 400 Millionen Euro zur Verfügung. Mittlerweile geben
Haushalt entsprechend aus! Stärken Sie die wirklich in- wir in diesem Bereich weniger Mittel aus. Wir haben Ins-
novativen Kräfte in der Landwirtschaft. Nehmen Sie zur titute zusammengelegt; davon waren über 3 000 Leute
Kenntnis, dass es neben dem Bauernverband noch an- betroffen. Wir haben Standorte aufgelöst und neue ge-
dere Kräfte gibt. Überlassen Sie die Folklore dem Bau- schaffen, und zwar ohne großen Klamauk. Wir haben in
ernverband und Herrn Bleser. Dann werden Sie auch diese ganze Branche mit weniger Geld mehr Effizienz
meine und unsere Unterstützung haben. hineingebracht. Das ist das, was von uns erwartet wird,
Schönen Dank. und nicht, dass wir uns wechselseitig bescheinigen, dass
wir unfähig sind.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
sowie bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Ich sage es noch einmal deutlich, in großer Harmonie
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: mit dem Personalrat: Dass nicht jeder Einzelne froh ist,
Herr Kollege Ostendorff, dies war zwar nicht Ihre wenn er umziehen muss, wenn ein Arbeitsplatz wegfällt
erste Rede im Deutschen Bundestag, aber immerhin in oder wenn der eine oder andere Traum nicht erfüllt wird,
dieser Legislaturperiode. Seien Sie uns wieder willkom- ist klar. Aber das ist Teil der Aufgaben, die wir anzuge-
men! Gute Zusammenarbeit! hen haben.
(Beifall) In diesem Zusammenhang darf ich sagen: Ich habe
mich bei der Ministerin, bei den Staatssekretären, aber
Das Wort hat nun Kollege Georg Schirmbeck für die
auch beim Haushaltsdirektor und seinen Mitstreitern für
CDU/CSU-Fraktion.
die immer sachliche Zusammenarbeit zu bedanken. Wir
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- müssen nicht wechselseitig Vorurteile austauschen, son-
neten der FDP) dern arbeiten wechselseitig konkret an der Lösung der
Aufgaben.
(B) Georg Schirmbeck (CDU/CSU): (D)
Ich komme zum Verbraucherschutz. Nachdem ich das
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- letzte Mal hier gesprochen habe, haben wir beschlossen,
ren! Wenn man fünfeinhalb Stunden hier gesessen und dass wir der Stiftung Warentest 50 Millionen Euro zur
sich die Beiträge aller Redner angehört hat, dann hat Verfügung stellen wollen. Der Kollege Kelber war ein
man den Eindruck, hier sei Schizophrenie ausgebrochen. bisschen schneller und hat in seiner Presseerklärung
Wir reden auf der einen Seite von Krise, von einer Re- etwa 125 Millionen in Aussicht gestellt. Jetzt haben wir
kordverschuldung und von Finanzierungsproblemen. im Haushaltsausschuss die Mittel, die wir noch als
Auf der anderen Seite erklären die Redner, wir müssten Große Koalition eingeplant haben, freigegeben. Es hat
noch dies und das machen, hier müsse mehr Geld zur mich sehr gewundert, dass der Kollege Schwanitz, der
Verfügung gestellt werden, da müssten statt einer halben jetzt wohl die agrarpolitische Führerschaft übernommen
Milliarde 5 Milliarden Euro bereitgestellt werden usw. hat, obwohl damals noch von 125 Millionen Euro die
usf. Rede war, noch nicht einmal bereit war, 50 Millionen
Euro freizugeben.
Wir befinden uns in einer Haushaltsdebatte. Die
Wahrheit ist: Egal wer hier regiert – das gilt auch, wenn (Ulrich Kelber [SPD]: Blödsinn wird durch
Sie morgen regieren würden –, wir werden auf Dauer Wiederholung nicht richtiger!)
weniger Geld haben. Wir haben nämlich Folgendes
komplett ausgeblendet: Wir sind eine rapide alternde So schnell ändert sich das. Wenn man so Politik macht,
Gesellschaft. Die demografische Entwicklung ist in un- Herr Kelber, dann wird man unglaubwürdig und dann
seren Haushaltsbilanzen gar nicht berücksichtigt. Das hat man einigen Grund, sich zu schämen.
heißt, selbst wenn das, was wir uns wünschen, dass es in (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
den nächsten Jahren zu einer guten wirtschaftlichen Ent- neten der FDP)
wicklung kommt, tatsächlich eintrifft, werden die Pro-
bleme nicht weniger. Es gibt also überhaupt keine Alter- Es geht also darum, mit weniger Geld mehr zu ma-
native dazu, mit weniger Geld oder, um im Jargon der chen. Die Stiftung Warentest beispielsweise baut eine
Linken zu bleiben, mit weniger Kohle effizienter zu ar- Stiftung auf. Das führt auf Dauer dazu, dass aus dem
beiten. Deshalb müssen wir uns gar nicht vorwerfen, wer Bundeshaushalt weniger Mittel an die Stiftung Waren-
was nicht kann. Dass die Opposition immer die besseren test fließen werden, die Stiftung Wartentest unabhängi-
Konzepte hat und die Regierung unfähig ist, das ist in je- ger sein wird, sie also aus sich heraus ihre verdienstvol-
dem Parlament so. Darüber muss man doch nicht in den len Aufgaben wahrnehmen kann. Das ist die Politik, von
ersten zwei Minuten jeder Rede sprechen. der ich gesprochen habe.
1192 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 14. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 19. Januar 2010
Georg Schirmbeck
(A) Im Wahlkampf wurde oft über das Milchprogramm (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU (C)
gesprochen. Das wurde den Parteien abverlangt. Auch und der FDP)
ich habe viele Briefe von Bäuerinnen und Bauern be-
kommen, die ich gut kenne. Ich habe allen gleichlautend Hier ist über den Agrardiesel gesprochen worden.
geantwortet: Ich verspreche euch vor der Wahl nichts, Beim Agrardiesel stellt sich gar nicht die Frage nach
was ich nach der Wahl nicht halten kann. Wenn es ein al- weiteren steuerlichen Vergünstigungen. Beim Agrardie-
ternatives, überzeugendes Milchprogramm gäbe, wäre es sel brauchen wir vielmehr eine europäische Harmonisie-
doch gerade für CDU/CSU und FDP naheliegend, zu sa- rung. Wir brauchen eine Agrardieselbesteuerung wie in
gen, dass wir es umsetzen. Ehrlich gesagt, gibt es dieses unseren Hauptwettbewerbsländern. Wenn wir diese ha-
Programm noch nicht. ben, dann werden wir uns beim Agrardiesel sehr schnell
einig.
Nehmen wir einmal die Fakten, die Wahrheit zur
Kenntnis. In Osnabrück haben wir eine Buchstelle beim Ich habe über Sparen gesprochen. Ich habe darüber
Landvolk. Dort kann man genau sehen, welcher Betrieb gesprochen, wie bescheiden die Ressourcen in den
mit welchen Deckungsbeiträgen auskommt. Wenn Sie nächsten Jahren sein werden. Jetzt gibt es durchaus Be-
zwei im Hinblick auf die Inhaber und deren Ausbildung reiche, in denen Geld eingenommen wird. Von unserer
vergleichbare Betriebe betrachten, dann müssen Sie fest- Wirtschaft müssen Verschmutzungszertifikate gekauft
stellen, dass der eine Betrieb mit 20 Cent Deckungsbei- werden. Dadurch kommen erhebliche Mittel in den Bun-
trag auskommt und der andere mehr als 30 Cent braucht, deshaushalt. Diese Mittel werden für Umweltschutz-
um im grünen Bereich zu sein. Jetzt frage ich Sie: Wol- maßnahmen ausgegeben. Das ist richtig; das ist im Inte-
len wir diese Unterschiede, dieses unterschiedliche un- resse von Ressourcenschonung und Umweltschutz.
ternehmerische Geschick mit Steuermitteln ausgleichen?
(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Hört! Hört!)
Herr Ostendorff, Sie haben eben gesagt, wir hätten
kein Leitziel. Ich nenne Ihnen ein Leitziel. Wissen Sie, Aber man muss sich schon fragen, was mit den Mitteln
warum ich mich engagiere? Weil ich überzeugt bin von geschieht. Manchmal habe ich den Eindruck, dass wir
der Idee Ludwig Erhards von der sozialen Marktwirt- diese Mittel viel lieber – ich sage es einmal so – südlich
schaft. Um dafür zu kämpfen, sitze ich mit meinen der Sahara einsetzen und uns dann fragen, wo die Mittel
Freunden im Deutschen Bundestag. Das wollen wir um- geblieben sind, statt sie in Deutschland gezielt in Maß-
setzen. nahmen einzusetzen. Ich gehe davon aus – das hat die
Ministerin angekündigt –, dass es demnächst einen
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Waldklimafonds in Deutschland geben wird. Denn wenn
Wenn wir eine besondere Krisenentwicklung sehen, wir unsere Forstwirtschaft zukunftsfest machen, dann
(B) dann ist es doch naheliegend, unter dem Leitmotiv der dient uns das hier ganz konkret, dann dient das der deut- (D)
sozialen Marktwirtschaft das eine oder andere an schen Forstwirtschaft und dem Umweltschutz.
Schwierigkeiten abzumildern. Das und nichts anderes (Beifall der Abg. Dr. Christel Happach-Kasan
machen wir mit diesen 750 Millionen Euro. [FDP])
(Lachen des Abg. Dr. Wilhelm Priesmeier Wir haben in unserem Haushalt in jedem Jahr einen
[SPD]) größeren Ansatz. Das betrifft die Gemeinschaftsauf-
Ich sage deutlich: Es gibt zu den Strukturveränderun- gabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küs-
gen gerade in der Milchwirtschaft keine Alternative; das tenschutzes“. Nach den Zahlen, die wir jetzt beraten,
ist eine kurzfristige Hilfe. Hilfe leisten wir auch in Be- sind wir in der Lage, hierfür 100 Millionen Euro zusätz-
reichen, wo sie dauerhaft wirkt. Wenn wir beispielsweise lich zur Verfügung zu stellen. Vor dem Hintergrund des-
in der landwirtschaftlichen Unfallversicherung die sen, was ich eingangs sagte, betone ich: Ich glaube nicht,
Mittel erheblich aufstocken, dann führt das nicht nur dass wir diese Zahl werden halten können, und ich
dazu, dass wir mittelfristig, vielleicht sogar langfristig, glaube auch nicht, dass wir sie zukünftig halten werden.
keine höheren Beiträge brauchen, sondern auch dazu, Denn wenn wir weniger Ressourcen zur Verfügung ha-
dass wir die landwirtschaftliche Unfallversicherung ben, werden wir uns an der einen oder anderen Stelle
langfristig krisenfest machen. Damit helfen wir den überlegen müssen, wo wir einsparen. Ich sage das auch
Bäuerinnen und Bauern und dem Bundeshaushalt. Auch deshalb, weil es schon heute Länder gibt, die gar nicht in
das ist die richtige Politik. der Lage sind, alle Mittel, die ihnen zustehen, abzurufen.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das ist wohl
der FDP) wahr!)
Ein weiterer Punkt, über den wir uns noch zu unter-
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
halten haben, ist die Absatzförderung. Nach dem Urteil
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der des Bundesverfassungsgerichts ist es nicht möglich, die
Kollegin Steiner von den Grünen? bisherige gesetzliche Regelung beizubehalten. Wir müs-
sen also zu einer freiwilligen Lösung kommen. Ich wäre
Georg Schirmbeck (CDU/CSU): bereit, gemeinsam mit den Arbeitskreisen Finanzen und
Nein, das möchte ich jetzt nicht. Mit der Kollegin Landwirtschaft zu überlegen, wie man der Wirtschaft
Steiner kann ich in Osnabrück über alles sprechen. Wir beim Start helfen kann. Das setzt aber voraus, dass sich
brauchen hier keine Stadtratspolitik zu machen. die Wirtschaft bei der Absatzförderung auch selber
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 14. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 19. Januar 2010 1193
Georg Schirmbeck
(A) engagiert. Manch einer, der in diesem Bereich tätig ist, Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: (C)
sollte sich einmal fragen, ob er dem Berufsstand mit sei- Es folgt eine zweite Kurzintervention. Dann können
ner Erbsenzählerei, Kleinkariertheit oder Borniertheit Sie, Kollege Schirmbeck, beide auf einmal beantworten.
wirklich hilft. Ich fordere ein Umdenken. Wir können
nur dann öffentliche Mittel zur Verfügung stellen, wenn Das Wort hat Kollegin Dorothea Steiner von den Grü-
auch die Wirtschaft bereit ist, sich zu beteiligen. nen.
(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das ist Klar- Dorothea Steiner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
text! So kennen wir dich!) Danke, Herr Präsident. – Ich hatte vorhin versucht,
Auch dies gehört zum Leitbild der sozialen Marktwirt- dem Kollegen Schirmbeck eine Zwischenfrage zu stel-
schaft, die wir vertreten. len. Jetzt möchte ich den Punkt, um den es mir geht, in
einer Kurzintervention beleuchten.
Herzlichen Dank.
Herr Schirmbeck hat gesagt, es gebe Milchbauern, die
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) mit 20 Cent pro Liter auskämen, während andere
30 Cent pro Liter bräuchten. In Wirklichkeit ist es so,
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: dass man erst ab ungefähr 31 Cent pro Liter an Wirt-
Mir liegen zwei Anmeldungen zu Kurzinterventionen schaftlichkeit denken kann. Ich würde gerne von Ihnen
vor. Zunächst hat der Kollege Ulrich Kelber das Wort. wissen – wir haben im Osnabrücker Land, wo auch ich
herkomme, dieselben Milchbauern besucht –, ob Sie ei-
(Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Ehrlich in nen Milchbauern kennen, der kein Agrarindustrieller ist
die neue Zeit!) und von 20 Cent pro Liter leben kann. Oder ist ein ver-
nünftiger Preis, um auch die Existenz der Milchbauern
Ulrich Kelber (SPD): zu schützen, nicht eher bei 31 Cent pro Liter aufwärts
Deswegen ist es immer gut, verschiedene Informa- anzusetzen? Gibt es dazu vielleicht Ihrerseits Vorschläge
tionsquellen zur Verfügung zu haben, Herr Kollege und Überlegungen, wenn Sie das Ziel, die Existenz der
Schirmbeck. – In der Tat hat es damals aufgrund des spe- Milchbauern zu schützen, sogar zu einem Bestandteil
zifischen Wunsches von Herrn Kauder, der Stiftung der sozialen Marktwirtschaft erklären?
Warentest einen einmaligen Stiftungszuschuss zukom- Auch wir finden, dass die Existenz der Milchbauern
men zu lassen, eine Kontaktaufnahme der CDU/CSU- gesichert werden muss. Sie dürfen nicht geknechtet und
Fraktion mit der Stiftung Warentest gegeben. Es wurde zu den Preisen, die sie zurzeit bekommen, gezwungen
ein Betrag von 125 Millionen Euro übermittelt. Dann werden. Sie wissen genau, dass es die großen Verbrau- (D)
(B) folgte die Rückfrage, die wir bestätigt haben.
chermärkte sind, die sie dazu zwingen. Ich würde gerne
Wenn Sie die Möglichkeit hätten, zu recherchieren, wissen: Auf welcher Seite stehen Sie, und was werden
zum Beispiel im Internet, hätten Sie sich die Pressemit- Sie tun, um die Situation der Milchbauern zu verbes-
teilung, die Sie gerade erwähnt haben, in Gänze ausdru- sern?
cken können. Sie ist vom 21. November 2008, und sie (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS-
lautet wie folgt: SES 90/DIE GRÜNEN)
Zu dem Beschluss des Haushaltsausschusses, die
Stiftung Warentest mit zusätzlichem Stiftungskapi- Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
tal in Höhe von 50 Millionen Euro auszustatten, er- Herr Kollege Schirmbeck, bitte.
klären der stellvertretende Vorsitzende der SPD-
Bundestagsfraktion Ulrich Kelber und die Spreche- Georg Schirmbeck (CDU/CSU):
rin … Waltraud Wolff: …
Herr Kollege Kelber, Sie kommen aus Bonn; das ist
So steht es im Original, das man finden kann. natürlich das Zentrum der Welt. Ich komme aus dem
Landkreis Osnabrück, aus Ohrbeck, aber so ein Handy
Herr Kollege Schirmbeck, ich bin gespannt, ob Sie habe ich auch. Ich werde Ihnen die ausgedruckte Presse-
zwei Dinge unterstützen. Erstens frage ich Sie, ob Sie erklärung, die uns im Ausschuss vorgelegen hat, zur Ver-
der Meinung sind, dass das Ministerium endlich einer fügung stellen. Dann können Sie sich selber davon über-
Aufgabe nachkommen sollte, die es schon seit längerer zeugen. Ich habe überhaupt nicht den Ehrgeiz, Ihnen
Zeit hat, nämlich ein Gutachten bzw. eine Studie zur Ge- irgendetwas unterzuschieben, was so nicht war.
samtfinanzierung des Verbraucherschutzes in Deutsch-
land zu erstellen, statt nur einen Einzelzuschuss zu ge- Frau Kollegin Steiner, Sie kommen aus der Stadt
währen. Osnabrück, ich aus dem Landkreis Osnabrück; das muss
man schon unterscheiden.
Zweitens frage ich Sie, ob Sie entsprechenden Anträ-
gen der Opposition folgen werden. Seit Ausbruch der (Heiterkeit)
Krise liegen zum Beispiel im Bereich der unabhängigen Wir haben aber eines gemeinsam: Wir lesen dieselbe
Finanzberatung große Aufgaben vor uns. Bei diesem Zeitung.
Thema bewegt sich in der CDU nichts. Es wäre besser,
Sie würden sich hier einsetzen, statt falsch aus Presse- Der Präsident des Europäischen Parlaments war auf
mitteilungen zu zitieren. einem Hof im Osnabrücker Land, der von fünf Familien,
1194 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 14. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 19. Januar 2010
Georg Schirmbeck
(A) Kleinbauern, die sich zusammengeschlossen haben, ge- unabhängige Beratung der Verbraucher ist, und dies kön- (C)
führt wird. Der Großteil der Fläche, die sie bewirtschaf- nen am besten die Verbraucherzentralen leisten.
ten, ist Pachtfläche. Vor den anwesenden Pressevertre-
tern hat der Sprecher dieser Bauern erklärt, er komme Es ist absehbar, dass der Beratungsbedarf in Zukunft
mit 19 Cent pro Liter Milch aus. Das ist einer, der mit noch steigen wird. Deshalb fordern wir die Errichtung
dieser Truppe erfolgreich ist. Er ist auch kein Spinner. Er einer Stiftung zur Finanzierung der Verbraucherarbeit.
ist in der Milchwirtschaft unterwegs. Im Osnabrücker (Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Land kennen ihn alle. Wenn Sie Fragen haben, gehen Sie
zu ihm. Frau Ministerin und ich sind gemeinsam da ge- Für die Linderung der Not der Landwirte hat die
wesen. Die Familie ist sehr aufgeschlossen. So wie ich schwarz-gelbe Regierung Geld im Haushalt vorgesehen,
die kenne, wird man Ihnen genau erklären, wie sich das für die Finanzierung der Verbraucherarbeit aber nicht; so
verhält. Im Übrigen: Wenn wir mit dem Zug nach Hause sehen die Prioritäten dieser Bundesregierung aus.
fahren, können wir in Ruhe darüber sprechen. Ein zweiter Punkt, Frau Minister: Sie sind den Ver-
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und braucherinnen und Verbrauchern noch immer eine Infor-
der FDP) mationskampagne zur „Ohne-Gentechnik“-Kennzeich-
nung schuldig.
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
Das Wort hat nun Kollegin Elvira Drobinski-Weiß für des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
die SPD-Fraktion. Nachdem nun auch Lidl Milch von Kühen anbietet, bei
denen auf die Verfütterung von gentechnisch veränder-
Elvira Drobinski-Weiß (SPD): ten Pflanzen verzichtet wird, müsste doch auch der
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Letzte begriffen haben, dass dies ein Marktsegment mit
Liebe Kolleginnen und Kollegen! 81 Prozent der Bun- großem Potenzial ist. Die Verbraucher wollen keine
desbürger wollen ein neues Regierungsprogramm. Das Gentechnik auf dem Feld und erst recht nicht auf dem
ist das Ergebnis einer Emnid-Umfrage aus der letzten Teller. Um ihre Wahlfreiheit nutzen zu können, müssen
Woche. Warum ist das so? Weil diese Bundesregierung Verbraucher endlich korrekt und verständlich über das
kopf- und konzeptionslos agiert. Das zeigt auch der Ohne-Gentechnik-Angebot informiert werden.
Haushaltsentwurf: Es gibt keine Richtung, keine Linie, Ein dritter Punkt: Im Wahlkampf hat sich die CSU
keine Vorstellung von der Zukunft. So kann man weder noch mit ihrer Unterstützung für die gentechnikfreien
die Gegenwart meistern noch die Zukunft gestalten. Regionen überschlagen. Was ist daraus geworden?
(B)
Wer die Wirtschaft, auch die Landwirtschaft, zukunfts- Nichts als leere Worte. Neben der rechtlichen Absiche- (D)
fähiger machen will, muss den Markt vom Endabnehmer rung brauchen wir auch eine bessere Vernetzung. Wir
aus denken, also vom Verbraucher aus. Verbraucherpolitik fordern, dass dafür Mittel eingestellt werden; denn in
aber, Frau Ministerin, kommt im Haushaltsentwurf kaum den GVO-freien Regionen wird das angebaut, was Ver-
vor. Zwar werden großzügig Steuergelder verteilt – der braucher wollen.
Etat des BMELV wird wider die Vernunft um (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
572 Millionen Euro erhöht –; aber für verbraucherpoliti- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
sche Maßnahmen sind mit 148 Millionen Euro gerade
einmal 2,5 Prozent des Etats des BMELV vorgesehen. Ein vierter Punkt, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist
Zum Vergleich: Für den Posten „Sonstiges“ sind im Tor- der nachhaltige Konsum. Dieses wichtige Thema ist mit
tendiagramm des Haushalts des BMELV 469 Millionen lächerlichen 500 000 Euro angesetzt. Auch wenn sich
Euro angegeben. – So weit zum Stellenwert, den Ver- diese Bundesregierung den Herausforderungen Klima-
braucher für diese Bundesregierung haben. Es ist schon wandel, Wirtschaftskrise und Sozialdumping verweigert:
frech, wenn die zuständige Staatssekretärin behauptet, Bei den Verbrauchern ist diese Botschaft längst ange-
für den Verbraucherschutz werde viel getan. Es ist ein kommen. Sie wollen mit bewusstem Konsum zu einem
großer Unterschied, ob man viel ankündigt oder wirklich klimafreundlicheren und sozialverträglicheren Markt
etwas tut. beitragen. Sie wollen Produkte von Unternehmen kau-
fen, die faire Löhne zahlen und die Umwelt schonen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD) Das ist gut und hat bei vielen Unternehmen bereits posi-
tive Entwicklungen eingeleitet. Aber auch das soge-
Die Verbraucherpolitik der schwarz-gelben Bundesre- nannte Greenwashing hat zugenommen. Es ist schwer zu
gierung ist weder gegenwarts- noch zukunftsfähig; denn beurteilen, welche Aussagen seriös sind. Verbraucher
aus den verheerenden Folgen, die die Bankenkrise für brauchen Aufklärung und klare Definitionen. Wir wollen
die Verbraucher hat, werden keine Konsequenzen gezo- eine Datenbank, die als nachhaltig beworbene Produkte
gen. Kein Cent mehr ist für die Verbraucherzentralen für die Verbraucher vergleichbar und bewertbar macht.
und ihren Bundesverband vorgesehen. Dabei mussten
gerade sie den Beratungsbedarf der Verbraucher in der Ein fünfter Punkt ist, dass wir die Verbraucherfor-
Krise auffangen. Sie konnten dies aufgrund der knappen schung brauchen. Sie wollen doch immer den mündi-
finanziellen Ausstattung leider nur unzureichend leisten; gen, gut informierten Verbraucher. Aber wenn es darum
von der Einrichtung eines Marktwächters gar nicht zu re- geht, Verbrauchern verständliche Informationen zur Ver-
den. Der Bankenskandal hat gezeigt, wie wichtig eine fügung zu stellen, dann verweigert sich diese Bundes-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 14. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 19. Januar 2010 1195
Elvira Drobinski-Weiß
(A) regierung. Als Beispiele nenne ich die Nährwertampel Wüste, Urwald und Gebirge. Wir sollten auch nichts an (C)
und den Finanz-TÜV. Informationen müssen aber ver- diesem prozentualen Verhältnis ändern; denn es ist der
ständlich sein. Wir brauchen Untersuchungen darüber, Motor unseres Klimas. Wir in Europa, in Deutschland
welche Informationen für Verbraucher wichtig sind und haben das große Glück, auf diesen 12 Prozent zu leben.
wie sie aussehen müssen. Dafür benötigen wir Mittel. Bei uns ist Landwirtschaft möglich. Unsere Landwirte
haben in den letzten 50 Jahren bewiesen, dass sie in der
Hier aber herrscht ein großer Mangel an Problembe- Lage sind, die Ressourcen richtig einzusetzen und zu
wusstsein auf der schwarz-gelben Seite. So gibt die Mi- nutzen. So ist es der Landwirtschaft in Deutschland ge-
nisterin den Verbrauchern selbst die Schuld an Lebens- lungen, hochwertige Lebensmittel in einem Umfang zu
mittelimitaten wie dem Analogkäse. Zwar bin auch ich erzeugen, der geradezu gigantisch ist. Das war die Ent-
der Meinung, dass uns Essen endlich wieder mehr wert wicklung von 1950 bis zum Jahr 2000.
sein muss. Es gibt viele Beispiele dafür, dass das Preis-
dumping im Lebensmittelbereich zulasten der Qualität Diese Entwicklung gibt uns die Möglichkeit, über
geht. Die Qualität muss aber für Verbraucher auch er- neue Technologien auch in der Energieerzeugung nach-
kennbar sein. Der Preis ist auf den ersten Blick erkenn- zudenken. So hat sich in den letzten Jahren eine neue
bar; bei Imitaten ist das nicht so leicht. Solange dies so Technologie entwickelt, durch die es möglich ist, mit
ist, können wir die Verbraucher nicht als „Billigheimer“ Biomasse grundlastfähige Energie zu erzeugen. Es sind
geißeln. sehr viele Arbeitsplätze und Alternativen für unsere le-
bensmittelerzeugenden Betriebe entstanden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Verschwendung
von Steuergeldern, Zukunfts- und Perspektivlosigkeit Wenn ich aber die Vorwürfe höre, die hier geäußert
zeichnen diesen Haushaltsentwurf aus. Wir haben ein wurden, dann muss ich mich fragen, warum wir diese Si-
Konzept: Wir wollen einen zukunftsfähigen Haushalt, tuationsbestimmung vornehmen und Probleme diskutie-
setzen neue Schwerpunkte und werden Ihnen zeigen, ren, die als Ergebnis der Agrarpolitik der Vergangenheit
welch enormes Einsparungspotenzial es gibt. Willy anzusehen sind. Herr Ostendorff, Sie haben darauf hin-
Brandt hat einmal gesagt, der beste Weg, die Zukunft vo- gewiesen, dass eine Reduzierung der Agrardieselbe-
rauszusagen, sei, sie zu gestalten. Von Gestaltungswillen steuerung zu einem steigenden Verbrauch führen wird.
fehlt aber bei diesem Haushaltsentwurf jede Spur. Der Sinn dieser Denkweise verschließt sich mir; denn
dann könnte man ähnlich argumentieren, dass ein Zu-
Herzlichen Dank.
schuss zur landwirtschaftlichen Unfallversicherung dazu
(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Friedrich führen würde, dass die Zahl der landwirtschaftlichen
Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Unfälle steigt. Das ist absurd.
(B) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten (D)
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: der CDU/CSU)
Das Wort hat nun Kollege Rainer Erdel für die FDP-
Fraktion. Das Ziel dieser Bundesregierung ist es, mit dem So-
fortprogramm die Auswüchse einer fehlgeleiteten Agrar-
(Beifall bei der FDP) politik – dafür mache ich auch Frau Ministerin Künast,
die Sie sehr lobend erwähnt haben, verantwortlich – zu
Rainer Erdel (FDP): korrigieren, um als nächsten Schritt unsere Landwirt-
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Mi- schaft für die Zeit nach 2013 wettbewerbsfähig zu ma-
nister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der letzten chen. 2013 ist das Schlüsseljahr. Wir müssen erreichen,
Stunde hat man sehr viel über die Agrarpolitik gehört: dass unsere Landwirtschaft im europäischen Wettbe-
Man hat sehr viel gehört, was richtig ist, und man hat werb mithalten kann. Wenn der Liter Agrardiesel in
sehr viel gehört, was falsch ist. – Es wurden unterschied- Frankreich mit 0,7 Cent und in Irland mit 4,7 Cent be-
liche Vorwürfe gemacht, und ich fange gleich mit dem steuert wird und gleichzeitig die Mehrwertsteuersätze in
letzten Vorwurf an: Frau Kollegin, wenn Sie der Bundes- diesen Ländern geringer sind als bei uns, dann haben wir
regierung vorwerfen, sie habe beim Klimaschutz ver- es mit einer sehr starken Wettbewerbsverzerrung zu tun,
sagt, dann muss ich darauf hinweisen, dass sich die neue die wir korrigieren müssen.
Bundesregierung bereits vor der Klimakonferenz in Ko- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
penhagen ein sehr ehrgeiziges Ziel gesetzt hat und dieses der CDU/CSU)
Ziel auch erreichen wird. Es waren gerade sozialistische
Länder, die einen Erfolg dieser Klimakonferenz verhin- Wir sind mit dem Sofortprogramm Landwirtschaft
dert haben. auf dem richtigen Weg. Wir versuchen, Fehlentwicklun-
gen zu korrigieren, die im agrarpolitischen Bereich, aber
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten auch in den Folgen der Wirtschaftskrise begründet sind.
der CDU/CSU) Wir werden die Weichen stellen – dazu hat diese neue
Wir alle sind – mit unterschiedlicher Ausprägung – Bundesregierung die Kraft –, um die deutsche Landwirt-
vom Ergebnis der Konferenz in Kopenhagen nicht be- schaft im europäischen Wettbewerb für die internationa-
geistert. Aber wir müssen uns trotz aller Diskussionen len Märkte der Zukunft fit zu machen.
über eines klar werden: Uns stehen 12 Prozent der Erd- Vielen Dank.
oberfläche für die Produktion von Lebensmitteln zur
Verfügung. Der Rest unserer Erde sind Permafrost, (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
1196 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 14. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 19. Januar 2010
(A) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Auch der Vorschlag, durch Verzicht auf den neuen Um- (C)
Herr Kollege Erdel, dies war Ihre erste Rede im Deut- rechnungsfaktor eine indirekte Quotenerhöhung zu ver-
schen Bundestag. Meine Gratulation und unsere herzli- meiden, wurde von Ihnen abgelehnt. Eine Reduzierung
chen Wünsche für eine gute Zusammenarbeit! der Milchmenge als wirksamste Maßnahme, um die Er-
zeugerpreise zu stabilisieren, war nicht im Ansatz mög-
(Beifall) lich. In Verbindung mit einer weltweit sinkenden Nach-
Das Wort hat nun Kollege Alexander Süßmair für die frage nach Milchprodukten braucht man sich daher nicht
Fraktion Die Linke. über den Preisverfall zu wundern. Ohne Begleitmaßnah-
men zur Stabilisierung des Milchmarktes ist jedes För-
(Beifall bei der LINKEN) derprogramm hinausgeworfenes Geld.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten
Alexander Süßmair (DIE LINKE): des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Sehr verehrter Herr Präsident! Liebe Frau Bundes-
ministerin Aigner! Meine Damen und Herren! Der Preis- Ich möchte Sie an die Demonstrationen der Milch-
verfall bei der Milch im vergangenen Jahr hat die Land- bäuerinnen im Sommer 2009 erinnern. Es waren keine
wirtschaft hart getroffen. Wie in meiner Heimat Bayern Demonstrationen für mehr staatliche Hilfsgelder. Es wa-
steht vielen Milchbetrieben in ganz Deutschland das ren Demonstrationen für gerechte Rahmenbedingungen
Wasser bis zum Hals. Ihre Existenz ist massiv bedroht. auf dem Milchmarkt und faire Erzeugerpreise; das ist
Tatsache.
Die Bundesregierung will den Landwirten mit insge-
samt 750 Millionen Euro Soforthilfe helfen. Damit soll, (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten
so Ministerin Aigner, der unerwartet massive Verfall der des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Erzeugerpreise aufgefangen werden. 500 Millionen Euro Wir von der Linken sind der Meinung, dass die Milchbe-
soll den Landwirten in den nächsten beiden Jahren in triebe etwa 40 Cent pro Kilo brauchen, um ihre Existenz
Form einer Grünland- und Kuhprämie gewährt werden. nachhaltig zu sichern. Ihr einziges Konzept ist blankes
Mit einem Zuschuss zur Unfallversicherung in Höhe von Hoffen auf den Weltmarkt. Der Markt soll es richten.
200 Millionen Euro sollen die Beiträge für die Bauern Aber alle Märkte brauchen – das wurde durch die Fi-
um etwa 45 Prozent gesenkt werden. Die restlichen nanz- und Wirtschaftskrise klar verdeutlicht – staatliche
50 Millionen Euro sollen für verbilligte Kredite ausge- Rahmenbedingungen. Die Erkenntnis ist: Der reine
geben werden. Der Preisverfall bei der Milch durch ein Markt funktioniert nicht.
