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D eutscher Bundestag

19. Sitzung

Bonn, den 14. März 1962

Inhalt:

Fragestunde (Drucksache IV/239) Wittrock (SPD) 627 A, B


Stiller (CDU/CSU) . . . . . . 627 C
Frage des Abg. Lohmar:
Hauffe (SPD) . . . . . . . . 627 C
Sondermarken zum 20. Jahrestag des
20. Juli 1944 Ritzel (SPD) 627 D, 628 A

Dr. Steinmetz, Staatssekretär . . . 625 B Frage des Abg. Schmidt (Kempten) :


Sonderstempel „Kampf gegen die Ma-
Frage des Abg. Rademacher: laria"
Münzfernsprecher auf Bahnsteigen der Dr. Steinmetz, Staatssekretär . . 628 A, B
Bundesbahn Schmidt (Kempten) (FDP) . . . . 628 B
Dr. Steinmetz, Staatssekretär 625 B, C, D
Frage des Abg. Blachstein:
Rademacher (FDP) 625 C, D
Versorgung der Gebiete Ostfriesland
und Emsland mit Fernsehprogrammen
Frage des Abg. Rademacher:
Dr. Steinmetz, Staatssekretär . . 628 B, D
Briefmarken- und Wechselautomaten
Blachstein (SPD) . . . . . . . 628 C, D
der Bundespost
Dr. Steinmetz, Staatssekretär . . . 626 A Frage des Abg. Ritzel:
Bezüge des Prof. Dr. Gladenbeck als
Fragen des Abg. Dr. Dittrich: Geschäftsführer der Gesellschaft Freies
Stellenzulagen für Beamte des mittle- Fernsehen
ren Dienstes bei der Bundespost von Eckhardt, Staatssekretär . . 628 D
Dr. Steinmetz, Staatssekretär . . 626 B 629 B, C
Ritzel (SPD) 629 B
Frage des Abg. Keller: Dr. Hettlage, Staatssekretär . . 629 C
Ortstarif im Brief- und Fernsprechver- Erler (SPD) 629 C
kehr zwischen Bonn und Bad Godes-
berg Frage des Abg. Sanger:
Dr. Steinmetz, Staatssekretär . . 626 C, D, Äußerung des Bundeskanzlers über
627 A, B, C, D, 628A eine Konferenz der Außenminister
Keller (FDP) . . . . . . . . . 626 D Lahr, Staatssekretär . 629 D, 630 A, B
Büttner (SPD) . . . . . . . . . 626 D Sänger (SPD) 630 A
II Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. März 1962

Frage des Abg. Schmidt (Kempten) : Frage des Abg. Dr. Brecht:
Verurteilung deutscher Studenten durch Werkwohnungen und freifinanzierte
ein römisches Schwurgericht neue Wohnungen bei der Regelung
Lahr, Staatssekretär . . . 630 B, C. D des sozialen Miet- und Wohnrechts

Schmidt (Kempten) (FDP) . . . 630 B, C Dr. Strauß, Staatssekretär . 634 B, C, D


Erler (SPD) Dr. Brecht (SPD) 634 B
630 D
Büttner (SPD) 634 C
Frage des Abg. Keller:
Fragen der Abg. Frau Dr. Diemer-
Blumenspende bei Beerdigung von Nicolaus:
Bundesbediensteten
Zusammenveranlagung von Ehegatten
Höcherl, Bundesminister . 630 D, 631 A zur Einkommensteuer
Keller (FDP) 630 D Dr. Hettlage, Staatssekretär . 635 A, B, C, D

Frage des Abg. Bauer (Würzburg) : Frau Dr. Diemer-Nicolaus (FDP) 635 B, C
Teilnahme von Mitgliedern österrei- Frau Meermann (SPD) . . . . . . 635 D
chischer Jugendverbände am Winter-
lager des „Bundes Heimattreuer Ju- Fragen des Abg. Dr. Dollinger:
gend" Mangel an Zwei-Pfennig-Münzen
Höcherl, Bundesminister . . . . 631 A, C Dr. Hettlage, Staatssekretär . . . . 636 A
Bauer (Würzburg) (SPD) 631 C
- Fragen des Abg. Stiller:
Frage des Abg. Bading: Betriebsprüfungen
Auskunftserteilung der Bundesregie- Dr. Hettlage, Staatssekretär . . 636 B, C
rung über die Ausführung der Be-
schlüsse des Bundestages Stiller (CDU/CSU) 636 C
Höcherl, Bundesminister 631 D,
Frage des Abg. Müller (Nordenham) :
632 A, B, C, D
Bading (SPD) • . . . . Beihilfen für Gasölbetriebe
631 D, 632 A
Dr. Mommer (SPD) 632 A, D Dr. Hettlage, Staatssekretär 636 D, 637 A

Börner (SPD) 632 B Müller (Nordenham) (SPD) 636 D, 637 A


Jahn (SPD) 632 B, C
Frage des Abg. Wendelborn:
Ritzel (SPD) . . . . . . . . 632 C
Zollfreier Treibstoff für den Segelflug
sport
Frage des Abg. Busse:
Dr. Hettlage, Staatssekretär . . . . 637 A
Tätigkeit von Richtern in Umlegungs-
ausschüssen Entwurf eines Gesetzes über die Feststel-
Dr. Strauß, Staatssekretär . . . 632 D, lung des Bundeshaushaltsplans für das
633 A, B Rechnungsjahr 1962 (Haushaltsgesetz
1962) (Drucksache IV/200) — Fortsetzung
Busse (FDP) 633 A
der ersten Beratung —
Dr. Ramminger (CDU/CSU) . . . 633 A
Schoettle (SPD) . . . . . . . . 637 C
Frage des Abg. Wittrock: Dr. Vogel (CDU/CSU) 645 C
Gesetzentwurf zur Reform des Straf- Kreitmeyer (FDP) 652 B
registers Niederalt (CDU/CSU) 654 C
Dr. Strauß, Staatssekretär . 633 B, C, D Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller (SPD) 658 C
Wittrock (SPD) 633 B, C Dr. Schmidt (Wuppertal) (CDU/CSU) 662 A
Dr. Dittrich (CDU/CSU) . . . . 633 D Dr. Deist (SPD) . . . . 664 B, 681 D
Dr. Dr. h. c. Erhard, Bundesminister 674 A
Frage des Abg. Dr. Brecht:
Dr. Dahlgrün (FDP) 678 A
Gesetzentwurf über ein soziales Miet-
und Wohnrecht Dr. Burgbacher (CDU/CSU) . . . 679 D
Dr. Strauß, Staatssekretär 633 D, 634 A Hermsdorf ,(SPD) . . . 681 C, 688 A
Dr. Brecht (SPD) . . . . 633 D, 634 A Struve (CDU/CSU) 682 D
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. März 1962 III

Dr. Starke, Bundesminister . . . 683 C Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des
Ritzel (SPD) 688 C Einkommensteuergesetzes (SPD) (Druck-
sache IV/67) — Erste Beratung —
D. Dr. Gerstenmaier (CDU/CSU) 689 A
Seuffert (SPD) . . . . . . . . 690 D
Dr. Schmidt (Wuppertal) (CDU/CSU) 693 D
Entwurf eines Gesetzes über die Feststel-
lung ,des Wirtschaftsplans des ERP-Son- Freiherr von Kühlmann-Stumm (FDP) 695 A
dervermögens für das Rechnungsjahr
1962 (ERP-Wirtschaftsplangesetz 1962)
(Drucksache IV/237) — Erste Beratung — Nächste Sitzung 695 D
Wacher (CDU/CSU) 690 B
Zoglmann (FDP) . . . . . . . 690 B Anlage 697
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. März 1962 625

19. Sitzung

Bonn, den 14. März 1962

Stenographischer Bericht Rademacher (FDP) : Halten Sie das für genü-


gend, um den Bedarf der Reisenden zu decken, die
in wichtigen Fällen etwa beim Umsteigen auf den
Beginn: 9.03 Uhr. Bahnhöfen Gespräche führen wollen?

Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Die Sitzung Dr. Steinmetz, Staatssekretär im Bundesmini-


ist eröffnet. sterium für das Post- und Fernmeldewesen: Herr
Abgeordneter, Münzfernsprecher auf Bahnsteigen
Ich rufe auf Punkt 1 der Tagesordnung: werden nur dort aufgestellt, wo sich ein echtes Be-
dürfnis ergibt. Ein solches echtes Bedürfnis läßt sich
Fragestunde (Drucksache IV/239).
nur durch entsprechende Anregungen des Publi-
Wir kommen vorab zu den Fragen aus dem Ge- kums feststellen. Anregungen dieser Art werden
schäftsbereich des Bundesministers für 'das Post- von den Dienststellen der Deutschen Bundespost
und Fernmeldewesen, zunächst zur Frage XI/1 — sorgfältig geprüft. Ihnen wird nach Möglichkeit
des Herrn Abgeordneten Lohmar — : auch entsprochen. Ein Bedürfnis über die 80 vorhan-
Ist die Bundesregierung bereit, zum 20. Jahrestag des 20. Juli
denen Münzfernsprecher hinaus ist zur Zeit bei uns
1944 eine Briefmarkenserie zum Gedenken an die Männer und nicht bekannt. Außer diesen 80 Münzfernsprechern
Frauen, die aus religiösen, rassischen oder politischen Gründen
Widerstand gegen die Diktatur geleistet haben, herauszugeben? sind noch weitere tausend Münzfernsprecher außer-
halb Ides abgesperrten Teiles in den Bahnhöfen vor-
Zur Beantwortung der Herr Staatssekretär des handen, deren sich die Reisenden ohne Schwierig-
Bundesministeriums für das Post- und Fernmelde- keiten bedienen können.
wesen.
Münzfernsprecher auf Bahnsteigen oder außer-
Dr. Steinmetz, Staatssekretär im Bundesmini- halb der abgesperrten Teile in den Bahnhöfen dür-
sterium für das Post- und Fernmeldewesen: Ich darf f en nur mit Zustimmung der Deutschen Bundesbahn
antworten: Eine Sondermarke zum Gedenken an die an den von ihr bestimmten Standorten aufgestellt
Blutzeugen für die Glaubens- und Gewissensfreiheit werden.
im Widerstand gegen die Diktatur soll nicht erst
am 20. Jahrestag des 20. Juli 1944, sondern bereits Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Eine weitere
aus Anlaß der Einweihung der Gedenkstätte Regina Zusatzfrage!
Martyrum in Berlin-Plötzensee herausgegeben wer-
den. Mit der Vollendung der Gedenkstätte und da- Rademacher (FDP) : Da ich nur nach Münzfern-
mit der Ausgabe der Gedenkmarke kann bereits für sprechern auf den Bahnsteigen gefragt hatte, frage
den Herbst 1962 gerechnet werden. ich weiter, Herr Staatssekretär: Woher nehmen Sie
die Weisheit, ,daß 80 Apparate auf den Bahnsteigen
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Keine Zusatz- der gesamten deutschen Bundesrepublik genügen?
frage.
Frage XI/2 — des Herrn Abgeordneten Rade- Dr. Steinmetz, Staatssekretär im Bundesmini-
macher —: sterium für das Post- und Fernmeldewesen: Herr
Abgeordneter, ich möchte nicht meinen, daß dies
Kann der Herr Bundespostminister Auskunft darüber geben,
wieviel Münzfernsprecher auf den Bahnsteigen der Deutschen eine besondere Weisheit ist; aber in unserem Mini-
Bundesbahn den Reisenden zur Verfügung stehen? sterium ist bislang nichts darüber bekannt, daß wei-
Zur Beantwortung der Herr Staatssekretär. tere Münzfernsprecher auf Bahnsteigen gefordert
werden.
(Abg. Blachstein: Keine Weisheit im
Dr. Steinmetz, Staatssekretär im Bundesmini-
Ministerium!)
sterium für das Post- und Fernmeldewesen: Inner-
halb 'der abgesperrten Teile der Bahnhöfe der Deut-
schen Bundesbahn stehen den Reisenden etwa 80 Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Frage XI/3
Münzfernsprecher 'zur Verfügung. — des Herrn Abgeordneten Rademacher —:
Kann der Herr Bundespostminister erklären, wie es möglich
ist, daß — insbesondere nach Feiertagen — die Briefmarken-
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Zusatzfrage! und Wechselautomaten oft tagelang leer bleiben?
626 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. März 1962
Präsident D. Dr. Gerstenmaier
Zur Beantwortung der Herr Staatssekretär für das nung der Zahlung von Zulagen auf weitere Beamte
Post- und Fernmeldewesen. des mittleren Dienstes ist nicht möglich, da keine
weiteren Planstellen der Besoldungsgruppe A 9 zur
Dr. Steinmetz, Staatssekretär im Bundesmini- Verfügung stehen. Eine Anforderung zusätzlicher
sterium für das Post- und Fernmeldewesen: Die Planstellen, um daraus Zulagen zu zahlen, ist recht-
Dienststellen der Deutschen Bundespost sind ange- lich unzulässig. Sie würde zu einer Ausweitung des
wiesen, sicherzustellen, daß die Münzwertzeichen- § 21 Abs. 2 des Bundesbesoldungsgesetzes führen,
geber und die Münzwechsler, insbesondere außer- und die ist dem Gesetzgeber vorbehalten.
halb der Postschalterstunden, stets gefüllt sind und
Störungen so bald wie möglich beseitigt werden. Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Zusatzfrage?
Bei der großen Zahl dieser Geräte und der breiten — Keine Zusatzfrage.
Streuung über den gesamten Bereich der Postämter
kann es vorkommen, daß ein Gerät infolge einer Frage XI/6 — des Herrn Abgeordneten Keller —:
nicht vorauszusehenden starken Inanspruchnahme, Welche Bedenken bestehen beim Herrn Bundespostminister, im
Raum der Bundeshauptstadt, z. B. zwischen Bonn und Bad Go-
etwa wenn ein Postkunde seinen großen Bedarf an desberg, den Ortstarif im Brief- und Fernsprechverkehr ein-
Wertzeichen aus einem Wertzeichengeber deckt, zuführen?
schneller als üblich leer ist und nicht sofort wieder
aufgefüllt wird, weil Personalmangel und das Gebot Dr. Steinmetz, Staatssekretär 'im Bundesmini-
einer möglichst wirtschaftlichen Betriebsführung es sterium für das Post- und Fernmeldewesen: Es gibt
nicht gestatten, daß jedes Gerät ununterbrochen im Bundesgebiet eine Reihe von selbständigen Städ-
überwacht wird. Hier kann es sich jedoch nach unse- ten, die eng miteinander verflochten sind. Vor allem
ren Beobachtungen und Erfahrungen nur um Einzel- im Hinblick auf den verfassungsmäßig garantierten
fälle handeln. Das Bundespostministerium wird den- Gleichheitsgrundsatz ist es fraglich, ob die Einfüh-
noch Ihre Anfrage, Herr Abgeordneter, zum Anlaß rung von Ortsgebühren im Brief- und Fernsprech-
nehmen, die Dienststellen erneut auf eine sorgfäl- verkehr ausschließlich auf den Raum Bonn—Bad
tige Überwachung der Münzwertzeichengeber und Godesberg beschränkt werden kann.
Münzwechsler hinzuweisen. Eine Erweiterung der Ortsverkehrsbereiche in
einem größeren Umfang hat aber nicht unerhebliche
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Frage XI/4 finanzielle Auswirkungen durch Gebührenausfall
— des Herrn Abgeordneten Dr. Dittrich — : und durch Investitionen, die auf dem Fernmeldesek-
Werden im Bereich der Deutschen Bundespost Stellenzulagen tor erforderlich werden. Das Bundesministerium für
gemäß § 21 Abs. 2 des Bundesbesoldungsgesetzes, erstmals seit
dem 1. Januar 1962, nur an diejenigen Beamten des mittleren das Post- und Fernmeldewesen prüft zur Zeit im
Dienstes gezahlt, die am 1. Januar 1961 mehr als zehn Jahre
Tätigkeiten des gehobenen Dienstes ausgeübt haben und diese
Auftrag des Ministers neben den technischen Mög-
auch weiterhin ausüben werden? lichkeiten auch die Frage, ob die finanziellen Aus-
wirkungen in Kauf genommen werden können. Nach
Dr. Steinmetz, Staatssekretär im Bundesmini- Abschluß dieser Prüfung wird der Herr Bundesmini-
sterium für das Post- und Fernmeldewesen: Gestat- ster für das Post- und Fernmeldewesen seine end-
ten Sie, daß ich beide Fragen des Herrn Abgeord- gültige Entscheidung treffen.
neten Dr. Dittrich gemeinsam beantworte?
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Eine Zusatz-
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Frage XI/5 frage, Herr Abgeordneter Keller!
— des Herrn Abgeordneten Dr. Dittrich —:
Beabsichtigt der Herr Bundespostminister, Anweisung zu ge- Keller (FDP) : Herr Staatssekretär, billigen Sie
ben, die Stellenzulagen gemäß § 21 Abs. 2 des Bundesbesol-
dungsgesetzes auch an die Beamten des mittleren Dienstes zu die Drohung eines Ministerialdirektors vom 10. Fe-
zahlen, die am Stichtag (1. Januar 1961) weniger als zehn Jahre bruar laut FAZ: „Der Ortstarif geht nur über meine
auf Dienstposten des gehobenen Dienstes verbracht haben?
Leiche"? Oder werden in erster Linie postalische
Überlegungen den Vorrang behalten?
Dr. Steinmetz, Staatssekretär im Bundesmini-
sterium für das Post- und Fernmeldewesen: Die Dr. Steinmetz, Staatssekretär im Bundesmini-
Zahlung von Zulagen nach § 21 Abs. 2 des Bundes-
sterium für das Post- und Fernmeldewesen: Herr
besoldungsgesetzes ist grundsätzlich nur möglich, Abgeordneter, mir ist dieser Ausspruch nicht
wenn und soweit Planstellen entgegen ihrer Zweck- bekannt. Ich bin aber sicher, daß kein Ministerial-
bestimmung nicht zur Anstellung oder Beförderung direktor in unserem Hause die Absicht hat, nur
von Beamten benötigt werden und deshalb länger etwas zuzulassen, was über seine Leiche geht.
als ein Jahr frei sind. Da sich im Bereich der Deut-
schen Bundespost weniger Beamte und Beamtinnen
des mittleren Dienstes zum Aufstieg gemeldet hat- Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Eine Zusatz-
ten, als voraussehbar war, blieb eine Anzahl von frage des Herrn Abgeordneten Büttner!
Planstellen der Besoldungsgruppe A 9 unausge-
nutzt. Sie sind zur Zahlung von Zulagen nach § 21 Büttner (SPD) : Herr Staatssekretär, darf ich
Abs. 2 des Bundesbesoldungsgesetzes verwendet Ihnen die Frage vorlegen, ob die Möglichkeit be-
worden. Ihre Zahl deckt sich rein zufällig mit der steht, Ortsgebühren für die Gemeinden zu erheben,
Zahl der Beamten und Beamtinnen des mittleren die innerhalb des Bereiches eines Hauptpostamtes
Dienstes, die seit zehn Jahren auf Dienstposten des liegen? Ich darf Ihnen ein Beispiel dafür nennen.
gehobenen Dienstes eingesetzt sind. Eine Ausdeh- Im Bezirke des Hauptpostamts Moers liegt auch die
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. März 1962 627
Büttner
Gemeinde Rheinkamp-Meerbeck, die mit Moers in- — Ich kann nur wiederholen: Von diesem Brief ist
einander übergeht. Die Stelle Rheinkamp-Meerbeck mir zur Stunde nichts bekannt.
wird von der Hauptpost Moers betreut. Ich bin auch
damit einverstanden, daß mir die Antwort schrift- Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Eine Zusatz
lich erteilt wird.
frage des Herrn Abgeordneten Stiller!
Dr. Steinmetz, Staatssekretär im Bundesmini-
sterium für das Post- und Fernmeldewesen: Herr Stiller (CDU/CSU) : Herr Staatssekretär, wenn
Abgeordneter, da es sich um einen Einzelfall han- man für Bonn und 'Godesberg den Ortstarif gewährt,
delt, darf ich die Frage entsprechend Ihrer Bitte wird man dann auch daran denken, daß auch Nürn-
schriftlich beantworten. berg und Fürth, die Doppelstadt, den Ortstarif be-
kommen werden?
(Abg. Büttner: Sie steht im Zusammenhang
mit dem Grundsatz!)
Dr. Steinmetz, Staatssekretär im Bundesmini-
sterium für das Post- und Fernmeldewesen: Herr
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Bine Zusatz- Abgeordneter, ich darf darauf hinweisen, daß ich
frage des Herrn Abgeordneten Wittrock!
eingangs meiner Bemerkungen gesagt habe, die
Lösung der Frage sei im Hinblick auf den Gleich-
Wittrock (SPD) : Herr Staatssekretär, Sie spra- heitsgrundsatz nicht ganz einfach.
chen von den finanziellen Auswirkungen. Darf ich
folgendes fragen: Sind Sie nicht der Meinung, daß
die öffentliche Aufgabe, die die Bundespost zu er- Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Es kommen
füllen hat, es gebietet, zusammengehörende Wirt- noch mehrere Beispiele. Eine Zusatzfrage des Herrn
schaftsräume — ich meine jetzt räumlich und wirt- Abgeordneten Hauffe.
schaftlich fest miteinander verschmolzene Städte
wie beispielsweise die Städte Wiesbaden - und Hauffe (SPD) : Herr Staatssekretär, ist Ihnen be-
Mainz — gebührenmäßig entsprechend den Bedürf- kannt, daß z. B. für Nürnberg-Fürth im Fernsprech-
nissen weiter Wirtschaftskreise unter Zurückstel- verkehr ein Ortstarif über ein Fernsprechamt gilt,
lung etwaiger finanzieller Erwägungen als eine Ein- obwohl Fürth nicht nach Nürnberg eingemeindet ist,
heit zu behandeln? daß es auf der anderen Seite Fälle gibt, wie in Bay-
reuth, wo ich für einen Brief von Bayreuth nach
Dr. Steinmetz, Staatssekretär im Bundesmini- meiner Gemeinde Leineck 20 Pfennig zahlen muß,
sterium für das Post- und Fernmeldewesen: Es ist das Postamt Leineck aber Teile der Stadt Bayreuth
dem Herrn Bundesminister und seinen Mitarbeitern mitbetreut und dann die Briefe für 10 Pfennig von
sehr wohl bekannt, daß sie nach den Vorschriften Bayreuth nach Leineck und wieder zurück nach Bay-
des Postverwaltungsgesetzes verpflichtet sind, den reuth transportiert? Also können hier doch rein
berechtigten Belangen und Bedürfnissen der Wirt- wirtschaftliche oder finanzielle Dinge nicht maß-
schaft Rechnung zu tragen. Es ist aber vielleicht gebend sein. Ich glaube, wenn man schon in der
außerhalb der Deutschen Bundespost nicht zur Ge- Organisation einen Wirtschaftsraum berücksich-
nüge bekannt, 'daß nach den Bestimmungen des glei- tigt und es Beispiele dafür gibt, dann könnte man
chen Gesetzes der Herr Bundespostminister ver- das doch von Fall zu Fall so klären. Ist Ihr Haus
pflichtet ist, seine Ausgaben aus den Einnahmen zu bereit, diese Dinge zu prüfen und auf Antrag von
decken, und daß , er von dem Herrn Bundesfinanz- Fall zu Fall Entscheidungen zu treffen?
minister irgendwelche Zuschüsse nicht erhält. Diese
einzelnen Vorschriften miteinander in Einklang zu Dr. Steinmetz, Staatssekretär im Bundesmini-
bringen ist nicht immer ganz einfach. sterium für das Post- und Fernmeldewesen: Herr Ab-
geordneter, ich bitte Sie um Verständnis dafür, daß
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Eine zweite ich die gesamte Landkarte des Gebiets der Deut-
Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Wittrock! schen Bundespost im Augenblick nicht parat habe.

Wittrock (SPD): Herr Staatssekretär, ist Ihnen (Heiterkeit.)


erinnerlich, ,daß Ihr Haus und Ihr Minister mir auf Es ist klar, daß es im Postdienst und Fernmelde-
eine schriftliche Anfrage in ähnlichem Zusammen- dienst aufgrund verschiedener Rechtsgrundlagen
hang erwidert haben, nicht diese Gesichtspunkte eine Reihe von Unterschieden gibt. Ich darf aber
seien wesentlich, sondern wesentlich sei das Veto noch einmal darauf hinweisen, daß der Herr Bun-
des rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten, ob- desminister den gesamten Fragenkomplex zur
gleich das rechtlich gar keine sichere Grundlage Stunde prüfen läßt und dann seine Entscheidungen
hat? treffen wird.

Dr. Steinmetz, Staatssekretär im Bundesmini- Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Eine Zusatz-


sterium für das Post- und Fernmeldewesen: Von frage des Herrn Abgeordneten Ritzel.
dieser Mitteilung meines Ministers an Sie ist mir
zur Stunde nichts bekannt.
Ritzel (SPD) : Dann darf ich, Herr Staatssekretär,
(Abg. Wittrock: Es kann auch ein Sach aus einem Ihnen geographisch wohlbekannten Ge-
bearbeiter gewesen sein! Darauf kann ich biet eine gleiche Frage stellen. Sie kennen den
mich jetzt nicht festlegen!) engen Zusammenhang der beiden Kleinstädte Er-
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Ritzel
bach und Michelstadt. Dort wäre ein Ortsverkehr anlage des Norddeutschen Rundfunks zur Ausstrah-
zwingend notwendig. Wie steht's damit? lung des zweiten Programms ist in Steinkimmen
nicht vorhanden. Durch die Mitbenutzung des Sen-
Dr. Steinmetz, Staatssekretär im Bundesmini- derstandorts Steinkimmen des Norddeutschen
sterium für das Post- und Fernmeldewesen: Ich bin Rundfunks würde eine Verbesserung der Versor-
sicher, Herr Abgeordneter Ritzel, daß auch diese gung dieses Gebiets auch nicht erreicht werden kön-
Frage mit der Gesamtentscheidung entschieden wer- nen. Außerdem stehen für den Standort Steinkim-
den dürfte. men nach dem Europäischen Rundfunkabkommen
von Stockholm von 1961 für weitere Programme
Ritzel (SPD) : Das ist möglich. keine Frequenzen zur Verfügung. Im übrigen wird
das Gebiet Bremen von dem Fernsehsender Bremen
der Deutschen Bundespost mit dem zweiten Fern-
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Keine weite-
sehprogramm gut versorgt.
ren Zusatzfragen. Ich rufe auf die Frage XI/7 — des
Herrn Abgeordneten Schmidt (Kempten) —:
Beabsichtigt die Bundesregierung gemäß einer dem Deutschen
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Zusatzfrage!
Bundestag in der Sitzung vom 13. Dezember 1961 gegebenen
Auskunft des Staatssekretärs im Bundespostministerium, Dr.
Steinmetz, den Weltgesundheitstag am 7. April 1962 durch Her- Blachstein (SPD) : Ihre letzte Bemerkung, Herr
ausgabe eines Sonderstempels „Kampf gegen die Malaria" zu
unterstützen, obwohl der Weltgesundheitstag in der Bundes- Staatssekretär, wird zumindest in Bremen sicher mit
republik wie in vielen anderen europäischen Ländern unter dem Erstaunen aufgenommen werden.
Motto "Schützt das Augenlicht" begangen wird?

Dr. Steinmetz, Staatssekretär im Bundesmini- Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Frage!


sterium für das Post- und Fernmeldewesen: Der
Sonderstempel zum diesjährigen Weltgesundheits- Blachstein (SPD) : Ich möchte Sie fragen: Ist die
tag wird in Übereinstimmung mit dem Deutschen Bundespost bereit, ohne Rücksicht auf Prestige-
Grünen Kreuz die Inschrift tragen: „Schützt das gründe alle vorhandenen Einrichtungen, zum Bei-
Augenlicht! Weltgesundheitstag." spiel bei öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten,
zur Versorgung der heute noch nicht voll versorg-
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Eine Zusatz- ten Gebiete mitzubenutzen?
frage.
Dr. Steinmetz, Staatssekretär im Bundesmini-
Schmidt (Kempten) (FDP) : Herr Staatssekretär, sterium für das Post- und Fernmeldewesen: Herr
1 war dieser Sonderstempel „Schützt das Augenlicht" Abgeordneter Blachstein, ich darf darauf antworten:
auch schon bekannt, als die Erklärung des Bundes- Prestigegründe spielen bei der Entscheidung der
postministeriums über den Sonderstempel „Kampf Bundespost, insbesondere im Hinblick auf die Ver-
gegen die Malaria" abgegeben wurde? sorgung mit dem Zweiten Programm, überhaupt
keine Rolle. Ich darf Ihnen darüber hinaus sagen,
Dr. Steinmetz, Staatssekretär im Bundesmini- daß die Deutsche Bundespost mit dem. Norddeut-
sterium für das Post- und Fernmeldewesen: Nein, schen Rundfunk sehr loyal und positiv zusammen-
sie war damals noch nicht bekannt. arbeitet, um das Bestmögliche herauszuholen.

Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Die Frage Blachstein (SPD) : Danke sehr!


XI/8 — des Herrn Abgeordneten Schmitt-Vocken-
hausen — ist vom Fragesteller zurückgestellt. Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Ich komme
zum Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des
Frage XI/9 — des Herrn Abgeordneten Blach- Bundeskanzleramtes. Die Frage des Herrn Abgeord-
stein —: neten Ritzel lautet:
Ist die Deutsche Bundespost bereit, zur Verbesserung der
technischen Versorgung der Gebiete Ostfriesland, Emsland und Welche Bezüge hat der wegen Dienstunfähigkeit aus dem
Bremen mit Fernsehprogrammen auch vorhandene Fernsehsender Bundesdienst ausgeschiedene frühere Staatssekretär Prof. Dr.
des NDR (z. B. Steinkimmen) zu benutzen? Gladenbeck von der aus Bundesmitteln finanzierten Gesellschaft
Freies Fernsehen erhalten?

Dr. Steinmetz, Staatssekretär im Bundesmini- Zur Beantwortung der Herr Staatssekretär des
sterium für das Post- und Fernmeldewesen: Für die Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung.
Versorgung der Gebiete Ostfriesland und Emsland
mit dem zweiten Fernsehprogramm stehen betriebs- von Eckardt, Staatssekretär, Bundespressechef:
bereite Fernsehsendeanlagen des Norddeutschen Ich darf Ihre Frage, Herr Abgeordneter Ritzel, in
Rundfunks nicht zur Verfügung. Zur Versorgung folgender Weise beantworten:
dieser Gebiete errichtet die Deutsche Bundespost 1. Die Freies Fernsehen GmbH ist am 5. Dezem-
zur Zeit an den Standorten des Norddeutschen ber 1958 von Vertretern einer Gruppe von Zeitungs-
Rundfunks in Aurich und Lingen Fernsehsendeanla- verlegern und Firmen der Markenindustrie gegrün-
gen, für deren Betrieb die vorhandenen Baulichkei- det worden. Ein Gesellschafterausschuß, dem Ver-
ten und technischen Hilfseinrichtungen des Nord- treter der genannten Gruppen sowie der Zeitschrif-
deutschen Rundfunks so weit als möglich mitbenutzt tenverleger und des Mittelstandes angehörten, be-
werden. Mit der Inbetriebnahme dieser Fernsehsen- rief im Februar 1960 zwei Geschäftsführer. Einer
der der Deutschen Bundespost ist im Laufe dieses hiervon war der aus dem Bundesdienst ausgeschie-
Frühjahrs zu rechnen. Eine betriebsbereite Sende- dene Staatssekretär Prof. Dr. Gladenbeck, und zwar
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. März 1962 629
Staatssekretär von Eckardt
an Stelle der beiden ursprünglichen Gesellschafter, hier, die vielleicht ihr Ruhegehalt schon berechnet
die bis dahin zugleich als Geschäftsführer fungiert haben.
hatten. Die Gesellschaft, vertreten durch den Vor- (Heiterkeit bei 'der SPD.)
sitzenden des Gesellschafterausschusses, schloß so-
dann im April 1960 Anstellungsverträge mit den Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Ich frage den
beiden Geschäftsführern ab. Darin war für die bei- Herrn Staatssekretär des Bundesfinanzministeriums,
den Geschäftsführer ein festes Gehalt von monatlich ob er diese Frage beantworten will.
5000 DM brutto sowie für die Jahre 1960/61/62 eine
jährliche Gratifikation von 24 000 DM vereinbart. Dr. Hettlage, Staatssekretär des Bundesmini-
Die Verträge wurden auf die Dauer von 5 Jahren steriums der Finanzen: Ich kann die Frage des Herrn
abgeschlossen. Ausdrücklich bemerken darf ich, daß Abgeordneten Ritzel zu meinem Bedauern nicht be-
die Bundesregierung weder die Auswahl 'der Ge- antworten.
schäftsführer noch die Festlegung ihrer Gehälter (Anhaltende Heiterkeit.)
vorgenommen hat.
(Zuruf von der SPD: Nur das Risiko!) Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Eine Zusatz-
Es muß aber festgestellt werden, 'daß sowohl die frage des Herrn Abgeordneten Erler.
Gehälter der Geschäftsführer wie überhaupt die
-
Monatsverdienste aller Bediensteten der Freies Erler (SPD) : Herr Staatssekretär, ist von der Ge-
Fernsehen-Gesellschaft im Vergleich zu den Gehäl- sellschaft bei der Festsetzung des Gehalts für den
tern .der Rundfunkanstalten angemessen waren. Geschäftsführer Professor Dr. Gladenbeck berück-
sichtigt worden, daß seine Arbeitsfähigkeit doch
2. Nachdem das Urteil des Bundesverfassungsge- sicher durch die Tatsache eingeschränkt ist, daß er
richts vom 28. Februar 1961 der Auftrag an die Ge- wegen Dienstunfähigkeit aus dem Bundesdienst
sellschaft, ein zweites Fernsehprogramm vorzube- ausgeschieden ist? Ist diese Minderung der Er-
reiten, gegenstandslos geworden war, suchte die werbsfähigkeit berücksichtigt worden?
Gesellschaft eine vorzeitige Auflösung des Vertrags-
verhältnisses mit den Geschäftsführern herbeizufüh-
ren. Die Geschäftsführer erklärten sich mit einer von Eckardt, Staatssekretär, Bundespressechef:
Beendigung .des Vertragsverhältnisses zum 30. Sep- Herr Abgeordneter Erler, diese Frage ist schon ein-
tember 1961 einverstanden. Zur Ablösung ihrer mal in ähnlicher Form gestellt worden, und zwar in
weitergehenden Ansprüche wurde vom Liquidator der 'Fragestunde vom 29. September 1960. Sie wurde
der Gesellschaft im Einvernehmen mit dem Bundes- damals von dem amtierenden Bundesminister des
minister der Finanzen und mit mir als Leiter des Innern, Dr. Schröder, beantwortet. Herr Dr. Schröder
Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung erklärte damals — ich darf zitieren —: „Die Fest-
eine Abfindungssumme in Höhe eines Jahresbetra- stellung der Dienstunfähigkeit ist nach den gelten-
ges ihrer Ansprüche aus dem Anstellungsvertrag den Bestimmungen unter den dazugehörenden Um-
vereinbart. ständen erfolgt." Er fügte 'hinzu — ich darf noch ein-
mal zitieren —: „Geld verdienen allein ist noch
kein Anzeichen für Gesundheit und Dienstfähig-
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Zusatzfrage! keit."
(Heiterkeit.)
Ritzel (SPD) : Darf ich fragen, Herr Staatssekretär:
Wie hoch war denn in der gleichen Zeit, auf ein Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Keine Zu-
Jahr bezogen, die Pension des aus dem 'Bundes- satzfrage.
dienst ausgeschiedenen Herrn Staatssekretärs?
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des
Auswärtigen Amts, zunächst zu der Frage II/1 —
von Eckardt, Staatssekretär, Bundespressechef: des Herrn Abgeordneten Sänger —:
Herr Abgeordneter Ritzel, das kann ich Ihnen leider Welche Presseberichte hatte das Auswärtige Amt im Auge,
aus dem Kopf nicht sagen. Mir sind die Zahlen nicht als es im Zusammenhang mit der Ä ußerung des Bundeskanzlers
vom 20. Februar 1962, es müsse eine Konferenz der Außen-
bekannt. Aber ich nehme an, daß die Pension nach minister einberufen werden, am 22. Februar 1962 pauschal er-
der Länge seiner Dienstzeit und nach seiner Dienst- klärte, die Presseberichte über diese Äußerung seien nicht
zutreffend gewesen?
stellung berechnet war.
Zur Beantwortung der Herr Staatssekretär des
(Lachen bei der SPD.) Auswärtigen Amts.
Die Zahl selbst ist mir nicht bekannt.
Lahr, Staatssekretär des Auswärtigen Amts:
Präsident D: Dr. Gerstenmaier: Zweite Zu- Ich darf dem Herrn Abgeordneten Sänger antwor-
satzfrage! ten.
Die Annahme, das Auswärtige Amt habe Presse-
Ritzel (SPD) : In der Annahme, daß dem so ist — berichte im Zusammenhang mit der Äußerung des
nämlich nach dem Gesetz —, möchte ich fragen, ob Herrn Bundeskanzlers vom 20. Februar 1962 pau-
vielleicht der Herr Staatssekretär der Finanzen in schal als nicht zutreffend bezeichnet, trifft in dieser
der Lage ist, die mangelnde Kenntnis in bezug auf Form nicht zu. Das Auswärtige Amt hat am 22. Fe-
die Höhe des Ruhegehaltes eines Staatssekretärs bruar, nachdem es von dem Herrn Bundeskanzler
zu ersetzen. Es sind ja einige Herren Staatssekretäre dazu ermächtigt worden war, lediglich erklärt, daß
630 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. März 1962

Staatssekretär Lahr
sich die Äußerung des Herrn Bundeskanzlers nicht übrigen Kontakte mit der italienischen Regierung
auf eine Ost-West-Außenministerkonferenz, son- stattgefunden.
dern auf eine westliche Viermächtekonferenz be-
Was speziell die Verteidigung der Angeklagten
zogen habe.
betrifft, so ist zu bemerken, daß diesen nach Maß-
gabe der italienischen Gesetze ein Pflichtverteidiger
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Zusatzfrage! zustand. Außerdem haben die Verwandten der An-
geklagten von dem Recht Gebrauch gemacht, einen
Sänger (SPD) : Wenn ich recht verstanden habe, eigenen Verteidiger zu bestellen. Die Frage — die
Herr Staatssekretär, wandten Sie sich soeben gegen wir uns gestellt haben —, ob von uns aus ein Ver-
das Wort „pauschal". Ich möchte aber wissen, teidiger zu bestellen sei, war daher zu verneinen.
welche Presseberichte als unzutreffend bezeichnet
worden sind; denn in der Erklärung des Auswärti- Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Eine zweite
gen Amts, in der es hieß, daß der Herr Bundes- Zusatzfrage?
kanzler eine andere Außenministerkonferenz ge-
meint habe, war zwar von Presseberichten die Rede,
es wurde aber nicht gesagt, welche Presseberichte Schmidt (Kempten) (FDP) : Herr Staatssekretär,
gemeint seien. sieht die Bundesregierung eine Möglichkeit, die
Freilassung dieser sicher irregeleiteten jungen Men-
Lahr, Staatssekretär des Auswärtigen Amts: schen zu erreichen?
Herr Abgeordneter, das Auswärtige Amt hat in sei-
nen Auskünften nicht auf bestimmte frühere Presse- Lahr, Staatssekretär des Auswärtigen Amts:
berichte Bezug genommen, sondern sich auf die Fest- Nach dem, was uns aus dem Gerichtsverfahren be-
stellung beschränkt, die ich soeben verlesen habe. kanntgeworden ist — einem Verfahren, das offen-
sichtlich in voller Objektivität durchgeführt worden
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Eine zweite ist —, besteht kein Zweifel daran, daß diese Ange-
Zusatzfrage! klagten ein Verschulden trifft und daß eine recht-
liche Handhabe, auf ihre Freilassung hinzuwirken,
nicht gegeben ist.
Sänger (SPD) : Sind Sie dann bereit, Herr Staats-
sekretär, zu konzedieren, daß sich die Presse be-
müht, in solchen Fragen korrekt und sorgfältig zu Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Eine Zusatz-
berichten, und daß es untunlich ist, in einer allge- frage des Herrn Abgeordneten Erler.
meinen Form der Presse mißverständliche Äußerun-
gen anderer zur Last zu legen? Erler (SPD): Darf ich der ersten Antwort des
Herrn Staatssekretärs entnehmen, daß auch er Wert
Lahr, Staatssekretär des Auswärtigen Amts: darauf legt, daß wir von „deutschen Staatsbürgern"
Herr Abgeordneter, ich darf wiederholen: Das Aus- und „Deutschen" sprechen und uns nach Möglichkeit
wärtige Amt hat eine pauschale Feststellung dieser nicht den Sprachgebrauch „Bürger der Bundesrepu-
Art nicht getroffen, sondern sich lediglich darum be- blik" angewöhnen?
müht, den Tatbestand klarzustellen.
Lahr, Staatssekretär des Auswärtigen Amts:
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Wir kom- Ich stimme dem zu, Herr Abgeordneter.
men zur Frage II/2 — des Herrn Abgeordneten
Schmidt (Kempten) —
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Wir kom-
:

War der Bundesrepublik bekannt, daß unter den dieser Tage


von einem römischen Schwurgericht verurteilten sieben Studen- men zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des
ten drei Bürger der Bundesrepublik waren? Bundesministers des Innern, zunächst zu der Frage
III/1 — des Herrn Abgeordneten Keller —:
Lahr, Staatssekretär des Auswärtigen Amts: Trifft es zu, daß beim Tode eines Bundesbediensteten ein
Beamter des höheren bzw. gehobenen Dienstes auf Kosten der
Ich darf dem Herrn Abgeordneten Schmidt antwor- Dienststelle mit einem Kranz, eine Sekretärin nur mit einem
ten, daß seine Frage zu bejahen ist. Der Bundes- Blumenstrauß bei der Beendigung geehrt wird?
regierung war bekannt, daß sich unter den sieben Zur Beantwortung der Herr Bundesminister des
verurteilten Studenten drei Deutsche befanden. Innern.

Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Zusatzfrrage! Höcherl, Bundesminister des Innern: Es trifft


nicht zu, daß solche Unterschiede gemacht werden.
Schmidt (Kempten) (FDP) : Herr Staatssekretär,
können Sie darüber Auskunft geben, was die Bun- Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Eine Zusatz-
desregierung während dieser fast sechsmonatigen frage?
Untersuchungshaft, bis das Verfahren abgeschlossen
war, zur Aufklärung des Falles getan hat? Keller (FDP) : Herr Minister, wäre es nicht besser,
den Amtsvorständen mehr freie Hand zu lassen,
Lahr, Staatssekretär des Auswärtigen Amts: anstatt in solchen Takttragen bis ins einzelne
Herr Abgeordneter, das Auswärtige Amt hat von gehende bürokratische Regelungen zu erlassen? Ich
diesem Fall aus der Presse erfahren. Es haben im verweise auf die Ausführungen von 1954.
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. März 1962 631

Höcherl, Bundesminister des Innern: Ich meine, her keinen Anlaß zu Beanstandungen geboten. Es
daß es eine gute Regelung ist, wenn alle gleich- liegen auch keine Erkenntnisse darüber vor, daß
mäßig behandelt werden, daß also keine Unter- Verbindungen zwischen dem „Jugendkorps Scharn-
schiede gemacht werden dürfen. horst" und rechtsradikalen Jugendorganisationen
bestehen oder daß Angehörige solcher Jugendver-
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Ich rufe auf bände beabsichtigen, an dem Treffen des „Jugend-
die Frage I11/2 — des Herrn Abgeordneten Bauer korps Scharnhorst" am 21. und 22. Juli 1962 teil-
(Würzburg) —: zunehmen. Die Information der Nachrichtenagentur
ITALIA, wonach es sich bei dieser Veranstaltung
Hat die Bundesregierung die einer breiteren Öffentlichkeit
durch die offiziöse Nachrichtenagentur „Italia" — Deutscher um ein großes internationales Treffen der neo-
Sonderdienst der Bozener Redaktion — zugegangene Meldung nazistischen Jugend handeln soll, ist somit nach den
überprüft bzw. kommentiert, in der letzten Dezemberwoche habe
der „Bund Heimattreuer Jugend" auf dem Dreisesselberg im hier vorliegenden Informationen unzutreffend.
Bayerischen Wald einen Lehrgang für die Winterausbildung der
Mitglieder organisiert, an dem auch eine gewisse Anzahl von
Mitgliedern des infolge neonazistischer Tätigkeit aufgelösten
„Bundes der vaterländischen Jugend Österreichs" beteiligt ge- Präsident D. Dr. Gerstenmaier: E ine Zusatz-
wesen sei, und am 21. und 22. Juli 1962 werde ein großes
internationales Treffen der neonazistischen Jugend in Bordenau frage Herr Abgeordneter Bauer (Würzburg)!
(Deutschland) stattfinden?

Zur Beantwortung der Herr Bundesminister des Bauer (Würzburg) (SPD) : Herr Bundesminister,
Innern! ist die Bundesregierung grundsätzlich bereit, derar-
tige Tagungen sehr sorgfältig überprüfen zu lassen,
Höcherl, Bundesminister des Innern: Die Bundes- und ist sie weiter bereit, gegebenenfalls Falschmel-
regierung ist über die beiden Veranstaltungen, auf dungen, die in diese Richtung gehen, mit aller Ent-
die sich die Anfrage bezieht, unterrichtet. Ich darf schiedenheit entgegenzutreten?
dazu folgendes ausführen.
Bei der Veranstaltung, die vom 26. Dezember Höcherl, Bundesminister des Innern: Ich beant-
1961 bis zum 2. Januar 1962 am Dreisesselberg im worte beide Fragen mit Ja.
Bayerischen Wald stattfand, handelte es sich um
ein Winterlager des „Bundes Heimattreuer Jugend".
Insgesamt trafen sich etwa 35 Personen, darunter Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Frage III/3 —
einige Teilnehmer aus Österreich und Flandern. des Herrn Abgeordneten Bading — :
Drei der erkannten Teilnehmer aus Österreich ge- Ist die Bundesregierung nicht auch der Ansicht, daß über die
Ausführung der Beschlüsse des Bundestages gemäß § 115 seiner
hörten österreichischen Jugendverbänden an, die Geschäftsordnung schriftlich Auskunft gegeben werden muß,
wegen ihrer rechtsradikalen Betätigung in Oster- innbesondere, wenn eine auf seine einstimmige Beschlußfassung
zurückgehende Verhandlung negativ ausläuft?
reich verboten wurden.
Zur Beantwortung der Herr Bundesminister des
Der „Bund Heimattreuer Jugend" vertritt soge-
Innern.
nanntes völkisches Gedankengut. Dies kam auch in
den Vorträgen, die auf der Veranstaltung gehalten
wurden, zum Ausdruck. Zahlenmäßig ist die Organi- Höcherl, Bundesminister des Innern: Es 'ent-
sation ziemlich bedeutungslos. Im ganzen Bundes- spricht nicht nur der allgemeinen Praxis der Bundes-
gebiet gehören ihr rund 250 Mitglieder an. Gleich- regierung, sondern auch den Bestimmungen der
wohl wird die Organisation, wie alle rechtsradika- Geschäftsordnung, daß auf Beschlüsse des Bundes-
len Vereinigungen, sorgfältig beobachtet. Das Hohe tages nach § 115 der Geschäftsordnung des Bundes-
Haus darf davon überzeugt sein, daß die zuständi- tages schriftlich Auskunft gegeben wird. Ob und
gen. Behörden gegen die Organisation einschreiten in welchem Umfang die Auskunft im Einzelfall zu
werden, wenn es geboten ist und die gesetzlichen erteilen ist, bestimmt sich nach dem Inhalt des
Voraussetzungen dafür vorliegen. Beschlusses. Da Sie, Herr Kollege, in Ihrer Frage
den Beschluß des Bundestages, auf den Sie abzielen,
Vorerst hat das Bundesministerium des Innern nicht genannt haben, bedauere ich, weitere Einzel-
am 26. Februar 1962 gegen diesen Jugendverband heiten nicht angeben zu können.
ein Uniformverbot nach § 3 Abs. 2 des Versamm-
lungsgesetzes erlassen, das allerdings noch nicht
rechtskräftig ist. Durch dieses Verbot wird klar- Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Eine Zusatz-
gestellt, daß es solchen Jugendgruppen verwehrt frage!
wird, in der Öffentlichkeit die irrige Vorstellung
einer pseudomilitärischen Organisation zu erwek- Bading (SPD): Wenn die Bundesregierung diesen
ken. Standpunkt, den Sie soeben vorgetragen haben, ein-
Das Treffen am 21. und 22. Juli 1962 in Bordenau nimmt, wie beurteilt sie dann das Verhalten des
am Steinhuder Meer, dem Geburtsort Scharnhorsts, Bundesverkehrsministers, der auf den einstimmigen
wird durch die Jugendorganisation des „Stahlhelm", Beschluß des Bundestages, mit der französischen
das „Jugendkorps Scharnhorst", anläßlich des 40 jäh- Regierung über einen direkten Eisenbahnverkehr
rigen Bestehens dieses Jugendverbandes durchge- zwischen Colmar und Breisach zu verhandeln, dem
führt. Das „Jugendkorps Scharnhorst", das über Bundestag keinen Bericht gegeben hat, obwohl die
etwa 200 Mitglieder im Bundesgebiet verfügt, ver- Verhandlungen negativ ausgefallen sind, so daß der
anstaltet alljährlich in Bordenau ein Bundestreffen. Bundestag nicht erfahren hat, wie sein Beschluß aus-
Die Veranstaltungen dieser Organisation haben bis- geführt wurde?
632 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. März 1962

Höcherl, Bundesminister des Innern: Die Bun- legentlich zweckmäßig ist, einen oder sogar mehrere
desregierung ist der Meinung, daß der Herr Ver- Zwischenberichte zu geben.
kehrsminister die Lage optimistisch beurteilt und
versuchen wird, die Verhandlungen trotz des bis-
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Eine zweite
herigen negativen Zwischenergebnisses wieder auf-
Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Jahn!
zunehmen und zu einem positiven Abschluß zu brin-
gen.
Jahn (SPD) : Billigt die Bundesregierung das Ver-
Bading (SPD) : Herr Bundesminister, was sagen halten des Verkehrsministers, 'der bis heute 'dem
Sie dazu, daß diese Verhandlungen bereits im Früh- Bundestag formell noch keinen Bericht erstattet
jahr 1961 abgeschlossen worden sind und daß die hat?
Erledigung des Beschlusses des Bundestages erst
durch eine in der Fragestunde gestellte Frage Höcherl, Bundesminister des Innern: Die Bun-
bekannt geworden ist? desregierung hat keine Veranlassung, das Verhal-
ten des Herrn Verkehrsministers zu mißbilligen.
Höcherl, Bundesminister des Innern: Ich glaube,
es gibt verschiedene Grade des Optimismus. Offen- Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Eine Zusatz-
bar liegt hier ein sehr intensiver Optimismus vor. frage Herr Abgeordneter Ritzel!
(Heiterkeit.)
Ritzel (SPD) : Würden Sie bereit sein, Herr Bun-
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Eine Zusatz- desinnenminister, im Schoße der Bundesregierung
frage des Herrn Abgeordneten Dr. Mommer! dafür zu sorgen, daß einmal eine kleine Inventur
über nicht erstattete Berichte gemacht wird?
Dr. Mommer (SPD) : Herr Minister, können Sie
uns sagen, wie die Bundesregierung es technisch Höcherl, Bundesminister des Innern: Ich werde
sicherstellt, daß Beschlüsse des Bundestages so ver- eine solche Anregung geben.
folgt werden, daß dem Hause zu gegebener Zeit (Abg. Ritzel: Danke!)
dann auch — sozusagen automatisch — der Ausgang
der Sache mitgeteilt wird?
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Eine Zusatz-
Höcherl, Bundesminister des Innern: Herr Ab- frage des Herrn Abgeordneten Mommer.
geordneter Mommer, in der Gemeinsamen Ge-
schäftsordnung der Bundesministerien gibt es
Dr. Mommer (SPD) : Herr Minister, wenn, ob-
genaue Vorschriften darüber, wie das im Geschäfts- wohl es in 'der Geschäftsordnung der Bundesregie-
gang zu behandeln ist. rung sichergestellt ist, eine Berichterstattung nicht
erfolgt, darf man dann daraus schließen, daß das
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Eine Zusatz- absichtlich nicht geschieht?
frage!

Börner (SPD) : Herr Minister, ist die Bundesre- Höcherl, Bundesminister des Innern: Das möchte
gierung bereit, ebenso wie verschiedene Landes- ich nicht annehmen.
regierungen das bei ihren Parlamenten tun, dem (Heiterkeit.)
Bundestag in Abständen einen Sammelbericht über
die Erledigung von Parlamentsbeschlüssen zuzulei-
ten? Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Wir kom-
men zu den Fragen aus dem 'Geschäftsbereich des
Bundesministers der Justiz.
Höcherl, Bundesminister des Innern: Vorschrif-
ten darüber bestehen nicht; man müßte die Ge- Frage IV/1 — Herr Abgeordneter Busse —:
schäftsordnung ändern. Man könnte über dieses
Teilt der Herr Bundesjustizminister die in der Rundverfügung
Thema durchaus sprechen. 3110 - I A 12 des Justizministers des Landes Nordrhein-West-
falen geäußerte Ansicht, daß § 4 Abs. 1 des Deutschen Richter-
gesetzes die Tätigkeit eines Richters als Vorsitzender eines
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Eine Zusatz- Umlegungsausschusses (§ 46 des Bundesbaugesetzes vom 23. Juni
1960, BGBl. I S. 341) verbietet?
frage des Herrn Abgeordneten Jahn!
Zur Beantwortung der Herr Staatssekretär im
Bundesministerium der Justiz.
Jahn (SPD) : Herr Minister, halten Sie es, trotz
allen Optimismus, den Sie dem Herrn Verkehrs-
minister unterstellen, nicht für notwendig, daß dem Dr. Strauß, Staatssekretär im Bundesministerium
Bundestag nach einer angemessenen Frist wenig- der Justiz: Der Bundesminister der Justiz teilt die
stens ein Zwischenbericht gegeben wird? Auffassung des Herrn Justizministers des Landes
Nordrhein-Westfalen, derzufolge nach Inkrafttreten
Höcherl, Bundesminister des Innern: Auf die des Deutschen Richtergesetzes Richter nicht mehr in
Möglichkeit des Zwischenberichtes ist in ,der Ge- Umlegungsausschüssen oder Oberen Umlegungs-
schäftsordnung hingewiesen. Ich glaube, daß es ge- ausschüssen der Länder tätig sein dürfen.
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. März 1962 633

Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Eine Zusatz- mäßig, vielleicht einige Landesjustizverwaltungen


frage. zu bitten, Repräsentativerhebungen durchzuführen,
damit so einmal genau festgestellt werden kann,
Busse (FDP) : Herr Staatssekretär, ist Ihnen be- wie hoch doch— man darf sagen: im Grunde genom-
kannt, daß dadurch die Tätigkeit der Umlegungs- men erschreckend hoch — der Prozentsatz der
ausschüsse insbesondere in kleineren Gemeinden irgendwie straffällig Gewordenen ist? Eine solche
praktisch lahmgelegt werden könnte? Klärung und Feststellung könnte zur Erhellung und
Lösung dieses dinglichen Problems beitragen, dem
Dr. Strauß, Staatssekretär im Bundesministerium man eben durch ein neues Straftilgungsgesetz bei-
der Justiz: Das ist mir nicht bekannt. Ich halte es kommen will.
auch nicht für zutreffend. Die Tätigkeit der Umle-
gungsausschüsse ist unbestritten Ausübung der voll- Dr. Strauß, Staatssekretär im Bundesministerium
ziehenden Gewalt. Ich glaube, daß es an sich leich- der Justiz: Herr Abgeordneter, soweit mir bekannt
ter sein wird, Angehörige der vollziehenden Ge- ist, läßt sich diese Zahl aus der jährlich vom Stati-
walt für diese Tätigkeit zu finden, insbesondere in stischen Bundesamt veröffentlichten Straffälligen-
kleineren Gemeinden, in denen Gerichte als Organe statistik schon jetzt entnehmen.
der rechtsprechenden Gewalt bekanntlich nicht be-
stehen. Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Zweite Zu-
satzfrage!
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Eine Zusatz-
frage. Wittrock (SPD) : Stimmen Sie mir darin zu, daß
das Problem, das dieser Fragestellung zugrunde
Dr. Ramminger (CDU/CSU) : Herr Staatssekre- liegt, vielleicht noch einmal zu überprüfen ist? Ich
tär, ich darf eine Zusatzfrage stellen: Fallen dar- habe doch Zweifel, ob sich das ohne weiteres aus
unter auch die stellvertretenden Bürgermeister? der alljährlichen Kriminalitätsstatistik ergibt.

Dr. Strauß, Staatssekretär im Bundesministerium Dr. Strauß, Staatssekretär im Bundesministerium


der Justiz: Worunter? der Justiz: Ich bin gern bereit, eine solche Über-
prüfung anzuregen.
Dr. Ramminger (CDU/CSU) : Unter die Bestim-
mung, daß sie nach dem Richtergesetz ihre Tätig- Wittrock (SPD) : Danke sehr.
keit als stellvertretende Bürgermeister nicht aus-
üben dürfen? Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Zu einer Zu-
satzfrage Abgeordneter Dittrich.
Dr. Strauß, Staatssekretär im Bundesministerium
der Justiz: Das deutsche Gemeinderecht ist nach Dr. Dittrich (CDU/CSU) : Herr Staatssekretär,
1945 so zersplittert, daß ich im Augenblick keine sieht der Entwurf zur Reform der Straftilgungsvor-
Kenntnisse über die verschiedenen Funktionen ver- schriften vor, daß die Fristen bis zur Straftilgung
schiedenartiger stellvertretender Bürgermeister oder bis zur beschränkten Auskunft aus dem Straf-
habe. Soviel kann ich jedoch sagen: Sofern ein register verringert werden?
stellvertretender Bürgermeister Tätigkeiten der
vollziehenden Gewalt ausübt, kann diese Tätigkeit
von einem aktiven Richter nicht wahrgenommen Dr. Strauß, Staatssekretär im Bundesministerium
der Justiz: Jawohl.
werden.

Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Frage IV/2 — Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Frage IV/3 —
Herr Abgeordneter Wittrock — :
Herr Abgeordneter Dr. Brecht —:
Bis wann wird die Bundesregierung das seit längerer Zeit
Wird die Bundesregierung den bereits in der Fragestunde wiederholt angekündigte Gesetz über ein soziales Miet- und
des Bundestages vom 12. Dezember 1957 von dem damaligen Wohnrecht dem Bundestag zur Beratung vorlegen, nachdem die
Bundesjustizminister angekündigten Entwurf eines Gesetzes zur sogenannten
- Abbaugesetze des Jahres 1960 das soziale Miet
Reform des Strafregisters unter Berücksichtigung der in der und Wohnrecht nicht enthalten?
Öffentlichkeit seit Jahren immer wieder angeregten Reform der
Straftilgungsvorschriften nun bald den gesetzgebenden Körper-
schaften vorlegen?
Zur Beantwortung der Herr Staatssekretär der
Justiz.
Dr. Strauß, Staatssekretär im Bundesministerium
der Justiz. Herr Abgeordneter, die Bundesregierung Dr. Strauß, Staatssekretär im Bundesministerium
hofft, den gesetzgebenden Körperschaften noch vor der Justiz: Wünschen Sie, daß ich die beiden Fragen
Beginn der Sommerpause den Entwurf eines neuen zusammen beantworte?
Straftilgungsgesetzes zuleiten zu 'können.
Dr. Brecht (SPD) : Es wäre mir lieber, Sie wür-
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Eine Zusatz- den sie getrennt beantworten.
frage!
Dr. Strauß, Staatssekretär im Bundesministerium
Wittrock (SPD) : Herr Staatssekretär, erachten der Justiz: Die Bundesregierung hofft, bereits in den
Sie es im Hinblick auf die — begrüßenswerterweise nächsten Wochen das Gesetz über ein soziales Miet-
bald — durchzuführenden Beratungen als zweck- und Wohnrecht zu verabschieden.
634 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. März 1962

Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Zusatzfrage? Mieterschutz in Form eines sozialen Miet- und
Wohnrechtes gegeben sein muß, so wie jetzt Mie-
Dr. Brecht (SPD) : Ist Ihnen klar, Herr Staats- terschutz gilt?
sekretär, daß es sich bei dieser Aufgabe um eine
sehr dringliche und sehr wichtige Aufgabe handelt, Dr. Strauß, Staatssekretär im Bundesministerium
da dieses soziale Miet- und Wohnrecht bis zum der Justiz: Ich bitte Sie, zu warten, bis die Gesetzes-
30. Juni 1963 verkündet und in Kraft getreten sein vorlage von der Bundesregierung verabschiedet ist.
muß, weil von diesem Zeitpunkt an das Mieter- Ich glaube, daß die Lösung, die wir anstreben, durch-
schutzgesetz außer Kraft sein wird? aus in dem Sinne ist, der Ihrer Frage zugrunde liegt.

