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Deutscher Bundestag
Stenographischer Bericht
11. Sitzung
Inhalt:
Tagesordnungspunkt 1: Tagesordnungspunkt 2:
Befragung der Bundesregierung (Gesetz Fragestunde
zu dem Protokoll Nr. 11 vom 11. Mai 1994 — Drucksache 13/213 vom 13. Januar
zur Konvention zum Schutze der Men- 1995 —
schenrechte und Grundfreiheiten; Aus-
bau und Vertiefung der deutsch-vietna- Haltung der Bundesrepublik Deutschland
mesischen Beziehungen) beim Treffen der Internationalen Walfang-
Rainer Funke, Parl. Staatssekretär BMJ 605 B kommission bezüglich der Festsetzung von
Strafen für Verstöße gegen IWC-Beschlüsse,
Rudolf Bindig SPD 606 A wie z. B. Fangobergrenzen und Moratorien
Rainer Funke, Parl. Staatssekretär BMJ 606 A MdlAnfr 1
Dieter Schanz SPD 606 B Dietmar Schütz (Oldenburg) SPD
Bernd Schmidbauer, Staatsminister BK 606 B Antw PStSekr Wolfgang Gröbl BML 610 C
Dr. Werner Hoyer, Staatsminister AA . 606 C ZusFr Dietmar Schütz (Oldenburg) SPD 610 D
Dieter Schanz SPD 606 D Ablehnung der Finanzierung der Behand-
Bernd Schmidbauer, Staatsminister BK 607 A lung eines Kindes im Petö-Institut in Buda-
pest durch die DAK
Volker Neumann (Bramsche) SPD 607 B
MdlAnfr 2, 3
Dr. Werner Hoyer, Staatsminister AA 607 C Dieter Grasedieck SPD
Joseph Fischer (Frankfurt) BÜNDNIS 90/DIE Antw PStSekr'in Dr. Sabine Bergmann-Pohl
GRÜNEN 607 C BMG 611B, 611D
Bernd Schmidbauer, Staatsminister BK 607 D ZusFr Dieter Grasedieck SPD 611 C, 612 A
Dr. Werner Hoyer, Staatsminister AA 608 A
Belastungen der Gemeinden im Sozialbe-
Joseph Fischer (Frankfurt) BÜNDNIS 90/DIE reich als Folge der finanziellen Kürzungen
GRÜNEN 608 B der Eingliederungshilfen für Spätaussiedler
Dr. Werner Hoyer, Staatsminister AA 608 C MdlAnfr 17
Dr. Dietrich Mahlo CDU/CSU 608 D Peter Dreßen SPD
Bernd Schmidbauer, Staatsminister BK 608 D Antw PStSekr Eduard Lintner BMI 612 B
Dr. Dietrich Mahlo CDU/CSU 609 A ZusFr Peter Dreßen SPD 612 C
Dr. Werner Hoyer, Staatsminister AA 609 B Aussagen von PStSekr Eduard Lintner (BMI)
Bernd Schmidbauer, Staatsminister BK 609 B zum Flugzeugabsturz des ehemaligen
schleswig-holsteinischen Ministerpräsiden-
Cornelia Schmalz-Jacobsen F.D.P. 609 C
ten Dr. Uwe Barschel; Erkenntnisse der
Dr. Werner Hoyer, Staatsminister AA 609 C Nachrichtendienste über dessen Tod
II Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 11. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 18. Januar 1995
Antw PStSekr Eduard Lintner BMI 616 A ZusFr Dr. Peter Struck SPD 621 D
ZusFr Horst Kubatschka SPD 616 B ZusFr Peter Dreßen SPD 622 A
11. Sitzung
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Liebe Kolleginnen schen auf 33 Staaten angewachsen, und der Zustrom
und Kollegen, auch wenn morgen erst der reguläre von Ländern aus dem früheren Ostblock hält an, was
Plenartag ist, wünsche ich denen, die heute hier sind, wir alle sehr begrüßen. Die Folge ist, daß immer mehr
alles Gute zum neuen Jahr. Menschenrechtsbeschwerden eingelegt werden.
1994 waren es fast 10 000, von denen nach einer
Ich eröffne die Sitzung und rufe den Tagesord- gewissen Vorprüfung 3 000 registriert worden sind,
nungspunkt 1 auf: also in das gerichtsförmige Verfahren gelangt sind.
Befragung der Bundesregierung Die stärkere Belastung der Kontrollorgane führt
Als Themen der heutigen Kabinettsitzung hat die dazu, daß die Verfahren in Straßburg durchschnittlich
Bundesregierung mitgeteilt: erstens Gesetz zur Kon- mehr als fünf Jahre bis zu einer abschließenden
vention zum Schutze der Menschenrechte und Grund- Entscheidung durch den Gerichtshof oder das Mini-
freiheiten und zweitens Ausbau und Vertiefung der sterkomitee dauern. Das ist viel zu lang, insbesondere,
deutsch-vietnamesischen Beziehungen. wenn man bedenkt, daß vorher der nationale Instan-
Das Wort für den einleitenden Bericht hat der zenzug ausgeschöpft sein muß. Grund hierfür ist vor
Parlamentarische Staatssekretär bei der Bundesmini- allem die besondere Umständlichkeit des Verfahrens,
dem man einerseits anmerkt, daß damals schon viel
sterin der Justiz, Rainer Funke.
Mut dazu gehörte, eine so wirksame internationale
Kontrolle vorzusehen, und andererseits, daß sie erst
Rainer Funke, Parl. Staatssekretär bei der Bundes- auf dem Kompromißwege gefunden wurde. So ist ein
ministerin der Justiz: Frau Präsidentin, der Entwurf vertrauliches Verfahren vor der Europäischen Kom-
des Vertragsgesetzes betrifft ein Vorhaben von beson- mission für Menschenrechte vorgeschaltet, und es ist
derer Bedeutung. Es geht um den europäischen bestimmt worden, daß das Ministerkomitee in einem
Menschenrechtsschutz nach der Menschenrechts- gleichfalls vertraulichen Verfahren abschließend ent-
konvention. Wie wichtig ein wirksamer internationa- scheidet, wenn die Sache dem Gerichtshof nicht -
ler Menschenrechtsschutz ist, erfahren wir ja täglich vorgelegt wird.
neu.
Der europäische Menschenrechtsschutz nach der Jetzt ist die Zeit reif für ein lupenreines Gerichtsver-
Menschenrechtskonvention, wie er vor über 40 Jah- fahren, das öffentlich abläuft und in dem die
ren geschaffen worden ist, ist einzigartig in der Welt. Beschwerden ausschließlich durch den ständig in
Er gibt einzelnen Personen das Recht, Beschwerden Straßburg tagenden Gerichtshof geprüft werden, der
einzulegen, wenn sie sich in ihren in der Konvention stets durch völkerrechtlich verbindliches Urteil
und in den Protokollen garantierten Rechten verletzt abschließend über die Beschwerden entscheidet. Das
fühlen. Das Verfahren vor dem Europäischen ist die Lösung, für die sich die Gipfelkonferenz der
Gerichtshof für Menschenrechte läuft gerichtsförmig Staats- und Regierungschefs der Europaratsstaaten im
ab und endet mit einer völkerrechtlich verbindlichen Oktober 1993 in Wien ausgesprochen hat. Für diese
Entscheidung. Auf dieses System sind wir stolz. Wir Lösung ist auch die Parlamentarische Versammlung
fühlen uns verantwortlich für sein Funktionieren und eingetreten.
tun alles, um dieses System zu erhalten und auszu- Die vom 11. Protokoll vorgesehene Lösung ist ver-
bauen. Aus diesem Grunde haben wir uns für eine nünftig. Das Verfahren wird rationalisiert und verein-
notwendige Reform des Überwachungssystems ein- facht. Damit wird es zugleich beschleunigt. Der
gesetzt. Ihr Ergebnis ist das 11. Protokoll zur Euro- Gerichtshof wird als Ständiger Gerichtshof ähnlich
päischen Menschenrechtskonvention. Der Gesetz- wie der Gerichtshof der Europäischen Union in
entwurf ist heute im Bundeskabinett beschlossen Luxemburg organisiert werden. Ein wissenschaftli-
worden und wird Ihnen jetzt zugeleitet. cher Unterbau wird dafür sorgen, daß die Rechtspre-
Eine umfassende Reform ist dringend erforderlich. chung von hoher Qualität ist. Der Gerichtshof wird in
Das geltende System ist für zehn oder zwölf Vertrags- Ausschüssen von drei Richtern und in Kammern von
staaten geschaffen worden. Der Europarat ist inzwi sieben Richtern, ausnahmsweise in großen Kammern
606 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 11. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 18. Januar 1995
Dieter Schanz
tauchten in die Kriminalität abgedrängt worden sind, Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Zusatzfrage.
weil sie sonst nicht überleben könnten? Ist die Bun-
desregierung bereit, darüber nachzudenken, ein Volker Neumann (Bramsche) (SPD): Befürchten Sie
Rückführungsprogramm gegebenenfalls mit dem nicht, daß sie mit diesem Verhalten andere Staaten
vom Bundestag beschlossenen Programm zur Ar- provozieren, die Aufnahme von Bürgern, die sich
mutsbekämpfung bzw. zur Kleingewerbeförderung illegal in der Bundesrepublik aufhalten, in ähnlicher
in Entwicklungsländern zu koppeln? Weise mit dem Ziel abzulehnen, ebenfalls zu solchen
wirtschaftlichen Vorteilen zu kommen, wie Sie sie
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Wer antwortet? — beschrieben haben?
Herr Staatsminister Schmidbauer.
Dr. Werner Hoyer, Staatsminister im Auswärtigen
Bernd Schmidbauer, Staatsminister beim Bundes- Amt: Herr Kollege, ich halte es für wichtig, daß wir im
kanzler: Herr Kollege, die Zahlen, die Sie nennen, Zusammenhang mit der gemeinsamen Erklärung
sind korrekt. Es gibt eine große Zahl Vietnamesen in Deutschland/Vietnam herausgestellt haben, daß wir
der Bundesrepublik Deutschland, etwa 97 000, von bei dem Versuch, Vertrauen wieder aufzubauen, auch
denen die große Mehrheit, etwa 55 000, einen gülti- die besonderen Schwierigkeiten von Vietnam und die
gen Aufenthaltstitel besitzt. Es geht um den Rest. Ich Leistung im Hinblick auf Reintegration, die gegen-
sagte, daß Grundprinzipien vereinbart sind. Im Rah- wärtig erbracht wird, zur Kenntnis nehmen. Wir
men des Rückübernahme-Abkommens muß jetzt ent- anerkennen, daß Vietnam allein in diesem Jahr 60 000
schieden werden, in welcher Zeit die Regelungen UNHCR-Flüchtlinge wieder aufnimmt. Das ist für
greifen. Wie die Verfahren dann ablaufen, ist dem dieses Land eine gigantische Leistung. Auch deswe-
Rückübernahme-Abkommen vorbehalten. Die Ver- gen haben wir uns darauf eingelassen, die Rückfüh-
handlungen, so sagte ich bereits, werden unmittelbar rung sozusagen progressiv zu gestalten, um nicht von
in den nächsten Wochen aufgenommen werden. vornherein eine große Last auf dieses Land zu schie-
Repatriierung und Hilfestellung sind an die Ent-
ben. Wir sehen die Dinge immer in ihrem Gesamtzu-
wicklungshilfe gekoppelt. Auch hier wird durch Ver-
sammenhang. Von daher sind wir nicht in der Gefahr,
handlungen sichergestellt, daß in Vietnam eine ent- daß hier in der Zukunft ein Erpressungspotential uns
sprechende Hilfestellung möglich ist. Das ist Gegen- gegenüber entsteht.
stand der Verhandlungen mit dem BMZ, die ebenfalls Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Kollege
in den nächsten Wochen parallel dazu aufgenommen Joschka Fischer.
werden. Es ist daran gedacht, daß im Rahmen der
Entwicklungshilfe entsprechende Fördermittel bereit- Joseph Fischer (Frankfurt) (BÜNDNIS 90/DIE
gestellt werden, um das Programm der Rückführung GRÜNEN): Es gab in den 70er Jahren bei der Auf-
zu unterstützen. nahme von vietnamesischen Flüchtlingen eine beein-
druckende Aufnahmeleistung und Aufnahmewillig-
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Kollege Neu- keit. Ich kann mich sogar erinnern, daß christdemo-
mann (Bramsche). kratische Ministerpräsidenten damals weit gereist
sind, um die Flüchtlinge nach Deutschland zu brin-
Volker Neumann (Bramsche) (SPD): Ist beabsichtigt, gen, und sie haben damals die Unterstützung aller
es zu einem Prinzip zu machen, die Einhaltung des politischen Parteien gefunden.
geltenden Völkerrechts, nämlich die Pflicht zur Auf-
Hier handelt es sich um eine begrenzte Anzahl von
nahme von Staatsbürgern eigener Nationalität,
Vertragsarbeitnehmerinnen und -arbeitnehmern. Sie
dadurch zu erreichen, daß man wirtschaftliche Vor-
wissen so gut wie ich, daß diese Menschen damals in-
teile verspricht?
der DDR, als die DDR noch existierte, als Vertragsar-
beitnehmerinnen und -arbeitnehmer eingesetzt wur-
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Staatsminister
Hoyer. den, um die Auslandsschulden — es handelte sich
nicht nur um Vietnam, sondern auch um zwei
Dr. We rn er Hoyer, Staatsminister im Auswärtigen schwarzafrikanische Länder — ihrer Heimatnationen
Amt: Ich glaube, damit würden wir uns in der Tat auf abzuarbeiten.
eine schiefe Ebene begeben. Ich frage die Bundesregierung: Was spricht eigent-
(Rudolf Bindig [SPD]: Was heißt hier „bege lich gegen ein großzügiges Angebot an diese Men-
ben"? Da sind Sie drauf!) schen zur Integration hier? Hat es das reiche Deutsch-
land notwendig, seine Entwicklung der Beziehungen
Auf der anderen Seite stellt sich die Frage — sie ist ja mit der Republik Vietnam davon abhängig zu
durchaus vorwurfsvoll an die Bundesregierung machen, ob es zu einer Rückführung kommen kann
gerichtet worden —, ob es vorstellbar ist, Mittel der oder nicht?