Überangebot kam aber alles andere als unerwartet, Frau
Bundesministerin Aigner. Das Desaster in der Agrarpoli- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten
(B) tik hat unter Schwarz-Rot begonnen und findet seine des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (D)
Fortsetzung unter Schwarz-Gelb. Sie werfen mit dem Wenn Sie diese Politik nicht ändern, werden die Be-
Sofortprogramm 750 Millionen Euro auf den Tisch triebe kaputtgehen, weil sie diesen ruinösen Wettbewerb
– Geld, das die Bäuerinnen und Bauern sicherlich gerne nicht überstehen können. Das wichtigste Ziel aus Sicht
nehmen und dringend brauchen –, aber lediglich zur Be- der Linken bleibt daher die Schaffung von Rahmenbe-
ruhigung der Lage. Es handelt sich nicht um ein Pro- dingungen auf den Agrarmärkten, die für die Bildung
gramm, das hilft, die strukturelle Krise zu überwinden. gerechter und fairer Erzeugerpreise sorgen. Wir brau-
(Beifall bei der LINKEN) chen eine nachhaltige landwirtschaftliche Produktion,
die die Versorgung mit hochwertigen Lebensmitteln ge-
Die Milchbetriebe haben durch den Erzeugerpreisver- währleistet sowie die Wahrnehmung ökologischer und
fall innerhalb eines Jahres 10 Cent pro Kilo verloren. sozialer Aufgaben und die Sicherung von Arbeitsplätzen
Das sind gut ein Drittel ihrer Einnahmen. Allein auf im ländlichen Raum übernimmt.
Deutschland bezogen, handelt es sich um Milliardenver-
luste. Die 350 Millionen Euro aus dem Sofortprogramm (Beifall bei der LINKEN)
für die Milchbetriebe sind daher nicht mehr als ein Trop- Das Allgäu oder Ostfriesland ohne Kühe will sich
fen auf den heißen Stein. Bis zu 45 Prozent der Milchbe- niemand vorstellen. Die Linke wird sich weiter für ge-
triebe sind wirtschaftlich akut gefährdet. Meine Damen rechte und faire Erzeugerpreise einsetzen, damit diese
und Herren von der Koalition, Sie waren nicht bereit, die Schreckensvision niemals wahr wird.
Möglichkeiten zu nutzen und etwas mehr in Richtung ei-
ner marktgerechten Milchpolitik zu gehen. So ist es Vielen Dank.
durchaus mit den europäischen Rahmenbedingungen (Beifall bei der LINKEN)
vereinbar, die Quotenerhöhungen nicht an die Milcher-
zeuger weiterzugeben, sondern in die nationale Quoten-
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
reserve zu stecken. Die Milcherzeuger, die ihre Quote
Herr Kollege Süßmair, das war Ihre erste Rede in die-
überliefern, werden weiterhin durch die Saldierung be-
sem Haus. Ich gratuliere Ihnen herzlich, verbunden mit
lohnt. Sie, meine Damen und Herren von der Koalition,
den besten Wünschen für Ihre weitere Arbeit.
waren nicht bereit, Vorschläge zur Abschaffung der Sal-
dierung ernsthaft zu prüfen. (Beifall)
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und Das Wort hat nun die Kollegin Nicole Maisch für die
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 14. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 19. Januar 2010 1197
(A) Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Als jemand, der gerne spart, möchte ich Ihnen noch (C)
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In der sagen, dass das Ändern von Strukturen und die Regulie-
letzten Stunde haben wir viel über Agrarpolitik – teil- rung kein Geld kosten. Das ist in Zeiten der größten Ver-
weise sogar in Reimform – und über das Osnabrücker schuldung dieses Gemeinwesens vielleicht ein ganz gu-
Land gehört. ter Hinweis.
(Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Ich lade Sie ein! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Schöne Gegend und nette Leute dort!)
Wir sehen positiv, dass es bei der Verbraucherpolitik
Ich möchte Ihren Blick jetzt auf die verbraucherpoliti- einen Gesamtmittelaufwuchs gibt. Der Großteil davon
schen Aspekte in diesem Agrarhaushalt lenken. Dieser fließt aber in die Stiftung Warentest. Wir finden es gut,
Haushalt ist aus verbraucherpolitischer Sicht mangel- das Stiftungsvermögen zu erhöhen. Aber wir müssen
haft. auch zur Kenntnis nehmen, dass die Verbraucherinnen
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie und Verbraucher Soforthilfe erwarten. Diese ist von ei-
des Abg. Dr. Wilhelm Priesmeier [SPD]) ner Erhöhung des Stiftungsvermögens erst einmal nicht
zu erwarten; die Menschen im Land werden erst einmal
Das gilt insbesondere für den wirtschaftlichen Ver- nicht merken, dass dafür mehr Geld eingestellt wurde.
braucherschutz. Wie schon unter Schwarz-Rot ist dafür
viel zu wenig Geld eingestellt. Wir müssen bedenken, Wir kritisieren auch, dass Sie die falschen Prioritäten
dass wir immer noch die Nachwirkungen einer der größ- gesetzt haben. Wenn man sich den Haushaltstitel „Infor-
ten Finanzkrisen der Geschichte spüren und die Anlege- mation der Verbraucherinnen und Verbraucher“ anschaut,
rinnen und Anleger, die Lehman-Geschädigten darunter dann sieht man, dass Sie im Bereich der Ernährung sehr
leiden, dass sie ihr Geld einem Markt anvertraut haben, viel tun. Allerdings würde die Ernährungsampel über-
der ihnen nicht das gebracht hat, was sie erwartet haben. haupt nichts kosten, und man könnte sehr viel Geld für
Informationsbroschüren zum Thema Übergewicht spa-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ren.
Deshalb brauchen wir beim Verbraucherschutz auf (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
den Finanzmärkten nicht nur Ankündigungen, sondern
sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN-
Taten. Frau Aigner hat sehr viel angekündigt. Aber wenn
KEN)
man sich den Haushalt anschaut, sieht man, dass die An-
kündigungen nicht mit Geld unterfüttert sind. All die Wir finden es sehr schade, dass Sie beim Thema des
(B) schönen Worte bringen aber doch nichts, wenn nicht das nachhaltigen Konsums auf dem Niveau von Schwarz- (D)
nötige Geld in den Haushalt eingestellt wird. Rot geblieben sind, nämlich bei einer halben Milliarde
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Euro. Das ist viel zu wenig. Es ist eine zutiefst liberale
Idee, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher die
Ich möchte Ihnen ein Beispiel dafür geben. Vor Weih- Märkte von unten verändern. Sie warten nicht darauf,
nachten gab es mit der Qualitätsoffensive Verbrau- dass in Kopenhagen irgendetwas beschlossen wird, son-
cherfinanzen ein sehr hochkarätig besetztes Panel, das dern wollen selbst umweltfreundlich, tiergerecht und kli-
von Frau Ministerin Aigner organisiert wurde. Da wur- mafreundlich konsumieren. Da das eine schöne liberale
den sehr gute Vorschläge gemacht. Aber wenn man jetzt Idee ist, könnte man vielleicht auch ein bisschen Geld
in den Haushalt schaut, dann sieht man, dass von den dafür in den Haushalt einstellen. Leider hat auch die
Vorschlägen der Qualitätsoffensive Verbraucherfinan- FDP das nicht getan; sie bleibt sogar hinter ihren eigenen
zen nicht mehr viel übrig ist. Das ist keine seriöse Poli- Ansprüchen aus Oppositionszeiten zurück. In den letzten
tik, und das ist keine Politik im Sinne der Verbraucherin- Haushaltsberatungen hat die FDP immer mehr Geld für
nen und Verbraucher. den Bundesverband der Verbraucherzentrale gefordert.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Hinter diesem selbst gesteckten Ziel bleiben Sie leider
sowie bei Abgeordneten der LINKEN) zurück.
Man fragt sich, was Schwarz-Gelb beim Verbraucher- Mit Blick auf die folgenden parlamentarischen Bera-
schutz auf den Finanzmärkten vorhat. Man könnte den- tungen möchte ich Frau Aigner zitieren, die am Anfang
ken, dass man das Problem den Banken selbst überlassen etwas ganz Wunderbares gesagt hat, nämlich dass man
will; das wäre ja eine FDP-nahe Position. Aber wenn Politik gemeinsam und nicht gegeneinander machen
man sich den aktuellen Bankentest der Stiftung Waren- soll. Am besten machen Sie gemeinsam mit uns Politik,
test anschaut, dann sieht man, dass die Strukturen sich indem Sie unsere grünen Änderungsanträge, die es in
nicht geändert haben und die Bankberatung in Deutsch- großer Anzahl geben wird, vorurteilsfrei prüfen und ih-
land so grottenschlecht wie ihr Ruf ist. Diesbezüglich nen vielleicht auch zustimmen.
müssten Sie eigentlich dringend handeln.
Ich danke Ihnen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Stefan (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Unverschämt- sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN-
heit!) KEN)
1198 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 14. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 19. Januar 2010
(A) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: tungsprotokolle ernsthaft und im Sinne des Gesetzgebers (C)
Nun hat die Kollegin Lucia Puttrich für die CDU/ erstellt werden, zum Schutz des Verbrauchers und nicht
CSU-Fraktion das Wort. als lästige Erfüllung einer gesetzlichen Pflicht. Weiterhin
wollen wir mehr Transparenz bei Finanzprodukten. Ein
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Kunde soll die Chancen und Risiken selbst schnell ver-
stehen und erfassen können. Wir unterstützen deshalb
Lucia Puttrich (CDU/CSU): ausdrücklich die Initiative von Bundesministerin Aigner
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! zur verpflichtenden Einführung eines Produktinforma-
Lassen Sie mich ganz kurz das aufgreifen, was die Red- tionsblattes.
nerin von der Opposition gerade angesprochen hat. Ei- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
nerseits bemängeln Sie, es würde nicht genügend Geld Ulrich Kelber [SPD]: Das ist eine EU-Vor-
im Haushalt bereitgestellt werden. Sie nehmen bewusst gabe!)
oder unbewusst nicht zur Kenntnis, dass die Ausgaben
für Verbraucherpolitik um immerhin 30 Prozent steigen. Wir wollen auch mehr Transparenz bei der Anlagebe-
Das ist eine ordentliche Leistung. ratung. Zukünftig sollen Kunden auch bei freien Finanz-
beratern die Sicherheit haben, dass diese über eine ent-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) sprechende Qualifikation verfügen. Deshalb müssen
Sie widersprechen sich dann aber selbst, indem Sie Qualifikation, Zulassung und wirksame Haftung bei
sagen, dass man Verbraucherpolitik auch ohne viel Geld Falschberatung geregelt werden. Auch das kostet übri-
machen kann. Herzlichen Glückwunsch zu dieser Er- gens kein Geld. Wir brauchen darüber hinaus eine zuver-
kenntnis! Die hatten wir schon lange. lässige Kontrolle der Finanzprodukte selbst. Unseriöse
Produkte müssen aufgedeckt und als solche gekenn-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – zeichnet werden. In der Vergangenheit hat sich gezeigt,
Nicole Maisch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- dass sich private Ratingagenturen nicht bewährt haben.
NEN]: Was machen Sie denn?) Verlässliche Einschätzungen müssen deshalb zukünftig
durch unabhängige Stellen wie beispielsweise durch die
Wir haben in der Vergangenheit wichtige Maßnahmen
BaFin getroffen werden.
durchgeführt. Sie können sich darauf verlassen, dass wir
auch weiterhin eine moderne Verbraucherpolitik machen (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
werden.
Ein besonderes Augenmerk werden wir auf die
Lassen Sie mich im Verlauf meiner Ausführungen auf Rechte von Bahnkunden und Fluggästen richten. Das
einzelne Bereiche eingehen. Selbstverständlich wollen Fahrgastrechte-Gesetz ist im Juni 2009 in Kraft getreten.
(B) (D)
wir Transparenz, Information und Beratung. Wir Seitdem können sich Reisende an eine von den Ver-
wissen, dass das der beste Schutz ist. Wir wissen auch, kehrsunternehmen selbst getragene Schlichtungsstelle
dass hierfür investiertes Geld gut investiertes Geld ist. wenden. Der Beitritt zu dieser Schlichtungsstelle ist frei-
Wir wollen, dass der Verbraucher gut und unkompliziert willig. Insbesondere Flugunternehmen haben sich bisher
an Informationen kommt. Deshalb steht auch in der noch nicht angeschlossen. Wir hoffen, dass die Bereit-
Koalitionsvereinbarung, dass wir ein Verbrauchertelefon schaft zum Beitritt zu dieser Einrichtung steigen wird.
einführen werden, das eine Lotsenfunktion haben wird, Ansonsten müsste man ernsthaft über eine verpflich-
um das Ärgernis der Nichtzuständigkeit der Behörden tende Regelung nachdenken.
auszuräumen und gleich den richtigen Ansprechpartner
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
zu finden. Wir werden ebenfalls, wie im Koalitions-
der FDP)
vertrag geregelt, das Verbraucherinformationsgesetz re-
formieren. Unser Ziel ist es, dass die Informations- Von großer Bedeutung ist für uns auch der digitale
ansprüche des Bürgers in einem einheitlichen Gesetz Verbraucherschutz. Viele Verbraucher tappen zum Bei-
transparent gebündelt werden. Transparenz und Informa- spiel in die Internetfalle, weil sie nicht erkennen können,
tion sind für uns in der Verbraucherpolitik ganz beson- wann sie durch Anklicken einer besonderen Passage ei-
ders wichtig. nen Vertrag geschlossen haben. 750 000 Internetabzo-
cken pro Jahr, Tendenz steigend: Das macht deutlich,
Zu den Ausführungen der Kollegin über den Bereich
dass wir handeln müssen. Deshalb werden wir für den
des Anlegerschutzes kann ich eigentlich nur sagen, dass
Vertragsabschluss im Internet ein klar erkennbares, ver-
es traurig ist, dass Sie nicht zur Kenntnis genommen ha-
pflichtendes Bestätigungsfeld einführen. Ab März 2010
ben, was in dem Bereich schon alles getan wurde und
sollten auch teure Warteschleifen und das Abkassieren
was noch getan wird. Wir sehen in der Tat dort einen er-
bei 0180er-Servicenummern ein Ende haben. Die Vo-
heblichen Handlungsbedarf. Seit Anfang dieses Jahres
raussetzungen hierfür werden durch die Änderungen des
muss ein Beratungsprotokoll für jedes Anlagegespräch
Telekommunikationsgesetzes geschaffen. Gleichzeitig
verbindlich erstellt und dem Kunden ausgehändigt wer-
werden Preisobergrenzen für diese Servicenummern ein-
den. Die Kunden haben jetzt damit den Vorteil, dass sie
geführt. Wir werden die Entwicklungen im Auge behal-
bei der Anmeldung von Schadensersatzansprüchen
ten, und wir werden auch keine Ausreden dulden.
leichter Beweise beibringen können. Wie in der Welt am
Sonntag vom 10. Januar berichtet wurde, ist die Handha- Als letzten Punkt will ich das Thema Produktsicher-
bung der Erstellung dieser Beratungsprotokolle aller- heit ansprechen. So ist die EU-Spielzeugrichtlinie in ih-
dings sehr unterschiedlich. Wir erwarten, dass Bera- rer aktuellen Fassung vollkommen ungenügend. Die
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 14. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 19. Januar 2010 1199
Lucia Puttrich
(A) festgelegten Grenzwerte reichen nicht aus, um ein hohes ist die Situation so prekär. Die Ursache für diesen Zu- (C)
Schutzniveau bei Kindern zu sichern. Dies gilt für gif- stand sind natürlich die Folgen der internationalen Fi-
tige und allergieauslösende Inhaltsstoffe. Grenzwerte für nanzkrise. Die Ursache dafür ist aber auch die von Ihnen
krebserregende Weichmacher fanden gar keine Berück- eingeschlagene Klientelpolitik gegenüber den Hotelbe-
sichtigung. Noch immer ist das freiwillige Prüfverfahren sitzern, gegenüber den reichen Erben, gegenüber den
„geprüfte Sicherheit“ nur in Deutschland Vorreiter einer Kapitalbesitzern. Das muss am Anfang jeder Debatte
effektiven Qualitätssicherung. Das halten wir für nicht stehen.
ausreichend. Zur Änderung der EU-Spielzeugrichtlinie
bereiten wir auch deshalb einen entsprechenden Antrag (Beifall bei der SPD – Georg Schirmbeck
vor. [CDU/CSU]: Das war auch noch gar nicht ge-
sagt worden! – Gisela Piltz [FDP]: Von wem
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- haben wir die 86 Milliarden Euro eigentlich
neten der FDP) geerbt?)
Wir sehen den Verbraucher tatsächlich als mündigen Sie, die Abgeordneten der Koalition, tun dies, obwohl
Bürger, und wir setzen auch auf eine Partnerschaft zwi- Sie wissen, dass das strukturelle Defizit Ende 2010 bei
schen Verbrauchern und Wirtschaft. Der Idealzustand rund 70 Milliarden Euro liegen wird. Sie haben das ge-
ist, viel zu informieren und möglichst wenig zu regle- tan, obwohl Sie wissen und wussten, dass Sie Ende 2010
mentieren. Wir wissen jedoch auch, dass es nicht ganz einen Konsolidierungskurs mit einem Defizitabbau in
ohne gesetzliche Regelungen geht. Gerade im Bereich Höhe von 13 bis 15 Milliarden Euro einschlagen müs-
der Finanzdienstleistungen haben wir leider die Erfah- sen; nicht nur einmalig, sondern aufwachsend jedes Jahr
rung gemacht, dass die alte Regel gilt: Vertrauen ist gut, neu, über sechs Jahre hinweg, bis zur Erfüllung der
Kontrolle ist aber manchmal besser. Schuldenbremsenregelung. Das, worüber Sie intensiv
Vielen Dank. streiten, über die 24 Milliarden Euro für zusätzliche
Steuergeschenke, ist dabei noch nicht eingepreist,
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) kommt „on top“, muss in diese Konsolidierung also wei-
ter einbezogen werden.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Frau Kollegin Puttrich, auch für Sie war dies die erste Dass Sie sich in dieser Situation hinter der Steuer-
Rede im Deutschen Bundestag. Ich gratuliere auch Ihnen schätzung Mai verstecken, wie wir das in den Debatten-
sehr herzlich und wünsche Ihnen bei ihrer weiteren Ar- beiträgen heute noch einmal gehört haben, auch vom
beit viel Freude und Erfolg. Finanzminister, ist, wie ich finde, eine der feigesten Ak-
tionen einer Regierung, die mir je untergekommen ist (D)
(B) (Beifall)
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der
Das Wort hat nun der Kollege Rolf Schwanitz für die
LINKEN – Gisela Piltz [FDP]: Nicht mal von
SPD-Fraktion.
der eigenen Fraktion voller Beifall!)
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
– das ist übrigens auch ein Betrug am Wähler –; deswe-
gen werden wir das Woche für Woche thematisieren.
Rolf Schwanitz (SPD):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bezeichnend ist auch, dass die Risikofrage bei den
Es wird Sie nicht wundern, dass ich in meiner Rede den Haushaltsdebatten bisher relativ wenig thematisiert wor-
Einzelplan 10 vor allen Dingen in die haushaltspoliti- den ist. Wir haben sehr intensiv über das Thema Netto-
sche Gesamtsituation einordnen will. Ich glaube, dieses neuverschuldung geredet; über die Bruttokreditauf-
Thema ist der rote Faden, der sich durch alle drei Lesun- nahme wurde aber relativ wenig gesprochen.
gen dieses Gesetzentwurfs ziehen muss.
Natürlich muss der Gesamthaushalt nicht nur Kredite für
Der Bund wird nach den Planungen, die die Bundes- die neuen Schulden aufnehmen, sondern auch für die al-
regierung vorgelegt hat, eine Neuverschuldung in Re- ten. Die Bruttokreditaufnahme wird in dieser Zeit in
kordhöhe ausweisen. etwa bei 330 Milliarden Euro liegen. Wir müssen uns ja
(Gisela Piltz [FDP]: Genau! Haben wir doch vergegenwärtigen: Wir befinden uns zurzeit in einer
von Ihnen geerbt!) Niedrigzinsphase. Sie selbst, wir übrigens auch, hatten ja
schon für Ende des letzten Jahres mit einem Zinsanstieg
86 Milliarden Euro, das ist eine beängstigende Dimen- gerechnet. Wenn die Zinsen nur um 1 Prozentpunkt stei-
sion. Wenn wir ehrlich sind, müssen wir sagen: Das ist gen, dann wird dies zu einer zusätzlichen Belastung des
eine Dimension, die die Vorstellungskraft von uns allen, Bundeshaushaltes in Höhe von rund 3,3 Milliarden Euro
vor allen Dingen von den Bürgerinnen und Bürgern, bei führen. Auch das würde die Situation „on top“ verschär-
weitem sprengt. Mittlerweile lebt der Bund zu einem fen.
Viertel seiner Ausgaben auf Pump. Das heißt, jeder
vierte Euro, der in diesem Bundeshaushalt ausgegeben Das Ganze, meine Damen und Herren, erinnert mich
werden soll, muss durch Kredite finanziert werden. Das an jemanden, der bis über die Halskrause, bis über beide
ist eine Situation, die es auf keiner anderen staatlichen Ohren verschuldet ist und schnell, bevor am nächsten
Ebene in Deutschland gibt. Weder bei den Kommunen, Tag der Gerichtsvollzieher kommt, noch einmal seine
über die wir sehr intensiv reden, noch bei den Ländern Kumpels zu einer Party einlädt und alles auf Pump he-
1200 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 14. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 19. Januar 2010
Rolf Schwanitz
(A) rausbläst, unabhängig davon, welche Situation ihn am Was Sie hier tun, ist etwas, was man verbraucherpoli- (C)
Folgetag erwartet. tisch schlicht und einfach als Mogelpackung bezeichnen
kann. Es kommt bei dieser gesamten Aktion kein einzi-
(Beifall bei der SPD) ger Euro mehr für Verbraucherpolitik heraus. Sie neh-
Das macht kein vernünftiger Mensch, aber Sie erheben men nur eine Umfinanzierung des Bundeszuschusses für
das zusammen mit der Klientelpolitik, die Sie hier ein- die Stiftung Warentest vor. Das muss man, wie ich finde,
schlagen, zur Geschäftsgrundlage für den Gesamtstaat. auch klipp und klar ansprechen.
Wir kritisieren das, übrigens auch unter Verbraucherge- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
sichtspunkten; wie man mit Schulden umgeht, ist ja auch des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
eine verbraucherpolitische Frage.
Wir werden Ihnen bei den Haushaltsberatungen übrigens
(Peter Bleser [CDU/CSU]: Ach, jetzt zum Gelegenheit geben, über einen Antrag abzustimmen,
Thema? – Gisela Piltz [FDP]: Jetzt zum durch den mehr finanzielle Möglichkeiten für Verbrau-
Thema?) cherpolitik in Deutschland eröffnet werden. Bedarf gibt
Das verbraucherpolitische Signal nämlich, das man da- es genug. Ich bin gespannt darauf, wie Sie im Ausschuss
mit an die Gesamtheit der Bürger in Deutschland sendet, darüber abstimmen werden.
halte ich schlicht und einfach für eine Katastrophe. Meine Damen und Herren, angesichts Ihrer Klientel-
(Beifall des Abg. Christian Lange [Backnang] politik im sogenannten Wachstumsbeschleunigungsge-
[SPD]) setz werden wir alle Maßnahmen im Einzelplan 10 kri-
tisch auf den Prüfstand stellen. Wir werden die Frage
Apropos Verbraucherpolitik: Sie haben im Koali- stellen, ob sie so tatsächlich notwendig sind und ob die
tionsvertrag geschrieben, Sie setzen auf eine „Stärkung Art und Weise, wie sie finanziert werden, alternativlos
des Verbrauchers im Markt“. Der gesamte Bereich der ist. Letztendlich müssen nicht Sie, auch nicht wir, son-
Verbraucherpolitik im Einzelplan 10 umfasst einen An- dern die Bürgerinnen und Bürger, die Abgaben- und
satz von 148 Millionen Euro. Haben Sie eigentlich ein- Steuerzahler in diesem Land, dafür die Zeche zahlen.
mal eine Querverbindung zwischen der Klientelpolitik
auf der einen Seite und der Verbraucherpolitik auf der (Gisela Piltz [FDP]: Das ist aber eine neue Er-
anderen Seite gezogen? Allein das, was Sie an Steuer- kenntnis bei der SPD!)
vergünstigungen für das Hotelgewerbe umgesetzt haben, Herzlichen Dank.
wird den Gesamtstaat 945 Millionen Euro kosten; davon
entfallen auf den Bund Steuerausfälle in Höhe von rund (Beifall bei der SPD)
(B) 500 Millionen Euro, also einer halben Milliarde. Das ist (D)
fast das Dreieinhalbfache der Ausgaben, die im Einzel- Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
plan 10 für Verbraucherpolitik eingestellt sind. Das zeigt Zu einer Kurzintervention erteile ich nun das Wort
die Dimension dessen, was Sie hier tun. dem Kollegen Schirmbeck.
(Beifall bei der SPD)
Georg Schirmbeck (CDU/CSU):
Ich will noch eine Bemerkung zum Zuschuss an die
Stiftung Warentest machen. Das hat vorhin auch schon Herr Kollege Schwanitz, mir fällt es manchmal
bei Herrn Schirmbeck eine Rolle gespielt. Ich glaube, schwer, nachzuvollziehen, warum hier etwas behauptet
wir sind uns einig, dass die Verbraucherpolitik ein wich- wird, was objektiv vorher ganz anders ausgedrückt wor-
tiges Politikfeld ist und gestärkt werden muss. Ich halte den ist, was man auch im Wortprotokoll nachlesen kann,
aber das, was momentan bei der Stiftung Warentest ab- sobald es uns zugänglich ist.
läuft, nicht für etwas, für das man sich verbraucherpoli- Ich habe deutlich gemacht, dass wir mit den Mitteln,
tisch brüsten kann. Sie erhöhen – das ist richtig – das die wir im Bundeshaushalt zur Verfügung haben, effi-
Stiftungskapital der Stiftung Warentest um 20 Millionen zienter umgehen müssen. Aus diesem Grunde geben wir
Euro. Sie verschweigen allerdings, dass zugleich der Zu- der Stiftung Warentest Mittel für den Aufbau der Stif-
schuss für die Stiftung Warentest im selben Umfang, tung. Damit ist die Stiftung Warentest unabhängiger,
nämlich im Umfang der Kapitalerträge, abgesenkt wird. weil sie mit den Erträgen aus den Stiftungsmitteln ihre
Arbeit finanzieren kann. Das führt dazu, dass wir mittel-
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: und langfristig die laufenden Mittel aus dem Bundes-
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des haushalt absenken können. Das habe ich hier ausgeführt.
Kollegen Schirmbeck? Sie wiederum erwecken jetzt den Eindruck, als hätte
ich hier etwas unterschlagen oder ein falsches Spiel ge-
Rolf Schwanitz (SPD): spielt, als würde ich vor der Landtagswahl etwas anderes
Ich würde gerne im Zusammenhang vortragen. Herr sagen als nach der Landtagswahl oder als würde ich
Schirmbeck, Sie haben das ja genauso getan. Politik hinter der Gardine machen statt einer gläsernen
Politik. Nehmen Sie doch einfach das, was ich im Bun-
(Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Lesen Sie destag in der Öffentlichkeit ausgeführt habe, so zur
bitte einmal im Protokoll nach, dass ich genau Kenntnis!
das gesagt habe, was Sie hier ansprechen! Ge-
nau das habe ich angesprochen!) Herzlichen Dank.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 14. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 19. Januar 2010 1201
Georg Schirmbeck
(A) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Stärkung des Menschen am Markt und nicht auf den (C)
der FDP) Schutz des unmündigen Menschen vor dem Markt. Wir
wollen keinen bevormundeten, sondern einen gut infor-
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: mierten Verbraucher. Dabei geht es nicht nur um viel
Zur Erwiderung Herr Schwanitz, bitte. Geld, sondern auch um die richtige Regelsetzung, und
diese nimmt die christlich-liberale Koalition in diesem
Lande vor.
Rolf Schwanitz (SPD):
Herr Kollege Schirmbeck, ich bin für diese Klarstel- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
lung dankbar, weil sie dem, was ich hier ausgeführt
Wenn Sie die Erhöhung des Stiftungskapitals so
habe, nicht widerspricht. Ich habe allerdings sehr wohl
sehr geißeln, dann muss man Ihnen einmal sagen: Wir
vernommen – ich habe es auch noch einmal im Protokoll
wollen diese Stiftung von der Politik unabhängig ma-
der letzten Haushaltsberatung nachgelesen –, was Sie
chen, damit sie den Finger in die Wunde legen kann.
über die Motivation und die Urheberschaft dieses Be-
Dafür darf sie nicht von Almosen leben, die sie jedes
schlusses ausgeführt haben und dass der Kollege Kauder
Jahr erhält. Es ist eine Leistung dieser Koalition, auch
diesen Vorschlag mit einer besonderen verbrauchspoliti-
der liberalen Politik, dass wir in einem Jahr, in dem wir
schen Auszeichnung eingebracht hat. Deswegen ist mir
weniger Einnahmen haben, einen solchen Schwerpunkt
wichtig, hier einmal klipp und klar festzustellen: Was
setzen. Dazu stehen wir. Dass wir das Stiftungsvermö-
Sie planen, hat etwas damit zu tun, dass Sie den Zu-
gen um 50 Millionen Euro bis 2012 erhöhen, darf man
schuss zur Stiftung Warentest absenken wollen. Es hat
nicht kleinreden.
nichts damit zu tun, dass Sie mehr finanzielle Mittel für
Verbraucherpolitik zur Verfügung stellen wollen. So (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
wird das Ganze ins richtige Licht gerückt. Deswegen
Jetzt kommen wir zum Thema Anlageentscheidung.
danke ich für die Intervention.
Wir müssen den Verbrauchern die Möglichkeit geben,
alle Kosten – das war schon bei der Riester-Rente ein
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Thema –, aber auch die Provisionen und alle damit ver-
Nun hat das Wort der Kollege Professor Dr. Erik bundenen Risiken erkennen zu können. Wir dürfen aber
Schweickert für die FDP-Fraktion. nicht so tun, als könnten wir den Menschen das Risiko
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten am Kapitalmarkt abnehmen. Wer das tut und entspre-
der CDU/CSU) chende Vorschläge macht, der wiegt die Leute in einer
falschen Sicherheit. Wer zur Bank geht und Geld anlegt,
der muss wissen: hohe Rendite hohes Risiko, niedrige
(B) Dr. Erik Schweickert (FDP): (D)
Rendite niedriges Risiko. Die Bank und auch der Staat
Kollege Schwanitz, die Politik der letzten elf Jahre ist dürfen dem Kunden dieses Finanzmarktrisiko nicht ab-
dafür verantwortlich, dass wir ein strukturelles Defizit nehmen.
haben. Jetzt hier so zu tun, als sei man nicht dabei gewe-
sen, ist insbesondere in Ihrem Fall schwierig. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU)
(Beifall bei der FDP)
Wir müssen aber dafür sorgen, dass der Verbraucher
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
gut informiert ist. Wir müssen auch schauen, dass die
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben
Etikettierung der Finanzprodukte stimmt. Die Etikettie-
jetzt einiges gehört. Ich bin wirklich etwas erstaunt. Im
rung jedes Frühstückseis wird stärker überwacht. Es
Ausschuss arbeiten wir eigentlich gut zusammen und be-
kann nicht sein, dass Banken beispielsweise ein Produkt
schränken uns auf die fachliche Ebene. Hier gibt es aber
mit der Bezeichnung „Altersvorsorgekonto“ anbieten,
Reden, die sieben Minuten lang am Thema vorbeigehen.
hinter dem spekulative Finanzanlagen stecken. Dagegen
(Beifall bei der FDP) und auch gegen das Verhalten der Banken, ein AA-Ra-
ting der Kunden, also alt und ahnungslos, durchzufüh-
Eine Kritik in Richtung Herrn Ostendorff: Sie haben von ren, müssen wir vorgehen. Es muss klar sein, dass das,
„Vernichtungsfeldzug“ und „Krieg“ auf dem Lande ge- was draufsteht, auch drinsteckt. Das alles kann noch mit
sprochen. Angesichts der Lage, in der wir uns gerade be- einer Einordnung in entsprechende Risikoklassen flan-
finden, halte ich es für eine Unverschämtheit, wenn Sie kiert werden. Auf diese Weise gibt es den informierten
in einer Debatte über die richtige Ausrichtung der Land- Verbraucher, der sein Geld anlegen kann. Wenn er dann
wirtschaft solche Worte benutzen. Dafür könnte man ein Risiko eingeht, braucht der Staat für Verluste nicht
sich schämen, nicht für das andere. zu haften.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
der CDU/CSU)
Lassen Sie mich noch das Thema Deutsche Bahn an-
Nehmen Sie doch einfach einmal zur Kenntnis, dass
sprechen. Ich bin immer wieder überrascht, wie sie jedes
Verbraucherpolitik keine Nischenpolitik mehr ist. Das ist
Jahr vom Winter überrascht wird.
die Grundlage sowohl des Koalitionsvertrages als auch
dieses Haushaltes, auf der wir in den nächsten vier Jah- (Heiterkeit bei der FDP – Friedrich Ostendorff
ren arbeiten können. Es geht um Ernährung, Finanzanla- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir auch!
gen und Informationsrechte. Dabei setzen wir auf die Das ist parteiunabhängig!)
