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D eutscher Bundestag

Sitzung 10.
Bonn, den 2. Dezember 1965

Inhalt:

Erweiterung der Tagesordnung 339 A Frage des Abg. Cramer:


3. Fernsehprogramm in Ostfriesland -
Konstituierung von Ausschüssen . . . 339 A
Stücklen, Bundesminister . . . . . 341 C
Fragestunde (Drucksachen V/38, V/57)
Frage des Abg. Herold:
Frage des Abg. Matthöfer: Fernsehempfang im Zonengrenzgebiet
Straßenbauplanungen im Großraum
Frankfurt Stücklen, Bundesminister . . . . . 341 D

Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister . Herold (SPD) . . . . . . . . . 341 D


339 B
Fritsch (Deggendorf) (SPD) . . . . 342 A
Matthöfer (SPD) 339 D

Frage des Abg. Dr. Müller-Emmert: Fragen des Abg. Bühler:


Als ob Tarife für das Gebiet der Pfalz
- - Rundfunk- und Fernsehempfang im süd
Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister . . 340 A westlichen Schwarzwald

Dr. Müller-Emmert (SPD) 340 B Stücklen, Bundesminister . . . . . 342 C

Frage des Abg. Dr. Müller-Hermann: Fragen des Abg. Lenz (Brühl) :
Spätflugverbindung der KLM von Existenzbeeinträchtigung mittelständi
Amsterdam nach Bremen scher Betriebe durch die Bundespost
Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister . . 340 C Stücklen, Bundesminister . . . . . 343 A
Dr. Müller-Hermann (CDU/CSU) . . 340 D
Frage des Abg. Dröscher:
Fragen des Abg. Dr. Rinderspacher: Anwendung des § 33 des Bundesbau-
Sammlermarken der Deutschen Bundes- gesetzes
post Dr. Bucher, Bundesminister . . . . 343 B
Stücklen, Bundesminister 341 A Dröscher (SPD) . . . . . . . 343 C
Dr. Rinderspacher (SPD) 341 B Krammig (CDU/CSU) 343 D
II Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 10. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. Dezember 1965

Fragen des Abg. Hörmann (Freiburg) : Frage des Abg. Dr. Müller-Emmert:
Vorzeitige Ablösung öffentlicher Mittel Zuschüsse für Pfalztheater Kaiserslau
des sozialen Wohnungsbaues . durch pri- tern und Pfalzorchester Ludwigshafen
vate Bauherren Dr. Mende, Bundesminister . . . . 348 D
Dr. Bucher, Bundesminister . . . . 343 D Dr. Müller-Emmert (SPD) 349 A
Dr. Rinderspacher (SPD) 344 A Leicht (CDU/CSU) 349 C
Schmitt-Vockenhausen (SPD) . . 349 D
Fragen des Abg. Strohmayr:
Fritsch (Deggendorf) , (SPD) . . . 350 B
Antragsformulare für Wohngeld
Dr. Marx (Kaiserslautern) (CDU/CSU) 350 C
Dr. Bucher, Bundesminister . . . 344 C
Kaffka (SPD) 350 D
Strohmayr (SPD) 344 D
Dr. Klepsch (CDU/CSU) 351 A
Schmitt-Vockenhausen (SPD) . . 345 A
Dröscher (SPD) . . . . / . . 351 C
Frau Meermann (SPD) 345 B
Dr. Czaja (CDU/CSU) 345 C Frage des Abg. Schmitt-Vockenhausen:
Dr. Müller (München) (SPD) . . . 345 D Nichterstattung der Aufwendungen von
Schwabe (SPD) 346 A Vormündern bei mittellosen Mündeln
Dr. Jaeger, Bundesminister . . . . 351 D
-
Frage des Abg. Dr. Schmidt (Wuppertal) : Schmitt-Vockenhausen (SPD) . . . 352 A
Ausbildungsmöglichkeiten auf dem Ge
biete der Homöopathie für Mediziner Frage des Abg. Corterier:
Bargatzky, Staatssekretär 346 B Symposium über die Zusammenarbeit
Dr. Schmidt (Wuppertal) (CDU/CSU) 346 B zwischen Luftfahrtindustrie und Luft-
fahrtgesellschaften 352 B

Fragen des Abg. Müller (Ravensburg) :


Frage des Abg. Dr. Marx (Kaiserslautern) :
Bau eines Bodensee Regulierwehrs . . 346 D
-

Abzug amerikanischer Streitkräfte in


der Bundesrepublik und in Berlin
Fragen des Abg. Dr. Jungmann: (West)
Gefährdung der Stellung der Apotheke Dr. Schröder, Bundesminister . . . 352 B
durch die Niederlassungsfreiheit für
Apotheker
Frage des Abg. Sänger:
Bargatzky, Staatssekretär 347 A
Aufwand des AA für seinen Nachwuchs
Dr. Jungmann (CDU/CSU) . . . 347 B insgesamt und für den Einzelbewerber
Dr. Schröder, Bundesminister . . . 352 C
Frage des Abg. Dr. Jungmann:
Rechtliche Gleichstellung des deutschen Frage des Abg. Dr. Mommer:
Apothekers mit den Apothekern in den
anderen EWG-Staaten Erklärung des MinDirig Dr. Frank, AA,
gegenüber dem „Luxemburger Wort"
Bargatzky, Staatssekretär 347 D
Dr. Schröder, Bundesminister . . . 352 D
Dr. Mommer (SPD) 352 D
Frage des Abg. Dr. Jungmann:
Dr. Hein (SPD) . . . . . . . 353 A
Akademische Ausbildung der Apo-
theker
Fortsetzung der Aussprache über die Erklä-
Bargatzky, Staatssekretär 348 A rung der Bundesregierung in Verbindung
Dr. Bechert (Gau Algesheim) (SPD) 348 A mit dem

Entwurf eines Gesetzes zur Sicherung


Frage des Abg. Schmitt-Vockenhausen: des Haushaltsausgleichs (Haushaltssiche-
Besondere Kennzeichnung von Lebens- rungsgesetz) (Drucksache V/58). — Erste
mitteln, bei deren Herstellung bzw. Ge- Beratung —

winnung besondere Methoden ange- Mischnick (FDP) . . . . . . . . 353 B


wandt werden Vizepräsident Dr. Dehler 357 C,
Bargatzky, Staatssekretär 348 C 360 A, 361 B
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 10. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. Dezember 1965 III

Dr. Luda (CDU/CSU) . . . . . . 357 D Entwurf eines Gesetzes zu dem Abkommen


Dr. Dahlgrün, Bundesminister . . . 361 D, vom 26. November 1964 mit dem Ver-
365 B einigten Königreich Großbritannien und
Nordirland zur Vermeidung der Doppel-
Osswald, Minister des Landes Hessen 362 B besteuerung und zur Verhinderung der
Vizepräsident Schoettle . 363 C, 366 C Steuerverkürzung (Drucksache V/28) —

Erste Beratung — . . . . . . . . . 390 A


Wehner (SPD) 365 D
Dr. Dehler (FDP) . . . . . . . 371 A
Achtundzwanzigste Verordnung zur Ände-
Präsident D. Dr. Gerstenmaier . . 377 C rung des Deutschen Zolltarifs 1965 (Druck-
Dr. Barzel (CDU/CSU) . . . . . 378 A sache V/4) 390 B
Freiherr von Kühlmann-Stumm (FDP) 382 A
Dr. Dr. h. c. Erhard, Bundeskanzler 385 A Zweiunddreißigste Verordnung zur Ände-
rung des Deutschen Zolltarifs 1965 (Druck-
Erler (SPD) 386 A sache V/5) 390 B

Entwurf eines Fünften Gesetzes über die Er- Dreißigste Verordnung zur Änderung des
höhung von Dienst- und Versorgungsbe- Deutschen Zolltarifs 1965 (Drucksache
zügen (Fünftes Besoldungserhöhungsge- V/6) 390 B
setz) (Drucksache V/55) — Erste Bera-
tung — 389 D
Verordnung über die Senkung von Ab-
Entwurf eines Achten Gesetzes über die An- schöpfungssätzen bei der Einfuhr von
passung der Renten aus den gesetzlichen geschlachteten Gänsen (Drucksache V/7) . 390 B
Rentenversicherungen sowie über die
Anpassung der Geldleistungen aus der Antrag des Bundesministers der Finanzen
gesetzlichen Unfallversicherung (Achtes betr. Grundstückstausch mit dem Land
Rentenanpassungsgesetz) (Drucksache Berlin (Drucksache V/25) 390 B
V/20) — Erste Beratung — . . . . . . 389 D

Antrag des Bundesministers der Finanzen


Entwurf eines Umsatzsteuergesetzes (Netto-
betr. nachträgliche Genehmigung der
umsatzsteuer) (CDU/CSU, FDP) (Druck-
über- und außerplanmäßigen Ausgaben
sache V/48) — Erste Beratung . . . . 389 D
(Drucksache V/34) 390 B

Entwurf eines Gesetzes zu dem Überein-


kommen vom 20. November 1963 zur Re- Entschließungen der 54. Jahreskonferenz
vision der am 17. Oktober 1868 in Mann- der Interparlamentarischen Union (Druck-
heim unterzeichneten Revidierten Rhein- sache V/27) 390 B
schiffahrtsakte (Drucksache V/18) — Erste
Beratung — 389 D Entwurf eines Gesetzes zum Protokoll vom
17. September 1965 zur Änderung des Ab-
Entwurf eines Gesetzes zu dem Abkommen kommens vom 22. Juli 1954 mit den Ver-
vom 22. Oktober 1964 mit der Bundes- einigten Staaten von Amerika zur Ver-
republik Kamerun über den Luftverkehr meidung der Doppelbesteuerung auf dem
(Drucksache V/19) — Erste Beratung 390 A— Gebiete der Steuern vom Einkommen
(Drucksache V/59) — Erste Beratung 390 C

Entwurf eines Gesetzes zu dem Abkommen


vom 29. Oktober 1964 mit der Republik Antrag betr. Wahl der Mitglieder des Wahl-
Senegal über den Luftverkehr (Druck- prüfungsausschusses (CDU/CSU, SPD,
sache V/21) — Erste Beratung — . . . . 390 A FDP) (Drucksache V/67) 391 A

Entwurf eines Gesetzes zu dem Abkommen


Nächste Sitzung 391 C
vom 15. März 1965 mit der Republik
Österreich über den Luftverkehr (Druck-
sache V/26) — Erste Beratung — . . . . 390 A Anlagen 393
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 10. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. Dezember 1965 339

10. Sitzung
Bonn, den 2. Dezember 1965

Stenographischer Bericht Erschließung der neuen Nordweststadt und sei


daher eine städtische Aufgabe. Daher bedarf der
dem Bundesminister für Verkehr erst unter dem
Beginn: 9.01 Uhr 18. Oktober vorgelegte und nicht vorbesprochene
Antrag der Stadt auf Anerkennung dieses neu zu
Vizepräsident Dr. Dehler: Die Sitzung ist er- bauenden Straßenzuges als Zubringerstraße zu
öffnet. einer Bundesstraße einer eingehenden Prüfung der
hierfür erforderlichen haushaltsrechtlichen und
Zunächst eine Mitteilung: Nach einer interfrak- finanziellen Voraussetzungen, zumal für den über-
tionellen Vereinbarung wird die heutige Tagesord- örtlichen Verkehr zwischen Frankfurt am Main und
nung erweitert um die Beratung des Antrags der dem Raum Oberursel/Feldberg auch die beiden
drei Fraktionen über die Wahl der Mitglieder des Landstraßen 3267 und 3004 zur Verfügung stehen.
Wahlprüfungsausschusses. — Das Haus ist einver- Ich bin bestrdbt, die Entscheidung über den Antrag,
standen. Es ist so beschlossen. zu der ich der Zustimmung des Herrn Bundesmini-
Der Präsident ides Hauses bittet, noch folgendes sters der Finanzen bedarf, so schnell wie möglich
bekanntzugeben: Heute nachmittag werden fol- herbeizuführen. Für den Fall, daß die Entscheidung
gende Ausschüsse konstituiert: Finanzausschuß, positiv ausfällt, muß ich darauf hinweisen, daß die
Ausschuß für Sozialpolitik, Innenausschuß, Aus- Haushaltsenge nur im Wege des Mittelausgleiches
schuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäfts- erlaubt, Zuschüsse—es werden 34 Millionen DM ge-
ordnung, Ausschuß für Wirtschaft und Mittelstands- fordert — für den Bau dieser neuen, bisher nicht
fragen, Haushaltsausschuß und Rechtsausschuß. eingeplanten Nordweststraße zu gewähren. Zusätz-
liche Mittel für derartige Aufgaben können über die
Die Ausschüsse haben dann morgen Gelegenheit
bestehenden Straßenbaupläne hinaus ganz allge-
zu tagen. Für Freitag, den 3. Dezember, ist Präsenz-
mein voraussichtlich erst in Durchführung des
pflicht allerdings nicht angeordnet. Es wird aber
Enquetegutachtens eingeworben werden.
.gebeten, daß die Ausschüsse, die dringende Vor-
lagen zu bearbeiten haben, diese Sitzungsmöglich-
keiten ausnutzen. Vizepräsident Dr. Dehler: Eine Zusatzfrage
Wir fahren fort mit der Fragestunde (Drucksachen des Herrn Abgeordneten Matthöfer.
V/38, V/57), zunächst die Fragen aus dem Geschäfts-
bereich des Bundesministers für Verkehr. Ich rufe
die Frage XI/35 — des Herrn Abgeordneten Matt- Matthöfer (SPD) : Herr Minister, werden Sie und
höfer — auf: der Herr Finanzminister bei Ihrer Entscheidung die
Bemerkung des Bundeskanzlers in seiner Regie-
Wann wird über den Antrag der Stadt Frankfurt (Main) auf
Anerkennung der in Bauvorbereitung befindlichen Nordwest- rungserklärung über die Bedeutung der Verbesse-
straße als Zubringerstraße einer Bundesstraße — der vom
Hessischen Minister für Wirtschaft und Verkehr befürwortend
rung der Verkehrsverhältnisse in den Gemeinden
weitergeleitet wurde — entschieden? gebührend in Betracht ziehen?
Bitte, Herr Minister!
Dr. Ing. Seebohm, Bundesminister für Ver-
-

Dr. Ing. Seebohm, Bundesminister für Ver-


- kehr: Selbstverständlich werden wir das tun. Im
kehr: In den zurückliegenden Verhandlungen mit Augenblick kann ich nicht dazu Stellung nehmen,
der Stadt Frankfurt am Main und der Hessischen was der Herr Finanzminister tut, weil mir die Ange-
Auftragsverwaltung über die Straßenbauplanungen legenheit erst jetzt unterbreitet worden ist. Aber
im Großraum Frankfurt wurde bisher übereinstim- das tun wir selbstverständlich. Nur ist es natürlich
mend mit der Gesamtverkehrsplanung der Stadt erstaunlich, daß bei einer solchen engen Zusammen-
Frankfurt am Main, zu deren Durchführung seitens arbeit, wie wir sie mit der Stadt Frankfurt haben,
des Bundes im Vorfeld der Stadt und auf anbau- die noch vor wenigen Monaten zu einer eingehen-
freien Strecken einschließlich von Zuschüssen nach den Diskussion über die Pläne in und um Frankfurt
den 'bisher geltenden Richtlinien nicht weniger als geführt hat, von dieser Nordweststraße kein Ton
750 Millionen DM erwartet werden, die Auffassung gesagt wird und jetzt plötzlich über Nacht der
vertreten, der Bau der Nordweststraße diene der Antrag kommt.
340 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 10. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. Dezember 1965

Vizepräsident Dr. Dehler: Keine weitere Vizepräsident Dr. Dehler: Frage XI/37 — des
Frage. Herrn Abgeordneten Dr. Müller-Hermann —:
Frage XI/36 — des Herrn Abgeordneten Dr. Mül- Ist die Bundesregierung bereit, bis zur Installierung eines
entsprechenden Flugdienstes für die Lufthansa die Aufrecht-
ler-Emmert — : erhaltung der für die bremische Wirtschaft außerordentlich wich-
tigen Spätflugverbindung der KLM von Amsterdam nach Bremen
Wird der Bundesverkehrsminister darauf hinwirken, daß ent- zu gewährleisten, die im Zusammenhang mit einer vom Bundes-
sprechend der im Sommer 1965 abgeschlossenen Vereinbarung verkehrsministerium geforderten Reduzierung des Zwei-Punkte-
zwischen dem Land Rheinland-Pfalz und der Deutschen Bundes- Verkehrs der KLM innerhalb der Bundesrepublik am 1. Dezem-
bahn die sogenannten Als-ob-Tarife im potentiellen Wettbewerb ber d. J. eingestellt werden soll?
gegen den geplanten Saar-Pfalz-Kanal beschleunigt für das
Gebiet der Pfalz eingeführt werden?

Herr Minister! Dr. Ing. Seebohm, Bundesminister für Ver-


-

kehr: Die Bundesregierung ist darum bemüht, die-


Dr. Ing. Seebohm, Bundesminister für Ver-
-
jenigen Flugverbindungen ausländischer Fluglinien
kehr: Der Bundesminister für Verkehr hat keine gesellschaften, wie das die anderen Länder bei
Handhabe, auf die Deutsche Bundesbahn wegen der unserer Lufthansa auch tun, bei denen zwei Punkte
Einführung von Als-ob-Tarifen für Rheinland-Pfalz im Bundesgebiet angeflogen werden, weiter abzu-
einzuwirken. Nach den Verkehrsgesetzen liegt die bauen, weil wir grundsätzlich den Punkt-zu-Punkt-
Tarifinitiative ausschließlich bei den Verkehrsträ- Verkehr anstreben, der im Zeitalter der Düsenflug-
gern. Im übrigen konnte die Deutsche Bundesbahn zeuge zweckmäßig und wirtschaftlich ist. Nachdem
bisher noch keine Anträge auf Genehmigung von bereits mehrere ausländische Gesellschaften auf die
Als-ob-Tarifen für das Gebiet der Pfalz stellen, weil Ausübung solcher Rechte verzichtet haben, sind
zur Errechnung der einzelnen Frachtsätze zunächst Verhandlungen auch mit der niederländischen
maßgebliche Fragen geklärt werden mußten. Die Regierung und der KLM mit dem Ziel einer stufen-
Tarifanträge der Deutschen Bundesbahn sind nun- weisen Reduzierung der Zweipunktbedienungen ge-
-
mehr in Kürze zu erwarten. Falls keine gesetzlichen führt worden. Für den Winterflugplan 1965/66
Ablehnungsgründe vorliegen, werde ich sie mög- konnte eine Verringerung der bisherigen 64 wö-
lichst umgehend genehmigen. Ich darf aber darauf chentlichen Zweipunktbedienungen auf 58 ab
hinweisen, daß die Frage der Als-ob-Tarife grund- 1. Dezember 1965 erreicht werden. Hierbei lege ich
sätzlich noch nicht mit Luxemburg und mit Brüssel Wert auf die Feststellung, daß der KLM hinsicht-
geklärt ist. lich der im Bundesgebiet auszulassenden Punkte
die freie Wahl gelassen wurde. Der Ausfall der von
Vizepräsident Dr. Dehler: Eine Zusatzfrage. Ihnen genannten Spätverbindung nach Bremen be-
ruht daher auf eigenem Entschluß der KLM.
Dr. Müller Emmert (SPD) : Herr Minister, bis
-
In Anbetracht dessen, daß diese Strecke der KLM
wann wird mit einer Genehmigung der Als-ob-Tarife für die Wirtschaft in Bremen eine wichtige Spät
in Brüssel und Luxemburg zu rechnen sein? verbindung darstellt, habe ich die KLM ersucht, die
Zwischenlandungen in Bremen weiter aufrechtzu-
Dr. Ing. Seebohm, Bundesminister für Ver-
- erhalten und dafür eine andere Zweipunktibedie-
kehr: Das kann ich Ihnen leider nicht sagen. Wir nung in der Bundesrepublik fortfallen zu lassen. Die
haben uns bisher bemüht, die Ablehnung zu ver- KLM hat in Aussicht gestellt, Bremen weiter zu
hindern. bedienen, lehnt es aber ab, dafür eine andere
Zweipunktbedienung aufzugeben.
Vizepräsident Dr. Dehler: Eine weitere Frage.
Im übrigen ist geplant, daß vom Sommerflugplan
1966 an die für Bremen wichtige Abendstrecke
Dr. Müller Emmert (SPD) : Herr Minister, ist es
-
Amsterdam—Bremen—Hamburg von der Lufthansa
richtig, daß die Als-ob-Tarife in der Pfalz — im geflogen wird.
Gegensatz zum Saarland — bisher deshalb noch
nicht eingeführt sind, weil Meinungsverschiedenhei-
ten zwischen Ihrem Ministerium und der Landes- Vizepräsident Dr. Dehler: Eine Zusatzfrage,
regierung von Rheinland-Pfalz bezüglich der Was- Herr Abgeordneter Müller-Hermann.
serfrachten dadurch bestehen, daß die Beamten Ihres
Ministeriums von fiktiven Wasserfrachten ausgehen Dr. Müller Hermann (CDU/CSU) : Herr Mini-
-

und die echten Marktfrachten vernachlässigen? ster, kann ich Ihrer Antwort entnehmen, daß bis
zur Installierung der neuen Lufthansa-Linie die
Dr. Ing. Seebohm, Bundesminister für Ver-
- KLM-Verbindung in bisherigem Umfang aufrecht-
kehr: Verzeihung, die Situation ist so, daß die Fra- erhalten bleiben wird?
gen noch nicht ganz geklärt sind. Die Als-ob-Tarife
können höchstens kanalgleich sein, sonst würden Dr. Ing. Seebohm, Bundesminister für Ver-
-

sie nicht als Wettbewerbstarife anerkannt werden kehr: Jawohl.


können. Dazu ist es notwendig, diese Wasserfrach-
ten exakt zu ermitteln. Hier bestehen natürlich ge-
wisse Schwierigkeiten wegen verschiedener Auf- Vizepräsident Dr. Dehler: Ich danke Ihnen,
fassungen. Da wir aber mit dem Saarland bezüglich Herr Minister.
der Wasserfrachtsätze klargekommen sind, ist nicht Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäfts-
einzusehen, daß man nicht auch bei der Pfalz zu bereich des Bundesministers für das Post- und
einer Übereinstimmung kommen kann. Fernmeldewesen.
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 10. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. Dezember 1965 341

Stücklen, Bundesminister für das Post- und Fern- Vizepräsident Dr. Dehler: Ich rufe auf die
meldewesen: Herr Präsident, darf ich die ersten Frage XII/4 — des Herrn Abgeordneten Cramer —:
drei Fragen im Zusammenhang beantworten? Wann ist mit der Austsrahlung des 3. Fernsehprogramms für
Ostfriesland zu rechnen?

Vizepräsident Dr. Dehler: Bitte. Ich rufe auf Bitte, Herr Minister!
die Fragen XII/1, XII/2 und XII/3 — des Herrn
Abgeordneten Dr. Rinderspacher —: Stücklen, Bundesminister für das Post- und Fern-
Trifft es zu, daß die Versandstelle für Sammlermarken der meldewesen: In dieser Frage ist schon Herr Abge-
Deutschen Bundespost bei nur 2 Millionen DM Unkosten einen
Reingewinn bis 28 Millionen DM jährlich erzielt? ordneter Conring bei mir vorstellig geworden. Ich
möchte auf die inhaltlich gleiche Frage auch die
Hält die Bundesregierung das gestaffelte Aufgeld, das die inhaltlich gleiche Antwort geben.
Abonnenten für Sammlermarken zu zahlen haben, für gerechtfer-
fertigt, da die Post für Sammlermarken in der Regel keine Mit dem Aufbau der Fernsehsendeanlage zur
postalische Leistungen zu erbringen hat?
Versorgung von Ostfriesland mit dem 3. regionalen
Programm des Norddeutschen Rundfunks wird im
Welche Beträge nimmt die Versandstelle für Sammlermarken
jährlich aus dem Aufgeld ein? Frühjahr 1966 begonnen werden. Das Gebäude zur
Aufnahme der bereits in Auftrag gegebenen tech-
Stücklen, Bundesminister für das Post- und Fern- nischen Einrichtungen ist bereits fertiggestellt. Mit
meldewesen: Die Antwort auf die Frage 1 lautet: der Inbetriebnahme der Fernsehsendeanlage ein-
nein. schließlich der zugehörigen Modulationsleitungen
für Bild und Ton kann bis Ende des nächsten
Die Antwort auf die Frage 2 lautet: Die Annahme, Jahres gerechnet werden.
daß die Deutsche Bundespost für Sammlermarken
in der Regel keine postalischen Leistungen zu er-
bringen hat, entspricht nicht den Tatsachen. Die Vizepräsident Dr. Dehler: Keine Zusatzfrage.
Masse der von der Versandstelle abgegebenen Son- Ich rufe auf die Frage XII/5 — des Herrn Abge-
derpostwertzeichen wird von den Postkunden dazu ordneten Herold —:
benutzt, ihren Briefen eine werbliche Note zu Bis wann werden im Zonengrenzgebiet in Bayern bzw. im
geben. Auch die Briefmarkensammler verwenden Grenzland längs der deutsch-tschechischen Staatsgrenze alle
deutschen Fernsehprogramme empfangen werden können?
einen großen Teil der bezogenen Marken für ihre
Korrespondenz. Eine Einnahme ohne postalische
Leistung entsteht nur durch solche Postwertzeichen,
Stücklen, Bundesminister für das Post- und Fern-
meldewesen: Die Fernsehsender zur Ausstrahlung
die postfrisch in den Alben der Sammler ver-
des 2. Programms Rhön, Coburg, Bamberg, Bay-
schwinden. Jahrelange Beobachtungen haben erge-
reuth, Hof, Amberg, Regensburg, Hoher Bogen,
ben, daß dieser Sammlerbedarf bei etwa einer Mil-
Deggendorf und Passau sind bereits alle in Betrieb.
lion Stück je Marke liegt. Er stellt also nur einen
Obwohl in diesem Gebiet die Dichte der in Betrieb
kleinen Bruchteil des Umsatzes von 28 Millionen
befindlichen Fernsehsender doppelt so groß ist wie
DM dar. Das Aufgeld ist also schon aus diesem
Grund gerechtfertigt. im übrigen Bundesgebiet, entspricht die geschätzte
Versorgung nur dem derzeitigen Bundesdurchschnitt
Die Antwort auf die Frage 3 lautet: Der Betrag von 76 %. Wegen der gebirgigen Struktur und der
macht rund 920 000 DM aus. weitläufigen Besiedelung wird ein Bedarf von etwa
100 Fernseh-Frequenzumsetzern kleiner und mitt-
lerer Leistung geschätzt, mit deren Fertigstellung
Vizepräsident Dr. Dehler: Eine Zusatzfrage.
nicht vor 1972 gerechnet werden kann.

Dr. Rinderspacher (SPD) : Herr Minister, hat Die Versorgung mit dem 3. Programm wird sich
die Bundesregierung Vorstellungen darüber, welche zeitlich ähnlich entwickeln.
Beträge durch ähnliche Praktiken der Zone jährlich Zur Versorgungslage mit dem 1. Fernsehpro-
aus der Bundesrepublik zufließen? gramm und dem beabsichtigten Ausbau müßte der
Bayerische Rundfunk Stellung nehmen. Ich schätze,
Stücklen, Bundesminister für das Post- und Fern- daß das Gebiet zur Zeit durch die Fernsehsender
meldewesen: Nein, wir haben hierüber kein statisti- des Bayerischen Rundfunks zu 90 % der Einwoh-
sches Material. ner versorgt wird.

Dr. Rinderspacher (SPD) : Sieht die Bundes- Vizepräsident Dr. Dehler: Eine Zusatzfrage.
regierung eine Möglichkeit, diese zweifellos erheb-
lichen Summen zu verringern? Sie erbringen näm- Herold (SPD) : Herr Minister, Sie haben hier
lich der Zone praktisch ohne Gegenleistung einen jetzt festgestellt, daß bis 1972 mit einer ausreichen-
Zufluß an D-Mark, woran die Bundesrepublik doch den Versorgung zu rechnen sei. Würden Sie ange-
kein Interesse haben kann. sichts dieser Umstände den Bau von Gemeinschafts-
antennen, wie Sie sie für Waischenfeld in Aussicht
Stücklen, Bundesminister für das Post- und Fern- gestellt haben, unterstützen? Diese Gemeinschafts-
meldewesen: Die bisherige Regelung gewährleistet antennen werden in der Zwischenzeit von Privat-
ungefähr den Aufwand, den wir zu erbringen haben. leuten erbaut, um den Fernsehempfang zu verbes-
Wir haben nicht die Absicht, daran etwas zu ändern. sern.
342 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 10. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. Dezember 1965

Stücklen, Bundesminister für das Post- und Fern- men. Das Grenzlandgebiet wird heute mindestens
meldewesen: Ja, ich habe mich damals bereit erklärt um das Doppelte mehr ausgebaut als das übrige
und stehe zu diesem Wort, daß Gemeinschaftsanten- Bundesgebiet. Das ist die volle Kapazität, die wir
nen, die Umsetzer der Deutschen Bundespost über- zur Verfügung haben.
flüssig machen, durchaus von der Bundespost ge-
fördert werden können. Ich hatte auch darum gebe- Vizepräsident Dr. Dehler: Frage XII/6 — des
ten, entsprechende Vorschläge beim Ministerium Abgeordneten Bühler —:
einzureichen.
Ist dem Bundespostminister bekannt, daß infolge der topogra-
phischen Verhältnisse im südwestlichen Schwarzwald der Rund-
funk- und Fernsehempfang sehr schlecht oder völlig unmöglich
Vizepräsident Dr. Dehler: Eine weitere Frage. ist und daß auch nach Fertigstellung des Hochrheinsenders bei
Bergalingen und nach Aufnahme des Sendebetriebes die Bevöl-
kerung im mittleren und hinteren Wiesenthal nur dann an Rund-
Herold (SPD) : Herr Minister, habe ich Sie rich- funk und Fernsehen in befriedigender Weise teilhaben kann,
wenn über die Errichtung des Füllsenders „Hohe Möhr" bei
tig verstanden, wenn ich annehme, daß Sie unter Schopfheim bald die nötige Einigung zwischen Schwarzwald-
verein, Naturschutz, Südwestfunk Baden-Baden und Bundes-
Förderung die finanzielle Bezuschussung dieser post erzielt und der Füllsender im kommenden Frühjahr erbaut
Gemeinschaftsantennenanlagen verstehen? wird?

Stücklen, Bundesminister für das Post- und Fern- Stücklen, Bundesminister für das Post- und Fern-
meldewesen: Ja; aber ich mache sie davon abhän- meldewesen: Darf ich die beiden Fragen des Herrn
gig, daß die Gemeinschaftsantennenanlagen ein voll- Abgeordneten Bühler gemeinsam beantworten, da
wertiger Ersatz für zu erstellende Umsetzeranlagen sie in Zusammenhang miteinander stehen?
sind. Beides tue ich auf keinen Fall; ich fördere nicht
gleichzeitig die Gemeinschaftsantennenanlagen und Vizepräsident Dr. Dehler: Ja. Ich rufe- dann
baue dann noch einen Umsetzer. Das ist nicht unsere auch die zweite Frage — Frage XII/7 — des Abge-
Aufgabe. Wenn ich durch die Förderung des einen ordneten Bühler auf:
das andere ersparen kann, halte ich eine solche Ist der Bundespostminister in der Lage und bereit, in aller-
Maßnahme für vertretbar. nächster Zeit in die in Frage XII/6 genannten Verhandlungen
federführend einzugreifen, nachdem die Sitzung des Südwest-
funk-Verwaltungsrates in Baden-Baden am 15. Oktober 1965
wiederum keinen Beschluß über dessen weitere Pläne zeitigte,
Vizepräsident Dr. Dehler: Bitte, eine weitere indessen die Bevölkerung nicht nur ungeduldig, sondern allmäh-
lich mit Mißtrauen auf diese Verschiebung reagiert?
Frage.
Stücklen, Bundesminister für das Post- und Fern-
Fritsch (Deggendorf) (SPD) : Herr Minister, ist meldewesen: Ihre erste Frage geht von der Annah-
Ihnen bekannt, daß trotz der nunmehr erfolgten me aus, daß die Hohe Möhr als Standort für einen
Installierung des Senders „Am hohen Bogen" im Fernseh-Füllsender optimal sei. Diese Annahme
Landkreis Kötzting die Versorgung dieser Gegend, ist unzutreffend. Das gesamte Wiesenthal kann aus
insbesondere rund um den Arber und um den Lamer technischen Gründen von der Hohen Möhr aus nicht
Winkel, nach wie vor völlig ungenügend ist? versorgt werden. Außerdem würde die Schweiz
wegen Störung ihrer Fernsehkanäle Einspruch
Stücklen, Bundesminister für das Post- und Fern- gegen diesen Sender erheben.
meldewesen: Sicher. Die Versorgungsschwierigkei-
ten in diesem topographisch ungünstigen Gebiet Erst nach der endgültigen Inbetriebnahme des
sind außerordentlich groß; ich weiß das. Wir können bereits im Bau befindlichen Fernsehsenders Hoch-
aber erst dann Umsetzer bauen, wenn wir den rhein — voraussichtlich Ende 1966 — können die
„Muttersender" haben. Der „Muttersender" ist die Vorermittlungen für die Fernsehversorgung des
Voraussetzung für den Bau von Umsetzern. All das oberen Wiesenthales mit dem 2. Fernsehprogramm
habe ich in diesem Hause schon häufig erläutert. abgeschlossen werden.
Ich darf mir deshalb heute eine Wiederholung er- Diese Tatsachen sind dem Südwestfunk bekannt.
sparen. Er wird daher wahrscheinlich auf der Hohen Möhr
nur ein Provisorium für die Ausstrahlung des
Vizepräsident Dr. Dehler: Herr Abgeordneter 1. Fernsehprogramms errichten und sich später so
Fritsch, eine weitere Frage. weit wie möglich der Planung der Deutschen Bun-
despost für die Ausstrahlung des 2. und 3. Pro-
Fritsch (Deggendorf) (SPD) : Herr Minister, wären gramms anschließen. Eine Beteiligung der Deut-
Sie bereit, die Fernsehversorgung in diesem Gebiet schen Bundespost am Provisorium Hohe Möhr ent-
fällt, weil keine Anschlußmöglichkeiten für einen
unter den 'besonderen politischen Gesichtspunkten
Füllsender in diesem Gebiet vor Inbetriebnahme
zu sehen, daß es sich hier um Grenzland und Zonen-
des Senders Hochrhein gegeben sind.
randgebiet handelt, und wären Sie deshalb bemüht,
für die endgültige Versorgung dieses Gebiets einen Auf Ihre zweite Frage darf ich in Ergänzung der
früheren Termin als den des Jahres 1972 zu fin- Antwort auf die erste Frage folgendes sagen: Der
den? Südwestfunk hat im März dieses Jahres einen
Antrag auf Genehmigung zum Errichten und Betrei-
Stücklen, Bundesminister für das Post- und Fern- b en der Rundfunksendestelle Hohe Möhr gestellt.
meldewesen: Nur unter dem Gesichtspunkt der be- Die Zuteilung der vorgesehenen Frequenzen an
sonderen Förderung dieses Gebietes ist es über- diese Rundfunksendestelle ist zur Zeit noch nicht
haupt möglich, bis 1972 zu einem Abschluß zu kom geklärt. Die notwendigen Verhandlungen mit den
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 10. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. Dezember 1965 343
Bundesminister Stücklen
beteiligten ausländischen Fernsehverwaltungen Vizepräsident Dr. Dehler: Eine Zusatzfrage,
über die Frequenzkoordinierung konnte bisher noch Herr Abgeordneter Dröscher.
nicht erfolgreich abgeschlossen werden. Ein Termin
über den Abschluß positiver Verhandlungen ist Dröscher (SPD) : Herr Bundesminister, ist Ihnen
gegenwärtig leider noch nicht vorauszusehen. bekannt, daß eine Reihe von Dienststellen, z. B. die
Bezirksregierung Koblenz, auf Grund dieses Urteils
Vizepräsident Dr. Dehler: Keine Zusatzfrage? angeordnet hat, daß sich die Vorlage von Bauanträ-
- Ich danke Ihnen, Herr Minister. Wollen Sie noch gen erübrigt, die den Erfordernissen des oben zitier-
die Fragen III/1 und III/2 des Herrn Abgeordneten ten Beschlusses des Bundesverwaltungsgerichts nicht
Lenz (Brühl) auf Drucksache V/57 beantworten? Ist entsprechen, und daß damit genau der umgekehrte
der Abgeordnete Lenz (Brühl) da? — Nein. Dann Tatbestand gegeben ist, den Sie hier dargestellt
werden die Fragen schriftlich beantwortet. haben?

Stücklen, Bundesminister für das Post- und Fern- Dr. Bucher, Bundesminister für Wohnungswesen
meldewesen: Wenn ich nur ein kurzes Wort dazu und Städtebau: Ich hoffe, daß die Diskussion, die
sagen darf, dann sind die Fragen beantwortet. wir hier heute führen, dazu beiträgt, diesen Stand-
punkt der Verwaltungsbehörden zu ändern. Ich
Vizepräsident Dr. Dehler: Ich rufe die Fragen werde jedenfalls Gelegenheit nehmen, wenn sich
III/1 und III/2 — des Abgeordneten Lenz (Brühl) — eine solche bietet, den gegenteiligen Standpunkt
auf : durch den Vertreter des öffentlichen Interesses vor-
tragen zu lassen.
Ist dem Bundespostminister bekannt, daß durch das Verhalten
nachgeordneter Postdienststellen mittelständische Betriebe in
ihrer Existenz erheblich beeinträchtigt und gefährdet werden?
Vizepräsident Dr. Dehler: Eine weitere Frage,
Wird der Bundespostminister bei nachgewiesenem Verschulden Herr Abgeordneter Dröscher.
der Bundespost den durch das in Frage III/1 erwähnte Ver-
halten betroffenen Unternehmen Schadensersatz leisten?
Dröscher (SPD) : Wäre es nicht zweckmäßig, Herr
Stücklen, Bundesminister für das Post- und Fern- Bundesminister, wenn von Ihrem Ministerium aus
meldewesen: Zur Frage III/1: Nein. Zur Frage III/2: ein Erlaß an die zuständigen Stellen erginge, der
Das kommt auf den Sachverhalt und auf die Rechts- eine klare Rechtssituation schafft, damit der in § 33
lage an. vom Gesetzgeber beabsichtigte Erleichterungseffekt
tatsächlich wiederhergestellt wird?
Vizepräsident Dr. Dehler: Danke sehr.
Ich rufe die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Dr. Bucher, Bundesminister für Wohnungswesen
Bundesministers für Wohnungswesen und Städtebau und Städtebau: Ehrlich gesagt, ob das möglich ist,
auf, zunächst Frage XIII/1 — des Herr Abgeordneten muß ich mir überlegen. Es ist etwas delikat, weil es
Dröscher —: sich um das Urteil eines Gerichts handelt. Aber ich
Ist der Bundesregierung bekannt, daß der § 33 des Bundesbau- will die Frage gern prüfen, in welcher Form eine
gesetzes bedeutungslos geworden ist, wenn die Baugenehmi- Aufklärung möglich ist.
gungsbehörden künftig nach dem Beschluß des Bundesverwal-
tungsgerichts vom 2. März 1965 verfahren, wonach eine Anwen-
dung des § 33 des Bundesbaugesetzes voraussetzt, daß der
beschlossene Bebauungsplan bereits genehmigt ist? Vizepräsident Dr. Dehler: Herr Abgeordneter
Bitte, Herr Minister! Krammig zu einer Zusatzfrage.

Dr. Bucher, Bundesminister für Wohnungs- Krammig (CDU/CSU) : Herr Minister, sind Sie
wesen und Städtebau: Herr Kollege Dröscher, die der Meinung, daß der § 33 so ausgelegt werden
Sorge, die aus Ihrer Frage spricht, ist nach dem darf, daß überhaupt nur von den Ausnahmen Ge-
Wortlaut des Beschlusses berechtigt. Aber ich glau- brauch gemacht wird und daß es die Regel wird,
be, Sie dahin beruhigen zu können, daß die Auffas- daß überhaupt kein Bebauungsplan vorliegt?
sung, die hier ausgesprochen wurde, nicht in die
ständige Rechtsprechung eingehen wird. Der Fall Dr. Bucher, Bundesminister für Wohnungswesen
war ja so: Der Kläger hatte außerhalb eines Bebau- und Städtebau: Das sicher nicht. Das soll nicht die
ungsplanes ohne Genehmigung gebaut. Gegen eine Regel sein.
Abbruchverfügung hatte er den Verwaltungsrechts-
weg beschritten und dabei den Standpunkt vertre- Vizepräsident Dr. Dehler: Ich rufe auf die
ten, § 33 des Bundesbaugesetzes ermögliche es ihm, Frage XIII/2 — des Abgeordneten Hörmann (Frei-
dort zu bauen, weil ein Flächennutzungsplan vor- burg) —:
liege. Das Bundesverwaltungsgericht hat eindeutig
In welchem Umfange haben private Bauherren öffentliche
festgestellt, daß diese Auffassung unrichtig ist. Es Mittel des sozialen Wohnungsbaues vorzeitig abgelöst, um von
hat dann — ich stehe nicht an zu sagen: leider — der Zweck- und Mietpreisbindung freizukommen?

noch die zweite Begründung hinzugefügt, daß außer-


dem erst der Bebauungsplan genehmigt sein müsse. Dr. Bucher, Bundesminister für Wohnungswesen
Diese zweite Begründung trägt aber die Entschei- und Städtebau: Nach den Berichten der Wohnungs-
dung nicht; sie ist ein obiter dictum. Ich glaube, bauressorts der Länder haben seit Inkrafttreten des
sicher zu sein, daß sie nicht zur ständigen Recht- Zweiten Wohnungsbaugesetzes, also vom 1. 7. 1956
sprechung wird. bis Ende 1964, insgesamt etwa 141 000 Eigentümer
344 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 10. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. Dezember 1965

Bundesminister Dr. Bucher


von Familienheimen die öffentlichen Mittel abge- Vizepräsident Dr. Dehler: Ich rufe die Fragen
löst. Angaben über die Anzahl der vorzeitig zurück- IV/1 und IV/2 — des Herrn Abgeordneten Stroh-
gezahlten Darlehen, die für die Erstellung von ande- mayr — aus der Drucksache V/57 auf:
ren Wohnungen, also Mietwohnungen, gewährt Wie hoch schätzt die Bundesregierung die Verwaltungskosten,
wurden, waren von den Ländern bisher nicht zu die Städten und Landkreisen im Zusammenhang mit der Bearbei-
tung der Anträge für Wohngeld entstehen?
erhalten. Abgelöst wurden öffentliche Mittel in
Höhe von 786 Millionen DM; vorzeitig zurückge- Teilt die Bundesregierung die Ansicht, daß ,die Antragsformu-
zahlt wurden Darlehen in Höhe von 284 Millionen lare für Wohngeld so schwierig auszufüllen sind, daß selbst
Verwaltungsfachleute Mühe haben, die Fragen korrekt zu beant-
DM. Es handelt sich also um insgesamt 1070 Mil- worten?
lionen DM. Davon wurden den Familienheimeigen-
tümern Schuldnachlässe auf Grund der Ablösungs- Bitte, Herr Minister!
vorschriften in Höhe von 330 Millionen DM gewährt.
Diese 330 Millionen DM sind also abzuziehen von Dr. Bucher, Bundesminister für Wohnungswesen
den zuerst genannten 786 Millionen DM, so daß ins- und Städtebau: Herr Abgeordneter, ich habe, seit
gesamt effektiv 456 Millionen DM zurückgezahlt ich im Amte 'bin, auch den Eindruck gewonnen, daß
worden sind, wozu dann wieder die vorhin genann- die Ausfüllung dieser Formulare außerordentlich
ten 284 Millionen DM, die Mietwohnungen betreffen, schwierig und umständlich ist. Bereits mein Amts-
hinzukommen. vorgänger ist dafür eingetreten, daß diese For-
mulare so kurz und einfach wie möglich gestaltet
Vizepräsident Dr. Dehler: Eine Zusatzfrage, werden sollen. Ich darf bemerken, daß die Formu-
Herr Abgeordneter Dr. Rinderspacher. lare von den Ländern gefertigt werden, da das
Gesetz von den Ländern ausgeführt wird. Ich werde
Dr. Rinderspacher (SPD) : Herr Bundesminister, mich aber dafür einsetzen, daß möglichst einheit-
besteht Aussicht, daß die Zahlen, die — wie Sie liche Formulare im gesamten Bundesgebiet Verwen-
sagen — bisher von den Ländern nicht geliefert dung finden. Nur stößt man damit sicher an Gren-
wurden, noch nachgeliefert werden? zen, nämlich an die Grenze des Gesetzes selber.
Wenn Formulare perfektionistisch sind, ist es ja
Dr. Bucher, Bundesminister für Wohnungswesen im allgemeinen so, daß dieser Perfektionismus nicht
und Städtebau: Ich werde mich darum bemühen. auf einer Böswilligkeit oder auf falscher Einstellung
der Behörden beruht, die die Formulare machen,
vielmehr beruht der Perfektionismus meistens auf
Vizepräsident Dr. Dehler: Ich rufe auf die dem Gesetz.
Frage XIII/3 — des Abgeordneten Hörmann (Frei-
burg) —:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß private Bauherren, die Vizepräsident Dr. Dehler: Herr Abgeordneter
ihre Häuser oft größtenteils mit öffentlichen Mitteln erstellt Strohmayr zu einer Zusatzfrage.
hatten, nach der Ablösung Mieten verlangen, die vielfach um
weit über 100 Prozent über den bisherigen Mietpreisen lagen?

Dr. Bucher, Bundesminister für Wohnungswesen Strohmayr (SPD) : Herr Minister, ist Ihnen be-
und Städtebau: Der Bundesregierung ist durch amt- kannt, daß beispielsweise in München eine Über-
liche Mitteilung seitens der Länder nichts darüber prüfung der Formulare vorgenommen worden ist
bekannt, daß in großem Maße nach der Ablösung und daß der Herr Oberbürgermeister in München
Mieten verlangt werden, die mehr als 100% über festgestellt hat, daß es notwendig ist, hochqualifi-
dem bisherigen Mietpreis liegen. Wohl sind uns zierte Beamte einzusetzen, um diese Fragebögen zu
Veröffentlichungen in der Presse hierüber bekannt. ergänzen?
Es ist dazu zu sagen, daß auch nach der früheren
Rechtslage, wie sie bis zum 1. September gegolten Dr. Bucher, Bundesminister für Wohnungswesen
hat, eine unbegrenzte Mieterhöhung durch einseitige und Städtebau: Ich habe mit Aufmerksamkeit ver-
Erklärung des Vermieters nicht zulässig war. Zwar folgt, daß Herr Oberbürgermeister Vogel von
hatte die Rückzahlung der öffentlichen Mittel zur „katastrophalen Erfahrungen" gesprochen hat, die
Folge, daß die Wohnungen sofort von den Bindun- dort gemacht worden seien, und daß er auch Zahlen
gen frei wurden, insbesondere also auch Mietpreis- zum Verwaltungsaufwand genannt hat. Ich halte
bindungen nicht unterlagen. Bei bestehenden Miet- es für dringend notwendig, diese Sache zu über-
verhältnissen konnte der Vermieter jedoch nach der prüfen.
Rückzahlung der Mittel ohne die Zustimmung des
Mieters rechtswirksam nur bis zur sogenannten
Kostenmiete erhöhen. Vizepräsident Dr. Dehler: Herr Abgeordneter
Strohmayr zu einer Zusatzfrage.
Inzwischen ist die gesetzliche Situation geändert
worden. Um zu verhindern, daß die Sozialwohnun-
gen nach vorzeitiger Zurückzahlung der Mittel sofort Strohmayr (SPD) : Herr Minister, ist Ihnen auch
von den Bindungen frei werden, ist durch das Ge- bekannt, daß durch die Verwaltungsarbeit bei der
setz zur Sicherung der Zweckbestimmung von So- Durchführung des Wohngeldverfahrens ein Viertel
zialwohnungen vom 1. September 1965 an die an Verwaltungskosten entsteht, daß also beispiels-
bekannte Fünfjahresfrist eingeführt worden, inner- weise in München 4,5 Millionen DM ausbezahlt
halb deren die Wohnungen nach wie vor der Bin- worden sind und hierfür die Verwaltungskosten
dung unterliegen. 1 Million DM betrugen?
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 10. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. Dezember 1965 345

Dr. Bucher, Bundesminister für Wohnungswesen Sache nur Versprechungen gemacht hat. Vielmehr
und Städtebau: Diese Relation von beinahe 25 % hat er, wie ich vorhin sagte, bereits Bemühungen
Verwaltungskosten, die von München angeführt unternommen, hier Abhilfe zu schaffen. Mir liegt
wurde, ist mir bekannt. Ich habe veranlaßt, daß selbstverständlich daran, diese Bemühungen fort-
hierüber amtliche Zahlen gefertigt werden, die bis zusetzen.
jetzt aber noch nicht vorliegen.
Vizepräsident Dr. Dehler: Frau Abgeordnete
Vizepräsident Dr. Dehler: Noch eine Frage, Meermann, wollen Sie noch eine Zusatzfrage stel-
Herr Abgeordneter Strohmayr. len? — Bitte!

Strohmayr (SPD) : Herr Bundesminister, glauben Frau Meermann (SPD) : Herr Minister, sollten
Sie, daß die Vereinfachung der Fragebögen alsbald Sie nicht gelesen haben, daß Herr Bundesminister
durchgeführt werden kann? Lücke z. B. von einer Aufhebung der Einkommens-
begrenzung gesprochen hat?
Dr. Bucher, Bundesminister für Wohnungswesen
und Städtebau: Ich habe die Befürchtung, daß das
nur nach einer Änderung des Gesetzes möglich ist. Dr. Bucher, Bundesminister für Wohnungswesen
Wie ich vorhin schon andeutete, habe ich bis jetzt und Städtebau: Das habe ich gelesen. Mit dem Pro-
den Eindruck, daß die Kompliziertheit der Frage- blem habe ich mich auch schon befaßt. Ich habe mich
bögen eine Folge des Gesetzes ist. sogar schon dazu geäußert.

Vizepräsident Dr. Dehler: Herr Abgeordneter Vizepräsident Dr. Dehler: Herr Abgeordneter
Schmitt-Vockenhausen zu einer Zusatzfrage. Czaja. -

Schmitt-Vockenhausen (SPD) : Herr Minister, Dr. Czaja (CDU/CSU) : Herr Minister, darf ich
halten Sie es für möglich, daß die Tatsache, daß Ihre Äußerung über eventuelle Reformen beim
zum Teil erst geringe Beträge ausgezahlt wurden, Wohngeld so verstehen, daß aber nicht daran ge-
darauf zurückzuführen ist, daß das ganze Antrags- dacht ist, die Sozialfreibeträge zu schematisieren
system so kompliziert ist, daß die Antragsteller oder ihre Wirksamkeit zu senken?
draußen gar nicht in der Lage sind, mit den Antrags-
formularen zurechtzukommen? Dr. Bucher, Bundesminister für Wohnungswesen
und Städtebau: Nein, ich glaube, so weit wird man
Dr. Bucher, Bundesminister für Wohnungswesen nicht gehen können.
und Städtebau: Das ist möglich.

Vizepräsident Dr. Dehler: Frau Abgeordnete Vizepräsident Dr. Dehler: Noch eine Frage,
Meermann zu einer Zusatzfrage. Herr Dr. Czaja.

Frau Meermann (SPD) : Herr Minister, ist Ihnen Dr. Czaja (CDU/CSU) : Herr Minister, würden Sie
bekannt, daß selbst in kleinen Städten von 25 000 es nicht vielleicht angesichts der Komplikationen,
bis 30 000 Einwohnern oft ein besonderer Bearbei- die in Bayern aufgetreten zu sein scheinen, für
beiter für diese Anträge eingestellt werden muß, richtig halten, auf die verhältnismäßig sehr ein-
wenn man nicht riskieren will, daß sie in Paketen fachen Fragebogen zu verweisen, die in Baden-
von 100, 200 und mehr Exemplaren unerledigt lie- Württemberg üblich sind und die sich sehr bewährt
gen bleiben, wie das zur Zeit in manchen baden haben?
württembergischen Städten der Fall ist?
Dr. Bucher, Bundesminister für Wohnungswesen
und Städtebau: Ich sagte ja, daß uns sehr daran
Dr. Bucher, Bundesminister für Wohnungswesen
und Städtebau: Davon habe ich schon gehört. Leider. liege, die Fragebogen möglichst zu vereinheit-
lichen, und wenn sie vereinheitlicht werden, dann
natürlich in Richtung des Fragebogens, der am
Frau Meermann (SPD) : Haben Sie die Absicht, besten praktikabel ist.
Herr Bundesminister, den Versprechungen nachzu-
gehen, die Herr Bundesminister Lücke im Wahl-
kampf zur Vereinfachung dieses Gesetzes gemacht Vizepräsident Dr. Dehler: Eine Zusatzfrage,
hat, und auf diese Weise zu erreichen, daß der Herr Abgeordneter Dr. Müller.
Überperfektionismus abgebaut wird, was natürlich
bedeuten würde, daß in dem einen oder anderen Dr. Müller (München) (SPD) : Herr Minister, wur-
Fall das Gesetz ein bißchen teurer wird, auf der den in Ihrem Hause Überlegungen angestellt, die
anderen Seite aber die Ausgaben, die den Gemein- Gemeinden für die hohen Verwaltungskosten zu
den entstehen, höchstwahrscheinlich erheblich ver- entschädigen, die im Rahmen der Bearbeitung der
ringert werden könnten? Wohngeldanträge entstehen?