Entwicklungszusammenarbeit in ganz erheblichem
Maße in ein Land zu lenken, das sich gleichzeitig der Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Staatsminister
völkerrechtlichen Verpflichtung zur Aufnahme eige- Schmidbauer.
ner Staatsbürger entzieht. Von daher gibt es sicher-
lich einen inneren Zusammenhang. Wir haben uns Bernd Schmidbauer, Staatsminister beim Bundes-
sehr bemüht, dieses Thema endlich einmal im kanzler: Herr Kollege Fischer, ich glaube, daß durch
Gesamtzusammenhang anzugehen. Aber ich würde die Antworten, die wir gegeben haben, deutlich
es für falsch halten, hier jetzt Bedingungen aufzustel- wurde, daß es um diese Personen nicht geht. Ich
len oder unmittelbare Verknüpfungen vorzuneh- sprach von der großen Zahl Vietnamesen auf unserem
men. Boden, die einen legalen Aufenthaltsstatus bei uns
608 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 11. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 18. Januar 1995
etwa 97 000 sich bei uns aufhaltenden Vietname- dentin! Just diese Stufenregelung möchte ich gerne
sen. noch einmal ansprechen. Die beiden Vertreter der
Bundesregierung haben ja hier ausgeführt, daß es sich
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Eine Zusatzfrage. um einen Anfangsdurchbruch handelt und daß man
weiter verhandeln will. Nun gibt es Besorgnisse in den
Dr. Dietrich Mahlo (CDU/CSU): Ist es weiterhin betroffenen Ländern und Gemeinden, was eigentlich
richtig, meine Herren Staatsminister, daß die Situation bei dieser stufenweisen Rückführung passiert. Kön-
Vietnams deswegen eine besondere ist und auch eine nen Sie sich vorstellen, daß Sie hierüber weiter
besondere Behandlung rechtfertigt, weil es vor dem verhandeln? Die Sorge, daß Probleme dadurch entste-
Hintergrund dieser Verhandlungen nicht nur um hen, daß Menschen, die noch vier oder fünf Jahre hier
diejenigen geht, die sich in Deutschland aufhalten, sind, keine irgendwie geartete Arbeitserlaubnis
sondern weil sich in den Nachbarstaaten Vietnams haben, halte ich für sehr berechtigt.
aus Gründen der Zeitgeschichte, die wir alle kennen,
ein sehr großer Teil von Vietnamesen aufhält, die von Eine zweite Sorge ist — ich frage Sie, ob Sie auch
diesen Gastländern ebenfalls zurückgeschickt wer- über diesen Punkt Vereinbarungen treffen werden —,
den sollen? Ist diese Situation nicht eine besondere, daß Menschen, die zurückgeführt werden, wegen
und rechtfertigt sie es möglicherweise nicht auch, Republik flucht belangt werden könnten.
Vietnam etwas anders zu behandeln als Länder, von
denen wir normalerweise verlangen, daß sie ihre Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Wer antwortet? —
Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf: Dietmar Schütz (Oldenburg) (SPD): Herr Staatsse-
kretär, welche Sanktionen würden Sie bei Über-
Fragestunde schreitung der Fangquoten für angemessen und
— Drucksache
- 13/213 glaubwürdig halten, soweit Daten dies belegen oder
Ich rufe als erstes den Geschäftsbereich des Bundes- der Inspektor an Bord so etwas beobachtet?
ministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und
Forsten auf. Die Beantwortung erfolgt durch den Wolfgang Gröbl, Parl. Staatssekretär beim Bundes-
Parlamentarischen Staatssekretär Wolfgang Gröbl. minister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten:
Ich rufe Frage 1 des Abgeordneten Dietmar Schütz Die Frage ist im Augenblick überhaupt nicht aktuell,
(Oldenburg) auf: da, wie Sie wissen, das Moratorium weiterhin gilt und
zunächst eine Übereinkunft innerhalb der Kommis-
Mit welcher Begründung hat der Vertreter der Bundesrepu-
sion erzielt werden muß, daß dieses Moratorium
blik Deutschland beim Treffen von Vertretern der Internationa-
len Walfangkommission (IWC) und Nichtregierungsorganisatio- beendet wird und Fangquoten zugeteilt werden. Die-
nen (NGO) auf den Lofoten sich gegen international verbindli- ser Fall ist im Augenblick noch nicht aktuell.
che Standards bei der Festsetzung von Strafen für Verstöße
gegen IWC-Beschlüsse, wie z. B. Fangobergrenzen und Morato-
rien, ausgesprochen und auch das Konzept einer unmittelbaren Dietmar Schütz (Oldenburg) (SPD): Ich will jetzt
Weitergabe von Fangdaten über „data links" zur Einhaltung von nicht streiten, er ist es.
Fangquoten abgelehnt, und wie vereinbart die Bundesregierung
Das Hauptproblem bei Überschreitung von Quoten
eine solche Haltung mit dem von ihr selbst wiederholt betonten
Auftrag, einen bestmöglichen Schutz der Wale sicherzustel- ist, daß man den Transport von Walfischfleisch massiv
len? kontrolliert, also Quotierung von Fleischbeständen.
Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 11. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 18. Januar 1995 611
Dr. Sabine Bergmann-Pohl, Parl. Staatssekretärin Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich rufe die
beim Bundesminister für Gesundheit: Herr Grase- Frage 3 des Abgeordneten Dieter Grasedieck auf:
dieck, die Bundesregierung selbst beurteilt keine Ist die Bundesregierung der Auffassung, daß gesetzliche
Krankenkassen grundsätzlich nur Leistungen, die innerhalb der
Einzelfälle. Das ist Aufgabe der zuständigen Auf- Bundesrepublik Deutschland erbracht werden, finanzieren müs-
sichtsbehörde, hier: des Bundesversicherungsamtes sen?
in Berlin.
Grundsätzlich erfolgt die medizinische Behandlung Dr. Sabine Bergmann-Pohl, Parl. Staatssekretärin
der in der gesetzlichen Krankenversicherung Versi- beim Bundesminister für Gesundheit: Herr Kollege,
cherten in der Bundesrepublik Deutschland. Eine der Gesetzgeber hat die Zulässigkeit der Erbringung
medizinische Behandlung im Ausland ist allerdings von Kassenleistungen im Ausland geregelt. Nach § 16
unter den Voraussetzungen des § 18 SGB V aus- Abs. 1 SGB V ruht grundsätzlich der Anspruch des
nahmsweise zulässig. Danach kann die Krankenkasse Versicherten bei Aufenthalt im Ausland.
die Kosten der erforderlichen Behandlung im Ausland Ausnahmen ergeben sich aber insbesondere aus
ganz oder teilweise übernehmen, wenn eine dem dem erwähnten § 18 Abs. 1 SGB V, aus dem Recht der
allgemein anerkannten Stand der medizinischen Europäischen Union und in den Fällen, in denen die
Erkenntnisse entsprechende Behandlung einer Bundesrepublik Sozialversicherungsabkommen mit
Krankheit nur dort möglich ist. Ob diese Vorausset- verschiedenen Ländern, die Leistungen im Krank-
zungen vorliegen, beurteilt die Krankenkasse eigen heitsfall vorsehen, abgeschlossen hat. Die Leistungs-
612 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 11. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 18. Januar 1995
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär beim Bundes- Peter Dreßen (SPD): Wie, Herr Staatssekretär, will
minister des Innern: Herr Kollege Dreßen, die Antwort die Bundesregierung verhindern, daß das Vertei-
lautet wie folgt: Grundlage für die Aufnahme der lungsverfahren nach § 8 Abs. 5 BVFG durch Binnen-
Spätaussiedler ist Art. 116 Abs. 1 des Grundgesetzes. wanderung unterlaufen wird, und ist sie bereit, unter
Ihre Integration ist eine Aufgabe des Bundes, der Umständen die Anrechnungsphase von zehn Tagen
Länder und der Gemeinden. Auf Bundesebene stan- zu verlängern?
den 1994 rund 4 Milliarden DM zur Verfügung. Dabei Ich darf in diesem Zusammenhang ein Beispiel
leistete der Bund im wesentlichen folgende Einglie- bringen: Ist Ihnen bekannt, daß z. B. im Landkreis
derungshilfen: Rückführung und Erstaufnahme Ortenau von 15 000 Spätaussiedlern, die in den Jah-
— darunter sind zu verstehen: Unterbringung, Unter- ren 1989 bis 1994 zugewiesen wurden, über 4 000
halt der Erstaufnahmeeinrichtungen —; Eingliede- Spätaussiedler Sozialhilfe erhalten, so daß der Sozial-
rungshilfe und Sprachförderung; Hilfen zur Einglie- aufwand in diesem Landkreis um 110 Prozentpunkte
derung in den Schul- und Hochschulbereich insbeson- über dem Landesdurchschnitt liegt? Ich meine, ein
dere für jugendliche Spätaussiedler; Hilfen für die Landkreis kann solche Kosten nicht mehr überneh-
-soziale Beratung und Betreuung durch Wohlfahrts men, wenn das so weitergeht.
und Vertriebenenverbände und Förderung von Inte-
grationsprojekten zentraler Organisationen und Ver- Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär beim Bundes-
bände. minister des Innern: Herr Kollege, wie Sie wissen, ist
Im Zuge der Haushaltskonsolidierung mußten ein- die Verteilung auf die einzelnen Länder alleinige
zelne Leistungen gestrichen bzw. abgesenkt werden, Angelegenheit der Länder und zwischen ihnen gere-
die jedoch den Kern der Gesamtmaßnahmen des gelt. Der Bund hat hierauf keinen Einfluß.
Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 11. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 18. Januar 1995 613
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich sehe keine den sollte. Mehr war eigentlich nicht Inhalt meiner
weiteren Fragen dazu. Äußerungen.
Dann kommen wir zu der Frage 18 des Kollegen
Koppelin: Jürgen Koppelin (F.D.P.): Dann möchte ich weiter
Auf welchen Tatsachen, Vermutungen oder Informationen fragen: Hat die Bundesregierung von sich aus für den
stützt der Parlamentarische Staatssekretär Eduard Lintner seine Runden Tisch in Lübeck neue Erkenntnisse geliefert,
Aussage, daß es sich beim Flugzeugabsturz von Uwe Barschel in die für die Staatsanwaltschaft von Interesse waren?
Lübeck um ein Attentat der Stasi handeln könnte?
Herr Staatssekretär.
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär beim Bundes-
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär beim Bundes- minister des Innern: Ich war bekanntermaßen nicht
minister des Innern: Herr Kollege Koppelin, wenn Sie dabei. Ich kann nur sagen: Die Bundesbehörden, die
genehmigen, darf ich die Fragen 18 und 19 gemein- dort vertreten waren, hatten die Weisung, alles ein-
sam beantworten. schlägige Material, das vorhanden war, der Staatsan-
waltschaft vorzulegen. Wie das die Staatsanwaltschaft
(Jürgen Koppelin [F.D.P.]: Genehmigt!)
nun bewertet, ob das aus ihrer Sicht neue Erkennt-
- Okay! nisse waren oder nicht, entzieht sich meiner Kenntnis.