1202 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 14. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 19. Januar 2010
Peter Bleser
(A) oder wie auch immer Sie ihn nennen wollen – anbieten. schutzvorschriften durchzuführen sind. Das ist selbstver- (C)
Wir brauchen ein klar erkennbares Zeichen, damit der ständlich, und darauf muss geachtet werden.
Verbraucher nicht in der Art übers Ohr gehauen wird,
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
wie das leider heutzutage in vielfältiger Weise geschieht.
Dass wir das Thema ernst nehmen, sehen Sie daran, dass
wir eine Enquete-Kommission „Internet und digitale Ge- Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
sellschaft“ ins Leben rufen wollen, in der Sie alle mitar- Weitere Wortmeldungen zu diesem Einzelplan liegen
beiten können. Ich glaube, das ist dringend notwendig. nicht vor.
Ich komme zum letzten Satz. Die Menschen können Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bun-
in Fragen der Agrarpolitik, der Ernährungspolitik und desministeriums der Justiz, Einzelplan 07. Als erster
der Verbraucherpolitik auf die Union vertrauen. Rednerin zu diesem Geschäftsbereich erteile ich das
Wort der Bundesministerin Sabine Leutheusser-
Herzlichen Dank. Schnarrenberger.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Frau Ministerin, einen kleinen Moment noch. – Liebe
Kolleginnen und Kollegen, darf ich Sie bitten, Ihre Ge-
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: spräche vor dem Saal weiterzuführen, damit diejenigen
Nun hat das Wort zu einer Kurzintervention der Kol- Kolleginnen und Kollegen, die der Debatte folgen wol-
lege Ostendorff. len, dies mit großer Aufmerksamkeit tun können? – Frau
Ministerin, bitte sehr.
Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundes-
Herr Kollege Bleser, Sie haben sich kritisch damit ministerin der Justiz:
auseinandergesetzt, dass ich für die Grünen gesagt habe, Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
dass wir uns genau überlegen sollten, ob die derzeitige und Kollegen! Auch in diesem Jahr hat die Justiz wieder
Fleischexportstrategie für uns das Richtige ist. Es geht den kleinsten Einzelplan und die höchste Deckungsquote
um die Frage, ob wir eine richtige Politik machen, das durch eigene Einnahmen. Es lohnt sich, dies zu Beginn
heißt, ob es richtig ist, dass wir Hunderttausende von le- dieser Debatte zu erwähnen. Ich möchte hier nur einen
benden Tieren in Länder verbringen, die mehrere Tau- einzigen Posten nennen: Wir werden die Gelder für die
send Kilometer entfernt liegen. Es geht um die Frage, ob Opfer extremistischer Gewalt um 700 000 Euro auf
es einer modernen Gesellschaft, die einen hohen An- 1 Million Euro aufstocken. Das ist ein Zeichen dafür,
spruch an den Tierschutz stellt, gerecht wird, solch eine dass wir sehr wohl sehen, in welchen Bereichen Schwer- (D)
(B)
Exportstrategie zu fahren, die sich darauf gründet, dass punkte im Haushalt gesetzt werden müssen.
man Tiere wie tote Ware behandelt, die aber lebend auf
den Transportern stehen und unter großem Leid bis jen- Der Haushaltsansatz steht natürlich in keinem Ver-
seits des Urals verbracht werden. Nur darauf bezieht sich hältnis zu der Bedeutung der Rechtspolitik insgesamt.
das Gesagte. Sie betrifft alle Lebensbereiche. Ich darf an drei Punkten
kurz deutlich machen, wo wir die größten Herausforde-
Ich bitte Sie, das zur Kenntnis zu nehmen, dass wir rungen und den größten Handlungsbedarf sehen:
darum bitten, nochmals zu überlegen, ob wir es wirklich
als wirksame Strategie erachten, hier eine Produktion Zunächst ist festzustellen, dass die Finanz- und
aufzubauen, die auf diese Art und Weise auf die Märkte Wirtschaftskrise auch für die Rechtspolitik eine ent-
der Dritten Welt, Russlands usw. gelangt. Das ist die ein- scheidende Rolle spielt. Die schwerste Rezession seit
zige Frage, die wir gestellt haben, und die ich bitte zur Kriegsende geht auch in dieser Legislaturperiode nicht
Kenntnis zu nehmen. spurlos an den Rechtspolitikern vorbei. Deshalb werden
wir, was das Insolvenzplanverfahren angeht, im Insol-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) venzrecht Änderungen vornehmen und gemeinsam mit
den anderen Ressorts alles tun, was nötig ist, damit es
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: nicht wieder zu einer Verstaatlichung einer Bank kommt,
Herr Kollege Bleser, bitte. damit sich das nicht wiederholt. Deshalb werden wir ein
besonderes Reorganisationsverfahren schaffen. Außer-
dem werden wir die Regelung zur Restschuldbefreiung
Peter Bleser (CDU/CSU):
ändern und die Wohlverhaltenszeit auf drei Jahre halbie-
Mein lieber Herr Kollege Ostendorff, es ist immer
ren. Das soll ein Signal sein. Nicht zuletzt Gründer sol-
hilfreich, wenn man sich auf solche Fragen vorbereitet.
len nach einem Fehlstart eine zweite Chance bekommen.
Sie schreiben:
Eine Ursache für diese Finanzmarktkrise – das hat der
Wir fordern, dass Deutschland nicht weiter für den
Finanzminister heute Morgen angesprochen – war eine
Export Fleisch produziert.
gewisse Spielermentalität in der Wirtschaft. Gier und
Dazu kann ich nur sagen: Das ist nicht nur weltfremd. Leichtsinn wurden bei manchen Managern nicht nur
So werden auch die Arbeitsplätze aus diesem Land in die durch satte Boni geweckt, sondern auch durch zu wenig
Länder exportiert, in die das Fleisch nach Ihrer Meinung Haftung und persönliche Verantwortung gefördert. Als
gehen könnte. Das machen wir nicht mit. Ich teile aller- Liberale bin ich natürlich überzeugt: Leistung muss sich
dings Ihre Ansicht, dass Transporte nach unseren Tier- lohnen. Aber zu meinem Verständnis von Liberalität ge-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 14. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 19. Januar 2010 1205
Bundesministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger:
(A) hört auch, dass man für persönliche Fehler geradestehen nennen: Sie soll die Verantwortung des Verbrauchers (C)
muss. Deshalb werden wir, damit es wieder zu einem und Nutzers stärken und dafür sorgen, dass er sich besser
Zusammenführen von Verantwortung und Haftung über datenschutzrechtliche Aspekte bestimmter Leistun-
kommt, bei den Verjährungsregelungen ansetzen – die gen und Angebote informieren kann.
Fristen sind jetzt sehr kurz und knüpfen nicht an die per-
sönliche Kenntnis von Ansprüchen an – und damit dafür Der dritte große Bereich ist die Gesellschaftspolitik,
Sorge tragen, dass nicht mit einem Mal gesagt werden die gesellschaftliche Entwicklung. Hier wollen wir auf
kann: Jetzt ist die Verantwortlichkeit und damit die Kon- ein Höchstmaß an Selbstbestimmung und die Vielfalt der
sequenz für die Haftung begründet, aber die Verjährung Lebensentwürfe achten; wir wollen ihnen den Rang in
ist eingetreten. Für uns ist das ein wichtiger Punkt, bei unserer Gesellschaft geben, der ihnen gebührt. Wir wol-
dem in der Rechtspolitik Konsequenzen aus der Finanz- len den Menschen nämlich keine Vorschriften machen,
krise zu ziehen sind. wie sie zusammenleben sollen.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Kinder sind aber ganz besonders auf den Zusammen-
der CDU/CSU) halt und die Solidarität unserer Gesellschaft angewiesen.
Deshalb haben wir mit einem ersten Kabinettsbeschluss
Der zweite wichtige Bereich ist die Digitalisierung Änderungen im Vormundschaftsrecht auf den Weg ge-
unserer Kommunikation. Die Freiheit des Internets zu bracht und dabei die Ergebnisse des Untersuchungsaus-
schützen, das das freiheitlichste Informationsmedium ist, schusses „Kindeswohl“ zum Fall Kevin aufgegriffen.
das wir uns vorstellen können, ist gerade für uns ein Wir wollen nämlich dafür Sorge tragen, dass die nötige
wichtiges Thema. Wir müssen die Nutzer vor staatlicher personelle Ausstattung zur Verfügung steht, wenn das
Überregulierung schützen, aber natürlich auch vor priva- Jugendamt die Vormundschaft übernimmt. Damit das
ten Missbräuchen durch Kriminelle oder wirtschaftlich gelingt, schreiben wir vor, dass die Fallzahl des einzel-
Mächtige. Weil das Internet kein rechtsfreier Raum ist, nen Vormundes gesetzlich begrenzt wird. Dabei steht
gehört für uns dazu, dass wir im Rahmen des Urheber- vor allen Dingen – auch das ist eine Konsequenz aus den
rechts die Möglichkeiten zur Durchsetzung von Rechten Ergebnissen des Untersuchungsausschusses zum Fall
verbessern. Wir haben in der letzten Legislaturperiode Kevin – der persönliche Kontakt zwischen Vormund und
um den sogenannten zweiten Korb gerungen. seinem Schützling absolut im Vordergrund. Da bedarf es
(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- nicht nur zufälliger Kontakte oder Kontakte in zu großen
NEN]: Da ist genug getan!) Zeitabständen; das haben wir mit unserem Kabinettsbe-
schluss deutlich gemacht. Ich freue mich, wenn wir hier
Wir sind ferner der Meinung – das haben wir in der darüber beraten können.
Koalitionsvereinbarung festgeschrieben –, dass wir auch
(B)
das Thema der Leistungsschutzrechte gerade für den Be- Wir wollen die Rechte lediger Väter stärken. Ledige (D)
reich Presse und Zeitungsverleger angehen sollten. Das Väter sind keine Bittsteller. Derzeit debattieren wir in
werden wir tun; wir werden es schaffen. Wenn Men- der Koalition konstruktiv darüber, wie wir die Verfah-
schen über das Internet Dienstleistungen in Anspruch rensregelungen am besten ausgestalten können.
nehmen, Informationen nutzen, dann müssen wir die Erlauben Sie mir, kurz zu erwähnen, was auf den Weg
Rahmenbedingungen dafür schaffen, dass diejenigen, gebracht ist. Hier nenne ich die Stärkung des Mandan-
die für die Bereitstellung der Dienstleistungen und Infor- tengeheimnisses. In der Kommunikation des Mandanten
mationen ein Risiko eingehen und sich wirtschaftlich en- mit den Anwälten soll es keine Zweiteilung mehr geben.
gagieren, ihre Leistungsschutz- und Urheberrechte Die Koalitionsvereinbarung sieht hier viele weitere
durchsetzen können. Punkte vor, die ich nicht alle aufzählen muss.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
Einer der größten Komplexe, eines der schwierigsten
der CDU/CSU)
Themen – das sage ich deutlich – wird die Neuausrich-
Im Zusammenhang mit dem Internet müssen wir tung der Sicherungsverwahrung sein.
– das passt gut zu der Debatte, die wir eben zu dem
Haushalt für den Verbraucherschutz geführt haben – (Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
auch die Stellung des Verbrauchers in den Blick nehmen. NEN]: Da sind wir gespannt!)
Ich möchte nur ein Beispiel nennen: die Abofallen im Hier geht es nicht um gesetzliche Regelungen aufgrund
Netz. Wir wollen, dass alle Anbieter verpflichtet werden, der Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für
ein Bestätigungsfeld, also einen Button, vorzusehen, da- Menschenrechte. Vielmehr geht es darum, auf der einen
mit Verbraucher vor Abschluss eines Vertrages sicher er- Seite dem berechtigten Anliegen der Allgemeinheit zu
kennen, dass sie für eine Leistung etwas bezahlen müs- entsprechen, einen gewissen Schutz zu erhalten,
sen.
(Zuruf von der CDU/CSU: Sehr richtig!)
Ein Blick in die Koalitionsvereinbarung zeigt, dass
der Datenschutz im Internet eine wichtige Rolle spielt. auf der anderen Seite aber nicht zu vergessen, dass Si-
Hierfür ist mein Kollege Innenminister, Herr de cherungsverwahrung eine Ausnahme ist, nicht die Regel,
Maizière, federführend zuständig. Die FDP hat einge- keine normale Verlängerung des Strafvollzugs. Ein Blick
bracht, dass es einen anderen Weg geben soll, als immer auf Einzelfälle zeigt, wie wichtig ein Gesamtkonzept ist.
die entsprechenden gesetzlichen Bestimmungen zu än- In der Vergangenheit wurde auf viele Einzelfälle re-
dern. Lassen Sie mich die geplante Stiftung Datenschutz agiert, teilweise musste reagiert werden.
1206 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 14. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 19. Januar 2010
(Beifall bei der SPD) Kurz vor Weihnachten 2009 hat der Europäische Ge-
richtshof für Menschenrechte der heutigen schwarz-gel-
ben Regierung die Quittung für ein Sicherungsverwah-
Christine Lambrecht (SPD): rungsgesetz der schwarz-gelben Regierung aus dem Jahr
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! 1998 erteilt. Das Gesetz verstößt gegen die Menschen-
Liebe Bundesjustizministerin, in den letzten Jahren war rechtskonvention.
bei Haushaltsdebatten von Ihrer Seite aus immer relativ (Gisela Piltz [FDP]: Genau! Und Sie haben es
kurz zu hören, dass dieser Haushalt zu Recht ein kleiner, immer gewusst, oder?)
aber feiner Haushalt sei. Dann stellten Sie in der Regel
relativ zügig die Forderung an uns in der jeweiligen Re- 1998 hoben CDU/CSU und FDP mit ihrer damaligen
gierungskoalition, das Augenmerk doch mehr auf die Mehrheit mit besagtem Gesetz die Zehnjahresbegren-
Freiheits- und Bürgerrechte zu lenken. Meist drehte zung der Sicherungsverwahrung auf. Seither können
sich Ihre gesamte Haushaltsrede dann um dieses Thema. Straftäter, von denen weiterhin eine Gefährdung für die
Heute war ich – das muss ich ehrlich sagen – etwas über- Öffentlichkeit ausgeht, unbegrenzt in Haft genommen
rascht, dass dieses Thema von Ihnen so kurz abgehandelt werden. Das Gesetz wurde seinerzeit rückwirkend auf
bzw. überhaupt nicht angesprochen wurde. Ein Schelm, einen Fall aus dem Jahre 1986 angewandt. Jetzt haben
der Böses dabei denkt. die Straßburger Richter entschieden, dass das gegen die
Menschenrechtskonvention verstößt. Ganz aktuell im
Man könnte zur Verdeutlichung auch einfach sagen: Jahr 2010 – Sie haben es angesprochen, Frau Ministe-
SWIFT. Das war eine Ihrer ersten Aktionen. Ausgerech- rin – hat außerdem der Bundesgerichtshof im Fall eines
(B) net die FDP, die sich selbst rühmt, Freiheits- und Bürger- rechtskräftig verurteilten Sexualstraftäters, der seine (D)
rechte wahren zu wollen, zeichnet dafür mitverantwort- Strafe abgesessen hat, entschieden, dass er nicht nach-
lich. Kurz zum Hintergrund: Die USA erhalten bei träglich in Sicherungsverwahrung genommen werden
Überweisungen außerhalb des europäischen Zahlungs- kann.
raumes millionenfach Zugriff auf Bankdaten, die der Fi-
nanzdienstleister SWIFT verwaltet. Die schwarz-gelbe Ihre Koalitionspartner, CDU und CSU – da sind wir
Koalition hat mit ihrer Enthaltung auf EU-Ebene dafür wieder auf das berühmte Theater der Dreistimmigkeit
gesorgt, dass dieses Abkommen zwischen der EU und gespannt –, aber auch unionsgeführte Bundesländer, ha-
den USA durchgewunken wurde. Dies geschah genau ei- ben schon zu deutlichen Gesetzesverschärfungen laut
aufgerufen. Jetzt stellt sich die Frage: Dürfen wir we-
nen Tag, bevor der Reformvertrag von Lissabon Gültig-
nigstens in dieser Sache hoffen, dass mit Ihnen, Frau
keit erlangte. Vom nächsten Tag an, wenn es erst dann
Justizministerin, in der schwarz-gelben Koalition dieser
zur Debatte gekommen wäre, hätte das Parlament ein
von Ihnen beschworene neue Geist, den Sie angekündigt
Mitspracherecht gehabt. So viel zum schwarz-gelben
haben, herrscht und dass das Ritual der Gesetzesver-
Verständnis von parlamentarischer Demokratie.
schärfungen durchbrochen wird? Ich bin gespannt.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Wer jetzt den vom Bundesgerichtshof entschiedenen
Abg. Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE Fall heranzieht, um eine Lücke im Recht der Sicherungs-
GRÜNEN]) verwahrung zu behaupten und eine Gesetzesver-
schärfung zu fordern, liegt schief. Wer aber angesichts
Zu Ihren Oppositionszeiten, als Sie noch die berühm-
populistischer Gesetzesverschärfungen das Urteil des
ten Reden gehalten haben, Frau Leutheusser-
Bundesgerichtshofs wie auch das jüngste Urteil des
Schnarrenberger, hat die FDP-Bundestagsfraktion gera-
Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zum An-
dezu zum Kampf gegen dieses Abkommen aufgerufen.
lass nimmt, das Recht der Sicherungsverwahrung zu
Nachzulesen ist das sehr schön in der Bundestagsdruck-
überarbeiten und neu zu ordnen, liegt richtig. Genau das
sache 16/4184. Darin forderten Sie von der damaligen
wollen wir.
Regierung, den Zugriff US-amerikanischer Stellen auf
SWIFT-Daten unverzüglich zu stoppen. Aber seitdem Die in den vergangenen Jahren aufgrund von Einzel-
die FDP mit auf der Regierungsbank sitzt, haben Sie fällen veranlassten Gesetzesänderungen haben das Recht
nichts gestoppt. So viel zu der Frage, welchen Stellen- auf Sicherungsverwahrung zu einem Flickenteppich
wert der Schutz sensibler Bürgerdaten in dieser Koali- werden lassen. Vorarbeiten für eine Neuordnung haben
tion hat. wir zusammen mit der Bundesjustizministerin und Ex-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 14. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 19. Januar 2010 1207
Christine Lambrecht
(A) perten aus Lehre und Praxis bereits in der vergangenen (Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Und Sie be- (C)
Legislaturperiode geleistet; hier stehen Anknüpfungs- treiben eine Politik für Ihre Klientel: die Miet-
möglichkeiten zur Verfügung. Wenn wir über mehr Si- nomaden!)
cherheit sprechen, müssen wir vor allem über die weite-
Wir sind gespannt, welche Spenden aus diesem Bereich
ren Instrumente sprechen, die das geltende Recht außer
bei welchem Koalitionspartner ankommen werden.
der Sicherungsverwahrung noch parat hat.
Vielen Dank.
Um keinen falschen Eindruck entstehen zu lassen
– das ist nämlich ein Thema, das man zu diesem Zweck (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
immer wieder gut verwenden kann –: Selbstverständlich der LINKEN und des Abg. Josef Philip
steht die SPD dafür, dass die Bevölkerung vor gefährli- Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
chen Straftätern zu schützen ist. Hierfür gibt es Möglich-
keiten wie die Führungsaufsicht, die Polizei und Bewäh- Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
rungshelfer. Jetzt geht es darum, ein neues Konzept zu Für die CDU/CSU-Fraktion spricht nun der Kollege
erarbeiten, statt reflexartig nach Gesetzesverschärfungen Dr. Günter Krings.
zu rufen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
(Beifall bei der SPD)
Wir sind gespannt, welchen Weg Sie einschlagen wer- Dr. Günter Krings (CDU/CSU):
den. Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wenn die Kollegin Lambrecht die Themen
Um ähnliche Fragen geht es auch beim Thema Mietrecht und Lobbyisten in einen Zusammenhang
Nacktscanner. Ich gehe davon aus, dass die Kollegin- stellt, fragt man sich natürlich, ob ihre Klientel die Miet-
nen und Kollegen aus dem Bereich Inneres dazu noch ei- nomaden sind;
niges sagen werden. Man muss sich allerdings, bevor
man über ein solches Thema diskutiert, wenigstens über- (Christine Lambrecht [SPD]: Sehr witzig! –
legen, ob mit der Datenflut, die offensichtlich gar nicht Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
zu beherrschen ist, überhaupt umzugehen ist und welche Bleiben Sie doch sachlich! Beim Mietrecht
Konsequenzen ein solcher weiterer Eingriff in die Per- geht es um die Verkürzung der Kündigungs-
sönlichkeitssphäre, die Intimsphäre und die Privatsphäre fristen!)
für die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger hätte. das sind nämlich diejenigen, die wir mit unserer Miet-
Frau Ministerin, ich habe mit Freude vernommen, rechtsänderung bekämpfen wollen. Ich hoffe und glaube,
(B) dass Sie über einige Themen konkret diskutieren wollen. dass das nicht so ist. Mit Ihren Lobbyismusvorwürfen (D)
Wie ich gehört habe, diskutieren Sie innerhalb der Koali- sollten Sie allerdings etwas vorsichtiger sein.
tion seit dem Wochenende wieder freundlicher und höf- Ich will meine Rede zum Haushalt des Bundesjustiz-
licher; ministeriums ganz unkonventionell beginnen, indem ich
einige Zahlen nenne. Dieser Haushalt hat ein Volumen
(Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Wir haben
von knapp einer halben Milliarde Euro. Das entspricht in
immer freundlich diskutiert!)
etwa allein dem Aufwuchs, den der Etat des Bundesmi-
das haben Sie sich ja für die Zukunft vorgenommen. nisteriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau-
Vielleicht führt das auch zu einem entsprechenden Er- cherschutz, über den wir zuvor diskutiert haben, zu ver-
gebnis. Wir sind gespannt. zeichnen hat. Es geht um eine also durchaus bescheidene
Zahl. Umgerechnet sind es 6,04 Euro pro Bundesbürger.
Bei einigen Themen bin ich allerdings sehr skeptisch, Zieht man die Einnahmen, die in diesem Etat erwirt-
wohin die Reise gehen wird; wahrscheinlich werden wir schaftet werden, ab, geht es um 1 Euro pro Bundesbür-
das erst nach der Wahl in NRW erfahren. Ich nenne nur ger und Jahr.
einige Beispiele: die Veränderungen im Mietrecht zuun-
gunsten der Mieter, die Änderung der Prozesskosten- Es handelt sich um einen sparsamen Haushalt, der
hilfe, die wahrscheinlich dazu führen wird, dass sich für aber – Frau Ministerin, Sie haben es erwähnt – an eini-
Menschen, die finanziell schwachgestellt sind, der Zu- gen wenigen Punkten wichtige Aufwüchse enthält. Einer
gang zu den Gerichten verschlechtert, der wichtigsten Aufwüchse sind die Leistungen für Op-
fer extremistischer Überfälle. Indem wir die entspre-
(Gisela Piltz [FDP]: Nicht das schon wieder!) chenden Mittel mehr als verdreifacht haben, haben wir
und die angekündigte Zusammenlegung von Sozial- und auch eine, wie ich finde, höchstpeinliche Schieflage in
Verwaltungsgerichtsbarkeit, die sicherlich nicht im Inte- unserem Rechtsstaat beseitigt. Bislang war es nämlich so
resse einer sachgerechten Behandlung schwieriger so- – entstanden ist dies unter rot-grüner Verantwortung –,
zialrechtlicher Fragestellungen sein wird. Auch hier sind dass nur rechtsextremistische Überfälle hierunter fielen.
wir gespannt. (Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Das war sachgerecht und völlig rich-
Insbesondere an den Veränderungen im Mietrecht
tig!)
wird eines deutlich: Auch hier betreiben Sie Klientel-
politik, eine Politik für die Klientel der Haus- und Es ist überfällig, dass wir auch den Opfern linksextre-
Grundstücksbesitzer. mistischer Überfälle, islamistischer Überfälle und ande-
1208 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 14. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 19. Januar 2010
Steffen Bockhahn
(A) sonal zur Verfügung zu stellen, damit Ermittlungen Verdächtigen ist allenfalls rudimentär erhalten geblie- (C)
schneller geführt und Prozesse rascher begonnen werden ben. Personen im Umfeld der Verdächtigen werden vor-
können. Das betrifft nicht zuletzt diverse Prozesse zur sorglich mit überwacht. Ob es einen Verdacht gibt, ist
Steuerhinterziehung, die wegen Verjährung nicht mehr egal. Allein miteinander telefoniert zu haben, kann
geführt werden können. Auf diese Weise gehen dem schon ausreichend sein.
Staat jedes Jahr aufs Neue Unsummen verloren.
Bei aller Einigkeit über die Notwendigkeit eines um-
Die Überlastung der Gerichte hat selbstverständlich fassenden Schutzes der Bevölkerung: Das geht zu weit
auch viel mit der Politik der Bundesregierung in anderen und hat mit einer freiheitlich-demokratischen Grundord-
Bereichen zu tun. Wer unsoziale, aber auch handwerk- nung nur noch bedingt zu tun.
lich schlechte Gesetze wie Hartz IV durchsetzt, muss da-
(Beifall bei der LINKEN)
mit leben, dass es viele Klagen dagegen gibt und die So-
zialgerichte vor gigantischen Verfahrensbergen sitzen. Eine verlässliche, gründliche und schnelle Justiz ist
ein Wesensmerkmal funktionierender Demokratien. Es
(Beifall bei der LINKEN – Dr. Martin Lindner
wird Zeit, dass wir neben verlässlich und gründlich auch
[Berlin] [FDP]: Egal welches Thema: Das
wieder etwas schneller werden, aber nicht mit Schnell-
muss kommen!)
gerichten, sondern mit der erforderlichen Ausstattung.
– Wenn es nicht so berechtigt wäre, gegen Hartz IV zu
Vertrauen der Menschen in die Demokratie und
klagen, dann müsste man es nicht tun. Wenn Sie ordent-
die Justiz hängen auch davon ab, ob es gleiche Voraus-
liche Gesetze mitverabschiedet hätten, dann wäre die
setzungen für alle vor den Gerichten gibt. Wenn es aber
Lage vielleicht nicht so dramatisch.
in so manchem Rechtsstreit nur darum geht, wer länger
(Beifall bei der LINKEN – Gisela Piltz [FDP]: durchhält, weil er das nötige finanzielle Polster für die
Ich glaube, das haben Sie noch nicht ganz ver- Zeit bis zur abschließenden gerichtlichen Entscheidung
innerlicht!) hat, dann ist dieses Vertrauen gestört. Leider häufen sich
die Fälle, in denen es wie eben beschrieben läuft.
Aber diesen Verfahrensstau gibt es nicht nur bei den
Gerichten, die unter die Zuständigkeit der Länder fallen. Statt neues Personal an den Bundesgerichten einzu-
Auch bei den Bundesgerichten haben wir es mit langen stellen, leistet das Ministerium für 3,8 Millionen Euro
Wartezeiten zu tun. Doch auch daran ändert sich nichts, „Beratungshilfe für den Aufbau von Demokratie und
obwohl Sie die Möglichkeit dazu hätten. Wo nicht über Marktwirtschaft“. Ich habe an der juristischen Fakultät
Probleme gesprochen wird, da gibt es auch keine. Also einer staatlichen Universität in Deutschland gelernt, dass
wird nicht darüber geredet, und folglich wird auch nicht das Grundgesetz keine Wirtschaftsordnung vorgibt, also
(B) die Zahl der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an den auch nicht die Marktwirtschaft. Das ist auch gut so, und (D)
Bundesgerichten erhöht. Leider bleibt es damit bei den das sollte so bleiben.
langen Wartezeiten.
(Beifall bei der LINKEN – Gisela Piltz [FDP]:
Dadurch, dass Sie die Judikative nicht in der Form Deshalb vertreten Sie den Sozialismus!)
stärken, wie es erforderlich wäre, schwächen Sie sie
– Nein, das haben Sie falsch verstanden. Ich habe nicht
zwangsläufig. Das führt dazu, dass sie als eine stabile
gesagt, dass es der Sozialismus sein muss, auch wenn
und gleichberechtigte Säule im Rahmen der Gewalten-
das ein Fortschritt wäre.
teilung unter Druck gerät. Keiner hier will das, und kei-
ner sollte das wollen; denn damit wäre die Demokratie Mit dieser Unterstützung wird aber ganz gezielt eine
ernsthaft in Gefahr. bestimmte Wirtschaftsordnung in anderen Ländern im
Auftrag der Bundesrepublik gefördert. Unabhängig da-
Das Justizministerium hat die Aufgabe, Gesetzge-
von, dass ich meine, dass es sich um die falsche Wirt-
bung und Gesetzanwendung im Bereich Justiz auf natio-
schaftsordnung handelt: Wer kommt eigentlich auf die
naler und internationaler Ebene zu ordnen und anzuwen-
Idee, diese kapitalistische Wirtschaftsordnung mit ihrer
den. Aufgabe ist es aber auch, die Grundrechte der
sozialen Spaltung und der Ausbeutung von Mensch und
Bürgerinnen und Bürger zu schützen und die Verfas-
Natur anderen Ländern auch noch überzuhelfen? So et-
sungsmäßigkeit der Gesetzgebung zu garantieren.
was macht man doch nur, wenn man die anderen nicht
Gerade die jüngste Gesetzgebung zur Bekämpfung leiden kann.
von Terrorismus macht eine gründliche Überprüfung er-
(Beifall bei der LINKEN)
forderlich. Hier wird massiv in die Grundrechte einge-
griffen, sei es die Verletzung der Privatsphäre, die Spei- Ungarn und weitere Staaten Osteuropas, die von uns
cherung von Daten oder die heimliche Überwachung der beraten wurden, stehen oder standen vor dem Staats-
Bürgerinnen und Bürger. Ein besonderes Problem stellt bankrott. Das ist aber kein Zufall, sondern im Ergebnis
dabei aus meiner Sicht immer wieder der § 129 a des eine Folge dieser Wirtschaftsordnung, die hier verbreitet
Strafgesetzbuches dar. Allein der Verdacht, dass jemand werden soll. Es gibt aber einen Unterschied zwischen
eine terroristische Vereinigung gebildet hat, erlaubt dem der Hilfe beim Aufbau demokratischer Strukturen – die-
Staat Unglaubliches. ser ist gewollt – und der Implementierung einer be-
stimmten Wirtschaftsordnung. Hier wäre es besser, das
Die Freiheitsrechte der Betroffenen werden de facto
eine zu tun und das andere zu lassen.
abgeschafft. Betroffene haben kaum Möglichkeiten, sich
zu wehren, und die Unschuldsvermutung zugunsten der (Beifall bei der LINKEN)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 14. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 19. Januar 2010 1211
(Gisela Piltz [FDP]: Darum kümmern Sie sich Zweitens. Wie sieht die zugesagte Wende bei den
gerade!) Bürgerrechten aus? Sie blasen den Großen Lauschan-
griff nicht ab. Sie behalten die Vorratsdatenspeicherung
– Ja, das mache ich. bei. Natürlich müssen wir die innere und äußere Sicher-
In meiner Rede zum Haushalt und zur Rechtspolitik heit sehr ernst nehmen. Aber Angst ist diesbezüglich ein
will ich drei zentrale Punkte hervorheben. Erstens. Die schlechter Ratgeber. Vielmehr brauchen wir gerade bei
FDP hat in ihrem Wahlprogramm zum Thema Rechtspo- diesem Thema ein Höchstmaß an Augenmaß sowie eine
litik formuliert: sachliche und rationale Abwägung. Wir dürfen die Angst
nicht die rationale Abwägung besiegen lassen. Für uns
Wir brauchen eine Neuausrichtung der Rechtspoli- Grüne ist klar: Wir brauchen so viel Sicherheit wie nötig,
tik … Von der Rechtspolitik müssen entscheidende aber auch so viel Freiheit wie möglich. Ohne Freiheit
Impulse ausgehen für eine moderne und aufgeklärte gibt es für uns keine Sicherheit.
Bürgergesellschaft.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Wie sieht nun in dieser Koalition eine moderne Bür- sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Zuruf
gergesellschaft aus. Sie haben beschlossen: Sie wollen von der CDU/CSU: Und ohne Sicherheit keine
die Höchststrafe für junge Menschen, die einen Mord Freiheit!)
begangenen haben, von 10 auf 15 Jahre erhöhen. Das
soll nicht nur für Heranwachsende gelten, sondern auch Drittens. Die Rechtspolitik steht in einem engen Ver-
für Jugendliche, für die 15 Jahre eine unermesslich lange hältnis zum Rechtsempfinden der Bürgerinnen und
Lebenszeit sind. Bürger. Da ist es gut, dass das Bundesministerium der
Justiz – das wurde schon gesagt – finanziell sehr gut da-
(Gisela Piltz [FDP]: Das steht doch gar nicht steht; 83 Prozent der Ausgaben werden durch eigene
drin!) Einnahmen gedeckt. Wie aber sieht es in dieser Koali-
– Doch, im Koalitionsvertrag. – Das planen Sie, obwohl tion bei dem Rechtsverständnis im Hinblick auf die so-
die abschreckende Wirkung einer solchen Maßnahme ziale Ausgewogenheit aus? Als Beispiel nenne ich das
bisher nicht belegt ist. Mietrecht, das von Kollegin Lambrecht ebenfalls schon
angesprochen wurde. Unser jetziges Mietrecht stellt ei-
(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- nen Ausgleich zwischen zwei ungleichen Partnern her.
