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Deutscher Bundestag
Stenografischer Bericht
17. Sitzung
Inhalt:
(A) (C)
Redetext
17. Sitzung
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: wollen Mobilität als unverzichtbaren Teil unserer Frei-
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich heit und unseres Wohlstandes sichern, ausbauen und
begrüße Sie herzlich zur heutigen Sitzung, die hiermit bestmöglich organisieren. Unter anderem dank der bei-
eröffnet ist. den Konjunkturpakete investieren wir auf Rekordniveau
in unsere Infrastruktur, und zwar auch, damit wir schnell
Wir setzen die Haushaltsberatungen – Tagesord-
aus der Krise herauskommen. Wir tun dies ferner, damit
nungspunkt 2 – fort:
unser Land nach dieser Wirtschaftskrise noch besser für
Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- die Zukunft gerüstet ist und sich solche Krisen nicht wie-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die derholen.
Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das
Haushaltsjahr 2010 Um es auch hier klar zu sagen: Infrastruktur ist eine
(Haushaltsgesetz 2010) öffentliche Aufgabe. Ich habe mich in meiner ersten
Rede als Bundesminister bereits deutlich dazu geäußert,
(B) – Drucksache 17/200 – wo für den Infrastrukturbereich, für quasi öffentliche Be- (D)
Überweisungsvorschlag: triebe, die Grenzen der Privatisierungsmöglichkeiten lie-
Haushaltsausschuss gen.
Am Dienstag haben wir für die heutige Aussprache
eine Redezeit von insgesamt dreieinhalb Stunden be- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
schlossen. Das heißt: Wir werden in den kommenden Jahren mit
Wir beginnen die heutigen Haushaltsberatungen mit massiven öffentlichen Investitionen dafür sorgen, dass
dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für diese Infrastruktur so leistungsfähig ist, wie es für eine
Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, Einzelplan 12. gute Zukunft unseres Landes erforderlich ist.
Ich erteile das Wort dem Bundesminister Peter (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Ramsauer.
Wo liegen nun die Schwerpunkte unserer Arbeit? Der
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Entwurf dieses Etats umfasst Ausgaben von insgesamt
neten der FDP) 26,4 Milliarden Euro. Das ist der viertgrößte Einzeletat.
Aber es ist der größte Investivetat. Allein für Investitio-
Dr. Peter Ramsauer, Bundesminister für Verkehr, nen stehen 14,8 Milliarden Euro bereit, nämlich
Bau und Stadtentwicklung: 12,6 Milliarden Euro für den gesamten Verkehrsbereich
Guten Morgen, Herr Präsident! Meine lieben Kolle- und 2,2 Milliarden Euro für den Bereich Bau und Stadt-
ginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und entwicklung. Allein für die Verkehrswege – ich betone:
Herren! Mit der Einbringung des Bundeshaushalts 2010 für die Verkehrswege – sieht der Entwurf Ausgaben in
gibt die Bundesregierung ein ganz klares Bekenntnis ab Höhe von annähernd 10,8 Milliarden Euro vor. Ich
für mehr Freiheit, für mehr Gerechtigkeit, für Wohl- möchte an dieser Stelle noch kurz differenzieren, damit
stand, Wachstum, Eigentum und Sicherheit bei den Ar- Klarheit herrscht, wohin es im Einzelnen geht, nämlich
beitsplätzen. 4,3 Milliarden Euro in die Bundesschienenwege,
5,3 Milliarden Euro in die Bundesfernstraßen, rund
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
1 Milliarde Euro in die Bundeswasserstraßen und – das
neten der FDP – Ute Kumpf [SPD]: So, kann
kommt, obwohl es eminent wichtig ist, leider immer zu
man das alles kaufen? Gibt es das?)
kurz – 150 Millionen Euro in den Kombinierten Verkehr.
Das heißt für den Einzelplan 12, für den Etat meines Hinzu kommt noch 1 Milliarde Euro aus dem zweiten
Hauses, über den wir heute Vormittag diskutieren: Wir Konjunkturpaket, sodass insgesamt fast 12 Milliarden
1462 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 17. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Januar 2010
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Sie haben im November 400 Millionen Euro zusätzliche
Finanzmittel gefordert. Vor Weihnachten ist Ihnen einge-
Auch für den Bereich der KfW-Förderprogramme fallen, dass man auch ein Sonderausbauprogramm Bahn
ist eine Klarstellung geboten. Der Renner im Bereich der braucht, weil – ich zitiere Sie – das gesamte künftige
KfW-Programme zur energetischen Gebäudesanierung Wachstum des Güterverkehrs auf die Schiene geholt
ist das CO2-Gebäudesanierungsprogramm. Ich nenne es werden solle und dafür das Netz ausgebaut werden
ein gigantisches Erfolgsprogramm. Wir werden dieses müsse. – Wie das gehen soll, bleibt wahrscheinlich für
zentrale Programm unserer Klimaschutzpolitik im Ge- immer Ihr Geheimnis.
bäudebereich selbstverständlich fortsetzen. Es ist wegen
der vorläufigen Haushaltsführung, die wir momentan be- Herr Minister, meine Frage lautet: Was ist daraus ge-
treiben, zu Irritationen gekommen. Ich möchte aber in worden? Wir haben hier eben von Ihnen nichts dazu ge-
aller Deutlichkeit Entwarnung geben. hört. Ich stelle fest: nichts, absolute Fehlanzeige. Hat
Herr Schäuble aus Peter Ramsauer, diesem vermeintli-
Ich bedanke mich bei den Mitgliedern des Haushalts- chen bayerischen Löwen, ein schnurrendes bayerisches
ausschusses dafür, dass dieses Thema für die kommende Kätzchen gemacht?
Woche auf die Tagesordnung gesetzt wurde. Ich bitte da-
rum, dass die Sorgen der Betroffenen ernst genommen (Ute Kumpf [SPD]: Aha!)
werden und dass der Haushaltsausschuss eine entspre-
chende Entsperrung der Mittel bewilligt. Bis dahin kön- Der ländliche Raum ist angesprochen worden. Ich
nen die Anträge weiterhin gestellt werden. Bis dahin vermisse auch bei diesem Thema, dass Sie sich klar ein-
behelfen wir uns damit, dass wir gegenseitig deckungs- bringen. Herr Ramsauer, Sie müssen aufpassen, dass Sie
fähig Gelder fließen lassen. nicht zum Ankündigungsminister werden.
Mit diesem Haushalt setze ich neue Akzente in der (Beifall bei der SPD – Carsten Schneider [Er-
Verkehrspolitik, der Baupolitik und der Stadtentwick- furt] [SPD]: Ist er doch schon!)
(B) lungspolitik. Ich tue dies, damit alle Menschen in Ich glaube, das haben die deutsche Verkehrswirtschaft (D)
Deutschland gut fahren, gut reisen, gut unterwegs sein
und die deutsche Bauwirtschaft nicht verdient. Wir alle
und gut bauen können. Ich tue es, damit für sie gut ge-
wollen Taten von Ihnen sehen.
baut wird, damit sie gut wohnen können. Kurzum: Ich
werde mit diesem Haushalt alles dafür tun, dass die Wenn man sich dem Haushaltsentwurf, den Sie hier
Menschen in Sicherheit und Wohlstand mobil sein kön- vorgelegt haben, zuwendet, muss man feststellen: Im
nen. Großen und Ganzen ist das der Haushalt von Tiefensee,
Vielen herzlichen Dank. der mit einigen Umschichtungen, verschiedenen Ände-
rungen bei Verpflichtungsermächtigungen und einer gro-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) ßen globalen Minderausgabe, auf die ich noch eingehen
werde, versehen wurde. Insofern ist die Ausstattung – da
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: stimme ich Ihnen zu – noch recht ordentlich. Zusammen
Das Wort hat nun Uwe Beckmeyer für die SPD-Frak- mit den Investitionsmitteln aus den Konjunkturprogram-
tion. men – Sie haben die Zahlen genannt – liegt einiges auf
dem Tisch. Nur, das ist nicht Ihr Verdienst. Das sind die
(Beifall bei der SPD) Ergebnisse der Gespräche zwischen Tiefensee und
Steinbrück.
Uwe Beckmeyer (SPD):
Wenig akzeptabel ist die von Ihnen vorgesehene De-
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- ckung der wachsenden Ausgaben für Wohngeld. Statt
ren! Herr Minister, Sie hatten zwölf Minuten Zeit, uns zu eine Gegenfinanzierung aus dem Gesamthaushalt durch-
erklären, was Sie tun wollen. Wir haben aber nur wenig zusetzen, haben Sie sich von Herrn Schäuble eine glo-
davon gehört. bale Minderausgabe von 100 Millionen Euro in den Ein-
(Beifall bei der SPD – Stefan Müller [Erlangen] zelplan 12 drücken lassen. Das ist ein ungedeckter
[CDU/CSU]: Sie haben nicht zugehört!) Scheck, Herr Minister, der gegen andere Maßnahmen
ausgespielt wird. Fangen Sie bitte nicht so an; denn
Die interessierte Öffentlichkeit und die Fachwelt ha- Wahrheit und Klarheit des Haushaltes entsprechend der
ben mit Spannung auf Ihre Rede gewartet, weil nach den Bundeshaushaltsordnung sieht anders aus.
diversen Ankündigungen der letzten Monate, wie ich
meine, mit Recht einige Erwartungen im öffentlichen Sie haben nichts zu der 2-Milliarden-Euro-Sperre des
Raum bestanden. Im Koalitionsvertrag wurden Initiati- Bundesfinanzministers bei den Mautmitteln gesagt.
ven zum Lärmschutz vereinbart. Da wurde die Ab- Auch da: Fehlanzeige. Kurz gesagt: Das Neue an Ihrem
1464 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 17. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Januar 2010
Uwe Beckmeyer
(A) Haushalt ist nicht wirklich gut, und das Gute daran ist oder die Absenkung der Mittel für Dienstreisen, für den (C)
nicht neu. Geschäftsbedarf und für die Öffentlichkeitsarbeit bean-
tragt wird.
Doch was kommt dann? Die deutsche Verkehrswirt-
schaft befürchtet, dass, nachdem die neue Bundesregie- Herr Minister, noch ein Wort zu Ihnen: Tun Sie was!
rung die Spendierhosen für völlig überflüssige soge- Fangen Sie mit Ihrem Job wirklich an! Beginnen Sie das
nannte Wachstumsimpulse angezogen hat, für wirklich Regieren! Wir brauchen eine planvolle, konzeptionell
sinnvolle, die Wirtschaft stimulierende und unterstüt- wirkungsvolle Verkehrs- und Baupolitik. Kümmern Sie
zende Maßnahmen kein zusätzliches Geld da ist. sich um die Stabilität und die Verstetigung der Infra-
strukturfinanzierung! Welches Verkehrssystem ist mit
Sie selbst waren im November bei der sogenannten welchem Finanzmittelrahmen leistbar? Welche kosten-
DEHOGA-Sause in der Deutschen Parlamentarischen neutralen Effizienzsteigerungen sind möglich? Welche
Gesellschaft zugegen und hatten, wie man dem Tages- Vernetzung der Verkehrsträger schwebt Ihnen vor? Wie
spiegel vom Mittwoch entnehmen konnte, ein Geschenk steht es um die Verstetigung der ÖPP-Projekte? Wie ist
dabei. Sie sagten, das Steuergeschenk für die Hoteliers der Stand beim Schienenbedarfsplan? Wie sieht die Prio-
sei die „erste Milliarde“, und Sie versprachen der 50-jäh- risierung der Verkehrsinvestitionen aus? Was macht der
rigen DEHOGA-Hauptgeschäftsführerin: neue Bundesverkehrswegeplan? Wie geht es mit der
Die nächste Milliarde kommt dann nicht erst Harmonierung bei der Bahn und beim Transportgewerbe
zum 60. weiter? Wie steht es um die Mautklage der Bundesrepu-
blik Deutschland?
Das brutale Kontrastprogramm zu Ihrer Spendier-
mentalität findet sich in Ihrem eigenen Haushalt. Man (Beifall bei Abgeordneten der SPD)
fragt sich, ob Sie es wirklich nicht wissen oder schlicht Auch dazu haben wir am heutigen Morgen nichts gehört.
verdrängen, weil Ihnen die CSU-Spendenkasse wichti- Stattdessen machen Sie neue Ankündigungen zum länd-
ger ist. lichen Raum. Was macht die Umsetzung der Maßnah-
Mit dem Haushalt des Jahres 2011 werden die Kon- men aus dem Masterplan Güterverkehr und Logistik?
junkturprogramme auslaufen, ist eine Absenkung der Was macht die Mobilitäts- und Kraftstoffstrategie?
Investitionslinie abzusehen, wird es zu steigenden Ein- Ein Wort zum Schluss.
nahmeausfällen bei der Lkw-Maut kommen, wird es ei-
nen wachsenden Druck zur Ausgabenreduzierung durch (Otto Fricke [FDP]: Was habt ihr uns hinterlas-
Schuldenbremse und Haushaltskonsolidierung geben, sen! – Karl Holmeier [CDU/CSU]: Sie können
doch noch nicht am Ende sein!)
(B) müssen Ihre Spendiermilliarden bezahlt werden, wird es (D)
einen weiteren Investitionsbedarf bei Infrastrukturpro-
Ich lese in der Süddeutschen vom 19. Januar dieses Jah-
jekten im Bereich des Neu- und Ausbaus geben und wird
res, es gebe Lohndumping bei der Bahn. Mein ganz
es einen steigenden Investitionsbedarf beim Erhalt von
persönlicher Wunsch lautet: Kümmern Sie sich als Ver-
Verkehrsinfrastruktur geben. Außerdem müssen Sie
kehrsminister darum, dass es kein Lohndumping bei der
– das haben auch Sie gesagt – mehr Haushaltsmittel zur
Deutschen Bahn gibt!
Verfügung stellen, um der immer noch wachsenden
Nachfrage beim CO2-Gebäudesanierungsprogramm nach- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
zukommen. des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Als wäre die Situation nicht schon anstrengend und
angespannt genug, treiben Sie von der Koalition mit Ih- Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
rer Steuersenkungsorgie die Schulden weiter in die Höhe Herr Kollege, Sie müssen bitte zum Ende kommen.
und machen die Lage damit noch komplizierter. Vor die-
sem Hintergrund, Herr Minister, sind Ihre Zahlen der Uwe Beckmeyer (SPD):
mittelfristigen Finanzplanung reinste Makulatur. Da-
Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. – Merken
rum fordere ich Sie im Namen meiner Fraktion heute
Sie, ich mache mir Sorgen um die Verkehrspolitik in
klipp und klar auf, bereits während der Haushaltsver-
Deutschland.
handlungen zum laufenden Haushaltsjahr 2010 eine
aktualisierte mittelfristige Finanzplanung vorzulegen, Zum Schluss frei nach Erich Kästner ein Wort zum
damit wir in Deutschland wissen, wohin die Reise geht. neuen Jahr: „Wird es besser, wird es schlimmer?“, fragt
man alljährlich. Seien wir ehrlich: Unser Leben wird bei
(Beifall bei der SPD)
dieser Bundesregierung lebensgefährlich.
Ich bin im Übrigen gespannt auf die Anträge aus den
Herzlichen Dank.
Regierungsfraktionen, insbesondere auf die zahlreichen
Kürzungsanträge aus den Reihen der FDP à la 2009, in (Beifall bei der SPD – Zurufe von der CDU/
denen zum Beispiel die Streichung der Mittel für die CSU und der FDP: Oh!)
Stelle eines Parlamentarischen Staatssekretärs
(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD – Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Das Wort hat nun Claudia Winterstein für die FDP-
NEN]: Welchen nehmen wir?) Fraktion.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 17. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Januar 2010 1465
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
(A) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten (Uwe Beckmeyer [SPD]: Schauen Sie doch (C)
der CDU/CSU) mal, was Herr Ramsauer gerade eben gesagt
hat! – Florian Pronold [SPD]: Können Sie in
Dr. Claudia Winterstein (FDP): der Koalition sich auch mal einigen, was nun
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und stimmt?)
Herren! Sehr verehrter Herr Beckmeyer, ich finde Ihre Die Bilanz nach elf Jahren sozialdemokratischer Ver-
Aufzählung der Projekte, die noch bearbeitet werden kehrspolitik lautet nämlich: viel Lärm um nichts.
müssten, schon bemerkenswert und frage mich: Was ha-
ben Sie eigentlich in den letzten zehn Jahren getan? (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Meine Damen und Herren, hier steht die neue Koalition
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Uwe
vor einer wichtigen Aufgabe: vor der Aufgabe, eine In-
Beckmeyer [SPD]: Viel!)
frastruktur zu schaffen, die den Anforderungen eines
Ich glaube nicht, dass das alles Themen sind, die plötz- modernen Industriestaates im Herzen Europas auch ge-
lich neu zu behandeln sind. recht wird.
(Uwe Beckmeyer [SPD]: Nichts Neues!) Als wichtigsten Bereich möchte ich die Straße her-
vorheben; denn die Straße ist und bleibt der Verkehrs-
Sie haben recht, dass dieser Haushalt in manchen Tei- träge Nummer eins. Aktuell nimmt die Straße 88 Prozent
len bedauerlicherweise noch die Handschrift von Herrn des Personenverkehrs und 82 Prozent des Güterverkehrs
Tiefensee trägt. auf. Unsere Autobahnen sind vielfach überlastet, weil
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der Ausbau nicht mit dem wachsenden Verkehr Schritt
der CDU/CSU) halten kann.
Sie können sicher sein, dass der Haushalt 2011 in dieser Und der Verkehr wächst weiter. Bis zum Jahre 2025
Hinsicht ganz anders aussehen wird. wird der Pkw-Verkehr um 16 Prozent zunehmen, der
Lkw-Verkehr sogar um 80 Prozent. Wir müssen also un-
(Florian Pronold [SPD]: Herr Ramsauer sagt, ser Fernstraßensystem ausbauen, und dafür brauchen wir
er hat neue Akzente! Lügt er da?) höhere Investitionen. Daher müssen wir zunächst die
Zahlen in der Finanzplanung genau prüfen.
Da werden wir entsprechende Schritte einleiten. Als
Haushälterin muss ich auch sagen: Wir können nicht al- Der Haushalt 2010 – das haben Sie schon gesagt – ist
les im Jahre 2010 machen. aufgrund der zusätzlichen Mittel aus den Konjunkturpa-
keten ein Sonderfall. Wir werden in diesem Jahr 5,3 Mil-
(B) (Uwe Beckmeyer [SPD]: Fangen Sie nur an!) (D)
liarden Euro in die Straße investieren können. Allerdings
Wir werden länger dafür brauchen, diese Projekte auf soll dieser Betrag in den nächsten Jahren bis auf 4,8 Mil-
den Weg zu bringen. liarden Euro sinken. Unser Ziel muss es sein, die Stra-
ßeninvestitionen auch mittelfristig bei deutlich über
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten 5 Milliarden Euro zu verstetigen.
der CDU/CSU)
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
Einzelplan 12 ist einer der wichtigsten Zukunftshaus- der CDU/CSU)
halte; das hat der Herr Minister schon gesagt. Von den
insgesamt 26,4 Milliarden Euro sind fast 15 Milliarden Angesichts der schwierigen Situation des Bundeshaus-
Euro Investitionen, so viel wie in keinem anderen Etat. haltes ist das eine große Herausforderung. Deswegen
Der Verkehrshaushalt ist damit von zentraler Bedeutung, müssen wir verstärkt auch über alternative Finanzie-
auch für die wirtschaftliche Entwicklung. Leistungsfä- rungswege nachdenken.
hige und intelligent vernetzte Verkehrswege bilden die Stichwort Lkw-Maut: Wir wollen endlich Transpa-
Grundlage für ein dauerhaftes und stabiles Wirtschafts- renz schaffen und Schluss machen mit dem jahrelangen
wachstum in diesem Land. Mautbetrug, dass Teile der Einnahmen aus der Lkw-
Maut nicht in Investitionen in die Straße geflossen,
Entsprechend groß sind natürlich auch die Herausfor-
derungen, vor denen die Verkehrspolitik jetzt steht. Die (Zuruf von der SPD: Auch in die Schiene!)
Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur sind in den
letzten Jahren – da waren auch Sie mit dabei – leider sondern stattdessen im allgemeinen Haushalt versickert
hinter dem Bedarf zurückgeblieben. Jeder Autofahrer, sind.
der auf der Autobahn im Stau steht, weiß, welchen Mo- (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE
dernisierungs- und Ausbaubedarf wir hier haben. Selbst- GRÜNEN]: Das ist ja ein Ding! Ausgaben für
verständlich leidet auch jeder Bahnfahrer unter Verspä- die Schiene sollen „im allgemeinen Haushalt
tungen oder Zugausfällen. versickert“ sein? – Zuruf von der SPD:
Mensch! Das war doch für alle Verkehrsträger
Herr Beckmeyer, fünf SPD-Minister haben sich in
gedacht!)
den letzten elf Jahren im Verkehrsministerium versucht.