Dr. Bucher, Bundesminister für Wohnungswesen Dr. Bucher, Bundesminister für Wohnungswesen
und Städtebau: Ich habe nicht den Eindruck, daß und Städtebau: Diese Überlegungen sind bis jetzt
mein Vorgänger, Herr Minister Lücke, in dieser noch nicht angestellt worden.
346 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 10. Sitzung. Bonn, Donnerstag, 'den 2. Dezember 1965

Vizepräsident Dr. Dehler: Noch eine Frage, der Bevölkerung nicht die Einrichtung von Lehrstüh-
Herr Abgeordneter Dr. Müller. len für biologische Heilweise und Homöopathie
insbesondere an unseren neuen Universitäten für
Dr. Müller (München) (SPD) : Glauben Sie nicht, ein dringendes Erfordernis?
Herr Minister, daß es angesichts der schwierigen
Finanzlage der Gemeinden z. B. ein Betrag von Bargatzky, Staatssekretär im Bundesministerium
1 Million DM im Falle der Stadt München nötig für Gesundheitswesen: Herr Abgeordneter, es han-
machen würde, darüber Überlegungen anzustellen? delt sich um zwei Fragen, die ich verschieden b e-
antworten muß. Soweit es sich um ein wissen-
Dr. Bucher, Bundesminister für Wohnungswesen schaftliches Problem handelt, muß sich die Bundes-
und Städtebau: Ich sehe durchaus die Schwierigkei- regierung einer Stellungnahme enthalten. Was die
ten, die für die Finanzlage der Gemeinden ent- Einwirkung auf die Zahl und die Besetzung der
stehen — vorausgesetzt, daß solche Zahlen tatsäch- Lehrstühle angeht, so ist dies eine Ländersache; die
lich zutreffen. Aber ich möchte den Hebel mehr in Bundesregierung hat hier keine Möglichkeit der
Richtung auf eine Vereinfachung des Systems und Einflußnahme.
damit eine Herabsetzung der Verwaltungskosten
ansetzen. Dr. Schmidt (Wuppertal) (CDU/CSU) : Teilt die
Bundesregierung im Ernst die Auffassung vieler
Vizepräsident Dr. Dehler: Herr Abgeordneter Schulmediziner, daß die Homöopathie wissenschaft-
Schwabe, eine Zusatzfrage. lich nicht vertretbar sei?

Schwabe (SPD) : Können Sie sich nicht schon jetzt Bargatzky, Staatssekretär im Bundesministerium
-
entschließen, Herr Minister, eine Enquete darüber für Gesundheitswesen: Die Bundesregierung teilt
durchzuführen, wie hoch die Kosten tatsächlich sind? diese Auffassung durchaus nicht. Sie wird sich aber
Denn das wäre ja die Voraussetzung für eine der- in der Frage der Ausbildung und der Prüfungsfächer
artige Vereinfachung. Zur Zeit wissen wir das ja für Mediziner, auf deren Gestaltung sie insbeson-
nur ungefähr. Sind Sie nicht auch der Ansicht, daß dere durch die Bestallungsordnung für Ärzte Ein-
das jetzt festgestellt werden muß? fluß nehmen kann, begreiflicherweise an das Urteil
der 'wissenschaftlichen Gremien halten müssen, auf
Dr. Bucher, Bundesminister für Wohnungswesen deren Rat sie angewiesen ist. Gegen dieses Urteil
und Städtebau: Jawohl, das soll sofort geschehen. zu votieren, würde bedeuten, daß sich die Bundes-
regierung eine wissenschaftliche Sachkunde anmaßt,
Vizepräsident Dr. Dehler: Ich danke Ihnen, was ihr nicht zukäme.
Herr Minister.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäfts- Dr. Schmidt (Wuppertal) (CDU/CSU) : Würde es
bereich des Bundesministers für Gesundheitswesen. der Gesundheitsminister denn begrüßen, daß die
Ich rufe auf die Frage XIV/1 — des Abgeordneten Ausbildung qualitativ und quantitativ verbessert
Dr. Schmidt (Wuppertal) —: wird?
Reichen die Ausbildungsmöglichkeiten auf dem Gebiete der
Homöopathie für Mediziner quantitativ und qualitativ aus? Bargatzky, Staatssekretär im Bundesministerium
Bitte, Herr Staatssekretär! für Gesundheitswesen: Eine Beantwortung dieser
Frage würde mich nötigen, ein 'wissenschaftliches
Bargatzky, Staatssekretär im Bundesministerium Urteil abzugeben, was ich nach den Darlegungen,
für Gesundheitswesen: Herr Abgeordneter, die vor- die ich soeben gemacht habe, nicht tun kann.
geschriebene Ausbildung eines Medizinstudenten
bis zum Staatsexamen reicht nicht dazu aus, daß er Dr. Schmidt (Wuppertal) (CDU/CSU) : Herr
sich als homöopathischer Arzt niederlassen kann. Staatssekretär — —

Der Arzt, der als Homöopath praktizieren will, muß


sich nach den Richtlinien der Ärztekammern auf dem Vizepräsident Dr. Dehler: Sie haben schon
Gebiet der Homöopathie besonders weiterbilden. drei Fragen beantwortet bekommen.
Dies kann geschehen unter der Anleitung eines
homöopathischen Arztes oder durch Assistenzarzt Wir kommen zu den Fragen XIV/2, XIV/3 und
tätigkeit an einem homöopathischen Krankenhaus XIV/4 — des Abgeordneten Müller (Ravens-
oder durch die Teilnahme an Fortbildungskursen burg) —:
oder an einem Lehrgang in der homöopathischen Wie ist der Stand der Planungen für den Bau eines Bodensee-
Therapie. Es gibt zur Zeit unseres Wissens zehn Regulierwehrs?
Krankenhäuser, an denen eine derartige Weiterbil-
Ist die Bundesregierung bereit, zunächst mit dem Land Baden-
dung möglich ist. Württemberg und später mit der Regierung der Schweizerischen
Eidgenossenschaft in Verhandlungen über den Bau eines Boden-
see-Regulierwehrs einzutreten?
Vizepräsident Dr. Dehler: Eine Zusatzfrage,
Herr Dr. Schmidt.
Teilt die Bundesregierung die Auffassung des Großen Rates
des schweizerischen Kantons Thurgau, daß die Auswirkungen
Dr. Schmidt (Wuppertal) (CDU/CSU) : Herr des Sommerhochwassers 1965 und der Niedrigwasserstände 1964
durch ein Regulierwehr entscheidend hätten beeinflußt werden
Staatssekretär, halten Sie angesichts der Bedürfnisse können?
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 10. Sitzung. Bonn, Donnerstag, 'den 2. Dezember 1965 347
Vizepräsident Dr. Dehler
Der Fragesteller hat sich mit schriftlicher Beant- Bargatzky, Staatssekretär im Bundesministerium
wortung einverstanden erklärt. Die Antwort des für Gesundheitswesen: Es kommen 5900 Einwohner
Bundesministers Frau Dr. Schwarzhaupt vom auf eine öffentliche Apotheke.
19. November 1965 lautet:
Vizepräsident Dr. Dehler: Eine weitere Zu-
Zu Frage XIV/2:
satzfrage!
Ein Stauwehr zur Regulierung des Bodensee-Wasserstandes ist
in einer Reihe von Studien, darunter in dem von der „Deutsch-
schweizerischen technischen Kommission für die Schiffbarmachung
des Hochrheins" vorgelegten „Projekt 1961", untersucht worden.
Dr. Jungmann (CDU/CSU) : Befürchtet die Bun-
desregierung, daß die wirtschaftliche Existenz der
Dieses Projekt enthält einen Entwunf für das Bodensee
Regulierwehr bei Hemishofen. Baupläne liegen nicht vor. Apotheke dann, wenn die durchschnittliche Einwoh-
nerzahl je Apotheke allgemein oder in bestimmten
Zu Frage X1V/3:
Gebieten auf Grund der Niederlassungsfreiheit
Die Bundesregierung beabsichtigt nicht, von sich aus Ver- noch weiter sinkt, gefährdet wird und daß dadurch
handlungen über den Bau eines Bodensee-Stauwehrs einzuleiten.
die Gefahr besteht, daß sie die vom Staat übertra-
Zu Frage XIV/4: gene Aufgabe der Arzneiversorgung der Bevölke-
Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß sich Hoch- und
rung nicht mehr in vollem Umfang wahrnehmen
Niedrigwasserstände des Bodensees durch ein Regulierwerk bei kann?
gleichzeitiger Querschnittsvergrößerung des Seeauslaufs in ge-
wissem Umfang beeinflussen ließen. Dies gilt, wie das Innen-
ministerium Baden-Württemberg bestätigt hat, auch für die
Niedrigwasserstände 1964/65 und die Hochwasserstände des Bargatzky, Staatssekretär im Bundesministerium
Sommers 1965.
für Gesundheitswesen: Herr Abgeordneter, das
hängt von einer Reihe von Faktoren ab. Ich würde
Ich rufe die von dem Abgeordneten Dr. Jung- vorschlagen, daß die Bundesregierung diesen Ge-
mann gestellte Frage XIV/5 auf: samtkomplex erst 'beurteilt, wenn die von- ihr ver-
Ist der Bundesregierung bekannt, ob die vom Bundesverfas- anstalteten Ermittlungen, die ich soeben erwähnt
sungsgericht anerkannte Stellung der Apotheke durch die Nie-
derlassungsfreiheit für Apotheker gefährdet wird?
habe, abgeschlossen sind.

Bargatzky, Staatssekretär im Bundesministerium Vizepräsident Dr. Dehler: Ich rufe die von
für Gesundheitswesen: Gestatten Sie bitte — dem Abgeordneten Dr. Jungmann gestellte Frage
wenn der Herr Abgeordnete einverstanden ist —, XIV/7 auf:
daß ich die Fragen XIV/5 und XIV/6 gemeinsam Welche Möglichkeit sieht die Bundesregierung, die rechtliche
beantworte. Gleichstellung des deutschen Apothekers mit den Apothekern in
den anderen EWG-Staaten zu gewährleisten?

Vizepräsident Dr. Dehler: Einverstanden. Ich Bargatzky, Staatssekretär im Bundesministerium


rufe also auch die ebenfalls von dem Abgeordneten für Gesundheitswesen: Bei der rechtlichen Gleich-
Dr. Jungmann gestellte Frage XIV/6 auf: stellung des deutschen Apothekers mit den Apo-
Ist die Bundesregierung gegebenenfalls bereit — wenn thekern in den Mitgliedstaaten der EWG geht es
Frage XIV/5 bejaht wird —, daraus gesetzgeberische Folgen zu
ziehen? zunächst um die gegenseitige Anerkennung der
Apotheker-Diplome. Nach dem gegenwärtigen Stand
Bitte, Herr Staatssekretär! der Verhandlungen in Brüssel kommt eine gegen-
seitige Anerkennung der Diplome erst dann in
Bargatzky, Staatssekretär im Bundesministerium Frage, wenn man sich auf ein einheitliches Aus-
für Gesundheitswesen: Die Frage, ob die vom Bun- bildungssystem geeinigt haben wird. Hier sind die
desverfassungsgericht anerkannte Stellung der Auffassungen noch sehr unterschiedlich, und es ist
Apotheken durch die Niederlassungsfreiheit für noch nicht abzusehen, wann es zu einer Einigung
Apotheker gefährdet ist, muß im Augenblick ver- hierüber kommen wird.
neint werden. Die Bundesregierung beobachtet mit Eine zweite Frage ist die der Angleichung der
turnusmäßigen Erhebungen, ob sich als Folgen Rechtsvorschriften über die Zulassung zur selbstän-
der Niederlassungsfreiheit im Apothekenwesen digen Ausübung des Apothekerberufs. Hier besteht
Gefahren für die Arzneiversorgung der Bevölke- die Schwierigkeit darin, daß einerseits die übrigen
rung ergeben. Eine vor zwei Jahren angestellte Mitgliedstaaten nicht veranlaßt werden können, die
Erhebung bot keinen Anlaß zu Besorgnissen, wenn unbeschränkte Niederlassungsfreiheit einzuführen,
auch gewisse negativ zu beurteilende Tatbestände soweit sie sie nicht haben, andererseits die Bundes-
in Erscheinung getreten sind. Es bestand bis jetzt republik Deutschland durch das Grundgesetz gehin-
aber keine Veranlassung zu gesetzgeberischen dert ist, ohne weiteres ein Konzessionssystem ein-
Maßnahmen. Eine neue, vor etwa 2 Monaten einge- zuführen. Es geht also vor allem darum, einen
leitete Erhebung ist noch nicht abgeschlossen. Weg zu finden, der die rechtliche Gleichstellung
auch bei unterschiedlichen Systemen gewährleistet,
Vizepräsident Dr. Dehler: Zu einer Zusatz- ohne daß es wegen der in der Bundesrepublik
frage Herr Abgeordneter Jungmann. Deutschland bestehenden Niederlassungsfreiheit zu
einem Gefälle zuungunsten der deutschen Apothe-
ker kommt.
Dr. Jungmann (CDU/CSU) : Ist der Bundesregie-
rung bekannt, wieviel Einwohner durchschnittlich Zur Zeit ist die Frage einer Gefährdung der recht-
auf eine Apotheke kommen? lichen Gleichstellung nicht akut, weil entsprechende
348 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 10. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. Dezember 1965

Staatssekretär Bargatzky
Richtlinien der EWG noch nicht ergangen sind. Die Vizepräsident Dr. Dehler: Vielen Dank.
Bundesregierung wird aber in jedem Falle mit
Wir kehren zur Drucksache V//38 zurück. Frage
Nachdruck bemüht sein, die rechtliche Gleichstellung
XIV/8 — des Herrn Abgeordneten Schmitt-Vocken-
der Apotheker zu gewährleisten.
hausen —:
Ist die Bundesregierung bereit, dafür zu sorgen, daß Lebens-
Vizepräsident Dr. Dehler: Ich rufe dann noch mittel, bei deren Herstellung bzw. Gewinnung besondere Metho-
den angewandt werden — wie z. B. Verwendung von Hormonen
die Frage des Herrn Abgeordneten Dr. Jungmann oder Pharmazeutika oder Eier aus Batteriehaltung oder helle
Farbe bei Kalbfleisch durch künstlich erzeugte Blutarmut —
aus der Drucksache V/57 auf: besonders gekennzeichnet werden?
Teilt die Bundesregierung die von Herrn Professor Bechert in
der Öffentlichkeit vertretene Auffassung, daß eine akademische
Ausbildung der Apotheker nicht erforderlich bzw. überflüssig
Bargatzky, Staatssekretär im Bundesministerium
ist? für Gesundheitswesen: Diese Frage, Herr Abgeord-
neter, kann nicht einheitlich beantwortet werden.
Bargatzky, Staatssekretär im Bundesministerium Was etwa die Verwendung von Hormonen betrifft,
für Gesundheitswesen: Ich darf zunächst darauf hin- so ist sie bereits nach den Vorschriften des § 4 b des
weisen, daß Herr Professor Dr. Bechert, wie ich Lebensmittelgesetzes verboten, wenn sie dazu die-
informiert zu sein glaube, Pressemeldungen über nen sollte, die Beschaffenheit \des Fleisches oder den
eine zu dem pharmazeutischen Studium geäußerte Fett- oder Fleischansatz zu beeinflussen. Handelt es
Auffassung inzwischen dementiert hat. Ich darf Ihre sich um die Verabfolgung von Arzneimitteln, so ist
Frage daher so verstehen, daß Sie sich nach der diese zu einem wesentlichen Teil rezeptpflichtig, so
Auffassung der Bundesregierung ohne Bezug auf daß .sie ohnehin durch den Tierarzt auf das fach-
etwaige Äußerungen des Herrn Professor Bechert lich notwendige Maß beschränkt bleiben kann. Die
erkundigen wollen. Hier darf ich erwidern, daß die Beimischung von Wirkstoffen zu Mischfuttern - unter-
Bundesregierung nach wie vor ein pharmazeuti- liegt nach futtermittelrechtlichen Bestimmungen der
sches Studium, ein Hochschulstudium für unbedingt Genehmigungspflicht. Eier aus Batteriehaltung sind,
erforderlich hält. was den menschlichen Genuß angeht, nicht etwa
schädlicher als Eier anderer Herkunft; das Entschei-
dende für die Qualität ist hier nicht so sehr die Art
Vizepräsident Dr. Dehler: Eine Zusatzfrage der Haltung der Hühner, als vielmehr die Zusam-
des Herrn Abgeordneten Bechert. mensetzung des Futters. Fleisch von Kälbern, bei
denen künstlich Blutarmut erzeugt worden ist, würde
Dr. Bechert (Gau Algesheim) (SPD) : Herr Staats- infolge der strengen Untersuchungsvorschriften in
sekretär, ist die Bundesregierung bereit, zur Kennt- der Schlachttier- und Fleischuntersuchung als zum
nis zu nehmen, daß ich — wie Sie ja soeben schon Genuß für den Menschen nicht tauglich beanstandet
feststellten — diese Äußerung gar nicht getan habe werden.
— weder dem Wortlaut noch dem Sinn nach —, und Was ihre Besorgnisse angeht, daß im Zusammen-
zur Kenntnis zu nehmen, daß ich am Tage nach hang mit den von Ihnen angesprochenen Methoden
dieser ausgesprochenen Falschmeldung der United gegen Tierschutzbestimmungen verstoßen werden
Press International veranlaßt habe, daß die SPD- könnte — Besorgnisse, die ich durchaus verstehe —,
Fraktion eine Erklärung von mir veröffentlichte, in so darf ich auf die Beantwortung Ihrer Fragen durch
der festgestellt wird, daß ich diese Äußerung weder den Herrn Bundesernährungsminister verweisen.
dem Wortlaut noch dem Sinn nach, weder schrift-
lich noch mündlich, getan habe, daß in meinem Arti-
Vizepräsident Dr. Dehler: Ich danke Ihnen,
kel, wie jeder feststellen kann, der ihn wirklich ge-
Herr Staatssekretär, und rufe dann aus der Druck-
lesen hat und nicht nur darüber redet, ohne ihn
sache V/57 die Frage des Abgeordneten Dr. Müller
gelesen zu haben, wie Herr Jungmann zum Beispiel,
Emmert aus dem Geschäftsbereich des Bundesmini-
der Vorschlag steht, alle Studienordnungen und
sters für gesamtdeutsche Fragen auf:
Prüfungsordnungen der Hochschulen durch den Wis-
senschaftsrat überprüfen zu lassen, und daß ich das Hat .der Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen entspre-
chend seiner Erklärung in der Fragestunde vom 23. Juni 1965
an verschiedenen Beispielen, z. B. auch an der erreicht, daß die Zuschüsse für das Pfalztheater Kaiserslautern
und das Pfalzorchester Ludwigshafen verdoppelt, zumindest aber
Apothekerausbildung, die ich an den Hochschulen erhöht werden?
für notwendig auch erklärt habe, illustriert habe,
damit der ungesunde Zustand aufhört, daß der Stu- Herr Minister!
dierende der Pharmazie, also der Apothekerwissen-
schaften, heute jahrelang auf eine Zulassung in Dr. Mende, Bundesminister für gesamtdeutsche
einem Hochschullabor warten muß? Fragen: Herr Kollege Müller-Emmert, bei meiner
Antwort auf Ihre Frage über die vorgesehene Höhe
der Zuschüsse für das Pfalztheater Kaiserslautern
Bargatzky, Staatssekretär im Bundesministerium und das Pfalzorchester Ludwigshafen in der Frage-
für Gesundheitswesen: Herr Abgeordneter, wir stunde am 23. Juni 1965 habe ich bereits darauf hin-
haben von all dem Kenntnis genommen, und ich gewiesen, daß ich gern eine Erhöhung oder gar Ver-
habe geglaubt, dies in meiner Antwort an Herrn doppelung der Zuschüsse an die genannten Institu-
Abgeordneten Jungmann bereits zum Ausdruck ge- tionen vornehmen würde, wenn e s haushaltsmäßig
bracht zu haben. Wir freuen uns im übrigen über möglich ist. Die inzwischen eingetretene Entwicklung
eine so weitgehende Übereinstimmung Ihrer Auf- der Haushaltslage des Bundes wird im Rechnungs-
fassung und der unsrigen. jahr 1966 eine Erhöhung oder gar eine Verdoppe-
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 10. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. Dezember 1965 349

Bundesminister Dr. Mende


lung der Zuschüsse an die beiden Kulturträger nicht Leicht (CDU/CSU) : Herr Minister, hat der Mini-
zulassen. Die Frage ist noch schwieriger geworden, sterpräsident von Rheinland-Pfalz kategorisch diese
nachdem der Ministerpräsident des Landes Rhein- Bezuschussung seiner Grenzräume abgelehnt?
land-Pfalz die kulturelle Betreuung der Grenzräume
seines Landes aus Mitteln des Bundesministeriums Dr. Mende, Bundesminister für gesamtdeutsche
für gesamtdeutsche Fragen neuerdings ablehnt. Fragen: Er hat eine Reise des Bundesministers für
gesamtdeutsche Fragen im Monat Juli zu einer Erör-
Vizepräsident Dr. Dehler: Eine Zusatzfrage, terung auch solcher kulturellen Grenzlandförderung
Herr Abgeordneter Dr. Müller-Emmert. zunächst als nicht zur Zuständigkeit des gesamt-
deutschen Ministers zugehörig betrachtet. Er hat
dann nachher zur Kenntnis nehmen müssen, daß
Dr. Müller Emmert (SPD) : Herr Minister, war
-
seit 16 Jahren das Bundesministerium für gesamt-
Ihre Erklärung vom 23. Juni 1965, von heutiger
deutsche Fragen auch für die Grenzgebiete des
Sicht her gesehen, nicht zumindest etwas voreilig,
Westens in bezug auf kulturelle Förderung zustän-
nachdem Sie doch wohl einräumen müssen, daß
dig ist. Ein Brief von mir, daß ich aus der Absage
Sie mit Sicherheit zur damaligen Zeit die schlechte
der Reise unterstellen kann, daß eine Unterstützung
Haushaltslage des Bundes genauso kannten wie
der Grenzräume des Landes Rheinland-Pfalz aus
alle anderen Angehörigen der Bundesregierung?
Mitteln des gesamtdeutschen Ministeriums offen-
sichtlich nicht mehr erwünscht ist, ist nicht abschlä-
Dr. Mende, Bundesminister für gesamtdeutsche gig beantwortet worden. Aus dieser Haltung ent-
Fragen: Herr Kollege Müller-Emmert, das Gegen- nehme ich, daß dem so ist.
teil ist der Fall. Ich hatte allen Grund, optimistisch
zu sein, nachdem dieses Haus die Mittel des gesamt- Vizepräsident Dr. Dehler: Herr Abgeordneter
deutschen Ministeriums für die kulturelle Betreuung Leicht zu einer weiteren Frage.
der Grenzgebiete von 13 auf 18 Millionen DM in
diesem Haushalt aufgestockt hatte. Ich hatte und
habe immer noch die Hoffnung, daß das Bundes-
Leicht (CDU/CSU) : Hängt die Nichtbeantwortung
Ihres Schreibens, aus der Sie meiner Ansicht nach
ministerium für gesamtdeutsche Fragen weniger
einen nicht ganz richtigen oder zumindest einen
drastisch zu den Einsparungen herangezogen wird
voreiligen Schluß ziehen, vielleicht auch damit zu-
als andere Ressorts, die auch ein größeres Volumen
sammen, daß in Rheinland-Pfalz, insbesondere in
haben, wo man also auch mehr holen kann.
Zusammenhang mit dem Bezirksverband der Pfalz
Hinzu kommt — ich wiederhole es — insofern für die kulturelle Unterstützung der Einrichtungen
eine neue Situation, als der Ministerpräsident Ihres dieses Verbandes im Augenblick Überlegungen an-
Landes der Meinung ist, Rheinland-Pfalz habe gestellt werden und versucht wird, diese Fragen im
solche kulturelle Förderung aus meinem Hause nicht Landtag einer Entscheidung zuzuführen?
mehr nötig.
Dr. Mende, Bundesminister für gesamtdeutsche
Vizepräsident Dr. Dehler: Eine weitere Frage! Fragen: Das glaube ich nicht, Herr Kollege. Ich
nehme eher an, daß der Ministerpräsident und der
Dr. Müller Emmert (SPD) : Herr Minister, wür-
-
Kultusminister des Landes Rheinland-Pfalz der Mei-
den Sie trotz des Widerspruchs des Herrn Minister- nung sind — wie übrigens auch Parlamentarier
präsidenten des Landes Rheinland-Pfalz, der für aller Fraktionen dieses Hauses —, daß jetzt schwer-
mich ganz neu ist und der sicher gegen das Inter- punktmäßig im Zonenrandgebiet und im deutsch-
esse des Pfalztheaters und gegen das Interesse des tschechischen Grenzgebiet dringendere Aufgaben
Pfalzorchesters ist, sich dafür einsetzen, daß zumin- gestellt sind als im Grenzgebiet des Landes Rhein-
dest die bisher gewährten Zuschüsse auch weiter- land-Pfalz. Das ist eine Überlegung, der man in der
hin gewährt werden? Tat zustimmen kann. Denn hier im Zonenrandraum
und im deutsch-tschechischen Grenzgebiet sind
dringendere Vorhaben zu unterstützen als im Land
Dr. Mende, Bundesminister für gesamtdeutsche Rheinland-Pfalz.
Fragen: Ich habe für das Jahr 1966 zunächst einmal
den gleichen Betrag wie 1965 — der ja hoch ist, (Beifall bei der FDP.)
wie Sie wissen — eingesetzt, um den Institutionen,
die dann 1967 möglicherweise Mittel aus dem ge- Vizepräsident Dr. Dehler: Herr Abgeordneter
samtdeutschen Ministerium nicht mehr bekommen, Schmitt-Vockenhausen zu einer Zusatzfrage.
den Übergang auf die Mittel des Landes zu erleich-
tern. Denn ich sehe es als selbstverständlich an, daß Schmitt Vockenhausen (SPD) : Herr Minister,
-

das Land dann in jene Verpflichtungen eintritt, die haben Sie nicht in diesen Sommermonaten in der
bisher das Bundesministerium für gesamtdeutsche Vorwahlzeit die Erfahrung machen können, daß es
Fragen hatte. Das Land Rheinland-Pfalz unterstützt gut wäre, wenn Ihre Reisen in der Wahlkampfzeit
ja die kulturellen Institutionen aus seinen Mitteln mit den Dienstreisen des Bundesministers für ge-
in erheblichem Umfang. samtdeutsche Angelegenheiten nicht allzu eng ver-
flochten wären, und wären Sie bereit, für die näch-
Vizepräsident Dr. Dehler: Herr Abgeordneter sten Jahre daraus bestimmte Konsequenzen zu zie-
Leicht, eine Zusatzfrage! hen, damit solche Mißverständnisse nicht auftreten?
350 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 10. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. Dezember 1965

Dr. Mende, Bundesminister für gesamtdeutsche Dr. Marx (Kaiserslautern) (CDU/CSU) : Herr Mi-
Fragen: Herr Kollege Schmitt-Vockenhausen, damit nister, darf ich fragen, ob Ihre Antwort an den Ab-
würden Sie die Reisetätigkeit der Mitglieder der geordneten Leicht, wonach der größte Teil dieser
Bundesregierung praktisch lahmlegen. Denn wenn Ihrer Zuwendungen jetzt in den Zonengrenzraum
ich mich nicht irre, haben wir. jedes Jahr irgendwo und in den Raum der Grenze zur Tschechoslowakei
im Bundesgebiet Wahlen, wenn nicht im Bund, dann gegeben werden soll, bedeutet, daß der Grenzraum
in den elf Ländern. Im übrigen können diese Rei- im Westen von Ihrer Seite nun völlig außer acht
sen in keinem Zusammenhang mit dem Wahlkampf gelassen wird. Oder werden Sie ihm noch einen
gesehen werden. Herr Kollege Schmitt-Vockenhau- entsprechenden, angemessenen Platz einräumen?
sen, was für die Ministerpräsidenten der Länder
und die Landesminister gilt, gilt gleichermaßen auch Dr. Mende, Bundesminister für gesamtdeutsche
für die Bundesminister und den Bundeskanzler. Fragen: Das Saarland beispielsweise wird selbst-
Solche Reisen haben mit Wahlkampf nichts zu tun. verständlich in der bisherigen Weise Anteil haben
an den kulturellen Förderungsmaßnahmen. Das
Vizepräsident Dr. Dehler: Eine weitere Frage, gleiche gilt für das deutsch-dänische Grenzgebiet.
Herr Abgeordneter Schmitt-Vockenhausen. Inwieweit Rheinland-Pfalz noch einbezogen wird,
wird von der Vorstellung des Landes Rheinland-
Schmitt Vockenhausen (SPD) : Herr Minister,
-
Pfalz, also speziell des Ministerpräsidenten und
ist Ihnen nicht gerade in diesem Wahlkampf deut- des Kultusministers, abhängen. Möglicherweise
lich geworden, daß eine gewisse Interessenkollision werden hier einzelne Objekte noch weiter geför-
dert werden.
bei manchen Ihrer Erklärungen, Rundbriefe usw.
ganz offensichtlich zutage getreten ist, und sollten
Sie diese Frage nicht doch noch einmal in camera Vizepräsident Dr. Dehler: Eine weitere Frage,
caritatis überprüfen? bitte!

Dr. Mende, Bundesminister für gesamtdeutsche Dr. Marx (Kaiserslautern) (CDU/CSU) : Herr Mi-
Fragen: Dazu sehe ich keinen Anlaß, Herr Kollege. nister, darf ich gerade im Hinblick auf den letzten
Teil Ihrer Ausführungen fragen, ob Sie bereit sind,
(Abg. Schmitt-Vockenhausen: Schade!) mit dem Ministerpräsidenten und dem Kultusmi-
nister des Landes in dieser Hinsicht weiterhin in
Vizepräsident Dr. Dehler: Herr Abgeordneter Verhandlungen zu bleiben, da es für unser Land —
Fritsch zu einer Zusatzfrage. ich darf das sagen — weiterhin sehr wichtig ist,
auch aus Ihrem Hause eine entsprechende Förde-
Fritsch (Deggendorf) (SPD) : Herr Minister, steht rung zu erhalten?
zu erwarten, daß die in Aussicht gestellten Zu-
schüsse für das Theater in Trier und für die Mat- Dr. Mende, Bundesminister für gesamtdeutsche
thias-Basilika in Trier gekürzt oder gestrichen wer- Fragen: Ich warte noch immer auf die Antwort des
den? Ministerpräsidenten auf meinen vor Wochen ge-
schriebenen Brief, in dem ich die Einstellung der
Dr. Mende, Bundesminister für gesamtdeutsche kulturellen Hilfe für Rheinland-Pfalz angekündigt
Fragen: Ich möchte hier zu einzelnen Objekten des- habe.
wegen noch nicht Stellung nehmen, weil der Haus-
halt 1966 noch nicht bewilligt ist und ich vor allem Vizepräsident Dr. Dehler: Herr Abgeordneter
nicht weiß, von welchen Kürzungsmaßnahmen auch Kaffka wollte eine weitere Frage stellen. — Bitte!
der Haushalt des gesamtdeutschen Ministeriums be-
troffen wird.
Kaffka (SPD) : Herr Minister, hat der rheinland-
pfälzische Ministerpräsident auch die Mittel für die
Vizepräsident Dr. Dehler: Eine weitere Frage, St.-Matthias-Kirche in Trier und für das Theater in
Herr Abgeordneter Fritsch. Trier, die vom Gesamtdeutschen Ministerium ge-
zahlt wurden, abgelehnt?
Fritsch (Deggendorf) (SPD) : Herr Minister, ist
Ihnen bekannt, daß auch der Ministerpräsident von Dr. Mende, Bundesminister für gesamtdeutsche
Rheinland-Pfalz für diese Vorhaben zunächst keine Fragen: Ich wiederhole, was ich eingangs sagte, daß
Mittel zur Verfügung hat und auch keine in Aus- nämlich Überlegungen im Gange sind, ob es noch
sicht stellt? zweckmäßig ist, Rheinland-Pfalz in die kulturelle
Förderung des Bundesministeriums für gesamtdeu-
Dr. Mende, Bundesminister für gesamtdeutsche sche Frage einzubeziehen. Die von Ihnen genannten
Fragen: Mir sind die Überlegungen des Minister- Objekte sind gegenwärtig noch in die Förderung
präsidenten von Rheinland-Pfalz im einzelnen nicht einbezogen. Ich halte es jedenfalls nicht für zweck-
bekannt. mäßig, jetzt zu Einzelobjekten Stellung zu nehmen,
bevor ich nicht die auch von Ihrem Kollegen ge-
Vizepräsident Dr. Dehler: Herr Kollege Dr. wünschte Besprechung mit dem Ministerpräsidenten
Marx zu einer Zusatzfrage. des Landes Rheinland-Pfalz gehabt habe.
Deutscher Bundestag - 5. Wahlperiode — 10. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. Dezember 1965 351

Vizepräsident Dr. Dehler: Eine weitere Frage, Dröscher (SPD) : Herr Bundesminister, haben Sie
Herr Abgeordneter Kaffka. Verständnis dafür, daß nach den Erörterungen heute
morgen in der Fragestunde doch leicht der Gedanke
Kaffka (SPD) : Herr Minister, sind diese Erörte- aufkommen kann, daß das auslösende Ereignis, das
rungen aus eigener Überlegung des Gesamtdeut- frühere Überlegungen nun wirksam gemacht hat, in
schen Ministeriums oder aus dem Verhalten des der verhinderten Reise liegt?
rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten zu be-
gründen? Dr. Mende, Bundesminister für gesamtdeutsche
Fragen: Das glaube ich nicht. Wenn aber der Besuch
Dr. Mende, Bundesminister für gesamtdeutsche des Bundesministers für gesamtdeutsche Fragen zu
Fragen: Das ist etwas Motivforschung und ein For- solchen kulturellen Förderungsstätten offensichtlich
schen nach der politischen Seelenlage. Ich muß nicht erwünscht ist, dann fragt man sich, ob man
sagen, daß ich mich überfordert fühle, wenn ich über sich dann noch weiter mit diesen Fragen befassen
die politischen Motive anderer Auskunft geben soll. soll. Wo Hilfe nicht erwünscht ist, soll man mit der
Hilfe auch nicht nachlaufen.
Vizepräsident Dr. Dehler: Herr Abgeordneter
Dr. Klepsch zu einer Zusatzfrage.
Vizepräsident Dr. Dehler: Eine weitere Frage.

Dr. Klepsch (CDU/CSU) : Herr Minister, gibt es Dröscher (SPD) : Herr Bundesminister, verstehen
Sie, daß es von der Bevölkerung sicher kaum ver-
für diese Ihre Ausführungen bezüglich der Bezu-
standen wird, daß hier offenbar die sachlichen Er-
schussung des Landes Rheinland-Pfalz und der dazu
wägungen darüber, ob Hilfe gegeben wird oder
eingenommenen Haltung des Ministerpräsidenten
nicht, hinter die Frage zurücktreten, ob persön-
einen anderen Anlaß als den, daß der Ministerpräsi-
lichen Animositäten und persönlicher Gekränktheit
dent zu einem bestimmten Zeitpunkt an einer Reise
der Vorzug eingeräumt wird?
von Ihnen nach Rheinland-Pfalz nicht interessiert
war?
Dr. Mende, Bundesminister für gesamtdeutsche
Fragen: Kein Minister des Kabinetts wird jemals
Dr. Mende, Bundesminister für gesamtdeutsche Entscheidungen nach Animositäten oder persön-
Fragen: Doch, es gibt den Anlaß des Bestreitens der licher Kränkung fällen können; denn dann würde
Zuständigkeit; denn der Ministerpräsident des Lan- er seinem Eid zuwiderhandeln.
des Rheinland-Pfalz hat an den Bundeskanzler einen
Brief gerichtet, aus dem hervorging, daß er das Bun- (Beifall bei der FDP.)
desministerium für gesamtdeutsche Fragen irrtüm- Ich möchte aber darauf hinweisen, daß auch ich
lich als für die westlichen Grenzräume nicht zustän- nach Bereisungen des Zonenrandraums und des
dig erachtet hat. deutsch-tschechischen Grenzraums der Auffassung
bin, daß in diesen Räumen mehr nachzuholen ist
Vizepräsident Dr. Dehler: Eine weitere Frage, als in den westlichen Grenzgebieten.
Herr Abgeordneter Klepsch. (Erneuter Beifall bei der FDP.)

Dr. Klepsch (CDU/CSU) : Wenn ich Ihre Antwort Vizepräsident Dr. Dehler: Ich danke Ihnen,
recht verstehe, dann dreht es sich doch ausschließ- Herr Minister.
lich um diese Auseinandersetzung über Ihre Reise
nach Rheinland-Pfalz im Juli dieses Jahres. Andere Wir kommen zu II — Geschäftsbereich des Bun-
Auseinandersetzungen über diese Frage haben desministers der Justiz —. Ich rufe die Frage des
offensichtlich nicht stattgefunden. Herrn Abgeordneten Schmitt-Vockenhausen auf:
Hält es die Bundesregierung für richtig, daß Vormünder (auch
Pfleger) bei mittellosen Mündeln gegebenenfalls ihre Aufwen-
Dr. Mende, Bundesminister für gesamtdeutsche dungen, die bei der Ausübung ihres Amtes erforderlich sind,
nicht erstattet bekommen können, auch wenn die Vormünder
Fragen: Herr Kollege, es sind auch schon vorher selbst nur über geringe Einkünfte verfügen?
in dem sogenannten Fünfer-Ausschuß des Parla-
ments Überlegungen darüber angestellt worden, ab Bitte, Herr Minister!
es nach dem Anschluß des Saarlandes und nach
einer wesentlichen Verbesserung der Lebensver- Dr. Jaeger, Bundesminister der Justiz: Herr Kol-
hältnisse in den westlichen Grenzgebieten noch lege Schmitt-Vockenhausen, ich freue mich, Ihre
zweckmäßig sei, die frühere kulturelle Förderung Frage im wesentlichen befriedigend beantworten
in vollem Umfang aufrechtzuerhalten, oder ob es zu können. Die Bundesregierung hält es nicht für
nicht besser sei, schwerpunktmäßig jetzt mehr das richtig, daß Vormünder und Pfleger vermögensloser
Zonenrandgebiet, das deutschdänische und deutsch- Mündel ihre Auslagen nicht erstattet erhalten, vor
tschechische Grenzgebiet zu bedenken. Das sind allem wenn die Vormünder oder Pfleger selbst nur
Überlegungen, die nicht erst seit Juli, seit der be- über geringe Einkünfte verfügen. Diese Frage war
absichtigten Reise, im Gange sind. bereits 1956 Gegenstand eines Meinungsaustausches
mit den Landesjustizverwaltungen und ist unlängst
Vizepräsident Dr. Dehler: Herr Abgeordneter auf der 33. Justizministerkonferenz im Oktober die-
Dröscher zu einer Zusatzfrage. ses Jahres erörtert worden.
352 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 10. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. Dezember 1965

Bundesminister Dr. Jaeger


Diese Beratungen führten zu folgender Entschlie- Zweitens. Durch die Umwandlung von zwei In-
ßung — ich zitiere — : fanteriebataillonen in Panzerbataillone wird die
Kampfkraft der amerikanischen Streitkräfte in
Die Landesjustizverwaltungen treten mit den
Deutschland verstärkt.
zuständigen Landesbehörden in Verbindung,
um eine Einigung dahin zu erreichen, daß die Drittens. Auch nach dieser Umgliederung ent-
Erstattungspflicht der Sozialhilfeträger für not- sprechen die amerikanischen Streitkräfte in Deutsch-
wendige Auslagen des Vormundes und des land nach Zahl der Einheiten, Ist-Stärke und Aus-
Pflegers vermögensloser Mündel im Rahmen rüstung voll den Anforderungen der NATO.
des § 12 des Bundessozialhilfegesetzes an-
erkannt wird. Die Landesjustizverwaltungen Vizepräsident Dr. Dehler: Keine weiteren Zu-
werden sich über die Ergebnisse ihrer Bemü- satzfragen.
hungen gegenseitig unterrichten. Wenn die Dann rufe ich die Frage VI/3 — des Herrn Abge-
Bemühungen ohne Erfolg bleiben, soll eine ordneten Sänger — auf:
gesetzliche Regelung dieser Frage geprüft wer-
Wie hoch berechnet das Auswärtige Amt den ihm entstehen-
den. den Aufwand für die Heranbildung des gesamten Nachwuchses
für den höheren auswärtigen Dienst insgesamt und im Durch-
So weit das Zitat. schnitt für den einzelnen Bewerber?

Es ist zunächst abzuwarten, welchen Ausgang die Ist der Abgeordnete Sänger im Raum? — Die
Verhandlungen nehmen werden. Bei negativem Frage wird von Herrn Abgeordneten Dr. Mommer
Ergebnis wird die gesetzliche Regelung zu erwägen übernommen.
sein. Bitte, Herr Minister!

Vizepräsident Dr. Dehler: Eine Zusatzfrage, Dr. Schröder, Bundesminister des Auswärtigen:
Herr Abgeordneter Schmitt Vockenhausen.
- Die Antwort lautet wie folgt: Die Kosten für die
Ausbildung eines Attaché-Jahrgangs während der
gesamten Dauer des Vorbereitungsdienstes sind mit
Schmitt Vockenhausen (SPD) : Kann ich Ihrer
-
rund 2,7 Millionen DM zu veranschlagen. Dabei ist
Antwort entnehmen, Herr Minister, daß Sie die
die Stärke des einzelnen Ausbildungsjahrgangs mit
Sache auch weiter verfolgen werden?
50 Anwärtern angenommen, von denen etwa zwei
Drittel die große juristische Staatsprüfung abgelegt
Dr. Jaeger, Bundesminister der Justiz: Jawohl. haben. Für den einzelnen Anwärter errechnen sich
hiernach die durchschnittlichen Ausbildungskosten
Vizepräsident Dr. Dehler: Ich danke Ihnen, mit rund 54 000 DM. Da vom kommenden Jahr an
Herr Minister. die Ausbildungszeit um sechs Monate verkürzt
wird, werden sich die eben genannten Zahlen auf
Ich rufe die Fragen aus dem Geschäftsbereich rund 2,1 Millionen DM für einen gesamten Jahrgang
des Auswärtigen Amts auf. Die Frage VI/1 wird und rund 42 000 DM im Durchschnitt für den einzel-
vom Bundesminister für Verkehr beantwortet. nen Anwärter ermäßigen.
Ich rufe die Frage VI/2 — des Herrn Abgeordneten
Dr. Marx (Kaiserslautern) — auf: Vizepräsident Dr. Dehler: Dann rufe ich die
Welche Gründe haben die Bundesregierung veranlaßt, dem Frage VI/4 — des Herrn Abgeordneten Dr. Mom-
Abzug gewisser amerikanischer Streitkräfte in der Bundes-
republik und in Berlin (West) zuzustimmen? mer — auf:
Ist der Fall des Herrn Dr. Frank, Ministerialdirigent im Aus-
Bitte, Herr Minister! wärtigen Amt, mit seiner Erklärung gegenüber dem „Luxem-
burger Wort" erledigt, nach deren Wortlaut er gesagt hat: „Von
einem politischen Gewissenskonflikt könne man, besonders
pointiert gesagt, nur sprechen, wenn man aus dem Keller die
Dr. Schröder, Bundesminister des Auswärtigen: Schreie der Gefolterten höre."?
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Ant- Bitte, Herr Minister!
wort lautet wie folgt: Die vom Hauptquartier der
amerikanischen Streitkräfte in Europa am 23. No- Dr. Schröder, Bundesminister des Auswärtigen:
vember angekündigten Maßnahmen werden nicht Die Antwort auf diese Frage ist sehr viel kürzer.
zum Abzug amerikanischer Einheiten aus Deutsch- Sie lautet: ja.
land führen. Das durch die Umgliederung freige-
stellte Personal wird in Deutschland bleiben und
zur Besetzung von frei werdenden Stellen in anderen Dr. Mommer (SPD) : Meine Zusatzfrage ist: Wie?
amerikanischen Einheiten verwendet werden. Die (Heiterkeit und Beifall bei der SPD.)
Bundesregierung hat aus folgenden Gründen keine
Bedenken gegen diese Umgliederung geltend ge- Dr. Schröder, Bundesminister des Auswärtigen:
macht: Meine Antwort darauf ist: Erledigung bedeutet Er-
Erstens. Es ist zur Zeit nicht notwendig, die außer- ledigung.
planmäßige Verstärkung der amerikanischen Garni-
son in Berlin, die im August 1961 während der Dr. Mommer (SPD): Herr Außenminister, jetzt
Berlin-Krise erfolgte, beizubehalten. Im Falle einer müssen Sie mir doch mehr sagen. Herr Außenmini-
erneuten Berlin-Krise würden die amerikanischen ster: Betrachten Sie die Sache als ungeschehen, so
Streitkräfte in Berlin kurzfristig verstärkt. daß der Beamte aus dieser Sache jetzt heraus ist
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 10. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. Dezember 1965 153
Dr. Mommer
.) und Sie keine Maßnahmen ergreifen, keinen Grund eigentlich zur Feststellung kommen muß, es sei alles
haben, mit ihm zu sprechen, keinen Grund haben, gleichgewichtig.
ihn zu versetzen oder dergl. mehr?
(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Dr. Schröder, Bundesminister des Auswärtigen: Wir sind selbstverständlich entschlossen, gewisse
Ich habe gesagt: Erledigung ist Erledigung, und ich Schwerpunkte zu setzen. Das setzt aber voraus, daß
sage das in Würdigung aller Umstände. Ein großer man den Mut hat, zu sagen: anderes muß zurück-
Teil der Umstände ist Ihnen aus dem ausführlichen stehen. Was zurückstehen muß, haben wir bisher
Brief des Betreffenden selber — das „Luxemburger von der 'sozialdemokratischen Fraktion leider noch
Wort" hat diesen Brief abgedruckt — bekannt. nicht hören können.
Die Einzelfragen, die vom Kollegen Schellenberg
Vizepräsident Dr. Dehler: Eine Zusatzfrage, und in der Antwort des Herrn Bundesarbeitsmini-
Herr Abgeordneter Dr. Hein. sters angesprochen worden sind, sind nicht geeignet,
im Augenblick schon im Detail hier diskutiert zu
Dr. Hein (SPD) : Herr Bundesminister, ist es rich- werden. Eines verstehe ich allerdings nicht. Herr
tig, daß die Äußerung des Herrn Ministerialdirigen- Kollege Schellenberg hat gefragt, ob der Herr Bun-
ten Dr. Frank mehrmals, und zwar jeweils einem desarbeitsminister überhaupt darauf warten müsse,
anderen Beamten gegenüber, bei verschiedenen Ge- bis die Sozialenquete vorliege; es sei doch eigent-
legenheiten getan wurde? lich alles klar und bekannt. Ich kann mich sehr
genau entsinnen, Herr Kollege Schellenberg, daß
Ihre Fraktion zu den verschiedensten Fragen die
Dr. Schröder, Bundesminister des Auswärtigen: Einsetzung von Beiräten, Ausschüssen, Kommissio-
Das kann ich nicht bestätigen. Soweit mir bekannt nen usw. gefordert hat, um Tatbestände klarzule-
ist, ist das ein einziges Mal — wohlgemerkt in gen. Ich verstehe nicht recht, wieso dann, wenn von
einem Gespräch unter vier Augen — gesagt worden, der Regierung eine Sozialenquete verlangt wird, es
leider aber dann in sehr wenig schöner Weise wei- wirklich nicht mehr notwendig sein soll, die Dinge
tergetragen worden. zu untersuchen.