Das möchte ich von meiner Seite aus auch nicht
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Dann rufe ich
kommentieren.
auch die Frage 19 auf:
Kann die Bundesregierung bestätigen, daß sie oder andere
nachgeordnete Dienststellen keinerlei Wissen oder Erkennt- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Weitere Fra-
nisse zum Ableben von Uwe Barschel haben? gen?
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär beim Bundes- Jürgen Koppelin (F.D.P.): Dann darf ich Sie doch
minister des Innern: Meine Damen und Herren, im noch nach Ihren Äußerungen, die sie zum Flugzeug-
Hinblick auf das zur Zeit bei der Staatsanwaltschaft absturz gemacht haben, fragen. Sie müssen doch
Lübeck laufende Ermittlungsverfahren hält es die Erkenntnisse gehabt haben, daß Sie zu einer solchen
Bundesregierung für nicht angezeigt, zu einzelnen, Äußerung kommen. Können Sie uns die Erkenntnisse
den Tod Dr. Barschels in Genf betreffenden Fragen darlegen, warum Sie diese Andeutungen gemacht
Stellung zu nehmen. haben?
Grundsätzlich möchte ich zu meinen in der Presse (Rudolf Bindig [SPD]: Die schwätzen einfach
wiedergegebenen Äußerungen folgendes bemerken:
so raus!)
Nachdem die Staatsanwaltschaft Lübeck in der Sache
Dr. Barschel Ermittlungen eingeleitet hat, d. h. die
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär beim Bundes-
Staatsanwaltschaft selbst die Möglichkeit eines
Fremdverschuldens offenbar nicht ausschloß und aus- minister des Innern: Herr Kollege Koppelin, ich habe
schließt, liegt es nahe, sich vor diesem Hintergrund bereits erläutert, daß ich nur darauf hingewiesen
ungewöhnlicher, die Person Dr. Barschels betreffen- habe, daß es da einen Vorfall gab, der einigermaßen,
der Ereignisse zu erinnern, wozu zweifellos der Flug- so will ich einmal sagen, merkwürdig abgelaufen ist.
zeugabsturz im Mai 1987 gehört. Nicht mehr habe ich Ich habe deshalb empfohlen, auch den in die Ermitt-
mit meinen seinerzeitigen Äußerungen zum Aus- lungen mit einzubeziehen. Mehr habe ich nicht
druck gebracht. gesagt. Deshalb können Sie, glaube ich, aus dem
Wortlaut kaum auf irgendwelche zusätzlichen Er-
Die Bundesregierung unterstützt im übrigen alle
kenntnisse im Bereich der Bundesregierung schlie--
Anstrengungen, die zu einer weiteren Aufklärung des ßen.
Falles Barschel durch die zuständigen Ermittlungsbe-
hörden beitragen können. Die Nachrichtendienste (Rudolf Bindig [SPD]: Die Bundesregierung
des Bundes, das Bundeskriminalamt und die Bundes- liest im Kaffeesatz!)
anwaltschaft haben die strikte Anweisung, alle anfal-
lenden Hinweise und Erkenntnisse an die zuständige Jürgen Koppelin (F.D.P.): Ich habe noch eine Frage:
Staatsanwaltschaft in Lübeck weiterzuleiten. Was ist nach Ihrer Auffassung, Herr Staatssekretär, an
dem Absturz merkwürdig gewesen — außer daß ein
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Koppe- Absturz grundsätzlich merkwürdig ist?
lin.
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär beim Bundes-
Jürgen Koppelin (F.D.P.): Herr Staatssekretär, nach-
minister des Innern: Es gibt beispielsweise Hinweise
dem Sie soeben in Ihrer Beantwortung dargelegt
darauf, daß sich die Piloten gewehrt hätten. Ich will
haben, daß sich die Bundesregierung selbst zurück-
das jetzt nicht im einzelnen auftischen, weil das auch
hält, darf ich Sie fragen, da Sie ja eine Funktion in der
ein Eingriff in die aktuelle Ermittlungstätigkeit des
Bundesregierung haben, aus welchem Grunde Sie
Staatsanwalts wäre.
sich öffentlich geäußert haben.
Ich darf Sie nur auf den Wortlaut verweisen und
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär beim Bundes- noch einmal betonen, daß es mehr eine allgemeine
minister des Innern: Herr Kollege, ich habe mich Bemerkung war, die den Verdacht, den Sie zu haben
ausweislich des Zitates in der „Bild"-Zeitung, das Sie scheinen, nicht rechtfertigt.
offenbar meinen, sehr zurückhaltend geäußert und
nur gesagt, daß meines Erachtens auch dieser Flug- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich sehe keine
zeugabsturz in die Überprüfung mit einbezogen wer weiteren Fragen zu diesem Komplex.
614 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 11. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 18. Januar 1995
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Keine weiteren Dr. Edzard Schmidt-Jortzig (F.D.P.): Darf ich viel-
Fragen zu diesem Bereich. leicht noch eine Zusatzfrage steilen?
Dann rufe ich die Frage 22 des Kollegen Schmidt
Jortzig auf: Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Sie haben ins-
Trifft die Erklärung des Leitenden Oberstaatsanwalts in
gesamt vier Zusatzfragen.
Lübeck, Heinrich Wille, zu, daß vom Bundesamt für Verfas-
sungsschutz Akten zum Fall Barschel ersatzlos vernichtet wor- Dr. Edzard Schmidt-Jortzig (F.D.P.): Ich darf vor-
den sind? weg folgende Erläuterung geben: Sie ahnen ja gar
nicht, wie diese Frage, die kriminalermittlerisch wahr-
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär beim Bundes- scheinlich überhaupt nichts Neues mehr bietet, im
minister des Innern: Ich möchte um Erlaubnis bitten, Land Schleswig-Holstein — aber ich nehme an: auch
die Fragen 22 und 23 im Zusammenhang beantworten ein bißchen darüber hinaus — Aufregung verursacht
zu dürfen. sowie Aufmerksamkeit und Interesse findet. Da ist
eine solche Presseerklärung, wie sie der Leiter der
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Dann rufe ich Staatsanwaltschaft beim Landgericht Lübeck abgege-
auch die Frage 23 des Abgeordneten Schmidt-Jortzig ben hat, eine wesentliche Argumentationsgröße.
auf:
Falls das Bundesamt für Verfassungsschutz Akten zum Fall Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Kollege,
Barschel vernichtet hat, beruhte dieses Vorgehen womöglich ich muß Sie doch bitten, Ihre Bemerkung in die Form
darauf, daß die Lübecker Staatsanwaltschaft oder eine andere einer Frage zu kleiden, wenn es irgend geht.
schleswig-holsteinische Justizstelle entsprechende nachrichten-
dienstliche Erkenntnisse als für eine Strafverfolgung unerheb-
lich eingestuft hatte? Dr. Edzard Schmidt-Jortzig (F.D.P.): Ich komme
gleich zu meiner Frage und mache ganz zum Schluß
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär beim Bundes- ein deutliches Fragezeichen.
minister des Innern: Danke schön. — Das Bundesamt Wegen des soeben Gesagten könnte ich mir also
für Verfassungsschutz war zu keinem Zeitpunkt im vorstellen, daß es gut wäre, in dieser Diskussion mit
Besitz von Originalakten des ehemaligen Ministeri- den richtigen Punkten präsent zu sein. Deshalb meine
ums für Staatssicherheit der DDR zu Dr. Barschel. Im Frage: Wäre es möglich, daß die Bundesregierung sich
Jahre 1990 waren Mitarbeitern des BfV, die zu diesem in die neue Diskussion noch einmal deutlich mit einer
Zeitpunkt zu einer anderen Behörde nach Berlin Klarstellung einklinkt?
abgeordnet waren, Akten der Bezirksverwaltung
Rostock präsentiert worden. Angehörige des Komi- Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär beim Bundes-
tees zur Auflösung des MfS hatten vermutet, diese minister des Innern: Herr Kollege, da diese Frage-
Akten seien insbesondere für die Spionageabwehr stunde öffentlich ist, gehe ich davon aus, daß diejeni--
von Interesse. gen, die sich für unsere Position besonders interessie-
Die Mitarbeiter des BfV fertigten mit Zustimmung ren, Gelegenheit haben, sich von einer entsprechen-
des damaligen Leiters der für die Verwahrung von den öffentlichen Unterrichtung zu überzeugen:
Stasi-Unterlagen zuständigen Außenstelle in Rostock Erstens. Alle Bundeseinrichtungen haben Anwei-
hiervon Kopien; die Originalunterlagen blieben in der sung, alle bei ihnen vorhandenen Unterlagen der
Außenstelle. Da nach Prüfung des Inhalts eine Rele- Staatsanwaltschaft in Lübeck für deren Arbeit zur
vanz für die Arbeit des BfV nicht erkennbar war, sind Verfügung zu stellen.
diese Kopien vernichtet worden, ohne daß Duplikate, Zweitens. Es trifft nicht zu, daß irgendwelche Origi-
Abschriften oder Auszüge gefertigt worden sind. nalunterlagen beim Bundesamt für Verfassungs-
Die zuständigen parlamentarischen Gremien sind schutz verfügbar gewesen seien. Es handelt sich um
seinerzeit hierüber unterrichtet worden. Sofern die Duplikate, die vernichtet worden sind. Demzufolge
Presseerklärung des Leitenden Oberstaatsanwalts in stehen die O ri ginale bei der zuständigen anderen
Lübeck den Eindruck vermittelt, das Amt habe Origi- Behörde noch zur Verfügung. Wenn Sie Wert darauf
nalunterlagen ersatzlos vernichtet, so ist dies unzu- legen, bin ich gerne bereit, dafür einzutreten, daß es
treffend. gelegentlich noch einmal in einer Presseerklärung
öffentlich dargetan wird.
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Zusatzfrage.
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Eine weitere
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig (F.D.P.): Herr Staatsse- Frage?
kretär, ist die Bundesregierung bereit und willens, das
in der gehörigen Form auch in der Öffentlichkeit Dr. Edzard Schmidt-Jortzig (F.D.P.): Danke sehr,
richtigzustellen? nein.
616 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 11. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 18. Januar 1995
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Kollege Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Sie haben noch
Neumann. eine Frage, bitte schön.
Volker Neumann (Bramsche) (SPD): Ist der Bundes- Horst Kubatschka (SPD): Herr Staatssekretär, was
regierung bekannt, woher die Kopien der MfS-Akte geschieht mit den ausgesonderten 2 500 Fahrzeugen?
der Bezirksverwaltung Rostock stammen, die dem Werden sie z. B. den Kommunen, gemeinnützigen
1. Untersuchungsausschuß der letzten Legislaturpe- Vereinen oder den Ländern zum Kauf angeboten?
riode übergeben worden sind?
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär beim Bundes-
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär beim Bundes- minister des Innern: Nein, zum Kauf überhaupt nicht.
minister des Innern: Herr Kollege Neumann, wenn es Soweit Fahrzeuge bei Katastrophenschutzorganisa-
sich um die Unterlagen handeln sollte, die im Zusam- tionen auf Landesebene schon heute im Einsatz sind,
menhang mit dem BfV erwähnt sind, so habe ich werden sie diesen zur weiteren Nutzung kostenlos
gerade dargelegt, woher sie stammen: Sie sind Mitar- angeboten. Der Bund zieht sich lediglich aus der
beitern des BW im Jahre 1990, als sie seinerzeit zu der weiteren Finanzierung des Unterhalts und derglei-
anderen Behörde in Berlin abgeordnet waren, präsen- chen zurück. Soweit es sich um THW-Fahrzeuge
tiert worden. handelt, die jetzt dort nicht mehr benötigt werden,
sollen sie insbesondere zum Aufwuchs dieser Organi-
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich sehe keine stion in den neuen Bundesländern verwendet wer-
weiteren Fragen. den.
Dann kommen wir zu der Frage 24 des Kollegen
Kubatschka: Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich sehe dazu
Trifft es zu, daß die Bundesregierung aufgrund von Bund- keine weitere Frage.
Länder-Gesprächen ihre Pläne zur Neustrukturierung im Zivil- Dann kommen wir zu der Frage 25 von Frau
und Katastrophenschutz dahin gehend geändert hat, daß nun ein
weitaus geringerer Abbau des Technischen Hilfswerks (THW)
Kollegin Sonntag-Wolgast:
erfolgen wird als ursprünglich geplant? Welche weiteren Rücknahme-Übereinkommen für Asylbe-
werber sind über die bereits abgeschlossenen (Polen usw.)