NEN]: Sehr liberal!) Jetzt will die schwarz-gelbe Koalition die Rechte der
1212 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 14. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 19. Januar 2010
Ingrid Hönlinger
(A) Vermieter zulasten der Mieter stärken. Die Kündigungs- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (C)
fristen sollen gleichgesetzt werden, Sanierungen sollen sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
nicht mehr zur Mietminderung berechtigen, und miet-
rechtliche Ansprüche sollen leichter vollstreckt werden Ich fasse zusammen: Bei Ihnen von der Regierungs-
können. Das heißt im Klartext: Sie machen die Starken koalition kann ich keinen Zauber und auch keinen Neu-
stärker und schwächen die Schwachen. anfang wahrnehmen, weder beim Schutz der Bürger-
rechte noch bei der sozialen Ausgewogenheit und erst
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN recht nicht bei einer Justiz, die allen Bürgerinnen und
sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN- Bürgern dient. Ihr schwarz-gelber Zauber hat keine
KEN) 100 Tage gehalten. Es ist wichtig, dass in Zukunft auf
der Regierungsbank andere Farbkombinationen zu fin-
Ein weiteres Beispiel ist die Beratungs- und Prozess-
den sind.
kostenhilfe. Sie wollen der „missbräuchlichen Inan-
spruchnahme“ von staatlichen Leistungen entgegenwir- Vielen Dank.
ken. Dabei dürfte doch allen klar sein, dass die hohe
Zahl der Prozesskostenhilfezahlungen auch durch die (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Flut von Hartz-IV-Klagen, die wir alle wahrnehmen, be- sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN-
dingt ist. Es ist aber nicht der richtige Weg, an der Pro- KEN – Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Wir
zesskostenhilfe herumzudoktern. Vielmehr muss das können nicht zaubern, aber arbeiten!)
Sozialgesetzbuch II dringend reformiert werden. Damit
bekommen wir die Probleme viel besser in den Griff. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Für uns Grüne sind Prozesskosten- und Beratungshilfe Frau Kollegin Hönlinger, auch für Sie war dies die
ein wichtiger Zugang zur Justiz. Die Justiz muss allen erste Rede in diesem Haus. Auch Ihnen gelten mein
Bürgerinnen und Bürgern offenstehen. Glückwunsch und meine besten Wünsche für Ihre wei-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN tere Arbeit.
sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN- (Beifall)
KEN)
Nächster Redner ist der Kollege Florian Toncar für
Ein weiteres Beispiel ist die Anwaltsvergütung im
die FDP-Fraktion.
Ausländer- und Asylrecht sowie im Sozialrecht. Die Ge-
genstandswerte bzw. die Rahmengebühren sind so nied-
rig, dass nur noch Idealisten in diesen Bereichen arbei- Florian Toncar (FDP):
(B) ten. Zum Beispiel liegt der Gegenstandswert für Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und (D)
Diplomprüfungen an der Hochschule bei 15 000 Euro, Herren! Im Mittelpunkt der Rechts- und Justizpolitik der
für Waffenscheine bei 7 500 Euro, für Asylverfahren, bei Koalition stehen der Bürger und die Bürgerin. Das be-
denen es um Leben, Freiheit und körperliche Unver- zieht sich sowohl auf die Justiz, die wir mit Haushalts-
sehrtheit geht, aber lediglich bei 3 000 Euro. Da sind die mitteln auszustatten haben, als auch auf die rechtspoliti-
Prioritäten falsch gesetzt, und wir müssen dringend schen Themen, auf die ich im Anschluss daran eingehen
nachbessern, um auch den Schwächeren einen ordentli- möchte.
chen Zugang zum Recht zu gewährleisten.
Wir haben in Deutschland eine hohe Qualität der
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Rechtsprechung, trotz immenser Belastungen der Ge-
sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN- richte auch des Bundes durch Verfahren, die beispiels-
KEN) weise den Bezug von Arbeitslosengeld II betreffen. Die
Zahlen sind immens hoch. Die Belastung betrifft aber
Ich komme zum Schluss. In Ihrem Koalitionsvertrag
auch die Finanzgerichte, weil das Steuerrecht längst viel
haben CDU/CSU und FDP schriftlich erklärt:
zu kompliziert geworden und nicht mehr handhabbar ist.
Wir fördern den Dienst am Anderen und fordern Diese Arbeitsbelastung sehen wir. Sie setzt sich im Mi-
Solidarität für eine menschliche Gesellschaft. nisterium fort, das – auch das muss man einmal an dieser
Stelle festhalten – in den letzten 15 Monaten im Zuge
Bei Lichte betrachtet stellen wir fest: Ihren schönen der Krise erhebliche zusätzliche Arbeit in kürzester Zeit
Worten folgen entgegengesetzte Taten. Sie fördern mit erledigen musste. Wir sehen die Belastungen der Mitar-
Ihrer Politik den Egoismus einzelner gesellschaftlicher beiterinnen und Mitarbeiter in der Justiz und im Ministe-
Gruppen und erschweren den Dienst am anderen. Im rium und würdigen sie. Hinzu kommen Aufgaben, die in
Kern führt Ihre Politik zu einer weiteren Vertiefung der Zukunft eine stärkere Rolle spielen und die die Versor-
Spaltung der Gesellschaft. Außerdem vergrößern Sie mit gung betreffen werden. Insbesondere die demografische
Ihrer Rechtspolitik die Kluft zwischen Arm und Reich in Entwicklung verdient im Haushalt des Ministeriums be-
dieser Gesellschaft. Aber das Gute daran ist: Noch keine sondere Beachtung.
Regierung wurde so schnell entzaubert wie Ihre. Die
Bürgerinnen und Bürger haben längst erkannt, dass nicht Der Haushalt des Justizministeriums ist ein Personal-
nur Ihre Versprechungen in der Finanz-, Steuer- und haushalt. 78 Prozent der Ausgaben werden für Personal
Wirtschaftspolitik, sondern auch in der Rechtspolitik auf ausgegeben. Wir als Koalition wollen dafür Sorge tra-
tönernen Füßen stehen. Bei Ihnen ist einfach nicht das gen, dass auch in diesen Zeiten und im Zuge dieser
drin, was draufsteht. Haushaltsberatungen das Möglichste getan wird, damit
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 14. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 19. Januar 2010 1213
Florian Toncar
(A) die Justiz im Interesse der Bürger, nicht in ihrem eigenen (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) (C)
Interesse, ihre Aufgaben erfüllen kann.
Ich will deutlich sagen – auch die Ministerin hat das
Die Bürgerinnen und Bürger stehen aber auch im Mit- eigentlich angesprochen –, was sich in den nächsten Mo-
telpunkt unserer Rechtspolitik. Ich finde es schon be- naten dieses Jahres verändern wird. Wir werden – das ist
merkenswert, dass man sich nach drei Monaten in der für die Bürgerinnen und Bürger ein ganz wichtiger
Regierung anhören muss, was man alles noch nicht ge- Punkt – den Schutz der freien Berufe verbessern, und
macht hat. Frau Kollegin Lambrecht, das geht an Ihre zwar insbesondere im Strafverfahren. Da geht es bei-
Adresse. Ich habe Ihre Rede so verstanden – das verwirrt spielsweise um die von Ihnen eingeführte Ungleichbe-
mich offen gestanden –, dass Sie uns darum gebeten ha- handlung von Rechtsanwälten. Im Sinne der Bürger ist
ben, jetzt die Fehler auszumerzen, die Sie in elf Jahren das nun wirklich nicht; denn es geht hier nicht um den
gemacht haben. Ich kann Ihnen versprechen: Wir tun es. Schutz einer Berufsgruppe, sondern darum, dass sich der
Bürger, der zu einem Rechtsanwalt oder einem Strafver-
(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
teidiger geht, darauf verlassen kann, dass das, was er
NEN]: Das haben Sie missverstanden!)
dort bespricht, der Vertraulichkeit unterliegt. Dieses Ge-
Wir tun es schrittweise, aber wir werden das sicherlich setz ist im Sinne der Bürger zu ändern. Genauso steht es
nicht in drei Monaten machen können; denn dafür ist es im Koalitionsvertrag. Diese Linie ist sehr wohl anders
viel zu viel, was zu tun wäre. als das, was Sie in den letzten Jahren hier gemacht ha-
ben.
(Beifall bei der FDP)
(Beifall bei der FDP – Jerzy Montag
Sie haben das Stichwort SWIFT genannt. Man rech-
[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist mit
net mit vielem, aber es ist schon sehr mutig, was Sie da
den Ärzten und den Journalisten?)
machen; denn das Abkommen SWIFT in der Form, in
der es jetzt für neun Monate in Kraft gesetzt worden ist, – Herr Kollege Montag, Sie wissen, dass wir uns um die-
ist in den Verhandlungen von der alten Bundesregierung ses Thema kümmern werden. Wir werden natürlich ver-
– das wissen Sie in Wahrheit ganz genau; das ist für Sie suchen, für alle Berufsgeheimnisträger den bestmögli-
überhaupt nichts Neues – vorbereitet worden, und zwar chen Schutz zu erreichen, der notwendig ist; denn bei
federführend von Ressorts, in denen Ihre Minister Ver- diesen Berufsgruppen ist das Vertrauen des Kunden in
antwortung getragen haben. das persönliche Verhältnis zu demjenigen, zu dem er
geht, von grundlegender Bedeutung.
(Christine Lambrecht [SPD]: Schauen Sie in
die Drucksachen hinein!) Es gibt einen weiteren wichtigen Punkt: Das ist der
Schutz der Presse. Sie wissen, dass es in den letzten
(B) Sie wissen auch, dass in neun Monaten eine neue Fas- (D)
Jahren auch hier zu Fehlentwicklungen gekommen ist.
sung dieses Abkommens in Kraft sein wird. Ich kann Ih-
Das ist übrigens ebenfalls unter Ihrer Verantwortung ge-
nen sagen – darüber ist sich die Koalition einig; denn das
schehen. Ich bewundere Ihr Selbstbewusstsein – das ge-
steht so im Koalitionsvertrag –,
stehe ich Ihnen zu –; ich lasse Ihnen aber nicht durchge-
(Christine Lambrecht [SPD]: Da steht viel hen, dass Sie das alles hier unterschlagen. Wir werden
drin, und Sie halten es nicht!) uns darum kümmern, dass Journalisten ihren Auftrag,
sich für die Bürgerinnen und Bürger zu informieren, Be-
dass die Standards, die in dem jetzt gültigen Abkommen
scheid zu wissen, wahrnehmen können, beispielsweise
gelten, mit Sicherheit in neun Monaten nicht mehr die-
dadurch, dass ihnen nicht mit Anzeigen wegen Geheim-
selben sein werden. Sie sollten uns jetzt die Möglichkeit
nisverrats gedroht werden kann. Es bedarf einer prakti-
geben, das zu korrigieren, und zwar durch eine vernünf-
kablen Neuregelung, die gewährleistet, dass die Tätig-
tige Vorbereitung der Verhandlungen, was Ihnen unter
keit von Journalisten nicht gefährdet wird.
Ihrer Federführung nicht gelungen ist.
Mein letzter Punkt ist das Thema Mietrecht. Ich
(Christine Lambrecht [SPD]: Sie wollten es
glaube, es grenzt an Unterstellung, zu sagen, dass der so-
doch immer stoppen!)
ziale Charakter des Wohnungsmietrechts verändert wer-
Sie sollten den Wählerinnen und Wähler gegenüber so den soll. Dieser Charakter bleibt erhalten. Er hat seine
ehrlich sein, zu sagen, wer die Verantwortung für das Berechtigung. Es ist ein Unterschied, ob man ein Auto
heutige Abkommen trägt, und das sind Sie. oder eine Wohnung mietet.
(Beifall bei der FDP – Christine Lambrecht (Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
[SPD]: Sie! Nur Sie!) NEN]: Ja! Sehr gut!)
Herr Kollege Bockhahn, Sie haben über Bürger- Aber Sie müssen auch sehen, dass es in den letzten Jah-
rechte gesprochen. Ich registriere, dass das Ihre Erst- ren Fehlentwicklungen gegeben hat – Mietnomaden und
lingsrede war, und deshalb muss man nachsichtiger sein. Ähnliches –, die nicht nur zulasten der Vermieter, son-
Sie haben gehörige Vorwürfe erhoben. Man hört so eini- dern auch zulasten der Mieter gegangen sind: Sie müs-
ges, wie Sie in Ihrer Partei miteinander umgehen und sen im Ergebnis mitbezahlen; denn am Ende wird Wohn-
wer vielleicht wen überwacht. Ich will das nicht bewer- raum vielleicht knapper, oder Vermieter müssen Ausfälle
ten, aber wenn davon nur die Hälfte wahr ist, dann soll- in die Höhe der Miete einkalkulieren. Ich würde mir
ten Sie anderen keine Vorträge über Bürgerrechte halten; schon wünschen, dass Sie auch das Problem sehen, dass
das an die Adresse der Linken. redliche Mieter über die Miete ein Stück weit für Miet-
1214 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 14. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 19. Januar 2010
Florian Toncar
(A) nomaden und andere Probleme, die wir in diesem Be- situation. Wenn man in einer solchen Situation diesen (C)
reich haben, mitbezahlen. Schritt macht, muss das schon gut begründet sein.
(Zuruf von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Un- Nun kommt etwas hinzu, was die Sache so anrüchig
sinn! – Zuruf von der SPD: Kündigungsfris- macht, nämlich der Umstand, dass Sie vor dieser Ent-
ten!) scheidung, die Sie dann ja auch nachhaltig umgesetzt ha-
ben, drei Parteispenden in Höhe von insgesamt 1,1 Mil-
Das werden wir angehen. Auch das dient den Bürgern. lionen Euro bekommen haben. Das ist aus meiner Sicht
Die Koalition ist auf einem guten Weg. der entscheidende Punkt, nicht der, dass Sie diesen
Vielen herzlichen Dank. Schritt überhaupt gemacht haben. Diese Zahlungen sind
zwar angezeigt worden und insofern verfahrensmäßig in
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Ordnung, aber wir müssen uns einfach einmal vergegen-
der CDU/CSU) wärtigen, welch verheerenden Eindruck das außerhalb
des Parlamentes – wir sind ja mehr oder weniger alle
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Profis und können mit solchen Dingen umgehen, können
darüber debattieren – hervorgerufen hat. Wie sieht es
Nächster Redner ist der Kollege Peter Danckert für aber draußen aus? Der Bürger, der diesen Vorgang ja ir-
die SPD-Fraktion. gendwie zur Kenntnis nehmen muss, muss doch den
(Beifall bei Abgeordneten der SPD) Eindruck haben, dass es hier nicht nur einen zeitlichen
Zusammenhang gibt, sondern darüber hinaus auch einen
kausalen Zusammenhang. Das macht diesen Vorgang so
Dr. Peter Danckert (SPD): schwierig.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kolle-
gen! Frau Ministerin, lassen Sie mich zunächst ein per-
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
sönliches Wort sagen. Ich bin sehr froh, dass Sie wieder
in Amt und Würden sind. Es ist nicht so, dass ich mit Ih- Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
rer Vorgängerin, Frau Zypries, nicht zufrieden gewesen Kollegen Lindner?
wäre. Die Umstände, die Sie seinerzeit veranlasst haben,
aus dem Amt auszuscheiden, waren aber schon sehr be- Dr. Peter Danckert (SPD):
merkenswert und haben gezeigt, dass Sie einen hohen Im Moment nicht. Nachher gibt es dafür vielleicht an-
moralischen Anspruch haben, auch an sich selber. Ich dere Gelegenheiten.
hoffe, dass in dieser neuen Regierung dieser hohe An-
(Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Erst nicht zur
(B) spruch erhalten bleibt und Sie nicht etwa über die Jahre Sache reden, dann aber keine Zwischenfrage (D)
leidensfähiger geworden sind. Ich habe an Sie die Hoff-
nung und Erwartung, dass Sie immer Ihre Rolle als Hü- zulassen!)
terin unserer Verfassung im Auge haben und gegebe- Diese Situation hat dem Ansehen unseres Staates
nenfalls wieder so handeln, wie Sie schon einmal und auch von uns allen – da nehme ich keinen aus –
handeln mussten. Ich wiederhole: Das hat damals, jeden- schwer geschadet. Ich glaube, wir werden dieses Ge-
falls bei mir, großen Respekt hervorgerufen. spenst so schnell nicht wieder los, zumal es ja im Zu-
sammenhang mit vielen anderen Ereignissen steht. Ich
Die Thematik, die wir heute Morgen in der Ge-
erinnere mich sehr gut an den Untersuchungsausschuss,
schäftsordnungsdebatte behandelt haben, war eine
dessen Mitglied ich kurz nach meiner Wahl ins Parla-
ganz besondere. Es gibt sicher den einen oder anderen,
ment 1998 wurde. Ich will all das hier nicht ausbreiten.
der sagt: Wir hätten uns das alles sparen können; die
Da sind ja einige sehr peinliche Dinge offenbar gewor-
Mehrheitsverhältnisse waren klar. Ich glaube jedoch, wir
den. Wenn wir heute schon mehr wüssten, als öffentlich
haben uns nicht durch diese Debatte geschadet, sondern
bekannt geworden ist, dann würden wir darüber viel-
durch das, was dieser Debatte vorausgegangen ist.
leicht noch anders reden. Ich persönlich wüsste zum Bei-
Heute ist mehrfach gesagt worden, dass sich auch spiel sehr gerne, wer da mit wem über was geredet hat.
schon die Grünen zur Halbierung des Mehrwertsteuer- Das bekommen wir aber vielleicht bei anderer Gelegen-
satzes bekannt haben. Es ist auf das verwiesen worden, heit heraus. So viel dazu.
was die SPD 1998 gemacht hat. Das ist doch gar nicht Ich möchte jetzt nicht, Frau Ministerin, über jeden
das Thema. Man kann darüber streiten, ob eine Reduzie- einzelnen Punkt reden, der zu Ihrem Ressort in der Ko-
rung der Mehrwertsteuer vom Grundsatz her im Sinne alitionsvereinbarung steht, sondern eher über das, was
der Harmonisierung in Europa sogar sinnvoll sein kann. nicht im Koalitionsvertrag steht.
Ein Punkt ist jedenfalls anders als 1998: Die Haushalts-
lage hat sich grundlegend verändert. Die Frage, die uns Wenn man einmal alle Regelungen zum Kapital-
alle, auch die Öffentlichkeit, bewegt, ist deshalb: Ist das markt zusammenzählt, dann stellt man fest, dass es zwei
eigentlich der richtige Zeitpunkt gewesen? Wir befinden bis drei Dutzend Bestimmungen mit Spezialverwei-
uns in einer Situation, in der allein die Nettokreditauf- sungen gibt, die über viele Gesetze verstreut sind, also
nahme des Bundes rund 86 Milliarden Euro beträgt, bei ein völlig unübersichtliches Gebiet. So hat sogar im
einem Finanzierungssaldo von Bund, Ländern und Kom- Mannesmann-Prozess, jedenfalls nach dem ersten
munen – auch das müssen wir im Auge haben – von Durchgang, das Gericht einen unvermeidbaren Verbots-
144 Milliarden Euro. Das ist ja eine extreme Ausnahme- irrtum konstatiert. Angesichts der Experten, die davon
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 14. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 19. Januar 2010 1215
Dr. Peter Danckert
(A) betroffen waren, kann man sich zwar fragen, wieso es zwei Jahrzehnten – entschädigt worden ist. Dafür habe (C)
für sie unvermeidbar war. Aber das ist eine andere Sa- ich kein Verständnis. Wir können nicht nur Reden halten
che. Wir müssen hier – das ist auch Ihre Aufgabe – für und Entschädigungsfonds für die Opfer fordern, wenn es
Klarheit sorgen, damit nicht der Verdacht entsteht, dass im Einzelfall nicht gelingt, diese Menschen, die schwer
einzelne kleine Täter gnadenlos verfolgt werden, aber in gelitten und Angehörige verloren haben – in diesem Fall
anderen Bereichen der Staat aus unterschiedlichen Grün- drei Geschwister –, für den körperlichen Schmerz und
den nicht einmal in der Lage ist, Ermittlungsverfahren die anhaltenden Verletzungen zu entschädigen. Deshalb
einzuleiten, zum Beispiel weil die Gesetzeslage sehr meine herzliche Bitte: Kümmern Sie sich darum; dann
kompliziert ist oder weil die Beweislage im Einzelfall erweisen Sie unserem Rechtsstaat einen guten Dienst!
kompliziert ist. Wenn wir an dieser Stelle nicht zu einer
stringenten Lösung kommen, dann haben wir versagt; Herzlichen Dank.
dann kritisiert uns auch mit Recht die Öffentlichkeit. (Beifall bei der SPD)
Meine herzliche Bitte an Sie: Versuchen Sie einmal in
Ihrem Hause die Regelungen zu durchforsten. Daraus Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
könnten sich dann ja auch neue Hinweise ergeben. Wir Das Wort zu einer Kurzintervention hat nun der Kol-
haben nicht mehr die gleiche Situation wie vor 50 oder lege Dr. Lindner.
100 Jahren; wir müssen mit unserem Strafgesetzbuch
auch auf neue Sachverhalte reagieren können, selbst
Dr. Martin Lindner (Berlin) (FDP):
wenn sie völlig neue Herausforderungen auch für die
Staatsanwaltschaften und die Gerichte darstellen. Herr Danckert, ich spreche Sie als Berliner Abgeord-
neter an, weil auch Sie aus Berlin stammen. Sie haben
Zum Schluss noch eine Sache, die mir persönlich sehr einen wesentlichen Teil Ihrer Rede darauf verwendet,
am Herzen liegt. Im September dieses Jahres jährt sich die Diskussion, die wir heute Vormittag in der Ge-
zum 30. Mal das Attentat auf das Oktoberfest in Mün- schäftsordnungsdebatte hatten, wieder aufzugreifen. Ich
chen. Ein einzelner Mann, der dabei zu Tode gekommen frage Sie – ich kenne Sie als einen Mann von Verstand –:
ist, gilt als Alleintäter. Es gibt inzwischen reichlich neue Glauben Sie ernsthaft, dass wir, wenn wir diese Spende
Informationen. Ich empfehle Ihnen und auch unserem nicht erhalten hätten, unsere Forderung nach Absenkung
Innenminister, sich diese einmal genau anzusehen. In- der Mehrwertsteuer für Hoteliers und Gastronomie rück-
zwischen gibt es zum Beispiel mehrere Veröffentlichun- gängig gemacht hätten? Glauben Sie, dass wir gesagt
gen, so ein Buch von Tobias von Heymann, mit dem sich hätten: „Der Baron Finck hat uns nicht gespendet, jetzt
auch die Generalbundesanwaltschaft beschäftigt. Hier ändern wir das Wahlprogramm, das wir 2007 aufgestellt
(B) finden sich ernst zu nehmende Hinweise, dass es sich haben“? (D)
nicht um einen Einzeltäter handelte, sondern dass zu- (Christine Lambrecht [SPD]: Zuzutrauen wäre
mindest im Umfeld mehrere andere, die heute noch le- es euch! – Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE
ben, daran mitgewirkt haben. Mord verjährt nicht. Es be- GRÜNEN]: So profan läuft das nicht! Das
steht für uns gegenüber den Opfern die Verpflichtung, stimmt!)
diese Sache wieder aufzugreifen. Ich habe kein Ver-
ständnis dafür, dass bei einer Tat, die nicht verjährt, Das ist doch völlig abwegig; das wissen Sie ganz genau.
durch die Behörden Beweismittel vernichtet werden,
nach dem Motto: Das braucht man nicht wieder aufzu- Ich sage Ihnen: Ausgerechnet als Berliner SPD-Mann
greifen. Ich habe auch kein Verständnis dafür, dass das sind Sie der Allerletzte, der in unsere Richtung solches
LKA Bayern es damals geschafft hat, das BKA und die zu adressieren hat. Schon vor 2001 war Ihre Partei in
Generalbundesanwaltschaft aus dem Fall herauszuhal- Berlin in der Regierung und hat unter anderem die Teil-
ten. Das sind Fakten. privatisierung der Berliner Wasserbetriebe vorangetrie-
ben. Das ist unter Ihrer Regierungsverantwortung
Meine herzliche Bitte: Nehmen Sie dieses traurige Ju- geschehen. Die Berlinwasser Holding, die dann teilpri-
biläum zum Anlass, noch einmal nachdrücklich darauf vatisiert war, hat 2001 im Wahlkampf nichts Besseres
hinzuwirken – das würde vielleicht auch bedeuten, dass gewusst, als ein Fundraising-Dinner zugunsten von
die Generalbundesanwaltschaft zwei, drei oder vier neue Klaus Wowereit und der SPD auszurichten.
Mitarbeiter benötigt; das ist also auch ein haushaltsrecht-
(Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Aha!
licher Hinweis –, dass dieses Geschehen mit den Mög-
Das ist ja allerhand!)
lichkeiten, die wir heute haben, aufgeklärt wird.
Da hat sogar die Staatsanwaltschaft ermittelt, Herr
Ein allerletzter Satz zu den Opfern. Sie haben ja auf Danckert; das wissen Sie ganz genau. Deswegen sind
den Fonds hingewiesen. Der Kollege Krings hat zu Herr Wowereit und Sie als Berliner SPD-Leute die Al-
Recht von rechten und linken Straftaten gesprochen. Da lerletzten, die uns Freien Demokraten irgendetwas zum
bin ich Ihrer Meinung. Aber es ist einfach ein Skandal, Thema Parteispenden oder Ähnliches zu adressieren ha-
dass ein elfjähriger Junge, der damals nur deshalb über- ben. Si tacuisses, philosophus mansisses.
lebt hat, weil sein Bruder vor ihm stand, die meisten
Splitter abgehalten hat und dadurch zu Tode gekommen (Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE
ist, der aber noch heute diverse Splitter im Körper hat, GRÜNEN]: Das war aber ein teures Dinner für
nur marginal und erst in den letzten Jahren – nach über 1,1 Millionen!)
1216 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 14. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 19. Januar 2010
(A) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem (C)
Herr Kollege Danckert, bitte. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Ich kann Ihnen sagen: Den Nachweis, dass dies in die-
Dr. Peter Danckert (SPD): sem Falle zutrifft, haben Sie weder heute Morgen noch
Herr Kollege Lindner, Sie sind ja neu im Parlament. in Ihrer Rede erbracht.
Deshalb möchte ich Ihnen den Hinweis geben, dass ich (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU –
Brandenburger Sozialdemokrat bin Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
(Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Sie kom- Herr Kollege, es gibt auch die Dankesspende!)
men aber aus Berlin!) Hören Sie also auf, Spenden zu skandalisieren!
und den Wahlkreis seit 1998 viermal direkt gewonnen Grundsätzlich zu unterstellen –
habe. Das ist Ihnen vielleicht entgangen, weil ich früher (Zuruf von der LINKEN)
in Berlin Strafverteidiger war. Das ist allerdings richtig.
Da habe ich reichlich Erfahrung. Von den Dimensionen – zu Ihnen komme ich gleich auch noch –,
her – wir haben es eben gehört: Spende in Höhe von (Zuruf von der LINKEN: Darauf freue ich
1,1 Millionen Euro – vermute ich, dass das Fundraising- mich!)
Dinner – ich kenne den Sachverhalt nicht genau – im
Bereich von 5 000 Euro liegt. Soweit ich mich erinnere, Politik sei käuflich, macht die Sache schwierig. Man
ist das Ermittlungsverfahren in diesem Zusammenhang könnte nämlich einmal auflisten, von wem die Grünen
eingestellt worden. Was soll also dieser Hinweis? und auch die SPD Spenden bekommen. Man kann dieses
Thema zwar problematisieren, aber wir sollten auch so
Für die Bemerkung, dass ich bei Verstand bin, be- ehrlich sein, zu sagen: Es ist kein Skandal, solange ein
danke ich mich bei Ihnen. Das ist aber bekannt. Zusammenhang zwischen Spende und Käuflichkeit nicht
nachgewiesen ist. Der Nachweis dieses Zusammenhangs
(Heiterkeit und Beifall bei der SPD)
ist durch Ihre Debattenbeiträge, von heute Morgen ange-
fangen, nicht erbracht worden.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
Nun hat das Wort der Kollege Michael Grosse-
Dr. Peter Danckert [SPD]: Abwarten!)
Brömer für die CDU/CSU-Fraktion.
Wir sollten also ein bisschen vorsichtiger sein. Wir ha-
(Beifall bei der CDU/CSU) ben da in der Tat eine Verantwortung.
(B) (D)
Zu den Linken will ich sagen: Sie haben in der Tat ein
Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU):
besonderes Talent, nämlich das Talent, bestimmte Be-
Frau Präsidentin! Sehr verehrte Ministerin! Liebe griffe in die Debatte einzuführen. Wir wetten immer,
Kolleginnen und Kollegen! Rechtspolitik erfordert nur wann die Wörter Hartz IV, Ausbeutung oder Überwa-
einen kleinen Haushalt; das ist wahr. Aber die Rechts- chung fallen. Man kann schon sagen, dass Sie aufgrund
politik, so glaube ich, hat eine große Bedeutung. Dies Ihrer innerparteilichen Erfahrungen und auch aufgrund
wird auch dadurch deutlich, dass sich der Kollege Ihrer Erfahrungen in der SED mehr zum Thema Über-
Dr. Danckert Mühe gegeben hat, nur ganz spezielle wachung wissen als Mitglieder aller anderen Parteien.
Punkte der Rechtspolitik aufzuzeigen, nämlich Punkte,
die mit Spenden zu tun haben. Am Anfang seiner Rede, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
als er die Ministerin gelobt hat, dachte ich noch, er Geben Sie sich doch einmal Mühe, ein rechtspoliti-
würde Altersweisheit zeigen. sches Konzept zu entwickeln! Führen Sie nicht immer
(Dr. Peter Danckert [SPD]: Dafür hatte ich einen Dauerwahlkampf mit Plattitüden zur Armut wie
auch Grund!) beispielsweise „In Deutschland ist alles ganz fürchter-
lich“ und „Die Leute verhungern hier auf der Straße“.
Wenn wir in der Rechtspolitik anfangen, die Ge- Schauen Sie sich einmal um! Es gibt zwar noch manche
schäftsordnungsdebatte von heute Morgen ansatzweise Aufgabe zu erledigen. Aber es trifft auch zu, dass man-
aufzugreifen, dann ist das erstens der Sache nicht dien- che Nachbarländer froh wären, wenn sie einen Sozial-
lich, weil diese Debatte schon geführt wurde. staat wie den in Deutschland hätten, und das trotz aller
Unzulänglichkeiten unseres Sozialstaates, über die man
(Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE
diskutieren kann. Auch das gehört zur Wahrheit.
GRÜNEN]: Herr Altmaier hat aber gesagt, wir
sollten dies tun!) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Zweitens sollten wir uns Mühe geben, die Forderung der Frau Kollegin Hönlinger, ich will Ihnen sagen, dass
Opposition, der Demokratie nicht zu schaden, zu erfül- ich diesen schwarz-gelben Zauber noch spüre.
len. In diesem Zusammenhang müssen wir einmal fest-
(Zurufe von der SPD: Oh! – Lachen beim
stellen: Spenden sind in einer Demokratie per se nichts
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Schlechtes. Sie sind dann schlecht für eine Demokratie,
wenn mit ihnen gewisse politische Entscheidungen ge- Ich sage dies, damit Sie nicht frustriert nach Hause ge-
kauft werden. hen. Immer wenn wir über Rechtspolitik diskutieren,
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 14. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 19. Januar 2010 1217
Michael Grosse-Brömer
(A) dann gibt es diese zauberhafte Stimmung. Wir streiten – Sie reagieren immer wieder bei diesem Thema. Ken- (C)
uns nicht. Auch wenn Sie dieses Gefühl nicht kennen: Es nen Sie irgendwelche Mietnomaden persönlich, weil Sie
ist so. sich jedes Mal, wenn dieses Wort fällt, melden?
(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Weil es
NEN]: Ein Tagtraum!) keine Zahlen gibt! – Gegenruf des Abg.
Norbert Barthle [CDU/CSU]: Kommen Sie
– Juristen und insbesondere Rechtspolitiker sind viel zu mal in meine Sprechstunde! Ich kann Sie per-
realistisch, als dass sie tagsüber träumen würden. Es ist sönlich bekannt machen!)
einfach dieser schwarz-gelbe Zauber, der uns glücklich
macht. – Es gibt keine Zahlen? Ich habe zu Hause drei Beispiele
von Leuten, die mich angeschrieben haben und ihre Pro-
(Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) bleme aufgelistet haben. Das geht über viele Seiten. Es
ist unerträglich, zu sehen, wie Leute darunter leiden,
Wie lange dieser Zauber anhält, ist natürlich eine
spannende Frage. Jedenfalls haben wir zurzeit ange- (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ja,
sichts der Punkte, deren Abarbeitung wir uns vorgenom- wie viele denn?)
men haben, noch Anlass genug, fröhlich zu sein. Wir dass manche Menschen, kriminell organisiert, Vermieter
haben einen sehr ordentlichen Koalitionsvertrag ge- in einem unerträglichen Maße bewusst belästigen, deren
schlossen. Im Übrigen bekommen wir manchmal von Eigentum zerstören, die Miete nicht zahlen und sich
den Gerichten überraschend neue Aufgaben zugewiesen. dann glücklicherweise irgendwann, möglichst früher als
Die meisten sind schon angesprochen worden. Ich später, vom Acker machen. Aber meistens kennen sie
komme gleich noch kurz darauf zurück. sämtliche Regeln, auch die Verschleppung von Vollstre-
Damit Ihre Forderungen nach mehr Sozialstaatlich- ckungsmaßnahmen, was dann dazu führt, dass es mas-
keit mehr als bisher erfüllt werden, wollen wir eine or- sive Einschränkungen desjenigen gibt, der sein Eigen-
dentliche Wirtschaftspolitik machen. Auch mit Rechts- tum eigentlich nur anderen zur Nutzung zur Verfügung
politik ist man in der Lage, den Wirtschaftsstandort stellt.
