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D eutscher Bundestag

20. Sitzung

Bonn, den 15. März 1962

Inhalt:

-
Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Frage des Abg. Jacobi (Köln)::
Wehrsoldgesetzes (CDU/CSU, FDP)
(Drucksache IV/248) — Erste Beratung — 699 B Energie-Enquete
Dr. Westrick, Staatssekretär . . . 701 D,
702 B
Fragestunde (Drucksache IV/239) Jakobi (Köln) (SPD) 702 A, B
Frage des Abg. Varelmann:
Darlehen an Wirtschaftsbetriebe zur Fragen der Abg. Dröscher und Schultz:
regionalen Wirtschaftsförderung
Verordnung der französischen Regie
Dr. Westrick, Staatssekretär . . . 699 C, rung betr. die Neupflanzung von Wein
700 A, B bergen zur Herstellung von „Cognac"
Varelmann (CDU/CSU) . . . . 700 A, B Schwarz, Bundesminister . . . 702 B, C, D,
703 A
Dröscher (SPD) ........702 D
Fragen des Abg. Schmitt-Vockenhausen:
Schultz (FDP) .........703 A
Sicherheitsvorkehrungen bei Banken
und Sparkassen
Dr. Westrick, Staatssekretär . . . 700 B Frage des Abg. Dröscher:
Schmitt-Vockenhausen (SPD) . . . 700 D Lieferprämie für Roggen
Schwarz, Bundesminister . . . . 703 B, D
Frage des Abg. Ertl: Dröscher (SPD) 703 D

Bodenvorratskäufe der Städte


Dr. Westrick, Staatssekretär . . 700 D, Frage des Abg. Ertl:
701 A, B, C, D Einfuhr von Getreide
Ertl (FDP) 701 A Schwarz, Bundesminister . . 704 A, B, C
Dr. Brecht (SPD) 701 C Ertl (FDP) 704 B
Schmitt-Vockenhausen (SPD) . . 701 D Wächter (FDP) . . . . . . . 704 B
II Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 20. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1962

Frage des Abg. Dürr: Frage des Abg. Schmidt (Würgendorf) :


Pflichtjahr für Mädchen Einrichtung eines Verkehrsflughafens
Blank, Bundesminister 704 C, D „Lipperhöhe"
Dürr (FDP) 704 D Hopf, Staatssekretär . . . 708 B, C, D
Frau Welter (Aachen) (CDU/CSU) 704 D Schmidt (Würgendorf) (SPD) . 708 C, D

Frage des Abg. Wittrock: Frage des Abg. Wacher:


Gleiche Lohnzahlung für Männer und Vorräte der Bundeswehr an Gerät und
Frauen gemäß Art. 119 des EWG-Ver- Material
trages
Hopf, Staatssekretär 708 D
Blank, Bundesminister . . 705 A, B, C, D,
306 A, B, C
Wittrock (SPD) 705 A, C Frage des Abg. Dr. Mommer:
Frau Dr. Elsner (SPD) . . 705 D, 706 A
Gehwege an Bundesstraßen im Nach-
Jahn (SPD) 706 B barortsverkehr
Büttner (SPD) 706 B Dr. Seiermann, Staatssekretär 709 A, C, D
Schmitt-Vockenhausen (SPD) . . 706 B Dr. Mommer (SPD) 709 B

Frage des Abg. Dröscher:


Frage des Abg. Regling:
Dauer der Verfahren bei den Sozial-
gerichten Äußerung des Bundesverkehrsministers
über die Hilfe für Kommunen
Blank, Bundesminister 706 C, D 707 A, B
Dr. Seiermann, Staatssekretär . . . 709 D,
Dröscher (SPD) 706 D
710 A
Fritsch (SPD) 707 A
Regling (SPD) 709 D

Frage des Abg. Jahn:


Äußerung des Staatssekretärs Dr. Frage des Abg. Schmidt (Würgendorf) :
Claussen über die Zahl der Beamten Verkehrsunfälle auf der Bundes-
des Bundessozialgerichts straße 54
Blank, Bundesminister . . . . . 707 B, C Dr. Seiermann, Staatssekretär . . 710 B, C
Jahn (SPD) 707 C Schmidt (Würgendorf) (SPD) . . . 710 C

Frage des Abg. Dr. Stoltenberg:


Frage des Abg. Müller (Nordenham) :
Verbindungsstraße zwischen Schleswig
und dem Truppenübungsplatz Langsee Schilder an der B 212 und der B 69/211
Hopf, Staatssekretär 707 D Dr. Seiermann, Staatssekretär . . . 710 C,
711 A
Frage des Abg. Dr. Stoltenberg: Müller (Nordenham) (SPD) . . . . 711 A
Schäden durch Benutzung von Ge- Wächter (FDP) . . . . . . . . 311 B
meindewegen im Umkreis des Truppen-
übungsplatzes Langsee
Hopf, Staatssekretär 708 A Frage der Abg. Frau Dr. Hubert:
Tragung des Impfrisikos bei Schutz-
Frage des Abg. Dr. Stoltenberg: impfungen

Zugang von der E 3 zum Truppen- Frau Dr. Schwarzhaupt,


übungsplatz bei Idstedt Bundesminister 711 C, D
Hopf, Staatssekretär 708 A Frau Dr. Hubert (SPD) 711 C

Frage des Abg. Seuffert:


Große Anfrage der Fraktion der CDU/CSU
Veteranen der Blauen Division als betr. Entwicklung von Wissenschaft und
Gäste der Bundesmarine in Barcelona Forschung in der Bundesrepublik (Druck-
Hopf, Staatssekretär 708 B sache IV/154); verbunden mit
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 20. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1962 III

Große Anfrage der Fraktion der SPD betr. Höcherl, Bundesminister . 726 A, 754 B
Förderung der wissenschaftlichen For- Dr. Süsterhenn (CDU/CSU) . . . . 737 B
schung (Drucksache IV/158) und
Dr. Frede (SPD) 740 D
Frau Funcke (Hagen) (FDP) . . • 745 A
Große Anfrage der Fraktion der FDP betr. Sänger (SPD) 749 A
kulturpolitische Aufgaben des Bundes
(Drucksache IV/233) Frau D. Maxsein (CDU/CSU) . . 751 C

Dr. Martin (CDU/CSU) 712 A Nächste Sitzung 755 C


Lohmar (SPD) . . . . 715 D, 753 B
Dr. Hellige (FDP) 721 D Anlagen 757
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20. Sitzung

Bonn, den 15. März 1962

Stenographischer Bericht Begründung und Debatte sind nicht vorgesehen.


Ich schlage Ihnen vor Überweisung an den Verteidi-
gungsausschuß — federführend —, an den Ausschuß
Beginn: 9.02 Uhr für Inneres zur Mitberatung und an den Haushalts-
ausschuß gemäß § 96 der Geschäftsordnung. —
Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen.
Vizepräsident Dr. Jaeger: Die Sitzung ist er--
öffnet. Damit komme ich zur
Die folgenden amtlichen Mitteilungen werden Fragestunde (Drucksache IV/239).
ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht
aufgenommen: Es sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des
Bundesministers für Wirtschaft. Ich rufe zunächst
Der Herr Bundesminister für Verkehr hat unter dein 11. März
.1962 aufgrund des Beschlusses des Bundestages vom 29. Juni auf die Frage VI/1 — des Abgeordneten Varel-
1961 über Reiseerleichterungen für Kriegsversehrte berichtet.
Sein Schreiben wird als Drucksache IV/252 verteilt. mann —:
Ist die Bundesregierung bereit, Darlehen aus Mitteln des
Der Herr Präsident hat entsprechend dem Beschluß des Bun- regionalen Förderungsprogramms an gewerbliche Betriebe in
destages vom 23. Februar 1962 folgende von der Bundesregie- den Sanierungsgebieten zu Bedingungen zu gewähren, die nicht
rung erlassenen Verordnungen überwiesen: ungünstiger sind als z. B. die Zinssätze und Laufzeiten für
Darlehen, welche das Land Nordrhein-Westfalen mit gleicher
Zweite Verordnung zur Ä nderung der Einfuhrliste — Anlage oder ähnlicher Zielsetzung wie der Bund einsetzt?
zum Außenwirtschaftsgesetz — vom 29. Dezember 1961 (Druck-
sache IV/112) an den Außenhandelsausschuß,
Herr Staatssekretär, bitte!
Zweite Verordnung zur Ä nderung des Deutschen Zolltarifs
1962 (Angleichungszoll für Vollmilchpulver) vom 2f Dezember
1961 (Drucksache IV/113) an den Außenhandelsausschuß — feder- Dr. Westrick, Staatssekretär dm Bundesmini-
führend —, an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und
Forsten — mitberatend —, sterium für Wirtschaft: Die Bundesregierung wurde
von dem Kreditprogramm des Landes Nordrhein-
Dritte Verordnung zur Ä nderung des Deutschen Zolltarifs
1962 (Angleichungszoll für Fondantmasse) vom 28. Dezember Westfalen unterrichtet, das u. a. Darlehen an Wirt-
1961 (Drucksache IVA/119) an den Außenhandelsausschuß — feder-
führend —, an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und
schaftsbetriebe zum Zwecke der regionalen Wirt-
Forsten — mitberatend —, schaftsförderung zu einem Zinssatz von 4 % und mit
Zwölfte Verordnung zur Ä nderung des Deutschen Zolltarifs einer Laufzeit von maximal 17 Jahren, davon zwei
1962 (Angleichungszoll für Fondantmasse — Neufestsetzung) — Jahre tilgungsfrei, vorsieht. Im Vergleich hierzu
vom 27. Februar 1962 (Drucksache IV/241) an den Außenhandels
ausschuß — federführend —, an den Ausschuß für Ernährung, können im Rahmen des regionalen Förderungspro-
Landwirtschaft und Forsten — mitberatend —.
gramms des Bundes den in den anerkannten Sanie-
Meine Damen und Herren, nach einer interfraktio- rungsgebieten des Bundes ansässigen oder ansie-
nellen Vereinbarung wird die heutige Tagesord- delnden gewerblichen Betrieben folgende Finanzie-
nung erweitert um die Erste Beratung des von den rungshilfen gewährt werden: Darlehen mit einer
Fraktionen der CDU/CSU, FDP eingebrachten Ent- Laufzeit von 15 Jahren, davon zwei Jahre tilgungs-
wurfs eines Gesetzes zur Änderung des Wehrsold- frei, zu a) 3,5 % für die Neuerrichtung von gewerb-
gesetzes. lichen Produktionsbetrieben, b) 5 % zur Rationali-
(Zuruf von der SPD: Spät kommt ihr! — sierung und Modernisierung von gewerblichen Pro-
Weitere Zurufe.) duktionsbetrieben der Industrie und des Handwerks,
c) 4 % für das Fremdenverkehrsgewerbe, d) 4 % für
Ist das Haus damit einverstanden? — Ich höre zwar Vertriebenen- und Flüchtlingsbetriebe. Beim Kredit-
Zurufe, aber keinen Widerspruch. programm des Landes Nordrhein-Westfalen be-
(Zurufe von der SPD: Im Gegenteil! Wir stehen also günstigere Konditionen lediglich hin-
freuen uns!) sichtlich der Laufzeit der Darlehen und bezüglich des
Ich schlage vor, diesen Punkt als ersten Punkt der Zinssatzes für Rationalisierungs- und Modernisie-
Tagesordnung zu nehmen, noch vor der Fragestunde. rungskredite.
— Auch hier erhebt sich kein Widerspruch. Im Interesse einer größtmöglichen Harmoniserung
der regionalen Förderungsmaßnahmen des Bundes
Ich rufe also auf: und der Länder ist die Bundesregierung seit länge-
Erste Beratung des von den Fraktionen der rem um eine Angleichung der Konditionen für die
CDU/CSU, FDP eingebrachten Entwurfs eines im einzelnen vorgesehenen Finanzierungshilfen be-
Gesetzes zur Änderung des Wehrsoldgesetzes müht, wobei den unterschiedlichen Standortbedingun-
(Drucksache IV/248). gen usw. entsprechend Rechnung getragen werden
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Staatssekretär Dr. Westrick


soll. Die hierfür notwendigen Besprechungen mit tensivierung ihrer Sicherheitsvorkehrungen, insbe
den Ländern sind eingeleitet. Im Zuge dieser Be- sondere bei Zweig- und Nebenstellen zu empfehlen.
mühungen nimmt die Bundesregierung außerdem In der Tat haben di e Überfälle auf Kreditinstitute
gesondert in dieser Sache noch Verbindung mit dem
und Zweigstellen in letzter Zeit erheblich zugenom-
Land Nordrhein-Westfalen auf. men. Sie ereigneten sich fast ausschließlich in klei-
Bis zum Abschluß dieser Verhandlungen mit den neren Orten und richteten sich in erster Linie gegen
Ländern kann zu der Frage, ob die Darlehenskondi- ländliche Kreditgenossenschaften oder Sparkassen
tionen für das regionale Förderungsprogramm des weigstellen. Diese Stellen sind in aller Regel nur
Bundes eine Änderung erfahren sollen, nicht Stel- mit wenigen Personen besetzt, die zumeist hinsicht-
lung genommen werden. Ich bin jedoch gern bereit, lich ihrer Sicherheit auf sich selbst gestellt sind.
Sie zu gegebener Zeit über das Ergebnis der Be- Hier kann im allgemeinen nicht mit einem so raschen
sprechungen mit dem Land Nordrhein-Westfalen Eingreifen der Polizeiorgane oder sonstiger Außen-
vorweg unmittelbar zu unterrichten. stehender gerechnet werden, wie es bei Kreditin-
stituten in größeren Orten 'der Fall ist, wo unmittel-
Vizepräsident Dr. Jaeger: Eine Zusatzfrage? bare ausreichende Alarmverbindungen zur Polizei
— Herr Abgeordneter Varelmann! bestehen oder auch der stärkere Publikumsverkehr
vor oder im Bankgebäude einen zusätzlichen Schutz
Varelmann (CDU/CSU) : Ist das Bundeswirt--Z - darstellt.
schaftsministerium darüber unterrichtet, in welchem Rechtliche Vorschriften, die 'die Kreditinstitute zur
Ausmaße mit öffentlichen Mitteln in den Ballungs- Unterhaltung besonderer Sicherungseinrichtungen
räumen durch die Stadtverwaltungen die Konzen- gegen Überfälle verpflichten, bestehen zur Zeit
tration der Wirtschaft gefördert wurde? nicht. Insbesondere enthalten weder das Kreditwe-
sengesetz noch die Gewerbeordnung derartige Be-
Dr. Westrick, Staatssekretär im Bundesmini- stimmungen. Die Vorsorge gegen solche Vorkomm-
sterium für Wirtschaft: Ich habe die Frage nicht nisse ist also zur Zeit Sache der einzelnen Institute.
ganz verstanden — in welchem Umfange in den Unter dem Eindruck der sich häufenden Banküber-
Ballungsräumen die Konzentration gefördert wurde? fälle haben die Verbände der in erster Linie davon
betroffenen Institutsgruppen ihren Mitgliedinstitu-
Varelmann (CDU/CSU) : Durch die betreffenden ten bereits Maßnahmen zur verstärkten Sicherung
Städte gefördert wurde. ihrer Geschäftsräume und insbesondere zum ver-
besserten Schutz der Mitarbeiter empfohlen.
3) Dr. Westrick, Staatssekretär im Bundesmini- Ich werde auf Veranlassung des Fragestellers das
sterium für Wirtschaft: Auf diese Frage kann ich Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen veranlas-
ohne eine Fühlungnahme mit dem Land Nordrhein- sen, die Spitzenverbände ,der Kreditinstitute auf die
Westfalen keine konkrete Antwort geben. Ich bin Wichtigkeit ausreichender Sicherungsvorkehrungen
aber gern bereit, die Sache zu prüfen und Ihnen gegen Banküberfälle besonders hinzuweisen.
dann die Antwort schriftlich zu übermitteln.
Schmitt Vockenhausen (SPD) : Vielen Dank;
-

Varelmann (CDU/CSU) : Danke schön. die Antwort hat mich sehr befriedigt.

Vizepräsident Dr. Jaeger: Ich komme zur Vizepräsident Dr. Jaeger: Ich komme zur
Frage VI/2 — des Abgeordneten Schmitt-Vocken- Frage VI/4 — des Abgeordneten Ertl, vertreten
hausen —: durch den Abgeordneten Dürr —:
Ist die Bundesregierung bereit, sich mit den Verbänden des
,Bankgewerbes in Verbindung zu setzen, damit die Sicherheits- Ist der Bundesregierung bekannt, daß die Städte durch Boden-
vorkehrungen bei Zweig- und Nebenstellen von Banken und vorratskäufe, insbesondere auch durch Kauf von landwirtschaft-
Sparkassen verbessert werden? lich genutzten Grundstücken, erheblich zur Preissteigerung auf
dem Grundstücksmarkt beitragen und dadurch die Bodenspeku-
lation fördern?
Dr. Westrick, Staatssekretär im Bundesmini- Ich darf bitten, Herr Staatssekretär.
sterium für Wirtschaft: Ich bitte um die Genehmi-
gung, ,die beiden Fragen VI/2 und VI/3 in einem zu
beantworten, da sie auch inhaltlich zusammenge- Dr. Westrick, Staatssekretär im Bundesmini-
hören. sterium für Wirtschaft: Die Bundesregierung verfügt
zur Zeit über keine Unterlagen, die das Ausmaß
von Grundstückskäufen durch die Gemeinden allge-
Vizepräsident Dr. Jaeger: Bitte sehr! mein erkennen lassen. Sie kann deshalb nicht über-
Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, über das
Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen zu erreichen, daß den sehen, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang
Sicherheitsvorkehrungen im Interesse der Bediensteten der die Städte Bodenvorratskäufe betreiben. Der Bun-
Banken und Sparkassen und der Bevölkerung größere Aufmerk-
samkeit gewidmet wird? desregierung sind aber auch keine Anhaltspunkte
dafür bekannt, daß die Städte Bodenvorrat in einem
Dr. Westrick, Staatssekretär im Bundesmini- Umfange erworben haben oder erwerben, der zu er-
sterium für Wirtschaft: Das Bundeswirtschaftsmini- heblichen Preissteigerungen beitragen oder die Bo-
sterium ist gern bereit, der in der Frage liegenden denspekulation fördern könnte.
Anregung zu entsprechen und den Verbänden des Im übrigen darf darauf hingewiesen werden, daß
Bankgewerbes eine Verbesserung und zugleich In die Gemeinden zur Erfüllung der Aufgaben, die
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Staatssekretär Dr. Westrick
ihnen das Bundesbaugesetz und das Zweite Woh- Dr. Brecht (SPD) : Herr Staatssekretär, sind nicht
nungsbaugesetz zugewiesen haben, die dazu erfor- auch Sie der Meinung, daß die großen Ergebnisse im
derlichen Grundstücke erwerben müssen. Das Wohnungsbau der letzten zehn Jahre überhaupt nur
Schwergewicht solcher Käufe wird dabei in der Re- möglich waren, weil die Gemeinden über einen gro-
gel bei solchen Grundstücken liegen, die alsbald ßen Bodenvorrat verfügten und dieser zur Besied-
ihrer eigentlichen Zweckbestimmung zugeführt wer- lung eingesetzt werden konnte?
den und deshalb unseres Erachtens nicht als Vor-
ratskäufe anzusehen sind. Soweit von den Gemein- Dr. Westrick, Staatssekretär im Bundesmini-
den landwirtschaftlich genutzte Grundstücke erwor- sterium für Wirtschaft: Ich bin im allgemeinen der
ben werden, verhindert das im Grundstücksver- Ansicht, Herr Abgeordneter, daß von den Gemein-
kehrsgesetz beibehaltene Genehmigungsverfahren, den kein Mißbrauch getrieben wurde, sondern die
daß landwirtschaftliche Grundstücke in einem Um- Sicherung der Grundstücke eine Voraussetzung für
fang angekauft werden, der den Belangen der Land- die Durchführung des Programms war.
wirtschaft zuwiderläuft.
Vizepräsident Dr. Jaeger: Noch feine Zusatz-
Vizepräsident Dr. Jaeger: Herr Abgeordneter frage, Herr Abgeordneter Dr. Brecht!
Ertl, eine Zusatzfrage!
Dr. Brecht (SPD): Herr Staatssekretär, können
Ertl (FDP) : Herr Staatssekretär, sind Sie sicher, Sie nicht auch bestätigen, daß die Gemeinden genö-
daß das Grundstückverkehrsgesetz verhindert, daß tigt sind, auch landwirtschaftliches Gelände im soge-
landwirtschaftliche Betriebe insgesamt von Kommu- nannten Bauerwartungsland zu beschaffen, damit
nen angekauft werden?
sie Austauschgelände für die Landwirte haben,
wenn deren Grundstücke besiedelt werden sollen?
Dr. Westrick, Staatssekretär im Bundesmini-
sterium für Wirtschaft: Ich bin nicht sicher, daß das
Dr. Westrick, Staatssekretär im Bundesmini-
Gesetz das verhindert; denn den Kommunen ist ja
sterium für Wirtschaft: Ich glaube, daß, soweit land-
im Zweiten Wohnungsbaugesetz und im Bundesbau-
wirtschaftliche Grundstücke erfaßt sind, der Einfluß
gesetz geradezu auferlegt, Grundstücke zu erwerben
der landwirtschaftlichen Dienststellen sichergestellt
und sie zur Besiedlung bereitzuhalten.
ist und ausreicht.
Ertl (FDP) : Es handelt sich hier um den Aufkauf
ganzer — —
Vizepräsident Dr. Jaeger: Herr Abgeordneter
Schmitt Vockenhausen zu einer Zusatzfrage!
-

Vizepräsident Dr. Jaeger: Herr Abgeordneter


Ertl, Sie können nur eine Frage stellen. Schmitt Vockenhausen (SPD) : Herr Staats-
-

sekretär, ist im Gegensatz zu der Sorge, die Herr


Kollege Ertl hat, die Gefahr nicht viel größer, daß
Ertl (FDP) : Sind Sie der Meinung, daß es richtig private Bauherren Grundstücke aufkaufen und zu
ist, daß die Gemeinden mit Geldern der Steuerzah- Spekulationen benutzen, als daß es Kommunen tun,
ler gesamte landwirtschaftliche Betriebe zu über- deren Tätigkeit ja ständig einer öffentlichen Kon-
höhten Bodenpreisen erwerben? trolle unterliegt?
(Zurufe.)
— Nein, auch gesamte Betriebe! Dr. Westrick, Staatssekretär im Bundesmini-
sterium für Wirtschaft: Soweit landwirtschaftliche
(Abg. Schmitt-Vockenhausen: Das sind doch
Grundstücke nicht im Bebauungsplan der Gemein-
allgemeine Behauptungen!)
den liegen, ist ja das Genehmigungsverfahren noch
im Zuge. Es bedarf also für einen solchen Fall der
Vizepräsident Dr. Jaeger: Es war jedenfalls ausdrücklichen Genehmigung nach dem Grund-
die Form der Frage gewahrt. stücksverkehrsgesetz.

Dr. Westrick, Staatssekretär im Bundesmini- Vizepräsident Dr. Jaeger: Wir kommen zur
sterium für Wirtschaft: Die landwirtschaftlichen In- Frage VI/5 — des Herrn Abgeordneten Jacobi
stitutionen sind ja bei dem Ankauf der landwirt- (Köln) —:
schaftlichen Grundstücke eingeschaltet, und soweit Ist daran gedacht, den Wortlaut der Energie-Enquete der
der Bebauungsplan der Gemeinden reicht, ist der Öffentlichkeit gegen Erstattung der Selbstkosten (Druck- und
Papierkosten) zugänglich zu machen?
Einfluß der Landwirtschaft bei den Vorratskäufen
sichergestellt. Bitte, Herr Staatssekretär.

Vizepräsident Dr. Jaeger: Herr Abgeordneter Dr. Westrick, Staatssekretär im Bundesmini-


Schmitt-Vockenhausen, wollten Sie eine Zusatzfrage sterium für Wirtschaft: Die Arbeitsgemeinschaft
stellen? deutscher wirtschaftswissenschaftlicher Forschungs-
(Abg. Schmitt-Vockenhausen: Ich verzichte! institute e. V. wird das Energiegutachten, wie im
Ich bin mit den Antworten sehr zufrieden!) Auftragsschreiben vorgesehen, dem Bundesminister
für Wirtschaft in tausend Exemplaren gedruckt für
Herr Abgeordneter Dr. Brecht! die Mitglieder des Deutschen Bundestages und des
702 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 20. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1962

Staatssekretär Dr. Westrick


Bundesrates sowie für die Verwaltung und zur Ver- Vizepräsident Dr. Jaeger: Ich rufe damit auf
teilung an sonstige interessierte öffentliche Stellen die Fragen VII/1, VII/4 und VII/5:
vorlegen. Die Kosten der Drucklegung für diese tau- Beabsichtigt die Bundesregierung geeignete Schritte zu unter-
send Exemplare werden aus dem vom Deutschen nehmen, um die Aufhebung der in Widerspruch zu Artikel 34
des EWG-Vertrages stehenden Verordnung der französischen
Bundestag für das Gutachten bewilligten Honorar Regierung über die ,Neuanpflanzung von Weinbergen zur
gedeckt werden. Herstellung von Branntwein mit der geschützten Herkunfts-
bezeichnung „ Cognac" vom 20. Januar 1962 mit der daraus
resultierenden Benachteiligung deutscher Weinbrennereien zu
Um auch darüber hinaus eine möglichst weite Ver- erreichen?
breitung des Energiegutachtens zu erreichen, ist der
Ist die Bundesregierung der Ansicht, daß die Verordnung der
Arbeitsgemeinschaft deutscher wirtschaftswissen- französischen Regierung (Journal Officiel de la Republique
schaftlicher Forschungsinstitute e. V. die Ausübung Française vom 20. Januar 1962), die Neupflanzung von Wein-
bergen zur Herstellung von Branntwein mit der geschützten
der Veröffentlichungs- und Verwertungsrechte zu- Herkunftsbezeichnung ,,Cognac" betreffend, mit Artikel 34 des
EWG-Vertrages in Einklang steht?
gestanden worden. Die für die Drucklegung der
bereits genannten tausend Exemplare erforderlichen Welche Schritte hat die Bundesregierung unternommen, um
Druckstöcke sollen auch für die Herstellung weiterer den deutschen Weinbrennereien weiterhin den Bezug von
Charenteweinen nach ihrem Bedarf zu ermöglichen?
Exemplare für den freihändigen Verkauf verwandt
werden. Hierdurch ist sichergestellt, daß der Buch-
preis so niedrig wie möglich gehalten wird. Wir Schwarz, Bundesminister für Ernährung, Land-
haben uns von der Arbeitsgemeinschaft ausdrücklich wirtschaft und Forsten: Gegen die französische Ver-
die Versicherung geben lassen, sie werde mit der ordnung über die Neuanpflanzung von Weinbergen
Ausübung des Veröffentlichungsrechts keine Ge- zur Herstellung von Branntwein mit der geschütz-
winnerzielung anstreben. ten Herkunftsbezeichnung Cognac hat die Bundes-
regierung folgende Schritte unternommen:

Vizepräsident Dr. Jaeger: Herr Abgeordneter 1. Die Bundesregierung hat die Angelegenheit der
Jacobi zu einer Zusatzfrage! Kommission in Brüssel unterbreitet mit der Bitte
um Prüfung, ob die französische Verordnung einen
Verstoß gegen den EWG-Vertragdarstellt.
Jacobi (Köln) (SPD): Herr Staatssekretär, können
Sie sagen, wann die Enquete dem Bundestag vorge- 2. Das Auswärtige Amt ist gebeten worden, bei
legt werden wird? der französischen Regierung dahin vorstellig zu
werden, daß die Verordnung aufgehoben oder
grundlegend geändert wird.
Dr. Westrick, Staatssekretär im Bundesmini-
sterium für Wirtschaft: Ich rechne damit, im Laufe 3. In einer Besprechung mit dem Landwirtschafts-
des Monats Mai, Herr Abgeordneter. attaché der Französischen Botschaft in Bonn ist die-
ser darauf hingewiesen worden, daß die Bundes-
regierung in der obengenannten Verordnung einen
Vizepräsident Dr. Jaeger: Eine weitere Zu- Verstoß gegen den EWG-Vertrag erblickt.
satzfrage!
Vizepräsident Dr. Jaeger: Herr Abgeordneter
Jacobi (Köln) (SPD): Ist in jedem Fall sicher- Dröscher zu einer Zusatzfrage!
gestellt, daß bei einer Herausgabe von mehr als
tausend Exemplaren die Gutachter über die ihnen Dröscher (SPD) : Herr Minister, Sie haben ge-
bisher schon zuteil gewordenen Beträge hinaus kein sagt, daß die Angelegenheit der Kommission in
besonderes Autorenhonorar erhalten? Brüssel unterbreitet worden sei. Darf ich fragen, ob
die Kommission bereits in der Sache entschieden
hat.
Dr. Westrick, Staatssekretär im Bundesmini-
sterium für Wirtschaft: Die Frage ist zu bejahren.
Schwarz, Bundesminister für Ernährung, Land-
wirtschaft und Forsten: Die Kommission hat sich
Jacobi (Köln) (SPD) : Danke. dazu noch nicht geäußert.

Vizepräsident Dr. Jaeger: Ich danke Ihnen, Vizepräsident Dr. Jaeger: Eine weitere Zu-
Herr Staatssekretär. satzfrage des Herrn Abgeordneten Dröscher!
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäfts-
bereich des Bundesministers für Ernährung, Land- Dröscher (SPD) : Nehmen Sie an, Herr Minister,
wirtschaft und Forsten. daßieKomsnEtcheidugrfnw,
die in unserem Sinne liegt?

Schwarz, Bundesminister für Ernährung, Land-


wirtschaft und Forsten: Herr Präsident, ich bitte die Schwarz, Bundesminister für Ernährung, Land-
wirtschaft und Forsten: Ich hoffe das, Herr Kollege,
Frage des Herrn Abgeordneten Dröscher und die
Fragen des Herrn Abgeordneten Schultz zusammen
beantworten zu drüfen, da sie die gleiche Sache be- Vizepräsident Dr. Jaeger: Herr Abgeordneter
treffen. Schultz zu einer Zusatzfrage!
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 20. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1962 703

Schultz (FDP) : Herr Minister, bestehen irgend- Im übrigen wird die Auffassung des Berufungs-
welche Fristen, innerhalb deren sich die Kommis- gerichts auch durch das Schreiben des Bundes-
sion äußern muß? ministers für Ernährung, Landwirtschaft und
Forsten vom 26. Juli 1957 bestätigt. Auch nach
Schwarz, Bundesminister für Ernährung, Land- seiner Auffassung ist die Lieferprämie zu zah-
wirtschaft und Forsten: Nein, es bestehen keine len, wenn aus den Buchungsunterlagen hervor-
Fristen. geht, daß der Roggen übereignet worden ist.

Eine unterschiedliche Auffassung zwischen dem


Vizepräsident Dr. Jaeger: Eine zweite Zu- Bundesverwaltungsgericht und meinem Hause be-
satzfrage! steht nicht in Rechtsfragen, sondern lediglich darin,
daß das Bundesverwaltungsgericht — im Gegensatz
Schultz (FDP) : Kann ich sicher sein, Herr Mini- zu der von meinem Hause und dem beklagten Land
ster, daß Sie die Sache mit dem nötigen Nachdruck vertretenen Auffassung — der Beweiswürdigung
weiter verfolgen werden? des Berufungsgerichtes gefolgt ist und den Nach-
weis für die von der Klägerin angeblich getätigten
(Unruhe.) Geschäfte als erbracht angesehen hat.
Zu der Entscheidung darf ich noch folgendes be-
Schwarz, Bundesminister für Ernährung, Land--
merken: Nach dem Urteil war nicht ohne weiteres in
wirtschaft und Forsten: Diese Versicherung kann ich
allen Fällen der Umtauschmüllerei die Lieferprämie
Ihnen geben.
zu zahlen. Dem Urteil ist allenfalls zu entnehmen,
(Heiterkeit.)
daß in gleichgelagerten Fällen ein Anspruch auf Er-
stattung der Lieferprämie dann bestanden hat, wenn
Vizepräsident Dr. Jaeger: Wir kommen zur die Zahlung der Lieferprämie an den Erzeuger durch
Frage VII/2 — des Herrn Abgeordneten Dröscher —: ordnungsgemäße Unterlagen nachgewiesen und —
Trifft es zu, daß sich die früher vorn Bundesernährungsmini- wie in dem erwähnten Fall — die gesetzliche An-
sterium vertretene Auffassung, die in den Jahren 1953 bis 1959 tragsfrist gewahrt war.
gezahlte Lieferprämie für Roggen könne über Lohnumtausch
mühlen nicht gezahlt werden, durch ein Urteil des Bundesver-
waltungsgerichts als falsch herausgestellt hat?

Bitte, Herr Bundesminister. Vizepräsident Dr. Jaeger: Eine Zusatzfrage,


Herr Abgeordneter Dröscher!

Schwarz, Bundesminister für Ernährung, Land-


wirtschaft und Forsten: Ich darf die Frage wie folgt Dröscher (SPD) : Herr Bundesminister, voraus-
beantworten. gesetzt, daß auch für viele andere Fälle das Urteil
zuträfe: wie hoch wäre die Summe insgesamt, die
Mit der Zahlung der Lieferprämie in den Ge- der Bund für Prämien in gleichgelagerten Fällen
treidewirtschaftsjahren 1953/54 bis 1958/59 wurde nachzahlen müßte?
der Zweck verfolgt, daß die Erzeuger den Roggen
in den Markt geben. Für den Verbrauch des Rog-
gens im eigenen Betrieb oder im Haushalt des Er- Schwarz, Bundesminister für Ernährung, Land-
zeugers war die Lieferprämie nicht gedacht. Demge- wirtschaft und Forsten: Wenn sämtliche Fälle in Be-
mäß ist die Lieferprämie nur gezahlt worden, wenn tracht kämen — die aber auf der derzeitigen recht-
der Roggen übernommen, d. h. übereignet wurde lichen Grundlage nicht in Betracht zu kommen schei-
und der Kauf durch die Geschäftsunterlagen der nen —, könnte es sich - unverbindlich — um einen
Mühle ordnungsgemäß belegt war. Betrag von etwa 40 Millionen DM handeln.
Da bei der sogenannten Lohnmüllerei keine Über-
eignung stattfand, schieden diese Fälle für die Zah-
lung der Lieferprämie von vornherein aus. Das galt Dröscher (SPD) : Isst das Ministerium bereit, in
auch im allgemeinen für die Geschäfte im Rahmen gleichgelagerten Fällen das, was nun dem einen auf
der sogenannten Umtauschmüllerei. Soweit aber in Grund des Urteils gezahlt werden muß, auch den
diesen Fällen nach den Geschäftsunterlagen der anderen auszuzahlen?
Nachweis erbracht werden konnte, daß der Roggen
durch Kauf übernommen und vom Erzeuger dafür
Mehl gekauft worden war, hat auch das Bundes- Schwarz, Bundesminister für Ernährung, Land-
ernährungsministerium anerkannt, daß die Liefer- wirtschaft und Forsten: Herr Kollege Dröscher,
prämie gezahlt werden konnte. wenn die gleichen Voraussetzungen vorliegen, die
dem Urteilsspruch zugrunde liegen, wird das Mini-
Um einen solchen Fall des Kaufes und Verkaufes sterium nicht zögern, die Fälle gleichmäßig zu be-
handelt es sich in dem Verwaltungsstreitverfahren, handeln.
über den das Bundesverwaltungsgericht mit dem Ur-
teil vom 5. Februar 1960 — BVerwG VII C 159.59 —, Aber ich möchte noch einmal zusammenfassen:
auf das sich die Anfrage bezieht, entschieden hat. einmal muß es sich um einen Umtausch handeln,
Wie die Begründung dieses Urteils ergibt, steht die zweitens muß der Nachweis erbracht sein, daß die
Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts nicht in Mühle dem Überbringer des Getreides bereits die
Widerspruch zu der Auffassung meines Hauses. Es Prämie ausgezahlt hat, und zum dritten müssen die
heißt in diesem Urteil wörtlich: Fristen gewahrt sein.
704 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 20. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1962

Vizepräsident Dr. Jaeger: Wir kommen zur Schwarz, Bundesminister für Ernährung, Land-
Frage VII/3 — des Herrn Abgeordneten Ertl wirtschaft und Forsten: Der Einfuhr- und Versor-
Wieviel Importgetreide muß bis 1. Juli 1962 eingeführt wer- gungsplan wird aufgestellt, nachdem die deutsche
den, um den Bedarf zu decken? Ernte eingebracht und eine Übersicht über die zu
Herr Bundesminister, bitte! erwartenden Mengen vorhanden ist. Zwischen dem
tatsächlichen Ernteergebnis und den im Einfuhr-
und Versorgungsplan angenommenen Mengen wird
Schwarz, Bundesminister für Ernährung, Land- jeweils nur eine geringfügige Differenz vorhanden
wirtschaft und Forsten: Ich darf die Frage wie folgt sein. Der Einfuhr- und Versorgungsplan wird aber
beantworten. Der nach Vorliegen der endgültigen dauernd revidiert und, soweit es notwendig ist,-
Ernteergebnisse für das Getreidewirtschaftsjahr elastisch gehandhabt.
1961/62 aufgestellte Einfuhr- und Versorgungsplan
sieht die Einfuhr von rund 330 000 t Durum-Weizen,
1,98 Millionen t Qualitäts- und Füllweizen — davon Vizepräsident Dr. Jaeger: Ich danke Ihnen,
600 000 t für den Mehlexport —, 2,8 Millionen t Herr Minister.
Futtergetreide und 1,1 Millionen t Industriegetreide Wir kommen nun zu den Fragen aus dem Ge-
— davon 620 000 t Braugerste — vor. Diese Mengen schäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und
sind bis auf einige Reste bei Durum-Weizen und Sozialordnung, und zwar zu der Frage VIII/1 — des
Futtergetreide bereits kontrahiert. Herrn Abgeordneten Dürr —:
Ist die Bundesregierung der Ansicht, daß ein Pflichtjahr für
Soweit bisher übersehbar ist, wird der Einfuhrbe- Mädchen, wie es in der letzten Zeit in der Öffentlichkeit gefor-
darf an Weizen und Industriegetreide höher sein, dert wurde, mit Artikel 12 des Grundgesetzes vereinbar sei?
als im Einfuhr- und Versorgungsplan veranschlagt Herr Bundesminister, darf ich bitten.
wurde. Dieser Mehrbedarf hängt bei Weizen mit
dem ausgeweiteten Mehlexport zusammen; bei In-
dustriegetreide ergibt er sich vornehmlich aus dem Blank, Bundesminister für Arbeit und Sozial-
stark gestiegenen Bierausstoß. ordnung: Ich darf die gestellte Frage wie folgt be-
antworten. Das in der letzten Zeit in der Öffentlich-
keit erörterte Pflichtjahr für Mädchen ist mit dem
Vizepräsident Dr. Jaeger: Eine Zusatzfrage Grundgesetz nicht vereinbar. Nach Art. 12 Abs. 2
Herr Abgeordneter Ertl! des Grundgesetzes darf niemand zu einer bestimm-
ten Arbeit gezwungen werden, außer im Rahmen
Ertl (FDP) : Treffen Pressemeldungen zu, daß in einer herkömmlichen allgemeinen, für alle gleichen
3) Antwerpen erheblich mehr Getreide lagere als im öffentlichen Dienstleistungspflicht. Nach Abs. 1
Vorjahr und daß diese Getreideeinlagerung im Zu- haben alle Deutschen das Recht, :Beruf, Arbeitsplatz
sammenhang mit dem Inkrafttreten der EWG-Ver- und Ausbildungsstätte frei zu wählen.
ordnung vom 1. Juli zustande gekommen sei?
Vizepräsident Dr. Jaeger: Eine Zusatzfrage!
Schwarz, Bundesminister für Ernährung, Land-
wirtschaft und Forsten: Die Kommission hat bereits Dürr (FDP) : Wäre es nicht besser gewesen, Herr
diesem Getreidevolumen, das angeblich in Belgien Minister, wenn die 'Bundesregierung diese Rechts-
lagert, ihre Aufmerksamkeit zugewandt. Sie wird, ansicht, die auch ich teile, früher publiziert hätte,
unterstützt von den Regierungen der sechs in der um damit einer Diskussion über eine Sache, die
EWG zusammengeschlossenen Länder, Maßnahmen nicht realisierbar ist, den Faden abzuschneiden?
ergreifen, damit mit diesen Mengen kein Mißbrauch
getrieben wird. Blank, Bundesminister für Arbeit und Sozial-
ordnung: Ich bin Ihrer Meinung. Wir hätten uns
Ertl (FDP) : Kann man erfahren, wie sich diese vielleicht schon früher klar dazu äußern sollen.
Maßnahmen auf den deutschen Getreidemarkt aus-
wirken werden? Vizepräsident Dr. Jaeger: Eine Zusatzfrage
Frau Abgeordnete Welter.
Schwarz, Bundesminister für Ernährung, Land-
wirtschaft und Forsten: Es ist das Ziel dieser Maß- Frau Welter (Aachen) (CDU/CSU) : Herr Mini-
nahmen, daß das Getreide den deutschen Markt ster, beabsichtigt Ihr Haus, einen Plan zu erstellen,
nicht erreicht. wie ein freiwilliges hauswirtschaftliches Jahr für
Mädchen gefördert und eventuell auch finanziell
Vizepräsident Dr. Jaeger: Eine Zusatzfrage attraktiv gemacht werden kann?
Herr Abgeordneter Wächter.
Blank, Bundesminister für Arbeit und Sozial-
Wächter (FDP) : Gehen Sie bei der Berechnung ordnung: Ich persönlich bin der Meinung, daß man
des Bedarfs von einer normalen deutschen Ernte das überlegen sollte. In unserem Hause werden,
aus, und werden in die Handelsverträge auch Klau- wie das in allen Ministerien der Fall ist, ständig
seln eingefügt, die die Einfuhr reduzieren, wenn die Überlegungen angestellt. Ich halte diese Frage für
deutsche Ernte das normale Ergebnis weit über- überlegenswert und werde mir erlauben, mich in
steigt? Kürze einmal mit einem Kreis interessierter Abge-
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 20. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1962 705
Bundesminister Blank
ordneter — wenn ihnen das recht ist — darüber zu Vizepräsident Dr. Jaeger: Eine weitere Zu
unterhalten. satzfrage Herr Abgeordneter Wittrock!

Vizepräsident Dr. Jaeger: Die Frage des Ab- Wittrock (SPD) : Herr Bundesminister, sind Sie
geordneten Ertl ist zurückgezogen. bereit, von der Bundespressestelle des DGB dessen
Verlautbarung zu diesem Problem vom 19. Juli 1961
Wir kommen zur Frage VIII/3 — des Abgeord- anzufordern und sich von dem Leiter Ihrer Presse-
neten Wittrock —. Herr Bundesminister, bitte! abteilung die Süddeutsche Zeitung vom 27. Fe-
Trifft es zu, daß die Bundesregierung der EWG-Kommission bruar 1962 vorlegen zu lassen, worin Sie instruktive
berichtet hat, die Verwirklichung .des Artikels 119 des EWG-
Vertrages (gleiche Lohnzahlung für Männer und Frauen bei Darlegungen über die Situation im bayerischen Me-
gleicher Arbeit) ergebe sich in der Bundesrepublik schon aus
Artikel 3 des Grundgesetzes? tallgewerbe finden? Und werden Sie bereit sein,
daraus die Schlußfolgerung zu ziehen, daß der Be-
griff der Verwirklichung eines Prinzips nicht nur
Blank, Bundesminister für Arbeit und Sozial-
formal zu beurteilen ist, sondern auch nach den
ordnung: Herr Kollege Wittrock, ich muß die Frage
praktischen Gegebenheiten, und zwar anders, als
mit Ja beantworten. Die Bundesregierung hat in
Sie dies in der Antwort auf die Kleine Anfrage
einem Schreiben an die EWG-Kommission vom
einiger CDU-Abgeordneter in der vergangenen
7. 4. 1961 mitgeteilt — ich darf wörtlich zitieren —,
Wahlperiode getan haben?
„daß nach ,der Rechtsprechung Art 3 Abs. 2 und 3
-
des Grundgesetzes als unmittelbar geltendes Recht
a) den Gesetzgeber, b) die Tarifvertragsparteien und Blank, Bundesminister für Arbeit und Sozial-
c) die Parteien der Betriebsvereinbarung an den ordnung: Herr Kollege Wittrock, die von Ihnen so-
Grundsatz der Lohngleichheit von Mann und Frau eben zitierten Unterlagen sind mir bekannt, ich
bei gleicher Arbeit bindet". habe sie gelesen. Ich bleibe dennoch bei der Auf-
fassung, die ich soeben bei der Beantwortung der
Frage vorgetragen habe. Es ist natürlich ungeheuer
Vizepräsident Dr. Jaeger: Eine Zusatzfrage schwierig, in jedem Einzelfalle nachzuprüfen, ob das
Herr Abgeordneter Wittrock! stimmt. Die Schwierigkeit liegt darin, daß man im-
mer, vor allen Dingen in Grenzfällen, unterschied-
Wittrock (SPD): Herr Bundesminister! Obgleich licher Auffassung sein kann, was gleiche Arbeit ist.
einzuräumen ist, daß das formalrechtlich in Ordnung Ich bleibe dabei, daß wir diese Frage prinzipiell ge-
ist, darf ich fragen, ob Sie nicht der Auffassung klärt haben und daß es im großen und ganzen Ver-
sind, daß im Rahmen eines solchen Berichts auch stöße gegen den Grundsatz nicht gibt. Ich darf Sie
die praktischen Gegebenheiten vorgetragen werden darauf hinweisen, daß man sich in der EWG-Kom-
müßten. Ist Ihnen — unter Beachtung .der prakti- mission mit dieser Frage erneut beschäftigt und
schen Gegebenheiten — bekannt, daß .der Deutsche jetzt wieder eine Untersuchung anstellen will. Da
Gewerkschaftsbund in seinem Bericht ausdrücklich das vorhandene statistische Material zur Beantwor-
darauf hingewiesen hat, eine ungleiche Bezahlung tung der Frage nicht ausreicht, haben sich alle Mit-
gliedstaaten, unter anderen auch wir, bereit erklärt,
sei nicht nur möglich, sondern sie erfolge, und die
an einer statistischen Erhebung über die Lohnstruk-
gleiche Bezahlung von Männern und Frauen bei
tur und an einer besonderen statistischen Erhebung
gleichwertiger Arbeit sei in der überwiegenden
über die Männer- und Frauenlöhne mitzuwirken. Ich
Zahl von Tarifverträgen noch nicht durchgesetzt
bin der Auffassung, auch diese Erhebung wird be-
worden?
weisen, daß wir mit unserer Antwort recht hatten.
Aber ich würde es für richtig halten, Herr Kollege
Blank, Bundesminister für Arbeit und Sozial- Wittrock, daß wir dann, wenn das Erhebungsmate-
ordnung: Herr Kollege Wittrock, ich teile nicht die rial vorliegt, einmal in einem zuständigen Ausschuß
Auffassung, ,die hier zum Ausdruck kommt. Ich teile des Deutschen Bundestages diese Fragen miteinan-
auch nicht die Auffassung des DGB. Denn in einer der erörtern.
von der Kommission der EWG veranlaßten Unter-
suchung hat Frau Professor Dr. Münke von der
Vizepräsident Dr. Jaeger: Zu einer Zusatz-
Freien Universität Berlin keinen Fall einer unglei-
frage Frau Abgeordnete Dr. Elsner!
chen Entlohnung in der Bundesrepublik feststellen
können. Die Tarifverträge, für deren Inhalt die
Sozialpartner verantwortlich sind, rechtfertigen Frau Dr. Elsner (SPD) : Herr Minister, sind Sie
gleichfalls nicht die Annahme einer ungleichen Ent- der Meinung, daß die Arbeit der Frauen grundsätz-
lohnung bei gleicher Arbeit. Überdies würden Klau- lich weniger wert ist als die der Männer — das
seln, die eine solche ungleiche Entlohnung vorsehen, muß ich ja aus Ihrer Antwort entnehmen —, oder
nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts liegt die Unterschiedlichkeit der Entlohnung nicht
nichtig sein. Die Bundesregierung hat also nichts darin begründet, daß die Bewertungen von Frauen-
verschwiegen. Ich glaube, die Schwierigkeit liegt und Männerarbeiten falsch sind, so daß wir einmal
lediglich darin, daß man den Begriff der gleichen zu einer neuen Bewertung kommen müssen?
Entlohnung bei gleicher Arbeit nicht scharf im Auge
behält und daß eine ungleiche Entlohnung immer Blank, Bundesminister für Arbeit und Sozial-
darauf beruht, .daß es eben nicht gleiche Arbeiten ordnung: Wir haben nicht behauptet — ich bin auch
sind. Das kann man aber nur im Einzelfall entschei- weit davon entfernt, das jemals zu behaupten —,
den. daß eine unterschiedliche Wertigkeit der Frauen-
706 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 20. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1962

Bundesminister Blank
arbeit einerseits und der Männerarbeit andererseits neben Ihnen saß, oder soll sie vielleicht einen Ab-
bestehe. Ich habe gesagt, daß wir nach dem Grund- schlag am Gehalt bekommen?
satz „gleicher Lohn bei gleicher Arbeit" handeln, (Heiterkeit.)
daß aber, wenn irgendwo einmal ein Fall auftritt,
wo wir streiten, die Schwierigkeit immer darin liegt,
exakt zu ermitteln, ob es sich um gleiche Arbeit Blank, Bundesminister für Arbeit und Sozial-
handelt. Ich habe nicht gesagt, daß eine Ungleich- ordnung: Mir ist die Anwesenheit von Damen, sei
wertigkeit der Tätigkeit des Mannes und der Tätig- es auf der Regierungsbank, sei es hier unten, immer
keit der Frau bestehe. sehr angenehm.
(Heiterkeit und Beifall bei den Regierungs
Vizepräsident Dr. Jaeger: Zu einer weiteren parteien.)
Zusatzfrage Frau Abgeordnete Dr. Elsner!
Vizepräsident Dr. Jaeger: Weitere Zusatz-
fragen werden nicht gestellt.
Frau Dr. Elsner (SPD) : Wie erklären Sie es sich
dann aber, daß die Frauenlöhne bzw. die Einkom- Ich komme zu der von dem Abgeordneten Drö-
men der Frauen um soviel niedriger sind als die der scher gestellten Frage VIII/4:
Männer? Denn die Arbeitszeit ist für die Frauen ja Kann die Bundesregierung darüber Auskunft geben, wie
die gleiche. lange es z. Z. durchschnittlich dauert, bis ein rechtsuchender
- Kriegsbeschädigter oder Sozialrentner vom Tage der Einreichung
der Klage beim Sozialgericht an bis zur Entscheidung über eine
evtl. Berufung am Landessozialgericht das Urteil erhält?
Blank, Bundesminister für Arbeit und Sozial-
ordnung: Das erklärt sich ganz einfach daraus, daß Bitte, Herr Minister!
Frauen im allgemeinen gewisse sehr hoch bezahlte
Arbeiten, die Männer ausführen, gar nicht ausfüh- Blank, Bundesminister für Arbeit und Sozial-
ren können. Denken Sie nur an den Bergbau! ordnung: Herr Kollege Dröscher, die Sozialgerichte
(Zurufe von der SPD.) des ersten Rechtszuges und die Landessozialgerichte
sind Gerichte der Länder. Die statistischen Mittei-
Vizepräsident Dr. Jaeger: Zu einer Zusatz- lungen der Länder an die Bundesregierung enthal-
frage Herr Abgeordneter Jahn! ten keine Angaben über die Dauer der Verfahren.
Soweit mir bekannt ist, dauerten 1961 die Verfah-
ren bei den Sozialgerichten des ersten Rechtszuges
Jahn (SPD) : Herr Minister, sind Ihnen die Lohn- durchschnittlich 12 Monate und bei den Landessozial-
tafeln aus der bayerischen Metallindustrie bekannt? gerichten etwa 18 1/2 Monate.