Herr Staatssekretär. hinaus geplant, und mit welchen Kosten rechnet die Bundesre-
gierung für die auf Grundlage solcher Vereinbarungen zu
Eduard Lintner, Pari. Staatssekretär beim Bundes- realisierenden Maßnahmen?
minister des Innern: Herr Kollege, die Bundesanstalt
THW wird im Zuge der Neuordnung des gesamten Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär beim Bundes-
Zivilschutzes modernisiert und organisatorisch ge- minister des Innern: Die Bundesregierung strebt an,
strafft. Struktur, Ausstattung und Ausbildung werden mit allen Hauptherkunftsländern von Asylbewerbern
an die veränderte Sicherheitslage und verringerte und im Anschluß an die Neuregelung des deutschen
Finanzausstattung angepaßt. Asylrechts am 1. Juli 1993 mit allen Nachbarstaaten
Die Bunderegierung hat ihre grundsätzlichen Vor- RückübernahmeAbkommen abzuschließen.
stellungen zur Neustrukturierung des THW in ihren Hinsichtlich der Hauptherkunftsländer sind über
Berichten vom 20. September 1991 unter der Bezeich- die bereits abgeschlossenen Abkommen mit Rumä-
nung „Strukturen der Zivilen Verteidigung" und am nien — September 1992 —, Kroatien — April 1994 —
18. April 1994 unter der Bezeichnung „Zwischenbe- und Bulgarien — September 1994 — hinaus die
richt zur Zivilen Verteidigung" an den Innen- und den Verhandlungen mit Vietnam und Algerien bereits in
Haushaltsausschuß des Deutschen Bundestages nie- eine konkrete Phase getreten. Albanien ist bereits
dergelegt und dort mit den Mitgliedern erörtert. Die Ende 1993 ein entsprechender Abkommensentwurf
am 1. Januar 1995 in Kraft getretene Neuordnung des übergeben worden. Auch mit Pakistan sollen die
THW entspricht diesen Vorstellungen. Sie hat im Verhandlungen in Kürze aufgenommen werden.
übrigen auch durch Bund-Länder-Gespräche, die Abkommen mit weiteren Staaten, z. B. Rußland,
stattgefunden haben, keine Änderung erhalten. Ukraine, Indien, Sri Lanka und schwarzafrikanischen
Staaten, sind in die bisherigen Überlegungen einbe-
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ihre Zusatz- zogen.
frage.
In bezug auf die Nachbarstaaten steht zu den bereits
Horst Kubatschka (SPD): Herr Staatssekretär, der abgeschlossenen Rückübernahme-Abkommen mit
Fahrzeugbestand wird um 2 500 auf 6 000 Fahrzeuge Polen — 29. März 1991 bzw. 7. Mai 1993 —, der
verringert. Kann damit der Auftrag des THW noch Schweiz — Dezember 1993 — und der Tschechischen
erfüllt werden? Republik — November 1994 — das Abkommen mit
Österreich noch aus. Die Bundesregierung ist seit
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär beim Bundes- längerem bemüht, mit diesem Land Verhandlungen
minister des Innern: Herr Kollege Kubatschka, ja, es über ein neues Rückübernahme-Abkommen aufzu-
wird eine Verringerung um 2 500 Fahrzeuge geben. nehmen, das das alte Schubabkommen aus dem Jahre
Mit den restlichen 6 000 Fahrzeugen kann die Auf- 1961 aktualisieren soll. Erste Gespräche hierzu haben
gabe im vollen Umfang erfüllt werden. Die einzige bereits stattgefunden. In einem ersten Schritt sollen
Änderung wird sein, daß künftig Erst- und Zweitbe- Verbesserungen des alten Schubabkommens mittels
satzungen für diese Fahrzeuge vorgesehen sind. Das eines Briefwechsels zwischen den beiden Innenmini-
entspricht dem realistischen Ablauf eines Einsatzes. sterien vorab vereinbart werden.
Denn nach einer gewissen Zeit werden die Besatzun- Eine zusätzliche Kostenbelastung wird durch den
gen abgelöst, d. h., neue Besatzungen arbeiten mit Abschluß der neuen RückübernahmeAbkommen
den gleichen Fahrzeugen weiter. nicht entstehen, da diese Abkommen lediglich den
Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 11. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 18. Januar 1995 617
Rudolf Dreßler (SPD): Herr Staatssekretär, Sie auch in bezug auf die Stufe II, nämlich die stationäre
haben soeben erklärt, daß Beamte in bezug auf die Pflege.
Beitragsleistungen faktisch schlechtergestellt sind als
Mitglieder der gesetzlichen Pflegeversicherung. Wür- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Wir kommen zu
den Sie mir zustimmen, daß dieser Sachverhalt, den Frage 29 des Kollegen Dreßler:
Sie gerade skizziert haben — Beamte sollen bei der HderBunsmitaIerdgnübm
Beitragszahlung schlechtergestellt werden —, aus- Deutschen Bundestag, dem Bundesrat und dem Vermittlungs-
drücklicher Wunsch der Bundesregierung und der ausschuß abgegebene Verpflichtung, die Anpassung der Beihil-
fevorschriften an die Bestimmungen des Pflegeversicherungs-
Koalitionsfraktionen während der Pflegeverhandlun- gesetzes zum 1. Januar 1995 vorzunehmen, fristgerecht erfüllt,
gen mit uns gewesen ist? und wenn nicht, wie begründet er dies?
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär beim Bundes- Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär beim Bundes-
minister des Innern: Herr Kollege Dreßler, ich gehe minister des Innern: Herr Kollege Dreßler, jetzt kom-
davon aus, daß dies der Wille aller Fraktionen des men wir zu dieser Problematik. Die Antwort auf Ihre
Hauses war; denn die Pflegeversicherung ist seiner- Frage lautet: Im Zuge des Vermittlungsverfahren hat
zeit ja unter großer Zustimmung aller Fraktionen Staatssekretär Dr. Priesnitz vom BMI dem Vermitt-
beschlossen worden. In der Konsequenz ist diese lungsausschuß gegenüber am 21. April 1994 erklärt,
Regelung jetzt auch in der Pflegeversicherungsge- daß „eine Anpassung des Beihilferechts an die Pfle-
setzgebung enthalten. geversicherung in Abstimmung mit den Ländern so
Ich darf Sie daran erinnern: Man hat einvernehm- rechtzeitig vorbereitet wird, daß das neue Recht am
lich beschlossen, daß die Beamten nicht in die soziale 1. Januar 1995 in Kraft tritt". Dementsprechend wurde
Pflichtversicherung einbezogen werden, sondern es der Entwurf der Beihilfeänderungen gemeinsam mit
bei der seit vielen Jahrzehnten praktizierten Rege- den Ländern erarbeitet.
lung der privaten Versicherung und der teilweisen Der Bundesinnenminister hat gemäß der damaligen
Erstattung über die Beihilfe bleiben soll. Wenn man Erklärung im Vermittlungsausschuß die Änderung
dem zustimmt — das hat auch Ihre Fraktion getan—, der Beihilfevorschriften für Bundesbeamte fristge-
dann ist die jetzige Beitragshöhe nur eine Konsequenz recht erfüllt. Die geänderten Beihilfevorschriften wur-
des damaligen Beschlusses. den am 29. Dezember letzten Jahres erlassen und
werden in Kürze im Gemeinsamen Ministerialblatt
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Kollege Struck,
veröffentlicht. Damit kann, parallel zum Inkrafttreten
zu derselben Frage? Wir sind immer noch bei der der ersten Stufe der Pflegeversicherung, das für den
Frage 28. Bereich „ambulante Pflege" geänderte Beihilferecht
zum 1. Ap ri l 1995 in Kraft treten.
Dr. Peter Struck (SPD): Ja, ja.
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich wollte nur, Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ihre Zusatz-
daß der Zusammenhang gewahrt bleibt. frage, bitte.
Bitte.
Rudolf Dreßler (SPD): Herr Staatssekretär, können
Dr. Peter Struck (SPD): Bei mir immer, Herr Präsi- Sie mir sagen, warum dieser Sachverhalt der deut-
dent. schen Öffentlichkeit gegenüber zurückgehalten
— um nicht zu sagen: verschwiegen — wurde, trotz
Herr Staatssekretär, ist Ihnen, nachdem man Ihnen
des langen Vorlaufs dieses Verfahrens und obwohl die
offensichtlich Akten über das Ergebnis der Pflegever-
Bundesregierung wirklich alles, was sie an „Gutem"-
sicherungsverhandlungen vorgelegt hat, entgangen,
tut, der deutschen Öffentlichkeit auf unendlich vielen
daß Ihr beamteter Kollege, Staatssekretär Priesnitz, in
Pressebogen mitteilt?
der Sitzung des Vermittlungsausschusses, in der der
Pflegekompromiß, der dann auch Bundestag und
Bundesrat vorgelegt worden ist, erarbeitet wurde, Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär beim Bundes-
eine verbindliche Erklärung der Bundesregierung minister des Innern: Herr Kollege Dreßler, ich kann
folgenden Inhalts abgegeben hat: „Die Bundesregie- diesen Eindruck nicht bestätigen. In meinen Unterla-
rung bestätigt, daß die Beamten im Zusammenhang gen befinden sich mehrere Presseerklärungen, etwa
mit den Pflegeversicherungsregelungen nicht besser des Bundesinnenministeriums, zu diesem Sachver-
gestellt werden als die privaten Arbeitnehmer. "? halt. Im übrigen haben auch Sie durch eigene Erklä-
rungen wesentlich dazu beigetragen, daß diese Pro-
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär beim Bundes- blematik der deutschen Öffentlichkeit nicht verbor-
minister des Innern: Herr Kollege Dr. Struck, im gen geblieben ist. Sie haben da also auch in unserem
Augenblick reden wir über konkrete Schlechterstel- Sinne durchaus Aufklärungsarbeit geleistet.
lungen der Beamten. Stufe II, die Sie jetzt ansprechen, (Zuruf von der F.D.P.: Sehr gut!)
ist bei den späteren Fragen noch ausführlich betrof-
fen. Deshalb habe ich es mir versagt, das schon jetzt zu Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ihre zweite
beantworten. Frage, Herr Dreßler.
Der Kollege Priesnitz hat in der Tat zugesagt, daß
die Beihilfevorschriften den Regelungen der allge- Rudolf Dreßler (SPD): Herr Staatssekretär, würden
meinen Pflegeversicherung angepaßt werden. Zu die- Sie mir zustimmen, daß Sie jetzt gerade ein paar Dinge
ser Zusage stehen wir, sowohl in bezug auf die Stufe I verwechselt haben, indem Sie meine Kritik am Ent-
der Pflegeversicherung, also die häusliche Pflege, als wurf des Innenministers mit der Frage, wann es nun in
620 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 11. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 18. Januar 1995
Rudolf Dreßler
Kraft gesetzt worden ist — um es höflich zu sagen — Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär beim Bundes-
verwechselten? minister des Innern: Herr Kollege Dreßler, ich habe
darauf hingewiesen, daß wir jetzt über den Teil
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär beim Bundes- ambulante Pflege sprechen und daß insoweit die
minister des Innern: Herr Kollege Dreßler, auch dazu Bestimmungen mit dem BMA abgestimmt sind und
besteht noch Gelegenheit. Am 29. Dezember 1994 ein Einvernehmen erzielt worden ist. Hinsichtlich der
sind die Dinge in Kraft getreten. Sie werden dem- stationären Pflege und der detaillierten Ausgestaltung
nächst im Gemeinsamen Ministerialblatt veröffent- dieser Beihilfevorschriften befinden wir uns noch in
licht, wie ich vorgetragen habe. Sie treten in ihrer Gesprächen. Es gibt hier auch noch Differenzen, aber
Wirkung faktisch also erst zum 1. April 1995 in Kraft. es bleibt bei unserer Zusage, daß auch diese neuen
Es bleibt noch viel Zeit, um die Öffentlichkeit auf diese Beihilferechtsvorschriften rechtzeitig zum 1. Juli 1996,
Regelung hinzuweisen. Eine gute Gelegenheit ist also zum Inkrafttreten der zweiten Stufe in der allge-
diese Fragestunde. meinen Pflegeversicherung, vorliegen werden und in
Kraft gesetzt werden können.
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Bitte, Herr
Andres, eine Zusatzfrage. Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Dann kommt
Ihre zweite Zusatzfrage.
