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Plenarprotokoll 17/5

Deutscher Bundestag
Stenografischer Bericht

5. Sitzung

Berlin, Donnerstag, den 12. November 2009

Inhalt:

Tagesordnungspunkt 1: Zusatztagesordnungspunkt 5:
Fortsetzung der Aussprache zur Regierungs- Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
erklärung der Bundeskanzlerin NEN: Soziale Gerechtigkeit statt Klientel-
politik
Dr. Philipp Rösler, Bundesminister (Drucksache 17/16) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 C
BMG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 B
Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister
Elke Ferner (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 B BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 C
Wolfgang Zöller (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 278 C Joachim Poß (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 A
Dr. Martina Bunge (DIE LINKE) . . . . . . . . . . 280 C Carl-Ludwig Thiele (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . 296 D
Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/ Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE) . . . . . . . . . 298 C
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 C
Alexander Bonde (BÜNDNIS 90/
Ulrike Flach (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 C DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 A
Dr. Carola Reimann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 284 D Dr. Michael Meister (CDU/CSU) . . . . . . . . . 301 C
Dr. Rolf Koschorrek (CDU/CSU) . . . . . . . . . 286 C Bernd Scheelen (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 C
Elisabeth Scharfenberg (BÜNDNIS 90/ Otto Fricke (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 C
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 C Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 307 A
Jens Spahn (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 C Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/
Dr. Barbara Hendricks (SPD) . . . . . . . . . . 289 D DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308 B
Bartholomäus Kalb (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 309 D
in Verbindung mit Dr. Barbara Hendricks (SPD) . . . . . . . . . . . . 311 A
Bartholomäus Kalb (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 311 B
Tagesordnungspunkt 2: Carsten Schneider (Erfurt) (SPD) . . . . . . . . . 311 B
Erste Beratung des von den Fraktionen der Frank Schäffler (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 B
CDU/CSU und der FDP eingebrachten Ent-
wurfs eines Gesetzes zur Beschleunigung Leo Dautzenberg (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 314 A
des Wirtschaftswachstums (Wachstumsbe-
Norbert Barthle (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 315 C
schleunigungsgesetz)
(Drucksache 17/15) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 B Carsten Schneider (Erfurt) (SPD) . . . . . . . 317 A

in Verbindung mit Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317 D


II Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. November 2009

Anlage 1 Anlage 2
Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 319 A Amtliche Mitteilungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319 C
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(A) (C)

Redetext

5. Sitzung

Berlin, Donnerstag, den 12. November 2009

Beginn: 9.00 Uhr

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: (Zurufe von der SPD, der LINKEN und dem
Ich eröffne die Sitzung. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Nein, nein!)
Ich begrüße Sie sehr herzlich zur Fortsetzung unserer sondern weil wir Arbeitslosigkeit verhindern müssen.
heutigen Beratungen, bei denen es um die weitere Aus-
sprache zur Regierungserklärung der Bundeskanzle- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
rin geht. Ich erinnere daran, dass wir am Dienstag für Deswegen ist es richtig, den sogenannten Arbeitgeber-
heute dreieinhalb Stunden vorgesehen haben. anteil festzuschreiben. Das schafft nicht nur neue Mög-
Wir beginnen mit dem Themenbereich Gesundheit. lichkeiten im Krankenversicherungssystem,
Als erstem Redner erteile ich das Wort dem Bundesmi-
(Elke Ferner [SPD]: Welche denn?)
nister für Gesundheit Dr. Philipp Rösler.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) sondern sorgt insgesamt für Wachstum und Beschäfti-
gung.
(B) (D)
Dr. Philipp Rösler, Bundesminister für Gesundheit: (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Gesundheit ist für die Menschen in Deutschland Die Gesundheitsbranche ist mit über 4 Millionen Be-
ein enorm hohes Gut. Die Koalition aus CDU/CSU und schäftigten und einem Jahresumsatz von mehr als
FDP steht dafür, dass jeder, unabhängig von Einkom- 250 Milliarden Euro heute schon der größte Arbeitgeber
men, Alter, sozialer Herkunft und gesundheitlichen Risi- in Deutschland. Es gibt darüber hinaus erhebliche
ken, den Zugang zu unserem Gesundheitssystem erhal- Wachstumspotenziale.
ten kann und dass unsere Gesundheitssysteme auch (Elke Ferner [SPD]: Wer zahlt das denn? Die
zukünftig finanzierbar bleiben. Das ist das erklärte Ziel Versicherten!)
dieser neuen Regierungskoalition.
Wer diese Potenziale heben will, der braucht ein wettbe-
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) werbliches System.
In den letzten 20 Jahren gab es alle zwei bis drei Jahre
(Caren Marks [SPD]: Wie sieht das mit den
eine Gesundheitsreform. Allzu häufig hatten die Men-
Apotheken aus?)
schen das Gefühl, dass es zwar teurer, aber nicht immer
besser geworden ist. Wir sind angetreten, genau das zu Es gibt in Deutschland kaum ein System, das regulierter
ändern. und mit mehr Bürokratie belastet ist als das deutsche Ge-
Die meisten Reformen waren der Versuch, die Lohn- sundheitssystem. Das gilt es in dieser Legislaturperiode
zusatzkosten, die Beitragssätze zu senken oder wenigs- zu ändern.
tens stabil zu halten. Aber angesichts der demografi- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
schen Entwicklung und des medizinisch-technischen
Fortschrittes mussten diese Versuche immer wieder in Wir brauchen in der Krankenversicherung ein klares
Kostendämpfungsgesetzen enden. System der Ordnung, das sich aber nicht anmaßt, alles
ständig lenken zu wollen. Der freie und faire Wettbe-
Wer aber wirklich will, dass die künftigen Kostenstei- werb ist auch in der Krankenversicherung der bessere
gerungen im Gesundheitssystem nicht automatisch Weg,
zulasten des Faktors Arbeit gehen, muss zu einer wei-
testgehenden Entkopplung von den Krankenversiche- (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
rungskosten und den Lohnzusatzkosten kommen. Nicht NEN]: Hat denn wieder jemand die soziale
weil wir den Arbeitgebern einen Gefallen tun wollen, Kühlschranktür aufgemacht?)
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Bundesminister Dr. Philipp Rösler


(A) besser als der Weg der Einheitskasse und der staatlichen Der Unterschied lässt sich in einem Begriff zusammen- (C)
Zwangswirtschaft. fassen: Solidarität.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Deswegen ist „eine Kultur des Vertrauens“ ein wesentli- Solidarität und Eigenverantwortung sind keine Gegen-
cher Bestandteil in unserem Koalitionsvertrag. sätze. Ganz im Gegenteil:
(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Elke Ferner [SPD]: Wenn jeder für sich selber
NEN]: Es ist eiskalt! – Elke Ferner [SPD]: sorgt, ist für alle gesorgt!)
Was ist mit den Arbeitgebern?) Wir setzen auf die Eigenverantwortung. Wir wissen aber,
Ich habe angefangen, Medizin zu studieren, weil ich dass jeder in eine Situation kommen kann, in der er auf
mit Menschen zu tun haben wollte, die sich auch so be- die Solidarität der anderen angewiesen ist. Solidarität
nehmen. heißt: Der Starke hilft dem Schwachen; nicht mehr, aber
eben auch nicht weniger. In Bezug auf das Krankenver-
(Heiterkeit und Beifall bei der FDP und der sicherungssystem heißt das eben, dass die starken Ge-
CDU/CSU) sunden den schwächeren Kranken helfen müssen. Dieses
Nach meinem Studium musste ich feststellen, dass Qua- Ausgleichssystem gehört in die gesetzliche Krankenver-
litätssicherungsbögen und Arbeitsdokumentationen of- sicherung.
fensichtlich wichtiger sind als die Qualität und die Ar- (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
beit am und mit den Menschen. NEN]: Solidarität, ja?)
(Elke Ferner [SPD]: Können Sie mir sagen, in Aber den weiteren Ausgleich, den es dort gibt, den Aus-
welchem Gesetz das steht, in welchem Para- gleich zwischen Arm und Reich, halten wir in der Ge-
grafen? Wo steht das?) sundheitsversicherung für wenig treffsicher und deswe-
gen für sozial ungerecht.
Da habe ich mich entschieden, in die Politik zu gehen,
die Bürokratie zu beenden und endlich mehr Zeit für (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
Menschen zu schaffen. der CDU/CSU – Renate Künast [BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN]: Wie viel Spenden hat denn
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) die FDP von den Privaten gekriegt? Das ist die
Wir vertrauen den Menschen, die Leistung in An- einzig wichtige Frage!)
spruch nehmen, aber wir vertrauen auch den Menschen, Ich möchte hier ausdrücklich festhalten: Es wird in je- (D)
(B)
die Leistung erbringen, immerhin mit dem hohen ethi- der Gesellschaft einen Ausgleich zwischen Arm und
schen Ziel, Menschen in Not zu helfen. Reich geben müssen, aber eben nicht im Gesundheits-
Wettbewerb in der Krankenversicherung, im Bereich system. Dieser Ausgleich ist besser aufgehoben im
der Gesundheit heißt Wahlfreiheit für Patienten und Steuer- und Transfersystem; denn im Gesundheitssystem
Versicherte, aber auch für Leistungserbringer. gibt es einen einheitlichen Beitragssatz von 14,9 Pro-
zent, und die Solidarität endet bei der Beitragsbemes-
(Dr. Hans-Peter Friedrich [Hof] [CDU/CSU]: sungsgrenze. Im Steuersystem hingegen wird jeder mit
So ist es! – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE all seinen Einkünften nach seiner Leistungsfähigkeit be-
GRÜNEN]: Ich habe es nicht geglaubt, aber steuert,
Sie sind wirklich eiskalt! Wettbewerb! Es geht
ums Leben!) (Elke Ferner [SPD]: Ihr senkt doch gerade die
Steuern!)
Wer Kosten wirklich dämpfen will, der braucht keine
Gesetze, Verordnungen und Vorschriften, sondern sollte und jeder, übrigens auch die privat Versicherten, wird fi-
auf den aufgeklärten und mündigen Patienten und auf nanziell für die Gemeinschaft verpflichtet. Für CDU,
den eigenverantwortlich Versicherten setzen. CSU und FDP enden Solidarität und Gerechtigkeit eben
nicht bei einer Beitragsbemessungsgrenze von 3 750 Euro.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Frau Bundeskanzlerin Merkel hat am Dienstag in der
Regierungserklärung für diese Koalition deutlich auf den Verantwortung heißt aber auch, die Frage zu beant-
Zusammenhang zwischen Freiheit und Verantwortung worten, wie wir das bestehende System in ein neues
hingewiesen. Verantwortung heißt eben auch, zu erken- überführen können, ohne dabei die Menschen und die
nen, dass es einen Unterschied zwischen einem freien sozialen Sicherungs- und Transfersysteme zu überlasten.
und wettbewerblichen Gesundheitssystem als Teil eines Jeder von uns weiß: Das wird nicht von heute auf mor-
sozialen Sicherungssystems auf der einen Seite und ei- gen geschehen. Aber trotzdem muss man den Mut ha-
nem beliebigen wettbewerblichen System auf der ande- ben, in dieser Legislaturperiode zu beginnen. Angesichts
ren Seite gibt. der demografischen Entwicklung stehen wir in der Ver-
antwortung, für mehr als 80 Millionen Menschen ein ro-
(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- bustes Krankenversicherungssystem auf den Weg zu
NEN]: Zwischen gesetzlicher und privater bringen. Robust heißt, dass die Menschen die Gewissheit
Krankenversicherung! Das meinen Sie doch!) haben können, dass das Geld, das sie heute einzahlen,
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. November 2009 275
Bundesminister Dr. Philipp Rösler
(A) auch morgen für Vorsorge und Versorgung zur Verfü- (Volker Kauder [CDU/CSU]: Genau das hat er (C)
gung steht. Diese Gewissheit ist ein wesentliches Ele- gemacht! – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE
ment einer erfolgreichen Gesundheitsreform. GRÜNEN]: Wettbewerb! Profit! Das war es!)
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) sondern eine Kopfpauschale, die zu einer Dreiklassen-
medizin führen würde.
Ebenso müssen wir unsere Pflegeversicherung refor-
mieren. Nicht jeder von uns hat Kinder, aber jeder von (Beifall bei der SPD – Heinz Lanfermann
uns hat Eltern. Genauso wie Verantwortung in der Ge- [FDP]: Sie haben nichts verstanden!)
sellschaft heißt, dass Eltern für ihre Kinder Verantwor-
Sie haben eine Koalitionsvereinbarung für den Be-
tung übernehmen, müssen auch Kinder eines Tages, in
reich Gesundheit und Pflege gemacht, die eine Aneinan-
Alter und Pflege, für ihre Eltern Verantwortung überneh-
derreihung von Formelkompromissen ist. Offenbar wa-
men. Darauf müssen wir unser Pflegeversicherungssys-
ren alle, die da zusammengesessen haben, so berauscht
tem ausrichten. Die Einführung der Pflegeversicherung
von ihrem Wahlsieg, dass sie gar nicht gemerkt haben,
Mitte der 90er-Jahre hat vielen Menschen geholfen.
was sie da aufgeschrieben und unterschrieben haben.
Aber jetzt ist es dringend an der Zeit, das Umlageverfah-
Dann war der Kater über die künftige Gesundheitspolitik
ren Pflegeversicherung um eine kapitalgedeckte Zusatz-
so groß, dass das alles sehr unterschiedlich interpretiert
versicherung zu ergänzen;
worden ist.
(Thomas Oppermann [SPD]: Die Börsen rufen
Ich möchte eine kleine Auswahl vortragen. Markus
danach! Die Finanzmärkte rufen danach!)
Söder: „Der Fonds ist Geschichte. Es wird ein neues
denn Solidarität in der Pflege heißt, dass die Jungen den System etabliert.“ Alexander Dobrindt: „Es steht kein
Älteren helfen. Aber wir brauchen nicht nur Solidarität, Systemwechsel an.“ Ronald Pofalla: „Der Fonds bleibt.
sondern auch Gerechtigkeit. Deswegen ist es richtig, die Er ist der richtige Weg.“ Birgit Homburger: „Der Fonds
Pflegeversicherung endlich generationengerechter aus- kann nicht bleiben. Das ist ganz klar vereinbart. Wir
zugestalten als bisher. brauchen einen schnellen Systemwechsel.“ Horst
Seehofer: „Ein Gesundheitssystem, in dem die Lasten
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) solidarisch verteilt sind, gehört zu meinem Marken-
Die Reformen der Krankenversicherung und der Pfle- Kern. Der steht nicht zur Disposition. Punkt.“ Das ist die
geversicherung werden in dieser Legislaturperiode viel- Bandbreite in dieser Koalition. Herr Schäuble sagt dann
leicht nicht die einfachsten Aufgaben für diese Koalition auch noch: „Im Koalitionsvertrag steht, was wir anstre-
sein. Aber wenn es einfach wäre, dann hätten ja auch Sie ben.“ Ich füge hinzu: Aber nicht das, was wir machen
werden. – Das ist die Politik, die Sie hier der Bevölke-
(B) regieren können. (D)
rung bieten.
(Heiterkeit und Beifall bei der FDP und der
CDU/CSU) (Beifall bei der SPD und der LINKEN)
Der Wähler hat anders entschieden. Das Ziel ist klar. Pa- Sie wollen vor der NRW-Wahl die Katze nicht aus
cken wir es an. dem Sack lassen. Auch haben Sie keinen Gestaltungs-
willen. Denn diese Koalition stützt auch in der Gesund-
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. heitspolitik eine Regierung, die die Probleme konse-
(Anhaltender Beifall bei der FDP und der quent ausblendet, liegen lässt und sogar noch verschärft.
CDU/CSU) Sie machen Politik gegen die Mehrheit der Menschen in
unserem Land. Das ist das Schlimmste an dem, was in
Ihrem Koalitionsvertrag steht.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Nächste Rednerin ist die Kollegin Elke Ferner für die (Beifall bei Abgeordneten der SPD)
SPD-Fraktion. Wer den Anspruch erhebt, unser Land regieren zu
(Beifall bei der SPD) wollen, muss sich den Aufgaben stellen und die Verant-
wortung für politische Entscheidungen übernehmen, an-
Elke Ferner (SPD): statt sich hinter Regierungskommissionen und Prüfauf-
Frau Präsidentin! Liebe Kollegen und Kolleginnen! trägen zu verstecken. Konkret werden Sie dann, wenn es
Sehr geehrter Herr Rösler, zunächst einmal möchte ich um die Begünstigung Ihrer eigenen Klientel geht. In ei-
Sie im Namen der SPD-Bundestagsfraktion zu Ihrer Er- ner Zeit, in der Menschen um ihren Arbeitsplatz bangen,
nennung beglückwünschen. Ich hätte Ihnen auch gern viele bereits arbeitslos oder in Kurzarbeit sind oder auf
viel Erfolg für Ihre Arbeit gewünscht, aber Ihre Gesund- Einkommen verzichten, um Arbeitsplätze zu retten, stel-
heitspolitik ist so grundlegend falsch, dass man das beim len Sie Ärzten, Apothekern und Pharmaindustrie zusätz-
besten Willen nicht machen kann. liche Einkünfte in Aussicht.
Die Rechnung für diese Wahlgeschenke geht allein an
(Beifall bei der SPD und der LINKEN)
die gesetzlich Versicherten; denn die Arbeitgeber sollen
Ich muss sagen: Ich war bei Ihrer Rede schon etwas an den Ausgabensteigerungen künftig nicht mehr betei-
erstaunt, dass Sie als Arzt nicht den Patienten und die ligt werden. Sie haben vereinbart – Herr Rösler sagte das
Patientin in den Mittelpunkt Ihrer Gesundheitspolitik ja eben –, den Arbeitgeberbeitrag einzufrieren. Damit
stellen, kündigen Sie das bisher tragende Prinzip der paritäti-
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Elke Ferner
(A) schen Finanzierung der gesetzlichen Krankenversiche- Mit dem, was Sie vorhaben, gehen Sie den Weg in die (C)
rung auf. Dreiklassenmedizin, anstatt die Zweiklassenmedizin zu
überwinden.
(Beifall bei der SPD)
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der
Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen, Rentner und
LINKEN)
Rentnerinnen müssen dann deutlich tiefer in die Tasche
greifen. Aber auch die privat Versicherten kommen nicht Das untere Drittel unserer Gesellschaft wird zu Bittstel-
ungeschoren davon; denn sie müssen bei den ohnehin lern, um die von Ihnen geplante unsoziale Kopfprämie
schon ständig überproportional steigenden Versiche- überhaupt bezahlen zu können. Das zweite Drittel – die-
rungsprämien mehr zahlen, weil auch ihr Arbeitgeberzu- jenigen, die noch genug Geld haben und noch gesund
schuss eingefroren wird. Sie wälzen damit alle künftigen genug sind, um sich zusätzlich zu versichern – kann
Kostensteigerungen, ob wegen des demografischen dann vielleicht gerade noch am medizinischen Fort-
Wandels oder wegen des medizinischen Fortschritts, al- schritt teilhaben. Und die privat Versicherten nehmen
leine auf die Versicherten ab. Das bedeutet, dass sich in nach wie vor im Erste-Klasse-Wartezimmer mit schnel-
Zukunft kaum einer noch eine vernünftige Krankenver- ler Terminvereinbarung Platz. Sie planen nichts anderes
sicherung wird leisten können. als den Kahlschlag in unserem Gesundheitssystem
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Jens Spahn [CDU/CSU]: Langweilig!)

Sie entlassen die Arbeitgeber auch aus der Kostenver- – um das uns viele im Ausland beneiden –, nur um Ihre
antwortung. Bisher hat die Arbeitgeberseite über die neoliberale und marktradikale Ideologie durchzusetzen.
Verwaltungsräte in den Krankenkassen immer mit darauf (Beifall bei der SPD und der LINKEN – Zu-
geachtet, dass die Kosten nicht aus dem Ruder laufen. rufe von der CDU/CSU: Oh! Oh! – Was für
Das wird künftig anders sein. Das heißt, die Versicherten ein Unsinn! – Jörg van Essen [FDP]: Oh mein
werden noch mehr belastet. Das ist alles andere als mehr Gott! Bei Ihnen hört man ständig die gleiche
Netto vom Brutto. Das ist weniger Netto vom Brutto.
Leier! Trotzdem kriegen Sie diese Wörter im-
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten mer noch nicht ohne Versprecher über die Lip-
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) pen! Das ist wirklich traurig! – Heinz
Lanfermann [FDP]: Da haben Sie sich aber ei-
Besser, als Norbert Blüm es am 26. Oktober dieses Jah-
nen starken Satz aufgeschrieben, Frau Ferner!)
res gesagt hat: „Die Sozialpartnerschaft wird langsam,
aber stetig plattgemacht“, kann auch ich das nicht cha- Die FDP ist wenigstens so ehrlich gewesen, dies vor
(B) rakterisieren. der Wahl klipp und klar zu sagen, die CDU hat, ohne es (D)
Sie gehen noch einen zweiten Weg, nämlich den Weg den Wählern zu sagen, auf ihr Kopfprämienmodell zu-
„Privat vor Staat“. Sie wollen das größte Lebensrisiko, rückgegriffen, und die CSU, deren Vorsitzender Horst
das Risiko, krank oder pflegebedürftig zu werden, Seehofer immer gegen die Kopfprämie gewesen ist, ist
Schritt für Schritt privatisieren, koste es den oder die nach der Wahl umgefallen wie ein nasser Sandsack.
Einzelne, was es wolle, Hauptsache, die eigene Klientel (Otto Fricke [FDP]: Sandsäcke fallen nicht
ist gut versorgt. Bei der FDP kennen wir das nicht an-
um! Die liegen schon!)
ders, das wundert niemanden, aber CDU und CSU ver-
abschieden sich in der Gesundheitspolitik gerade von ih- Das alles läuft nach dem Motto: Vor der Wahl links blin-
rem Status als Volkspartei. ken, nach der Wahl rechts abbiegen. Das haben Sie sich
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten in Nordrhein-Westfalen abgeguckt. Das werden Ihnen
der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE die Wählerinnen und Wähler aber nicht durchgehen las-
GRÜNEN – Lachen bei der CDU/CSU – sen.
Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das sagen gerade (Beifall bei der SPD)
Sie, Frau Ferner? Das ist ja lächerlich!)
Ihre unsoziale Kopfprämie heißt im Klartext, dass die
Es sollte Ihnen zu denken geben, dass Ihr Koalitions-
alleinerziehende Sekretärin in Zukunft genauso viel für
vertrag nur von der Arbeitgeberseite, der Ärzteschaft,
der Apothekerschaft und der Pharmaindustrie gelobt ihre Krankenversicherung bezahlt wie der Bankdirektor.
wird, aber nicht von den Krankenkassen, den Gewerk- Der Unterschied zwischen den beiden ist, dass der Bank-
schaften, den Sozial- und Patientenschutzverbänden und direktor weniger bezahlt als vorher, durch den ungerech-
den Verbraucherverbänden. Die lassen an Ihrem Koali- ten Kinderfreibetrag mehr Familienförderung erhält und
tionsvertrag kein gutes Haar. Sie machen eine Gesund- durch Ihre unfinanzierbaren Steuersenkungen auch noch
heitspolitik gegen mehr als 70 Millionen gesetzlich Ver- deutlich stärker entlastet wird als seine alleinerziehende
sicherte in unserem Land. Sie wollen das solidarischste Sekretärin. Mehr Netto vom Brutto für den Bankdirek-
Sozialversicherungssystem, das wir haben, dem Ellenbo- tor, weniger Netto vom Brutto für die Sekretärin, das ist
genprinzip preisgeben. Ihre Politik.
(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: So ein Quatsch! (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
Das hat doch schon im Wahlkampf nicht funk- der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE
tioniert, Frau Ferner! Wann lernen Sie endlich, GRÜNEN – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: So
dass Sie auf das falsche Pferd setzen?) ein Quatsch!)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. November 2009 277
Elke Ferner
(A) Sie von der FDP bezeichnen den Gesundheitsfonds (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LIN- (C)
als Bürokratiemonster. Erklären Sie uns doch einmal, KEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ-
wie Sie dafür sorgen wollen, dass für mehr als NEN)
70 Millionen Versicherte Konten bei den Krankenkassen
Wer dann glaubt, eine solche Politik machen zu müssen,
und bei der Sozialausgleichsbehörde, die Sie einrichten damit sich die Ärzte am Starnberger See auch noch den
wollen, verwaltet werden und wie die Anträge von Drittporsche leisten können
20 bis 30 Millionen Versicherten auf Gewährung eines
Sozialausgleichs bearbeitet und beschieden und die ent- (Zuruf von der FDP: So ein Quatsch! – Jens
sprechenden Widersprüche bearbeitet werden sollen! Spahn [CDU/CSU]: SPD-Parteitag ist erst
Wie wollen Sie das denn machen? Wer den Gesundheits- morgen!)
fonds, wo 21 Leute arbeiten, um 170 Milliarden Euro zu und vielleicht die Versicherten in Bayern etwas weniger
verteilen, ein Bürokratiemonster nennt, der kann das, Beitrag zahlen, der irrt sich; denn wenn in den neuen
was Sie hier vorhaben, nur noch als Bürokratiewahnsinn Ländern oder in strukturschwachen Regionen der alten
bezeichnen. Länder AOKen in die Knie gehen, muss die AOK Bay-
ern mit haften. Das haben Sie bei den Egoismen, die Sie
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
immer bedienen, offenkundig nicht bedacht.
der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN) (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der
LINKEN)
Dieses Geld brauchen wir dringend für die medizinische
Versorgung der Patientinnen und Patienten, und nicht, Sie wollen den Risikostrukturausgleich zurückführen.
um zusätzliche Bürokratie aufzubauen. Den haben wir erst eingeführt, damit die Kassen, die
viele Kranke und Ältere unter ihren Versicherten haben,
Ich sage Ihnen: Ihre unsoziale Kopfprämie ist so einen gerechten Ausgleich für ihre Ausgaben bekom-
falsch wie ungerecht. Ich sage Ihnen auch: Sie wird men. Wenn es nach Ihnen geht, sollen die Kassen, die
– das werden wir am Ende der vier Jahre sehen, Herr die Alten und Kranken versichern, schauen, wie sie zu-
Rösler – nicht kommen. Dann sehen wir uns hier wieder, rechtkommen, während die Kassen, die die Jungen und
und dann werden die Wählerinnen und Wähler entschei- Gesunden versichern, in Geld schwimmen. Das ist doch
den können, wer die bessere Gesundheitspolitik für sie kein Wettbewerb, Herr Rösler. Bei Wettbewerb muss es
macht. doch um die beste Versorgung gehen und nicht um die
billigsten Versicherten.
Wir werden die Kopfprämie verhindern. Wir werden
(B) den Weg in die Dreiklassenmedizin nicht mitgehen. Ich (Beifall bei der SPD und der LINKEN) (D)
bin mir ganz sicher, dass die Mehrheit der Bevölkerung Dann wollen Sie auch noch an den Leistungsumfang
da an unserer Seite steht. gehen. Was wir davon zu halten haben, werden wir hof-
fentlich im Laufe dieser Wahlperiode erfahren. In Ihrem
(Beifall bei der SPD) Koalitionsvertrag heißt es:
Was der Sozialtransfer, der nötig wird, wenn Sie auf Die Versicherten sollen auf der Basis des bestehen-
die Kopfprämie umstellen, kosten würde, ist diese Wo- den Leistungskatalogs so weit wie möglich ihren
che in den Zeitungen eingehend behandelt worden. Sie Krankenversicherungsschutz selbst gestalten kön-
brauchten für diesen Sozialausgleich zusätzlich 24 bis nen.
35 Milliarden Euro. Wo Sie dieses Geld herzaubern wol-
len, erst recht, da Sie Steuersenkungen im Umfang von Was soll das heißen? Wollen Sie vielleicht auch noch
den Leistungskatalog einfrieren? Soll man die Versor-
24 Milliarden Euro vornehmen wollen, bleibt Ihr Ge-
gung mit einem künstlichen Hüftgelenk abwählen kön-
heimnis. Aber Sie können uns im Laufe dieser Wahlpe-
nen? Was ist damit gemeint? Dazu steht in Ihrem Koali-
riode darlegen, wie Sie das machen wollen.
tionsvertrag überhaupt nichts. Sie wollen die Einführung
Ihre Fantasie ist an dieser Stelle noch nicht erschöpft: von Festbeträgen prüfen – das wäre endgültig der Weg in
Sie wollen auch noch die Beitragseinnahmen regiona- die Dreiklassenmedizin –, und sie wollen die Kostener-
lisieren. Das geht, wenn es nach den Vorstellungen der stattung einführen.
CSU geht, nach dem Motto: Mein Geld gehört mir. – Bei der PKV bedanken Sie sich umgehend für die
Wie das in Bayern so ist: Wenn ich etwas kriegen kann, zahlreichen Wahlkampfspenden, die Sie in diesem Jahr
dann nehme ich es, und wenn ich etwas geben soll, dann erhalten haben,
behalte ich es. – Das ist das, was Sie unter Solidarität
verstehen. Mit gleichen Lebensverhältnissen in Ost und (Lachen der Abg. Ulrike Flach [FDP])
West, von denen Frau Merkel diese Woche gesprochen indem Sie ihr die bisher gesetzlich Versicherten schnel-
hat, hat das nichts zu tun, auch nicht damit, dass die Star- ler zuführen: Schon nach einem Jahr soll der Wechsel
ken für die Schwachen einstehen. Das ist eine Politik, möglich sein. Wer wechselt denn? Es wechseln nicht die
die sich insbesondere gegen die Versicherten in den Kranken, es wechseln die, die jung und gesund sind und
neuen Ländern, aber auch gegen die Versicherten in gut verdienen. Die anderen bleiben allein zurück. Die
strukturschwachen Ländern im Westen richtet. Das wer- Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung werden
den Ihnen die Menschen nicht durchgehen lassen. deshalb nicht geringer. Das ist eine Entsolidarisierung,
278 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. November 2009