Blank Bundesminister für Arbeit und Sozial- Vizepräsident Dr. Jaeger: Zu einer Zusatz-
ordnung: Nein. So gut ist mein Gedächtnis nun doch frage Herr Abgeordneter Dröscher!
nicht, daß ich momentan die Lohntafeln aller Indu-
strien im Kopf hätte. Wir können sie aber gerne Dröscher (SPD) : Herr Bundesminister, ist Ihnen
einmal vergleichen. bekannt, daß die ungewöhnlich lange Dauer der
Erstellung von fachärztlichen Gutachten und insbe-
Vizepräsident Dr. Jaeger: Zu einer Zusatz- sondere von Universitätsgutachten die Rechtsfin-
frage Herr Abgeordneter Büttner! dung sehr verzögert?

Büttner (SPD) : Herr Bundesminister für Arbeit Blank, Bundesminister für Arbeit und Sozial-
und Sozialordnung, sind Sie nicht der Meinung, daß ordnung: Ja, das ist bekannt. Die Landesregierun-
der Vergleich der Arbeit der Bergarbeiter mit der gen haben sehr häufig darauf hingewiesen, daß die
Frauenarbeit hinkt, und sind Sie sich im übrigen Dauer der Verfahren in den Tatsacheninstanzen von
nicht im klaren darüber, daß das Einkommen des dem Erhalt der ärztlichen Gutachten abhänge. In
Bergmanns schon längst nicht mehr an der Spitze der Mehrheit der Fälle müssen eben solche Gutach-
der Lohnskala liegt? ten eingeholt werden. Die Erstattung dieser Gutach-
ten kann wegen der Überlastung der tüchtigen und
namhaften Fachärzte viele Monate, manchmal sogar
Blank, Bundesminister für Arbeit und Sozial- ein ganzes Jahr dauern. Ich bin aber sicher, daß die
ordnung: Ich vermag nicht einzusehen, daß dies eine Bemühungen der Länder, diese Zeiten zu verkürzen,
Zusatzfrage zu dem Komplex wäre, den ich bisher
bald Früchte tragen werden. Soweit ich mich mit den
behandelt habe.
Ländern bisher habe darüber unterhalten können,
(Beifall bei den Regierungsparteien.) ist dieser Wille allseits zum Ausdruck gekommen.

Vizepräsident Dr. Jaeger: Zu einer Zusatz- Vizepräsident Dr. Jaeger: Eine weitere Zu-
frage Herr Abgeordneter Schmitt-Vockenhausen! satzfrage!

Schmitt - Vockenhausen (SPD) : Herr Minister, Dröscher (SPD) : Herr Minister, ist Ihnen be-
war es Ihnen bei der Bewertung der Frauenarbeit kannt, daß abweichend von Ihrer Feststellung, die
in Ihrer Antwort auf die Frage der Kollegin Elsner Verfahren im zweiten Zug hätten durchschnittlich
sehr angenehm, daß gerade die Frau Ministerin 18 Monate gedauert, zur Zeit bei uns in Rheinland-
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 20. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1962 707
Dröscher
Pfalz Verfahren aus den Jahren 1957 und 1958, also Jahn (SPD) : Herr Minister, darf ich aus dieser
mit einer Laufzeit von über vier Jahren, ausgetra- Antwort entnehmen, daß auch Ihnen offenbar der im
gen werden? Grundgesetz ausdrücklich festgelegte Unterschied
zwischen Beamten und Richtern, zwischen Exekutive
Blank, Bundesminister für Arbeit und Sozial- und Gerichtsbarkeit nicht geläufig ist?
ordnung: Darf ich fragen, ob Sie hier an einzelne
Verfahren denken oder an einen großen Durch- Blank, Bundesminister für Arbeit und Sozial-
schnitt. Daß die Dauer eines einzelnen Verfahrens ordnung: Doch, er ist mir geläufig, Herr Kollege.
weit über die angegebene Zeit hinausgehen kann,
ist verständlich. Das ist immer von dem Fall und Vizepräsident Dr. Jaeger: Eine weitere Zu-
der Schwierigkeit der Beweiserhebung und ähn- satzfrage, Herr Abgeordneter Jahn.
lichem abhängig. Sollte aber Ihre Angabe dahin
zu verstehen sein, daß Verfahren in einem großen
Umfange so lange dauern, wäre für mich ein Anlaß Jahn (SPD) : Sind Sie dann der Auffassung, daß
die Art und der Inhalt der Antwort von Herrn
gegeben, mich dieserhalb einmal mit der Landes-
Staatssekretär Claussen mit der Würde und dem
regierung in Verbindung zu setzen.
Ansehen eines oberen Bundesgerichtes
Dröscher (SPD) : Danke. (Rufe in der Mitte: Oho!)
- und der Fürsorge, die Ihr Haus für dieses obere
Vizepräsident Dr. Jaeger: Zu einer Zusatz- Bundesgericht hat, vereinbar sind?
frage Herr Abgeordneter Fritsch!
Blank. Bundesminister für Arbeit und Sozial-
Fritsch (SPD) : Herr Bundesminister, ist Ihnen ordnung: Herr Kollege Jahn, wenn Sie mich so
bekannt, daß die von Ihnen angegebenen Durch- ernst fragen, muß ich genauso ernst antworten: Ich
schnittszeiten insbesondere auch im Lande Bayern bin absolut der Meinung, daß die Antwort des
ganz erheblich überschritten werden und daß da- Staatssekretärs Dr. Claussen diese Würde in keiner
durch das Gefühl der Rechtssicherheit unter den Weise verletzt hat.
Kriegsopfern und Sozialrentnern ganz erheblich lei-
det? (Abg. Arndgen: Sehr richtig!)

Blank, Bundesminister für Arbeit und Sozial- Vizepräsident Dr. Jaeger: Ich danke Ihnen,
ordnung: Mir ist nicht bekannt, daß die Durch- Herr Minister.
schnittszeiten gerade im lande Rayern ganz erheb- Wir kommen nunmehr zu den Fragen aus dem
lich überschritten werden. Ich will versuchen, Fest- Geschäftsbereich des Bundesministers für Verteidi-
stellungen dieser Art zu treffen. gung, zuerst zu den drei Fragen des Herrn Abge-
ordneten Dr. Stoltenberg. Ich rufe zunächst auf die
Vizepräsident Dr. Jaeger: Keine Zusatzfrage Frage IX/1:
mehr. — Ich rufe auf Frage VIII/5 — des Herrn Ab- Wann ist mit dem Baubeginn und der Fertigstellung der seit
geordneten Jahn —: vier Jahren von der Bundesregierung geplanten panzerfesten
Straße zwischen Schleswig und dem Truppenübungsplatz Lang-
Billigt der Herr Bundesarbeitsminister die von Staatssekretär see zu rechnen?
Dr. Claussen in der Fragestunde des Bundestages vom 14. Fe-
bruar 1962 vertretene Auffassung, das Bundessozialgericht sei Herr Staatssekretär, darf ich bitten.
eine — offenbar neben allen möglichen anderen — „Behörde",
die behaupte, mit der Zahl ihrer „Beamten" nicht auszukommen?

Herr Bundesminister, bitte! Hopi, Staatssekretär im Bundesministerium der


Verteidigung: Der Ausbau der Verbindungsstraße
Blank, Bundesminister für Arbeit und Sozial- zwischen der Truppenunterkunft am ehemaligen
ordnung: Herr Kollege Jahn, Herr Staatssekretär Seefliegerhorst in Schleswig und dem Standort
Claussen hat ausweislich der Sitzungsniederschrift Truppenübungsplatz Langsee in Nordschleswig wird
folgendes bemerkt — ich zitiere —: in drei Teilabschnitten durchgeführt werden. Es
sollte möglich sein, noch im Spätherbst dieses Jah-
Aber es gibt keine Behörde, die nicht behaup- res mit den Baumaßnahmen zu beginnen und die
tet, daß sie mit der Zahl ihrer Beamten nicht Verbindungsstraße bei günstigen Voraussetzungen
auskomme. bis Ende nächsten Jahres festigzustellen. Der wei-
Diese spritzige Bemerkung allgemeiner Art ist doch tere Verfahrensablauf wird jedoch weitgehend von
sicherlich nicht so aufzufassen, daß der Herr Staats- der Kapazität der Landesstraßenbauverwaltung, der
sekretär damit hat sagen wollen, daß nun gerade sonstigen Behörden und der Bauwirtschaft des Lan-
das Bundessozialgericht besonders bestrebt sei, die des abhängen.
Zahl seiner Beamten auszuweiten. Ich glaube, so ist
es auch verstanden worden. Ich habe aus dem Proto- Vizepräsident Dr. Jaeger: Ich rufe auf die
koll ersehen, daß er bei dieser Bemerkung den Bei- Frage IX/2 — des Abgeordneten Dr. Stoltenberg —:
fall des Hauses errungen hat. Ist der Bundesregierung bekannt, daß gegenwärtig Bundes-
wehrkolonnen ständig die unbefestigten Gemeinde- und Kreis-
straßen im weiten Umkreis des Truppenübungsplatzes Langsee
Vizepräsident Dr. Jaeger: Eine Zusatzfrage, benutzen, so daß große Schaden entstehen, die bei den lang-
wierigen Entschädigungsverfahren erst sehr verspätet und un-
Herr Abgeordneter Jahn. zureichend beseitigt werden können?
708 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 20. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1962

Hopi, Staatssekretär im Bundesministerium der ministeriums zur Errichtung des Zivilflugplatzes


Verteidigung: Es ist bekannt, daß von der Truppe „Lippenhöhe" ist dem Herrn Minister für Wirtschaft
außer der Landstraße II. Ordnung Nr. 16 auch Ge- und Verkehr .des Landes Nordrhein-Westfalen im
meindewege als Zufahrten zum Standortübungs- August 1960 mitgeteilt worden. Es wird allerdings
platz bzw für Übungsfahrten benutzt werden. Die vom Verteidigungsministerium vorausgesetzt, daß
Wehrbereichsbehörde ist bemüht, die angemeldeten der Bundeswehr eine Mitbenutzung gestattet wird,
Schäden ohne zeitliche Verzögerung und ausreichend soweit sich hierfür später ein Bedarf ergeben sollte.
zu regulieren. Daß es sich um finanziell große Schä- Der Umfang eines solchen Bedarfs läßt sich aller-
den handelt, dürfte allerdings nicht zutreffen, Herr dings zur Zeit noch nicht übersehen.
Abgeordneter.
Vizepräsident Dr. Jaeger: Eine Zusatzfrage!
Vizepräsident Dr. Jaeger: Ich rufe auf die
Frage IX/3 — des Herrn Abgeordneten D r. Stol- Schmidt (Würgendorf) (SPD) : Isst Ihnen, Herr
tenberg —: Staatssekretär, bekannt, daß durch die Anlage eines
Ist die Bundesregierung bereit, im Zusammenhang mit dem Heeresfliegerflugplatzes in Breitscheid im Dillkreis
Bau der Panzerstraße Schleswig—Langsee auch das Reststück
der Verbindung zur Europastraße 3 bei Idstedt fertigstellen zu
(Hessen) neuerdings Schwierigkeiten bezüglich der
lassen, das einen direkten Zugang von der E 3 zum Truppen- Anlage des Zivilflugplatzes entstanden sind?
übungsplatz ermöglichen würde?

-
Hopf, Staatssekretär im Bundesministerium der Hopf, Staatssekretär im Bundesministerium der
Verteidigung: Es ist vorerst nicht vorgesehen, die Verteidigung: Diese Angelegenheit soll auf Antrag
soeben erwähnte Landstraße über den Standort- des soeben von mir genannten Wirtschaftsministers
in gemeinsamen Besprechungen geklärt werden.
übungsplatz hinaus bis Idstedt und eine Verbin-
dungsstraße bis zur E 3 auszubauen, da der direkte Wir glauben, daß eine Koordinierung der Interessen
möglich ist. Allerdings haben wir noch kein Ergeb-
Anschluß der militärischen Anlagen an die E 3 nach
nis der Verhandlungen.
Fertigstellung der Umgehungsstraße im Zuge der
B 201 sichergestellt ist. E s ist jedoch nicht ganz aus-
geschlossen, daß die angesprochenen Straßen nord- Vizepräsident Dr. Jaeger: Eine weitere Zu-
westlich des Übungsplatzes als örtliche Militär- satzfrage des Herrn Abgeordneten Schmidt (Wür-
straßen in den Standortverkehrsbereich einbezogen gendorf).
werden. Bei Verhandlungen hierüber, Herr Abge-
ordneter, wird es sich auch um die Aufgeschlossen- Schmidt (Würgendorf) (SPD) : Ist Ihnen bekannt,
heit der jeweiligen anderen Finanzträger handeln. Herr Staatssekretär, daß seinerzeit, als die militä-
Ich hoffe, daß sie dafür Verständnis haben. rische Anlage auf Lipperhöhe entstand, mit dem
Landkreis Siegen von der Bundeswehr eine Verein-
barung geschlossen — und dadurch auch die Zustim-
Vizepräsident Dr. Jaeger: Wir kommen nun-
mung des Landkreises erreicht wurde —, nach. der
mehr zur Frage IX/4 — des Abgeordneten Seuf-
unter allen Umständen der Zivilflughafen gesichert
fert —:
sein sollte?
Ist es richtig, daß beim Besuch des Schulgeschwaders der Bun-
desmarine in Barcelona Veteranen der spanischen Blauen Divi-
sion ,als Ehrengäste an Bord eingeladen wurden?
Hopf, Staatssekretär im Bundesministerium der
Herr Staatssekretär bitte. Verteidigung: Der Zivilflugplatz ist ja im Prinzip
gesichert, wie ich sagte; nur über die einzelnen
Bedingungen muß noch verhandelt werden.
Hopi, Staatssekretär im Bundesministerium der
Verteidigung: Es sind weder Veteranen allgemein
noch Veteranen der Blauen Division eingeladen Vizepräsident Dr. Jaeger: Keine, Zusatz-
frage? —
worden. Dagegen sind auf Einladung etwa 50 aktive
Soldaten an Bord gewesen. Unter diesen mögen Die Frage IX/6 — des Herrn Abgeordneten
einige gewesen sein, die der Blauen Division ange- Lemmrich — ist zurückgezogen.
hört haben. Man hat im Ausland nicht die Möglich- Ich rufe auf die Frage IX/7 — des Abgeordneten
keit, den Lebenslauf von Bordgästen vorher zu Wacher —:
überprüfen. Wir haben versucht, einen solchen
Hat die Bundeswehr die Möglichkeit, ihre Vorräte an Gerät
internationalen Brauch festzustellen, haben ihn aber und Material zu erhöhen, die sowohl für den militärischen Be-
darf als auch fur Hilfe bei Naturkatastrophen wie die Sturm-
nicht feststellen können. flut an der Nordseeküste geeignet sind?

Der Abgeordnete Wacher wird vertreten durch


Vizepräsident Dr. Jaeger: Ich rufe auf Frage den Abgeordneten Krug.
IX/ 5-- des Abgeordneten Schmidt (Würgendorf) —:
Bitte, Herr Staatssekretär.
Ist der Herr Bundesverterdigungsminister bereit, dem Antrag
des Landkreises Siegen auf Einrichtung eines Nah- und Bedarfs
Verkehrsflughafens „Lipperhöhe" in Lippe Kreis Siegen bald
zuzustimmen? Hopf, Staatssekretär im Bundesministerium der
Verteidigung: Die Bundeswehr bevorratet das von
Bitte sehr, Herr Staatssekretär.
ihr benutzte Gerät und Material zur Abdeckung des
und desvorausichtlenVb,dsrlute
Hopf, Staatssekretär im Bundesministerium der Verschleißes für Krieg und Frieden in einer Grö-
Verteidigung: Die Zustimmung des Verteidigungs- ßenordnung, die durch die zur Verfügung gestellten
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 20. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1962 709

Staatssekretär Hopf
Geldmittel und realisierbaren Infrastrukturmaß- Sie also auch der Meinung sind, daß — bisher we-
nahmen begrenzt wird, wobei die Geldmittel nach nigstens — die Fußgänger, die immer noch die zahl-
Art und Menge des Geräts und Materials zweck- reichste- Verkehrsteilnehmer sind, bei unserem
gebunden sind. Von der Bevorratung wenden einige Straßenbau schlecht weggekommen sind?
-
Gerät- und Materialarten aus Standardisierungs
und ebenso aus Finanzgründen ausgeschlossen. Dr. Seiermann, Staatssekretär im Bundesmini-
Diese Vorratshaltung dürfte wie im Falle Hamburg sterium für Verkehr: Ich habe bereits darauf hinge-
ausreichen, um der Zivilbevölkerung bei Natur- wiesen, daß die Anzahl der Toten bei den Fußgän-
katastrophen wirksam helfen zu können. Das gilt gern von 1959 auf 1960 um etwa 10 % gestiegen
insbesondere für Sanitätsgerät, Verbandsmaterial, ist und daß uns diese Steigerung veranlaßt hat, er-
Unterkunftsgerät und naturgemäß für Verpflegung. neut auf die Notwendigkeit, den Seitenwegen grö-
ßere Beachtung zu schenken, hinzuweisen. Es ist
Vizepräsident Dr. Jaeger: Ich danke Ihnen, aber so, Herr Dr. Mommer: nach unserer Erfahrung
Herr Staatssekretär. ist es weniger eine Frage der Mittel als eine Frage
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäfts- der immer größer werdenden Schwierigkeiten beim
bereich des Bundesministers für Verkehr, zunächst Grunderwerb, um diese Pläne, die auch von uns und
zur Frage X/1 — des Abgeordneten Dr. Mommer -:
den obersten Landesstraßenbehörden gefördert wer-
den, schneller durchzuführen.
Hat die Bundesregierung Pläne, die Bundesstraßen im Nach-
barortsverkehr mit Gehwegen zu versehen, um Leben und Ge- -
sundheit der Fußgänger zu schützen?
Vizepräsident Dr. Jaeger: Eine weitere Zu-
Herr Staatssekretär, wenn ich bitten darf. satzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Mommer.

Dr. Seiermann, Staatssekretär im Bundesmini- Dr. Mommer (SPD) : Herr Staatssekretär, meinen
sterium für Verkehr: Die Baulast für die Gehwege Sie nicht, daß die Schwierigkeiten beim Erwerb von
neben den Bundesstraßen obliegt innerhalb der Ort- Boden für die Straßen selber, für den motorisierten
schaften den Gemeinden, außerhalb dem Bund. Nach Verkehr, viel größer sind und daß es in Wirklich-
§ 3 des Fernstraßengesetzes hat der Träger der Stra- keit also eine Frage der Rangordnung ist, welche
ßenbaulast nach seiner Leistungsfähigkeit die Bun-
Aufmerksamkeit wir von Staats wegen dem einzel-
desfernstraßen in einem dem regelmäßigen Ver-
nen Menschen, dem Fußgänger zuwenden?
kehrsbedürfnis genügenden Zustand zu bauen, zu
unterhalten, zu erweitern oder sonst zu verbessern.
In den vom Bundesminister für Verkehr eingeführ Dr. Seiermann, Staatssekretär im Bundesmini-
ten „Richtlinien für die Anlage von Landstraßen" ist sterium für Verkehr: Ich glaube, man kann die Frage
angegeben, wie Gehwege an Bundesstraßen anzu- nicht so allgemein stellen, sie auch nicht so allge-
legen und von welcher Verkehrsdichte an sie erfor- mein beantworten. Das Bedürfnis nach sogenannten
derlich sind. Seitenwegen ist natürlich z. B. im Nachbarschaftsver-
kehr zwischen zwei Städten besonders groß, und es
Der Bundesminister für Verkehr hatte bereits mit
wird das gemeinsame Bestreben aller sein, hier so
Erlaß vom 18. Dezember 1959 die obersten Straßen-
schnell wie möglich Abhilfe zu schaffen.
baubehörden der Länder gebeten, ihre besondere
Aufmerksamkeit der Anlegung von Gehwegen
außerhalb der Ortschaften zu widmen. Vizepräsident Dr. Jaeger: Ich komme zur

Aus Anlaß des verhältnismäßig starken Zugangs Frage X/2 — , des Abgeordneten Regling —:
der Verkehrsverluste bei Fußgängern und Radfah- Ist die Pressemeldung richtig, nach der der Herr Bundesver-
kehrsminister in einer Wahlversammlung der CDU in Lübeck
rern im Verlauf des Jahres 1960 hat der Bundes- gesagt haben soll, daß die Kommunalvertretungen nur dann von
der Bundesregierung Hilfe und Unterstützung erwarten können,
minister für Verkehr durch Erlaß vom 30. August wenn sie die gleiche Zusammensetzung aufweisen wie die
1961 erneut die obersten Straßenbaubehörden der derzeitige Regierungskoalition?
Länder aufgefordert, ihre Bemühungen um den Bau Bitte sehr, Herr Staatssekretär.
von Rad- und Gehwegen zu verstärken und Rad-
und Gehwege auch dort anzulegen, wo die Ver-
kehrsdichte noch nicht die in den Richtlinien ange- Dr. Seiermann, Staatssekretär im Bundesmini-
gebenen Werte erreicht hat. Die im Entwurf des sterium für Verkehr: Herr Abgeordneter, die Presse-
2. Vierjahresplanes für den Ausbau der Bundesfern- meldung trifft nicht zu.
straßen in den Rechnungsjahren 1963 bis 1966 bei
den Kennzahlen für kleineren und größeren Um- Vizepräsident Dr. Jaeger: Eine Zusatzfrage,
und Ausbau vorgesehenen Mittel sind so bemessen, Herr Abgeordneter Regling.
daß der Bau von Gehwegen vor allem an Bundes-
straßen mit Nachbarortsverkehr wirksam gefördert
werden kann. Regling (SPD) : Herr Staatssekretär, ich darf
doch wohl annehmen, daß die Pressenotizen auch
von dieser Versammlung dem Herrn Minister vor-
Vizepräsident Dr. Jaeger: Eine Zusatzfrage gelegen haben. Danach — aber nicht nur danach —
des Herrn Abgeordneten Dr. Mommer. ist der Eindruck entstanden, wie ich ihn geschildert
habe, daß eine Gleichschaltung, wie wir sie ja aus
Dr. Mommer (SPD) : Habe ich Sie richtig ver- früheren Jahren kennen, für eine Zusammenarbeit
standen, Herr Staatssekretär, wenn ich sage, daß erwünschter sei.
710 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 20. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1962

Dr. Seiermann, Staatssekretär im Bundesmini- Schmidt (Würgendorf) (SPD) : Herr Staatssekre-


sterium für Verkehr: Herr Abgeordneter, ich habe tär, soviel mir bekannt ist, liegen die Genehmi-
nicht nur die uns regelmäßig zugehenden Presse- gungsunterlagen bei Ihnen vor. Wann ist nach Mei-
organe auswerten lassen, sondern auch eine Mittel- nung — —

behörde unseres Hauses in Schleswig-Holstein be-


auftragt, alle dort erreichbaren Pressemeldungen Vizepräsident Dr. Jaeger: Ich bitte, eine
über diese Veranstaltung zu sammeln und mir vor- Frage zu stellen.
zulegen. In den mir hier vorliegenden Meldungen
habe ich das nicht gefunden, jedenfalls nicht in dem
Wortlaut, den Sie gebracht haben. Schmidt (Würgendorf) (SPD) : Wann ist nach
Meinung Ihres Hauses mit der Genehmigung der
Im übrigen liegt mir eine schriftliche Äußerung baureifen Unterlagen, die Ihrem Hause schon län-
des Herrn Ministers vor, darüber hinaus aber auch gere Zeit vorliegen, zu rechnen?
der schriftliche Bericht eines meiner Mitarbeiter,
der an dieser Tagung persönlich teilgenommen hat.
Dr. Seiermann, Staatssekretär im Bundesmini-
sterium für Verkehr: Es ist so rechtzeitig damit zu
Vizepräsident Dr. Jaeger: Ich komme zur rechnen, daß im Jahre 1963 die Arbeiten durchge-
Frage X/3 — des Abgeordneten Rademacher —: führt werden können.
Ist die Bundesregierung bereit, einer obligatorischen Einfüh-
rung der nach § 53 a Abs. 2 StVZO zugelassenen Springlichter
an Kraftfahrzeugen im Interesse einer erhöhten Verkehrssicher-
heit zuzustimmen, wenn diese Springlichter sich bewährt haben? Vizepräsident Dr. Jaeger: Ich komme zur
Frage X/5 — des Abgeordneten Müller (Norden-
Ist er anwesend? — Wird er vertreten? — Dann ham) —:
wird .die Frage schriftlich beantwortet.
Teilt die Bundesregierung die Bedenken des Niedersächsischen
Verwaltungspräsidenten in Oldenburg hinsichtlich der Ersetzung
Ich komme zur Frage X/4 — des Abgeordneten der Beschilderung des bisherigen Fernzieles „Nordenham" im
Schmidt (Würgendorf) —. Zuge der B 212 und der B 69/2.11 durch das Fernziel „Bremer-
haven"?
Ist dem Herrn Bundesverkehrsminister bekannt, daß sich auf
den Straßenabschnitten der Bundesstraße 54 bei km 97,8 und Bitte sehr, Herr Staatssekretär.
km 98,9/99,0 (Krombacher Hohe Kreis Siegen) fortlaufend
schwere und schwerste Verkehrsunfälle ereignen, obwohl vom
Standpunkt der Verkehrsbeschilderung alles nur Denkbare getan
ist, um Verkehrsunfällen vorzubeugen? Dr. Seiermann, Staatssekretär im Bundesmini-
sterium für Verkehr: Die Bundesregierung, Herr
Dr. Seiermann, Staatssekretär im Bundesmini- Abgeordneter, teilt nicht die Bedenken des Herrn
sterium für Verkehr: Ich beantworte die Frage mit Niedersächsischen Präsidenten in Oldenburg hin-
Ja. sichtlich der Ersetzung des bisherigen Fernzieles
„Nordenham" durch das Fernziel „Bremerhaven".
Bei den beiden angegebenen Streckenabschnitten Diese Änderung ist im Entwurf des vom Bundes-
handelt es sich um verhältnismäßig enge Kurven, minister für Verkehr herauszugebenden Verzeich-
die in einer 3,5 km langen Gefällstrecke von 4 % nisses der Fern- und Nahziele an den Bundesfern-
unmittelbar nördlich Krombach liegen. Bei der 1953 straßen vorgesehen, da die Landstraße I. Ordnung
bis 1956 durchgeführten Beseitigung von Frostschä- Nordenham—Blexen am 1. Januar 1961 als Bundes-
den wurde die Fahrbahn wieder hergerichtet und straße übernommen worden ist. Durch die Auf-
streckenweise auf 7 m verbreitert. Die damit auf stufung der genannten Landstraße ist die Bundes-
Teilabschnitten vorhandene gute Fahrbahndecke straße 212 über Nordenham nach Norden bis an die
verleitet offenbar einige Verkehrsteilnehmer, den Weserfähre Blexen—Bremerhaven verlängert wor-
örtlichen Gegebenheiten und auch den vorsorglich den und hat über die Fähre Anschluß an Bremer-
aufgestellten Hinweiszeichen auf Gefahrenstellen haven erhalten.
zum Trotz — Sie sprechen ja selbst von einer
reichen Beschilderung — nicht die erforderliche Be- Die Bundesfernstraßen sind nach dem Gesetz Stra-
achtung zu schenken. ßen, die ein zusammenhängendes Verkehrsnetz bil-
den und einem weiträumigen Verkehr zu dienen
Da seit Ende 1960 hier verstärkt Unfälle auftreten,
wurde als Sofortmaßnahme die Fahrbahn mit einer bestimmt sind. Wo der Zusammenhang des Netzes
griffigen Oberfläche versehen; auch wurde die stel- verbessert und eine neue weiträumige Verbindung
lenweise schon vorhandene Sicherung durch Leit- hergestellt wird, sollte das dem Verkehrsteilneh-
planken wesentlich erweitert. mer auch angezeigt werden. In der Anlage zur
Straßenverkehrsordnung ist bestimmt, daß bei Bun-
Es sind Vorentwürfe zur vollkommenen Ausschal- desstraßen als Fernzielaufschrift der Name eines
tung dieser von mir genannten besonderen Gefah- allgemein bekannten Ortes anzugeben ist, aus dem
renstellen bearbeitet. Es handelt sich hier um die der Verlauf der Straße hervorgeht. Bremerhaven ist
Abflachung und Ausweitung von engen Kurven- im dortigen Küstenbereich der wichtigste Knoten-
bereichen. Die Arbeiten werden zur Zeit baureif punkt im Bundesfernstraßennetz. Aus dem Namen
vorbereitet und sollen spätestens im nächsten Jahr, dieses Ortes geht der jetzige Verlauf der Bundes-
also im Jahre 1963, ausgeführt werden. Der Ausbau straße 212 und auch der Bundesstraßen 69 — ab
der 1,3 km langen Strecke wird 1,6 Millionen DM Oldenburg —, 211 und 437 eindeutig hervor. Er war
kosten. deshalb nach der Aufstufung der genannten Land-
straße I. Ordnung zur Bundesstraße als Fernziel-
Vizepräsident Dr. Jaeger: Eine Zusatzfrage? aufschrift vorzusehen.
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 20. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1962 711

Vizepräsident Dr. Jaeger: Eine Zusatzfrage? Frau Dr. Schwarzhaupt, Bundesminister für
Gesundheitswesen: Ich beantworte die Frage mit
Müller -(Nordenham) (SPD) : Wie hoch sind die Nein. Wenn die Auskunft eines Gesundheitsamtes
Kosten, die entstehen, wenn diese Umschilderung so gegeben wurde wie berichtet, steht sie mit § 51
durchgeführt wird? des Bundesseuchengesetzes nicht im Einklang. Es
handelte sich in Düsseldorf um eine von einer Ge-
sundheitsbehörde öffentlich empfohlene Schutzimp-
Dr. Seiermann, Staatssekretär im Bundesmini-
fung. Wer bei einer solchen Schutzimpfung einen
sterium für Verkehr: Ich kann die Frage im Augen-
Gesundheitsschaden erleidet, hat Anspruch auf Ent-
blick nicht beantworten. Ich will jedoch gerne die
schädigungsleistungen nach dem Bundesseuchenge-
Kosten feststellen und Ihnen mitteilen.
setz.

Vizepräsident Dr. Jaeger: Eine weitere Zu-


satzfrage!
Vizepräsident Dr. Jaeger: Eine Zusatzfrage,
Frau Abgeordnete Dr. Hubert!
Müller (Nordenham) (SPD) : Herr Staatssekretär,
ist Ihnen bekannt, daß die Stadt Nordenham ein Frau Dr. Hubert (SPD) : Sie würden e s demnach
wirtschaftlich bedeutender Schwerpunkt im Norden wohl auch nicht für richtig halten, daß man z. B. den
des Landes Niedersachsen ist und daß die Weser Impfwilligen nahelegt, auf etwaige Entschädigungs-
zwischen Bremerhaven und Nordenham etwa 3 km ansprüche zu verzichten?
breit ist?
Frau Dr. Schwarzhaupt, Bundesminister für
Dr. Seiermann, Staatssekretär im Bundesmini- Gesundheitswesen: Ich würde das nicht für richtig
sterium für Verkehr: Das ist mir bekannt. Ich habe halten.
ja auch die wirtschaftliche Bedeutung von Norden-
ham, die ich sehr gut kenne, keineswegs bestritten. Frau Dr. Hubert (SPD) : Wird das Bundesge-
Ich sage nur, daß nach den gesetzlichen und Ver- sundheitsministerium die Landesministerien darauf
waltungsvorschriften, die für uns verbindlich sind, hinweisen, damit solche Dinge nicht wieder vor-
der sogenannte Fernpunkt genau umschrieben ist kommen, wie sie in Düsseldorf anscheinend vorge-
und daß die Voraussetzungen eben auf Bremerhaven kommen sind?
zutreffen.
Frau Dr. Schwarzhaupt, Bundesminister für
Vizepräsident Dr. Jaeger: Eine Zusatzfrage Gesundheitswesen: Frau Kollegin, Sie wissen, wir
des Herrn Abgeordneten Wächter! haben kein Weisungsrecht gegenüber den Landes-
behörden. Ich könnte mir denken, daß diese Frage-
Wächter (FDP) : Ist Ihnen bekannt, Herr Staats- stunde und meine Antwort, zu der Sie mir freund-
sekretär, daß der wirtschaftspolitischen Arbeitsge- licherweise Gelegenheit gegeben haben, unsere
meinschaft Nord-West, einem Zusammenschluß aller Meinung bereits der Öffentlichkeit bekanntgeben.
Sanierungsgebiete zwischen Weser und Ems, sehr Wenn dies nicht genügen sollte, bin ich bereit, dafür
daran gelegen ist, über die Fähre Kleinensiel-Dedes- zu sorgen, daß unsere Antwort und unsere Auffas-
dorf, die bekanntlich eine viel größere Verkehrs- sung zu dieser Frage der breitesten Öffentlichkeit
frequenz hat als die Fähre Blexen-Bremerhaven, bekannt wird.
eine gute Bundesstraße als Querverbindung zwi-
schen der B 69, B 211, B 212 und der B 6 sowie der Vizepräsident Dr. Jaeger: Ich danke Ihnen,
B 74 zu erhalten? Respektieren Sie diese Wünsche Frau Bundesministerin. Wir sind mit der Frage-
und, wenn ja, wann glauben Sie, diese Wünsche ver- stunde fristgerecht fertig geworden.
wirklichen zu können?
Ich rufe als letztes den Punkt 5 der gemeinsamen
Tagesordnung auf:
Dr. Seiermann, Staatssekretär sim Bundesmini-
sterium für Verkehr: Es tut mir leid, Herr Abge- a) Große Anfrage der Fraktion der CDU/CSU
ordneter, ich kenne persönlich diese Eingabe nicht. betr. Entwicklung von Wissenschaft und For-
Sie ist sicher meinem Hause und meinen Referenten schung in der Bundesrepublik (Drucksache IV/
bekannt. Ich will Ihre Frage zum Anlaß nehmen, sie 154),
schriftlich durch mein Haus beantworten zu lassen. b) Große Anfrage der Fraktion der SPD betr.
Förderung der wissenschaftlichen Forschung
Vizepräsident Dr. Jaeger: Ich danke Ihnen, (Drucksache IV/158),
Herr Staatssekretär. c) Große Anfrage der Fraktion der FDP betr.
Ich rufe auf die Frage aus dem Geschäftsbereich kulturpolitische Aufgaben des Bundes (Druck-
des Bundesministers für Gesundheitswesen, die Frau sache IV/233).
Abgeordnete Dr. Hubert gestellt hat:
Ich schlage Ihnen vor, zuerst die drei Anfragen
Steht die vom Kölner Stadt-Anzeiger am 5. Januar 1962 ge-
meldete Auskunft eines Gesundheitsamtes, Impfwillige hätten begründen zu lassen, dann die Regierung eine ge-
das Impfrisiko selber zu tragen, im Einklang mit § 51 des Bun-
des-Seuchengesetzes?
meinsame Antwort geben zu lassen und schließlich
die Debatte, die sicherlich gewünscht wird, zu ver-
Frau Bundesministerin, bitte! binden. — Das Haus ist damit einverstanden.
712 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 20. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1962

Vizepräsident Dr. Jaeger


Wer begründet die Große Anfrage der Fraktion Wenn man die Probleme allgemein formuliert,
der Christlich-Demokratischen und der Christlich- wie ich es bisher getan habe, kann man der Zustim-
Sozialen Union? — Herr Abgeordneter Dr. Martin! mung gewiß sein. Sobald konkrete Lösungen ange-
strebt werden, beginnen die Differenzen.
Dr. Martin (CDU/CSU) : Herr Präsident! Meine Die Opposition hat zuletzt am 8. und 9. März in
Damen und Herren! Über die Dringlichkeit der An- München den Vorschlag gemacht, durch Ausbau , der
frage an die Bundesregierung, die wir heute hier Kultusministerkonferenz die Kulturpolitik der Län-
behandeln, kann ernstlich kein Zweifel bestehen. der stärker als bisher zu koordinieren. Herr von
Die Öffentlichkeit wünscht eine Erklärung über die Knoeringen, der Sprecher der SPD, hat gefordert,
Leistungsfähigkeit des Bildungswesens und der wis- die Ständige Konferenz der Kultusminister in Rich-
senschaftlichen Einrichtungen in der Bundesrepublik. tung einer Behörde zu entwickeln. Auf nichts ande-
res läuft sein Vorschlag hinaus, mit dem Votum der
Kulturpolitik ist heute eng mit wirtschaftlichen, Kultusminister auch die Landesregierung zur Ein-
sozialen und außenpolitischen Fragen verbunden. bringung eines Gesetzes zu verpflichten. Ohne
Sie ist so sehr eine Frage des Eigenbewußtseins des Zweifel gibt es im Bundesstaat drei Rechtsquellen:
modernen Staates, daß es wohl keinen entwickel- das Bundesrecht, das Landesrecht und gemeinsames
ten Staat in der gegenwärtigen Welt gibt, der 'dar- Recht aus Verträgen zwischen dem Bund und den
auf verzichtet, kulturpolitisch wirksam zu werden. einzelnen Ländern. Der Knoeringensche Vorschlag
Er kann auch nicht darauf verzichten, wenn er seine hat etwas anderes im Auge. Er will zentrale Länder-
Existenz in dem weltweiten Kampf zwischen der instanzen auf Bundesebene schaffen und leistet 'da-
freiheitlichen Gesellschaft und dem Kommunismus mit dem Föderalismus einen schlechten Dienst.
verteidigen will. Der Wettbewerb der Wissenschaf- Wenn wir die Eigenständigkeit der Länder in der
ten im großen internationalen Zusammenhang ge- Kultrvewangchdükliern,a
winnt um so mehr an Bedeutung, als die großen würden wir unsere eigene Überzeugung aushöhlen,
Armeen sich etwa gleichstark in lähmender Unbe- wenn wir eine Zentralisierung der Länder in einer
weglichkeit gegenüberstehen, während sich die eigenen Gemeinschaft auf Bundesebene, die in der
eigentliche Weltauseinandersetzung offenbar in Versfassung eben nicht vorgesehen ist, bejahen wür-
einen Wettlauf der noch beweglich seienden Wis- den. Zu Recht hat sich bislang die Kultusminister-
senschaftssysteme hinein verlagert. Ich habe keinen konferenz nicht als zentrale Behörde mit Weisungs-
Zweifel darüber, daß dabei die freie, nicht dirigierte befugnis gegenüber den Landesregierungen verstan-
Wissenschaft — und nur sie ist Wissenschaft im den, sondern als eine Stelle, die dem Austausch,
eigentlichen Sinne des Wortes — den Sieg davon- dem Gespräch, der Dokumentation und der Abglei-
tragen wird. chung der kulturpolitischen Vorhaben diente.
Unsere Anfrage zielt nicht primär auf eine Klä- Es ist außerdem vorgeschlagen worden, zur Be-
rung des Verhältnisses zwischen Bund und Ländern ratung der Kultusministerkonferenz einen aus 25
ab, etwa im Sinne von Kompetenzerweiterungen Persönlichkeiten des öffentlichen und kulturellen
des Bundes, Verminderung der Aufgaben der Län- Lebens bestehenden Kulturrat einzurichten, der von
der oder ähnlichem. Wir sind nicht der Auffassung, den Ministerpräsidenten der Länder berufen werden
daß der Bund im Bereich der Kulturpolitik eine soll. Dieser Lösungsvorschlag ist inspiriert von dem
Verfassungsänderung .anstreben sollte. Wir sind Erfolg des Wissenschaftsrates. Aber die Analogie
nicht der Meinung, daß der Bund in irgendeiner versagt, weil sich außer dem Hochschulwesen kein
Weise versuchen sollte, in die Verwaltung der Gebiet der Kulturpolitik so klar isolieren läßt und
Länder einzugreifen. Wir sind nicht der Auffassung, weil die Empfehlungen des Wissenschaftsrates auf
daß eine starre Kompetenzabgrenzung zwischen eine Reform im eigentlichen Sinne des Wortes ver-
Bund und Ländern die Zusammenarbeit zwischen zichteten und deshalb nicht Gefahr liefen, im Plura-
beiden, die sich im großen und ganzen glücklich lismus der Bildungsinteressen zerrieben zu werden.
entwickelt hat, fördern könnte. Im Gegenteil: die Das ist in keiner Weise eine Kritik am Wissen-
wachsende Interdependenz von Wissenschaft, Wirt- schaftsrat; im Gegenteil, wir bejahen seine Mei-
schaft, Technik und Gesellschaftspolitik macht eher nung, daß der Kern der Unversitäten gesund ist und
ein elastisches System der Zusammenarbeit not- es sich nicht um eine Revolution, sondern um die
wendig, das in der Lage ist, neue, nicht nur über die Anpassung eines gültigen Prinzips handelt.
Länder, sondern über die Bundesrepublik hinaus-
greifende Aufgaben, wie Atomforschung, Weltraum- Der Kulturrat würde nicht wie der Wissenschafts-
fahrt, Bildungshilfe und Kulturpolitik im Ausland, rat nach unserer Meinung zur Umsetzung in poli-
zu bewältigen. tische Entscheidungen führen, sondern das Schicksal
der Empfehlungen des Deutschen Ausschusses für
Wir sind aber der Auffassung, daß der Bund das Erziehungs- und Bildungswesen erleiden. Wir
mehr und besser als bisher die Voraussetzungen versprechen uns nicht allzuviel von der Einrichtung
einer Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern eines deutschen Kulturrates, der außerhalb des par-
und zwischen der Bundesrepublik und den Partnern lamentarischen Systems ohne politische Kompetenz
in der EWG, der WEU und der NATO auf seiner arbeiten müßte. Man sollte sich darüber klar sein,
Seite klären muß. Der Bund muß seine Tätigkeit auf daß bei aller Vorsicht und Selbstbeschränkung, mit
kulturpolitischem Gebiet intensivieren und mehr als der der Staat der Kultur gegenübertreten sollte,
bisher koordinieren; das heißt, er muß diese Tätig- eine erfolgreiche Kulturpolitik nur dann gewähr-
keit wirksam zusammenfassen. leistet ist, wenn Parlament, Regierung und Verwal-
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 20. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1962 713
Dr. Martin
tung selbst kulturpolitisch leistungsfähig sind, wenn Reichs gibt es kaum eine große kulturpolitische
die Kulturpolitik im Rahmen der etablierten poli- Neuerung, die sich nicht aus ,dem Verhältnis Preu-
tischen Organisation unseres Bundesstaates ge- ßens zum Reich erklären ließe. Das gilt für die
schieht. Gründung .der Wissenschaftlichen Reichsanstalten,
Wir sehen also keinen fruchtbaren Weg darin, das gilt für die Gründung der Kaiser-Wilhelm-Ge-
daß die Länder selbst ihre kulturpolitische Tätigkeit sellschaft, für die Universitätsreform und überhaupt
auf Bundesebene zentralisieren, oder darin, daß man für die Hochschulreform und die Schulreform der
für alle wichtigen kulturpolitischen Fragen zentrale Weimarer Republik. An Stelle dieser in mancher
Instanzen schafft, die außerhalb des staatlichen Or- Hinsicht sicherlich auch unglücklichen Verbindung
ganismus stehen sollen. Umgekehrt aber lassen sich Preußens mit dem Reich müßte heute eine enge Ver-
die Bedenken, die gegen eine Zusammenfassung bindung zwischen Bund und Ländern treten. Diese
und gegen eine straffere Organisation der Tätigkeit Zusammenarbeit kann von .den Ländern nicht unter
des Bundes bestehen, leicht zerstreuen. Eingriffe der dem Gesichtspunkt der Abwehr, der Ängstlichkeit
Bundesverwaltung in die Schul- und Hochschulver- und des Mißtrauens betrachtet werden. Sie muß
waltungen der Länder sind nicht nur verfassungs- vielmehr von der Erkenntnis ausgehen, daß der
rechtlich unmöglich; sie widersprächen auch den Bund die Länder unterstützt, wie die Länder den
eigentlichen kulturpolitischen Interessen des Bun- Bund unterstützen.
des, die nicht darauf gerichtet sein können, legitime
Aufgaben der Länder zu übernehmen, sondern die Von einem modernen Verständnis der Kultur-
Aufgaben, die außerhalb der traditionellen Aufga- politik her ist die Zeit vorbei, wo sie .der klassische
ben der Länder liegen. Gegenstand des Konflikts zwischen Zentralismus
und Föderalismus war. Vom modernen Verständnis
Das betrifft zunächst die Wissenschaftsförderung, der Kulturpolitik her ist auch die Zeit vorbei, wo
die der Bund in seinem Bereich zusammenfassen sie ein klassischer Gegenstand ,des Konflikts zwi-
kann und muß und bei der gewisse zentrale Ge- schen Staat und Kirche, allgemein gesprochen: ein
sichtspunkte unvermeidlich sind. Das betrifft eine pluralistischer Konfliktsfall bleiben darf. Die großen
Reihe von Wissenschaftsgebieten, deren Förderung Gruppen unserer Gesellschaft haben ihr Recht, an
von den einzelnen Ländern nicht allein oder nicht der Kulturpolitik mitzuwirken, längst erkämpft. Die
weitgehend genug betrieben werden kann. Das be- notwendigen Kompromisse sind, jedenfalls für das
trifft die wachsende internationale Verflechtung Verständnis der CDU, stabilisiert. Die Reibungen,
auf diesem Gebiet, wenn wir etwa an die Aufgaben die heute noch bestehen, sollten allmählich ver-
in der europäischen Integration und die Bildungs- schwinden; denn die großen Aufgaben, die heute
arbeit in der Entwicklungshilfe denken. zu lösen sind, liegen nicht mehr im Bereich plura-
Zu einem gewissen Teil können solche Aufgaben listischer Kämpfe, im Gegenteil, sie erfordern die
von wissenschaftlichen Institutionen wahrgenom- Zusammenarbeit aller Kräfte der Gesellschaft mit
men werden, und in jedem Fall wird gerade dabei dem Staat. In bezug auf die Förderung der Wissen-
die Zusammenarbeit mit den Ländern notwendig schaft und der Universitäten wird ,das niemand be-
bleiben. Aber es kann kein Zweifel darüber be- streiten. Es gilt aber auch für das Bildungswesen
stehen, daß der Bund selbst mehr als bisher für in seiner ganzen Breite.
diese Zwecke eine geschulte Beamtenschaft braucht,
daß der Bundestag selbst sich mit diesen Fragen Dieses Bildungswesen ist im Zeichen der Demo-
mehr als bisher beschäftigen muß, daß die Bundes- kratisierung, der Entwicklung zur Industriegesell-
regierung bei ihren politischen Entscheidungen die- schaft, der legitimen Autonomie der großen Gruppen
sen zum Teil unerhört wichtigen Fragen Rechnung der Allmacht des Staates längst entwachsen. Ich
tragen und entsprechend auf solche Entscheidungen brauche hier nur auf die ausgedehnte Erwachsenen-
vorbereitet werden muß. bildung, auf das Weiterbildungswesen in Wirt-
schaft und Gesellschaft, auf das Gebiet der Berufs-
Die Länder selbst müssen an einer solchen Wei- erziehung hinzuweisen. Der Staat kann nicht mehr
terentwicklung interessiert sein, weil es ihnen durch das Recht beanspruchen, alle diese Einrichtungen
die Zusammenarbeit mit dem Bund ermöglicht wird, des Bildungswesens seiner Exekutive zu unterwer-
ihren kulturellen Beitrag in die außenpolitischen Be- fen. Aber gerade deshalb, weil unser Bildungswesen
mühungen des Bundes einzubringen. Die politische diese Ausdehnung gewonnen hat, ist es notwendig,
Union, wie sie im Fouchet-Plan angestrebt wird, daß der demokratische Staat sich dieses Bildungs-
stellt uns schon in allernächster Zeit vor kulturpoli- wesens bewußt ist, daß er einen systematischen
tische Aufgaben von erheblichem Umfang. Überblick darüber gewinnt, daß er weiß, welche
(Abg. Frau Geisendörfer: Sehr richtig!) Bedeutung diese vielfältigen Einrichtungen für sein
inneres Leben, aber auch für seine auswärtigen
In diesem Sinne und deshalb fragen wir die Bundes- Beziehungen haben. Gerade .die Erwachsenenbildung
regierung nach den bisher getroffenen und für die oder die Berufserziehung ,der Wirtschaft haben ein-
Zukunft geplanten Maßnahmen, um die Entwicklung dringliche Beispiele für die Bedeutung solcher
von Wissenschaft und Forschung in der Bundesrepu- Bildungseinrichtungen für unsere Entwicklungshilfe
blik den nationalen und internationalen Erforder- oder für die Mitarbeit in internationalen Organisa-
nissen anzupassen. tionen gegeben. Der Staat — und zwar der Bund
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang auf ebenso wie die Länder — muß diese Einrichtungen
eine geschichtliche Erfahrung der deutschen Kultur- fördern, auch wenn sie beide verwaltungsmäßig nur
politik hinweisen. Seit der Gründung des Deutschen begrenzt zuständig sind.
714 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 20. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1962