Keinem ist es gelungen, einen ausreichenden, stabilen Für 2010 erwarten wir Einnahmen aus der Maut in Höhe
Haushaltsansatz für die Verkehrsinvestitionen zu schaf- von 4,9 Milliarden Euro; das ist eine große Summe.
fen; vielleicht bedenken Sie auch das einmal. Nach dem Motto „Straße finanziert Straße“
1466 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 17. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Januar 2010
(A) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Wie gesagt, es passt zur Ideologie der FDP, die nie (C)
Das Wort hat nun Anton Hofreiter für die Fraktion verstanden hat, welche Bedeutung die Schiene für den
Bündnis 90/Die Grünen. Klimaschutz, die Mobilität und viele andere Bereiche
hat.
Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Dr. Claudia Winterstein [FDP]: Erklären Sie
NEN): es!)
Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen
Ich kann das auch verstehen. Wenn man die Perspektive
und Kollegen! In den beiden Reden der Vertreter der Ko-
von Hoteliers, Wohlhabenden oder Besserverdienenden
alition wurde wunderschön dargelegt, wo eigentlich die
einnimmt und aus einem Porsche Cayenne nach außen
Probleme in diesem Bereich liegen. Der Herr Minister
blickt, dann braucht man wahrscheinlich die Schiene
hat sich darüber aufgeregt, dass man davon spreche, dass
nicht.
er nur über die Schiene redet. Ja, er redet über die
Schiene. Es ist ja schön, dass er über die Schiene redet. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Aber davon wird in diesem Bereich nichts besser. Man sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN-
muss seine Eigentümerfunktion wahrnehmen, die Pro- KEN – Ute Kumpf [SPD]: Nichts gegen Por-
bleme in dem Unternehmen in den Griff bekommen, das sche Cayenne! – Dr. Claudia Winterstein
entsprechende Geld bereitstellen und die entsprechenden [FDP]: Das ist ja so platt!)
Prioritäten setzen.
– Regen Sie sich nur auf! Dann weiß man, dass man ins
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Schwarze getroffen hat.
sowie bei Abgeordneten der SPD)
(Dr. Claudia Winterstein [FDP]: Ich rege mich
Dann kam die Vertreterin der FDP – das ist eigentlich gar nicht auf! Ich amüsiere mich nur!)
der Koalitionspartner – zu Wort. Sie hat festgestellt, dass In diesem Land haben nur 50 Prozent aller Menschen
dem Schienenbereich, zu dem sich der Minister gerade täglich Zugang zum Auto. Man könnte jetzt einwenden,
selbst dafür gelobt hat, dass er so viel dafür machen will, dass auch kleine Kinder dazuzählen.
massiv die Mittel gekürzt werden sollen.
(Volker Kauder [CDU/CSU]: Dummes
(Dr. Claudia Winterstein [FDP]: Das hat er doch Geschwätz da vorne!)
gar nicht gesagt! Sie müssen zuhören!)
Aber auch wenn man sich auf diejenigen beschränkt, die
Sie hat sogar eine spannende Formulierung dafür ge- bewusst mobil sein wollen, dann ist ihr Anteil immer
braucht. Sie hat davon gesprochen, dass die Mautmittel noch erheblich. Nur 50 Prozent aller Menschen haben (D)
(B) bisher versickert seien. Ich kann Ihnen erläutern, wohin
täglich Zugang zum Auto. Alle anderen sind auf andere
diese Mittel versickert sind. Verkehrsmittel angewiesen.
(Dr. Claudia Winterstein [FDP]: In den (Dr. Claudia Winterstein [FDP]: Deswegen ge-
allgemeinen Haushalt!) ben wir dafür auch 4,5 Milliarden Euro aus!)
– Sie sind nicht im allgemeinen Haushalt versickert. Als Das heißt, Sie erreichen Mobilität für alle nur dann,
Haushälterin sollten Sie eigentlich den Haushalt besser wenn Sie alle Verkehrsmittel vernünftig ausbauen.
kennen. Sie sind vielmehr zu einem bestimmten Teil von
etwa 38 Prozent in den Schienenbereich geflossen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN-
(Dr. Claudia Winterstein [FDP]: Nein! Aber KEN – Dr. Claudia Winterstein [FDP]: Dafür
Sie sind kein Haushälter! Sonst würden Sie bekommen sie ja auch ihr Geld!)
nicht so einen Unsinn reden!)
Damit kommen wir zum Kernproblem dieses Minis-
Der Rest ist den Bundeswasserstraßen zugeschlagen ters und seines Ministeriums. Das Wort Ankündigungs-
worden. minister ist schon gefallen. Es wird amüsant, zu be-
obachten, was in den nächsten Wochen kommen wird.
(Dr. Claudia Winterstein [FDP]: Das ist doch Zuerst wurde die Pkw-Maut durch ein Interview hochge-
gar nicht wahr!) poppt, das der Minister angeblich aus Versehen gegeben
Sie können Investitionen in die Schiene als Versi- hat. Als nächstes wurde plötzlich ein riesiges Wachstums-
ckern bezeichnen. programm für die Schiene hochgepoppt. Dazu sagen der
eigene Koalitionspartner und der Finanzminister, dass
(Patrick Döring [FDP]: Er will es nicht begrei- gar kein Geld dafür vorhanden ist. Dann wird bekannt,
fen!) dass die DB AG schon weiß, dass wichtige Projekte
Das passt zur Ideologie der FDP. nicht vor 2025 zu Ende gebracht werden, weil kein Geld
dafür da ist.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
bei der SPD und der LINKEN) Dann kam – das ist schon wieder lustig und termin-
lich pikant – am Tag der Deutschen Einheit ein Aufbau-
Noch besser passt das Wort Versickern im Zusammen- programm West ins Gespräch, von dem kein Mensch
hang mit den Bundeswasserstraßen. Da kann man wirk- weiß, wie es konkret aussehen soll. Man hat das Gefühl,
lich sagen: Das Geld versickert. diese Ministeriumsleitung agiert völlig losgelöst von ih-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 17. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Januar 2010 1469
Dr. Anton Hofreiter
(A) ren eigenen Fachleuten. Entsprechend konzeptlos han- im Wesentlichen fortgeschrieben. Ich erwarte, dass Sie (C)
delt sie. zu Ihren Worten, die Sie Anfang bzw. Mitte letzten Jah-
res gesagt haben, heute noch stehen und sich daran erin-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
nern, was Sie gemeinsam mit uns in der Großen Koali-
sowie bei Abgeordneten der SPD)
tion vertreten haben. Nur auf dieser Ebene kann man
Diese Konzeptlosigkeit ist für einen Oppositionsab- eine seriöse und glaubwürdige Politik machen!
geordneten amüsant. Dieses Ministerium ist aber – das
war einer der wenigen Punkte, in denen der Minister Die Leistungsfähigkeit der Infrastruktur ist zwar
recht hat – von zentraler Bedeutung sowohl für die Wirt- nicht die einzige, aber eine der Kernvoraussetzungen für
schaft unseres Landes als auch für den Klimaschutz. Es die Fortschreibung unseres Status als Gesellschaft. An
ist auch zentral wichtig für die Teilhabe der Menschen. dieser Tatsache wird sich auch in den kommenden Jah-
Um an der modernen Gesellschaft teilhaben zu können, ren nichts ändern. Deshalb müssen wir in finanziell
muss man mobil sein. Nicht jeder hat aber ein Auto. schwierigen Zeiten die notwendige Planungs- und
Finanzierungssicherheit für eine leistungsfähige Infra-
Wenn man das berücksichtigt, dann ist die Konzeptlo- struktur schaffen. Nun glaube ich allerdings nicht, dass
sigkeit bitter. Sorgen Sie für eine vernünftige Prioritäten- ein Sparzwang in jedem Fall etwas Schlechtes ist. Er
setzung im Straßenbereich, damit nicht irgendwelche un- bietet auch Chancen, weil er uns von eingefahrenen
sinnigen Umgehungsstraßen finanziert werden! Gleisen herunterstößt und zwingt, neue Wege zu finden.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Patrick Dazu haben Verkehrspolitiker schon lange bestimmte
Döring [FDP]: Das machen wir doch!) Vorstellungen. Es ist jetzt notwendig, die sinnvollen Vor-
stellungen zu erkennen und tatsächlich umzusetzen.
Hören Sie auf, Milliarden in Schienenprojekte zu ste-
cken, zu denen Ihnen die Bahn, zumindest unter vier Au- Ein Beispiel sind vom Staatshaushalt unabhängigere
gen, sagt, dass sie Unsinn sind, Stichwort Stuttgart 21! Finanzierungskreisläufe. Frau Winterstein, Sie haben
beispielsweise gesagt: Straße finanziert Straße. – Wir ha-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ben dazu Instrumentarien, die eigentlich nur weiterent-
Setzen Sie auf vernünftige Mobilitätskonzepte, die wickelt werden müssen. So können Verkehrsprojekte
Mobilität für alle garantieren! Das wäre ökologisch und durch die Weiterentwicklung der VIFG
sozial gerecht. Dann würden wir Sie unterstützen. (Florian Pronold [SPD]: Was ist denn VIFG?
Danke. Können Sie das übersetzen?)
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – die kennen Sie doch – und die Nutzung ihrer Kredit-
(B) sowie bei Abgeordneten der SPD) fähigkeit reibungsloser durchfinanziert werden. Dann (D)
können zum Beispiel die Schwankungen bei den Maut-
einnahmen besser ausgeglichen werden und müssen Ver-
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
kehrsprojekte nicht mehr gestoppt werden, wenn es
Das Wort hat nun Arnold Vaatz für die Fraktion der
haushaltsvollzugsbedingte Engpässe gibt.
CDU/CSU.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Auch klare Kriterien für die Priorisierung von
Investitionsprojekten sind notwendig, weil uns das zu
einer verkehrsträgerübergreifenden Betrachtungsweise
Arnold Vaatz (CDU/CSU): führt. Herr Hofreiter, ich verstehe Ihre Kritik in diesem
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Zusammenhang überhaupt nicht. Es ist gerade ein Kenn-
Herren! Der Verkehrsetat ist in diesem Jahr relativ kom- zeichen unserer Politik, dass wir die Verkehrsträger nicht
fortabel ausgestattet. Mit 11,8 Milliarden Euro – das gilt gegeneinander ausspielen wollen.
teilweise auch noch für 2011 – sind beachtliche Investi-
tionen möglich. Aber in den folgenden Jahren wird es (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE
eine echte Herausforderung geben. Diese müssen wir GRÜNEN]: Doch!)
meistern. Wir wollen vielmehr zu einer integrierten Betrachtungs-
(Florian Pronold [SPD]: Wo steht die mittel- weise kommen, die es uns ermöglicht, eine ganzheitliche
fristige Finanzplanung?) Durchdringung unserer Verkehrsinvestitionen vorzuneh-
men und auf diese Weise eine klare Bedarfsorientierung,
Wir wollen und werden die Vorgaben der Schulden- die alle Verkehrsträger einbezieht, zustande zu bringen.
bremse des Grundgesetzes und des Europäischen Stabili- Zum Bedarf gehören neben dem Neubau die Investitio-
täts- und Wachstumspakts einhalten, und zwar aus tiefer nen in den Infrastrukturbestand. Notwendige Erhal-
Überzeugung. Wir erwarten dabei aber auch die Unter- tungsinvestitionen, die aus Geldmangel unterbleiben, er-
stützung derjenigen, die in den letzten Jahren mit uns ge- zeugen natürlich Substanzverlust. Der Verzicht auf eine
meinsam diese Politik eingeleitet haben. Erhaltungsinvestition kann daher wesentlich teurer kom-
(Florian Pronold [SPD]: Warum schreiben Sie men als die Investition selber.
dann nichts in die mittelfristige Finanzpla-
Obwohl Sparzwänge nicht immer schlecht sind, muss
nung?)
man in den Haushaltsdebatten der nächsten Jahre auch
Dazu zählt auch die mittelfristige Finanzplanung. Sie danach fragen, ob es wirklich immer richtig ist, dass
ist ursprünglich ein Werk der Großen Koalition und wird Haushaltskonsolidierung mehr oder weniger regelmäßig
1470 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 17. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Januar 2010
Arnold Vaatz
(A) bedeutet, dass das Verhältnis konsumtiver Ausgabetitel Ich halte es daher für unabdingbar, genau dafür zu (C)
zu investiven Ausgabetiteln zulasten der investiven ver- streiten. Unsere Seehäfen müssen mit den Seehäfen Süd-
schoben wird. Auch bei konsumtiven Titeln muss in Zu- osteuropas durch eine hochleistungsfähige Schienen-
kunft die Bedarfsfrage erlaubt sein. strecke verbunden werden. Das verändert nicht nur die
europäischen Handelsströme grundlegend. Auch die
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Bundeshauptstadt und Ostdeutschland werden durch
neten der FDP – Florian Pronold [SPD]: Was eine solche neue Lebensader strukturell so ertüchtigt,
heißt das? Wollen Sie jetzt die Renten kürzen? – wie es mit staatlichen Förderinstrumenten nie erreicht
Gustav Herzog [SPD]: Bitte werden Sie kon- werden kann.
kret!)
(Florian Pronold [SPD]: Sie wollen Seehäfen
Die Orientierung am Bedarf ist es schließlich auch, per Schiene verbinden?)
die diese Debatte – Herr Claus hat es erwähnt – zum
Thema Aufbau Ost versus Nachholbedarf West versach- Der bisherige Verkehrsminister hat die Dimension dieser
licht und schließlich erübrigt. Herr Claus, Sie haben be- Frage erst erkannt, als es zu spät war. Damit wird es jetzt
klagt, dass wir dieses Mal über das Thema Aufbau Ost für die Einbeziehung dieses Projektes in die TEN-Revi-
nicht schwerpunktmäßig im Zusammenhang mit dem sion eng.
Haushalt des Verkehrsministeriums reden. Dieses Auch an anderer Stelle muss Peter Ramsauer eine
Thema ist jetzt beim Innenministerium angesiedelt. Das ziemlich ärgerliche Hinterlassenschaft schultern. Der
hängt damit zusammen, dass die strukturellen Unter- Chef der Deutschen Bahn – ich komme gleich zum
schiede in West und Ost von Jahr zu Jahr immer weniger Schluss – hat vor kurzem im Verkehrsforum auf die er-
ausschließlich infrastrukturbedingt sind, hebliche Diskrepanz zwischen den Wettbewerbsbedin-
gungen von auswärtigen Anbietern im deutschen Schie-
(Florian Pronold [SPD]: Sondern?) nennetz und denen der einheimischen Deutschen Bahn
sondern mittlerweile ist dieses Thema weitaus komple- beispielsweise im französischen Schienennetz hingewie-
xer geworden. sen. Da muss Wettbewerbsgleichheit hergestellt werden.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
Wir müssen nicht nur über die strukturellen Differen-
neten der FDP – Florian Pronold [SPD]: Die
zen im Verkehrsbereich reden. Aber gerade im Verkehrs-
Mehrwertsteuer für Schlafwagen senken!)
bereich ist es so: Wenn beispielsweise das Kriterium der
Raumwirksamkeit und damit die Erschließungswirkung Das haben Sie nicht nur in der letzten Legislatur-
für ländliche Räume mit einem hohen Stellenwert in die periode versäumt, sondern das haben Generationen von
(B) Bedarfsklärung eingeht, dann ist das in Ost und West be- sozialdemokratischen Verkehrsministern versäumt. Ich (D)
deutsam. Ländliche Räume zu entwickeln – das wissen habe großes Vertrauen in Peter Ramsauer, dass er das
wir alle –, ist sehr schwierig. Beispielsweise bei der Format hat, unseren französischen Freunden zu zeigen,
Standortwahl für ein eigenes Haus spielt die schnelle Er- dass hier Gleichberechtigung zu herrschen hat und dass
reichbarkeit des nächsten urbanen Zentrums mit Arbeits-, man mit uns so nicht umgehen kann. Im Übrigen bin ich
Freizeit- und Funktionsangeboten oft eine zentrale der festen Überzeugung: Es wird uns gelingen, an den
Rolle. Gebiete, die schlecht an diese Zentren angebun- großen Entbürokratisierungsansatz, den Günther Krause
den sind, werden ausgedünnt. Das führt anderswo zu den Anfang der 90er-Jahre verfolgt hat, wieder anzuknüpfen.
sogenannten Speckgürteln um die urbanen Zentren. Wer
dem entgegenwirken will, muss schnell handeln und zur Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
praktischen Umsetzung beitragen. Deshalb ist es so Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen.
wichtig, dass Peter Ramsauer seine Initiative für den
ländlichen Raum so schnell angekündigt hat.
Arnold Vaatz (CDU/CSU):
(Florian Pronold [SPD]: Angekündigt!) Ein Satz noch. – Uns wird es gelingen, Verfahrensbe-
schleunigungen festzulegen, mit denen unsere geplanten
Von dieser Ankündigung geht das Signal aus, dass wir Verkehrsprojekte schneller realisiert werden können.
etwas tun werden.
Vielen Dank.
Die größte Erfolgsgeschichte der jüngeren deutschen (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Verkehrsinfrastrukturpolitik schrieben die Anfang der
90er-Jahre unter der Federführung von Günther Krause
konzipierten Verkehrsprojekte „Deutsche Einheit“. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Aber eine Verkehrspolitik, die lebt und auf die Zeichen Das Wort hat nun Johannes Kahrs für die SPD-Frak-
der Zeit reagiert, muss auch heute zu Entwürfen dieser tion.
Dimension in der Lage sein, wenn sie nötig sind. Sie
sind nötig, denn die europäische Einigung ermöglicht Johannes Kahrs (SPD):
uns eine alpenquerungsfreie Meer-zu-Meer-Verbin- Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
dung von Nord- und Ostsee zur Adria. Diese wird es si- Kollegen! Sehr geehrter Herr Minister Ramsauer, ich
cherlich auch ohne Zutun Deutschlands bzw. des Deut- habe Ihre Rede mit großer Freude gehört. Sie haben dar-
schen Bundestages geben. Die Frage ist aber, ob sie dann gestellt, dass Sie einen Etat übernommen haben, der gut
durch unser Land führt. aufgestellt ist. Sie haben hier mit Zahlen erläutert, wie
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 17. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Januar 2010 1471
Johannes Kahrs
(A) viel Geld für Investitionen zur Verfügung steht. Sie hät- nen belastet. Das wird nicht funktionieren. Das machen (C)
ten sich an dieser Stelle fairerweise bei Wolfgang wir nicht mit.
Tiefensee und Peer Steinbrück bedanken können.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
(Beifall bei der SPD – Zuruf des Abg. Dirk der LINKEN)
Fischer [Hamburg] [CDU/CSU])
Herr Minister, Sie haben am Anfang dieser Legislatur
Ihr Etat ist im Rahmen der Großen Koalition aufgestellt davon gesprochen, dass Sie neben der LKW-Maut die
worden. Kollege Fischer, ich gebe zu: Ihr Beitrag in der Einführung einer PKW-Maut erwägen. Ich möchte an-
ganzen Geschichte war nicht unwesentlich. Aber so ist merken: CDU, CSU und FDP waren immer gegen die
das bei Hamburgern: Sie werden immer gebraucht. Lkw-Maut. Sie haben stets gesagt: Wenn wir könnten,
würden wir diese Maut abschaffen. Sie haben uns durch
Im Ergebnis ist es so – wir alle wissen es –: Dieser Wahlkämpfe gejagt; Sie haben uns rechts und links ge-
Etat ist hervorragend aufgestellt; in den nächsten Jahren schlagen. Ich habe mit großem Vergnügen diesen Koali-
wird es allerdings schlechter. Wir wissen auch, warum es tionsvertrag gelesen: Von Abschaffung der Lkw-Maut
schlechter wird: Diese Koalition und die drei Parteien, steht darin nichts. Die FDP hält also nichts von dem, was
die sie tragen, verfolgen unterschiedliche Ziele. Wer die sie ihrer Klientel immer versprochen hat. Ausnahms-
Kollegin Winterstein gehört hat, der weiß, dass sie weise hat die FDP etwas versprochen und nicht gehalten.
möchte, dass möglichst viel auf der Straße transportiert Das heißt: Die Lkw-Maut bleibt.
wird. Minister Raumsauer hat gesagt, für ihn sei die
Schiene der Schwerpunkt. Wie das bei weniger Geld zu- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des
sammengehen soll, werden wir alle erleben. Die Kolle- BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Florian
gin Winterstein hat gefordert, sämtliche Mauteinnahmen Pronold [SPD]: Die warten noch auf die
in den Bereich Straße zu investieren. All das kann man Spende!)
diskutieren. Die Frage ist nur, Frau Kollegin
Jetzt kann man sich einmal darüber unterhalten, wo; aber
Winterstein: Was passiert, wenn Ihr Minister an seinem
so ist das im wahren Leben.