Dr. Strauß, Staatssekretär im Bundesministerium Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Zu einer Zu-


der Justiz: Jawohl. satzfrage Herr Abgeordneter Büttner.

Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Eine weitere Büttner (SPD) : Herr Staatssekretär, ist Ihnen
Zusatzfrage? bekannt, daß infolge Fehlens dieses angekündigten
Gesetzes die Praxis schon eine andere ist und sehr
Dr. Brecht (SPD) : Glauben Sie trotz der Schwie- viele Räumungsklagen zu verzeichnen sind?
rigkeit der Materie und der widersprüchlichen Auf-
fassungen erreichen zu können, daß das soziale
Mietrecht rechtzeitig ergeht, bevor das Mieter- Dr. Strauß, Staatssekretär im Bundesministerium
schutzgesetz außer Kraft tritt? der Justiz: Einzelheiten hierüber sind mir nicht be-
kannt. Wir können aber davon ausgehen, daß die
Gerichte das zur Zeit geltende Recht unverändert
Dr. Strauß, Staatssekretär im Bundesministerium anwenden.
der Justiz: Ich glaube, daß ein Jahr Beratungsfrist
für die Ausschüsse des Bundestages eine Zeit ist,
in der man zur Verabschiedung kommen kann. Präsident D. Dr. Gerstenmaler: Zweite Zu-
satzfrage!
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Ich rufe die
von dem Abgeordneten Dr. Brecht gestellte Frage Büttner (SPD) : Herr Staatssekretär, darf ich Sie
IV/4 auf: in dem Zusammenhang bitten, dafür einzutreten,
Sind die Mitteilungen in der Presse richtig, daß bei der Aus- daß das von Herrn Bundesminister Lücke in Aus-
arbeitung des Gesetzes über das soziale Miet- und Wohnrecht sicht gestellte diesbezügliche Material, das in Ihrem
Schwierigkeiten dadurch aufgetreten sind, daß sogenannte Werk-
wohnungen und die in den letzten Jahren freifinanzierten neuen Ministerium gesammelt ist, zur Verfügung gestellt
Wohnungen nicht unter die Regelungen eines sozialen Miet- und
Wohnrechtes fallen sollen?
wird?

Dr. Strauß, Staatssekretär im Bundesministerium Dr. Strauß, Staatssekretär im Bundesministerium


der Justiz: Die von Ihnen angeschnittenen Fragen der Justiz: Das Material ist vorhanden und kann
wären schon entschieden worden, wenn nicht durch natürlich auch zur Verfügung gestellt werden.
eine kurzfristige Auslandsreise des Herrn Bundes-
ministers der Justiz und neuerdings durch den be- Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Wir kom-
dauerlichen Unfall des Herrn Bundeswohnungsbau- men zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des
ministers Zeit verlorengegangen wäre. Bundesministers der Finanzen. Ich rufe die von
Herrn Abgeordneten Riedel (Frankfurt) gestellte
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Zusatzfrage? Frage V/1 auf:
Wie werden sich die Einnahmen aus der Grundsteuer in den
Dr. Brecht (SPD) : Aber können Sie sich zur nächsten Jahren unter dem Gesichtspunkt der auslaufenden
Begünstigungen entwickeln?
Frage selbst äußern: welche Absichten z. B. hinsicht-
lich der Behandlung der Werkwohnungen bestehen, Ist Herr Abgeordneter Riedel im Saal? — Er ist
also zu der Frage, ob auch für Werkwohnungen das nicht im Saal; die Frage wird schriftlich beantwortet.
soziale Miet- und Wohnrecht gelten soll, namentlich Ich rufe sodann die von der Abgeordneten Frau
wenn ab 1. Juli 1963 auch für Werkwohnungen der Dr. Diemer-Nicolaus gestellten Fragen V/2 und V/3
Mieterschutz in der heutigen Form aufhört? auf:
Welche Maßnahmen beabsichtigt die Bundesregierung zu er-
greifen, um zu erreichen, daß die zwingende gesetzliche Vor-
Dr. Strauß, Staatssekretär im Bundesministerium schrift, daß bei der Zusammenveranlagung von Ehegatten die
gemeinsame Steuererklärung von beiden Ehegatten unterzeichnet
der Justiz: Die Bundesregierung ist gewiß, daß sie sein muß, auch von den Finanzämtern beachtet wird?
auch in dieser Frage eine Lösung finden wird, die
den Interessen aller Beteiligten gerecht wird. Ist es richtig, daß der Erlaß des Hessischen Finanzministers
vom 3. August 1961 mit dem Aktenzeichen S 2123 - 27 - II/21,
nach dem die Finanzämter bei der Zusammenveranlagung von
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Eine weitere Ehegatten zur Einkommensteuer auf eine vollständige Ausfül-
lung der gemeinsamen Steuererklärung nicht zu bestehen brau-
Zusatzfrage? chen, wenn diese nur von einem Ehegatten unterzeichnet wurde,
im Einvernehmen mit dem Bundesfinanzministerium erlassen
wurde?
Dr. Brecht (SPD) : Kann ich also davon ausgehen,
Herr Staatssekretär, daß auch nach Auffassung der Zur Beantwortung der Herr Staatssekretär des
Bundesregierung ebenfalls für Werkwohnungen Bundesfinanzministeriums!
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. März 1962 635

Dr. Hettlage, Staatssekretär des Bundesmini- Steuererklärung von beiden Ehegatten unterschrie-
steriums der Finanzen: Frau Abgeordnete, nach ben sein. Es ist aber eine andere Frage und eine
§ 57 a der Durchführungsverordnung zum Einkom- Frage des Verwaltungsermessens, ob und wieweit
mensteuergesetz haben Ehegatten bei gemeinsamer die Finanzämter im Einzelfall die Unterschrift bei-
Veranlagung auch eine gemeinsame Steuererklä- der Ehegatten unter einer gemeinsamen Steuererklä-
rung abzugeben. Es ist ergänzend bestimmt, daß die rung erzwingen wollen. Die Landesfinanzämter sind
gemeinsame Steuererklärung von beiden Ehegatten aus Gründen, die ich andeutete, zu der Meinung ge-
unterschrieben werden muß. Diese Bestimmung ver- kommen, daß nicht in jedem Falle eine solche bei-
pflichtet das Finanzamt aber nicht, sie zwangsweise derseitige Unterzeichnung einer gemeinschaftlichen
durchzusetzen. Wenn also Ehegatten aus bestimm- Steuererklärung erzwungen werden sollte, sondern
ten Gründen trotz gemeinsamer Veranlagung eine in Ausnahmefällen trotz gemeinsamer Veranlagung
gemeinsame Steuererklärung nicht abgeben möch- getrennte Steuererklärungen dem Zweck des Geset-
ten, können die Finanzämter ausnahmsweise ge- zes genügen.
trennte Steuererklärungen zulassen. Diese Regelung
ist in Anwendung des behördlichen Ermessens durch
Erlasse der Länderfinanzminister mit Zustimmung
Präsident D. Dr. Gerstenmaler: Zweite Zu-
satzfrage.
des Bundesfinanzministers getroffen worden.
Erlauben Sie mir einige kurze Bemerkungen zur Frau Dr. Diemer Nicolaus (FDP) : Herr Staats-
-

praktischen Seite. Worum handelt es sich denn? Es sekretär, ist Ihnen bekannt, daß auf Grund dieser
handelt sich um die kleinen Geldgeheimnisse, die gemeinsamen Steuererklärung das Splitting-Verfah-
Ehegatten untereinander haben können. ren zur Anwendung kommt und damit erhebliche
(Hört! Hört! und Heiterkeit.) steuerliche Vergünstigungen erreicht werden, daß
außerdem eine entsprechende Mithaftung der Ehe-
Die Finanzämter ermöglichen es auf diesem Wege, frau für die Steuerschulden eintritt? Ist Ihnen wei-
daß Ehegatten nicht gezwungen werden, sich in ter bekannt, daß das auch der sachliche Grund war,
einer gemeinsamen Einkommensteuererklärung ge- warum die Unterzeichnung der Einkommensteuer-
genseitig alle Geldangelegenheiten zu offenbaren. erklärung durch beide Ehegatten vom Finanzaus-
(Erneute Heiterkeit.) schuß gewünscht wurde?
Diese Diskretion in Geldsachen gehört, wie mir
scheint, in die menschliche Fülle der Fragen von Dr. Hettlage, Staatssekretär des Bundesmini-
Ehe und Familie, die Art. 6 des Grundgesetzes der steriums der Finanzen: Gnädige Frau, diese Mit-
staatlichen Ordnung empfiehlt. haftung wird durch die gemeinsame Veranlagung
der Ehegatten ausgelöst, nicht durch eine gemein-
(Beifall.) same Steuererklärung. Das Finanzamt ist in der
Das Amt der Finanzbeamten ist so schwierig, daß Lage, die Ehegatten auch gemeinsam aus getrennten
wir ihnen nicht die Gelegenheit versagen sollten, Steuererklärungen zur Einkommensteuer zu veran-
auch einmal Diskretion und Menschlichkeit zu üben. lagen.
(Erneuter Beifall.)
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Zusatzfrage
der Frau Abgeordneten Meermann.
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Zusatzfrage!

Frau Dr. Diemer-Nicolaus (FDP) : Herr Staats- Frau Meermann (SPD) : Herr Staatssekretär, Sie
sagten in Ihrer ersten Antwort, daß das Finanzamt
sekretär, die Verhandlungen im Finanzausschuß im
auf eine gemeinsame Erklärung verzichten könne,
Jahre 1958 über die seinerzeitige Reform der Ein-
wenn die Eheleute erklärt hätten, daß sie eine ge-
kommensteuer sind Ihnen ja bekannt. Sie werden
meinsame Erklärung nicht abgeben wollen. Meine
wissen, daß damals lange über diese Frage im Fi-
Frage geht nun dahin: Befreit das Finanzamt von
nanzausschuß beraten worden ist. Der Finanzaus-
schuß hatte unter Berücksichtigung dessen, was Sie der Pflicht, daß beide Ehegatten unterschreiben, auch
jetzt gesagt haben, trotzdem die Auffassung vertre- dann, wenn nur ein Ehegatte erklärt, daß er die
ten, daß die gemeinsame Einkommensteuererklä- Steuererklärung nicht gemeinsam abgeben möchte?
rung von beiden Ehegatten unterzeichnet werden
müsse. Meine Frage dazu lautet: Halten Sie es für Dr. Hettlage, Staatssekretär des Bundesmini-
vertretbar, daß, obwohl das Parlament diesen steriums der Finanzen: Gnädige Frau, nach den Ver-
Wunsch ausdrücklich geäußert hat, dem jetzt von waltungserlassen der Landesfinanzminister, denen
der Verwaltung etwas anderes entgegengehalten der Bundesfinanzminister zugestimmt hat, sind die
wird? Halten Sie eine gemeinsame Steuererklärung Finanzämter nicht gehalten, in jedem Falle beide
für rechtswirksam, die entgegen den gesetzlichen Unterschriften zu erzwingen, d. h. durch Verwal-
Bestimmungen nicht von beiden unterzeichnet tungsmaßnahmen, beispielsweise durch eine Geld-
wurde? strafe als Beugestrafe, durchzusetzen. Ob die Er-
klärung eines Ehegatten genügt, erscheint mir
Dr. Hettlage, Staatssekretär des Bundesmini- zweifelhaft. Es scheint mir dann doch notwendig
steriums der Finanzen: Frau Abgeordnete, die zu sein, daß beide Ehegatten mit überzeugenden
Rechtslage ist klar. Sie entspricht dem Ergebnis der Gründen dartun, warum sie von einer gemeinsamen
Ausschußberatungen. Danach muß eine gemeinsame Steuererklärung absehen möchten.
636 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. März 1962

Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Ichrufe auf Überprüfung stattfindet. Bei den Großbetrieben
die Fragen V/4 und V/5 — des Abgeordneten fällt dieser Prüfungszeitraum, der überprüft wird,
Dr. Dollinger —: im allgemeinen mit dem Prüfungsabstand von vier
Sind der Bundesregierung die von seiten des Handels erho Jahren zusammen. Bei den Mittel- und bei den
benen Klagen über den Mangel an 2-Pfennig-Münzen bekannt? Kleinbetrieben ist das schon wegen der gesetzlichen
Verjährungsbestimmungen nicht möglich. Bei den
- Bundesregierung bereit, den Mangel an 2-Pfennig
Ist die
Münzen zu beheben, der sich bei Rationalisierungsbestrebungen Mittelbetrieben und den Kleinbetrieben erfaßt die
— z. B. bei den mit der Registrierkasse gekoppelten sog. Rück-
geldgebern — bemerkbar macht? Steuerprüfung einen kürzeren Prüfungszeitraum, in
der Regel einen solchen von drei bis vier Jahren,
Dr. Hettlage, Staatssekretär des Bundesmini- auch wenn die Prüfungen in größeren Zeitabstän-
steriums der Finanzen: Herr Abgeordneter Dollinger, den erfolgen.
es ist bekannt, daß zur Zeit ein gewisser Mangel Im Haushaltsjahr 1960, das ein Dreivierteljahr
an Kleingeld, insbesondere an 2-Pfennig-Münzen, war, sind durch solche Betriebsprüfungen insgesamt
besteht. Schon vor längerer Zeit ist im Hinblick auf rund 1 037 000 000 DM nachträglich veranlagt und
den wachsenden Kleingeldbedarf durch Automaten eingehoben worden. Dieser Betrag von rund einer
und anderes mehr die Herstellung von Scheidemün- Milliarde DM an Nachzahlungen auf Grund von
zen, insbesondere von kleineren Münzen — 1 Pf, Betriebsprüfungen entfällt zu über 70 v. H. auf
2 Pf, 10 Pf bis zu 1 DM — gesteigert worden. Geht Großbetriebe.
man von den Stückzahlen aus, so werden gegenwär-
tig ungefähr 130 bis 150 v. H. der Scheidemünzen
hergestellt, die in dem Vergleichsmonat des Vor-
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Eine Zustaz-
frage, Herr Abgeordneter Stiller!
jahres hergestellt wurden. In Iden ersten 'beiden Mo-
naten des Jahres 1962 sind insgesamt 422 000 neue
2-Pfennig-Stücke in Auftrag gegeben worden; das Stiller (CDU/CSU) : Eine Zusatzfrage, Herr Staats-
entspricht ungefähr einem Volumen von 33 - Eisen- sekretär! Liegen die Zahlen für 1961 auch schon vor?
bahnwaggons. Insgesamt scheint uns, daß durch eine Sie sagten, für das Haushaltsjahr 1960, das ein
etwas zügigere Vorratshaltung bei der Bundesbank Dreivierteljahr gewesen sei, seien über eine Mil-
und durch etwas schleunigeren Umlauf der Scheide- liarde DM nacherhoben worden.
münzen der 'Mangel 'behoben werden könnte.
Bei den Kupfermünzen 'besteht eine gewisse Hor- Dr. Hettlage, Staatssekretär des Bundesmini-
tungsneigung. So werden etwa die 1-Pfennig-Stücke steriums der Finanzen: Ich kann Ihre Frage nach der
von angehenden Bräuten und die 2-Pfennig-Stücke Zahl für 1961 noch nicht beantworten.
von Müttern für die Kinder gesammelt und derglei-
chen
- mehr. Daher müssen wir bei den 2-Pfennig Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Frage V/9 —
Stücken als Kopfbedarf erheblich mehr in Aussicht des Herrn Abgeordneten Müller (Nordenham) —.
nehmen, als es bei den früheren Zahlungsgepflogen-
Ist der Bundesregierung bekannt, daß durch einen Erlaß des
heiten erforderlich war. Bundesfinanzministers vom 3. Januar 1962 (V B13 - F 6204 -
45/81) bisher gezahlte Beihilfen auf Grund § 1 Abs. 3 der
Gasöl-Betriebsbeihilfe-VO-Wirtschaft vom 20. März 1961 (Bun-
Präsident Dr. Gerstenmaier: Keine Zusatz- desgesetzbl. I S. 264) für den Betrieb von stromerzeugenden
Maschinen, soweit es sich nicht um die Erzeugung von Licht-
frage. strom handelt, eingestellt worden sind?

Ich rufe 'auf die Fragen V/6, V/7 und V/8 — des
Abgeordneten Stiller —: Dr. Hettlage, Staatssekretär des Bundesmini-
Inwieweit ist in den letzten Jahren der für die Betriebs- steriums der Finanzen: Herr Abgeordneter, die Be-
prüfungen vorgesehene Turnus eingehalten worden? triebsbeihilfen nach dem Verkehrsfinanzgesetz wer-
den an Inhaber von Betrieben aller Art für das Gas-
Nach welchen Gesichtspunkten werden die unterschiedlichen
Prüfungszeiträume für Betriebsprüfungen bestimmt? öl gezahlt, das zum Antrieb von Maschinen zur
Stromerzeugung verwendet wird. Diese Betriebs-
Wie hoch waren die Zahlungseingänge aus den auf Grund
der Betriebsprüfungen 1960 berichtigten Steuerbescheiden? beihilfe beträgt 16,45 DM für 100 kg. Diese Diesel-
aggregate sollen also in erster Linie und überwie-
Dr. Hettlage, Staatssekretär des Bundesmini- gend der Stromerzeugung dienen. In modernen Bag-
steriums der Finanzen: Herr Abgeordneter Stiller, gergeräten und Baukränen findet sich vielfach ein
Betriebsprüfungen werden auf Grund der Bestim- technischer Verbund dieser Aggregate mit elektri-
mung des § 162 der Abgabenordnung bei den Groß- scher Krafterzeugung. Bei diesem dieselelektrischen
betrieben alle drei Jahre vorgenommen. Früher war Maschinenverbund in den Baggern und dergleichen
das eine Muß-Bestimmung, heute ist es eine Soll- werden keine Gasölbetriebsbeihilfen gegeben, weil
Bestimmung. Das Gesetz enthält eine Bestimmung das Dieselaggregat nicht selbständig zur Krafther-
über den Prüfungsabstand nur für Großbetriebe. stellung verwendet wird.
Tatsächlich werden die Mittelbetriebe in der Ver-
waltungspraxis in der Regel mit einem durchschnitt- Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Zusatzfrage!
lichen Abstand von sechs Jahren und die kleineren
Betriebe mit einem durchschnittlichen Abstand von
Müller (Nordenham) (SPD) : Herr Staatssekretär,
etwa zehn Jahren geprüft.
Ihre Antwort trifft in einem Falle, der Grundlage
Mit diesem Prüfungsabstand darf nicht der Prü- meiner Anfrage, nicht zu. Dort hat das Hauptzoll-
fungszeitraum verwechselt werden, für den eine amt in Oldenburg — —
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. März 1962 637

Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Frage bitte, Schoettle (SPD) : Ich darf vielleicht so lange war-
Herr Abgeordneter! ten.
(Zuruf von der SPD: Da müssen erst ein-
Müller (Nordenham) (SPD) : Ja. Herr Staatssekre- mal Hände geschüttelt werden!)
tär, ist Ihnen bekannt, daß das Hauptzollamt in
Oldenburg auch in dem Fall, den Sie weiter mit
Beihilfe bedienen wollen, eine andere Auffassung Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Meine Her-
vertreten und die Beihilfe eingestellt hat? ren, ich bitte Sie, sich zu beeilen.
(Anhaltende Unruhe. — Abg. Wehner [zur
Dr. Hettlage, Staatssekretar des Bundesmini- Regierungsbank gewendet] : Wollen Sie
steriums der Finanzen: Herr Abgeordneter, ich wäre den Haufen von Beamten nicht bald verab
Ihnen dankbar, wenn Sie mir diese Unterlage zu- schieden? — Zuruf von der SPD: Kein
gänglich machten, damit ich ihr nachgehen kann. Minister kommt!)

Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Frage V/10 — Einen Augenblick, Herr Abgeordneter Schoettle!
des Herrn Abgeordneten Wendelborn —: (Abg. Jahn: Die hören überhaupt nicht zu!)
Welche Gründe haben den Herrn Bundesfinanzminister be-
wogen, die zollfreie Abgabe von Treibstoff für den Segelflug
sport ab 1. Januar 1962 aufzuheben? Herr Staatssekretär, — —
(Abg. Wächter: Herr Präsident, eine Zu (Abg. Wehner: Das ist ein Bundestag hier!
satzfrage zu der vorigen Frage!) — Abg. Jahn [zur Regierungsbank gewen
— Nein, verzeihen Sie, ich habe Ihre Wortmeldung det] : Ja, Sie sind gemeint!)
nicht gesehen. Ich kann jetzt nicht mehr zurück-
gehen. Meine Herren, ich bitte Sie, sich so zu verabschie-
den, — —
Herr Staatssekretär, bitte zur Beantwortung
- der
Frage des Herrn Abgeordneten Wendelborn. (Abg. Wehner: Das ist doch kein Jagdausflug!)
Meine Herren, ich bitte Sie, sich so zu verabschie-
Dr. Hettlage, Staatssekretär des Bundesmini- den, daß die Beratungen des Hauses weitergehen
steriums der Finanzen: Ich beantworte die Frage können.
nach der Steuerbefreiung für Mineralöl, das zum
Antrieb von Seilwinden für Segelflugzeuge dient. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schoettle.
Durch einen Verwaltungserlaß vom 30. April 1954 (Anhaltende Zurufe von der SPD.)
war zugelassen, daß zum Antrieb des Motors der
Seilwinde, durch die ein Segelflugzeug in die Luft Fangen Sie an!
geschleudert wird, zoll- und steuerfreier Treibstoff (Anhaltende Unruhe. — Zurufe von der
verwendet werden darf. Nach dem Inkrafttreten des SPD: Unerhört! — Hinsetzen, da oben auf
neuen Zollgesetzes am 1. Januar dieses Jahres ent- der Tribüne!)
standen Zweifel, ob diese Vergünstigung durch die
Ermächtigung des § 25 des neuen Zollgesetzes wei- — Ruhe, Ruhe, meine Herren!
ter gedeckt sein würde. Diese Zweifel sind inzwi- Bitte, Herr Abgeordneter, fangen Sie an!
schen auf Grund befriedigender Aufklärung des
Deutschen Aero-Clubs ausgeräumt worden. Es kann (Unruhe. — Abg. Dr. Mommer: Bis der
also für diesen Zweck nach wie vor abgabenfreier Letzte sich hingesetzt hat, Herr Präsident!
Treibstoff unter zollamtlicher Überwachung ver- — Zuruf des Abg. Wehner. — Abg. Jahn:
wendet werden. Die Zollstellen sind entsprechend Ungehörigkeit sondergleichen! — Gegenruf
angewiesen worden. des Abg. Dr. Vogel: Keine Übertreibung!)

Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Keine Zu- Schoettle (SPD) : Herr Präsident! Meine Damen
satzfrage. Damit, meine Damen und Herren, beenden und Herren! Ich befinde mich in der nicht gerade
wir die Fragestunde für heute. In der morgigen angenehmen Lage, mich gleich zu Beginn dieser
Fragestunde werde ich zuerst die Fragen aus dem Debatte einer Situation gegenübergestellt zu sehen,
Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirt- die eigentlich nicht der Würde dieses Hauses ent-
schaft aufrufen. spricht;
Wir kommen zu Punkt 2 der Tagesordnung: (Zustimmung bei der SPD.)
Fortsetzung der ersten Beratung des von der Denn daß bei einer Debatte über den Bundeshaus-
Bundesregierung eingebrachten Entwurfs halt, der die 'Gesamtheit der Bundesregierung an-
eines Gesetzes über die Feststellung des Bun- geht, die Regierungsbank so besetzt ist, wie wir es
deshaushaltsplans für das Rechnungsjahr vor uns sehen, ist eigentlich nicht gerade der Stil,
1962 (Haushaltsgesetz 1962) (Drucksache IV/ den wir uns wünschen.
200) . (Beifall bei der SPD.)
Ich eröffne die Aussprache in erster Lesung. Das Leider muß man sich mit manchen dieser Stilwidrig
Wort hat der Herr Abgeordnete Schoettle. keiten abfinden, weil sie offenbar sehr schwer zu
(Unruhe.) ändern sind; aber ich glaube, das Haus sollte sich
638 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. März 1962
Schoettle
nicht länger von Fragen aufhalten lassen, die nicht schweige denn gründlich zu studieren, obwohl es
nur Etikettefragen sind. ein gründliches Studium in der Tat wert ist. Denn
es enthält eine Fülle von Tatsachen und Feststellun-
(Zuruf von der SPD: Wo ist denn der Bun gen, die zwar noch längst nicht das darstellen, was
desfinanzminister?) wir unter einer volkswirtschaftlichen Gesamtrech-
Ich hoffe, der Bundesfinanzminister wird noch im nung verstehen würden, die aber doch immerhin
Laufe der Beratung eintreffen. Sein Staatssekretär eine Grundlage für die Beurteilung bestimmter
sitzt ja auf der Regierungsbank; aber es wäre bes- Aspekte der Finanzpolitik des Bundes und der
ser, wenn er dieser Debatte von Anfang an beiwoh- öffentlichen Hand in der Bundesrepublik ganz all-
nen würde. gemein 'darbieten.
Nun, meine Damen und Herren, lassen Sie mich Da ist vor allem — da einige Statistiken ja schon
endlich beginnen! Der Herr Bundesfinanzminister auf den ersten Blick hängenbleiben — die Feststel-
hat gestern diesem Hause einen Etat vorgelegt, der lung interessant, die wir auf Seite 29 des Finanzbe-
schon seit geraumer Zeit Gegenstand der öffent- richts nachlesen können, daß der gesamte öffentliche
lichen Diskussion und noch mehr Gegenstand zahl- Finanzbedarf trotz des lauten Rufens mancher Leute,
loser Gespräche und Verhandlungen hinter den Ku- die das Gegenteil behaupten, in den Jahren von
lissen gewesen ist. Selten in der kurzen Geschichte 1958 bis 1961 im Durchschnitt um 9,9 % zugenom-
dieser Bundesrepublik ist ein Haushalt mit so gro- men hat und damit unter dem durchschnittlichen
ßer Verspätung und unter solchen Krämpfen ein- Wachstum des Bruttosozialprodukts lag. Das ist
gebracht worden. Es ist der Haushalt einer neuen eine interessante Feststellung. Mit 29,3 % des
Bundesregierung, die zu ihrem Zustandekommen Bruttosozialprodukts ist der Anteil des reinen Fi-
selbst geraume Zeit gebraucht hat und unter Um- nanzbedarfs der öffentlichen Verwaltung seit 1951
ständen geboren worden ist, die ja noch in aller fast konstant geblieben. Im Vergleich zum Haus-
Erinnerung sind. 'Es ist zugleich ein Haushalt, der haltsjahr 1958/59 ist er sogar gesunken. Die ewige
-
eine entscheidend veränderte finanzpolitische Lage Klage über die wachsende Gefräßigkeit der öffent-
signalisiert. lichen Hand muß im Lichte dieser Zahlen, die das
Der Herr Bundesminister der Finanzen hat in Bundesfinanzministerium und seine sachverständi-
seiner gestrigen Rede noch ein Übriges getan; er gen Mitarbeiter uns liefern, doch etwas anders aus-
hat die Lage in einer Weise dramatisiert, die nicht sehen, , als man gemeinhin behauptet.
ganz den tatsächlichen Gegebenheiten entspricht. Auch die Behauptung, daß wir in der Bundesre-
Das gilt sowohl für die Konjunktur, die die Grund- publik die höchste Besteuerung in der westlichen
lage auch der finanzpolitischen Entscheidungen der Welt haben, muß in etwa auf die Tatsachen zurück-
öffentlichen Hand ist, als auch für die haushalts- geführt werden. Ganz abgesehen davon, daß die
politische Situation; die ist sicher nicht besonders Steuerlast nicht durchweg gerecht verteilt ist —
erfreulich, wenn man an vergangene Jahre denkt. darüber wird an anderer Stelle noch zu reden
Da war es nicht nur leichter, den vom Grundgesetz sein — und daß unsere Spitzenbelastung unter dem
vorgeschriebenen ausgeglichenen Haushalt vorzu- liegt, was anderwärts üblich ist — und das ist eine
legen, man konnte auch fast risikolos damit rechnen, bescheidene Feststellung —, muß man feststellen:
daß die Steuereingänge alles in allem schließlich Daß die steuerliche Belastung in den Jahren der
doch ausreichen würden, um nicht nur die Ansätze Hochkonjunktur absolut gestiegen ist, liegt vor
des ordentlichen Haushalts zu decken, sondern auch allem an unserem deutschen Steuersystem, das bei
den außerordentlichen Haushalt aus laufenden Ein- wachsendem Sozialprodukt und gleichbleibendem
nahmen zu finanzieren, ohne daß man von den An- Steuerrecht die Steuereinnahmen überproportional
leiheermächtigungen des Haushaltsgesetzes Ge- zunehmen läßt. Daraus erklärt sich die Kassenfülle
brauch machen mußte. bei der öffentlichen Hand in den vergangenen Jah-
Das ist nun offenbar vorüber. Dem Herrn Bundes- ren weit besser, als etwa aus angeblich überhöhten
finanzminister der vierten Regierung Adenauer ist Steuersätzen. Ich kann diese Überlegung hier nicht
daraus kaum ein Vorwurf zu machen. Er hat ein weiter vertiefen. Nur soviel noch: Hier scheinen uns
Erbe übernommen, und sicher blieb ihm wenig Zeit, Möglichkeiten für die Finanzpolitik zu liegen, die
tiefgründige Untersuchungen über Einzelheiten des freilich in eine andere Richtung weisen als 'diejenige,
Haushalts anzustellen, dessen Grundlagen wohl die unsere Steuergesetzgebung in den letzten Jah-
schon Monate vor seiner Amtsübernahme gelegt ren unter dem Druck lautstarker Interessenten-
worden sind. gruppen und vor allem in den Wahlzeiten einge-
Was ist nun geschehen, meine Damen und Herren, schlagen hat.
was die Lage für den Bundeshaushalt so verändert Was ist nun geschehen, so frage ich noch einmal,
hat, daß tatsächlich ernste Schwierigkeiten für den was die Lage des Bundeshaushalts so verändert hat,
Haushaltsausgleich entstanden sind? Wo sind die daß mit einer beträchtlichen Diskrepanz zwischen
Veränderungen? Gestern ist uns beinahe mit der Einnahmen und Ausgaben gerechnet werden muß
Haushaltsrede des Herrn Bundesfinanzministers und daß der Ausgleich des Haushalts des Bundes
auch der Finanzbericht 1962 auf den Tisch gelegt mit den bisher üblichen Mitteln offenbar Schwierig-
worden. Ich glaube nicht, daß es einem Mitglied keiten bereitet? Die Antwort ist einfach. Die Auf-
dieses Hauses möglich gewesen sein wird, in den gaben und damit die Ausgaben beim Bund haben
wenigen Stunden dieses, verglichen mit seinen Vor- sich im Verhältnis zu den zwar immer noch wach-
gängern, auch umfangreichere Opus zu lesen, ge- senden Einnahmen so gesteigert, daß die Schere
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. März 1962 639
Schoettle
zwischen Einnahmen und Ausgaben sich beträchtlich das Weihnachtsgeld für die Angehörigen des öffent-
öffnen mußte, zumal das Steueraufkommen sich lichen Dienstes in Gestalt einer Novelle zur Besol-
ebenfalls zu ungunsten des Bundes anders verteilte dungsordnung in Aussicht gestellt worden ist, und
als früher, wie ein Blick auf die Zahlen des Finanz- daran, daß auch im Bereich der Kriegsopferversor-
ministeriums dartut. Aber dieses Beweises hätten wir gung einiges wird getan werden müssen, — um nur
gar nicht bedurft; denn die Tatsachen sind ja seit zwei , der gravierenden Punkte zu nennen, für die
längerem bekannt. der Entwurf des Haushalts nichts vorsieht. Es wird
Der Anteil des Bundes am Steueraufkommen geht, diesem Hause nicht erspart bleiben, in absehbarer
verglichen mit 1953, wo er 56 % betrug, im Steuer- Zeit zu diesen Fragen Stellung zu nehmen und
jahr 1962 auf 52,5 % zurück, während der Anteil der Farbe zu bekennen.
Länder von 25,4 % im Jahre 1953 auf 32,2 % an- Aber selbst wenn man davon absieht, so steht
steigt. Da gleichzeitig die Aufgaben des Bundes be- schon jetzt die Tatsache fest, daß der Haushalt des
trächtlich gewachsen sind, ergibt sich in der Tat die Jahres 1962 nicht ausgeglichen werden kann — wie
neue haushaltspolitische Lage, die den Herrn Bun- es das Grundgesetz befiehlt—, wenn man nicht zu
desfinanzminister sicher vor eine schwierige Auf- außerordentlichen Mitteln greift. Der Herr Bundes-
gabe stellt. Wenn es richtig ist, daß die Anforde- finanzminister hat solche außerordentlichen Mittel
rungen der einzelnen Bundesministerien um das selbst ins Auge gefaßt. Es ist zu fragen, ob es die
Doppelte höher lagen als das, was schließlich nach richtigen Mittel sind.
schwerem Ringen in den Regierungsentwurf ein-
ging, dann muß man dem Herrn Bundesfinanzmini- Wir Sozialdemokraten sind bereit, diese Frage
ster eigentlich Kredit dafür einräumen, daß er eine sehr ernst und gewissenhaft zu prüfen. Denn ob-
noch stärkere Steigerung abgewehrt hat. Ich bitte wohl wir auch in der 4. Legislaturperiode des Bun-
das aber nicht in Anführungszeichen zu verstehen. destages in der Opposition stehen — nach Herrn
Mende war es ja geradezu das wichtigste Anliegen
Was wir jetzt vor uns haben, ist immer noch ein seiner Partei oder vieleicht ihrer Hintermänner, die
starkes Stück: eine Steigerung des Haushaltsvolu- Sozialdemokratie von der Regierung fernzuhalten—,
mens um 6,9 Milliarden DM, das sind 14,8 % gegen- fühlen wir keine geringere Verantwortung für eine
über dem Vorjahr. gesunde Finanzwirtschaft des Bundes als die Träger
Sicher gibt es viele — auch anerkennenswerte — der Regierungsverantwortung.
Gründe für diese Steigerung. Es läßt sich nicht leug-
nen, daß die internationale Lage, wie sie sich nach (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten
dem 13. August des vorigen Jahres gestaltet hat, der CDU/CSU.)
erhöhte Anstrengungen im militärischen Bereich Unsere Ansichten über die Rangordnung der öf-
und auf manchen anderen Gebieten notwendig ge- fentlichen Aufgaben werden zwar in manchen
macht hat. Die Anstrengungen der Bundesrepublik Punkten von denen abweichen, 'die die Regierung
für die Entwicklungshilfe sind ebenfalls gewachsen, vertritt und die sie in ihrem Haushaltsgesetzent-
und dafür gibt es gute Gründe. Auch die Hilfe für wurf niedergelegt hat. Aber im Bemühen, mit dem
Berlin müßte gesteigert werden, und wir Sozial- Blick auf 'das Ganze und das allgemeine Interesse
demokraten sind sicher die letzten, die dagegen Ein- die Schwierigkeiten der finanzpolitischen Situation
wendungen erheben werden; im Gegenteil, wir zu meistern, werden wir sicher nicht die Letzten
wünschten, und wir möchten das mit allem Nach- sein.
druck hier zum Ausdruck bringen, daß gerade in
diesem Punkt sich nicht eine Denkrichtung durch- Übrigens hat auch der gegenwärtige Herr Bun-
setzen kann — die es gibt —, die etwa mit dem desfinanzminister selbst gelegentlich durchblicken
Gedanken spielt, daß man erst die Entscheidung lassen, daß dieser Haushalt in manchen Punkten
über das Schicksal dieser bedrohten Stadt abwarten nicht seinen Auffassungen entspreche; und das war
wolle, ehe man wirksame Maßnahmen zur Siche- nicht etwa zu der Zeit, als er mit seiner Partei noch
rung der Lebensfähigkeit dieses vorgeschobenen in der Opposition stand, sondern schon während
Postens demokratischer und freiheitlicher Lebens- seiner Ministertätigkeit; aber vielleicht waren das
weise trifft. Anfangsschwierigkeiten.
(Sehr richtig! bei der SPD.) Sicher ist 'die Aufgabe für ihn nicht leicht. Er muß
Es ist auch richtig, daß der Übergang in die zweite sowieso oft in seiner jetzigen Rolle Dingen ab-
Phase des gemeinsamen europäischen Marktes, der schwören, die er in den glücklichen Tagen vor sei-
durch die schwierigen Verhandlungen in Brüssel um nem Eintritt in die Regierung entschieden vertreten
die Jahreswende eingeleitet worden ist, Maßnah- hat; ich denke dabei nur an die Kaffee- und Tee-
men für unsere einheimische Landwirtschaft not- steuer.
wendig macht, die ihr den Übergang erleichtern, (Beifall bei der SPD. — Abg. Niederalt:
aber auch materielle Anstrengungen des Bundes Die Opposition hat es leichter!)
verursachen.
Wenn man alle diese Faktoren akzeptiert, dann — Vielleicht läßt sich das hier feststellen, Herr Kol-
bleibt der Sprung nach oben doch außerordentlich; lege Niederalt.
und dabei sind — auch das muß hier angemerkt Herr Dr. Starke hat vor allem die letzten Pas-
werden — noch einige Belastungen nicht berück- sagen seiner gestrigen Rede sehr auf Moll ge-
sichtigt, die zweifellos auf den Bundeshaushalt zu- stimmt, und manches von dem, was er an War-
kommen. Ich denke dabei nur an die Reform der nungen aussprach, könnte man durchaus akzeptie-
Beamtenbesoldung, die anläßlich der Debatte um ren, wenn man nicht unterstellen müßte, daß
640 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. März 1962
Schoettle
manche dieser Warnungen nicht im rechten Gleich- sche Politik nicht nur einen fairen Anteil an den
gewicht zu den Aufgaben stehen, die der öffent- Verteidigungslasten der westlichen Allianz über-
liche Haushalt und vor allem der Haushalt des nehmen muß, sondern daß sie auch ihren geistigen
BundesachiätJrenzubwlig Beitrag zur Abrüstungsstrategie des Bündnisses zu
haben wird. Die „ungedultige Häufung der Aus- leisten hätte.
gaben", von der der Herr Bundesminister gestern
(Beifall bei der SPD.)
sprach, war schließlich nicht nur Willkür oder Ver-
schwendungssucht des Parlaments, sondern in vie- Dieser Beitrag, meine Damen und Herren, sollte
len, vielen Fällen Ergebnis bitterer Notwendigkei- nicht nur in Bedenken gegen Gedanken anderer
ten, während — das muß man hinzufügen — auf bestehen; er sollte auch zu positiven deutschen Vor-
der anderen Seite die Träger der Regierungsverant- stellungen auf diesem Gebiet führen.
wortung und die Mehrheit dieses Hauses in den
Jahren der Hochkonjunktur und vor allem in Zeiten (Erneuter Beifall bei der SPD.)
der herannahenden Wahlen entgegen den War- Schließlich möchte ich zu diesem Thema „Ver-
nungen der Opposition steuerpolitische Maßnahmen teidigungshaushalt" noch anmerken, daß er ange-
beschlossen haben, die zwar den Beschenkten sichts der Gesamtfinanzlage des Bundes nicht wie in
Freude bereitet halben, aber den Bundesfinanzen im den vergangenen Jahren ein Blümchen Rührmich-
Hinblick auf die zu lösenden Aufgaben schädlich nichtan sein darf. Wir sind der Auffassung, daß der
waren. Mancher dieser unzeitigen Beschlüsse wirkt Verteidigungshaushalt genauso sorgfältig wie an-
auch heute noch nach. dere Einzelpläne daraufhin geprüft werden muß, ob
(Sehr richtig! bei der SPD.) nicht auch in ihm Möglichkeiten für Einsparungen
und Kürzungen liegen, die einen Beitrag zur Ent-
Werfen wir nun einen Blick auf die Verteilung spannung der Haushaltslage liefern,
der Gewichte in diesem Haushalt, wobei es sich
natürlich nur um eine Betrachtung der Größenver- (Beifall bei der SPD)
hältnisse im großen und ganzen handeln -kann. Da
ohne die Wirksamkeit unserer Verteidigungsbemü-
fällt uns auf, daß die entscheidende Steigerung beim
hungen zu schmälern.
Verteidigungshaushalt eingetreten ist. Rund 16,5
Milliarden DM entfallen auf die Verteidigungsaus- Der Bundesfinanzminister hat in seiner Rede, wie
gaben und davon 15 Milliarden allein auf die Bun- das nur natürlich und seit Jahren Übung ist, den
deswehr. Neben diesen 15 Milliarden nimmt sich Sozialhaushalt des Bundes in eine Parallele zu den
der Betrag von 800 Millionen für die zivile Vertei- Verteidigungslasten gestellt. Man könnte ihm nicht
digung recht bescheiden aus. Gerade dieses Gebiet gut darin widersprechen, daß die für soziale Zwecke,
ist von der Bundesregierung jahrelang vernachläs- wie er sagte, aufgewendeten Leistungen des Bundes
sigt worden, und auch jetzt will uns scheinen, daß in den letzten Jahren erheblich zugenommen haben,
der zivile Bevölkerungsschutz, sowohl was die Pla- sofern man alles das als Sozialleistungen akzeptiert,
nung angeht wie in seiner finanziellen Ausstattung, was die offizielle Terminologie unter diesem Begriff
noch immer in unzulässiger Weise im Schatten steht. verstanden haben will. Gerade in diesem Punkt,
meine Damen und Herren, müssen wir ganz ent-
(Sehr wahr! bei der SPD. — Abg. Dr. Con schieden widersprechen; denn nicht der Sozialhaus-
ring: Was sagt denn Herr Hoegner dazu?) halt der Bundesrepublik ist der höchste in der west-
Der Verteidigungshaushalt selbst mit seiner lichen Welt, wie immer wieder behauptet wird, son-
außerordentlichen Steigerung von rund 4 Milliarden dern der Kriegsfolgenhaushalt.
zeigt zweierlei. Er zeigt erstens, wie sehr wir Sozial- (Sehr richtig! bei der SPD.)
demokraten in früheren Jahren recht hatten mit
unseren Voraussagen hinsichtlich der Tendenz der Die angeblichen Soziallasten sind zu einem großen
militärischen Lasten, sprunghaft anzuwachsen. Teil nichts anderes als die Folge zweier Weltkriege,
insbesondere des letzten, der für unser Volk neben
(Sehr richtig! bei der SPD.) den unerhörten politischen Belastungen für die
Man hat uns damals gelegentlich etwas höhnisch als Nachkriegszeit auch unerhörte Lasten an Gut und
schlechte Propheten bezeichnet, aber ich glaube, die Blut gebracht hat. Wir verstehen eigentlich nicht,
Tatsachen geben uns doch recht, und wenn nicht alle warum die Bundesregierung diesen Tatbestand
Anzeichen trügen, wird auch der Haushalt des näch- immer wieder dadurch vernebelt, daß sie all das,
sten Jahres diese Tendenz bestätigen. Man hört was an Kriegsfolgelasten in unserem Haushalt sei-
auch jetzt schon Summen nennen, die in diese Rich- nen Niederschlag findet, in die unzutreffende und
tung deuten. irreführende Verpackung „Sozialhaushalt" steckt.
(Sehr richtig! bei der SPD.) (Beifall bei der SPD.)
Zweitens zeigt uns die Höhe des Verteidigungs- Auch wenn man der offiziellen Terminologie folgen
aufwandes auch, wie wichtig Fortschritte zu einer wollte, ist nur richtig, daß die Leistungen der abso-
vereinbarten und kontrollierten, gleichwertigen luten Höhe nach angestiegen sind. Ihr verhältnismä-
Abrüstung wären. Wir wissen natürlich auch um die ßiger Anteil an den gesamten Bundesausgaben ist
Schwierigkeiten, die auf dem Wege zu einer solchen, aber ständig zurückgegangen. Auch das kann man
der menschlichen Vernunft und den tatsächlichen nachlesen, wenn man die Statistiken ins Auge faßt.
Interessen aller Völker entsprechenden Lösung zu Er betrug im Jahre 1950 37 %, im Jahre 1957
überwinden sind. Wir meinen aber, daß die deut- 30,4 %, und in diesem Haushalt 1962 ist er auf rund
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25 % abgesunken. Das ist erklärlich angesichts des Wir verkennen nicht, daß auch bei einer Zusam-
Steigens des Verteidigungshaushalts. menfassung der Arbeiten und der Verantwortlich-
keiten in dem neuen Ministerium eine Koordinie-
Da sich die Relationen einfach von Grund auf rung mit anderen Ministerien notwendig ist. Das
verändert haben, ergibt sich, auch wenn man die so- Auswärtige Amt wird auch weiterhin die außen-
genannten Soziallasten auf das Sozialprodukt be- politischen Aspekte der Entwicklungshilfe bearbei-
zieht, eine fallende Tendenz. Ihr Anteil am Sozial- ten, und das Bundeswirtschaftsministerium wird
produkt, und zwar Bund, Länder, Gemeinden und auch künftig prüfen müssen, ob die Entwicklungs-
Sozialversicherung zusammengenommen, erreichte politik mit den wirtschaftlichen und finanziellen
im Jahre 1958 mit 14,1 % seinen Höhepunkt. Nach Möglichkeiten der deutschen Wirtschaft überein-
den Mitteilungen des Herrn Bundesfinanzministers stimmt. Dafür aber stehen diesen beiden Ressorts
in seiner gestrigen Rede beträgt der Anteil jetzt auch nach Abgabe ihrer Referate oder Abteilungen
12,7 %. für die Entwicklungspolitik ausreichende Kräfte zur
Die gleiche Tendenz zeigen auch die Sozialleistun- Verfügung.
gen des Bundes. Sie haben den Höhepunkt mit Noch eine Anmerkung zu diesem Thema. Wir So-
4,9 % des Sozialprodukts im Jahre 1953 erreicht und zialdemokraten glauben, daß die Verwendung aller
sind jetzt auf 3,6 % gesunken. Etatpositionen, die die Entwicklungshilfe betreffen,
vom Bundestag sehr genau nachgeprüft werden
Demgegenüber — das muß man auch feststellen
— sind die Sozialleistungen aus Beiträgen gestie- muß.
gen, und zwar von 5,7 % des Sozialprodukts im (Beifall bei der SPD.)
Jahre 1953 auf 8,2 % in diesem Jahr. Es hat also Noch am Anfang des Monats Februar war die Bun-
eine Verlagerung der Sozialausgaben stattgefunden desregierung nicht imstande, die einzelnen Positio-
von den Leistungen des Bundes zu Lasten der Bei- nen des Etats auf diesem Gebiete klar darzustellen
tragszahlung. und zu erläutern. 'Mit Recht sind deshalb im Parla-
(Sehr gut! bei der CDU/CSU.) ment und in der Öffentlichkeit Befürchtungen auf-
getaucht, daß die Finanzierung der Entwicklungs-
Das wirkt sich negativ nicht nur für die beschäftig-
hilfe bis jetzt nicht ausreichend auf ihre Zweck-
ten Arbeiter und Angestellten aus, sondern auch für
mäßigkeit und Notwendigkeit hin geprüft worden
die lohnintensiven Betriebe, die ja in einem höhe-
sei. Wir schlagen deshalb vor, daß alle diese Etats-
ren Umfang zu den Soziallasten herangezogen wer-
titel mit einem qualifizierten Sperrvermerk ver-
den als andere.
sehen werden, dessen Aufhebung nur im Einver-
Zu dem größeren Brocken im neuen Bundeshaus- ständnis mit dem Haushaltsausschuß und dem Aus-
halt gehört auch die Entwicklungshilfe in ihren ver- schuß far Entwicklungshilfe erfolgen dürfte.
schiedenen Formen und Spielarten. Wenn man alles Es geht uns dabei keineswegs um die Verzöge-
zusammennimmt, stehen da runde 5 Milliarden, d. h. rung von Planungen und Leistungen, sondern aus-
nahezu 10 % des Haushaltsvolumens, zu Buche, und schließlich um die zweckmäßige und wirksame Ver-
dazu eine neues Ministerium, das man angesichts wendung von Steuermitteln. Die Entwicklungshilfe
des großen Umfangs und der Kompliziertheit der
der Bundesrepublik ist in der deutschen Öffentlich-
Aufgabe eigentlich begrüßen muß, was wir keines-
keit und im Bewußtsein der Menschen in der Bun-
wegs für alle Neuschöpfungen dieser vierten Regie-
desrepublik nicht unumstritten, wie wir alle wissen.
rung Adenauer sagen wollen. Das Ministerium ist
Vorhandenes oder entstehendes Mißtrauen kann
neu und seine Aufgabe im großen und ganzen auch.
aber abgewehrt und bekämpft werden, wenn Regie-
Es sind viele Erfahrungen zu sammeln, und es ist
rung und Parlament die Vergabe der großen Sum-
vielleicht auch manches Lehrgeld zu zahlen. Wir
men, um die es sich hier handelt, so öffentlich vor-
Sozialdemokraten wünschen, daß dieses Ministe-
nehmen, daß der Staatsbürger weiß, was mit seinem
rium voll arbeitsfähig wird. Daß es dazu die nötigen
Gelde geschieht.
Arbeitskräfte in ausreichendem Umfang braucht, be-
jahen wir. Aber die personelle Ausstattung dieses Da wir gerade bei neuen Ministerien sind, die
neuen Ministeriums ist nur die eine Seite des Pro- sich aus den langandauernden Verhandlungen um
blems. die Neubildung der Bundesregierung ergeben haben,
Die andere ist, wie uns scheint, eine klare Ord- noch eine andere Bemerkung! Die Ausgestaltung
nung der Zuständigkeiten, die Reibungen und Über- des neugeschaffenen Bundesministeriums für Ge-
schneidungen nach Möglichkeit verhindert. Aufga- sundheitswesen erweckt den Eindruck, daß es sich
ben, die bisher mindestens bei sieben Ressorts ver- hier wirklich nur um ein Ministerium handelt, mit
teilt waren, müssen auf das Entwicklungsministe- dem man den Wünschen der Damen in der CDU
rium übergehen. Auswärtiges Amt und Wirtschafts- nach einer Frau im Kabinett entgegenkommen
ministerium werden entsprechende Abteilungen und wollte.
Referate an das neue Ministerium abzugeben haben, (Sehr wahr! bei der SPD.)
so daß im ganzen nicht eine weitere Aufblähung des
Nichts spricht dafür, meine Damen und Herren, daß
Apparats zustande kommt, sondern eine wirklich
man wirklich die Notwendigkeit erkannt hätte, den
konzentrierte und koordinierte Arbeit. Wenn das
Fragen der Gesundheitspolitik auch vom Bund aus
nicht geschähe, würde das bisherige Nebeneinander
mehr Beachtung und Nachdruck zu verleihen als
bestehen bleiben und die dringend notwendige Kon-
bisher.
zentration und Koordinierung unserer Entwicklungs-
politik nicht erreicht werden. (Abg. Dr. Conring: Woher wissen Sie das?)
642 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. März 1962
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Damit, daß aus anderen Bundesministerien einige ken und auch eine gewisse Eigendisziplin des Parla-
Gruppen herausgenommen und mit der bisherigen ments nötig sein.
Gesundheitsabteilung des Innenministeriums ver- (Sehr richtig! in der Mitte.)
einigt worden sind, ist noch keine tragfähige Grund-
lage für ein Gesundheitsministerium geschaffen. Ich weiß nicht, in welchem Tempo wir dieses von
Wenn die so überaus wichtigen Aufgaben der Rein- mir für notwendig erachtete Ziel erreichen werden.
haltung des Wassers und der Luft sowie der Lärm- In diesem Zusammenhang noch eine Frage, die zu
bekämpfung wirklich in der erforderlichen Weise stellen ich mir eigentlich abgeschworen hatte: Wie
durchgeführt werden sollen und wenn der Erlaß der steht es mit der Reform unseres Haushaltsrechts?
Rechtsverordnungen, die durch Lebensmittelgesetz (Abg. Niederalt: Ausgezeichnet!)
und Arzneimittelgesetz notwendig geworden sind,
Wir haben so oft gehört, daß daran gearbeitet wird;
sich nicht noch weiter unerträglich verzögern soll, aber das ist auch alles, was wir gehört haben. Im
dann wird der Bundestag dafür Sorge tragen müs-
Finanzbericht des Jahres 1962, der uns in den letz-
sen, daß dieses Ministerium wirklich arbeitsfähig ten Tagen in die Fächer gelegt worden ist, finden
gemacht wird. wir nicht mehr als drei Seiten über ausländische
(Beifall bei der SPD.) Reformversuche. Ich meine, Wohltätigkeit beginnt
Meine Damen und Herren, auch der Haushalt des auch hier zu Hause, und wir sollten endlich einmal
Ernährungsministeriums hat durch die Aufstockung damit anfangen, uns selber wohlzutun, indem wir
des Grünen Plans eine beträchtliche Erhöhung er- wirklich in allem Ernst an die Reform unseres Haus-
fahren. Wir wollen dagegen nicht argumentieren, haltsrechts gehen; diese Angelegenheit muß etwas
obwohl die Zweckbestimmungen des Grünen Plans ernsthafter betrieben werden als bisher. Unsere
alte gute Reichshaushaltsordnung hat es wirklich
nicht in allen Punkten unserer Auffassung entspre-
nötig, einmal auf etwas jüngere Beine gestellt zu
chen. Es wäre aber nach unserer Meinung zweck-
werden.
mäßig und dringend erwünscht, den Grünen Plan
mit dem Haushalt besser zu koordinieren. In- diesem (Beifall bei der SPD.)
Jahr ist es lediglich dem Umstand, daß der Bundes- Ehe ich mich den Problemen des Haushaltsaus-
haushalt so spät im Parlament vorgelegt wird, zu gleichs zuwende, zu denen vieles zu sagen ist,
verdanken, daß der Grüne Plan noch reibungslos möchte ich noch einige Anmerkungen zu Einzelhei-
eingeordnet werden konnte. Es sollte aber überlegt ten machen, die ihrer zahlenmäßigen Größe nach
werden, ob für den normalen Ablauf der Haushalts- nicht allzu gewichtig sind, die aber von einer ge-
gesetzgebung — den wir hoffentlich doch noch ein- wissen politischen Bedeutung sind.
mal erreichen werden — der Termin für die Vor- Da ist einmal die Art, wie die Bundesregierung in
lage des Grünen Berichts an den Bundestag nicht diesem Haushalt mit ihrem Versprechen umgeht, die
vorverlegt werden könnte. Erfordernisse des sogenannten Goldenen Plans der
Die Alternative dazu wäre ein wirklicher Nach- Deutschen Olympischen Gesellschaft in die Tat um-
tragshaushalt. Das wäre übrigens eine Methode, die zusetzen. Gewiß, der Bundesfinanzminister hat ge-
sich auch sonst empfehlen würde. Aber wir kennen stern gesagt, daß man das eine lassen müsse, um
die Abneigung der Bundesregierung gegen Nach- das Wichtigere tun zu können. Das ist eine schöne
tragshaushalte, eine Abneigung, die wahrscheinlich Maxime. Ich möchte aber sagen, es gibt doch wohl
ihre entscheidende Ursache in dem schwerfälligen neben den Sicherheitsanstrengungen, die auch unzu-
Gang unserer Gesetzgebung hat, von dem auch die länglich wären, wenn sie sich nur auf das Militä-
Haushaltsgesetzgebung betroffen ist. Auf jeden Fall: rische beschränkten, nichts Wichtigeres als die Ge-
Koordinierung mit dem Haushalt wäre hier am sundheit unseres Volkes.
Platze, und sie scheint uns auch möglich, wenn man (Beifall bei der SPD.)
sich anstrengt. Im Bereich des Sports und der Körperpflege heißt
Vielleicht darf ich hier eine Bemerkung machen, das für den Bundeshaushalt nicht viel mehr, als daß
die etwas gewagt ist: überhaupt würde sich eine seine Leistungen in diesem Jahr nicht auf 30 Mil-
Abstimmung mancher Teile unserer Gesetzgebung lionen DM zurückgesetzt werden sollten; sie müß-
mit dem Haushaltsgesetz und seiner Verabschiedung ten eigentlich auf die ursprünglich vorgesehenen
durchaus empfehlen! Ich sage das, obwohl mir be- 40 Millionen DM erhöht werden. Der Bund bliebe
wußt ist, daß ich damit ein heißes Eisen berühre. Ich auch dann noch hinter den mehrfach gegebenen Zu-
spreche hier zunächst einmal nur für mich selber. Ich sagen zurück. Er bliebe auch hinter dem zurück, was
spreche es offen aus, daß die bisherige Praxis der die Länder tun, die im Schnitt bereits 80 % ihrer
Verabschiedung von Haushaltsgesetzen und — völ- Zusagen erreicht haben, ganz zu schweigen von den
lig ohne Zusammenhang damit — finanziell wirk- Gemeinden, die zum Teil noch über dem Länder-
samen Gesetzen von häufig nicht geringem Gewicht durchschnitt liegen.
eine wirklich konsequente und geplante Finanzpoli- Eine andere Kleinigkeit — wie man vielleicht
tik außerordentlich erschwert hat. sagen wird; ich betrachte sie als eine nicht unbe-
deutende Sache — möchte ich hier ebenfalls zur
(Beifall auf allen Seiten.) Sprache bringen. Sie gehört sicher in den Bereich
Gerade angesichts der angespannten Finanzlage der Organisationsgewalt der Bundesregierung, auf
wird es immer schwieriger werden, die materiellen die man sich bei solchen Gelegenheiten zurückzieht.
Ergebnisse solcher Gesetze dem laufenden Haushalt Aber die Wirkungen des Vorgangs, von dem ich
zu unterschieben. Hier wird ein scharfes Nachden sprechen will, gehen weit darüber hinaus und be-
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rühren ernste volkswirtschaftliche Probleme. Die es in den Erklärungen dazu — mit 260 Millionen
Bundesregierung hat es für richtig gehalten, die DM. Dazu ist zu sagen: eine solche brutale Maß-
Pause zwischen dem Auseinandergehen des 3. Bun- nahme ist in jeder Hinsicht bedenklich. Würde sie
destages und dem Zusammentritt des 4. Bundes- wirklich angewandt, wäre das Budgetrecht des Par-
tages dazu zu benutzen, die Bauabteilung für Mili- laments in unerträglicher Weise ausgehöhlt. Denn
tärbauten vom Schatzministerium weg ins Vertei- jeder einzelne Ressortminister und seine Bürokraten
digungsministerium zu verlegen. hätten es dann in der Hand, Haushaltsansätze, die
(Hört! Hört! bei der SPD.) das Parlament beschlossen hat, so zu manipulieren,
daß der Wille des Parlaments schließlich auf den
Aus diesem Hause sind gegen eine solche Entwick- Nullpunkt reduziert werden könnte. Deshalb hat
lung immer wieder Bedenken erhoben worden, die dieser Vorschlag des Bundesfinanzministers mit
sich auf betrübliche Erfahrungen mit militärischen Recht Widerspruch gefunden
Bauabteilungen stützen konnten, bei denen die Ver-
wirklichung der Bauabsichten um jeden Preis alle Der Haushaltsausschuß dieses Hohen Hauses
anderen Gesichtspunkte in den Hintergrund drängte. selber, der sich mit Rücksicht auf die Zeitbedrängnis
Genau das erleben wir jetzt mit der Bauabteilung schon vor der offiziellen Überweisung des Etatent-
beim Bundesverteidigungsministerium. Die Wirkung wurfs an die Arbeit gemacht hat, hat den bis jetzt,
auf Bodenpreise und Baukosten in den betroffenen soweit ich sehe, erfolgreichen Versuch gemacht, jene
Gebieten ist bereits in verheerender Weise einge- Stellen ausfindig zu machen, an denen aus dem
treten. einen oder anderen guten Grund so gekürzt werden
(Sehr wahr! bei der SPD.) kann, daß der Betrag, den der Bundesfinanzminister
durch das Fallbeil der 12 % herausholen wollte, zu-
Wir möchten in aller Form unseren Widerspruch mindest erreicht werden kann. Ich sage: zumindest
gegen diese Maßnahme hier zum Ausdruck bringen. erreicht werden kann. Ich kann die Frage nicht ganz
Die Bundesregierung wird sich nicht daran kehren; unterdrücken, meine Damen und Herren, ob dieser
die Folgen wird sie allerdings zu verantworten Effekt nicht schon in den Beratungen des Entwurfs
haben. auf der interministeriellen Ebene hätte erreicht
Nachdem ich einige kleine Dinge behandelt habe, werden können.
möchte ich zu dem zentralen Problem des Haushalts- Sehr richtig! bei der SPD.)
ausgleichs kommen. Um die Frage, wie dieser Haus-
halt ausgeglichen werden soll, hat sich eine leb- Der groß aufgemachten Sparkommission der
hafte Debatte entwickelt, an der auch die Öffentlich- Koalition bedurfte es dazu bestimmt nicht. Man muß
keit mit Recht großen Anteil genommen hat. Dabei leider vermuten, daß sich die Tätigkeit dieser Kom-
sind nicht nur finanzwirtschaftliche, sondern auch mission — das ist allerdings nur ein kleiner Seiten-
staats- und verfassungsrechtliche Fragen aufge- hieb — auf andere Gebiete konzentrieren wird, die
taucht, die keineswegs am Rande der Betrachtung sozialpolitisch bedenklich sein dürften.
liegen bleiben dürfen. Notabene: die Beschränkung der geplanten zwölf-
Gehen wir zunächst einmal von den nüchternen prozentigen Kürzung auf die zivilen Ressorts
Zahlen aus; der Herr 'Bundesfinanzminister hat wäre etwas, was wir auf keinen Fall hätten hinneh-
gestern eine Reihe davon genannt. Ich kann mich men können. In dieser Hinsicht könnte auch der
darauf beschränken, von den Zahlen, die der Bun- Verteidigungshaushalt nicht als tabu betrachtet wer-
desfinanzminister seinem Ausgleichsvorschlag zu- den. Es scheint, daß diese von mir vertretene Auf-
grunde legte, noch einmal die wichtigsten zu nen- fassung auch in den Kreisen der Koalition Boden
nen. Sie sind in der bisherigen Diskussion nicht gewonnen hat. Ich hoffe, daß sich in der Haushalts-
wesentlich verändert worden, können also auch hier beratung dieser Standpunkt durchsetzt.
als Grundlage akzeptiert wenden.
(Abg. Dr. Conring: Das werden Sie sehen!)
Bei einem Ausgabevolumen von 54,7 Milliarden
DM, über dessen Verteilung auf den ordentlichen — Ich hoffe sehr, Herr Kollege Conring, daß ich das
und den außerordentlichen Haushalt noch ein Wort erlebe; das wäre eine durchaus erwünschte Berei-
zu sagen sein wird, ist eine Deckungslücke —auf cherung meiner parlamentarischen Erfahrung.
„deutsch" : ein Defizit — von rund 2,9 Milliarden (Beifall bei der SPD.)
DM festgestellt worden. Für die Bewältigung dieses
Ausgabenüberschusses hat der Bundesfinanzminister Bleibt der dritte entscheidende Punkt, der Länder-
einige Maßnahmen vorgeschlagen, die noch Gegen- beitrag zum Bundeshaushalt, den der Herr Bundes-
stand der Diskussion sind. finanzminister auf 1,74 Milliarden DM errechnet
hat. Der Betrag ist identisch mit der Summe, die sich
Als erste nenne ich die Einstellung einer Minder- ergibt, wenn alle anderen vom Finanzminister vor-
ausgabe von 560 Millionen DM. Wir finden sie in gesehenen Ausgleichsmaßnahmen eingestellt sind,
Ordnung. Denn die Summe ist bereits im Rechnungs- aber nicht dazu ausreichen die Lücke zu schließen.
jahr 1961 zu Lasten Ides Haushaltsjahres 1962 ge- Arithmetisch sieht sich das Ganze tadellos an. Nur
zahlt worden, kann also aus allen Überlegungen aus- hat der Herr Bundesfinanzminister — das ist unsere
scheiden. Meinung —, ehe er diesen Betrag in seine Rechnung
Die zweite Maßnahme, die der Herr Bundesfinanz- einstellte, nicht wirklich mit den Ländern verhan-
minister vorgeschlagen hat, war 'die zwölfprozentige delt. Er hat seinen Entwurf einfach dem Bundesrat
Kürzung aller nicht 'auf Rechtsverpflichtungen be- im regulären Gesetzgebungsgang zugeleitet. Erst
ruhenden Ausgaben der zivilen Ressorts — so heißt dann kam die Diskussion in der Sache in Gang. Das
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hat der Sache sicher nicht genützt. Wir halten dieses Berufung auf das Karlsruher Urteil im Fernsehpro-
Verfahren nicht für gerade zweckmäßig im Hinblick zeß die Kulturhoheit der Länder so extensiv zu
auf den gewünschten Erfolg. interpretieren, daß der Bund aus jedem kulturpoliti-
schen Engagement verdrängt wird. Die Flurberei-
Bei den Auseinandersetzungen im Bundesrat, die
nigung auf diesem Gebiet ist gewiß notwendig, und
in Wirklichkeit eine Auseinandersetzung mit den
sie wäre vielleicht schon weiter gediehen, wenn die
Länderfinanzministern waren, hat sich gezeigt, wel-
Bundesregierung ihrerseits bereits den angekündig-
che Problematik in dem Ausgleichsvorschlag des
ten Katalog zur Abgrenzung der Aufgaben vorge-
Herr Bundesfinanzministers tatsächlich steckte. Die
legt hätte.
Länderfinanzminister machten ihrerseits über den
Bundesrat eigene Deckungsvorschläge, deren Einzel- Unabhängig davon zeigt die Diskussion, die sich
heiten — bis auf zwei — hier nicht weiter inter- an diesem Punkt entwickelt hat, Tendenzen, die bis
essieren, weil sie ziemlich aus der Diskussion ver- zur Schaffung neuer Institutionen für die Bewäl-
schwunden sind. tigung überregionaler, ja gesamtstaatlicher Aufga-
ben durch Staatsverträge der Länder geht. Wir
Ein Vorschlag des Bundesrates, der die Einnah-
möchten vor solcher Entwicklung rechtzeitig und
meseite betrifft, könnte nach unserer, der Sozial-
nachdrücklich gewarnt haben.
demokraten Meinung akzeptiert werden. Es handelt
sich um die Steuerschätzungen. Der Bundesrat ver- (Abg. Niederalt: Das habe ich aus Anlaß
trat die Ansicht, daß der Bundeshaushalt bei der des Karlsruher Urteils schon vor einem
Steuererwartung von den gleichen Annahmen aus- Jahr gemacht!)
gehen sollte, wie sie die Länder ihren Haushalten
— Dann befinde ich mich ja in guter Gesellschaft,
für 1962 zugrunde gelegt haben — das ist vielleicht
Herr Niederalt.
nicht ganz ungerechtfertigt —, wenn der Bund von
den Ländern einen Beitrag zum Ausgleich seines Ich sage noch einmal, wir möchten vor dieser Ent-
eigenen Haushalts verlangt. wicklung rechtzeitig und nachdrücklich warnen. Ihre
Advokaten berufen sich — zu Unrecht, wie wir glau-
(Sehr richtig! bei der SPD.)
ben — auf die föderalistische Grundstruktur unserer
Da auch für den Bundeshaushalt in den Veranla- Bundesrepublik. Was sie erreichen würden — heute
gungen für 1960 und 1961 noch gewisse Reserven auf dem Gebiet der Kulturpolitik, morgen in ande-
stecken, sollte man diesen Vorschlag des Bundes- ren Bereichen —, wäre eine entscheidende Verände-
rates akzeptieren. Das würde eine Höherschätzung rung der Verfassungswirklichkeit, sehr zum Schaden
der Steuereinnahmen um zirka 290 Millionen DM des Gesamtstaates und seiner Bevölkerung.
bedeuten und die Deckungslücke um diesen Betrag
verkürzen. (Abg. Etzel: Sehr richtig!)

