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Deutscher Bundestag
Stenografischer Bericht
115. Sitzung
Inhalt:
Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13235 A
Zusatztagesordnungspunkt 17:
Abgabe einer Regierungserklärung durch den
Bundesminister der Finanzen: Stabilität der Tagesordnungspunkt 29:
Euro-Zone sichern – Reformkurs in Grie-
chenland vorantreiben a) Antrag der Abgeordneten Daniela
Wagner, Bettina Herlitzius, Ingrid Nestle,
Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13207 B BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Energie-
effizienz und Klimaschutz im Gebäude-
Dr. Frank-Walter Steinmeier (SPD) . . . . . . . . 13211 A bereich
(Drucksache 17/5778) . . . . . . . . . . . . . . . 13231 C
Rainer Brüderle (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13214 C
b) Beschlussempfehlung und Bericht des
Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 13217 C Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadt-
entwicklung
Volker Kauder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 13220 B
– zu dem Antrag der Abgeordneten
Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/ Michael Groß, Sören Bartol, Uwe
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13222 D Beckmeyer, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der SPD: Angekün-
Carsten Schneider (Erfurt)
digte Mittelkürzung beim CO2-Ge-
(SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13224 B
bäudesanierungsprogramm zurück-
Norbert Barthle (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 13226 A nehmen
(A) (C)
Redetext
115. Sitzung
Präsident Dr. Norbert Lammert: Neuland betreten. Wir haben unmittelbar danach mit
Die Sitzung ist eröffnet. dem EFSF ein vorläufiges Instrument geschaffen, eine
Finanz-Stabilitäts-Fazilität für Notlagen. Dieses vorläu-
Nehmen Sie bitte Platz. Guten Morgen, liebe Kolle- fige Instrument wollen wir ab 2013 durch einen Europäi-
ginnen und Kollegen! Vor Eintritt in die Tagesordnung schen Stabilisierungsmechanismus ablösen.
darf ich Sie darauf hinweisen, dass die für heute ur-
sprünglich verlangte Aktuelle Stunde zum Umgang mit Die Auszahlung der Kredite an Griechenland in vier-
dem Ehec-Erreger nicht stattfindet. Der entsprechende teljährlichen Tranchen ist an die Einhaltung der im
Antrag ist zurückgezogen. Sanierungspaket verabredeten Maßnahmen geknüpft.
Diese muss jeweils durch gemeinsame Berichte der
Ich rufe nun unseren Zusatzpunkt 17 auf:
Europäischen Zentralbank, des Internationalen Wäh-
Abgabe einer Regierungserklärung durch den rungsfonds und der EU-Kommission bestätigt werden.
Bundesminister der Finanzen Nun hat die im Mai turnusmäßig fällig gewordene und
(B) vorgenommene Überprüfung als Voraussetzung für die (D)
Stabilität der Euro-Zone sichern – Reform- Auszahlung der nächsten Tranche von 12 Milliarden
kurs in Griechenland vorantreiben Euro Anfang Juli ergeben, dass Griechenland im vergan-
Hierzu liegen mehrere Entschließungsanträge vor. genen Jahr zwar erhebliche Fortschritte erzielt hat. Im
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die vorläufigen Bericht der Überprüfungskommission kriti-
Aussprache im Anschluss an die Regierungserklärung siert man aber – ich zitiere – einen in den letzten Mona-
90 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. ten nachlassenden Elan. Im Ergebnis wird festgestellt,
Dann können wir so verfahren. dass ohne zusätzliche Maßnahmen eine Auszahlung der
nächsten Rate nicht möglich sein wird.
Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat
der Bundesminister der Finanzen, der Kollege Bei dem Entwurf des Programms vor einem Jahr sind
Dr. Wolfgang Schäuble. die Experten von EZB, IWF und EU-Kommission davon
ausgegangen, dass sich Griechenland im Jahre 2012 wie-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
der Geld auf den Kapitalmärkten beschaffen kann. Im
vorgestern vorgelegten vorläufigen Bericht wird festge-
Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister der stellt, dass dies unwahrscheinlich ist. Damit gibt es im
Finanzen: aktuellen Anpassungsprogramm eine Finanzierungslü-
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Lage cke. Deren Schließung ist eine Voraussetzung für die Be-
in Griechenland und damit auch in Europa insgesamt ist teiligung des IWF an der Auszahlung. Diese wiederum
ernst. Im Frühjahr vergangenen Jahres standen wir vor ist Voraussetzung für die Auszahlung der Tranche insge-
der Situation, dass die Schuldenkrise in Griechenland samt.
die Finanzstabilität der Euro-Zone als Ganzes zu gefähr-
den drohte. Damals haben wir in sehr kurzer Zeit mit Ohne Auszahlung dieser nächsten Tranche besteht die
Griechenland ein Sanierungspaket verabredet, welches akute Gefahr der Zahlungsunfähigkeit Griechenlands
die Voraussetzung für Kredite bis zu 110 Milliarden mit schwerwiegenden Folgen für die Stabilität der ge-
Euro ist, um den Finanzierungsbedarf Griechenlands bis samten Euro-Zone, aber auch mit hohen Risiken für die
2012 zu decken. globale wirtschaftliche Entwicklung.
Wegen der Ansteckungsgefahr, die von der Vernet- Ich werde in diesen Tagen immer wieder gefragt, ob
zung der modernen Finanzmärkte ausgeht, die wir bei man diese Risiken nicht genauer beziffern und einen
der Finanzkrise nach dem Zusammenbruch von Lehman Milliarden-Euro-Betrag angeben könne. Verehrte Kolle-
Brothers erlebt hatten, mussten wir im Euro-Raum ginnen und Kollegen, das kann man nicht. Schließlich
13208 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 115. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. Juni 2011
(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das müssen wir uns nicht gefallen lassen.
Sie werden diese Ressource brauchen, wenn wir notlei- (Lachen bei der SPD sowie bei Abgeordneten
denden Ländern wieder auf die Beine helfen wollen. Al- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 115. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. Juni 2011 13215
Rainer Brüderle
(A) Alle wichtigen europäischen Verträge wurden von den (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – (C)
Mehrheiten von CDU/CSU und FDP auf den Weg ge- Thomas Oppermann [SPD]: Eben!)
bracht und beschlossen.
Deshalb kämpfen wir für Geldwertstabilität, für den sta-
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – bilen Euro und für die Einhaltung der Stabilitätskrite-
Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das war noch rien.
eine FDP!) (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Ich habe noch klar vor Augen, wie Herr Gabriel bei Sie haben nicht gekämpft für die Stabilität des Euro.
der Entscheidung zur Griechenland-Hilfe – ja oder nein? – Sie haben aus Beliebigkeit heraus und kurzatmig Rege-
hier eine Art Sirtaki aufgeführt hat. Innerhalb einer Wo- lungen getroffen, weil Sie nicht die Kraft hatten, den
che wechselte er zwischen Ja, Nein und Enthaltung; am Haushalt in Ordnung zu bringen. Deshalb haben Sie die
Schluss gab es eine kraftvolle Enthaltung. Das ist Ihr eigene Messlatte gerissen.
staatspolitischer Beitrag zu den Veränderungen.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU –
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Widerspruch bei der SPD)
Es ist ein Unterschied, ob man seinen Worten Taten Wir machen das anders.
folgen lässt oder sich, wenn es darauf ankommt, vom (Lachen bei der SPD)
Acker macht.
Wir denken in klaren Linien.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU –
Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Thomas Oppermann [SPD]: Eine Bütten-
NEN]: Sagen Sie einmal etwas zu Griechen- rede!)
land!) In Ihrer Zeit, in der Zeit von Rot-Grün, war Deutschland
der kranke Mann Europas. Heute erleben wir ein neues
Ihr Bundeskanzler Schröder hat den Euro als kränkelnde
deutsches Wirtschaftswunder – dank einer anderen Poli-
Frühgeburt bezeichnet. Das war Ihr Bundeskanzler!
tik in Deutschland.
(Hermann Gröhe [CDU/CSU]: Hört! Hört!) (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Herr Steinmeier, Sie haben Herrn Schröder jahrelang die Sie haben den Stabilitätspakt aufgeweicht und kaputt
Feder geführt. Sie wissen das ganz genau. gemacht, sodass er nicht richtig funktionieren kann.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) (Lachen bei der SPD)
(B) (D)
Ich könnte reihenweise Zitate von Herrn Schröder an- Das ist die Ursache unserer Misere. Die Leitplanken
bringen, in denen er begründet, weshalb er den Stabili- wurden von Ihnen durchlöchert und halten nicht mehr.
tätspakt aufgeweicht hat. Sie haben sie durch Ihre Politik teilweise zerstört.
(Dr. Michael Meister [CDU/CSU]: Sehr (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU –
wahr!) Axel Schäfer [Bochum] [SPD]: Alles
Quatsch!)
Ja, wir haben eine besondere Situation. Wir haben
eine Wirtschafts- und Währungsunion und keine politi- Deswegen müssen wir jetzt – wir sind dabei – eine Art
sche Union. Das unterscheidet uns von den Vereinigten Stabilitätspakt II schaffen.
Staaten. Der Stabilitätspakt wurde geschlossen, um Leit- (Thomas Oppermann [SPD]: Steuer-
planken einzuziehen, die die finanzpolitische Stabilität senkungen!)
gewährleisten, welche für eine stabile Währung notwen-
dig ist. Das ist die deutsche Mitgift für die europäische Kernstück wird der ESM sein. Das Entscheidende ist,
Entwicklung: eine stabile Währung. Eine soziale Markt- dass wir den Rahmen setzen.
wirtschaft kann nämlich nur funktionieren, wenn die Kernproblem Griechenlands ist, dass dieses Land
Preise die Knappheitsrelation richtig widerspiegeln. In nicht hinreichend wettbewerbsfähig ist. Ich will Ihnen
der Marktwirtschaft wird über Preise gesteuert, nicht einmal vorlesen, was der damalige Außenminister der
über planwirtschaftliche Ansätze. Wenn die Preise die Grünen erklärt hat, als es so weit war. In Athen hat er
Knappheit nicht richtig widerspiegeln, steuern wir wörtlich gesagt:
falsch.
Wir sind besonders froh über die wirtschaftlichen
(Zurufe von der SPD: Hui! Holla!) Erfolge Griechenlands und die Anstrengungen, die
unternommen werden, sowie über die Fähigkeit
– Einer muss es Ihnen ja erklären. Griechenlands, dem Euro beizutreten.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Ich wiederhole: „die Fähigkeit Griechenlands, dem Euro
beizutreten“. Das Land war damals nicht dazu in der
Das Zweite ist das Soziale. Eine der größten sozialen
Lage. Die Unterlagen waren nicht stimmig. Sie haben
Schweinereien ist die Inflation, die Geldentwertung,
das schöngeredet und zum falschen Zeitpunkt Entschei-
weil sie die Kleinen, die mit dem Sparbuch und dem
dungen getroffen.
kleinen Vermögen trifft, diejenigen, die nicht auswei-
chen können. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
13216 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 115. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. Juni 2011
Rainer Brüderle
(A) Ja, wir bauen eine neue Stabilitätskultur in Europa festellung haben will, hat er als derjenige, der Solidarität (C)
auf. Das ist das Elementare. Im Gencode der Deutschen empfängt, die Verpflichtung, die Ursachen seiner Pro-
ist fest verankert, bleme aktiv zu beseitigen.
(Zurufe von der SPD: Oh!) (Beifall bei Abgeordneten der FDP)
was es bedeutet – das hat jede deutsche Familie zweimal Deshalb muss in Griechenland eine umfassende Privati-
erlebt –, wenn eine Währung nicht stabil und solide ist. sierung schnell und überzeugend eingeleitet werden.
Wir haben in Deutschland zwei Währungsreformen er- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
lebt. Deshalb sind wir sensibel für die richtigen Struktu-
ren und eine Stabilitätskultur. Das ist elementar für eine Deutschland kann helfen, wenn das gewünscht wird.
erfolgreiche Entwicklung dieses Kontinents. Im deutschen Einigungsprozess haben wir viel Erfah-
rung gewonnen. Es gibt eine Vielzahl internationaler
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Expertisen. Griechenland wäre gut beraten, davon Ge-
Wir haben den Menschen versprochen, dass der Euro brauch zu machen. Letztlich liegt die Entscheidung aber
genauso stabil sein wird, wie es die Deutsche Mark war, bei Griechenland. Wichtig ist: Es muss etwas geschehen.
und dass die Europäische Zentralbank genauso unabhän- Hier liegt einer der Schwachpunkte des Berichtes. Der
gig sein wird, wie es die Deutsche Bundesbank war und IWF lässt diesbezüglich bei seiner Bewertung ein Stirn-
ist. Das müssen wir sicherstellen. runzeln erkennen.
(Michael Groschek [SPD]: Wo denn?) (Zuruf des Abg. Hubertus Heil [Peine] [SPD])
Wenn wir jetzt nicht helfen, besteht die Gefahr, dass – Sie sollten ihn einmal lesen, Herr Heil, das macht Sie
Griechenland nicht zu einer finanziellen Stabilität zu- vielleicht schlauer.
rückkehrt und seine Wettbewerbsschwäche nicht über- Viertens. Die angemessene Beteiligung des Parla-
winden kann. Das Kernproblem Griechenlands liegt da- ments ist für uns unverzichtbar. Es ist das Königsrecht
rin, dass es nicht in der Lage ist, sich das zu erarbeiten, des Parlaments, Haushaltsentscheidungen zu treffen.
was es meinte sich auf der Ausgabenseite über lange Deshalb müssen bei solch gravierenden Entscheidungen
Jahre erlauben zu können. Hier muss eine Balance ge- auch die Rechte des deutschen Parlaments, des Deut-
funden werden. Darauf müssen wir hinarbeiten. schen Bundestages, gewahrt sein.
Wir müssen Griechenland eine faire Chance geben, (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie
das umzusetzen, was an Veränderungen notwendig ist. bei Abgeordneten der SPD und des BÜND-
Diese Veränderungen müssen nachhaltig sein. Der Be- NISSES 90/DIE GRÜNEN)
(B) richt der Troika lässt diesbezüglich erkennen – Herr (D)
Schäuble hat es sehr korrekt wiedergegeben –: Die Ziele Das ist unverzichtbar. Wir sind sehr wohl in der Lage,
sind nicht voll erreicht. Für uns ist es deshalb von ele- unsere Entscheidungen als frei gewählte, unabhängige
Abgeordnete richtig und nach bestem Wissen und Ge-
mentarer Bedeutung, dass der IWF – quasi als Sicher-
wissen zu treffen.
heitsgurt der weiteren europäischen Entwicklung – be-
teiligt bleibt. Meine Damen und Herren, es muss gelingen, mit dem
Stabilitätspakt II die Rahmenbedingungen zu setzen, da-
Für die Freien Demokraten sind vier Punkte ganz zen-
mit der Euro und Europa funktionieren. Es kann auch ei-
tral: nen anderen Weg geben. Herr Trichet hat in seiner Rede
Erstens. Die Beteiligung privater Gläubiger, und zwar bei der Karlspreisverleihung einen anderen Weg aufge-
aus zwei Gründen: Politisch ist wichtig, dass nicht der zeigt: Man könne ein europäisches Finanzministerium
Steuerzahler – hier wie in anderen Ländern – einseitig schaffen, quasi eine supranationale Institution, eine Art
für alles aufkommt. Das ist auch eine Frage der Konse- Bundesstaat. Das halte ich nicht für realistisch. In Eu-
quenz des Verhaltens. Daneben gibt es eine ökonomi- ropa gibt es zu viele unterschiedliche Kulturen und dem-
sche Komponente. Wenn Anleger das Gefühl haben, entsprechende Entwicklungen. Ich glaube, dass der ein-
dass – ganz gleich, was sie unternehmen – die Rechnung geschlagene Weg – dabei wahren wir die nationale
am Schluss vom Staat und damit vom Steuerzahler be- Zuständigkeit für die Entscheidung – der richtige ist.
glichen wird, dann befinden wir uns in der europäischen Aber er fordert zwingend einen wirksamen Stabilitäts-
Finanzwirtschaft wieder auf einem falschen Weg. Des- pakt II mit klaren Regeln, damit man sieht, dass wir
halb ist die Beteiligung privater Gläubiger unverzicht- Ernst machen. Wir haben die paradoxe Situation, dass
bar. der Euro außen sehr gut ankommt. Er ist stark gegenüber
dem Dollar. Er ist stark gegenüber dem Yen.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Das Problem besteht intern. Es ist keine Währungs-
Zweitens. Der IWF muss beteiligt sein, weil er ein krise, sondern eine Schuldenkrise, weil einige Mitglieds-
Stück unabhängige Expertise einbringt. länder es nicht geschafft haben – dies lag wohl auch an
der Segnung eines niedrigen Zinses dank des Euros –,
Drittens. Die Privatisierung in Griechenland muss zü- maßzuhalten, über die Stränge geschlagen haben und mit
gig und nachvollziehbar vorangetrieben werden. Letzt- den öffentlichen Haushalten nicht vernünftig umgegan-
lich liegt die Entscheidung, wie es weitergeht, bei Grie- gen sind.
chenland. Das Land ist ein souveräner Staat und kein
Protektorat. Wenn aber ein Staat Unterstützung und Hil- (Norbert Barthle [CDU/CSU]: So ist es!)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 115. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. Juni 2011 13217
Rainer Brüderle
(A) Sie haben sich durch die niedrige Verzinsung durch die Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE): (C)
gemeinsame Währung zur finanzpolitischen Unsolidität Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr
verführen lassen. Deshalb müssen sie auf den Pfad der Brüderle, ich sage besser nichts zu Ihrer Wortwahl,
Solidität ihres Haushaltsgebarens zurückfinden; denn
(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD)
nur so wird ein Ganzes daraus.
aber Ihre Leidenschaft war wirklich beachtlich; das muss
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten ich sagen.
der CDU/CSU)
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
Herr Steinmeier, ich würde Sie herzlich bitten – ich der FDP)
weiß nicht, wann Sie Ihren Kanzlerkandidaten aufstellen –,
Wie Sie am Schluss die Fäuste bewegt haben, das passt
(Zurufe von der SPD: Oh! – Michael Roth auf jeden linken Parteitag. Zur Steigerung müsste ich
[Heringen] [SPD]: Das Problem haben Sie ja jetzt den Schuh benutzen.
nicht! – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN]: Das ist für Sie kein Thema mehr!) (Heiterkeit – Beifall bei Abgeordneten der
LINKEN, der SPD und des BÜNDNISSES 90/
das zu lassen, nicht eine Rede für Ihre Fraktion zu hal- DIE GRÜNEN – Rainer Brüderle [FDP]: Bei
ten, sondern für die Menschen draußen im Land. euch nur gegen Gebühr!)
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Die Probleme, die Sie gerade mit Europa haben, werden
der CDU/CSU – Zuruf von der SPD: So wie Sie dadurch nicht los. Das muss man in aller Deutlich-
Guido!) keit sagen.
Sie haben den Anspruch, dass wir in Fragen von elemen- (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und
tarer nationaler und europäischer Bedeutung über den des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Tellerrand der Parteipolitik und Polemik hinausblicken Sie haben ja recht, Herr Schäuble: Die Europäische
– dafür wirbt übrigens Wolfgang Schäuble –; Union ist ungeheuer wichtig, und zwar zunächst aus ei-
(Zuruf von der SPD: Das sagt der Richtige!) nem politischen Grund. Alle Jahrhunderte bis ein-
schließlich des 20. Jahrhunderts waren geprägt durch
dann sollten Sie dies auch tun Kriege zwischen den heutigen Mitgliedsländern der
Europäischen Union. Die Europäische Union hat die
(Thomas Oppermann [SPD]: Und was macht Chance, das für die Zukunft auszuschließen. Allein das
die Kanzlerin? – Michael Roth [Heringen] wäre ein so großer Gewinn, dass man dafür vieles in (D)
(B) [SPD]: Fragen Sie mal die Kanzlerin!) Kauf nehmen müsste. Der zweite Grund ist – auch das
und nicht nur mit zwei Sätzen ein Lippenbekenntnis zu stimmt –, dass es wirtschaftlich mit den alten National-
dem ablegen, was Wolfgang Schäuble überzeugend dar- staaten in Europa überhaupt nicht mehr laufen kann.
gelegt hat, Nun lassen Sie mich noch etwas zum Euro sagen. Sie
(Zuruf von der SPD: Prost!) haben hier den früheren Kanzler bezüglich der Anfangs-
schwäche zitiert. Es war Bundeskanzler Kohl, der gesagt
um anschließend in Bierzeltstimmung und Parteitags- hat: Erst die politische Union und dann die Währungs-
rede zurückzufallen. Das ist der Lage nicht angemessen. union. Frankreich hat nicht mitgemacht. Daraufhin hat er
gesagt: Na gut, dann machen wir es eben ohne politische
(Lebhafter Beifall bei der FDP und der CDU/ Union. – Dafür bezahlen wir noch heute. Das Entschei-
CSU) – Lachen bei der SPD, der LINKEN und dende ist doch, dass es die notwendigen Angleichungen
dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) bei Steuern, bei Sozialleistungen, bei ökologischen Stan-
Sie sollten wirklich einmal in sich gehen. Große Sprüche dards, bei rechtlichen Standards nicht gegeben hat. Eine
zu machen und dann, wenn es – wie bei Griechenland – Binnenwährung krankt daran, wenn man diesbezüglich
darauf ankommt, weder Ja noch Nein zu sagen, sondern keine Binnenstruktur hat. Das ist das Erste.
sich kraftvoll zu enthalten, sich vor der Entscheidung zu (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten
drücken, ist ein Kneifen vor staatspolitischer Verantwor- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
tung. Werden Sie endlich staatspolitisch verantwortlich!
Das Zweite. Was Sie sagen, wirkt altruistisch, als ob
(Anhaltender Beifall bei der FDP und der es Ihnen immer nur darum ginge, wie viel Geld man für
CDU/CSU – Lachen bei Abgeordneten der Griechenland ausgibt. Seien Sie von der Regierung doch
SPD und der LINKEN) einmal ehrlich und sagen Sie: Es geht letztlich um
Deutschland, und zwar aus folgendem Grund: Den Euro
Präsident Dr. Norbert Lammert: brauchen wir dringender als Griechenland. Wir sind
Gregor Gysi ist der nächste Redner für die Fraktion doch die Exportnation. Wir sind Vizeweltmeister beim
Die Linke. Export, gleich hinter China. Stellen Sie sich einmal vor,
Griechenland, Spanien, Portugal und Irland hätten ei-
(Beifall bei der LINKEN – Hubertus Heil gene Währungen. Dann würden sie sie abwerten, bis wir
[Peine] [SPD]: Ist in dem Glas Wasser? – Wei- so gut wie nichts mehr dort verkaufen könnten. Also:
terer Zuruf von der SPD: Jetzt ja! – Heiterkeit) Wenn Sie den Euro retten, retten Sie die deutsche Ex-
13218 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 115. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. Juni 2011
Es geht darum, auf der einen Seite alles zu tun, um den (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
Euro zu stabilisieren, auf der anderen Seite Fehlentwick- Joachim Poß [SPD]: Herr Wissing hat gestern
lungen, die in Europa stattgefunden haben, abzubremsen noch gesagt, dass er dagegen ist! Er hat sich
und nicht fortzuführen. Was Sie wollen, nämlich eine gegen die Steuer ausgesprochen hier im Deut-
unkonditionierte Transferunion, wird dieses Europa wei- schen Bundestag!)
ter auf den Weg nach unten und nicht zur Konsolidie- Wir wollen und wir werden Europa voranbringen.
rung führen. Wir helfen und stützen in Europa. Dass dies möglich ist,
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Joachim dass wir in Europa überhaupt so etwas tun können, hängt
Poß [SPD]: Wer will das denn?) damit zusammen, dass wir in Deutschland nach schwie-
rigen Jahren wieder auf einem guten wirtschaftlichen
Ich höre aus den Reihen der Opposition, dass Sie dem Kurs sind. In der Zeit der Großen Koalition haben wir
Antrag nicht zustimmen können, weil er zu stark kondi- die Krisen gelöst, die Finanzkrise und die Wirtschafts-
tioniert sei. Herr Steinmeier, man kann nicht kritisieren, krise. Jetzt sind wir dabei, Europa nach vorne zu brin-
dass ausschließlich der Steuerzahler die Risiken trägt, gen. Aber in Zeiten von Rot-Grün wäre gar nichts ge-
und sich gleichzeitig dagegen verwahren und wehren gangen. Da haben Sie das Land in eine ganz schwierige
– auch wenn das in Europa im Augenblick schwer Situation geführt: 5 Millionen Arbeitslose, kein Wachs-
durchzusetzen ist –, dass der private Sektor beteiligt tum mehr. Mit dieser Situation hätten Sie in Europa nie
werden soll. helfen können, Herr Steinmeier.
13222 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 115. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. Juni 2011
Volker Kauder
(A) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dies bitte ich heute als einen zentralen Punkt zu se- (C)
Joachim Poß [SPD]: Er kann sich nur noch mit hen. Wir diskutieren, wir ringen um Meinungen, aber
Lügen über die Runden retten!) dann müssen wir uns auch gegenseitig vertrauen, dass
wir das Richtige tun.
Deswegen ist es gut, wenn wir auch darauf schauen,
dass wir Deutschland weiter auf Erfolgskurs halten. Dies Deswegen glaube ich schon, dass die Koalitionsfrak-
heißt: Konsolidierung, Stabilisierung, Reformen, das tionen das tun, was notwendig ist: die Menschen davon
Notwendige tun. Dieser Erfolgskurs muss zum Maßstab überzeugen, dass wir den privaten Sektor beteiligen,
in Europa werden. Wir müssen dafür sorgen, dass auch dass die Risiken gerecht verteilt sind und dass wir
andere in diese Situation kommen, und zwar durch Wett- Europa auf den richtigen Weg bringen.
bewerbsfähigkeit. Griechenland ist nicht geholfen, wenn
Herr Steinmeier, Sie von der SPD haben damals – aus
ihm nur Geld gegeben wird, aber nicht dafür gesorgt
welchen Gründen auch immer – Griechenland im
wird, dass neue Strukturen aufgebaut werden, mit denen
Grunde genommen einen Bärendienst erwiesen, als Sie
dieses Land in eine bessere Zukunft gebracht werden
dieses Land in die Euro-Zone aufgenommen haben, ob-
kann.
wohl es nicht dazu in der Lage war.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
neten der FDP)
Axel Schäfer [Bochum] [SPD]: Sie waren da-
Ihr Vorschlag führt nicht dazu, sondern das, was wir in für und dabei!)
den Koalitionsfraktionen vorbereitet haben, ist genau der
Aus manchem, was Sie heute formulieren, spricht das
richtige Weg.
schlechte Gewissen darüber, was Sie damals falsch ge-
(Elke Ferner [SPD]: Das sieht Ihre Partei aber macht haben.
ganz anders, Herr Kauder!)
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
Es muss den Menschen klar gesagt werden: Jawohl, der FDP)
dieses Europa ist in einer schwierigen Situation. Wir Sie haben gar keinen Grund, anderen vorzuwerfen, Feh-
müssen alle zusammen helfen. – Aber die Sorgen der ler gemacht zu haben. Die entscheidenden Fehler haben
Bürgerinnen und Bürger in diesem Land dürfen nicht, Sie selbst gemacht.
wie Sie es gemacht haben, Herr Steinmeier, als Stamm-
tischparolen niedergemacht werden. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
der FDP)
(Widerspruch bei der SPD)
Sie haben keinen Beitrag dazu geleistet, dass dieses
(B) Die Sorgen der Bürgerinnen und Bürger müssen ernst (D)
Land, das eigentlich nicht eurozonenfähig war, auf den
genommen werden. Nur dann können wir sie mitneh- richtigen Weg kommt.
men. Das geht nicht mit Bierzeltrhetorik, was Sie gerade
gemacht haben. (Joachim Poß [SPD]: Europa hat das
entschieden!)
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Mit dem Aufweichen des Stabilitätspakts haben Sie
Wolfgang Schäuble hat es ausgeführt und in einem dann das entscheidende falsche Signal gestellt, sodass
Brief an seine Kolleginnen und Kollegen geschrieben: der Zug auf das falsche Gleis kam. Das war das glatte
Wir sind in einer schwierigen Situation. Ich glaube, dass Gegenteil dessen, was notwendig war.
in der Nachkriegsgeschichte Deutschlands die heutige
politische Situation vielleicht sogar eine der schwierigs- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
ten Phasen überhaupt ist. In einer solchen Situation wird Jetzt muss und wird diese Regierungskoalition den
auch in Fraktionen diskutiert und gerungen, was der Zug wieder auf das richtige Gleis bringen. Ich kann nur
richtige Weg ist, zumal auch klar ist, dass selbst die feststellen: Sie wären auch in Verantwortung vor der Ge-
Experten – wir haben eine ganze Reihe von ihnen ange- schichte gut beraten, wenn Sie dabei wären.
hört – uns nicht definitiv sagen können: Was passiert,
wenn? Sie können nicht sagen: Wenn ein Haircut ge- (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und
macht wird, dann geht alles gut. Vielmehr erklären sie: der FDP)
Es sind immer Risiken vorhanden.
Wir sind hier aber nicht im Schullabor vom Kosmos- Vizepräsident Eduard Oswald:
Experimentierkasten, sondern wir tragen dafür Verant- Nächster Redner in unserer Debatte ist für die Frak-
wortung, dass die Dinge funktionieren. Deswegen wird tion Bündnis 90/Die Grünen unser Kollege Fritz Kuhn.
in unserer Fraktion darüber diskutiert. Ich habe Ver- Bitte schön, Kollege Kuhn.
ständnis dafür, dass sich Kolleginnen und Kollegen die
Frage stellen: Führt dies auf den richtigen Weg? Ist das Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
alles richtig? Aber ich bin dankbar dafür, dass wir am Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Schluss zu breiten Mehrheiten kommen, die von dem Kollegen! Ich nehme die Lautstärke von Herrn Brüderle
Vertrauen in diejenigen getragen sind, die in Brüssel ver- – das war ja fast schon eine Wutrede –
handeln. Das gehört mit dazu.
(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) GRÜNEN]: Wutbürger Brüderle!)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 115. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. Juni 2011 13223
Fritz Kuhn
(A) und von Herrn Kauder einmal als Indikator einer massi- Merkel im Sauerland, darauf hingewiesen, dass mit den (C)
ven Verunsicherung innerhalb dieser Regierungskoali- Griechen alles nicht stimmt.
tion in der Frage, wie es in Europa weitergehen soll.
Ich finde, Herr Schäuble hat recht: Die bisherigen
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Sparanstrengungen beginnen zu fruchten und zu greifen.
und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der Sie sind nicht einfacher, sondern schwieriger geworden.
LINKEN) Klar ist, dass wir aus deutscher Sicht klugerweise und
vernünftigerweise den Griechen weiter helfen müssen.
Was Sie heute mit dem Antrag und den namentlichen
Abstimmungen veranstalten, zeigt doch nur, dass Sie (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Angst haben, dass der Laden bei der schwierigen Frage, sowie bei Abgeordneten der SPD)
wie es mit Europa und mit Griechenland weitergeht, Es ist viel falsch gemacht worden: von den Griechen
nicht zusammenhält. selber, von Europa, den Banken, Spekulanten und vielen
Dies hat systematische Gründe. Wir haben nämlich anderen mehr. Ein Grundfehler der Rettung Griechen-
eine Kanzlerin, die beim Thema Europa nicht führt. Sie lands vor einem Jahr war – darüber müssen wir reden,
sagt weder der eigenen Fraktion noch der Bevölkerung, Herr Schäuble –, weniger auf die Ökonomie zu achten
warum die deutsche Zukunft, wie wir meinen, in Europa als auf den Haushalt. Wir sind dabei, die Griechen in
liegt, und zwar kulturell, politisch, wirtschaftlich und in eine tiefe Rezession zu treiben, wenn wir die Rettungs-
vielen anderen Punkten. Frau Merkel operiert vielmehr pakete nicht wirtschaftspolitisch flankieren.
nach der Methode, die Jürgen Habermas „demoskopie- (Zuruf von der SPD: Genau!)
geleiteten Opportunismus“ genannt hat. Einerseits be-
dient man den Stammtisch – jawohl, Herr Kauder, den Wenn die griechische Ökonomie nicht auf die Beine
Stammtisch – mit den Parolen von den faulen Griechen. kommt, dann nützt es nichts, die griechische Finanzwirt-
Andererseits schaut man, dass man im Plenum oder in schaft und den griechischen Haushalt vom Markt zu neh-
Brüssel schon irgendwie Mehrheiten für das nächste men.