Elke Ferner
(A) eine Schwächung der Finanzbasis der gesetzlichen Kran- heitssystem mehr geholfen als mit dem, was Sie vorha- (C)
kenversicherung. Das scheint Ihr vorrangiges Ziel zu ben.
sein.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD und der LINKEN)
(Beifall bei der SPD – Jörg van Essen [FDP]:
Bei der Pflege wollen Sie eine private Zwangszusatz- Dem deutschen Gesundheitssystem ist schon
versicherung einführen, um einen Kapitalstock zu bil- damit geholfen, dass Ulla Schmidt nicht mehr
den. Ich weiß nicht, was Sie reitet. In der jetzigen Situa- Ministerin ist!)
tion, wo jeder Cent zur Stärkung der Binnennachfrage
gebraucht wird, Geld aus dem Wirtschaftskreislauf zu
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
ziehen und in ein privates Versicherungssystem zu lei-
ten, in dem die Abschlusskosten hoch sind und Rendite Für die CDU/CSU-Fraktion spricht nun der Kollege
für die Aktionäre erwirtschaftet werden muss, ist, ge- Wolfgang Zöller.
linde gesagt, absurd. Ich sage Ihnen: Auch das wird kei- (Beifall bei der CDU/CSU)
nen Erfolg haben.
Wenn man dem Gedanken, einen Kapitalstock aufzu- Wolfgang Zöller (CDU/CSU):
bauen, nähertreten wollte, könnte man sagen: Wir ma- Grüß Gott, Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
chen das im System. – Aber wenn Sie eine Bürgerver- Kollegen! Liebe Kollegin Ferner, Ihre Rede war so ge-
sicherung Pflege und Gesundheit einführen, in der glückt wie die Terminierung des SPD-Parteitages. Er be-
private und gesetzliche Krankenversicherung die Risi- ginnt am Freitag, dem 13., und endet am Volkstrauertag.
ken solidarisch ausgleichen, dann brauchen Sie keinen
Kapitalstock, dann können Sie alles finanzieren, auch (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und
das, was an demografischer Entwicklung und an medizi- der FDP – Lachen bei der SPD – Renate
nischem Fortschritt auf uns zukommt und die Kosten na- Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sind
türlich erhöhen wird. Sie Christ, oder hängen Sie dem heidnischen
Glauben an?)
Sie sind ganz klipp und klar ein Sicherheitsrisiko für
unseren Sozialstaat. – Auf Ihren Zwischenruf habe ich schon ganz lange ge-
wartet, Frau Künast. – Ich möchte Ihnen nur eines zu be-
(Beifall bei der SPD und der LINKEN – La- denken geben: Menschen, die verunsichert werden, kön-
chen bei der FDP) nen krank werden. Wer dies bewusst macht, der ist
(B) – Da Sie hier so aufbegehren, scheine ich genau den krank. (D)
Punkt zu treffen.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
(Heinz Lanfermann [FDP]: Sie sind ein Risiko der FDP – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE
für die Zukunft! Das ist viel schlimmer!) GRÜNEN]: Also Sie, der Redner!)
Sie entsolidarisieren unsere Gesellschaft und bauen in Jetzt komme ich zu dem, was im Koalitionsvertrag
unserem Land neue Mauern auf. Sie bürden die Kosten- steht. Bisher war es doch so, dass bei Diskussionen über
steigerungen alleine den Versicherten auf, Sie belasten das Thema Gesundheit ausgerechnet über die Gruppe,
die Bezieher unterer Einkommen und entlasten die Be- die es am meisten betroffen hat, am wenigsten geredet
zieher höherer Einkommen, und Sie schwächen auch die wurde, nämlich über die Patienten. Das wird jetzt er-
wohnortnahen Versorgungsstrukturen. Das Einzige, was freulicherweise drastisch geändert. Lesen Sie, was als
Sie machen, ist, Ihre Klientel zu bedienen. unser Ziel im Koalitionsvertrag steht. Ziel ist, die Patien-
tensouveränität und die Patientenrechte zu stärken. Da-
(Jens Spahn [CDU/CSU]: Sonst noch etwas?) her haben wir im Koalitionsvertrag ausdrücklich formu-
Eigentlich müssten die Patienten und Patientinnen im liert:
Mittelpunkt Ihrer Politik stehen.
Im Mittelpunkt der medizinischen Versorgung steht
(Jörg van Essen [FDP]: Das tun sie doch!) das Wohl der Patientinnen und Patienten.
Das ist leider nicht der Fall. Das Schlimmste ist: Sie (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
werden unser Gesundheitssystem ruinieren. Wir werden
das nicht zulassen. Was ist denn der beste Schutz für die Patienten? Der
beste Schutz für die Patienten ist nach wie vor ein freies,
Herr Rösler, ich sage Ihnen: Sie sind schon geschei- pluralistisch organisiertes und sozial abgesichertes Ge-
tert, bevor Sie angefangen haben. sundheitswesen. Das wichtigste Patientenrecht ist der
freie, ungehinderte und zeitnahe Zugang zu medizini-
(Beifall bei der SPD – Lachen bei der FDP) schen Leistungen, unabhängig von Alter, Geschlecht,
Wir werden uns hier regelmäßig wieder sprechen. Abstammung und Einkommen.
(Jens Spahn [CDU/CSU]: Hoffentlich nicht!) (Elke Ferner [SPD]: Das ändern Sie gerade!)
Ich glaube, Sie sollten Ihren Koalitionsvertrag einfach in Wir wollen eben keine Selektion, und wir wollen
den Müll werfen. Damit wäre dem deutschen Gesund- auch keine Wartelisten.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. November 2009 279
Wolfgang Zöller
(A) Die Patienten brauchen Sicherheit, dass sie bei einer Wichtig ist Transparenz. Die Informationsmöglich- (C)
schweren Krankheit eine rasche und wirksame Behand- keiten der Patienten und Versicherten sollen erweitert
lung erhalten. Die Patienten vertrauen mit Recht auf eine werden. Denn nur ein informierter Patient ist auch ein
gewissenhafte und qualitätsorientierte Ausführung der mündiger Patient. Nach wie vor werden Patienten oft
notwendigen medizinischen Leistungen. Deshalb muss wie Bittsteller bei Ärzten und Krankenkassen behandelt.
im Gesundheitswesen in erster Linie die Deckung des Es wird Zeit, dass wir dafür sorgen, dass die Patienten
medizinischen Bedarfs berücksichtigt werden. als Partner anerkannt und respektiert werden.
Die Sicherstellung einer qualitativ hochwertigen me- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
dizinischen Versorgung ist das Leitprinzip des deutschen der FDP)
Gesundheitswesens, und die finanziellen Mittel müssen Unser Gesundheitswesen braucht daher sowohl mehr
sich am Versorgungsbedarf orientieren und nicht umge- ökonomische als auch medizinische Transparenz. Jeder
kehrt. Deshalb wollen wir keine Budgetierung. Patient sollte einen einfachen Zugang zu Informationen
Die Beibehaltung von bestehenden Rechten, wie darüber erhalten, was seine Behandlung kostet und wel-
freier Arztwahl und freier Krankenhauswahl, ist eine che Leistungen zum Beispiel der Arzt oder das Kranken-
elementare Voraussetzung für eine vertrauensvolle Arzt- haus mit der Krankenkasse abrechnet.
Patienten-Beziehung. Der Staat und die Krankenkassen Jeder Patient sollte sich künftig darüber informieren
dürfen die Patienten bei der Wahl der von ihnen in An- können, welche Qualifikation, Erfahrungen und Behand-
spruch genommenen Behandler nicht bevormunden. lungsergebnisse ein von ihm aufgesuchter Leistungs-
Deshalb lehnen wir eine Einschränkung der freien Arzt- erbringer aufzuweisen hat. Der jeweilige Leistungs-
wahl und eine Pflicht zur Zuweisung an bestimmte erbringer, seine Berufsvertretung oder die Krankenkassen
Krankenhäuser ab. sollen dann darüber Auskunft erteilen.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Jeder Patient hat auch bei anderen Stellen die Mög-
der FDP) lichkeit, sich über Untersuchungs- und Behandlungs-
methoden informieren zu lassen. Dazu sollen Kranken-
Damit die Patienten diese Wahlrechte ausüben kön- kassen und anerkannte Patientenselbsthilfegruppen oder
nen, brauchen wir ein flächendeckendes Angebot medi- staatliche Organisationen eine Verpflichtung zur Aus-
zinischer Leistungen in Deutschland. Hier sind wir alle kunft erhalten. Diese Stellen müssen – soweit dies nicht
aufgefordert. Wir müssen alle Anstrengungen unterneh- schon heute der Fall ist – vermehrt als Dienstleister ge-
men, um die drohende und zum Teil schon eingetretene genüber den Patienten agieren.
Unterversorgung besonders in den ländlichen Gebieten
(B) zu verhindern. Auf der anderen Seite ist der Schutz der Patienten- (D)
daten sicherzustellen. Wir brauchen keinen gläsernen
(Beifall der Abg. Maria Michalk [CDU/CSU]) Patienten. Der Schutz der Patientendaten sollte Vorrang
Daneben brauchen wir Transparenz über Qualität, vor den Informationsansprüchen mancher Krankenkas-
Leistung und Preise. Die Patienten sollen auch über Art sen haben.
und Ausmaß der bei ihnen erforderlichen medizinischen (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
Maßnahmen wesentlich mitbestimmen können. Bei die- der FDP)
sem Entscheidungsprozess werden die Patienten durch
vielfältige Ansprechpartner im Gesundheitswesen unter- Ein weiterer Punkt sind die Mitwirkungsrechte. Im
stützt. Wir haben uns vorgenommen, die unabhängige Rahmen der Selbstverwaltung der Krankenkassen beste-
Beratung von Patientinnen und Patienten auszubauen. hen schon heute Beteiligungsrechte der Versicherten.
Hierbei muss allerdings sichergestellt werden, dass künf-
(Mechthild Rawert [SPD]: Und wie wird sie tig auch einzelne Versicherte oder Versichertenverbände
finanziert?) bei der sogenannten Friedenswahl überhaupt eine
Chance haben, in diese Gremien gewählt zu werden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Patientenrechte
haben in Deutschland durch Gesetze und Rechtspre- Ebenso müssen die versicherten Patienten bei der
chung einen hohen internationalen Standard. Dennoch Festlegung des Leistungskatalogs oder bei der Entschei-
gilt: Wie bei allen guten Systemen gibt es auch bei den dung über die Aufnahme oder Herausnahme bestimmter
Patientenrechten Verbesserungsmöglichkeiten. Dies be- medizinischer Maßnahmen in die bzw. aus der Leistungs-
trifft insbesondere Rechte bei der Transparenz, der pflicht der Krankenkassen mehr Mitwirkungsrechte er-
Mitwirkung an Steuerungsentscheidungen im Gesund- halten. Hier stellt sich die Frage, ob die Patientenvertreter
heitswesen und der Auswahl von unterschiedlichen Ver- im Gemeinsamen Bundesausschuss ausreichend Einfluss
sicherungen und Versicherungsleistungen. nehmen können oder ob man dies verbessern kann.

(Mechthild Rawert [SPD]: Per Gesetz?) Wir lassen den Versicherten mehr Wahlmöglichkei-
ten. Die Union hat schon in der letzten Legislaturperiode
Wir wollen die Patientenrechte in einem eigenen Verbesserungen erzielt, zum Beispiel die Möglichkeit
Patientenschutzgesetz bündeln, das wir in Zusammen- der Kostenerstattung oder die Möglichkeit von Selbstbe-
arbeit mit allen Beteiligten am Gesundheitswesen erar- halten. Wenn man aber den Versicherten zubilligt, aus-
beiten werden. Ich möchte auf einige Punkte hinweisen, reichende sozialpolitische Kompetenz zu haben, und sie
die in der Diskussion angesprochen werden müssen. durch eine verbesserte Information und Transparenz
280 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. November 2009

Wolfgang Zöller
(A) dazu in die Lage versetzt, dann sollte man den Versicher- stalten, sodass Versorgungssicherheit für die Patienten, (C)
ten auch vermehrt Verantwortung übertragen und für sie Planungssicherheit für die Leistungserbringer und
mehr Wahlmöglichkeiten erwirken. Hier müssen die Finanzierungssicherheit unter Berücksichtigung des me-
Krankenkassen mehr unterschiedliche Versorgungsange- dizinischen Fortschritts und der demografischen Ent-
bote machen. wicklung langfristig sichergestellt werden können.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vielen Dank.
Lassen Sie mich einen Bereich ansprechen, der unbe- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
dingt einer Verbesserung bedarf: die Organspende. Bei
Organspende und Organtransplantation haben wir wirk- Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
lich dringenden Handlungsbedarf. Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Martina Bunge
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- für die Fraktion Die Linke.
SES 90/DIE GRÜNEN und der SPD) (Beifall bei der LINKEN)
Wenn man sieht, dass wir es nach dem letzten Gesetz,
das schon 1997 beschlossen wurde, nicht geschafft ha- Dr. Martina Bunge (DIE LINKE):
ben, mehr freiwillige Spenden zu akquirieren, dann muss Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-
man sagen, dass es notwendig ist, dass wir eine kritische gen! Es ist schon eine groteske Situation: Der Reformbe-
Bestandsaufnahme machen. Als erste Maßnahme wäre darf für die Sicherung einer bedarfsgerechten, wohnort-
wichtig, dass man die organisatorischen und strukturel- nahen, gesundheitlichen und pflegerischen Versorgung
len Rahmenbedingungen im Krankenhaus so gestaltet, der Bevölkerung ist da. Neue Herausforderungen brau-
dass man unserem Ziel näherkommen kann. chen eine dauerhafte und gerechte Finanzierungsgrund-
lage. Was geschieht? Die Große Koalition der letzten
(Dr. Martina Bunge [DIE LINKE]: Dann vier Jahre hat diese Aufgabe nicht gepackt. Der vorlie-
müsst ihr den Ländern einen Schubs geben! In gende Koalitionsvertrag von Schwarz-Gelb wird jeden
Mecklenburg-Vorpommern gibt es ein Gesetz! Tag neu interpretiert; Kollegin Ferner hat die entspre-
Da wird ordentlich gespendet!) chenden Zitate gebracht. Die Meldungen häufen sich,
Wir werden zudem mit einer umfassenden Kampagne in was alles nicht geht.
der Bevölkerung weiterhin dafür werben, durch Organ- Auch wenn Sie Ihre Vorhaben im Detail noch hinter
spende Leben zu retten. 16 Prüfaufträgen einer Kommission und einer Arbeits-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) gruppe verstecken, eines ist klipp und klar: Hier ist von
(B) Schwarz-Gelb ganz offen eine Systemwende angesagt, (D)
Lassen Sie mich noch einen anderen Punkt anspre- Neoliberalismus pur. Der Verachtung des Staates stellen
chen, der uns sehr am Herzen liegt. Es ist uns ein großes Sie die Vergötterung des Marktes gegenüber. Was Sie
Anliegen, die Diagnose- und Therapiefreiheit wieder- machen, ist keine Gesundheitspolitik. Das ist Wirt-
herzustellen. Listenmedizin und enge Behandlungsricht- schaftspolitik.
linien werden dem nicht gerecht. So ist zum Beispiel der
Arzneimittelbereich völlig überreguliert. Es muss die (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg.
Frage beantwortet werden: Wird mit den Rabattverträgen Mechthild Rawert [SPD])
das politisch gewollte Ziel erreicht, bei patentgeschützten Die Gesundheit aller ist der Linken zu wichtig, als
Arzneimitteln oder anderen Nichtfestbetragsarzneimit- dass wir auch nur einen Schritt in diese Richtung mitge-
teln Wirtschaftlichkeitsreserven zu erschließen? Stehen hen. Wir werden dafür streiten, das Schlimmste zu ver-
die erreichten Einsparungen im richtigen Verhältnis zu hindern. Wir werden Ihrer Marktradikalisierung unsere
den Problemen, die mit der Umstellung auf Rabattver- solidarische Ausgestaltung als Alternative gegenüber-
träge bei Patienten und in den Apotheken entstanden stellen.
sind? Ich bin fest davon überzeugt – das ist nun einmal
leider eine Tatsache –: Die Verunsicherung der Patienten (Beifall bei der LINKEN)
darüber, in den Apotheken regelmäßig ein anderes Arz- Ihre Lösung ist die Aufkündigung der Solidarität. Mit
neimittel bekommen zu müssen, ist mit ausschlaggebend dem Einfrieren der Beiträge für die Arbeitgeber entlas-
für die große Verunsicherung. Wenn wir ganz ehrlich sen Sie diese vollends aus der Solidarität. Durch die
sind: Letztendlich bestimmt zurzeit die Krankenkasse Kopfpauschale in der gesetzlichen Krankenversicherung
per Rabattvertrag, welches Arzneimittel der Versicherte und durch den Kapitalstock in der Pflegeversicherung
erhält. Dies ist mit unseren Vorstellungen von Thera- wird die Zeche allein den Versicherten und Patientinnen
piefreiheit nicht vereinbar. und Patienten aufgebürdet. Das ist ein sozialpolitischer
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Skandal.
(Beifall bei der LINKEN)
Liebe Kollegin Ferner, Sie werden vielleicht anhand
meiner Ausführungen bemerken, dass wir nicht nur über Den Gutverdienenden machen Sie Geschenke. Aber
Patienten reden, sondern dass wir auch schon im Koali- die Niedrigverdiener sind künftig keine selbstbewussten
tionsvertrag richtungsweisende Punkte für die Patienten Versicherten mehr, sondern sie werden zu Bittstellern
festgelegt haben. Wir sollten in diesem Haus gemeinsam beim Staat. Herr Minister, das machen Sie ganz bewusst,
versuchen, unser Gesundheitswesen ideologiefrei zu ge- das haben Sie gerade bestätigt. Sie geben die Gesund-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. November 2009 281
Dr. Martina Bunge
(A) heitspolitik vollends in die Fänge des Finanzministers. zuzahlen oder eine private Zusatzversicherung abschlie- (C)
Er hat schon gestöhnt, dass die Gesundheitspolitik sein ßen.
größtes „Sorgenkind“ ist. Was dann von einer qualitativ
(Jens Spahn [CDU/CSU]: Lesen Sie doch ein-
hochwertigen Gesundheitsversorgung übrig bleibt, liegt
mal richtig!)
auf der Hand.
– Man kann auch einmal drei Jahre weiter denken. Dann
Wie könnte es anders sein, gibt es in Ihrem Koali-
ist die Wirkung so, Herr Spahn.
tionsvertrag doch ein klares Bekenntnis zur privaten
Krankenversicherung. Für dieses einzigartige Konstrukt (Jens Spahn [CDU/CSU]: Seit wann denken
in Europa, neben der gesetzlichen einen eigenständigen Sie denn in die Zukunft? – Gegenrufe von der
Vollversicherungszweig der privaten Versicherung zu SPD und der LINKEN: Oh!)
haben, schaffen Sie wieder erleichternde Bedingungen.
– Das werde ich Ihnen gleich darlegen. – Wer eine Ver-
So können sich Gutverdienende weiter aus der Solidari-
sorgung nach dem jeweils aktuellen medizinischen Stan-
tät verabschieden.
dard haben will, muss privat zuzahlen. Das wird klar
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) werden. Damit wird die Versorgung vom Portemonnaie
der Versicherten abhängig. Der Arme kann sich nur das
Wir stellen all dem unseren Vorschlag einer solidari- Günstigste leisten. Das ist das Ende des freien Zugangs
schen Bürgerinnen- und Bürgerversicherung entge- zu Leistungen für alle. Das ist Zwei- oder Dreiklassen-
gen. Alle zahlen in diese Versicherung ein. Damit wird medizin in Reinkultur. Die Linke lehnt das entschieden
die Beitragslast auf mehr Schultern verteilt. Alle Ein- ab.
kommen, also auch Miet-, Pacht- und Kapitalerträge,
werden einbezogen. Das bringt eine breitere Basis. (Beifall bei der LINKEN)
(Dr. Ilja Seifert [DIE LINKE]: Richtig!) Sicher wird sich die Regierungskommission auch mit
dem Gesundheitsfonds beschäftigen, sich ihn vorknöp-
Die Arbeitgeber sind mit hälftigen Beiträgen auf Lohn fen. Dieser ist nicht per se schlecht, sondern er ist unter-
und Gehalt paritätisch dabei. Auf dieser neuen Basis finanziert und sozial ungerecht, müssen den Zusatzbei-
würde ein Beitragssatz von 10 Prozent, also 5 Prozent trag doch allein die Versicherten tragen. Wenn Sie jetzt
für die Arbeitgeber und 5 Prozent für die Versicherten, im Koalitionsvertrag festhalten, dass es mehr – ich
ausreichen, um all das zu bezahlen, was heute bezahlt zitiere – „regionale Differenzierungsmöglichkeiten“ im
wird. Die Zuzahlung und die Praxisgebühr könnten so- Gesundheitsfonds geben muss und Bayerns Gesund-
gar abgeschafft werden. heitsminister in Ihrer Kommission sein soll, dann weiß
(Beifall bei der LINKEN) man, wohin die Reise gehen soll. Es wird Hand an den (D)
(B)
sogenannten Morbi-RSA gelegt werden, der den Kran-
Sicherlich ist das ein diametral entgegengesetzter An- kenversicherungen mit mehr und teuren Kranken mehr
satz, aber dieser Ansatz ist gerecht und bildet die gegen- Geld brachte. Damit würde aber die gerade erst erreichte
wärtigen Verhältnisse ab. Dieser Vorschlag knüpft an das Solidarität des reichen und gesünderen Südens Deutsch-
Leistungsvermögen der Versicherten an, an das, wovon lands mit dem ärmeren und kränkeren Norden aufgekün-
heutzutage gelebt wird, einer der konstituierenden Ge- digt. Doch damit stellen Sie die Honorarangleichung für
danken für die solidarische Sicherung. Ärztinnen und Ärzte in den neuen Bundesländern wieder
Davon wird nicht viel übrig bleiben, wenn Sie, Herr infrage. Diese hat gerade eine Trendwende in der Bewäl-
Minister, in Bälde Ihre Regierungskommission einset- tigung des Ärztemangels eingeläutet. Wollen Sie wirk-
zen. Schaut man sich den Hintergrund der Namen an, die lich den Osten in eine dramatische medizinische Versor-
da inzwischen den Ticker durchschwirren, dann kann gungskrise hineinsteuern? Das kann doch wohl nicht Ihr
man nur empört sein. Eng mit der von den Arbeitgebern Ernst sein.
finanzierten Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft und (Beifall bei der LINKEN – Widerspruch bei
mit Versicherungsunternehmen verquickte Persönlich- der CDU/CSU)
keiten werden geradezu eingeladen, das Schlachtfest der
solidarischen Krankenversicherung auszurichten. Wenn ich mir Ihre Rezepte gegen den Ärztemangel
anschaue, dann ist sichtbar, wie weit weg Sie vom realen
(Jens Spahn [CDU/CSU]: Ach Mann! – Ulrike Leben sind. Ihre Lösung heißt „Ausbau der Anreize bei
Flach [FDP]: Ein Schlachtfest?) der Niederlassung von Ärztinnen und Ärzten“. Vor Ort
wird aber über neue Versorgungsformen nachgedacht.
Das Geschreibsel dieser Versicherungslobbyisten fin-
Haben Sie schon einmal etwas von der Feminisierung
det sich im schwarz-gelben Koalitionsvertrag wieder. Es
des Arztberufes gehört? Mehr und mehr Absolventinnen
kommt so nett daher: Es würden mehr Wahl- und Ent-
wollen sich nach dem Medizinstudium nicht niederlas-
scheidungsspielräume eingeräumt; auch Sie, Herr Zöller,
sen, sondern sie streben auch im ambulanten Bereich
haben es gerade gesagt. Man muss sich aber einmal klar-
nach Möglichkeiten, angestellt zu arbeiten, um damit
machen: Wer hat eigentlich die Wahl und wer nicht?
Beruf und Familie vereinbaren zu können. Aber was ma-
Wenn von „Festzuschüssen“ und „Mehrkostenregelun-
chen Sie? Sie stellen die medizinischen Versorgungszen-
gen“ die Rede ist, dann heißt das doch übersetzt, dass es
tren infrage. Unseres Erachtens gehört dieser bisherige
für bestimmte Leistungen nur noch eine Grundversor-
Ansatz novelliert, aber nicht abgeschafft.
gung gibt. Wer eine Versorgung nach dem jeweils aktu-
ellen medizinischen Standard haben will, muss privat (Beifall bei der LINKEN)
282 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. November 2009

Dr. Martina Bunge


(A) Neue Ideen, für die der Osten ein „Labor“ ist, wie die Resümierend muss ich für die Linke feststellen: Ihre (C)
Financial Times letzte Woche schrieb, finden in Ihrem Pläne sind an sozialer Kälte nicht zu überbieten. Im
Koalitionsvertrag keine Widerspiegelung. Im Gegenteil: Wettbewerb ohne soziale Schranken wird Gesundheit
Ihre Weichenstellung zur Marktradikalisierung, deutlich zur Ware. Aber eins kann ich Ihnen versichern: Nicht mit
in dem Postulat, dass das „allgemeine Wettbewerbsrecht uns!
als Ordnungsrahmen grundsätzlich auch im Bereich der
gesetzlichen Krankenversicherung Anwendung“ finden (Beifall bei der LINKEN – Jens Spahn [CDU/
soll, steht neuen Versorgungsformen diametral entgegen; CSU]: Ja, Gott sei Dank!)
denn diese setzen auf Kooperation. Ihre Vorhaben sind
damit auch fortschrittsfeindlich. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat
(Beifall bei der LINKEN)
nun das Wort die Kollegin Birgitt Bender.
Gesundheitsförderung und Prävention einen ganz
anderen Stellenwert zu geben, wäre auch ein Zukunfts- Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
vorhaben. Der Begriff der Gesundheitsförderung fehlt Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Schön
im Koalitionsvertrag völlig. Fremd ist dieser Koalition, schwätzen kann er ja, der neue Gesundheitsminister;
dass Gesundheit mit mehr zusammenhängt als nur mit aber er vertritt ein hässliches Politikmodell.
Wissen über Ernährung und Sport. Sie verlieren kein
Wort über die unterschiedliche Lebenserwartung von (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS-
Armen und Reichen. Die Reichen leben zehn Jahre län- SES 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Wider-
ger als die Armen. Sie verlieren kein Wort dazu, dass spruch bei Abgeordneten der CDU/CSU und
dies empörend ist und endlich beseitigt werden muss. der FDP – Heinz Lanfermann [FDP]: So was
Niveauloses!)
(Beifall bei der LINKEN)
Lassen Sie mich sagen, warum.
Man fragt sich doch wirklich, ob die Regierung die
Debatte um die Gesundheitsförderung und Prävention Herr Minister, Sie sprechen vom gleichen Zugang al-
der letzten 20 Jahre völlig verschlafen hat. Für die Linke ler Menschen zum Gesundheitssystem. Aber wissen Sie,
sind Gesundheitsförderung und Prävention ein Beitrag mit der Gleichheit ist das so eine Sache: Die Gleichheit
zur gesundheitlichen Chancengleichheit. Angesetzt wer- umfasst sowohl das Recht, unter Brücken zu schlafen,
den muss in den Lebenswelten der Menschen, in Kinder- als auch, in Palästen zu wohnen. Das heißt, bei Ihnen
gärten, in Schulen, in Stadtteilen und vor allem am Ar- muss man sich diese Gleichheit leisten können. Das Ge-
beitsplatz. Aber von einem Präventionsgesetz will die sundheitssystem, das Sie anstreben, wird für viele Men-
(B) Koalition bekanntlich nichts hören. Mit ein paar Schön- schen nicht mehr bezahlbar sein. (D)
heitsreparaturen wursteln Sie weiter wie bisher. Das ha-
ben die unzähligen Engagierten, die dringend auf ein (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Präventionsgesetz warten, nicht verdient. sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN-
KEN)
(Beifall bei der LINKEN)
Wie ist es denn mit einem Kopfgeldsystem, wie Sie es
Auch in der Pflegeversicherung betreibt die neue anstreben? Das würde für jeden dritten Menschen im
Koalition reine Klientelpolitik. Mit dem Kapitalstock, Westen dieser Republik bedeuten, dass der Kranken-
der allein von den Versicherten zu tragen ist, wird die versicherungsschutz teurer wird. Im Osten der Repu-
Pflegeversicherung den Risiken des Kapitalmarktes aus- blik würde das für jeden zweiten Menschen gelten.
gesetzt. Es ist nicht zu fassen! An die wirklichen Pro-
bleme will Schwarz-Gelb nicht herangehen. Die Pflege- (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Das ist falsch!)
versicherung leidet an chronischer Unterfinanzierung, Selbst wenn Sie den sozialen Ausgleich durch Steuern
und zwar jetzt. Pflegebedürftige Menschen, ihre Ange- ernst meinen, dann würde es immer noch bedeuten, dass
hörigen und die Pflegekräfte bekommen das täglich zu Menschen mit geringem Einkommen, die jetzt 7,9 Pro-
spüren. Pflege ist aber mehr als die drei „s“: still, satt zent ihres Einkommens für den Gesundheitsschutz auf-
und sauber. wenden müssen, prozentual mehr zahlen müssten als
(Beifall bei der LINKEN) Menschen, die bisher Höchstbeiträge gezahlt haben; bei
denen wären es dann gerade noch 3,8 Prozent, also nur
Pflege und Assistenz müssen ein Leben in Würde und etwa die Hälfte.
Selbstbestimmung ermöglichen. Dazu brauchen wir end-
lich ein neues Verständnis davon, was Pflege ist. Der (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Das stimmt
Vorschlag zum neuen Pflegebegriff liegt auf dem Tisch. doch gar nicht!)
Der Beirat hat ihn im Januar 2009 vorgelegt. Was wollen Das ist Umverteilung von unten nach oben. Man kann
Sie prüfen? Es muss umgesetzt werden. Der politische auch sagen: Klassenkampf von oben.
Wille dazu ist notwendig; aber die Union hat schon
durchblicken lassen, dass sie nur eine kostenneutrale (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Umsetzung anvisiert. Das ist eigentlich nicht zu machen. sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN-
Mehr Leistungen für mehr Menschen erfordern mehr KEN)
Geld.
Dass so etwas in Deutschland nicht wirklich gut an-
(Beifall bei der LINKEN) kommt, das hat die Kanzlerin schon seit einer Weile ver-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. November 2009 283
Birgitt Bender
(A) standen. Sie wollte ein solches Modell seit dem Leip- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (C)
ziger Parteitag. Aber für die Union hieß die Parole im und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der
Wahlkampf: Gesundheitspolitik findet bei uns nicht LINKEN)
statt; da legen wir uns in die Ackerfurche. Vielleicht hät-
ten Sie einmal untereinander darüber diskutieren sollen; Seien wir doch einmal ehrlich: Herr Minister Rösler,
jetzt werden Sie es jedenfalls müssen. Sie haben bereits bei einem Vortrag, den Sie letzten
Sommer vor niedersächsischen Zahnärzten gehalten ha-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ben, gesagt, worauf das Ganze hinauslaufen soll, näm-
sowie bei Abgeordneten der SPD) lich auf einen Abbau der Leistungen. Sie haben dort da-
von gesprochen, dass man erst einmal 10 Prozent der
Herr Minister, Sie gelten als das, was man in Baden- derzeitigen Leistungen aus dem Solidarsystem heraus-
Württemberg „ein Käpsele“ nennt; das ist jemand, der nehmen könne. Ich glaube, daran merkt man, wo es
besonders schlau ist. Ich will Ihnen das gerne zugeste- langgehen soll.
hen. Ich will Ihnen aber auch sagen: Sie können nicht
rechnen, oder Sie wollen nicht rechnen. Anders gesagt: Ihre Kopfprämie ist eine Abwrackprä-
mie für das Solidarsystem. Dass es dazu kommt, werden
(Elke Ferner [SPD]: Die ganze Koalition kann wir nicht zulassen, meine Damen und Herren.
nicht rechnen!)
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Sie streben ein System mit Kopfgeld und Steueraus- sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN-
gleich an, von dem Ihnen die Experten bereits jetzt sa- KEN)
gen, dass es schon bei der Einführung 22 Milliarden
Euro kostet. Gleichzeitig geht die Regierung mit der
höchsten Staatsverschuldung aller Zeiten spazieren. Zu Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Beginn senkt sie die Steuern und verspricht weitere Nächste Rednerin ist die Kollegin Ulrike Flach für die
Steuersenkungen. Das Ganze geht nicht auf. Entweder FDP-Fraktion.
haben Sie ein Pisa-Problem, weil Sie das nicht begreifen, (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
oder Sie meinen es mit dem steuerlichen Ausgleich gar der CDU/CSU)
nicht ernst und wollen den Krankenversicherungsschutz
für Millionen von Menschen unbezahlbar machen. So-
wohl das eine wie auch das andere wäre eine schlechte Ulrike Flach (FDP):
Nachricht. Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau
Bender, es ist wirklich erstaunlich, was Sie alles aus
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Koalitionsverträgen herauslesen.
(B) und bei der SPD) (D)
(Birgitt Bender [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
Im Übrigen habe ich gehört, Herr Minister, Sie streb- NEN]: Ich kann halt lesen! – Renate Künast
ten Bürokratieabbau an. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sind ja
(Jörg van Essen [FDP]: Richtig!) nur neidisch!)

Dazu muss ich erst einmal sagen: Wenn Sie als Stabsarzt Ansonsten sagen Sie ja gemeinhin, sie seien so allge-
bei der Bundeswehr so viel Bürokratie erfahren haben mein, dass man damit überhaupt nichts anfangen könne.
und daran jetzt etwas ändern wollen, hätten Sie vielleicht Eine gehörige Portion Fantasie muss man wohl den Grü-
Verteidigungsminister werden sollen. Aber das nur am nen genauso wie den Linken und den Roten zugestehen.
Rande. Liebe Kollegen, die Gesundheitspolitik bedarf wie
(Beifall des Abg. Alexander Ulrich [DIE kaum ein anderes Feld der Verlässlichkeit und des Ver-
LINKE] – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE trauens der Bürger. Wir brauchen eine Kultur des Ver-
GRÜNEN]: Bravo!) trauens anstelle einer Kultur der ständigen Kontrolle und
der Zwangsmaßnahmen. Das ist genau der Unterschied
Wenn man nun ein solches System anstrebt, sollte zu dem, was wir in den letzten Jahren erlebt haben.
man zuvor einmal in andere Länder schauen, wo es der
Spur nach schon so etwas gibt. Nehmen Sie zum Bei- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
spiel die Niederlande. Da gibt es ein System mit Kopf- der CDU/CSU)
pauschale; allerdings gibt es da nicht zusätzlich noch Wir müssen unseren Bürgern die Gewissheit geben,
eine private Krankenversicherung. In diesem System be- dass im Krankheitsfall alle gut versorgt sind. Dafür ste-
kommen die Menschen steuerlichen Ausgleich. Zurzeit hen wir.
bekommen 60 Prozent der Menschen in den Niederlan-
den diesen Ausgleich; das heißt, sechs von zehn Men- (Elke Ferner [SPD]: Sicher nicht!)
schen müssen dort in Kontakt mit Ämtern treten, um ei- Das mögen Sie noch so polemisch angehen, das ist die
nen Ausgleich zu bekommen. Sie würden demnach Maxime der schwarz-gelben Koalition. Daran werden
ähnlich viele Menschen mit Anträgen zum Amt schicken wir uns in den nächsten vier Jahren messen lassen.
und eine Vielzahl an bürokratischen Bearbeitungsverfah-
ren hervorrufen. Dazu kann ich nur sagen: Um Bürokra- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
tieabbau ging es vielleicht gestern in Ihrem Wahlkampf, der CDU/CSU – Elke Ferner [SPD]: Da sind
aber nicht in Ihrem jetzt vorgelegten Politikmodell. Sie schon jetzt durchgefallen!)
284 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. November 2009

Ulrike Flach
(A) Was auch immer heute hier gesagt und draußen in der (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) (C)
Presse verkündet wird: Diese Koalition wird dafür sor-
gen, dass dieser elementare Grundsatz unserer Gesell- Präsident Dr. Norbert Lammert:
schaft beibehalten wird. Es ist gelebte Solidarität, liebe Frau Kollegin Flach, würden Sie kurz vor Ende Ihrer
Kollegen, dass jeder Bürger die Möglichkeit haben Rede noch eine Zwischenfrage der Kollegin Bender zu-
muss, über einen bezahlbaren Krankenversicherungs- lassen?
schutz zu verfügen. Das bedeutet aber nicht, dass man
den Fehler einer Bürgereinheitszwangsversicherung be-
Ulrike Flach (FDP):
gehen muss.
Nein. Ich möchte diesen Gedanken weiter ausführen,
(Elke Ferner [SPD]: Sie machen eine private sonst kommt er zu kurz. Diese Diskussion können wir in
Zwangsversicherung in der 4Pflege!) den nächsten Wochen noch beliebig oft führen.
Wir gehen einen anderen Weg: Wir wollen unseren Bür- Das ist der Unterschied zwischen uns und Ihnen. Es
gerinnen und Bürgern mehr Möglichkeiten geben, dass scheint in Ihren Kreisen aber inzwischen Comment zu
sie ihren Krankenversicherungsschutz optimal auf die ei- sein, dass man auch so etwas denken kann. Wir werden
genen Bedürfnisse hin gestalten können. dafür sorgen, dass entsprechende Schritte unternommen
werden, nämlich dass die Effizienzpotenziale aktiviert
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten werden, dass Verluste aufgrund von Bürokratie reduziert
der CDU/CSU) werden und dass Flexibilität und Wettbewerb ins System
Das deutsche Krankenversicherungssystem ist durch kommen.
die letzten Reformen deutlich in Richtung eines zentra- So wie wir die Schuldenbremse vereinbart haben, die
listischen, staatsgesteuerten Einheitskassensystems ver- uns alle zwingt, in den nächsten Jahren einen Korridor
schoben worden. Genau das, liebe Frau Ferner, werden des Schuldenabbaus zu schaffen, so darf auch das Ge-
wir ändern. sundheitssystem nicht immer neue Lasten für die Zu-
(Beifall bei der FDP) kunft aufbauen. Deshalb werden wir eine Lösung, die
auch die nachfolgende Generation im Blick hat, schnell
Wir wollen zudem dafür sorgen, dass die Beiträge auf und sehr stringent angehen.
eine andere, gerechtere Grundlage gestellt werden. Der
soziale Ausgleich ist viel besser über das Steuer- und Die Zeit des Füllhorns ist vorbei. Wir werden eine
Transfersystem zu organisieren als in einer Versiche- bürgergerechte, für alle sorgende neue Gesundheitswelt
rung, die dazu da ist, den Ausgleich zwischen Kranken anstoßen. Ich bin froh, dass wir einen Minister haben,
der dies persönlich glaubwürdig verdeutlicht. Er hat sich
(B) und Gesunden herzustellen. (D)
heute klar dazu geäußert. Es wird eine schwierige Auf-
Wir sind da in guter Gesellschaft, liebe Frau Bender. gabe. Aber wir werden sie angehen.
Ich erinnere mich an einen bemerkenswerten Artikel der
hochgeschätzten ehemaligen Kollegin und Gesundheits- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
ministerin Frau Fischer – sie ist bekanntlich Mitglied der
Grünen –, die vor wenigen Tagen Folgendes gesagt hat: Präsident Dr. Norbert Lammert:
Carola Reimann ist die nächste Rednerin für die SPD-
Es ist im Prinzip kein falscher Gedanke, mit einer
Fraktion.
solchen Prämie für jeden Menschen festzulegen,
welchen Preis er für seine Gesundheit in einem soli- (Beifall bei der SPD)
darischen System aufbringen muss.
(Jens Spahn [CDU/CSU]: Aha!) Dr. Carola Reimann (SPD):
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-
Die Umverteilung ist eine sozialpolitische Aufgabe ren! Gerade einmal gut zwei Wochen steht die neue
danach – und getrennt von der Gesundheitspolitik. Koalition. Aber in kürzester Zeit ist es CDU, CSU und
Mit diesem für alle gleichen Betrag sollte niemand FDP gelungen, auf breiter Front Verunsicherung zu
überfordert werden, nicht die Einkommensarmen, schaffen.
nicht die Menschen mit Familie. Das Steuersystem
ist der Ort, an dem die gesamte finanzielle Situation (Volker Kauder [CDU/CSU]: Das schaffen
eines Menschen erfasst nicht einmal Sie!)