Schwerpunkt festhält? Wenn er das tut, wird für den Be-
reich Straße deutlich weniger Geld da sein. Sie sollten Der Minister hat am Anfang dieser Legislaturperiode
sich in der Koalition einmal darüber unterhalten, was Sie die Pkw-Maut angesprochen. Es gab dann viel Hin und
eigentlich wollen. Ich glaube, das wäre zielführend. Her. Herr Minister Ramsauer, ich würde von Ihnen gern
Kurz gesagt: Tiefensee gut, Steinbrück gut, und ob einmal die klare Ansage hören, dass die Pkw-Maut in
Ramsauer gut, werden wir sehen. dieser Legislaturperiode nicht kommt.
(Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD)
(B) (D)
Wie geht es mit dem Haushalt weiter? Die Konjunk- Sie reden über den ländlichen Raum, Sie reden davon,
turpakete, die wir in der Großen Koalition geschnürt dass man die Bürger nicht mehr belasten darf. Machen
haben, fallen weg. Das von Ihnen verabschiedete Wachs- Sie doch einmal eine klare Ansage zur Pkw-Maut! Wir
tumsbeschleunigungsgesetz hat überhaupt keine posi- wollen nicht immer dieses Geschwurbel und dieses
tiven Auswirkungen, schon gar nicht auf den Verkehrs- große Gerede, bei dem nachher nichts herumkommt,
haushalt, eher im Gegenteil. Herr Schäuble hat sondern eine klare Ansage, etwas Verbindliches, am bes-
angekündigt, überall zu sparen. Herr Vaatz hat eben er- ten in einem Interview, das nicht widerrufen wird. Viel-
klärt, dass beim Verkehrsetat Bahn nicht gespart werden leicht machen Sie sogar, wenn Sie tapfer sind, vor dem
dürfe; das einzusparende Geld müsse woandersher kom- deutschen Volk in diesem Hohen Hause eine klare An-
men. Wir alle sind auf das Ergebnis gespannt. sage, die man dann auch im Protokoll nachlesen kann.
Dann haben wir alle viel Spaß – vorausgesetzt es bleibt
Was die Mauteinnahmen angeht, wissen wir schon dabei – und glauben Ihnen auch.
jetzt: Sie sinken. Dazu kommt eine Haushaltssperre in
diesem Bereich. Das heißt, wir haben weniger Geld. Der (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Anton
Minister will nicht nur brav das abarbeiten, was die Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Große Koalition, was Peer Steinbrück und Wolfgang
Der eine oder andere Kollege hat die – ich muss es
Tiefensee ihm hinterlassen haben, sondern er will auch
ablesen; ich habe das wirklich noch nicht gelernt –
viele neue Versprechungen erfüllen. Die Frage ist nur,
Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsgesellschaft, die
Herr Minister: Woher wollen Sie das Geld nehmen?
VIFG, erwähnt.
Heute sind hier schon einige Vorschläge gemacht wor-
den. Es ist angeregt worden, ÖPP, also Public-Private (Heiterkeit bei der SPD – Dr. Andreas Schockenhoff
Partnership, zu fördern. Man schaut also, wie man eine [CDU/CSU]: Wie heißt das?)
Fremdfinanzierung zustande bringt.
Als Haushälter wird mir bei dieser Geschichte einfach
Ich kann Ihnen sagen: Das sind nichts anderes als schlecht.
Schattenhaushalte. Ich glaube, das ist genau das, was wir
(Beifall des Abg. Dr. Anton Hofreiter [BÜND-
heute überhaupt nicht mehr sehen können und wollen:
NIS 90/DIE GRÜNEN])
Gewinne werden privatisiert, die Verluste werden sozia-
lisiert. Davon haben die Menschen die Schnauze gründ- Es kann doch wohl nicht wahr sein, dass wir hier einen
lich voll. Das ist kein Ausweg, um Ihre Versprechungen weiteren Schattenhaushalt aufmachen wollen, mit dem
wahrzumachen. Dadurch würden zukünftige Generatio- irgendwelche Träume befriedigt, irgendwelche Pläne
1472 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 17. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Januar 2010
Johannes Kahrs
(A) umgesetzt werden sollen, für die aber die zukünftigen Sebastian Körber (FDP): (C)
Generationen zahlen müssen. Das ist doch absurd! Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Viele Aspekte
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
wurden in der heutigen Debatte schon angesprochen.
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN –
Meine Kollegin Frau Dr. Winterstein hatte für meine
Patrick Döring [FDP]: Das ist kein Schatten-
Fraktion bereits Ausführungen zum Verkehrsbereich ge-
haushalt!)
macht und das auch erklärt. Herr Kollege Hofreiter, Herr
Diese Geschichte kann nicht kommen, wird mit uns Kollege Kahrs, ich bin davon überzeugt: Sie verstehen
nicht kommen und ist in der Sache falsch. eigentlich, um was es hier geht. Sie kennen die Hinter-
gründe. Sie haben das alles verstanden. Wer zuhört, ist
Ich bin ein Anhänger der Kameralistik. Ich habe das hier klar im Vorteil.
am Anfang für eine ganz langweilige, schnarchnasige
Veranstaltung gehalten, bei der am Ende alles behindert Ich werde mich auf den Bereich „Bau und Stadtent-
wird. Viele Banker, Finanzberater und andere haben uns wicklung“ konzentrieren
gesagt, dass es doch kreative Möglichkeiten gibt, Geld
herbeizuzaubern, um so Dinge zu finanzieren, die wir (Zurufe von der SPD)
alle wollen. Solche kreativen Möglichkeiten wünscht – durch die Zwischenrufe wird es leider auch nicht bes-
man sich auch im privaten Haushalt. Da geht man zu ei- ser –, dem die FDP und diese Koalition eine große Be-
nem großen Konzern, kauft und zahlt erst 48 Monate deutung beimessen. Herr Minister Ramsauer, Sie haben
später, das Ganze am besten zinsfrei. Das ist aber nur ein bei Ihrer Vorstellung im Ausschuss als neuer Ressortchef
Verschieben des Elends. Das kann es nicht geben, das ausdrücklich darauf hingewiesen, dass Sie sich nicht nur
soll es nicht geben, und das wird es mit uns nicht geben. als Verkehrs-, sondern explizit auch als Bauminister ver-
Deswegen gilt: Kameralistik ist vielleicht langweilig, stehen, und damit bereits zu Beginn einen, wie ich finde,
aber ehrlich und transparent, und das schätzen wir Haus- wichtigen Akzent gesetzt. Vielen Dank dafür.
hälter. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Zentrales Ziel der Politik der Koalition im Bereich
der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE von Wohnungswesen und Städtebau ist neben einer
GRÜNEN) geordneten städtebaulichen Entwicklung – rund 2 Mil-
Frau Winterstein, überlegen Sie sich einmal, in welchem liarden Euro werden wir in diesem Jahr dafür ausgeben –
Ausschuss Sie sind! die Versorgung der Bevölkerung mit bedarfsgerechtem
und vor allem bezahlbarem Wohnraum. Die Kopplung
(Dr. Claudia Winterstein [FDP]: Im Haus- der Stadtentwicklung mit wohnungspolitischen Fragen (D)
(B) haltsauschuss!) ist dabei unabdingbar. Der Stadtumbau, die Infrastruk-
Daran sollten wir uns immer halten. Schöne Geschichte! turentwicklung, die regionale Wirtschaftsförderung und
soziale sowie ökologische Programme müssen stärker
Lassen Sie mich am Ende noch Folgendes sagen: Sie miteinander verzahnt werden.
haben ein paar Schwerpunkte aufgeführt. Das alles
finde ich richtig und wichtig. Ich hielte es für gut, wenn (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
ein Schwerpunkt auf der Sanierung der Straßen läge. der CDU/CSU)
Von mir aus können Sie auch nachts und feiertags bauen, Man muss an dieser Stelle einräumen: In Deutschland
Hauptsache, Sie bekommen es irgendwann einmal gere- werden derzeit im Blick auf die Zahl eindeutig zu wenig
gelt. Gigaliner und 60-Tonner braucht kein Mensch; Wohnungen neu gebaut, ganz zu schweigen von der Ei-
sonst wird es auch mit der Sanierung nichts. genheimquote. Hier sind wir Schlusslicht in Europa.
Als Hamburger darf ich einmal sagen, was für die ma- Hier besteht akuter Handlungsbedarf.
ritime Wirtschaft wichtig ist – der Kollege Beckmeyer Zu den großen Herausforderungen im Wohnungsbe-
aus Bremen hat das freundlicherweise nicht ganz so stand zählt, wie ich als Architekt aus der Praxis weiß, die
deutlich gesagt –: Der Ausbau der Hinterlandanbindung altersgerechte Anpassung im Zuge des demografischen
ist unverzichtbar und wird von uns weiterverfolgt. Ich Wandels. Es muss eine Selbstverständlichkeit sein, ge-
nenne die Y-Trasse, den Elbausbau Richtung Magdeburg rade im Neubaubereich weitestgehend barrierefrei zu
und die Elbvertiefung. Otterndorf darf man nicht ganz bauen. Für den Wohnungsbestand benötigen wir aller-
vergessen – das gestehe ich den Niedersachsen zu –; da dings differenzierte Herangehensweisen, da dort unter-
muss die Deichsicherheit gewährleistet sein. Das alles ist schiedliche bauliche Voraussetzungen vorliegen. Trotz-
richtig, das ist wichtig, das ist gut. Dafür werden wir dem: Der Abbau von Barrieren ist ein wichtiger Aspekt
kämpfen. der Wohnungsbaupolitik, ist aber auch in öffentlichen
Glück auf! Gebäuden wie etwa in Bahnhöfen wichtig. Dieses
Thema wird uns noch länger beschäftigen.
(Beifall bei der SPD)
Meine Damen und Herren, dass Wirtschaft und Um-
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: welt keine Gegensätze sind, wird bei unserem Etat ganz
Das Wort hat nun Sebastian Körber für die FDP-Frak- konkret sichtbar. Wir wollen Mobilität und Wohnen en-
tion. ergieeffizienter machen, um den CO2-Ausstoß wirksam
und dauerhaft zu senken. Nachhaltiges und energieeffi-
(Beifall bei der FDP) zientes Bauen ist damit praktizierter Klimaschutz. Im
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 17. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Januar 2010 1473
Sebastian Körber
(A) Koalitionsvertrag wurde zu Recht festgeschrieben, dass Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: (C)
das CO2-Gebäudesanierungsprogramm wirkungsvoll Herr Kollege Körber, dies war Ihre erste Rede im
ausgestaltet werden soll, um die derzeitige Sanierungs- Deutschen Bundestag. Herzliche Gratulation und alle
quote zu steigern. guten Wünsche für Ihre weitere Arbeit!
Es gibt in Deutschland bereits zahlreiche Unterneh- (Beifall)
men der Wohnungswirtschaft, die hocheffiziente Ge-
bäude bis hin zu sogenannten Passivhäusern bauen. Ich Nächste Rednerin ist Kollegin Sabine Leidig für die
kenne aus meiner Heimat Forchheim und meinem Wahl- Fraktion Die Linke.
kreis Bamberg einige ermutigende Beispiele im privaten
und öffentlichen Bereich: Das erste Passivhaus-Hallen- (Beifall bei der LINKEN)
bad Europas entsteht zum Beispiel gerade in Bamberg
und ist zu Recht 2009 vom Bundeswirtschaftsminister Sabine Leidig (DIE LINKE):
für sein ökologisches Konzept ausgezeichnet worden. Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Allein im letzten Jahr wurden die Verbraucher bun- Roland Claus hat es schon deutlich gemacht: Die Linke
desweit durch die Maßnahmen des CO2-Gebäudesanie- kann diesem Bundeshaushalt nicht zustimmen, weil er
rungsprogramms in Form von Heizkosteneinsparungen unverantwortlich ist. Im Bereich Verkehr lässt sich das
um über 600 Millionen Euro entlastet. Mit den Förder- sehr deutlich erkennen: Wir werden wie bisher mehr
mitteln wurden rund 550 000 Wohnungen saniert oder Milliarden in die Straße investieren als in die Schiene.
energieeffizient neu errichtet und Investitionen von rund Dabei wissen wir, dass es der Auto- und Lkw-Verkehr
20 Milliarden Euro angestoßen – eine beeindruckende ist, der Klima und Umwelt immer weiter belastet. Wir
Bilanz, wie ich finde. brauchen kein fantasieloses und betonköpfiges Weiter-
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) so, sondern echte Weichenstellungen für Klimaschutz
und eine bessere Bahn für alle.
Der harte Winter hat den Blick für energieeinspa-
rende Investitionen weiter geschärft. Der überraschende (Beifall bei der LINKEN)
Stopp des entsprechenden KfW-Programms Anfang des
Herr Minister Ramsauer, ich bin noch neu im Bundes-
Jahres ist umso bedauerlicher. Als FDP unterstützen wir
tag und könnte es deshalb gut verstehen, wenn Sie es in
daher die geplante Mittelfreigabe in der nächsten Sitzung
der Kürze der Zeit nicht geschafft hätten, in alle Themen
des Haushaltsausschusses. Ich gehe aber noch ein Stück
weiter und setze mich zudem für eine Fortführung und einzusteigen; denn auch Sie sind ja als Verkehrsminister
auch finanzielle Verstetigung dieses erfolgreichen Pro- neu im Amt. Aber zum Glück gibt es Bürgerinitiativen
und Verbände, die sich mit Verkehrsfragen beschäftigen
(B) gramms auf hohem Niveau in den kommenden Jahren und eine Menge Ideen und konkrete Vorschläge vortra- (D)
ein.
gen. Der Bund für Umwelt und Naturschutz gehört dazu,
Ich freue mich über die zustimmenden Signale, die Gewerkschaften, der Verkehrsclub Deutschland und die
wir gestern schon im Rahmen der umweltpolitischen De- Expertengruppe „Bürgerbahn statt Börsenwahn“.
batte auch aus den Reihen der Unionsfraktion gehört ha-
ben, und bin guter Dinge, dass dies in einer gemeinsa- (Volker Kauder [CDU/CSU]: Das heißt „Bör-
men Initiative der Koalition mündet. senbahn“, nicht „Börsenwahn“!)
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Von denen habe ich eine ganze Menge gelernt. Natürlich
der CDU/CSU) vertreten diese Gruppen bestimmte Ziele und Interessen
Ich sehe das Programm als langfristige Klimarendite, wie auch die Autolobby, die Logistikunternehmen oder
was ich gerade als junger Abgeordneter, auch unter dem Fluggesellschaften. Da muss man sich entscheiden.
Aspekt der Generationengerechtigkeit, sehr begrüße. (Beifall bei der LINKEN)
Es ist gut und richtig, dass die Bundeskanzlerin vor Aber auf jeden Fall könnten Sie ohne Probleme auf
wenigen Wochen in einem Interview mit der Mieter-Zei- das Werk der Bundesarbeitsgemeinschaft Schienen-
tung das große Potenzial des Programms lobte; denn dies
personennahverkehr zurückgreifen, die nicht für Par-
kommt insbesondere den Mietern durch geringere Ener-
teipolitik oder Klientelpolitik steht; vielmehr handelt es
gie- und Heizkosten und einen verbesserten Gebäudezu-
stand zugute. sich um einen Zusammenschluss der Verkehrsgesell-
schaften von Städten, Regionen und Bundesländern. Sie
Liebe Kolleginnen und Kollegen, leider kann ich aus beschreibt sehr konkret, wie man viel mehr Verkehr von
Zeitgründen nicht auf alles eingehen. Im Ausschuss wird der Straße auf die Schiene bringen kann:
ja noch Zeit für weitere Beratungen sein. Ich lade die
Opposition ein, hier konstruktive Vorschläge einzubrin- Sie empfiehlt einen deutschlandweiten Taktfahrplan
gen. nach Schweizer Vorbild, mit dem das gesamte Zugange-
bot so verknüpft wird, dass häufigere und schnellere Ver-
Die Bürgerinnen und Bürger sollen wissen: Auf bindungen mit optimalen Umsteigemöglichkeiten entste-
Schwarz-Gelb kann man bauen! Dazu möchte auch ich hen. Damit sparen die Fahrgäste mehr Zeit und die
weiterhin meinen Beitrag leisten. Steuerzahler mehr Geld als durch den Bau von idioti-
Vielen Dank. schen Hochgeschwindigkeitstrassen.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) (Beifall bei der LINKEN)
1474 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 17. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Januar 2010
Sabine Leidig
(A) Die Arbeitsgemeinschaft hat auch konkrete Vorschläge Ja, trotz S-Bahn-Chaos, trotz ICE-Flottenpanne, trotz (C)
für mehr Nutzerfreundlichkeit, Qualität und Barrierefrei- brüchiger Radachsen und alledem ist der Kurs der Deut-
heit vorgelegt, auf die ich wegen Zeitmangels jetzt nicht schen Bahn unverändert. Das Schlimme ist, dass daran
eingehen kann. anscheinend auch nichts geändert werden soll. Nach wie
vor ist im Haushalt unter den Einnahmeposten „Privati-
Sie fordert klare Entwicklungsziele und politische sierungserlöse“ bzw. „Verkauf von Bundesbeteiligun-
Vorgaben für die Schieneninfrastruktur, eine langfristige gen“ neben der Telekom unter anderem auch die Bahn
Strategie zum Ausbau des Netzes und ausreichende aufgelistet. Vielleicht ist das ein Versehen oder ein Über-
Finanzierung. Diese ist bislang nicht gegeben. Für In- bleibsel aus der letzten Legislaturperiode. Wenn nicht,
standhaltung, Erneuerung und Ausbau müssen die Mittel dann ist es höchste Eisenbahn, dass sich Bürgerinnen
um 2 Milliarden Euro auf 7 Milliarden Euro jährlich auf- und Bürger und das Parlament die demokratische Kon-
gestockt werden. Ich erlaube mir hier die Bemerkung, trolle und Gestaltungsmacht über unsere Bahn endlich
dass das locker bezahlt werden könnte, wenn der Bund wieder zurückerobern und dieser Privatisierungsquatsch
keine neuen oder breiteren Autobahnen und Bundesstra- aufgegeben wird.
ßen mehr bauen würde.
(Beifall bei der LINKEN)
(Beifall bei der LINKEN)
Ein letzter Satz: Lucas Zeise beschreibt in der Finan-
Zur Finanzierung der neuen Bahn müssen die Regio- cial Times Deutschland, wie die Wirtschaftskrise in eine
nalisierungsmittel schrittweise erhöht werden. Bei Depression mündet. Auch deshalb sollten wir auf ein
5 Prozent mehr Fahrgästen jährlich werden im Jahr 2020 langfristiges Schienenausbauprogramm setzen, am bes-
rund 3 Milliarden Euro mehr benötigt, was nun wirklich ten europaweit und nicht im Wettbewerb, sondern in
keine gigantische Summe ist. Wenn diese Mittel aller- Kooperation. Dann hätten die Beschäftigten in der Auto-
dings so unverändert bleiben, wie es im Haushaltsplan mobilindustrie eine sinnvolle Perspektive, und wir könn-
vorgesehen ist, dann kann nicht einmal die Preissteige- ten optimistisch umbauen statt abzuwracken.
rung ausgeglichen werden, und wahrscheinlich wird der Danke.
ÖPNV schrumpfen.
(Beifall bei der LINKEN)
Ziemlich deutlich fordern die öffentlichen Verkehrs-
gesellschaften, dass der DB-Konzern entmachtet wird.
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Ich meine, dass der Bundestag sich diesen Schuh schleu-
nigst anziehen sollte. Es ist doch nicht akzeptabel, dass Das Wort hat nun Bettina Herlitzius für die Fraktion
Herr Grube und der Aufsichtsrat in einer Hauruckent- Bündnis 90/Die Grünen.
(B) scheidung vor Weihnachten die hochumstrittene Bahn- (D)
hofsversenkung Stuttgart 21 beschließen, damit per Um- Bettina Herlitzius (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
buchung für das Jahr 2009 noch ein ansehnlicher Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Gewinn des Konzerns ausgewiesen werden kann. Jetzt Sehr geehrte Damen und Herren! Am Mittwoch, in der
werden Projekte auf eine imaginäre Streichliste gesetzt, Generaldebatte, hat es Frau Bundeskanzlerin Merkel auf
die unverzichtbar sind, unter anderem der Ausbau der den Punkt gebracht, Sie hat das Dilemma ihrer Regie-
Rheintalstrecke. rung genau beschrieben: Sie wollen einerseits, dass das
Auto der Zukunft in Deutschland gebaut wird, anderer-
(Jörg van Essen [FDP]: Wäre es nach den Grü- seits soll Deutschland nicht Vorreiter in Sachen Klima-
nen gegangen, hätte es den Stuttgarter Haupt- schutz sein. Das passt nicht zusammen. Sie wollen das
bahnhof gar nicht gegeben! Dagegen wären Neue, können aber das Alte nicht lassen.
Sie doch auch gewesen!)