Dr. Martin
Die Bundesregierung selbst kann ihre Funktion quenzen aus dem Tatbestand zu ziehen; diese sind,
nur ausüben, wenn sie eine verläßliche Übersicht daß mit dem weiteren Wachstum der Wirtschaft und
über das Bildungswesen in seiner Gesamtheit hat. damit des Einkommens pro Kopf der Bevölkerung
Die Methode , der Bildungsstatistik, wie sie in unse- die Studentenzahl etwa parallel wachsen wird.
rem Lande geübt wird, erscheint mir nicht ausrei- Gerade jetzt haben wir in Bestätigung dieser
chend. Es muß eine Stelle bei ,der Regierung geben, Analysen den Bericht einer Washingtoner Konfe-
die die wirtschaftliche, soziale, rechtliche und inter- renz aus dem Oktober 1961 bekommen, der sich mit
nationale Entwicklung unter .dem Gesichtspunkt dieser Frage beschäftigt. Dort findet sich eine Ana-
untersucht und beobachtet, welche Aufgaben kultur- lyse von Edding, der für das Jahr 1980 eine Stu-
politischer Art zu lösen sind. Es ist heute möglich, dentenzahl von etwa 350 000 in der Bundesrepublik
mit erheblicher Exaktheit die Bedürfnisse eines Vol- für höchstwahrscheinlich hält. Das bedeutet, daß
kes weit vorauszuberechnen. nicht drei bis vier Universitäten und etwa sieben
Für Bund und Länder ist es in gleichem Maße medizinische Akademien und eine Technische Hoch-
wichtig, auf Grund von exakten Unterlagen voraus- schule notwendig sind, wie die Empfehlungen des
schauend zu denken. Man muß sich einmal klar- Wissenschaftsrates besagen, sondern weitaus mehr.
machen, daß ,die wirtschaftlichen und technischen Ist die Bundesregierung sich dieser Tatsache be-
Leistungen des Jahres 1990 bereits weitgehend fest- wußt, und wie gedenkt sie finanziell und admini-
gelegt sind — durch das Maß von Bildung und Aus- strativ damit fertig zu werden? Denkt die Regierung
bildung, die unsere heutigen Bildungseinrichtungen-
daran, in Ausschöpfung des Art. 74 Nr. 13 des
zu geben vermögen. In diesem Sinne gilt der Satz: Grundgesetzes ein Gesetz zur Förderung der For-
die großen Geschehnisse, die die Zukunft bestim- schung zu erlassen? Mit einem solchen Gesetz wäre
men, haben sich bereits vollzogen — unwiderruflich. es möglich, ,die Zusammenarbeit mit den Ländern
Über .den Zusammenhang zwischen wirtschaftlich und Wissenschaftsorganisationen auf Dauer anzu-
sozialem Fortschritt und Wissenschaft noch ein legen. Die Wissenschaftsförderung des Bundes muß
Wort! Das 20. Jahrhundert hat wirtschaftlich Fort- ein ständiger Bestandteil der gesamten Kulturpoli-
schritte ohnegleichen gebracht. Sie sind möglich tik sein, wobei sorgfältig darauf zu achten ist, daß
geworden, weil wir viel mehr Kenntnisse haben. die vorhandenen Institutionen nicht angetastet wer-
Eine amerikanische Analyse erinnert daran, daß die den. Der Wissenschaftsrat, die Max-Planck-Gesell-
rasche wirtschaftliche Erholung Deutschlands nach schaft, die Deutsche Forschungsgemeinschaft und
dem Kriege unmöglich gewesen wäre ohne ein Re- die Studienförderung dürfen nicht immer wieder
servoir von Kenntnissen und Fertigkeiten. Ebenso neu diskutiert werden. Sie bezeichnen markante
ist für die Entwicklungsländer entscheidend, ob es Fortschritte der deutschen Kulturpolitik und sind
gelingt, ihnen auf dem Wege der Bildungshilfe die das Ergebnis einer unvoreingenommenen Zusam-
Voraussetzungen für wirtschaftliches Wachstum zu menarbeit zwischen Bund und Ländern.
liefern. Denn Kapitalhilfe ohne Bildungsbemühun- Denkbar ist bei der Formulierung eines Bundes-
gen würde ins Leere gehen. gesetzes über die Forschungsförderung auch die
Im Hinblick auf unser Bildungswesen möchte ich Festlegung einer Berichtspflicht der Bundesregie-
den Zusammenhang von Wissenschaft, Bildung, rung für jedes Jahr, um auch dem Bundestag Ge-
Ausbildung und wirtschaftlichem Wachstum noch legenheit zu geben, den Fortgang der Wissen-
einmal präzisieren, weil sich daraus die Frage an schaftsförderung zu beobachten rund die Wissen-
die Regierung deutlicher ergibt. Ich wähle dazu ein schaftsförderung selbst und die Sorge um die Wis-
Beispiel: die Beispiele ließen sich beliebig ver- senschaftsförderung zu einem festen Bestandteil des
mehren. öffentlichen Bewußtseins zu machen. Die Fassung
eines solchen Gesetzes könnte ,der Anlaß sein, die
Cäcilie Quetsch hat in einer ihrer Arbeiten die Zuständigkeiten weiter zu präzisieren: für welche
zahlenmäßige Entwicklung des Hochschulbesuches Materien der Bund und für welche die Länder zu-
in den letzten 50 Jahren, die Industrieproduktion je ständig sind.
Einwohner und den Anteil der Studierenden in der
Zeit von 1908 bis 1950 miteinander verglichen. Da- Die Rolle, die die Kulturpolitik in den auswärti-
bei ergab sich ein deutlicher paralleler Verlauf, der gen Beziehungen spielt, macht die Frage ,der natio-
nur durch die beiden Weltkriege unterbrochen war. nalen Repräsentation dringend. Es ist notwendig,
Zwischen wirtschaflichem Wachstum und Hochschul- daß sich Innenminister, Außenminister und die Kul-
besuch besteht eine Korrelation. So ergibt sich, tusminister der Länder eine Form schaffen, die dem
wenn man den Anfang und das Ende der ersten legitimen Bedürfnis nach Darstellung des Ganzen
Hälfte dieses Jahrhunderts vergleicht, eine Verdrei- Rechnung trägt und die Bundesrepublik für den kul-
fachung des Einkommens je Kopf der Bevölkerung, turellen Bereich noch besser kontaktfähig mit ande-
aber auch eine Verdreifachung der Zahl der Stu- ren Staaten macht.
denten. Schließlich muß gefragt werden, welche Möglich-
Dabei handelt es sich nicht etwa um eine Ent- keiten die Bundesregierung sieht, um die verwal-
wicklung, die auf Deutschland beschränkt ist, son- tungsmäßigen und personellen Voraussetzungen für
dern um eine Entwicklung, die allen Industriestaa- eine wirksame Kulturpolitik zu schaffen. Kultur-
ten gemeinsam ist. In Deutschland hat man auf das politik hängt in stärkstem Maße vom Rang der
rasche Anwachsen der Studentenzahlen einseitig Kulturverwaltung ab. Die Leistungen der deutschen
vom Bildungsbegriff her und teilweise emotional Kulturpolitik im 19. Jahrhundert beruhten auf einem
reagiert. Es ist aber notwendig, nüchterne Konse- außerordentlichen Leistungsgrad der mit Kulturfra-
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 20. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1962 715
Dr. Martin
gen befaßten Beamten, die, administrativ sicher, zu- Konkret heißt das, daß wir darauf achten müssen,
gleich die Fähigkeit besaßen, den geistigen Dingen die Geistenswissenschaften mit derselben Intensität
ihre politisch wirksame Form zu geben. zu fördern wie Naturwissenschaft und Technolo-
gie, daß wir Möglichkeiten der Zusammenarbeit
Nehmen wir einmal an, es gelänge, die Leistungs- zwischen den verschiedenen wissenschaftlichen Sach-
fähigkeit von Wissenschaft und Forschung so zu bereichen schaffen müssen, daß die materiellen Be-
steigern, wie es angesichts der wirtschaftlichen und dingungen so sind, daß nicht die Begabungen in
gesellschaftlichen Entwicklung notwendig erscheint: Qualität und Quantität auf das Gebiet abwandern,
Hätte die Kulturpolitik dann ihre Aufgabe erfüllt das die meisten Erfolge nach außen hin abwirft.
oder würde sich nicht vielmehr dann mit unaus- Glauben wir nicht, das seien lediglich Prinzipien-
weichlicher Dringlichkeit die Frage melden, die sich fragen. Sie betreffen ganz konkret den Aufbau der
schon Sokrates angesichts der technischen Möglich- Ingenieurschulen, der neu zu errichtenden höheren
keiten seiner Zeit gestellt hat? Er fragte: Zu was Wirtschaftsfachschulen, sie betreffen den Unterricht
dient die Schiffsbaukunst, wenn man nicht navigie- in den Berufsschulen ebenso wie das Studium an
ren kann? Zu was dient ,die Nautik, wenn man nicht der Universität. Es ist leicht, zu sagen, daß das eine
weiß, wohin man fahren soll? Zu was dient die Geo- Aufgabe ist, die unsere Gesellschaft als Ganzes be-
graphie, wenn man nicht weiß, was man am ande- trifft, nicht eine Kompetenz darstellt, über die sich
ren Ende der Erde — oder um für uns fortzufahren: Bund und Länder streiten können.
am Ende unseres Sonnensystems — tun soll?
Ich komme zum Schluß der Begründung unserer
Deshalb hat unsere Anfrage auch einen anderen, Großen Anfrage. Unsere heutige Analyse der Situa-
einen fundamentalen Grund. Wir nennen uns mit tion zeigt zwingend, wie ich meine, daß wir zu
vollem Bewußtsein eine christliche Partei. Eine solche folgenden Feststellungen kommen müssen. Erstens:
Partei kann nicht anders, als sich durch klare kul- Regierung und Parlament müssen sich in stärkerer
turpolitische Auffassungen, durch eine starke Kon- Weise als bisher der lebensnotwendigen Bedeutung
zentration auf dem Gebiet der Kulturpolitik zu legi- der kulturpolitischen Fragen bewußt werden und
timieren. Sie müssen zugestehen, daß Bund und daraus die notwendigen Konsequenzen ziehen. Zwei-
tens: Zu den vordringlichen Konsequenzen in die-
Länder in , den Jahren des Wiederaufbaus diese
Frage haben zurücktreten lassen müssen. Jetzt aber ser Hinsicht gehört eine klare Organisationsvorstel-
lung, die dem Bund ein solides rechtliches Fundament
ist es Zeit dazu, und ich stehe nicht an zu sagen:
für seine Maßnahmen gibt, die ihm die Koordinie-
es ist höchste Zeit. Denn es geht nicht nur um die
rung im Bundesbereich ermöglicht und klare Ver-
Förderung von Technologie und Naturwissenschaft,
hältnisse zwischen Bund und Ländern schafft. Drit-
nicht nur um den materiellen Wettlauf mit dem
tens: Personalbestand und finanzielle Mittel müssen
sowjetischen System und darum, unsere Wettbe-
für diese Aufgaben beim Bund in ausreichender
werbsfähigkeit in der gesamten Welt zu halten. Es
Weise und auf die Dauer bereitgehalten werden.
geht nicht nur um die Verzahnung von Forschung, Viertens: Erforderlich ist die Bereitstellung von aus-
Wirtschaft, sozialem Leben, es geht darum, ob die reichenden Unterlagen beim Bund, die eine voraus-
Bundesrepublik die geistigen Prinzipien, denen Staat schauende verantwortliche Planung ermöglichen. Zu
und Gesellschaft letztlich folgen müssen, in der Kul- dieser Materie, insbesondere zur Entwicklungshilfe,
turpolitik zum Ausdruck bringen kann. werden wir im einzelnen Resolutionen vorlegen.
Jahrzehntelang war diese Frage deshalb so Die CDU/CSU-Fraktion erwartet, daß die Antwort
schwer zu beantworten, weil die Kulturpolitik sich der Regierung auf ihre Anfrage darüber Aufschluß
nur mühsam aus dem Schatten des Kulturkampfes bringt.
lösen konnte. Wenn in der CDU ein alter Gegen- (Beifall bei der CDU/CSU.)
satz auf dem Gebiet der Kulturpolitik durch ein
neues Prinzip der Einheit überwunden worden ist, Vizepräsident Dr. Jaeger: Das Wort hat der
so heißt das zugleich, daß ,die CDU die Aufgabe hat, Abgeordnete Lohmar.
diese politische Einsicht auf diesem Gebiet auch zu
verwirklichen. Das berührt nicht die Eigenständig- Lohmar (SPD) : Herr Präsident! Meine Damen
keit der Konfessionen und ihre spezifischen Öffent- und Herren! Die sozialdemokratische Bundestags-
lichkeitsansprüche. fraktion hat an den Anfang ihrer Großen Anfrage
die Frage gestellt, was die Bundesregierung zu tun
Die CDU muß ihre Kulturpolitik auf das Bildungs-
bereit ist, um Berlin, unsere Hauptstadt, zu einem
wesen in seiner Gesamtheit richten, wenn sie christ-
liche Prinzipien darin zum Ausdruck bringen will.
kulturellen und wissenschaftlichen Zentrum auszu-
bauen. Ich hatte gehofft, daß die sehr vage Formu-
Kulturpolitik darf nicht dazu führen, daß mit der
lierung der Großen Anfrage der Christlich-Demo-
Förderung der Technologie und der pragmatischen
kratischen und der Christlich-Sozialen Union ge-
Wissenschaft der Mensch immer mehr zum Objekt
nügend Raum lassen würde, um in die Begründung
ihrer Ergebnisse, ihrer Vorteile und ihrer Nachteile
dieser Anfrage wenigstens einen Satz auch über die
wird, sondern sich in die Lage versetzen kann, diese
Welt als Mensch — und zwar im christlichen Ver- Frage Berlin einzufügen.
ständnis des Menschen — zu beherrschen. Das ist (Sehr richtig! bei der SPD.)
eine außerordentlich schwierige Aufgabe, wenn wir Es tut mir leid, daß das nicht geschehen ist.
an die Macht des technischen Erlebnisses, an die
Wissenschaftsgläubigkeit, an die überwältigenden Unmittelbar nach dem 13. August, der einen Zu-
Ergebnisse der modernen Naturwissenschaft den- stand, welcher sich in Berlin seit langem abgezeich-
ken. net hatte, stärker noch als vorher in das Bewußtsein
716 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 20. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1962

Lohmar
von uns allen rückte, hat der Regierende Bürger- interessanten und sicherlich begrüßenswerten Anre-
meister dieser Stadt die Anregung zur Diskussion gungen gekommen sind.
gestellt, Berlin zu einem kulturellen und wissen- Es handelt sich bei der Hilfe für Berlin in seinen
schaftlichen Zentrum auszugestalten. Wir möchten kulturellen Möglichkeiten zunächst darum, Institu-
dem Herrn Bundesinnenminister, der heute die Ver- tionen wie etwa die Freie Universität, die Tech-
tretung der Regierung übernommen hat, Gelegen- nische Universität, die Pädagogische Hochschule,
heit geben, dazu seine Auffassungen darzulegen. Er die Hochschule für bildende Künste, die Hochschule
hat uns von sich aus zu einer ganzen Reihe anderer für Musik, das Hahn-Meitner-Institut für Kernfor-
politischer Fragen seine Auffassungen wissen lassen, schung, die Versuchsanstalt für Wasserbau und
beispielsweise zum Fortgang der Beratungen über Schiffbau, die Deutsche Oper, das Schiller-Theater,
die Notstandsgesetzgebung. Aber, Herr Minister, das Schloßpark-Theater, die Galerie des Zwanzig-
auch bei der Frage des Ausbaues Berlins zu einem sten Jahrhunderts, das Charlottenburger Schloß, das
Zentrum der Kultur und der Wissenschaft handelt es Berliner Philharmonische Orchester und das Radio-
sich um einen „Notstand" in einem spezifischen Sinfonie-Orchester Berlin zu fördern — um nur
Sinne. Es wäre nützlich und gut, wenn Sie dieser einige Beispiele dafür zu nennen. Man wird weiter
Frage die gleiche Aufmerksamkeit zuteil werden überlegen müssen, ob nicht das in Aussicht stehende
ließen wie anderen Projekten, die Sie mit Vorrang Zentrum für die pädagogische Forschung nach Ber-
behandeln. lin verlegt werden kann; es würde dort eine gute
(Abg. Dr. Heck: Was sollen denn diese Stätte für seine Tätigkeit finden können.
spitzfindigen Bemerkungen?) Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion hat
Bund und Länder werden in der Hilfe für Berlin auch einen Vorschlag aufgenommen, der aus Krei-
gemeinsam ans Werk gehen müssen. Ich darf Ihnen sen des Berliner Senats kommt und der anregt, daß
einige Gedanken vortragen, die hinsichtlich des Zu- neue Institutionen im Rahmen der UNESCO in Ber-
sammenwirkens von Bund und Ländern bei der Ber- lin angesiedelt werden, und ihnen dort Raum für
lin-Hilfe in den Gesprächen über die konkrete Form eine weltoffene Arbeit zu geben.
einer solchen Hilfe in den nächsten Wochen und Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang auf das
Monaten zu beachten sein werden. Es heißt in einer verweisen, was in der publizistischen Erörterung
nichtoffiziellen Berliner Denkschrift dazu, das Prin- etwa von Eugen Kogon in der Zeitschrift „Atomzeit-
zip des Kulturföderalismus sei zu bejahen, auch in alter" oder von Robert Jungk vor der Evangelischen
dieser Zusammenarbeit; aber der Grundgedanke des Akademie in Berlin zu diesem Thema gesagt wor-
Föderalismus sei in erster Linie gewesen, daß die den ist. Ich wäre froh, wenn wir bei dieser Debatte
Länder die Möglichkeit haben sollen, ihre aus der darüber einig sein könnten, daß es sich bei dem
Tradition fortenwickelte kulturelle Eigenart zu Ausbau Berlins zu einem wissenschaftlichen und
pflegen und zu fördern. In der Tat, heißt es weiter, kulturellen Zentrum nicht um das handeln kann,
verdanke Deutschland seinen großen Reichtum im was die Berliner eine „Zitterprämie" nennen,
Gebiet des Künstlerischen mit der Vielfalt bedeu-
tender Theater- und Opernensembles, Orchestern, (Zustimmung bei der SPD)
Museen usw. der auf diesem Prinzip gegründeten also nicht um eine neue Form des Notopfers, son-
kulturellen Pflege des Künstlerischen in jedem dern daß es sich handeln muß um eine großzügige
Lande, eine Buntheit, die in anderen Ländern West- Kooperation zwischen Bund, Berlin und den übrigen
europas kaum ihresgleichen finde. Ländern der Bundesrepublik Deutschland zusammen
Was aber, so wird gefragt, heißt das für Berlin? mit unseren politischen Freunden in der Welt.
Die kulturelle Eigenart dieser Stadt ist nicht im (Beifall bei der SPD.)
isolierten und auf sich gestellten Stadtstaat zu ver-
wirklichen und weiterzuentwickeln. Deshalb geht Meine Damen und Herren, man soll Begründun-
es darum, wie Berlin die kulturellen Aufgaben, die gen von Großen Anfragen nicht über Gebühr aus-
ihm von seiner Geschichte gestellt sind, erfüllen dehnen. Ich bitte Sie um Verständnis, wenn ich mich
kann, wie es die kulturellen Möglichkeiten einer jetzt auf den Punkt 2 unserer Großen Anfrage kon-
Metropole bewahren und weiter gestalten kann. zentriere. Er betrifft die Koordinierung der Förde-
Damit wird Berlin zwangsläufig stärker in die Zu- rung der wissenschaftlichen Forschung. Ich darf
sammenarbeit mit dem Bund einbezogen, als das im Ihnen in Erinnerung rufen, daß wir im letzten Haus-
Verhältnis des Bundes zu den übrigen Ländern der halt für Aufgaben der Wissenschaft und Forschung
Bundesrepublik Deutschland der Fall sein mag. beim Auswärtigen Amt 30 Millionen DM, beim Bun-
Diese Betrachtungsweise führt zu der Erkenntnis, desministerium des Innern 360 Millionen DM, beim
daß es nicht damit getan ist, in irgendeiner Form Bundeswirtschaftsministerium 52 Millionen DM,
Bundesmittel nach Berlin fließen zu lassen auch zur beim Bundesministerium für Ernährung, Landwirt-
Stärkung seiner kulturellen Einrichtungen, sondern schaft und Forsten 47 Millionen DM, beim Bundes-
daß darüber hinaus Berlins kulturelle Bedeutung für ministerium für Arbeit und Sozialordnung 1 Mil-
ganz Deutschland der Institutionalisierung bedarf. lion DM, beim Bundesverkehrsministerium 30 Mil-
lionen DM, beim Bundesverteidigungsministerium
Ich freue mich darüber, daß nicht nur der Bundes- 300 Millionen DM, beim Bundesschatzministerium
tag heute diese Probleme behandelt, sondern daß 7,5 Millionen DM, beim Bundesministerium für Fa-
sich auch einige Länder — so Baden-Württemberg milien und Jugendfragen 16 Millionen DM und beim
- bereits mit den Möglichkeiten einer Zusammen- Bundesministerium für Atomkernenergie 160 Mil-
arbeit in dieser Frage befaßt haben und dabei zu lionen DM gehabt haben.
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 20. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1962 717
Lohmar
Man ersieht daraus zweierlei: Erstens, welchen verzeichnen, als die Federführung in Fragen der
Umfang die Förderung der wissenschaftlichen For- Weltraumforschung, der Raumfahrtforschung und
schung im Rahmen der Tätigkeit der einzelnen der Raumfahrttechnik auf den Bundesatomminister
Bundesressorts — Gott sei Dank — gewonnen hat; übergegangen ist, ein erster Schritt in der von uns
zweitens aber, daß diese Arbeit offensichtlich nach skizzierten und gewünschten Richtung. Vielleicht
wie vor durch ein mehr oder minder beziehungs- lassen sich diesem Schritt weitere anschließen.
loses Nebeneinander gekennzeichnet ist.
Erlauben Sie mir nun, ein paar Bemerkungen zu
Nun hat der Herr Bundesinnenminister in einem einigen Gedanken zu machen, .die in der Begrün-
Interview mit der „Stuttgarter Zeitung" am 13. Fe- dung der Großen Anfrage der CDU/CSU .der Kol-
bruar dieses Jahres gemeint, daß der Sachverstand lege Dr. Martin geäußert hat. Zunächst die Frage:
auch in der Förderung der wissenschaftlichen For- Wie kann man zu einer wirksameren Repräsentanz
schung wohl am ehesten bei den Fachressorts der der Wissenschaftspolitik im Rahmen der allgemei-
Bundesregierung zu vermuten sei. Herr Minister, nen Staatspolitik kommen? Es tut mir leid, meine
ich teile diese optimistische Einschätzung nicht und Damen und Herren von der CDU/CSU, in Ihre
möchte mich bei dieser Ansicht etwa auf eine Stel- Erinnerung zurückrufen zu müssen, wie denn in den
lungnahme des Gesprächskreises „Wissenschaft und letzten Monaten .der Gang der Diskussion zu dieser
Wirtschaft" beziehen. Es heißt darin — ich darf mit Frage gewesen ist. Sie haben im Herbst eine Bun-
der freundlichen Genehmigung des Herrn Präsiden- desregierung gebildet, bei der es manche überflüs-
ten einige Sätze zitieren —: sige Ministerien verstanden haben, ihre weitere
Bei vielen dieser staatlichen Forschungsinsti- Existenz zu sichern.
tute hat jedoch die Entwicklung zwangsläufig (Zurufe von der CDU/CSU: Beispiele! —
die Übernahme staatlicher Verwaltungs- und Welches ist denn überflüssig, Herr Lohmar?)
Überwachungsaufgaben mit sich gebracht, so
— Aber ich bitte Sie, wir sprechen doch jetzt über
daß ihre Tätigkeit sich nicht selten zum Nachteil
Kulturpolitik.
eigentlicher Forschung weitgehend in wissen-
schaftlicher Routinearbeit erschöpfen muß. Dar- (Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)
aus resultierend wird heute in den Haushalts- — Nun gut, wir können gleich eines nennen: das
plänen staatlicher Forschungspflege und -förde- Bundesratsministerium. Glauben Sie im Ernst, daß
rung viel zu hoch zugeschrieben, was rein staat- das noch eine Funktion hat?
liche Verwaltungspflichten finanzieren muß und
damit die eigentlich der Forschung zugedachten (Beifall bei der SPD.)
Mittel mindert. Andere Ministerien, meine Damen und Herren,
Herr Bundesminister, in der Stellungnahme des (Zurufe von der CDU/CSU: Welche?)
Bundesrechnungshofes aus dem vergangenen Jahr
sind aus rein koalitionspolitischen Gründen hinzu-
— Drucksache 2751 — können Sie einen ähnlichen
addiert worden. Es hat acht Tage nach der Bundes-
Hinweis finden. Es heißt dort: tagswahl eine Diskussion in der deutschen Presse
Der Bundesrechnungshof hat daher dem Bun- gegeben, ob man denn nicht erwägen könnte, auch
desminister des Innern vorgeschlagen, die Mit- ein Ministerium zur Förderung von Wissenschaft
tel für Zuwendungen im Haushaltsplan nach und Forschung einzurichten. Aber das paßte nicht in
einer neuen, vom Gegenstand ausgehenden die Koalitionsüberlegungen. Man konnte sich dazu
Ordnung anzufordern. Dies würde auch einen offenbar nicht entschließen, wahrscheinlich, weil ein
zuverlässigen Gesamtüberblick vermitteln. reiner Parteimann in ein solches Ministerium nicht
recht hineingepaßt hätte.
Die Neuordnung soll auch ermöglichen, in den
Fällen, in denen verschiedene Einrichtungen (Zurufe von der CDU/CSU.)
unter der Zuständigkeit mehrerer Ressorts ver- Meine Damen und Herren, es gibt auch dazu An-
wandte Gebiete bearbeiten, Schwerpunkte zu regungen. So hat z. B. der Stifterverband vorge-
bilden und so einer Aufsplitterung der Mittel schlagen, man möge doch wenigstens ein Staats-
entgegenzuwirken. Insbesondere könnten Be- sekretariat für diese Aufgaben schaffen. Die Bun-
willigungen mehrerer Ressorts für einen und desregierung hat sich seit ihrer Bildung zu all die-
denselben Zweck leichter vermieden werden. sen Anregungen nicht geäußert, aber sie vergießt
Der Bundesminister hat der Anregung des Bun- hier Krokodilstränen über die mangelnde Zusam-
desrechnungshofes grundsätzlich zugestimmt menarbeit.
und mit Vorarbeiten für eine Neuordnung be- (Beifall bei der SPD.)
gonnen; sie kann frühestens im Haushaltsplan Das, meine Damen und Herren, verstehe ich nicht.
1962 verwirklicht werden. Wie ist es denn dazu gekommen? Doch dadurch, daß
Nun, meine Damen und Herren, wir haben weder wir durch Ihr Bestreben, ein Regierungsfernsehen
vom Stand der Vorarbeiten noch von etwaigen Ver- auf die Beine zu stellen, das Fernsehurteil bekamen.
wirklichungen im Rahmen des Haushaltsplanes in (Beifall bei der SPD.)
diesem Jahr etwas gemerkt. Vielleicht ist der Mini-
ster so liebenswürdig, uns zu sagen, ob, wann und Sonst wären wir nie in diese schwierige Situation
in welcher Weise er diese Anregungen des Bundes- hineingekommen.
rechnungshofes aufgreifen will. Wir haben einen (Zuruf von der CDU/CSU: Da haben Sie
bescheidenen Anfang in dieser Richtung insofern zu den ältesten „Türken" ausgegraben!)
718 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 20. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1962

Lohmar
— Aber ich bitte Sie, Herr Heck ist doch federfüh- sagen, gemeinsam von Bund und Ländern benannt
rend gewesen. Er weiß doch, welches Herzblut die wird, nach .den Vorschlägen des Herrn von Knörin-
CDU im letzten Bundestag an dieses Projekt ver- gen jetzt ein Kulturrat benannt werden soll, in dem
spritzt hat. der Bund nicht einmal bei ,der Konstituierung und
(Erneuter Beifall bei der SPD. — Zurufe der Mitberufung eine irgendwie geartete Kompetenz
von der CDU/CSU.) hat?

Nun, als das Urteil vorlag, war die Situation zwi-


schen Bund und Ländern komplizierter geworden. Lohmar (SPD) : Herr Kollege Stoltenberg, ich
darf sachlich dazu bemerken: uns hat bei der Anre-
Meine Damen und Herren, die Fraktion der FDP gung, einen solchen Kulturrat zur Debatte zu stel-
war so freundlich, uns in ihrer Großen Anfrage len, um vielleicht mit Ihnen darüber in ein Gespräch
daran zu erinnern, daß der Bundestag mit Beschluß zu kommen, das bestimmt, was wir an guten und
vom 1. Juli 1960 die Bundesregierung einstimmig positiven Erfahrungen mit dem Wissenschaftsrat
beauftragt hatte, zu dem heute von Dr. Martin ge- gesammelt haben. Der Wissenschaftsrat ist aber,
forderten Übereinkommen mit den Ländern zu ge- wie Sie wissen, nur für den Bereich eben der Wis-
langen. Ich frage mich: Warum hat die Bundesregie- senschaft, wie der Name sagt, zuständig, nicht aber
rung in dem Jahr, in dem die dritte Bundesregie- für den ganzen Bereich des übrigen Bildungswesens.
rung noch amtierte, nicht mehr getan, um hier zu Dafür brauchen wir eine Institution, die mit ähn-
einem brauchbaren Ergebnis zu kommen? Wo liegt- licher Autorität und ähnlichem Sachverstand wie
die Verantwortung dafür, daß der Bundestag nicht der Wissenschaftsrat die Dinge vorantreibt. Darum
einmal eine Ubersicht über den Stand der Verhand- geht es uns. Wenn Sie andere, bessere institutio-
lungen bekommen hat? Ich bin froh, daß die nelle Vorschläge machen können, — wir sind keine
Freien Demokraten diese Frage im Rahmen dieser Dogmatiker, wir greifen solche Anregungen gerne
Debatte noch einmal zur Diskussion gestellt haben. auf. Nur kommen Sie davon ab, einen Vorschlag, der
Herr Dr. Martin, Sie haben gegen die Ergebnisse in diesem Fall von der Opposition gekommen ist,
der Länderkonferenz der Sozialdemokraten in Mün- gleich deshalb zu disqualifizieren, weil er mögliche
chen polemisiert. Ich habe zunächst mit Interesse Befürchtungen provoziert; diese könnte man viel-
zur Kenntnis genommen, daß Sie uns zwar gesagt leicht in der Diskussion ausräumen. — Eine wei-
haben, was Sie an diesen in München gemachten tere Zwischenfrage?
Vorschlägen für falsch halten. Sie haben aber nicht
gesagt, wie Sie es anders und besser machen wol- Vizepräsident Dr. Jaeger: Gestatten Sie eine
len. Darüber können wir vielleicht noch sprechen. Zwischenfrage?
Ich möchte nur eins zurechtrücken: Es ging
der „Opposition" — wie sie von Herrn Martin etwas Lohmar (SPD) : Aber gern.
vereinfachend dargestellt worden ist; in München
waren immerhin auch Senatoren und Minister so- Vizepräsident Dr. Jaeger: Herr Dr. Heck.
zialdemokratisch geführter Landesregierungen an-
wesend, die man nicht so ohne weiteres unter den
Begriff „Opposition" subsumieren kann; das nur Dr. Heck (CDU/CSU) : Herr Kollege Lohmar, ich
nebenbei — verstehe nicht, warum Sie die Einrichtung eines
Deutschen Kulturrates auf alle Fälle für förderlich
(Zurufe von der Mitte)
halten, weil Sie die Zusammenarbeit — —
nicht um den Aufbau einer dritten Instanz zwischen
Bund und Ländern, sondern uns geht es darum, die
Vizepräsident Dr. Jaeger: Ich bitte Sie, dem
Zusammenarbeit der Länder in der Kulturpolitik
Herrn Kollegen Lohmar eine Frage zu stellen. Sie
möglichst wirksam zu gestalten, die Länder institu-
haben eine Behauptung aufgestellt.
tionell zu veranlassen, ihre Zusammenarbeit enger
zu gestalten, als es bisher der Fall war.
Dr. Heck (CDU/CSU) : Warum halten Sie ein
Man kann darüber streiten, meine Damen und
Bundesratsministerium, dessen einzige Aufgabe es
Herren, ob man mit einer Handbewegung eine Insti-
ist, der Zusammenarbeit von Bund und Ländern zu
tution wie den Deutschen Ausschuß für das Erzie-
dienen, für überflüssig, während Sie auf der an-
hungs- und Bildungswesen, der auf Beschluß dieses
deren Seite auf dem Sektor der Kulturpolitik neben
Hohen Hauses ins Leben gerufen worden ist, als der Kultusministerkonferenz einen Deutschen Kul-
Beispiel dafür anführen kann, .daß ein von uns an- turrat für notwendig halten?
geregter Kulturrat von vornherein aussichtslos und
nicht förderlich sei. Ich möchte mich gegen eine
solche vereinfachte Darstellung wenden, aber viel- Lohmar (SPD) : Aus dem Grunde, Herr Kollege
leicht kann der Herr Kollege Stoltenberg mit der Dr. Heck, weil ich mir die Zusammenarbeit zwischen
Zwischenfrage, die er stellen will, zur Klärung der Bund und Ländern anders vorstelle als in der Form
Sache beitragen. eines Briefträgers, der Funktion nämlich, die das
Bundesratsministerium bisher auszuüben für ausrei-
chend hielt.
Dr. Stoltenberg (CDU/CSU) : Wollen Sie be-
streiten, Herr Kollege Lohmar, daß es ein unfreund- (Beifall bei der SPD. — Abg. Dr. Heck: Sie
licher Akt gegenüber dem Bund ist, wenn an Stelle kennen aber die Tätigkeit des Bundesrats
des Deutschen Ausschusses, der, wie Sie richtig ministeriums nicht!)
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode - 20. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1962 719

Lohmar
— Meine Damen und Herren, ich schlage Ihnen vor, wünschenswerte Zurückhaltung erkennen lassen. Ich
daß wir in der größeren Ruhe der Ausschußberatung möchte ganz klar sagen: nach unserer Auffassung
noch einmal über diese Möglichkeiten miteinander ist es gut, wenn die Bundesregierung bestimmte
diskutieren. Ich warte mit Interesse darauf, von klärungsbedürftige Tatbestände einer Klärung zu-
Ihnen brauchbarere Vorschläge zu hören, als sie führt und sich dabei der Hilfe von Wissenschaftlern
Ihrer Meinung nach die Anregungen der Münchener versichert. Aber es muß klar sein, daß bei allen
Länderkonferenz der SPD enthalten. solchen Unternehmungen die Freiheit der wissen-
schaftlichen Forschung einschließlich der Publikation
(Abg. Dr. Stoltenberg: Das ist fast schon ein
der Ergebnisse gewahrt bleibt.
Begräbnis zweiter Klasse!)
- Ach, Herr Stoltenberg, wenn schon Begräbnis, Wir werden uns erlauben, im Rahmen der Haus-
dann erster Klasse. haltsberatungen das zweite Beispiel eingehender zu
erörtern. Es handelt sich um das Bundesinstitut zur
Meine Damen und Herren, zum Punkt 3 unserer Erforschung des Marxismus — Leninismus in Köln.
Großen Anfrage darf ich mich sehr kurz fassen, zu- Wir sind der Meinung, daß ein Mehr an wissen-
mal mir Herr Dr. Martin keinen Grund gegeben hat, schaftlicher Spannweite und Freizügigkeit der Arbeit
mich mit Argumenten dazu auseinanderzusetzen. diesem Institut nur nützen könnte.
Ich teile nicht die Meinung, die der Bundesminister
des Innern in dem vorhin erwähnten Interview mit Es tut mir leid, Ihre Geduld noch eine kleine
der „Stuttgarter Zeitung" hat durchblicken lassen,- Weile in Anspruch nehmen zu müssen. Ich glaube
worin es heißt, der Minister verspreche sich von ebenso wie der Kollege Dr. Martin, daß man eine
einem solchen Gesetz nicht mehr als eine Ansamm- Begründung dieser vier konkreten Anliegen, die
lung von Gemeinplätzen. wir an die Bundesregierung in Form von Fragen
herangetragen haben, nicht geben kann, ohne sich
Man kann sehr wohl der Meinung sein, daß man
mit einigen allgemeineren kulturpolitischen Aspek-
ein solches Gesetz nicht als ein Kataloggesetz an-
ten, in diesem Falle in der Politik der Bundesregie-
legen sollte. Ich weiß nicht, wieweit wir darin mit
rung und der sie im wesentlichen tragenden Christ-
den Damen und Herren der CDU übereinstimmen
würden. Vielleicht wäre es besser, ein Rahmenge- lich-Demokratischen Union, auseinanderzusetzen. Sie
setz zu beschließen, für das als methodische Bei- werden uns nicht übelnehmen, meine Damen und
spiele etwa das Landwirtschaftsgesetz oder das Stra- Herren, daß wir nach dem Verlauf der politischen
ßenbaufinanzierungsgesetz herangezogen werden Entwicklung in der Bundesrepublik etwa nach dem
könnten. 13. August des letzten Jahres das Gefühl haben,
daß der Bundeskanzler dieses Staates der neuen
In jedem Fall, meine Damen und Herren, liegt Rangskala von Aufgaben in der Weltpolitik nicht
uns daran, in einem solchen Forschungsgesetz die mehr recht folgen kann.
Verpflichtung der Bundesregierung zu verankern,
dem Deutschen Bundestag in regelmäßigen Abstän- (Abg. Dr. Heck: Das ist doch ein alter Pro
den einen genauen Überblick über Stand und Pro- pagandatrick! — Abg. Dr. Martin meldet
blematik der wissenschaftlichen Forschung in der sich zu einer Zwischenfrage.)
Bundesrepublik zu geben, damit wir von Zeit zu — Bitte!
Zeit die Gelegenheit haben, uns in diesem Hause
darüber zu unterhalten, wie die Dinge stehen und
was weiter zu tun notwendig ist. Dr. Martin (CDU/CSU) : Herr Kollege, halten Sie
es für richtig, psychologisch statt sachlich zu argu-
Ich teile die Auffassung, die Herr Dr. Martin in
mentieren, und das gegenüber dem Regierungschef?
diesem Zusammenhang ausgesprochen hat, daß es
nicht darum geht, einen neuen Grabenkrieg zwi-
schen Bund und Ländern bei der Formulierung die- Lohmar (SPD) : Aber ich bitte Sie! Der Regie-
ses Gesetzes zu beginnen. Ich würde es deshalb be- rungschef entzieht sich doch wohl nicht einer poli-
grüßen, wenn Bundesregierung und Bundestag bei tischen Kritik!
dem Versuch, dieses Gesetz zu erarbeiten, von vorn-
herein eine enge Zusammenarbeit mit den Ländern (Abg. Dr. Martin: Dann legen Sie doch Fak
suchen würden. ten vor! Sie können doch nicht einfach
etwas behaupten! — Abg. Dr. Heck: Das
Meine Damen und Herren, im letzten Punkt un-
macht man nicht!)
serer Großen Anfrage betreffend die staatliche
Auftragsforschung haben wir uns erlaubt, auf ein — Der Sinn von Zwischenfragen besteht, wenn ich
Thema zurückzukommen, das dieses Parlament be- recht orientiert bin, darin, Fragen zu stellen.
reits in der 3. Legislaturperiode verschiedentlich
beschäftigt hat. Ich darf mich auf zwei Beispiele (Zurufe von der CDU/CSU: Es gibt auch
beschränken. Zwischenrufe!)
Mir ist bekannt, daß der Bundesverteidigungs- Die größte Regierungspartei ist nach meinem Ein-
minister in den letzten Monaten daran gegangen druck dieser allgemeinen Apathie ebenfalls erlegen.
ist, bestimmte Strukturprobleme in der Bundeswehr Wenn man es auf einen Nenner bringen wollte,
untersuchen zu lassen. Er hat darüber auch mit ließe sich sagen: Das kennzeichnende Merkmal des-
Wissenschaftlern verhandelt, aber im Hinblick auf sen, was die Regierungsparteien in den letzten Mo-
die wissenschaftliche Auswertung und die Publi- naten getan haben, war auch in dem Bereich, über
zierung der Forschungsergebnisse nicht immer die den wir heute reden: einen Willen zur politischen
720 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 20. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1962

Lohmar
Herrschaft zu dokumentieren, aber zugleich einen Aber dann wurden Probleme angesprochen und
Mangel an politischer Führung und Kooperation Ziele formuliert, die einer kritischen Würdigung be-
erkennen zu lassen. dürfen. Diese Tagung des Ellwanger Kreises fand
(Beifall bei der SPD.) statt nach dem Kulturkongreß der CDU in Gelsen-
kirchen und vor den Bundestagswahlen. Diese bei-
Meine Damen und Herren, ich muß Sie mit eini- den Ereignisse markieren den Verlauf der Tagung.
gen Gedanken dazu konfrontieren, die auf einer Herr Dr. Heck hat nach dem Protokoll sich zunächst
kulturpolitischen Tagung der CDU geäußert worden mit .dem Kulturkongreß in Gelsenkirchen auseinan-
sind. Es handelt sich bei den Teilnehmern dieser dergesetzt. Es heißt wörtlich:
Tagung nicht um eine, wenn man so will, nach
Deutschland versprengte kulturpolitische Gruppe der Der Angriff auf dem Kulturkongreß (in Gelsen-
OAS, kirchen von Direktor Hansler formuliert und
vorgetragen) auf den Neuhumanismus stieß auf
(Heiterkeit bei der SPD)
passive Resistenz in großen Teilen der eigenen
sondern es handelt sich um eine repräsentative Reihen.
Gruppe von Politikern der Christlich-Demokrati- (Hört! Hört! bei der SPD.)
schen Union, dreißig an der Zahl, die sich im ver-
gangenen Jahr zu einer Tagung im sogenannten Man kann, glaube ich,
Ellwanger Kreis zurückgezogen hatten. Darunter- — so der Kollege Heck —
findet man so exzellente Namen wie die von Probst
Asmussen, Bundestagspräsident D. Dr. Gersten- in diesem Punkt nicht von einem vollen Erfolg
maier, unserem Kollegen Dr. Heck, Herrn Prälat des Kongresses sprechen.
Kunst, Kultusminister Schütz, Ministerialdirektor
Dr. Sattler, Weihbischof Sedlmeier und Staats- Weiter:
sekretär Dr. Strauß. Die Bildungsidee von Humboldt ist eine achrist-
liche Bildungsidee.
(Abg. Dr. Heck: Wie besorgen Sie sich
eigentlich diese vertraulichen Protokolle, Dann weiter:
Herr Lohmar?)
Der Humanismus soll aber nicht völlig beseitigt
Meine Damen und Herren, wenn sich die innere werden;
Meinungsbildung in einer Partei zu Fragen, an (Lachen bei der SPD)
denen die Bürger des Staates wesentlich inter-
essiert sein müssen, auf andere Weise entwickelt, er ist vielmehr vom Religiösen her aufzuwer
als es das für den Außenstehenden erkennbare ten.
Profil dieser Partei vermuten läßt, dann besteht
Veranlassung, darüber öffentlich zu sprechen. Wenn Herr Staatssekretär Strauß hat sich erlaubt, diese
die Dinge so stehen, dann muß man wohl das Seine Zielsetzung in einem Referat über das Verhältnis
dazu tun, einen solchen Widerspruch offen und von Schule und Staat etwas ausführlicher darzu-
öffentlich einer Klärung zuzuführen. stellen. Ich darf mit der freundlichen Genehmigung
des Herrn Präsidenten einige Sätze aus seiner Rede
Der Kollege Martin hat vorhin in seiner Begrün- zitieren. Herr .Staatssekretär Strauß:
dung der Großen Anfrage gesagt, daß in dem plura-
listischen Charakter unserer Gesellschaft die not- Auf die Frage nach unserem Erziehungs- und
wendigen Kompromisse stabilisiert worden seien, Bildungsideal läßt sich nur antworten: Wir be-
wenn ich seine Formulierung richtig behalten habe. sitzen ein solches deal nicht.
Aus der Aufzeichnung über diese Tagung der Poli- (Hört! Hört! bei der SPD.)
tiker und Freunde der CDU ergibt sich — entschul-
digen Sie, Herr Dr. Martin — das genaue Gegen- Auch die Weimarer Epoche, die wir in die Jahre
teil. 1917 bis 1932 verlegen können, hatte noch ein
(Abg. Dr. Martin: Das werden wir diskutie- solches Erziehungs- und Bildungsideal. Es wurde
ren!) weitgehend bestimmt durch die Persönlichkeit
des Kultusministers Becker. Becker stand vor der
In den Referaten und Diskussionen der Tagung, Aufgabe, in seinen kulturpolitischen Bemühun-
über die das Protokoll Auskunft gibt, wurde Be- gen zu berücksichtigen: im kirchlichen Bereich
deutendes gesagt zur Problematik und Zielsetzung die von Kulturkampfgesinnungen und -stimmun-
unserer auswärtigen Kulturpolitik, über die Schwie- gen nicht freie Römisch-Katholische Kirche auf
rigkeit, die Entwicklung der Industriegesellschaft der einen Seite und die verfaßten, von mora-
programmatisch zu erfassen, über die Notwendig- lischer Überlieferung überlagerten evangelischen
keit, die Bürger der Bundesrepublik zu Selbstver- Landeskirchen auf .der anderen Seite; im poli-
antwortung und Opferbereitschaft anzuhalten, tischen Bereich das konservative, das liberale,
schließlich auch über die Beweggründe, die Christen das katholische und sozialistische Element. In-
beider Konfessionen nach 1945 zu einer gemein- folgedessen mußte sein Erziehungs- und Bil-
samen Arbeit in der Union zusammengeführt haben. dungsideal noch weicher und unbestimmter
Das alles kann und sollte auch .der politische Geg- sein als das der vorangegangenen Epoche, näm-
ner mit Verständnis und Achtung lesen. Ich habe lich eine humanitas, in der alle vier Elemente
das getan. wohnen und arbeiten konnten, zugleich aber
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 20. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1962 721
Lohmar
auch auskömmlichen Raum zur Austragung von Dann kommt der lakonische Hinweis:
Spannungen und Auseinandersetzungen bean- Solche radikalen Vorbilder existieren bereits
spruchten. Es war Aufgabe in anderen Ländern.
— meine Herren von der FDP, so heißt es hier — (Abg. Börner: In Portugal?!)
des liberalen 'Elementes, das Verbindende zu Ich weiß nicht, an welchen Ländern oder Vorbildern
suchen und zu sichern. Das war letztlich Sie sich orientiert haben.
— so schließt Herr Staatssekretär Strauß diesen Meine Damen und Herren, ich muß Ihnen sagen:
Absatz — Wenn ein demokratischer Staat, wenn eine Nation
eine Humanität, die in noch höherem Umfange auseinanderfallen soll, dann ist dies im Kulturpoli-
der metaphysischen Bindung entbehrte als die tischen der sicherste Weg, um zu diesem Ziel zu
1917/18 verklungene Epoche. kommen.
Nun, meine Damen und Herren, der arglose (Beifall bei der SPD und der FDP.)
Demokrat des Jahres 1962 wird sich nicht unbedingt In dem Protokoll ist mit Ausnahme der Rede, die
daran stoßen müssen, daß die Begründung der Herr Prälat Kunst gehalten hat, kein Wort über
Weimarer Republik hier abgegrenzt wird gegen einen Versuch zu finden, die Grundrechte unserer
eine sozusagen verklungene Epoche — man hört Verfassung, wie es der Deutsche Ausschuß getan
die Kaiserglocken läuten —; hat, zum Maßstab bei der Erarbeitung eines Erzie-
(Heiterkeit bei der SPD) hungs- und Bildungsideals zu wählen.