Rettungspaket bekommt. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/
Ich sage Ihnen für meine Fraktion klipp und klar: Wer DIE GRÜNEN und der SPD)
glaubt, die europäische Integration mit Stammtischparo- Ökonomie beginnt mit Investitionen. Deswegen gilt der-
len voranzubringen, der irrt sich; denn er schadet Eu- selbe alte Grundsatz, der auch für unsere Haushaltskon-
ropa. Die Kanzlerin schadet in dieser Hinsicht der euro- solidierung gilt: „Du musst sparen und investieren“,
päischen Einigung. umso mehr für die Rettung Griechenlands.
(B) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (D)
Ich will noch einen Punkt ansprechen, der mir nicht
und bei der SPD – Zurufe von der CDU/CSU: gefällt. Die Banken in Deutschland, Herr Schäuble, ha-
So ein Unfug!) ben sich nicht an ihr Versprechen gehalten, sich nicht aus
Der Kontrast zwischen der Art, wie Helmut Kohl im Griechenland zu verabschieden. Sie haben es Ihnen vor
Mai dieses Jahres bei der American Academy geredet einem Jahr versprochen, aber sie haben es nicht getan.
hat oder wie Herr Schäuble jetzt gesprochen hat, und der Darüber muss öffentlich geredet werden.
Art, wie Bundeskanzlerin Merkel über Europa redet, Ein weiterer Punkt, den ich nennen möchte, ist die
(Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Sie hat Methode der Umschuldung, die Sie gewählt haben.
doch heute gar nicht geredet!) Meine Fraktion ist der Meinung, dass eine Umschuldung
notwendig ist. Für den ESM und alle zukünftigen Ret-
könnte wirklich nicht größer sein. Der Unterschied ist, tungsschirme muss allen Gläubigern klar sein: Ihr tragt
dass Frau Merkel keine europäische Vision in unsere Be- auch ein Risiko, für das ihr haften müsst, und ihr könnt
völkerung hinein vermitteln kann. Es geht immer um etwas verlieren.
Regierungstechnik und Klein-Klein in Brüssel, aber
nicht um die großen Züge. Es kann nicht länger sein, dass die Gewinne privati-
siert und die Verluste vom Staat übernommen werden.
Ich sage noch einmal: Es ist für Deutschland politisch Das können wir niemandem klarmachen. Das ist auch
wie ökonomisch die teuerste Lösung, die man sich nur moralisch nicht zu akzeptieren.
ausdenken kann, jetzt die Griechen herauszuschmeißen.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/
Frau Merkel, was nützt denn da die antigriechische DIE GRÜNEN und der SPD)
Rhetorik?
Wir sind also für Umschuldung. Ich will aber darauf
(Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: Was hinweisen: Was Herr Schäuble vorgeschlagen hat, ist
reden Sie eigentlich?) keine echte Befreiung der griechischen Ökonomie von
einem Teil ihrer Schuld. Es ist vielmehr eine Umstruktu-
Glauben Sie, dass die Griechen leichter auf die Beine
rierung; denn es geht um eine zeitliche Streckung.
kommen, wenn sie jetzt von Deutschland hören, sie ar-
beiteten zu kurz und seien zu faul? Gerade in der schwie- Wir haben vorgeschlagen, in das Verfahren das Ele-
rigen Situation, in der die griechische Regierung die ment einer Teilentschuldung mit aufzunehmen und dies
Sparmaßnahmen und die Privatisierung durchsetzen auf europäischer Ebene abzusichern. Für diejenigen, die
muss, wird aus Deutschland, kräftig befeuert von Frau freiwillig daran teilnehmen, übernehmen die europäi-
13224 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 115. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. Juni 2011
Fritz Kuhn
(A) schen Rettungsschirme dann eine Garantie für die ver- Zustimmung zu dieser wichtigen Maßnahme erkennen (C)
bleibende Restschuld. Dieser Vorschlag ist auch in unse- können.
rem Antrag enthalten.
(Volker Kauder [CDU/CSU]: Sie haben doch
Ich finde, dass Ihr Antrag, Herr Kauder, sozusagen schon die Ablehnung beschlossen! Heucheln
ein Ritt auf der Rasierklinge ist. Ich will etwas zu der Sie doch hier nicht rum!)
Konditionierung sagen. Es kann zwar gut sein, dass wir
ein weiteres Rettungspaket für die Griechen – und zwar – Nein. Sehr geehrter Herr Kauder, Sie scheinen die An-
sowohl die nächste Tranche als auch neue Finanzhilfen – träge der Oppositionsfraktionen nicht einmal mehr zu le-
brauchen, auch wenn der Schäuble-Vorschlag in Brüssel sen. So viel Arroganz habe ich selten erlebt.
nicht durchkommt. Ihr wollt jetzt aber die Konditionie- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
rung beschließen. Die CDU/CSU- und die FDP-Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN –
müssen wissen: Sie beschließen damit für den Fall eines Volker Kauder [CDU/CSU]: Sie haben es doch
Scheiterns des Schäuble-Vorschlags oder seiner Modifi- schon beschlossen!)
kation, dass Sie die nächste Tranche und die nächste
Finanzhilfe nicht verabschieden wollen. Das nenne ich Wir haben uns mit unserem Antrag ganz klar positio-
einen Ritt auf der Rasierklinge, weil das Scheitern der niert. Wir sind für eine Hilfe für Griechenland, aller-
Rettung Griechenlands für Deutschland in der Summe dings bei einer klaren und strikten Gläubigerbeteiligung.
einen viel größeren ökonomischen Schaden darstellen Ich komme darauf zurück. Das liefern Sie nämlich nicht.
würde. Das ist nur Rhetorik, was Sie in Ihrem Antrag schreiben.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ Es geht um die Frage – das ist ein weiterer entschei-
DIE GRÜNEN und der SPD) dender Punkt, auf den Herr Kollege Kuhn eben einge-
gangen ist –, wie Griechenland aus der Krise wieder he-
Deswegen sage ich den Kolleginnen und Kollegen rauskommt. Reine Sparprogramme und Programme, die
von der CDU/CSU- und der FDP-Fraktion: Ich hoffe, den Ausverkauf des griechischen Staates vorsehen, wer-
euch ist bewusst, was ihr mit dieser strengen Konditio- den nicht reichen, um dieses Land wieder auf einen
nierung beschließen wollt. Wachstumskurs zu bringen.
(Norbert Barthle [CDU/CSU]: Diese Logik stimmt (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
nicht! Das ist eine falsche Logik!) des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Denn ihr könnt nicht in sechs Wochen kommen und sa- Sie hatten viele Fraktionssitzungen in dieser Woche.
gen: Wir haben das nicht so genau verstanden, was man Es waren ja Ihre Kollegen, die permanent, auf niedrigs-
(B) uns aufgeschrieben hat. tem Niveau, gegen die Rettung des Euro und damit auch (D)
Vielen Dank. gegen die Stabilität des Euro-Systems klagen: Sie klagen
vor dem Verfassungsgericht, sie klagen in der Öffent-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN lichkeit, und sie verdummen die Öffentlichkeit. Hier
sowie bei Abgeordneten der SPD) wurden rein innenpolitische Reden gehalten, aber keine,
die der Verantwortung letztendlich gerecht geworden
Vizepräsident Eduard Oswald: sind.
Vielen Dank, Kollege Fritz Kuhn. – Jetzt für die Frak- (Beifall bei der SPD)
tion der Sozialdemokraten unser Kollege Carsten
Schneider. Bitte schön, Kollege Carsten Schneider. Herr Minister Schäuble, Sie haben heute zu Griechen-
land geredet und davon gesprochen, dass vielleicht noch
(Beifall bei der SPD) irgendetwas kommt. Ich habe aber keine einzige Zahl
gehört, die beziffert, wie viel denn noch kommt. Die
Carsten Schneider (Erfurt) (SPD): Auskunft darüber sind Sie nicht nur uns, dem Bundestag,
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sondern auch der Öffentlichkeit schuldig geblieben. Wir
führen heute eine sehr ernste Debatte zum Thema Euro- müssen im Haushaltsausschuss in der nächsten Woche
Stabilität. Ich hätte nach der Rede des Bundesfinanz- entscheiden. Sind es nun 90 Milliarden Euro zusätzlich,
ministers und der, wie ich finde, sehr ausgewogenen und sind es 80 Milliarden Euro, oder sind es 110 Milliarden
verantwortungsvollen Antwort des Fraktionsvorsitzen- Euro? Nichts haben Sie gesagt. Sie bleiben die Antwor-
den der SPD ten schuldig. Ihre Strategie des vergangenen Jahres be-
stand in Tricksen und Täuschen; nur so haben Sie die
(Beifall bei der SPD) Zustimmung der Koalitionsfraktionen bekommen. Da-
erwartet, dass die beiden Fraktionsvorsitzenden der Ko- mit erhalten Sie aber nicht die Zustimmung der Bevölke-
alitionsfraktionen nicht in Beschimpfungen und tiefste rung, im Gegenteil. Sie bedienen Ressentiments. Ihr Ver-
Bierzeltrhetorik verfallen, halten führt dazu, dass letztendlich niemandem mehr
klar ist: Um wie viel geht es hier eigentlich?
(Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Geben Sie
doch zu, dass Sie enttäuscht sind!) Ich will nun zu Griechenland kommen und Bilanz
ziehen. Sie haben sich Zeit gekauft, und zwar ein Jahr.
sondern versuchen, um Zustimmung zu werben. Herr Öffentliche Gelder in Höhe von 60 Milliarden Euro
Kauder, ich habe kein einziges Zeichen des Werbens um – Geld der europäischen Steuerzahler, nicht nur der deut-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 115. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. Juni 2011 13225
Carsten Schneider (Erfurt)
(A) schen – sind zu Privaten transferiert worden, die ihre mus, um den es am 24./25. Juni 2011 gehen wird, ein Irr- (C)
Anleihen nun nicht mehr halten. Was mit der Europäi- weg ist. Früher haben Sie, Frau Bundeskanzlerin, gesagt:
schen Zentralbank geschehen ist, stellt den größten Sün- Es gibt gar kein Geld. – Dann floss im Mai 2010 auf ein-
denfall überhaupt dar. Das haben Sie, Herr Brüderle, zu mal Bargeld. Im Juni behaupteten Sie, es solle nur ein
verantworten. Als Sie Bundeswirtschaftsminister waren, kurzfristiger Rettungsmechanismus sein. Jetzt soll es ei-
haben Sie zugelassen, dass die Europäische Zentralbank nen dauerhaften Rettungsmechanismus geben. All diese
ihre Unabhängigkeit verloren hat, Fehler wollen Sie jetzt natürlich nicht mehr hören. Diese
Fehler haben dazu geführt, dass an den Märkten und in
(Rainer Brüderle [FDP]: Ich?)
der Bevölkerung kein Vertrauen mehr entsteht.
weil sie mittlerweile Staatsanleihen aufkauft. Das ist ein
Der geplante Rettungsmechanismus hat einen Kern-
Unding. Dazu habe ich von Ihnen kein Wort gehört, als
fehler: dass wieder nur Kredite gegeben werden sollen.
Sie Bundeswirtschaftsminister waren.
Wenn man eine konsequente, dauerhaft tragfähige Ant-
(Rainer Brüderle [FDP]: Sie haben nicht wort geben will, die Europa von der Macht der Rating-
zugehört!) agenturen unabhängig macht, dann muss man das Instru-
mentarium so erweitern, wie es Ihnen der Chef des Euro-
Der Bundesbankpräsident hat seinen Hut genommen.
Rettungsfonds, Herr Regling, aufgeschrieben hat. Es
Das alles geht an Ihnen spurlos vorbei, und Sie behaup-
muss zusätzlich die Möglichkeit von Garantien geben.
ten glatt das Gegenteil. Das ist der Erfolg Ihrer Koalition
Das gäbe uns die Möglichkeit einer sanften Entschul-
gewesen. Die EZB hat nicht mehr im Entferntesten die
dung, die nicht zu einem Zahlungsausfall führt und die
Unabhängigkeit und die Glaubwürdigkeit, die die Bun-
Gläubiger beteiligt. Vor allen Dingen würde so ein Kern-
desbank einmal hatte. Sie ist letztendlich zur Bad Bank
problem gelöst: dass diese 500 Milliarden Euro, die ab
Europas geworden. Das haben Sie mitzuverantworten.
2013 zur Verfügung stehen sollen, mit Sicherheit nicht
Dazu höre ich kein kritisches Wort von Ihnen.
reichen werden. Es gibt nämlich schon eine Vorbelas-
Ich komme auf die Gläubigerbeteiligung zurück. tung von 200 Milliarden Euro aus den bisherigen Kredi-
Schulden Griechenlands bei den privaten Gläubigern in ten. Daher stehen eigentlich nur 300 Milliarden Euro zur
Höhe von 60 Milliarden Euro wurden von der öffentli- Verfügung. Das mag für die Öffentlichkeit nach viel
chen Hand übernommen. 50 Milliarden Euro Schulden klingen, ist aber mit Blick auf den gesamten europäi-
übernahm die Europäische Zentralbank. Somit sind mitt- schen Bereich nicht wirklich ein überzeugendes Argu-
lerweile private Kredite an Griechenland in Höhe von ment, mit dem man sagen könnte: Damit sichern wir die
110 Milliarden Euro von der öffentlichen Hand ausge- Unabhängigkeit der Euro-Zone.
löst worden. Sie reden viel von Gläubigerbeteiligung,
Ich prophezeie: Sie werden wieder vor den Deutschen
(B) aber Sie tun das Gegenteil. Sie haben sich ein Jahr lang (D)
Bundestag treten – wie Sie es auch im Falle des kurzfris-
Zeit erkauft, aber nichts ist passiert. Im Gegenteil: Dieje-
tigen Rettungsmechanismus tun mussten – und sagen:
nigen, die Gläubiger Griechenlands waren und eine Ver-
Wir brauchen zusätzliches Geld, nicht nur für Griechen-
antwortung für Griechenland hatten, machen sich vom
land, sondern auch für den Übergangsfonds. – Auch
Acker, und der Steuerzahler bezahlt. Das ist die Konse-
dazu habe ich heute nichts gehört. Es wurden weder Öf-
quenz Ihrer Politik. Diese Politik können Sie auch nicht
fentlichkeit noch Transparenz hergestellt. Es gab nur
mit wohlfeilen Anträgen verbergen.
wohlfeile Reden und Populismus. So gewinnen Sie nicht
(Beifall bei der SPD) die Zustimmung der Opposition und nicht die Zustim-
mung der Bevölkerung. Da sind Sie auf dem falschen
Für griechische Anleihen betrug der Risikoaufschlag
Weg.
2010, als wir hier das Rettungspaket beschlossen haben,
zeitweise knapp 11 Prozent. Wissen Sie, wie hoch er (Beifall bei der SPD)
heute ist? 23 Prozent. Ist das ein Erfolg? Ist das eine Ver-
besserung der Situation? Nein. Unter dem Strich sind die Kommen Sie uns und unseren Vorlagen – wir haben
Rettungsmaßnahmen gescheitert, weil sie einseitig rein im nächsten Halbjahr Zeit, zu entscheiden – entgegen;
fiskalisch gedacht wurden – ohne jeden ökonomischen wir reichen Ihnen die Hand. Aber dafür müssen Sie ers-
Sachverstand. tens wissen, was Sie wollen, und zweitens bereit sein,
nicht nur zulasten der einfachen Leute, der Steuerzahler
(Beifall bei Abgeordneten der SPD) zu handeln, sondern über eine Finanztransaktionsteuer
Sie führen einzig und allein dazu, dass die Wirtschaft letztendlich auch die Finanzindustrie zu beteiligen. Das
Griechenlands abgewürgt wird. wäre Ausdruck eines sozialen Europa, das dann diese
Bezeichnung wirklich verdient hätte.
Sie sind auf diesem Auge blind. Deswegen sagen wir
Sozialdemokraten: Sie gehen in die falsche Richtung. (Beifall bei der SPD)
Sie werden wieder mehr Geld verlangen, und es wird
wieder keine Perspektive für dieses Land geben. Das Vizepräsident Eduard Oswald:
kann man weder den Menschen in Deutschland noch de- Vielen Dank, Kollege Carsten Schneider. – Jetzt für
nen in Griechenland vermitteln, und man kann so auch die Fraktion der CDU/CSU unser Kollege Norbert
nicht um ihre Zustimmung werben. Barthle. Bitte schön, Kollege Norbert Barthle.
Meine Damen und Herren, wir Sozialdemokraten sind (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
der Auffassung, dass der dauerhafte Rettungsmechanis- der FDP)
13226 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 115. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. Juni 2011
(A) Norbert Barthle (CDU/CSU): wir alle, dass die Entscheidung zu Griechenland nicht (C)
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- nur Griechenland allein betrifft, sondern weit über Grie-
ren! Lieber Kollege Schneider, dass Sie Ihre Ablehnung chenland hinausreicht, dass sie das europäische Funda-
unseres heutigen Entschließungsantrags damit begrün- ment betrifft und Einfluss darauf hat, wie unser politi-
den, dass wir zu wenig um Sie geworben hätten, ist ein sches Zusammenwirken in Europa in der Zukunft
vorgeschobenes Argument: Bereits gestern im Haus- gestaltet wird.
haltsausschuss haben Sie eine Rede gehalten, die klar
Deshalb war es gut und richtig, dass wir in Sondersit-
zum Ausdruck gebracht hat, dass Sie sich wieder einmal
zungen in unseren Fraktionen bis tief in die Nacht, in
vom Acker machen, und da lag unser Entschließungs-
Sondersitzungen des Haushaltsausschusses, mit ernst-
antrag noch gar nicht vor. Ihr Argument ist also vorge-
haften Debatten in einer großen Tiefe und in einer gro-
schoben, und deshalb sind Sie nicht glaubwürdig.
ßen Detailgenauigkeit intensiv gerungen haben, diese
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Debatten geführt haben, um uns zu versichern, wie wir
der FDP) uns entscheiden. Es ging um Risikoabwägungen. Kein
Weg, den man einschlägt, ist ohne Risiko. Das ist uns al-
Ich darf auf die Rede von Herrn Steinmeier zu spre- len bewusst. Daher ging es darum, das Risiko abzuwä-
chen kommen. Er hat hier gestern schon eine Rede ge- gen und den Weg einzuschlagen, der die geringsten Risi-
halten, bei der es mir Schuhe und Socken ausgezogen ken birgt.
hat. Heute hat er eine Rede gehalten, bei der es mir
nichts mehr auszieht. Da kann ich nur noch sagen: Mein Wie hat die Kanzlerin in der Fraktionssitzung so rich-
Gott, Walter. tig gesagt? Ginge es – in Anführungszeichen – nur um
Griechenland, dann könnten wir uns tatsächlich zurück-
(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der lehnen. Aber es geht um weit mehr: Es geht um unsere
CDU/CSU) Währung, es geht um unsere Banken, unser Finanzsys-
Meine Damen und Herren, ich glaube, uns allen ist tem, es geht um unsere wirtschaftliche Zukunft. Darauf
bewusst: Wir befinden uns in einer äußerst schwierigen hat der Finanzminister ausdrücklich hingewiesen. Uns
Situation. Darauf hat der Bundesfinanzminister heute in ist das alles auch klar geworden.
großer Eindringlichkeit, in großer Klarheit und auch in Ich kann deshalb nicht verstehen, weshalb sich die
staatsmännischer Weitsicht aufmerksam gemacht, als er Opposition in dieser Situation wiederum mit vorgescho-
die Zusammenhänge dargestellt hat. Warum befinden benen Argumenten vom Acker macht. Vielleicht handelt
wir uns in einer so schwierigen Situation? Es ist gerade es sich dabei um politische Erwägungen; das könnte ja
ein Jahr her, da mussten wir Griechenland helfen. Wir durchaus sein. Denn eines will ich an dieser Stelle auch
(B) mussten ohne Vorbild, ohne Muster ein Aufbaupro- feststellen: Die Debatte über diesen kleinen Entschlie- (D)
gramm für Griechenland entwickeln. Das Hilfspro- ßungsantrag – er umfasst ja nur knapp drei Seiten; er ist
gramm umfasste bilateral vergebene Kredite und war ein kleines Papierchen – hat weitreichende Folgen, Fol-
eingebunden in ein europäisches Konzept. Kurz darauf gen, die weit über den heutigen Tag hinausreichen. Das
mussten wir den Euro stabilisieren, um gegen Spekula- hat Konsequenzen für alle weiteren politischen Entschei-
tionen gewappnet zu sein. Wir haben EFSM und EFSF dungen in Europa.
geschaffen und hatten damit ein Instrumentarium in der
Hand. Kurz darauf mussten Portugal und Irland sozusa- Durch dieses Problem ist die Koalition aus CDU/CSU
gen gerettet werden. und FDP mehr zusammengeschweißt worden als durch
irgendein anderes Projekt in dieser Legislaturperiode.
Wenn man sich nun einen Augenblick zurücklehnt,
dann muss man doch feststellen: Von außen betrachtet (Zurufe von der SPD: Oh, oh!)
war das bisher erfolgreich. Es ging uns darum, Europa
Daher bin ich unserer Fraktionsführung sehr dankbar da-
und die Europäische Währungsunion beieinanderzuhal-
für, dass wir dieses Thema in dieser Ausführlichkeit und
ten. Es ging uns darum, den Euro stabil zu halten. Es
Ernsthaftigkeit debattieren konnten.
ging uns darum, Schaden vom deutschen Steuerzahler
abzuwenden. Diese Ziele sind bisher erreicht worden. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
Jeder, der das Gegenteil behauptet, nimmt die Realitäten neten der FDP)
nicht wahr.
Das Ergebnis dieser Debatten ist ein Entschließungs-
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) antrag, in dem einige Bedingungen festgelegt werden,
Es gibt einen Bericht der Troika, in dem steht, dass mit denen wir unsere Bundesregierung in die weiteren
das Anpassungsprogramm nicht so gewirkt hat wie er- Verhandlungen schicken. Diese Bedingungen, Herr Kol-
hofft. Die Schuldentragfähigkeit Griechenlands ist nicht lege Kuhn, umfassen die Punkte, von denen wir als deut-
gegeben, zumindest nicht für die nächsten zwölf Mo- sches Parlament der Meinung sind, dass sie in den Ver-
nate. Deshalb ist neue Hilfe nötig. handlungen berücksichtigt werden sollen. Daraus die
Konsequenz zu ziehen, dass jeder Punkt eingehalten
Nun kann man sich in einer solchen Situation aus- werden muss, ist logisch nicht zulässig. Vielmehr geht
suchen, was man tut. Man kann sich zurücklehnen und unsere Bundesregierung mit diesen Punkten in die Ver-
sagen: Das ist nicht unser Problem. – Oder man kann handlungen. Sie wissen ganz genau, dass wir da nicht al-
sich dazu entscheiden, erneut Hilfeleistungen zu geben, lein sind. Vielmehr gibt es da noch andere, die mit ver-
damit diese Situation bereinigt werden kann. Nun wissen handeln.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 115. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. Juni 2011 13227
Norbert Barthle
(A) (Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (C)
Dann können Sie nicht zustimmen!) NEN):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr
Diese Punkte enthalten unsere Vorstellungen über den Barthle hat den Vorwurf geäußert, dass wir dem Antrag
weiteren Weg in Europa. der Koalitionsfraktionen nicht zustimmen wollten und
uns deswegen irgendetwas ausdenken müssten. In Wahr-
An dieser Stelle möchte ich aus meiner Sicht auf fol- heit verhält es sich anders: Ihr Entschließungsantrag
genden entscheidenden Punkt hinweisen: Egal welche dient dazu, Ihren Laden zusammenzuhalten. Wir dage-
Verhandlungsergebnisse erzielt werden, eines bleibt un- gen haben die besseren Vorschläge. Diese haben wir in
berührt: Wenn es um finanzielle Auswirkungen geht, unserem Antrag vorgestellt. Somit möchte ich über die
wenn es um das Haushaltsrecht des Deutschen Bundes- Inhalte reden, um die es geht, und nicht über die Streite-
tages geht – das ist das Königsrecht dieses Hauses –, reien früherer Jahre.
dann ist die Zustimmung des Deutschen Bundestages er-
forderlich. An dieser Stelle, meine Damen und Herren, Ich will auch begründen, warum der von uns vor-
will ich ein herzliches Dankeschön unserem Bundestags- geschlagene Weg besser ist. Sie vernachlässigen einen
präsidenten Norbert Lammert sagen, der sich immer Aspekt völlig, nämlich: Diese Krise ist nach wie vor
wieder mit großer Verve für die Rechte des Parlaments auch eine Bankenkrise.
einsetzt. Herzlichen Dank, lieber Norbert Lammert, da- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
für! Das spiegelt sich auch in diesem Antrag wider. sowie bei Abgeordneten der SPD)
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Welche Angst treibt denn alle um? Warum hat denn die
Abgeordneten der SPD und der LINKEN) EZB Bedenken, wie Herr Schäuble zu Recht gesagt hat,
gegenüber einer Umschuldung? All das hat damit zu tun,
Wenn man sich diese Punkte anschaut, sieht man: Es dass der Bankensektor in Europa und gerade auch der
geht letztlich darum, dass wir Griechenland dort unter- deutsche Bankensektor nach wie vor nicht stabil ist.
stützen, wo Hilfe gewünscht wird; es geht darum, ein Auch den deutschen Banken fehlt es noch an Kapital.
Programm zu entwickeln, mit dem die Wettbewerbsfä- Diese Schwäche muss korrigiert werden. Bei vielen Re-
higkeit Griechenlands gestärkt werden kann; es geht da- gulierungsbemühungen in Europa, bei denen es darum
rum, Privatisierungen voranzutreiben, damit Griechen- ging, die Banken auf eine stabile Grundlage zu stellen,
land wieder liquide wird; es geht darum, ein Konzept zu hat die Bundesregierung gebremst. Das ist die inhaltli-
entwickeln, mit dem sich Griechenland selbst helfen che Lücke in Ihrem Antrag.
kann. Darum geht es uns. Wir wollen, dass dabei private Vor diesem Hintergrund schlagen wir vor, einen euro-
(B) Gläubiger beteiligt werden. Hier geht es um Fairness, (D)
päischen Bankenstabilisierungsfonds zu schaffen und
hier geht es um einen fairen Ausgleich zwischen öffent- damit eine Struktur, die es uns ermöglicht, aus dieser
lichem Sektor und privatem Kapital. An dieser Stelle Verquickung von Staatsschuldenkrise und Bankenkrise
müssen wir noch Widerstände brechen. Wir, die Obleute herauszukommen. So kann verhindert werden, dass Risi-
des Haushaltsausschusses, waren erst vor kurzem bei un- ken der Banken zu neuen Problemen in den Staaten füh-
seren Kollegen in Frankreich, die – das ist dabei klar ge- ren, und umgekehrt. In diesem Punkt klafft in Ihren Vor-
worden – bei all dem noch sehr zögerlich sind. schlägen eine klare Lücke. Deswegen ist unser Ansatz
besser. Ein europäischer Bankenstabilisierungsfonds ist
Ich habe aber großes Vertrauen in unseren Finanz- nötig. Sie lehnen das aber bisher ab.
minister, ich habe großes Vertrauen in unsere Bundes-
kanzlerin, dass sie bei den anstehenden Verhandlungen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
mit großem Nachdruck darauf hinweisen, welche Wün- Sie drängen hier einmal mehr auf große Eile bei den
sche und Vorstellungen das deutsche Parlament hat. Ich Privatisierungen. Haben Sie denn nichts gelernt aus den
vertraue unserer Regierung, dass sie mit den entspre- Folgen, die entsprechender Druck in den letzten Jahren
chenden Ergebnissen zurückkommt, und hoffe, dass das, verursachte? Warum stehen wir heute an einem Punkt,
was in dieser ernsthaften Debatte zum Ausdruck ge- wo man sagen muss: „Das Programm hat nicht richtig
bracht worden ist, am Ende auch gelingt, nämlich die Si- funktioniert, und es muss nachgesteuert werden“? Weil
cherung Europas, die Sicherung eines friedfertigen, gro- Sie in kurzer Zeit Erfolge erzielen wollten und überhaupt
ßen Wirtschaftsraumes, der sich imstande sieht, in den nicht auf die ökonomischen Bedingungen geachtet ha-
globalen Herausforderungen – darum geht es ja letztend- ben. Es ist richtig, dass eine Privatisierungsstrategie auf-
lich – unsere Interessen zu wahren. gestellt werden muss. Sie stellen hier aber Bedingungen,
die eher zu einer Verschärfung der Schwierigkeiten füh-
Herzlichen Dank. ren, als dass sie das Problem wirklich lösen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ich möchte jetzt nicht so weit in die Geschichte zu-
rückblicken, wie Sie, Herr Brüderle, es gemacht haben,
sondern Sie nur bitten, den Blick auf die letzten einein-
Vizepräsident Eduard Oswald: halb Jahre zu werfen. Heute haben Sie gesagt, Gläubi-
Vielen Dank, Kollege Norbert Barthle. – Jetzt für die gerbeteiligung ist unverzichtbar, und der Bundesfinanz-
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen unser Kollege minister will mit den Banken über eine freiwillige
Dr. Gerhard Schick. Bitte, Kollege Dr. Gerhard Schick. Umschuldung verhandeln. Ja, Moment! In dieser Situa-
13228 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 115. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. Juni 2011
Bartholomäus Kalb
(A) men jedenfalls nicht. Es ist deshalb wichtig, dass wir die einer Währungsgemeinschaft stellt sehr hohe Anforde- (C)
entsprechenden Beratungen und die Debatten über die rungen an jedes einzelne Mitglied.
erforderlichen Maßnahmen mit großer Ernsthaftigkeit
Entscheidend für Griechenland und den Erfolg unse-
führen. Es geht jetzt bei aller Diskussion und allem Rin-
rer Bemühungen wird auch sein, dass es gelingt, die
gen um den richtigen Weg und die richtigen Entschei-
wirtschaftliche Leistungsfähigkeit Griechenlands erheb-
dungen nicht um kurzfristigen Beifall, sondern um die
lich zu verbessern. Bei einem Leistungsbilanzdefizit von
Wahrnehmung unserer Verantwortung; das ist nicht im-
rund 24 Milliarden Euro ergibt sich das von selbst. Auch
mer populär.
die Europäische Union ist deshalb aufgefordert, ihre
Wir mussten auch in den zurückliegenden Jahren eine Leistungen aus den verschiedenen Fonds an Griechen-
Vielzahl zunächst umstrittener und unpopulärer Maß- land daraufhin zu überprüfen, ob sie wirklich geeignet
nahmen zur Bewältigung der weltweiten Finanz-, Wirt- sind, die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und die
schafts- und Bankenkrise ergreifen. Niemand konnte Wettbewerbsfähigkeit Griechenlands zu verbessern. Mit
seinerzeit mit letzter Sicherheit sagen, ob diese Maßnah- Programmen, die zwar schön sind, erhebliche Mitnah-
men wirklich richtig sein würden und die gewünschte meeffekte nach sich ziehen, aber keine vernünftige Wir-
Wirkung eintreten würde. Heute können wir feststellen, kung erzielen, ist niemandem gedient.
dass wir in Deutschland nicht zuletzt wegen der ergriffe- Die Stabilität des Euro zu sichern, ist eine außeror-
nen Maßnahmen schneller und besser aus der Wirt- dentlich wichtige und schwierige Aufgabe. Das ist eine
schafts- und Finanzkrise herausgekommen sind, als wir Gemeinschaftsaufgabe, eine gesamteuropäische Auf-
das je zu hoffen gewagt hätten. gabe. Wir sind bereit, mitzuhelfen, dass diese Aufgabe
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und erfolgreich gemeistert werden kann.
der FDP) Herzlichen Dank.
Die Wirtschaft läuft gut. Mehr Menschen als je zuvor ha- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
ben einen gesicherten Arbeitsplatz. Die gestiegenen
Staatseinnahmen helfen uns, bei der Konsolidierung der Vizepräsident Eduard Oswald:
öffentlichen Haushalte gut voranzukommen. Wir haben zu danken, Kollege Bartholomäus Kalb.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben Ich schließe die Aussprache.
vor gut einem Jahr schwierige und weitreichende Ent-
scheidungen zur Stabilisierung des Euro und zur Hilfe Uns liegt eine Reihe von Erklärungen nach § 31 unse-
für gefährdete Länder getroffen. Niemand wird bestrei- rer Geschäftsordnung vor.1)
(B) ten, dass wir es im Mai letzten Jahres mit einer sehr erns- Wir kommen nun zur Abstimmung über die Ent- (D)
ten Situation für unsere Währung zu tun hatten. Ich halte schließungsanträge, zunächst zum Entschließungsantrag
die seinerzeit ergriffenen Maßnahmen auch aus heutiger der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP auf Druck-
Sicht für richtig. Ich will mir nicht vorstellen, wie die Si- sache 17/6163. Wer stimmt dafür? – Das sind die Koali-
tuation wäre, wenn es vor einem Jahr zu einem Crash ge- tionsfraktionen. Gegenprobe! – Das sind die Opposi-
kommen wäre. Ich bin felsenfest davon überzeugt, dass tionsfraktionen.
wir einen wirtschaftlichen Aufschwung, wie wir ihn jetzt
verzeichnen können, so nicht bekommen hätten. Daraus (Zuruf des Abg. Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/
ergibt sich: Ein stabiler Euro ist zuallererst im Interesse DIE GRÜNEN])
der deutschen Wirtschaft und der Menschen in Deutsch- – Gegenstimmen von der Koalition?
land.