Deutschland zu stärken. Dann kann all das bezahlt wer- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
den, was Sie irgendwann fordern werden. Vielleicht lag der FDP)
für den Sozialismus das Problem darin, dass er in dieser
Hinsicht nicht richtig funktioniert hat. Andernfalls wäre Ich verstehe nicht, was man daran zu meckern haben
die DDR vielleicht nicht pleitegegangen. kann, dass man dagegen vorgeht.
(B) Wir geben das Mietrecht natürlich nicht dem sozialen (D)
(Zuruf von der LINKEN: Mir scheint, Sie
Kahlschlag anheim. Das ist völlig abwegig. Das Miet-
haben eben nicht zugehört!)
recht muss sozial und ausgewogen bleiben. Etwas ande-
– Aber Sie haben jetzt die Chance, mir zuzuhören. Mal res ist mit der CDU/CSU nicht zu machen.
sehen, was dann bei Ihnen an Bedeutung gewinnt.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Das Insolvenzrecht – es ist angesprochen worden – Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
und der Schutz des geistigen Eigentums sind neben un- Kollegen Montag?
serer Gerichtsbarkeit eine gute Grundlage für einen star-
ken Wirtschaftsstandort Deutschland. Wir werden weiter
daran arbeiten. Gerade wirtschaftsrechtliche Themen Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU):
sind in einer christlich-liberalen Koalition bestens aufge- Einen Satz wollte ich noch sagen. Dann natürlich
hoben. gerne.
Das Mietrecht ist natürlich besonders geeignet, ir- Jedenfalls muss niemand befürchten – dieses Horror-
gendwelche Ungerechtigkeiten zu schüren, vielleicht szenario wird immer wieder an die Wand gemalt –, dass
auch den Vermieter als Kapitalisten zu brandmarken. jemand, der 30 Jahre in seiner Wohnung und damit in
Wir sollten uns zwischendurch daran erinnern, dass die seinem Kiez wohnt, innerhalb von sechs Wochen heraus-
Mieter keinen Vorteil davon hätten, wenn es keine Ver- geklagt wird. Das wird es nicht geben.
mieter gäbe. Das ist logisch zu ergründen. (Christine Lambrecht [SPD]: Aber nach drei
Monaten!)
(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU)
In diesem Zusammenhang werden natürlich immer völ-
Deswegen ist es vielleicht ganz sinnvoll, zu sagen: Wir lig übertriebene Dinge erwähnt. Dies findet mit der
müssen auch im Mietrecht dahin kommen, dass wir ge- CDU/CSU nicht statt.
wisse Ungerechtigkeiten aufarbeiten. Ich weiß nicht,
was an dem Umstand so schlecht ist, dass man sagt: Das (Gisela Piltz [FDP]: Auch nicht mit uns!)
Mietnomadentum hat sich ausgebreitet. Das ist ein spe- Jetzt der Kollege Montag.
zielles Problem, dessen Intensität zugenommen hat.
(Zuruf der Abg. Halina Wawzyniak [DIE Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
LINKE]) Herr Kollege Montag, bitte.
1218 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 14. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 19. Januar 2010
(A) Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): falsch oder unwahr. Ich sage es noch einmal: Die soziale (C)
Ganz herzlichen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Kol- Ausgewogenheit bleibt bestehen. Darauf werden wir ge-
lege Grosse-Brömer, Sie sind jetzt der Dritte aus der steigerten Wert legen.
Reihe der Rednerinnen und Redner der Koalition, der
uns eine Änderung des sozialen Mietrechts ankündigt Die Sicherungsverwahrung ist als wichtiger Punkt
und die Begründung dafür bei den Mietnomaden sucht. angesprochen worden. Hier besteht die Schwierigkeit,
Ich bestreite überhaupt nicht, dass es solche Fälle gibt. dass wir den Ausnahmecharakter dieser besonderen Si-
Auch ich als Abgeordneter kenne persönlich solche cherungsverwahrung erhalten müssen. Mit diesem Thema
Fälle. Es wäre gut, wenn uns ein schlauer Gedanke dazu müssen wir uns rechtsdogmatisch neu auseinanderset-
einfiele, was man rechtsstaatlich dagegen unternehmen zen. Das ist eine schwierige Aufgabe; das ist gar keine
könnte. Frage. Viele haben sich auch schon daran gewöhnt.
Nur will ich Sie einmal fragen – dies ist ein Punkt in Ich finde, der Schutz der Bevölkerung – nehmen wir
Ihrem Koalitionsvertrag –, ob Sie die Kündigungsfris- zum Beispiel die Situation im Städtchen Heinsberg, wo
ten, die im Augenblick und seit Jahrzehnten aus gutem ein freigelassener Straftäter, der in einer exorbitant bru-
Grund für den Mieter günstiger sind als für den Vermie- talen Art und Weise vorgegangen ist, derzeit polizeilich
ter, verändern und gleichstellen wollen. Was hat diese beobachtet wird – steht im Vordergrund. Dass Menschen
Änderung – dies ist eine faktische Schlechterstellung der in unserem Lande, die darauf angesprochen werden, für
Rechtsposition aller Mieter, auch derjenigen, die keine die gerichtliche Ablehnung einer Sicherungsverwahrung
Mietnomaden sind – mit der Bekämpfung des Miet- kein Verständnis haben, ist für mich sehr einleuchtend.
nomadentums zu tun? Hören Sie endlich auf, sich hinter Deswegen ist es unsere Aufgabe, einen Weg zu finden,
diesem Schreckensbild, das es gibt, zu verstecken, und wie der Schutz der Bevölkerung vor schweren Gewaltta-
geben Sie uns bitte eine wahre und richtige Antwort da- ten von Wiederholungstätern künftig unter Berücksichti-
rauf, warum Sie die Rechte aller Mieter in Deutschland gung der Tatsache erfolgen kann, dass der Ausnahme-
verkürzen wollen! charakter einer Sicherungsverwahrung gewahrt bleiben
muss, insbesondere bei einer nachträglichen Sicherungs-
Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU):
verwahrung, wo neue Tatsachen für die Gefährlichkeit
des Verurteilten vorliegen müssen, damit es rechtlich
Der erste Punkt ist, dass auch meine bisherige Stel- einwandfrei ist. Bei einem Täter, der bereits massiv und
lungnahme natürlich nicht unwahr bzw. falsch gewesen brutal vorgegangen ist, sind kaum noch Aspekte zu nen-
ist. nen, die eine neue Gefährlichkeit begründen.
Zweiter Punkt. Ich kann Ihnen weitere Argumente
(B) nennen. Das Mietnomadentum habe ich angesprochen, Wir wollen angesichts der zunehmenden Anzahl (D)
weil dann immer eine große Aufregung in den Reihen linksextremistischer Gewalttaten in Deutschland auch
der Linken herrscht. Ich kann Ihnen sagen, wie wir die darüber nachdenken, inwieweit wir den § 113 Abs. 2
Rechte der Mieter stärken. Wir wollen nämlich nicht, StGB verbessern können. Das ist keine Frage. Das steht
dass Mieter aufgrund einer Luxussanierung und damit ebenfalls im Koalitionsvertrag. Ich halte das für eine
einhergehender exorbitant steigender Mieten aus ihren sinnvolle Überlegung. Es ist oft so, dass es, wenn man
Räumen sozusagen heraussaniert werden. das Wort Linksextremismus verwendet, ein paar Kolle-
gen auf der linken Seite des Hauses gibt, die die Gewalt
(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- dann nicht so ernst nehmen bzw. – dieses Gefühl habe
NEN]: Ändern Sie das BGB nicht, dann ist al- ich jedenfalls – Verständnis aufbringen. Wir sind der
les okay!) Auffassung, dass Extremismus immer zu verurteilen ist,
egal ob er von rechts oder von links erfolgt, insbeson-
Aber wir werden uns doch darin einig sein, dass man bei dere dann, wenn er mit massiven Gewalttaten gegen Ver-
Verträgen mit zwei Vertragspartnern darüber nachden- treter des Staates vorgeht. Deswegen halten wir Hand-
ken können muss – ohne dass schon entschieden wäre, in lungsbedarf für gegeben.
welchem Maße das erfolgt –, inwieweit beide Vertrags-
parteien die gleichen Ausgangspositionen bekommen. Abschließend will ich darauf hinweisen, dass ich mir
Das ist doch per se nichts Schlechtes. Deswegen ist es wünsche, dass wir in der Lage sind, diese Art der Argu-
natürlich auch eine politische Entscheidung. mentation, die wir im Rechtsausschuss pflegen, nämlich
(Zuruf: Das hat doch nichts mit Mietnomaden- vorrangig intellektuell und in wenig aufgeregtem Ton,
tum zu tun! – Christine Lambrecht [SPD]: Sie beizubehalten. Es ist besser, wenn wir unsere Themen
sind doch nicht auf Augenhöhe!) sachlich und weniger ideologisch abarbeiten. Ich glaube,
die Rechtspolitiker sind aufgrund ihrer Ausbildung ganz
– Natürlich hat das nichts mit Mietnomadentum zu tun. besonders für diese Art der Auseinandersetzung geeig-
net. Ich wünsche mir, dass wir Unterstellungen weglas-
Nur zum besseren Verständnis: Nein, Kündigungsfris- sen und die Art der gemeinsamen Bearbeitung notwendi-
ten haben nichts mit Mietnomadentum zu tun, Luxussa- ger rechtspolitischer Themen weiterhin pflegen können.
nierungen auch nicht. Wir haben all diese Punkte im Ko-
alitionsvertrag festgehalten, und noch erlaube ich mir, In diesem Sinne freue ich mich auf die Zusammenar-
selbstständig darüber nachzudenken, welchen Punkt ich beit und danke für die Aufmerksamkeit.
an dieser Stelle erwähne. Ich bin für jede Anregung
dankbar, aber das, was ich sage, wird dadurch nicht (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 14. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 19. Januar 2010 1219
(A) Vizepräsidentin Petra Pau: chen? Dann kann ich Ihnen einmal erklären, wie so etwas (C)
Das Wort hat der Kollege Raju Sharma für die Frak- vor sich geht. Wenn man sich beim Rechnungshof einen
tion Die Linke. Haushaltsplan anschaut, überlegt man zunächst, wo die
relevanten Themen sind, die nichts mit Erbsenzählerei zu
(Beifall bei der LINKEN) tun haben, welche Themen wichtig und haushaltspoli-
tisch bzw. von der Wirtschaftlichkeit her relevant sind.
Raju Sharma (DIE LINKE): Dann klammert man die Themen aus, die politisch rele-
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In der vant sind, bei denen die politischen Schwerpunkte ge-
Generaldebatte heute Vormittag hat der Kollege Poß er- setzt werden. Das ist nämlich nicht die Sache der Rech-
zählt, wie er 1982 zusammen mit Wolfgang Schäuble im nungshöfe.
Untersuchungsausschuss des Bundestages diesen oder
Da ich jetzt Abgeordneter einer Oppositionsfraktion
jenen Strauß ausgefochten hat. Ich fand das beeindru-
bin, habe ich mir gedacht: Schaue ich mir den Haushalt
ckend, weil mir einfiel, dass das nicht die erste Wahlpe-
doch einmal genau andersherum an und achte auf politi-
riode von Wolfgang Schäuble war. Das war 1982. Ich
sche Schwerpunkte. Ich lese und lese und lese und stelle
habe mir vorgestellt: Nach über 30 Jahren im Bundestag
nach 81 Seiten fest: Da sind keine politischen Schwer-
weiß man, wie es geht, hier im Raumschiff Berlin. Aber
punkte. Diese Koalition setzt keine politischen Schwer-
man weiß natürlich nicht mehr, wie es draußen bei den
punkte in der Rechtspolitik.
Bürgern aussieht; denn die hat man über 30 Jahre nicht
mehr wirklich gesehen. Das finde ich schon bezeich- (Beifall bei der LINKEN)
nend.
Das ist aber nicht nur schlimm; denn abgesehen von
(Norbert Barthle [CDU/CSU]: Was ist das für dem Stuss, den ich von Abgeordneten aus Ihren Reihen
eine Vorstellung von Parlamentarismus, die heute hören musste, steht in dem Haushaltsentwurf we-
Sie haben?) nigstens auch nichts über das, was man seit einigen Jah-
ren von Vertretern der schwarz-gelben Koalitionen in
– Ich habe in der Tat eine Vorstellung von Parlamentaris-
Niedersachsen und Baden-Württemberg immer wieder
mus, die aber nicht so aussieht, dass man als junger
hört, wenn es um Rechtspolitik geht. Dort wird in einer
Mensch in den Bundestag eintritt und mit der Pensionie-
Art und Weise privatisiert, dass Sie sich nicht darüber
rung irgendwann mit 75 Jahren ausscheidet.
wundern dürfen, dass wir beklagen – das tun wir auch,
(Beifall bei der LINKEN – Otto Fricke [FDP]: um Ihnen eine Freude zu machen –, dass der Neolibera-
Ein Abgeordneter wird nicht pensioniert! Das lismus nun auch in der Rechtspolitik Einzug hält. Da ist
ist eine komische Vorstellung!) von Privatisierung im Bereich der Gerichtsvollzieher
(B) und im Bereich der Bewährungs- und Gerichtshilfe die (D)
– Wenn Sie sich nun genug aufgeregt haben, würde ich Rede. Die Sozialen Dienste und Teile von Haftanstalten
meine Ausführungen gerne fortsetzen. sollen privatisiert werden.
(Otto Fricke [FDP]: Nein!) Da ich mich beim Rechnungshof viele Jahre lang in-
– Sie können sich gerne noch weiter aufregen. Es wird tensiv mit diesem Thema beschäftigen durfte – das gilt
nicht sinnvoller, was Sie sagen. Es war auch nicht sinn- auch für viele andere bei den Rechnungshöfen –, weiß
voll, was Sie vorhin gesagt haben. ich, dass es Hunderte Vorschläge gibt, wie man die Auf-
gabenwahrnehmung in diesem Bereich effizienter ge-
(Otto Fricke [FDP]: Da habe ich zwar noch stalten kann, wie man Aufgaben anders organisieren
nichts gesagt, aber egal! – Norbert Barthle kann. Aber so ein Stuss war nie dabei. Wenn es bei Ihren
[CDU/CSU]: Sie haben sich von den Bürgern Kollegen Landesministern in den schwarz-gelben Koali-
entfernt! – Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: tionen in Niedersachsen und Baden-Württemberg einmal
War es das jetzt?) so etwas wie geistiges Eigentum gab, dann hat der
Wenn Ihre Vertreter die Bürger so lange nicht mehr gese- Schutz da wirklich versagt. Das ist rechtspolitisch dum-
hen haben, darf man sich nicht darüber wundern, dass sie mes Zeug.
eine Politik machen, die eigentlich aus der Mitte des (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)
letzten Jahrhunderts kommt.
Frau Ministerin, Sie haben in den letzten Jahren dan-
(Norbert Barthle [CDU/CSU]: Wie lange ist kenswerterweise von solchen Privatisierungsüberlegun-
Lafontaine dabei?) gen Abstand genommen. Ich fände es wirklich gut, wenn
Ich habe die Freude und das Vergnügen, ein berufli- Sie die Gelegenheit nutzen würden, mit Ihren Kollegin-
ches Leben vor der Politik gehabt zu haben. Ich war nen und Kollegen zu reden und sie darauf hinzuweisen,
beim Landesrechnungshof in Schleswig-Holstein be- dass das weder haushaltspolitisch noch rechtspolitisch
schäftigt. Sinn macht und mit der freiheitlich-demokratischen
Grundordnung nicht zu vereinbaren ist, die man in ei-
(Otto Fricke [FDP]: Ach, daher die Pensionie- nem Rechtsstaat schützen sollte. Das fände ich sehr gut.
rung! Jetzt ist es klar! – Dr. Günter Krings
[CDU/CSU]: Die freuen sich jetzt!) Wenn Sie dann ohnehin mit Ihren Kollegen auf Län-
derebene im Gespräch sind, können Sie vielleicht die po-
Dort durfte ich mich auch mit dem Justizhaushalt befas- sitiven Ansätze aufgreifen, über die auf Landesebene
sen. Wollen wir jetzt einmal über den Justizhaushalt spre- ebenfalls diskutiert wird, allerdings von Ministern ande-
1220 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 14. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 19. Januar 2010
Raju Sharma
(A) rer Koalitionen. Die Landesjustizminister von den Grü- letzten 60 Jahre, die nicht nur Deutschland, sondern (C)
nen und der Linken diskutieren oft darüber, wie man die mittlerweile die gesamte Industriewelt in ihren Bann ge-
Unabhängigkeit der Justiz stärken kann. Zum Beispiel zogen hat –, sondern auch auf gesellschaftliche Debat-
wird angeführt, dass das möglich ist, indem Haushalts- ten, die in Deutschland geführt werden, Antworten ge-
verhandlungen – deswegen sind wir heute hier – nicht ben: Was hält unsere deutsche Gesellschaft zusammen?
von der Exekutive mit der Legislative geführt werden, Welche gemeinsamen Werte und Grundvorstellungen
sondern indem man der Judikative das Recht einräumt, verbinden die deutsche Gesellschaft?
ihr Budget selbst zu definieren und mit der Legislative,
Unabhängig davon, welcher politischen Couleur man
dem Haushaltsgesetzgeber, auszuhandeln. So müsste das
anhängt und welche politische Auffassung man vertritt,
sein; denn auch die Ressourcen der Justiz gehören dazu,
sollte und muss in diesem Haus eines Konsens sein: Die
wenn es darum geht, die Unabhängigkeit der Justiz zu
Rechtstaatlichkeit ist ein unheimlich hohes und wertvol-
stärken und das zu verwirklichen, was wir uns unter Ge-
les Gut; es muss unser aller Bestreben sein, dieses hohe
waltenteilung vorstellen.
Gut weiterhin gut zu pflegen und gedeihen zu lassen.
(Beifall bei der LINKEN)
Die Justiz steht in einem enormen Spannungsfeld. Die
Wenn Sie mit Ihren Länderkollegen darüber reden, Erwartungen an die Justiz sind außerordentlich hoch. Ei-
was gemacht werden kann, um in der Rechtspolitik et- nerseits soll die Justiz modern, funktionsfähig und
was zum Positiven zu verändern, dann sollten Sie auch schlank sein sowie zügig arbeiten; andererseits muss es
darüber reden, wie man den Einfluss der Bürgerinnen Kern jeden Rechtsstaates sein – das muss in verfahrens-
und Bürger durch direktdemokratische Instrumente stär- rechtlicher Hinsicht klar sein –, dass jeder Einzelne un-
ken kann. In den Ländern wurden bereits Erfahrungen abhängig davon, woher er kommt, welches Alter er hat,
mit Volksbegehren und Volksinitiativen gemacht. Es welchen Beruf er ausübt, seine individuellen Rechte und
gibt Modelle, die man gut auf die Bundesebene übertra- Ansprüche geltend machen kann.
gen kann. Auf jeden Fall werden wir entsprechende Ini-
Ich möchte auf einige konkrete rechtspolitische An-
tiativen in den Bundestag einbringen. Ich würde mich
liegen der christlich-liberalen Koalition eingehen. Das
freuen, wenn die Koalition diesen Initiativen gegenüber
Thema Sicherungsverwahrung wurde schon genannt.
aufgeschlossen wäre, sie prüfen, begleiten und gegebe-
Meines Erachtens gibt es bei der Sicherungsverwahrung
nenfalls unterstützen würde.
offenkundige Regelungslücken. In meinem Wahlkreis
Vielen Dank. liegt die Stadt Töging, ein sehr beschaulicher und netter
Ort. Im August letzten Jahres hat sich in Töging ein
(Beifall bei der LINKEN – Dr. Günter Krings schrecklicher Vorfall ereignet: Ein mehrmals rechtskräf-
(B) [CDU/CSU]: Der Landesrechnungshof muss tig verurteilter Sexualstraftäter hat einem 16-jährigen (D)
froh sein!) Mädchen aufgelauert, es geschlagen, vergewaltigt und
beinahe ermordet.
Vizepräsidentin Petra Pau:
Ich glaube, dieser Fall macht klar – das möchte ich in
Für die Unionsfraktion spricht nun der Kollege
aller Deutlichkeit festhalten –: Auch wenn die Siche-
Stephan Mayer.
rungsverwahrung immer die Ultima Ratio sein muss,
gibt es einen berechtigten Anspruch der Bevölkerung auf
Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU): Schutz vor derartigen hochkriminellen Gewaltverbre-
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolle- chern.
ginnen! Sehr geehrte Kollegen! Rechtspolitik hat trotz
des relativ geringen Haushaltsvolumens nicht nur eine (Beifall bei der CDU/CSU)
sehr hohe Bedeutung; darauf haben bisher alle Redner Deswegen müssen wir in der christlich-liberalen Koali-
hingewiesen. Die Rechtspolitik kann oder soll auch tion die Regelungslücken schließen. Das ist angesichts
„zauberhaft“ sein; darauf haben einige Redner hingewie- der letzten Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs
sen. Rechtspolitik muss meines Erachtens aber vor allem für Menschenrechte und der Rechtsprechung des Bun-
ein Kriterium erfüllen: Politik sollte generell verlässlich desgerichtshofes nicht leicht; aber – ich sage das ganz
und zurechenbar sein, und dies trifft insbesondere auf offen – wir sind es den Bürgerinnen und Bürgern in
die Rechtspolitik zu. Deutschland schuldig. Wir müssen insbesondere darauf
Daher ist die Rechtspolitik in meinen Augen gut bera- hinwirken, dass die Anordnungsvoraussetzungen für Si-
ten, niemals in Aktionismus zu verfallen und insbeson- cherungsverwahrungen harmonisiert werden.
dere keine abrupten 180-Grad-Drehungen zu vollziehen. Wir sollten uns auch in dieser Legislaturperiode wie-
Ich möchte Ihnen eines versichern: Die christlich-libe- der des Themas der Jugendkriminalität annehmen. Es
rale Koalition wird eine wohl durchdachte, kluge und ist nicht so, dass es einen Rückgang der Gewaltkrimina-
vernünftige Rechtspolitik betreiben. lität unter Jugendlichen und Heranwachsenden gibt.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wenngleich ich selbstverständlich der Auffassung bin,
dass gerade bei der Bekämpfung der Jugendkriminalität
Eines ist aber auch klar: Rechtspolitik kann nicht im der Prävention sehr große Bedeutung beigemessen wer-
Reinstraum betrieben werden. Sie muss nicht nur sensi- den muss, bin ich dennoch auch der Auffassung, dass die
bel auf aktuelle Ereignisse reagieren – zum Beispiel auf Sühnefunktion im Jugendstrafrecht nicht außer Acht ge-
die schwerwiegendste Wirtschafts- und Finanzkrise der lassen werden darf.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 14. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 19. Januar 2010 1221
Stephan Mayer (Altötting)
(A) (Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: und Finanzkrise in Deutschland hat. Diese werden auch (C)
Das hat mit Sühne nichts zu tun!) das Zivilrecht nicht unbeschadet lassen. Ich denke da
insbesondere an den wichtigen Bereich des Insolvenz-
Das Thema Warnschussarrest ist schon genannt worden. rechts. Es gibt im aktuellen Insolvenzrecht Defizite, die
Ich glaube, es ist sinnvoll, einem 15- oder 16-jährigen beseitigt werden müssen. Das Insolvenzplanverfahren
Jugendlichen, der auf die schiefe Bahn zu geraten droht, soll gestärkt und verbessert werden. Ich sage an dieser
die – in Anführungsstrichen – Folterwerkzeuge des Staa- Stelle eines ganz deutlich: Es muss zu jedem Zeitpunkt
tes vor Augen zu führen, um ihn vielleicht noch gerade unser aller Bestreben sein, zunächst einmal alles dafür
rechtzeitig davon abzuhalten, auf die schiefe Bahn zu zu tun, um ein sanierungsfähiges Unternehmen zu retten
geraten. und damit auch die Arbeitsplätze in diesem Unterneh-
(Christine Lambrecht [SPD]: Da sagen aber men zu retten und zu sichern. Ich sage ganz offen: Das
alle Experten etwas anderes!) jetzige Insolvenzrecht weist da durchaus gewisse Rege-
lungslücken auf. Dieser Regelungslücken werden wir
Wir mussten leider Gottes die Entwicklung zur uns annehmen.
Kenntnis nehmen, dass in manchen Situationen nicht
mehr so respektvoll mit den Vertretern des Staates umge- Sie können sicher sein, dass die Rechtspolitik in den
gangen wird, wie dies in der Vergangenheit der Fall war. kommenden vier Jahren in der christlich-liberalen Koali-
Es ist meines Erachtens schon erschreckend, dass die tion in besten Händen ist. Ich freue mich auf eine kon-
Zahl der tätlichen Übergriffe aus dem linksextremisti- struktive und einvernehmliche Zusammenarbeit mit
schen Milieu auf Polizeibeamte allein zwischen 2007 möglichst allen hier in diesem Hause.
und 2008 um sage und schreibe 48 Prozent zugenommen Herzlichen Dank.
hat. Es ist wichtig, klarzumachen, dass es keinen Unter-
schied macht, ob man einen Nichtbeamten, einen Poli- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
zeibeamten, einen Rettungssanitäter, einen THW-Helfer neten der FDP)
oder einen Feuerwehrmann tätlich angreift. Deswegen
muss es unser Bestreben sein, den Strafrahmen hinsicht- Vizepräsidentin Petra Pau:
lich tätlicher Angriffe auf Polizeibeamte, Rettungssani- Das Wort hat der Kollege Olaf Scholz für die SPD-
täter und andere, die Dienst am Nächsten leisten und Fraktion.
Menschen in Not helfen, von zwei Jahren auf fünf Jahre
zu erweitern. (Beifall bei der SPD)
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Olaf Scholz (SPD):
(B) (D)
Rechtspolitik ist natürlich auch immer Gesellschafts- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
politik. In diesem Zusammenhang spielt insbesondere Frau Ministerin, am Ende einer Debatte lohnt es sich
das Zivilrecht eine exponierte Rolle. nicht, alle Dinge, die angesprochen worden sind, noch
einmal aufzuwärmen und noch etwas dazu zu sagen. Ich
Auf das Mietrecht ist schon eingegangen worden. Ich will deshalb nur ein paar Punkte herausgreifen, die mir
möchte jetzt nicht mehr im Detail auf das Problem des wichtig sind.
Mietnomadentums eingehen. Das gibt es; das ist keine
Frage. Es gibt aber auch andere Aspekte, die meines Er- Eines jedenfalls ist bisher nicht gut gelaufen, das ist
achtens bei dem zunächst durchaus wohl austarierten so- die Debatte über die vorgesehene Reform des Miet-
zialen Mietrecht zu beachten sind. Ich meine zum Bei- rechts. Aus all den Äußerungen der Koalition zu diesem
spiel energetische Sanierungsmaßnahmen. Es ist Thema – nicht nur denen von heute – hört man vor allem
unser aller Bestreben, mehr dafür zu tun, um Gebäude ein furchtbar schlechtes Gewissen heraus.
nicht nur im öffentlichen Bereich, sondern insbesondere
auch im privaten Bereich besser energetisch auszustatten (Gisela Piltz [FDP]: Was?)
und energetisch zu sichern. Sie reden nie über die Dinge, die Ihnen vorgehalten wer-
den, sondern Sie weichen immer aus.
(Zuruf des Abg. Wolfgang Wieland
[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Genau!)
Es muss ein gemeinsamer Ansatz sein, einen Anreiz für
die Eigentümer von Mietwohnungen zu schaffen, diese Wenn wir fragen, warum Sie das Kündigungsrecht für
energetischen Sanierungsmaßnahmen durchzuführen. die Mieter verschlechtern wollen, dann reden Sie über
Bisher ist es leider Gottes so, dass der Vermieter keinen Mietnomaden. Gegen Mietnomaden haben alle etwas.
Nutzen davon hat, sondern allein der Mieter. Deswegen Dagegen muss man auch etwas tun. Dazu muss einem
ist es richtig, dass hier Maßnahmen dafür getroffen wer- etwas Kluges einfallen; das ist nicht so einfach. Aber
den – da gibt es ganz intelligente Ideen und Vorstellun- warum sollen Millionen von Mieterinnen und Mietern in
gen –, dass beide, Vermieter und Mieter, gleichermaßen der Bundesrepublik Deutschland darunter leiden, dass
davon profitieren, wenn energetische Sanierungsmaß- Sie gegen die Mietnomaden vorgehen wollen?
nahmen durchgeführt werden.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
Ich habe schon erwähnt, dass wir sensibel reflektieren DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der
müssen, welche Auswirkungen die aktuelle Wirtschafts- LINKEN)
1222 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 14. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 19. Januar 2010
Olaf Scholz
(A) Das ist nicht einsehbar, zumal die Vorschläge, die Sie in dem Internetsperrengesetz, das im Deutschen Bundestag (C)
Bezug auf die vielen Millionen übrigen Mieter haben, beschlossen worden ist, hat.
mit denen gar nichts zu tun haben.
(Gisela Piltz [FDP]: Wer hat das denn mitbe-
Sie haben auch noch nie wirklich begründet, warum schlossen? – Dr. Günter Krings [CDU/CSU]:
Sie eine Verschlechterung der Mieterrechte durchsetzen Wie ist denn Ihre Auffassung dazu?)
wollen. Sie haben immer wieder abstrakt geredet. Zum
– Ich komme gleich dazu. Sie hören meine Auffassung
Beispiel mussten wir jetzt eben hören, gleiche Fristen für
noch. Ich will sie Ihnen gerne sagen. Ich rede hier, damit
Vermieter und Mieter seien doch eine schöne Sache.
ich sie Ihnen klar sagen kann. – Ich jedenfalls finde, es
(Gisela Piltz [FDP]: Nein, das wurde nicht ist ein für die Verfassungsordnung unseres Landes uner-
gesagt!) träglicher Zustand, dass in einer Koalitionsvereinbarung
steht, man wolle ein Gesetz nicht anwenden.
– Das ist eine Äußerung, die eben in dieser Debatte ge-
fallen ist. – Darüber müsste man nachdenken. Ich sage: (Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Es gab auch
Darüber muss man gar nicht nachdenken, und wenn man einmal Gesetze von Ihnen!)
darüber nachdenkt, dann muss man zu dem Ergebnis Im Übrigen finde ich, dass es für die Verfassungsord-
kommen, dass die Fristen so bleiben müssen, wie sie nung unseres Landes auch ein unerträglicher Zustand ist,
sind. wenn vorgeschlagen wird, der Bundespräsident möge
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ ein Gesetz, für das man nicht mehr so große Begeiste-
DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der rung verspürt, nicht unterzeichnen.
LINKEN) (Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Wer hat das
Es ist für einen Mieter nicht zumutbar, sehr lange an denn vorgeschlagen?)
eine Wohnung gebunden zu sein. Wenn man zum Bei- Das sind die beiden Haltungen, die diese Regierung zum
spiel den Wohnort wechseln muss oder es zu sonstigen Ausdruck bringt, und die sind nicht in Ordnung.
Veränderungen kommt, wäre das für die meisten Men-
schen wirtschaftlich nicht darstellbar. Darum ist unter Ich will ausdrücklich sagen: Wir glauben, dass es
Berücksichtigung der unterschiedlichen Schutzinteres- nicht richtig war, dieses Gesetz hier im Bundestag zu be-
sen von Gesetzes wegen zu Recht eine unterschiedliche schließen. Wir fordern deshalb seine Aufhebung. Von
Kündigungsfrist für Mieter und Vermieter vorgesehen. der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion wird ein
Wenn Sie das ändern, dann nehmen Sie Millionen Men- Gesetzentwurf zur Aufhebung dieses Gesetzes einge-
schen ihre Rechte. Dafür gibt es keinen Grund. Das bracht. Ich kann mir nämlich nicht vorstellen, dass es
(B) schlechte Gewissen, mit dem Sie über andere Themen sinnvoll wäre, die heutige Hängepartie fortzusetzen. (D)
reden, zeigt: Es gibt ihn wirklich nicht. (Beifall bei der SPD – Florian Toncar [FDP]:
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Das ist ja wirklich sehr konsequent!)
DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der – Das ist sehr konsequent – in der Tat – und ein bisschen
LINKEN) ehrlicher als das, was in der Koalition passiert: dass man
Wir werden im Deutschen Bundestag viel über das sich erstens nicht einigen kann, dass man das zweitens
Internet diskutieren. Ich hoffe, dass das kluge, sachkun- nicht sagen will und dass man drittens den Bundespräsi-
dige Diskussionen werden, sowohl im Plenum als auch denten in eine Rolle drängt, die in unserer Verfassungs-
in der geplanten Enquete-Kommission. In manch einer ordnung nicht vorgesehen ist, nämlich eine politische
Debatte hat man das Gefühl – an dieser Stelle will ich Meinungsänderung der Koalition irgendwie herauszube-
niemanden einschließen oder ausschließen; das gilt, wie kommen und daraus einen Schluss zu ziehen.
ich glaube, quer durch die Bank bzw. die Bänke –, dass (Beifall bei der SPD – Gisela Piltz [FDP]: Fin-
der eine oder andere schon gehört hat, dass es so etwas den Sie es konsequent, etwas zu verabschieden
wie ein Internet geben soll. und sich dann nicht daran zu halten?)