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Da kann ich nur sagen: Super, dass die Stuttgarterinnen
und Stuttgarter jeden Montag zu Tausenden protestieren, Herr Minister Ramsauer, Sie sagten gerade, Sie
demonstrieren, blockieren und so hoffentlich dieses Mil- möchten eine Geschäftsstelle für E-Mobilität einrichten.
liardengrab zuschütten! Ich möchte Sie auf Folgendes hinweisen: Fahren Sie ein-
mal nach NRW. Schauen Sie sich dort das Brennstoffzel-
(Beifall bei der LINKEN – Volker Kauder lenmuseum der RWE an. Es reicht nicht aus, nur eine
[CDU/CSU]: So ein Unsinn!) Geschäftsstelle einzurichten. Man kann mit Häppchen
und Sekt selbst die besten Technologien versenken.
Schließlich wird von den regionalen Verkehrsgesell-
schaften kaum verhohlen die Abkehr vom Börsenkurs Um neue Technologien einzuführen, braucht man
der Bahn gefordert – ich zitiere –: gesetzliche Rahmenbedingungen und vor allen Dingen
langfristige, verlässliche Förderprogramme. Ansons-
Bei der Infrastruktur beschränkt sich die Rolle des ten wird das nichts.
Bundes derzeit auf die des Zahlmeisters. Der Fern- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
verkehr ist vollständig der unternehmerischen
Steuerung überlassen. Die Orientierung an betriebs- Wie und warum sollen denn neue Mobilitätsformen,
wirtschaftlichen Kriterien hat dazu geführt, dass energieeffiziente Gebäude und nachhaltige Infrastruktu-
zwischen 1995 und 2007 die Fahrgastzahlen im ren für unsere Städte entwickelt und gebaut werden,
Fernverkehr um 20 Prozent gesunken sind. wenn Sie keine Vorgaben machen und keine nachhalti-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 17. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Januar 2010 1475
Bettina Herlitzius
(A) gen technischen Standards fordern? Genau hier kneift Aber auch in der Städtebauförderung gibt es enormen (C)
Ihre Regierung. Sie wollen die Belastungen des Stadt- Investitionsbedarf im Osten und Westen sowie im Nor-
verkehrs senken. Aber wo sind Ihre Aussagen zum Tem- den und im Süden. Hier liegen die großen Herausforde-
polimit und zu Verbesserungen in den Umweltzonen? rungen; hier müssen wir auf den demografischen Wandel
Sie wollen unsere Gebäude energetisch sanieren. Aber reagieren. Ich habe noch eine Bemerkung an den Herrn
wo sind Ihre Vorgaben zur Verschärfung der Energieein- Minister: Es gibt Gewinner und Verlierer; und es sind
sparverordnung oder des Erneuerbare-Energien-Wärme- gerade die Mittelstädte, die im Moment profitieren und
gesetzes? Nichts. Wenn es um anspruchsvolle Inhalte bei denen es einen Zuwachs gibt. Aber gerade die Mit-
geht, sehen wir nur gähnende Leere. Auf die wirklich telstädte fallen aus vielen Förderprogrammen heraus.
großen Herausforderungen des Klimawandels, der un- Hier müssen Sie nachhaken. Das Deutsche Institut für
sere Städte und Regionen, der unser Zusammenleben Wirtschaftsforschung kommt nach einer Studie auf einen
massiv verändern wird, haben Sie keine Antworten. Investitionsbedarf für städtebauliche Maßnahmen in
Schlimmer noch, Sie stecken den Kopf in den Sand. Höhe von 64 Milliarden Euro bis 2013. Davon sind Ihre
Ansätze im Haushalt meilenweit entfernt.
Ich weiß nicht, ob Sie sich noch erinnern: Im Wahl-
kampf gab es eine Partei, die die Losung „Leistung muss Unsere Siedlungsstrukturen sind in weiten Teilen un-
sich wieder lohnen“ hatte. seres Landes sehr ressourcenverbrauchend. Das hat Aus-
wirkungen auf den Klimaschutz, aber auch soziale Fol-
(Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: Bei gen für unsere Gesellschaft. Für einen wachsenden Teil
Ihnen etwa nicht?) der Bevölkerung wird soziale Teilhabe deutlich er-
Meine Damen und Herren von der Regierungsbank, jetzt schwert. Auch hier müssen wir der räumlichen Spaltung,
mal ehrlich: Welche Leistungsanreize bieten Sie Inge- die in vielen Städten schon erkennbar ist, entgegentreten.
nieurinnen und Ingenieuren, neue Technologien zu ent- Dieser Trend darf sich nicht fortsetzen.
wickeln? Welche Leistungsanreize bieten Sie unserer (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Wirtschaft, neue, klimaschonende Investitionen zu täti-
gen? Mit einem Wort: Offensichtlich verbinden Sie Wir Grüne – ich komme jetzt zum Schluss – werden
„Leistung“ nur mit den PS-Leistungen Ihrer Autos. uns dafür einsetzen, dass sich in diesem Haushalt die
Forderungen nach energieeffizienten und flächensparen-
Bisher haben wir nur über das Fordern gesprochen. den Städten, einer nachhaltigen Stadtentwicklung und ei-
Schauen wir einmal auf die Förderseite Ihrer Regie- ner umwelt- und sozialverträglichen städtischen Mobili-
rungsidee. Kommen wir zum Thema Städtebau, tät wiederfinden.
Wohnungs- und Bauwesen. Das sind nach wie vor Ihre
Danke schön.
(B) Stiefkinder im Haushalt, Herr Minister Ramsauer. (D)
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Nur ein Sechstel des ganzen Haushaltes geht in diesen
sowie bei Abgeordneten der SPD)
Bereich. Aufgrund unseres Drängens und der Interven-
tionen der Fachverbände haben Sie es gerade noch recht-
zeitig geschafft, die haushaltsrechtlichen Voraussetzun- Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
gen zu treffen, damit die KfW-Förderung weiterläuft. Das Wort hat nun Kollege Dirk Fischer für die Frak-
Aber Sie haben sich zu früh gefreut. Obwohl diese För- tion der CDU/CSU.
derung ein wichtiges Instrument aus rot-grüner Zeit zur (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
energetischen Sanierung unseres Gebäudebestandes ist,
senken Sie die Mittel drastisch.
Dirk Fischer (Hamburg) (CDU/CSU):
(Patrick Döring [FDP]: Sie wissen doch, Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
warum!) Es ist doch ganz unbestritten, dass wir für eine erfolgrei-
che Volkswirtschaft eine leistungsfähige und optimal
Herr Kollege Körber, das reicht nicht aus. vernetzte Verkehrsinfrastruktur brauchen, die in der
Meine Damen und Herren, jeder Euro, der in eine Lage ist, heute und morgen Mobilität zu gewährleisten.
energetische Sanierung gesteckt wird, ist ein Gewinn für Herr Kollege Hofreiter, selbstverständlich brauchen wir
unser Klima und eine Investition in unsere regionalen alle Verkehrsträger. Es gibt also keinen Grund zur Aufre-
Arbeitsplätze. gung; denn es besteht kein Gegensatz in dieser Einschät-
zung. Die Koalition aus Union und FDP bekennt sich da-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – her zur Notwendigkeit, die Verkehrsinfrastruktur in
Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Und in die unserem Lande im besten Zustand zu erhalten und weiter
Zukunft!) auszubauen.
Wie passt Ihr Haushaltsentwurf zu Frau Merkels Aus- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
sage von einer nachhaltigen Wirtschaft? Da schlagen Sie
einen völlig falschen Weg ein. 80 Prozent unserer Ge- Investitionen in Straßen, Schienenwege und Wasser-
bäude sind energetisch nicht zukunftsfähig. Hier müssen straßen des Bundes auf hohem Niveau werden mit dem
Sie investieren. Das bringt Klimaschutz und Arbeits- vorliegenden Haushaltsentwurf 2010 voll erfüllt. Rund
plätze. 11,8 Milliarden Euro stehen für den Erhalt, den Neu-
und den Ausbau der Verkehrswege zur Verfügung. Zu-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) sammen mit den GVFG-Mitteln und weiteren Förder-
1476 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 17. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Januar 2010
Florian Pronold
(A) Kaum ist er in Amt und Würden – der Minister musste Wir warten immer noch – wir werden das im Protokoll (C)
sein erstes Interview zu diesem Thema zurückziehen; nachlesen – auf die konstruktiven Vorschläge der SPD
frei nach Erich Kästner heißt es „Wem Gott ein Amt zum Verkehrshaushalt. Mehr möchte ich an dieser Stelle
gibt, dem gibt er auch Verstand“ –, geht er zu den Plänen nicht sagen.
einer Pkw-Maut auf Abstand.
(Johannes Kahrs [SPD]: Müssen Sie auch
(Dr. Hans-Peter Friedrich [Hof] [CDU/CSU]: nicht!)
Deswegen haben Sie kein Amt!)
Der Haushalt für das Jahr 2010 ist gewiss – wir haben
Nun wird es spannend. Woher soll denn das Geld es heute schon öfter gehört – einer der schwierigsten,
kommen? Ich frage Sie: Wie sieht die mittelfristige Fi- den wir in den letzten Jahren zu beschließen hatten, und
nanzplanung aus? Wie wollen Sie all die Ankündigun- er stellt uns vor sehr große Herausforderungen. Nichts-
gen, die Sie gemacht haben, finanzieren? Wer soll das destotrotz gibt es sicherlich einige Punkte – viele sind
bezahlen, vor allem angesichts dessen, dass Sie die heute schon angesprochen worden –, die uns gerade in
Finanzierung unseres Staatshaushaltes mit all den Maß- diesem Haushalt des Bundesministeriums für Verkehr,
nahmen, die Sie politisch getroffen haben, nachhaltig Bau und Stadtentwicklung ausgesprochen wichtig sein
aushöhlen und damit Zukunftsinvestitionen beschnei- müssen. Ich möchte heute weder Zahlen noch allzu viel
den? von dem wiederholen, was schon gesagt wurde. Ich
möchte trotzdem einige wenige Punkte herausgreifen,
(Beifall bei der SPD) die mir persönlich und auch – da bin ich mir sicher –
Der neue Kollege von der FDP hat uns dankenswer- meiner Arbeitsgruppe Verkehr sehr wichtig sind.
terweise aufgefordert, Vorschläge einzubringen. Sie ha- Wir haben vom Herrn Minister, aber auch von Kolle-
ben schon bei der Rede des Kollegen Uwe Beckmeyer gen gehört: Die ländliche Infrastruktur wird in den
feststellen können, dass wir eine ganze Menge Vor- nächsten vier Jahren eines der ganz großen Themen sein
schläge und vor allen Dingen Fragen haben. Es stellt und sein müssen. Ich bin dem Minister ausgesprochen
sich vor allem die Frage, was von den gemachten An- dankbar, dass er dafür gesorgt hat, dass sich dieser The-
kündigungen konkret umgesetzt wird. Was kommt denn menschwerpunkt in der Umorganisation seines Ministe-
bei all der Nebelkerzenwerferei, die stattfindet, an kon- riums niedergeschlagen hat. Da finden wir zum allerers-
kreten Maßnahmen heraus? Was bedeutet das für das ten Mal den Begriff der ländlichen Infrastruktur als eines
Thema Schiene? der wichtigen Themen der kommenden Jahre.
Es geht um die Geheimliste, deren Existenz der Warum ist das so wichtig? Natürlich brauchen wir
Minister heute bestritten hat. Wird das Chemiedreieck Metropolregionen. Aber wir müssen uns auch immer
(B) angebunden? Kommt das? Bis wann, Herr Minister? Sie wieder bewusst machen, wie stark funktionierende Me- (D)
wissen, wie wichtig es ist, dass wir das hinbekommen, tropolregionen von einem funktionierenden ländlichen
damit wir den Verkehr auf den Straßen und die Belastun- Umfeld abhängig sind. Wir müssen uns von dem Gedan-
gen für die Bürgerinnen und Bürger reduzieren, Stich- ken befreien, dass „ländlicher Raum“ nur Agrar- und
wort Mautausweichverkehr usw. Sie müssen konkrete Landwirtschaft bedeutet. Das ist viel, viel mehr.
Antworten geben. Heute wurde dazu nichts gesagt. Ich
bin auf die Debatten der Zukunft gespannt, in denen ge- Herr Minister, ich glaube, wir sollten uns vornehmen,
klärt wird, wie das Wunder geschehen soll, dass man, diesen Begriff auszufüllen. Dazu gehören Mobilität und
politisch bedingt, mit weniger Geld mehr in Verkehr und eine funktionierende Infrastruktur im ländlichen Raum.
Infrastruktur investiert. Das kann nicht gelingen. Das Was passiert denn, wenn die Menschen im ländlichen
wird spätestens in der nächsten Haushaltsdebatte Ihr Of- Raum keine Arbeitsplätze vor Ort mehr finden, zum
fenbarungseid. Beispiel, weil wir zwar Gewerbegebiete ansiedeln, die-
sen Gewerbegebieten aber keinen Anschluss an die
Herzlichen Dank. Fernstraßen der Zukunft geben, nämlich an die Daten-
(Beifall bei der SPD) autobahnen? Dann werden wir im ländlichen Raum
keine Arbeitsplätze mehr haben. Die Firmen ziehen in
die Stadt, die Menschen ziehen hinterher, und letztlich
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: habe ich genau das, was ich verhindern wollte, nämlich
Das Wort hat nun die Kollegin Daniela Raab für die den Verkehrsinfarkt in den Metropolregionen.
Fraktion der CDU/CSU.
Deswegen wird es wichtig sein, die Infrastruktur im
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- ländlichen Raum auszubauen. Dazu gehört auch, auch
neten der FDP) wenn das bedauerlicherweise nicht unser alleiniger Zu-
ständigkeitsbereich ist, Herr Minister, der Ausbau der
Daniela Raab (CDU/CSU): Breitbandversorgung, und zwar bitte nicht immer nur
Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und in Sonntagsreden, sondern auch ganz konkret.
Kollegen! Herr Pronold, Sie haben so schön gesagt: (Zuruf des Abg. Uwe Beckmeyer [SPD])
„Wem Gott ein Amt gibt, dem gibt er auch Verstand.“
Bei Ihnen bin ich beruhigt: Sie haben zumindest schon – Lieber Kollege Beckmeyer, ich bin mir ziemlich si-
mal ein Amt. cher, dass wir gerade beim Thema DSL alle an einem
Strang ziehen, völlig ideologiefrei und ganz entspannt.
(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der
CDU/CSU und der FDP) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 17. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Januar 2010 1479
Daniela Raab
(A) Ein zweites Thema, das mir sehr wichtig ist, für das Norbert Barthle (CDU/CSU): (C)
wir Mittel ausgeben, das wir aber noch stärker heraus- Sehr verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
stellen müssen: Wir fordern gerade von den Anwohnern Kollegen! Wir treten nun ein in die Schlussrunde dieser
von Straßen und Schienen immer eine hohe Akzeptanz außergewöhnlichen Woche, in der der Haushalt in dieses
derselben. Wir sagen immer: Das ist wichtig; wir brau- Parlament eingebracht wird. Wir haben eine Woche lang
chen Verkehrswege; wir müssen mobil sein; wir müssen Gelegenheit gehabt, den Regierungsentwurf über alle
flexibel sein. Diesen Anwohnern sind wir aber auch ver- Einzelpläne hinweg intensiv zu beraten. Ich will zuerst
dammt viel schuldig. Wir müssen ihnen endlich einen sagen, dass ich es für eine gute Übung halte und es wür-
sehr, sehr vernünftigen und nachhaltigen Lärmschutz digen möchte, dass diese Übung stattfindet. Denn wir
und nicht nur den Standardlärmschutz anbieten. Jeder dürfen nie vergessen: Das Budgetrecht ist das Königs-
kennt den Spruch: Wer schlechte Qualität kauft, kauft recht des Parlaments. Das ist Ausweis einer guten demo-
doppelt. Da müssen wir uns endlich einmal heranwagen kratischen Kultur. Allen Kolleginnen und Kollegen emp-
und etwas mehr Geld für den Lärmschutz in die Hand fehle ich, sich anzuschauen, wie in anderen Ländern das
nehmen. Budgetrecht ausgestaltet ist. Dann werden Sie sehen,
Ich bin mir durchaus bewusst, dass das für diesen dass wir hier eine hohe demokratische Kultur haben, die
Haushalt eine Herausforderung bedeutet. Aber wir kön- es zu pflegen gilt.
nen nicht nur von Mobilität und Infrastruktur im Zusam- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
menhang mit Straße und Schiene reden, sondern wir
müssen den geplagten Anwohnern – oftmals sind sie zu- Wenn ich mir den Verlauf der Woche ansehe, dann
tiefst geplagt – auch einen vernünftigen Lärmschutz an- kann ich die Bilanz ziehen, dass sich die Koalitionsred-
bieten, der oftmals über die gerade noch ausreichende ner in großer Einigkeit darüber im Klaren waren, dass
Lärmschutzwand hinausgehen muss. dieser Haushalt, den wir für das Jahr 2010 vorlegen, ein
Haushalt des Übergangs und der Krisenbewältigung ist,
(Beifall der Abg. Bettina Herlitzius [BÜND-
aber eben auch ein Haushalt, der sich intensiv darum be-
NIS 90/DIE GRÜNEN] – Bettina Herlitzius
[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bitte ma- müht, Impulse für Wachstum und für Beschäftigung zu
chen!) setzen, und damit zur Bewältigung dieser Krise beiträgt.
(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sehr richtig!)
Das muss vielleicht auch ein Tunnel, eine Einhausung
oder ein vernünftiger Verlustausfall sein. Ich würde mir Gleichzeitig haben wir erfahren, sowohl in der hervorra-
das sehr wünschen, meine liebe Frau Herlitzius. Ich genden Grundsatzrede unserer Bundeskanzlerin als auch
hoffe, wir sind uns an dieser Stelle einig. Nur wenn wir in der perspektivischen Rede unseres Fraktionsvorsit-
(B) das machen, dürfen wir fordern, dass der Lärm, der von zenden als auch in der sehr substanziellen Rede des Bun- (D)
Straßen und insbesondere Schienen naturgemäß ausgeht, desfinanzministers, dass wir in diesem Haushalt neue
akzeptiert wird. Zeichen setzen,
Das ist eine große Herausforderung für uns, der wir (Joachim Poß [SPD]: Eine Eierei des Bundes-
uns stellen müssen. Herr Minister, wir sind bereit dazu. finanzministers war das!)
So bekommen wir den Ausbau von Straßen, Schienen,
Luftverkehr und Wasserstraßen hin. Wir haben uns an weg von ideologischen Schwerpunkten der Vergangen-
dieser Stelle viel vorgenommen. Ich sage es noch ein- heit, weg von ideologischen Orientierungen, hinein in
mal: Gerade beim ländlichen Raum, bei der ländlichen ein Jahrzehnt der Chancen, die wir ergreifen wollen. Als
Infrastruktur haben wir eine ausgesprochen hohe Verant- einen Ausblick in ein neues Jahrzehnt nenne ich: Wir
wortung für die Menschen, die dort wohnen. Es liegt viel Deutschen waren schon immer dann stark, wenn wir
vor uns. Es ist Zeit, dass wir endlich eine ideologiefreie schwierige Situationen zu bewältigen hatten, zum Bei-
Verkehrspolitik machen. Das haben wir in den letzten spiel nach der deutschen Wiedervereinigung. Auch
Jahren leider nicht erlebt. Da sind viele tragende Bran- jetzt, beim Eintritt in dieses neue Jahrzehnt, werden wir
chen schlicht und ergreifend aus dem Verkehrsministe- beweisen, dass wir die vor uns liegenden Herausforde-
rium ausgesperrt worden, weil man sich mit ihnen nicht rungen meistern können.
unterhalten wollte. Es ist Zeit, dass sich dies ändert. Ich
bin mir sicher, wir haben einen guten Anfang gemacht. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
Wir haben einen sehr guten Minister dafür und eine her- neten der FDP)
vorragende Koalition. Packen wir es an! In den vergangenen Tagen und Wochen haben wir in
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) den Medien immer wieder das Beispiel von der schwä-
bischen Hausfrau gelesen, das die Bundeskanzlerin he-
rangezogen hatte. Es wurde gefragt, ob es richtig ist, so
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: viele Schulden zu machen. Ein ganz einfaches Wort
Weitere Wortmeldungen zu diesem Einzelplan liegen dazu: Wenn der schwäbischen Hausfrau durch ein Un-
nicht vor. wetter das Dach verhagelt wird, dann wird sie Schulden
Wir kommen zur Schlussrunde. Als erstem Redner aufnehmen, um das Dach reparieren zu können. Wenn
erteile ich dem Kollegen Norbert Barthle für die CDU/ das Dach repariert ist, überlegt sie sich, wie es weiter-
CSU-Fraktion das Wort. geht. Diese Diskussion müssen wir noch führen. Wir
müssen noch eine ernsthafte Debatte darüber führen, wie
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) es nach der Bewältigung dieser Krise weitergeht, ob man
1480 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 17. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Januar 2010
Norbert Barthle
(A) sozusagen auf die eine oder andere Urlaubsreise verzich- fahren. Denn wir Haushälter werden jeden Einzelplan (C)
ten muss, ob man quasi auf das eine oder andere Essen und jeden Titel durchwühlen, sozusagen jeden einzelnen
beim Italiener verzichten muss. Euro in diesem Haushalt umdrehen, und das sind immer-
hin 325 Milliarden Euro. Wir werden bei dieser Arbeit
Diese Debatte müssen wir ernsthaft führen. Deshalb
natürlich im Hinterkopf haben, was im Sommer mit der
komme ich an dieser Stelle zu den Diskussionsbeiträgen
Aufstellung des Haushaltes für das Jahr 2011 auf uns zu-
der Opposition; denn da habe ich – ohne das pauschal
kommt. Denn wir sind bestrebt, aus dem guten Haus-
verunglimpfen zu wollen – an vielen Stellen Ernsthaftig-
haltsentwurf, den der Finanzminister vorgelegt hat, ei-
keit vermisst. Es wurde manches Neue und manches
nen noch besseren Haushalt zu machen.