Der weitaus bedenklichste Teil des bundesrät- Nun aber zurück zum Problem des Ausgleichs!
lichen Ausgleichsvorschlags war das Angebot, die Wir Sozialdemokraten sind der Ansicht, daß infolge
beiden wichtigen Kulturtitel des Bundeshaushalts, der Verschiebung der Aufgaben und der daraus sich
die Wissenschaftsförderung — Wissenschaftsrat — ergebenden Ausgabenotwendigkeiten eine Lage ent-
und die Studentenförderung — Honnefer Modell — standen ist, die man bei Art. 106 Abs. 4 des Grund-
im Gesamtbetrag von 458 Millionen DM zu über- gesetzes ins Auge gefaßt hat, als man die Revision
nehmen. Zuerst sollten sowohl die Titel wie die der Anteile von Bund und Ländern an der Einkom-
Summen aus dem Haushalt des Bundes herausge- men- und Körperschaftsteuer ermöglichen wollte.
nommen werden, also Aufgaben und Ausgaben von Der Bund kann nachweisen — dieser Überzeugung
den Ländern übernommen werden. Zu einem späte- sind wir —, daß sich seine Lage entscheidend ge-
ren Zeitpunkt des Gesprächs ging man dann auf die ändert hat. Will er jetzt, aus noch zu überlegenden
bloße Übernahme der Kosten zurück, — zunächst, Gründen, die Revisionsklausel nicht in Anspruch
möchte ich hinzufügen, denn ich glaube die Hinter- nehmen, dann sollte er wenigstens auf der Grund-
gedanken einigermaßen zu kennen. lage des Prozentschlüssels für die Steuerverteilung
bei der Einkommen- und Körperschaftsteuer eine
- In diesem Vorschlag steckt ein ernstes staats Leistung der Länder in etwa der Höhe von 2 bis 3 %
und verfassungsrechtliches Problem. Einmal: über des Aufkommens der Einkommen- und Körperschaft-
die Wissenschaftsförderung haben Bund und Länder steuer im Wege der Vereinbarung erstreben. Ob das
in klarer Erkenntnis, daß es sich hier um eine ge- staatsrechtlich möglich ist, muß untersucht werden.
samtstaatliche Aufgabe handelt, bindende Abkom- Aber ich glaube, eine Vereinbarung dieser Art ist
men getroffen. Ähnliches gilt für die Studentenför- jetzt eher möglich als die Schaffung eines Gesetzes,
derung nach dem Honnefer Modell. Wäre man den das notwendig ist, um die Bestimmung des Art. 106
Vorschlägen des Bundesrats — sprich der Länder Abs. 4 zu realisieren, und ließe sich wahrscheinlich
— gefolgt, wäre man ein gutes Stück hinter den mit einem geringeren Zeitaufwand ermöglichen.
bereits erreichten und bewährten Zustand zurück- Offenkundig sind die Länder auch bereits so weit,
gefallen. Das darf unter keinen Umständen sein. daß sie mindestens mit einem Betrage in einer Höhe
von 1 Milliarde DM einspringen würden. Man wird
(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten
sich also in der Sache wahrscheinlich gar nicht sehr
der FDP.)
zusammenzuraufen brauchen. Man würde dabei aber
Hinter diesem Vorschlag des Bundesrates tauchte einen Betrag erreichen, der den Deckungsbedarf des
aber etwas anderes auf, nämlich die bei verschiede- Bundeshaushaltes befriedigen würde, wobei hinzu-
nen Länderchefs klar erkennbare Neigung, unter zufügen ist — auch das will ich nicht unterlassen —,
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. März 1962 645
Schoettle
daß der tatsächliche Deckungsbedarf noch keines- Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Das Wort
wegs feststeht. Er kann erst durch das Ergebnis der hat der Herr Abgeordnete Dr. Vogel.
Beratungen im Ausschuß ermittelt werden.
Dr. Vogel (CDU/CSU) : Herr Präsident! Meine
Schließlich bleibt noch die Frage offen, ob der sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich
Bundeshaushalt in der vorliegenden Fassung wirk- meinen Kommentar zu der Rede des Herrn Bundes-
lich alle Möglichkeiten z. B. auch der Kreditbeschaf- finanzministers mit einer erfreulichen Feststellung
fung ausgeschöpft hat. Hier haben wir Sozialdemo- beginnen. Herr Kollege Schoettle, ich begrüße es
kraten ja die bescheidene Genugtuung, daß die Bun- sehr, daß Sie sich in Ihrer Rede zu der „gemein-
desrepublik endlich einen ernsten Anfang macht mit samen Verantwortung" des Hohen Hauses für die-
dem Bemühen, vermögenswirksame Investitionen sen Haushalt bekannt haben. Wir haben im Haus-
durch die Inanspruchnahme des Kapitalmarktes zu haltsausschuß seit 12 Jahren eine Praxis für diese
finanzieren. Es war ein Kredo, das ich bei jeder gemeinsame Verantwortung eingeleitet, die, glaube
Haushaltsberatung vorgebracht habe, daß der Bun- ich, von hohem Nutzen für das gesamte Haus und
desfinanzminister seine Ansprüche an den Kapital- die staatspolitische Entwicklung der letzten 12 Jahre
markt zu Unrecht hinter andere Bedürfnisse zurück- gewesen ist.
stellt. Wir sind nicht überzeugt, daß der ordentliche
Ich freue mich, daß auch diese Debatte auf einem
Haushalt nach dem Entwurf die Übertragung wichti-
ger Investitionsvorhaben in den außerordentlichen sachlich hohen Niveau fortgesetzt werden kann.
Haushalt mit voller Konsequenz durchgeführt hat. Gleichzeitig möchte ich allerdings — darin werden
Nach unserer Auffassung ist es falsch, Aufgaben, Sie sich mir nicht anschließen — dem Herrn Bun-
die über viele Jahre hinaus wirksam werden und desfinanzminister für die entschlossenen Worte dan-
für eine ganze Generation Bedeutung haben, aus ken, die er gestern am Schluß seiner Rede ausge-
laufenden Einnahmen weniger Haushaltsjahre zu sprochen hat.
finanzieren. Die bisherige Scheu der Bundesregie- (Beifall bei den Regierungsparteien.)
rung, für solche Ausgaben den Kapitalmarkt in An- Hier darf ich jedoch gleich zu einer gewissen Ein-
spruch zu nehmen, war schon lange nicht mehr durch schränkung kommen. Bitte fassen Sie, Herr Bundes-
die Rücksichtnahme auf private Kreditwünsche ge- finanzminister, das nicht als eine Korrektur auf!
rechtfertigt. Sie ist es heute erst recht nicht, und wir Nicht erst am 13. August, sondern bereits durch
sind keineswegs davon überzeugt, daß der Kapital- das furchtbare Ultimatum der Sowjetunion in der
markt nicht für die Investitionsabsichten des Bundes Berlin-Frage zwei Jahre vorher war im Grunde ge-
ergiebiger ist, als das die Bundesregierung und der nommen die große Zäsur in unserem Verhältnis
Präsident der Bundesbank wahrhaben wollen. Hier zum Osten, im Kampf um Berlin eingetreten. Wir
bietet sich nach unserer Auffassung noch ein zu- hatten bislang geglaubt, diesen Zustand auch mili-
sätzliches Mittel zum Ausgleich des Bundeshaus- tärisch ignorieren zu können. Aber jeder Kenner
halts an, wenn man den Mut hat, über den Schatten der Bundeswehr, jeder Haushaltskenner wußte, daß
einer überholten Kreditpolitik des Bundes zu sprin- die Aufstellung und Ausrüstung einer Division
gen,
einen bestimmten Betrag kosten würde, und jeder
(Beifall bei der SPD) konnte sich also die Zeit ausrechnen, innerhalb
deren bestimmte Summen für die Verteidigung im
zumal da der Bund im wesentlichen ohne Verschul- Bundeshaushalt aufgebracht werden mußten.
dung ist, während die Länder und vor allem die Ge- Wenn durch die Verzögerung bei der Aufstellung
meinden in hohem Maße verschuldet sind. der Bundeswehr, durch die Überschattung dieses
In diesem Zusammenhang muß ich noch einmal Aufbaus durch eine Hochkonjunktur sondergleichen
auf den Länderbeitrag zurückkommen. Wir sind der und durch die ungeheuer schwer zu bewältigende
Auffassung, daß die Inanspruchnahme der Länder Schaffung der personellen Voraussetzungen für die-
für den Haushaltsausgleich unter keinen Umständen sen Aufbau erneut Erschwernisse eingetreten waren,
die ebenso notwendige Finanzreform stören oder so wußte man doch aber, daß diese Verzögerung
gar unmöglich machen dürfte. Dazu und zu einigen die Kosten höchstens erhöhen, niemals aber ermäßi-
anderen Fragen, die gewisse Aspekte des Bundes- gen konnte.
haushalts betreffen, werden meine Freunde Dr. Möl- Hier komme ich nun zu einem Vorwurf, den mein
ler und Dr. Deist im Laufe dieser ersten Beratung verehrter Herr Vorredner gegenüber dem Herrn
noch sprechen. Bundesfinanzminister erhoben hat, indem er sagte,
er bitte ihn, das Ausmaß dieser Erhöhung der Ver-
Ich möchte für meine politischen Freunde zum teidigungslasten nicht zu dramatisieren. Ich muß
Schluß folgendes sagen: Wir werden mit allem sagen, ich bedauere es, daß wir es nicht bereits frü-
Ernst an der Gestaltung des Bundeshaushalts 1962 her getan haben; denn früher wäre besser gewesen.
mitarbeiten. Unsere sachlichen Entscheidungen wer-
den bestimmt sein durch die Einsicht in die Not- Ich habe seit einigen Jahren an dieser Stelle und
wendigkeiten. Unsere politische Entscheidung kann bei dieser Gelegenheit immer darauf hingewiesen,
letzten Endes aber nur bestimmt werden durch daß wir seit 1955 durch die Verzögerung unserer
unser Urteil über die Politik der Regierung und Verteidigungsanstrengungen, zu denen wir seit 1955
ihrer einzelnen Repräsentanten, denen Vertrauen zu ja vertraglich verpflichtet waren, mindestens etwa
schenken wir bis auf weiteres keinen Grund haben. 20 Milliarden DM vor uns hergeschoben haben. Ein
außergewöhnlich hoher Betrag! Wenn dieser Betrag,
(Lebhafter Beifall bei der SPD.) der in den vergangenen Jahren vorwiegend für So-
646 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. März 1962

Dr. Vogel
zialausgaben verwandt worden ist, jetzt, 1962, in- — Es wäre mir ein besonderes Vergnügen, Herr
folge der Warnungszeichen des sowjetischen Ulti- Kollege Wehner, gerade hier Herrn Kollegen Schäf-
matums und auch infolge des Druckes unserer Ver- fer zu zitieren. Ich habe nie ein Hehl daraus ge-
bündeten von uns gefordert wird, ist es, glaube ich, macht, daß ich seine Politik der Rückstellungen da-
höchste Zeit, daß wir uns hier auch voll und ganz mals, für diese Zeit, für richtig gehalten habe. Ich
zu dieser Notwendigkeit bekennen. habe sie vor diesem Hause auch immer verteidigt.
Ich sage das deswegen ausdrücklich, weil es an- (Sehr gut! in der Mitte.)
scheinend noch nicht ganz in das Bewußtsein einiger
auch prominenter Zeitgenossen eingegangen ist, wie Aber ich möchte noch eines sagen: Wenn Sie von
seiten der Opposition jetzt noch einen Schritt weiter
wir aus bestimmten Fernsehsendungen entnehmen
gehen und sagen, auch die auf 800 Millionen gestei-
können und wie ich es auch aus der Bemerkung von
gerte Summe für den zivilen Bevölkerungsschutz sei
Herrn Knoeringen entnehmen mußte, das neunte
noch bei weitem nicht ausreichend, dann darf ich
Schuljahr in Bayern sei wichtiger als die Verlänge-
doch darauf hinweisen, daß nach den vorsichtigen
rung der Dienstpflicht. Offensichtlich ist man sich
Berechnungen der Ressorts — des Bundesinnen-
also noch nicht überall dessen bewußt, daß wir uns
ministeriums zusammen mit dem Wohnungsbau-
hier in einer solchen Zäsur befinden und daß wir
ministerium — sich die Minimalsumme allein für
bestimmte Konsequenzen daraus zu ziehen haben.
Luftschutzbauten auf rund 40 Milliarden DM belau-
Meine sehr verehrten Damen und Herren, auch fen würde, daß aber die weitergehenden Forderun-
wenn der Bundesfinanzminister logischerweise in gen sich auf ungefähr 70 bis 80 Millarden belaufen.
seiner Rede die Verteidigungsausgaben für die Bun- Die Frage ist die: Glauben Sie ernstlich, daß wir,
deswehr mit den erhöhten Ausgaben für Berlin zu- um ein Wort des Bundesfinanzministers aufzugrei-
sammengezogen und von einem Gesamtmehrbedarf fen, wirklich alles in einem Atemzuge und alles zu
von 8,1 Milliarden DM 4,4 Milliarden DM, d. h. gleicher Zeit schaffen können? Wir sind der Über-
55 %, dafür angesetzt hat, darf keinesfalls über- zeugung, daß das volkswirtschaftlich eben nicht ver-
sehen werden, daß sich die rein militärischen
- Auf- kraftbar ist.
wendungen auf nur 3,8 Milliarden DM belaufen,
denen zivile Mehranforderungen in Höhe von (Abg. Dr. Schäfer: Also gar nicht!)
4,2 Milliarden DM gegenüberstehen. Das heißt, daß In diesem Zusammenhang noch ein Wort an den
infolge der zum Teil gesetzlich festgelegten Auto- Herrn Bundesfinanzminister persönlich. Er ist neu
matik des Haushalts selbst in diesem Stadium einer in diesem Geschäft, und gerade die Schlußsätze sei-
unbestreitbar außergewöhnlichen Bedrohung und ner Rede drücken genau das aus, was sich in den
Zwangslage der Nation die zivilen Mehranforderun vergangenen zwölf Jahren im Haushaltsausschuß
gen den militärischen mindestens gleichkommen, sie zu einer Tradition gefestigt hat. Die Koalition im
zum Teil sogar noch übertreffen. Haushaltsausschuß arbeitet naturgemäß sehr eng
Sofort erhebt sich auch hier die Frage, ob diese mit dem jeweiligen Bundesfinanzminister zusam-
Automatik auch in den kommenden Jahren mit noch men. Sie erwartet von ihm ein hohes Maß von
größeren militärischen Anforderungen unbegrenzt Härte und von Festigkeit gegenüber den unver-
volkswirtschaftlich zu verkraften sein wird. Mit an- meidlichen Anforderungen von seiten seiner eige-
deren Worten: Können wir hier im Bundeshaushalt, nen Kollegen und auch von Gruppen dieses Hohen
der praktisch eine finanzielle Willenserklärung des Hauses. Wir haben, glaube ich, in der Vergangen-
Volkes darstellt, an den massiven Bedrohungen un- heit bewiesen, daß wir uns, wenn der Finanzmini-
serer staatlichen und nationalen Existenz vorbei- ster fest bleibt. nicht von ihm in dieser Tugend
leben oder nicht? Können wir in unserem geteilten übertreffen lassen. Wir bitten aber auch unsere
Deutschland, nach zwei grausigen Katastrophen der eigenen Freunde innerhalb der Koalition, uns jetzt
beiden verlorenen Weltkriege und zwei darauffol- in dieser finanziell so wesentlich schwieriger gewor-
genden Inflationen einen Bleichhohen Lebensstan- denen Periode zu helfen und zu unterstützen.
dard auf die Dauer neben unseren Verteidigungs- (Beifall 'bei der FDP.)
ausgaben aufrechterhalten oder nicht? Das ist,
glaube ich, die volkswirtschaftliche und Haushalts- Ich zögere nicht, zu unterstreichen, daß wir mit der
kernfrage, die sich hier vor uns auftut. Opposition gemeinsam eine 'Reihe von staatspoli-
tisch wichtigen Aufgaben hier zu lösen haben,
Nun, meine sehr verehrten Damen und Herren, und ich hoffe, daß dieses Klima, das wir im Haus-
die Mehrheit des Haushaltsausschusses kann für haltsausschuß geschaffen haben, uns auch in der
sich in Anspruch nehmen, bereits vor Weihnachten Zukunft erhalten bleiben wird.
noch vor der Einbringung dieses Haushalts sich ent-
schlossen gegen eine neue Ausgabenflut zur Wehr Nun auch noch ein Wort meinerseits zum Finanz-
gesetzt zu haben. Mein verehrter Vorredner hat bericht 1962, der uns in einem gewachsenen Volu-
hier einiges zur Verteidigung der damals von sei- men leider erst vor genau 48 Stunden vorgelegt
ner Fraktion gestellten Mehrausgabenanträge ange- worden ist. Selbst zwei Nächte haben nicht ausge-
führt. Wir stehen auf dem Standpunkt, daß, wenn reicht, Herr Bundesfinanzminister, um auch nur die
wir hier von seiten des Bundestages damals Ihren wichtigsten Passagen dieses ganz ausgezeichneten
Anträgen gefolgt wären, es heute noch weitaus Werks für uns hier und für diese Haushaltsdebatte
schwieriger sein würde, das Loch im Defizit zu dek- einigermaßen nutzbar zu machen.
ken, als es ohnehin der Fall ist. Zum erstenmal wird sich nun der Haushaltsaus-
(Zustimmung bei den Regierungsparteien. schuß in diesem Jahr nach der Verabschiedung des
— Abg. Wehner: Den Herrn Schäffer von Haushalts seiner schwierigsten Aufgabe unterzie-
damals zitieren!) hen müssen — sofern ihm dieses Hohe Haus durch
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. März 1962 647
Dr. Vogel
das Haushaltsgesetz die Vollmacht dazu erteilt —, in den Haushalt einsetzen will. Wenn man gemäß
der Aufgabe nämlich, die Personalanforderungen den Ländererwartungen vielleicht einen Betrag von
der Bundesbehörden zu prüfen und zu verabschie- 300 Millionen DM an höheren Steuereinnahmen ein-
den, nachdem wir den Haushalt als solchen verab- setzt, so ist dagegen wohl schwerlich etwas einzu-
schiedet haben. Mein Freund Niederalt wird nach wenden. Ein solcher Betrag bleibt bei der Riesen-
mir dazu Ausführungen machen. summe von annähernd 54 Milliarden ohnehin von
nicht ausschlaggebender Bedeutung.
Nun aber zu den Kernfragen, die dieser Haushalt
naturgemäß aufwirft! Sichert der Haushalt als Wil- Aber bleiben wir zunächst einmal bei der Kon-
lenserklärung der Bundesregierung die Existenz des junktur und den Erwartungen, die wir in sie setzen
deutschen Volkes oder nicht? Ist er gemäß der Ver- dürfen oder auch nicht in sie setzen dürfen. Der
fassung ausbalanciert oder ist er nicht ausbalan- Arbeitskräftemangel hält beinahe unverändert stark
ciert? Hier erheben sich sofort eine Reihe von Fra- an. Wir haben jetzt schon, obwohl die Frostperiode
gen. noch nicht abgeklungen ist, über eine halbe Million
Zu der ersten Frage, der des Länderbeitrags in offener Stellen, die nicht zu besetzen sind, eine un-
der Höhe von einer Milliarde, wird, glaube ich, gewöhnliche Angelegenheit nach dem Rückgang der
mein Freund Niederalt Ausführungen machen, so Auftragsbestände in der zweiten Hälfte des Jahres
daß ich es mir hier erspare, darauf einzugehen. 1962! Die Arbeitskraft ist nach wie vor teuer ge-
blieben. Die Effektivlöhne sind nach wie vor zum
Auf die zweite Frage, die Frage einer stärkeren Teil sogar höher als die Tariflöhne.
Inanspruchnahme des Kapitalmarkts, ist mein ver- Die übermäßige Baukonjunktur, die voraussicht-
ehrter Vorredner bereits eingegangen. Daß es in
lich noch das ganze Jahr 1962 anhalten wird, droht
der Vergangenheit der Eingang der Steuermittel
das Bild der Gesamtkonjunktur des Jahres 1962 zu
möglich gemacht hat, den Haushalt ohne eine Inan-
verzerren. Ich möchte ausdrücklich auf diesen Um-
spruchnahme des Kapitalmarkts zu vollziehen, halte
stand aufmerksam machen. Wir können die Gesamt-
ich für einen schönen Glückszufall, den wir keines-
konjunktur unserer Wirtschaft nicht allein nach der
falls zu bedauern brauchen. Ich habe niemals ein
Baukonjunktur beurteilen. Die Stagnation in der
Verdienst darin gesehen, Schulden zu machen. Ich
glaube, auch keine Körperschaft des öffentlichen Textilindustrie, die Stagnation bei der Kohle, das
Rechts, erst recht nicht der Bund, sollte ein Verdienst Absinken der Stahl- und Eisenproduktion und das
darin sehen, Schulden anzuhäufen, solange sie sich erhebliche Nachlassen der Auftragsbestände bei der
vermeiden lassen. Investionsgüterindustrie dürfen von uns nicht außer
acht gelassen werden.
Wenn wir in diesem Haushaltsjahr dazu über-
gehen müssen, den Kapitalmarkt in Anspruch zu Es erhebt sich sofort die Frage, die ich unlängst
nehmen, so möchte ich dabei gleich vor einem Vor- auch in einer Veröffentlichung des Wirtschafts-
gang warnen. Es ist, soviel ich gehört habe, geplant, wissenschaftlichen Instituts der Gewerkschaften sah:
den Kapitalmarkt selbst nur mit einer Milliarde Kann man durch eine Steigerung des Konsums der
und darüber hinaus den mittelfristigen und viel- Konjunktur nachhelfen oder nicht? Es handelt sich
leicht auch den kurzfristigen Geldmarkt mit einer dabei um einen Vorgang, den wir bereits in anderen
weiteren Milliarde in Anspruch zu nehmen. Wenn Ländern beobachten konnten. Ich bin der Auffas-
man die Gewißheit hätte, daß uns das folgende sung — und ich glaube, meine Freunde teilen sie —,
Finanzjahr 1963 vor leichtere Deckungsaufgaben daß nichts gefährlicher wäre, als durch ein zu großes
stellen würde als das Jahr 1962, könnte man hier Vorausschnellen der Löhne vor dem Volkseinkom-
vielleicht sogar ein Auge zudrücken, so schwer men, durch eine gewaltsame Aufpulverung des Kon-
einem dies verfassungsrechtlich fiele. Wenn man sums eine neue Konjunkturbewegung zu provozie-
aber mit Sicherheit weiß, daß das Jahr 1963 wesent- ren. Wir haben das Beispiel in England und in den
lich schwierigere Haushaltsfragen stellen wird als Vereinigten Staaten vor uns. Beide Länder bemühen
das Haushaltsjahr 1962, dann, glaube ich, sollte man sich heute — nach dem totalen Schwinden der
von einer Deckung durch kurzfristige Geldaufnah- Devisen in England und nach dem sehr erheblichen
men auf dem Geldmarkt absehen und versuchen, Abnehmen der Goldbestände in den Vereinigten
das mit anderen Mitteln zu erreichen. Wir haben Staaten —, Fehler der Vergangenheit rückgängig zu
noch eine ganze Reihe von anderen Möglichkeiten machen. Die Frage erhebt sich: Wollen ausgerechnet
an der Hand. Ich komme gleich im einzelnen auf sie wir in der Bundesrepublik uns anschicken, die klar
zu sprechen. erkannten Fehler einer solchen Wirtschaftspolitik
heute nachzuahmen?
Eine dritte Frage, die wir in diesem Zusammen-
hang erörtern müssen, ist die, ob sich die Steuer- (Beifall bei der CDU/CSU.)
erwartungen und damit die Konjunkturerwartun- Man kann eben meiner Überzeugung nach nur
gen im Laufe dieses Jahres 1962 erfüllen werden dann mehr verdienen und mehr Steuern einnehmen,
oder nicht. In den voraufgegangenen zwei Jahren wenn man auf der anderen Seite mehr arbeitet und
war die Fortdauer der Hochkonjunktur beinahe zu mehr produziert. Das ist eine Binsenwahrheit. Aber
einer Selbstverständlichkeit geworden. Die Frage ich glaube, es ist notwendig, sie auch hier einmal
erhebt sich, ob sie das heute noch in dem gleichen zu wiederholen.
Maße ist, wie sie das in der ersten Hälfte des Jah-
res 1961 war. Ich glaube, diese Frage wird von ent- (Beifall bei den Regierungsparteien.)
scheidender Bedeutung sein, wenn man höhere Daß die Bundesregierung heute, was die Zahl der
Steuereinnahmen, als sie bis jetzt veranschlagt sind, Arbeitsstunden betrifft, trotz zweier verlorener
648 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. März 1962

Dr. Vogel
Kriege nicht mehr an der Spitze der Industrievölker daß sich in der Zukunft, vor allen Dingen auch im
Europas marschiert, sondern hinter benachbarten Jahre 1962, nicht um Steuersenkungen generell han-
konkurrierenden Völkern, wird wohl heute von nie- deln kann, sondern um Steuerumbauten, sind wir
mandem mehr bestritten. Ich kann also nur das eine uns angesichts dieses Haushalts wohl alle im klaren.
unterstreichen, was der Herr Bundesfinanzminister,
Lassen Sie sich mich hier etwas zu dem sehr
wenn auch in dramatisierter Form, dem Hause zuge-
schwierigen Problem der vollkommenen Gerechtig-
rufen hat: daß letzten Endes die deutsche Konkur-
keit bei der Streichung von Ausgaben sagen. Meine
renzfähigkeit auf dem Weltmarkt auch für die Haus-
sehr verehrten Damen und Herren, wenn Verzichte
haltsgestaltung der kommenden Jahre entscheidend
gefordert werden, sollten sie auf alle Ressorts und
sei. auf alle Wünsche, 'die hier vorgebracht werden,
Wir haben einige freundliche Lichtblicke zu ver- ausgedehnt werden. Wir wollen versuchen, im
zeichnen. Die Spartätigkeit hat sich im Januar und Haushaltsausschuß — und wir sollten das auch für
im Februar 1962 wieder ganz beachtlich erhöht. Der die 2. und 3. Lesung, die ja bereits in drei Wochen
Kapitalmarkt 1961 erwies sich als ungewöhnlich er- stattfinden werden, vornehmen — so gerecht wie
giebig, vor allen Dingen was die Rentenwerte be- möglich zu verfahren. Eine vollkommene Gerechtig-
trifft. Das Sinken der Aktienkurse hat dazu geführt, keit werden wir niemals erreichen können. Es wer-
daß sich heute die Sparer in weitaus größerem Maße den immer Wünsche offenbleiben, und es werden
dem Rentenmarkt, aber leider auch dem Grund- am Ende einer solchen Beratung immer Beschwer-
stücksmarkt zugewandt haben, als das früher der den da sein.
Fall war. Hier liegt ein entscheidender Grund dafür, Selbst wenn es gelingt, von seiten der Länder
daß wir bei den Bausparkassen eine weitere, eigent- 1 Milliarde DM zu erhalten — ich sage das aus-
lich kaum voraussehbare Konjunktur zu verzeich- drücklich mit einem „Wenn", denn auch der Be-
nen haben. Wir werden sehr bald sehen, wohin z. B. schluß des ,Bundesrates ist ja noch kein Kassenvoll-
die Überhitzung der Baukonjunktur führen wird. zug; ich werde froh sein, wenn am Ende des Haus-
Es wird entscheidend davon abhängen — das haben haltsjahres die Bundeskasse den Eingang dieser
wir im Haushaltsausschuß auch bei der Behandlung 1 Milliarde DM gemeldet haben wird —,
der Folgen der Flutkatastrophe ausgesprochen —, (Abg. Dr. Conring: Sehr gut!)
ob es möglich sein wird, hinreichend viele Bau-
firmen und hinreichend viele Arbeitskräfte an die selbst wenn das eintreffen sollte, würde es immer
bedrohten Punkte der Nordseeküste zu bringen, und noch eine offene Frage bleiben, wie 'die weiteren
ob wir hinreichend viele Menschen und Firmen be- 740 Millionen DM des Defizits gedeckt werden.
reitstellen können, um die Dämme vor dem Anprall Man kann natürlich—ich habe davon gesprochen —
einer neuen Hochflut zu schützen. Das wird eine die Steuereinnahmen um vielleicht 200 bis 300 Mil-
sehr entscheidende Frage innerhalb der kommenden lionen DM höher ansetzen; das ist durchaus vertret-
Sommermonate werden. bar. Man kann den Kapitalmarkt etwas mehr in
Um auf die Schätzungen des Bundesfinanzmini- Anspruch nehmen; wenn man von 1,8 Milliarden
sters zurückzukommen: Ich glaube auch, daß erhöhte DM auf 2 Milliarden DM ginge, wäre das, glaube
Steuereinnahmen bei der Lohnsteuer ziemlich sicher ich, kein Schade, es wäre vertretbar. Man kann bei
sein werden. Bei der Umsatzsteuer wird das gleiche einem 54-Milliarden-Haushalt den Haushalt so voll-
in beschränkterem Umfange eintreten. Bei der Ein- ziehen, daß auch durch den Vollzug erhebliche Ein-
kommensteuer scheint mir das schon fraglicher zu sparungen eintreten.
sein. Die Gewinne der Industrie sind im zweiten Darf ich hier eine Bemerkung zu den Resten ma-
Halbjahr 1961 bereits unbestreitbar zurückgegan- chen, die der Haushaltsvollzug 'das Jahres 1961 er-
gen. Die Aufwertung der D-Mark hat als Konjunk- geben hat. Es ist für uns nicht uninteressant, daß es
dämpfungsmaßnahme weithin sichtbarer gewirkt, — und hier gebührt dem Bundesverteidigungsmini-
als man es ursprünglich geglaubt hat. Der Bundes- sterium ein hohes Lob — gelungen ist, das sehr
wirtschaftsminister hat es damals hier vor dem drohende Gespenst der Reste gerade beim Vertei-
Hause gesagt. Ich glaube, er hat mit seiner Pro- digungshaushalt in relativ kurzer Zeit zu bannen,
phezeiung recht behalten. Die Statistik beweist und daß heute die zivilen Reste ein wesentlich grö-
heute, in welch einschneidendem Maße seitdem auch ßeres Problem darstellen als die militärischen Reste.
eine Dämpfung der überspannten Konjunktur ein-
getreten ist. Immerhin bliebe dann noch die Notwendigkeit
erhöhter Streichungen. Hier komme ich nun auf das
Aber nicht umsonst hat der Herr Bundesfinanz- Problem der 12%igen Generalkürzung. Herr Kollege
minister generell so ausführlich über die steuerli- Schoettle, Sie dürfen sicher sein, daß wir — wir
chen Auswirkungen bzw. die Voraussetzungen des haben das ja im Haushaltsausschuß bereits prakti-
Hineinwachsens in die Europäische Wirtschaftsge- ziert — auch bei den jetzt legalen Beratungen, vor
meinschaft gesprochen. Hier liegt in der Tat einer denen wir stehen — was wir bis jetzt gemacht
der entscheidendsten Vorgänge der kommenden haben, waren ja im Grunde genommen illegale
Jahre vor uns, und ich glaube, wir werden gut dar- Vorgriffe, aber von heute ab werden wir in der Lage
an tun, 'die jetzt in der Ausarbeitung befindlichen sein, Beschlüsse zu fassen —, das tun werden, was
Empfehlungen, die bereits stattgehabten Beratungen wir bei den Vorbereitungen in Aussicht genommen
zwischen den Finanzministern der EWG rechtzeitig haben; das war ja immerhin schon eine Umgruppie-
und umfassend in die kommenden Steuerumbauten rung im Haushaltsausschuß, wie sie in diesem Um-
und -verschiebungen mit einzukalkulieren. Darüber, fange in den letzten zwölf Jahren noch niemals statt-
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. März 1962 649
Dr. Vogel
gefunden hat. Aber ich möchte hier die Erwartung Wir täuschen uns wohl nicht, wenn wir heute in
aussprechen, daß, wenn wir uns auf diesem schwieri- den breitesten Schichten unseres Volkes ein spür-
gen Felde in Zukunft weiter gemeinsam bewegen, Sie bares Erschrecken vor diesen gewaltig gesteigerten
auch mehr Verständnis als bis jetzt aufbringen Haushaltsausgaben verspüren. Die Furcht vor einer
werden, wenn wir so starke Kürzungen anbringen Inflation in einer Generation, die zwei Inflationen
müssen, wie wir sie bei der Bundesbahn — mit 280 erleben mußte, hat dazu beigetragen, daß das Er-
Millionen DM — gegen Ihren Widerstand bei der schrecken vor diesen Mehrausgaben in Höhe von
SPD durchgesetzt haben. Wenn man sich überlegt, 8 Milliarden heute ungewöhnlich groß ist. Auch
daß die Bundesbahn auch dann noch 100 Millionen wenn es manchmal den Anschein hat, daß bei der
DM, ganz abgesehen von der Bundesgarantie für jüngeren Generation die Tugend der Sparsamkeit
eine 500-Millionen-Anleihe, mehr haben will als im an Ansehen eingebüßt hatte, scheint mir die mora-
Jahre 1961, dann scheint uns eine solche Kürzung lische Kraft der Sparsamkeit als solcher bei der
durchaus vertretbar zu sein. Generation, die sich der zwei Inflationen noch er-
(Beifall bei der CDU/CSU.) innert, ungebrochen zu sein, und auf die sollten wir
in diesem Jahre und in den kommenden Jahren
Bei den bisherigen, Vorberatungen, die wir jetzt vertrauen.
legalisieren werden, haben wir bereits annähernd
500 Millionen DM einsparen können. Das heißt, der Der Haushaltsausschuß hat die Hauptmühe und
größte Betrag der Kürzungen, die durch die globale die Hauptplage jedesmal damit, sich mit den Wün-
Kürzung von 12 °/o erreicht werden sollten, konnte schen der Ressorts in bezug auf die Vermehrung
bereits durchgesetzt werden. der Stellen auseinanderzusetzen. Damit wird sich
mein Freund Niederalt nachher mit der bei ihm ge-
Zum erstenmal wird der Haushaltsausschuß auch wohnten Gründlichkeit befassen. Wir können nur
beim restlichen Ausgleich vor Notwendigkeiten durch eine minutiöse Prüfung der einzelnen Titel
stehen, die in den letzten 12 Jahren noch niemals des Haushalts die allzu üppig wuchernden Schöß-
gegeben waren. Bis jetzt beschränkte sich die Rolle linge beschneiden. Aber manchmal haben wir den
des Haushaltsausschusses im Grunde genommen Eindruck, daß selbst die Axt in der Hand des Haus-
leider auf die Rolle des Chors in der griechischen haltsausschusses nicht mehr stark genug ist, allzu
klassischen Tragödie, d. h. der Haushaltsausschuß knorrig gewordene Bäume zu fällen, die in der
beweinte sehr oft den Gang der Ereignisse, ohne Zwischenzeit munter herangewachsen sind.
ihn ändern zu können. Ich verhehle keineswegs die
Schwiergktn,d ZuftimHas- Wenn die jetzigen ersten Drangsale bei der Dek-
haltsausschuß zu meistern haben werden. Härten kung des Defizits zu einer Selbstbesinnung auch in
werden völlig unvermeidlich sein, ja, wir werden diesem Hohen Hause führen würden, wäre schon
sogar manche Tabus angreifen müssen. Je mehr aber sehr viel gewonnen, und der Haushaltsausschuß
der Zwang zur Einsparung und zur Kürzung schon würde sicherlich — nun lassen Sie mich eine beson-
im Jahre 1962 durch den Haushaltsausschuß sichtbar dere Bitte aussprechen — die erste Empfehlung eines
gemacht werden wird, desto leichter wird es dem Fachausschusses in bezug auf eine einschneidende
Bundesfinanzminister und der Bundesregierung fal- Kürzung des Haushalts mit besonderer Freude be-
len, ihren ebenso mutigen wie ausgezeichneten Be- grüßen.
schluß durchzuhalten, für das kommende Haushalts- (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU.
jahr 1963 in den einzelnen Ressorts dafür Sorge zu — Abg. Wehner: Sie meinten wohl: außer
tragen, daß die Ansätze für 1962 nicht überschritten dem Verteidigungsausschuß?!)
werden.
— Herr Kollege Wehner, nehmen Sie doch bitte
Der Bundesfinanzminister hat am Schluß seiner
einmal die Protokolle der vergangenen Jahre gerade
Rede den listenreichen Dulder Odysseus zitiert, der
bei der Behandlung des Verteidigungshaushalts zur
an seine Gefährten vor der Durchfahrt durch Scylla
Hand. Nicht Sie und Ihre Fraktion, Herr Kollege
und Charybdis einige Worte der Ermutigung rich-
tete. Wir Mitglieder des Haushaltsausschusses sind Wehner, haben damals die Anträge auf Kürzung
gern bereit, dem Herrn Bundesfinanzminister hilf- von Generalsstellen gestellt, sondern wir haben sie
reich unter die Arme zu greifen, indem wir ihn an gestellt, und wir haben damals an einem Vormittag
den Mast der Sparsamkeit anbinden werden. 25 Generalsstellen gestrichen. Wir haben auch die
Zerstörer zurückgestellt und einige andere ver-
(Beifall und Heiterkeit in der Mitte.) nünftige Dinge gemacht. Wir nehmen das für uns
Wir möchten ihm allerdings empfehlen, ungleich in Anspruch, obwohl uns das wahrscheinlich schwe-
Odysseus für sich und seine Haushaltsabteilung rer fällt als Ihnen.
rechtzeitig eine Ladung Ohropax zu beschaffen, da- (Beifall bei der CDU/CSU.)
mit sie den Sirenengesängen der benachbarten Res-
sorts im kommenden Jahre mutig widerstehen kön- Bei aller Sparsamkeit wird niemand so töricht sein,
nen. die Augen vor einigen Notwendigkeiten zu ver-
(Erneute Heiterkeit und Beifall. — Zuruf schließen, die die Nation als solche angehen.
des Abg. Dr. Schäfer.) Hier ist von meinem verehrten Herrn Vorredner
— Ich hoffe, Herr Kollege Dr. Schäfer, man wird ein Doppelproblem in einem Zuge angesprochen
dann nicht auf das allzu leichte Mittel der überplan- worden: das Problem der Verteidigungs- und So-
mäßigen bzw. außerplanmäßigen Ausgaben aus- zialausgaben. Erlauben Sie mir, daß auch ich zu-
weichen. gleich zu beiden Problemen einiges ausführe. We-
650 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. März 1962

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der die CDU noch ich persönlich stehen in dem Ge- auch die hohen Kosten rechtfertigen, die sie ver-
ruch, daß wir in der Vergangenheit die Notwendig- ursacht.
keit der deutschen Verteidigung jemals auch nur (Beifall bei der CDU/CSU.)
im geringsten bestritten haben. Wir haben sie stets
voll bejaht. Aber wir haben uns auch — was ich Mein verehrter Herr Vorredner hat darauf hin-
soeben gesagt habe — damals gegen eine allzu gewiesen, daß die Baulandkosten angeblich von
schnelle Personalvermehrung, gerade bei den hohen seiten der Bundeswehr erheblich erhöht worden
Stellen, mit Erfolg gewandt. seien. Auf unser Betreiben im Haushaltsausschuß
hin ist diesem Vorwurf sofort nachgegangen und
Ich darf Ihre Aufmerksamkeit jetzt auf ein Pro- eine gewisse Untersuchung durchgeführt worden.
blem lenken, das für uns langsam am Horizont Ich möchte doch annehmen, daß die Ausführungen,
heraufzieht und das in der Zukunft unsere und auch die wir von seiten des Bundesverteidigungsmini-
die Aufmerksamkeit der Bundesregierung in einem steriums gerade zu diesem Punkt gehört haben,
ganz anderen Maße beanspruchen wird als bisher. diesen Vorwurf weitgehend entkräftet haben.
Wir haben jetzt schon 6,3 Milliarden DM laufende
Kosten innerhalb des Bundesverteidigungshaus- (Sehr richtig! i n der Mitte. — Zuruf von
halts. Im kommenden Haushaltsjahr werden es der SPD: Keineswegs, Herr Kollege!)
8,3 Milliarden sein. Mehr als die Hälfte und in den
— Wir sind anderer Ansicht. Wir haben doch zu-
kommenden Jahren noch mehr als die Hälfte des
mindest das eine festgestellt: daß in keinem Fall
Verteidigungshaushalts werden zur Befriedigung
von seiten des Bundesverteidigungsministeriums
der Sach- und Geschäftsbedürfnisse der Truppe, zur
den durchführenden Stellen der Bundesvermögens-
Deckung der Pensionslasten, für die Verpflegung,
verwaltung Anweisungen gegeben worden sind,
die Bekleidung usw. in Anspruch genommen wer-
überhohe Preise zu zahlen. Das ist der entschei-
den. Das bedeutet, daß es automatisch zu einer
dende Punkt gewesen.
Einengung derjenigen Dinge kommen wird, die tat-
sächlich die Kampfkraft der Truppe mit ausmachen. Ist es verwegen, wenn man in diesem Zusammen-
In einer Beziehung sind wir uns mit Ihnen wohl hang auch ein anderes Tabu angreift, das bis jetzt
völlig einig: eine Bundeswehr, die nicht die mo- eigentlich unseren erlauchten Sachkennern auf die-
dernste Ausrüstung dieser Welt hat, erfüllt nicht sem Gebiete, den Sozialexperten, vorbehalten
ihren Zweck, nämlich der Verteidigung unseres Vol- blieb, die mit den Statistikern wahrscheinlich bes-
kes zu dienen. ser umgehen können, als es ein armer Sachverstän-
(Zuruf von der SPD: Sie meinen doch diger des Haushalts zu tun vermag? Dem Hohen
Hause oder vielleicht nur dem zuständigen Aus-
atomare Waffen!)
schuß sind inzwischen wohl einige Zahlen über die
4 Wir sind in der Vergangenheit dafür eingetreten voraussichtliche Zahl der Pflichtversicherten in den
und werden auch in der Zukunft dafür eintreten — kommenden Jahren bei der Arbeiterrentenversiche-
das möchte ich in aller Klarheit sagen —, daß die rung und bei der Angestelltenversicherung mit-
Bundeswehr in ihrer Ausrüstung hinter keiner an- geteilt worden. Danach wird bei der Arbeiterren-
deren Wehr der Welt zurückstehen darf, wenn sie tenversicherung 1973 eine fast mit der von 1960
jemals, was Gott verhüten möge, in den Kampf gleichbleibende Zahl an Pflichtversicherten vorhan-
ziehen muß. den sein, — umgekehrt werden aber statt einer Zahl
von 4,8 Millionen Rentnern wie 1960 6,1 Millionen
(Beifall bei der CDU/CSU.) Rentenempfänger dem gegenüberstehen. Bei der
Hier besteht die Tendenz — diesen Vorwurf kann Angestelltenversicherung wird 1978 die Zahl von
ich Ihnen, meine Herren von der Opposition leider 5,8 Millionen Versicherten einer Zahl von rund
nicht ersparen —, die laufenden Kosten weiter zu 2,3 Millionen Rentnern gegenüberstehen. 5,8 Mil-
erhöhen. Ich spreche dieses Problem hier einmal lionen zu 2,3 Millionen! Das heißt: Gegenüber 1960
in aller Deutlichkeit an: Der Bundeswehr droht die wird sich die Zahl der Rentner von 28 auf 40 %
Gefahr, in ihrem laufenden Haushalt, ganz zu vermehrt haben. Das sind neue Tatbestände, die
schweigen von den jetzt schon sehr stark anwach- man rechtzeitig ins Auge fassen sollte. Ich möchte
senden Pensionslasten, so teuer 2u werden, daß darauf hinweisen, daß die moderne Sozialversiche-
die für ihre Kampfkraft, für die modernste Aus- rung ihren Ursprung inmitten einer Industriegesell-
rüstung, für die Munition usw. notwendigen zu- schaft fand, die damals eine gewaltige Bevölke-
sätzlichen Ausgaben volkswirtschaftlich nur sehr rungsvermehrung erlebte, und daß man sich damals
schwer verkraftet werden können. Die Bundeswehr einem ganz anderen Wachstum und einem ganz an-
ist einzig und allein dafür geschaffen und dafür da, deren Altersaufbau gegenübersah, als sie heute
unser Volk im Ernstfall Seite an Seite mit unseren vorhanden sind. Ich gebe einmal zu erwägen, ob es
Verbündeten zu verteidigen. Sie kann niemals nicht klug wäre, jetzt schon rechtzeitig Überlegun-
gen anzustellen, ob wir hier nicht neue Wege be-
Selbstzweck sein. Das Hohe Haus wird der Bundes-
schreiten und neue Ideen verwirklichen sollten. Da
wehr und sich selbst den besten Dienst erweisen,
wir uns beim Haushalt schließlich mit Milliarden-
wenn es vieles von dem überprüft, was e s zum
zahlen an Zuschüssen zu beschäftigen haben, darf
Teil selbst geschaffen hat, wenn es die Wehrmachts-
man es wohl .einmal wagen, auf diese Entwicklun-
bürokratie mit verkleinern hilft, wenn es dafür
gen hinzuweisen.
sorgt, daß die laufenden Kosten geringer werden
und dafür der Apparat, die Bundeswehr insgesamt Ob wir uns auch z. B. — um hier andere Probleme
schlagkräftiger wird. Dann wird die 'Bundeswehr anzuschneiden — an dem phantastischen neuen
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. März 1962 651
Dr. Vogel
Traum der Menschheit finanziell beteiligen sollten, linern — da stimme ich völlig mit Ihnen überein —,
mit den anderen Völkern Flüge zum Mond und bevor überhaupt weitere Schäden eintreten, recht-
zu den Planeten zu entwickeln, ob das gerade eine zeitig unter die Arme zu greifen, damit ihre Wirt-
Existenzfrage des deutschen Volkes in den nächsten schaft sich entsprechend weiterentwickeln kann. Mir
Jahren sein wird, wage ich bescheiden zu bezwei- scheint es notwendig zu sein — ich glaube, daß wir
feln, auch wenn wir schon ganz beachtliche An- dafür auch das erforderliche Verständnis bei den
sätze in unserem Haushalt vorliegen haben. Entwicklungsländern selber finden werden —, in-
mitten einer derartigen eigenen Zwangslage auch
Nun komme ich auf einen Vorwurf zu sprechen, daran zu denken, die gröbsten Schäden mit Hilfe
den mein verehrter Herr Vorredner gegenüber dem dieses Feuerwehrfonds — so haben wir den ERP-
neugeschaffenen Gesundheitsministerium erhoben Fonds doch immer genannt — zu beseitigen.
hat. Wenn wir nun einmal 10 bis 15 % mehr Fahr-
zeuge auf den Straßen und vor allen Dingen in un- Darf ich vielleicht, wenn ich jetzt auf die Ent-
seren Städten haben, wenn durch den Siegeszug der wicklungshilfe im besonderen zu sprechen komme,
modernen chemischen Industrie leider auch der eine ein wenig ketzerische Meinung zum Ausdruck
Wasservorrat in Deutschland immer stärker in Mit- bringen. Ich bin nicht so sicher, ob die Freude, die
leidenschaft gezogen wird und wenn mit der wach- wir bei der Übergabe eines Schecks oder bei der
senden Industrialisierung die Luft auch nicht gerade Leistung einer Unterschrift unter ein Kreditabkom-
reiner wird, dann in der Tat scheinen uns ganz an- men erregen, auch dann noch anhalten wird, wenn
dere Anstrengungen zur Reinhaltung von Luft und es darum geht, die Zinsen einzutreiben bzw. auf
Wasser und zur Förderung der allgemeinen Volks- die Amortisation zu drängen. Ich möchte annehmen,
gesundheit notwendig zu sein, als es bis jetzt der daß unter Umständen die Freundschaft sehr schnell
Fall ist. Ich sehe in der Person der Bundesgesund- getrübt werden kann, wenn von der anderen Seite
heitsministerin nicht allein eine Verneigung vor Verpflichtungen erfüllt werden müssen, auf die wir
dem weiblichen Element innerhalb meiner Fraktion leider nicht verzichten können. Lassen Sie mich
und des Hohen Hauses schlechthin, sondern - die Er- deshalb einmal meiner Überzeugung Ausdruck ge-
richtung dieses Ministeriums entspricht der Not- ben, die ich schon bei der Eröffnung der Deutschen
wendigkeit, diesen Problemen jetzt mehr Aufmerk- Stiftung für Entwicklungsländer vor zwei Jahren in
samkeit zuzuwenden, als das in der Vergangenheit Berlin-Tegel deutlich unterstrichen habe: Es kann
der Fall war. Wir werden uns im Haushaltsaus- nach meinem Dafürhalten nicht die Hauptaufgabe
schuß noch damit zu befassen haben, ob die Pro- des deutschen Volkes sein, nur durch finanzielle
bleme allein mit Personalvermehrungen angegan- Beiträge den Entwicklungsländern zu helfen. Für
gen werden können oder ob hier nicht andere An uns wird in Zukunft die Hilfe bei der Ausbildung
sätze notwendiger sein werden. Ich denke an das Entscheidende sein
höhere Sachverständigentitel und ich denke auch (Beifall bei der CDU/CSU und bei der SPD.)
an mehr Mittel für die notwendige Volksaufklärung,
die auf diesem Gebiet bitter Not tut. Das könnte Was wir in Gestalt einer Ausbildung von Facharbei-
man auf der anderen Seite durch bloße Stellenver- tern, Meistern, Wissenschaftlern, vor allen Dingen
mehrungen nicht schaffen. Vielleicht wird es gerade auch Agrarhelfern, Verwaltungsbeamten in diesen
in diesem 'Bereich auch bei den Ländern mehr dar- Ländern investieren werden, und die Schulen, die
auf ankommen, daß bereits geschaffene Gesetze in wir dort neu errichten werden, das alles wird auf
der Zukunft mehr beachtet und rigoroser durch- die Dauer ganz andere Frucht tragen als zeitweilig
geführt werden, als das in der Vergangenheit der gegebene Kredite oder ein großer Geldhinfluß nach
Fall war. diesen Gebieten, dessen Kontrolle auch in der Zu-
kunft wegen der hohen Empfindlichkeit dieser Völ-
Nun möchte ich noch einige Detailprobleme an- ker immer ein überaus schwieriges Problem bleiben
reißen. Eines dieser Probleme hat auch meinen ver- wird. Ich glaube, daß die Verlagerung der Ausbil-
ehrten Vorredner sehr stark beschäftigt: die Ent- dung in diese Länder hinein — ich sage das aus-
wicklungshilfe. Hier ist ein neues Ministerium ent- drücklich im Hinblick auf die Überfüllung unserer
standen. Ich weiß allerdings nicht, verehrter Herr Hochschulen — eine der wesentlichsten Aufgaben
Kollege Schoettle, wie Sie bei der Entwicklungshilfe in der Zukunft sein wird. Wir sollten dafür Sorge
auf einen Betrag von 5 Milliarden DM gekommen tragen, daß auch inmitten einer Hochkonjunktur den
sind. Ich sehe eigentlich nur 2,5 Milliarden DM. Kräften innerhalb unseres Volkes, die heute noch
Aus dem ERP-Fonds erhält die Entwicklungshilfe das notwendige Maß an Idealismus für eine solche
eine zusätzliche Leistung von 220 Millionen DM. Aufgabe aufbringen, die Möglichkeit gegeben ist,
sich bei uns für eine solche Lehraufgabe im Ausland
Als eines der Mitglieder dieses Hauses, die sich in
ausbilden zu lassen. Das wird ganz andere Frucht
den vergangenen Jahren immer ganz besonders
tragen als manche monumentalen Industriewerke,
stark für die Entwicklungshilfe eingesetzt haben,
die wir dort draußen mit unseren Krediten errichten.
glaube ich in diesem Jahr der Flutkatastrophe und
der besonderen Bedrohung Berlins anregen zu dür- Die jüngste Entwicklung der Industrie in der gan-
fen, daß wir in der Zukunft darin übereinstimmen zen Welt erweist eindeutig den Vorrang des Aus-
sollten, 'die 220 Millionen DM aus .dem ERP-Fonds bildungsstands eines Volkes vor seinen natürlichen
nicht der Entwicklungshilfe zuzuführen, sondern sie Rohstoffquellen. Sehen wir uns z. B. die Schweiz an!
mit heranzuziehen zur Bewältigung der Schäden, Sie ist ein geradezu schlagendes Beispiel dafür, daß
die die furchtbare Flutkatastrophe an der Nordsee- es auf den technischen und wissenschaftlichen Aus-
küste hervorgerufen hat, und damit auch den Ber- bildungsstand eines Volkes entscheidender als dar-
652 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. März 1962