Gerd Andres (SPD): Herr Staatssekretär, können Sie
uns erklären, was die Erklärung eines Staatssekretärs Rudolf Dreßler (SPD): Herr Staatssekretär, sind Sie
noch wert ist, der im Vermittlungsausschuß verbind- bereit, dem Hohen Hause den Dissens oder die Teile
lich zusichert, daß die Beihilferegelungen am 1. Ja- der unterschiedlichen Auffassung in der Sache, die
nuar 1995 in Kraft gesetzt werden, wenn Sie jetzt bestehen, mitzuteilen?
ständig erklären, daß sie zum 1. April 1995 in Kraft
gesetzt werden? Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär beim Bundes-
minister des Innern: Es betrifft bestimmte Kostenhö-
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär beim Bundes- hen. Aber ich kann Ihnen da nichts im Detail sagen,
minister des Innern: Ich fürchte, Sie haben die Diffe- weil ich, wie gesagt, die Gespräche nicht erschweren
renzierung nicht genau registriert, die ich vorgenom- möchte. Im übrigen wäre jede Ziffer willkürlich
men habe. Erlassen sind die Vorschriften am 1. Januar gegriffen und würde deshalb die ganze Geschichte
1995. Sie werden Wirkung parallel zum Inkrafttreten eher verwirren als klären.
der ersten Stufe der Pflegeversicherung entfalten, wie
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Eine Zusatz-
es vereinbart und vorgesehen war. Da diese erste
frage, Kollege Urbaniak.
Stufe der Pflegeversicherung erst am 1. April 1995 in
Kraft tritt, macht es nur Sinn, auch diese geänderten Hans Eberhard Urbaniak (SPD): Herr Staatssekre-
-
Beihilfevorschriften erst zum 1. April in Kraft zu tär, ist in den Gesprächen zwischen dem Innenmini-
setzen. Ich sehe hier keinen Widerspruch zu der ster und dem Arbeitsminister angestrebt worden, die
Zusage, die Kollege Priesnitz gegeben hat. Beamten und die Sozialversicherten in der Pflegever-
sicherung, was die materielle Belastung angeht, also
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Wir kommen die Beiträge, gleichzubehandeln?
zur Frage 30 des Kollegen Dreßler:
Trifft es zu, daß es zwischen dem Bundesminister des Innern Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär beim Bundes-
und dem Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung über die minister des Innern: Bei den Beiträgen kann es aus
materiellrechtlichen Anpassungen des Beihilferechts an das den Gründen, die ich vorhin schon erläutert habe,
Pflegeversicherungsgesetz vor allem im Hinblick auf die Lei-
stungsansprüche der Pflegebedürftigen zu keiner Einigung keine Gleichbehandlung geben. Es handelt sich um
gekommen ist, und wenn ja, wo liegen die Ursachen eines zwei völlig verschiedene Systeme. Es wird Wert dar-
Dissenses? auf gelegt — auch das ist eine Zusage u. a. der
Bundesregierung —, daß die Beihilfesätze so ange-
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär beim Bundes- paßt werden, daß sie mit den allgemeinen Regelungen
minister des Innern: Die Änderung der Beihilfevor- in der Pflegeversicherung vergleichbar sind.
schriften des Bundes vom 29. Dezember 1994 ist mit
den Ressorts, einschließlich des Bundesministeriums Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Dann kommen
für Arbeit und Sozialordnung, abgestimmt. Dem sind wir zu der Frage 31 von Dr. Peter S tr uck:
intensive Gespräche u. a. auch mit dem Bundesar- Treffen Informationen zu, nach denen vom Bundesminister
beitsministerium vorausgegangen. des Innern geplant ist, die Anpassung der Beihilfevorschriften an
das Pflegeversicherungsgesetz stufenweise in Kraft zu setzen,
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Dreßler, dabei zunächst die ambulante und erst dann die stationäre
Pflege zu regeln, und wie begründet die Bundesregierung dieses
bitte. Vorgehen?
Rudolf Dreßler (SPD): Herr Staatssekretär, wollen Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär beim Bundes-
Sie allen Ernstes vor dem Hohen Hause bestreiten, minister des Innern: Es trifft zu, daß der Bundesmini-
daß es zwischen Ihnen und dem BMA im Zusammen- ster des Innern die Beihilferegelung über Leistungen
hang mit der Umsetzung der Beihilfevorschriften für bei dauernder Pflegebedürftigkeit stufenweise in
ambulante und stationäre Pflege einen Dissens gege- Kraft setzt: zum 1. April 1995 die ambulante, also
ben hat, der Sie letztlich veranlaßte, die Teilung der häusliche und teilstationäre Pflege, zum 1. Juli 1996
Inkraftsetzung der Beihilfevorschriften in ambulante die stationäre Pflege. Die zweite Stufe der stationären
Leistungen jetzt und stationäre Leistungen später Pflege wird in der Beihilfe später geregelt, weil auch
vorzunehmen? die zweite Stufe der Pflegeversicherung erst später
Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 11. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 18. Januar 1995 621
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär beim Bundes- nach Schwere der Pflegebedürftigkeit, erfolgen
minister des Innern: So ist es. würde, während sie bei den Betroffenen in der sozia-
(Dr. Peter S truck [SPD]: Na gut, das werden len Pflegeversicherung eben nicht nach der Summe
wir ja sehen!) der Einsätze erfolgen würde, sondern nach Höchstbe-
trägen je nach Pflegegrad von 750, 1 800 und
2 800 DM, was im Ergebnis dann eine erhebliche
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Kollege Besserstellung der Beihilfeberechtigten bedeuten
Dreßen, Sie hatten sich zu einer Zusatzfrage gemel- könnte, wenn sich die Kosten pro Pflegestunde in eine
det. Richtung entwickeln würden, wie sie gegenwärtig
andiskutiert werden, nämlich von 50 bis 60 DM pro
Peter Dreßen (SPD): Herr Staatssekretär, Sie haben Stunde? Das hätte dann eine massive Besserstellung
ja erwähnt, daß bis zu 80 % der Pensionen im statio- der Beihilfeberechtigten zur Folge. Können Sie das
nären Bereich mit herangezogen werden. Ist Ihnen ausschließen?
bekannt, daß bei Arbeitern und Angestellten auch das
Privatvermögen in diesem Fall eingebracht wird und Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär beim Bundes-
bei Beamten überhaupt nicht? Halten Sie das für minister des Innern: Wir rechnen nicht mit einer
gerecht? massiven Besserstellung der Beihilfeberechtigten,
einfach deshalb, weil beispielsweise die Pflichtpflege-
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär beim Bundes- kassen in der Lage sind, Pauschalverträge mit Lei-
minister des Innern: Herr Kollege, Sie sprechen jetzt stungsanbietern abzuschließen, und sich dabei in
offenbar über eine Regelung, die noch gar nicht einer ganz anderen mit dem einzelnen Beihilfebe-
existiert. rechtigten nicht vergleichbaren Marktposition befin-
(Peter Dreßen [SPD]: Das ist jetziges den. Das heißt, wenn wir im Endeffekt den Inhalt
Recht!) dessen, was in der Pflegestufe I bei einem Höchstbe-
trag von 750 DM pro Monat in der Pflichtpflegeversi-
Ich habe vorhin darauf hingewiesen, daß die Anpas- cherung gewährt wird, mit dem vergleichen, was ein
sung der Beihilferegelung an die neue Lage, nämlich einzelner Beihilfeberechtigter auf eigene Rechnung
an die zweite Stufe der Pflegeversicherung, erst zum zunächst bei einem Anbieter ordern muß, dann sind
1. Juli 1996 erfolgen wird. Deshalb gibt es noch keine wir der Meinung, daß die Leistungen, die zutage
detaillierten, genauen Festlegungen der dann gelten- treten werden, nicht günstiger sein werden, sondern
den Regelungen. Was das gegenwärtige Recht vergleichbar bleiben.
angeht, das aber nur noch bis dahin gilt, entsprechen
Ihre Ausführungen in etwa den Tatsachen.
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Vielen Dank,
Herr Staatssekretär. Wir sind am Ende der Frage-
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Dann kann ich stunde.
noch eine Frage aufrufen, nämlich die Frage 33 des
Kollegen Schreiner: (Ottmar Schreiner [SPD]: Ich habe noch eine
Zusatzfrage, Herr Präsident!)
Kann die Bundesregierung angeben, wie in einem neuen
Beihilferecht die finanziellen Aufwendungen für Berufspflege- — Die Zeit ist leider abgelaufen, Herr Kollege Schrei-
kräfte bei ambulanter Pflege ausgestaltet werden sollen? ner.
(Ottmar Schreiner [SPD]: Aber die Regierung
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär beim Bundes- noch nicht, leider noch nicht! — Heiterkeit im
minister des Innern: Die finanziellen Auswirkungen ganzen Hause) -
hängen wesentlich davon ab, was ein Pflegeeinsatz Wir haben die Zeit für die Fragestunde überschritten;
künftig kosten wird. Abschließende Erkenntnisse lie- es tut mir leid. Wir sind am Ende der Fragestunde und
gen bisher nicht vor. Vergütungsvereinbarungen zwi- damit am Schluß der heutigen Tagesordnung. — Herr
schen den Pflegekassen und den Pflegeeinrichtungen Kollege Catenhusen.
werden derzeit erst verhandelt.
Bei häuslicher Pflege sind in Zukunft die Aufwen- Wolf-Michael Catenhusen (SPD): Herr Präsident!
dungen für Berufspflegekräfte höchstens wie folgt Meine Damen und Herren! Aus der Sicht der SPD-
beihilfefähig: in der Stufe I 30 Einsätze im Monat, in Bundestagsfraktion sind die bisherigen Antworten der
der Stufe II 60 Einsätze im Monat und in der Stufe III Bundesregierung und des Staatssekretärs auf unsere
90 Einsätze im Monat. Damit werden die Überlegun- Fragen nach Anpassung der Beihilfevorschriften an
gen, die für die Zuordnung nach § 15 SGB XI maßge- die Bestimmungen des Pflegeversicherungsgesetzes
bend sind, übernommen. unzureichend.
(Dr. Peter Struck [SPD]: Absolut unzurei-
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Eine Zusatz- chend! — Erwin Marschewski [CDU/CSU]:
frage, bitte schön. Der Zettel ist vorher geschrieben worden!)
Sie wecken Hoffnungen, ohne uns konkrete Antwor-
Ottmar Schreiner (SPD): Herr Staatssekretär, kön- ten geben zu können. Wir brauchen hier schnell
nen Sie denn eine möglicherweise erhebliche Besser- Klarheit im Interesse der Betroffenen und im Interesse
stellung der Beihilfeberechtigten in diesem Punkt der Öffentlichkeit, und zwar aus zwei Gründen: weil
ausschließen, zu der es dann käme, wenn die Decke es um die grundsätzliche Frage geht, ob hier eine
lung bei den Beihilfeberechtigten in der von Ihnen ausgewogene Belastung aller, die von der Pflegever-
dargestellten Form, nämlich 30, 60 oder 90 Einsätze je sicherung Leistungen beziehen werden, erfolgt, und
Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 11. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 18. Januar 1995 623
Wolf-Michael Catenhusen
um die Frage, ob die Regierung in Zukunft bei Die Regierung und die sie tragenden Fraktionen
Vereinbarungen mit der Opposition und bei grundle- haben darauf bestanden, daß Beamten alleine die
genden sozialpolitischen Reformwerken, die auch in Privatversicherung eröffnet würde,
Zukunft ohne die SPD nicht zustande kommen wer- (Zuruf von der SPD: Hört! Hört!)
den, berechenbar bleibt.
wissend, daß damit eine Beitragssituation entsteht,
Deshalb beantrage ich namens meiner Fraktion wie sie hier gerade der Staatssekretär zum Negativen
eine Aktuelle Stunde gemäß Anlage 5 der Geschäfts- der Beamten ausgeführt hat. Als die Einvernehmlich-
ordnung. keit im Leistungskatalog von der Bundesregierung
dem Vermittlungsausschuß gegenüber zugestanden
wurde, war dieser Sachverhalt als Wille der Bundes-
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Die Fraktion der regierung und der sie tragenden Fraktionen also
SPD hat eine Aktuelle Stunde zu den soeben behan- hinreichend deutlich bekannt.
delten Fragen beantragt. Das entspricht der Nr. 1 b der
Richtlinien für die Aktuelle Stunde. Die Aussprache Daraufhin ging das Gerangel los. Heute stellen wir
muß unmittelbar nach Schluß der Fragestunde durch- fest, nachdem der Staatssekretär hier auf Befragen
geführt werden. meines Kollegen S truck erklärte, daß die Gleichbe-
handlung nach Auffassung der Bundesregierung gesi-
chert sei, daß Beamten, nach den, wie wir soeben
erfahren haben, bereits am 29. Dezember in Kraft
Ich rufe auf:
getretenen Richtlinien im Leistungskatalog für Pfle-
Aktuelle Stunde geeinsätze bis zum Doppelten der Leistungen zuge-
Anpassung der Beihilfevorschriften an die standen worden ist.
Bestimmungen des Pflegeversicherungsgeset- (Zuruf von der SPD: Hört! Hört! — Volker
zes Kauder [CDU/CSU]: Rechnen Sie mal vor!)