Richtige gesagt. Das Problem war nur, dass das Neue,
das Sie gesagt haben, nicht richtig war und dass das (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Ja, genau!
Richtige, das Sie gesagt haben, nicht neu war. Wenn das überhaupt noch geht!)
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Das werden wir tun, indem wir – auch wenn wir uns
neten der FDP – Alexander Bonde [BÜND- bewusst sind, dass dieser Haushalt kein Sparhaushalt ist –
NIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Spruch war jetzt jeden einzelnen Posten daraufhin überprüfen, ob wir dort
aber weder richtig noch neu!) nicht doch noch etwas einsparen,
Wir haben mit einer Ausnahme relativ wenige konstruk- (Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
tive Beiträge aus der Opposition gehört. Es wurde gefor- Oh ja! Das haben wir schon gemerkt!)
dert, die Ermäßigung des Mehrwertsteuersatzes für
Beherbergungsbetriebe rückgängig zu machen. etwas noch effektiver gestalten oder das zur Verfügung
stehende Geld noch verantwortungsbewusster einsetzen
(Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
können, natürlich auch mit Blick darauf, dass sich die
NEN]: Mövenpick! – Ute Kumpf [SPD]: Das
Zeiten inzwischen geändert haben.
würde die schwäbische Hausfrau nicht anneh-
men!) Das betrifft die Nettokreditaufnahme; wir werden
Da fielen auch böse Worte; das muss man an dieser uns bemühen, sie etwas zu senken. Das betrifft natürlich
Stelle sagen. Von Bimbesrepublik, Klientelpolitik usw. auch die Verpflichtungsermächtigungen; hier wollen
war da die Rede. Liebe Kollegin Lötzsch, Sie haben ge- wir uns für die kommenden Jahre nicht zu sehr binden,
sagt, das sei ein Haushalt von Lobbyisten für Lobbyis- sondern uns sehr restriktiv verhalten. Und das betrifft die
ten. Frage – sie ist mir besonders wichtig –, ob wir nicht
doch noch neue Schwerpunkte hin zu Investitionen set-
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – zen können. Wir müssen raus aus den konsumtiven Aus- (D)
(B)
Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Genau so gaben, rein in die Investitionen. Das wird ein Schwer-
ist es auch!) punkt unserer Beratungen sein.
Ich freue mich darauf, mit Ihnen zu diskutieren, wenn (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
wir den größten Einzeletat, den für Arbeit und Soziales,
durchgehen. Dann werde ich Sie fragen, wo da die Ein kleiner Randaspekt: Auch wir wollen die parla-
Lobbyisten sitzen, für wen der Haushalt gemacht ist. Da mentarische Kontrolle der Bundesbeteiligungen effekti-
bin ich gespannt. ver als bisher gestalten. Hier haben wir Parlamentarier
nur relativ geringe Einflussmöglichkeiten. Diese möch-
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und ten wir gerne etwas ausbauen. Auch das wird ein
der FDP – Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Wir Schwerpunkt unserer Beratungen sein.
sind die Lobbyisten der sozialen Marktwirt-
schaft!) (Beifall des Abg. Alexander Bonde [BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN] – Alexander Bonde
Ich will ein Fazit ziehen. Die gesamte linke Seite die-
[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr gut! Der
ses Hauses hat sich während dieser Woche darin ergan-
erste vernünftige Satz!)
gen, Klamauk und Radau zu machen,
(Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich freue mich auf eine intensive Zusammenarbeit mit
Hier ist die Mitte!) den Kolleginnen und Kollegen von der FDP. Ich kann
nur sagen: Diese Woche hat gezeigt, dass wir in der
anstatt sich der Verantwortung, die man in dieser christlich-soz – –, in der christlich-liberalen Koalition
schwierigen Situation zu tragen hat, bewusst zu sein und ein neues Klima haben.
dieser gerecht zu werden. Das habe ich in dieser Woche
vermisst. Deshalb kann ich nur sagen: Das war ein (Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
schwacher Start der Opposition. NEN]: Das war knapp!)
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- – Das war schon richtig. – Das bemerken sogar die Zu-
neten der FDP – Alexander Bonde [BÜND- schauer an den Fernsehschirmen. In der Großen Koali-
NIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Hälfte der Rede- tion – bei allem Respekt für die Kollegen von der SPD –
zeit ist um, und Sie haben nichts gesagt!) war es manchmal so, dass wir nicht herzerfreut und herz-
erfüllt, sondern eher pflichtbewusst geklatscht haben,
Wir werden jetzt in die parlamentarischen Beratungen
dieses Haushalts eintreten. Das ist ein aufwendiges Ver- (Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]: Hört! Hört!)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 17. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Januar 2010 1481
Norbert Barthle
(A) und bei den Rednern der FDP haben wir unsere Hände einziger Minister hat gesagt, wo er sparen will, und das, (C)
mühsam unter dem Tisch gehalten, damit sie nicht doch obwohl Sie von der FDP-Fraktion uns in der Vergangen-
hochzucken und klatschen. heit immer mit Ihren Sparbüchern, in denen steht, wo
Sie überall sparen wollen, traktiert haben. Sie haben
(Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]: Hört! Hört!)
nicht einen einzigen der Vorschläge, die Sie jahrelang
Jetzt ist es so, dass wir, wenn die Kollegen von der FDP gemacht haben, eingebracht.
reden, herzerfüllt und herzerfreut mitklatschen können.
(Joachim Poß [SPD]: Die haben ihre Bücher
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) verbrannt! Die haben eine Bücherverbren-
nung gemacht! – Alexander Bonde [BÜND-
Das ist ein neues Klima. NIS 90/DIE GRÜNEN]: Die FDP war wahr-
(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Hört! Hört!) scheinlich mit Überweisungen beschäftigt!)
Deshalb freue ich mich auf die kommenden Haushalts- Ich bin gespannt, ob dazu noch etwas kommen wird.
beratungen mit Ihnen. Wir werden einen Haushalt vorle-
gen, der noch besser ist als der Entwurf, den wir gerade Die Lage ist aber viel zu ernst für Scharmützel. Der
beraten. In diesem Sinne: Bis Ende März! Herr Bundesfinanzminister hat am Dienstag eine sehr
bedeutungsschwere Rede gehalten, allerdings mit relativ
Herzlichen Dank. wenig konkretem Inhalt. Deshalb muss man Ihnen,
denke ich, heute noch einmal die Gelegenheit geben, zu
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
antworten.
Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Es gehört wirklich etwas dazu, bei die- Ich will Ihnen klar sagen, wie die Lage ist, Herr Bun-
ser Rekordverschuldung minutenlang über Ihr desfinanzminister: Ausweislich Ihrer eigenen Berichte
Klatschverhalten zu reden! Als ob die Leute – ich nehme an, Sie kennen sie; vielleicht muss man sie
interessiert, wer wann für wen geklatscht hat, aber dem Bundestag noch einmal vorstellen – sind wir in
wenn ihr sie in die Schulden führt!) einer Situation – Bundesbankpräsident Weber hat sich
gestern dazu geäußert –, die sehr kritisch ist. Die ökono-
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: mische Situation ist kritisch, insbesondere aber die öf-
Das Wort hat nun Kollege Carsten Schneider für die fentlichen Finanzen. Er sagt: Tiefe Einschnitte bei den
SPD-Fraktion. Staatsausgaben sind unausweichlich. Er fügt hinzu, dass
im Falle von Steuersenkungen – das ist ja Ihr Haupt-
(Beifall bei der SPD) punkt, das ist der Grund, warum Sie sich alle paar Wo-
(B) chen wieder zum Essen treffen und groß Verbrüderung (D)
Carsten Schneider (Erfurt) (SPD): feiern – die Einsparungen, weil Steuersenkungen ge-
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! genfinanziert werden müssten, sogar noch härter ausfal-
Herr Barthle, auch ich war diese Woche hier. Ich habe al- len müssten.
lerdings einen anderen Eindruck, sowohl was die De- (Zuruf von der FDP: Das können wir durch-
batte und den Zusammenhalt innerhalb der Koalition als rechnen!)
auch insbesondere was die Linie der Regierung betrifft;
denn die war eigentlich gar nicht erkennbar. – Ja, rechnen wir das einmal zusammen: Im nächsten
Jahr müssen Sie wegen der Schuldenbremse 10 Milliar-
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
den Euro einsparen. Hinzu kommen 3 Milliarden Euro
der LINKEN)
wegen höherer Zinsausgaben. Das macht 13 Milliarden
Wer den markanten grundsätzlichen Redebeitrag der Euro. Wenn Sie dann dazurechnen, dass wegen der
FDP-Fraktionsvorsitzenden am Mittwoch gehört hat, der Steuerentlastung von 20 Milliarden Euro, die Sie be-
hat gesehen, dass sich hier keine Hand gerührt hat. schließen wollen, der Bund 10 Milliarden Euro weniger
einnimmt, sind wir bei 23 Milliarden Euro. Wie wollen
(Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]: Was?) Sie das finanzieren? Einen Sparvorschlag habe ich nicht
Ich kann das auch gut verstehen; denn das, was sie ge- gehört; die Steuern erhöhen wollen Sie aber auch nicht.
sagt hat, war gänzlich fernab der Realität. Wie wollen Sie das also finanzieren? Ich höre immer:
durch Wachstum. Bei einer Steuerquote von 25 Prozent
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten brauchten Sie zusätzlich zu dem Wachstum, das im Mo-
der LINKEN) ment unterstellt wird – 2 Prozent –, ein Wachstum von
Wir sind kurz vor dem Einstieg in die parlamentari- 8 Prozent. Das heißt, um das, was Sie sich vorgenom-
schen Beratungen des Haushaltsentwurfs; Sie haben da- men haben, zu finanzieren, brauchten Sie 2011 ein
rauf hingewiesen. Sie haben allerdings wenig dazu ge- Wachstum von 10 Prozent. Da frage ich mich: Ist das
sagt, vor welchen Herausforderungen dieses Land steht, hier Alice im Wunderland?
Herr Barthle; davor haben Sie sich gedrückt. Ich habe (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
die ganze Woche Minister reden hören, die wohltönend der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE
dargelegt haben, was sie alles machen werden: Die Mit- GRÜNEN)
tel für das Elterngeld und die Zahl der Vätermonate sol-
len erhöht werden, die Mittel für den Arbeitsmarkt Natürlich sind auch wir Sozialdemokraten daran inte-
sollen nicht gekürzt, sondern erhöht werden etc. Kein ressiert, dass wir ein hohes Wachstum haben. Deswegen
1482 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 17. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Januar 2010
(Ulrike Flach [FDP]: Erst einmal das Modell (Beifall des Abg. Leo Dautzenberg [CDU/CSU] –
Zuruf von der CDU/CSU: Immerhin!)
lesen! – Otto Fricke [FDP]: Ich dachte, das sei
Wahnsinn! Aber der Wahnsinn hat ja Me- Aber eine solche Auffassung ersetzt doch nicht die Ver-
(B) thode!) pflichtung, zu sagen, wo nun Schwerpunkte für zusätzli- (D)
che Investitionen gesetzt werden sollen und wo nun ein-
Zu Vertrauen in der Bevölkerung trägt diese Unklar-
gespart werden soll. Aus dem Diktum, dass man jetzt die
heit und die Einsetzung der vielen Kommissionen, die
Konjunktur nicht kaputtsparen darf, folgt doch nicht,
im Koalitionsvertrag vorgesehen ist, nicht bei. Vertrauen dass man nicht jetzt schon mit dem Einsparen beginnen
schafft man nämlich nur, wenn man den Leuten sagt, sollte. Wo sind wir denn eigentlich? Zeigen Sie mir ein-
was man vorhat. Ingeborg Bachmann hat einmal gesagt: mal eine schwäbische Hausfrau, die sich in dieser Situa-
„Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar.“ Sie muten tion so verhalten würde, dass sie dieses Jahr noch mit
den Bürgerinnen und Bürgern keine Wahrheiten zu, weil vollen Händen ausgibt und erst im nächsten Jahr mit
Sie Angst haben, weil Sie unentschlossen Politik ma- dem Sparen beginnt.
chen und nicht wissen, wohin die Reise gehen soll.
(Otto Fricke [FDP]: Machen Sie Vorschläge!)
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
und bei der SPD) Das ist doch idiotisch! Sparen Sie jetzt vernünftig da, wo
es geht, und sagen Sie, welche Bereiche expansiv sein
Dann hört man von der FDP und der Kanzlerin mal sollen, damit die Konjunktur anziehen kann!
dieses und mal jenes zu den geplanten Steuersenkungen,
für die ja Mittel in Höhe von 19 Milliarden Euro nötig (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
wären. Haben Sie denn Ihre Lektion aus dem Unsinn, Ich nennen Ihnen einige Beispiele dafür, damit einmal
den Sie mit der Mehrwertsteuersenkung für Hoteliers be- klar wird, dass Politik auch eine Richtung haben kann.
gangen haben, nicht gelernt?
Wir sagen, die Investitionen in Klimaschutz und Bil-
Letztlich geht es um die haushaltspolitische Strate- dung sind zu niedrig.
gie, Herr Schäuble, und nicht um Vertrauen und Haus-
haltsklarheit. Ihre haushaltspolitische Strategie in Ver- (Otto Fricke [FDP]: Sagen Sie doch mal, was
bindung mit der Schuldenbremse sieht so aus: Im Jahr man wo einsparen kann!)
2010 noch mehr Schulden machen, damit Sie wegen der Zu niedrige Investitionen im Klimaschutz bedeutet,
inneren Logik der Schuldenbremse, die einen linearen durch die Folgekosten, die in späteren Jahren auf unser
Schuldenabbau vorsieht, bis 2016 insgesamt ein größe- Land zukommen werden, zusätzliche Schulden aufzu-
res Schuldenvolumen für diese Koalition haben. Erst in häufen. Ökologische Verschuldung nenne ich das, was
der nächsten Legislaturperiode würden die Spielräume Sie durch dieses Nichtinvestieren verursachen.
dann enger. Sie handeln wie jemand, der beschließt, bis
2016 mit dem Trinken aufzuhören, aber zugleich, damit (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
1490 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 17. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Januar 2010
Fritz Kuhn
(A) Auch die Erhöhung der Mittel für Bildung um (Widerspruch bei der FDP) (C)
12 Milliarden Euro innerhalb von vier Jahren sind zu
wenig. Wenn unsere jungen Leute neue Chancen erhal- – Natürlich sind das Subventionen, was denn sonst? Das
ten sollen, müssen wir jetzt auf dem Bildungsgipfel sa- gilt auch für die Dienstwagenbesteuerung. Warum sollen
gen, wie wir das finanzieren wollen. eigentlich alle Steuerzahler die Steuerbefreiung derjeni-
gen, die die großen Dienstwagen nutzen, finanzieren?
(Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Weniger Das alles sind Punkte, an denen man reduzieren und ein-
Schulden und mehr Ausgaben, wie soll das ge- sparen kann.
hen?)
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Wenn wir nicht genügend in Bildung investieren, bedeu-
tet das eine soziale Verschuldung; denn dadurch werden Ich finde, dass wir an den Stellen mehr machen könn-
die Lebenschancen künftiger Generationen reduziert. ten. Die Einsparung in Höhe von 42 Milliarden Euro
können Sie natürlich nicht innerhalb eines Haushaltsjah-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN res umsetzen; das ist logisch.
sowie bei Abgeordneten der SPD)
(Otto Fricke [FDP]: Aha! Gut!)
Präsident Dr. Norbert Lammert: Aber wir sind der Überzeugung – ich habe das einmal
Herr Kollege Kuhn, gestatten Sie eine Zwischenfrage ausgerechnet, und wir könnten Ihnen das in den Haus-
des Kollegen Fricke? haltsgesprächen zeigen –, dass wir eine Einsparung von
immerhin 12 Milliarden Euro kurzfristig realisieren kön-
Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): nen. Die Logik ist doch bestechend: Sie subventionieren
in diesem Haushalt mit 42 Milliarden Euro unökologi-
Ja, gern.
sches Verhalten. Im Umwelthaushalt stellen Sie dann
Mittel zur Verfügung, um das einzudämmen. Das kön-
Otto Fricke (FDP): nen wir besser: Wir verzichten auf die nichtökologischen
Herr Kollege Kuhn, Sie haben eben gesagt, man solle Subventionen und leisten so einen realen Beitrag
Zahlen phrasenbefreit nennen. Dann haben Sie hier sehr
schön vorgetragen, dass es kritikwürdig sei, dass diese (Abg. Otto Fricke [FDP] nimmt wieder Platz)
Koalition – diese Kritik würde ich sogar annehmen – – Sie können ruhig stehen bleiben; ich bin mit der Ant-
noch keine Einzelsparvorschläge vorlege. Schließlich wort zu den Einsparungen noch nicht fertig –
haben Sie gesagt, Sie wollten jetzt einige Beispiele dafür
geben, was man machen könne. Allerdings haben Sie (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
(B) dann zur Überraschung aller aufseiten der Koalition zu einer ökologischen Umgestaltung und Neugestaltung. (D)
keine Beispiele für Einsparungen gegeben, sondern im
Gegenteil nur angesprochen, wo man mehr tun muss.
Deswegen würde ich mich, sicherlich gemeinsam mit Präsident Dr. Norbert Lammert:
den Kollegen von der Koalition, freuen, wenn Sie uns, Herr Kollege Kuhn, auch die Beantwortung von Zwi-
wenn Ihre Kritik berechtigt sein sollte, freundlichst ein schenfragen muss sich im Rahmen der Gesamtredezeit
paar Beispiele geben, wo Sie sparen würden, statt das der Debatte abspielen.
nur in Form von Phrasen zu tun.
Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
(Dr. Hans-Peter Friedrich [Hof] [CDU/CSU]:
Aber keine Steuererhöhungen, bitte!) Das verstehe ich.
(Dr. Hans-Peter Friedrich [Hof] [CDU/CSU]: Zum Zwei weitere Punkte. Sie diskutieren über eine
Beispiel? – Otto Fricke [FDP]: Beispiel!) Besteuerung von Boni, und zwar wieder nach der Me-
thode: Wir diskutieren ein bisschen mit, machen es aber
– Das gilt zum Beispiel für den Flugverkehr und die nicht. Das erleben wir übrigens auch bei der Finanz-
Ausnahmen bei der Ökosteuer. transfersteuer. Wir sind skeptisch, was die Bonisteuer
angeht, weil wir uns die Frage stellen: Könnte man im
(Dr. Hans-Peter Friedrich [Hof] [CDU/CSU]:
deutschen Unternehmensteuerrecht nicht einfach einfüh-
Steuererhöhungen, aha!)
ren, dass Gehälter über 500 000 Euro nicht mehr als Be-
Das sind Subventionen, die wir auf Dauer geben. triebsausgabe steuerlich abzugsfähig sind?
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 17. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Januar 2010 1491
Fritz Kuhn
(A) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (C)
sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. und bei der SPD sowie des Abg. Dr. Axel
Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]) Troost [DIE LINKE])
Schon wäre ein Haufen Geld in der Staatskasse, und wir Die Steuersenkungspolitik, die diese Koalition schon ge-
müssten uns nicht politisch damit auseinandersetzen, macht hat und die sie fortführen will, nimmt den Ge-
dass zusätzliche, oft unverdiente Zahlungen an die Spit- meinden die Investitionsspielräume, und sie schadet dem
zenverdiener für die Betriebe auch noch steuerlich ab- Bürgersinn, weil die Leute nicht mehr sehen können,
setzbar sind. Was meinen Sie, wie anders es zuginge, dass mit ihren Mitteln vor Ort etwas Vernünftiges ge-
wenn man den Betrieben dieses Steuergeschenk nicht macht wird. Das ist wirtschaftspolitisch schädlich. Des-
machen würde! Übrigens würde der Mittelstand über- wegen sage ich zum Abschluss: Zur Haushaltswahrheit,
haupt nicht darunter leiden. Wir würden mit dieser Maß- zu Vertrauen gehört auch, dass Sie endlich aufhören, die
nahme schon die Richtigen treffen. Gemeinden auszuplündern. Wir werden in den Haus-
haltsberatungen darauf achten, dass das endlich aufhört.
