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Plenarprotokoll 16/48

Deutscher Bundestag
Stenografischer Bericht

48. Sitzung

Berlin, Freitag, den 8. September 2006

Inhalt:

Tagesordnungspunkt 1 (Fortsetzung): Schlussrunde:


a) Erste Beratung des von der Bundesregie- Haushaltsgesetz 2007
rung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
Peer Steinbrück, Bundesminister BMF . . . . . 4761 D
zes über die Feststellung des Bundes-
haushaltsplans für das Haushaltsjahr Dr. Claudia Winterstein (FDP) . . . . . . . . . . . . 4766 C
2007 (Haushaltsgesetz 2007)
Dr. Peter Ramsauer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 4767 C
(Drucksache 16/2300) . . . . . . . . . . . . . . . . 4735 A
Roland Claus (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 4770 A
b) Unterrichtung durch die Bundesregierung:
Finanzplan des Bundes 2006 bis 2010 Alexander Bonde (BÜNDNIS 90/
(Drucksache 16/2301) . . . . . . . . . . . . . . . . 4735 B DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4773 A
Petra Merkel (Berlin) (SPD) . . . . . . . . . . . . . 4775 D
Einzelplan 09
Otto Bernhardt (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 4778 D
Bundesministerium für Wirtschaft und
Otto Fricke (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4780 D
Technologie
Michael Glos, Bundesminister BMWi . . . . . . Bernhard Kaster (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 4783 C
4735 B
Rainer Brüderle (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4738 B
Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4785 C
Ernst Hinsken (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 4740 A
Ludwig Stiegler (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4740 C
Anlage 1
Harald Wolf, Senator (Berlin) . . . . . . . . . . . . 4743 B
Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 4787 A
Anna Lührmann (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4745 D
Laurenz Meyer (Hamm) (CDU/CSU) . . . . . . 4747 D Anlage 2
Ulrike Flach (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4750 A Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten
Ernst Kranz (SPD) zur namentlichen Abstim-
Dr. Rainer Wend (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 4751 B mung über den Entwurf eines Gesetzes zur
Matthias Berninger (BÜNDNIS 90/ Änderung des Grundgesetzes (Art. 22, 23, 33,
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4753 B 52, 72, 73, 74, 74 a, 75, 84, 85, 87 c, 91 a, 91
b, 93, 98, 104 a, 104 b, 105, 107, 109, 125 a,
Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 4755 A 125 b, 125 c, 143 c) (44. Sitzung, Tagesord-
Ute Berg (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4757 B nungspunkt 29 a) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4787 D
Kurt J. Rossmanith (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 4758 D
Ulrike Flach (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4760 A Anlage 3
Annette Faße (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4760 D Amtliche Mitteilungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4788 B
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. September 2006 4735

(A) (C)

Redetext

48. Sitzung

Berlin, Freitag, den 8. September 2006

Beginn: 9.00 Uhr

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: motor Europas. Nachdem der Motor in Deutschland, als
Schönen guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kolle- er noch mit rot-grünem Sprit betrieben wurde, so lange
gen! Die Sitzung ist eröffnet. gestottert hat,
Wir setzen die Haushaltsberatungen – Tagesord- (Zuruf von der SPD: Na, na, na!)
nungspunkt 1 – fort:
ist es höchste Zeit, dass Deutschland und Europa wieder
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- nach vorne kommen.
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die
Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Guido
Haushaltsjahr 2007 Westerwelle [FDP]: Doch kein Schröder-Auf-
(Haushaltsgesetz 2007) schwung! – Dr. Rainer Wend [SPD]: Das fängt
ja gut an, Herr Minister!)
– Drucksache 16/2300 –
(B) Der Investitionsstau löst sich auf. Die zehnjährige (D)
b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundes- Krise in der Bauwirtschaft ist vorbei. Unsere Wirtschaft
regierung steht wieder auf zwei Beinen: dem außenwirtschaftli-
Finanzplan des Bundes 2006 bis 2010 chen und dem binnenwirtschaftlichen Bein. Die Ver-
braucher fassen wieder Vertrauen. Auf dem Arbeits-
– Drucksache 16/2301 – markt ist die Trendwende geschafft. Es gibt hier
Ich erinnere daran, dass wir am vergangenen Dienstag sicherlich noch ungeheuer viel zu tun; dazu komme ich
für die heutige Aussprache insgesamt vier Stunden vor- noch. Aber der Trend der zunehmenden Arbeitslosigkeit
gesehen und beschlossen haben. ist gebrochen. Wir haben fast eine halbe Million Arbeits-
lose weniger als vor Jahresfrist. Vieles spricht dafür,
Wir beginnen die heutigen Haushaltsberatungen mit dass die vorsichtige Wachstumsprognose der Bundes-
dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für regierung von rund anderthalb Prozent deutlich übertrof-
Wirtschaft und Technologie, Einzelplan 09. Ich erteile fen wird. Das Prognosespektrum reicht übrigens bis zu
das Wort dem Bundesminister Michael Glos. 2,4 Prozent. Ich mache mir das als vorsichtiger Kauf-
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- mann selbstverständlich noch nicht zu Eigen.
neten der SPD) (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Bisher hatten
Sie aber immer Recht, Herr Minister!)
Michael Glos, Bundesminister für Wirtschaft und
Technologie: Wir werden sehen, was hinten herauskommt. Ich bin
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen aber überzeugt, dass es besser wird.
und Kollegen! Es ist unbestritten: Der wirtschaftliche (Beifall bei der CDU/CSU)
Aufschwung ist da. Er ist so robust wie lange nicht
mehr. Die Politik der Bundesregierung – die Bundesregie-
rung wird getragen von einer großen Koalition –
(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sehr richtig!)
(Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Gut, dass
Wir haben wieder gute Wachstumsraten. uns das mal einer sagt!)
(Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Das ist der
hat wesentlich zu dieser positiven Entwicklung beigetra-
Merkel-Aufschwung!)
gen. Mit der guten Entwicklung in diesem Jahr schaffen
Wir sind wieder in die Mitte Europas gerückt, was das wir eine feste Basis dafür, dass der Aufschwung auch im
Wachstum anbelangt. Deutschland ist der Wachstums- nächsten Jahr weitergeht. Alle Unkenrufe, das alles
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Bundesminister Michael Glos


(A) werde im nächsten Jahr wegen unserer Konsolidie- Wirtschaftlich macht es keinen Sinn, wenn Forde- (C)
rungsmaßnahmen zusammenbrechen, werden sich nicht rungsverkäufe – „Manipulationen“ mit dem ERP-Son-
bewahrheiten. Deutschlands Unternehmungen wollen in dervermögen – zugunsten einer staatlichen Förderbank,
den kommenden zwölf Monaten ihre Investitionen noch die damit immer mächtiger wird, allein wegen Art. 115
einmal deutlich erhöhen – das ist eine sehr gute Nach- des Grundgesetzes vorgenommen werden.
richt – und ihre Belegschaften ausbauen. In diesem Zu-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
sammenhang appelliere ich, dass man dabei auch an die
Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Es gibt im-
Älteren und Erfahrenen denkt und sie wieder in die Be-
mer noch den Koalitionsvertrag, Herr Glos!)
triebe zurückholt.
Ich könnte Ihnen noch ein paar andere Beispiele bringen,
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) die belegen, dass diese Forderungsverkäufe keine echten
Nun stellt sich wieder die Frage, wann der richtige Konsolidierungsmaßnahmen sind, sondern lediglich er-
Zeitpunkt zum Konsolidieren ist. Ich bin der Meinung, zwungene Umbuchungen. Ich glaube, dass eine große
dass Aufschwungphasen zur Konsolidierung genutzt Koalition eine Basis bieten würde, um das besser zu re-
werden müssen. Es macht keinen Sinn, jetzt darüber geln.
nachzudenken, ob die Steuereinnahmen, die höher als (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:
prognostiziert sind, in Sonderprogramme gesteckt wer- Warum haben Sie das nicht im Kabinett disku-
den sollen. Die Konsolidierung erfolgt am besten, indem tiert?)
man künftige Belastungen vermeidet und die Mehrein-
nahmen zum zusätzlichen Schuldenabbau verwendet. Gleichzeitig müssen wir die Föderalismusdebatte zu
einer Föderalismusreform II führen, in der klargestellt
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- wird, dass die Verantwortlichkeiten für die Ausgaben
neten der SPD – Steffen Kampeter [CDU/ den Ländern und Kommunen klar angelastet werden, in-
CSU]: Sehr wahr!) dem man die Einnahmen selbst festsetzt – was nicht im-
mer zur Freude des Publikums ist.
– Ich freue mich, dass ich so viel Zustimmung von unse-
ren engagierten Haushältern bekomme. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Volker
Kröning [SPD] und bei der FDP)
Das gibt mir Gelegenheit, Sie zu bitten, zusammen
mit dem Finanzminister intensiv über die staatlichen Das ist etwas, was unbedingt notwendig ist.
Verschuldungsgrenzen nachzudenken. Ich möchte Die Überschüsse der Bundesanstalt für Arbeit, die
nicht, dass wir mehr Schulden machen. Ich sage Ihnen es Gott sei Dank wieder gibt, gehören meiner Meinung
(B) gleich, was ich meine: Das Nebeneinander von nach den Beitragszahlern. (D)
Maastrichtkriterien, die für uns bindend sind – wir soll-
ten uns sehr eng daran halten –, und den Vorgaben des (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sehr richtig!
Art. 115 des Grundgesetzes ist weder ökonomisch noch Sehr gut!)
finanzpolitisch sinnvoll. Deswegen plädiere ich für eine Senkung des Beitrags-
Sinnvoll wäre eine nationale Regelung, die zu der satzes zur Arbeitslosenversicherung auf 4 Prozent.
europäischen Vorgabe passgenau hinzugefügt wird. Sie (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
darf nicht weicher, sondern sie muss eigentlich härter
sein als die bisherige grundgesetzliche Schranke, die, Um die Wachstumsdynamik zu stärken, müssen wir
wie wir ja wissen, trotz entsprechender Vorgaben über auch die steuerlichen Rahmenbedingungen verbes-
viele Jahre nicht eingehalten worden ist. sern. Darüber wurde viel diskutiert und das ist natürlich
auch notwendig. Aber eines muss ganz sicher sein: Die
(Ernst Burgbacher [FDP]: Dazu gibt es von Wettbewerbsfähigkeit unseres Steuersystems für den
uns einen Gesetzentwurf!) Unternehmensstandort Deutschland – damit meine ich
auch die Unternehmenszentralen – muss deutlich verbes-
– Das, was wir wollen – ich erläutere es Ihnen gern noch sert werden. Wir stehen hier in einem gewaltigen Wett-
einmal kurz –, muss natürlich mit dem europäischen Re- bewerb mit europäischen und auch anderen Partnern in
gime verzahnt sein. Das Ziel, die Verschuldung auf null der Welt.
zurückzuführen, muss darin deutlich definiert sein. Das
ist ehrgeizig, aber, wie andere Länder zeigen, nicht un- (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das ist unser
möglich. Ansatz! Sehr gut!)

(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Ein nationaler Wenn die Welt immer globaler, immer kleiner wird,
Stabilitätspakt!) dann können wir das beklagen. Aber wir müssen unsere
Bedingungen so setzen, dass sie Deutschland nutzen und
Diese neue Regelung darf auch keinen Anlass mehr zu dass man die Sonderregelungen nicht zulasten unseres
haushalterischen Notoperationen geben – da bin ich wie- Steuersubstrates ausnutzen kann.
der bei den Haushältern –, wie sie diese Regierung vor-
(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Rainer
nehmen muss. Wir haben uns vorgenommen, das, was
Wend [SPD] und bei der FDP)
im Gesetz steht, einzuhalten. Echte Konsolidierung
braucht harte Ausgabenkürzungen, gegebenenfalls Ein- Deswegen ist es meiner Ansicht nach unabdingbar, dass
nahmeverbesserungen. Das ist unser Weg. unser Steuersatz für Körperschaften – das muss natürlich
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. September 2006 4737
Bundesminister Michael Glos
(A) einen entsprechenden Niederschlag bei den Personenge- (Ludwig Stiegler [SPD]: Für so etwas gibt es (C)
sellschaften finden – international wettbewerbsfähig ist. keinen Beifall!)
Da müssen wir hinkommen.
Ich bin davon überzeugt, dass ich den Beifall auch
Gerade erst – ich komme zu einem weiteren Punkt – von dieser Seite des Hauses rasch bekomme, wenn ich
hat eine Studie der Weltbank die Wirtschaftsfreund- ein paar Sätze des Parteivorsitzenden Beck aus einem In-
lichkeit staatlicher Regulierungssysteme festgestellt. terview im „Stern“ vorlese. Auf die Frage nach einer
(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Da sind wir Leistungspflicht für Hartz-IV-Empfänger hat er geant-
leider nicht ganz oben!) wortet:

In vielen Punkten sind wir gut dabei, aber bei einem ent- Ich halte das generell für zumutbar. Ich war mal
scheidenden Punkt liegen wir auf Platz 129 unter Bürgermeister einer Gemeinde mit 2 000 Einwoh-
175 Ländern. Sicherlich sind unter den 175 erfassten nern. Da wusste ich, wer Stütze bekam … Aber
Staaten auch ein paar Exoten wie San Marino. Aber diejenigen, von denen ich den Eindruck hatte, sie
diesmal ging es nicht um Fußball, sondern um die Flexi- könnten, wenn sie wollten, habe ich Geländer strei-
bilität der Arbeitsmärkte. In diesem Bereich müssen wir chen oder Treppen kehren lassen.
mehr tun. Wir brauchen einen funktionierenden so ge- Ich finde, man darf einen Parteivorsitzenden nicht im
nannten Niedriglohnbereich. Regen stehen lassen. Ich als CSU-Mann habe damit Er-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) fahrung.
Das zeigt auch die Expertise des Sachverständigenra- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
tes, die heute dem Kollegen Müntefering und mir vor- Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Hier klatsche
liegt. Wir haben die bei den Fünf Weisen, den Sachver- ich prinzipiell!)
ständigen bestellt.
– Lieber Herr Westerwelle, auch Sie mögen das nicht.
(Ludwig Stiegler [SPD]: Hat das der Wirt-
schaftsminister bestellt?) (Heiterkeit bei der CDU/CSU – Beifall bei
Abgeordneten der FDP)
– Das Gutachten hat der Wirtschaftsminister bestellt.
Aber, lieber Herr Kollege Stiegler, dies geschah in Ab- Ich will nicht, dass der Parteivorsitzende der SPD im
sprache – es gibt schließlich Ressortabstimmungen – Regen stehen bleibt. Er hat gesagt, seine Partei wolle
sich stärker um die Leistungsträger kümmern, und er hat
(Anna Lührmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
das auch definiert: Leistungsträger gibt es auf allen Stu-
NEN]: Ach was! Davon hat man aber im ers-
(B) fen. Ich denke bei „Leistungsträger“ jedenfalls am aller- (D)
ten Teil Ihrer Rede nichts gemerkt!)
wenigsten an diejenigen, die sich jedes Jahr über Stock
mit dem Arbeitsminister. Options die Millionen zuschieben lassen, wenn gewisse
Kennzahlen des Unternehmens eine Grenze überschrit-
(Dirk Niebel [FDP]: Der Arbeitsminister ist ten haben. Ich denke vielmehr an diejenigen, die in der
bei dieser wichtigen Debatte nicht da! – Lage sind, körperliche Arbeit zu leisten und somit im
Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Eine Koali- klassischen Niedriglohnsektor ihr Geld verdienen kön-
tionsrede war das bislang nicht!) nen. Hier können sie arbeiten, auch wenn sie dafür weni-
– Okay, aber auch das ist wieder so ein kleines Berliner ger Geld bekommen.
Wunder: Diese Studie wird erst heute vorgelegt, aber der
Bundestag debattiert darüber schon die ganze Woche. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
Das zeigt, dass wir unserer Zeit voraus sind. Offensicht- Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Gute Rede,
lich ist auf wundersame Weise schon vorher herausge- Herr Kauder!)
kommen, was in diesem Gutachten steht. Ich will nur da- Ich komme wieder auf das Thema zurück. Alle, die
rum bitten, dieses Gutachten möglichst vorurteilsfrei zu zwar zur Arbeit bereit sind, aber dem Arbeitsmarkt aus
diskutieren und nicht von vornherein einzelne Punkte, gesundheitlichen und persönlichen Gründen nicht zur
die vielleicht der einen oder anderen Seite nicht gefallen, Verfügung stehen, erhalten nach den Vorschlägen des
zum Tabu zu erklären. Sachverständigenrates weiterhin den vollen Regelsatz.
Der Sachverständigenrat empfiehlt, die Leistungen Das wollen auch wir. Die Fünf Weisen sagen sehr deut-
der Grundsicherung enger mit der Arbeitsbereitschaft lich: Die verbesserte Vermittlung und Aktivierung von
zu verknüpfen; das halte ich für richtig. Dieser Ansatz ist Arbeitslosen muss Vorrang vor Einzelmaßnahmen ha-
in vielen Ländern selbstverständlich. Natürlich muss die ben. Der Bericht enthält auch eine klare Absage an die
Zahl der angebotenen Arbeitsplätze steigen. Soweit Einführung von Mindestlöhnen. Die nähere Begründung
keine Bereitschaft, zu arbeiten, besteht – das ist entschei- können Sie gerne nachlesen. Ich unterstreiche all das,
dend –, ist die Absenkung der Hilfen bei Nichterwerbs- was in diesem Bericht darüber steht.
tätigkeit der richtige Weg. (Dirk Niebel [FDP]: Es ist schade, dass das
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei der FDP) Arbeitsministerium nicht vertreten ist!)
– Ich vermisse etwas den Beifall unseres Koalitionspart- Ich muss noch ein bisschen Redezeit für meine Kolle-
ners. gen im Parlament übriglassen.
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Bundesminister Michael Glos


(A) (Zuruf des Abg. Laurenz Meyer [Hamm] zusagen vom Gejagten zum Jäger, zurzeit zwar nur mit (C)
[CDU/CSU]) der Schrotflinte, aber die Richtung stimmt. Immerhin.
– Ich weiß, Herr Kollege Meyer. (Beifall bei der FDP – Dr. Guido Westerwelle
[FDP]: Fast so schön wie „Pippi
Die Stromkonzerne müssen endlich ihren Ankündi- Langstrumpf“!)
gungen Taten folgen lassen, indem sie in neue Kraft-
werke investieren. Neue Anbieter auf dem Stromerzeu- Ich verweise auf Ihre Ausführungen zur echten Konsoli-
gungsmarkt müssen einen fairen und raschen Zugang zu dierung des Haushalts und Ihre erfreulich deutlichen
den Netzen erhalten. Herr Kuhn, das gilt nicht nur für die Worte zur Bahnprivatisierung. Wer mehr Wettbewerb
Betreiber von Windrädern, bei denen das sofort klappt. will, muss das Schienennetz vom Fahrbetrieb trennen.
Aber wenn ein Stadtwerk für die eigene Energieerzeu-
gung in ein neues Werk investiert, dann tun sich andere (Beifall bei der FDP)
mit konventionellen Energien sehr schwer, Zugang zu Sie haben auch deutlich gemacht, dass Steuern auf Zins-
den Netzen zu erhalten. Auch hier müssen wir eine ent- kosten und staatliche Mindestlöhne ökonomischer Un-
sprechende Verordnung umsetzen. Mir ist es nicht recht, sinn sind.
wenn wir immer mehr regulierende Maßnahmen brau-
chen. Aber wenn Monopole oder Oligopole ihre Markt- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
macht ausnutzen, dann muss der Staat entsprechend ge- der CDU/CSU)
gensteuern. Auch Ihre heutigen Ausführungen zur Energiepolitik
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- verdeutlichen: Kein Freigehege für Herrn Gabriel! Der
neten der SPD und der FDP) Monopolisierung in unserer Energiewirtschaft ist ener-
gisch entgegenzutreten; denn diese ist ein ungutes Erbe
Das ist ein Teil der Marktwirtschaft. Ich habe mich von Rot-Grün, die die Fusion von Eon mit Ruhrgas – der
vor der Verleihung des Ludwig-Erhard-Preises, die ges- Marktanteil beträgt fast 90 Prozent – zugelassen haben
tern Abend stattgefunden hat, intensiv mit den Theorien und sich anschließend über die hohen Gaspreise be-
von Ludwig Erhard auseinander gesetzt. Ein funktionie- schweren. In dieser Beziehung haben Sie völlig Recht.
render Wettbewerb und eine Kartellgesetzgebung sind Da haben Sie die FDP an Ihrer Seite. Gehen Sie hart vor!
ungeheuer wichtig für den Wettbewerb. Die Situation erfordert es.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall bei der FDP)
Es gibt viele Dinge, über die wir lange diskutieren Ihre Forderungen sind allerdings bisher nur Etappen-
(B) könnten. Ich nenne als Stichwort die Bundesnetzagentur. schritte der wirtschaftlichen Vernunft. Entscheidend ist (D)
Wir werden das an anderer Stelle tun. Die Bundesnetz- der Zieleinlauf, das Endergebnis. Daran werden wir Sie
agentur hat meine volle Rückendeckung, wenn sie als Minister messen. Das Ökonomische hat in diesem
durchgreift, um die Kosten zu senken. Alles, was den Kabinett bisher noch keinen hohen Stellenwert. Sorgen
Strompreis zusätzlich belastet, gehört auf den Prüfstand. Sie als ordnungspolitisches Gewissen der Regierung da-
Wir werden während der Haushaltsberatungen Gelegen- für, dass die Wirtschaft mehr Freiraum zum Atmen hat.
heit haben, die Dinge zu prüfen und zu regeln. Ich freue Dann bekommen wir mehr Wachstum, weniger Arbeits-
mich auf eine faire Beratung durch den Haushaltsaus- losigkeit, weniger Haushaltsrisiken und können uns über
schuss und das Parlament und bedanke mich schon jetzt etwas freuen, was eigentlich selbstverständlich ist, näm-
dafür. lich dass die Regierung ihren Haushalt endlich so gestal-
Danke schön. tet, dass die Vorgaben der Verfassung und der europäi-
schen Verträge eingehalten werden.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
neten der SPD und bei der FDP) (Volker Kauder [CDU/CSU]: Machen wir
doch!)
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: – Es ist doch selbstverständlich, dass Sie die Gesetze
Für die FDP hat Rainer Brüderle das Wort. einhalten müssen. Sich zu loben, weil man die Gesetze
einhält, Herr Kauder, ist ein bisschen schlicht. Manch-
(Beifall bei der FDP – Volker Kauder [CDU/CSU]: mal sind Sie anspruchsvoller.
Pippi Langstrumpf, guten Morgen!)
(Beifall bei der FDP – Volker Kauder [CDU/
CSU]: Ich bin immer anspruchsvoll!)
Rainer Brüderle (FDP):
– Guten Morgen, Herr Kauder, schön, dass Sie wach Die Wirtschaft befindet sich in der Tat in einem Auf-
sind. – Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das schwung. Das ist erfreulich und das unterstreichen wir.
demonstrativ gute Einvernehmen der Koalition ist zu er- Die Ursachen sind vielfältig: Export, moderate Lohnab-
kennen. Die Kanzlerin ist da, das Arbeitsministerium ist schlüsse, moderate Zinsen, Weltmeisterschaftseffekt.
demonstrativ abwesend. Der Aufschwung ist am wenigsten der Erfolg dieser
Bundesregierung, die gerade einmal neun Monate im
Herr Minister Glos, Sie haben heute hier in Ihrer Rede Amt ist,
und auch in jüngsten Presseberichten bemerkenswerte
Ausführungen gemacht. Sie werden in der Regierung so- (Widerspruch bei der SPD)
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. September 2006 4739
Rainer Brüderle
(A) sondern entscheidend der Erfolg der Unternehmen und (Beifall bei der FDP) (C)
ihrer Mitarbeiter, die ihre Unternehmen gut aufgestellt
und hart angepackt haben. Echtes Sparen wäre, wenn Sie Subventionen abbau-
ten, statt die Steuern zu erhöhen. Sparen Sie, wenn Sie
(Beifall bei der FDP) die Steinkohlesubventionen erhöhen? Nein, Sie müssen
Ausruhen kann sich die Regierung trotz des derzeiti- aufhören, herumzufummeln und zu verunsichern. Die
gen Aufschwungs nicht. Dieser Aufschwung ist kein Marktwirtschaft kann ihre volle Wirkung so nicht entfal-
Selbstläufer. Was die heutige Wirtschaftslage angeht, er- ten. Zu guter Letzt diffamieren Sie die Wirkungsmecha-
innert vieles – Herr Hinsken, das wissen auch Sie – an nismen der Marktwirtschaft noch als Lebenslügen.
den Sommer 2000. Die Konjunktur war damals endlich Der Weg muss sein, dafür zu sorgen, dass sich insbe-
in Schwung gekommen. Die Erwartungen für 2001 wa- sondere am Arbeitsmarkt etwas tut. Der Minister hat zu
ren sehr optimistisch. Doch im zweiten Halbjahr 2000 Recht auf das hingewiesen, was uns die Weltbank ins
stagnierte das reale Bruttoinlandsprodukt. Am Ende lag Stammbuch geschrieben hat: Deutschland belegt den
das Wachstum deutlich unter den Prognosen und es 129. Platz von 175 Plätzen. Dies ist für eine der führen-
folgte eine jahrelange Wachstumsschwäche. Die heuti- den Industrienationen der Welt auch dann blamabel,
gen Konjunkturindikatoren weisen gewisse Parallelen zu wenn sich unter den Ländern, die vor uns liegen, einige
dem Jahr 2000 auf. Für das kommende Jahr müssen wir Exoten befinden.
mit einer Abschwächung der Weltwirtschaft rechnen.
Die Notenbanken werden die Geldpolitik aller Voraus- (Beifall bei der FDP)
sicht nach – die Signale sind relativ eindeutig – weiter
straffen. Es ist also alles wie 2000. Da muss sich etwas ändern. Da geschieht bisher gar
nichts.
Es gibt allerdings einen gewichtigen Unterschied. Un-
ternehmen und Haushalte wurden 2001 durch die Steuer- Lassen Sie endlich betriebliche Bündnisse für Arbeit
reform entlastet. 2007 schlägt dagegen die Mehrwert- zu! Gehen Sie endlich daran, die Mitbestimmung zu mo-
steuerkeule voll zu. Das ist der Unterschied. dernisieren: Die paritätische Mitbestimmung hat sich
überlebt; sie ist etwas von vorgestern. Sie ist ein Aus-
(Beifall bei der FDP) druck der Starre, in der wir uns befinden. Wir brauchen
Es kann nicht Aufgabe der Bundesregierung sein, zu einen modernen, flexiblen Kündigungsschutz, damit
hoffen, dass sich die damalige Krisenentwicklung nicht man hier den kleinen Betrieben die Angst vor Neuein-
wiederholt. Die aktuelle Wirtschaftsbelebung ist noch zu stellungen nimmt, damit sie nicht immer wieder Über-
schwach, um die Massenarbeitslosigkeit in den Griff zu stunden fahren, damit sie keine „Subsubunternehmen“
(B) bekommen. Deshalb müssen die Bedingungen weiter beschäftigen oder andere Wege gehen. Was Sie bis jetzt (D)
verbessert werden; dafür ist insbesondere der Wirt- getan haben, wird jedenfalls nicht dazu führen, dass wir
schaftsminister verantwortlich. Wer die Gewinnaussich- endlich mehr Arbeitsplätze bekommen.
ten der Unternehmen aber beschneidet, der schmälert die (Beifall bei der FDP)
Chance auf mehr Beschäftigung. Wer das Land nicht von
Bürokratie befreit, lähmt die Wirtschaft. Deshalb muss Aber was machen Sie? Die Erbschaftsteuerreform
das Steuersystem endlich einfacher und handhabbarer wird aufgeschoben. Die Einführung einer einheitlichen
gemacht werden. Stattdessen diskutiert die Bundesregie- Besteuerung aller Kapitalerträge, also eine Abgeltung-
rung über neue Steuertatbestände bei der Unternehmen- steuer, wird aufgeschoben. Der Start der Gesundheits-
steuer. Substanzbesteuerung war schon bei der Gewerbe- reform wird ebenfalls verschoben, und zwar auf den
steuer falsch. Das, was Sie jetzt erwägen, nämlich 1. April. Wahrscheinlich ist das ein Symbol: Sie soll da-
Schuldzinsen und andere Kosten zu besteuern, ist eine mit amtlicherseits zum Aprilscherz erklärt werden.
Substanzbesteuerung, die erst recht falsch ist.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP – Zuruf des
Die Mehrwertsteuererhöhung trifft den Konsum, die Abg. Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU])
Unternehmen und den Mittelstand. Das Einzige, was da-
durch belebt wird, ist die Schwarzarbeit. – Herr Röttgen, Sie schwanken noch zwischen BDI und
Bundestag. – Das ist jedenfalls keine konsistente, logi-
(Beifall bei der FDP) sche und zielführende Politik. Sie müssen endlich den
Mit ihrer Sucht nach mehr Steuereinnahmen laufen Mut haben, die grundlegenden Reformen anzupacken.
weite Teile der Koalition Gefahr, dem eigentlichen Mo- Wenn Sie das nicht tun, geben Sie der Wirtschaft nicht
tor der deutschen Volkswirtschaft, dem Mittelstand, das die Luft, die sie braucht. Sie kann mehr. Wir sind unter
Rückgrat zu brechen. Ein dauerhafter Aufschwung ist dem Wert, den wir erreichen können.
ohne einen starken Mittelstand nicht denkbar. (Zuruf von der CDU/CSU: Sie aber nicht!)
(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Wir wissen
das, Herr Brüderle!) Aber den erreichen wir nur, wenn Sie Steuern senken,
wirklich Bürokratie abbauen und nicht nur davon reden,
Neue Arbeitsplätze entstehen am ehesten in einem star- die Reformen überzeugend und konsistent machen und
ken Mittelstand. Neue Arbeitsplätze werden nicht in den nicht so wie bei der Gesundheitsreform, wo es mit mehr
großen Konzernen entstehen. Deshalb muss die Politik Bürokratie und mehr Fesseln in die falsche Richtung
dem Mittelstand eine Chance geben. geht.
4740 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. September 2006

Rainer Brüderle
(A) Der Wirtschaftsminister hat viel Mutiges und Kluges dass der Staatsanteil zu hoch ist, dass wir zu viel über (C)
gesagt. Kompliment! Er muss es nur machen. Wir sind den Staatssektor steuern, der bei weitem nicht die Effi-
an seiner Seite. zienz des Marktes hat. Außer Kuba und Nordkorea
kenne ich kein Land der Welt, das noch glaubt, die
(Volker Kauder [CDU/CSU]: Dann ist er ver-
Steuerung über den Staat sei besser als die über den
loren!)
Markt.
Wenn Sie das machen, was Sie sagen, haben Sie die Ich freue mich darüber, dass Sie sich mit mir darüber
Liberalen an Ihrer Seite, Herr Glos! freuen, dass es gute Ansätze gibt. Jetzt müssen wir es
(Beifall bei der FDP) nur machen. Dann läuft es auch.
(Beifall bei der FDP)
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Herr Kollege, Sie könnten jetzt Ihre – abgelaufene – Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Redezeit durch die Zulassung einer Zwischenfrage des Für die SPD hat das Wort der Kollege Ludwig
Kollegen Hinsken noch erweitern. Stiegler.

Rainer Brüderle (FDP):


(Beifall bei der SPD – Zuruf von der FDP: Der
muss sich jetzt aber auch freuen!)
Sehr gern.
Ludwig Stiegler (SPD):
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn
Bitte schön. ich mir so den Herrn Brüderle anschaue, muss ich an
Max Frisch und „Mein Name sei Gantenbein“ denken.
Ernst Hinsken (CDU/CSU): Da sagt er: Nehmen wir mal an, die Lage wäre so und
Herr Kollege Brüderle, Sie haben eine wesentliche so. – Jetzt nehmen wir mal an, der Herr Westerwelle
positive Entwicklung völlig außen vor gelassen. Ich hätte mit seiner Lieblingspartnerin regieren können.
weiß nicht, ob Sie das bewusst oder unbewusst gemacht Dann würde der Herr Brüderle heute hier stehen und sa-
haben. Wir alle können uns doch darüber freuen, dass gen: Der Aufschwung ist unser Aufschwung. Unsere
die Staatsquote momentan im Sinken begriffen ist und Politik hat das alles erreicht. – Er hätte alles für sich kas-
dass wir zum Ende dieser Legislaturperiode auf eine siert.
Staatsquote von 43,5 Prozent kommen werden – wie zu
Zeiten von Finanzminister Gerhard Stoltenberg vor der (Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Dann würde es
(B) auch stimmen! – Lachen bei der SPD) (D)
Wiedervereinigung. Das ist doch etwas ganz Positives.
Sind Sie bereit, dies zur Kenntnis zu nehmen, dies zu be- Herr Brüderle, gönnen Sie uns 10 Prozent dessen, was
jahen und sich, wie ich das tue, darüber zu freuen? Sie sich selbst gutgeschrieben hätten!
(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU, der (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
SPD und der FDP – Dr. Guido Westerwelle
[FDP]: Freu dich, Rainer!) Es ist wirklich lustig, das Ganze zu sehen. Ich lese
immer wieder in einem Werk von Berger/Luckmann mit
dem Titel „Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirk-
Rainer Brüderle (FDP): lichkeit“. Danach wird die Wirklichkeit in Wahrheit in
Sehr geschätzter lieber Herr Kollege Hinsken, ich be- unseren Vorstellungen gebildet. Wir waren depressiv,
ginne mit einem Geständnis. Ich habe heute nicht alles weil wir aufgrund falscher Daten über die ökonomische
gesagt, was ich weiß. Entwicklung des Jahres meinten, wir seien schlecht.
(Heiterkeit und Beifall bei der FDP – Volker (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Wir waren
Kauder [CDU/CSU]: Aber viel mehr war es schlecht!)
auch nicht! Fast alles, was Sie wissen!)
Jetzt kommen die neuen Daten und es zeigt sich: Seit
Die Zeit war zu kurz. etwa dem zweiten Quartal des Jahres – in manchen Ag-
Ich hoffe, wir erreichen diesen Wert. Nach unserer gregaten sogar früher – ist der Aufschwung da. Das
Auffassung sollten wir eine Staatsquote von unter heißt, wir waren mit unseren Bewertungen im falschen
40 Prozent erreichen. Datenkranz, haben uns bittere Vorwürfe gemacht und die
Menschen verunsichert. Wir müssen uns in Zukunft des-
(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sehr gut!) sen bewusst sein, dass man sich anhand von vorläufigen
Daten nicht in Depressionen reden lassen sollte.
Die zu hohe Staatsquote ist eine der Ursachen dafür, dass
die deutsche Volkswirtschaft an Dynamik und Effizienz Herr Brüderle, die Entwicklung hat schon sehr früh-
verloren hat und dass der Wachstumspfad sowie die Pro- zeitig eingesetzt. Bei diesem Aufschwung ist ein Stück
duktivitätsentwicklung bei uns – das sagen die Bundes- Schröder dabei, es ist aber auch ein Stück große Koali-
bank und alle Sachverständigengutachten – deutlich zu tion dabei. Denn wir haben diesen Haushalt expansiv ge-
niedrig sind. Der reale Wachstumspfad, den wir heute fahren. Durch eine hohe Nettokreditaufnahme zur
nach der Einschätzung aller Fachleute erreichen können, Wachstumsförderung, die energetische Gebäudesanie-
liegt bei 1 Prozent bis 1,2 Prozent. Das liegt eben daran, rung und die Handwerksförderung haben wir der Wirt-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. September 2006 4741
Ludwig Stiegler
(A) schaft Schwung gegeben. Deshalb ist es auch der Auf- – Ich finde, jeder darf sich die Welt so deuten, wie sie (C)
schwung der großen Koalition. Sie haben diese ihn aufheitert.
Maßnahmen verurteilt. Sie können jetzt, wenn Sie wol-
len, zu uns an den Tisch kommen, wir geben Ihnen auch (Heiterkeit bei der SPD)
etwas ab; aber der Koch sind Sie nicht. Deshalb gönne ich Ihnen diese Deutung.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, wir werden diesen Weg
Meine Damen und Herren, wir haben an dieser Wirt- weitergehen und die Chancen des Aufschwungs durch
schaftsentwicklung einen großen eigenen Anteil. Wir Ausrüstungsinvestitionen und Bauinvestitionen weiter
sollten darauf bauen und durchaus auch stolz darauf nutzen. Die Konsumausgaben werden im Laufe des Jah-
sein, dass die große Koalition diesen Weg gewagt hat. res steigen, weil die Arbeitnehmereinkommen sich zu
Einfach war es nicht. Hier sitzen einige Beteiligte, die stabilisieren beginnen. Mit steigender Beschäftigung
Probleme gesehen haben. Aber nicht nur ein Wachstum wird auch die Massenkaufkraft steigen, sodass wir auch
ist zu verzeichnen; auch die Zahl der Insolvenzen geht wieder mehr sozialversicherungspflichtige Beschäfti-
zurück. Der Arbeitsmarkt beginnt sich zu erholen und gung und am Ende ein höheres Wirtschaftswachstum ha-
die Menschen können wieder Optimismus haben. Allen, ben werden.
die behaupten, das seien die Folgen der Fußballwelt-
Wir werden weiter damit zu kämpfen haben, die Ar-
meisterschaft, kann ich nur sagen: Diese wirkt sich frü-
beitslosigkeit abzubauen. Hier, Herr Minister, sehe ich
hestens im dritten Quartal auf die Exportzahlen aus. Wir
die Expertise des Sachverständigenrates vollkommen
haben aber nach klassischem Verlauf eine Erhöhung der
anders als Sie. Ich habe mir die Expertise, die mir der
Binnennachfrage. Wir haben mit der Steuer die Ausrüs-
Bischof von Hildesheim zugeschickt hat, angesehen.
tungsinvestitionen gefördert; in diesem Bereich steigt
Auf 150 Seiten plagen sich die Herrschaften mit ökono-
die Binnennachfrage. Auch der staatliche Teil der Bin-
metrischen Modellen ab, die die Frage klären sollen, wie
nennachfrage entwickelt sich positiv. Endlich ist der
man Arbeitslose motiviert, zu arbeiten. Ich frage mich:
Rückgang der Arbeitnehmereinkommen im ersten Quar-
In welcher Welt leben die Herren? Millionen Menschen
tal beendet worden. Wir haben hier ein neutrales Ergeb-
schreiben täglich Bewerbungen; manche Menschen
nis erreicht.
schreiben 100 Bewerbungen.
Im Verlauf des Herbstes wird auch der Konsum nach-
ziehen, sodass wir einen stetigen Aufschwung haben (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das hat was
werden. Ich denke, der Kessel der Konjunktur wird am mit der Lohnsteuer zu tun, Herr Stiegler, was
Ende des Jahres so heiß sein, dass er die drei Eisbälle der Sie jetzt beklagen!)
(B) Mehrwertsteuererhöhung vertragen wird. Herr Brüderle, Und da überlegen sich die Herrschaften, wie man die (D)
ich warne Sie vor allzu viel Pessimismus; ich weiß gar Menschen durch das Höherhängen des Brotkorbes zur
nicht, wie Sie nächstes Jahr Ihren Irrtum erklären wol- Arbeit motivieren kann! Das ist keine Expertise, das ist
len. eine Theorise. Auf die kann ich gut verzichten. Auf sol-
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der che Sachverständige in einem Elfenbeinturm und jen-
CDU/CSU) seits der Politik können wir wahrlich verzichten.
Meine Damen und Herren, das ist der Ertrag der rich- (Beifall bei der SPD und der LINKEN –
tigen Politik. Wir werden sie fortsetzen. Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das hat mit
Elfenbeinturm nichts zu tun!)
(Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Ist das jetzt ein
Schröder- oder ein Merkel-Haushalt?) Ich sage Ihnen: Wenn Sie dieses Gutachten lesen,
werden Sie staunen. Darin steht offen: Wir können
– Das ist ein Mixtum compositum,
nichts darüber sagen, wie Arbeitsplätze entstehen. Wir
(Lachen des Abg. Dr. Guido Westerwelle können in unseren schönen theoretischen Betrachtungen
[FDP]) nichts darüber sagen, wie investiert wird. – Dieses Gut-
achten ist eine Frechheit. Michel Glos, es tut mir eigent-
wenn wir schon bei der Gesundheitsreform sind. Herr
lich Leid, dass du einen solchen Krampf lesen musst.
Schröder hat begonnen und Frau Merkel kann vollenden.
Es ist die Tragik von Gerhard Schröder, dass er das Er- (Heiterkeit bei der SPD)
gebnis seiner Politik nicht selber ernten kann. Aber so ist
Politik nun einmal häufig. Die Daten, Herr Kauder, rei- Ich würde gern deine Empfindungen sehen, wenn du
chen jedenfalls zurück bis ins letzte Jahr. dieses Gutachten liest. Wenn sie ein Lügendetektor auf-
zeichnen würde, wäre der Sachverständigenrat entlassen.
Allen, die sich über die Steuereinnahmen freuen,
sage ich: Die Steuern von heute sind 2005 verdient wor- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der
den und nicht jetzt. Wer hier also höhere Steuereinnah- LINKEN – Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Wa-
men bejubelt, dem muss klar sein, dass sie unter Rot- rum geben wir denn dann das Geld dafür
Grün erwirtschaftet worden sind. Aber ich glaube, Herr aus? – Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Herr
Kauder, Sie können gönnen und damit klarkommen. Stiegler, es ist nicht korrekt, wie Sie das hier
machen!)
(Volker Kauder [CDU/CSU]: Das war die
Freude auf den Regierungswechsel!) – Das ist sehr korrekt.
4742 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. September 2006