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Jörg Was Sie verklausuliert in Ihrem Koalitionsvertrag zur
van Essen [FDP]: Wunderbar!) Gesundheit und Pflege hineingeschrieben haben, ist
nichts anderes als die Aufgabe der paritätischen
und wo er entsprechend seiner Leistungsfähigkeit Finanzierung und die Privatisierung gesundheitlicher
zu Abgaben verpflichtet wird. Eigentlich also ge- Risiken.
nau das richtige System, um Solidarität konkret
werden zu lassen. (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Dr. Martina
Bunge [DIE LINKE])
(Volker Kauder [CDU/CSU]: Frau Fischer
hatte schon recht!) Die Lasten sollen zukünftig einseitig allein auf die
Versicherten abgewälzt werden in Form von Kopfpau-
Das sagt Frau Fischer. schalen, von höheren Zuzahlungen und von privaten Zu-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. November 2009 285
Dr. Carola Reimann
(A) satzzwangsversicherungen in der Pflege. Dieser Koali- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des (C)
tionsvertrag hat ein entsolidarisiertes Gesundheitssystem BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
zum Ziel. Das wird auf unseren entschiedenen Wider-
stand stoßen. Diese Kostensteigerungspolitik wird noch dadurch
verschärft, dass der Arbeitgeberbeitrag eingefroren wird
(Jens Spahn [CDU/CSU]: Das wird durch ständi- und somit alle zusätzlichen Kosten – das haben wir heute
ges Wiederholen nicht richtiger!) schon gehört – auf die Versicherten abgewälzt werden.
Sie kündigen damit das bewährte paritätische Prinzip
Im Gesundheitsbereich hat sich eine unheilvolle
und entlassen Wirtschaft und Arbeitgeber aus ihrer Ver-
Allianz zusammengefunden. Die CDU hat kein Konzept
antwortung. Und als ob das nicht genug wäre, krönen Sie
und überlässt ihren Partnern von CSU und FDP das ge-
dieses Sammelsurium der sozialen Spaltung noch mit
sundheitspolitische Feld. Das bedeutet: zahlreiche baye-
der Kopfpauschale. Egal ob Sekretärin oder Bankdirek-
rische Extrawürste auf Kosten anderer Bundesländer
tor, Mechaniker oder Managerin, alle zahlen den glei-
dank der CSU
chen Beitrag. Das ist unsozial und ungerecht.
(Volker Kauder [CDU/CSU]: Weißwürste!)
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
und die Privatisierung gesundheitlicher Risiken auf brei- der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE
ter Front, wie es die FDP seit Jahren und heute Frau GRÜNEN)
Flach angekündigt haben.
Dann wird natürlich der Sozialausgleich ins Spiel ge-
Das alles wird noch getoppt von einer Klientelpoli- bracht. Aber abgesehen davon, dass Millionen Versi-
tik, wie wir sie im Gesundheitsbereich noch nie erlebt cherte plötzlich zu Bittstellern beim Staat werden – in al-
haben. Die Lobeshymnen von Pharmaherstellern, Ärzte- len Staaten, die dies eingeführt haben, sehen wir diese
verbänden und privaten Krankenversicherungsunterneh- Entwicklung –, frage ich mich, wo Sie angesichts der
men sprechen Bände. Sie können sich wahrlich nicht derzeitigen Haushaltslage die von den Experten berech-
beklagen. Bei den Ärzten wird nach zweistelligen Ein- neten 22 Milliarden Euro – IGES hat das schon berech-
kommenszuwächsen in diesem Jahr erneut draufgesat- net – herholen wollen. Gleichzeitig wollen Sie die Steu-
telt, und unliebsame Konkurrenz durch medizinische ern senken. Das passt, mit Verlaub, vorne und hinten
Versorgungszentren wird eingeschränkt. Der privaten nicht zusammen. Weil das alles nicht so ganz zusam-
Krankenversicherung wird die Abwerbung von Gutver- menpassen will und weil die Landtagswahl in Nord-
dienern aus der gesetzlichen Krankenversicherung wie- rhein-Westfalen ins Haus steht, schieben Sie das alles in
der erleichtert. Der Basistarif – eingeführt, damit nie- eine Kommission. Oder soll ich besser sagen: „in eine
mand mehr ohne Versicherungsschutz ist – soll geprüft Regierungskommission“?
(B) werden. (D)
(Ulrike Flach [FDP]: Na ja, besser als mit
Ganz besonders freuen kann sich die Pharmaindustrie. schneller Nadel!)
Unliebsame, weil wirksame Preisregulierungsinstru-
mente wie Rabattverträge, Festbeträge und Höchstbeträge Denn diese Regierungskommission wird von einer CSU-
sollen überprüft werden. Man muss kein Gesundheits- eigenen Kommission begleitet, die diesen Prozess kri-
experte sein, um zu wissen, was das bedeutet: teurere tisch verfolgt.
Arzneimittel und steigende Gewinne für die Unterneh- (Elke Ferner [SPD]: Kommissions-
men, selbstverständlich auf Kosten der Beitragszahler kommission!)
und der Versicherten.
Für Herrn Bahr ist das ein ganz normaler Vorgang. Des-
(Ulrike Flach [FDP]: Sie wissen mehr als die halb schlage ich vor, dass auch die FDP eine FDP-Kom-
Koalition!) mission einberuft,
Sie geben ein wichtiges Instrument zur Förderung des (Dr. Frank-Walter Steinmeier [SPD]: Guter
Wettbewerbs im Sinne der Versicherten freiwillig aus Vorschlag!)
der Hand und riskieren dabei, dass die Kostenentwick-
lung im Gesundheitswesen völlig aus dem Ruder läuft. damit die Arbeit der CSU-Kommission kritisch begleitet
wird.
(Beifall bei der SPD – Johannes Singhammer
[CDU/CSU]: Das ist doch Quatsch!) (Jörg van Essen [FDP]: Wir wissen schon, was
wir wollen! – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]:
All diese Geschenke an Ihre Klientel lassen Sie sich Machen Sie sich mal keine Gedanken, Frau
teuer von den Versicherten bezahlen. Süße Medizin für Reimann! Sie haben genug mit sich zu tun!)
Ihre Klientel und bittere Pillen für die Patienten – so
sieht Ihr gesundheitspolitischer Neuanfang aus. Das ist mal ein zielgerichtetes Vorgehen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Zuruf von der LINKEN: Das ist Wettbewerb!)
Ich sage Ihnen: Damit werden Sie nicht weit kommen; Man könnte sich ja blendend über dieses Schauspiel
denn so viel süße Medizin, wie im Gesundheitswesen amüsieren. Aber es geht hier um nicht weniger als um
von allen Interessenverbänden gefordert wird, werden die Zukunft der Gesundheitsversorgung von Millionen
Sie gar nicht aufbringen können. Deshalb ist dieser Neu- Versicherten. Da hört der Spaß auf. Mit Ihrer „Kommis-
start komplett misslungen. sionitis“, mit Ihren immer neuen Vorschlägen, die dann
286 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. November 2009

Dr. Carola Reimann


(A) am nächsten Tag vom Koalitionspartner relativiert wer- verstärktem Maße, die ohnehin am wenigsten haben, (C)
den, beispielsweise die Rentner. Wer dies tut, wird die Sozial-
demokraten als entschiedene Gegner haben.
(Ulrike Flach [FDP]: Na, na, na!)
(Beifall bei der SPD – Widerspruch bei der
und mit immer neuen Interpretationsmöglichkeiten be- CDU/CSU – Volker Kauder [CDU/CSU]: Das
züglich des Koalitionsvertrags verunsichern Sie die Bür- schreckt uns sehr!)
gerinnen und Bürger und zerstören Vertrauen in ein gut
funktionierendes solidarisches Gesundheitssystem.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Das Wort erhält nun der Kollege Dr. Rolf Koschorrek,
der LINKEN – Ulrike Flach [FDP]: Sie brau- CDU/CSU-Fraktion.
chen Ihre Erfahrungen nicht auf uns zu über-
tragen!) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
neten der FDP – Zuruf von der CDU/CSU: Ein
Eigentlich wäre es Aufgabe des zuständigen Minis- guter Mann!)
ters, Ordnung in dieses gesundheitspolitische Chaos zu
bringen. Aber das Gegenteil ist der Fall: erst das Durch-
einander bei der elektronischen Gesundheitskarte, dann Dr. Rolf Koschorrek (CDU/CSU):
noch das zögerliche Vorgehen bei der Schweinegrippe. Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Angesichts der Infektionszahlen hätte man schon vor Herren! So richtig Angst hat uns dieser Angriff der Op-
zwei Wochen einen Impfgipfel einberufen müssen, statt position in den letzten Minuten natürlich nicht gemacht.
in Interviews, Herr Rösler, den Eindruck zu erwecken, Wenn man meint, mit Konzepten, die sich schon in den
die Schweinegrippenimpfung sei zweitrangig. 70er- und 80er-Jahren als überholt erwiesen haben, unse-
ren zukunftsweisenden Weg angreifen zu können,
(Ulrike Flach [FDP]: Da war eigentlich noch
jemand anderes im Amt! – Heinz Lanfermann (Birgitt Bender [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
[FDP]: September wäre auch eine gute Idee NEN]: Welcher Weg ist es denn?)
gewesen!) dann wird es in den nächsten Monaten sicherlich noch
Als ehemaliger stellvertretender Ministerpräsident in eine sehr spannende Auseinandersetzung geben.
Niedersachsen hätten Sie wissen müssen, wie schlecht es (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
um die Vorbereitungen in den Ländern, insbesondere in
Niedersachsen, steht. Souveränes Krisenmanagement Es gibt kaum ein Thema, das die Bürgerinnen und
(B) sieht anders aus. Bürger so interessiert, wie das Thema Gesundheitspoli- (D)
tik. Hier ist, wie alle wissen, jeder betroffen. Gleichzei-
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten tig wissen wir, dass wir so nicht weitermachen können
der LINKEN – Jörg van Essen [FDP]: Ist Ihr wie in den letzten zehn, elf Jahren. Wir brauchen mehr
Auftritt peinlich!) Eigenverantwortung und mehr Transparenz im Sys-
Das, was wir in den vergangenen Wochen von der tem. Aber eines brauchen wir mit Sicherheit nicht: den
neuen Regierung geboten bekommen haben, war tages- Umbau des Bundesgesundheitsministeriums zu einem
politisch äußerst dürftig, ganz zu schweigen von den In- Amt für Volksgesundheit, wie es in den letzten Jahren
terpretationsmöglichkeiten, die die Pläne im Koalitions- vorangetrieben worden ist.
vertrag eröffnen. Die SPD und Ulla Schmidt haben in (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
den letzten Jahren eine Politik im Sinne der Versicherten Lachen bei der SPD)
verfolgt, häufig auch gegen den erbitterten Widerstand
der zahlreichen Lobby- und Interessengruppen. Wir ha- Unsere christlich-liberale Koalition hat die Weichen
ben dafür gesorgt, dass unser solidarisch finanziertes anders gestellt. Wir haben uns klar entschieden: gegen
Gesundheitssystem auch unter sich verändernden Rah- weitere Zentralisierung und für die Stärkung von Eigen-
menbedingungen funktioniert. Wir setzen mit unseren verantwortung und Transparenz im deutschen Gesund-
Konzepten in der Pflege- und der Gesundheitspolitik heitswesen. Diese Begriffe sind untrennbar miteinander
künftig auf solide, solidarisch finanzierte Sicherungssys- verbunden. Eigenverantwortlich handeln kann nur, wer
teme. Das heißt, alle zahlen nach ihrer Leistungsfähig- ein System durchschaut und es versteht. Die Regelungs-
keit. Niemand wird aus der Verantwortung entlassen, dichte im SGB V lässt eigenverantwortliches Handeln
und alle können sicher sein, dass sie eine gute medizini- kaum zu. Ich spreche hier ausdrücklich von Verantwor-
sche Versorgung auf neuestem Stand erhalten. Das ist so- tung, nicht von Egoismus, nicht, wie meine Vorredner
lidarisch und gerecht. polemisch behaupten, von Selbstbedienungsmentalität
und schon gar nicht von einer Aufkündigung der Solida-
(Beifall bei der SPD) rität im Sozialsystem.
Genau das setzt Schwarz-Gelb aufs Spiel. Mit Solida- (Zuruf von der LINKEN: Doch!)
rität hat das, was Sie vorgelegt haben, nichts mehr zu
tun. Profiteure Ihrer Klientelpolitik sind Pharmaunter- Im Gesundheitswesen haben sich viele in der Intrans-
nehmen, Ärzteschaft, Apotheker und private Versiche- parenz sehr gut eingerichtet. Kontrollmechanismen und
rungsunternehmen; bezahlen müssen es die Versicherten bürokratische Auswüchse sind bisher oft die einzige
und dank der Kopfpauschale auch noch diejenigen in Antwort darauf gewesen. Seit Jahrzehnten befinden wir
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. November 2009 287
Dr. Rolf Koschorrek
(A) uns in einem Teufelskreis von Regulierung und Bürokra- Wettbewerb im System gibt es heute schon; nur sind (C)
tie. die Regeln nicht konsequent, die Bedingungen nicht fair
für alle und vor allem nicht eindeutig.
Präsident Dr. Norbert Lammert: Bestes Beispiel sind die Auswirkungen von Rabatt-
Herr Kollege Koschorrek, gestatten Sie – – verträgen und Ausschreibungen. Hier erzielen wir zwar
in den ersten Tranchen erhebliche Einsparungen, laufen
Dr. Rolf Koschorrek (CDU/CSU): aber große Gefahr, für eine zweite Ausschreibung in ei-
Nein. nigen Jahren keinen Wettbewerb mehr zu haben, weil die
Verlierer von Ausschreibungen sich nicht am Markt hal-
(Zurufe von der SPD) ten können und schlicht und ergreifend vom Markt ver-
Die Koalitionsvereinbarung von CDU/CSU und FDP schwunden sein werden.
weist einen anderen, einen neuen Weg. Wir werden das Wir werden für die Arzneimittel und Hilfsmittel
System einfacher und verständlicher machen. Die drei schnell und durchgängig das Instrumentarium des Wett-
großen Bereiche, die wir in den kommenden Jahren an-
bewerbsrechts, das in unserer sozialen Marktwirtschaft
gehen werden, sind: zunächst die Finanzen auf eine si-
in allen anderen Bereichen sicher und gerecht funktio-
chere Basis zu stellen, einen fairen Wettbewerb im Sys-
niert, einführen. Losgrößen und Regionalbezug müssen
tem zu stärken sowie überflüssige Bürokratie abzubauen
dem Markt entsprechen; Monopole – das wissen wir
und Transparenz und Qualität im Gesundheitssystem zu
alle – sind das Ende der sozialen Marktwirtschaft und
steigern.
der sozialen Ausgewogenheit. Wettbewerb ist kein
Zum Bereich Finanzen: Für die Union war von An- Selbstzweck; doch wo er sich zum Nutzen von Patienten
fang an klar, dass wir den Gesundheitsfonds, wie es die und Versicherten entfalten kann, werden wir ihm eine
Kanzlerin auch vor der Wahl schon eindeutig sagte, in Chance geben.
seiner Grundstruktur erhalten und weiterentwickeln,
Bürokratieabbau, Transparenz und Qualität sind
(Dr. Frank-Walter Steinmeier [SPD]: Aha!) Ziele, die uns sehr wichtig sind und die zusammengehö-
ren. Vorschriften sind notwendig, aber auch hier gilt das
weil er eine gute Basis für die verlässliche Finanzierung SGB V: Bürokratie darf nur ausreichend sein, darf das
der gesundheitlichen Versorgung in Deutschland ist und Maß des Notwendigen nicht überschreiten und muss
ein beachtliches Gestaltungspotenzial bietet. wirtschaftlich vertretbar sein. Hier haben wir einiges zu
(Elke Ferner [SPD]: Wer hat denn jetzt recht, tun.
Sie oder die Frau Homburger?)
Heute haben wir eindeutig zu viele und durchaus
(B) (D)
Er hat dafür gesorgt, dass die Verschuldung der Kran- überflüssige Vorschriften. Mit der Reduzierung von Bü-
kenkassen geordnet abgebaut werden konnte, dass die rokratie entlasten wir vor allem die niedergelassenen
Kassen heute wesentlich effektiver kooperieren und Ärzte von Verwaltungs- und Büroarbeiten. Wir entlasten
auch fusionieren können. In der Wirtschaftskrise hat der sie von Tätigkeiten, die dem Arztberuf fremd sind, so-
Fonds einen unkomplizierten und schnellen Ausgleich dass sie wieder mehr Zeit für die Zuwendung zu ihren
von konjunkturbedingten Einnahmedefiziten durch Steu- Patienten haben. Wir müssen dafür sorgen, dass der
ermittel ermöglicht und damit letztendlich auch Beitrags- Frust im Bereich der Leistungserbringer zurückgefahren
erhöhungen erübrigt. wird. Wir brauchen wieder Ärzte, die Spaß an ihrem Be-
ruf haben.
Zukünftig werden wir den bundeseinheitlichen Bei-
tragssatz auflösen, indem die Arbeitgeberbeiträge fest- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zuruf
geschrieben werden und wir den Kassen wieder eine von der SPD: Ja, und am Geldverdienen!)
wettbewerblich relevante Beitragsgestaltung ermögli-
Bei allen Reformen gilt: Regeln müssen sein, aber wo
chen werden. Dazu werden wir eine Kommission aus
sie keinen Sinn mehr ergeben oder sich gar selbst blo-
politischem und externem Sachverstand einsetzen, die
ckieren, müssen sie weg. Transparenz ist dringend erfor-
die Details in den kommenden Monaten erarbeiten wird.
derlich, nicht zuletzt, um die Qualität besser definieren
Bei der Weiterentwicklung der Finanzierung der zu können und deren Einhaltung und Steigerung zu ge-
GKV werden wir sehr sorgsam darauf achten, dass es währleisten. Wir werden das Zusammenspiel von zentra-
nicht zu sozialen Schieflagen kommt. ler Rahmengesetzgebung und regionaler Ausgestaltung
neu beleben, sei es in der Bedarfsplanung oder bei Inno-
(Zuruf von der SPD: Wie denn?)
vationen, bei der Vertragsgestaltung oder der Telemedi-
Das hohe Niveau unserer Gesundheitsversorgung wird zin. Gerade hier haben wir ein großes Potenzial in der
auch weiterhin den Bürgerinnen und Bürgern unabhän- Verbesserung der Versorgung.
gig von ihrem persönlichen Geldbeutel zugänglich sein.
Basis der Qualitätssicherung ist eine möglichst gute
Wettbewerb im Gesundheitswesen ist kein Selbst- Kenntnis der Versorgungssituation. Hier haben wir aber
zweck, sondern dient der bestmöglichen Versorgung. in Deutschland erheblichen Nachholbedarf. Der Ausbau
Unsere Grundposition heißt: Im Mittelpunkt stehen der Versorgungsforschung muss dringend vorangebracht
Patienten und Versicherte, stehen Menschen, die nicht werden. Es ist eine Querschnittsaufgabe mehrerer betei-
zur Verschiebemasse egoistischer oder wirtschaftlicher ligter Ministerien. Nur auf Basis valider Daten lassen
Interessen werden dürfen. sich zukunftsfeste Systeme entwickeln, lässt sich Quali-
288 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. November 2009

Dr. Rolf Koschorrek


(A) tät definieren, und nur auf dieser Basis können wir un- Elisabeth Scharfenberg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (C)
sere Planungen für die hochwertige medizinische Ver- NEN):
sorgung optimal am Bedarf unserer Bevölkerung Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kolle-
ausrichten. gen! Sehr geehrter Herr Minister, Schwarz-Gelb setzt
nun also auch im Bereich der Pflege den Kurs fort und
Telematik in der Medizin ist eine Riesenchance. Sie tritt wie bei vielem anderen für mehr soziale Ungerech-
darf nicht zum Synonym für übertriebene Datensamm- tigkeit ein. Schwarz-Gelb will den Ausstieg aus dem So-
lung und gläserne Ärzte bzw. Patienten werden. Ohne lidarsystem organisieren, und Sie, Herr Minister, haben
Telemedizin werden wir die Herausforderungen aus me- keine zehn Minuten gebraucht, um uns das klarzuma-
dizinisch-technischem Fortschritt, veränderter demogra- chen.
fischer Basis und zunehmender Versorgung chronisch
Kranker nicht bestehen können. Wir werden auf diesem (Jens Spahn [CDU/CSU]: Sie haben eine
Gebiet ganz besondere Anstrengungen unternehmen, zu- Stoppuhr dabei, oder was?)
sammen mit der Industrie und den Leistungserbringern Im Koalitionsvertrag heißt es, dass „eine Ergänzung
verlässliche, zukunftsfeste und akzeptierte Lösungen zu durch Kapitaldeckung, die verpflichtend, individualisiert
entwickeln. und generationengerecht ausgestaltet sein muss“, ge-
(Beifall des Abg. Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]) währleistet sein muss.
(Zuruf von der CDU/CSU: Richtig!)
Wir haben uns viel vorgenommen. Unsere gemeinsa-
men Vereinbarungen tragen deutlich über eine Legisla- Die Kanzlerin selbst hat am Dienstag hier erklärt, das
turperiode hinaus. Ich freue mich auf die Auseinander- sei nötig, um die Akzeptanz der Pflegeabsicherung zu
setzung in den nächsten Wochen, Monaten und Jahren, erhalten und für mehr Solidarität zwischen den Genera-
nicht zuletzt mit der Opposition. Da muss man allerdings tionen zu sorgen.
sagen: Sicherlich ist, wer lesen kann, klar im Vorteil. (Heinz Lanfermann [FDP]: Sie hat recht ge-
(Mechthild Rawert [SPD]: Das hören wir!) habt!)
Die FDP hat in der Rheinischen Post vom 5. No-
Den Koalitionsvertrag haben Sie sicherlich auch gele- vember näher erörtert, wie die Koalition das bewerkstel-
sen. Unbedingt dazu gehört aber, dass man das, was man ligen will. Man konnte dort lesen:
gelesen hat, auch versteht, und da haben Sie offensicht-
lich ein wenig Nachholbedarf. Es wäre sinnvoll, die kapitalgedeckte Säule der
Pflegeversicherung über eine kleine Prämie pro
(B) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Lachen Versichertem aufzubauen. (D)
bei der SPD – Zurufe von der LINKEN)
Union und FDP wollen also eine einkommensunabhän-
Bisher ist in den Reden der Opposition wenig Erhel- gige Pauschale einführen, und die Koalition findet das
lendes gesagt worden. Panikmache, substanzlose Schlag- solidarisch. Wenn Sie, Herr Minister, genauso viel zah-
worte und völlig überholte Konzepte wie der Ladenhüter len wie eine Friseurin, die, wenn es nach Ihnen ginge,
Bürgerversicherung nicht einmal einen Mindestlohn bekommen soll, ist das
nicht solidarisch.
(Widerspruch bei der SPD)
(Volker Kauder [CDU/CSU]: Die zahlt sie
sind nun wirklich nicht das, was die deutsche Öffentlich- doch gar nicht! So ein Unsinn!)
keit braucht und was das deutsche Gesundheitswesen in
Die FDP beruhigt uns damit, dass dabei von einstelli-
den nächsten Jahren nach vorne bringen wird.
gen Eurobeträgen pro Monat ausgegangen werden kann.
Ich freue mich aber vor allem auf die Zusammenar- 6,99 Euro für die Pflege im Sonderangebot wird doch
beit mit unserem neuen Minister, mit den Staatssekretä- wohl jeder übrig haben. Leider verschweigen die Libera-
ren und Staatssekretärinnen im Ministerium sowie mit len, dass einstellige Prämien in allen bekannten Model-
den Kolleginnen und Kollegen von FDP, CDU und CSU len nur möglich sind, wenn Leistungen gekürzt werden.
in den Arbeitsgruppen. Wir werden gemeinsam dafür All diese Modelle sehen eine Kürzung der stationären
sorgen, unser Gesundheitswesen in den nächsten Wo- Leistungen vor. Sie verschweigen weiter, dass es natür-
chen und Monaten nachhaltig zu verbessern, für alle Be- lich nicht bei einstelligen Beträgen bleibt.
teiligten im System, für alle Bürger und Bürgerinnen in (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
unserem Lande. Ich freue mich auf die Arbeit. An die sowie bei Abgeordneten der SPD)
Arbeit!
Die Prämien steigen nämlich in all diesen Modellen jähr-
Ganz herzlichen Dank. lich an und sind ruck, zuck zweistellig.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Die Koalition wird alle Versicherten verpflichten, ei-
nen individuellen Kapitalstock aufzubauen. Solidarität
heißt bei Schwarz-Gelb also nicht mehr: Starke für
Präsident Dr. Norbert Lammert: Schwache, Jung für Alt und Alt für Jung, sondern nur
Die Kollegin Elisabeth Scharfenberg hat nun das noch: Jeder für sich. Nicht starke Schultern, sondern
Wort für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. kräftige Ellbogen werden zukünftig gefragt sein.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. November 2009 289
Elisabeth Scharfenberg
(A) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Präsident Dr. Norbert Lammert: (C)
sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN- Letzter Redner zu diesem Themenkomplex ist der
KEN) Kollege Jens Spahn für die CDU/CSU-Fraktion.
Wer sich diese Solidarität nicht leisten kann, der darf (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
beim Finanzamt einen Sozialausgleich aus Steuern be-
antragen. Zugleich will die Koalition Steuern senken. Jens Spahn (CDU/CSU):
Ich frage mich: Wie soll das überhaupt zusammenge- Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und
hen? Kollegen! Liebe Kolleginnen Bunge, Bender, Ferner,
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Reimann und Scharfenberg, Sie mögen verwundert darü-
sowie bei Abgeordneten der SPD – Zuruf von ber sein, vielleicht auch entsetzt oder enttäuscht, dass
der SPD: Das geht ja auch nicht!) diese Koalition der Mitte nicht das Schreckgespenst ist,
das Sie schon im Wahlkampf an die Wand gemalt haben;
Das ist Solidarität auf Pump. Diese Schuld muss ein- das würden Sie jetzt wahrscheinlich weiterhin gerne tun.
mal zurückgezahlt werden, und zwar von der jungen Ge- Doch in unserem Koalitionsvertrag ist die nötige Ausge-
neration, für die Sie das angeblich alles machen. Es wird wogenheit zwischen wirtschaftlicher Vernunft und sozia-
immer deutlicher: Die schwarz-gelbe Solidarität richtet ler Gerechtigkeit enthalten. Diese Enttäuschung ist ja
sich in Wirklichkeit nur an ausgesuchtes, handverlesenes noch verständlich. Dass Sie es intellektuell aber nicht
Publikum. schaffen, auf die Ausgewogenheit des Koalitionsvertra-
(Zuruf von der FDP: Das ist eine Frechheit!) ges

Die Arbeitgeber müssen sich an den steigenden Pflege- (Birgitt Bender [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
kosten nicht beteiligen. Die Privatversicherungen freuen NEN]: Ihr kloppt euch doch erst mal!)
sich schon jetzt auf ihr – grotesk genug – staatlich ver- und die gelungene, weil grundsätzlich tiefgründige und
ordnetes Zusatzgeschäft. Bei denen stoßen Ihre Pläne si- die Zukunftsthemen benennende Antrittsrede des Minis-
cherlich auf große Akzeptanz. ters anders zu reagieren als mit linkem Überschriftenge-
zeter oder einer Parteitagsbewerbungsrede – etwas ande-
Besonders pikant ist, dass das Geld der Versicherten
res war das gerade ja wohl nicht, Frau Kollegin Ferner –,
auf den Kapitalmärkten angelegt wird, die uns derzeit
das zeugt von großer Kleinkariertheit und ist ein Ar-
sehr nachhaltig vorführen, dass sie von nachhaltigem
mutszeugnis.
Wirtschaften überhaupt nichts verstehen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Wi-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
(B) derspruch der Abgeordneten Elke Ferner (D)
und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der
[SPD])
LINKEN)
Frau Kollegin Hendricks hat eine Zwischenfrage,
All das ist Klientelpflege. Ansonsten hat das mit Pflege- glaube ich.
politik nichts zu tun.
(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Das sollten
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Sie dem Präsidenten überlassen! – Birgitt
sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN- Bender [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: We-
KEN) nigstens traut sich einer von der Koalition,
Herr Minister, reformieren Sie lieber vernünftig das Fragen zu beantworten!)
bestehende System. Denken Sie an die betroffenen Men-
schen. Als Erstes wäre doch jetzt eine Neujustierung des Präsident Dr. Norbert Lammert:
Pflegebedürftigkeitsbegriffs notwendig. Das ist die Auf- Ich bin gerade dabei, ein geordnetes Verfahren zu Be-
gabe, die Sie zu erledigen haben, bevor Sie an die Finan- ginn der Legislaturperiode einzuüben. Ich stelle fest,
zierung gehen. Ich glaube, dieser Weg muss eingeschla- dass die Bereitschaft zur Beantwortung einer Zwischen-
gen werden, damit der zukunftsweisende Weg, den sie frage besteht. – Sie haben das Wort.
erwähnt haben, Herr Koschorrek, nicht ganz schnell eine
Sackgasse wird und Ihnen, Herr Minister, nicht das La- Dr. Barbara Hendricks (SPD):
chen ganz schnell im Halse steckenbleibt. Herr Kollege Spahn, halten Sie Ihre ersten Sätze für
(Jens Spahn [CDU/CSU]: Oh weh!) intellektuell redlich?
Die Vorschläge von uns Grünen kennen Sie. Wir wol- (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der
len erstens die solidarische Bürgerversicherung und SPD)
zweitens die solidarische Demografiereserve. Das ist
auch eine Form der Kapitaldeckung, aber auf gerechte, Jens Spahn (CDU/CSU):
solidarische und nachhaltige Art und Weise. Ja.
Vielen Dank. (Lachen bei der SPD)
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ich könnte die Beantwortung eigentlich damit been-
sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN- den: Ja, dafür halte ich sie. Das Einzige, was wir heute
KEN) Morgen gemerkt haben, ist, dass Sie Ihre Reden ge-
290 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. November 2009