(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
Wenn wir mit den Menschen im Lande reden, stellen NEN]: Vier!)
wir fest, dass sie zwar oft unterschiedlicher Meinung
– Vier? Schauen wir einmal. – Eins, zwei, drei, vier Ge-
sind über die Maßnahmen, die zur Euro-Stabilisierung
genstimmen. Da viele nicht sitzen, ist das von hier oben
notwendig sind. Aber sie erwarten unabhängig davon
schwer zu sehen. Jetzt ist das festgehalten.
von uns zuallererst, dass wir für geordnete Finanzen sor-
gen und die Stabilität der Währung sicherstellen, nicht Enthaltungen? – Eine. Der Entschließungsantrag ist
mehr und nicht weniger. angenommen.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Wir kommen nun zu dem gemeinsamen Entschlie-
neten der FDP – Norbert Barthle [CDU/CSU]: ßungsantrag der Fraktionen SPD, Die Linke und Bünd-
So ist es!) nis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/6162. Wer stimmt
für diesen Entschließungsantrag? – Das sind die antrag-
Wenn wir in Krisen geratenen Ländern wie jetzt Grie- stellenden Fraktionen. Gegenprobe! – Das sind die
chenland helfen wollen und sollen, müssen diese Länder Koalitionsfraktionen. Enthaltungen? – Keine. Der Ent-
selber große Anstrengungen unternehmen, auch wenn schließungsantrag ist abgelehnt.
diese Anstrengungen schmerzhaft sind. Unsere Hilfen
können nur unter strengen Bedingungen und Auflagen Wir stimmen nun über weitere Entschließungsanträge
und bei Aussicht auf Erfolg gewährt werden. Finanz- einzelner Fraktionen ab.
minister Dr. Schäuble hat gestern im Haushaltsausschuss
zutreffend gesagt – ich zitiere –: Die Mitgliedschaft in 1) Anlagen 3 bis 5
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 115. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. Juni 2011 13231
Vizepräsident Eduard Oswald
(A) Abstimmung über den Entschließungsantrag der Ich schließe die Wahl und bitte die Schriftführerinnen (C)
Fraktion der SPD auf Drucksache 17/6161. Wer stimmt und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das
für diesen Entschließungsantrag? – Das ist die Fraktion Ergebnis der Wahl wird Ihnen später bekannt gegeben.1)
der Sozialdemokraten. Gegenprobe! – Koalitionsfraktio-
nen, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Enthaltungen? – Ich wäre dankbar, wenn Sie sich wieder auf Ihre
Linksfraktion. Der Entschließungsantrag ist abgelehnt. Plätze begeben würden.
Abstimmung über den Entschließungsantrag der Frak- Ich rufe die Tagesordnungspunkte 29 a und b auf:
tion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/6159.
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Daniela
Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Das ist
Wagner, Bettina Herlitzius, Ingrid Nestle, weite-
die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Gegenprobe! –
rer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
Das sind die Koalitionsfraktionen, die Sozialdemokraten
und die Linksfraktion. Enthaltungen? – Keine. Der Ent- DIE GRÜNEN
schließungsantrag ist abgelehnt. Energieeffizienz und Klimaschutz im Gebäu-
Schließlich kommen wir zur Abstimmung über den debereich
Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grü- – Drucksache 17/5778 –
nen auf Drucksache 17/6160. Wer stimmt für diesen Ent-
schließungsantrag? – Das ist die Fraktion Bündnis 90/ Überweisungsvorschlag:
Die Grünen. Gegenprobe! – Das sind die Koalitionsfrak- Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f)
Innenausschuss
tionen und die sozialdemokratische Fraktion. Enthaltun- Rechtsausschuss
gen? – Die Linksfraktion. Der Entschließungsantrag ist Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
abgelehnt. Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ich rufe den Zusatzpunkt 18 auf: Haushaltsausschuss
Wahl eines Mitglieds des Vertrauensgremiums b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
gemäß § 10 a Abs. 2 der Bundeshaushaltsord- richts des Ausschusses für Verkehr, Bau und
nung Stadtentwicklung (15. Ausschuss)
– Drucksache 17/6132 –
– zu dem Antrag der Abgeordneten Michael
Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen schlägt auf Groß, Sören Bartol, Uwe Beckmeyer, weiterer
Drucksache 17/6132 Frau Priska Hinz vor. Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Bevor wir zur Wahl kommen, bitte ich um Ihre Auf- Angekündigte Mittelkürzung beim CO2-Ge-
(B) merksamkeit für einige Hinweise zum Wahlverfahren. bäudesanierungsprogramm zurücknehmen (D)
Laut Gesetz ist gewählt, wer die Stimmen der Mehr-
heit der Mitglieder des Bundestages auf sich vereint, das – zu dem Antrag der Abgeordneten Stephan
heißt, wer mindestens 311 Stimmen erhält. Die Wahl er- Kühn, Daniela Wagner, Bettina Herlitzius, wei-
folgt mit Stimmkarte und Wahlausweis. Den Wahlaus- terer Abgeordneter und der Fraktion
weis können Sie, soweit noch nicht geschehen, Ihrem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Stimmkartenfach in der Lobby entnehmen. Bitte achten CO2-Gebäudesanierungsprogramm fortfüh-
Sie unbedingt darauf, dass der Wahlausweis auch wirk- ren – Mit energetischer Sanierung Konjunk-
lich Ihren Namen trägt. Die Stimmkarten wurden im tur ankurbeln, Arbeitsplätze sichern und
Saal verteilt. Sollten Sie noch keine Stimmkarte haben, Klima schützen
besteht jetzt noch die Möglichkeit, sie von den Plenaras-
sistentinnen und Plenarassistenten zu erhalten. – zu dem Antrag der Abgeordneten Daniela
Gültig sind nur Stimmkarten mit dem Kreuz bei Ja, Wagner, Bettina Herlitzius, Markus Kurth, wei-
Nein oder „Enthalte mich“. Ungültig sind demzufolge terer Abgeordneter und der Fraktion
Stimmkarten, die kein Kreuz oder mehr als ein Kreuz, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
andere Namen oder Zusätze enthalten. Die Wahl findet Heizkostenkomponente beim Wohngeld er-
offen statt. Sie können Ihre Stimmkarte also an Ihrem halten
Platz ankreuzen.
Bevor Sie die Stimmkarte in eine der Wahlurnen wer- – zu dem Antrag der Abgeordneten Bettina
fen, übergeben Sie den Schriftführern an der Wahlurne Herlitzius, Stephan Kühn, Daniela Wagner,
Ihren Wahlausweis. Der Nachweis der Teilnahme an der weiterer Abgeordneter und der Fraktion
Wahl kann nur durch Abgabe des Wahlausweises er- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
bracht werden. Lebensqualität und Investitionssicherheit in
Jetzt bitte ich die Schriftführerinnen und Schriftfüh- unseren Städten durch Rettung der Städte-
rer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. Sind die bauförderung sichern
Plätze an den Urnen besetzt? – Das ist der Fall.
– Drucksachen 17/2346, 17/2395, 17/2923,
Ich eröffne die Wahl. 17/2396, 17/4835 –
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der Fall. 1) Ergebnis der Wahl siehe Seite 13235 A
13232 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 115. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. Juni 2011
Peter Götz
(A) die Laufzeiten der Atomkraftwerke weiter verkürzen Ein Weiteres möchten wir angehen: Durch steuerliche (C)
und gleichzeitig klimapolitische Ziele erreichen wollen, Anreize wollen wir weitere Eigentümergruppen für die
dann brauchen wir dazu den Gebäudebereich. Sanierung ihrer Gebäude gewinnen. So können in Zu-
kunft Kosten für die energetische Sanierung von Gebäu-
Es wurde bereits gesagt: 40 Prozent der in Deutsch- den, die vor 1995 gebaut wurden, innerhalb von zehn
land verbrauchten Endenergie entfallen auf das Heizen Jahren mit jährlich 10 Prozent steuerlich abgeschrieben
von Räumen und das Aufheizen von Wasser, und zwar werden. Dies gilt übrigens für vermietete ebenso wie für
überwiegend in privaten Haushalten. Dort müssen wir selbstgenutzte Wohnungen. Es ist besser, die Menschen
ansetzen. Dieses große Potenzial zu erschließen, ist eine investieren ihr Erspartes in die energetische Sanierung
Herkulesaufgabe, an der sich die gesamte Gesellschaft ihres Ein-, Zwei- oder Dreifamilienhauses als in Speku-
beteiligen muss. Im Gegensatz zur Opposition, also auch lationsgeschäfte in Ostasien.
zu den Grünen, setzen wir dabei nicht auf Zwang, son-
dern auf Anreize und Verbraucherinformationen. (Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: Oder in
griechische Staatsanleihen!)
Viele Gebäude wurden in einer Zeit gebaut, in der
Energie noch preiswert war. Entsprechend schlecht ist Bei der steuerlichen Förderung sollten wir uns am
aus energetischer Sicht der bauliche und auch der hei- Maßnahmenkatalog der KfW orientieren. Wir sollten
zungstechnische Zustand. In Verantwortung gegenüber – da stimme ich Ihnen zu – dieses Gesetz auch zeitlich
dem Steuerzahler wollen und müssen wir pro eingesetz- befristen. Aber wir sollten auch vermeiden, dass durch
tem Euro Steuergeld eine maximale Einsparung an ein zu spätes Inkrafttreten des Gesetzes Attentismus und
Treibhausgasemissionen erreichen. damit ein Stau entsteht, der dazu führt, dass zu Beginn
des neuen bzw. nächsten Jahres möglicherweise die
Liebe Frau Kollegin Wagner, wir fangen damit nicht Preise ansteigen und Engpässe produziert werden.
bei null an. Die CDU/CSU-geführte Bundesregierung
hat in den letzten fünf Jahren im Rahmen des CO2-Ge- Liebe Kolleginnen und Kollegen, durch die steuerli-
bäudesanierungsprogramms über 7 Milliarden Euro För- chen Anreize verleihen wir der energetischen Sanierung
dermittel zur Verfügung gestellt. In diesem Jahr stehen von Gebäuden zusätzlich Schwung. Wichtig ist uns bei
936 Millionen Euro bereit. Damit finanziert die bundes- den verschiedenen ehrgeizigen Maßnahmen, dass es ge-
eigene Kreditanstalt für Wiederaufbau sehr erfolgreich lingt, die Menschen von den Vorteilen und der Richtig-
zinsgünstige Kredite und Investitionszuschüsse für ener- keit dieser Vorgehensweise zu überzeugen. Dies gilt für
getische Sanierungsmaßnahmen an Wohngebäuden und die Mieter, aber genauso für die Vermieter. Auch wir,
anderen Gebäuden der kommunalen und sozialen Infra- Frau Wagner, wollen fördern und fordern.
struktur, aber auch für energieeffiziente Wohnungsneu- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
(B) bauten. (D)
Aber wir dürfen dabei weder die Eigentümer noch die
Noch einmal zur Erinnerung einige wenige Zahlen: Mieter überfordern und auch nicht überfördern. Auch
Von 2006 bis Ende 2010 hat die KfW rund 900 000 Kre- das gehört zur Vollständigkeit dazu.
dite und Zuschüsse mit einem Volumen von über
36 Milliarden Euro bewilligt und damit Investitionen (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
von über 75 Milliarden Euro angestoßen. So konnten bis Lassen Sie mich abschließend zusammenfassen:
heute bereits mehr als 2,4 Millionen Wohnungen saniert
oder besonders energieeffizient neu errichtet werden. Erstens. Aus Klimaschutzgründen muss der Ausstieg
Der Ausstoß des Treibhausgases CO2 verringert sich da- aus der Atomenergie zusammen mit einem konsequen-
durch jährlich um sage und schreibe rund 4,7 Millionen ten Einstieg in das Zeitalter der erneuerbaren Energien
Tonnen. Zugleich wurden mit diesem Programm pro und in die energetische Sanierung des Gebäudebestandes
Jahr bis zu 340 000 Arbeitsplätze – überwiegend im hei- erfolgen. Sie haben zwar seinerzeit den Ausstieg be-
mischen Handwerk – gesichert und neu geschaffen. Das schlossen, aber vergessen, den Einstieg mitzubeschlie-
sind Zahlen, die sich, wie ich finde, sehen lassen können. ßen.
Die Verbesserung der Energieeffizienz war schon im- (Lachen bei Abgeordneten der SPD – Florian
mer ein zentrales Anliegen der CDU/CSU-geführten Pronold [SPD]: Sie dürfen nicht Ihrer eigenen
Bundesregierung. Ab dem kommenden Jahr werden wir Propaganda glauben!)
die Mittel im CO2-Gebäudesanierungsprogramm auf
Zweitens. Die milliardenschwere energetische Sanie-
jährlich 1,5 Milliarden Euro erhöhen. Darin enthalten
rung der Wohnungsbestände wird ohne staatliche Leis-
sind 150 Millionen Euro für direkte Zuschüsse an Men-
tung nicht stattfinden. Deshalb ist es zwingend notwen-
schen, die wegen ihres Alters oder ihres Einkommens
dig, dafür öffentliche Mittel in die Hand zu nehmen.
von den Banken keinen Sanierungskredit mehr bekom-
men oder sich einfach auch nicht mehr neu verschulden Drittens. Das Energiekonzept muss – auch in diesem
wollen. Mit dem Sanierungszuschuss wollen wir diesem Punkt unterscheiden wir uns ein wenig – an den Grund-
Personenkreis anbieten, das Ersparte für eine energetisch satz der Wirtschaftlichkeit gebunden werden.
verbesserte Wohnung einzusetzen – auch, um sich im
Alter von den hohen Energiekosten der Wohnung zu ent- Mit dem, was wir den Menschen und den Wohnungs-
lasten. unternehmen anbieten, reduzieren wir den Energiebe-
darf, senken wir auf Dauer die Energiekosten für Mieter,
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vermieter und Eigenheimbesitzer gleichermaßen und
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 115. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. Juni 2011 13235
Peter Götz
(A) stabilisieren wir durch die energetische Sanierung der rum weiß er gar nicht, was wirklich geschehen (C)
Wohngebäude auch die Immobilienwerte und sichern ist!)
Arbeitsplätze im heimischen Handwerk. Neben den
erwarteten positiven gesamtwirtschaftlichen Auswirkun- Diese Kürzungen müssen zurückgenommen werden.
gen durch zusätzliche Steuereinnahmen für Bund, Län- Was erleben wir heute? Sie versuchen vom Holzweg
der und Kommunen und für die sozialen Sicherungssys- auf den Pfad der Tugend zurückzukehren.
teme leisten wir so einen wichtigen Beitrag zum
Klimaschutz. Ich lade Sie alle ein, diesen Weg gemein- (Manfred Grund [CDU/CSU]: Besser spät als
sam mit uns zu gehen. nie!)
Herzlichen Dank. Das ist schön. Schon in der Bibel steht: Über einen reui-
gen Sünder gibt es mehr Freude als über 99 Gerechte.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wir freuen uns, weil es der richtige Weg ist, auf die ener-
getische Gebäudesanierung zu setzen und damit tatsäch-
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: lich etwas für den Klimaschutz zu tun. Wir alle in
Bevor ich dem nächsten Redner das Wort erteile, gebe diesem Haus wissen, dass dort die höchsten Einspar-
ich Ihnen das Ergebnis der Wahl eines Mitglieds des potenziale im Bereich der Energie liegen und wir dort
Vertrauensgremiums gemäß § 10 a Abs. 2 der Bundes- am meisten gegen den Klimawandel tun können.
haushaltsordnung bekannt: abgegebene Stimmen 564, gül- (Beifall bei der SPD)
tige Stimmen ebenfalls 564. Mit Ja haben gestimmt 508,
mit Nein 24, Enthaltungen 32. Die Abgeordnete Priska Für uns als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokra-
Hinz hat 508 Stimmen erhalten. Die erforderliche Mehr- ten ist es besonders wichtig, dass die Kosten, die dort
heit von mindestens 311 Stimmen wurde übertroffen. entstehen, fair verteilt werden. Es darf nicht passieren,
Damit ist sie gewählt.1) dass die Mieterinnen und Mieter die Belastungen einsei-
tig tragen müssen. Was Sie planen, läuft darauf hinaus,
(Beifall) dass die Mieterinnen und Mieter die Dummen dieser
Entwicklung sind.
Das Wort hat nun der Kollege Florian Pronold von der
SPD-Fraktion. (Patrick Döring [FDP]: Quatsch! Das sagt
nicht einmal der Mieterbund!)
(Beifall bei der SPD)
– Natürlich. Bereits das geltende Recht sieht vor, dass
Florian Pronold (SPD): 11 Prozent der Sanierungskosten jedes Jahr auf die
(B) Miete draufgeschlagen werden können. (D)
Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrter Herr
Präsident! Warum führen wir die Debatte heute eigent- (Patrick Döring [FDP]: Nicht jedes Jahr!
lich? Einmalig!)
(Patrick Döring [FDP]: Das fragt man sich!) Ja, einmalig. Danach setzt sich das jedes Jahr fort, und
zwar unendlich lange.
Wenn man sich die Anträge durchliest, dann stellt man
fest, dass die Antwort relativ einfach ist: Die schwarz- (Patrick Döring [FDP]: Einmalig, nicht jedes
gelbe Koalition war auf dem Holzweg, was die energeti- Jahr 11 Prozent!)
sche Sanierung von Gebäuden angeht. Wer hat denn die
KfW-Mittel halbiert? Wer hat denn in zwei Bundeshaus- – Ja, aber nicht bis alles bezahlt ist, sondern unendlich
halten nacheinander die Axt an die energetische Gebäu- lange. Diese Erhöhung bleibt dann. Das ist geltendes
desanierung angelegt? Das waren Sie! Recht.
(Patrick Döring [FDP]: Daran ändert sich
(Bettina Herlitzius [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
nichts!)
NEN]: Ja!)
– Ich rede jetzt über das geltende Recht. Die Bundes-
Wer hat damit eines der erfolgreichsten Mittelstandsför-
kanzlerin hat im Herbst gesagt: Das reicht noch nicht,
derprogramme heruntergefahren? Das waren Sie! Sie ha-
das müssen wir eventuell noch erhöhen.
ben das in jeder Haushaltsberatung immer wieder vertei-
digt. Darüber hinaus haben Sie Gesetzgebungsvorschläge
in der Pipeline, die darauf hinauslaufen, die Rechte der
(Patrick Döring [FDP]: Sie haben doch die Mittel Mieterinnen und Mieter bei der energetischen Sanierung
in den Jahren vorher rausgepulvert!) zu verschlechtern,
Der Grund, warum wir die Anträge, die heute zur De- (Sören Bartol [SPD]: So ist es!)
batte stehen, behandeln müssen, ist:
weil Sie nämlich eine Zwangsduldung auferlegen, ohne
(Volkmar Vogel [Kleinsaara] [CDU/CSU]: Abwehrrechte. Es gibt schon heute Fälle, dass Gebäude
Herr Pronold taucht im Ausschuss nur auf, über ein Jahr oder über anderthalb Jahre saniert werden,
wenn große Reden gesprochen werden! Da- was mit enormen Belastungen für die Mieterinnen und
Mieter verbunden ist, wogegen sich diese nicht wehren
1) Namensverzeichnis der Teilnehmer an der Wahl siehe Anlage 2 können.
13236 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 115. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. Juni 2011
Florian Pronold
(A) (Patrick Döring [FDP]: Deshalb befristen wir serer Regierungszeit und unter unserer Führung des zu- (C)
es auf drei Monate!) ständigen Ministeriums der Fall war.
Die einzige Möglichkeit ist die Minderung der Miete. (Pascal Kober [FDP]: Warum haben Sie es
dann auf drei Jahre befristet?)
(Patrick Döring [FDP]: Das ist blanke
Erfindung!) Ein anderer Punkt ist, dass die Mieterinnen und Mie-
ter vernünftig beteiligt werden, aber das Mietrecht nicht
– Ich kann Ihnen die Beispiele nennen. zulasten der Mieterinnen und Mieter ausgestaltet wird,
(Patrick Döring [FDP]: Wir planen das alles so wie es in Ihren Plänen zu lesen ist, und es nicht zu
nicht, Herr Pronold! Sie wehren sich gegen et- einseitigen Begünstigungen kommt. Ich meine damit die
was, was nicht geplant ist!) Sonder-AfA, die Sie gerade angesprochen haben, werter
Kollege. Anscheinend versuchen Sie, Ihr Steuersen-
– Dann lesen Sie einmal, was Sie selber sagen und was kungsversprechen, das Sie vor der Wahl gemacht haben,
in den Berichten darüber steht. unter dem Deckmantel der energetischen Gebäudesanie-
(Patrick Döring [FDP]: Sie sollten lesen, was rung ein bisschen zu erfüllen, nachdem Sie dieses Ziel
wir beantragt haben! – Swen Schulz [Spandau] vorher so gründlich verfehlt haben. Das ist erst einmal
[SPD]: Denn sie wissen nicht, was sie tun!) nicht schlimm. Man muss aber einmal genau hin-
schauen: Welche Wirkung hat das? Eine Sonder-AfA
Dann werden wir ja sehen. Sagen Sie doch ganz klar: Es kann – das haben wir bei den denkmalgeschützten Ge-
wird keine Änderung am Mietrecht geben. bäuden gesehen – durchaus eine positive Wirkung ha-
(Patrick Döring [FDP]: Das sagen wir sicher ben. Was passiert aber noch? Sie sprechen von 1,5 Mil-
nicht! – Gegenrufe von der SPD: Ah!) liarden Euro und tun so, als würde diese Summe jedes
Jahr zur Verfügung gestellt.
Gehen Sie doch nach meiner Rede nach vorne und sagen
Sie: Wir werden keine Verschlechterungen für die Mie- (Peter Götz [CDU/CSU]: Das habe ich nicht
terinnen und Mieter vornehmen. Dafür werden wir gesagt! Richtig zuhören!)
Sorge tragen. – Das tun Sie nicht, das haben Sie gerade – Ich beziehe mich auf das, was öffentlich herüber-
selber gesagt. kommt. – Tatsächlich verteilen sich diese 1,5 Milliarden
(Patrick Döring [FDP]: Es wäre schlecht, Euro auf fünf Jahre. Das Ganze wächst entsprechend
wenn wir das nicht täten!) noch einmal auf.
Damit wird doch deutlich, wes Geistes Kind Sie sind. (Patrick Döring [FDP]: Nein!)
(B) (D)
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten – Klar wächst das in der Folgezeit auf.
der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE (Pascal Kober [FDP]: Das können Sie sich von
GRÜNEN) einem Haushälter erklären lassen!)
Was wir brauchen, ist ein Mietspiegel mit einem Ver- – Ich habe mich lange genug mit Finanzen beschäftigt,
gleich der Mieten mit Bezug auf den energetischen Zu- um zu wissen, wie das funktioniert.
stand der Gebäude. Das wäre zum Beispiel eine gute Sa-
che. (Lachen von der FDP)
(Bettina Herlitzius [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- – Stellen Sie doch eine Zwischenfrage, wenn Sie das
NEN]: Das steht im Antrag!) nicht glauben. Dann erkläre ich Ihnen das gründlich.
Bei der Beantwortung der Frage, wer mit welchen Antei- Was passiert, ist Folgendes: Erstens. Die Einkommen-
len beteiligt wird, brauchen wir eine Regelung, die die steuer verteilt sich je zur Hälfte auf die Kommunen und
Einsparungen, die sich möglicherweise bei den Neben- die Länder. Aufgrund Ihrer Regelung fehlen Gelder, zum
kosten ergeben, mit einbezieht. Beispiel für die Sanierung des kommunalen Wohnungs-
bestandes. Dies führt nicht dazu, dass es insgesamt mehr
(Bettina Herlitzius [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- wird.
NEN]: Steht im Antrag! Stimmt ihr zu?)
(Peter Götz [CDU/CSU]: Er verwechselt das!)
– Darüber kann man doch reden. Ich widerspreche damit
gar nicht dem, was in dem Antrag der Grünen steht. – Nein, ich verwechsele das nicht. Das Aufkommen aus
der Einkommensteuer verteilt sich hälftig auf die Länder
(Daniela Wagner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- und die Kommunen. Wenn Sie das Geld dort wegneh-
NEN]: Sehr gut!) men, dann fehlt es. Dann müssen Sie eine Antwort da-
rauf geben, woher dann das Geld kommen soll.
Sie dürfen auch etwas Richtiges aufschreiben. Ich habe
damit kein Problem. Zweitens. Die Sache mit der AfA ist, dass sie zusätz-
lich zu den KfW-Mitteln in Anspruch genommen wer-
(Bettina Herlitzius [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
den kann.
Wir freuen uns über jede Zustimmung!)
(Widerspruch bei der FDP)
Der zentrale Punkt für die SPD ist, dass die energeti-
sche Sanierung auf dem Niveau stattfindet, wie es in un- – Doch, natürlich zusätzlich.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 115. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. Juni 2011 13237
Florian Pronold
(A) (Patrick Döring [FDP]: Nein, das ist nicht standteil ihrer Regierungserklärung gemacht hat. Sie hat (C)
geplant!) es auf den Punkt gebracht und den entscheidenden As-
pekt aufgegriffen. Wir brauchen definitiv eine Gebäude-
Das steht aber nicht im Text. Dann erklären Sie es nach-
sanierungsoffensive – da sind wir uns einig, denke ich –,
her. Da bin ich schon gespannt. Schließen Sie es aus.
(Patrick Döring [FDP]: Sie müssen es einfach (Bettina Herlitzius [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
lesen!) NEN]: Da sind wir uns einig!)
Schließen Sie auch aus, dass zum Beispiel, wie die um insbesondere unsere stillen Reserven im Gebäudebe-
Kollegin es angesprochen hat, die vorhandene Steuer- stand zu aktivieren – im Neubau und im Bestand, und
ersparnis trotzdem auf die Mieter übertragen werden zwar in den Quartieren, in den Städten und in den Ge-
kann, so wie es bei den KfW-Mitteln der Fall ist? Das meinden insgesamt.
wäre nämlich fair. Unser gemeinsames Ziel ist es, eine Reduzierung des
(Sebastian Körber [FDP]: Quatsch! Primärenergiebedarfs herbeizuführen. Ich denke, dass
Schwachsinn!) wir auch insoweit d’accord sind, als der Primärenergie-
bedarf bis 2050 um mindestens 80 Prozent reduziert
Wenn die Steuerersparnis von den Kosten abgezogen werden muss.
würde, die man auf die Mieterinnen und Mieter umlegen
kann, würden auch Mieterinnen und Mieter davon profi- (Bettina Herlitzius [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
tieren. Diese Forderung ist richtig. Machen Sie das; sa- NEN]: Richtig!)
gen Sie das. Dann sind wir schnell beieinander. Ich begrüße in diesem Zusammenhang auch die Emp-
(Beifall bei der SPD) fehlung im Abschlussbericht der Ethik-Kommission der
Bundesregierung – dadurch ist das Ganze auf eine breite
Sehr geehrte Damen und Herren, wir freuen uns, dass gesellschaftliche Basis gestellt worden – für eine neue
Sie versuchen, vom Holzweg auf den Pfad der Tugend Etappe in der Gebäudesanierung zur Erreichung unserer
zurückzukommen. Damit Sie aber nicht die schwarz-gel- Klimaschutzziele.
ben Teufelchen bleiben, sondern grüne Klimaengel wer-
den, (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
(Zurufe von der FDP: Oh!) Im Gegensatz zur Opposition – jetzt sollten Sie auf-
merken, Herr Kollege Pronold – sind wir allerdings der
müssen Sie noch ein bisschen nachbessern.
Auffassung, dass es gerade auch um das eigenverant-
(B) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten wortliche und freiwillige Engagement gehen muss. (D)
der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN) (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Hier müssen wir insbesondere mit finanziellen Mitteln
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Anreize setzen. Das ist das Fördern – im Unterschied
Das Wort hat jetzt der Kollege Sebastian Körber von zum Fordern. Letzteres sind die Aspekte, die Sie in ers-
der FDP-Fraktion. ter Linie darstellen. Darauf darf ich jetzt noch ein wenig
eingehen. Meiner Auffassung nach und aus Sicht der
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Freien Demokratischen Partei sind das Fordern und das
Fördern nämlich nicht ausgewogen. Anders formuliert:
Sebastian Körber (FDP): Die Opposition will mit ihren Anträgen die Menschen
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten zwangsbeglücken.
Damen und Herren! Lieber Herr Kollege Pronold, ich
leiste jetzt einfach einmal ein wenig Aufklärungsarbeit. (Florian Pronold [SPD]: Dann lesen Sie sie
einmal!)
(Sören Bartol [SPD]: Da sind wir gespannt!)
Wir als Koalition wollen den Menschen Freiheit und
Das eine oder andere davon können Sie ja für Ihre Arbeit Anreize geben; Herr Kollege Götz hat das sehr deutlich
zu Hause im Wahlkreis mit nach Bayern nehmen. Dort zum Ausdruck gebracht.
können Sie das Ganze vielleicht ein bisschen richtigstel-
len. (Florian Pronold [SPD]: Fragen Sie einmal im
Wahlkreis nach, falls Sie Zeit dazu haben!)
Ohne die Energieeinsparpotenziale im Gebäudebe-
stand zu mobilisieren und sowohl bei Neubauten als – Hören Sie jetzt besser zu, Herr Kollege Pronold.
auch im Gebäudebestand etwas dafür zu tun, ist eine
Die Anträge der Grünen enthalten auch einige Grau-
Energiewende nicht möglich. Darin stimmen wir Ihnen
samkeiten. So gibt es eine Überforderung der Eigentü-
wohl alle in diesem Saal zu, Frau Kollegin Wagner. Wir
mer, sowohl der Selbstnutzer als auch der Vermieter,
brauchen einen möglichst geringen Energiebedarf; denn
egal ob privat oder Wohnungsbaugesellschaft. Sie über-
sonst wird es mit der Energiewende nichts werden. Ich
fordern aber auch die Mieter. Sie überfordern die öffent-
denke, dass wir uns darüber einig sind.
lichen Haushalte. Wenn man auch einmal zwischen den
An dieser Stelle danke ich insbesondere der Bundes- Zeilen liest, stellt man fest, dass es um Eingriffe geht,
kanzlerin, die das gestern zu einem wesentlichen Be- die ich nicht mittragen kann. Das Ganze kommt nämlich
13238 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 115. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. Juni 2011
Sebastian Körber
(A) enteignungsgleichen Eingriffen in das Privateigentum an (Bettina Herlitzius [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (C)
Wohnungen und Gebäuden gleich. NEN]: Das ist nicht richtig! Wer hat denn
KfW-Programme eingeführt? Sie haben da-
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten mals nicht zugestimmt!)
der CDU/CSU – Bettina Herlitzius [BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt doch gar Sie hätten die Sicherheitsstandards von Atomkraftwer-
nicht! – Daniela Wagner [BÜNDNIS 90/DIE ken verbessern können. Das haben Sie nicht gemacht.
GRÜNEN]: Das weisen wir zurück, Herr Kol- Sie haben auch die Speicherkapazitäten nicht ausgebaut.
lege!) Dabei kommt zum Ausdruck, wie scheinheilig Ihre
Energiepolitik ist. Das zeigt auch Ihr Schaufensterantrag
– Das können Sie ja später noch darstellen. Es ist aber zur Energiepolitik.
leider Fakt. Ich würde mir auch wünschen, dass es nicht
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
der Fall wäre.
der CDU/CSU)
Im Übrigen wollen Sie ja auch, dass wir unsere EU- Wenn es ein KfW-Sonderprogramm für energiepoliti-
Ziele 2021 sogar übererfüllen. Das ist noch einmal ein sche Scheinheiligkeit geben würde, dann hätten Sie be-
ganz anderer Punkt. stimmt den Höchstfördersatz bekommen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der
letztlich sind das alles nur Schaufensteranträge. Sie kön- CDU/CSU – Frank Schwabe [SPD]: Sagen Sie
nen das alles doch umsetzen. Ich nenne nur Nordrhein- doch mal, was Sie machen! – Sören Bartol
Westfalen [SPD]: Ich würde dem Redenschreiber das Ge-
halt kürzen wegen Leistungsschwäche!)