aber er wird doch meinen dürfen, daß sich die Nun, ich darf Ihnen überlassen, sich eine Meinung
Situation für den Kulturpolitiker heute prinzipiell über dieses Protokoll zu bilden. Ich möchte mit
genauso darstellt wie für den früheren Kultus- einigen Fragen dazu an die Christlich-Demokrati-
minister Becker. Denn wie anders ließen sich die im sche Union abschließen. Wollen Sie, meine Damen
Grundgesetz verbrieften Grundrechte für alle Bür- und Herren, einen freiheitlichen, vielfältigen, die
ger dieses Staates realisieren? Grundrechte unserer Verfassung umgreifenden Kul-
turstaat, wie ihn Herr Dr. Martin gefordert hat,
(Beifall bei der SPD.) oder wollen Sie einen neuen Kulturkampf unter
Staatssekretär Strauß, meine Damen und Herren, umgekehrten Vorzeichen, wie er sich als die Ziel-
ist anderer Ansicht. Ich zitiere: setzung der Gruppe, die auf dieser Tagung zusam-
men war, offenbart? Wollen Sie die Einheit der
Die gesamten Wissens- und Bildungselemente
deutschen Nation, soweit das in unserer Macht
müssen eingebaut werden in metaphysische Be-
steht, im Kulturellen und Geistigen bewahren, oder
trachtungen und Verbindlichkeiten und damit
wollen Sie das Trennende gegen das Gemeinsame
des heute unerträglich gewordenen Säkularisa- mobilisieren? Wollen Sie den pluralistischen Cha-
tionscharakters entkleidet werden. rakter dieser unserer Gesllschaft als ein Wesens-
(Hört! Hört! bei der SPD.) merkmal des demokratischen Gemeinwesens be-
jahen, oder nehmen Sie diese Vielfalt als ein einst-
Es ist klar, daß ein solches —
weilen nicht vermeidbares und notwendiges Übel in
— meine Herren, merken Sie jetzt gut auf! — Kauf?
Es ist klar, daß ein solches Erziehungs- und Man kann auch und gerade über eine einheitliche
Bildungsideal von der religiös und weltanschau- Wissenschaftspolitik nicht sprechen und sie nicht
lich neutralen Staatlichkeit nicht erarbeitet, da- betreiben, ohne daß man in diesen Fragen eine
gegen wohl gesichert und gefördert werden klare Haltung einnimmt. Sie auch von ,der Mehr-
kann. heitspartei dieses Hauses zu erfahren wäre ein
Wenn ich recht sehe, meine Damen und Herren, gutes Ergebnis dieser Debatte.
verliert hier der demokratische Staat unversehens (Beifall bei der SPD.)
seine Aufgabe, ein Dach für alle der Verfassung
Verpflichteten zu sein. Er wird in den Dienst für
eine spezifische Forderung nach einem, mit Verlaub
Vizepräsident Dr. Jaeger: Das Wort hat der
Abgeordnete Hellige.
gesagt, ahumanistischen Bildungsideal genommen.
Was heißt das praktisch?
Diese Tagung, von der ich spreche, hat dann die- Dr. Hellige (FDP) : Herr Präsident! Meine Da-
men und Herren! Wir haben unserer Großen An-
sen Vorschlag diskutiert, den ich Ihnen zur Kennt-
frage mit Absicht das Thema „Kulturpolitische
nis bringen will:
Aufgaben des Bundes" gegeben, weil wir der Mei-
Zu erwägen wäre folgender Vorschlag: nung sind, daß die Probleme der Forschungsförde-
rung nur symptomatisch sind für ungeklärte kultur-
Der ganze Bildungsetat sollte in Stipendien auf-
politische Kompetenzen auf Grund einer verfas-
geteilt werden. Mit dem Stipendium könnte je-
sungsrechtlich nach unserer Meinung nicht eindeutig
der auf die Schule gehen, auf die er gehen will.
geklärten Ausgangslage.
Der Staat würde dann die Bildung und Erzie-
hung, nicht die Schulen, finanzieren. Die Folge Wie verteilt das Grundgesetz die Kompetenzen
wäre eine breite Förderung des Privatschul- auf dem Gebiet der Kultur? Im Grunde liegt die
wesens. Kulturzuständigkeit bei den Ländern. Sache des
722 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 20. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1962
Dr. Hellige
Bundes allein aber sind die Beziehungen zum Aus- zwischen Bund und Ländern. Nach dem Grundgesetz
land und damit die Kulturarbeit im Ausland. In liegt das Recht der Kulturgesetzgebung bei den
Fragen der Repräsentanz arbeiten wir mit Behelfs- Ländern. Der Bund ist auf genau umrissene Auf-
konstruktionen. Jeder Staat wünscht sich einen ge- gaben beschränkt. Eine Verfassung hält aber stets
achteten Platz unter den Nationen. Früher legten nur einen Zustand fest. Entwicklungen, vor allem
wir Wert darauf, mit der „schimmernden Wehr" auf geistigem Gebiete, sind jedoch nicht immer in
das Ausland zu beeindrucken, und daneben ver- einen solchen Rahmen einzuspannen. Tatsächlich
ließen wir uns auf die Weltgeltung des „Made in ist heute eine Situation erreicht, in der dem Bund
Germany". Auch heute noch suchen wir unser An- Aufgaben zugewachsen sind, die, verfassungsmäßig
sehen darin, Lieferant aller Welt, Bankier aller gesehen, manchem strittig erscheinen mögen, die
Welt zu sein. Unterdessen ist es aber allgemeine aber ihrem Wesen nach ohne Zweifel nach einer
Erkenntnis geworden, daß der Stand unserer Tech- überregionalen Regelung verlangen. Hier käme es
nik und Wirtschaft nur gehalten werden kann bei nach unserer Meinung darauf an, nicht die Entwick-
vermehrter Anstrengung für Wissenschaft und For- lung auf den Stand des Gesetzes zurückzuschrauben,
schung, für Bildung und Ausbildung. Einsichtigen sondern unsere Organisation der Entwicklung anzu-
Geistern wird es immer mehr klar, daß die letzten passen. Dazu aber hat der Bund nach unserer Über-
Entscheidungen in der Ost-West-Auseinanderset- zeugung die Wege noch nicht beschritten.
zung, d. h. die Entscheidung über den Fortbestand
unserer freiheitlichen Gesellschaftsordnung auf gei- Zur Zeit haben wir keine kulturelle Repräsen-
stigem Gebiet fällt. Wir haben es noch nicht gelernt, tanz innerhalb der Bundesspitze. Mehrere Ministe-
unsere erwirtschafteten Gewinne unter diesem Ge- rien sind teilbeteiligt. Aber in diesen Ministerien ist
sichtspunkt sinnvoll zu investieren. Unsere Bundes- die Kulturaufgabe nur eine Nebenaufgabe, e in e Auf-
republik ist in den Augen vieler nachdenklicher und gabe neben anderen und dringlicheren. Wir verdan-
kultivierter Freunde ein typischer ungeistiger Neu- ken den 'deutschen Ländern und Städten fast alle
großen kulturellen Leistungen unserer Vergangen-
reicher unter den Staaten.
heit. Mit Stolz können wir auf die reiche Palette der
(Hört! Hört! bei der SPD.) deutschen Musenhöfe hinweisen, 'die allen deut-
schen Volksstämmen ihre eigene kulturelle Aus-
Unsere Literatur, unsere Musik, unsere bildende
prägung gestattete. Wir empfinden dankbar den
und darstellende Kunst hat bei mancher guten
Unterschied zu den Staaten im Westen, deren
Einzelleistung nicht mehr internationalen Rang.
Hauptstädte — ich nenne nur Paris — eine große
Unsere geistige Gestaltungskraft steht keineswegs
international normsetzende Kraft zeigen, deren
im geordneten Verhältnis zu unserem Lebens-
Provinzleben aber eben deshalb grau und trübe ist.
standard. An kritischen Stimmen aus dem In- und
Der Föderalismus hat seine tiefe Berechtigung. Er
Ausland fehlt es nicht. Um nur eine Stimme anzu-
hat sie vor allem dann, wenn die Teile gewillt sind,
führen: die Zeitung „Paris Match" hat sich vor we-
in der Pflege ihrer Tradition größere Leistungen zu
nigen Jahren in einem ausführlichen Leitartikel mit
erbringen und größere Anstrengungen auf sich zu
der deutschen Kunst befaßt. Ihr Urteil ist kurz und
nehmen, als es das Ganze vermöchte. Das ist oft
hart: „sec et nul" — ausgetrocknet und nichts. der Fall, leider aber nicht immer!
Nun, wir wollen nicht allzu schwarz sehen! Zwi- Wenn Leistungskraft und Leistungswille der Län-
schen Perioden hoher Produktivität liegen immer der den stets wachsenden Aufgaben genügen könn-
Zeiten der Dürre. Und wen sollte es schon wundern, ten, dann würde man angesichts ihrer Absicht, Teile
wenn unser Pegasus lahmgeht nach all dem, was der Bundeskompetenz auf diesem Gebiete an sich zu
wir ihm im letzten Menschenalter zugemutet haben? ziehen, nicht diese Fülle besorgter Stimmen aus
Wissenschaft, Wirtschaft und praktisch allein inter-
Natürlich kann man ein geistiges Klima nicht
essierten Kreisen der Öffentlichkeit hören. Diese
erzwingen. Aber man kann mit geeigneten Mitteln
Äußerungen entstammen doch nicht „einer rück-
den Klimawechsel herbeiführen helfen. In unserem
sichts- und bedenkenlosen Aktivität von Bonn, der
Fall sind diese Mittel organisatorischer Art. Hier
die Öffentlichkeit unkritisch und ressentimentgela-
vermissen wir beispielsweise schmerzlich eine echte
den erlegen ist", wie Herr Ministerpräsident Meyers
Hauptstadt, die in der Lage wäre, Maßstäbe zu
anzunehmen scheint. Sie kommen aus dem Munde
setzen. Wer das Berlin der zwanziger Jahre noch
der bestinformierten und legitimen Sachwalter
erlebt hat, diese weltoffene Stadt, die unser über-
unseres Kulturlebens und sind echter Besorgnis um
kommenes Kulturgut ebenso musterhaft pflegte, wie unser aller Zukunft entsprungen.
sie die Anregungen der Avantgarde begeistert auf-
nahm, der wird mir zustimmen. Wer sich damals in Die Länder würden dem Föderalismus einen bes-
Berlin durchgesetzt hatte, der war nicht nur in seren Dienst erweisen, wenn sie ihre eigene Kom-
Deutschland etwas, dem war Weltrang bescheinigt. petenz auf das beschränken wollten, was sie zu lei-
Heute leben wir in einer liebenswürdigen kleinen sten vermögen, und wenn sie das, was den Länder-
Stadt, die wir mit sehr viel Galanterie unsere Bun- rahmen überschreitet, gemeinsam mit idem Bund re-
deshauptstadt nennen. Sie scheint es gar nicht als gelten. Wir verkennen nicht, was die Länder getan
ihre Aufgabe zu empfinden, die Pflichten einer haben; wir schätzen ihre Bemühung, durch Hilfs-
echten Metropole zu übernehmen. konstruktionen das Fehlen einer unbestrittenen
Bundeskompetenz 211 ersetzen. Die Schuld daran,
Die organisatorischen Voraussetzungen, von de- daß die Forschungsförderung noch nicht bundesge-
nen ich soeben sprach, sind gebunden an eine be- setzlich geregelt ist, liegt nicht bei ihnen. Dem
friedigende Regelung der Frage der Kompetenz Bunde kommt die konkurrierende Gesetzgebung zu.
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 20. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1962 723
Dr. Hellige
Er muß also in Konkurrenz treten. Das hat er bisher daß sich auch in Straßburg eine kulturpolitische
nicht getan. Daher begrüßen wir die Initiative der Bürokratie entwickelt in Form eines Council for
SPD, die ihn dazu auffordert. cultural cooperation, dem der in Brüssel entste-
Nun wäre die Frage zu stellen, was unter „För- hende Kulturrat der EWG-Staaten gegenübersteht.
Der letzte könnte sich leicht zu einem kleineuro-
derung der Forschung" zu verstehen ist. Der Herr
bayerische Finanzminister möchte diesen Begriff päischen Kultusministerium entwickeln, dem die
möglichstenurbw.Emöchted Kultusminister auf Länderebene gegenüberstehen,
während die Bundesebene nicht geschlossen ver-
Bund sogar die Vollzugs- und Finanzierungsbefug-
nis vorenthalten. Ich glaube, über ein solche Über- treten, sondern in eine Vielzahl von Ministerien
zersplittert isst.
interpretation des Art. 74 Nr. 13 des Grundgesetzes
ist die Geschichte der letzten drei Wochen bereits Will ,die Bundesregierung hier auf eine einheit-
hinweggegangen. Die Deutsche Forschungsgemein- liche Repräsentanz verzichten? Und weiter: Welche
schaft, berufene Interpretin dieser Frage, sieht in Entwicklung in der Vielzahl institutioneller Ansätze
der Forschungsförderung — ich zitiere mit Geneh- auf internationaler Ebene will die Bundesregierung
migung des Herrn Präsidenten — „Maßnahmen or- fördern? Darum fragen wir:
ganisatorischer und finanzieller Art für die Durch-
führung von Forschungsarbeiten, Errichtung und Welche Vorstellungen hat die Bundesregierung
Unterhaltung von Forschungsstätten, andere Maß- von gemeinsamen Institutionen und Zuständig-
nahmen zum Nutzen der Forschung, wie etwa die- keiten auf dem Gebiet .der Kulturpolitik inner-
Förderung der Zusammenarbeit unter den Forschern halb der europäischen Gemeinschaften?
und die Förderung des wissenschaftlichen Nach- Als nach Schluß des letzten Krieges das Ansehen
wuchses". Das heißt: Honnef gehört nach Auffas- unseres Volkes in Gefahr war, völlig verlorenzu-
sung der Forschungsgemeinschaft zur Zuständigkeit gehen, da waren die Leistungen unserer Wissen-
des Bundes. schaft eines der wenigen Fundamente, auf denen
Es ist also notwendig, daß Bund und Länder sich ein Neuaufbau unserer Geltung begonnen werden
um eine Abgrenzung der Aufgaben im kulturpoli- konnte. Deutsche Professoren hatten Freunde und
tischen Bereich bemühen. Der Bundestag hat in Schüler in aller Welt, deutsche Universitäten waren
einem einstimmigen Beschluß am 1. Juli 1960 solche das Vorbild für den Aufbau des Hochschulwesens in
Verhandlungen angeregt und von der Bundesregie- manchem Land. Die sachliche Denkungsart des Wis-
rung einen Bericht über ihr Ergebnis bis zur Ein- senschaftlers hatte den Haß nicht recht aufkommen
bringung des Haushalts 1961 gefordert. Dieser Be- lassen. Es waren vor allem Forscher, die unter der
richt ist nicht gegeben worden. Deshalb fragen wir Herrschaft des Nationalsozialismus ihre Heimat ver
die Bundesregierung: lassen mußten, die sich gleich nach Kriegsschluß be
mühten, die zerschlissenen Fäden neu zu knüpfen.
Warum hat die Bundesregierung den einstim- Wenn Staatsmänner, Politiker und Heerführer, die
migen Beschluß des Deutschen Bundestages einst bei uns so hoch respektiert waren, ihren Ruf
vom 1. Juli 1960 nicht ausgeführt, mit dem sie verloren hatten — das Ansehen der deutschen Wis-
aufgefordert wurde, „die Verhandlungen mit senschaft hatte auch im Ausland im ganzen die Tur-
den Ländern über die Abgrenzung der Auf- bulenz der Zeit überstanden.
gaben im kulturellen Bereich möglichst bald
abzuschließen und .dem Bundestag über das Er- Wieviel mußte uns daran liegen, diese uns so
gebnis dieser Verhandlungen bis zur Einbrin- günstige Position auszubauen! Und was ist in Wirk-
gung des Haushalts 1961 schriftlich zu berich- lichkeit geschehen?
ten? Heute sind deutsche Wissenschaft und deutsche
Weil diese geforderte Antwort bis heute nicht ge- Schulen im Ausland überall im Rückzuge. Ich möchte
geben wurde, müssen wir weiter fragen: Ihnen das an einem besonders eindrücklichen Bei-
spiel demonstrieren. In der Türkei waren bis zum
Teilt die Bundesregierung die Auffassung ein- Schluß des letzten Krieges ganze Hochschulfakul-
zelner Bundesländer, daß kulturelle Aufgaben, täten als deutschsprachig zu bezeichnen. Als unsere
die bisher der Bund wahrgenommen hat, an die Gelehrten mit Kriegsschluß das Land räumen muß-
Länder abgetreten werden sollen? ten, traten Amerikaner und vor allem Franzosen an
Im 19. Jahrhundert sind wir aus Preußen, Bayern ihre Stelle. Heute wirken nach Auskunft des Deut-
und Staatsbürgern von Reuß ältere Linie Deutsche schen Akademischen Austauschdienstes nur noch
geworden. Im 20. Jahrhundert sind wir auf dem neun deutsche Wissenschaftler in diesem uns schon
Wege, aus Deutschen und im Bewußtsein, Deutsche so lange befreundeten Land.
zu sein, Europäer zu werden. Wir begrüßen alle Wie sieht es in den übrigen Staaten des islami-
Bemühungen um eine politische und kulturelle Eini- schen Orients aus, in Ländern, in denen wir Deutsche
gung Europas. Aus unserer Geschichte haben wir noch immer sehr geschätzt und angesehen sind, weil
Verständnis für die Vielfalt der Gebilde in unserem uns eine günstige politische Entwicklung früh genug
Vaterland. Wir sehen aber nicht ohne Sorge die von der undankbaren Kolonialarbeit befreit hat?
größere Vielfalt internationaler Gremien und supra- Wieviel deutsche Wissenschaftler wirken in diesen
nationaler Institutionen, an die wir Teile unserer Ländern? Ich gebe Ihnen die Zahlen nach einer Aus-
Souveränität zu geben bereit sind. kunft der westdeutschen Rektorenkonferenz aus dem
Unschön ist die Zweigleisigkeit, ja die Rivalität Jahre 1960. Es wurde mir versichert, daß sich seit-
zwschen Brüssel und Straßburg, die jetzt dazu führt, dem nichts Wesentliches geändert hat: Ägypten 2,
724 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 20. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1962

Dr. Hellige
Afghanistan 2, Irak 5, Iran 3, Libyen 1, Syrien 1, im rechte in der Bundesrepublik 35, keine Altersversor
ganzen westlichen Islam, also in den Ländern Tunis, gung hatten 91, unbestimmte Aussicht auf Alters-
Algerien und Marokko: nicht ein einziger. Einige sicherung 52. So sehr erwünscht die Tätigkeit dieser
wenige Daten aus nichtislamischen Ländern: Äthio- Herren ist, es gibt bisher keine Möglichkeit seitens
pien 1, Japan 2 und auf dem riesigen indischen Sub- des Bundes oder der Länder, ihnen Pension oder
kontinent 1. Das sind doch alarmierende Tatsachen! Rente zuzusichern. Dieser Zustand ist natürlich dem
Bund und den Ländern bekannt. Beide haben Maß-
Ist es nun etwa so, daß diese Länder kein Inter- nahmen getroffen, um die Lage dieser Dozenten zu
esse an der Mitarbeit deutscher Gelehrter zeigen? verbessern. Urteilen Sie selbst, ob diese Maßnah-
Keineswegs! Universitäten islamischer Länder haben men genügen: Der Bund hat in Kap. 06 02 Tit. 618
sich — von unseren Auslandsvertretungen unter- des Bundeshaushalts 1959 50 000 DM eingestellt,
stützt — vielfach um deutsche Wissenschaftler be- die deutschen Gelehrten den Übergang von der Aus-
müht. Das Stück 39 der Empfehlungen, Entschlie- landstätigkeit bis zur Erlangung einer ausreichen-
ßungen und Nachrichten der Westdeutschen Rek- den Existenz in der Bundesrepublik erleichtern sol-
torenkonferenz aus dem Jahre 1960 gibt genügend len. Sie sind kaum in Anspruch genommen worden.
Material. Ein Beispiel für viele:
Die Ständige Konferenz der Kultusminister hat
Der frühere Bundesminister Oberländer hatte von auf Bitte der Westdeutschen Rektorenkonferenz, des
einer Reise nach Teheran ein Angebot des Rektors Hochschulverbandes, der Deutschen Forschungsge-
mitgebracht, 18 aus Mitteldeutschland geflüchtete- meinschaft und des Deutschen Akademischen Aus-
Hochschullehrer in die dortige Universität zu über- tauschdienstes im März 1956 eine Empfehlung zur
nehmen. 6 der 17 von der Rektorenkonferenz aus- Schaffung von Leerstellen beschlossen, in denen im
gewählten Herren ließen sich auf ernsthafte Ver- Ausland tätige Gelehrte geführt werden sollen.
handlungen ein. Angenommen hat nicht ein ein- Zweieinhalb Jahre später, am 20. Dezember 1958,
ziger! Was ist der Grund? Ich zitiere den Bericht der teilt die Konferenz der Kulturabteilung des Auswär-
Rektorenkonferenz wörtlich: tigen Amtes mit, daß Niedersachsen und Schleswig
De facto ist es heute so, daß der Entschluß zur Holstein solche Leerstellen bewilligt hatten; andere
Lehrtätigkeit im Ausland gleichbedeutend mit Länder wollten im konkreten Einzelfall die Sicher-
dem Entschluß ist, die akademische Laufbahn in stellung ins Ausland gehender Wissenschaftler ge-
Deutschland nicht mehr fortzusetzen. währleisten.

Die Gründe: Es kann für die Herren kein Lehrstuhl Meine Damen und Herren, ist es ein Wunder, daß
freigehalten werden. Sie können nicht Mitglieder unsere Gelehrten kaum geneigt sind, die für unser
ihrer Fakultät bleiben. Die Verbindung mit ihnen Ansehen so wichtigen Auslandsaufgaben zu über-
und die Beurteilung ihrer wissenschaftlichen Arbeit nehmen? Die Dezentralisierung unseres Bildungswe-
ist nicht aufrechtzuerhalten. Die Rektorenkonferenz sens ist den Aufgaben der Zeit nicht gewachsen.
schreibt wörtlich weiter: Vor den Anforderungen der Zukunft wird sie völlig
versagen. An Vorschlägen seitens der Wissenschaft
Daraus ergibt sich die kuriose Situation, daß zur Sicherung solcher Herren hat es nicht gefehlt;
dem fast ängstlich im Lande bleibenden akade- sie können im Stück 39 der Empfehlungen, Entschlie-
mischen Nachwuchs eine Gruppe akademischer ßungen und Nachrichten der Westdeutschen Rekto-
Starreisender gegenübersteht, die, da sie beruf- renkonferenz aus dem Jahre 1960 nachgelesen wer-
lich keine Schwierigkeiten mehr zu befürchten den.
- immer wieder Forschungs-, Vorlesungs
haben, Erst Ende vergangenen Jahres ist auf Initiative
und Lehraufträge im Ausland übernehmen. der Rektorenkonferenz eine Vermittlungsstelle für
Gewiß sind solche Reisen von Trägern geachteter deutsche Wissenschaftler im Ausland geschaffen
Namen im Ausland sehr erwünscht. Ihre Wirkung worden, die diese Probleme unter ständiger Abstim-
könnte aber wesentlich gesteigert werden, wenn sie mung zwischen Kultusministerkonferenz, Kultus-
von einer Nachwuchskraft begleitet würden, die ministerien der Länder, Rektorenkonferenz und Kul-
dann im Lande bleibt, um die erreichten Erfolge turabteilung des Auswärtigen Amtes zu lösen ver-
auszubauen. Das zu verwirklichen ist aber infolge sucht. Es hat sehr lange gedauert, bis eine solche
der erwähnten Schwierigkeiten leider kaum möglich. von vielen Seiten längst geforderte Einrichtung ent-
stehen konnte. Wir würden von der Bundesregie-
Worin liegt denn nun die causa causarum dieser rung gerne hören, welche Ergebnisse bisher erreicht
Ärgernisse? Die Rektorenkonferenz gibt sie an; ich wurden. Ist die Regierung davon überzeugt, daß
zitiere wörtlich: „in der föderalistischen Struktur durch die Schaffung dieser Stelle eine sichere Ge-
der Bundesrepublik, die es mit sich bringt, daß keine währ für die Lösung der zukünftigen Probleme ge-
zentrale Zuständigkeit für die Betreuung dieser geben ist?
Herren mehr besteht". Mit den deutschen Schulen im Ausland sieht es
Prüfen wir doch einmal die Lage unserer Forscher etwas besser aus. Die Schwierigkeiten sind hier an-
im Auslande in Hinsicht auf ihre soziale Sicherung. derer Art. Der Pädagoge, vor allem aber der Schul-
1960/61 lehrten in Asien, Afrika und Lateinamerika leiter, ist im Ausland in einer schwierigen Position.
etwas über 200 deutsche Dozenten. Nur ein knappes Er ist Beamter eines Landes der Bundesrepublik,
Drittel davon waren Professoren. Über 130 der Her- in der Regel auf fünf Jahre beurlaubt. Zugleich ist
ren, also die größere Hälfte, waren nicht habilitiert. er Angestellter eines örtlichen deutschen Schul-
Fast die Hälfte der Gesamtzahl war über 50 Jahre alt. vereins. Die Vorstandsmitglieder dieses Schulvereins
Aussicht auf Altersversorgung hatten: durch die haben oft recht widersprechende Auffassungen von
ausländischen Universitäten 32, durch Beamten- der Aufgabe einer deutschen Schule. Der Schulleiter
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 20. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1962 725
Dr. Hellige
und sein Lehrkörper sind überdies gebunden an ihres Lebens einmal in Mitteldeutschland aufgehal
Anordnungen der Kultusbehörden des Gastlandes. ten hat. Daraus leitet man das Recht auf alleinige
Zwischen den pädagogischen Auffassungen, die der Pflege ihrer Tradition ab. Man versäumt nie, darauf
Lehrkörper aus Deutschland mitgebracht hat, und hinzuweisen, wie teuer dem Regime diese Pflege
denen der Gastländer gibt es oft recht erhebliche sei. Die „Nationalen Gedenkstätten" für unsere Wei-
Unstimmigkeiten. Wenn es zu Auseinandersetzun- marer Klassiker, für Bach, Händel und Luther wer-
gen kommt, ist die schwierige Frage des Rechts- den immer wieder herausgestellt.
schutzes bedeutsam. So betreibt die Zone vorrangig mit Mitteln der
Wir halten daher die Gründung einer Stiftung Kulturpolitik ihre Anerkennung als d e r legitime
für notwendig, die das Vermögen der Schulen ver- deutsche Staat. Ulbricht als Erbe des deutschen
walten soll, der die Schulleiter verantwortlich sein Humanismus! Diese Idee erscheint uns grotesk und
müssen, die bei der Auswahl und Vorbereitung der unwirksam. Aber erscheint sie allen so? Auch denen,
Lehrer mitwirkt und die schließlich den erforder- die mit dem deutschen Geistesleben, ja mit euro-
lichen Rechtsschutz garantiert. päischer Geistigkeit nur wenig vertraut sind? Da-
Wir fragen die Bundesregierung: bei stehen wir erst in den Anfängen der Propagan-
datätigkeit der Zone. Noch hat sie keine Auslands-
Was beabsichtigt die Bundesregierung zu tun, schulen. Sie sind aber in Vorbereitung. Die Lehrer
um die rechtliche, besoldungsmäßige und soziale dafür werden vom Herder-Institut in Leipzig gründ-
Stellung deutscher Dozenten und Lehrer sowie - lich geschult.
ihre berufliche Entwicklung während ihrer Aus-
landstätigkeit und bei ihrer Rückkehr zu In der Sorge um diese Entwicklung fragen wir die
sichern? Bundesregierung:

Die Frage der Repräsentanz deutscher Kultur im Wie will die Bundesregierung der Propaganda
Ausland gewinnt besondere Bedeutung durch die des Zonenregimes mit dem „Deutschen Kultur-
Tatsache, daß die Bundesrepublik nicht der einzige erbe" im Ausland, besonders in den Entwick-
Staat deutscher Sprache ist. Osterreich und die lungsländern, wirkungsvoll entgegentreten?
Schweiz stellen freilich keine Probleme. Dagegen Meine Damen und Herren, die Notwendigkeit
werden wir uns sehr gewissenhaft mit der Kultur- einer großzügigen Hilfe auf dem Kulturgebiet für
politik beschäftigen müssen, die die sogenannte Berlin zu begründen, kann ich mir ersparen. Hier-
DDR treibt. Wie alle Vokabeln dort einen anderen über herrscht in diesem Hause und in der Bundes-
Inhalt umschreiben, so auch das Wort „Kulturpoli- republik volle Einigkeit. Wir alle möchten Berlin zur
tik". Hier bedeutet es in der Tat „Politik mit Hilfe deutschen Hauptstadt des Geistes machen.
der Kultur".
(Zustimmung bei der FDP.)
Damit soll nun keineswegs gesagt sein, daß alles,
was dort drüben geschieht, von Übel sei. Es ist Dabei sind wir der Meinung, daß solche Einrich-
zu billig, zu sagen: Das ist bloß „kultura", das tungen in Berlin gefördert werden sollten, die die
hat keinen Wert. Auf dem Gebiete der Erhaltung Lage der Stadt nicht belasten. Wir halten es für
des überkommenen Kunstgutes und in der musika- erwägenswert, Einrichtungen der UNESCO in Berlin
lischen Interpretation kann die Zone auf wirkliche zu etablieren. Bei unserer föderalistischen Struktur
Leistungen hinweisen. Es sind ja auch Deutsche, müssen Vorschläge, die das Erziehungswesen betref-
die drüben arbeiten, und unter ihnen das fleißige, fen, vom Land Berlin selbst gemacht werden. Sie
wendige und ideenreiche Völkchen einer unserer sind vom Bund nachhaltig zu unterstützen. Auch
fruchtbarsten Kulturlandschaften, des sächsisch kulturelle Einrichtungen, wie Museen, Theater und
thüringischen Raumes, eines Raumes, der uns eine Orchester, bedürfen der Mitfinanzierung durch den
so reiche Fülle hervorragender Begabungen ge- Bund. Nur auf dem Gebiet der Forschungsförderung
schenkt hat. Es bedrückt uns aufrichtig, daß unseren hat der Bund auch hier eigene Kompetenzen.
Landsleuten dort die Voraussetzung für jede schöp- Nach unserer Meinung ist ein wesentlich schnel-
ferische Arbeit genommen worden ist: die Freiheit. lerer Ausbau der Berliner Hochschulen und For-
So steril die Zone für das elementar-künstlerische schungsinstitute vonnöten. Sieht sich der Bund in'
Schaffen ist, so geschickt versteht das dortige Re- der Lage, die langfristige Planung zum Ausbau die-
gime, sich des deutschen Kulturerbes zu propagan- ser Anstalten auf höchstens fünf Jahre zu kürzen?
distischen Zwecken zu bedienen. Unter Nutzung des Bestehen weitere konkrete Pläne?
Vorteils einer straffen Zentralisierung und unter Wir fragen daher die Bundesregierung:
Aufwand erheblicher Mittel wird wissenschaftliche
und schöne Literatur in großen Mengen an die Ent- Ist die Bundesregierung bereit, Vorschläge zu
wicklungsländer, ja an die Gewerkschaften und entwickeln und Mittel zur Verfügung zu stellen,
Arbeiterparteien der freien Welt versandt. In den um in Berlin wissenschaftliche Einrichtungen
Einführungen zu den Editionen fehlt nie der Hin- mit internationalem Rang neu zu errichten oder
weis, daß die deutschen Geistesgrößen „fortschritt- auszubauen?
liche Menschen" im Sinne der Klassenkampftheorie Wind sie zudem kulturelle Einrichtungen inter-
waren, daß sie also auch heute gewiß an der Seite nationaler Träger in Berlin fördern?
der Unterdrückten stehen und gegen Kapitalismus
und Kolonialherrschaft auftreten würden. Man weist Der Bund muß sich der ihm vom Grundgesetz ge-
darauf hin, daß sich die große Zahl der deutschen gebenen Kompetenzen bedienen. Er muß ein For-
Dichter, Denker und Musiker zu irgendeiner Zeit schungsförderungsgesetz und ein Gesetz zum
726 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 20. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1962

Dr. Hellige
Schutze deutschen Kulturgutes gegen Abwanderung stimmung zuseinen Abweichungen bekommen hat,
ins Ausland schnellstmöglich vorlegen. Der Bund so daß ebenfalls kein Vorwurf zu erheben wäre, und
muß für eine aktive Kultur-Außenpolitik und für daß der Bund keine Rechte usurpiert hat und darüber
die Repräsentation der (deutschen Kultur nach außen hinaus, wie das noch im einzelnen darzulegen sein
die unbedingt erforderlichen organisatorischen Vor- wird, seine ganze Mitwirkung im einzelnen aufs
aussetzungen schaffen: durch Zusammenfassung engste mit den Ländern abgestimmt hat. Die Bundes-
aller Ressorts, die sich mit kultur- und wissen- regierung hat noch niemals die Zuständigkeit der
schaftsfördernden Maßnahmen befassen, unter Länder im kulturellen Bereich bestritten und erkennt
einem Leiter mit Kabinettsrang. Ihm sollte ein Kul- bei dieser Gelegenheit sehr dankbar die wirklich
turfonds zur Verfügung stehen, in den alle für die großen Leistungen auch der finanzschwachen Länder
Förderung von Kultur und Forschung ausgewiese- im kulturellen Bereich an. Ich verstehe den von den
nen Mittel überführt werden. Der Bund sollte mög- drei Rednern gelegentlich vorgetragenen Kultur-
lichst bald durch Verhandlungen mit den Ländern pessimismus nicht. Ich werde noch Gelegenheit
eine Klärung der noch ausstehenden Kompetenz- haben, meine sehr geehrten Damen und Herren,
fragen herbeiführen. Diese Verhandlungen müssen Ihnen ein Gesamttableau vorzulegen, und Sie wer-
vom Geiste der Partnerschaft und der hohen Ver- den erstaunt sein, was nun wirklich alles von dieser
pflichtung gegenüber der gemeinsamen Vergangen- „rückständigen Regierung" in dieser „rückständigen
heit und der Zukunft getragen sein. Bundesrepublik" geleistet worden ist, und das alles
- in dieser kurzen Zeit.
(Beifall bei den Regierungsparteien.)
(Beifall bei den Regierungsparteien.)
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Das Wort
Es erhebt sich außerdem die Frage, ob es für
hat der Herr Bundesminister des Innern.
unser Ansehen besonders vorteilhaft ist, ausgerech-
net in dem Augenblick, in dem wir auf europäischer
Höcherl, Bundesminister des Innern: Herr Prä- und darüber hinausreichender Ebene auf dem Gebiet
sident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! der Wissenschaft und Forschung alle freiheitlichen
Das Hohe Haus hat für die drei Großen Anfragen, Kräfte zusammenführen wollen, uns gerade im eige-
die von der Kulturpolitik bis zur Förderung der wis- nen Hause einen Streit über kulturpolitische Kom-
senschaftlichen Forschung reichen, sich also einen petenzen zwischen Bund und Ländren zu leisten. Ich
großen Rahmen gestellt haben, nach der Auffassung vermute eher, daß wir uns damit etwas lächerlich
der Bundesregierung einen besonders günstigen machen können.
Zeitpunkt gefunden. Ich ziele dabei gar nicht so
sehr auf das Intermezzo ab, das uns im Verlauf des Ich darf nun in die Beantwortung der Großen An-
Wortgeplänkels über den Haushaltsausgleich 1962 fragen eintreten und bitte Sie, mir zu gestatten, daß
im Verhältnis zwischen Bund und Ländern beschert ich mit der Großen Anfrage der CDU/CSU beginne,
worden ist. Die ursprünglich, wie ich meine, recht — nicht weil ich selber ihr angehöre, sondern weil
affektgeladenen und nach Temperamenten abge- ich der Meinung bin, daß mir ihre Fragestellung die
stuften Auseinandersetzungen sind wohl in diesen Möglichkeit gibt, die Gesamtbilanz über die Lei-
wenigen Wochen einer nüchternen Betrachtung ge- stung der Bundesrepublik auf dem Gebiet von Wis-
wichen. senschaft und Forschung und einen Vorausblick
über die dringlichen Vorhaben für die Zukunft zu
Es war aber doch recht interessant, zu beobachten,
geben.
wieviele freiwillige Hilfsgruppen und Hilfstruppen
aus dem Bereich des Geisteslebens und der wissen- Die Forschung von heute sichert die Existenz von
schaftlichen Organisationen — von allen Parteien er- morgen. Wissenschaft und Forschung sind in unse-
freulicherweise — sowie der öffentlichen Meinung rem Jahrhundert in einem umfassenderen Sinne als
und der Wirtschaft sich in dieser Streitfrage spon- je zuvor Gegenstand der politischen Vorsorge. —
tan auf die Seite des Bundes gestellt und mit Lei- Das ist alles schon ausgeführt warden. — Was
denschaft die Mitwirkung des Bundes in gewissen heute nicht für die Wissenschaft getan wird, wird
kulturellen Bereichen verteidigt haben. Ich bin der morgen für die Menschen ohne Arbeit und Brot ge-
Meinung, daß unabhängig von der für den Bund tan werden müssen. Dieser Satz hat in keinem Land
durchaus günstigen verfassungsrechtlichen Situation mehr Berechtigung als gerade in der Bundesrepublik,
die Gegner einer Mitwirkung des Bundes im kultu- die durch Bevölkerungsdichte und Rohstoffarmut zu
rellen Bereich diese fast einmütig geschlossene Hal- Höchstleistungen gezwungen ist. Ich will Ihnen in
tung der öffentlichen Meinung nicht übersehen diesem Zusammenhang nur eine einzige Zahl nen-
sollten. nen: Nach der voraussichtlichen Bevölkerungsent-
Ich halte es für richtig, kulturelle Fragen nicht als wicklung wird das deutsche Volk in absehbarer Zeit
Kompetenzfragen abzuhandeln und zu betrachten. nur noch 1 bis 2 % der Weltbevölkerung darstellen.
Ihrem Wesen entspricht es mehr, einen Weg der Was wir hier relativ an Quantität verlieren, muß
Kooperation und der Zusammenarbeit zu suchen. durch höchste Qualität kompensiert werden. In
unseren Bemühungen, uns in einer sich so veränder-
(Zustimmung bei der CDU/CSU.) ten Welt zu behaupten, werden wir zwar die Unter-
Wer mit der, Entstehungsgeschichte der kultur- stützung aller unserer Freunde und Verbündeten in
politischen Arbeit des Bundes vertraut ist, weiß der freien Welt finden, mit denen wir auch auf dem
nämlich, daß der Bund sich streng in dem Bereich Gebiet von Wissenschaft und Forschung zu einer
seiner Zuständigkeiten gehalten und dort, wo das immer engeren Gemeinschaft und Zusammenarbeit
nicht der Fall gewesen sein sollte, immer die Zu kommen müssen. Wir werden aber als Partner nur
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 20. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1962 727