Jens Spahn
(A) schrieben haben, lange bevor Sie dem Minister zugehört Der zweite wichtige Paradigmenwechsel ist der Ein- (C)
und den Koalitionsvertrag gelesen haben. Das Einzige, stieg in eine lohnunabhängige Finanzierung des Ge-
was wir gehört haben, waren linke Überschriften mit we- sundheitswesens.
nig Substanz.
(Zuruf von der SPD: Aha!)
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Das ist kein Selbstzweck. Das ist auch kein Fetisch.
Widerspruch bei der SPD)
(Elke Ferner [SPD]: Natürlich!)
Frau Kollegin Bunge, ich kann Ihnen folgende Be-
merkung nicht ersparen: Ich weiß, wie die Zustände bei Wir wollen den Einstieg in eine lohnunabhängige Finan-
der Dialyseversorgung in der ehemaligen DDR waren, zierung, weil diese Branche – es ist schon darauf hinge-
wie es in den Altenpflegeeinrichtungen ausgesehen hat wiesen worden, dass das Gesundheitswesen mit
und wie die Versorgung chronisch kranker Menschen 4,2 Millionen Beschäftigten die größte Wirtschaftsbran-
war. che in diesem Land ist und im Übrigen ein Bereich, den
Sie nicht nach Schanghai oder Peking auslagern können,
(Zuruf von der CDU/CSU: Genau!) weil es Dienstleistungen direkt am Menschen sind – in
den letzten 20, 30 Jahren immer wieder Kostendämp-
Ich weiß auch, dass für die Nomenklatura der SED
fungsgesetze ertragen musste, da alle Reformen schwer-
heimlich Arzneimittel aus Westdeutschland und West-
punktmäßig ein Ziel hatten, nämlich den Beitragssatz zu
europa importiert worden sind. Ich lasse mir von Vertre-
stabilisieren. Aus dieser Zielfixierung müssen wir he-
tern einer Partei, die etwa in Brandenburg jetzt genau
rauskommen und die Dynamik, die in diesem Bereich
dieser Nomenklatura und den Mittuern dieses Systems
steckt, freisetzen. Deswegen wollen wir eine lohnunab-
wieder in Ämter und Funktionen hilft, nicht Zweiklas-
hängige Finanzierung. Wenn man sie mit Steuermitteln
senmedizin vorwerfen, nicht heute und auch morgen
sozial gerecht ausgleicht, ist das die zukunftsfestere
nicht.
Finanzierung dieses Systems.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zu- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Wi-
rufe von der SPD und der LINKEN) derspruch bei der LINKEN – Elke Ferner
In unserem Koalitionsvertrag haben wir – der Minis- [SPD]: Wie viel Arbeitnehmerbeitrag wollen
ter hat darauf hingewiesen – drei entscheidende Zu- Sie denn dann?)
kunftsfelder benannt, die wir in den nächsten vier Jahren Es ist interessant, zu sehen, wie Sie immer wieder
angehen wollen: gleich in reflexartiges Gezeter verfallen.
(B) Der erste wichtige Punkt – der war in den letzten vier (Volker Kauder [CDU/CSU]: Gezeter, ge- (D)
Jahren mit Ihnen leider nicht zu regeln – ist der Einstieg nau! – Gegenruf der Abg. Elke Ferner [SPD]:
in die ergänzende Kapitaldeckung in der Pflegeversi- Jetzt nicht sexistisch werden, Herr Kauder!)
cherung.
Ich kann mich noch daran erinnern, dass wir 2004/2005,
(Elke Ferner [SPD]: Das ist ein Renditepro- übrigens gemeinsam, die 0,9 Prozent vom Beitragssatz
gramm für die Privatversicherung!) allein in die Verantwortung der Arbeitnehmer gestellt
haben. Frau Ministerin Schmidt, Sozialdemokratin,
In einer Gesellschaft, in der auch der Anteil der Pflege- wenn ich mich richtig erinnere, hat den Schritt, die Ar-
bedürftigen in den nächsten 10, 20, 30 Jahren enorm beitskosten in Deutschland zu entlasten, befürwortet;
steigen wird, haben wir die Verantwortung – eigentlich ich habe ein Spiegel-Interview mit Ministerin Schmidt
stehen wir gemeinsam davor, aber Sie wollen ja nicht aus dem Jahr 2005 vorliegen. Darin hat sie das als richtig
mitmachen –, das System auf diese Entwicklung vorzu- beschrieben. Sie hat gesagt, dass es sozial gerecht ist, bei
bereiten und zukunftsfest zu machen. den Arbeitskosten eine Grenze einzuziehen und eine
(Elke Ferner [SPD]: Das kann man auch an- Veränderung beim Beitragssatz von 0,9 Prozentpunkten
ders machen!) vorzunehmen, weil das Arbeitsplätze in Deutschland si-
chert und schafft. Am Ende ist das, was wir tun wollen,
Das ist nicht nur gerecht gegenüber den nachfolgenden deswegen sozial gerecht.
Generationen, sondern auch vorausschauend und zeugt
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zu-
davon, dass wir für diejenigen, die in 30 oder 40 Jahren
ruf von der SPD: Sie lügen jetzt, ohne rot zu
pflegebedürftig sein werden, mitdenken.
werden!)
(Elke Ferner [SPD]: Wie viele Jahre haben Sie Ein dritter Paradigmenwechsel besteht in der Rheto-
denn in die Sozialversicherung eingezahlt, rik – auch das war wohltuend beim neuen Minister –:
Herr Spahn?) Wir haben ein klares Bekenntnis und wollen – nicht als
Auch diese Menschen haben nämlich einen Anspruch Selbstzweck – diejenigen klar unterstützen, die unter
darauf, dass wir uns schon heute Gedanken darüber ma- großem Einsatz im Gesundheitswesen tätig sind: die
chen, wie wir die Pflege in 20 oder 30 Jahren finanzieren Ärztinnen und Ärzte, die Pflegerinnen und Pfleger, die
wollen. Deswegen ist dieser Schritt wichtig. Apotheker, die Physiotherapeuten und viele mehr. Denn
auch Sie wissen aus vielen Gesprächen in den Wahlkrei-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) sen und den Diskussionsrunden: Uns droht, dass diese
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. November 2009 291
Jens Spahn
(A) Menschen, die tagtäglich ihren Dienst am Patienten und Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (C)
für die Versicherten leisten, die Lust und Freude am Be- Ausschuss für Tourismus
Haushaltsausschuss
ruf verlieren,
ZP 5 Beratung des Antrags der Fraktion BÜND-
(Elke Ferner [SPD]: Weil es zu schlecht
NIS 90/DIE GRÜNEN
bezahlt wird!)
Soziale Gerechtigkeit statt Klientelpolitik
unter anderem weil es zu viel Bürokratie gibt. Wir müs-
sen in der Bezahlung – wir haben da schon erste richtige – Drucksache 17/16 –
Schritte gemeinsam gemacht – Neuerungen einführen. Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)
(Elke Ferner [SPD]: Mal sehen, wie lange das Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
noch hält!) Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Um die Bürokratie zu verringern, ist es wichtig, die Be- Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
deutung der Freiberuflichkeit und der nötigen Unabhän- Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
gigkeit, Ausschuss für Tourismus
Haushaltsausschuss
(Elke Ferner [SPD]: Freiberuflichkeit mit ga-
rantiertem Einkommen!) Vielleicht können wir, bevor ich dem Bundesfinanz-
minister das Wort erteile, den Schichtwechsel hier eini-
die im Übrigen das Leitmotiv dieser Koalition „Freiheit germaßen zügig organisieren.
in Verantwortung“ sehr passgenau beschreibt, in den
Mittelpunkt zu stellen und diesen Berufsgruppen nicht Das Wort hat der Bundesminister der Finanzen,
weiterhin Vorwürfe zu machen. Wolfgang Schäuble.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zu-


Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister der Finan-
ruf von der SPD: Ihre Rede hat Schweine-
zen:
grippe!)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die
Deswegen bin ich für die nächsten vier Jahre sehr zu- Finanzpolitik bewegt sich in einem konjunkturellen Um-
versichtlich. Ich biete Ihnen, Herr Minister Rösler – ich feld, in dem die Mehrzahl aller Experten national, euro-
denke, auch im Namen der Unionsfraktion –, für die päisch und global die konjunkturelle Talsohle zur Jahres-
nächsten vier Jahre eine gute Zusammenarbeit an. Wir mitte 2009 für durchschritten hält. Die Herbstprognose
wollen die von Ihnen aufgezeigten Zukunftsthemen in der EU-Kommission sieht die deutsche Wachstumsrate
(B) den nächsten vier Jahren aufgreifen und angehen. Vor al- im kommenden Jahr deutlich und im Jahr 2011 leicht (D)
lem wollen wir Ihr Denken in linken Überschriften der über dem Durchschnitt der Eurozone.
80er-Jahre widerlegen, indem wir deutlich machen, dass
das, was wir aufgeschrieben haben, zum Wohle der Ver- Aber wir haben national, europäisch und weltweit
sicherten, zum Wohle der Patienten in der Praxis tatsäch- auch erhebliche Unsicherheiten bezüglich der Trag-
lich funktioniert. fähigkeit und der Nachhaltigkeit der wirtschaftlichen Er-
holung. Diese wird nach wie vor überall massiv von
Ich freue mich jedenfalls auf diese Arbeit. staatlichen Konjunkturprogrammen und expansiver
Geldpolitik getragen. Deshalb ist es noch kein selbsttra-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Elke
gender Aufschwung.
Ferner [SPD]: Sind Sie eigentlich schon bei
der FDP angestellt?) Ein Risikofaktor für die wirtschaftliche Erholung ist
im Wesentlichen der deutliche Anstieg der Arbeitslosig-
Präsident Dr. Norbert Lammert: keit, mit dem wir im nächsten Jahr rechnen müssen. Wir
Weitere Wortmeldungen zu diesem Themenbereich dürfen uns nicht darüber täuschen, dass die relativ
liegen nicht vor. glimpfliche Entwicklung der Arbeitslosenzahl nicht kor-
reliert mit einem stärkeren Rückgang von Beschäfti-
Ich rufe nun die Themenbereiche Finanzen und gung, der durch die Kurzarbeit richtigerweise aufgefan-
Steuern und im gleichen Zusammenhang Tagesord- gen wird. Das schafft im nächsten Jahr zusätzliche
nungspunkt 2 sowie Zusatzpunkt 5 auf: Risiken. Es droht – darüber ist gestern hier gesprochen
2 Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/ worden – immer noch eine Kreditverknappung oder eine
CSU und der FDP eingebrachten Entwurfs eines Kreditklemme. Wir müssen auch mit dem Risiko der
Gesetzes zur Beschleunigung des Wirt- Rückwirkungen zunehmender Unternehmensinsolven-
schaftswachstums (Wachstumsbeschleunigungs- zen auf die Bankbilanzen rechnen.
gesetz) Im Übrigen bleibt die globale Exportnachfrage, auch
– Drucksache 17/15 – wenn sich die Weltkonjunktur ein Stück weit erholt, im
Vergleich zu früheren Zeiten nach wie vor schwach.
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f) Die beginnende wirtschaftliche Erholung, die wir
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
glücklicherweise zu verzeichnen haben und die sich im
Verbraucherschutz Quartalsverlauf deutlicher zeigt, bedeutet noch nicht,
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend dass wir automatisch eine größere finanzpolitische Ma-
292 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. November 2009

Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble


(A) növriermasse haben. Das ist auch das Signal der neuen Um nur einige Stichworte zu nennen: Der Abzug von (C)
Steuerschätzung, und das zeigt auch die Prognose zur Verlusten bei bestimmten konzerninternen Umgliederun-
Entwicklung des Schuldenstandes des deutschen Ge- gen muss zugelassen werden, um Wachstumshemmnisse
samtstaates. Von gut 73 Prozent des BIP im laufenden für Unternehmen zu beseitigen. Bei der Zinsschranke
Jahr wird er auf annähernd 80 Prozent des BIP im Jahr wird dauerhaft eine höhere Freigrenze von 3 Millionen
2011 steigen. Vor diesem Hintergrund ist das Hauptziel Euro eingeführt, um die kleinen und mittleren Unterneh-
der finanzpolitischen Strategie der Bundesregierung, men, den Mittelstand, von der Zinsabzugsbeschränkung
mittels Wachstumsstärkung schneller durch die Krise zu auszunehmen
kommen und alles für einen selbsttragenden Auf-
(Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: So ein Quatsch!
schwung zu tun.
Das betrifft die überhaupt nicht!)
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) und sie in konjunkturell schwierigen Zeiten zu entlasten
Dabei muss eine wachstumsorientierte Steuerpoli- und zu stärken.
tik eine entscheidende Rolle spielen, eine Steuerpolitik, (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
die durch zielgerichtete steuerliche Entlastungen die pro-
duktiven Kräfte in der Gesellschaft stärkt und diesen zu- Ein weiteres Beispiel ist die Regelung zur Sofortab-
sätzliche finanzielle Spielräume eröffnet. Deshalb wer- schreibung von geringwertigen Wirtschaftsgütern bis zu
den wir Bürger und Wirtschaft zum 1. Januar 2010 – das 410 Euro,
ist der Sinn des Wachstumsbeschleunigungsgesetzes, (Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Jawohl! Endlich!)
dessen Entwurf wir in dieser Debatte in erster Lesung
behandeln – um mehr als 20 Milliarden Euro entlasten: die übrigens auch ein Stück weit Bürokratieentlastung
durch die Umsetzung der schon in der letzten Legislatur- und Steuervereinfachung ist.
periode beschlossenen Steuerentlastungen und durch das
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Wachstumsbeschleunigungsgesetz.
Dadurch, dass wir das Wahlrecht zur Bildung eines Sam-
Die wichtigsten Maßnahmen dieses Gesetzes sind: melpostens für alle Wirtschaftsgüter zwischen 150 und
Zur steuerlichen Entlastung und Förderung von Familien 1 000 Euro zulassen,
mit Kindern und zur Berücksichtigung der Betreuungs-
aufwendungen werden die Kinderfreibeträge ab dem (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
Veranlagungszeitraum 2010 von insgesamt 6 024 Euro der FDP)
auf 7 008 Euro angehoben. erhalten die Unternehmen bei der Wahl zwischen den
(B) (Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Abschreibungsmodalitäten mehr Flexibilität; das kann (D)
Was zu noch größerer sozialer Ungleichheit jedes Unternehmen für sich am besten entscheiden.
führt!) (Beifall des Abg. Carl-Ludwig Thiele [FDP])
Gleichzeitig wird das Kindergeld ab dem 1. Januar 2010 Zur Erbschaft- und Schenkungsteuer: Wer sich die
für jedes Kind um 20 Euro erhöht. Das ist wirklich eine Entwicklung der Lohnsummen in diesem Jahr anschaut,
sozial ausgewogene Maßnahme, die auch der Stärkung wird nicht ernsthaft bestreiten können, dass bei den Re-
der privaten Nachfrage dient. gelungen, die wir insbesondere zur Ermöglichung der
Unternehmensnachfolge im Bereich der Erbschaftsteuer
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
beschlossen haben, Korrekturbedarf besteht. Deswegen
Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Nur nicht
glaube ich, dass das angemessen ist.
für Hartz-IV-Kinder! Die kriegen nämlich
nichts!) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Ich habe in den Debatten der letzten Jahre eigentlich Es ist übrigens auch im Hinblick auf Art. 6 des Grundge-
nie gehört, dass irgendjemand in diesem Hause bezwei- setzes richtig, den Fehler der Erbschaftsteuerreform, Ge-
felt, dass Verbesserungen beim Familienleistungsaus- schwistern und Geschwisterkindern keinen ermäßigten
gleich sozial angemessen und im Übrigen auch die pri- Steuersatz zuzugestehen, mit dem Wachstumsbeschleu-
vate Nachfrage stärkend seien. nigungsgesetz zu korrigieren.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
der FDP)
Zweitens werden wir es den Unternehmen durch ge-
zielte, in ihren haushaltsmäßigen Auswirkungen noch Um es offen zu sagen: Natürlich war die Frage des er-
begrenzte, aber dringend notwendige Korrekturen im mäßigten Mehrwertsteuersatzes für Beherbergungsleis-
Bereich der Unternehmensbesteuerung erleichtern, die tungen im Hotel- und Gastronomiebereich auch inner-
zum Zeitpunkt der Unternehmensteuerreform und übri- halb der Koalitionsfraktionen streitig und ist intensiv
gens auch zum Zeitpunkt der Erbschaftsteuerreform so diskutiert worden. Das gehört zu Volksparteien. Warum
nicht voraussehbare dramatische Wirtschaftskrise bes- auch nicht? Aber im Ernst: Man kann nicht bestreiten,
ser zu überstehen. Deswegen sind diese Korrekturen in dass die Gastronomie und der Beherbergungsbereich im
dieser Krise notwendig. Wettbewerb mit Anbietern überall in Europa und da-
rüber hinaus stehen, für die geringere Mehrwertsteuer-
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) sätze gelten. Deswegen ist die Senkung des Umsatzsteu-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. November 2009 293
Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble
(A) ersatzes bei Beherbergungsleistungen im Hotel- und Brüssel die Chance, meine Kollegen in Europa und in (C)
Gastronomiebereich eine Maßnahme, die unter Wettbe- den wichtigsten anderen Industrieländern der Welt ken-
werbsgesichtspunkten vertretbar ist und die richtig und nenzulernen. Ich war von der Offenheit und Ernsthaftig-
angemessen ist. Deswegen schlagen wir das vor. keit des Meinungsaustauschs und vom Grad der Abstim-
mung der europäischen und internationalen Politik
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
beeindruckt.
der FDP)
Ich bitte für das Gesetz, das wir heute in erster Lesung Die Einschätzung der weltwirtschaftlichen Lage, auch
beraten, um zügige Beratung, damit es vor Weihnachten der Situation an den Finanzmärkten, war bei diesen Tref-
verabschiedet und im Bundesgesetzblatt verkündet wer- fen ganz eindeutig: Es gibt insgesamt Zeichen für eine
den kann und dann zum 1. Januar 2010 in Kraft treten Stabilisierung der globalen Wirtschaft; aber der wirt-
kann. Wir werden in dieser Legislaturperiode, wie es in schaftliche Aufschwung ist weiterhin gestützt durch
unserem Koalitionsvertrag vereinbart ist, im Steuersys- massive Maßnahmen der Fiskal- und Geldpolitik und der
tem weitere strukturelle Vereinfachungen und Verbesse- Finanzmarktstabilisierung. Die Bedingungen an den
rungen vornehmen. Darüber werden wir im nächsten Finanzmärkten haben sich verbessert; von Normalität
Jahr zu reden haben. Heute geht es darum, in einem ers- sind wir aber noch weit entfernt.
ten Schritt das zu beraten, was zum 1. Januar 2010 in Der Internationale Währungsfonds hat seine globale
Kraft gesetzt werden muss. Verlustprognose Anfang Oktober von 4 000 Milliarden
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) US-Dollar auf 3 400 Milliarden US-Dollar gesenkt.
3 400 Milliarden US-Dollar, das ist – damit man weiß,
Meine Damen und Herren, für diese Regierung steht wovon man redet – ungefähr die Größenordnung unseres
steuerliche Wachstumspolitik nicht in Widerspruch zu Bruttoinlandsprodukts pro Jahr. Er hat zugleich festge-
der genauso notwendigen Konsolidierungspolitik. Wir stellt, dass im Bankensektor global noch mehr als die
müssen beides hinbekommen. Hälfte der Wertberichtigungen vor uns liegt. Also ist ab-
(Dr. Barbara Hendricks [SPD]: Na, da bin ich sehbar, dass die Banken weiteren Kapitalbedarf haben
aber gespannt!) werden. Dieser Bedarf muss, soweit irgend möglich,
durch private Quellen gedeckt werden. Die Instrumente
– Klar, Frau Hendricks: Das ist schwierig – das wissen des Finanzmarktstabilisierungsgesetzes – Garantien,
Sie, das wissen wir –; Kapitalisierung, Bad-Bank-Lösungen – bleiben bei Be-
(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- darf – so ist die Gesetzeslage auch bei uns, und sie ist
NEN]: Man kann es sich auch schwer ma- richtig – bis Ende des kommenden Jahres nutzbar.
(B) chen!) Ich füge übrigens hinzu: Wir werden die Vergütungs- (D)
aber beides ist notwendig. Auf Dauer werden wir nur regelungen, die beim G-20-Finanzministertreffen ver-
dann erfolgreich konsolidieren können, wenn wir die einbart worden sind, im nächsten Jahr untergesetzlich
Bedingungen für robustes Wirtschaftswachstum in die- umsetzen und, soweit erforderlich, die entsprechenden
sem Land schaffen. Deswegen ist das kein Gegensatz. Gesetzesinitiativen einbringen, für die wir um Zustim-
mung bitten. Ich appelliere aber schon heute an alle
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Beteiligten im Finanzsektor, diese Regelungen, die im
Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- G-20-Rahmen beschlossen worden sind, bereits bei ih-
NEN]: Sagen Sie mal was Realistischeres!) ren Jahresabschlüssen für 2009 freiwillig anzuwenden
Kein Land ist mit dem Rest der Welt wirtschaftlich so und zugrundezulegen.
eng verflochten wie die Bundesrepublik Deutschland. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Deswegen sind wir gerade bei der Durchführung und
Formulierung unserer Finanzpolitik auf internationale Wir haben ein starkes Interesse daran, das Finanzsys-
Abstimmung angewiesen. Finanzpolitischer Handlungs- tem und die Banken so stark zu machen, dass sie ihre
rahmen ist für uns nicht nur Deutschland, sondern der dienende Funktion für die gesamte Volkswirtschaft, also
gesamte europäische Binnenmarkt. Dabei müssen politi- die Bereitstellung von Finanzierungsmitteln, auch wahr-
sche Maßnahmen – in Verwirklichung des Subsidiari- nehmen können. Deshalb wird die Bundesregierung die
tätsprinzips – in der Sache und auf den Zeitpunkt bezo- Entwicklung an den Kreditmärkten in den kommenden
gen der länderspezifischen Situation angepasst werden. Monaten sorgsam beobachten und gegebenenfalls beste-
Wir müssen immer wissen: Die Exportnation Deutsch- hende Instrumentarien der Unternehmensfinanzierung
land ist essenziell auf offene Märkte und funktionieren- – auch der Kollege Brüderle hat das gestern angespro-
den Welthandel mit klaren Regeln angewiesen. chen –, also insbesondere den Deutschlandfonds, ent-
sprechend anpassen.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
der FDP) Es herrscht im Übrigen internationaler Konsens, dass
die Krise nicht vorüber ist – ich wiederhole das, weil das
Deswegen schaden protektionistische Tendenzen der
auch für die steuerpolitischen und wirtschaftspolitischen
Weltgemeinschaft insgesamt.
Diskussionen in unserem Land wichtig ist – und dass es
Ich hatte am Freitag/Samstag der vergangenen Woche deswegen heute zu früh wäre, expansive wirtschaftspoli-
beim G-20-Finanzministertreffen und am Montag/ tische Maßnahmen zurückzufahren. Es ist aber dennoch
Dienstag bei der Eurogruppe und der Ecofin-Gruppe in der Zeitpunkt gekommen – auch darüber besteht Einig-
294 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. November 2009

Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble


(A) keit –, einen koordinierten Ausstieg, also eine Exitstra- zialwachstum zu steigern, zumal die grundsätzlichen (C)
tegie, vorzubereiten; denn je besser das koordiniert wird, Trends, wie demografischer Wandel oder Klimawandel,
umso geringer sind die wettbewerbsverzerrenden Wir- in der öffentlichen Wahrnehmung durch die Krise zwar
kungen, wie sie bei einem nichtkoordinierten Ausstieg zeitweilig überlagert, aber in der Substanz weder beseitigt
auftreten. noch verdrängt worden sind. Wir müssen sie für eine län-
gerfristige Politik bedenken.
Die momentanen expansiven Schritte waren unver-
meidlich; aber sie sind auf Dauer – auch das muss man Deswegen sind die notwendigen Strukturreformen,
klar sagen – nicht durchhaltbar, und sie sind auch nicht die wir in diesem Land gemeinsam ergreifen müssen,
nachhaltig, weil sonst die Geldwertstabilität und die nicht etwas, wovor sich die Menschen fürchten müssen,
Tragfähigkeit der öffentlichen Haushalte gefährdet wä- sondern sie sind eine Chance für alle Menschen in die-
ren, um es vorsichtig zu formulieren – im Übrigen mit sem Lande, dass wir die Herausforderungen bestehen
dann unvermeidlichen Konsequenzen für die Zinspolitik und die Chancen, die diese rasch verändernde Welt im
der Zentralbanken. Das Risiko, jetzt die Basis für künf- 21. Jahrhundert allen Menschen bietet, auch wirklich
tige Blasenbildung auf den Finanzmärkten zu legen, dür- nutzen.
fen wir im Sinne der Krisenprävention ebenfalls nicht
aus den Augen verlieren. Die Chance ist gut, dass sich Deswegen werden auch in den kommenden Jahren
nicht wiederholen wird, was sich vor zwei Jahren ereig- die Auswirkungen der Finanz- und Wirtschaftskrise un-
net hat; aber ganz ausgeschlossen ist die Gefahr noch ser finanzpolitisches Handeln bestimmen. Wir werden
nicht. geringere Steuereinnahmen und höhere Schulden haben,
und diese schwächen den ohnehin engen finanzpoliti-
Vor diesem Hintergrund habe ich meinen Kollegen in schen Handlungsspielraum. Soweit wir ihn durch Struk-
Brüssel am Montag und Dienstag etwas zugesagt, was turreformen und Wachstum erweitern können, wird es
für Deutschland selbstverständlich ist und was übrigens besser. Deswegen ist das eine kein Gegensatz zum ande-
auch in unserem Koalitionsvertrag ganz ausdrücklich ren. Es ist eine gemeinsame Aufgabe dieses Hohen Hau-
formuliert ist, dass wir nämlich den Stabilitäts- und ses, ein vernünftiges Maß zu finden.
Wachstumspakt einhalten werden.
(Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) NEN]: Die Mathematik kennt kein „eigent-
Wenn Deutschland ihn nicht einhalten und verteidigen lich“!)
würde – das habe ich den Kollegen in Europa gesagt –, – Ich schicke Ihnen meine Schulzeugnisse mit den Ma-
dann würden wir die Grundbedingung, die wir bei der thematiknoten, Herr Bonde. Seien Sie vorsichtig! Ich
Schaffung der Währungsunion festgelegt haben, miss- kann ziemlich gut rechnen. Ich habe es nicht verlernt.
(B) (D)
achten. Das ist eine Weile her; aber wir mussten den
Menschen in Deutschland erklären, dass eine europäi- (Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
sche Währung so stabil sein wird, wie die D-Mark war. NEN]: Ob da „eigentlich“ vorkommt?)
Die Grundvoraussetzung ist die Einhaltung des Stabili- – Wissen Sie, ich habe gelegentlich zu Ihrem Parteivor-
täts- und Wachstumspaktes. sitzenden, dem ich auch persönlich verbunden bin, ge-
Also werden wir, wie von der EU-Kommission emp- sagt: Wenn zwei plus zwei gleich vierzig wären, dann
fohlen, 2011 mit der Konsolidierung beginnen, wenn ein könnte man mit Lafontaine Finanzpolitik machen. Zwei
selbsttragender Aufschwung bis dahin eingetreten ist, plus zwei ist aber vier.
wovon wir heute ausgehen können. Damit werden wir (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
das Defizitkriterium von 3 Prozent des Bruttoinlands- Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
produkts bis 2013 wieder unterschreiten. Das bedeutet Den haben Sie sich jetzt in der Koalition zum
dann auch, dass alle weiteren wachstumspolitischen Vorbild genommen, Herr Minister!)
Maßnahmen – das steht auch so in unserer Koalitions-
vereinbarung – unter Vorbehalt der Vereinbarkeit mit eu- Zu Beginn der Legislaturperiode wird unsere gemein-
ropäischen und nationalen Haushaltsregeln stehen. Im same Aufgabe sein, im demokratischen Streit ein ver-
Übrigen muss dieser Koalition niemand sagen, dass das nünftiges Maß zu finden.
Grundgesetz in allen seinen Teilen gilt. Das, was wir in (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Aber
der Föderalismuskommission II umgesetzt haben, war er kennt die Zahl 1,6 Billionen!)
richtig und notwendig und wird eingehalten.
– Ja, ja, Sie hören nicht gerne etwas über Aufgaben; Sie
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – wollen nur Versprechen machen, von denen Sie hoffen,
Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: dass Sie sie nicht selber realisieren müssen. Ich spreche
Glaube, Liebe, Hoffnung!) lieber von unserer gemeinsamen Aufgabe.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
zum Abschluss noch einen kurzen Blick auf Folgendes
werfen: Es gibt Untersuchungen – diese möchte ich in die- Diese Aufgabe wird sein, ein vernünftiges Maß zu finden,
sem Zusammenhang wenigstens angesprochen haben – das sowohl den berechtigten Wünschen der gesellschaft-
zum Beispiel der EU-Kommission, die darauf hindeuten, lichen und politischen Akteure und den Bedürfnissen zu-
dass unser Potenzialwachstum durch die Krise sinkt. künftiger Generationen als auch den Notwendigkeiten
Also sind Strukturreformen notwendig, um das Poten- des Europäischen Stabilitäts- und Wachstumspaktes und
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. November 2009 295
Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble
(A) unseres Grundgesetzes Rechnung trägt. Dazu zähle ich Westfalen. Die Steuerschätzung im Mai ist keine hinrei- (C)
auf Ihrer aller Unterstützung. chende Begründung dafür, nicht sofort mit den notwen-
digen Vorarbeiten zu einer Steuersenkung zu beginnen,
Herzlichen Dank.
sondern vielmehr Alibi dafür, die Diskussion zwischen
(Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU und der den Koalitionspartnern darüber – eine turbulente Debatte
FDP) durften wir schon in den letzten Tagen erleben – auf
einen Termin nach der Landtagswahl in Nordrhein-
Präsident Dr. Norbert Lammert: Westfalen zu verschieben. Das ist der wahre Grund, wa-
Für die SPD-Fraktion erhält nun der Kollege Joachim rum Sie die entsprechende Kommission erst nach dieser
Poß das Wort. Landtagswahl einsetzen wollen.

(Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD)


Die angekündigte – richtigerweise müsste man „ange-
Joachim Poß (SPD): drohte“ sagen – Gemeindefinanzreform wird in eine
Guten Morgen, Herr Präsident! Meine Damen und Kommission verschoben. Ebenfalls wurde eine systema-
Herren! Herr Bundesfinanzminister, lieber Herr Schäuble, tische Änderung der Umsatzsteuer angekündigt, aber nur
ich wünsche Ihnen für Ihre schwierige Aufgabe eine zur Prüfung. Diese Liste ließe sich beliebig fortsetzen.
glückliche Hand. Sie haben vorhin schon eine Kost-
probe dafür geliefert, was wir in den nächsten Wochen Ganz konkret sind die Neukoalitionäre nur zweimal
und Jahren erwarten dürfen und wie Sie versuchen, die geworden: einmal bei der bizarren Idee, für die Finanzie-
Gratwanderung zwischen Frau Merkel und Herrn rung all ihrer unsoliden Versprechungen einen riesigen
Westerwelle zu bewältigen. Schuldentopf neben den Bundeshaushalt zu schaffen.
Aus dem sollte dann beliebig verteilt werden, und zwar
Sie haben gerade aber auch bewiesen, dass Sie in der ohne lästige Rücksichtnahme auf die gerade neu ge-
Lage sind, ökonomisch unnötige Steuergeschenke wort- schaffenen Regeln zur Begrenzung der öffentlichen Ver-
reich zu begründen. Diese Fähigkeit wird, denke ich, bei schuldung. Dieser offenkundige Betrugsversuch ist Gott
Ihrer Schuldenpolitik an Grenzen stoßen. sei Dank erst einmal vom Tisch genommen und wird,
Herr Minister Schäuble, hoffentlich auch mit dem nächs-
Ihr ernst gemeintes Bekenntnis zu Europa auch in der
ten Haushalt nicht noch einmal serviert. Sie wissen, wo-
Finanz- und Stabilitätspolitik relativiert sich durch Ihre
rum es dabei geht. Herr de Maizière hat das, glaube ich,
konkreten Absichten oder durch das, was Sie noch nicht
sehr intim miterlebt.
aussprechen. Denn diese Bekenntnisse sind nicht durch
(B) konkrete Politik unterlegt, ganz im Gegenteil: Alles, was (Otto Fricke [FDP]: Intim?) (D)
Sie – insbesondere bei Ihrer Steuersenkungspolitik –
verkünden, steht im Gegensatz zu diesen Bekenntnissen. – Als intimer Kenner der Sache. Er ist schließlich ein gu-
In der Regierungserklärung von Frau Merkel war das of- ter Jurist.
fenkundig. Das werden wir Ihnen bei aller Kooperation, Ebenfalls konkret und bereits vom neuen Kabinett
die nötig ist, nicht durchgehen lassen. beschlossen sind die kurzfristigen steuerlichen Maßnah-
(Beifall bei der SPD) men des Wachstumsbeschleunigungsgesetzes. Hier be-
treiben Sie gleich in mehrfacher Hinsicht Etiketten-
Wir verstehen unsere neue Rolle sicherlich nicht so, dass schwindel. Schwindel Nummer eins: Der größte Teil des
wir blindwütige Angriffe gegen Sie unternehmen. Sie Entlastungsvolumens dieses Gesetzes geht auf die Kon-
selber sollten allerdings möglichst versuchen, die Linie junkturpakete bzw. die Gesetzesvorhaben der Großen
dessen, was in der Großen Koalition gemeinsam erreicht Koalition zurück, nämlich 14 Milliarden Euro. Das sind
wurde, um Wachstum und Stabilität anzustreben, auch rund zwei Drittel des gesamten Entlastungsvolumens.
fortzusetzen. Hinzu kommen 8,5 Milliarden Euro. Das sind sozusagen
Sie sind ganz klar dabei, diese Linie zu verlassen. Der die Zückerli für eine ganz bestimmte Klientel. Es han-
Gesetzentwurf, den wir heute beraten, ist ein eindeutiger delt sich also um fremde Federn,
Beleg dafür, dass es Ihnen nicht nur um Steuersenkun- (Otto Fricke [FDP]: Aber sie sind richtig!)
gen zur Wachstumsbelebung geht, sondern dass Sie of-
fenkundig auch Gefangener der Steuersenkungsverspre- mit denen sich insbesondere die FDP, Herr Kollege
chen Ihrer Partei und insbesondere der von Herrn Fricke, schmücken will.
Westerwelle geworden sind. Das ist keine komfortable (Otto Fricke [FDP]: Aber sie sind richtig!)
Lage für eine solide Politik, Herr Schäuble, selbst wenn
Sie beabsichtigen sollten, eine solche zu betreiben. Man Mit Wachstumsbeschleunigung hat das alles nichts zu
muss bei Ihnen sehr genau hinhören. tun. Das ist Teil einer abenteuerlichen Finanzpolitik.
(Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD)
In den Debatten der letzten Tage ist zu Recht die man- Schwindel Nummer zwei: Die meisten Maßnahmen
gelnde Klarheit der Koalitionsvereinbarung kritisiert dienen offensichtlich nicht primär der Wachstumsförde-
worden. Fast alle wichtigen Themen werden in Kommis- rung, sondern der Bedienung der eigenen Klientel. Die
sionen oder Arbeitsgruppen verschoben, auf jeden Fall Steuergeschenke für die Unternehmenserben – ich hatte
aber hinter das Datum der Landtagswahl in Nordrhein- gestern Abend Gelegenheit, mit einem Praktiker aus der
296 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. November 2009

Joachim Poß
(A) Steuerverwaltung zu sprechen, der durchaus über ökono- Land am Ende der letzten schwarz-gelben Regierungs- (C)
mische Kenntnisse verfügt zeit in den 90er-Jahren in die völlige Bewegungsunfä-
higkeit getrieben hat.
(Zuruf von der FDP)
(Beifall bei der SPD – Otto Fricke [FDP]: War
– das mache ich auch öfter – ebenso wie die Änderungen das nicht ein gewisser Herr Lafontaine?)
der Unternehmensbesteuerung oder die isolierte Herab-
setzung des Mehrwertsteuersatzes für Beherbergun- Jetzt fangen Sie das gleiche Spiel wieder an. Deswegen
gen haben mit Wachstumsförderung – das wissen Sie stehen Sie nicht in der Kontinuität einer auf Solidität und
auch, Herr Schäuble – nichts zu tun, ganz im Gegenteil. Wachstum angelegten Politik der Großen Koalition.
Wie zu lesen ist – damit werden wir uns noch ausführ- (Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Oh doch!)
lich befassen –, wird die Maßnahme zugunsten der Be-
herbergungsgewerbe nicht wie angekündigt 1 Milliarde Nun mag der Bund in der Lage sein, in 2010 mit den
Euro kosten. Es gibt – möglicherweise auch unions- ohnehin vorgesehenen 86 Milliarden Euro neuen Schul-
geführte – Länder, die einen Steuerausfall in Höhe von den auch seinen Anteil an den zusätzlichen Steuersen-
3 bis 4 Milliarden Euro befürchten. In einer Umfrage des kungen zu finanzieren. Aber nun ein Wort zum Stabili-
einschlägigen Verbandes ist zu lesen, dass sich die Sen- täts- und Wachstumspakt in Europa und zur zukünftigen
kung des Mehrwertsteuersatzes nicht in den Preisen für Politik, Herr Schäuble: Auch beim Bund erhöhen die zu-
die Kunden niederschlagen wird, wenn überhaupt, dann sätzlichen Einnahmeausfälle das strukturelle Defizit,
höchstens zu 10 oder 20 Prozent. Das hat mit der ur- das nach den Regeln der Schuldenbremse bis 2016 abge-
sprünglichen Begründung der Maßnahme überhaupt baut werden muss. Das heißt, allen Bürgerinnen und
nichts zu tun. Etikettenschwindel, wohin man blickt! Bürgern, die jetzt mit Entlastungen beglückt werden,
wird die Rechnung dafür noch präsentiert werden, und
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ zwar in Form höherer Steuern oder – das ist wahrschein-
DIE GRÜNEN) licher – in Form von Leistungskürzungen. Das ist eine
Viel wichtiger wäre es dagegen gewesen, sich Gedan- Mogelpackung. Das wird die heute scheinbar Begünstig-
ken zur Stabilisierung des Arbeitsmarktes zu machen ten, die sich freuen, noch teuer zu stehen kommen.
und durch weitere Maßnahmen die Nachfrageseite unse- (Beifall bei der SPD)
rer Wirtschaft zu stärken. Wir fordern zu diesem Zweck
die Verlängerung der geförderten Altersteilzeit um fünf Dabei geht es nicht darum, dass wir den Familien mit
Jahre und werden beantragen, den Entwurf des Wachs- Kindern nicht ein höheres Kindergeld wünschen, wenn
tumsbeschleunigungsgesetzes um unseren diesbezügli- es denn solide finanziert würde. Aber was ist denn das
bitte schön für eine Entlastung für Familien, mit der, al-
(B) chen Gesetzentwurf zu ergänzen. (D)
len Bekenntnissen hier zum Trotz, sehenden Auges den
(Beifall bei der SPD) Kindern selbst die vollen Kosten zuzüglich Zins und
Zinseszins aufgebürdet werden? Das kann doch nicht
Ich komme zu Schwindel Nummer 3: Auf der Ebene
unser Weg in die Zukunft sein. Kehren Sie um, Frau
der Länder und Gemeinden, also genau dort, wo die un-
Merkel und Herr Schäuble, bevor es zu spät ist.
mittelbar vor Ort beschäftigungswirksamen öffentlichen
Investitionen getätigt werden, werden die Wachstums- Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
kräfte durch die Regelungen Ihres Gesetzentwurfs nicht
nur nicht gestärkt. Sie werden geschwächt und konter- (Beifall bei der SPD)
kariert. Es ist doch absurd: Während sich Städte und
Gemeinden auf der einen Seite auch im kommenden Jahr Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
noch aus dem kommunalen Investitionsfonds des Kon- Das Wort hat jetzt der Kollege Carl-Ludwig Thiele
junkturpaketes II bedienen können, werden ihnen auf der von der FDP-Fraktion.
anderen Seite von der neuen Bundesregierung gleichzei- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
tig Steuereinnahmen in Milliardenhöhe entzogen. Das ist der CDU/CSU)
Wachstumsverhinderung, nicht Wachstumsbeschleuni-
gung.
Carl-Ludwig Thiele (FDP):
(Beifall bei der SPD) Sehr geehrter Herr Präsident! Meine verehrten Kolle-
ginnen und Kollegen! Finanzminister Schäuble, zu-
Die Zahlen der Steuerschätzung, Herr Schäuble, sind
nächst möchte ich Ihnen in dem neuen Amt viel Erfolg
gut eine Woche alt. Selbst ohne die neuerlichen Maßnah-
wünschen. Ich habe es begrüßt, dass Sie in Brüssel wa-
men fehlen den Ländern in 2010 gegenüber 2008 gut
ren.
20 Milliarden Euro und den Städten gut 10 Milliarden
Euro. Jeder Euro weniger an Steuereinnahmen heißt ei- Wir, CDU, CSU und FDP, haben damals gemeinsam
nen Euro weniger Investitionen oder einen Euro mehr den Euro eingeführt. Wir haben uns gemeinsam für den
Schulden. Wer Ländern und Kommunen nur die Wahl Vertrag von Maastricht mit seinen Kriterien eingesetzt.
zwischen Investitionskürzung und noch mehr Schulden Wir wollten unsere Währung stabil halten und sind froh,
lässt, der gestaltet Zukunft nicht – diesen Anspruch ha- dass es uns gelungen ist, das international zu implemen-
ben Sie in Ihrer Regierungserklärung deutlich gemacht, tieren. Wenn es derzeit Schwierigkeiten gibt, in unserem
Frau Merkel –, sondern verhindert sie. Das ist doch ge- Land wie auch in anderen europäischen Ländern, dann
nau die Art von Steuer- und Finanzpolitik, die unser besteht unser Weg, anders als das unter rot-grüner Regie-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. November 2009 297
Carl-Ludwig Thiele
(A) rungszeit der Fall war, nicht darin, die Kriterien zu ver- mich, dass heute während der Debatte über die Regie- (C)
ändern, sondern er besteht darin, zu den Kriterien zu ste- rungserklärung der Bundeskanzlerin die erste Lesung
hen und in diesen schwierigen Zeiten gleichwohl dafür des Wachstumsbeschleunigungsgesetzes durchgeführt
einzutreten, dass diese Kriterien Bestand haben. Das wird, damit wir dieses Gesetz in diesem Jahr noch zum
sind wir den Bürgern und der Wirtschaft unseres Landes Abschluss bringen. Die erste Lesung haben wir heute so-
schuldig. gar vor der Konstituierung der Ausschüsse. Aber das ist
wichtig, es soll sich jeder darauf einrichten können, die
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Opposition auf das Verfahren, aber auch die Bürger auf
der CDU/CSU) die steuerlichen Entlastungen.
Ich freue mich natürlich auch darüber, dass die FDP
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
nach elf Jahren die Zukunft unseres Landes wieder mit-
gestalten darf. Ich gestehe allerdings ganz freimütig, Wir wollen mit diesem Gesetz ein ganz klares Zei-
dass ich mir wirtschaftlich schönere Zeiten gewünscht chen setzen. Die Familien in unserem Land sollen spür-
hätte, als wir sie derzeit haben. Aber das ist eine Heraus- bar entlastet werden. Das Kindergeld wird um 20 Euro
forderung mehr. Wir erleben allerdings auch gerade in erhöht, der Kinderfreibetrag auf 7 000 Euro. Mir ist da-
der Koalition eine Premiere in der Geschichte unseres bei unbegreiflich, wie die Opposition angesichts dieser
Landes. Frau Merkel ist die erste Bundeskanzlerin unse- Maßnahmen gegenüber der Koalition erklären kann, sie
res Landes, die in einer neuen Koalition Kanzlerin betreibe soziale Kälte oder Klientelpolitik. Ich möchte
bleibt. Das hat es in der Geschichte unseres Landes noch eines an dieser Stelle klarstellen: Wenn der Einsatz für
nicht gegeben, auch nicht bei Beendigung der Großen die Familie in unserem Lande von Ihnen als Klientel-
Koalition 1969. Diese Tatsache hat Auswirkungen: politik bezeichnet wird, dann bekennen wir uns aus-
Weite Teile der Union sehen sich weiterhin in der Konti- drücklich zu dieser Art der Klientelpolitik; denn die Fa-
nuität des bisherigen Regierungshandelns, milien sind die Wurzeln unserer Gesellschaft, und wenn
wir dort ansetzen, die Wurzeln zu stärken, tun wir Gutes
(Otto Fricke [FDP]: Sehr wahr!)
für unser Land.
die FDP will aber einen politischen Neuanfang, und
den brauchen wir in unserem Land, sowohl in der Sache (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU –
als auch bei den Personen. Wir sind froh, dass unsere Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
Personen neu in das Kabinett eingezogen sind. Außer für die Familien mit Hartz IV! Die sind
Ihnen egal!)
(Beifall bei der FDP)
Außerdem werden wir Fehler bei der Unternehmen-
(B) Aber – auch das sage ich ganz klar – ich bekenne mich steuerreform korrigieren, die für die Betriebe krisenver- (D)
zu dieser Koalition. Wir wollen gemeinsam in dieser schärfend wirken und Arbeitsplätze gefährden, wie zum
Koalition in schwierigen Zeiten jetzt Politik neu gestal- Beispiel die steuerpolitisch völlig verfehlte Heranzie-
ten. Das ist die Aufgabe, die wir haben. hung von Kosten als Bemessungsgrundlage für die Erhe-
bung von Steuern. Wir werden ferner im Bereich der
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
Erbschaftsteuer zwei Maßnahmen der Großen Koali-
der CDU/CSU)
tion direkt korrigieren. Geschwister wurden durch die
Anfang des Jahres wurde noch mit einem Wirtschafts- Erbschaftsteuerreform der Großen Koalition steuerlich
einbruch von 6 Prozent gerechnet. Wir haben derzeit wie völlig Fremde behandelt. Dazu wurde ein neuer Be-
Voraussagen, dass es 3,9 Prozent sind. Das ist immer griff eingeführt, nämlich der Begriff der sogenannten
noch der stärkste Wirtschaftseinbruch in der Geschichte Kernfamilie. Zur Kernfamilie sollten nur noch Eltern,
unseres Landes. Durch diesen Wirtschaftseinbruch ha- Kinder, Großeltern und Enkel zählen. Welches gesell-
ben viele Menschen ihre Arbeitsplätze verloren, viele schaftspolitische Bild steckt hinter einer solchen Fami-
sind in Kurzarbeit, und viele Bürger haben Angst um ih- liendefinition? Geschwister sind diejenigen Personen,
ren Arbeitsplatz. Ziel liberaler Politik und der Politik die uns die längste Zeit durch das Leben begleiten. Diese
dieser Koalition ist es daher, die Rahmenbedingungen Personen zählten für die FDP schon immer zur Familie.
für Wachstum zu verbessern, damit die bestehenden Ar- Ich freue mich darüber, dass mit unserer Forderung einer
beitsplätze sicherer und Voraussetzungen dafür geschaf- Besserstellung der Geschwister bei der Union – trotz
fen werden, dass neue Arbeitsplätze in unserem Lande finanzieller Auswirkungen – offene Türen eingerannt
entstehen können. wurden; denn auch dort hat es vielen überhaupt nicht ge-
schmeckt, welcher Unfug mit der Erbschaftsteuer auf
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten den Weg gebracht worden war.
der CDU/CSU)
(Beifall bei der FDP – Jürgen Trittin [BÜND-
Die Bürger hatten bei der Bundestagswahl die Wahl NIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie entsteht dadurch
zwischen Parteien, die in der Krise die Steuern erhöhen Wachstum? Können Sie das erklären?)
wollten, und zwischen Parteien, die die Steuern senken
wollten. Die Bürger haben sich klar für die Parteien ent- Ferner werden wir im Bereich der Erbschaftsteuer
schieden, die die Steuern senken wollen. Damit die Bür- eine erste Entlastung von Erben mittelständischer Be-
ger aber auch sehen, dass Union und FDP nicht nur von triebe durch eine deutliche Erleichterung der Fortfüh-
Wachstum und „mehr Netto vom Brutto“ sprechen, son- rungsklausel beschließen. Die Benachteiligung der mit-
dern auch wirklich entsprechend handeln, freue ich telständischen Betriebe gegenüber börsennotierten
298 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. November 2009

Carl-Ludwig Thiele
(A) Kapitalgesellschaften bei der Erbschaftsteuer muss aller- Die jährlichen Ausgaben des Bundeshaushaltes, Herr (C)
dings weiter abgebaut werden. Kollege Kauder, sind um 4 Prozent gestiegen, und die
Volkswirtschaft ist nur um 1,4 Prozent gewachsen. Ich
Wir wollen die Wachstumsbedingungen dadurch freue mich, dass es gelungen ist, in der Koalitionsverein-
verbessern, dass geringwertige Wirtschaftsgüter wieder barung festzulegen, dass wir mit dem Wachstum der öf-
abgeschrieben werden können. Das erspart Bürokratie fentlichen Ausgaben unterhalb des Wachstums der
und hilft gerade den kleinen Betrieben. Volkswirtschaft bleiben wollen. Unser Ziel ist ein
Auch über das Beherbergungsgewerbe – Minister schlanker und ein starker Staat. Dazu bekennen wir uns.
Schäuble hat es angesprochen – gab es eine Diskussion. Dafür werden wir uns weiter einsetzen. Dieses Gesetz ist
Ich glaube, es ist richtig, dass wir versuchen, diesen Teil ein erster Schritt in die richtige Richtung.
unserer Wirtschaft international gleichzustellen. Deshalb Herzlichen Dank.
haben wir diese Regelung in den Gesetzentwurf aufge-
nommen. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU)
(Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Lächer-
lich!)
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Nun kritisiert die Opposition den Entwurf des Wachs- Das Wort hat die Kollegin Dr. Gesine Lötzsch von der
tumsbeschleunigungsgesetzes und unsere weiteren steu- Fraktion Die Linke.
erpolitischen Vorhaben als Steuersenkung auf Pump.
(Beifall bei der LINKEN)
(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: So ist es! Sprechen Sie die Wahrheit Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE):
aus, Herr Thiele!) Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten
Sie wollen dadurch anscheinend suggerieren, Sie hätten Damen und Herren! Herr Schäuble, Sie haben gemeint,
in Ihrer Regierungszeit – das betrifft auch die Regie- hier über die Rechenkünste von Herrn Lafontaine spre-
rungszeit von Rot-Grün, Herr Trittin – Steuersenkungen chen zu müssen. Ihn muss ich nicht verteidigen; das
nur beschlossen, wenn der Staat Überschüsse erwirt- kann er selber ganz gut.
schaftet hat. Das hat er aber nicht. Aber an Ihre Rechenkünste möchte ich gerne erin-
(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der nern. Sie und Ihr Freund, Helmut Kohl, haben vor
CDU/CSU) 20 Jahren geglaubt, die deutsche Einheit könne aus der
Portokasse bezahlt werden. Da haben Sie bewiesen, wie
(B) Das heißt, auch Ihre Steuersenkungen gingen mit einer schlecht Sie rechnen können. (D)
Neuverschuldung der öffentlichen Haushalte einher. Das
(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Lisa
muss man an dieser Stelle sehen.
Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Schauen wir uns die letzten Jahre an: Zuletzt wurden
Die Kanzlerin hat von der schwersten Krise in der
zwei Konjunkturprogramme in einer Größenordnung
Geschichte der Bundesrepublik gesprochen. Da hat sie
von mehr als 80 Milliarden Euro aufgelegt. Diese Kon-
recht. Die Bürger haben zu Recht erwartet, dass sich die
junkturprogramme wurden ausschließlich – das sage ich
Kanzlerin gleich nach der Vereidigung an sie wendet,
ganz deutlich an die Adresse der SPD – durch eine Erhö-
um Sofortmaßnahmen zur Bekämpfung der Krise vor-
hung der Neuverschuldung finanziert. Das ist der Grund,
zustellen. Nötig wären die sofortige Einführung einer
warum Finanzminister Steinbrück im Sommer dieses
Börsenumsatzsteuer, die sofortige Rücknahme der De-
Jahres einen Haushaltsentwurf für das Jahr 2010 einge-
regulierungsgesetze für den deutschen Finanzmarkt, die
bracht hat, in dem sämtliche Schuldenrekorde unseres
sofortige direkte Kreditvergabe an kleine und mittlere
Landes gebrochen werden; das nächste Jahr sollte mit
Unternehmen durch den Staat und die sofortige Erhö-
einer Neuverschuldung von 86,1 Milliarden Euro ange-
hung der Hartz-IV-Sätze für Kinder. Das alles ist nicht
gangen werden.
geschehen, und das ist verheerend.
(Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei der LINKEN)
NEN]: Das toppen Sie jetzt!)
Stattdessen flog die Kanzlerin lieber über den Großen
Dass wir in der Krise etwas für die Konjunktur tun Teich, um erst einmal alles mit dem Großen Bruder in
müssen, ist vollkommen richtig. Aber wir wollen konso- Amerika abzusprechen. Gerade im Osten sah ich da ein
lidieren, und wir wollen Wachstum fördern. Das gehört Schmunzeln in den Gesichtern vieler Menschen, die sag-
für uns zusammen. Das sind zwei Seiten derselben Me- ten: Na, das kennen wir doch. Erich Honecker musste
daille, und dafür werden wir uns einsetzen. auch erst in Moskau erscheinen, um den Bürgern dann
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten mitteilen zu können, wie es im Lande weitergeht.
der CDU/CSU) (Beifall bei der LINKEN – Widerspruch bei
In den letzten vier Jahren hat die Große Koalition Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP –
über die Verhältnisse unseres Landes gelebt. Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
Das war ja ein fieser Vergleich! – Eduard
(Volker Kauder [CDU/CSU]: Na, na!) Oswald [CDU/CSU]: Völlig von der Rolle!)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. November 2009 299
Dr. Gesine Lötzsch
(A) – Die Reflexe funktionieren – ich sehe das – sehr gut. Herr Schäuble, Sie haben erklärt, dass der (C)
Haushalt 2010 auf Sicht gefahren werden soll. Ich sage
Weil wir ja nun seit einem Jahr den Mauerfall feiern Ihnen: Da kann einem nur angst und bange werden.
und jetzt ein weiteres Jahr die Deutsche Einheit, will ich Schon der Kapitän der „Titanic“ fuhr nur auf Sicht.
noch kurz etwas zu diesem Thema sagen: Die Ostdeut-
schen hatten in der letzten Zeit viel zu schmunzeln. (Otto Fricke [FDP]: Eben gerade nicht! –
Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
(Zuruf von der CDU/CSU: Honecker wäre
Eben nicht!)
gern in die USA gereist, aber der konnte nicht!
Da war die Mauer!) Wir wissen, wie diese Sache ausgegangen ist. Auch in
der Krise braucht eine Regierung wenigstens eine mittel-
Überhaupt: Ich kenne keine Jammerossis, ich kenne vor
fristige Strategie; es reicht kein Hüpfen von Jahr zu Jahr.
allem Schmunzelossis. „Das kennen wir doch!“, sagen
die schmunzelnden Ostdeutschen. Meine Damen und Herren, zu der von Herrn Schäuble
wiederum aufgestellten Behauptung, dass die Finanz-
Die Kanzlerin hat vor der Wahl nicht gesagt, wer die
märkte nur international reguliert werden können, ist zu
Kosten der Krise bezahlen soll, und sie hat es auch in der
sagen: Das ist eine weitere Lüge. Natürlich brauchen wir
Regierungserklärung nicht gesagt. Die Menschen kön-
internationale Regeln, aber Sie müssen doch einsehen,
nen mit der Wahrheit umgehen, und sie können auch mit
dass ein Teil der Finanzkrise hausgemacht ist. Wir brau-
schlechten Nachrichten umgehen, sie können es aber
chen also nicht zu warten, bis alles international geregelt
nicht ertragen, wenn die Regierung sie belügt.
ist. Wir müssen heute schon in unserem eigenen Haus
(Beifall bei der LINKEN) wieder Ordnung schaffen.
Schon die Koalitionsverhandlungen machten deutlich, (Beifall bei der LINKEN)
welche Schwierigkeiten die Regierung mit der Wahrheit
Der Finanzminister – Sie haben das gesagt, Herr
hat. In einem Schattenhaushalt sollten die Wahlge-
Schäuble – muss im nächsten Jahr 86 Milliarden Euro an
schenke an die Unternehmen und an die Erben großer
neuen Schulden aufnehmen, um die dramatischen Aus-
Vermögen versteckt werden.
wirkungen der Krise in den Griff zu bekommen. Aber
(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- gleichzeitig entlasten Sie Manager, Erben und Bankdi-
NEN]: Niemand hat die Absicht, einen Schat- rektoren, die für diese Krise mit die Verantwortung tra-
tenhaushalt zu errichten!) gen. Und Sie wälzen in unverantwortlicher Weise die
Lasten auf die Länder und Kommunen ab. Ich nenne Ih-
Aber die Proteste gegen diese Klientel- und Verschleie- nen nur einmal ein Beispiel: Meine Heimatstadt, das
(B) rungspolitik waren so groß, dass der Schattenhaushalt Bundesland Berlin, wird durch Ihre Steuerpolitik (D)
erst einmal zurückgezogen werden musste. Das Ergebnis 700 Millionen Euro weniger haben. Das entspricht ei-
allerdings ist: Der gesamte Bundeshaushalt ist jetzt ein nem Gegenwert von 100 000 Kita-Plätzen. Da reden Sie
einziger großer Schattenhaushalt. Alles, was die Bundes- hier von Familienfreundlichkeit? Das ist doch ein Wi-
regierung im Schattenhaushalt verstecken wollte, wird derspruch.
sie im nächsten Bundeshaushalt verstecken. Da frage ich
mich: Ist Herr Schäuble vielleicht nur ein Schattenminis- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten
ter? des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Die Kanzlerin verteidigte in ihrer Rede noch einmal Meine Damen und Herren, ab 2011, so haben wir ge-
die Steuersenkungen auf Pump. Sie wolle die Arbeitneh- lesen, soll wieder gespart werden. Dazu gibt es schon
mer in der Krise nicht zusätzlich belasten. Auch das ist eine Menge an Vorschlägen von sogenannten Experten
eine Lüge. Es ist eine Lüge, weil Sie von der Koalition wie Herrn Sinn, der den Hartz-IV-Satz regionalisieren,
die Beiträge zur Arbeitslosen- und Krankenversicherung also wieder eine Mauer zwischen Ost- und Westdeutsch-
erhöhen werden. Sagen Sie den Menschen doch wenigs- land aufbauen will. Wir sagen Ihnen: Dieser Vorschlag
tens die Wahrheit! ist nicht nur unsinnig, er ist auch juristisch nicht haltbar,
er ist unsozial und spalterisch – und das angesichts der
(Beifall bei der LINKEN) 20-Jahr-Feiern, die wir gerade erleben. So geht das
Wir als Linke sagen: Es gibt eine andere Möglichkeit, nicht.
die die Kanzlerin allerdings verschwiegen hat: die Anhe- (Beifall bei der LINKEN)
bung der Steuern auf große Vermögen, Dividenden, Boni
und unanständig hohe Gehälter. Mit diesen Mehreinnah- Eine wirkliche finanzpolitische Linie ist weder im
men hätte die Bundesregierung die Kosten der Krise fi- Koalitionsvertrag noch in den Reden der Regierungsmit-
nanzieren können. Der vorliegende Entwurf eines Wachs- glieder zu erkennen. Nur wenn man zwischen den Zeilen
tumsbeschleunigungsgesetzes ist in Wirklichkeit der liest, was wir ja gelernt haben, findet man heraus, dass
Entwurf eines Umverteilungsbeschleunigungsgesetzes. diese Regierung nicht das Wohl der Menschen in diesem
Meine Damen und Herren, Sie bedienen Ihre Klientel wie Land im Auge hat, sondern ausschließlich das Wohl von
schon in der letzten Legislaturperiode, bloß dass Sie jetzt Leuten wie Herrn Ackermann, mit denen sie auch gerne
noch dreister und schneller von unten nach oben umver- im Kanzleramt Geburtstagspartys feiert.
teilen wollen. Dem stellen wir uns entgegen.
(Beifall bei der LINKEN – Zurufe von der
(Beifall bei der LINKEN) CDU/CSU und der FDP: Oh!)
300 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. November 2009

Dr. Gesine Lötzsch


(A) Wir als Linke werden in dieser Legislaturperiode den ser Punkt aber noch enthalten. Wir werden genau aufpas- (C)
Bundeshaushalt gut ausleuchten und die Bürger über die sen, dass das Comeback der großen Lüge nicht kommt.
Schattenspiele der Regierung ausführlich informieren.
Die absurde Linie geht aber weiter. Denn Ihr neues
Darauf können Sie sich verlassen.
Credo lautet, dass Steuersenkungen auf Pump einen
(Beifall bei der LINKEN) Wachstumseffekt hätten. Das Gegenteil ist der Fall, wie
wir wissen.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Lassen Sie mich an dieser Stelle sagen, dass in dieser
Das Wort hat jetzt der Kollege Alexander Bonde vom Debatte die FDP eine besonders peinliche Figur macht.
Bündnis 90/Die Grünen.
(Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Allerdings!)
Alexander Bonde (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bis kurz vor Ende der Legislaturperiode gab es die
Herr Finanzminister Schäuble, als Mitglied der Opposi- Föderalismuskommission II. Ich kann mich an unsere
tion will ich Ihnen zu Ihrem neuen Amt gratulieren und Sitzungen noch gut erinnern. Besonders gut kann ich
Ihnen viel Glück in diesem schwierigen Amt, das Sie mich an die Vertreter der FDP in diesem Gremium erin-
übernommen haben, wünschen. Denn Glück werden Sie nern, die jedes Mal lautstark ein Schuldenverbot gefor-
angesichts der Widersprüche, die Sie in der Finanz- und dert haben. Ich präzisiere: ein vollständiges Verbot von
Haushaltspolitik von Ihrem Koalitionspartner in einer Verschuldung.
wirtschaftlich schwierigen Zeit ins Gepäck gelegt be- (Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
kommen haben, brauchen. NEN]: Hört! Hört!)
Diese Koalitionsverhandlungen waren ein denkwür- Herr Burgbacher war einer der Fürsprecher eines Schul-
diges Ereignis. Man muss sich einmal daran erinnern: denverbots. Er ist heute Staatssekretär beim Wirtschafts-
Einen Kassensturz hat die neue Koalition nicht vorge- minister Brüderle. Der Minister hat uns gestern an dieser
nommen. Sie alle sagen: Wir fahren jetzt auf Sicht. Aber Stelle erklärt, es gebe nichts Besseres für das Wachstum
jeder in diesem Haus weiß, wo eine Strategie „Auf Sicht als Steuersenkungen auf Pump, es gebe nur eine Chance,
fahren und die Augen zumachen“ endet. Wachstum zu erreichen, nämlich durch Verschuldung. Je
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) mehr Verschuldung, desto besser sei dies für das Wachs-
tum.
Mit einem faulen Trick haben Sie versucht, die wirklich
schwierige Situation unter den Teppich zu kehren. Ein (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
(B) riesiger Schattenhaushalt war Ihre Antwort, um sich und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der (D)
aus der Verantwortung zu stehlen. LINKEN – Widerspruch bei der FDP)

Man kann sich einmal eine Auswahl der öffentlichen Diesen Spagat, liebe Kolleginnen und Kollegen von der
Meinung anschauen: Die Frankfurter Rundschau schrieb FDP, sollten Sie uns einmal erklären. Ich verstehe, dass
am 6. November „An den Jungen bleibt es hängen“. Die Sie Angst davor haben, dass die Leute begreifen, was da
Financial Times Deutschland schrieb am 20. Oktober passiert ist. – Da Sie sich so aufregen, Herr Thiele: Ich
„Schwarz-Gelb spendiert auf Pump“, und die FAZ habe daheim zwei kleine Kinder. Ich weiß, wie einer
schrieb am 2. November „Mit Vollgas in den finanzpoli- aussieht, der die Hose voll hat. Das sehe ich genau.
tischen Nebel“. Diese Liste ließe sich beliebig weiter- (Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/
führen. Finanz- und haushaltspolitische Solidität sieht DIE GRÜNEN und bei der SPD)
anders aus als das, was Sie hier an wochenlangem Haus-
haltschaos inszeniert haben. Lassen Sie mich auf die Kanzlerin zu sprechen kom-
men. Hier gibt es ja ähnliche Fragestellungen. Vor der
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wahl haben Sie uns erklärt, die Defizite der Bundes-
Die Liste der Zitate über Ihr Unvermögen ließe sich, agentur für Arbeit seien kein Problem; das sei ein Dar-
wie schon gesagt, beliebig fortsetzen. Schwarz-gelbe lehen. Jetzt geben Sie zu: Dies ist kein Darlehen. Nach
Landesminister – ich denke an Herrn Linssen in NRW –, der Wahl ist klar: Das führt zu einer zusätzlichen jährli-
schwarze Oberbürgermeisterinnen – ich denke an Frau chen Verschuldung im Rahmen des Bundeshaushaltes.
Roth aus Frankfurt –, Ministerpräsidenten – ich denke an Sie wissen, das führt jährlich zu einer massiven Milliar-
Herrn Tillich aus Sachsen – und viele mehr haben be- denlücke. Sie addiert sich bis 2013 auf 40 Milliarden
griffen, dass Sie einen Rest an Solidität nur durch das Euro.
Verschieben der Lasten auf andere Ebenen bewahren Deshalb ein Merksatz an die FDP zum Mitschreiben:
wollen: verschieben zulasten der Länder und der Kom- Für einen Steuerzuschuss brauche ich Steuereinnahmen.
munen, also dorthin, wo wirklich Investitionstätigkeit Das ist mathematisch zu erklären.
der öffentlichen Hand stattfindet. Sie schieben den
Schwarzen Peter also den Ländern und Kommunen zu. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wenn ich Steuereinnahmen brauche, kann ich die Steu-
ern nicht senken. Ihre Refinanzierungskurven werden
Die Strategie der Schattenhaushalte ist erst einmal am Ende dazu führen, dass die Handlungsfähigkeit des
grandios gescheitert. In Ihrem Koalitionsvertrag ist die- Staates abnehmen wird.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. November 2009 301
Alexander Bonde
(A) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) litik geliefert. Sie wollen jetzt nur Ihre Wahlversprechen, (C)
die damals unsolide waren, in Regierungsversprechen
Sie argumentieren immer damit, dass uns Wachstum
ummünzen, von denen Sie wissen: Nicht eines davon
retten wird. Sie müssen aber absurd hohe Wachstums-
werden Sie halten können. Lassen Sie uns es gleich ehr-
raten generieren, um das hinzubekommen, was Sie hier
lich machen! Alles andere nimmt Ihnen sowieso keiner
immer behaupten. Wenn Sie an Ihre Steuersenkungs-
ab.
pläne denken und gleichzeitig Ihr Bekenntnis zu den
Maastricht-Kriterien ernst nehmen – das bedeutet zum (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Beispiel, dass Sie, was die Staatsverschuldung angeht, sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN-
60 Prozent des BIP nicht überschreiten –, dann bräuch- KEN)
ten Sie bis ins Jahr 2030 ein jährliches Wirtschafts-
wachstum von 4,2 Prozent, um Ihre Pläne und die
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Maastricht-Kriterien unter einen Hut zu bekommen. Da
muss man wirklich fragen: Wo leben Sie denn eigent- Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Michael Meister
lich? von der CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
bei der SPD und der LINKEN)
Dr. Michael Meister (CDU/CSU):
Das sind keine Zahlen, die wir erfunden haben, son-
dern die hat UniCredit berechnet, die nicht als volkswirt- Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen
schaftliche Unterabteilung der grünen Parteizentrale be- und Kollegen! Wir führen diese finanzpolitische Grund-
kannt ist. Das, was Sie hier machen, ist Traumtänzerei. satzdebatte über die neue Wahlperiode mitten in der Fi-
Das Wachstum, das Sie zur Umsetzung Ihrer Pläne brau- nanz- und Wirtschaftskrise. Wir sollten uns als Erstes
chen, muss das Doppelte bis Dreifache des deutschen klarmachen, dass eine positive Antwort auf die Frage, ob
Potenzialwachstums sein. Die Gefahren, die darin beste- es uns gelingt, ein Fundament für die neue Wahlperiode
hen, hat der Bundesminister ausgeführt, nämlich das zu legen, indem wir Vertrauen auf dem Finanzsektor
eher zu erwartende Sinken des Potenzialwachstums. Was schaffen und dafür sorgen, dass sich ein Ereignis wie die
Sie hier versprechen, passt hinten und vorne nicht zu- Insolvenz von Lehman Brothers vor gut einem Jahr nicht
sammen. wiederholen kann, die Basis für alle Überlegungen in der
Finanzpolitik ist. Wenn uns ein Lehman II passiert, dann
Die Entlastung bei den Beherbergungsleistungen ist sind alle Debatten, die ich heute Morgen gehört habe,
ein teures Wahlgeschenk. Es kostet Ihrer Meinung nach gegenstandslos. Deshalb betrifft die Frage, die als erste
1 Milliarde Euro. Die von Ihrer Partei regierten Länder angegangen werden muss, die Konsolidierung der inter- (D)
(B)
sprechen von 3 bis 4 Milliarden Euro; dies wurde schon nationalen Finanzmärkte, Stabilisierung und Vertrauens-
ausreichend kommentiert. Der Wachstumsimpuls ist bildung. Darauf werden wir Wert legen.
null.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Ungerecht ist, was Sie bei den Familien planen. Zu-
künftige Generationen sollen es bezahlen. Die Eltern be- Ich glaube nicht, dass die internationalen Finanz-
kommen jetzt 20 Euro pro Kind mehr im Monat. 1,8 Mil- märkte bereits stabil sind. Die Gesundung geht langsam
lionen Kinder bekommen überhaupt nichts, weil Ihnen voran. Es ist nach wie vor Labilität zu erkennen. Deshalb
arme Kinder nichts wert sind. So viele Kinder leben in müssen wir mit den Instrumenten, die wir in der Großen
Hartz-IV-Familien. Und da wird das Kindergeld kom- Koalition beschlossen haben und die nach wie vor gültig
plett angerechnet. sind, an dieser Stabilisierung und Vertrauensbildung ar-
beiten und die Finanzmärkte als öffentliches Gut si-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) chern, aber für die Zeit nach der Krise – dies hat Herr
Ähnlich ungerecht gehen Sie bei den Kommunen vor. Schäuble aus meiner Sicht richtig beschrieben – sollten
wir über eine intelligente Exitstrategie verfügen, mit
Wenn Sie schon auf uns von der Opposition nicht hö- der wir uns von dem Eingriff des Staates, der notwendig
ren, dann hören Sie zumindest auf die Notenbanken, die war, um Vertrauen zu bilden, zurückziehen und die so-
inzwischen laut vor Ihrem Kurs warnen. Luxemburgs ziale Marktwirtschaft auch im Bereich der Finanzmärkte
Premierminister Jean-Claude Juncker sagt zu Recht: Der wieder wirksam werden lassen. Das ist die Aufgabe, vor
Stabilitätspakt gilt. Er lässt Flexibilität zu, lässt aber Ver- der wir stehen. Das heißt, wir müssen darüber diskutie-
antwortungslosigkeit nicht zu. ren: Wie sieht diese intelligente Exitstrategie nach der
Sehr geehrte Koalition, er lässt Verantwortungslosig- Krise aus?
keit nicht zu. Nehmen Sie deshalb endlich eine verant- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
wortungsbewusste Position ein! Stampfen Sie den Ent- neten der FDP)
wurf Ihres Wahlgeschenkebeschleunigungsgesetzes, den
Sie heute einbringen, ein! Hören Sie auf, eine Haushalts- Wir haben in der Krise die Notwendigkeit erkannt
politik auf Pump zu machen, die die soziale Spaltung – das ist der mittel- und langfristige Auftrag, der im Rah-
dieses Landes vorantreibt und die Investitionsfähigkeit, men von G 20 und EU, aber auch national diskutiert
die wir gerade in dieser Krisensituation brauchen, be- werden muss –, eine bessere Ordnung für die Märkte zu
schädigt! Drehen Sie um! Sie haben heute keine Antwort bekommen. Es geht nicht darum, Märkte aufzuheben; es
auf die wirklichen Fragen der Finanz- und Haushaltspo- geht auch nicht darum, Ordnung zu beseitigen. Vielmehr
302 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. November 2009