Dr. Vogel
auf ankommt, wieviel Erdöl, wieviel Erz und wie gleichzeitig auch vor einem Rückgang der Einnah-
viel Kohle in dem betreffenden Land verfügbar ist. men, der durch eine Verringerung des Wachstums
des Sozialprodukts bedingt -ist. Wir müssen daher
Ich bin bereits auf das Resteproblem zu sprechen
dem Herrn Bundesfinanzminister alle Unterstützung
gekommen, und ich möchte jetzt zum Schluß kom-
leihen, die erforderlich ist, um diesen schwierigen
men; denn da wir beabsichtigen, hier anderthalb
— um nicht zu sagen: zweifelhaft gedeckten —
volle Tage zu diskutieren, sollten wir die einzelnen
Haushalt in Ordnung zu halten.
Reden nicht zu lang halten.
Der entscheidende Umstand besteht doch darin,
So schwierig die Finanzprobleme in der Zukunft
daß der Bund seine finanzielle Souveränität erst-
auch sein mögen, im Haushaltsjahr 1962 sind sie
malig verloren hat und von der wohlwollenden
lösbar. Der Herr Bundesfinanzminister hat hier im
Hilfe der Länder abhängig ist. Tröstlich bei dieser
wesentlichen einige Grundzüge seines Lösungsvor-
Situation ist nur, daß der Ebbe in der Bundeskasse
schlags aufgezeigt. Wir werden innerhalb der näch-
eine beachtliche Flut von Einnahmen auf der Länder-
sten drei Wochen diese Vorschläge im Haushalts-
ebene gegenübersteht. Ein Landesfinanzminister
ausschuß beraten, und ich glaube, wir werden eine
würde sich hier sicherlich etwas zurückhaltender
vernünftige Lösung finden. Diese Lösung kann aller-
ausdrücken!
dings nur dann durchgesetzt werden, wenn sich die-
ses Hohe Haus zu den notwendigen Entschlüssen Insgesamt gesehen aber müssen wir feststellen,
aufrafft. Wir sind überzeugt, daß ein Wille, der daß das Verlagern der Juliustürme von der Bundes-
entschlossen sichtbar wird, durch einen ausbalan- ebene — mit Umwegen über das Ausland — auf
cierten Haushalt die Währung stabil zu halten und Länderebene nur erneut die Konstruktionsfehler in
damit den sichersten Baustein für einen weiteren unserem Staate offenbart und nachdrücklich eine
stetigen Aufbau unseres Volkes beizutragen, auch Korrektur erheischt, damit Bund, Länder und Ge-
von unserem ganzen Volk begrüßt werden wird. meinden unter gleichen Bedingungen lebensfähig er-
Wir werden bis zur zweiten und dritten- Lesung halten werden.
nur relativ wenig Zeit haben, in die Details der Pro- (Beifall bei den Regierungsparteien.)
bleme einzusteigen; denn die dritte Lesung werden
Wenn wir freien Demokraten jetzt wiederum
wir bereits in vier Wochen haben. Noch nie ist dem
Regierungsverantwortung übernommen haben, dann
zweiten Durchgang des Haushalts vor dem Bundes-
nicht zuletzt deshalb, weil wir das bewährte frei-
rat eine solche Bedeutung zugekommen wie in die-
heitliche Wirtschaftssystem, dem wir vor mehr als
sem Jahr. Wir vertrauen indessen auf eine ent-
schlossene Führung der Bundesregierung durch den 14 Jahren mit zum Durchbruch verholfen haben,
Herrn Bundeskanzler, der sich voll und ganz hinter nicht zerstören lassen wollen und nicht die vielen
) die hier vorgetragenen Grundsätze der Finanzpoli- selbständigen Existenzen opfern wollen, die durch
tik des Herrn Bundesfinanzministers gestellt hat. ihren Beitrag unseren Aufstieg mit ermöglicht haben.
Die veränderte Situation führt zu der Forderung,
Lassen Sie mich schließen mit einem alten lateini- daß man allen Teilen der Bevölkerung die Wahrheit
schen Grundsatz, einem römischen Grundsatz, der, nicht verheimlichen und den Mut besitzen sollte,
glaube ich, in den kommenden Wochen, vielleicht die notwendigen Konsequenzen zu ziehen. Der Bun-
im Jahre 1962 noch mehr Gültigkeit haben wird als desfinanzminister hat diese Bedingung gestern vor-
heute: Ducunt fata volentem, nolentem trahunt. Das bildlich erfüllt.
Schicksal führt den Wollenden, und es zieht den,
der nicht will. So schwierig die Situation auch sein mag, so muß
man ihr doch die hoffnungsvolle Tatsache entgegen-
(Beifall bei den Regierungsparteien.) stellen, daß gerade die schweren Prüfungen, die
unser Volk in den letzten Wochen in den verschie-
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Das Wort densten Landesteilen durchleben mußte, eine uner-
hat der Herr Abgeordnete Kreitmeyer. wartete Bereitschaft und Einsatzfreudigkeit beim
Auftreten von Gefahren offenbart haben und daß
Kreitmeyer (FDP) : Herr Präsident! Me ine sehr wir uns von dieser Seite keine Sorge im Hinblick
verehrten Damen! Meine Herren! Wenn ich für die auf eine schwere Zukunft zu machen brauchen.
Fraktion der Freien Demokraten hier gleich zu Be-
ginn erklären darf, daß der Haushalt im Gegensatz Nun einige Sätze zu der Ausgabenseite! Beim
zu allen seinen Vorgängern unter dem Zeichen einer Haushalt der Landesverteidigung, der in Verbindung
reichlich veränderten Lage steht, dann, sehr ver- mit den Verteidigungslasten und dem zivilen Be-
ehrter Herr Kollege Schoettle, glauben wir eben völkerungsschutz eine Steigerung um 5,5 Milliarden
doch, daß der Herr Bundesfinanzminister in puncto DM erfährt, möchte ich nur die Forderung nach einer
Ausgaben nicht überdramatisiert hat. Denn es ist grundsätzlichen Überprüfung unserer Wehrpolitik
nun einmal unvermeidlich, festzustellen, daß diese stellen und auch dies nur im Hinblick darauf, daß
jäh steigenden Ausgaben eben doch durch den bei allen unseren Bundesgenossen eine Überprüfung
13. August verursacht sind. Wir stimmen durchaus dieser Fragen in vollem Gange ist.
dem Kollegen Vogel darin zu, daß man auf die Aus- Einer nicht minder kritischen Überprüfung bedarf
gaben vielleicht schon etwas früher hätte achten sol- das Gebiet des zivilen Bevölkerungsschutzes.
len und sie hätte zügeln sollen. Jüngste Aufrufe lassen darauf schließen, daß man
Aber wir sind auf der anderen Seite nicht etwa ihm endlich die Bedeutung einräumt, die er haben
der Meinung, daß man den 13. August für alles ver- muß. Vier Jahre lang haben meine politischen
antwortlich machen kann; denn erstmals stehen wir Freunde und ich vergeblich die Herausgabe eines
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. März 1962 653
Kreitmeyer
Weißbuches hierüber gefordert. Es ist sicherlich der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft die nach
nicht leicht, zu entscheiden, welche unter den vielen dem Vertrage bestmögliche Ausgangsposition für
kostspieligen Möglichkeiten und Methoden des die 'deutsche Landwirtschaft erreicht hat. Wäre es
Schutzes die zweckmäßigste ist. Aber wir sollten zu diesem Ergebnis nicht gekommen, so hätte für
uns doch alle auf eine gemeinsame Mindestformel uns die Gefahr bestanden, daß der deutschen Land-
des Feuerschutzes, des Trümmerschutzes und des wirtschaft unabsehbare Mittel hätten zugeführt wer-
Schutzes vor radioaktivem Ausfall einigen können. den müssen, ohne daß sie damit bis zum Ablauf der
Übergangszeit auf dem europäischen Markt konkur-
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang ebenso, renzfähig geworden wäre. Die jetzt im Bundeshaus-
wie dies alle meine Vorredner getan haben, die halt trotz 'der großen Schwierigkeiten für den Haus-
Ausgaben im mittelbaren und unmittelbaren Kampf haltsausgleich eingesetzten beträchtlichen Mittel
um die Erhaltung der Freiheit und Lebensfähigkeit werden angesichts der in Brüssel geschaffenen Aus-
Berlins behandeln. Wenn eine große verbündete gangsposition die deutsche Landwirtschaft in den
Nation und wenn unsere Bundesgenossen uns immer nächsten Jahren in die Lage versetzen, sich für die
wieder versichern, daß sie die Sache der Freiheit Zeit nach dem Ablauf der Übergangsfrist wirksam
Berlins zu der ihren machen, dann können wir unter vorzubereiten.
keinen Umständen mit unseren Anstrengungen in
irgendeinem Punkte hinter unseren Freunden zu- Es werden noch weitere Forderungen auf den
rückstehen. Dieser Kampf um Berlin bedarf einer verschiedensten Gebieten auf ,das Hohe Haus zu-
pausenlosen Führung und Nährung, nicht zuletzt kommen. Allen diesen Forderungen muß man entge-
durch eine weitere und intensivere Öffentlichkeits- genhalten, daß man sich solcher Wünsche enthalten
arbeit. Ich verzeichne mit besonderer Freude, sehr muß, solange noch keinerlei zusätzliche Mittel für
verehrter Herr Kollege Schoettle, daß Sie in der die Opfer und Schäden der Flutkatastrophe und die
gleichen Weise, vielleicht sogar noch drastischer als Stärkung Berlins eingeplant sind. Erlauben Sie mir,
ich von dem „vorgeschobenen Posten Berlin" ge- daß ich die — allerdings nur von Ihnen persönlich,
sprochen haben. wie ich wohl sagen darf, gemachte — Bemerkung
aufgreife, sehr verehrter Herr Kollege Schoettle. Es
Der Bundesfinanzminister hat in den Schlußwor- muß doch in Zukunft gelingen, wenn dazu der Wille
ten seiner Rede seiner festen Überzeugung Aus- des ganzen Hauses vorhanden ist, zu verhindern,
druck verliehen, daß wir in gemeinsamer Anstren- daß unser Haushalt von der Ausgabenseite her
gung in .der Lage sein werden, die Schwierigkeiten durch zusätzliche gesetzliche Ausgaben während
zu meistern. Dazu bedarf es aber eines gemeinsa- des Haushaltsjahres wieder durcheinandergebracht
men Willens in diesem Hause, zu dem ich alle Frak-
wird.
tionen aufrufe. Die Arbeit der Fraktionen im Haus-
haltsausschuß zeigt hoffnungsvollste Ansätze. Zur Einnahmeseite sei nur bemerkt, daß die an-
gekündigte nochmalige Überprüfung der Steuer-
In der Lage, in der sich unser Volk befindet, dür-
schätzungen auch den letzten Zweifler innerhalb und
fen wir den Haushalt 1962 nicht allein sehen. Die- außerhalb des Hohen Hauses überzeugen müßte,
sen Haushalt hat der Bundesfinanzminister erst in daß der Bundesfinanzminister bereit ist, his an die
einem späteren Stadium übernommen. Sein Ziel äußerste Grenze des nur irgendwie Vertretbaren zu
wird es sein, mit dem Haushalt 1963 eine Finanzpo-
gehen. Trotzdem wäre es angesichts der vorhande-
litik einzuleiten, die uns in ,die Lage versetzen
nen Reserven von 4 1 /2 Milliarden DM, die sich
wird, alles für , die äußere Sicherheit unseres Volkes
außerordentlich unterschiedlich auf die Länder ver-
zu tun, zugleich aber die dringend notwendig wer- teilen, ein Unding, zur Deckung des Bundesbedarfs
denden Reformwerke im Innern 'zu bewältigen, eine
neue Steuern zu erheben.
gesunde, wirtschaftliche Entwicklung zu sichern und
die Stabilität der Währung zu erhalten. Bei jeder Der Bundesfinanzminister bemüht sich um eine
Forderung, die in diesem Hohen Hause in den näch- gerechtere Gestaltung der Einkommen- und Lohn-
sten Jahren erhoben wird, sollte an morgen und steuertarife. Er hat damit nur einmal mehr bewie-
übermorgen gedacht werden. sen, daß er wirklich das letzte Bollwerk des Steuer-
Zum Sozialhaushalt möchte ich bei dieser Gele- zahlers ist. Der Deutsche Bundestag sollte ihn in
genheit nur so viel bemerken, daß es dank der dieser Rolle stärken, wo es immer möglich ist. Auch
Marktwirtschaft gelungen ist, in der deutschen hier wird sich der Wille zu einer gemeinsamen
Nachkriegsgeschichte in kurzer Zeit , die größte Not Anstrengung unter Beweis stellen lassen. Wer durch
zu beseitigen. Wir sind — entgegen allen anders kurzfristige Ausgabenanträge die Verwirklichung
lautenden Vermutungen — bereit, in der Sozialpo- der von der deutschen Öffentlichkeit so einmütig
litik die längst fälligen Reformen in Angriff zu neh- begrüßten Ankündigung des Bundesfinanzministers
men, um das System der sozialen Sicherheit abzu- gefährdet, wird dafür Rechenschaft ablegen müssen.
runden. Bei langsamer steigenden Steuereinnahmen Aber auch der Bund muß bereit sein, seinerseits
und schwächerem Wachstum des Sozialprodukts mit gutem Beispiel voranzugehen. Er tut es einmal,
müssen jedoch die erforderlichen Schritte mit Be- indem er sich in beträchtlichem Umfang an den
dacht vorgenommen werden. Es ist stets zu überprü- Kapitalmarkt wendet. Trotz hoher Devisenüber-
fen, welche Weiterungen sich aus einem zu vollzie- schüsse sind wir nun einmal keine reichen Leute
henden Schritt ergeben. und verfügen über keine Reserven, sondern leben
Wir sind der Bundesregierung zu Dank verpflich- praktisch nur von der Hand in den Mund und stehen
tet, daß sie bei den Brüsseler Verhandlungen über zugleich in der folgenschwersten Auseinanderset-
die Einleitung einer gemeinsamen Agrarpolitik in zung unserer Geschichte.
654 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. März 1962

Kreitmeyer
Der eingeschlagene Weg, für das Jahr 1962 ohne was wir anderen empfehlen, auch selbst zu tun.
gesetzliche Grundlage um eine Unterstützung durch Auch wir müssen maßhalten und sparen.
die Länder zu bitten, war der einzig mögliche, um
schnell zum Ziel zu kommen. Hier sind wir eben (Beifall bei den Regierungsparteien.)
anderer Meinung, als es soeben von der Opposition
dargetan wurde. Für die kommenden Jahre aller- Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Das Wort
dings reicht es nicht mehr aus, diesen Weg zu gehen, hat der Herr Abgeordnete Niederalt.
und es ist auch nicht zumutbar, den Bund zum
Dauerbittsteller zu machen. Niederalt (CDU/CSU) : Herr Präsident! Meine
Zur Finanzverfassung möchte ich an dieser Stelle Damen und Herren! Es sind heute schon einige
jetzt nur bemerken, daß sie mehr als überfällig i st. kritische Worte über den Haushalt 1962 gefallen.
Sie muß nun endlich so gestaltet werden, daß der Wie Sie wissen, pflege auch ich bei den Haushalts-
dritten Säule in unserem. Staate, den Gemeinden, beratungen mit kritischen Bemerkungen nicht hinter
nicht nur die vermeintliche, sondern eine tatsäch- dem Berge zu halten, und zwar einfach deshalb,
liche Selbständigkeit gegeben wird. Da der Mensch weil nach meiner 'Meinung die Etatberatungen die
gewöhnt ist, sich selbst und seine Umwelt von sei- klassische Gelegenheit zur Ausübung des Rechts
ner unmittelbaren Umgebung, seiner Häuslichkeit, des Parlaments 'zur Kontrolle gegenüber der Regie-
seiner Heimatgemeinde — sei sie städtisch oder rung sind. Daß auch wir, die Angehörigen der Re-
ländlich — her zu begreifen, wird es bei dieser gierungspartei, dieses Kontrollrecht des Parlaments
Finanzverfassung darauf ankommen, ihm die Mög- gegenüber der Exekutive sehr ernst nehmen, haben
lichkeit gerade zur Mitarbeit an der Gestaltung wir, glaube ich, häufig unter Beweis gestellt, und
dieser kleineren Welt zu eröffnen. Das heißt, die wir — wir im Haushaltsausschuß — stellen es tag-
kommunale Selbstverwaltung darf nicht nur auf täglich unter Beweis, manchmal sehr zum Leid-
dem Papier stehen, sondern es muß die echte Chance wesen unserer Fraktionskollegen auf der Minister-
vorhanden sein, Demokratie von unten her zu prak- bank. Aber darauf können wir nicht sonderlich
tizieren. Diese Forderung steht und fällt mit der Rücksicht nehmen, sondern wir glauben, unserer
finanziellen Selbständigkeit unserer Gemeinden. Funktion, unserer Aufgabe als Parlament nur ge-
recht werden zu können, wenn wir in diesem Fall
Andererseits muß aber auch von Bund, Ländern eben die Sache vor die Person stellen.
und Gemeinden verlangt werden, daß sie ihre
eigene Apparatur in Ordnung halten und, soweit Als Hauptpunkt meiner heutigen Kritik an diesem
das nur irgend möglich ist, rationalisieren. Es ist Haushalt 1962 möchte ich die außergewöhnliche
) selbstverständlich, daß bei dieser Aufgabe die Par- Ausweitung des Haushaltsvolumens herausstellen.
lamente selbst die entscheidendste Hilfestellung zu Herr Kollege Schoettle, Sie haben vorhin gemeint,
geben haben. Auch im Gesetzemachen ist eine Zu- es sei gar nicht so schlimm, denn der Durchschnitt
rückhaltung geboten. Die Aufblähung des Apparates der letzten Jahre habe gezeigt, daß das Anwachsen
muß auch von dieser Seite her eingedämmt wer- des Sozialprodukts ungefähr gleichmäßig mit dem
den. Anwachsen der Ausgaben der öffentlichen Hand vor
sich gegangen sei.
Dieser Haushalt verdient unsere besondere Auf-
merksamkeit als ein finanzpolitisches Ereignis in Es mag sein, daß es in den letzten Jahren im gro-
der jungen Geschichte der Bundesrepublik. Was der ßen und ganzen so war. Aber bei diesem Haushalt
Bundesfinanzminister aus Zeitmangel nicht mehr stelle ich fest, daß er gegenüber dem Mammuthaus-
durchführen konnte, haben sich die Mitglieder des halt 1961 — wir dürfen ja nicht vergessen, daß wir
Haushaltsausschusses zur zusätzlichen Aufgabe ge- schon im Jahre 1961 einen sehr großen Haushalt
macht. Sie sind bemüht, die zahlreichen 12 %igen hatten — um genau 14,8 % angewachsen ist und
Kürzungen bei den Einzelpositionen durch wenige daß das Anwachsen des Sozialprodukts sehr opti-
größere Streichungen zu ersetzen. Dieses Unterfan- mistisch auf 7,5 % geschätzt ist.
gen wird sicherlich nicht ohne Tadel für sie ab- Nun weiß natürlich auch ich, Herr Kollege
gehen. Aber sie fühlen sich in dieser Aufgabe völ- Schoettle, daß ein moderner sozialer Rechtsstaat den
lig solidarisch mit dem Bundesfinanzminister als Haushalt nicht mehr nach dem früheren Bedarfs-
letztem Bollwerk des Steuerzahlers. Die Mitglieder deckungsprinzip aufstellen kann, daß in der heuti-
des Haushaltsausschusses betrachten den Titel gen Zeit der Haushalt weitgehend eine Umvertei-
„Streichorchester", wie es schon mehrfach betont lungsfunktion haben muß. Die wollen wir ihm gut
wurde, nicht als negative Wertung. Denn nur so ist und gerne zugestehen. Aber das Bedenkliche, daß
überhaupt noch ein Haushaltsausgleich zu erreichen, der prozentuale Zuwachs des Sozialprodukts nur
und wir wissen, daß die Gefahren beim nächsten halb so groß wie der Zuwachs des Haushalts ist,
Haushalt mindestens gleich groß, wenn nicht größer muß doch herausgestellt werden.
sind.
Nun sagt man gewiß mit Recht, das Anwachsen
Der Bundesfinanzminister hat darauf hingewie- des Haushaltsvolumens in diesem Haushaltsjahr sei
sen, daß nicht nur die Auswirkung der Lohn- und in der Hauptsache auf unsere gesteigerten Aufwen-
Preisspirale und sonstiger dynamischer Regelungen dungen im Rahmen der zivilen und sonstigen Ver-
der Währung gefährlich werden kann, sondern ent- teidigung zurückzuführen. Gewiß, diese Ausgaben
scheidend auch die Ausdehnung der öffentlichen sind gestiegen; sie machen 55 % der Steigerung aus.
Haushalte. Wir fordern Tarifpartner und Wirtschaft Aber leider stellen wir eben wiederum fest, daß
zum Maßhalten auf. Wir müssen bereit sein, das, auch die Ausgaben in allen anderen Ressorts gestie-
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. März 1962 655
Niederalt
gen sind, und zwar auch dort, wo dies — nach mei- daß der vorgelegte Haushalt von den Ländern einen
ner Auffassung jedenfalls — vielleicht hätte ver- Betrag von rund 1,7 Milliarden verlangt. Als diese
mieden werden können. Forderung bekannt wurde, gab es bei den Ländern
verständlicherweise große Aufregung. Ich muß aber
(Abg. Dr. Conring: Sehr richtig!)
sagen: im großen ganzen bin ich doch recht erfreut
Es ist eben wiederum der alte Trend festzustellen, darüber, daß die Länder — zumindest in der Sit-
wonach die meisten Titel von Jahr zu Jahr, je nach zung im Bundesrat — grundsätzlich ihre Verpflich-
der Größe des Titels um Zehntausende oder um tung anerkannt haben, dem Bund zu helfen. Wenn
einige Millionen Mark ausgeweitet werden. der Bund eine Rechnung aufmacht und dabei auf ein
(Abg. Dr. Conring: Schlechte Übung!) Defizit von 1740 Millionen DM kommt, dann ist es
nur zu verständlich, daß die Länder sagen: „Da wol-
In diesem Haushalt kommt ein Wörtchen, ein len wir doch auch einmal nachprüfen, da wollen wir
ganz kleines Wörtchen, sehr, sehr häufig vor. Sie auch einmal nachrechnen, ob es unbedingt so sein
lesen dieses Wörtchen in den Erläuterungen zu so muß." Aber die prinzipielle Bereitschaft der Länder
vielen Titeln. Das Wörtchen heißt „Mehr" : Mehr muß doch anerkannt werden.
infolge . . . Mehr wegen . . . , immer wieder das
Wörtchen „Mehr". Nach diesem „Mehr infolge . . ." Die Verhandlungen, die jetzt zwangsläufig mit
kommen meistens ganz plausible Gründe, warum den Ländern geführt werden müssen, erinnern mich
der Ansatz erhöht werden mußte, plausible Gründe, an die Zeiten von 1952, 1953, als mein Freund Fritz
die für sich allein gesehen eine Erhöhung des An- Schäffer 'Bundesfinanzminister war. Er konnte kaum
satzes vielleicht rechtfertigen können. Wenn man einen Haushalt vorlegen, der nicht eine große Un-
aber diese ewigen Vermehrungen und Erhöhungen bekannte enthielt. Die große Unbekannte war der
der Titel in einer Gesamtschau betrachtet, wenn jeweilige Anteil des Bundes an der Einkommen-
man sie vor allem im Verhältnis zu der außeror- und Körperschaftsteuer. Damals hatten wir noch
dentlich schwierigen Lage sieht, den Haushalt zu keinen festen 'Schlüssel. Im Haushaltsplan stand ge-
decken, wird man bei diesen Erhöhungen zu einem wöhnlich eine ziemlich hohe Zahl, die natürlich die
anderen Ergebnis kommen. Nur so darf der Haus- äußerste Forderung des Bundesfinanzministers dar-
halt gesehen werden. Wenn wir dazu kommen, je- stellte. Man hörte aus der Presse, aus Verhandlun-
den Titel für sich allein, gewissermaßen absolut, zu gen im Bundesrat und aus Verhandlungen mit den
betrachten, meine Damen und Herren, werden wir Länderfinanzministern, daß die Länderfinanzmini-
der Ausweitung des Haushalts keinen Riegel vor- ster 'diese hohe Zahl natürlich nicht anerkennen
schieben können. würden, so daß wir bei der Verabschiedung des
(Abg. Dr. Vogel: Sehr richtig!) Haushltierm gnchieudrt-
prozentig wußten, welches der Anteil wirklich sein
Der Bundesfinanzminister selbst hat gestern einge- werde, ob also die Ausgaben völlig gedeckt sind.
standen, daß wir mehr Geld ausgeben, als ange-
bracht ist, vor allem, als angesichts der großen Die bisherigen Verhandlungen haben erfreulicher-
Schwerpunktaufgaben, die der Haushalt zu bewälti- weise erkennen lassen, daß die Länder dem Bund
gen hat, angebracht ist. helfen wollen. Was den Umfang der Hilfe anlangt,
so haben die in den letzten Wochen geführten Ver-
Aus dieser kritischen Bemerkung, die ich nicht handlungen gezeigt, daß die Länder bereit sind, von
unterlassen konnte, resultiert die Forderung an die ihrem ursprünglichen Angebot von etwa 800 Mil-
Regierung und an das Parlament, bei den zukünfti- lionen DM abzugehen und diese Summe um einige
gen Haushaltsplänen mehr als bisher einige politi-
hundert Millionen aufzustocken. Man spricht heute
sche Schwerpunkte herauszustellen und bei den
schon von 1000 bis 1100 Millionen DM. Wenn wir
übrigen Ansätzen im Haushalt endlich einmal auf
von der Voraussetzung ausgehen, daß die Länder
der Stelle zu treten. Wir sollten auf dieser schreck-
diesen Betrag an den Bund abgeben, ist, glaube ich,
lichen Treppe, von der unser Freund Etzel seiner-
die Haushaltsdeckung einigermaßen gesichert. Na-
zeit, als er Bundesfinanzminister war, sprach, nicht
weitergehen. türlich hat der Bundesfinanzminister noch ein
schweres Werk vor sich. Der Bundesfinanzminister
Kein Satz in der gestrigen Haushaltsrede hat mir wird in manchen Verhandlungen noch Detailrech-
so gut gefallen wie der, der die Ankündigung des nungen anstellen müssen. Aber die Sicherung des
Bundesfinanzministers enthielt, daß bei der Aufstel- Haushaltsausgleichs zeichnet sich doch ab.
lung des Haushalts 1963 die Ansätze des Haushalts
1962 grundsätzlich nicht überschritten werden dür- Ich gehe nur ganz kurz auf die Zahlen ein. Ich
fen. Das ist eine Forderung, die wir schon seit ge- unterstelle, daß 1000 bis 1100 Millionen von den
raumer Zeit stellen. Wir sind sehr, sehr froh, daß Ländern kommen. Man wird mit guten Gründen,
sie von der Regierung akzeptiert wird. Ich werde und zwar mit guten 'sachlichen Gründen, nicht nur
diesen Satz „in meinem Herzen bewahren", um mit formellen Gründen, die Steuerschätzung bei der
darauf zurückzukommen. Einkommen- und Körperschaftsteuer und bei der
Lohnsteuer um etwa 300 Millionen DM aufstocken
(Lachen und Rufe von der SPD: Ohl Oh!)
können.
— Um darauf zurückzukommen; das letztere dür- Wir vom Haushaltsausschuß haben uns darüber
fen Sie nicht übersehen. hinaus vorgenommen, über die im Haushalt vor-
Nun, meine Damen und Herren, komme ich zu gesehene 12%ige Kürzung, die 620 Millionen DM
einem anderen, schwierigen Kapitel: Haushaltsaus- ausmachen würde, durch gezielte Sparmaßnahmen
gleich, Deckungsmittel, Bund Länder. Sie wissen,
— noch wesentlich hinauszukommen. Natürlich dürfen
656 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. März 1962
Niederalt
wir in dieser Arbeit nicht gestört werden, auch nicht unmöglich mit dem Matrikularbeitrag gelöst werden
von unseren Freunden in den eigenen Fraktionen. könnten. Das ist keine Methode: Der Bundesfinanz-
Daß dabei nicht immer schöne Beschlüsse gefaßt minister mit dem Hut in der Hand von Land zu
werden können, ist selbstverständlich. Aber wenn Land — nein, das entspricht nicht der Bedeutung
wir zu einem Ausgleich kommen wollen, dann müs- der Bundesaufgaben und nicht der Aufgabenteilung
sen wir Einsparungen vornehmen. Ich schätze, daß zwischen Bund und Ländern;
sie mit rund 300 Millionen DM über dem Betrag von (Abg. Dr. Conring: Ist auch verfassungs
620 Millionen DM liegen werden, der im Haushalt rechtlich bedenklich!)
enthalten ist.
ganz abgesehen davon — Herr Conring, Sie nehmen
Das ist nach meiner Auffassung eine moralische
mir den nächsten Satz schon weg —, daß es auch
Pflicht des Bundestages, ich sage das ganz offen;
verfassungsrechtlich bedenklich wäre, denn die Ver-
denn was wir im Augenblick bezüglich der Deckung
fassung sieht in Art. 106 klar vor, daß in diesen
des Haushalts machen, ist nichts anderes, als daß
Fällen eben der Verteilungsschlüssel geändert wer-
wir um Nachbarschaftshilfe bitten. Wir erwarten
den muß. Wenn das in diesem Haushaltsjahr 1962
von den Ländern Nachbarschaftshilfe, und jeder-
noch nicht geschehen ist und von der Regierung
mann, der um Nachbarschaftshilfe angeht, weiß, daß
nicht vorgeschlagen wird und wurde, so hat das
er sie nur fordern kann, wenn er selber alles getan
seine guten Gründe. Ich brauche mich darüber hier
hat, was in seiner Macht steht.
nicht im einzelnen zu äußern. Zeitdruck war mit
(Beifall bei der CDU/CSU.) maßgebend, und vor allem war maßgebend auch
Deshalb sind wir, der Haushaltsausschuß, geradezu die Tatsache, daß man heute schwerlich den Um-
verpflichtet, diese Einsparungen vorzunehmen, fang der unbedingt notwendigen Ausgaben des Jah-
ganz abgesehen davon — und jetzt beruhige ich res 1963 schon hundertprozentig sicher voraussehen
diejenigen, die vielleicht die Zusammenhänge nicht kann.
so genau kennen —, daß alle bisherigen Einsparun-
- Das sind also die beiden Punkte, auf die wir,
gen immer noch höhere Ansätze als den hohen An- glaube ich, unbedingt Wert legen müssen.
satz des Jahres 1961 zurücklassen. Mit anderen
Worten: Unter die Ansätze des Jahres 1961 kom- Nun haben bei der Auseinandersetzung zwischen
men wir sowieso in keinem Fall. Ich bin überzeugt, Bund und Ländern um die Deckung im Bundesrat
daß die zweite und die dritte Lesung, bis zu denen eine große Rolle auch die Ausgaben auf dem kultu-
der Herr Bundesfinanzminister seine Verhandlun- rellen Sektor gespielt. Das sind im wesentlichen die
gen mit den Ländern hoffenlich zu einem sichtbaren Ausgaben für die Wissenschaftsförderung, die Aus-
Erfolg geführt haben wird, bezüglich der Deckung gaben für die Deutsche Forschungsgemeinschaft und
Klarheit schaffen. die Max-Planck-Gesellschaft und die Ausgaben für
die Studentenförderung. Der Bundesrat hat vorge-
Da ich aber nun vom Verhältnis Bund — Länder schlagen — im Hintergrund mit der Begründung:
und von der Deckungsfrage spreche, möchte ich zwei „Das sind ja Dinge, die in unsere Zuständigkeit
Punkte unmißverständlich klar und deutlich heraus- fallen" —, zwar die Titel stehenzulassen, aber an-
stellen. Der erste Punkt: Keine Steuererhöhung, die stelle der Ansätze nur ein kleines bescheidenes
nur darauf zurückzuführen ist, daß die Finanzmasse Strichlein zu setzen. Jeder, der die Zusammenhänge
zwischen Bund und Ländern nicht richtig verteilt ist. kennt, weiß, daß mit diesem Strichlein natürlich
(Beifall bei den Regierungsparteien.) einiges verbunden wäre, daß die Übertragung der
Ausgaben auf die Länder natürlich nicht ohne Rück-
Das muß ein eiserner Grundsatz sein. Es ist un- wirkung auf die Durchführung der Aufgaben wäre.
möglich, in irgendeinem Zeitpunkt an eine Steuer-
erhöhung zu denken, die nur darauf zurückzuführen Das, glaube ich, können wir dem Bundesrat nicht
ist, daß das Einkommen aus Steuern zwischen Bund abnehmen; dieser Vorschlag scheint mir nicht gut
und Ländern nicht richtig verteilt ist. Wir haben zu sein. Wir müssen vielmehr erwarten, daß die
nur einen Staatsbürger, der Steuern zahlt. Er zahlt vom Bundesfinanzminister mit den Ländern noch
Steuern an die Gemeinde, er zahlt Steuern an das auszuhandelnde Summe — sprich: 1000 bis 1100
Land, er zahlt Steuern an den Bund. Dieser eine Millionen DM etwa, so etwas liegt in der Luft —
Staatsbürger würde es nicht verstehen, wenn er global und ohne Zweckbindung gegeben wird. Auf
etwa nur wegen unrichtiger Verteilung zu höheren etwas anderes kann man sich, glaube ich, nicht ein-
Lasten herangezogen würde. Ich bin glücklich sagen lassen.
zu können, daß nach meiner Kenntnis der Dinge Vor allem: Der Vorschlag des Bundesrates be-
auch die Länder grundsätzlich auf diesem Stand- züglich der Wissenschaftstitel, so pauschal, ist schon
punkt stehen. deshalb nicht anwendbar, weil unter den Aufgaben,
Ein zweiter Punkt, der ebenso wichtig ist: Diese bei denen der Bundesrat das bekannte Strichlein
Beitragsregelung für den Haushalt 1962 muß ein anstelle der Ausgabenansätze setzen will, auch Auf-
einmaliges Provisorium sein. gaben sind, für die nach unserer Verfassung zwei-
fellos die Bundeszuständigkeit gegeben ist. Das sind
(Sehr gut! bei der CDU/CSU.) vor allem die Ausgaben für die Forschungsgemein-
Es geht nicht an, daß etwa das System der Matri- schaft und die Max-Planck-Gesellschaft. Insoweit
kularbeiträge langsam wieder Mode würde. Das liegt unbestreitbar eine Aufgabe des Bundes vor.
politische Schwergewicht unserer Aufgaben, der Aber auch bei den anderen Aufgaben, wo von der
Bundesaufgaben ist so groß, daß diese Aufgaben Verfassung her gesehen die Zuständigkeit der Län-
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. März 1962 657
Niederalt
der wohl mehr im Vordergrund steht — ich denke stellung des Haushalts 1963 die verfassungsmäßige
an die Wissenschaftsförderung, die sich ja in der Zuständigkeit der Länder, gerade was die Wissen-
Hauptsache mit dem personellen und technischen schaftsförderung anlangt, berücksichtigt werden.
Ausbau der Universitäten befaßt, was materiell ge-
sehen nach unserer Verfassung im wesentlichen (Abg. Dr. Conring: Sehr notwendig!)
Aufgabe der Länder ist —, hat der Bund, das möchte
ich doch deutlich herausstellen, eine Zuständigkeit Meine Damen und Herren! Es ist vor allem in der
und muß er eine Zuständigkeit haben im Rahmen Haushaltsrede, aber auch von meinen Herren Vor-
seiner überregionalen Ausgleichsfunktion. Wenn rednern schon angedeutet worden, daß wir in die-
wir dem Bund diese überregionale Ausgleichsfunk- sem Jahre, wie es scheint, zum erstenmal an einer
tion auf diesem Gebiet nicht zuerkennen, hätte das Wende in der Haushaltspolitik stehen. Nun muß
zur Folge, daß auf diesem so wichtigen kulturellen man ja mit Formulierungen wie „Wende in der
Gebiet eine völlig ungleiche Entwicklung Platz grei- Haushaltspolitik", „am Rande des Defizits" usw.
fen würde, weil bekanntlich in unserer Bundesrepu- sehr vorsichtig sein. Wir wissen alle aus 'der Ver-
blik die Wirtschaftslage der Länder nicht gleich, gangenheit, daß wir in früheren Jahren sehr hohe
sondern sehr unterschiedlich ist, weil die reichen Steuereinnahmen in den Haushalt eingesetzt haben,
Länder dann auf diesem Gebiet sehr viel mehr tun daß alle wissenschaftlichen Institute erklärt haben,
könnten als die sogenannten armen Länder. Inso- mehr könne man bestimmt nicht verantworten, und
weit ist also auf jeden Fall im Interesse einer gleich- daß wir trotzdem jedesmal durch noch höhere
mäßigen, vernünftigen Entwicklung eine überregio- Steuereinnahmen überrascht worden sind. Daraus
nale Ausgleichsfunktion des Bundes anzuerkennen. ist leider Gottes auch bei uns im Parlament eine
Übungetsad,irhcwedzu
Nun sagen einige Superkluge, diese überregionale beseitigen ist. Man hat sich nämlich daran gewöhnt,
Ausgleichsfunktion des Bundes könnten auch die daß man im großen und ganzen alle Wünsche be-
Länder durch Gemeinschaftseinrichtungen überneh- rücksichtigen kann, auch wenn die Haushaltsleute
men. Meine Damen und Herren, ich habe schon anfangs ein bedenkliches Gesicht gemacht haben.
vor einem Jahr oder vor einem halben Jahr von Deshalb muß man das Wort von der Wende in der
dieser Stelle aus gesagt, daß ich diese Entwicklung Haushaltspolitik mit Vorsicht auffassen.
erstens für verfassungswidrig und zweitens für poli-
tisch unmöglich halten würde, und zwar deshalb, weil Dennoch bin ich persönlich davon überzeugt, daß
sie vom Bundesstaat zum Staatenbund führen würde, wir in diesem Jahr an einer Wende sind. Sie ist
sichtbar in dem Haushaltsdefizit von 1700 Millio-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) nen DM; denn ganz streng genommen ist der Haus-
abgesehen davon, daß es keine Lösung gibt für halt ja nicht ausgeglichen vorgelegt worden, son-
überörtliche Gemeinschaftseinrichtungen und Ver- dern er enthält als Einnahme einen Betrag von
waltungseinrichtungen der Länder, die praktikabel 1700 Millionen, die wir von den Ländern erwarten,
ist, denn für alle diese Einrichtungen wären in der obwohl von ihnen noch keine definitive Zusage
Praxis einstimmige Beschlüsse der Kabinette bzw. vorliegt. Insofern jedenfalls ist die Wende sichtbar.
der Parlamente erforderlich, und man weiß ja in- Das bedeutet — und da stimme ich wieder hundert-
zwischen aus der Praxis, daß bei elf Ländern die prozentig mit dem überein, was gestern Bundes-
Einstimmigkeit nicht sehr leicht erreichbar ist. finanzminister Starke in seiner Haushaltsrede ge-
sagt hat — für uns im Parlament die ernste Mah-
Ich meine also, diese Dinge müssen klargestellt nung, doch das zu tun, was die alten Griechen mit
werden. Allerdings möchte ich den Ländern gern weiser Mäßigung immer ausgedrückt haben: eine
zugestehen, daß wir bei der Aufstellung des Haus- gewisse Zurückhaltung, nicht das Hektische unserer
halts — Herr Bundesfinanzminister, Herr Bundes- Zeit, auch in die Haushaltsgebarung hineinzutragen,
innenminister, das wäre zu beachten — auf eine nicht alles auf einmal, wie gestern Bundesfinanz-
vernünftige Ausgaben- und Aufgabenverteilung auf minister Starke sehr richtig gesagt hat. Nur wenn
diesem 'Gebiet mehr Rücksicht nehmen müssen, als wir hier im Bundestag ebenso wie in den Parla-
es im Haushalt 1962 der Fall ist. Ich denke hier menten der Länder sichtbar werden lassen, daß
gerade an die Wissenschaftsförderung. Es ist nicht sich eine Wende in unserer Ausgabenpolitik an-
notwendig, 'daß hier ein Betrag von 250 Millionen bahnt, nur wenn wir bereit sind, dafür die Voraus-
DM mit der Klausel eingesetzt wird, daß auch die setzungen zu schaffen, nur dann können wir mit
Länder einen Beitrag von 250 Millionen DM leisten. Fug und Recht erwarten, daß man auch in unserem
Wenn wir davon ausgehen, daß insoweit der Bund Wirtschaftsleben, draußen bei den Tarifpartnern,
nur seine Überregionale Ausgleichsfunktion zu er- bei den Arbeitgebern und den Arbeitnehmern, da-
füllen hat, können wir hier den Bundeshaushalt von Kenntnis nimmt, daß es so nicht mehr weiter-
durch einen wesentlichen Betrag entlasten, indem geht.
wir den Bund auf' die überregionale Ausgleichsfunk-
tion verweisen, so daß die automatische Einschal- Dabei liegt mir eine Bemerkung auf der Zunge,
tung des Bundes etwa bei Baumaßnahmen z. B. an die ich nicht unterdrücken möchte. Man sagt so gern:
Universitäten in Nordrhein-Westfalen ausscheidet; Bundesbank — Hüterin der Währung, Bundesfinanz-
denn es wäre eine sinnlose Geldübertragung zu- minister — Hüter der Währung, Parlament —
nächst von den Ländern auf den Bund und dann Hüterin der Währung. Das stimmt alles nicht ganz,
vom Bund auf die Länder, wenn wir überall, in denn bei den Genannten handelt es sich nur um
allen Ländern, bei Länderaufgaben vom Bund Zu- Teile, die zur Stabilität unserer Währung beitragen.
schüsse geben würden. Insofern sollte also bei Auf- Die Tarifpartner, die draußen im Rahmen ihrer
65R Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 19, Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. März 1962
Niederalt
Tarifautonomie handeln, sind mindestens genauso Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller (SPD) : Herr
Hüter der Währung. Präsident! Meine Damen und Herren! Die Dek-
(Beifall bei den Regierungsparteien.) kungslücke im Haushalt 1962 wirft eine ganze An-
zahl finanzpolitischer Probleme auf. Ich meine, wir
Das müssen wir festhalten. dürfen sie nicht nur aus der jetzigen Situation
sehen, sondern wir müssen dabei auch das beach-
Diese Wende in der Haushaltspolitik — und da- ten, was in den letzten Jahren, was in der Ver-
mit richte ich wiederum eine Bitte an die Bundes- gangenheit versäumt worden ist. Ganz grell steht
regierung — muß aber in allen Teilen des Haushalts doch wohl im Scheinwerferlicht die Diskrepanz
zum Ausdruck kommen, auch in den Teilen, die das zwischen dem formellen Verfassungsrecht und der
Personal betreffen. Wirklichkeit, soweit es sich um die Zuweisung von
(Sehr gut! bei der CDU/CSU.) Aufgaben und die Verteilung der Steuereinnahmen
handelt. Wenn man schon in früheren Jahren die
Sie wissen, daß wir bei den jetzigen Haushaltsbera- Finanzreform ernsthaft in Angriff genommen hätte,
tungen die Personalfragen ausgeklammert haben,
würden wir heute andere Ausgangspunkte für die
um einigermaßen bis Ostern mit der Beratung hin-
Diskussion haben, und kein 'Bundesfinanzminister
zukommen, und daß auf die Mitglieder des Haus-
wäre in die hier geschilderte Situation gekommen,
haltsausschusses die „angenehme" Aufgabe zu-
als Bittsteller bei den Ländern in Erscheinung zu
kommt, in den schönen Monaten Mai und Juni die
treten.
Personalfragen zu beraten. Meine Damen und Her-
ren von der Regierung, falls Sie das Wort „Wende Man hätte spätestens auf Grund des Urteils des
der Haushaltspolitik" ernst nehmen, beweisen Sie Bundesverfassungsgerichts über die Tilgung der
das bitte, indem Sie uns bei diesen Beratungen Ausgleichsforderungen Veranlassung nehmen müs-
unterstützen. Wir, die wir uns mit dem Haushalt zu sen, sich ernstlich über eine Neuordnung in der
beschäftigen haben, erwarten das von Ihnen. Verteilung der Aufgaben und der Zuweisung von
(Beifall in der Mitte.) - Steuereinnahmen zu unterhalten und zu einer Ver-
ständigung mit den Ländern zu kommen.
Was jetzt im Haushaltsplan an Personalwünschen
enthalten ist, ist zuviel. Darüber gibt es gar keinen Ich möchte darauf aufmerksam machen, daß zu
Zweifel. dieser Frage und eng damit zusammenhängend zu
Art. 120 des Grundgesetzes, zu der Regelung der
(Abg. Börner: Sehr richtig!) Kriegsfolgelasten, überhaupt nichts gesagt worden
Da ist noch nichts von der „Wende in der Haushalts ist und daß eine gesetzliche Regelung, die sich aus
politik" zu spüren. Da möchten wir von der Bundes dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts ergeben
regierung zu unserer Entlastung — lassen Sie uns müßte — und zwar nicht nur für die Tilgung, son-
doch auch noch etwas leben! — neue, vernünftigere dern zweifellos auch für die Verzinsung der Aus-
Vorschläge sehen, nicht die Ansätze des Haushalts. gleichsforderungen —, noch aussteht.
Noch ein Wert zu der Aufstellung des Haushalts (Zurufe von 'der Mitte: Ist längst geregelt!)
1963. Sie ist, das zeichnet sich klar und deutlich ab,
noch schwieriger als die des Haushalts 1962. Die Der zweite Tatbestand, über den noch gesprochen
Regirunwdsch tüberlgnms, werden muß, weil er Sünden der Vergangenheit
ob gewisse Tabus noch aufrechterhalten werden aufzeigt, ist der, daß statt einer wegweisenden
können. Wenn ich „Tabus" sage, so meine ich ge- finanzpolitischen Konzeption mit Schwerpunkten
wisse gesetzliche Bestimmungen, die eine Automatik immer die Vielzahl der Ressortstandpunkte den
in der Ausgabe nach sich ziehen, gesetzliche Bestim- finanzpolitischen Rahmen abgesteckt haben, und
mungen, die Zweckbindungen enthalten, reine Spe- dieser finanzpolitische Rahmen erhielt von der Koa-
zialgesetze, aus denen sich die Ausgaben auto- lition vor den Bundestagswahlen einen anderen
matisch ergeben, die dann nur noch in den Haushalt Lack. Insoweit ist die Rede des Herrn Bundes-
zu übertragen sind, wobei weder das Parlament noch finanzministers am gestrigen Tage besonders be-
die Regierung irgend etwas zu äußern hat. Diese achtlich. Eine angesehene Zeitung hat heute mor-
Tabus werden von der Regierung angegriffen wer- gen seine Ausführungen wie folgt kommentiert:
den müssen. Nach meiner Überzeugung müssen wir
Pointierter als der neue 'Finanzminister hat
aufräumen unter diesen „heiligen Kühen"; die sind
kaum ein Oppositionsredner den finanz-
bei uns nicht so heilig.
politischen Schlendrian der letzten Jahre
(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU gerügt.
und rechts.)
(Heiterkeit bei der SPD. — Zurufe von der
Mit dieser Bitte — beinahe hätte ich gesagt: mit CDU/CSU.)
diesem Aufruf an die Bundesregierung — möchte ich
schließen, indem ich mein Ceterum censeo sage: - Das schreibt die „Stuttgarter Zeitung" von heute
Landgraf, werde endlich hart! morgen!
(Beifall bei der CDU/CSU.) (Abg. Niederalt: Da sind wir aber froh, daß
das kein Evangelium ist!)
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Das Wort — Ja, aber ich habe nicht sehr viel anders gestern
hat der Herr Abgeordnete Dr. (Möller. die Rede des Herrn Bundesfinanzministers und
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. März 1962 659
Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller
seinen Notschrei — Ziffer 76 der Rede — verstan- Einnahmen geben. Man muß sich bemühen, beide
den, Positionen möglichst realistisch zu schätzen. Der fi-
(Heiterkeit) nanzwirtschaftliche Teil des Regierungsprogramms
der SPD bietet dafür den besten Beweis.
nämlich den Notschrei — ich zitiere wörtlich —:
(Zuruf von der CDU/CSU: Reine Milchmäd
Ich darf zunächst an die Bundesregierung und chenrechnung!)
an dieses Hohe Haus appellieren, den Bund für
1962 nicht mit zusätzlichen Ausgaben zu bela- — Das ist keine Milchmädchenrechnung. Wir sind
sten, weder im Haushalt noch durch neue Ge- beispielsweise 'bei unseren Schätzungen, die vom
setze. März 1961 stammen — also zu einem Zeitpunkt, ehe
das Ist-Ergebnis des ersten Quartals des Haushalts-
Meines Wissens ist es ungewöhnlich, daß in einem jahres 1961 vorlag —, von Gesamtsteuereinnahmen
solchen Stadium der Herr Bundesfinanzminister im für 1961 und 1962 in Höhe von .166,2 Milliarden DM
Parlament ausgegangen. Sie wissen, (daß das Ist-Ergebnis 1961
(Zuruf von der Mitte: Das ist gar nicht un 78,6 Milliarden DM beträgt und die Schätzungen für
gewöhnlich! Das haben wir sehr häufig ge das Jahr 1962 sich auf 86,9 Milliarden DM belaufen;
hört!) das ergibt den Betrag von 165,5 Milliarden DM und
eine Differenz von 0,7 Milliarden DM gegenüber
auch an die Bundesregierung appellieren muß; das unseren Schätzungen. Das kann man also nicht als
ist ganz zweifellos auf gravierende Umstände zu- eine Milchmädchenrechnung bezeichnen.
rückzuführen.
(Zuruf von der CDU/CSU: Aber die Aus
(Abg. Dr. Conring: Das haben wir schon gabenseite!)
von Herrn Schäffer gehört! — Abg. Dr.
Vogel: Das haben die Vorgänger auch ge — Über die Ausgabenseite dieses Programms hat es
tan! Sie können es nachlesen!) so viele Berechnungen von Ihrer Seite gegeben, daß
wir schon während des Wahlkampfes im vorigen
- der
Dann darf ich noch einmal festhalten, was Jahr empfohlen haben, Sie möchten sich doch wenig-
Herr Bundesfinanzminister dem Hohen Hause mit- stens auf eine Zahl einigen, damit man sich mit die-
geteilt hat: Es hat sich um Anforderungen der Res- ser Zahl auseinandersetzen kann.
sorts in Höhe von 11,6 Milliarden DM gehandelt; es (Beifall bei der SPD.)
war ihm möglich, davon 3,5 Milliarden abzuhandeln.
Sehen Sie sich doch einmal das vom Industrieinstitut
(Abg. Dr. Conring: Das ist doch seines herausgegebene Büchlein an. Dort ist man bei der
Amtes!) Aufrechnung zu einer Belastung von rund 18 Mil-
Es sind noch 8,1 Milliarden DM als unabweisbar liarden DM gekommen.
übriggeblieben. (Zuruf von der Mitte: Diese Berechnung
Ich kann mir nicht vorstellen, daß der frühere stammt doch nicht von uns!)
Herr Bundesfinanzminister Etzel seinem Nachfolger
ein solches Erbe hinterlassen hat. 'Es wäre immerhin — Ich nehme an, auch Sie sind der Auffassung, daß
interessant, zu erfahren, welches Haushaltsvolumen dort immerhin einige Experten sitzen. Ich möchte
vorhanden gewesen ist, als 'der frühere Bundes- feststellen, daß diese 18 Milliarden DM, geplant für
finanzminister Etzel noch die Dinge mitbeeinflußt eine Legislaturperiode, doch immerhin beachtlich ab-
hat. Ich kann mir nicht vorstellen, daß eine so er- stechen von der Mehrforderung der Ressorts für das
hebliche Erhöhung — eine Erhöhung um 11,6 Mil- Etatjahr 1962 in Höhe von 11,6 Milliarden DM, wo-
liarden DM — seine Billigung gefunden haben bei wir hinter erhebliche Positionen dieser Rech-
könnte. nung noch ein Fragezeichen setzen müssen.

Im übrigen erinnere ich an den Art. 113 des Was nun die Steuereinnahmen des Bundes angeht,
Grundgesetzes. Dieser Art. 113 behandelt die Aus- so haben wir sie für 1961 auf 42 Milliarden DM
gabenerhöhungen und sagt: geschätzt. Das ist alles nachzulesen. Herausgekom-
men sind 41,5 Milliarden DM. Für das Jahr 1962
Beschlüsse des Bundestages und des Bundes- sind wir von Steuerschätzungen in Höhe von 44,4
rates, welche die von der Bundesregierung vor- Milliarden DM ausgegangen, und Sie schätzen jetzt
geschlagenen Ausgaben des Haushaltsplanes Steuereinnahmen für den Bund in Höhe von 45,6
erhöhen oder neue Ausgaben in sich schließen Milliarden DM. Ich meine also, daß sich diese unsere
oder für die Zukunft mit sich bringen, bedürfen Schätzungen durchaus sehen lassen können.
der Zustimmung der Bundesregierung.
Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie in Zukunft von
Das bedeutet, 'daß die 'Bundesregierung — die frü- Bezeichnungen wie „Milchmädchenrechnung" ab-
heren Bundesregierungen waren entweder eine sähen; denn sie würden weder objektiv sein noch
Koalitionsregierung von CDU/CSU und FDP oder Sachverstand verraten.
wurden von der CDU/CSU getragen — in vollem
Umfange auch die Verantwortung für die hier von (Beifall bei der SPD.)
allen Rednern beklagte finanzpolitische Situation zu Hinsichtlich der Steuerschätzungen gibt es, wie
tragen haben. Sie wissen, eine Differenz. Sie ist am heutigen Vor-
Drittens. Gerade in schwierigen Lagen darf es mittag schon mehrere Male erwähnt worden. Bei
nach unserer Auffassung keine Überbewertung von der Steuer vom Einkommen schätzt der Bund ein
Ausgabenpositionen und keine Unterbilanz bei den Mehr von 14,9 %, die Länder schätzen ein Mehr von
660 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. März 1962

Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller


18 %. Wir sind der Auffassung, daß diese Differenz feststellen, daß die Zuwachsrate des Finanzbedarfs
von 291 Millionen DM, wie Herr Kollege Schoettle in sieben Jahren höher war als die des Bruttosozial-
schon vorgetragen hat, vom Bundesfinanzminister produktes; die Zuwachsrate des Bruttosozialpro-
übernommen werden sollte, da wir bei den Schät- duktes lag in den letzten zehn Jahren fünfmal
zungen von Bund und Ländern doch den gleichen unter 9,9 %.
Ausgangspunkt anerkennen müssen. Nun hat der Herr Finanzminister gestern erklärt—
Im übrigen kann ich nur einen Satz aus einem vor nachzulesen unter Ziffer 76 des Manuskripts seiner
kurzem erschienenen Artikel von Herrn Dr. Muthe- Rede —, ab 1963 könne deshalb mit den bisherigen
sius zu der Haushaltslage des Bundes unterstreichen: Wachstumsraten auch bei den Steuereingängen nicht
„Es hat auch in den vergangenen Jahren" — so mehr gerechnet werden. Das, was ich hierzu aus der
sagt Dr. Muthesius — „des öfteren nicht an Drama- Vergangenheit vorgetragen habe, vermag eine solch
tisierungseffekten gefehlt." Und auf Dramatisie- düstere Prognose nicht zu rechtfertigen. Seine eige-
rungseffekte sollten wir im Hinblick auf den Ernst nen Schätzungen, die für 1962 immerhin noch eine
der Lage, in der sich die Bundesrepublik Deutsch- Zuwachsrate von 10 % enthalten, weichen von die-
land und Berlin befinden, wirklich verzichten, weil ser Prognose ab. Ich darf hier noch einmal zwei
nie so sehr wie jetzt eine pessimistische Beurteilung Zahlen nennen, nämlich die Steuereinnahmen des
zu Fehlschlüssen und Fehlhandlungen führen könnte. Bundes von 1957 mit 26,9 Milliarden DM und von
1961 mit 41,5 Milliarden DM. Man muß doch wohl
(Beifall bei der SPD.) anerkennen, daß dieser gewaltige Zuwachs an
Im übrigen, meine Damen und Herren, sind wir Steuereinnahmen dem Bund hinsichtlich seiner Aus-
dem Herrn Bundesfinanzminister sehr dankbar, daß gaben eine besondere Manövrierfähigkeit verschafft
er uns gestern auch den Finanzbericht 1962 hat über- hat. Es bestehen lediglich etliche Meinungsver-
reichen lassen. Ich kann mich dem Urteil der Herren schiedenheiten über die Schwerpunkte, die man in
Kollegen, die erklärt haben, daß es sich hier um der Ausgabenwirtschaft, insbesondere beim Bund, zu
eine besonders wertvolle, ausgezeichnete Arbeit beachten hat.
handelt, nur anschließen. Gerade diese Arbeit, die Da wir vor der Mittagspause stehen, muß ich
Sie wahrscheinlich auch als einen objektiven Aus- leider darauf verzichten, die Statistiken auf Seite 46
gangspunkt für eine Stellungnahme, eine Beurtei- des Finanzberichts zu kommentieren. Dort ist der
lung anerkennen, erleichtert uns diese Beurteilung. Anteil von Bund, Lastenausgleichsfonds, Ländern
An dieser Stelle darf ich einmal auf die Ent- und Gemeinden am Steueraufkommen wiederge-
wicklung der Steuereinnahmen des Bundes hinwei- geben. Ich will nur festhalten, daß diese Statistik
sen. Man muß sich diese Zahlen noch einmal vor noch einmal die Notwendigkeit unterstreicht, im
Augen führen, um zu erkennen, welcher Wert der Zuge einer Finanz- und Steuerreform dafür zu sor-
jetzigen Prognose beizumessen ist. 1951 hatten wir gen, daß auch die Gemeinden finanziell in die Lage
beim Bund Steuereinnahmen von 14,6 Milliarden versetzt werden, ihre wichtigen Aufgaben zu er-
DM, 1956 von 26,1 Milliarden DM, 1961 von 41,5 füllen. Wir sollten gerade in dieser Diskussion nicht
Milliarden DM, und für 1962 werden, wie ich schon vergessen, daß nicht nur beim Bund ein Finanzbe-
vorhin sagte, die Einnahme des Bundes auf darf vorhanden ist, sondern daß auch die Länder und
45,6 Milliarden DM beziffert. Das bedeutet für 1962 Gemeinden wichtige, bedeutungsvolle Aufgaben für
gegenüber 1961 immer noch ein Mehr von 4,1 Volk und Staat zu erfüllen haben. Wir werden dar-
Milliarden DM. über noch sprechen müssen, wenn der Antrag auf
Einsetzung einer Expertenkommission aus den Be-
Wenn Sie sich nun einmal die Zuwachsrate in der ratungen der Ausschüsse ins Plenum zurückkehrt.
3. Legislaturperiode des Bundestages ansehen und
sie mit der in unserer augenblicklichen Situation Ein Wort nur zu der Statistik im Finanzbericht,
vergleichen, so stellen Sie fest: die Zuwachsrate die sich mit dem Länderfinanzausgleich beschäftigt.
betrug 1957 3,3 %, 1958 4,3 %, und sie ist später Immerhin müssen vier Länder für das Jahr 1962 im
entsprechend gestiegen. Wenn wir also jetzt im internen Ausgleich 1623 Millionen DM aufbringen.
ersten Jahr unserer Tätigkeit im 4. Bundestag mit Dabei darf nicht die Auswirkung der Flutkatastrophe
einer Zuwachsrate von 10 % rechnen, dann ist das übersehen werden. Diese vier Länder sind Nord-
immerhin erheblich mehr als die tatsächliche Zu- rhein-Westfalen mit 843 Millionen DM, Baden-
wachsrate 1957 mit 3,3 % oder 1958 mit 4,3 %. Württemberg mit 252 Millionen DM, Hessen mit
160 Millionen DM und Hamburg mit 368 Millionen
Mein Kollege Schoettle hat schon auf das Ver- DM. Rückwirkungen der Flutkatastrophe werden
hältnis der Entwicklung des reinen Finanzbedarfs diesen Länderfinanzausgleich ändern und werden
und des Wachstums des Bruttosozialproduktes hin- zu anderen Belastungsquoten bei den finanzstarken
gewiesen. Es ist doch wohl nicht zu bestreiten, daß Ländern führen.
man ein solches Verhältnis nicht nur für den Ablauf
eines Jahres ermitteln kann, sondern daß man eine In Ziffer 79 hat der Herr Bundesfinanzminister
solche Prüfung auf einen größeren Zeitraum zu er- einen Katalog der Leistungen der Bundesrepublik
strecken hat. Es ist durchaus nicht notwendig, daß Deutschland, insbesondere der Bundesregierung,
die Entwicklung des Finanzbedarfs in einem Jahr aufgeführt und dabei unter anderem darauf hin-
mit dem Wachstum des Bruttosozialprodukts über- gewiesen, daß der Bund auch die Auslandsschulden
einstimmt. Das haben die letzten zehn Jahre erwie- weitgehend bezahlt habe. Die Übersicht über den
sen. Denn bei einem Vergleich der Zuwachsraten Schuldenstand, die im Finanzbericht nach dem Stand
von 1952 bis 1961, also für zehn Jahre, können wir vom 31. Dezember 1960 wiedergegeben ist, ist be-
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. März 1962 661
Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller
sonders interessant. Wir behalten uns vor, im Laufe der Acht zum Ausdruck kommt, aus dem ich fol-
der weiteren Beratung des Bundeshaushaltes hier- gende Sätze zitieren möchte:
auf noch einmal zurückzukommen, weil gerade diese Es wäre eine Illusion, zu meinen, die Vertei-
Schuldenübersicht — verbunden mit der Feststel- digung gegen den Kommunismus sei in erster
lung des Herrn Bundesfinanzministers, daß die Aus- Linie Sache der Außenpolitik und der Rüstung.
landsschulden weitgehend bezahlt seien —, weil Die Entscheidung darüber, ob unsere Gesell-
also diese geänderte Situation, die für 1962 fest- schaftsordnung der Herausforderung durch den
gehalten werden muß, doch Rückschlüsse ermöglicht Kommunismus gewachsen ist, fällt auf den Ge-
hinsichtlich des Versuches des Bundes, an den Kapi- bieten der Sozialpolitik und der Kulturpolitik,
talmarkt zu gehen. Ich trete völlig der Auffassung die nur in ihrem wechselseitigen Zusammen-
des Herrn Kollegen Vogel bei, daß man für eine hang richtig verstanden und vernünftig geplant
langfristige Anleihe nicht unbedingt einen Betrag werden können.
von 1 Milliarde DM als Grenze, die nicht überschrit-
ten werden darf, anzusehen braucht. Ich meine auch, Das ist auch unsere Auffassung, und gerade des-
daß der Bund in stärkerem Umfange als bisher mit wegen müssen wir manche Schwerpunkte der Haus-
Schatzanweisungen, mit Kassenobligationen arbei- halte in Bund, Ländern und Gemeinden anders se-
ten sollte, zumal mir das eine sehr wichtige und hen. Wir möchten, daß die Bundesrepublik Deutsch-
zweckmäßige Brücke vom Geld- zum Kapitalmarkt land durch einen bewußten Ausbau zu einem —
zu sein scheint. wie der Art. 20 des Grundgesetzes vorschreibt —
demokratischen und sozialen Bundesstaat wird, in
Der Herr Bundesfinanzminister hat in Ziffer 80 der Gewißheit, daß nur ein solcher Staat lebens-
seiner Rede ein sehr böses Wort gesprochen. Er hat fähig und krisenfest ist. Wir möchten einen solchen
gesagt, das Grundübel der letzten Jahre liege in Staat auch im Staatsbewußtsein eines jeden einzel-
dem Ruf und der darin eingeschlossenen Praxis nen Bürgers verankert wissen. Wir möchten, daß
„Alles auf einmal". Ich füge hinzu, daß im nächsten jeder einzelne Bürger eine solche Verbindung zu
Absatz vom Herrn Bundesfinanzminister eine- erheb- unserem Staat bekommt, daß er sagt: Der Staat bin
liche Abschwächung vorgenommen worden ist, wo ich, der Staat sind wir alle. Wenn wir diese Auf-
bemerkt wird: „Gewiß, die Aufbaujahre standen fassung durch unser politisches Handeln erreichen,
unter dem Druck der Unaufschiebbarkeit." Ich meine, haben wir, meine ich, einen entscheidenden Schritt
das ist wohl der entscheidende Gesichtspunkt. Man getan, um das Bollwerk gegen den Kommunismus
kann offen darüber reden, daß Interessengruppen zu verstärken.
in Bonn in den vergangenen Jahren eine besondere (Beifall bei der SPD.)
Rolle spielen konnten. Man kann aber nicht alles
in einen Topf werfen und unterstellen, daß die Meine Damen und Herren, lassen Sie mich mit
Bevölkerung und insbesondere die, die es angeht, den Worten schließen, die der Herr Bundesfinanz-
alles auf einmal haben möchte. Das trifft nur für minister am Ende seiner Rede gesagt hat:
Teile unseres Volkes zu. Ich bin der Überzeugung, daß wir trotz der
Sicherlich trifft das nicht für die Teile zu, auf aufgezeigten echten Schwierigkeiten in gemein
denen die Kriegsfolgeschäden lasten. Sie können samer Anstrengung die Lage meistern werden,
nicht davon sprechen, alles werde auf einmal ge- — diese Gemeinsamkeit möchte ich besonders her-
fordert, wenn Sie an den großen Teil des Volkes vorheben —
denken, der unter den Lastenausgleich fällt, der und ich möchte deshalb meine Ausführungen
immerhin von 1949 bis 1979 läuft, also 30 Jahre. mit den Worten des Odysseus an seine Be-
Es ist sicher nicht richtig, wenn man unterstellt, gleiter, die vor der Scylla erschraken, schlie-
unser Volk sei so materialistisch und so wenig zu ßen:
zügeln, daß es alles auf einmal haben wolle. Ich
erkläre, große Gruppen der sozial Bedrängten haben — Herr Kollege Vogel hat sich darauf bezogen. Das
in den vergangenen Jahren eine Langmut bewiesen, hat mir den letzten Mut gegeben, mich auch darauf
die staatspolitisch nicht hoch genug eingeschätzt zu beziehen; warum, das werden Sie gleich mer-
werden kann. ken —
(Beifall bei der SPD.) Freunde, wir sind ja bisher nicht ungeübt in
Gefahren.
Wir alle sollten das in diesem Zusammenhang ein- — Das kann man wohl sagen, auch bei allen aktuel-
mal dankbar vermerken. len Ereignissen!
Lassen Sie mich noch etwas hinzufügen. Ich habe (Heiterkeit.)
in früheren Jahren einiges mit dem Personenkreis Und ich hoffe, wir werden uns einst auch die-
zu tun gehabt, der unter den Komplex Wiedergut- ser erinnern.
machung fällt. Hier wird die Anklage erhoben, es
Nun, meine Damen und Herren, die Syclla wird
werde alles auf einmal gefordert. Was sich aber
gerade bei diesen Personen an menschlicher Tragik, vom Homer im 12. Gesang wie folgt beschrieben:
an Bürokratismus vollzogen und was sich da an Diese Höhle bewohnt die fürchterlich bellende
mangelndem Willen zu helfen gezeigt hat, Scylla, deren Stimme hell wie der jungen sau-
genden Hunde Winseln tönt;
(Beifall bei der SPD)
sie selbst ein greulich Scheusal, daß niemand
paßt eigentlich nicht in diesen demokratischen ihrer Gestalt sich freut,
Staat. Wir sind da der Meinung, die im Manifest wenn auch ein Gott ihr begegnet.
662 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. März 1962

Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller


Bei ,allen Vorbehalten, — so, Herr Bundesfinanz- etwa im wirtschaftspolitischen und im verteidigungs
minister, möchte selbst die Opposition Ihren Bun- politischen Bereich den grundsätzlichen Vorstellun
deshaushalt nicht sehen. gen der Regierungsmehrheit auch nur anzunähern.
(Heiterkeit und Beifall bei der SPD.) (Beifall in der Mitte.)
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Meine Da- Es gehört eben zur Reform eine Vorausschau dessen,
men und Herren, wir treten in die Mittagspause ein. was in der Zukunft möglich ist, und zwar setzt eine
Der nächste Redner heute nachmittag ist der Abge- Reform eine weitgehende Übereinstimmung auch in
ordnete Dr. Schmidt (Wuppertal). Weitere Wortmel- der Vorausschau voraus.
dungen liegen noch nicht vor. Die Sitzung ist bis Mir ist in diesen Tagen ein Aufsatz von Winfried
15 Uhr unterbrochen. Martini mit dem Titel „Das Kind im Brunnen" unter
(Unterbrechung der Sitzung von 12.59 Uhr die Hände gekommen. Er beschäftigt sich da mit
bis 15.02 Uhr.) einem Kommentar, der unter der Überschrift „Poli-
tisches Süppchen" in der Frankfurter Rundschau vom
Vizepräsident Dr. Jaeger: Die unterbrochene 21. Februar erschien. Dort hieß es, ein Notstands-
Sitzung wird wiederaufgenommen. gesetz sei deshalb überflüssig, weil wir ja das Bun-
desleistungsgesetz hätten. Sein Fehler sei nur, daß
In Fortsetzung der Haushaltsdebatte hat der Herr
danach bezeichnenderweise lediglich Leistungen ge-
Abgeordnete Dr. Schmidt (Wuppertal) das Wort.
fordert werden könnten zur Abwendung einer dro-
Dr. Schmidt (Wuppertal) (CDU/CSU) : Herr Prä- henden Gefahr für den Bestand der inneren Grund-
sident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! ordnung, für Zwecke der Verteidigung usw., und
Mein verehrter Kollege Herr Möller beklagte das sein typischer Fehler sei, daß dabei niemand an die
Auseinanderfallen von Verfassungsrecht und Ver- Naturkatastrophen gedacht habe.
fassungswirklichkeit im Hinblick auf die unterblie- Dabei stellt man fest, daß die Bundesregierung
bene bzw. verzögerte Finanzreform. Ich - vermag sehr wohl und durchaus daran gedacht hat, und zwar
Ihnen, Herr Kollege, darin nicht zu folgen. Ich meine im Jahre 1955, als noch kein Mensch an die Flut-
im Gegenteil, es ist zunächst einmal zu begrüßen, katastrophe dachte. Da hat sie nämlich i n der
daß wir institutionell noch nicht so verhärtet sind, Regirunsvola Bdeitungsz—
daß sich die Verwirklichung notwendiger allgemei- Drucksache 1804 des Bundestages vom 21. Oktober
ner Belange nicht auch ohne, neben und manchmal 1955 — einen § 1 gefordert, in dem es hieß:
sogar auch gegen Institutionen durchsetzen könnte.
. . . Als öffentlicher Notstand gelten insbeson
(Sehr richtig! in der Mitte.)
dere a) gemeine Gefahren wie Überschwem
Das ist vor allem dann ein Glück, wenn sich die Ent- mungen, Brände und Explosionsunglücke . . .
wicklungen so überstürzen, wie es in den letzten Die Regierung hatte also im Jahre 1955 die Vor-
Jahren der Fall war. ausschau, daß es in Hamburg zu einer Flutkatastro-
Die Finanzreform hätte früher und ernster in An- phe dieses Ausmaßes kommen könnte.
griff genommen werden sollen, meinten Sie, ver-
ehrter Herr Kollege Möller. Wir versagen uns aber (Lachen bei der SPD. — Abg. Dr. Deist:
— meines Erachtens mit Recht in diesem Augen- Welche Einsicht!)
blick — sogar einer gesetzlichen Änderung des Quo- — Doch, hören Sie mal zu, das ist ein wirklich
tenverhältnisses von 35 zu 65 im Rahmen des Arti- interessanter Fall, Herr Deist.
kels 106 des Grundgesetzes, weil wir selbst die Ver- (Erneute Zurufe von der SPD.)
hältnisse des Jahres 1963 noch nicht so übersehen
Doch damit war der Bundesrat — sehen Sie, ich
können, daß wir sagen könnten: es ist jetzt schon
habe Sie gar nicht gemeint — nicht einverstanden.
der Zeitpunkt gekommen, um über zwei Jahre die
In seinen Änderungsvorschlägen heißt es, daß der
Verhältnisse zwischen Bund und Ländern zu ordnen.
Buchstabe a zu streichen ist. Die Begründung dafür
Ist das nicht, meine Damen und Herren, doch schon
ein Symptom dafür, daß grundlegende Reformen nur lautet:
möglich sind, wenn die Verhältnisse auf überseh- Die Gesetzgebungskompetenz des Bundes ist
bare Zeit einigermaßen zur Ruhe gekommen sind? im Grundgesetz erschöpfend geregelt.
Reformvorstellungen erfordern aber auch mensch- (Abg. Haase [Kassel]: Ausgezeichnet!)
liche Einsicht, und zwar nicht nur — wie Sie mit Die Verhütung und Beseitigung eines öffent-
Ihrem Appell an die Bundesregierung meinten — lichen Notstandes fällt nicht darunter, und zwar
eine Einsicht der Bundesregierung, sondern eine auch dann nicht, wenn sich der Notstand im
Einsicht bei allen im Kraftfeld der Interessen mit- Einzelfall über den Bereich eines Landes aus-
wirkenden Kräfte in den Ländern, in den Gemein- wirkt.
den, auch in der Opposition. Nicht nur der Wunsch (Zuruf von der Mitte: Ausgezeichnet!)
nach einer Reform entscheidet, sondern es müssen Eine Zuständigkeit aus der Natur der Sache
auch im wesentlichen einheitliche und nicht gegen-
kann nicht anerkannt werden.
sätzliche Vorstellungen von einer Reform vorhan-
den sein. Von der Aufgabenstellung her bestimmt (Abg. Haase [Kassel] : Sicher von Hamburg
sich dann die Reformvorstellung. konzipiert!)
Sie werden es mir nicht verübeln, meine Damen So der Bundesrat.
und Herren von der Opposition, daß ich daran er- (Abg. Wehner: Flegel! Das kann man wohl
innere, wie lange Sie dazu gebraucht haben, um sich sagen!)
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. März 1962 663

Dr. Schmidt (Wuppertal)


I Dann hat die Bundesregierung darauf geantwor- vortasten müssen, um nicht Entwicklungen nach in-
tet, — — nen und außen zu präjudizieren, zu verbauen oder
(Zuruf von der SPD: Unerhört! — Abg. gar noch neue Gegner auf den Plan zu rufen.
Wehner: Das hatte seinen besonderen Ak Herr Kollege Möller, Sie hatten den Appell des
zent jetzt!) Finanzministers an die Bundesregierung und an den
— Ich erwähne den Fall lediglich unter dem Ge- Bundestag auf die Hörner genommen und gemeint,
sichtspunkt der Vorausschau der Möglichkeiten für er habe damit bewußt und gewollt die Politik der
eine Reform, d. h. der Vorausschau im Hinblick auf Bundesregierung in den vergangenen Jahren kri-
mögliche, voraussehbare Verhältnisse. Nur unter tisieren wollen. Nach meiner Auffassung ist 'das
diesem Gesichtspunkt, meine Damen und Herren, eine völlige Fehlinterpretation, verständlich nur aus
führe ich das hier als Beispiel an. — Die Bundes- dem Wunsch der Opposition, innnerhalb der Koali-
regierung ihrerseits hat dazu Stellung genommen tion Klüfte aufzureißen, die meines Erachtens nicht
und erklärt: da sind.
(Widerspruch bei 'der SPD.)
Die Bundesregierung muß auch aus praktischen
Gründen den größten Wert darauf legen, . . — So leicht, meine Damen und Herren, ist es natür-
lich nicht, unsere neue Koalition auseinanderzubrin-
So hat die Bundesregierung diese Stellungnahme
gen. Der Finanzminister hat ebenso wie der Haus
des Bundesrates zurückgewiesen.
haltsausschuß die legitime Funktion, das Ganze
Dann ergibt allerdings die Lektüre des § 1 des unter finanziellen Aspekten zusammenzusehen und
Bundesleistungsgesetzes vom Jahre 1956 — ich auch zusammenzuführen. Er hat dabei die ebenso
zitiere mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten Win- legitime Aufgabe, die sehr legitimen Ressortwün-
fried Martini —, „daß sich die föderalistischen Prin- sche und die sehr legitimen Wünsche der Fachaus-
zipienreiter 'des Bundesrates gegen die realistischen schüsse immer in den notwendigen Grenzen zu hal-
Visionen der Bundesregierung weitgehend ten. Es geht einfach — so war der Appell des
- durch-
gesetzt haben. Von einem Recht, Leistungen auch Finanzministers zu verstehen — um die notwendige
für den Fall von Naturkatastrophen anzufordern, Haushaltsdisziplin angesichts einer Tendenz zur Ex-
ist nun nicht mehr 'die Rede." pansion, die uns nun nachgerade allen gefährlich
werden kann. Meine Damen 'und Herren von der
Meine Damen und Herren, so verhält es sich eben Opposition, wenn Sie Ihrer legitimen Aufgabe, die-
mit Reformvorstellungen. Es genügt nicht, daß die ser Expansion im Interesse 'des Steuerzahlers zu
Regierung ihrerseits Vorstellungen hat, sondern sie wehren, nicht nachkommen, dann müssen wir das
muß politisch abwägen, was im Kräftefeld der ge eben selber tun und müssen Ihrem Optimismus, mit
samten Wirklichkeit, der politischen Wirklichkeit an dem Herr Möller meinte noch weitere Ausgaben er-
Möglichkeiten zum Zusammenwirken vorhanden ist, möglichen zu können, entgegentreten. Übersehen
um zu einem bestimmten Ziel zu kommen. So ver- Sie, meine 'Damen und Herren von der Opposition,
hält es sich auch mit 'der' von Ihnen, Herr Kollege doch nicht, daß die öffentliche Nachfrage nicht über
Möller, beklagten verzögerten Finanzreform. die Leistungsfähigkeit der Volkswirtschaft hinaus
Die Verhältnisse sind so sehr im Fluß, daß wir entwickelt werden darf und daß i n demselben
heute wiederholt auch vom Bundesfinanzminister in Augenblick, wo wir auch nur diesen Versuch ma-
seiner Rede das Wort von der Wende des Haus- chen, die Folge sein muß, daß die Leistungen und
halts gehört haben. Dabei ist noch gar nicht von damit auch die Dienstleistungen, die 'Dienste falsch
einem Punkt geredet worden, der den Finanzaus- nach oben hin bewertet werden und sich daraus
schuß in besonderer Weise tangiert, nämlich von zwangsläufig Lohntreiberei entwickeln muß, mit der
der Wende zu einem europäischen Steuerrecht. Tendenz zur Geldfülle und damit zur Steigerung
Auch d a sind die Verhältnisse in einem großen der Nachfrage über die Leistungsfähigkeit der
Maße im Fluß. Mit dem Abbau der Zölle werden Volkswirtschaft hinaus, mit der dann zwangsläufig
die Verbrauchsteuergrenzen immer problematischer. sich ergebenden inflatorischen Tendenz.
Die Verbrauchsteuern, insbesondere die Umsatz- Herr Kollege Möller schnitt 'das Thema der Steuer-
steuer, sind ein entscheidendes Rückgrat des Haus- schätzungen an. Die Steuerschätzungen von Bund
halts; das kann niemand bezweifeln. Aber auf der und Ländern brauchen selbstverständlich nicht über-
anderen Seite können die Steuergrenzen innerhalb einzustimmen, das war auch in den letzten Jahren
'des europäischen Marktes auf die Dauer nicht fort- nicht immer der Fall. Verlangen wir aber von den
bestehen. Wir haben 'das im Zusammenhang mit der Ländern Beiträge, dann 'ist es verständlich, daß die
Tee- und Kaffeesteuer zur Genüge erörtert. Auch Länder auf eine gemeinsame Urteilsgrundlage als
kann die mangelnde Wettbewerbsneutralität unse- Ausgangspunkt Wert legen müssen und darauf
res Allphasen-Umsatzsteuersystems im Rahmen des drängen.
europäischen Marktes noch problematischer wer- (Sehr gut! bei der CDU/CSU.)
den, als sie es auf dem inneren Markte schon ist.
So werden wir uns im Finanzausschuß in der näch-
Angesichts solcher großer Bewegungen auf neue, sten Woche mit den Steuerschätzungen beschäftigen
unvorhergesehene Möglichkeiten hin ist der Vor- müssen. Wir werden dann von der Bundesregierung
wurf verzögerter Finanzreform meines Erachtens, wohl auch hören, mit welchen volkswirtschaftlichen
Herr Kollege Möller, nicht ganz gerecht. Eine Überlegungen die Länder ihre Ansätze rechtfertigen,
Finanzreform, eine Finanzverfassungsreform wird und wir werden prüfen müssen, ob wir sie überneh-
sich angesichts 'dieser Bewegungen sehr vorsichtig men können.
664 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. März 1962

Dr. Schmidt (Wuppertal)


Ich stimme mit Ihnen darin überein, daß die Ge- werden nicht nur die Grundlagen und zugleich die
meinden im Rahmen der Finanzverfassungsreform Munition für die Politik geschaffen, die geführt
zu ihrem Recht kommen müssen. Aber auch hierzu wird, sondern die Finanzpolitik selbst und die Aus-
darf wohl daran erinnert werden, wie schnell alle wirkungen des Haushalts beeinflussen unmittelbar
Prognosen der kommunalen Spitzenverbände über über die Einnahmen- und Ausgabenpolitik die
Finanzbedarf über den Haufen geworfen worden Struktur von Wirtschaft und Gesellschaft. Selbst
sind. Das Gewerbesteueraufkommen hat den von die Haushaltsrede des Herrn Bundesfinanzministers,
den kommunalen Spitzenverbänden errechneten die sich einer weitgehenden Zurückhaltung beflei-
Fehlbetrag bei weitem überspielt. Wir werden prü- ßigte hinsichtlich allgemeiner politischer Erörte-
fen müssen, wie an den wirklich neuralgischen rungen, die üblicherweise in der Vergangenheit
Punkten geholfen werden kann. Aber 'auch unter auch vom Herrn 'Bundesfinanzminister in der Haus-
den Gemeinden geht es genauso menschlich zu wie haltsrede mit angestellt wurden, hat doch ge-
im Bund und unter den Ländern. Von einem inter- wisse Ausführungen und gewisse Töne enthalten,
kommunalen Lastenausgleich wollen die finanz- die den politischen Hintergrund deutlich machen
starken Gemeinden — und deren Zahl ist ja auch und im Zusammenhang mit den politischen Aus-
nicht gering — gar nichts wissen. führungen gesehen werden müssen, die wir sonst
(Zustimmung bei der CDU/CSU.) zu hören bekommen zu einer Politik, für 'die dieser
Haushalt die Grundlage abgibt.
Sie haben 'die Wiedergutmachung erwähnt und
beklagt, daß hier große menschliche Not durch allzu Meine Damen und Herren, ich meine, daß solche
bürokratische Handhabung des Gesetzes noch ver- Ausführungen hierher gehören. Der Herr Bundes-
größert worden sei. Das mag durchaus zutreffen. finanzminister hatte mehrere Akzente gesetzt, die
Aber die Durchführung ist ja Sache der Länder, und diesen Zusammenhang klarmachen. Mein Freund
es wäre, glaube ich, ungerecht, alle Länder generell Alex Möller hat bereits auf den Tenor hingewiesen:
unter .das gleiche Urteil stellen zu wollen. Ich kann das Grundübel 'der letzten Jahre sei, alles auf ein-
- mal zu wollen. Mit diesem Satz sollen, sicherlich nicht
z. B. von meinem eigenen Lande Nordrhein-West-
falen sagen, daß unser Ministerpräsident Meyers unbeabsichtigt, bestimmte Gedankenassoziationen
und auch die zuständigen Wiedergutmachungsstel- in der Öffentlichkeit hervorgerufen werden. Denn
len wiederholt in aller Öffentlichkeit Anerkennung in engem Zusammenhang damit steht z. B., was im
und Lob für die schnelle und im allgemeinen befrie- letzten Lagebericht des Bundeswirtschaftsministers
digende Durchführung des Wiedergutmachungs- gesagt worden ist, nämlich: daß alles auf einmal
gesetzes gefunden 'haben. gefordert werde, nämlich Lohnerhöhungen, Urlaub
und Arbeitszeitverkürzung. Das ist ja die Diskus
(Abg. Dr. h. c. Möller: Das war nicht mein sinn, die in einer sehr 'bedenklichen Weise zur Zeit
Ausgangspunkt!) in Deutschland geführt wird.
— Doch, das war Ihr Ausgangspunkt; und Sie haben Ein zweiter Satz in der Rede des Herrn Bundes-
die Ausführungen des Herrn Finanzministers, der finanzministers lautete: Wir haben nicht zuwenig
erwähnt hat, daß wir in den ganzen Jahren immer- Einnahmen, sondern wir haben zu viele Ausgaben.
hin 11,5 Milliarden DM aufgewandt haben und noch Die Mehrheit dieses Hauses hat dazu frenetisch Bei-
8,5 Milliarden DM aufwenden werden, meiner Auf- fall geklatscht. Offenbar hat sie daran gedacht, daß
fassung nach nicht gebührend gewürdigt. der Herr Bundesfinanzminister vorher gesagt hatte,
Ich darf zum Schluß kommen und mich mit Dank- wie diese Ausgaben sich zusammensetzen, nämlich
barkeit darüber äußern, daß Sie, Herr Kollege Möl- zu 35 % aus Aufwendungen für die Verteidigung
ler, am Schluß Ihrer Ausführungen eine so große und zu 28,5 % aus dem, was die Bundesregierung
staatspolitische Perspektive gegeben haben. „Der als soziale Sicherung zu bezeichnen pflegt. Und
Staat sind wir", haben Sie gesagt. Und das heißt, man ,kann sich vorstellen, was diese Beifall klat-
es gibt auch keine Instanz oberhalb unserer Ge- schenden Abgeordneten dabei gedacht haben, als
meinschaft, die wir anrufen könnten, um unsere der Minister davon sprach, daß wir zu viele Aus-
Kassen zu füllen. Jeder Pfennig stammt aus unserer gaben hätten. Mir scheint, daß das an jene Erklä-
eigenen Tasche, aus der Tasche unserer Bürger als rungen anklingt, die von den Grenzen des Wohl-
Steuerzahler. Wir sollten uns daher selber den Re- fahrtsstaates und den Grenzen .der Sozialpolitik
spekt erweisen, in erster Linie den Steuerzahler zu sprechen.
respektieren. Seine staatspolitische Verantwor- Sodann enthielt diese Rede des Herrn Bundes-
tungsbereitschaft wird wachsen, wenn wir als finanzministers, ich möchte sagen, einige gezielte
Volksvertreter uns ihm verantwortlich wissen. kleine Hinweise. Der eine Hinweis war der auf
(Beifall bei den Regierungsparteien.) die Lohn- und Gehaltsforderungen im öffentlichen
Dienst. Da wurde eine sehr große Zahl genannt:
wenn diese Forderungen durchgehen, kommen
Vizepräsident Dr. Jaeger: Dais Wort hat der 1,7 Milliarden Ausgaben auf uns zu. Der Herr Bun-
Abgeordnete Dr. Deist. desfinanzminister sagte: Wir haben in diesen Haus-
haltsplan nichts eingesetzt. Nun, nach Adam Riese
Dr. Deist (SPD) : Herr Präsident! Meine Damen wissen wir alle, daß das Ergebnis der Verhandlungen
und Herren! Ein Haushaltsplan sollte nicht nur Ge- weder die 1,7 Milliarden sein werden noch der Be-
legenheit zu Analysen und Schlußfolgerungen von trag von null DM; zu einem anderen Angebot hat
Finanzpolitikern geben. Durch die Finanzpolitik, sich der Herr Bundesfinanzminister bisher offenbar
wie sie im Haushaltsplan ihren Ausdruck findet, nicht durchringen können. Ich möchte ihn fragen,
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. März 1962 665
Dr. Deist
ob er damit die Idee hervorrufen wollte, daß die gelungen ist, eine gesunde Einordnung der ver-
Bundesregierung der Auffassung ist, daß die Frauen schiedenen Kräfte einer freien Gesellschaft in das
und Männer des öffentlichen Dienstes an dem stän- gesamte Gesellschaftsleben und in das Staatsgefüge
digen Wachsen des Volkseinkommens überhaupt zuwege zu bringen.
nicht beetiligt werden sollen. (Abg. Dr. Besold: Na, na, na!)
In der Rede war auch wieder ein Satz enthalten — Ich werde Ihnen gleich einiges dazu sagen.
von Lohnerhöhungen, die über den Produktivitäts-
zuwachs hinausgehen. Da war der Satz enthalten, Großbritannien hat eine jahrhundertealte Ent-
daß der Welthandel durch die Kosteninflation ge- wicklung zur Demokratie hinter sich. Dort ist es
fährdet sei. Der Herr Bundesfinanzminister konnte beinahe selbstverständlich, daß sich die Wirtschaft
nicht umhin, auch die Steuern zu nennen; aber er wirtschaftspolitischen Entscheidungen beugt, sogar
nannte wohlweislich vorweg Löhne und soziale ohne daß dazu gesetzliche oder institutionelle Maß-
Abgaben. Und unser Kollege Vogel hat es dann nahmen ergriffen werden müssen. Die Geschichte
sehr deutlich ausgesprochen, indem er von der ge- der Vereinigten Staaten beginnt mit der Gründung
waltsamen Aufpulverung des Konsums durch die eines demokratischen Staates. Auch dort gibt es
Lohn- und , Gehaltsentwicklung sprach und sogar eine geschichtlich gegebene Einordnung der ver-
meinte, die Zahlungsbilanzschwierigkeiten der USA schiedenen Kräfte. Wir tragen die Last einer viel-
und Großbritanniens seien ein Menetekel; sie seien hundertjährigen Geschichte. Es sind noch keine
offensichtlich auch auf die Lohn- und Gehaltspolitik fünfzig Jahre her, daß bei uns die politischen Kräfte
zurückzuführen. Meine Damen und Herren, was ist freigesetzt worden sind. Und wir tragen seit 12 Jah-
das für eine armselige Wirtschaftspolitik, die als ren das Schicksal einer CDU-Regierung, deren Auf-
einziges bewegendes Element der Wirtschaft über- gabe es gewesen wäre, die Grundlagen für eine
haupt nur noch die Lohn- und Gehaltsbewegung solche Einordnung zu schaffen.
sehen kann! (Abg. Dr. Vogel: Was für eine Bürde für
(Beifall bei der SPD.) - Sie! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)
In denselben Rahmen gehören die Darlegungen — Ich habe es wenigstens nett gesagt, Herr Vogel;
von Herrn Kollegen Schmidt (Wuppertal), der von das werden Sie mir konzedieren müssen.
„Lohntreiberei" mit ihren unweigerlich preisstei-
gernden Tendenzen gesprochen hat. Ja, dann ist es In diesem Zusammenhang möchte ich auf das
nicht mehr weit bis zu jener Ausführung des Herrn zurückkommen, was ich im Anfang sagte. Gestatten
Ferdinand Fried in der „Welt", der nach der Berei- Sie mir, den Rahmen nur in wenigen Strichen anzu-
nigung der Tarifstreitigkeiten im Bereich der Metall- deuten, ohne daß ich das jetzt weiter ausführen
industrie durch einen Vertrag, der mit Unterstüt- kann.
zung und Hilfe des baden-württembergischen Mini- Zunächst: Bei kritischer Überprüfung kann man
sterpräsidenten zustande gekommen ist, glaubte nicht bestreiten, daß die Regierungspolitik der letz-
schreiben zu dürfen: Es ist wie ein Dammbruch, der ten 12 Jahre sehr stark in einer einseitigen Stützung
jetzt bei den Löhnen eingesetzt hat, nachdem man mächtiger wirtschaftlicher Interessengruppen bestan-
in der Metallindustrie auf die entscheidende Kraft- den hat und von ihnen wiederum stark beeinflußt
probe verzichtet hat. worden ist.
Da wird deutlich, was man will. Man will gar (Sehr richtig! bei der SPD.)
nicht, daß man sich friedlich zusammenrauft, son-
dern man wünscht im Grunde genommen Kraft- Darum war es bei uns möglich, daß der Bundes-
proben; und darum macht man aus dem erfreulichen verband der Industrie das Zustandekommen eines
Ergebnis der Auseinandersetzung in der Metall- brauchbaren Kartellgesetzes verhinderte und bis
industrie, die ein Zeichen für das Verantwortungs- heute die dringend notwendige Reform des beste-
bewußtsein dieser Gewerkschaft gewesen ist, den henden unzulänglichen Kartellgesetzes hinauszögern
Beginn eines Dammbruchs. konnte. Demgegenüber ist es in den Vereinigten
Staaten selbstverständlich — ich möchte mal sehen,
Hier geht es um eins der Kernprobleme unserer was bei uns passiert, wenn so etwas passierte —,
sozialen Ordnung. In dem Memorandum der acht daß die Direktoren eines großen leitenden Konzerns
evangelischen Laien und Theologen — über dessen wegen Verstoßes gegen die Antitrustbestimmung
Einzelteile man streiten kann, das aber doch einen hinter schwedische Gardinen gesetzt werden!
Diskussionsbeitrag geleistet hat, der jedenfalls offi-
ziell auch von Ihnen anerkannt worden ist — findet (Abg. Dr. Vogel: Aber auf der anderen
sich der wichtige Satz: Die soziale Ordnung ist nicht Seite der Präsident auch Streiks unterbin
schon deshalb gesund, weil es den meisten gutgeht. den kann!)
Daß es vielen bei uns gutgeht, bestreitet niemand. — Darüber können wir uns gleich mal unterhalten.
Wir wollen heute keine Diskussion darüber ent-
fachen, wer dazu beigetragen hat, aber wir sollten Zweitens. Es hat sich allmählich herumgesprochen
auch die Mängel sehen, die in unserer gesellschaft- — auch wenn das hier im Hause nicht gern gehört
lichen Ordnung vorhanden sind. wird —, daß es in den vergangenen 12 Jahren jeden-
falls nicht gelungen ist, die selbständigen Mittel-
(Sehr richtig! bei der CDU/CSU.) schichten zu einem integrierenden Bestandteil der
Einer der entscheidenden Mängel ist, daß es uns Wirtschaft zu machen, in der sie ihren Platz ihrer
weder in der Weimarer Republik noch nach 1945 Aufgabe gemäß einnehmen können. Wir haben in
666 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. März 1962
Dr. Deist
der Regierungserklärung wiederholt gehört, was ge- Das sagt der Chef einer Partei, die bei der letzten
schehen soll. Wir haben diesmal wiederum die Mit- Regierungsbildung alle .ihre vorher verkündeten
teilung gehört, daß der Buckel in der Einkommen- Grundsätze über den Haufen geworfen hat, nur um
steuerprogression für die mittleren und kleineren einiger Minister- und Staatssekretärsessel willen!
Unternehmer beseitigt werden soll. Eines ist sicher:
(Lebhafter Beifall bei der SPD. — Erneute
in den Vereinigten Staaten, in denen es auch wirt-
Zurufe von der FDP.)
schaftliche Macht gibt, ganz groß gibt, in denen
es große Unternehmungen gibt, wird jedenfalls ge- Dann wagt Herr Dr. Mende zu sagen, der DGB
setzlich, institutionell und verwaltungsmäßig für die könne sich nicht als Vertreter der Arbeitnehmer auf-
mittleren und kleineren Unternehmungen sehr viel spielen, denn er vertrete nur einen Teil der Arbeit-
mehr getan als bei uns, um sie sinnvoll in die nehmer.
Gesamtwirtschaft einzugliedern. (Zurufe von der SPD.)
Und ein Letztes! Trotz Landwirtschaftsgesetz ist Nun, er hat übersehen, daß diese Gewerkschaft
es nicht gelungen —wir alle bemühen uns gemein- mehr als 6 Millionen Mitglieder hat und daß sie
sam um diese Aufgabe —, den Gegensatz zwischen bei den letzten Personalrats- und Betriebsratswah-
Stadt und Land angemessen zu beseitigen. Im Ge- len das Vertrauensvotum von 80 % der Arbeitneh-
genteil, die Diskrepanz zwischen der Einkommens- mer erhalten hat.
entwicklung 'in der Landwirtschaft und der Einkom-
mensentwicklung in der gewerblichen Wirtschaft (Beifall bei der SPD. — Zuruf von der
Mitte: 99 %!)
wird trotz Landwirtschaftsgesetz, trotz Grünem Plan
nicht kleiner, sondern sie wird größer. Das ist auch Dann überlege ich mir, daß Herr Kollege Mende in
ein Beispiel dafür, was in unserer sozialen Ord- seiner Partei, wenn ich mal ganz großzügig bin,
nung, Herr Kollege, nicht ganz in Ordnung ist. wohl nicht mehr als 100 000 Mitglieder zählt und
bei den letzten Wahlen knapp 13 % der Wähler ge-
Hierzu kommt — ich will es ganz deutlich sagen
wonnen hat. Da erhebt sich die Frage: wer legiti-
— die unangemessene Frontstellung gegen die Ar-
miert eigentlich Herrn Dr. Mende, so in der Öffent-
beitnehmerorganisationen, die noch schärfer gewor-
lichkeit zu sprechen?
den ist, seit die FDP dieser Regierungskoalition an-
gehört. (Beifall bei der SPD.)
(Beifall bei der SPD. — Oho-Rufe in der Das ist ein bitteres Kapitel unserer Innenpolitik.
Mitte.) Sie ist nämlich gespickt mit irreführenden Darstel-
Der Herr Bundeskanzler ist häufig erregt, wenn sich lungen, die die öffentliche Meinung in völlig fal-
Gewerkschaften mal etwas stärker regen. Das soll scher Weise beeinflussen sollen. Lassen Sie mich
auch in diesen Tagen mal wieder geschehen sein. über diese irreführenden Darstellungen, die für die
Er ist merkwürdig unempfindlich, wenn es sich um politische Meinungsbildung eine wichtige Rolle
massive Eingriffe von anderer Seite handelt. Herr spielen, einige Worte sagen.
Bundesfinanzminister Starke hat hier seinem briti- Der Herr Bundesfinanzminister hat das Lob der
schen früheren Kollegen Thorneycroft in einem Preisstabilität in Deutschland gesungen. Ich halte
Augenblick Beifall gespendet, in dem sich zeigt, es lieber mit dem Herrn Bundeswirtschaftsminister,
daß der Versuch dieser Regierung, die Kosten einer der auf der Frankfurter Messe sagte, auch der jähr-
mißratenen Wirtschaftspolitik auf die Arbeitneh- liche Kaufkraftschwund von 2 bis 3 % sei eine in-
mer abzuwälzen, gescheitert ist. flationäre Tendenz, die gefährlich sei. Ich entsinne
(Zurufe von der CDU/CSU. — Abg. mich, daß der Herr Kollege Etzel vor zwei Jahren
Dr. Vogel: So kann man es auch nennen!) — so war es wohl — im Zusammenhang mit dem
Es wäre die Aufgabe eines Psychoanalytikers, ein- Haushalt sehr deutlich darauf hingewiesen hat, wir
mal den tieferen Grund dieser merkwürdigen könnten uns nicht dabei beruhigen, daß die stän-
dige Aushöhlung der Kaufkraft 'der D-Mark — sie
Bruderschaft nachzuforschen.
beträgt inzwischen seit der Währungsreform um
(Beifall bei der SPD. — Heiterkeit.) 20 % — immer weiter fortschreite. Wir wissen, daß
Dazu gesellt sich dann der Vorsitzende der im Januar die Lebenshaltungskosten um 3,5 % über
zweiten Regierungspartei, Herr Kollege Dr. Mende. dem Stand vom Januar 1961 gelegen haben. Wir
Ich kann nicht umhin, hierzu einige deutliche Worte sind uns alle darüber einig — wir sollten uns da
zu sagen. Die Tarifparteien und die Gewerkschaften keine falschen Unterstellungen machen —, daß das
haben die Aufgabe — die verfassungsmäßige Auf- eine bedenkliche und gefährliche Entwicklung ist,
gabe nach dem Grundgesetz —, in gegenseitigen der wir entgegenzuwirken haben. Denn diejenigen,
Auseinandersetzungen auf dem Arbeitsmarkt — ge- die darunter leiden, sind in erster Linie die Bezie-
wissermaßen als Marktparteien — miteinander um her von festen Einkommen und die kleineren
eine angemessene Lohn- und Gehaltsregelung zu Sparer.
kämpfen. Und was macht der Herr Kollege Mende (Zuruf von der Mitte: Vollkommen richtig!)
daraus? Er wirft den Gewerkschaften vor, die so-
zialen Forderungen seien nicht aus sozialer Not- Darum ist es schon der Mühe wert, sich zunächst ein-
wendigkeit gestellt, sondern um der Festigung der mal ernsthaft über die Ursachen einer solchen Ent-
eigenen Machtposition willen. wicklung zu unterhalten.
(Pfui-Rufe bei der SPD. — Zurufe von der Die Bundesregierung operiert unbedenklich—muß
FDP.) ich beinahe sagen — mit der ständigen Wiederho-
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. März 1962 667
Dr. Deist
lung der Behauptung, daß die Lohn-. und Gehalts- rechtzeitig entgegentreten muß. Der Konjunktur-
entwicklung der entscheidende Grund für die Preis- überhitzung, ,die wir im Jahre 1960 erlebt haben,
entwicklung sei. mußte im Laufe des Jahres 1960, spätestens im
Herbst 1960, entgegengetreten werden. Wir wissen
(Zuruf von der Mitte: Sicher ein sehr
aus der öffentlichen Erörterung in der Presse, daß
wichtiger Grund!)
der Herr Bundeswirtschaftsminister auch damals
— Ich spreche gleich darüber, daß die Lohn- und Ge- einige Pläne hatte, die dann aber auf Veranlassung
haltsentwicklung im Rahmen der Einkommensver- des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, der
teilung auch eine Rolle spielt; das werde ich nicht sich sehr stark gegen solche Eingriffe wandte, zu-
bestreiten. Wir werden uns vielleicht auch einmal rückgestellt worden sind, so daß uns dann mit Ver-
über die Konsequenzen unterhalten können, die wir spätung im Frühjahr 1961 die D-Mark-Aufwertung
daraus zu ziehen haben. Aber erst müssen wir ein- beschert wurde.
mal die öffentliche Atmosphäre bereinigen, damit
man sich vernünftig über dieses Problem unterhalten Schließlich gehört in dieses Kapitel eine völlig
kann. unzulängliche Kartell - und Preispolitik. Aus dem
Bundeswirtschaftsministerium stammte die Mel-
Die Bundesregierung weist in Übereinstimmung dung, die vor einiger Zeit durch die Presse ging,
mit der gesamten Presse zu Beginn jeden Jahres wonach man nicht so sehr darauf starren sollte, daß
auf die drohende große Lohnwelle hin. Nun, in einige Preise in Gewerbezweigen mit hohem Lohn-
einem Staat mit aufsteigender Wirtschaft ist es ja anteil steigen — das sei ein normaler Vorgang —.
wohl notwendig, daß auch die Arbeitnehmer an der Es komme vielmehr darauf an, daß die Preise in den
Einkommensvermehrung beteiligt werden. Da wir lukrativen, der Rationalisierung und Automation
etwa 20 Millionen Arbeitnehmer unter Tarif haben zugänglichen Großunternehmungen gesenkt wür-
und die Tarifverträge ungefähr 1 1 /4 bis 1 1/2 Jahre den. Das ist ein Problem, das bei uns in Deutschland
laufen, ist es ganz natürlich, daß jedes Jahr für 12 nicht zulänglich angepackt worden ist.
-
bis 14 Millionen Arbeitnehmer eine Anpassung er-
folgen muß. Das ist keine ungeheuerliche Lohnwelle, Ich muß mich mit diesen kurzen Hinweisen be-
sondern der normale Ablauf der Dinge, wenn Sie gnügen, um darzulegen, daß 'der entscheidende
nicht wollen, daß die Arbeitnehmer an der Steige- Grund für die 'Entwicklung der letzten Jahre nicht
rung des Volkseinkommens nicht beteiligt werden. die Löhne, sondern das Versagen ,der Wirtschafts-
politik der Bundesregierung — jedenfalls auf die-
(Abg. Dr. Vogel: Das hat niemand von uns
sem Gebiet — war.
hier bestritten! — Weitere Zurufe von der
Mitte.) (Beifall bei der SPD.)
— Ich habe gesagt: Wenn! Ich habe gesagt, das sei Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang, da
die normale Entwicklung, und Sie müßten das aner- sich die D-Mark-Abwertung gerade jährt — —
kennen, wenn nicht — — Ich habe noch nicht gesagt,
was Sie wollen. Ich überlasse es anderen, die Konse- (Zuruf von der CDU/CSU: Aufwertung!)
quenzen zu ziehen. Manchmal ist das für viele so
deutlich, so daß man nicht besonders viel dazu zu — D - Mark - Aufwertung!
sagen braucht. Jedenfalls hat die Bundesnotenbank (Abg. Dr. Stoltenberg: Sie sind so in der
in den letzten Jahren am Schluß jeden Jahres fest- Abwertung begriffen, Herr Deist, daß Sie
gestellt, daß nach der ganzen Konstellation der wirt-
von , der Aufwertung gar nicht mehr spre
schaftlichen Daten die Lohnentwicklung des abge-
chen können! — Heiterkeit.)
laufenen Jahres nicht der entscheidende Grund für
die Preisentwicklung sein konnte. Darum müssen — Darüber unterhalten wir uns bei anderer Ge-
wir uns sehr deutlich gegen irreführende Darstel- legenheit, 'Herr Stoltenberg. Bei mir können Sie
lungen wenden, die trotz aller gegenteiligen Dar- immerhin voraussetzen, daß ich den Unterschied
legungen immer wieder wiederholt werden. Weil einigermaßen kenne.
Sie, meine Damen und Herren, und diejenigen, die
(Heiterkeit.)
zu Ihnen stehen, diese Behauptung ständig wieder-
holen, sehen wir uns gezwungen, immer wieder dar- Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat damals zur
auf hinzuweisen, wo die entscheidenden Ursachen D-Mark-Aufwertung ausgeführt: „Niemand behaup-
der unglücklichen Preisentwicklung in den letzten tet und niemand wird glauben wollen, daß die Auf-
Jahren zu suchen sind. Ich kann mich heute kurz wertung das Allheilmittel zur Lösung aller wirt-
fassen, weil wir dies wiederholt getan haben. schaftlichen, sozialen und finanziellen Sorgen ist.
Sie sind dem Handelsbilanzüberschuß der ver- Aber mit diesem Schritt haben wir die Grundlage
gangenen Jahre nicht rechtzeitig und nicht wirksam für eine zielbewußte, aktive Konjunkturpolitik zu-
genug begegnet. Der Herr Bundeswirtschaftsminister rückgewonnen." Ich habe mir erlaubt, das mit der
hat wohl einige Versuche gemacht, dieser Entwick- Genehmigung 'des Herr Präsidenten zu zitieren. Ich
lung rechtzeitig zu begegnen; er ist aber bei der bitte um Entschuldigung, daß ich für dies Zitat nicht
Mehrheit dieses Bundestages damit meist nicht die Genehmigung des Herrn Präsidenten eingeholt
durchgedrungen. habe.
Punkt 2. Es gehört zu den wesentlichen Erkennt-
nissen der modernen Konjunkturwissenschaft, daß Vizepräsident Dr. Jaeger: Sie haben sie mit
die Konjunkturpolitik unglücklichen Entwicklungen Recht stillschweigend vorausgesetzt.
668 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. März 1962

Dr. Deist (SPD): Danke vielmals! hinter der wirtschaftlichen Entwicklung zurückge-
blieben. Kein Mensch bestreitet, daß im Jahre 1961
Ich darf mit Genehmigung ,des Herrn Präsidenten
die Lohnentwicklung stärker angezogen hat und
zitieren, was ich damals ausgeführt hatte:
daß damit ein Teil des Rückstandes eingeholt wor-
Nach dem Willen der Bundesregierung, und ich den ist. Er ist aber auch nur eingeholt worden, und
meine, nach unser aller Willen soll die Neufest- niemand hat ein Recht, zu behaupten, die Löhne
setzung ,des Außenwertes der D-Mark den Sinn seien in unerhörter Weise vorangeschritten.
haben, Preissenkungen herbeizuführen und da-
mit den augenblicklichen Preissteigerungsten- Der Vergleich, der hier dauernd angeführt wird,
denzen Einhalt zu gebieten. lautet so: Das Sozialprodukt ist real um 67 % ge-
stiegen, aber die Löhne und Gehälter nominal um
Und ich habe dann fortgesetzt: 101 %; das muß natürlich die Wirtschaft in Unord-
Denn darüber sollten wir uns klar sein: Der nung bringen! — Was würden Sie sagen, meine
Verbraucher ist jedenfalls in einigen Wochen Damen und Herren, wenn wir darlegten: Das Brutto-
und Monaten in der Lage, an Hand von Fakten sozialprodukt ist real um 67 % gestiegen, aber die
zu beurteilen, ob die Mark mehr wert ist, ob Einkommen der Selbständigen und der Unterneh-
sie wenigstens so viel wert ist wie vorher oder men sind — nominal — um 164 %, nämlich um das
ob sie weiterhin an Wert verliert. Wir hoffen, Dreifache gestiegen!? — Diese Argumentation wäre
daß er in der Lage ist, ein positives Urteil ab- genauso falsch wie die ihre. Ich hoffe nicht, daß
zugeben. einer auf die Idee kommt, zu argumentieren: Wenn
schon die Löhne und Gehälter um das Doppelte des
Heute wissen wir, daß er leider nicht in der Lage realen Sozialproduktzuwachses steigen, müssen eben
ist, ein solches positives Urteil abzugeben. Denn die die Unternehmereinkommen und Gewinne um das
D-Mark-Aufwertung kam viel zu spät, als daß sie Dreifache steigen.
rechtzeitig, d. h. im Boom, hätte wirken können.
Ihre Auswirkungen zeigten sich vielmehr erst im Dann einige Bemerkungen zu der von mir bereits
Herbst des Jahres 1961 — wenn nicht später —, als erwähnten Formel von dem „ungezügelten Fordern
wir bereits in gewisse Abschwungtendenzen ge- und Gewähren von Lohnerhöhungen, Arbeitszeit-
raten waren. Sie trägt damit einen Teil der Schuld verkürzungen und Urlaubsverlängerungen". Ist es
daran, daß dieser Abschwung für bestimmte Ge- richtig, eine solche Darstellung herauszugeben? Ist
werbezweige eine sehr harte Sache geworden ist. es nicht so, daß gerade bezüglich der Arbeitszeit-
verkürzung ein hohes Maß von Verantwortungs-
Zu den irreführenden Darstellungen gehört auch bewußtsein geherrscht hat? Tatsächlich wurde die
der Vergleich zwischen dem realen Zuwachs der Arbeitszeitverkürzung im Bewußtsein dessen, daß
Produktivität in der Wirtschaft und der nominellen sie natürlich Einfluß auf die Kostenlage der Unter-
Lohnsteigerung, ein Vergleich, der ebenso unzuläs- nehmungen hat, über einen langen Zeitraum verteilt.
sig ist wie der Vergleich von Birnen und Äpfeln. Zum Beispiel ist im Bereich der Industriegewerk-
Ein solcher unzulässiger Vergleich führt zu jenen schaft Metall die Arbeitszeitverkürzung von 48 auf
kuriosen Konsequenzen, die Herr Fried, von dem 40 Stunden auf einen Zeitraum von acht Jahren
ich bereits gesprochen habe, gezogen hat: Wir verteilt worden, um den Übergang erträglich zu
haben einen Zuwachs der Produktivität von nur machen. Angesichts dessen davon zu sprechen, daß
4 %, infolgedessen sind Lohnerhöhungen von 6 % der Produktivitätszuwachs unangemessen gemindert
und mehr zuviel. werde, weil eine allzu starke plötzliche Verkürzung
Und was lesen wir in den Erläuterungen zum der Arbeitszeit eingetreten sei, ist einfach nicht rich-
Bundeshaushalt? Die Bundesregierung veranschlagt tig. Als das Bundeswirtschaftsministerium das in
das Wachstum der gesamtwirtschaftlichen Produk- seinem letzten Lagebericht schrieb, erschien zu glei-
tivität auf etwa 7,5 % bei einem realen Zuwachs cher Zeit ein Bericht der Bundesbank zu demselben
von 4 %. Dabei wird eine Preiserhöhung von etwa Problem. Darin wurde festgestellt: Die Arbeitszeit
3 bis 3,5 % im Laufe eines Jahres einkalkuliert. Das ist im Jahre 1961 zwar um 2 % zurückgegangen,
Ergebnis dieser merkwürdigen Vergleiche wäre, aber dabei handelte es sich vorwiegend um den
wenn das alles richtig wäre: Der Staat stellt sich bei Abbau von Überstunden, um verlängerten Urlaub,
seinem Einkommenszuwachs selbstverständlich auf „während durch Tarifvereinbarungen die ordentliche
die 7,5 % Zuwachs ein; der Arbeitnehmer soll ge- Arbeitszeit im Jahre 1961 nur in wenigen Bereichen
fälligst bei 4 % verbleiben. Und sollen etwa die Un- verkürzt wurde". — Man sollte doch anerkennen,
ternehmergewinne um den Teil jener 7,5 % erhöht daß hier ein Versuch unternommen worden ist, den
werden, der bei den Arbeitnehmern eingespart wird? Notwendigkeiten der wirtschaftlichen Entwicklung
Meine Damen und Herren, Sie müssen sich über- Rechnung zu tragen und Verantwortungsbewußtsein
legen, ob bei derartigen Darstellungen auf der Seite zu zeigen. Eine solche Beeinflussung der öffentlichen
der Betroffenen nicht solche Vorstellungen hervor- Meinung mit Darstellungen, die irreführend wirken
gerufen werden. müssen, wird bei uns systematisch betrieben.
Tatsächlich ist es so, daß sich im Laufe der Jahre Aus dieser Überlegung ergeben sich drei harte
1950 bis 1960 die gesamte wirtschaftliche Leistung Folgerungen. Eine solche zielbewußte Irreführung
der Bundesrepublik je Erwerbstätigen real um 67 % über Tatsachen muß dazu führen, daß das Verständ-
erhöht hat, während sich die Nettolöhne und -gehäl- nis der verschiedenen Gruppen in Deutschland für-
ter je Arbeitnehmer, das, was der Arbeitnehmer einander, für ihre verschiedenartigen Interessen
bekommen hat, real um 64 % erhöht haben. Das immer geringer wird. „Es ist unerhört, wie hier,
heißt, die Entwicklung der Löhne und Gehälter ist zum Teil bewußt, mit falschen Zahlen gearbeitet
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. März 1962 669
Dr. Deist
wird. Hier übt die Bundesregierung eine rücksichts- immer noch 62 %. In dieser Entwicklung ist ein
lose und propagandistische Aktivität, der die un- Normalisierungsvorgang zu sehen. Was hätte denn
kritische, ressentimentgeladene Öffentlichkeit er- das ganze Lamento der letzten Jahre, daß wir eine
liegt." Diese Sätze etwa gebrauchte der nordrhein- zu große Selbstfinanzierung und eine zu große Ver-
westfälische Ministerpräsident, Herr Meyers, als mögensansammlung bei den Großunternehmungen
er sich mit dem Verhalten der Bundesregierung bei haben, für einen Sinn, wenn nicht die Zurückdrän-
den Verhandlungen über die 'Finanzfragen der letz- gung der Gewinne und die Zurückdrängung dieser
ten Zeit befaßte. Vermögenszusammenballung eine sinnvolle Nor-
malisierung wäre!
(Hört! Hört! bei der SPD.)
Tatsächlich ist festzustellen, daß sich bei der Un-
Das ist symptomatisch. So verkümmern wir die für ternehmerschaft zur Zeit eine gewisse Zurückhal-
eine Demokratie notwendige Einsicht, daß es ver- tung, ein gewisser Attentismus in bezug auf die In-
schiedenartige berechtigte Interessen geben muß, vestitionen entwickelt. Das hat seine psychologi-
daß wir in einem demokratischen Staat dafür zu schen Ursachen. Vielleicht darf man hinzufügen: die
wirken haben, daß ein Ausgleich zwischen diesen wirklichen Stützen der augenblicklichen Konjunktur-
verschiedenen Interessen geschaffen wird. Wir er- entwicklung und des Konjunkturaufschwungs sind
schüttern damit die in unserem Grundgesetz nieder- tatsächlich die Verbrauchernachfrage, die durch die
gelegten fundamentalen 'Grundsätze, daß die Tarif- Lohnentwicklung genügend hochgehalten wurde,
parteien nicht nur legitimiert, sondern verpflichtet und die öffentlichen Ausgaben.
sind, als wesentliche Ordnungsfaktoren der Wirt- Der unangebrachte Pessimismus, der heute viel-
schaft durch ihre eigene Aktivität für eine angemes- fach an Hand der für Dezember und Januar zur
sene Beteiligung der Arbeitnehmer am Sozialpro- Verfügung stehenden, zunächst für eine gültige Aus-
dukt zu sorgen. Das ist die eine Schlußfolgerung, sage nicht ausreichenden Zahlen über die konjunk-
die sich ergibt. turelle Entwicklung zum Ausdruck gebracht wird,
Gestatten Sie mir, daran eine zweite anzuknüp- birgt allerdings die Gefahr in sich, daß die unter-
fen. Die Bundesregierung nimmt hier eine einseitige nehmerische Zurückhaltung in der Wirtschaft ver-
Beeinflussung der öffentlichen Meinung zuungun- stärkt und damit die konjunkturelle Entwicklung
sten eines großen, großen Teils unserer Bevölke- wirklich gefährdet wird. Das ist ein Gesichtspunkt,
rung vor. Überlege ich mir, daß sie durch ihre Po- den auch die verantwortlichen Stellen beachten
litik die größeren Einkommen und Vermögen ge- sollten.
genüber den kleineren stark bevorzugt, daß sie Daraus ergibt sich — und damit komme ich auf
durch den Verzicht auf eine wirksame Kartell- und die Frage zurück, die vorhin gestellt wurde —, daß
Preispolitik die Reallöhne beeinträchtigt und daß sie sich zur Zeit wie eigentlich immer in einer freien
auch die Organisationen der Arbeitnehmerschaft bei Wirtschaft, die in großem Umfang auf freien Ent-
der Vorbereitung von Gesetzen nicht in gleicher scheidungen autonomer Menschen und autonomer
Weise — vielleicht formal in gleicher Weise, aber Gruppen beruht, Gefahren für die wirtschaftliche
nicht materiell in gleicher Weise — beteiligt wie Entwicklung ergeben und daß es die normale Auf-
andere Gruppen, — wenn das also die Politik von gabe der Wirtschaftspolitik ist, dafür zu sorgen, daß
Regierung und Parlamentsmehrheit ist, dann kön- diese Gefahren nicht zur Wirklichkeit werden.
nen die Arbeitnehmerorganisationen ihren Auftrag, Meine Damen und Herren, wir wissen, daß zu den
den sie nach 'dem Grundgesetz haben, gar nicht an- Grundlagen der freien Wirtschaft, unabhängig von
ders betreiben als durch eine, wie ich sie nennen der Bundesregierung und der autonomen Bundes-
möchte, kompensatorische Lohnpolitik. Sie können notenbank, eben freie Unternehmerentscheidungen
nichts anderes tun, als 'durch ihre Lohnpolitik dafür und die freie Entscheidung der Tarifpartner auf dem
zu sorgen, daß die Folgen einer solchen einseitigen Arbeitsmarkt gehören. Ich nenne Ihnen jetzt die
Wirtschafts- und Unternehmenspolitik von der Ar- Zahlen zu Ihrem Einwand. Wir wissen, daß sich das
beitnehmerschaft abgewehrt und Preiserhöhungen Volkseinkommen netto gerechnet zu 45 % aus Löh-
durch Lohnerhöhungen kompensiert werden. Mehr nen und Gehältern und zu 15 % aus Sozialeinkom-
Verantwortungsbewußtsein, als die Bundesregie- men zusammensetzt, die in gewissem Umfange von
rung von sich und der Unternehmerschaft erwartet, derLohn-uGaltswickgbhänd.
kann sie auch nicht von den Arbeitnehmerorganisa- Hier haben wir einen Block von 60 % gegenüber 20 %
tionen verlangen. Einkommen der Selbständigen und 20 % Einkommen
Dann eine dritte Bemerkung, die für unsere Kon- des Staates. Damit wird zugleich der Zusammenhang
junktursituation von Bedeutung ist. Die tatsächliche zwischen der Lohnpolitik der Tarifparteien, der Ge-
Lage der Wirtschaft, die tatsächliche Bedarfs- und winn- und Preispolitik der Unternehmungen und
der Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik des Staa-
Angebotsentwicklung enthält alle sachlichen Vor-
tes deutlich. Es kommt daher darauf an, Methoden
aussetzungen 'für einen weiteren wirtschaftlichen
zu finden, um alle diese Partner in gleicher Weise
Aufschwung. Die Einschränkung (der Gewinne, die
— ich betone: in gleicher Weise — volkswirtschaft-
auch 1961 immer noch recht hoch gewesen sind, aber
licher Verantwortung zu unterstellen. Das ist die
geringer gestiegen sind als in den vergangenen
Ordnungsaufgabe des demokratischen Staates.
Jahren, hat in keiner Weise, wie immer getan wird,
die Investitionstätigkeit in der Wirtschaft beein- Meine Damen und Herren, wir sollten uns doch
flußt. Im Gegenteil, im Jahre 1961 sind in Investi- darüber klar sein, daß freie Lebensformen nicht
tionen wiederum überproportional gestiegen. Die Freiheit für die Willkür der Starken, Freiheit für
Selbstfinanzierung der Brutto-Investitionen betrug die Auslieferung der Wirtschaftspolitik an mächtige
570 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. März 1962
Dr. Deist
Interessengruppen bedeuten darf. Es fragt sich also, der Unterschied muß doch — ich bin sehr froh,
welche Methoden der moderne Staat zur Verfügung wenn Sie dem zustimmen, und hoffentlich können
hat. Mein Kollege Schoettle hat heute schon ange- wir gemeinsam die Konsequenzen ziehen — in den
deutet und hat es in früheren Haushaltsdebatten Methoden 'bestehen, mit denen wir eine gesunde
ausführlich dargelegt, daß die modernen Industrie- wirtschaftliche Entwicklung sichern.
staaten des freien Westens sich auf der Grundlage
einer volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung ein In- Eine Voraussetzung für eine solche mit freiheit-
strument für diese Dinge erarbeitet haben, nämlich lichen Mitteln durchgeführte Wachstumspolitik sind
vorausschauende Wirtschaftsbudgets für die nächsten eben diese vorausschauenden Wirtschaftsbudgets.
Jahre. Und sie unterscheiden sich grundlegend von dem,
was jenseits der Zonengrenze geschieht. Sie unter-
Es ist vielleicht nicht uninteressant, darauf hinzu-
scheiden sich darin, daß alle gemeinsam unter das
weisen, daß der Konjunkturausschuß bei der Euro-
Gesetz der Verantwortung gestellt, aber nicht ein-
päischen Wirtschaftsgemeinschaft, der bezeichnen-
heitlich kommandiert werden. Sie unterscheiden
derweise unter dem Vorsitz des deutschen Staats-
sich darin, daß die Ziele für die langfristige Wirt-
sekretärs Professor Müller-Armack tagt — der sich
schaftspolitik aufgestellt werden auf der Grundlage
hier ein großes Verdienst erworben hat —, einstim- von Feststellungen unabhängiger Experten und auf
mig festgestellt hat, es sei für die Sicherung einer
einer Grundlage, die mit den freien gesellschaft-
gesunden wirtschaftlichen Entwicklung in Europa
lichen Kräften, insbesondere mit den Arbeitnehmern
notwendig, in allen Mitgliedstaaten — in allen und Arbeitgebern, beraten worden ist. Sie unter-
Mitgliedstaaten — vorausschauende Wirtschafts- scheiden sich dadurch, daß sie der Kontrolle des
budgets nach gleichen Grundsätzen aufzustellen. Parlaments unterliegen. Und sie unterscheiden sich
Wir lesen in der Presse, daß in Großbritannien der schließlich darin entscheidend von dem, was im
konservative Schatzkanzler, Selwyn Lloyd — alle, Osten geschieht, daß den Wirtschaftsbürgern —
die etwas ängstlich sind in bezug auf Ausdrücke, Unternehmern sund Arbeitnehmern — prinzipiell
bitte ich um Entschuldigung; ich habe den Ausdruck ihre freie Entscheidung gesichert wird und daß
aus Großbritannien übernommen —, ein Planungs- ihnen Schutz gegen behördliche Eingriffe in die
gremium geschaffen hat mit der Aufgabe, die Wirt- freie Wirtschaftssphäre 'gegeben wird. Das ist der
schaftslage und die Pläne der Industrie zu prüfen, Unterschied zwischen einer zielbewußten Wirt-
die Hindernisse zu untersuchen, die einem schnel- schaftspolitik im Westen und dem, was wir im
leren Wachstum der Wirtschaft 'entgegenstehen, Osten erleben.
und Methoden zu entwickeln, mit denen die Lei-
stungsfähigkeit der Wirtschaft mit dem Ziel eines In der Entwicklung eines solchen vorausschauen-
gesunden Wachstums verbessert werden kann. Das den Wirtschaftbudgets liegt auch zugleich der
ist auch unser Problem: ob wir uns zu Maßnahmen Zwang, eine Wirtschaftspolitik zu betreiben, die
entschließen, die geeignet sind, eine gesunde Ord- nicht einseitig bestimmte Wirtschaftsinteressen för-
nung im Ablauf der Wirtschaft auch bei uns in dert, sondern dem gemeinsamen Verantwortungs-
Deutschland sicherzustellen. bewußtsein gerecht wird. Ich möchte anerkennen,
der Herr Bundeswirtschaftsminister hat ungeachtet
Wir wissen, der Herr Bundeswirtschaftsminister seiner theoretischen Abneigung im Anfang des Jah-
ist einem solchen Wirtschaftsinstrument innerlich res 1958 einen Versuch gemacht, ein solches kon-
nicht sonderlich geneigt, wenn ich mich vorsichtig junkturwissenschaftliches Gremium zu gründen. Er
ausdrücken soll. Er hat das Anfang des Jahres 1960 ist dann am Widerspruch des Bundesverbands der
in einer ausführlichen Denkschrift auch zum Aus- Industrie und dem darauffolgenden Veto des Herrn
druck gebracht. Daraus erklärt es sich, daß bei uns Bundeskanzlers gescheitert.
in 'Deutschland wesentliche Voraussetzungen für
eine ausreichende Diagnose der Wirtschaftsentwick- Inzwischen habe ich einige Hoffnung. Ein Sohn
lung und damit für eine langfristige Wirtschafts- des Herrn Bundeskanzlers hat einen bemerkenswer-
politik fehlen. ten Artikel veröffentlicht, in dem jedenfalls Ansatz-
punkte zu einer solchen Regelung enthalten sind.
In diesen Tagen, Anfang März, hat in 'Düsseldorf Herr Bundeskanzler, ich habe die stille Hoffnung,
die Arbeitsgemeinschaft Forschung des Landes daß der Sohn vielleicht einen größeren Einfluß auf
Nordrhein-Westfalen getagt. Auf dieser Tagung hat den Vater hat als der Vizekanzler auf seinen Bun-
Herr ,Professor Wagenfür aus Brüssel dargelegt, deskanzler.
daß er in Deutschland einen beschämenden Rück-
(Heiterkeit. — Beifall bei der SPD.)
stand der Konjunkturstatistik feststellen müsse.
Und Herr Professor Krelle aus Bonn hat von den Herr Kollege Starke, auch bei Ihnen möchte ich
Unzulänglichkeiten unserer gesetzlichen Vorausset- die Hoffnung nicht ganz aufgeben.
zungen für eine solche zielbewußte Wirtschaftspoli- (Erneute Heiterkeit.)
tik gesprochen.
Sie waren zwar nicht bereit, die gleiche Konsequenz
Hier liegt das Problem. Der Unterschied zwischen
zu ziehen wie der offenbar von Ihnen so sehr ge-
uns, der freien Wirtschaft, und der Wirtschaft des
schätzte britische Kollege Thorneycroft, nämlich zu-
Ostens besteht doch nicht darin, daß man da drüben
rückzutreten. Aber vielleicht sind Sie bereit, die
planmäßig und zielbewußt wirkt und bei uns Plan-
Konsequenz zu ziehen, die der jetzige Schatzkanzler
und ziellos wirtschaftet;
und Kollege in Großbritannien gezogen hat, näm-
(Beifall bei der SPD — Zurufe von der lich ein Planungsgremium, das für die Grundlagen
CDU/CSU) einer ausreichenden Wirtschaftsdiagnose und -prog-
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. März 1962 671
Dr. Deist
nose verantwortlich ist, einzuberufen. Vielleicht werde. Meine Damen und Herren, wir sollten uns
sind Sie dazu bereit. im gemeinsamen Interesse überlegen, ob wir uns
Herr Bundesfinanzminister, es ist nicht meine in diesem Augenblick — mehr als vier Wochen nach
Aufgabe, Ihnen Ratschläge zu erteilen. Aber wenn der Katastrophe — mit einer solchen kurzen Dar-
Sie einen Finanzplan für mehrere Jahre, für 1962 stellung begnügen können. Es wird nicht wenige
bis 1964 aufstellen wollen — „Plan" ist in Ihrer geben, die noch die Ausführungen im Ohr haben,
Umgebung schon ein gefährliches Wort; ich warne die der amtierende Präsident, unser Freund Carlo
Neugierige —, Schmid von dieser Tribüne aus gemacht hat. Ich
darf drei Sätze von ihm zitieren:
(Heiterkeit)
in dem Sie die Einnahme- und Ausgabemöglich- Diese Katastrophe hat nicht einzelne Ortschaf-
keiten abtasten, müßten Sie vielleicht doch ein vor- ten und Bundesländer für sich allein geschlagen,
ausschauendes Wirtschaftsbudget als Grundlage sie traf das ganze deutsche Volk. Darum steht
haben, wenn Sie nicht mit der Stange im Nebel das ganze Volk für alle einzelnen ein, in deren
herumfuhrwerken wollen. Aber diese Entscheidung Person es von dem Unheil geschlagen worden
ist überreif. Bitte, hier haben wir eine Chance, mit ist. Bundesrepublik, Länder, Gemeinden, Wirt-
den Mitteln der freien Welt alle Wirtschaftsteil- schaft und Gesellschaft Deutschlands sind in
nehmer, (die frei entscheiden sollen, unter das Ge- unlösbarer Notgemeinschaft aufgerufen, zu han-
setz der gemeinsamen Verantwortung gegenüber deln und vorzusorgen.
der Gesamtheit zu stellen. Der Herr Bundeswirtschaftsminister Erhard hat als
Sie müssen sich aber bewußt sein, meine Damen Stellvertreter des Bundeskanzlers in der Regierungs-
und Herren: Solange die Unternehmer es ablehnen, erklärung zwei ähnliche Sätze gesagt, die ich —
auch Richtpunkte für ihre Unternehmenspolitik an- auch um der Parität willen — hier anführen möchte:
zuerkennen, haben sie kein Recht, nach dem Staat
zu rufen, wenn es um die Lohnpolitik der Arbeit- Meine Damen und Herren, daß diese Katastrophe
nehmer geht. in ihrem Ausmaß über die Leistungskraft eines
einzelnen Landes oder einer Stadt hinausgeht,
(Beifall bei der SPD.) ist selbstverständlich. Auch die Bundesregie-
Und solange Regierung und Parlamentsmehrheit rung ist sich darüber klar, daß neben anderen
diese ihre Verantwortung, wie ich sie eben dar- Lasten ... das ganze deutsche Volk eine Ver-
gelegt habe, verleugnen, haben sie kein Recht, an- pflichtung hat, hier mit zu helfen und mit zu
dere verantwortlich zu machen, wenn die Wirt- heilen.
schaftspolitik auf bestimmten entscheidenden Gebie- Wir sollten uns nun gemeinsam fragen: Wie ist
ten zu Fehlentwicklungen führt. die Lage heute, werden wir der heutigen Lage ge-
Lassen Sie mich nun zu zwei anderen Problemen recht? Der Gesamtschaden läßt sich noch nicht über-
noch einige Worte sagen, zunächst zur Flutkata- blicken. Aber die einzelnen, die betroffen sind und
strophe. Ich möchte nicht die Methode meines Vor- den ersten Schock überwunden haben, stehen jetzt
redners aufnehmen und dieses Unglück, das über vor sehr, sehr harten nackten Tatsachen. Es sind
uns gekommen ist, zu polemischen Auseinander- große und kleine Unternehmen betroffen. Die gro-
setzungen benutzen. ßen Unternehmen sind aus der Natur der Sache in
der Lage, das, was sie getroffen hat, zum Teil selbst
(Lebhafte Zurufe von der Mitte: Das hat er
zu verkraften. Ich möchte hier anerkennend sagen:
doch nicht getan!)
Sie haben das auch in hervorragender Weise getan.
— Na, die Sache mit dem Bundesleistungsgesetz Aber diejenigen, die das Geschehen mit aller Ge-
und der Zwischenruf „Das kam wohl von Hamburg!" walt getroffen hat, sind die große Zahl selbständiger
waren ja nicht so ganz ohne! mittlerer und kleiner Unternehmen.
(Abg. Etzel: Der Redner hat das aber nicht Meine Damen und Herren, wir müssen uns fragen,
getan!) ob eine Überbrückungshilfe mit der Bemerkung, wir
— Meine Damen und Herren, ich sage: gut, bemü- erörterten andere Hilfen, wirklich der Situation ge-
hen wir uns gemeinsam darum, bei den mit der Flut- recht wird. Alle diese mittleren und kleineren Unter-
katastrophe zusammenhängenden Problemen nach nehmer — Industrielle, Handwerker und Einzel-
Möglichkeit alle Polemik zu vermeiden; denn damit händler — haben zu einem erheblichen Teil ihre
werden wir der Sache nicht gerecht. Ich bitte, auch Maschinen, ihre Ladeneinrichtung, ihre Vorräte, d. h.
das, was ich jetzt dazu sage, als einen Beitrag zu ihre Existenzgrundlage verloren. Ein großer Teil
der gemeinsamen Anstrengung, die wir hier alle von ihnen hat Angst, in dieser Situation Kredite
zu machen haben, anzusehen. und Überbrückungshilfen zu übernehmen, weil er
nicht weiß, wie die Dinge weitergehen sollen. Und
Der Herr Bundesfinanzminister hat darauf hin-
die Marschbauern, deren ganzes Vermögen in ihrem
gewiesen, daß die Bundesregierung sehr schnell
Vieh bestand — dabei denken wir daran, daß in
einen Kredit von 200 Millionen DM zur Verfügung
dem Katastrophengebiet an der Unterelbe zwei
gestellt hat, der für zwei Jahre zinslos ist. Ich
Drittel des Viehbestandes verlorengegangen sind —,
möchte dieses schnelle Handeln in keiner Weise
die Obstbauern im Alten Land, deren einziger Wert
bagatellisieren, sondern anerkennen.
und deren Existenzgrundlage in ihren Obstbäumen
Der Herr Bundesfinanzminister hat ferner aus- und ihren Obstvorräten bestand, und die sonstigen
geführt, daß über weitere Aufbauhilfen beraten landwirtschaftlichen Betriebe, die alle bis zur näch-
672 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. März 1962