Ludwig Stiegler
(A) Lieber Kollege Kampeter, lieber neuer Verwandter, noch vor einem Jahr gegenseitig die Schädel eingeschla- (C)
ich habe mir wirklich Mühe gegeben, dieses Gutachten gen haben, dann erkennt man jetzt, dass uns zurzeit fast
von hinten und vorn zu lesen. eine tiefe Liebe verbindet.
(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Am besten (Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Dazu gibt es
von vorn nach hinten!) ein Sprichwort im Volksmund!)
– Von hinten nach vorn und von vorn nach hinten. Das Meine Damen und Herren, in der Arbeitsgruppe zur
Hin- und Herwandern des Blicks ist ein zentraler Punkt Einführung eines Niedriglohns werden wir uns sicher
der hermeneutischen Auslegungsmethode, wie wir als hart miteinander auseinander setzen müssen. Aber mit
Juristen gelernt haben. Deshalb gilt: von hinten nach der Linie „So viel Tarif wie möglich und so viel Staat
vorn und von vorn nach hinten. – Ich sage Ihnen: Stu- wie notwendig“ könnten wir das Thema Niedriglohn
denten kann man zwar mit einem solchen Gutachten meiner Ansicht nach angehen.
quälen; das ist okay.
Ich bin anderer Meinung als Herr Brüderle, wenn es
(Heiterkeit bei der SPD) um die Mitbestimmung geht. Die Mitbestimmung ist
ein Bestandteil der Verfassung des sozialen Rechtsstaa-
Die können sich daran üben. Aber Politiker sollte man
tes in Deutschland. Ich habe schon einigen Heuschre-
mit so etwas in Ruhe lassen, und dies vor allem deswe-
cken – auch den lieben und sanften – erklärt, dass derje-
gen, weil die Grundhypothese, die Arbeitslosen seien
nige, der in Deutschland Eigentum erwirbt, soziale
nicht bereit, zu arbeiten, und müssten durch eine Redu-
Verpflichtungen erwirbt und dass derjenige, der unter-
zierung der Leistungen in der Arbeitsbereitschaft geför-
nehmerisches Eigentum erwirbt, die Beteiligung der Ar-
dert werden, jenseits jeder Wirklichkeit und eine Frech-
beitnehmer am Haben und Sagen erwirbt. Das gehört zu
heit gegenüber den Menschen ist.
unserer politischen Kultur. Wer daran etwas ändert, der
(Beifall bei der SPD und der LINKEN) befördert den sozialen Frieden nicht.
Für uns liegen Arbeit und menschliche Würde bei- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
einander. Da haben wir durchaus gemeinsame Wurzeln der LINKEN)
mit den Christsozialen und Christdemokraten, deren
Wir werden gemeinsam an dem Thema Private
Ethik nicht nur Turbokapitalismus vorsieht, sondern Ar-
Equity arbeiten. Wir wollen, dass Forschung und Ent-
beit und menschliche Würde zusammenbringt. Deshalb
wicklung zu Produkten führen – die Kanzlerin hat ge-
dürfte uns dieser Punkt nicht auseinander bringen.
sagt: was in den Köpfen ist, muss in die Produkte – und
Ich sage Ihnen noch eines: Immer mehr bewegt mich dass die damit verbundenen Risiken abgedeckt werden.
(B) die Frage, ob unsere relativen Preise in Deutschland Angesichts der heutigen Entwicklung von Private Equity (D)
noch stimmen. Als der neue Hauptbahnhof in Berlin er- stellt sich aber die Frage, ob wir auf dem richtigen Weg
öffnet worden ist, haben sich manche Leute darüber auf- sind. Was zurzeit unter „Recap“ gehandelt wird – Unter-
geregt, dass man für den Besuch der Toilette 60 Cent be- nehmen haben vor dem Einstieg von Private Equity
zahlen muss. hohes Eigenkapital und danach hohes Fremdkapital –,
nenne ich ausrauben von Unternehmen und nicht Reka-
(Zuruf von der LINKEN: Zu Recht!)
pitalisierung. Wir müssen prüfen, welche rechtlichen
– Nicht zu Recht. – Eine solche Arbeit, die durchaus mit Regelungen und Schutzvorkehrungen wir treffen müs-
einer Schmutzzulage zu versehen ist und einen hohen sen. Denn nach dem Ausrauben der Unternehmen steigt
gesellschaftlichen Wert hat, hat auch ihren Preis. Man der Druck auf den Vorstand, ins Ausland zu gehen, bei-
kann nicht sagen: Weil jemand die Toilette putzt, ist er spielsweise nach Asien, weil dort der Zinsdienst besser
unproduktiv und deshalb werfen wir ihm nur die Bro- bedient werden kann.
cken hin. Wir sollten einmal sehen: Auch wer dort sei-
(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Deshalb
nen gesellschaftlichen Beitrag leistet, ist jemand und
Steuerreform!)
steht nicht neben der Gesellschaft. Deshalb sollten wir
die relativen Preise wieder ins Lot bringen. Es ist doch verrückt, wenn wir hier hohe Aufwendun-
gen für Forschung und Entwicklungen haben, aber am
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie
Ende zum Vorteil für die amerikanischen Pensionsfonds
bei Abgeordneten der FDP und der LINKEN –
irgendwo auf der Welt produziert wird. Wir müssen
Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Ab und zu ist
schauen, dass in unseren Regionen Sparkassen, Genos-
es auch korrekt, was Sie sagen! Ich lobe Sie
senschaftsbanken und Beteiligungsgesellschaften ge-
ausdrücklich!)
gründet werden, um Arbeitsplätze hier dauerhaft zu si-
– Vergelts Gott. Ich bin dankbar dafür, dass wir uns im- chern und um unsere Position in der Weltwirtschaft zu
mer wieder partiell gegenseitig anerkennen können. behaupten.
(Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Jetzt schafft ihr es (Beifall bei der SPD)
in Bayern wieder auf 19 Prozent!)
Wir haben miteinander auch auf dem Feld der Ener-
Ich muss sagen: Wenn Sie meinen, dass ich blindes gie einiges zu tun. Die Anreizregulierung kommt jetzt.
Huhn ab und zu auch einmal ein richtiges Korn finde, Ich denke, dass sie durchaus erfolgreich sein wird. Ich
dann ist das eine wirklich hohe Anerkennung eines Koa- sage aber auch, die Regulierung darf nicht so weit gehen,
litionspartners. Wenn man bedenkt, wie wir beide uns dass dadurch Investitionen behindert werden. Im Be-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. September 2006 4743
Ludwig Stiegler
(A) reich der Telekom beispielsweise sind wir an einer fende Wirkung auf die Bereiche Wachstum und Beschäf- (C)
Schwelle. Da stellt sich durchaus die Frage, ob wir hier tigung hat. Viele Ökonomen, von denen sehr viele uns
nicht eine Überregulierung haben. Das werden wir uns nicht gerade nahe stehen, weisen darauf hin, dass dieser
ganz genau anschauen müssen. Aufschwung auf schwachen Füßen steht, weil die Bin-
nennachfrage in diesem Land noch immer unterentwi-
Vor uns liegt auch die Kohlepolitik der Zukunft. Herr
ckelt ist. In einer solchen Situation kommt es darauf an,
Brüderle, wer immer gegen die Steinkohle polemisiert,
Gas zu geben, die Binnennachfrage zu stabilisieren, die
liegt weder energiepolitisch richtig noch kann er den
Massenkaufkraft zu stärken und eindeutige Wachstum-
Menschen, beispielsweise den Menschen im Ruhrgebiet,
simpulse zu geben, damit aus dieser schwachen Pflanze
eine richtige Antwort geben. Ich denke, die Bundes-
ein wirklicher Aufschwung wird.
regierung wird zusammen mit der NRW-Landesregie-
rung sehr intensiv darum ringen, dass wir sowohl den (Beifall bei der LINKEN – Dirk Niebel [FDP]:
Menschen als auch der Energiesicherheit in der Zukunft Wie viele Arbeitslose hat Berlin?)
gerecht werden. Deshalb ist es billig, gegen diese Förde-
rung, die Sie selber mit beschlossen haben, zu polemisie- Stattdessen hält diese Bundesregierung an den alten
ren. Rezepten fest: Die Unternehmensteuern sollen – soweit
die Planung – weiterhin sinken. Die Sozialausgaben
(Ulrike Flach [FDP]: Es ist teuer!) werden im Rahmen der Gesundheitsreform und der Ren-
tenpolitik weiter gekürzt. Gleichzeitig erhöhen Sie die
Wir werden bei der Energiepolitik nicht nur auf Regu-
Verbrauchsteuern in Form einer Mehrwertsteuererhö-
lierung und andere Maßnahmen setzen – eine Wieder-
hung. Da die Mehrwertsteuer eine massive Steuer auf
auferstehung der Atomkraft wird es nicht geben –, son-
den privaten Konsum ist, wird die inländische Nachfrage
dern auch auf Energieeffizienz. Die Hälfte des
dadurch weiter geschwächt. Das ist wirtschaftspolitisch
Energieverbrauchs kann durch einen intelligenteren Ein-
unvernünftig und obendrein sozial unverträglich, weil
satz von Technik eingespart werden. Das ist auch gut für
dadurch gerade diejenigen, die ein geringes Einkommen
die Wirtschaft.
haben, am stärksten belastet werden. Ich halte das für
Die Wirtschaftspolitik der großen Koalition läuft or- eine wirtschaftspolitisch gesehen verfehlte Politik. Das
dentlich. Wir können Erfolge sehen. Wir sind nicht im- wird uns nicht weiterbringen.
mer einverstanden mit dem, was der Minister sagt, und
Herr Glos, Sie zitieren immer wieder den Sachver-
der Minister ist nicht immer einverstanden mit dem, was
ständigenrat. Warum zitieren Sie nicht auch einmal die
wir sagen. Aber wir raufen uns zusammen und haben
Warnungen des Sachverständigenrates vor dieser Mehr-
immer gemeinsame Wege gefunden. Die neue Verwandt-
wertsteuererhöhung und den möglichen negativen kon-
schaft bewährt sich.
(B) junkturellen Auswirkungen dieser Erhöhung? (D)
Glückauf!
(Beifall bei der LINKEN)
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Sehen wir uns doch einmal die Entwicklung in der
Bundesrepublik in den letzten Jahren im internationalen
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Vergleich an: Im letzten Jahr sind die Tariflöhne preisbe-
Für die Linke hat der Berliner Senator für Wirtschaft, reinigt um 0,8 Prozent gesunken; die Verbraucherpreise
Frauen und Arbeit, Harald Wolf, das Wort. sind um 2 Prozent gestiegen; die Einkommen aus Unter-
(Beifall bei der LINKEN) nehmertätigkeit und Vermögen sind 2004 um 12 Prozent
gestiegen, 2005 um weitere 6 Prozent. Sehen wir uns die
durchschnittliche Entwicklung der Reallöhne in der
Harald Wolf, Senator (Berlin):
Europäischen Union zwischen 1995 und 2004 an, stellen
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr
wir fest, dass die Reallöhne in diesem Zeitraum EU-weit
Minister Glos, Ihre Bemerkung, dass der Aufschwung
im Durchschnitt um 9,9 Prozent gestiegen sind, während
da ist – Sie verleihen ihm sogar noch das Prädikat „ro-
sie in der Bundesrepublik Deutschland um 0,9 Prozent
bust“ –, halte ich für eine glatte Übertreibung, für einen
gesunken sind.
Euphemismus.
(Beifall bei der LINKEN)
(Beifall bei der LINKEN)
Angesichts dessen stellt sich doch die Frage: Hat die
Es ist richtig: Die Prognosen für das Wachstum sind
Politik der Reallohnsenkung in der Bundesrepublik
besser als noch vor einem Jahr. Es gibt Belebungsten-
Deutschland zwischen 1995 und 2004 dazu beigetragen,
denzen in der Wirtschaft. Eine leichte konjunkturelle Be-
dass die Bundesrepublik ökonomisch besser dasteht,
lebung ist unbestreitbar. Aber von einem robusten Auf-
dass sie Spitzenreiter beim Wachstum ist? – Nein, das
schwung, von einem Aufschwung, der nachhaltig ist und
Gegenteil ist der Fall. Die meisten Länder der EU hatten
der vor allem eine durchgreifende Wirkung auf den Ar-
in diesen Jahren eine deutlich höhere Wachstumsrate.
beitsmarkt hat, kann man wirklich noch nicht sprechen.
Vielleicht könnten die Bundesregierung und die sie tra-
Herr Minister, aus wirtschaftspolitischer Sicht muss genden Fraktionen einmal darüber nachdenken, ob zwi-
man sich jetzt doch die Frage stellen, wie man aus diesen schen der Senkung der Masseneinkommen, der Schwä-
zaghaften Belebungstendenzen einen nachhaltigen Auf- chung der Massenkaufkraft und den schlechten
schwung machen kann, der auch auf dem Arbeitsmarkt Wachstumsraten ein Zusammenhang bestehen könnte.
eine nachhaltige Wirkung entfaltet, der eine durchgrei- Die Länder, die einen anderen Weg gegangen sind, die
4744 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. September 2006

Senator Harald Wolf (Berlin)


(A) höhere Reallohnzuwächse hatten, konnten nämlich ein Minister Glos hat ein Thema angesprochen, das in der (C)
höheres Wachstum generieren. Tat wichtig ist und in den Gesprächen, die ich mit Unter-
nehmen in Berlin führe, immer wieder angesprochen
(Beifall bei der LINKEN) wird, nämlich die Energiepreisentwicklung und insbe-
sondere die Strompreisentwicklung. Dies ist gerade für
Herr Glos, vielleicht würde es nutzen, sich an den al-
kleine und mittelständische Unternehmen ein erhebli-
ten Satz des großen Unternehmers Henry Ford zu erin-
cher und massiver Kostenfaktor. Herr Glos, Sie haben
nern, der einmal gesagt hat: Ich muss meinen Arbeitern
Handlungsbedarf angemahnt. Sie wissen, dass wir auf
auch Löhne zahlen, mit denen sie meine Autos kaufen
der letzten Wirtschaftsministerkonferenz, auf der Sie lei-
können. Betriebswirtschaftlich kann man dagegen viel-
der nicht anwesend sein konnten, intensiv darüber disku-
leicht den einen oder anderen Einwand formulieren; für
tiert haben. Es ist gut, dass die Bundesnetzagentur
eine Volkswirtschaft ist es aber allemal richtig, dass die
durchgreift und die Netzentgelte absenkt. Aber ich
gesamtwirtschaftliche Nachfrage in der Lage sein muss,
glaube, dass wir weitergehen müssen. Ich habe in Ihrer
das, was produziert wird, nachzufragen und zu kaufen.
Rede Vorschläge vermisst, mit denen man das Problem
Anders wird man einen Aufschwung nicht hinbekom-
in den Griff bekommen könnte.
men.
Denn die Netzpreise und -entgelte sind nur eine
(Beifall bei der LINKEN)
Komponente. Aufgrund des Energiewirtschaftsgesetzes
Wenn ich die gesamtwirtschaftliche Nachfrage redu- besteht zurzeit die absurde Situation, dass die Energie-
ziere, eröffne ich eine Spirale nach unten. Diese ökono- versorgungsunternehmen teilweise kostengünstig produ-
mische Binsenweisheit wird in der Bundesrepublik zieren, ihren kostengünstig produzierten Strom an der
Deutschland aber vom Mainstream und den unterschied- Strombörse in Leipzig handeln und dort zu teuren Prei-
lichen Bundesregierungen seit Jahren ignoriert. Deshalb sen verkaufen. Die Strombörse funktioniert aufgrund der
stehen wir im internationalen Vergleich nach wie vor oligopolistischen Struktur des Energiemarktes nicht
schlecht dar. wirklich. Gleichzeitig berechnen die Unternehmen im
Sektor Vertrieb hohe Preise für die Verbraucher. Das ist
Meine Damen und Herren, Herr Rüttgers hat es Ihnen absurd.
ins Stammbuch geschrieben: Er spricht von einer
Lebenslüge. Ich bin froh, dass zumindest in einzelnen (Beifall bei der LINKEN)
Teilen der Koalitionsparteien und -fraktionen langsam Wir haben die Situation, dass einerseits in den Kon-
eine Erkenntnis dämmert. Es wäre gut, wenn sich diese zernen ein riesiger Gewinn eingefahren wird – wir alle
Erkenntnis fortsetzt. kennen die Zahlen, die den Gewinn der vier großen Kon- (D)
(B)
Stattdessen planen Sie jetzt eine weitere Unterneh- zerne zeigen – und andererseits Genehmigungen gefor-
mensteuerreform. Schon die letzte Unternehmensteuer- dert werden, um im Vertrieb die Preise erhöhen zu kön-
reform hat die öffentlichen Haushalte 65 Milliarden nen, indem sie sagen: Wir haben hohe Kosten. Diese
Euro gekostet. Auch dazu stelle ich die Frage: Was wa- haben sie selbst über die Strombörse in Leipzig gene-
ren die Effekte? Hat diese Unternehmensteuerreform zu riert. Das heißt, der Wettbewerb funktioniert hier nicht.
mehr Investitionen und Beschäftigung geführt? Wie ge- Wo Wettbewerb nicht funktioniert, muss staatliche Re-
sagt: 65 Milliarden Euro Entlastung. Sehen wir uns ein- gulierung her.
mal die Zahlen an, die die Auswirkungen deutlich (Beifall bei der LINKEN)
machen. Die Investitionen sind von 2000 bis 2002 von
236 Milliarden Euro auf 182 Milliarden Euro gesunken. Deshalb begrüße ich es ausdrücklich, dass die Kolle-
2004 lagen sie trotz einer massiven Entlastung des Un- gin Thoben aus Nordrhein-Westfalen den Vorstoß ge-
ternehmenssektors mit 209 Milliarden Euro noch unter macht hat und eine Bundesratsinitiative einbringen will,
dem Stand von 2000. Vielleicht ist auch das ein Hinweis
darauf, dass Jürgen Rüttgers mit seiner Feststellung der (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Gute Frau!)
Lebenslüge Recht hat und dass Steuersenkung und
durch die die Preisgenehmigung über den 1. Juli 2007
Lohndumping nicht der richtige Weg sind, um mehr
hinaus verlängert werden soll, weil wir in diesem Be-
Wachstum und Beschäftigung in diesem Land zu schaf-
reich weiterhin Regulierung brauchen.
fen.
Ich füge hinzu: Wir, also die Genehmigungsbehörden
(Beifall bei der LINKEN)
in den Ländern, müssen die Möglichkeit haben, eine
Wir brauchen Innovation statt Billiglohn. Wir brau- wirkliche Konzernbetrachtung vorzunehmen und zu se-
chen öffentliche Investitionen statt Steuerdumping, um hen, welche Gewinnsituation in den Konzernen insge-
Nachfrageimpulse zu setzen. Wir brauchen einen gesetz- samt besteht; es reicht nicht, nur die Situation im Unter-
lichen Mindestlohn statt eines Niedriglohnsektors, Herr nehmensteil Vertrieb betrachten zu dürfen. Denn nur
Glos, um Arbeit so zu bezahlen, dass die Menschen dann könnte man wirklich zeigen, dass Extraprofite ab-
durch Arbeit nicht arm werden, sondern ein Leben in geschöpft werden, und dafür sorgen, dass die Verbrau-
Würde führen können, und gleichzeitig den Konsum cher vernünftige und verträgliche Preise bekommen. Das
darüber zu stabilisieren. wäre dringend notwendig, Herr Glos. Es würde mich
freuen, wenn Sie sich einmal zu der Frage äußern wür-
(Beifall bei der LINKEN) den, ob Sie bereit sind, einen solchen Schritt, wie er von
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. September 2006 4745
Senator Harald Wolf (Berlin)
(A) Ihrer Kollegin aus Nordrhein-Westfalen vorgeschlagen 300 000 Menschen in der Bundesrepublik haben einen (C)
wurde, mitzugehen. Verdienst, der unterhalb der Einkommensgrenze liegt,
obwohl sie einer Vollzeiterwerbstätigkeit nachgehen. Sie
(Beifall bei der LINKEN) beziehen ergänzende Leistungen gemäß des Arbeitslo-
Eine weitere Absurdität im Hinblick auf die Strom- sengeldes II bzw. Hartz IV und bekommen keine exis-
versorger ist die Tatsache, dass die Emissionszertifikate tenzsichernden Löhne.
von Ihnen kostenlos zugeteilt worden sind, dass sie jetzt Durch die Hinzuverdienstregelungen im Rahmen von
aber in die Tarife eingepreist werden. Die Unternehmen Hartz IV wird ein weiterer Anreiz geschaffen, reguläre
haben nichts dafür bezahlt. Sie haben die Emissionszer- Beschäftigungsverhältnisse durch Minijobs, also durch
tifikate geschenkt bekommen. Aber sie stellen sie den ungesicherte Beschäftigungsverhältnisse, zu ersetzen.
Verbrauchern als Kosten in Rechnung. Die Botschaft an die Unternehmen lautet, dass sie keine
(Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Genauso hohen Löhne zahlen müssen, weil die Arbeitnehmer ihre
ist es!) Niedriglöhne gegebenenfalls durch Transferleistungen
des Staates aufgestockt bekommen. Dazu sage ich: Das
Das hat dazu geführt, dass die Energieversorger Ex- ist der völlig falsche Weg und ein Grund, weshalb wir ei-
traprofite in Höhe von circa 6 Milliarden Euro gemacht nen gesetzlichen Mindestlohn brauchen. Dieses Dum-
haben, indem sie von den Verbrauchern Geld für etwas ping nach unten müssen wir beenden.
verlangt haben, für das sie keinen Cent bezahlt haben.
Meine Damen und Herren, das ist absurd und muss ge- (Beifall bei der LINKEN)
ändert werden. Meine Damen und Herren, wir brauchen dringend
(Beifall bei der LINKEN) eine Wende in der Wirtschaftspolitik: hin zur Stabilisie-
rung der Massenkaufkraft und zur Stärkung der Binnen-
Es muss verhindert werden, dass diese Kosten den Ver- nachfrage. Wir müssen die Spirale nach unten sowohl
brauchern weiterhin in Rechnung gestellt werden kön- bei den Löhnen als auch beim Lohn- und Sozialdumping
nen; darüber wird im Rahmen der Wirtschaftsminister- beenden. Wir müssen Mindeststandards einführen, damit
konferenz schon seit langem diskutiert. Auch hier, Herr Arbeit existenzsichernd ist, in Würde erfüllt werden
Minister Glos, warten wir auf einen Vorschlag von Ihrer kann und jeder seinen Lebensunterhalt mit eigener
Seite. Hände Arbeit verdienen kann. Das setzt eine wirtschafts-
Vorschläge habe ich von Ihnen nur zum Thema Nied- politische Wende voraus.
riglohnsektor gehört. Sie haben Ihre Sympathie für den, Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
(B) wie ich finde, absurden Vorschlag bekundet, den die so (Beifall bei der LINKEN – Steffen Kampeter (D)
genannten Sachverständigen formuliert haben, die Höhe
des Hartz-IV-Geldes um 30 Prozent zu senken. [CDU/CSU]: Hat er eigentlich für den Bun-
desrat oder für die PDS gesprochen? Diese
(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sie sind zu- Frage stellt sich allerdings noch!)
mindest sachverständiger als Sie! Das wird
durch Ihre Rede sehr gut dokumentiert!)
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Ich halte den Vorschlag, den Druck auf die Erwerbslosen Anna Lührmann hat das Wort für das Bündnis 90/Die
so lange zu erhöhen, bis sie bereit sind, jede Arbeit anzu- Grünen.
nehmen, schlichtweg für zynisch.
(Beifall bei der LINKEN) Anna Lührmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kol-
Wie sieht es denn auf dem ersten Arbeitsmarkt aus? legen! Sehr geehrter Herr Minister, ich habe Ihrer Rede
Wie ist das Verhältnis von offenen Stellen zu Erwerbslo- mit Freude und großem Interesse zugehört. Vielleicht
sen? Einen solchen Vorschlag zu machen, ist nichts an- werden Sie sich freuen bzw. wundern, dass ich Ihnen in
deres, als den Leuten zu sagen: Ich kürze euch die ohne- einem Punkt sogar zustimmen kann:
hin knappen Mittel, die ihr bekommt, um euren
Lebensunterhalt zu fristen, um weitere 30 Prozent. Das (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: In seiner
ist ein Programm zur Förderung der Schwarzarbeit. Von Rede waren aber viel mehr solche Stellen drin,
irgendetwas müssen die Leute schließlich leben, Herr Frau Lührmann! Sie haben wahrscheinlich
Glos. Das ist wirtschaftspolitisch absolut unvernünftig. nicht genau genug zugehört!)
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland ist so
neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – gut wie seit langem nicht mehr. Dazu kam es aber nicht
Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Ach was! Sie etwa wegen Ihnen bzw. wegen der großen Koalition,
reden ja, als ob es ein Gesetz der offenen Stel- sondern trotz der großen Koalition. Sie haben dazu an
len gibt! Das hat schließlich auch etwas mit keiner einzigen Stelle beigetragen.
den richtigen Rahmenbedingungen zu tun!)
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN –
Die Politik des Niedriglohnsektors, die Sie verfolgen, Dr. Michael Meister [CDU/CSU]: Der Grund
hatte bereits ihre Konsequenzen – Minister Müntefering ist, dass die Grünen jetzt endlich in der Oppo-
hat diese Daten vor einiger Zeit veröffentlicht –: sition sitzen!)
4746 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. September 2006

Anna Lührmann
(A) Ich kann mir vorstellen, dass Sie mir das nicht unbe- die Sie dann auch umsetzen. Das ist Ihr Job hier, nicht, (C)
dingt glauben. Allerdings sollten Sie zur Kenntnis neh- sich mit Steinbrück anzulegen, der heute Morgen nicht
men, wie die deutsche Wirtschaft den Wirtschaftsminis- einmal hier ist.
ter beurteilt. In den entsprechenden Umfragen heißt es:
Nur jeder zwanzigste Manager findet in Deutschland den (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Wirtschaftsminister gut. Ich frage mich, wie Sie da auf sowie der Abg. Ulrike Flach [FDP])
die Idee kommen können, Herr Glos, dass Sie irgendet- Herr Glos, Sie haben hier gesagt, die Steuermehrein-
was für die Wirtschaft in Deutschland getan hätten, dass nahmen, die durch die gute Konjunktur hereinkommen,
Sie irgendeinen Anteil am Wirtschaftswachstum in sollten komplett zur Haushaltskonsolidierung verwendet
Deutschland hätten. werden. Das finde ich gut, das ist ein richtig grüner Vor-
(Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: So ein schlag, das ist nachhaltig. Nur, leider ist das nicht die
Unfug!) Politik Ihrer Regierung. Wenn Sie am Dienstag hier ge-
wesen wären, wären Sie dabei gewesen, als Herr
Denn das haben Sie nicht; da leiden Sie an Selbstüber- Steinbrück hier noch erklärt hat, dass ein Löwenanteil
schätzung. Sie sollten lieber Ihren Job machen und einen – wie groß auch immer er sein soll – der Steuermehrein-
klaren Kurs in der Wirtschaftspolitik vorschlagen. nahmen für die Haushaltskonsolidierung genutzt werden
(Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Ich habe soll. Also, was ist jetzt die Politik dieser Regierung?
schon viel Schwachsinn gehört, aber das setzt Sind Sie für Haushaltskonsolidierung oder nicht? Sie
dem wirklich die Krone auf!) können den Mund noch so voll nehmen – wenn Ihr Kol-
lege Steinbrück das nicht umsetzt, wird daraus nichts.
In der heutigen Debatte ist klar geworden, dass diese
Regierung keinen klaren Kurs in der Wirtschaftspolitik (Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Sie haben
hat. Man muss sich nur zwei Beispiele vor Augen füh- den Haushaltsentwurf nicht gelesen, wollen
ren. aber darüber sprechen!)
Erstens: Ihre Bewertung des Sachverständigenrates. Herr Glos, ich schlage Ihnen vor, Sie kümmern sich
Sie haben den Sachverständigenrat jetzt hoch gelobt, um Ihren Job. Gerade zur Haushaltskonsolidierung ha-
Herr Glos – Herr Stiegler hat seine Absetzung gefordert. ben Sie einen ganz schönen Beitrag zu leisten. Ein Drit-
Was ist denn nun der wirtschaftspolitische Kurs der Bun- tel des Etats des Wirtschaftsministers machen die Stein-
desregierung? kohlensubventionen aus, die in diesem Jahr bei knapp
2 Milliarden Euro liegen.
(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Natürlich das,
was das Mitglied der Bundesregierung vorge- (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Wo der
(B) (D)
tragen hat!) Fischer gemeinsam mit den Bergleuten auf den
Barrikaden stand, damit sie höher werden!)
Wie wollen Sie Sicherheit, wie wollen Sie Stabilität, wie
wollen Sie gute Rahmenbedingungen für die Unterneh- Dazu, zu dem Bereich, wo Sie konkret etwas machen
merinnen und Unternehmer in Deutschland schaffen, können, haben Sie in Ihrer Rede eben überhaupt nichts
wenn Sie sich noch nicht einmal einig sind, was Sie von gesagt; Sie haben stattdessen mehrere Anmerkungen zur
Ihren eigenen Sachverständigen halten? Das ist kein kla- Energiepolitik gemacht.
rer Kurs und das können wir hier nicht gebrauchen.
Dabei müssen Sie nur einmal schauen, was die Lan-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) desregierung von Nordrhein-Westfalen macht: Sie hat
Das zweite Beispiel ist die Haushaltskonsolidie- erkannt, dass es richtig ist, aus dem Steinkohlenbergbau
rung, die Sie eben in Ihrer Rede für sich entdeckt haben, auszusteigen – sozialverträglich natürlich –, und mit den
Herr Minister. Sie haben hier vollmundig erklärt, Sie Steinkohlensubventionen Geld einzusparen, das man an
wollten die Verschuldung auf null zurückführen. Toll! anderer Stelle sinnvoller einsetzen kann. Die CDU/FDP-
Großartig! Das ist ein wunderbares Ziel. Nur, leider hat Landesregierung hat in den jetzigen Haushalt 50 Millio-
das mit der Realität der Politik der großen Koalition nen Euro eingestellt; diese Summe von Subventionen ist
nichts, aber auch gar nichts zu tun. zurückgezahlt worden, weil der Weltmarktpreis für
Kohle stark angezogen hat. Wir Grünen haben damals
(Beifall der Abg. Ulrike Flach [FDP] – durchgesetzt, dass mit dem Steigen des Weltmarktprei-
Dr. Michael Meister [CDU/CSU]: Sieben ses die Subventionszahlungen sinken.
Jahre lang haben Sie die Schulden von Jahr zu
Jahr gesteigert! Sie sind gar nicht legitimiert (Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Das war schon
für eine solche Rede! – Kurt J. Rossmanith immer so, da gab es Sie noch gar nicht!)
[CDU/CSU]: Ich sage nur Tritt-in!)
Das haben Sie in der großen Koalition hier noch nicht
Wenn man Ihre Mittelfristplanung einmal hochrechnet, umgesetzt. Statt, wie die Kollegen in Nordrhein-West-
wenn man davon ausgeht, dass Sie mit dieser Haushalts- falen das vormachen, solche Rückzahlungen in den
politik so weitermachen, kommen Sie zu einer Nettokre- Haushalt einzustellen, verzichten Sie einfach auf Mehr-
ditaufnahme von null – nicht etwa einer Verschuldung einnahmen von mindestens 200 Millionen Euro. Herr
von null – im Jahr 2051. Von daher sollten Sie hier den Minister Glos, Sie machen mit dem Subventionsabbau
Mund nicht so voll nehmen, Herr Glos, und lieber kon- nicht Ernst. Sie haben also auch in der Haushaltspolitik
krete Vorschläge für einen Subventionsabbau machen, keinen klaren Kompass.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. September 2006 4747
Anna Lührmann
(A) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Kollegen Herrn Seehofer zu befinden. Sie haben vorge- (C)
sowie der Abg. Ulrike Flach [FDP]) schlagen, dass man die Laufzeiten verschiedener Atom-
kraftwerke verlängern könnte.
Das hat nicht nur Auswirkungen auf den jetzigen
Bundeshaushalt, es geht auch um wichtige langfristige (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sehr gut!)
Weichenstellungen. Der Börsengang der RAG steht an,
über den wir in nächster Zeit beraten müssen. Auch da Das war Ihr neuer innovativer Vorschlag in der Energie-
haben Sie Zoff mit Nordrhein-Westfalen. Sie haben ge- politik. Analog zu dem, was Herr Seehofer gerade tut,
rade einen Brief von der nordrhein-westfälischen Wirt- fällt mir dazu nur ein, zu sagen: Sie schlagen vor, dass
schaftsministerin erhalten. wir Gammel-Atomkraftwerke weiterlaufen lassen, und
Sie gefährden damit die Sicherheit der Menschen in
(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Haben Sie Deutschland. Das ist keine zukunftsfähige Energiepoli-
den schon gelesen?) tik. Sie sollten stattdessen dafür sorgen, dass die Subven-
tionen für die Kohle gekürzt werden und dass die ent-
– Den habe ich leider nicht gelesen. Ich habe in der Zei- sprechenden Mittel in eine Strategie weg vom Öl und hin
tung davon gelesen. zu einer zukunftsfähigen Energiepolitik investiert wer-
(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Dann würde den.
ich vorsichtig sein mit der Erwähnung dieses (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Haben Sie
Briefes, Frau Lührmann!) das in Indien gehört?)
– Wenn Sie mir diesen Brief zur Verfügung stellen, will Das wäre Ihr Job, anstatt die Sicherheit der Menschen in
ich ihn gerne lesen und auch daraus zitieren. Deutschland aufs Spiel zu setzen.
In der Zeitung steht darüber, dass die Wirtschafts- Danke.
ministerin der CDU, Christa Thoben, schreibt, dass
wichtige Fragen in Bezug auf den Börsengang der RAG (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN –
immer noch nicht hinreichend beantwortet sind. Herr Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Herr Minister,
Glos, Sie wirft Ihnen vor, dass Sie sich nicht richtig da- ich würde sie nicht mehr mitnehmen!)
rum kümmern, dass die Altlasten nicht auf den Staat ab-
gewälzt werden. Ich kann dazu nur sagen: Recht hat sie. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Sie müssen sich jetzt darum kümmern und Sie müssen Für die CDU/CSU-Fraktion spricht der Kollege
jetzt etwas dazu sagen. Laurenz Meyer.
(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Was wollen Sie
(B) (Beifall bei der CDU/CSU – Steffen Kampeter (D)
denn durch Ihren Redebeitrag erreichen?)
[CDU/CSU]: Laurenz, jetzt erklär ihr das mit
Sie müssen jetzt damit anfangen, an einem Konzept zu der Kohle! – Gegenruf des Abg. Fritz Kuhn
arbeiten, wie wir die Altlasten dort möglichst reduzieren [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Damit macht
können. ihr den Bock zum Gärtner!)
Deshalb brauchen wir auch ein klares Ausstiegssze-
nario aus der Steinkohle. Dazu habe ich von Ihnen noch Laurenz Meyer (Hamm) (CDU/CSU):
nichts gehört. Ich habe mir hier Herrn Stiegler angehört, Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol-
der uns allen erzählt hat – er ist jetzt leider nicht mehr legen! Ich habe die Debatten in den letzten Tagen ver-
da –, dass wir in Deutschland mit dem Steinkohlenberg- folgt und sage den Oppositionsfraktionen und insbeson-
bau weitermachen müssen, dere der FDP: Ich kann mir gut vorstellen, wie die Reden
ausgesehen hätten, wenn hier heute Morgen statt
(Dirk Niebel [FDP]: Das ist eine Schande für Michael Glos für uns einer von der FDP gesprochen
die SPD!) hätte. Die Daten am Arbeitsmarkt und bezüglich der
obwohl die deutsche Steinkohle auf dem Weltmarkt lei- Erwerbstätigkeit sowie insbesondere der sozialversiche-
der nicht konkurrenzfähig ist. rungspflichtig Beschäftigten weichen nun wirklich ganz
grundsätzlich von dem ab, was in den letzten Jahren war.
(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Was schla-
gen Sie denn vor?) Lieber Kollege Stiegler, messen wir es einmal nur an
den Zahlen. Ich will dem Herrn Schröder und eurer alten
Ich finde, das ist keine zukunftsfähige Politik. Sie müss- Regierung nicht zu nahe treten, aber im ersten Halbjahr
ten eigentlich dafür sorgen, dass eine bessere Energiepo- des letzten Jahres war bei der Bundesagentur für Arbeit
litik gemacht wird. Das wäre Ihr Job, aber dazu hört man ein Defizit von 3,4 Milliarden Euro aufgelaufen, wäh-
von Ihnen gerade gar nichts. rend im ersten Halbjahr dieses Jahres ein Plus von
5,5 Milliarden Euro aufgelaufen ist.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN –
Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Frau (Ludwig Stiegler [SPD]: Aber ohne den 13. Mo-
Lührmann, machen Sie doch einen Vorschlag!) natsbeitrag! Wir hatten nur 12!)
Herr Glos, in der Energiepolitik haben Sie nur einen Das zeigt die positive Entwicklung am Arbeitsmarkt und
Vorschlag, auf den ich zum Abschluss eingehen möchte. den grundsätzlichen Unterschied zur Vergangenheit so
Sie scheinen sich dabei in guter Gesellschaft mit Ihrem deutlich wie nichts anderes.
4748 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. September 2006

Laurenz Meyer (Hamm)


(A) (Ute Berg [SPD]: Sie vergleichen Äpfel mit hen und uns überlegen, wie wir das System vervoll- (C)
Birnen!) kommnen, insbesondere im Hinblick auf den
internationalen Bereich.
Über diesen Unterschied zu den letzten fünf Jahren soll-
ten wir uns nicht mehr lange streiten. (Beifall des Abg. Dr. Michael Meister [CDU/
CSU])
(Beifall bei der CDU/CSU – Ludwig Stiegler
[SPD]: Lieber Laurenz Meyer, bleib bei der Weiterer Punkt: die Bundesnetzagentur. Wir unter-
Wahrheit! Herr Schröder hatte keinen 13. Bei- stützen nachdrücklich die Überlegungen der Netzagentur
trag!) zu den Netzpreisen und zur Anreizregulierung in der Zu-
kunft. Wir stehen sicherlich am Anfang eines längeren
Michael Glos hat hier heute Morgen eine Rede gehal-
Prozesses; aber ohne ihn werden wir den Wettbewerb
ten und ein Konzept vorgelegt, das wir als Unionsfrak-
nicht stärken können.
tion nachdrücklich unterstützen und an dem wir nach
Kräften mitarbeiten werden. Was der Wirtschaftsminister auch in den vergangenen
Tagen zur Anbindung neuer Kraftwerkskapazitäten
(Dirk Niebel [FDP]: Ist das denn dann noch
gesagt hat, findet unsere volle Unterstützung. Es darf
Regierungspolitik?)
nicht verhindert werden, dass neue Kraftwerkskapazitä-
Ein paar Punkte will ich noch einmal zusätzlich unter- ten – ich denke hier insbesondere an Kohlekraftwerke;
streichen. von den Gaskraftwerken der Stadtwerke halte ich, ob-
wohl eines davon in meinem Wahlkreis steht, nicht so
(Dr. Rainer Wend [SPD]: Jetzt bin ich aber
viel – erschlossen werden. Herr Minister Glos, wenn es
gespannt!)
Verweigerungshaltungen gibt, müssen wir sehen, wie
Erstens. Der wichtigste ordnungspolitische Punkt in wir damit umgehen.
den kommenden Jahren ist der Wettbewerb. Dies zieht
Im Zusammenhang mit den Haushalts- und Gewer-
sich durch alle Gebiete und darauf haben wir jetzt bei
bepreisen müssen wir sorgfältig schauen: Kommt es bis
den verschiedenen Reformprojekten zu achten. Wer vom
zum nächsten Jahr zu einer vernünftigeren Wettbewerbs-
internationalen Wettbewerb so stark wie wir betroffen
situation? Wenn das nicht der Fall sein sollte, müsste
ist, der tut den eigenen Unternehmen und den eigenen
man sorgfältig prüfen, ob die Genehmigungsvorbehalte
Arbeitskräften den besten Gefallen, wenn er den Wettbe-
der Länderregierungen für eine bestimmte, nicht zu
werb im eigenen Land nach Kräften stärkt, und zwar auf
lange Zeit beibehalten werden sollten.
allen Gebieten. Besser kann man den Unternehmen und
in Bezug auf die Arbeitsplätze nicht helfen. Ein Wort an Herrn Minister Gabriel: Wer mit seinem
(B) Haushalt 30 Prozent der Energiepreise mit zu verantwor- (D)
Das betrifft auch den Bereich, den Michael Glos beim
ten hat, wer immer noch nicht eingesehen hat, dass es
Thema Energie angesprochen hat. Hier gibt es zurzeit
sinnvoll ist, die Kernenergie zumindest so lange zu nut-
eine höchst unvollkommene Wettbewerbssituation. Un-
zen, bis es einen für die Menschen tragbaren, genauso si-
mittelbar nach Freigabe der Märkte – der Wettbewerb
cheren Ersatz gibt – international wird das inzwischen
war damals härter – war sie besser. Das müssen wir be-
von allen eingesehen –, der sollte andere Minister nicht
rücksichtigen. Ich sage das wirklich mit allem Ernst und
in der Öffentlichkeit kritisieren. Zumindest das sollte
voller Vorwurf: Durch die ideologisch orientierte Ener-
man verlangen.
giepolitik der rot-grünen Koalition ist der Wettbewerb
anschließend gestoppt worden, und zwar indem vielfäl- (Beifall bei der CDU/CSU – Ute Berg [SPD]:
tige Kosten obendrauf gelagert worden sind. Wer im Glashaus sitzt …!)
Frau Lührmann, es muss einem geradezu komisch zu- Zum Schlüsselwort „Wettbewerb“ gehört natürlich
mute sein, dass Sie sich, wenn Sie hier zur Energiepoli- auch die Gesundheitsreform. Hier muss das Hauptziel
tik vortragen, Sorgen um die Verbraucherpreise im sein, einen Wettbewerb zwischen den Versicherungen
Energiebereich in Deutschland machen. Sie sollten zu- herzustellen, damit die Versicherungen den Versicherten
nächst Ihre Ideologie durchforsten – Sie haben alle mög- vernünftigere und effizientere Konditionen anbieten und
lichen Kosten für die Leute draufgepackt –, ehe Sie sich die Preise und Kosten nicht wie in der Vergangenheit aus
weiter zu diesem Thema äußern. dem Ruder laufen. Was ich hier in der Debatte – leider
Gottes auch von dem einen oder anderen Kollegen von
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
der SPD – dazu gehört habe, zeigt mir, dass ein falsches
Zu den Stichworten „Wettbewerb“, „Energiepreise“ und Verständnis von Wettbewerb vorliegt. Es wird gesagt:
„Verbraucherpreise“ können Sie sich hier wirklich nicht Wir müssen die Versicherungen verpflichten, jeden zu
glaubwürdig äußern. nehmen. – Das nennt man Kontrahierungszwang. Ich
verstehe überhaupt nicht, dass dann an anderer Stelle ge-
(Dirk Niebel [FDP]: Nehmen Sie eigentlich
sagt wird, es gehe um die guten Risiken.
die Ökosteuer zurück?)
Egal, wie krank jemand ist: Er muss die Gelegenheit
Was sind die Herausforderungen? Herr Minister Glos
haben, zu jeder Versicherung, die günstiger als seine ei-
hat völlig Recht: Die Strombörse funktioniert zurzeit
gene ist, zu wechseln.
noch nicht richtig. Man kann nicht die Grenzpreise zur
Grundlage für die Festlegung der gesamten Handels- (Ludwig Stiegler [SPD]: Das ist unsere
preise machen. Wir müssen an dieses Problem herange- Position!)
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. September 2006 4749
Laurenz Meyer (Hamm)
(A) – Dann muss man sie aber nicht zusätzlich schützen. – (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und (C)
Leider Gottes ist hier – Kollege Stiegler, prüfen Sie das der SPD)
einmal in den eigenen Reihen – manches vertreten wor-
Lassen Sie mich noch etwas zu dem Thema Niedrig-
den, was Wettbewerb geradezu unterminiert und verhin-
lohn ausführen. Löhne, die nicht der Produktivität ent-
dert. Wir sollten das Thema noch einmal sorgfältig be-
sprechen, werden auf Dauer nicht gezahlt werden kön-
handeln. Deswegen ist es sicher gut, dass wir mehr Zeit
nen. Auch das ist eine Gesetzmäßigkeit. Arbeitsplätze,
haben.
bei denen die Lohnzahlung nicht der Produktivität ent-
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- spricht, werden auf mittlere Sicht wegfallen. Wenn wir
neten der FDP) die Arbeitsplätze nicht kaputtmachen wollen, sollten wir
deshalb in diesem Zusammenhang nicht mehr von Min-
Das Stichwort „Wettbewerb“ gilt auch für die Tele- destlohn sprechen. Uns kann es doch nur darum gehen,
kom. Wenn wir in der übernächsten Woche über Investi- den Menschen ein Mindesteinkommen zu garantieren.
tionsprogramme der Telekom reden, kann es nur darum Dieses Mindesteinkommen setzt sich eben unter Um-
gehen, zu prüfen: Wird der bisherige Wettbewerb ge- ständen aus Sozialtransfers plus eigenem Einkommen
stoppt? Werden neue Produkte angeboten? Davon ma- zusammen, was dann der Produktivität entspricht.
chen wir unsere Entscheidung abhängig. Anreize in
Form einer Regulierungspause oder Ähnliches gibt es Das, was der Kollege Stiegler zum Sachverständigen-
mit uns nicht. Was reguliert werden muss, wird reguliert. rat gesagt hat, war wohl ein kleiner Tribut an die eigene
Was aber nicht reguliert werden muss, wird auch in Zu- Fraktion.
kunft nicht von uns reguliert. (Ludwig Stiegler [SPD]: Nein!)
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Hinterher hast du zum Teil etwas ganz Vernünftiges ge-
sagt, Ludwig. Zu diesem Punkt war es aber, unter uns
Dasselbe gilt für die Entscheidung, die bei der Bahn gesagt, Quark.
ansteht. Wir müssen gegenüber den alten Unternehmen
– gegenüber der Telekom und der Bahn – glaubhaft ma- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU –
chen, dass wir Wettbewerb wollen. Wir müssen für die Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Da hat er wie-
gesamte Volkswirtschaft Strukturen schaffen, die Wett- der um unsere Freundschaft geworben! –
bewerb nicht verhindern, sondern unterstützen. Dabei Ludwig Stiegler [SPD]: Das zeigt, dass du das
dürfen wir allerdings nicht vernachlässigen, dass die Gutachten des Sachverständigenbeirats noch
Systeme weiterhin funktionieren müssen. Deshalb wird nicht gelesen hast!)
die Bahn den Betrieb sicherlich für eine bestimmte Zeit Es zeigt, dass gut gemeint nicht gut ist. Wir haben im
(B) übernehmen müssen, weil es nicht anders geht. (D)
letzten Jahr eine Maßnahme eingeführt, die wir dringend
So kann man das alles durchdeklinieren. Ich glaube, korrigieren müssen. Die 400-Euro-Jobs in Verbindung
dass das Stichwort „Wettbewerb“ die zentrale Botschaft mit dem ALG II waren gut gemeint. Das hatte aber zur
für das Wirtschaftsministerium und die Wirtschaftspoli- Folge, dass Schwarzarbeit praktisch nicht mehr kon-
tik ist. Damit komme ich zur Unternehmensteuer- trollierbar ist. Die Bundesagentur hat in unseren Gre-
reform, bei der es darum geht, für die Unternehmen miensitzungen bekannt gegeben, dass der Umfang der
gleiche Voraussetzungen im Wettbewerb zu schaffen. Es Schwarzarbeit in Deutschland, auf Arbeitsplätze hoch-
geht vor allen Dingen darum, dass die Unternehmen in gerechnet, 6 Millionen Arbeitsplätzen entspricht.
Deutschland Steuern zahlen statt woanders.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Insofern ist alles, was hier zu den Arbeitsplätzen ge- Herr Kollege, Sie müssen bitte zum Ende kommen.
sagt worden ist, im Prinzip richtig. Bei der Unterneh-
mensteuerreform geht es nicht in erster Linie darum, in-
wiefern dadurch akut neue Arbeitsplätze geschaffen Laurenz Meyer (Hamm) (CDU/CSU):
werden können. Vielmehr geht es um die Frage, wie man Deshalb müssen wir uns bei den Gesprächen zum Ar-
durch diese Reformmaßnahmen die Steuereinnahmen beitsmarkt im Herbst damit befassen, wie wir die
auf mittlere Sicht wieder nach Deutschland verlagert. Schwarzarbeit in reguläre Arbeit umwandeln können.
Dass das mit Anfangsinvestitionen verbunden ist, wer- Wichtig ist auch die Frage, die der Sachverständigen-
den wir sicherlich in Kauf nehmen müssen, wenn wir rat angesprochen hat. Ich begrüße für unsere Fraktion,
langfristig die Einnahmen steigern wollen. was die Bundeskanzlerin dazu festgestellt hat: Kürzun-
gen ohne Arbeitsplatzangebot im ALG-II-Bereich soll
Langfristig werden wir damit aber auch die Standort-
es nicht geben. Das ist unsere Philosophie. Wer aber so-
bedingungen im internationalen Wettbewerb verbessern.
ziale Transferleistungen vom Staat erhält und einen Ar-
Wir müssen ferner die Weichen stellen – das ist jeden-
beitsplatz angeboten bekommt, sollte diesen auch anneh-
falls meine Philosophie; darin sehe ich mich einig mit
men.
den Kollegen in unserer Fraktion, die sich darum bemü-
hen –, um die Anreize zur Finanzierung durch Eigenka- Ich glaube, dass wir auf einem guten Weg sind. Wenn
pital statt durch Fremdkapital zu verstärken und die Ei- wir bei der Vielzahl von Projekten, die wir zurzeit in Ar-
genkapitalbildung zu unterstützen. Auch das ist ein beit haben, Ruhe bewahren, es nicht an Mut und Verän-
wichtiges Thema im Zusammenhang mit der Unterneh- derungsbereitschaft mangeln lassen und in einem über-
mensteuerreform, die wir zurzeit diskutieren. schaubaren Zeitraum bei allen Arbeitsprogrammen, die
4750 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. September 2006

Laurenz Meyer (Hamm)