Vizepräsident Dr. Dehler: Ich danke Ihnen, (Beifall bei den Regierungsparteien. —
Herr Minister. Wir sind am Ende der Fragestunde. Abg. Stingl: Das ist doch verständlich!)
Die Fragen VII/5, VIII/2, XI/2, XI/3 und XI/4 sind — Natürlich ist es „verständlich", Kollege Stingl.
vom Fragesteller zurückgezogen. Die nicht behan- Wir sind überzeugt, daß selbstverständlich für den
delten Fragen werden schriftlich beantwortet. einen oder anderen Fachmann in seinem speziellen
Wir setzen die gestern unterbrochene Beratung Bereich nichts Neues kommen wird. Die Gesamt-
der Tagesordnungspunkte 2 und 3 fort: übersicht wird aber denjenigen Kollegen, die in
dieser Materie nicht zu Hause sind, die Überzeu-
Aussprache über die Erklärung der Bundes- gung geben, daß in vielen Bereichen noch manches
regierung zu geschehen hat. Dann werden wir die notwendi-
Erste Beratung des von der Bundesregierung gen Mehrheiten eher finden können. Vor allen Din-
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur gen bin ich überzeugt, daß die Sozialenquete deut-
Sicherung des Haushaltsausgleichs (Haus- lich werden läßt, daß im Bereich der Kriegsfolgen-
haltssicherungsgesetz) — Drucksache V/58 — gesetzgebung noch vieles zu erledigen sein wird.
Das Wort hat der Abgeordnete Mischnick. Es kommt uns gerade mit darauf an, klarzulegen,
wo noch ein Nachholbedarf ist und wo schon eine
Überschneidung eingetreten ist, die wir beseitigen
Mischnick (FDP) : Herr Präsident! Meine sehr müssen.
verehrten Damen und Herren! Da Herr Kollege Dr.
— Bitte sehr, Herr Kollege!
Luda nach mir sprechen will, will ich an den Anfang
meiner Ausführungen nicht die Fragen, die gestern
abend eine Rolle gespielt haben, sondern den Be- Dr. Schellenberg (SPD) : Herr Kollege Misch-
reich setzen, zu dem ich mich gemeldet habe, nämlich nick, ich wollte Sie fragen, welche Probleme in
die sozialpolitischen Fragen. bezug auf die Lohnfortzahlung nach Ihrer Meinung
Die Kollegen von der sozialdemokratischen Frak- durch die Sozialenquete noch erforscht werden sol-
tion — auch Herr Professor Schellenberg — haben len?
sehr deutlich zum Ausdruck gebracht, welche
Punkte in der Regierungserklärung nicht oder zu Mischnick (FDP) : Verehrter Herr Kollege Schel-
wenig angesprochen seien. Es ist dann von der lenberg, ich kann einfach nicht glauben, daß Sie nicht
Vorrangigkeit bestimmter Projekte gesprochen wissen, daß zwischen Lohnfortzahlung und Kranken-
worden. Wenn ich all diese Punkte zusammen-
versicherung ein Zusammenhang besteht, und die
nehme, die seit Montag mittag bis gestern abend Sozialenquete wird zur Krankenversicherung etwas
von der Opposition als vorrangig bezeichnet wor- sagen.
den sind, dann scheint es mir etwas einfacher zu (Beifall bei , der FDP.)
sein, einmal danach zu fragen, was nachrangig ist.
Denn alles das, was als vorrangig bezeichnet wor- Das ist so selbstverständlich, daß ich Ihre Frage nicht
den ist, ergibt einen solchen Umfang, daß man verstehe.
354 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 10. Sitzung. Bonn, Donnerstag, d en 2. Dezember 1965

Mischnick
Im Rahmen der sozialpolitischen Debatte ist auch die Frage der Arbeitszeitverlängerung. Kollege
die Frage .des Gemeinschaftswerkes aufgeworfen Leber stellte diese Frage. Auch Professor Schiller
worden. Wir stehen diesen Überlegungen — das ist hat dazu Stellung genommen. Wir Freien Demokra-
schon mehrfach zum Ausdruck gekommen — bis zu ten haben unseren Standpunkt sehr deutlich um-
einem gewissen Grade skeptisch gegenüber. Wir rissen. Eines verstehen wir allerdings nicht: Warum
meinen: das Problem des Gemeinschaftswerkes muß wehrt man sich immer wieder und auch jetzt noch
im Zusammenhang milt der Finanzreform diskutiert dagegen, die Frage einer Lohnsteuer- und Sozial-
werden, wo es ja nicht nur darum geht, die Steuer- abgabenbefreiung der Überstunden erneut zu dis-
verteilung zu überprüfen, sondern auch die Aufga- kutieren, meldet aber gleichzeitig die Sorge an, daß
benverteilung in die Debatte mit einzubeziehen. mit der Automation eines Tages schwierige Pro-
Allerdings wehren wir uns dagegen, daß eben mit bleme auf uns zukommen könnten?
dem Gemeinschaftswerk vielleicht eine Art Neben-
einrichtung, eine Institution neben dem Bundeshaus- (Zustimmung rechts und in der Mitte.)
halt und den Haushalten der Länder entsteht, was Mir scheint es sehr viel sinnvoller zu sein, die Frage
nach unserer Überzeugung nur zu Schwierigkeiten der Lohnsteuerbefreiung der Überstunden zu dis-
führen kann. Aber das sollte im einzelnen diskutiert kutieren, um im Falle eines Falles sehr schnell
werden, wenn uns die entsprechenden Vorlagen zur reagieren zu können, als langfristige Gastarbeiter-
Finanzreform zur Verfügung stehen. verträge abschließen zu müssen, die in einer Krisen-
Mit Recht hat Kollege Schellenberg darauf hinge- situation, die vielleicht durch die Automation ein-
wiesen, daß wir uns in der Frage ,der Ausbildungs- treten könnte, sehr viel weniger schnell aufgelöst
förderung um eine gezielte Förderung bemühen werden könnten und uns sehr viel mehr Mühe
müßten. Deshalb auch die Überlegung, wie man machen würden. Ich bitte also auch diese Frage zu
Mängel der Gesetzgebung dieses Jahres aus der berücksichtigen.
Welt schaffen kann. Nur kann ich mich sehr gut
(Beifall bei der FDP.)
daran erinnern, daß die Bemühungen, ein gezieltes
Ausbildungsförderungsgesetz zu schaffen, leider mit Mit Recht ist angeregt worden, bis zur Mitte des
daran gescheitert sind, daß z. B. das Land Hessen nächsten Jahres eine Art Denkpause eintreten zu
dagegen Einspruch erhoben hat, weil das nicht Bun- lassen. Wir haben uns sehr darüber gefreut, daß
desangelegenheit sei. der Herr Bundesarbeitsminister diese Denkpause
(Sehr richtig! in der Mitte.) will, um im Zusammenhang mit der Erstellung der
Sozialenquete neue Überlegungen über die noch
Das sind doch die Probleme, die uns hier immer wie- offenen Fragen der Krankenversicherungsreform,
der Schwierigkeiten bereiten! Ob dieser Einspruch der Lohnfortzahlung und der Eigentumsbildung an-
berechtigt oder unberechtigt ist, will ich jetzt gar zustellen und dabei auch die Frage zu prüfen, welche
nicht im einzelnen untersuchen; nur ist es schlecht, anderen Formen man wählen kann. Wie richtig
aus dem gleichen Lager zu sagen: „Ihr dürft es eine solche Denkpause ist, zeigt sich gerade in die-
nicht!" und uns gleichzeitig vorzuwerfen: „Ihr habt
sen Wochen, wo in zunehmendem Maße das ein-
es nicht getan!" Das ist unlogisch.
tritt, was wir anläßlich der Beratung des 312-DM-
Gesetzes vorausgesagt haben. Wir haben damals
Vizepräsident Dr. Dehler: Herr Kollege Liehr gesagt, daß es eigentlich nur des § 4 des Gesetzes
möchte eine Zwischenfrage stellen. bedarf, weil damit jedem Arbeitnehmer die Mög-
lichkeit gegeben wird, 312 DM lohnsteuer- und
Mischnick (FDP) : Bitte! sozialabgabenfrei anzulegen. Wir stellen heute fest,
daß gerade diese Möglichkeit von Arbeitern, Ange-
Liehr (SPD) : Herr Kollege Mischnick, ist Ihnen stellten und Beamten bereits in erfreulich hohem
nicht bekannt, daß die sozialdemokratische Fraktion Maße genutzt wird. Wir glauben, daß dadurch die
schon zu Beginn des Jahres 1962 dem Hause den Diskussion über die Frage, ob die Tarifvertrags-
Entwurf eines Ausbildungsförderungsgesetzes vor- fähigkeit verfassungsrechtlich vertretbar ist oder
gelegt hat und daß das Ministerium bis zum Ende nicht, allein durch die Entwicklung erledigt wird,
der vorangegangenen Legislaturperiode nicht die weil die Arbeitnehmer von selbst von dieser Mög-
Möglichkeiten genutzt hat, um mit den Ländern lichkeit Gebrauch machen und es gar keines Tarif-
z. B. die Frage zu klären, ob die hessische Auffas- vertrages mehr bedarf.
sung dazu verfassungskonform ist oder nicht? (Beifall bei der FDP.)
Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen
Mischnick (FDP) : Herr Kollege, zunächst einmal Sie mich zum Abschluß des sozialpolitischen Teils
sind wir der Überzeugung gewesen, daß diese Vor- meiner Ausführungen noch einmal feststellen, daß
lage eben nicht dem entspricht, was die Koalition für wir bereit sind, mit dem Herrn Bundesarbeitsmi-
richtig hält. Zum anderen haben natürlich Gespräche nister auf der Grundlage, die er hier in groben Zü-
stattgefunden. Sonst wäre ja das Nein zu den gen dargestellt hat, aufs engste zusammenzuarbei-
anderen Vorschlägen nicht gekommen. Das kam ten. Wir wissen natürlich, daß es in Einzelfragen
doch nicht aus dem luftleeren Raum! Meinungsunterschiede geben wird; wir werden sie
Ein weiterer Gesichtspunkt, der hier in dieser, jedoch gemeinsam auszutragen wissen. Wir sollten
wie ich bedauernd sagen muß, kurzen Debatte über aber die Gesetzgebung im sozialpolitischen Be-
das Gebiet der Sozialpolitik behandelt wurde, war reich in den nächsten vier Jahren nicht zuletzt unter
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 10. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. Dezember 1965 355
Mischnick
dem Gesichtspunkt sehen, daß die Gruppen und die — übrigens eines der wenigen Dokumente der SPD,
Bereiche der Kriegsfolgengesetzgebung, die nach- die noch in rot eingebunden sind.
hinken, die noch nicht auf den heutigen Stand ge-
bracht sind, Anschluß finden. (Heiterkeit bei den Regierungsparteien.)

Mit großer Befriedigung haben wir deshalb zur Ich weiß, daß dieser Große Hessenplan eine Art
Kenntnis genommen, daß die Zusage der Bundes- Grundlage für die Gesamtgestaltung oder, wenn ich
regierung hinsichtlich der Kriegsopferversorgung es mit einem anderen Begriff bezeichnen will, für
vom Sommer dieses Jahres nicht nur eingehalten die Raumordnung in der Bundesrepublik werden
werden soll, sondern daß bereits die Vorarbeiten soll. Das ist ein sehr verdienstvolles Unternehmen.
für ein entsprechendes Gesetz im Gange sind. Wir Allerdings muß man sich dabei auch ansehen, wel-
müssen uns immer bewußt sein, daß die Entschei- che finanziellen Konsequenzen daraus entstehen
dung für eine dynamische Rentenversorgung — in sollen.
der Arbeiter-, Angestellten- und Unfallrentenver- (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)
sicherung — automatisch dazu führt, daß wir lau- In diesem Großen Hessenplan wird für die Zeit von
fend alle Kriegsfolgeleistungen überprüfen müssen, 1965 bis 1974 davon gesprochen — ich zitiere wört-
um sie entsprechend anzupassen. Dem kann sich lich Seite 86 —:
niemand entziehen. Wir halten es nicht für richtig,
Bis zu dem Gesamtbetrag von 13 1/2 Milliarden,
die gleiche Automatik in diesen Gesetzen einzufüh-
mit dem sich das Land an der Finanzierung
ren, halten aber die laufende Überprüfung für not-
des Hessenplanes beteiligen will, bleiben noch
wendig. Die Ankündigung des Herrn Ministers für
2,5 Milliarden. Dieser Betrag muß für den Gro-
Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte,
ßen Hessenplan über Kreditaufnahme beschafft
daß die Gleichstellung der Sowjetzonenflüchtlinge
werden. Um jedoch für den Schuldendienst
Schritt für Schritt weiter erfolgen soll, ist ein Be-
ordentliche Einnahmen freizubekommen, muß
weis dafür, daß diese Erkenntnis schon 1961 richtig
ein weiterer Betrag in dieser Höhe über Kredit
war und daß auch hier ein Nachholbedarf zu befrie-
beschafft werden, so daß sich der erforderliche
digen ist. Allerdings muß dies im Rahmen der Mög-
gesamte Kreditbetrag auf rund 5 Milliarden
lichkeiten des Bundeshaushalts geschehen.
stellen wird.
(Beifall bei der FDP.)
Das heißt: Für den Großen Hessenplan sind nach
Insoweit ist festzustellen, daß die Nachkriegszeit Ausführungen der hessischen Landesregierung für
leider noch nicht ganz zu Ende ist. Aber wir sind 10 Jahre rund 5 Milliarden DM Kreditmittel vor-
uns ja dessen bewußt, daß sich die Kriegsfolgen gesehen. Das heißt nach Adam Riese: pro Jahr
nicht auf einen Tag terminieren lassen, sondern 500 Millionen. Ich will noch zugestehen, daß eine
ihre Auswirkungen noch eine gewisse Zeit dauern. Steigerung drin ist, mit 400 Millionen beginnend
und vielleicht bei 600 Millionen endend. Wenn Sie
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich das als Vorbild für die gesamte Bundesrepublik
bitte um Ihr Verständnis, wenn ich nunmehr zu ansehen und Hessen etwa 10 % des Bundes —
einigen Fragen Stellung nehme, die gestern abend über den Daumen gepeilt — ausmacht, würde das
hier eine große Rolle gespielt haben. bedeuten, daß die Länder allein pro Jahr einen
(Abg. Stingl: Sie müssen es ja von der Kreditbedarf von 4 'bis 5 Milliarden DM hätten.
Stadt Frankfurt her wissen!) (Abg. Windelen: Nur für Strukturfragen!)
Ich bin zwar der gleichen Meinung wie Herr Kol- - Nur für diese Strukturfragen. Wenn ich dann
lege Erler: man sollte die Schlacht möglichst nicht überlege, was den Gemeinden, was dem Bund, was
im falschen Saale stattfinden lassen. Aber wir den Sonderfonds übrigbleibt, dann ist das sehr
haben in diesem Hohen Hause doch schon mehr- schwierig.
fach erlebt, wie unsere sozialdemokratischen Kolle-
gen die Entwicklung in Hessen und hessische Maß- Nun hat Minister Osswald davon gesprochen, das
nahmen als Vorbild hingestellt haben. Ganze solle beweglich sein. Diese Klarstellung ist
sehr verdienstvoll. Das bedeutet natürlich gleich-
(Zustimmung bei der FDP und in der zeitig, daß man nicht für das Jahr 1965 und 1966
Mitte.) sagen kann: Wir werden mit 500 Millionen DM
Nun, wenn man uns hier im Bundestag etwas als herangehen und diese Aufgaben erfüllen, man wird
Vorbild hinstellt, müssen wir natürlich prüfen, ob also mit einem niedrigeren Betrag herangehen
dieses „Vorbild" für den Bund übernehmenswert müssen. Insoweit interessiert es uns natürlich hier,
ist. inwieweit die Länder bereit, gewillt oder gezwun-
(Beifall bei den Regierungsparteien.) gen sind, an den Kreditmarkt heranzugehen und
damit die Möglichkeiten des Bundes für den Lasten-
Deshalb diskutieren wir hier darüber. Mit einem ausgleich, bei der Bahn und bei der Post zu be-
gewissen Stolz hat Herr Minister Osswald darauf schränken. Das ist eine Frage, die hier diskutiert
hingewiesen, daß das, was der Große Hessenplan werden muß.
an Überlegungen enthält, im Bundesfinanzministe- (Beifall bei den Regierungsparteien.)
rium darauf hin geprüft werde, ob und inwieweit es
übernommen werden kann. Ich weiß, daß auch an- Mit einer gewissen Freude und innerer Genugtu-
dere Länder diesen Großen Hessenplan studieren, ung, die ich durchaus verstehen kann, hat Herr
356 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 10. Sitzung. Bonn, Donnerstag, ,den 2. Dezember 1965

Mischnick
Minister Osswald davon gesprochen — wörtlich tet, daß diese 500 Millionen DM anderen nicht zur
hieß es —: Verfügung gestanden haben, und zwar nur deshalb
nicht, weil sich das Land gegenüber der Stadt
Bringen Sie die Finanzen des Bundes in Ord-
Frankfurt nicht so verhalten hat, wie das in allen
nung; bei uns sind sie in Ordnung.
anderen Ländern gegenüber den Universitätsstädten
Wir gestehen durchaus zu, daß das Land Hessen als geschehen ist.
Land, nachdem es — wenn ich richtig orientiert bin
(Beifall bei den Regierungsparteien.)
— heute die höchste Zuwachsrate bei den Steuer-
einnahmen hat, in einer sehr günstigen Position ist Noch ein weiteres Beispiel.
und daß der Landeshaushalt und auch die Schulden- (Abg. Schmitt-Vockenhausen: Sie reden
aufnahme des Landes sich durchaus in einem über- doch hier nicht als Vorsitzender der Stadt
schaubaren und vertretbaren Rahmen bewegen. verordnetenfraktion der FDP!)
Aber interessant war bei Ihrer gestrigen Entgeg-
nung auf die Ausführungen des Kollegen Luda, daß — Lieber Herr Kollege Schmitt-Vockenhausen, auf
Sie leider die gewichtige Ausnahme Frankfurt am diesen Zwischenruf habe ich gewartet. Aber weil
Main völlig aus Ihren Ausführungen herausgelas- Sie gestern und vorgestern davon sprachen, müssen
sen haben. Nun wird der eine oder andere geneigt natürlich auch gewisse Dinge aus dem Wahlkampf
sein, zu sagen: Ist das nicht schon wieder zu spe- hier erwähnt werden. Nachdem Ihre Freunde in
ziell? Frankfurt die Broschüre „Zum Beispiel Frankfurt"
als Modell für den Bund herausgebracht haben, kann
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn ich nur sagen: Warnung, Warnung vor diesem Bei-
wir uns hier bemühen, die Ausgaben der öffent- spiel!
lichen Hand in einem sinnvollen Rahmen zu halten, (Beifall bei den Regierungsparteien. —
kann es uns einfach nicht gleichgültig sein, ob in -
Zuruf des Abg. Schmitt-Vockenhausen.)
einer Stadt wie Frankfurt am Main eine Verschul-
dung von über 1,4 Milliarden DM vorhanden ist.
Vizepräsident Dr. Dehler: Der Abgeordnete
(Hört! Hört! bei der CDU/CSU.) Schmitt-Vockenhausen möchte eine Frage stellen.
Dann kann es uns nicht gleichgültig sein, daß in die-
ser Stadt für 1966 ein Etat von 868 Millionen DM Schmitt-Vockenhausen (SPD) : Wollen Sie
und ein außerordentlicher Etat von 828 Millio- freundlicherweise den Kollegen der CDU sagen, daß
nen DM vorgelegt werden. der Mann, der die finanzielle Verantwortung trägt
und Stadtkämmerer ist, der CDU angehört?
(Hört! Hört! bei der CDU/CSU.)
(Beifall bei der SPD. — Lachen bei der
Zugestanden, daß darin viele Dinge enthalten sind,
CDU/CSU.)
die nur wiederveranschlagt sind. Aber es bleibt doch
ein Betrag für die Neuverschuldung übrig, der in
seiner Höhe von 200 bis 300 Millionen DM für uns Mischnick (FDP) : Diese Feststellung, Herr Kol-
sehr interessant ist. Denn wir ringen doch darum, lege Schmitt-Vockenhausen, ist nicht falsch; aber Ihre
zusätzlich 200 Millionen DM für den Lastenaus- Freunde haben seit 1956 in Frankfurt am Main die
gleichsfonds zu bekommen, um ihn flüssig zu absolute Mehrheit.
machen. Wenn dann eine Stadt allein 200 Millio- (Beifall bei den Regierungsparteien —
nen DM in einem Jahr an Krediten aufnehmen muß, Lachen bei der SPD.)
um ihre eigenen dringendsten Bedürfnisse zu be-
friedigen, dann ist das für uns ein Anlaß, zu über- Vizepräsident Dr. Dehler: Herr Abgeordneter
legen, wo hier die Fehler liegen. Matthöfer möchte noch eine Frage stellen.
(Beifall bei den Regierungsparteien.)
Matthöfer (SPD) : Herr Kollege Mischnick, sind
Da wird es doch recht — ich muß schon fast sagen — Sie der Meinung daß die Investitionen der Stadt
makaber. Warum sind denn diese Schulden entstan- Frankfurt — etwa auf dem Gebiete des Kranken-
den? Weil das Land Hessen das einzige Land ist, das hausbaus oder auf dem Gebiete der Wirtschafts-
bisher noch einer Stadt zumutet, eine Universität förderung —, die dazu beigetragen haben, daß sie
zur Hälfte aus eigenen Mitteln zu finanzieren, heute die steuerstärkste Stadt der Bundesrepublik
(Sehr wahr! und Hört! Hört! bei der ist, so schlecht waren und so gar kein Beispiel ge-
CDU/CSU) ben können?

weil das Land Hessen jetzt erst bereit ist, diese Mischnick (FDP) : Verehrter Herr Kollege Matt-
Frage zu prüfen. Das macht allein für die Stadt höfer, ich bin der Überzeugung, daß diese Investitio-
Frankfurt am Main bis heute eine Verschuldung in nen notwendig waren.
Höhe von 500 Millionen DM aus.
(Zurufe von der SPD: Aha!)
(Zuruf von der CDU/CSU: Skandalös!)
Ich bedauere, daß das Land Hessen mit der abso-
Kreditmittel in Höhe von 500 Millionen DM, durch luten Mehrheit der SPD die absolute Mehrheit der
eine Stadt aufgenommen, bedeuten aber, daß die SPD in Frankfurt am Main so im Stich gelassen
entsprechenden Tilgungs- und Zinsbeträge im or- hat.
dentlichen Haushalt erscheinen müssen. Das bedeu (Beifall bei den Regierungsparteien.)
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 10. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. Dezember 1965 357

Vizepräsident Dr. Dehler: Herr Abgeordneter furt ihr Veto einlegen müssen, nicht erst im Jahre
Mischnick, Herr Schmitt-Vockenhausen möchte noch 1965. Das konnte sie aber nicht, weil sie ja selbst
eine Frage stellen. mit schuld daran war, daß die Schwierigkeit ent-
standen ist.
Schmitt Vockenhausen (SPD) : Wäre es nicht
-
(Beifall bei den Regierungsparteien.)
eine gute Möglichkeit gewesen, einen wirklichen Und ein letzter Punkt! Wir haben sehr deutlich
Beitrag zu der Debatte zu leisten, wenn Sie bei- gemacht, daß wir den Willen haben, unseren Bun-
spielsweise den Herrn Verkehrsminister festgena- deshaushalt durch Einsparungen auszugleichen, und
gelt hätten, daß Frankfurt endlich etwas für seine daß wir alles, was mit Steuererhöhungen zusammen-
U-Bahn bekommt? Damit hätten Sie der Stadt Frank- hängt, nicht nur skeptisch betrachten, sondern als
furt helfen können. ein nicht taugliches Mittel für einen Haushaltsaus-
(Beifall bei der SPD.) gleich ansehen. Wohin aber die Politik führt, die
von Ihren SPD-Mehrheiten getrieben worden ist, se-
hen Sie an der Tatsache, daß Frankfurt am Main
Mischnick (FDP) : Herr Kollege Schmitt, Sie kön- vor der Notwendigkeit steht, die Gewerbesteuer zu
nen gar nicht begreifen, wie dankbar ich Ihnen da- erhöhen, so daß sie insgesamt — mit Lohnsummen-
für bin, daß Sie das auch noch gesagt haben; denn steuer — auf einen Satz von 336 kommt. Auf diese
hier ist die Sache ja leider etwas anders. Wir haben Weise wird natürlich ein Preisauftrieb bewirkt;
erstens feststellen müssen, daß der Antrag für den denn diese Steuer geht in die Preise. Das wissen
U-Bahn-Bau sehr viel später da war als die Kritik, Sie genauso gut wie wir. Wir wollen das nicht.
daß nichts gezahlt worden ist,
(Beifall bei den Regierungsparteien.)
(Zustimmung bei den Regierungsparteien) -
und zweitens konnten wir heute wieder hören, daß
der Antrag bezüglich des Ausbaus der Nordwest-
Vizepräsident Dr. Dehler: Zunächst eine Mit-
teilung: Die Herren Abgeordneten Struve, Dr.
straße erst am 18. Oktober hier eingegangen ist
Schmidt (Gellersen) und Ertl wollen ihre agrarpoli-
und deshalb noch keine Stellung bezogen werden
tischen Erklärungen uns zuliebe zu Protokoll ge-
konnte. Sie können sicher sein, daß wir uns genau-
ben.*) Sie verdienen unseren Dank.
so wie Ihre Kollegen und auch die Kollegen der
CDU bemühen werden, durchzusetzen, daß der Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Luda.
Bund die Projekte mitfinanziert, die er in anderen
Städten auch mitfinanziert. Wir sollten aber nicht
Dr. Luda (CDU/CSU) : Herr Präsident! Meine
in den Fehler verfallen, die Mängel hessischer Fi-
Damen und Herren! Die Tatsachen, welche ich gestern
nanzierung dem Bund aufhalsen zu wollen.
vormittag von dieser Stelle aus vorgebracht habe
(Beifall bei den Regierungsparteien.) und .die gestern abend auch von dem Herrn hessischen
Staatsminister der Finanzen Osswald hier zum Ge-
Meine sehr verehrten Damen und Herren, nur
genstand der Debatte gemacht worden sind, sind von
noch ein Hinweis. Neben diesen 500 Millionen DM
großer Bedeutung für die konjunkturpolitische und
sind noch weitere rund 70 Millionen DM laufende
preispolitische Debatte, die in diesem Hause seit
Ausgaben in dieser Stadt für Aufgaben notwendig,
nunmehr drei Tagen stattfindet. Diese Dinge, die
die die Stadt erfüllen muß. Ich denke da an Polizei-
heute nunmehr, Herr Minister Osswald, zwischen
kosten usw., die in anderen Ländern das Land über-
uns in rein tatsächlicher Hinsicht endgültig klarge-
nimmt. Warum habe ich diese Punkte im einzelnen
stellt werden müssen und sollen, sind nicht nur be-
aufgeführt? Lassen Sie mich noch einmal mit we- deutsam; sie sind darüber hinaus auch recht diffizil.
nigen Sätzen zusammenfassen. Wenn man uns hier
Deshalb ist es, um heute zu einem Schlußstrich zu
im Bund und der Bundesregierung vorwirft, die Fi- kommen, erforderlich, daß wir die Dinge in großer
nanzpolitik sei falsch gewesen, und wenn man Hes- Sachlichkeit Punkt für Punkt abhandeln.
sen als Vorbild bringt, muß man auch den Mut
haben zuzugeben, daß man im eigenen Bereich Fi- (Lebhafte Zurufe von der SPD. — Abg.
nanzstrukturmaßnahmen — wenn ich es einmal so Schmitt-Vockenhausen: Wollen Sie sich also
bezeichnen darf — -getroffen hat, die nach unserer bessern?)
Überzeugung kein Vorbild sind. Ich werde aus diesem Grunde hier zu sämtlichen
(Beifall bei der FDP.) Punkten, die der Herr Staatsminister Osswald
gestern geglaubt hat beanstanden zu müssen, eine
Ein zweiter Gesichtspunkt. Wenn man hier sagt, Entgegnung verlesen, deren Inhalt und Wortlaut ich
wir müßten bei der Ausweitung des Haushalts ent- gestern nacht mit der Statistischen Abteilung des
sprechend dem Wachsen des Sozialprodukts ver- Bundesministeriums der Finanzen ausgearbeitet
fahren, wir müßten bei der Aufnahme der Kredit- habe.
mittel für die öffentliche Hand usw. entsprechend (Hört! Hört! bei der SPD. — Weitere
beispielgebend sein, dann müssen wir von Ihnen lebhafte Zurufe von der SPD.)
(zur SPD) erwarten, daß Sie in den Landesregie- Weil die Dinge. so bedeutsam und so diffizil sind,
rungen, in denen Sie die Verantwortung tragen, da- muß ich darauf bestehen, daß diese Punkte hier von
für sorgen, daß nicht nur das Land, sondern auch
die Gemeinden das Entsprechende tun. Die Kommu-
nalaufsicht in Hessen hätte längst gegenüber Frank *) Siehe Anlagen 4, 5
358 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 10. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. Dezember 1965
Dr. Luda
mir im Zusammenhang vorgetragen und im wesent- Bereinigungen zur Herstellung der Vergleich
lichen verlesen werden können. barkeit von Jahr zu Jahr und von Land zu Land
(Abg. Schmitt-Vockenhausen: Das ist ja vorgenommen worden wären.
Mißbrauch von Beamten! — Weitere Zurufe Herr Staatsminister Osswald hat in seiner
von der SPD.) Rede geäußert, daß die Zuwachsraten für das
Erstens. Meine sehr geehrten Damen und Herren, Land Hessen vom Statistischen Bundesamt ge-
nannt worden seien. Dazu ist zu bemerken,
(Abg. Schmitt-Vockenhausen: Das ist ganz
klarer Mißbrauch von Beamten! — Lachen — Herr Staatsminister, Sie wissen das, aber ich
bei der CDU/CSU) muß es auch dem Hause mitteilen —

ich hatte gestern hier, vorgetragen, daß die Haus- daß das Statistische Bundesamt von den Finanz-
haltsausweitung des Bundeslandes Hessen in den ministerien der Länder und in diesem Falle
ersten drei Vierteljahren des Jahres 1965 statt der auch von Hessen lediglich eine Durchschrift der
im Juni 1964 mit dem Herrn Bundeskanzler verein- Meldungen bekommt, die die Länder dem Bun-
barten Quote von 6 % auf 20 % angewachsen sei. desministerium der Finanzen zuleiten. Insofern
Der Herr Staatsminister der Finanzen Osswald hat kann das Statistische Bundesamt generell. in
geglaubt, das bestreiten zu müssen. Ich verlese die seinen Auskünften nicht von denen des Bundes-
Klarstellung, die sich auf Grund des Studiums der ministeriums der Finanzen abweichen.
Statistiken heute nacht eindeutig ergeben hat: Ich möchte hier im Stegreif noch ergänzen: Das, was
der Herr Staatsminister Osswald bei seiner gestri-
Die Reinausgaben des Landes Hessen im ersten gen Rückfrage beim Statistischen Bundesamt erfah-
bis dritten Rechnungsvierteljahr 1965 sind im
ren haben könnte, kann also nur das sein, was
Vergleich zum entsprechenden Vorjahreszeit- - Bonn
Hessen, sein eigenes Ministerium, selber nach
raum um 20 % gestiegen.
und Wiesbaden gemeldet hat.
(Hört! Hört!! bei der CDU/CSU.)
(Heiterkeit bei den Regierungsparteien.)
Die dieser Zuwachsrate zugrunde liegenden ab-
soluten Beträge sind von dem Finanzministerium In der Ausarbeitung heißt es wörtlich weiter:
dieses Landes, Hessen, dem Bundesministerium Die statistischen Gremien und die für die
der Finanzen gemeldet worden und werden Finanzstatistik zuständigen Stellen, also das
in dieser Form in Kürze auch veröffentlicht wer- Statistische Bundesamt, das Bundesministerium
den. der Finanzen und die Finanzministerien der
Wenn Herr Staatsminister Osswald als Zu- Länder, sind sich darin einig, daß ein Vergleich
wachsrate der Landesausgaben von Hessen in des Wachstums der Ausgaben nur nach be-
dem vorgenannten Zeitraum eine Zahl von stimmten Bereinigungen vorgenommen werden
10,5 % genannt hat, so liegt das daran, daß er kann. Diese Methode ist bisher auch nicht an-
Unvergleichbares miteinander verglichen hat. gegriffen worden. Herr Staatsminister Osswald
hat aber gestern diese allgemein übliche not-
(Abg. Dr. Schäfer: Das Statistische wendige Bereinigung nicht vorgenommen.
Bundesamt war das!)
Es bleibt also dabei, meine sehr geehrten Damen
Im Jahre 1965 hat sich der Aufbau des Landes- und Herren — vor allem auch von der Opposi-
haushalts von Hessen in seiner formalen Ge- tion —: in den ersten drei Vierteljahren des Haus-
staltung gegenüber 1964 erheblich geändert. Ins- haltsjahres 1965 hat die Wachstumsrate des Haus-
besondere sind 1965 die Ausgaben im Länder- halts im Bundeslande Hessen nicht die vereinbarten
finanzausgleich als Minderausgaben nachgewie- 6 %, sondern die von mir gestern schon behaupteten
sen, während sie 1964 noch als Ausgaben, näm- 20 %betragen.
lich brutto, dargestellt wurden. Insofern sind die
Abschlußdaten über das Haushaltsvolumen des Die gleiche Art und Weise, in der gestern Herr
Landes Hessen von 1964 und 1965 nicht mehr Staatsminister Osswald die Dinge hier darzustellen
miteinander vergleichbar. versucht hat, zeigte sich auch in der Methode, die
er in der Sitzung des Bundesrates vom 12. März
Wenn man die Ausgaben eines Landes, meh-
1965 angewendet hat. Ich beginne jetzt wiederum
rerer Länder oder auch aller Gebietskörperschaf- wörtlich zu zitieren:
ten miteinander vergleichen will, muß man Un-
terschiede im systematischen Aufbau der ein- Präsident Dr. Zinn: Das Wort hat der Herr
zelnen Haushaltspläne, die teilweise von Jahr Bundesfinanzminister.
zu Jahr vorgenommen werden, ausschalten.
Diese Vergleichbarkeit ist aber von Herrn Mi- Dr. Dahlgrün, Bundesminister der Finanzen:
nister Osswald in seinen gestrigen Ausführun- Herr Präsident! Meine Herren! Die Ausführun-
gen nicht herbeigeführt worden. Für die Zahlen, gen des Herrn Hessischen Staatsministers der
die Herr Staatsminister Osswald über die Län- Finanzen erfordern, glaube ich, nur eine ver-
der Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg und hältnismäßig kurze Erwiderung.
Saarland genannt hat, gilt das gleiche, nämlich Herr Kollege Osswald, Sie haben gesagt, Sie
daß der Zuwachs der Ausgaben nach den forma- identifizierten sich nicht mit den Vorwürfen der
len Abschlußsummen der Haushalte errechnet Unredlichkeit und der Unsolidität, die mir ge-
worden ist, ohne daß aber die notwendigen macht worden sind; aber Sie haben sie sehr
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 10. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. Dezember 1965 359
Dr. Luda
nett und breit hier zitiert. Ich behaupte nicht, Herr Staatsminister Osswald hat geäußert, daß
daß Sie ein Pharisäer sind, wenn ich jetzt sage, die in der Debatte von mir genannten Zahlen
daß derjenige, der im Glashaus sitzt, am aller- für den Schuldenstand des Landes Hessen von
wenigsten mit Steinen werfen soll. Es ist doch 28 DM je Einwohner am 30. 9. 1964 und von
gar kein Zweifel, Herr Kollege Osswald, daß 94 DM je Einwohner am 30. 9. 1965 keinen Be-
solche Vorwürfe gerade gegen den Haushalt zug zu irgendwelchen tatsächlichen Gegebenhei-
des Landes Hessen berechtigt sind. ten hätten. Stellt man es auf die Gesamtschulden
des Landes Hessen ab, so könnte die von Herrn
Sie haben in Ihrer Haushaltsrede gesagt, der Minister Osswald genannte Schuldenzahl von
Haushaltszuwachs betrage in Hessen 6,1 % ; da- 440 DM je Einwohner für Ende 1964 stimmen.
mit habe Hessen den Empfehlungen der Euro- Man sollte aber nicht verkennen, daß finanz-
päischen Wirtschaftsgemeinschaft in Richtung politisch und konjunkturpolitisch gesehen nicht
auf eine antizyklische Finanzpolitik entspro- alle Schulden der Länder — und das gilt auch
chen. Ich darf Ihnen sagen, daß das nur durch für Hessen — dieselbe Bedeutung haben. Der
die Verschleierung der wahren Ausgabenhöhen größte Teil der Schulden der Länder entfällt
erreicht worden ist. nämlich auf Schulden gegenüber dem Bund und
(Hört! Hört! bei der CDU/CSU.) dem Lastenausgleichsfonds. Die Länder sind
zwar in diesem Fall formell Schuldner gegen-
Die Dinge haben in der Öffentlichkeit schon ge- über dem Bund und dem Lastenausgleichsfonds,
nügend Staub aufgewirbelt. Ich hätte sie be- finanzwirtschaftlich bringen diese Schulden aber
stimmt hier nicht vorgebracht, wenn Sie, Herr keine echte Belastung für die Haushaltswirt-
Kollege Osswald, nicht diesen recht harten An- schaft der Länder mit sich, da der Schulden-
griff gestartet hätten. -
dienst durch entsprechende Zins- und Tilgungs-
einnahmen gedeckt wird.
Und jetzt kommt die fachmännische Klarstellung:
Es ist doch gar kein Zweifel, daß Sie Ihren Vizepräsident Dr. Dehler: Herr Abgeordneter,
Haushalt 1965 gegenüber 1964 erheblich ver- gestatten Sie eine Zwischenfrage?
ändert haben, um zu verhindern, daß sichtbar
wird, daß Sie nicht 6,1 %, sondern 10,8 % Zu-
Dr. Luda (CDU/CSU) : Herr Präsident, ich hatte
wachs haben, davon nachfragewirksam 10,4 %,
eingangs gesagt, daß ich diese diffizilen und bedeut-
womit Sie an zweiter Stelle aller deutschen
samen Fragen im Zusammenhang vortragen muß.
Länder stehen.
(Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Weh
(Abg. Dr. Schmidt [Wuppertal] : Hört!
ner: Sie sagen „vortragen", Sie meinen
Hört!)
„vorlesen"! — Weitere lebhafte Zurufe
Die 6;1 % sind nur dadurch erreicht worden, daß von der SPD.)
Sie Ausgaben, die noch in 1964 als Ausgaben er-
schienen sind, in 1965 als Mindereinnahmen ver- Vizepräsident Dr. Dehler: Herr Dr. Luda will
anschlagt und daß Sie Leertitel für Bundesmittel eine Zwischenfrage jetzt nicht zulassen.
erstmalig im Jahre 1965 in Ihren Haushalt ein-
gebaut haben. Die Ausschaltung von Doppel- (Anhaltende Zurufe von der SPD. —
zählungen usw. kommt noch hinzu. Im einzel- Gegenrufe von der Mitte.)
nen sieht es so aus: Gemeindefinanzausgleich
11,2 %, Bauinvestitionen 49,9 % — die Erhö- Dr. Luda (CDU/CSU) : Zum Schluß!
hungen betreffen also Wirtschaftsbereiche, in
Wenn man also die finanzwirtschaftlich bedeut-
denen ohnehin schon Überhitzungserscheinun-
same Höhe der Schulden der Länder errechnen
gen bestehen, in besonders starkem Maße —,
will, kann man nur von den eigentlichen Kre-
Personalausgaben 9,7 %. Trotz der Besoldungs-
ditmarktschulden ausgehen. Diese betragen für
verbesserung bleiben diese hinter der Zunahme
das Land Hessen nach den amtlichen Unter-
der Gesamtausgaben zurück.
lagen von Hessen für Ende September 1965
Dieser eindeutigen Klarstellung des Bundesmini- — das war der von mir zitierte Zeitpunkt —
sters der Finanzen in der Bundesratssitzung vom
12. März 1965 ist insbesondere auch im Vergleich mit 94 DM je Einwohner.
den Ereignissen von gestern hier in diesem Hause — Das war der von mir behauptete Betrag. —
nichts hinzuzufügen.
Insofern habe ich die Zahlen genannt, die für
(Beifall bei den Regierungsparteien.) uns hier im Bundestage konjunkturpolitisch und
finanzwirtschaftlich entscheidend sind. Die von
Der zweite gestern von Herrn Staatsminister Oss- Herrn Staatsminister Osswald genannten Zahlen
wald gegen mich gerichtete Angriff betraf die Frage sind insoweit irrelevant.
der Pro-Kopf-Verschuldung im Bundesland Hessen
und ihre Entwicklung innerhalb des Zeitraums von Jetzt kommt ein Weiteres. Von Herrn Minister
zwölf Monaten. Ich verlese hierzu das Ergebnis un- Osswald — —
serer gestrigen Feststellungen im Bundesministe- (Anhaltende lebhafte Zurufe von der SPD.
rium der Finanzen, in seiner Statistischen Abteilung. — Abg Dr. Schäfer: Sie müssen klarstellen,
Ich zitiere: was Sie zitieren!)
360 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 10. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. Dezember 1965

Dr. Luda
Ich verlese: diese aber nicht genannt. Tatsächlich ergibt sich
über den Schuldenstand der Gemeinden folgen-
Wenn der Herr Staatsminister Osswald gestern
des. In DM je Einwohner beliefen sich die in-
die von mir genannte Zahl der Kreditmarkt
ländischen Gesamtschulden in Hessen Ende De-
schulden der hessischen Gemeinden nach Durch-
zember 1964 auf 643 DM bei einem Bundes-
führung — —
durchschnitt von 463 .DM.
(Fortgesetzte erregte Zurufe von der SPD.
(Hört! Hört! bei der CDU/CSU.)
— Lebhafte Gegenrufe von der CDU/CSU.
— Unruhe.) Hessen liegt damit weitaus an der Spitze. Als
nächstes Land folgt Niedersachsen mit großem
Abstand gegenüber Hessen mit 489 DM je Ein
Vizepräsident Dr. Dehler: Herr Abgeordneter wohner. Nimmt man nur die Kreditmarktver-
Dr. Luda hat nach der gestrigen Diskussion das schuldung, so ergibt sich für die Gemeinden in
Recht, hier jedenfalls seine Feststellungen zu tref- Hessen ein Betrag von 592 DM je Einwohner
fen. gegenüber 389 DM je Einwohner im Bundes-
(Beifall bei den Regierungsparteien.) durchschnitt. Selbst wenn man differenziert zwi-
Es ist bedauerlich, daß diese Dinge einen so großen schen rentierlichen und unrentierlichen Schul-
Raum bei uns schon eingenommen haben. Aber ich den, ergibt sich immer noch, daß die unrentier-
kann jetzt die Erörterung nicht abschneiden. Bitte, lichen Schulden der hessischen Gemeinden aus
Herr Abgeordneter Dr. Luda, fahren Sie fort! Kreditmarktmitteln mit 268 DM je Einwohner
weit über dem Bundesdurchschnitt von 159 DM
(Zurufe von der SPD und von den je Einwohner liegen.
Regierungsparteien.)
(Hört! Hört! bei der CDU/CSU.) -
Dr. Luda (CDU/CSU) : Meine Damen und Herren, Der Versuch des Abgeordneten Schmitt-Vocken-
ich bin zutiefst davon überzeugt, daß auch Sie hausen, den Durchschnittsatz dadurch herunter-
(zur SPD) ein Bedürfnis haben, daß diese wichtigen zudrücken, daß er bei seiner Berechnung die
Dinge hier objektiv debattiert und klargestellt wer- Stadt Frankfurt mit einem relativ hohen Schul-
den. denstand ausschließt — siehe Kollegen Misch-
(Beifall bei der CDU/CSU.) nick —, ist methodisch unmöglich. Frankfurt
Ich fahre zu dem dritten von Herrn Staatsminister liegt nun einmal im Bundesland Hessen. Mit
Osswald gegen mich gerichteten Angriff fort: dem gleichen Recht könnte man gegebenenfalls
bei Nordrhein-Westfalen das ganze Ruhrgebiet
Wenn Herr Minister Osswald gestern die von ausklammern, um zu einem angeblich günstigen
mir genannte Zahl der Kreditmarktschulden der Bild zu gelangen.
hessischen Gemeinden nach Durchführung des
Großen Hessenplans im Jahre 1974 mit etwa (Beifall bei den Regierungsparteien.)
7,7 Milliarden DM als falsch bezeichnet hat, so Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich
ist das absolut unverständlich. Die Kreditmarkt habe mich damit bemüht, in einer möglichst minu-
schulden der hessischen Gemeinden beliefen ziösen Art und Weise
sich Ende 1964 auf 3 Milliarden DM. Das Land
geht selbst davon aus, daß für die Durchfüh- (Lachen bei der SPD)
rung des Großen Hessenplans von den Gemein- sämtliche Anwürfe, die der Herr hessische Staats-
den zusätzlich 3,5 Milliarden DM durch Kredit- minister der Finanzen Osswald gegen mich gerichtet
aufnahmen beschafft werden müssen. Abgese- hat, hier zu entkräften. Ich darf jetzt abschließend
hen davon, daß diese Angabe sicherlich zu das folgende hinzufügen.
niedrig gegriffen ist, wie sich selbst bei einer (Abg. Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller meldet
vorsichtigen Schätzung ergibt, dürften die Ge- sich zu einer Zwischenfrage.)
meinden auch noch Kreditaufnahmen für solche
Zwecke machen müssen, die nicht im Großen
Hessenplan veranschlagt sind, wie das ja von Vizepräsident Dr. Dehler: Gestatten Sie eine
Jahr zu Jahr immer notwendig ist. Somit er- Zwischenfrage?
scheint der geschätzte Schuldenstand der hessi-
schen Gemeinden im Jahre 1974 von mindestens
Dr. Luda (CDU/CSU) : Nein. — Wir haben
7,7 Milliarden DM auf jeden Fall gerechtfertigt.
gestern und in den Tagen davor über die überhitzte
(Abg. Mischnick: Seite 87 des Großen Hes Konjunktur in unserer Volkswirtschaft gesprochen.
senplans!) Wir müssen heute hinzufügen: es hat gestern abend
hier in diesem Saal eine überhitzte Atmosphäre
Es kommt nun der nächste Punkt. Ich verlese:
gegeben.
(Abg. Wehner: Sie verlesen ja dauernd!
(Abg. Erler: Zu der Sie beigesteuert haben!)
— Weitere lebhafte Zurufe von der SPD.)
Aufgabe unserer heutigen Vormittagssitzung sollte
Herr Staatsminister Osswald hat auf die Frage
des Herrn Kollegen Hofmann, ob die hessischen es sein, die Auseinandersetzung von gestern, die
Gemeinden im Schnitt die am meisten verschul- sehr überhitzt gewesen ist, auf ihren sachlichen
deten in der Bundesrepublik seien, mit Nein Kern zurückzuführen.
geantwortet und konkrete Zahlen angekündigt, (Beifall bei den Regierungsparteien.)
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 10. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. Dezember 1965 361