Bundesinnenminister Höcherl
dann interessant sein, wenn wir mit eigenen Lei- gingen, den raschen Aufbau allein zu bewältigen.
stungen aufzuwarten haben. Und wer will hier in einem solchen Zusammenhang,
in einer solchen Situation noch von Kompetenzfra-
Eine besondere Herausforderung an die freiheit-
gen sprechen, wo unmittelbare, dringendste Aufga-
liche Welt ist durch die gewaltigen Anstrengungen
ben angestanden sind! Sofort nach dem Kriege, ver-
des Ostblocks und insbesondere Sowjetrußlands ge-
stärkt in der Zeit nach der Währungsreform, setzte
geben. Der Osten stellt Wissenschaft und Forschung
— erfreulicherweise — ein unerhörter Ansturm auf
ganz bewußt in den Dienst seiner weltrevolutionä-
die wissenschaftlichen Hochschulen ein. 1961 waren
ren Absichten. Lerneifer und Leistungswille werden
es 232 000 Studenten an den Universitäten und
in der Jugend der kommunistisch regierten Welt
Technischen Hochschulen des Bundesgebietes. Trotz
unerhört angestachelt und dauernd lebendig gehal-
der etwas schwächeren Jahrgänge, die jetzt vor uns
ten. Der Westen wird in der Spannung zwischen
stehen, müssen wir für das Jahr 1970 mit einer Zahl
Ost und West nur bestehen können, wenn er seine
von annähernd 300 000 Studenten rechnen. Die mo-
wissenschaftliche Tradition unter der Parole unein-
derne Entwicklung zeigt außerdem eine deutliche
geschränkter Freiheit auf eine dynamische Aktivität
Verlagerung des beruflichen Schwerpunktes in den
in die Gegenwart überträgt. Das ist eine fort-
Bereich der Dienstleistungen höherer Art. Davon
dauernde und laufende Aufgabe. Eine gründliche
leiten sich auch der Rang und die Bedeutung eines
Analyse der euopäischen Kulturentwicklung, die die
Volkes ab.
ganze Welt befruchtet hat, und der Wiederaufbau,
wie er nach dem Kriege geleistet worden ist, zeigen
- Um sich beim Wiederaufbau und beim Ausbau der
uns, daß unsere freiheitlichen Arbeitsprinzipien wissenschaftlichen Hochschulen eine fachgerechte
durchaus geeignet sind, diesen geistigen Wettbewerb Beratung zu sichern, haben im Jahre 1957 Bund und
zu bestehen, wenn wir nur in der Lage und befähigt Länder in vorbildlichem Zusammenwirken mit der
sind, sie zu entfachen und sie dauernd aktiv zu hal- Wissenschaft die Einrichtung des Wissenschaftsrates
ten. geschaffen, der 1958 seine Tätigkeit aufgenommen
und im Jahre 1960 den Ihnen allen bekannten gro-
Doch nicht nur die Sorge um die Zukunft unseres ßen Bericht über den Ausbau der wissenschaftlichen
eigenen Volkes, nicht nur solche Nützlichkeitserwä- Hochschulen vorgelegt hat.
gungen auch existenzieller Art sollten uns veranlas-
sen, der Förderung von Wissenschaft und Forschung Wir haben damit den ersten Teil eines von ersten
alle Kräfte zu leihen, sondern wir sollten uns dazu und besten Sachkennern ausgearbeiteten nationalen
auch durch den Wunsch bestimmen lassen, den Men- Förderungsprogramms, das im Ausland große Be-
schen außerhalb unserer Grenzen, besonders auch in achtung und vielfache Nachahmung gefunden hat.
den Entwicklungsländern zu helfen. Diese Länder Ich möchte bei dieser Gelegenheit den Männern,
I brauchen nicht nur Almosen und, wie es vorhin ge- die im Wissenschaftsrat wirken, meinen Dank und
heißen hat, Darlehen, weil wir uns als Weltbankier meine Anerkennung aussprechen für die selbstlose,
gerieren, sowie wirtschaftliche und finanzielle Hilfe, hervorragende Arbeit, die sie ehrenamtlich — und
sondern vielleicht noch mehr die Hilfe unserer Wis- ich wiederhole das: ehrenamtlich — unter großem
senschaft und Forschung, um sich selbst in die Lage Zeitaufwand geleistet haben.
zu versetzen -- und das ist doch der eigentliche
(Beifall bei allen Fraktionen.)
Sinn jeder vernünftigen Entwicklungshilfe —, den
Übergang in die modernen Lebensformen zu finden. Ich darf nun wieder auf die meßbaren Leistungen
Sie müssen in die Lage versetzt werden, ihre Pro- zurückkommen und erwähnen, daß -die Länder von
bleme aus eigener Kraft zu meistern. Wir vertrauen 1949 bis 1959 allein 1500 Millionen DM Baumittel
dabei zuversichtlich darauf, daß die Begegnung mit für die Hochschulen aufgewendet haben. Der Bund
der geistigen Welt des Westens die führenden hat seit 1956 dazu 400 Millionen DM beigesteuert
Kreise der Entwicklungsländer gegen die Irrlehren und sieht sich in seinen Bemühungen vor allem
des Kommunismus immunisieren wird. deshalb bestätigt, weil diese Spitzenfinanzierung —
Ich wende mich nun den einzelnen Schwerpunkten und nur darauf kommt es ihm an, den Anreiz zu
der kulturpolitischen Arbeit des Bundes zu und darf bieten — eine Verdreifachung des Bauvolumens im
mit dem Auf- und Ausbau der wissenschaftlichen Bereich der wissenschaftlichen Hochschulen erbracht
Hochschulen beginnen. Es ist nie bestritten worden, hat.
daß die Länder die Träger der wissenschaftlichen Der Plan des Wissenschaftsrates und -die Mit-
Hochschulen sind und daß sie es bleiben müssen. wirkung -des Bundes haben zum besonderen Ziel,
Wenn sich der Bund trotzdem seit dem Jahre 1956 daß auch die finanzschwachen Länder im Ausbau
zunächst mit Mitteln zur Erhöhung des Sachetats zu der Hochschulen Schritt halten können — das ist
einer besseren Ausstattung und ab 1958 mit Beiträ- also die Ausgleichsfunktion — und daß eine über
gen für den Ausbau und Wiederaufbau von wissen- das ganze -Bundesgebiet reichende Planung mit Bil-
schaftlichen Hochschulen eingeschaltet hat, dann hat dung von Schwerpunkten ohne Rücksicht auf Län-
er das aus mehreren Gründen getan. 60 % — meine dergrenzen zustande kommt. Der Bund hat sich
Damen und Herren, ich muß Ihnen diese Zahl in Er- seit dem Jahre 1958 mit 50 % an den Kosten der
innerung rufen — der Bauten und der Ausstattung Bauten beteiligt. Insgesamt ist eine Planung von
unserer Hochschulen wurden durch Kriegseinwir- über einer Milliarde für den Bund vorgesehen. Es
kungen zerstört. Lange Jahre gab es keinen Kon- wird zu überlegen sein, meine sehr verehrten Da-
takt zwischen der Wissenschaft und Forschung in men und Herren, ob nicht künftig -die Beteiligung
unserem Lande und Forschungsstätten des Auslan- nach der Leistungsfähigkeit -der Länder nach einem
des. Es wäre über die Kraft der Länder hinausge Leistungsschlüssel etwas abgestuft werden sollte.
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Bundesinnenminister Höcherl
Bereits im ersten Teil seines Gutachtens hat der noch durchaus gültig ist. Sie sollte Gelehrten, die
Wissenschaftsrat die Fragen der Hochschulreform sich nur der Forschung widmen, in voller Frei-
angesprochen, ohne sie zu vertiefen. Die Bundes- heit ihre Arbeit ermöglichen, sie vollständig von
regierung begrüßt es, daß er jetzt diese Fragen anderen Verpflichtungen freistellen und die Erfor-
in seine Beratungen mit einbezieht. Mit seiner schung von Grenzgebieten sichern, die inzwischen
Autorität und seiner von allgemeiner Zustimmung Schwerpunkte geworden sind, um auf diese Weise
getragenen Legitimation wird er untersuchen, ob Fachrichtungen zu stärken, die damals noch nicht
die herkömmliche Einteilung in Fakultäten, das Be- in die Struktur der Hochschulen hineinpaßten und
rufungsverfahren, das Kolleggeldwesen und viele noch keinen ausreichenden Raum hatten; sie sollte
andere überkommene Einrichtungen noch den mo- neue Institutstypen entwickeln und wissenschaft-
dernen Anforderungen und Entwicklungen genügen. lichen Nachwuchs heranbilden. Namen wie Haber,
Insbesondere wird er sich mit der Frage beschäf- Hahn, Einstein, Warburg und aus der neueren Zeit
tigen müssen, ob der gelegentlich gehörte Vorwurf Namen wie Professor Heisenberg, Butenandt und
berechtigt ist, daß wir die Akademisierung über- viele andere bestätigten die Richtigkeit der dama-
treiben, und ob nicht ein Teil der Studenten auf ligen Planungen und Überlegungen, die zur Grün-
höhere Fachschulen gehört, eine Frage, in der wir dung der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft geführt haben.
uns von den ersten Fachkennern beraten lassen In dankenswerter Weise haben die Länder nach dem
sollten und die wir nicht dilettantisch mit eigenem zweiten Weltkrieg sich der Förderung der Max-
Verstand zu lösen versuchen sollten. Planck-Gesellschaft und ihrer Institute angenommen.
Seit 1956 ist der Bund in die Tradition des Deutschen
In der Regierungserklärung hat sich die Bundes- Reiches und der Weimarer Republik wieder einge-
regierung bereit erklärt, bei der Errichtung von treten und beteiligt sich in beträchtlichem Umfang
neuen Hochschulen nach den Plänen des Wissen- an der Bereitstellung der Mittel. Allein in diesem
schaftsrates mitzuwirken. Der Bund beansprucht da- Jahre, meine sehr verehrten Damen und Herren,
bei keinen Einfluß auf die Standortauswahl, aber werden aus dem Haushalt des Bundesministeriums
vermutlich dürfte die Frage der Leistungsfähigkeit des Innern mit Ihrer Zustimmung, wie ich erwarte
der Länder bei diesen Maßnahmen eine entschei- und hoffe, 25,4 Millionen DM fließen. Dazu kommen
dende und auch für ihre Entscheidungen inter- erhebliche Mittel aus dem Haushalt des Bundes-
essante Rolle spielen. ministeriums für Atomkernenergie.
Im zweiten Teil seines Berichts wird der Wissen- Ich darf nun einen dritten Schwerpunkt der Wis-
schaftsrat ein Gutachten über die hochschulfreie senschaftsförderung, die unter der Mitwirkung des
Forschung vorlegen. Auch in diesem Bereich wirkt Bundes vor sich geht, erwähnen, die Forschungs-
der Bund durch Hilfen und Unterstützungen mit. großanlagen. Die moderne Entwicklung brachte es
Nicht nur bei uns, sondern auch in den anderen mit sich, daß neben den wissenschaftlichen Hoch-
Ländern haben sich in steigendem Maße Institute schulen und der Max-Planck-Gesellschaft Forschungs-
gebildet, die sich ausschließlich der wissenschaft- großanlagen auf spezifischen Gebieten notwendig
lichen Forschung widmen und die mit den wissen- geworden sind. Als Beispiele nenne ich das Kern-
schaftlichen Hochschulen, in denen ja Lehre und forschungszentrum in Karlsruhe, das insgesamt einen
Forschung vereint sind, in keiner oder nur in loser Investitionsaufwand von 500 Millionen DM erfor-
Verbindung stehen. Dabei komme ich auf einen dert, an dem sich der Bund mit 75 % und das Land
zweiten Schwerpunkt in der Frage der wissen- Baden-Württemberg mit 25 % beteiligt — meine
schaftlichen Förderung des Bundes, zur Max-Planck- Damen und Herren, eine Großleistung des Bundes,
Gesellschaft, der Nachfolgerin der im Jahre 1911 wie ich vielleicht sagen darf —, oder das Deutsche
gegründeten Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft. Elektronen-Synchroton in Hamburg, dessen Kosten
im Verhältnis von 85 zu 15 % von Bund und Ham-
Herr Kollege Hellige, ich kann Ihre Äußerungen
burg getragen werden, das Reaktorenzentrum
ganz und gar nicht teilen, in denen Sie sagen, man
Geesthacht zur Erforschung und Entwicklung von
habe früher die schimmernde Wehr usw. in den
Schiffsantriebsreaktoren, das Institut für Plasma-
Vordergrund gestellt. Auch die Leistungen, die
Physik in Garching bei München, das in der ersten
Wissenschafts- und Forschungsleistungen, des Kai-
Bauphase mit 80 Millionen DM allein vom Bund
serreichs waren sehr, sehr ansehnlich. Die dama-
finanziert worden ist, und schließlich die Kernfor-
lige Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft war eine Grün-
schungsanlage in Jülich, die Kosten von 500 Millio-
dung von so weitschauender Art, daß wir auch
nen DM verursacht, an denen sich der Bund bis zur
unserer eigenen Geschichte durchaus gerecht wer-
Höhe von 90 Millionen DM beteiligt; das mitbetei-
den sollten. Wir sollten nicht vereinfachend Dinge
ligte Land hat Kraft genug, den Rest aufzubringen.
herausgreifen und sie negativ beurteilen. Alle Ge-
Dazu kommen die Institute für Luftfahrt- und Raum-
schichte, die Geschichte aller Völker hat positive
forschung.
und negative Seiten. Das gilt auch für uns. Wir
sollten die positiven nicht unterschlagen. Ich möchte Eine moderne Regierungsarbeit, meine Damen
das zur Korrektur doch einmal angebracht haben. und Herren, ist ohne wissenschaftliche Forschungs-
arbeit nicht denkbar. Der Bund unterhält deshalb
(Beifall bei der CDU/CSU.)
für eine Reihe von Ressorts eigene besondere For-
Bei der Entstehungsgeschichte der Kaiser-Wilhelm- schungseinrichtungen vor allem für die Agrar-,
Gesellschaft muß der Weitblick bewundert werden, Wirtschafts- und Verkehrspolitik. Auf den Arbeiten
der die Gründer veranlaßte, dieser Institution schon dieser Institute beruhen viele gesetzgeberische Lei-
im Jahre 1911 eine Thematik zu setzen, die heute stungen des Deutschen Bundestages.
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 20. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1962 729
Bundesinnenminister Höcherl
Neben diesen drei Kategorien von Instituten hat verdienen, inwieweit sich ein Wildwuchs gezeigt
sich — zum Teil nach dem zweiten Weltkrieg — hat, was in Ordnung zu bringen ist usw. Sie sehen
eine weitere Anzahl von Forschungseinrichtungen also auch hier einen Beweis dafür, daß die Bundes-
und -instituten gebildet, die entweder ganz oder regierung alle ihre einschlägigen Maßnahmen auf
teilweise von staatlichen Mitteln leben, vereinzelt Gutachten des Wissenschaftsrates stützt, in dem die
aber auch ausschließlich mit privaten Mitteln betrie- Wissenschaft, der Bund und die Länder vertreten
ben werden. Ich möchte aus diesem Bereich nur sind.
einige Beispiele herausgreifen. Da ist zunächst das
Die wissenschaftlichen Hochschulen der Bundes-
traditionsreiche und ehrwürdige Deutsche Archäolo-
republik, die Max-Planck-Gesellschaft und einige
gische Institut mit der Römisch-Germanischen Kom-
andere sehr bedeutsame wissenschaftliche Vereini-
mission in Frankfurt und den Auslandsabteilungen
gungen haben sich in Fortführung .der Tradition der
in Rom, Athen, Instanbul, Madrid, Kairo, Bagdad
Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft im
und Teheran — das zuletzt gegründet worden ist —,
Jahre 1950 zur Deutschen Forschungsgemeinschaft
oder das Deutsche Historische Institut in Rom, das
verbunden. Es ist die besondere Aufgabe dieser
Kunsthistorische Institut in Florenz, das Orient-
Einrichtung, für die Förderung bestimmter wissen-
Institut der Deutschen Morgenländischen Gesell-
schaftlicher Forschungsvorhaben nach Schwerpunk-
schaft in Beirut und die Deutsche Historische For-
ten, .die die Forschungsgemeinschaft selbst be-
schungsstelle in Paris usw. Alle legen sie im Aus-
stimmt, zusätzliche Förderungsmittel zur Verfügung
land Zeugnis ab für den deutschen Forschergeist zu stellen. Keinem Land, auch dem reichsten nicht,
und dienen damit nicht nur der wissenschaftlichen ist es möglich, die Fakultäten, Institute usw. so auf-
Forschung und dem Kulturaustausch und der For- zustocken. Wir müssen hierin eine Spitzenfinanzie-
schung der Gastländer, sondern sie zeigen auch die rung und eine Anreizfinanzierung sehen, damit wir
deutsche Repräsentanz, die so oft angesprochen Mittel, Möglichkeiten und Notwendigkeiten auf
worden ist. Wie gesagt, es gibt auch sehr viele posi- einen Nenner bringen können.
tive Seiten, die wir angesichts der Kürze der Zeit,
die uns für den Aufbau, die Entwicklung und den Neben Forschungsvorhaben, die von einzelnen
Wiederaufbau zur Verfügung standen, durchaus mit Forschern an die Forschungsgemeinschaft herange-
Stolz und Selbstbewußtsein nennen dürfen. tragen werden und nach Prüfung durch erste Fach-
Eine besondere Bedeutung haben das Institut für kräfte eine Förderung erfahren, bestimmt der Senat
Zeitgeschichte in München und die verschiedenen der Deutschen Forschungsgemeinschaft nach eigenen
Ostforschungsinstitute. Es ist nicht ganz uninteres- Überlegungen Schwerpunkte unter besonderer Be-
sant zu erwähnen, daß der Bund im Einvernehmen rücksichtigung des Nachholbedarfs und des An-
mit den Ländern erhebliche Beiträge zur Erhaltung schlusses an den Stand der Forschung im Ausland.
der vier deutschen Akademien in München, Göttin- Die Nachwuchsförderung ist eine weitere wichtige
gen, Heidelberg. und Mainz leistet. Vielleicht wäre Aufgabe, die die Forschungsgemeinschaft erfüllt.
Um noch ein. Beispiel zu nennen, darf ich erwähnen,
die eine oder andere dieser Akademien gar nicht
daß die Lebensmittelgesetzgebung des 3. Bundes-
mehr am Leben, wenn sie nicht vom Bund am Leben
tages — eine sehr fortschrittliche Gesetzgebung —
erhalten worden wäre. Ich sehe gerade darin einen
vor allem auf Vorarbeiten der Forschungsgemein-
besonders bedeutsamen Ausdruck für das gute Ein-
schaft aufgebaut ist.
vernehmen auf diesem Sektor zwischen Bund und
Ländern. Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß hier
Schon die bisherige Aufzählung, meine Damen eine Form der Forschungsförderung und der Zu-
und Herren, beweist, daß auf .dem Gebiet der wis- sammenarbeit zwischen Wissenschaft, Wirtschaft
senschaftlichen Forschung eine große Koalition aller und Staat unter Wahrung der im Grundgesetz ver-
Kräfte — der geistigen Kräfte — existiert. ankerten Freiheit der Wissenschaftgefunden wor-
den ist, die das äußerste Maß an Wirksamkeit er-
(Heiterkeit. — Zuruf.) reicht. Der Zuschuß des Bundes an die Deutsche
— Ja, ich wollte Ihnen wenigstens durch die For- Forschungsgemeinschaft beträgt mit Ihrer Zustim-
mulierung etwas entgegenkommen! mung im Rechnungsjahr 1962 68 Millionen DM und
damit vier Fünftel des Zuschusses der öffentlichen
(Heiterkeit.) Hand. Der Bund setzt damit eine schon in der Wei-
In diesem Zusammenhang darf auch die industrielle marer Republik begründete Tradition fort. Ich darf
Gemeinschaftsforschung, die in der Arbeitsgemein- daran erinnern, daß die Reichsregierung selbst im
schaft industrieller Forschungsvereinigungen zusam- Jahre 1931, auf dem Höhepunkt der Wirtschafts-
mengeschlossen ist, nicht unerwähnt bleiben. Auch krise, die Hauptlast der Finanzierung der damaligen
sie erhält genauso wie die wirtschaftswissenschaft- Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft ge-
lichen Institute Zuwendungen aus öffentlichen Mit- tragen hat. Es ist für uns eine selbstverständliche
teln, soweit sie sich mit Aufgaben befaßt, die nicht Verpflichtung, in Zeiten, die nicht so hart sind wie
ausschließlich für die Auftraggeber bestimmt sind. in den dreißiger Jahren, das Äußerste für diese
Zwecke herauszuholen.
Der Wissenschaftsrat führt zur Zeit eine Be-
standsaufnahme — das scheint mir wesentlich zu Eine Reihe von hervorragenden Ergebnissen auf
sein — über alle diese Einrichtungen durch, um der dem Gebiet der Genetik, der Kristallstrukturfor-
Bundesregierung und den Ländern verläßliche Un- schung, der Kardiologie, der Entwicklung einer
terlagen darüber zu liefern, inwieweit diese Ein- serologischen Pockendiagnose, Zuhilfenahme des
richtungen eine Förderung aus öffentlichen Mitteln Elektronenmikroskops, die Behandlung der Netz-
730 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 20. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1962

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hautablösung ohne chirurgischen Eingriff, die geo- gleichem Maße zu fördern. Wir würden verarmen,
physikalische Lagerstättenforschung sind Beispiele wenn wir uns eine Schwerpunktbildung, wie sie
für den Erfolg, den die Bemühungen der hier zu- im östlichen Bereich stattfindet, gestatten würden.
sammengefaßten Kräfte ermöglicht haben. Mit Hilfe Neben der Studentenförderung ist eine besonders
der Forschungsgemeinschaft wurden z. B. in den wichtige Frage die Förderung des Nachwuchses für
letznJahruBcgsmethodnfüri die wissenschaftlichen Laufbahnen. Der Wissen-
Stahlbaukonstruktion entwickelt, die eine Einspa- schaftsrat hat dafür ausgezeichnete Vorschläge aus-
rung bis zu 20 % ermöglichen. Für die Landwirt- gearbeitet. Insbesondere gibt die Errichtung von
schaft sind neue Methoden zur Bekämpfung ver- mehr Lehrstühlen dem wissenschaftlichen Nach-
schiedener Viruskrankheiten bei Pflanzen und Tie- wuchs die Chance, in angemessener Zeit einen wis-
ren und die betriebswirtschaftlichen und produk- senschaftlichen Lehrstuhl zu erhalten. Das ist auch
tionstechnischen Forschungen für die Anpassung der einzige Weg, um die laufende Abwanderung
der deutschen Landwirtschaft an den Gemeinsamen qualifizierter junger Wissenschaftler in das Ausland
Markt von großer Bedeutung. zu verhindern. Dabei spielt die Frage der Hoch-
Besonders hervorheben möchte ich, daß das erste schulreform sehr stark herein. Hierbei hat sich auch
deutsche Großrechenzentrum in Darmstadt, das die die Max-Planck-Gesellschaft, die Thyssenstiftung,
Forschungsgemeinschaft mit Hilfe des Bundes und die ich ausdrücklich erwähnen darf, und die Deut-
des Landes Hessen errichten half, am 1. April 1962 sche Forschungsgemeinschaft große Verdienste er-
seine Arbeit aufnimmt. Ohne die Forschungsgemein-- worben; ihnen gilt der Dank der Bundesregierung.
schaft hätten auch bedeutsame Ausgrabungen in Was die internationale wissenschaftliche Zusam-
Griechenland und im Vorderen Orient nicht durch- menarbeit angeht, von der wir so lange Jahre aus-
geführt werden können. geschlossen waren, so hat auch sie sich in den letz-
Alle Bemühungen der wissenschaftlichen For- ten Jahren in erfreulicher Weise verstärkt. Das
schung wären vergeblich ohne die Förderung des zeigen nicht nur zahlreiche wissenschaftliche Kon-
wissenschaftlichen Nachwuchses. Eine Selbstver- gresse, die in der Bundesrepublik stattfinden, son-
ständlichkeit! Von seiner Qualität hängt unmittelbar dern auch der zunehmende Austausch von Wissen-
die Entwicklung unserer wissenschaftlichen For- schaftlern aller Disziplinen mit dem Ausland. Immer
schung und mittelbar die Zukunft unseres Volkes mehr namhafte deutsche Lehrer und Forscher gehen
ab. Die moderne Gesellschaft braucht wesentlich zu Vortrags- und Studienreisen über unsere Gren-
mehr wissenschaftlich ausgebildete Führungskräfte, zen, viele ausländische Gelehrte kommen zu uns.
als das in früheren Zeiten der Fall war. Der Bund In der Alexander-von-Humboldt-Stiftung ist eine
hat sich deshalb in Zusammenarbeit mit den Län- Einrichtung geschaffen, die dem Hochschullehrer
dern ganz besonders der Studentenförderung ange- nachwuchs des Auslandes ein ein- bis mehrjähriges
nommen und im Honnefer Modell eine Form ent- Studium in der Bundesrepublik ermöglicht. Ich darf
wickelt, um den begabten Studenten eine wissen- erwähnen, daß die Nachfrage nach diesen Stipen-
schaftliche Ausbildung frei von Not, wie mein ver- dien erheblich größer ist als die Mittel, die zur
ehrter Herr Amtsvorgänger das einmal formuliert Verfügung gestellt werden können. Ich möchte Sie
hat, zu ermöglichen. Zur Zeit werden 15 % der dringend bitten, die Mittel zu verstärken, weil ich
Studenten mit einem Aufwand von 126 Millionen mir keine bedeutsamere Aufgabe vorstellen kann
DM gefördert. Der Bund trägt davon 84 Millionen DM. als die, die Spitzenkräfte des Auslandes an unseren
Die Bundesregierung hält es für einen entschei- Hochschulen mit unserem Geistesgut vertraut zu
denden Bestandteil dieses Honnefer Modells, daß machen. Ich werde den Bundestag bitten, gerade
in Zusammenarbeit von Bund und Ländern, Profes- diesem wichtigen Zweig des Kulturaustausches be-
soren, Studenten und Studentenwerken in jähr- sondere Aufmerksamkeit zu widmen.
lichen Absprachen Richtlinien für die Vergabe der Über diesen Austausch hinaus hat sich auf einigen
Stipendien vereinbart werden. Es ist wichtig, daß Gebieten die Notwendigkeit eines engeren organi-
die Richtlinien der laufenden Entwicklung angepaßt satorischen Zusammenschlusses ergeben, auf die ich
werden. Ziel unserer Bemühungen ist es, keine Be- in Beantwortung der Einzelfragen zurückkommen
gabung ungenützt zu lassen. Man sollte vielleicht werde.
in Überlegungen eintreten, ob man nicht bei sehr
gutem Abschlußexamen den Darlehnsanteil der Lange Jahre hindurch war der Vorwurf zu hören,
Förderung in ein Stipendium umwandeln könnte. daß der Bund in seinen finanziellen Aufwendungen
Der Versuch z. B., in den 200 Fakultäten der wissen- für die Wissenschaft eine zu große Zurückhaltung
schaftlichen Hochschulen der Bundesrepublik die zeigt. So war die öffentliche Meinung, nicht umge-
jeweils beste wissenschaftliche Arbeit eines Studen- kehrt. Wir sind gerade angesichts der west-östlichen
ten jährlich mit einem Preis von etwa 3000 DM Spannung und des Wettbewerbs auf wissenschaft-
auszuzeichnen, würde nur etwa 600 000 DM kosten, lichem Gebiet im Rahmen dieser Spannung mit Vor-
und doch würde ein solcher Preis einen zusätzlichen, würfen bedacht worden. Die letzten Diskussionen
sehr bedeutsamen Anreiz darstellen. haben sogar den Eindruck erweckt, als ob mit den
berühmten 458 Millionen DM die Grenze der finan-
Die Bundesregierung hat es sich dabei immer be- ziellen Leistungen des Bundes für die Wissenschaft
sonders angelegen sein lassen, nicht nur die Stu- erreicht sei. Ich kann erfreulicherweise diese Zahl
denten aus dem Bereich der Technik und der Natur- richtigstellen. Im Jahre 1958 haben die Ausgaben
wissenschaften, sondern auch die Studenten der des Bundes für Wissenschaft und Forschung insge-
geistes- und sozialwissenschaftlichen Disziplinen in samt 538,7 Millionen DM betragen. Wir hoffen, mit
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 20. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1962 731
Bundesinnenminister Höcherl
Ihrer Zustimmung in diesem Jahr insgesamt 1475 ner-Festspiele in Bayreuth oder auch die Subventio-
Millionen DM für den kulturellen und wissenschaft- nierung unserer großen Orchester.
lichen Sektor auswerfen zu können.
Ich darf darauf hinweisen, daß eines unserer be-
(Beifall in der Mitte.) tentendsten Orchester, das Bamberger Symphonie-
Ich glaube, die jüngsten Auseinandersetzungen orchester, sich gegenwärtig auf einer sechswöchigen
zwischen Bund und Ländern über die Zuständig- Auslandstournee in Südamerika befindet. Es ist die
keiten für die Förderung der wissenschaftlichen größte Auslandstournee, die überhaupt jemals in
Forschung hätten nur ein einziges Ziel haben dürfen, dieser Art von einem deutschen Orchester durchge-
nämlich wie die Mittel insgesamt verstärkt und ge- führt worden ist. Wir erwarten davon einen großen
steigert werden können — nicht, wer nun ausge- Gewinn, eine große Bereicherung unserer gegen-
rechnet bezahlt —; das wäre das einzige legitime seitigen Beziehungen.
Ziel gewesen. Museen und Bibliotheken werden vom Bund ge-
(Beifall bei der CDU/CSU.) fördert, wenn ihnen besondere Bedeutung und inter-
nationaler Rang in der Selbstdarstellung der deut-
Aus der Volkswagenstiftung und den Gegenwert- schen Nation zukommt. Als besonders markantes
mitteln für den Verkauf der Volkswagenaktien — Beispiel nenne ich hier den „Preußischen Kultur-
ebenfalls Leistungen des Bundes — kann die Wis- besitz" in Berlin — ohne auf die Streitigkeiten, die
senschaft in Zukunft nicht unbedeutende Zuschuß- mit dieser Frage einmal verbunden waren, einge-
mittel erwarten. Das Kuratorium ist gebildet. Es hat hen zu wollen, um den Frieden in dieser Debatte
bereits zum erstenmal getagt. Wir geben uns der nicht zu stören — mit seinen trotz aller Kriegsver-
Hoffnung hin, daß die Mittel der Volkswagenstif- luste noch reichen und vielfältigen Schätzen an Mu-
tung nach Schwerpunkten eingesetzt und nicht — ge- seen und Sammlungen verschiedenster Art, an
statten Sie mir den Ausdruck — verkleckert werden. Archivalien und dem Großteil der Bestände der
Preußischen Staatsbibliothek. Weitere Beispiele sind
Ich glaube aber auch, dem Hohen Hause noch eine das Germanische Nationalmuseum in Nürnberg, das
Rechenschaft über die Maßnahmen zur Erhaltung Römisch-Germanische Museum in Mainz, das Deut-
des deutschen Kulturerbes, das in der Großen An- sche Museum in München. Überall war das Deutsche
frage der FDP-Fraktion ausdrücklich angesprochen Reich seit der Gründung finanziell beteiligt, und
worden ist, schuldig zu sein. Die Bundesregierung der Bund setzt diese Tradition — ich möchte sagen,
hat vor allem beim Wiederaufbau kriegszerstörter mit Recht — fort.
Bauwerke von nationaler Bedeutung mithelfen kön-
nen. Sehr oft war diese Mithilfe der Anstoß dafür, Im Bereich der bildenden Kunst hat der Bund
daß die sonstigen Beteiligten wie Land, Kirchen, Kunstausstellungen gefördert, die für die gesamte
Stadt oder Bürgerschaft schließlich den Entschluß Bundesrepublik und für deren kulturelles Ansehen
faßten, den Wiederaufbau in Angriff zu nehmen. Als in der Welt bedeutsam sind. Hier leiht der Bund
Beispiele für solche wiederhergestellten Bauwerke seine finanzielle Unterstützung vor allem bei der
darf ich aufzählen: die Marienkirche in Lübeck, den Herstellung der Kataloge, die meistens zugleich
Kaiserdom in Aachen, die Konstantin-Basilika in ein Kompendium wissenschaftlicher Forschung dar-
Trier, den Dom in Mainz, die Michaeliskirche in Hil- stellen. Zur Pflege der bildenden Kunst gehört nicht
desheim, den historischen Marktplatz in Osnabrück, zuletzt die Förderung junger deutscher Künstler
die Synagoge in Worms, das Markgrafen-Theater durch die vom Bund finanziell getragene Deutsche
in Erlangen, die Abteikirche in Maria Laach, die Akademie Villa Massimo in Rom.
Kaiserdome in Speyer und Worms.
Ich glaube, daß alle diese Leistungen, die unter
In der Literatur- und Musikpflege hat der Bund bedeutsamer Mitwirkung des Staates ermöglicht
überall da seine Hilfe gewährt, wo es sich um Auf- worden sind, auch vor kritischen Augen bestehen
gaben von solchem Rang handelt, daß die Förde- können. Mit um so größerer Besorgnis betrachtet
rung durch die Gesamtheit der Nation mit Recht er- die Bundesregierung die oft geradezu feindselige
wartet wird. Die Pflege des kulturellen Erbes, das Einstellung gewisser Kreise der Intelligenz gegen-
als gemeinsamer deutscher Besitz erhalten und ent- über allen Maßnahmen des Staates im kulturellen
wickelt werden muß, ist stärkstes Band unserer natio- Bereich.
nalen und staatlichen Einheit. Im Bereich der Litera- (Beifall bei der CDU/CSU.)
tur stellt sich die Aufgabe, die Institutionen zu
pflegen und auszubauen, die die geistige Hinter- Die Bundesregierung bejaht die Notwendigkeit
lassenschaft und das Gesamtwerk unserer Dichter einer wachsamen Kultur- und Gesellschaftskritik,
sammeln, ordnen, publizieren und wissenschaftlich die auch vor den staatlichen Maßnahmen nicht halt-
erforschen, wie z. B. das Freie Deutsche Hochstift zumachen braucht. Ich weiß von den Spannungen,
und Goethe-Museum in Frankfurt/Main für Goethe die seit eh und je zwischen Staat und Kultur, zwi-
und den Kreis der Romantiker, das Deutsche Schiller schen Macht und Geist bestehen. Diese Spannungen
Museum in Marbach für Schiller und den schwä- haben auch ihre große positive Bedeutung. Sie müs-
bischen Dichterkreis. Repräsentativ für das heutige sen aber ihre Grenzen finden im Willen zur Objek-
literarische Leben ist die Darmstädter „Deutsche tivität und in der Anerkennung der erbrachten Lei-
Akademie für Sprache und Dichtung", die ebenfalls stung.
vom Bundesministerium des Innern unterstützt wird. Ich wäre sehr dankbar, wenn die Kulturdebatte
Im Bereich der Musik nenne ich das Beethovenhaus des Hohen Hauses dazu beitragen könnte, Gegen-
in Bonn, die Bachwoche in Ansbach, die Richard-Wag- sätze zu mildern und unsere Kritiker davon zu über-
732 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 20. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1962

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zeugen, daß auch die Bundesregierung sich der Be- gewährt der Bund laufende Zuschüsse zur Unter-
deutung der im kulturellen Bereich wirksamen haltung dieser Einrichtungen gemäß § 16 des
Kräfte für das Leben der Nation durchaus bewußt 3. Überleitungsgesetzes.
ist und daß sie ihre Freiheit und Unabhängigkeit
In diesem Zusammenhang darf ich doch berner
achtet.
ken, daß der Bund sogar mehr Mittel bewilligt und
Mit diesen Ausführungen, meine Damen und Her- zur Verfügung gestellt hat, als Berlin nach dem
ren, glaube ich die Große Anfrage der Fraktion der Stand seiner Planungen und seiner Baukapazität
CDU/CSU im wesentlichen beantwortet zu haben.
abrufen konnte.
Ich darf mich nunmehr den einzelnen Fragen der (Beifall bei der CDU/CSU.)
beiden anderen Großen Anfragen zuwenden. Ich
glaube es vertreten zu können, wenn ich die Frage 1 Damit ist wohl der beste Beweis dafür erbracht,
der Großen Anfrage der SPD und die Frage 6 der daß der Kollege Martin mit Recht von einer aus-
FDP, die sich auf den gleichen Gegenstand — näm- führlichen Darlegung abgesehen hat.
lich die Berliner Kulturinstitute — beziehen, zusam-
men beantworte. Die Bundesregierung faßt die Frage 1 der Großen
Anfrage der SPD nach den Absichten, Berlin als
Vielleicht wird sich auch im Rahmen der kurzen internationales Zentrum der wissenschaftlichen For-
Erörterung ein Grund dafür zeigen, warum Herr schung auszugestalten — wohl in Übereinstimmung
Martin keinen besonderen Anlaß gehabt hat, in- mit den Fragestellern — so auf, daß diese Einrich-
seinen Darlegungen darauf einzugehen; vielleicht tungen nach ihrer Bedeutung und ihrem Gewicht
war es die Überlegung oder gar das Wissen, daß internationalen Rang erhalten. Wenn darüber hinaus
die Bundesregierung von sich aus diese Frage nicht Verhandlungen der Bundesregierung mit Trägern
nur nicht vergessen hat, sondern daß sie bereits von kulturellen Einrichtungen auf internationaler
Außerordentliches geleistet hat und im B egriffe ist, Basis dazu führen sollten, solche Institutionen nach
noch mehr zu tun. Berlin zu verlegen, wird der Bund das nur be-
Die Bundesregierung hat für den Ausbau Berlins grüßen.
als eines Zentrums der Wissenschaft und Forschung Die Fraktion der FDP fragt in diesem Zusammen-
wegen des besonderen kulturellen Ranges dieser hang noch, welche Institute mit internationalem
Stadt und aus vielen anderen ,Gründen bereits sehr Rang im Rahmen dieser Bemühungen ausgebaut
umfangreiche Leistungen vollbracht, die ich doch und neu errichtet werden. Neu errichtet werden sol-
aufzählen muß. Allein für die Jahre 1956 bis 1961 len im Rahmen ,des Ausbaus ,der beiden Berliner
wurden im Rahmen der Zuschüsse für den Berliner Universitäten: Im Rahmen des Ausbaus der Freien
Aufbauplan insgesamt rund 105 Millionen DM zur Universität ein Gebäude für die juristische Fakultät
Verfügung gestellt, und zwar im einzelnen für den für 4,8 Millionen DM, ein Präpariersaal für das
Ausbau der Freien Universität 18 Millionen DM, InstiufürVeä-Aaomi2,7Ml
für den Ausbau der Technischen Universität 24 Mil- nen DM, ein Gebäude für das Europa-Institut für
lionen DM, für den Bau von Studentenwohnheimen 2,6 Millionen DM, ein Physiologisches und ein
11 Millionen DM. Dem etwa 167 Millionen DM er- Physiologisch-chemisches Institut für 19 Millio-
fordernden Bau des Klinikums der Freien Universi- nen DM, ein Institut für anorganische Chemie für
tät werden wir zunächst 8 Millionen DM und wei- 18 Millionen DM, und im Rahmen des Ausbaus der
tere Beträge im Verlaufe der ganzen Bauzeit zu- Technischen Universität ein Gebäude für die Fakul-
wenden. Das Konzerthaus, dessen Gesamtkosten tät für Bauingenieurwesen für 2,1 Millionen DM,
etwa 13 Millionen DM betragen, wird vom Bund ein Gebäude für das Institut für Luftfahrt für 4,3 Mil-
6 Millionen DM erhalten. Zu den insgesamt 28 Mil- lionen DM, ein Gebäude für die Fakultät für Berg-
lionen DM betragenden Kosten für den Wiederauf- bau und Hüttenwesen für 11,9 Millionen DM, ein
bau der Oper wird der Bund rund 26 Millionen DM Institut für Verfahrenstechnik und Kältetechnik für
zuschießen. Von den insgesamt 12 Millionen DM 2,8 Millionen DM, ein Institut für Wasserbau und
betragenden Kosten des Wiederaufbaues des Wasserwirtschaft für 2,7 Millionen DM und eine
Charlottenburger Schlosses werden rund 10 Mil- Triebwerkhalle für 4 Millionen DM. Für den Wie-
lionen DM übernommen. Dazu kommen aus den deraufbau des Pharmazeutischen Instituts der
Mitteln des Bundesministeriums des Innern auf Freien Universität ist außerdem ein Betrag von
Empfehlung des Wissenschaftsrates zusätzlich 3,8 Millionen DM und für den Wiederaufbau des
26 Millionen MD in den Jahren 1958 bis 1961 für Hauptgebäudes der Technischen Universität ein Be-
den Ausbau der beiden Berliner Hochschulen. trag von 32 Millionen DM vorgesehen. Ich glaube,
Für dieses Haushaltsjahr soll Berlin im Rahmen daß wir uns mit diesen Zahlen und diesen Planun-
des Aufbauplans für kulturelle Zwecke weitere gen, die wir im Rahmen unserer Verpflichtungen
22,7 Millionen DM bekommen und darüber hinaus für Berlin in Angriff genommen haben, sehr wohl
auf Empfehlung des Wissenschaftsrates im Jahre sehenlassen können.
1962 für den Ausbau der Berliner Universitäten (Beifall bei den Regierungsparteien.)
17 Millionen DM. Die Aufbringung des laufenden
Unterhalts dieser Einrichtungen wird Berlin durch Berlin war einst Mittelpunkt und Hauptstadt
die auf Grund des § 16 des 3. Überleitungsgesetzes eines Reiches, das von Königsberg bis Konstanz
gezahlte Berlinhilfe ermöglicht. Neben diesen ein- reichte. Seine Bedeutung für die deutsche Kultur
maligen Leistungen, die aber erfreulicherweise fast stand dem politischen und wirtschaftlichen Rang
wiederkehrenden Charakter angenommen haben, der Hauptstadt des Deutschen Reiches keineswegs
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 20. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1962 733
Bundesinnenminister Höcherl
nach. Den Wunsch nach einem Kulturzentrum sollte angemessener als ein Bundesministerium mit zen
man — wenigstens in der Formulierung — mit Vor- tralen Aufgaben.
behalt aussprechen, weil er nicht die Provinzialisie-
rung der im Lande gewachsenen Kulturlandschaften (Sehr richtig! in der Mitte.)
bedeuten darf. Berlin ist nie ein Zentrum in diesem Ich hoffe, deutlich gemacht zu haben, daß die wis-
Sinne gewesen; es hat Impulse gegeben und auch senschaftliche Forschung uns vor Aufgaben stellt,
mit großer Aufgeschlossenheit empfangen, und es die für das Schicksal der gesamten Nation bestim-
war damit Sinnbild einer im guten Sinne starken mend sind. Der Bund als Träger der gesamtstaat-
und kraftvollen Kulturmetropole. Es sollte alles ge- lichen Verantwortung kann und darf sich diesen
tan werden, um trotz der widrigen Umstände die Aufgaben nicht entziehen. Diese Verantwortung hat
wertvolnudichgAren,dWit- mich dazu veranlaßt — jetzt komme ich zu der
läufigkeit und Urbanität dieser großen Stadt in das Frage, ob die Bundesregierung ein Gesetz nach
kulturelle Leben ,der Bundesrepublik einmünden zu Art. 74 Ziffer 13 des Grundgesetzes vorlegen wird — ,
lassen. Die Mittel, die wir jetzt aufzuwenden im mein Haus zu beauftragen, ein solches Gesetz aus-
Begriffe sind, um Berlin kulturell zu helfen, werden zuarbeiten. Das Bundesministerium des Innern hat
voraussichtlich in vielfacher Form zurückströmen — vielleicht nicht ganz ohne Einfluß der etwas
und in lebendiger Wechselwirkung unser kulturel- lebhaften Debatten in den letzten Wochen — diesen
les Leben in der Bundesrepublik um Elemente be- Auftrag gerade in diesem Augenblick erteilt. Sie
reichern, die eben nur von Berlin aus kommen kön-- sehen, Herr Lohmar, daß wir durchaus einer Be-
nen. Sie werden den Berlinern eine Verstärkung lehrung zugänglich sind. Sie haben gemeint, es
der inneren Sicherheit und des Selbstbewußtseins würde nun alles beim Stande etwa von Interviews
geben, und das ist vielleicht noch bedeutsamer als bleiben. Das ist ganz und gar nicht der Fall. Wir
alle anderen Auswirkungen. sind bereit, Belehrungen auch von dieser Seite des
Hauses dankend anzunehmen, wenn sie fundiert
Die Frage Nr. 2 der Großen Anfrage der SPD sind.
zielt offensichtlich darauf hin, warum man bei der
(Beifall in der Mitte.)
Bildung der 4. Regierung Adenauer von der Ein-
richtung eines Wissenschaftsministeriums Abstand Das Zögern, diese Vorlage einzubringen, erklärt
genommen hat. Der Herr Kollege Lohmar meinte, sich ganz einfach aus der verständlichen Scheu, im
wir hätten keinen geeigneten Parteimann dafür Bereich der Kultur und damit auch besonders der
bringen können. — Wir sollten uns diese Dinge Wissenschaftsförderung durch staatliche Reglemen-
aber nicht so billig und so einfach machen. Die tierung einzugreifen. Diese Scheu, diese Zurück-
Bundesregierung hat sich durchaus mit diesem Ge haltung ist das Wesen, ist unsere Art von Kultur-
danken beschäftigt. Sie ist der Auffassung, daß die politik.
in vielen Ressorts betreute wissenschaftliche For- (Beifall in der Mitte.)
schung keines besonderen Ministeriums für die
Koordinierung bedarf. Die gegenseitige Abstimmung Staatliche Hilfe soll behutsam fördern, sie soll Hin-
erfolgt in einem interministeriellen Ausschuß unter dernisse beseitigen und sich regende Kräfte er-
dem Vorsitz des Innenministers, in dem alle an der muntern. Sie darf nicht der Versuchung unterliegen,
Forschung interessierten Ressorts vertreten sind. kraft finanzieller Überlegenheit leiten und anordnen
Wir gehören nicht zu den Institutionsgläubigen und zu wollen. Man läßt sich so oft dadurch beein-
Organisationsgläubigen. Wir glauben, daß die drucken, daß durch sehr ausgeprägte Organisationen
lockere und lose Zusammenarbeit am runden Tisch nach außen hin oft etwas spektakuläre Ergebnisse
— getragen von gutwilligen Kräften — bessere erzielt werden. Wenn Sie dann aber die ganze Breite
Erfolge erzielt als das Einzwängen und das Ein- des Spektrums überblicken, sehen Sie, daß viele
pressen in Institutionen und Organisationen. Felder unbestellt geblieben sind, und das ist das,
was wir mit unserer Arbeit, mit loser Zusammen-
(Beifall in der Mitte.) arbeit vermeiden wollen.
Wenn das Grundgesetz dem Bund die konkurrie-
Ich habe die Absicht, die Tätigkeit dieses Aus- rende Zuständigkeit für die Gesetzgebung zur For-
schusses, die hier, wie jede Einrichtung, durchaus schungsförderung ausdrücklich zuerkannt hat, so
der Aktivierung und der Intensivierung zugänglich erwartet eis von ihm die Regelung der organisatori-
ist, zu verstärken, um eine einheitliche Wissen- schen Grundlagen, die auch für die Arbeit im kul-
schaftspolitik des Bundes zu erreichen. turellen Bereich his zu einem gewissen Grade not-
wendig sind. Wir haben uns lange Zeit mit Ver-
Ein wesentlicher Teil der Koordinierungsarbeit waltungsabsprachen, mit Abkommen und ähnlichen
geschieht ganz woanders, nämlich im Wissenschafts- Hilfsmaßnahmen begnügen können. Es fragt sich, ob
rat, von dessen Leistungen wir Ihnen eine ganze diese ganz lockere Form auf die Dauer genügt, ob
Reihe überzeugender Beispiele nennen konnten, in man nicht etwas mehr Stabilität und mehr Kon-
dem die an der Forschung beteiligten Bundesressorts tinuität erreichen sollte.
zusammen mit den Ländern vertreten sind und wo
Verwaltung und Wissenschaft an einem Tische Von vielen Seiten, aus Kreisen der Kulturverwal-
sitzen; ferner im Hauptausschuß der Deutschen For- tung der Länder, aus Kreisen der Wissenschaft, aus
schungsgemeinschaft, in dem ebenfalls Wissenschaft- dem Parlament und aus der Presse, wurde deshalb
ler und Vertreter von Bund und Ländern Sitz und die Anregung gegeben, die bisherige Regelung
Stimme haben. Diese Art der Koordinierung ist dem durch ein Bundesgesetz zu sichern bzw. zu ersetzen.
deutschen System der Förderung der Wissenschaft Ich will den Versuch unternehmen, betone aber
734 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 20. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1962