(A) wir uns vorgenommen haben, den Bürgerinnen und Bür- (Beifall bei der FDP – Martin Zeil [FDP]: Hier (C)
gern sowie der Wirtschaft wieder Planungssicherheit regieren die Falschen!)
bieten, dann werden die derzeitigen Entwicklungen am
Arbeitsmarkt auch in der Zukunft dauerhaft fortgesetzt Es ist immer leicht, zu sagen: Wir hängen in Verträgen.
werden können. Davon bin ich überzeugt. Dagegen ist es offensichtlich sehr schwer, gegen die al-
ten Subventionsträger in diesem Land vorzugehen.
Danke schön.
Das passiert in einer Zeit, Herr Glos, in der wir uns ei-
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- nen Finanzminister leisten, der zusammen mit Herrn
neten der SPD) Koch die berühmte Koch/Steinbrück-Liste aufgestellt
hat. Hätten wir uns an diese gehalten, hätten wir schon
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Milliarden einsparen können. Wenn ich mir jetzt Ihren
Für die FDP-Fraktion hat das Wort die Kollegin Etat, gar nicht den gesamten Bundesetat, anschaue, dann
Ulrike Flach. stelle ich fest, dass Sie bei den Subventionen nach der
Koch/Steinbrück-Liste eine Steigerung um 8 Prozent
(Beifall bei der FDP) hätten. Es fand aber kein Abbau statt, wie es der derzei-
tige Finanzminister jahrelang geplant und gefordert hat,
Ulrike Flach (FDP): sondern genau das Gegenteil: 8 Prozent mehr Subventio-
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr nen in einem Etat, zu dem uns der zuständige Minister
Meyer, Sie machen sich große Gedanken darüber, was gerade erzählt hat, in guten Zeiten müsse man konsoli-
ein liberaler Wirtschaftsminister an dieser Stelle gesagt dieren.
hätte.
(Beifall bei der FDP)
(Laurenz Meyer [Hamm] [CDU/CSU]:
Gejubelt hätte er!) Ich habe in der Rede dieses Ministers, aber auch in
den Reden anderer während der gesamten Haushaltswo-
Er hätte Ihnen sicherlich berichtet, was schon umgesetzt che, festgestellt: Dies war keine Haushaltswoche, son-
worden ist: eine Steuerreform einschließlich Unterneh- dern eine Woche, in der der Koalitionsausschuss immer
mensteuerreform, eine Gesundheitsreform und die Flexi- wieder einmal getagt hat.
bilisierung des Arbeitsmarktes.
(Beifall bei der FDP) (Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Was erzäh-
len Sie denn da für Zeug? Sie müssen Zeitung
Sie haben ein Jahr hinter sich gebracht und heute, lesen oder besser keine Reden halten!)
nach einem Jahr, erzählen Sie uns, was Sie langfristig
(B)
auf diesen Gebieten tun werden. Das wäre Ihnen mit ei- Es war für uns als Opposition zum Teil recht amüsant, zu (D)
nem liberalen Wirtschaftsminister sicherlich nicht pas- erleben, dass der Koalitionsausschuss nicht zu einem Er-
siert. Das hat inzwischen auch so mancher Wähler in gebnis kommt. Das betrifft den Abbau von Subventio-
diesem Land erkannt. nen, aber auch den Energiebereich, der von diesem
Minister verantwortet wird, lieber Herr Ramsauer.
(Beifall bei der FDP)
Es hat gestern keinen Widerspruch des zuständigen
Herr Wirtschaftsminister, Sie haben gerade gesagt, in Umweltministers Gabriel zu dem gegeben, was Herr
Zeiten des Aufschwungs sei zu konsolidieren. Ich kann Glos uns immer vorschlägt. Wir haben hier einen denk-
Ihnen ausdrücklich die Zustimmung der FDP zusichern. würdigen Auftritt von Frau Reiche zum Thema Gorleben
Ich erkenne Ihre Absicht allerdings nicht im Haushalt. erlebt. Der Koalitionsausschuss
Wenn man den Einzelplan 09 anschaut, stellt man fest,
dass Sie die vielen Subventionstöpfchen, die seit vielen (Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Welcher
Jahren von den verschiedenen Regierungen gepflegt Koalitionsausschuss?)
werden, wieder einmal etwas aufgefüllt haben. An den
Punkten, an denen die Bevölkerung klar erkennen tagte insofern, als Frau Reiche uns erklärte, dass die
könnte, dass es vorangeht, passiert nichts. CDU all das weiterhin vertritt, was sie schon bisher ver-
treten hat. Die SPD hat uns genau das Gegenteil erklärt.
Frau Kollegin Lührmann hat soeben zu Recht die Der Umweltminister hat uns gesagt, er werde in Zukunft
Steinkohle angesprochen. Ich weiß nicht, warum wir weitere Standorte für Endlager suchen. Dann kommt der
uns an dieser Stelle von der großen Koalition sagen las- entscheidende Punkt, lieber Herr Ramsauer: Im Etat des
sen müssen, man würde in geltende Verträge eingreifen, Umweltministers ist das Geld dafür nicht eingestellt.
wenn man Kürzungen vornehmen wollte. Ich kann im-
mer wieder betonen: Natürlich ist das nicht der Fall, es (Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Erstaun-
hat immer Verhandlungen gegeben. Ich bin froh, dass lich!)
Paul Friedhoff hier sitzt und das bestätigen kann. Man Das heißt, Sie leben in zwei verschiedenen Welten und
hat immer wieder versucht, entsprechende Erleichterun- teilen uns über die Medien sozusagen ihre eigene Oppo-
gen für den Haushalt herbeizuführen. Darüber hinaus sition mit. Eine zukunftsweisende Energiepolitik können
gibt es eine Landesregierung, die in ihrem Etat für die wir an dieser Stelle jedoch weder erkennen noch erah-
mittelfristige Planung bereits minus 50 Millionen Euro nen.
eingesetzt hat. Wieso kann so etwas in NRW passieren
und nicht bei Ihnen, Herr Glos? (Beifall bei der FDP)
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. September 2006 4751
Ulrike Flach
(A) Herr Glos reklamiert für sich ein Thema, das für mich – richtig – und der mir eigenen Zurückhaltung sagen: Ich (C)
aufgrund meiner forschungspolitischen Vergangenheit habe den Eindruck, dass der eine oder andere Kollege
besonders interessant ist: das Thema Hightechstrategie. von der Union angesichts schlechter Umfragewerte in
Sie haben uns eine wunderschöne, sicherlich sehr teure den letzten Wochen nervös geworden ist. Ich kann das
Broschüre vorgelegt. Diese zeichnet sich vor allen Din- deswegen mit Nachsicht sagen, weil wir von der SPD
gen durch einen Punkt aus: Im Jahre 2007 endet die das kennen. Wir sind das schon lange gewohnt. Ich gebe
Hightechstrategie dieser Bundesregierung. Es ist nicht Ihnen daher mit Fug und Recht folgenden freundschaftli-
erkennbar, was Sie nach dem Jahre 2007 machen wollen. chen Rat: Gewinnen wird in dieser Koalition niemand,
Das Einzige, was erkennbar ist, ist, dass Sie bei den Mit- wenn er sich auf Kosten des Partners profilieren will.
teln für die Felder, auf denen schon immer herumsub- Gewinnen werden wir nur, wenn wir gemeinsam Politik
ventioniert wurde, ein bisschen draufsatteln wollen. An- für unser Land und zur Verbesserung seiner Wettbe-
sonsten ergehen Sie sich in luftigen Worten und werbsfähigkeit machen.
Dialogforderungen. Ich führe als Beispiel die Raumfahrt
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
– Sie wissen, dass ich daran stark interessiert bin – an.
der CDU/CSU)
Dazu lässt sich folgender Satz von Ihnen finden: Man
beginnt einen strategischen Dialog zur deutschen Raum- Die Koalition wird auch dann nicht gewinnen, wenn ein
fahrtpolitik. Teil dieser Koalition an Forderungen nach Abbau des
Kündigungsschutzes und dem Weiterlaufen von Atom-
(Dirk Niebel [FDP]: Super! Aber was heißt kraftwerken festhält. Dazu kann ich nur sagen: Ein Blick
das?) in die Koalitionsvereinbarung erleichtert die Rechtsfin-
Eine äußerst interessante Formulierung! Die Bundes- dung. Wir bleiben bei dem, was wir dort vereinbart ha-
regierung meint offensichtlich, dass sie über Hochglanz- ben. Umweltminister Gabriel hat die Unterstützung der
broschüren Politik in diesem Land betreiben kann. SPD-Fraktion für seine Politik; denn sie ist nichts ande-
res als eine gute Umsetzung der Koalitionsvereinbarung.
(Beifall bei der FDP)
(Beifall bei der SPD)
Das ist keine Hightechpolitik und wird es auch nie
werden, vor allem deswegen nicht, weil wir uns gleich- Wenn wir uns darüber streiten, wer für den Auf-
zeitig mit Ministern wie Herrn Seehofer „vergnügen“ schwung politisch verantwortlich ist, dann ist daran zu-
müssen, die Politikfelder blockieren und offensichtlich mindest gut, dass wir uns in diesem Haus mittlerweile
nicht willens sind, diese zu bearbeiten, und das, obwohl einig sind, dass es so etwas wie einen Aufschwung gibt.
ich noch vor wenigen Monaten von einigen Unionskolle- Ich finde, bei ruhiger Betrachtungsweise können wir uns
– vielleicht sogar fraktionsübergreifend – darauf verstän-
(B) gen hörte, dass die betreffenden Bereiche die Hightech- (D)
symbolfelder dieser Welt seien. Denken Sie nur an die digen, wo die Ursachen dafür liegen. Einige wurden be-
Grüne Gentechnik! Hätten wir Herrn Seehofer nicht als reits benannt. Eine Ursache sind neben der Politik die
Minister, gäbe es wahrscheinlich bereits eine Reform, Unternehmer. Sie haben ihre Unternehmen wieder wett-
die uns weiterbringen würde. Aber so denken wir nur bewerbsfähig, konkurrenzfähig gemacht. Das ist eine
darüber nach, ob wir vielleicht am Ende des Jahres über wichtige Voraussetzung dafür, dass es mit der Wirtschaft
das Thema Grüne Gentechnik reden sollen. Ich hoffe, bergauf geht. Das will ich als Sozialdemokrat ausdrück-
dass es dann endlich weitergeht. lich anerkennen.

Herr Glos, alles, was mit Hightech zu tun hat, führen (Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Sie zwar im Munde. Aber leider hat das bislang nichts Ich bin zudem der Auffassung, dass die große Koali-
genutzt. Sie sollten erkennen, dass es nicht reicht, lupen- tion einen wichtigen Beitrag geleistet hat, und zwar nicht
reine CDU/CSU-Reden zu halten – diese finden sicher- nur mit ihren Einzelmaßnahmen, die der Kollege
lich unseren Beifall, keine Frage; wir sind an vielen Stel- Stiegler zu Recht angeführt hat. Ich glaube, dass wir, die
len einer Meinung –, wenn am nächsten Tag den große Koalition, zu Beginn unserer Amtszeit den Unter-
Zeitungen zu entnehmen ist, dass erneut SPD-Politik be- nehmen und den Menschen ein Stück weit Vertrauen
trieben wird. zurückgegeben haben. Das rechne ich uns gemeinsam
(Beifall bei der FDP) an. Wir sollten dieses Vertrauen gegenüber unserer Be-
völkerung auch weiterhin aufrechterhalten. Schließlich
hat Rot-Grün auch seinen Anteil daran.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Für die SPD hat Rainer Wend das Wort. Wir haben mit Reformen auf dem Arbeitsmarkt und
im Steuersystem begonnen. Ich sage an uns alle adres-
(Dirk Niebel [FDP]: Jetzt kommt die nächste siert – ohne Vorwurf an eine Richtung –: Mit diesen Re-
FDP-Rede!) formen wurde zehn Jahre zu spät begonnen. Rot-Grün
hatte damit begonnen.
Dr. Rainer Wend (SPD): (Beifall bei der SPD)
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich
möchte zu Beginn meiner Rede mit der mir eigenen mil- Deswegen haben wir Sozialdemokraten auch über-
den Nachsicht haupt keinen Grund, uns von dieser Regierungszeit zu
distanzieren, die wir gemeinsam hatten. Schließlich sind
(Dr. Uwe Küster [SPD]: Zurückhaltung!) dafür auch jene mitverantwortlich, die heute noch nicht
4752 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. September 2006

Dr. Rainer Wend


(A) genannt worden sind – vielleicht habe ich es auch über- dings insgesamt nur 37 Prozent des Strompreises aus. (C)
hört –: Das sind die Tarifpartner. Das heißt, wir haben damit nur ein Segment erwischt,
aber immerhin.
Wir haben nämlich in den letzten zehn Jahren Tarif-
vereinbarungen über Arbeitszeiten, über Entlohnungen Jetzt sage ich noch etwas zum Thema Energiepreise.
geschlossen, die flexibel sind und die uns bei den Ar- Am Ende werden wir nur Erfolg haben, wenn es Wettbe-
beitskosten im internationalen Vergleich wieder wettbe- werb gibt. Die vier Oligopole, die jeder kennt, stehen
werbsfähig gemacht haben. Noch heute stand in der Zei- faktisch in keinem Wettbewerb. Die einzigen, die wirk-
tung, dass wir den zweitniedrigsten Anstieg bei den lich Wettbewerb machen, sind die örtlichen Stadtwerke,
Arbeitskosten aller Industrieländer haben.
(Beifall bei der SPD)
Das ist Ergebnis der Tarifpartner und das ist Ergebnis
der Tarifautonomie, zu der wir uns bekennen. Wir haben und die müssen wir stärken, auch über die Bundesnetz-
überhaupt keinen Anlass, diese in Zweifel zu ziehen. agentur. Es hilft uns nichts, wenn wir über eine Regulie-
rung kurzfristig die Preise bei den Stadtwerken um we-
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) nige Cent senken, wenn dieses am Ende zur Folge hat,
Ein Wort zu Ihnen noch, Herr Senator Wolf: Ich finde, dass sie nicht mehr handlungsfähig sind und die Netze
Ihre Rede hat sich, weil sie sehr sachlich war, von dem anschließend von den vier Oligopolen übernommen wer-
positiv abgehoben, was an populistischen Sprüchen von den.
anderen Ihrer Parteifreunde hier gebracht wurde. (Beifall bei der SPD)
(Ludwig Stiegler [SPD]: Der muss regieren! Denn das hätte nur zur Folge, dass die Preise umso ra-
Der kann nicht populistisch sein!) santer ansteigen würden.
Sie sagen: Wir müssen unsere Konjunktur über mehr Zur Regulierung sage ich: Passt auf, dass ihr die
Nachfrage beleben. Das ist sicher nicht falsch. Ich bitte, Stadtwerke nicht schädigt, statt ihnen zu helfen, weil nur
nur Folgendes zu beachten. Unsere Wirtschaft ist zu das den Wettbewerb stärkt.
40 Prozent vom Export abhängig, die Vereinigten Staa-
ten zu 15 Prozent – um einmal eine andere Zahl zu nen- Die Schlagworte zu Wirtschaft und Entwicklung sind
nen. Wir müssen aufpassen, dass wir uns nicht darauf bekannt: Steuersenkung, Entbürokratisierung, den Ar-
beschränken, anzunehmen, die Konjunkturbelebung beitsmarkt lockern. Sie wissen alle: Mit mir kann man
könne nur glücken, wenn wir die Binnennachfrage über über manches reden, was diese Dinge angeht. Aber über
höhere Löhne, womöglich auch höhere Transferleistun- einen Punkt, der für uns wichtig ist, wird zu wenig ge-
gen unseres Staates anregen. sprochen: Wie gelingt es uns, Industrie- und Standort-
(B) politik für Deutschland zu machen? Ich will Ihnen ei- (D)
Die Tarifpartner können zu mehr Lohnabschlüssen nige Zahlen vortragen, die für unser Land ein Problem
kommen, die das Wachstum in den einzelnen Branchen sind, und zwar trotz des Aufschwungs, den wir gegen-
stärker berücksichtigen. Einverstanden. wärtig erleben.
(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Nein!) Es ist nämlich so, dass die industrielle Basis in
Wir müssen es aber bei den Arbeitskosten aufgrund un- Deutschland seit Jahrzehnten an Breite verliert. Ganze
serer Exportsituation schaffen, die Wettbewerbsfähigkeit Industriezweige, Unterhaltungselektronik und Textilin-
aufrechtzuerhalten. Deswegen ist es für mich „Vulgär- dustrie beispielsweise, sind, verglichen mit der Zeit vor
keynesianismus“, wenn Sie einfach sagen, die Nachfrage 20 oder 25 Jahren, nur noch ein Schatten ihrer selbst.
zu erhöhen, das schaffe Konsum. Wir müssen im inter- Das hat erhebliche Auswirkungen: Deutschland hat in
nationalen Kampf um Investitionen und Arbeitsplätze den letzten 15 Jahren etwa ein Drittel aller Arbeitsplätze
wettbewerbsfähig sein. im verarbeitenden Gewerbe verloren. Der Dienstleis-
tungsbereich konnte dies nur zu einem relativ geringen
(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das heißt An- Teil, nämlich zu etwa 40 Prozent, ausgleichen.
gebotsbedingungen verbessern!)
Wir müssen also Standort- und Industriepolitik ma-
Lassen Sie mich noch ein Wort zu einem Thema sa- chen. Dies darf aber keine nachsorgende Industriepolitik
gen, das mir sehr am Herzen liegt, das auch mehrfach sein. Was wir einmal im Zusammenhang mit Holzmann
angesprochen wurde, dem Thema Regulierung und gemacht haben, ist kein Beispiel für die Zukunft.
Energiekosten. Die Bürgerinnen und Bürger haben die
Sorge, dass ihnen die Kosten in vielen Bereichen des Le- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU –
bens davonlaufen, auch und gerade bei den Energieprei- Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Weiß das
sen. auch der Herr Schröder?)
(Martin Zeil [FDP]: Und bei den Steuern!) Wenn das Kind erst einmal in den Brunnen gefallen ist,
dann hat es keine Perspektive mehr.
Ich finde, die Bundesnetzagentur macht an dieser
Stelle eine gute Arbeit. Was wir tun müssen, ist, zu versuchen, Leitmärkte zu
identifizieren und auf diesen Leitmärkten die Rahmen-
(Beifall des Abg Dr. Axel Berg [SPD])
daten für unser Land zu verbessern. Das Fraunhofer-
Sie hat die Entgelte für die Netznutzung um insgesamt Institut hat einige Zukunftsmärkte ausgemacht. Der
etwa 20 Prozent gekürzt. Diese Entgelte machen aller- Wichtigste davon ist der Markt der Logistik. Deutsch-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. September 2006 4753
Dr. Rainer Wend
(A) land ist in der Logistik weltweit führend. Zwei der größ- (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Eine gute (C)
ten Logistikunternehmen der Welt sind bei uns angesie- Rede!)
delt, nämlich die Deutsche Bahn und die Post. Deswegen
wurde klar, warum der Berliner Senator von Ihnen mehr
lassen Sie mich kurz ein paar Worte zur Deutschen
Klarheit verlangt hat.
Bahn AG sagen.
Herr Minister Glos, was mich wirklich wundert, ist,
Wettbewerb ist wichtig. Bei der Teilprivatisierung der dass Sie es auf der einen Seite im Wirtschaftsteil der
Bahn müssen wir den Wettbewerb im Auge haben. heutigen Ausgabe der „Süddeutschen Zeitung“ geschafft
Wichtig ist für mich aber auch, dass wir den Konzern haben, Ihre Position in aller Klarheit zu formulieren,
Bahn als Globalplayer auf dem Zukunftsmarkt Logistik aber auf der anderen Seite nicht in der Lage sind, vor
erhalten und stärken. dem Deutschen Bundestag Ihre Strategie so zu formulie-
(Beifall bei der SPD) ren, dass die Zuhörerinnen und Zuhörer wissen, was Sie
vorhaben. Dies sollte Ihnen meiner Meinung nach zu
Wir müssen deshalb einen Weg finden, einerseits die denken geben.
Bahn als integrierten Logistikkonzern und als Global-
player zu erhalten, und andererseits müssen wir die Ver- Der Ansatz, den Sie verfolgen, ist richtig und wird
antwortung, die wir als Staat vom Grundgesetz her für von uns unterstützt.
das Schienennetz der Bahn haben, so wahrnehmen, dass Die großen Energiekonzerne zocken über die Dreh-
wir – ich formuliere es einmal untechnisch – immer auf scheibe der Leipziger Strombörse die Verbraucherinnen
das Eigentum der Bahn zugreifen können. Darüber, nach und Verbraucher systematisch ab. Der einzige Weg, dem
welchem Modell das im Einzelnen funktioniert, kann kurzfristig etwas entgegenzusetzen, ist die Stärkung des
man lange streiten. Wichtig sind der Wettbewerb und der Bundeskartellamts. Nichts anderes will der Bundeswirt-
Erhalt des integrierten Konzerns als Globalplayer in dem schaftsminister und er sollte angesichts der Übermacht
wachsenden und bedeutsamen Logistikmarkt. der großen Energiekonzerne hierfür die Unterstützung
Ich habe versucht, einen Beitrag zu einer Versachli- des ganzen Hauses haben. Meine Fraktion jedenfalls ist
chung der Diskussion zu leisten. Ich sage noch einmal: gerne bereit, daran mitzuwirken, dass es auf dem Strom-
Die große Koalition macht sich das Leben nicht einfach. markt mehr Wettbewerb gibt. Das haben wir schon beim
Energiewirtschaftsgesetz unter Beweis gestellt.
(Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
GRÜNEN]: Das stimmt!)
sowie bei Abgeordneten der FDP)
Aber sie macht es auch anderen nicht einfach. Eine Binsenweisheit ist, dass Wettbewerb Wettbewer-
(B) (D)
(Zustimmung beim BÜNDNIS 90/DIE ber braucht. Hier gibt es eine Brücke zwischen dem, was
GRÜNEN) sich zurzeit auf dem Strommarkt abspielt, und dem, was
in Bezug auf die Zukunft der Kohlesubventionierung
Ich sage Ihnen: Gemeinsam werden wir Erfolg haben, diskutiert wird. Es war, obwohl die Kohlesubvention
wenn wir uns auf unsere Stärken besinnen und wenn es ein Drittel Ihres Etats ausmacht und die industriepoliti-
uns auch in Zukunft gelingt, bei den Strukturreformen sche Entscheidung über die Zukunft der RAG nicht nur
den Weg weiterzugehen, den wir eingeschlagen haben. im Ruhrgebiet, sondern im ganzen Bundesgebiet von
Lassen Sie uns das gemeinsam machen. großer Bedeutung ist,
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das ist einer der
wenigen Sätze, die bei Ihnen stimmen!)
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: für mich ein Armutszeugnis, dass Sie nicht ein Wort zu
Das Wort für Bündnis 90/Die Grünen hat der Kollege diesem Thema gesagt haben.
Matthias Berninger.
(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das stimmt
nicht! Laurenz Meyer hat zur Kohle gespro-
Matthias Berninger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- chen! Andere auch!)
NEN):
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Ich finde, dass das angesichts der Entscheidungen, vor
Berliner Senator Wolf hat wahrscheinlich noch andere denen wir im nächsten halben Jahr stehen, nicht geht.
wichtige Termine und ist deswegen nicht mehr unter Die Frage ist: Unterstützen Sie den Vorschlag aus den
uns. Reihen der RAG bezüglich eines Stiftungsmodells, das
heißt, den klassischen Kohlebereich vom restlichen Be-
(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Was kann reich des Industriekonglomerats RAG abzutrennen?
wichtiger und schöner sein, als dem Deutschen
Bundestag zuzuhören?) (Laurenz Meyer [Hamm] [CDU/CSU]: Was
meinen Sie dazu?)
Er hat in Sachen Energiepolitik den Bundeswirtschafts-
Unterstützt die Bundesregierung das, ja oder nein?
minister aufgefordert, die Politik der Bundesregierung
gegenüber den vier großen Energiekonzernen zu ändern. (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Wir würden
Während der Rede des Bundeswirtschaftsministers heute gerne Ihren Ratschlag zur Kenntnis nehmen,
Morgen Herr Berninger!)
4754 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. September 2006

Matthias Berninger
(A) Ich finde, dieses ist zu unterstützen, aber es bedarf auch – Was ich will, Herr Kollege Kampeter, ist relativ klar. (C)
eines klaren Stoppsignals an Werner Müller. Werner
Müller möchte uns nämlich nicht nur diesen Vorschlag (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Dann sagen
machen, sondern er möchte darüber hinaus der Politik Sie es!)
Vorschriften machen, wie am Ende in dieser neuen In- Ich will Markt, auch im Apothekenbereich, und deswe-
dustriestruktur mit den einzelnen Teilen des Unterneh- gen einen Unsinn wie das Mehrbesitzverbot oder das
mens umzugehen ist. Der Link zum Strombereich ist die Fremdbesitzverbot bei Apotheken abschaffen. Das ist
STEAG. Zurzeit ist die STEAG eine praktisch von den Unsinn, der die Preise hochtreibt, die die Patienten be-
beiden Müttern RWE und Eon kontrollierte Perle, die zahlen müssen. Sie haben die Chance, im Rahmen der
Strom produziert, aber auf eine Art und Weise am Markt ansonsten wunderbar ausgestalteten Gesundheitsreform
auftritt, dass sie weder der Eon noch der RWE wehtut. daran etwas zu ändern. Die FDP hätte im Übrigen auch
Das kann man auch nicht verübeln. Wir wollen, dass die die Chance, zu unterstreichen, wie sehr sie für Wettbe-
STEAG künftig unabhängig von diesen beiden großen werb eintritt. Das ist ein Bereich, der Ihnen bisher eher
Konzernen wird und ein klarer Wettbewerber am Markt Sorgen bereitet.
ist, der die Energie liefert, die dann wiederum gerade
den Stadtwerken zugute kommt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich glaube, dass ein Wirtschaftsminister, der anstrebt, für
mehr Wettbewerb zu sorgen, für diesen Bereich eine
Das ist es, was Sie vorantreiben müssen. Jetzt kann man klare Aussage treffen müsste. Das hat er bisher nicht ge-
sagen, das kritisiere nun einmal die Opposition. Wenn tan.
aber die NRW-Wirtschaftsministerin Thoben – Herr
Kollege Kampeter, Sie haben bei dem Beitrag meiner Ich meine, dass es eine ganze Reihe von Bereichen
Kollegin Lührmann versucht, Nebelkerzen zu werfen – gibt, in denen man etwas für Unternehmerinnen und Un-
ternehmer tun kann. Der Deutsche Juristentag diskutiert
(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das war kein die Novelle des GmbH-Rechts. Das hört sich sehr tech-
Beitrag, sondern wirres Zeug!) nisch an, sie ist aber zurzeit in den Händen der Juristen.
den Bundeswirtschaftsminister wegen Untätigkeit kriti- (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Erst redet er
siert, dann sollte Ihnen das zu denken geben, aber nicht zur Gesundheitspolitik, jetzt zur Rechtspoli-
zu Zwischenrufen oder zu Sprüchen Anlass geben. tik!)
(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Ich kenne den Eines muss uns doch Sorgen machen. Viele, die ein Un-
Brief nicht und Frau Lührmann auch nicht und ternehmen gründen oder umgründen, wählen keine deut-
(B) sie äußert sich dazu! Wir können uns nicht zu sche Rechtsform, sondern melden ihre Firma in England (D)
Briefen äußern, die wir nicht kennen und Frau an und gründen eine Limited, weil unser System zu
Lührmann kennt ihn auch nicht!) schwerfällig ist und nicht die Bedürfnisse von kleinen
und mittleren Unternehmen abbildet. Bei uns findet eine
Es gibt das Problem, dass die Bundesregierung zu Debatte auf den hinteren Rängen und ohne den Justiz-
dieser Schlüsselfrage keine klaren Aussagen trifft und minister statt. Teil dieser Auseinandersetzung sind die
diese Haushaltsdebatte komplett hat verstreichen lassen, Rechtspolitiker der Unionsfraktion. Der Bundeswirt-
ohne ein Signal zu setzen. schaftsminister, dessen Aufgabe es ist, gute Rahmenbe-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) dingungen für Selbstständigkeit zu schaffen, hat sich
dazu noch nie geäußert, auch in dieser Debatte nicht. Ich
Ich meine, es bedarf der Führung der Bundesregierung. kritisiere an diesem Wirtschaftsminister, dass er sich mit
Wenn der Bundeswirtschaftsminister nicht führen kann den Problemen der kleineren und mittleren Unternehmen
– es gibt einigen Anlass, zu glauben, dass er das nicht nicht beschäftigt, sondern sie allenfalls einmal in Sonn-
kann –, dann muss die Bundeskanzlerin die Führung tagsreden erwähnt.
übernehmen; denn der Umweltminister, der in anderen
Bereichen diese Schwäche ausnutzt, wird in dieser Frage (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
schon wegen der Nähe der SPD zur Kohleindustrie nicht Herr Bundeswirtschaftsminister, ich finde, es wäre
der richtige Partner sein. angebracht, einmal Position zu beziehen: Soll es neben
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) der klassischen GmbH-Novelle weitere Liberalisierun-
gen geben – das wollen die Rechtspolitiker der Unions-
Es ist in dieser Debatte an verschiedenen Stellen über fraktion –, die zum Beispiel die Haftungsbeschränkung
Wettbewerb geredet worden. Ich hätte mir gewünscht, für Existenzgründer erleichtern und damit deren Risiko,
dass sich der Bundeswirtschaftsminister klar zu den ein Unternehmen zu gründen, eingrenzen, oder nicht?
Apotheken äußert. Ist es eigentlich richtig, dass sich die Wenn Sie einen Beitrag in dieser Debatte leisten würden,
versammelte Apothekerschaft gegen jede Form von würden es Ihnen die Unternehmerinnen und Unterneh-
Wettbewerb wehrt und aus der zweiten Reihe der Union, mer danken. Bisher haben Sie keinen solchen Beitrag
insbesondere der CSU, Einwände kommen, man solle geleistet.
hier auf keinen Fall Wettbewerb zulassen?
Letzte Bemerkung zur Unternehmensteuerreform.
(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Was wollen Der Kollege Ramsauer hat einiges rigoros abgelehnt,
Sie denn, Herr Berninger?) was bisher geplant ist. Ich sage Ihnen, was meine größte
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. September 2006 4755
Matthias Berninger
(A) Sorge ist: dass wir als Ergebnis der Auseinandersetzung ben Jahren nicht mehr gegeben. Das führt dazu, dass sich (C)
der großen Koalition die schlechtere beider Welten be- bei uns etliches verbessert.
kommen, nämlich eine Absenkung der Steuersätze für
die großen, relativ gut verdienenden Konzerne auf der Verehrte Frau Kollegin Lührmann, ich bin von Ihnen
einen Seite und – damit das Ganze möglichst aufkom- eigentlich ein bisschen enttäuscht. Sie hatten die Gele-
mensneutral ist – eine Gegenfinanzierung zulasten der genheit, mit dem Minister nach Malaysia und nach
kleinen und mittleren Unternehmen auf der anderen Indien zu reisen. Ich habe gedacht, Sie hätten ein biss-
Seite. chen besser aufgepasst und etwas gelernt.
(Anna Lührmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
Es reicht aber nicht, hier pauschale Äußerungen zu
Was hätte man denn lernen sollen?)
machen. Ich erwarte von dem Wirtschaftsminister, dass
er in den Arbeitsgruppen, in denen er sitzt, dafür Sorge Das scheint aber nicht der Fall zu sein. Der Minister
trägt, dass die Unternehmensteuerreform nicht die gro- sollte überlegen, ob es Sinn macht, Sie noch einmal mit-
ßen Unternehmen begünstigt und von den kleinen be- zunehmen.
zahlt wird. Eine Reihe von Vorschlägen, die jetzt auf
dem Tisch liegen, untermalen, dass wir besorgt sein (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Die Sache ist
müssen. Vor diesem Hintergrund reicht es meiner Mei- entschieden, Herr Kollege Fuchs! – Anja
nung nach nicht aus, sich in Zeitungsinterviews zu äu- Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das
ßern. Vielmehr müssen Sie sich in den Arbeitsgruppen ist doch albern!)
der Koalition für eine mittelstandsfreundliche Unterneh- Lassen Sie mich zu den Fakten kommen. Ein Punkt
mensteuerreform einsetzen. Das haben Sie bisher nicht muss immer wieder erwähnt werden: Erstmals seit fünf
getan. Jahren entstehen in Deutschland wieder Arbeitsplätze
im sozialversicherungspflichtigen Bereich.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) neten der SPD)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Das ist die Folge unserer Politik. Wir haben gegenüber
dem letzten Jahr 129 000 Arbeitsplätze im sozialversi-
Für die CDU/CSU-Fraktion hat das Wort Dr. Michael cherungspflichtigen Bereich mehr. Wenn es uns nun
Fuchs. nicht gelingt, die Sozialversicherungssysteme zu sanie-
ren, dann können wir ihre Sanierung sowieso vergessen.
Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU):
(B) Auch die Steuereinnahmen sprudeln. Die kritischen (D)
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kolle-
Haushälter haben errechnet, dass wir circa 3,5 Milliar-
gen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr ge-
den Euro mehr einnehmen, als ursprünglich geplant.
ehrter Herr Senator Wolf, ich freue mich, dass Sie die
Auch die Kommunen profitieren davon. Die Mainmetro-
Zeit gehabt haben, in den Plenarsaal zurückzukehren,
pole – verehrter Herr Senator, nehmen Sie sich daran ein
nachdem Sie hier eben gewaltige Worte gesprochen hat-
Beispiel – hatte für dieses Jahr 900 Millionen Euro Ge-
ten. Ich möchte einen Bezug zu Ihrer Politik in Berlin
werbesteuereinnahmen geplant.
herstellen. Die Arbeitslosigkeit in Berlin liegt mehr als
ein Drittel über dem Bundesdurchschnitt. Sie haben in (Abg. Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]
jedem der letzten drei Jahre einen Rückgang der Wirt- führt an der Bundesratsbank ein Gespräch mit
schaftstätigkeit verzeichnen müssen. Dafür nur folgende Harald Wolf, Senator [Berlin] – Steffen
Zahlen: Das Wachstum im Saarland betrug im letzten Kampeter [CDU/CSU]: Frau Präsidentin, die
Jahr 2,7 Prozent, in Berlin minus 0,1 Prozent. stört schon wieder!)
(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Bravo!) Bis Ende August sind bereits 1,22 Milliarden Euro ein-
gegangen. Man rechnet in Frankfurt jetzt mit
Das Bruttoinlandsprodukt pro Einwohner von Berlin 1,4 Milliarden Euro Einnahmen. Das ist eine positive
liegt noch nicht einmal bei der Hälfte von Hamburg, Zahl, die einmal genannt werden muss.
Frankfurt, Köln oder München.
(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Da
(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Und dann freut sich der Senator auch!)
hier solche Sprüche!)
Es wäre sehr erfreulich, wenn Sie das mit Ihrer Politik
Es gibt hier über 300 000 Arbeitslose. Für diese Politik auch hinbekämen. Aber davon sind Sie meilenweit ent-
zeichnen Sie als Wirtschaftssenator verantwortlich. fernt.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Er hat
die Einnahmen auch! – Harald Wolf, Senator
Ich weiß nicht, mit welchem Recht Sie sich hierhin [Berlin]: Die steigen auch!)
stellen und den Bundeswirtschaftsminister kritisieren,
der dafür sorgt, dass wir in diesem Jahr 2,4 Prozent Das Wachstum hat sich belebt. Genau das brauchen
Wachstum bekommen – das ist eine Tatsache –, wie das wir. Auch da hat die Bundesregierung die Weichen rich-
Institut für Weltwirtschaft in Kiel voraussagt. Ein tig gestellt. Ich erinnere nur an die diversen neuen Pro-
Wachstum in dieser Höhe hat es in den letzten sechs, sie- gramme, die wir bei der KfW aufgelegt haben. Auch
4756 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. September 2006

Dr. Michael Fuchs


(A) dazu eine Zahl. Es sind mittlerweile Mittel in der Grö- sierend werden wir mit weiteren Abbaumaßnahmen be- (C)
ßenordnung von 7,5 Milliarden Euro abgerufen worden. ginnen. Das alles ist in trockenen Tüchern und läuft.
Zum Vergleich: Im letzten Jahr waren es weniger als
Der Normenkontrollrat wird nächste Woche bekannt
2 Milliarden Euro.
gegeben und noch bis zum Ende dieses Jahres seine Ar-
Das CO2-Programm – das muss doch in Ihrem Sinne beit aufnehmen. Das ist ein weiteres Signal an die Wirt-
sein – schaft und genau das richtige. Wir sollten das gemein-
sam voranbringen. Ich bin mir sicher, dass wir mit der
(Anna Lührmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Unterstützung unseres Wirtschaftsministers da auf dem
NEN]: Das ist doch kein neues Programm der richtigen Weg sind.
großen Koalition!)
(Anna Lührmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
hat sich bewährt. Die Mittel werden kräftig abgerufen. NEN]: Bürokratie aufbauen, um Bürokratie
Das Gebäudesanierungsprogramm hat sich bewährt. abzubauen, großartig!)
Auch diese Mittel werden kräftig abgerufen. Das alles
sind Maßnahmen, die wir zur Verbesserung der Situation Noch ein Wort zu den Steuersystemen. Deutschland
des Mittelstands ergriffen haben. Das war dringend not- befindet sich im Wettbewerb der Steuersysteme. Machen
wendig. wir uns bitte nichts vor: Wenn wir kein vernünftiges
Steuersystem haben, wenn es uns nicht gelingt, eine ver-
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und nünftige Unternehmensteuerreform auf die Bahn zu
der SPD) bringen, dann werden wir noch mehr Standortprobleme
haben. Wir leben nicht in einem Glashaus. Wir können
Aber wir sind noch lange nicht am Ende damit. Es ist
nicht so tun, als sei alles, was um uns herum passiert,
notwendig, dass wir weitere Maßnahmen ergreifen. Ich
egal. Im Gegenteil: Wir müssen diesen Wettbewerb an-
bin mir bewusst, dass die Belastungen für die Bürgerin-
nehmen. Deswegen werden wir eine Steuerreform ma-
nen und Bürger, die wir aufgrund der fatalen Haushalts-
chen, die den Unternehmen hilft.
situation für das nächste Jahr planen mussten, weitere
Maßnahmen nach sich ziehen müssen. Wir wollen, dass Die Steuerreform muss rechtsformneutral sein. Es
sich in Deutschland Leistung lohnt. Wir wollen die Leis- kann nicht angehen, dass die Personengesellschaften und
tungsträger fördern. Liebe Kollegen, liebe Kolleginnen die mittelständischen Betriebe mehr belastet werden als
von der SPD – Sie sind ja unsere neuen Freunde, wie die großen Betriebe. Da bin ich völlig der Meinung von
Herr Stiegler eben deutlich gesagt hat –, Herrn Berninger. Wenn er mir zuhörte, würde er das
auch merken. – Wir werden deswegen unbedingt darauf
(Dr. Rainer Wend [SPD]: Verwandte kann man achten müssen, dass wir bei den Personengesellschaften
(B) sich nicht aussuchen!) (D)
Möglichkeiten schaffen, zum Beispiel durch Thesaurie-
ich habe mich so richtig gefreut, als mein Landesvater rung,
– ich bin Rheinland-Pfälzer – den alten Spruch von (Ludwig Stiegler [SPD]: Da war ja Einigkeit!)
Helmut Kohl aus dem Wahlkampf 1982 kopiert hat.
die eine Kompensation für den höheren Steueransatz,
(Ludwig Stiegler [SPD]: Er meint andere Leis- der dort notwendig ist, gewährleisten.
tungsträger!)
Dieses Thema müssen wir uns vornehmen. Das muss
Kopiert wird eigentlich immer nur etwas Positives, et- schnell gehen. Da muss Sicherheit geschaffen werden.
was Gutes. Insofern finde ich diese Kopie – „Leistung Es darf auch nicht mehr so sein, dass jemand irgendet-
muss sich wieder lohnen“; da hat er Recht – völlig in was vor sich hin plappert. Gott sei Dank hat die Kanzle-
Ordnung. rin letzte Woche sehr deutlich gemacht, dass mit der
Substanzbesteuerung Schluss sein muss. Zinsen dürfen
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) nicht besteuert werden. Das sind Kosten der Unterneh-
Auf diese Art das Signal zu setzen, dass wir die Leis- men und die müssen absetzbar sein. Auch da werden wir
tungsträger in der kommenden Zeit unterstützen, halte vorankommen.
ich für notwendig und richtig. Bei einem Punkt weiß ich, dass wir noch nicht so
(Ludwig Stiegler [SPD]: Dazu gehört aber ganz einig sind. Aber auch da, glaube ich, werden wir
auch die Krankenschwester!) die richtigen Wege finden. Wir müssen bei Hartz IV
noch Veränderungen vornehmen. Dass dieser Posten das
Deswegen werden wir verstärkt Bürokratie abbauen. Risiko in unserem Haushalt ist, wissen wir alle; darüber
Das erste Mittelstandsentlastungsgesetz ist in trockenen brauchen wir, glaube ich, nicht zu streiten.
Tüchern. Kurz vor der Sommerpause haben wir es ver-
abschiedet. Das zweite wird noch in diesem Jahr kom- Folgendes ärgert mich. Ich komme aus dem schönen
men. Es wird in allen Ressorts intensiv daran gearbeitet. Rheinland, aus einer der schönsten Weingegenden, die
Wir werden beweisen, dass es möglich ist, diesen Mo- es in Deutschland gibt, nämlich an der Mosel. – Ich
loch Bürokratie zu reduzieren. weiß, dass der Wirtschaftsminister als Franke jetzt zum
ersten Mal mit mir uneinig ist; aber ich werde dich ir-
Wir werden das Standardkostenmodell jetzt konse- gendwann noch überzeugen. – An der Mosel gibt es
quent anwenden. Ich hoffe, dass wir die Basiszahlen bis Erntehelfer. Lieber Kollege Stiegler, ich lade Sie ein,
zum Sommer nächsten Jahres haben werden. Darauf ba- mit mir gemeinsam dort hinzugehen.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. September 2006 4757
Dr. Michael Fuchs
(A) (Martin Zeil [FDP]: Er könnte ein bisschen Prognosen ergehen und damit der realen Lage einfach (C)
helfen!) nicht gerecht werden. Wir kennen das schon aus der letz-
ten Legislaturperiode zur Genüge, als ein noch viel grö-
Es ist trotz rund 20 Prozent Arbeitslosigkeit in der Re-
ßerer Chor permanent den Untergang des Abendlandes
gion nicht möglich, 60 Deutsche zu finden – das sind die
besang und damit Land und Leute verunsicherte. Noch
berühmten 10 Prozent –, die mit in den Weinberg gehen.
einmal: Die Lage ist besser, als von vielen prognosti-
Daran müssen wir arbeiten; dafür müssen wir Lösungen
ziert.
finden.
Nun ist es bekanntlich so, dass der Erfolg viele Väter
(Ludwig Stiegler [SPD]: Das ist doch auch die
oder auch Mütter hat. In diesem Fall sind es natürlich die
Politik von Franz Müntefering!)
Unternehmen – Rainer Wend hat zu Recht darauf hinge-
Es kann nicht sein, dass sich die Leute vor dieser Arbeit wiesen – und ihre Mitarbeiter, die durch ihren Einsatz ei-
drücken. Das dürfen wir nicht zulassen. Ich bin aber si- nen maßgeblichen Beitrag zur Aufwärtsentwicklung
cher, dass wir gemeinsam dafür Lösungen finden wer- geleistet haben. Die Konsumenten haben für entspre-
den. chende Nachfrage gesorgt, auch wenn die Sparquote in
Deutschland nach wie vor sehr hoch ist. Aber ebenso
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) – das möchte ich an dieser Stelle ebenfalls betonen – der
Mix von angebots- und nachfrageorientierter Wirt-
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: schaftspolitik hat dazu beigetragen, dass es in Deutsch-
Herr Kollege, kommen Sie zum Schluss, bitte. land wieder aufwärts geht.
Wenn sich Politikerinnen und Politiker bei negativen
Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU): Entwicklungen schon immer verprügeln lassen müssen,
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, lassen Sie uns können wir jetzt, finde ich, auch ruhig einmal ein paar
festhalten: Das Wirtschaftswachstum steigt, die Arbeits- Streicheleinheiten einfordern.
losigkeit sinkt, wir schaffen sozialversicherungspflich-
tige Arbeitsplätze. Wir sind auf einem guten Weg und (Beifall bei der SPD)
daran hat der Bundeswirtschaftsminister einen großen Wir haben in den letzten Jahren unter anderem durch
Anteil. drastische Steuersenkungen die Unternehmen, speziell
(Ludwig Stiegler [SPD]: Und sein Koalitions- die Personengesellschaften, also die Angebotsseite, ge-
partner!) stärkt. Von der geplanten Senkung der Lohnnebenkos-
ten werden wiederum Unternehmen, aber natürlich auch
Vielen Dank. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer profitieren. 2008
(B) (D)
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- – darauf wurde schon mehrfach hingewiesen – wird es
neten der SPD) eine Unternehmensteuerreform geben, die weitere Vor-
teile bringt.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Gerade mit unseren jüngsten Maßnahmen haben wir
Für die SPD-Fraktion spricht die Kollegin Ute Berg. aber auch die Nachfrageseite deutlich gestärkt. Wir ha-
ben ein Investitionsprogramm von 25 Milliarden Euro
Ute Berg (SPD): aufgelegt, trotz der erheblichen Sparzwänge, denen wir,
wie jeder weiß, unterliegen. Zu diesem Programm gehö-
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
ren auch die 6 Milliarden Euro, die zusätzlich in For-
Dass gegen Ende der Wirtschaftsdebatte die erfreuliche
schung und Entwicklung und damit in Zukunft investiert
Botschaft, dass die deutsche Wirtschaft wächst, und
werden.
zwar so stark wie schon seit fünf Jahren nicht mehr, be-
reits häufiger verkündet wurde, ist ganz normal. Dass Um die Binnennachfrage in Deutschland weiter anzu-
diese Tatsache nicht allein, wie in der Vergangenheit, der kurbeln, gibt es nun zunehmend Forderungen, die Tarif-
Exportwirtschaft zuzuschreiben ist, sondern wenigstens entwicklung in Deutschland wieder deutlicher am Pro-
in zarten Ansätzen auch der Binnenkonjunktur, ist be- duktivitätsfortschritt auszurichten. Angesichts der hohen
sonders erfreulich. preislichen Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unterneh-
men und der überwiegend rückläufigen Arbeitskosten ist
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
dies sicher ein Erfolg versprechender Weg zur Stärkung
Parallel dazu geht die Zahl der Arbeitslosen um etwa der Gesamtnachfrage in Deutschland. Darüber sollte
eine halbe Million zurück. Das ist ebenfalls ausgespro- man durchaus nachdenken.
chen erfreulich, wenn auch überhaupt kein Grund zur
Um die deutsche Volkswirtschaft aber langfristig und
Euphorie, wenn man sieht, dass immer noch 4,3 Millio-
nachhaltig zu stärken, müssen wir natürlich vor allem in
nen Menschen ohne Arbeit sind.
die Innovationsfähigkeit Deutschlands investieren. Wir
Die positive Botschaft möchte ich aber jetzt noch ein- müssen diese Innovationsfähigkeit erhalten und mög-
mal ganz klar ins Blickfeld rücken, und zwar aus folgen- lichst steigern. Wir müssen erreichen, dass Wissen-
den Gründen: Erstens höhlt natürlich steter Tropfen den schaftlerinnen und Unternehmerinnen – auch die Män-
Stein. Zweitens möchte ich aber einen Gegenpart zu de- ner sind gemeint – das erfinden und das tun, was andere
nen setzen, die sich immer noch – wir haben das auch noch nicht können und noch nicht tun. Mit der High-
heute wieder gehört – in Schwarzmalerei und düsteren techstrategie siedeln wir die Themen Forschung und
4758 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. September 2006