Dr. Michael Meister


(A) diskutieren wir über die Frage: Wie können wir eine bes- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (C)
sere Finanzmarktverfassung bekommen?
In diesem Sinne werden wir eine Politik der Geld-
Dabei geht es für uns zum Ersten um mehr Informa- wertstabilität und des Nichtzulassens von Inflation aus-
tion, um mehr Transparenz für die Verbraucher, weil wir drücklich mittragen. Dies erkläre ich Herrn Schäuble für
als Koalition vom mündigen Bürger ausgehen und des- unsere Fraktion, aber auch, wie ich glaube, für die Koali-
halb Verbraucherschutz für einen mündigen Bürger or- tion insgesamt. Ich weiß, dass wir uns hiermit einer mas-
ganisieren wollen. Zum Zweiten geht es um die Frage, siven Anstrengung unterziehen; denn dies bedeutet: Wir
wie wir Defizite in der internationalen Finanzmarkt- müssen die Konsolidierung nach der Krise in Angriff
regulierung beseitigen können, damit früher solche nehmen. Dazu sollten wir uns gemeinsam bekennen.
Phänomene erkannt werden können, die zu dieser Krise
Jetzt will ich die Debatte aufgreifen: Brauchen wir
geführt haben, sodass sie sich nicht wiederholen kann.
mehr oder brauchen wir weniger Schulden? Das ist die
Zum Dritten müssen wir überlegen, wie wir nach der
falsche Debatte. Es wäre absolut verrückt, in der Krise
Krise die Eigenkapitalanforderungen an die Finanzinsti-
zu sparen. Da müssen wir die automatischen Stabilisato-
tutionen erhöhen können. Aus meiner Sicht ist dies alles
ren wirken lassen und über die von uns beschlossenen
dringend notwendig. Erst dann können wir über unsere
Konjunkturprogramme versuchen, die wirtschaftliche
Aufgaben in der Haushaltspolitik und der Steuerpolitik
Aktivität zu befördern.
diskutieren. Deshalb möchte ich die Bundesregierung er-
mutigen, die internationalen Aufgaben, aber auch die na- In dem Moment aber, in dem die Krise überwunden
tionalen Hausaufgaben mutig anzupacken. ist, müssen wir den Staat ein Stück weit zurücknehmen
und die Konsolidierung einleiten. Die Kunst wird sein,
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
den richtigen Zeitpunkt zu erkennen. Wir haben und
Wenn wir aus der Krise herauswollen, dann darf die brauchen also keine Debatte über die Frage „Brauchen
Schlussfolgerung nicht sein, dass wir in Zukunft die Fi- wir mehr oder brauchen wir weniger Schulden?“, son-
nanzmärkte überregulieren. Wir brauchen mehr Unter- dern wir müssen ganz klar sagen: Während der Krise las-
nehmensgründungen und mehr Wachstumskapital in sen wir die automatischen Stabilisatoren wirken, und
Deutschland. Deshalb müssen wir die Finanzmärkte so nach der Krise fahren wir eine entschlossene und konse-
organisieren, dass Gründungskapital und Wachstumska- quente Konsolidierungspolitik. Das ist die Strategie, mit
pital zur Verfügung gestellt werden kann, dass kleine der wir an die Aufgabe herangehen.
und mittelständische Unternehmen sich entwickeln und
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
wachsen können.
neten der FDP)
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
(B) Jetzt wird zu Recht gesagt, dass zu einer Konsolidie- (D)
Ferner müssen wir im Zusammenhang mit dem Pro- rungsstrategie Sparen gehört. Ich bin immer für eine
blem der Kapitalknappheit bei mittelständischen Unter- sparsame Haushaltsführung,
nehmen überlegen, wie wir hohe qualitative Standards
(Otto Fricke [FDP]: Aha!)
festschreiben können, sodass Verbriefungen wieder
möglich sind: Ich meine nicht Verbriefungen von Schrott- und ich bin auch der Meinung, dass zu einer Konsolidie-
papieren, sondern Verbriefungen von hochwertigen Mit- rungsstrategie gehört, dass wir schauen, wo wir die Steu-
telstandskrediten aus Deutschland. Unter Zugrundele- ergelder unserer Bürger effizienter einsetzen können.
gung von hohen Qualitätsstandards müsste dies möglich
(Beifall bei Abgeordneten der FDP)
sein, um so die Finanzknappheit im deutschen Mittel-
stand dauerhaft zu überwinden. Da werden wir uns die Strukturen unseres Staates an-
schauen müssen, nicht die einzelnen Haushaltstitel.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
(Otto Fricke [FDP]: Aber die auch!)
Meine Damen und Herren, ich danke dem Bundes-
finanzminister ausdrücklich dafür, dass er in Brüssel ein Wir müssen sehen, ob wir Strukturen schaffen können,
klares Signal an alle Partner in der EU gegeben die effizienter funktionieren, als es heute der Fall ist. Das
ist die Aufgabe, die vor uns liegt.
(Eduard Oswald [CDU/CSU]: Sehr gut!)
Wer jetzt sagt, wir sollten einfach nur sparen, greift zu
und deutlich gemacht hat: Die Bundesrepublik Deutsch-
kurz. Ich erinnere an das Platzen der Dotcom-Blase zu
land bekennt sich zum Maastricht-Vertrag.
Beginn dieses Jahrzehnts. Damals gab es eine Bundesre-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) gierung, die ausschließlich mit Sparen darauf reagiert
hat. Die Folgen waren mehrere Jahre Nullwachstum,
Das ist ein klares Signal an die anderen Mitgliedstaaten,
steigende Arbeitslosigkeit und steigende Haushaltsde-
die damit bei dieser Debatte einen Anker haben. Es ist
fizite. Deshalb ist aus meiner Sicht Sparen zwar zwin-
aber auch ein klares Signal im Hinblick auf die Geld-
gend notwendig, aber es reicht zur Lösung des Problems
wertstabilität unserer gemeinsamen Währung. An dieser
nicht aus; es ist notwendig, aber nicht hinreichend.
Stelle möchte ich sagen: Es wird ja sehr oft ein Wider-
spruch zwischen Haushalts- und Sozialpolitik gesehen. Wir sind der Meinung, dass Sparen durch Investitio-
Meine Einschätzung ist: Geldwertstabilität ist das Fun- nen, Arbeitsplatzpolitik und Wachstumspolitik flankiert
dament jeder Sozialpolitik. Wer Inflation befördert, han- werden muss. Erst mit diesem Gesamtkonzept sind wir
delt in hohem Grad unsozial. Dies wollen wir nicht. in der Lage, die öffentlichen Haushalte zu konsolidieren.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. November 2009 303
Dr. Michael Meister
(A) Deshalb sind wir für Sparen, für Wachstum und für Ar- übergang das riesige Problem, dass wir deutlich machen (C)
beit. müssen, warum hier eine Privilegierung stattfindet. Das
machen wir über die Lohnsummenregel. Ich glaube, ge-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) rade beim Thema Kurzarbeit – wir haben dieses Instru-
Ich unterstreiche ausdrücklich: Wir sind auch der ment gemeinsam eingeführt, weil es den Arbeitsmarkt
Meinung, dass eine Politik für mehr Wachstum und Ar- stabilisiert – muss man bedenken: Wir können es einem
beit nicht im Widerspruch zur Haushaltskonsolidierung Unternehmen im Zusammenhang mit dem Betriebsüber-
steht, sondern sie unterstützt. Deshalb bringt unsere gang an die nächste Generation nicht anlasten, dass es
Fraktion heute das Wachstumsbeschleunigungsgesetz die Bestimmungen zur Kurzarbeit in Anspruch nimmt.
mit ein; denn damit wollen wir einen Beitrag zur Haus-
Ich glaube, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Wir
haltskonsolidierung leisten und vermeiden helfen, dass
werden im Verfahren versuchen, trotz Zeitknappheit eine
Haushaltslücken vergrößert werden.
ordentliche Beratung hinzubekommen. Ich lade alle Kol-
(Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- leginnen und Kollegen in diesem Haus, nicht nur die
NEN]: Das macht ihr aber!) Kollegen der Koalition, zu diesen Beratungen ein und
bitte Sie, etwas für das Land zu tun und nicht immer nur
– Nein, das machen wir nicht. Herr Schäuble hat deutlich an die eigene Partei und die eigene politische Gruppie-
angekündigt, dass es noch vor Weihnachten einen Haus- rung zu denken. Ich freue mich auf die Wahlperiode.
haltsentwurf des neuen Kabinetts geben wird.
Vielen Dank.
(Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Milliardenlöcher reißt ihr!) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Wenn ich es richtig vernommen habe, hat er angekün-
digt, dass in diesem Haushaltsentwurf für 2010 die Net- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
tokreditaufnahme nicht höher liegen soll als im Kabi- Das Wort hat der Kollege Bernd Scheelen von der
nettsentwurf für 2010 vom Juli dieses Jahres. Das heißt, SPD-Fraktion.
wir tun etwas für Wachstumsbeschleunigung und für
mehr Arbeit, ohne die Nettokreditaufnahme zu steigern. (Beifall bei der SPD)
(Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Wo kommt es denn her? Sagt das doch Bernd Scheelen (SPD):
mal!) Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle-
gen! Herr Minister Schäuble, auch ich möchte Ihnen zur
(B) Das ist die richtige Politik, und damit sind wir auf dem Übernahme dieser schweren Aufgabe gratulieren. Im (D)
richtigen Weg. Namen der SPD-Fraktion biete ich Ihnen eine konstruk-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – tive Zusammenarbeit an. Sie sind der vierte Minister,
Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- den ich im Finanzausschuss erlebe. Nicht alle gehörten
NEN]: Und die Gegenfinanzierung bringt der SPD an. Sie haben eine sehr schwere Aufgabe vor
dann das Christkind, oder was?) sich. Sie werden der Minister sein, der im nächsten Jahr
den Haushalt mitzuverantworten hat, der die höchste
Das ist doch keine Umkehr. Wenn ein Unternehmen Neuverschuldung in der Nachkriegsgeschichte auswei-
in der Krise in die Situation geraten ist, dass die Erträge sen wird. Das ist kein persönlicher Vorwurf an Sie, das
sinken und Finanzierungslasten wachsen, kann man das wäre jedem anderen Minister auch so gegangen.
bei den Themen Verlustbesteuerung oder Zinsschranke
nicht einfach ignorieren. Das wirkt sich doch unter den Aber die Frage ist: Wie geht man mit dieser Erkennt-
Rahmenbedingungen geringerer Erträge und höherer Fi- nis vor der Wahl und nach der Wahl um? Dass die Situa-
nanzierungskosten anders aus als in normalen Zeiten. tion so ist, wie ich sie beschrieben habe, war vor der
Wahl klar. Da haben Sie, Union und FDP, Schwarz und
(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Sehr richtig!) Gelb, wissend, dass sich der Haushalt in einer dramati-
Deshalb ist es richtig, dass wir die Wachstumsbremsen, schen Schieflage befindet, den Wählern vorgegaukelt,
die Arbeitsplätze kosten und das Wachstum behindern, man könne noch etwas oben draufpacken, man könne
entfernen, und zwar nicht irgendwann, sondern sehr zeit- Steuersenkungen durchführen, das über Schulden finan-
nah, um damit an die Wirtschaft das Signal zu geben, zieren – und das alles noch auf die 86 Milliarden Euro
dass die Mitarbeiter in den Unternehmen gehalten und obendrauf. Sie schlagen den falschen Weg ein, und das
nicht bei der Bundesagentur für Arbeit auf die Payroll kritisieren wir.
gesetzt werden. Wir werden uns das Recht nehmen, den Finger in die
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Wunde zu legen. Wir werden Sie damit konfrontieren.
der FDP) Denn das, was Sie tun, nämlich Steuersenkungen auf
Pump zu versprechen, treibt die Verschuldung weiter
Ich komme zum Punkt Erbschaftsteuer. Da haben nach oben. Das ist unverantwortlich. Ich finde, das kann
wir dieselbe Situation. Wir alle wollen den Unternehmen man nicht akzeptieren.
die Möglichkeit geben, den Weg in die nächste Genera-
tion zu schaffen, sodass Arbeitsplätze erhalten werden. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
Wir haben im Zusammenhang mit dem Generationen- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
304 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. November 2009

Bernd Scheelen
(A) Ich will noch etwas zu einem Thema sagen, das in der braucht keine Kommission. Im Übrigen hat es mehrere (C)
Regierungserklärung der Bundeskanzlerin nicht vorge- Kommissionen zu diesem Thema gegeben. 2002/2003
kommen ist, nämlich zu der Lage der Kommunen. Die ist die ganze Thematik unter Beteiligung dieses Hohen
Bundeskanzlerin hat uns vorgestern eine Stunde lang Hauses und aller Verbände, die daran ein Interesse ha-
ihre Regierungserklärung vorgetragen. Darin kam das ben, mehrfach diskutiert worden. Man ist auch zu einem
Wort „Kommunen“ ein einziges Mal vor, und zwar in ei- Ergebnis gekommen. Das Ergebnis von 2003 lautete: Es
ner Aufzählung, wie schlimm die Krise für die Haus- bleibt bei der Gewerbesteuer, und sie muss gestärkt wer-
halte von Bund, Ländern und Kommunen sei. Das war den. Danach haben wir in der Großen Koalition in den
die einzige Aussage zur Lage der Kommunen. Es gab in letzten vier Jahren noch stärker, als wir es in der rot-grü-
der Regierungserklärung keine Hinweise darauf, wo die nen Koalition konnten, gehandelt. Wir sind Ihnen noch
Bundesregierung Wege aus der Krise für die Kommunen heute dankbar dafür, dass das ging. Die Gewerbesteuer
sieht. Stattdessen gibt es eine Vielzahl von Hinweisen ist in den letzten vier Jahren gestärkt worden. Aber jetzt
darauf, wie Sie die Krise für die Kommunen noch ver- machen Sie eine Kehrtwendung um 180 Grad und wol-
schärfen wollen. Das werden wir kritisieren. len die Gewerbesteuer abschaffen. Das ist Wortbruch,
und den lassen wir Ihnen nicht durchgehen.
Das bezieht sich im Wesentlichen auf das Problem der
Mittel. Die Steuersenkung, die ich eben angesprochen (Beifall bei der SPD)
habe, spielt beispielsweise eine Rolle. Das, was Sie mit
Zur Frage, wie in der Zukunft die Lasten verschoben
Ihrem „Wachstumsverhinderungsgesetz“ vorlegen, be-
werden: Sie gaukeln den Menschen etwas vor, wenn Sie
lastet Kommunen mit 1,5 Milliarden Euro pro Jahr zu-
ihnen sagen, dass ihnen demnächst mehr Geld in der Ta-
sätzlich und belastet die Länder mit 2,2 Milliarden Euro
sche verbleibt; mehr Netto vom Brutto, behaupten Sie.
zusätzlich. Wer weiß, wie die Länder mit den Kommu-
Das Gegenteil wird der Fall sein: Die Menschen werden
nen umgehen, der weiß auch, dass es für die Kommunen
feststellen, dass sie weniger Netto vom Brutto haben;
nicht bei den minus 1,5 Milliarden Euro bleiben wird.
denn das, was sie möglicherweise weniger an Steuern
Sie werden vielmehr auch durch verminderte Zuweisun-
zahlen, dürfen sie im nächsten Jahr an Abgaben für die
gen und Ähnliches mehr unter dieser Finanzpolitik lei-
sozialen Sicherungssysteme und an kommunalen Abga-
den. Das werden wir deutlich machen. Wir sind an der
ben mehr bezahlen.
Seite der Kommunen.
Ihre Koalition empfiehlt, darüber nachzudenken, ob
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
Kommunen, die jetzt im Rahmen der Daseinsvorsorge
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Britta
von der Mehrwertsteuer befreit sind, zukünftig den
Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
Satz zahlen sollten, den private Unternehmen zahlen
Hoffentlich! – Otto Fricke [FDP]: Wer wäre
(B) müssen. Das würde zum Beispiel bei den Abgaben für (D)
das nicht?)
Müllabfuhr und Abwasser 19 Prozent Mehrwertsteuer
– Ihr nicht, Otto. Ihr seid nicht an der Seite der Kommu- bedeuten. Die Bürgerinnen und Bürger werden anhand
nen, um es ganz deutlich zu sagen. Also die FDP schon des Gebührenbescheides möglicherweise feststellen,
mal nicht; das steht auf alle Fälle fest. dass sie zwar 10 Euro weniger Steuern zahlen, dafür
aber 50 Euro mehr Abgaben. Das ist der falsche Weg.
(Zurufe von der FDP: Doch! Doch!)
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
Das wesentliche Thema ist die Gewerbesteuer.
DIE GRÜNEN – Hans-Michael Goldmann
(Otto Fricke [FDP]: Genau!) [FDP]: Das stimmt aber nicht, was Sie da sa-
gen! Sie können gerne einmal kommen! Ich
Diese Einnahmequelle macht für viele Kommunen fast
kann Ihnen das zeigen!)
die Hälfte ihres Haushaltes aus. Sie ist also wichtig für
die Kommunen, wenn es darum geht, die Erledigung von – Sie müssen den Koalitionsvertrag einmal lesen.
Aufgaben für den Bürger zu finanzieren. Die Kommu-
(Otto Fricke [FDP]: Wer ihn geschrieben hat,
nen verlassen sich auf das, was die Bundeskanzlerin am
muss ihn nicht so häufig lesen wie der, der ihn
13. Mai vor dem Städtetag in Bochum gesagt hat. Sie hat
nicht geschrieben hat!)
wörtlich gesagt: Die Gewerbesteuer bleibt unangetastet. –
Dem könnten wir zustimmen, wenn es denn so bliebe. Ihre Aussagen sind sehr widersprüchlich. Auf der ei-
nen Seite sagen Sie, dass Sie die Daseinsvorsorge nicht
Was Sie heute jedoch vorlegen, ist der erste Wort-
steuerlich belasten wollen. Auf der anderen Seite sagen
bruch. Das werden wir kritisieren.
Sie aber, dass das zum Beispiel im Abfallbereich nicht
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten gelten solle. Was ist denn Daseinsvorsorge, wenn nicht
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) der Abfallbereich? Was soll denn dann noch Daseinsvor-
sorge sein? Das ist ein klassisches Feld der Daseinsvor-
Diesen ersten Wortbruch begehen Sie, indem Sie die
sorge. Da wollen Sie die Bürger belasten, und das ma-
Hinzurechnung bei den Mieten von 65 auf 50 Prozent
chen wir nicht mit.
absenken. Das heißt, die Gewerbesteuer bleibt schon bei
diesem ersten Zugriff nicht unangetastet. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN)
Der zweite Wortbruch in diesem Zusammenhang liegt
in dem Hinweis auf die Einrichtung einer Kommission. Auch zur U-3-Betreuung gibt es im Koalitionsver-
Wer sagt: „Die Gewerbesteuer bleibt unangetastet“, der trag keinen wirklich verwertbaren Hinweis. Sie sagen
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. November 2009 305
Bernd Scheelen
(A) nebulös, dass Sie die Qualität der Ausbildung der Erzie- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten (C)
herinnen und Erzieher verbessern wollen. Wenn Sie dazu der CDU/CSU)
konkrete Schritte vorschlagen, werden Sie uns an Ihrer
Seite haben. Zur Erhöhung der Quantität sagen Sie aber
Otto Fricke (FDP):
nichts. Auch das ist eine Kehrtwende um 180 Grad und
ein Wortbruch; denn wir waren uns eigentlich einig, dass Geschätzter Vizepräsident! Meine lieben Kolleginnen
die Betreuung der unter Dreijährigen, die wir gemein- und Kollegen! Zu Ihrer Pauschalkritik in den letzten Ta-
sam auf die Schiene gesetzt haben, nur ein Anfang sein gen sage ich: Wenn Sie intelligente Kritik anbringen
sollte. Das sollte ausgebaut werden. Dazu findet sich in würden, wäre es ja gut. Aber bei Ihnen ist das doch so:
Ihrer Vereinbarung nichts. Selbst wenn die Kanzlerin und der Vizekanzler über
Wasser laufen könnten, dann würde Ihnen nur einfallen:
Frau von der Leyen ist gerade leider nicht anwesend. Guckt mal, die können nicht schwimmen. So ungefähr
(Otto Fricke [FDP]: Sie ist da! In liberalen ist inzwischen Ihre Kritik an dieser neuen Koalition.
Reihen!) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
– Hallo, Frau von der Leyen! Sie haben in den letzten der CDU/CSU – Joachim Poß [SPD]: Billiger
vier Jahren – das muss man neidlos anerkennen – eine Scherz!)
sehr gute Familienpolitik gemacht.
Eine Analyse der Lage betreiben Sie gar nicht. Das
(Beifall bei der CDU/CSU) hätte ich von Rot-Grün und auch von den Linken ein we-
nig erwartet; von den Linken natürlich weniger. Wie
Ja, die hat sie gemacht. Aber sie konnte diese Familien- sieht denn die Analyse der Lage aus? Die Verschuldung
politik nur mit uns machen. Das ging nur mit der SPD. des Bundes wird dieses Jahr über 1 Billion Euro hinaus-
(Beifall bei der SPD) gehen, und zwar nicht deswegen, weil das die neue
Koalition so gemacht hätte, sondern weil es insbeson-
Sie hat 100 Prozent unserer Familienpolitik umgesetzt. dere eine Hinterlassenschaft von elf Jahren SPD-Regie-
Sie hat geschaut, was in den Schubladen von Renate rung ist. Das darf man doch auch noch einmal deutlich
Schmidt übrig geblieben ist. Wir haben es sehr begrüßt, sagen.
dass Sie das getan haben. Manchmal haben wir das auch
etwas kritisch beäugt, weil Sie das medial sehr gut rüber- (Beifall bei der FDP – Widerspruch bei der
gebracht haben. SPD – Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN]: Das habt ihr schon im Kopf ge-
(Volker Kauder [CDU/CSU]: Neidhammel!) habt, da waren die Koalitionsverhandlungen
(B) (D)
Aber jetzt schweigen Sie. Sie machen eine Kehrt- noch nicht fertig!)
wende um 180 Grad. Über die U-3-Betreuung wird nicht
350 Milliarden Euro Neuverschuldung gab es unter der
mehr geredet. Stattdessen kommt jetzt das Betreuungs-
Regierung der SPD. Die Grünen haben kräftig mitge-
geld, das Sie selbst als Katastrophe bezeichnet haben.
macht.
Ich hätte von Ihnen ein klares Wort erwartet, dass es der
falsche Weg ist, dass es vielmehr Eltern dazu verleitet, Schauen wir uns noch an, welche Verschuldung Sie
ihre Kinder nicht in Einrichtungen zu bringen, und sie uns für die nächsten Jahre mitgegeben haben. Herr Kol-
dafür belohnt, dass ihre Kinder nicht mit anderen ge- lege Scheelen, Sie haben es richtig gesagt: Das hätte je-
meinsam lernen. Das ist der falsche Weg. den getroffen, der als Nächster Finanzminister geworden
(Beifall bei Abgeordneten der SPD) wäre. Aber schauen wir uns die von der SPD mitbe-
schlossene Finanzierungslücke für den Finanzplan der
Wenn Sie uns das nicht glauben, empfehle ich Ihnen nächsten Jahre an. Das sind noch einmal 300 Milliarden
einen Blick in die Zeitungen. Euro, mit denen Sie diese neue Koalition belasten.
(Volker Kauder [CDU/CSU]: Denen glauben (Joachim Poß [SPD]: Das ist eine brennende
wir auch nicht!) Anklage gegen Ihren Koalitionspartner!)
In der Financial Times Deutschland, die nicht gerade im Zusammen sind das 650 Milliarden Euro, für die die
Verdacht steht, uns besonders nahezustehen, liest man: SPD nach gegenwärtigem Stand Verantwortung trägt
„Zusätzliches Kindergeld verfehlt Kinder“. Oder: „Gol- und gegen die wir arbeiten müssen.
dene Zeiten für reiche Eltern“. Das ist die Klientelpoli-
tik, die Sie betreiben, und die werden wir nicht mitma- (Beifall bei der FDP – Alexander Bonde
chen. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das habt ihr
Vielen Dank. vor dem Koalitionsvertrag nicht gewusst, oder
was?)
(Beifall bei der SPD)
Woran liegt denn das? Was ist denn das eigentliche
Problem? Jetzt tun hier alle auf einmal so, als sei das ei-
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: gentliche Problem die Steuersenkungen.
Das Wort hat jetzt der Kollege Otto Fricke von der
FDP-Fraktion. (Zuruf von der LINKEN: Ja, ist doch so!)
306 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. November 2009

Otto Fricke
(A) Das Problem ist die Verschuldung der Vergangenheit, schichtsbüchern stehen –, dass dieser kranke Mann vo- (C)
die man uns hinterlassen hat. Das Problem sind die rangekommen ist.
Schulden der Vergangenheit.
(Zurufe von der SPD: Oh!)
(Beifall des Abg. Hans-Michael Goldmann
[FDP]) Jetzt fallen Sie wieder in die alten Regeln zurück und sa-
gen: Wir sollten nichts verändern, den Finanzplan hin-
Die Steuersenkungen dagegen, meine lieben Kollegin- nehmen und einfach mal schauen, ob es irgendwie geht.
nen und Kollegen von der Opposition, sind ein Teil der Dabei wissen Sie doch ganz genau: Wir werden nur vo-
Lösung. Das einzusehen, sind Sie aber nicht bereit. rankommen, wenn wir Reformen durchführen. Wir müs-
sen der Eisbrecher für Europa sein, der dafür sorgt, dass
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
wir durch diese Krise kommen. Dafür brauchen wir eine
der CDU/CSU)
Steuerreform.
Was müssen wir tun? Wir müssen auf Wachstum set-
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
zen. Wir müssen uns über die Qualität des Wachstums
der CDU/CSU)
unterhalten; das ist gar keine Frage. Wir dürfen nicht an
Wachstum alleine glauben, aber ohne Wachstum werden Herr Minister Schäuble, auch ich beglückwünsche Sie
wir es nicht schaffen. Nun komme ich zum Unterschied in dem Maße, in dem ein Haushälter einen Finanzminis-
zwischen Ihrem Denken und unserem Denken. Wir set- ter zu einem solchen Amt beglückwünschen kann, zu al-
zen beim Wachstum auf den Bürger, auf den Unterneh- ledem, was da noch kommen wird. Sie haben bei Ihrer
mer und damit auf den Markt und nicht auf den Staat, Amtseinführung – ich habe Ihren Worten sehr wohl ge-
der vorgibt, wie Wachstum entstehen soll. Denn das lauscht – sehr klar und präzise gesagt: Ich bringe den
– das hat die Vergangenheit gezeigt – funktioniert nicht. Mitarbeitern des Finanzministeriums Vertrauen entgegen
bis zum Beweis des Gegenteils. – Für die FDP-Fraktion
(Beifall bei der FDP)
gilt im Verhältnis zu unserem Finanzminister genau das
Ich will Ihnen zur Erklärung der aktuellen Situation Gleiche.
noch ein Bild nennen, auch um das für die Zuschauer ein
(Bernd Scheelen [SPD]: Das ist nur vergiftet!
bisschen zu verdeutlichen.
Ein „tolles“ Klima in der Koalition! – Weitere
(Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Okay, wir Zurufe von der SPD: Oh! Oh!)
sind schuld! Was macht ihr?)
Ich bin mir sicher, dass das Gegenteil niemals eintreten
Dieses Land steht vor einem Graben, der durch eine wird.
(B) Finanz- und Wirtschaftskrise entstanden ist. Was ma- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten (D)
chen Sie, wenn Sie vor dem Graben stehen? Die Linken
der CDU/CSU)
sagen erst einmal: Den Graben gibt es gar nicht, das ist
alles Quatsch, und dahinter fließen Milch und Honig. – Zum Schluss zum Steuersystem. Herr Minister
Die Grünen diskutieren erst einmal über die Frage, ob ir- Schäuble, Sie haben gesagt – das ist heute in der Rheini-
gendetwas Schützenswertes in dem Graben ist. Die SPD schen Post zu lesen –, ein grundlegend neues Steuersys-
geht einfach einen Schritt vorwärts und fällt hinein. tem sei nicht Teil der Vereinbarung. Natürlich können
wir in semantischer Hinsicht über das Wort „grundle-
(Heiterkeit und Beifall bei der FDP)
gend“ streiten. Wenn aber in der Koalitionsvereinbarung
Was macht die Koalition? Die Koalition sagt: Wenn man steht, ohne Bedingung und ohne Konjunktiv, dass wir
vor einem Graben steht, dann muss man erst zwei Schritte den Umbau des Steuersystems hin zu einem Stufentarif
zurückgehen und Anlauf nehmen, um darüber zu kom- vornehmen werden,
men. Dies ist nur durch Entlastung der Bürger und der
Unternehmen möglich. Auch deswegen wollen wir diese (Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
Entlastung. NEN]: Sie und Ihr Stufentarif! Was für eine
Geschichte!)
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU) und wenn die Kanzlerin sagt, dass wir ein einfacheres,
niedrigeres und gerechteres Steuersystem wollen, dann
Noch ein weiterer Punkt: Was ist unsere Aufgabe im ist das, jedenfalls für die FDP-Fraktion, ein grundlegend
Rahmen der Finanz- und Wirtschaftspolitik in Europa? neues Steuersystem. Darauf freuen wir uns.
Sie erinnern sich doch bestimmt noch daran, wie von
Deutschland gesprochen wurde: Wir seien der kranke Herzlichen Dank.
Mann, wir seien der große Tanker, den man mitschlep- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
pen müsse. Das haben wir geändert; das sage ich auch der CDU/CSU)
anerkennend in Richtung SPD.
(Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Wann denn?) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat jetzt die Kollegin Dr. Barbara Höll von
Durch Reformen auf dem Arbeitsmarkt, durch Einbrin- der Fraktion Die Linke.
gung von Ansätzen einer Kapitaldeckung im Bereich der
Altersvorsorge und durch vieles andere mehr haben Sie (Beifall bei der LINKEN – Eduard Oswald [CDU/
mit dafür gesorgt – das wird sicherlich einmal in den Ge- CSU]: Jetzt kommt Klassenkampf!)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. November 2009 307