Ich erteile dem Kollegen Rudolf Dreßler das Wort. — Nun warten Sie es doch ab. Seien Sie nicht so
(Vorsitz : Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer) ungeduldig. Sie werden sich das schon anhören müs-
sen.
(Volker Kauder [CDU/CSU]: Rechnen Sie
Rudolf Dreßler (SPD): Herr Präsident! Meine Damen doch vor!)
und Herren! Am 21. April 1994 hat der Vermittlungs-
Diesen Tri ck hat die Bundesregierung dadurch
ausschuß seine entscheidende Sitzung innerhalb des
fertiggebracht, daß sie die Geldobergrenze bei den
Ringens um einen Kompromiß zur Pflegeversiche-
Normalsterblichen in eine Pflegeeinsatzzahl bei den
rung abgehalten. Am Ende der Sitzung hat die SPD-
Beamten veränderte. Anders ausgedrückt: Egal, was
Seite im Vermittlungsausschuß die Bundesregierung
der Pflegeeinsatz kostet, 30 Einsätze für Beamte in der
gefragt, ob sichergestellt sei, daß das, was wir für die
ersten Pflegestufe sind garantiert, für den Normal-
gesetzliche Pflegeversicherung vereinbart hatten,
sterblichen nur 750 DM. Nach Angaben des Deut-
innerhalb der Beihilfevorschriften auch für die Beam-
schen Wohlfahrtsverbandes kostet ein Pflegeeinsatz
ten seine Umsetzung finde. Der beamtete Staatssekre-
zwischen 50 und 60 DM. Ich nehme die untere Grenze.
tär im Bundesministerium des Innern hat dann eine
Auf deutsch heißt das: Dem Normalsterblichen sind
mündliche Erklärung abgegeben. Ich habe aus den
nach Meinung der Bundesregierung aus diesem
Erfahrungen von nicht eingehaltenen Zusagen aus
Gesetz 15 bis 16 Pflegeeinsätze zugänglich, dem
dem Rentenkonsens und den Verhandlungen um die
Beamten von vornherein 30. Das nennt Herr Staatsse-
Gesundheitsreform in den gleichen Fragen dort
kretär die Gleichheit vor dem Gesetz, wie das die
erklärt, daß ich niemandem mehr traue und das von
Bundesregierung gegenüber den Gremien des Parla-
ihm Ausgeführte gerne schriftlich hätte.
mentarismus am 21. Ap ril 1994 ausdrücklich zuge-
Daraufhin hat mir der Bundesminister des Innern standen hat.
am 21. Ap ri l 1994 brieflich mitgeteilt — ich zitiere —:
Zweites Beispiel. Die Bundesregierung will den
Das Bundesministerium des Innern wird eine Familienangehörigen von pflegebedürftigen Beam-
Anpassung des Beihilferechts an die Pflegeversi- ten Verdienstausfälle erstatten. Arbeiter, Angestellte
cherung vorbereiten. und Private in der gesetzlichen Pflegeversicherung
Er hat mir ferner mitgeteilt, daß das am 1. Januar 1995 bekommen nichts. Die Bundesregierung will nach
in Kraft trete, eine Anpassung an die gesetzlichen dieser Verordnung Fahrgelder für Familienangehö-
Bestimmungen, in denen Arbeiter, Angestellte oder rige bis zu den Schwiegerkindern erstatten. Die Nor-
Private je nach Status — jedenfalls nicht Beamte — malsterblichen bekommen nichts. Das ist keine
innerhalb der Gesetzgebung gefangen sind. Gleichberechtigung. Das ist aus meiner Sicht ein
Wortbruch gegenüber Vermittlungsausschuß, Bun-
Zu diesem Zeitpunkt war klar, meine Damen und
destag und Bundesrat.
Herren, daß die Bundesregierung und die sie tragen-
den Fraktionen unter keinen Umständen bereit waren (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
— sie haben das Ganze als nicht verhandelbar titu- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der
liert —, daß Beamte auch nur wahlweise, geschweige PDS)
denn per gesetzlicher Verpflichtung, in die gesetzli- Ich fordere die Bundesregierung auf, diesen Wort-
che Pflegeversicherung eintreten können. bruch zu korrigieren und die Arbeiter, Angestellten
(Zuruf von der SPD: Sehr wahr!) und die freiwillig Versicherten in der gesetzlichen
624 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 11. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 18. Januar 1995
Rudolf Dreßler
Pflegeversicherung nicht schlechter als die Beamten sie nicht vom Wegfall eines Feiertags betroffen sind,
zu stellen. müssen sie entsprechende Besoldungskürzungen hin-
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten nehmen.
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Viertens. Es trifft durchaus zu, daß gegenwärtig in
PDS) begrenztem Umfang auch Kosten für Unterkunft und
Verpflegung beihilfefähig sind, aber den betroffenen
Beamten werden ihre Versorgungsbezüge auf derar-
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat der tige Beihilfen weitgehendst als Eigenleistung ange-
Kollege Marschewski. rechnet. Deshalb werden in einer Vielzahl von Fällen
de facto entsprechende Beihilfeleistungen überhaupt
nicht erbracht.
Erwin Marschewski (CDU/CSU): Frau Präsidentin!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Einfüh- Ich gehe davon aus — ich habe das auch bewie-
rung der Pflegeversicherung ist eine Jahrhundert- sen —: Es gibt keine Vorteile für die Beamten in
reform. Dafür gebührt insbesondere dem Bundes- diesem Bereich. Mit Ihrer Darstellung, Herr Dreßler,
arbeitsminister ganz herzlicher Dank. stellen Sie die Wirklichkeit buchstäblich auf den
Kopf.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge
ordneten der F.D.P. — Widerspruch bei der (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
SPD) Warum haben 14 Bundesländer, 14 Innenminister
Aber auch Sie von der SPD-Fraktion haben die der Bundesländer, in denen Sie die Mehrheit haben,
Pflegeversicherung mitgetragen. Deswegen habe ich diesem Vorschlag zugestimmt? Sie haben das akzep-
eine Frage an Sie: Wollen Sie wirklich durch diese Art tiert, weil es in Ordnung ist, weil es kein ungerechter
von Debatte das großartige Werk Pflegeversicherung Vorteil für den öffentlichen Dienst ist, sondern in jeder
kaputtreden, oder wollen Sie Neid gegen gewisse Hinsicht systemimmanent ist.
Leute im Bereich des öffentlichen Dienstes schüren? Deswegen mein Appell: Kehren Sie auf den Boden
Ich sage Ihnen: Die Pflegeversicherung ist über- der Tatsachen zurück! Lassen Sie, Herr Dreßler, von
haupt kein Anlaß, über Beamte oder über Reformen einer pauschalen Schelte am öffentlichen Dienst ab
im öffentlichen Dienst nachzudenken. Das werden und arbeiten Sie mit uns gemeinsam an den Reformen
wir, Herr Kollege Dreßler, an anderer Stelle tun. im öffentlichen Dienst mit, die woanders notwendig
sind!
Deswegen ein paar sachliche Informationen:
Erstens. Beamte sind ebenso — das wissen Sie aber Herzlichen Dank.
auch — wie andere Gruppen der Bevölkerung ver- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge-
pflichtet, eine Pflegeversicherung abzuschließen. Im ordneten der F.D.P.)
Gegensatz zu den Arbeitnehmern werden sie nicht
Mitglied der gesetzlichen Pflegeversicherung, son-
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat jetzt
dern müssen eine private Pflegeversicherung ab-
die Kollegin Andrea Fischer (Berlin).
schließen.
(Rudolf Dreßler [SPD]: Weil Sie das so woll
ten!) Andrea Fischer (Berlin) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): Herr Kollege Marschewski, hätten Sie die
Diese Pflegeversicherung ist keineswegs billiger, Beamten in die allgemeine Pflegeversicherung gelas-
sondern sogar teurer als die gesetzliche Pflegeversi- sen, dann müßten sie uns jetzt nicht vorweinen, wie-
cherung. Es ist Ihnen auch bekannt, daß diese Ver- schlecht es ihnen mit der p rivaten Versicherung
sicherung keine Familienversicherung ist. Nicht- geht.
erwerbstätige Ehepartner der Beamten müssen somit
selbständig versichert werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
und bei der SPD — Widerspruch bei der
(Rudolf Dreßler [SPD]: Weil Sie es wollten!) CDU/CSU)
Das kann durchaus dazu führen, daß die Beamten Das ist doch das Problem. Sie haben einmal mit dem
im öffentlichen Dienst, wenn es kleine Beamte sind, Fehlermachen angefangen, und jetzt kommen Sie
zeitweise doppelt so hoch belastet werden. Das kann nicht da raus. Dann machen Sie auch noch Regelun-
doch nicht Ziel einer Reform sein. gen und ärgern sich darüber, wenn wir Ihnen vorhal-
(Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ ten, daß das nicht so gelungen ist.
DIE GRÜNEN]: Unglaublich! Gebt dem Wenn ich mir das aus der Sicht des BÜNDNIS-
Mann mehr Redezeit!) SES 90/DIE GRÜNEN ansehe, dann entdecke ich da
Zweitens. Die Finanzierung der gesetzlichen Pfle- ganz erstaunliche Dinge, z. B. das, was wir jahrelang
geversicherung erfolgt ebenso wie bei anderen Zwei- gefordert haben. De facto ist diese Beihilfeverord-
gen der Sozialversicherung durch Arbeitgeber und nung in der Wirkung nichts anderes als das, was wir
Arbeitnehmer je zur Hälfte. Die Beihilfeleistungen uns einmal als steuerfinanziertes Leistungsgesetz
sind also kein Beamtenprivileg, sondern der dem vorgestellt haben. Wir haben uns damals gedacht, daß
Beamten wie jedem anderen Arbeitnehmer zuste- damit alle Leute gleichmäßig an der Verteilung der
hende Arbeitgeberanteil. Lasten beteiligt werden.
Drittens. Die Beamten tragen durch die Einführung (Zuruf von der CDU/CSU: Sie haben nur
der Pflegeversicherung die Lasten, die entstehen, nicht gesagt, wie Sie die Mittel aufbrin-
genauso wie andere Bevölkerungsgruppen. Soweit gen!)
Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 11. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 18. Januar 1995 625
Petra Bläss
selber entscheiden dürfen, was mit dem Geld, das sie weise unterstellen, die Dinge nicht gesehen zu haben
bekommen, tatsächlich gemacht werden kann. oder sie absichtlich entgegen Ihrer heftigen Kritik
(Julius Louven [CDU/CSU]: Können Sie auch mitzutragen.
doch! — Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Ich darf auf einzelne Punkte eingehen. Den Kosten-
Steht im Gesetz!) vergleich, den Sie angestellt haben, halte ich für
Da sind die Defizite ziemlich erheblich. extrem unseriös; denn Sie wissen genausogut wie ich,
Was die Ausführungsbestimmungen betrifft — dar- daß die Kosten zur Zeit zwischen den Pflichtversiche-
auf wurde auch in der Debatte schon verwiesen —, rern ûnd den Leistungsanbietern erst verhandelt wer-
gibt es ja gegenwärtig Widersprüche hinsichtlich den. Die Sätze, die Sie genannt haben, entsprechen
einiger Regelungen, die schon bekannt geworden der Wunschvorstellung der Anbieter. Sie müssen aber
sind. Ich denke z. B. an die Eingangsbedingungen bei keineswegs Wirklichkeit werden. Die ganze Rege-
der Pflegestufe I. Im Gesetz war folgende Regelung: lung gilt ja erst ab 1. April 1995.
eine Stunde Pflegebedürftigkeit bei häuslicher Pflege. (Rudolf Dreßler [SPD]: Warum kriegen die
Jetzt gibt es eine Richtlinie, die besagt: anderthalb Beamten Einsätze und die anderen Geld?)
Stunden Pflegebedürftigkeit.
— Genau dieser Einwurf bringt mich zu dem, was ich
(Zuruf von der SPD: Genau!)
auch ansonsten zu beklagen habe: Sie stiften hier
Da, meine Damen und Herren von der Regierungs- — ich vermute: absichtlich — ständig Verwirrung,
koalition, sollten Sie sich durchaus an Ihre eigenen indem Sie die bisher geltende Regelung mit künftigen
ursprünglichen Beschlüsse halten. Regelungen verquicken,
Ich komme zum Schluß. Ich möchte darum bitten,
(Beifall bei der CDU/CSU)
daß wir die Debatte über die Pflegeversicherung
stärker aus der Sicht der unmittelbar Betroffenen obwohl Sie genausogut wie ich wissen, daß die jetzige
führen. Ich glaube, die Defizite sind hier unheimlich Regelung nach dem 1. April 1995 nicht mehr gelten
groß. wird.