Dr. Deist
sten Ernte keine Betriebseinnahmen mehr haben? ein wichtiger Bestandteil unserer freien Ordnung
Auch sie haben Angst, Kredite und Überbrückungs- sind.
beihilfen anzunehmen und sich damit zu verschul- Meine Damen und Herren, das gilt für die Sach-
den. Es ist vielleicht doch unsere Aufgabe, sich damit schäden an Hausbesitz und die Sachschäden an Be-
einmal zu befassen. Man sehe sich an, wie in dieser triebsgebäuden, Maschinen und Geräten, Grund und
ungeklärten Situation die Hausbanken Fragebögen Boden, Vieh und Vorräten. Alle diese Werte haben
an die Betroffenen austeilen, die beinahe nach einem eines gemeinsam: sie sind die Existenzgrundlage
Offenbarungseid aussehen. Wenn ich das so sage, der Selbständigen. Es geht über die Kraft der Län-
meine Damen und Herren, sehen Sie, daß ich keiner- der hinaus, diese Schäden angemessen zu entgel-
lei polemische Bemerkungen machen will, sondern ten. Es handelt sich hier um eine so große Aufgabe,
daß es sich hier um ein wichtiges gemeinsames daß sie nur als Bundesangelegenheit betrachtet wer-
Problem handelt. Ich meine jedenfalls, wir haben die den kann.
Aufgabe, dafür zu sorgen, daß diese Menschen, die
zur Zeit Angst und Sorge um ihre Zukunft haben, (Abg. Etzel: Doch nicht nur! — Weitere
nicht der Mutlosigkeit und der Verzweiflung an- Zurufe von der CDU/CSU: Nicht nur!)
heimfallen. — Federführend als 'Bundesangelegenheit! Ich habe
Wir sollten ernsthaft überlegen: Haben diese gesagt: Es ist eine gemeinsame Aufgabe, die Lasten
Menschen nicht Anspruch darauf, zu wissen, wie in zu tragen. Ich bin ferne davon, zu meinen, die ge-
etwa der Schaden geregelt wird? Ich habe ein be- samten Lasten müsse der Bund übernehmen.
klemmendes Gefühl, wenn ich sehe, mit welcher
(Abg. Dr. Vogel: Bitte keine Spezialdebatte
ängstlichen Sorge dieser Gedanke zurückgehalten
über die Flutkatastrophe!)
wird, über Schaden und Schadenserstattung zu
sprechen. Jene dort oben wissen, was in den Niederlanden
Hier handelt es sich nicht mehr um Einzelschick- getan wurde. Und vielleicht könnten wir uns ein
sale, hier handelt es sich um eine Katastrophe Beispiel an der niederländischen Regelung nehmen.
nationalen Ausmaßes, für die die Gemeinschaft ein- Da ist unmittelbar nach der Flutkatastrophe von
stehen muß. Jene, die betroffen sind, verlangen von 1953 ein Gesetzentwurf über die Regelung der
uns, daß wir uns der Worte erinnern, die hier am Schäden vorgelegt worden.
22. Februar gesagt worden sind. Wir haben in den (Sehr richtig! bei der SPD.)
letzten Wochen Beispiele des Gemeinschaftsbewußt-
Die kleineren Sachschäden sind voll entschädigt
seins, des solidarischen Handelns, der Hilfsbereit-
worden. Darüber hinaus ist mit Abschlägen ent-
schaft und der Opferbereitschaft in einem Maße
schädigt worden.
erlebt, wie wir das vorher kaum erwartet hatten.
Das waren nicht nur Kommunen, nicht nur die Bun- Meine Damen und Herren, wir sollten uns nicht
deswehr, nicht nur die Polizei, sondern das waren zu viel vormachen; wir sollten wissen, daß eine
vor allem auch die Freiwilligen des Deichschutzes, sinnvolle Regelung der Sachschäden der Flutkata-
die Freiwilligen in den Wohlfahrtsverbänden. Das strophe unumgänglich ist.
waren Tausende, die spontan zur Hilfe eilten. Da (Zustimmung bei der SPD.)
gab es große Beispiele nachbarschaftlicher Hilfe.
Und es gibt Hunderttausende, die gespendet haben Wir sollten uns auch bewußt sein, daß das Grund-
und noch spenden, weil sie meinen, helfen zu müs- gesetz mit der Bestimmung, diese deutsche Bundes-
sen. Das sind breite Schichten unseres Volkes, die republ ik zu einem sozialen Rechtsstaat auszubauen,
hier in Bewegung gerieten. Das sind auch Dinge, uns Verpflichtungen auferlegt, und daß Vorgänge
über die wir in unserer Zeit froh sein können. wie bei der Entschädigung der Vertriebenen und
Flüchtlinge Vorgänge sind, die kraft Grundgesetzes
Diesen Menschen gehört nicht nur der Dank, den zu einer gleichen Behandlung in ähnlich gelagerten
der Bundestag ihnen aussprechen sollte, sondern Situationen zwingen.
ihr Verhalten muß uns auch zu der Überlegung
zwingen, ob wir, Bundestag und Bundesregierung, Darum meine ich, wir sollten uns bereitfinden,
uns dieser Situation gegenüber wirklich gerecht über das hinaus, was der Herr Bundesfinanzmini-
verhalten. Es sind gewaltige Schäden entstanden, ster gesagt hat, hier deutlich zum Ausdruck zu brin-
sie gehen in die Milliardengröße. Das ist eine Auf- gen, daß die Totalschäden kleiner und mittlerer
gabe, die gemeinsam von Unternehmungen, Län- selbständiger Existenzen — naturgemäß bis zu
dern und Bund getragen werden muß. einer angemessenen Grenze — entschädigt werden,
damit die Betroffenen wissen, daß sie eine Grund-
Aber wenn das eine nationale Katastrophe ist, lage für den Wiederaufbau ihrer Existenz bekom-
dann hat der Bund eine entscheidende Verantwor- men. Wir sollten uns dahin entscheiden, daß Teil-
tung zu tragen und auch einen entscheidenden Teil schäden mit entsprechenden Abschlägen erstattet
der Lasten mitzutragen. Die Gemeinden, die Län- werden. Dabei setze ich voraus, daß bei der Beur-
der und die Unternehmen haben sehr viel aufzu- teilung der Frage, ob ein Teilschaden vorliegt, die
bringen, ob es Lohnerstattung, Soforthilfen, Unter- wirtschaftliche Einheit als Ganzes, das gesamte
haltshilfen, Hausratsentschädigung oder ob es vieles wirtschaftliche Unternehmen betrachtet wird.
andere mehr ist. Aber über diesen Rahmen gehen
hinaus die ungeheuren Sachschäden insbesondere Ich habe das hier mit Absicht dargelegt, weil ich
jener breiten Schicht mittlerer und selbständiger fürchte, wie verlieren allzuviel Zeit, und weil wir
Existenzen, die doch nach unser aller Auffassung uns bewußt sein müssen, daß eine solche Katastro-
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. März 1962 673
Dr. Deist
phe auch psychologische Auswirkungen auf .die Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum
Menschen hat, die von ihr betroffen sind. Schluß einige wenige Worte zum Berlin-Problem
sagen. Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat be-
Wir sollten deshalb die Bundesregierung bitten,
richtet, wie die zusätzliche Bundeshilfe von 500 Mil-
sehr bald einen Gesetzentwurf einzubringen, der
lionen DM aufgebracht wird. Wir wissen, daß ein
diese Grundsätze für die Entschädigung deutlich
Berlin-Plan vorbereitet wird. Wir wissen, daß in
werden läßt. Es sollte deutlich werden, ,daß es sich
diesen Tagen ernsthafte Beratungen in Berlin statt-
insoweit um eine gemeinsame Aufgabe handelt. Es
finden. Ich bin weit davon entfernt, durch Äuße-
wäre nicht gut, wenn eine Partei — zum Beispiel rungen von dieser Tribüne aus diese Unterhaltun-
wir — sich gezwungen sähe, hier eine Initiative zu
gen stören zu wollen; im 'Gegenteil, wir haben nach
ergreifen. Wir sind dazu bereit, wenn , die Bundes- allem, was )darüber bisher in die Öffentlichkeit ge-
regierung nicht das Erforderliche veranlaßt. Das Be- drungen ist, die Hoffnung, daß ein gutes Ergebnis
wußtsein gemeinsamer Verantwortung sollte aber erzielt werden wird. Trotzdem meine ich, daß man
durch eine Vorlage der Bundesregierung zum Aus- einige allgemeine Bemerkungen machen sollte, zu-
druck kommen. Wir haben hier nicht mehr sehr viel mal die Dinge in der Öffentlichkeit leider weit mehr
Zeit zu verlieren. erörtert werden, als das von offizieller Seite viel-
leicht möglich ist, was ich gern konzediere.
Vizepräsident Dr. Jaeger: Herr Abgeordneter Bei idem Versuch, Berlin wirtschaftlich abzu-
Deist, gestatten Sie eine Zwischenfrage , des Abge- schnüren und auszuhöhlen, handelt es sich um eines
ordneten Struve? der wichtigsten Mittel der sowjetischen Zonenpoli-
tik. Ich will das unterstreichen, weil ich meine, daß
in der Öffentlichkeit die Bedeutung der wirtschaft-
Dr. Deist (SPD) : Bitte!
lichen Aspekte des Berlin-Problems nicht genügend
erkannt wird. Bis heute sind die Hoffnungen, die
Struve (CDU/CSU) : Herr Kollege Deist, ist Ihnen sich , der Osten in dieser Beziehung gemacht hat, ent-
nicht bekannt, daß auf Anregung meiner politischen täuscht worden; von einer Ausdörrung Berlins ist
Freunde ein interfraktioneller Ausschuß gegründet keine Rede. Aber es ist unsere Aufgabe, den wirt-
worden ist? Ist Ihnen weiter nicht bekannt, daß schaftlichen Aufschwung Berlins zu sichern und da-
dieser in seiner ersten Zusammenkunft einstimmig für zu sorgen, daß Berlin ein wirtschaftliches und
beschlossen hat, daß das Parlament in dieser Frage geistiges Zentrum der westlichen Welt wird.
nur interfraktionell vorgeht? Es sind Vorschläge vorbereitet worden, die, glaube
ich, der heutigen Situation insofern besonders gerecht
Dr. Deist (SPD) : Herr Kollege Struve, mir ist be- werden, als sie strukturelle Maßnahmen zu m Ge-
kannt, daß ein solcher interfraktioneller Ausschuß genstand haben, die der Wirtschaft und dem sozia-
besteht. Mir ist bekannt, daß er Erörterungen an- len Leben Berlins neue Antriebskräfte verleihen,
stellt. Mir ist bekannt, daß Initiativen interfrak- so daß sich die Berliner Wirtschaft aus eigener
tionell ergriffen werden sollen, daß heißt Entschlie- Kraft entwickeln kann. Wenn ich hierzu das Wort
ergreife, dann deshalb, weil es sich um ein wichtiges
ßungsanträge, Gesetzentwürfe und dergleichen mehr
interfraktionell eingebracht werden sollen. Aber, Problem handelt. Wir wissen, daß die Vorschläge
meine Damen und Herren, ich glaube, zumal wenn und die Überlegungen, die gemeinsam angestellt
werden, von Fachsystematikern der verschiedenen
man es in einer solch sachlichen Form macht, wie ich
das hier getan habe, — — Sparten, sei es des Steuerrechts oder des Sozial-
rechts oder anderer ehrenwerter Fachsparten, immer
(Zuruf von der CDU/CSU: Na, na! — Abg. wieder gehemmt werden. Lassen Sie mich hinzufü-
Dr. Vogel: Wir könnten das ja genauso gen: diese Fachsystematiker sitzen auf allen Seiten;
machen!) niemand hat ein Privileg auf sie. Ich meine, wir
sollten zum Ausdruck bringen, daß hier Mut zur
— Ich bin allerdings der Auffassung, meine Damen
Entscheidung vordringlich ist, daß wir über diese
und Herren, daß 'der Herr Bundesfinanzminister zu
allgemeinen Bedenken und Hemmungen fachsyste-
diesem Problem ein klein wenig mehr hätte sagen
müssen. matischer Art hinwegkommen müssen. Es geht um
eine politische 'Entscheidung, die der Bedeutung und
(Beifall bei der SPD.) der Größe des Berlin-Problems gerecht werden muß.
Ich bin auch der Auffassung, auch das sollte unsere (Beifall bei der SPD.)
gemeinsame Sorge sein, daß eine etwaige Vereinba-
rung im ,geschlossenen Kämmerlein, nichts zu unter-
Vizepräsident Dr. Jaeger: Meine Damen und
nehmen nach außen, außerordentliche Gefahren in
Herren! Aus der Mitte das Hauses wurde ich darauf
sich birgt, wenn sie zur Folge hat, daß man draußen
aufmerksam gemacht, daß während der Rede des
nicht weiß, was praktisch geschehen soll. Meine Da-
Abgeordneten Schmidt (Wuppertal) der Abgeord-
men und Herren, ich kann Sie nicht hindern, meine
nete Wehner den Zwischenruf gemacht hat: „Fle-
Darlegungen anders zu interpretieren, als ich sie
gel!". Der Zwischenruf war im Präsidium nicht zu
gemeint habe. Aber Sie waren gemeint als ein sach-
verstehen. Nach dem stenographischen Protokoll ist
licher und ernster Beitrag zu einem Problem, des-
dieser Zwischenruf gemacht worden. Er stellt eine
sen Gefahren schneller über uns hereinbrechen kön-
Formatbeleidigung und eine Störung der Ordnung
nen, als sich das mancher hier träumen läßt.
dieses Hauses dar. Ich rufe den Abgeordneten Weh-
(Beifall 'bei der SPD.) ner zur Ordnung.
674 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. März 1962

Vizepräsident Dr. Jaeger


Das Wort hat der Herr Bundesminister für Wirt- — Sie haben behauptet, daß der Arbeitnehmer, ge-
schaft. messen an dem Einkommen der übrigen, zu kurz
kommt. Ich habe Ihnen, Herr Deist, gesagt: die
Dr. Dr. h. c. Erhard, Bundesminister für Wirt- Investiodlrchmesotalnd,
schaft: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! wie Sie das vorhin angeführt haben. Es ist zwar von
Ich möchte mich zunächst für mich und für die Bun- 1960 auf 1961 noch ein Zugang zu verzeichnen. Sie
desregierung gegen den Vorwurf verwahren, wir meinen, wir hätten eine so schlechte Statistik. Tat-
betrieben eine bewußte Irreführung in unserer Poli- sächlich ist aber bei den EWG-Ländern jetzt unser
tik und unterrichteten die Menschen mit falschen deutscher Konjunkturtest eingeführt worden.
Zahlen. Das ist bestimmt nicht der Fall. Jede Zahl, Wir sind z. B. auch das einzige Land, das voraus-
die ich Ihnen jetzt und auch nachher nennen werde, schauend eine Statistik über den Auftragseingang
ist erhärtet; sie ist auch nicht von mir errechnet. führt, und darüber will ich jetzt berichten: Der
Auftragseingang in der Investitionsgüterindustrie
(Abg. Dr. Deist: Ich habe nicht von falschen
ist von Oktober 1961 his Januar 1962 — die Februar-
Zahlen gesprochen!)
zahlen habe ich leider noch nicht, aber der Trend
Herr Kollege Deist sagte, es müßte eigentlich setzt sich sicher fort — gegenüber dem Vorjahr
selbstverständlich sein, daß auch die Arbeitnehmer jeweils von minus 1,6 % dm Oktober 1961 von Monat
an dem Fortschritt der Wirtschaft, der höheren Pro- zu Monat mehr auf im Januar minus 6,6 % gesun-
duktivität und der steigenden Leistungskraft teil- k en, soweit Investitionsbestellungen aus dem Inland
haben. Das ist eine bare Selbstverständlichkeit. Fol- in Frage kommen. Bei den Investitionsbestellungen
gende Ziffern beleuchten das noch ein weiteres Mal: aus dem Ausland sind die Verhältnisse noch un-
Das Sozialprodukt pro Erwerbstätigen hat in der günstiger. Da ist der Rückgang, bezogen auf die je-
Zeit von 1960 auf 1961 realiter um 3,5 % zugenom- weils gleichen Vorjahrsmonate, von minus 5,7 % im
men. Die Arbeitszeitverkürzung hat 1 1/2 % betrag Oktober auf minus 14,3 % im Januar angestiegen.
gen. Der Zuwachs an Beschäftigten ist durch- die
Arbeitszvküungpachfelöstwordn. Wenn ich überhaupt das ganze Bild der Wettbe-
werbslage im übernationalen Raum betrachte, dann
Die Bruttolöhne und -gehälter haben sich nach der
Gesamtsumme im Jahr 1960/61 um 12,7 % erhöht, haben wir, so muß ich sagen, keinen Grund zu jubi-
lieren. Ich bin der letzte, der den Teufel an die
bezogen auf die einzelnen. Erwerbstätigen in ab-
hängiger Stellung um 10,1 %. Demgegenüber sind Wandmlewot.Dsürganichzume
Temperament passen. Aber nehmen Sie e s mir ab,
die Bruttoeinkommen der Unternehmen in dem glei-
daß es die Vorsorge ist und die Vorausschau — Sie
chen Zeitraum von 1960 auf 1961 um 4,7 % ge-
stiegen, nach Steuerabzug netto um 0,8 %. Die rügen immer, daß sie nicht vorhanden seien —, die
mich hier ernste Töne sagen lassen. Z. B. haben in-
nichtentnommenen Gewinne sind um 18 % zurück-
nerhalb der EWG-Länder alle anderen EWG-Staaten
gegangen. ihren Absatz in die übrigen Räume des EWG-
Angesichts dieser Situation und dieser Entwick- Marktes mehr steigern können, als es die Bundes-
lung kann man wirklich nicht sagen, daß wir den despublik umgekehrt vermocht hat. Das scheint auch
Arbeitnehmer nicht vollwertig an dem Fortschritt, nicht ein Zufall zu sein.
der höheren Produktivität und der steigenden Lei-
stungsergiebigkeit haben teilnehmen lassen. Wenn ich in diesem Jahr bei Reisen nach den
Vereinigten Staaten und Großbritannien und in der
(Sehr ,richtig! bei der CDU/CSU.) Schweiz unmittelbar frontal angesprochen wurde:
„Vor dem deutschen Wettbewerb haben wir keine
Es gibt noch eine andere Zahl, die Sie, wie ich Angst mehr; ihr tut ja alles, um ihn selber zu zer-
glaube, in den letzten Tagen selbst verwendet haben. stören", dann ist das ganz gewiß von außen her
Sie besagt, daß wir die Schallmauer der 60 % jetzt gesehen, und so mag auch etwas Zweckhaftes mit-
durchbrochen haben; —d. h. vom Volkseinkommen spielen. Aber nehmen Sie z. B. die Fertigwaren-
entfallen 62,3 % auf Löhne und Gehälter. einfuhr! Sie ist besonders symptomatisch, weil hier
Ich spreche diese Dinge an, weil wir nicht nur an unmittelbare Vergleichsmöglichkeiten von Land zu
das Heute zu denken haben, aber nicht ,etwa, weil Land gegeben sind. Die Fertigwareneinfuhr steigt
wir glaubten, es sei bei uns alles zum besten ge- von Monat zu Monat, d. h. der Anteil der Fertig-
ordnet und es gebe nichts mehr zu korrigieren. Nein, waren an der Gesamteinfuhr ist steigend.
wie oft habe ich von dieser Stelle aus gesagt: in (Abg. Dr. Deist: Das haben wir gewollt!)
diesem turbulenten, dynamischen und expansiven
Geschehen seit dem Zusammenbruch und seit dem — Das haben wir gewollt, um den Wettbewerb zu
Wirken der Bundesregierung konnte keine göttliche beleben. Aber wir müssen schließlich sehen, daß wir
Gerechtigkeit obwalten. Das Gesellschaftsbild, das unsere Wettbewerbsfähigkeit, unsere Leistungskraft
mir vorschwebt, hat zweifellos eine etwas andere aufrechterhalten.
Struktur als die Gegenwart. Aber das schöne und (Beifall bei der CDU/CSU.)
gute Ziel kann man ganz bestimmt nicht einfach da-
durch erreichen, daß man die Nominaleinkommen Wir sind immer weniger allein in der Welt. Der
nach Belieben erhöht. Da muß ich schon sagen: war- Gemeinsame Markt ist mitten in Deutschland. Das
um begnügen wir uns dann mit 10 %; 20 % wären spüren wir sehr deutlich. Sie sagen, wir haben nichts
noch besser?! getan; — na, wir haben, um die Konjunktur zu
bremsen und Preiserhöhungen zu verhindern, in
(Abg. Dr. Deist: Wer verlangt denn das?!) zweimaligen Aktionen, ohne nach einer Gegen-
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. März 1962 675
Bundeswirtschaftsminister Dr. Dr. h. c. Erhard
leistung zu fragen, die Zölle auf dem gewerblichen zeitverkürzung gehört dazu, die man von anderer
Sektor um insgesamt 45 % gesenkt. Seite aus teils sogar gerne sieht, weil sich dadurch
Wir haben im vorigen Jahr im März die Wäh- ein Konkurrent selber schädigt. Das trägt aber alles
rungsaufwertung durchgeführt. Es ist ganz interes- nicht dazu bei, uns in der Welt Ansehen zu ver-
sant, zu sehen, wie die Reaktion auf diese Wäh- schaffen. Man hört jetzt schon wieder solche
rungsaufwertung gewesen ist. Die Gewerkschaften Stimmen: Die Deutschen können doch nicht maß-
haben gesagt: „Das geht uns überhaupt nichts an, halten; sie können es nicht ertragen, wenn es ihnen
das braucht uns nicht zu interessieren", — immer- gut geht. Das müssen wir uns auch einmal merken.
hin eine bemerkenswerte Aussage. Aber auch die Aus der deutschen Geschichte wissen wir, daß wir
Unternehmer haben sich merkwürdig verhalten. Die nicht immer nur durch einen Anstoß von außen her
einen haben gesagt: „Der deutsche Export wird gescheitert sind; nein, wir sind oft auch an unserer
damit vernichtet". — Na, er ist nicht vernichtet eigenen Hybris gescheitert und haben darunter
worden, er ist etwas schwieriger geworden. Die an- Schaden gelitten.
deren haben gesagt: „Die Gewinne, die da anfallen, (Beifall bei den Regierungsparteien. —
werden sich schon die Unternehmer teilen." Die Abg. Mattick: „Die ich rief, die Geister,
Tatsache ist die, daß unsere Einfuhrgüter seit dem werd ich nun nicht los!")
Zeitpunkt der Währungsaufwertung eine Preissen-
kung um 5 % erfahren haben und daß damit zwei- — Na, ich hoffe, das ist keine Klage wegen des
fellos ein sehr erheblicher Druck auf das deutsche raschen Aufstiegs der deutschen Volkswirtschaft.
Preisniveau ausgeübt wurde. Natürlich hat sich das Herr Kollege Deist hat zwar gesagt, daß wir nach
auch in Gewinnminderungen ausgewirkt. Sie selber dem Ende der Hitler-Herrschaft 12 Jahre CDU-
haben das anerkannt, aber diese Entwicklung stößt Regierung gehabt hätten. Ich glaube, das deutsche
natürlich an Grenzen. Wenn die Investitionstätig- Volk weiß das zu schätzen, denn diese CDU-Regie-
keit erlahmt, aus welchen Gründen auch immer, rung hat ihm immerhin einiges gebracht.
- jeder
dann müßte jeder, meine ich, jede Partei und
Stand und jede Gruppe, darum besorgt sein, daß (Beifall bei der CDU/CSU.)
daraus kein Unheil erwächst, und sollte anerkennen,
daß derjenige verantwortungsbewußt handelt, der Sie haben dann von der mangelnden Berücksichti-
zur rechten Zeit mahnt. gung der Interessen der Arbeitnehmer gesprochen.
Eines ist hier ganz interessant. Ich entsinne mich
Es ist auch nicht so, daß wir nur die Arbeitnehmer ganz deutlich — ich weiß nicht, ob Sie, Herr Deist,
ansprechen. Sie haben den letzten Lagebericht des es selber gewesen sind —, daß vor der Bundestags-
Bundeswirtschaftsministeriums zitiert. Hätten Sie wahl von seiten Ihrer Partei gesagt worden ist, so,
den vorletzten hergenommen, hätten Sie darin eine wie der Fortschritt der Produktivität sei, könne man
bewegte Klage über eine zu hohe Selbstfinanzie- damit rechnen, daß in 15 Jahren eine Verdoppelung
rungsquote in der Wirtschaft gelesen. des Einkommens gerade der breiten Massen eintre-
ten werde. Wenn wir die jetzige Lohnzuwachs
(Abg. Dr. Deist: O nein! Einerseits — an quote von 10 % nehmen und nach der Zinseszins-
dererseits heißt es dort zur Selbstfinanzie rechnung vorgehen — was man bekanntlich tun
rung!) muß —, dann ergibt sich in zehn Jahren eine Stei-
Dann sagen Sie, daß Mängel unserer Ordnung gerung — wenn Sie von heute als 100 % ausge-
vorhanden sind. Ja, es gibt Mängel, nämlich ein- hen — um 159 % auf 259 %, und in 15 Jahren, die
mal den Gruppenegoismus, der in Deutschland Sie für die Verdoppelung vorgesehen haben, würde
üppige Blüten treibt und der dazu noch die Wir- bereits eine Vervierfachung eingetreten sein. Sei-
kung hat, daß das, was der einzelne Mensch, das nerzeit waren Sie ja der Meinung, daß die SPD den
Individuum, fühlt und wünscht, was an Hoffnungen Sieg erringen würde. Man kann daraus nur schlie-
und Sorgen lebendig ist, gar nichts mehr mit dem ßen, daß Sie der Meinung waren, bei einer SPD-
zu tun hat, was als kollektiver Wille der Gruppen Regierung würden sich die Arbeitnehmer mit einem
in die Welt hinaustönt. geringeren Lohnzuwachs begnügen als bei einer
CDU-Regierung.
(Beifall bei der CDU/CSU.)
Das ist einer der Mängel unserer Ordnung, daß hier (Beifall in der Mitte. — Abg. Schmitt-
das demokratische Spiel nicht richtig funktioniert. Vockenhausen: Billige Wahlrede! — Wei
tere Zurufe von der SPD.)
(Abg. Dr. Deist: Sehr richtig!)
Es kommt noch etwas dazu, und ich glaube, dessen
Vizepräsident Dr. Jaeger: Herr Bundesmini-
sollten wir auch eingedenk sein, das ist unsere
ster, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn
deutsche Hybris. Wenn man einmal vom Ausland
Abgeordneten Dr. Deist?
auf Deutschland hereinblickt und viel mit Aus-
ländern spricht, stellt man folgendes fest. Wir sind
einst bewundert worden, was wir im Aufbau sei- Dr. Deist (SPD) : Herr Bundeswirtschaftsminister,
tens aller Schichten, Stände und Berufe geleistet ist Ihnen bewußt, daß Sie diesen Teil des Hannover-
haben. Aber anders beurteilt man jetzt unsere Sucht, schen Appells nicht ganz zutreffend zitiert haben?
auf allen Gebieten Rekorde schlagen zu wollen; Ist Ihnen nicht bewußt, daß wir nicht gesagt haben:
ich nenne hier nur die Steigerung der Einkommen, Wir versprechen euch, sondern daß wir gesagt ha-
die Überschätzung der möglichen Gewinne und was ben: Es ist möglich — das hat sogar die Vergangen-
es auf diesem Felde mehr gibt. Auch die Arbeits- heit gezeigt —, diese Entwicklung zu haben, und
676 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. März 1962

Dr. Deist
hier ergibt sich eine große Chance, durch gerechte der Zahlungsbilanz bzw. der Handelsbilanz. Nun,
Verteilung allen Menschen die Möglichkeit zur Sie wissen, was wir alles getan haben, um die Han-
freien Entfaltung zu geben? Das war der Sinn dieses delsbilanzüberschüsse — nicht zuletzt auch aus Soli-
Absatzes. darität gegenüber anderen Ländern der freien Welt
— abzubauen und einen besseren Zahlungsbilanz-
Dr. Dr. h. c. Erhard, Bundesminister für Wirt- ausgleich zu erreichen. In einem Jahr allein hat sich
schaft: Ich werde Ihnen eine andere Rechnung auf- die Zahlungsbilanzposition — allerdings mit Son-
machen, die mir realistischer zu sein scheint. Wenn derleistungen und einmaligen Abzahlungen — um
Sie einen jährlichen Zuwachs von 6 °/%o annehmen, rund 8 Milliarden DM verschlechtert. Also auch von
würde sich in 12 Jahren eine Verdoppelung erge- dieser Seite her ist alles getan worden.
ben. Und davon habe ich vor der Wahl gesprochen.
Die Preise: Ich habe wiederholt ausgesprochen,
Sie haben eine Verdoppelung in 15 Jahren in Aus-
daß ich es sehr begrüßen würde, wenn den Preis-
sicht gestellt und halten gleichzeitig eine Lohnerhö-
steigerungen, die dort eintreten, wo sehr viel
hungsquote von jährlich 10 % womöglich für ange-
messen und praktizierbar. — Aber was hat das alles Arbeitsleistung enthalten ist, Preissenkungen dort
gegenüberstünden, wo die technische Rationalisie-
für einen Sinn!
rung so weit fortgeschritten ist, daß man füglich an-
(Zurufe von der SPD: Eben!) nehmen kann, daß die Möglichkeit für Preissen-
Ich will Ihnen jetzt einmal etwas anderes sagen. kungen gegeben ist. Sie wollen damit auf Folgen
Es gehört wenig Phantasie dazu, sich vorzustellen, der Konzentration und auf den Einfluß wirtschaft-
daß wir dieses Tempo einfach nicht durchstehen licher Macht hinweisen. Es ist gewiß interessant,
können. Wir sind im Gemeinsamen Markt. Er weitet daß die Preise dort am meisten gesunken sind, wo
sich aus; Großbritannien wird dazukommen. Sie der Wettbewerb am stärksten ist. Darum kommt es
kennen die Pläne von Präsident Kennedy, der die darauf an, den Wettbewerb immer wieder aufs
Vollmacht erbeten hat, in weiten Bereichen auf neue zu beleben.
linearer Grundlage die Zölle um 50 % senken zu
Ich befinde mich, wie Sie wissen, im Augenblick
dürfen und bei den Positionen, bei denen 'sich der
in einer Abwehrsituation in bezug auf die Umsatz-
Handel zu 80 % zwischen Nordamerika und Europa
ausgleichsteuer. Hier wäre eine Änderung zwar
abgewickelt, sogar eine Zollsenkung um 80 % vor-
nehmen zu dürfen. Hier kommt also noch einmal technisch durchaus gerechtfertigt, weil tatsächlich
ein Wettbewerber mit einer hohen Produktivkraft die gegenwärtige Belastung durch die Umsatzaus-
auf uns zu, und da glauben Sie, wir könnten uns gleichsteuer beim grenzüberschreitenden Verkehr
von allen Normen, von allen Maßen lösen. Das ist nicht ganz die innere Belastung ausmacht. Aber ich
doch nicht möglich. In den Vereinigten Staaten sind meine, wir haben das seit vielen Jahren so gehand-
die Löhne in den letzten drei Jahren jeweils um habt, und es besteht im Augenblick, da die Kon-
2 bis 3 % erhöht worden. In Großbritannien hat man junktur hier und dort einmal etwas schwächer ge-
ein Gremium geschaffen, das nicht zuletzt die Lohn- worden ist, kein Anlaß, eine Maßnahme zu treffen,
entwicklung in den volkswirtschaftlich tragbaren die wieder auf das deutsche Preisniveau durchschla-
Maßen halten soll. Sie wissen, daß bei dem Abschluß gen könnnte. Sie können mir also beim besten Wil-
der Lohnverhandlungen mit den Eisenbahnern in len — und ich spreche hier stellvertretend für die
Großbritannien der Pegel für dieses Jahr auf unge- Bundesregierung — nicht vorhalten, ich sei von
fähr 3 % gesetzt worden ist; er war im vorigen Jahr einer sozialreaktionären Gesinnung erfüllt. Nein,
sogar geringer. Für uns soll das alles nicht gelten? ich verteile meinen Segen schon gerecht und ich
Allein der gesunde Menschenverstand müßte uns spreche jeden an, den es angeht, so wie es der
sagen, daß es hier gewisse Grenzen gibt, und wenn Augenblick und wie es die Sache erfordern.
wir diese Grenzen mißachten, wird die Konjunktur Übrigens haben Sie sich eines intellektuellen Irr-
eben zusammenbrechen müssen. Ich habe mir bisher tums schuldig gemacht, indem Sie z. B. die Steige-
die erdenklichste Mühe gegeben, die Konjunktur rung des Sozialprodukts in den letzten zehn Jahren
auf Hochtouren zu halten, schon allein deswegen, — ich glaube, Sie hatten diesen Zeitraum genannt
weil unsere Soziallasten, die durch Gesetze gebun- — um 64 % mit der Steigerung der Unternehmer-
den sind, so hoch sind, daß wir uns überhaupt kei- einkommen um 165 % verglichen haben. Die 64 %
nen Einbruch leisten können, ohne daß Unheil über
Sozialproduktsteigerung sind reale Steigerung,
uns kommen müßte.
(Beifall bei den Regierungsparteien.) (Abg. Dr. Deist: Genau das habe ich
Deshalb scheint mir die Erhaltung der gesunden gesagt!)
Grundlagen das Wesentliche zu sein. während die 165 % Erhöhung der Unternehmerein-
Wir wollen auch eine Änderung der Vermögens- kommen 'die nominelle Steigerung aufzeigen.
struktur. Das setzt aber voraus, daß die Stabilität (Abg. Dr. Deist: Genau das habe ich
der Preise, die Sicherheit der Währung gewähr- gesagt!)
leistet bleiben; sonst hat alles Streben keinen Sinn.
Zieht man jetzt die 20 % ab, um die leider die Kauf-
Darum hat derjenige, der das deutsche Volk an-
kraft der D-Mark verwässert worden ist, verändert
spricht und mahnt, die Wahrheit auf seiner Seite.
sich die Lage. Wenn Sie dann noch die Einkom-
(Beifall bei der CDU/CSU.) mensteuerprogression berücksichtigen, sieht das
Sie meinen, die tatsächlichen Ursachen für die Schlußbild unter dem Strich ganz anders aus als das
Preissteigerungen lägen nicht bei den steigenden Ergebnis, das sie mit Ihrem Zahlenvergleich an-
Gehältern und Löhnen, sondern auf dem Gebiete deuten wollten.
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. März 1962 677
Bundeswirtschaftsminister Dr. Dr. h. c. Erhard
Ich bekenne mich nach wie vor dazu, daß eine Vizepräsident Dr. Jaeger: Herr Bundesmini-
jährliche Verwässerung der Kaufkraft oder, anders ster, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
ausgedrückt, eine durchschnittliche Steigerung der
Lebenshaltungskosten um 3 % keine Bagatelle ist, Dr. Dr. h. c. Erhard, Bundesminister für Wirt-
und wir sind alle dafür verantwortlich, daß ein sol- schaft: Ja.
ches Unheil verhindert wird.
(Beifall bei der CDU/CSU.) Vizepräsident Dr. Jaeger: Bitte, Herr Abge-
ordneter!
Aber wenn Sie internationale Vergleiche ziehen,
und zwar gerade auch mit den Ländern, die nach Matthöfer (SPD) : Herr Minister, haben Sie so-
Ihrer Meinung tugendhafter als wir gewesen sein eben nicht einen Vergleich zwischen Nominal- und
sollten, dann erweisen sich Ihre Vorwürfe nicht als Realzahlen gebracht, so daß das, was Sie dem Ab-
gerechtfertigt. Das einzige Land, ,das eine Preis- geordneten Deist vorgeworfen haben, jetzt für Ihre
steigerung zu verzeichnen hat, die unter der in der eigene Argumentation zutrifft, nämlich einen intel-
Bundesrepublik liegt, ist die Schweiz, in der die lektuellen Irrtum begangen zu haben?
Kaufkraft der Währung heute 117 % von 1950 be-
trägt. Danach kommen die USA, .die mit uns auf der
gleichen Höhe liegen. Es schließen sich an Italien
Dr. Dr. h. c. Erhard, Bundesminister für Wirt-
schaft: Nein. Ich wollte damit sagen, daß, wenn das
mit 137 %, Großbritannien mit 154 %, Schweden
Nominaleinkommen stärker steigt als die Produk-
mit 158 % und Frankreich mit 176 %.
tivität, Preissteigerungen selbstverständlich sind. Es
Ich sage das nicht zum Trost, ich sage das nicht gibt keinen anderen Ausweg.
einmal zur Entschuldigung, sondern ich sage das
(Abg. Dr. Deist: Darüber gibt es aber auch
deshalb, um damit zu dokumentieren, daß unsere
keinen Streit!)
Konjunkturpolitik und unsere Anstrengungen,- das
deutsche Preisniveau angesichts all der Erscheinun- Die sogenannte arbeitnehmerfeindliche Bundes-
gen und Ereignisse in ,der Umwelt zu stabilisieren, regierung bemüht sich immer wieder — und ich
eben doch relativ erfolgreich waren. kann das für mich besonders in Anspruch nehmen —,
mit den Gewerkschaften im Gespräch zu bleiben,
Die Sünden, die begangen worden sind, darf man
um zu einer vernünftigen Plattform des Gedanken-
nicht auf einer Seite sehen. Ich habe nie gesagt,
austauschs hinzufinden. Ich hoffe auch jetzt noch,
daß nur die Arbeitnehmer, nur die Gewerkschaften
daß es mir gelingen wird, wieder einen gemein-
Schuld an falscher Entwicklung tragen. Ich habe nie
samen Tisch — ich will absichtlich noch keine Namen
gesagt, daß der Zuwachs an Produktivität der allei-
nennen — zustande zu bringen, an dem die Pro-
nige Maßstab für die Lohnfindung sein sollte. Aber
bleme auf sachlicher, objektiver Grundlage mit mög-
der Lohn kann sich auch nicht völlig von der Pro-
lichst hohem wissenschaftlichem Rang abgeklärt
duktivität loslösen.
werden. Dort soll nicht nur einseitig festgestellt
Ich darf Ihnen in diesem Zusammenhang noch werden, wie hoch Löhne und Gehälter steigen dür-
einige Ziffern nennen. Im Jahre 1959 lagen die fen; dort soll vielmehr einmal das gesamte volks-
Lohn- und Produktivitätssteigerungen ungefähr auf wirtschaftliche Tableau aufgezeigt werden. Ich hoffe,
der gleichen Höhe, so bei 5,5 %. Im Jahre 1960 sind daß das dazu beitragen wird, zu einer besseren
die Löhne pro Kopf um 8,9 % gestiegen, die Produk- Verständigung zu gelangen, aber auch zu einer
tivität um 6,6 %, im Jahre 1961 die Löhne um größeren inneren Wahrhaftigkeit der Argumente,
10,1 % und die Produktivität um nur 3,9 %. die in der Öffentlichkeit vorgetragen werden. Es
scheint mir ein Krebsübel zu sein, daß jeder nur
(Abg. Dr. Deist: Jetzt vergleichen Sie wie seine eigene Sprache und nur zum Fenster hinaus
der reale und nominelle Werte!) spricht. Ich habe mir vorgenommen, das deutsche
— Ja, hier schlägt nämlich das Nominelle ins Reale Volk mit Zahlen und Argumenten anzusprechen,
durch. gegen die einfach nicht anzugehen ist, gerade weil
ich die Zukunft des deutschen Volkes gesichert
(Abg. Dr. Deist: Das ist ja die Frage, die sehen möchte, gerade weil ich weiß, daß wir schon
beantwortet werden muß! — Weiterer Zu etwas auf die schiefe Bahn geraten sind.
ruf von .der SPD: Sie haben selbst gesagt,
daß man .das nicht vergleichen kann!) Aus diesem Grunde ist es höchste Zeit, von den
Ländern zu lernen, die Unheil erfahren haben, heute
— Wissen Sie, was wir machen? Wir machen fol- um ihre Währungen bangen und Kraftanstrengun-
gendes neckische Spiel: Nehmen Sie an, in einer gen machen, wieder ins Gleichgehicht zu kommen.
Kantine werden 100 Eintopfgerichte von je einem Auch bei ihnen begann diese Entwicklung mit einer
Liter gekocht, und es werden 100 Essenmarken aus- absinkenden Produktivität der volkswirtschaftlichen
gegeben, dann bekommt jeder seinen Liter Eintopf. Arbeit, mit steigenden Preisen und einem lang-
Wenn Sie aber 110 Marken ausgeben und jeder sameren Wachstum. Alle diese Zeichen sind heute
bedient werden soll, gibt es eben keinen Liter, son- auch schon in Deutschland wahrzunehmen. Wir wol-
dern nur noch 0,9 Liter. In der Volkswirtschaft heißt len nicht durch ein Absinken unserer Wettbewerbs-
das: die Preise steigen. Das ist eine ganz einfache kraft auch noch das allerletzte Elend erfahren, näm-
Rechnung. lich in Zahlungsbilanznöte zu geraten. Dann hätten
(Beifall bei der CDU/CSU.) wir alles wiederholt, was uns an Fehlern und Sün-
678 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. März 1962