Bundesinnenminister Höcherl
nochmals, daß dieses Gesetz lediglich der Organisa- erlebt —, daß sich der ganze Bereich der Wehrfor-
tion — und zwar in einer lockeren Form - der För- schung und Wehrtechnik in eine Art geistiger Iso-
derung, nicht etwa der Organisation der Forschung lierung begibt und , daß .die aus .den ganz neuen Auf-
selbst dienen soll. Das Gesetz soll auch die immer gabenstellungen und Anforderungen der Wehrtech-
wieder, jüngst erneut, mit sachfremden Gründen an- nik hervorgehenden Impulse der übrigen Forschung
gefochtene Funktion des Bundes im System der nicht zugute kommen.
Forschungsförderung sicherstellen. Es wird den ge-
wachsenen Verhältnissen soweit wie möglich Rech- Ich übersehe dabei nicht die Gefahr einer allzu
nung tragen. Keineswegs denken wir daran, die starken Ausweitung der Auftragsforschung. Damit
bewährten Institutionen zu gefährden oder zu be- verbunden ist die Gefahr, daß manche Forschungs-
einträchtigen. Für ergänzende Verwaltungsabspra- disziplinen vernachlässigt werden, obgleich sie für
chen wird immer ein Raum bleiben. Daß wir vor den nachhaltigen langfristigen Erfolg dergesamten
Einbringung eines solchen Gesetzes eine Absprache Forschungsarbeit ebenso wichtig sind. Deshalb lege
mit den Ländern vornehmen werden, bitte ich als ich von seiten .des Bundesministeriums des Innern
eine Selbstverständlichkeit vorauszusetzen. als ,dem mit Spezialinteressen am wenigsten befaß-
ten Ressort großes Gewicht auf die Förderung der-
In der Frage 4 wird die Bundesregierung gefragt, jenigen Forschungsstätten, deren Arbeit im wesent-
ob die Absicht bestehe, die staatliche Auftrags- lichen von der Initiative des Forschers selbst be-
forschung auszuweiten. Ich möchte dazu einiges vor- stimmt wird. Das gilt insbesondere für die Arbeit
weg bemerken. der Deutschen Forschungsgemeinschaft, der bei die-
Die Regierungsarbeit ist heute ohne wissenschaft- ser Gelegenheit für ihre hervorragenden Leistun-
liche Vorarbeit nicht mehr denkbar. Das gilt ganz gen, für ihre ehrenamtliche Arbeit der besondere
besonders fair die Bereiche der Agrar-, der Wirt- Dank der Bundesregierung ausgesprochen werden
schafts- und Verkehrspolitik, gilt aber genauso für soll.
die Verteidigung und für den Bereich meines Hau- (Beifall.)
ses, beispielsweise für den zivilen Bevölkerungs-
schutz. Die Bundesregierung würde ihren Aufgaben Ich darf nun zu der Beantwortung der von der
nicht gerecht werden, wenn sie sich nicht die Ergeb- FDP gestellten Fragen kommen.
nisse der wissienschaftlichen Forschung nutzbar Zu Frage 1 darf ich folgendes feststellen. Es ist
machte. Sie befindet sich damit in der gleichen keineswegs richtig, daß die Bundesregierung den
Situation wie die Wirtschaft, die ebenfalls weit- einstimmigen Beschluß des Deutschen Bundestages
gehend auf den Erkenntnissen wissenschaftlicher vom 1. Juli 1960 nicht ausgeführt hätte; im Gegen-
Forschung fußt. teil, die Bundesregierung hat diesen Beschluß wie
Die für die Arbeit der Bundesregierung notwen- alle Beschlüsse dieses Hohen Hauses sehr ernst ge-
dige wissenschaftliche Vorbereitung kann sich nur nommen. Lange bevor dieser Beschluß erging —
in eigenen Forschungsinstituten oder im Wege der jetzt will ich Sie mit den Gründen vertraut machen,
Auftragsforschung vollziehen. Auch die Fragesteller warum Sie nichts gehört haben —, hat das Bundes-
werden nicht der Meinung sein, daß die Bundes- ministerium des Innern für die Bundesregierung
regierung neben den bereits bestehenden For- Verhandlungen über die Abgrenzung der Zustän-
schungseinrichtungen dm großen Umfange neue In- digkeiten im kulturellen Bereich mit den Ländern
st i tute für ihre Zwecke gründen sollte. Es bleibt also eingeleitet. Solche Verhandlungen haben auch ihre
nur der Weg der Auftragsforschung, der auch vom Gefahren. Man kann sich dadurch selbst Schranken
finanziellen Standpunkt aus und im Hinblick auf die setzen, die unaufhebbar sind. Man sollte bei dem
Freiheit der Wissenschaft die glücklichste Lösung Verlangen, schnell zu einer strikten Abgrenzung
darstellt. zu kommen, nicht ganz die Klugheit und die Weit-
sicht vergessen. Es gibt viele Dinge, meine Damen
Es ist aber greifbar — Herr Lohmar, Sie haben
und Herren, die, wenn sie nicht genau geregelt sind,
ja 'die Katze aus dem Sack gelassen —, daß die
gerade Ihnen viel mehr Entfaltungsmöglichkeiten
Frage vornehmlich auf die Auftragsforschung im
geben als der Perfektionismus, der zu den auffal-
Bereich des Bundesverteidigungsministeriums zielt.
lendsten und intensivsten deutschen Krankheiten
Dazu darf ich feststellen, daß gerade in diesen Ta-
gehört, für die wir ebenfalls ein Forschungsinstitut
gen ein Gespräch zwischen dem Herrn Bundesver-
einrichten sollten.
teidigungsminister und berufenen Vertretern der
Wissenschaft geführt wird. Ich habe keine Zweifel, (Beifall bei den Regierungsparteien.)
daß bei diesem Gespräch auch die Frage der im Be-
reich der Verteidigung unerläßlichen Geheimhal- Wie gesagt, wir haben uns zwei Jahre vor dem
tung von Forschungsergebnissen in zufriedenstel- Beschluß von unserem Hause aus, das im Verdacht
lender Weise behandelt wird, in dem Sinne, daß einer zentralistischen Einstellung steht — ausge-
alle Schranken, die fallen können, wirklich fallen, rechnet unter Leitung meines Vorgängers, dem seit
damit alle übrigen Bereiche aus der Forschungs- Jahr und Tag zentralistische Ansichten unterge-
arbeit im Bereich der Verteidigung die Befruchtung schoben werden —, bemüht, eine solche Abgrenzung
erfahren, auf die sie Anspruch erheben können. zu erreichen. Vielleicht trägt auch das zu einer ge-
rechten Würdigung bei.
Auf jeden Fall sollten wir es begrüßen, daß das
Verteidigungsministerium nicht beabsichtigt, für (Abg. Schmitt-Vockenhausen: Je länger
seine Zwecke eigene Institute zu gründen. Sonst be- jemand aus seinem Amt ist, desto leichter
stünde die Gefahr — wir haben das schon einmal wird oft die Würdigung!)
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 20. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1962 735
Bundesinnenminister Höcherl
Wir haben vor zwei Jahren auch schon eine vor- des Bundes, die wirklich und sinngemäß in der Ver-
läufige Verständigung erreicht und ein Abkommen fassung enthalten ist, übernehmen.
paraphiert. Leider ist es nicht zu einer Unterzeich- (Beifall bei den Regierungsparteien.)
nung des Abkommens gekommen, und die Verhand-
Wenn das ein Angehöriger einer klassischen föde-
lungen haben sich schließlich zerschlagen, aber daran
ralistischen Partei sagt, dürfen Sie mir glauben, daß
ist nicht etwa der Bund schuld gewesen. Ich habe
das wirklich ernst gemeint ist und auch ernsthaft
aber keinen Anlaß, hier die Schuldfrage zu erörtern.
geprüft ist.
Ich habe meine guten Gründe dafür, weil sich neue
Entwicklungen abzeichnen, die wir sehr begrüßen. (Zustimmung in der Mitte.)
Die Länder haben sich später dann bereit erklärt, Ausgerechnet Sie wollen auf diesem Sektor etwas
einer Regelung zuzustimmen, nach der sich der Bund tun. Sie haben sich diese Vorschläge eines der
an der Finanzierung des Ausbaues der Hochschulen prominenten Parteimitglieder nicht ganz zu eigen
in Höhe von 1 Milliarde DM beteiligen „darf". — gemacht. Ich kann Sie zu dieser Zurückhaltung nur
Nun, meine Damen und Herren, wir wollen von beglückwünschen, Herr Lohmar.
dieser Erlaubnis, von dieser Zustimmung im Inter- (Beifall und Heiterkeit bei der CDU/CSU.)
esse der Länder Gebrauch machen. Nun zur Frage 3 der Anfrage der FDP. Die Bun-
(Heiterkeit bei den Regierungsparteien.) desregierung ist Mitglied folgender internationalen
Organisationen: der Europäischen Organisation für
Nach dieser Regelung wird der Zuschußbedarf der Kernforschung, der Europäischen Organisation für
Deutschen Forschungsgemeinschaft und der Max- Weltraumforschung, der Europäischen Organisation
Planck Gesellschaft vom Bund und den Ländern je
-
für Entwicklung eines Satellitenträgers, Aufgaben-
zur Hälfte getragen. Ich habe im Rahmen der Aus- gebiete, die ich im Rahmen der Regierungsbildung
einandersetzung über die Prozentsätze immer ge- eingebüßt habe; nun, es ist schon verschmerzt, nach-
meint, der Streit könnte so ausgehen, daß das, was dem mir heute freundlicherweise die Gelegenheit
wir jetzt bezahlen, z. B. 4/5 bei der Deutschen For- gegeben wird, nicht nur über Notstandsmaßnahmen
schungsgemeinschaft, die Hälfte des öffentlichen Bei- und anderes zu sprechen, sondern auch von ange-
trages ist und daß die Länder ihren Anteil von 1/5 nehmeren Dingen. — Ferner ist die Bundesregie-
so auffüllen, daß sie ebenfalls eine gleiche Hälfte rung Mitglied der wissenschaftlichen Gremien des
beibringen. Das wäre im Interesse der Sache ge- Europarates, von EURATOM, der OECD, des Wis-
wesen. Ein letzter Brief meines Herrn Amtsvor- senschaftsrats der NATO und der EWG.
gängers vom 14. April 1961 mit der Mitteilung, daß
die Bundesregierung diesem Vorschlag zustimmt, ist Schon aus dieser Mitgliedschaft und der Mitwir-
bisher unbeantwortet geblieben. Die Bundesregie- kung der Bundesregierung in diesen Einrichtungen
rung begrüßt deshalb die Erklärung des Minister- — wobei es nicht so sehr darauf ankommt, wie dort
präsidenten Altmaier in der Plenarsitzung des Bun- nun die Repräsentanz ist, ob nun auch Vertreter
desrates vom 23. Februar dieses Jahres, daß die aus anderen Bereichen mit in der deutschen Reprä-
Länder bereit seien, die Verhandlungen wieder auf- sentanz enthalten sind; das darf hier nicht das Ent-
zunehmen. Die Bundesregierung wird sich unver- scheidende sein; Großzügigkeit in diesen Dingen
dient auch der Sache — folgt, daß die Bundesregie-
züglich um die Wiederaufnahme bemühen.
rung eine absolut positive Einstellung zu diesen
(Beifall in der Mitte.) Einrichtungen hat. Eine internationale Zusammen-
arbeit auf vielen Gebieten, wie z. B. der Weltraum-
Die Verhandlungen waren also gar nicht abgeschlos- forschung und der Atomforschung, ist schon deshalb
sen, sie sind fortgeführt worden. Wir waren nicht notwendig, weil die Bewältigung bestimmter Pro-
einmal schuld, daß sie nicht so zügig vorangetragen bleme, gerade auch dieser Probleme, die wissen-
werden konnten. Sie haben hier also ebenfalls ein schaftliche und finanzielle Kapazität einzelner, auch
klassisches Beispiel für den Ernst, mit der die Bun- sehr großer Länder übersteigt.
desregierung Ihre Aufträge behandelt.
Darüber hinaus ist die Bundesregierung der Mei-
Zu der Frage 2 der Großen Anfrage der FDP ist nung, daß alle Versuche, auf wirtschaftlichem und
die Bundesregierung der Meinung, wie das schon im politischem Gebiet einen Zusammenschluß Europas
allgemeinen Teil meiner Ausführungen zum Aus- voranzutreiben und einen Zusammenschluß, der dar-
druck gekommen ist, daß es eine ganze Reihe von über hinausgeht, z u erreichen, nur dann zum Ziel
kuturellen Aufgaben gibt, die, wie die Praxis ge- führen können, wenn gleichzeitig auf kulturellem
zeigt hat, am besten vom Bund und den Ländern Gebiet eine möglichst enge Zusammenarbeit statt-
und der Wissenschaft und Wirtschaft gemeinsam in findet. Wie klein nimmt sich angesichts dieser Auf-
der bisherigen bewährten Form wahrgenommen gaben ein solcher Hausstreit aus, den wir uns gele-
werden. Ich möchte aber genauso, wie es andere gentlich immer wieder leisten.
Redner getan haben und wie es schon gestern in der (Sehr wahr! bei der CDU/CSU.)
Haushaltsdebatte erfreulicherweise von den Ver-
tretern aller Parteien zum Ausdruck gekommen ist, Der Zusammenschluß aller kulturellen Kräfte der
keinen Zweifel daran lassen, daß Aufgaben, die der freien Welt ist schon im Hinblick auf die geistigen
Bund aus seiner gesamtstaatlichen Verantwortung Auseinandersetzungen zwischen Ost und West ge-
wahrzunehmen hat, nicht auf eine wie auch immer boten.
geartete Ländergemeinschaft übergehen können. Sie Zu der Frage 4 der Anfrage der FDP darf ich im
wäre verfassungswidrig und könnte auch keines- Einvernehmen mit dem Herrn Bundesminister des
wegs die Ausgleichs- und Koordinierungsfunktion Auswärtigen folgendes erwidern.
736 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 20. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1962
Bundesinnenminister Höcherl
Die Kultrusminister der Länder haben sich bereit geben. Die Bundesregierung beobachtet zwar auf
erklärt, unter intensiver Mitwirkung und Anregung merksam die in letzter Zeit immer stärker werden-
des Bundes die Auslandstätigkeit der in ihrem den kulturpropagandistischen Bestrebungen der SBZ
Dienst stehenden Wissenschaftler und Hochschul- im Ausland. Ohne diese zu unterschätzen glaubt sie
lehrer durch eine großzügige Beurlaubung zu er aber, daß sich die Kulturpolitik der Bundesrepublik
leichten. als die wirksamere erweist. Die Bundesregierung
Das Auswärtige Amt und die Länderkultusverwal- hat auf Grund eigener Initiative seit Jahren Vor-
tungen haben ferner im engsten Zusammenwirken sorge getroffen, daß unsere Darstellung der deut-
die „Vermittlungsstelle für deutsche Wissenschaft- schen Kultur im Ausland voll zur Geltung kommt.
ler im Ausland" eingerichtet. Sie betreut die Ge- Einmal ist zu berücksichtigen, daß sich die SBZ im
lehrten während ihres Auslandsaufenthalts und wesentlichen auf einige ihr als für ihre Propaganda
trifft Vorsorge für ihre Wiedereingliederung .in das besonders empfänglich erscheinende Länder konzen-
deutsche akademische Leben nach ihrer Rückkehr. triert, während die Bundesregierung eine weltweite
Die Bundesregierung ist laufend bemüht, die Län- Politik betreibt. Sie ist ferner der Auffassung, daß
der zu veranlassen, für die wirtschaftliche Sicher- unsere Leistungen auf dem Gebiet der Kulturpolitik
stellung der in das Ausland gehenden Wissenschaft- im Ausland das höhere Niveau aufweisen und daß
ler in den Länderhaushalten Leerstellen einzurich- sie schon deshalb wirkungsvoller sind, weil sie ganz
ten. Andere Möglichkeiten haben wir leider nicht. im Gegensatz zur SBZ nicht einen nur allzu durch-
Für die Dauer des Auslandsaufenthalts gewährt das- sichtigen propagandistischen Zweck verfolgen, son-
Auswärtige Amt finanzielle Zuschüsse. Die oben dern von der Absicht eines echten kulturellen Aus-
genannte Vermittlungsstelle läßt sich auch die tausches bestimmt sind. Zweifellos wäre jedoch in
Pflege des wissenschaftlichen Kontakts zwischen dieser Hinsicht ein noch stärkerer finanzieller und
den im Ausland tätigen Gelehrten und ihrer deut- personeller Einsatz möglich und wünschenswert, und
schen Hochschule angelegen sein. er liegt ganz in Ihrer Entscheidung, meine Damen
und Herren.
Diese Bemühungen sind gar nicht so ergebnislos
geblieben, wie es in den Ausführungen des verehr- Folgende Einzelmaßnahmen darf ich in diesem
ten Herrn Kollegen Hellige den Anschein hatte. Zusammenhang erwähnen. Es sind in den letzten
Heute sind wieder 200 deutsche Hochschullehrer, Jahren in aller Welt über 170 deutsche Kultur- und
davon ein Drittel Ordinarien, im Ausland, vor allem Sprachinstitute eingerichtet worden, an denen über
in den Entwicklungsgebieten. 300 Kräfte hauptamtlich arbeiten. In dieser Richtung
wirken auch Gastspiele deutscher Orchester — ein
In ähnlicher Weise ist für die über 1000 Lehrer Beispiel besonders glänzender Art habe ich bereits
gesorgt, die von den Kultusministerien der Länder erwähnt —, Opern- und Theaterensembles, deutsche
beurlaubt sind und vom Auswärtigen Amt an die Buch- und Kunstausstellungen und die vielfältigen
132 deutschen Auslandsschulen vermittelt wurden. Maßnahmen auf dem Gebiet des wissenschaftlichen
Ich bitte immer wieder, zu bedenken, wie kurz Austausches, unter die die Stipendiengewährung
der Zeitraum für die Wiederherstellung all dieser für Studenten ebenso fällt wie die Entsendung deut-
Einrichtungen war und was wir daneben noch an scher Wissenschaftler an ausländische Hochschulen.
riesigen Aufgaben zu bewältigen haben. Wenn Sie Viele der hier aufgezeigten Maßnahmen dienen
die Relationen betrachten, müssen Sie, glaube ich, — selbstverständlich in entsprechender Modifizie-
zugeben, daß sich das alles sehen lassen kann. rung — auch der Bildungshilfe für Entwicklungs-
länder. Das gilt insbesondere für die deutschen Aus-
Es bestehen gewisse Unterschiede in der Besol-
landsschulen, die über ihren ursprünglichen Charak-
dung zwischen den Auslandslehrern und den Ange-
ter als Unterrichtsstätten für deutsche Schüler im
hörigen des Auswärtigen Dienstes im Ausland oder
Ausland hinaus heute weitgehend — und zum Teil
auch den Gewerbeschullehrern und Dozenten des
sogar überwiegend — den Kindern aus den betref-
Goethe-Instituts, obwohl die Gehälter der deutschen
fenden Ländern selbst zur Verfügung stehen. Aber
Auslandslehrer ab 1. April 1959 bereits erheblich
auch die Vermittlung deutscher Lehrer an auslän-
verbessert worden sind. Verhandlungen der betei-
dische Schulen, die Sprachkurse an deutschen Kul-
ligten Bundesressorts über eine Angleichung der turinstituten, die Lektoren und Dozenten an aus-
Bezüge aller im amtlichen Auftrag im Ausland tä- ländischen Hochschulen, die Stipendiengewährung
tigen Kräfte zum 1. Januar 1963 sind unter Feder- an ausländische Studenten sowie zahlreiche weitere
führung meines Ministeriums im Gange. Bei ihrer das Erziehungswesen in den Entwicklungsländern
Rückkehr ist den Lehrern eine ihrer beamtenrecht- fördernde Maßnahmen gehören zu der von der
lichen Stellung entsprechende Wiederverwendung Bundesregierung, den Länderregierungen und einer
im heimatlichen Schuldienst gewährleistet. Reihe von mit Bundesmitteln unterstützten nicht-
Zu der Frage 5 der Anfrage der FDP darf ich staatlichen Organisationen und Institutionen den
folgendes bemerken. Die Repräsentation der deut- Entwicklungsländern gegebenen Bildungshilfe.
schen Kultur im Ausland —ich verwende ausdrück- Ein wichtiger Bestandteil der Bildungshilfe sind
lich den Ausdruck „Repräsentation", weil die Bun- auch der fachlichen und handwerklichen Ausbildung
desregierung der Meinung ist, daß mit der Kultur- in den Entwicklungsländern dienende Einrichtungen
arbeit keine Propaganda verbunden sein sollte — wie technische Lehranstalten, Ingenieurschulen, Ge-
darf sich nicht bestimmen lassen durch die Propa- werbeschulen, landwirtschaftliche Lehrbetriebe, me-
gandaaktionen der sowjetisch besetzten Zone. Sie dizinische Anstalten und andere Ausbildungsstätten.
darf das Gesetz des Handelns nicht aus der Hand Derartige Einrichtungen werden wirkungsvoll er-
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 20. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1962 737
Bundesinnenminister Höcherl
gänzt durch in der Bundesrepublik zur Verfügung möchte ich dem Herrn Bundesinnenminister danken
stehende Ausbildungsstätten, Seminare und der- für , den umfassenden Überblick, den er über die
gleichen sowie durch die Entsendung einer großen kulturellen Leistungen des Bundes gegeben hat.
Zahl von deutschen Experten in Entwicklungsländer. Wenn man diesen Überblick auf sich wirken läßt,
muß man immerhin sagen, daß das, was ich heute
Meine sehr verehrten Damen und Herren, mit die-
morgen von meinem engeren politischen Freund
sem Gesamttableau wollte ich Ihnen Rechenschaft
darüber geben, wie die Bundesregierung die Mittel, Dr. August Dresbach in der „Frankfurter Allgemei-
die Sie ihr von Jahr zu Jahr erfreulicherweise in nen Zeitung" gelesen habe: „O Bund, du Hund, du
steigendem Maße zur Verfügung gestellt haben, bist nicht gesund", zweifellos eine unzulässige Ver-
zur Erfüllung des Spezialauftrages der Förderung zerrung der Situation darstellt. Denn das, was hier
der wissenschaftlichen Forschung und der sonstigen an effektiven Leistungen aufgezählt und aufgewiesen
kulturellen Aufgaben, vor allem auch der Förderung worden ist, kann sich sehen lassen, und darauf wol-
des kulturellen Kontakts mit dem Ausland, ver- len wir stolz sein. Die so häufig geübte Kritik an
wandt hat. Ich wäre dankbar, wenn die Sprache der Untätigkeit der staatlichen Stellen auf dem Ge-
dieser Leistungen, dieser doch recht beachtlichen biete der Kulturpolitik und an unzureichenden Lei-
Ergebnisse, Sie veranlassen könnte, den Anforde- stungen dürfte meines Erachtens in einer sehr ein-
rungen zu entsprechen, die die Bundesregierung leuchtenden Weise widerlegt worden sein.
auf diesem Gebiet im Haushaltsjahr 1962 stellt. Es Das gilt insbesondere, wenn wir uns darüber im
ist durchaus nicht so, wie es einer der Herren, der- klaren sind, daß nach der Verfassungslage in der
eine der Großen Anfragen begründet hat, zum Aus- Bundesrepublik die Kulturpolitik nicht nur eine Auf-
druck gebracht hat, daß keine Übersicht darüber gabe des Bundes, sondern auch eine Aufgabe der
vorhanden sei, wie diese Mittel von der Bundes- Länder ist. Nach der Verfassungslage könnte man
regierung eingesetzt seien. Ich darf Sie bitten, zu vielleicht sogar umgekehrt sagen, daß die Kultur-
Ihrer Aufklärung den Funktionenplan in der Druck- politik zum größeren Teile eine Aufgabe der Län-
sache IV/200 zu lesen, der eine ausführliche, sehr der und auch eine Aufgabe des Bundes ist.
sachgerechte und nach Sachgebieten geordnete Zu-
sammenstellung enthält. Wenn Sie das gelesen Ich habe dieser Tage in einer Zeitung einige An-
haben, werden Sie den Vorwurf zurückziehen. merkungen des Herrn bayerischen Kultusministers
Wenn Regieren im wahrsten Sinne des Wor- Professor Maunz gelesen, in denen er sagt, ,daß die
tes Vorsorge heißt, kann es keinen Zweifel dar- Gesamtheit der deutschen Länder etwa zehn- oder
über geben, daß die Leistungen in diesem Sektor in elfmal soviel Mittel für kulturpolitische Zwecke
dem Katalog der Dringlichkeiten unmittelbar nach ausgebe als der Bund. Ob die Zahlen genau richtig
den Fragen der inneren und äußeren Sicherheit sind, ob es auch nur ,das Fünf- oder Sechs- oder
kommen, und zwar im Interesse des einzelnen und Sieben- oder Achtfache statt des Zehnfachen ist,
unserer Zukunft. Ich bin der Auffassung, daß es in spielt keine Rolle.
dieser Frage nicht mehr zu einem Streit zwischen Wenn man über deutsche Kulturpolitik spricht,
den Ländern und dem Bund kommen sollte, sondern kann man nach der Verfassungslage der Bundes-
daß es nur eine einzige Möglichkeit der Ausein- republik nicht nur den Bund sehen, kann man auch
andersetzung gibt, nämlich einen Wettstreit, mehr nicht nur die Aufgaben sehen, die von Bund und
zu tun, um vor der Zukunft, vor der kommenden Ländern gemeinsam gelöst werden, sondern man
Generation bestehen zu können. muß auch die Aufgaben mit einbeziehen, die von
(Lebhafter Beifall bei den Regierungspar- den Ländern auf Grund ihrer verfassungsrechtlichen
teien.) Befugnis und Verpflichtung alleine erfüllt werden.
Wenn ich so die deutsche Kulturpolitik — Kultur-
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Meine Damen politik betrieben durch den Bund, betrieben durch
und Herren, Sie haben die Beantwortung der Gro- die Länder und betrieben in der Zusammenarbeit
ßen Anfrage gehört. von Bund und Ländern — als ein Ganzes sehe, muß
ich es außerordentlich bedauerlich finden — ich
Für die Beratung liegen bis jetzt sieben Wort- möchte nicht von der jetzigen After-dinner-Situation
meldungen vor. Ich unterbreche deshalb die Sit- sprechen, wo die Bundesratstribüne völlig leer ist,
zung. Wir fahren heute nachmittag um 15 Uhr fort. sondern ich erinnere an die Zeit des heutigen Vor-
Die Sitzung ist unterbrochen. mittags, wo der Herr Bundesinnenminister seine
seine sehr instruktiven und wertvollen Ausführun-
(Unterbrechung der Sitzung von 12.56 Uhr
gen gemacht hat —, daß die Bundesratstribüne heute
bis 15.02 Uhr.)
angesichts des so lautstark angemeldeten kultur-
politischen Anspruchs der Länder so leer war.
Vizepräsident Schoettle: Die Sitzung ist wie
der eröffnet. (Beifall bei den Regierungsparteien und bei
Wir fahren in der Beratung der Großen Anfrage Abgeordneten der SPD.)
der Fraktionen der CDU/CSU, der SPD und der FDP
Das hat mich als überzeugten Föderalisten tief be-
fort. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Professor
drückt.
Dr. Süsterhenn.
(Abg. Metzger: Wie ist es mit dem Bundes
Dr. Süsterhenn (CDU/CSU) : Herr Präsident! tag, — wenn ich einmal die Frage auf
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst werfen darf?)
738 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 20. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1962

Dr. Süsterhenn
— Hier habe ich ja entschuldigend von „einer Art Es ist ganz klar — einer der Herren Redner hat
Dinner-Situation" gesprochen. Aber auch das ist ja es schon gesagt, ich glaube, es war der Herr Kollege
nicht gerade ein eindrucksvolles Bild Lohmar, oder es ist in der gestrigen Debatte einmal
gesagt worden —: die Verfassung fixiert natürlich
(Abg. Metzger: Eben!)
immer eine bestimmte Situation. Aber diese Situa-
des kulturpolitischen Willens des Deutschen Bun- tion, in der eine Verfassung geschaffen worden ist
destages. Ich danke Ihnen für diese Zwischenbemer- und die Normen fixiert worden sind, bleibt natürlich
kung; damit man also auch die Kritik nach allen nicht dieselbe. Infolgedessen befinden wir uns zwei-
Seiten gerecht zu verteilen in der Lage ist. fellos nicht mehr in der Situation des Jahres 1949,
als wir das Grundgesetz gemacht haben, sondern
(Abg. Frau Geisendörfer: Die anderen sind
die Zeit ist weiter fortgeschritten, und wenn eine
im Geist dabei!)
Verfassung allzu starr ist, besteht die große Gefahr,
— Marschieren im Geiste mit, jawohl. daß irgendwelche Friktionen eintreten.
(Abg. Frau Geisendörfer: Nein, das habe Nun scheint es mir der Vorzug der föderalisti-
ich nicht gesagt!) schen Verfassung zu sein, daß sie wie kaum eine
andere dynamisch, daß sie dehnbar, daß sie also
Der Herr Bundesinnenminister hat zu Beginn sei- an den Fortschritt der tatsächlichen Entwicklung
ner Ausführungen betont, daß er die Kulturpolitik anpassungsfähig ist, — wenn man diese Verfassung
nicht als Angelegenheit eines Kompetenzstreites be- nicht lediglich als eine starre Kompetenzverteilung
handeln wolle, und er hat meines Erachtens sehr gut zwischen Bund und Ländern sieht, sondern wenn
daran getan. Er hat also, möchte ich aus dieser Be-
man das Wesen einer föderalistischen Verfassung
merkung schließen, weniger als Verfassungsminister
dahin versteht, daß in einem Bundesstaat Bund und
denn als Kulturminister gesprochen; er hat also
Länder zur Kooperation oder, wie es das Bundes-
mehr Wert gelegt auf die Fragen der kulturpoliti-
schen Zweckmäßigkeit, auf die Fragen der kultur- verfassungsgericht einmal ausgedrückt hat, zur Rea-
politischen Praxis, auf die Organisation und die lisierung des Prinzips der wechselseitigen Bundes-
finanzielle Förderung der Kulturpolitik, und er hat treue verpflichtet sind. Einer der Reichskanzler der
dann mit der Feststellung geschlossen: Die Kompe- Weimarer Republik, Herr Dr. Luther, den ich
tenzfragen sind weniger wichtig; Bund und Länder für einen .der erfahrensten Kenner deutschen Staats-
mögen sich in einem kulturpolitischen Wettstreit zu- lebens halte, hat einmal gesagt: In einem Bundes-
sammenfinden. Ich lasse das vom Standpunkt der staat gibt es eigentlich drei Rechtsquellen; die eine
Kulturpolitik aus gesehen durchaus gelten. Ob es ist die Gesetzgebungskompetenz des Bundes, die
eine zutreffende Charakterisierung unserer verfas- anderiGstzgbukompendrLä,
sungsrechtlichen Situation gewesen ist, möchte ich und die dritte Rechtsquelle ist die des Staatsver-
dahingestellt sein lassen; zum mindesten war es trages oder der Verwaltungsabkommen oder des
eine sehr vereinfachende Darstellung unserer Ver- praktischen Arrangements. Ich glaube, daß gerade
fassungslage auf diesem Gebiet. in dieser dritten Rechtsquelle die große Chance für
eine bundesstaatliche Verfassung liegt, auch neue
(Abg. Eichelbaum: Für den Hausgebrauch!) Probleme, die auftauchen, einvernehmlich zu lösen.
— Für den Hausgebrauch, ja. Aber wir sind ja letz- Der Herr Bundesinnenminister hat einen ein-
ten Endes ein Verfassungs- und Rechtsstaat und drucksvollen Überblick über diese vielfältigen For-
müssen die Grundlinien, die wir durch die Verfas- men der Zusammenarbeit zwischen Bund und Län-
sung festgelegt haben, im Auge behalten, selbst dern gegeben. Wenn wir gerecht sein wollen, müs-
wenn sie sich nicht immer als äußerst bequem, ja sen wir aber auch feststellen, daß die Länder
selbst wenn sie sich im einzelnen Falle noch nicht unter sich bereits erfolgreiche Koordinationsmaß-
einmal als zweckmäßig erweisen sollten. nahmen durchgeführt haben. Ich darf mich hier wie-
Im übrigen bin ich der Auffassung, daß der Bund derum auf den Herrn bayerischen Kultusminister
selbstverständlich das ungeschriebene Recht zur Ko- Prof. Maunz berufen, der kürzlich einmal gesagt
ordination in allen das Leben des deutschen Volkes hat, daß die Ständige Konferenz der Kultusminister
betreffenden Angelegenheiten hat und damit selbst- während ihres Bestehens bisher in 300 Abkommen
verständlich auch das Recht und die Pflicht, aus der und Absprachen, sei es über Institutionen wissen-
bundesstaatlichen Verfassung heraus für die Koordi- schaftlicher und kultureller Art, sei es auch über
nation auf dem Gebiete der Kulturpolitik zu sorgen. praktische Maßnahmen der Angleichung des Schul-
Koordinieren ist natürlich nicht dasselbe wie Diri- und Hochschulwesens in den deutschen Ländern,
gieren, noch viel weniger dasselbe wie Komman- wesentliche, notwendige Vereinheitlichungsmaß-
dieren. Ich bin dem Herrn Bundesinnenminister nahmen durchgeführt hat.
sehr dankbar dafür, daß er so großen Wert darauf
gelegt hat, an einer Fülle von praktischen Beispie- Angesichts dieser Tatsache einer erfolgreichen
len zu illustrieren, wie gut und positiv diese Koor- Koordinationsarbeit zwischen Bund und Ländern
dination, diese Zusammenarbeit zwischen Bund und einerseits und andererseits auch der Länder unter-
Ländern funktioniert. Ich glaube, man sollte den einander vermag ich eigentlich nicht zu verstehen,
Herrn Bundesinnenminister und die Bundesregie- daß Herr Kollege Lohmar im Anschluß an die Aus-
rung durchaus ermutigen, auf diesem Wege der führungen des Herrn von Knoeringen noch ein
freundschaftlichen Zusammenarbeit, also dieser weiteres Interländergremium in Form eines Länder-
Koordination, die nicht identisch ist mit Kommando, kulturrates, oder wie man es heißen will, in Vor-
weiter fortzuschreiten. schlag gebracht hat. Nach meiner Überzeugung ist
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 20. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1962 739
Dr. Süsterhenn
die Kultusministerkonferenz durchaus in der Lage, hier zum Gegenstand einer Analyse zu machen. Ich
die notwendigen Koordinationsaufgaben, die zwi- bin aber bereit, mit Ihnen .gemeinsam in diese Ana-
schen den Ländern zu erfüllen sind, zu erfüllen, lyse einzutreten, wenn Sie im einzelnen Wert dar-
und es bedarf hierzu gar keines weiteren Gremiums auf legen.
mehr. Ich würde das als eine völlig unnötige Über- Obwohl die CDU/CSU als solche sich keineswegs
organisation ansehen, zumal es ja gerade die Kul- durch den Ellwanger Kreis irgendwie festgelegt
tusministerkonferenz gewesen ist, die die frucht- fühlt, möchte ich .doch erklären, daß für die CDU/
bare Zusammenarbeit mit dem Bund, sei es im Deut- CSU-Fraktion und auch für mich persönlich keiner-
schen Ausschuß für Erziehung, sei es im Wissen- lei Notwendigkeit besteht, sich von dem, was dort
schaftsrat oder auf so manchen anderen Gebieten, gesagt worden ist, und insbesondere von dem, was
mitgestaltet hat. Warum denn hier noch einmal dort als Zitat des heute morgen auf der Regierungs-
eine formelle dritte Organisation schaffen, für deren bank sitzenden Staatssekretärs Strauß — ich sehe,
Betätigung — es nicht ganz klar, wie es im ein- er ist wieder da — wiedergegeben worden ist,
zelnen ausgestaltet werden soll, welche Befugnisse irgendwie zu .distanzieren.
sie haben soll — ich zunächst keinen praktischen
Raum sehe und gegen deren Betätigung ich unter Ja, wir bekennen uns zum Humanismus. Aber
Umständen auch verfassungsrechtliche Bedenken an- Humanismus ist heute ein so ausdeutbares Wort
zumelden hätte. geworden, daß es schon notwendig ist, diesen Be-
griff mit etwas mehr Inhalt anzureichern.
Es ist ganz klar, daß die Länder befugt sind, unter-
sich zusammenzuarbeiten, und in diesem Sinne bil- (Beifall bei der CDU/CSU.)
det auch die Ständige Kultusministerkonferenz eine Vom Humanismus des Herrn Sartre will ich gar
Ländergemeinschaft, gegen die sich sicherlich auch nicht sprechen. Ich möchte hier gern in unsere deut-
der Herr Bundesminister nicht wenden wollte, als sche Gegenwart hineingehen. Vor zwei oder drei
er sich gegen Ländergemeinschaften ausgesprochen Wochen habe ich im „Vorwärts" einen sehr inter-
hat. Ländergemeinschaften könnten nur dann als essanten Artikel über den aus Leipzig in die Bun-
verfassungswidrig, als grundgesetzwidrig bezeich- desrepublik geflohenen Philosophieprofessor Bloch
net werden, wenn sie über die Aufgabe der Koordi- gelsn.AuchdawrmieHnsur-
nation hinaus unmittelbare Staatsgewalt im Namen viert. Meine Damen und Herren, einen derartigen
einer Ländergemeinschaft in die Länder hinein aus- Humanismus lehnen wir von der Christlich-Demo-
zuüben beanspruchten. Eine derartige Länder- kratischen und Christlich-Sozialen Union allerdings
gemeinschaft wäre mit dem Grundgesetz nicht ver- ganz entschieden ab, weil uns dieser Humanismus
einbar. Warum also da noch dieses unklare Ge- in eine fatale Nachbarschaft des Ulbrichtschen soge-
bilde des neuen Kulturrates schaffen? nannten Humanismus zu geraten scheint.
Wir sind uns darüber im klaren, daß es nicht die (Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Erler:
Aufgabe des Staates ist, Kultur zu machen — das Haben Sie denn Bloch schon einmal ge
hat der Herr Bundesinnenminister vor allem im lesen?!)
letzten ,Teil seiner Ausführungen mit erfreulicher — Ich haben den 'Bericht gelesen, Herr Kollege
Deutlichkeit festgestellt —, sondern daß Kultur- Erler.
politik überhaupt nur 'bedeuten kann: Kultur för-
dern, anregen, hilfreich der kulturellen Entfaltung, (Abg. Erler: Haben Sie etwas von Bloch
dem freien kulturellen Schaffen zur Seite stehen selbst gelesen?)
und gegebenenfalls auch Wildwüchse, die mit den — Ich habe den Bericht im „Vorwärts" gelesen,
Forderungen des Gemeinwohls nicht im Einklang (Abg. Erler: Von Herrn Bloch?!)
stehen, beschneiden. Zu einer positiven Kulturpoli-
tik gehört auch, daß man nicht allem, was nichts mit und ich nehme nicht an, daß der „Vorwärts" dem
Kultur zu tun hat, sondern letzten Endes kultur- Herrn Bloch unrecht tut. Lesen Sie das bitte nach.
und sittlichkeitszerstörend wirkt, freien Weg gibt. Ich könnte Ihnen auch noch mit einigen Zitaten von
Die Hilfestellung des Staates auf dem Gebiet der Herrn Bloch aufwarten. Da würden Ihnen wahr-
Kulturpolitik scheint mir vom Herrn Bundesinnen- scheinlich die Augen überlaufen, und Sie würden
minister sehr richtig hervorgehoben worden zu sein. diese Nachbarschaft wahrscheinlich entschieden ab-
lehnen.
Natürlich: Kulturpolitik ist mehr als Organisa-
tion, mehr .als Verwaltung, mehr als Finanzierung. (Abg. Erler: Na also! — Weitere Zurufe
Wir müssen uns selbstverständlich auch mit den von der SPD.)
geistigen Grundlagen der Kulturpolitik, mit den — Warum denn so aufgeregt, meine Damen und
kulturellen Grundwerten befassen. Ich bin dem Herren?
Herrn Kollegen Lohmar sehr dankbar, daß er ge-
(Erneute Zurufe von der SPD.)
rade dieses Thema angeschnitten hat, allerdings in
Form eines sehr unvollständigen Zitats aus einem Das wird uns aber auch als Humanismus präsentiert,
Protokoll des Eilwanger Kreises. und diesen Humanismus lehnen wir ab.
(Abg. Lohmar: Ich will es gern ergänzen, (Sehr gut! bei der CDU/CSU. — Zuruf von
Herr Kollege!) der SPD: Natürlich!)
— Es wäre zu lang. Ich habe mir inzwischen das — Schön, daß wir in dem Punkte einig sind, daß
Protokoll beschafft. Das sind beinahe 40 Seiten. Es es mit diesem verschwommenen Begriff „Humanis-
würde deshalb wohl zu weit führen, das Protokoll mus" allein also nicht getan ist.
740 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 20. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1962

Dr. Süsterhenn
Jetzt will ich Ihnen sagen, was nach Auffassung tigen Metropolen der Welt Deutsche Häuser zu
der Christlich-Demokratischen und Christlich-Sozia- gründen, scheint mir einmal einer Prüfung wert zu
len Union zu unserem Begriff des Humanismus hin- sein. Wenn man in anderen Hauptstädten sieht,
zugehört. Das ist der Begriff des christlichen Huma- wie Häuser anderer Länder wirklich Kulturmittel-
nismus, die Tatsache, daß in diesem Humanismus punkte, gesellschaftliche Mittelpunkte, auch Mittel-
die christlichen Werte die entscheidenden und die punkte wirtschaftlicher Werbung sind — unsere
bestimmenden sind. Häuser würden auch Stützpunkte für die Deutschen
im Ausland und für alle diejenigen sein, die Freunde
(Zurufe von der SPD. — Zuruf links: Spa-
Deutschlands sind oder sich über Deutschland in-
nien!)
formieren wollen —, muß man sagen, daß sich
— Meine Damen und Herren, Spanien! Ich könnte das Auswärtige Amt doch einmal näher mit der-
ja jetzt auch von Tito — Jugoslawien sprechen, wo artigen Häusern und Projekten dazu befassen sollte.
sich Ihr Kollege Schmid im Augenblick aufhält. Ich Das gilt besonders, wenn die Anregung zur Ver-
tue das bewußt nicht. Wir reden ja hier von den wirklichung derartiger Projekte gerade von Aus-
deutschen Verhältnissen. ländern an uns herangetragen wird, und zwar mit
Da bin ich allerdings der Meinung, daß wir allein der Bereitschaft, sich nicht nur etwas schenken zu
für unsere deutschen Verhältnisse die Verantwor- lassen, sondern dafür von ausländischer Seite auch
tung tragen. Ich schiebe Ihnen nicht die Verantwor- ganz erhebliche Opfer zu bringen.
tung für Jugoslawien in die Schuhe, schieben Sie- Wir bejahen den Gedanken einer Intensivierung
bitte uns nicht die Verantwortung für Spanien in der Kulturpolitik im Bund, in den Ländern und in
die Schuhe! der Gemeinschaftsarbeit zwischen Bund und Ländern
(Beifall 'bei der CDU/CSU.) und möchten den Herrn Bundesinnenminister bitten,
Für uns gehört zum Begriff und Wesen des Hu- die Aufgabe der Koordinierung noch stärker in seine
manismus, daß er vom christlichen Denken, vom Obhut zu nehmen, als das bisher von seinem Mini-
sterium aus geschehen ist, und zwar zunächst was die
christlich-religiösen Denken her bestimmt ist. Wir
Koordination der wissenschaftlichen Forschung und
bekennen uns ausdrücklich zum christlichen Huma-
nismus. Wir wollen uns — damit das ganz klar ist der Kulturpolitik im weitesten Sinne zwischen den
Bundesministerien angeht. Wir haben von einem
— auch darüber im klaren sein, daß dieser christ-
interministeriellen Ausschuß gehört und sind sehr
liche Humanismus durchaus seinen gesicherten und
froh darüber, daß er existiert. Ich glaube jedoch, daß
verfassungsrechtlich' garantierten Platz im Rahmen
in der Öffentlichkeit weithin nicht allzu viel von
unseres Grundgesetzes hat, das ja damit beginnt:
seiner positiven Tätigkeit bekanntgeworden ist.
„Im Bewußtsein seiner Verantwortung vor Gott".
Klappern gehört auch zum Handwerk, Herr Mini
Es bietet also durchaus für einen theistischen, christ-
ster; wenn man etwas Gutes tut, soll man das nicht
lichen Humanismus, für eine entsprechende Kultur-
verschweigen, sondern es ohne weiteres auch ruhig
betrachtung und Kulturpolitik Raum, und wir, die
einmal dem Lichte der Öffentlichkeit aussetzen.
CDU/CSU, sind gewillt, diesen uns verfassungsrecht-
lich gebotenen Raum auszufüllen. Ein Weiteres! Ich bedauere sehr — ich sage das,
(Beifall bei der CDU/CSU.) obwohl die Bundesratsbank fast leer ist —, daß
das Schreiben des Bundesinnenministeriums vom
Letzten Endes kommen wir in der großen geistigen April vorigen Jahres, in dem vorgeschlagen wurde,
Auseinandersetzung zwischen Ost und West, die weitere Verhandlungen zwecks Intensivierung der
nicht nur unseren Kontinent, sondern die ganze Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern aufzu-
Welt durchpulst, mit irgendwelchen blassen, unent- nehmen, bisher nicht die entsprechende Beantwor-
schiedenen Begriffen von Humanismus nicht durch, tung gefunden hat bzw. erst in den letzten Tagen
sondern da müssen wir Farbe bekennen, was für durch den Ministerpräsidenten Altmeier mündlich
uns das Humanum ist. Für uns ist der Mensch ein beantwortet worden ist. Herr Bundesinnenminister,
Geschöpf Gottes, und das Humanum hat nur seinen nehmen Sie Herrn Altmeier, nehmen Sie den Bun-
Sinn durch die Verankerung im Religiösen, im desrat, nehmen Sie die Kultusministerkonferenz
Christlichen. Das wollen wir auch auf dem weiten beim Wort und sorgen Sie dafür, daß Bund und
Gebiet der Auslandskulturpolitik und insbesondere Länder durch eine Fülle, sei es formeller Abma-
auch auf dem Gebiet der Entwicklungshilfe, die wir chungen, sei es mündlicher oder stillschweigender
mit besonderer Betonung als eine Bildungshilfe an- Arrangements das tun, was das gesamte deutsche Volk
sehen, verwirklicht und garantiert wissen. erwartet, nämlich die deutsche Kultur in größt- und
Auf dem Gebiet der Auslandskulturpolitik müssen bestmöglichem Ausmaße zu fördern und in unserem
wir nach meinem Dafürhalten, Herr Bundesinnen- Volke und gegenüber der Welt positiv darzustellen.
minister — mehr noch richte ich diese Bitte an die
(Beifall bei der CDU/CSU.)
Adresse des Auswärtigen Amts —, noch unendlich
viel mehr tun. Es ist sehr _viel getan worden, aber
wenn man im Ausland sieht, was andere Staaten Vizepräsident Schoettle: Das Wort hat der
auf diesem Gebiete leisten, auch uns befreundete Herr Abgeordnete Dr. Frede.
Staaten, und nicht erst seit gestern oder vorgestern,
sondern seit Jahrzehnten, dann kann einen mitunter Dr. Frede (SPD) : Herr Präsident! Meine Damen
der blasse Neid ankommen. und Herren! Der Herr Kollege Süsterhenn hat zum
Ich möchte insbesondere dem Herrn Vertreter des Mittelpunkt seiner Ausführungen die Frage der
Auswärtigen Amts sagen: das System, in den wich- Koordinierung aller kulturpolitischen Aufgaben ge-
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 20. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1962 741
Dr. Frede
macht. Ich halte das für sehr wesentlich und richtig. trag zwei Jahre später erneut gestellt. Sie brauchen
Diese Koordinierung ist auch einer der wesentlichen sich nur alle ihre eigenen Anträge und ihre eigenen
Punkte der Anfragen, die wir heute behandeln. Dar- Vorlagen anzusehen; Sie werden finden, daß im
über hinaus haben Sie, Herr Süsterhenn, mit eini- Grunde genommen in den vergangenen vier Jahren
gem Pathos zu den Grundfragen der Kulturpolitik die Frage nach der Zuständigkeit zwischen Bund
Stellung genommen, insbesondere zu dem heute und Ländern die Kardinalfrage in kulturpolitischer
morgen aufgegriffenen Thema einer, sagen wir ein- Hinsicht gewesen ist.
mal, christlich ausgerichteten Auffassung vom Men-
Sie, Herr Minister, haben gesagt, man solle ge-
schen und von der Kultur oder einer säkularisierten
wisse Fragen nicht überhasten, solle nicht über-
Auffassung. Diese Frage stand schon heute morgen
treiben, das könne zum Nachteil sein. Sicher, aber
im Mittelpunkt der Erörterung.
man soll sie auch nicht in einer Weise hinschleppen,
Wenn wir uns hier primär mit Fragen der wissen- wie das hier geschehen ist; denn in vier Jahren
schaftlichen Forschung befassen, dann sollte es auch hätte immerhin etwas mehr herauskommen können
bei Ihnen keinen Zweifel darüber geben, daß die als herausgekommen ist. Sie haben zugegeben, die
Forschung frei ist und daß sie im Zuge der histo- Verhandlungen seien gescheitert. Das erfahren wir
rischen Entwicklung der letzten drei-, vierhundert hier zum erstenmal. Ich darf doch darauf hinweisen,
Jahre eine säkularisierte Angelegenheit geworden daß ,der Bundestag seinerzeit eine Entschließung ge-
ist. Es bleibt uns — Ihnen, mir und anderen — in faßt hatte, daß bis zur Einbringung des Haushalts
einer pluralistischen Gesellschaft und in einem Staat,- 1960 ein Bericht hierüber gegeben werden sollte.
der diese pluralistische Gesellschaft anerkennt, Ich finde, man zeigt recht wenig Achtung vor dem
selbstverständlich überlassen, was wir für ein Men- Parlament, wenn man bis heute einen solchen Be-
schenbild haben. Die Frage ist nur, wie weit man, richt nicht gegeben hat und dem Hohen Haus bis
wenn man kulturpolitische Fragen erörtert und Kul- heute keine Kenntnis gegeben hat, was aus diesen
turpolitik betreibt, eine eingeengte Auffassung — Verhandlungen herausgekommen ist und ob ein
denn im Rahmen des Gesamtkomplexes des Huma- Abkommen geschlossen wurde. Wir haben es vor-
nismus ist das eine spezielle Auffassung — zur hin zum erstenmal erfahren.
Grundlage und zum Gegenstand politischer Maß-
nahmen machen kann, und um das geht es hier. Die Gefahr, die ich darin sehe, ist vielleicht nicht
Es ist die Frage — nach Wilhelm von Humboldt —: ganz unerheblich. Der breiten Öffentlichkeit ist es
Wie hälst du es mit dem Humanismus? Und es ist verhältnismäßig gleichgültig, ob der Bund, ob die
die Gretchenfrage, die man hier nicht stellen sollte: Länder oder ob die Gemeinden auf dem Gebiete der
Wie hälst du es mit der Religion? Das gehört nicht Kulturpolitik etwas tun. Was die breite Öffentlich-
hierher und hat hier keinen Sinn. Deshalb ist es für keit will, ist, daß etwas geschieht, daß etwas sinn-
uns relativ uninteressant, ob Sie gegen Auffdssun- voll geschieht und daß etwas — auch das muß ge-
gen, die Herr Bloch oder sonstwer vertreten hat, sagt werden — in relativer Einmütigkeit und Ein-
opponieren. Wir Sozialdemokraten, das wissen Sie heit geschieht. Ich darf daran erinnern, daß vor
genau, stehen in den Fragen der Wissenschaft, der Jahren über die Frage der Zersplitterung des Bil-
Forschung und der Kultur zu den Grundwerten einer dungswesens ein sehr heftiger Streit entbrannt war
demokratischen Ordnung, wir stehen auf dem Boden und daß man erst durch die öffentliche Debatte dazu
der Grundrechte, an deren Spitze das auf Würde gekommen ist, gewisse Rahmenvereinbarungen z. B.
des Menschen und Freiheit des Menschen steht. Nur über Vereinheitlichung des Schulwesens zu treffen.
von da ausgehend kann dann der einzelne hier und (Zuruf von der CDU/CSU: Um festzustellen,
dort seine spezielle kulturpolitische Position bezie- wie weit das übertrieben war!)
hen. Mehr möchte ich hierzu nicht sagen. Es bleibt
vielleicht anderen Kollegen, die dieses Thema an- — Wie weit das übertrieben ist, .das ist eine andere
geregt haben, vorbehalten, noch einiges zu sagen. Frage. Jedenfalls besteht in der breiten Öffentlich-
keit der Wunsch, daß wir zu gewissen einheitlichen
Kehren wir zu dem Hauptthema zurück, nämlich
Auffassungen und einheitlichen politischen Prak-
dem der Kompetenzfrage oder der Koordinierungs-
tiken in der Kulturpolitik kommen. Wenn nun we-
frage. Sowohl Sie, Herr Kollege Martin, wie auch
gen einer solchen Verzögerungstaktik kein Ergeb-
Sie, Herr Minister, haben hier wie auch in einigen
nis zustande kommt, rührt das an das Vertrauen,
Beiträgen, die vorher erschienen sind, wiederholt
das man , dem föderalen Aufbau unseres Staates und
davor gewarnt, die Frage der Koordinierung all-
der Demokratie entgegenbringt. Das sollte man
zusehr mit der Frage der Kompetenz zu koppeln,
nicht verkennen. Hören Sie sich bitte draußen um,
die Frage der Kompetenz von Bund und Ländern
nicht nur in Fachkreisen, sondern allgemein in der
allzusehr in den Vordergrund zu stellen oder gar
Öffentlichkeit.
erneut einen Streit hierüber zu entfachen, wie ge-
sagt wurde. Die Frage der Zuständigkeiten ist nicht Wenn , der Herr Minister mit Freuden feststellt,
von uns, sondern von Ihnen, von der CDU aufge- daß ihm in den letzten Wochen eine Hilfstruppe in
worfen worden. Lesen Sie bitte die Protokolle über den verschiedensten Kreisen der Wissenschaft er-
die kulturpolitische Debatte vor vier Jahren nach. standen ist — Rektorenkonferenz, Wissenschafts-
Damals haben Sie, als wir mit sehr konkreten und rat und was alles es sein mag —, muß das zu den-
materiellen Anträgen kamen, alle diese Anträge ken geben. Dahinter steht doch ein gewisses Miß-
abzuschieben oder — ich möchte sagen — hinüber- trauen gegenüber den primär berufenen Organen
zuleiten versucht auf die Frage der Zuständigkeit der Kulturpolitik in den Ländern. Man hat offen-
von Bund und Ländern. Sie haben einen solchen An sichtlich nicht das Vertrauen, daß von den Ländern
742 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 20. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1962