(Bettina Herlitzius [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Ist auf dem Weg!) Unsere Position ist ein glasklarer Gegenentwurf zu
diesen Forderungen nach Zwangssanierungsmaßnahmen
und Baden-Württemberg. Dort haben Sie mit aufgebla- mittels eines verschärften Ordnungsrechts. Die FDP-
senen Backen im Wahlkampf erklärt, Sie wollten etwas Fraktion lehnt eine drastische Verschärfung der Energie-
für die Energieeffizienz von Gebäuden tun. In Ihrem Ko- einsparverordnung für bestehende Gebäude ab. Man
alitionsvertrag steht auch einiges dazu. muss immer berücksichtigen, was das bedeutet, Herr
(Bettina Herlitzius [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Pronold, und zwar für die Mieter wie auch für die Ver-
mieter.
NEN]: Wir machen auch einiges!)
(Bettina Herlitzius [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
Es ist allerdings nicht mit Finanzmitteln hinterlegt. NEN]: Schon mal was von der EU gehört?)
(B) (D)
(Bettina Herlitzius [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Eine energetische Gebäudesanierung eines durchschnitt-
NEN]: Doch!) lichen Einfamilienhauses kann schnell 50 000 Euro oder
Ich freue mich schon besonders auf die Situation, mehr kosten. Das Geld muss man erst einmal haben.
wenn wir dann alle zusammen am Bahnhof Stuttgart 21 Auch den geplanten Prüfauftrag durch die Hintertür
stehen und gucken, wie energieeffizient dieser gebaut – auch das bedeutet konkrete Nachrüstungsverpflichtun-
wird. gen bei Bestandsgebäuden – im Rahmen der Energieein-
sparungsverordnungsnovelle 2012 sehen wir als FDP-
(Bettina Herlitzius [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Parlamentarier mehr als kritisch. Das möchte ich an die-
NEN]: Wir hoffen ja, dass er nicht gebaut ser Stelle deutlich machen. Wir gestalten jetzt auch, liebe
wird!) Kolleginnen und Kollegen von den Grünen. Denn diese
Es ist ja heute auch schon so beschlossen worden. Koalition hat die Mittel für das KfW-Gebäudesanie-
rungsprogramm, das Sie richtigerweise unter SPD-Re-
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten gentschaft aufgelegt – darin gehen wir völlig d’accord –,
der CDU/CSU – Sören Bartol [SPD]: Das war
(Bettina Herlitzius [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
rhetorisch brillant!)
NEN]: Danke!)
Jürgen Trittin und Renate Künast saßen schon 2005 aber auf drei Jahre befristet haben,
auf der Regierungsbank. Hier kommt auch ein bisschen
die Scheinheiligkeit Ihrer Anträge zum Ausdruck. Sie (Bettina Herlitzius [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
saßen damals auf der Regierungsbank. NEN]: Und was machen Sie! Unbefristet? –
Florian Pronold [SPD]: Sie kürzen es dafür auf
(Bettina Herlitzius [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- null!)
NEN]: Sie sitzen jetzt darauf! Vergessen Sie
das nicht! Sie können ganz viel machen!) erstmalig verstetigt. Es war Ihnen anscheinend von An-
fang an nicht ganz geheuer, so sehr Sie jetzt auch so tun,
Gerade im Kontext der Energiewende hätten Sie schon als ob es Ihnen wichtig wäre. Wir haben die Mittel für
damals etwas für die Verbesserung der Energieeffizienz das Programm jetzt verstetigt.
von Gebäuden tun können, liebe Frau Kollegin
(Bettina Herlitzius [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
Herlitzius. Sie haben es aber nicht getan. Sie haben
Aber auch von Haushalt zu Haushalt!)
nichts für den Ausbau der Netze und die Steigerung der
Energieeffizienz von Gebäuden getan. Ich denke, das ist ein entscheidender Bereich.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 115. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. Juni 2011 13239
Sebastian Körber
(A) Die energetische Sanierung von Gebäuden spart in er- Koalition will die Anträge ablehnen. Das halten wir für (C)
heblichem Maße CO2, verringert unsere Abhängigkeit einen Fehler.
von Gas und Öl und sichert Hunderttausende Arbeits-
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord-
plätze im mittelständischen Handwerk.
neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE
(Bettina Herlitzius [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- GRÜNEN)
NEN]: Richtig!) Die Kanzlerin hat gestern gewaltig für eine Ener-
Allein 2010 wurden bundesweit mit 1,3 Milliarden giewende geworben. Es ist gewissermaßen eine Doppel-
Haushaltsmitteln 21,3 Milliarden Euro an Investitionen wende: eine Energiewende in der Gesellschaft wie auch
angestoßen. Das ist ein Hebelfaktor von 1 : 16. Ich in der CDU/CSU. Wenden kann sie also gut. Heute hätte
denke, das sucht seinesgleichen. Genau deshalb beken- die Koalition die Chance, Wort und Tat in Übereinstim-
nen wir uns klar zu der erstmaligen Verstetigung dieser mung zu bringen,
Mittel, Herr Pronold. (Bettina Herlitzius [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
Davon profitieren übrigens alle: die Hausbesitzer, NEN]: Richtig!)
weil der Wert des Gebäudes steigt; die Mieter, weil Ne- getreu dem Motto „Wir haben verstanden“. Man könnte
benkosten reduziert werden; die Umwelt, weil es gut für auch in Anlehnung an die Lieferfraktion, die meint, je-
das Klima ist. Darin gehe ich mit Ihnen völlig d’accord. den Tag bekunden zu müssen: „Wir liefern jetzt“, sagen:
Die kommenden Generationen – ein Aspekt, der viel- Sie hätten die Chance, hier zu liefern.
leicht gar nicht deutlich zum Ausdruck kommt – profi-
tieren durch Nachhaltigkeit. Auch der Arbeitsmarkt pro- (Beifall bei der LINKEN)
fitiert davon. Fakt ist: Sie haben weder verstanden noch liefern Sie.
Man muss sich einmal Folgendes überlegen: So viele gut
Die Koalition stellt auch die Weichen für energetische
funktionierende Förderprogramme hat nun einmal eine
Sanierungsmaßnahmen, was steuerliche Abschreibungs-
Bundesregierung nicht. Sie haben zu Recht beschrieben,
möglichkeiten angeht. Künftig wird es möglich sein, die
dass es sich hierbei um exzellente Programme handelt.
Sanierungskosten über zehn Jahre auf das zu versteu-
Was muss denn eine Regierung treiben, die sich die bes-
ernde Einkommen anrechnen zu lassen. Damit machen
ten Instrumente der Förderung selbst aus der Hand
wir deutlich, dass gerade Menschen, die derzeit keinen
schlägt? Das ist doch einfach absurd.
besonderen Anreiz haben – es gibt schließlich keinen
Zwang zur energetischen Sanierung –, vor allem ältere (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord-
Hauseigentümer, von den Maßnahmen profitieren kön- neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE
(B) nen. GRÜNEN) (D)
Wir wollen die Bürger mitnehmen. Wir setzen auf Dafür hagelt es auch Kritik aus den Kommunen, von
Anreize anstelle von Zwangsmaßnahmen. Die FDP Handwerkern, von Verbänden, von Initiativen, sogar von
schiebt mit Sicherheit jeglichem Versuch, in diesem Landesministern der Union und der FDP. Auch Sie ken-
Land eine Ökodiktatur einzuführen, einen Riegel vor. nen doch die Briefe. Das Neue an der Kritik ist – das
finde ich bemerkenswert –, dass nicht nur beklagt wird,
Vielen Dank. dass Geld für Vorhaben fehlt. Die Kritikerinnen und Kri-
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – La- tiker sagen inzwischen: Diese Regierung zerstört das
chen bei der SPD, der LINKEN und dem Gemeinwohl und den sozialen Frieden. – Es muss Sie
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) doch bewegen, wenn Sie Briefe von Bürgermeistern be-
kommen, die der CSU angehören, und Briefe von Bür-
germeistern, die der Linken angehören, die gleicherma-
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: ßen Ihre schlechte Politik kritisieren.
Das Wort hat der Kollege Roland Claus von der Frak-
tion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN)
(Beifall bei der LINKEN) Diese Regierung ist offenkundig nicht in der Lage,
ihre Politik aus der Sicht der Betroffenen zu denken. Das
merkt man am Atomausstieg. Sie haben gleich mit den
Roland Claus (DIE LINKE): Energieriesen verabredet, dass diese die Offshoreanla-
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und gen, also die Windräder auf hoher See, betreiben. Damit
Herren! Wir haben über mehrere Anträge zur energeti- geht die Abzocke der Verbraucherinnen und Verbraucher
schen Gebäudesanierung und zur Städtebauförderung zu weiter.
entscheiden, die uns die Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
nen und die SPD-Fraktion vorgelegt haben. Meine Frak- Die Linke steht für das Konzept des sozialökologi-
tion findet durchweg alle Anträge gut schen Wandels; das sage ich sehr bewusst. Seitdem die
Grünen die reichsten Wähler haben, ist bei ihnen das So-
(Bettina Herlitzius [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ziale etwas unter die Räder gekommen.
NEN]: Wunderbar!)
(Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
und hat in den Ausschüssen zugestimmt. Wir haben auch NEN – Florian Pronold [SPD]: Das stimmt
in den Haushaltsberatungen regelmäßig Vorschläge zur nicht! Das war schon vorher bei den Grünen
Verbesserung dieser Förderprogramme gemacht. Die so!)
13240 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 115. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. Juni 2011
Roland Claus
(A) Zum sozialökologischen Wandel gehört für uns mehr Wir beraten heute über Oppositionsanträge, die alle- (C)
Politik für regionale Energie- und Stoffkreisläufe. samt das Ziel haben, Energie einzusparen und das Klima
zu schützen. Das freut mich; denn damit unterstützen Sie
(Daniela Wagner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: voll und ganz den Kurs dieser Bundesregierung.
Aber wir haben keine Porschefahrer!)
(Florian Pronold [SPD]: Aber der Unterschied
Dazu gehören auch eigenständige Stadtwerke, die nicht ist, als wir sie eingebracht haben, war der Kurs
Eon oder Vattenfall gehören. Schließlich wollen wir noch ein anderer!)
mehr Macht und Geld für zivilgesellschaftliches Enga-
gement und für Kommunen, Das CO2-Gebäudesanierungsprogramm ist und bleibt
elementarer Bestandteil nachhaltiger Energiepolitik der
(Florian Pronold [SPD]: Wie hoch ist der CO2- Bundesregierung. Die notwendigen baulichen Investitio-
Ausstoß eines Porsche?) nen fördern wir, lieber Herr Pronold, mit unterschied-
also für die politische Ebene, auf der sich Bürgerinnen lichsten Programmen. In den vergangenen vier Jahren
und Bürger noch begegnen und bei Bedarf auch in die wurden pro Jahr 1,5 Milliarden Euro für das CO2-Ge-
Augen sehen können. bäudesanierungsprogramm zur Verfügung gestellt.
Diesen Ansatz vertreten auch SPD und Bündnis 90/ (Florian Pronold [SPD]: Haben Sie die An-
Die Grünen in ihren Anträgen. Deshalb stimmen wir ih- sätze nicht halbiert? War das ein grünes Männ-
nen zu. Beide Fraktionen sind bekanntlich nicht frei von chen vom Mars, oder waren Sie das? Lügen
Sünden, werden nicht dadurch wahrer, dass man sie
wiederholt!)
(Daniela Wagner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Wer ist frei von Sünden?) Das bedeutet konkret: In der Bilanz des Jahres 2010 lie-
gen wir bei den Gesamtausgaben bei weit über 7 Milliar-
aber diese Anträge sind als erste Schritte auf dem Weg den Euro. Seit 2006 konnten wir mithilfe des CO2-Ge-
zur Besserung sehr geeignet. bäudesanierungsprogramms Investitionen in Höhe von
(Beifall bei der LINKEN) 74 Milliarden Euro anschieben. Davon wurden 2,4 Mil-
lionen Wohnungen energieeffizient saniert und neu ge-
Ein Wort möchte ich zu Minister Ramsauer verlieren, baut. Damit konnte ein CO2-Ausstoß von rund 4,6 Mil-
der im Ausschuss auf Anfrage der Linksfraktion Deng lionen Tonnen vermieden werden, und es konnten auch
Xiaoping zitiert hat. Das verlangt Erwiderung. Der alte rund 320 000 Arbeitsplätze geschaffen werden. All diese
Deng muss diese Bundesregierung vorausgeahnt haben, Zahlen belegen: Dieses Programm ist richtig und wich-
als er 1984 sagte: Wir werden möglicherweise auch in tig.
(B) (D)
Zukunft Fehler machen, wir sollten aber erstens große
Die Zahlen, die ich Ihnen vorgetragen habe, sind be-
Fehler vermeiden und zweitens Missstände abstellen, so-
eindruckend, und sie verdeutlichen die Hebelwirkung
bald sie entdeckt werden. – Herr Minister Ramsauer,
dieses Programms. Denn 1 Euro Förderung löst circa
wenn Sie schon ein solcher Fan von Deng Xiaoping
9 Euro private Investitionen aus, und diese gehen etwa
sind, dann halten Sie sich an seine Weisheit! Korrigieren
zu 90 Prozent in die lokale Wertschöpfung, in den deut-
Sie Ihre Fehler, und zwar jetzt und heute, und stimmen
schen Mittelstand, in das Handwerk.
Sie den Anträgen zu!
(Florian Pronold [SPD]: Warum haben Sie
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord-
dann die letzten zwei Jahre gekürzt?)
neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN) Deshalb ist es richtig und wichtig, dass wir das Hand-
werk, dass wir die deutsche Bauwirtschaft, dass wir
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: kleine und mittelständische Unternehmen auch mit die-
Ich erteile jetzt dem Kollegen Kai Wegner von der sem Programm unterstützen.
CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ich begrüße ausdrücklich, dass die Bundesregierung
dieses Programm fortsetzen wird. Ich begrüße, dass die
Kai Wegner (CDU/CSU): Bundesregierung die Mittel für dieses Programm auf
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und 1,5 Milliarden Euro erhöht.
Herren! Herr Claus, wenn ich mir Ihr Zitat durch den (Florian Pronold [SPD]: Warum haben Sie
Kopf gehen lasse dann gekürzt?)
(Roland Claus [DIE LINKE]: Das wäre gut!) Das ist gut für den Klimaschutz, das ist gut für nachhal-
und daran denke, wie viel Arbeit der von Ihnen mitgetra- tige Politik, und, wie ich gerade schon sagte, es ist gut
gene rot-rote Senat in Berlin hätte, um Missstände abzu- für die wirtschaftliche Entwicklung. Ja, ich begrüße zu-
bauen und Fehler einzugestehen, dann muss ich Ihnen sätzliche Maßnahmen. Ich begrüße, dass wir jetzt steuer-
sagen: Sie hätten bis zum 18. September jede Menge zu liche Anreize setzen, um noch mehr Hauseigentümer da-
tun, lieber Herr Claus. für zu gewinnen, sich für energetische Sanierung zu
entscheiden. Ja, ich begrüße auch Möglichkeiten der
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) steuerlichen Abschreibung. Ich will zusätzlich sagen:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 115. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. Juni 2011 13241
Kai Wegner
(A) Mit Erfolg wird ein steuerlicher Bonus für Handwerks- Ich sage aber auch, dass wir auch im kommenden Jahr (C)
leistungen gewährt. Ich finde, der erfolgreiche steuerli- die Städtebauförderung mindestens auf diesjährigem
che Bonus für Handwerksleistungen sollte noch stärker Niveau fortführen sollten und fortführen müssen.
für die Energiesanierung nutzbar gemacht werden.
Meine Damen und Herren, wir haben in der Tat in
Besonders beachtlich erscheint mir in diesem Zusam- dem Bereich Energieeffizienz/Gebäudesanierung viel er-
menhang der Fahrplan der Bundesregierung zur energe- reicht.
tischen Sanierung von Bundesbauten. Hier werden wir (Florian Pronold [SPD]: Haben Sie auch
als Bund unserer Vorbildfunktion gerecht. Mieter in Ihrem Wahlkreis?)
(Florian Pronold [SPD]: Vielleicht können Sie Wir haben in diesem Bereich aber auch noch wahnsinnig
den Ausstoß an heißer Luft im Deutschen viel vor. Mit Sicherheit werden wir bei den parlamentari-
Bundestag reduzieren!) schen Beratungen über den Haushalt noch die eine oder
andere Gelegenheit haben, darüber zu sprechen und uns
Ich bitte die Bundesregierung darauf zu achten, hierbei auszutauschen. Ich lade Sie alle ein,
unsere kleinen und mittelständischen Handwerksbe-
triebe nicht aus dem Blick zu verlieren. (Florian Pronold [SPD]: Nach Spandau!)
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und an der Lösung der klimapolitischen Herausforderungen
der FDP – Florian Pronold [SPD]: Wer hat teilzuhaben. Gestalten Sie die Zukunft unseres Landes
denn den Blick verloren? Sie! Sie haben beim mit! Sie sehen: Wir handeln, wir reden nicht. Das unter-
KfW-Programm gekürzt! scheidet Regierung und Opposition. Lassen Sie uns den
Weg erfolgreich weitergehen.
Ausschreibungen in diesem Bereich müssen in kleinen
Losen erfolgen, damit auch die lokale Wirtschaft, kleine Herzlichen Dank und ein schönes Wochenende.
und mittelständische Unternehmen, davon profitieren (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
können.
Das sind einige wichtige Beispiele für das, was wir Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
mit dem Energiekonzept insgesamt auf den Weg ge- Das Wort hat jetzt der Kollege Sören Bartol.
bracht haben, und für das, was wir noch umsetzen wol- (Beifall bei der SPD)
len. Das heißt konkret: Wir sind zum Großteil längst bei
dem angekommen, was Sie heute in Ihren Anträgen for-
(B) dern. Lieber Herr Pronold – Sie schreien immer dazwi- Sören Bartol (SPD): (D)
schen –, ich will Ihnen zurufen: Wir sind in vielen Berei- Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle-
chen viel weiter, als es in Ihren heute hier vorliegenden gen! Minister Ramsauer hat uns am Mittwoch im Aus-
Anträgen formuliert ist. schuss erklärt, dass die Energiewende der Bundesregie-
rung gar keine Wende ist, sondern die konsequente
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Fortsetzung der Politik der Bundesregierung. Die Brü-
Bettina Herlitzius [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- cke der Brückentechnologie Atomkraft wird einfach nur
NEN]: Das stimmt leider nicht! – Florian verkürzt, haben wir im Ausschuss gelernt. – Aha!
Pronold [SPD]: Sind Sie schon über die Öko-
diktatur hinaus? – Daniela Wagner [BÜND- (Beifall bei der FDP – Patrick Döring [FDP]:
NIS 90/DIE GRÜNEN]: Also, wir haben So ist es!)
schon die Ökodiktatur!) Als Bauminister muss er sich ja mit dem Brückenbau
auskennen. Ich hoffe nur, dass das Fundament Ihrer has-
Lassen Sie mich auch etwas zur Städtebauförderung tigen Energiewende, liebe Kolleginnen und Kollegen,
sagen. Gerade als Abgeordneter aus Berlin will ich nicht auch wirklich trägt.
verhehlen, dass ich die Einsparungen im Rahmen der
Haushaltskonsolidierung bedauere. Ich kenne und Minister Ramsauer hat sich dann auch noch – das war
schätze die Arbeit der Akteure vor Ort in diesem Be- der Höhepunkt – als Leser der Wolke von Gudrun
reich. In meinem Wahlkreis in Berlin-Spandau gibt es Pausewang geoutet, der schon immer vor den Gefahren
viele Projekte, in denen hervorragende Arbeit geleistet der Atomkraft gewarnt hat.
wird – für die Stadtteile, für die Kieze, für die Menschen
in diesen Bereichen. (Heiterkeit der Abg. Ute Vogt [SPD])
Da frage ich mich: Wo war Herr Ramsauer, als das Kabi-
(Sören Bartol [SPD]: Die gefährden Sie!) nett die Laufzeitverlängerungen für die Atomkraftwerke
Es bleibt dabei: Die Städtebauförderung ist wichtig im beschlossen hat?
Sinne der Nachhaltigkeit. Ja, wir müssen die Programme (Daniela Wagner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
evaluieren. Ja, wir brauchen noch mehr Effizienz bei NEN]: In Bayern!)
diesen Programmen.
Wo war der Minister, als im Haushalt 2011 die Mittel für
(Bettina Herlitzius [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- das CO2-Gebäudesanierungsprogramm zusammenge-
NEN]: Erst mal mehr Geld!) kürzt wurden?
13242 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 115. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. Juni 2011
Sören Bartol
(A) (Florian Pronold [SPD]: Das hat er selber vor- an die energetische Sanierung müssen so gesetzt sein, (C)
geschlagen!) dass es sich auch einkommensschwächere Eigentümer
leisten können, in Dämmung, effizientere Heizungen
Gestern noch Wiedereinstieg in die Atomkraft, heute
und Warmwasserbereitung zu investieren.
Ausstieg. Gestern Ausstieg aus der energetischen Sanie-
rung, heute Wiedereinstieg. Mal hü, mal hott. Die Regie- (Zuruf von der FDP: Dafür gibt es zins-
rung hat damit Investoren verunsichert und entschei- verbilligte Darlehen!)
dende Monate auf dem Weg zu einer nachhaltigen
Energieversorgung verloren. Keine Frage, ich freue Ich habe insgesamt Zweifel, ob die Eile der Gesetzge-
mich, dass Sie doch noch zu der besseren Einsicht ge- bung der Sache dient.
kommen sind, dass der rot-grüne Atomausstiegsbe- Ein weiterer Teil Ihres Energiewendepakets, das jetzt
schluss und die Förderung erneuerbarer Energien richtig schnell, schnell durch das Parlament soll, ist die vorge-
sind. Ich freue mich auch, dass Sie das CO2-Gebäude- zogene Änderung des Baugesetzbuches. In Ihrem Ent-
sanierungsprogramm wiederbeleben. wurf steht viel Sinnvolles, wie zum Beispiel die Klima-
Liebe Kolleginnen und Kollegen der Regierungsfrak- schutzklausel. Im allgemeinen Zuspruch darf aber nicht
tionen, die energetische Sanierung von Gebäuden untergehen, wie unzulänglich Ihre Politik für die Städte
machte auch schon vor Fukushima Sinn. Energetische ist. Ich will zwei Punkte nennen: erstens die Kürzung der
Sanierung ist sinnvoll, weil Gebäude ganz wesentlich Städtebauförderung und zweitens die Mietrechtsnovelle.
zum Energiesparen beitragen können. Energetische Sa- Erstens. Mit der Kürzung der Städtebauförderung zie-
nierung ist sinnvoll, weil sie Arbeitsplätze schafft. So hen Sie sich aus der Verantwortung für die Entwicklung
unstrittig diese Erkenntnis in der Fachwelt, in der Wirt- der Städte und Gemeinden zurück. Wenn Sie klimage-
schaft und bei den Menschen ist: Schwarz-Gelb hat sie rechte Stadtentwicklung als Ziel des Stadtumbaus ins
bisher doch ignoriert. Baugesetzbuch aufnehmen, ist das gut. Das ist überhaupt
(Zuruf von der FDP: Ach so! Deshalb haben keine Frage. Aber der Stadtumbau braucht dann auch die
wir so wenig Arbeitslosigkeit!) notwendige finanzielle Substanz. Nehmen Sie die Kür-
zung der Städtebauförderung zurück, meine Damen und
Sie, meine Damen und Herren von den Regierungsfrak- Herren von den Koalitionsfraktionen! Jetzt ist doch der
tionen, haben im Haushalt für dieses Jahr die Mittel für richtige Zeitpunkt dafür.
die energetische Gebäudesanierung drastisch zusam-
mengestrichen. Von 2 Milliarden Euro Förderung im (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des
Jahr 2009 ist doch nur noch ein Viertel übrig geblieben. BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
(B) (Patrick Döring [FDP]: Trotzdem hat Förderung Stocken Sie die Städtebauförderung endlich wieder auf (D)
im energetischen Bereich stattgefunden!) mindestens 610 Millionen Euro auf!
Auf Druck von Opposition und Öffentlichkeit haben Sie (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
500 Millionen Euro draufgelegt. Die stehen jedoch auf des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
äußerst wackligen Beinen. Der zweite Punkt. Mit der geplanten Mietrechtsno-
(Patrick Döring [FDP]: Richtiger Quatsch!) velle, lieber Kollege Döring, belasten Sie einseitig die
Mieter mit den Kosten des Klimaschutzes.
Sie sollten aus Ihrem Energie- und Klimafonds kommen,
der sich aus den Einnahmen aus der Brennelemente- (Beifall bei der SPD und der LINKEN – Wi-
steuer speist. Das war auch ohne Ausstieg aus der Atom- derspruch des Abg. Patrick Döring [FDP])
kraft ein gewagtes Konstrukt, und jetzt ist es doch völlig – Natürlich, Herr Döring. Das Recht, die Miete zu min-
obsolet. dern, soll doch in Zukunft bei energetischer Sanierung
(Zuruf von der CDU/CSU: Haben Sie nicht drei Monate lang nicht gelten. Ist das richtig?
geschafft!) (Patrick Döring [FDP]: Zum Wohl des
Sechs Monate und leider einen Super-GAU später ha- Klimas!)
ben Sie uns 1,5 Milliarden Euro für die Jahre bis 2014 – Das ist richtig. Gut. – Sie bürden damit den Mietern
für das KfW-Programm zugesagt. Zusammen mit der diese Kosten gleich zweimal auf: Sie dürfen die Miete
steuerlichen Förderung wollen Sie so eine Sanierungs- nicht mindern, obwohl ihre Wohnung nur eingeschränkt
quote von 2 Prozent erreichen. Das ist immerhin ein bewohnbar ist,
Etappenziel. Aber ich habe meine Zweifel, ob Sie dies
mit Ihren Vorschlägen erreichen. Dafür sehe ich zwei (Petra Müller [Aachen] [FDP]: Warum einge-
Gründe: Erstens ist wiederum Ihr Energie- und Klima- schränkt bewohnbar, wenn außen saniert
fonds das Füllhorn, aus dem das Geld für die zinsgünsti- wird?)
gen KfW-Kredite kommen soll, wie übrigens auch für
und sie müssen auch noch die Kosten der Modernisie-
die Elektromobilität und vieles mehr.
rung über Mieterhöhungen tragen. Die Folgen, liebe
Zweitens habe ich auch Zweifel, ob Sie mit dieser Re- Kolleginnen und Kollegen, sind absehbar: Einkommens-
gelung zur steuerlichen Absetzbarkeit die Breite der schwache Haushalte werden zum Wegzug gezwungen,
Hauseigentümer wirklich erreichen, die in Einfamilien- und die soziale Spaltung in den Städten wird weiter zu-
und Zweifamilienhäusern wohnen. Die Anforderungen nehmen. Das müssen Sie endlich einmal verstehen. Las-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 115. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. Juni 2011 13243
Sören Bartol
(A) sen Sie doch einmal die Finger vom Mietrecht! Es ist (Sören Bartol [SPD]: Es gibt doch keine reine (C)
richtig, Investitionshemmnisse für energetische Sanie- energetische Sanierung!)
rung abzubauen
Da zugleich durch diese Maßnahmen am Ende die Ne-
(Patrick Döring [FDP]: Aha!) benkosten stark sinken werden – und das kommt aus-
schließlich dem Mieter zugute –, ist das eine vertretbare
– das ist der richtige Weg –, aber, liebe Kolleginnen und
Lösung.
Kollegen von Schwarz-Gelb, nicht einseitig zulasten der
Mieter. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
(Beifall bei der SPD und der LINKEN – Patrick Lassen Sie uns noch einmal über die Mär sprechen,
Döring [FDP]: Tut doch keiner!) die über das KfW-Programm verbreitet wird. Sie haben
– Natürlich. ein KfW-Programm auf den Weg gebracht, das befristet
mit Mitteln ausgestattet war. Sie haben entschieden – wir
Was wir brauchen, ist eine aktive Stadtentwicklungs- haben Sie dabei unterstützt –, dass im Jahr der Krise zu-
politik des Bundes, die Ökonomie, Ökologie und Sozia- sätzliche Mittel, die eigentlich für Folgejahre vorgesehen
les in Einklang bringt. Wir brauchen eine aktive Stadt- waren, zur Verfügung gestellt werden, um die Baukon-
entwicklungspolitik, die die Städte dabei unterstützt, die junktur zu stützen. Das war richtig.
Herausforderungen des Klimawandels ebenso zu bewäl-
tigen wie die des sozialen Zusammenhalts. (Sören Bartol [SPD]: Wer hat das denn auf null
gemacht?)
Meine Damen und Herren von den Koalitionsfraktio-
nen, nutzen Sie die Chance, nicht nur Ihren Fehler in der Man muss sich dann aber, wenn die Krise vorbei ist und
Energiepolitik wiedergutzumachen und zu dem zurück- sich das Wirtschaftswachstum auf einem historisch ho-
zukehren, was wir bereits vor zehn Jahren eingeleitet ha- hen Niveau bewegt, auch eingestehen, dass man nur
ben, sondern machen Sie das Gleiche auch in der Stadt- noch die verbleibenden Mittel verausgaben kann. Trotz-
entwicklungspolitik. Wenn Sie das schaffen, dann dem ist übrigens die Sanierungsquote nicht zurückge-
bekommen Sie bestimmt auch Applaus von unserer gangen, und trotzdem ist die Baukonjunktur weiter im
Seite. Aufwind. Deshalb war es richtig, so zu handeln, wie die
(Zuruf von der FDP: Wollen wir ja gar nicht!) Regierung gehandelt hat.
Patrick Döring
(A) kung von 150 Millionen Euro entfaltet. Die 10 Prozent Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: (C)
werden unterschiedlich kassenwirksam; es wächst von Herr Döring, wollen Sie noch eine Zwischenfrage zu-
Jahr zu Jahr auf, weil das Volumen insgesamt größer lassen?
wird. Das ist der richtige Weg, um die privaten Haus-
und Wohnungseigentümerinnen und -eigentümer bei den Patrick Döring (FDP):
Sanierungskosten wirksam zu entlasten. Das ist der Weg, Danke, nein.
den wir vorschlagen.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Abg. Florian Pronold [SPD] meldet sich zu ei- Wollen Sie nicht. – Dann erteile ich dem Kollegen
ner Zwischenfrage) Florian Pronold das Wort zu einer Kurzintervention.
Ich bin den Oppositionsparteien insofern dankbar,
dass wir heute diese Debatte führen, als wir – auch ich Florian Pronold (SPD):
ganz persönlich – dadurch noch einmal die Gelegenheit Herr Döring, ich frage nach, damit wir das auch im
haben, deutlich zu machen, dass wir große Anhänger der Protokoll stehen haben; denn ich glaube, das ist eine
erfolgreichen Städtebauförderprogramme der Bundesre- spannende Frage, die Sie aufgeworfen haben. Sie haben
publik Deutschland sind. hier am Rednerpult gesagt, dass diejenigen die 10-mal-
(Sören Bartol [SPD]: Das hat man ja gesehen!) 10-Förderung bekommen, die aus Eigenmitteln sanieren.
Das bedeutet, im Falle einer Kreditfinanzierung gibt es
– Auch ich ganz persönlich, lieber geschätzter Kollege diese 10-mal-10-Förderung nicht.
Bartol. – Trotzdem ist es klug, darüber nachzudenken,
diese Städtebauförderprogramme immer wieder den (Patrick Döring [FDP]: Das ist nicht so! Aber
neuen Herausforderungen der Städte und Gemeinden an- ich stelle das klar!)
zupassen und sie fortzuentwickeln. – Gut; das ist nämlich wichtig. Denn wenn die Förde-
(Sören Bartol [SPD]: Aber doch nicht runter- rung nur bei einer Sanierung aus Eigenmitteln erfolgt,
streichen!) finden Sie überhaupt niemanden, der noch saniert.