(Vereinzelt Heiterkeit) Ich will darum bitten, dass wir uns in der Diskussion
Das ist natürlich nicht das Niveau, auf dem wir unsere über das Internet und seine Konsequenzen für unsere
Debatten zu führen haben. Wir müssen uns bis zu den Gesellschaft offen dazu bekennen, dass es auch Entwick-
aktuellen Diskussionen vorarbeiten. lungen gibt, die wir noch nicht abschätzen oder vorher-
sehen können. Daher sollten wir keine großen Bekennt-
Das bedeutet aus meiner Sicht, sich dazu zu beken- nisse abgeben.
nen, dass man in diese Themen hineinwächst, dass man
in der politischen Diskussion über diese Fragen auch Weil sehr viel über die Sicherheit im Internet und
Fehler gemacht hat oder vielleicht noch machen wird. Missbrauchsmöglichkeiten diskutiert wird, will ich aus-
Auf jeden Fall muss eine lebendige, offene Diskussion drücklich das Urheberrecht erwähnen. Hier ist, wie ich
über die damit verbundenen Probleme stattfinden. finde, noch nicht alles zu Ende gedacht. Dass wir mit der
guten und begründeten Tradition des Urheberrechts in
Insofern finde ich es sehr problematisch, dass wir in der Bundesrepublik Deutschland – gerade in unserem
der bisherigen Debatte nichts dazu gehört haben, dass Land hat das Urheberrecht auch eine Tradition philoso-
die Bundesregierung eine etwas verdruckste Haltung zu phischer Art – wirklich alle Fragen, die sich heute neu
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 14. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 19. Januar 2010 1223
Olaf Scholz
(A) stellen, beantworten können, wage ich zu bezweifeln. Zweitens: Berichtspflichten ziehen Bürokratiekosten (C)
Wir sollten uns zutrauen, eine neue Debatte über urhe- nach sich. Aber sollten wir nicht noch eine zusätzliche
berrechtliche Fragen zu führen, die möglicherweise et- Berichtspflicht vorsehen, nämlich dass in den Vorblät-
was mehr Nutzungsmöglichkeiten ohne Leistungsrechts- tern der Gesetzentwürfe aufgeführt wird, welche der Re-
verletzungen zur Folge hat, als es heute der Fall ist. gierungsparteien im Zusammenhang mit dem Gesetzent-
wurf Spenden bekommen hat? Auch das wäre hilfreich.
(Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: So ist das
richtig! Zumindest müssen wir auch ohne den (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
Willen des Architekten hier die Sessel heraus- der LINKEN – Michael Grosse-Brömer
tragen dürfen!) [CDU/CSU]: Wie soll das denn gehen? Völli-
ger Unsinn!)
Das wäre, jedenfalls aus meiner Sicht, eine vernünftige
Debatte, auf die man sich einlassen kann. Ich bitte da-
rum, dass wir dies gemeinsam tun und uns nicht davor Vizepräsidentin Petra Pau:
drücken. Das Wort hat der Kollege Alexander Funk für die
Unionsfraktion.
(Beifall bei der SPD)
Lassen Sie mich zum Schluss ein Thema ansprechen, Alexander Funk (CDU/CSU):
das bisher nur selten erörtert worden ist – ich finde aber, Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
dass das Parlament und die Regierung, das Parlament und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kol-
begleitend, hier vorankommen sollten –: die Frage der lege Scholz, Sie haben die Internetsperre angespro-
Abgeordnetenbestechung. Deutschland hat internatio- chen. Ich bin neu in diesem Haus; aber wenn ich richtig
nale Verträge und internationale Vereinbarungen hierzu- informiert bin, hat der Bundespräsident dieses Gesetz
lande nicht wirksam werden lassen, weil wir an dieser nicht unterschrieben, weil er Bedenken gegen dieses Ge-
Stelle bei der Gesetzgebung keinen Fortschritt zustande setz hat, nicht etwa, weil die Bundesregierung irgend-
bekommen haben. Ich finde, es ist notwendig, dass wir welche Anweisungen gegeben hätte.
uns einen Ruck geben, eine Gesetzgebung zur Abgeord-
netenbestechung in der Bundesrepublik Deutschland auf (Dr. Peter Danckert [SPD]: Anweisungen?
den Weg bringen und das schlechte Gewissen bei diesem Das wäre ja noch schöner!)
Thema ablegen.
Sie haben die Parteispenden und die Bestechung von
(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Jerzy Abgeordneten angesprochen. Bis zu welcher Höhe
(B) Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dazu Parteispenden Ihrer Meinung nach erlaubt sein sollen, (D)
haben wir doch längst einen Vorschlag ge- haben Sie nicht gesagt. Wenn man über diese Fragen dis-
macht, Herr Kollege!) kutiert, sollte man über die wirtschaftliche Tätigkeit von
Parteien insgesamt einmal nachdenken.
Es sind auch Vorschläge diskutiert worden, die funktio-
niert hätten, für die es aber bisher keine Mehrheit gege- (Otto Fricke [FDP]: Sehr wahr!)
ben hat.
Wir diskutieren heute in erster Lesung über den
(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Einzelplan 07. Mir ist bewusst, dass der Etat des Bun-
Auch jetzt gibt es keine Mehrheit!) desministeriums der Justiz wegen seines Volumens von
weniger als 500 Millionen Euro im Schatten anderer
Vor dem Hintergrund dieser ungelösten Frage ist das, Haushalte steht. Außerdem rührt er kaum an Emotionen:
was wir gegenwärtig in Bezug auf Gesetzgebung und die Es geht hier weder um Hartz IV noch um die Mittel für
Finanzierung von Parteien aus Klientelinteressen mitbe- den Afghanistan-Einsatz.
kommen, sehr problematisch. Natürlich hilft es nicht,
darauf zu verweisen, dass es Spenden von Personen und Dennoch handelt es sich beim Einzelplan 07 nach
Unternehmen an Parteien schon immer gab. Wenn es ei- meiner Überzeugung um einen der wichtigsten. Wir sind
nen Zusammenhang gibt zwischen einer Gesetzgebung, stolz darauf, in einem Rechtsstaat zu leben. In der alten
die niemand in diesem Lande versteht und die ganz of- Bundesrepublik tun wir das seit 60 Jahren; im Beitritts-
fensichtlich Klientelismus ist, und hohen Parteispenden, gebiet ist mit der Wiedervereinigung vor 20 Jahren
muss das auffallen und dazu führen, dass man sagt: Wir Recht an die Stelle von Unrecht getreten.
brauchen gesetzgeberischen Fortschritt bei der Ahndung
der Bestechung von Abgeordneten, aber auch in der (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie
Frage der Parteienfinanzierung. der Abg. Mechthild Dyckmans [FDP])
Ich will zwei konkrete Punkte nennen. Erstens: Sollte Eine Gesellschaft wird ganz wesentlich geprägt von
man nicht über eine Höchstgrenze für die Spenden von der Rechtssicherheit für den Einzelnen, vom Rechtsfrie-
Unternehmen an Parteien diskutieren? Das halte ich für den. Dass beides in unserem Land gegeben ist, ist zu-
eine richtige Position; denn so wie bisher kann es nicht allererst auf die Arbeit des Bundesministeriums der Jus-
weitergehen. tiz und – diese Ergänzung füge ich ein – auf die Arbeit
des Bundesverfassungsgerichtes zurückzuführen. Das
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Volumen des Haushalts des Bundesministeriums der Jus-
LINKEN) tiz steht in keinem Verhältnis zu seiner Wichtigkeit.
1224 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 14. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 19. Januar 2010
Alexander Funk
(A) Noch etwas ist im Zusammenhang mit diesem Etat den Familien, in der Krippe und im Kindergarten be- (C)
hervorzuheben: Das Bundesministerium der Justiz finan- ginnt und sich über die Schule fortsetzt.
ziert sich, zumindest fiktiv, weitgehend selbst. Ausgaben
von 495 Millionen Euro stehen Einnahmen von Der Staat kann aber auch hier Akzente setzen, so wie
409 Millionen Euro gegenüber, die zu einem großen Teil wir es mit der Unterstützung des Deutschen Forums für
aus den Erlösen von Gebühren, die das Deutsche Patent- Kriminalprävention tun wollen. Im Etatentwurf findet
und Markenamt erhebt, stammen. Trotz dieses bemer- sich ein Posten, der relativ klein ist, aber als Signal ver-
kenswerten Kosten-Nutzen-Verhältnisses werden die standen werden sollte. Allerdings erwarte ich von dem
Ausgaben des Bundesministeriums der Justiz mit dem Forum in Zukunft stärkere Impulse als in der Vergangen-
Haushalt 2010 um 1,1 Prozent sinken, die Einnahmen heit. Eine Tagung und eine Broschüre pro Jahr reichen
dagegen um 6,3 Prozent steigen. Den Fachleuten des sicherlich nicht aus, dieser wichtigen Aufgabe gerecht
Ministeriums gebührt unser aller Dank für die Vorlage zu werden. Das Forum muss sich als Ideengeber und als
eines solchen Haushaltsentwurfes. Netzwerk verstehen und die Präventionsarbeit vor Ort
unterstützen.
Bekanntermaßen verlässt kein Gesetz den Bundestag
Lassen Sie mich noch einige Worte zum Etatentwurf
so, wie es dem Hohen Haus als Entwurf vorgelegt
für das Bundesverfassungsgericht sagen, das der Op-
wurde. Ich nehme an, das wird auch für diesen Etat-
position besonders am Herzen liegen müsste, da sie es
entwurf gelten, zumal die Berichterstattergespräche noch
besonders gern und häufig in Anspruch nimmt. Ich erin-
anstehen. Veränderungen – das will ich bereits
nere daran, dass es sich beim Bundesverfassungsgericht
anmerken – kann es ohnehin nur in Marginalien geben;
nach dem Grundgesetz um ein Verfassungsorgan han-
denn beim Einzelplan 07 handelt es sich um einen klassi-
delt. Es sollte also unsere entsprechende Aufmerksam-
schen Verwaltungshaushalt, bei dem 78 Prozent der Aus-
keit finden, auch die finanzielle.
gaben von vornherein festgelegt sind. Der Spielraum in
den anstehenden Beratungen ist also nur minimal. Erfreulicherweise ist der Etat des Bundesverfassungs-
gerichtes in der Regel nicht Gegenstand parteipolitischer
Wichtiger als die Zahlen erscheinen mir allerdings
Kontroversen. Dies gebietet allein die Achtung vor die-
neue inhaltliche Signale. Im Etatentwurf für das Bundes-
sem höchsten deutschen Gericht. In diesem Sinne sehe
ministerium der Justiz finden sich wichtige Akzente, die
ich meine Aufgabe als Hauptberichterstatter für den
so unter der Vorgängerregierung nur schwerlich möglich
Einzelplan 19 in der Kontinuität meiner Vorgänger
gewesen wären. Ich greife die vorgesehene Ausweitung
Lothar Binding von der SPD und meines Fraktionskolle-
des Ausgabenpostens für Opfer von Gewalt heraus,
gen Dr. Ole Schröder.
nicht zuletzt deshalb, weil es hier in der Öffentlichkeit
(B) schon heftige Diskussionen gegeben hat. Wir wollen den Vor dem Hintergrund, dass sich die Kosten für die (D)
Titelansatz für das laufende Jahr mehr als verdreifachen. Grundsanierung des Verfassungsgerichts dramatisch er-
höhen, habe ich kürzlich das Gericht in Karlsruhe be-
Vor allem werden wir Opfer nicht mehr kategorisie- sucht, um mir ein Bild vor Ort zu machen. Das Ergebnis
ren. Bisher wurden aus diesem Posten ausschließlich war, um es kurz zu sagen, erschreckend: Von einem
Opfer rechtsextremer Gewalt unterstützt; wir erweitern wirklichen Brandschutz kann kaum mehr die Rede sein,
das Spektrum auf Opfer jeglicher extremistischen Ge- die Stromleitungen sind marode, es regnet durch das
walt, egal ob von rechts oder von links. Dach, und den höchsten Richtern unseres Landes wer-
(Beifall bei der CDU/CSU) den Arbeitsbedingungen zugemutet, die in keiner Weise
tragbar sind. Nach meiner Überzeugung ist die bean-
Um es klar zu sagen: So verabscheuungswürdig rechts- tragte Verpflichtungsermächtigung in Höhe von
extreme Gewalttaten sind, sind es die von Linksextre- 15,7 Millionen Euro, die sich auf mehrere Jahre er-
men begangenen in gleicher Weise. Ich sehe mich jeden- streckt, unabweisbar. Sicher, Sparsamkeit ist das Gebot
falls außerstande, dem Opfer von Linksextremen zu der Stunde; dies darf aber nicht zum Sparen an der fal-
erklären, dass es schlicht Pech gehabt habe, von den Fal- schen Stelle führen.
schen angegriffen worden zu sein, und der Staat ihm
nicht beispringe. Um allen Vorwürfen vorzubeugen: Es Meine Damen und Herren, verehrte Kolleginnen und
geht mir nicht darum, die Gefahren durch den Rechts- Kollegen, lassen Sie mich zusammenfassen: Die Etatent-
extremismus herunterzuspielen. Wir müssen aber davon würfe für das Bundesministerium der Justiz und das
abkommen, Gefahren für unseren Rechtsstaat nur auf Bundesverfassungsgericht sind ausgewogen und ange-
der einen Seite zu sehen. messen kalkuliert. Den weiteren Beratungen sehe ich da-
her zuversichtlich entgegen.
Im Übrigen – auch diese Anmerkung ist wichtig –
sollen sich die Opfer nicht einen gleichbleibend großen Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
Kuchen teilen, sondern wir haben, wie erwähnt, die Mit- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
tel verdreifacht.
Opferentschädigung setzt zwangsläufig Opfer voraus. Vizepräsidentin Petra Pau:
Wir müssen daher vereint Anstrengungen unternehmen, Kollege Funk, das war Ihre erste Rede im Deutschen
Opfer zu verhindern. Dies ist eine Aufgabe, die der Staat Bundestag. Wir wünschen Ihnen viel Erfolg für Ihre wei-
nicht allein bewältigen kann; es ist eine gesamtgesell- tere Arbeit. Als Präsidentin füge ich hinzu: Es gelingt
schaftliche Aufgabe, die bei der Erziehung der Kinder in nicht vielen Rednerinnen und Rednern bei ihrer ersten
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 14. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 19. Januar 2010 1225
Vizepräsidentin Petra Pau:
(A) Rede, eine solche Punktlandung auch bei der Einhaltung von Schaumburg-Lippe nach Lippe-Detmold über- (C)
der Redezeit hinzubekommen. Also herzlichen Glück- siedelt.
wunsch!
(Gisela Piltz [FDP]: Das Problem hat sich ja
(Beifall) jetzt erledigt!)
Weitere Wortmeldungen zu diesem Einzelplan liegen Hier liegen die Aufgaben, die der Bund wahrzuneh-
nicht vor. men hat, und ich meine, dass das Bundesinnen-
Wir kommen schließlich zu dem Geschäftsbereich ministerium
des Bundesministeriums des Innern, Einzelplan 06. – es war damals zuständig –
Das Wort hat der Bundesminister des Innern, eine gute Aufgabe hat, wenn es klärend und anre-
Dr. Thomas de Maizière. gend in diese Dinge eingreift und dafür sorgt, dass
wir hier wirklich zu einer Einheit in der Freiheit
Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In- kommen.
nern:
(Beifall des Abg. Dr. Peter Danckert [SPD])
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Vor 60 Jahren hat der Deutsche Bundestag den ersten Ich gebe das Zitat an Annette Schavan weiter.
Haushalt des Bundesministeriums des Innern beraten.
Innenminister war Gustav Heinemann. In der sehr leb- (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
haften Debatte forderte der Abgeordnete Hermann NEN]: Wer hat uns denn das Kooperationsver-
Ehlers Folgendes – ich zitiere –: bot beschert?)
… die anfallenden Aufgaben müssen heute gründ- – Herr Wieland, ich habe auf den Zwischenruf gewartet.
lich, sachverständig und so wahrgenommen wer- Statt der Übernahme von Zuständigkeiten soll das Mi-
den, dass wirklich etwas Ersprießliches und Dauer- nisterium klärend und anregend in diese Dinge eingrei-
haftes dabei herauskommt. fen. Das finde ich schön.
Das finde ich schön. Es sollte auch für uns ein Leitsatz (Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der
werden. SPD: Eine höfliche Opposition gibt es heute
noch!)
Die Politik hatte damals die schwierige Aufgabe, mit
äußerst knappen Mitteln auszukommen. Das Bundes- Insofern ist das alles nicht neu, was wir heute diskutie-
ministerium des Innern rechnete im damaligen Haus- ren.
(B) (D)
haltsentwurf mit Einnahmen in Höhe von 1 000 DM und Heute verlangt die Erfüllung der Aufgaben eines In-
Ausgaben in Höhe von 2 269 400 DM. nenministers mehr Mittel. Heute hat der Etat eine Grö-
(Dr. Hans-Peter Uhl [CDU/CSU]: Das waren ßenordnung von 5,6 Milliarden Euro. Die Hälfte davon
noch Zeiten!) sind Personalkosten.
Auch sonst ist die Debatte sehr interessant. Sie zeigt Im Unterschied zu der Entwicklung der vergangenen
übrigens, dass nicht alles so furchtbar neu ist, was wir Jahre ist auch das Gesamtvolumen meines Etats rückläu-
hier diskutieren. Lassen Sie mich zwei Zitate vortragen, fig. Das liegt überwiegend an Einmaleffekten durch die
die das deutlich machen. Sie zeigen übrigens auch, wie Europa- und Bundestagswahl mit einem Volumen von
breit damals der Zuständigkeitsbereich des Innenminis- 100 Millionen Euro. Aber es veranlasst mich doch zu ei-
teriums war. Der Abgeordnete Maier von der SPD gab ner Grundsatzbemerkung. Allzu gerne wird die schein-
dem Innenminister folgenden Rat: bar zwingende Gleichung aufgemacht, dass nur Steige-
rungsraten in den Einzelplänen etwas über die Qualität
Um eine stärkere Autonomie der kommunalen des jeweiligen Politikfeldes aussagen. Ich denke, das
Selbstverwaltung zu erreichen, geben wir dem werden wir in den nächsten Jahren überdenken müssen.
Herrn Bundesminister des Innern zu erwägen an-
heim, den Ländern beim Finanzausgleich zwischen (Dr. Hans-Peter Uhl [CDU/CSU]: So ist es!)
Bund und Ländern in Form von Auflagen die Ab-
Steigerungsraten für sich betrachtet sind keine Aus-
führung gewisser Mindestprozentsätze an die Ge-
sage über die Qualität der Politik. Es gibt keine innere
meinden zur Pflicht zu machen.
Dynamik staatlichen Handelns, die auf immer weitere
Interessante Anregung. Herr Ehlers sagte – jetzt wird es Zuwächse programmiert wäre. Das können wir aus den
noch interessanter –: Debatten von vor 50 oder 60 Jahren lernen, und das wer-
den wir auch in den nächsten Jahren erleben.
Der Bund hat dafür zu sorgen, dass wir nicht nur
von einer Bundesrepublik Deutschland reden, dass Lassen Sie mich eine kurze Bemerkung zu den Tarif-
wir nicht nur von einer Freizügigkeit reden und da- verhandlungen im öffentlichen Dienst machen. Der
bei durch die Gestaltung unseres öffentlichen öffentliche Dienst ist Garant für die Qualität unseres
Schulwesens aus den verschiedensten politischen, staatlichen Handelns, und das muss er auch bleiben.
weltanschaulichen, kulturellen und schulpolitischen Ohne gute Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gibt es
Vorstellungen heraus eine Zersplitterung schaffen, keine leistungsfähige solidarische Gesellschaft. Das ist
die es langsam unmöglich macht, dass ein Beamter nicht zum Nulltarif zu haben.
1226 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 14. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 19. Januar 2010
Olaf Scholz
(A) zu wenig. Deshalb müssen wir auch etwas für diejenigen reden muss. Da besteht eine große Gefahr. Ich bin dage- (C)
tun und denen helfen, die einen besonders schweren Zu- gen, dass wir den Eindruck erwecken, man könne innere
gang zu unserer Gesellschaft haben. Es geht zum Bei- Sicherheit nur durch guten Willen oder mit unzureichen-
spiel um diejenigen, die lange in Kettenduldung hier in den Mitteln herstellen. Das Wichtigste, um terroristische
Deutschland leben. Es hat für diese Menschen noch ein- Aktivitäten und entsprechende Gewalttaten zu verhin-
mal eine Übergangsregelung der Innenministerkonfe- dern, ist eine gute Sicherheitsarchitektur und sind gut
renz gegeben. Manche der Beteiligten haben hinterher ausgebildete Polizistinnen und Polizisten. Die muss man
erklärt, das sei das letzte Mal, wohl wissend, dass es kei- bezahlen, egal wie man über den Haushalt reden mag.
nesfalls das letzte Mal war, wenn es immer bei diesen
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
verkrampften Lösungen bleibt. Es ist doch wichtiger,
der LINKEN)
dass wir eine gesetzgeberische Botschaft aussenden,
dass wir sagen, wie die Integration funktionieren kann, Deshalb ist es auch so wichtig, dass wir immer sehr kon-
an welche Voraussetzungen wir sie knüpfen und wie wir sequent sind. Man kann nicht einmal eben 1 Milliarde
es ermöglichen, dass jemand, der einen großen Integra- Euro für Hoteliers ausgeben und im Zusammenhang mit
tionswillen besitzt, tatsächlich eine Chance auf einen ge- der inneren Sicherheit sagen, man könne nicht genügend
sicherten Aufenthalt in Deutschland bekommt. Deshalb Polizisten zur Verfügung stellen.
sollten Sie einmal jenseits aller parteipolitischen Zuord-
nungen und vorschnellen Urteile sehr sorgfältig den Ge- (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem
setzentwurf prüfen, den wir in den Deutschen Bundestag BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Widerspruch
eingebracht haben und mit Ihnen diskutieren wollen. bei der CDU/CSU und der FDP)
Das gefährdet jede Akzeptanz.
(Beifall bei der SPD)
Ich will ausdrücklich sagen: Es ist ein großes Pro-
Es geht darum, dafür zu sorgen, dass es eine dauerhafte blem, dass die Stellen, die zum Beispiel bei der Bundes-
Regelung gibt. Wir haben im Gesetzentwurf einen Vor- polizei zur Verfügung stehen sollten, keinesfalls alle be-
schlag untergebracht, von dem ich gehört habe, dass der setzt sind – etwa 1 000 Stellen sind unbesetzt – und sich
eine oder andere, der nicht der SPD oder den Opposi- diese Entwicklung weiter zu verschärfen droht. Wir
tionsparteien angehört, ihn gut fand. Wir sollten sagen, müssen dafür Sorge tragen, dass genug Polizisten da
dass diejenigen, die zum Beispiel durch einen Schulab- sind. Es darf niemals passieren, dass wir über Gesetzes-
schluss in Deutschland ihren Integrationswillen überaus verschärfungen diskutieren und gleichzeitig immer we-
deutlich gemacht haben, daraus einen Anspruch auf ei- niger Polizisten haben. Das ist der falsche Weg.
nen gesicherten Aufenthalt ableiten können. Ich glaube,
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
(B) das wäre das beste Integrationssignal, das wir in (D)
Deutschland aussenden können. der LINKEN – Gisela Piltz [FDP]: Sagen Sie
das doch mal Ihren Länderkollegen!)
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich bin ein wenig irritiert, wenn zwar nicht hier in die-
sem Hause, aber unter den Landesministern und den Se-
Da es um Integration und Integrationskurse geht, natoren – ich denke an meine Heimatstadt Hamburg –
gestatten Sie mir diesen einen Hinweis: Besuchen Sie diejenigen lauthals über Gesetze reden, die besonders er-
einmal die Integrationskurse, und zwar zum Ende der folglos bei der Aufklärung von Straftaten gegen Polizis-
Laufzeit. Gehen Sie hin, wenn die Teilnehmer mit dem ten sind. Ich jedenfalls habe mit großem Entsetzen zur
Kurs fast fertig sind und unterhalten Sie sich strikt auf Kenntnis genommen, dass in meiner direkten Nachbar-
Deutsch mit den Teilnehmenden. Wenn Sie das getan ha- schaft ein Anschlag auf eine Polizeiwache stattgefunden
ben, dann kommen Sie wieder hierher zurück und wis- hat, der wie viele andere politische Straftaten in Ham-
sen, dass die Kurse noch nicht ausreichen; denn das Ni- burg seit Jahren unaufgeklärt ist. Gleichzeitig wird laut
veau, das dort am Ende von Menschen erreicht werden darüber geredet, was man gesetzgeberisch tun muss.
kann, die aus ganz anderen Kulturkreisen kommen, ist Man muss dafür sorgen, dass die Polizei ihre Arbeit ma-
noch nicht ausreichend für das, was wir hier politisch chen kann. Das ist die wichtigste Aufgabe. Sie hat auch
wollen. Es darf nie passieren, dass wir über Integration etwas mit Stellen zu tun.
reden und dann Dinge tun, die im Ergebnis nicht zu Inte-
gration führen. Wir müssen mehr fördern. Für den (Beifall bei der SPD – Reinhard Grindel
Spracherwerb, der nötig ist, brauchen wir mehr Stunden, [CDU/CSU]: Wie hoch war die Aufklärungs-
als wir heute ansetzen. Es muss im Ergebnis wirklich quote denn in Ihrer Amtszeit?)
hinhauen. Aus meiner Sicht gilt das im Übrigen auch im Zusam-
(Beifall bei der SPD) menhang mit dem Einsatz von Scannern. Ich fand die
Äußerungen des Ministers sehr wohltuend; das will ich
Wenn wir über Innenpolitik reden, dann geht es auch ausdrücklich sagen. Aber muss es wirklich immer so
um innere Sicherheit und um die Frage, was wir für das sein, dass sich im Dezember die üblichen Verdächtigen,
Funktionieren der inneren Sicherheit tun. Gerade die die gerne für Interviews und Fernsehauftritte zur Verfü-
jüngsten Vorfälle haben uns gezeigt, dass niemand den gung stehen, zu Wort melden und sagen: Da muss
Eindruck erwecken darf, alles sei in Ordnung. Der Terro- schnellstmöglich, am besten morgen früh, der Nackt-
rismus zum Beispiel, der internationale Terrorismus alle- scanner her? Informiert man sich über diese Technik, er-
mal, ist keineswegs eine Sache, über die man nicht mehr fährt man, dass wohl erst 2011, wenn die zweite oder
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 14. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 19. Januar 2010 1229
Olaf Scholz
(A) dritte Generation dieser Geräte existiert, ein solcher darauf verständigt – so ist es auch formuliert –, beste- (C)
Scanner eingesetzt werden kann. Ich glaube, man hat in hende Gesetze optimal anzuwenden. Das ist dringend
dieser Frage den falschen Weg eingeschlagen. Damit er- nötig.
zeugt man kein Sicherheitsbewusstsein in der Bevölke-
rung, sondern nur berechtigte Irritation. Der versuchte Anschlag in Detroit ist heute schon
mehrfach angesprochen worden. Ich glaube, man muss
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten sich mit dieser Angelegenheit auseinandersetzen. Sie il-
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) lustriert vieles, woran es im Sicherheitsbereich heute
noch krankt.
Vizepräsidentin Petra Pau: (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE
Kollege Scholz, achten Sie bitte auf die Zeit. GRÜNEN]: In der Tat!)
Der Täter von Detroit war seit langem als gefährlich ein-
Olaf Scholz (SPD):
gestuft und bei unterschiedlichsten Behörden unter-
Ja. – Hierbei wird über die Durchführung von Kon- schiedlichster Länder bekannt. Man muss festhalten:
trollen entschieden. Wenn es zum Einsatz solcher Geräte Trotz umfangreichster Überwachung fast aller betroffe-
käme, müssten wir darüber auch hier in diesem Parla- ner Bürger, zumindest wenn sie in ein Flugzeug steigen,
ment diskutieren. Dazu sollten wir uns alle verpflichten. in unterschiedlichsten Ländern auf der Welt – obwohl
(Dr. Hans-Peter Uhl [CDU/CSU]: Sicher!) unzählige Daten gesammelt, verarbeitet und auch wei-
tergegeben worden sind – konnte dieser Täter ein Flug-
Wir sollten wenigstens einen Beschluss fassen, jenseits zeug besteigen, ohne Gepäck, mit einem Ticket, das er
der Frage, ob es eine gesetzgeberische Notwendigkeit selbst in bar bezahlt hat, und ohne Rückflugticket. Ich
dazu gibt. Eines wünsche ich mir: Wenn es so ist, dass glaube, das zeigt, dass es eben keine Frage der Quantität
man eine solche Technik einsetzen möchte, dann müssen ist – Daten sind in großer Zahl gesammelt worden –,
alle, die dafür stimmen, egal welcher Fraktion und Partei sondern der Qualität von Ermittlungsarbeit. Genau daran
sie angehören, bereit sein, einmal durch einen solchen wollen wir arbeiten, auch im Zuge der Haushaltsberatun-
Scanner zu gehen und das, was dabei herauskommt, ein gen.
Foto, ins Internet zu stellen und damit öffentlich zu ma-
chen. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU)
(Beifall bei der SPD – Dr. Konstantin von
Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ham- Der vorgelegte Entwurf des Ministeriums bietet eine
melsprung durch den Nacktscanner!) gute Grundlage, unsere Sicherheitsbehörden zukunftsfä-
(B) hig aufzustellen. Es ist ein klassischer Personal- und (D)
Vizepräsidentin Petra Pau: Verwaltungshaushalt.
Das Wort hat der Kollege Florian Toncar für die FDP- Wir werden angesichts der Haushaltslage natürlich
Fraktion. darauf achten, dass wir effektive und effiziente Struktu-
(Beifall bei Abgeordneten der FDP) ren haben und dass die Mittel, die in diesem Bereich zur
Verfügung stehen, einen größtmöglichen Sicherheitsge-
winn bringen. Herr Kollege Scholz, ich fand es übrigens
Florian Toncar (FDP): interessant, dass Sie in Ihrer Rede nun die Sache mit der
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auf den Mehrwertsteuer in einen Zusammenhang mit Polizeistel-
letzten Vorschlag will ich gar nicht eingehen. Vielmehr len gerückt haben. Den Kollegen Schneider hatte ich
will ich auf die Grundlinien in der Innenpolitik zu spre- vorhin so verstanden, dass er diese 500 Millionen Euro,
chen kommen. Die Koalition tut alles, damit die Bürge- die das im Übrigen für den Bundeshaushalt ausmacht
rinnen und Bürger in Deutschland Freiheit in Sicher- – das ist ja kein großer Betrag –,
heit genießen können. Natürlich ist Sicherheit auch eine
Aufgabe eines modernen Rechtsstaats. Sie ist Vorausset- (Olaf Scholz [SPD]: Sind das jetzt Peanuts,
zung dafür, dass Menschen ihre Freiheit entfalten kön- oder was?)
nen. Für uns Liberale ist auch wichtig, zu betonen, dass zur Reduzierung der Neuverschuldung verwenden wolle.
das Streben des Staates, Sicherheit zu schaffen, eine die- Sie wollen sie jetzt für mehr Polizisten ausgeben. Davor
nende Funktion hat: Es dient der Verwirklichung von sollte es für Bildung ausgegeben werden. Ich habe den
Freiheit. Es ist kein Wert, der vorne steht; dieser Wert Eindruck, dass die SPD-Fraktion diese 500 Millionen
hat vielmehr eine dienende Funktion für die Verteidi- Euro am Ende dieser Haushaltswoche ungefähr acht- bis
gung unserer freiheitlichen Ordnung. zehnmal ausgegeben haben wird. Sie sollten sich intern
Die Koalition hat sich darauf verständigt, nicht immer über solche Fragen vielleicht auch einmal abstimmen.
neue und immer weitreichendere Überwachungsbefug- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
nisse in unterschiedliche Gesetze einzuarbeiten, wie es der CDU/CSU – Widerspruch von der SPD)
im letzten Jahrzehnt in Deutschland der Fall gewesen ist.
Viele dieser Befugnisse wurden übrigens heimlich und – Sie sollten solche Dinge einfach intern abstimmen.
anlasslos erlassen. Das ist eine Fehlentwicklung, die wir Von Mitgliedern Ihrer Fraktion sind heute Dinge vorge-
immer kritisiert haben. Sie werden nichts davon im Ko- tragen worden, die nicht zueinander passen. Darauf wird
alitionsvertrag finden. Wir haben uns zunächst einmal man doch einmal hinweisen dürfen.
1230 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 14. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 19. Januar 2010
Florian Toncar
(A) Wir als FDP-Fraktion werden im Zuge der Haushalts- Vizepräsidentin Petra Pau: (C)
beratungen darauf achten, dass bei der Strukturierung Das Wort hat der Kollege Steffen Bockhahn für die
der Sicherheitsbehörden das Trennungsgebot zwischen Fraktion Die Linke.
Polizei und Nachrichtendiensten eingehalten wird. Auch
in Haushaltstiteln darf es nicht zur Vermischung von po- (Beifall bei der LINKEN)
lizeilichen und nachrichtendienstlichen Aufgaben kom-
men. Steffen Bockhahn (DIE LINKE):
Wir werden uns um neue Aufgaben wie die bessere Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Ausstattung und Koordinierung internationaler Polizei- Kollegen! Herr Toncar, ich nehme mit Erstaunen zur
ausbildungsmissionen und -mandate zu kümmern haben. Kenntnis, dass Sie 500 Millionen Euro für einen kleinen
Auch da ist viel zu tun. Betrag halten.
Die Koalition wird es auch schaffen, das Dauerthema (Florian Toncar [FDP]: Habe ich nicht gesagt!)