Ein Wort zum Einsparen, Herr Kollege: Was mich am
meisten bei der Diskussion in der Koalition erstaunt, ist, Ich danke Ihnen.
dass Sie einen Weg nicht gehen. Sie verstehen unter Ein-
sparen immer nur Wegstreichen. Viele von Ihnen hängen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
der Rasenmähertheorie an, auch manche Wirtschafts- und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der
institute. Ich stelle die Frage: Warum kann man nicht LINKEN)
durch kluge Reformpolitik in einzelnen Bereichen,
durch Effizienzsteigerung, durch Verbesserungen nach Präsident Dr. Norbert Lammert:
einer vernünftigen Aufgabenkritik zusätzliche Mittel Der Kollege Dr. Hans Michelbach ist der nächste
einsparen? Ich will Ihnen als Beispiel die Bundeswehr Redner für die CDU/CSU-Fraktion.
nennen. Wir brauchen die Kommissionen nicht nur, um
eine bessere und einsatzfähigere Bundeswehr zu bekom- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
men, sondern wir brauchen sie auch, weil wir die Frage
stellen müssen, ob wir im Haushalt für das, was die Bun- Dr. h. c. Hans Michelbach (CDU/CSU):
deswehr heute leisten muss, so viele Mittel bereitstellen
müssen. Sehr geehrter Herr Präsident! Kolleginnen und Kolle-
gen! Die Haushalts-, Finanz- und Steuerpolitik ist zwei-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) fellos das zentrale Themenfeld dieser Legislaturperiode.
Es geht um Krisenbewältigung und Konsolidierung,
(B) Brauchen wir eine Armee mit insgesamt 350 000 Leu- um eine Wiederholung der Krise zu verhindern. Dabei (D)
ten, darunter 250 000 Soldaten und 100 000 Zivilange- ist dieser Haushalt 2010 wahrlich eine Mammutaufgabe.
stellte, obwohl heute nur 8 000 Bundeswehrangehörige Naturgemäß gibt es in diesem Hohen Haus hierzu unter-
im Auslandseinsatz sind? Können wir nicht mehr Aufga- schiedliche Diskussionen und Wahrnehmungen.
ben im Rahmen der europäischen Wehr- und Sicher-
heitspolitik zwischen den Europäern aufteilen, sodass Für mich haben die Haushaltsdebatten in dieser Wo-
jedes Land Mittel einsparen kann? Wo ist die Strukturre- che klar gezeigt: Die Koalition hält Kurs zur Bekämp-
form? Vielleicht reichen 150 000 Soldaten; dann könn- fung der Krise, die Koalition hat eine klare Wachstums-
ten wir Mittel einsparen. Vielleicht können wir die Mit- strategie,
tel nicht in einem Haushaltsjahr einsparen, aber wir
können heute damit beginnen, mittelfristig Jahr für Jahr (Zuruf von der SPD: Was?)
Geld einzusparen und dennoch die Aufgaben der Bun- neue Ideen und Werte und setzt nicht auf Mangelverwal-
deswehr effektiver zu erfüllen. Das sind Einsparungen, tung. Die Koalition will, dass unser Land nicht auf dem
die wir vorschlagen, Projekte, die man in Angriff neh- Niveau der Krise verharrt, sondern möglichst schnell
men muss. Das ist etwas anderes als die liberale Spar- wieder vorankommt.
buchmethode, mit der Sie von der FDP etwas Wind
gemacht haben, wobei Sie aber in diesen Haushaltsbera- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
tungen keine wirklichen Sparmaßnahmen vorgeschlagen neten der FDP)
haben.
Ich bin deshalb dankbar, dass wir mit der Verabschie-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) dung des Bundeshaushalts neue Sicherheiten und Per-
spektiven für die Menschen in unserem Land schaffen.
Ich will einen letzten Punkt ansprechen. Eines werden Der Haushalt 2010 ist mutig, krisenentschärfend und
wir Ihnen, Herr Schäuble, nicht durchgehen lassen: Sie verantwortungsbewusst. Die Schutzschirme für Arbeit-
sprechen in vielen Reden die Subsidiarität an. Subsidia- nehmer und Betriebe, gerade auch für den Mittelstand,
rität bedeutet in den Worten von Thomas Jefferson, dass sind ohne Alternative, sie sind notwendig, und sie sind
man nur die Aufgaben auf die höhere Ebene verlagern das einzige Mittel, um möglichst schnell wieder das Ver-
sollte, die man auf der unteren Ebene nicht besser erledi- trauen der Menschen in unserem Land zu gewinnen.
gen kann. Aber wenn Sie Subsidiarität als Wert hochhal- Das ist die richtige Marschrichtung.
ten, dann müssen Sie die unteren Ebenen – das sind die
Gemeinden und die Kreise – mit den notwendigen Fi- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
nanzmitteln ausstatten. neten der FDP)
1492 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 17. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Januar 2010
(Christian Lange [Backnang] [SPD]: Das ist ja (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
kein Wunder bei Ihrer Rede! Es ist ja wirklich Ohne Krise wären wir in die richtige Richtung mar-
unerträglich!) schiert.
Sie sprechen von Einsparungen und meinen Steuererhö- (Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Die Rich-
hungen und mehr Ausgaben. Sie sind völlig von der tung stimmt sowieso!)
Rolle.
Es ist doch klar, dass die Höhe der jetzigen Neuverschul-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) dung aufgrund von Steuermindereinnahmen
Sie können doch nicht von Einsparungen sprechen, aber (Joachim Poß [SPD]: Durch Steuer-
mehr Ausgaben und mehr Steuereinnahmen meinen. Das geschenke!)
kann nicht aufgehen. Das ist widersprüchlich und wird
Ihnen nicht abgenommen. und aufgrund von zusätzlichen Finanzierungen im Rah-
men der Krise entstanden ist.
(Johannes Kahrs [SPD]: Das ist doch Unsinn, was
Sie da sagen! Das ist doch alles Quark!) Wir müssen auf Stabilität setzen und Stabilität im
(B) (D)
Euroraum sichern. Das ist ein wichtiger Punkt. Hier gilt
Wer ständig Kassandrarufe in die Welt setzt, den Wirt- es natürlich, nicht nur national die Schuldenbremse im
schaftsstandort schlechtmacht und die Menschen da- Grundgesetz einzuhalten, sondern auch innerhalb des
durch verunsichert, wird keine Früchte ernten. europäischen Raums im Verbund Stabilität zu sichern.
Wir stehen zum Stabilitäts- und Wachstumspakt, den wir
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- gegen Ihre Interessen und Meinungen unter Bundes-
neten der FDP – Christian Lange [Backnang] finanzminister Theo Waigel durchgesetzt haben.
[SPD]: Nicht so ein Geschrei! Das ist kein Ar-
gument!) (Beifall bei der CDU/CSU – Johannes Kahrs
[SPD]: Da klatscht noch nicht einmal die FDP! –
Die Menschen vertrauen darauf, dass eine erfahrene Bernd Scheelen [SPD]: Das war der Schulden-
und durchsetzungsfähige politische Persönlichkeit wie könig!)
unser Bundesfinanzminister Dr. Wolfgang Schäuble
diese Mammutaufgabe in Zusammenarbeit mit dieser Es schafft Vertrauen und Zukunftsfähigkeit, wenn wir in
christlich-liberalen Koalition meistern wird. Zukunft die europäische Stabilität sichern.
(Christian Lange [Backnang] [SPD]: Mit dem Haus- Meine Damen und Herren, um die Wachstumsstrate-
halt 2010 hat er es noch nicht geschafft!) gie voranzubringen, gilt es natürlich auch, die Höhe der
Investitionen stabil zu halten und die Investitionskraft zu
Diese neue Vertrauensbasis ist das höchste Kapital in fördern. Dazu gehört für mich, dass wir die Investitionen
dieser Krise. wieder in ein angemessenes Verhältnis zur Nettokredit-
(Johannes Kahrs [SPD]: Habt ihr schon aufnahme bringen. Dazu ist eine zweiläufige Finanz-
verspielt!) politik, auf die dieser Haushalt und die mittelfristige
Finanzplanung angelegt sind, notwendig, und zwar
Er hat verdeutlicht, dass die Nettokreditaufnahme im Zweiläufigkeit insofern, als wir sowohl investieren als
Jahre 2010 bitter ist, weil die Schulden von heute die Be- auch konsolidieren. Dies geht nur, indem wir die Real-
lastungen von morgen sind. wirtschaft fördern. Die Entscheidung darüber, ob wir un-
(Johannes Kahrs [SPD]: Aber das sind Ihre seren Wohlstand erhalten und neue Perspektiven für Bil-
Schulden!) dung und Forschung schaffen, fällt in der Realwirtschaft.
Unsere Realwirtschaft benötigt dazu Förderung und
Er hat auch deutlich gesagt, dass die Konsolidierung Leistungsanreize. Das bringt uns letzten Endes auf den
angegangen wird, Konsolidierungspfad.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 17. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Januar 2010 1493
Dr. h. c. Hans Michelbach
(A) Die Leistungsbereitschaft kann nur im Rahmen einer (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) (C)
Steuerstrukturreform mit Vereinfachung und mehr Ge-
Es ergeht der Aufruf an die verantwortlichen Markt-
rechtigkeit gefördert werden. Mit den Korrekturen bei
teilnehmer, dass sie Risiko und Haftung übernehmen
der Unternehmen- und Erbschaftsteuer sowie bei der Fa-
müssen. Es ist wichtig, dass wir eine neue Wirtschafts-
milienförderung haben wir schon jetzt einen wesentli-
ethik voranbringen, die beinhaltet, dass Risiko und Haf-
chen ersten Schritt in die Zukunft gemacht. Dieser Weg
tung zusammengehören. Es darf nicht sein, dass an den
muss weitergegangen werden; denn nur allein über Leis-
Finanzmärkten Anreize geschaffen werden, Geschäfte
tungsanreize ist eine Konsolidierung der öffentlichen
mit hohen Risiken und mit entsprechenden Ertragschan-
Finanzen möglich.
cen zu tätigen, bei denen die Gewinne privatisiert, aber
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- etwaige Verluste sozialisiert werden.
neten der FDP)
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Wir liegen jetzt bei einer Steuerquote von über
24 Prozent – der Kollege Schneider hat von 25 Prozent Herr Kollege Michelbach.
gesprochen – gemessen am Bruttoinlandsprodukt. Das
ist ein Höchststand; so hoch war diese Quote noch nie. Dr. h. c. Hans Michelbach (CDU/CSU):
Wir müssen schrittweise auf eine Steuerquote von Herr Präsident, ich habe verstanden.
22 Prozent zurückkommen. Damit würden wir interna-
Die Koalition ist auf einem guten Weg, zum Wohle
tional in der Mitte liegen. Das würde uns als großer In-
der Menschen unseres Landes voranzukommen. Diese
dustrienation gut anstehen. Die Denkart, dass das Geld
Koalition hat ein besseres Konzept für die Zukunft mit
der Bürger automatisch dem Staat zusteht, ist doch nicht
den Schwerpunkten Wachstum, Beschäftigung, Wohl-
richtig. Zunächst gehört dieses Geld den Bürgern und
stand, Konsolidierung und Krisenbekämpfung. In die-
nicht dem Staat. Das kennzeichnet das grundsätzliche
sem Sinne ist dieser Haushalt ein neuer und guter Weg.
Verhältnis der Bürger zum Staat.
Vielen Dank.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
der FDP) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Wenn Sie sagen, die Reichen müssten immer mehr
Leistungen für diesen Staat erbringen, dann muss ich Ih- Präsident Dr. Norbert Lammert:
nen deutlich sagen: Sie können diese Schraube auch Nun hat die Kollegin Petra Merkel das Wort für die
überdrehen. 50 Prozent der oberen Hälfte der Steuerzah- SPD-Fraktion.
(B) ler zahlen über 90 Prozent des gesamten Steueraufkom- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (D)
mens in Deutschland. Das sind die Leistungsträger und
die Leistungswilligen. Diese können Sie nicht laufend
Petra Merkel (Berlin) (SPD):
bestrafen. Das ist eine falsche Politik, die ins Abseits
führt. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Ich will drei Gedanken auf-
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und greifen, die in dieser Woche bei der Diskussion um den
der FDP) Haushalt 2010 eine Rolle gespielt haben. Richtig, es ist
der erste Haushalt, den die neue schwarz-gelbe Regie-
Natürlich ist das Verhältnis der Bürger zum Staat auch rung vorgelegt hat, und er lässt durchaus ihre Hand-
unter der Maßgabe „Arbeit muss sich lohnen“ zu sehen. schrift erkennen, zum Beispiel bei diesem sogenannten
Das ist ein ganz wesentlicher Punkt. 100 000 weniger Wachstumsbeschleunigungsgesetz. Diese 10 Milliarden
Arbeitslose erbringen eine Finanzverbesserung im Be- Euro hätten Sie sich sparen können, und sie schaffen
reich der öffentlichen Kassen von 2 Milliarden Euro. auch kein Vertrauen. Ich bin sicher, dass viele Kollegin-
Daran sieht man, dass die Bekämpfung der Massen- nen und Kollegen, aber auch viele Bürgerinnen und Bür-
arbeitslosigkeit sich für die öffentliche Hand sehr positiv ger wissen, dass das dicke Ende noch kommt,
auswirkt. An dieser Stelle muss man ansetzen. Man darf
aber nicht – andersherum – die Schraube immer fester (Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]: Mal
drehen und letzten Endes überdrehen. Ich halte es daher abwarten!)
für richtig, dass wir unter Beachtung ökonomisch wich- und zwar spätestens dann, wenn Sie, Herr Finanzminis-
tiger Grundsätze die Realwirtschaft weiterhin fördern. ter Schäuble, am 30. Juni dieses Jahres den Haushalt für
Es gibt natürlich Probleme am Finanzmarkt. Un- das Jahr 2011 mit der mittelfristigen Finanzplanung im
sere Unternehmen klagen über Finanzierungsprobleme. Kabinett beschließen werden. Herr Finanzminister
Das Leistungsvermögen unserer Betriebe kann aber nur Schäuble, bis zum Sommer sind es gerade einmal noch
mit einer Sicherung der Finanzierung gefördert werden. fünf Monate. Dass Sie aber die Karten noch nicht auf
Die Zeche im Hinblick auf die Bankenkrise darf natür- den Tisch legen und nicht sagen, wo Sie Kürzungen vor-
lich nicht die Realwirtschaft zahlen, nehmen wollen, hängt ganz offensichtlich mit dem
Wahltermin in NRW zusammen. Das wissen ja alle.
(Zuruf von der SPD: Wer dann?)
Sie können sich auch nicht mit der Behauptung retten,
und vor allen Dingen darf es nie wieder zu einer Wieder- die Steuerschätzung im Mai abwarten zu müssen. Sie
holung einer solchen Krise kommen. wissen als alter Fuchs genau, wie es um die Finanzen
1494 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 17. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Januar 2010
Sollte sie trotz eines Beitragssatzes zur Arbeitslosen- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
versicherung von 3,0 Prozent krisenbedingt noch zu ei- neten der FDP)
nem Defizit führen, werden wir zu entscheiden haben, Es tut mir furchtbar leid: Wenn Sie das, was ich hier
ob wir im Jahre 2011 noch einen Zuschuss gewähren. sage, mit dem Wort „Vernebelungstaktik“ bezeichnen
Diese Entscheidung werden wir auf Basis derselben Ar- wollen, dann haben Sie den Ernst der Zeit nicht verstan-
gumente wie in diesem Jahr treffen; so weit zu Ihrer den.
Frage. Über alles Weitere diskutieren wir im Juni dieses
Jahres. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Es geht um das, was Sie tun! Ihre Auf-
Was werden wir jetzt tun? Die Bundeskanzlerin hat regung ist auch armselig!)
am Mittwoch gesagt – angesichts Ihrer Kritik ist es
wichtig, das gelegentlich zu wiederholen –: Es gilt das – Die ist nicht armselig. Ich wehre mich einfach dage-
Grundgesetz. Die Schuldenbremse des Grundgesetzes gen, Frau Kollegin Künast, weil ich finde, dass es auch
ist die Leitplanke. – Das ist innerhalb der Koalition völ- in schwierigen Zeiten möglich sein muss – bei allem
lig selbstverständlich. Das muss eigentlich auch nicht politischen Streit, der ja die Grundlage unserer freiheitli-
1500 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 17. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Januar 2010
– Frau Kollegin Künast, ich habe mich jetzt nur mit de- Bei vielen Dingen ist man im Nachhinein schlauer;
nen auseinandergesetzt, die Zwischenrufe gemacht ha- ich bin heute bei diesen Dingen schlauer. Andere Dinge
ben. Sie sagen selber: Ich soll darauf nicht reagieren. Da kann man aber voraussehen. Sie hätten gut voraussehen
haben Sie auch wieder recht. Am besten sind Sie still; können, dass bei Ihren Subventionen für Hotelbesitzer
dann muss ich nicht reagieren. diejenigen jubeln, die begünstigt sind, und die anderen
sich überlegen, dass sie diese 1 Milliarde Euro auch hät-
(Beifall des Abg. Dr. h. c. Jürgen Koppelin ten gut gebrauchen können. Das hätte man voraussehen
[FDP] – Christian Lange [Backnang] [SPD]: können, und damit hätten Sie sich viel Ärger ersparen
So eine Arroganz!) können.
Ganz im Ernst – ich will das in aller Eindringlichkeit (Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]: Sie haben es
sagen –: Wir werden alle diese Aufgaben im föderalen doch gefordert!)
Verbund, Bund, Länder, Kommunen, bewältigen müs-
sen. Wir werden uns daran gewöhnen müssen, dass man- Inzwischen gibt es schon Verbände, die fordern, dies zu-
che Dinge, die selbstverständlich geworden sind in Jahr- rückzunehmen.
zehnten wachsenden Wohlstands und sozialer Sicherheit Man könnte das Gefühl bekommen, dass es bei der
– und in wachsender gesetzgeberischer und administrati- FDP möglich ist, eine Zustimmung zu bekommen, wenn
ver Perfektion; das nennt man normalerweise, ein biss- man nicht wie wir für Mindestlöhne auf die Straße geht
chen vereinfacht, Bürokratisierung –, auf den Prüfstand und Unterschriften sammelt, sondern wenn man einfach
gestellt werden müssen. Aber das muss man Schritt für Geld sammelt und sich dann die Zustimmung einkauft.
Schritt machen. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, Sie Auf diese Idee könnte man bei Ihnen kommen.
(B) wissen selber – Sie versuchen auf diesem Klavier ja auch (D)
ein bisschen zu spielen –: Jede Veränderung an einem (Beifall bei der SPD)
liebgewonnenen Besitzstand muss sorgfältig begründet
und erläutert sein, wenn sie die Chance haben soll, zu- Die Spendenkrise der FDP ist allerdings gegenüber
stande zu kommen. der Krise, die wir in unserem Land haben, zu vernachläs-
sigen. Da gebe ich Ihnen, Dr. Schäuble, ausdrücklich
Man wird diese Regierung am Ende nicht daran mes- recht. Wir haben schwierige Zeiten. Einen Versuch der
sen, was für Vorschläge sie gemacht hat, sondern daran, Beschreibung dieser Zeiten hat die Kanzlerin am
was sie zustande gebracht hat. Dieser Aufgabe stellen 10. November – leider ist sie jetzt nicht mehr hier – in
wir uns gemeinsam. Die Leitplanken, die wir uns gege- ihrer Regierungserklärung vorgenommen. Der Weg aus
ben haben, sind das, was im Koalitionsvertrag steht, das, der Krise führt in ihrer Rede viermal über Nachhaltigkeit
was in der Regierungserklärung gesagt worden ist, aber und 17-mal über Wachstum.
auch das, was in dieser Debatte gesagt worden ist. Dafür
bitte ich Sie alle um Ihre Unterstützung. (Zuruf von der FDP: Das ist doch richtig!)