Dr. Frede
her auf dem Gebiet der Kulturpolitik so intensiv ren —; dann können wir uns darüber unterhalten
und so nachhaltig gearbeitet wird, wie es gewünscht und sehen, was dabei konkret herauskommt. Ich bin
wird, und ich glaube, dies ist nicht ganz unberech- der Überzeugung, daß der Vorschlag durchführbar
tigt. ist; ich kenne die Arbeit der Kultusministerkon-
Ein kleines Beispiel! Ihr Kollege Balke, Herr ferenz in der gegenwärtigen Form.
Minister Höcherl, hatte seinerzeit den Art. 74 Nr. 13 Eine solche Ausweitung hätte eine zweite, sehr
des Grundgesetzes so weit ausgelegt, daß er auf positive Wirkung. Dem Bunde stände nicht ein
seinen ureigensten Gebieten nicht nur die Forschung Organ, aber, sagen wir, ein Sekretariat gegenüber,
fördern, sondern sich schon an den jüngsten Nach- mit dem man stärker als bisher in Beziehung tre-
wuchs wenden wollte, indem er den höheren Schu- ten könnte, .aus dem dann vielleicht auch mehr zu
len die Anschaffung von Geräten ermöglichte, die erfahren wäre, als man bisher erfahren konnte. Das
den Unterricht auf dem Gebiete der Kernphysik bezieht sich insbesondere auf das, was Sie, Herr
beleben. Das Hohe Haus hat damals 9 Millionen DM Martin, hinsichtlich einer Repräsentativdokumen-
für diesen Zweck bewilligt. Dann hat der Haushalts- tation oder einer Repräsentativdarstellung dessen
ausschuß plötzlich gesagt, das sei verfassungsmäßig sagten, was kulturell — in diesem Falle von den
nicht angängig, und infolgedessen wurde der zweite Ländern — 'geleistet worden ist. Sie können doch
Teil dieser Mittel nicht bewilligt. So ist es dazu ge- nicht von allen zehn Ländern einzeln von Jahr zu
kommen, daß .die Hälfte der höheren Schulen in Jahr Auskünfte darüber herbeiholen, was in diesen
der Bundesrepublik mit solchen Geräten ausgestat-- Ländern geschehen ist. Es wäre doch sehr zweck-
tet wurde. Man hatte den Ländern empfohlen, die mäßig und wünschenswert, wenn derartige Doku-
Ausstattung der anderen Hälfte zu übernehmen. mentationen einheitlich erstellt und publiziert wür-
Jeder weiß — der Herr Minister hat es erst neulich den. Ich weiß, daß das zum Teil geschehen ist, aber
im Ausschuß für Atomkernenergie betont —, daß noch keinesfalls in der Intensität, die wir für wün-
das bis heute nicht geschehen ist. — Eine relativ schenswert halten.
kleine Angelegenheit, die aber nicht ganz unbe-
(Abg. Frau Geisendörfer: Mit denen stehen
zeichnend ist und nicht geeignet sein dürfte, das
wir doch ständig in Verbindung!)
Vertrauen in die Einheitlichkeit und geschlossene
Arbeit der Kultusminister zu heben. — Wir stehen nicht ständig in Verbindung, son-
Ich könnte noch sehr viele andere Beispiele an- dern nur gelegentlich, liebe Frau Kollegin. Wenn
führen, möchte es mir aber ersparen und in diesem wir ständig in Verbindung ständen, könnten hin-
Zusammenhang darlegen, weshalb neuerdings von sichtlich der Frage der Abgrenzung der Kompeten-
Kreisen meiner Parteifreunde der Vorschlag über zen zwischen Bund und Ländern schon ein wenig
eine Ländervereinbarung gemacht worden ist, den größere Fortschritte erzielt sein. Sie werden sich er-
sowohl Sie, Herr Martin, wie auch Sie Herr Süster- innern, daß Herr Generalsekretär Frey uns bereits
henn, so heftig kritisiert haben. Herr Kollege vor zwei Jahren eine sehr gründliche und ein-
Süsterhenn, Sie haben selber zugestanden, daß ver- gehende Darstellung vorgelegt hat, wie weit unter
fassungsrechtlich nicht nur Vereinbarungen zwi- Berücksichtigung der grundgesetzlichen Zuständig-
schen Bund und Ländern, sondern auch Vereinba- keiten die Länder etwas tun können, der Bund
rungen zwischen den Ländern durchaus zulässig etwas tun kann und beide gemeinsam etwas tun
sind. Es gibt solche Vereinbarungen. Der Vorschlag, können. Warum ist das nicht zur Grundlage für ein
den wir der Öffentlichkeit unterbreitet haben, be- Abkommen genommen worden, das von allen Krei-
sagt nichts weiter, als daß das relativ lose Gefüge sen gewünscht wird, die sich mit Kulturpolitik be-
der Kultusministerkonferenz gefestigt werden soli, schäftigen? Eben aus dein einfachen Grunde, weil
indem es eine gewisse vertragliche Grundlage er- diese Organisation nicht das Gewicht hat, das sie
hält. Falls Sie diesen Vorschlag noch nicht gelesen haben sollte.
haben sollten, darf ich Sie insofern beuhigen: Die Ich darf mich von diesem Punkt abwenden und
Frage des Kulturrates ist dabei völlig nebensäch- nochmals zu dem zurückkehren, was Sie, Herr Mini-
lich. Die Kultusministerkonferenz soll nicht als ein ster, zu der Frage der Kompetenzverteilung gesagt
neues Verfassungsorgan geschaffen, sondern als eine haben. Sie haben sich hier als Pragmatikererwie-
faktisch bestehende Organisation In ihrer Arbeit sen, indem Sie uns sehr bunt und schillernd den
gestärkt und attraktiver gemacht werden. Strauß von Erfolgen und Maßnahmen, die die Bun-
(Abg. Dr. Martin: Wie denn?) desregierung ergriffen hat, dargestellt haben. Das
war sehr schön. Sie haben sich dabei als ein Opti-
— Dadurch, daß die Kultusministerkonferenz nicht
mist erwiesen, indem Sie das alles für „bestens"
mehr nur — wie bisher — in verhältnismäßig loser
halten. Herr Kollege 'Süsterhenn hat aber schon dar-
Form zusammenkommt und relativ weit auslegbare
Beschlüsse faßt, sondern mit ihren Vorschlägen ein auf hingewiesen, daß es damit allein nicht getan
wenig weiter geht, daß sie sich organisatorisch ein ist, sondern daß verfassungsrechtliche Probleme da-
klein wenig ausweitet, daß das, was gegenwärtig hinterstehen. Wir wollen keinen Streit aufrollen.
das Generalsekretariat in Bonn macht, ein bißchen Dieser Streit, falls es ein Streit ist, sagen wir dieses
aufgewertet wird, um es ganz vorsichtig zu sagen. „Problem" ist doch jetzt von den Ländern aufge-
worfen worden. Die Länder, zumindest die Kultus-
(Abg. Dr. Martin: Darunter kann ich mir minister, haben nach dem .Karlsruher Urteil be-
nichts vorstellen!) schlossen, daß die Zuständigkeiten des Bundes in
— Ich werde Ihnen gern den Vorschlag im Wortlaut kulturpolitischer Hinsicht nicht erweitert, sondern,
unterbreiten — es hier zu tun würde zu weit füh wenn möglich, sukzessive abgebaut werden sollten
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 20. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1962 743
Dr. Frede
Weil dieser Beschluß besteht, haben die Finanz- definitiv und kann auch nicht durch eine verfas
minister die Gelegenheit genützt, nun ihrerseits zu sungsändernde Mehrheit geändert werden.
sagen: Wir nehmen jene Positionen aus dem Bun- Um so mehr ist es erforderlich, daß die verfas-
deshaushalt nunmehr auf die Länderhaushalte. sungsmäßig zulässigen Möglichkeiten genutzt wer-
Meine Damen und Herren, insbesondere meine Da- den und daß uns dafür möglichst bald Unterlagen
men und Herren von der CDU/CSU, wir sind in in Form eines Gesetzentwurfs vorgelegt werden.
diesem Punkte mit Ihnen wohl völlig einer Mei- Dieses Gesetz wird keineswegs alles das umfassen
nung, daß wir dem Bund nicht ohne Grund etwas und ausdeuten können, was an Möglichkeiten kul-
von den kulturpolitischen Kompetenzen nehmen turpolitischer Betätigung seitens des Bundes vor-
sollten, die er hat und deren Rahmen er mit einem handen ist. Es wird darüber hinaus, wie Sie mit
Inhalt gefüllt hat. Das ist eine gemeinsame Auf- Recht sagten, Herr Minister, auch dann noch Ab-
fassung von Opposition und Regierungsparteien, kommen zwischen Bund und Ländern und unter den
eine gemeinsame Auffassung, die auch bereits in Ländern selbst geben müssen.
der vorhin genannten Entschließung vom Juli 1960 Herr Minister, Sie haben sich zur Berlin-Frage
zum Ausdruck gekommen ist. geäußert und haben aufgezählt, was alles vom
Bei der Wiederaufnahme der Verhandlungen Bunde getan worden ist, was der Bund alles für
kommen wir aber nicht darum herum, zu prüfen, Berlin auf dem Kultursektor geleistet hat. Das er-
wie weit nach dem Grundgesetz eine Zuständigkeit kennen wir gern und dankbar an. Aber ich glaube,
wirklich gegeben oder wie weit sie vielleicht nur- für die Lösung des zentralen Problems „Berlin" ge-
sehr vage begründet ist. Wir sollten in dieser Frage nügt es nicht. Es genügt nicht, zu sagen: Wir be-
so weit wie möglich gehen, h. wir sollten auch grüßen es, wenn noch etwas mehr geschieht. Es
die Frage des wissenschaftlichen Nachwuchses, des wäre vielmehr gut, wenn Sie selbst, wenn sich die
Nachwuchses in Forschung und Wissenschaft posi- Bundesregierung selbst einmal Gedanken darüber
tiv mit einbeziehen. Das Verbindende, das sich bis- machte und aktiv werden könnte in der Frage, was
her durch die Initiative des Bundes und der Bun- denn geschehen kann, um Berlin zu einem Zentrum
desregierung gezeigt hat, sollte man nicht aufge- der Wissenschaft und des Geistes zu machen. Ich
ben. Ich will hier die Frage des Honnefer Modells glaube, das ist von einer sehr großen politischen
Bedeutung; denn je mehr Berlin aufgewertet wird,
nicht vertiefen. Das Positive am Honnefer Modell
ganz gleich, womit und wodurch — in diesem Fall
ist nicht, wie hoch die Summe ist, die vom Bund
durch Einrichtungen der Wissenschaft und Kultur —,
gegeben wird, so notwendig diese Frage ist, son-
um so mehr ist es auch von Gewicht im Rahmen
dern daß überhaupt eine bindende Vereinbarung
der politischen Verhandlungen über die Zukunft
über die Förderung von Studenten und damit des
Berlins. Darum sollte man nicht allzusehr zögern,
wissenschaftlichen Nachwuchses zustande kam. In
sondern sollte versuchen, auch selbst Initiativen zu
Fragen der Studentenförderung, bei denen sich der
ergreifen, um Berlin zu einem Mittelpunkt interna-
Bund nicht zuständig fühlte, also bei pädagogischen
tionaler Forschung und internationaler Wissenschaft
Hochschulen, Kunsthochschulen, Fachschulen usw.,
zu machen. Berlin als eine Zentrale, als ein Zentrum
hat sich sofort gezeigt, daß eine sehr starke Diffe-
für wissenschaftliche Bemühungen internationaler
renzierung bei den Ländern eintritt, wenn sie selbst
Art würde, glaube ich, uns allen nur dienen können.
diese Studentenförderung in die Hand nehmen.
Auch das spricht dafür, daß es bei der bisherigen In diesem Zusammenhang eine Bemerkung zu der
Zuständigkeit und bei der bisherigen Aufgabe, die Verwendung der Mittel aus der VW Stiftung. In
-

sich der Bund gestellt hat, bleiben sollte. einer Fragestunde ist uns gesagt worden, daß be-
absichtigt sei, jenen Kapitalstock, der noch vorhan-
Meine Damen und Herren, zur konkurrierenden den ist — die Hälfte, also ca. 500 Millionen DM, sind
Gesetzgebung ist also die konkurrierende Kultur- ja für die Entwicklungshilfe gegeben —, für die
pflege gekommen, eine konkurrierende Kulturpflege, Wissenschaft, für die Forschung, überhaupt für kul-
die sicher noch intensiviert werden kann, wenn wir turelle Zwecke zu verwenden. Auch hier ist ein
ein Gesetz haben, wenn wir den Rahmen aus- Gesetz angekündigt; darüber ist heute nicht ge-
schöpfen, von dem ich soeben sprach, der insbeson- sprochen worden. Wir haben die herzliche Bitte, daß
dere durch Art. 74 Nr. 13 des Grundgesetzes abge- uns möglichst bald auch diese Unterlagen vorgelegt
steckt wird. werden. Wie den Ausführungen des Herrn Schatz-
Herr Minister, es ist nicht unsere Auffassung, daß ministers zu entnehmen war, sieht es allerdings
dieses Gesetz nun etwa einen Katalog von Zuständig- nicht so aus, als ob diese Mittel speziell der Wissen-
keiten haben sollte, die dem Bund eigen wären, und schaftsförderung dienen sollen. Ich nehme an, daß der
andere wiederum, die den Ländern eigen wären. Bund bei seiner Schwerpunktbildung in der Wissen-
Dieses Gesetz kann nur ein organisatorisches Rah- schaftsförderung, insbesondere in der Gründung
mengesetz sein. Es ist das einzige Rahmengesetz auf neuer Hochschulen, mit anderen Etatmitteln helfend
kulturpolitischem Gebiete, das der zentrale Staat, einspringt.
also der Bund, heute überhaupt noch im Gegensatz Sie wissen, auch hier ist Eile geboten. Die Zahl
zur Weimarer Verfassung geben kann. In der Wei- der Studierenden nimmt ständig zu. Die Frage der
marer Verfassung war das Reich bekanntlich berech- Gründung neuer Hochschulen ist bereits vor zwei
tigt, eine ganze Fülle von Rahmengesetzen auf kul- Jahren angeschnitten worden. Geschehen ist in den
turpolitischem Gebiete zu erlassen. Das ist heute vergangenen zwei Jahren nichts.
nicht möglich, und das können wir auch nicht ändern; (Zuruf von der Mitte: Das ist doch nicht
denn die föderative Struktur unseres Staates ist wahr!)
744 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 20. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1962
Dr. Frede
— Nein? Haben Sie schon eine Hochschule in Kon- Das hat dann dazu geführt, daß wir sogar den
stanz, in Dortmund oder in Bochum? Haben Sie eine Art. 120 des Grundgesetzes ändern wollten. Sie
in Bremen oder was weiß ich wo? Sie haben noch erinnern sich vielleicht, daß in einer der letzten
nicht einmal einen Anfang zu den drei oder vier Sitzungen der vergangenen Legislaturperiode diese
Hochsulen,rMatidköenSoch Gesetzesvorlage steckengeblieben ist und damit vor-
nicht bestreiten. Noch nicht einmal die Anfänge sind erst in der Versenkung verschwand, vielleicht und
sichtbar. wahrscheinlich aber demnächst auch wieder auf-
(Abg. Frau Geisendörfer: Doch! Es geht tauchen wird.
doch nicht von heute auf morgen!) Herr Minister, ich darf daran erinnern, daß nicht
— Nein, es geht nicht von heute auf morgen, aber die Kriegszerstörung von wissenschaftlichen Institu-
ich habe nur etwas zur Eile angetrieben, damit -wir ten, von Schulen oder anderen Bildungseinrichtun-
in diesen Fragen etwas schneller vorankommen als gen der Anlaß gewesen ist, daß für Wissenschaft
bisher, und zwar, wie es angekündigt wurde, mit und Kultur Bundeshilfe gegeben wurde und daß wir
Bundeshilfe. heute diese Ansätze in dem Etat haben, sondern es
ist so gewesen, daß der Bund früher als der
Das gilt insbesondere für die Frage einer nord- finanzstärkere und finanzkräftigere Partner eine
westdeutschen Universität, die jetzt in Bremen ent- Fülle von Aufgaben übernommen hat, die die
stehen soll. Bremen ist einer der Staaten, der am Länder nicht lösen konnten. Sie können nicht
wenigsten von sich aus in der Lage ist, diese Lasten bestreiten, daß es aus diesem Grund auch der
im vollen Umfang zu tragen. Wunsch der Länder gewesen ist, daß der Bund
(Zuruf von der Mitte: Bremen hat doch sich engagierte, weil eben die erforderlichen
Mittel auf der Länderseite nicht vorhanden waren.
schon eine Zusage!)
Heute haben sich die Fronten um 180 Grad gedreht;
— Ja, die Zusage liegt vor. Aber seien Sie doch nicht heute sind es bekanntlich die Länder, die über die
so böse, wenn ich darum bitte, daß ,es ein bißchen Mittel verfügen und infolgedessen nun auch Appetit
schneller geht. Sie werden nicht bestreiten wollen, darauf bekommen, aus dem Bundesetat das herüber-
daß in all diesen Fragen ein wenig Tempo durchaus zuziehen, was früher der Bund aus den von mir
am Platze wäre. Sonst hatten wir uns nicht vier eben genannten Gründen übernommen hat. Das ist
Jahre lang immer wieder über die gleichen Fragen das eigentliche Kennzeichen der gegenwärtigen
zu unterhalten brauchen. Situation. Rein praktische Dinge also, wie z. B. die
Finanzquellen fließen, haben zu einer Situation ge-
Ich habe auch heute dein Eindruck gewonnen, daß führt, die man zum Anlaß nimmt, um eine Wen-
man immer wieder von vorn anfängt. dung, eine Verdrehung — Verdrehung in mehr-
(Zuruf von der CDU/CSU.) fachem Sinne, wie es sich in der letzten Zeit ge-
zeigt hat — vorzunehmen, so daß nun der Bundes-
— Das will ich gar nicht bestreiten. In Kleinigkeiten rat — zumindest die Finanzminister — jetzt ihre
sind durchaus Fortschritte sichtbar — wie auch der Hand auf das legen wollten, was der Bund früher
Herr Bundesinnenminister aufgezeigt hat —, und und noch jetzt für sich beansprucht hat.
diese Positionen wollen wir ja gemeinsam halten Meine Damen und Herren, wir sollten die Fragen
und verteidigen. Aber warum denn so nervös wer- leidenschaftslos, rein sachlich und unabhängig von
den, wenn wir uns im Blick auf die Vergangenheit der jeweiligen Kassenfülle bei Bund, Ländern und
in klein wenig bemühen, die Dinge etwas leben- Gemeinden behandeln. Wir können aber nicht um-
diger voranzutreiben, als es bisher häufig geschehen hin, Herr Minister — und das haben Sie, glaube ich,
ist! nicht hinreichend betont; Herr Kollege Süsterhenn
Mir war eines dabei interessant, Herr Minister, und hat es aber bestätigt und vertieft —, dabei die ver-
damit möchte ich abschließen. Ich meine die Begrün- fassungsmäßigen Grundlagen zu beachten. Wir müs-
dung, die Sie für die Hilfe gegeben haben, die der sen uns fragen, inwieweit es in Zukunft, wenn z. B.
Bund bisher für kulturpolitische Aufgaben geleistet dieses zusätzliche Förderungsprogramm für die Wis-
hat. Da sagten Sie z. B., es sei doch nicht zu bestrei- senschaft mit einer Milliarde vom Bund und einer
ten, daß viele Universitäten und Institute durch den Milliarde von den Ländern abgewickelt ist — das ist
Krieg zerstört worden seien. Da kam mir so der ja in zwei, drei Jahren der Fall. —, noch eine Zu-
Art. 120 des Grundgesetzes in den Sinn. Als ob es ständigkeit oder eine Aufgabe des Bundes hierin
hier plötzlich eine Begründung nach Art. 120 gäbe! gibt. Wir müssen uns auch fragen, wieweit das Hon-
Ich erinnere mich, daß Sie eine solche Begründung nefer Modell und die Studentenförderung weiterhin
in der Vergangenheit immer dann abgelehnt haben, eine Aufgabe des Bundes bleiben. Wir bejahen es;
wenn wir mit ähnlichen Forderungen kamen, z. B. aber die Frage müssen wir stellen. Wir müssen ein-
der der Hilfe für die kriegszerstörten Schulbauten. mal unter sachlichen Gesichtspunkten, unter ver-
Sie haben dann jedesmal die Zuständigkeit des Bun- fassungsrechtlichen Aspekten, alles durchforsten,
des — ich muß jetzt auf die Zuständigkeit kommen was bisher an Aufgaben und Vereinbarungen sei-
— bestritten, bis das Urteil des Bundesverfassungs- tens des Bundes oder des Bundes und der Länder
gerichts über die Ausgleichsforderungen kam. In zugleich da ist. Ich glaube, dann können wir auch
diesem Urteil stand klipp und klar, daß es nicht im die Gemeinsamkeit von Opposition und Regierungs-
Ermessen des Bundes liegt, wie weit er sich zu- parteien feststellen und zu einer großen Koalition
ständig fühlt, was kriegszerstört oder nicht kriegs- in der Bildungs- und der Wissenschaftsförderung
zerstört sei, sondern daß eine generelle Verpflich- kommen. Wir wollen unser Möglichstes dazu tun.
tung des Bundes auf Grund des Art. 120 vorliege. (Allseitiger Beifall.)
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 20. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1962 745

Vizepräsident Schoettle: Das Wort hat Frau ohne nicht im rechten Verhältnis zu der Intensität
Abgeordnete Funcke. der Arbeit steht, aus Gründen, die wir alle kennen,
weil eben in den verschiedenen Ländern und ihren
Frau Funcke (Hagen) (FDP) : Herr Präsident! Mehrheiten unterschiedliche Auffassungen über die
Meine Herren und Damen! Es wäre jetzt für ein Kulturpolitik bestehen.
Mitglied der Freien Demokratischen Partei sehr Das alles sollte hier unbestritten sein, und wir
reizvoll, den Fragen nach den geistigen oder meta- sollten den Ländern Dank und Anerkennung dafür
physischen Grundlagen unseres kulturellen Tuns wissen, wo immer wir auch politisch stehen mögen.
nachzugehen. Ich glaube, daß man das zu gegebener
Aber trotz allem bleibt das große Aber, oder
Zeit hier in diesem Hause auch einmal tun sollte.
Aber ich frage mich, ob bei dem Gegenstand, den vielleicht darf ich sagen: das doppelte Aber. Es
wir heute zu beraten haben, eine solche Ausein- gibt eben Aufgaben — und das ist auch heute deut-
andersetzung sehr dienlich, sehr förderlich wäre. lich zum Ausdruck gekommen —; die die Länder
Von unserer Seite aus jedenfalls wollen wir heute von ihrer Sicht und von ihrer Aufgabenstellung her
nicht dazu Stellung nehmen, zumal unsere Auf- nicht lösen können. Die Länder sind Glieder, so steht
fassung hierzu dem Hohen Hause bekannt sein es in unserem Grundgesetz. Sie sind Teile und haben
dürfte. von da her eine Aufgabenstellung, die vorzugsweise
und vorrangig nach innen gerichtet ist, auf die ver-
In der Begründung der verschiedenen Großen schiedenen Teilgebiete, die ihnen obliegen. Auch eine
Anfragen und in der ausführlichen Antwort des- Addition von solchen Teilsichten bringt noch keine
Herrn Ministers ist sehr deutlich auf die verschie- Gesamtsicht. Sicherlich haben die Länder — das hat
dene und entscheidende Bedeutung der kulturellen ja auch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts
Aufgaben hingewiesen worden, einmal auf die Be- noch einmal festgestellt — eine Verpflichtung zum
deutung der Kulturpolitik für die geistige Aus- Ganzen. Aber sie haben eben vorrangig nicht die
einandersetzung, in der sich unser Volk an der Politik des Ganzen zur Aufgabe, sondern ihren Teil-
Grenze zum Bereich einer ideologischen Macht be- bereich, und darin liegt meines Erachtens die unter-
findet, ferner auf die Bedeutung, die Forschung und schiedliche Auffassung.
Wissenschaft, Bildung und Ausbildung für unsere
wirtschaftliche Existenz und damit für unseren so- Daraus ergibt sich .die Folgerung, daß in dem
zialen Fortschritt haben, auf die Bedeutung, die sie Bereich überregionaler Kulturpolitik und in den
haben für die Existenz unseres Landes als euro- Aufgaben, i n denen Überblick, heute sogar welt-
päischer Staat hinsichtlich der Partnerschaft mit den weiter Überblick und Weitblick notwendig ist, die
erwachenden Völkern, die als neue, selbständige Länder von ihrer Aufgabenstellung und von ihren
Staaten mit ihrer Kultur, mit ihrer Tradition, mit Leistungsmöglichkeiten her überfordert sind. Ich
ihren anderen geistigen Voraussetzungen in die denke hier an die großen Aufgaben von Wissen
Geschichte eintreten. schaft und Forschung. Wissenschaft drängt nach
großräumiger Planung und Konzeption, das wissen
Hier stellt sich nun die Frage: Ist die Bundesrepu-
blik — ich meine damit jetzt nicht das Hohe Haus wir alle, und es wäre Eulen nach Athen tragen,
und die Bundesregierung, sondern die Bundesrepu- wollte ich auf die Bedeutung der Forschung hin-
blik in ihrer Gesamtheit — mit ihren Bemühungen weisen, einer Forschung, die schon aus Tradition
staatlicher und nicht staatlicher Stellen auf allen überregional ist.
Ebenen dieser ständig wachsenden, ja dieser unge- Darf ich hier, da ich von den auch schon in der
heuren Bedeutung der kulturellen Aufgaben im Vergangenheit überregionalen Instituten spreche,
vollen Maße gerecht geworden? Ich fürchte, wir einflechten, Herr Minister Höcherl, daß Sie heute
werden diese Frage nicht voll bejahen können. Das meinen Kollegen Dr. Hellige mißverstanden haben,
ist zunächst einmal eine Feststellung. Es ist nicht als er von der „schimmernden Wehr" sprach. Ich
ein Vorwurf nach irgendeiner Seite, sondern einfach verstehe, daß Sie von Ihrer regionalen Herkunft
eine Feststellung, gemessen an der Bedeutung der her immer gleich etwas empfindlich reagieren, wenn
Aufgabe und nicht an den vorhandenen Möglich- von der preußischen „schimmernden Wehr" die
keiten. Wir können diese Frage eben nicht in Rede ist, und daß Sie deswegen vielleicht etwas
vollem Maße bejahen. vorschnell und kämpferisch reagiert haben.
Es ist jetzt nicht die Zeit und nicht der Ort, auf (Beifall bei der FDP.)
die Tätigkeit der Länder in der Kulturpolitik und
auf ihr Ergebnis des längeren einzugehen. Ich war Aber immerhin hat uns dieses Mißverständnis die
selbst elf Jahre in einem Landesparlament und weiß erfreuliche Feststellung gebracht, daß Sie sich so
um das redliche Bemühen der Landtage und der vorbehaltlos hinter die reichseigenen Einrichtungen
Landesregierungen, mit den Verhältnissen und den früherer Jahre gestellt haben. Das hat uns gefreut.
Problemen nach dem Zusammenbruch fertig zu wer- Ich denke hier auch an die Gründung der neuen
den, den Problemen materieller, personeller und Universitäten, über die gerade von Herrn Kollegen
geistiger Art. Ich weiß um dieses redliche Bemühen, Frede gesprochen wurde. Meine Herren und Damen,
wenngleich man über Tempo, Schwerpunkt und Ziel- es ist in diesem Hause ja wohl keine Frage, daß
richtung je nach parteipolitischer Färbung natur- Universitätsgründungen, wenn sie etwa von einem
gemäß verschiedener Meinung sein kann. Land wie Bremen geplant sind, über den Rahmen
Ich weiß auch nur zu gut um das Bemühen um und die Möglichkeiten — nicht nur finanzieller Art
die Koordinierung, in der Kulturpolitik seitens der — eines solchen Landes hinausgehen und daß hier
Kultusministerkonferenz, dessen Ergebnis zweifels eine überregionale Sicht notwendig ist. Schließlich
746 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 20. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1962
Frau Funcke
ist es ja trotz mancherlei Verhandlungen bisher auf Mitglied , des Wissenschaftsrates verbindlich für die
Länderebene eben nicht geglückt, hier zu einem geistigen und kulturellen Instanzen der Bundes-
finanziellen Ausgleich zu kommen. Auch glaube ich, republik sprechen. Hier liegen ,die großen Verlegen-
daß für überregionale Aufgaben ,die Notwendigkeit heiten, die im Gespräch draußen immer wieder an
der Mitgestaltung und des Mitberatens — im gei- verschiedenen Stellen sichtbar werden.
stigen, nicht unbedingt im institutionellen Sinne —
gegeben ist. Ich denke hier auch an die Aufgaben etwa der
ostdeutschen Kulturpflege, die uns, die unserm
Das mag sich ganz besonders deutlich zeigen, Volk gemeinsam gestellt sind. Ich denke nicht zu-
wenn wir etwa an das Hauptthema der Großen An- letzt auch an Fragen der staatsbürgerlichen Bildung,
frage der SPD denken, an die Fragen um Berlin. mit der nicht nur die staatsbürgerliche Bildung in
Meine Herren und Damen, es klang ja auch in ,den den Schulen gemeint ist. Wir haben vielmehr als
Beratungen und auch in der Antwort des Herrn junge Demokratie ja auch eine erhebliche Verant-
Innenministers an: Wir sind der Auffassung, daß wortung für die staatsbürgerliche Bildung des ge-
die Förderung der kulturellen Einrichtungen in Ber- samten Volkes zu tragen.
lin nicht nur aus politischen Gründen, sondern ent-
scheidend aus kultureller Sicht eine nationale Auf- Ich brauche nicht an die weiteren Fragen zu er-
gabe ist, die über den Rahmen dieser Stadt hinaus innern, die das Grundgesetz zum Teil nennt, etwa
das ganze Volk angeht. hinsichtlich der Förderung der Kunst, zumindest so-
- weit es sich um den Schutz vor Abwanderung han-
Ich denke ferner an die Fragen des Honnefer delt. Ich denke hier auch an Fragen des Films, die
Modells bei der Studentenförderung. Es ist gemein- einfach von der Überregionalität der Aufgabenstel-
same Auffassung in diesem Hause, daß eine Weg- lung her oder von der Überregionalität der Träger,
gabe dieser Mitverantwortung sehr stark in die um die es sich dreht, nicht hinreichend gelöst wer-
Freizügigkeit der Studenten eingreifen und sie be- den können.
hindern würde. Deshalb sind wir dankbar, daß wir
diese Aufgabe weiterhin hier wie bisher durchfüh- Das war die eine Seite, von der her man nach un-
ren können. serer Auffassung das Problem sehen muß, nämlich
von der Aufgabenstellung her; die andere ist die
Ich denke des weiteren an die Aufgaben, die der Frage nach dem Verhältnis der Kulturpolitik zur
Bund ganz zweifelsohne und auch unbestrittener Gesamtpolitik. Meine Herren und Damen, niemand,
weise in bezug auf die Verbindung mit den anderen der mit offenen Augen durch die Welt geht, wird
Staaten hat, nicht nur den Entwicklungsstaaten, son- ernsthaft bestreiten können, daß Wissenschaft und
dern allgemein. Hier verlangt ja die Aufgabenstel- Forschung, Bildung und Ausbildung heute wesent-
lung einen weltweiten Überblick und ein aktives liche Faktoren der Politik sind. Das klingt so selbst
Handeln. Wenn zugleich nach unserer Auffassung verständlich, daß man eigentlich meint, es hier nicht
Entwicklungshilfe Bildungshilfe sein muß, so ergibt mehr aussprechen zu sollen. Aber ist tatsächlich eine
sich daraus, daß der Bund für eine solche nach solche Äußerung so selbstverständlich, wenn wir
außen gerichtete Aufgabe auch die Verbindung mit die Räume dieses Hauses verlassen haben? Ich
dem Innen haben muß. Man sollte bei gegebener glaube es nicht. Es gibt noch immer einen großen
Veranlassung noch einmal sehr eingehend auf die Teil unseres Volkes, und es sind nicht die Schlech-
Frage zurückkommen, wie sehr der in der Vergan- testen — gerade aus dem Bereich der wissenschaft-
genheit nur unzulängliche Kontakt zwischen Bund lichen und geistigen Welt —, in deren Vorstellung
und Ländern im kulturellen Bereich sich bisher hin- aus der Restaurationszeit des vergangenen Jahr-
dernd auf die geistige Hilfe im Rahmen der Ent- hunderts her die Meinung besteht, daß die Politik
wicklungshilfe ausgewirkt hat. ungeistig und die geistige Welt unpolitisch sei. Hier
liegt meines Erachtens eine sehr große Sorge für
Ich denke ferner an die europäischen Institutio-
uns und vielleicht liegt darin auch die Ursache für
nen, die sich alle, ob es sich nun um militärische,
so manchen Mangel, der sich in unserer Gesetz-
wirtschaftliche oder politische Zusammenschlüsse gebung zeigt, weil wir an dieser Stelle — aus Grün-
handelt, in wachsendem Maße bemühen — und das den, die ich jetzt nicht im einzelnen darlegen will,
ist sehr bezeichnend auch für unser heutiges Thema da wir sie zumeist kennen — die kulturellen
— eine kulturelle Zusammenarbeit aufzubauen; ein Aspekte der Gesamtpolitik nicht hinreichend im
Zeichen, wie wesentlich die geistigen und kulturel- Auge haben. Es ist eine bekannte Klage, daß bei
len Aufgaben im Gesamtkonzept der Politik sind. kulturpolitischen Debatten in diesem Hause die
Hier sind wir in unserer Bundesrepublik immer in Bänke ziemlich leer sind. Man kann das sicherlich
einer gewissen Verlegenheit, wenn wir diese inter- bedauern. Aber mag nicht eine Ursache hierfür dar-
nationalen Gremien beschicken sollen. Nicht etwa, in liegen, daß wir von dieser Aufgabenstellung
weil es nicht durchaus begrüßenswert wäre, wenn praktisch so wenig Wirkungsmöglichkeiten sehen
anstelle eines Ministerialbeamten oder eines Staats- — ganz von der praktischen Arbeit her —, daß
sekretärs oder gar Ministers einmal ein Wissen- sie uns mehr als ein schmückendes Beiwerk denn
schaftler von Rang, etwa vom Wissenschaftsrat die als Zentralproblem unserer politischen Arbeit er-
deutsche Vertretung übernähme. Das kann er scheint?
sicherlich. Aber die Verlegenheit besteht darin,
(Beifall bei der FDP.)
daß er nicht verantwortlich für die Bundesrepublik
sprechen kann. Weder der Präsident der Kultus- Hier, meine ich, ist ein Ansatzpunkt, den wir sehr
ministerkonferenz kann verantwortlich für die Län- deutlich erkennen müssen. Wenn es uns nicht ge-
der außer für sein eigenes sprechen, noch kann ein lingt, vom Parlament und von der Regierung her
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 20. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1962 747

Frau Funcke
die geistigen, die kulturellen Dinge stärker in den
, Ich wiederhole nur, was in der öffentlichen Dis-
Blick zu bekommen, so ist nach meinem Gefühl vie- kussion schon verschiedentlich zu dieser Frage ge-
les, sehr vieles in unserem politischen Bemühen, sagt worden ist: Die Art, wie eine sinnvolle Zu-
und mögen wir es mit noch so heißem Herzen be- sammenarbeit zwischen Bund und Ländern in der
treiben, sinnlos, weil ihm die Mitte fehlt. Kulturpolitik gemeistert wird, ist eine Bewährungs-
probe für den bundesstaatlichen Charakter über-
Schließlich besteht auch eine gewisse Gefahr dar- haupt. Die Wissenschaft hat, wie Sie alle wissen, in
in, ,daß bei einer zu engen Begrenzung des kultur- den letzten Wochen sehr unmißverständlich Stel-
politischen Handelns im Bund, wie wir sie in der lung genommen, als die Sorge aufkam, die bisher
Vergangenheit gehabt haben und im Augenblick vom Bund wahrgenommenen Aufgaben in der Pflege
noch haben, hier auf der Bundesebene zu einseitig und Förderung der Kultur könnten auf Grund der
die Naturwissenschaften ins Auge gefaßt werden, Kassenlage des Bundes auf die Länder übergehen.
weil sie sich in so unverkennbarem Maße politisch Wir bekennen uns in gleicher Weise zu der Sorge,
auswirken. Wir sollten die Gefahren erkennen, die die aus dem Memorandum der evangelischen Theo-
bestehen, wenn wir vergessen, daß die geisteswis- logen und Laien gerade in bezug auf diese Auf-
senschaftliche Forschung und die Geisteswissen- gaben spricht. Wir sind dankbar für diese, ich
schaften überhaupt unabweisbar dazugehören. möchte sagen, im besten Sinne des Wortes poli-
Aus dieser Sicht müssen die Fragen der Kompe- tischen Stimmen, die aus dem Bereich der Wissen-
schaft und Öffentlichkeit gekommen sind. Ihre
tenzen — entschuldigen Sie, Herr Minister, daß ich
Stimme wiegt mehr als die selbstbetroffener Interes-
jetzt noch einmal dieses Wort verwende; wir kön-
nen auch sagen: Zusammenarbeit — und ihrer Ver- senten. Denn sie sprechen als Sachwalter der geisti-
gen Welt, die noch immer nach dem tieferen Zu-
teilung zwischen Bund und Ländern in der Kultur-
politik gelöst werden. Im Grunde genommen liegen sammenhang gefragt hat.
wir in der Diskussion um diese Frage gar nicht so Ich glaube, wir alle erkennen dankbar an, daß
weit auseinander. In der Öffentlichkeit und auch in die Bundesregierung von der sich anbietenden
den Parteien wird vieles durch ein allzu schnelles Möglichkeit, zu Aufgabenentlastungen zu kommen,
Aussprechen der Schlagwörter vom „Föderalismus" nicht Gebrauch gemacht hat, daß der Herr Finanz-
und vom „Zentralismus" verzerrt. Ich bin Herrn minister es vielmehr abgelehnt hat, sich die kul-
Kollegen Martin deshalb dafür sehr dankbar, daß turellen Aufgaben, die bisher der Bund wahrnahm,
er heute morgen deutlich gemacht hat, daß der, von den Ländern abnehmen zu lassen. Wir sind
sagen wir einmal, scharfe Gegensatz zwischen die- auch sehr dankbar für das, was zu diesem Punkt
sen beiden Komponenten heute sich gar nicht mehr heute morgen Herr Minister Höcherl gesagt hat. Ich
so stellt, sondern im Zuge der Fortentwicklung nicht glaube, das war eindeutig. Wir konnten aus seinen
nur ein Kompromiß geschlossen werden kann, son- Ausführungen auch noch in besonderer Zusammen-
dern sich einfach eine ganz neue Art der Zusam- fassung entnehmen, daß , die Mittel, die der Bund
menarbeit anbahnt. Insofern ist die Fragestellung gibt, und die Aufgaben, die er trägt, eher erweitert
überholt. Der gleichen Auffassung ist wohl auch als vermindert oder eingeschränkt sind.
Herr Kollege Süsterhenn, wenn ich seine Ausfüh-
rungen richtig verstanden habe. Es geht hier ja nicht nur um die Finanzierung,
es geht auch um die wirkliche Aufgabenstellung
Die Diskussion um diese Frage wird immer auch und die Aufgabenmeisterung. Wir sind der Auffas-
etwas dadurch belastet, daß man zu schnell mit dem sung, daß hier in extensiver Weise die Möglich-
Schlagwort vom „Bürokratismus in der Kultur- keiten gesehen und gesucht werden sollten, die das
politik" bei der Hand ist. Hier ist schon darauf hin- Grundgesetz dem Bund für seine überschauende,
gewiesen worden, daß Verwaltung nicht unbedingt für seine nach außen und nach innen gerichtete
Bürokratie bedeutet. Eine Mitverantwortung der Tätigkeit gibt. Wir meinen, man sollte diese Mög-
Behörden kann und muß von der Sache her sehr lichkeiten weitestgehend ausschöpfen. Aber das
viel Freiheit, sehr viel Liberalität einschließen. sollte in der Arbeitsgemeinschaft geschehen. Wir
Das hat sich in der Vergangenheit auf den ver- wünschen uns eine recht baldige Verständigung mit
schiedenen Ebenen des Reiches bzw. des Bundes, den Ländern über eine ,gute und den heutigen Er-
der Länder und der Gemeinden gezeigt und sich kenntnissen angepaßte Zusammenarbeit auf Gebie-
fruchtbar ausgewirkt. ten, die eben Übersicht und Koordinierung erfor-
dern.
Das Grundgesetz gibt uns Möglichkeiten einer
verständnisvollen Zusammenarbeit zwischen Bund Dabei meine ich — und damit befinde ich mich
und Ländern, und es gibt dem Bund von seiner sicher in Übereinstimmung mit den meisten von
Überschau her die Möglichkeit, an der Lösung über- Ihnen —, daß die Durchführung keineswegs allein
regionaler und übernationaler Aufgaben mitge- auf behördlicher Ebene liegen muß, sondern daß es
staltend zu wirken, ja er muß es sogar, wenn diese sehr entscheidend darauf ankommt, auch Wege zu
Aufgaben von einer besonderen politischen Bedeu- finden, mit außerbehördlichen — von der Sache her
tung sind. Die Länder werden das einsehen. Sie notwendigen und wichtigen — Institutionen und
werden es einsehen müssen; sonst wird ,eines Tages vor allen Dingen Menschen zusammenzuarbeiten.
die öffentliche Meinung nicht nur über die Über- Mir scheint, daß unsere deutsche Neigung zur Grup-
spitzung des Föderalismus, sondern möglicherweise penbildung uns in Vergangenheit und Gegenwart
auch über den gesunden Kern einer vernünftigen so hinreichend viele Formen beschert hat, daß Sie,
Dezentralisierung einfach hinweggehen. Herr Minister, gar keine neuen zu erfinden brau-
748 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 20. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1962

Frau Funcke
chen, um solche Wege wirksamer Zusammenarbeit gaben wird die Schwierigkeit entstehen lassen, einen
zu finden. Ich denke hier beispielsweise an den solchen Kulturrat sinnvoll zusammenzustellen.
Wissenschaftsrat, an die Forschungsgemeinschaft,
an den Deutschen Ausschuß und vieles andere. (Sehr richtig! in der Mitte.)

Nehmen Sie mir es bitte nicht übel, wenn ich sage,


Auf eines kommt es uns allerdings entscheidend daß nach meiner Auffassung der Vorschlag auf
an: der Bund müßte den Durchblick behalten, und Schaffung eines Kulturrates wohl mehr optische
nicht nur den Durchblick und den Überblick über Gründe hat. Die Anliegen, um die es geht, können
all die möglicherweise recht vielfältigen Formen, damit nicht weiter gefördert werden.
sondern er müßte sie auch in der Hand behalten, —
wobei das „In-der-Hand-Behalten" durchaus nicht in Dazu noch eine Sorge, die mich auf Grund ge-
dem Sinne einer Regie zu verstehen ist, sondern so, wisser Erfahrungen aus der Landtagstätigkeit be-
daß der Bund bei all diesen Bestrebungen, die letz- wegt: bei der ganzen Konstruktion einer Koordinie-
ten Endes in ihrer Wirksamkeit erheblich politisch rung über die Länderkultusminister bleibt die Legis-
zu werten sind, zentral beobachtend, mitplanend, lative völlig ausgeschaltet. Hier geht es um eine
helfend und koordinierend tätig sein muß. Da Frage unserer demokratischen Institutionen. Wir
scheintualrdg,ßeinZusmfa- leben in einer Zeit, in der uns das Übergewicht der
sung der Dinge im Bereich der Bundesregierung Exekutive schon manchmal zu schaffen gemacht hat.
notwendig und wichtig ist, nicht zuletzt darum, weil- Wenn wir auf dem Gebiet der Kultur eine Koordi-
nur dadurch eine hinreichende und mit allem Ge- nierung nur durch die Exekutive vornehmen lassen,
wicht ausgestattete Vertretung im Kabinett und dann besteht die große Gefahr, daß man dabei an
Repräsentanz nach außen gesichert ist. der Vertretung des Volkes vorbeigeht. Damit könnte
vielfach verwaltungsmäßiges Denken das Überge-
Nun darf ich noch mit einem Wort auf die Vor- wicht gewinnen.
schläge zurückkommen, die von einer anderen Seite, Ich möchte jetzt nicht — schon aus Zeitgründen —
von Herrn von Knoeringen, in die Debatte gebracht noch auf die Fülle der sonst mit den Anfragen an-
worden sind und hinter die sich seinerzeit — jeden- geschnittenen Fragen eingehen. Wir glauben, daß
falls soweit ich davon unterrichtet bin — auch die gerade den Problemen der Entwicklungshilfe ein
SPD in gewissem Umfange gestellt hat, — wenn großer Raum gewidmet werden muß. Hierzu liegt
auch sicherlich nicht :in allen Einzelheiten. Was be- ein Entschließungsantrag vor, der uns die Möglich-
deutet eine größere Kompetenz der Kultusminister? knit gibt, zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal
Ich glaube nicht, daß die Kultusministerkonferenz in aller Ausführlichkeit darauf einzugehen.
mit ihrer Koordinierung deshalb noch nicht weiter
i st, weil e s ihr an Paragraphen in ihrer Institution Mir kam es entscheidend auf unsere ersten bei-
gefehlt hat, sondern es hat ihr eben an der Möglich- den Fragen an; Herr Minister Höcherl, sind Sie uns
keit gefehlt, sich über bestimmte Dinge politisch zu nicht böse, wenn wir sagen, daß das, was Sie zu
einigen. Da liegen die Schwierigkeiten. Darüber hel- der Frage der Auseinandersetzung oder des Zu-
fen noch so schöne Konstruktionen mit Abkommen sammensetzens mit den Ländern gesagt haben, uns
und Satzungen nicht hinweg. Hier geht es um Fra- nicht ganz befriedigen kann. Ich nehme an, daß auch
gen, die nicht entschieden werden können, weil sie Sie nicht ganz befriedigt sind. Sie können ja auch
unterschiedlich beurteilt werden und weil keine In- persönlich nichts dafür, daß die Dinge in der Ver-
stanz vorhanden ist, die durch Abstimmungen eine gangenheit nicht weitergekommen sind. Doch glau-
Entscheidung herbeiführen kann; wenn man sich ben wir, daß Sie mit neuer Intensität und neuer
nicht einigt, fällt alles praktisch in den leeren Raum Kraft diese Fragen aufnehmen müssen, und wir
zurück. Daran liegt es, und hier kann eine noch so hoffen, daß Sie das auch tun werden. Wenn auch
schöne Konstruktion innerhalb der Kultusminister- die Länder die Beziehungen zu Ihnen abgebrochen
konferenz nichts ändern. haben, so sollten wir von unserer Seite aus doch
versuchen, diese Beziehungen neu zu knüpfen. Wir
Wir halten auch nicht sehr viel von Überlegungen haben nicht mehr viel Zeit zu verlieren für das Hin
bezüglich der Einrichtung eines Kulturrates. Ich und Her über mögliches Zusammenarbeiten oder
möchte die Ausführungen nicht wiederholen, die an mögliches Auseinandergehen. Die Probleme unserer
dieser Stelle , soeben schon zu verschiedenen Aspek- Zeit sind nicht nur wirtschaftlicher und sozialer Art,
ten dieses Problems gemacht warden sind. Darf ich es geht nicht nur um Machtpolitik, und es geht nicht
nur etwas rein Praktisches dazu sagen. Entweder sie nur um den Wettlauf naturwissenschaftlicher Er-
klammern die Probleme von Wissenschaft und For- kenntnisse und ihrer Anwendung. Wir meinen
schung aus, weil der Wissenschaftsrat bereits be- vielmehr, daß die Probleme in entscheidendem
steht; dann brauchen Sie wieder ein Instrument, das Maße geistiger Art sind. Es geht hier um die Fra-
eine Koordinierung zwischen dem Wissenschaftsrat gen der Freiheit, der Menschenwürde, des Glaubens
und dem Kulturrat herstellt. Oder aber Sie nehmen und des Denkens und des Urteilens. Möge die
die Wissenschaft mit hinein ; dann kann ich Ihnen heutige Debatte dazu beitragen, daß man sich hier
mit absoluter Sicherheit sagen — ich habe Erfah- im Hause und in den staatlichen und nichtstaatlichen
rungen als Vorsitzende eines Kulturausschusses —, Gremien noch stärker und durch die Übersicht und
daß Sie bei 25 Personen die Sparten — von der Koordinierung noch wirksamer mit diesen Fragen
Wissenschaft über den Sport bis zum Film und sämt- beschäftigt.
lichen Schularten — nicht alle in diesem Gremium
berücksichtigen können. Schon die Fülle der Auf (Beifall im ganzen Hause.)
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 20. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1962 749