Digitalfunk, auf den Polizei und Rettungsdienste nun Ich darf Ihnen sagen: In einer Kommune in Ostvorpom-
wirklich schon lange warten, endlich einer Lösung zuzu- mern, wo man aufgrund Ihres Wachstumsbeschleuni-
führen. Es ist ein Trauerspiel, dass das so lange dauert. gungsgesetzes nicht mehr weiß, wie man den Jugend-
Wenn wir über den Haushalt sprechen, ist es auch klub finanzieren soll, sieht man das anders.
wichtig, darauf zu achten, dass wir evaluieren, ob durch
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Josef
die Dienste und Dienstleistungen, die das Bundesver-
Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
waltungsamt erbringt – es handelt sich ja um eine sinn-
NEN])
volle Serviceeinrichtung, in der gleiche Aufgaben unter-
schiedlicher Behörden gebündelt werden –, bei anderen Meine Damen und Herren, wir diskutieren im Einzel-
Behörden Aufgaben wegfallen und sich das in deren plan 06 dieses Jahr auch erstmals über die Ostdeutsch-
Etats niederschlägt. Es kann nicht sein, dass wir eine sol- land-Politik der Bundesregierung. Viele haben kriti-
che Serviceeinrichtung zur Effizienzsteigerung schaffen, siert, dass der Osten auf diese Weise nicht mehr die
zugleich aber in keiner anderen Behörde an irgendeiner Rolle spielen würde, wie er sie die letzten 20 Jahre ge-
Stelle Kosten gespart werden. Ich glaube, dass das ent- spielt hat. Ich kann verstehen, dass man das so sieht. Ich
weder im Zuge dieser oder im Zuge der nächsten Haus- habe mir aber einmal Mühe gegeben, dieses Regierungs-
haltsberatungen ein wichtiger Punkt sein wird. handeln positiv zu betrachten, und bin für mich zu der
Interpretation gekommen, dass die Bundesregierung den
Die Koalition hat neben der organisatorischen Auf-
Osten endlich nicht mehr als irgendein Problem, sondern
(B) stellung der Sicherheitsbehörden natürlich auch ver- als innerdeutsche Angelegenheit behandeln möchte. Das (D)
schiedene Vereinbarungen hinsichtlich der Sicherheits-
kann ich nur begrüßen.
gesetzgebung getroffen. Ich kann festhalten, dass es
entscheidende Verbesserungen vor allem beim Kernbe- (Beifall bei der LINKEN)
reichsschutz geben wird. Dieser wird in verschiedenen
Gesetzen besser ausgestaltet werden. Hierbei geht es um Nun will ich Ihnen gar nicht, wie Sie vermutlich alle
die Privat- und oft sogar um die Intimsphäre der Bürger. erwarten, das übliche Lied über den traurigen Osten vor-
Deren Schutz werden wir verbessern. Natürlich werden singen. Ich darf Ihnen aber schon sagen: Das Wort
wir auch dafür sorgen, dass im BKA-Gesetz verankert „Hartz IV“ wird auch in dieser Rede wieder vorkom-
wird, dass heimliche Ermittlungsmaßnahmen im präven- men.
tiven Bereich künftig von einem erfahrenen Bundes- (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
richter angeordnet werden müssen. Die Praktiker, die NEN]: Das hätte uns auch gefehlt!)
sich mit solchen Anträgen auf Maßnahmen und Anord-
nungen beschäftigen, können wirklich bestätigen, dass – Das möchte ich gar nicht riskieren.
es einen Unterschied macht, wessen Unterschrift dafür
nötig ist, die eines Amtsrichters oder die eines Bundes- Es ist völlig klar, dass es auch im Westen der Repu-
richters am Bundesgerichtshof. Das macht auch aus blik inzwischen Gebiete gibt, denen es kaum besser geht
Sicht der Wahrung der Grundrechte der Betroffenen ei- als flächendeckend dem Osten. Wir wollen eines aber
nen Unterschied. nicht vergessen – das statistische Mittel der fünf neuen
Bundesländer und das statistische Mittel der zehn alten
(Michael Hartmann [Wackernheim] [SPD]: Wie Bundesländer sprechen eine deutliche Sprache –: Von
oft gab es die Maßnahme denn schon?) gleichen Lebensverhältnissen in Ost und West sind wir
weit entfernt.
Wir werden dafür sorgen, dass die genannten Dinge in
die Gesetze aufgenommen werden. Wir setzen den Noch immer bekommen Ostdeutsche für die gleiche
Schwerpunkt auf den Vollzug von Gesetzen im Sinne ei- Arbeit deutlich weniger Lohn und liegt das Bruttoin-
ner optimalen Sicherheit und damit auch der Sicherung landsprodukt etwa ein Drittel unter dem des Westens.
der Freiheit bei uns im Lande. Die Arbeitslosigkeit ist fast doppelt so hoch. Rund
Vielen herzlichen Dank. 1,7 Millionen Menschen in den neuen Ländern leben
von Hartz IV, und die Zahl der geringfügig Beschäftig-
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten ten, die nicht von ihrer Arbeit leben können, hat inzwi-
der CDU/CSU) schen katastrophale Ausmaße angenommen.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 14. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 19. Januar 2010 1231
Steffen Bockhahn
(A) Einer der größten, wenn nicht der größte Skandal ist formationskampagne, die weit über das hinausgeht, was (C)
aus meiner Sicht aber, dass im reichen Deutschland mehr wir bisher tun.
als jedes vierte Kind im Osten unter den Armutsbedin-
gungen von Hartz IV aufwachsen muss. Ich darf Sie bei Wie wenig eine solche Politik durch die Bundesregie-
der Gelegenheit daran erinnern, dass im Regelsatz nicht rung und ihren Innenminister wirklich gewollt ist, hat
ein einziger Cent für Bildung vorgesehen ist. Ohne gut Herr Minister de Maizière leider durch sein Verhalten in
ausgebildete Menschen werden aber die strukturschwa- Bezug auf das SWIFT-Abkommen bewiesen. Wer ohne
chen Regionen des Ostens weder aufholen noch gleich- Not die höchst sensiblen und privaten Bankdaten aller
ziehen können. Das muss Ihnen klar sein. Das heißt, mit Deutschen preisgibt, der meint es nicht ernst mit dem
ihrer Politik verstetigt die Bundesregierung die Struktur- Datenschutz.
probleme, statt sie zu beseitigen. (Beifall bei der LINKEN)
(Beifall bei der LINKEN) Nun zum dritten Punkt, meine Damen und Herren.
Aus meiner Sicht eine der unnötigsten Ausgaben des ge-
Eine verantwortungsvolle Bundesregierung müsste in samten Bundeshaushaltes findet sich ebenfalls im
einer solchen Situation einen ambitionierten Entwick- Einzelplan 06: die Unterstützung für den sogenannten
lungsplan für Ostdeutschland aufstellen. Aber woher soll Bund der Vertriebenen. Als direkte Zuweisung be-
dieser kommen? Nicht ein einziges Mitglied des Kabi- kommt er jedes Jahr fast 1 Million Euro, und über wei-
netts ist im Osten geboren, und vermutlich wird in der tere Projektmittel stehen insgesamt 2,013 Millionen
Regierung eher eine Schwerpunktsetzung, wie Herr Euro zur Verfügung. In der Erläuterung zu diesem Haus-
Ramsauer sie bevorzugt, unterstützt, als dass man sich haltsposten heißt es wörtlich – ich zitiere –:
ernsthaft bemüht, die bestehenden Probleme zu bewälti-
gen. Die Mittel dienen zur Unterstützung von Maßnah-
men von Vereinigungen und Einrichtungen der Ver-
Mit Ihrem sogenannten Wachstumsbeschleunigungs- triebenen sowie diesen verbundener Träger, die ge-
gesetz treten Sie, meine Damen und Herren von der Ko- eignet sind, die Verständigung und Aussöhnung mit
alition, den strukturschwachen Regionen ein weiteres unseren östlichen Nachbarn und die Einigung Euro-
Mal kräftig gegen das Knie. Denn dort, wo die Kommu- pas zu fördern.
nen die letzten großen Investoren sind, wird noch weniger
Geld ausgegeben werden können. Das bedeutet gerade im (Stephan Mayer [Altötting] [CDU/CSU]: Sehr
Osten, dass die Handlungsfähigkeit der Kommunen sinnvoll!)
schwer beeinträchtigt wird, weil dieses scheinbar durch
Wie diese Zielstellung und der sogenannte Bund der
(B) großzügige Spenden beförderte Gesetz mit den Geschen- Vertriebenen zusammenpassen sollen, bleibt aber unklar. (D)
ken für Hotellobby, Superreiche und Großerben bei den
Wir reden hier nämlich über eine Organisation, Herr
Kommunen zu massiven Einnahmeausfällen führen wird.
Kollege, die die Oder-Neiße-Friedensgrenze gerne ein-
Anstelle von Steuergeschenken brauchen wir ein enga-
mal als unnötiges Zugeständnis betrachtet,
giertes Investitionsprogramm für bestimmte Regionen
Westdeutschlands, vor allem aber für den Osten Deutsch- (Lachen des Abg. Dr. Thomas Feist [CDU/
lands. CSU])
(Beifall bei der LINKEN) die den EU-Beitritt Tschechiens verhindern wollte und
die nicht bereit ist, die Eigentumsrechte von Menschen
Lassen Sie mich zu einem zweiten Punkt kommen: in anderen Ländern zu akzeptieren. Wir reden über eine
dem Datenschutz. Um diesen ist es aus meiner Sicht Organisation, die nicht willens oder in der Lage ist, zu
nicht wirklich gut bestellt in Deutschland. Man denke an begreifen, dass der Auslöser für die Umsiedlung von
Deutsche Bahn, Deutsche Telekom, Schlecker und Lidl; Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg der von den
von ELENA reden wir besser gar nicht erst. Ein Da- Deutschen begonnene Zweite Weltkrieg war. Eine solche
tenskandal jagt zurzeit den nächsten. Angekündigt war Organisation kann man doch nicht mit über 2 Millionen
eine deutliche Stärkung des Bereichs des Bundesdaten- Euro unterstützen!
schutzbeauftragten. Im Haushalt – das nehme ich zur
Kenntnis – finden wir tatsächlich effektiv elfeinhalb (Beifall bei der LINKEN)
neue Stellen. Das ist ein Anfang, aber lange nicht genug.
Dann doch lieber das Deutsch-Polnische Jugendwerk
Wir schlagen Ihnen stattdessen Folgendes vor: eine oder den Verein junger Europäer; das Geld ist dort ga-
gesetzliche Initiative zur Stärkung des Datenschutzes, rantiert besser aufgehoben, und die Verständigung und
insbesondere des Arbeitnehmerdatenschutzes; mehr Versöhnung mit unseren Nachbarn in Europa würden da-
Kompetenzen und mehr Personal für den Bundesdaten- von profitieren.
schutzbeauftragten; eine umfassende Informationskam- Ich fasse zusammen, meine Damen und Herren: Die
pagne für die Bevölkerung. Das stärkt die Bürgerrechte. Bundesregierung ist nicht bereit, den Osten wirklich zu
Das Wichtigste im Umgang mit neuen Medien etc. ist, stärken. Sie nimmt den Datenschutz nicht ausreichend
dass die Menschen wissen, was sie tun, wenn sie mit ernst, und sie fördert Organisationen, die es, gelinde ge-
Kreditkarte, Payback-Karte usw. unterwegs sind. Wir sagt, nicht verdient haben.
müssen die Menschen darüber informieren, um Daten-
schutz zu ermöglichen. Dazu bedarf es einer großen In- (Beifall bei der LINKEN)
1232 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 14. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 19. Januar 2010
(A) Vizepräsidentin Petra Pau: Ich glaube, das stimmt. Wenn es stimmt, dann stehen wir (C)
Das Wort hat der Kollege Dr. Konstantin von Notz für angesichts der globalen Vernetzung der analogen und der
die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. digitalen Welt vor großen Umbrüchen und größten He-
rausforderungen. Nein, wir befinden uns mitten in diesen
Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Umbrüchen. Wir müssen uns als Politikerinnen und Poli-
NEN): tiker selbstkritisch fragen, ob wir dieser Entwicklung
bislang in angemessener Weise Rechnung getragen ha-
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
ben.
Kollegen! Vieles, was Sie sagen, Herr Innenminister
– auch heute wieder –, und wie Sie es sagen, gefällt mir Die digitale Revolution hat längst alle Lebensberei-
sehr gut. che erfasst, und die Politik hinkt dieser Entwicklung seit
Jahren hinterher. Das Internet ist inzwischen das zen-
(Zurufe von der CDU/CSU: Oh! – Dr. Dieter trale Kommunikations- und Wirtschaftskonstrukt. Ange-
Wiefelspütz [SPD]: Keine Anbiederei! Sie sichts dieser Tatsache ist es zwingend, dass sich unser
Weichei!) Parlament mit den Chancen und den Herausforderungen
Die Meister der asymmetrischen Wortkriegsführung der digitalen Revolution intensiv beschäftigt.
scheinen abgelöst. (Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Sehr richtig!)
(Dr. Dieter Wiefelspütz [SPD]: Ist das Opposi- Deswegen ist es richtig und wichtig, dass wir in diesem
tion, oder was ist das?) Hohen Haus zu diesem Thema eine Enquete gründen.
Der Wettlauf der Eskalationsrhetorik und der Wettlauf, Aber ich sage an dieser Stelle auch ganz deutlich: Das
grundrechtseinschränkende Gesetze vorzubereiten, schei- darf keine Alibiveranstaltung werden. Diese Enquete darf
nen beendet – vorerst zumindest. nicht fern der Öffentlichkeit einsam zwischen Politikern
und Sachverständigen hinter verschlossenen Türen statt-
(Dr. Dieter Wiefelspütz [SPD]: Grüner finden. Vielmehr muss sie der Ort für eine transparente
Schleim!) und öffentliche Diskussion sein. Die Chance, die sich hier
bietet, nicht nur über E-Partizipation zu reden, sondern
Herr de Maizière, es ist gut, wenn Sie von öffentlicher sie tatsächlich zu praktizieren, dürfen wir nicht ungenutzt
und nicht von innerer Sicherheit sprechen. Es ist richtig, lassen.
dass Sie erklären, im öffentlichen Dienst brauchten wir
mehr Frauen und mehr Menschen mit Migrationshinter- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
grund. Mir gefällt, dass Sie sagen, Sie hätten die Zeichen Wenn Sie, liebe Kollegen von der FDP und CDU/
der Zeit im Datenschutz und im Internet erkannt. CSU, nun glauben, bei aller Zerstrittenheit in anderen
(B) (Dr. Dieter Wiefelspütz [SPD]: Das gefällt mir Bereichen sei die Netzpolitik ein Feld relativ einfacher (D)
heute gar nicht!) Profilierung, dann sind Sie absolut auf dem falschen
Dampfer. In der Netzpolitik gibt es drängende Probleme,
– Das kommt noch, Herr Wiefelspütz. Ich laufe noch zur aber keine einfachen Antworten.
Höchstform auf. Versprochen!
Richtig ist zum Beispiel, dass wir eine Antwort auf
Aber wir stehen nicht nur am Anfang einer Wahlpe- die Herausforderungen hinsichtlich des Umgangs mit
riode. Es ist auch der Anfang des Jahres. Ich werte Ihre geistigem Eigentum in Zeiten der Digitalisierung und
Aussagen daher als gute Vorsätze für das neue Jahr. Da des Internets finden müssen. Wahr ist aber auch, dass
werden wir ganz genau hinschauen. Insbesondere im Be- weder die Urheber noch die Verlage oder die Politik ein-
reich der Netzpolitik laufen wir ernsthaft Gefahr, dass fach versuchen dürfen, die Wirtschaftsmodelle der Ver-
sich eine ganze Generation politisch dauerhaft von uns gangenheit ins digitale Zeitalter zu übertragen. Wenn
abwendet. sich die Politik hier realitätsfern von Lobbys beeinflus-
sen lässt, dann wird nicht nur die Politikverdrossenheit
Herr Kollege Krings, ich habe bemerkt, dass Sie auf großer Teile der Bevölkerung weiter gefördert; diese An-
den Knien das Buch Payback von Schirrmacher liegen sätze werden auch einfach nicht funktionieren. Damit
haben. Das ist sehr gut; denn Fortbildung ist angesagt. werden wir niemandem helfen, weder den Urhebern
Ob aber dieses Buch der Weisheit letzter Schluss ist, sei noch den Verlagen. Hier geht Glaubwürdigkeit verloren;
einmal dahingestellt. Der Koalitionsvertrag jedenfalls denn die einfachen Antworten gehen an der Lebenswirk-
gibt dem Internet Raum auf immerhin fünf Seiten. Das lichkeit von Millionen von Menschen vorbei.
ist gut. Aber den mehr deklaratorischen Absichtserklä-
rungen muss nun Konkretes folgen. Auch bei den Internetsperren haben Sie sich bisher
um eine tatsächliche politische Entscheidung gedrückt.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Gemessen an Ihren Ansprüchen, die Sperren abzuschaf-
Davon sehe ich bisher, abgesehen von einer netzpoliti- fen, liebe Kolleginnen und Kollegen der FDP, sind Sie
schen Kaffeerunde gestern im Bundesinnenministerium, gescheitert. Das Ergebnis unserer Kleinen Anfrage hat
wenig. glasklar gezeigt: Die Bundesregierung hat bislang kei-
nen Plan, wie das verabschiedete Gesetz gestoppt wer-
Kommunikation ist Gesellschaft. Das ist die Grund- den kann und was mit den Verträgen und der bereits
these der Gesellschaftstheorie Luhmanns. geschaffenen Sperrinfrastruktur geschehen soll. Eine
umfassende und schlüssige Netzpolitik sieht anders aus.
(Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Guter Mann,
der Luhmann!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 14. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 19. Januar 2010 1233
Dr. Konstantin von Notz
(A) Ihren völlig missglückten Start bei SWIFT durfte ich bleibt und soll lediglich überprüft werden. Von einer li- (C)
bereits vor Weihnachten kommentieren. beralen Handschrift kann da leider keine Rede sein. Es
ist altbacken und schädlich, wie stiefmütterlich Sie mit
Es gibt ein weiteres Feld Ihres datenschutzrechtlichen
diesem wichtigen Bereich der Innenpolitik umgehen.
Versagens, und das ist die Vorratsdatenspeicherung.
Statt dieses Gesetz zurückzunehmen, wie vielfach von (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
der FDP im Wahlkampf versprochen, eiern Sie herum. sowie bei Abgeordneten der SPD)
Dabei waren es doch Sie von der FDP, die zusammen
mit uns, mit den Grünen, die Unsitte des bewussten Da man dieser Tage im Rahmen der innenpolitischen
Schreibens verfassungswidriger Gesetze im Bewusst- Debatte nicht um die Nacktscanner herumkommt,
sein, das Bundesverfassungsgericht werde einen schon möchte auch ich noch einige Worte dazu verlieren. Wir
irgendwie retten, immer kritisiert haben. Und was ma- sind uns alle einig: Die öffentliche Sicherheit ist ein ho-
chen Sie nun? Statt die Vorratsdatenspeicherung abzu- hes Gut. Natürlich gibt es eine reale Bedrohung. Aber
schaffen, laden Sie das Gesetz beim Bundesverfassungs- gerade deshalb dürfen wir unsere Zeit nicht mit Placebo-
gericht ab. So geht es nicht. Wo waren denn die debatten vertun. Der gescheiterte Attentäter von Detroit
Befürworter dieses Gesetzes am 15. Dezember 2009? war für die Dienste – es wurde hier mehrfach gesagt –
(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- kein Unbekannter. Trotzdem ist er in das Flugzeug ein-
NEN]: Genau!) gestiegen. Dies hat gezeigt – Herr Kollege Toncar, da
gebe ich Ihnen völlig recht –: Wir haben nicht zu wenige
Der Vorsitzende, Herr Papier, hat in Karlsruhe ausdrück- Informationen; wir haben viel zu viele. Wir sehen vor
lich nach ihnen gefragt, übrigens auch nach Vertretern lauter Daten die eigentlichen, tatsächlichen und offen-
der SPD-Fraktion. sichtlichen Gefahren nicht mehr.
(Michael Hartmann [Wackernheim] [SPD]: Den zahlreichen Befürwortern von Nacktscannern
Wir können nicht überall sein!) – meiner Ansicht nach ist es reine Wortklauberei, die
Es war niemand da. Diskussion an den Begriffen „Körperscanner“ oder
„Nacktscanner“ aufzuhängen; wenn man auf einen
Liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU, SPD und Körper ohne Kleidung schaut, bleibt der Mensch letzt-
CSU, Ihnen fehlt die Kraft, dieses Gesetz zu verteidigen. lich nackt; daran können Sie nichts ändern, auch wenn
Der FDP fehlte die Kraft, im Koalitionsvertrag Konse- Sie andere Begrifflichkeiten wählen – geht es lediglich
quenzen zu vereinbaren. Angesichts dieser Schwäche um das subjektive Sicherheitsgefühl. Wir gewinnen je-
allenthalben bleibt tatsächlich nur das Bundesverfas- doch keine tatsächliche Sicherheit – weder durch die
sungsgericht. Wir können uns diese Schwäche aber nicht Nacktscanner noch durch Hunderttausende von Video-
(B) mehr leisten. Wir müssen der Bedeutung des Daten- kameras noch durch Onlinesperren. Wir geben viel Geld (D)
schutzes endlich wirklich gerecht werden und ihn ins
aus, bauen Bürgerrechte ab, schränken die Privatsphäre
Grundgesetz aufnehmen. Wir brauchen eine wirksame
Entschädigung bei Datenpannen. Wir dürfen den Art. 10 ein und ersticken in einer Datenflut, die uns von den of-
des Grundgesetzes nicht weiter schwächen, sondern fensichtlichen und notwendigen Handlungen und Reak-
müssen ihn stärken. Wir brauchen eine Gesetzesinitia- tionen eher abhält, als dass sie diese fördert. Ich sage
tive für den sogenannten Datenbrief. Wir brauchen einen noch einmal: Wir laufen Gefahr, die Terroristen vor lau-
echten Wandel beim Datenschutz, Herr Minister, keinen ter Kameras zu übersehen. Wir erkennen sie aufgrund
rhetorischen. der Flut von Informationen, die wir haben, nicht, und wir
überhören sie vor lauter Abhörmaßnahmen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Die ersten 100 Tage Ihrer Koalition sind vorbei.
Auch in der Migrationspolitik sind Sie leider weit
hinter den zwingend erforderlichen Änderungen zurück- (Otto Fricke [FDP]: Haushälter werden Sie mit
geblieben. Zwar sagt die schwarz-gelbe Koalition Ja zu der Zählweise nie!)
mehr Pflichten für Ausländerinnen und Ausländer,
gleichzeitig aber Nein zu mehr Rechten. Wir alle wissen, welche Halbwertszeiten gute Vorsätze
für das neue Jahr haben. Oftmals sind die guten Vorsätze
(Zuruf von der FDP: Das stimmt nicht!) schon im Februar nichts mehr wert.
Vergeblich sucht man im Koalitionsvertrag nach einer (Zuruf von der CDU/CSU: Wann kommt denn
erleichterten Einbürgerung. Ihre Entscheidung gegen ein die Hochform? – Lachen bei der CDU/CSU
kommunales Ausländerwahlrecht ist ein Armutszeugnis sowie bei Abgeordneten der FDP)
in puncto Integration.
(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Warum das Ich hoffe aufrichtig, dass das bei Ihnen nicht der Fall
denn?) ist, Herr Innenminister. Mit der Ankündigungspolitik
muss jetzt Schluss sein. Papier ist geduldig. Die Men-
Auch der Optionszwang, nach dem sich hier geborene schen, die systematisch und auf Vorrat ausgeforscht wer-
Ausländerinnen und Ausländer nach dem 18. Geburtstag den, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die über-
zwischen der deutschen Staatsangehörigkeit und derjeni- wacht und ausspioniert werden, sind es nicht mehr.
gen ihrer Eltern entscheiden müssen,
Herzlichen Dank.
(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Mehr
verlangen wir nicht!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
1234 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 14. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 19. Januar 2010
(A) Vizepräsidentin Petra Pau: den Immigranten fordern, weil nur die Sprachkenntnis (C)
Der Kollege Dr. Hans-Peter Uhl hat nun für die allein sie zur Integration befähigt.
Unionsfraktion das Wort.
Lassen Sie mich auf dieses Thema kurz eingehen. Ich
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- glaube, dass es wichtig ist, dass wir die Enquete-Kom-
neten der FDP – Dr. Dieter Wiefelspütz [SPD]: mission „Internet und digitale Gesellschaft“ gegründet
Muss denn das sein?! – Wolfgang Gunkel haben und dass wir uns sehr gewissenhaft mit all den Fa-
[SPD]: Jetzt kommt der Scan-Spezialist! – cetten des Internets und den Fragen, wie das Internet die
Michael Hartmann [Wackernheim] [SPD]: Gesellschaft verändert, auseinandersetzen. Das ist sehr
Mister Bodyscan!) wichtig, und darauf sollten wir in den nächsten vier Jah-
ren sehr nachhaltig eingehen.
Dr. Hans-Peter Uhl (CDU/CSU): Die Gesellschaft ist durch dieses Medium in der Tat
Frau Präsidentin! Meine verehrten Kolleginnen und gespalten. Wir haben – das gebe ich gerne zu, und das
Kollegen! Herr von Notz, wir haben Ihnen sehr aufmerk- müssen wir auch am Beispiel des Gesetzes zur Bekämp-
sam zugehört. fung der Kinderpornografie nachträglich zugeben – ein
bisschen mit der Stange im Nebel gestochert, als wir in
(Dr. Dieter Wiefelspütz [SPD]: Warum?)
der Großen Koalition das Gesetz gemacht haben. Des-
Das sind sehr interessante Gedanken, die auch von Herrn wegen habe ich gar keine Probleme mit dem Umstand,
Wiefelspütz hätten kommen können. dass wir dieses Gesetz derzeit nicht anwenden.
(Dr. Dieter Wiefelspütz [SPD]: Interessant?! Also, (Gerold Reichenbach [SPD]: Jetzt stochern Sie
keine Beleidigungen, Herr Uhl! Bitte!) im Kanzleramt!)
Er hat ausführlich zu einem Thema gesprochen, das uns Darüber kann ich mich rechtspolitisch überhaupt nicht
in dieser Koalition sehr am Herzen liegt, nämlich zu den erregen. Vielmehr müssen wir uns sehr sorgfältig mit
Veränderungen in der Welt des Internets und den Verän- dem Thema befassen.
derungen unserer Gesellschaft, die durch das Internet
(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE
hervorgehen.
GRÜNEN]: Herr Uhl, zurücknehmen! Einfach
(Dr. Dieter Wiefelspütz [SPD]: Kannst du auch den zurücknehmen! Dann ist alles gut!)
Computer an- und ausstellen?) Der netzpolitische Dialog, der von Ihnen, Herr Minister,
Ich würde mich – im Gegensatz zu Herrn Wiefelspütz – jetzt parallel zu unserer Enquete-Kommission begonnen
als Digital Immigrant bezeichnen. wurde, ist ebenso wichtig. (D)
(B)
(Dr. Dieter Wiefelspütz [SPD]: Was?) Die Innenpolitik möchte einerseits für Sicherheit im
Internet sorgen. Kriminalität im Internet ist gang und
– Ein Digital Immigrant ist das Gegenteil von einem Di- gäbe. Organisierte Kriminalität bemächtigt sich des In-
gital Native. ternets. Terrorismus und Spionage im Internet kommen
(Dr. Dieter Wiefelspütz [SPD]: Wow! – Beifall immer häufiger vor. Auf der anderen Seite haben wir den
der Abg. Dr. Dieter Wiefelspütz [SPD] und Datenschutz im Internet sicherzustellen. Auch dies ist
Wolfgang Gunkel [SPD]) eine schwierige Aufgabe angesichts des Umstandes,
dass gerade die jungen Menschen in einem Akt der
Letztere sind Menschen, die mit dem Computer aufge- Selbstentäußerung alle ihre persönlichen, privaten und
wachsen und daher ganz selbstverständlich in die Mate- intimsten Daten ins Internet stellen und sich durch nie-
rie hineingewachsen sind. Wir anderen, die Älteren, Herr manden daran hindern lassen.
Wieland,
Wir wollen den ungehinderten Zugang und den frei-
(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- heitlichen Charakter des Internets schützen. Wir wollen
NEN]: Ja! Ich stehe dazu!) das Internet für die Dienstleistungen des Staates nutzbar
haben uns mehr oder weniger mühsam mit diesem Me- machen. E-Government wird die Welt verändern. Wir
dium befasst, bevor wir in der Welt des Internets ange- werden von zu Hause aus Dienstleistungen des Bundes,
kommen sind. des Landes oder der Kommunen in Anspruch nehmen
können, ohne in irgendeiner Behörde gewesen zu sein.
(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Das sind die Dinge, die kommen werden. Wir werden
NEN]: Ich war schon ohne Internet glücklich! – mit dem elektronischen Personalausweis dafür sorgen,
Heiterkeit bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ dass sichere Rechtsgeschäfte getätigt werden können.
DIE GRÜNEN) Das halten wir für wichtig.
Das sind die Digital Immigrants. Lassen Sie mich kurz auf das Thema „Sicherheit, Si-
(Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE cherheitsbehörden, mehr Polizei, besser ausgebildete
GRÜNEN]: Wer hat Ihnen denn das Visum er- und besser bezahlte Polizei“ zu sprechen kommen, Herr
Kollege Scholz. Das ist immer interessant, wenn man,
teilt?)
wie Sie und ich, lange genug im Geschäft ist. Sie waren
– Dieses Visum habe ich mir selbst durch mühsames ja einmal Innensenator in Hamburg; ich glaube, bis
Selbststudium erteilt, so wie wir es immer wieder von 2001. Dann wurden Sie von einem mir sehr gut bekann-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 14. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 19. Januar 2010 1235
Dr. Hans-Peter Uhl
(A) ten Mann aus München, Udo Nagel, abgelöst. Er war (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE (C)
Leiter der Mordkommission in München. Er hat für Auf- GRÜNEN]: Es gibt keine letzte Sicherheit,
klärung gesorgt und dafür gesorgt, dass die Zahl der Herr Uhl!)
Straftaten zurückging. Deswegen ist es immer interes-
sant, wenn Sie hier anklagen, dass in Hamburg Schreck- wenn man so will, eine maschinelle Sicherheit. Wenn
liches passiert ist und es so etwas zu Ihrer Zeit mögli- man Glück hat, kann man damit aus der Flut der Touris-
cherweise nicht gegeben hat. ten einen Terroristen herausfiltern.
(Frank Hofmann [Volkach] [SPD]: Wenn man
(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
Glück hat! Das ist ein Glücksspiel!)
NEN]: Da war noch ein Herr Schill dazwi-
schen! Den haben wir nicht vergessen! Nagel Wir werden sehen, ob die Technologie tauglich ist. Die
war Polizeipräsident! Viel später!) Voraussetzungen für den Einsatz wurden bereits er-
wähnt. Wir werden sehen, ob wir diese Bodyscanner ein-
– Herr Exjustizsenator von Berlin, der Kollege Udo führen.
Nagel hat mit Recht darauf hingewiesen,
Mir liegt etwas anderes am Herzen: Als wir 9/11 ana-
(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- lysiert haben, haben wir gesagt, dass es in Deutschland
NEN]: Was ist mit Schill? – Gegenruf des mit unseren 37 Sicherheitsbehörden – 16 Verfassungs-
Abg. Olaf Scholz [SPD]: Der ist an der Copa- schutzämter plus 16 Landeskriminalämter macht 32;
cabana! – Gegenruf des Abg. Wolfgang wenn wir noch die Bundesämter hinzunehmen, kommen
Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der wir auf diese Zahl –
ist im Schnee gelandet!)
(Zuruf von der CDU/CSU: 37!)
dass in der Zeit zwischen 2001 und 2007 die Zahl der
Straftaten in Hamburg um 80 000 pro Jahr zurückgegan- nicht sein darf, dass eine Behörde, ein Land etwas weiß
gen ist. Das war nach Ihrer Zeit, Herr Scholz. Das war und die nicht mit den anderen reden. Das ist ja jetzt in
nicht Ihre Leistung, sondern die Leistung Ihres Nachfol- Amerika wiederum passiert. Deswegen haben wir das
gers. Deswegen wäre ich mit solchen Äußerungen wie Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum gegründet.
denen, die Sie vorhin getätigt haben, sehr vorsichtig.
(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
(Beifall bei der CDU/CSU – Frank Hofmann NEN]: Eben!)
[Volkach] [SPD]: So etwas ist doch viel zu Dort sitzt man täglich beisammen, und jeder legt auf den
einfach! Das ist doch dumm!) Tisch, was er weiß. Hauptsächlich so kann man für Si- (D)
(B)
Zum Terror. Natürlich müssen wir alles tun – das ist cherheit sorgen. Wenn im Einzelfall am Flughafen noch
schon mehrfach gesagt worden –, um Terroranschläge ein Bodyscanner nachhelfen kann, dann nehmen wir den
zu verhindern. Wir sollten mit den Amerikanern, was die dazu.