Bundeswirtschaftsminister Dr. Dr. h. c. Erhard


den praktiziert worden ist. Während sich die an- sich zu der Ausgabenseite dieses „Programms der
deren bemühen, allmählich einen Prozeß der Hei- Verheißungen", wie man es genannt hat, zu äußern,
lung einzuleiten, sind wir trotz böser Beispiele, die eines Programms, dem nachgewiesenermaßen auf
heute in der ganzen Welt bekannt sind, daran, wo- der Ausgabenseite keine Realität beizumessen ge-
möglich das nachzuahmen, was die anderen gefehlt wesen ist. Ich will dazu im. einzelnen keine Aus-
und gesündigt haben. Davor müssen die Bundesregie- führungen machen. Wir erinnern uns aber alle noch,
rung und der Deutsche Bundestag das deutsche Volk daß Herr Möller auf Fragen nach der Höhe der Aus-
bewahren. gaben, die den Programmpunkten, zum Beispiel bei
(Lebhafter Beifall bei den Regierungs der Kulturpolitik usw., gegenüberzustellen seien,
parteien.) Fragen, die nicht zuletzt an ihn persönlich gestellt
worden sind, geäußert hat, dazu könne er noch
Vizepräsident Dr. Jaeger: Das Wort hat der keine Zahlen nennen, das sei noch nicht zu schätzen,
Abgeordnete Dr. Dahlgrün. so weit sei man noch nicht.
Dr. Dahlgrün (FDP) : Herr Präsident! Meine Da- (Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller: Stimmt ja
men und Herren! Ich muß eingangs meiner Ausfüh- nicht!)
rungen ganz kurz — ich darf sagen, leider — auf Ich finde, daß das keine Art ist, mit den Schät-
die Äußerungen von Herrn Kollegen Deist zu der zungen auf der Einnahmenseite hier zu versuchen,
Hamburger Flutkatastrophe zurückkommen. Es kann die Ausgabenseite zu rechtfertigen.
wohl keinem Zweifel unterliegen, daß sich die in-
Herr Möller, ich will nicht ins einzelne gehen; es
terfraktionelle Verabredung ,darauf bezogen hat,
waren ja auch noch andere Punkte in diesem Pro-
den Wettbewerb innerhalb der Fraktionen auszu-
gramm der SPD nicht klar. Es stellt nämlich Voraus-
schließen, auch wenn nur darüber geredet wird. Das
setzungen auf, die wenigstens für die breite Öffent-
hat sich nicht allein auf die Gesetzesinitiative bezo-
gen. lichkeit nicht erkennbar waren. Es hat zur Voraus-
- setzung, daß die Finanzreform, um die wir ringen,
(Sehr richtig! bei der CDU/CSU. — Abg.
Dr. Conring: Gerade das war der Sinn!) (Abg. Schmitt-Vockenhausen: Im Programm
Wir haben die interfraktionelle Arbeitsgemeinschaft war nur eine klare Voraussetzung:
gebildet, um ungestört in Zusammenwirken mit der Adenauer muß weg!)
Bundesregierung der Not steuern zu helfen, die in Ihrem Sinne durchgeführt würde; erst dann kön-
wirklich katastrophal ist. nen Sie dieses Programm als Realität prüfen, vorher
Ich kann in sehr vielen Punkten den Ausführun- unter keinen Umständen.
gen von Herrn Kollegen Dr. Deist durchaus zu- Nun kann ich mich meinem sehr geschätzten Herrn
stimmen. Insbesondere ist — das darf ich vielleicht Kollegen Deist zuwenden, der es als Aufgabe
mit einem an die Adresse der Bundesregierung ge- übernommen hatte, sich nun insbesondere an der
richteten Satz auch sagen — das, was Herr Kollege Freien Demokratischen Partei zu reiben und uns
Deist über die Ungewißheit hinsichtlich der Ver- Mitgliederzahlen vorzuhalten, 100 000 Mitglieder.
zinsung nach den ersten zwei zinslosen Jahren ge- Herr Kollege Deist, ich kann nur fragen: woher
sagt hat, sicherlich der im Moment bedrückendste wissen Sie?
Umstand. Aber ich bin sicher, daß wir nach der (Abg. Hermsdorf: So viel hat sie gar nicht!)
dankenswerten Initiative und Hilfe, die wir bisher
von Bonn aus bekommen haben, auch dieses Pro- Wenn Sie uns die Mitgliederzahl entgegenhalten,
blem in aller Kürze lösen werden. Die Schwierigkeit Herr Deist
besteht eben auch darin, daß noch niemand weiß, (Zurufe von der SPD)
in welcher Höhe Schäden wirklich entstanden sind. — ich komme gleich darauf zurück —, dann möchte
Das ist in Hamburg durchaus noch offen, in Nieder- ich sagen: es sind immerhin 4 Millionen Wähler, die
sachsen und den anderen Küstenländern ebenso. vielleicht einem Parteivorsitzenden auch das Recht
Das eingangs zu der Frage, die von Herrn Dr. Deist geben, wenn es nötig ist, einmal etwas gegen die
— ich sage noch einmal, leider — behandelt wor- Gewerkschaften zu sagen oder auf Bedenken auf-
den ist. merksam zu machen.
Ich muß nun zurückkommen auf die Haushalts- (Abg. Wehner: „Einmal etwas" ist sehr nett
rede — wir sind ja in einer Haushaltsdebatte, wenn gesagt!)
ich nicht irre — des Herrn Kollegen Möller von der
sozialdemokratischen Fraktion heute vor der Mit- Herr Deist, wenn Sie mit 100 000 Mitgliedern kom-
tagspause. Ich möchte dabei einen Punkt heraus- men — Herr Wehner, es kommt noch viel schlim-
greifen. Herr Kollege Möller hat sehr geschickt, mer —, könnte ich Ihnen z. B. vorhalten, daß wir in
finde ich, in seiner Haushaltsrede heute morgen das der Bundesrepublik 25 Millionen Beschäftigte haben
Regierungs- und Finanzprogramm 'der Sozialdemo- und daß der Deutsche Gewerkschaftsbund 6,5 Mil-
kratischen Partei, dem der Wähler am 17. Septem- lionen Mitglieder angibt. Man könnte immerhin auch
ber 1961 eine Absage erteilt hat, durch den Hin- einmal die Frage stellen, ob der Deutsche Gewerk-
weis auf die Steuerschätzzahlen des Bundesfinanz- schaftsbund auf Grund dieses Verhältnisses den An-
ministers als richtig darzustellen versucht. Ich will spruch erheben darf, ausschließlich für alle Arbeit-
die Übereinstimmung oder die annähernde Über- nehmer zu sprechen.
einstimmung der Steuerschätzungen gar nicht be- (Abg. Dr. Mommer: Wie viele Mitglieder
streiten. Er hat es aber geflissentlich vermieden, hat die FDP?)
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. März 1962 679
Dr. Dahlgrün
— Ich komme gleich darauf, Herr Mommer, einen Abhängigkeit der Löhne innerhalb der einzelnen
Augenblick. Wenn Sie mir Ihre Zahlen bringen, Gruppen untereinander schlimme Wirkungen haben
gebe ich Ihnen meine. Ich bin bereit, sie auszu- muß, Wirkungen, die mit dem Stein zu vergleichen
tauschen. sind, den man ins Wasser wirft und der sich immer
weiter ausdehnende Ringe hervorruft.
(Abg. Wehner: Die sind genauso bekannt
wie die Kassenberichte bei uns!) Herr Dr. Deist, Sie haben von der Plan- und Ziel-
losigkeit der Politik der Bundesregierungen der
— Bitte, ich weiß, daß Ihnen diese Zahlen unange- letzten 12 Jahre gesprochen. Ich muß .Sae wirklich
nehm sind; ich muß aber nach den wirklich sehr fragen: Woher sind denn nun die Erfolge, die Sie
scharfen und unsachlichen Angriffen nach dem, was selbrank,igtcheomn?Hab
Sie uns alles vorgehalten haben— das darf ich doch Sie schon einmal überlegt, wie durch ziel- und plan-
wohl in aller Freundschaft sagen, Herr Kollege loses Handeln verschiedener Bundesregierungen ein
Deist —, auch Ihnen einmal sagen, wie es bei Ihnen derartiger wirtschaftlicher Aufschwung hervorge-
aussieht. bracht werden könnte? Da liegt doch irgendwo in
(Beifall bei den Regierungsparteien.) Bruch in der Beweisführung. Nach normaler Lebens-
Es ist ja doch nicht so, Herr Deist, daß, wenn wir erfahrung kann man solche Erfolge mit Ziel- und
von den Grenzen des Wohlfahrtsstaates reden, wir Planlosigkeiten keineswegs erzielen.
immer die Gedanken haben, die Sie uns hier in einer Ich möchte jetzt auch noch zum Schluß ein. Wort
ganz bestimmten Art unterstellen. zu Ihrer Art sagen, uns immer zu unterstellen, daß
(Zurufe von der SPD.) wir Angst hätten vor dem Wort „Plan", vor dem
Begriff „Planung". Sie entschuldigen sich ungefähr,
Ich kann Ihnen dafür in derselben Art sagen, Herr wenn Sie das Wort benutzen. Nun, ich weiß gar
Deist: Am besten arbeitet man für die Wohlfahrt, nicht: Wo wird eigentlich mehr geplant und voraus-
wenn man die Preise stabil hält und wenn man geschaut als 'in der Wirtschaft? Herr Professor Er-
dafür sorgt, daß man für die Mark immer wieder hard hat das schon für die Regierung gesagt. Aber-
dasselbe kaufen kann. Herr Dr. Deist, es kommt darauf an, was und in
(Beifall bei den Regierungsparteien und bei welchem Geiste geplant und vorausgeschaut wird.
der SPD.) (Abg. Dr. Deist: Genau das habe ich gesagt!)
Wir haben vorhin von Herrn Bundeswirtschafts- — Ich bin mit Ihnen völlig einig. Ehe wir aber ge-
minister Erhard etwas über das englische Beispiel meinsam planen und vorausschauen können, müssen
der Lohnerhöhungsgrenze van ca. 2,5 % gehört. Ge- Sie Ihre Gedanken aufgeben, die irgendwie mit Um-
rade in den letzten Tagen haben wir in der Presse verteilung von Eigentum und Vermögen, irgendwie
darüber gelesen. Im Laufe der letzten zehn Jahre mit Umschichtung zusammenhängen. Ich nenne als
sind in den USA auch nicht viel mehr als jährlich ein Beispiel die Deutsche Nationalstiftung, wo aus-
durchschnittlich 2,5- bis 3,5prozentige Lohnerhöhun- gerechnet von Ihnen eine riesige Wirtschaftsmacht
gen durchgeführt worden. Ich gebe gerne zu, daß soll, die dann allerdings zusamengbrchtwd
wir vielleicht von einem niedrigeren Level aus- jede Planung überflüssig macht.
gegangen sind, daß wir mehr nachzuholen haben;
aber ich verlange, daß auch die Gewerkschaften, und Eine wirkliche wirtschaftliche Planung ist etwas,
selbstverständlich die Arbeitgeber, die gesamtwirt- was wir absolut bejahen; ja, sie ist im Wirtschafts-
schaftliche Rechnung mit in Betracht ziehen und sich leben eine Selbstverständlichkeit. Aber die Planung,
darüber klar sind, daß es, wenn ich die Grenzen des die Sie meinen, ist ganz etwas anderes; hinter der
Wohlfahrtsstaates dadurch überschreite, daß ich die stehen eben doch — Herr Dr. Deist, Sie haben mich
Schraube überdrehe und die schlimmen Wirkungen, bisher noch nicht vom Gegenteil überzeugt — ir-
von denen Sie selbst gesprochen haben, erzeuge, gendwelche Sozialisierungstendenzen, Verplanungs-
dann absolut richtigt ist, zu bremsen. tendenzen, die wir nicht wollen. Es ist schon richtig,
wenn Sie den Gegensatz zwischen Weist und Ost in
Ich will mich auch nicht, weil wir ja in einer Haus- dem Unterschied der Methode gesehen haben. Ge-
haltsdebatte und nicht in einer Wirtschaftsdebatte rade auf die Methode, Herr Dr. Deist, kommt es an.
sind, weiter mit Ihnen über diese Vergleiche unter- (Beifall bei den Regierungsparteien.)
halten. Bei den Vergleichen Löhne — Gehälter —
Unternehmergewinne vergessen Sie immer wieder,
wieviel an Investitionsrate in diesen Unternehmer- Vizepräsident Dr. Jaeger: Das Wort hat der
gewinnen enthalten ist. Herr Abgeordnete Dr. Burgbacher.
Herr Dr. Deist, Sie haben Ferdinand Fried zitiert Dr. Burgbacher (CDU/CSU) : Herr Präsident!
und ihm seine Äußerung wegen des Dammbruchs
Meine Damen und Herren! In einer Haushalts-
vorgeworfen. Nun schön, im Zusammenhang mit der debatte spielt die Wirtschaftspolitik .als einer der
Tarifregelung der Metallindustrie von einem Damm-
entscheidenden Hintergründe für die Gestaltung des
bruch zu sprechen, ist möglicherweise eine sehr
Haushalts und vor allem für etwaige, im Laufe des
scharfe journalistische Ausdrucksweise. Aber Fried
Etatjahres noch mögliche Veränderungen ides Haus-
wollte auf die wichtige Frage der Abhängigkeit der
halts und noch viel mehr für kommende Haushalte
einen Lohngruppe von der anderen hinaus. Er natürlich eine große Rolle.
wollte in diesem Aufsatz, den ich gelesen habe, zei-
gen, daß, wenn die einen zuviel fordern und die Wer versucht, den bisherigen Ablauf der Debatte
Sache überziehen, das selbstverständlich bei der auf einen Nenner zu bringen, kann mit einiger
680 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. März 1962
Dr. Burgbacher
Überraschung feststellen, daß die Kollegen aus der sonst im Zusammenhang mit 'der Debatte meinen
Regierungskoalition, an der Spitze der Bundes- könnte. Es wäre nun eine billige Antwort, wenn ich
kanzler, der Bundesfinanzminister und damit das sagte, daß wir zum großen Teil die Vermutung ha-
Kabinett, eine warnende Haltung einnehmen und ben, daß auch unsere Kollegen von der SPD gele-
zum Ausdruck bringen: „Achtung, maßhalten!" und gentlich 'einseitig mächtige Interessengruppen stüt-
daß uns Idle Vertreter der Opposition mehr zutrau- zen. Ich glaube, die mächtigste Interessengruppe in
en, als wir im Augenblick selbst für möglich halten. der Bundesrepublik neben oder nach der Regierung
Mir scheint das eine für unsere Politik durchaus ist der DGB. Ich glaube nicht, daß es noch eine
beachtenswerte positive Folge zu sein, wenn der, ebenso mächtige gibt. Was soll das also? Daß die
der eine Politik zu verantworten hat, diese mah- Interessengruppen in einer Demokratie ihren lega-
nende, maßvolle Haltung einnimmt, während die len Platz haben und daß sie berechtigt sind, die
Opposition, die diese Politik eigentlich zu kritisie- Abgeordneten ihres Vertrauens anzusprechen, wird
ren hätte, der Meinung ist: Na, ganz so dramatisch, doch wohl niemand bezweifeln wollen.
ganz so schlimm und ganz so ernst, wie ihr es sagt,
ist es eigentlich nicht. Meine Damen und Herren, Herr Kollege Deist hat ebenfalls die Landwirt-
wir buchen das als eine Anerkennung für das bisher schaft erwähnt. Nun, die Landwirtschaftsprobleme
Erreichte. In der Tat, wenn vor zehn Jahren von sind sicher noch nicht gelöst. Aber die Landwirt-
diesem oder einem entsprechendem Platz aus je- schaftsprobleme lösen wollen und sich gleichzeitig
mand gesagt hätte, welchen Inhalt und welche Pro- über die Steigerung von Lebensmittelpreisen be-
blematik heute unsere Haushaltsdebatte haben klagen, dazu finde ich nicht den Schlüssel. Entweder
würde, er wäre unter die Phantasten abgelegt wor- müssen Sie die Landwirtschaft noch stärker subven-
den. tionieren und können die Preise halten, oder Sie
müssen die Preise der Marktentwicklung folgen las-
Was wollen wir? Es ist besonders herausgegriffen sen, wobei die Lohnschwere der landwirtschaft-
worden: „Nicht alles auf einmal" und „Nicht zu lichen Produkte zu beachten ist; oder Sie müssen
viele Ausgaben". Ich meine, dieses „Nicht-alles auf den Import billiger Nahrungsmittel zulassen, und
einmal" sollten wir alle sehr ernst nehmen. Die Kol- dann ist die Verelendung der Landwirtschaft kom-
legen der SPD haben die Meinung, das richte sich plett. Was wollen Sie nun eigentlich?
nur an die Gewerkschaften. Das ist absolut nicht
so. Dieses „Nicht alles auf einmal" richtet sich a n (Abg. Kriedemann: Es gibt auch noch einen
jeden in seiner eigenen Verantwortung, gleichgültig dritten, intelligenteren Weg!)
ob er in einer Verwaltung, in einem Unternehmen, — Ja, dann sagen Sie es doch! Machen Sie doch das
in einer Gewerkschaft, in einem Parlament oder Hohe Haus mit Ihrer Intelligenz vertraut!
sonstwo tätig ist. Dieses „Nicht alles auf einmal"
kann man auch nicht in Atome auflösen. Man kann (Beifall bei der CDU/CSU.)
nicht sagen: Lohnerhöhung, Urlaub, Freizeit, Preise, Bitte, gehen Sie doch ans Mikrofon!
Investitionen aus der Selbstfinanzierung, das geht (Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Kurl
jedes für sich. Das sind alles die Dinge, die nicht
baum: Er darf ja nur Fragen stellen!)
mehr „alle auf einmal" gehen. Obwohl wir uns alle
nach 'dem glücklichen Verlauf der letzten zehn Jahre — Er will ja nicht hingehen und fragen, Herr Kurl-
daran gewöhnt haben, ist es jetzt an der Zeit, zu baum. Ich habe es ihm vorgeschlagen; er tut es ja
sagen: Bitte nicht so schnell! nicht!
Das andere Wort lautet: „Nicht zu viele Ausga- Es ist gesagt worden, wir lüden die Kosten einer
ben" ! Was die öffentliche Hand kassiert, gleichgül- mißratenen Wirtschaftspolitik auf die Arbeitnehmer
tig von welchem Bürger, entzieht sie der privaten ab. Ich glaube, es ist unsere Pflicht, diesem Satz
Dispositionssphäre dieses Bürgers. Anders ausge- nachdrücklich zu widersprechen.
drückt: Was von der öffentlichen Hand kassiert (Beifall bei der CDU/CSU.)
wird, kann nicht mehr in die private Eigentums-
und Vermögensbildung hinein. Sonst wäre es die Das ist eine objektive Unwahrheit.
Lösung für die Quadratur des Kreises, aber die ha- (Erneute Zustimmung bei der CDU/CSU.)
ben wir bis jetzt noch nicht gefunden. Wenn es
aber in einer prosperierenden Wirtschaft nicht mög- Wer feststellt, daß sich der sogenannte Lebens-
lich ist, durch Sparprozesse Eigentum zu bilden, haltungsindex in Iden letzten zehn Jahren um etwa
weil die öffentlichen Aufwendungen zu hoch wer- 24 % verändert hat, gleichzeitig aber das Nominal-
den, dann ist ein sehr bestimmtes und wichtiges einkommen um 70 bis 80 % gestiegen ist, und dann
Ziel einer freien, demokratischen, personbezogenen, diesen Satz noch sagt, der bringt seine Glaubwür-
rechtsstaatlichen Ordnung in Frage gestellt. Deshalb digkeit ernstlich in Gefahr.
kämpfen wir darum, daß neben der Erfüllung der (Beifall bei den Regierungsparteien.)
öffentlichen Aufgaben und neben der Befriedigung
Zu dieser Frage der Kaufkraftveränderung möchte
der Lebensbedürfnisse Raum für private Vermö-
gensbildung bleibt. Denn wir sind der Meinung, daß ich 'doch ein kurzes Wort sagen. Meine Damen und
zur Personenwürde das personbezogene Eigentum Herren, in einer Zeit, in der durch Energie, Auto-
im möglichen Umfang nun einmal gehört. mation, Technisierung das Bruttosozialprodukt stän-
dig wächst, wachsen mit Recht die Löhne, nominell
Herr Kollege Deist hat gesagt, wir stützten ein- und absolut; müssen sie, sollen sie; es soll jeder
seitig mächtige Interessengruppen. Ich nehme an, seinen Anteil an der Steigerung des Bruttosozial-
er meint die Wirtschaft. Ich wüßte nicht, was er produkts haben. Daß damit natürlich eine wesent-
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. März 1962 681
Dr. Burgbacher
liche Veränderung des Preisfächers verbunden ist, Vizepräsident Dr. Jaeger: Das Wort hat der
daß nämlich notwendige, aber lohnschwere Pro- Abgeordnete Hermsdorf.
dukte im Preis steigen und andere, lohnleichte, die
vorwiegend im Fließverfahren — um es einmal ab- Hermsdorf (SPD) : Herr Präsident! Meine Damen
gekürzt und stellvertretend für alle technische Ver- und Herren! Ich habe nur eine kurze Bemerkung
fahren so zu nennen — gefertigt werden, entweder zu machen. Durch die Zwischenfragen des Abgeord-
im Preis fallen oder in 'der Qualität steigen — was neten Struve und des Kollegen Dahlgrün ist der
dasselbe ist —, liegt auf der H and. Zu den natür- Eindruck entstanden, mein Kollege Deist habe sich
lichen Bedürfnissen auch des Arbeitnehmers ge- eines Bruches interfraktioneller Vereinbarungen
hören nicht nur, wie vor zehn, fünfzehn und zwan- schuldig gemacht. Dem ist nicht so. Ich stelle hier
zig Jahren, Nahrung, Wohnung und Kleidung und fest, daß wir in den Teilbesprechungen des inter-
ein wenig an Lebensfreude, sondern gehören heute fraktionellen Ausschusses festgelegt haben, daß der
auch Dinge, die damals noch zu den Luxusbedürf- Versuch gemacht werden soll, in der Frage der
nissen rechneten, heute aber als Erzeugnisse tech- Flutkatastrophe gemeinsam zu beraten und gemein-
nischer Produktion jedem zugänglich sind. sam vorzugehen. Diese Verabredung beinhaltet
Deshalb genügt es nicht, nur die Preissteigerung nicht, wie Kollege Dahlgrün gesagt hat, daß darüber
lohnschwerer Produkte heranzuziehen, ohne die auch nicht gesprochen werden soll; denn, meine
gesamte Veränderung in der Lebenshaltung jedes Damen und Herren, es wird ja nicht nur in diesem
unserer Bürger ebenfalls in Betracht zu ziehen. Hause, sondern es wird generell über diese Frage
gesprochen, und das halten wir nicht auf.
(Beifall 'bei der CDU/CDU.)
Ich möchte Sie bitten, die Bemerkungen meines
Professor Wagenführ ist zitiert worden. Auch ich Kollegen Deist hinsichtlich der Flutkatastrophe nur
habe ihn zitiert. Nach der Statistik von Professor so zu verstehen, daß es erstens Gedanken sind, die
Wagenführ stehen die Löhne und Gehälter - in der wir dazu beitragen wollten, was zu geschehen hat
BundesrpblikaStzerschLänd und was gemacht werden müßte, und daß wir zwei-
Gemeinsamen Marktes. tens der Auffassung sind, daß wir, selbstverständlich
in Absprache mit den Ländern, möglichst rasch zu
(Abg. Dr. Deist: Für 'Gehälter stimmt es einem Ergebnis kommen müssen. Im übrigen dürfen
nicht!) Sie sich darauf verlassen, daß die sozialdemokra
— Nein, bei Gehältern führt Italien; entschuldigen tische Fraktion sich nicht nur an die Verabredung
Sie! Bei Löhnen stimmt es; bei Gehältern ist Italien halten wird, sondern alle Anstrengungen unterneh-
uns etwas voran. men wird, um möglichst bald zu helfen; denn wer
bald hilft, hilft besser.
Nun will ich zum Schluß kommen. Was sollen (Beifall bei der SPD.)
eigentlich Prognosen? Ich möchte mir erlauben, vor
Prognosen über die Entwicklung des Bruttosozial-
produkts über drei, vier Jahre hinaus nachdrück- Vizepräsident Dr. Jaeger: Das Wort hat der
lich zu warnen. Sie ist von zu vielen Umständen Abgeordnete Struve. — Er ist im Augenblick nicht
abhängig. Nehmen wir einmal — beispielsweise — im Saal.
an, die Abrüstung würde eine Tatsache werden — Weitere Wortmeldungen? — Herr Abgeordneter
die Aussichten sind nicht groß, aber nehmen wir Dr. Deist.
es einmal an —, ganz oder teilweise; dann würde
die Veränderung des Bruttosozialprodukts in der
Dr. Deist (SPD) : Herr Präsident! Meine Damen
westlichen Welt in den nächsten Jahren anders ver-
und Herren! Gestatten Sie mir einige abschließende
laufen, als sie bei der Aufrüstung verlaufen muß.
Bemerkungen.
Oder nehmen wir an, eine Befriedung mit dem Ost-
block ist möglich, und es treten Wirtschaftsbezie- Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat recht mit
hungen zwischen dem Ostblock, zwischen dem Hinweis, daß es eine unglückliche Angelegen-
COMECON und EWG oder der atlantischen Welt heit ist, wenn man, was heute in der Öffentlichkeit
ein. Dann wird die Entwicklung eine andere sein. weidlich geschieht, mit Argumenten aneinander
Ja, sogar jede Veränderung in der Größe des Ge- vorbeiredet. Meine Damen und Herren, ich habe
meinsamen Marktes wird sich auf den Umfang der mir Mühe gegeben, darzulegen, wie im langfristigen
Steigerung des Bruttosozialprodukts auswirken. Trend die wirtschaftliche Entwicklung zu sehen ist,
insbesondere auch die Lohn- und Gehaltsentwick-
Ich kehre zu dem Anfang meiner Ausführungen lung. Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat dem-
zurück und sage: wir müssen bei dieser Haushalts- gegenüber durchaus zutreffende Zahlen über die
debatte uns alle vornehmen, da wir doch alle das Entwicklung im Jahre 1961 gegeben. Dann kann man
Beste für unser Volk wollen, mehr maßzuhalten, als natürlich schwerlich erfolgreich miteinander disku-
wir auf Grund der stürmischen Entwicklung der tieren.
letzten zehn Jahre geglaubt haben, maßhalten zu
Wie kommt der Herr Bundeswirtschaftsminister
sollen. Wir treten in ein langsameres Tempo ein. aber dazu, zu sagen, er wolle keine einseitigen
Das ist kein Grund zur Beunruhigung. Aber — ent- Urteile abgeben, aber es sei völlig unmöglich, die
schuldigen Sie das triviale Wort — macht mal Löhne und Gehälter uferlos steigen zu lassen; so
Pause! etwa hat er sich ausgedrückt. Meine Damen und
(Beifall und Heiterkeit bei der CDU/CSU.) Herren, ich weiß nicht, gegen wen er damit polemi-
682 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. März 1962
Dr. Deist
siert hat, jedenfalls nicht gegen uns. Wir wissen hen, darüber dürfte wohl kein Zweifel mehr be-
natürlich genau — ich habe selbst die Zahlen ge- stehen. Auch wir wissen, daß das Konsequenzen
nannt —, welche Bedeutung die Lohn- und Ge- auch für die Wirtschaft wie für die übrigen gesell-
haltsentwicklung hat und daß man sie nicht ins schaftlichen Bereiche hat. Aber vielleicht haben Sie
Uferlose laufen lassen kann, daß sie sich im Rahmen doch Angst, daß wir dieses Instrument einmal nut-
ökonomischer Grenzen halten muß, die nun einmal zen könnten und 'dann mit normalen, in unsere
gegeben sind. Aber wir sind der Meinung, daß man demokratische Ordnung passenden Mitteln dafür
innerhalb dieser ökonomischen Grenzen zielbewußt sorgen, daß die Grundlagen der heutigen Machtver-
und planmäßig auf eine gerechtere Beteiligung aller teilung, soweit sie in der Einkommens- und Ver-
am gemeinsam erarbeiteten Volkseinkommen hin- mögensverteilung bestehen, ein wenig geraderücken.
wirken muß. Darum bedauere ich, daß der Herr Nur so kann ich Ihre Hemmungen verstehen. An-
Bundeswirtschaftsminister nicht etwas näher auf den ders sind sie nicht zu verstehen.
Gedanken eingegangen ist, sich ein brauchbares In-
Eine letzte Bemerkung zu Herrn Kollegen Burg-
strument für die Entwicklung einer langfristigen,
bacher. Er hat von den mächtigen Interessengrup-
planmäßigen Politik zu schaffen. Das ist nämlich ein
pen gesprochen, und er hat nicht ganz falsch .ge-
Instrument, mit dem man abschätzen kann, was sich
raten, wenn er meinte, daß ich damit auf die wirt-
im Rahmen der ökonomischen Grenzen hält und
schaftlichen Interessengruppen abgehoben hätte.
was nicht, damit wir wenigstens im Tatsachen-
Ich gehe sogar noch einen Schritt weiter, Herr Kol-
material übereinstimmen, obwohl wir in der Beur-
teilung vielleicht verschiedener Meinung sind. Heute lege Burgbacher: Natürlich sind auch die Gewerk-
müssen wir uns beim Tatsachenmaterial mit sehr schaften ihrer ganzen Struktur nach Interessen-
gruppen und auch mächtige Interessengruppen. Ich
globalen Ziffern begnügen.
stimme Ihnen weiterhin darin zu, daß alle diese
Ich stehe nicht an, zu unterstreichen, daß es ein Interessengruppen in der modernen Massengesell-
Gebiet gibt, auf dem die deutsche Statistik vorbild- schaft eine legale Funktion zu erfüllen haben, näm-
lich ist. Das ist das Gebiet der Auftragsstatistik.
- lich die Funktion, ihre Interessen mit all den Mit-
Auf dem Gebiet ,der Statistik über 'die Vorräte und teln, die ihnen im demokratischen Staat gegeben
über vieles andere sind wir weit zurück. Aber rech- sind, zu vertreten. Hier aber liegt die Grenze.
nen wir uns das nicht einzeln vor. Sicher ist — und
unsere Kollegen, die in Straßburg mitarbeiten, wis- (Vorsitz: Vizepräsident Schoettle.)
sen das doch auch —, daß wir auf dem Gebiet der Es muß verhindert werden, daß sie in unangemes-
Konjunkturstatistik erheblich im Rückstand sind, sener Weise auf Gesetzgebung, Regierung und Ver-
daß vor allen Dingen die Statistiken für die ver- waltung Einfluß nehmen. Das geschieht bei uns in
schiedenen Bereiche, z. B. für 'die Arbeitskräfte und Deutschland am laufenden Band. Warum, meine
für die Produktion, auf verschiedenen Grundlagen Damen und Herren — fragen Sie sich selbst! —
erstellt werden. Darum bedauere ich, daß der Herr schreibt eigentlich jeder Interessenverband, der
Bundeswirtschaftsminister nur insofern eine Bereit- etwas auf sich hält, an den Bundeskanzler, wenn er
schaft gezeigt hat, als er sagte: Wir wollen uns zu- sonst, beim Bundeswirtschaftsminister, beim Bundes-
sammensetzen. Das ist nicht mehr .die Methode, die arbeitsminister oder was weiß ich wo, nicht ganz
den Aufgaben von heute gerecht wird. Wir haben durchkommt? Weil er weiß: hier ist eine Tür, durch
so einen Tisch, an dem man zusammensitzt. Das ist die kräftige Interessengruppen eindringen können.
— Herr Kollege Burgbacher, Sie kennen ihn — der Das wissen wir aus Erfahrung.
Energiewirtschaftsausschuß. Sie selber wissen das
Leid dieses Ausschusses. Ein solcher Ausschuß, in (Beifall bei der SPD. — Zurufe rechts. —
dem man sich gelegentlich unterhält und sich Abg. Dr. Dahlgrün: Das tun die Gewerk
freundlich auf die Schulter klopft, ist kein Instru- schaften auch!)
ment der Wirtschaftspolitik. Da muß man sich schon — Herr Kollege Dahlgrün, ich glaube, es war ein
zu etwas ernsthafteren Maßnahmen durchringen. — schlechter Witz, mit dem Gedanken zu spielen, die
Ich sehe, auch Herr Bundesfinanzminister Starke Gewerkschaften nähmen über den Bundeskanzler
nickt. Vielleicht können wir auf diesem Wege ge- in unangemessener Weise auf die Gesetzgebung
meinsam ein Stück voranschreiten. Das wäre keine Einfluß. Das ist ja wohl „nicht drin", mein lieber
schlechte Sache. Herr Kollege Dahlgrün. Und Sie sollten nicht von
Ein Zweites. Herr Kollege Dahlgrün hat auf , den den Dingen ablenken, die heute wirklich ein Pro-
Umfang der Investitionsplanung, der Produktions- blem darstellen. Wir, Herr Kollege Dahlgrün, haben
planung, der Absatzplanung usw. in der Industrie hier vorgeschlagen: registriert die Lobbyisten, mit
hingewiesen. Wenn der brave Staatsbürger das Unterschrift und Bild, alle, auf allen Seiten! Sie
hört, muß er den Eindruck haben, die Unternehmen haben sich dieser Bitte entzogen. Ich meine, das
seien kollektivistische Sachen. Darum bedaure ich besagt eigentlich genug.
sehr, Herr Kollge Dahlgrün, ,daß Sie gesagt haben: (Beifall bei der SPD.)
Ja, aber was machen andere mit .dem Ding? Als ob
man ein wichtiges wirtschaftspolitisches Instrument
in die Ecke stellen könnte, weil vielleicht andere Vizepräsident Schoettle: Das Wort hat der
kommen, die e s nicht sachgemäß anwenden! Nun, Herr Abgeordnete Struve.
wir fühlen uns davon nicht betroffen. Wir haben
unsere klaren Vorstellungen. Daß die Sozialdemo- Struve (CDU/CSU) : Herr Präsident! Meine Damen
kraten auf der Seite des freiheitlichen Westens ste- und Herren! Ich bedauere, daß der Herr Kollege
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. März 1962 6 83
Struve
Deist in längeren Ausführungen zu den Vorgängen Wir alle miteinander wären gut beraten, wenn
Stellung genommen hat, die die vier Küstenländer wir den Sinn und Geist dieser Vereinbarung beher-
wirtschaftlich schwer getroffen haben, die darüber zigten. Täuschen wir uns nicht: es geht nicht nur
hinaus in Hamburg so unendlich viele Menschen- darum, im Augenblick den betroffenen Familien, die
opfer gefordert haben. Allein von dieser Tatsache viel menschliches Elend erlebt haben, zu helfen, son-
ausgehend, ist von meinen politischen Freunden dern es ist der Einsatz des Hohen Hauses, aber auch
angeregt worden, daß es unter Hinweis auf ein der betroffenen Küstenländer nötig, damit man sol-
solches Schicksal wohl unangebracht wäre, wenn die chen Gefahren in Zukunft erfolgreich begegnen kann.
einzelnen Parteien in einen Wettkampf einträten, Das ist aber nur möglich, wenn wir die Beschlüsse, die
um nach Wegen zu suchen, wie diese menschliche wir in der Begegnung am 20. Februar — unmittel-
Not, vor allen Dingen in den Familien, die sie be- bar nach der Katastrophe — einmütig gefaßt haben,
sonders hart traf, gelindert werden kann, und an- immer und zu jeder Zeit im Auge behalten.
dererseits nach Wegen zu suchen, solchen Natur- (Beifall bei den Regierungsparteien.)
katastrophen in Zukunft mit Erfolg zu begegnen.
Wir sind in der ersten Zusammenkunft, in der Vizepräsident Schoettle: Das Wort hat der
unter anderen die stellvertretenden Vorsitzenden Herr Bundesminister der Finanzen.
der drei hier vertretenen Parteien zugegen waren,
zu einem völlig einmütigen Standpunkt gelangt.
Man einigte sich, daß man dem Hohen Hause nur
Dr. Starke. Bundesminister der Finanzen: Herr
Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren!
interfraktionell die weiteren Ergebnisse der Unter-
Wir stehen am Schluß der Haushaltsdebatte; wie
suchungen, Vorschläge. der Regierung, eventuell
mir gesagt worden ist, liegen keine Wortmeldun-
auch Vorschläge von Mitgliedern des Hohen Hauses,
gen mehr vor. Ich möchte allen, die heute ihren
abgestimmt in den einzelnen Fraktionen, vorlegen
Beitrag zu dieser Debatte geleistet haben, danken
möchte. Ich glaube, durch die sehr langen Ausfüh-
und möchte sagen, daß ich aus einer ganzen Reihe
rungen, Herr Kollege Deist, mußte der Eindruck
von Beiträgen Anregungen gewonnen habe, die
entstehen, als wenn diese Abmachungen nicht mehr
für meine Arbeit in der Zukunft von Bedeutung
Gültigkeit hätten, als wenn nun doch das eintreten
sein werden.
sollte, was nach übereinstimmender Meinung aller
drei Fraktionsvorstände nicht eintreten darf. Ich möchte dabei auch dem Herrn Kollegen
Deshalb möchte ich als Vorsitzender dieses Aus- Schoettle für seine Rede danken. Ich habe festge-
schusses nur kurz festhalten, daß wir zu mehreren stellt, daß in vielen Punkten Übereinstimmung be-
Sitzungen zusammengetreten sind, daß kurze Nie- steht. Eines ist mir in Ihrer Rede, sehr geehrter
derschriften über die Besprechungsergebnisse — Herr Präsident, und in den Ausführungen des Kol-
festgestellt ohne Widerspruch in den Fraktionen — legen Möller besonders aufgefallen; auf die Aus-
den einzelnen Teilnehmern zugegangen sind. Eine führungen des Herrn Kollegen Deist komme ich
erste Begegnung hat auf Einladung der Landesver- noch gesondert. Rein haushaltspolitisch und finanz-
tretung von Hamburg stattfinden können. Die politisch haben sich der Herr Kollege Schoettle und
nächste Begegnung ist morgen in der Landesver- der Herr Kollege Möller gegen eine Dramatisierung
tretung Schleswig-Holstein vorgesehen, nachdem ausgesprochen. Das hat mich etwas bedenklich ge-
von unserer Landesregierung die Erstellung einer stimmt. Ich glaube, daß die Zahlen doch eigentlich
Denkschrift mit entsprechenden Ergebnissen und allzu deutlich sind. Den Gedanken, daß man nicht
Vorschlägen an die Bundesregierung eingereicht so sehr dramatisieren solle, wenn neue große Auf-
worden ist. Ich höre, daß auch aus dem Lande Nie- gaben auf uns zukommen, habe ich nicht recht ver-
dersachsen gerade in diesen Tagen eine Denkschrift standen. Gerade weil diese großen Aufgaben und
eingegangen ist, in der einmal die Tatsachen fest- Ausgaben, die zu einem großen Teil unabweisbar
gestellt werden und zum anderen auch Vorschläge sein werden, auf uns zukommen, bestehen die Be-
zur Behebung der Not enthalten sind. denken.
Das Hohe Haus — d. h. die Öffentlichkeit — sieht Diese Ausgaben muß man in Vergleich setzen zu
also, daß die Bundesregierung im engsten Benehmen der Einnahmeentwicklung und den Einnahmemög-
und Einvernehmen mit den vier beteiligten Küsten- lichkeiten, die mit dem wirtschaftlichen Ablauf zu-
ländern — das scheint mir das Entscheidende über- sammenhängen. Da bin ich vom Finanzpolitischen
haupt zu sein — bemüht ist, der Not wirklich zu her der Meinung— das muß ich Ihnen, Herr Kol-
begegnen. Das heißt, solange nicht festgestellt wird, lege Deist, sagen —, daß man die Dinge sehr ernst
was im einzelnen an Schäden usw. entstanden ist, sehen muß. Ich habe in meiner Rede betont —
können wir noch keine Gesetzesvorlage darüber auch andere, z. B. Herr Professor Burgbacher, haben
machen, wie solche Schäden beseitigt werden sollen. das getan —: es geht hier gar nicht um eine Krise,
Über eines besteht völlige Einmütigkeit in unserem aber es geht um eine Normalisierung des Wirtschafts-
Ausschuß, innerhalb der Bundesregierung und auch ablaufes, und diese Normalisierung wird sowohl im
bei den betroffenen Küstenländern: nach einheit- wirtschaftlichen wie im sozialpolitischen und im
lichen Grundsätzen muß auf breitester Front die finanzpolitischen Bereich selbstverständlich nicht
menschliche Hilfe, die zunächst freiwilliger Natur ohne Folgen bleiben. Es geht hier gar nicht darum,
war, durch vielseitige Maßnahmen unterstützt wer- das Rad zurückzudrehen, sozialreaktionäre Gedan-
den; solche Maßnahmen werden von den Landes- ken zu verwirklichen. Wir werden uns aber — das
regierungen eingeleitet und finden die volle Unter- war der Sinn meiner Haushaltsrede — auf allen
stützung der Bundesregierung. Gebieten sehr genau überlegen müssen, was wir
684 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. März 1962
Bundesfinanzminister Dr. Starke
in den kommenden Jahren nebeneinander tun kön- ausmachen. Es wird natürlich etwas leichter, aber doch
nen. Weil wir nicht mehr so wie bisher alles neben- nicht sehr viel leichter dadurch, daß Sie, Herr Kollege
einander tun können, hatte ich mir erlaubt zu sa- Schoettle, meinen, der Betrag werde nicht ganz so
gen, der alte gute Grundsatz „eins nach dem an- hoch sein. Es ist eben bei diesem Haushalt, der noch
deren" habe eben wieder mehr Bedeutung, und er nicht abgedeckt ist, bezüglich dessen Abdeckung wir
wird sie haben müssen. erst in Verhandlungen mit den Ländern stehen,
nicht einfach, die zusätzlichen finanziellen Lasten
Ich möchte noch etwas zu dem sagen, was in den zu tragen, die uns, sei es in Berlin, sei es durch die
Reden zu der Sparkommission angeführt wurde, Flutkatastrophe, sei es durch die 'Forderungen des
die uns eigentlich hier gar nicht zu beschäftigen öffentlichen Dienstes, entstanden sind. Mit „sozial-
hat. Die Sparkommission ist eine Einrichtung der reaktionär" hat das aber doch weiß Gott nichts zu
Koalition, die ich für sehr nützlich und wichtig tun. Die Herren von der Opposition haben, wie ich
halte; denn in ihr soll das erörtert werden, was glauben möchte, hier einige Unterstellungen ge-
ich dargestellt habe, nämlich die Gefahr der Aus- macht, die zumindest unbeweisbar sind.
gabenflut. Man macht sich natürlich darüber Ge-
danken, wie man dieser Ausgabenflut begegnen Ich möchte noch etwas zum öffentlichen Dienst
soll. Ich kann nicht ganz verstehen, daß eine Ein- sagen. In früheren Reden habe ich in 'diesem Hause
dämmung der Ausgaben „sozialreaktionäre" Ergeb- immer wieder zum Ausdruck gebracht, daß bei einer
nisse zeitigen müsse, wie das fast alle Herren der Entwicklung zur Geldentwertung die Bediensteten
Opposition mehr oder weniger wörtlich behauptet der öffentlichen Hand immer besonders schlecht ste-
haben. Hier liegt einfach ein Unterschied in der hen werden. In dem Augenblick — das möchte ich ge-
Auffassung vor. Ich bin als Finanzminister nach rade hier noch einmal zum Ausdruck bringen —,
allem, was ich in diesen Wochen und in den we- in dem man in einer solchen Entwicklung finanziell
nigen Monaten meiner Amtszeit gesehen habe, der an die Decke stößt, wie das jetzt mit dem Bundes-
Meinung, daß wir sehr viel mehr darauf werden haushalt und in den öffentlichen Finanzen der Fall
achten müssen, was wir alles in einem Jahr tun ist, tritt der Moment ein, daß die öffentlichen Be-
-
können. diensteten die Leidtragenden sind, wenn wir nicht
zu einem allgemeinen Stopp kommen. Wenn wir
Ich habe mich sehr darüber gefreut — das möchte aber bei den öffentlichen Bediensteten wieder den
ich betonen —, daß auch Herr Kollege Schoettle ersten Schritt tun und dann draußen in der Wirt-
den Gedanken aufgegriffen hat, Gesetze, die den schaft weitere Schritte getan werden, sind wir, Herr
Ausgabebedarf erhöhen, nur am 1. Januar eines je- Kollege Deist, eben wieder auf dem Weg, daß man
den Jahres in Kraft treten zu lassen, weil sie dann Jahr für Jahr einen 'höheren Anteil an dem in An-
nämlich auf die Haushaltsbedürfnisse abzustimmen spruch nimmt, was Sie Volkseinkommen nennen
sind. Ich glaube, dadurch würden wir ein ganzes und was ich als „vermeintliches Volkseinkommen"
Stück weiterkommen und die Schwierigkeiten be- bezeichnen möchte, das, was man für Volkseinkom-
seitigen, die jedem Finanzminister, gleichgültig, wel- men hält. Immer mehr handelt es sich ja nur noch
cher der drei Parteien dieses Hauses er angehört, um ein nominelles Steigen, nicht mehr ein reales
entgegentreten. Insofern besteht hier wohl ein ge- Steigen.
meinsames Interesse.
(Abg. Dr. Deist: Null Prozent ist kein
Ich habe eigentlich nicht einzusehen vermocht, Anteil am Volkseinkommen!)
Herr Kollege Möller, daß etwas Böses in meiner
Äußerung liegen könnte, wir hätten allzuviel auf — Null Prozent ist kein Anteil am Volkseinkom-
einmal machen wollen. Es war -vielmehr eine ernste men; aber wir sind jedenfalls nicht, wie Sie meinen,
und von mir sehr genau überlegte Mahnung. Sie Herr Kollege Deist, sozialreaktionär, und das Ange-
haben dann allerdings einen weiteren Absatz aus bot soll nicht für alle Zeiten null sein. In dieser
meiner Rede zitiert und dazu gesagt, damit höbe Situation jedoch müssen wir Schwerpunkte im
ich das Böse etwas auf. Nun, dieser Absatz ist na- öffentlichen Haushalt bilden. Solche Schwerpunkte
türlich mit Absicht in die Rede aufgenommen; beide sind die öffentliche Sicherheit, Berlin und eine
Absätze sind von mir, sowohl 'der erste wie der ganze Reihe anderer Punkte. Wir müssen uns des-
zweite, und in diesem Zusammenhang wollte ich halb sehr genau überlegen, ob wir den öffentlichen
das noch einmal gesagt haben. Bediensteten wie auch den Arbeitnehmern draußen
Nun haben Sie, Herr Kollege Schoettle, im Zu- in der Wirtschaft einen Gefallen tun, wenn wir
sammenhang mit der Sparkommission und den „so- ihnen Jahr für Jahr einen Anteil an einer nur ver-
zialreaktionären Tendenzen" vom öffentlichen meintlichen Steigerung des Volkseinkommens zu-
Dienst gesprochen." Ich habe 'in meiner Haushalts- kommen lassen.
rede erklärt, daß im Bundeshaushalt keine Ansätze (Abg. Dr. Deist: Nicht an der vermeint
zur Erfüllung der Forderungen der Arbeiter, der lichen, an der wirklichen!)
Angestellten wie auch 'der Beamten des öffentlichen
Dienstes vorhanden sind. Das ist nicht etwas Sozial- Darüber hinaus läßt sich wohl auch noch sehr gut
reaktionäres, sondern zunächst einmal einfach der nachweisen, daß der Lohn und Gehaltszuwachs bis-
-

Ausdruck dafür, daß noch keine Änderungen der her in manchen Jahren höher war als der effektive
Tarife und der Besoldungsgesetze vorliegen. Es ist Zuwachs des Volkseinkommens. Auch diese Tat-
zweitens ein Ausdruck dafür, daß wir kein Geld sache mußte m an in die Überlegungen einbezie-
haben. Ich habe dabei erwähnt, daß die jetzt vorlie- hen. Daß heute die öffentlichen Finanzen bedräng-
genden Forderungen zusammen 1,7 Milliarden DM ter sind, ist eigentlich noch nicht recht geläufig ge-
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. März 1962 685
Bundesfinanzminister Dr. Starke
worden. Deshalb habe ich all das noch einmal in Ich möchte jetzt eine ausdrückliche Feststellung
den Vordergrund stellen wollen. zu einem Punkt treffen, über den ich schon gespro-
chen habe. Die Herren von der Opposition haben —
Lassen Sie mich noch einmal zusammenfassen, wie die Länder — der Bundesregierung zugemutet,
was gesagt worden ist. Es ist u. a. von Ihnen, Herr sie solle sich den Steuerschätzungen der Länder
Kollege Möller, gesagt worden: Warum so drama- anschließen. Das kann ich nicht akzeptieren.
tisieren? Die Steuereingänge waren ja bisher immer
sehr hoch! — Sie sollten Ihr Augenmerk aber auch (Abg. Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller: Nur
auf die Entwicklung zum Jahre 1963 richten; das in dem einen Punkt!)
war mit der Sinn meiner Rede. Ich habe ja immer
wieder auf die Schwierigkeiten ,des Jahres 1963 hin- — Wenn das nur für den einen Punkt gelten soll,
gewiesen. Dazu haben Sie jedoch nichts gesagt. An- dann will ich das zugeben, Herr Kollege Möller,
gesichts der Ausgabensteigerungen, die ich vor mir dann habe ich nichts dagegen. Ich lasse auch das
sehe — und auch Sie haben eine ganze Reihe von überprüfen. Nur generell muß ich Ihnen sagen: Sie
Anregungen gegeben, die letzten Endes ebenfalls können unmöglich die Schätzungen von 11 Ländern,
Ausgabensteigerungen beinhalten —, bringen mich von denen eines über 14 Millionen Einwohner hat
die Entwicklungslinien bezüglich der gewaltigen und ein anderes etwa 600- oder 700 000, zur Grund-
Steuereinnahmen doch in Sorge. Eine solche Be- lage des Haushaltsplans der Bundesregierung
trachtung würde ich aber nicht eine Dramatisierung machen. Sie wissen genau, daß das gar nicht einmal
nennen. Schätzungen der Länder sind, sondern überwiegend
Ferner ist vom Sparen gesprochen worden. Nun, die Schätzungen des Bundes aus einer zurückliegen-
wir werden im Haushaltsausschuß, demgegenüber den Zeit, die einfach wegen der Steuerentwicklung
ich meinen D ank schon in meiner Rede zum Aus- im Jahre 1961 revidiert werden mußten. Aber nach
druck gebracht habe und am Schluß wiederhole, dar- dem, was Sie sagten, sind die Meinungsverschieden-
über sprechen. Ich bin dankbar für jede Einsparung. heiten wohl auch hier nicht so groß. Ich habe mich
Aber wir werden sehen, wie weit wir damit in die- gefreut, daß wir bezüglich der Mitverantwortung
sem Hohen Hause kommen. der Länder, von der wir gesprochen haben, in die-
sem Hohen Hause weitgehend einer Meinung sind.
Dann ist mit anerkennenden Worten erwähnt
worden, daß die Bundesregierung — Sie wissen, Ich möchte noch über einen weiteren Punkt
daß sie es diesmal tun muß — an den Kapitalmarkt sprechen, um keine Unklarheit aufkommen zu las-
geht. Zu den daran geknüpften Überlegungen muß sen, und es ist gut, wenn das auch einmal in diesem
ich aber doch etwas sagen. Wir haben uns natürlich Hohen Hause zu Protokoll festgestellt wird. Gegen
auch überlegt, daß die Verschuldung des Bundes die Bundesregierung ist der Vorwurf erhoben wor-
nicht sehr hoch ist und daß der Anteil der Kredit- den, sie hätte vor Verabschiedung und Vorlage des
mittel, die wir aufnehmen wollen, am Gesamtvolu- Haushalts mit den Ländern verhandeln müssen. Ich
men des Bundeshaushalts keineswegs besorgnis- glaube, daß das erstens nach dem Grundgesetz nicht
erregend ist. Aber der Kapitalmarkt in Deutschland erforderlich gewesen ist, zweitens war die Zeit
ist eben nicht so sehr ergiebig; das wissen Sie, Herr knapp, und drittens kommt noch hinzu, daß Bespre-
Kollege Deist und Herr Kollege Möller, ganz genau. chungen mit den Ländern stattgefunden haben. Die
Wenn wir uns da etwas Reserve auferlegen und Länder wollten ganz bewußt im Januar noch einmal
nicht allzusehr in die Kreditaufnahme hineinstei- ohne den neuen Finanzminister allein zusammen-
gen, dann auch deshalb, weil ,der Bund nicht mit sitzen. Das geschah am 11. Januar in Wiesbaden.
einem Satz auf den Kapitalmarkt gehen und damit Einen Tag nach der Beschlußfassung über den Haus-
dort störend auftreten darf. Sie wissen ebenso wie halt durch das Kabinett haben die Länder mit dem
ich, daß wir auch in den kommenden Jahren an Bundesfinanzminister zusammengesessen, um die
den Kapitalmarkt werden gehen müssen, vielleicht Fragen zu besprechen. Die Worte, die manchmal
dann in noch größerem Umfang. Jedenfalls glaube von den Ländern ausgesprochen worden sind und
ich, ,daß der Bund hier auf dem richtigen Wege ist, etwas zornig und empört klangen, sind doch wohl
und wir waren uns im Grunde darüber auch einig. mehr so zu verstehen, daß sie eine gegebene Zu-
rückhaltung gegenüber den Zahlen vertuschen soll-
Keine Übereinstimmung besteht bei uns hinsicht- ten. Es lag mir daran, auch dazu noch etwas zu
lich der Steuerschätzungen. Ich habe angekündigt, sagen.
daß wir die Steuerschätzungen noch einmal über-
prüfen werden und daß die Arbeiten dazu im Gange Nun möchte ich noch auf die Ausführungen von
sind. Also auch der Bundesfinanzminister ist damit Herrn Kollegen Dr. Deist eingehen. Herr Kollege
einverstanden, daß man das tut. Wir werden das Dr. Deist, im einzelnen hat der Herr Bundeswirt-
Ergebnis einer eventuellen Mehrschätzung zur Ab- schaftsminister zu Ihren Ausführungen gesprochen.
deckung des Haushalts heranziehen. Aber schon im Ich kann hier nur feststellen, daß ich mit ihm im
Jahre 1962 werden Sie, je weiter es fortschreitet, vollen Umfange übereinstimme. Ich möchte aber
sehen — bei einer genauen Betrachtung sehen Sie noch einmal das Wort Hybris aufgreifen, weil es in
es schon an Hand der Zahlen des Jahres 1961 —, einer beinahe verschärften Form das wiedergibt,
daß der Steuerzuwachs nachläßt. Nur um dieses was ich in meiner Rede gesagt habe. Ich glaube, daß
Absinken des Steuerzuwachses geht es ja, nicht es tatsächlich so etwas wie eine Hybris bei uns gibt
etwa um eine Krise und ein Absinken der Steuer- und daß wir alle gemeinsam sie bekämpfen sollten,
einnahmen überhaupt. solange dazu noch Zeit ist. Die Entwicklung in einer
686 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. März 1962
Bundesminister Dr. Starke
ganzen Reihe unserer Nachbarländer, meine sehr eine rein praktische Maßnahme, um ein praktisches
geehrten Herren von der Opposition, — — Instrument zur Bewältigung der Schwierigkeiten, die
sich aus der Einnahmen- und Ausgabenentwicklung
(Abg. Schmitt-Vockenhausen: Wo war denn ergeben. Der Finanzplan hat mit irgendeiner plan-
die Hybris in Deutschland? Sie war doch wirtschaftlichen Ideologie natürlich auch nicht das
bei der Rechten!) geringste zu tun. Er ist vielmehr einfach ein prak-
— Ich möchte auf diese Frage nicht näher eingehen. tisches Instrument für den Finanzminister.
Eine sehr eingehende Untersuchung wäre wohl er-
forderlich, bevor man sich auf eine Meinung einigen Herr Kollege Möller, eines ist schon gesagt wor-
könnte. den, und ich möchte Ihnen das auch von mir aus
noch einmal sagen: Ich habe es eigentlich bedauert,
Ich möchte Ihnen nur sagen, unsere Nachbar- daß Sie diese harten Worte bezüglich der Wieder-
länder, auch Länder mit Regierungen, die Ihnen, gutmachung gesprochen haben. Ich habe mich dieser
meine Herren von der Opposition, keineswegs Fragen der Wiedergutmachung — das war natürlich
fremd sind, haben eine Entwicklung durchgemacht, in meiner Rede nur mit einem Satz angedeutet —
die mit Geldentwertung verbunden war. Das wissen in der kurzen Zeit, die mir dazu zur Verfügung
Sie ganz genau. Seit einigen Jahren zeichnet sich stand, außerordentlich angenommen. Ich habe in
in diesen Ländern ein gewisses Stadium der Stabili- dieser Zeit den Eindruck gewonnen, daß von der
sierung ab. Wir in Deutschland sind im Augenblick Bundesregierung auch in den zurückliegenden Jah-
mit sehr viel größeren Schritten als die Nachbarn ren nun wirklich — und das beweisen doch die Zah-
dabei, das nachzumachen, was die anderen getan len, die ich angeführt habe — auf diesem Gebiet
haben. Ich wollte damit von der Finanzpolitik her etwas getan worden ist, daß wir aber heute auch
das zum Ausdruck bringen, was der Herr Bundes- hier vor harten Tatsachen stehen. Denn auch diese
wirtschaftsminister dargestellt und dann auch Herr Wiedergutmachung und ihre Fortsetzung muß ja
Professor Burgbacher noch einmal aufgegriffen hat. eingebettet werden in das Ganze, in dieses Neben-
Es war der Sinn meiner Rede, zu Besonnenheit und einander der Ausgaben. Wir müssen also prüfen,
zum Maßhalten zu mahnen. Ich glaube, dazu war es was wir sofort und was wir etwas später erfüllen
an der Zeit. müssen.
Die Bundesnotenbank hat in ihrem Bericht gesagt Daher ist es nicht ganz einfach für uns, wenn man
— das gilt Ihren Ausführungen, Herr Kollege bei einer Frage, die von einer so großen internatio-
Deist —, wir näherten uns allzu schnell, so sagte nalen Bedeutung ist, so hart sagt, hier liege ein Ver-
sie es wohl, der Kostenstruktur der Vereinigten sagen vor und man habe nicht genug getan. Das hat
Staaten. Das möchte ich Ihrem Satz mit dem „von mich offen gestanden ähnlich getroffen wie neulich
Jahr zu Jahr einen größeren Anteil haben" ent- die ebenso harten Bemerkungen der Opposition, daß
gegenhalten. die Bundesregierung sozusagen gar nichts für die
Sie haben davon gesprochen, es gebe ökonomische Entwicklungshilfe getan habe. Ich finde, daß es bei
Maßstäbe, auf die man sich einigen könne. Wenn solchen internationalen Fragen etwas schwierig für
wir versuchen werden, uns darauf zu einigen — Sie uns ist, wenn man so etwas sagt.
wissen, wie oft das schon versucht worden ist —, (Abg. Hermsdorf: Völlig falsch verstanden!)
wird das eben nicht gelingen. Ich glaube, hier liegt
einfach ein Gegensatz in den Auffassungen vor. Sie, — Wenn ich es falsch verstanden habe, ist es um so
Herr Kollege Deist, sind immer wieder, und zwar besser, Herr Kollege Hermsdorf, aber ich habe es so
betont, von einer expansiven Lohnpolitik ausge- verstanden.
gangen und haben deren Vorzüge geschildert. Wir, Ich möchte noch auf einen weiteren Punkt ein-
so wie wir in der Regierungskoalition vereinigt sind, gehen, Herr Kollege Schoettle. Er betrifft die Höhe
sind nicht dieser Auffassung. Um es ganz präzise des Sozialhaushalts. Wir sind uns natürlich bewußt,
zum Ausdruck zu bringen: Wenn wir von der Re- daß dieser Sozialhaushalt anders zusammengesetzt
gierung jetzt in bezug auf den öffentlichen Dienst ist als in anderen Ländern. Er muß anders zusam-
in Schwierigkeiten kommen, so liegt das nicht zu- mengesetzt sein. Sie haben auf die Kriegsfolgelasten
letzt an der von Ihnen vertretenen expansiven hingewiesen. Eines läßt sich doch nicht bestreiten,
Lohnpolitik. daß nämlich dieser Sozialhaushalt sehr hoch ist, daß
(Beifall bei den Regierungsparteien.) er laufend steigt und daß wir uns mit ihm durchaus
sehen lassen können. Wenn die Kriegsfolgelasten,
Ich möchte also noch einmal ausdrücklich fest-
die ja eines Tages einmal absinken werden, geringer
stellen, daß wir uns bezüglich der von Ihnen apo-
geworden sind, werden wir auch über einen Ausbau
strophierten ökonomischen Grenzen eben nicht einig
anderer Teile des Sozialhaushalts sprechen.
sind, und das scheint mir das Schwierige an der
Situation zu sein. Deshalb wird es eben hier einen Über das Inkrafttreten von Gesetzen zum 1. Ja-
Gegensatz zwischen der Regierung und der Opposi- nuar habe ich schon gesprochen.
tion geben. Mir lag daran, das herauszustellen an- Lassen Sie mich, Herr Kollege Deist, noch etwas
gesichts der Schwierigkeiten, vor denen wir im von der Bundesregierung aus zu der Frage der Flut-
öffentlichen Dienst stehen. katastrophe oben an der Küste sagen. Die Bundes-
Nun noch ein Wort zu dem Finanzplan. Herr regierung hat in ihrer Regierungserklärung dazu
Kollege Deist, ich möchte Ihnen dazu folgendes Stellung genommen. Herr Kollege Deist, wenn Sie
sagen. Dieses Wort „Finanzplan" enthält als Be- das einmal sorgfältig prüfen, werden Sie zugeben,
standteil das Wort „Plan". Es handelt sich aber um daß die Bundesregierung in dieser Sache außer-
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. März 1962 687
Bundesminister Dr. Starke
ordentlich schnell gehandelt hat. Sie hat gerade aber etwas skeptisch, ob man in der Finanzreform
das, was Sie, Herr Kollege Deist, verlangt haben, in früherer Zeit schon sehr viel weiter gekommen
bereits praktiziert. Sie hat nämlich als ersten Schritt wäre. Bei der Situation, wie wir sie haben, gehörte
gerade für die von Ihnen mit Recht erwähnten mitt- wohl der Druck der veränderten Finanzlage dazu,
leren und kleinen selbständigen Existenzen gehan- um die Dinge in Angriff nehmen zu können. Aber
delt. Ich habe es deshalb nicht ganz verstanden, daß Sie wissen, daß jede Mitarbeit gerade von Ihnen,
Sie glaubten, hier so sehr als Sprecher für Schichten von der Opposition und den Herren, mit denen ich
auftreten zu müssen, für die die Bundesregierung schon .darüber gesprochen habe, von uns dankbar
doch bereits gehandelt hat. Wenn ich Ihnen das begrüßt wird; denn wir wollen hier zu einem ge-
offen sagen darf: die von Ihnen zitierten Länder meinsamen Werk kommen.
und Gemeinden sind von uns gehört worden. Die
(Abg. Niederalt: Außerdem gibt e s auch
Ländervertreter und die Ministerpräsidenten sind
hier mit der Bundesregierung zusammen gewesen: noch einen Bundesrat!)
auch der Regierende Bürgermeister von Hamburg — Sicherlich.
war sowohl mit dem Herrn Bundeskanzler zusam- Ich habe noch etwas über die Anleihen und ihre
men als auch mit uns in einer späteren größeren Höhe zu sagen. Über die Anleihepolitik habe ich
Zusammenkunft. Die anderen Ministerpräsidenten gesprochen. Ich habe aber dankbar Ihre Anregun-
haben zum Ausdruck gebracht, daß sie in voller gen aufgegriffen bezüglich der kurz- und mittel-
Übereinstimmung mit den Maßnahmen stehen, die fristigen Finanzierung, Ihre Ausführungen über die
die Bundesregierung getroffen hat, und daß man sich Brücke vom Geld- zum Kapitalmarkt. Diese Er-
nun eben zusammensetzen muß, um die sehr schwie- wägungen haben auch wir angestellt, und ich
rigen weiteren Schritte zu beraten. Diese Schritte glaube, daß wir auch hier einen guten Weg gehen
nach den ersten Schritten betreffen nicht mehr so werden.
sehr die akute Not, sondern eine Lösung, die in die
weitere Zukunft weist. Über den Plan, über das Programm der Sozial-
demokratischen Partei habe ich schon etwas gesagt.
Herr Kollege Deist, das Beispiel Holland steht Bis 1961, Herr Kollege Möller, haben Sie die Steuer-
natürlich leuchtend vor Augen. Sie wissen aber eingänge richtig geschätzt. Das besagt noch nicht,
doch ganz genau, wir müssen in Deutschland bei daß Sie sie für die Zukunft richtig geschätzt haben.
solchen Fragen selbstverständlich das Ganze in den Ich bin sehr skeptisch, ob das der Fall sein wird.
Rahmen setzen, der uns durch die allgemeinen Ich glaube, daß außerdem der Kollege Dahlgrün
Kriegsfolgen und die dafür erlassenen Regelungen recht hat, wenn er darauf hinwies, daß die Aus-
gegeben ist. In diesen Rahmen muß auch die neue gabenseite dann natürlich nicht immer so läuft, wie
Regelung eingepaßt werden. Sie es in Ihrem Programm vorgesehen haben, son-
Daß daneben auch die Landwirtschaft in diese dern daß unabweisbar andere Dinge hinzukommen,
Maßnahmen einbezogen ist, ist bereits bekanntge- die man eben auch mit in Rechnung stellen muß.
geben. Auch in dieser Beziehung gibt es also zur Insgesamt genommen möchte ich noch einmal fol-
Zeit keine Schwierigkeiten. gendes ganz vorsichtig zum Ausdruck bringen: Ich
Ich habe ein wenig das Gefühl — das möchte ich habe eine außerordentlich deutliche Sprache in mei-
noch sagen —: Wenn schon zwischen denen, die ner Rede bezüglich des Nutzens und des Wertes
unmittelbar verantwortlich sind, wie den Landes- von Steuererhöhungen gesprochen. Ich möchte noch
regierungen, den Senaten der Hansestädte und der ein Wort anfügen, das der Herr Bundeswirtschafts-
Bundesregierung, kein Mißklang bestanden hat, minister gesagt hat: mit einer Steuererhöhung
war doch ein so leidenschaftlicher Appell in der könne man die Steuererträgnisse der künftigen Jahre
Öffentlichkeit — als ob nun aber auch noch gar geradezu ruinieren. Ich habe ja über die sich ver-
nichts geschehen wäre — nicht so sehr nötig. mehrende Belastung der Wirtschaft mit sozialen Ab-
gaben gesprochen — der gesamten Wirtschaft, den-
(Abg. Dr. Deist: Das hat doch kein Mensch ken wir nicht immer nur an einzelne ganz Große —
gesagt!) und ferner über die Belastung aus der Lohn- und
— Herr Kollege Deist, was Sie gesagt haben, ist Gehaltsentwicklung und aus der Steuerentwicklung.
Ihre Sache. Wie wir es aufgenommen haben — wie
Ich habe — wenn ich das zusammenfassen darf —
Sie es aus der Reaktion im ganzen Hause sehen —, bei Ihren Ausführungen ein bestimmtes Gefühl ge-
ist doch die Sache der anderen. Ich habe von der
habt. Sie sagen, dramatisieren Sie doch die Dinge
Bundesregierung auch etwas hinzufügen müssen; nicht so. Bei den Bemerkungen, was man alles noch
denn gerade der Herr Bundeskanzler wie auch der tun sollte, wie Sie von der Opposition es andeute-
Herr Bundeswirtschaftsminister und auch ich haben ten, habe ich dann noch stärker das Gefühl gehabt
uns der Sache angenommen. Der Herr Bundeswirt- — Sie haben es zwar nicht gesagt —, daß Sie zu der
schaftsminister ist dort gewesen und wir haben Frage der Steuererhöhung eine andere Stellung ein-
laufend in telefonischer Verbindung gestanden. Wir nehmen als wir. Ich habe dafür keine Beweise, ich
haben zum Teil binnen 24 Stunden im Kabinett sage Ihnen nur, daß mein Eindruck — ich kann es
Entscheidungen getroffen, um in der Frage ganz in nicht ganz leugnen — in dieser Richtung geht.
dem von Ihnen gewünschten Sinn voranzukommen.
Nun zum Schluß! Meine sehr geehrten Damen und
Lassen Sie mich noch wenige Worte zur Finanz- Herren, ich hoffe, daß wir nach dem dankenswerten
reform sagen. Herr Kollege Möller, über das was da Entschluß des Haushaltsausschusses, den Haushalts-
geschehen muß, sind wir uns ganz einig. Ich bin plan beschleunigt zu beraten, in der kurzen Zeit, die
688 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. März 1962
Bundesminister Dr. Starke
wir zur Verfügung haben, noch zu guten Ergeb- Aber derartige Polemiken und Unterstellungen
nissen kommen. Es steckt noch eine gewaltige Arbeit möchte ich auf alle Fälle zurückweisen; denn damit
drin. Ich hoffe auch, daß die Verhandlungen mit den gefährden Sie die Zusammenarbeit. Vielleicht liegt
Ländern ein gutes Ergebnis bringen werden, wobei Ihnen daran.
ich noch einmal den Willen der Bundesregierung (Beifall bei der SPD.)
zum Ausdruck bringen darf, zu einer freiwilligen
Einigung zu kommen, uni der anomalen Lage, um Vizepräsident Schoettle: Damit ist die Aus-
der Übergangslage des Jahres 1962 gerecht zu wer- sprache in der ersten Beratung des Haushaltsgeset-
den. Wenn der Bundeshaushalt 1962 schnell beraten zes geschlossen. Die Vorlage soll an den Haushalts-
und verabschiedet wird, geben Sie auch der Bundes- ausschuß und nach einer Absprache der Fraktionen
regierung Zeit und Raum, sich dem Haushaltsplan wegen des § 6 der Geschäftsordnung der Einzel-
1963 zuzuwenden, von dem ich hier noch einmal plan 02 — das ist der Haushalt des Bundestages
dem Hohen Hause sagen möchte: e s wird aller selbst — auch an den Vorstand des Bundestages
Kräfte der Bundesregierung und des ganzen Parla- überwiesen werden.
ments bedürfen, um ihn in Grenzen zu halten, um
ihn auch in der gesellschaftspolitischen Richtung, Herr Kollege Ritzel!
die Herr Professor Burgbacher angedeutet hat, zu Ritzel (SPD) : Darf ich aus grundsätzlichen Er-
einem guten Ende zu bringen, damit er uns nicht wägungen auf ein Problem der Geschäftsordnung
zurückwirft auf dem guten Wege, den wir bisher
hinweisen, das sich in diesem Zusammenhang stellt.
gegangen sind.
Nach § 6 Abs. 3 der Geschäftsordnung hat der Vor-
(Beifall bei den Regierungsparteien.) stand des Deutschen Bundestages den Haushalts-
plan im Entwurf festzustellen. Dieser Haushalts-
Vizepräsident Schoettle: Das Wort hat der planentwurf wird dann Gegenstand der Gesamt-
Abgeordnete Hermsdorf. regierungsvorlage, d. h. ,des Entwurfs ,des Haus-
haltsplans eines Rechnungsjahres. Es ist Übung, daß
Hermsdorf (SPD) : Herr Präsident! Meine Damen die Regierung an den Ansätzen des Haushalts-
und Herren! Ich bedaure, daß ich auf Grund der Er- plans 02 des Deutschen Bundestages nichts ändert.
klärung, die der Abgeordnete Struve hier als Vor- Es ist eine alte Regelung im Haus, und zwar seit
sitzemder dies „Arbeitskreises Flutkatastrophe" ab- Bestehen ,des Deutschen Bundestages, daß der Etat-
gegeben hat, noch einige Bemerkungen machen muß. entwurf in Anlehnung an den § 94 der Geschäfts-
Es ist von Herrn Struve gesagt und jetzt auch vom ordnung jedesmal nur dem Haushaltsausschuß über-
Herrn Finanzminister wiederholt worden, daß durch wiesen wurde. Ich glaube, es wäre nützlich, bei die-
die Ausführungen meines Freundes Deist ein Bruch sem System zu verbleiben und ohne Vorbereitung
interfraktioneller Vereinbarungen vorliege. Dem ist und gründliche Überlegung keine Änderung vorzu-
nicht so. Herr Struve, in diesen interfraktionellen nehmen.
Vereinbarungen ist mit keinem Wort davon gespro- Bei vielen Fachausschüssen des Hauses besteht
chen, daß es einem Abgeordneten untersagt sei, der sehr verständliche Wunsch, ebenfalls an der
überdisDngzu;mtkeiWor!Und Etatberatung teilzunehmen. Darüber sollte man sich
ich muß Ihnen ganz ehrlich sagen: was Ihrem Herrn demnächst verständigen. Aber ein ganz anderes
Ministerpräsidenten von Hassel und anderen zu- Problem ist es, daß nach diesem Vorschlag, über
steht, dasselbe Riecht haben wir als Opposition. Es den ich vorsorglich getrennte Abstimmung bean-
steht uns zu, darzulegen, welche Vorstellungen wir trage, der von dem Vorstand des Deutschen Bundes-
haben. Es hat keinen Sinn, hier eine pathetische tages im Auftrag des Bundestages nach § 6 Abs. 3
Rede zu halten und der Opposition zu sagen: ihr der Geschäftsordnung erstellte Entwurf nunmehr
habt das und das nicht eingehalten. dem Vorstand noch einmal zur Beratung in eigener
Ich stelle noch einmal ganz eindeutig fest — und Sache überwiesen werden soll. Das ist ein Novum;
ich würde Sie bitten, die Ausführungen des Abge- so etwas hat es bis jetzt nicht gegeben. Wenn
ordneten Deist noch einmal zu lesen; vielleicht Gründe, die mir nicht bekannt sind, vorliegen, den
kommen Sie dann zu einem anderen Resultat als Vorstand noch einmal mit seinem Entwurf zu be-
dem, das Sie hier vorgetragen haben —: das, was fassen, dann gibt es dafür sicherlich einen vernünf-
der Kollege Deist hier ausgeführt hat, war nichts tigen Weg. Aber zu präjudizieren, daß ein Entwurf,
weiter als der Versuch, klarzustellen, welche Vor- der Inhalt, Gegenstand, Bestandteil des gesamten
stellungen wir darüber haben, was überhaupt und Regierungsentwurfs Haushalt 1962 ist, einer Stelle,
was rasch getan werden müsse. Dasselbe Recht hat vergleichbar einem Ministerium, noch einmal über-
die Regierung gehabt; sie hat ihre Vorstellungen wiesen werden soll, könnte unter Umständen ge-
vorgetragen. Interfraktionelle Vereinbarungen so fährliche Konsequenzen heraufbeschwören.
auszulegen, als dürfe nur die Regierung reden und Ich möchte Ihnen in tiefer Sorge um eine geord-
die anderen müßten zuhören, das geht nicht. nete Geschäftsführung vorschlagen, meine Damen
Ich muß sagen, daß Sie mit der Art, wile Sie als und Herren, den Haushaltspianentwurf 1962 allein
Ausschußvorsitzender gesprochen haben, zumindest dem Haushaltsausschuß zu überweisen. Wenn ein
nicht dein Tatsachen gerecht geworden sind. Ich Grund dafür vorliegen sollte, daß sich ,der Vorstand
würde sehr darum bitten, daß die Arbeit, wie wir mit seinem Entwurf noch einmal befaßt, dann kann
sie bisher in den Ausschußsitzungen zusammen ge- das im Wege der Verständigung vor der Behand-
leistet haben, fortgesetzt wird. Soweit es uns Sozial- lung des Einzelplans 02 im Ausschuß für Geschäfts-
demokraten betrifft, garantieren wir Ihnen das. ordnung durchaus und in guten Treuen geschehen.
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. März 1962 689