(A) Dr. Barbara Höll (DIE LINKE): (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- (C)
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE
Herr Fricke, Sie beklagen als Erstes das Erbe von GRÜNEN)
Schwarz-Rot: die hohen Schulden. Was aber ist Ihre Den Skandal, dass dem Staat nicht alle Kinder gleich
erste Gesetzesinitiative? Sie treiben die Schulden weiter viel wert sind, gehen Sie überhaupt nicht an, sondern
nach oben.
verschärfen ihn sogar noch. Das Kindergeld erhöhen
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Sie um nur 20 Euro pro Monat. Wer aufgrund seines ho-
hen Einkommens den Kinderfreibetrag ausnutzen
Das Ganze nennen Sie dann Wachstumsbeschleuni- kann, wird von Ihnen weitaus großzügiger bedacht.
gungsgesetz und Konjunkturpaket III. So verkaufen Sie Knapp 37 Euro pro Monat sind für die Bezieher entspre-
Ihre eiligst zusammengeschusterte erste Initiative. Das chend hoher Einkommen drin, fast doppelt so viel wie
ist von vorn bis hinten Etikettenschwindel. für einen Kindergeldempfänger.
(Beifall bei der LINKEN) (Norbert Barthle [CDU/CSU]: Auch Sie müss-
ten es doch irgendwann einmal begriffen ha-
Konjunkturpolitisch ist dieses Gesetz nahezu wir- ben!)
kungslos. Führende Wirtschaftsinstitute, zum Beispiel
das Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsfor- Die große Mehrheit der Kinder erhält allerdings nur Kin-
schung, sehen keinerlei Anlass, ihre Konjunkturprogno- dergeld; laut der Einkommensteuerstatistik 2001 waren
sen für 2010 deswegen zu korrigieren. Ich zitiere ferner es 86 Prozent. Wer gar Hartz IV oder Sozialhilfe bezieht,
Joachim Scheide, den Konjunkturchef des Kieler Insti- geht völlig leer aus.
tuts für Weltwirtschaft. Er sagt:
(Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Skandal!)
Die von der Bundesregierung beschlossenen Maß-
nahmen sind vor allem Sozialtransfers und Subven- Das ist ein riesengroßer Skandal.
tionen. Das ist nicht das, was wir Ökonomen als Herr Schäuble, ich sage Ihnen ganz deutlich: Sie er-
Wachstumspolitik bezeichnen. höhen das Kindergeld für die Kinder von Millionären
um 37 Euro pro Monat, Sie erhöhen das Kindergeld zum
Der Gipfel der Dreistigkeit ist, dass die Sozialtrans-
Beispiel für die Kinder einer Lehrerin um 20 Euro pro
fers und Subventionen zum allergrößten Teil an Reiche,
Monat, aber eine arbeitslose alleinerziehende Mutter be-
Vermögende und große Unternehmen gehen werden.
kommt null Komma nichts. Das haben Sie eben „sozial
(Beifall bei der LINKEN) ausgewogene Politik“ genannt. Wo leben Sie denn? Was
(B) haben Sie denn für christliche Vorstellungen? (D)
Die große Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger und der
kleinen und mittleren Unternehmen wird tatsächlich mit (Beifall bei der LINKEN)
Almosen abgespeist oder geht gänzlich leer aus. Statt Die großen Unternehmen dagegen werden durch Ih-
Wachstum beschleunigen Sie damit nur die Spaltung ren Gesetzentwurf mit Steuergeschenken in Höhe von
zwischen Arm und Reich. 2,4 Milliarden Euro bedacht. Damit knüpfen Sie nahtlos
(Beifall bei der LINKEN) an die Politik von Rot-Grün und der Großen Koalition
an. Große Unternehmen werden seit zehn Jahren immer
Skandalös ist, wie eilig Sie es mit dieser Umvertei- mehr aus der Steuerpflicht entlassen. Allein die Senkung
lung von unten nach oben haben. Reiche, Vermögende der Körperschaftsteuer im Rahmen der Unternehmen-
und große Unternehmen schlagen sich angesichts dieses steuerreform 2008 entlastete die großen Unternehmen
Eifers der schwarz-gelben Koalition auf die Schenkel. um über 10 Milliarden Euro. Nun werden selbst die we-
Zudem bekannte sich die Bundeskanzlerin am Dienstag nigen Maßnahmen, die zur Gegenfinanzierung dieser
dieser Woche auch noch ausdrücklich zur Einführung ei- Unternehmensteuerreform verabschiedet wurden, von
nes Stufentarifs bei der Einkommensteuer. Ihnen aufgeweicht oder abgeschafft. So werden die Ver-
lust- und Zinsabzugsbeschränkungen entschärft, was
(Volker Kauder [CDU/CSU]: Ja! Darüber hat zu Steuervermeidung und Steuerhinterziehung geradezu
sich die FDP sehr gefreut!) einlädt. Zur Erinnerung: Die Zinsschranke sollte verhin-
Wie auch immer er gestaltet ist, die Besserverdienenden dern, dass Konzerne zwecks Steuerersparnis die Verluste
dürften schon heute Eurozeichen in den Augen haben. im Inland geltend machen und die Gewinne ins Ausland
transferieren.
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)
Die Höhe der alten Zinsschranke beträgt 1 Million
Was ist mit der Gegenfinanzierung? Herr Solms, mit Euro. Laut Schätzung des DIW waren von den 3,5 Mil-
Verlaub: Gestern verwiesen Sie hier allen Ernstes auf die lionen Unternehmen in der Bundesrepublik Deutschland
sogenannte Laffer-Kurve. Ich glaube, Sie sind mittler- nur etwa 1 000 – das sind nicht einmal 0,03 Prozent –
weile der Letzte, der noch glaubt, dass sich Steuersen- von der Zinsschranke betroffen. Jetzt soll die Zins-
kungen im Zeitablauf selber finanzieren. Das ist so über- schranke bei 3 Millionen Euro dauerhaft bleiben. Dann
holt, dass sogar im Gabler Wirtschaftslexikon, dem sind noch viel weniger Unternehmen von der Zins-
deutschsprachigen Standard-Wirtschaftslexikon, steht schranke betroffen. Und das nennen Sie Entlastung für
– ich zitiere –: „Die Realität hat dies widerlegt.“ kleine und mittelständische Unternehmen? Das ist ab-
308 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. November 2009

Dr. Barbara Höll


(A) surd; diese Unternehmen haben doch überhaupt nichts Herr Bundesminister Norbert Röttgen hat gestern (C)
davon. gleich zu Beginn seiner Ausführungen deutlich gemacht,
dass Wirtschaftskrise und ökologische Krise in einer en-
(Beifall bei der LINKEN) gen Verbindung stehen. Er hat einen sehr richtigen Satz
Zudem sollen die großen Unternehmen jetzt auch noch gesagt: Nur mit Innovationen und Nachhaltigkeit können
die Möglichkeit bekommen, Zinsaufwendungen über wir die neuen Märkte entwickeln, können wir die Krise
überwinden.
fünf Jahre so zu verrechnen, dass sie noch weniger Steu-
ern zahlen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU –
Die Erbschaftsteuer höhlen Sie weiter aus. Dabei Eduard Oswald [CDU/CSU]: Bis hierhin stim-
wäre gerade die Erbschaftsteuer ein zentrales Instrument men wir überein!)
für steuerliche Mehreinnahmen und für mehr Gerechtig-
keit. Auf diesem Wege könnte man erreichen, dass auch – Jetzt hören Sie einmal zu! – Innovation und Nachhal-
die Vermögenden ihren Beitrag zur Bezahlung der Zeche tigkeit: Finden wir hierfür wirklich Substanz in Ihrem
für die Krise leisten. Doch das wollen Sie nicht, da Koalitionsvertrag?
trauen Sie sich nicht ran. Wenn wir eine hohe Verschul- (Eduard Oswald [CDU/CSU]: Von der ersten
dung haben, brauchen wir doch Instrumente, um das bis zur letzten Seite! – Kerstin Andreae
Steueraufkommen zielgerichtet wieder zu steigern. Ver- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nichts!)
mögensteuer als Millionärsteuer, Börsenumsatzsteuer,
Erbschaftsteuerreform – von all dem lassen Sie die Fin- Wirkt so das Wachstumsbeschleunigungsgesetz? Das
ger, weil Sie sich da in Ihrer Klientelpolitik nicht heran- Credo des Bundeswirtschaftsministers in seinem überaus
trauen. kurzen und nicht gerade von Inhaltsschwere gekenn-
zeichneten Vortrag war,
(Beifall bei der LINKEN)
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Alles in allem muss man sagen: Schwarz-Gelb bleibt sowie bei Abgeordneten der SPD)
seinem Ruf treu. Die Reichen sollen ungestört reicher der Schlüssel zum Wachstum liege in der Steuerpolitik.
werden, der Rest zählt nicht; soll er doch sehen, wo er Schauen wir uns doch einmal Ihre steuerpolitischen De-
bleibt. Ich sage Ihnen: Mit uns nicht. tails anhand einiger Beispiele an.
Herr Schäuble, Sie treiben die Staatsverschuldung in (Volker Kauder [CDU/CSU]: Okay!)
schwindelerregende Höhen – auf Kosten der Länder, der
Kommunen und der Mehrheit der Bevölkerung. Wir Abmilderung der Zinsschranke: Im Prinzip ist das
(B) eine richtige Entscheidung. (D)
werden Ihnen weiter aufzeigen, wo und wie Sie Geld
einnehmen können, um mehr soziale Gerechtigkeit zu (Eduard Oswald [CDU/CSU]: Eben! – Volker
erzielen. Wir lassen Sie da nicht in Ruhe; das verspreche Kauder [CDU/CSU]: Sehr gut!)
ich Ihnen von dieser Stelle aus. Was es mit Ihrer Auffas-
sung von sozial ausgewogen auf sich hat, werden wir Gerade in Zeiten mit zusätzlichem Fremdkapitalbedarf
hier weiter entlarven. müssen wir weg von einer Substanzbesteuerung. Aber
ohne Gegenfinanzierung entziehen Sie den Kommunen
Ich danke Ihnen. damit das Geld, das gerade die Kommunen für eine
nachhaltige Bildungspolitik und für die energetische Sa-
(Beifall bei der LINKEN) nierung kommunaler Gebäude so dringend brauchen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Ich bin Stadtrat in Landshut. Am Dienstag fand die
Dr. Thomas Gambke von Bündnis 90/Die Grünen. erste Verhandlung über den nächsten Haushalt statt.
(Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: Hatten
Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Sie Zeit für die Sitzung, Herr Kollege?)
NEN): Der Kämmerer hat seinen Offenbarungseid für die Jahre
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten 2011 und 2012 schon angekündigt.
Damen und Herren! Dies ist meine erste Rede vor die-
sem Hohen Haus. Bitte gestatten Sie mir deshalb, gleich- Die Zahlen in der Bundesrepublik sind schon erschre-
sam als eine kurze Vorstellung, mit einer persönlichen ckend. Den deutschen Kommunen fehlen bei der Gewer-
Bemerkung anzufangen: Ich bin vor vier Jahren in die besteuer in diesem Jahr voraussichtlich 7,4 Milliarden
Politik gegangen, nach mehr als 20 Jahren Tätigkeit für Euro – das sind 18 Prozent von den bisherigen 41 Mil-
einen internationalen Technologiekonzern. 15 Jahre da- liarden Euro –, und da kommen Sie mit Gesetzentwür-
von habe ich ein internationales Geschäft aufgebaut. fen, durch die die Kommunen noch einmal erheblich be-
lastet werden! Damit werden Sie Ihrer Verantwortung
Eine Erfahrung habe ich dabei gemacht, die immer wie-
für das gesamte Gemeinwesen dieser Republik in keins-
der bestätigt worden ist: Wer ein erfolgreiches Geschäft
ter Weise gerecht.
aufbauen will, der muss die Märkte kennen und zielge-
richtet die in diesen Märkten nachgefragten Produkte (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
entwickeln, produzieren und vertreiben. sowie bei Abgeordneten der SPD)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. November 2009 309
Dr. Thomas Gambke
(A) Ermäßigter Mehrwertsteuersatz für Übernachtun- Jetzt wissen wir, wie sich Schwarz-Gelb einen Stufenta- (C)
gen: Wachstumsimpuls? – Fehlanzeige! Soziale oder rif vorstellt. Dieser ist aber alles andere als gerecht und
ökologische Lenkungswirkung? – Fehlanzeige! Steuer- keinesfalls sozial.
vereinfachung? – Fehlanzeige! Im Gegenteil: Das Steu-
ersystem wird komplizierter. Ich bin gespannt auf die (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Darstellung des zusätzlichen Bürokratieaufwandes bei sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN-
der Abrechnung der Reise- und Bewirtungsrechnungen. KEN)

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Meine Damen und Herren, wir fordern die Bundesre-
sowie bei Abgeordneten der SPD) gierung auf, das Wachstumsbeschleunigungsgesetz mit
der Klientelpolitik und den ordnungspolitisch unsinni-
Die Steuerung der Konjunktur durch die Mehrwertsteuer gen Steuerregelungen schnellstmöglich zurückzuziehen.
ist schlicht Unsinn. Dieser Gesetzentwurf ist nicht nach- Stattdessen wollen wir das Kindergeld für Kinder, die in
haltig, er hat keine konjunkturelle Wirkung, und er ist Bedarfsgemeinschaften leben, um 20 Euro erhöhen.
ordnungspolitisch kontraproduktiv. Dies wäre unmittelbar wirksam für die Konjunktur. Es
würde die Haushalte weit weniger belasten als die teuren
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Steuergeschenke, die Sie vorhaben, und es wäre vor al-
und bei der SPD)
lem ein Schritt in Richtung von mehr sozialer Gerechtig-
In Ihrem Koalitionsvertrag beschreiben Sie richtiger- keit.
weise Handlungsbedarf beim ermäßigten Mehrwertsteu-
ersatz. Wenn Sie da herangehen wollen, brauchen Sie Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
aber klare Grundsätze; sonst landen Sie da, wo Sie heute (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
schon sind und wo Sie mit der vorgeschlagenen Rege- sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN-
lung noch tiefer hineinkommen: in einem Wirrwarr von KEN)
Regelungen, das von einzelnen Lobbygruppen bestimmt
wird. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Herr Kollege Gambke, ich darf Ihnen im Namen des
ganzen Hauses zur Ihrer ersten Rede im Deutschen Bun-
Zum Schluss eine Bemerkung zum Stufentarif. Sie
destag gratulieren. Herzlichen Glückwunsch!
haben uns jetzt ja einen ganz bunten Strauß an Vorge-
hensweisen vorgestellt. Die FDP sagt, er komme. In dem (Beifall)
Koalitionsvertrag steht ganz präzise, er solle möglichst
zum 1. Januar 2011 in Kraft treten. Der Finanzminister Nächster Redner ist der Kollege Bartholomäus Kalb
(B) von der CDU/CSU-Fraktion. (D)
sagt: Er kommt nicht in der nächsten Legislaturperio-
de. – Frau Merkel sagt in ihrer Regierungserklärung, (Beifall bei der CDU/CSU)
dass er kommt, schweigt sich aber über die Details aus.
(Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Selektive Bartholomäus Kalb (CDU/CSU):
Wahrnehmung, Herr Kollege!) Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Die Haushalts-, Finanz- und Steuerpolitik wird
Ich kann nur eines sagen: Wenn Sie sich des Problems zweifellos das zentrale Themenfeld der Politik in dieser
der kalten Progression wirklich annehmen wollen, dann Legislaturperiode sein. Schon in den letzten 15 Monaten
verbauen Sie sich gerade mit dem vorgelegten Wachs-
hat uns die Haushalts- und Finanzpolitik in besonderer
tumsbeschleunigungsgesetz und den daraus resultieren- Weise beschäftigt. Ich denke dabei an die Maßnahmen
den Belastungen für die Haushalte die Möglichkeit, zur Finanzmarktstabilisierung, zur Stützung der Kon-
irgendetwas in Richtung einer gerechteren Einkommen-
junktur und zur Abwendung der schlimmen Folgen der
steuer zu tun. Sie werden so nichts erreichen. Wirtschaftskrise. Hier haben Regierung und Parlament
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auch in den zurückliegenden Monaten ein Höchstmaß an
sowie bei Abgeordneten der SPD) Verantwortungsbewusstsein an den Tag gelegt und ent-
sprechend gehandelt. Man würde sich wünschen, dass so
Übrigens sehe ich in Ihrem Wachstumsbeschleuni- manche Akteure auf dem Finanzmarktsektor zumindest
gungsgesetz durchaus schon einen Stufentarif, nur in ei- jetzt Konsequenzen zögen und in ähnlicher Weise bereit
ner vollkommen falschen und unsozialen Art. Ich meine wären, verantwortungsbewusst zu handeln, um Gefahren
die soziale Schieflage bei der vorgeschlagenen Anhe- und solche Ereignisse, wie wir sie erlebt haben, für die
bung des Kinderfreibetrages und des Kindergeldes. Zukunft abzuwehren.
1,8 Millionen Kinder, die in Bedarfsgemeinschaften le-
ben, erhalten nichts. Kinder in Familien mit mittlerem (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU so-
Einkommen erhalten monatlich zusätzlich 20 Euro, und wie der Abg. Miriam Gruß [FDP])
mit der Anhebung des Kindergeldfreibetrages erhalten
Jetzt geht es darum, dass die erkennbaren wirtschaftli-
Kinder in wohlhabenden Familien zusätzlich rund
chen Erholungstendenzen gestützt werden und dass wir
40 Euro im Monat.
die Wachstumskräfte, die sich zeigen, stärken. Wir müs-
(Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: Sie sen jetzt alles daransetzen, dass die Kriterien des euro-
erhalten gar nichts! Sie müssen weniger zah- päischen Stabilitätspaktes und die Vorschriften unseres
len!) Grundgesetzes zur Schuldenbegrenzung so bald wie
310 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. November 2009

Bartholomäus Kalb
(A) möglich eingehalten werden. Deswegen sind wir Bun- Hier geht es um die Sicherung der Zukunft unseres Lan- (C)
desminister Schäuble sehr dankbar, dass er in Brüssel des und aller Generationen.
deutlich gemacht hat, dass spätestens ab 2013 die Krite-
rien des Europäischen Stabilitäts- und Wachstums- Ich finde es ganz schlimm, dass Sie, sehr verehrter
paktes eingehalten werden. Herr Kollege Scheelen, genauso wie andere Kollegen
sowie die Financial Times sofort die Dinge auf den Kopf
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – stellen und unterstellt wird, das Geld komme nicht bei
Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- den Familien und insbesondere bei den Kindern an. Ich
NEN]: Sagen Sie mal was dazu, wie!) wehre mich dagegen, immer nur die Problemfälle und
nicht die ganz normalen Familien und Eltern im Blick zu
Ich denke, das steht auch uns Deutschen in besonderer
haben,
Weise gut an; denn wir waren es, oder, genauer gesagt,
der damalige deutsche Finanzminister Theo Waigel war (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
es, der den Stabilitäts- und Wachstumspakt in Europa Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
konzipiert hat. NEN]: Ab wie viel Einkommen ist man bei Ih-
(Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- nen normal?)
NEN]: Er war der Rekordhalter der Verschul- die jeden Tag versuchen, ihrer Verantwortung gerecht zu
dung! Das verdoppelt ihr jetzt!) werden und mit dem Geld, das sie einnehmen, auszu-
Ich füge hinzu: Die Bürger erwarten von uns zuallererst kommen, die arbeiten und solide wirtschaften und ihrem
– noch vor der Frage der Steuersenkungen und der Leis- Erziehungsauftrag gerecht werden.
tungsausweitungen –, dass wir alles tun, um Inflations- (Beifall bei der CDU/CSU – Eduard Oswald
gefahren abzuwehren und sicherzustellen, dass unsere [CDU/CSU]: Das musste einmal gesagt wer-
Währung stabil bleibt. den!)
Wir haben jetzt eine total veränderte Situation. Die
Natürlich weiß ich als Kommunalpolitiker, dass es auch
demografische Entwicklung, die voranschreitende Glo-
Problemfälle gibt. Auf diese müssen wir achten. Aber
balisierung, die weltweit arbeitsteilige Wirtschaft und
wir dürfen nicht die ganz große Mehrheit der Eltern und
die Folgen der Wirtschafts- und Finanzkrise werden uns
der Familien entmutigen, entmündigen, sie der Verant-
vor völlig neue Herausforderungen stellen. Dadurch
wortung berauben und bevormunden. Wir müssen ihnen
wird sich auch die Frage der Wettbewerbsfähigkeit der
bei der Erfüllung ihrer Aufgaben Mut machen. Unsere
Bundesrepublik Deutschland neu stellen. Es ist wichtig,
Politik leistet einen Beitrag dazu.
(B) zu erkennen, dass unter dem Begriff Wettbewerbsfähig- (D)
keit nicht mehr nur die Wettbewerbsfähigkeit der Pro- (Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
dukte gesehen werden muss, sondern dass es auch einen NEN]: 1,8 Millionen Kinder kriegen gar nichts
Wettbewerb um qualifizierte Mitarbeiter geben wird. bei Ihnen!)
Deshalb kommt der Haushalts-, Finanz- und Steuerpoli-
tik eine immer größere Bedeutung im Hinblick auf die Da viel Falsches zum Kindergeld und zum Kinder-
dauerhafte Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit Deutsch- freibetrag gesagt wurde, will ich daran erinnern, dass das
lands zu. Haushalts-, Finanz- und Steuerpolitik werden Bundesverfassungsgericht in den 90er-Jahren zu Recht
zum zentralen Schlüssel für die Sicherung von Wettbe- entschieden hat, dass nicht jener Anteil des Einkommens
werbsfähigkeit und Wohlstand für die Menschen in un- besteuert werden darf, den andere, die nur von Transfer-
serem Land. einkommen leben, steuerfrei bekommen, und dass die
Besteuerung erst ab der Grenze des Existenzminimums
(Beifall bei der CDU/CSU) einsetzen darf. Das ist der Hintergrund für die Anhebung
Mit dem Wachstumsbeschleunigungsgesetz setzen des Steuerfreibetrages.
wir das um, was wir zugesagt und worauf wir uns in der Natürlich fragt man sich, wenn man Kinder hat, ob
Koalition verständigt haben. Wir senden ein klares Zei- man selber dem Erziehungsauftrag gerecht wird. Ich
chen an Wirtschaft und Bürger, damit sie wissen, woran halte es hier mit dem Grundgesetz. In Art. 6 Abs. 2 des
sie sind, worauf sie sich einstellen müssen und worauf Grundgesetzes steht:
sie sich verlassen können. Es handelt sich also um ein
Zeichen der Verlässlichkeit, das Vertrauen schafft. Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürli-
che Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen ob-
Der größte Posten ist – darauf wurde vorhin abgezielt –
liegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die
die Erhöhung des Kindergeldes und des Kinderfrei-
staatliche Gemeinschaft.
betrages. Ich gebe offen zu, dass man als Haushälter
zweimal durchatmet, wenn man die finanzielle Dimen- So ist es, und nicht umgekehrt.
sion sieht. Aber die Koalition wollte hier bewusst ein fa-
milienpolitisches Zeichen zur Stärkung der Familien set-
zen. Die Bedeutung der Familien ist vorhin zum Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Ausdruck gebracht worden. Herr Kollege Kalb, bitte kommen Sie zum Schluss.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (Abg. Dr. Barbara Hendricks [SPD] meldet
neten der FDP) sich zu einer Zwischenfrage)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. November 2009 311

(A) Bartholomäus Kalb (CDU/CSU): nister Schäuble, ich hätte mir gewünscht, Sie hätten für (C)
Es tut mir leid, Frau Kollegin. Ich hätte Ihre Zwi- ein bisschen mehr Klarheit gesorgt und gesagt, worüber
schenfrage gern noch zugelassen. wir hier überhaupt reden. Sie haben keinerlei Zahlen ge-
nannt oder erklärt, vor welchen Aufgaben unser Land
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: steht. Wir haben erlebt, dass Herr Fricke die Schuld für
Herr Kollege Kalb, Ihre Redezeit ist abgelaufen. die ganze Last, die Sie nun als Koalition zu tragen haben,
der SPD aufbürden will. Sei es drum, lieber Otto. Du bist
dabei ja noch nicht einmal rot geworden.
Bartholomäus Kalb (CDU/CSU):
Herzlichen Dank. (Otto Fricke [FDP]: Ich bleibe blau-gelb! –
Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Jetzt wird
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – er aber rot!)
Eduard Oswald [CDU/CSU]: Die Legislatur-
periode ist noch lang!) Wir befinden uns in der Situation, dass die öffentli-
chen Haushalte extrem angespannt sind. Wir haben vom
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Finanzminister ein Bekenntnis zur europäischen Verfas-
sung, zu den Stabilitätskriterien und zum Grundgesetz
Frau Kollegin Hendricks zur Kurzintervention, bitte
gehört. Es wäre ja noch schöner, wenn Sie das nicht ge-
schön.
macht hätten. Sie haben aber keinen Ton dazu gesagt,
wie Sie das Finanzierungsdefizit zurückführen wollen.
Dr. Barbara Hendricks (SPD): Dazu kam kein Vorschlag, keine Ankündigung.
Herr Kollege Kalb, ich möchte Sie und das Hohe
Haus darauf aufmerksam machen, dass die Begründung Ich will Ihnen einmal die Zahlen nennen. Neben dem,
für die Anhebung des Kinderfreibetrages nicht das Exis- was in der mittelfristigen Finanzplanung schon beschlos-
tenzminimum ist. Es gibt nämlich keinen neuen Exis- sen wurde, was also die Vorgabe für die Kreditaufnahme
tenzminimumsbericht. Wenn Ihre Begründung tatsächlich ist, ist im Finanzplanungszeitraum noch eine Globale
zuträfe, müssten Sie unmittelbar die Transferleistungs- Minderausgabe von insgesamt 40 Milliarden Euro ein-
sätze für Kinder erhöhen; denn dann wäre das Existenz- geplant. Dieses Geld müssen Sie aufbringen. Sie haben
minimum für die Betreffenden nicht mehr abgedeckt. in Ihren Koalitionsverhandlungen nicht beschlossen, wie
Ihre Begründung ist einfach falsch und nicht zutreffend. Sie diese Lücke decken. Sie haben vielmehr beschlos-
sen, diese Lücke zu vergrößern, nämlich um noch einmal
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ 38 Milliarden Euro. Das macht zusammen etwa 80 Mil-
DIE GRÜNEN) liarden Euro in vier Jahren. Nicht schlecht! Ich frage
(B) mich nur: Wie wollen Sie dies abtragen? (D)
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Wie kann man sich dieser Notwendigkeit zu Beginn
Wollen Sie erwidern, Herr Kollege Kalb? – Bitte einer Koalition nicht stellen und stattdessen mit Schat-
schön. tenhaushalten arbeiten, obwohl doch alles auf den Tisch
gehört? In der FAZ war richtigerweise von „Schwarz-
Bartholomäus Kalb (CDU/CSU): Geld“ die Rede. Von diesem Schwarzgeld hört man zwar
Frau Kollegin Hendricks, das trifft momentan zu. Ich nichts mehr, aber das steht immer noch im Koalitions-
habe aber gesagt, dass diese Koalition bewusst einen fa- vertrag. Jetzt ist es an der Zeit, die Fakten auf den Tisch
milienpolitischen Akzent setzen will. Unabhängig davon zu legen, Maßnahmen zu besprechen, sie durchzusetzen
habe ich den Hintergrund für die Existenz des Kinder- und der Bevölkerung zu erklären. All das tun Sie nicht.
freibetrages dargelegt, nämlich die Entscheidung des Ich wünsche Ihnen viel Erfolg in Ihrem Amt. Ich glaube
Bundesverfassungsgerichtes. aber, dass Sie Ihrer Aufgabe auf dieser Grundlage nicht
(Dr. Barbara Hendricks [SPD]: Aber nicht in gewachsen sein werden.
der Höhe!) (Beifall bei der SPD)
Nicht mehr und nicht weniger habe ich gesagt. Die Frage ist: Wer wird die Zeche bezahlen? Alles,
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – was Sie bisher vorlegen, führt zu neuen Schulden. Ich
Eduard Oswald [CDU/CSU]: Genau so hat er will Ihnen nicht den Titel des Schuldenkönigs anhängen.
es gesagt!) Neue Schulden hätte es so oder so gegeben. Die FDP
war ja immer für ein Verbot von Schulden. Ich frage
mich, wie Sie das hätten durchsetzen wollen. Sie haben
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: immer viel gefordert und jedes Jahr ein Buch mit Ein-
Das Wort hat jetzt der Kollege Carsten Schneider von sparvorschlägen vorgelegt, das Liberale Sparbuch.
der SPD-Fraktion.
(Otto Fricke [FDP]: Macht ihr das jetzt?)
(Beifall bei der SPD)
Herr de Maizière hat im Fernsehen während der Koali-
tionsverhandlungen gesagt: Die FDP hat diese Vor-
Carsten Schneider (Erfurt) (SPD):
schläge in die Verhandlungen noch nicht einmal einge-
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
bracht.
sind hier in der neuen Legislaturperiode in der Debatte im
Anschluss an die Regierungserklärung. Herr Bundesmi- (Joachim Poß [SPD]: Hört! Hört!)
312 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. November 2009

Carsten Schneider (Erfurt)