(Beifall bei der PDS und dem BÜNDNIS 90/ (Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Sehr
DIE GRÜNEN) richtig!)
Deshalb war Ihre Behauptung, daß im Wege der
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Für die Regie- Beihilfe Fahrtkostenzuschüsse gezahlt würden oder
rung erteile ich jetzt das Wort nicht dem Minister, beispielsweise Verdienstausfall ersetzt würde, im
sondern dem Parlamentarischen Staatssekretär, Hinblick auf die Neuregelung der Pflege ab 1. April
Herrn Lintner. dieses Jahres nicht richtig.
Wir haben zugesagt, daß nach der Neuregelung die
Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär beim Bundes- Leistungen nach der allgemeinen Pflegeversicherung
minister des Innern: Sehr geehrte Frau Präsidentin! und die Leistungen nach der Beihilfe vergleichbar
Meine Damen und Herren! Ich darf daran erinnern sein werden. Dazu stehen wir; das halten wir auch
— insbesondere die Kolleginnen und Kollegen von der ein.
SPD-Fraktion —: Das Pflegeversicherungsgesetz hat
Herr Dreßler, es kann natürlich nur um eine inhalt-
seinerzeit in Übereinstimmung mit Ihnen die Beamten
liche Vergleichbarkeit gehen, denn der Beamte ist als
ausdrücklich nicht in die gesetzliche Pflichtversiche-
Einzelnachfragender nicht in der Lage, irgendwelche -
rung einbezogen, sondern diesen Personenkreis wei-
Sachleistungen, die die Pflichtversicherung mit den
terhin auf Leistungen der Beihilfe und einer privaten
Anbietern pauschal vereinbart hat — für die sie auch
Pflegeversicherung verwiesen;
die Sätze pauschal vereinbart hat —, abzurufen,
(Zuruf von der SPD: Wer wollte das?) sondern er muß sozusagen als Einzelkunde auftreten.
übrigens aus gutem Grund, der auch heute noch gilt, Er muß zunächst die Kosten dafür tragen und kann erst
denn das Grundgesetz schreibt die Fürsorgepflicht anschließend mit seinem Dienstherrn abrechnen.
des öffentlichen Dienstherrn vor. Im übrigen könnte Das heißt, die Grundsatzentscheidung, daß wir es
davon auch ein Gesetzgeber, der hier immer wieder bei dem Prinzip der privaten Versicherung und der
aufgefordert und ins Spiel gebracht wird, nicht abwei- Beihilferegelung belassen, hat notwendigerweise die
chen. Regelung zur Folge, daß wir hier nicht mit absoluten
Was ich bedaure, meine Damen und Herren, ist, daß Höchstbeträgen operieren konnten, sondern Einsatz-
Sie von diesem Mittragen heute nichts mehr wahrha- zahlen nennen mußten. Auch das ist in einer Arbeits-
ben wollen. Aber Gott sei Dank sind die von Ihnen gemeinschaft zwischen Bund und Ländern auf der
vertretenen Minister auf Länderebene, die Landesin- Basis der Innenminister unstreitig gewesen.
nenminister, weiterhin von der Partie und tragen die
von der Bundesregierung getroffene Regelung weiter Ich kann nur hoffen, daß Sie das Thema, das
mit. wirklich mit sehr viel Leid zu tun hat, nicht dazu
benutzen, es zu einer Art Neiddiskussion kommen zu
(Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Richtig!) lassen. Damit wäre niemandem gedient, schon gar
Das zeigt ja nun bereits, Herr Kollege Dreßler, daß nicht den Beamten, die unter dem Strich — Herr
die Vorwürfe, wie Sie sie im einzelnen formuliert Dreßler, das wissen Sie auch — im Vergleich zur
haben, offenbar nicht zutreffen können; denn sonst heutigen Regelung auf sehr viel verzichten müssen,
würden Sie ja Ihren Landesinnenministern beispiels wenn die Neuregelung in Kraft tritt. Das Opfer der
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ist dieser für alle außer den Beamten geltende Betrag Meine Damen und Herren! Ich denke, wir sollten das
von 750 DM so zustande gekommen, daß man davon Thema Angleichung der Beihilfe an die Leistungen
ausgegangen ist, daß 25 Einsätze zu je 30 DM erbracht der Pflegeversicherung nicht so darstellen, wie es
werden können. Von den betroffenen Wohlfahrtsver- nach meinem Eindruck manchmal geschieht: daß wir
bänden ist schon damals darauf hingewiesen worden, die eine Bevölkerungsgruppe gegen die andere aus-
daß ein Monat mehr als 25 Tage umfaßt, nämlich in spielen.
aller Regel 30 oder 31 Tage, so daß diese Leistung sehr -
(Rudolf Dreßler [SPD]: Das macht ihr
knapp bemessen worden sei. Ich finde es bemerkens
doch!)
wert, daß bei der Regelung für die Beamten diese
Sorge, dieser Einwand aufgenommen wurde und von Man sollte auch nicht den Eindruck erwecken, als sei
30 Pflegeeinsätzen die Rede ist. Ich will mich gar nicht die Beihilfe im Oktober 1982 vom Himmel gefallen.
auf die Diskussion einlassen, ob die 30 DM, die damals Beihilfe gibt es schon viel länger. Daß über die
in Ansatz gebracht worden sind, realistisch waren Beihilfe bei Pflegebedürftigkeit bezahlt wird, gibt es
oder ob die 50 DM bis 60 DM, die heute von den seit dreißig Jahren.
Wohlfahrtsverbänden genannt werden — was zu sehr Die Wahrheit ist, daß CDU/CSU, F.D.P., unser
viel weniger Pflegeeinsätzen führt —, eher den Tatsa- Bundesarbeitsminister und mit ihrer Zustimmung im
chen entsprechen. Vielmehr will ich mich dem Aus- Endeffekt auch die SPD durch die Einführung der
gangspunkt zuwenden: Es waren 750 DM vorgese- Pflegeversicherung diese schreiende Ungerechtigkeit
hen, 25 Einsätze à 30 DM. Für Beamte hingegen sind ein ganz großes Stück weit beseitigt haben. In all den
30 Pflegeeinsätze vorgesehen. Es ist nicht wegzudis- Jahren vorher hat es diese Leistungen gegeben. Ich
kutieren — auch wenn man sagt: Das ist systemkon- bin mir auch klar darüber, wenn manch einer in
form, oder: Man darf nicht Äpfel mit Birnen verglei- un serer Bevölkerung diese großen Unterschiede
chen —, daß ganz offensichtlich die Fürsorge des gewußt hätte, hätte es massive Auseinandersetzun-
Staates für seine Beamten weiter geht als die Fürsorge gen in diesen Fragen gegeben. Die Tatsache, daß wir
des Bundesarbeitsministers und auch von uns allen, die Pflegeversicherung eingeführt haben, war der
die wir der Pflegeversicherung zugestimmt haben, für erste Schritt in Richtung Abbau dieser Ungerechtig-
alle anderen Betroffenen. Ich denke, das verträgt sich keit.
nicht mehr mit dem Satz, daß die Beamten gleichge- Ich denke auch, meine Damen und Herren, daß wir
stellt werden sollen. eine Frage ohne Emotionen, ganz ruhig und sachlich
(Beifall bei der SPD) beantworten müßten: Inwieweit hätten wir die Bei-
Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 11. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 18. Januar 1995 629
Karl-Josef Laumann
hilfe einschränken oder abschaffen können, auch von der zweite Teil der Pflegeversicherung eingeführt
der Verfassung und vom Alimentationsprinzip her? wird, genauso geschieht.
(Rudolf Dreßler [SPD]: Da sind Sie aber in
(Rudolf Dreßler [SPD]: So wie der Innenmini
einem großen Irrtum! Fragen Sie einmal Ihre
ster es zugesagt hat: Gleichbehandlung!)
Parteifreunde! Die wollen das Gegenteil!)
Es kommt jetzt sehr darauf an, daß wir uns einmal Ich weise schon darauf hin: Von 16 Innenministern
sehr deutlich ansehen, was zwischen dem Bundesin- haben schon 14 dieser Regelung zugestimmt. Das
nenminister und den 16 Innenministern der Länder für heißt, eine Menge der SPD-Innenminister haben die-
den ersten Teil der Pflegeversicherung, für die häus- ser Regelung zugestimmt.
liche Pflege, vereinbart worden ist. Vorher muß man (Rudolf Dreßler [SPD]: Das ist klar, die SPD
wissen, daß die Beihilfeberechtigten bislang nach hat das überhaupt gemacht!)
amtsärztlicher Begutachtung einen Anspruch hatten,
Leistungen bis zu 5 500 DM im Monat zu bekom- Es wäre schon einmal interessant, zu wissen, warum
men. die Innenminister von Niedersachsen und Hessen hier
nicht zugestimmt haben. Vielleicht schwebte denen
(Zuruf von der SPD: Das wollen wir gar nicht eine höhere Leistung im Beihilfebereich vor.
alles wissen! Wir wollen Gleichbehand Schönen Dank.
lung!)
(Beifall bei der CDU/CSU)
Jetzt ist zwischen den Landesinnenministern und dem
Bundesinnenminister vereinbart worden, daß im Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat jetzt
Bereich der häuslichen Pflege 30, 60 und 90 Pfle- der Kollege Karl-Hermann Haack aus dem schönen
geeinsätze im Monat bezahlt werden. Extertal.
(Rudolf Dreßler [SPD]: Jetzt fehlt nur noch,
daß Sie sagen, die SPD-Landesinnenminister Karl-Hermann Haack (Extertal) (SPD): Frau Präsi-
hätten das gewollt! Das fehlt noch!) dentin, ich lade Sie in das schöne Extertal ein. Es liegt
ja nicht weit von Bielefeld.
— Herr Dreßler, regen Sie sich doch nicht auf! — Das
Wir erleben hier eine sehr interessante Sache. Herr
heißt, es gibt keine finanzielle Obergrenze. Im Unter-
Marschewski hat sich neulich geäußert, im Beamten-
schied dazu werden in der Pflegeversicherung
recht müsse alles reformiert werden. Frau Simonis hat
Höchstbeträge von 750 DM, 1 800 DM, 2 800 DM und
bei Härtefällen 3 750 DM bezahlt. Wahr ist nun auch, gesagt, die Pensionslasten z. B. sind nicht mehr zu
tragen. Sie haben sich dem angeschlossen. Dann
daß die Krankenkassen zur Zeit gegenüber einem
Träger, der häusliche Pflege über die Krankenkassen- kommt Herr Dr. Stadler hinterher und erzählt uns von
der F.D.P., es sei alles gar nicht so; das sei Beamten-
leistung erbringt, die auch heute noch gilt und am
hetze. Herr Laumann als Vertreter der CDA, des
1. April durch die Pflegeversicherung abgeschafft
christlich demokratischen Arbeitnehmerflügels der
wird, pro Einsatz 30 DM bezahlen. Wenn Sie diese
CDU, verteidigt die Privilegierung der Beamten.
Zahlen zugrunde legen, dann haben wir in diesem
Bereich weitestgehend eine Gleichrangigkeit zwi- (Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Das ist
schen gesetzlich Versicherten und den Beihilfebe- doch gar nicht wahr!)
rechtigten. Wenn man einmal die Summen, die ich — Natürlich. Das haben Sie eben gemacht. Was denn
eben genannt habe, durch 30 teilt, werden Sie sogar sonst? Ich kann doch hören. Regen Sie sich nicht auf! -
feststellen, daß Sie in den Pflegestufen II und III eine — Das ganze Trauerspiel setzt sich wie folgt fort.
bessere Leistung in der gesetzlichen Pflegeversiche- Heute morgen um halb zehn betritt der Präsident der
rung haben, als sie für die Beihilfe vereinbart ist. Bundesanstalt für Arbeit, Herr Jagoda, den Saal 1901
und erklärt zur Debatte über Arbeitslosigkeit, es
Meine Damen und Herren, die Geldleistungen bei müsse Gerechtigkeit in dieser Republik herrschen,
häuslicher Pflege — das wissen Sie alle — sind gleich. man müsse Elend beseitigen. Das sei die andere Seite.