Vizepräsident Dr. Dehler: Gestatten Sie eine ich, ein Vorwurf, den wir wirklich zu erwägen
Frage des Herrn Abgeordneten Erler? haben. Zwischenfragen sollen der Klärung der Sache
dienen.
Dr. Luda (CDU/CSU) : Bitte sehr! (Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg.
Erler: Hört! Hört! — Abg. Wehner: Hört!
Vizepräsident Dr. Dehler: Bitte, Herr Abge- Hört!) .
ordneter Erler.
Dr. Luda (CDU/CSU) : Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Obwohl ich der Feststellung des
Erler (SPD) : Herr Kollege Luda, ich bin sehr Herrn Präsidenten eigentlich nichts hinzuzufügen
froh, daß Sie mir Gelegenheit zu einer Zwischen- hätte, möchte ich doch eines sagen. Gestern abend,
frage geben. Meinen Sie nicht, daß es der Atmo- nach den Ausführungen des Herrn Staatsministers
sphäre der Debatte gedient hätte, wenn Sie, obwohl Osswald ist der Herr Bundesfinanzminister spontan
Sie das Recht haben, Zwischenfragen abzulehnen, bierhergekommen und hat erklärt, daß die Zahlen,
angesichts der Verlesung eines im Ministerium aus- die ich in bezug auf Hessen gestern vormittag hier
gearbeiteten Textes bereit gewesen wären, an vorgetragen habe, aus dem Bundesministerium der
solchen Stellen Zwischenfragen zuzulassen, wo Sie Finanzen stammten. Es war deshalb eine Selbstver-
ohne Mühe den Text nachher hätten weiter lesen ständlichkeit, daß ich mich gestern abend nach der
können? Rede des Herrn Staatsministers Osswald wiederum
(Beifall bei der SPD.) mit der statistischen Abteilung des Bundesmini-
steriums der Finanzen in Verbindung gesetzt habe
Dr. Luda (CDU/CSU) : Herr Kollege Erler, darf
ich Ihnen dazu in voller Ruhe das folgende antwor- (Zurufe von der SPD) -
ten. Gestern ist nach meiner Rede, die ich gestern und gemeinsam mit den Herren der statistischen Ab-
mittag von dieser Stelle aus gehalten habe, der teilung des Bundesministeriums der Finanzen — bis
Kollege Schäfer zu mir gekommen und hat mich viertel nach zwei diese Nacht — die Dinge ausge-
gefragt: Sind Sie außer der Reihe bereit, zu ge- arbeitet habe, die ich Ihnen soeben hier vortragen
statten, daß sofort das unkorrigierte Protokoll Ihrer durfte.
Rede der SPD-Fraktion zur Verfügung gestellt wird,
Ich glaube, das genügt. Meine Damen und Herren,
damit wir Zeit haben, das sofort zu überprüfen? Ich
ich danke Ihnen sehr für Ihre Aufmerksamkeit.
habe mich erkundigt, es ist an sich nicht üblich, eine
solche Genehmigung zu geben. (Beifall bei den Regierungsparteien. — Zu
rufe von der SPD.)
(Zurufe von der SPD: Doch! — Allgemein
üblich!)
Vizepräsident Dr. Dehler: Das Wort hat der
Ich habe sie sofort gegeben, damit Sie zu einer Bundesfinanzminister.
sachlichen Erwiderung möglichst unverzüglich in
die Lage versetzt würden. Genauso hat jetzt der (Abg, Wehner: Jetzt kommt der Koch, nach
Herr hessische Staatsminister der Finanzen die dem der Kellner gesprochen hat! Koch
Möglichkeit, das, was ich soeben hier vorgetragen und Kellner! — Weitere Zurufe von der
habe, sofort aus dem Protokoll herauszulesen, um SPD.)
heute noch Gelegenheit zu nehmen, dazu im ein-
zelnen seine Antwort hier vorzutragen. Dr. Dahlgrün, Bundesminister der Finanzen:
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr
(Beifall bei der CDU/CSU.) Kollege Wehner, wenn bei Ihnen etwas schief läuft,
werden Sie aufgeregt. Machen Sie das nicht; es scha-
Vizepräsident Dr. Dehler: Herr Abgeordneter det Ihrer Gesundheit.
Dr. Möller zu einer Zwischenfrage. (Beifall bei den Regierungsparteien. — Zu
rufe von der SPD.)
Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller (SPD) : Herr — Seien Sie ganz ruhig; Ihretwegen komme ich
Kollege Luda, darf ich der Tatsache, daß Sie hier
nämlich hier herauf.
Material, das von Beamten des Bundesfinanzmini-
steriums erarbeitet wurde, vorgetragen haben, ent- (Zuruf von der SPD: Wer hat ruhig zu sein?)
nehmen, daß Sie selbst nicht in der Lage gewesen Ich will zu den letzten Erklärungen von Herrn
sind, auf Grund Ihrer Unterlagen . . . Kollegen Luda und zu den Zwischenrufen von Ihnen,
(Beifall bei der SPD. — Lebhafte Zurufe von Herr Kollege, hier folgendes erklären. Das Bundes-
der CDU/CSU: Pfui! — Buh! — Abg. Win ministerium der Finanzen steht im Rahmen seiner
delen: Herr Möller, wer macht denn Ihre Möglichkeiten und nach seinen Kräften
Reden?) (Zuruf von der SPD: Auch nachts?)
jeder Fraktion und jedem Abgeordneten dieses
Vizepräsident Dr. Dehler: Meine Damen und Hauses zur Verfügung.
Herren, wir werden Anlaß haben, die Art dieser
Fragestellung einmal zu überprüfen. Gestern ist in (Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg.
einem Bericht festgestellt worden, daß von zehn Wehner: Hört! Hört! — Abg. Dr. Mommer:
Fragen neun nicht ernsthaft seien. Das ist, glaube Das steht im Protokoll!)
362 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 10. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. Dezember 1965
Bundesminister Dr. Dahlgrün
Ich stelle auch fest, daß sich keineswegs nur Abge- Die Debatte, die von Ihnen gestern mit den genann-
ordnete der Regierungsfraktionen helfen lassen. Wir ten Zahlen eröffnet wurde, hat ja einen Hinter-
haben selbstverständlich und haben gern auch Ab- grund. Sie versuchen hier durch Ausführungen über
geordneten der Opposition mit konkretem, nüchter- die Finanzpolitik des Landes Hessen etwas zu be-
nem Material geholfen. Dasselbe, meine Damen und weisen, um mit diesem Beweis über die Lage, in der
Herren, gilt auch für Mitglieder des Bundesrates und Sie sich finanzwirtschaftlich in der Bundesrepublik
gilt auch für Herrn Kollegen Osswald, dem wir befinden, hinwegzutäuschen. Sie versuchen auf das
heute ebenfalls Zahlen zur Verfügung gestellt ha- Land Hessen abzulenken. Das ist doch die Absicht.
ben. (Beifall bei der SPD.)
(Beifall bei den Regierungsparteien.)
Sie wollen Ihre eigene Situation in einem anderen
Vizepräsident Dr. Dehler: Herr Abgeordneter Licht erscheinen lassen, indem Sie hier feststellen,
Dr. Mommer möchte eine Zwischenfrage stellen. in Hessen oder in den Gemeinden dort sei dieses
oder jenes geschehen.
Dr. Mommer (SPD) : Herr Minister, halten Sie es Ich war seither der Meinung, daß wir überall
für richtig und stilvoll, daß das Ergebnis der Nacht- dort, wo wir die politische Verantwortung tragen
arbeit Ihrer Beamten hier von einem Abgeordneten — wie ich z. B. im Lande Hessen —, im Sinne einer
vorgelesen wird? Oder würden Sie es nicht für rich- Stabilisierung handeln sollten und nicht nur reden
tiger halten, daß — wenn Ihr Haus etwas zu sagen sollten. Wir haben das in unserem Lande getan.
hat — Sie, Herr Minister, das dem Deutschen Bun- Ich nehme an, daß Sie es hier auch tun werden.
destag vortragen? (Beifall bei der SPD.)
(Beifall bei der SPD. - Zurufe von der -
(V o r sitz : Vizepräsident Schoettle.)
CDU/CSU.)
Das ist doch das Entscheidende! Sie können nicht
Dr. Dahlgrün, Bundesminister der Finanzen: einfach die finanzwirtschaftlichen Fakten Hessens
Erstens, Herr Kollege Mommer, habe ich selber mit herausstellen, um alsdann über die finanzwirtschaft-
dem Material, das ich bei mir hatte, und aus dem lichen Fakten der Bundesrepublik in bezug auf die
Gedächtnis das gleiche gestern abend bereits mit finanzielle Einbettung der Gemeinden parallel in
anderen Worten gesagt. einer Debatte zu diskutieren, die von der Ver-
(Zuruf von der SPD: Dann hätte es ja ge schuldung Frankfurts bis zur Verschuldung Bonns
nügt!) — das könnte man dann auch nennen, genau wie
Mainz oder irgendwelche anderen Städte - reicht.
Zweitens steht in keiner Weise fest — und es ist Meine Damen und Herren, ich möchte bezweifeln,
auch von Herrn Luda nicht behauptet worden —, ob das der Sinn dessen ist, was hier im Hause zur
daß das, was dort geschrieben stand, von meinen Debatte stand.
Herren ausgearbeitet worden ist.
(Zuruf von der CDU/CSU: Zahlen!)
(Zuruf von der SPD: Doch!)
Nun zu den konkreten Zahlen. Herr Dr. Luda, Sie
Es ist mit meinen Herren in bezug auf sachliche
haben sich in Ihrem Angriff, Ihren ersten Formulie-
Richtigkeit und hinsichtlich der Zahlen abgestimmt
rungen viel exakter und wesentlich anders geäußert
worden. Das dient meiner Überzeugung nach der
als vorhin bei den Texten, die Sie hier vorgelesen
Sache.
haben,
(Beifall bei den Regierungsparteien.)
(Beifall bei der SPD — Zurufe von der
Vizepräsident Dr. Dehler: Das Wort hat der CDU/CSU)
Herr Staatsminister der Finanzen des Landes Hessen wesentlich anders geäußert in zum Teil sehr diffa-
als Mitglied des Bundesrates. mierend klingenden Worten, soweit meine Person
von Ihnen angesprochen wurde.
Osswald, Minister des Landes Hessen: Herr Prä- (Zuruf von der CDU/CSU: Auf, auf zum
sident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Rückzug!)
Ich bin natürlich sehr darüber erfreut, daß dem
Lande Hessen eine so große Ehre zuteil wird, im — Hier ist nichts zurückzuziehen. Meine Zahlen
Rahmen der Debatte über die Regierungserklärung stimmen, und ich bleibe dabei.
der Bundesregierung vielfältig mit seiner Politik Zu den Zahlen: Fangen wir zunächst einmal wie-
und auch mit seinen finanzwirtschaftlichen Maß- der beim Großen Hessenplan an. Ich habe Ihnen
nahmen hier zitiert und zu bundespolitischen Maß- gestern dargelegt — und ich möchte das jetzt wie-
nahmen in Vergleich gesetzt zu werden. Das ist für derholen —, daß die Gesamtleistungen der Gemein-
uns eine Ehre und Auszeichnung; davon können den zur Erfüllung des Großen Hessenplans für die
Sie überzeugt sein. Laufzeit von zehn Jahren 7,5 Milliarden DM betra-
(Beifall bei der SPD.) gen werden; die Gesamtleistungen des Landes wer-
den 13,5 Milliarden DM betragen, die Leistungen
Ich habe außerdem — das kann ich Ihnen, Herr der übrigen Träger 12 Milliarden DM. Insgesamt
Kollege Luda, sagen — heute nacht mit meinen handelt es sich also um 33 Milliarden DM. Ich habe
Zahlen sehr ruhig geschlafen. gestern hier erklärt, der Große Hessenplan sei eine
(Beifall bei der SPD.) Globalbetrachtung der Gesamtinvestitionen des
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 10. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. Dezember 1965 363
Landesminister Osswald
Landes Hessen, der in seiner Handhabung dem Mischnick (FDP) : Darf ich fragen, mit welcher
jeweiligen Konjunkturzyklus und der Kapitalmarkt- Preissteigerungsquote Sie bei Ihrem Zehnjahres-
lage angepaßt werde. Ich möchte das noch einmal Plan gerechnet haben?
mit allem Nachdruck sagen, damit Sie hier keine
falschen Vorstellungen über diese Konzeption des Osswald, Minister des Landes Hessen: Wir
Landes entwickeln. Ich würde empfehlen, den gan- haben den Plan zunächst unbereinigt auf der Preis-
zen Text zu lesen, Herr Kollege Mischnick, insbeson- basis von 1964 aufgestellt. Wir sind davon ausge-
dere auch im Hinblick auf Ihre vorherigen Berner- gangen, daß die Situation, wie sie zur Zeit gegeben
kungen. Wenn Sie eine gewisse Stelle zitieren, soll- ist, in Hessen anhalten wird, daß also das Land mit
ten Sie auch das Buch lesen. etwa zwei bis drei Punkten über der Sozialprodukt-
(Zurufe von der FPD: Haben wir!) steigerung in der Bundesrepublik liegt. Wir haben
deshalb für die gesamte Laufzeit eine reale Sozial-
Dabei werden Sie feststellen, daß im Hinblick auf produktsteigerung von 5 bis 5,5 % angenommen.
die Finanzierung davon gesprochen worden ist, daß
wir uns bei der Durchführung flexibel, d. h. an der Sie müssen sich mit diesem Plan befassen. Er ent-
jeweiligen Konjunkturlage orientiert verhalten hält eine Konzeption, die sich empfiehlt, wenn man
werden und daß wir bei dieser Durchführung dafür wirklich etwas tun will, um das Ganze in den Griff
sorgen werden, daß einzelne Jahresabschnitte even- zu bekommen; daran kann man sich dann bei den
tuell Beschränkungen oder Einengungen in Kauf Tages- und Jahresentscheidungen orientieren.
nehmen müssen. Siehe Haushalt 1966! (Beifall bei der SPD. Abg. Schmitt- Vocken
(Zuruf von der CDU/CSU: Reichlich wolkig!) hausen meldet sich zu einer Zwischenfrage.)
Ihre Parteifreunde in Wiesbaden wissen, daß Maß- -
nahmen für 90 Millionen DM aus den von mir hier Vizepräsident Schoettle: Der Präsident gibt
skizzierten konjunkturellen Gründen nicht zur keine Zwischenfragen mehr.
Durchführung gelangen. (Zuruf: Wieso?)
(Abg. Windelen: Sie weichen auf Neben — Mitglieder des Bundesrates werden nach der Ge-
kriegsschauplätze aus! — Weiterer Zuruf schäftsordnung nicht durch Zwischenfragen unter-
von der CDU/CSU: Sprechen Sie doch brochen.
einmal zu den 20 % !)
— Nein.
Osswald, Minister des Landes Hessen: Meine
Damen und Herren, damit können wir das Thema
Vizepräsident Schoettle: Gestatten Sie eine Großer Hessenplan und seine Vollstreckung, den
Frage, Herr Minister?
Vollzug dieser Konzeption, als abgeschlossen be-
trachten.
Mischnik (FDP) : Herr Staatsminister, haben Sie Kommen wir zu den Zahlen zurück! Die von Ihnen
überhört, daß ich vorhin gesagt habe, Sie hätten
genannte Zahl einer Verschuldung von 7,6 Milliar-
eingeräumt, daß das entsprechend angepaßt werden
den DM ist falsch und nicht zutreffend. Sie haben
kann? Nun die Frage: Warum ist dann in der Ge-
jetzt diese Zahl wie folgt interpretiert: Heute haben
samtäußerung über den Hessen-Plan immer für
die Gemeinden und Städte in Hessen soundso viel
10 Jahre von 5 Milliarden die Rede?
Schulden; sie werden, wenn dieser Hessenplan
durchgeführt ist, weitere Schulden in dem und dem
Osswald, Minister des Landes Hessen: Darf ich Ausmaß haben, und dabei kommt die und die Sum-
Ihnen darauf folgende Antwort geben: Wenn Sie me heraus. Wenn Sie gestern Ihrer Zahl eine solche
eine Globalbetrachtung anstellen — Sie werden Erläuterung gegeben hätten, indem Sie deutlich ge-
sicher in Bonn auch noch dazu kommen; ich bin macht hätten, daß es nicht darum geht, eine Ver-
überzeugt —, schuldung in dieser Höhe aus dem Hessenplan abzu-
(Heiterkeit bei der SPD) leiten, dann hätten wir uns hier sachlich unterhalten
können. Ich war zu diesem Zeitpunkt noch nicht da.
dann müssen Sie davon ausgehen, daß die Ausfüh- Es ging Ihnen in Wirklichkeit aber um andere Pro-
rung eines solchen Planes Preisentwicklungstenden- bleme, die Sie mit der Erörterung dieser Zahl in die
zen unterworfen ist. Dieser Plan ist auf der Preis- Diskussion bringen wollten. Ihre Zahl ist falsch.
basis 1964 aufgestellt. Er bedarf während seines
Ablaufes gewisser Korrekturen. Sie werden den (Beifall bei der SPD. — Zurufe von der
Plan je nach Kapitalmarkt- und Konjunkturlage Mitte: Nein! — Beweis!)
korrigieren müssen. Wenn heute eine Steigerung Kommen wir zu den Schulden!
des Sozialprodukts von 5 oder 6 % festzustellen
ist und in drei Jahren die Steigerung nur noch 3 % (Weitere Zurufe von der Mitte.)
beträg,danmüsSieuf10Jahrx- — Ich darf Ihnen folgendes sagen: Die h ier genannte
ten Plan eben auf 12 Jahre strecken, um ihn durch- Zahl ist effektiv falsch.
führen zu können. (Erneute Zurufe von der Mitte: Beweis!)
(Zuruf von der Mitte: Keine Antwort auf — Beweis: Der Herr Abgeordnete führt zur Begrün-
die Frage!) dung dieser Zahl folgendes an. Er sagt: Heute ist
— Ich komme noch auf die Frage. eine Verschuldung in Höhe von X — sprich 3,5 Mil-
364 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 10. Sitzung. Bonn, Donnerstag, dein 2. Dezember 1965
Landesminister Osswald
liarden DM — bei den Gemeinden vorhanden. Wenn Der Herr Abgeordnete hat heute morgen hier vor-
dies oder jenes eintritt, wird in 10 oder 15 Jahren — getragen, nach der Überprüfung der statistischen
sagen wir: 10 Jahren — eine Verschuldung — sagen Unterlagen sei festgestellt worden, daß, wenn man
wir: 7,6 Milliarden DM — vorhanden sein. Er leitet einen echten Vergleich herbeiführen wolle, die
davon ab, daß das der Konzeption des Großen Hes- Haushaltspläne 1964 und 1965 erst bereinigt wer-
senplans zu entnehmen sei. Das ist falsch. den müßten. Diese Bereinigung habe man heute
(Zuruf von der Mitte: Warum denn? Abg. nacht vorgenommen. Soweit mir erinnerlich ist, sind
Mischnick: Lesen Sie die Seite 87! — An aber die Zahlen schon gestern vorgetragen worden.
haltende Zurufe von der CDU/CSU und Ge (Zurufe von der SPD: Sehr richtig!)
genrufe von der SPD.)
Nun, diese Bereinigung wurde also heute nacht vor-
— Meine Damen und Herren, ich empfehle Ihnen, genommen. Dabei wurde folgendes festgestellt —
das Buch genau durchzulesen; sonst hat die Diskus- und nun hören Sie zu: Sie haben gestern kritisiert:
sion keinen Zweck. aus konjunkturellen Gründen —: Um einen echten
(Lachen in der Mitte. — Zuruf von der Vergleich zu haben, sei es notwendig, die Leistun-
CDU/CSU: Das war aber mager! — Abg. gen des Landes Hessen für den Länderfinanzaus-
Windelen: So einfach ist das! — Weitere gleich zu berücksichtigen, das heißt die Leistungen
Zurufe von der Mitte!) für die anderen Länder, die also dort ausgegeben
werden, wo wir sie hinzahlen, die als bei uns gar
Zu der Frage 2: Verschuldung. Meine Damen und keine konjunkturelle Wirkung haben können — —
Herren, ich habe hier gestern abend ausgeführt, daß
die Gesamtschulden des Landes Hessen 2271,3 Mil- (Zurufe von der Mitte.)
lionen DM betragen. Der Herr Abgeordnete hat — Entschuldigen Sie bitte, Geld, das Sie nicht
- im
heute morgen hier vorgetragen: Mir geht es ja nicht eigenen Lande ausgeben, hat nicht bei Ihnen, son-
um die Gesamtschulden des Landes Hessen, son- dern in dem Land, das es empfängt und wo es aus-
dern ich habe mir nur die Neuschulden aus Kredit- gegeben wird, seine konjunkturellen Wirkungen.
marktmitteln herausgenommen.
(Lebhafter Beifall bei der SPD. — Anhal-
(Anhaltende Zurufe von der CDU/CSU.) tende Zurufe von der CDU/CSU.)
Alsdann habe ich bei der Betrachtung der Neuver- — Aber, meine Damen und Herren, das sind doch
schuldung aus Kreditmarktmitteln meine Leitlinie Regeln, über die wir nicht mehr streiten wollen.
aufgestellt mit den genannten Marktzahlen. (Fortdauernde Unruhe. — Glocke des Prä-
(Abg. Windelen: Wie es euch gefällt!) sidenten.) (:
— Ja, „wie es euch gefällt", könnte man dazu sagen; Wenn das nicht verständlich ist, dann weiß ich
ich nehme diesen Zwischenruf gern auf. wirklich nicht, was ich Ihnen dazu noch sagen soll.
(Beifall bei der SPD.) (Beifall bei der SPD. — Zurufe von der
Mitte.)
Lassen Sie mich Ihnen exakte Zahlen nennen, da
es ja hier um einen exakten Nachweis geht. Wir Nun, meine Damen und Herren, man hat dann
haben Altschulden aus Kreditmarktmitteln in Höhe bereinigt. Ich habe gestern die Zahlen für alle
von 755,8 Millionen DM. Wir haben Neuschulden — Länderhaushalte genannt und vorgetragen: diese
nun hören Sie bitte zu; das ist jetzt das, was der Zahlen sind mir von dem Statistischen Bundesamt
Herr Kollege hier vergleicht — aus Kreditmarkt mitgeteilt worden auf Grund der Meldung der ein-
mitteln in Höhe von 301,2 Millionen DM. Außer- zelnen Länder als Einnahme- und Ausgabeposten
ordentlich interessant! Wir haben Neuschulden aus für das Jahr 1964 und 1965 im Vollzug. Was Sie
öffentlichen Sondermitteln in Höhe von 32,4 Millio- hier mitteilen wollen — das haben Sie ganz klar
nen DM. Wir haben Schulden aus Gebietskörper- und deutlich zum Ausdruck gebracht —, sind be-
schaften, Lastenausgleichsfonds und ERP-Sonderver- reinigte Zahlen, bei denen Sie außerhalb oder inner-
mögen in Höhe von 1207 Millionen DM. Ich weiß halb der einzelnen Zahlen Umsetzungen oder Ver-
nicht, was ein solcher Vergleich bedeuten soll, bei lagerungen vornehmen, um so zu Ergebnissen zu
dem aus diesen Schulden ein Teil herausgenommen kommen, wie Sie sie für Ihre Statistik und Ihren
wird, um dann zwei Zahlen in den Raum zu stellen Nachweis hier benötigen.
und davon abzuleiten, wir verhielten uns nicht kon- (Beifall 'bei der SPD. — Zurufe von der
junkturgerecht. Das ist mir unverständlich. CDU/CSU.)
(Beifall bei der SPD. — Zuruf von der Dieses Verfahren sollte zumindest nicht hier bei
Mitte: Das haben Sie nicht begriffen! — einer solchen Deibatte Platz greifen.
Abg. Dr. Luda: Das ist wirkliche Pump
wirtschaft!) Sie haben den Versuch gemacht, daraus etwas
abzuleiten für die hessische Gesellschafts- und
Das ist für mich unerfindlich. Finanzpolitik; insbesondere auch im Hinblick auf
die Verschuldung, die hier genannt ist. Ich habe es
Und nun kommen wir zu der anderen Zahl, die ich schon gestern hier gesagt: Die Investitionen liegen
hier genannt habe. in Hessen ebenfalls höher! Wenn die übrigen Län-
(Abg. Dr. Luda: So etwas nennt sich Finanz- der das an Investitionen nachholen würden, was
minister! — Weitere Zurufe von der Mitte.) im Lande Hessen mehr investiert worden ist als in
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 10. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. Dezember 1965 365
Landesminister Osswald
anderen Ländern — ich habe es gestern hier stark len des Vorjahres 1964 mit denen des Jahres 1965
betont —, dann würde ihre Verschuldung im Ver nicht mehr vergleichbar sind.
gleich zu .der Hessens noch ganz anders aussehen. (Zuruf von der Mitte: Alsobereinigt
(Beifall bei der SPD.) werden müssen!)
Nun, meine Damen und Herren, ich möchte den
Sitzungsverlauf nicht aufhalten. Haase (Kassel) (CDU/CSU) : Herr Bundesminister,
(Lebhafte Zustimmung in der Mitte.) darf ich fragen, ob Ihnen bekannt ist, daß die Sum-
men für den Länderfinanzausgleich erst seit zwei
Ich glaube, daß man über die Probleme, die hier Jahren nicht mehr im hessischen Haushaltsplan aus-
angesprochen worden sind, gewiesen werden, daß sie früher immer ausgewiesen
(fortgesetzte Zurufe von der Mitte) wurden, daß sie aber jetzt erst eliminiert worden
sind und daß dieser Umstand im hessischen Landtag
gemeinsam sehr sachlich und nüchtern beraten
Gegenstand heftigster Kritik gewesen ist?
sollte, um für die Zukunft sicherzustellen, daß wir
mit geringeren Finanzmitteln und damit, daß wir (Zuruf rechts: Manipulation!)
Schwerpunkte setzen, das Effektvollste und Wirt-
schaftlichste tun. Danach sollten Sie suchen und
Dr. Dahlgrün, Bundesminister der Finanzen:
sollten nicht kritisieren, daß die Gemeinden Schul-
Herr Kollege Haase, ich habe gesagt, daß hier nicht
den haben. Schulden haben die Gemeinden, weil
der Platz sei, um darüber zu streiten, ob das richtig
sie nicht ausreichend Geld bekommen halben; sie
oder falsch war;
haben sie nicht aus Lust gemacht.
(Zuruf von der Mitte: Die Vergleichbarkeit
(Beifall bei der SPD. — Zurufe von der ist entscheidend!) -
Mitte.)
man mag das meinetwegen im Landtag von Hessen
Die Gemeinden haben die Schulden nicht aus Lust am diskutieren. Aber die Tatsache, daß es anders ge-
Schuldenmachen gemacht, sondern um der Not der macht wird, hindert die Vergleichbarkeit zweier Zah-
Gemeindebürger abzuhelfen.
len aus 1964 und 1965.
(Beifall bei der SPD. — Zurufe von den Re- (Beifall bei den Regierungsparteien.)
gierungsparteien. — Abg. Dr. Schmidt [Wup-
pertal] : Aber aus Lust an der Expansion!) Wer das nicht begreift, der will es nicht begreifen,
(erneuter Beifall bei den Regierungsparteien)
Dieser Bundestag möge Wege finden, wie die Dinge,
die zur Zeit nicht zum Besten stehen, finanzwirt- der will ablenken von den wichtigen Fragen, die ich
schaftlich geordnet, langfristig eingefangen gestern hier der SPD gestellt habe
(Zurufe von der Mitte und rechts) (Beifall bei den Regierungsparteien)
und die ihr von anderen Kollegen gestellt worden
und in Formen ¡geregelt werden können, die dieses
sand. Wie hält es die SPD mit überhöhten Lohnfor-
Hauses würdig sind.
derungen,
(Beifall bei der SPD. — Zurufe von der (Lebhafte Oh!-Rufe von der SPD.)
Mitte: Das war sehr schwach! — Weitere
Zurufe von den Regierungsparteien.) Rückt sie davon ab oder nicht?
Was nützt mir der Rat oder die Kritik des Herrn
Vizepräsident Schoettle: Das Wort hat der Kollegen Schiller, ich hätte im vorigen Jahr 3 Mil-
Herr Bundesfinanzminister. liarden DM sparen sollen? Ich frage ihn: Macht er
die Einschränkungsmaßnahmen in diesem Jahre mit
oder nicht?
Dr. Dahlgrün, Bundesminister der Finanzen:
(Beifall bei den Regierungsparteien.)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn
Herr Kollege Osswald die Zuweisungen im Rahmen Meine Damen und Herren, davon kann man auch
des Länderfinanzausgleichs nicht in seinem Haus- mit dem Großen Hessenplan nicht ablenken.
haltsplan veranschlagt, weil er auf dem Standpunkt (Lebhafter Beifall bei den Regierungspar
steht, das Geld werde ja nicht in Hessen, sondern teien. — Buh!-Rufe von der SPD.)
woanders ausgegeben, dann glaube ich, daß hier
nicht , der Ort ist, darüber zu streiten, ob das finanz-
politisch, haushaltspolitisch eine richtige oder eine Vizepräsident Schoettle: Das Wort hat der
falsche Maßnahme ist. Abgeordnete Wehner.
(Zurufe von der SPD und von der
CDU/CSU.) Wehner (SPD) : Herr Präsident! Meine Damen
Das Wesentliche, was Herr Osswald hier nicht ge- und Herren! Ich gestehe, daß ich es als sehr be-
sagt hat, möchte ich nachholen. drückend empfinde, nach dieser Entwicklung der
Debatten den Versuch machen zu wollen, auf die
(Anhaltende Zurufe.) Regierungserklärung des Herrn Bundeskanzlers und
Wenn er das im vorigen Jahr anders gemacht hat, auf die Vorhaben, für die dieses Haus die Verant-
dann muß er mir wenigstens zugeben, daß die Zah wortung und über die es die Kontrolle hat, zurück-
366 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 10. Sitzung. Bonn, Donnerstag, .den 2. Dezember 1965
Wehner
zukommen. Es ist für mich deshalb bedrückend, weil das gestehe ich Ihnen offen, weil ich enttäuscht bin
Sie, meine Damen und Herren, ja gar nicht geson- über Ihre Physiognomien in einer ernsten Angele-
nen zu sein scheinen, über eine Gesamtvorstellung genheit.
zur inneren Stabilisierung wirklich zu diskutieren (Beifall bei der SPD. — Zurufe von der
und — meinetwegen — zu ringen.
CDU/CSU: Das ist Wehnersche Kultur! —
(Beifall bei der SPD.) Ausgerechnet! — Die Physiognomie von
Herrn Wehner genügt, diese verkniffene
Sie halte es für angebracht, hier in der Weise über Verbissenheit! — Verkniffener kann keiner
die Vorhaben einer Landesregierung zu reden, wie sein!)
Sie es eben getan haben. Das ist für mich so be-
drückend. Selbstverständlich müßte im Rahmen Vizepräsident Schoettle: Herr Abgeordneter,
einer solchen Gesamtdebatte über die innere Stabi- wollen Sie eine Zwischenfrage zulassen?
lisierung zur Sache und sachlich geredet werden
können. Aber Sie haben doch versucht, sich beden-
kenlos und in Verkennung der durch die Bestim- Wehner (SPD) : Meine Damen und Herren, es
mungen des Grundgesetzes geregelten Zuständig- sind in großen Zügen die Auffassungen der Bundes
keiten in eine Debatte um die Politik der verfas- tagsfraktionen zur Regierungserklärung dargelegt
sungsmäßigen Organe eines Bundeslandes zu stür- worden, und sie sind auch auf Teilgebieten ein-
zen. Und das halten Sie für angemessen? gehender erklärt und vertieft worden. Ich möchte
hier nicht versuchen, in einer Art neuen Anlaufs
(Zuruf von der CDU/CSU: Wer hat denn eine neue Zusammenfassung oder eine Spezialdar-
Herrn Osswald herbeigerufen?) legung zu geben. Ich möchte vielmehr durch einige
Bemerkungen noch einige Akzente setzen,- wobei
Wo Sie, meine Damen und Herren, nicht selbst die ich mir darüber klar bin, daß bei der dem Ende
Mehrheit bilden, dort versuchen Sie — koste es, zugehenden Debatte nicht noch einmal neu ange-
was es wolle —, sich sogar über Grundgesetzbe- fangen werden kann.
stimmungen hinwegzusetzen.
(Die Abgeordneten Dr. Besold und Dr.
(Lebhafter Beifall bei der SPD. — Wider Schulze-Vorberg haben sich an ein Saalmi
spruch bei der CDU/CSU. — Abg. Rasner
: krophon begeben. — Unruhe.)
Das ist eine Ihrer üblichen unerhörten Be
hauptungen, die Sie durch nichts beweisen Vizepräsident Schoettle: Herr Kollege Schulze-
können!) Vorberg. Ich werde es mir verbitten, daß man von
Zwar hat der Herr Bundesfinanzminister zu erklären mir verlangt, einen Redner mitten im Satz zu unter-
versucht, sein Haus stehe Tag und Nacht offen für brechen, bloß weil irgendein anderer eine Zwischen
alle, frage stellen will. Das mache ich niemals mit, und
(Zuruf von der SPD) von Ihnen lasse ich mir nicht sagen, wie ich zu ver-
fahren habe.
vor allem wahrscheinlich nachts. Trotzdem muß ich
Herr Abgeordneter Wehner, gestatten Sie eine
sagen, hier hat sich leider etwas abgespielt, was
den sonst oft von dem Herrn Bundeskanzler — der Frage?
ja der Regierungschef dieses Finanzministers ist —
gebrauchten Ausdruck verdient, man wolle mal Wehner (SPD) : Nein. Der Verlauf dieser Debatte
feststellen, wer eigentlich Koch und wer Kellner ist. zeigt ja wohl, daß niemand Sorge zu haben braucht,
Hier hat man festgestellt, daß Köche aus einem es könnte sich hier Mangel an Diskussionslust oder
Bundeskoalitionspropagandaministerium ein Gericht Diskussionsfähigkeit oder auch an Diskussionsstoff
zusammengebraut haben, das dann die Kellner hier ausbreiten; fehlt er im Bund, holen Sie ihn sich aus
auftischen. einem Land.

(Anhaltende Pfui!-Rufe von der CDU/CSU. (Abg. Dr. Schmidt [Wuppertal] : Aus dem
sozialistischen Musterland!)
— Beifall bei der SPD. — Abg. Rasner:
Die Niederlage schmerzt, Herr Wehner, Vielleicht wird man nun sogar erreichen, daß die
das ist es!) Mitglieder des Bundeskabinetts sich in der Regel
persönlich der Debatte stellen. Allerdings sind wir
— Ich werde Ihnen gleich einmal sagen, was mich in der zugegeben schwierigen Lage, daß sich zwi-
schmerzt. Was mich schmerzt, ist, zu sehen, wie Sie schen Bundesregierung und parlamentarischer Oppo-
Ihre sachlichen Schwierigkeiten in einer Weise ab- sition wie eine Wand — auch mit dem Proporz
zureagieren versuchen, die unser ganzes Volk be- sozusagen — die Koalitionsfraktionen schieben, so
zahlen muß. daß die direkte, die wirkliche Konfrontation mit den
(Lebhafter Beifall bei der SPD.) Fragen, wie die Regierung sie stellt, nur kompli-
zierter wird, sicher auch für den, der unsere De-
Das ist alles, was mich schmerzt. batten von außen verfolgen soll und verfolgen will.
Und daß Sie das mit lachenden Physiognomien (Abg. Rasner: Das Parlament ist ein Ganzes,
können, schmerzt mich noch mehr, Herr Wehner!)
(Beifall bei der SPD. — Abg. Rasner: Nun, meine Damen und Herren, zu Ihrem Ruf
Schlechter Verlierer!) nach der Alternative zur Regierungspolitik. Die
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 10. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. Dezember 1965 367
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Aufgabe der Opposition ist es, hier die Forderungen wie man heute sagt: längst gegessen. Sicher, auch
und Vorschläge zu vertreten, von denen sie, die das ist menschlich.
Opposition, überzeugt ist, daß sie dem Wohle des
Volkes dienen oder Schaden von ihm abwenden Um so wichtiger wird es auch für unsere Staats-
können. bürger sein, daß hier klare Linien bei Entscheidun-
(Beifall bei der SPD.) gen erkennbar werden, also wer wofür und wer
nicht wofür und weshalb er wofür und weshalb er
Das ist unsere Aufgabe. Die Regierung, ebenso wie nicht wofür ist. Das müssen wir hier versuchen,
die parlamentarische Opposition steht hier in der wohl deutlicher als in der vergangenen Periode
Verantwortung gegenüber dem Ganzen. versuchen.
(Zurufe von der CDU/CSU: Sehr gut!) Übrigens hat mein Freund Fritz Erler in seiner
Je deutlicher wir — ich meine jetzt die parlamen- Antwot auf die Regierungserklärung deutlich ge-
tarische Opposition — es machen, daß unsere Forde- macht, was es in diesen zwei Jahren der Probe-
rungen und Vorschläge den Notwendigkeiten ent- zeit des Herrn Bundeskanzlers an Rücksichten gab,
sprechen, wie wir sie sehen — die sind der Kritik die es nun nicht mehr gibt. Denn er ist jetzt der
unterworfen, unsere Ansichten und Einsichten wie — er hat es ja in seiner Weise ausgedrückt: mit
auch die Ihren —, um so mehr werden wir damit — Ausschluß der Extremitäten — von dem Volke
das ist wohl klar — die Regierung bedrängen. Es gewählte Kanzler.
fällt mir schwer, aber ich sage es auch heute noch (Heiterkeit bei der SPD.)
einmal: Das ist unser gemeinsamer Staat, und nie-
mand drängt uns wieder an den Rand dieses Staates Ich möchte nur sagen: Keine Seite in diesem
oder gar aus diesem Staat hinaus. Haus, gleichgültig auf welcher Bank sie sitzt, kann
Rechtens der anderen Seite vorschreiben: Deine
(Beifall bei der SPD.) Alternative, die du zu bieten hast, müßte so sein,
Niemand kann aber auch sozusagen für uns reden. wie ich es dir sage, aber so, wie du es selbst, ist das
Das tun wir selbst; denn wir sind die von 13 Millio- keine Alternative. Das geht nicht.
nen Deutschen gewählten Volksvertreter und sind
verantwortlich — wie Sie auch — dem ganzen (Beifall bei der SPD.)
Volk gegenüber, dem Grundgesetz gegenüber. Ich verstehe es wohl — und das ist nicht nur
(Beifall bei allen Fraktionen. — Abg. Win- menschlich, sondern das ist dann sogar politisch —,
delen: Auch finanzpolitisch, Herr Wehner!) manche von Ihnen möchten eine SPD haben, die sie
als die Verkörperung des Nein bequem abschütteln
— Sicher, sicher! Darüber wäre ja sehr ernst — —
könnten. Es gibt andere, die haben sich auch in die-
(Abg. Dr. Schmidt [Wuppertal] : Auch das ser Debatte besorgt gegeben und sogar geäußert,
ist Ihr Tisch!) weil die Gefahr bestehe, die SPD könne sich dem
— Ich wollte das sagen. Aber der Tisch ist zur Zeit Nein ergeben.
voll Krümel, und Sie setzen sich auch nicht an einen (Zuruf von der CDU/CSU: Frei nach
Tisch, auf dem so viel Krümel sind. Schiller!)
(Beifall bei der SPD.) Natürlich gibt es bei der SPD selbst Neigungen,
wodurch sie wohl stärker zu wirken vermöchte, so
Meine Damen und Herren, ich verstehe, daß — oder so zu probieren.
und das ist wechselseitig — die unmittelbar Betei-
ligten — ich meine hier beide Seiten — schwerlich (Zuruf rechts: Auch Ihre Sorge!)
das Vorbringen der jeweiligen Gegenseite als Alter- — Sicher! Sicher! Entschuldigen Sie mal, ich bin ja
native zum eigenen Vorhaben anerkennen wollen. viel weniger in der Zwangslage, etwas vorspielen
Das ist menschlich sehr schwierig. Das können Sie zu müssen, geschweige denn zu wollen. Das liegt
kaum, zumal Sie noch beschwert sind durch die mir gar nicht. Denn dann hätte ich meinen Beruf
majestätische Wucht ihrer Vorstellung, eigentlich verfehlt.
das Ganze darzustellen als Regierung und Union, (Beifall bei der SPD.)
dazu noch mit dem anderen Koalitionspartner.
Wir haben 13 Millionen Menschen, die ja zur SPD
(Abg Dr. 'Schmidt [Wuppertal] : Mit Ihnen gesagt haben. Das ist zugleich ein Ja zu der von
zusammen!) ihnen in uns als Verkörperung gesehenen KraFt, die
— Mit uns nicht! Wir sind mit Ihnen nicht zusam- die freiheitliche demokratische Ordnung unseres
men. Wir sind außerhalb von Ihnen. Wir gehören Staates gewährleistet. Wir wissen, was das heißt.
nicht zu Ihrer Regierung, wir opponieren gegen Die SPD muß ihren eigenen Weg durch die Verhaue
Ihre Regierung. Ihrer — ich meine: der Regierungsseite — Absichten
und Vorhaben hindurch suchen und wird ihn finden.
(Beifall bei der SPD.) Sie aber, meine Damen und Herren von der Regie-
Aber das ist menschlich — das ist wieder wechsel- rungsseite, Sie müssen und Sie dürfen Farbe be-
seitig festgestellt —: Wie es so zu gehen pflegt, kennen, nämlich welche Probleme Sie mit Ihrer ad-
werden die beiden, jeweils wenn es sich um das, dierten Kraft zu lösen imstande sind und welche
was die andere Seite will, handelt, immer so tun — nicht. Das ist der Sachverhalt.
ja, sogar meinen —, das, was die Gegenseite wolle, Der Vorsitzende der CDU, Konrad Adenauer, hat
sei doch bei ihnen selbst schon längst besorgt, oder im September 1965 in der Zeitschrift „Die politische
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Meinung" Gedanken veröffentlichen lassen, in de- sprechende Grundgesetzänderungen vorgenom-
nen, wie er betonte, aus Erfahrungen mit vier Re- men worden sind. Sie erfordern aber Zweidrit-
gierungen — die er wahrlich hat — die für unsere telmehrheit im Parlament, und das bedeutet,
Zeit maßgebenden Gesichtspunkte für die Politik daß auch die Sozialdemokraten dafür stimmen
unserer Bundesrepublik Deutschland dargestellt müssen.
worden sind. Herr Dr. Adenauer hat in diesem le- (Sehr wahr! und Beifall bei der CDU/CSU.)
senswerten Aufsatz die Meinung ausgedrückt, es gebe
„Mängel in unserer Verfassungsstruktur, in unserem Sie können doch aber nicht erwarten, daß Sie die
Sozialrechtssystem und in unserem Parlamentswe- Sozialdemokraten zum Appell befehlen können.
sen, die behoben werden müssen, wenn nicht ge- (Lebhafter Beifall bei der SPD.)
wisse folgenschwere Notstände im einzelnen ein-
treten sollen". Was denken Sie sich denn! Was glauben Sie denn!

Diese Mängel (Beifall bei der SPD.)

— so fügte er hinzu, sicher aus der Erfahrung mit Meine Damen und Herren, der Herr Bundeskanz-
vier Regierungen, wie er selbst betont hat — ler Dr. Konrad Adenauer, der seine Arbeit mit der
Unterüberschrift versehen ließ: „Aus vier Regie-
sind lange kaum beachtet worden, weil sie sich rungen", der wußte das, was Sie jetzt glauben ein-
noch nicht sehr störend bemerkbar machten. fach sozusagen aus der „la main" machen zu kön-
Aber jetzt sehen wir immer klarer, wie gefähr- nen. Der Herr Adenauer sagte, es werde oft über-
lich sie sind und wie dringlich deren Beseiti- sehen, daß nicht bloß für die Notstandsverfassung,
gung geworden ist. Die erforderlichen Reform- sondern auch für die Finanzreform die Stimmen der
maßnahmen können nicht mehr lange hinaus- Sozialdemokraten notwendig seien.
geschoben werden, sonst bringen wir durch -
unsere Säumigkeit selbst schweren Schaden Die Grundlagen unseres Wohlstandes,
über unser Land. — so schilderte er —
Die Erfahrungen des langjährigen Herrn Bundes unsere Position auf den auswärtigen Märkten,
kanzlers sind so gewichtig, daß ich es mir versage, ja die geordnete Verwaltung unseres Staats-
auch nur zu einem seiner Feststellungen jetzt — — wesens werden binnen kurzem aufs äußerste
bedroht sein, wenn wir uns der Neuordnung
(Zuruf von der CDU/CSU: Aha!)
unserer öffentlichen Finanzen noch länger ent-
— wenn ich an Ihrer Stelle wäre, würde ich nicht ziehen. Sie verlangt
„aha" zu den Erfahrungen Ihres Altbundeskanzlers
sagen —, — so sah er es —
(Heiterkeit bei der SPD) eine Selbstbeschränkung der Ausgabenkompe-
daß ich es mir versage, dazu jetzt erläuternde Be- tenz des Parlaments, aber auch eine bessere
merkungen aus der Sicht eines Sozialdemokraten zu Abgrenzung der Bundes- und der Länderauf-
machen, weil ja manches von uns früher gesagt, auf gaben sowie der Aufgaben der Gemeinden als
manches von uns hingewiesen worden ist, wozu Voraussetzung dafür, daß die Steuereinnahmen
jetzt der Altbundeskanzler sagt: „Diese Mängel sind besser verteilt werden können. Die erforder-
lange kaum beachtet worden, weil sie sich noch nicht lichen Grundgesetzänderungen sind jedoch
sehr störend bemerkbar machten." ohne die SPD nicht möglich,
schloß der Herr Altbundeskanzler auch diesen Ab-
Aber jetzt werden wir in den Vorstellungen des
satz.
Herrn Dr. Adenauer sozusagen zum Appell gerufen.
Es ist ferner
Jeder weiß,
— so schilderte er weiter —
— so hat er geschrieben —
kaum anzunehmen, daß man ohne Mitwirkung
was wir brauchen: eine Notstandsverfassung, der SPD zu einer vernünftigen Mäßigung der
die nicht bloß ein Pappschwert ist, strenge Spar- Lohnpolitik und der Sozialausgaben kommen
samkeit der öffentlichen Hand, des Bundes, der kann.
Länder, der Gemeinden,
(Beifall in der Mitte) Hier habe ich ja eben einen — im Wartestand jetzt
natürlich — Direktor eines großen Unternehmens
— ich würde eine Weile warten; ich merke, Sie ha- gehört, der uns also mit dem Finger bedroht und
ben den Artikel nicht gelesen, sonst würden Sie jetzt sagt: „Wie halten Sie's mit den Lohnforderungen?"
nicht klatschen — Darüber wollen wir gern reden; nur sind wir hier
(Heiterkeit bei der SPD) nicht die Sozialpartner, und wir möchten nicht, daß
die FDP, so wie sie es schon einmal nach der Regie-
damit die Kaufkraft der Deutschen Mark nicht rungserklärung 1961 gemacht hat, zwei Jahre lang
verfällt, eine vereinheitlichte und vereinfachte auch das soziale Leben damit beunruhigt, daß sie
Sozialgesetzgebung, die sich an die Grenzen bis zu möglichen Zwangsschlichtungsmaßnahmen
unserer wirtschaftlichen Möglichkeiten hält. in ihren Überlegungen die öffentliche Diskussion
(Beifall bei der CDU/CSU.) beeinflußt hat.
Viele Maßnahmen, die dazu nötig sind, kön (Beifall bei der SPD. — Zuruf von der
nen nur getroffen werden, wenn zuvor ent FDP: Haben wir nie verlangt!)
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 10. Sitzung. Bonn, Donnerstag, ;den 2. Dezember 1965 369
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- Aber, aber, aber! Sie wissen es doch noch genau; Herr Adenauer hat weiter geschrieben:
Sie haben doch noch Herrn Atzenroth im Ohr; ich Wir stehen wieder vor unpopulären Not-
auch und andere auch. Das hat sich geändert, das wendigkeiten, und keine Regierung, wie immer
hat sich erfreulicherweise geändert. sie beschaffen wäre, kann sich diesen Not-
(Zurufe von der FDP.) wendigkeiten versagen, ohne Existenzinter-
essen unseres Landes zu verraten.
Sie haben eine gewisse Umerziehung mit Erfolg
erlebt bei ihrem Koalitionspartner, — Das Wort „verraten" ist das Wort des Herrn
(Beifall bei der SPD) Dr. Adenauer. —

und man kann ja wohl noch auf einiges gespannt Ein Kabinett, das sich gegen den Widerstand,
sein. der zu erwarten ist, behaupten und die uner-
läßlichen Maßnahmen durchsetzen will, muß
(Beifall bei der SPD. — Zuruf von der ein homogener Körper sein; es darf sich nicht
FDP: Wer Ihr Umerzieher ist, das wissen in Fraktiönchen spalten; es darf nicht aus
wir!) Ressortministern bestehen, die bloß koexi-
— Was Sie wissen, weiß ich allerdings nicht. stieren, aber nicht eng zusammenarbeiten.
Schließlich muß man die Möglichkeit ins Auge (Abg. Erler: Hört! Hört!)
fassen, Es darf nicht auf Koordination verzichten; es darf
— so hat der Herr Dr. Adenauer weiter erklärt — sich der Richtlinienbestimmung durch den Kanzler
daß die amerikanisch-britische Entspannungs- nicht entziehen wollen.
politik, deren Friedensziel wir durchaus be- (Hört! Hört! bei der SPD.)
jahen, Gefahren für unseren Rechtsbestand und -
unsere Sicherheit heraufführt. Zu deren Ab- Ganz gleich,
wehr bedarf es des Zusammenstehens der tra- — so schloß er —
genden politischen Kräfte. Vielleicht müssen
auch sehr schmerzliche Entscheidungen gefällt aus welchen Parteien es zusammengesetzt ist,
werden, das Kabinett kann nur Erfolg haben, wenn es
geschlossen für seine Ziele eintritt. Nicht die
- ich weiß nicht, an welche er denkt, aber er muß Parteienkombination an sich macht die Qualität
es ja wissen, an welche er denkt — einer Koalitionsregierung aus; gut ist sie, wenn
die unsere Zukunft auf lange Zeit bestimmen sie weiß, was sie will.
können. Vielleicht müssen wir Opfer bringen Und nun gute Reise!
oder neue Lasten auf uns nehmen. Diese Ver-
antwortung könnte so schwer sein, daß sie nur (Heiterkeit.)
zu tragen ist, wenn sie alle oder wenigstens Denn, meine Damen und Herren, bei dieser Kabi-
die beiden großen Parteien gemeinsam auf sich
, nettsbildung können ja diese Gedanken des lang-
nehmen. jährigen Bundeskanzlers, betitelt als „Erfahrungen
Meine Damen und Herren, der Herr Dr. Adenauer aus vier Regierungen" keine Rolle gespielt haben,
hat in seiner Arbeit gesagt, unser Volk werde ja — nehme ich an.
sie ist ja vor der Wahl erschienen — in Kürze über (Beifall bei der SPD.)
die Zusammensetzung des Bundestages entscheiden. Entweder hat der Vorsitzende der Christlich-Demo-
Es verstehe sich von selbst, daß es in erster Linie kratischen Union aus Erfahrungen mit vier Regie-
davon abhänge, welche Richtung die Diskussionen rungen Gefahren gesehen — oder er hat sich geirrt.
in Koalitionsfragen nehmen werden. Kombinationen Jedenfalls solcher Art, wie hier geschrieben, ist ja
darüber anzustellen sei vorerst müßig. Es ist ja wohl die Regierung, die uns der Herr Bundeskanz-
auch jetzt müßig. Insofern ist es eine Lage, die sich ler Erhard, der Nachfolger des Bundeskanzlers aus
so sehr nicht von der damaligen unterscheidet. vier Regierungen, vorgestellt hat, offenbar nicht.
Der Herr Adenauer, der es weiß, sagte: „Ein Oder ist es so, daß der Vorsitzende der Christlich
Kabinett bilden heißt immer, Weichen für die Zu- Demokratischen Union, so wie er die Notwendig-
kunft stellen, und zwar oft unwiderruflich." Ich keiten nicht nur gesehen, sondern schriftlich nieder-
halte dieses Wort „und zwar oft unwiderruflich" gelegt hat, fundamental irrt? Denn von dem steht
fest. Sie haben hier Weichen gestellt, vielleicht un- doch nichts in der Regierungserklärung. — Das
widerruflich. verleitet mich zu Überlegungen, die ich allerdings
(Zurufe von der CDU/CSU.) noch für zu wenig ausgereift halte, als daß ich sie
hier vor Ihren kritischen Ohren aussprechen möchte.
— Was halten Sie eigentlich von der SPD? Was glau- — Vielleicht ist nur geblieben: Man muß die SPD
ben Sie, wie Sie mit uns umgehen können, daß Sie und ihre Stimmen dazu haben. Nur: das ist keine
darüber lachen, wenn ich hier Fragen stelle, die Politik, das ist weit entfernt davon, Politik und
Ihr langjähriger Bundeskanzler und Vorsitzender Staatsmannskunst zu sein. Es ist Ihre Sache, meine
der CDU — — Damen und Herren von dieser Bundesregierung und
(Abg. Dr. Schmidt [Wuppertal] : Aber der sie tragenden Koalition — manchmal habe ich
Sie dürfen doch nicht alleine lachen!) den Eindruck, Sie tragen sie nicht nur, sondern Sie
- Ich lache über diese Tragik nicht, weil mir das schaukeln sie —,
Ganze sehr schwerfällt. (Heiterkeit und Beifall bei der SPD.)
370 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 10. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. Dezember 1965

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mit den Problemen fertig zu werden. Unsere Sache ist bei sein überall, wo gewirtschaftet wird? Das war
es, Ihnen die Chance zu geben, sich nicht auf uns doch das Bekenntnis zu Deutschland, als es am tief-
berufen zu müssen. Tun Sie bitte, was Sie vermögen. sten niedergebeugt war und anscheinend hoffnungs-
Bei diesen unausbleiblichen Auseinandersetzun- los am Boden lag.
gen, wie bitter sie im einzelnen auch sein oder den (Beifall bei der SPD.)
einzelnen je nach Temperament und Neigung an- Das war doch die Hand zur Partnerschaft. Das war
kommen mögen, werden alte Klischees nicht helfen, doch ein entscheidender Beitrag zum Wirtschafts-
werden Ihnen die alten, von Ihnen geliebten und aufbau und hat ihm einen Impetus gegeben. Die
gewohnten Klischees von der SPD nicht helfen und Bergleute sind doch nicht daran schuld — darüber
werden uns die leider auch auf unserer Seite recht sind wir uns doch wohl einig —, daß der Kohlen-
beliebt gewesenen Klischees von Ihnen nicht helfen. bergbau inzwischen durch Entwicklungen und auch
Wenn Sie es dennoch versuchen sollten, dann wer- durch Versäumnisse, über die häufig gesprochen
den Sie keinen Gewinn davon haben. Die SPD wird wird, in Schwierigkeiten gekommen ist.
in der Lage, in der sie sich jetzt befindet, klug tun, Sicher, es gibt unterschiedliche Auffassungen über
damit zu rechnen, daß sie es mit einer Koalitions- den Grad und über die Möglichkeiten zur Mitbe-
kombination zu tun hat, die zwar, wenn es an die stimmung. Die gibt es überall, und ich glaube, sie
Wahl geht, so tut, als handele es sich um selbstän- sollten zweckmäßigerweise sachlicher Prüfung un-
dige Parteien, und zwar nicht nur um zwei, die eine terworfen
mit dem C, die andere mit dem F, sondern dann auch
noch die eine mit einem S und die andere mit einem (Beifall bei einzelnen Abgeordneten der
D in der Mitte. Sie treten auf als eine Formation CDU/CSU)
gegen uns, und so werden wir Sie zu nehmen haben, und nicht wie weltanschauliche Unterscheidungs-
ohne dabei Ihre Interessenunterschiede außer acht merkmale behandelt werden. Da kommen Sie näm-
zu lassen, die ganz menschlich und politisch sind. lich an Punkte, die der weiteren Erörterung dieses
Wenn Sie an uns appellieren werden, dann bedarf Themas sehr abträglich sein werden.
jeder Appell, den Sie an uns richten, bei uns mi- Es gibt — wer das miterlebt hat, weiß das und
kroskopischer Prüfung, was Sie eigentlich damit kann einiges davon erzählen — sozusagen Stufen
meinen. Dann bedarf es bei uns für unsere Überle- der Versuche, die Mitbestimmung zu verwirklichen.
gungen der Verstärkung, damit wir die Neben- und Aber was es nicht gibt, was es offensichtlich auch
die Untertöne heraushören. Denn wir haben es bei auf der Arbeitnehmerseite — abgesehen vielleicht
Ihnen mit einer Gruppierung zu tun, die sich trotz von irgendwelchen Nichtverantwortlichen — nicht
der Ansichten des Vorsitzenden der CDU so ge- gibt, das ist doch etwa die Hintertreppe zur kalten
bildet hat, wie Sie sie gebildet haben. Infolgedessen Übernahme der Unternehmen. Darauf hat mit Recht
werden wir aufpassen müssen, daß wir nicht, wie schon mein Freund Fritz Erler in seiner Antwort
man so sagt im täglichen Leben, hereingelegt wer- hingewiesen. Ich wollte es noch einmal angeleuch-
den. tet haben, weil Sie auf solche Dinge seltsamerweise
In dieser Legislaturperiode wird — das sieht man nicht eingehen und an uns unbefangen Fragen stel-
schon und hört man schon, und Sie haben sich auch len: Wie haltet Ihr's denn nun?
darauf eingerichtet; das hat man gestern beim Manche Vorstellungen während der ersten Bun-
Entree des Herrn Kollegen Bundesminister Katzer destagsperiode haben z. B. einen der berühmtesten
miterleben können — Gesellschaftspolitik großge- Liberalen unseres Hauses dazu gebracht haben, da-
schrieben werden. Das ist ganz interessant. Gerade mals davon zu sprechen, es hätten sich einige Leute
weil keine der Parteien des Deutschen Bundestages „zuchthauswürdig" gemacht — ein Wort, das ihm
auf eine soziale Schicht oder Gruppe beschränkt ist, bei aller Wertschätzung, die ich ihm persönlich
wenn auch unleugbar ist, wo die eine oder die an- schulde, nie vergessen werde —, weil sie dieses Ge-
dere von Anbeginn an verankert ist oder wohin sie bot des verehrungswürdigen Kupferschmieds Böck-
neigt, werden die großen Auseinandersetzungen um ler aufnahmen: Jetzt anders als in der Weimarer Re-
die bestmögliche Gesellschaftspolitik besonders publik, jetzt miteinander als Partner und nicht wie
spannend werden. Uns, den Sozialdemokraten, geht Hund und Katze und nicht einfach nur nach der
es darum, die gesellschaftliche Ordnung in Harmo- Regel „noch mehr, noch mehr, noch mehr" für die
nie mit unserer freiheitlichen demokratischen Staats- jeweilige Seite! Das lag doch da alles drin. Ent-
ordnung zu bringen. Das ist unsere erklärte Absicht. schuldigen Sie, das war doch ein anderer Start; das
(Beifall bei der SPD.) war doch nicht nur eine Geste. Übrigens war der
damalige Bundeskanzler ja zu der Zeit auch am
In dieser Debatte, meine Damen und Herren, sind Rande der „Zuchthauswürdigkeit". Aber das wer-
einige Ansätze dazu gemacht worden — und ich den Herr Dehler und er schon miteinander in einer
hatte da den Eindruck, man werde sehr streng ge- gewissen Beichtstunde abgemacht haben. Ich muß
fragt und durchbohrt —, die Frage, ob die SPD für mich da also nicht einmischen.
den Ausbau der Mitbestimmung sei, an uns so zu
stellen, als käme es hier darauf an, daß einer eine (Heiterkeit und Beifall bei der SPD.)
Art Offenbarungseid leistet. Wollen Sie denn ver- Ich meine, manche Vorstellungen aus der ersten
gessen, meine Damen und Herren, was das damals Bundestagsperiode sind in dieser Hinsicht wohl nicht
bedeutet hat, als Hans Böckler sagte: Die deutschen mehr aktuell. Für meinen Geschmack war damals
Gewerkschaften wollen nicht wieder bloße Lohn- schon die Sache mit dem Bundeswirtschaftsrat recht
und Tarifmaschinen werden, sondern sie wollen da- wenig — wie man heute sagt — praktikabel.
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 10. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. Dezember 1965 371