Der Sprachschatz von Minister Brüderle beschränkt sich
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
eigentlich ausschließlich auf Wachstum; deswegen
braucht man bei ihm auch nicht so viel zu zitieren.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Das Wort erhält nun die Kollegin Arndt-Brauer für Vielleicht haben einige der älteren Anwesenden noch
die SPD-Fraktion. im Kopf: Es gab einen Club of Rome, der 1972 eine Stu-
die in Auftrag gegeben hat. Deren Ergebnis war das
(Beifall bei Abgeordneten der SPD) Buch Grenzen des Wachstums. Im Jahre 2004 gab es ein
30-Jahre-Update dieser Studie. Immer noch – man
Ingrid Arndt-Brauer (SPD):
glaubt es kaum – gibt es Grenzen des Wachstums:
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In dieser (Beifall bei der SPD)
Schlussrunde zum Haushalt halte ich heute meine erste
Rede in der Opposition, aber ich will nicht so tun, als sei Grenzen im Flächenverbrauch, Grenzen im Umweltver-
ich hier neu. brauch, Grenzen vielfältiger Art und Weise. Würden all
diese Grenzen über Bord geworfen und forderten wir
(Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Das überall 10 Prozent Wachstum ein, dann wäre diese Re-
ist schon einmal ein guter Anfang!) publik, glaube ich, nicht mehr lebenswert.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 17. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Januar 2010 1501
Ingrid Arndt-Brauer
(A) Ebenfalls gerne in den Mund genommen werden die wurden. Das Konjunkturpaket II zum Beispiel ist in den (C)
Worte „Generationengerechtigkeit“ und „Verantwor- Kommunen sehr gut angekommen. Dafür werden wir
tung für nachfolgende Generationen“. Ich bin SPD-Spre- gelobt. Das waren Investitionen in die Zukunft, bei-
cherin im Beirat für nachhaltige Entwicklung. Dort spielsweise in Schulen und energetische Erneuerung.
haben wir eine Überprüfung der Gesetzgebung der Bun- Das war eine gute Sache. Nicht alles, was aus Berlin
desregierung im Hinblick auf die Folgen für nachfol- kommt, schadet den Kommunen; es kann für die Kom-
gende Generationen beschlossen. Das heißt, wir werden munen auch segensreich sein. Was aber schadet, ist,
prüfen, welche Auswirkungen Gesetze für Generationen Wachstum um jeden Preis.
haben, die nach uns kommen. Beim Wachstumsbe-
schleunigungsgesetz war dies leider noch nicht möglich; Ich möchte auf den vorliegenden Haushalt zurück-
das wäre auch durchgefallen, ganz klar. kommen. Als Finanzpolitikerin liegt mir weniger an der
Ausgabenseite als an der Einnahmeseite. Diese ist mei-
Aber wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass ner Meinung nach unbedingt zu stärken. Bei einer Neu-
auch so etwas wie ein Ausstieg aus dem Atomausstieg verschuldung von knapp 86 Milliarden Euro frage ich
nicht zu verantworten ist. mich, ob wir auf Dauer mit Ausgabenkürzungen aus-
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ kommen. Ich finde diesen Ansatz geradezu lustig. Er er-
DIE GRÜNEN) innert mich an eine Diät, bei der man sich vornimmt: Ab
nächsten Montag esse ich weniger, aber dieses Wochen-
Wer dies nicht glaubt, kann gern in meinen Wahlkreis ende haue ich noch einmal richtig rein.
kommen, wo es gestern in einer Urananreicherungsan-
lage einen Unfall mit schlimmen Folgen für einen Mit- (Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Das sollten
arbeiter gab. Diese Industrie ist nicht so sicher, wie Sie Sie nicht tun!)
es sich wünschen. Vor allen Dingen ist sie unter dem Ge-
So kommt mir das, was Sie vorhaben, vor: Erst kommt
sichtspunkt der Nachhaltigkeit nicht verantwortbar.
die Neuverschuldung, und dann will man sie langsam
Wir können uns jetzt darüber streiten, Herr abbauen. Ich kann Ihnen aber versichern, dass solche Di-
Dr. Schäuble, ob die 10 Milliarden Euro verschleudert äten meistens wirkungslos sind. Es hilft nur, wenn man
wurden oder nicht. Wir denken eher, man hätte sie an- sich vornimmt, sofort abzunehmen.
ders ausgeben können oder gar nicht ausgeben sollen.
Große Erbschaften zu entlasten war ein Fehler. (Beifall bei der SPD – Bartholomäus Kalb
[CDU/CSU]: Dann bekommen Sie eine Ma-
(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem genverstimmung!)
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
(B) Viele verweisen darauf, dass wir ohne die Finanz- und (D)
Auch war die Erhöhung der Freibeträge für Kinder ein Wirtschaftskrise ein Haushaltsvolumen von 300 Milliar-
Fehler. den Einnahmen ohne Neuverschuldung hätten. Das nützt
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten uns aber nichts. Es gibt diese Krise; und ich bin sehr froh
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) darüber, dass wir ab 2011 eine Schuldenbremse haben.
Sonst würde das Ganze nämlich noch schlimmer wer-
Die Kindergelderhöhung haben wir im Finanzaus- den.
schuss abgekoppelt, sodass wir ihr zustimmen konnten,
weil wir wollten, dass die Schere zwischen armen und Wie gesagt, in jeder guten Familie würde man versu-
reichen Kindern zusammen- und nicht auseinandergeht. chen, die Einnahmeseite zu stärken.
Wir sind ausdrücklich dafür gewesen, weil der SPD je-
(Otto Fricke [FDP]: Ja? Wie macht man das?)
des Kind gleich viel wert ist.
(Beifall bei der SPD) Dazu gibt es viele Vorschläge; meine Kollegin Petra
Merkel hat schon darauf hingewiesen. Es gibt Steuern,
Diese Kinder wie auch nachfolgende Kinder wohnen die noch gar nicht ausgeschöpft wurden. Eine andere
hauptsächlich in Kommunen. Diese Kommunen haben Möglichkeit haben viele schon wieder vergessen. Wir
Steuermindereinnahmen von 2,1 Milliarden Euro. Das hatten ein Steuervergünstigungsentlastungsgesetz vor.
ist sehr bedauerlich und wird die Lebensqualität dieser Wir wollten Steuervergünstigungen abbauen. Unser
Kinder ziemlich einschränken. Die Lebensqualität der Koalitionspartner hat aber leider nicht mitgemacht. Des-
Eltern wird durch die zu erwartende Gebührenerhöhung wegen mussten wir die Mehrwertsteuer erhöhen. Dem
und durch Privatisierungen eingeschränkt, die notwen- Staat fehlte Geld, und unser damaliger sehr verantwor-
dig sein werden, um vermeintlich Gehälter oder andere tungsvoller Finanzminister war der Meinung, dass eine
Gelder einzusparen. Dadurch werden sozialversiche- Mehrwertsteuererhöhung notwendig war, um die Ein-
rungspflichtige Arbeitsplätze gefährdet und vielleicht nahmen zu steigern.
sogar vernichtet. Da hilft es nicht viel, mehr netto vom
Brutto zu fordern. Es wird auch die FDP-Mitglieder Ich befürchte übrigens, dass Sie die Abschaffung der
nicht trösten, dass sie aufgrund ihrer Mitgliedschaft ei- Umlagefinanzierung im Rahmen der Gesundheits-
nen leichteren Zugang zur PKV haben. Auch dort wer- reform nicht nach dem Grundsatz „Die Starken tragen
den höhere Beiträge gezahlt werden müssen. mehr“ durch eine Einkommensteuererhöhung, sondern
über eine Mehrwertsteuererhöhung finanzieren werden.
Anzumerken ist, dass es in letzter Zeit durchaus sinn-
volle und gute Investitionen gab, die vom Bund initiiert (Florian Toncar [FDP]: Das ist frei erfunden!)
1502 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 17. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Januar 2010
Ingrid Arndt-Brauer
(A) Damit würden die Schwachen über den Konsum den Wir haben mit dem Wachstumsbeschleunigungs- (C)
größten Teil Ihrer Einnahmen in den Umverteilungstopf gesetz begonnen, dessen Elemente Punkt für Punkt in
zahlen. Das wäre furchtbar. unserem Wahlprogramm enthalten sind. Es ist hochinte-
ressant und sagt viel über Sie selber aus, dass Sie uns
Ich bin gespannt, was noch auf uns zukommt. Als ich
ausgerechnet das vorwerfen. Wir haben jedenfalls das,
in den 80er-Jahren studiert habe, gab es schon Wissen-
was in unserem Programm steht, umgesetzt. Kollege
schaftler, die die Meinung vertreten haben, dass durch
Schneider, Sie haben heute gesagt, es handele sich um
Steuersenkungen Mehreinnahmen erzielt würden, weil
Steuersenkungen für wenige Reiche. Sie wissen genauso
die Menschen eine größere Motivation zum Arbeiten
gut wie ich, dass der wesentliche Teil, über die Hälfte,
hätten. Das hat ein amerikanischer Präsident, der in ers-
der Entlastungen durch dieses Gesetz auf die Erhöhung
ter Linie künstlerisch ausgebildet war, geglaubt und sein
des Kindergeldes, und zwar zu über 90 Prozent, und des
Land fast in den Ruin getrieben. Diesen Weg 30 Jahre
Kinderfreibetrags entfällt.
später selber einzuschlagen, ist ein Feldversuch, den wir
uns nicht leisten sollten. (Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten 1,8 Millionen Kinder kriegen nichts!)
der LINKEN) Ich mache Ihnen folgenden Vorschlag: Wir beide neh-
Die Wähler in NRW haben es begriffen. Ihre Wähler men uns nächste Woche einen Tag, um gemeinsam in
bei der letzten Wahl können ihre Entscheidung zurzeit unsere Wahlkreise zu fahren. Ich suche eine Familie aus
nicht revidieren. Ich kann nur raten, als Lobbyist tätig zu meinem Wahlkreis, und Sie eine aus Ihrem. Dann klären
werden. Dann kann man vielleicht etwas ausrichten. An- wir, ob es sich bei diesen Familien um die wenigen Rei-
sonsten muss man das Ganze im Blick behalten. chen handelt, von denen Sie gesprochen haben. Was
hierzu von Ihnen kommt, halte ich für eine völlige Ver-
Ich hoffe, NRW wirkt nach der Wahl neutralisierend, zerrung dessen, was wir machen.
was die Gesetzgebung in Bundesrat und Bundestag be-
trifft. Dann hätten wir nicht den ganzen Blödsinn vor (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU –
uns, der Ihnen im Kopf herumschwirrt. Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Hartz-IV-Kin-
der!)
Manche Redner kommen mit einem Motto oder ei-
nem Zitat zum Schluss. Hier ist häufig vom nachhaltigen Nun zur Sache mit den Hotels, die in keiner Rede ge-
Wachstum die Rede. Wachstum ist, wie ich schon ausge- fehlt hat. Sie sind schon am Dienstag vorgeführt worden,
führt habe, nicht immer nachhaltig. Wir sollten verant- als deutlich wurde, dass Sie alle mit der Forderung nach
wortungsvolle Politik machen und eine wachsende Senkung des Mehrwertsteuersatzes zugunsten der Hote-
(B) Nachhaltigkeit an den Tag legen. Das wäre, glaube ich, liers an unterschiedlichster Stelle durch die Republik ge- (D)
besser. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen gute Beratun- tourt sind; das wurde am Dienstag sehr klar.
gen und in einigen Wochen ein besseres Ergebnis als
das, was bisher vorliegt. (Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Lassen Sie mal das Hotel im Dorf!)
Danke schön.
Aber auffällig und interessant ist das, was in den letzten
(Beifall bei der SPD)
vier Tagen bei der SPD passiert ist. Der Kollege
Schneider sagt noch am Dienstag: Wir hätten anstelle
Präsident Dr. Norbert Lammert: der Verabschiedung des Wachstumsbeschleunigungsge-
Florian Toncar hat nun das Wort für die FDP-Frak- setzes die Schulden reduziert. Am Abend des gleichen
tion. Tages sagt Herr Scholz: Für das Geld, das durch diese
(Beifall bei der FDP) Mehrwertsteuersenkung verloren geht, hätten wir mehr
Polizisten eingestellt. Am nächsten Tag sagt Herr
Steinmeier: Ich hätte das Geld für Bildung verwendet.
Florian Toncar (FDP): Am Mittwochnachmittag sagen Ihre Verbraucherschüt-
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die zer: Wir hätten das Geld in den Verbraucherschutz ge-
Haushaltswoche neigt sich dem Ende zu. Es ist gut, dass steckt. Am Donnerstag haben Ihre Familienpolitiker ge-
es so etwas gibt. sagt: Dieses Geld wäre bei den Familien besser
(Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- aufgehoben gewesen.
NEN]: Das Ende!) (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Das sind
Ich glaube, diese Haushaltswoche hat deutlich gemacht, die Fachpolitiker!)
welche Alternativen hier im Haus zur Wahl stehen und
Heute Morgen hat Kollege Pronold in der Debatte über
aufeinanderstoßen. Ich möchte die letzten vier Tage wie
den Verkehrshaushalt gesagt: Das Geld fehlt zukünftig
folgt zusammenfassen. Sie fragen: Was braucht der
für Verkehrsinvestitionen. – Das ist bemerkenswert: In
Staat, um diese Krise zu bewältigen? Wir fragen aber
vier Tagen – ich habe übrigens nicht alle Debatten ver-
auch: Was brauchen die Bürger, um diese Krise zu be-
folgt – haben Sie das Geld sechsmal ausgegeben. Nichts-
wältigen? – Das ist der Unterschied, der in dieser Woche
destotrotz erzählt uns Ihr Fraktionsvorsitzender etwas
deutlich geworden ist.
von den Grundrechenarten. Ich glaube, mehr muss man
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) dazu nicht bemerken.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 17. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Januar 2010 1503
Florian Toncar
(A) (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – – Die Kommunen haben durch das Wachstumsbeschleu- (C)
Bettina Hagedorn [SPD]: Es wäre überall bes- nigungsgesetz Ausfälle von rund 870 Millionen Euro,
ser angelegt als bei Hotels! – Alexander Bonde Kollege Kuhn.
[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hat Möven-
(Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
pick Ihnen dieses Argument aufgeschrieben?)
Nein, 1,6 Milliarden!)
Dieser Haushalt zeichnet sich nicht dadurch aus, dass
wir beste Voraussetzungen mitbekommen haben. Sie Das ist der richtige Betrag. – Man muss eines sehr deut-
lich sagen: Die Ausfälle bei den Kommunen – sie sind
werfen uns beispielsweise vor, dass wir zusätzlich 4 Mil-
nicht zu leugnen – resultieren zurzeit vor allem daraus,
liarden Euro in den Gesundheitsfonds pumpen müssen.
Dabei handelt es sich bei diesem Fonds um eine der his- dass viele Gewerbesteuerzahler keinen Gewinn machen
und daher keine Gewerbesteuer zahlen. Das ist die Ursa-
torischen Fehllenkungen, die die schwarz-rote Koalition
che dafür, dass es einigen Städten und Gemeinden im
in der letzten Legislaturperiode beschlossen hat. Fal-
scher kann man es nicht machen. Aber dass Sie uns nun Land hundsmiserabel geht. Das hat aber mit dem Wachs-
tumsbeschleunigungsgesetz nun wirklich nichts zu tun.
vorwerfen, dass wir die Löcher stopfen, die Sie uns im
Oktober übergeben haben, schlägt dem Fass wirklich (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU –
den Boden aus. Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
(Beifall bei der FDP) NEN]: Fragen Sie doch mal Ihre Bürgermeis-
ter! Ihre eigenen Landräte erzählen das blanke
Die Bürgerinnen und Bürger wissen, wofür dieses Geld Gegenteil!)
eingesetzt wird, nämlich um Schäden zu beheben, die
uns übergeben worden sind. Übrigens sind die Beitrags- Ich denke, wir sollten dieses Gesetz nicht für alles ver-
zahler gerade im Gesundheitswesen höher belastet denn antwortlich machen, was es an Problemen gibt, nur um
je. Beim Thema Lohnzusatzkosten brauchen wir also es politisch zu zerreden. Wir werden die Situation der
auch nicht unbedingt Ratschläge von Ihrer Seite. Kommunen mit den Betroffenen angehen. Aber das poli-
tisch auszuschlachten, weil einem der 27. September
Wir werden unseren Weg weitergehen. Wir haben 2009 noch in den Knochen steckt, kann nicht der richtige
dazu klare Vereinbarungen im Koalitionsvertrag. Natür- Weg sein.
lich werden auch die Bestimmungen der Schulden-
bremse eingehalten. Ich will auf einen Umstand hinwei- Präsident Dr. Norbert Lammert:
sen, der in den Diskussionen immer zu kurz kommt. Herr Kollege!
Natürlich können Steuersenkungen kurzfristig zu Steu-
ereinnahmeausfällen führen, obwohl sie die wirtschaftli-
(B) Florian Toncar (FDP): (D)
che Tätigkeit anregen, Leistungsanreize fördern und
dazu führen, dass Schwarzarbeit sich weniger rentiert Wir werden nach dieser Haushaltswoche erfolgreich
und dadurch abnimmt. Aber das Wachstum, das durch weiterregieren.
Steuersenkungen erzeugt wird, hat nicht nur einen Effekt (Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
auf die Einnahmen, sondern auch auf die Staatsausga- Ihre sechs Minuten sind um!)
ben. Dieser Punkt wird immer wieder vergessen.
Wir werden den Haushalt gut beraten und dann beschlie-
(Beifall des Abg. Leo Dautzenberg [CDU/ ßen.
CSU])
Ich danke Ihnen herzlich für Ihre Aufmerksamkeit.
In diesem Haushalt werden überwiegend Löcher, hervor-
gerufen durch Beitragsausfälle in den Sozialsystemen, (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
mit Steuermitteln gestopft. Wenn wir mehr Beitragszah-
ler und damit auch mehr Steuerzahler haben, dann be- Präsident Dr. Norbert Lammert:
deutet das, dass die Sozialversicherungen höhere Bei- Der Kollege Norbert Brackmann hat nun das Wort für
tragseinnahmen und weniger Löcher haben und dass die die CDU/CSU-Fraktion.
Steuerzuschüsse nicht mehr benötigt werden, ohne dass
das Auswirkungen auf die Leistungen der Sozialver- (Beifall bei der CDU/CSU)
sicherungen hat. Diesen Zusammenhang lassen Sie im-
mer weg. Ich weise auf diesen ausdrücklich hin. Norbert Brackmann (CDU/CSU):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Mitten in der schwersten Finanzkrise der Nachkriegs-
Ganz besonders interessant – das will ich zum Ab- geschichte haben sich die Menschen in Deutschland
schluss noch sagen – ist Ihre Argumentation zur Finanz- ganz bewusst für eine christlich-liberale Mehrheit ent-
lage der Kommunen. Wir nehmen die Sorgen der Kom- schieden. Die Menschen wollen nämlich eine verantwor-
munen sehr ernst. Der Minister hat angekündigt, dass tungsvolle Regierung. Sie wollen klare Perspektiven für
mit den Kommunen sehr bald Gespräche geführt und den Weg aus der Krise, und sie haben soziale Sicherheit
dass wir gemeinsam einen Konsens suchen werden. gewählt.
(Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Menschen spüren, was das Abhandenkommen
Sie haben sie erst mal mit 1,6 Milliarden Euro von Wertvorstellungen bedeutet. Die Gier bei etlichen
belastet!) Marktteilnehmern hat uns nämlich in die Krise geführt.
1504 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 17. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Januar 2010
Norbert Brackmann
(A) Trotz mancher populistischer Forderung aus den Reihen getan, und das werden wir auch mit dem Bundeshaus- (C)
der heutigen Opposition nach mehr Staat ist dem eine halt 2010 tun.
klare Absage erteilt worden. Die Bürger haben bürgerli-
Bildung und Forschung, einer der Schwerpunkte,
che Werte gewählt, weil sie glauben, dass wir damit aus
haben in diesem Bundeshaushalt hohe Priorität. Wir stei-
dieser Situation besser herauskommen.
gern die Ausgaben um 1,2 Milliarden Euro im Vergleich
(Beifall bei der CDU/CSU) zu 2008 und um 700 Millionen Euro im Vergleich zu
2009. Im letzten Haushalt vor Einsetzen der Schulden-
Diese Werte stehen nicht für soziale Kälte und mangeln- bremse zeigen wir damit auf, wo wir in Deutschland
des Miteinander, sondern für gegenseitige Verantwor- neue Perspektiven für die Menschen sehen und realisie-
tung. ren wollen. Wir, die christlich-liberale Koalition, blicken
nicht nur in die Zukunft des Landes, sondern wir werden
Dem ist auch so. Das erste Haushaltsgesetz, das Ihnen sie auch gestalten. Das Beste, was wir für die Zukunft
diese Koalition heute als Entwurf vorlegt, ist davon ge- unseres Landes tun können, ist, heute die richtigen Ent-
prägt, dass über 50 Cent jedes einzelnen Euro, den der scheidungen zu treffen.