Ingrid Remmers
(A) Förderprogramme – entgegen dem, was Kollege Döring eigenen Mietsrechtsantrag, die Umlage der Modernisie- (C)
hier gerade gesagt hat – finanziell erheblich ausgeweitet rungskosten auf 5 Prozent der jährlichen Kaltmiete zu
werden müssen. Da sind die in Aussicht gestellten zu- begrenzen. Die daraus resultierende Mietsteigerung be-
sätzlichen Mittel in Höhe von 500 Millionen Euro tat- deutet für den Mieter, auch unter Berücksichtigung der
sächlich nur eine Beruhigungspille. zu erwartenden Energiekosteneinsparung, eine Erhö-
hung der Gesamtkosten, aber eine leistbare. Für den Ver-
Kommen wir zum Mietrecht. Das geplante neue Miet-
mieter hätte das die Konsequenz, dass sich seine Investi-
recht sieht wie auch das bestehende Mietrecht vor, dass
tion statt nach neun erst nach 20 Jahren amortisiert hat,
der Vermieter – auch das haben wir hier heute schon ge-
was aber bei der relativ langen Haltbarkeit von Wohn-
hört – zur Refinanzierung seiner Investition 11 Prozent
raum durchaus vertretbar ist. Aber auch in diesem Fall
der Modernisierungskosten auf die Jahresmiete aufschla-
– bei einer Umlage von 5 Prozent – hat der Mieter die
gen kann; das ist nicht neu. Es soll aber neu geregelt
Wertsteigerung der Immobilie allein bezahlt; dem Ver-
werden, dass der Mieter im Vorfeld – anders als hier be-
mieter bleibt die Restnutzungsdauer. Es ist gar nicht ein-
hauptet – der Modernisierung keine Einspruchsmöglich-
zusehen, warum eine Laufzeit von 20 Jahren hier nicht
keit hat; der entsprechende § 554 BGB soll gestrichen
vertretbar sein soll, während sie bei den KfW-Krediten
werden.
für Eigenheime längst gängige Praxis ist.
(Patrick Döring [FDP]: Ja!)
Als Linke sagen wir: Was Vermieter und Mieter nicht
Erst nach bereits erfolgter Modernisierung hat der Mie- alleine stemmen können, muss der Staat – nicht etwa als
ter die Möglichkeit, im Mieterhöhungsverfahren über soziale Wohltat, sondern in seinem eigenen Interesse –
die Mieterhöhung zu verhandeln. Da frage ich mich: Wer finanziell abfangen. Maßnahmen der energetischen Sa-
hat denn da die besseren Karten in der Hand? nierung und die Schaffung barrierefreien Wohnraums
müssen für den Vermieter durch einen Rechtsanspruch
(Patrick Döring [FDP]: Immer der Mieter, weil wir auf öffentliche Förderung erleichtert werden. Mein Kol-
überwiegend entspannte Märkte haben!) lege Roland Claus hat es eben schon ausgeführt: Es müs-
Die Hemmnisse, Kollege Döring, bei der Sanierung, die sen die haushalterischen Voraussetzungen für einen aus-
Sie gerade angesprochen haben, wollen Sie in Wahrheit kömmlichen finanziellen Rahmen der Förderprogramme
nur abbauen, um den Großteil der Kosten auf die Miete- geschaffen werden. Ziele sind die Verdopplung der
rinnen und Mieter umzulegen. Sagen Sie wenigstens die Quote der Sanierungen der Wohnungsbestände gegen-
Wahrheit! über dem Bestand von 2009 und die Reduzierung des
CO2-Ausstoßes um 80 Prozent bis 2050.
(Florian Pronold [SPD]: Das ist eine unmögli-
che Forderung an den Kollegen Döring!) Wir fordern außerdem, dass Maßnahmen der energeti-
(B) schen Sanierung nur dann duldungspflichtig sind, wenn (D)
Abgesehen davon sollen die Nachweiskriterien noch durch die Maßnahmen für die Mieterinnen und Mieter
moderater gestaltet werden als bislang. selbst keine unzumutbaren Härten entstehen, die Ener-
Die 11-prozentige Mieterhöhung bedeutet für den gieeinsparung mindestens den aktuellen Vorgaben der
Vermieter, dass sich seine Investition nach rund neun Energieeinsparverordnung entspricht, die Bundesregie-
Jahren amortisiert hat. rung im Rahmen der öffentlichen Förderung eine kosten-
lose Mieter- und Energieberatung gewährleistet und
(Patrick Döring [FDP]: Sofern er sie angesichts der sozusagen gesetzlich beschlossenen Miet-
finanzieren kann!) erhöhung zur Vermeidung von Obdachlosigkeit eine er-
Der Wertzuwachs seiner Immobilie wurde dann allein satzlose Räumung der Wohnung nach Kündigung nicht
vom Mieter finanziert, während die nun abgeschriebe- zulässig ist. Dies sind die Mindeststandards, die erfüllt
nen Bauteile je nach Nutzungsdauer weitere 5 bis sein müssen, um bei der Bevölkerung die nötige Akzep-
75 Jahre genutzt werden können. Das ist schön für den tanz für die energetische Sanierung von Wohnraum zu
Vermieter; aber für den Mieter bedeutet die 11-prozen- erreichen.
tige Umlage – wir haben es berechnet – eine reale Netto- (Beifall bei der LINKEN)
mietsteigerung um mehr als 50 Prozent.
Abschließend sage ich: Wenn ich mir die Gewinne
(Zuruf von der FDP: Haben Sie die Neben- der drei großen Energieunternehmen ansehe, die – das
kosten eingerechnet?) haben wir eben auch schon gehört – sich jetzt weigern,
– Dazu komme ich noch. – Damit erreicht die Bundes- in den Energie- und Klimafonds einzuzahlen, habe ich
regierung zunächst einmal, dass ein großer Teil der Mie- eine vage Idee, wie der Bund das Geld für die energeti-
terinnen und Mieter eine energetische Sanierung ableh- sche Sanierung beschaffen könnte.
nen wird, obwohl sie ein wichtiges Ziel unserer Politik Vielen Dank.
sein sollte. Damit erreicht sie außerdem, dass viele Mie-
terinnen und Mieter zum Umzug gezwungen werden, da (Beifall bei der LINKEN)
die Miete – auch vor dem Hintergrund stagnierender Re-
aleinkommen in den letzten zehn Jahren – für viele Men- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
schen unerschwinglich wird. Das Wort hat der Kollege Volkmar Vogel von der
CDU/CSU-Fraktion.
Da reicht – bei aller sonstigen Zustimmung – die von
den Grünen vorgeschlagene Reduzierung der Umlage (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
auf 9 Prozent leider nicht aus. Wir fordern in unserem neten der FDP)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 115. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. Juni 2011 13247
(A) Volkmar Vogel (Kleinsaara) (CDU/CSU): allen Dingen für Kleinverdiener auf 1,5 Milliarden Euro (C)
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Um jährlich für die Jahre von 2012 bis 2014 aufgestockt.
es hier noch einmal deutlich zu machen: Die Maßnah- Wenn man die geplanten Sonderabschreibungsmöglich-
men zur Verbesserung der Energieeffizienz, die wir der- keiten hinzufügt, kommen wir auf einen Betrag, der über
zeit anstreben, sind nichts anderes als die konsequente 2 Milliarden Euro liegt. So helfen wir, die von uns ange-
Umsetzung unseres Energiekonzeptes vom Oktober strebte Sanierungsquote von 2 Prozent pro Jahr sozial-
2010. Die Anträge der Opposition, über die wir heute re- verträglich zu schultern.
den, sind alle später eingegangen. So viel zum Thema,
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
wer wem nachfolgt.
der FDP)
(Florian Pronold [SPD]: Wie war denn der Haus-
Sozialverträglich und sozial vertretbar für alle Akteure
haltsansatz bei KfW im Oktober 2010?)
heißt zum einen Fordern im Ordnungsrecht, soweit ver-
Die Erlöse aus der Laufzeitverlängerung der Kern- tretbar, und es heißt vor allen Dingen Fördern, nämlich
kraftwerke, so wie von uns ursprünglich vorgesehen, in einem vertretbaren Maß Anreize schaffen.
sollten vor allen Dingen den Übergang zu einer stärkeren
(Bettina Herlitzius [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
Nutzung der erneuerbaren Energien finanziell abfedern
NEN]: Oh, das hört sich ein bisschen anders
helfen.
an!)
(Sören Bartol [SPD]: Sie glauben es wirklich!)
Lassen Sie mich an dieser Stelle auch Folgendes sa-
Hier ist die Situation jetzt leider anders. Wir stehen vor gen: Die wichtigste soziale Komponente in der EnEV ist
neuen Herausforderungen, wenn es darum geht, den aus meiner Sicht das Wirtschaftlichkeitsgebot,
Übergang zu einer stärkeren Nutzung der erneuerbaren
(Patrick Döring [FDP]: So ist das!)
Energien sozialverträglich und finanziell sicher darzu-
stellen. und zwar im Einzelnachweis für den Nutzer. Der Nach-
weis der Wirtschaftlichkeit energetischer Maßnahmen in
(Florian Pronold [SPD]: Ist das der Textbau-
vertretbaren Zeiträumen hält die Belastungen für die
stein, den alle hier vorlesen müssen, den Sie da
Wohnungsunternehmen, für kleine Vermieter, für die
gerade vortragen?)
Selbstnutzer und nicht zuletzt für die Mieter in Grenzen.
Die Haushaltsmittel und vor allen Dingen der Energie-
Um die ehrgeizigen Ziele bis 2020 bzw. 2050 zu
und Klimafonds müssen neu geordnet werden.
erreichen, muss die Umsetzung aus meiner Sicht mög-
Unsere ambitionierten Ziele bleiben aber die glei- lichst einfach und vor allen Dingen in der Breite mach-
(B) chen: bis 2020 20 Prozent weniger Primärenergiever- bar sein. Die neueste Technologie des Niedrigstenergie- (D)
brauch, bis 2050 80 Prozent weniger. Dafür brauchen hauses ist genauso wichtig wie eine große Zahl von
wir eine Sanierungsrate von 2 Prozent gegenüber hocheffizienten Einzelmaßnahmen. Damit die Energie-
1 Prozent in den letzten Jahren. effizienz in der Breite wirkt, brauchen die Menschen im
Lande, die sanieren wollen, vor allem Planungssicher-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
heit und einfache Lösungen. Im Hinblick auf die Anfor-
Das CO2-Gebäudesanierungsprogramm ist dabei das derungen ist die EnEV aus unserer Sicht bereits sehr an-
wesentliche Instrument. Hiermit komme ich zur nächs- spruchsvoll. Eine weitere Verschärfung vor allen Dingen
ten Klarstellung. Wäre das Programm, so wie ursprüng- für den Bestand wäre eher kontraproduktiv. Hierzu sind
lich angelegt, 2011 ausgelaufen – eine Fortsetzung war uns Beispiele aus verschiedenen Ländern bekannt.
ursprünglich nicht angedacht –,
Finanzielle Anreize gehören dazu, vor allen Dingen
(Patrick Döring [FDP]: So ist das!) Zuschüsse, um in die Breite zu gehen, sowie Abschrei-
bungsmöglichkeiten für hocheffektive Einzelmaßnahmen.
dann hätten noch 850 Millionen Euro zur Verfügung ge-
Regelungen im Baurecht gehören dazu. Wir arbeiten da-
standen, weil die Auffüllung des Programms in den Vorjah-
ran, gerade wenn es um Abstandsflächenverkleinerun-
ren durch Vorziehen der Mittel und ungefähr 1 Milliarde
gen durch Dämmungen geht oder darum, den energie-
Euro neuer Schulden im Rahmen des Konjunkturpakets
effizienten Quartierumbau in der Baugenehmigung
erfolgte. Neue Schulden sind aber – wir alle kennen die
besser zu berücksichtigen. Es geht auch um mehr Infor-
Haushaltslage – auf Dauer nicht verantwortlich.
mation, Aufklärung und Fortbildung.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
Nicht zuletzt geht es um eine Vorbildwirkung. Die öf-
Florian Pronold [SPD]: Wo kommt das jetzt
fentliche Hand trägt eine besondere Verantwortung,
her?)
wenn es um die Reduzierung des Energieverbrauches
Nichts da von wegen Mittelkürzungen! Entsprechend geht. Die Fraktion der CDU/CSU und sicherlich auch
dem Haushaltsansatz für dieses Jahr stehen 440 Mil- die Fraktion der FDP unterstützen die Bundesregierung
lionen Euro zur Verfügung. Hinzu kommen 500 Millio- ausdrücklich darin, dass Bundesbauten hier eine Vorbild-
nen Euro aus dem Energie- und Klimafonds. Das macht funktion erfüllen.
940 Millionen Euro, die in diesem Jahr zur Verfügung
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
stehen. Wir wissen aber, dass wir die Sanierungsquote
von 2 Prozent damit nicht erreichen können. Deswegen An dieser Stelle bitten wir die Länder und Kommunen,
wird nun das Programm für Darlehen und Zuschüsse vor in ihren Bereichen in ähnlicher Weise zu verfahren.
13248 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 115. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. Juni 2011
Danke schön. Wir müssen jetzt sehr schnell und intensiv in den Sa-
nierungsfahrplan einsteigen. Dabei sind eine erfolgrei-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) che Motivation der Eigentümer und Vermieter, aber eben
(B) auch die Akzeptanz der Mieter wichtig. Eine qualifi- (D)
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: zierte und unabhängige Beratung vor Ort ist dazu ein
Das Wort hat der Kollege Michael Groß von der SPD- wichtiger Schlüssel; Sie gehen darauf ein. Wir werden
Fraktion. sehen, wie Sie das umsetzen.
(Beifall bei der SPD) Dem Gebäudeeigentümer muss eine langfristige und
passgenaue energetische Perspektive aufgezeigt werden.
Michael Groß (SPD): Einer der Gründe, warum das bisher nicht funktioniert
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und hat – das wurde schon mehrfach dargestellt –, ist das Hin
Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Heute wur- und Her bei der finanziellen Ausstattung und Ihre inkon-
den schon große Worte gefunden. Die FDP setzt auf sequente Haltung gegenüber dem Programm. Die Ak-
Freiheit und in den Programmen auf Anreize. Im Unter- teure Eigentümer, Handwerk und Gewerbe brauchen
schied dazu sind für die SPD drei Dinge wichtig: Frei- langfristige und verlässliche Förderprogramme. Nur so
heit, Solidarität und Gerechtigkeit. Das müssen wir auch können diese am Markt wirksam werden, qualifizierte
in den Programmen umsetzen. Arbeitsplätze in Handwerk und Mittelstand aufgebaut
und Kapazitäten in der Industrie vorgehalten werden.
(Beifall bei der SPD) Eine Verstetigung der Mittel von mindestens 2 Milliar-
Wir haben in den letzten Tagen erlebt, dass wir eine den Euro im Haushalt ist die einhellige Forderung aller
zweite Energiewende hinter uns bringen. Wir haben in Experten und meiner Fraktion.
den letzten Monaten erlebt, dass Sie nicht prioritär auf
Um die Klimaschutzziele zu erreichen und die Sanie-
die Gebäudesanierung gesetzt haben. Sie haben nämlich
rungsquote zu erfüllen, müssen wir jeden Hausbesitzer
die Programmmittel gekürzt und sie erst nach großem
einbinden. In der Realität sieht es zurzeit anders aus. Ei-
öffentlichen Druck wieder auf den Stand erhöht, den Sie
nige Wohnquartiere sind in der Hand von Investoren, die
heute mehrfach erwähnt haben. Diese Reaktion ist also
ihre Wohnungen verkommen lassen. Wie wollen Sie den
nicht Ihrer Erkenntnis geschuldet, vielmehr hat Sie erst
Teil der Immobilienbesitzer erreichen, die sich nicht ver-
die große politische Diskussion nach dem Nuklearunfall
antwortlich fühlen, die weder Schimmel beseitigen noch
in Japan dazu gebracht, hier zu handeln.
Heizungen regelmäßig warten und kein Interesse an ei-
Immerhin sind wir uns zurzeit einig, dass die energe- nem geringen Energieverbrauch haben? Auch die
tische Sanierung dazu beitragen muss, den Klimaschutz Gruppe der finanzschwachen Hausbesitzer wird von der
zu verbessern und damit das 2-Grad-Ziel zu erreichen. Bundesregierung nicht genügend berücksichtigt; denn
Nachhaltigkeit bedeutet in diesem Zusammenhang, den diese werden die steuerlichen Vergünstigungen und
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 115. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. Juni 2011 13249
Michael Groß
(A) selbst verbesserte Kreditbedingungen kaum in Anspruch (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und (C)
nehmen. der FDP)
CO2-Gebäudesanierung ist eine Gemeinschaftsauf- Aus meiner Sicht müssen sich die Maßnahmen zur
gabe von Mieter, Vermieter und Staat, bei der der Mieter Steigerung der Energieeffizienz an drei wesentlichen
einen besonderen Schutz braucht. Bei dem Konzept der Kriterien orientieren und diese erfüllen. Sie müssen
Bundesregierung ist zu befürchten, dass die Mieter die durch den Bundeshaushalt finanzierbar sein. Sie dürfen
Kosten der energetischen Sanierung im Gebäudebestand die Menschen nicht überfordern; das heißt, die Standards
in Zukunft noch mehr und in unverhältnismäßiger Weise dürfen nicht zu hoch sein. Die Maßnahmen müssen so
schultern müssen, und zwar unabhängig davon, ob sie angelegt sein, dass sich die Häuslebauer die Modernisie-
Energie einsparen werden. Sanierungskosten und stei- rung leisten können.
gende Energiepreise führen zu einer erhöhten Belastung.
Wir haben es im letzten Jahr in äußerst schwierigen
Es ist zu verhindern, dass die Warmmietenbelastung
Haushaltszeiten geschafft, das CO2-Gebäudesanierungs-
nach einer CO2-Sanierung steigt, weil die Heizkosten-
programm und auch die Städtebauförderung erfolgreich
ersparnis die höheren Investitionskosten nicht in einem
fortzuführen. Dies war und dies ist ein Riesenerfolg.
überschaubaren Zeitraum kompensiert.
Diese Bundesregierung hat es im Interesse der nachfol-
Die Bundesregierung kommt den Vermietern über genden Generationen geschafft, ein historisch einmali-
Steueranreize und Mietrecht mehr entgegen als den Mie- ges und umfassendes Konsolidierungsprogramm aufzu-
tern. Fakt ist doch: Wenn ein Vermieter das Modell der legen. Das hatte natürlich Einschnitte bei der Förderung
Steueranreize wählt, kann er nach § 559 BGB dennoch der energetischen Gebäudesanierung zur Folge. An-
die kompletten Investitionskosten auf den Mieter über- scheinend ist hier einiges an Ihnen von der Opposition
wälzen. Wir müssen eine annähernde Warmmietenneu- vorbeigegangen.
tralität erreichen, insbesondere für Normalverdiener und
Weiterhin scheinen Sie auch auszublenden, dass die
Haushalte knapp über der Wohngeldgrenze. Viele Mieter
christlich-liberale Bundesregierung im vergangenen
in unserem Land können nicht einmal eine Mehrbelas-
Herbst ein ebenfalls historisch einmaliges Energiekon-
tung von wenigen Cent verkraften. Vor diesem Hinter-
zept vorgelegt hat.
grund muss der Heizkostenzuschuss wieder eingeführt
werden. Wir müssen verhindern, dass steigende Kosten (Bettina Herlitzius [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
der Unterkunft die Kommunen zukünftig zusätzlich be- NEN]: Aber nicht umgesetzt!)
lasten und die finanzielle Handlungsfähigkeit weiter ein-
schränken. – Das machen wir zurzeit. – Darin haben wir die enorme
Bedeutung der energetischen Gebäudesanierung betont.
(B) Mit den vorgelegten Gesetzentwürfen bietet die Bun- Wir haben schon damals festgeschrieben, Programme (D)
desregierung zwar zahlreiche ordnungspolitische Verän- zur Steigerung der Gebäudeeffizienz, etwa das CO2-Ge-
derungen, doch der sozialpolitische Ansatz, die Einbe- bäudesanierungsprogramm, fortzuführen und die Mittel
ziehung der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung von aufzustocken. Wie Sie vor diesem Hintergrund auf den
Demografie bis zur Finanzsituation der Länder und Gedanken kommen, meine sehr verehrten Damen und
Kommunen wird schlicht und ergreifend ausgeblendet. Herren von der Opposition, es sei unklar, ob 2012 über-
Wir müssen verhindern, dass die vom Präsidenten des haupt Mittel für dieses Programm bereitstehen, ist mir
Mieterbundes geäußerte Befürchtung Realität wird: schleierhaft.
„Gute Wohnungen nur noch für Reiche“ darf es nicht ge-
ben. Auch hatten wir bereits im Herbst des letzten Jahres
angekündigt, steuerliche Anreize zur Förderung der
Herzlichen Dank. energetischen Sanierung zu prüfen. Mit dem jetzigen
(Beifall bei der SPD) Energiepaket kommen wir unserer Verantwortung nach.
Wir handeln und setzen unsere Verantwortung nun in die
Tat um. Die Mittel für das CO2-Gebäudesanierungspro-
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: gramm stocken wir auf jährlich 1,5 Milliarden Euro auf.
Das Wort hat jetzt der Kollege Karl Holmeier von der Hinzu kommen mit der Änderung des Einkommensteu-
CDU/CSU-Fraktion. ergesetzes steuerliche Anreize zur energetischen Gebäu-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) desanierung. Damit setzen wir Akzente und kommen
zugleich der langjährigen Forderung der Bauwirtschaft
nach.
Karl Holmeier (CDU/CSU):
Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen Bei all unseren berechtigten Anstrengungen zur ener-
und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! getischen Gebäudesanierung dürfen wir eines nicht ver-
Andere sprechen über die Energieeffizienz im Gebäude- gessen: Wir müssen die Bürgerinnen und die Bürger mit-
bereich, die christlich-liberale Koalition handelt, und nehmen.
zwar mit Augenmaß, bürgerfreundlich und vor allem
(Bettina Herlitzius [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
verantwortungsbewusst mit Blick auf die nachfolgenden
NEN]: Genau!)
Generationen. Die hier zur Debatte stehenden Anträge
der Opposition lassen diese Punkte nicht erkennen. Sie Das sollten sich auch die Damen und Herren von der Op-
sind zum Teil weltfremd und gehen an der Realität vor- position zu Herzen nehmen und die Menschen nicht mit
bei. ihren überambitionierten Zielen überfordern.
13250 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 115. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. Juni 2011
Karl Holmeier
(A) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Die strategische Grundausrichtung des Umstiegs auf er- (C)
der FDP) neuerbare Energien und Energieeffizienz für eine si-
chere, umweltschonende und wettbewerbsfähige Ener-
Wir dürfen die Hausbesitzer nicht zu etwas zwingen, gieversorgung bleibt völlig unverändert.
was sie nicht wollen oder, besser gesagt, sich nicht leis-
ten können. Es darf daher keine Verpflichtung der Haus- Der entscheidende Antreiber für den Umbau unserer
besitzer zur Sanierung geben. Diese Entscheidung soll- Energieversorgung bleibt der Klimaschutz. Die Diskus-
ten die Menschen schon selbst treffen dürfen. sionen über unsere Energieversorgung konzentrieren
sich meist nur auf den Bereich Strom und insbesondere
(Bettina Herlitzius [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- auf die Stromerzeugung aus Kernenergie. Dabei besteht
NEN]: Das machen sie doch schon!) ein großer Handlungsbedarf bei der Sanierung von Ge-
Letztlich ist es nämlich ihr Geld, das sie für die Sanie- bäuden.
rung einsetzen. Fest steht: Ohne eine deutliche Reduzierung des
Energieverbrauchs im Gebäudebereich wird Deutsch-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
land seine ehrgeizigen Klimaziele nicht erreichen kön-
Wir müssen die Bürger in kleinen Schritten an die Sa- nen. Deswegen wollen wir eine Steigerung der jährli-
nierung heranführen, zum Beispiel durch die Förderung chen Sanierungsrate auf 2 Prozent. Heute entfallen auf
von Einzelmaßnahmen. Genau das tun wir. Wir fördern die Beheizung von Gebäuden und die Warmwasserberei-
auch kleine Sanierungsmaßnahmen, durch die KfW-Pro- tung etwa 40 Prozent unseres Energieverbrauches. Der
gramme oder alternativ durch steuerliche Anreize. Da- Anteil des Gebäudebereiches an den CO2-Emissionen
mit beweisen wir Verantwortungsbewusstsein und Bür- beträgt 20 Prozent.
gersinn. Wenn diese Maßnahmen noch durch gezielte Der Gebäudebestand in Deutschland beläuft sich auf
Beratungsangebote für die Bürgerinnen und Bürger vor 19,5 Millionen Gebäude, rund 18 Millionen davon sind
Ort ergänzt werden, dann – da bin ich mir sicher – sind Wohngebäude. 75 Prozent des Gebäudebestandes wur-
wir auf dem richtigen Weg. Wir müssen die Menschen den vor 1979 mit oft schlechter energetischer Qualität
auf dem Weg zur Schaffung eines klimafreundlichen Ge- errichtet. Das ist der Altbaubestand. Hier müssen wir an-
bäudebestandes mitnehmen und begleiten. Dann werden setzen. Das wichtigste Instrument der Bundesregierung
wir auch ihre Zustimmung hierfür erhalten und Akzep- für die Energieeinsparung und den Klimaschutz im Ge-
tanz erreichen. bäudebereich war bisher das CO2-Gebäudesanierungs-
Meine sehr verehrten Damen und Herren, mit unse- programm, und das muss es nach meiner Überzeugung
rem Energiepaket setzen wir Maßstäbe. Ich lade alle Op- auch in der Zukunft über einen sehr, sehr langen Zeit-
(B) positionsfraktionen ein, uns auf unserem – richtigen – raum bleiben. (D)
Weg zu begleiten und zu folgen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Einen herzlichen Dank. Der Kollege Kai Wegner hat das ja schon aufgezählt,
und ich bekräftige das: Von 2006, als Angela Merkel
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
Bundeskanzlerin wurde, bis März 2011 wurde die ener-
Daniela Wagner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
gieeffiziente Sanierung von fast 2,5 Millionen Wohnun-
NEN]: Sie werden unseren heißen Atem im
gen und Investitionen von fast 80 Milliarden Euro unter-
Nacken spüren!)
stützt.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: (Florian Pronold [SPD]: Am stärksten, als die
SPD das Bauministerium innehatte!)
Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat
nun der Kollege Dirk Fischer von der CDU/CSU-Frak- Hierdurch ergaben sich Einspareffekte. Der CO2-Aus-
tion das Wort. stoß wurde jährlich um 4,7 Millionen Tonnen reduziert.
Zugleich wurden durch Investitionen bisher jährlich bis
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) zu 340 000 Arbeitsplätze im Mittelstand geschaffen bzw.
gesichert. Das ist bei Lichte besehen das größte Förder-
Dirk Fischer (Hamburg) (CDU/CSU): programm für das deutsche Handwerk in unserer Ge-
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! schichte. Darüber freuen wir uns ganz besonders.
Wir sind uns darin einig, dass die Energiewende eine der (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
größten technischen, wirtschaftlichen und gesellschaftli- Florian Pronold [SPD]: Und das wollten Sie
chen Herausforderungen in unserer Geschichte ist. kürzen!)
(Bettina Herlitzius [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- – Herr Kollege Pronold, auch wenn man heute mit sehr
NEN]: Hört! Hört!) gespreizter Selbstgerechtigkeit hier auftritt, kann man
Deswegen war es gut und richtig, dass die Bundesregie- nicht ganz ausblenden,
rung bereits im vergangenen Herbst ein Energiekonzept (Florian Pronold [SPD]: Selbstkritik ist hier
entwickelt und beschlossen hat. einmal gut!)
(Volkmar Vogel [Kleinsaara] [CDU/CSU]: So dass es unter Rot-Grün ein Vorläuferprogramm mit ei-
ist das!) nem sehr viel geringeren Volumen gegeben hat,
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 115. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. Juni 2011 13251
Dirk Fischer (Hamburg)
(A) (Rainer Brüderle [FDP]: Jetzt kommt es (Bettina Herlitzius [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: (C)
heraus!) Kennen Sie schon die EU-Richtlinie?)
das völlig wirkungslos geblieben ist, weil es unattraktiv Sie wollen die energetischen Anforderungen an Be-
war. standsgebäude drastisch erhöhen. Damit werden Investi-
tionen für viele Hauseigentümer unfinanzierbar.
(Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Keine Ahnung!) Ich denke in diesem Zusammenhang – der Kollege
Götz hat vorhin einiges dazu gesagt – an folgendes Bei-
Deswegen meine ich, sollten wir uns doch gemeinsam spiel: Eine Witwe hat ein Eigenheim, in dem sie ihr gan-
darüber freuen, was seit 2006 in ganz anderer Weise er- zes Leben lang mit ihrem Mann und ihrer Familie gelebt
reicht worden ist. Hier müssen wir auch hartnäckig dran- hat. Und dann schlagen Sie mit diesem Instrument zu.
bleiben.
(Bettina Herlitzius [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) NEN]: Nein, tun wir nicht!)
Mit den Beschlüssen der Bundesregierung und der Sie kann sich in dieser Situation überhaupt nicht helfen.
Koalitionsfraktionen wurden für die Förderperspektive Sie ist überfordert und hilflos.
ab 2012 entscheidende Weichenstellungen vorgenom-
men. Wie schon gesagt: Wir setzen auch in der Zukunft (Bettina Herlitzius [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
mit Zuschüssen und mit zinsvergünstigten Darlehen auf NEN]: Sie kann wohnen bleiben!)
die Fortführung des CO2-Gebäudesanierungspro- – Sie kann nicht, selbst wenn sie wollte. Das wollen wir
gramms, und wir ergänzen das jetzt klugerweise durch unter keinen Umständen.
steuerliche Anreize. Für jede Situation des Hauseigentü-
mers wird damit ein passgenauer Investitionsanreiz ge- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Rainer
schaffen. So muss man vorgehen, wenn man erfolgreich Brüderle [FDP]: Wir helfen der Oma!)
sein will. Sie wollen offenbar Kontrollen verschärfen und die
teure Bürokratie ausbauen. Manchmal habe ich den Ein-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
druck, dass Sie von dem Aufbau einer Energiepolizei
Ich sage: Angesichts steigender Energiepreise – auch träumen und die Nutzungspflichten für erneuerbare
durch die Energiewende – freue ich mich darüber, dass Energien im Wärmebereich ausweiten wollen.
die Mieter davon bei ihrer Heizkostenabrechnung wahr- (Bettina Herlitzius [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
scheinlich profitieren werden. Das ist für die breite NEN]: Ja, das wollen wir!)
(B) Masse unserer Bürger und Bürgerinnen von entscheiden- (D)
der Bedeutung. Dabei erwähnen Sie noch nicht einmal den Wirtschaft-
lichkeitsaspekt.
Wir bewahren die Hauseigentümer vor Sanierungs-
zwängen und werden mit dem angekündigten Sanie- (Daniela Wagner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
rungsfahrplan aufzeigen, dass die Ziele auch ohne Gän- NEN]: Doch!)
gelung der Hauseigentümer oder gar wilde Mietsprünge Die Grünen wollen schlichtweg die Hauseigentümer zur
erreichbar sind. Dadurch grenzt sich diese Koalition von Geisel ihrer Politik machen. Ich kann nur sagen: Gott be-
CDU/CSU und FDP ganz entscheidend von den Überle- wahre uns, Bürger wehrt euch!
gungen der politischen Wettbewerber ab – nicht zuletzt
von den Grünen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – La-
chen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – GRÜNEN)
Daniela Wagner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Das musste jetzt noch einmal gesagt Wir dagegen wollen Hauseigentümer motivieren, set-
werden!) zen auf freiwillige Entscheidungen und unterstützen
diese Entscheidungen durch Förderung.
Frau Kollegin, viele Ihrer Forderungen im Antrags-
text sind aus den Konzepten der Bundesregierung abge- (Daniela Wagner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
schrieben. Ich vermeide das unpopuläre Wort „Plagiat“. NEN]: Endlich mal eine radikale christdemo-
kratische Rede!)
(Rainer Brüderle [FDP]: Haben wir schon wie-
der zwei erwischt! – Gegenruf der Abg. Von 2012 bis 2014 sollen die Mittel für das CO2-Ge-
Bettina Herlitzius [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- bäudesanierungsprogramm auf jährlich 1,5 Milliarden
NEN]: Das ist eher euer und nicht unser Pro- Euro erhöht werden. Außerdem werden steuerliche An-
blem!) reize geschaffen. Künftig können zehn Jahre lang
10 Prozent der Kosten für die energetische Sanierung
Das dient nur als Tarnung und offenbar gehaltvolle An- steuerlich geltend gemacht werden. Das ist ein Volumen
reicherung von weniger gehaltvollen Forderungen der von weiteren 1,5 Milliarden Euro in der vollen Jahres-
grünen Fantasiewerkstatt, die man dort auch findet. wirkung. Bei der steuerlichen Förderung wird sich ganz
entscheidend zeigen, wie ernst es auch die Opposition
Ihr Antragstext ist gespickt mit Ansätzen von
mit der Förderung nimmt.
Zwangssanierungen und einer Überforderung der Haus-
eigentümer in Deutschland. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
13252 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 115. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. Juni 2011
Karl-Georg Wellmann
(A) Nietan und Sarrazin von den Sozialdemokraten und den der Eiserne Vorhang gefallen ist und endgültig auch in (C)
Grünen. Ich danke auch ausdrücklich der Gruppe der diesem Bereich Europas die Freiheit einziehen konnte.