Vizepräsident Schoettle: Herr Wehner, gestat- Ich habe es interessant gefunden, daß z. B. der
ten Sie eine Frage? Herr Prälat Hanssler davor gewarnt hat — wie er
sich ausdrückte —, in dem Worte „Mitbestimmung"
ein Schreckgespenst zu sehen. Er sagte, es bedeute
Wehner (SPD) : Mit Vergnügen! eine ausgesprochen schlechte Ausgangsposition,
wenn Unternehmer schon das Wort Mitbestimmung
Dr. Dehler (FDP) : Darf ich Ihren historischen als rotes Tuch empfänden. Aus seiner Sicht hat er
Irrtum einmal aufklären? hinzugefügt, es gehe dabei um die Verwirklichung
der christlich fundierten Partnerschaftsidee, und das
Wehner (SPD) : Gern! Das wäre nämlich die erste sei nichts anderes als die praktische Anerkennung
Gelegenheit. der Instritutionalisierung der partnerischen Idee. Ich
meine, diese sachlichen und ruhigen Überlegungen
sollten — wie der einzelne auch zu Einzelheiten oder
Dr. Dehler (FDP) : Ich meine Ihre Behauptung, zum Gesamten in diesem Punkte steht — doch wich-
ich hätte die Gewerkschaften für „zuchthauswürdig" tig genug sein, es mit dieser Methode der Beratung,
erklärt. Ich habe das schon so häufig aufzuklären des Gespräches zu probieren.
versucht, auch Ihnen gegenüber. Wissen Sie nicht,
daß der Sachverhalt so war: Die Gewerkschaften Ich zitiere einen anderen, den Chefredakteur der
haben im Jahre 1952 den Generalstreik für den Fall „Ketteler Wacht", der gesagt hat, die gegenwärtige
angedroht, daß dieses Haus ihren Forderungen nach Auseinandersetzung um die Mitbestimmung der Ar-
Mitbestimmung in der Montanindustrie nicht ent- beitnehmer im Betrieb lasse einen erschreckenden
sprechen würde. Wer das Parlament zu einer be- Mangel an Willen zur Sachlichkeit erkennen. — Und
stimmten Handlung nötigen will, wird nach unserem das wird auch durchaus — sozusagen wechselsei-
Strafgesetzbuch mit Zuchthaus bedroht. tig — praktiziert. Da ist eine Anleihe bei Herrn
Barzel gemacht worden; es quietscht etwas mehr —
(Beifall bei den Regierungsparteien.)
Sie haben das anders gemeint. Im „Ruhr-Wort"
Wissen Sie nicht, daß ich mich damals als Bundes- wurde das — und ich finde das nicht unzutreffend —
justizminister für verpflichtet gehalten habe, auf so charakterisiert: Man müsse zugeben, daß es für
diese Rechtslage hinzuweisen? einen Redner wegen des garantiert tosenden Beifalls
verlockend sei, vor seinen eigenen Leuten die Geg-
Wehner (SPD) : Sie haben sehr rechts gelegen; ner einer solchen Mitbestimmungsforderung einfach
da haben Sie recht. als Reaktionäre abzustempeln, wie es auf der ande-
ren Seite genauso publikumswirksam ist, die Ver-
(Heiterkeit bei der SPD. — Lebhafte Zurufe fechter einer solchen Mitbestimmung als verkappte
von den Regierungsparteien. — Abg. Dorn: Sozialisten zu diffamieren. Aber — so schreibt das
Dafür lagen Sie um so mehr links!) „Ruhr-Wort" — das sind doch nur allzu billige
— Ja sicher, das habe ich auch nie verhehlt. Effekthaschereien. Man redet dem Anhänger nach
Manche Vorstellungen von damals sind also heute dem Mund, und auf die Argumente des Gegners hört
nicht mehr aktuell. Ich gaube z. B., daß die Vorstel- man erst gar nicht hin. — Das ist aber kein Bericht
aus dem Bundestag, sondern aus solchen Versamm-
lung vom Bundeswirtschaftsrat eigentlich nie recht
brauchbar war, weil das eher eine Verschlimmerung lungen, von denen mit Recht ungefähr so berichtet
der Immobilität als eine Verbesserung "sein würde. worden ist.
Aber warum sollten solche Überlegungen nicht so Man kann nicht gegenüberstellen: entweder Mit-
weit erörtert und abgeklärt werden, daß Mitbestim- bestimmung oder Eigentumspolitik. Aber wem er-
mungsfragen im Zusammenhang mit moderner Un- zähle ich das! Wenn ich mir den Herrn Katzer vor-
ternehmensverfassung gesehen, überlegt und behan- stelle ... Aber der ist gerade beim Herrn Balke; ich
delt werden, als Bestandteil moderner Unterneh- habe gehört, daß er dort Pflichten erfüllen muß; er
mensverfassung? wird meine Rede ja nachlesen. — Eigentumspolitik
Meine Fraktion ist fest entschlossen — und ich und diese Mitbestimmungsfrage, die durchaus ja
möchte es Ihnen hier noch einmal sagen —, durch- keine dogmatische sein kann und sein soll, sind Teile
zuhalten und allen deutlich zu machen: Wir sind der Gesellschaftspolitik. Ich habe immer mit Interesse
nicht der Ansicht, daß in die Betriebe und in die festgestellt — und das ist ein Riesenunterschied zu
Unternehmen hineinregiert werden soll. Was wir der Zeit der Weimarer Republik —, wie die beiden
aber wollen, ist, jene wirkliche Partnerschaft weiter- konfessionellen Bereiche diese Seiten der Sache in
zuentwickeln, von der auch in Zeiten, von denen ge- sehr weitgehender Übereinstimmung, ungeachtet der
sagt worden ist, sie könnten unter Umständen sehr Unterschiedlichkeit der Ursprünge ihrer Überlegun-
schwere Prüfungszeiten werden, eine Menge abhän- gen, deutlich zu machen versuchen.
gen wird. Man sollte in dieser Beziehung jedenfalls Meine eigene Partei hat auf ihrem Parteitag in
die Diskussion entkrampfen. Karlsruhe in einer Entschließung zu diesem Fragen-
Sie selber haben in der Regierungserklärung ja komplex darauf Bezug genommen, daß Anfang des
einerseits ein eisiges Nein gegen jeden Ausbau auf Jahres 1964 ein Arbeitskreis evangelischer und
diesem Gebiet gesagt, zugleich aber die Aushöhlung katholischer Sozialwissenschaftler z. B. festgestellt
nicht anerkannt, sondern Sie wollen diese verhin- hat: Persönliches Eigentum trägt dazu bei, die Frei-
dern — oder wie immer das gemeint sein mag; das heit des einzelnen, die seiner Familie zu sichern, ihn
ist hier von unserer Seite schon gewürdigt worden. gegenüber den Auswirkungen wirtschaftlicher, ge-
372 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode - 10. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. Dezember 1965
Wehner
sellschaftlicher, staatlicher Macht unabhängig zu damit Wege zur Verwirklichung des inneren Aus-
machen. Wir haben damals gesagt, dieser Feststel- gleichs gefunden werden.
lung, die wir uns zu eigen machten, brauche nichts
(Beifall bei der SPD.)
hinzugefügt zu werden; sie bedürfe nur einer zu
realisierenden politischen Aktion. Ich wollte, weil diese Frage angeschnitten worden
(Zuruf von der FDP.) ist, dem Herrn Bundesminister Gradl, meinem ver-
ehrten früheren Kollegen, hier folgendes mit auf
— Ich weiß, daß Sie da viel erfahrener sind. den Weg geben. In der Denkschrift des Rates der
Meine Damen und Herren, Sie dürfen das nicht Evangelischen Kirche in Deutschland gibt es ein
lediglich unter dem Gesichtspunkt: Haushalt, Spa- lesenswertes Kapitel: „Die Vertriebenen in Gesell-
ren sehen, sondern müssen auch berücksichtigen, schaft und Kirche"; da heißt es:
wozu die Haushaltsanstrengungen und das Sparen Jeder Versuch, die Dinge darzustellen, ist aller-
— wie immer es gemeint sein mag — dienen sollen, dings bisher durch den Umstand erschwert, daß
nämlich zur inneren Stabilisierung unserer Ordnung, zureichende wissenschaftliche Untersuchungen,
zum richtigen Miteinanderleben der Menschen, zu die das Problem in seiner ganzen Vielfalt ins
der Krisenfestigkeit und zu der Festigkeit gegen Auge fassen, bis heute fehlen. Einzelunter-
Anfälligkeiten. Das kann man nicht mit einer suchungen, die meist zehn oder mehr Jahre
Schutzimpfung erreichen, da gehört eben Gesell- zurückliegen, arbeiten mit einer zu kleinen
schaftspolitik dazu. Zahl von Befragten, um . . . Aufschlüsse zu
Ich will hier nicht aus den einzelnen lesenswerten geben. Die laufende Vertriebenenstatistik läßt
Dokumenten — sei es der evangelischen, sei es der nur sehr allgemeine Schlüsse zu; sie vermittelt
katholischen Seite — vorlesen. Aber wir meinen; auch nur ökonomische Daten und gibt über den
genau wie in der Mitbestimmungsfrage geht es hier Stand der gesellschaftlichen Eingliederung keine
nicht nur darum, mit dem Blick auf das nächste Auskunft. Eine genauere Darstellung müßte
Wahljahr etwas zu tun, sondern darum, Eigentum berücksichtigen, daß die Vertriebenen keine
zu bilden, nicht Eigentum anzutasten oder zu neh- durch gleichartige gesellschaftliche oder wirt-
men; das ist jedenfalls unsere Ansicht und Absicht. schaftliche Merkmale bestimmbare Gruppe bil-
den, sondern sich wesentlich nach ihrer lands-
In dem Zusammenhang, Herr Dr. Gradl, der Sie mannschaftlichen Herkunft, ihrem Lebensalter,
gestern einige Bemerkungen über Fragen aus Ihrem ihrer früheren sozialen Stellung (besitzendes
Ressort gemacht haben, die die Flüchtlinge und Hei- Bürgertum, Bauern, Beamte, Angestellte, .Arbei-
matvertriebenen angingen, darf ich folgendes sagen. ter) und nach dem Zeitpunkt und dem Hergang
Ich glaube, da geht es um gesellschaftspolitische ihrer Vertreibung unterscheiden.
Fragen erster Ordnung. Das, was mit dem Stich-
wort „rechtliche Gleichstellung der Flüchtlinge aus In dieser Denkschrift wird dann mit Bitterkeit
der sowjetischen Besatzungszone mit den Heimat- festgestellt, daß man nur nach sehr unsicheren In-
vertriebenen" angesprochen ist, meinen wir so, wie dizien schätzen kann. Mit Recht wird dort gesagt,
es jeder wirklich ehrlich verstehen kann, und nicht es müsse jedem am Herzen liegen, zuverlässig zu
einfach nur 'symbolisch. Ich habe mit Erstaunen fest- erfahren, wie es sich mit diesen wirklichen Entwick-
gestellt, daß in dieser Debatte einige Male — z. B. lungen und Sachangaben über sie verhält. Ich finde
von der einen Stunde Arbeit mehr — gesagt wurde, es schlimm, daß wir, die wir — ja, ich will vorsichtig
das sei nur symbolisch gemeint. Ich muß sagen: mit sein — jedenfalls doch ein Volk von Statistikern
Symbolen kann man wohl manches, aber nicht alles sind, so große Lücken in unserer Statistik auf einem
— Sie wissen, das haben wir bei der Wahl wieder Gebiet haben, auf dem uns kein anderes Land hel-
erfahren — machen; aber was man bestimmt nicht fen kann, weil das ganz eigene Nachkriegserfahrun-
kann, ist, bestimmte Tatbestände zu verändern, gen sind. Insofern ist die Nachkriegszeit für uns lei-
auch wenn man Symbole drauftut. Das hilft nichts. der auch noch nicht zu Ende.
(Beifall bei der SPD.)
Hier geht es um die wirkliche rechtliche Gleich-
stellung. Für meine Fraktion geht es darum — ich Ich glaube, die entscheidende Aufgabe, ja, wenn
muß das immer wieder sa g en —, die Kluft zwischen man so sagen darf, der Prüfstein dieser 5. Legisla-
dem, was Sie Beweissicherung und Leistung nen- turperiode des Deutschen Bundestages wird sein —
nen, zu vermindern und schließlich abzubauen; gerade im Hinblick darauf, daß „Gesellschaftspoli-
tik" ganz groß geschrieben werden wird —, wie wir
(Beifall bei der SPD) es fertigbringen, den Finanzausgleich zwischen Bund,
in bezug auf die Beweissicherung ist es mit der Sym- Ländern und Gemeinden, die große Finanzreform,
bolik nicht getan. bei dieser Sachlage und bei diesen Mehrheitsver-
hältnissen und bei dem Weg, den Sie (zur Regie-
Ich weiß, daß das alles heute vom Haushalt her rungsbank) gewählt haben, wenigstens einiger-
schwierig ist. Wir wären die letzten, die nicht ver- maßen sachlich zu erörtern. Heute und gestern ist
stünden, daß die Regierung nach Wegen suchen hier über ein Land geredet worden. Ich bitte um
muß. Wir wollen sie darin auch nicht stören. Entschuldigung, aber es hilft doch kaum, daß Sie uns
Sie wird die Wege finden. Wenn sie das Finanz- auf den Herrn Zinn oder wir Sie etwa auf Herrn
ministerium für so viele phantastische Zahlenzusam- Goppel hinweisen. Das macht die Sache nicht besser,
menstellungen und Auskünfte offen haben, sollten als sie ist. Es wird auch kein Finanzausgleich zwi-
Sie es auch für Ihre Ressortminister offen haben, schen Bund, Ländern und Gemeinden sein, wenn Sie,
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 10. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. Dezember 1965 373
Wehner
etwa der Bundeskanzler und sein Finanzminister ungelöster Probleme gibt, von denen eines unser
einerseits und Herr Zinn und Herr Goppel — falls besonders schmerzliches ist.
sie dazu geneigt sind — andererseits, einen Kom- Hier haben sich der Vorsitzende der CDU/CSU-
promiß zwischen Bund und Ländern aushandeln. Bundestagsfraktion und der stellvertretende Vor-
Dies muß ein Finanzausgleich zwischen Bund, Län-
sitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion zu diesen
dern und Gemeinden sein; denn bei aller Bitternis
Fragen geäußert.
der heutigen und gestrigen Auseinandersetzung
Herr Dr. Barzel hat einen kleinen Katalog dessen
(Beifall bei der SPD) angeführt, worauf es ankomme: den Frieden erstre-
ist doch wohl klar, daß es nicht ausreicht, mit dem ben, die Stabilität stärken, die Einheit der Deutschen
Finger auf diejenigen zu zeigen, die in Schulden erreichen, die Vereinigung Europas fördern, den so-
geraten sind. Das waren nämlich auch diejenigen, zialen Rechtsstaat ausbauen. — Ich fand, das waren
die damals zuerst, und zwar ohne Unterschied poli- interessante Wegweiser.
tischer oder anderer Präferenzen, die Ärmel aufge- Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der
krempelt und, als es weder Bund noch Land gab, CDU/CSU, Herr Strauß, hat einige Punkte mehr; bei
aus Trümmern und Dreck die Grundlagen einer ihm sieht das so aus: die nationale Einheit Deutsch-
neuen Ordnung geschaffen haben. lands erreichen, Sicherheit und Freiheit der Bundes-
republik erhalten, die deutsche Politik zu einem
(Beifall bei der SPD.)
Werkzeug der Einigung Europas machen, das atlan-
Hier stehen wir vor einer neuen Periode, für die tische Bündnis in neuen Formen stärken, mit den
wir neue Richtmaße schaffen müssen. Das ist etwas, östlichen Nachbarn und der Großmacht Sowjetunion
was zur Reform der deutschen Demokratie gehört. zu einer dauerhaften Regelung der guten Nachbar-
Ich persönlich — aber das ist meine sehr private schaft gelangen — und dann: für den Frieden der
Auffassung — bin sogar überzeugt: Solch ein Finanz- Welt arbeiten. — Das sind Herrn Strauß' Punkte.
ausgleich wird der deutschen Politik helfen, vieles, Es ist für Außenstehende, aber zum Parlament
was heute auf dem Kopf steht, endlich auf die Füße Gehörende sicherlich interessant festzustellen, ob
zu stellen und die deutsche Politik von der Kopf- nun auch in den beiden Listen — alle diese Punkte
lastigkeit der Forderungen vieler Verbände zu be- stehen ja auch wieder in Beziehung zueinander —
freien, denen nun je nach Unterschied der Sitzord- die jeweiligen Punkte immer gerade so, wie es hier
nung in dem einen Fall akklamiert wird und die in steht, in richtiger Beziehung zueinander stehen. Das
dem anderen Fall entsprechend anders bewertet können nur Sie wissen. Wir können das gelegent-
werden, sie zu befreien von der Tendenz, allmäh- lich nur erfragen. Reizvoll wäre zu wissen, ob es
lich über die Möglichkeiten leben und den Bund sich bei der Reihenfolge um eine aus untergeordne-
sozusagen für alles herhalten lassen und verant- ten Gesichtspunkten so gefügte Reihenfolge handelt
wortlich machen zu wollen. Hier geht es um eine oder um die Umschreibung der Punkte hinsichtlich
Neuaufteilung eines dadurch nicht größer werden- ihrer Bedeutung, ob es da Nuancen gibt oder nicht.
den — — Wenn nicht, um so besser.
(Zuruf von der Mitte: Sehr gut!)
Ich bin doch erschrocken gewesen, und sicher ist
— Ja sicher, nicht nur „sehr gut"; das ist sehr sim- das manchem von Ihnen auch so gegangen, daß
pel; Sie könnten das viel besser ausdrücken. Ich bin der Bundeskanzler, als er seine Regierungserklä-
mit Ihnen einer Meinung. Ich finde nur, diese Kur rung vortrug, sagte:
wird interessant, weil wirklich darum gerungen Die Nachkriegszeit ist zu Ende! Deutschland ist
werden muß, daß der Bürger dort, wo er dem Staat geteilt, ist zur Hälfte dem Machtanspruch
am nächsten ist, wo seine Interessen am unmittel- einer Siegernation unterworfen.
barsten mit den Dingen in Berührung kommen, die
das Allgemeine brauchen oder fordern, wieder mehr Ich habe lange, in diesem Fall darf ich wohl
Einfluß bekommt, daß er dort mit entscheiden kann, sagen, mit mir gerungen — denn das ist ja ein Bild,
daß das Schwergewicht für die Durchführung dessen, das zum Bundeskanzler selbst auch paßt —: Wie
was jetzt auch Sie — wir etwas vorher, aber das schwer muß man diese Feststellung von der Nach-
macht nichts — die Gemeinschaftsaufgaben genannt kriegszeit, die sich wiederholt findet, nehmen? Ich
haben, dort liegt, wo der Bürger selbst mit entschei- gebe zu: da ist einiges drin, vor allem, wenn man
den kann über das Ausmaß, und daß wir hier nicht die übrige Welt nimmt, die ja eine Welt ist, die am
allmählich zu einer Art von Automatenstaat kom- liebsten in Frieden leben möchte, was wir übrigens
men. Dazu gibt es bei uns durchaus den Bedingun- auch möchten, die aber zum Teil sogar manches,
gen der Zeit und den Notwendigkeiten unseres Staa- was die Kommunisten in diese Welt gebracht und
tes — dazu noch in einem geteilten Deutschland — auch zementiert zu haben scheinen, hinnehmen
entsprechende Vorstellungen. möchten, um in Frieden zu leben, was wir wieder
nicht können. Darin unterscheiden sich dann unsere
Wir brauchen innere Verhältnisse — und das Interessen von denen vieler anderer, und das macht
wird in diesen Jahren recht schwierig werden —, ja unsere spezifische Schwierigkeit aus.
auf denen wir fest und sicher stehen können. Wir
müssen unsere Verhältnisse in und mit einer Um- Aber ich will an dieser Sache mit der Nachkriegs-
welt in Ordnung bringen, die heute zum großen zeit nicht herumfeilen. Das würde wohl nicht gut
Teil nicht mehr daran erinnert werden möchte, daß ausgehen bei einer solchen Debatte, die sich dem
es aus dem vorigen Weltkrieg noch eine Menge Ende zuneigt. Ich nehme es als eine Arbeitshypo-
374 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 10. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. Dezember 1965

Wehner
these. Der Bundeskanzler hat sicher sagen wollen: das ist ein Zirkuskunststück, aber das traue ich ihm
Deutschland ist geteilt; wir müssen also nun mit auch zu —,
Verhältnissen leben, die nicht so bequem — bequem (Heiterkeit)
jetzt von mir in Anführungszeichen gesagt — sein damals hat er also dann gesagt, was alles vorgehe
können, als sie es waren, als wir uns unmittelbar und welche schrecklichen Stürme um das deutsche
zu berufen hatten auf: Ihr Sieger habt doch aber Haus wehen werden. Bei Gott, davon haben wir
die Pflicht, die Verantwortung, das endlich in Ord- inzwischen jedenfalls einige „Vorgeschmäckles" be-
nung zu bringen, daß wir jetzt zusätzliche Schwie- kommen. Der Herr Bundesminister des Auswärtigen
rigkeiten haben. So verstehe ich es wohl richtig; so hat seinerzeit von der Notwendigkeit von Reini-
ist das im wesentlichen gemeint. Sie sehen also, gungskrisen gesprochen. Er hat von der Notwendig-
ich will hier gar keine Splitterrichterei betreiben. keit eines Umstellungsprozesses gesprochen. Wir
Ich halte das für einen bemerkenswerten Satz: haben sogar einmal erlebt, daß hier, im Januar 1964,
Die Wiedervereinigung Deutschlands wird nicht Vertreter der CDU und der CSU, die ja eine Frak-
zuletzt von unserer Fähigkeit abhängen, die tion sind, völlig entgegengesetzte Schlußfolgerun-
uns freundschaftlich verbundenen und die uns gen aus demselben Sachverhalt gezogen haben.
vorerst indifferent begegnenden, ja sogar geg- Nicht, als ob ich das im nachhinein tadeln wollte.
nerischen Mächte an dieser Wiedervereinigung Das ist eben ein Zeichen dieser Entwicklung und
politisch und wirtschaftlich zu interessieren. dieser Zeit.
Das ist ein wichtiger Vorsatz. Ich habe dann Wir werden jetzt eine unserer Aufgaben darin
schnell, als ich den schriftlichen Text hatte, nachge- sehen, mit der Verantwortung, die uns als einer
blättert — es gibt doch hoffentlich dabei auch eine staatsbewußten Opposition zukommt, hier einige
unmißverständliche Feststellung, ungeachtet aller Debatten — nicht nur in den Interviews und
- nicht
Abschabungen, die die Zeit den Dingen zugefügt nur verdeckt in den Fragestunden, bei denen wir
hat, über die Viermächteverantwortlichkeit. Die den kürzeren Hebelarm in der Hand haben — zu
gibt es auch. Insofern ist beides wohl zusammen führen, um vielleicht sogar eine gewisse Regel-
zusehen, nämlich das, was einleitend bei der all- mäßigkeit in die Erörterung solcher Fragen zu
gemeinpolitischen Darlegung von dem Bundeskanz- bringen.
ler über die Notwendigkeit gesagt wird, daß wir (Beifall bei der SPD.)
uns darüber klar sein sollten, die Wiedervereini-
Es geht wohl nicht mehr anders, als einen Termin-
gung Deutschlands werde „nicht zuletzt von unserer
kalender aufzumachen. Ich nehme an, einigen von
Fähigkeit abhängen, die uns freundschaftlich ver-
Ihnen, meine Damen und Herren, wird das viel-
bundenen und die uns vorerst indifferent begeg-
leicht auch ganz lieb sein. Der Herr Bundesminister
nenden, ja, sogar gegnerischen Mächte an dieser
des Auswärtigen muß wissen: Mit Eleganz und
Wiedervereinigung politisch und wirtschaftlich zu
rhetorischer Geschmeidigkeit allein — so wichtig
interessieren", und dann, wie es wohl im einzelnen
sie sind — schaffen wir diese schwierigen Dinge
notwendig ist, an die Dinge heranzugehen. Ich bin nicht.
einverstanden, daß man in dieser Regierungserklä-
rung ausdrücklich auf jene vor 10 Jahren von der Wir brauchen eine Deutschlandpolitik, über deren
sowjetischen Seite und von der deutschen Seite ge- Grundlagen eis sicher keine wirklichen, fundamen-
gebenen Erklärungen in einem Kommuniqué zu- talen Gegensätze gibt, eine Deutschlandpolitik, die
rückgegriffen hat. Wir dürfen das ja ebensowenig im Volk populär werden kann, weil wir das Volk
versäumen wie die Erinnerung an die Viermächte- dazu brauchen, daß es sie mit stützt.
verantwortlichkeit. Insofern gäbe es also wohl (Beifall bei der SPD.)
einiges, von dem man sagen kann: darüber können
wir weiter reden. Was jetzt kommt? Sie sehen das z. B. an der in
diesen Tagen veröffentlichten Äußerung der pol-
Aber der Herr Bundesminister des Auswärtigen, nischen Bischöfe, über die hier im einzelnen etwas
der ja derselbe ist wie in der vorigen Periode, ob- zu sagen ich gar nicht für möglich halte; aber das
wohl es darum viel Hin und Her gegeben hat in der zeigt doch, wie die Dinge um uns herum und in
Zwischenzeit, so kurz vor Toresschluß, hat 1964 — unseren eigenen schweren Problemen in Bewegung
widerwillig, wie mir schien, denn von sich aus geraten. Das ist noch lange kein Tauwetter, aber
hätte er das Wort nicht genommen, wie er über- es kann uns passieren, daß wir uns plötzlich zwi-
haupt von sich aus selten das Wort nimmt — dazu schen Schollen eingeklemmt erkennen und dabei
gesprochen. Das war am Anfang seiner Tätigkeit sehr viel mehr als nur Schrammen, vielleichtsogar
etwas anders. Da war er informationsfreudiger, dis- gewisse Amputationen erleben werden.
kussionsfähiger, als er es mit der Zeit geworden
ist. Das liegt wohl an der Vielbeschäftigung, an dem Über diese Dinge müssen wir reden, und deswe-
Terminkalender und an noch manchem anderen, gen bedauere ich es so, daß weder jemand von der
außerdem an der Routine, der er ja auch schon Regierungsbank noch jemand aus dem Kreise der
einmal als Minister des Innern erlegen ist. Ich Kolleginnen und Kollegen auf jene drei Vorschläge
bedaure das. Damals also, im Januar 1964, hat er eingegangen ist, die mein Freund Professor Karl
während einer Debatte, die ich — zugegeben — mit Schiller hier gemacht hat. Gut, das war Ihnen unge-
einigen etwas anzüglichen Bemerkungen herauf- wohnt; Sie denken vielleicht so sehr in Experten-
beschworen habe, daß es mir vorkam, als schwebe kategorien: Wieso kommt der eigentlich dazu, so
er sozusagen frei im Raum, in einer Art Ring — etwas zu machen? Aber bitte, ich fand das gut, daß
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 10. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. Dezember 1965 375
Wehner
zu unserer gesamtdeutschen Lage, zu unserem ge- bares Deutschland — einige Punkte festgestellt
samtdeutschen Elend in einem solchen Bericht über wurden, über die es zwischen den Parteien Einver
die Lage der Nation geschrieben und gesprochen nehmen gab. Ich will es hier nicht wieder zitieren.
werden sollte. Und das fehlte in der Erklärung. Ich
will es noch einmal aufgreifen. Inzwischen hat der Herr Geschäftsführende Vor-
sitzende dieses Kuratoriums, Dr. Wolfgang Wil-
Herr Schiller hat sogar versucht — nicht Formu- helm Schütz, in einer lesenswerten Studie, die auch
lierungshilfe zu leisten, denn er ist ja insofern nicht für Regierungsangehörige lesenswert ware — wir
ein Beamter den Parlamentariern gegenüber — zu können ihr ja einen anderen Umschlag geben,
zeigen, wie man so etwas machen könnte: Die Bun- wenn Sie meinen, es komme Ihnen nicht zu, solche
desregierung gibt also einen ausführlichen Bericht Bücher zu lesen; das macht ja nichts —,
über die ökonomischen, die sozialen, die geistigen
Lebensbedingungen unserer Landsleute in der Zone, (Beifall bei der SPD)
über ihre Probleme, ihren Alltag, ihre Arbeitsver-
die Fragen nach einer politischen Strategie dar-
hältnisse, ihre Mühen, auch ihre kargen Fortschritte,
gelegt. Ich glaube, Herr von Kühlmann-Stumm hat
ohne dabei die Machthaber dort auch nur mit einem
den Begriff nicht nur aufzugreifen versucht, er hat
einzigen Wort zu erwähnen. Übrigens — unter uns
dazu auch etwas zu sagen und ihn zu entwickeln
gesagt: Was, glauben Sie, würde sich davon positiv
versucht. Über alle diese Dinge müssen wir reden,
niederschlagen bei den Omas und Opas aus Dres-
darüber kann man jetzt am Schluß der Debatte
den und Kamenz und Leipzig und Erfurt, die auf dem
nicht mehr reden.
Wege der Rentnerbesuche, die seit einiger Zeit mög-
lich sind, hier dann erleben, daß wir das würdigen, Meine Damen und Herren, keine sonstige Erinne-
was ihnen geschieht und wie es ihnen geht? Das rung! Aber hören Sie einmal genau mit: Die- CDU
wäre schon etwas, was die Mühe wert wäre. sollte sich in der Darstellung der Wiedervereini-
Und dann jener andere Vorschlag: Wir werden gungspolitik durch nüchternen Realismus von der
den Interzonenhandel so weit wie möglich aus- Wunschträumerei der SPD unterscheiden. Die CDU
bauen; der soll kein Mauerblümchen in unserem sollte deshalb offen sagen, daß die Wiedervereini-
Wirtschaftsleben sein. Ich habe bedauert, Herr Bun- gung nur im Zusammenhang mit einer grundsätz-
deswirtschaftsminister, daß Sie gesagt haben, dar- lichen Änderung der weltpolitischen Konstellation
über könne man hier doch nicht reden. Natürlich zu erreichen sei und daß die Bundesrepublik auf
muß man sogar darüber reden, und wir werden das diese weltweite Entwicklung nur einen begrenzten
anders machen als bisher. Wir werden hier Anfra- Einfluß habe. Warum haben Sie das nicht früher
gen stellen in dieser Sache. Dabei können Sie ge- gesagt? Das findet man nur in den Wahlkampfricht-
wiß sein, daß wir Dinge, bei denen wir wissen: linien der CDU/CSU für die Kandidaten der CDU/
„Feind hört mit", nicht zur Sprache bringen. Aber CSU. Ehrenwert — wenn Sie die Sache so sehen —,
einfach weil Feind mithört, auf das, was zu erörtern daß Sie es schreiben. Das ist aber eine Frage der
notwendig ist, totzuschweigen, das hört auf. Dar- GesamtrichungdPolk.WerHAußn-
über müssen wir reden; solche Fragen müssen wir minister die Dinge damals auch nur andeutungs-
behandeln. weise richtig ausgesprochen hat, dann war doch
(Beifall bei der SPD.) darin, daß in Ihrem eigenen politischen Lager und
erst recht im Volk völlige Unkenntnis darüber
Sie haben leider in diesen Fragen unser Vertrauen herrscht, wo wir eigentlich stehen. Reicht es dann,
nicht gerechtfertigt. Das muß ich mit Bitternis oder daß Sie solche Erkenntnisse in zwei Sätzen für den
Betrübnis feststellen. inneren Gebrauch — und damit Sie uns von der
Und dann jener dritte Vorschlag: 20 Jahre sind SPD mit „Illusionen" abschmieren können — Ihrer
genug; die Regierung sollte zur Mitarbeit auffor- Kandidaten zur Sprachregelung ausgeben? Denken
dern und sollte sich an die Parteien wenden. Ich Sie einmal darüber nach! Ich weiß genau, daß Sie zu
kann das sehr schwer hier wieder vorbringen; denn dem Ergebnis kommen: Das reicht nicht.
ich habe damals, nachdem die letzte Viermächtekon- Sie verlieren ja auch gar nichts, wenn Sie sich
ferenz auf Gipfelebene scheiterte, ehe sie zusam- entschließen, die Karten in dieser Frage auf den
mentrat, an dem 30. Juni 1960 versucht, Ihnen — Tisch zu legen. Wir können doch in dieser Frage
noch aus einer Zeit, in der wir bittere Auseinan- nur gemeinsam etwas gewinnen oder nur gemein-
dersetzungen geführt hatten — einen Weg mit gang- sam etwas verlieren. Sie können uns nicht über-
bar machen zu helfen, damit in dieser Frage wie in trumpfen, und wir können Sie in dieser Beziehung
der damals über uns hängenden — ein Jahr später auch nicht übertrumpfen, weil ein Blinder und ein
wurde nämlich die Mauer errichtet — Frage Berlins Lahmer, wie wir es sind, in der deutschen Frage
mindestens gemeinsam überlegt würde. Auch dazu noch lange keinen Normalen machen. Wir sind aber
sind Sie heute nicht imstande, wenigstens mit einem heute in dieser Situation.
warmen Wort in dieser Frage, in einer gesamtdeut-
schen Frage, bei der es an die Herzen geht, auch (Beifall bei der SPD.)
diejenigen, die nicht zu Ihrer Koalition gehören, in
Die Perfektion überlasse ich den Sektierern, den
die Erörterung zu ziehen.
Blättchenschreibern und auch gewissen Praktikan-
Meine Damen und Herren, ich war mit dabei, als ten. Die können das so darstellen, als könnte man
vor dem Bundestagswahlkampf — damals dank der es so machen. Es ist Schwindel, wenn auch von
guten Dienste der Herren des Kuratoriums Unteil ihnen häufig gar nicht als solcher erkannt. Aber hier
376 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 10. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. Dezember 1965

Wehner
kann man sich doch nicht gegenseitig etwas vor- lungsurkunde, für die sie die Unterschrift des We-
machen. stens haben möchten. Die Dinge laufen in einer
Hier geht es um viele Dinge, dabei auch darum, Weise, die es uns schwermacht.
daß Berlin nicht nur eine Pflicht ist, sondern auch (Lebhafter Beifall auf allen Seiten des
eine Möglichkeit. Hauses.)
Hier erlaube ich mir eine Bitte um Entschuldigung Meine Damen und Herren, da sind viele Sorgen;
persönlich einzufügen, weil ich mich durch einige da sind die Sorgen in Europa, auf die man jetzt nicht
Dinge, die Berlin betrafen, so hart habe hinreißen mehr ausführlich zu sprechen kommen kann. Da sind
lassen, daß sogar eine ganze Fraktion geglaubt hat, die Sorgen, die sich aus dem Stillstand der Entwick-
ich hätte die Worte, die ich in meiner Bitterkeit lungen ergeben, von denen die meisten angeommen
ausgestoßen habe, an eine ganze Fraktion ausge- hatten — ich auch —, sie seien einfach nicht mehr
sprochen. Ich bitte Sie deswegen um Entschuldigung. rückläufig zu machen: die europäischen Entwicklun-
(Beifall bei der CDU/CSU.) gen. Ich denke daran, was der amerikanische Präsi-
dent seinerzeit — leider ohne offizielles Echo in den
Ich habe ja für den Tatbestand selbst meinen Ord- Regierungen des Westens — gesagt hat: was man
nungsruf nicht nur gekriegt, sondern auch genom- allein nicht tun könne, selbst wenn man so stark wie
men; der gehörte sich. Amerika sei, was man aber tun könne, wenn man es
(Heiterkeit bei der CDU/CSU.) gemeinsam mit anderen tue. Um Himmels willen,
was ist daraus inzwischen geworden! Die wenigsten
Gut! Aber Sie werden das verstehen: Ich kann nicht
erinnern sich noch an diese Feststellungen, die der
sagen, was das für mich hieß und sicher auch für
amerikanische Präsident getroffen hat. Und jetzt ha-
viele, wenn sie das miterlebt hätten. Ich habe eben
ben wir Sorgen um Europa, um die atlantische- Part-
so reagiert, wie ich bin. Anders kann ich nicht.
nerschaft, um Entwicklungen, die leider in wesent-
Meine Damen und Herren, Sie haben angekün- lichen Punkten anders zu laufen scheinen als das,
digt, daß die Regierung ein Weißbuch herausgeben was der damalige amerikanische Präsident richtig
werde. Ich bitte Sie, weil ich das für einen ganz ins Auge zu fassen alle nötigen wollte.
guten Vorsatz halte, es tatsächlich zu tun. Wenn
Wir müssen heute einiges versuchen — Sie wer-
Sie es nicht tun sollten oder wenn es lange dauern
den sich vielleicht wundern, wenn ich das so ohne
sollte, müssen wir Sie leider daran mahnen. Ich
eingehende Begründung sage; ich verzichte darauf,
wäre froh, wenn Sie mit der Ansicht übereinstimm-
weil ich Ihre Zeit schon über Gebühr in Anspruch
ten, die ich Ihnen jetzt sage: daß es am besten wäre
genommen habe —, ohne von unseren Verpflichtun-
— aber darüber ließe sich diskutieren —, wenn Sie
gen und von unseren Überzeugungen in bezug auf
nicht ein Weißbuch über die Deutschlandfrage
die europäischen Gemeinschaften abzugehen oder
schlechthin herausgäben, sondern wenn wir uns
unsere Haltung zu ändern. Die europäischen Ge-
angewöhnten, etwas zu tun, was andere Regierun-
gen aus einer anderen Tradition schon häufiger meinschaften drohen, im nächsten Jahr in eine noch
machen: ein solches Weißbuch über einen ganz be- schlimmere Krise zu geraten, als wir sie bisher er-
stimmten, über einen meßbaren Tatbestand abzu- lebt haben; lassen Sie uns da keiner Täuschung an-
fassen. Ich würde z. B. sagen: über die Entwicklung heimfallen! Wir müssen also versuchen, dort unsere
und die Behandlung der Deutschlandfrage in der Haltung nicht zuungunsten dessen, was von den Ge-
Zeit vom Notenpaar November 1958/Januar 1959 meinschaften bewahrt werden muß, bewahrt werden
bis zum Moskauer Abkommen Juni 1964 zwischen kann, zu ändern.
Moskau und Pankow. Haben Sie keine Angst; es Dasselbe 'gilt für das nordatlantische Bündnis-
kommen auch Sachen, die hinterher gekommen sind, system. Deswegen bin 'ich so betrübt, daß der Herr
noch zum Zuge, im Anhang oder sonstwo. Aber dies Bundeskanzler eine so schulmeisterliche Antwort auf
ist eine wesentliche Periode. Wenn Sie sich das eine so wesentliche Frage gegeben hat
überlegen, dann werden Sie finden: So schrecklich
(Beifall bei der SPD.)
beide Daten sind, so geeignet sind sie — wenn wir
es richtig, sauber, sachlich tun —, unser Volk, auf — wo sollen wir sie denn sonst anbringen, wenn
das es . vor allem ankommen wird, den Menschen in nicht hier? — und uns einfach damit abgebürstet hat:
anderen Ländern und auch denen, die Sitz und Darüber werden wir in Washington reden. Niemand.
Stimme in den United Nations und sonstwo haben, zwingt Sie, Herr Bundeskanzler, hier über Sachen zu
klarzumachen, so daß es jeder nachlesen kann: das reden, von denen jeder weiß, daß jetzt nicht davon
und das ist in der Deutschlandfrage geschehen, das zu reden ist. Aber uns jetzt einfach abzuschmieren
und das haben wir versucht. Es gibt gewisse Mei- und zu sagen: Darüber reden wir überhaupt nicht!,
nungsverschiedenheiten darüber, ob man alles Er- das geht nicht, das müssen Sie sich abgewöhnen. Wir
denkliche versucht hat. Aber bitte, der Rahmen ist werden das nicht durchgehen lassen.
ein Rahmen, den Sie versuchen sollten zu benutzen. (Beifall bei der SPD.)
Denn Sie werden sehen: da fällt dann bei vielen
in der Welt der Groschen, da werden wir endlich Wir wissen, daß Sie bei diesen Dingen, in nuklea-
zum Gegenstoß kommen gegen diese furchtbare ren Fragen, in einer schwierigen Situation sind. Ich
erdrückende Offensive, die die sowjetische Propa- bin weit davon entfernt, darüber ironisch reden zu
ganda unternimmt, — als ob wir gar nicht einen wollen. Nur — bitte, das sage ich ungern, in diesem
Friedensvertrag wollten, während sie, die Sowjets, Falle geht es aber um Deutschlandpolitik —: Ihre
ihn wollten. In Wirklichkeit wollen sie eine Tei Position gegenüber den anderen draußen ist doch
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 10. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. Dezember 1965 377

Wehner
stärker mit einer Opposition, der Sie sich in diesen Ich bitte Sie um Entschuldigung, daß ich Sie so
Fragen stellen, als wenn Sie es so machen, wie Sie lange aufgehalten habe; aber ich danke Ihnen für
es hier versuchen. Ihre Geduld.
(Beifall bei der SPD.) (Anhaltender lebhafter Beifall bei der SPD.)
Hier geht es mir gar nicht um Sie als Parteimann,
hier geht e s mir darum, daß das Maximum an Ein- Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Meine Damen
flußmöglichkeit bei diesen schwierigen Verhandlun- und Herren! Ehe ich das Wort weitergebe, muß ich
gen, in denen versucht werden muß, den Schuttberg mir ein Urteil über den Ablauf unserer Diskussion
in Europa abzutragen, erreicht wird. Ich glaube nicht, bilden. Ich habe hier außer der des Herrn Bundes-
daß Sie den Schlüssel zu atlantischer Sicherheit, auf kanzlers noch drei Wortmeldungen, nämlich von den
die wir ja angewiesen sind, ohne die wir in diesen Herren Fraktionsvorsitzenden. Darf ich fragen, ob
Zeitläuften überhaupt nicht Politik denken können, sich die Herren kurz zu fassen wünschen? —
irgendwie mit einem Magneten herauskriegen.
Washington wird auch erwarten, daß wir den Haupt- (Abg. Dr. Barzel: Wir haben die Absicht,
teil unserer Kraft auf das Abtragen des europäischen Herr Präsident!)
Schuttberges konzentrieren. — Das würde ich begrüßen; denn davon hängt er-
So schwer das ist bei den besonderen Vorstellun- stens ab, ob wir eine Mittagspause machen — wenn
gen des französischen Staatspräsidenten und seines ja, würde ich sie jetzt machen —,
Regimes in bezug auf das, was wir Integration nen- (Abg. Dr. Barzel: Nein!)
nen, und das, was atlantische Partnerschaft heißt —
in diesen Punkten können wir nicht Irrlichtern fol- oder ob wir durchdiskutieren mit der Absicht, das
gen. Denn wenn Sie Irrlichtern folgen, werden Sie, Plenum zwischen 14 und 15 Uhr zu schließen
meine Herren, die Sie das versucht haben, erleben: (Abg. Dr. Barzel: Richtig!)
Von Paris kriegen Sie nicht, was sie geglaubt hat-
und damit diese ganze Diskussion heute zu Ende
ten, von Washington fordern oder einhandeln zu zu bringen. Meine Herren Fraktionsvorsitzenden,
können. Was wir unternehmen müssen, ist der Ver- ist das möglich?
such, in Fragen, in denen es sich machen läßt —
einige hat, glaube ich, mein Freund Erler und, wenn (Abg. Dr. Barzel: Ja!)
ich mich recht erinnere, ich habe dás inzwischen Herr Kollege Erler, ist das möglich?
noch nicht alles nachlesen können, auch mein
Freund Schmidt erwähnt; wenn es zunächst nicht (Abg. Erler: Ja!)
mehr ist, ist es wenigstens etwas —, „faire quelques Herr Kollege von Kühlmann-Stumm?
choses ensemble", zu zweit einige Dinge zu machen; (Abg. Freiherr von Kühlmann-Stumm: Ja!)
was die Vorstellung des französischen Staatspräsi-
denten ist. Versuchen wir's, was sich da machen — Gut. Herr Bundeskanzler, ich unterstelle, daß Sie
läßt. Das werden nie Dinge sein können, die Rech- den Wunsch haben, nunmehr zum Regieren zu kom-
tens nur von den Gemeinschaften oder von der men. Nun, meine Damen und Herren, dann werden
Sicherheitsorganisation, so wie sie ist — sie ist na- wir jetzt ohne Unterbrechung diese Debatte zu
türlich auch der Entwicklung unterworfen —, ge- Ende bringen. Zum Schluß der Debatte werde ich
macht werden können. Aber wir sollten doch eini- Herrn Dr. Pohle noch das Wort zu einer Erklärung
ges versuchen und nicht glauben, wir könnten es ja nach § 36 der Geschäftsordnung geben.
von hier aus nicht ändern, was dort für ein Kurs Dann muß ich folgendes fragen. Als ich die Kon-
herrscht; nicht glauben, das könnte man alles auf die stituierung einiger Ausschüsse ansetzte, ging ich da-
leichte Schulter nehmen. Ich sehe da sehr viele wei- von aus, daß diese Ausschüsse während des Ple-
tere Schwierigkeiten. nums konstituiert werden müßten. Dazu kann man
Noch eine letzte Bitte. Es kommt jetzt wieder auf nicht im ganzen Hause herumlaufen, sondern sie
— damit meine ich weder Herrn Barzel noch die müssen hintereinander weg konstituiert werden.
anderen, die hier offiziell die Auffassungen ihrer Wenn das Plenum fertig ist, können wir das anders
Fraktionen vertreten haben —, als ob wir eine Art machen und können die Ausschüsse mit etwas grö-
Stufenplan oder so etwas in bezug auf die deutsche ßerer Distanz in ihren Ausschußräumen konstitu-
Frage und den Friedensvertrag hätten. Es hat schon ieren. Ich sage noch einmal: wenn das Plenum
einmal in früheren Jahren — es liegt nicht so sehr fertig ist. Deshalb verschieben sich die Termine für
lange zurück — mit Recht den Begriff gegeben, die Ausschußkonstituierungen um eine halbe Stun-
manches könnte man „pari passu" tun. Da sollte de, — also für jeden Ausschuß 30 Minuten später
man bei ernsthaften Überlegungen doch nicht verlo- als mitgeteilt, und zwar erfolgt sie in den dafür
rengehen lassen. Das gehört zu den wenigen Mög- zunächst vorgesehenen Räumen.
lichkeiten, die aus alten Streitereien übriggeblieben Ich höre, daß gleich nach dem Plenum Fraktions-
sind. Aber wenn wir damals einer Meinung waren, sitzungen stattfinden sollen. Ich hoffe, daß die Aus-
gewisse Dinge könnten pari passu getan werden in schußkonstituierung dadurch nicht unmöglich wird.
der deutschen Frage und im Hinblick auf friedens- Wir müssen eine Reihe von Ausschüssen heute auf
vertragliche Regelungen usw., dann sollte man jeden Fall konstituieren, damit sie möglichst schnell
daran nicht nur denken oder darüber streiten, son- zusammentreten können. Ist das klar? — Meine
dern daran arbeiten. Damen und Herren, ich frage noch einmal: Ist die
378 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 10. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. Dezember 1965

Präsident D. Dr. Gerstenmaier


Ausschußkonstituierung möglich, auch wenn Sie ist über das, was sich gestern abend hier vollzogen
nach dem Plenum Fraktionssitzungen machen wol- hat.
len? Das zweite, Herr Kollege Wehner. Sie haben uns
(Abg. Erler: Ja!) — und das war sehr wichtig — mit einer Maxime
Dann verschieben sich also die Termine für die Aus- der Opposition vertraut gemacht. Sie haben gesagt,
schußkonstituierungen um 30 Minuten, immer unter Ihre Maxime sei, das Wohl des Volkes zu mehren
der Voraussetzung, daß wir zwischen 14 und 15 und Schaden von ihm zu wenden. Wir danken sehr
Uhr fertig werden. herzlich für diese Klarstellung. Ich denke, wir kön-
nen feststellen, daß dies die gemeinsame Maxime
Der Ältestenrat muß heute auch noch zusammen- ist. Ich sah, ehrlich gesagt, nicht recht den Anlaß,
treten. Ich werde den Termin dafür noch durch- dies erneut zu 'betonen. Denn niemand, Herr Kol-
sagen lassen. lege Wehner, möchte das tun, was Sie als eine
Nun hat das Wort der Herr Abgeordnete Dr. potentielle Gefahr bezeichnet haben: die Sozial-
Barzel. demokratie aus diesem Staat herauszudrängen.
Ich möchte deshalb, mit Genehmigung des Herrn
Dr. Barzel (CDU/CSU) : Herr Präsident! Meine Präsidenten, noch einmal die ersten Sätze der Rede
Damen und meine Herren! Zunächst zur Rede des verlesen, die ich zu Eingang dieser Debatte habe
Herrn Kollegen Wehner: Was so polemisch be- halten dürfen. Ich habe gesagt:
gann, ist dann doch noch eine große Rede und eine Uns allen hier, Koalition wie Opposition, wün-
große Stunde für das ganze Haus geworden. Ich schen wir den Geist möglichst weitgehender
will deshalb mit Ihnen, Herr Kollege Wehner, auch prinzipieller Übereinkunft und eine Praxis der
nicht mehr streiten über Physiognomien; uns geht es Toleranz und loyaler Zusammenarbeit. Wir
allein um Deutschlands Wohl, und dafür ist uns alle, Koalition wie Opposition, tragen Verant-
jede Nase recht. wortung für unser Volk.
Sie waren so freundlich, Herr Kollege Wehner, Ich habe dann von Brentano zitiert mit den Worten:
in Ihrer Rede — und auch einige Ihrer Kollegen in
der Debatte — zum Teil dem Kollegen Strauß und Wir alle haben ein Mandat der Wähler. Wir
zum Teil auch mir — und man merkte die Absicht zusammen vertreten das Volk,
- ein paar besondere Blumen zu überreichen. Ich und habe angeschlossen:
bedanke mich dafür und nehme sie zu dem bunten
Strauß dieser CDU/CSU, von dem die schönste Die Kooperation aller in den großen Lebens-
Blume nach wie vor der Bundeskanzler Erhard ist fragen bleibt eine Notwendigkeit.
und bleiben wird. Hierzu stehen wir, und hieran erinnern wir, Herr
Kollege Wehner, auch vor dem Hintergrund Ihrer
(Beifall 'bei der CDU/CSU. — Zurufe von
bedeutenden Rede.
der SPD.)
Sie haben dann unseren Herrn Parteivorsitzenden,
Meine Damen und Herren, der Herr Kollege
Bundeskanzler Adenauer, zitiert und seinen wichti-
Wehner war so freundlich, uns allen einen —
gen Aufsatz in der „Politischen Meinung" noch ein-
wenn ich das so sagen darf — Blick in ein gelobtes
mal zur Sprache gebracht, — einen Aufsatz, der sich
Land zu eröffnen. Dieser Blick war sehr interessant,
mit gewissen Mängeln unseres Grundgesetzes be-
dieser Blick war wichtig, und der Blick war zwei-
schäftigte. Sie sehen unsere Politik, Herr Kollege
felsfrei von Verantwortung getragen. Wir fragen
Wehner: Wir bemühen uns erstens um die Koope-
uns, Herr Kollege Wehner, ob wir dieses gelobte
ration aller in den großen Fragen. Zweitens haben
Land nicht auch gemeinsam erreichen können durch
wir die Bundesregierung ermuntert, durch die Art
die von uns vorgeschlagene Kooperation aller in
der Behandlung der Notstandsfragen, der Finanz-
den großen Fragen; und dazu möchte ich im Verlauf
verfassungsreform wie der Deutschland-Frage die
dieser Antwort auf Ihre Rede ein paar Sätze sagen.
Möglichkeit breiter Majoritäten zu erleichtern. So
Ich muß aber zunächst noch, Herr Kollege Wehner meine ich, Herr Kollege Wehner, Sie sollten hier
— obwohl es jetzt kaum in die Stimmung paßt, nicht sagen — und es ist mir unverständlich, wes-
weder in die aufgeregte Hektik der Geschäftslage, halb Sie es getan haben —, wir wollten die SPD
die hier entstanden ist, noch in die andere, welche etwa, jetzt weiß ich nicht genau: zum „Appell" oder
die anderen Passagen Ihrer Rede mit Recht auch zum „Befehlsempfang" antreten lassen. Nein, wir
bei uns 'bewirkt haben —, ich muß der guten suchen die Kooperation aller in den großen Fragen
Ordnung wegen, und weil es mir ernst ist, den Vor- bei Fortbestand dieser Koalition.
wurf zurückweisen, wir versuchten, uns über das (Beifall bei den Regierungsparteien.)
Grundgesetz hinwegzusetzen, indem wir hier hes-
sische Probleme diskutierten. Herr Kollege Wehner, Ich möchte dies ganz klarstellen und deshalb
in aller Ruhe: wir haben nicht den Finanzminister ganz vorsichtig folgendes festzustellen versuchen,
Osswald gebeten, hierherzukommen. Wir haben und ich hoffe, daß wir einer Meinung sind, wenn ich
das Recht nach Art. 43 Abs. 2 des Grundgesetzes dies sage, Herr Kollege Wehner: Unsere Verant-
nicht bestritten. Wir haben die Art gerügt, in der wortung für Deutschland ist nicht abhängig von dem
er von diesem Recht Gebrauch gemacht hat. Ich Grad der Mitwirkung in der Bundesregierung. Ich
denke, heute morgen ist jedem klargeworden, daß glaube, das ist ein Satz, der ganz klar ist und der
er wahrscheinlich auch selbst nicht ganz glücklich auch eine gemeinsame Maxime sein sollte.
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 10. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. Dezember 1965 379
Dr. Barzel
Vor dem Hintergrund dieses Satzes fällt es mir sondern ein Dokument, das die Menschen anspricht
leicht, Ihr Angebot anzunehmen, gegen Klischees und das in der Welt wahrscheinlich Beachtung fin-
zu sein, Klischees von uns gegen Sie und von Ihnen den würde.
gegen uns. Die Wirklichkeit, die Gegenwart, gibt Nun ein Wort zu der Debatte, die wir hinter uns
genug an Streitstoff, vielleicht auch genug an Ge- haben und die zu Ende geht. Auch wir glauben, daß
meinsamkeit her, an tragfähiger Basis für große es eine gute und eine nützliche Aussprache war.
Lösungen, Herr Kollege Wehner. Auch wir ringen Vielleicht war das eine oder andere noch zu sehr
um diese Dinge. Sie sehen, wie Sie uns angesprochen aus der Vergangenheit und von hinten gesehen.
haben mit disen Fragen. Ich meine deshalb, daß es Aber das ist sicherlich verständlich. Wir sollten uns
gut wäre, wenn wir häufiger hier diskutierten und künftig vielleicht kürzer fassen, unsere Aufmerk-
uns mehr an das hielten, was hier verantwortlich samkeit auf die Zukunft lenken und versuchen, mit
gesagt wird, als an das, was in dritten Blättern und der Gegenwart fertig zu werden.
an vierten Orten an politischer Diskussion geschieht.
Ich glaube, daß diese Debatte Klarheit über ein
(Beifall bei den Regierungsparteien.) paar Punkte geschaffen hat. Es nun klar — mich
überrascht es nicht, aber ich will es festhalten —,
Was Sie dann zur Mitbestimmung sagten, war für daß die Politik der Bundesregierung in wesentlichen
uns wichtig und interessant. Sie waren so freundlich, Fragen der Außenpolitik eine sehr breite Mehr-
an Hans Böckler zu erinnern, dem in der Tat ein gro- heit in diesem Parlament hat. Es ist klar — und
ßes Verdienst gebührt. Ich hatte schon einmal an Karl niemand hat dies bestritten —, daß wirtschaftlich
Arnold erinnert, wie Sie wissen, und daran, daß die und sozial die Zeit des Wiederaufbaus zu Ende ist,
soziale Marktwirtschaft wie die soziale Partner- daß wir in einer neuen Phase sind und daß der
schaft für uns die Basis der bisherigen wie der zu- stürmische ökonomische Fortschritt der Vergangen-
künftigen Entwicklung sind. Ich bin dankbar, daß -
heit wohl kaum wird wiederholt werden können.
Sie wenigstens eingegangen sind auf meinen Ge- Auch dies scheint eine gemeinsame Auffassung zu
danken des Zusammenhangs zwischen Mitbestim- sein.
mung und Miteigentum. Sie waren ein bißchen
Herr Bundeskanzler, ich glaube, es ist klar ge-
nuanciert zu dem, was ich gesagt habe. Ich will es
worden — und dies ist sehr wichtig in bezug auf
jetzt nicht fortsetzen. Wir haben früher einmal mit
das, was Herr Schiller „kurzfristige Politik" nennen
Herrn Kollegen Deist darüber an dieser Stelle de-
würde —, daß in diesem Hause eine große Bereit-
battiert. Es wird Gelegenheit geben, das zu tun. Es
schaft besteht, eine an der Stärkung unserer Wirt-
gehört nicht in diese knappe Stunde.
schaft orientierte gesamtökonomische und soziale
Was die beiden letzten Fragen aus Ihrer Rede Politik durchzusetzen und durchzustehen, selbst
betrifft, die ich in diesem mittäglichen Tempo noch wenn dazu ein paar Durststrecken gehörten. Ich bin
behandeln kann, Herr Kollege Wehner, so möchte sicher, daß wir das mit der Koalition zusammen
ich dazu, zur Frage der Reform der Finanzverfassung schaffen können, Herr Bundeskanzler.
und des Weißbuchs, noch folgendes sagen. Ich glaube, (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeord
daß wir für die Finanzverfassungsreform den Bericht neten. der FPD.)
der Sachverständigen, die gemeinsam von den Län-
Ich glaube, man kann sagen, daß diese Debatte der
dern und von der Bundesregierung eingesetzt wor-
letzten vier Tage der Bundesregierung die Möglich-
den sind, bald erwarten können. Der Bericht der
keit und das Recht gegeben hat, sich gestärkt zu
Sachverständigen wird ganz objektiv sein. Ich
fühlen. Sie geht mit ihrer Politik aus dieser Debatte
nehme an, daß wir dazu alle ganz sachlich und
gestärkt hervor.
allein nach dem Urteil und den Daten, die darin
enthalten sind, Stellung nehmen. Das Urteil darüber (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeord
und die Konsequenzen, die man daraus zieht, wer- neten der FPD.)
den nicht etwa davon abhängig sein, ob man sich
in der Bundesregierung befindet oder nicht. Ich möchte noch ein paar Punkte ausdrücklich
festhalten. Ich bin sehr dankbar für die Klarstellun-
Was das Weißbuch zur deutschen Frage betrifft, gen — mich haben sie nicht überrascht; aber für
so haben wir schon festgestellt, daß wir der Bundes- einige von uns und für die Öffentlichkeit waren sie
regierung für ihre Absicht dankbar sind. Es wäre wichtig hinsichtlich der gesamtdeutschen technischen
in der Tat gut, wenn das Weißbuch bald erschiene. Kommission. Das ganze Haus ist sich also darüber
Wir begrüßen die Ankündigung und bitten, auch ein- im klaren, daß sie nur unter dem Dach der Vier
mal zu prüfen, ob man nicht diesem Weißbuch, das Mächte und nur in einem Prozeß mit dem Ziel der
sich zunächst notwendigerweise mit diplomatischen Wiedervereinigung in. Frage kommen. Sie kommen
Vorgängen zu beschäftigen hat, noch ein zweites an- nicht in Frage als Elemente der Stabilisierung des
hängt und — darauf kam ich bei Ihrer Rede, Herr Status quo. Dies ist eine Klarstellung für die Öffent-
Kollege Wehner — ob man nicht einen Anhang lichkeit; nur deshalb wiederhole ich sie noch einmal.
macht, der die Charta der Menschenrechte der Ver- Wir waren uns darüber schon früher intern völlig
einten Nationen enthält und zu jedem Punkt die einig geworden, und ich stelle das — an die Adresse
Verstöße durch die Wirklichkeit in der sowjetisch des Koalitionspartners — dankbar fest.
besetzten Zone Deutschlands. Dann hätten wir nicht
nur ein Dokument für Diplomaten, Ich möchte auch ein Wort des Dankes an den
Herrn Kollegen Dahlgrün für einen Beitrag zu
(Beifall bei der CDU/CSU) dieser Debatte richten. Er wird sich vielleicht
380 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 10. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. Dezember 1965
Dr. Barzel
wundern, daß ich diesen Beitrag besonders lobend sagen: Das finde ich nicht gut, und das halte ich
erwähnen möchte. Er hat nämlich — wenn ich es auch nicht für jenen Geist von Gemeinsamkeit, der
richtig im Ohr habe — eine Definition des Sparens hier beschworen worden ist, meine Damen und Her-
geboten. Das schien mir notwendig zu sein; denn es ren!
bestand doch hier und dort die Gefahr, daß Sparen (Beifall in der Mitte.)
künftig definiert würde als „Verzichten auf das, was In diesem Zusammenhang noch ein Punkt, der
man ohnehin nicht hat". durch die Rede des Kollegen Wehner eine noch
(Heiterkeit.) größere Bedeutung bekommen hat, als er vorher
hatte. Es gab eine Debatte mit dem Kollegen Heine-
Ich denke daran, daß die eine oder andere Verlaut-
mann. Der Kollege Erler hatte das mit der Frage
barung von 12,9 Milliarden DM ausging, die gar
zur Ergänzung der Verfassung und solcher Dinge
nicht da waren, und daran, daß Sparen im Verzich-
eingeleitet. Das heißt: Sie haben immer wieder
ten, im Abstreichen dessen, was ohnehin nicht da ist,
darauf abgehoben, daß man sich über die Zeit und
bestehe; und ich denke an die von Herrn Altham-
die Prioritäten der Politik überhaupt — das ist die
mer gerügte Methode der Opposition, Anträge ein- Formulierung — verständige. Ich will nicht das
zubringen, die Geld kosten, sie zurückzuziehen, weil ganze Zitat noch einmal vorlesen; die Zeit langt
das Geld nicht da ist, und das dann als Sparen zu nicht. Was also diese Sätze wirklich bedeuten —
bezeichnen. Also finden wir zu der soliden Formu- das Sich-einig-Sein über die Priorität der Politik
lierung zurück, die der Bundesminister der Finan- überhaupt als eine neue Voraussetzung für die
zen hier geboten hat. anderen Dinge —, ist leider Gottes auch dem Kol-
(Beifall in der Mitte.) legen Benda nicht gelungen, dem Kollegen Heine-
mann zu entlocken, der dazu gesprochen hat.
Meine Damen und Herren, der Herr Kollege
Schmidt hatte die Liebenswürdigkeit, zunächst ein- Herr Kollege Wehner, auch Sie haben natürlich
mal das mangelnde Selbstbewußtsein der Sprecher im Grunde die ganze Zeit davon gesprochen, ohne
der Koalition zu rügen. Dies ist ein Vorwurf, den aber wirklich eine präzise Antwort gegeben zu
ich weder zurückgeben kann noch möchte. haben. Reißen wir keine Gräben auf! Überlassen
(Abg. Erler: Herr Luda hat ihn entkräftet!) wir das der Zukunft, und sehen wir durch die Tat,
was hier zu machen ist. Es wird sicher gut sein,
— Herr Luda hat ihn entkräftet, meinen Sie? Meine wenn die Bundesregierung die Fäden aufnimmt,
Damen und Herren, ich bin nicht so ganz sicher. die hier auf dem Tisch liegen. Bei der Notstands-
Wir haben ja einiges erlebt. verfassung wird man z. B. sehr schnell feststellen,
Aber er hat dann gesagt — und darauf wollte ob es um die damals abgerissenen Fäden geht oder
ich zurückkommen —, daß für die Bundesregierung ob hier neue Bedingungen gestellt werden, ob hier
nicht zähle, was sie sage oder ankündige, sondern andere Voraussetzungen erfüllt werden sollen.
was sie tue. Einverstanden! Das gilt aber wechsel- Bevor ich zu einem Schlußgedanken dieser kur-
seitig. Auch für die Opposition gilt nicht, was sie zen Intervention komme und abschließe, möchte ich,
ankündigt — wobei sie andere Arten des Tuns hat Herr Kollege Erler, noch etwas sagen. Sie haben
als die Regierung, das wird eingeräumt —, auch für sich neulich, wie ich glaube, mit Recht darüber er-
die Opposition gilt nur, was sie tut. regt, als ich sagte, wir hätten wieder eine Opposi-
Sehen Sie, Herr Kollege Schiller, da habe ich tion. Sie haben sich über das Wörtchen „wieder"
gleich ein Betätigungsfeld für Ihren Tatendrang. Sie erregt. Ich bin bereit, das zurückzunehmen. Wir ha-
haben uns gesagt, das deutsche Volk frage: Da ben eine Opposition. Aber an dem anderen muß ich
debattieren die vier Tage, und was tun sie gegen festhalten: Wir haben keine Alternative, meine Da-
die Preise? — Ihnen kann geholfen werden, Herr men und meine Herren.
Kollege Schiller. Stimmen Sie, nächste Woche dem (Beifall und Zuruf von der CDU/CSU: Hes-
Haushaltssicherungsgesetz zu! Das ist der Anfang sen ist die Alternative! — Zurufe von der
für eine vernünftige Politik auf diesem Gebiet. SPD.)
(Beifall in der Mitte. — Zurufe von der — Herr Kollege Wehner, jetzt hören Sie doch ein-
SPD.) mal gut zu. Ich wollte weiter sagen, diese Feststel-
lung, daß wir keine Alternative haben, kann man
Ich will dem noch ein Stückchen nachschieben.
positiv werten, und man kann sie auch negativ
Herr Kollege Erler, ich habe Ihre Frage an den Kol-
legen Althammer sorgsam gehört und sogar für werten, und diese Wertung möchte ich heute nicht
diese Schlußbemerkung notiert, weil mir dies so vornehmen.
wichtig war. Sie haben nach der Finanzlage des Meine Damen und meine Herren! Ich möchte ein
Bundes gefragt, die — ich zitiere nun — „zu be- Wort zum Stil dieser Debatte sagen. Ich möchte zu-
klagenswerten Beschlüssen der Mehrheit des Hau- nächst mit mir selber anfangen. Ich glaube, wir
ses führen wird und wahrscheinlich auch führen sollten den Vorsatz fassen — alle miteinander —,
muß". Dies war eine bedeutsame Formulierung. Das kürzer zu sprechen.
heißt, die Mehrheit wird etwas herbeiführen, was
(Beifall in der Mitte.)
man im Grunde kaum bestreiten kann — es wird
wahrscheinlich so sein müssen, sagen Sie —, aber Ich habe selber die Redezeit der Geschäftsordnung
die Opposition wird sich daran eben nicht beteili- — 60 Minuten — voll ausgeschöpft. Ich glaube,
gen. Hierzu, Herr Kollege Erler, muß ich Ihnen eigentlich kann man auch in 30 Minuten das sagen,
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 10. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. Dezember 1965 381