Vernetzung von sicherheitsrelevanten Erkenntnissen an- Lassen Sie mich noch einige Gedanken zu einem
belangt, ein ernstes Wort reden. Wir irren uns, wenn wir Thema ausführen, das in den nächsten Wochen ganz
glauben, dass wir mit einer Masse von Polizisten und ei- wichtig sein wird. Wir stehen kurz vor der Afghanistan-
ner immer größer werdenden Flut von Daten für mehr Konferenz in London. Wir Deutsche, wir Europäer wer-
Sicherheit sorgen können. Das ist nicht das Thema. Der den in London dafür sorgen müssen, dass die wahren,
Fall von Detroit hat das wirklich bewiesen. Es kann die vernünftigen und die realistischen Ziele für das ge-
nicht richtig sein, wenn es amerikanische Nachrichten- schundene Land Afghanistan definiert werden und dass
dienste gibt, die alles wissen, in Europa aber keine ein- Ziele gegebenenfalls heruntergefahren werden. Herr
zige Sicherheitsbehörde etwas davon weiß. Man stelle Scholz, da Sie mich gerade so anschauen: Ich sehe noch
sich vor, der Täter aus Nairobi wäre über Frankfurt nach den damaligen Außenminister Joschka Fischer vor mir,
Detroit geflogen: Dann wären wir die Schuldigen gewe-
sen, weil wir nichts von dem Umstand gewusst hätten, (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
dass er ein sogenannter Gefährder ist. Das hat mit Bo- NEN]: Unvergessen!)
dyscannern überhaupt nichts zu tun. Die Diskussion über
Bodyscanner wurde nur daran angehängt, obwohl es wie er im Jahr 2001 nach der Petersberger Konferenz
überhaupt keinen Sachzusammenhang gibt. schwadroniert hat: Wir werden in Afghanistan keine
Probleme haben. Wir gehen in den sicheren Norden. Wir
(Klaus Hagemann [SPD]: Von wem? – sind beliebt. Mohnanbau ist nicht unser Thema, das ma-
Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- chen die Engländer. Die Justizausbildung ist nicht unser
NEN]: Wer hat denn angefangen? Bosbach Problem, das machen die Italiener. Wenn überhaupt ge-
war der Erste!) schossen wird, dann im Süden; das machen die Englän-
der und die Amerikaner. – So wurden wir von Joschka
Das war ein Versagen amerikanischer Nachrichten- Fischer hineingelockt.
dienste.
(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
Der Bodyscanner – das wurde mehrfach ausgeführt; NEN]: Auch da haben Sie ihn falsch verstan-
ich will das jetzt nicht auch noch wiederholen – ist ein den! Sie haben ihn immer falsch verstanden,
Instrument, eine letzte Sicherheit, Mister Visa!)
1236 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 14. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 19. Januar 2010
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Die Prioritäten sind im Haushalt im Grunde genom-
neten der SPD) men vorgegeben; ich will noch einmal auf einige Punkte
im Einzelnen eingehen. Im Bereich der öffentlichen
Auch wenn das Thema schon genannt ist, möchte der Sicherheit, einer Kernaufgabe der Innenpolitik, liegt
Wichtigkeit halber auch ich etwas zu dem Thema nach wie vor zu Recht unser Schwerpunkt. Der Einzel-
„Migration und Integration“ hinzufügen. Die Integra- plan 06 des Haushaltsentwurfs hat an dieser Stelle auch
tionskurse sind trotz der Mittelerhöhungen nach wie vor für das Jahr 2010 die sicherheitspolitischen Weichen
1240 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 14. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 19. Januar 2010
Helmut Brandt
(A) richtig gestellt. Mit 3,767 Milliarden Euro entfallen wendigen Rahmenbedingungen ist es deshalb auch die (C)
mehr als zwei Drittel des uns zur Verfügung stehenden Aufgabe von uns allen, die Sensibilität und Selbstverant-
Etats auf den Bereich der inneren oder, wie man heute wortung der Bürgerinnen und Bürger für ihre eigenen
richtigerweise sagt, öffentlichen Sicherheit. Das klingt Daten zu stärken.
zunächst viel. Wenn man sich aber die Frage stellt, ob
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
dieses Geld der Größenordnung nach gut ausgegeben ist,
neten der FDP)
dann muss man kurz und einfach antworten: Ja, auch in
Zukunft soll es den deutschen Bürgern und unseren Gäs- In diesem Zusammenhang ist übrigens auch die
ten möglich sein, sich frei und sorglos in unserem Land Sicherheitsforschung ein zentraler Baustein. Wir wol-
zu bewegen. len die Forschungseinrichtungen und Universitäten, aber
(Beifall bei der CDU/CSU) auch die Unternehmen in Deutschland stärken, um den
Datenschutz für unsere Bürger zu gewährleisten. Für
Auch in Zeiten knapper werdender Ressourcen erwarten diese Aufgabe erhält das Bundesamt für Sicherheit in der
die Bürger von ihrem Staat zu Recht, dass er ihre Sicher- Informationstechnik rund 68 Millionen Euro. Es soll der
heit gewährleistet. Es bleibt daher unsere zentrale Ver- wachsenden Bedeutung der IT-Sicherheit im Zeitalter
antwortung, diese öffentliche Sicherheit in Deutschland der Informations- und Wissensgesellschaft Rechnung
zu gewährleisten und die Leistungsfähigkeit der dafür tragen.
zuständigen Bundesbehörden zu erhalten.
Das wohl wichtigste Ereignis, welches die Notwen-
(Beifall der Abg. Erika Steinbach [CDU/ digkeit der Forschung auf dem Gebiet der inneren Si-
CSU]) cherheit unterstreicht, ist der jüngste Attentatversuch in
Detroit. Richtig ist: Auch ein Körperscanner bringt
Garant für die Leistungsfähigkeit der Behörden ist ihr
keine hundertprozentige Sicherheit. Der Einsatz eines
Personal. Deshalb haben die Personalkosten auch in die-
Körperscanners hätte jedoch möglicherweise den
sem Haushaltsjahr einen gewaltigen Anteil am Gesamt-
Sprengstoff sichtbar gemacht, den dieser Attentäter am
volumen. Auch so erklärt sich, dass zwei Drittel des Ge-
Körper trug. Der Vorteil dieser noch nicht vollständig
samtetats für den Bereich der öffentlichen Sicherheit
ausgereiften Technologie besteht darin, dass gegenüber
veranschlagt werden. Diese Gewichtung trägt jener Ver-
der jetzt angewandten, rein auf Metalldetektoren ange-
antwortung Rechnung, die ich eben dargestellt habe.
legten Technik versteckte Gegenstände sichtbar gemacht
Heute ist mehrfach eine Diskussion zum Daten- werden können, die bei herkömmlichen Scannern unent-
schutz angeregt worden. Der Minister hat bereits darauf deckt bleiben. Körperscanner würden, wenn sie in der
hingewiesen, dass wir in dieser Legislaturperiode Entwicklung so weit fortgeschritten sind, wie der Minis-
(B) – schon in den nächsten Monaten – für den Bereich des ter zu Recht gefordert hat, eine große Zahl von manuel- (D)
Arbeitsrechts die notwendige Datenschutzgesetzgebung len Kontrollen an den Flughäfen möglicherweise über-
einbringen wollen. Betrachtet man den Datenschutz in flüssig machen; auch das muss einmal gesagt werden.
unserer heutigen Informationsgesellschaft, so ist es uner- Dennoch gilt uneingeschränkt – daran will auch ich kei-
lässlich, darüber vertieft zu diskutieren. Es wurden be- nen Zweifel lassen –, dass beim Einsatz eines Körper-
reits die Datenschutzskandale bei verschiedenen Unter- scanners die Intim- und Privatsphäre des Reisenden ge-
nehmen genannt; das brauche ich nicht zu wiederholen. wahrt bleiben muss, wie auch ausgeschlossen sein muss,
Wir wollen und wir brauchen ein hohes Datenschutz- dass von einem solchen Scanner gesundheitliche Risiken
niveau; darin sind wir uns, glaube ich, alle einig. Wir ha- ausgehen.
ben schon in der letzten Legislaturperiode einige Konse-
Gestatten Sie mir noch einige Sätze zum Digitalfunk,
quenzen aus den bekannten Skandalen gezogen. Diesen
über den heute noch nicht gesprochen worden ist. Auch
Weg wollen und werden wir weitergehen.
2010 stehen die notwendigen Mittel für die weitere Ent-
In der letzten Legislaturperiode wurde immer wieder wicklung und Einführung zur Verfügung. Aber gerade
die Forderung nach zusätzlichen Stellen beim Daten- im Hinblick auf die notwendigen Haushaltskonsolidie-
schutzbeauftragten erhoben; darüber wurde bereits gere- rungsmaßnahmen in den nächsten Jahren weise ich
det. Das haben wir versprochen, und wir werden es auch schon heute darauf hin, dass wir uns in den nächsten Jah-
halten. Sowohl im Koalitionsvertrag als auch im jetzigen ren, sicherlich auch schon im nächsten Jahr, damit be-
Haushalt ist ein Aufwuchs an Stellen mit rund elf Stellen schäftigen werden, wie die notwendigen weiteren hohen
im Bereich des Datenschutzbeauftragten vorgesehen. Ich Kosten für die unstreitig notwendige Einführung im
denke, das ist eine qualitativ und quantitativ berechtigte Haushalt abgesichert werden können.
und auch dem Umfang nach ausreichende Maßnahme.
Sehr froh sind wir darüber, dass nach dem erfolgrei-
Ich möchte an dieser Stelle aber auch an jeden einzel- chen Abschluss der Neuordnung der Bundespolizei nun
nen Bürger direkt appellieren, umsichtig mit seinen Da- auch der Neubau des Polizeipräsidiums in Potsdam an-
ten umzugehen. Ich bin immer wieder erstaunt, wie steht. Der Haushalt ist auch immer ein Ausblick nach
leichtfertig Menschen jeden Alters freiwillig im Internet, vorne. Der jetzige Innenminister ist zu Recht heute
aber auch bei anderen Gelegenheiten ihre persönlichen mehrfach auch aus den Reihen der Opposition gelobt
Daten – oft inklusive ihrer Kontoverbindung – preisge- worden. An dieser Stelle erlaube ich mir, auch dem vori-
ben. Da nützt auch der beste staatliche Datenschutz gen Innenminister ein Lob für die gelungene Reform der
nichts. Jeder Einzelne trägt die Mitverantwortung für Bundespolizei auszusprechen. Herr Hofmann, ich weiß,
seine persönlichen Daten. Neben der Schaffung der not- dass Sie darin mit mir einer Meinung sind.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 14. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 19. Januar 2010 1241
Helmut Brandt
(A) (Beifall bei der CDU/CSU) gaben, die in den nächsten Monaten auf uns zukommen, (C)
gerecht wird. Ich bitte deshalb Sie alle um Ihre Zustim-
Zur Bundeszentrale für politische Bildung möchte
mung.
ich auch einige Sätze anmerken. Sehr wichtig und er-
freulich finde ich, dass die Haushaltsansätze der Bundes- Vielen Dank.
zentrale für politische Bildung stabil gehalten werden
können; denn die Bundeszentrale leistet im Bereich der (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
politischen Aufklärung und im Bereich der Demokratie- neten der FDP – Wolfgang Wieland [BÜND-
förderung hervorragende Arbeit. Die Auseinanderset- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Das müssen wir erst
zung mit dem politischen Extremismus bleibt im Jahr einmal beraten! In der ersten Lesung stimmen
2010 wie auch in den vergangenen Jahren ein Schwer- wir noch gar nicht zu!)
punkt der Arbeit der Bundeszentrale. Dies ist angesichts
eines dramatischen Anstiegs der Zahl der Straftaten mit Vizepräsidentin Petra Pau:
einem linksextremen Hintergrund von enormer Bedeu- Das Wort hat der Kollege Dr. Peter Danckert für die
tung. Die Bundesregierung nimmt entgegen dem Vor- SPD-Fraktion.
wurf der Fraktion Die Linke den Kampf gegen den
Rechtsextremismus sehr ernst. Neben dem Rechtsextre- (Stephan Mayer [Altötting] [CDU/CSU]: Ein
mismus gibt es nachweislich – und das zunehmend – klares Bekenntnis für München!)
linksextremistische und islamistische Tendenzen in
Deutschland, die wir nicht ignorieren dürfen und be- Dr. Peter Danckert (SPD):
kämpfen müssen. Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kolle-
(Steffen Bockhahn [DIE LINKE]: Das ist doch gen! Wir unterstützen die Bewerbung von München; da-
nicht vergleichbar!) mit das klar ist.
– Das vergleicht auch niemand. Dennoch darf man sich (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
der Aufgabe nicht verschließen. der FDP)
Zu den Integrationskursen ist schon einiges gesagt Ich komme nachher auf den Sport zurück.
worden. Nur so viel: Diese eingerichteten Kurse sind
eine echte Erfolgsstory. Es ist notwendig, die Wahrneh- Herr Minister, zuerst ein Kompliment – einige haben
mung dieser Aufgabe über das Jahr 2010 sicherzustellen. schon darauf hingewiesen –: Wenn man den ersten Re-
Ich bin sehr dankbar dafür, dass schon im Haushalt 2010 gierungsentwurf mit dem von Ihnen erarbeiteten Ent-
die notwendigen Mittel – die Höhe kann man der Inan- wurf vergleicht, dann stellt man sehr schnell fest, dass
(B)
spruchnahme in den letzten Jahren entnehmen – einge- 75 Millionen Euro mehr eingestellt sind. Die Hauptposi- (D)
stellt werden. tion von 44 Millionen Euro ist für die Aufstockung der
Mittel für die Integrationskurse vorgesehen. Das ist ein
Der Innenminister hat zu Recht auf das geschundene richtiges Zeichen; das haben schon viele Kollegen ange-
Land Haiti, von dem furchtbare Bilder zu sehen sind, hin- sprochen. Ich habe noch zwei Anmerkungen dazu: Ers-
gewiesen. Ich möchte vor diesem Hintergrund auf die Be- tens. Ist das wirklich bedarfsgerecht? Daran habe ich im
deutung des Bevölkerungs- und Katastrophenschutzes Moment noch Zweifel. Darüber können wir vielleicht
eingehen. Die Katastrophe in Haiti zeigt einmal mehr, bei anderer Gelegenheit, zum Beispiel im Haushaltsaus-
dass ein Staat imstande sein muss, die notwendige Infra- schuss, ausführlich reden. Zweitens. Bleibt diese Posi-
struktur zu gewährleisten, um einer Katastrophe Herr zu tion nachhaltig bestehen? Wir stehen vor der schwieri-
werden. Das ist in Haiti leider nicht der Fall. Wir können gen Aufgabe, in den nächsten Jahren – das gilt schon für
aber an diesem Beispiel sehen, dass es gut ist, für diesen den nächsten Haushalt – gewaltige Summen einzuspa-
Schutz Geld auszugeben und Vorsorge zu treffen. Ich ren. Ich weiß nicht, ob wir darüber schon in Kürze reden
stelle fest: Deutschland ist auf dem Gebiet des Katastro- können. Die Gesamtsumme dürfte jedenfalls rund
phenschutzes bestens aufgestellt. Um dies weiterhin si- 400 Millionen Euro betragen. Ich würde es sehr begrü-
cherzustellen, werden THW und das Bundesamt für Be- ßen, wenn diese Position, die alle als notwendig und
völkerungsschutz und Katastrophenhilfe auch in Zukunft richtig bezeichnet haben, nicht als Sparbüchse miss-
unsere volle Unterstützung finden. Bei dieser Gelegen- braucht wird; das wäre mein Wunsch.
heit möchte ich mich bei allen Helfern, insbesondere bei
den ehrenamtlichen, für ihren unermüdlichen Einsatz (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der
ausdrücklich bedanken. CDU/CSU)
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie – Wie ich sehe, klatschen Herr Uhl und andere Unions-
bei Abgeordneten der SPD) kollegen.
Diese Integrationskurse gehen auf eine Idee der rot-
Vizepräsidentin Petra Pau: grünen Koalition zurück. Sie hat damit begonnen. Das
Kollege Brandt, achten Sie bitte auf die Redezeit. Ganze wurde kritisch beleuchtet. Die Große Koalition
hat das fortgesetzt. Im Jahr 2009 wurden dafür Restmit-
Helmut Brandt (CDU/CSU): tel aus dem Haushalt in Höhe von 30 Millionen Euro zur
Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss. – Ich bin Verfügung gestellt. Nun erfolgt eine Aufstockung um
sicher, dass der vorliegende Haushaltsentwurf den Auf- 44 Millionen Euro. Das ist ein richtiges Zeichen.
1242 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 14. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 19. Januar 2010
Jimmy Schulz
(A) net. Ich war einer von ihnen. Zum ersten Mal seit elf geehrte Kolleginnen und Kollegen, haben wir in Zukunft (C)
Jahren stehen wir nun an der Schwelle zu mehr anstatt keine schlaflosen Nächte.
weniger Freiheit. Lassen Sie uns die Chance gemeinsam
nutzen. Vielen Dank.
Sehr glücklich bin ich übrigens – Sie verzeihen mir (Beifall bei der FDP)
einen thematischen Schwenk – über die im Koalitions-
vertrag verankerte Förderung der gemeinsamen Bewer- Vizepräsidentin Petra Pau:
bung für die Winterspiele 2018 von München, Gar- Kollege Schulz, auch Ihnen gratulieren wir zu Ihrer
misch-Partenkirchen und – meiner zweiten Heimat – ersten Rede im Deutschen Bundestag und wünschen Ih-
dem Berchtesgadener Land. Wir haben 2006 bewiesen, nen weiterhin viel Erfolg in Ihrer Arbeit.
dass wir sportliche Großereignisse stemmen können,
und wir haben bewiesen, dass die Begeisterung für Sport (Beifall)
und das gemeinsame Erleben von großen Leistungen die
Menschen quer durch alle Schichten der Gesellschaft zu- Weitere Wortmeldungen zu diesem Einzelplan liegen
sammenbringen kann. Ich erhoffe mir neben der Außen- nicht vor.
wirkung und dem touristischen Aufschwung vor allem
eine Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhalts. Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-
Die Bewerbung hat die Unterstützung von Bund und ordnung.
Ländern verdient. Dies hat auch dieses Haus in der letz- Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
ten Legislaturperiode durch einen interfraktionellen An- destages auf morgen, Mittwoch, den 20. Januar 2010,
trag bestätigt. 9 Uhr, ein.
Wenn wir beim Haushalt 2010 nach zweimal Umdre- Die Sitzung ist geschlossen.
hen und dreimal Darüber-Schlafen die richtigen Prioritä-
ten gesetzt haben – davon bin ich überzeugt –, dann, sehr (Schluss: 20.17 Uhr)
(B) (D)
Berichtigung
11. Sitzung, Seite 867 (A), der Abgeordnete Andrej
Konstantin Hunko ist der Fraktion DIE LINKE zuzuord-
nen.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 14. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 19. Januar 2010 1245
Anlage 1
Liste der entschuldigten Abgeordneten
Dr. h. c. Erler, Gernot SPD 19.01.2010 Nešković, Wolfgang DIE LINKE 19.01.2010
Ernst, Klaus DIE LINKE 19.01.2010 Dr. Schmidt, Frithjof BÜNDNIS 90/ 19.01.2010
DIE GRÜNEN
Dr. Fuchs, Michael CDU/CSU 19.01.2010
Dr. Tackmann, Kirsten DIE LINKE 19.01.2010
Groschek, Michael SPD 19.01.2010
Weinberg, Harald DIE LINKE 19.01.2010
Günther (Plauen), FDP 19.01.2010
Joachim Zimmermann, Sabine DIE LINKE 19.01.2010
Anlage 2
(B) Erklärung (D)
des Abgeordneten Dr. Peter Tauber (CDU/CSU) zur namentlichen Abstimmung über den Änderungsan-
trag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zur zweiten Beratung über den Entwurf eines Gesetzes zur
Beschleunigung des Wirtschaftswachstums (Wachstumsbeschleunigungsgesetz) (10. Sitzung, Tagesordnungs-
punkt 13 a, Seite 757)
In der Ergebnisliste ist mein Name nicht aufgeführt. Mein Votum lautet „Nein“.
Anlage 3
Namensverzeichnis
der Mitglieder des Deutschen Bundestages, die an der Wahl eines Mitglieds des Parlamentarischen Kon-
trollgremiums gemäß Artikel 45 d des Grundgesetzes teilgenommen haben (Tagesordnungspunkt 1)
(A) Norbert Geis Dr. Hermann Kues Karl Schiewerling Willi Brase (C)
Alois Gerig Günter Lach Norbert Schindler Bernhard Brinkmann
Eberhard Gienger Dr. Karl A. Lamers Tankred Schipanski (Hildesheim)
Michael Glos (Heidelberg) Georg Schirmbeck Edelgard Bulmahn
Josef Göppel Andreas G. Lämmel Christian Schmidt (Fürth) Marco Bülow
Peter Götz Dr. Norbert Lammert Patrick Schnieder Ulla Burchardt
Dr. Wolfgang Götzer Katharina Landgraf Dr. Andreas Schockenhoff Martin Burkert
Ute Granold Ulrich Lange Dr. Ole Schröder Petra Crone
Reinhard Grindel Dr. Max Lehmer Bernhard Schulte-Drüggelte Dr. Peter Danckert
Hermann Gröhe Paul Lehrieder Uwe Schummer Martin Dörmann
Michael Grosse-Brömer Dr. Ursula von der Leyen Armin Schuster (Weil am Elvira Drobinski-Weiß
Astrid Grotelüschen Ingbert Liebing Rhein) Siegmund Ehrmann
Markus Grübel Matthias Lietz Detlef Seif Karin Evers-Meyer
Manfred Grund Dr. Carsten Linnemann Johannes Selle Elke Ferner
Monika Grütters Patricia Lips Reinhold Sendker Gabriele Fograscher
Dr. Karl-Theodor Freiherr Dr. Jan-Marco Luczak Dr. Patrick Sensburg Dr. Edgar Franke
zu Guttenberg Dr. Michael Luther Thomas Silberhorn Dagmar Freitag
Olav Gutting Karin Maag Johannes Singhammer Peter Friedrich
Florian Hahn Dr. Thomas de Maizière Jens Spahn Sigmar Gabriel
Holger Haibach Hans-Georg von der Marwitz Carola Stauche Michael Gerdes
Dr. Stephan Harbarth Andreas Mattfeldt Dr. Frank Steffel Martin Gerster
Jürgen Hardt Stephan Mayer (Altötting) Christian Freiherr von Stetten Iris Gleicke
Gerda Hasselfeldt Dr. Michael Meister Dieter Stier Günter Gloser
Dr. Matthias Heider Dr. Angela Merkel Gero Storjohann Ulrike Gottschalck
Mechthild Heil Maria Michalk Stephan Stracke Angelika Graf (Rosenheim)
Ursula Heinen-Esser Dr. h. c. Hans Michelbach Max Straubinger Michael Groß
Frank Heinrich Dr. Mathias Middelberg Karin Strenz Wolfgang Gunkel
Rudolf Henke Philipp Mißfelder Lena Strothmann Hans-Joachim Hacker
Michael Hennrich Dietrich Monstadt Michael Stübgen Bettina Hagedorn
Jürgen Herrmann Marlene Mortler Antje Tillmann Klaus Hagemann
Ansgar Heveling Dr. Gerd Müller Dr. Hans-Peter Uhl Michael Hartmann
Ernst Hinsken Stefan Müller (Erlangen) Arnold Vaatz (Wackernheim)
Peter Hintze Nadine Müller (St. Wendel) Volkmar Vogel (Kleinsaara) Hubertus Heil (Peine)
Christian Hirte Dr. Philipp Murmann Stefanie Vogelsang Rolf Hempelmann
Robert Hochbaum Bernd Neumann (Bremen) Andrea Astrid Voßhoff Dr. Barbara Hendricks
(B) Dr. Johann Wadephul (D)
Karl Holmeier Michaela Noll Gustav Herzog
Franz-Josef Holzenkamp Dr. Georg Nüßlein Marco Wanderwitz Gabriele Hiller-Ohm
Joachim Hörster Franz Obermeier Kai Wegner Petra Hinz (Essen)
Thomas Jarzombek Eduard Oswald Marcus Weinberg (Hamburg) Frank Hofmann (Volkach)
Dr. Dieter Jasper Henning Otte Peter Weiß (Emmendingen) Dr. Eva Högl
Dr. Franz Josef Jung Dr. Michael Paul Sabine Weiss (Wesel I) Christel Humme
Dr. Egon Jüttner Rita Pawelski Ingo Wellenreuther Josip Juratovic
Bartholomäus Kalb Dr. Joachim Pfeiffer Karl-Georg Wellmann Oliver Kaczmarek
Steffen Kampeter Sibylle Pfeiffer Peter Wichtel Dr. h. c. Susanne Kastner
Alois Karl Beatrix Philipp Annette Widmann-Mauz Ulrich Kelber
Bernhard Kaster Ronald Pofalla Klaus-Peter Willsch Hans-Ulrich Klose
Volker Kauder Christoph Poland Elisabeth Winkelmeier- Dr. Bärbel Kofler
Siegfried Kauder (Villingen- Ruprecht Polenz Becker Daniela Kolbe (Leipzig)
Schwenningen) Eckhard Pols Dagmar Wöhrl Fritz Rudolf Körper
Dr. Stefan Kaufmann Lucia Puttrich Dr. Matthias Zimmer Anette Kramme
Roderich Kiesewetter Daniela Raab Wolfgang Zöller Nicolette Kressl
Eckart von Klaeden Thomas Rachel Willi Zylajew Angelika Krüger-Leißner
Volkmar Klein Dr. Peter Ramsauer Ute Kumpf
Jürgen Klimke Eckhardt Rehberg SPD Christine Lambrecht
Julia Klöckner Katherina Reiche (Potsdam) Ingrid Arndt-Brauer Christian Lange (Backnang)
Axel Knoerig Lothar Riebsamen Rainer Arnold Dr. Karl Lauterbach
Jens Koeppen Josef Rief Heinz-Joachim Barchmann Burkhard Lischka
Dr. Kristina Köhler Klaus Riegert Doris Barnett Gabriele Lösekrug-Möller
(Wiesbaden) Dr. Heinz Riesenhuber Dr. Hans-Peter Bartels Kirsten Lühmann
Manfred Kolbe Johannes Röring Klaus Barthel Caren Marks
Dr. Rolf Koschorrek Dr. Norbert Röttgen Sören Bartol Katja Mast
Hartmut Koschyk Dr. Christian Ruck Bärbel Bas Hilde Mattheis
Thomas Kossendey Erwin Josef Rüddel Sabine Bätzing Petra Merkel (Berlin)
Gunther Krichbaum Albert Rupprecht (Weiden) Dirk Becker Ullrich Meßmer
Dr. Günter Krings Anita Schäfer (Saalstadt) Uwe Beckmeyer Dr. Matthias Miersch
Dr. Martina Krogmann Dr. Wolfgang Schäuble Lothar Binding (Heidelberg) Franz Müntefering
Rüdiger Kruse Dr. Annette Schavan Gerd Bollmann Dr. Rolf Mützenich
Bettina Kudla Dr. Andreas Scheuer Klaus Brandner Dietmar Nietan
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 14. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 19. Januar 2010 1247
(A) Manfred Nink Rainer Brüderle Werner Simmling Petra Pau (C)
Thomas Oppermann Angelika Brunkhorst Judith Skudelny Jens Petermann
Holger Ortel Marco Buschmann Dr. Hermann Otto Solms Richard Pitterle
Aydan Özoğuz Sylvia Canel Joachim Spatz Ingrid Remmers
Heinz Paula Helga Daub Dr. Max Stadler Paul Schäfer (Köln)
Johannes Pflug Reiner Deutschmann Torsten Heiko Staffeldt Michael Schlecht
Joachim Poß Dr. Bijan Djir-Sarai Dr. Rainer Stinner Dr. Herbert Schui
Dr. Wilhelm Priesmeier Patrick Döring Carl-Ludwig Thiele Dr. Ilja Seifert
Florian Pronold Mechthild Dyckmans Stephan Thomae Kathrin Senger-Schäfer
Dr. Sascha Raabe Rainer Erdel Florian Toncar Raju Sharma
Mechthild Rawert Jörg van Essen Serkan Tören Dr. Petra Sitte
Gerold Reichenbach Ulrike Flach Johannes Vogel Kersten Steinke
Dr. Carola Reimann Otto Fricke (Lüdenscheid) Sabine Stüber
René Röspel Paul K. Friedhoff Dr. Guido Westerwelle Alexander Süßmair
Dr. Ernst Dieter Rossmann Dr. Edmund Peter Geisen Dr. Claudia Winterstein Frank Tempel
Karin Roth (Esslingen) Dr. Wolfgang Gerhardt Dr. Volker Wissing Dr. Axel Troost
Michael Roth (Heringen) Hans-Michael Goldmann Hartfrid Wolff (Rems-Murr) Alexander Ulrich
Marlene Rupprecht Heinz Golombeck Kathrin Vogler
(Tuchenbach) Miriam Gruß DIE LINKE Sahra Wagenknecht
Anton Schaaf Dr. Christel Happach-Kasan Halina Wawzyniak
Jan van Aken
Axel Schäfer (Bochum) Heinz-Peter Haustein Katrin Werner
Agnes Alpers
Bernd Scheelen Manuel Höferlin Jörn Wunderlich
Dr. Dietmar Bartsch
Marianne Schieder Elke Hoff Herbert Behrens
(Schwandorf) Birgit Homburger BÜNDNIS 90/
Karin Binder
Werner Schieder (Weiden) Dr. Werner Hoyer DIE GRÜNEN
Matthias W. Birkwald
Silvia Schmidt (Eisleben) Heiner Kamp Heidrun Bluhm Kerstin Andreae
Ulla Schmidt (Aachen) Michael Kauch Steffen Bockhahn Marieluise Beck (Bremen)
Carsten Schneider (Erfurt) Dr. Lutz Knopek Christine Buchholz Volker Beck (Köln)
Ottmar Schreiner Pascal Kober Eva Bulling-Schröter Cornelia Behm
Swen Schulz (Spandau) Dr. Heinrich L. Kolb Dr. Martina Bunge Birgitt Bender
Ewald Schurer Hellmut Königshaus Roland Claus Alexander Bonde
Frank Schwabe Gudrun Kopp Sevim Dağdelen Viola von Cramon-Taubadel
Dr. Angelica Schwall-Düren Dr. h. c. Jürgen Koppelin Dr. Diether Dehm Ekin Deligöz
Dr. Martin Schwanholz Sebastian Körber Heidrun Dittrich Katja Dörner
Rolf Schwanitz Patrick Kurth (Kyffhäuser)
(B) Stefan Schwartze
Werner Dreibus Hans-Josef Fell (D)
Heinz Lanfermann Dr. Dagmar Enkelmann
Dr. Carsten Sieling Dr. Thomas Gambke
Sibylle Laurischk Klaus Ernst
Sonja Steffen Kai Gehring
Harald Leibrecht Wolfgang Gehrcke
Peer Steinbrück Katrin Göring-Eckardt
Sabine Leutheusser- Nicole Gohlke
Dr. Frank-Walter Steinmeier Schnarrenberger Britta Haßelmann
Diana Golze Bettina Herlitzius
Christoph Strässer Lars Lindemann Annette Groth Winfried Hermann
Kerstin Tack Christian Lindner Dr. Gregor Gysi
Dr. h. c. Wolfgang Thierse Dr. Martin Lindner (Berlin) Priska Hinz (Herborn)
Heike Hänsel
Franz Thönnes Michael Link (Heilbronn) Ulrike Höfken
Dr. Rosemarie Hein
Wolfgang Tiefensee Dr. Erwin Lotter Dr. Anton Hofreiter
Inge Höger
Ute Vogt Oliver Luksic Bärbel Höhn
Dr. Barbara Höll
Dr. Marlies Volkmer Horst Meierhofer Ingrid Hönlinger
Andrej Konstantin Hunko
Andrea Wicklein Patrick Meinhardt Thilo Hoppe
Ulla Jelpke
Heidemarie Wieczorek-Zeul Gabriele Molitor Uwe Kekeritz
Dr. Lukrezia Jochimsen
Dr. Dieter Wiefelspütz Jan Mücke Katja Keul
Katja Kipping
Waltraud Wolff Petra Müller (Aachen) Memet Kilic
Harald Koch
(Wolmirstedt) Burkhardt Müller-Sönksen Sven Kindler
Jan Korte
Uta Zapf Dr. Martin Neumann Maria Klein-Schmeink
Jutta Krellmann
Dagmar Ziegler (Lausitz) Ute Koczy
Katrin Kunert
Manfred Zöllmer Dirk Niebel Thomas Koenigs
Caren Lay
Brigitte Zypries Hans-Joachim Otto Sylvia Kotting-Uhl
Sabine Leidig
(Frankfurt) Ralph Lenkert Oliver Krischer
FDP Cornelia Pieper Agnes Krumwiede
Michael Leutert
Jens Ackermann Gisela Piltz Stefan Liebich Fritz Kuhn
Christian Ahrendt Dr. Birgit Reinemund Ulla Lötzer Stephan Kühn
Christine Aschenberg- Dr. Peter Röhlinger Dr. Gesine Lötzsch Renate Künast
Dugnus Dr. Stefan Ruppert Thomas Lutze Markus Kurth
Daniel Bahr (Münster) Björn Sänger Ulrich Maurer Undine Kurth (Quedlinburg)
Florian Bernschneider Frank Schäffler Dorothée Menzner Monika Lazar
Sebastian Blumenthal Christoph Schnurr Cornelia Möhring Nicole Maisch
Claudia Bögel Jimmy Schulz Kornelia Möller Agnes Malczak
Nicole Bracht-Bendt Marina Schuster Niema Movassat Jerzy Montag
Klaus Breil Dr. Erik Schweickert Thomas Nord Kerstin Müller (Köln)
1248 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 14. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 19. Januar 2010
(A) Beate Müller-Gemmeke Lisa Paus Dr. Gerhard Schick Markus Tressel (C)
Ingrid Nestle Tabea Rößner Dorothea Steiner Jürgen Trittin
Dr. Konstantin von Notz Krista Sager Dr. Wolfgang Strengmann- Daniela Wagner
Omid Nouripour Manuel Sarrazin Kuhn Wolfgang Wieland
Friedrich Ostendorff Elisabeth Scharfenberg Hans-Christian Ströbele Dr. Valerie Wilms
Dr. Hermann Ott Christine Scheel Dr. Harald Terpe Josef Philip Winkler
(B) (D)
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