Ute Berg
(A) Innovationen ganz oben auf der Prioritätenliste an und Nachrichten. Auf dem Ausbildungsstellenmarkt bleibt (C)
fordern andere, nämlich die Länder und die Wirtschaft, die Situation weiter angespannt. Die Lage hat sich im
auf, mitzuziehen. Vergleich zum Vorjahr sogar verschlechtert. Die BA
rechnet mit einem leichten Zuwachs bei den Bewerber-
(Vorsitz: Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne
zahlen und gleichzeitig mit einem leicht rückläufigen
Kastner)
Angebot an Ausbildungsstellen. Optimistischen Schät-
Der Haushaltsentwurf 2007, über den wir hier disku- zungen zufolge werden Ende des Monats 47 000 unver-
tieren, spiegelt diese Schwerpunkte wider. Immerhin mittelte Jugendliche 12 000 unbesetzten Ausbildungs-
19 Prozent mehr Mittel gibt es im nächsten Jahr im stellen gegenüberstehen. Das ist eine Besorgnis
Haushalt des Wirtschaftsministeriums für Forschung erregende Situation.
und Entwicklung im Mittelstand. Dieser deutliche
(Beifall bei der SPD)
Aufwuchs verstärkt sich sogar bis 2009.
Die gute Nachricht kommt von den Hochschulen.
Zwei Aspekte sind mir dabei besonders wichtig:
2005 haben mehr als 250 000 Studierende ihr Studium
Erstens. Wir setzen mit den stetigen Erhöhungen der abgeschlossen. Im Vergleich zum Vorjahr gab es eine
Mittel für diese Programme ein Signal für Kontinuität Steigerung um 9 Prozent. Besonders erfreulich ist dabei
und schaffen eine dauerhafte und verlässliche Planungs- die Steigerung der Zahl der Absolventen um 26 Prozent
grundlage, die, wie wir alle, die wir Unternehmen besu- im Fach Informatik. Das ist ein neuer Höchststand. Hohe
chen, wissen, von entscheidender Bedeutung für sie ist. Zuwachsraten gibt es aber auch bei der Mathematik, den
Naturwissenschaften und den ingenieurwissenschaftli-
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
chen Studiengängen. Für den Technologiestandort
Zweitens. Wir zielen mit unseren Programmen für Deutschland und seinen Bedarf an hoch qualifiziertem
den Mittelstand darauf ab, dass die Forschungsergeb- Personal ist das natürlich ermutigend. Die verlässliche
nisse schneller als bisher in marktfähige Produkte mün- und investive Hochschulpolitik des Bundes der letzten
den. Jahre – ich schaue jetzt Edelgard Bulmahn an, die dafür
verantwortlich war –, unter anderem in Form von
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der
BAföG-Leistungen an Studierende, aber auch die kon-
CDU/CSU) krete Förderung technischer und naturwissenschaftlicher
„Aus Ideen werden Taten“, so formuliert die Bundes- Projekte an den Hochschulen tragen ihre Früchte.
regierung im Rahmen ihrer Hightechstrategie. Man
könnte auch formulieren: Aus Ideen werden schneller Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Taten. Wir verschaffen der Wirtschaft damit wichtige Frau Kollegin, darf ich Sie an Ihre Redezeit erinnern? (D)
(B)
Impulse und verbessern die Wettbewerbsbedingun-
gen. In der Praxis heißt das vor allem, Vernetzung und
Ute Berg (SPD):
Kooperation zu fördern. Die bekannten und bewährten
Programme des Wirtschaftsministeriums wie Pro Inno, Ich komme zum Schluss.
Inno-Watt und IGF werden wir weiterführen und aus-
bauen. Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Bitte.
Darüber hinaus wird es ein neues Förderangebot ge-
ben: die Forschungsprämie. Dabei ist allerdings das
BMBF federführend. Es ist aber letztlich egal, wer gute Ute Berg (SPD):
Dinge tut, die der Wirtschaft und der Wissenschaft hel- Ich bin sicher: Mit der Hightechstrategie, der Konzen-
fen. tration auf den innovativen Mittelstand und den Investi-
tionen in die Begabungen und Fähigkeiten der Menschen
(Ulrike Flach [FDP]: Das freut Herrn Glos!) in den Unternehmen werden wir auch in der Wirtschafts-
Diese Forschungsprämie soll die Wissenschaftseinrich- politik positive Erfolge erzielen.
tungen motivieren, sich stärker auf wirtschaftsrelevante Danke.
Themen einzulassen. Diese Prämie sollen Hochschulen
und Forschungseinrichtungen erhalten, die Forschungs- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
aufträge kleiner und mittelständischer Betriebe ausfüh- der CDU/CSU)
ren. Auch auf diese Art können Kooperationen und Ver-
netzungen unterstützt werden. Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Existenzgründern und kleinen und mittelständischen Nächster Redner ist der Kollege Kurt Rossmanith,
Unternehmen den Zugang zu Finanzierungsmöglichkei- CDU/CSU-Fraktion.
ten zu verbessern, ist ein weiteres Ziel. Hier helfen wir (Beifall bei der CDU/CSU – Steffen Kampeter
zum Beispiel mit dem Hightechgründerfonds und dem [CDU/CSU]: Jetzt kommt endlich mal wieder
ERP-Innovationsprogramm. ein bisschen Stimmung auf!)
Die Attraktivität und Innovationsfähigkeit eines Wirt-
schaftsstandortes bemisst sich aber auch an der Verfüg- Kurt J. Rossmanith (CDU/CSU):
barkeit und Qualität seiner Arbeits- und Fachkräfte. Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Dazu erreichen uns in diesen Tagen gegensätzliche Herren Kollegen! Erfreulich ist, dass wir alle uns zumin-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. September 2006 4759
Kurt J. Rossmanith
(A) dest über die vorliegenden Daten und Zahlen einig sind. (Ludwig Stiegler [SPD]: Aber dafür viel (C)
Die OECD sagt voraus, dass unsere Wirtschaft dieses Schwarzgeld!)
Jahr um 2,2 Prozent wächst. Dabei muss man berück-
haben alle anderen Länder um uns herum einen höheren
sichtigen, dass die OECD in ihren Prognosen immer et-
Mehrwertsteuersatz als wir. Lassen Sie also diese Ge-
was zurückhaltend ist. Also: Die Wirtschaft wächst wie-
schichte!
der.
Wir werden den jetzt sichtbaren Aufschwung auch
Wir haben 15 Prozent weniger Unternehmensinsol-
im Jahr 2007 haben. Ich garantiere Ihnen: Wir werden
venzen. Wir haben eine halbe Million weniger Arbeits-
noch nicht einmal die von manchen Pessimisten befürch-
lose als im vergangenen Jahr. Wir haben einen rasanten
tete Delle zu Anfang des Jahres haben. Dies ist auch
Anstieg der Zahl derjenigen, die sich dazu berufen füh-
wichtig, weil wir nur dann bei der Konsolidierung des
len, etwas zu unternehmen, und die deshalb Unterneh-
Haushaltes erfolgreich sein können, wenn sich dieser
men gründen. Deswegen, aber auch, weil wir die Konso-
Aufschwung fortsetzt. Die Konsequenz ist logischer-
lidierung des Haushaltes ernst nehmen, werden wir in
weise, dass wir die Arbeitslosenzahl senken und dafür
diesem Jahr – das kann man in diesem Monat schon mit
sorgen müssen, dass die Steuereinnahmen steigen.
Sicherheit sagen – die EU-Defizitkriterien erfüllen.
Man kann Subventionen durchaus kritisch sehen.
Das sind durchaus Daten, die man verkünden sollte. Aber man kann Subvention nicht gleich Subvention set-
Neben unserer sehr vernünftigen Politik und neben den zen. Ich muss wissen, welche Subvention sich konsum-
im vergangenen und in diesem Jahr geschaffenen Rah- tiv auswirkt. Die muss nämlich weg. Konjunkturför-
menbedingungen sind es die Bürgerinnen und Bürger dernde Subventionen müssen wir aber ausbauen oder
draußen im Lande, die für die positive Entwicklung zumindest beibehalten.
verantwortlich sind. Sie haben nämlich wieder Mut ge-
fasst. Diese Entwicklung sollten wir nicht von vornher- Liebe Frau Kollegin Ulrike Flach, der Anstieg um
ein wieder negieren. 9 Prozent muss im Zusammenhang mit dem 25-Milliar-
den-Investionsprogramm gesehen werden. Darum geht
Aber der Herr Kollege Brüderle – das zieht sich durch es. Sie sollten sagen: Gut, dass Sie das gemacht haben.
die ganze Woche – tut genau dies. Ich habe die FDP bis- Das unterstützen wir. Damit leisten wir unseren Beitrag
her immer sehr geschätzt. dazu, dass die Menschen wieder Arbeit finden.
(Martin Zeil [FDP]: Sie ist auch eine der bes- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
ten Parteien! – Zurufe von der SPD) neten der SPD)
– Ja, ich sage nur die Wahrheit. Wir als Abgeordnete Herr Bundesminister Glos, wir werden über viele (D)
(B) sind dem deutschen Volk und der Wahrheit verpflichtet.
Haushaltsposten des Einzelplans 09, Wirtschaft und
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Technologie, diskutieren müssen. Wir müssen über die
Ludwig Stiegler [SPD]: Jetzt bitte nicht fremd- Mittelstandspolitik, die Forschungspolitik und die Aus-
gehen! Keinen Seitensprung!) landswirtschaft sprechen. Wir müssen den Export stär-
ken, aber auch dafür sorgen, dass ausländische Investo-
Deshalb sage ich: Ich schätze durchaus die eine oder an- ren bei uns investieren.
dere Idee der FDP, gerade im Wirtschaftsbereich.
Frau Kollegin Flach, ich muss Sie noch einmal an-
(Ludwig Stiegler [SPD]: Keine Schmusereien sprechen. Ich stelle mich vor unsere Raumfahrtindus-
mit der falschen Seite!) trie, vor die auf diesem Gebiet tätigen Unternehmen,
aber auch vor das Deutsche Zentrum für Luft- und
Es ist aber unverständlich, dass Sie ständig auf den alten Raumfahrt. Die Mitarbeiter lasse ich von niemandem in
Zopf Mehrwertsteuererhöhung, egal ob es passt oder diesem Hause schlechtreden. Sie leisten eine hervorra-
nicht, hinweisen. gende Arbeit. Sie sind bei uns für Hochtechnologie zu-
(Ernst Burgbacher [FDP]: Das ist doch das ständig. Sie schaffen Arbeitsplätze.
Entscheidende!) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
Herr Kollege Brüderle, setzen Sie sich doch einmal der SPD – Ernst Burgbacher [FDP]: Die hat
aufs Fahrrad und fahren von Ihrem Heimatort aus in doch niemand schlechtgeredet!)
Richtung Westen nach Frankreich. Dort gibt es eine Heute Nachmittag wird die amerikanische Raumfähre
Mehrwertsteuer von 19,6 Prozent. Ich war dieses Jahr „Atlantis“ wieder zur Raumstation ISS starten. Sie wird
mit dem Fahrrad in Österreich unterwegs. Dort gibt es auch deutsche Technologie an Bord haben. In diesem
20 Prozent Mehrwertsteuer. Zusammenhang danke ich all denjenigen, die daran be-
(Ernst Burgbacher [FDP]: Aber weniger teiligt sind.
Einkommensteuer!) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
Ein Schleswig-Holsteiner wird vielleicht mit dem Fahr- der SPD)
rad nach Dänemark fahren. Dort gibt es 25 Prozent
Mehrwertsteuer. Mit Ausnahme der Schweiz, die nicht Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
zur EU gehört und die einen sehr niedrigen Mehrwert- Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
steuersatz hat, Kollegin Flach?
4760 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. September 2006

(A) Kurt J. Rossmanith (CDU/CSU): Wir brauchen zweitens eine Klärung der künftigen (C)
Aber selbstverständlich. Struktur der RAG und drittens klare Aussagen über die
energiepolitischen Ziele der Bundesregierung.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: (Beifall der Abg. Ulrike Flach [FDP])
Bitte. Natürlich ist hierbei auch Bundesminister Gabriel ge-
fragt. Es kann nicht gehen, wie Frau Lührmann – –
Ulrike Flach (FDP):
Danke schön, Kollege Rossmanith. – Ist Ihnen nicht Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
aufgefallen, dass ich sehr deutlich in Ihrem Sinne ge- Herr Kollege Rossmanith, da die drei Sätze zu Ende
sprochen habe? Deswegen frage ich Sie: Wie werden Sie sind und Sie Ihre Redezeit so deutlich überschritten ha-
eigentlich damit fertig, dass es in dieser Bundesregie- ben, bitte ich Sie, zum Ende zu kommen.
rung über das Thema Raumfahrt offensichtlich nur einen
sehr unverbindlichen Diskurs gibt? Wenn ich die ent-
Kurt J. Rossmanith (CDU/CSU):
sprechende Broschüre zur Hand nehme, muss ich diesen
Noch ein Satz, Frau Präsidentin. Ich bedanke mich,
Eindruck gewinnen. Das habe ich bemängelt.
dass Sie mir meinen Schlusssatz noch gewähren. Da-
(Ludwig Stiegler [SPD]: Die Taten sind besser rüber freue ich mich.
als die Broschüren!) (Heiterkeit)

Kurt J. Rossmanith (CDU/CSU): Sie haben gesehen: Es gibt wirklich sehr viele und in-
teressante Themen – man könnte fast eine Stunde da-
Verehrte Frau Kollegin, Sie haben kritisiert, dass wir
rüber sprechen –,
kein Konzept für die Raumfahrt hätten. Die Situation
wird weder vom Deutschen Zentrum für Luft- und (Heiterkeit)
Raumfahrt noch von der Industrie noch von der beglei-
die wir in den Beratungen des Haushaltes auf uns neh-
tend tätigen Politik auch nur annähernd so beschrieben
men werden. Ich freue mich schon auf diese Beratungen.
wie von Ihnen. Wenn ich Sie richtig verstanden habe, ha-
Langweilig wird uns im Haushaltsausschuss mit Sicher-
ben Sie Ihre Aussage in Ihrer Frage korrigiert. Dafür bin
heit nicht.
ich Ihnen dankbar.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
(Ulrike Flach [FDP]: Ich habe es richtig- neten der SPD und der FDP)
gestellt!)
(B) (D)
Wir werden auf diesem Weg gemeinsam voranschrei- Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
ten. Wir werden auch auf dem Sektor der Luft- und Letzte Rednerin in dieser Debatte ist die Kollegin
Raumfahrt erfolgreich sein. Deutschland ist ein Hoch- Annette Faße, SPD-Fraktion.
technologieland. Neben den Werften, die ich nicht ver-
gessen will, ist die Luft- und Raumfahrt dabei ein ganz (Beifall bei der SPD – Ludwig Stiegler [SPD]:
wesentlicher Faktor. Endlich etwas Erfreuliches!)

Der Tourismus – ich sehe gerade den Koordinator – Annette Faße (SPD):
ist auch ein wichtiger Bereich. Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Eine anerkennende Anmerkung zur Wismut GmbH. „Die Welt zu Gast bei Freunden“ lautete das Motto der
Ich will jetzt nicht auf die Höhe der Kosten eingehen. Fußballweltmeisterschaft in diesem Jahr. „Zu Gast bei
Wir haben noch rund 180 Millionen Euro zu leisten. Auf Freunden“ sollen sich weiterhin die deutschen Gäste in
diesem Gebiet wird großartige Arbeit geleistet. Die Deutschland und die ausländischen Gäste bei uns fühlen.
Landschaft zwischen dem Süden Thüringens und Sach- (Beifall bei Abgeordneten der SPD)
sen wurde kultiviert und landschaftlich so hergestellt,
wie man sich die Region zwischen dem Erzgebirge und Im WM-Sommer 2006 hat sich Deutschland als Gast-
dem Elbsandsteingebirge gerne vorstellt. Dafür ist den land hervorragend präsentiert. Die Zahl der Übernach-
Menschen, die daran mitgearbeitet haben, aber auch al- tungen in Beherbergungsstätten und auf Campingplätzen
len Bundesregierungen, die dieses Projekt seit Beginn in Deutschland ist im Vergleich zum Juni 2005 um
mitgetragen haben, zu danken. 8 Prozent auf 35,4 Millionen gestiegen.

Eine Bemerkung zur Steinkohle, über die schon viel (Beifall bei der SPD)
gesagt worden ist. Leider Gottes verrinnt die Zeit. Herr Dazu hat insbesondere der kräftige Zuwachs der Anzahl
Bundesminister Glos, ich will das, was wir erwarten und der Übernachtungen von Gästen aus dem Ausland mit
benötigen, deshalb ganz kurz in drei Punkten zusam- einem Plus von 31 Prozent beigetragen. Wir gehen da-
menfassen: Erstens. Es muss eine Entscheidung zwi- von aus, dass sich die Fußballweltmeisterschaft und
schen den Verantwortlichen gefunden werden, das heißt, auch die Fußballweltmeisterschaft der Mental Behinder-
zwischen der Bundesregierung, den Landesregierungen ten nachhaltig positiv auf den Tourismus in Deutsch-
– in erster Linie der von NRW – und der RAG. land auswirken werden.
(Beifall der Abg. Ulrike Flach [FDP]) (Beifall bei der SPD)
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. September 2006 4761
Annette Faße
(A) Die Bundesregierung und die sie tragenden Fraktio- geflossen. Wir gehen davon aus, dass auch in Zukunft (C)
nen werden weiterhin alles tun, um diesen boomenden alle Chancen genutzt werden, insbesondere auch die
Wirtschaftszweig, den Tourismus, zu unterstützen. Möglichkeiten in Richtung Osten. Wir haben mit dem
zuständigen Minister aus Mecklenburg-Vorpommern
(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Ernst hart gerungen, um auch für Hotels und die Gastronomie
Burgbacher [FDP]: Mehrwertsteuer!) eine Öffnung zu erreichen, damit das Geld genutzt wer-
Das bezieht sich nicht nur auf den Haushalt, über den den kann.
wir im Moment diskutieren, sondern wir finden auch (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
– denn der Tourismus ist eine Querschnittsaufgabe – in der CDU/CSU)
vielen anderen Haushalten entsprechende Haushaltstitel.
Wir bekommen auch aus den Haushalten anderer
Lassen Sie mich noch einmal deutlich machen, wie Ministerien finanzielle Hilfen. Ich möchte aus jedem
wichtig der Tourismus für die wirtschaftliche Entwick- dieser Haushalte nur einen Punkt aufgreifen: Der ge-
lung in Deutschland ist: 8 Prozent des Bruttoinlandpro- samte Bereich Familienerholung, Jugendwerke, Jugend-
duktes werden in diesem Bereich erarbeitet. 2,8 Millio- bildung und Jugendherbergen findet sich nicht in unse-
nen Menschen sind in diesem Bereich tätig. Dort wird in rem Haushalt, sondern im Haushalt des BMFSFJ; das ist
zwölf Berufen ausgebildet. An dieser Stelle sei noch ein- ein großer Brocken.
mal laut gesagt: In diesem Bereich gibt es noch freie
Ausbildungsplätze, und zwar auch in den neuen Bundes- Lassen Sie mich eines besonders hervorheben – es
ländern. wurde nämlich einmal kritisch darüber diskutiert, ob das
so bleiben sollte –: Wir haben die NatKo, die Nationale
(Beifall bei Abgeordneten der SPD) Koordinationsstelle Tourismus für Alle e.V., die sich da-
Ganz wichtig ist für uns natürlich die Werbung um für einsetzt, die Reisemöglichkeiten für Behinderte zu
Ausländer, die in Deutschland Urlaub machen sollen. verbessern, im Gesundheitsministerium angesiedelt. Ich
Dafür ist die DZT ein guter, sachverständiger und kom- freue mich sehr, dass wir diese Stelle so wie bisher erhal-
petenter Partner. Die DZT ist in Verbindung mit den ten konnten, und hoffe, dass sie weiterhin gut arbeitet.
Bundesländern auch für die Inlandswerbung zuständig. Im Haushalt des Umweltministeriums sind etliche
Wir halten die Zusage aus dem Koalitionsvertrag ein, die Ansätze enthalten, die sich mit ökologisch verträglichem
DZT weiterhin auf hohem Niveau zu unterstützen. Im Tourismus befassen; das begrüße ich sehr. Im Haushalt
Haushalt haben wir 24,974 Millionen Euro angesetzt. für Landwirtschaft sind der Bereich Urlaub auf dem
Das ist die gleiche Summe wie im letzten Jahr. Ich bin Bauernhof und damit auch Chancen für die Entwicklung
froh, dass es keine Kürzungen gibt; das sage ich ganz der ländlichen Räume zu finden.
(B) deutlich. Ich würde mich natürlich über jeden Euro mehr (D)
freuen. Ich meine, dass wir dem Wirtschaftszweig Tourismus
mit diesem Haushaltsentwurf in den verschiedenen Ein-
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten zelplänen gerecht werden. Ich erwarte, dass wir weiter-
der CDU/CSU) hin auf die Vielfalt und Qualität der Angebote in
Mein Dank gilt an dieser Stelle den Mitarbeiterinnen Deutschland setzen. Ich sage an dieser Stelle klar und
und Mitarbeitern, die weltweit für den Deutschlandtou- deutlich: Wir müssen mit unserer Wirtschafts- und Ar-
rismus tätig sind, häufig in Verbindung mit Instituten beitsmarktpolitik dazu beitragen, dass sich in Zukunft
oder unseren Industrievertretungen in anderen Ländern. mehr Menschen Urlaub in Deutschland leisten können.
(Dr. Michael Meister (CDU/CSU): Hoffentlich
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
hat das der Finanzminister gehört!
der CDU/CSU und der FDP)
Danke schön.
Der Titel „Förderung der Leistungssteigerung im
Tourismusgewerbe“ beträgt wieder 1,4 Millionen Euro. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Für mich ist sehr wichtig, dass wir den größten Anteil
hiervon, nämlich 750 000 Euro, in den Bereich Weiter- Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
bildung im Tourismus investieren, indem wir das Deut- Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
sche Seminar für Tourismus in Berlin massiv unterstüt-
zen. Aber wir haben auch Geld zur Verfügung, um Wir kommen damit zur Schlussrunde. Als erstem
Grundlagenuntersuchungen zu machen und um einzelne Redner erteile ich das Wort dem Bundesfinanzminister
Projekte, die den Tourismus voranbringen sollen, zu un- Peer Steinbrück.
terstützen. Damit, meine ich, können wir uns auch wei- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der
terhin aktiv für den Tourismus in Deutschland einsetzen. CDU/CSU)
Die Tourismuswirtschaft profitiert generell von der
mittelstandsfreundlichen Politik der Bundesregie- Peer Steinbrück, Bundesminister der Finanzen:
rung. Lassen Sie mich darauf hinweisen, dass es zwei Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten
Haushaltstitel gibt, in denen die Tourismuswirtschaft Damen und Herren! Ich möchte mich für die erste Le-
massiv mit im Spiel ist: zum einen bei den GA-Mitteln sung des Bundeshaushalts 2007 bedanken. Die Mann-
und zum anderen beim ERP-Sonderprogramm. Ein gro- schaftsaufstellung, der Ablauf, der Austausch der Argu-
ßer Teil dieser Gelder ist in die touristische Infrastruktur mente und gelegentlich auch die rhetorischen Effekte
4762 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. September 2006

Bundesminister Peer Steinbrück


(A) waren nicht immer voller Überraschungen. Aber ich Zukunft investiert werden? – kann man reden; darüber (C)
stelle fest: Wir alle ziehen an einem Boot, die Opposi- wird es Debatten geben, aber das Prinzip sollte unstrittig
tionsfraktionen zwar gelegentlich in eine andere Rich- sein, auch im Lichte dieses Haushaltes. Denn nur so ver-
tung und nicht zur selben Zeit, aber zumindest die Koali- ringern wir das Verschuldungstempo – von einer Ent-
tionsfraktionen. schuldung sind wir nach wie vor entfernt – und nur so
können wir Verbesserungen erreichen bei einem anderen
(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sehr gut!) Problem, das wir gelegentlich unterschätzen: die un-
Ich will daran erinnern: In meiner Rede zur Einbrin- günstige Struktur unserer Ausgaben, die eindeutig zu
gung des Haushalts habe ich dafür geworben – mir ist stark vergangenheitsorientiert und zu wenig zukunfts-
daran gelegen, das auch heute zu unterstreichen –, die orientiert sind.
derzeit erfreuliche und hoffentlich anhaltend gute Ent- Frau Lührmann fragte, warum wir das, was in diesem
wicklung des Wirtschaftswachstums, des Arbeitsmarktes Jahr an Mehreinnahmen hereinkommt, nicht komplett
und der Steuereinnahmen nicht in Euphorie umschlagen für die Absenkung der NKA verwenden. Ich habe davon
zu lassen. Tatsächlich haben wir die strukturellen Pro- gesprochen, dass wir den Löwenanteil dafür einsetzen.
bleme in der Haushalts- und Finanzpolitik bisher nicht Der Grund, Frau Lührmann, liegt darin, dass wir es im
gelöst. Ehrlicherweise müssen wir auch der jüngeren Augenblick mit einer etwas angespannten Kapitalmarkt-
Generation unter der Überschrift soziale Gerechtigkeit verfassung eines Unternehmens zu tun haben und man
sagen: Die Generationsgerechtigkeit ist durch die Situa- sich sehr genau überlegen muss, ob man die vorgesehe-
tion, die wir im Augenblick bei Haushalt und Finanzen nen Platzhaltergeschäfte noch in diesem Jahr macht oder
vorfinden, keineswegs gewährleistet. Der Vorwurf der dann, wenn die Kursentwicklung wieder etwas günstiger
jüngeren Generation, dass wir uns mehr leisten, als wir ist. Das ist die einfache Erklärung dafür und ich denke,
zuvor selbst geleistet haben, ist berechtigt. dass Frau Hajduk das auch vermitteln kann.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie (Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE Okay!)
GRÜNEN)
Als Aperçu: Ich habe registriert, dass ich meine Ein-
Richtig ist: Die Koalition hat mit dem Haushalt 2006 bringungsrede kaum zu Ende gesprochen hatte, da for-
sehr gezielt einen die Konjunktur stützenden Haushalt derte bereits das erste Mitglied der Koalitionsfraktionen
vorgelegt, der, wie ich glaube, mit dazu beiträgt, dass für einen bestimmten Einzelplan für die nächsten beiden
sich die Horizonte momentan aufhellen. Wir alle wissen, Jahre 1 Milliarde Euro mehr. Da fragt man sich schon,
dass der Haushaltsentwurf 2007 der Einstieg – ich sage ob man nicht Schall und Rauch geredet hat!
(B) sehr bewusst: Einstieg – in einen Konsolidierungskurs (D)
ist. (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das war die letz-
ten 40 Jahre nicht anders, Herr Minister!)
Ich bestätige gerne, dass die Kritik von Frau Hajduk
– sie wurde auch von vielen anderen Rednern vorgetra- – Ja. Aber ich darf dann am nächsten Tag in der Zeitung
gen – durchaus Gewicht hat, die darauf abzielt, dass die lesen, dass ein bestimmter Einzelplan in den nächsten
Senkung der Nettokreditaufnahme „bloß“ auf beiden Jahren mit 1 Milliarde Euro mehr ausgestattet
20,5 Milliarden Euro im Jahre 2010 definitiv kein werden soll. Dabei macht sich dieser Abgeordnete dieses
Durchbruch ist. Das ist eine Einschätzung, die ich teile. Hohen Hauses offenbar keine Gedanken darüber, was
Man kann dem entgegenhalten, wenn man das 25-Mil- das für die Regelgrenze des Art. 115 Grundgesetz heißt
liarden-Euro-Wachstums-und-Impulsprogramm dagegen- oder wie es um die anderen Grenzen bestellt ist, die wir
rechne, habe man es jahresdurchschnittlich mit einer Ab- einzuhalten haben. Das macht keinen Sinn.
senkung um weitere 6 Milliarden Euro zu tun. Unter (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/
dem Strich können wir aber bei der bisherigen mittelfris- CSU, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE
tigen Finanzplanung nicht behaupten, dass bei einer GRÜNEN)
Nettokreditaufnahme von 20,5 Milliarden Euro im Jahre
2010 eine wirkliche Verringerung des Tempos der Neu- Ich will einige Themen aufgreifen, die im Mittelpunkt
verschuldung stattfindet. gestanden haben. Noch einmal zur Erhöhung der
Mehrwertsteuer: Es war eine lebhafte, vorhersehbare
Das zwingt in meinen Augen zu der Schlussfolge- Debatte mit klaren Fronten. Fazit bleibt: Bundestag und
rung, dass eventuelle, hoffentlich entstehende Mehr- Bundesrat haben beschlossen! Ich für meinen Teil erin-
einnahmen aus der Wachstumsentwicklung und Effi- nere daran, dass ich bereits im Februar von dieser Stelle
zienzgewinne auf der Ausgabenseite einer weiteren aus auch mit Blick auf Verlässlichkeit gesagt habe, dass
Absenkung der Nettokreditaufnahme zugeführt werden sich die Republik darauf einstellen soll, dass diese Mehr-
müssen wertsteuererhöhung um 3 Prozentpunkte, auch wenn sie
unangenehm ist, kommt. Sie ist erforderlich aus zwei
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
Gründen: um den Beitrag zur Arbeitslosenversicherung
der CDU/CSU)
abzusenken
und/oder in Investitionen gesteckt werden müssen, je-
(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sehr gut!)
denfalls nicht konsumtiv verausgabt werden können.
Über das Verhältnis – wie viel soll zur Senkung der Net- und um die finanzielle Lage der öffentlichen Haushalte
tokreditaufnahme verwendet werden, wie viel soll in die mindestens zu stabilisieren. Die Lage der öffentlichen
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. September 2006 4763
Bundesminister Peer Steinbrück
(A) Haushalte ist hinlänglich bekannt, wird aber immer wie- nen solchen Fortsetzungsroman, gestreckt auf drei Jahre, (C)
der verdrängt. Im Übrigen halte ich daran fest, dass der brauchen.
Konsolidierungsbeitrag des Haushaltes 2007 zu 60 Pro-
zent durch Ausgabenkürzungen – 8,9 Milliarden Euro; An dieser Stelle will ich abschließend zur Mehrwert-
3,9 Milliarden Euro die Reduzierung von Steuersubven- steuer daran erinnern, dass häufig vergessen wird, dass
tionen – zustande kommt, denen 8,4 Milliarden Euro an die Mehrwertsteuer für die Güter des täglichen Bedarfs
Steuererhöhungen gegenüberstehen. Das ist das Verhält- beim abgesenkten Satz von 7 Prozent bleibt. Das ist in
nis 60/40, das ich am Dienstag genannt habe. diesem Zusammenhang verteilungspolitisch nicht ganz
unwichtig.
Ich teile übrigens die Forderung des Einzelhandels-
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
verbandes BAG, die Diskussion nun zu beenden und die
Mehrwertsteuererhöhung zu akzeptieren – zumal sie Zur Unternehmensteuerreform. Der Koalitionsaus-
kommt – und sich nun darauf einzustellen. Dieses Fazit schuss und die Bundesregierung haben die Eckpunkte
möchte ich an das Ende unserer Haushaltsdebatte stel- mit Varianten beschlossen. Das ist jetzt die Grundlage
len. der politischen Arbeitsgruppe, die vom Kollegen Koch
und von mir geleitet wird. Ich sage es noch einmal: Ich
Ich teile auch die Hinweise von vielen wichtigen Ab- vermute, dass sich diese Arbeitsgruppe Mitte Oktober
sendern, dass man diese Erhöhung nicht dramatisieren einigen dürfte. Viele von Ihnen sind in dieser Arbeits-
sollte. Ich bin sehr dankbar für die jüngsten Stellungnah- gruppe vertreten, zum Beispiel Herr Bernhardt, Herr
men der OECD und für das, was die Europäische Kom- Poß, Herr Spiller und viele andere. Ich rate uns dazu,
mission dazu gesagt hat. Namentlich möchte ich auch dass wir uns diese Reifezeit nehmen und nicht täglich
dem Präsidenten der Deutschen Bundesbank danken für Lieder absingen oder Wasserstandsmeldungen in die Öf-
seine Klarstellung, dass sich die Tonlage der Diskussion fentlichkeit bringen. Ich sage Ihnen ganz freimütig, dass
über die Erhöhung der Mehrwertsteuer in einem diame- ich nach unserer letzten Sitzung, an deren Schluss ich in
tralen Gegensatz zu den faktischen Auswirkungen der- meiner Verabschiedungsarie geraten habe, vorsichtig mit
selben bewegt. öffentlichen Einlassungen zu sein, zu viele Zitate und In-
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) terviews gelesen habe. Diejenigen, die definitiv keine In-
terviews gegeben haben, waren Herr Koch und ich.
Nach den Berechnungen der Bundesbank wird es nicht
zu einer Teuerungswelle kommen und mittelfristig wird All das, worüber ich im Augenblick lese – Zeitpunkt
auch die deutsche Konjunktur von einer solchen Erhö- der Abgeltungssteuer, Entlastungsvolumen, Umgang mit
hung nicht beeinträchtigt. Ich bleibe dabei: Bei Abwä- den Fremdkapitalzinsen –, ist im Pott. Wir werden die
(B) gung der relativen Nachteile – genau darum geht es – ist Dinge regeln. Ich bitte aber darum, dass wir uns die Ver- (D)
dieser Weg der beste gewesen. Natürlich gibt es immer handlungen nicht erschweren, indem präjudiziert wird
Alternativen, aber meine Überzeugung ist immer gewe- oder Claims abgesteckt werden. So kann das nicht funk-
sen, dass andere Strategien, als die Mehrwertsteuer zu tionieren. Um mir selber nicht zu widersprechen, will ich
erhöhen, größere Nachteile haben, auch für den volks- mich auf einige wenige Aussagen in diesem Zusammen-
wirtschaftlichen Kreislauf. hang beschränken.
Erstens. Es wird keine nominale Steuersatzsenkung
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der
ohne eine Verbreiterung der Bemessungsgrundlage ge-
CDU/CSU)
ben. Das ist schlechterdings nicht möglich. Das würde
Es gab den ernst zu nehmenden Vorschlag von Frau nicht funktionieren.
Hajduk und Herrn Kuhn, diese Erhöhung in drei (Beifall bei der SPD)
Tranchen vorzunehmen: 1 Prozentpunkt, 1 Prozentpunkt,
1 Prozentpunkt. Ich sage ganz freimütig: Je älter ich Wir haben darüber zu reden, wie sie aussehen wird. Ein-
werde, desto mehr habe ich etwas gegen Fortsetzungs- verstanden.
romane. Ich lese die Bücher immer gerne gleich ganz
Zweitens. Aus meiner Sicht ist es in der Tat sehr
durch. Frau Hajduk, ich kann mir auch nicht ganz vor-
wichtig, dass wir die derzeitig bestehende Privilegierung
stellen, diese Debatte drei Jahre lang zu führen.
der Fremdkapitalfinanzierung stoppen. Wir werden die
(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und der Probleme mit den Verschiebebahnhöfen in den Griff be-
CDU/CSU – Jochen-Konrad Fromme [CDU/ kommen müssen. Anders ausgedrückt: Die Unterneh-
CSU]: Das hätte sie gerne gehabt!) men, die in Deutschland Steuern zahlen, werden durch
die Unternehmensteuerreform besser gestellt als bisher.
Herrn Koppelin hier drei Jahre lang immer dasselbe re- Diejenigen, die die Verschiebebahnhöfe bisher grenz-
den zu hören, macht keinen Sinn. Sie können sagen: Das überschreitend genutzt haben, werden eventuell gele-
sind vorgeschobene Argumente von Ihnen, Herr gentlich enttäuscht sein.
Steinbrück.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
(Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: der CDU/CSU)
Nein, das ist ehrlich!)
Das Ziel, das wir mit dieser Unternehmensteuerreform
Der wahre Grund ist aber, dass wir die gesamten haus- verfolgen, lautet, dass Gewinne, die deutsche Unterneh-
haltspolitischen Auswirkungen jetzt und nicht durch ei- men erzielen, in Deutschland versteuert und nicht
4764 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. September 2006

Bundesminister Peer Steinbrück


(A) grenzüberschreitend transferiert werden – zum Beispiel Niemand bekommt hier etwas geschenkt. Wenn Sie (C)
nach Wagadugu, Haparanda, Isle of Man oder weiß der sagen, es dürfe keine Unternehmensteuerreform geben,
Teufel wohin – und dass Verluste nicht nach Deutsch- sprechen Sie sich dafür aus, dass alles so bleibt, wie es
land verbucht und hier steuerlich geltend gemacht wer- ist. Damit meine Ausführungen nicht zu flapsig wirken,
den können. Ich glaube, dass diese Logik richtig ist. stelle ich Ihnen eine einzige Frage: Glauben Sie, dass es
im Hinblick auf Investitionen und damit auf Arbeits-
Drittens. Darüber, was die geeigneten Stellschrauben plätze in Deutschland besser oder schlechter wird, wenn
dafür sind, um mit dem Hintern nicht das umzuwerfen, wir alles so lassen, wie es ist?
was wir mit den Händen aufbauen wollen, müssen wir
reden. Einverstanden. Mir ist sehr bewusst, dass man mit (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Da können
Blick auf die Fremdkapitalfinanzierung natürlich aufpas- Sie mal sehen, dass Sie bei unseren Reden
sen muss, dass man sich selber nicht widerspricht. nicht zugehört haben!)
(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sehr gut!) – Ich dachte eigentlich, ich bin ziemlich auf der Höhe
der Zeit gewesen, als ich Ihnen zugehört habe. Aber der
Ich beziehe das einmal auf meine Person, damit das un- Witz ist: Sie können diese Frage nicht beantworten. Bes-
verdächtig ist. Natürlich weiß ich: Wenn ich für PPP- ser gesagt: Sie wollen diese Frage nicht beantworten.
Projekte bin, also für Projekte, die durch Public Private
Partnership finanziert werden, dann muss ich bei be- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
stimmten Regelungen aufpassen, dass ich einen zu ho-
Wenn Sie diese Frage beantworteten, müssten Sie zuge-
hen Anteil an Fremdkapitalfinanzierung nicht so be-
ben, dass das Steuersubstrat, die Steuerbasis in Deutsch-
strafe, dass es in Deutschland solche Projekte nicht mehr
land geschwächt würde, wenn alles so bliebe, wie es ist.
gibt.
(Joachim Poß [SPD]: So ist es!)
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Es würden nämlich weniger Investitionen im Lande ge-
Mir ist sehr bewusst, was das auch für den Mittelstand tätigt und weniger Anlage suchendes Kapital in Deutsch-
bedeutet. Damit niemand nervös wird, sage ich dem Mit- land investiert. Sie drücken sich um die Beantwortung
telstand: Hier kann man mit Freigrenzen und Freibeträ- der Frage schlicht und einfach herum. Das ist etwas zu
gen so operieren, dass man sich nicht geschröpft fühlt. dünn für eine solche Haushaltsdebatte.
(Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Das werden (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
hinterher wieder Subventionen!) der CDU/CSU)
Mir ist selbstverständlich auch bewusst, dass in Kollege Lafontaine hat in seiner Vorlesung zur Au- (D)
(B) Deutschland nach wie vor Unternehmenszusammen-
ßen- und Weltpolitik, zur Zukunft der Menschheit im
schlüsse in anderen Größenordnungen als auf der Ebene Allgemeinen und insbesondere in der Bundesrepublik
von Mittelstandsunternehmen möglich sein müssen. All Deutschland gesagt,
denjenigen, die die Befürchtung haben, wir würden dort
ignorant vorgehen, sage ich: Das ist nicht unsere Ab- (Heiterkeit bei der SPD und der CDU/CSU)
sicht. Ziel ist die Stärkung des Steuerstandortes Bundes- eine Steigerung der öffentlichen Investitionen sei not-
republik Deutschland für inländische und von mir aus wendig. Das finde ich gut. Wir alle sind damit wahr-
auch die Investoren, die zu uns kommen und hochwill- scheinlich einverstanden. Frau Lötzsch, für mich ist die
kommen sind, sowie gleichzeitig auch für die öffentli- Frage entscheidend: Wie denn? Es gibt drei oder vier
chen Haushalte. Das bedeutet: Damit die nominalen Möglichkeiten.
Steuersätze weitgehend aufkommensneutral, das heißt
ohne Beschädigung für die öffentlichen Haushalte, abge- Erstens. Man macht mehr Schulden. Ich möchte gerne
senkt werden können, muss eine entsprechende Verbrei- wissen, ob Sie, die Linken, dafür sind, dass wir mehr
terung der Bemessungsgrundlage mit der Absenkung Schulden machen.
einhergehen.
Zweitens. Man kürzt die Sozialausgaben. Ich bin mir
(Beifall bei der SPD) ziemlich sicher, dass Sie einer Kürzung der Sozialausga-
ben nicht zustimmen wollen.
Nun habe ich insbesondere auch von der linken Seite
gehört – Herr Bartsch hat dazu auch Stellung genom- Drittens. Man beschließt Steuererhöhungen. Ich gehe
men –, dass das alles Steuergeschenke sind. Wörtlich einmal auf diese Debatte ein, damit es zu einem argu-
sagte er, dass diese Regierung den Unternehmen, den mentativen Schlagabtausch kommen kann. Ich nenne ein
Vermögenden, den Banken und den Konzernen wahnsin- Beispiel: Wahrscheinlich wollen Sie die Erbschafts-
nige Steuergeschenke machen würde. Es tut mir Leid: steuer erhöhen und die Vermögensteuer wieder einfüh-
Sie brauchen diesen Antagonismus offenbar immer wie ren.
eine Droge, weil sonst gewissermaßen ihr Ideologiege-
(Zustimmung bei der LINKEN)
rüst zusammenfällt. Ich kann damit nichts anfangen. Sie
bringen Formeln wie: Der Kapitalismus steht am Rande – Das ist ja in Ordnung. Ich lasse mich doch auf diese
des Abgrunds; auf, lasst ihn uns überholen! Argumentation ein, damit es intellektuell ein bisschen
spannender wird.
(Heiterkeit und Beifall bei der SPD, der CDU/
CSU und der FDP) (Heiterkeit und Beifall bei der SPD)
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. September 2006 4765
Bundesminister Peer Steinbrück
(A) Ich möchte die Relationen aufzeigen. Wenn Sie die Ich möchte noch auf ein Thema, das eine Rolle spielt, (C)
Investitionen im Bundeshaushalt um 10 Prozent erhöhen eingehen: das Verfahren bei der Erbschaftsteuer. Wir
wollen, dann müssen Sie die Erbschaftsteuer um wollen keine Antwort schuldig bleiben. Den Ländern ist
80 Prozent erhöhen. Das betrifft dann auch Menschen ein Entwurf geschickt worden. Die Länder haben sich
aus niedrigeren Einkommensgruppen, die zum Beispiel damit befasst, das letzte Mal vor weniger als 48 Stunden
ihren Kindern ein kleines Haus oder eine Eigentums- in der Finanzministerkonferenz.Wir befinden uns also in
wohnung vererben wollen. Ich nenne nur dieses Bei- einem Abstimmungsprozedere.
spiel, damit Ihnen die Proportionen bewusst werden und
Sie sich nicht immer im Wolkenkuckucksheim bewegen. Die Bundesregierung will eine Reform der Erbschaft-
steuer auf Unternehmensnachfolgen im Generationen-
Als die Vermögensteuer im Jahre 1996 das letzte wechsel. Dabei soll die Erbschaftsteuerschuld auf unter-
Mal erhoben wurde, hatte sie ein Volumen von 4,5 Mil- nehmerisches Vermögen vollständig entfallen, wenn der
liarden Euro. Sie wissen, dass es zwischenzeitlich ein Erwerber das Unternehmen nach der Übergabe zehn
Urteil des Bundesverfassungsgerichts gegeben hat, dem- Jahre fortführt. Darüber sind wir uns einig.
zufolge man auf die Gleichbehandlung der Vermögens-
arten Rücksicht nehmen müsse. Das heißt, man könnte Es sind noch drei Detailpunkte zu klären: erstens die
die Vermögensteuer so nicht wieder einführen. Auch Abgrenzung von Privatvermögen gegenüber Betriebs-
hier reden wir also über Summen, die erkennbar nicht vermögen, um sozusagen Verschiebebahnhöfe zu ver-
das bringen, was Sie an Mehrforderungen aufstellen, und hindern; zweitens – das ist meines Erachtens weniger
zwar nicht nur im investiven Bereich, sondern auch – Sie wichtig, aber auch zu klären – der Mindestanteil des
haben da grandiose Forderungen – im Bereich der Erblassers, wenn er an einer Kapitalgesellschaft beteiligt
Sozialausgaben. Das funktioniert nicht. Ich möchte da ist; drittens die Frage, wie die Klausel formuliert werden
von Ihnen etwas mehr Butter bei die Fische bekommen. muss, die für diese Steuerprivilegierung aus verfassungs-
Wenn Sie in den Raum stellen, die Sozialausgaben dürf- rechtlichen Gründen notwendig ist, um einen Verstoß
ten nicht weiter abgesenkt und die Investitionen müssten gegen das Gleichheitsprinzip zu vermeiden.
weiter erhöht werden, müssen Sie dem staunenden Im Hintergrund gibt es ein Problem, das der Bundes-
Publikum schon erklären, wie das funktionieren soll. tag nicht zu verantworten hat; es ergibt sich aus dem
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Zu- Vorlagebeschluss des Bundesfinanzhofes an das Bundes-
ruf von der LINKEN: Das Stichwort Binnen- verfassungsgericht zu den Bewertungsmaßstäben. Wir
konjunktur kennen Sie überhaupt nicht!) alle sind etwas im Unklaren darüber, wann es bei dieser
Bewertungsproblematik im Zusammenhang mit Immo-
Weil Sie immer den Begriff der sozialen Kälte ver- bilien- und Geldvermögen zur Klärung kommt.
(B) wenden, möchte ich darüber reden, was bei den Sozial- (D)
ausgaben Sache ist. Über 50 Prozent der Ausgaben aller Wenn wir das einigermaßen koppeln können und auf
Einzelpläne dieses Haushalts sind Sozialausgaben. den 1. Januar 2007 konzentrieren, dann haben Sie mich
auf Ihrer Seite. Wir sollten aber noch intern klären, wie
(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Olav wir die Möglichkeiten mit Blick auf das Bundesverfas-
Gutting [CDU/CSU]) sungsgerichtsurteil einschätzen. Es geht meiner Ansicht
nach in keiner Weise darum, von den Vereinbarungen im
Da reden Sie von sozialer Kälte! Von jedem Steuereuro, Koalitionsvertrag Abstand zu nehmen. Wir ziehen viel-
den wir einnehmen – ich glaube, Waltraud Lehn hat als mehr an dem selben Strang.
Erste daran erinnert –, geben wir 70 Cent im Sozialbe-
reich aus. Wovon reden Sie eigentlich? Ich würde gerne noch über viele andere Punkte reden.
Das ist aber nicht möglich.
(Bodo Ramelow [DIE LINKE]: Sollen sich die
Hartz-IV-Empfänger noch bei Ihnen entschul- (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Nicht zu viel
digen?) des Guten! Das war schon sehr gut!)
Ich würde gern Herrn Lafontaine fragen, ob er seiner- Ich werde es in Zukunft auch aufgeben, der Kollegin
zeit bei den Montagsdemonstrationen gegen Hartz IV Flach zu erklären, was laufende Posten im Bundes-
dabei war. haushalt sind. Ich halte daran fest, dass das Volumen
des Bundeshaushalts 2007 eine halbe Milliarde Euro we-
(Zurufe von der LINKEN: Ja!) niger beträgt als 2006. Der Bundeshaushalt entwickelt
Ist das Ergebnis von Hartz IV Sozialabbau oder Sozial- sich in der Perspektive bis 2010 jährlich nur mit einer
aufbau? nominalen Wachstumsrate von 0,7 Prozent. Das heißt, er
nimmt real ab. Frau Flach versucht immer, andere Zah-
(Zurufe von der LINKEN: Oh!) len anzuführen, weil sie das Durchreichen der Einnah-
Es ist Sozialaufbau, wie man am Bundeshaushalt erken- men aus der Mehrwertsteuererhöhung um einen Prozent-
nen kann. Vielleicht äußern Sie sich einmal dazu. punkt an die Arbeitslosenversicherung dazurechnet. Das
wäre aber ungefähr so, als wenn ich Frau Flach
(Bodo Ramelow [DIE LINKE]: Das ist blan- 10 000 Euro gäbe mit der Bitte, diese der FDP zuzufüh-
ker Zynismus!) ren.
Es gibt viele andere Punkte, auf die ich eigentlich ein- (Otto Fricke [FDP]: Dann darf sie das gar
gehen müsste, aber die Zeit rinnt mir durch die Finger. nicht!)
4766 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. September 2006