Dr. Barzel
was dringend ist. Ich möchte für mich für diese Sache, und darüber kann man Geschmacksurteile fäl-
Periode den Vorsatz fassen, nicht mehr länger als len.
30 Minuten zu reden. Ich erwähne das alles, weil ich fürchte, daß wir in
(Beifall. — Zuruf von der SPD.) einem Dilemma leben: den Intellektuellen — wenn
ich diesen nicht ganz klaren Begriff einmal gebrau-
— Sie können mich immer daran erinnern.
chen darf — macht das Differenzieren aus, die Ein-
Eine andere technische Frage, über die wir mit- sicht in die Problemgehalte, das Erkennen und Ab-
einander sprechen müssen, ist, ob und wie wir das wägen des Für und Wider und das Bedenken der
Fernsehen an solchen Debatten beteiligen sollten. Zwar und der Aber. Das ist der Intellektuelle. Dann
Wir müssen darüber sprechen, weil es ein paar kommt der Politiker. Der muß das zwar auch. Aber
Dinge gegeben hat, die hinüber und herüber wahr- am Schluß muß er entscheiden, und da kann er nicht
scheinlich nicht als erfreulich gelten. Kommentie- „zwar oder aber" sagen, sondern nur ja oder nein,
rende Bemerkungen im Fernsehen gehören, glaube und ,das auch noch zu einer mehrheitsfähigen Formel,
ich, nicht dazu, wenn ein objektives Bild gegeben von der viele Freunde zudem noch wünschen, daß sie
werden soll. publikationswirksam und massenverständlich sei.
Eben dieses geht natürlich dem Intellektuellen leicht
(Abg. Dr. Mommer: Warum gönnen Sie das auf die Nerven. Dieses Dilemma muß man hier ein-
dem Schiller nicht!) mal hinstellen. Ich glaube, am Schluß einer solchen
— Herr Kollege Mommer, anderen ist ja auch etwas Debatte darf man das tun. Hier liegt sicher eine
gegönnt worden. Ich kann mir erlauben, das zu sa- Wurzel vieler Mißverständnisse. Deshalb, meine ich,
gen. sollte das Parlament — wir alle miteinander — einen
Beitrag dazu leisten, daß wir zu einem Mehr an Ver-
Ich möchte hier noch einige Gedanken beisteuern. stehen auch dadurch kommen, daß wir hier nicht nur
Der Kollege Schmid hat gestern eine große Rede die Ergebnisse, nicht nur die Formeln der Schluß-
über geistige Dinge gehalten. Ich möchte einen Ak- abstimmung vortragen, sondern auch etwas von dem
zent setzen, der zu tun hat mit unserer Debatte, mit Gang der Beratungen in uns selber mitteilen, also
unserem Umgang untereinander und mit den Miß- einen Einblick geben in den Weg unserer eigenen
verständnissen, die auch angesprochen worden sind, Meinungsbildung, unserer Urteilsbildung, in das Rin-
zwischen uns und den Intellektuellen. Die Sache ist gen um das bessere Argument.
wichtig.
Das sollte hier im Deutschen Bundestag geschehen,
Max Scheler hat im Jahre 1925 eine ernste Pro- der einen guten Start genommen hat. Hier sollte der
gnose für unser Volk gestellt, und sie ist leider erste Ort des politischen Gesprächs sein, der Ort des
1) eingetroffen. Er hat sie auf das gegründet, was er lebendigen aktuellen und verantwortungsvollen Ge-
den „konstitutiven Gegensatz zwischen Macht und sprächs. Gespräch setzt voraus: Einander-Zuhören
Geist" in unserem Lande nannte. Darum muß man und Offensein für das bessere Argument; sonst hat
sich kümmern, das darf nicht sein; denn es geht Gespräch keinen Sinn.
etwas kaputt, wenn das bleibt und wenn das vor-
handen sein sollte. Ich bin dankbar, daß Sie mir erlaubt haben, das
so schnell und in Ruhe zu sagen. Auch damit, meine
Was wir brauchen, ist eine ständige Kommunika- Damen und Herren, hätte man eine Stunde füllen
tion zwischen Geist und Politik, wobei allerdings die können. Sie sehen, vielleicht schaffe ich es sogar
Vertreter des Geisteslebens nicht für sich ein Mono- unter 30 Minuten, und das wäre dann schon das
pol in Anspruch nehmen sollten; möglicherweise erste Mal gelungen, Herr Kollege Mommer.
sitzen in diesem Raum auch einige, die mit dem
Geist etwas zu tun haben. Ich komme zum Schluß: Herr Bundeskanzler, die
deutschen Wähler haben Sie bestätigt. Die deut-
(Heiterkeit.) schen Wähler haben diese Koalition, zu der wir
stehen, gewollt und gewählt. Wir haben dem
Als Weiteres gehört dazu, daß wir Geist nicht mono-
Wählerwillen entsprochen, wir haben diese Koa-
polisieren lassen — dafür bin ich dem Kollegen
lition gebildet. Sie haben Ihre Regierungserklärung
Strauß sehr 'dankbar — als Indentifikation mit lin-
vorgetragen, der die Koalition zustimmt, der aber
ker Lautstärke.
die Opposition nicht zustimmt. Damit ist die erste
Wir sollten hier als Politiker miteinander wirklich Phase nach den Wahlen abgeschlossen. Sie können
vorangehen und sagen: Wir achten die Aussagen der jedoch, Herr Bundeskanzler, mit einer soliden Majo-
Vertreter dieser Welt nicht nur in ihrem eigenen rität zusammen mit uns an die Arbeit gehen. Wir
Bereich, sondern auch, wenn sie sich zu anderen Din- hoffen und wünschen, daß es uns miteinander — der
gen äußern. Die Vertreter dieser geistigen Welt soll- Koalition mit der Regierung — gelingt. Und ich wie-
ten allerdings auch das achten, was wir hier tun, und derhole, was ich in meiner Rede auch an die Adresse
uns als mögliche Menschen und nicht als geistlose der Koalition gesagt habe: wir wollen eine Partner-
Banausen — bis zum Beweis des Gegenteils — be- schaft, ein Verstehen, und das heißt, daß man nach
trachten. gemeinsamen Beratungen auch miteinander klüger
(Beifall bei der CDU/CSU.) werden kann.
Da auch das hier eine Rolle gespielt hat, möchte Herr Bundeskanzler, wir gehen mit Ihnen an die
ich sagen: Daß Günter Grass sich im Wahlkampf be- Arbeit, an die Arbeit für das ganze Deutschland,
teiligt hat, find ich gut. Wie er es getan hat, ist seine für Fortschritte auf die Einheit hin, für ein
382 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 10. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. Dezember 1965
Dr. Barzel
Mehr auch an sozialer Gerechtigkeit und Mensch- Parlament mitarbeitet, vorzuwerfen, welchen Beruf
lichkeit in diesem Lande. Auch uns ist erlaubt, oder welche Tätigkeit er vorher ausgeübt hat. Es
unser Land zu lieben. sollte auch dankbar vermerkt werden, daß diesem
(Anhaltender Beifall bei den Regierungs Parlament viele Selbständige angehören, und ihnen
parteien.) sollte man diese Selbständigkeit doch nicht zum
Vorwurf machen.
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Das Wort hat Zum Thema Mitbestimmung brauche ich nichts
der Abgeordnete von Kühlmann-Stumm. mehr zu sagen. In dieser Beziehung ist unsere Hal-
tung klar und einwandfrei. Wir wollen an der be-
Freiherr von Kühlmann-Stumm (FDP) : Herr stehenden Mitbestimmung nichts ändern; wir wol-
Präsident! Meine Damen und Herren! Diese vier- len auch nicht an ihr herumkritisieren oder irgend-
tägige Debatte ist mit wenigen Ausnahmen in einer welche kleinlichen Bemerkungen machen. Aber ge-
bemerkenswerten Fairneß geführt worden. Leider rade auf Grund der Erfahrungen, die wir bei der
hat der Herr Kollege Wehner diese Fairneß inso- Mitbestimmung auf dem Sektor von Kohle und
fern durchbrochen, als er es für richtig befunden Stahl gewonnen haben, glauben wir, daß es un-
hat, unsere Partei als kapitalistische Partei zu ver- zweckmäßig ist und nicht im Interesse der Arbeit-
ketzern, was ich hier in aller Form zurückweisen nehmer liegt, diese Mitbestimmung auszudehnen.
möchte. Die Arbeitnehmer, insbesondere die Betriebsange-
(Beifall bei der FDP. — Lachen bei der hörigen der betroffenen Unternehmen, sind nämlich
SPD.) nicht in genügender Form an der Mitbestimmung
Es ist zu einfach, diese Dinge auf die Fragen der beteiligt.
Gewerkschaften zurückzuführen. Wir haben nicht (Beifall bei der FDP.)
-
etwa die Gewerkschaftsbewegung und die ganze Das ist der Punkt. Deshalb haben wir uns dagegen
soziale Bewegung in den ersten zwei Jahren der gewandt. Ich habe das ja hier in aller Breite aus-
vergangenen Legislaturperiode blockiert. Wir haben geführt.
auch niemals der Zwangsschlichtung das Wort ge-
redet, Nun ein Wort zu der Zusammenarbeit in den
großen Fragen. Man kann die Äußerungen doch
(Zurufe von der SPD) wohl nicht so verstehen, daß die Opposition etwa
sondern wir haben lediglich den Versuch unter- die Zusammenarbeit bei den großen entscheidenden
nommen, zu erreichen, daß die letzten Möglich- Reformwerken, die vor uns liegen, abgelehnt hätte.
keiten der Schlichtung ausgenützt werden. Ich habe den Kollegen Wehner auch nicht so ver-
standen. Ich bin im Gegenteil fest davon überzeugt,
(Beifall rechts.) daß bei den entscheidenden Fragen, die wir in
Das war unser Vorschlag: keine Zwangsschlichtung, dieser Legislaturperiode zu beantworten haben —
sondern die letzte Möglichkeit des Ausnützens der die nächsten vier Jahre werden Jahre der Refor-
Schlichtung. Das war unser Anliegen. men sein und sein müssen —, die Opposition ihre
Wir sind sehr dankbar, daß die Tarifpartner in- konstruktive Mitarbeit an den Reformen der Koali-
zwischen zu eigenen Schlichtungsvereinbarungen tion nicht versagen wird. Deswegen hat es keinen
gekommen sind und wir somit weiter festhalten Zweck, in diese Fragen eine harte Note hereinzu-
können an dem, was uns am Herzen liegt, nämlich bringen oder gar den Eindruck zu erwecken, man
an der Hoheit der Tarifpartner. Wir Freien Demo- wolle mit einer solchen Beteiligung an den Refor-
kraten haben diese Tarifhoheit immer besonders men der Koalitionsregierung eine Regierungsbetei-
herausgestellt, weil sie uns ein wichtiger Faktor ligung der SPD in irgendeiner Form herbeiführen.
unseres Staates zu sein scheint. Dabei werden wir Ich kann mir nicht denken, daß das der Sinn der
auch bleiben, und wir werden nicht dulden, daß an Ausführungen des Herrn Kollegen Wehner gewesen
ist,
dieser Tarifhoheit in irgendeiner Form gesetzgebe-
risch Abänderungen vorgenommen werden. (Zurufe von der SPD)

(Beifall bei der FDP.) sondern ich glaube im Gegenteil, daß die Oppo-
sition bereit ist, an der Lösung dieser Kernfragen,
Noch ein Wort zu dem „Direktor" Dahlgrün. die uns in dieser Legislaturperiode bevorstehen,
Es ist sehr billig, wenn man einem Abgeordneten konstruktiv und positiv mitzuarbeiten. Ich glaube,
oder einem Minister seinen Titel oder seine Tätig- wir werden in diesem Punkt nicht enttäuscht wer-
keit in einer großen Firma, die er ausgeübt hat, be- den.
vor er in dieses Parlament gekommen ist, zum
Vorwurf macht. Ich darf Ihnen, meine Damen und Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Gestatten Sie
Herren von der Opposition, sagen, daß Sie für den- eine Zwischenfrage des Abgeordneten Wehner.
selben Posten des Finanzministers in Ihrer Regie-
rungsmannschaft sogar einen Generaldirektor vor-
gesehen hatten, Freiherr von Kühlmann-Stumm (FDP) : Bitte
sehr.
(Beifall bei den Regierungsparteien — Zu
rufe von der SPD) Wehner (SPD) : Herr Kollege von Kühlmann-
— und kein Mensch macht Ihnen das zum Vorwurf. Stumm, darf ich Sie fragen, ob Sie tatsächlich mei-
Es geht doch nicht an, einem Mann, der hier im nen, daß nach meinen Feststellungen, daß Sie ja
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 10. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. Dezember 1965 383
Wehner
etwas Unwiderrufliches getan haben, die SPD noch Lösung unserer großen Frage, nämlich unserer
in irgendeiner Weise versuchen sollte, sich in die Deutschlandfrage, abzeichnet.
Regierung hineinzudrängen? Haben Sie mich so (Zuruf links: Warten Sie nur weiter!)
mißverstanden?
Ich möchte hier z. B. in allem Freimut bekennen,
daß ich es für gut gehalten habe, daß wir zu Weih-
Freiherr von Kühlmann-Stumm (FDP) : Nein. nachten und Neujahr wieder Passierscheine haben
werden. Wenn wir nicht den regelmäßigen Kontakt
(Zurufe von der SPD.)
zu den Menschen in der Zone erhalten, wenn es uns
nicht gelingt, diese Gespräche fortzuführen, wenn
Wehner (SPD) : Haben Sie mich so mißverstan- wir eines Tages nicht mehr die gleiche Sprache spre-
den? Das ist unwiderruflich, und Sie werden sehen, chen, wenn wir uns eines Tages nicht mehr persön-
was das heißt. Das — — lich verstehen, dann, meine Damen und Herren, sind
die entscheidenden Voraussetzungen für die Wieder-
vereinigung Deutschlands nicht mehr gegeben.
Freiherr von Kühlmann-Stumm (FDP) : Nein, (Beifall bei der FDP.)
das habe ich auch nicht gemeint.
Deswegen begrüße ich diese erneute Möglichkeit für
(Abg. Wehner: Haben Sie keine Angst, die Westberliner, ihre Verwandten und Bekannten
Ihren Sperrsitz behalten Sie! — Lachen und in Ost-Berlin zu besuchen. Ich begrüße die Wieder-
Zurufe.) eröffnung der Härtestelle bis zum 31. März. Ich
— Nein, das ist nicht der Punkt, den ich meine, hätte es vorgezogen, wenn sie auf ein Jahr wieder
Herr Kollege Wehner. Ich sagte, man könnte Ihren geöffnet worden wäre. Ich kann überhaupt nicht
- ver-
Ausführungen entnommen haben, stehen, daß die SBZ so viel Unmenschlichkeit zei-
gen und diese Härtestelle schließen konnte, die ja
(Zuruf des Abg. Wehner) nur in besonderen Härtefällen, nämlich bei Tod
daß Sie die konstruktive Mitbeteiligung, die ich oder schwerer Krankheit, den Westberlinern die
Ihnen sowieso zubillige, nur unter der Bedingung Möglichkeit gibt, die Mauer zu durchschreiten. Wir
des Eintritts der SPD in eine Regierung vornehmen begrüßen auf jeden Fall die neue Passierscheinrege-
wollten. Das ist alles. lung.
(Abg. Wehner: Sie können nicht regieren Leider hat hier an diesem Pult weder der Bundes-
und nun sozusagen auf uns rechnen; das außenminister noch der Minister für gesamtdeutsche
geht nicht!) Fragen gestanden, weil man in der Debatte an
scheinend nicht genügend auf diese Dinge eingegan-
— Das habe ich ja, glaube ich, in meinen Worten gen ist. Es hätte uns zweifellos interessiert, mit wel-
sehr deutlich gemacht. chen Grundgedanken die Bundesregierung die
(Abg. Wehner: Das ist unwiderruflich im schwerwiegende Reise in die Vereinigten Staaten
Sinne des Herrn Dr. Adenauer, unwiderruf antreten wird. Das liegt uns allen am Herzen. Es
lich! und was daraus folgt, ist unwiderruf ist hier klar zum Ausdruck gekommen, daß die
lich!) Meinungen z. B. in der nuklearen Frage abgestimmt
werden müssen, daß es einige gibt, die für die
— Ich habe ja nicht die Bücher oder die Memorien militärische Lösung eintreten, daß es einige gibt,
oder was sonst des Herrn Altbundeskanzlers zu ver- die für die politische Lösung eintreten. Das hätte
teidigen. Ich sage hier die Meinung der Freien De- ausdiskutiert werden sollen. Es sind Kernfragen
mokratischen Partei in aller Offenheit und in aller für unser deutsches Volk. Ich stehe auf dem Stand-
Deutlichkeit. Es liegt, glaube ich, im Interesse des punkt und habe das in meinen Grundausführungen
gesamten deutschen Volkes, daß wir hier alle mit hier auch dargelegt, daß man nach den Vorschlägen
dem Ziele zusammenarbeiten, diese Reformwerke, des amerikanischen Verteidigungsministers McNa-
die uns geradezu vorgeschrieben sind, in dieser mara die politische Lösung anstreben sollte. Man
Legislaturperiode gemeinsam zu vollenden. muß versuchen, diese politische Lösung zur Grund-
(Beifall bei der FDP.) lage der Diskussion mit dem Präsidenten der Ver-
einigten Staaten zu machen.
Ich möchte nur noch auf die Punkte zu sprechen
kommen, die mir besonders am Herzen liegen und Auf der anderen Seite, meine Damen und Herren,
die meiner Ansicht nach in dieser Debatte etwas zu liegt uns auch daran, Herr Bundeskanzler, daß Sie
kurz gekommen sind: das ist die Frage der Deutsch- bei diesem Gespräch in Amerika die deutsche Frage
landpolitik, das ist die Frage der Außenpolitik, der mit allem Ernst wieder aufwerfen, daß Sie danach
Europapolitik, und das sind die Fragen der NATO. fragen, was mit dem Memorandum der Bundesregie-
Ich glaube, ich habe in meinen Ausführungen sehr rung von 1963 geschehen ist und wie es weiter be-
deutlich darauf hingewiesen, wie sehr diese Fragen handelt wird. Ich habe in meinen Ausführungen
uns Freien Demokraten am Herzen liegen und wie bereits festgestellt, daß wir seit 1959 nicht mehr
sehr wir Wert darauf legen, daß gerade in diesen über Deutschland verhandelt haben. Damals sind
nächsten vier Jahren auf diesen Gebieten Fort- die für Deutschland verantwortlichen vier Mächte
schritte, und zwar keine kleinen Fortschritte, erzielt zum letzten Male zusammengetreten, mit Herrn
werden. Wir erwarten, daß sich am Ende dieser Bolz am Konferenztisch und selbstverständlich auch
Legislaturperiode auch ein Silberstreifen für die dem Vertreter der Bundesrepublik Deutschland. Da-
384 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 10. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. Dezember 1965
Freiherr von Kühlmann-Stumm
mals lag ein Plan auf dem Tisch des Hauses, der Das waren, kurz zusammengefaßt, die Fragen. die
sich sehr konstruktiv mit der deutschen Frage be- mir und meiner Fraktion besonders am Herzen
schäftigt hat. Er ist von den Russen leider vom lagen, gerade im Hinblick auf die Tatsache, daß der
Tisch gefegt worden. Das Paket wurde aufgeschnürt, Herr Bundeskanzler demnächst nach Amerika fährt
wie Sie wissen, und es stand dann nur noch die und sicher auch in andere Länder fahren wird, ge-
Berlin-Frage zur Debatte. Aber auf diesem Plan rade im Hinblick darauf, daß sich in den nächsten
des amerikanischen Außenministers Herter baut Tagen entscheiden wird, wer der neue französische
sich das Memorandum der Bundesregierung von 1963 Staatspräsident sein wird. Ich habe keinen Zweifel,
auf. Es ist meiner Ansicht nach die einzige Aus- daß die Bundesregierung alles tun wird, um diese
gangsposition, die man für eine künftige Diskussion Entwicklungen voranzutreiben und die Dinge aus
über Deutschland zugrunde legen kann. Wir müssen der Stagnation herauszuführen. Ich habe keine Be-
alles einsetzen, damit es uns gelingt, diese Debatte denken, daß der Bundesregierung, der ich dazu Erfolg
über Deutschland wieder in Gang zu bringen. Wir wünsche, die Lösung dieser Fragen gelingen wird.
müssen alles daransetzen, zu erreichen, daß die vier
Mächte sich wieder an den Verhandlungstisch set- Herr Kollege Barzel hat noch einmal die Koalition
zen, um über Deutschland zu beraten. Am besten angesprochen. Ich glaube, ich brauche nicht zu wie-
wäre es, wenn es eine ständige Kommission der derholen, daß wir diese Koalition angestrebt und
vier Mächte für Deutschland gäbe, die sich nur mit gewollt haben, daß wir auf der Basis dieser Koali-
der Deutschlandfrage genauso intensiv befassen tion den Wahlkampf geführt haben und daß wir
sollte wie z. B. die Abrüstungskommission mit der auch bereit sind, sie fortzusetzen und konstruktiv
Abrüstungsfrage. Das ist ein Wunsch der FDP. Ich mitzuarbeiten. Es ist nicht die Frage, ob einer klüger
möchte das hier noch einmal mit aller Deutlichkeit oder weniger klug aus einer Versammlung hervor-
ausführen. geht; es kommt in einer Koalition darauf an, daß
(Beifall bei der FDP.) man rechtzeitig, lange bevor die Dinge heranreifen,
Ich brauche nicht zu betonen, daß es uns am Her- über die verschiedensten Fragen diskutiert und nicht
zen liegt, daß die Europafrage nicht weiter stagniert, unter Zeitdruck Fragen entscheiden muß, die zu
daß sie vorangebracht wird. Die Bundesregierung Kontroversen führen. Ich appelliere auf jeden Fall
sollte zusammen mit den übrigen Partnern der EWG an den Koalitionspartner, uns regelmäßig frühzeitig
alles unternehmen, um die Franzosen ohne Vorlei- über alle Dinge zu orientieren, die ihm am Herzen
stungen wieder an den Konferenztisch zu bringen, liegen und mit denen er uns konfrontieren will.
damit diese EWG weiterarbeiten kann, damit es (Hört! Hört! bei der SPD.)
vorwärtsgeht. Denn diese Europäische Wirtschafts-
gemeinschaft war auch ein wichtiges politisches In- Wenn das gewährleistet ist, werden wir auch er-
strument. Ich glaube, es hat der Sowjetunion großen reichen, daß wir sehr leicht über Schwierigkeiten
Eindruck gemacht, welche Wirtschaftskraft hier ent- hinwegkommen und schon sehr rechtzeitig Be-
wickelt worden ist und welche Dynamik in dieser schlüsse fassen können.
Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft gesteckt hat. Das ist besonders wichtig im Hinblick auf die
Ich kann mir nicht denken, daß sich der französische Haushaltslage. Wir haben vier lange Jahre vor uns.
Staatspräsident auf die Dauer diesen Fragen ver- Wir müssen einen Finanzplan, einen Haushaltsplan
schließen wird, zumal ich den Eindruck habe, daß für diese vier Jahre machen, und da wird es not-
die Franzosen aus dieser europäischen Gemeinschaft
wendig sein, sich schon jetzt rechtzeitig mit dem
doch ganz beachtliche Vorteile gezogen haben. Ich
Koalitionspartner zu besprechen, damit wir errei-
kann mir nicht denken, daß sie wirklich die Absicht
chen, daß in diesen vier Jahren eine Haushalts-
haben, diesem für uns alle so wichtigen euro-
politik betrieben wird, die wir Freien Demokraten
päischen Werk auf die Dauer fernzubleiben.
uns immer schon vorgestellt haben, nämlich aus-
Dasselbe gilt für die NATO. Wir haben den Ein- gerichtet am Wachstum. des Bruttosozialprodukts.
druck, daß sich hier einiges geändert hat, daß man
die Verhältnisse im Bündnis neu überdenken sollte, Der Bundesregierung darf ich für die Reise in
daß man einem Land wie der Bundesrepublik, die die Vereinigten Staaten nochmals Glück wünschen.
durch die Bundeswehr einen so maßgeblichen Bei- Ich hoffe, daß wir bald Gelegenheit haben werden,
trag zur Verteidigung Europas geleistet hat, auf die in diesem Hohen Hause eine außenpolitische Aus-
Dauer das Mitspracherecht nicht verweigern kann, sprache zu haben, und ich hoffe, daß es Bundes-
daß wir auch in den NATO-Stäben entsprechend regierung und Koalition gelingen wird, in diesen
berücksichtigt werden sollten. Ich glaube, auch das Fragen in den nächsten vier Jahren konstruktiv zu-
wird zu lösen sein. sammenzuarbeiten. Ich hoffe, daß die Opposition
Aber es hat keinen Zweck, sich jetzt von diesem bereit ist, an den großen reformerischen Aufgaben
Bündnis fernzuhalten, sich aus diesem Bündnis zu- tatkräftig mitzuarbeiten, und ich erkläre für die
rückzuziehen, es in irgendeiner Form zu untermi- Freie Demokratische Partei, daß sie zu dieser Zu-
nieren. Hier sollten wir vielmehr unseren deutsch- sammenarbeit voll und ganz bereit ist.
französischen Freundschaftsvertrag dazu verwenden, (Beifall bei den Regierungsparteien und bei
diese Frage mit dem französischen Staatspräsidenten Abgeordneten der SPD.)
und seiner Regierung mit dem Ziel zu besprechen,
daß sich auch der französische Staatspräsident wieder
mehr als bisher der NATO zuwendet und in ihr Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Das Wort hat
mitarbeitet. der Herr Bundeskanzler.
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 10. Sitzung. Bonn, Donnerstag, 'den 2. Dezember 1965 385

Dr. Dr. h. c. Erhard, Bundeskanzler: Herr Präsi- Viertens. Am 14. Dezember werde ich, wie in der
dent! Meine Damen und Herren! Meine Regierungs- Regierungserklärung angekündigt, ein erstes Ge-
erklärung stand im Zeichen der Notwendigkeit, spräch mit Arbeitnehmer und Arbeitgebervertre-
-