Vizepräsident Schoettle: Das Wort hat der Kompetenzstreitigkeiten, die es gibt, angesichts der
Herr Abgeordnete Sänger. Tatsachen, daß nur von Fall zu Fall entschieden
wird, was zu tun ist, angesichts der Tatsache schließ-
Sänger (SPD) : Herr Präsident! Meine Damen und lich, daß ein allgemeines, großes und gültiges Kon-
Herren! Die deutsche Kulturpolitik, die wir jenseits zept einer großzügigen Förderung und weltweiten
der Grenzen unseres Landes betreiben wollen und kulturpolitischen Arbeit fehlt; sonst hätte es ja des
müssen — und nur darüber möchte ich im wesent- Antrags der CDU/FDP heute nicht bedurft. Ange-
lichen sprechen —, ist zu einem beträchtlichen Teil sichts dieser Tatsachen bin ich schon der Meinung,
auch Reaktion auf das Verhältnis der Völker zu uns. daß in unserem Lande noch einiges getan werden
Wenn es irgendeine Chance für uns gibt, das neue muß, ehe wir von einer effektiven und erfolgreichen
Deutschland bei den Völkern draußen in einem Arbeit draußen reden können.
guten Licht erscheinen zu lassen, so muß und wird Ich wäre sehr froh, wenn es möglich wäre, bei
uns das durch das Vorzeigen der geistigen Leistung der Behandlung von Einzelfragen in der kultur-
unseres Volkes durch die Jahrhunderte seiner Ge- politischen praktischen Arbeit alle Länder in der
schichte gelingen. Sosehr die Kulturpolitik auf der Welt oder mindestens in Europa anzusprechen. Ich
autonomen Leistung der Nation fundiert, so sehr ist bedaure, daß das nicht möglich ist. Aber die In-
sie natürlich und weltweit mit den Leistungen ande- stitute, die wir in der freien Welt unterhalten kön-
rer Völker, mit ihrem Tun und Denken, mit ihrem nen, sollten wir besser ausstatten, als es bisher
Glauben, ihren Hoffnungen verflochten, und auch geschehen ist. Darüber ist hier gesprochen worden,
von daher ziehen wir Anregungen und Stoff. Wir und ich möchte insoweit Einzelheiten nicht wieder-
bezogen — vergessen wir das nicht — in den letzten holen.
Jahren unserer Geschichte von daher auch manche
materielle Hilfe, die uns die ersten Anfänge neuen Wir sollten den Austausch fördern, aber nicht
wissenschaftlichen und kulturellen Arbeitens we- nur für die Zeit, in der sich die anderen bei uns
sentlich erleichtert hat und wofür wir Dank schuldig oder unsere Leute sich bei den anderen aufhalten,
sind. sondern auch für die Zeit danach, in der ein stän-
diger Kontakt aufrechterhalten werden sollte. Ich
Wir kamen frühzeitig wieder zu einer wissenschaft- denke nicht nur an Wissenschaftler, Lehrer und Stu-
lichen Gemeinsamkeit mit der Welt jenseits der deut- denten, sondern im besonderen Maße auch an die
schen Grenzen. Es ist wichtig, gleich zu Beginn klar- vielen Praktiker, die wir hier hatten, und an die noch
zustellen, daß ein Unterschied besteht zwischen der zahlreicheren Praktiker, die im Austausch mit an-
kulturpolitischen Arbeit, die von der Bundesrepu- deren Nationen zu uns kommen sollten.
blik geleistet wird, und der kulturpolitischen Arbeit,
I die von der sowjetisch besetzten Zone Deutschlands Ich hoffe, daß wir im Sommer dieses Jahres oder
getan wird. Wir geben und wir haben die Möglich- bald danach einmal Gelegenheit haben, diese Fra-
keit, zu nehmen; denn wir haben das Recht, wir gen der deutschen Kulturarbeit im Ausland in allen
haben den Anspruch und wir haben den Wunsch, Einzelheiten gründlich und ausführlich zu bespre-
aus dem Geist freier Arbeit jenseits der deutschen chen. Mir erscheint es notwendig.. Dann werden wir
Grenzen, aus der freien Welt zu uns herüberzu- z. B. auch die etwas eigenartige Situation der deut-
nehmen, was nur möglich ist. Das können die ande- schen Schulen im Ausland näher beleuchten können.
ren nicht. Es ist hier heute schon, ich glaube von dem Kol-
Die internationale Zusammenarbeit, vor allem der legen Hellige, gesagt worden, daß die Zahl der
Wissenschaft, bedarf der materiellen und der ideel- deutschen Schulen im Ausland sinke. Zu fragen ist,
len Hilfe aller, die sie gewähren können. Dazu ge- warum, und zu beachten ist dabei, daß angesichts
hört auch der Staat. Geld allein genügt nicht, sosehr der Situation in nicht wenigen Ländern in der Welt
ich das unterstützen möchte, was Herr Minister draußen, vor allen Dingen jenseits der europäischen
Höcherl über die Notwendigkeit einer Vermehrung Grenzen, internationale Schulen an die Stelle natio-
der finanziellen Mittel gesagt hat. Es ist notwendig, naler Zwergschulen gesetzt werden. Wir sollten uns
zu beachten, daß es einen Unterschied der politischen daher fragen, was wir tun müssen, um sicherzustel-
Systeme in der internationalen Zusammenarbeit der len, daß solchen internationalen Schulen qualifizier-
Wissenschaftler nicht geben kann. Es ist aber auch tes Lehrpersonal aus Deutschland in ausreichendem
notwendig, zu wissen, daß die Maßnahmen, die wir Maße zur Verfügung steht. — Das nur als ein Bei-
treffen, gemeinsam getroffen werden müssen, koor- s p iel für die Notwendigkeit, diese Fragen gründ-
diniert werden müssen, damit wir zur Kooperation licher zu besprechen. Wir haben Überlegungen an-
kommen. Ich meine dabei die Zusammenarbeit von zustellen, wie der schwierige Wettbewerb mit den
Bund und Ländern, ich meine dabei aber auch die Schulen anderer Nationen im gleichen Hause, unter
Zusammenarbeit mit den befreundeten Mächten in der gleichen Verwaltung durchgestanden werden
der Welt draußen, damit wir aufholen, gleichziehen kann, auch dann, wenn sich, wie das oft zu ver-
können, damit wir das übertreffen können, was jen- zeichnen ist, bei den Schulträgern im Ausland eine
seits und in der freien Welt an wissenschaftlicher gewisse Müdigkeit bemerkbar macht, so daß wir
Leistung vollbracht wird. Fragen zu prüfen haben wie etwa die, ob die Er-
richtung einer Stiftung zweckmäßig ist, die als
Wir fragen uns, wie das geschehen kann, ange-
Trägerin aller Auslandsschulen .die Lasten auf ihre
sichts der Kritik, die wir auch aus den Reihen der
Schultern nimmt.
Wissenschaftsorganisationen in unserem Lande hö-
ren und die wir auch vom politischen Podium her Die Studienförderung, die wir den Ausländern
aussprechen müssen, angesichts der Kritik an den angedeihen lassen, sollte auf solche ausgedehnt
750 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 20. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1962
Sänger
werden, die nicht unmittelbar als Studenten, als lich aussehen. Das gehört in das Kapitel Entwick-
Besucher von Hoch- oder hohen Schulen zu bezeich- lungshilfe. Wir sollten solche Hilfe auf den ver-
nen sind. Auch solche sollten wir Studenten nen- schiedensten Wegen leisten, aber wir sollten sie
nen, die als Praktiker zu uns kommen, als Jugend- offen leisten. Dies ist auch nur ein erster Hinweis
führer, vielleicht sogar als Jugendliche selbst. Auch auf die Notwendigkeit, darüber zu sprechen, daß
diesen müssen wir helfen, zu sehen, wie die Arbeit alle solche Unterstützungs-, Hilfs- und Förderungs-
in der deutschen Wirklichkeit, in den Betrieben, in maßnahmen aus offenen Fonds gegeben werden
den Schulen, in den Organisationen der Jugend- müssen und nicht verdeckt. Es ist legitim, Tatsachen
führung oder der Erwachsenenbildung vor sich geht. mitzuteilen, die helfen, ein zutreffendes Bild zu
Das alles sind Aufgaben, über die zu sprechen ist. geben.
Kämen wir dazu, sie zu erfüllen, dann wäre eine Dies zu einer Bemerkung des Herrn Ministers:
besondere Chance für Berlin gegeben, den Ort näm- Es ist auch legitim, daß wir in Deutschland eine so
lich, an dem sich die beiden großen Systeme in der weitverbreitete und tief verankerte lebendige Intel-
Welt, die wir einmal global nehmen wollen, Aug ligenz haben, die Kritik übt, Kritik an der Regie-
in Auge gegenüberstehen und wo die Angehörigen rung und auch Kritik an uns, den armseligen Poli-
anderer Völker in unmittelbarer Begegnung erleben tikern, von denen sie sehr oft die Auffassung haben,
können, was es heißt, sich mit seiner Weltan- daß sie weniger gelten als sie selbst. Wir müssen
schauung gegenüber jener anderen durchzusetzen, mit den Maßstäben der freien Welt messen und
die ihnen dort gegenübersteht. Da ist vieles zu tun.- dürfen es nicht mit dem Maßstab politischen Grup-
Ich habe bei einem Besuch in Moskau einmal Ge- pendenkens tun. Bekennen wir uns doch dazu: je
legenheit gehabt, mit Erstaunen und wirklich un- mehr Intelligenz, desto mehr wird der Geist leben-
vermeidlicher Bewunderung die großen Anstren- dig sein. Prüfen wir nur, das wird eine Kärrner
gungen zu sehen, die die Sowjetunion macht, um Aufgabe sein.
aus allen Teilen ihres weitgestreckten Landes, aus Aber was immer wir leisten, um ein Bild der deut-
den Städten und entlegensten Dörfern die begabten schen Wirklichkeit zu zeigen, geben wir niemals
Jugendlichen auf die Hochschulen zu ziehen, sie dem Gedanken nach, daß wir unsere Welt und das,
dort, ich möchte sagen, auf jeden Fall zu züchten, was wir erfahren und erlebt haben oder was wir an
wobei ich den Unterschied zwischen Bilden und Wertmaßstäben, an Moral, an geistigen Potenzen
Züchten durchaus beachte. Ich beachte den Umfang besitzen, verpflanzen können zu jenen anderen
der Bemühungen und vor allem die gewaltigen Völkern, die doch ihre eigene Geschichte haben,
materiellen Aufwendungen. ihre eigene Welt haben und ihre eigenen Wertmaß-
(Abg. Frau Geisendörfer: Das ist aber ein stäbe entwickeln müssen. Bieten wir ihnen nur viel
grundsätzlicher Unterschied!) Möglichkeit, zuerkennen, daß sie manches hier als
nützlich anerkennen können.
— Natürlich, den grundsätzlichen Unterschied muß
man dabei berücksichtigen: Bildung ist nicht Wis- Diese Kontakte, die draußen hergestellt werden
sen, und Züchtung ist nicht Entwickeln, was wir müssen — dais ist für mich Jein dringliches An-
durchaus beachten wollen und immer beachtet liegen —, werden sehr oft von Frauen und Männern
haben. Aber wir sollten auch die Systematik und in den deutschen Vertretungen hergestellt, die kaum
die Konzentration sehen, mit der diese Arbeit dort sehr zufrieden sein können mit dem, was ihnen da-
geleistet wird. Wir sollten sehen, daß es Zehn- für als Anerkennug zuteil wird. Viele von denen,
tausende und abermals Zehntausende sind, die sie die heute als Kulturattachés draußen sind, sind hin-
auf einer schmalen Spur emporziehen bis zu dem ausgegangen in dem guten Glauben, mit dem guten
Können hin, einen Sputnik in die Welt zu schießen, Willen und mit der guten Begeisterung, für unser
oder was danach gekommen ist oder kommen wird. Land etwas zu tun. Und jetzt sind 10, 12, 15 Jahre
Ich möchte dazu sagen: das Kapital, das wir — ich vergangen; sie kommen in ein Alter, in dem sie
glaube, daß wir da bei uns noch sehr zu lernen keine Position im Inland mehr bekommen können,
haben — in die Ausbildung junger Menschen inve- und für ihre Versorgung ist kaum etwas oder nichts
stieren, verzinst sich spät, aber es verzinst sich getan. Sie stehen im Angestellten-, nicht im Be-
reicher, als wenn es auf Banken liegenbleibt. amtenverhältnis. Ihre früheren Versorgungsrechte
sind zu einem Teil verlorengegangen. Ich wäre
Wenn wir über Kulturpolitik und nicht nur über dankbar, wenn der Herr Minister des Auswärtigen
Wissenschaftspolitik im Ausland sprechen, gehört sein Augenmerk sehr genau auf diese Tatsachen
dazu die Besinnung darauf, daß es kein Privileg lenkte. Er weiß, wie groß die Zahl derer ist, die
reicher Länder sein darf, ihre Völker über die Vor- jetzt aus der Gruppe der Attachés in diese Situation
gänge in der Welt gut und vollständig zu unterrich- hineingewachsen sind.
ten. Wir müssen gerade den jungen Völkern, die
Hierzu hat auch der Antrag der CDU/CSU und
sich heute überall in der Welt danach drängen, in
unsere Gesellschaft hineinzuwachsen, von uns aus der FDP — Umdruck 44 — Stellung genommen, mit
dem ich mich einen Augenblick beschäftige, und
Hilfe leisten, damit auch sie in der Lage sind, ihre
zwar um so lieber, als ich in diesem Antrag einer
Menschen über das, was in der Welt vorgeht, gut
Reihe von guten alten Bekannten begegne. Wir sind
und vollständig zu unterrichten. Das heißt, daß wir
nicht böse darüber; wir denken gerne übler neue
allen, die das tun, Hilfe zu leisten haben, damit es
Dinge nach, die wir später wieder gemeinsam hier
ein nützliches Wissen draußen gibt um die Tat-
beraten können, gleichgültig, wer sie vorbringt.
sachen dieser Welt, auch um die Tatsachen in die-
sem Deutschland, damit sie begreifen, wie wir wirk- (Beifall bei der SPD.)
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 20. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1962 751
Sänger
Ich maine, daß dieser Antrag wirklich eine Reihe bereit sind. Das sollten wir gemeinsam tun, und in
von sehr nützlichen Punkten zusammenstellt. Ich diesem Sinne mit Herrn Minister Höcherl die große
frage mich bei Punkt 1: warum erst jetzt ein Sozial- Koalition!
und Bildungshilfeprogramm für die Entwicklungs- (Beifall bei der SPD.)
länder? Wenn ein Programm zu einer psychologisch
angepaßten Unterbringung ausländischer Studenten
notwendig ist, ist das sehr gut. Aber die Taten sind
Vizepräsident Schoettle: Das Wort hat Frau
Abgeordnete Dr. Maxsein.
wichtiger. Sie werden es verstehen, wenn das je-
mand sagt, der so nahe beim Haus Rissen in Ham-
burg wohnt und sieht, welche Schwierigkeiten oft Frau Dr. Maxsein (CDU/CSU) : Herr Präsident!
entstehen, diese Menschen, wenn sie ihre Tätigkeit Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr
in Deutschland hinter sich haben, weiterhin zu be- Bundesminister Höcherl hat in sachlichen und um-
treuen und zu fördern. Was die Hilfeleistung für die fassenden Darlegungen gezeigt, was der Bund auf
berufliche und soziale Stellung des deutschen Per- dem kulturellen Sektor Berlins geleistet hat und
soneinkreises, der im Rahmen der Entwicklungshilfe zu leisten beabsichtigt. Nach dem 13. August hat
für längere Zeit im Ausland tätig ist, noch erfordert, sich der Berliner Senat intensiv Gedanken darüber
haben wir viele Male gesagt. Wir haben in früherer gemacht, wie er die Sicherheit und Lebensfähigkeit
Zeit darauf hingewiesen, welche notwendigen Maß- Berlins und seiner Bevölkerung festigen und be-
nahmen getroffen werden müssen, ohne daß sie ge- wahren könne. In diesem Rahmen hatte er den Vor-
- schlag gemacht, Berlin zu einem Zentrum der Wis-
troffen worden sind. Die Notwendigkeit eines quali-
fizierten Nachwuchses bejahen wir nicht minder. senschaft, Bildung und Kunst auszugestalten. Aus
den Ausführungen des Herrn Ministers geht her-
Aus dem letzten Punkt bin ich nicht ganz klug ge- vor, in welch hohem Maße der Bund nicht nur be-
worden. Aber ich ahne schon, woran da gedacht ist. reitwillig ist, sondern 'Bereitschaftsfreude gezeigt
In dieser Ahnung bin ich mit Ihnen gleicher Mei- hat, Berlin kulturell zu helfen, und wie er dem
nung. Ich denke, der Entwicklungsausschuß, der ja Ziele, Berlin zu einer wissenschaftlichen und kultu-
auch dazu noch etwas sagen wird, wird unis helfen, rellen Metropole auszugestalten, gerecht wird. Ich
eine klarere Formulierung zu finden. halte es nur für gerecht und billig, dem Bunde dafür
In dem Antrag Umdruck 45 werden der Ausbau an dieser Stelle unseren Dank auszusprechen.
und die Errichtung wissenschaftlicher Einrichtungen (Beifall bei den Regierungsparteien.)
mit internationalem Rang in Berlin gefordert. Nun,
das ist ein besonders guter alter Bekannter. Aber, Ich halte es nicht für gut oder zumindest wäre
wie gesagt, wir erleben das ja schon fast ein Jahr es ein Armutszeugnis, das wir uns ausstellen, wenn
hundert lang, daß Gedanken, die in unseren Kreisen in jeder Debatte über die Kulturpulitik — jetzt auch
aus Gründen, über die zu reden sein wird, vorhan- im Zusammenhang mit der Berlinpolitik — der
den sind, sich manchmal schnell und manchmal we- Regierung der Vorwurf gemacht würde, sie ent-
niger schnell doch ausbreiten und allmählich Gültig- wickle nicht genug Initiative. Ich bin der Meinung,
keit gewinnen. die Initiative sollte auch beim Parlament liegen, und
(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist seit ich begrüße es, wenn wir uns in diesem Hause
Jahrtausenden der Fall!) selber Vorschläge ausdenken und Anregungen
machen und auch die Zusammenarbeit — gerade
— Nur, daß die Taten dann nicht folgten. das halte ich für ein begrüßenswertes Politikum —
zwischen dem Berliner Senat und der Bundesregie-
Zum Schluß möchte ich anregen, daß wir bei uns
rung fördern.
in Deutschland den Mut haben — und es gehört
Mut dazu —, einen Beitrag zur Entstehung eines Ich möchte mich nur einzelnen Punkten und ein-
Bildes der deutschen Geschichte zu liefern, so wie zelnen Anliegen aus dem großen Bukett der Maß-
sie war, einen Beitrag, der der Wahrheit mehr ent- nahmen, die für Berlin vorgesehen sind, zuwenden.
spricht als manche Veröffentlichungen, die in der Der Herr Bundesminister sprach davon, daß Berlin
letzten Zeit im Inland oder im Ausland erschienen die Kapazitäten gar nicht ausschöpfen könne. —
sind. Aber ich fürchte, ehe wir alle einen solchen Wenn sich das auf die Baukapazität beziehen sollte,
Beitrag bejahen können, wird es eine heftige und so dürfte das meines Erachtens, soweit ich orientiert
tiefgreifende Auseinandersetzung bei uns und in bin, nicht stimmen. Richtig ist, daß in beiden Ber-
uns selber geben. Aber wir müssen da hindurch. Es liner Universitäten — Berlin verfügt bekanntlich
wäre eine große Leistung, die die Welt ohne Zwei- über zwei Universitäten — die Aufnahmekapazität
fel honorieren würde, wenn es uns gelänge, in restlos in Anspruch genommen ist. Wenn wir nun
Übereinstimmung mit uns selbst der ganzen Welt die wissenschaftliche Metropole anstreben, genügen
das Wissen zu erleichtern, wie es um dieses neue diese beiden Universitäten nicht. Wir wollen ja
Deutschland steht, und wenn wir erkennten, daß nicht nur, daß die Studenten der Bundesrepublik in
es sich lohnt und daß es nützlich ist, mit ihm ge- großer Schar nach Berlin kommen, sondern darüber
meinsam eine bessere Zukunft zu gewinnen. Was hinaus die Studenten aus den Ländern Europas, aus
könnte uns mit größerer Aussicht auf Erfolg zu die- den Vereinigten Staaten und aus den Entwicklungs-
sem Ziele führen als eine Förderung der Wissen- ländern. Wenn das erreicht werden soll, müßte der
schaft, der Frauen und Männer, die sie betreiben, Empfehlung des Wissenschaftsrats auf weitere Aus-
als eine Förderung aller derer, die mit uns sprechen gestaltung der Universitäten sehr beschleunigt ent-
wollen, als ein Bemühen darum, der Jugend draußen sprochen werden. Ich glaube, es ist kein Geheimnis
in der Welt zu zeigen, daß wir zu jedem Gespräch geblieben, daß man plant — und ich bitte, hier alle
752 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 20. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1962

Frau Dr. Maxsein


Rivalitätsgedanken zurückzustellen —, in Berlin eine daß in der Auswertung des preußischen Kunstbesit
dritte Universität zu errichten. Berlin ist ja nicht zes in Berlin Stockungen eingetreten sind. Man
eine Stadt, die man mit Privilegien ausstattet, bei schämt sich, einzugestehen, wie viele der Kunst-
der man Rivalitätsansprüche anderer Städte berück- schätze — es sind 80 % ! — noch in den Magazinen
sichtigen oder mindern müßte. Berlin ist eine ge- lagern und weder ausgewertet noch der Öffentlich-
meinsame politische Aufgabe aller Deutschen. keit zugänglich gemacht worden sind.
(Beifall bei allen Fraktionen.) (Hört! Hört! in der Mitte.)
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bin Es ist nicht zuletzt der Initiative des Bundestages
der Meinung, daß jegliche Koordinierung, jegliche und der Bundesregierung zu verdanken, daß die
Konzentration auf wissenschaftlichem Gebiet und Kunstschätze nach Berlin zurückgekommen sind.
daß der Ausbau aller wissenschaftlichen Vorhaben Wir sind das Gewissen des Volkes und haben 'die
in Berlin illusorisch bleiben, wenn nicht auch die Verpflichtung, dafür zu sorgen, daß ein hohes Kul-
Voraussetzung dafür geschaffen wird, daß zentrale turgut des deutschen Volkes zu Ehren kommt und
wissenschaftliche Aufgaben erfüllt werden, d. h. daß nicht vermodert.
die Menschen zur Erfüllung dieser Aufgaben da sind. (Beifall bei den Regierungsparteien.)
Berlins Bedeutung lag in der Vergangenheit nicht Meine lieben Freunde, die Baupläne sind vorhan-
nur darin, daß sich die Konzentration der Kräfte in den, das Geld ist da; aber es wird nicht gebaut. Das
den Organisationen Berlins verwirklichte, sondern- ist das Problem. Ich möchte dem Herrn Minister
insbesondere darin, daß Berlin durch die Persönlich- Höcherl ans Herz legen, die Gründe dafür zu erfor-
keiten, die dorthin kamen, eine Strahlkraft hatte. schen. Ich könnte mir denken, daß wir uns hier auf
Das hat sich auf dem wissenschaftlichen wie auf dem Kultursektor Lorbeeren für die deutsche Na-
dem Kunstgebiet in der Geschichte gezeigt. Wer in tion erobern.
Berlin an der Staatsoper gesungen hatte, der hatte Da ich nun gerade bei der Kunst angelangt bin,
an einem Theater debütiert — oder gastiert oder lassen Sie mich eine Bemerkung zu der Situation im
einen Dauerauftrag gehabt —, das auf einsamer allgemeinen machen. Zunächst möchte ich dem Bund
Höhe stand. Wer in Berlin den Lehrstuhl Hegels für die verstärkten Zuwendungen an die Berliner
innehatte, durfte sich dies als besondere Ehre an- Bühnen danken. Dank der Zuschüsse ist .es den
rechnen. staatlichen und auch den privaten Bühnen gelun-
Meines Erachtens ist die erste Voraussetzung für gen, sich in beachtliche internationale Ränge hinauf
die Erfüllung wissenschaftlicher Aufgaben in Berlin zuspielen. Das ist dank der Unterstützung des Bun-
die Rückführung der ausgelagerten Bestände der des geschehen. Auch die Festspielwochen, die Film-
ehemaligen Preußischen Staatsbibliothek. festspiele und die Philharmonie wenden, wenn die
(Beifall in der Mitte.) im Etat angesetzten Beträge zur Auswirkung kom-
men, nicht nur ihre Ansprüche gewahrt, sondern
Ich will die Zahl der Bände, die sich noch in Mar- ihre Wünsche erfüllt sehen.
burg befinden, gar nicht nennen. Ein kleinerer, aber
besonders wertvoller Restbestand lagert noch in Aber was auf dem Kunstsektor im Vergleich zum
Tübingen. Die ausgelagerten Bestände sollten Wissenschaftssektor fehlt, ist dieses: Der Wissen-
schleunigst nach Berlin gebracht werden. Es liegt schaftssektor hat einen Wissenschaftsrat. Er hat
schon eine Planung für die Nationalbibliothek vor. schnell gearbeitet und hervorragendes geleistet.
Hier ist das A und O wissenschaftlicher Forschung. Auf dem Kunstsektor fehlt die Zusammenschau der
Aufgaben, die Gesamtschau. Die Aufgaben zerflie-
An dieser Stelle möchte ich mich an den Herrn ßen, und man sollte überlegen — das wird im
Bundesinnenminister wenden und einen Augenblick Schoße der CDU geschehen —, ob man nicht dem
die Aufmerksamkeit auf die Struktur des Stiftungs- Wissenschaftsrat den Kunstrat an die Seite stellen
rates lenken. Es herrscht im Innenministerium die muß. Die Bestimmungen im Grundgesetz über Kunst
Auffassung — es geht grundsätzlich alle Abgeord- und Wissenschaft gelten paritätisch. Hinsichtlich der
neten an, und deswegen erwähne ich das hier; wie freien schöpferischen Kräfte ist die Kunst schließ-
sollten wir nicht ,die Chance einer so seltenen Kul- lich die große Parallele zur Wissenschaft.
turdebatte ergreifen, um unsere Anliegen anzubrin-
gen! —, daß dem Stiftungsrat kein Bundestagsabge- Aber , den Schwerpunkt — wenn wir Schwer-
ordneter angehören dürfe; das widerspreche der punkte setzen — würden wir doch auf die Ansied-
Satzung. Vergeblich haben Rechtsgelehrte die Satz- lung internationaler Einrichtungen in Berlin legen.
zung wegen dieser Aussparung der Bundestags- Ob es sich dabei um ein Gremium der UNESCO
abgeordneten durchforscht. Ich kann mir nicht den- handelt, ist völlig gleichgültig. Ich persönlich hätte
ken, daß hier eine Disqualifizierung der Abgeord- daran gedacht, eine Zweigstelle des Kultursekreta-
neten ins Auge gefaßt ist; das ist sicher nicht der riats des Europarates nach Berlin zu bringen. Denn
Fall. Es erhebt sich aber die Frage, warum das, was NATO und WEU haben keine Kulturkompetenzen
in allen anderen Gremien, beispielsweise in den mehr.
Rundfunkräten, eine Selbstverständlichkeit ist, nicht (Zurufe von der CDU/CSU: NATO wohl!)
auch auf den Stiftungsrat zutreffen sollte. — Aber nur laut Artikel und nicht praktisch. Die
Damit ich es nicht vergesse, darf ich den Herrn WEU hat ihre Kulturkompetenzen und Kulturfunk-
Minister Höcherl gleich darauf aufmerksam machen, tionen in der letzten Zeit restlos an den Europarat
daß er sich demnächst einmal der Mühe unterziehen abgetreten. Der Europarat hat Großes geleistet, und
muß, nachzuforschen, wo die Gründe dafür liegen, man sagt mit Recht, wenn er nicht existierte, müßte
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 20. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1962 753
Frau Dr. Maxsein
man ihn erfinden. Aber auf dem Kultursektor hat kratische Union gesprochen hat, stimmt mich milde
er besonders Bedeutendes geleistet, dort hat er nach und nachsichtig.
weislich Ergebnisse erzielt. (Heiterkeit.)
Das würde bedeuten, daß man in Berlin neue Ich möchte dem Herrn Bundesinnenminister zu-
Ideen, Initiativen und Impulse wecken könnte. Das nächst sagen, daß wir seinen guten Willen, der in sei-
würde bedeuten, daß man sich in Berlin verpflichtet nen ausführlichen Betrachtungen zum Ausdruck kam,
sähe, den internationalen Ansprüchen auf dem Kul- durchaus anerkennen. Aber nicht nur deshalb, weil
tursektor Rechnung zu tragen. Eine Wechselwirkung wir ihn, um ihn bei seinen eigenen Parteifreunden
zwischen Bund, Ländern und Ausland auf kultu- nicht in Mißkredit zu bringen, nicht allzusehr loben
rellem Gebiet wäre dann ein natürlicher Vorgang. wollen, sondern auch um der Sache willen möchte
Namentlich aber würde es — und das ist das Politi- ich sagen, daß wir Klarheit in den Fragen vermißt
kum — den Berlinern psychologisch helfen. Es würde haben, auf die meine Freunde Dr. Frede und Fritz
in ihnen das Bewußtsein der Sicherheit und vor Sänger hingewiesen haben. Es wäre gut, wenn diese
allen Dingen das Selbstbewußtsein stärken, das sie Klarheit bald geschaffen werden könnte.
brauchen. Vergessen wir nicht, daß Berlin mitten im
kommunistischen Machtbereich lebt, daß Berlin an (Vorsitz: Vizepräsident Dr. Jaeger.)
der Nahtstelle zweier Herrschaftsbereiche, zweier Nun, meine Damen und Herren, Sie werden ver-
Herrschaftssysteme, des Totalitarismus und der De- stehen, daß ich mit besonderer Aufmerksamkeit die
mokratie, lebt. Berlin ist ein Probefall der Macht.- Tatsache registriere, daß Sie auf die, wenn ich so
Berlin ist aber sehr viel mehr: Berlin ist das Feld, sagen darf, „Ellwanger Konzeption" in dieser De-
auf dem die geistige Auseinandersetzung ausge- batte keine Antwort gegeben haben. Sie werden
tragen wird. Denken Sie daran, daß Chruschtschow es auch verstehen, wenn ich den Diskussionsbeitrag
erklärt hat: Es gibt keine ideologische Koexistenz. von Herrn Professor Süsterhenn nicht als eine
In Berlin wird es sich entscheiden, ob am Ende der solche Antwort anzusehen in der Lage bin; ein-
Geist und ob der Mensch siegt. fach deshalb, weil er ein Versuch war, an der Ant-
Ich denke dabei an die Auffassung vom Humanis- wort vorbeizukommen.
mus im sowjetzonalen Bereich. Ich brauche bloß an Herr Kollege Süsterhenn hat zunächst mit Recht
die Pädagogik Ostberlins zu denken. Die pädago- gesagt: Es genüge nicht, zu sagen: irgendein Huma-
gischen Lehrbücher sind wortwörtlich aus dem Rus- nismus; man müsse sich schon präziser darüber aus-
sischen übersetzt, und was Humanismus dort heißt, lassen, was man denn damit heutzutage aussagen
sollten wir uns ins Gedächtnis einprägen: nichts wolle. Ich stimme dem zu. Nur bleibt dabei die
anderes als Erziehung zum Sowjetmenschen. Es Frage offen — ich weiß, daß wir darüber jetzt nicht
wäre sehr angebracht, sich in den Ausschüssen Ge- mehr diskutieren können —, welche Art von Huma-
danken darüber zu machen, was das in den letzten nismus denn nun in ,der Christlich-Demokratischen
Konsequenzen bedeutet: Humanismus gleich Kom- Union zu Hause ist, welche also das politische Pro-
munismus im sowjetzonalen Sinne. fil Ihrer Partei prägen soll. Der katholische? Der
Dem stellen wir unsere Auffassung von Humanis- protestantische? Der säkulare Humanismus?
mus gegenüber, und ich möchte schließen mit einem (Abg. Dr. Heck: Ihre Taktik, Herr Lohmar,
Zitat Grillparzers: Es bringt eine Auffassung von ist durchsichtig!)
der Humanität, die wir uns zu eigen machen, die der
Substanz nach zu unseren politischen Grundlagen Ich weiß von allen drei Arten des Humanismus in
gehört. Sie lautet: „Humanität ohne Divinität führt Ihrer Partei, meine Damen und Herren. Aber man
zur Bestialität." wird bei der Lektüre von Reden wie der auf Ihrem
Kulturkongreß in Gelsenkirchen von Herrn Direk-
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die tor Hansler gehaltenen, bei ,der Lektüre dessen, was
Ausgestaltung Berlins als Kulturzentrum ist eine
der Herr Kollege Heck in Gelsenkirchen und in
politische Aufgabe für uns alle und eine nationale
Ellwangen gesagt hat, sowie dessen, was die Her-
Aufgabe ersten Ranges. Sie hat nicht nur Bedeutung
ren Staatssekretär Strauß und Kultusminister Schütz
für die Bundesrepublik, sie hat darüber hinaus Be-
deutung für die freie Welt. dort gesagt haben, den Eindruck nicht los, daß hier
allmählich eine sehr weitgehende Priorität eines
Ich verwies auf einen Schwerpunkt der Berliner katholisch-humanistischen Selbstverständnisses in
Kulturpolitik. Dieser Schwerpunkt findet seinen der Christlich-Demokratischen Union spürbar wird.
Ausdruck in dem Antrag der Christlich-Demokra-
(Widerspruch bei der CDU/CSU.)
tischen-Union, den ich an den Ausschuß zu über-
weisen bitte. — Meine Damen und Herren, ich habe genügend
(Beifall bei den Regierungsparteien.) Gesprächspartner im evangelischen Lager Ihrer Par-
tei, daß Sie mir das glauben können.

Vizepräsident Schoettle: Das Wort hat der (Heiterkeit bei der SPD.)
Abgeordnete Lohmar. Ich erinnere mich mit Vergnügen einer Bemerkung,
die der Herr Bundestagspräsident vor längerer Zeit
Lohmar (SPD) : Herr Präsident! Meine Damen einmal gemacht hat, als er feststellte: Es gibt nicht
und Herren! Der Charme, mit dem Frau Kollegin nur sozusagen einen katholischen Klerikalismus, es
Maxsein das Schlußwort für die Christlich-Demo gibt Versuchungen solcher Art auch im evan-
754 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 20. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1962

Lohmar
gelischen Lager. — Das alles wissen wir doch; wol- darf nicht in einen Zusammenhang gebracht werden,
len wir uns doch nichts vormachen! der weitreichende Konsequenzen vor allem auch
Nun, meine Damen und Herren, uns liegt daran, verfassungsrechtlicher Art hätte.
darüber Klarheit zu schaffen. Wir möchten. deshalb Zweitens möchte ich noch auf folgendes zurück-
auch die heutige Debatte nicht als eine einzige und kommen. Ich habe immer wieder, auch bei den letz-
als die letzte Runde bewerten. Ich verstehe, daß ten zwei Runden der Ausführungen, festgestellt, daß
Sie sich zunächst innerhalb der CDU , darüber klar die Neigung zu einer Abgrenzung der Kompetenzen
werden müssen, ob Ellwangen als das erste oder hier in diesem Hause außerordentlich groß zu sein
zweite Gesicht Ihrer Partei zu bezeichnen ist oder scheint. Ich bitte aber zu bedenken, daß das Wort
wie es sonst in die Äußerungen der Christlich „Abgrenzung" vor allem aus dem Begriff „Grenze"
Demokratischen Union einzuordnen ist. besteht und daß es ganz und gar nicht ungefährlich
ist, in diesen Bemühungen allzuweit zu gehen. Man
Lassen Sie mich am Schluß ein ernstes Wort oder, muß sich vielmehr immer dessen bewußt bleiben,
besser gesagt, eine Bitte aussprechen. Wahrschein- daß eine Abgrenzung auch eine Begrenzung sein
lich teilen Sie alle den Eindruck, der uns ein wenig kann.
bekümmert, daß die kulturpolitischen Debatten die-
ses Hauses in den vergangenen Jahren manchmal Was nun in sehr charmanter Form Frau Dr.
den Charakter von unverbindlichen Gesprächen, Maxsein über Berlin gesagt hat, kann ich der Ziel-
von unverbindlichen Diskussionen gehabt haben.- setzung nach nur bestätigen, und auch das, was sie
Ich möchte mir und uns allen wünschen, daß diese an Zukunftsabsichten vorgetragen hat, findet durch-
erste Aussprache über einige der wesentlichen Auf- aus meinen Beifall. Ich darf jedoch bitten, nicht zu
gaben der Kulturpolitik ein Auftakt zu einer inten- vergessen, daß ich sehr nachdrücklich und beweis-
siven, sachlichen und erfolgreichen Zusammenarbeit bar dargelegt habe, daß wir Berlin mehr angeboten
in der Kulturpolitik ist. In diesem Sinne bittet haben und für Berlin mehr bewilligt haben, als dort
meine Fraktion, alle Anträge anzunehmen bzw. sie der Planung und der Baukapazität nach in dieser
den Ausschüssen zu überweisen. Zeit verwendet und abgerufen werden konnte.
(Beifall bei der SPD.) (Abg. Lohmar: Aber, Herr Minister, es ist
ja nicht nur eine Geldfrage!)
Vizepräsident Dr. Jaeger: Liegen noch weitere — Das ist richtig, es ist nicht nur eine Geldfrage.
Wortmeldungen vor? — Bitte, Herr Bundesminister Trotzdem ist es ein sehr seltener Vorgang, daß vom
des Innern! Bund mehr angeboten wird. Es könnte sehr leicht
der Eindruck entstehen, daß der Bund sich vielleicht
Höcherl, Bundesminister des Innern: Herr Präsi- etwas zurückgehalten habe. Das ist ganz und gar
dent! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich nicht der Fall. Wir haben mehr angeboten. Das
bitte, mir noch ein abschließendes Wort zu dieser sollte man auch sehen, und vielleicht müßte auch
umfangreichen Debatte zu gestatten. eine gewisse Ordnung geschaffen werden.
Zunächst darf ich mich herzlich für die Art und Dasselbe gilt für die Unterbringung des preußi-
Weise bedanken, in der das Thema abgehandelt schen Kunstbesitzes. Wir haben gerade bei der
worden ist. Es steht mir zwar kein Urteil darüber weiteren Unterbringung des preußischen Kunst-
zu, und der Innenminister neigt auch gar nicht zu besitzes den Fall zu verzeichnen — er kann der
solchen Erklärungen; aber wenn ich ein positives Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden —, daß
Urteil abgeben und zusammenfassen darf, möchte die für ein Gebäude in Dahlem ausgeworfenen rund
ich sagen: es war ein kultiviertes Kulturgespräch, 5 Millionen DM noch nicht in dem entsprechenden
und dafür möchte ich mich bedanken. Umfang abgerufen werden konnten, weil der Bau
nicht so rasch vorwärtsschreitet — Sie alle kennen
(Beifall.) die Gründe —, wie das nach den Mitteln, die wir
Es sind eine ganze Reihe von Anregungen gegeben bereitstellen, möglich wäre. Das ist nun einmal so.
worden, die das Innenministerium und die Bundes- Dabei handelt es sich aber nicht um eine Schuld-
regierung sehr gewissenhaft aufnehmen und prüfen frage, sondern um eine Tatsachenfrage.
und, wie ich hoffe, soweit es geht, auch in der zu- (Abg. Frau Dr. Maxsein: Entschlußlosigkeit,
künftigen Arbeit verwerten werden. Ratlosigkeit und Diskrepanzen spielen da
Es sind aber auch einige Dinge erwähnt worden, bei eine Rolle!)
die einen gewissen Widerspruch erfordern. So darf — Gut, aber was von der finanziellen Seite her
der Versuch nicht unwidersprochen bleiben, eine getan werden konnte, ist geschehen.
gewisse Konkordanz zwischen den Bemühungen zur
Förderung der Wissenschaft beim Ausbau von (Abg. Frau Dr. Maxsein: Sie haben nichts
Hochschulen und früheren Anträgen von der linken versäumt!)
Seite des Hauses mit dem Art. 120 des Grundgeset- — Ich will keine weiteren Schuldfragen aufwerfen,
zes in Verbindung zu bringen. Sie wissen, daß sich
, aber eines muß immerhin klargestellt werden. Ich
das damals auf Volksschulen usw. bezogen hat. Das, habe es außerordentlich bedauert, Frau Dr. Max-
was wir wegen des Nachholbedarfs angesichts der sein, daß ich in meinem Brief schreiben mußte: Die
stürmisch ansteigenden Besucherzahlen der Hoch- Berufung in den Beirat ist nicht möglich. Ich habe
schulen den Ländern an Hilfe angeboten und gege- mich noch einmal genau erkundigt, und ich möchte
ben haben, hat nichts mit dem Art. 120 zu tun. Das annehmen, es ist erfreulicherweise nicht absolut
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 20. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1962 755
Bundesinnenminister Höcherl
ausgeschlossen, daß ich diesen Brief revidieren Wir haben nun noch die Anträge zu verabschie-
kann. den. Ich rufe zunächst den Antrag der Fraktion der
Gestatten Sie mir noch einen ernsten Appell. Dem SPD Umdruck 43 auf und schlage Ihnen vor, den
Kulturpolitiker wird nicht nur auf der Landesebene, Antrag unter Ziffer 1 dieses Umdrucks an den Ge-
sondern auch auf der Bundesebene sehr viel an samtdeutschen Ausschuß — federführend — sowie
gutem Willen, an Sachkunde und Darstellungskraft an den Kulturausschuß — mitberatend — und die
zugestanden; aber man wirft ihm gelegentlich vor, Anträge unter den übrigen Ziffern nur an den Kul-
daß er sich in den entscheidenden Phasen, nämlich turausschuß zu überweisen. — Widerspruch erfolgt
im Haushaltsausschuß und auch später bei der zwei- nicht; es ist so beschlossen.
ten und dritten Lesung, wo die maßgeblichen Ent- Wir kommen zum Antrag der Fraktionen der
scheidungen fallen, nicht so durchzusetzen vermag, CDU/CSU und der FDP Umdruck 44. Hier schlage
wie der gute Wille reichen könnte. Nun, darauf ich Überweisung an den Entwicklungsausschuß —
kommt es an. Morgen um 9.30 Uhr beginnen die federführend — und an den Kulturausschuß — mit-
Haushaltsberatungen zum Einzelplan 06. Dort wer- beratend — vor. - Widerspruch erfolgt nicht; es
den die Entscheidungen fallen. Wenn es auch nicht ist so beschlossen.
ausschließlich auf das Geld ankommt, so kommt es Wir kommen zum Antrag der Fraktionen der
doch sehr weitgehend auf das Geld an. Die letzten CDU/CSU und der FDP Umdruck 45. Ich schlage
Entscheidungen fallen in der zweiten und dritten vor, den Antrag an den Gesamtdeutschen Ausschuß
Lesung des Haushalts Anfang April. Also, meine — federführend — und an den Kulturausschuß -
Damen und Herren, widerlegen Sie diesen Vorwurf! mitberatend — zu überweisen. - Widerspruch
Bei Philippi sehen wir uns wieder! erfolgt nicht; es ist so beschlossen.
(Beifall bei der CDU/CSU.) Meine Damen und Herren, ich berufe die nächste
Sitzung ein auf Mittwoch, den 21. März 1962, 9 Uhr.
Vizepräsident Dr. Jaeger: Weitere Wortmel- Ich schließe die heutige Sitzung.
dungen? — Das ist nicht der Fall. Damit ist die Aus-
sprache über die drei Großen Anfragen geschlossen. (Schluß der Sitzung: 17.18 Uhr.)
Deutscher Bundestag - 4. Wahlperiode - 20. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1962 757

Anlagen zum Stenographischen Bericht

Anlage 1 Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich

Liste der beurlaubten Abgeordneten Dr. Schmid (Frankfurt) 15. 3.


Dr. Schneider 26. 3.
Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Schütz 15. 3.
Seifriz 16. 3.
a) Beurlaubungen Dr. Sinn 16. 3.
Stein 15. 3.
Arendt (Wattenscheid) 15. 3. Steinhoff 16. 3.
Dr. Arnold 16. 3. Storch 15. 3.
Dr. Atzenroth 23. 3. Stooß 15. 3.
Dr. Dr. h. c. Baade 13. 4. Striebeck 23. 3.
Dr. Barzel 16. 3. Theis 15. 3.
Bergmann 15. 3. Verhoeven 16. 3.
Berlin 23. 3. Walter 15. 3.
Dr. Birrenbach 16. 3. Frau Dr. h. c. Weber (Essen) 23. 3.
Fürst von Bismarck 15. 3. Weinkamm 16. 3.
Brand 15. 3. Wullenhaupt 16. 3.
Corterier 15. 3.
Grainer 12.4.
Dr. Danz 15. 3. b) Urlaubsanträge
Deringer 15. 3.
Dr. Dichgans 15. 3. Spitzmüller 15. 5.
Drachsler 15. 3.
Engelbrecht-Greve 15. 3.
Dr. Eppler 16. 3.
Dr. Furler 16. 3.
Geiger 16. 3.
Glombig 16. 3. Anlage 2
Hahn (Bielefeld) 16. 3.
Dr. Hesberg 6.4.
Schriftliche Antwort
Illerhaus 15.3.
Iven (Düren) 15.3.
des Herrn Staatssekretärs Dr. Hettlage auf die
Frau Jacobi (Marl) 16. 3.
mündliche Anfrage des Abgeordneten Riedel (Frank-
Killat 15. 3.
furt) (Fragestunde der 19. Sitzung vom 14. März
Klein (Saarbrücken) 15. 3.
1962, Drucksache IV/239, Frage V/1):
Dr. Kohut 20.3.
Kraus 16. 3. Wie werden sich die Einnahmen aus der Grundsteuer in den
nächsten Jahren unter dem Gesichtspunkt der auslaufenden
Dr. Kreyssig 15. 3. Begünstigungen entwickeln?
Krüger 31. 3.
Kühn ,(Hildesheim) 16. 3. Die 10jährige Grundsteuerbefreiung für neue
Leber 15. 3. Wohnungen nach § 7 und § 92 des II. Wohnungs-
Lenz (Bremerhaven) 16. 3. baugesetzes hat im Jahre 1961 bei der Grundsteuer
Lenz (Brühl) 15. 3. zu einer Minderung des Grundsteueraufkommens
Lenze ,(Attendorn) 15. 3. um etwa 420 Mio DM geführt. In dem. Grundsteuer-
Liehr (Berlin) 16. 3. aufkommen des Jahres 1961 mit insgesamt 1720 Mio
Dr. Löbe 16. 3. DM ist ein Teilbetrag von 30 Mio DM enthalten, der
Dr. Löhr 14.4. darauf zurückzuführen ist, daß die Grundsteuerbe-
Dr. h. c. Menne (Frankfurt) 16. 3. freiung für Neubauten aus dem Jahre 1951 fortge-
Dr. Menzel 31. 3. fallen ist. In den kommenden Jahren ist mit einem
Michels 15.3. weiteren Zuwachs des Grundsteueraufkommens we-
Dr. Miessner 31. 3. gen der ausgelaufenen 10-Jahresfrist urn jährlich
Müller (Remscheid) 15. 3. etwa 35 Mio DM und ab 1965 um jährlich etwa 40
Dr. Müller-Emmert 16. 3. bis 45 Mio DM zu rechnen.
Neumann (Allensbach) 16. 3.
Oetzel 7. 4.
Dr. h. c. Pferdmenges 23. 3.
Dr. Philipp 15. 3.
Pöhler 16. 3.
Ramms 15. 3. Anlage 3 Umdruck 43
Dr. Reinhard 16. 3.
Reitzner 31. 3. Antrag der Fraktion der SPD zur Großen An-
Riedel (Frankfurt) 31. 3. frage der Fraktion der SPD betreffend Förderung
Scheppmann 15. 3. der wissenschaftlichen Forschung (Drucksache
Schlick 14. 4. IV/158).
758 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 20. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1962

Der Bundestag wolle beschließen: 2. in Beratung mit den Bundesländern, Universi-


täten und sonstigen beteiligten Institutionen ein
Die Bundesregierung wird ersucht, sich auf mehrere Jahre erstreckendes Programm
zu einer psychologisch angepaßten Unterbringung
1. gemeinsam mit dem Berliner Senat und den Re-
ausländischer Studenten, Praktikanten usw. aus-
gierungen der anderen Länder in der Bundes-
zuarbeiten und dem Bundestag vorzulegen;
republik dafür zu sorgen, daß Berlin eine der
geistigen und kulturellen Metropolen der freien 3. in Zusammenarbeit mit den Bundesländern und
Welt bleibt, seine Aufgabe als Hauptstadt anderen beteiligten Institutionen die soziale und
Deutschlands erfüllen und seine freiheitliche Le- berufliche Stellung desjenigen deutschen Perso-
bensform bewahren und gestalten kann. nenkreises zu sichern, der im Rahmen der Ent-
wicklungshilfe für längere Zeit im Ausland tätig
Dazu ist notwendig der Ausbau aller Bildungs-
ist;
einrichtungen der Stadt von den allgemeinbil-
denden und berufsbildenden Schulen bis zu den 4. geeignete Maßnahmen zu treffen, um eine mög-
Universitäten, Hochschulen, Forschungsinstitu- lichst systematische Vorbereitung der für eine
ten und den Institutionen der Erwachsenenbil- Tätigkeit in den Entwicklungsländern in Frage
dung. Die Städtischen Bühnen und andere künst- kommenden deutschen Personen auf deren Auf-
lerische Einrichtungen Berlins müssen gefördert gaben sicherzustellen und dabei auch einen quali-
werden. fizierten Nachwuchs heranzubilden;
Ein Zentrum für die pädagogische Forschung 5. in Zusammenarbeit mit den Bundesländern die
sollte in Berlin gegründet werden. Kulturelle In- Frage zu überprüfen, inwieweit es möglich ist,
stitutionen internationalen Charakters, vor allem die wissenschaftliche Behandlung des Problems
neue Einrichtungen der UNESCO, können in Ber- der Entwicklungsländer und der Entwicklungs-
lin eine Stätte für eine weltoffene Arbeit finden; hilfe besser als bisher zu fundieren und zu koor-
2. eine wirksame organisatorische und sachliche Ko- dinieren.
ordinierung aller Maßnahmen zur Förderung der
wissenschaftlichen Forschung sicherzustellen, der Bonn, den 15. März 1962
Wissenschaftsförderung den ihr gebührenden in-
stitutionellen und politischen Rang im Rahmen Dr. von Brentano und Fraktion
der allgemeinen Staatspolitik zu geben und die
Zusammenarbeit mit den Ländern und den Gre- Dr. Mende und Fraktion
mien der Wissenschaftler im Wissenschaftsrat,
in der Deutschen Forschungsgemeinschaft und in
der Max-Planck-Gesellschaft zu vertiefen;
3. unverzüglich ein Rahmengesetz über die Förde-
rung der wissenschaftlichen Forschung nach Arti-
kel 74 Nr. 13 GG vorzulegen; Anlage 5 Umdruck 45
4. Forschungsvorhaben, soweit sie sich dazu eig-
nen, in enger Zusammenarbeit mit Institutionen Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, FDP zur
der Universitäten und Hochschulen durchzuführen Großen Anfrage der Fraktion der CDU/CSU betref-
und dabei die Freiheit der Forschung zu wahren. fend Entwicklung von Wissenschaft und Forschung
in der Bundesrepublik (Drucksache IV/154) und zur
Bonn, den 14. März 1962 Großen Anfrage der Fraktion der FDP betreffend
kulturpolitische Aufgaben des Bundes (Drucksache
IV/233).
Ollenhauer und Fraktion
Der Bundestag wolle beschließen:

Die Bundesregierung wird ersucht,


Anlage 4 Umdruck 44 1. den Ausbau und die Errichtung wissenschaft-
licher Einrichtungen mit internationalem Rang
Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, FDP zur in Berlin zu unterstützen und Kultureinrichtun-
Großen Anfrage der Fraktion der CDU/CSU betref-
gen internationaler Träger in Berlin zu fördern,
fend Entwicklung von Wissenschaft und Forschung
in der Bundesrepublik (Drucksache IV/154) und zur 2. die Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß je-
Großen Anfrage der Fraktion der FDP betreffend der Studierende an deutschen Hochschulen die
kulturpolitische Aufgaben des Bundes (Drucksache Möglichkeit erhält, wenigstens ein Semester an
IV/233). Berliner Hochschulen zu studieren.
Der Deutsche Bundestag wolle beschließen:
Bonn, den 15. März 1962
Die Bundesregierung wird ersucht,
1. ein Programm der Sozial- und Bildungshilfe für Dr. von Brentano und Fraktion
die Entwicklungsländer dem Bundestag vorzu-
legen; Dr. Bucher und Fraktion

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