Bundesminister Peer Steinbrück


(A) Darüber kann man reden, wenn Herr Koppelin hier nur Wichtig ist mir, dass die Bundesregierung diesen posi- (C)
noch über Sport, Fußball und Heringsfang sprechen tiven Trend an vielen Stellen nicht nur unterstützt hat,
würde. Dann würde ich vielleicht diese 10 000 Euro sondern auch in den kommenden Jahren unterstützen
übergeben. wird. Ich bin mir ziemlich sicher, dass es auch gut gelin-
gen wird. In Anlehnung an einen alten Ausspruch von
(Heiterkeit bei der SPD)
Karl Schiller stelle ich fest: Die Pferde müssen wieder
Wenn Sie von mir 10 000 Euro erhielten mit der Auf- saufen. Dann bekommen wir auch wieder mehr Einnah-
lage, Sie mögen sie bitte als Spende der FDP übergeben, men.
dann würde sich Ihre Familie anschließend über Ihr un-
Herzlichen Dank.
geheuerliches Ausgabegebaren beschweren und Sie hät-
ten Mühe, Ihren Kindern und Ihrem Ehemann zu erklä- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
ren, dass ich 10 000 Euro mehr ausgegeben habe.
(Dirk Niebel [FDP]: Schwachsinn! Ist Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Schwachsinn parlamentarisch?) Das Wort hat die Kollegin Dr. Claudia Winterstein,
FDP-Fraktion.
So ähnlich ist es, wenn man die Einnahmen aus der
Mehrwertsteuererhöhung, die in die Arbeitslosenversi- (Beifall bei der FDP)
cherung fließen, dazurechnet.
(Beifall bei der SPD) Dr. Claudia Winterstein (FDP):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich komme zum Schluss. Ich warne vor Euphorie, Was ist nun das Fazit dieser Haushaltswoche? Jeder Mi-
aber es gibt eine begründete Hoffnung auf eine dauer- nister hat auf seine Weise versucht, die Probleme zu ver-
hafte wirtschaftliche Erholung, die den Menschen in der schleiern. Die Kanzlerin hat sich in der Generaldebatte
Bundesrepublik Deutschland wieder mehr Arbeit bringt. in die Außenpolitik geflüchtet. Der Finanzminister ist
Angesichts dieser positiven Fakten ist es mir herzlich angetreten, die Haushaltslöcher verbal wegzuzaubern.
gleichgültig, wer den Aufschwung für sich in Anspruch Der Arbeitsminister hat vorsichtshalber keine Haushalts-
nimmt. Sie können sich sicherlich daran erinnern, dass zahlen genannt, obwohl gerade in seinem Etat Löcher in
ich in meiner Einbringungsrede den Aufschwung gerade Milliardenhöhe drohen. Die Gesundheitsministerin hat
nicht für diese Bundesregierung reklamiert habe – an- erkennen lassen, dass sie sich mit Kritik nicht auseinan-
ders als Herr Solms, der sich in seiner Rede geradezu der, sondern sich darüber hinweg setzt.
dialektisch geäußert hat. (Beifall bei der FDP)
(B) (D)
Ich habe vielmehr – allerdings auch in der notwendi- Frau Merkel und Herr Steinbrück haben sich selbst
gen Bescheidenheit – festgestellt, dass man auf die Leis- gelobt und gefeiert.
tung der Vorgängerregierung und die richtigen Weichen-
stellungen der neuen Regierung der großen Koalition (Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Zu
hinweisen darf. Recht!)
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Wofür? Sie haben sich dafür gelobt, dass der Haushalt
der CDU/CSU) erstmals nach vier Jahren unter der 3-Prozent-Defizit-
Grenze bleibt und 2007 erstmals nach fünf Jahren ver-
Das heißt, wenn Herr Solms sagt, die konjunkturelle Er- fassungsgemäß ist – wenn es denn wirklich so kommen
holung sei trotz der Bundesregierung eingetreten, dann wird. Aber, meine Damen und Herren, das ist doch ei-
ist das der Pflichtsatz in einer Oppositionsrede. gentlich eine Selbstverständlichkeit,
(Zurufe der FDP: Was?) (Beifall bei der FDP)
Ich weiß, dass dieser Aufschwung nicht von der Bun- zumindest in anderen europäischen Ländern, von denen
desregierung initiiert worden ist. wir das fordern. So viel Eigenlob ist also fehl am Platz;
(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Wissen das alle denn es ist ihre verdammte Pflicht und Schuldigkeit.
bei Ihnen? – Jürgen Koppelin [FDP]: Bei dem (Beifall bei der FDP)
Chaos bei euch!)
Eines habe ich in dieser Woche nicht ein einziges Mal
Er ist aber von uns und von der Vorgängerregierung gehört: das Stichwort „ausgeglichener Haushalt“.
maßgeblich unterstützt worden. Er geht auf eine Ent-
wicklung zurück, die ich erfreulich finde. Die deutschen (Jürgen Koppelin [FDP]: Oder sparen!)
Unternehmen sind erkennbar wettbewerbsfähiger ge-
Sie planen zwar bis zum Jahr 2010, aber ein ausgegli-
worden. Die deutschen Arbeitnehmer und Arbeitnehme-
chener Haushalt ist nicht ihr Ziel. Eine Regierung, die
rinnen und ihre Gewerkschaften haben maßgeblich zu
Konsolidierung verspricht, muss aber auch einen ausge-
dieser Entwicklung beigetragen, nicht nur über moderate
glichenen Haushalt anstreben. Wo bleibt denn die von
Tarifabschlüsse, sondern auch über andere Verzichtsleis-
Ihnen eingeforderte Nachhaltigkeit, Frau Merkel? Sie le-
tungen und Zumutungen, was an dieser Stelle gewürdigt
gen eine Finanzplanung vor, bei der die Neuverschul-
werden sollte.
dung nach 2007 nicht weiter sinkt, sondern Jahr für Jahr
(Beifall bei der SPD) bei etwa 20 Milliarden Euro liegt. Sie kassieren Jahr für
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. September 2006 4767
Dr. Claudia Winterstein
(A) Jahr die Mehreinnahmen aus Ihren gigantischen Steuer- Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: (C)
erhöhungen, aber die Neuverschuldung liegt immer noch Nächster Redner ist der Kollege Dr. Peter Ramsauer,
bei über 20 Milliarden Euro pro Jahr. Das ist Betrug am CDU/CSU-Fraktion.
Bürger.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Diese Regierung setzt tatsächlich Akzente – wie es
Minister Steinbrück nannte –, nämlich durch Steuererhö- Dr. Peter Ramsauer (CDU/CSU):
hungen, damit der Staat mehr Geld hat. Sie erhöhen Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
drastisch die Abgabenlast und ziehen den Bürgern das Kollegen! Liebe Frau Kollegin Winterstein, ich glaube,
Geld aus der Tasche. Sie machen es sich in Ihrer Analyse und mit Ihrem pau-
(Beifall bei der FDP) schalen Vorwurf, die Regierung begehe Betrug, etwas zu
leicht.
Der Finanzminister hat vorhin auch behauptet,
60 Prozent der Haushaltsveränderung kämen durch (Petra Merkel [Berlin] [SPD]: Ja, genau!)
Ausgabenkürzungen zustande, nur 40 Prozent durch Ich gebe Ihnen in einem Punkt durchaus Recht. Sie
Steuererhöhungen. Das ist ein untauglicher Versuch, haben gesagt, es solle eine Selbstverständlichkeit sein,
den Bürger für dumm zu verkaufen. dass wieder ein verfassungsgemäßer Haushalt vorge-
(Beifall bei der FDP sowie der Abg. Anja Hajduk legt werde, der zudem den Kriterien des europäischen
[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Stabilitätspaktes genüge.

Sie definieren Subventionskürzungen als Ausgaben- (Dr. Claudia Winterstein [FDP]: Eben, aber
kürzungen. Der Abbau von steuerlichen Sonderregelun- nicht getan!)
gen bedeutet aber Mehreinnahmen für den Staat. Das Das haben wir schon immer gesagt. Ich darf daran erin-
sind also Einnahmeerhöhungen, Herr Steinbrück. Damit nern, dass wir vor über einem Jahrzehnt unter Finanzmi-
bleibt es bei unserem Vorwurf: Ihre Haushaltsanstren- nister Theo Waigel den europäischen Stabilitätspakt
gungen konzentrieren sich allein auf die Einnahmeseite. durchgesetzt haben. Aber damals hat niemand geahnt,
Etwas anderes zu behaupten, ist Betrug am Bürger. dass wir in Europa die Ersten sein werden, die gegen
(Beifall bei der FDP sowie der Abg. Anja Hajduk diesen Pakt verstoßen, und von 1998 bis 2005 in die
[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Klemme und damit in den Sanktionsmechanismus gera-
ten werden.
Sehr aufschlussreich fand ich auch die Rede des SPD-
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
Fraktionsvorsitzenden Struck. Ich zitiere:
(B) neten der FDP) (D)
Wir machen unsere Arbeit weiter. Deutschland
Wir hatten damals andere Länder im Blick – einige wur-
kann sich auf die SPD verlassen.
den bereits angesprochen –, beispielsweise Portugal und
(Petra Merkel [Berlin] [SPD]: Richtig, genau!) Griechenland. Aber damit, dass es uns zuerst erwischt,
haben wir nicht gerechnet. Leider ist es so.
Das ist wirklich ein schönes Kompliment für die Kanzle-
rin, für mich und viele Bürger aber eher eine Drohung. Wir alle sollten uns aber nun darüber freuen, dass wir
einen verfassungsgemäßen und mit dem europäischen
(Beifall bei der FDP) Stabilitätspakt konformen Haushalt vorgelegt und damit
Das ganze Regierungshandeln lässt sich auch so be- die Trendwende geschafft haben. Bitte nehmen Sie dies
schreiben: Sie zielen darauf ab, dem Staat Geld zu ver- zum Anlass, zu sagen – das meine ich ganz wertneu-
schaffen, Sie greifen dem Bürger weiter in die Tasche, tral –: Während der Regierungszeit der großen Koalition
Sie erhöhen die Mehrwertsteuer, obwohl Sie wissen, unter Angela Merkel hat sich der Trend umgekehrt und
dass sie ökonomisch schädlich ist, und Sie machen wei- geht nun in die richtige Richtung.
ter hohe Schulden und nennen das Konsolidierung. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
Meine Damen und Herren von der Regierung, Sie ru- neten der SPD)
hen sich einerseits auf den besseren Wirtschaftsdaten aus Man muss schauen, woher man kommt und wohin
und provozieren mit der Mehrwertsteuererhöhung ande- man geht. Ich freue mich jedenfalls mit meiner Fraktion
rerseits einen wirtschaftlichen Einbruch. Für die FDP darüber – die Schlussrunde dieser Haushaltsdebatte bie-
will ich deswegen noch einmal ganz klar sagen: Die tet die richtige Gelegenheit, das klarzustellen –, dass es
Mehrwertsteuererhöhung ist nicht notwendig und öko- in Deutschland wieder aufwärts geht.
nomisch schädlich.
(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Claudia
(Beifall bei der FDP) Winterstein [FDP]: Warten wir einmal ab, wie
Sie sägen sich damit den Ast ab, auf dem Sie so bequem es am Jahresende aussieht!)
zu sitzen meinen. Sie betrügen also nicht nur den Bürger, Meine Damen und Herren von der FDP, ich habe der
sondern auch sich selbst. Rede Ihres Fraktions- und Parteivorsitzenden Guido
Danke. Westerwelle sehr genau zugehört. Er hat, an die Kanzle-
rin gewandt, gesagt: Wir finden Ihre Regierung schlecht.
(Beifall bei der FDP) Ich kann Sie nur fragen, Herr Westerwelle: Was finden
4768 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. September 2006

Dr. Peter Ramsauer


(A) Sie denn daran schlecht, dass im Laufe des Jahres ein re- (Jürgen Koppelin [FDP]: 13. Monatsbeitrag!) (C)
gelrechter Investitionsboom in Deutschland ausgebro-
Ich möchte noch einmal unterstreichen, was der Auf-
chen ist?
schwungminister Michael Glos vorhin gesagt hat.
(Lachen bei der FDP – Dr. Claudia Winterstein (Beifall bei der CDU/CSU)
[FDP]: Die Investitionsquote sinkt!)
Der Aufschwungminister Michael Glos im Kabinett der
– Ich kann Ihnen nicht folgen. Die Zahlen sprechen Aufschwungkanzlerin Angela Merkel hat vorhin gesagt,
– alle sind im Laufe dieser Woche genannt worden – dass, wenn es dauerhafte Spielräume gibt, der Arbeitslo-
eine ganz andere Sprache. senversicherungsbeitrag über die ins Auge gefassten
Was soll daran schlecht sein, dass die Nettobeschäfti- 2 Prozentpunkte hinaus noch weiter gesenkt wird. Da-
gung zunimmt, dass die Zahl der Arbeitslosen massiv rüber haben wir uns verständigt. Ich sage aber auch aus
zurückgeht, dass sich die Wachstumsrate im Laufe die- kaufmännischer Solidität heraus: Wenn wir nach Ab-
ses Jahres zunehmend verbessert hat und dass wir im rechnung des Einmaleffekts, den wir haben – ganz klar,
Laufe dieses Jahres deutlich höhere Steuereinnahmen Herr Kollege Müntefering –, tatsächlich Nettospiel-
verzeichnen können? räume haben, dann müssen wir diese nutzen. Wir haben
im Jahr 2006 ein Polster, das Jürgen Weise in Nürnberg
Kollege Stiegler hat vorhin interessanterweise das momentan auf 9 bis 10 Milliarden Euro taxiert.
Thema aufgegriffen. Er hat gesagt: Das rührt zum Teil
(Otto Fricke [FDP]: Das ist kein Polster!)
von Effekten aus dem vergangenen Jahr her, geht aber
auch in starkem Maße auf Effekte in den Jahren vor – Natürlich ist das ein Polster. Das ist ja erwirtschaftet
2005 zurück. Für die zusätzlichen Steuereinnahmen sind worden.
verschiedene Komponenten verantwortlich. Es gibt
Nachzahlungen, basierend auf den Körperschaft- und (Otto Fricke [FDP]: Das sind Gelder der Bei-
Einkommensteuerbescheiden des Jahres 2005, und dem- tragszahler!)
entsprechend heraufgesetzte Vorauszahlungsbescheide. – Darauf komme ich gleich noch zu sprechen. Sie müs-
Das sind die vergangenheitsorientierten Ursachen der sen mir nur einmal geduldig zuhören. Dieses Maß an Li-
höheren Steuereinnahmen. Eine andere Ursache ist das beralität sollten Sie aufbringen.
höhere Lohnsteueraufkommen. – Lieber Herr Kollege
Poß, Sie nicken zustimmend. Aber das ist ein Effekt des (Jürgen Koppelin [FDP]: Da braucht man aber
kurzfristig induzierten Aufschwungs im laufenden Jahr. auch sehr viel Geduld!)
Dieses Polster läuft auf bzw. ist aufgelaufen. Wir kön-
Ich gebe durchaus zu, dass die vergangenheitsorien-
(B) nen natürlich, um auf die 4,0 Prozent herunterzukom- (D)
tierten Erfolgskomponenten auf politische Schritte zu-
men, dieses Polster dazu nutzen, die Beiträge über eine
rückgehen, die in den Jahren 2003, 2004 und 2005 ge-
längere Zeit abzuschmelzen, damit die Arbeitslosenver-
macht wurden. In diesem Zusammenhang erinnere ich
sicherung richtig solide finanziert ist. Eines geht natür-
an die Agenda 2010. Die dort enthaltenen Bestandteile,
lich nicht: dass wir zusätzlich absenken und vier Monate
die in die richtige Richtung wiesen, wurden von der
später wieder anheben müssen. Das wäre nicht solide.
CDU/CSU im Vermittlungsausschuss so korrigiert, dass
sie zu Wachstumstreibern in Deutschland werden konn- Ich bin nach anderen Verwendungsmöglichkeiten für
ten. diesen Überschuss gefragt worden. Es wäre ein liederli-
cher Umgang mit den Geldern aus Arbeitgeber- und Ar-
So gesehen haben wir in den vergangenen Jahren über beitnehmerbeiträgen, diesen Überschuss in irgendwelche
den Vermittlungsausschuss schon eine Art – allerdings Programme zu verpulvern, die nichts bringen. Warum
organisatorisch umständliche – große Koalition prakti- sollten wir nicht auch einmal darüber nachdenken – das
ziert, also mehr getan, als nur opponiert. Wir haben als kennen wir alle aus der Versicherungswirtschaft –, eine
Unionsopposition vielmehr eine ausgesprochen kon- Beitragsrückerstattung zu gewähren, wenn Über-
struktive Arbeit aus dieser Oppositionsrolle heraus be- schüsse aus Beitragszahlungen und durch vernünftiges
trieben. Bewirtschaften entstanden sind? Das ist das Normalste
Ich finde es auch nicht schlecht – das sage ich an die in der Versicherungswirtschaft. Ich nehme mir in meiner
FDP gerichtet –, wenn wir jetzt erstmals – ich bin seit politischen Arbeit immer Anleihen an den ganz norma-
16 Jahren im Deutschen Bundestag und habe in dieser len, vom gesunden Menschenverstand geprägten Dingen
Zeit acht Jahre lang Arbeits- und Sozialpolitik gemacht – des praktischen Lebens. Ich nenne die Beitragserstattung
nicht darüber streiten, wie wir die Löcher bei der Bun- nur, damit man einen Hintergrund hat, vor dem man dis-
desagentur für Arbeit stopfen, sondern einen positiven kutieren kann.
Streit, einen positiven Disput darüber führen, was wir Bei einem solchen Polster wäre pro Beschäftigungs-
aus dem in der Arbeitslosenversicherung erwirtschafte- fall eine Rückerstattung von 342 Euro möglich, aufge-
ten Überschuss machen. teilt auf Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Im Durchschnitt
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- erhielte jeder Arbeitnehmer eine Rückzahlung von
neten der SPD) 171 Euro netto, cash auf die Hand. Das würde beispiels-
weise das Weihnachtsgeschäft hervorragend unterstüt-
So gesehen habe ich überhaupt nichts gegen Streit; Streit zen. Ich bringe das nur in die Debatte ein, weil es so sys-
ist insofern etwas sehr Positives. temfremd gerade in der Versicherungswirtschaft nicht
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. September 2006 4769
Dr. Peter Ramsauer
(A) ist. Die Bundesagentur betreibt immer noch die Arbeits- Der gegenwärtige Aufschwung wird ergänzt durch all (C)
losenversicherung. Wenn überschüssig eingezahlt wird, die weiteren Maßnahmen, die wir im Laufe dieses Jahres
dann muss man sich eben überlegen, was man mit die- beschlossen haben und weiter umsetzen werden und die
sem Geld von Arbeitgebern und Arbeitnehmern – sprich: positive Folgewirkungen haben werden. Deswegen bin
von beiden Seiten der Beitragszahler – sinnvollerweise ich hinsichtlich der künftigen Entwicklung überaus opti-
machen kann. mistisch, dass der Aufschwung nicht nur kurzfristig,
sondern auch nachhaltig wirkt und dass der Auf-
(Beifall bei der CDU/CSU) schwung – ich wage es fast, diese These aufzustellen –
Ich bin jetzt vielleicht etwas zu sehr ins Detail gegan- durch die Erhöhung der Mehrwertsteuer noch nicht ein-
gen. Der Ausgangspunkt war meine Enttäuschung da- mal eine Delle abbekommen wird.
rüber, dass die drei Oppositionsfraktionen zwar anerken- Wir müssen also am Ball bleiben. Wir müssen die
nen, dass es in Deutschland aufwärts geht, aber daran künftigen Aufgaben anpacken. Dazu gehört neben der
kein gutes Haar lassen können. Gesundheitsreform zweifellos auch die Unternehmen-
(Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: steuerreform. Herr Finanzminister Steinbrück, Sie ha-
Das stimmt ja gar nicht!) ben sich mit dieser Thematik eingehend auseinander
gesetzt. Ich möchte gerne einen Aspekt der Unterneh-
Mir fehlt jedes Verständnis dafür, dass Lafontaine, der mensteuerreform, die wir in den nächsten Monaten oder
mögliche künftige Parteivorsitzende der PDS, vor weni- im Frühjahr des kommenden Jahres intensiv parlamenta-
gen Tagen in Hannover gefordert hat – nachzulesen in risch beraten werden, herausgreifen.
der „Hannoverschen Allgemeinen Zeitung“ –, in
Deutschland einen politischen Generalstreik auszuru- Womit wir uns nicht so lange Zeit lassen dürfen – das
fen. Offensichtlich fällt Herrn Lafontaine nichts Besse- haben wir vorgestern Abend im kleinen Koalitionsaus-
res ein, als bei einer so positiven Entwicklung in schuss einvernehmlich verabredet –, ist die betriebliche
Deutschland einen politischen Generalstreik auszuru- Erbschaftsteuerreform. Wir haben uns darauf geeinigt,
fen. Mir tun die Fraktion der Linken und die PDS Leid, dass die betriebliche Erbschaftsteuerreform jetzt ganz
wenn dies ihr Rezept ist, einen solchen Aufschwung in konkret angepackt wird und sie noch in diesem Jahr im
Deutschland niederzukartätschen. Bundesgesetzblatt stehen wird,

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU)
damit die Menschen in den Betrieben eine verlässliche
Ich komme kurz – der Kollege Berninger hat das
Grundlage haben. Ich kenne eine Reihe von Betrieben,
Hohe Haus verlassen – zu den Grünen. Ich finde die
(B) Sorge von Herrn Berninger um die mittelständischen Be- die jetzt die entsprechenden Verträge machen und die ge- (D)
stalten wollen. Dafür ist eine sichere Grundlage notwen-
triebe geradezu rührend. Mir würden litaneiweise Bei-
dig. Den Betrieben ist es nicht zuzumuten, zu sagen:
spiele aus den letzten Regierungsjahren einfallen, in de-
Nein, wir warten noch, bis dazu aus Karlsruhe irgend-
nen die Sorge um den Mittelstand und die kleinen
wann ein Urteil kommt; wir machen das irgendwann im
Betriebe bei den Grünen nicht einmal ansatzweise vor-
nächsten Jahr und setzen es rückwirkend in Kraft. – Eine
zufinden war.
solche Unsicherheit können wir gerade mittelständi-
Ich bin in der Sommerpause wegen des Allgemeinen schen Betrieben und Familienunternehmen nicht zumu-
Gleichbehandlungsgesetzes geprügelt worden. Die Men- ten. Ich möchte diesen Betrieben Planungssicherheit ge-
schen gehen nämlich immer noch davon aus, dass der ben. Sie müssen wissen, dass sie uns vertrauen können.
Gesetzentwurf, den Rot-Grün einst vorgelegt hat, verab- Deswegen müssen wir hier Gas geben.
schiedet worden sei. Aber wenn sich die Grünen schon (Beifall bei der CDU/CSU)
solche Sorgen machen, dann sollen Sie auch dazu ste-
hen, dass maßgeblich Sie es waren, die uns auf europäi- Lieber Herr Finanzminister Steinbrück, ich bin Ihnen
scher Ebene dieses Antidiskriminierungsgesetz einge- für die Solidität, die aus Ihrer Einbringungsrede am
brockt haben. Diese Suppe sollte der Kollege Berninger Dienstag und auch heute wieder herauszuhören war, aus-
auch auslöffeln. gesprochen dankbar. Man kann nicht oft genug betonen,
dass Sie richtige Fragestellungen aufgeworfen und ei-
(Beifall bei der CDU/CSU – Beifall bei Abge- nige elementare Grundtatsachen in Erinnerung gerufen
ordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- haben, die vielen vollkommen aus dem Gedächtnis ent-
NEN – Jürgen Koppelin [FDP]: Der Koali- schwunden sind. Es bleibt natürlich trotz der erfreuli-
tionspartner klatscht nicht!) chen Verringerung der Nettoneuverschuldung dabei,
Die Lage ist also besser als die Stimmung. Ich stelle dass der Bund immer noch 1 500 Milliarden Euro Schul-
fest: Die große Koalition wird massiv unterschätzt. den hat.

(Lachen bei Abgeordneten der FDP) (Petra Merkel [Berlin] [SPD]: Nein, beim
Bund nicht! 950 Milliarden sind beim Bund! –
Wir werden zusammen mit aller Kraft alles dafür tun, Otto Fricke [FDP]: Nicht der Bund!)
um diesen Aufschwung weiter voranzubringen.
Sie haben heute wiederholt, dass wir weit davon entfernt
(Jürgen Koppelin [FDP]: Wie bei der Gesund- sind, von einem wirklichen Schuldenabbau reden zu
heitsreform!) können. Das ist vollkommen richtig. Das sei allen
4770 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. September 2006

Dr. Peter Ramsauer


(A) gesagt, die an der Mehrwertsteuererhöhung herumnör- (Beifall bei der LINKEN) (C)
geln und die jetzt schon etwas verteilen wollen, was wir
überhaupt nicht haben. Solidität in der Haushalts- und Jetzt sage ich den Bürgerinnen und Bürgern: Es lohnt
Finanzpolitik bedeutet, dass man das, was man nicht hat, sich, uns zu wählen. Die Regierung macht irgendwann
nicht ausgeben kann und dass man solide auf der Bremse das, was wir wollen, wenn auch nicht sofort.
bleiben muss, um sich der Entschuldung zu nähern. (Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN)
(Ute Kumpf [SPD]: Stimmt das auch für Ich sage das auch an die Adresse der Koalition, weil sie
Bayern?) uns manchmal etwas leichtfertig unterstellt, wir würden
Der Präsident der Bundesbank hat das auf den Punkt nur blockieren. Selbstverständlich sind wir dabei, wenn
gebracht: Die Finanzpolitik stabilisiert derzeit nur die Sie etwas Gutes auf den Weg bringen. An diesen beiden
Neuverschuldung, verringert aber nicht den Schulden- Beispielen habe ich es Ihnen dargestellt. Es war nicht so
stand. – Aber immerhin betreiben wir eine solide Fi- einfach. Sie wussten, dass wir bei der Freigabe der Mit-
nanzpolitik. Wir kriegen die Neuverschuldung in den tel für das Sanierungsprogramm haushaltsrechtliche Pro-
Griff und wir nähern uns dem Abbau der Schulden. Des- bleme hatten. Deshalb unterstellen Sie uns nicht leicht-
wegen sind wir insgesamt auf einem richtigen und Er- fertig Dinge, die Sie hinterher nicht belegen können.
folg versprechenden Weg. Diesen Weg müssen wir mit (Beifall bei der LINKEN – Petra Merkel [Ber-
Selbstvertrauen und mit Zuverlässigkeit weitergehen. lin] [SPD]: Die Gegenfinanzierung leisten Sie
Dann führen wir Deutschland in eine gute Zukunft. aber nicht! Anträge zu stellen, ist leicht!)
Vielen herzlichen Dank. – Ich komme auch dazu, liebe Kollegin.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Sie haben Ihren Haushalt unter das Leitmotiv gestellt:
Zukunft nicht verbrauchen, Zukunft gewinnen. – Das
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: klingt gut. Die Abteilung „Überschriften“ bzw. die Ab-
Nächster Redner ist der Kollege Roland Claus, Frak- teilung „Agitation und Propaganda“, wie sie jetzt bei
tion Die Linke. Peer Steinbrück heißt, hat ganze Arbeit geleistet.
(Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Roland Claus (DIE LINKE): Vergleichen wir Anspruch und Wirklichkeit nach ei-
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und ner Woche Haushaltsberatungen. Sie werden mir gestat-
Herren! Sie erwarten jetzt von mir wie auch von den an- ten, dass ich dabei versuche, in besonderer Weise auf die
(B)
deren Rednerinnen und Rednern in der Schlussrunde, Situation in den neuen Bundesländern einzugehen. Ei- (D)
dass ich Ihnen nach 36 Stunden zu immer noch dersel- nes habe ich hier nämlich mit Schmerzen registrieren
ben Vorlage etwas völlig Neues darbiete. müssen: So wenig Beachtung wie in dieser Haushalts-
debatte haben die neuen Bundesländer noch in keiner
(Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haushaltsdebatte des Bundes gefunden. Ich finde das in
Genau!) der Tat ausgesprochen kritikwürdig und das wollen wir
Zudem ist mir die Aufgabe zugewachsen, die Fragen ei- nicht hinnehmen.
nes wissbegierigen Finanzministers zu beantworten und (Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der
mich des Mitleids der Christlich-Sozialen Union zu er- CDU/CSU: Das Gegenteil ist der Fall!)
wehren.
– Das Gegenteil ist nicht der Fall.
Ich will damit beginnen, die Suche nach dem Neuen
zu beschreiben. Ich bin nämlich in der Tat fündig gewor- Vielleicht hilft Ihnen eine Kleinigkeit: Der Kollege
den. Das Neue ist: Ich habe herausgefunden, dass Koali- Rossmanith hat in der Wirtschaftsdebatte eben den Wis-
tion und Regierung lernfähig sind. mutbergbau ins Elbsandsteingebirge verlegt. Damit hat
er nun wirklich nichts zu tun. Auch das muss man ein-
(Zuruf von der CDU/CSU: Anders als die mal sagen.
PDS!)
(Beifall bei der LINKEN – Dr. Ilja Seifert [DIE
Sie nehmen durchaus den Rat der Opposition an. Ich will LINKE]: Geografie: Sechs!)
Ihnen das an einem Beispiel erläutern. Sie haben wäh-
rend der ganzen Haushaltswoche sehr oft auf das auch Die Universität Heidelberg veröffentlicht heute eine
von uns unterstützte Gebäudesanierungsprogramm und Studie – sie macht mich etwas besorgt –, in der der so
die damit verbundenen Effekte hingewiesen und Sie ha- genannte Angstindex – wo sind Sorgen, Nöte und
ben sich dafür gefeiert, dass Sie die Filmförderung fi- Ängste gewachsen? – dargestellt wird. Ich betone: Diese
nanziell stärker unterstützen als bisher. Nun sind mir Studie kommt nicht von der Uni Halle; es sind nicht
zwei Anträge aus der Debatte über den Haushalt 2006 in meine Erfindungen; es ist keine Stiftung, die uns irgend-
die Hand gekommen. Da wird in einem Antrag schon für wie nahe steht. In der Studie der Universität Heidelberg
2006 gefordert, mehr Mittel in die Gebäudesanierung zu wird erfreulicherweise festgestellt, dass der so genannte
stecken; in dem anderen Antrag wird gefordert, mehr Angstindex in Deutschland insgesamt um 14 Prozent-
Mittel für die Filmförderung bereitzustellen. Beide An- punkte gesunken ist. Das ist bemerkenswert und aner-
träge sind Anträge der Linksfraktion. kennenswert.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. September 2006 4771
Roland Claus
(A) Aber die Spaltung der Gesellschaft, mit der wir es im- unserer Arbeits- und Sozialminister folgen, nämlich die (C)
mer noch zu tun haben, wird auch durch den Fakt cha- Mittel, die wir schon jetzt im Rahmen von Hartz IV aus-
rakterisiert – die Universität Heidelberg stellt ihn eben- geben – ALG II, Kosten der Unterkunft, Eingliederungs-
falls fest –, dass der so genannte Angstindex im Osten mittel, 1-Euro-Jobs –, vernünftig zusammenzufassen und
den Höchststand seit der deutschen Wiedervereinigung in sozialversicherungspflichtige Erwerbsverhältnisse zu
erreicht hat. Das muss uns doch zu denken geben. Das investieren. Sie sagen, das sei nicht gewollt. Das ist der
können wir nicht einfach ignorieren; das dürfen wir hier Beweis dafür, dass Sie den Druck von Hartz IV auf die
nicht ausblenden. Der Verkehrsminister hat zum Thema Beschäftigten im Niedriglohnbereich bewusst in Kauf
Osten gestern Abend lediglich ein paar Pflichtsätze ge- nehmen, ja bewusst wollen. Das ist Zynismus. Das neh-
sagt. Mit uns ist das nicht zu machen. men wir nicht hin.
(Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert
Winkelmeier [fraktionslos])
Die Zukunft gewinnen, die Zukunft nicht verbrau-
chen, das heißt natürlich zuerst: die soziale Balance si- Der Bundesarbeitsminister sagt, er wolle Anreize set-
chern. Wir stellen fest: Der Haushalt 2007 spaltet die zen. Wenn jemand Anreize setzt, dann – so stelle ich mir
Gesellschaft weiter. Reiche werden reicher und Arme das nach meinem bisherigen Begriffsverständnis vor –
werden – leider – zahlreicher. Sie verweisen immer bekommt man etwas. Schaut man sich aber an, was diese
wieder darauf – auch der Bundesfinanzminister hat es Regierung in Wirklichkeit mit dem Ausdruck „Anreize
soeben mit Blick auf unsere Fraktion getan –, welch gro- setzen“ meint, erkennt man: Dahinter steht, dass etwas
ßen Betrag wir für die Sozialausgaben im Haushalt ein- weggenommen wird.
stellen. Was die Zusammensetzung des Haushalts an- Das führt dazu – jetzt muss auch ich ein paar statisti-
geht, ist das natürlich eine unbestreitbare Tatsache. Aber sche Fakten zu Gehör bringen –, dass wir inzwischen
es ist doch auch ein Beleg dafür, dass Sie vorher eine eine Verstetigung der Kaufkraft in ostdeutschen Haus-
Wirtschaftspolitik betrieben haben, die eine solche so- halten auf 70 Prozent des Westniveaus haben. Das sagen
ziale Nachsorge erst notwendig macht. Das ist doch ein inzwischen alle wissenschaftlichen Institute, die sich da-
Armutszeugnis und kein Gewinn, was Sie hier zu ver- mit noch ernsthaft befassen.
zeichnen haben.
Betrachten wir einmal die Mehrwertsteuererhöhung
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert im nächsten Jahr. Für einen Vierpersonenhaushalt be-
Winkelmeier [fraktionslos]) deutet sie 1 500 Euro Mehrausgaben. Für uns Bundes-
Es gibt etwas, was mehr besagt als die von meinem tagsabgeordnete ist das ein nicht spürbares Ereignis; völ-
lig klar.
(B) Vorredner Peter Ramsauer zitierten Statistiken. Ich rate (D)
Ihnen, einmal an einem 30. des Monats im Osten des (Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
Landes bei Aldi einzukaufen. Sie werden feststellen, wie Na ja!)
einsam die dort Beschäftigten sind, weil selbst die Men-
schen, die in diesem Laden normalerweise einkaufen, Aber für eine Verkäuferin oder Alleinerziehende oder
am Ende des Monats zu Einkäufen nicht mehr in der eben diesen Vierpersonenhaushalt bedeutet dieser Ein-
Lage sind. Das beschreibt den Zustand der Gesellschaft, griff von 1 500 Euro beispielsweise die Streichung eines
mit dem wir es hier zu tun haben. ohnehin nur für eine kurze Dauer geplanten Urlaubs. Es
ist leider so, dass die Freiheit einer Alleinerziehenden
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert heutzutage schon an der Bushaltestelle endet, weil sie
Winkelmeier [fraktionslos]) die teuer gewordenen Tickets nicht mehr bezahlen kann.
Zur Wahrheit des von Ihnen viel beschworenen Damit haben wir es mit einer doppelten Spaltung der
Hartz-IV-Prozesses gehört doch auch – das ist bei dieser Gesellschaft zu tun, einer Spaltung nach Einkommen
Haushaltsdebatte ziemlich unverhohlen zutage getre- und inzwischen auch einer Spaltung nach Regionen. Das
ten –, dass Sie Hartz IV nicht nur dazu brauchen, eine wiederum ist nun nicht mehr nur ein Problem zwischen
schlechte Arbeitslosenverwaltung zu betreiben; zum Zy- Ost und West, sondern ein Problem, von dem immer
nismus im Zusammenhang mit Hartz IV gehört vielmehr mehr Regionen, auch ehemalige Wachstumsregionen,
auch, dass Sie einen permanenten Druck auf Beschäf- selbst in den westlichen Bundesländern, betroffen sind,
tigte ausüben, besonders auf Beschäftigte im Niedrig- die für sich den Eindruck gewinnen, dass sie inzwischen
lohnbereich. Wenn sich diese Menschen möglicherweise abgehängte Regionen sind. Das sind Entwicklungen, die
einmal darüber beschweren, dass sie länger arbeiten sol- Sie hier unter der Überschrift „Haushaltskonsolidierung“
len, dann sagt man ihnen: Stellen Sie sich doch bei der abfeiern, die aber zu den problematischen Realitäten in
Agentur oder bei der Arge an; dann können Sie zu diesem Land zählen. Diese Realitäten gehören verändert.
Hartz IV übergehen. – Diese Bedrohung wollen wir
nicht in einer Gesellschaft, die reich genug ist, um solche (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert
Prozesse zu überwinden. Winkelmeier [fraktionslos])

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert „Zukunft gewinnen, Zukunft nicht verbrauchen“ er-
Winkelmeier [fraktionslos]) fordert wirtschaftlichen Aufschwung und eine aktive Be-
schäftigungspolitik. Arbeitsminister Helmut Holter aus
Wenn das nicht so wäre, wenn dieser Zynismus nicht Mecklenburg-Vorpommern hat Ihnen gestern erklärt,
beabsichtigt wäre, dann könnten Sie den Vorschlägen welch verheerende Wirkung die Haushaltssperre bei den
4772 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. September 2006

Roland Claus
(A) Mitteln der Bundesagentur nach sich gezogen hat. Zwei industriellen Einführung der Dampfmaschine gegolten (C)
Tage bevor wir zum Etat von Franz Müntefering gekom- hätte, dann gäbe es die Dampfmaschine immer noch
men sind, haben wir im Haushaltsausschuss pflichtge- nicht; denn auch sie hat sich am Anfang gegenüber der
mäß diese Sperre aufgehoben. Das haben wir alle zu- Pferdekraft nicht gerechnet. Das heißt, man muss, wenn
sammen beschlossen. Zynisch finde ich, dass Sie dieses man Zukunft gewinnen will, den Mut haben, mehr Mittel
Aufheben der Sperre, nachdem Sie die Mittel monate- in Forschung und Entwicklung einzusetzen, auch wenn
lang nicht ausgereicht haben, hier jetzt als eine Art Er- uns das mehr kostet als beispielsweise die traditionellen
folg abfeiern und so tun, als hätten Sie damit gegenüber Energien.
Arbeit Suchenden irgendetwas Gutes vollbracht. So et-
was kann man nicht hinnehmen. (Beifall bei der LINKEN)

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Fatal finde ich, dass die Bundesregierung dazu über-
Winkelmeier [fraktionslos]) gegangen ist, viele Entwicklungen in den neuen Bundes-
ländern gar nicht mehr zu analysieren. In der Antwort
Sie, die Sie immer den Begriff „privat“ vor sich her auf eine Kleine Anfrage von uns wird dargestellt:
tragen, müssen sich nachsagen lassen, dass diese Sperre
viele – auch viele private – Bildungsträger die Existenz Die Bundesregierung prognostiziert die gesamt-
gekostet hat. Darunter sind Menschen, die sich auf den wirtschaftliche Entwicklung nur für den gesamten
Weg einer privaten Entwicklung gemacht haben und die Gebietsstand der Bundesrepublik Deutschland. Dif-
jetzt für sich den Eindruck gewinnen: Privat hat bei Rot- ferenzierte Prognosen nach alten und neuen Bun-
Schwarz keine Chance. desländern werden aufgrund fehlender Primärstatis-
tiken nicht durchgeführt.
(Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
Das hat die PDS nicht verstanden!) Das führt dazu, dass man die Probleme weiter ausblen-
det und nicht löst.
Wir haben es weiter damit zu tun, dass die Arbeits-
kosten im Osten knapp 30 Prozent unter denen des Mein letzter Punkt. Zukunft gewinnen, Zukunft nicht
Westens liegen. Sie propagieren trotzdem Ihr Niedrig- verbrauchen – das bedeutet, auch die Frage zu stellen, ob
lohnkonzept. Angesichts der Tatsachen im Bereich all das machbar ist. Damit bin ich bei den Fragen von
Niedriglohn und Niedrigstlohn, die ich gerade in den Peer Steinbrück. Wir sagen, auch in Zeiten knapper Kas-
neuen Bundesländern erlebe, muss ich sagen: Sie kön- sen ist es keine Illusion, eine sozial gerechte Gesell-
nen sich neue Niedriglohnexperimente ausdenken; mir schaft zu gestalten. Eine sozial gerechte Freiheitsord-
sind die Niedriglohnrealitäten in diesem Land schon zu nung ist machbar. Wir sagen Ihnen auch eins: Wir haben
Ihnen, damals noch unter dem Label PDS, ein Steuer-
(B) viel. Wir brauchen einen vernünftigen Mindestlohn. Das konzept vorgelegt, und zwar vor der Bundestagswahl. (D)
wäre die Lösung.
Wir finden es, im Unterschied zu Franz Müntefering,
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert überhaupt nicht unfair, wenn Sie uns an dieses Steuer-
Winkelmeier [fraktionslos]) konzept erinnern, wenn Sie uns da beim Wort nehmen
und wenn wir darüber streiten können, dass eine gerech-
Ich stelle leider auch fest, dass Sie all das, was die tere Besteuerung in diesem Land durchaus möglich ist.
Kommission von Klaus von Dohnanyi Ihnen vor gar
nicht allzu langer Zeit über Möglichkeiten zur Überwin- (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert
dung der Teilung zwischen Ost und West und zum wirt- Winkelmeier [fraktionslos])
schaftlichen Aufbauprozess vorgetragen hat, weggelegt
haben und ignorieren. Sie wollen einfach nicht wahrha- Das würde – wir werden es Ihnen auch vorrechnen –
ben, dass der Entwicklungspfad Aufbau Ost, den Sie ein Einnahmeplus von 24 Milliarden Euro durch eine re-
16 Jahre als Nachbau West versucht haben, gescheitert formierte Vermögensteuer, eine veränderte Erbschaft-
ist. Deshalb muss man die Frage stellen: „Was wären steuer, die Erhöhung des Spitzensteuersatzes –
denn neue Wege, die man im Osten gehen kann?“ und
diese auch positiv beantworten. Wir haben im Osten eine Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
ganze Reihe guter Erfahrungen mit erneuerbaren Ener- Herr Kollege, schauen Sie bitte einmal auf die Uhr.
gien gemacht, auch mit Bundes- und Landesförderung,
keine Frage; das ist auch unterstützenswert. Wenn man Roland Claus (DIE LINKE):
aber einen Bundeshaushalt zu verantworten hat, in dem
die Förderung der erneuerbaren Energien weniger als – das mache ich gerne und komme zum Ende, Frau
ein Zehntel gegenüber der Subventionierung tradierter Präsidentin – und die Besteuerung großer Geldvermögen
Energien ausmacht, dann ist man nicht auf dem Wege bedeuten. Fakt ist doch: Noch schneller als die Arbeits-
moderner Energiepolitik, sondern dann setzt man tra- losigkeit und manch andere beklagenswerte Prozesse
dierte Energiepolitik fort. Das ist nicht Zukunftsfähig- nimmt in diesem Lande der private Reichtum zu. Des-
keit, sondern Rückständigkeit. halb ist es durch Umverteilung möglich, eine andere als
die von Ihnen betriebene Politik zu vertreten. Das ist der
(Beifall bei der LINKEN) Weg, den meine Fraktion geht, und dazu werden wir Ih-
nen auch im Zuge der Haushaltsberatungen weitere Vor-
Wenn wir über erneuerbare Energien und mutige Vor- schläge machen.
haben reden, sagen Sie uns oft, das rechne sich nicht. Ich
kann nur dagegen halten: Wenn dieses Argument bei der Vielen Dank.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. September 2006 4773
Roland Claus
(A) (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Deutlich (C)
Winkelmeier [fraktionslos]) niedriger aus!)
die 22 Milliarden Euro betragen wird, niedriger aus als
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: im Vorjahr.
Nächster Redner ist der Kollege Alexander Bonde,
Bündnis 90/Die Grünen. (Johannes Kahrs [SPD]: Eben!)
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Sie unterschreiten damit voraussichtlich tatsächlich die
sowie bei Abgeordneten der SPD) Defizitobergrenze des EU-Stabilitätspaktes.

Alexander Bonde (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (Beifall des Abg. Johannes Kahrs [SPD] –
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Solange Sie
Herr Finanzminister, Sie haben zu Beginn Ihrer Rede ge- mitgewirkt haben, hat das nie geklappt, Herr
sagt: „Wir ziehen alle an einem Boot.“ Das lässt ja nur Kollege!)
einen Schluss zu: dass Ihr Kahn ziemlich auf dem Tro- Im Hinblick auf die Verfassungsmäßigkeit des Haus-
ckenen liegt. haltes wird es aber schwierig; das wissen auch Sie. Sie
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) liegen bei den Investitionen nur knapp über der Neuver-
schuldung. Sie haben ein Polster von 1,5 Milliarden
Ich finde, um zum Ernst des Themas zurückzukom- Euro, was nicht wirklich beruhigend ist. Sie kennen die
men, es war eine gute Rede, die Sie gehalten haben; Haushaltsrisiken. Sie haben sie bewusst nicht einge-
denn im Gegensatz zu Ihrer Rede bei der Einbringung stellt. Sie wissen so gut wie wir, dass wir in diesem
des Haushalts und zu vielen anderen Reden von der Koa- Haushalt allein in Bezug auf den Arbeitsmarkt über Risi-
lition in den letzten Tagen war da doch viel Selbstrefle- ken von 8,6 Milliarden Euro sprechen müssen. Da stellt
xion und eine realistischere Bewertung zu erkennen. sich in bester wirtschaftlicher Situation die Frage des
Die Debatte hatte in den letzten Tagen zum Teil Verfassungsbruchs schneller, als Sie den nächsten Haus-
kuriose Züge. Man hätte sich gewünscht, die Rede von halt einbringen.
Herrn Glos wäre direkt vor der Rede von Herrn (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS-
Steinbrück gewesen; denn die Brüche in dieser Koali- SES 90/DIE GRÜNEN – Johannes Kahrs
tion, die offenen Zerfallsprozesse kann man als Opposi- [SPD]: Warten Sie es doch mal ab! – Steffen
tion gar nicht so gut darstellen, wie Sie vom Kabinett es Kampeter [CDU/CSU]: Müder Beifall bei den
an dieser Stelle selbst getan haben. Grünen!)
(B) (D)
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Sie haben die Verfassungsmäßigkeit dieses Haushalts
sowie bei Abgeordneten der FDP)
nur dadurch hinbekommen, dass Sie massive Einnah-
Als ein Fazit dieser Haushaltsrunde muss man fest- meerhöhungen vorgenommen und Privatisierungserlöse
stellen: Die große Koalition ist mit vielen Versprechen genutzt haben, um damit die Neuverschuldung optisch
angetreten. Das größte war das einer verlässlichen, zu- leicht unter die Höhe der Investitionen zu drücken.
kunftsorientierten Politik. Das Motto lautete: Wir wollen
es ehrlich machen. – Man muss zusammenfassen: Ver- (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Wir haben es
sprochen, gebrochen. im Gegensatz zu Ihnen geschafft, Herr
Bonde!)
Für die Aufstellung dieses Haushaltes hatten Sie sehr
gute konjunkturelle Voraussetzungen: ein für 2006 pro- Sie sind den Weg des geringsten Widerstandes gegan-
gnostiziertes Wirtschaftswachstum von 2 Prozent und gen. Denn die Einsparungen auf der Ausgabenseite müs-
eine erste Wende am Arbeitsmarkt. Dennoch sorgt diese sen wir, Kollege Kampeter, weiterhin mit der Lupe su-
Regierung mit ihrem Zickzackkurs für Verunsicherung. chen.
Sie schafft es nicht, einen mutigen Haushaltsentwurf
Was für eine Konsolidierungsstrategie haben Sie
vorzulegen. Denn auch in diesem Haushalt werden ihr
hier vorgelegt? Ihr Finanzplan bis zum Jahr 2010 zeigt
Zickzackkurs, ihre Unklarheit in Entscheidungen und ihr
dies deutlich. Sie sehen dort eine Senkung der Neuver-
fehlender Mut, klare Entscheidungen zu treffen, deut-
schuldung vor, indem Sie jährlich etwa 500 Millionen
lich.
Euro einsparen wollen.
Ich will es am Haushaltsdefizit festmachen. Der
Haushalt, den Sie hier vorlegen, beinhaltet nicht einmal (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Wir werden
den Anspruch eines klaren Konsolidierungsziels. besser sein! Keine Sorge!)