Vizepräsident Schoettle: Das Wort hat der normative Kontrolle ides Haushaltsausschusses im
AbgeordntD.Gsmai mindesten anzutasten. Das ist gar nicht unsere Ab-
sicht.
D. Dr. Gerstenmaier (CDU/CSU) : Meine Damen Was wir meinen, ist folgendes: daß dieses Haus
und Herren! Es geschieht selten, daß ein Abgeord- mit einer ganzen Reihe von internen Sachfragen
neter nicht im eigenen Interesse, sondern in Wahr- befaßt ist, .die nicht im Haushaltsausschuß in gebüh-
nehmung eines Amtes, das er eigentlich nicht an render Breite und Länge verhandelt werden können
diesem Platze, sondern ausschließlich da oben zu und sollen, sondern für die nun einfach einmal die-
vertreten hat, sich an das Haus wenden muß. Zu- ser Bundestagsvorstand da ist. Dazu ist er einge-
weilen kann er es aber nicht anders tun als von setzt, das ist seine Sache!
diesem Platz aus, jedenfalls wenn die Frage kon-
trovers ist. (Beifall bei der SPD.)

Ich habe mir Mühe gegeben, dem Haus diese Es begibt sich, daß in diesem Bundestagsvor-
kleine Überraschung zu ersparen. Aber ich sehe, stand hin und wieder auch Dinge 'beschlossen wer-
daß alles gute Zureden doch nur begrenzte Chancen den müssen, die selbstverständlich finanzielle Aus-
hat. Infolgedessen muß ich mir hier einige Bemer- wirkungen haben. Insofern sind wir natürlich bereit
kungen erlauben, die sich auf das beziehen, was der zu sagen: Gut, auch dazu soll der Haushaltsaus-
Herr Kollege Ritzel soeben gesagt hat. schuß etwas sagen; aber er soll es nur tun im Rah-
men seiner allgemeinen normativen Kontrolle,
Der § 6 der Geschäftsordnung ist es in der Tat und er soll nicht die inneren Angelegenheiten 'des
allein, der mich veranlaßt, hier zu reden. In seinem Bundestagsvorstandes, soweit sie finanzielle Aus-
Abs. 3 heißt es: wirkungen haben, in seine Kompetenz mit herein-
Der Vorstand beschließt über die inneren ziehen, das heißt mit anderen Worten, sie im Haus-
Angelegenheiten des Bundestages, soweit sie haltsausschuß noch einmal in extenso verhandeln.
nicht dem Präsidenten oder dem Präsidium vor- Meine Damen und Herren, es gibt übrigens
behalten sind. Er stellt den Entwurf eines Haus- einige Passagen in gesetzlichen Bestimmungen, die
haltsplanes für den Bundestag fest. dieses Haus beschlossen hat und die ich Ihnen dazu
(Zuruf von CDU/CSU: Den Entwurf!) vorhalten könnte. Es gibt z. B. einen § 5 des Diäten-
gesetzes. Dieser § 5 des Diätengesetzes überbürdet
— Das ist richtig Herr Kollege Etzel. Er stellt den dem Bundestagspräsidenten z. B. die Aufgabe, die
Entwurffest. Denn den Entwurf in ein Gesetz Reisekostensätze festzusetzen im Benehmen mit
zu verwandeln ist das alleinige Recht des Plenums dem Ältestenrat. Meine Damen und Herren, wie
dieses Hauses. Das ist uns allen wohl bewußt. wäre es denn, wenn der Bundestagspräsident sich
Die Kontroverse, die sich hier ankündigt, kommt dieser Pflicht stellend zu finanziellen Konsequenzen
allein aus folgender Tatsache. Der Bundestagspräsi- kommen würde und dann zum Haushaltsausschuß
dent ist nie und nimmer ein Mann, der ähnlich wie gehen und fragen müßte: „Ja, meine Herren,
ein Ressortchef eines Ministeriums sich einem sind Sie nun bereit, etwa die Ansätze dieser Art
Organ ides Parlamments gegenüber zu verhalten zu akzeptieren, oder nicht?" Das wäre zu dumm.
vermag. Denn dabei handelt es sich immer um die
Und nun will ich Ihnen folgendes sagen. Die
eigene Sache des Hauses, und in dieser eigenen
ganze Sache hier, dieser Vorschlag, den der Herr
Sache ides Hauses wird und kann der Bundestags-
amtierende Präsident freundlicherweise dem Hause
präsident nicht aktiv werden, so wie etwa ein Mini-
vorgetragen hat und der, wie ich meine, auf einer
ster für sein Haus aktiv wird. Der Bundestagspräsi-
interfraktionellen Vereinbarung steht, dient nicht
dent ist in einer sehr viel bescheideneren Position. Er
dem Krach im Hause, sondern im Gegenteil der Ent-
ist nämlich auch in diesem Falle wiederum nur der
schärfung der Kontroverse. Was will er denn? Er
Sprecher eines parlamentarischen Organs, allerdings
will, daß wir nicht die Haushaltsdebatte hier im
eines anderen parlamentarischen Organs, als es der
Plenum belasten mit großen Kontroversen über alle
Haushaltsausschuß ist. Dieses parlamentarische Or-
möglichen mehr oder weniger wichtigen, im Ver-
gan ist ein von der Geschäftsordnung dafür be-
gleich zum Volumen des Bundeshaushalts meistens
stimmter, abstimmungs- und beschlußfähiger Aus-
schuß, ,der Bundestagsvorstand heißt. Die Beschlüsse aber sehr unwichtigen Einzelfragen, sondern daß
wir den Versuch machen, sie mit den dafür bestell-
dieses Ausschusses vor dem anderen Ausschuß zu
vertreten, war bis jetzt Sache des Bundestagspräsi- ten Organen des Hauses — nach der Geschäftsord-
denten. So wurde es gehandhabt, und ich habe nie- nung Bundestagsvorstand und Haushaltsausschuß
mals in Zweifel gezogen — ich tue das auch in die- in den Haushaltsberatungen so auszuräumen,
sem Augenblick nicht —, daß es gut und richtig ist, daß wir nachher mit einem abgeklärten Vorschlag
daß ,der Haushaltsausschuß — übrigens wie der Bun- in die Plenardebatte kommen. Deshalb allein, im
destagsvorstand selber — dem Haushaltsplan 02 des sachlichen Interesse des Hauses, dieser Vorschlag
Bundestages gegenüber dieselben Normen und Ge- — ohne die berühmte Streitfrage „Federführung"
sichtspunkte kritischer Art anwendet, die er im ge- usw. —, den Einzelplan 02 mit Blick auf die Bestim-
samten übrigen Bundesdienst auch anwendet. Es ist mungen des § 6 Abs. 3 auch an den Bundestags-
einfach eine Unterstellung, meine Damen und Her- vorstand zur Beratung zu überweisen.
ren, die in nichts begründet ist — ich sage das aus- Meine Damen und Herren, ich garantiere Ihnen
drücklich —, wenn man denen, die hier in dieser dafür — und ich befinde mich hier in völliger Über-
Sache meiner Meinung sind, unterstellt, daß wir einstimmung mit dem Herrn Vorsitzenden des
etwa im Sinn 'hätten oder im Schilde führten, diese Haushaltsausschusses, wenn ich sage: ich garantiere
690 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. März 1962

D. Dr. Gerstenmaier
Ihnen dafür —, daß wir auf diese Weise am schied- schaftlichen Besitz des Bundes. Ist das Haus damit
lich-friedlichsten und am sachgerechtesten für das einverstanden?
Haus über die Runde kommen. Ich möchte Sie des- (Zustimmung.)
halb bitten, dem von dem Herrn. amtierenden Präsi-
denten vorgetragenen Vorschlag Ihre Zustimmung — Dann ist also der Ausschuß für wirtschaftlichen
zu geben. Besitz des Bundes federführend; dem Wirtschafts-
ausschuß und dem Haushaltsausschuß ist der Ge-
(Allseitiger Beifall.) setzentwurf zur Mitberatung überwiesen.

Vizepräsident Schoettle : Weitere Wortmeldun- Ferner ist der Ausschuß für Entwicklungshilfe vor-
gen liegen nicht vor Wir kommen zur Abstimmung. geschlagen. Stimmt das Haus diesem Vorschlag zu?
— Hierüber scheint keine einheitliche Meinung zu
Da die Überweisung an den Haushaltsausschuß bestehen. Wir stimmen ab. Wer dafür stimmt, daß
für den Gesamthaushalt nicht strittig ist, glaube ich die Vorlage auch dem Ausschuß für Entwicklungs-
annehmen zu dürfen, daß das Haus der Überwei- hilfe überwiesen wird, den bitte ich, die Hand zu
sung an den Haushaltsausschuß zustimmt. erheben. — Danke. Ich bitte um die Gegenprobe. —
Es ist getrennte Abstimmung über den zweiten Das erste scheint die Mehrheit zu sein, obwohl die
Vorschlag empfohlen worden, nämlich den Einzel- Müdigkeit bei der Abstimmung sichtbar war.
plan 02 wegen des § 6 der Geschäftsordnung auch (Heiterkeit.)
an den Vorstand des Bundestages zu überweisen.
Ich stelle diesen Vorschlag zur Abstimmung. Wer Damit ist auch dieser Punkt der Tagesordnung
stimmt ihm zu? Ich bitte um ein Handzeichen. — erledigt.
Danke. Ich bitte um die Gegenprobe. — Das erste Ich rufe Punkt 4 der Tagesordnung auf:
war die überwiegende Mehrheit; es ist so beschlos-
sen. Erste Beratung des von der Fraktion der SPD
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Ich rufe Punkt 3 der Tagesordnung auf: Änderung des Einkommensteuergesetzes
Erste Beratung des von der Bundesregierung (Drucksache IV/67).
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Wird das Wort zur Begründung gewünscht? —
die Feststellung des Wirtschaftsplans des Das Wort hat der Abgeordnete Seuffert.
ERP-Sondervermögens für das Rechnungs-
jahr 1962 (ERP Wirtschaftsplangesetz 1962)
-

(Drucksache IV/237). Seuffert (SPD) : Herr Präsident! Meine Damen


und Herren! Den Antrag, den zu begründen ich die
Wird das Wort zur Begründung gewünscht? — Ehre habe und der sich auf den sogenannten Weih-
Keine Begründung. nachtsfreibetrag bezieht, haben wir Ihnen bereits
(Abg. Wacher: Überweisung!) im Dezember vorigen Jahres vorgelegt, um ihn
wenn möglich schon damals zur Auswirkung kom-
— Überweisung. Für die Überweisung sind vor- men zu lassen. Sie haben es, damals abgelehnt, ihn
geschlagen der Wirtschaftsausschuß und der Aus- zu beraten. Wenn er heute in unmittelbarem An-
schuß für wirtschaftlichen Besitz des Bundes, zur schluß an die erste Lesung des Haushalts 1962 zur
Mitberatung der Haushaltsausschuß. Über die Beratung steht, so ist das vielleicht kein ungünsti-
Federführung ist keine Klarheit geschaffen. ger Zeitpunkt, um die Aufmerksamkeit darauf zu
Herr Abgeordneter Wacher, bitte! lenken, daß auf dem wichtigen Gebiet des Lohnein-
kommens und seiner steuerlichen Behandlung
Wacher (CDU/CSU) : Herr Präsident! Meine Da- unabweislich und bald etwas geschehen muß, was
men und Herren! Wir haben diese Frage in der auch Auswirkungen für den Haushalt haben kann.
Fraktion der CDU/CSU sehr eingehend behandelt. Denn, meine Damen und Herren, wir beabsichtigen
Ich bitte Sie namens der Fraktion, den Gesetzent- — das möchte ich von vornherein ankündigen — ,

wurf dem Ausschuß für wirtschaftlichen Besitz des die Diskussion über diesen Antrag nicht auf die
Bundes — federführend — sowie dem Wirtschafts- Frage des Weihnachtsfreibetrags zu beschränken,
ausschuß und dem Haushaltsausschuß zur Mitbera- sondern die Frage der Besteuerung des Lohnein-
tung zu überweisen. kommens insgesamt einmal zur Debatte zu stellen.
Deswegen halte ich es nicht für notwendig, den
Vizepräsident Schoettle: Sie haben diesen Antrag jetzt im einzelnen zu begründen. Die Be-
Vorschlag gehört. gründung ergibt sich im übrigen aus den allgemein
gestiegenen Zahlen für die Bemessungsgrundlagen
Herr Abgeordneter Zoglmann! der Lohnsteuer und für die Bemessung der Höhe der
Weihnachtszahlungen von selbst.
Zoglmann (FDP) : Ich bitte, diesen Gesetzentwurf Gestatten Sie mir aber ein Wort zu der Entwick-
zur Mitberatung auch dem Entwicklungsausschuß zu lung der Besteuerung des Lohneinkommens in den
überweisen. letzten Jahren. Diesem Problem muß man einige
Worte widmen, weil es offensichtlich vernachlässigt
Vizepräsident Schoettle : Ein weiterer Vor- wird. Wenn dem nicht so wäre, hätte es nicht dazu
schlag: der Entwicklungsausschuß, mitberatend. kommen können und dürfen, daß wir sowohl beim
Wir müssen zuerst über die Federführung ent- Steueränderungsgesetz 1961, wie übrigens auch bei
scheiden. Vorgeschlagen ist der Ausschuß für wirt- früheren Steueränderungsgesetzen, namens der
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. März 1962 691
Seuffert
Opposition feststellen mußten, daß dieses Gesetz sichtlich des Unterhalts und der Erziehung der Kin-
zwar vielen vieles gebracht hat, aber für den Arbeit- der wie überhaupt der vertretbare Anspruch auf
nehmer gar nichts. einen Anteil an der Wohlstandsentwicklung auch
für den Arbeitnehmerhaushalt gestiegen. Ich brauche
Vizepräsident Schoettle: Darf ich einen Augen- nicht näher zu begründen, wie wichtig all diese
blick unterbrechen. Meine Damen und Herren, es Dinge für unsere innere Verteidigung gegenüber
scheint mir nicht zweckmäßig zu sein, daß sich das dem Kommunismus sind, ganz abgesehen davon,
Haus in eine Strandpromenade verwandelt. Das ist daß sich diese Ansprüche auf die Menschenwürde
weder für den Redner noch für das Haus selber und darauf gründen, daß alle an der Wohlstands-
zweckmäßig. Ich bitte doch, nach Möglichkeit Ruhe entwicklung teilhaben sollen. Wenn das in einer so
zu bewahren. großen, in der überwiegenden Zahl von Fällen dazu
führt, daß auch die Ehefrau sich genötigt sieht, in
Bitte, Herr Abgeordneter, fahren Sie fort. Arbeit zu gehen, dann muß der Steuergesetzgeber
mit diesem Tatbestand rechnen und muß ihm gerecht
Seuffert (SPD) : Ich mußte davon sprechen, daß werden, ganz gleichgültig, wie man von irgendeiner
das Steueränderungsgesetz 1961 und auch frühere Familienpolitik her über die Entwicklung sonst den-
Steueränderungsgesetze zwar vielen vieles gebracht ken mag.
haben, aber für den Arbeitnehmer und für seine be-
sondere Situation eben gar nichts. Wir haben auch Der zweite Effekt, auf den man damals im Jahre
in der Regierungserklärung neulich keine greifbare 1958 so stolz war, die Verminderung ,der Lohn-
Andeutung finden können, daß diesem Problem steuerfälle, die Befreiung etwa der Hälfte der Ar-
Aufmerksamkeit gewidmet wird. beitnehmer von der Lohnsteuerpflicht, ist längst
weggefallen. Das läßt sich nicht leugnen. Es kann
Die letzte Gesetzesänderung, die für den Sektor gar keine Rede mehr davon sein, daß die Hälfte der
der Besteuerung des Lohneinkommens Bedeutung Arbeitnehmer steuerfrei ist. Im Gegenteil, ,die Lohn-
hatte, war die große Steuer- und Tarifänderung steuer hat sich überdimensional entwickelt, nicht
1958. Sicher hat diese Änderung durch die Erhöhung nur gegenüber anderen Steuern, sondern auch
der Grundfreibeträge und die Einführung des Pro- gegenüber der Lohnsumme.
portionalsatzes wesentliche Erleichterungen auch
und gerade für das Arbeitnehmereinkommen ge- Was ich soeben hervorheben mußte, sind zwei
bracht. Man hat damals angenommen, daß die sehr bedauerliche Minuspunkte in ,der Entwicklung
Hälfte der Arbeitnehmer durch die Gesetzesände- seit 1958. Wie stellt sich nun die Gesamtentwick-
lung der Lohnsteuer dar? Die Lohnsumme ist von
rung lohnsteuerfrei werde. Damals wurde — auch
1958 bis 1962 — ich beziehe jetzt die Schätzungen
daran muß man erinnern — eine Mehrbelastung für
des Finanzberichts für 1962 ein — von 109 auf
die jenige Arbeitnehmergruppe eingefuhrt, bei der
160 Milliarden DM gestiegen. Das wären rund 54 %.
beide Ehegatten ein Arbeitseinkommen beziehen.
Das bedeutete eine Schlechterstellung gegenüber Die Lohnsteuer ist im gleichen Zeitraum 1958 bis
1962 — wieder einschließlich der Vorausschätzung
dem vorher bestehenden Zustand. Wir haben das
für 1962 — von 5,932 Milliarden auf 12 Milliarden
damals in Kauf genommen, einmal weil die getrof-
gestiegen, also um rund 102 %. Sie ist mithin um
fene Lösung systematisch richtig erschien und zum
fast das Doppelte dessen gestiegen, um das die
anderen weil wir, wie wir jetzt offen gestehen
Lohnsumme gestiegen ist.
müssen, seinerzeit auf Grund der vorliegenden Aus-
künfte und Unterlagen die Bedeutung und den Um- Ich möchte die Frage stellen: wenn in irgend-
fang dieser Gruppe wesentlich unterschätzt haben. einem Erwerbszweig die Steuerbelastung sich in
Wir haben allerdings schon damals — auch daran einem so offenkundigen Mißverhältnis zu den Ein-
muß ich erinnern — darauf hingewiesen, daß die kommen entwickelt hätte, was hätten wir .da zu
Mehrbelastung dieser Gruppe bedenklich sei und hören bekommen, und welche Gedanken müssen
daß sie vermeidbar sei, wenn man den allgemeinen wir einer solchen Entwicklung auf dem Sektor des
Arbeitnehmerfreibetrag, den wir schon so lange Lohneinkommens widmen? Selbstverständlich habe
fordern und den die Gerechtigkeit selbst fordert, in ich hier vom Nominaleinkommen gesprochen, weil
einem angemessenen Umfang bewilligen werde. Wir ich in der Diskussion zunächst keine andere Ziffer
haben die entsprechenden Anträge gestellt. Sie sind verwenden kann. Wenn man von den Realeinkom-
abgelehnt worden. men ausginge, die eigentlich für die Frage der Be-
lastbarkeit durch die Steuer die entscheidende
Inzwischen hat sich herausgestellt, daß diese
Grundlage sein sollten, würden sich bekanntlich
Gruppe der Arbeitnehmer, bei der auch die Ehefrau
wegen der Preisentwicklung und wegen der Ent-
in Arbeit steht, mindestens etwa 50 % der Arbeit-
wicklung der Lebenshaltungskosten noch viel un-
nehmerhaushalte ausmacht, wenn nicht den über-
günstigere Zahlen ergeben.
wiegenden Teil und den Normalfall in den Arbeit-
nehmerkreisen überhaupt. Die Gründe dafür, warum Ich gebe zu, daß Parallelzahlen für veranlagtes
das so ist, will ich jetzt nicht näher darlegen. Ich Einkommen äußerst schwer zu erarbeiten sind, weil
bin aber der Ansicht, daß man, um zu einer gerech- sich allein schon wegen der bekannten Phasenver-
ten Besteuerung zu kommen, zunächst immer vom schiebung durch , das Erhebungsverfahren andere
Normalfall ausgehen muß. Offensichtlich sind in Maßstäbe für die Zeiträume ergeben und diese Zah-
einer großen Zahl von Fällen, wenn nicht gar in der len nicht so leicht wie die Lohnsteuerzahlen auf be-
überwiegenden Zahl, die Anforderungen an die stimmte Zeiträume des Einkommensanfalls zu be-
familiengerechte Wohnung, die Anforderungen hin- ziehen sind. Aber es gibt eine ganze Reihe von
692 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. März 1962
Seuffert
Gründen — auf die ich heute nicht eingehen steuer ist ein Abzugsverfahren nach Tabellen, die
kann —, die dafür sprechen, daß sich das Verhält- nach oben gerechnet sind; das heißt, sie sind von
nis zwischen Steuerbelastung und Einkommensent- vornherein so festgesetzt, daß grundsätzlich die
wicklung im Bereich dieser Einkommen, der Privat- höchste Steuer eingezogen wird, die etwa in Frage
einkommen und der Körperschaftseinkommen, bei kommen kann, um auf diese Weise Nachforderungen
weitem nicht so markant verändert hat wie gerade möglichst überflüssig zu machen; solche Nachforde-
bei der Lohnsteuer. rungen sollen ja beim Abzugsverfahren überhaupt
Diese Entwicklung bei der Lohnsteuer hat dazu nicht in Frage kommen.
geführt, .daß die durchschnittliche Steuerbelastung Die Nachprüfung nach unten innerhalb der Lohn-
des Lohneinkommens jetzt — laut Finanzbericht steuer erfolgt durch den Lohnsteuerjahresausgleich.
1962 — bereits auf 7,7 % in ,der Vorausschätzung Was ist das Ergebnis? Der Lohnsteuerjahresaus-
angesetzt wird. Im Finanzbericht 1961 war sie auf gleich — das dürfte anzunehmen sein — ergibt, daß
6,4 % geschätzt und ist dann auf Grund der Ist- im Jahr eine runde Milliarde DM Lohnsteuern allein
Zahlen im Laufe des Jahres auf 7,15 % korrigiert durch die Finanzämter — die Verrechnungen, die
worden. Die steigende Tendenz der Lohnsteuer- schon beim Arbeitgeber stattfinden, sind hier gar nicht
belastung ist ganz unverkennbar. einbezogen — zurückgezahlt wird. Diese Milliarde
DM ist im Laufe des Jahres von den Arbeitnehmern
Das hat weiter dazu geführt, daß die Entwick-
zuviel gezahlt und zinslos vorgeschossen worden;
lung der Nettolohnsumme hinter der Entwicklung
sie wird erst später — natürlich ohne Zinsen — zu-
der Bruttolohnsumme erheblich zurückbleibt. Laut
rückgezahlt. Man muß dagegen sehen, daß bei der
Finanzbericht haben wir bei der Bruttolohnsumme
veranlagten Einkommensteuer wenn man von
einen Zuwachs von 12,4 % und bei der Nettolohn-

der alten Regel ausgeht, daß ungefähr 30 % der


summe einen solchen von 11,7 %. Das bedeutet, daß
Einkommensteuerzahlungen Abschlußzahlungen sind
rund 5 1/2% des Zuwachses an Lohn schon allein — jährlich über 3 Milliarden DM und bei der Kör-
durch Mehrsteuern aufgebraucht werden.
perschaftssteuer dazu noch gut 2 Milliarden DM erst
Worauf ist das zurückzuführen? Selbstverständlich ein bis zwei Jahre, nachdem das zu versteuernde
auf die Auswirkung der Progression. Das zeigt, daß Einkommen angefallen ist, gezahlt werden und in-
auch bei den Arbeitnehmereinkommen die Progres- zwischen zinslos in den Händen der Steuerpflichti-
sion noch sehr wirksam ist. Bekanntlich liegt der gen verbleiben. Das heißt, die Arbeitnehmer legen
ganz überwiegende Teil dieser Einkommen im Be- jedes Jahr 1 Milliarde DM vor, um sie erst später
reich des Proportionalsatzes; das heißt, es findet zurückzubekommen, während die Veranlagten und
hier keine Progression des Steuersatzes oder des die Körperschaften jedes Jahr 3 Milliarden bzw. 2
Spitzensatzes statt. Durch die Auswirkung der Ab- Milliarden DM einstweilen gestundet bekommen, bis
nahme der Grundfreibeträge findet, wie man aus sie überhaupt bei ihnen eingefordert werden. Das ist
diesen Zahlen sieht, berechnet auf das Gesamtein- ein Verhältnis, das auf die Dauer nicht tragbar ist.
kommen, jedoch auch hier eine sehr, sehr wirksame Wir glauben, meine Damen und Herren, Ihnen in
Progression statt. Man muß das im Verhältnis zur Kürze Anträge vorlegen zu können, um dieses Miß-
nächsten Tarifzone sehen, wo die Auswirkung der verhältnis zu beseitigen. Sowohl für das Steuerauf-
Grundfreibeträge abnimmt und eine Progression der kommen wie für die gerechte Verteilung der Steuer-
Steuersätze vorgesehen ist; man arbeitet hier bei belastung muß — allein vom Verfahren her — etwas
dem Ledigen- und Splittingtarif mit ganz anderen getan werden.
Progressionskurven. Vor allen Dingen muß man das
Wie (sieht übrigens dieses Verfahren bei der
aber auch im Verhältnis zu der Zone der Einzelein- Lohnsteuer vom Standpunkt der Verwaltung her
kommen über 110 000 DM sehen, bei denen über-
aus? Nach sehr genauen Zahlenunterlagen, die ich
haupt keine Progression mehr stattfindet, weder
einsehen konnte, stellen ungefähr ein Drittel der
durch Auswirkung der Grundfreibeträge noch durch
Arbeitnehmer während des Jahres Anträge auf
Ansteigen des Steuersatzes. Lohnsteuerermäßigung und etwa ein Drittel der Ar-
Daß in dem Zwischenbereich Tarifverbesserungen beitnehmer stellen Anträge auf Lohnsteuerjahres-
möglich sind, haben wir bereits 1958 ausgesprochen. ausgleich, und zwar in den Fällen, in denen dies der
Der Herr Bundesfinanzminister hat angedeutet, daß Arbeitgeber nicht schon selbst erledigt hat. Das be-
er sich diesem Problem in einem angemessenen Aus- deutet, daß ungefähr 6 bis 6 1/2 Millionen derartige
maß widmen wolle. Wir haben sicherlich nichts da- Anträge im Jahre von den Finanzämtern zu bearbei-
gegen. Die Zahlen beweisen jedenfalls, daß die ten sind, und zwar sehr oft mit erheblichem Auf-
Progression bei den Arbeitnehmereinkommen sich wand.
durch eine Erhöhung der Durchschnittsbesteuerung
Daß diese Anträge nicht unberechtigt sind, wie
bereits sehr scharf ausgewirkt hat. Sie ist hier sehr sehr sie sogar berechtigt sind, ergibt sich aus folgen-
bedenklich. Die Zahlen beweisen andererseits, daß der merkwürdiger Tatsache. Überprüfungen haben
eine Senkung des Proportionalsatzes sehr heilsam
ergeben, daß ein Drittel aller Arbeitnehmer, die
wäre; man hat hier von seiten der Sozialausschüsse Anspruch auf Lohnsteuerermäßigung allein wegen
der CDU in den letzten Tagen etwas gehört. Überschreitung der Sonderausgaben-Pauschale, allein
Hinter dieser Entwicklung stehen aber auch immer durch ihre Sozialversicherungsbeiträge, gehabt hät-
wieder die alten, Benachteiligungen der Arbeitnehmer ten, diesen Antrag überhaupt nicht gestellt haben;
in der ganzen Einkommensteuer. Sie sind gegenüber offenbar, weil sie über ihr Recht nicht genügend
den zur Einkommensteuer Veranlagten durch das aufgeklärt sind. Wie sähe es bei der Verwaltung
Verfahren benachteiligt. Das Verfahren der Lohn- erst aus, wenn auch die Anträge noch gestellt wor-
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. März 1962 693
Seuffert
den wären, die nach den Überprüfungen ohne wei- Weise, wenn ein Arbeitgeber, ein Unternehmen sei-
teres berechtigt gewesen wären? Es muß also etwas nen Arbeitnehmern freiwillige Leistungen erbringt.
geschehen, damit auch diese Leute zu ihrem Recht Ein Unternehmen kann jedem Geschäftsfreund Ge-
kommen und damit die Verwaltung aus dem uner- schenke im Werte von bis zu 100 DM im Jahre
träglichen Zustand herauskommt. Eine Erhöhung machen und die Ausgaben dafür als Werbungsko-
mindestens der Sonderausgaben-Pauschale dürfte sten absetzen; auch bei dem Empfänger hat das kei-
unvermeidlich sein; denn ein Abzugssystem, das in nerlei steuerliche Wirkungen. Sobald ein Unterneh-
so vielen Fällen, mit so gewaltigem Arbeitsaufwand men aber versucht, seinen Arbeitern oder Ange-
und mit so erheblichen Ergebnissen ständig korri- stellten solche Geschenke zu machen, entstehen
giert werden muß, kann in seiner Grundlage nicht Lohnsteuerpflichten. Auch das muß einmal über-
mehr richtig sein. Ich meine, eine Erhöhung der prüft werden. Besonders wichtig ist — ich verweise
Sonderausgaben-Pauschale von 636 DM jährlich auf in diesem Zusammenhang auf die Debatten über
mindestens etwa 900 DM jährlich sollte unvermeid- den bedenklichen Gesundheitszustand weiter Bevöl-
lich sein, und zwar schon aus Verwaltungsgründen. kerungskreise und die Möglichkeiten, Abhilfe zu
Ich glaube, erkennen zu können, daß der Herr Bun- schaffen — die Frage der steuerlichen Behandlung
desfinanzminister für diese Betrachtungen durchaus von Erholungsbeihilfen und ähnlichem. Es sollte
Verständnis zeigt. Ich darf in aller Bescheidenheit unserer Meinung nach möglich sein, eine präzise
daran erinnern, daß auf dieses Problem bzw. auf Fassung für eine angemessene Regelung zu finden.
diese Forderung bereits in unserem Regierungs-
In Wirklichkeit ist allen diesen Mängeln nur durch
programm zur Wahl Bezug genommen worden ist.
einen angemessenen Arbeitnehmerfreibetrag abzu-
Ich muß allerdings auch noch sagen, daß diese For-
helfen. Das ist wie Sie schon lange wissen, unser
derung letzten Endes aus Gründen technischer Ge-
Endziel, das wir nicht aufgeben und eines Tages er-
rechtigkeit erhoben wurde, denen auch Gründe der
reichen werden. Solange wir das nicht erreicht ha-
Verwaltungsvereinfachung zur Seite treten, und ich
ben, müssen viele wünschenswerte und notwendige
muß darauf aufmerksam machen, daß mit einer
Verbesserungen Platz greifen, wie ich sie Ihnen
Maßnahme, die sich nur auf die Sonderausgaben-
hier vorgetragen habe. Unsere Absicht ist — ohne
Pauschale bezieht, die Forderung nach Gerechtigkeit
daß ich damit unseren Antrag in diesem Augen-
für die Arbeitnehmer nicht abgegolten wäre, son-
blick schon erweitern möchte —, die Gesamtsitua-
dern weiter bestehenbleiben wird. Die Begründun-
tion zur Diskussion zu stellen. Wir werden dann
gen für diese Forderungen haben wir schon oft
unsere Vorschläge ,dazu machen, im Ausschuß oder
gegeben. Ich will einige der wesentlichen Begrün-
im Plenum, wie sich das geschäftsordnungsmäßig er-
dungen noch einmal kurz vortragen.
gibt. Denn nach unserem Dafürhalten ist es unsere,
Die Benachteiligung, die auszugleichen ist, liegt des ganzen Parlaments sowie der Regierung und ins-
schon in der Zahlungsweise der Lohnsteuer einer- besondere des Bundesfinanzministers, Aufgabe, auf
seits und der veranlagten Einkommensteuer ande- diesem vernachlässigten Gebiet der Besteuerung des
rerseits, wie ich vorhin ausgeführt habe. Sie liegt Lohneinkommens Abhilfe zu schaffen und dem Lohn-
weiterhin in den viel erheblicheren Dispositions- steuerpflichtigen Gerechtigkeit zukommen zu las-
möglichkeiten des selbständigen Einkommensteuer- sen. Dazu sollen unser Antrag und die Anträge, die
pflichtigen. Er hat viel mehr Möglichkeiten, ge- wir, wie angekündigt, noch stellen werden, dienen,
schäftliche Maßnahmen mit Maßnahmen der persön- und dazu mußte ich Ihre Aufmerksamkeit 'in An-
lichen Lebenshaltung, der persönlichen Versorgung spruch nehmen, für die ich Ihnen ergebenst danke.
und der Vermögensbildung in Einklang zu bringen.
Der selbständige Einkommensteuerpflichtige hat den (Beifall bei der SPD.)
großen Vorteil, den Verlust vortragen zu können.
Der Arbeitnehmer kann dies nicht und hat infolge- Vizepräsident Schoettle: Der Gesetzentwurf
dessen nicht die Möglichkeit, seine Gesamtbemühun- ist begründet. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort
gen um sein Einkommen in einen langfristigen hat der Herr Abgeordnete Schmidt (Wuppertal).
Planungszusammenhang zu bringen. Das wirkt sich
besonders schmerzlich in der Frage der Ausbildungs- Dr. Schmidt (Wuppertal) (CDU/CSU) : Herr Prä-
kosten aus, worauf ich schon mehrfach hingewiesen sident! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
habe. Der Arbeitnehmer kann für seine Ausbildungs- Die sozialdemokratische Fraktion hat Ihnen einen
kosten keinerlei steuerliche Begünstigungen oder Antrag zur Erhöhung des Weihnachts-Freibetrages
Hilfen 'in Anspruch nehmen. Er muß sie in der Regel vorgelegt. Zur Begründung dieses Antrages haben
dann aufwenden, wenn er noch kein Einkommen hat, wir aber mit Ausnahme eines einzigen Satzes nichts
von dem er die Ausbildungs- und Fortbildungs- mehr gehört. Statt dessen ist eine grundsätzliche und
kosten steuerlich absetzen könnte. Dadurch wird allgemeine Debatte über einen allgemeinen Arbeit-
nicht nur die Ausbildung der Fachkräfte und die nehmer-Freibetrag eröffnet, ein altes Anliegen der
Fortbildung unserer Arbeitskräfte überhaupt, die SPD,daswiruAnlßvechdstrEikom-
gerade in der gegenwärtigen Situation für uns so mensteueränderungen schon oft erörtert haben wie
sehrwictgnd,bähsoernwid auch .die Frage der steuerlichen Vergünstigung von
dem Arbeitnehmer fast unmöglich gemacht, seine Weihnachtszuwendungen. Wir sind in einer Haus-
Ausbildung unabhängig, d. h. ohne Anlehnung an haltsdebatte, Herr Kollege Seuffert.
ein Unternehmen, das sie in irgendeiner Weise
finanziert, zu betreiben. (Abg. Seuffert: Nein, nicht mehr!)
Noch einen anderen Punkt darf ich erwähnen. — doch, in einer Haushaltsdebatte, die uns noch
Unsere Gesetzgebung besteuert es in kleinlicher einige Wochen beschäftigen wird und die uns zum
694 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. März 1962
Dr. Schmidt (Wuppertal)
mindesten die Frage nahelegen sollte, was das die wir hier zu lösen hätten! Das geht angesichts
eigentlich kostet. der Haushaltslage über mein Verständnis, bei aller
Die Frage der Deckung liegt nahe: Wie werden Bereitschaft, nun auch sozialpolitisch die Probleme
diese zusätzlichen Einnahmeminderungen gedeckt? richtig in den Griff zu bekommen.
Die Einnahmeminderung bei Verwirklichung des Nun, Herr Kollege Seuffert, wir sprechen vor
Antrages, den die SPD-Fraktion gestellt hat, den einem fast leeren Hause, und ich möchte auch die
Weihnachts-Freibetrag von 100 auf 200 DM zu er- Zeit dieser Sitzung heute abend nicht mehr über
höhen, wird im Finanzministerium auf jährlich etwa Gebühr in Anspruch nehmen. Über die Frage des
300 Millionen DM geschätzt. Die Einnahmeminde- allgemeinen Arbeitnehmerfreibetrages wäre sicher-
rung bei Gewährung eines allgemeinen Arbeit- lich sehr viel zu sagen. Ich verkenne eines nicht:
nehmer-Freibetrages etwa in dem Ausmaße von es gibt sicherlich im Lohnsteuerrecht Bereinigungs-
600 DM jährlich wird auf 1,2 Milliarden DM ge- probleme. Ich meine allerdings, daß wir uns im
schätzt. Das sind immerhin schon Beträge, über Rahmen der Beratungen und Verhandlungen über
deren Deckung wir, wenn wir hier im Hause davon die Korrektur des Einkommensteuertarifs, die der
sprechen, uns einige Gedanken machen sollten. Die Minister angekündigt hat, dieser Probleme im Lohn-
offene Frage ist und bleibt zunächst einmal: Woher steuerrecht annehmen müssen. Es gibt gewisse
nehmen wir angesichts des Defizits im Haushalt, Vereinfachungsmöglichkeiten. Sie haben bestimmte
dessen Deckung noch in gar keiner Weise gewähr- unerfreuliche Dinge, die sich im Rahmen des Jahres-
leistet ist? lohnsteuerausgleichs usw. ergeben, erwähnt, was
An der Geschichte des Weihnachts Freibetrages
-
sicherlich in Betracht gezogen werden muß und sehr
kann man eigentlich sehr gut verfolgen, wie aus wohl eine Erörterung verdient. Aber ich meine, bei
einer kleinen Sache etwas sehr, sehr Grundsätz- einer ernsthaften Verhandlung über einen Arbeit-
liches wird. nehmerfreibetrag müßte ja wohl auch — und davon
haben Sie kein Wort gesagt — über die Bereinigung
(Abg. Seuffert: Warum nicht?!) des § 3 des Einkommensteuergesetzes mit seinen
Es lohnt sich, in diesem Zusammenhang einmal ganz 36 Ziffern gesprochen werden.
kurz die Geschichte aufzudecken. Zunächst handelte' Unter diesen 36 Ziffern — ich glaube, es sind
es sich um freiwillige, geschenkweise Zuwendungen 36 in § 3 des Einkommensteuergesetzes — be-
des Arbeitgebers aus Anlaß des Weihnachtsfestes, findet sich eine ganze Reihe von Steuervergünsti-
die selbstverständlich steuerfrei waren. Dann wur- gungen, die, wenn schon Steuervereinfachungsmaß-
den daraus eine regelmäßige Zuwendung mit ar- nahmen in Betracht .gezogen werden sollten, zu-
beitsrechtlichem Rechtsanspruch. So wird es eine mindest auch berücksichtigt werden müssen:
Vergütung für Dienstleistungen, und damit treten begrenzte Steuerfreiheit für Heirats- und Geburts-
die Steuerfragen auf. Man hat zunächst eine Steuer- beihilfen, für Jubiläumsgeschenke, für Trinkgelder,
vergünstigung für Zuwendungen in einem begrenz- auf die kein Rechtsanspruch besteht, Steuerfreiheit
ten Maße eingeführt. Dann sind wir im Jahre 1960 für bestimmte Sonntags-, Feiertags- und Nacht-
Ihrem Gedanken, Herr Seuffert, beim Steuerände- arbeitszuschläge, Steuerfreiheit des Arbeitgeberbei-
rungsgesetz gefolgt und sind auf Ihren grundsätz- trags zur Sozialversicherung, begrenzte Steuerfreiheit
lichen Gedanken mit dem Arbeitnehmer-Freibetrag für Aufwendungen zur Zukunftssicherung, begrenzte
eingegangen. Steuerfreiheit bei der Gewährung von Fehlgeldent-
Ich bin heute noch froh, daß wir damals diesen schädigungen, bei der Gewährung von unentgelt-
Schritt getan haben; denn er ist sicherlich weitaus lichen oder verbilligten Mahlzeiten im Betrieb, bei
gerechter als , das, was vorher bestanden hat. Wir der unentgeltlichen oder verbilligten Bereitstellung
konnten dann zum mindesten denjenigen, die keine von Fahrzeugen für die Fahrt zwischen Wohnung
Zuwendungen erhalten, einen Vorteil im Sinne der und Arbeitsstätte, für Unterstützung in Notfällen.
steuerlichen Gleichmäßigkeit zuwenden. Aber nach Es ist ja nicht so, verehrter Herr Seuffert, daß der
denjenigen, die nicht mehr lohnsteuerpflichtig sind, Gesetzgeber an all dies nicht gedacht hätte. Wir
also noch viel kleinere Einkommen haben, aber haben uns doch in den letzten Jahren auch bei der
auch ein Weihnachtsfest feiern und etwas zu Weih- Einkommensteuerreform dieser Dinge angenommen
nachten erhalten möchten, aber niemanden haben, und haben Vergünstigungen geschaffen. Wenn nun
der ihnen etwas gibt, was dann steuerfrei wäre von Ihnen an eine Pauschalregelung gedacht ist,
oder auf Grund dessen ein Steuerfreibetrag geltend müssen diese Vergünstigungen doch zwangsläufig
gemacht werden könnte — es sind jetzt vielleicht und notwendigerweise mit in Betracht gezogen wer-
5 Millionen Personen, die mit ihrem Lohneinkom- den. Es kann ja nicht so sein, daß alle sozialen
men nicht mehr lohnsteuerpflichtig sind —, fragen Besitzstände unüberprüft beibehalten und in eine
wir nicht, wenn wir jetzt weiter aufstocken. Wir allgemeine Regelung hineingenommen werden kön-
machen dann also mit anderen Worten denjenigen nen, die dann aber zusätzlich erfolgt. Das geht nicht.
Zuwendungen, die sogar nach Ihrer Auffassung Ich bin selbstverständlich gern bereit, diese Fra-
jetzt schon scharf in die Progression hineinwach- gen im Finanzausschuß in aller Breite erörtern zu
sen, offenbar also doch in recht erfreulichen Ver- lassen; denn nichts sollte uns mehr am Herzen
hältnissen leben. Insoweit, verehrter Herr Seuffert, liegen als eine gerechte, gleichmäßige Besteuerung,
vermag ich Ihnen nicht zu folgen. Als ob die Frage aber auch unter dem Gesichtspunkt, daß nun nicht
der weiteren Vergünstigung für Lohnsteuerpflich- eine bestimmte Gruppe ihrerseits wieder bevor-
tige, die bereits scharf in die Progression hinein- rechtigt sein darf.
gewachsen sind, eine der dringlichsten Fragen wäre, (Beifall bei den Regierungsparteien.)
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. März 1962 695
Dr. Schmidt (Wuppertal)
So viel zu diesem Antrag. Ich meine, er sollte bereinigen, was nach den Schätzungen, die hier
dem Finanzausschuß überwiesen werden. Wir wer- auch schon genannt worden sind, etwa 300 Mil-
den dann sehen, was aus dem Antrag werden wird. lionen DM kosten würde. Ich glaube, daß wir bei
(Beifall bei den Regierungsparteien.) der augenblicklichen Haushaltslage und unter Be-
rücksichtigung dessen, was hier in der Haushalts-
Vizepräsident Schoettle: Das Wort hat der debatte von den Rednern und insbesondere von
Herr Abgeordnete von Kühlmann Stumm. - dem Herrn Bundesfinanzminister gesagt worden ist,
nicht mit Teillösungen arbeiten können.
Freiherr von Kühlmann Stumm (FDP) : Herr
-

Präsident! Meine Damen und Herren! Der An- Wir sind dabei, glaube ich, alle der Auffassung,
regung des Herrn Dr. Schmidt folgend will ich mich daß Herr Seuffert hier Mängel und Ungerechtig-
kurz fassen und mich auf den Antrag der sozial- keiten aufgezeigt hat, die zweifellos vorhanden
demokratischen Fraktion zum Weihnachtsgeld be- sind. Wenn wir aber in Anbetracht der Situation
schränken. Eine der ersten Sitzungen im Finanz- des Bundeshaushalts doch aus der Rede des Herrn
ausschuß, an, der ich teilnahm, beschäftigte sich mit Finanzministers gehört haben, daß er dabei zu sein
demselben Thema. Seinerzeit hatte meine Fraktion scheint, die Ungerechtigkeiten in dem augenblick-
einen sehr stolzen Antrag hierzu eingereicht, der lichen Einkommensteuer- und Lohnsteuertarif zu
sehr lange im Finanzausschuß geruht hat. Ich habe bereinigen und hier eine bessere Lösung vorzu-
mich dann überzeugen lassen — und zwar von den schlagen, sollten wir doch dieser Lösung den Vorzug
Herren des Finanzministeriums —, daß das, was geben und nicht dieser kleinen Lösung, der ja
wir in diesem Antrag gefordert hatten, schon da- andere Vorschläge und Gesetzesanträge folgen
mals, bei einer sehr viel günstigeren Haushaltslage, werden, zustimmen. Ich glaube, daß dann der Ge-
nicht zu verantworten war. Der Herr Abgeordnete samtheit aller Betroffenen besser Rechnung getra-
Seuffert hat seinerzeit selbst den Vorschlag ge- gen wird als durch einen solchen Antrag.
macht, diese jetzt praktizierte gerechte Lösung in Ich würde also darum bitten, daß, wenn wir zu
Gesetzesform zu fassen. Ich glaube, daß diese Lö- der Beratung dieser grundsätzlichen Fragen kom-
sung, da sehr viele Arbeitnehmer gar kein Weih- men, alle die Mängel und Bedenken, die Herr
nachtsgeld oder sehr viel weniger als 100 DM be- Seuffert aufgezeigt hat, sehr sorgfältig geprüft wer-
kommen haben, sehr viel gerechter und besser ge- den. Wenn es uns trotz der schwierigen Lage, in der
wesen ist. wir uns augenblicklich befinden, gelingt — ich
Wenn wir Ihrem Antrag Folge leisten und den glaube, der Herr Bundesfinanzminister hat seine
jetzigen Betrag praktisch verdoppeln, dann besteht Sorgen hinsichtlich dieses Haushaltes 1962 sehr
doch wiederum die Gefahr, daß insbesondere die deutlich zum Ausdruck gebracht —, eine grundsätz-
kleinen und mittelständischen Betriebe diesen Be- lich gerechtere Lösung zu finden, dann sollten wir
trag nicht zahlen können. Dadurch kann eine Ab- ihr den Vorzug vor diesem Sonderantrag geben.
werbung durch größere Firmen erfolgen, wie es Dann sollten wir allerdings erreichen, daß auch auf
sehr oft der Fall ist. Man möchte ja den Arbeit- dem Gebiete der Lohnsteuer wirklich eine gerechte
nehmern gern diese Steuervergünstigung in vollem und für alle Teile befriedigende Lösung erzielt
Umfang zugute kommen lassen; 'das können aber wird. Ich glaube, darüber sollten wir im Finanz-
die kleineren und mittleren Betriebe im vollen Um- ausschuß beraten. Wir werden dann zum Schluß
fang zweifellos nicht. feststellen, daß für alle Teile eine gute Lösung ge-
funden werden konnte. Während dieser Antrag nur
Vizepräsident Schoettle: Herr Abgeordneter, einen Teil betrifft, den Herr Seuffert auch umrissen
gestatten Sie eine Zwischenfrage? hat, und seine Auswirkung nicht allen zugute
kommt, werden wir bei der Korrektur des Ein-
Freiherr von Kühlmann Stumm (FDP) : Bitte.
-
kommensteuertarifs und des Lohnsteuertarifs einer
breiten Masse von Betroffenen helfen können, die
Seuffert (SPD) : Herr Kollege von Kühlmann- augenblicklich ohne Zweifel ungerecht besteuert
Stumm, damit wir nicht aneinander vorbeireden, werden.
darf ich Sie darauf aufmerksam machen, daß die (Beifall bei den Regierungsparteien.)
derzeitige Regelung gar nicht davon abhängt, ob
eine zusätzliche Gratifikation gezahlt wird oder Vizepräsident Schoettle : Weitere Wortmeldun-
nicht, und daß sie deswegen gerade die Benachteili- gen liegen nicht vor. Die Aussprache ist geschlos-
gung der mittelständischen Betriebe ausschließt, sen. Es ist vorgeschlagen, die Vorlage an den
von der Sie eben gesprochen haben. Finanzausschuß und gemäß § 96 der Geschäftsord-
nung an den Haushaltsausschuß zu überweisen.
Freiherr von Kühlmann Stumm (FDP) : Ja,
-
Wird dem widersprochen? — Das ist nicht .der Fall;
aber trotzdem haben sich auch bei den hundert es ist so beschlossen.
Mark sehr viele Betriebe damals entschlossen, die- Meine Damen und Herren, damit sind wir am
sen Betrag auch wirklich zu zahlen. Schluß der Beratung der Tagesordnungsgegen-
(Abg. Seuffert: Sie müssen es nicht!) stände, die für heute vorgesehen waren.
— Ja, Sie müssen es nicht, aber man muß es hier Ich berufe die nächste Sitzung auf Donnerstag,
auch mitberücksichtigen. Ich darf in Übereinstim- den 15. März 1962, 9 Uhr.
mung mit Herrn Dr. Schmidt hier feststellen: Es
dreht sich hier darum, daß wir mit der Erhö- Die Sitzung ist geschlossen.
hung dieses Weihnachtsgelds einen Teilbereich (Schluß der Sitzung: 19.06 Uhr.)
Deutscher Bundestag - 4. Wahlperiode - 19. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. März 1962 697

Anlage zum Stenographischen Bericht

Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich


Liehr (Berlin) 16. 3.
Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich
Dr. Löbe 16. 3.
a) Beurlaubungen Dr. Löhr 14. 4.
15. 3. Dr. Baron Manteuffel-Szoege 14. 3.
Arendt (Wattenscheid)
Margulies 14. 3.
Dr. Arnold 16. 3.
14. 3. Dr. h. c. Menne (Frankfurt) 16. 3.
Dr. Aschoff
23. 3. Dr. Menzel 31. 3.
Dr. Atzenroth
13. 4. Dr. Miessner 31. 3.
Dr. Dr. h. c. Baade
23. 3. Müller (Remscheid) 15. 3.
Berlin
16. 3. Dr. Müller-Emmert 16. 3.
Dr. Birrenbach
15. 3. Neumann (Allensbach) 16. 3.
Brand
14. 3. Oetzel 7. 4.
Dr. von Brentano
Corterier 3.
15. Dr. h. c. Pferdmenges 23. 3.
12. 4. Pöhler 16. 3.
Cramer
15. 3. Dr. Reinhard 16. 3.
Drachsler
Dr. Dr. h. c. Dresbach 14. 3. Reitzner 31. 3.
Dr. Eppler 16. 3. Riedel (Frankfurt) 31. 3.
Dr. Franz 14. 3. Dr. Schneider 26. 3.
16. 3. Schulhoff 14. 3.
Dr. Furler
14. 3. Seifriz 16. 3.
Gerns
Geiger 16. 3. Dr. Sinn 16. 3.
Steinhoff 16. 3.
Glombig 16. 3.
Storch 15. 3.
Frau Herklotz 14. 3.
Dr. Hesberg 6. 4. Striebeck 23. 3.
Hoogen 14. 3. Strohmayr 14. 3.
Iven (Düren) 14. 3. Verhoeven 16. 3.
Frau Dr. h. c. Weber (Essen) 23. 3.
Frau Jacobi (Marl) 16. 3.
Weinkamm 16. 3.
Dr. Kohut 20. 3.
16. 3. Werner 14. 3.
Kraus
Dr. Kreyssig 15. 3. Dr. Winter 14. 3.
Krüger 31. 3. Wullenhaupt 16. 3.
Kühn (Hildesheim) 16. 3.
Leber 15. 3. b) Urlaubsanträge
Lenz (Bremerhaven) 16. 3.
Lenze (Attendorn) 15. 3. Schlick 14. 4.

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