Vertriebenen für ihre konstruktive Mitarbeit. Dieser Be-
Es ist für mich schon etwas ganz Besonderes, dass
schluss ist auch der Beschluss der Gruppe der Vertriebe-
ausgerechnet das Volk, welches unermesslich unter deut-
nen. Ich bedanke mich sehr herzlich, lieber Klaus
scher Barbarei gelitten hat, ausgerechnet das polnische
Brähmig, für diese Zusammenarbeit.
Volk, einen so herausragenden Beitrag geleistet hat, da-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) mit die Deutschen ihre Einheit wiederfinden konnten,
damit der Mut der Bürgerinnen und Bürger in der ehe-
Ich hoffe, dass eine breite Öffentlichkeit in Polen dies so
maligen DDR wachsen konnte und am Ende auch dieses
wahrnimmt.
Regime friedlich hinwegfegen konnte.
Mit diesem Beschluss beschreiben wir den Erfolg der
Es nötigt einem allen Respekt ab, mit welcher Chuzpe
letzten 20 Jahre im deutsch-polnischen Verhältnis. Mit
unsere polnischen Freunde das getan haben – ohne Blut-
ihm wollen wir aber auch ein neues Kapitel der deutsch-
vergießen, indem sie sich mutig und kaltschnäuzig mit
polnischen Nachbarschaft aufschlagen. Wir freuen uns
ihrem Unterdrücker, General Jaruzelski, an einen Tisch
auf die Fortsetzung der Zusammenarbeit in den kom-
gesetzt und das Regime einfach wegverhandelt haben.
menden 20 Jahren.
Ich will an dieser Stelle stellvertretend für die Tausen-
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
den von mutigen Polinnen und Polen zwei nennen, näm-
(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP lich Papst Johannes Paul II. und Lech Walesa.
und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Im Juni 1979 hat Papst Johannes Paul II. davon ge-
sprochen, dass es unverrückbar eine geistige Einheit
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: zwischen West- und Osteuropa gibt. Damit hat er sicher-
Das Wort hat der Kollege Dietmar Nietan von der lich auch die Einheit der Christinnen und Christen in
SPD-Fraktion. Europa gemeint. Er hat aber ganz klar das Signal gesetzt:
Polen gehört zur freien Welt.
Dietmar Nietan (SPD):
Es war eine unendliche Ermutigung für die Menschen
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und in der Solidarnosc, die das entscheidende Wort gefunden
Kollegen! Wenn man in Warschau durch das Museum haben, um Freiheit zu erlangen: Solidarität. Sie konnten
des Warschauer Aufstands geht und sich die Exponate das tun, weil die Angst vor dem Regime weg war und
anschaut, sich mit den Ton- und Filmdokumenten be- weil all die Mechanismen des Regimes, sich mit der Ver-
(B) schäftigt und die einzelnen Geschichten von mutigen breitung von Angst an der Macht zu halten, nichts mehr (D)
Menschen liest, die sich bis in den Tod hinein ihre halfen.
Würde bewahrt haben, dann kann man ermessen, was
die Bürgerinnen und Bürger in Warschau und die Armia Einer dieser Mechanismen, die vonseiten der polni-
Krajowa, stellvertretend für das ganze polnische Volk, schen Kommunisten verwendet wurden, war, die Angst
zwischen dem 1. August und dem 3. Oktober 1944 ge- vor Deutschland weiter als Machtinstrument zu nutzen.
leistet haben.
Es ist schon aller Ehren wert – das möchte ich an die-
Man kann ermessen, wie schwer es war, dass sich dort ser Stelle sagen –, dass 20 Jahre nach dem Ende des
eine Kulturnation selbst in barbarischster Unterdrückung Warschauer Aufstands 16 mutige junge Menschen aus
ihre Würde in geradezu vorbildhafter Weise bewahrt hat. der DDR zusammen mit Lothar Kreyssig den Versuch
Es wurde nicht nur ein Kampf geführt, den man am Ende gestartet haben, nach Polen zu reisen, um dort Versöh-
– wir alle wissen, warum – nicht gewinnen konnte. Es nungsarbeit zu leisten.
wurde in dieser Zeit Freiheit, Demokratie, Gerechtigkeit,
1964 hat man ihnen an der sogenannten Friedens-
Kultur, Musik gelebt, und zwar im wahrsten Sinne des
grenze den Grenzübertritt verweigert – mit dem Hin-
Wortes im Untergrund.
weis, dass wir doch sozialistische Brüder und Schwes-
Einer der letzten Funksprüche der Armia Krajowa, tern seien und dass es nichts mehr gebe, worüber man
die aufgefangen wurden, endete mit den Worten: sich mit den Freundinnen und Freunden in der Volks-
republik Polen versöhnen müsse.
Ein Volk, in dem solche Tapferkeit lebt, ist unsterb-
lich. Denn jene, die starben, haben gesiegt, und 1965 ist diese Gruppe dann doch nach Polen gekom-
jene, die leben, werden weiterkämpfen, … men, weil ihre Mitglieder nicht als Gruppe, sondern ein-
zeln über verschiedene Grenzübergänge nach Polen
Genau 46 Jahre später, am 3. Oktober 1990, auf den
eingereist sind, um dann aber als Gruppe dort Versöh-
Tag genau 46 Jahre, nachdem der Warschauer Aufstand
nungsarbeit zu leisten.
zu Ende gegangen war, konnten wir die deutsche Einheit
feiern. Auch in der Bundesrepublik Deutschland änderte sich
etwas. So wuchs die Zahl der Menschen, die erkannten,
Das konnten wir nicht zuletzt auch deshalb tun, weil
dass es unabdingbar ist, die Oder-Neiße-Grenze anzuer-
das richtig war, was in diesem letzten Funkspruch stand:
kennen, um letztlich die Freiheit in Europa zu erreichen.
„… und jene, die leben, werden weiterkämpfen, …“.
Das haben sie getan, die polnischen Freiheitskämpferin- Der Kniefall von Willy Brandt am 7. Dezember 1970
nen und Freiheitskämpfer. Sie haben es getan, bis 1989 und wenig später am selben Tag die Unterschrift unter
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 115. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. Juni 2011 13255
Dietmar Nietan
(A) den Warschauer Vertrag waren ein entscheidender Punkt, festklammern, ob es einen Minderheitenstatus geben (C)
weil dies den Machthabern in Polen das Machtinstru- soll. Es geht hier nicht um Statusfragen. Es geht auch
ment der Angst vor den Deutschen aus der Hand ge- nicht um die Frage, ob wir, wem auch immer, noch
schlagen hat. 300 Millionen oder 400 Millionen Euro zu zahlen hät-
ten. Es geht vielmehr darum, dass wir uns auf gleicher
Es ist vielleicht bedauerlich – oder lediglich der Augenhöhe begegnen und mit Interesse und Wertschät-
menschlichen Natur geschuldet –, dass zu dieser großen
zung behandeln. Das macht man nicht mit dem Rechen-
Tat auch die Ambivalenz gehört, dass Willy Brandt nicht schieber an irgendwelchen Millionenbeträgen oder Sta-
die große Chance genutzt hat, Lech Walesa zu treffen, tusfragen fest, sondern an konkreten gemeinsamen
als er 1985 in Polen war. Projekten. Darauf geht der Antrag ein. Das sollten un-
Aber vielleicht müssen wir diese Ambivalenz in unse- sere polnischen Freunde richtig verstehen.
ren Beziehungen aushalten. Denn einer der großen Euro-
Jetzt, im Jahr 2011, ist es unsere gemeinsame Auf-
päer Deutschlands, Helmut Kohl, der sich um die Einheit
gabe, für Polen und Deutsche aus unserer gemeinsamen
Deutschlands und Europas verdient gemacht hat, sah
Geschichte heraus etwas gemeinsam zu unterstützen, das
sich nicht in der Lage, seine Unterschrift unter den
uns, glaube ich, besonders am Herzen liegt, nämlich die
Grenzvertrag zu setzen. Das musste Hans-Dietrich
Vollendung der Einheit Europas. Ein vereintes Europa in
Genscher machen. Es ist vielleicht auch eine Posse der
Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität gibt es noch nicht.
Geschichte, dass damit auch nicht der damalige polni-
sche Ministerpräsident Tadeusz Mazowiecki, der erste Es ist gut, dass uns unsere polnischen Freunde mit be-
Demokrat nach dem Krieg, die Unterschrift leisten stimmten Sichtweisen und Empfindlichkeiten begegnen
konnte. und vielleicht auch manchmal, wie man so sagt, etwas
nerven. Denn sie weisen auf etwas hin, das wir insbeson-
Wir sehen also: Die Ambivalenzen gibt es auf allen
dere im Westen allzu schnell vergessen. Im Jahr 2004
Seiten des politischen Spektrums. Vielleicht sollten wir
gab es nicht einfach eine technische Erweiterung der Eu-
daraus lernen, dass wir die Ambivalenzen nicht einseitig
ropäischen Union. Im Jahr 2004 sind wir der Wiederver-
ausnutzen und mit den Fingern auf die Fehler des jeweils
einigung Europas einen großen Schritt nähergekommen.
anderen zeigen, sondern das gesamte Tun der Menschen
Seit dem Jahr 2004 gibt es eine neue Europäische Union.
würdigen. Das heißt für mich auch, dass wir die Ge-
schichte nicht missbrauchen dürfen. Ich würde mir deshalb wünschen, dass manch einer
von denen, die sehr schnell über das urteilen, was Polen
Es gibt leider auf deutscher und polnischer Seite im-
gut macht oder nicht, darüber nachdenkt, wie uns Teile
mer noch Menschen, die angeblich der Wahrheit der Ge-
Mittel- und Osteuropas wieder mit ihrer Kultur, Ge-
schichte Genugtuung verschaffen wollen, sie aber in
(B) schichte und auch mit ihrer anderen politischen Identität, (D)
Wirklichkeit für eigene machtpolitische Spielchen miss-
die durch 40 Jahre kommunistischer Gewaltherrschaft
brauchen. Deshalb bin ich sehr froh über unseren ge-
geprägt wurde, bereichern, auch wenn das vielleicht
meinsamen Antrag. Ich möchte den Dank gerne an den
manchmal anstrengend ist.
Kollegen Wellmann, die Kollegin Pieper und die Kolle-
gen Bergner und Sarrazin weitergeben. Es war ein Ver- Ich würde mir wünschen, dass wir erkennen, dass wir
gnügen, mit Ihnen gemeinsam an diesem Antrag zu ar- vielleicht für die Vereinigung Europas in Frieden, Frei-
beiten. Dass er mit diesen Inhalten zustande gekommen heit, Gerechtigkeit und Solidarität Polen mehr brauchen
ist, zeigt, dass wir uns in entscheidenden Punkten einig als die Polen uns. In diesem Sinne, so glaube ich, weist
sind. Ich glaube, das deutsch-polnische Verhältnis ist für dieser Antrag in die richtige Richtung. Wir alle sollten
uns alle von entscheidender Bedeutung. gemeinsam in den nächsten Jahren daran arbeiten, dass
Ich möchte ausdrücklich auf einen Punkt hinweisen das, was wir dort beschrieben haben, ein Stückchen
– er ist bereits angesprochen worden –, der für die Men- mehr Wirklichkeit wird.
schen in Polen wichtig ist, nämlich dass es in unserem Herzlichen Dank.
Verhältnis Symmetrie gibt, wie Sie es nennen. In Art. 20
des Nachbarschaftsvertrags können wir nachlesen, dass (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP
wir in Polen und in Deutschland Minderheitenrechte ga- und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie
rantieren. Darin heißt es, dass die Vertragsparteien die des Abg. Stefan Liebich [DIE LINKE])
Rechte und Verpflichtungen des internationalen Stan-
dards für Minderheiten auf beiden Seiten verwirklichen Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
wollen. Das Wort hat jetzt die Staatsministerin im Auswärti-
An dieser Stelle haben wir gegenüber den Menschen gen Amt Cornelia Pieper.
polnischer Abstammung in Deutschland noch ein wenig (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Nachholbedarf. Denn zu den Verpflichtungen gehört
auch, das zu fördern, was die Identität der polnischstäm-
Cornelia Pieper, Staatsministerin im Auswärtigen
migen Menschen und die Muttersprache festigt, und ih-
Amt:
nen Mitwirkungsrechte zu ermöglichen.
Danke. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kol-
Wir müssen aber auch all denjenigen in Polen eine legen! In der Tat: Der 17. Juni ist ein symbolträchtiger
Absage erteilen, die Symmetrie sozusagen mit dem Re- Tag. Wie sich der 17. Juni 1953 ins Gedächtnis der Deut-
chenschieber schaffen wollen und sich jetzt an der Frage schen als Tag des Aufstands gegen ein totalitäres Re-
13256 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 115. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. Juni 2011
Stefan Liebich
(A) zurück, Herr Wellmann. Der polnische Ministerpräsident Stefan Liebich (DIE LINKE): (C)
Mazowiecki hat in einem Schreiben vom 31. Januar Ich komme zum Schluss. – Frau Staatsministerin
1990 von Kanzler Kohl eine Grenzgarantie verlangt. Er Pieper hat es ja gesagt: Die gute Nachbarschaft existiert
hat sie nicht bekommen. Helmut Kohl lag Europa sehr bereits neben den Tischreden, neben den Verträgen. Es
am Herzen, aber er hatte große Schwierigkeiten in Ihrer gibt polnische Diskotheken im Ruhrgebiet, es gibt Kunst
Fraktion, in Ihrer Partei. 23 Abgeordnete Ihrer Partei, und Kultur aus Polen hier in Berlin, Touristen besuchen
darunter Erika Steinbach und der heutige Bundesver- einander. Darauf können wir aufbauen. Die polnische
kehrsminister, haben dem Vertrag damals nicht zuge- Minderheit in Deutschland, die deutsche Minderheit in
stimmt, weil sie die berechtigten Anliegen der deutschen Polen können dafür Brücke sein. Das funktioniert. Ihren
Heimatvertriebenen nicht geregelt sahen, weil sie die Antrag braucht dafür allerdings kein Mensch.
ökonomische Regelung von offen gebliebenen Eigen-
tums- und Vermögensfragen vermisst haben. Damals, in Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
der sensiblen Phase der deutschen Vereinigung, Rech- (Beifall bei der LINKEN – Wolfgang Wieland
nungen zu schreiben, statt an Versöhnung und gute [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er sollte in
Nachbarschaft zu denken, darauf musste man erst einmal den Text schauen!)
kommen. Unsere Partei, die PDS, hat ihm damals aus
tiefer innerer Überzeugung geschlossen zugestimmt. Vizepräsidentin Petra Pau:
Deshalb, finde ich, ist heute auch ein guter Anlass, an
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat der Kol-
diesen Vertrag zu erinnern. Aber Sie dürfen dabei Ihre
lege Sarrazin das Wort.
eigene Geschichte nicht ausblenden.
(Beifall bei der LINKEN) Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich bin
Ich denke, dass wir auch noch einiges zu tun haben,
sehr froh, dass wir diesen Antrag gemeinsam einbringen.
was die Zukunft betrifft. Es gibt nach wie vor Entschädi-
gungsforderungen von Polinnen und Polen, ehemaligen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Opfern deutscher Besatzung. Hier können wir etwas ma- sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der
chen. Mich stört schon etwas, dass Sie mit diesem ge- SPD und der FDP)
meinsamen Antrag von Rot-Grün und Schwarz-Gelb be-
Ich möchte mich auch bei allen Vorgenannten bedanken.
schließen lassen wollen:
Ich denke, diesen Streit sollten wir nicht zu sehr ver-
Heimatvertriebene haben sich bei der Pflege des ge- tiefen, aber lassen Sie mich doch eines dazu sagen: Es ist
meinsamen kulturellen Erbes engagiert und Kon- richtig, dass, wie Kollege Nietan schon angesprochen (D)
(B) takte nach Polen geknüpft. hat, zum Teil auch die Politik Westdeutschlands – vor al-
len Dingen in den ersten Jahrzehnten nach dem Krieg –
(Karl-Georg Wellmann [CDU/CSU]: Das
in Polen dazu genutzt werden konnte, mit der Angst ge-
stimmt doch!)
genüber Deutschland zu spielen und diese für eine Poli-
Zweifellos haben sie das, natürlich, aber nicht nur tik zu instrumentalisieren, die auch viele Menschen in
das. Polen nicht wollten. Es ist aber auch richtig, dass viele
Polen genauso Angst vor der DDR hatten, in der viele
(Karl-Georg Wellmann [CDU/CSU]: Also!) Soldaten stationiert waren und die auch der völkerrecht-
liche Grund für die Stationierung der sowjetischen Ar-
Da müssen wir auch nicht so weit zurückschauen. Es mee in Polen war. Ich glaube, dass das zur historischen
war Anfang dieser Legislaturperiode. Schwarz-Gelb Wahrheit dazugehört.
hatte kaum die Rolle der Vertriebenen im Stiftungsrat
„Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ aufgewertet, um die Den heutigen Zustand der deutsch-polnischen Bezie-
Mitgliedschaft von Frau Steinbach zu verhindern, da be- hungen wird man ohne den Freundschaftsvertrag von
dankte sie sich mit einer Beleidigung des polnischen Re- 1991 nicht verstehen. Oft haben viele von uns das Ge-
gierungsberaters Bartoszewski und sinnierte über die fühl, dass die deutsch-polnische Freundschaft angekom-
Mobilmachung der Polen 1939 vor dem deutschen Über- men sei, angekommen vielleicht in so etwas wie einem
fall. Verhältnis von: „Für eure und für unsere Freiheit“. Ich
bin der festen Überzeugung – lassen Sie mich das zuerst
Ich glaube auch, das sind Punkte, die nach wie vor sagen –, dass auch regelmäßige Rufe von Ewiggestrigen,
das Misstrauen vieler Polinnen und Polen begründen. ganz egal von welcher Seite, nicht in der Lage sein wer-
Hier liegt eine Ursache dafür, dass die Polen die Garan- den, dieses Selbstverständnis kaputt zu machen.
ten für ihre Sicherheit eher in den Vereinigten Staaten als (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
in Europa sehen. Ich sehe das durchaus kritisch: Stich- sowie bei Abgeordneten der SPD und der
wort „altes Europa“, eine Diskussion, die wir alle vor ein FDP)
paar Jahren zur Kenntnis nehmen mussten.
Der Freundschaftsvertrag war ein Meilenstein, auf
Ich möchte nach vorn schauen. den andere folgen konnten. Ich persönlich möchte hier
folgende Meilensteine nennen:
Vizepräsidentin Petra Pau: An erster Stelle stand der NATO-Beitritt, der NATO-
Kollege Liebich, achten Sie bitte auf das Signal. Beitritt, der die feste Bindung Polens an Europa und an
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 115. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. Juni 2011 13259
Manuel Sarrazin
(A) das transatlantische Bündnis bedeutet und der zu einem mehr an den Gesamtfortschritt Europas denken, statt in (C)
Teil die historische Schuld Deutschlands aus dem Stalin- der nationalen Debatte in erster Linie eigene Interessen
Hitler-Pakt auflösen konnte. gegenüber der polnischen Bevölkerung zu artikulieren.
Dann war es für mich bewegend, als ich 2003 am Tag Meine Damen und Herren, es gibt viel Leben und
des Referendums im Rahmen eines Schulaustauschs in Austausch in den deutsch-polnischen Beziehungen, viele
Stettin war. Ich konnte sehen, wie die Menschen in die Initiativen, viele engagierte Menschen sowie viele per-
Schule, die wir besuchten, strömten, um für den EU-Bei- sönliche und wirtschaftliche Kontakte. Dennoch möchte
tritt zu stimmen. Dieser wurde mit einer Mehrheit ange- ich auch einen Satz zur Frage der Vertriebenen sagen.
nommen, wobei wir in Deutschland immer unterstellen, Wir Grüne erkennen an, dass viele Vertriebene auch in
es gäbe sie in Europa nicht für Europa. den letzten Jahren positiven Einfluss auf die Beziehun-
gen hatten. Ich bin aber auch der Meinung, dass einige
Auch der Beitritt zu Schengen II und die Arbeitneh- Personen und Verbände noch immer nicht verstanden zu
merfreizügigkeit zum 1. Mai dieses Jahres stellen, wie haben scheinen, dass viele der vorgebrachten Argumente
ich glaube, große Meilensteine dar. für uns politisch, rechtlich und historisch unhaltbar sind.
Gedenken und Geschichte sind in dieser Freundschaft Deswegen freue ich mich, dass wir am Ende eine For-
so wichtig. Es gibt so viele schreckliche Verbrechen, die mulierung gefunden haben, die wir alle mittragen kön-
gerade von Deutschland ausgegangen sind und in Polen nen. Ich erkenne das ausdrücklich an.
und an Polen und Polinnen begangen wurden. Wir be- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
schließen im Antrag Wegweisendes – darauf haben die
Kolleginnen und Kollegen schon hingewiesen – auch zu Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss.
diesem Bereich mit der Anerkennung der Verbrechen ge- Die deutsch-polnische Freundschaft ist angekommen.
genüber der polnischen Minderheit während des NS-Re- Gleichzeitig ist sie am Anfang. Im Sinne unserer beiden
gimes in Deutschland. Länder und der Europäischen Union werden wir den
Weg gemeinsam weitergehen müssen. Die Freundschaft
Ich möchte meine Zeit aber auch dazu nutzen, zu sa- ist seit vielen Jahren im Herzen Europas und auch,
gen: Was ist besonders an dieser deutsch-polnischen könnte man sagen, im Herzen dieses Hauses. Unser heu-
Freundschaft? Für mich als deutschen Staatsbürger und tiger Antrag zeigt, Herr Liebich, dass sie da hingehört
deutschen Abgeordneten etwas Besonderes an dieser und auch da bleiben wird.
Freundschaft ist Polen, dessen Geschichte gerade heute
Ansporn für Moral und europäischen Geist ist. Mut, Tap- Danke sehr.
ferkeit, europäische Gesinnung, die man in der Ge- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
(B) schichte Polens findet, können wir heute bei den Ent- und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der (D)
scheidungen, die anstehen, gebrauchen. Den Mut, den CDU/CSU und der FDP)
Adam Michnik aus der Gefängnishaft formuliert hat für
die Freiheit, den können wir gebrauchen, wenn wir, wie Vizepräsidentin Petra Pau:
von Frau Staatsministerin Pieper schon angesprochen, Der Kollege Silberhorn hat für die Unionsfraktion das
über die Herausforderungen auch in der unmittelbaren Wort.
Nachbarschaft reden.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
sowie bei Abgeordneten der SPD)
Thomas Silberhorn (CDU/CSU):
So sehr die deutsch-polnische Freundschaft schon an- Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
gekommen ist, so sehr stehen wir manchmal noch am Herren! Als Helmut Kohl und der polnische Ministerprä-
Anfang. Wir stehen zum Beispiel bei der Förderung der sident Bielecki vor 20 Jahren den deutsch-polnischen
polnischen Sprache am Anfang. Hier haben wir noch Vertrag über gute Nachbarschaft und freundschaftliche
viel zu tun, auch institutionell. Wir stehen auch am An- Zusammenarbeit unterzeichnet haben, wollten sie ganz
fang bei der Einsicht, dass es immer noch ganz viele ver- bewusst zum Dialog, zur Zusammenarbeit und zur ge-
schiedene Perspektiven auf die gemeinsame Geschichte meinsamen Gestaltung Europas aufrufen.
gibt, die Verständnis füreinander erfordern. Wir stehen
Wir können im Rückblick auf die letzten 20 Jahre
aber vor allem am Anfang in dem Bemühen, im Sinne
feststellen: Wir haben viel erreicht. Deutsche und Polen
des Freundschaftsvertrages die Geschicke der EU voran-
sind heute gute Nachbarn, Partner, oft auch Freunde. Wir
zutreiben. In einer neuen Situation, in der die Europäi-
haben sehr wichtige Handelsbeziehungen. Die Men-
sche Union immer mehr von einem Mehrheitsentschei-
schen auf beiden Seiten von Oder und Neiße haben die
dungssystem geprägt wird, reicht eine deutsch-
offenen Grenzen als Chance für sich genutzt. Polen ist
französische Achse nicht mehr aus. Deutschland muss
2004 mit großer Unterstützung Deutschlands der EU und
verstehen, dass gerade die Freundschaft zu Polen eine
bereits 1999 der NATO beigetreten. 2007 ist Polen Mit-
Chance bietet, Europa voranzubringen, und zwar in der
glied der Schengen-Zone geworden. Bei der Ausgestal-
Euro-Krise und zum Beispiel auch in Fragen der Nach-
tung der europäischen Politik arbeiten wir eng und ver-
barschaftspolitik. Beide Staaten haben die Verpflichtung,
trauensvoll zusammen.
zu verstehen, dass wir, wenn wir Europa voranbringen
wollen, besser darin werden müssen, mit den Polen zu In dem heute vorliegenden Antrag haben wir uns
agieren. Auch die polnische Politik muss ab und an noch explizit mit den Akteuren beschäftigt, die in dem
13260 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 115. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. Juni 2011
Thomas Silberhorn
(A) Freundschaftsvertrag als natürliche Brücken der Verstän- ropas wie Italien und Spanien machen wir die Erfahrung, (C)
digung bezeichnet werden, nämlich mit den polnisch- dass die jüngere Generation neue Möglichkeiten findet,
stämmigen Bürgern in Deutschland und der deutschen Geschichte zu erklären und zu beschreiben. Wir sollten
Minderheit in Polen. Wir bekennen uns in unserem An- das fördern. Das Projekt eines deutsch-polnischen
trag ausdrücklich dazu, dass der damaligen polnischen Schulbuches, das sich am deutsch-französischen Bei-
Minderheit während der Zeit des Nationalsozialismus spiel orientiert, ist deshalb ein spannendes Vorhaben.
schlimmstes Unrecht zugefügt worden ist. Wir dürfen
Im nächsten halben Jahr während der polnischen
und werden die Opfer dieser Jahre nicht vergessen. Es ist
Ratspräsidentschaft in der Europäischen Union wird
gut und richtig, dass wir sie ausdrücklich würdigen.
Polen eine wichtige Rolle einnehmen. Ich denke, es ist
Wir sollten parallel dazu die Bedingungen für die der richtige Ansatz, wenn die Polen vor allem auf die
Ausübung der polnischen Sprache und Kultur in Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit in Europa setzen.
Deutschland verbessern. Menschen, die zweisprachig Das genau brauchen wir jetzt. Die Polen gehen dankens-
aufwachsen, die mobil sind, die interkulturelle Kompe- werterweise selbst mit gutem Beispiel voran, indem sie
tenz haben, sind genau diejenigen, die wir in einem zu- sich freiwillig dem Euro-Plus-Pakt anschließen, obwohl
sammenwachsenden Europa brauchen. sie nicht Mitgliedstaat der Euro-Zone sind und dazu
nicht verpflichtet gewesen wären.
Gleichzeitig schulden wir der deutschen Minderheit
in Polen, die über Jahrzehnte unterdrückt und zur Anpas- Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn Sie
sung gezwungen war, hohe Anerkennung dafür, dass sie mir einen letzten Satz gestatten: Wir stehen am anderen
wieder angefangen hat, ihr kulturelles Erbe zu pflegen Ufer des Mittelmeers vor einer großen Umbruchsitua-
und zu leben. Wir müssen dabei in Rechnung stellen, tion, die Polen vor 20 Jahren selbst durchlebt hat. Des-
dass es über zwei Generationen hinweg verboten war, wegen kann Polen für die arabische Welt und für den
Deutsch zu sprechen, was die Minderheit vor besondere Nahen Osten in der Umgestaltung hin zu Demokratie
Herausforderungen stellte. und Rechtstaatlichkeit ein Vorbild sein. Ich denke, das
ist eine große Aufgabe für unsere Nachbarn, bei der wir
Wir wünschen uns, dass bei der Vergabe von Geldern sie unterstützen sollten. Es bleibt unsere ständige He-
an die deutsche Minderheit darauf geachtet wird, dass rausforderung, dafür zu sorgen, dass die Begegnungen
zum Beispiel das von der polnischen Regierung für zwischen Polen und Deutschen lebendig werden und
Sprachförderung bereitgestellte Geld tatsächlich für dass wir das Interesse aneinander wachhalten.
Maßnahmen der Sprachförderung eingesetzt wird und
dass vor allem eine Lösung für den Mangel an ausgebil- Vielen Dank.
deten Lehrern gefunden wird. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
(B) (D)
Zu einem ehrlichen Rückblick gehört auch, dass die
deutsch-polnischen Beziehungen in den letzten Vizepräsidentin Petra Pau:
20 Jahren manchen Stürmen ausgesetzt waren, die sie Der Kollege Brähmig hat für die Unionsfraktion das
aber überstanden haben – von unbegründeten Restitu- Wort.
tionsansprüchen bis zu der heftigen Debatte über die
deutsch-russische Ostseepipeline für Gas. Das alles wa- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
ren Belastungsproben für die Beziehungen; aber ich
denke, wir haben gelernt, offen miteinander zu sprechen Klaus Brähmig (CDU/CSU):
und vertrauensvoll miteinander umzugehen. Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Manchmal ist weniger mehr. So findet sich in
Ich würde unseren polnischen Partnern gerne immer
dem vorliegenden Antrag „Deutschland und Polen –
wieder erklären, Frau Pieper, wie viele Beauftragte es in
Verantwortung aus der Geschichte, Zukunft in Europa“
Deutschland für Partnerstaaten gibt. Es sind nämlich nur
keine explizite Erwähnung des Kapitels der jüngsten
vier: für die Vereinigten Staaten von Amerika, Russland,
deutsch-polnischen Geschichte, aus dem bis heute eine
Frankreich und Polen. Das ist die Kragenweite, das ist
besondere Verantwortung beider Länder herrührt. Ob-
der Stellenwert, den wir unseren polnischen Nachbarn
wohl die Vertreibung der Deutschen nicht konkreter Be-
im Koordinatensystem unserer auswärtigen Beziehun-
standteil der vertraglichen Verpflichtungen des Nachbar-
gen beimessen. Ich glaube, das dürfen wir unseren Part-
schaftsvertrages ist, dessen Bilanz wir heute ziehen,
nern auch hin und wieder erklären.
unterstütze ich den Antrag ausdrücklich.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der
der FDP)
SPD und der FDP)
Wir dürfen allerdings nicht zulassen, dass die Artiku-
Ich möchte eine bemerkenswerte Passage der Regie-
lation von Ängsten, von Sorgen und von Unzufrieden-
rungserklärung des damaligen Bundeskanzlers zu den
heit denen überlassen wird, die eher an Provokationen
deutsch-polnischen Verträgen vom 17. Juni 1991 zitie-
interessiert sind als an Problemlösungen. Hier tragen wir
ren, die nichts an Gültigkeit eingebüßt hat. Bundeskanz-
alle eine gemeinsame Verantwortung. Wir sollten auch
ler Helmut Kohl sagte im Hohen Haus am 6. September
denen entschlossen entgegentreten, die der Auffassung
1991 wegweisend:
sind, dass es nur eine Wahrheit gebe, die von den Histo-
rikern nur aufgeschrieben werden müsse. Nicht nur in Deutsch-polnische Versöhnung kann nicht durch
Deutschland und in Polen, auch in anderen Ländern Eu- Regierungen verordnet oder durch Vertragsver-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 115. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. Juni 2011 13261
Klaus Brähmig
(A) pflichtungen begründet werden. Im Gegenteil, das Beim muttersprachlichen Unterricht bestehen aber (C)
Werk der Versöhnung kann nur gelingen, wenn un- eindeutig Defizite, die beim nächsten Treffen des Run-
sere beiden Völker sich dazu bekennen, wenn jeder den Tisches angegangen werden müssen. Alle unter-
Deutsche und jeder Pole es auch als seine persönli- zeichnenden Bundestagsfraktionen haben sich auf Initia-
che Aufgabe annimmt. tive der Union daher für eine Verbesserung des
deutschsprachigen Unterrichts für die deutsche Minder-
Kohl zählte damals insbesondere auf das Engagement
heit in Polen ausgesprochen.
der Heimatvertriebenen, sowohl bei der Pflege des ge-
meinsamen kulturellen Erbes als auch bei den vielfälti- Gradmesser der deutsch-polnischen Beziehungen war
gen Aufgaben auf humanitärem und sozialem Gebiet. laut Presseberichten die kürzlich von unserer Kollegin
Erika Steinbach unternommene Reise nach Danzig und
Wenn wir nach 20 Jahren sehen, was durch die unzäh-
Gdingen. Was für eine Aufregung hat es im Vorfeld ihrer
ligen Kontakte der Schlesier, der Ost- und Westpreußen,
Visite bei der dortigen deutschen Minderheit gegeben!
der Pommern, der Danziger und nicht zuletzt der Ost-
brandenburger in ihre alte Heimat entstanden ist, gehört (Stefan Liebich [DIE LINKE]: Kein Wunder!)
am heutigen Tag der besondere Dank der Christdemo-
kraten und der Liberalen den deutschen Heimatvertrie- Hinterher meldeten polnische Zeitungen anerkennend,
benen. der Besuch sei ohne Skandale abgelaufen,
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – (Stefan Liebich [DIE LINKE]: Na toll! Super!)
Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- und titelten: Steinbach: Ich schätze die Polen.
NEN]: Da klatschen die Liberalen!)
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
Es ist außerdem ein Verdienst der Regierungskoali- neten der FDP – Stefan Liebich [DIE LINKE]:
tion und ein hoffnungsvolles Zeichen – damit knüpfe ich Das ist doch kein Grund zum Klatschen!)
an meine ersten Sätze an –, dass sich auch die beiden
Oppositionsfraktionen der SPD und Bündnis 90/Die Selbst ein Kritiker der von ihr gegründeten Stiftung Zen-
Grünen dem Antrag angeschlossen haben und ebenfalls trum gegen Vertreibungen, der polnische Historiker Jan
die Versöhnungsarbeit der Heimatvertriebenen hier und Piskorski, räumt mittlerweile ein:
heute ausdrücklich würdigen. Der fraktionsübergrei- Zweifelsohne hat die Initiative des Zentrums kurz-
fende Dank gebührt auch dem großen Versöhnungsbei- fristig zu einer großen Abkühlung in den deutsch-
trag der Kirchen beider Länder und deren Laienorganisa- polnischen Beziehungen geführt. Auf längere Sicht
tionen wie dem „Heimatwerk Schlesischer Katholiken“. kann sie sich aber noch als nützlich erweisen, weil
Ferner haben die Regelungen des Nachbarschaftsvertra- sie beide Seiten dazu zwingt, die eigene Geschichte (D)
(B)
ges zum Erhalt und zur Pflege der Gräber polnischer und erneut zu betrachten.
deutscher Opfer des Zweiten Weltkriegs versöhnende
Wirkung gehabt. Wir haben uns daher im Antrag dafür Hier sind neue Wege eingeschlagen worden, auf de-
eingesetzt, dass nun auch neu entdeckte Gräber – man nen wir weitergehen sollten, um, wie es im Antrag heißt,
denke an die Massenfunde bei der Marienburg oder „offen und frei von Ängsten miteinander über die Ver-
Schwiebus – mit in die vereinbarte gemeinsame Pflege gangenheit zu sprechen“, aber noch viel mehr, meine lie-
aufgenommen werden. ben Kollegen, über die vor uns liegende gemeinsame
Zukunft.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, für die Zu-
kunft der bilateralen Beziehungen ist die Lage der deut- An dieser Stelle möchte ich mich dem Dank an meine
schen Minderheit in Polen und die der polnischstämmi- Kollegen Philipp Mißfelder, Karl-Georg Wellmann,
gen Bürger in Deutschland von wesentlicher Bedeutung. Dietmar Nietan und Manuel Sarrazin anschließen, die
Ich begrüße daher die Verhandlungsergebnisse der Ge- sich für ihre Fraktionen bei der Erstellung des Antrags
spräche beider Regierungen am Runden Tisch und eingebracht haben. Ein ganz besonderer Dank gilt unse-
möchte dabei den äußerst engagierten Einsatz unseres rer Staatsministerin Cornelia Pieper für die gute Zusam-
Parlamentarischen Staatssekretärs beim Bundesminister menarbeit.
des Innern, Christoph Bergner, lobend hervorheben.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und wün-
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- sche von dieser Stelle allen ein gesegnetes Pfingstfest.
neten der FDP)
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie
Die Brückenfunktion der deutschen Minderheit in bei Abgeordneten der SPD)
Polen und die der polnischstämmigen Bürger in
Deutschland wird vom Bundestag zu Recht anerkannt. Vizepräsidentin Petra Pau:
Zudem werden die jeweiligen Rechte zur Stärkung der
Ich schließe die Aussprache.
kulturellen und sprachlichen Identität ausdrücklich be-
kräftigt. Beide Gruppen sollten sich hier im Geist der Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
Vertragswerke und unseres heutigen Antrages entfalten Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/
können. Der Dachverband der deutschen Minderheit in Die Grünen auf Drucksache 17/6145 mit dem Titel
Polen, VdG, und die Häuser der deutsch-polnischen Zu- „Deutschland und Polen – Verantwortung aus der Ge-
sammenarbeit in Gleiwitz und Oppeln leisten hierbei schichte, Zukunft in Europa“. Wer stimmt für diesen An-
wertvolle Arbeit. trag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der
13262 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 115. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. Juni 2011
Die Schuldenbremse bedeutet ein enges Korsett – das Aber es gibt natürlich auch Bedenken und Wider-
ist gewollt –, das aber leider auch für die Finanzierung stände. Ich denke da an die Länder. Sowohl aufseiten der
von Zukunftsaufgaben wenig Luft lässt. Hinzu kommen A- als auch der B-Länder gibt es das.
ein paar unserer Meinung nach falsche politische Ent- (Swen Schulz [Spandau] [SPD]:
scheidungen der Regierung wie die zur sogenannten Ho- Und der C-Seite!)
telsteuer, die den Ländern das Wasser abgräbt. Deshalb
köchelt der vielbeschworene föderale Bildungswettbe- Wir müssen gemeinsam daran arbeiten, diese Bedenken
werb nur auf Sparflamme. Wettbewerb ist nur mit einem zu zerstreuen. Es geht nicht darum, die Bildungshoheit
Zugewinn an Qualität zu begründen, doch das ist in der Länder zu beschneiden, sondern wir wollen die
Deutschland nicht erkennbar. Das Kooperationsverbot Möglichkeit eröffnen, dass der Bund finanziell unterstüt-
ist ein Stolperstein auf dem Weg zu einem leistungsfähi- zend unter die Arme greift. Ich glaube, das ist mehr als
gen und zukunftsweisenden Bildungssystem. ein faires Angebot.
Wir könnten uns zwar darüber streiten, ob unsere (Beifall bei der SPD)
Länderchefs es nun gut oder weniger gut finden, die Bil-
Bildung ist nicht nur Ländersache, sondern Sache des
(B) dungshoheit zu haben; die Zeche für das schlechte Bil- (D)
dungssystem zahlen aber nicht die Länderchefs und auch gesamten Staates. Heute Morgen haben wir darüber dis-
nicht wir hier im Bundestag, sondern die Zeche zahlen kutiert, welche Rolle der Wirtschaftsstandort Deutsch-
unsere jungen Menschen im Land. land in Europa spielt. In diesem Zusammenhang sollten
wir uns auch Gedanken darüber machen, dass es nicht
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ im Länderinteresse, sondern auch im gesamtstaatlichen
DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der Interesse ist, etwas für ein einheitliches, gutes Bildungs-
LINKEN) system zu machen. Über den Weg dahin können wir uns
unterhalten. Unser Antrag liegt vor. Über das Ziel aber
Ich will ein weiteres Beispiel anführen. Vor kurzem
sollten wir uns alle einig sein: Weg mit dem Koopera-
ist das Bildungs- und Teilhabepaket über uns hereinge-
tionsverbot und hin in die Richtung, eine finanzielle Un-
brochen. Daran haben wir erkennen können, welchen
terstützung für die Länder möglich zu machen!
Nachteil die Folgen des föderalen Zuständigkeitsgeran-
gels haben können. Unserer Auffassung nach wäre es Vielen Dank.
richtig und konsequent gewesen, in ganz Deutschland
endlich ein bedarfsdeckendes und qualitativ einheitli- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
ches Angebot an Kitas und Ganztagsschulen zu schaf- DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der
fen, aber genau das war nicht möglich. CDU/CSU)
(A) Dr. Rosemarie Hein (DIE LINKE): Die in den Ländern ausgestellten Reifezeugnisse (C)
Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! und sonstigen Abschlußzeugnisse von Schulen, die
Liebe Kollegen! Ich habe noch einmal nachgeschaut: Gegenstand dieses Abkommens sind, werden aner-
Der Antrag der Linken zur Aufhebung des Koopera- kannt.
tionsverbotes zwischen Bund und Ländern auf dem Ge-
Und:
biete der Bildungspolitik wurde in der Debatte am
25. März 2010 in den Bundestag eingebracht. Über ein Soweit ungeachtet dieser Vereinheitlichung beim
Jahr ist seitdem vergangen. Inzwischen haben alle Frak- Schulwechsel Härtefälle eintreten, sind … Über-
tionen die Notwendigkeit erkannt, über die Fragen der gangshilfen zu geben.
Zusammenarbeit von Bund und Ländern neu nachzuden-
So weit, so gut, so klar.
ken. Selbst einige Landtage, auch der in meinem Bun-
desland Sachsen-Anhalt, haben bereits Beschlüsse dazu Seit 1993 gibt es die „Vereinbarung über die Schular-
gefasst. Also sträuben wir uns nicht, die notwendige ten und Bildungsgänge der Sekundarstufe I“. Diese ist
Korrektur der Föderalismusreform aus dem Jahre 2006 erst im März dieses Jahres wieder einmal – es war nicht
endlich vorzunehmen! Die Reform hat sich nicht be- das erste Mal – verändert worden. Dort ist über die Be-
währt, Herr Spaenle. rechtigung zum Übergang in die gymnasiale Oberstufe
zu lesen – ich zitiere wieder –:
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord-
neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE Bei einer durchgehenden Fachleistungsdifferenzie-
GRÜNEN) rung auf drei Anspruchsebenen ist die Teilnahme
am Unterricht in drei Fächern, zu denen mindestens
Weil so etwas nur in großer Übereinstimmung geht, ha-
zwei der Fächer Deutsch, Mathematik und eine
ben wir mit der Behandlung unseres Antrages im Aus-
Fremdsprache gemäß Ziffer 4.1.2 oder 4.1.3 (Satz 2)
schuss gerne gewartet, bis die SPD auch so weit war.
gehören, auf der obersten Anspruchsebene erforder-
Bei der Abschaffung des Kooperationsverbotes geht lich. In diesen Fächern müssen mindestens ausrei-
es zunächst nur darum, wieder gemeinsame Projekte in chende, in den Fächern der mittleren Anspruchs-
der Bildung wie seinerzeit das Ganztagsschulprogramm ebene mindestens befriedigende und in den Fächern
finanzieren zu können. Man muss eingestehen: Ohne der unteren Anspruchsebene mindestens gute Leis-
dieses Programm wären viele Schulen in diesem Land tungen erbracht werden. In den ohne Fachleistungs-
nicht saniert worden. Die Kommunen hätten das allein differenzierung geführten abschlussrelevanten
nicht schultern können. Das muss man einfach sagen: Fächern sind im Durchschnitt mindestens befriedi-
Das war vernünftig. gende Leistungen erforderlich.
(B) (D)
(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem (Heiterkeit bei der LINKEN)
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Kai Gehring
Ich habe mehrfach geübt, dies vorzulesen. Haben Sie
[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein Lob für
alles verstanden?
Rot-Grün!)
(Beifall bei der LINKEN)
Wenn nun in der Zusammenarbeit zwischen Bund und
Ländern der Zustand von 2006 wiederhergestellt wird, Dann kommt ein Nachsatz – ich verkürze ihn ein biss-
ist noch längst nicht alles gut. Vielmehr häufen sich in chen –:
der Öffentlichkeit immer mehr die Klagen über zu viele
In Bayern werden Schülerinnen und Schüler, die
Unterschiede zwischen den Bildungssystemen der Län-
eine andere Schule als das Gymnasium besucht ha-
der. Mehr Einheitlichkeit, mehr Vergleichbarkeit und vor
ben, mit einer Berechtigung … dieser Vereinbarung
allem mehr Durchschaubarkeit werden gefordert. Darum
in die gymnasiale Oberstufe unter den besonderen
werden die Stimmen, die ein bundeseinheitliches Bil-
Bedingungen aufgenommen, die in Bayern für Re-
dungssystem in Schule und Hochschule fordern, immer
alschüler gelten.
lauter. Wenn nichts getan wird, kommt der Bildungsfö-
deralismus immer mehr in Verruf. Klar, was immer das heißt.
Es geht zum Beispiel um die Anerkennung von Studi- Ich könnte mehr solcher Beispiele nennen; aber dafür
enleistungen bei einem Hochschulwechsel, um die Aner- habe ich hier nicht die Zeit. Den Unmut über so viel
kennung der Lehrerausbildung und die Anerkennung Überregelung und so viel überbordende Bürokratie kann
von Bildungsabschlüssen. Aber, so werden Sie mir ent- ich verstehen.
gegenhalten, das regelt doch in schöner Einstimmigkeit
Bildungsföderalismus wollte Vielfalt im Bildungswe-
die Kultusministerkonferenz. Ich kenne eine Vielzahl
sen. Als Vielfalt entstand, hat man ein Korsett um sie ge-
von Beschlüssen dieser Konferenz. Regeln diese Be-
baut. Immer wenn im Rahmen des Bildungsföderalismus
schlüsse wirklich das, was geregelt werden müsste? Ich
eine neue Entwicklung im Gange war, ist eine neue Kor-
möchte das an einem Beispiel darstellen. Sie gestatten,
settstange eingezogen worden.
dass ich als Beleg zwei, drei Zitate anführe.
(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
1964 haben die Kultusminister ein „Abkommen zur
Eine Korsettstange? Wie bitte?)
Vereinheitlichung auf dem Gebiete des Schulwesens“
getroffen, das sogenannte Hamburger Abkommen. Dort Nun wird die Vielfalt durch dieses Korsett eher strangu-
heißt es zum Beispiel: liert, und Einheitlichkeit entsteht dadurch auch nicht.
13266 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 115. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. Juni 2011
Monika Grütters
(A) würdigen Interesse heraus, die beste Bildungspolitik von barkeit zu schaffen, Verlässlichkeit zu garantieren und (C)
allen zu machen. Die kann aber nur gelingen, wenn sich vor allen Dingen – das ist für uns hier ein Thema – die
alle Akteure mehr als bisher in echten Bildungspartner- vielen eingesetzten Mittel, auch aus der Bundeskasse, ef-
schaften zusammenfinden. fizient zu verteilen.
(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Da möchte Um nur ein paar Instrumente zu nennen: Wie wäre es
ich klatschen! – Gegenruf des Abg. Swen zum Beispiel mit der Vereinbarung eines Schulkonsen-
Schulz [Spandau] [SPD]: Darfst du!) ses
– Bitte. (Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- [SPD])
neten der SPD, der LINKEN und des BÜND- – das ist an die Adresse der Länder gerichtet –, der für
NISSES 90/DIE GRÜNEN) vergleichbare und wiedererkennbare Schultypen sorgen
Zur Betrachtung der Wirklichkeit gehört auch, dass könnte? Ich finde es einen richtigen Schritt, dass man
man erkennt, dass viele solcher Bildungspartnerschaften sich auch in der Union auf das zweigliedrige Schulsys-
aktuell gut funktionieren. Die grundlegende Zuständig- tem verständigt.
keit der Bundesländer für die Bildungspolitik, vor allen
(Beifall des Abg. Wolfgang Wieland [BÜND-
Dingen bei den Schulen als Kern unseres föderalen Sys-
NIS 90/DIE GRÜNEN])
tems, muss man und wollen wir auch gar nicht antasten.
(Ulla Burchardt [SPD]: Genau!) Klar, das wird schwierig, wenn man bedenkt, dass al-
lein 22 Minister mit unterschiedlichen Ressortzuschnit-
Aber seien wir ehrlich: Sowohl im Bildungs- als auch im ten aus 16 Ländern miteinander zu tun haben. Auch das
Hochschulbereich sehen sich die Länder derzeit Heraus- ist ein Problem auf der KMK-Ebene. Da sind andere
forderungen gegenüber, die sie schon lange nicht mehr Ideen wichtiger. Aber ich finde, man muss es zumindest
stemmen können. anregen und es versuchen.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der Ein anderer Punkt ist die CDU-Idee eines Deutsch-
SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/ landabiturs, für das gemeinsame Abiturstandards formu-
DIE GRÜNEN) liert und ein länderübergreifender Aufgabenpool eta-
Deshalb haben wir auf Bundesebene den Hochschulpakt bliert werden soll. Auch darum ist es gestern gegangen;
2020, die Exzellenzinitiative und auch den Qualitätspakt Sie haben einiges zitiert. Wir haben gemerkt, wie wahn-
Lehre aufgelegt, in die der Bund insgesamt mehr als sinnig schwierig das ist.
(B) (D)
10 Milliarden Euro steckt. Man kann der KMK – Herr Spaenle, das kann ich Ih-
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und nen nicht ersparen – nur zurufen: Machen Sie es doch
der FDP) mal! Es gibt viele Vereinbarungen, die am Ende nicht
umgesetzt werden. Das lässt Außenstehende an der
Damit haben Bund und Länder dem Hochschulbereich KMK – Helmut Kohl hat einmal gesagt, das sei der
zumindest in der Wissenschaft sehr wohl gezeigt, wie letzte Hort der Reaktion – ein bisschen verzweifeln.
funktionierende Bildungspartnerschaften aussehen kön-
nen und dass sie heute längst Realität sind. (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD)
Aber es gibt auch Probleme. Die Zusammenarbeit im Die Einstimmigkeitsregel in der KMK führt angesichts
Bereich der Schulpolitik ist natürlich wesentlich schwie- der vielfältigen und unterschiedlichen Ressortzuschnitte
riger. Dabei sind die Herausforderungen hier nicht klei- zu mühsamen Abstimmungen. Das ist kein Vorwurf; das
ner, im Gegenteil. Das Thema Schüler mit Migrations- ist das Betrachten der Wirklichkeit.
hintergrund ist angesprochen worden. Es ist nicht nur in
Berlin so, dass der Anteil der Schüler mit Migrationshin- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
tergrund in Grundschulen bei über 50 Prozent liegt. Sol- DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der
che Aufgaben können und wollen wir gemeinsam lösen. CDU/CSU und der FDP)
Stellen Sie sich einmal vor – Frau Ziegler hat das gesagt –, Für uns wäre auch eine gemeinsame Lehrerausbil-
wie gut es gewesen wäre, wenn wir die Mittel aus dem dung ein überlegenswerter Schritt in die richtige Rich-
Bildungspaket tatsächlich direkt an die Schulen hätten tung. Wir finden auch, dass es in zentralen Schulfächern
geben können. durchaus einheitliche Lernmittel geben müsste oder
(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem sollte. So schwierige Fächer wie Geschichte würden da-
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- von profitieren. Zur Koordinierung und Umsetzung der-
geordneten der FDP und der LINKEN) artiger Überlegungen ist das Stichwort „Bildungsrat“ ge-
nannt worden. Der Wissenschaftsrat – mit ihm haben wir
Man sieht allein an diesen wenigen Stichworten: Wir in der Hochschul- und Wissenschaftslandschaft exzel-
brauchen tatsächlich eine neue Kooperationskultur. Das lente Erfahrungen gemacht –, mit Experten, nicht mit
deutsche Bildungssystem in der Bildungsrepublik muss Politikern besetzt, evaluiert und gibt Empfehlungen.
länderübergreifend in die Lage versetzt werden, exzel-
lente Aus- und Weiterbildung zu ermöglichen, grundle- (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der SPD –
gende gemeinsame Standards zu definieren, Vergleich- Dagmar Ziegler [SPD]: Na, na, na!)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 115. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. Juni 2011 13271
Monika Grütters
(A) – Ich fände es besser, den Bildungsrat mit Experten zu Vizepräsidentin Petra Pau: (C)
besetzen, um von ihm Empfehlungen und Evaluierungen Das Wort hat der Kollege Swen Schulz für die SPD-
vornehmen zu lassen. Fraktion.
Für den Hochschulbereich – das ist jetzt die Aufgabe – (Beifall bei der SPD)
müssen wir uns überlegen, wie wir die bestehenden,
eben genannten guten Partnerschaften für die Zukunft si-
Swen Schulz (Spandau) (SPD):
chern wollen; denn sie sind alle befristet. Das müssen
wir frühzeitig machen, also jetzt. Dabei müssen wir zum Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Beispiel über eine Fortführung der Exzellenzinitiative Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau
oder das, was danach kommt, nachdenken. Ich finde es Kollegin Grütters, wenn das so ist, dann können Sie un-
richtig, wenn es danach ermöglicht würde, einzelne leis- serem Antrag ja zustimmen.
tungsfähige Hochschulen auch mit Bundesgeldern zu (Monika Grütters [CDU/CSU]: Das behalten
fördern. Ich bin Minister Spaenle sehr dankbar, dass er wir uns dann noch vor!)
dazu explizit gesagt hat, dass er sich gerade in diesem
Bereich eine Öffnung, die dann auch verfassungsrele- Das werden doch ganz interessante Beratungen.
vant wäre, vorstellen kann. Für diesen Vorschlag einer
Stellen wir uns einmal für eine Sekunde vor, was
Öffnungsklausel noch einmal und ausdrücklich von die-
wäre, wenn einer von uns hier im Bundestag oder auch
ser Stelle vielen Dank.
im Bundesrat fordern würde: Die bestehende Koopera-
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) tionsmöglichkeit zwischen Bund und Ländern im Be-
reich der Hochschulen soll gestrichen werden.
Wir müssen den Föderalismus gemeinsam moderni-
sieren, Kooperationen erleichtern und – ich sage es noch (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Massen-
einmal – zu einer neuen Kooperationskultur kommen. demonstrationen in Bayern!)
An die SPD gerichtet: Diesen Gedanken finde ich auch
Er würde Kopfschütteln oder ungläubiges Gelächter ern-
in Ihrem Antrag wieder, wenn Sie – ich zitiere – „eine
ten.
weiter gehende Möglichkeit zur Kooperation von Bund
und Ländern“ anstreben, damit gemeinsame Leistungs- Genau das war aber der Plan derjenigen, die die letzte
und Qualitätsstandards entwickelt werden können und Föderalismusreform verhandelt haben. Die SPD ist dann
Bund und Länder auch bei der Sicherstellung – das ist in letzter Sekunde aktiv geworden und hat dafür gesorgt,
auch das Wording der Ministerin – der Leistungsfähig- dass die im Grundgesetz festgehaltene Kooperation im
keit zusammenwirken können. Ich finde das eine kluge Hochschulbereich erhalten bleibt. Auf dieser Basis kön-
(B) Formulierung. Ich habe aus Ihrer Feder auch schon radi- nen wir den Hochschulpakt, die Exzellenzinitiative, den (D)
kalere Varianten gesehen. Hier hat einmal der Pragmatis- Qualitätspakt Lehre etc. realisieren.
mus gesiegt.
Derselbe Weg muss auch für die Schule beschritten
Deshalb finde ich es auch richtig, dass wir diesen An- werden.
trag in den Ausschuss überweisen und dort darüber
nachdenken. (Beifall bei der SPD – Wolfgang Wieland
[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bei der
(Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann Schule habt ihr leider mitgemacht! Jörg Tauss
[SPD]) hat damals erklärt, alles sei nicht so schlimm,
Die Zentralismussehnsucht der Linken kann ich nicht und Frau Bulmahn auch!)
teilen. Aber auch das werden wir dann in diesem Kon- Ich prophezeie Ihnen: Früher oder später wird das
text behandeln. Kooperationsverbot auch im Schulbereich fallen, weil es
(Dr. Rosemarie Hein [DIE LINKE]: Das schlicht und einfach unsinnig ist.
haben wir im Text erläutert!) Bildung ist so wichtig, dass wir alle Kräfte von Bund
Lassen Sie mich zum Schluss kommen. Eine Vertei- wie auch von Ländern zusammennehmen müssen, um
lung der Bildungspaketmittel direkt an die Schulen wird im Bildungsbereich Verbesserungen herbeizuführen.
hier offensichtlich von allen für besser und wünschens- Die Menschen verstehen nicht, warum sie dann, wenn
wert gehalten. Darüber sind wir uns also einig. Einige sie sich an die Bundespolitik wenden, um auf Verände-
andere Stichwörter habe ich genannt. Wie wir dahin rungsbedarf im Bildungsbereich hinzuweisen, zur Ant-
kommen und ob wir dafür eine Grundgesetzänderung wort bekommen: Dafür sind wir nicht zuständig; das
brauchen, müssen wir dann sehen. sind die Länder. – Damit haben die Bürgerinnen und
Wichtig ist und bleibt uns – auch darüber sind wir uns Bürger recht. Das ist in der Tat unsinnig. Es sind unsere
alle einig, denke ich –: Es sollte und muss besser wer- gemeinsamen Kinder. Es ist unsere gemeinsame Zu-
den. kunft. Deswegen müssen wir auch zusammenwirken, um
Bildung in diesem Land besser zu machen.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie
(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP des Abg. Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/
und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) DIE GRÜNEN])
13272 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 115. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. Juni 2011
(B) – Drucksache 17/6052 – Ich lasse zuerst über den Überweisungsvorschlag der (D)
Fraktion Die Linke – Federführung beim Ausschuss für Er-
Überweisungsvorschlag: nährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz – abstim-
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Innenausschuss men. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Über-
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu weisungsvorschlag ist abgelehnt. Ich lasse nun über den
diesem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben. – Überweisungsvorschlag der Fraktionen der CDU/CSU
Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Es handelt sich und der FDP – Federführung beim Ausschuss für Wirt-
um folgende Kolleginnen und Kollegen: Michael Brand schaft und Technologie – abstimmen. Wer stimmt für
für die Unionsfraktion, Gerd Bollmann für die SPD- diesen Vorschlag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
Fraktion, Horst Meierhofer für die FDP-Fraktion, Ralph sich? – Der Überweisungsvorschlag ist angenommen.
Lenkert für die Fraktion Die Linke, Dorothea Steiner für Liebe Kolleginnen und Kollegen, wird sind damit am
die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und die Parlamen- Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
tarische Staatssekretärin Heinen-Esser.1)
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent- destages auf Mittwoch, den 29. Juni 2011, 13 Uhr, ein.
wurfs auf Drucksache 17/6052 an die in der Tagesord-
Die Sitzung ist geschlossen. Ich wünsche Ihnen
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
schöne Feiertage.
dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall.