(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das stimmt Diese 500 Millionen – ich stelle das einmal konkret
doch gar nicht! – Johannes Kahrs [SPD]: Na, dar – entsprechen exakt 1,8 Promille des Haushaltsvolu-
na, na!) mens. Dazu kann ich nur sagen: Herzlichen Glück-
wunsch! Wer glaubt, dass diese 1,8 Promille eine Konso-
Den Einnahmen von 245,6 Milliarden Euro stehen Aus- lidierung darstellen, der sollte sich einmal selber nach
gaben in Höhe von 267,6 Milliarden Euro gegenüber. seinem Promillewert fragen lassen.
Ich gebe zu: Natürlich fällt dadurch die Nettokreditauf-
nahme, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
4774 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. September 2006

Alexander Bonde
(A) Ganz ehrlich: Wenn eine Koalition, die über 70 Pro- für die Forschungs- und Entwicklungsausgaben. Dieses (C)
zent der Stimmen in diesem Hause verfügt, ein Konsoli- Jahr gibt es eine kleine Steigerung, aber in den nächsten
dierungsziel dergestalt ansetzt, dass die Neuverschul- Jahren wird weiter verstetigt. Zukunftsinvestitionen fin-
dung in den nächsten Jahren um 1,8 Promille des den wir in diesem Haushalt und in diesem Finanzplan
gesamten Haushaltsvolumens gekürzt werden soll, kaum.
(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Wir halbieren (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
das strukturelle Defizit, das Sie aufgebaut ha-
ben!) Die Ausgaben wachsen überall dort, wo Sie aufgrund
der inneren Widersprüche in der Koalition nicht den Mut
dann muss ich dazu sagen: Eine ambitionierte Haushalts- und die Kraft haben, in Strukturreformen einzusteigen.
politik sieht wirklich anders aus. In den letzten Tagen wurde uns eine ganze Reihe dieser
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Baustellen vorgeführt: beim Arbeitsmarkt, bei der Ge-
sundheit, bei der Pflege und bei der Steuerreform. Es ist
Wir haben es Ihnen schon ein paarmal vorgerechnet: bemerkenswert, welche Widersprüche zwischen den
Das Schneckentempo Ihrer vermeintlichen Konsolidie- Vorstellungen des Wirtschafts-, des Arbeits- und des Fi-
rung führt dazu, dass Sie den Haushalt erst in 44 Jahren nanzministers innerhalb eines Tages erkennbar waren.
konsolidiert haben werden. Manche mögen dies diplo- Die Bevölkerung wartet vergeblich, dass etwas passiert.
matisch „langfristige Planungen“ nennen. Andere sagen,
den Leuten werde Sand in die Augen gestreut, wenn Sie Die Vorschläge zur Steuerreform sind zum Teil ver-
hier von Konsolidierung sprechen. worren. Die Gegenfinanzierungsvorschläge, die notwen-
dig sind, um eine soziale Schieflage zu verhindern, feh-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) len gänzlich.
Der Mut, auf der Ausgabenseite einzusparen, fehlt Ih-
(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Orakeln Sie
nen. Wann wollen Sie eigentlich sparen, wenn nicht
hier doch nicht rum!)
jetzt, in Zeiten, in denen es konjunkturell gut läuft? Mit
dem, was Sie hier aus Mutlosigkeit machen, sind Sie Eine Orientierung, die die Schaffung von Arbeitsplätzen
wirklich nahe daran, in eine prozyklische Politik zu ver- in den Mittelpunkt stellt, kann niemand erkennen.
fallen; das sollten Sie wissen.
Gestern kam die Nachricht, die Gesundheitsreform,
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) erklärtermaßen das große Reformprojekt dieser Regie-
Schauen wir uns einmal an, wie sich die Struktur des rung, werde einmal mehr verschoben.
Haushaltes entwickelt. (Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: (D)
(B)
(Johannes Kahrs [SPD]: Gut! – Steffen In die Tonne!)
Kampeter [CDU/CSU]: Gut! Aber es könnte
Wir warten gespannt – das ist der entscheidende Punkt –,
besser sein! Das will ich gar nicht bestreiten!)
ob Sie irgendwann einmal dieses Gesundheitsmodell auf
Strukturreformen in den Sozialversicherungssystemen die Schiene bekommen. Eine zeitliche Verschiebung al-
stehen immer noch auf der Tagesordnung. Sie alle wis- lein kann es aber nicht sein. Denn eine Murksreform
sen, dass die Ausgaben für die Alterssicherung und den bleibt Murks, unabhängig davon, wann Sie sie nun end-
Arbeitsmarkt in Höhe von fast 140 Milliarden Euro die lich einbringen.
größten Einzelposten darstellen und dies 37 Prozent der
Gesamtausgaben ausmacht. Wenn man die Zinszahlun- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
gen von 44 Milliarden Euro jährlich hinzurechnet, er- Das Hinausschieben notwendiger Reformen kostet
kennt man, dass 52 Prozent des Haushaltes nach wie vor weiter Geld und belastet den Haushalt. Die Senkung der
in vergangenheitsbezogene Kosten fließen. Die Frage, Lohnnebenkosten wurde völlig aus den Augen verlo-
wo wir in dieser Gesellschaft investieren sollten, wird in ren. Ich kann mich noch an große Reden in diesem
diesem Haushalt strukturell nicht beantwortet. Sie sind Hause erinnern, was die Senkung der Lohnnebenkosten
einmal mit der großen Ankündigung angetreten, inves- unter 40 Prozent angeht. Mit dieser Regierungspolitik
tieren zu wollen. Aber das spiegeln der Haushalt 2007 bleibt es auf absehbare Zeit eine vollständige Illusion,
und die dazu gehörige Finanzplanung nicht wider. dass die Lohnnebenkosten in diesem Land irgendwann
Wahrscheinlich kann sich niemand mehr an den gro- einmal sinken.
ßen Genshagener Gipfel erinnern, und das zu Recht. Es (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
wurde zwar in eine große PR-Strategie dieser Koalition
investiert, aber das dort beschlossene Investitionspro- Es gibt steigende Beiträge: Bei der Rentenversicherung
gramm wurde in den Sand gesetzt; es ist bis heute unbe- sind es 0,4 Prozentpunkte und bei der gesetzlichen Kran-
kannt. kenversicherung ist es geschätzt 1 Prozentpunkt. Damit
wird das Wenige an Entlastung, das durch die mehrwert-
(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Die Zahlen spre-
steuerfinanzierte Senkung der Beiträge zur Arbeitslosen-
chen eine andere Sprache, Herr Bonde!)
versicherung generiert wird, längst wieder aufgefressen.
Im Gegenteil: Sie sind dafür verantwortlich, dass die In- Die Frage ist in der Tat: Wo ist das Konzept der großen
vestitionsquote über den gesamten Finanzplan, den Sie Koalition, um Großes bei den Lohnnebenkosten zu voll-
hier vorlegen, bei 8,4 Prozent stagniert. Das Gleiche gilt bringen?
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. September 2006 4775
Alexander Bonde
(A) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – zweiten und dritten Lesung werden wir Ihnen sehr deut- (C)
Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das ist die lich sagen, an welchen Stellen der verschiedenen Einzel-
größte Absenkung von Beiträgen zur Sozial- pläne Sie es versäumt haben, das Ruder herumzureißen.
versicherung, die es je gegeben hat!)
(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Nur heiße
Das Hin und Her geht auch bei Ihrer geplanten Luft beim letzten Mal! Das wird diesmal nicht
Gesundheitsreform weiter. Sie haben in Ihren nebulö- anders sein!)
sen Eckpunkten angekündigt, die Steuerzuschüsse für
Die Koalition täte gut daran, nicht so großspurig zu tö-
die GKV ab 2008 wieder zu erhöhen. In diesem Jahr
nen, wie Herr Kampeter in der ersten Reihe, sondern die
werden sie aber erst einmal gesenkt. Man muss sich
Haushaltsberatungen im Ausschuss zu nutzen. In diesem
doch irgendwann einmal entscheiden, was man will.
Haushaltsentwurf steckt noch viel Arbeit. Bisher ist
Oder läuft es jetzt so: Dieses Jahr regiert die SPD und im
kaum ein Haushaltsentwurf in das Parlament eingebracht
nächsten Jahr regiert die CDU/CSU in diesem Bereich;
worden, an dem noch so viel zu tun war, wie an diesem.
entsprechend wird immer munter aufgestockt bzw. abge-
senkt, bis keiner mehr weiß, wohin die Reise geht. Der Verteidigungsminister scheut sich vor Reformen
in seinem Bereich und kündigt deshalb an, dass er mehr
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Geld brauchen wird. Auch andere Minister schielen bloß
Das Schlimme ist, dass Sie mit Ihrer Politik keine der auf die riesigen Einnahmeberge und warten darauf, dass
Fragen beantworten, die sich, bedingt durch den demo- auch für sie etwas abfällt. Die Ausgabefreudigkeit dieser
grafischen Wandel, in den nächsten Jahren immer drän- Koalition ist ungebrochen. Der Reformwille dieser
gender für uns stellen. Sie alle kennen die Situation und Koalition ist nicht erkennbar. Wenn Sie sich weiterhin
wissen, dass sich der Anteil der über 65-Jährigen an der große Koalition nennen wollen, müssen Sie sich schon
Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter von 20 bis 65 Jah- etwas Besseres einfallen lassen.
ren in den kommenden 40 Jahren verdoppeln wird. Sie
Die Kanzlerin hat in diesen Tagen verkündet, man
wissen, dass wir schon heute strukturelle Probleme bei
solle die Zukunft nicht verbrauchen. Genau das tut die
den Sozialausgaben haben. Sie wissen auch, dass wir in
Regierung aber mit diesem Haushalt, und das ohne Not.
der Verantwortung stehen, heute dafür zu sorgen, dass
Ich kann nur hoffen, dass die Reden Ihrer Kanzlerin ir-
uns die Verschuldungsproblematik nicht dann noch zu-
gendwann einmal in Ihren eigenen Reihen ankommen
sätzlich belastet, wenn die geburtenstarken Jahrgänge in
und Sie irgendwann einmal einen Haushalt aufstellen,
Rente gehen und uns die Bugwelle der Kosten trifft.
der das, was hier verkündet wird, nicht widerlegt. Darauf
Sie wissen weiterhin: Die Höhe der expliziten Staats- müssen wir wohl leider, wenn ich Ihre Debattenbeiträge
(B) verschuldung in Höhe von 60 Prozent des BIP ist nur richtig verstanden habe, noch sehr lange warten. Das (D)
ein kleiner Teil dessen, was wirklich auf uns zukommt. können wir uns nicht leisten. Packen Sie es an! Machen
Die implizite Staatsverschuldung – sie ergibt sich aus Sie endlich etwas daraus!
Ansprüchen in den umlagefinanzierten sozialen Siche- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN –
rungssystemen und aus ungedeckten Pensionszusagen – Steffen Kampeter [CDU/CSU]: In welcher
schlummert in den öffentlichen Haushalten und macht Welt leben Sie eigentlich? Ein Zerrbild der
das Doppelte des BIP aus. Angesichts dieser Situation Wirklichkeit!)
finde ich es umso dramatischer, dass Sie dieses konjunk-
turelle Umfeld nicht wirklich nutzen, um auch auf der
Ausgabenseite etwas mehr Mut zu zeigen. Sie sollten Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
mehr tun, als nur die Einnahmen, die ihnen in die Kasse Das Wort hat die Kollegin Petra Merkel, SPD-Frak-
gespült werden, als Konsolidierung zu verkaufen. tion.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Petra Merkel (Berlin) (SPD):
In diesem Zusammenhang muss auch über die Erhö- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
hung der Mehrwertsteuer gesprochen werden; darüber Meine Damen und Herren! Ich möchte mit einem Lob
haben wir hier schon vielfach diskutiert. Der Finanzminis- auf die Kanzlerin in meine Rede einsteigen; denn wenn
ter hat heute erklärt, dass er den Vorschlag der Grünen sie Recht hat, hat sie Recht.
ablehnt. Sie haben sich vorab festgelegt und sind nicht
bereit, von der Erhöhung der Mehrwertsteuer abzuge- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
hen. Sie sind auch nicht bereit, sie nur dosiert zu erhö- Die Frau Bundeskanzlerin Merkel hat gesagt, dass
hen. Heute Vormittag haben Sie erklärt, dass das Ihrer sich Gerhard Schröder mit der Agenda 2010 um
Ablehnung gegenüber Fortsetzungsromanen geschuldet Deutschland verdient gemacht hat. Ich finde, es ist mutig
ist. Ich muss ehrlich sagen: Für mich ist die persönliche und zeugt von Größe, dass die Bundeskanzlerin das an-
Literaturpräferenz nicht so entscheidend wie die Frage, erkennt. Gerhard Schröder, Hans Eichel, die SPD, die
wie wir das Wachstum in diesem Lande fördern können, Grünen und die CDU/CSU haben gemeinsam – auch
anstatt es abzuwürgen; denn das sehen Ihre Pläne vor. wenn es schwierig war, im Bundesrat zu Kompromissen
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zu kommen; Herr Ramsauer sagt, sie hätten es hingebo-
gen – die Weichen für eine umfangreiche Reform ge-
An dieser Stelle müsste man eigentlich über viele stellt. Reformen brauchen im Gegensatz zu Gesetzen,
weitere Aspekte des Haushaltsentwurfs sprechen. In der die schnell verabschiedet und auf den Weg gebracht
4776 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. September 2006

Petra Merkel (Berlin)


(A) werden können, sehr viel Zeit, ehe sie Wirkung entfal- zu gelingen, dass die Errichtung dieses großen Flug- (C)
ten. Die Erfolge sind jetzt langsam spürbar. hafens weniger Zeit in Anspruch nimmt als die des Flug-
hafens München, die damals 22 Jahre betrug. Wie dem
An diesen Reformen waren zwei leider nicht beteiligt, auch sei: Diese Großinvestition dient der Region und da-
und zwar auf der einen Seite die FDP und auf der ande- mit auch den neuen Ländern. Der Bund ist mit erhebli-
ren Seite Die Linke. chen Mitteln dabei.
(Steffen Kampeter (CDU/CSU): Sehr wahr! Die Steuergelder sprudeln; das ist nicht schlecht. Be-
Sie haben sich davon verabschiedet. Das merkt man in reits in diesem Jahr sollen nach manchen Schätzungen
allen ihren Beiträgen hier. 16 bis 18 Milliarden Euro zusätzlich an die Gemeinden,
die Länder und den Bund fließen. Für den Bund wären
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der das 3 bis 5 Milliarden Euro an Steuermehreinnahmen.
CDU/CSU) Schon fragt die Presse: Was kann Steinbrück uns Gutes
Die große Koalition macht weiter. Zu Jahresbeginn tun? Schon fragt sich die ARD am 5. September dieses
hat sie mit dem Haushalt 2006 das zarte Pflänzchen Auf- Jahres: Was macht Finanzminister Steinbrück mit dem
schwung unterstützt. Mehr als 400 000 Arbeitslose we- vielen Geld?
niger, mehr sozialversicherungspflichtig Beschäftigte als (Joachim Poß [SPD]: „Morgenmagazin“!)
im August letzten Jahres sind ein Indiz für den positiven
Trend. Das macht Hoffnung. Meine Antwort darauf lautet: Er passt darauf auf. – Am
besten setzen Sie sich darauf.
Es war richtig, dass der Haushalt 2006 von einem An-
schub für die Konjunktur geprägt war, zum Beispiel (Beifall bei der SPD)
durch das 25-Milliarden-Euro-Impulsprogramm und die Der Finanzminister muss Begehrlichkeiten abwehren,
Hinnahme einer hohen Nettokreditaufnahme. Das CO2- um das zu erreichen, was wir alle wollen. Wir wollen
Gebäudesanierungsprogramm ist ein Renner. Es verbin- raus aus dem Teufelskreis von immer mehr Neuver-
det Maßnahmen zum Klimaschutz mit einem Programm schuldung, immer mehr Zinsausgaben und immer gerin-
für das Handwerk. Das ist eine Investition in die Zu- gerer Handlungsfähigkeit des Staates. Das ist allerdings
kunft. Übrigens, Herr Bonde, ist das ein Ergebnis von nicht nur Aufgabe des Finanzministers.
Genshagen.
Das ist die Aufgabe jeder und jedes Einzelnen von
(Beifall bei der SPD) uns
Der Vorschlag von Franz Müntefering, dass wir versu- (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des
(B) chen sollen, jetzt auch die öffentlichen Gebäude im Rah- Abg. Otto Fricke [FDP]) (D)
men dieses Programms verstärkt energetisch zu sanieren,
ist ein guter Vorschlag. Als weitere Beispiele nenne ich in jedem Ausschuss, ob Fachausschuss, Haushaltsaus-
die zusätzlichen 6 Milliarden Euro bis 2009 für Wissen- schuss oder Finanzausschuss. Es ist sogar unabhängig
schaft und Forschung, die Hightechstrategie, durch die davon, in welcher Partei man ist. Es ist auch Aufgabe
Ideen in Deutschland in Arbeitsplätze in Deutschland der Ministerien und aller Verwaltungen.
umgesetzt werden sollen.
(Otto Fricke [FDP]: Sehr wahr!)
Zum Erfolg gehört auch die Einhaltung des
Also bitte: Alle sind dafür verantwortlich.
Maastrichtdefizitkriteriums bereits 2006 und, dass der
Haushalt 2007 der in der Verfassung vorgeschriebenen (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
Regelgrenze für die Kreditaufnahme – die Investitionen der FDP)
sollen über der Nettoneuverschuldung liegen – ent-
spricht. Die anderen Haushalte waren übrigens auch ver- Das angestrebte Ziel ist, die Nettokreditaufnahme
fassungsgemäß. bis 2010 auf 20 Milliarden Euro zu reduzieren. Wenn
das schneller geht und die Nettokreditaufnahme geringer
In den zukünftigen Investitionen ist ein Projekt ent- ausfallen kann, dann ist das umso besser. Aber wir soll-
halten, das für uns in der Region Berlin-Brandenburg ten jetzt eher eine realistische Einschätzung abgeben, an-
und damit auch in den neuen Ländern, Herr Claus, er- statt später unseren Vorgaben hinterher zu rennen. Inso-
heblich wichtig ist, nämlich der Großflughafen Berlin fern ist dieser Weg der richtige: runter mit der
Brandenburg International. Für dieses Investitions- Nettoneuverschuldung, und das – da sind wir uns sicher-
und Entwicklungsprojekt ist der erste Spatenstich ge- lich alle einig – sobald wie möglich.
macht. Der Konsensbeschluss zwischen dem Bund, Ber-
lin und Brandenburg zur Schließung der beiden inner- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
städtischen Flughäfen ist – trotz aller Spekulationen – der CDU/CSU)
gültig und nicht revidiert worden. Der Schuldenstand in Deutschland beträgt 1 500 Mil-
(Zuruf von der FDP: So ein Blödsinn!) liarden Euro. Für den Bund beträgt er 950 Milliar-
den Euro inklusive Sondervermögen. Wir müssen immer
Der Bund wird die Anbindung des Flughafens zu einem wieder deutlich machen, dass das eine immense Zahl ist,
großen Teil finanziell unterstützen und ist als Gesell- deren Reduzierung für uns eine Kraftanstrengung sein
schafter des BBI zusammen mit Berlin und Brandenburg wird. Es ist richtig, was Frau Merkel formuliert hat: Wir
mit im Boot. Es scheint trotz aller Verzögerungen sogar dürfen unsere Zukunft nicht verbrauchen. Dazu bedarf
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. September 2006 4777
Petra Merkel (Berlin)
(A) es eines Mentalitätswechsels. Ein Mentalitätswechsel die Einnahmen aus 1 Prozentpunkt Erhöhung zu, die (C)
braucht Zeit; das haben wir auch in Berlin gemerkt. Es Länder erhalten die Einnahmen aus 1 Prozentpunkt Er-
wird ein anstrengender Weg werden. höhung und die Einnahmen aus 1 Prozentpunkt Erhö-
hung werden zur Senkung des Beitragssatzes zur Ar-
Sehen wir uns die Zahlen des Haushaltsentwurfs für beitslosenversicherung verwendet. Durch die Senkung
das Jahr 2007 an: Die Gesamtausgaben betragen des Beitragssatzes zur Arbeitslosenversicherung in Höhe
267 Milliarden Euro. Darin sind die Einnahmen aus der von insgesamt 2 Prozentpunkten senken wir auch die
Mehrwertsteuererhöhung um einen Prozentpunkt in Lohnnebenkosten. Es ist immer wieder wichtig, das zu
Höhe von 6,5 Milliarden Euro enthalten, die von der betonen, insbesondere in Gesprächen mit Vertretern der
Bundesagentur für Arbeit zur Senkung des Beitragssat- Wirtschaft.
zes zur Arbeitslosenversicherung verwendet werden.
Ich finde, Herr Steinbrück hat sehr gut und plastisch ge- Eines spielt hier immer wieder eine Rolle: Bei der
schildert, dass es sich hierbei um einen Betrag handelt, Bundesagentur für Arbeit haben wir in diesem Jahr
der lediglich durchgereicht wird, Mehreinnahmen in Höhe von mehr als 8 Milliarden Euro
zu verzeichnen, was zumindest teilweise auf den Ein-
(Otto Fricke [FDP]: Das gilt für fast alle maleffekt eines zusätzlichen Monatsbeitrags der Bun-
Steuern!) desagentur zurückzuführen ist. Wenn allerdings ange-
sodass die Ausgaben dieses Bundeshaushalts, verglichen sichts der aktuellen Überschüsse Beitragssatzsenkungen
mit dem Bundeshaushalt des Vorjahres, eigentlich nied- gefordert werden, dann ist das für mich ein typischer Re-
riger sind. Auch das ist ein Aspekt der Konsolidierung. flex, der sich zum Teil auch in unserer Debatte widerge-
spiegelt hat. Einige meiner Koalitionskollegen sagen ja
(Otto Fricke [FDP]: Wollen Sie damit etwa sa- bereits, wo überall Erhöhungen dringend notwendig sind
gen, dass auch der Rentenbeitrag nicht einzu- bzw. in welchen Bereichen keine Privatisierungen
rechnen ist?) durchgeführt werden dürfen; das ist das alte Spiel. Wir
müssen uns darum bemühen, den Haushalt im Zaum zu
Allerdings werden von den Gesamtausgaben in Höhe halten. Das geht uns alle an, auch die Mitglieder des
von 267 Milliarden Euro 122 Milliarden Euro allein für Fachausschusses.
den Bereich Arbeit und Soziales ausgegeben werden, da-
von wiederum 78 Milliarden Euro für den Bundeszu- Erst wenn erkennbar ist, dass es verlässlich und dau-
schuss zur Rentenversicherung. Das ist ein großer An- erhaft Spielräume gibt, kann man über Beitragssatzsen-
teil. Dessen sind wir uns bewusst. kungen reden, allerdings nur dann. Wenn die Steuerein-
nahmen in den kommenden Jahren höher ausfallen als
Die Einnahmen betragen insgesamt 245,6 Milliarden geplant, müssen wir sie für die Haushaltssanierung ver-
(B) Euro; davon werden 214 Milliarden Euro aus Steuerein- wenden; denn auch der Haushalt für das Jahr 2007 ist (D)
nahmen erzielt – ohne Nettokreditaufnahme. Diese Zah- mit unbestreitbaren Risiken verbunden. Der Bereich
len sprechen für sich. Es wird eine schwierige Aufgabe „Arbeit und Soziales“, die Zinsentwicklung – noch pro-
sein, den Bundeshaushalt so zu sanieren, dass wir unser fitieren wir vom Niedrigzins – und die Mehrwertsteuer-
Ziel erreichen, nämlich die Nettoneuverschuldung dras- erhöhung können noch Einfluss auf die Wirtschafts- und
tisch zu senken. Haushaltsentwicklung haben. Wenn wir auf die von mir
Die Mehrwertsteuererhöhung ist immer wieder angesprochenen Forderungen, die in der einen oder an-
Thema. Ich sage ganz deutlich: Sie ist einkalkuliert und deren Etatberatung zu vernehmen waren, nicht eingehen,
beschlossen. Wir erleben täglich, dass sich viele Firmen werden wir es schaffen, die Ausgaben zu senken.
schon im Vorfeld auf die Mehrwertsteuererhöhung ein- Ich möchte noch auf einige andere Projekte zu spre-
stellen, sie in ihren Planungen für die Zeit nach dem chen kommen, für die der Haushalt 2007 steht. Als Bei-
1. Januar 2007 berücksichtigen und versuchen, davon zu spiel nenne ich das Elterngeld.
profitieren. So wird zum Beispiel ein Neuwagen schon
jetzt ohne 16-prozentige Mehrwertsteuer angeboten und (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das ist eine gute
eine große Lebensmittelkette garantiert ihren Kunden, Initiative von Frau von der Leyen!)
ab dem 1. Januar 2007 keine Preiserhöhungen durchzu- Nun wird für Frauen und Männer endlich die Möglich-
führen. Das gilt übrigens nicht für diejenigen Artikel, die keit geschaffen, das erste Jahr nach der Geburt ohne grö-
mit dem reduzierten Mehrwertsteuersatz von 7 Prozent ßere finanzielle Einbußen mit ihrem Kind verbringen zu
versteuert werden, sondern für diejenigen, die künftig können. Der Wiedereinstieg in den Beruf geht nach ei-
mit 19 Prozent versteuert werden. nem Jahr besser und reibungsloser. Allerdings müssen
(Otto Fricke [FDP]: Genau! Für Mineralwas- die Länder entsprechende Kinderbetreuungsangebote
ser, Babywindeln usw.!) vorhalten; sie sind da in der Pflicht. Wir haben in der
großen Koalition die mit dem TAG, dem Tagesbetreu-
Das ist ein Indiz dafür, dass im Augenblick niemand ungsausbaugesetz, begonnenen Programme zur Betreu-
von uns sagen kann, wie sich die Erhöhung der Mehr- ung von Kindern unter drei Jahren fortgesetzt. Im Wege
wertsteuer auf die Produktpaletten und auf die Ausgaben der Entlastung der Kommunen stellt der Bund die Finan-
jedes Haushalts auswirken wird. Wir wissen nur, was sie zierungsgrundlage für den Ausbau der Kinderbetreuung
für unseren Haushalt bedeutet: Mehreinnahmen von ins- bereit. Dass die CDU/CSU in der großen Koalition mit
gesamt 19 Milliarden Euro. Dabei muss immer wieder uns diesen Schritt gegangen ist und auch das erfolgrei-
darauf hingewiesen werden, dass dieser Betrag nicht che Ganztagsschulprogramm mit uns weiterführt, freut
vollständig dem Bund zugute kommt. Dem Bund fließen uns und viele Familien.
4778 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. September 2006

Petra Merkel (Berlin)


(A) (Beifall bei der SPD) (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Ich (C)
schweige!)
Das Land Berlin wird vom 1. Januar 2007 an für das
letzte Kitajahr keine Gebühren mehr nehmen, und in den Sie alle wissen, dass am 17. September in Mecklenburg-
nächsten fünf Jahren sollen grundsätzlich keine Gebüh- Vorpommern und in Berlin Landtagswahlen stattfinden.
ren mehr für Kinder über drei Jahre erhoben werden – In beiden Bundesländern werden derzeit erschreckende
wie übrigens im armen Saarland schon üblich. Dann ist Erfahrungen gemacht mit Vertretern der NPD. Gezielte
die Bildungseinrichtung Kindergarten mit dem Rechts- Störungen von Veranstaltungen, bis hin zu körperlicher
anspruch auf einen Kindergartenplatz genauso kostenfrei Bedrohung und Androhung von Gewalt, können wir als
wie die Schule. Damit wird das Land Berlin einen weite- Demokraten nicht akzeptieren.
ren Schritt sowohl bei der Integration der Kinder von
Migrantinnen und Migranten als auch bei der Bildung al- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der
ler Kinder im Kindergartenalter tun. Wir erinnern uns: CDU/CSU – Beifall bei der LINKEN)
Im Sommer hat die Beauftragte der Bundesregierung für Deshalb bitte ich alle Wahlberechtigten: Machen Sie Ge-
Migration, Flüchtlinge und Integration, Frau Professor brauch von Ihrem demokratischen Recht auf Stimm-
Dr. Böhmer, mit Franz Müntefering und anderen einen abgabe. Viele von Ihnen, die jetzt stimmberechtigt sind,
Integrationsgipfel veranstaltet und Arbeitsgruppen ein- haben vor 17 Jahren auf eine freie, demokratische Wahl
gesetzt. Für die Hauptstadt Berlin, für viele Städte in gehofft und sind dafür auf die Straße gegangen. Es liegt
Deutschland und auch in Europa ist die Frage der Inte- in Ihrer Hand, ob die NPD in die Parlamente einzieht.
gration entscheidend. Es gibt nur eine Möglichkeit: Bil- Bitte gehen Sie zur Wahl!
dung, Bildung, Bildung, und das so früh wie möglich.
(Beifall bei der SPD)
(Beifall bei der SPD und der LINKEN)
Ich komme zum Schluss. Die Beratungen des
Das bedeutet, dass die Bildung in den Kindertagesstätten
Haushalts 2007 werden jetzt in den Fachausschüssen
Vorrang haben muss.
und im Haushaltsausschuss fortgesetzt. Ich bin sicher,
(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- dass wir alle sie in großer Verantwortung wahrnehmen
NEN]: Warum haben Sie dann die Gebühren werden. Ich hoffe auf viele Ideen, neue Einsichten, und
erst erhöht, Frau Kollegin Merkel?) wünsche uns allen viel Erfolg.
Ich möchte einen weiteren Bereich ansprechen: Wir (Beifall bei der SPD sowie bei der CDU/CSU)
sind alle froh, dass Bonn die Umwandlung zur Bundes-
stadt gut bekommen ist, dass Bonn blüht. Die Berichter- Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
(B) stattung in der Presse in den letzten Tagen über eine Ver- (D)
änderung des Bonn/Berlin-Gesetzes ist allerdings Nächster Redner ist der Kollege Otto Bernhardt,
vorschnell. CDU/CSU-Fraktion.

(Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


GRÜNEN]: Leider!)
Otto Bernhardt (CDU/CSU):
Es gibt keinen derartigen Beschluss. Richtig ist aller-
dings, dass die Koalition im Haushaltsausschuss erneut Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
die räumliche Aufteilung der Bundesregierung und der Herren! Ich möchte in der Schlussrunde noch einmal auf
ihr nachgeordneten Behörden daraufhin überprüfen die Ziele der Haushalts- und Finanzpolitik der großen
wird, wie kurz- oder mittelfristig Effizienzgewinne er- Koalition hinweisen. Wir wollen bekanntlich zwei Ziele
reicht werden können. Dazu gehören auch Neubaumaß- gleichzeitig verwirklichen: nachhaltige Konsolidierung
nahmen. Sie können sich vorstellen, wofür mein Herz als der öffentlichen Finanzen und Stärkung der Wachstums-
Berlinerin schlägt. kräfte der Wirtschaft. Ich sage sehr deutlich: Dieser
Haushalt, den wir in den letzten Tagen in erster Lesung
(Otto Fricke [FDP]: Für Deutschland, hoffe beraten haben, ist ein wichtiger Schritt, um beide Ziele
ich! – Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Für un- zu erreichen.
ser Land hoffentlich! Und für die Koalition!)
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Ich finde es richtig, diese Aufteilung zu überprüfen.
Ich finde es eigenartig, dass sich einige hier hinstellen
Eine weitere Bemerkung: Der Bund finanziert in und sagen, es sei eine Selbstverständlichkeit, dass wir
Kontinuität die Programme „Civitas“ und „Entimon“ des mit diesem Haushalt die Maastrichtkriterien und
Aktionsprogramms „Jugend für Toleranz und Demokra- Art. 115 unseres Grundgesetzes erfüllen.
tie – gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit
und Antisemitismus“. Wie nötig diese Programme sind, (Hellmut Königshaus [FDP]: Ist es ja auch!)
zeigt die aktuelle Situation in Mecklenburg-Vorpom-
– Das mag sein. – Das wird insbesondere von denen ge-
mern und in Berlin.
sagt, die an den Sanierungsmaßnahmen nicht mitgewirkt
(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Die brauchen haben.
eher eine neue Regierung!)
(Ute Kumpf [SPD]: Ja! – Otto Fricke [FDP]:
– Vorsicht, Vorsicht! Welche denn?)
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. September 2006 4779
Otto Bernhardt
(A) Ich stelle nur fest, dass es fünf Jahre lang nicht gelungen Nach den Maastrichtkriterien und dem Grundgesetz soll (C)
ist, einen Haushalt vorzulegen, der den Maastrichtkrite- ein ausgeglichener Haushalt vorgelegt werden; das ist
rien und dem Grundgesetz entspricht. Ich sage sehr deut- völlig klar. Die Drei vor dem Komma bei dem
lich: Wir als Finanzpolitiker haben bei dieser Sanierung Maastrichtdefizitkriterium ist eine Obergrenze für kriti-
eine erhebliche Last tragen müssen. Es war nicht ein- sche Zeiten. Das Gleiche gilt für Art. 115 Grundgesetz.
fach, die Mehrwertsteuererhöhung durchzusetzen und Ich sage daher sehr deutlich – das haben schon mehrere
Subventionen sowie Steuervorteile in einer Größenord- von der Regierung und der Koalition gesagt –: Das Ziel
nung von 7 bis 8 Milliarden Euro zu streichen. der großen Koalition ist ein ausgeglichener Haushalt.
Schauen Sie sich die Zahlen an: In diesem Jahr haben (Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
wir eine Nettoneuverschuldung von rund 38 Milliarden NEN]: Nach Ihrer Rechnung in 44 Jahren! –
Euro, im nächsten Jahr werden es 22 Milliarden Euro Gegenruf des Abg. Steffen Kampeter [CDU/
sein. Das heißt, wir führen die Nettoneuverschuldung CSU]: Herr Bonde, in der nächsten Legislatur-
um 16 Milliarden Euro zurück. Von den Mehreinnahmen periode werden Sie es in der Opposition erle-
durch die Erhöhung der Mehrwertsteuer um 3 Prozent- ben!)
punkte erhalten wir nur ein Drittel; das sind ungefähr Jetzt kommt natürlich eine Feststellung, die hier nicht
7 Milliarden Euro. Die anderen 9 Milliarden Euro ha- fehlen darf: Selbst wenn wir einen ausgeglichenen Haus-
ben wir in anderen Bereichen gespart. Die große Koali- halt vorlegen, wie Bayern das erreicht hat – ich schaue
tion hat also wirklich bewiesen, dass sie in der Lage ist, mit Respekt auf die bayerischen Freunde; sie haben
unpopuläre Entscheidungen durchzusetzen, um den schon in diesem Jahr einen ausgeglichenen Haushalt –,
Haushalt zu sanieren. Das ist eine wichtige Zukunftsauf-
gabe. (Beifall bei der CDU/CSU)

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- haben wir nach heutigem Stand 950 Milliarden Euro
neten der SPD – Jürgen Koppelin [FDP]: Ab- Schulden, die wir in den nächsten Jahren noch ein biss-
kassieren bei den Bürgern!) chen erhöhen werden.
(Jürgen Koppelin [FDP]: Ramsauer hatte
Ich möchte mich in meinem Beitrag auf zwei Themen
vorhin ganz andere Zahlen!)
beschränken, nämlich zum einen auf das Thema Konso-
lidierung der öffentlichen Finanzen Das heißt, wir müssen irgendwann anfangen, diesen
Berg abzutragen. Ich glaube, allein diese Perspektive
(Jürgen Koppelin [FDP]: Durch Abkassieren!) zeigt, dass die Konsolidierung der öffentlichen Finanzen
eine Aufgabe ist, die uns mit Sicherheit auch in den
(B) und zum anderen – das kann nicht überraschen – auf das (D)
Thema Unternehmensteuerreform. nächsten Legislaturperioden beschäftigen wird.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
Bezogen auf die Konsolidierung stelle ich ganz klar neten der SPD)
fest – hier unterstütze ich ohne jede Vorbehalte den
Finanzminister –: Wir sind erst am Anfang der Konsoli- Ich komme jetzt im Zusammenhang mit unserem
dierung. Haushalt zur Unternehmensteuerreform. Zunächst ein-
mal will ich das unterstreichen, was einige Kollegen ge-
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- sagt haben: Wir sind in der großen Koalition auf dem
neten der SPD) Wege zu einer wirklich großen und vernünftigen Unter-
nehmensteuerreform.
Meine Damen und Herren – das gilt auch für die Kolle-
gen meiner eigenen Fraktion –, denken Sie bitte nicht (Vorsitz: Vizepräsidentin Petra Pau)
gleich nach, was man noch alles an Gutem tun kann,
wenn wir jetzt ein bisschen mehr Steuern einnehmen. Jeder, der aus dem Kreis der Zwölf, die an den Sitzungen
Alles, was wir zusätzlich einnehmen, brauchen wir für teilnehmen, etwas dazu gesagt hat, hat sich in dieser
die nachhaltige Sanierung. Denken Sie daran: Durch Richtung geäußert.
jede Milliarde, die wir weniger Schulden machen, sparen Über Grundpositionen sind wir uns einig, aber wir
wir in den folgenden Jahren – selbst bei einem günstigen wissen natürlich, dass im Detail noch manches Problem
Zinssatz – 30 Millionen Euro an Zinsen. Das heißt, wir zu lösen ist. Ich sage deutlich – auch da stimmen wir in
erhöhen damit unseren Spielraum. der großen Koalition überein –: Wir werden keine Unter-
nehmensteuerreform verabschieden, die die großen Un-
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- ternehmen entlastet und den Mittelstand belastet. Das
neten der SPD) wird es mit der großen Koalition nicht geben. Im Gegen-
Natürlich hält sich bei uns die Begeisterung in Gren- teil, bei jeder Frage, die diskutiert wird, geht es um den
zen – das gilt sowohl für die Sozialdemokraten als auch Aspekt: Wie wirkt sich das auf den Mittelstand aus? Wir
für uns –, dass am Ende der mittelfristigen Finanzpla- alle wissen nämlich, dass der Mittelstand die Säule unse-
nung immer noch eine Nettoneuverschuldung in der rer Wirtschaft ist.
Größenordnung von 20 Milliarden Euro steht. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Wir wollen Kritisch ist natürlich – ich kann Ihnen für dieses Pro-
besser werden!) blem keine abschließende Lösung anbieten; aber wir
4780 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. September 2006

Otto Bernhardt
(A) befinden uns jetzt ja auch nicht in einer Unternehmen- die Gewinne in anderen Ländern zu versteuern. Bei ei- (C)
steuerdebatte –, dass nicht der Mittelstand, sondern die nem Steuersatz von 39 Prozent lohnt sich das.
großen Firmen die Gestaltungsmöglichkeiten haben, um
Kollege Poß hat am Dienstag eine interessante Zahl
ihre Gewinne ins Ausland zu verlagern.
genannt: Es gibt Berechnungen – man kann sie nicht se-
(Joachim Poß [SPD]: So ist es!) riös bis nach dem Komma darstellen –, nach denen etwa
60 Milliarden Euro der Gewinne, die in Deutschland er-
Deshalb müssen wir einen Weg finden – das ist unsere
zielt werden, nicht in Deutschland versteuert werden.
gemeinsame Auffassung –, diese Gestaltungsmöglich-
Wir von der Union hatten vor wenigen Tagen ein Ge-
keiten einzuengen, ohne dem Mittelstand neue, zusätzli-
spräch mit Vertretern der Deutschen Steuer-Gewerk-
che Belastungen aufzubürden.
schaft. Diese haben sehr deutlich gesagt: Jede große
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Firma, die wir überprüfen, versteuert einen Teil ihrer Ge-
winne im Ausland, und zwar vollkommen legal.
Ich komme zu einer Frage, die in der Koalition ein
bisschen kontrovers diskutiert wird – auch hier werden Wenn wir durch eine vernünftige Unternehmensteuer-
wir zu einer gemeinsamen Antwort kommen –: Kann, reform – wir sind dabei auf dem richtigen Wege – errei-
soll oder muss eine Unternehmensteuerreform aufkom- chen, dass nur die Hälfte dieser Gewinne wieder in
mensneutral durchgeführt werden oder brauchen wir Deutschland versteuert wird, dann führt das bei einem
eine Entlastung? Ich sage deutlich: Beide Auffassungen Steuersatz von 30 Prozent zu Einnahmen in Höhe von
sind, wenn man den Faktor Zeit berücksichtigt, richtig. 9 Milliarden Euro.
Natürlich müssen wir im ersten Jahr Steuerausfälle ein-
(Joachim Poß [SPD]: Zusätzlich!)
rechnen und berücksichtigen.
– Ja, zusätzlich! Deswegen stelle ich die These auf: Eine
(Otto Fricke [FDP]: Jawohl!)
vernünftige Unternehmensteuerreform – eine solche
Wir haben schon die aus meiner Sicht gute Entschei- werden wir beschließen – wird dafür sorgen, dass wir
dung getroffen, dass die Steuerausfälle in Höhe von mittelfristig mit niedrigeren Steuersätzen höhere Einnah-
5 Milliarden Euro, über die jetzt diskutiert wird, nur von men erzielen werden. Insofern brauchen wir über das
Bund und Ländern, nicht von den Kommunen ausgegli- Thema Entlastung nicht so lange zu diskutieren. Am An-
chen werden sollen. Das ist ein gutes Zeichen für die fang müssen wir ein wenig Geld aus dem Haushalt in-
Kommunen. Die Politiker der großen Koalition werden vestieren. Aber durch diese Investitionen werden wir re-
die Kommunen bei der Mitfinanzierung einer Unterneh- lativ schnell zu höheren Einnahmen kommen.
mensteuerreform schonen, und zwar aus gutem Grunde: Viele Redner der Koalition haben sich positiv zur
Der überwiegende Teil der Investitionen vor Ort, die ge-
(B) Wirtschaftsentwicklung geäußert: Die Zahlen sind sehr (D)
rade für den kleinen Handwerksbetrieb wichtig sind,
gut; die Wirtschaft funktioniert. Ich will nicht alle Zah-
wird von den Kommunen getätigt. Nur wenn wir die len wiederholen. Sie waren richtig. Vonseiten der Oppo-
Kommunen in die Lage versetzen, wieder in steigendem sition wurde festgestellt, wir könnten nichts dafür. Die
Umfang Aufträge zu vergeben, können wir vernünftig
Kanzlerin hat die Gründe, glaube ich, sehr vernünftig
etwas für den Mittelstand vor Ort tun. dargestellt. Die neue Regierung ist zwar ein Grund für
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) den Aufschwung, wir wissen jedoch, dass dies nicht der
einzige Grund ist. Aber wenn die Zahlen heute schlecht
Lassen Sie mich deutlich sagen: Die 5 Milliarden wären, dann hätten mindestens drei Fraktionen festge-
Euro sind kein Geschenk an irgendwelche Unternehmer. stellt, wir seien schuld daran. Deshalb, meine Damen
(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Ja!) und Herren: Gönnen Sie uns die Freude über die guten
Zahlen. Wir werden aktiv weiterarbeiten, damit die Zah-
Jede Privatentnahme – ob aus einer Kapitalgesellschaft len noch besser werden.
oder aus einer Personengesellschaft – wird weiterhin wie
heute besteuert, das heißt, mit einem Steuersatz von (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
42 Prozent plus Soli usw. Die geplante Steuersenkung
betrifft nur die einbehaltenen Gewinne, die in Deutsch- Vizepräsidentin Petra Pau:
land zurzeit mit knapp 39 Prozent besteuert werden. Da- Für die FDP-Fraktion hat der Kollege Otto Fricke das
mit sind wir leider Spitzenreiter in Europa, und zwar Wort.
nicht, weil wir die Steuern erhöht haben, sondern weil
die anderen die Steuern stärker gesenkt haben. Hier müs- (Beifall bei der FDP)
sen wir ein Zeichen setzen. Ein Steuersatz von
29 Prozent, den wir jetzt anpeilen, ist ein solches Zei- Otto Fricke (FDP):
chen. Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol-
legen! Die Haushaltswoche neigt sich dem Ende zu. Es
Die 5 Milliarden Euro sind eine Investition, weil wir
waren interessante Debatten. Wir haben alles Mögliche
damit erreichen werden, dass ein erheblicher Teil der
darüber gehört, wer woran schuld ist, wer was wofür
Gewinne, die heute in Deutschland entstehen, aber hier
kann und wer was tun will. Ein Satz allerdings ist kaum
leider nicht steuerlich wirksam werden, wieder in
gefallen: Wir wollen sparen.
Deutschland versteuert wird. Ich sage deutlich: Auch
ohne „Zinsschranken“ werden manche bei einem Steuer- Sie sparen nicht, meine Damen und Herren von der
satz von 29 Prozent überlegen, ob es noch sinnvoll ist, Koalition.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. September 2006 4781
Otto Fricke
(A) (Jürgen Koppelin [FDP]: Der Finanzminister Ich komme auch wieder auf die Steinkohlesubvention (C)
will beim Urlaub sparen!) zu sprechen. Sie steigt dieses Jahr an. Wir können da-
rüber streiten, ob das nur eine Bugwelle ist oder nicht.
Sie sprechen immer wieder von Konsolidierung. Wissen Jedenfalls wird immer wieder auf die bestehenden Ver-
Sie eigentlich, was das Wort „konsolidieren“ heißt, das träge verwiesen – ich halte das für falsch; das ist eine
Sie immer im Munde führen? Es heißt „festigen, sichern, dumme juristische Sichtweise –, dass es einen Vertrag
bewahren des Bestehenden“. Sie bewahren mit Ihren gibt, der eingehalten werden müsse. Das ist zwar richtig,
Haushaltsplänen das Bestehende und damit den weiteren aber aus wirtschaftlicher Sicht heißt das: Der Vertrags-
Gang in eine immer höhere Verschuldung. partner will vom Steuerzahler auch nach Ende der Ver-
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten tragsdauer noch Geld haben.
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Insofern erwarte ich von der Koalitions, dass sie mit
Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Für die meis- Herrn Müller bei allem, was er noch plant, nicht nur über
ten Schulden ist die FDP mitverantwortlich!) die Zukunft, sondern auch über die Gegenwart spricht.
Wenn Sie das Sparen, von dem immer wieder die Rede
– Ich komme noch zu den Schulden, Herr Kollege. Ich
ist, ernst nehmen, dann müssen Sie in dieser Weise ver-
bin gespannt, wie unruhig der Kollege Kampeter heute
handeln, statt einem Subventionsempfänger zuzusagen,
noch werden wird. Das werden wir alles noch hören.
dass ihm das versprochene Geld auf jeden Fall auch wei-
Frau Merkel hat gesagt, wir dürften unsere Zukunft terhin sicher ist.
nicht verbrauchen. Was heißt „verbrauchen“? Wir dürfen (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
nicht so viel ausgeben. Sie hat klar und deutlich festge- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
stellt, dass wir die Ausgaben senken müssen. Wenn es
aber konkret wird, dann kommt im Ergebnis leider im- Herr Minister Müntefering, es muss auch endlich
mer nur heiße Luft. überprüft werden, wo etwas nicht stimmt und an wel-
chen Stellen es gerade im größten Haushalt nicht weiter-
(Beifall bei der FDP) laufen kann wie bisher. Bei den Eingliederungsmaßnah-
Was müssen wir tun? Wir müssen intelligent sparen. men zum Beispiel – ich glaube, darüber bin ich mir mit
Wir müssen die Sozialsysteme zukunftssicher machen. dem Kollegen Kampeter einig – stimmt es hinten und
Wir müssen die Steuersätze senken – keinesfalls dürfen vorn nicht, hier müssen die Zahlen gesenkt werden: In
wir die Steuern erhöhen – und wir müssen das Steuersys- Duisburg, so hört man, müssen bis zum Jahresende noch
tem vereinfachen. Wir müssen jedem die private Alters- 12 Millionen Euro ausgegeben werden, weil das Geld
einfach da ist. Was wird gemacht? Man hat eine tolle
(B) vorsorge ermöglichen. Kurz gesagt: Wir müssen eine Idee. Jeder darf den Führerschein machen und wenn er (D)
Steuerreform durchführen, statt eine Urlaubssperre aus-
zusprechen. Darum muss es gehen. anschließend einen Kaufvertrag über ein Auto nach-
weist, erhält er 2 500 Euro für den Führerschein und zu-
(Beifall bei der FDP) sätzlich 1 000 Euro als Bonus. Diejenigen, die zunächst
vergessen hatten, es geltend zu machen, erhalten auch
Die bestehenden Einsparmöglichkeiten hat die FDP 1 000 Euro, Hauptsache, das Geld ist weg. Das kann
immer wieder im Liberalen Sparbuch dargestellt. Die nicht die Lösung sein, hier muss sich einiges ändern.
Reaktion darauf lautet immer wieder: Das ist ja schreck-
lich. Aber auch in diesem Haushalt finden sich wieder (Beifall bei der FDP)
viele Punkte – ich hoffe, das können Sie zugeben, Herr
Der Aussteuerungsbetrag ist für mich immer noch ein
Steinbrück –, bei denen die große Koalition auf einmal
Wahnwitz. Ein Aussteuerungsbetrag ist nichts anderes
festgestellt hat: Die FDP hatte Recht; wir senken den
als eine Strafzahlung. Obwohl kein Vertreter der Bun-
Ansatz. – Wir werden Ihnen auch dieses Jahr wieder ei-
desländer mehr anwesend ist, möchte ich fragen: Müss-
nige Sparvorschläge machen. Setzen Sie sie um und ma-
ten nicht auch die Länder eine Strafzahlung an die BA
chen Sie es dieses Jahr, statt weitere Jahre zu warten!
für diejenigen leisten, die sie schulisch nicht so ausgebil-
(Beifall bei der FDP) det haben, dass sie für den Arbeitsmarkt tauglich sind
und einen Job finden? Nein, das tun sie nicht.
Lassen Sie mich mit einem Beispiel verdeutlichen,
dass die Notwendigkeit des Sparens noch nicht richtig Jetzt wird es interessant: Der liebe Kollege Bernhardt
angekommen ist. Wir haben die größte Föderalismus- hat soeben ausgeführt, der Überschuss sei kein Polster
reform aller Zeiten beschlossen. Damit haben wir Kom- und diese Mittel sollten zurückgegeben werden. Dabei
petenzen abgegeben. Im Haushalt versucht man jedoch hat er leider außer Acht gelassen, was Herr Koch dazu
vergeblich, auch nur einen Punkt zu finden, in dem die gesagt hat. Als ich das hörte, bekam ich große Angst um
große Koalition festgestellt hat, dass sie für einen Be- die CDU/CSU; denn bisher habe ich immer gedacht, die
reich nicht mehr zuständig ist, dass ein Referat nicht Kompromisse hätten damit zu tun, dass Sie sich mit der
mehr gebraucht wird oder dass eine Fördermaßnahme SPD abstimmen müssen. Aber nein, der Kollege Koch,
nicht mehr notwendig ist. Trotz der Föderalismusreform der bekanntlich alleine regiert, sagt: Das Beitragszahler-
macht sie bei den Ausgaben einfach so weiter wie bisher. geld, der Milliardenüberschuss – „Überschuss“ ist schon
bemerkenswert –, sollte genutzt werden, um 50 000 Ju-
(Beifall bei der FDP – Steffen Kampeter gendlichen einen fiktiven Ausbildungsplatz bereitzu-
[CDU/CSU]: Schwarzmaler!) stellen. Ich habe gedacht: Das kann doch nicht wahr
4782 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. September 2006