Wirtschaft und Währung stabil zu erhalten. Vier tern über die wichtige und verantwortungsvolle
Tage lang hat das Hohe Haus über diese Regie- Rolle führen, die nicht zuletzt auch diesen bei der
rungserklärung diskutiert. Ich habe aufmerksam zu- Erhaltung unserer wirtschaftlichen Leistungskraft
gehört. Ich habe alle Anregungen und Gedanken- und der Kaufkraft der Deutschen Mark zufällt.
beiträge zur Lösung der schwierigen vor uns liegen- Grundlage dafür wird das Sachverständigengutach-
den Aufgaben zur Kenntnis genommen. Ich habe ten bilden. Bei dieser Gelegenheit wird selbstver-
berechtigte und unberechtigte Kritik gehört. ständlich auch die Frage der Arbeitszeit erörtert
werden.
In einer kurzen Schlußbemerkung möchte ich
allen Rednern dieser Debatte danken. Zu den Niemand in diesem Hause hat die Richtigkeit
wesentlichen Punkten der Regierungserklärung unserer Politik der engen Zusammenarbeit mit
haben sie sich, jeder auf seine Weise — das gilt, allen unseren Verbündeten angezweifelt. Diese Zu-
wie ich feststelle, auch für die Opposition —, mit sammenarbeit ist auch die Grundlage unserer
Ernst um die Sache bemüht. Bei dieser Feststellung Deutschlandpolitik. Aus dieser Sicht müssen alle
übergehe ich ganz bewußt die auf mich gezielten außenpolitischen Maßnahmen beurteilt werden, die
politischen Angriffe einiger Oppositionsredner, die in nächster Zeit zur Entscheidung anstehen.
überaus durchsichtigen Motiven entspringen. Hof-
fentlich aber ist dem Hohen Hause deutlich gewor- In meiner Regierungserklärung habe ich darge-
den, daß die Problematik viel zu vielschichtig ist, legt, daß Wiedervereinigungspolitik, Sicherheits-
als daß es wahrhaftig wäre, den Bundeskanzler für politik und Außenpolitik eine Einheit bilden müs-
alles, was die neue Zeit gebiert, allein zum Prügel- sen. Festigung der NATO, deutsche Beteiligung an
knaben stempeln zu wollen. einer gemeinsamen nuklearen Verteidigung und
Fortschritte in der europäischen Einigungspolitik
Ihr Versuch, meine Damen und Herren von der sollen die Chancen für unsere Sicherheit und für die
Opposition, die Szene — frei nach Schiller — zum deutsche Wiedervereinigungspolitik auf lange Zeit
Tribunal werden zu lassen, ist jedenfalls gescheitert. sichtbar bessern.
Die Sorge um unsere zukünftige Entwicklung be- Am 19. Dezember werde ich mit Präsident John-
wegt alle Parteien, die in diesem Hohen Hause ver- son in den Vereinigten Staaten zusammentreffen.
treten sind. Das hat diese Debatte erwiesen. Wäh-
Zu Beginn des nächsten Jahres werde ich im Rah-
rend aber die Opposition die Regierung auf die
men des deutsch-französischen Freundschaftsver-
Anklagebank zu setzen versuchte und ihrerseits
trages mit Präsident de Gaulle Gespräche führen.
manche Vorstellungen, zum Teil sogar gefährliche
Ihnen werden dann Gespräche mit dem britischen
Thesen entwickelte, darf ich hier noch einmal die
Premierminister Wilson folgen. Vieles, meine Da-
Schritte aufzählen, die von der Bundesregierung
men und Herren, was im außenpolitischen Teil
unmittelbar nach ihrem Zusammentritt eingeleitet
dieser Debatte ausführlich diskutiert worden ist,
worden sind:
wird Inhalt dieser Gespräche sein. Seien Sie ver-
Erstens. Die Mehranforderungen für den Bundes- sichert, daß die Bundesregierung nach sorgfältigster
haushalt 1966 werden einschneided gekürzt. Analyse der Gegebenheiten und Entwicklungen mit
klaren Vorstellungen über die deutschen Lebens-
Zweitens. Das Haushaltssicherungsgesetz ist ein- fragen die internationalen Gespräche aufnimmt.
gebracht. Es wird zusammen mit den Streichungen
den Ausgleich des nächsten Bundeshaushalts sicher- Lassen Sie mich zum Schluß noch an einem Satz
stellen. Auf diese Weise wird der erste Schritt in meiner Regierungserklärung erinnern: Die Be-
getan, um den Haushalt wieder zu einem wirksamen zugspunkte unserer Politik liegen vor und nicht
wirtschaftspolitischen Instrument zu machen. Wir mehr hinter uns. Das bedeutet, daß unsere Sorgen
sind uns alle darüber im klaren — das hat die De- nicht mehr allein die des Wiederaufbaues des freien
batte in erfreulicher Eindeutigkeit und Einmütigkeit Teiles Deutschlands sind. Dieser Abschnitt ist be-
bestätigt —, daß es nicht genügt, den Bundeshaus- endet. Jetzt gilt es, die Probleme einer modernen
halt auszugleichen und seine Ausweitung zu be- Industriegesellschaft neu zu überdenken und nach
grenzen. Länder und Gemeinden müssen folgen. unseren Vorstellungen zu lösen, Das bedeutet
Bund, Länder und Gemeinden müssen darüber hin- gleichzeitig, daß unsere außenpolitischen Sorgen
aus zu einer aufeinander abgestimmten, stabilitäts- noch stärker als bisher auf die deutsche Wieder-
bewußten langfristigen Haushaltspolitik kommen, vereinigung gerichtet werden müssen. Das Vertrau-
um die großen Aufgaben unseres modernen Staats- ensverhältnis zu den freien Staaten des Westens
wesens zu meistern. Angesichts der Wichtigkeit ist fest gefügt. Aber es zu erhalten, bedarf es auch
dieser gesetzlichen Maßnahmen und angesichts der immer neuer sorgfältiger Pflege.
Bedeutung dieser Frage, die von allen Debatten-
Im ganzen hoffe ich, daß sich die zweifellos er-
rednern unterstrichen worden ist, bitte ich das Hohe
kennbaren Ansätze, in Fragen nationaler Wichtig-
Haus um die Zustimmung zum Haushaltssicherungs-
keit zu einer gegenseitigen Annäherung der Stand-
gesetz.
punkte zu kommen, fruchtbar weiterentwickeln las-
Drittens. Am 13. Dezember werde ich mit dem sen. Das deutsche Volk hat ein Recht darauf, daß
Sachverständigenrat das Gutachten über die wirt- sich alle Parteien für seine Belange einsetzen. Es
schaftliche Lage der Bundesrepublik beraten. will, daß niemand nur in Kritik und Negation ver-
386 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 10. Sitzung. Bonn, Donnerstag, dem 2. Dezember 1965
Bundeskanzler Dr. Dr. h. c. Erhard
harrt. In diesem Sinne wird die Bundesregierung Einiges wurde in dieser Debatte sicher geklärt;
handeln, in diesem Geiste wollen wir alle und so aber vieles blieb leider auch dunkel. Von den in der
weit wie möglich gemeinsam an die Arbeit gehen. Debatte an die Bundesregierung gestellten sehr prä-
Ein letztes Wort gilt den Freunden meiner Frak- zisen Fragen ist kaum eine beantwortet. Wir wissen
tion und der Koalition, die mir ihr Vertrauen be- z. B. immer noch nicht, wie die formierte Gesellschaft
kundet haben. Es ist der Ausdruck meines Dankes. aussehen soll und welche Maßnahmen zu ihrer Ver-
wirklichung ergriffen werden sollen. Auch in seinem
(Beifall bei den Regierungsparteien.) zweiten Diskussionsbeitrag hat es der Herr Bundes-
kanzler nicht präzisiert. Denn allein Verhaltens-
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Wird weiter regeln in einer demokratischen Gesellschaft recht-
das Wort gewünscht? — Das Wort hat der Herr fertigen doch noch keinen neuen Namen für eine
Abgeordnete Erler. solche Gesellschaft. Wir wissen nicht, wie das Ge-
meinschaftswerk aussehen soll, welche Zuständig-
keiten es haben soll, wie es verwaltet werden soll,
Erler (SPD) : Herr Präsident! Meine sehr verehr- wie es finanziert werden soll, in welchem Verhält-
ten Damen und Herren! Es war vorhin gesprächs- nis es zu der von uns allen als notwendig begriffe-
weise angekündigt, daß der Herr Bundeskanzler nen Finanzverfassungsreform für Bund, Länder und
einige unpolemische Schlußbemerkungen machen Gemeinden stehen soll. Wir wissen immer noch
würde. Nun, abgesehen von dem Kapitel seiner nicht, wie die Bundesregierung das mit konkreten
Rede, das zeigte, auf wie vielen Gebieten in diesem Absichten, mit konkreten Maßnahmen abzudecken
Hause erfreulicherweise in der Wahrnehmung un- gedenkt, was in der Regierungserklärung angekün-
serer Interessen nach außen Übereinstimmung be- digt ist als Hilfe, als Förderung oder auch als Prio-
steht, haben die Eingangsbemerkungen des Bundes- rität; denn die Prioritätenliste liegt nicht auf dem
kanzlers wohl doch gezeigt, wie richtig es war, daß Tisch. Eine längerfristige Finanzpolitik, ein kon-
ich mich mit meiner Wortmeldung zunächst zurück- junkturpolitisches Instrumentarium wurden beide
hielt. verschiedentlich gefordert, in der Debatte erwähnt,
(Abg. Baier: Sicher ist sicher!) aber ebenfalls von der Regierungsseite in den Ein-
— Ja, sicher ist sicher. zelheiten nicht vorgelegt.
(Heiterkeit.) Das sind die Lücken, an die ich hier erinnern muß.
Es ist nach unserer Geschäftsordnung nun einmal Genauso ist auch geblieben der Widerspruch zwi-
so, daß, wenn ein Regierungsmitglied spricht, die schen den Förderungszusagen in der Regierungser-
Debatte wieder eröffnet ist. Es gibt also kein insti- klärung auf der einen Seite und den Kürzungen des
tutionelles Schlußwort der Regierung, sondern das Haushaltssicherungsgesetzes zu den gleichen The-
letzte Wort kommt aus dem Hause. men auf der anderen Seite.
Diese viertätige Debatte über die Regierungs- Lassen Sie mich dabei eine Bitte an den Herrn
erklärung hat, anknüpfend an einen verhältnismäßig Bundeskanzler richten. Ich meine, daß er es nicht
dürren und unkonzisen Text, doch ein breites Ge- übelnehmen kann, wenn überhaupt gefragt wird.
mälde enthüllt. Wir haben dabei gesprochen über Das ist auch nicht unmoralisch; das ist das Recht und
die Lage unseres Volkes in seiner Umwelt, über die Pflicht eines Parlaments
seine Sorgen, Nöte und Probleme. Auch wurde
dabei klar, wo es Meinungsverschiedenheiten gibt (Beifall bei der SPD)
— das kann nicht anders sein, das ist das Salz der und insbesondere der Opposition.
Demokratie —, aber auch, wo Übereinstimmung be- (Beifall bei der SPD.)
steht, Probleme im gleichen Geist anzupacken.
Manchmal loderten die Leidenschaften auf. Wir Dem muß man sich halt stellen.
wollen da auch nicht gleich harte Zensuren erteilen. Ich möchte mir eine Anmerkung zu der sehr inter-
Wenn es um Lebensfragen eines Volkes geht, finde essanten Ministerial-Jungfernrede unseres Kollegen
ich es verständlich, daß die innere Teilnahme der Katzer erlauben. Darin war so viel Stoff — viel
zu diesem Geschäft Berufenen mitunter ähnlich leb- mehr als in der Regierungserklärung —, daß wir
haft wird, wie sie einen leidenschaftlichen Anhän-
sicher noch manches darüber im einzelnen zu dis-
ger des Fußballspiels gelegentlich auf dem Fußball-
kutieren haben werden. Nur bin ich allerdings neu-
platz befallen mag. Im Verhältnis zu dem, was man
gierig, wieweit es Herrn Katzer gelingen wird, für
dort manchesmal erlebt, hat unser Parlament sich
seine Vorstellungen überhaupt Mehrheiten in der
bei Problemen von großer Bedeutung doch immer
Regierungskoalition zustande zu bringen.
noch in Zucht gehalten.
(Beifall bei der SPD.)
Leider muß ich feststellen, daß, von wenigen Aus-
Daran sind nach den bisherigen Erfahrungen berech-
nahmen abgesehen, die Sprecher der Koalition und
tigte Zweifel erlaubt.
auch der Regierungsbank sich entweder der Ver-
gangenheit zugewendet oder ersatzweise über die Dann noch ein Kernpunkt der Debatte, heute er-
klaren sozialdemokratischen Vorschläge — etwa klärlicherweise in der großen Übersicht über die
meines Freundes Schiller — diskutiert haben, oder Lage unseres Volkes, seine Gesundheit, seine Sta-
auch etwa in Ermangelung einer entsprechenden bilität, sein Verhältnis zur Umwelt wieder etwas
konkreten Vorarbeit der Bundesregierung über den in den Hintergrund getreten: jener Komplex der
Großen Hessenplan. Frage, wie wir eigentlich in die finanzielle Lage des
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 10. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. Dezember 1965 387
Erler
Bundes hineingeraten sind, die uns in Gestalt des deskanzler — bei allem Respekt vor seinem Amte
Haushaltssicherungsgesetzes in der nächsten Woche und seiner Person — muß zur Kenntnis nehmen,
noch einmal beschäftigen wird. Ich finde, seltsame daß es das Parlament nicht nur angeht, was er redet,
Rechnereien über abgelehnte Wünsche der Oppo- sondern auch, wie er regiert.
sition können doch die Opposition nicht davon ab-
(Beifall bei der SPD.)
lenken, daß die Finanzmisere nicht von den abge-
lehnten Vorlagen der Opposition, sondern von den Richtig ist, daß es darauf ankommt, Bund, Länder
angenommenen Vorlagen der Regierung und der und Gemeinden zum richtigen wirtschaftlichen und
Koalition herrührt. finanzpolitischen Verhalten zu veranlassen, alle
(Beifall bei der SPD.) zusammen! Die Verantwortung für das Zustande-
kommen der hierfür notwendigen Instrumente liegt
Wäre es anders, dann würde man sich so benehmen, natürlich bei der Bundesregierung. Auch diese Ver-
als wäre der Bankrott einer Firma zurückzuführen antwortung kann sie nicht auf andere abwälzen.
auf die nicht durchgeführten Wünsche eines Kom- Das gilt auch für die notwendigen Instrumente des
manditisten und nicht etwa auf die tatsächlichen Umgangs mit den Sozialpartnern, der Orientierungs-
Entscheidungen und Ausgaben der persönlich haf- hilfe, die man ihnen geben muß, wenn der schöne
tenden Gesellschafter. Satz von der informierten Gesellschaft nicht ledig-
(Heiterkeit und Beifall bei der SPD.) lich heißt, daß man für das Bundespresse- und Infor-
Mit einem großen Aufwand an Zahlen und Wor- mationsamt eine notwendige Definition für dessen
ten wurde versucht, davon abzulenken, daß immer- Parteipropaganda braucht.
hin von Regierung und Koalition vor der Wahl (Beifall bei der SPD.)
Finanzvorlagen eingebracht worden sind, die den
Wenn nun in diesem Zusammenhang — Bund - und
Haushalt des nächsten Jahres mit etwa 6 Milliar-
den DM belasten, und daß man einen guten Teil Länder — ein Land angegriffen wird, dann dürfen
davon nunmehr jetzt zurückzunehmen gezwungen wir uns nicht wundern, wenn sich dieses Land hier
ist. Dafür bleibt verantwortlich die Regierung; denn von der Bundesratsbank her zum Wort meldet und
sie hatte nicht nur eine Mehrheit, dieses zu ver- sich seiner Haut wehrt, und wenn allgemeine Fragen
hindern, wenn es ihr gepaßt hätte, sie hatte außer- gestellt werden, dann darf man sich nicht über die
dem auch noch den Artikel 113 des Grundgesetzes, Antworten auf solche Fragen wundern.
von dem sie keinen Gebrauch gemacht hat. (Beifall bei der SPD.)
(Beifall bei der SPD.) Dem Herrn Kollegen Barzel möchte ich sagen, daß
Nun, im Licht dieser vorher der Wählerschaft gegen- sich die Ankündigung kürzerer Reden immer gut
über beschlossenen Gesetze und gemachten Ankün- macht; warten wir es ab. — Ja, ich habe auch länger
digungen und der jetzt zu erwartenden Rücknahme gesprochen. Aber ich muß Ihnen ganz ehrlich sagen:
nimmt sich das Wort des Bundeskanzlers geradezu das habe ich sogar absichtlich getan. Das habe ich
gespenstisch aus, das er hier gesprochen hat, näm- ganz absichtlich getan, weil ich den Stil einer De-
lich: „Was wir versprochen haben, das haben wir batte nicht für richtig halte, in der Sie den notwendi-
gehalten". Herr Bundeskanzler, diskutiert wird über gen Dialog zwischen Regierung und Opposition da-
das Jahr 1965 und darüber, was da passiert ist. Da durch ersäufen, daß in einer Materialschlacht von
Redezeit die eine Meinung viermal so lange zu Wort
helfen auch keine Ausflüge in die Vergangenheit,
kommt wie die andere. Das ist kein Dialog.
da hilft auch kein vergilbter Lorbeer drüber hin-
weg, meine Damen und Herren. (Beifall bei der SPD.)
(Beifall bei der SPD.) Immerhin bin ich noch weit übertroffen worden vom
Kollegen Strauß, der nicht so ganz unbeabsichtigt
Schließlich hatte die Regierung sogar die Zahlen
seine Redezeit überschritten hat. Denn auch sein
des Bundesfinanzministeriums zur Verfügung; sie
Manuskript war vorher verteilt.
hätte ja rechtzeitig in den Fraktionen oder auch
hier im Hause davon Gebrauch machen können. (Abg. Strauß: Herr Erler, ich hatte fast
Aber offenbar werden die Zahlen des Bundesfinanz- 20 Fragen zu beantworten!)
ministeriums für andere Zwecke gebraucht als für — Ich hatte sehr viele Fragen und außerdem — das
das richtige Regieren hier in Bonn. kann der Redner vorher natürlich nicht genau wis-
(Beifall bei der SPD.) sen — überraschend starken Beifall. Das bitte ich
nachzusehen. Das kommt auch vor.
Damals, als die Beschlüsse gefaßt wurden, hat der
Kanzler zu diesen Beschlüssen im Parlament nicht (Heiterkeit.)
das Wort ergriffen. Eine allgemeine Beschwörung Aber, meine Damen und Herren, wir alle sind Sün-
in einem anderen Zusammenhang ist kein Ersatz der und ermangeln des Ruhms. Ich bin bereit, über
für dieses konkrete Auftreten. Er hat sich auch — zwei ganz einfache Dinge mit mir reden zu lassen.
das muß ich aus seinem sonst unverständlichen Ver- Einmal darüber, daß wir uns bemühen, bestimmte
halten hier auf dieser Tribüne herleiten — im Kabi- Punkte schneller auszudiskutieren, indem man sich
nett nicht gegen jene Vorlagen gewehrt und auch von vornherein auf einzelne Fragen konzentriert und
in seiner Fraktion nicht dagegen gesprochen; sonst auf die anderen später in der Debatte zurückkommt.
hätte er nicht so empfindlich auf die Frage danach Man kann sich ja mehrfach melden. Das belebt das
reagiert. Meine Damen und Herren, der Herr Bun Geschäft. Zweitens sollten wir darüber nachdenken,
388 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 10. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. Dezember 1965
Erler
daß ein Dialog auch in dem Sinne geführt werden sammen mit meinen Freunden — meine herzlichen
muß, daß Rede und Gegenrede möglichst rasch von Glückwünsche übermittelt habe.
verschiedenen Standpunkten her aufeinander folgen. (Beifall.)
Das können Sie nicht, wenn nach dem von mir ge-
schilderten Grundsatz der Materialschlacht auf der Er hat einen lesenswerten Aufsatz in der Ihnen
einen Seite die Regierungskoalition, möglichst noch hoffentlich nicht ganz unbekannten „Politisch-Sozia-
in dreifacher Ausgabe, und außerdem die ganze Re- len-Korrespondenz" zum — ich wiederhole es — 80.
gierung in voller Kabinettsstärke erscheint. Natür- Geburtstag von Heinrich Brüning geschrieben.
lich soll sich die Regierung hier äußern. Aber die Darin heißt es:
Regierung ist Ihre erste Bank. Das ist doch kein Heinrich Brüning ... hat in allem konsequent
Fremdkörper. Sie wird doch von den Regierungs- die Trennungslinie gezogen zwischen Demo-
parteien gestellt. Die müssen Sie also auch als die kratie und Unfreiheit. So ist es gerade ihm zu
Sprecher der Regierungsmehrheit akzeptieren, die danken, daß das freiheitlich gesinnte Deutsch-
sich mit ihren Partnern und der Opposition ausein- land die Selbstachtung nicht zu verlieren
anderzusetzen haben. brauchte und auch nicht verlor. Gewiß stand
(Beifall bei der SPD. — Abg. Rasner: Herr Brüning mit dieser Haltung nicht allein, viele
Erler, das Parlament ist doch ein Ganzes! andere haben ebenso gedacht und gehandelt, und
Das Pendant zur Regierung ist nicht die das auch unter schweren Opfern. Viele haben
Opposition, sondern das Parlament! — ihre Haltung mit dem Tode bezahlt.
Zuruf von der SPD: Sollte es sein!)
Über das Verhalten dieser Männer im In- und Aus-
— Nicht nur. Ich würde nicht einmal sagen: sollte es land — Heinrich Brüning mußte bekanntlich in die
sein. Hierhin gehören zwei Dinge, die wir sehen Emigration gehen — heißt es dann weiter in - Hein-
müssen. Wir leben nicht in einem Staate mit so abso- rich Krones lesenswertem Aufsatz, daß ihr Verhal-
luter Gewaltenteilung, daß die Regierung ihr Mandat ten es trotz des Ausmaßes an Leid und Tod und Trä-
von .einer ganz anderen Legitimation herleitet als nen des Krieges erleichtert habe, daß die Bande mit
vom Parlament. Die Regierung wird aus dem Parla- den freien Völkern wieder hätten geknüpft werden
ment heraus gebildet. So ist es bei uns. Das erklärt können.
das nun einmal. In England z. B. sitzen .die parlamen- Ich unterschreibe jeden Satz, möchte aber meine
tarisch verantwortlichen Minister auf den ersten Meinung dazu äußern, indem ich sage, daß zu den
Bänken ihrer Parteien. vielen anderen, die Heinrich Krone gemeint hat,
(Abg. Dr. Barzel: Wir haben eine doch wohl mit Sicherheit auch der Vorsitzende der
Koalitionsregierung und unterschiedliche Sozialdemokratischen Partei Deutschlands gehört.
Parteien!)
(Beifall bei der SPD.)
— Das alles weiß ich auch. Dennoch müssen wir über
Ich komme nun zum Schluß noch zu einem ande-
das Problem nachdenken, wie wir hier zu Lösungen
ren Komplex. Die Regierungsparteien setzen sich
kommen. Sie können nicht, wenn Sie von einem
nur höchst ungern mit der Sozialdemokratie, wie sie
anständigen Verhältnis zwischen Regierung und
wirklich ist, auseinander, und auch nur ungern mit
Opposition sprechen, aus formalen Rechtstiteln, die
ich zunächst einmal gar nicht bestreite, zu einer per- dem, was die Sozialdemokratie tatsächlich vertritt.
manenten Benachteiligung der Oppositionsrolle im Statt dessen argumentieren sie gegen eine angeb-
Parlament kommen und dann hinterher sagen, man liche frühere SPD, wie sie sie sich zu Wahlkämpfen
höre zu wenig von der Opposition. jeweils gewohnheitsmäßig aufputzen, und sie proji-
zieren Vorschläge aus einer völlig anderen, ver-
(Beifall bei der SPD.) gangenen Umwelt in die Gegenwart, als würden
Natürlich ist Opposition unbequem. Es ist hier sie noch heute gelten. Dabei ist es doch so, daß Sie,
schon gesagt worden: Man muß sie nützen. Es ist meine Herren — das hat die Debatte klargemacht —,
auch für die Regierung gut, wenn sie der Umwelt gar keine Alternative zu den klaren sozialdemokra-
gegenüber den Beweis für die Lebendigkeit der frei- tischen Vorschlägen entwickelt haben.
heitlichen Demokratie in unserem Lande immer wie- (Lachen bei der CDU/CSU.)
der durch das Vorhandensein und das Wirken der Sie rufen nach Alternativen zu dem in der Regie-
Opposition bringt, wozu natürlich dann auch der rungserklärung nicht vorhandenen Programm.
Umwelt gegenüber eine möglichst objektive Dar-
stellung der Leistungen und der demokratischen (Beifall bei der SPD.)
Zuverlässigkeit eben dieser Opposition gehört. Das Und warum tun Sie das? — Weil Sie insgeheim
verbreitert die Vertrauensbasis draußen in der Welt hoffen, sich selbst in einer Alternative als Spiegel-
zu unserem Staat und zu unserem Volk. bild zu erblicken. Das wäre keine Alternative. Sich
morgens beim Rasieren im Spiegel zu erblicken, ist
Bundesminister Heinrich Krone hat zum 80. Ge-
nicht unbedingt eine Alternative.
burtstag von Heinrich Brüning — —
(Zurufe von der CDU/CSU.)
(Zurufe von der CDU/CSU: Zum 70.!)
Ihnen kann ich nur sagen: Sie dürfen sich nicht zum
— Nein, zum 80.! Entschuldigen Sie, zum 80. Ge- Gefangenen Ihrer eigenen Wahlpropaganda machen,
burtstag von Heinrich Brüning; Heinrich Krone ist einer Propaganda, die die Sozialdemokraten — je
selber 70 Jahre alt geworden, wozu ich ihm — zu nach Bedarf — entweder als die ewigen Nein-Sager
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 10. Sitzung. Bonn, Donnerstag, ,den 2. Dezember 1965 389
Erler
oder als die Kopie der CDU hinstellt. Was davon gönnen der Bundesregierung jeden Erfolg für unser
nach Ihrer Meinung richtig ist, das müssen Sie sich Land. Wir sind nicht so eng, Vorteile für die Partei
endlich mal selber aussuchen. Keines ist richtig; bei- aus Nachteilen für unser Volk und unseren Staat
des ist eine Karikatur. Womit Sie sich beschäftigen zu erwarten.
müssen, das ist der konkrete Inhalt sozialdemokra- (Beifall.)
tischer Politik. Dazu werden wir Sie hier in diesem Allerdings sind — das darf ich hinzufügen — Zwei-
Hause — wie jetzt auch in dieser Debatte — fel erlaubt, ob die Regierung zu dem notwendigen
zwingen. kraftvollen Handeln so fähig ist, wie die Lage es
(Beifall bei der SPD. — Zurufe von der gebietet. Wir werden es sehen. Wir jedenfalls wol-
CDU/CSU.) len unserem Volk und seinem staatlichen Ausdruck
Das andere, worauf Sie dann insgeheim hoffen — im freien Teil unseres Vaterlandes, in dieser unse-
wenn Sie schon nicht den Spiegel wollen, weil Sie rer Bundesrepublik Deutschland dienen.
nur dann zufrieden sind, wenn der andere dem Die Geschichte unserer, der ältesten, immer wie-
eigenen Konterfei genau gleicht —, ist eine SPD, der verjüngten deutschen Partei ist ein Stück der
die aus Lust an falschen Initiativen Gedanken vor- Geschichte unseres Volkes überhaupt — in Glanz
trüge, die undurchführbar, schädlich oder gar für und Elend, in Höhen und Tiefen, mit Erfolgen und
unser Volk gefährlich wären. Darüber würde sich Niederlagen. Und so, wie unsere Partei nach völ-
manch einer freuen, dann hätte er die Alternative, liger Zerschlagung und großen Opfern immer wie-
aber jene, die es ihm gestattet, draußen in der Wäh- derstand, so hat unser Volk nach schwerer Zer-
lerschaft leichtes Spiel zu haben und die eigene störung seinen Weg aus dunkler Nacht hindurch
Herrschaft für unabsehbare Zeit zu sichern. Diesen gefunden und bemüht sich, durch die Gegenwart
Ihren Wunsch nach solcher Art Alternative werden hindurch in eine hoffentlich hellere Zukunft zu fin-
wir Ihnen nicht erfüllen. den. Dies ist ein Auftrag für uns alle.
(Beifall bei der SPD. — Abg. Dr. Barzel: (Anhaltender lebhafter Beifall bei der SPD.)
Unterstellungen!)
Wir haben das Grundgesetz mitgeschaffen. Wir Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Meine Damen
tragen diesen Staat mit. Wir bieten keinen anderen und Herren! Keine weiteren Wortmeldungen. Die
Staat an, sondern ringen darum, möglichst viele Aussprache zu den Punkten 2 und 3 der Tagesord-
unserer Vorsellungen in diesem unserem Staat nung — Beratung der Regierungserklärung und
durchzusetzen und ihm zur gegebenen Zeit eine Haushaltssicherungsgesetz — ist abgeschlossen.
andere Richtung zu geben. Das ist das Recht der Es ist vorgesehen, den Entwurf eines Haushalts-
Opposition, danach zu streben. sicherungsgesetzes — Drucksache V/58 — an den
(Zurufe von der CDU/CSU.) Haushaltsausschuß zu überweisen. Ist das Haus
damit einverstanden? — Kein Widerspruch; e s ist
— Natürlich ist es Ihr Recht, das zu verhindern. Es so beschlossen.
muß dann gerungen werden mit Argumenten und
möglichst wenig mit der Vorgabe staatlicher Macht, Nun, meine Damen und Herren, schlage ich Ihnen
denn staatliche Macht ist anvertraut und darf nicht vor, daß wir abweichend von der seitherigen Praxis
zur Verlängerung der Parteimacht mißbraucht wer- in den früheren Legislaturperioden die Punkte 4 bis
den. 18 sowie den Zusatzpunkt 1 zusammen aufrufen.
(Beifall bei der SPD.) Es steht dem keine Bestimmung der Geschäftsord-
nung zwingend entgegen. Ist das Haus damit ein-
Herr Kollege Barzel hat eine Frage an mich ge- verstanden? — Das ist der Fall. Damit rufe ich
richtet. Ich will sie ihm beantworten. Sie bezieht diese Punkte auf:
sich auf den Komplex der Verfassungsänderung. Es
geht nicht, daß Sie sagen: Alles, was wir mit ein- Erste Beratung des von der Bundesregierung
facher Mehrheit können, machen wir nach unseren eingebrachten Entwurfs eines Fünften Ge-
Vorstellungen, aber wo wir die Zweidrittelmehr- setzes über die Erhöhung von Dienst- und
heit brauchen, oder wo es unpopulär wird, handelt Versorgungsbezügen (Fünftes Besoldungs-
es sich um „große Fragen", wo dann die Sozialdemo- erhöhungsgesetz) (Drucksache V/55),
kraten mitwirken müssen. — Wer uns braucht, Erste Beratung des von der Bundesregierung
darf nicht nur punktuell mit uns sprechen, sondern eingebrachten Entwurfs eines Achten Geset-
der muß über die Notwendigkeiten unserer Politik zes über die Anpassung der Renten aus den
überhaupt mit uns in ein Gespräch eintreten. gesetzlichen Rentenversicherungen sowie
Dort hinein gehört dann auch ein Gespräch — über die Anpassung der Geldleistungen aus
wie Sie es angedeutet haben — über den Standort der gesetzlichen Unfallversicherung (Achtes
der Regelung des schwierigen Problems der Vor- Rentenanpassungsgesetz — 8. RAG) (Druck-
sorge für Notfälle, für die Menschen und für unsere sache V/20),
freiheitliche Ordnung überhaupt. Wir richten uns Erste Beratung des von den Fraktionen der
in all diesen Dingen nach der Sache, danach, was CDU/CSU, FDP eingebrachten Entwurfs eines
nach unserer Auffassung und im Interesse unseres Umsatzsteuergesetzes (Nettoumsatzsteuer)
Volkes erforderlich ist und getan werden muß. (Drucksache V/48),
Wir sagen am Ende dieser Debatte bei aller not- Erste Beratung des von der Bundesregierung
wendigen kritischen Wachsamkeit und Distanz: Wir eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu
390 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 10. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. Dezember 1965
Präsident D. Dr. Gerstenmaier
dem Übereinkommen vom 20. November 1963 Zusatzpunkt 1:
zur Revision der am 17. Oktober 1868 in Erste Beratung des von der Bundesregierung
Mannheim unterzeichneten Revidierten eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum
Rheinschiffahrtsakte (Drucksache V/18) ,
Protokoll vom 17. September 1965 zur Ände-
Erste Beratung des von der Bundesregierung rung des Abkommens vom 22. Juli 1954 zwi-
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu schen der Bundesrepublik Deutschland und
dem Abkommen vom 22. Oktober 1964 zwi- den Vereinigten Staaten von Amerika zur
schen der Bundesrepublik Deutschland und Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem
der Bundesrepublik Kamerun über den Luft- Gebiet der Steuern vom Einkommen (Druck-
verkehr (Drucksache V/19). sache V/59).
Erste Beratung des von der Bundesregierung Ich eröffnete die Beratung über alle diese Punkte
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu und stelle fest, daß Wortmeldungen nicht vorliegen.
dem Abkommen vom 29. Oktober 1964 zwi- Die Aussprache über alle diese Punkte ist geschlos-
schen der Bundesrepublik Deutschland und sen.
der Republik Senegal über den Luftverkehr Für die "Überweisung der Vorlagen wird folgen-
(Drucksache V/21), des vorgeschlagen:
Erste Beratung des von der Bundesregierung Punkt 4: Innenausschuß und Haushaltsausschuß
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu — nach § 96 der Geschäftsordnung —. — Kein Wi-
dem Abkommen vom 15. März 1965 zwischen derspruch; es ist so beschlossen.
der Bundesrepublik Deutschland und der Re- Punkt 5: Ausschuß für Sozialpolitik — federfüh-
publik Österreich über den Luftverkehr rend —, Haushaltsausschuß — mitberatend und
(Drucksache V/26), nach § 96 der Geschäftsordnung —. — Kein Wider-
Erste Beratung des von der Bundesregierung spruch; es ist so beschlossen.
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu Punkt 6: Finanzausschuß federführend, Haushalts-
dem Abkommen vom 26. November 1964 ausschuß mitberatend und nach § 96 der Geschäfts-
zwischen der Bundesrepublik Deutschland ordnung. — Kein Widerspruch; es ist so beschlossen.
und dem Vereinigten Königreich Großbritan-
Punkt 7: Verkehrsausschuß federführend, Aus-
nien und Nordirland zur Vermeidung der
wärtiger Ausschuß mitberatend. — Kein Wider-
Doppelbesteuerung und zur Verhinderung
spruch; es ist so beschlossen.
der Steuerverkürzung (Drucksache V/28),
Punkt 8: Verkehrsausschuß. — Kein Widerspruch;
Beratung der von der Bundesregierung be es ist so beschlossen.
Achtundzwanzigsten Verordnung-schlosen
zur Änderung des Deutschen Zolltarifs 1965 Punkt 9: Verkehrsausschuß. — Kein Widerspruch;
(Sonderroheisen usw.) (Drucksache V/4), es ist so beschlossen.
Punkt 10: Verkehrsausschuß. — Kein Wider-
Beratung der von der Bundesregierung be- spruch; es ist so beschlossen.
schlossenen Zweiunddreißigsten Verordnung
zur Änderung des Deutschen Zolltarifs 1965 Punkt 11: Finanzausschuß. — Kein Widerspruch;
(Verarbeitungsweine aus Griechenland) es ist so beschlossen.
(Drucksache V/5), Punkt 12: Ausschuß für Wirtschaft und Mittel-
Beratung der von der Bundesregierung be- standsfragen. — Kein Widerspruch; es ist so be-
schlossenen Dreißigsten Verordnung zur Än- schlossen.
derung des Deutschen Zolltarifs 1965 (Zoll- Punkt 13: Ausschuß für Wirtschaft und Mittel-
aussetzungen — 2. Halbjahr 1965) (Druck- standsfragen federführend, Ausschuß für Ernäh-
sache V/6). rung, Landwirtschaft und Forsten mitberatend. —
Kein Widerspruch; es ist so beschlossen.
Beratung der von der Bundesregierung be-
schlossenen Verordnung über die Senkung Punkt 14: Ausschuß für Wirtschaft und Mittel-
von Abschöpfungssätzen bei der Einfuhr von standsfragen. - Kein Widerspruch; es ist so be-
geschlachteten Gänsen (Drucksache V/7), schlossen.
Punkt 15: Ausschuß für Wirtschaft und Mittel-
Beratung des Antrags des Bundesministers standsfragen federführend, Ausschuß für Ernährung,
der Finanzen betr. Grundstückstausch mit Landwirtschaft und Forsten mitberatend. — Kein
dem Land Berlin (Drucksache V/25), Widerspruch; es ist so beschlossen.
Beratung des Antrags des Bundesministers Punkt 16: Ausschuß für das Bundesvermögen
der Finanzen betr. nachträgliche Genehmi- federführend, Haushaltsausschuß mitberatend. —
gung der über- und außerplanmäßigen Aus- Kein Widerspruch; es ist so beschlossen.
gaben (Drucksache V/34),
Punkt 17: Haushaltsausschuß. — Kein Wider-
Beratung der Entschließungen der 54. Jahres- spruch; es ist so beschlossen.
konferenz der Interparlamentarischen Union Punkt 18: Auswärtiger Ausschuß. — Kein Wider-
(Drucksache V/27). spruch; es ist so beschlossen.
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 10. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. Dezember 1965 391
Präsident D. Dr. Gerstenmaier
Zusatzpunkt 1: Finanzausschuß. — Kein Wider- Innenausschuß um 15.50 Uhr in Zimmer 204 S,
spruch; es ist so beschlossen. Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und
Geschäftsordnung um 16 Uhr in Zimmer 214 S,
Ich rufe den zweiten Zusatzpunkt auf:
Ausschuß für Wirtschaft und Mittelstandsfragen
Beratung des Antrags der Fraktionen der
um 16.10 Uhr in Zimmer 117 A,
CDU/CSU, SPD, FDP betr. Wahl der Mitglie
der des Wahlprüfungsausschusses (Drucksache Haushaltsausschuß um 16.20 Uhr in Zimmer 216 A,
V/67). Rechtsausschuß um 16.30 Uhr in Zimmer 206 S.
Ich frage, ob hierzu das Wort gewünscht wird. Dann muß um 16.45 Uhr in meinem Büro eine
— Das Wort wird nicht gewünscht. Wer der Vor- Präsidialsitzung stattfinden, und um 18.00 Uhr tagt
lage zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein der Ältestenrat.
Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? —
Das ist einmütig. Damit sind wir mit der Tages- Wann die nächste Plenarsitzung stattfindet, kann
ordnung am Ende. ich jetzt noch nicht bekanntgeben, denn wir müssen
das erst im Ältestenrat beschließen. Voraussicht-
Bevor ich die Sitzung schließe, darf ich bekannt- lich wird das am Mittwoch nächster Woche der Fall
geben, daß die Ausschüsse in folgender Reihenfolge sein.
zur Konstituierung zusammentreten:
Finanzausschuß um 15.30 Uhr in Zimmer 210 S, Die Sitzung ist geschlossen.
Ausschuß für Sozialpolitik um 15.40 Uhr in Zim-
mer 206 S, (Schluß der Sitzung: 14.10 Uhr.)
-

Berichtigung
Es ist zu lesen:
7. Sitzung Seite 136 D Zeile 12 statt „Haase [Kelling-
husen] " : Haase [Kassel].
Deutscher Bundestag - 5. Wahlperiode - 10. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. Dezember 1965 393

Anlagen zum Stenographischen Bericht

Anlage 1 Anlage 2

Liste der beurlaubten Abgeordneten Schriftliche Ausführungen

der Abgeordneten Frau Dr. Maxsein zu der Aus


Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich sprache über die Erklärung der Bundesregierung.
Ein verhältnismäßig kurzer Abschnitt der Regie-
a) Beurlaubungen rungserklärung befaßt sich mit der auswärtigen Kul-
turpolitik. In diesen wenigen Zeilen konnte natür-
Dr. Achenbach 2. 12.
lich nur eine allgemeinste Übersicht über die Ab-
Dr. Arndt (Berlin/Köln) 2. 12.
sichten der Regierung auf diesem Gebiet gegeben
Frau Berger-Heise 18. 2. 1966
werden. Dabei könnte der Eindruck entstehen, daß
Dr. Birrenbach 2. 12.
die Kürze der gegebenen Darlegung in irgendeiner
Borm 2. 12. Beziehung zu der unbestrittenen Priorität des Ge-
Damm 2. 12. biets steht. Das trifft nicht zu,
Deringer 2. 12.
Dr. Dittrich 2. 12. Ich möchte nicht nur von der Kulturpolitik spre-
Gewandt 2. 12. chen, sondern auch etwas über die Wissenschafts-
Dr. h. c. Güde 2. 12. politik im engeren Sinne sagen. Es sind viele Stel-
Hilbert 2. 12. len, nicht nur anderwärts, sondern auch hier im
-
Hirsch 2. 12. Hause, die sich seit Jahren mit großer Intensität und
Illerhaus* 2. 12. in außerordentlicher Bemühung mit Fragen der aus-
Jaschke 2. 12. wärtigen Kulturpolitik befassen. Diese Arbeit voll-
Klein 2. 12. zieht sich jedoch mehr in der Stille, weithin unbe-
achtet und damit leider auch nicht so gewertet, wie
Koenen (Lippstadt) 31. 12.
es ihrer Bedeutung entspräche.
Kriedemann 31. 12.
Kubitza 2. 12. Der Herr Bundeskanzler hat in seiner vorletzten
Lemmrich 2. 12. Regierungserklärung bereits gesagt, der Wissen-
Marquardt 2. 12. schafts- und Kulturpolitik komme der Rang zu, den
Dr. von Merkatz 2. 12. die Sozialpolitik im 19. Jahrhundert besessen habe.
Merten* 2. 12. Ich möchte mit ausdrücklicher Genugtuung feststel-
Ramms 2. 12. len, daß dieser Satz in letzter Zeit eine Verwirk-
Rawe 8. 12. lichung in praxi gefunden hat. Sie alle wissen, daß
Frau Schanzenbach 31. 12. die für die Wissenschaft vorgesehenen Mittel bis-
Frau Schimschok 31. 12. her bei der Tätigkeit der Sparkommission, des so-
Schmidt (Würgendorf) 2. 12. genannten Streichquartetts, ausgespart wurden.
Dr. Schmidt-Burgk 2. 12. Sollte letztlich dennoch bei diesem Etat der Rotstift
Schultz 2. 12. angesetzt werden, so würde ich die Absicht be-
dauern und ihr mit Nachdruck widersprechen. Nun
Seifriz* 2. 12.
könnten Gruppen in der pluralistischen Gesell-
Seuffert 2. 12.
schaft auftreten und sich bitter darüber beklagen,
Spillecke 2. 12.
daß die Wissenschaftspolitik bevorzugt würde.
Spitzmüller 2. 12. Ihnen wäre zu antworten, daß die Wissenschafts-
Stein 2. 12. politik das Kernstück der Verwirklichung unserer
Frau Strobel* 2. 12. politischen und gesellschaftspolitischen Vorstellun-
Unertl 2. 12. gen ist. Es ist keineswegs Ausdruck einer naiven
Varelmann 2. 12. Wissenschaftsgläubigkeit, wenn ich hervorhebe, daß
Dr. Wahl* 2. 12. die herkömmlichen Grenzen der Nationen und Völ-
Wienand 2. 12. ker heutzutage dank der Leistungen der Wissen-
Dr. Wörner 3. 12. schaft in atemberaubender Geschwindigkeit über-
Wolf 10. 12. rannt werden.
Zerbe 2. 12. Ein ausdrückliches Wort der Anerkennung und
Zink 2. 12. des Dankes möchte ich der Bundesregierung sagen
für die in den letzten Jahren getriebene Wissen-
b) Urlaubsanträge schafts- und Kulturpolitik. Ich denke dabei beson-
ders an den Bundesbericht Forschung I. Es ist durch-
Blachstein 31. 12. aus von Interesse, daß der Schweizer Professor
Schmidt (Hamburg) 10. 12. Reverdin, Mitglied der Beratenden Versammlung
des Europarates, diesen Bericht erst kürzlich in der
großen Kultur- und Wissenschaftsdebatte des Euro-
* Für die Teilnahme an einer Ausschußsitzung des Euro- parates als vorbildlich bezeichnete. Ich selbst hatte
päischen Parlaments dabei Gelegenheit, das System der Kooperation,
394 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 10. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. Dezember 1965

dem der Bericht seine Entstehung verdankt, als entsprechende Würdigung erwarten könnte: bei un- (
Modell einer europäischen Zusammenarbeit hinzu- seren politischen Parteien — ohne Ausnahme —
stellen. Die mit dem Bundesbericht verbundene Lei- und auch bei der Presse. Ich plaudere nichts aus,
stung ist in Anbetracht der bekannten verfassungs- wenn ich hier einmal feststelle, daß die europäischen
mäßigen Schranken, die einer Tätigkeit des Bundes Mandatsträger stets in akuter Gefahr leben, für
auf dem Gebiet der Kultur und Wissenschaft ge- diese ihre internationale Arbeit mit dem Entzug des
setzt sind, um so höher zu veranschlagen. nationalen Mandats bedroht zu werden. Dies mag
ein wenig überspitzt formuliert sein. Alle meine
Ich habe gerade vom Europarat gesprochen und Kollegen in den europäischen Parlamenten werden
möchte in diesem Zusammenhang nicht versäumen, aber bestätigen können, daß diese Gefahr mit den
ein weiteres kulturpolitisches Problem anzuspre- Jahren nicht geringer geworden ist.
chen, von dem in der Regierungserklärung die Rede
ist, das Problem der Geltung der deutschen Sprache Die Arbeit gerade auf dem Gebiet der internatio-
im internationalen Verkehr. Alle, die seit Jahren in nalen Kultur- und Wissenschaftspolitik vollzieht
den europäischen Gremien arbeiten, wissen, daß hier sich, wie schon erwähnt, meist in der Abgeschieden-
noch viele Wünsche offen sind. Wir verkennen nicht heit von Ausschußzimmern. Sie macht keine Schlag-
die historischen Gegebenheiten, die den heutigen zeilen. Damit ist über ihren überragenden Rang
unbefriedigenden Zustand herbeigeführt haben. nicht das geringste gesagt. Es wäre ungerecht, wenn
Aber die Situation des Jahres 1949 läßt sich nun ein- man nun behaupten wollte, daß die Presse unsere
mal nicht mehr mit der des Jahres 1965 vergleichen. Arbeit in Straßburg und anderswo totschweigt. Es
Eine zweckentsprechende Lösung dieses Sprachen gibt eine Reihe von Journalisten, die mit großer
problems würde übrigens auch zu einer Aufwertung Sachkenntnis und unermüdlich seit Jahr und Tag
unserer internationalen Position in einigen europäi- das Zusammenwachsen Europas auch publizistisch
-
schen Gremien führen. Der internationale Kurswert fördern. Aber es muß leider als absolut singuläres
der geistigen Münze, die unsere „Sprache" darstellt, Ereignis betrachtet werden, wenn einmal, wie es
würde auf jeden Fall steigen. Immerhin ist die deut- anläßlich der WEU-Tagung in Paris in der vorletz-
sche Sprache auch heute noch die in Europa am mei- ten Woche geschah, eine große überregionale Tages-
sten gesprochene Sprache. Wir wollen nicht ver- zeitung an führender Stelle über ein Ereignis im
hehlen, daß sich die Regierung in letzter Zeit be- europäischen Raum berichtet.
müht hat, diesen unbefriedigenden Zustand zu än- Die auswärtige Kulturpolitik, meine Damen und
dern, und diese Bemühung verdient Anerkennung. Herren, hat ja innerhalb der auswärtigen Politik, um
Trotzdem möchte ich aber vor diesem Hohen Hause diesen Satz in der Regierungserklärung noch einmal
die Frage nochmals anschneiden. Wir wissen ja, daß
zu wiederholen, „kaum hoch genug zu veranschla-
es lange recht still um sie war. Angesichts dieser
gende Bedeutung". Man braucht sich, wenn es eines
neu eingeleiteten Bemühungen können wir nichts
Beweises für diesen Satz bedürfte, ja nur die fest-
tun, als der Bundesregierung einen guten Fortgang
gefahrene weltpolitische Situation vor Augen zu
dieser Bemühungen zu wünschen und auf keinen
führen, deren harte Wirklichkeit uns in der Bundes-
Fall in der Intensität nachzulassen. Wir möchten
republik schmerzhaft bewußt ist. Die Kulturpolitik
eher darum bitten, diese Bemühungen noch zu for-
offenbart, daß Europa noch eine geistige Einheit ist.
cieren.
Eine zielbewußte und von einheitlichem politischen
Ein zweites Wort zu unserer Arbeit in den euro- Willen getragene auswärtige Kulturpolitik wirkt in
päischen Parlamenten. Ich möchte jetzt nicht die Zonen hinein, zu denen uns politisch der Zugang
Frage der Arbeit hier im Bundestag und dort in hermetisch verschlossen ist.
ihrer ganzen Breite ansprechen. Nur soviel: wie die
Als Berlinerin darf ich in diesem Zusammenhang
Dinge vom rein Institutionellen her gesehen zur Zeit
jenen seinerzeit von Professor Kogon gemachten
stehen, wird auf die Klammerfunktion nicht ver-
Vorschlag erwähnen, Berlin zum wissenschaftlichen
zichtet werden können, die sich aus der Tätigkeit
Planungszentrum der Welt zu machen. Der Vorschlag
derselben Abgeordneten, die also in Personalunion
scheint anspruchsvoll und beinahe etwas utopisch
im nationalen und internationalen Bereich zugleich
zu sein. Was ist heute noch utopisch? Was alles
arbeiten, ergibt. Solange wir nicht direkt gewählt
würde aber bei einer Realisierung eines solchen
werden, muß diese Klausel bestehenbleiben. Der
Plans in Bewegung geraten! Die politischen Möglich-
vom Wähler dem Abgeordneten gegebene Auftrag,
keiten kann ich nur als elektrisierend bezeichnen.
das Mandat, ist gerade bei dieser Arbeit ganz und
Die Auswirkungen einer solchen zielbewußten aus-
gar unentbehrlich. Die administrative, technologi-
wärtigen Kulturpolitik für den ganzen Bereich der
sche oder bürokratische Funktion allein ist ohne den
mit dem Mandat gegebenen politischen Auftrag in Ost-West-Beziehungen wären einer ausführlicheren
Erwägung wert, als mir hier möglich ist. Zumindest
Gefahr, zum Selbstzweck zu werden. Das uferlose
Weiterwuchernlassen des Bürokratismus kann nur wird uns an diesem Beispiel klar, in welchem Maße
verhindert werden, wenn sich ein entschiedener die Kulturpolitik ein machtvolles Instrument der
politischer Wille gegen die bürokratische Funktion Außenpolitik ist. Der Vorschlag Kogons ist zweifel-
stemmt oder sie zumindest steuert. los registriert worden, und sicherlich wurde er als
geistvoller Beitrag zur Zeitgeschichte gewürdigt.
Ich verrate kein Geheimnis — und diese Tatsache Aber wo ist eigentlich die Stelle, die einen solchen
ist bedauerlich — wenn ich sage, daß die praktische Vorschlag aufgreift, ihn überdenkt, ihn auswertet,
Würdigung der europäischen Arbeit gerade dort die untersucht, wie er zu verwirklichen ist? Sie
im argen liegt, wo man noch am ehesten eine sehen, was fehlt, ist eine solche Stelle, wo die Brücke
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 10. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. Dezember 1965 395

zwischen Parlament und Wissenschaft geschlagen in dieser Wahlperiode durchgeführt werden kann.
wird. Diese Stelle gehört hierher, ins Parlament, in Meines Erachtens wäre es aber zweckmäßig
den Bundestag, wenn wir den Auftrag, die wissen- gewesen, daß die Bundesregierung den in der ver-
schaftlichen Erkenntnisse für die Gesellschaftspolitik gangenen Wahlperiode gescheiterten Entwurf so
in der Gesetzgebung auszuwerten, wahrnehmen und schnell wie möglich gründlich überarbeitet und als
ernst nehmen wollen. neuen Regierungsentwurf eines Umsatzsteuergeset-
Solche Gedankengänge werden übrigens heute zes den gesetzgebenden Körperschaften zugeleitet
bei allen europäischen Völkern angestellt. Aus der hätte.
deutschen Wissenschaftstradition heraus hätten wir Die Planung für ein so umfassendes Gesetz-
die Aufgabe, hier sehr initiativ zu werden. gebungswerk, das ich eingebettet in das noch grö-
Ich komme zum Schluß. Es ist paradox, daß wir ßere Gesetzgebungswerk der Finanzreform sehen
in unserer sogenannten Wohlstandsgesellschaft auf möchte, gehört nun einmal zunächst in die Hand
Gedeih und Verderb von der Intensität der geisti- der Bundesregierung. Die Reform der Umsatzsteuer,
gen Bemühungen abhängen. Eine einfach „techni- die fast ein Viertel des Steueraufkommens aller
sche" Planung auf unserem Gebiet, ein Steckenblei- Gebietskörperschaften in der Bundesrepublik und
ben in einer in alten Gleisen laufenden Gesetz- mehr als 40 v. H. des Steueraufkommens des Bun-
gebungsroutine genügt nicht mehr. Die Funktion des erbringt, ist nur als Teil der großen Finanz-
des Gesetzes als Ordnungsinstrument wird in der reform sinnvoll. In diesem Zusammenhang weise
zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts anders als im ich darauf hin, daß von maßgebenden Experten
19. Jahrhundert aussehen. Die Parlament und Wis- bereits die Einbeziehung der ganzen Gewerbesteuer
senschaft gestellten Aufgaben werden in Zukunft in oder von Teilen der Gewerbesteuer in die künftige
einer Weise miteinander verknüpft werden müssen, Umsatzsteuer erwogen wird. Das aber würde bedeu-
der man nur die höchste Dringlichkeitsstufe zuerken- ten, daß von den Beratungen über die Umsatzsteuer-
nen kann. Denken Sie an die im Bundesbericht aufge- reform mehr als ein Drittel des Steueraufkommens
stellte Behauptung, daß die Wissenschaft die eigent- in der Bundesrepublik betroffen würde. Berück-
liche Großmacht unserer Zeit geworden ist. Sie stellt sichtigt man weiter, daß die Pläne für die Finanz-
die Politik vor Probleme, die unsere bisherigen reform von der hierfür eingesetzen Kommission in
Vorstellungen vom Menschen überhaupt in Frage Kürze vorgelegt werden sollen, so wäre es in der
stellen. Eine völlig neue Anthropologie entsteht. Der Tat sinnvoller gewesen, die Gesamtplanung für die
Menschmuß lernen, mit den in ungeahnten Dimensio- Finanzreform einschließlich der Umsatzsteuerreform
nen auf ihn einstürmenden Kräften fertig zu werden. zunächst der Bundesregierung zu überlassen. Wir
Nur die engste Kooperation von Wissenschaft und hätten dann wenigstens die Chance gehabt, eine
Politik kann hier schöpferisch werden und Unheil Finanzreform aus einem Guß zu bekommen. Ich
verhindern. kann mich des Eindrucks nicht erwehren, daß ein
Das sind Vorstellungen, die unsere Regierungs- überstürztes, nicht in vollem Umfang mit anderen
politik auf dem Gebiet der Wissenschafts- und Gegebenheiten abgestimmtes Vorgehen in der Sache
Kulturpolitik in den kommenden Jahren inspirieren Umsatzsteuer zu keinem befriedigenden Ergebnis
sollten. Dann wird es gelingen, dem Bild Deutsch- führen wird.
lands die „Züge des Geistes und der menschlichen In meinen in der Bundestagssitzung vom
Gesittung" zu verleihen, von denen in der Re- 5. 2. 1964 zu Protokoll gegebenen Ausführungen
gierungserklärung die Rede ist. Von einer solchen habe ich mich eingehend mit den Auswirkungen
umgreifenden Vorstellung aus erhalten auch die der Umsatzsteuerreform auf die künftige Preisent-
Einzelbereiche eine echte Funktion und verarmen wicklung, insbesondere das künftige Preisgefüge,
nicht in technokratischer Isolierung. Das heißt, die befaßt. Wörtlich habe ich hierbei ausgeführt:
Wissenschaftspolitik ist Kernstück jeglicher Poli-
tik überhaupt. Sie wird in der Zukunft mehr und Es wäre an der Zeit, daß die Bundesregierung
mehr der Ausgangspunkt unserer politischen Über- der gewerblichen Wirtschaft einmal klipp und
legungen sein, ob es sich um Wirtschafts-, Verteidi- klar sagt, wo und in welchem Umfange Mehr-
gungs- oder Sozialpolitik handelt, von der Kultur- belastungen bei Einführung der Mehrwertsteuer
politik im engeren Sinn gar nicht zu sprechen. eintreten werden. Wenn das nicht geschieht,
braucht man sich nicht zu wundern, daß weite
Es lohnt sich, dieses Ziel vor Augen gemeinsam
Kreise der Wirtschaft, auch solche, die der
an die Arbeit zu gehen.
Umsatzsteuerreform an sich positiv gegenüber-
stehen, wie z. B. das Handwerk, über die bei
der Umstellung auf die Mehrwertsteuer ein-
Anlage 3 tretenden Auswirkungen beunruhigt sind.
Was ist nun in der Sache in der Zwischenzeit ge-
Schriftliche Ausführungen schehen? Sind amtlicherseits Untersuchungen über
die zu erwartenden Belastungsverschiebungen bei
des Abgeordneten Schulhoff zu der Aussprache über
der Umstellung auf das neue Umsatzsteuersystem
die Erklärung der Bundesregierung.
angestellt worden? Oder ist man immer noch der
Ich erkenne durchaus an, daß es richtig ist, die Auffassung, daß es wegen der angeblich unbekann-
Beratungen über die Reform der Umsatzsteuer nicht ten jetzigen Umsatzsteuerbelastung der Waren und
auf die lange Bank zu schieben, damit die Reform Dienstleistungen nicht möglich ist, diese Vorgänge
396 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 10. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. Dezember 1965

in den Griff zu bekommen? Ich verkenne keines- Fachverbänden erarbeiteten einwandfreien Mate-
wegs, daß es schwierig ist, genaue Angaben über rials diese Auswirkungen der Belastungs- und Preis-
die zu erwartenden Belastungsverschiebungen zu verschiebungen zu belegen.
bekommen. Für unsere Urteilsfindung sind aber Nun dürfte der Steuersatz von 10 v. H. nicht
annähernd richtige, ja selbst Schätzwerte über die das letzte Wort gewesen sein. Realistischer ist es,
Belastungsverschiebungen immer noch besser als mit einem Steuersatz von 11 bis 12 v. H. — jeden-
überhaupt keine Werte. Ich bin daher dem Zentral- falls, wenn man an den Sofortabzug der Vorsteuern,
verband des Deutschen Handwerks sehr dankbar, die auf den Investitionen liegen, denkt — oder
daß er die Zentralfachverbände des Handwerks auf- sogar mit einem noch höheren allgemeinen Steuer-
gefordert hat, Ermittlungen darüber anzustellen, satz' — 'bei Einbeziehung der Gewerbesteuer in die
welche Belastungsverschiebungen bei den von den Umsatzsteuer mit 15 his 17 v. H. — zu rechnen. Ich
Unternehmern in ihrem jeweiligen Bereich herge- überlasse es Ihrer Phantasie, sich auszumalen, mit
stellten Erzeugnissen und erbrachten Leistungen welchen Mehrbelastungen und Preissteigerungen
eintreten werden. Ich verrate hier kein Geheimnis, bei bestimmten Erzeugnissen und Dienstleistungen
wenn ich erkläre, daß in erster Linie diejenigen gerechnet werden muß, falls man sich nicht doch
Zentralfachverbände, die mit erheblichen Mehrbe- noch dazu entschließen sollte, die Steuerbelastung
lastungen rechnen, eingehende Untersuchungen an- durch Anwendung mehrerer Sätze — ähnlich wie in
gestellt und die Höhe der Mehrbelastungen nachge- Frankreich — zu differenzieren.
wiesen haben.
Was meine Person anbetrifft, so bin ich jederzeit
Mit der Frage der Mehrbelastung müssen wir uns gern bereit, Vorschläge für die Gestaltung der künf-
befassen, und zwar nicht etwa nur im Interesse der tigen Steuer unter Berücksichtigung meiner früheren
Unternehmen, sondern vor allem auch im Interesse Vorschläge zu unterbreiten. Diese werden vornehm-
der Verbraucher; denn die Mehrbelastungen führen lich betreffen:
nun einmal zu Preissteigerungen in der gleichen
Höhe, jedenfalls dann, wenn es den Unternehmen 1. die Anwendung ermäßigter Steuersätze bei
gelingen sollte, Mehrbelastungen in voller Höhe Erzeugnissen, bei denen 'bereits im Falle der An-
weiterzugeben. wendung eines Steuersatzes von 10 v. H. mit einer
erheblichen Mehrbelastung zu rechnen ist,
Es wird nun oft eingewendet, daß man nicht so
sehr die einzelnen Erzeugnisse und Leistungen im 2. die Anwendung eines ermäßigten Steuersatzes
Auge haben dürfe, sondern die Gesamtheit der in für gewerbliche Dienstleistungen,
der Bundesrepublik gelieferten Erzeugnisse und er- 3. die Besteuerung der kleinen Unternehmen (An-
brachten Leistungen sehen müsse. Eine globale Be- wendung einer Umsatzfreigrenze, Anwendung von
trachtung mag zwar im Hinblick auf solche Kate- Steuerfreibeträgen und Anwendung von Pauschal-
gorien wie Steueraufkommen und Preisniveau rich- regelungen).
tig oder gerade noch angängig sein; sie reicht aber
Ich wünsche und hoffe, daß trotz des nunmehr
für eine kritische Gesamtschau der anstehenden
gewählten Verfahrens, gegen das ich Bedenken
Probleme nicht aus. Die Unternehmen und die Ver-
erhoben habe, in den anschließenden eingehenden
braucher müssen und sollen meines Erachtens auch
Beratungen in den Ausschüssen die hier von mir
wissen, welche Belastungsverschiebungen eintreten
geltend gemachten Gesichtspunkte respektiert wer-
werden, wie sich diese wahrscheinlich auf die Stel-
den und ein befriedigendes Gesamtergebnis erreicht
lung der Unternehmen im Markt — Wettbewerbs-
wird.
bedingungen — und die Preise der einzelnen Er-
zeugnisse und Leistungen und damit auf das ge-
samte Preisgefüge auswirken werden.
Erst dann, wenn hier im Parlament, aber auch in Anlage 4
der breiten Öffentlichkeit, volle Klarheit über das
besteht, was bei der Durchführung der Umsatz-
steuerreform mit Sicherheit oder höchstwahrschein- Schriftliche Ausführungen
lich eintreten wird, ist eine sachliche — von Be-
fürchtungen, aber auch von Wunschvorstellungen des Abgeordneten Ertl für die Fraktion der FDP zu
freie — Aussprache über die künftige Umsatzsteuer der Aussprache über die Erklärung der Bundesregie-
möglich. rung.