(A) Ich habe einmal in dieses Buch hineingeschaut, um zu bei dieser Annahme kommen Sie noch auf eine Kredit- (C)
sehen, was drinsteht. aufnahme von über 300 Milliarden Euro. Heute Morgen
haben wir gehört, dass das Potenzialwachstum sinkt.
(Bernd Scheelen [SPD]: Das war ein Telefon- Wie hoch ist denn das Potenzialwachstum in Deutsch-
buch! Da war gar nichts drin!) land derzeit? Es liegt unter 2 Prozent, und es sinkt noch,
Da steht, dass Sie die Zahl der beamteten Staatssekretäre wie Herr Schäuble gesagt hat. Wie wollen Sie eine
verringern wollen. In Ihren Ressorts finden sich acht sol- Wachstumswirkung erreichen, wenn Sie auf Steuerein-
cher Stellen. Sie haben sie alle besetzt. Herr Westerwelle nahmen aus rein ideologischen Gründen verzichten?
hat darüber hinaus den dritten Posten eines Staatssekre- Sie konterkarieren die Konjunkturmaßnahmen, die
tärs im Auswärtigen Amt zur Koordinierung der Minis- wir mit dem Programm zur Stärkung der Infrastruktur in
ter geschaffen. den Städten und Gemeinden ergriffen haben. Sie entzie-
(Otto Fricke [FDP]: Der stammt von Herrn hen ihnen jetzt durch den ermäßigten Mehrwertsteuer-
Steinmeier!) satz für Hotels das Geld. Die Länder sprechen von
4 Milliarden Euro. Das hat Herr Schäuble auch noch be-
– Natürlich, das gebe ich zu. Aber was war die Forde- gründen wollen. Er hätte besser dazu geschwiegen. Er
rung? Abschaffen! Weg damit! Das brauchen wir nicht! – sprach von Wettbewerb. Der ermäßigte Mehrwertsteuer-
Was macht Herr Westerwelle? Er besetzt diesen Posten satz gilt für die Bereiche Kultur und Soziales und schafft
mit seinem FDP-Büroleiter. So viel ist von Ihren Einspa- einen Ausgleich. Das ist auch in Ordnung. Aber damit
rungen übrig geblieben. Herzlichen Glückwunsch! Hotelbetriebe im internationalen Maßstab wieder wett-
bewerbsfähiger werden? Meine Damen und Herren, das
(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem ist lächerlich, das ist grotesk. Streichen Sie das!
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
Darüber hinaus wollten Sie immer das Entwick- DIE GRÜNEN)
lungshilfeministerium abschaffen. Ich gebe zu, für
diese Forderung hatte ich sogar Sympathie. Sie wollten Schauen Sie auf die Homepage der Bundeskanzlerin.
die Aufgaben dieses Ministeriums ins Auswärtigen Amt Da steht – Zitat –: Steuerermäßigungen führen nicht au-
integrieren. Jetzt sind Sie mit an der Regierung. Was ma- tomatisch zu Preissenkungen. – Das wäre ein Argument;
chen Sie? Es bleibt dabei: Es gibt einen neuen Minister. aber nicht einmal das fordern Sie von den Hotelketten
Herr Niebel wird entsorgt. Herzlichen Glückwunsch, und deren Investoren. Dies ist einfach nur ein Wahlge-
liebe FDP. schenk, das mit 4 Milliarden Euro dauerhaften Minder-
einnahmen bezahlt wird.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
(B) DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der (Ute Kumpf [SPD]: Wie viele Freinächte sind (D)
LINKEN – Miriam Gruß [FDP]: Wir entsor- dafür gewährt worden?)
gen niemanden! – Otto Fricke [FDP]: Wir Ich fordere Sie auf: Zahlen Sie wenigstens die Zinskos-
würden nie Menschen entsorgen!) ten an den Bund aus Ihren Parteikassen zurück! Es scha-
Und wie wollen Sie aus der Krise herauskommen? det nichts, wenn Sie ein paar Blättchen weniger drucken.
Außer Sonntagsreden, in denen Sie zusagen, keine neuen (Beifall bei der SPD)
Schulden zu machen und die Zukunft der Kinder nicht
zu belasten, kommt nichts. Herr Fricke, Sie haben immer Wir werden eine Haushaltspolitik machen, die Sub-
gesagt: Kinder können auf Schuldentürmen nicht spie- stanz hat und auf Konsolidierung abzielt. Wir werden
len. keine Voodoo-Ökonomie betreiben, sondern für uns gilt:
Die öffentlichen Haushalte müssen stark bleiben. Wir
(Otto Fricke [FDP]: Schuldenberge!) brauchen einen Staat, der finanzkräftig ist und der nicht
Ihrer puren Ideologie des schwachen Staates anheimfällt.
– Schuldenberge. – Das hat eine gewisse Logik. Jetzt be-
schließen Sie die Erhöhung des Steuerfreibetrages für Es wird sich die Frage stellen, wer wirklich die Zeche
Kinder. Man kann im Einzelnen darüber reden. Aber wo zahlt. Ich vermute, Ihre politische Strategie ist, irgend-
ist die Gegenfinanzierung? Wächst dadurch die Kredit- wie über die NRW-Wahl zu kommen, weil die wichtig
aufnahme des Bundes, oder sinkt sie? Sie wächst. ist, und mit dem Haushalt 2011 beginnen Sie dann. Die
Frage ist: Wer zahlt es dann? Steuererhöhungen haben
(Otto Fricke [FDP]: Erst einmal ja!) Sie ausgeschlossen. Wir haben hohe Defizite in den So-
Nichts von dem, was Sie in der Opposition angekündigt zialversicherungssystemen, angefangen von der Bun-
haben, haben Sie umgesetzt. Das ist ein Dokument des desagentur für Arbeit bis hin zur Rentenversicherung.
Versagens, liebe FDP. Ich vermute, dass Sie, da aus dem Darlehen an die Bun-
desagentur für Arbeit ein Zuschuss wird – das war die
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ einzige Sparmaßnahme, die wir noch drin hatten –, an
DIE GRÜNEN) die Sozialversicherungsbeiträge gehen werden. Wie ist
die ökonomische Wirkung, wenn Sie die Sozialversiche-
Dann zur Steuerreform und zum Stufentarif. Der soll rungsbeiträge erhöhen? Diejenigen, die wenig verdie-
Wachstum bringen; darüber kann man im Einzelnen re- nen, zahlen am meisten, weil es bei der Sozialversiche-
den. Ich habe bisher noch nicht gehört, wo das Wachs- rung eine Beitragsbemessungsgrenze gibt.
tum sonst herkommen soll. Bei der Finanzplanung haben
Sie ein Wachstum von 2 Prozent unterstellt, und selbst (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. November 2009 313
Carsten Schneider (Erfurt)
(A) Das heißt, es werden vorwiegend diejenigen belastet, die die alte Koalition nicht geschafft hat. Eine Lehre aus der (C)
ab dem ersten Euro Sozialversicherungsbeiträge zahlen. Krise ist, dass wir es nicht geschafft haben, Eigentum
Sie senken die Steuern für diejenigen, die viel zahlen. und Verantwortung im Bankenbereich vernünftig in Ein-
Wer viel Steuern zahlt, wer leistungsfähig ist, zahlt bei klang zu bringen. Man muss zweierlei feststellen: Wir
einer Entlastung natürlich weniger. Das ist logisch. müssen erreichen, dass die Sparguthaben der Sparer ge-
sichert werden und dass gleichzeitig die Verantwortli-
Das heißt, es kommt zu einer Umverteilung von Arm
chen in den Banken für ihre Fehlleistungen haften.
nach Reich, und es kommt zu einer ökonomischen Wir-
kung, die vollkommen unsinnig ist; denn wer ohnehin (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
viel hat, der spart und legt vielleicht noch bei Lehman der CDU/CSU – Otto Fricke [FDP]: Das gilt
an, möglicherweise verliert er dabei etwas, aber er wird auch für die Landesbanken! – Alexander
jedenfalls nicht dafür sorgen, dass die Binnennachfrage Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das
gestärkt wird. Daran hat es in den letzten Jahren ge- muss auch für Koalitionen gelten!)
krankt, daran hat es unserem Land gefehlt. Die Stärkung
der Binnennachfrage konterkarieren Sie. Dies ist kein Angesichts der drohenden Kreditkrise – sie wird
Auftakt für die Zukunftsfähigkeit unseres Landes, dies zwangsläufig eintreten, weil die Banken eigenkapital-
ist bisher ein Zeichen der Mutlosigkeit, der Verzagtheit schwach sind – müssen die Eigenfinanzierungskräfte in
und der Zerstrittenheit. Sie werden sehen, dass Sie mit der deutschen Wirtschaft gestärkt werden. Es ist gut,
dieser Politik, die Sie hier eingeschlagen haben, nicht dass wir die Instrumente der Förderpolitik nutzen und
durchkommen werden. Das prophezeie ich Ihnen. gleichzeitig die Wachstumskräfte hinsichtlich der Eigen-
finanzierung stärken. Dazu gehört, dass wir das Beteili-
(Beifall bei der SPD) gungskapital in Deutschland ausbauen und die Substanz-
steuer entsprechend dem Koalitionsvertrag mildern; dies
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: geschieht mit der Verabschiedung dieses Gesetzent-
Das Wort hat jetzt der Kollege Frank Schäffler von wurfs. Ein ganz entscheidender Punkt in dieser Phase ist,
der FDP-Fraktion. dass wir die Eigenfinanzierungskräfte der Unternehmen
stärken.
(Beifall bei der FDP – Alexander Bonde
[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der hat das Drittens. Wir brauchen ein konsistentes Finanz-
Sparbuch auch nicht dabei!) marktrecht. Durch die Schieflage eines letztendlich in
Deutschland beheimateten Hedgefonds, K1, wird uns
Frank Schäffler (FDP): klar, dass die Marktanbieter Ausweichmöglichkeiten ha-
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- ben; denn wir haben kein einheitliches Versicherungs-
(B)
ren! Herr Schneider, Sie haben hier über Ihren Ord- recht, kein einheitliches Bankenrecht, kein einheitliches (D)
nungsrahmen gesprochen. Ich glaube, Sie haben, was so- Recht in Bezug auf Zertifikate und den grauen Kapital-
ziale Marktwirtschaft betrifft, Heinz Erhardt mit Ludwig markt. Deshalb ist es wichtig, dass wir hier ein einheitli-
Erhard verwechselt. Das ist nicht die Art, wie wir die ches Regelwerk schaffen.
Probleme künftig lösen wollen. Ich glaube, wir müssen, (Beifall bei der FDP)
wenn wir über den Ordnungsrahmen und über das reden,
was wir jetzt auf den Finanzmärkten tatsächlich errei- Entscheidend ist auch, dass wir dem kleinen Sparer in
chen wollen, die richtigen Weichen stellen. Deutschland in dieser Krise keine zusätzlichen Lasten
aufs Auge drücken.
Das macht dieser Koalitionsvertrag. Er macht es zum
Beispiel, was die Bankenaufsicht betrifft. Wir ziehen die (Miriam Gruß [FDP]: Sehr richtig!)
Lehren aus der Finanzkrise in Deutschland. Die zweige- Das, was in der politischen Linken, aber teilweise auch
teilte Bankenaufsicht, die wir in Deutschland erlebt ha- bei Konservativen diskutiert wird – Finanztransaktions-
ben, hat in verschiedenen Bereichen versagt. Deshalb ha- steuer, Börsenumsatzsteuer, Tobin-Steuer; wie immer
ben wir gesagt: Wir müssen wieder eine konsistente man es nennt –, ist im Kern der völlig falsche Ansatz;
Bankenaufsicht in Deutschland bei der unabhängigen denn letztendlich muss diese Steuer der kleine Sparer,
Bundesbank haben. Das macht nicht nur im Hinblick auf der Lebensversicherungssparer, der Riester-Sparer, der
die Solvenz der Institute Sinn, sondern auch aus geldpo- Fondssparer, zahlen.
litischer Sicht; denn die Bundesbank ist nach wie vor ei-
ner der Spieler, wenn es um die geldpolitischen Weichen- (Dr. Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
stellungen in Europa geht. NEN]: Herr Kirchhof sagt aber etwas ande-
res!)
Erstens. Die weltweite Krise, die wir bisher erlebt ha-
ben, ist letztendlich eine Vermögensgüter-Preisinflation. Herr Fahrenschon, der bayerische Finanzminister, hat
Es ist richtig, dass diejenigen, die über eine Vermögens- dargestellt, dass der durchschnittliche Riester-Sparer al-
güter-Preisinflation wachen müssen, künftig auch die lein 5 000 Euro für eine solche Finanztransaktionssteuer
Banken beaufsichtigen müssen. Entscheidend ist, dass zahlen müsste. Diese Steuer bezahlten am Ende also
wir die Bankenaufsicht ausschließlich bei der unabhän- nicht diejenigen, die sie eigentlich treffen soll, sondern
gigen Bundesbank in Frankfurt ansiedeln. der kleine Sparer.
Zweitens. Wir benötigen im Bankenbereich ein kon- (Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
sistentes Insolvenzrecht. Dafür zu sorgen, ist etwas, was NEN]: Bis jetzt war es nur peinlich! Aber jetzt
314 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. November 2009

Frank Schäffler
(A) wird es absurd! – Dr. Gesine Lötzsch [DIE (Joachim Poß [SPD]: Nein, das ist doch nur (C)
LINKE]: Wer? Aber nicht der durchschnittli- Klientelpolitik!)
che Sparer!)
Zu dem, was wir jetzt im Bereich Unternehmensteu-
Das halten wir für ein falsches Konzept. ern – ein weiterer Bereich – machen, ist vom Grundsatz
her zu sagen, dass das für uns von der Unionsfraktion
Wir wollen den Rahmen für ein konsistentes Finanz- nicht auf neuen Erkenntnissen beruht: Wir versuchen
dienstleistungsrecht in Deutschland schaffen. nur, die Folgen der Krise, die sich jetzt immer weiter
(Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Jetzt ha- verschärft, abzumildern. All dieses kannte ich schon aus
ben Sie sich verraten!) früheren Diskussionen, aber diese Maßnahmen waren
mit Ihnen nicht umsetzbar.
Wir wollen keine zusätzlichen Steuern für die Bürger,
sondern wir wollen sie von Steuern entlasten. (Joachim Poß [SPD]: Zu Recht!)
Vielen Dank. Deshalb müssen hier jetzt einige Punkte dringend korri-
giert werden, damit sie nicht noch weiter krisenverschär-
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten fend wirken.
der CDU/CSU)
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zu-
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: ruf des Abg. Joachim Poß [SPD])
Das Wort hat jetzt der Kollege Leo Dautzenberg von Wir haben also keinen neuen Erkenntnisstand. Diese
der CDU/CSU-Fraktion. Erkenntnisse gab es damals schon. Nur war damals alles
der fiskalischen Zielsetzung unterworfen, dass eine Ent-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
lastung um maximal 5 Milliarden Euro vorgenommen
wird.
Leo Dautzenberg (CDU/CSU):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe (Joachim Poß [SPD]: Jetzt haben wir keine fis-
Kolleginnen und Kollegen! Wir haben es heute zum ei- kalischen Ziele mehr?)
nen mit der Einbringung des Wachstumsbeschleuni- – Auch jetzt haben wir fiskalische Ziele, Herr Kollege
gungsgesetzes zu tun, zum anderen steht aber auch die Poß. Sie haben sie eben gehört, von Herrn Meister und
allgemeine Aussprache zu den Bereichen Finanzmarkt, anderen.
Finanzen, Steuern und Haushalt auf der Tagesordnung.
(Zurufe von der SPD: Ja, welche?)
Die Sofortmaßnahmen, die wir nun gemäß Koali-
(B)
tionsvertrag im steuerlichen Bereich ergreifen, sind die Wir dürfen doch, wenn sich gewisse Dinge krisenver- (D)
konsequente Umsetzung von dem, was wir kurzfristig schärfend auswirken, nicht einfach zusehen, sondern wir
für erforderlich halten. Es ist schon, verehrte Kollegen müssen das korrigieren und abmildern. Deshalb sind die
von der SPD, erstaunlich, dass Sie die Ergänzung des- Maßnahmen, die wir im Bereich der Unternehmensteu-
sen, was wir in der alten Koalition auch mit Wirkung ern treffen, der richtige Weg.
zum 1. Januar 2010 auf den Weg gebracht haben, (Dr. Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Sehr richtig!) NEN]: Da müssen wir uns fragen, wer das
zahlt! – Joachim Poß [SPD]: Hatten wir doch
nun nicht mehr für sinnvoll halten. Es muss mir mal je- befristet ausgesetzt!)
mand erklären, warum das jetzt so sein soll.
Meine Damen und Herren, da es hier ja auch um die
(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Sehr richtig! – allgemeine Aussprache über den Finanzbereich geht,
Otto Fricke [FDP]: Da fehlt die Farbe!) möchte ich mich noch auf einige Finanzmarktaspekte
Die Bereiche, Herr Kollege Poß, die wir jetzt im Un- konzentrieren.
ternehmensrecht angehen – – Ich möchte zunächst feststellen, dass wir auch inter-
(Joachim Poß [SPD]: Weil das eine ein Bür- national überzeugend für unser Modell der sozialen
gerentlastungsgesetz ist, das andere ein Zü- Marktwirtschaft eintreten müssen. Mit diesem ist näm-
ckerli!) lich auch ein Ordnungsrahmen für internationale Finanz-
märkte verbunden. Herr Minister, wir werden Sie und
– Was haben wir denn gemacht? Wir haben doch schon Ihre Regierung unterstützen, dass die Absichtserklärun-
eine Abflachung des sogenannten Mittelstandsbauches gen, die bisher im Rahmen von G 20 und anderen Tref-
erreicht, indem wir die Rechtsverschiebung, wie es so fen abgegeben wurden, in konkrete Maßnahmen mün-
schön heißt, innerhalb der Proportionalzone vorgenom- den. Wir müssen das Zeitfenster nutzen, denn der
men haben. angelsächsische Raum ist jetzt noch offen für Maßnah-
(Joachim Poß [SPD]: Das ist doch unbestrit- men zu mehr und besserer Regulierung. Wenn der an-
ten!) gelsächsische Raum das demnächst nicht mehr sein
sollte und sich dieses Zeitfenster wieder schließen sollte,
– Das ist schon einmal ein erster Ansatz. – So können werden wir es nicht mehr schaffen, all die vernünftigen
doch die entlastenden Maßnahmen, die wir jetzt zusätz- Absichtserklärungen, die in die richtige Richtung gehen,
lich noch vorsehen, nicht falsch sein. in konkrete Maßnahmen münden zu lassen. Dann kann
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. November 2009 315
Leo Dautzenberg
(A) es sogar passieren, dass sich das in einer Art und Weise Damit soll sichergestellt sein, dass das, was jetzt gesche- (C)
krisenverschärfend auswirkt, wie wir es bisher über- hen ist, in Zukunft nicht mehr passiert.
haupt nicht erwarten.
Der dritte Bereich. Wir müssen den Verbriefungs-
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und markt stärken. Wir müssen von politischer Seite klar-
der FDP) stellen, dass Verbriefung nicht gleich Verbriefung ist.
Wir müssen unsere Expertise, die wir im Rahmen der
Deshalb gilt es, dieses Zeitfenster jetzt zu nutzen.
TSI-Initiative im Pfandbriefbereich gewonnen haben,
Wir von deutscher Seite müssen zugleich bereit sein, in noch ausbauen. Es gilt die Aussage des Wirtschaftsmi-
einzelnen Fragen – ich denke da zum Beispiel im Banken- nisters, dass es auch Verbriefungsformen für den Mittel-
bereich an die Frage der Eigenkapitalunterlegung und standskredit geben soll. Aber was nicht akzeptiert wer-
der Qualität des Eigenkapitals – nationale Interessen über den kann, ist, dass die Banken diesen Markt teilweise
die europäische Ebene gegenüber dem angelsächsischen mittels Garantien anschieben wollen. Nein, diese Ver-
Raum durchzusetzen. Es darf nämlich nicht dazu kom- briefungen müssen von der Qualität her so gut sein, dass
men – erste Ergebnisse der Basel-Verhandlungen deuten keine Garantien benötigt werden. Wenn der Markt Ver-
allerdings darauf hin –, dass die Qualität des Eigenkapi- trauen hat, dann brauchen wir keine staatlichen Garan-
tals, das Banken zur Unterlegung ihres Geschäftes auf- tien.
bringen müssen, sogar für den deutschen und europäi-
schen Bereich gesenkt wird. Sie sehen, dass unsere Aufgaben ein breites Feld um-
fassen. Wir werden den Finanzminister, gerade was
(Otto Fricke [FDP]: Ja!) diese internationalen Aufgaben anbelangt, unterstützen.
Ich lade die Opposition ein, konstruktiv mitzuarbeiten.
Das Mezzanine-Kapital und stille Beteiligungen, die in
unserem Bankensektor eine dominierende Größe haben, Vielen Dank.
sollen zukünftig nicht mehr als sogenanntes Kernkapital
berücksichtigt werden. Das dürfen wir nicht akzeptieren, (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
sonst ist der deutsche und europäische Bankenbereich
gegenüber dem angelsächsischen Bereich benachteiligt. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat jetzt der Kollege Norbert Barthle von
(Beifall bei Abgeordneten der FDP)
der CDU/CSU-Fraktion.
Wir haben zukünftig noch weitere Anforderungen, was
die Unterlegung mit Eigenkapital angeht. Deshalb darf Norbert Barthle (CDU/CSU):
es für unsere Banken in diesem Bereich keine Nachteile Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
(B) geben. Kollegen! Auch ich will zuallererst dem neuen Bundes- (D)
Der zweite wichtige Bereich: Regulierung, Aufsicht. finanzminister zu dieser sicherlich nicht einfachen, aber
Es ist schon gesagt worden, dass wir von der Union ge- hochinteressanten Aufgabe gratulieren.
meinsam mit dem Koalitionspartner die Bankenaufsicht Es ist ein gutes Signal an die Öffentlichkeit, dass
bei der Bundesbank ansiedeln wollen. Man muss sich diese Debatte, die am Dienstagmorgen von der Bundes-
darüber unterhalten, in welcher Organisationsform die kanzlerin eröffnet wurde, nun vom Bundesfinanzminis-
Aufsicht erfolgen soll. Man kann vorschnelle Vorschläge ter heute sozusagen abgerundet wurde Das entspricht
des Bundesbankvorstandes, die kurzfristig erarbeitet auch seiner herausgehobenen Stellung im Kabinett.
worden sind, nicht eins zu eins übernehmen. Wir müssen Diese herausgehobene Stellung wurde im Koalitionsver-
sorgfältig beraten, wie wir hier vorgehen. trag nochmals fest verankert. Denn darin heißt es aus-
(Otto Fricke [FDP]: Hier ist der Gesetzgeber!) drücklich, dass sämtliche Maßnahmen unter Finanzie-
rungsvorbehalt stehen. Dass der Finanzminister zudem
Wir müssen schauen, wie die Eingriffsverwaltung bei noch aus dem für seine Sparsamkeit und für seine ausge-
der Bundesbank erfolgen kann. glichenen Haushalte bekannten Baden-Württemberg
Wir müssen zu einer qualifizierten und differenzierten kommt, ist sicherlich auch keine schlechte Empfehlung.
Aufsicht kommen. Es ist ein Unterschied, ob eine Spar- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
kasse, eine Genossenschaftsbank, die in der Fläche tätig neten der FDP)
ist, oder ob eine systemische Bank beaufsichtigt werden
soll. Es ist auch ein wichtiges Signal nach draußen, dass in
dieser Debatte ein Haushälter das letzte Wort haben darf.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich will an dieser Stelle erinnern, dass das Hohe Haus
Wenn eine systemische Bank beaufsichtigt werden soll, das Königsrecht des Parlaments ausübt, nämlich das
dann müssen andere Kriterien gelten. Die Aufsicht muss Haushaltsrecht. Das ist keine Kleinigkeit; denn wer eine
durchaus Anmerkungen zur Geschäftspolitik und zu Ge- demokratische Staatsform auf ihre Qualität hin überprü-
schäftsmodellen machen können, wenn die Gefahr be- fen will, muss zuallererst schauen, wie es um das Bud-
steht, dass Märkte nachhaltig gestört werden. Deshalb getrecht bestellt ist.
muss die Aufsicht die Frage prüfen: Muss ein risikorei- (Otto Fricke [FDP]: Sehr wahr!)
cheres Geschäft nicht mit einem wesentlich höheren Ei-
genkapital unterlegt werden, als das bei Geschäften einer Lassen Sie mich an dieser Stelle daran erinnern, dass
normalen Bank, die regional verankert ist, der Fall ist? bereits 1849 die Mitglieder der Nationalversammlung in
316 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. November 2009

Norbert Barthle
(A) der Frankfurter Paulskirche das Budgetrecht in der Ver- Möglichkeiten: Erstens. Man könnte Steuern und Abga- (C)
fassung verankert haben – das war ein wichtiger Schritt – ben erhöhen. Zweitens. Man könnte sich weiter ver-
schulden. Drittens. Man kann Wachstum generieren.
(Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Sehr gut!) Das Erstere – neue Steuern – haben wir, die christ-
lich-liberale Koalition, vor der Wahl deutlich ausge-
und dass nicht durch Zufall die Nazis 1933 dies dem schlossen. Dabei bleibt es.
Parlament wieder genommen haben. An dieser Stelle
wird also deutlich, wie wichtig dieses Budgetrecht für (Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
uns alle, für das Parlament ist. NEN]: Tosender Applaus!)
Lassen Sie mich die Gelegenheit nutzen, auf einige – Der kommt schon.
grundsätzliche Zusammenhänge hinzuweisen; denn in Das Zweite – höhere Schulden – ist nur begrenzt
dieser Woche wurde sehr viel von Wachstum gespro- möglich. Wir wollen die Verschuldung zurückführen;
chen. Das hat sich wie ein roter Faden durch alle Debat- das haben wir uns selbst auferlegt.
ten gezogen.
(Ute Kumpf [SPD]: Das glauben Sie doch
(Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- selber nicht, was Sie da erzählen!)
NEN]: Die rote Zahl hat sich hindurchgezo-
gen!) Die Schuldenbremse steht unverrückbar im Grundge-
setz. Diese Schuldenbremse ist – erlauben Sie mir diese
Die Bundeskanzlerin hat deutlich darauf hingewiesen, Anmerkung –, historisch betrachtet, wahrscheinlich die
dass ohne Wachstum keine Investitionen, keine Schaf- größte Leistung der vergangenen Koalition.
fung neuer Arbeitsplätze, keine Bereitstellung von Mit-
teln für Bildung und keine Hilfen für die Schwachen (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
möglich sind. Wachstum schafft die Voraussetzung für neten der FDP – Alexander Bonde [BÜND-
die notwendigen Spielräume in der Politik. NIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt kommt der dritte
Schritt zur Quadratur des Kreises!)
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Wir haben nun die Aufgabe, eine mit dieser Schulden-
Wachstum ist für uns kein Selbstzweck, sondern der ein- bremse zu vereinbarende Lösung für die im kommenden
zige Schlüssel, aus dieser Krise herauszukommen. Jahr sicherlich exorbitant hohe Neuverschuldung zu fin-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) den, um wieder auf den Pfad der Tugend zurückzukeh-
ren. Das wird nur möglich sein, wenn wir um den Kri-
Gleichzeitig ist immer von Sparen die Rede. Lassen senherd herum sozusagen eine Umgehungsstraße bauen.
(B) Sie mich deshalb die Ausgabenseite unserer Haushalte (D)
Dafür braucht es die Kreativität von uns Haushältern ge-
im Hinblick auf eine mögliche Haushaltskonsolidierung nauso wie die des Finanzministers.
kurz beleuchten. Der Mann auf der Straße sagt immer
zuerst: Spart einfach mal! Nun lernt man als Haushälter (Joachim Poß [SPD]: Das ist aber eine
relativ schnell, dass sehr große Bereiche unseres Haus- Lösung!)
halts – 300 Milliarden Euro – festgeschrieben sind. Das Nun komme ich zur dritten und letzten Möglichkeit,
ist kein großer Haufen Geld, in den man beliebig hinein- zum Wachstum.
greifen kann, sondern da gibt es zum Beispiel laufende
Zuweisungen und Zuschüsse insbesondere zur Sozial- (Dr. Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
versicherung bzw. zur Rentenversicherung. In diesem NEN]: Jetzt gilt: 2 mal 2 gleich 40!)
Jahr sind dadurch rund 175 Milliarden Euro sofort ge- Die ersten zwei Wege sind uns ja nahezu versperrt. Des-
bunden. Rechnet man dann die Zinsausgaben und die halb lautet die Faustformel: Wachstum generieren. Das
Personalausgaben – das sind noch einmal rund 70 Mil- Bundesfinanzministerium sagt uns immer: 1 Prozent
liarden Euro – hinzu, so kommt man zu dem Ergebnis, Wachstum erzeugt mindestens 1 Prozent höhere Steuer-
dass ein relativ großer Teil des Bundeshaushalts festge- einnahmen.
schrieben ist. Das heißt, die verfügbare Masse umfasst
vielleicht noch etwa 20 Prozent. Dazu gehören Mittel für (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Das ist
die Bildung sowie Investitionen in den Verkehr und in falsch! – Joachim Poß [SPD]: Was ist das
die Infrastruktur. Gerade dort wollen wir nicht sparen. denn? In Deutschland ist das ein Fünftel! –
Im Gegenteil, das wäre schädlich für jede konjunkturelle Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
Entwicklung. Nichtsdestotrotz werden wir im kommen- NEN]: Das ist die chinesische Faustformel!
den Bundeshaushalt jede Ausgabenposition sorgfältig Die gilt hier nicht!)
dahin gehend überprüfen, Schaut man sich das gute Wachstumsjahr 2006 an, so
(Joachim Poß [SPD]: Da werden Sie sich aber stellt man fest: Da war das sogar deutlich mehr.
kräftig verbiegen müssen, Kollege!) Lieber Herr Kollege Bonde, Sie haben in Ihrer Rede
ob es noch Einsparmöglichkeiten gibt; das ist gar keine darauf hingewiesen, dass wir absurd hohe Wachstums-
Frage. raten bräuchten. Erinnern Sie sich bitte an das Jahr 2006.
Da hat uns das Wachstum Steuermehreinnahmen in
Wenden wir uns jetzt der Einnahmeseite zu. Bei den Höhe von fast 40 Milliarden Euro beschert. Das waren
Einnahmeverbesserungen gibt es grundsätzlich drei um 2,5 Prozent höhere Steuereinnahmen pro Prozent-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. November 2009 317
Norbert Barthle
(A) punkt des Wachstums: eine wunderschöne Rate, die zu situation; aber auch eine solche Quote ist möglich. Ge- (C)
höheren Steuereinnahmen geführt hat. Das Schöne ist: nau das habe ich eben dargestellt.
Wachstum wird auch auf der Ausgabenseite wirksam,
weil wir weniger Geld zur Finanzierung der Arbeitslo- Es ist also unser Bestreben, möglichst hohe Wachs-
sigkeit und der sozialen Sicherungssysteme benötigen. tumsraten zu erzielen. Wenn wir im kommenden Jahr
Wachstum ist also der Schlüssel zum Erfolg. eine Wachstumsrate zwischen 1 und 2 Prozent erzielen,
dann führt dies zu entsprechend höheren Steuereinnah-
(Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- men. Die Größenordnung der Mehreinnahmen ist zwar
NEN]: 4,2 Prozent bis 2030! Da gilt ein Son- nicht vorhersehbar, aber möglicherweise erreichen wir
derjahr nichts!) wieder die Quote aus dem Jahr 2006, als 1 Prozent
Wachstum zu 12 Milliarden Euro Steuermehreinnahmen
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: geführt hat.
Herr Kollege Barthle, erlauben Sie eine Zwischen- (Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
frage des Kollegen Schneider? NEN]: Was deutlich weniger ist!)

Norbert Barthle (CDU/CSU): Wenn wir im kommenden Jahr 2 Prozent Wachstum er-
reichen, können wir etwa 24 Milliarden Euro Steuer-
Aber immer.
mehreinnahmen erzielen; das wäre eine tolle Sache.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
Bitte schön, Herr Schneider. neten der FDP – Bernd Scheelen [SPD]: Dann
ist 2 mal 2 nicht 40, sondern 100!)
Carsten Schneider (Erfurt) (SPD): Lassen Sie mich zur Frage eines nachhaltigen, verant-
Herr Kollege Barthle, Sie haben eben gesagt, wortlichen Wachstums zurückkommen. Ein solches
1 Prozent Wachstum führe zu 1 Prozent Steuermehrein- Wachstum kennt nur Gewinner: uns, die Menschen in
nahmen. Die Quelle dieser Angaben im Finanzministe- diesem Lande. Ich komme zum Wachstumsbeschleuni-
rium ist mir bisher verborgen geblieben. Ich möchte es gungsgesetz zurück, das hinsichtlich des Wachstums als
ökonomisch betrachten: 1 Prozent Wachstum bedeutet, Treibsatz wirken wird. Dieses Gesetz entlastet insbeson-
dass das Bruttoinlandsprodukt insgesamt um etwa dere die Familien. Wer sich das Finanztableau anschaut,
25 Milliarden Euro steigt. Die Steuerquote liegt bei etwa der sieht sehr schnell, dass der größte Teil des Geldes,
25 Prozent, also etwa bei einem Viertel. Wie kommen das wir in die Hand nehmen, bei den Familien landet.
(B) Sie dann darauf, dass die Selbstfinanzierung höher aus- (D)
fallen soll? Mir ist das jedenfalls nicht bekannt. Bisher (Nicolette Kressl [SPD]: Bei welchen
wurde das von keinem Ökonomen in irgendeiner Art und Familien?)
Weise bestätigt. Die Entlastungen werden also bei den Menschen in die-
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LIN- sem Lande wirksam und führen zu einem größeren
KEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- Wachstum.
NEN) Herzlichen Dank.
Ist es richtig, dass der Finanzplan, den die Große
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
Koalition mit der Kanzlerin an der Spitze beschlossen
neten der FDP)
hat, von einer realen Wachstumsquote von 2 Prozent
ausgeht, das Potenzialwachstum aber darunter liegt? Wie
wollen Sie dann die Steuermehreinnahmen darstellen? Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Weitere Wortmeldungen zu diesem Themenbereich
Norbert Barthle (CDU/CSU): liegen nicht vor. Ich schließe deshalb die Aussprache.
Herr Kollege Schneider, wenn Sie sich beim BMF Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
oder bei den einschlägigen Wirtschaftsforschungsinstitu- den Drucksachen 17/15 und 17/16 an die in der Tages-
ten kundig machen, werden Ihnen alle sagen, dass die ordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind
Faustformel gilt: 1 Prozent Wachstum erzeugt etwa Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann sind
1 Prozent Steuermehreinnahmen. Genau dies habe ich die Überweisungen so beschlossen.
dargelegt; so finden Sie es in allen Unterlagen wieder.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-
(Ute Kumpf [SPD]: Die Aussagen der Institute ha-
ordnung.
ben in der Vergangenheit nie zugetroffen!)
Ich habe dargelegt, dass diese Quote im Jahr 2006 mit Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
seinem Ausnahmewachstum sogar höher war: In diesem destages auf Mittwoch, den 25. November 2009, 13 Uhr,
Jahr gab es ein Wachstum von 3 Prozent, aber Steuer- ein.
mehreinnahmen von annähernd 40 Milliarden Euro. Da- Die Sitzung ist geschlossen.
mit hat 1 Prozent Wachstum in diesem Jahr 2,5 Prozent
Steuermehreinnahmen erzeugt. Das war eine Ausnahme- (Schluss: 12.54 Uhr)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. November 2009 319

(A) Anlagen zum Stenografischen Bericht (C)

Anlage 1 Anlage 2
Liste der entschuldigten Abgeordneten Amtliche Mitteilungen
Der Bundesrat hat in seiner 863. Sitzung am 6. No-
entschuldigt bis
vember 2009 der vom Deutschen Bundestag am 27. Ok-
Abgeordnete(r) einschließlich tober 2009 beschlossenen Weitergeltung der
1. Gemeinsamen Geschäftsordnung des Deutschen
Glos, Michael CDU/CSU 12.11.2009 Bundestages und des Bundesrates für den Ausschuss
nach Artikel 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsaus-
Dr. Freiherr zu CDU/CSU 12.11.2009 schuss) vom 5. Mai 1951 (BGBl. II S. 103), zuletzt
Guttenberg, Karl- geändert laut Bekanntmachung vom 30. April 2003
Theodor (BGBl. I S. 677), gemäß Artikel 77 Absatz 2 Satz 2
des Grundgesetzes,
Dr. Schick, Gerhard BÜNDNIS 90/ 12.11.2009
DIE GRÜNEN 2. Geschäftsordnung für den Gemeinsamen Ausschuss
vom 23. Juli 1969 (BGBl. I S. 1102), zuletzt geändert
Vogt, Ute SPD 12.11.2009 laut Bekanntmachung vom 20. Juli 1993 (BGBl. I
S. 1500), gemäß Artikel 53 a Absatz 1 Satz 4 des
Zapf, Uta SPD 12.11.2009 Grundgesetzes
und der
3. Geschäftsordnung für das Verfahren nach Arti-
kel 115 d des Grundgesetzes vom 23. Juli 1969
(BGBl. I S. 1100) gemäß Artikel 115 d Absatz 2
Satz 4 des Grundgesetzes
zugestimmt.

(B) (D)
Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co., Buch- und Offsetdruckerei, Bessemerstraße 83–91, 12103 Berlin
Vertrieb: Bundesanzeiger Verlagsgesellschaft mbH, Amsterdamer Str. 192, 50735 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Telefax (02 21) 97 66 83 44
ISSN 0722-7980

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