Otto Fricke
(A) sein! Da hat die CDU die absolute Mehrheit und kann für ältere Arbeitnehmer setzen Sie die Zahlen hoch. Was (C)
ihre Meinung allein durchsetzen – und dann so etwas. ist denn nun? Brauchen wir ein 58er-Programm, um die
Das zeigte mir: Auch dort, wo die CDU die absolute Älteren aus dem Arbeitsmarkt herauszunehmen, oder
Mehrheit hat, ist sie in einer sozialistischen Ideologie brauchen wir Förderprogramme, um sie im Arbeitsmarkt
verfangen, weil sie ihrem Partner in diesen Dingen folgt. zu behalten? Es geht um 1,2 Milliarden Euro. Nur eine
Entscheidung kann richtig sein, Sie müssen sich ent-
(Beifall bei der FDP – Widerspruch bei der
scheiden, welche.
CDU/CSU)
(Beifall bei der FDP)
– Ich sage Ihnen, warum ich das für sozialistisch halte:
Unsere Aufgabe muss doch darin bestehen, den Jugend- Worüber wir in den nächsten Monaten dringend de-
lichen reale Ausbildungsstellen zu ermöglichen. Wir battieren und beschließen müssen, ist nach meiner Mei-
wissen ganz genau, wo die Probleme der Jugendlichen nung eine Reform der Sozialsysteme. Wir alle wissen,
liegen. Deshalb hilft es nicht, wenn sie vielleicht für warum diese Reform im Moment nicht angegangen
zwei Jahre die Hoffnung auf einen Arbeitsplatz bekom- wird. Es ist derselbe Grund, warum viele Minister der
men, um im dritten Jahr zu erfahren: Tut uns Leid, die PDS hier gesprochen haben. Da Wahlkampf ist, geht nie-
Subvention ist weg. – Die FDP will dieses Problem mit mand an die harten Wahrheiten heran. Herr Müntefering,
den Mitteln des Marktes lösen, aber dafür müssen wir meine Fraktion ermahnt Sie deutlich, möglichst noch in
dem Markt auch die Instrumente an die Hand geben. diesem Jahr klare Vorschläge im Hinblick auf die Rente
Wenn ich die Diskussion der letzten Zeit über mit 67, die Hinterbliebenenrente – darüber hat die große
Hartz IV verfolge, stelle ich einen schönen Wider- Koalition schon debattiert – und die Erwerbsminde-
spruch fest. Ich bin gespannt, wie Sie diesen Wider- rungsrente zu unterbreiten. Meine Fraktion ist auf Ihre
spruch lösen wollen, Herr Müntefering. Der Aussteue- Vorschläge gespannt. Wir werden uns das alles genau
rungsbetrag, den die Bundesagentur zahlen muss, weil anschauen. Aber was wir nicht mitmachen werden, sind
sie nicht genügend Arbeitslosengeld-I-Empfänger in den rein mathematische Lösungen, nur um kurzfristig ir-
Arbeitsmarkt vermittelt, steigt. So steht es im Haushalt. gendwelche Kassen wieder zu entlasten.
Heißt das mit anderen Worten, dass die Arbeitslosigkeit (Beifall bei der FDP)
steigt, wenn mehr Leute kurzzeitig ihren Arbeitsplatz
verlieren? Dazu sagt Herr Müntefering in seinem Haus- Zur Gesundheitsreform ist hier schon vieles gesagt
halt Nein und begründet das damit, dass mehr Hartz-IV- worden. Herr Steinbrück, ich bitte nur – Sie wissen, wa-
Empfänger in den Arbeitsmarkt hineinkommen. Dass rum ich es weiß –: Bleiben Sie hart gegenüber der Ge-
Hartz-IV-Empfänger, also Langzeitarbeitslose, schneller sundheitsministerin! Lassen Sie sich keine weiteren Zah-
(B) auf dem Arbeitsmarkt sind als diejenigen, die kurzfristig lungen abluchsen, bevor nicht klar ist, dass wir ein (D)
als ALG-I-Empfänger aus dem Arbeitsmarkt raus sind, modernes Gesundheitssystem bekommen! Sollte das mit
kann ich nicht nachvollziehen. Diesen Widerspruch dieser Koalition nicht möglich sein, bleiben Sie trotzdem
müssen Sie erst einmal aufklären. während der gesamten Legislaturperiode hart.

Ich kann Ihnen allerdings erklären, warum das haus- Damit sind wir bei dem Bundeszuschuss und der
halterisch so ist. Der Grund liegt schlichtweg in den Frage, ob die Nettoneuverschuldung steigt oder nicht:
1,5 Milliarden Euro, die der Finanzminister braucht, da- Sie haben gesagt, das sei nur ein durchlaufender Posten.
mit die Verfassung zumindest bei der Aufstellung des Aber dann könnten Sie auch die knapp 80 Milliarden
Haushaltes nicht gebrochen wird. Das ist der eigentliche Euro Zuschuss zur Rentenversicherung herausrechnen;
Grund für diese Trickserei. denn er ist ebenfalls nichts anderes als ein durchlaufen-
der Posten, der sich über Jahre angesammelt hat. Aber
(Beifall bei der FDP – Steffen Kampeter das Geld ist nun einmal in den Haushalt eingestellt und
[CDU/CSU]: Das glauben Sie doch selber steht damit den Politikern zur Verfügung. Das ist im
nicht!) Hinblick auf die Frage gefährlich, wo gespart werden
Ich muss Ihnen noch einen zweiten Widerspruch ver- soll und wie man es verhindert – ich weiß, dass Sie teil-
deutlichen, Herr Müntefering. Sie sagen, das 58er-Pro- weise verhindert haben –, dass viele Kolleginnen und
gramm müsse fortgesetzt werden. Ich gebe Ihnen an ei- Kollegen der großen Koalition neue Ausgabenpläne
nem Punkt Recht: In der Frage, wie wir ältere schmieden.
Arbeitnehmer besser im Arbeitsmarkt halten können (Beifall bei der FDP)
bzw. welche Möglichkeiten wir ihnen einräumen kön-
nen, ihr Alter gut zu gestalten, hat unsere Gesellschaft Wir diskutieren über den Grund des Wirtschafts-
ein riesiges Problem. Hierzu gibt es an vielen Stellen wachstums. Es gibt sicherlich viele Gründe. Der Erfolg
noch völlig falsche Denkansätze. hat immer viele Väter und Mütter.
Ich habe in einer Diskussion erlebt, dass ein Zweiund- (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Zuerst einmal
sechzigeinhalbjähriger davon sprach, er sei ein Senior, Westerwelle!)
obwohl er mitten im Leben stand. Herr Müntefering, ich – Danke, Herr Kampeter. Ich bin mir sicher, dass der
bin sicher, Sie werden mir Recht geben: Das ist noch Kollege Westerwelle Ihnen zustimmt.
kein Alter. Unsere Gesellschaft verdrängt jedoch Men-
schen dieses Alters zunehmend aus der Erwerbstätigkeit. Seien wir ehrlich: Die Steuerreform hat einen wesent-
Jetzt kommt das Besondere: In den Förderprogrammen lichen Anteil am wirtschaftlichen Erfolg. Der Kollege
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. September 2006 4783
Otto Fricke
(A) Eichel hat in dieser Debatte deutlich gesagt: Wenn wir Vizepräsidentin Petra Pau: (C)
sie früher durchgeführt hätten, hätte der Aufschwung Als letzter Redner in dieser Debatte hat der Kollege
möglicherweise früher eingesetzt. Aber wer hat denn die Bernhard Kaster für die Unionsfraktion das Wort.
Wirkungen dieser Steuerreform insbesondere im Hin-
blick auf diejenigen, die die meisten Steuern zahlen, (Beifall bei der CDU/CSU)
durch einen Kompromiss im Bundesrat so abgemildert,
dass Sie nun von sprudelnden Steuerquellen profitieren? Bernhard Kaster (CDU/CSU):
Es war die FDP, die im Vermittlungsausschuss bei dieser Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-
Steuerreform mitgemacht hat. gen! Wir beraten nach neun Monaten des Bestehens der
großen Koalition den ersten Bundeshaushalt, der die al-
(Beifall bei der FDP – Dr. Guido Westerwelle leinige politische Handschrift für Sanieren und Investie-
[FDP]: Deshalb stimmt es, Herr Kampeter: Es ren von Union und SPD trägt. Nirgendwo ist die Politik
war Westerwelle! – Heiterkeit) einer Bundesregierung und einer Parlamentsmehrheit
Jetzt wird es richtig interessant. Sie selber stellen fest, besser ablesbar als im Bundeshaushalt, im Schicksals-
dass es dem Staat aufgrund der durchgeführten Refor- buch unserer Nation. Deshalb ist es auch berechtigt, die
men – dazu zähle ich auch Hartz IV und die Abschaf- Frage zu stellen: Was unterscheidet diesen Haushalt von
fung der Eigenheimzulage; all das hat die FDP unter- vielen seiner Vorgänger?
stützt – besser geht und dass es richtig war, den Staat Der Haushalt 2007 ist endlich wieder ein Bundes-
zurückzuführen. Aber wie sieht Ihre Reaktion darauf haushalt, bei dem Finanz- und Wirtschaftspolitik inei-
aus? Statt zu senken, erhöhen Sie die Steuern nach dem nander greifen.
Motto: Weil die Wahrheit uns nicht gefällt, suchen wir
uns eine andere. (Beifall bei der CDU/CSU)
Herr Steinbrück, ich habe vernommen, wie schlimm Der Spagat zwischen dringender Haushaltssanierung
wir angeblich von 1983 bis 1998 gewesen sind. Wir sol- und Impulsgebung für Investitionen gelingt hier. Als
len für 70 Milliarden Euro aus Steuererhöhungen verant- ehemaliger Bürgermeister sage ich Ihnen auch, dass es
wortlich sein. Sicherlich darf in diesem Zusammenhang mir in den vergangenen Jahren immer ein Graus war – es
die deutsche Einheit nicht vergessen werden. Aber ich war mir wirklich ein Graus –, bereits kurz nach der Ver-
habe einmal nachgerechnet, wie lange Sie von der gro- abschiedung eines jeden Haushaltes hier in aller Regel-
ßen Koalition bräuchten, um auf diese Summe zu kom- mäßigkeit über die Korrektur der Steuerprognose und
men. Sie brauchen – wenn man die aus dem Haushalts- über die Korrektur der Konjunkturprognose – und zwar
begleitgesetz resultierenden Steuererhöhungen zugrunde immer nach unten – zu debattieren und letztlich am Ende
(B) legt – nur drei Jahre. Sie sind also deutlich schneller als des Jahres den Haushalt in einer Größenordnung von (D)
wir. Ich beglückwünsche Sie dazu nicht. Aber ich bitte 30 bis 40 Milliarden Euro glattzuziehen. Die große
Sie, zu berücksichtigen, dass die Bewertung von Steuer- Koalition und der Finanzminister haben dieses unerfreu-
erhöhungen von der zeitlichen Perspektive abhängt. liche Ritual jetzt endlich beendet.
Wenn Sie, meine Damen und Herren von der großen (Beifall bei der CDU/CSU – Alexander Bonde
Koalition, genauso lange wie die FDP von 1983 bis 1998 [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nehmen Sie
regierten, kämen Sie – nun wird es ganz grausig – auf darauf Wetten an?)
eine Summe von 350 Milliarden Euro aus Steuererhö-
hungen. So viel zu der Frage, wer der große Steuererhö- Wer hätte es denn vor nur einem Jahr für möglich ge-
her ist. halten,
Ein kurzes Wort zu Zinsen und Inflation. Herr Poß, (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Zumindest
ich verstehe, dass Sie an dieser Stelle eine andere Mei- nicht die FDP!)
nung haben. Aber ich sage Ihnen ganz klar: Wenn die dass nach nur neun Monaten einer neuen Bundesregie-
EZB die Inflation nicht unter Kontrolle hält, dann sind es rung – das ist heute richtigerweise schon mehrfach ge-
letztendlich die Rentner und die kleinen Leute, die unter sagt worden – die Steuerprognosen nach oben korrigiert
der Inflation leiden. Das darf in diesem Land nicht pas- werden können, das konjunkturelle Wachstum die Zwei-
sieren. Ich bin froh, dass sich die EZB bislang von politi- prozentmarke deutlich überschreitet, wir in diesem Jahr
scher Seite nichts hat sagen lassen. bereits 430 000 Arbeitslose weniger haben als im Ver-
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten gleichsmonat des Vorjahres und dass auch bei den Lang-
der CDU/CSU) zeitarbeitslosen wieder konkrete Hoffnung geschöpft
werden kann? Gerade dass die Zahlen der Langzeit-
Da man im Heine-Jahr immer mit ein wenig Kultur arbeitslosen im Juli und August jeweils 10 Prozent nie-
kommen muss – ich weiß, dass Heine das eigentlich als driger waren, ist doch ein Erfolg.
Liebesgedicht an seine Mutter gemeint hat –: Denk ich
an den Haushalt in der Nacht, bin ich leider um den (Beifall bei der CDU/CSU)
Schlaf gebracht. Das Gleiche gilt bei den sozialversicherungspflichtigen
Danke. Beschäftigungsverhältnissen: Hier sind es 129 000, die
dazugekommen sind. Dabei geht es nicht allein um das
(Beifall bei der FDP – Joachim Poß [SPD]: Dafür Mehr, sondern darum, dass die Trendwende geschafft
sehen Sie aber sehr ausgeschlafen aus!) ist. Jahrelang sind zwischen 1,5 und 1,8 Millionen
4784 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. September 2006

Bernhard Kaster
(A) sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhält- Ausgaben und den tatsächlichen Einnahmen, zu verrin- (C)
nisse weggefallen. Dieser Trend ist gebrochen und die gern und hier mittelfristig einen Haushaltsausgleich an-
Zahlen steigen wieder an. zustreben. Uns ist es gelungen – das ist ein Riesenerfolg;
das muss man einmal sagen –, die Zunahme der Neuver-
(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sehr gut!) schuldung erheblich zurückzuführen, sodass wir endlich
Erstmals seit 1988 müssen wir keinen Zuschuss zur Bun- wieder die Maastrichtkriterien erfüllen. Wir sind es vor
desagentur für Arbeit mehr leisten. allen Dingen der jungen Generation schuldig, bei der
Staatsverschuldung anzusetzen.
Deswegen kann man sagen, dass es mit dem jetzt vor-
liegenden Haushalt gelingen wird, den Weg in den (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Schuldenstaat erheblich zu bremsen, also zu sanieren, Angesichts der Staatsverschuldung und heute schon
und dennoch gleichzeitig wichtige Impulse durch mehr feststehender Zukunftslasten – dazu gehört nicht nur die
Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur – ich erinnere genannte Staatsverschuldung von 950 Milliarden Euro,
hier an die Genshagener Beschlüsse – und in Forschung sondern dazu gehören auch künftige Pensionslasten,
und Wissenschaft zu ermöglichen. Die Zahlen und Fak- künftige Ansprüche aus der Sozialversicherung und ab-
ten zeigen eindeutig, dass wir hier den richtigen Weg schreibungsbedingte Ersatzinvestitionen, die schon
eingeschlagen haben. heute feststehen – wird deutlich, dass wir auf der Bun-
(Beifall bei der CDU/CSU) desebene unsere Arbeitsweise ändern müssen. Wir brau-
chen ein neues, modernisiertes und betriebswirtschaft-
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, wir alle wissen lich ausgerichtetes Haushaltsrecht. Die Belastungen der
aber, dass die Lage im Haushalt, die Lage unserer Finan- Zukunft lassen sich in einer kameralistischen Vermö-
zen nach wie vor dramatisch ernst ist. Das ist so. Kollege gensbilanz dauerhaft nicht mehr realistisch darstellen.
Bernhardt hat es schon mit Recht gesagt: Es ist jetzt Wir brauchen dringend betriebswirtschaftliche Ele-
nicht die Zeit, über irgendwelche Geschenke nachzuden- mente im Haushaltsrecht, sowohl bei der Haushalts-
ken. Noch immer ist der Haushalt strukturell unterfinan- aufstellung als auch beim Haushaltsvollzug. Ich bin
ziert. Deswegen müssen wir auch unpopuläre Entschei- dankbar, dass der Bundesfinanzminister schon die Zu-
dungen treffen und an ihnen festhalten. sage gegeben hat, im Ministerium eine entsprechende
Das Thema Mehrwertsteuererhöhung hat sich ja Projektgruppe einzurichten.
wie ein roter Faden die ganze Woche lang durch die Be- (Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
ratungen gezogen. Man sollte dieses Thema einmal mit NEN]: Dabei wird viel herauskommen!)
realistischem Blick betrachten. Was die Auswirkungen
(B) angeht, so werden teilweise wirklich Märchen erzählt. Ich erinnere daran, dass es Theo Waigel war, der im (D)
Ich will nicht, dass wir das schönreden; aber ich emp- Jahre 1998 den Impuls dazu gab, eine Kosten- und Leis-
fehle doch sehr, sich einmal die Berechnungen des tungsrechnung einzuführen,
Statistischen Bundesamtes über die Auswirkungen der (Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Sehr richtig!)
Erhöhung der Mehrwertsteuer um 3 Prozentpunkte an-
zuschauen, die im August erschienen sind: Vorausge- Produkthaushalte zu bilden und entsprechende Pilotpro-
setzt, die Erhöhung des Mehrwertsteuersatzes wird in jekte auf den Weg zu bringen.
vollem Umfang auf die Preise umgelegt und das Kon- (Beifall bei der CDU/CSU – Steffen Kampeter
sumverhalten bleibt gleich, werden die gesamten Kon- [CDU/CSU]: Der Theo war ein anständiger
sumausgaben – abhängig von den Personengruppen, Kerl!)
zum Beispiel allein lebend oder mit Kindern, und den
Altersgruppen – in einer Größenordnung von 0,9 bis Wir müssen aber heute feststellen, dass nicht nur die
1,4 Prozent belastet. Die 1,4 Prozent beziehen sich auf Kommunen, sondern auch die Länder dem Bund weit
die Haushalte, denen ein größeres Einkommen zur Ver- voraus sind. Beispielsweise Hessen, Nordrhein-Westfa-
fügung steht und bei denen sich von daher der Konsum len und Hamburg
anders auswirkt; der ermäßigte Mehrwertsteuersatz wird
(Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Berlin!
ja schließlich nicht erhöht. Man kann nur natürlich sa-
Nennen Sie ruhig einmal Berlin!)
gen, diese Werte sind immer noch zu hoch; aber wir soll-
ten schon bei der Realität bleiben. sind uns bei der Modernisierung eines betriebswirt-
schaftlich ausgerichteten Haushaltswesens inzwischen
(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das heißt, das
voraus. Das gilt im Übrigen auch für europäische Nach-
ist ein sozial akzeptables Ergebnis!)
barstaaten, die Europäische Union, die Europäische
Die Staatsverschuldung hat in den letzten Jahren ein Kommission und auch internationale Einrichtungen. Als
Ausmaß erreicht, das dem Bürger kaum noch erklärbar große Koalition müssen und werden wir daher den Mut
ist. Dass allein 40 Milliarden Euro nur für Zinsleistun- aufbringen, die notwendigen Veränderungen vorzuneh-
gen aufgebracht werden müssen – bei einem nach wie men.
vor niedrigen Zinsniveau –, zeigt das ganze Ausmaß die- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
ser Dramatik. Mit der Aufnahme von 30 bis 40 Mil-
liarden Euro neuer Schulden jedes Jahr konnte es so Als Parlamentarier und Haushälter sollten wir für die
nicht weitergehen. Deswegen ist es notwendig, dieses Zukunft Wert darauf legen, betriebswirtschaftlich richtig
strukturelle Defizit, also die Riesenkluft zwischen den zu bilanzieren, bei den Haushaltsberatungen den Blick
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. September 2006 4785
Bernhard Kaster
(A) für die gesamte Vermögensbilanz, die Notwendigkeit nehmen –, die Neuverschuldung im Rahmen der Bera- (C)
von Abschreibungen und die Darstellung aller zukünfti- tungen möglichst noch weiter zu senken.
gen Lasten bereits bei der Etatberatung realistisch im
Vielen Dank.
Blick zu haben. Wir müssen künftig Finanz- und auch
Ressortverantwortung stärker miteinander verbinden. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Wir brauchen mehr Kostentransparenz und Ressortver-
antwortung. Vizepräsidentin Petra Pau:
Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich
Deswegen wird und muss eine Reformierung des
schließe die Aussprache.
Haushaltsrechts zu einer Stärkung auch des Parlamentes
führen. Wir müssen Abschied davon nehmen, schwer- Interfraktionell wird Überweisung des Haushaltsge-
punktmäßig nur den Einnahme- und Ausgabenfluss setzes 2007 und des Finanzplans des Bundes 2006 bis
– sprich: den Cashflow – zu betrachten. Vielmehr müs- 2010 auf den Drucksachen 16/2300 und 16/2301 an den
sen wir den gesamten Ressourcenverbrauch sehen. Haushaltsausschuss vorgeschlagen.

(Beifall des Abg. Jürgen Koppelin (FDP) (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Da gehören
sie auch hin!)
Am Ende muss eine Staatsbilanz stehen, die diesen Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann
Namen verdient, eine Vermögensrechnung im Sinne ei- sind die Überweisungen so beschlossen.
ner Gegenüberstellung des gesamten Bundesvermögens
und aller Bundesschulden einschließlich aller künftigen Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-
staatlichen Verpflichtungen. Wir jedenfalls, die CDU/ ordnung.
CSU-Bundestagsfraktion, sind dazu bereit und fest ent- (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Schade, es
schlossen, die Herausforderungen der Staatsverschul- war so schön!)
dung und auch die Herausforderung der Modernisierung
der staatlichen Haushaltswirtschaft in der großen Koali- Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
tion anzunehmen und anzugehen. destages auf Mittwoch, den 20. September 2006, 13 Uhr,
ein.
Nun beginnen die eigentlichen Haushaltsberatungen.
Die Sitzung ist geschlossen.
Dabei muss es das oberste Ziel sein – da können wir uns
an den Haushaltsberatungen 2006 ein gutes Beispiel (Schluss: 13.30 Uhr)

(B) (D)
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. September 2006 4787

(A) Anlagen zum Stenografischen Bericht (C)

Anlage 1
Liste der entschuldigten Abgeordneten

entschuldigt bis entschuldigt bis


Abgeordnete(r) einschließlich Abgeordnete(r) einschließlich

Dr. Addicks, Karl FDP 08.09.2006 Kühn-Mengel, Helga SPD 08.09.2006

Ahrendt, Christian FDP 08.09.2006 Meierhofer, Horst FDP 08.09.2006

Bär, Dorothee CDU/CSU 08.09.2006 Dr. Paziorek, Peter CDU/CSU 08.09.2006

Bellmann, Veronika CDU/CSU 08.09.2006 Pflug, Johannes SPD 08.09.2006

Binding (Heidelberg), SPD 08.09.2006 Polenz, Ruprecht CDU/CSU 08.09.2006


Lothar
Rehberg, Eckardt CDU/CSU 08.09.2006
Bosbach, Wolfgang CDU/CSU 08.09.2006
Roth (Esslingen), Karin SPD 08.09.2006
Brand, Michael CDU/CSU 08.09.2006
Dr. Schäuble, Wolfgang CDU/CSU 08.09.2006
Döring, Patrick FDP 08.09.2006
Schmidt (Nürnberg), SPD 08.09.2006
Fell, Hans-Josef BÜNDNIS 90/ 08.09.2006 Renate
DIE GRÜNEN
Dr. Schwanholz, Martin SPD 08.09.2006
Ferlemann, Enak CDU/CSU 08.09.2006
Dr. Solms, Hermann FDP 08.09.2006
(B) Freitag, Dagmar SPD 08.09.2006 Otto (D)

Gerster, Martin SPD 08.09.2006 Storm, Andreas CDU/CSU 08.09.2006

Goldmann, Hans- FDP 08.09.2006 Wegener, Hedi SPD 08.09.2006


Michael
Wieczorek-Zeul, SPD 08.09.2006
Gröhe, Hermann CDU/CSU 08.09.2006 Heidemarie

Groneberg, Gabriele SPD 08.09.2006 Wimmer, Willy CDU/CSU 08.09.2006

Hasselfeldt, Gerda CDU/CSU 08.09.2006 Zapf, Uta SPD 08.09.2006

Hauer, Nina SPD 08.09.2006 Zylajew, Willi CDU/CSU 08.09.2006

Hemker, Reinhold SPD 08.09.2006


Anlage 2
Hilsberg, Stephan SPD 08.09.2006
Erklärung nach § 31 GO
Homburger, Birgit FDP 08.09.2006
des Abgeordneten Ernst Kranz (SPD) zur na-
Hoppe, Thilo BÜNDNIS 90/ 08.09.2006 mentlichen Abstimmung über den Entwurf ei-
DIE GRÜNEN nes Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes
(Art. 22, 23, 33, 52, 72, 73, 74, 74 a, 75, 84, 85,
Kasparick, Ulrich SPD 08.09.2006 87 c, 91 a, 91 b, 93, 98, 104 a, 104 b, 105, 107,
109, 125 a, 125 b, 125 c, 143 c) (44. Sitzung, Ta-
Dr. Keskin, Hakki DIE LINKE 08.09.2006 gesordnungspunkt 29 a)
Die Reform unseres föderalen Systems war und ist
Kipping, Katja DIE LINKE 08.09.2006 überfällig. Klare Zuordnung der politischen Verantwor-
tung, transparente Verfahren und mehr Demokratie
Knoche, Monika DIE LINKE 08.09.2006 durch Stärkung der Parlamente: Das sind Ziele, die wir
4788 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. September 2006

(A) auch nachdrücklich teilen. Die Geschichte der Bundesre- gelungen oder der Beweislastumkehr bei nichtehelichen (C)
publik Deutschland ist die Erfolgsgeschichte eines soli- Lebensgemeinschaften vorgesehen ist. Er weist jedoch
darischen Föderalismus. Er beruht auf dem Prinzip des darauf hin, dass weiterer, grundlegender Reformbedarf
Ausgleichs und auf der Unterstützung der Schwächeren bei der Grundsicherung für Arbeitsuchende besteht.
durch die Stärkeren, ohne damit Unterschiede in der
Leistungsfähigkeit zu vernachlässigen. Dieses Funda- Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, fol-
ment darf nicht zerstört werden durch einen Wettbe- gende Punkte bei der künftigen Weiterentwicklung des
werbsföderalismus, der gesamtstaatliche und gesamtge- Gesetzes zu berücksichtigen:
sellschaftliche Solidarität erschwert oder gar verhindert. 1. Vor dem Hintergrund der stark angestiegenen Zahl
Wir kritisieren in besonderer Weise, dass das Beam- der ALG-II-Empfänger und den damit verbundenen
ten- und Besoldungsrecht, das Strafvollzugs- und das Mehrausgaben bekräftigt der Bundesrat, dass das
Heimrecht in die Länderkompetenz übertragen und Ab- bestehende Leistungsrecht weiter überprüft werden
weichungsmöglichkeiten im Umweltrecht geschaffen muss und die finanziellen Leistungen auf die wirk-
wurden. Darüber hinaus bedauern wir ausdrücklich, dass lich Bedürftigen konzentriert werden müssen.
durch die Neufassung des Art. 91 b GG und des Art. 104 b
Abs. 1 GG eine umfassende Kooperation von Bund und 2. Die Grundsicherung für Arbeitsuchende muss in ih-
Ländern im Bildungsbereich ausgeschlossen wird. rem Charakter als vorübergehende Hilfe entwickelt
und der Aspekt der Aktivierung im Verwaltungs-
Trotzdem haben wir dem Gesetzentwurf zugestimmt. vollzug entschieden gestärkt werden.
Durch die nunmehr vorgenommene Klarstellung im
Art. 91 b GG zur gemeinsamen Förderung von Lehre 3. Der Entwicklung einer ausufernden Verwaltung, die
und Forschung an den Hochschulen ist eine eindeutige schon jetzt erhebliche Anteile des Eingliederungsti-
verfassungsrechtliche Grundlage für die gemeinsame tels verzehrt, muss entgegengetreten werden.
Förderung von Wissenschaft und Forschung durch Bund
Notwendig ist eine Korrektur von unzulänglichen
und Länder, und zwar sowohl im investiven wie auch im
Verfahrensregelungen im SGB II, die die zügige
nichtinvestiven Bereich, geschaffen worden. Angesichts
Umsetzung von Hilfs- und gegebenenfalls auch
der herausragenden Bedeutung, die die Wissenschaft,
Sanktionsmaßnahmen beeinträchtigen. So sollte die
Forschung und eine qualitativ hochwertige Ausbildung
aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Klage
der Studierenden für die Zukunft unseres Landes und in
gegen Meldeaufforderungen entsprechend den Re-
besonderer Weise für Ostdeutschland haben, ist dies ein
gelungen des SGB III (§§ 309 und 336a) künftig
deutlicher Fortschritt gegenüber dem bisherigen Verfas-
entfallen. Klarstellungen sind auch bei § 31 Abs. 6
sungsentwurf. Wir verknüpfen unsere Zustimmung je-
(B) Satz 1 SGB II erforderlich, um die Wirksamkeit der (D)
doch mit der dringenden Erwartung, dass bei der zweiten
Sperrzeittatbestände des SGB III zu erhöhen.
Stufe der Föderalismusreform dem Ziel der Sicherung
der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse Rechnung 4. Den zugelassenen kommunalen Trägern ist ein un-
getragen wird und die Zusagen aus dem Solidarpakt II beschränkter Zugriff auf die Vermittlungsdatenban-
für die neuen Länder unagetastet bleiben. ken der Bundesagentur für Arbeit einzuräumen.
Ein wesentliches Anliegen des kommunalen Opti-
Anlage 3 onsgesetzes besteht darin, einen fairen Wettbewerb
zwischen Arbeitsgemeinschaften und Optionskom-
Amtliche Mitteilungen munen zu gewährleisten. Dieser Wettbewerb ist zu
Der Bundesrat hat in seiner 824. Sitzung am 7. Juli Lasten der Optionskommunen bereits jetzt empfind-
2006 beschlossen, dem nachstehenden Gesetz zuzustim- lich gestört, weil sie – anders als die Arbeitsgemein-
men: schaften – nicht über einen ungehinderten Zugang
zu den Stellenvermittlungsdatenbanken der Bun-
– Gesetz zur Fortentwicklung der Grundsicherung desagentur für Arbeit (BA) verfügen. Die daraus re-
für Arbeitsuchende. sultierenden Wettbewerbsnachteile werden durch
Darüber hinaus hat er die nachstehende Entschlie- die gesetzliche Neuregelung (§ 51b Abs. 1 Nr. 4,
ßung gefasst: Abs. 3a SGB II neu) noch zusätzlich verschärft: Die
Optionskommunen müssen künftig offene Stellen an
Der Bundesrat stimmt mit der Bundesregierung darin die BA melden, sodass die BA auf diese Stellen
überein, dass die Grundsicherung für Arbeitsuchende dann auch SGB-III-Empfänger vermitteln kann.
dringend einer Fortentwicklung bedarf. Er sieht im vor-
liegenden Gesetz einen weiteren, kurzfristig notwendi- 5. Die bisherigen Regelungen des Gesetzes zu Daten-
gen Schritt, um gravierende Fehlentwicklungen im SGB II übermittlung und Datenschutz (Kapitel 6 SGB II)
zu korrigieren. Der Bundesrat begrüßt insbesondere, sowie zu Statistik und Forschung (Kapitel 7 SGB II)
dass mit dem Gesetz notwendige Schritte zu einer Ände- bedürfen einer grundlegenden Überarbeitung. Insbe-
rung des Leistungsrechts unternommen werden, die auch sondere sind die bislang von der Bundesagentur für
einen Beitrag zur Kostensenkung erwarten lassen. Da- Arbeit erstellten Statistiken zur Grundsicherung für
rüber hinaus unterstützt der Bundesrat die Bundesregie- Arbeitsuchende auf eine Bundesstatistik umzustel-
rung bei der Bekämpfung von Leistungsmissbrauch, wie len, welche von dem Statistischen Bundesamt ge-
sie beispielsweise bei der Verschärfung der Sanktionsre- führt wird.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. September 2006 4789

(A) Das Gesetz berücksichtigt nicht die ursprünglich rend für die Leistungserbringung die SGB-II-Träger (C)
nicht vorgesehene zweigeteilte Trägerschaft (BA zuständig sind – steht im Widerspruch zu den seit
und Kommunen als Träger) im Bereich Datenüber- Jahrzehnten währenden Bemühungen, eine Konzen-
mittlung und Statistik und bedarf insoweit der Über- tration der Leistungen bei einem Träger zu errei-
arbeitung. Dabei ist insbesondere sicherzustellen, chen, eröffnet neue Schnittstellen und konfrontiert
dass Bund, Länder und Kommunen auf verlässliche behinderte Menschen mit zwei für dieselbe Leistung
Daten und Statistiken zurückgreifen können, da es zuständigen Behörden.
andernfalls an der zwingend erforderlichen, belast-
9. Die Zuständigkeit für die Vermittlung unter 25-Jäh-
baren Grundlage für die Steuerungsprozesse im
riger in eine berufliche Erstausbildung ist als allei-
SGB II fehlt. Die bisher von der BA erstellten Statis-
nige Aufgabe der Bundesagentur für Arbeit in ihrer
tiken genügen den Anforderungen nicht. Eine Viel-
Eigenschaft als Leistungsträger nach dem SGB III
zahl der statistischen Bereinigungen und Plausibili-
zu verankern.
sierungen sind intransparent. Die von der BA
eingesetzte Software „A2LL“ verfügt erwiesener- Der weitaus überwiegende Teil der in eine Ausbil-
maßen nicht über die Funktionalitäten, die für eine dung zu vermittelnden Personen gehört dem Rechts-
belastbare und zuverlässige Statistik unabdingbar kreis des SGB III an. Die Ausbildungsvermittlung
sind. Das Fortentwicklungsgesetz eröffnet Ländern als für die Eingliederung junger Erwachsener in das
und Kommunen zwar in gewissem Umfang den bis- Erwerbsleben eminent wichtige Aufgabe sollte
lang nicht gesetzlich geregelten Zugriff auf die Da- künftig einheitlich, also auch für die dem SGB II zu-
ten der BA (§ 53 SGB II neu), die grundlegenden zuordnenden Personen, von den SGB-III-Trägern
Probleme werden damit jedoch nicht ausgeräumt. erledigt werden. Damit würde der erheblichen Ge-
Diese lassen sich nur mit der Rückkehr zu einer fahr einer Stigmatisierung von Personen aus dem
Bundesstatistik beheben, wie sie sich bereits unter SGB-II-Rechtskreis begegnet und ein entscheiden-
der Geltung des ehemaligen BSHG bewährt hat. der Schritt zu mehr Effizienz bei der Ausbildungs-
stellenvermittlung unternommen. Die derzeitige Re-
6. Jegliche Festlegung auf ein zentralistisches Daten- gelung einer zweigeteilten Trägerschaft (SGB II und
verarbeitungssystem (A2LL) im Gesetzeswege ist SGB III) hat sich nach den Erfahrungen der Praxis
zu vermeiden. nicht bewährt. Die im Fortentwicklungsgesetz vor-
Die von der BA verwendete Software „A2LL“ hat gesehene Möglichkeit für die SGB-II-Träger, die
sich in vielen Punkten als gänzlich unzureichend er- SGB III-Träger mit der Ausbildungsvermittlung zu
wiesen. Jedwede gesetzliche Festlegung auf ein der- beauftragen (§ 16 Abs. 1b SGB II neu), löst die be-
artiges zentralistisches Datenverarbeitungssystem, stehenden Probleme nicht, führt vielmehr zu neuen
(B)
wie sie indirekt jetzt in § 50 Abs. 2 SGB II neu vor- Schnittstellen, zusätzlichem Verwaltungsaufwand (D)
und neuen Kostenerstattungsregelungen.
gesehen ist, sollte unterbleiben. Die Gesetzesbe-
gründung stellt jedoch ausdrücklich fest, dass die 10. Personen, die in stationären Einrichtungen leben und
Leistungsgewährung mittels einheitlicher, von der erwerbsfähig sind, dürfen nicht allgemein von den
BA betriebener Software-Systeme erfolgt. Leistungen zur Integration in Arbeit ausgeschlossen
werden.
7. Der Bundesrat bekräftigt das mit der SGB-II-Re-
form verbundene Ziel, die Kommunen dauerhaft um Stationär untergebrachte Personen, die erwerbsfä-
2,5 Mrd. Euro zu entlasten. Das Finanzierungssys- hig sind, müssen sowohl im eigenen, als auch im In-
tem muss auf eine entsprechende dauerhaft belast- teresse der Allgemeinheit die für sie jeweils erfor-
bare Grundlage gestellt werden und eine gerechte derlichen Leistungen zur Eingliederung in Arbeit
Verteilung der Entlastung sicherstellen. Dazu gehört erhalten. Derartige Leistungen werden nach dem
auch eine fundierte, allgemein zugängliche Datenba- SGB XII sowie in den Bereichen der Jugendhilfe
sis. Die SGB-II-Statistik sollte daher in die Verant- und des Strafvollzugs nur unzureichend erbracht.
wortung des Statistischen Bundesamtes gelegt wer- Das Fortentwicklungsgesetz (§ 7 Abs. 4 SGB II neu)
den. greift hier deutlich zu kurz, weil nicht alle erwerbs-
fähigen, stationär untergebrachten Personen die
8. Die Aufgaben der beruflichen Rehabilitation sind aktivierenden Leistungen nach dem SGB II erhalten
aus der Zuständigkeit der zugelassenen kommuna- sollen, sondern nur diejenigen, die mindestens
len Träger in die alleinige Zuständigkeit der Bun- 15 Stunden wöchentlich erwerbstätig sind. Der im
desagentur für Arbeit zu überführen. Gesetz vorgesehene Leistungsausschluss bei vo-
Die Verlagerung der Zuständigkeit der Optionskom- raussichtlich mehr als sechsmonatigem Kranken-
munen für die berufliche Rehabilitation auf die BA hausaufenthalt führt überdies die mit der bisherigen
ist im Interesse behinderter Arbeitsuchender wie Regelung verbundenen erheblichen Probleme fort.
auch aus Gründen der Verwaltungsökonomie gebo- Die danach zu treffenden Prognoseentscheidungen
ten. Es ist für die Optionskommunen unter wirt- beschäftigen bereits jetzt häufig die Gerichte.
schaftlich sinnvollen Bedingungen kaum darstellbar, 11. Der Bundesrat bekräftigt, dass bei der aktiven Ar-
das erforderliche Fachpersonal vorzuhalten. Das im beitsmarktpolitik die Förderung der Eingliederung
Fortentwicklungsgesetz vorgesehene Auseinander- in den ersten Arbeitsmarkt im Vordergrund stehen
fallen von Handlungs- und Finanzverantwortung muss. Der Bundesrat sieht wie der Bundesrech-
(§ 6a SGB IX neu) – Reha-Träger ist die BA, wäh- nungshof erheblichen Nachbesserungsbedarf bei der
4790 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. September 2006

(A) praktischen Gestaltung der „Ein-Euro-Jobs“ und ap- gene Konten oder Depots im Ausland verfügen, auch auf (C)
pelliert an die Träger, strikt die Kriterien Zusätzlich- Länder zu erstrecken, die nicht von der Zinsinformati-
keit, Gemeinnützigkeit und Wettbewerbsneutralität onsverordnung erfasst sind.
zu beachten. Außerdem müssen erhebliche Anstren-
gungen unternommen werden, um die bisher sehr Begründung:
niedrigen Eingliederungsquoten in den regulären Das vorliegende Gesetz erweitert – im Interesse ei-
Arbeitsmarkt deutlich zu erhöhen. Vor allem darf re- ner effektiven Bekämpfung von Sozialleistungs-
guläre Beschäftigung im ersten Arbeitsmarkt nicht missbrauch – die Möglichkeiten des automatisierten
durch Ein-Euro-Jobs verdrängt werden. Datenabgleichs. So erlauben § 52 SGB II neu und
12. Bedarfsdeckende Leistungen an Auszubildende sind § 52a SGB II neu den Abgleich mit Leistungsdaten
nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz und nach dem SGB III, mit Leistungsdaten nach dem
im Wege der Berufsausbildungsbeihilfe nach dem Wohngeldgesetz, mit Kraftfahrzeughalterdaten so-
SGB III zu erbringen. wie mit den beim Bundeszentralamt für Steuern ge-
speicherten Daten über das Vorhandensein von Kon-
Richtigerweise greift das Fortentwicklungsgesetz ten und Depots in EU-Mitgliedstaaten. § 397 SGB III
das Problem der nicht bedarfsdeckenden Leistungen neu stellt zudem das bisher bereits von der Bun-
an Auszubildende auf. Der hierzu eingeschlagene desagentur für Arbeit praktizierte DALEB-Verfah-
Weg (§ 22 Abs. 7 SGB II neu) ist jedoch nicht ziel- ren auf eine ausdrückliche Ermächtigungsgrundlage
führend. Es werden nicht etwa – wie im Koalitions- und erlaubt der Bundesagentur, die ihr übermittelten
vertrag vereinbart – Schnittstellen bereinigt, indem Daten der Einzugsstellen über Beschäftigungsver-
die Leistungen nach den einschlägigen Leistungsge- hältnisse mit eigenen Leistungsdaten abzugleichen.
setzen (BAföG, Berufsausbildungsbeihilfe nach dem Schließlich werden in Artikel 14 des Gesetzes die
SGB III) erbracht werden, sondern stattdessen sys- Vorschriften der Grundsicherungsdatenabgleichs-
temwidrig die kommunalen Träger mit zusätzlichen verordnung den erweiterten Möglichkeiten des Da-
Kosten belastet. tenabgleichs angepasst. Die genannten Gesetzesän-
13. Personen, die einen Anspruch auf Arbeitslosengeld I derungen sind aus Sicht des Bundesrates zu
haben und lediglich selbst oder als Mitglied einer begrüßen. Ihre Zielrichtung deckt sich mit der Ziel-
Bedarfsgemeinschaft ergänzend Arbeitslosengeld II richtung der vom Bundesrat in seiner 819. Sitzung
erhalten (sog. Aufstocker), dürfen nicht von den Er- am 10. Februar 2006 gefassten Entschließung zur
messensleistungen der aktiven Arbeitsförderung Bekämpfung von Sozialleistungsmissbrauch – Bun-
nach dem SGB III ausgeschlossen werden. Die not- desratsdrucksache 892/05 (Beschluss). Allerdings
(B) wendige beitragsfinanzierte Gesamtbetreuung der wird dem Grundanliegen, das jener Entschließung (D)
Aufstocker durch die Arbeitsagenturen darf nicht in konkret zu Grunde liegt, nicht ausreichend Rech-
den steuerfinanzierten Bereich des SGB II verscho- nung getragen. Die Entschließung vom 10. Februar
ben werden. 2006 betraf