Ich könnte Ihnen hier aufzeigen, mit welchen Während der Debatte in den letzten Tagen wurde
Mehrbelastungen bzw. Preissteigerungen bei An- wiederholt auf die wichtigen Fragen der Fortentwick-
wendung eines allgemeinen Steuersatzes von lung der europäischen Politik eingegangen. Ein zen-
10 v. H bei bestimmten Erzeugnissen und Leistun- trales Problem stellt dabei die Weiterentwicklung
gen zu rechnen ist. An dieser Stelle begnüge ich der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft dar. Die
mich damit, darauf hinzuweisen, daß die von den deutsche Landwirtschaft steht heute vor drei wich-
tigen Problemen:
Fachverbänden im Bereich des Handwerks ermittel-
ten Mehrbelastungen 'bzw. Preissteigerungen sich 1. Integration in einen größeren europäischen
zwischen 2 und 6,5 v. H. bewegen würden; so wür- Markt mit einem angemessenen Anteil an diesem
den sich z. B. die ohnehin schon hohen Aufwendun- Markt. Auf Grund der bisher gemachten Vorleistun-
gen für den Wohnungsbau um 2,5 bis 3,1 v. H. er- gen haben sich schon und werden sich wohl auch in
höhen. Ich bin in der Lage, auf Grund des von den Zukunft manche Schwierigkeiten ergeben. Diese
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 10. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. Dezember 1965 397

Schwierigkeiten wirken sich jetzt belastend aus, gemeinsamen europäischen Marktes gemacht wird.
weil Ausgleichszahlungen weitgehend begrenzt sind Die Bundesregierung sollte hier unverzüglich Ge-
durch die prekäre Haushaltslage. spräche beginnen, vielleicht auch auf bilateraler
Basis. Sie muß es schon deshalb, weil sie bereits
2. Der Strukturwandel, dem die Landwirtschaft
jetzt wegen des Haushalts in einer schwierigen
zwangsläufig unterworfen ist und die damit zu-
Situation ist bezüglich der Durchführung des EWG-
sammenhängende Eingliederung in die Industriege-
Anpassungsgesetzes. Auch in diesem Punkt haben
sellschaft.
sich die Befürchtungen der Freien Demokraten als
3. Anpassung der agrarischen Erzeugung an die mehr als berechtigt erwiesen. Wir bestehen im
modernen Erfordernisse insbesondere bezüglich Grundsatz auf der Einhaltung der gesetzlichen Ver-
Qualitätserzeugung, Absatz und Vermarktung. pflichtungen und bedauern, daß die Haushaltslage
ein Hinausschieben der Zusagen bedingen könnte.
Bald wird es ein Jahr, daß die berühmten Brüsse-
ler Beschlüsse verabschiedet wurden. Damals stan- Aber die Situation würde sich ja noch viel mehr
den große Hoffnungen im Raum. Es fiel das Wort: verschlechtern, wenn eine Einigung bei der Agrar-
Europa braucht einen neuen Frühling. Die Freien finanzierung zustande kommt. Nach den mir vor-
Demokraten — und sie mußten sich manche Kritik liegenden Unterlagen würde die Verwirklichung
deshalb gefallen lassen— haben mit einer großen der Kommissionsvorschläge zu einer untragbaren
Skepsis von den sogenannten Brüsseler Beschlüssen Belastung der Bundesrepublik führen. Der finan-
Kenntnis genommen. Leider müssen wir heute fest- zielle Anteil der Bundesrepublik wird von ur-
stellen, haben in diesem Fall nicht die Optimisten, sprünglich 28% auf 31,4% steigen, wenn die Ab-
sondern die Skeptiker recht gehabt. Es kam nicht der schöpfungen voll an die Gemeinschaftskasse abge-
europäische Frühling, sondern ein sehr kühler EWG- führt werden, und rund 39 % erreichen, wenn auch
Sommer. Sollte das nicht Grund sein, endlich einmal -
die Zölle der Gemeinschaft zufließen. Demgegen-
frei von Illusionen die Situation kritisch zu durch- über werden sich die französischen Leistungen ent-
leuchten und auf Grund dieser Analyse auch die sprechend bis auf 20 % verringern. Dadurch wird
europäische Agrarpolitik einer Überprüfung zu un- die gegenwärtig noch verhältnismäßig ausgewogene
terziehen. Dabei sind wir verpflichtet, auch über die Belastung zuungunsten der . Bundesrepublik ver-
Grenzen der kleineuropäischen EWG hinauszu- schoben. Man kann dazu wohl noch einmal in aller
schauen. In diesen Tagen bekamen die Mitglieder Eindeutigkeit feststellen: Wer soll das bezahlen!
des Ernährungsausschusses einen Brief des schwedi-
schen Landwirtschaftsattachés, worin ihm mitgeteilt Der Vorsitzende der FDP-Fraktion, Freiherr von
wurde, warum Schweden sich heuer- weder an der Kühlmann-Stumm, hat bereits darauf hingewiesen,
Anuga beteiligt hat noch im kommenden Jahr an daß die Freien Demokraten an dem Junktim zwi-
der Grünen Woche als Aussteller teilnehmen wird. schen einer befriedigenden Regelung bei der EWG-
Schweden führt heftige Klage, weil sich wegen der Milchmarktordnung, Regionalklausel bei der Zuk-
EWG die Absatzchancen für schwedische Agrarpro- kermarktordnung einerseits und der Agrarfinan-
dukte immer mehr verringert haben. Sehr leicht zierung andererseits festhalten. Wir erwarten von
könnte das nächste Land Dänemark sein und andere der Bundesregierung, daß sie das Parlament laufend
Drittländer. Nun wird sicherlich sofort die Erklä- über die Verhandlungen in der EWG unterrichtet.
rung kommen, ja, man muß eben auch mit den Gleichzeitig hoffen wir, daß es zu einem Höchstmaß
Drittländern einen offenen Handel treiben. Aber wie an bestmöglicher Zusammenarbeit zwischen den
verträgt sich das mit dem Präferenzsystem der EWG; Ressorts im Rahmen der Politik der Bundesregie-
soll vielleicht gar die deutsche Landwirtschaft aus rung gegenüber der EWG kommt. Es muß endlich
dem heimischen Markt ganz verdrängt werden? Ich Schluß damit sein, daß die Ressorts nach unter-
wollte nur einmal auf die schwerwiegende Proble- schiedlichen Gesichtspunkten eigene Standpunkte
matik der bisherigen Entwicklung hinweisen, und vertreten und in Brüssel mit verschiedenen Zungen
nachdem zumindest Anzeichen einer Verhandlungs- sprechen.
bereitschaft zwischen EWG und EFTA-Ländern vor- Für uns Freie Demokraten war die Zusage im
handen sind, meine ich, daß es sinnvoll wäre, solche Dezember 1964 ein Höchstmaß an Opferbereitschaft.
Verhandlungen so zu führen, daß die deutsche Land- Wir bestehen darauf, daß keine weiteren Vorlei-
wirtschaft dabei keinen Schaden nimmt. stungen gemacht werden, und auch auf der Ver-
Bei den Brüsseler Abmachungen des Dezember pflichtung des Einkommensausgleichs. Die Agrar-
1964 war ein wichtiger Bestandteil die sogenannte politik der kommenden vier Jahre muß schwer-
Revisionsklausel für die Getreidepreise. Die Freien punktmäßig-langfristig gestaltet werden. Dabei sind
Demokraten sind der Auffassung, daß bei den kom- folgende Grundsätze zu berücksichtigen:
menden Verhandlungen diese Frage vorrangig mit 1. Auch im Industriestaat ist eine leistungsfähige
behandelt werden sollte. Es hat sich offensichtlich bäuerliche Landwirtschaft aus gesellschaftspoliti-
herausgestellt, daß der Weg zur politischen Union schen und wirtschaftlichen Gründen notwendig;
trotz forcierter Agrarmarktharmonisierung noch
sehr weit ist. Wäre es angesichts dieser Tatsache 2. die Landwirtschaft hat ein Anrecht auf gleich-
nicht sinnvoll, die endgültige Preisharmonisierung berechtigte Behandlung im Rahmen der allgemeinen
auf das ursprünglich vorgesehene Datum, 31. 12. Fortentwicklung des Lebensstandards. Der Preis-
1969, wieder hinauszuschieben und gleichzeitig an- politik kommt dabei eine entscheidende Funktion
zustreben, daß die Agrarmarktharmonisierung nicht zu. Für eine im Gesamtrahmen der Wirtschaft an-
isoliert vor allen anderen wichtigen Problemen des gemessene Einkommensentwicklung ist eine den
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Kosten entsprechende Preispolitik besser als Sub- Kleinbauern; ihnen muß die Chance gegeben wer-
ventionen; den, sich zu Vollbetrieben zu entwickeln oder zu-
3. ein langfristiges Strukturprogramm; sätzlichen Erwerb in der Nähe ihres Wohnortes zu
finden.
4. eine Investitionshilfe für den Umstellungspro-
zeß; Nur so lassen sich auf lange Sicht die negativen
Erscheinungen in den Ballungszentren vermeiden.
5. die Verbesserung der Marktstruktur einschließ- In einem Artikel der „Welt" vom 29. 11. über die
lich des Agrarexports, der Agrarwerbung und Ver- Aufgaben des Bundesinnenministers wurde ganz be-
braucheraufklärung; sonders auf diese unerfreuliche Entwicklung in Bal-
6. Sicherung der bäuerlichen Veredelungswirt- lungszonen hingewiesen. Ich zitiere: „Schwindelnde
schaft; Bodenpreise als Folge der Raumknappheit machen
den Traum vom eigenen Land- und Hausbesitz illu-
7. Ergänzung der ländlichen Sozialmaßnahmen
sorisch. Ballungszonen sind eigentumsfeindlich." Ich
durch Einbeziehung der in der Landwirtschaft täti-
unterstreiche diese Feststellung vollinhaltlich.
gen Personen in die Krankenversicherung.
Überhaupt sind die Bodenpreise mit eines unserer
Einige Bemerkungen zur Preissituation. Wieder- größten Sorgenkinder, insbesondere auch in den
holt wurde in den letzten Tagen auf die steigenden sogenannten landschaftlich schönen Feriengebieten.
Preise in allén Bereichen unserer Wirtschaft hin- In meinem Landkreis wurde erst in den jüngsten
gewiesen. Dabei ist es geradezu üblich geworden, Tagen ein bäuerlicher Familienbetrieb mit ca. 20 ha,
ganz besonders und immer wieder die Landwirt- wie ich hörte, für 800 000 DM an einen Nichtland-
schaft zum Prügelknaben zu machen. Wer die Preis- wirt verkauft. Solche Verkäufe bringen die Boden-
statistik im letzten Jahrzehnt verfolgt hat, kann preise total in Unordnung. Bei solchen Bodenpreisen
dabei feststellen, daß ist weder die Aufstockung noch die Seßhaftmachung
nachgeborener Bauernkinder möglich. Es ist höchste
1. die Erzeugerpreise der Landwirtschaft in vielen Zeit, daß die Bundesregierung diesem Problem grö-
Bereichen fast ein Jahrzehnt lang weitgehend gleich ßere Beachtung schenkt. Dabei dürften vorrangig
geblieben sind, beispielsweise der Getreidepreis sein 1. ausreichende und planvolle Finanzierung der
(der in der EWG sogar noch gesenkt werden soll), Maßnahmen für die Raumordnung und Infrastruktur,
2. trotz relativ stabiler Erzeugerpreise die Ver- 2. eine weitgehende Koordinierung und Abstim-
braucherpreise ständig gestiegen sind. mung zwischen den einzelnen Verwaltungen, die
sich mit dieser Aufgabe befassen, sowie auch ent-
Woher kommt das? Der Grüne Bericht gibt dar- sprechende Bestimmungen.
über genaue Aufklärung. Einerseits ist der ver-
arbeitende Bereich der Ernährungswirtschaft ständig Müssen wir doch immer wieder feststellen, wie es
den steigenden Lohnkosten und Belastungen bei- einerseits möglich ist, daß Bauernhöfe in den soge-
spielsweise durch Sozialabgaben und Arbeitszeit- nannten Erholungsgebieten zu ausgesprochenen in-
verkürzung unterworfen. Diese Kosten werden ab- flationistischen Preisen aufgekauft werden, anderer-
gewälzt. Andererseits steigen die Verbraucher- seits wiederum es Kindern vom Bauern wegen des
wünsche im Hinblick auf Verarbeitung und Ver- Bundesbaugesetzes nicht möglich ist, im Zuge der
packung und auch im Hinblick auf hochwertige Qua- Erbteilung ein Einfamilienhaus zu bauen. Es wäre
litätsnahrungsmittel ununterbrochen. So haben wir an der Zeit, wirklich einmal das Grundstücksgesetz
eine Situation, daß die Landwirtschaft heute beim wie auch das Bundesbaugesetz im Hinblick auf die
Einkauf der Produktionsmittel zwar die Belastungen Erfordernisse der Infrastruktur und auch des Struk-
aus der allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung turwandels in der Landwirtschaft in dem Sinn zu
hinnehmen soll, von ihr aber Bescheidenheit ver- überprüfen, ob diese Regelungen den Bedürfnissen
langt wird bei ihren Erzeugerpreisen aus sozialen, vollauf gerecht werden. Hier handelt es sich nicht
sogar allgemeinpolitischen Gründen im Hinblick nur um ein Anliegen der Landwirtschaft, sondern
auf den europäischen Agrarmarkt. Es wäre dazu hier handelt es sich im wesentlichen auch um das
noch vieles zu sagen. Eines aber, glaube ich, kann Problem der Erhaltung einer Erholungslandschaft,
wohl festgestellt werden: daß die deutsche Land- die wir so notwendig für die städtische Bevölkerung
wirtschaft bezüglich Preispolitik und auch Arbeits- brauchen. Erholung in unserer Zeit darf kein Privi-
zeit sich im Höchstmaß diszipliniert verhalten hat. leg sein für jene, die mit viel Geld ganze Land-
Das sollte man auch anerkennen. schaften aufkaufen können, sondern die Landschaft
muß als ländlichbäuerliche Landschaft für alle,
Der Strukturwandel wird sicherlich noch Jahr- gleich welches Einkommen sie haben, erhalten blei-
zehnte fortgesetzt werden. Er läßt sich auf lange ben.
Sicht nur erfolgreich gestalten, wenn er abgestimmt
wird mit einem langfristigen Raumplanungspro- Zusammenfassend darf ich noch einmal feststel-
gramm. Nur dadurch läßt sich eine gesunde Infra- len: es geht darum, der Landwirtschaft einen ge-
struktur auf dem Lande auf die Dauer sichern. Das rechten Anteil am Sozialprodukt zu sichern, sie nicht
Leitbild der Agrarpolitik ist der bäuerliche Familien- einseitigen Belastungen auf Grund politischer Zu-
betrieb. Ihn zu sichern und zu stärken ist sicherlich sagen auszusetzen und sie in den Stand zu setzen,
vorrangig. Gleich notwendig ist aber die Erhaltung den modernen Erfordernissen zu entsprechen. Eine
einer Vielzahl von ländlichen Wohn- und Grund- leistungsfähige bäuerliche Landwirtschaft nutzt uns
eigentümern in der Form als Nebenerwerbs- und allen.
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Anlage 5 lichen Erzeugerpreise selbst in diesen Tagen keines-


wegs s o stark wie behauptet aus dem Durchschnitt
Schriftliche Ausführungen der vergangenen Jahre herausragen.
Im Hinblick auf die besonders heftig kritisierten
des Abgeordneten Struve zu der Aussprache über
Schweinepreise ist eine andere Feststellung sogar
die Erklärung der Bundesregierung.
ausgesprochen falsch. Sie ist auch nur möglich, wenn
Daß Politik und Wirtschaft sich gegenseitig b e- man die fortlaufenden amtlichen Preisvergleiche un-
dingen, ist zwar keine Entdeckung unserer Tage. beachtet läßt. Aus ihnen ergibt sich nämlich, daß
Aber noch keine Regierungserklärung und keine sich der Trend dieser Preise im Durchschnitt der
Debatte darüber zuvor hat es in diesem Hohen Nachkriegsjahre nur ganz unwesentlich veränderte.
Hause so überzeugend zum Ausdruck gebracht, daß Setzen wir beispielsweise die Durchschnittspreise
die intakten wirtschaftlichen Verhältnisse in der des Jahres 1961/62 gleich 100, dann ergibt sich, daß
Bundesrepublik eine ausschlaggebende Vorausset- seit dem Jahre 1950/51 die Durchschnittspreise für
zung für unsere politische Geltung sind. Der Bundes- Schweine nur in dem Wirtschaftjahr 1963/64 mit
kanzler ist entschlossen, daraus die Folgerungen zu einem Index von 110 um 10 Prozent darüber hin-
ziehen. Ich meine, wir haben allen Anlaß, ihn dabei ausgehen. Die Schwankungen aller übrigen Jahre
nach Kräften zu unterstützen. waren wesentlich geringer. Im vorigen Jahr um
Es gibt mahnende Anzeichen genug dafür, daß es diese Zeit lag der Index sogar nur bei 99,6. Es ist
dem wirtschaftlichen und sozialen Gleichgewicht deshalb irreführend, wenn man die Erzeugerpreise
schlecht bekommt, wenn egoistische Interessen sich von einem oder zwei Monaten im Jahre 1965 mit
zum Maß aller Dinge machen. Trotzdem erscheint dem Vorjahr vergleicht. Im übrigen zeigt gerade
es mir. unangebracht, die in unserer Zeit so viel der Markt der letzten Wochen, daß die. Erzeuger-
-
bescholtenen Vertreter der Gruppeninteressen in preise bereits erheblich gefallen sind. Die Entwick-
Bausch und Bogen zu verdammen. Insbesondere lung der Verbraucherpreise aber liegt völlig an-
wird ihnen vorgeworfen, sie hätten einen zu großen ders. Hier ergibt sich durch die ganzen Jahre hin-
Einfluß auf das politische Geschehen. Wir Abgeord- durch eine etwa gleichmäßige Steigerung der Preise.
neten erweisen uns selbst einen sehr schlechten Die Verbraucherpreise haben sich völlig selbstän-
Dienst, wenn wir dieser allmählich landläufig ge- dig gemacht, weil nur auf diese Weise das verar-
wordenen Auffassung zustimmen. Daß die Funk- beitende Gewerbe und der Handel die Lohnerhö-
tionäre ihren Einfluß in diesem Sinne geltend ma- hungen der letzten Jahre verkraften konnten. Nur
chen, kann nicht bestritten werden. Es ist auch sogar die Landwirtschaft hat in diesen Jahren die auch in
von ihrem Auftrag her ihr gutes Recht. Aber ebenso ihrem Bereich stark ins Gewicht fallenden gestiege-
ist es unsere Pflicht, diese Ansprüche an den Maß- nen Produktionskosten nicht über höhere Erzeu-
stäben des gemeinsamen Interesses zu messen. gerpreise auffangen können. Schon aus dieser Er-
Allein wir Abgeordneten haben es in der Hand, fahrung ist es abwegig, zu erwarten, daß eine in
wieweit im politischen Raume die Wirksamkeit der diesen Tagen in Brüssel diskutierte Senkung der
Verbände reicht. Auf ihre sachliche Mitarbeit wird Abschöpfung den Verbrauchern zugute kommen
keiner von uns verzichten wollen und können. wird. Übrigens widerspricht die konjunkturpoliti-
sche Handhabung der Abschöpfung dem Sinn des
In dieser fruchtbaren Verbindung zwischen Ver-
EWG-Vertrages. Der Art. 46 dieses Vertrages legt
bänden und Parteien kam 1955 das Landwirtschafts-
eindeutig fest, daß die Abschöpfung nur dazu die-
gesetz zustande als der erste und bisher leider auch
nen soll, Beeinträchtigungen in der Wettbewerbs-
einzige Versuch, die Anerkennung eines Gruppen-
lage auszugleichen.
interesses zu binden an die einwandfrei ermittelten
objektiven Tatsachen. Ich meine, es ist nötig, ge- Auch die umstrittene Zinsverbilligung kann für
rade in diesem Augenblick wieder einmal daran zu den Bereich der Landwirtschaft nicht in Frage ge-
erinnern. Das Beispiel des Landwirtschaftsgesetzes stellt werden, wenn man die landwirtschaftlichen
ist der zwingende Beweis dafür, daß es möglich ist, Rentabilitätsrechnungen der Nachkriegsjahre zu-
unbestreitbare wirtschaftliche Interessen in Über- grunde legt. Den Aussagen des Grünen Berichts
einstimmung mit den politischen und gesellschaft- darüber ist zu entnehmen, daß der Kreditbedarf der
lichen Notwendigkeiten zu bringen. Bedauerlicher- Landwirtschaft im Vergleich zu den Gesamtum-
weise wird diese Tatsache weithin mißachtet. Die sätzen des Kapitalmarktes viel zu gering ist, um
Hilfen für die Landwirtschaft werden in der Öffent- ernsthaft als eine Begründung der gegenwärtigen
lichkeit oft noch bewertet als das Ergebnis einer Misere in der Kapitalversorgung angeführt werden
zum mindesten strittigen Rücksichtnahme auf be zu können. Man erkennt aber auch, daß der land-
rufständische Forderugen. Aber in Wahrheit kön- wirtschaftliche Zinsaufwand für die einzelnen Be-
nen wir Abgeordneten im Bereiche der Landwirt- triebe ein Kostenfaktor ist, der die normale Er-
schaft gar nichts beschließen, was nicht durch die tragslage übersteigt. Das gilt sowohl für die Zins-
Ergebnisse des alljährlichen Grünen Berichts ge- verbilligung im Bereich der allgemeinen Hofkredite
rechtfertigt ist. wie auch für die Zinsverbilligung im Bereich der
Strukturkredite.
Wenn man z. B. die heutigen Erzeugerpreise für
landwirtschaftliche Produkte mancherorts so kritisch In jedem Falle würde die Ertragsrechnung spürbar
diskutiert, dann ist das nur möglich, weil man die getroffen und unser agrarpolitisches Ziel, die Fami-
Feststellungen der Grünen Berichte übersieht. Ihnen lienbetriebe zu erhalten, ernsthaft gefährdet. Nicht
ist nämlich zu entnehmen, daß die landwirtschaft vergessen werden darf in dieser Diskussion um die
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Zinsverbilligung, daß die ungewöhnlich großen land- größten Aufgaben in dieser Beziehung gegenüber-
wirtschaftlichen Investitionen, die nur auf diese stehen.
Weise möglich wurden, der ganzen ländlichen Wirt- Wenn ich es richtig sehe, zwingt in einer solchen
schaft unmittelbar zugute gekommen sind und wei- Lage sogar ein verfassungsmäßiger Auftrag den
ter kommen müssen. Ein Verzicht oder auch nur Bund dazu, aus seinen Mitteln leistungsschwachen
eine Beschränkung der landwirtschaftlichen Zinsver- Ländern Zuweisungen zur ergänzenden Deckung
billigung wäre das Gegenteil einer konstruktiven
ihres allgemeinen Finanzbedarfs zu gewähren. Es
Mittelstandspolitik. Eine ganz andere Frage wäre
kann wohl kein Zweifel daran geben, daß eine wohl-
allerdings, ob es nicht angebracht ist, statt der Zins- verstandene Strukturpolitik eine ausschlaggebende
verbilligung in manchen landwirtschaftlichen Inve-
Voraussetzung ist für eine wirtschaftliche Ausgegli-
stitionsbereichen verstärkt Zuschüsse des Bundes
chenheit, die kein Gebiet in der Bundesrepublik vom
zu geben. Auch dafür liefert der Grüne Bericht Ma- allgemeinen Wohlstand ausschließt.
terial mit seinen Angaben über die Aufwendungen
für die Wasserwirtschaft, für den Wegebau und Diese Grundsätze gelten auch für die Eingliede-
andere allgemeine Erschließungsaufgaben. In den rung der deutschen Wirtschaft, insbesondere aber
Bereichen der städtischen Gemeinden sieht man in unserer Landwirtschaft, in den Gemeinsamen Markt
diesen Notwendigkeiten längst eine öffentliche Ver- der EWG. Auch auf diesem Gebiete stehen noch
pflichtung. In kaum einem städtischen Etat fehlt der große ungelöste Aufgaben vor uns. Das EWG An- -

Etatposten „Erschließungskosten für Industriege- passungsgesetz war ein wichtiger Schritt zu ihrer
lände". Es ist an der Zeit, diese Grundsätze auch auf Lösung. Es sichert die notwendigen staatlichen Hil-
die ländlichen Gemeinden anzuwenden. Ihre Durch- fen für diesen tiefgreifenden Strukturwandel, der
führung scheitert bei vorhandenem guten Willen sich in einem unwahrscheinlichen kurzen Zeitraum
leider immer wieder an der mangelnden Finanzkraft vollziehen wird. Das hat auch grundlegende Aus-
unserer Landgemeinden. Auch die Notwendigkeit wirkungen auf dem Bereich der Marktstruktur.
der Raumordnung legt solche Überlegungen nahe.
Die Wichtigkeit dieser Aufgabe ist heute nicht mehr Wir werden uns deshalb im Parlament mit der
umstritten. Die Verabschiedung des Bundesraum- Verabschiedung eines Marktstrukturfondsgesetzes
ordnungsgesetzes beweist das ebenso wie die man- vorrangig befassen müssen. Ich meine, dieses Ge-
nigfachen intensiven Bemühungen um diesen Pro- setzeswerk kann auf eine bedeutungsvolle Weise
blemkreis in den Ländern. demonstrieren, wie sich die allgemeinen Interessen
mit der persönlichen unternehmerischen Initiative
Auch die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft hat vereinbaren lassen. Daß wir uns dabei über die
im Rahmen ihrer Strukturpolitik den absoluten Vor- bestmögliche Form mit den beteiligten Wirtschafts-
rang der regionalen Förderung anerkannt. Die Kon- kreisen verständigen müssen, wird nicht bestritten
sequenzen der industriewirtschaftlichen Entwicklung werden können.
erfordern eben überall eine ordnende Hand, wenn
nicht bedenkliche gesellschaftliche Unterschiede das Täuschen wir uns aber nicht über eines: allein
große europäische Ziel gefährden sollen. Dabei wird mit einer Preisangleichung funktioniert der Ge-
man allerdings nicht übersehen dürfen, daß es nicht meinsame Markt nicht, weder für die Erzeuger noch
nur in Süditalien oder in Südfrankreich in dieser für die Verbraucher. Gleiche Marktchancen sind
Beziehung schwierige Verhältnisse gibt. Auch in der eine ebenso zwingende Voraussetzung. Das Wachs-
Bundesrepublik fordern diese Probleme unsere tum in der Wirtschaft in der Bundesrepublik hat
ganze Aufmerkamkeit. Dabei braucht man nicht nur ein Stadium erreicht, das uns dazu zwingt, die bis-
an das Zonenrandgebiet zu denken, dessen große her geltenden Voraussetzungen der Entwicklung
Schwierigkeiten uns allen in besonderem Maße am zu überdenken. Auch zu dieser Problematik traf der
Herzen liegen müssen. Auch andere ländliche Räume Herr Bundeskanzler Feststellungen, die nicht ernst
sind in zunehmendem Maße der Konkurrenz der genug genommen werden können. Trotzdem ist die
Ballungsgebiete ausgesetzt zum Nachteil des not- Kritik sehr groß. Insbesondere seine Äußerungen
wendigen Gleichgewichts in der Bevölkerungsdichte. über die Arbeitszeit haben zum Teil heftigsten An-
stoß erregt, aber die Diskussion darüber droht das
Die Versicherung des Herrn Bundeskanzlers in der Problem, um das es im Grunde geht, zu überdecken.
Regierungserklärung, daß die Bundesregierung ihre Selbstverständlich wäre es besser, wenn die eine
regionalen Förderungsprogramme ausbauen werde, Stunde in der Woche, von der der Herr Bundes-
muß deshalb ohne Einschränkung begrüßt werden. kanzler sprach, mehr gearbeitet würde. Das würde
Ich meine, daß eine Kürzung der Bundesmittel für nicht nur dem Güterangebot zugute kommen, son-
diese Zwecke geradezu sinnwidrig wäre. Es dürften dern es würde auch alle diejenigen befrieden, die
sogar viele gute Gründe dafür sprechen, daß selbst als selbständige Menschen oder auch als verant-
die gegenwärtigen finanziellen Schwierigkeiten uns wortliche Menschen in abhängiger Stellung immer
nicht von der Notwendigkeit entbinden, eher mehr nur mehr arbeiten müssen, um mit ihren Aufgaben
Mittel für diese Aufgaben bereitzustellen. Zwar sind fertig zu werden. In diesem Widerspruch sehe ich
mannigfache erfreuliche Initiativen für eine in die eine menschlich sehr ernst zu nehmende Belastung
Zukunft weisende Struktur- und Raumordnungspoli- in unserer Zeit. Aber das Problem, das der Herr
tik erkennbar. Ihre Verwirklichung in manchen Bun- Bundeskanzler mit dieser Mahnung ansprechen
desländern muß aber unzureichend bleiben, weil die wollte, reicht im Grunde doch wohl sehr viel weiter.
Finanzkraft dieser Länder nicht ausreicht. Leider Professor Burgbacher hat sich wie andere Kollegen
glaube ich hinzufügen zu müssen, daß die Finanz- der CDU/CSU dazu geäußert. Es geht dem Kanzler
kraft derjenigen Länder am schwächsten ist, die den — und ich meine, es muß uns allen darum gehen —
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 10. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. Dezember 1965 401

um die richtige Einschätzung der Leistungskraft un- Anlage 6


serer Wirtschaft. Die Zeichen sind doch mehr als
deutlich. Persönliche Bemerkung
Wir haben in den letzten Jahren den Bogen zum
Nachteil unserer Wettbewerbsfähigkeit überspannt. des Abgeordneten Dr. Pohle gemäß § 35 der Ge-
Die Löhne mit ihren zwangsläufigen Auswirkungen schäftsordnung
auf die immer größer werdenden Bereiche der Der Herr Kollege Heinemann hat mich gestern
Dienstleistung haben eine Entwicklung herbeige- in diesem Hohen Hause persönlich angesprochen.
führt, die nicht mehr länger sich selbst überlassen Dazu bemerke ich:
bleiben kann. Der Herr Bundeskanzler spricht seit
1. Es ist bisher in diesem Hohen Hause nicht
Jahren davon, daß Maßhalten besser wäre. Er hat
üblich gewesen, Kollegen, die hier nur Ihrem Ge-
oft Hohn und Spott dafür geerntet. Aber die Ent-
wissen verantwortlich sind, die Ausübung einer
wicklung hat ihm recht gegeben. Die gegenwärtige
problematische Situation wäre mit Sicherheit nicht ehrenwerten Tätigkeit im Privatberuf vorzuhalten.
entstanden, wenn vor allem die Sozialpartner auf 2. Meine Firma ist an dem Deutschen Gemein-
beiden Seiten größere Einsicht an den Tag gelegt schaftswerk weder mittelbar noch unmittelbar
hätten. Aber sie verkannten die außerordentlich beteiligt. Insofern muß ich den Kollegen Heinemann
differenzierten Verdienstmöglichkeiten der Wirt- enttäuschen.
schaft und scherten die ganze Lohnentwicklung über
3. Meine Firma hat andere, volkswirtschaftlich
einen Kamm. Statt auf die dringlichen Ermahnun-
nicht unwichtige Aufgaben zu erfüllen, nämlich der
gen des Herrn Bundeskanzlers zu hören, forderte
Produktion und Verteilung von Gütern zu dienen.
man eine bessere Wirtschaftspolitik. Aber die Frage
ist erlaubt, wie diese denn hätte aussehen sollen. 4. Daß diese Funktion der Aufmerksamkeit- des
Die öffentliche Hand solle bescheidener werden, ist Herrn Kollegen Heinemann entgangen sein sollte,
dann die häufigste Antwort. Und die Finanzpolitik glaube ich nicht, da er über profunde Kenntnisse
des Bundes steht dabei vor allem im Mittelpunkt dieser Funktion als langjähriges Vorstandsmitglied
der Kritik. Es sind zwar auch Beschlüsse im Hohen eines der größten deutschen Montan-Konzerne ver-
Hause gefaßt worden, deren finanzielle Auswirkun- fügt.
gen unterschätzt wurden. Aber ein großer Teil der
finanziellen Schwierigkeiten rührt doch wohl auch
daher, daß die Gehälter und Löhne im öffentlichen
Dienst dem Diktat der Sozialpartner ausgeliefert Anlage 7
waren. Sie mußten nachziehen, wenn nicht eine nur
allzu berechtigte Unzufriedenheit heraufbeschworen Schriftliche Antwort
werden sollte. Ein Lohngefälle zum Nachteil derer,
die sich dem Dienst im Staate verschreiben, wäre des Bundesministers Dr.-Ing. Seebohm vom 2. De
das letzte, was wir gebrauchen können. zember 1965 auf die Mündliche Anfrage des Ab
Darum kann man auch nur hoffen, daß die Sozial- geordneten Corterier (Drucksache V/57 Frage VI/1):
partner wenigstens jetzt zur größeren Einsicht kom- Ist die Bundesregierung bereit, im Sinne der Empfehlung 427
der Beratenden Versammlung des Europarates ein von der Euro-
men. Angesichts der gegenwärtigen Situation kann päischen Zivilluftfahrtkonferenz und dem Europarat gemeinsam
es ihnen eigentlich doch nicht schwerfallen, zu be- einzuberufendes Symposium über die Zusammenarbeit zwischen
der Luftfahrtindustrie und den Luftfahrtgesellschaften zu unter-
greifen, wie groß und wie folgenschwer ihre Ver- stützen?
antwortung ist. Das Gefühl dafür, daß es so nicht
Die Bundesregierung ist bereit, der Empfehlung
weitergeht, reicht jedenfalls weit hinein in dieje-
427 der Beratenden Versammlung des Europarats
nigen Kreise, auf die man sich zu berufen pflegt,
zu folgen und die Durchführung eines Symposiums
wenn neue Lohnforderungen gestellt werden. Ich
bitte Sie, mich nicht mißzuverstehen. Selbstverständ- z unterstützen, das einen Meinungsaustausch zwi-
schen den europäischen Luftfahrtindustrien, Luft-
lich braucht die moderne Industriegesellschaft die
wachsende Kaufkraft. Alle profitieren davon. Hö- fahrtunternehmen, Regierungen und anderen inter-
here Löhne sind darum durchaus möglich. Aber die essierten Kreisen über die Möglichkeiten einer
müssen verdient werden. Wenn Lohnerhöhungen engeren europäischen Zusammenarbeit beim Bau
nur über Preiserhöhungen finanziert werden kön- von Luftfahrzeugen zum Gegenstand hat.
nen, werden sie zu einem grandiosen Fall der Sub-
ventionspolitik. Der einzige Unterschied gegenüber
der landläufigen Vorstellung von dem Wesen der
Anlage 8
Subvention ist nur der, daß diese Subventionen
nicht vom Staat, sondern vom Verbraucher gezahlt
werden. Ich glaube nicht, daß der Bundestag es sich Schriftliche Antwort
erlauben kann, dieser Entwicklung tatenlos gegen-
des Staatssekretärs Dr. Schäfer vom 2. Dezember
überzustehen. Sie bleibt über die Aussprache der
1965 auf die Mündlichen Anfragen des Abgeord-
Regierungserklärung hinaus auf der Tagesordnung.
neten Rollmann (Drucksache V/57 Fragen VII/1,
Ich meine, es besteht aller Anlaß, dem Herrn Bun- VII/2 und VII/3) :
deskanzler dafür zu danken, daß er das Parlament Entspricht eine Meldung in der „Frankfurter Allgemeinen
der freien Deutschen dazu gezwungen hat, dieser Zeitung" vom 19. November 1965 den Tatsachen, wonach dei
25jährige Ungar Pal Feher, der in einem Zug versteckt am
Frage nicht mehr aus dem Wege zu gehen. 20. September in die Bundesrepublik geflüchtet war, bereits
402 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 10. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. Dezember 1965

zehn Tage später von deutschen Behörden wieder nach Ungarn


abgeschoben und von den dortigen Gerichten wegen Landesflucht Zahl Angehörige von Ostblockstaaten nach ihrer
zu zehn Monaten Haft verurteilt worden ist? Abschiebung von Gerichten ihrer Heimatländer ver-
urteilt worden sind, und mit welcher Begründung,
Warum ist Pal Feher wieder nach Ungarn abgeschoben kann von deutscher Seite nicht zuverlässig fest-
worden? gestellt werden.
Wie viele sogenannte „Wirtschaftsflüchtlinge" aus den Satel-
litenstaaten sind in diesem Jahre wieder in ihre Heimatländer
abgeschoben und dort zu Gefängnis- und Zuchthausstrafen ver-
urteilt worden?
Anlage 9
Zu Frage VII/1:
Schriftliche Antwort
Nach der Zuständigkeitsordnung der Bundesrepu-
blik sind das Bundesministerium des Innern und die des Staatssekretärs Dr. Schäfer vom 2. Dezember
seiner Aufsicht unterstehenden Bundesbehörden für 1965 auf die Mündliche Anfrage des Abgeordneten
Abschiebungen nicht zuständig. Das Bundesmini- Schmitt Vockenhausen (Drucksache V/57 Frage VII/4) :
-

sterium des Innern ist auch nicht befugt, ausländer-


Welche Möglichkeiten sieht der Bundesinnenminister, zur Fort-
rechtliche Maßnahmen der Landesbehörden zu kon- führung der guten Bildungsarbeit des Bundesgrenzschutzes die
trollieren. Das Bundesministerium des Innern b e- Besoldung der Lehrkräfte an den Fachschulen des Bundesgrenz-
schutzes entsprechend den Änderungen in den Ländern ange-
sitzt daher keine eigenen Unterlagen über den Fall, messen zu verbessern?
den Sie im Auge haben. Der genannte ungarische
Sie erkennen in Ihrer Frage die gute Bildungs-
Staatsangehörige ist auch beim Bundesamt für die
arbeit des Bundesgrenzschutzes an. Dies möchte
Anerkennung ausländischer Flüchtlinge, das für die
ich dankbar feststellen. Was die Besoldung der
Prüfung von Asylanträgen zuständig ist, nicht in
Lehrkräfte an den Fachschulen des Bundesgrenz-
Erscheinung getreten. Die Abschiebung ist aber
schutzes betrifft,, so könnte sie in gewissem Umfang
vom Bayerischen Staatsministerium des Innern be-
durch eine Verbesserung der Stellenpläne aufge-
stätigt worden.
bessert werden. Möglichkeiten hierzu werden z. Z.
Was die Verurteilung des Ungarn betrifft, so ist gemeinsam mit dem hierfür federführenden Bundes-
uns nicht mehr darüber bekannt, als was in der ministerium der Finanzen geprüft. Eine angemes-
Presse stand, nämlich, daß er zu einer Freiheits- sene Verbesserung, die auch der Entwicklung in den
strafe von zehn Monaten, die zur Bewährung aus- Ländern Rechnung trägt, erfordert aber Änderun-
gesetzt wurde, und zu einer Geldstrafe verurteilt gen des Bundesbesoldungsgesetzes. Derartige Än-
worden ist. derungen waren schon in dem Regierungsentwurf
eines Vierten Beamtenrechts- und Besoldungsände-
Zu Frage VII/2: rungsgesetzes enthalten. Ein entsprechendes Gesetz
ist aber in der vorigen Legislaturperiode nicht mehr
Nach Mitteilung der zuständigen Ausländer- verabschiedet worden.
behörde, nämlich des Landratsamtes in Fürth, war
der ungarische Staatsangehörige illegal in die Bun- Ein neuer Gesetzentwurf wird z. Z. entsprechend
desrepublik eingereist. Einen Asylantrag hat er dem Ersuchen des Hohen Hauses vorbereitet. Es
nicht gestellt. Bei der Ausländerbehörde hatte er auf ist zu hoffen, daß er möglichst bald eingebracht wer-
den kann.
Befragen erklärt, er sei in Ungarn nicht politisch
verfolgt worden, vielmehr sei er in die Bundesrepu-
blik gekommen, weil er in Ungarn als Schlosser nur
einen sehr kleinen Verdienst gehabt habe und in
Deutschland arbeiten wolle. Die Ausländerbehörde Anlage 10
hat den ungarischen Staatsangehörigen auf Grund
dieser Erklärung nicht als Asylbewerber angesehen.
Schriftliche Antwort
Aufenthaltsverbot und Abschiebung erfolgten nach
Mitteilung des Bayerischen Staatsministeriums des des Staatssekretärs Dr. Schäfer vom 2. Dezember
Innern deshalb, weil er ohne die erforderliche 1965 auf die Mündliche Anfrage des Abgeordneten
deutsche Erlaubnis in die Bundesrepublik eingereist Dröscher (Drucksache V/57 Frage VII/6) :
war.
Werden die Gemeinden, die eine Anhebung im Ortsklassen-
verzeichnis erwarten, zum 1. Januar 1966 mit der Durchführung
Zu Frage. VII/3: der neuen Richtlinien rechnen können?

Hierüber besitzt das Bundesministerium des Die Höherstufung von Orten im Ortsklassenver-
Innern aus den Gründen, die ich schon in meiner zeichnis erfordert den Erlaß einer Rechtsverordnung,
ersten Antwort genannt habe, keine Unterlagen, ab- die der Zustimmung des Bundesrates bedarf. Nach
gesehen von einzelnen Fällen, über die es von den der Ermächtigung in § 13 des Bundesbesoldungsge-
Innenministerien der Länder oder durch andere setzes kommt eine derartige Änderung ab 1. Januar
Stellen jeweils nachträglich unterrichtet worden ist. 1966 in Betracht.
Die Gesamtzahl der Abschiebungen innerhalb der Das Bundesministerium des Innern hat die Vor-
einzelnen Länder würde nur von den Innenmini- bereitungen hierfür in Zusammenarbeit mit den Län-
sterien der Länder auf Grund von Berichten der dern unter Zugrundelegung der neugefaßten Orts-
Ausländerbehörden festzustellen sein. In welcher klassenrichtlinien vom Juni dieses Jahres zeitge-
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 10. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. Dezember 1965 403

recht in die Wege geleitet. Auf Grund dieser Richt- stellung der Flüchtlinge von 1951, sehen die Gewäh-
linien sind — unter Einbeziehung von sog. Härte- rung von Asyl nur für solche Ausländer vor, die in
fällen — 514 Orte zur Höherstufung in die Orts- ihrem Heimatland von Verfolgung aus politischen,
klasse S vorgeschlagen worden. Die Durchführung religiösen oder rassischen Gründen bedroht sind.
dieser sehr umfangreichen Anhebungen stellt an die Ausländern, die ohne einer solchen Bedrohung aus-
Haushalte des Bundes, der Länder und Gemeinden gesetzt zu sein, ihr Heimatland verlassen, z. B. weil
erhebliche Mehranforderungen. Es hat sich daher sie sich hier oder anderswo ein besseres wirtchaft-
die Schwierigkeit ergeben, daß angesichts der der- liches Fortkommen versprechen, kann nach den ge-
zeitigen allgemeinen Haushaltslage zur Zeit ein nannten Rechtsvorschriften Asyl nicht gewährt wer-
Weg zur Deckung dieses Mehrbedarfs nicht gefun- den. Wer also selbst erklärt, daß er in seinem Hei-
den werden kann. matland nicht von politischer Verfolgung bedroht
Daher wird weiter geprüft, ob vorerst die Höher- sei, ist nicht als Asylsuchender anzusehen, sondern
stufung einer enger begrenzten Zahl von Orten in als Einwanderer ohne den besonderen Schutz der
Kraft gesetzt werden soll. Diese Prüfung erfordert Asylbestimmungen. Ob ihm gleichwohl eine Aufent-
allerdings eine gewisse Zeit, so daß mit einer Ände- haltserlaubnis erteilt werden soll, ist eine Frage, die
rungsverordnung zum 1. Januar 1966 schon aus die- die zuständige Ausländerbehörde im Rahmen ihres
sem Grunde nicht gerechnet werden kann. pflichtgemäßen Ermessens zu entscheiden hat. Nach
dem Gesetz und den Verwaltungsvorschriften sind
Ausländer auch dann dem Bundesamt für die Aner-
kennung ausländischer Flüchtlinge zuzuleiten, wenn
die Ausländerbehörde Zweifel daran hat, ob eine
Anlage 11 politische Verfolgung wirklich vorgelegen hat. Von
einer „Vorabentscheidung" der Ausländerbehörde -
Schriftliche Antwort über die Asylberechtigung kann danach keine Rede
sein.
des Staatssekretärs Dr. Schäfer vom 2. Dezember
1965 auf die Mündlichen Anfragen des Abgeord-
neten Jahn (Marburg) (Drucksache V/57 Fragen Anlage 12
VII/7 und VII/8) : Schriftliche Antwort
Wann wird der Bundesinnenminister die in § 51 Ausländer-
gesetz vom 28. April 1965 (BGBl. I S. 353) vorgesehenen allge- des Bundesministers Dr. Dahlgrün vom 1. Dezember
meinen Verwaltungsvorschriften zum Ausländergesetz erlassen?
1965 auf die Mündliche Anfrage des Abgeord-
neten Schmitt-Vockenhausen (Drucksache V/57 Frage
Wird die Bundesregierung in den allgemeinen Verwaltungs- XIII/1):
vorschriften zum Ausländergesetz sicherstellen, daß asylsuchende
Ausländer unverzüglich an das für die Entscheidung über Asyl-
begehren zuständige Bundesamt für die Anerkennung ausländi- Ist der Bundesfinanzminister bereit, die seit Jahren schwe-
scher Flüchtlinge weitergeleitet werden, ohne daß zuvor die für bende Frage einer Ersatzzahlung für das Wasserwerk der Ge-
den Asylantrag unzuständigen Ausländerbehörden eine Vorab- meinde Nordenstadt auf dem Flugplatz Wiesbaden/Erbenheim zu
entscheidung über die Asylberechtigung treffen können? klären, damit die Gemeinde Nordenstadt baldmöglichst an die
Riedwasserversorgung der Strecke Hochheim—Wiesbaden ange-
schlossen werden kann?
Zu Frage VII/7: Wegen der Überbauung der Hauptversorgungs-
Die Allgemeinen Verwaltungsvorschriften zum leitung vom Wasserwerk zur Gemeinde Nordenstadt
Ausländergesetz bedürfen der Zustimmung des Bun- durch die Start- und Landebahn des Flugplatzes
desrates. Ein Entwurf dazu ist vom Bundesministe- Wiesbaden-Erbenheim wollte sich die Gemeinde
rium des Innern zusammen mit den Innenministerien Nordenstadt ursprünglich an das Wasserwerk Wies-
der Länder ausgearbeitet worden. Er bedarf im ein- baden anschließen. Später hat die Gemeinde den An-
zelnen noch weiterer Überarbeitung und der Abstim- schluß an den Wasserverband Main-Taunus-West
mung mit den zuständigen Bundes- und Landesres- gewünscht. Das Land Hessen hat beantragt, die der
sorts. Jedoch wenden die Ausländerbehörden der Gemeinde hierdurch entstehenden Kosten auf den
Länder schon jetzt einstweilen den Entwurf der Ver- Bundeshaushalt zu übernehmen.
waltungsvorschriften an, nachdem dié Innenminister Die hiermit im Zusammenhang stehenden recht-
der Länder dies durch Erlasse angeordnet haben. lichen und baufachlichen Prüfungen durch die zu-
Den genauen Zeitpunkt, zu dem die Verwaltungs- ständigen Bundesressorts sind noch nicht abgeschlos-
vorschriften endgültig in Kraft gesetzt werden kön- sen. Sobald das Ergebnis der Untersuchung vorliegt,
nen, kann ich im Augenblick noch nicht mitteilen. darf ich mir erlauben, Sie weiter zu unterrichten.

Zu Frage VII/8:
Anlage 13
In dem Entwurf der Verwaltungsvorschriften ist
jetzt schon vorgesehen, daß Asylsuchende unver- Schriftliche Antwort
züglich dem Bundesamt für die Anerkennung aus-
ländischer Flüchtlinge zugeführt werden. Wesentlich des Bundesministers Dr. Dahlgrün vom 1. Dezember
ist allerdings, was unter einem „Asylsuchenden" 1965 auf die Mündliche Anfrage des Abgeordneten
zu verstehen ist. Die maßgeblichen Rechtsvorschrif- Dröscher (Drucksache V/57 Frage VIII/3) :
ten, nämlich Artikel 16 Abs. 2 Satz 2 des Grund- Ist die Bundesregierung bereit, bei den Ländern darauf hinzu-
wirken, daß um der Gleichheit der Lebensbedingungen im Bun-
gesetzes und das Genfer Abkommen über die Rechts desgebiet willen im Wege des kommunalen Finanzausgleichs
404 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 10. Sitzung. Bonn, Donnerstag, iden 2. Dezember 1965

oder auf anderem Wege Landgemeinden mit minderer Steuer-


kraft in der Größe bis zu 2000 Einwohnern die Einrichtung und
sind. Bislang ist es bei der Stadt Bergheim leider
Unterhaltung von Kindergärten möglich gemacht wird? noch zu keiner abschließenden Meinungsbildung
oder Abstimmung gekommen. Bei dem Stand der
Die Einrichtung und Unterhaltung von Kindergär-
Angelegenheit vermag ich daher noch nicht zu
ten gehört zu den Aufgaben der Gemeinden, die im
beurteilen, welche Lösung sich für eine Weiterver-
Rahmen der Gemeindeselbstverwaltung über die Er-
folgung herauskristallisieren wird und ob bzw. in-
füllung ihrer Aufgaben selbständig und eigenverant-
wieweit der Bund die Kosten hierfür als Baulast-
wortlich entscheiden. Soweit die eigenen Einnahmen
träger für die Ortsdurchfahrt der B 55 übernehmen
der Gemeinden zur Erfüllung ihrer Aufgaben nicht
wird.
ausreichen, ist die Ergänzung der Finanzausstattung
Sache des kommunalen Finanzausgleichs, der nach
der Finanzverfassung des Grundgesetzes allein Auf-
gabe der Länder ist. Anlage 15
Angesichts dieser Rechtslage kann die Bundesre-
gierung bei den Ländern auf eine Verstärkung der Schriftliche Antwort
Zuweisungen oder auf andere Hilfe für die Einrich- des Bundesminister Dr.-Ing. Seebohm vom 2. De-
tung und Unterhaltung von Kindergärten in finanz- zember 1965 auf die Mündlichen Anfragen des Ab-
schwächeren Gemeinden nicht hinwirken. geordneten Oll esch (Drucksache V/57 Fragen XIII/4
und XIII/5) :
Ist die Bundesregierung der Meinung, daß es wirtschaftlich
Anlage 14 vertretbar ist, den noch nicht vollendeten Bau der Bahnstrecke
Buer-Nord—Haltern fortzuführen?

Schriftliche Antwort Sieht die Bundesregierung eine Möglichkeit, die in Frage XIII/4
genannte sicherlich defizitär werdende neue Strecke in eine
Schnellstraße Gelsenkirchen—Haltern umzuwandeln?
des Bundesministers Dr.-Ing. Seebohm vom 2. De-
zember 1965 auf die Mündlichen Anfragen des Ab- Die Bundesbahn prüft auf Grund unserer wieder-
geordneten Lemper (Drucksache V/57 Fragen XIII/1, holten Rückfragen in den letzten Monaten und auf
XIII/2 und XIII/3) : Grund neuerer örtlicher Untersuchungen im Beneh-
Wann ist mit dem Ausbau des Fußgängerweges in der Orts-
men mit der Landesregierung von Nordrhein-West-
durchfahrt Derkum—Ottenheim (B 51) zu rechnen, nachdem die falen, ob es nach den örtlichen strukturellen Ände-
Planungen für dieses Bauvorhaben seit langer Zeit laufen?
rungen in der Wirtschaft dieses Raumes heute noch
wirtschaftlich vertretbar ist, den 1956 von Vorstand
Ist die Bundesregierung bereit, die Kosten für die Teilum-
gehung Bergheim (B 55), die im Rahmen des sogenannten und Verwaltungsrat beschlossenen, jedoch aus
Generalverkehrsplans der Stadt Bergheim vorgesehen ist, zu finanziellen Gründen und wegen der sich ändernden
übernehmen?
Wünsche und Einsprüche örtlicher Stellen auch jetzt
Ist — bei Bejahung der Frage XIII/2 — der Bundesregierung noch nicht vollendeten Bau der Bahnstrecke Buer-
bekannt, daß die kleine Umgehung (Aachener Tor) mit weitaus
geringeren Mitteln zu erstellen ist, zumal schon jetzt eine spür- Nord—Marl—Haltern zu Ende zu führen.
bare Entlastung des Verkehrs durch das Teilstück der Erfttal-
straße zu verzeichnen ist und in einigen Jahren eine weitere Seine ursprüngliche Bedeutung hat das Projekt
Umgehung (B 477) fest eingeplant wurde?
insbesondere durch den Strukturwandel im Kohle-
Zu 1. bergbau verloren. Es kommt darauf an, ob genügend
neue zusätzliche Aufgaben für das Verkehrsband
Zur Durchführung kleinerer Um- und Ausbaumaß- entstanden sind oder entstehen. Diese könnten sich
nahmen an Bundesfernstraßen, wozu erforderlichen- im Schienenverkehr aus der Entflechtung des Ver-
falls auch die Anlage von Gehwegen entlang von kehrs im Verdichtungsraum Ruhrgebiet ergeben.
Außenstrecken gehört, weise ich den Auftragsver- Dies können nur die für die zukünftige Raumord-
waltungen der Länder zu Beginn eines jeden Rech- nung zuständigen Stellen entscheiden. Der Gedanke,
nungsjahres Globalmittel zum eigenverantwort- das Verkehrsband als Straße zu verwenden, liegt
lichen Einsatz zu. Nach einer Rückfrage beim Mini- an sich nahe. Jedoch sieht, wie sie mir auf Anfrage
ster für Landesplanung, Wohnungsbau und öffent- berichtete, die Straßenbauverwaltung des Landes
liche Arbeiten des Landes Nordrhein-Westfalen und der zuständige Landschaftsverband Westfalen-
soll der 1,5 km lange Gehweg zwischen Derkum und Lippe keine Möglichkeit, das dafür zu schmale Ver-
Ottenheim mit Beginn der Bausaisson 1966 angelegt kehrsband für das Straßenverkehrsnetz zu verwen-
werden. den.
Verbaut sind bisher rund 40% der insgesamt er-
Zu 2. und 3. forderlichen Kosten.
Der Bundesregierung liegen keine Entwürfe zur Ver-
besserung der Verkehrsverhältnisse im Bereich des
Aachener Tores in Bergheim im Zuge der B 55 vor. Anlage 16
Nach einer bei der Auftragsverwaltung Nordrhein-
Westfalen gehaltenen Rückfrage werden z. Z. bei Schriftliche Antwort
der Stadt Bergheim Voruntersuchungen über die
verschiedenen Lösungsmöglichkeiten angestellt, in des Bundesminister Dr.-Ing. Seebohm vom 2. De-
die u. a. auch eine Teilverlegung der B 55 und eine zember 1965 auf die Mündliche Anfrage des Abge-
kurze Umfahrung des Aachener Tores einbezogen ordneten Sänger (Drucksache. V/57 Frage XIII/6) :
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 10. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. Dezember 1965 405

Wann ist damit zu rechnen, daß die Bahnstrecke Lüneburg- men Zoll und Bahn mehr Personal in Büchen ein-
Büchen—Lübeck zweigleisig ausgebaut und damit den Wünschen
der Wirtschaft in Lübeck, im Kreise Herzogtum Lauenburg setzen müssen seit dem 1. Juli, soll durch Aufstellen
(Zonenrandkreis) und dem ständig zunehmenden Transitverkehr
aus dem Bundesgebiet und zurück Rechnung getragen wird? von Baracken und Ausbau der Diensträume das
Nötige geschehen, um Mißhelligkeiten abzustellen.
Für die Deutsche Bundesbahn besteht bei dem be-
stehenden Verkehrsaufkommen keine betriebliche
Notwendigkeit, den zweigleisigen Ausbau der
Strecke Lüneburg—Büchen—Lübeck in Erwägung zu
ziehen. Dies um so weniger, als die Strecke auch Anlage 18
für absehbare Zeit eine ausreichende Leistungs-
fähigkeit aufweist. Durch die technische Entwicklung Schriftliche Antwort
— ich erinnere an die Verbesserungen im Signalwe-
sen und an die Indusi-Zugsicherung — sind heute des Bundesministers Dr.-Ing. Seebohm vom 2. De-
elektrifizierte oder verdieselte eingleisige Strecken zember 1965 auf die Mündliche Anfrage des Abge-
ebenso leistungsfähig wie früher eine mit Dampfloks ordneten Felder (Drucksache V/57 Frage XIII/8) :
befahrene zweigleisige Strecke. Hinzu kommt, daß Ist der Bundesverkehrsminister bereit, die bisher vergeblichen
Bemühungen der Gemeinde Fischbach-Altenfurt um den Neubau
bei einem zweigleisigen Ausbau auch die Lauen eines Bahntunnels beim Fischbacher Bahnhof nunmehr initiativ
burger Elbbrücke für zweigleisigen Betrieb aufge- zu unterstützen, da die Verkehrsverhältnisse an der bezeichneten
Stelle unerträglich geworden sind?
baut werden muß. Damit würde der Straßenverkehr
auf dieser Brücke keinen Platz mehr haben und ein Im Falle des Neubaues der Straßenunterführung
außerordentlich wichtiges Straßenverkehrsband im im Bahnhof Fischbach ist es nicht Sache der Bundes-
Zonenrandgebiet unterbrochen sein. regierung, sondern allein Sache der Gemeinde als
Baulastträger, die Initiative zu ergreifen. Bereits
-
im letzten Jahr wurde unserem damaligen Kollegen
Dr. Supf, der sich ebenfalls eingeschaltet hatte, auf-
gezeigt, welche Möglichkeiten die Gemeinde hat,
Anlage 17 das Vorhaben zu fördern.

Schriftliche Antwort

des Bundesministers Dr.-Ing. Seebohm vom 2. De-


Anlage 19
zember 1965 auf die Mündliche Anfrage des Abge-
ordneten Sänger (Drucksache V/57 Frage XIII/7):
Schriftliche Antwort
Ist die Bundesregierung bereit, die Deutsche Bundesbahn
darauf hinzuweisen, daß die Verkehrslage und auch die beson-
dere Aufgabe des an der Zonengrenze liegenden Bahnhofs des Bundesministers Dr.-Ing. Seebohm vom 2. De-
Bächen es dringend erforderlich machen, diesen Bahnhof auszu-
bauen und ihn endlich den Anforderungen anzupassen, denen zember 1965 auf die mündliche Anfrage des Abge-
er seit langem nicht mehr gerecht werden kann?
ordneten Dr. Müller Hermann (Druckache V/57
-

Die gegenwärtigen Schwierigkeiten in Büchen sind Frage XIII/9) :


der Deutschen Bundesbahn bekannt. Sie beruhen Ist die Bundesregierung entschlossen, ihre Zusage zu einer
auf der einseitigen Aufkündigung des gemeinschaft- Teilprivatisierung der Deutschen Lufthansa termingerecht ein-
zuhalten?
lichen Bundesbahn/Reichsbahn-Tarifes durch die Be-
hörden in der SBZ zum 1. Juli 1965. Diese Maß- Ja. Nach dem Beschluß der Hauptversammlung
nahme zwingt dazu, die Güter an der Demarkations- der Deutschen Lufthansa AG, den ich in dieser Hin-
linie jeweils neu aufzugeben. Bis dahin genügte der sicht bedauere, werden die Zeichnungserklärungen
derzeitige Zustand für die Abwicklung des Betrie- auf das um 150 Millionen DM zu erhöhende Aktien-
bes. Wir hoffen, daß der derzeitige unnatürliche Zu- kapital unwirksam, wenn die Kapitalerhöhung nicht
stand nur von vorübergehender Dauer sein wird. bis zum 31. Dezember 1965 in das Handelsregister
Ein Ausbau der Gleisanlagen zwingt zur Überbrük- eingetragen ist. Die Bundesregierung ist bemüht,
kung des Elbe-Trave-Kanals und ist daher unver- ihre Entscheidungen hinsichtlich der Beteiligung des
hältnismäßig teuer, so daß die Bahn bei ihrer Bundes am Kapital des Unternehmens zeitgerecht
Finanzlage davor zurückschreckt. Soweit vorüber- zu treffen. Ich habe durchaus Grund zu der An-
gehend aus den von der SBZ veranlaßten Maßnah nahme, daß dies auch gelingen wird.

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