Bund ausgeben wird, Sozialausgaben sind. Ich wieder-
hole es: Über 50 Cent von jedem Euro gehen in Sozial- In die Zukunft unseres Landes zu investieren und
ausgaben. Das sind, um Ihnen die gewaltige Dimension nicht die Zukunft unseres Landes zu verkonsumieren,
vor Augen zu führen, knapp 177 Milliarden Euro für so- bedeutet aber auch, den Blick auf die Gegenwart zu rich-
ziale Zwecke, für Leistungen der Rentenversicherung, ten. Wir befinden uns im Jahre 2010 immer noch in der
des Arbeitsmarkts und der Krankenkassen. Das sind, um schwersten Wirtschaftskrise der Nachkriegszeit. Deshalb
es als Zeitreihe darzustellen, 36 Milliarden Euro mehr war es richtig, nicht in die Krise hineinzusparen, sondern
als im Haushalt 2008 und 24 Milliarden Euro mehr, als zu investieren, steuerliche Belastungen zu senken und
im Haushalt 2009 vorgesehen waren. Der Bundeshaus- Wachstumsimpulse zu setzen.
halt 2010 ist wie kein anderer vor ihm von sozialen Leis- Wenn wir aus der Krise herauskommen wollen, dann
tungen für unsere Bürgerinnen und Bürger geprägt. müssen wir in diesem Jahr ein besonders schmerzhaft
54 Prozent des Gesamthaushaltes werden für soziale hohes Defizit von rund 86 Milliarden Euro hinnehmen.
Leistungen aufgewendet. Soziale Wärme, nicht soziale
Kälte ist daher die Wahrheit dieses Bundeshaushaltes. (Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN]: Plus die Schattenhaushalte!)
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
Dieses Defizit ist über die vergangenen vier Tage von
neten der FDP) vielen in diesem Hause kritisch angesprochen worden.
(B) Lieber Herr Kollege Schneider, bemerkenswert an Ih- Auf der anderen Seite aber wurden immer wieder Mehr- (D)
rer Rede war, dass Sie gar nicht von Minderaufwendun- ausgaben gefordert. Frau Merkel, Sie waren vorhin die
gen im sozialen Bereich oder von sozialer Kälte spre- Erste, die hier deutlich gesagt hat: Von den Steuermin-
chen. Vielmehr monieren Sie, dass dieser Haushalt nicht dereinnahmen, von den Steuerausfällen von 43 Milliar-
genügend Perspektiven und Initiativen für mehr Wachs- den Euro, hätten wir uns 10 Milliarden Euro sparen kön-
tum enthält. Das war Ihre Kritik. Aber die Bürger haben nen, darunter 5 Milliarden Euro für die Familien. Das ist
sich in Sachen Wirtschaft für diese Koalition und damit das erste Mal, dass hier in dieser Deutlichkeit gesagt
für das Original statt für die Kopie entschieden. Die wird, dass Sie auch dort Abstriche machen. Dass Sie das
Menschen wissen, dass für die christlich-liberale Koali- sagen, hat etwas mit Doppelzüngigkeit zu tun.
tion Verantwortung und Wirtschaft zusammengehören. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Sie wissen auch, dass wir nur ausgeben können, was wir
vorher eingenommen haben. Zu dieser Erkenntnis sind Es ist schwierig, Prognosen zu erstellen, besonders
wir sogar gekommen, ohne die schwäbische Hausfrau zu wenn sie auf die Zukunft gerichtet sind. Dieser Haushalt
befragen. aber ist ein Haushalt mit Augenmaß, geprägt von Nach-
haltigkeit und sozialer Gerechtigkeit, und er schafft die
(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE Grundlagen für Wachstum und Beschäftigung.
GRÜNEN]: Ja, Sie machen es aber nicht!) Vielen Dank.
Voraussetzung für die Rettung der sozialen Errungen- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
schaften in Deutschland ist es, die wirtschaftlichen Per- Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
spektiven für die Menschen zu verbessern. Dazu gehö- NEN]: Haben Sie mal auf die Schlussbilanz
ren untrennbar mehr Wachstum und Beschäftigung geguckt? Das ist eine Rekordverschuldung, die
sowie die Konsolidierung des Haushaltes. Beide Wege Sie machen!)
müssen wir gehen. Deutschland muss sich jetzt aus dem
Abwärtssog der Krise freischwimmen. Dafür müssen Präsident Dr. Norbert Lammert:
wir unter anderem die Arbeitnehmer und die mittelstän-
Letzter Redner in dieser Haushaltsdebatte ist der Kol-
dischen Betriebe, diejenigen, die Kinder großziehen,
lege Leo Dautzenberg für die CDU/CSU-Fraktion.
diejenigen, die sich um die Kranken kümmern, und die-
jenigen, die ehrenamtlich arbeiten, entlasten. Dies haben (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg.
wir in den vergangenen Monaten unter anderem mit dem Ulrike Flach [FDP] – Georg Schirmbeck
Bürgerentlastungsgesetz und mit den Konjunkturpaketen [CDU/CSU]: Leo, setz jetzt den letzten Stein!)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 17. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Januar 2010 1505
(A) Leo Dautzenberg (CDU/CSU): Mit Beginn der Großen Koalition 2005 haben die Kom- (C)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe munen im Grunde Finanzierungsüberschüsse gehabt.
Kolleginnen und Kollegen! Wie schon angekündigt, bin (Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
ich der letzte Redner in der Schlussdebatte zur Einbrin- Das waren Sie?)
gung des Haushaltes. Es ist schon mehrmals betont wor-
den, dass dieser Haushalt im Grunde ein Spiegelbild der Sie hätten weiterhin Finanzierungsüberschüsse, wenn
Krise ist. Wir setzen damit Akzente, schnellstmöglich nicht die Krise gekommen wäre.
aus der Krise zu kommen. Entlastungen durch Steuer-
Um ein Beispiel zu geben: Bei der Gewerbesteuer
senkungen und Haushaltskonsolidierung sind kein Ge-
gensatz, sondern bedingen im Grunde einander, weil (Christian Lange [Backnang] [SPD]: Die woll-
über beides Wachstum generiert werden kann, und ten Sie doch abschaffen!)
Wachstum ist das Wichtigste, was wir für die nächste
war es doch konsequent, dass die christlich-liberale Ko-
Zeit brauchen.
alition die krisenverschärfenden Regeln im Interesse der
(Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Arbeitsplatzsicherung und Arbeitsplatzschaffung besei-
Wer’s glaubt, wird selig! – Bettina Hagedorn tigt oder gemildert hat.
[SPD]: Da widersprechen Ihnen doch alle (Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
Sachverständigen! Das stimmt doch nicht!) Märchenstunde! – Alexander Bonde [BÜND-
Wie von Herrn Minister mehrmals betont, ist es ein NIS 90/DIE GRÜNEN]: Es ist Zeit, dass Sie
anspruchsvolles Ziel, bis 2013 wieder das Wachstums- mal wieder in den Wahlkreis gehen!)
niveau von 2008 zu erreichen; schließlich haben wir ei- Einem Kämmerer einer Gemeinde muss es doch lieber
nen Rückgang unserer Wirtschaftskraft um über 5 Pro- sein, noch Gewerbesteuereinnahmen zu haben, wenn
zent zu verzeichnen. Darauf müssen wir die richtigen auch bei etwas geringerer Bemessungsgrundlage – die
Antworten geben. Hinzurechnung ist ja abgeschmolzen worden –, als über-
Es ist schon verwunderlich, verehrte Kolleginnen und haupt keine solchen Einnahmen mehr zu haben.
Kollegen der SPD, wie Sie die Maßnahmen, die wir ge- (Bernd Scheelen [SPD]: Das ist überhaupt
meinsam bis September sinnvollerweise auf den Weg nicht die Alternative!)
gebracht haben, jetzt bewerten.
Ihnen dürfte auch nicht entgangen sein, dass Einzelhan-
(Widerspruch bei der SPD) delslagen in den Großstädten durch die Hinzurechnungs-
Über 90 Prozent dieses Haushalts haben Sie Mitte letz- regeln in die klassische Substanzbesteuerung geraten
(B) ten Jahres im Grunde mit erarbeitet. Soll das alles jetzt sind. Wo unternehmensmäßig eine Null war, ist im (D)
falsch sein? Grunde die Substanz besteuert worden. Wenn dauerhaft
die Substanz besteuert wird, gefährdet das das Unterneh-
(Ingrid Arndt-Brauer [SPD]: Das habe ich men und damit Arbeitsplätze. Deshalb ist der Weg, den
doch gar nicht gesagt!) wir gegangen sind, richtig.
Wir haben in der neuen Koalition, der christlich-libera- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
len Koalition, das hinzugefügt, was wir mit Ihnen im
Unternehmensteuerbereich und bei der Entlastung von Frau Kollegin Arndt-Brauer, hier wurde gesagt, we-
Familien nicht haben erreichen können. Es war auch gen der Änderungen bei der Erbschaftsteuer würde uns
konsequent, dies mit Wirkung zum 1. Januar 2010 auf im Haushalt etwas fehlen. Da ist schon der Ansatz
den Weg zu bringen. Das ist das Gesamtkonzept. falsch. Das Aufkommen steht den Ländern zu, betrifft
also nicht den Bundeshaushalt. Wir begünstigen mit den
Hier wurde gesagt: Die Änderungen bei der Gewer- Änderungen auch nicht die Reichen, sondern wir tragen
besteuer belasten die Kommunen. dafür Sorge, dass die krisenverschärfenden Regelungen
bei der Erbschaftsteuer, was die Unternehmensnachfolge
(Bettina Hagedorn [SPD]: So ist es!) anbelangt, also den Übergang von Unternehmen auf die
Herr Kuhn, Sie haben ausgeführt, wir würden die Kom- nächste Generation, abgemildert werden, damit auch
munen plündern. beim Unternehmensübergang im Schenkungs- oder Erb-
wege Arbeitsplätze gesichert sind.
(Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
Ja!) (Bettina Hagedorn [SPD]: Das heißt nur, dass
Sie die Erben begünstigen!)
Schauen wir uns einmal die Vergangenheit an! In der rot-
grünen Koalition von 2002 bis 2005 Wir haben eine weitere Ungerechtigkeit beseitigt, indem
wir Geschwister jetzt wieder wie nahe Verwandte behan-
(Christian Lange [Backnang] [SPD]: Jetzt geht deln und nicht mehr, was im Grunde unmöglich war, wie
es nicht um die rot-grüne Koalition! Jetzt geht Fremde; das war mit Ihnen nicht durchsetzbar.
es um Sie!)
(Norbert Barthle [CDU/CSU]: Das war drin-
waren alle Kommunen im Defizit. gend nötig!)
(Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: So ist das! Das alles sind Maßnahmen, die wir zusätzlich getrof-
Das ist die Wahrheit!) fen haben, verankert im Bürgerentlastungsgesetz – noch
1506 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 17. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Januar 2010
Leo Dautzenberg
(A) gemeinsam mit Ihnen beschlossen – und im Wachstums- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und (C)
beschleunigungsgesetz der christlich-liberalen Koali- der FDP)
tion.
Das ist der richtige Weg, statt darüber nachzudenken,
Wir haben weitere Regelungen zur Entschärfung der wie wir die Ausgaben für die sozialen Sicherungssys-
Zinsschranke vorgesehen. teme noch weiter steigern. Wir müssen den Leuten eine
Perspektive bieten, um ihren Lebensunterhalt selber zu
Die entlastenden Maßnahmen – darauf ist schon hin-
verdienen, damit sie aus den sozialen Sicherungssyste-
gewiesen worden – werden auch dazu führen, dass die
men herauskommen und eigenverantwortlich ihr Leben
Ausgaben des Staates im Sozialbereich sinken. Hier ist
führen können.
eine Gesamtbetrachtung erforderlich. Man darf nicht nur
sehen, wie man Einnahmen erzielt, sondern man muss (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
auch sehen, wie mit staatlichen Maßnahmen Entlas-
tungswirkungen für die Sozialhaushalte – das betrifft Ich unterstütze den Finanzminister, unsere Kanzlerin
auch die Kommunen – erreicht werden können. Wenn und die gesamte Bundesregierung in ihrem Bemühen um
dort weniger Ausgaben erforderlich sind, ist das wie- Regulierung von Finanzmärkten und -produkten. Wir
derum ein Beitrag zur Konsolidierung. Diesen Weg wer- brauchen in diesem und im nächsten Jahr außer Ab-
den wir mit dem, was angekündigt ist, fortsetzen. sichtserklärungen klare Verabredungen zur Regulierung
der internationalen Finanzmärkte. Die Vorstellungen,
Dass wir nach der Steuerschätzung im Mai – – die hierfür entwickelt worden sind, müssen tatsächlich
international umgesetzt werden.
(Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: „Nach der Nordrhein-Westfalen-Wahl“ (Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
heißt das!) Noch eine Minute!)
Das hat nichts mit der Wahl in Nordrhein-Westfalen zu Das ist auch die Zielsetzung der Kanzlerin. Es darf – das
tun. Sie wissen ganz genau, dass wir zweimal im Jahr steht auch im Koalitionsvertrag – weltweit keine weißen
eine Steuerschätzung haben, und zwar schon seit Jahr- Flecken geben, also Regionen, in denen es keine Regu-
zehnten, einmal im Mai und einmal im November. lierung der Finanzmärkte und ihrer Produkte gibt. Da
(Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- sind diese Regierung und auch der Finanzminister auf
NEN]: Natürlich! – Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/ dem richtigen Weg.
DIE GRÜNEN]: Märchenstunde! Kinder brau- Wir müssen zusehen, wie wir die Finanzaufsicht
chen Märchen!) weiter stärken. Sie haben in Ihrer Einbringungsrede ge-
(B) – Herr Kuhn, das hat mit anderen Dingen gar nichts zu sagt, Herr Finanzminister, dass Sie bereit sind, noch über (D)
tun. – Wenn Sie sorgfältig Politik betreiben wollen, dann das hinauszugehen, was im Koalitionsvertrag zur Ban-
müssen Sie bis zu diesem Zeitpunkt von dem ausgehen, kenaufsicht verabredet ist. Es wäre wirklich gut, die
was ökonomisch vertretbar ist. Finanzaufsicht insgesamt unter dem Dach der Bundes-
bank zu bündeln. Das muss in einer zur Finanzaufsicht
(Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- auf europäischer Ebene kompatiblen Form geschehen.
NEN]: Das glaubt Ihnen kein Mensch! Sie Wir müssen ganz deutlich machen, dass wir wollen, dass
trauen sich einfach nicht!) die Finanzmärkte, sowohl national wie international,
Eine weitere Entlastung erfolgt nachher, und zwar in der wieder ihre dienende Funktion zurückbekommen. Das
Reihenfolge, wie es hier von meinen Kollegen schon ist kein Selbstzweck. Aus einigen Stellungnahmen aus
dem Bankenbereich in den letzten Tagen wurde deutlich,
dargestellt worden ist. Als erste weitere Maßnahme wer-
den wir für eine Abflachung der kalten Progression sor- dass manche nichts dazugelernt haben. Diese Regierung
gen. Das stellt keine Begünstigung der Spitzenverdiener sieht es aber als ihre politische Verantwortung an, dem
etwas entgegenzusetzen. Damit sind wir auf dem richti-
dar; vielmehr werden unsere Leistungsträger im unteren
und mittleren Bereich entlastet. gen Weg.
(Beifall der Abg. Dr. h. c. Hans Michelbach Der Haushalt, den wir in dieser Woche eingebracht
[CDU/CSU] und Ulrike Flach [FDP] – haben und nun weiter beraten werden, stellt eine sehr
Dr. Barbara Hendricks [SPD]: Herr gute Grundlage dar.
Dautzenberg, wir sind bereit, im April die Vielen Dank.
erste Lesung zu machen und dann weiter zu
beraten!) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Fritz
Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schul-
Wenn wir zugunsten dieser im nächsten Schritt keine denkoalition! – Alexander Bonde [BÜND-
Maßnahmen treffen, dann werden wir dem Abstandsge- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Schuldenhaushalt!
bot nicht gerecht. Der Abstand zu den Hartz-IV-Empfän- Rekordschulden!)
gern würde wieder kleiner, und viele Menschen würden
sich fragen: Lohnt es sich noch, in dieser Gesellschaft Präsident Dr. Norbert Lammert:
Leistung zu zeigen? Einer solchen Haltung müssen wir
Ich schließe die Aussprache.
entgegenwirken, indem wir die Leute aus den sozialen
Sicherungssystemen herausführen und wieder in Be- Wir haben jetzt noch eine wichtige Entscheidung zu
schäftigung bringen. treffen, nämlich ob der Deutsche Bundestag dem inter-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 17. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Januar 2010 1507
Präsident Dr. Norbert Lammert
(A) fraktionellen Vorschlag folgt, den Entwurf eines Haus- che in der verbleibenden knappen Zeit keine Regie- (C)
haltsgesetzes für das Jahr 2010 dem Haushaltsausschuss rungsbefragung durchzuführen. Die Fragestunde findet
zur weiteren Beratung zu überweisen. Wer möchte die- gleichwohl statt. Darf ich Sie fragen, ob Sie damit ein-
sem Vorschlag zustimmen? – Wer stimmt dagegen? – verstanden sind? – Das ist offenkundig der Fall. Ich be-
Wer enthält sich? – Dann ist zumindest dieser Teil der danke mich.
Operation einstimmig beschlossen, was für den Rest Dann berufe ich hiermit die nächste Sitzung des Deut-
vielleicht nicht in gleicher Weise zu erwarten ist. schen Bundestages auf Mittwoch, den 27. Januar 2010,
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am 14 Uhr, ein.
Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich darf Sie da- Ich wünsche Ihnen allen ein schönes, ruhiges und in-
rauf aufmerksam machen, dass am Mittwoch nächster teressantes Wochenende, vielleicht noch eine Spur ge-
Woche vor der Plenarsitzung, in der es eine Regierungs- mütlicher, als das bei Haushaltsberatungen vernünftiger-
erklärung zum Thema Afghanistan geben wird, die jähr- weise zu erwarten ist.
liche Gedenkfeier zur Erinnerung an die Opfer des
Die Sitzung ist geschlossen.
Nationalsozialismus stattfindet. Deswegen hat der Ältes-
tenrat einvernehmlich beschlossen, in der nächsten Wo- (Schluss: 13.00 Uhr)
(B) (D)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 17. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Januar 2010 1509
Anlage 1
Liste der entschuldigten Abgeordneten
Ernst, Klaus DIE LINKE 22.01.2010 Schäfer (Köln), Paul DIE LINKE 22.01.2010
(A) Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und (C)
Verbraucherschutz
– Unterrichtung durch die deutsche Delegation in der Parla-
mentarischen Versammlung der OSZE Drucksache 17/136 Nr. A.59
EuB-EP 1976; P7_TA-PROV(2009)0020
18. Jahrestagung der Parlamentarischen Versammlung Drucksache 17/136 Nr. A.60
der OSZE vom 29. Juni bis 3. Juli 2009 in Wilna, Li- Ratsdokument 10359/09
tauen Drucksache 17/136 Nr. A.62
– Drucksachen 17/7, 17/85 Nr. 1.1 – Ratsdokument 11696/09
Drucksache 17/136 Nr. A.63
Ratsdokument 11817/09
Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben Drucksache 17/136 Nr. A.65
Ratsdokument 11978/09
mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden Unions- Drucksache 17/136 Nr. A.66
dokumente zur Kenntnis genommen oder von einer Bera- Ratsdokument 12192/09
tung abgesehen hat. Drucksache 17/136 Nr. A.67
Ratsdokument 12289/09
Drucksache 17/136 Nr. A.68
Auswärtiger Ausschuss Ratsdokument 12482/09
Drucksache 17/136 Nr. A.70
Drucksache 17/136 Nr. A.2
Ratsdokument 14270/09
EuB-BReg 40/2009
Drucksache 17/178 Nr. A.24
Drucksache 17/136 Nr. A.3
Ratsdokument 15307/09
EuB-BReg 41/2009
Drucksache 17/178 Nr. A.25
Drucksache 17/136 Nr. A.4
Ratsdokument 15330/09
EuB-BReg 43/2009
Drucksache 17/136 Nr. A.6
EuB-BReg 48/2009
Drucksache 17/136 Nr. A.11 Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ratsdokument 13617/09 Drucksache 17/136 Nr. A.79
Ratsdokument 10940/09
Rechtsausschuss
Drucksache 16/9538 Nr. A.2 Ausschuss für Gesundheit
Ratsdokument 8648/08
Drucksache 16/10666 Nr. A.2 Drucksache 17/136 Nr. A.81
Ratsdokument 12137/08 Ratsdokument 11970/1/09 REV 1
Drucksache 16/10958 Nr. A.4 Drucksache 17/136 Nr. A.83
Ratsdokument 13548/08 Ratsdokument 11533/09
(B) Drucksache 17/136 Nr. A.86 (D)
Ratsdokument 13355/09
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Drucksache 17/136 Nr. A.57
Ratsdokument 12739/09 Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Drucksache 17/136 Nr. A.87
Ratsdokument 6257/1/09 REV 1
Drucksache 17/136 Nr. A.88
Ratsdokument 11294/09
Drucksache 17/136 Nr. A.89
Ratsdokument 11614/09
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Vertrieb: Bundesanzeiger Verlagsgesellschaft mbH, Amsterdamer Str. 192, 50735 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Telefax (02 21) 97 66 83 44
ISSN 0722-7980