14. Der Bundesrat stellt fest, dass der Gesetzesbeschluss – die Schaffung einer eindeutigen Übermittlungs-
die mit der Entschließung des Bundesrates zur Be- befugnis für solche Daten, die den Ermittlungs-
kämpfung von Sozialleistungsmissbrauch vom behörden bei der Durchführung von Ermittlun-
10. Februar 2006 – Bundesratsdrucksache 892/05 gen – entweder gezielt oder als Zufallsfund – in
(Beschluss) – verfolgte Zielsetzung noch nicht hin- die Hände fallen und aus Sicht der Ermittlungs-
reichend umsetzt. behörden für die Sozialleistungsträger zur Be-
kämpfung von Sozialleistungsmissbrauch von
Der Bundesrat ersucht die Bundesregierung, im Be- Interesse sein könnten,
reich bedürftigkeitsabhängiger Sozialleistungen
über die im Gesetzesbeschluss vorgesehenen Mög- – die Schaffung einer eindeutigen Befugnis der
lichkeiten hinaus sobald wie möglich eindeutige Sozialeistungsträger, die von den Ermittlungs-
Rechtsgrundlagen dafür zu schaffen, behörden übersandten Daten mit den vorhande-
nen Leistungsdaten abzugleichen.
– dass die Ermittlungsbehörden ihnen bekannt ge-
wordene Daten, die aus ihrer Sicht für die Sozi- Das vorliegende Gesetz sieht weder Übermittlungs-
alleistungsträger im Interesse der Bekämpfung befugnisse von Ermittlungsbehörden an die Sozial-
von Sozialleistungsmissbrauch von Interesse leistungsträger noch damit korrespondierende Da-
sein können, an die Sozialleistungsträger über- tenabgleichbefugnisse der Sozialleistungsträger
mitteln dürfen, vor. Dies ist besonders unbefriedigend, wenn aus
Sicht der Ermittlungsbehörden ein Verdacht auf So-
– dass die Sozialleistungsträger die ihnen von den zialleistungsmissbrauch im Raume steht, dieser
Ermittlungsbehörden übermittelten Daten mit sich aber noch nicht zu einem strafrechtlich rele-
den bei ihnen bereits vorhandenen Daten abglei- vanten Anfangsverdacht hinsichtlich bestimmter
chen dürfen. Personen verdichtet hat.
Der Bundesrat ersucht die Bundesregierung, die Mög- § 52 Abs. 1 Nr. 3 SGB II neu erweitert die Möglich-
lichkeit, im Wege des Datenabgleichs zu überprüfen, ob keit eines Abgleichs von SGB-II-Leistungsdaten
Bezieher von Sozialleistungen über bislang verschwie- mit den beim Bundeszentralamt für Steuern gespei-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. September 2006 4791

(A) cherten Informationen über ausländische Konten- Der Bundesrat bittet deshalb den Deutschen Bun- (C)
und Depots. Die Erweiterung bezieht sich aber le- destag, auf geeignete Weise – etwa über eine ent-
diglich auf in EU-Mitgliedstaaten gelegene Konten sprechende Veränderung seiner Geschäftsordnung –
und Depots, weil dem Bundeszentralamt auf Grund die Einbeziehung seiner Gesetzesentwürfe in die
der Zinsinformationsverordnung nur Konteninfor- Folgeabschätzung des Normenkontrollrates zu er-
mationen aus diesen Staaten zufließen. Von der Re- möglichen.
gelung nicht erfasst sind Konten und Depots, die
Begründung zu den Ziffern 1 und 2:
sich in anderen Staaten befinden. Zwar dürfte die
Mehrzahl der betroffenen Nicht-EU-Staaten derzeit Mit dem Gesetz erfolgt unter anderem die Imple-
nicht ohne Weiteres bereit sein, dem Bundeszentral- mentierung des Standardkosten-Modells zur Bemes-
amt entsprechende Konten- und Depotinformatio- sung der durch Informationspflichten entstehenden
nen zukommen zu lassen, weshalb zur Zeit prak- Kosten für die Wirtschaft.
tisch nur Informationen über in EU-Mitgliedstaaten
gelegene Konten- und Depots erreichbar sein dürf- Die Kosten der Unternehmen aus Informations-
ten. Es erscheint aber nicht ausgeschlossen, dass pflichten belaufen sich nach allgemeiner Schätzung
zukünftig mit einigen Nicht-EU-Staaten Kooperati- jedoch nur auf rund 15 bis 20 Prozent aller bürokra-
onsabkommen zu dieser Frage abgeschlossen oder tisch bedingten Unternehmenskosten. Zu einer nach-
– wie zum Beispiel im Falle der Türkei – Sonderre- haltigen Entlastung der Wirtschaft von bürokratiebe-
gelungen im Rahmen von Assoziationsabkommen dingten Kosten bedarf es eines weitergehenden
getroffen werden. Im Hinblick auf diese Entwick- strukturellen Bürokratieabbaus. Überflüssige und
lungsmöglichkeit sollte der konten- und depotbezo- besonders kostenträchtige materiell-rechtliche Ver-
gene Datenabgleich nicht von vorneherein auf in pflichtungen müssen gestrichen werden. Darüber hi-
EU-Mitgliedstaaten gelegene Konten und Depots naus muss eine kostenminimierende Vereinfachung
beschränkt werden. von Verfahrensabläufen zur Erreichung von Rege-
lungszielen ermöglicht werden. Die Durchführung
eines nachhaltigen und kostenentlastenden Abbaus
Der Bundesrat hat in seiner 824. Sitzung am 7. Juli der durch materiell-rechtliche Normen bedingten
2006 beschlossen, einen Antrag gemäß Artikel 77 Abs. 2 Bürokratiekosten setzt eine sachgerechte Methodik
des Grundgesetzes nicht zu stellen: zur standardisierten Bemessung dieser Kosten vor-
aus. In den Niederlanden wird derzeit eine entspre-
– Gesetz zur Einsetzung eines Nationalen Normen-
chende Methode entwickelt. Die dort entwickelten
kontrollrates.
methodischen Ansätze sollten auf ihre Anwendbar-
(B) Darüber hinaus hat er die nachstehende Entschlie- keit für eine Messung der materiell-rechtlich (D)
ßung gefasst: bedingten Kosten in Deutschland geprüft und ggf.
weiterentwickelt werden mit dem Ziel der Imple-
1. Der Bundesrat begrüßt das Gesetz zur Einsetzung mentierung einer geeigneten Bemessungsmethode.
eines nationalen Kontrollrates, der die Bundesregie- Die Einbeziehung der Länder ist wegen der Verwal-
rung bei der Anwendung der Bürokratiekostenmes- tungskompetenz nach Artikel 30 des Grundgesetzes
sung für Informationsverpflichtungen nach dem notwendig.
Standardkosten-Modell unterstützt.
Der Bundesrat hat in seiner 824. Sitzung am 7. Juli
2. Bürokratiekosten umfassen aber neben den Informa- 2006 beschlossen, dem nachstehenden Gesetz zuzustim-
tionskosten auch die materiell-rechtlich bedingten men:
Belastungen der Wirtschaft. Der Bundesrat fordert – Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes (Arti-
daher die Bundesregierung auf, diese in einem wei- kel 22, 23, 33, 52, 72, 73, 74, 74a, 75, 84, 85, 87c,
teren Schritt ebenfalls zu messen. Die Entwicklung 91a, 91b, 93, 98, 104a, 104b, 105, 107, 109, 125a,
der dafür erforderlichen methodischen Grundlagen 125b, 125c, 143c).
soll unter Einbeziehung der Länder vorangetrieben
werden. Darüber hinaus hat er die nachstehende Entschlie-
ßung gefasst:
3. Im Übrigen betrachtet der Bundesrat die Einschrän-
kung dieser Folgenabschätzung auf Gesetzesvorha- I.
ben der Bundesregierung als problematisch. Auch Der Bundesrat stellt die herausragende Bedeutung der
Gesetzesvorhaben von Deutschem Bundestag und Föderalismusreform für Deutschland fest. Er begrüßt die
Bundesrat können Bürokratiekosten zur Folge haben in Anlage 2 zum Koalitionsvertrag von CDU, CSU und
und sind in einen umfassenden Ansatz der Folgen- SPD vom 18. November 2005 festgelegte Vereinbarung
abschätzung deshalb einzubeziehen. zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung. Das
Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes und das Föde-
Während Gesetzesvorhaben des Bundesrates im
ralismusreform-Begleitgesetz setzen diese Vereinbarung
Rahmen der Erarbeitung der Stellungnahme der
um.
Bundesregierung zu diesen Vorhaben zumindest in-
direkt einbezogen werden können, fehlt eine solche Mit der Föderalismusreform werden die Gestaltungs-
Möglichkeit bei Gesetzesvorhaben des Deutschen möglichkeiten von Bund und Ländern gestärkt und die
Bundestages vollständig. politischen Verantwortlichkeiten deutlicher zugeordnet.
4792 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. September 2006

(A) Blockademöglichkeiten werden abgebaut durch eine 3. Zu Artikel 74 Abs. 1 Nr. 27 GG – Statusrechte und (C)
Neuausrichtung der Zustimmungsbedürftigkeit von Bun- Statuspflichten
desgesetzen im Bundesrat. Das schwerfällige Instrument
„Statusrechte und -pflichten“ sind:
der Mischfinanzierungen wird reduziert und die Europa-
tauglichkeit des Grundgesetzes verbessert, vor allem – Wesen, Voraussetzungen, Rechtsform der Begrün-
durch die Abschaffung der Rahmengesetzgebung. Damit dung, Arten, Dauer sowie Nichtigkeits- und Rücknah-
wird in einem revitalisierten und kraftvollen Föderalis- megründe des Dienstverhältnisses,
mus die Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit von
– Abordnungen und Versetzungen der Beamten zwi-
Bund und Ländern nachhaltig verbessert. schen den Ländern und zwischen Bund und Ländern
Der Bundesrat begrüßt die im Koalitionsvertrag von oder entsprechende Veränderungen des Richterdienst-
CDU, CSU und SPD vom 18. November 2005 unter V.1. verhältnisses,
enthaltene Aussage, in einem weiteren Reformschritt in – Voraussetzungen und Formen der Beendigung des
der 16. Wahlperiode die Bund-Länder-Finanzbeziehun- Dienstverhältnisses (vor allem Tod, Entlassung, Ver-
gen den veränderten Rahmenbedingungen inner- und au- lust der Beamten- und Richterrechte, Entfernung aus
ßerhalb Deutschlands, insbesondere für Wachstums- und dem Dienst nach dem Disziplinarrecht),
Beschäftigungspolitik, anzupassen. Der Bundesrat geht
davon aus, zusammen mit der Bundesregierung und dem – statusprägende Pflichten und Folgen der Nichterfül-
Bundestag zügig ein entsprechendes Verfahren zu verab- lung,
reden, in dem die Voraussetzungen und Lösungswege – wesentliche Rechte,
für eine Grundgesetzänderung geklärt werden können,
die das Ziel der Stärkung der Eigenverantwortung der – Bestimmung der Dienstherrenfähigkeit,
Gebietskörperschaften und ihrer aufgabenadäquaten Fi- – Spannungs- und Verteidigungsfall und
nanzausstattung verfolgt (siehe Anlage).
– Verwendungen im Ausland.
II.
4. Zu Artikel 84 Abs. 1 Satz 5 GG – Bedürfnis nach
Inhalt und Ziel der Änderungen des Grundgesetzes bundeseinheitlicher Regelung
und der Regelungen des Begleitgesetzes werden in den
Begleittexten aus der Koalitionsvereinbarung von CDU/ Es besteht Einigkeit zwischen Bund und Ländern,
CSU und SPD vom 18. November 2006 näher erläutert. dass Regelungen des Umweltverfahrensrechts regelmä-
ßig einen Ausnahmefall im Sinne des Artikel 84 Abs. 1
Bundesrat und Bundestag machen sich diese Erläuterun-
(B) gen ausdrücklich zu Eigen und bekräftigen sie in der fol- Satz 5 darstellen. (D)
genden Fassung.
5. Zu Artikel 91 b GG – überregionale Forschungs-
förderung und inter nationale Leistungsvergleiche
1. Zu Artikel 22 Abs. 1 GG – Hauptstadt
Vereinbarungen nach Artikel 91b GG sind grundsätz-
Das Berlin-Bonn-Gesetz, die bis 2010 laufende Kul- lich solche zwischen Bund und allen Ländern; sie kön-
turförderung des Bundes für die Bundesstadt Bonn so- nen auf Seiten der Länder nur mit einer Mehrheit von
wie der vom Bund in Bonn getragenen bzw. geförderten mindestens 13 Stimmen, in Fällen des Absatzes 1 Satz 1
Kultureinrichtungen (Kunst- und Ausstellungshalle der Nr. 2 aber nur einstimmig abgeschlossen werden.
Bundesrepublik Deutschland, Haus der Geschichte der
Das bisherige „Verwaltungsabkommen zwischen
Bundesrepublik Deutschland sowie Beethoven-Haus) Bund und Ländern über die Errichtung einer gemeinsa-
bleiben unberührt. men Kommission für Bildungsplanung“ (BLK-Abkom-
men) vom 25. Juni 1970 i. d. F. vom 17./21. Dezember
2. Zu Artikel 72 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GG – allgemeine 1990 ist dem neugefassten Artikel 91b GG anzupassen
Grundsätze des Naturschutzes und entsprechend zu bereinigen. Bei der Bereinigung
des Abkommens ist eine auf Kooperation und Effizienz
Bei der Gesetzgebungskompetenz für den Natur- orientierte Aufgabenabstimmung mit der KMK vorzu-
schutz und die Landschaftspflege (Artikel 74 Abs. 1 nehmen.
Nr. 29 GG) gibt der abweichungsfeste Kern der „allge-
meinen Grundsätze des Naturschutzes“ dem Bund die Zu Absatz 1
Möglichkeit, in allgemeiner Form bundesweit verbindli-
che Grundsätze für den Schutz der Natur, insbesondere Die höchst erfolgreiche und zur Gewährleistung der
die Erhaltung der biologischen Vielfalt und zur Siche- internationalen Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands all-
rung der Funktionsfähigkeit des Naturhaushaltes festzu- seits anerkannte Gemeinschaftsaufgabe der gemeinsa-
legen. Nicht davon erfasst sind beispielsweise die Land- men Förderung überregional bedeutender wissenschaft-
schaftsplanung, die konkreten Voraussetzungen und licher Forschung wird im Hinblick auf die Zuständigkeit
Inhalte für die der Länder für das Hochschulwesen (soweit nicht Kom-
petenz des Bundes für Hochschulzulassung und Hoch-
Ausweisung von Schutzgebieten, die gute fachliche schulabschlüsse) präzisiert und durch überregionale Be-
Praxis für die Land- und Forstwirtschaft und die Mitwir- standteile der bisherigen Gemeinschaftsaufgabe
kung der Naturschutzverbände. Hochschulbau ergänzt. Aufteilung der Bundesmittel für
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. September 2006 4793

(A) die Hochschulbauförderung: 70 Prozent Länder und d) Eine „Bagatellgrenze“ (Orientierungsgröße 5 Mio. (C)
30 Prozent Bund (siehe Artikel 143c neu GG). Euro) soll auch für die Beschaffung von Großgerä-
ten einschließlich notwendiger Investitionsmaßnah-
Der Begriff „Förderung der wissenschaftlichen For- men gelten. 2[Die Orientierungsgröße (Bagatell-
schung“ ist weit zu verstehen (Artikel 5 Abs. 3 GG). Er grenze) bezieht sich auf Forschungsbauten. Die
ist nicht auf bestimmte Institutionen bezogen und um- Konkretisierung, insbesondere hinsichtlich von
fasst damit Förderungen in- und außerhalb von Hoch- Großgeräten, bleibt einer Vereinbarung von Bund
schulen. Er ist nicht auf bestimmte Förderarten be- und Ländern überlassen.]
schränkt und umfasst damit institutionelle Förderungen
außerhochschulischer Einrichtungen und Projektförde- e) Die Beschaffung von Großgeräten und die Förde-
rungen 1[Die Projektförderung des Bundes (insbesondere rung von Baumaßnahmen im Zusammenhang mit
BMBF) bleibt unberührt (Gesetzgebungs-, Verwaltungs- einer Forschungsförderung von überregionaler Be-
und Finanzierungskompetenz aus Artikel 74 Abs. 1 deutung sind auf die Hochschulen beschränkt. In
Nr. 13 – Förderung der wissenschaftlichen Forschung – diesen Fällen beteiligt sich der Bund in der Regel
i. V. m. Artikel 87 Abs. 3 und Artikel 104 a Abs. 1 GG).] mindestens zur Hälfte an den Kosten. Im Bereich
in und außerhalb der Hochschulen. der außeruniversitären Forschung erfolgt die Finan-
Außerdem sind unter ihn sowohl Einrichtungen zu zierung von Großgeräten und Baumaßnahmen wie
subsumieren, die selbst forschen (zum Beispiel Hoch- bisher im Rahmen der institutionellen Förderung.
schulen, MPG, HGF, FhG, WGL), als auch solche, deren
Aufgabe selbst in der Forschungsförderung besteht. Zu Absatz 2
Künftig können als „Vorhaben“ der Hochschulforschung
auch sog. Großgeräte einschließlich der notwendigen In- Der Begriff der 1969 übergreifend gedachten, aber
vestitionsmaßnahmen und Bauvorhaben, die Forschungs- nicht realisierten Gemeinschaftsaufgabe gesamtstaatli-
zwecken dienen, finanziert werden. Die Ressortfor- cher Bildungsplanung wird ersetzt durch die Grundlage
schung des Bundes bleibt unberührt. für eine zukunftsorientierte gemeinsame Evaluation und
Bildungsberichtserstattung zur Feststellung der Leis-
Wie bisher geht es allein um die Förderung von Wis- tungsfähigkeit des Bildungswesens im internationalen
senschaft und Forschung mit überregionaler Bedeutung, Vergleich. Die neue Gemeinschaftsaufgabe hat drei Ele-
das heißt dass es sich um eine Förderung handeln muss, mente: Gemeinsame Feststellung und gemeinsame Be-
die Ausstrahlungskraft über das einzelne Land hinaus richterstattung (das heißt in der Konsequenz: Veröffent-
hat und bedeutend ist im nationalen oder internationalen lichung) und die Möglichkeit der Abgabe von
Kontext. Eine weitere Konkretisierung der Begriffe gemeinsamen Empfehlungen. Ziel derartiger gemeinsa-
(B) muss im Rahmen der Bund-Länder-Vereinbarung erfol- (D)
mer Bildungsberichterstattung ist die Schaffung von
gen, auf deren Grundlage das Zusammenwirken von Grundinformationen (einschließlich Finanz- und Struk-
Bund und Ländern in der Forschungsförderung erst turdaten) für die Gewährleistung der internationalen
möglich wird. Dabei ist eine alleinige Förderung des Gleichwertigkeit und Wettbewerbsfähigkeit des deut-
Bundes mit Zustimmung der Länder nicht ausgeschlos- schen Bildungswesens. Für Folgerungen aus diesem Zu-
sen (siehe unten zu Artikel 91b Abs. 3). sammenwirken sind – unbeschadet eventueller gemein-
samer Empfehlungen – allein die Länder zuständig,
Die „Rahmenvereinbarung zwischen Bund und Län-
soweit nicht der Bund konkrete Zuständigkeiten hat (au-
dern über die gemeinsame Förderung der Forschung
ßerschulische berufliche Bildung und Weiterbildung,
nach Artikel 91b GG“ – Rahmenvereinbarung For-
Hochschulzulassung und Hochschulabschlüsse).
schungsförderung – vom 28. November 1975/17./21.
Dezember 1990, zuletzt geändert durch Vereinbarung Die bestehende Zusammenarbeit der Länder und des
vom 25. Oktober 2001 ist dem neugefassten Artikel 91b Bundes zur nationalen Bildungsberichterstattung bleibt
Abs. 1 mit folgenden Eckpunkten anzupassen: als notwendige Grundlage internationaler Berichts-
a) Für Projektförderungen im Rahmen der Gemein- pflichten und internationaler Vergleiche unberührt und
schaftsaufgabe Forschungsförderung sollte in Ab- wird weitergeführt (siehe KMK-Eckpunkte zur künfti-
stimmung von Bund und Ländern eine Bagatell- gen Bildungsberichterstattung in Deutschland vom März
grenze definiert werden. 2004 sowie die Vereinbarung von KMK und BMBF mit
einem Konsortium von Forschungs- und Statistikeinrich-
b) Die Förderung von Wissenschaft und Forschung an tungen betreffend die Bildungsberichterstattung vom
Hochschulen (Absatz 1 Satz 1 Nr. 2) erfasst nicht November 2004).
den allgemeinen Aus- und Neubau von Hochschulen
einschließlich der Hochschulklinika. Dieser Tatbe- Die „Rahmenvereinbarung zur koordinierten Vorbe-
stand der bisherigen Gemeinschaftsaufgabe Hoch- reitung, Durchführung und wissenschaftlichen Beglei-
schulbau ist entfallen mit dem Ziel, dass diese tung von Modellversuchen im Bildungswesen“ (Rah-
Aufgabe künftig allein von den Ländern wahrge- menvereinbarung Modellversuche vom 7. Mai 1971
nommen wird. bzw. 17./21. Dezember 1990) entfällt.
c) Förderungsfähige Investitionsvorhaben für die Aufteilung der Bundesmittel für die Bildungsplanung
Hochschulforschung müssen sich durch besondere hälftig zwischen Bund und Ländern (siehe Artikel 143c
nationale Excellenz auszeichnen. neu GG).
4794 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. September 2006

(A) Zu Absatz 3 7. Zu Artikel 104a Abs. 6 GG – EU-Haftung (C)


Durch den Begriff „Kostentragung“ wird klargestellt, Für die Haftungsverteilung zwischen Bund und Län-
dass der Bund im Rahmen der Vereinbarung mit Zustim- dern und der Länder untereinander gilt grundsätzlich das
mung der Länder (mindestens 13 Stimmen) auch alleine Prinzip der innerstaatlichen Zuständigkeits- und Aufga-
fördern darf. benverteilung. Die Folgen einer Pflichtverletzung sollen
also grundsätzlich die Körperschaft (Bund oder Länder)
6. Zu Artikel 104a Abs. 4 GG – neues Zustimmungs- treffen, in deren Verantwortungsbereich sie sich ereignet
recht hat.

Die Zustimmung als Schutzrecht vor kostenbelasten- Das Prinzip der innerstaatlichen Zuständigkeits- und
den Bundesgesetzen ist ein wesentliches Interesse der Aufgabenverteilung gilt vertikal und horizontal für alle
Länder. Fälle legislativen, judikativen und exekutiven Fehlver-
haltens mit Ausnahme der Fälle länderübergreifender Fi-
Die Vergleichbarkeit einer Dienstleistung mit Geld- nanzkorrekturen (hochgerechnete Anlastungsentschei-
und geldwerten Sachleistungen im Sinne des neuen Zu- dungen) durch die EU im Rahmen exekutiven
stimmungstatbestandes ist dann gegeben, wenn sie unter Fehlverhaltens. Für diese Fälle regeln die Sätze 2 und 3
vergleichbar engen Voraussetzungen, wie dies bei Geld- des Artikels 104a Abs. 6 neu als Ausnahme vom Verur-
und Sachleistungen der Fall ist, einem Dritten Vorteile sacherprinzip eine Solidarhaftung sowohl für den Bund
gewährt oder sonstige Maßnahmen gegenüber Dritten in Höhe von 15 Prozent als auch für die Länder in Höhe
veranlasst, die zu einer erheblichen Kostenbelastung der von 35 Prozent der Gesamtlasten; eine weitergehende
Länder führen. Haftung des Bundes ist ausgeschlossen. Die Bundesre-
gierung ist verpflichtet, auf Verlangen auch nur eines
Soweit den Ländern durch den Bundesgesetzgeber Landes, das von der Finanzhilfe der Europäischen Union
keine wesentlichen Spielräume zur landeseigenen Be- begünstigt war, das zulässige Rechtsmittel beim EuGH
stimmung des Ausmaßes von Leistungspflichten einge- einzulegen. Mit Einlegung des zulässigen Rechtsmittels
räumt werden, fällt zum Beispiel die Verpflichtung der beim EuGH erstatten die Länder dem Bund ihren Haf-
Länder zur Schaffung und Unterhaltung von Aufnahme- tungsanteil nach Satz 2 des Artikels 104a Abs. 6 GG.
einrichtungen für die Unterbringung von Asylbegehren-
den grundsätzlich unter den Begriff der Sachleistungen. Eckpunkte Ausführungsgesetz (vergleiche Artikel 15
Gleiches gilt zum Beispiel grundsätzlich für die Ver- – Lastentragungsgesetz – des Föderalismusreform-Be-
pflichtung der Länder zur Erbringung von Schuldnerbe- gleitgesetzes):
(B) ratungen oder zur Bereitstellung von Tagesbetreuungs- (D)
plätzen. Tritt zeitgleich mit Verfassungsregelung in Kraft.

Im Bereich der Sozialversicherung wird von Sachleis- Klarstellung, dass Artikel 104a Abs. 6 Sanktions-
tungen gesprochen, wenn es sich um Leistungen handelt, maßnahmen der EU nach Artikel 104 EGV nicht
die dem Empfänger in Form von Diensten gewährt wer- umfasst. Für den Nationalen Stabilitätspakt wird im
den (zum Beispiel bei Maßnahmen der Heilbehandlung). Grundgesetz eine Sonderregelung geschaffen (Arti-
Im Bereich des Sozialgesetzbuches werden Geld-, Sach- kel 109 Abs. 5 GG neu).
und Dienstleistungen unter dem Begriff der Sozialleis-
Regelung der vertikalen und horizontalen Verteilung
tungen zusammengefasst. Nach der oben eingeführten
(verfassungsrechtlich festgeschrieben sind die Quo-
Interpretation sind diese Dienstleistungen den Sachleis-
ten – vertikal und horizontal – nur bei den pauscha-
tungen vergleichbare Leistungen. In diesem weiten Ver-
len Finanzkorrekturen der EU im Bereich des exe-
ständnis sind auch die Regelungen zur Schaffung von
kutiven Fehlverhaltens).
Tagesbetreuungsplätzen für Kinder im Kinder- und Ju-
gendhilferecht umfasst. Die Bereitstellung von Tagesbe- – Haftung für legislatives Fehlverhalten:
treuungsplätzen beinhaltet ein Bündel von staatlichen
Sach- und vergleichbaren Dienstleistungen, wie Räum- Verursacherprinzip; das heißt diejenige Körper-
lichkeiten und deren Ausstattung sowie die Betreuungs- schaft (Bund oder Länder) haftet, die den bean-
bzw. Erziehungsleistung. standeten Rechtsakt erlassen oder pflichtwidrig
nicht erlassen hat. Bei gleichartigem Verstoß
Nicht dagegen fallen unter den Begriff der Sachleis- mehrerer Länder interne Haftungsverteilung
tungen reine Genehmigungen, Erlaubnisse oder sonstige nach Königsteiner Schlüssel
Verwaltungsakte, die keine darüber hinausgehenden
Leistungen bestimmen, sondern nur die Vereinbarkeit – Haftung für judikatives Fehlverhalten:
mit materiellen Vorschriften feststellen.
Verursacherprinzip; das heißt diejenige Körper-
Leistungen, die nicht durch Länderhaushalte, sondern schaft (Bund oder Länder) haftet, deren Ge-
vollständig aus Beitragsmitteln, Zuschüssen aus dem richte die Beanstandung verursacht haben. Bei
EU-Haushalt oder dem Bundeshaushalt finanziert wer- Verurteilung wegen überlanger Verfahrens-
den, sind nicht von dem neuen Zustimmungstatbestand dauer und Anhängigkeit sowohl bei Bundes-
erfasst. Dieses wird im Verfassungstext durch den letz- und Landesgerichten Verteilung nach Anteil an
ten Halbsatz zum Ausdruck gebracht. der Verfahrensdauer.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. September 2006 4795

(A) – Haftung für exekutives Fehlverhalten: 9. Zu Artikel 109 Abs. 5 GG – Nationaler Stabilitäts- (C)
pakt
Grundsätzlich Verursacherprinzip, das heißt Zu-
rechnung erfolgt gegenüber dem jeweiligen Trä- 1. Im Ausführungsgesetz wird geregelt, dass der in Ar-
ger der Verwaltung, deren Verhalten beanstan- tikel 109 Abs. 5 Satz 3 Halbsatz 2 festgeschriebene
det wurde. Anteil in Höhe von 65 Prozent des auf die Länder
entfallenden Gesamtanteils (35 Prozent der Gesamt-
Einzelheiten über die Sonderregelung (so ge- lasten) horizontal entsprechend der Defizitvertei-
nannte Versicherungslösung) für Fälle länder- lung im Anlastungsjahr verteilt wird.
übergreifender Finanzkorrekturen (hochgerech- 2. Der jetzt verabschiedete Nationale Stabilitätspakt
nete Anlastungsentscheidungen) durch die EU beinhaltet auch eine solidarische Mithaftung der
(insoweit sind Quoten bereits verfassungsrecht- Länder, die die Kriterien des Stabilitätspakts einhal-
lich festgeschrieben, vergleiche Sätze 2 und 3 ten, für die Länder, die durch ihre Haushaltsdefizite
des Artikels 104a Abs. 6 neu): die Sanktionen auslösen. Diese Haftung kann auch
Länder treffen, die sich in einer extremen Haushalts-
– Begünstigte Länder, die sich nicht exculpie- notlage befinden.
ren können, tragen 50 Prozent der Gesamt-
lasten; Verteilung unter den Ländern antei- Diesen Ländern werden Sanktionszahlungen bzw.
lig entsprechend der Höhe der erhaltenen Zinszahlungen vom Bund für die Dauer der vom
Mittel. Bundesverfassungsgericht festgestellten extremen
Haushaltsnotlage im Rahmen eines abgestimmten
– Bund trägt 15 Prozent der Gesamtlasten. Sanierungskonzepts gestundet.

10. Zu Artikel 143c GG – Finanzkompensation


8. Zu Artikel 104b Abs. 1 GG – Finanzhilfen
1. Die gemeinsame Kulturförderung von Bund und Zu Absatz 1
Ländern einschließlich der im Einigungsvertrag ent- Für die Jahre 2000 bis 2003 sind die Ist-Ergebnisse
haltenen Bestimmungen über die Mitfinanzierung (kassenmäßiger Abfluss beim Bundeshaushalt ein-
von kulturellen Maßnahmen und Einrichtungen schließlich Aufteilung auf die einzelnen Länder); für die
durch den Bund bleibt unberührt. (Vergleiche Ent- Jahre 2004 bis 2008 die Ansätze im Finanzplan des Bun-
würfe der Eckpunkte für die Systematisierung der des 2004 bis 2008 (Finanzierungsanteile des Bundes)
(B) Kulturförderung von Bund und Ländern in der Fas- maßgebend. Daraus ergeben sich folgende durchschnitt- (D)
sung vom 22. März 2006 und für die Zusammenfüh- liche Zahlungen des Bundes jährlich an die Länder:
rung der Kulturstiftung des Bundes und der Kultur- 1. für die Gemeinschaftsaufgabe Ausbau und Neubau
stiftung der Länder zu einer gemeinsamen von Hochschulen einschließlich Hochschulkliniken
Kulturstiftung in der Fassung vom 28. März 2006.) 695,3 Mio. Euro,
2. Bund und Länder stimmen darin überein, dass auch 2. für die Gemeinschaftsaufgabe Bildungsplanung
künftig Begabtenförderwerke, der DAAD und die 19,9 Mio. Euro,
Alexander-von-Humboldt-Stiftung und vergleich-
3. für die Finanzhilfe zur Verbesserung der Verkehrs-
bare Einrichtungen gefördert werden können.
verhältnisse der Gemeinden 1 335,5 Mio. Euro,
3. Der neu gefasste Artikel 104 b Abs. 1 stellt die 4. für die Finanzhilfe zur Förderung des Wohnungs-
Gegenstandsbereiche investiver Finanzhilfen des baus 518,2 Mio. Euro.
Bundes klar. Mit dieser Klarstellung ist wegen der
fortbestehenden Gesetzgebungskompetenzen des Zu den einzelnen Bereichen:
Bundes im Hochschulbereich auch die Möglichkeit a) Gemeinschaftsaufgabe Ausbau und Neubau von
eines Hochschulpaktes zwischen Bund und Ländern Hochschulen einschließlich Hochschulkliniken.
abgesichert, der zur Verbesserung der Zulassungs- Maßgebend ist der Jahresdurchschnitt der gesamten
möglichkeiten und insgesamt zur quantitativen Stei- Bundesleistungen nach den o. a. Vorgaben. Einen
gerung der Zulassungszahlen an deutschen Hoch- Anteil von 30 vom Hundert davon wird der Bund für
schulen den Ländern investive Finanzhilfen nach künftige überregionale Fördermaßnahmen nach Ar-
dem jeweiligen Bedarf in den Ländern gewährt. tikel 91b Abs. 1 neu einsetzen. Einen Anteil von 70
vom Hundert erhalten die Länder aus dem Haushalt
Durch eine Bund/Länder-Vereinbarung nach dem des Bundes als Festbetrag im Sinne von Artikel
neuen Artikel 91b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 kann auch im 143c Abs. 1 neu.
nichtinvestiven Bereich die Erhöhung der Leis-
tungs- und Ausbildungsfähigkeit der Hochschulen b) Bildungsplanung
und der Ausbildungschancen der Studienberechtig- Erfasst sind die Leistungen des Bundes für Ver-
ten gefördert werden. Eine solche Vereinbarung be- suchs- und Modelleinrichtungen im Bildungswesen
darf nach Artikel 91b Abs. 1 Satz 2 der Zustimmung und im beruflichen Bereich, Innovationen im Bil-
aller Länder. dungswesen, Fernstudium im Medienverbund sowie
4796 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. September 2006

(A) Computer- und netzgestütztes Lernen. Maßgebend Die gemeinsame Dokumentation von Bundes- und (C)
ist der Jahresdurchschnitt der gesamten Bundesleis- abweichendem Landesrecht – gedacht ist an das Doku-
tungen nach den o. a. Vorgaben. Einen Anteil von 50 mentationssystem „juris“ – soll dem Rechtsanwender
vom Hundert setzt der Bund künftig für die neue auf einen Blick und an einem Ort Klarheit über das je-
Gemeinschaftsaufgabe nach Artikel 91 b Abs. 2 neu weils geltende Recht geben (unabhängig von der jeweils
(Zusammenwirkung zur Feststellung der Leistungs- getrennten Veröffentlichung von Bundes- und Landes-
fähigkeit im internationalen Vergleich) ein. Die ver- recht in den jeweiligen Gesetzblättern).
bleibenden 50 vom Hundert erhalten die Länder aus
dem Haushalt des Bundes als Festbetrag im Sinne
von Artikel 143c Abs. 1 neu. Anlage zu Teil I
c) Finanzhilfen zur Verbesserung der Verkehrsverhält- Offene Themensammlung zu einer Reform
nisse der Gemeinden der Bund/Länder-Finanzbeziehungen
Die Länder gehen davon aus, dass der Bund das bis- (2. Föderalismusreformstufe)
herige Bundesprogramm (Teilbereich kommunale 1. Haushaltswirtschaft; Vorbeugung von Haushaltskri-
Vorhaben, Bahn) fortführt und dass lediglich die sen
Mittel der Landesprogramme auf die Länder überge-
hen. – Etablierung eines Frühwarnsystems (zum Bei-
spiel Aufwertung Finanzplanungsrat) zur Erken-
d) Wohnungsbauförderung nung und Bekämpfung von Haushaltskrisen,
Maßgebend ist der Jahresdurchschnitt der gesamten – Entwicklung materieller Kriterien zulässiger Ver-
Bundesleistungen nach den o. a. Vorgaben. schuldung (Einführung von Verschuldungsgren-
zen und „Schuldenbremsen“), Änderung von Ar-
Zu Absatz 3 tikel 115 und Artikel 109 GG zur Vermeidung
Bund und Länder gehen davon aus, dass auch für den von Haushaltsnotlagen,
Zeitraum 2014 bis einschließlich 2019 die Aufgaben- – Instrumentarium zur Durchsetzung dieser Krite-
übertragung auf die Länder angemessen kompensiert rien (Anreizsysteme, Sanktionen, Gläubigerbetei-
wird. ligung an Kosten einer Finanzkrise),
Die Vereinbarungen aus dem Solidarpakt II (Bundes-
– Strukturunterschiede zwischen den Ländern,
ratsdrucksache 485/01, Beschluss vom 13. Juli 2001,
(B) Ziffer II.) umfassen unter anderem die überproportiona- – Vergleichbare Datengrundlagen. (D)
len „Korb II“-Leistungen des Bundes für die Länder
Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sach- 2. Bewältigung bestehender Haushaltskrisen – Kon-
sen, Sachsen-Anhalt und Thüringen, die der Bund auch zepte zur Sanierung, Konzepte erweiterter Autono-
weiterhin für die Laufzeit des Solidarpakts II in einer mie – (insbesondere unter Berücksichtigung der
Zielgröße von insgesamt 51 Mrd. Euro – unter anderem Vorgaben des BVerfG)
über die Gemeinschaftsaufgaben und Finanzhilfen, EU- 3. Aufgabenkritik und Standardsetzung
Strukturfondsmittel, Investitionszulagen sowie die Kom-
pensationsleistungen des Bundes nach Artikel 143c neu – 4. Entbürokratisierung und Effizienzsteigerung
erbringen wird. Eigeninvestitionen des Bundes werden
nicht einbezogen. – Aufgabenentflechtungen im Bereich der öffentli-
chen Verwaltung,
Die Vereinbarungen zum bundesstaatlichen Finanz-
ausgleich (Bundesratsdrucksache 485/01, Beschluss – Ebenenübergreifende Bündelung von Verwal-
vom 13. Juli 2001, Ziffer IV.) beinhalten auch Finanzhil- tungsaufgaben,
fen für Seehäfen (betrifft die Länder Bremen, Hamburg, – Einführung von IT-Standards und -Systemen/Ver-
Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen und Schles- einfachung länderübergreifender Regelungen.
wig-Holstein), die aus dem Finanzausgleich herausge-
löst wurden und ab 2005 als Finanzhilfe des Bundes 5. Stärkung der aufgabenadäquaten Finanzausstattung,
nach Artikel 104 a Abs. 4 – gestützt auf das Kriterium unter anderen Abarbeitung Prüfauftrag für 2008 aus
„Förderung des wirtschaftlichen Wachstums“ – gezahlt Finanzausgleichsgesetz
werden sollen. Die Finanzhilfen für Hafenlasten werden
nicht in Frage gestellt (vergleiche Regelung in Artikel 6. Stärkung der Eigenverantwortung der Gebietskör-
125c GG). perschaften
7. Verstärkte Zusammenarbeit und Möglichkeiten zur
11. Dokumentation abweichenden Landesrechts Erleichterung des freiwilligen Zusammenschlusses
Bund und Länder gewährleisten gemeinsam, dass ab- von Ländern
weichendes Landesrecht (Artikel 72 Abs. 3, Artikel 84 8. Bündelung fachpolitischer Leistungen und Auswir-
Abs. 1 GG) fortlaufend gemeinsam mit dem Bundes- kungen auf die Bund-Länder-Finanzbeziehungen
recht, von dem abgewichen wird, in einer für die Rechts-
anwender zugänglichen Weise dokumentiert wird. 9. Sonstiges
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. September 2006 4797

(A) Der Bundesrat hat in seiner 824. Sitzung am 7. Juli Bericht zur Steuerbegünstigung für Biokraft- und Bio- (C)
2006 ferner beschlossen, den nachstehenden Gesetzen heizstoffe
zuzustimmen bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 – Drucksachen 15/5816, 16/480 Nr. 1.10 –
Abs. 2 des Grundgesetzes nicht zu stellen:
– Gesetz zu dem Europäischen Übereinkommen Ausschuss für Kultur und Medien
vom 6. November 2003 über den Schutz von Tie-
– Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Tech-
ren beim internationalen Transport (revidiert) nikfolgenabschätzung (17. Ausschuss) gemäß § 56a der
Geschäftsordnung
– Gesetz über die Bereinigung von Bundesrecht im
Zuständigkeitsbereich des Bundesministeriums Technikfolgenabschätzung
für Arbeit und Soziales und des Bundesministeri- Internet und Demokratie –
ums für Gesundheit Abschlussbericht zum TA-Projekt „Analyse netzbasier-
ter Kommunikation unter kulturellen Aspekten“
– Erstes Gesetz über die Bereinigung von Bundes- – Drucksache 15/6015 –
recht im Zuständigkeitsbereich des Bundesminis-
teriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben
– Investitionszulagengesetz 2007 (InvZulG 2007) mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden EU-
Vorlagen bzw. Unterrichtungen durch das Europäische
– Gesetz über die Errichtung einer Bundesanstalt Parlament zur Kenntnis genommen oder von einer Bera-
für den Digitalfunk der Behörden und Organisa- tung abgesehen hat.
tionen mit Sicherheitsaufgaben (BDBOS-Gesetz –
BDBOSG)
Rechtsausschuss
– Gesetz zur Änderung personenbeförderungs- Drucksache 16/629 Nr. 2.37
rechtlicher Vorschriften und arbeitszeitrechtli- Drucksache 16/1207 Nr. 1.3
cher Vorschriften für Fahrpersonal Drucksache 16/1748 Nr. 1.9
Drucksache 16/1748 Nr. 1.10
– Gesetz zur Einführung einer Grundqualifikation
und Weiterbildung der Fahrer im Güterkraft-
oder Personenverkehr Finanzausschuss
Drucksache 16/820 Nr. 22
– Gesetz über die Feststellung des Bundeshaus- Drucksache 16/1748 Nr. 2.1
haltsplans für das Haushaltsjahr 2006 (Haus- Drucksache 16/1748 Nr. 2.12
(B) haltsgesetz 2006) Drucksache 16/1748 Nr. 2.15 (D)

– Erstes Gesetz zum Abbau bürokratischer Hemm-


nisse insbesondere in der mittelständischen Wirt- Haushaltsausschuss
schaft Drucksache 16/1101 Nr. 2.21
Drucksache 16/1475 Nr. 2.12
– Föderalismusreform-Begleitgesetz
– Steueränderungsgesetz 2007 Ausschuss für Wirtschaft und Technologie

– Gesetz zur Neuregelung der Besteuerung von Drucksache 16/150 Nr. 2.205
Drucksache 16/150 Nr. 2.258
Energieerzeugnissen und zur Änderung des Drucksache 16/150 Nr. 2.267
Stromsteuergesetzes Drucksache 16/150 Nr. 2.279
Drucksache 16/288 Nr. 2.1
– Gesetz zur Umsetzung europäischer Richtlinien Drucksache 16/288 Nr. 2.13
zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleich- Drucksache 16/288 Nr. 2.24
behandlung Drucksache 16/419 Nr. 2.16
Drucksache 16/419 Nr. 2.50
– Gesetz zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses Drucksache 16/901 Nr. 2.25
Drucksache 16/1101 Nr. 2.5
über den Europäischen Haftbefehl und die Über-
Drucksache 16/1475 Nr. 2.13
gabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten der Drucksache 16/1475 Nr. 2.24
Europäischen Union (Europäisches Haftbefehls- Drucksache 16/1475 Nr. 2.25
gesetz – EuHbG) Drucksache 16/1475 Nr. 2.31
Drucksache 16/1748 Nr.2.3
Drucksache 16/1748 Nr. 2.4
Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben Drucksache 16/1748 Nr. 2.17
mitgeteilt, dass der Ausschuss gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2
der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den
nachstehenden Vorlagen absieht: Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft
und Verbraucherschutz
Drucksache 16/1475 Nr. 1.2
Finanzausschuss Drucksache 16/1475 Nr. 2.10
Drucksache 16/1475 Nr. 2.17
– Unterrichtung durch den Präsidenten des Bundesrech- Drucksache 16/1475 Nr. 2.20
nungshofes Drucksache 16/1748 Nr. 1.3
4798 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. September 2006

(A) Ausschuss für Arbeit und Soziales Drucksache 16/150 Nr. 2.140 (C)
Drucksache 16/150 Nr. 2.202
Drucksache 16/901 Nr. 2.15
Drucksache 16/150 Nr. 2.206
Drucksache 16/150 Nr. 2.207
Drucksache 16/150 Nr. 2.208
Ausschuss für Gesundheit
Drucksache 16/150 Nr. 2.209
Drucksache 16/629 Nr. 2.1 Drucksache 16/150 Nr. 2.210
Drucksache 16/1475 Nr. 2.9 Drucksache 16/150 Nr. 2.211
Drucksache 16/150 Nr 2.212
Drucksache 16/150 Nr. 2.229
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Drucksache 16/150 Nr. 2.256
Drucksache 16/150 Nr. 2.275
Drucksache 16/901 Nr. 2.6 Drucksache 16/288 Nr. 1.5
Drucksache 16/1475 Nr. 2.11 Drucksache 16/288 Nr. 2.3
Drucksache 16/1475 Nr. 2.18 Drucksache 16/288 Nr. 2.4
Drucksache 16/1475 Nr. 2.19 Drucksache 16/419 Nr. 2.32
Drucksache 16/1475 Nr. 2.28 Drucksache 16/481 Nr. 1.16
Drucksache 16/901 Nr. 1.2
Drucksache 16/901 Nr. 2.12
Ausschuss flir Umwelt, Naturschutz Drucksache 16/933 Nr. 2.9
und Reaktorsicherheit Drucksache 16/1101 Nr. 2.10
Drucksache 16/150 Nr. 2.15
Drucksache 16/993 Nr. 1.3
Drucksache 16/993 Nr. 2.15 Ausschuss für die Angelegenheiten
der Europäischen Union
Drucksache 16/419 Nr. 2.41
Ausschuss für Bildung, Forschung Drucksache 16/722 Nr. 1.8
und Technikfolgenabschätzung Drucksache 16/901 Nr. 2.8
Drucksache 16/150 Nr. 2.25 Drucksache 16/993 Nr. 1.7
Drucksache 16/150 Nr. 2.60 Drucksache 16/1207 Nr. l. 19

(B) (D)
Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co., Buch- und Offsetdruckerei, Bessemerstraße 83–91, 12103 Berlin
Vertrieb: Bundesanzeiger Verlagsgesellschaft mbH, Amsterdamer Str. 192, 50735 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Telefax (02 21) 97 66 83 44
ISSN 0722-7980

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