Ich meine, daß der Bundesinnenminister die Zusage Die andere Seite sei, Arbeitnehmern — ich zähle auf:
des Staatssekretärs im Vermittlungsausschuß für den Angestellte, Arbeiter — sei eine Beitragserhöhung
Bereich der häuslichen Pflege voll eingehalten hat. Ich nicht mehr zuzumuten. Die Akzeptanz sei nicht da.
sage es auch ganz klar: Ich gehe davon aus und werde Das sei die andere Seite von Gerechtigkeit in dieser
auch dafür kämpfen, soweit wir in den Fraktionen und Gesellschaft.
im Parlament darauf Einfluß haben, daß diese Gleich-
stellung zum 1. Juni 1996 auch im Bereich der (Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Sie haben
stationären Pflege zustande kommt. Es kann nicht nicht zugehört!)
richtig sein — ich sage das ganz eindeutig —, daß wir Herr Seehofer betritt den Saal 2001 um 11.30 Uhr
einer Witwe, die 1 200 DM Rente bekommt, zumuten, und erklärt zum GSG folgendes: Die dritte Stufe sei
die sogenannten Hotelkosten und Unterbringungsko- notwendig, weil Arbeitern und Angestellten nicht
sten selber zu bezahlen. Sie bekommt dafür null DM mehr zuzumuten sei, höhere Beiträge zu leisten. Es
von der Pflegeversicherung. Für mich ist auch schon müsse eine Reform des Sozialstaates geben, die
klar, daß dieses dann auch für Beihilfeberechtigte durchgehende Gerechtigkeit im Leistungsbereich
gelten muß. Aber sehen Sie einmal, daß das im schafft, und dies müsse transparent gemacht werden,
Bereich der häuslichen Pflege voll gelungen ist. Ich damit diejenigen, die Steuern zahlen, also die Beam-
bin mir ziemlich sicher, daß dies auch im Bereich der ten alimentieren — das sind die Arbeiter, die Ange-
stationären Pflege zum passenden Zeitpunkt, wenn stellten und die Selbständigen —, begreifen, daß das
630 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 11. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 18. Januar 1995
Gerd Andres
deckt quergeschrieben worden ist, hinterher auch cherung nur 25, für die Beamten aber 30? Ich bitte,
finanziert wird. Die Finanzlasten werden der norma- diese Frage zu beantworten.
len Bevölkerung auferlegt. Wer so etwas macht, der (Beifall bei der SPD)
— das kann ich Ihnen sagen — schadet auf Dauer den
Beamten. In der zweiten Stufe wird bei 1 800 DM gedeckelt.
Warum werden dort 60 Pflegeeinheiten vorgesehen
(Beifall bei der SPD — Erwin Marschewski und warum in der sozialen Pflegeversicherung
[CDU/CSU]: Das war in den 70er Jahren bei nicht?
Ihrer Bundesregierung, nicht bei uns!) Ich bitte darum, diese schlichten Fragen zu beant-
Ich will Ihnen etwas ganz Simples sagen. Herr worten. Wenn sie ordentlich und vernünftig beant-
Lintner hat vorhin gesagt, am 29. Dezember sei diese wortet werden, bin ich gern bereit, die Vorwürfe
allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Änderung der zurückzunehmen. Mein Problem ist nur, daß ich
Beihilfevorschriften in Kraft gesetzt worden. Ich habe glaube — das ist auch die Absicht, die dahinter-
hier ein Exemplar vom 6. Dezember — ein anderes steckt —: Den einen werden die Pflegeeinsätze unab-
liegt mir nicht vor —, aus dem ich Ihnen einfach etwas hängig von dem, was sie kosten, — das wird nicht
vorlesen will. § 6 Abs. 1 Nr. 7 — ich muß es kurz festgelegt — gewährt, während bei den anderen eine
machen —: Kostendeckelung vorgenommen wird und ihnen dann
weniger Pflegeeinsätze gewährt werden.
Daneben sind Aufwendungen für Behandlungs-
pflege beihilfefähig. Bei einer Pflege durch Ehe- Die von mir genannten Punkte können ausgeräumt
gatten, Kinder, Eltern, Großeltern, Enkelkinder, werden; vielleicht habe ich einen falschen Entwurf
Schwiegersöhne, Schwiegertöchter, Schwäger, — meiner ist vom 6. Dezember 1994 —, oder vielleicht
Schwägerinnen, Schwiegereltern und Geschwi- weiß ich das a ll es nicht mehr.
ster des Beihilfeberechtigten oder berücksichti- Ich komme zu meiner Schlußbemerkung, die an die
gungsunfähigen Angehörigen sind die folgenden hier Verantwortlichen geht. Wenn diese Geschichte
Aufwendungen beihilfefähig: ganz normale Menschen mitbekommen, dann darf
sich kein Mensch wundern, daß es in dieser Gesell-
(Parl. Staatssekretär Eduard Lintner: Das ist schaft keine Bereitschaft zu Solidarität und zur Rück-
doch bei der allgemeinen auch so!) sichtnahme gibt. Wenn die Leute mitbekommen, daß
a) Fahrtkosten, immer sie diejenigen sind, die die Lasten aufgebürdet
bekommen, während sich andere Privilegien erhal-
b) eine für die Pflege gewährte Vergütung bis ten, dann wird mit einer solchen Methode unser
zur Höhe des Ausfalls an Arbeitseinkommen, Sozialstaat letztlich demontiert und kaputtgemacht.
wenn wegen der Ausübung der Pflege eine Dem muß man einen Riegel vorschieben.
mindestens halbtägige Erwerbstätigkeit auf-
gegeben wird; ... (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
der PDS)
— Entschuldigung, das steht da.
Wenn Lohnausfall für Angehörige erstattet wird,
dann müssen Sie, Herr Marschewski, nicht eine Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Ich erteile jetzt
Nebelrede über irgendwelche Reformabsichten im dem Bundesminister Norbert Blüm das Wort.
öffentlichen Dienst halten, sondern müssen sagen: Ist
das so, oder ist das nicht so? Wo werden dem Normal-
bürger in der sozialen Pflegeversicherung die Fahrt- Dr. Norbert Blüm, Bundesminister für Arbeit und -
kosten erstattet? Bitte vorzeigen! Sozialordnung: Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Ich hatte eigentlich gar nicht vor, in der
Dann gibt es eine zweite ganz einfache Frage. Sie Debatte zu sprechen. Nur, was der Kollege Andres
können sie hier ganz schlicht beantworten. In der vorgetragen hat, bedarf der Aufklärung.
sozialen Pflegeversicherung gibt es in der Stufe I, Das, was er vorgetragen hat, betrifft das geltende
ambulante Pflege, 750 DM. Für die Beamten gibt es Beihilferecht. Da war für die häusliche Pflege ein
30 Pflegeeinheiten. Schlichte Preisfrage: Warum gibt Betrag bis zu 5 514 DM beihilfefähig; ausgezahlt
es in der normalen Pflegeversicherung nicht 30 Pfle- wurden dann davon zwischen 50 % und 80 %. Nach
geeinheiten, oder warum wird umgekehrt in den der geltenden Beihilferegelung wurde jemandem, der
Beihilferichtlinien nicht hineingeschrieben „bis einen Familienangehörigen pflegt, der ausgefallene
750 DM"? Es ist eine ganz schlichte Frage. Lohn ersetzt.
Meine Kollegin Mascher ist darauf eingegangen: (Gerd Andres [SPD]: Und die 30 Pflegeein-
Wir haben während der Beratungen des Pflegeversi- heiten!)
cherungsgesetzes elende Auseinandersetzungen ge-
nau um die Frage gehabt, wieviel Geld denn notwen- — Jetzt mal ganz langsam!
dig ist, um eine einigermaßen zuträgliche und ver- Die neue Beihilferegelung unterscheidet sich ele-
nünftige Pflege zu gewähren und zu finanzieren. Da mentar von dem, was bis jetzt galt. Es sind jetzt nicht
ist gesagt worden: Wenn ein Pflegestundensatz von mehr bis zu 5 514 DM beihilfefähig. Es gibt jetzt
30 DM herauskommt, bedeutet das bei einer Decke vielmehr ein nach Pflegegruppen gestaffeltes Pflege-
lung bei 750 DM, daß in der untersten Pflegestufe geld — das gab es bisher gar nicht — von 400 DM,
eben nur 25 Pflegeeinheiten bezahlt werden können. 800 DM und 1 300 DM. Das ist eine elementare
Preisfrage: Warum gibt es, wenn diese 25 Pflegeein- Reduzierung dessen, was die Beamten bisher bekom-
heiten herauskommen, bei der sozialen Pflegeversi men haben.
Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 11. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 18. Januar 1995 633
Volker Kauder
Zum erstenmal wird eine Pflegekasse gebildet, an Das ist aus Äußerungen des Kollegen Dreßler ganz
der auch die Beamten mit Beiträgen und Kompensa- klar deutlich geworden.
tion beteiligt sind, was bisher nicht der Fall war. Es
Zweitens. Eine Reform des öffentlichen Dienstes
wird von Leistungen, auf die Beamte bisher Anspruch — das spüren wir in diesen Tagen — ist notwendig.
hatten und die man von mir aus als Privilegien Dazu hat der Kollege Marschewski ausgewogene
bezeichnen kann, abgegangen. Es entsteht also genau Vorstellungen vorgelegt, über die wir diskutieren
das Gegenteil von dem, was Sie hier gesagt haben. müssen. Deswegen weise ich die Aussagen des Kolle-
Beamte müssen von den Privilegien herunter und
gen Andres zurück.
werden an das herangeführt, was für jeden anderen
normalen Arbeitnehmer gilt. Ich habe den Eindruck, daß die SPD über diese
notwendige Diskussion versucht, das Berufsbeamten-
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) tum kaputt zu machen und so wenige Beamten wie
Mit den Zahlen, die Sie nennen, wird von der SPD möglich zu behalten — das ist das, was die Gewerk-
Nebel produziert. Auch bei den neuen Beihilfevor- schaften schon immer wollten —, um damit den
schriften tritt das ein, was wir in der Pflegeversiche- Einstieg in die allgemeine Sozialversicherung zu
rung haben: Geldleistungen ohne Unterschied. bekommen. Die heutige Diskussion dient diesem
Meine Kolleginnen und Kollegen von der SPD, Sie Ziel.
wissen doch ganz genau, daß 80 % der Pflegebedürf- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
tigen die Geldleistungen und nicht die Sachleistun- der F.D.P.)
gen in Anspruch nehmen. Dies setzt sich, wie mir
gesagt worden ist, auch in diesem Jahr durch. Die Bei der Krankenkasse erleben wir das auch. Das
sind Stellvertreterkriege, die hier im Bundestag
Geldleistungen sind bei der Pflegekasse und bei der
geführt werden. Ich kann Ihnen nur sagen: Da machen
Beihilfe inhaltlich voll identisch. Wo ist hier also der
Dissens? wir nicht mit.
Wir haben bei den Beamten dieselbe Stufenrege- Ich möchte noch einen letzten Hinweis geben, Herr
lung bezüglich der Einstufung der Pflegeversicherung Kollege Dreßler. Ich werde die Kritik, die Sie heute
wie bei allen anderen. Wir haben im Prinzip auch die geäußert haben, gleich morgen an den Innenminister
gleichen Berechnungsgrundlagen. Ich halte es für die des Landes Baden-Württemberg, Ihren SPD-Partei-
Leistungskraft der Pflegeversicherung für gefährlich, freund Birzele, weitergeben. Ihn haben Sie kritisiert;
wenn Kolleginnen und Kollegen von der SPD jetzt so denn er hat der Geschichte zugestimmt.
tun, als ob es schon ausgemachte Sache wäre, daß ein Im übrigen wundert es mich natürlich schon, daß Sie
Pflegeeinsatz 50 oder 60 DM kostet. Wir gehen keine Bundesratsinitiative ergreifen, wo Sie doch jede
nämlich noch immer davon aus, daß wir erheblich Gelegenheit nutzen, um den Bundesrat für parteipoli-
darunter bleiben können, und wollen nicht denjeni- tische Dinge zu instrumentalisieren. Das haben Sie
gen das Wort reden, die glauben, sie müßten schon nicht gemacht, sondern Sie führen hier eine Diskus-
jetzt 50 oder 60 DM verlangen. sion, die völlig fehl am Platz ist.
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Ich stelle fest: Es geht heute um die Einführung der
Ich bin deshalb sehr froh — auch dann, Frau ambulanten Pflege. Da ist etwas gelungen, was wir
Kollegin Mascher, wenn Sie mit dem Kopf schüt- früher für unmöglich gehalten haben: die verspro-
teln —, daß wir in dem Pflegeversicherungsgesetz die chene Anpassung der Beihilfe an die allgemeinen
private Konkurrenz zulassen, damit nicht die Preise in Regeln. Bei der stationären Pflege wird dies auch
der Art eines Privilegiensystems diktiert werden kön- geschehen. Es gibt überhaupt keinen Anlaß zur Kritik
nen. an der Bundesregierung.
(Dr. Gisela Babel [F.D.P.]: Sehr wahr!) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
Anlage 1 Anlage 2
Liste der entschuldigten Abgeordneten Antwort