Dann ist die Überweisung so beschlossen. (Schluss: 14.27 Uhr)
1) Anlage 6 2) Anlage 7
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 115. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. Juni 2011 13275
Anlage 1
Liste der entschuldigten Abgeordneten
Anlage 2
Namensverzeichnis
der Mitglieder des Deutschen Bundestages, die an der Wahl eines Mitglieds des Vertrauensgremiums
gemäß § 10 a Abs. 2 der Bundeshaushaltsordnung teilgenommen haben (Zusatztagesordnungspunkt 18)
(A) Michael Brand Andreas Jung (Konstanz) Beatrix Philipp Ingo Wellenreuther (C)
Dr. Reinhard Brandl Dr. Egon Jüttner Ronald Pofalla Karl-Georg Wellmann
Helmut Brandt Bartholomäus Kalb Christoph Poland Peter Wichtel
Dr. Ralf Brauksiepe Hans-Werner Kammer Ruprecht Polenz Annette Widmann-Mauz
Dr. Helge Braun Steffen Kampeter Eckhard Pols Klaus-Peter Willsch
Heike Brehmer Alois Karl Thomas Rachel Elisabeth Winkelmeier-
Ralph Brinkhaus Bernhard Kaster Dr. Peter Ramsauer Becker
Cajus Caesar Volker Kauder Eckhardt Rehberg Dr. Matthias Zimmer
Gitta Connemann Dr. Stefan Kaufmann Katherina Reiche (Potsdam) Wolfgang Zöller
Alexander Dobrindt Roderich Kiesewetter Lothar Riebsamen Willi Zylajew
Thomas Dörflinger Eckart von Klaeden Josef Rief
Marie-Luise Dött Ewa Klamt Klaus Riegert SPD
Dr. Thomas Feist Volkmar Klein Dr. Heinz Riesenhuber Ingrid Arndt-Brauer
Enak Ferlemann Jürgen Klimke Johannes Röring Rainer Arnold
Ingrid Fischbach Axel Knoerig Dr. Norbert Röttgen Heinz-Joachim Barchmann
Hartwig Fischer (Göttingen) Jens Koeppen Dr. Christian Ruck Doris Barnett
Dirk Fischer (Hamburg) Manfred Kolbe Erwin Rüddel Dr. Hans-Peter Bartels
Axel E. Fischer (Karlsruhe- Dr. Rolf Koschorrek Albert Rupprecht (Weiden) Klaus Barthel
Land) Hartmut Koschyk Anita Schäfer (Saalstadt) Sören Bartol
Dr. Maria Flachsbarth Thomas Kossendey Dr. Wolfgang Schäuble Bärbel Bas
Klaus-Peter Flosbach Michael Kretschmer Dr. Annette Schavan Sabine Bätzing-Lichtenthäler
Herbert Frankenhauser Gunther Krichbaum Dr. Andreas Scheuer Dirk Becker
Dr. Hans-Peter Friedrich Dr. Günter Krings Karl Schiewerling Uwe Beckmeyer
(Hof) Rüdiger Kruse Norbert Schindler Lothar Binding (Heidelberg)
Michael Frieser Bettina Kudla Tankred Schipanski Gerd Bollmann
Dr. Michael Fuchs Dr. Hermann Kues Georg Schirmbeck Klaus Brandner
Hans-Joachim Fuchtel Günter Lach Christian Schmidt (Fürth) Willi Brase
Alexander Funk Dr. Karl A. Lamers Patrick Schnieder Bernhard Brinkmann
Ingo Gädechens (Heidelberg) Dr. Andreas Schockenhoff (Hildesheim)
Dr. Peter Gauweiler Andreas G. Lämmel Nadine Schön (St. Wendel) Edelgard Bulmahn
Dr. Thomas Gebhart Dr. Norbert Lammert Dr. Kristina Schröder Marco Bülow
Norbert Geis Katharina Landgraf (Wiesbaden) Ulla Burchardt
Alois Gerig Ulrich Lange Bernhard Schulte-Drüggelte Martin Burkert
Eberhard Gienger Dr. Max Lehmer Uwe Schummer Petra Crone
(B) Josef Göppel Paul Lehrieder Armin Schuster (Weil am Elvira Drobinski-Weiß (D)
Peter Götz Dr. Ursula von der Leyen Rhein) Garrelt Duin
Dr. Wolfgang Götzer Ingbert Liebing Detlef Seif Sebastian Edathy
Ute Granold Matthias Lietz Johannes Selle Ingo Egloff
Reinhard Grindel Dr. Carsten Linnemann Reinhold Sendker Siegmund Ehrmann
Hermann Gröhe Patricia Lips Dr. Patrick Sensburg Dr. h. c. Gernot Erler
Michael Grosse-Brömer Dr. Jan-Marco Luczak Bernd Siebert Petra Ernstberger
Markus Grübel Dr. Michael Luther Thomas Silberhorn Karin Evers-Meyer
Manfred Grund Karin Maag Johannes Singhammer Gabriele Fograscher
Monika Grütters Dr. Thomas de Maizière Jens Spahn Michael Gerdes
Olav Gutting Hans-Georg von der Marwitz Carola Stauche Martin Gerster
Dr. Stephan Harbarth Andreas Mattfeldt Dr. Frank Steffel Ulrike Gottschalck
Jürgen Hardt Stephan Mayer (Altötting) Erika Steinbach Angelika Graf (Rosenheim)
Gerda Hasselfeldt Dr. Michael Meister Christian Freiherr von Stetten Kerstin Griese
Dr. Matthias Heider Dr. Angela Merkel Dieter Stier Michael Groschek
Helmut Heiderich Maria Michalk Gero Storjohann Michael Groß
Mechthild Heil Dr. h. c. Hans Michelbach Stephan Stracke Hans-Joachim Hacker
Ursula Heinen-Esser Dr. Mathias Middelberg Max Straubinger Bettina Hagedorn
Frank Heinrich Philipp Mißfelder Karin Strenz Klaus Hagemann
Rudolf Henke Dietrich Monstadt Lena Strothmann Michael Hartmann
Michael Hennrich Marlene Mortler Michael Stübgen (Wackernheim)
Jürgen Herrmann Dr. Gerd Müller Dr. Peter Tauber Hubertus Heil (Peine)
Ansgar Heveling Stefan Müller (Erlangen) Antje Tillmann Rolf Hempelmann
Ernst Hinsken Dr. Philipp Murmann Dr. Hans-Peter Uhl Gustav Herzog
Peter Hintze Michaela Noll Arnold Vaatz Gabriele Hiller-Ohm
Christian Hirte Dr. Georg Nüßlein Volkmar Vogel (Kleinsaara) Petra Hinz (Essen)
Robert Hochbaum Franz Obermeier Stefanie Vogelsang Frank Hofmann (Volkach)
Karl Holmeier Eduard Oswald Andrea Astrid Voßhoff Dr. Eva Högl
Franz-Josef Holzenkamp Henning Otte Dr. Johann Wadephul Josip Juratovic
Joachim Hörster Dr. Michael Paul Marco Wanderwitz Oliver Kaczmarek
Anette Hübinger Rita Pawelski Kai Wegner Johannes Kahrs
Thomas Jarzombek Ulrich Petzold Marcus Weinberg (Hamburg) Dr. h. c. Susanne Kastner
Dieter Jasper Dr. Joachim Pfeiffer Peter Weiß (Emmendingen) Ulrich Kelber
Dr. Franz Josef Jung Sibylle Pfeiffer Sabine Weiss (Wesel I) Lars Klingbeil
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 115. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. Juni 2011 13277
(A) Hans-Ulrich Klose Waltraud Wolff Dr. Martin Neumann Dr. Gesine Lötzsch (C)
Dr. Bärbel Kofler (Wolmirstedt) (Lausitz) Thomas Lutze
Daniela Kolbe (Leipzig) Uta Zapf Dirk Niebel Ulrich Maurer
Fritz Rudolf Körper Dagmar Ziegler Hans-Joachim Otto Dorothee Menzner
Anette Kramme Manfred Zöllmer (Frankfurt) Cornelia Möhring
Angelika Krüger-Leißner Brigitte Zypries Cornelia Pieper Niema Movassat
Ute Kumpf Gisela Piltz Wolfgang Nešković
Christine Lambrecht FDP Dr. Christiane Ratjen- Petra Pau
Christian Lange (Backnang) Damerau Jens Petermann
Jens Ackermann Dr. Birgit Reinemund
Dr. Karl Lauterbach Richard Pitterle
Christian Ahrendt Dr. Peter Röhlinger
Steffen-Claudio Lemme Yvonne Ploetz
Christine Aschenberg- Dr. Stefan Ruppert Ingrid Remmers
Burkhard Lischka
Dugnus Björn Sänger
Gabriele Lösekrug-Möller Paul Schäfer (Köln)
Daniel Bahr (Münster) Frank Schäffler Dr. Ilja Seifert
Kirsten Lühmann
Florian Bernschneider Christoph Schnurr Kathrin Senger-Schäfer
Caren Marks
Sebastian Blumenthal Jimmy Schulz Raju Sharma
Katja Mast
Hilde Mattheis Claudia Bögel Marina Schuster Dr. Petra Sitte
Petra Merkel (Berlin) Nicole Bracht-Bendt Dr. Erik Schweickert Sabine Stüber
Ullrich Meßmer Klaus Breil Werner Simmling Alexander Süßmair
Dr. Matthias Miersch Rainer Brüderle Judith Skudelny Frank Tempel
Franz Müntefering Angelika Brunkhorst Dr. Hermann Otto Solms Dr. Axel Troost
Dr. Rolf Mützenich Ernst Burgbacher Joachim Spatz Alexander Ulrich
Andrea Nahles Marco Buschmann Torsten Staffeldt Kathrin Vogler
Dietmar Nietan Sylvia Canel Dr. Rainer Stinner Johanna Voß
Holger Ortel Helga Daub Stephan Thomae Sahra Wagenknecht
Aydan Özoğuz Reiner Deutschmann Florian Toncar Halina Wawzyniak
Heinz Paula Dr. Bijan Djir-Sarai Serkan Tören Katrin Werner
Johannes Pflug Patrick Döring Johannes Vogel Jörn Wunderlich
Joachim Poß Mechthild Dyckmans (Lüdenscheid) Sabine Zimmermann
Florian Pronold Rainer Erdel Dr. Daniel Volk
Mechthild Rawert Jörg van Essen Dr. Guido Westerwelle
Ulrike Flach Dr. Claudia Winterstein BÜNDNIS 90/
Stefan Rebmann
Dr. Edmund Peter Geisen Dr. Volker Wissing DIE GRÜNEN
Dr. Carola Reimann
Dr. Wolfgang Gerhardt Hartfrid Wolff (Rems-Murr)
Sönke Rix Marieluise Beck (Bremen)
René Röspel Hans-Michael Goldmann Volker Beck (Köln)
(B) Heinz Golombeck (D)
Dr. Ernst Dieter Rossmann DIE LINKE Cornelia Behm
Karin Roth (Esslingen) Miriam Gruß Birgitt Bender
Joachim Günther (Plauen) Agnes Alpers
Michael Roth (Heringen) Dr. Dietmar Bartsch Viola von Cramon-Taubadel
Anton Schaaf Dr. Christel Happach-Kasan Ekin Deligöz
Heinz-Peter Haustein Herbert Behrens
Axel Schäfer (Bochum) Matthias W. Birkwald Katja Dörner
Bernd Scheelen Manuel Höferlin Harald Ebner
Elke Hoff Steffen Bockhahn
Marianne Schieder Christine Buchholz Hans-Josef Fell
(Schwandorf) Birgit Homburger Dr. Thomas Gambke
Eva Bulling-Schröter
Werner Schieder (Weiden) Dr. Werner Hoyer Kai Gehring
Dr. Martina Bunge
Ulla Schmidt (Aachen) Heiner Kamp Britta Haßelmann
Roland Claus
Silvia Schmidt (Eisleben) Michael Kauch Bettina Herlitzius
Sevim Dağdelen
Carsten Schneider (Erfurt) Dr. Lutz Knopek Dr. Diether Dehm Priska Hinz (Herborn)
Ottmar Schreiner Pascal Kober Werner Dreibus Dr. Anton Hofreiter
Swen Schulz (Spandau) Dr. Heinrich L. Kolb Dr. Dagmar Enkelmann Bärbel Höhn
Ewald Schurer Dr. h. c. Jürgen Koppelin Klaus Ernst Ingrid Hönlinger
Frank Schwabe Sebastian Körber Wolfgang Gehrcke Thilo Hoppe
Dr. Martin Schwanholz Holger Krestel Nicole Gohlke Uwe Kekeritz
Rolf Schwanitz Patrick Kurth (Kyffhäuser) Diana Golze Memet Kilic
Stefan Schwartze Heinz Lanfermann Annette Groth Sven-Christian Kindler
Rita Schwarzelühr-Sutter Sibylle Laurischk Dr. Gregor Gysi Ute Koczy
Dr. Carsten Sieling Harald Leibrecht Dr. Rosemarie Hein Tom Koenigs
Sonja Steffen Sabine Leutheusser- Dr. Barbara Höll Sylvia Kotting-Uhl
Peer Steinbrück Schnarrenberger Ulla Jelpke Oliver Krischer
Dr. Frank-Walter Steinmeier Christian Lindner Dr. Lukrezia Jochimsen Agnes Krumwiede
Christoph Strässer Dr. Martin Lindner (Berlin) Katja Kipping Fritz Kuhn
Kerstin Tack Michael Link (Heilbronn) Harald Koch Stephan Kühn
Dr. h. c. Wolfgang Thierse Oliver Luksic Jan Korte Markus Kurth
Wolfgang Tiefensee Horst Meierhofer Katrin Kunert Undine Kurth (Quedlinburg)
Rüdiger Veit Patrick Meinhardt Caren Lay Monika Lazar
Ute Vogt Gabriele Molitor Sabine Leidig Tobias Lindner
Dr. Marlies Volkmer Jan Mücke Ralph Lenkert Nicole Maisch
Andrea Wicklein Petra Müller (Aachen) Stefan Liebich Agnes Malczak
Heidemarie Wieczorek-Zeul Burkhardt Müller-Sönksen Ulla Lötzer Jerzy Montag
13278 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 115. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. Juni 2011
(A) Kerstin Müller (Köln) Brigitte Pothmer Dr. Gerhard Schick Dr. Harald Terpe (C)
Beate Müller-Gemmeke Tabea Rößner Dr. Frithjof Schmidt Markus Tressel
Ingrid Nestle Claudia Roth (Augsburg) Till Seiler Jürgen Trittin
Dr. Konstantin von Notz Krista Sager Dorothea Steiner Daniela Wagner
Friedrich Ostendorff Manuel Sarrazin Dr. Wolfgang Strengmann- Wolfgang Wieland
Dr. Hermann Ott Elisabeth Scharfenberg Kuhn Dr. Valerie Wilms
Lisa Paus Christine Scheel Hans-Christian Ströbele Josef Philip Winkler
(A) Nach einem Jahr Bürgschaftsmilliarden ziehe ich fol- die Bundesrepublik Deutschland mit einbeziehen. Es (C)
gendes ernüchterndes Fazit: Jegliche Form von Kredit- war die rot-grüne Regierung, die größte Schuld auf sich
transfers sowie die mit öffentlichen Geldern finanzierte geladen hat. Die Aufnahme Griechenlands war ein histo-
Insolvenzverschleppung beschädigen den Zusammen- rischer Fehler, der uns heute und in Zukunft teuer zu ste-
halt der europäischen Staatengemeinschaft nachhaltig hen kommt.
und sorgen für einen verheerenden Vertrauensverlust der
Menschen in die Zukunftsfähigkeit unserer Währung Mit der Abstimmung verbinde ich weiterhin die Hoff-
und unserer Politik. nung, dass auch in Deutschland die Einsicht darüber ein-
kehrt, dass nur solide Finanzen, ein durchschaubares
Steuersystem und die konsequente Durchsetzung von
Patrick Kurth (Kyffhäuser) (FDP): Die geplanten
Kontrollmechanismen langfristig das Überleben der
Kredithilfen an Griechenland sind erheblich. Das Pro- Währungsunion sichern können. Der Fall Griechenland
blem Griechenlands ist gerade die enorme Schuldenlast.
zeigt, dass unfinanzierbare Tagträume, die beständig im
Ich schließe nicht aus, dass eine geordnete Insolvenz
politischen Meinungsprozess Einzug oder Wiederkehr
Griechenlands oder andere diskutierte Maßnahmen eine
feiern, fatale Folgen haben.
wirksamere Methode zur Überwindung der Krise wären.
Offensichtlich sind die Herausforderungen und Auf- Darüber hinaus müssen wir uns vor Augen führen,
gaben, die letztes Jahr an Griechenland von der europäi- dass auch Deutschland nicht ohne Weiteres die Über-
schen Solidarität gestellt wurden, nicht erfüllt worden. nahme solch enormer finanzieller Risiken leisten kann.
Die griechische Haushalts- und Finanzpolitik hat die Deutschland muss sich trotz seiner im Vergleich zu Grie-
europäischen Stabilitätserfordernisse nicht erfüllt. Über- chenland besseren Finanzausstattung bewusst sein, das
dies hat das Land nach wie vor große Strukturprobleme. es selbst immense Hausaufgaben in dieser Beziehung
vor sich hat. Erhebliche Einsparmaßnahmen, die Re-
Die Anstrengungen und die Bereitschaft der Grie- formierung des Steuersystems und die Bekämpfung der
chen, sich diesen herausragenden Sorgen zu stellen, sind Bürokratie bleiben auf der Tagesordnung. Diese Not-
nur im Ansatz zu erkennen. Insbesondere die Probleme wendigkeiten sind auch im Lichte der griechischen Ver-
des griechischen Steuersystems und vor allem bei der hältnisse nicht relativierbar und müssen weiterhin mit
Steuervereinnahmung, Überbürokratie und einer völlig Nachdruck verfolgt werden.
aufgeblähten Verwaltung, den erheblichen Pensionslasten,
aber auch bei der Ausgabenpolitik in anderen Bereichen
wie zum Beispiel dem Millitärsektor sind offensichtlich Dr. Carsten Linnemann (CDU/CSU): Griechenland
und überhaupt nicht zufriedenstellend angegangen wor- steckt in einer tiefen strukturellen Schuldenkrise. Alle
(B) den. Die Strategie, Griechenland zu helfen, ist in den Wirtschaftsdaten zeigen, dass Griechenland kein Liqui- (D)
ersten 13 Monaten offenkundig nur sehr unzureichend ditäts-, sondern ein Solvenzproblem hat. Das Land ist in-
aufgegangen. Die Frage stellt sich, wie stark die Finanz- solvent, und es ist ganz offensichtlich, dass es seine Ver-
hilfen den europäischen Solidaritäts- und Gemein- schuldung nicht durch eigene Anstrengungen wird
schaftsgedanken insgesamt strapazieren und noch stra- eindämmen können. Eine baldige Rückkehr auf die Ka-
pazieren werden. pitalmärkte ist damit nicht zu erwarten.
Trotz meiner erheblichen Bedenken stimme ich nicht In meinem Urteil wird sowohl das Konzept einer
gegen den Entschließungsantrag, da mir regierungsseitig Laufzeitverlängerung für bestehende Staatsanleihen als
vermittelt wurde, dass zum derzeitigen Zeitpunkt ein auch neue Finanzhilfen ins Leere laufen, weil sie eine
solches Hilfspaket unvermeidbar sei, um den Euro- Lösung des Schuldenproblems nur hinauszögern.
Raum nicht in noch mehr Turbulenzen und Schwierig- Schlimmer noch, die Unsicherheit droht weiter zuzuneh-
keiten zu stürzen. Die Stabilisierung des Euro hat vor- men und nicht abzunehmen, was zur Folge hat, dass
rangige Priorität. Mittel- und langfristig ist ein Struk- wichtige Investitionen ausbleiben werden und das Land
turanpassungsprogramm und eine Umschuldung mithilfe immer tiefer in die wirtschaftliche Abwärtsspirale gerät.
des IWF – so wie es Griechenland in der Vergangenheit Die Schuldenproblematik muss also rasch gelöst wer-
vor dem Beitritt zur Euro-Zone mehrfach gemacht hat – den. Aus diesem Grunde kann ich dem Entschließungs-
vonnöten. Nur dies kann das Vertrauen der Märkte wie- antrag von CDU/CSU und FDP nicht zustimmen.
derherstellen und würde auch die Anleger, wie zum Bei-
spiel Banken und Versicherungen, die in griechische Meines Erachtens ist ein unverzüglicher Schulden-
Staatsanleihen investiert haben, automatisch mit in die schnitt unter Beteiligung privater Gläubiger dringend ge-
Haftung nehmen. boten. Nur so kann die zuvor beschriebene Unsicherheit
beendet werden. Je länger ein solcher Schnitt hinausge-
Die jetzigen Hilfen für Griechenland entbinden den zögert wird, desto mehr werden sich die privaten Gläubi-
Bundestag und die Bundesregierung aber weiterhin nicht ger von ihren Anleihen trennen. Das wird wiederum die
von der Pflicht, die Umstände der Aufnahme Griechen- Kosten für die öffentlichen Gläubiger in die Höhe trei-
lands in den Euro-Raum sowie dessen Verhalten seitdem ben.
aufzuklären. Dazu gehört auch die Frage, warum Stabili-
tätskriterien aufgeweicht bzw. deren Anwendung nicht Ein Schuldenschnitt allein reicht aber nicht aus, um
oder nur nachlässig durchgesetzt wurden. Dies darf sich Griechenlands Wettbewerbsfähigkeit wiederherzustel-
jedoch nicht ausschließlich auf Griechenland konzentrie- len. Weitere Wachstumshilfen im Rahmen eines Mar-
ren, sondern muss alle Euro-Staaten und insbesondere shallplanes sind erforderlich.
13280 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 115. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. Juni 2011
(A) Burkhardt Müller-Sönksen (FDP): Am 11. Februar die Griechenlandhilfe haben wir den Märkten falsche Si- (C)
2010 haben die Staats- und Regierungschefs der Euro- gnale gesendet. Wir haben die Erwartungshaltung ge-
päischen Union gemeinsam geschaffenes und von allen fördert, dass Deutschland – und damit auch seine steuer-
Staaten der EU ratifiziertes Recht und damit europäi- zahlenden Bürger – im Krisenfall schon irgendwie
sches Recht kollektiv gebrochen. Es wurde angekündigt, einspringt. Wir haben die berechtigte Hoffnung geweckt,
dass man Griechenland auf jeden Fall finanziell helfen dass der Staat das Risiko der Anleger übernehmen wird.
werde, falls es Griechenland im April und Mai 2010
nicht gelingen sollte, sich zu ausreichend niedrigen Kos- Der Erwerb griechischer Anleihen ist dadurch zum
ten am Kapitalmarkt zu refinanzieren. Damit haben die Geschäftsmodell geworden. Wir ändern daran nichts,
Staats- und Regierungschefs am 11. Februar 2010 den sondern verstetigen im Gegenteil mit der weiteren Sub-
Bruch der No-Bail-out-Klausel im Vertrag über die Ar- ventionierung der Anleihegläubiger das Geschäftsmo-
beitsweise der Europäischen Union, AEUV, verkündet. dell. Wir perpetuieren die Erwartungshaltung. Wir erhal-
Am 7. Mai 2010 erklärte die Bundeskanzlerin im Deut- ten die berechtigte Hoffnung, dass vor allem nur der
schen Bundestag, dass die Griechenlandhilfe eine ein- Staat bzw. die europäische Staatengemeinschaft das Ri-
malige Hilfe sei, die absolute Ausnahme und sonst siko der Anleiheinhaber übernimmt. Nichts von dem
nichts. wird dadurch geändert, dass wir die Gläubiger über die
versprochene Prolongation – auch – beteiligen. Die An-
Als der Deutsche Bundestag am 21. Mai 2010 das so- leiherenditen werden immer noch überdurchschnittlich
genannte Euro-Rettungspaket, den viel zitierten Ret- sein. Mit dem Kauf von Anleihen erwirbt man die hohe
tungsschirm, verabschiedete, wurde hier im Deutschen Rendite entsprechend dem griechischen Insolvenz-
Bundestag erklärt, dass ohnehin niemand unter diesen risiko, ohne dass dieses Risiko zu tragen ist.
Schirm flüchten werde. Lediglich die Finanzmärkte
müssten durch ein starkes Zeichen beruhigt werden. Bedrohlicher noch ist der Blick über die griechische
Heute drängeln sich bereits Irland und Portugal unter Situation hinaus. Was wir anhand des griechischen Bei-
diesem Schirm, Griechenland soll folgen. Im Herbst die- spiels vorexerzieren, werden die Marktteilnehmer zu
ses Jahres soll er mangels Kapazität in seinem Ausleih- deuten wissen. Wir werden die Nutzung des gleichen
volumen weiter erhöht werden. Noch am 27. Oktober Geschäftsmodells demnächst bei Schuldtiteln aus Zy-
2010 erklärte die Bundeskanzlerin zur Dauer des Ret- pern erleben. Zypern ist klein. Wir werden die Nutzung
tungsschirms: des gleichen Geschäftsmodells anschließend bei Anlei-
hen aus Italien und Spanien erleben. In allen drei Län-
Er läuft 2013 aus. Das haben wir auch genau so ge- dern sinkt die Sparquote. In Zypern und Italien ist sie
wollt und beschlossen. Eine einfache Verlängerung bereits negativ. In allen drei Ländern existieren hohe
kann und wird es mit Deutschland nicht geben, weil Leistungsbilanzdefizite. Fallende und schließlich nega-
(B) (D)
der Rettungsschirm nicht als langfristiges Instru- tive Sparquoten bei hohen Leistungsbilanzdefiziten gin-
ment taugt, weil er Märkten und Mitgliedstaaten gen jeweils dem Bankrott in Griechenland und Portugal
falsche Signale sendet und weil er eine gefährliche voraus. Wenn wir die Subventionierung der Anlei-
Erwartungshaltung fördert. Er fördert die Erwar- hegläubiger Griechenlands nicht beenden, werden wir in
tungshaltung, dass Deutschland und andere Mit- kurzer Zeit im Bundestag zusammenkommen, weil wir
gliedstaaten und damit auch die Steuerzahler dieser erneut vor der gleichen Situation stehen. Dann aber wer-
Länder im Krisenfall schon irgendwie einspringen den es Spanien und Italien sein, die hilfesuchend den
und das Risiko der Anleger übernehmen können. Blick auf nach Norden richten. Angesichts der wirt-
Vier Wochen später galt dieses alles nicht mehr. Und schaftlichen Größe beider Länder kann sich jeder ausma-
es wurde dann sogar am 11. März 2011 ein Weg zur len, was das für den Euro bedeuten wird. Der Preis, den
„Änderung des Vertrages über die Arbeitsweise der wir für den im Februar des Jahres 2010 eingeschlagenen
Europäischen Union hinsichtlich eines Stabilitätsmecha- und heute weiter beschrittenen falschen Weg zu bezah-
nismus für die Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro len haben werden, ist hoch. Er kostet langfristig die
ist – Ratsdok. 17620/10, EUCO 30/10, Anlage I“ einge- Glaubwürdigkeit und die Stabilität des Euro. In jedem
schlagen. Fall ist abzusehen, dass die Vorteile aus dem Euro bei
diesem Modell alsbald als aufgebraucht angesehen wer-
Dieser Weg ist ein Weg den müssen.
1. zur Ausweitung des bestehenden Euro-Rettungs- Es ist höchste Zeit, um umzulenken und alternative
schirms, Lösungen zu diskutieren. Wir müssen uns trauen, die
2. zur unbefristeten Verlängerung des Euro-Ret- besseren möglichen Wege, die Griechenland wirklich
tungsschirms, helfen, zu gehen. Wir müssen uns endlich eingestehen,
dass wir es mit einer pathologischen Überschuldung von
3. zur qualitativen Veränderung der europäischen Staaten und Banken zu tun haben. Wir müssen uns end-
Wirtschaftsverfassung. lich eingestehen, dass das staatliche Geldsystem zu einer
Überschuldungskrise von Staaten und Banken geführt
Dieses wollte der Deutsche Bundestag so nicht.
hat. Wir ignorieren die Untauglichkeit unseres staatlich
Heute befassen wir uns mit einer zweiten Griechen- gelenkten Geldsystems, in dem Geld und Kredit aus dem
landhilfe. Aller Bekundungen zum Trotz hat bereits die Nichts geschaffen werden. Dieses Geldsystem hat ein
erste Griechenlandhilfe vor einem Jahr die Situation für Schneeballsystem aus ungedeckten zukünftigen Zah-
Griechenland nicht entschärft, sondern verschärft. Durch lungsverpflichtungen geschaffen. Wie jedes Schneeball-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 115. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. Juni 2011 13281
(A) system wird es früher oder später in sich zusammenbre- Aus europapolitischer Solidarität trete ich dafür ein, (C)
chen. dass wir gemeinsam mit unseren europäischen Partnern
einen europäischen Marshall-Plan für Griechenland auf-
Wir befinden uns auf dem Weg in die Abhängigkeit legen, der auf nachhaltiges Wirtschaftswachstum ange-
von solchen staatlichen Unterstützungsmaßnahmen.
legt ist. Deutschland hat ein Interesse an prosperierenden
Dieser führt uns von Intervention zu Intervention spiral-
Partnern in Europa und muss sich seiner Verantwortung
förmig abwärts. An seinem Ende erwartet uns ein plan-
bewusst sein. Der vorliegende Entschließungsantrag
wirtschaftliches Europa. Mit dem planwirtschaftlichen
bleibt hierhinter zurück und reicht meiner Meinung nach
Europa kommt die Vollendung seines ökonomischen
nicht aus. Das Engagement muss stärker darauf gerichtet
Verfalls. Ökonomischer Verfall führt zu Unzufriedenheit
sein, Griechenland nachhaltig zu unterstützen.
bei den betroffenen Menschen. Die schlimmen politi-
schen Folgen ökonomischer Unzufriedenheit sehen wir
in Dänemark, das seine Grenzen schließt. Statt eines Eu- Dr. Peter Tauber (CDU/CSU): Erstens. Am 7. Mai
ropas mit Grenzen für Güter und Menschen brauchen 2010 stimmte der Deutsche Bundestag dem Gesetz zur
wir ein marktwirtschaftliches Europa mit Freihandel und Übernahme von Gewährleistungen zum Erhalt der für
gesundem Geld. Nur so erhalten wir ein Europa der Frei- die Finanzstabilität in der Währungsunion erforderlichen
heit. Zahlungsfähigkeit der Hellenischen Republik (Wäh-
rungsunion-Finanzstabilitätsgesetz, WFStG) zu. Auch
Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU): Erstens. Ich ich habe für dieses Gesetz gestimmt, damit Griechenland
kann dem Entschließungsantrag aufgrund persönlicher die Chance zur Restrukturierung bekommt und um
Bedenken nicht zustimmen. gleichzeitig die Möglichkeit zu schaffen, dass im Falle
eines Scheiterns alternative Lösungen erarbeitet werden
Zweitens. Grund meiner Ablehnung ist die mit die- können. In den letzten Tagen ist deutlich geworden, dass
sem Antrag verbundene Unterstützung von weiteren Griechenland es entgegen den Erwartungen und Hoff-
Krediten an Griechenland, obwohl dies europapolitisch nungen nicht geschafft hat, die notwendigen Restruktu-
und ökonomisch unvernünftig sowie finanzpolitisch un- rierungsmaßnahmen zu realisieren.
verantwortbar ist. Aus der Verantwortung, die wir für
Europa haben, reicht es nicht aus, wenn wir immer wei- Offensichtlich ist es aber auch nicht gelungen, tragfä-
tere Gelder und Garantien an die Gläubiger Griechen- hige alternative Lösungen zu erarbeiten. Damit stehen
lands geben. Letztlich wird das Geld beim unkontrolliert wir vor einem großen Dilemma. Der vorgelegte Bericht
hohen Schuldenstand Griechenlands, der auch in den der Troika, in dem die Hauptergebnisse der gemeinsa-
vergangen Monaten nicht gesunken ist, nicht Griechen- men Prüfung Griechenlands von Kommission, EZB und
(B) land und den dortigen Bürgerinnen und Bürgern zugute- IWF niedergelegt sind, verstärkt diesen Eindruck noch. (D)
kommen, sondern ganz überwiegend an Finanzinstitute Deutlich wird dies schon im ersten Absatz des Abschnit-
und Anleger gehen, deren Verbindlichkeiten mit dem tes zur Haushaltskonsolidierung. Der Absatz beginnt
Geld bedient werden können. zwar mit den Worten: „Die quantitativen Haushaltszah-
Ich trete dafür ein, Griechenland mit wirtschaftlichen len […] wurden erreicht“, im Folgenden wird jedoch an-
Maßnahmen zu helfen, damit das Land volkswirtschaftli- geführt: „[…] Steuererhebung ist weiterhin geringer als
che Fortschritte machen kann und dadurch auch wieder angestrebt, […] zahlreiche Maßnahmen der Regierung
leistungsfähiger wird. Mit den gegenwärtigen Maßnah- zur Bekämpfung der Steuerhinterziehung (haben) ihre
men wird jedoch nicht die griechische Wirtschaft und da- Wirksamkeit noch nicht voll entfaltet. […] Etliche
mit den Menschen in Griechenland geholfen. Vielmehr Schwächen bei der Ausgabenkontrolle wurden jedoch
wird der hohe Schuldenstand Griechenlands weiter ze- noch nicht behoben […] Zahlungsrückstände von Staat
mentiert und vergemeinschaftet, sodass Griechenland fi- und Krankenhäusern […] steigen weiter.“
nanzpolitisch keinen Spielraum hat, um die eigene Kon-
junktur anzukurbeln. Die den Griechen auferlegte Zweitens. Unklar bleibt, was passiert, wenn die Be-
Strukturanpassungspolitik wird rezessive Konsequenzen dingungen, die an weitere Finanzhilfen geknüpft sind,
für das Land haben, sodass die Verschuldung noch weiter nicht erfüllt werden, wenn sich beispielsweise der IWF
zunehmen wird. Dies wird auch den Kapitalmarkt nicht einer weiteren Beteiligung verweigert, private Gläubiger
nachhaltig von der Stabilität des griechischen Finanzsek- nicht in angemessener Weise beteiligt werden können
tors überzeugen, sodass weitere Gelder abgezogen wer- oder das Privatisierungsprogramm der griechischen Re-
den. gierung auf Basis des Troika-Berichts nicht in dem ge-
wünschten Ausmaß erfolgreich ist bzw. nicht umgesetzt
Ich unterstütze daher eine Umschuldung Griechen- wird. Im Falle, dass die Bedingungen an die bisherigen
lands. Nur wenn Griechenland aus der Schuldenspirale und an erneute Hilfsmaßnahmen für die Hellenische Re-
herauskommen kann, wird es dort wieder möglich sein, publik nicht erfüllt werden, muss ein alternativer Maß-
Investoren zu gewinnen und mehr Wohlstand zu schaf- nahmenkatalog vorliegen. Die Ausarbeitung eines Alter-
fen. Es ist aber nicht einzusehen, warum Gläubiger, die nativprogramms fehlt bisher.
bewusst hohe Risiken mit griechischen Anleihen einge-
gangen sind, um hohe Renditen zu erhalten, mit Steuer- Drittens. Entgegen den Erwartungen von vor einem
geldern ihre Renditen abgesichert bekommen sollen. Jahr soll es nun nicht bei einer einmaligen Hilfsleistung
Dies wäre im Übrigen auch finanzpolitisch nicht durch- bleiben. Dies birgt die Gefahr, dass wir auf dem Weg in
zuhalten und verstößt massiv gegen Art. 125 AEUV. die Transferunion ein großes Stück vorankommen.
13282 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 115. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. Juni 2011
(A) Einen „Länderfinanzausgleich“ innerhalb der EU-Staa- Als Alternative bleibt daher nur eine Umschuldung, (C)
ten kann aus meiner Sicht nicht das Ziel sein. das heißt ein Schuldenschnitt – Haircut –, der die griechi-
sche Staatsschuld zumindest halbiert. Die von dem An-
Viertens. Entgegen der Aussage, dass die Experten
trag als „angemessene Beteiligung privater Gläubiger“
einhellig eine Umschuldung als das größere Risiko an-
ins Auge gefasste bloße Verlängerung der Laufzeiten der
sehen, teile ich die durchaus vielfach vorgetragenen Be-
Anleihen reicht nicht aus, da dies an der Schuldenlast
denken von Fachleuten vor erneuten Hilfsmaßnahmen
nichts ändert. Vielmehr ist es den Anleihegläubigern, die
für Griechenland. So ergänzte beispielsweise Thomas
teilweise sehr hohe Zinsen vereinnahmen, zumutbar,
Meyer, Chefökonom der Deutschen Bank, zu seiner
ebenfalls einen wirklichen Sanierungsbeitrag zu überneh-
Überzeugung, dass Griechenland ein Solvenz- und kein
men und nicht alle Lasten dem europäischen Steuerzahler
Liquiditätsproblem habe, recht plastisch: „Das ist wie
und der zukünftigen Generation aufzubürden. Allein ein
bei einer Blinddarmentzündung. Schmerzmittel helfen solcher Schuldenschnitt gibt auch Griechenland eine
nicht. Man braucht eine Operation. Wer sich dem ver-
Chance für einen Neubeginn.
weigert, stirbt wahrscheinlich.“
Wir fordern diesen Weg als überzeugte Europäer, da
Fünftens. Ohne ein klares Konzept, wie die Zahlungs-
die bisherige Strategie Europa auseinanderzureißen
fähigkeit der Hellenischen Republik sichergestellt wer-
droht. Hakenkreuze in Europafahnen und Vergleiche mit
den kann und die Finanzstabilität in der Währungsunion
der Besatzung im Zweiten Weltkrieg in Griechenland ma-
langfristig zu sichern sei, kann eine zweite Notmaß-
chen dies genauso deutlich wie Schlagzeilen über angeb-
nahme zum Erhalt der Zahlungsfähigkeit Griechenland
lich faule Südländer im Norden Europas. Die Idee, mit
kaum zielführend sein.
einer Art „Treuhand“ Privatisierungserlöse von 50 Mil-
Sechstens. Gerade als begeisterter Europäer sehe ich liarden Euro in Griechenland zu erzielen, würde die Kluft
die Gefahr, dass durch die Ansätze der Schaffung einer vertiefen, wenn sich dann Nordeuropäer zu Schnäpp-
dauerhaften Transferunion die europäische Idee, die von chenpreisen das griechische Staatsvermögen aneignen.
Konrad Adenauer bis zu Helmut Kohl auch von Wer Europa wirklich will, muss im Interesse Griechen-
Deutschland geschmiedet und aufgebaut wurde und die lands und Europas eine echte Umschuldung einleiten.
unserer Nation viele Jahrzehnte in Frieden und Freiheit
Aus diesen Gründen können wir dem vorliegenden
beschert hat, nachhaltig in Gefahr gebracht wird. Antrag nicht zustimmen.
Siebtens. Der vorliegende Entschließungsantrag trägt
den von mir vorgetragenen Punkten nicht Rechnung.
Eine Zustimmung hierzu ist mir aus vorgenannten Grün- Anlage 5
den nicht möglich.
(B) Erklärung nach § 31 GO (D)
der Abgeordneten Frank Schäffler, Jens
Anlage 4 Ackermann, Nicole Bracht-Bendt und Sylvia
Canel (alle FDP) zur Abstimmung über den
Erklärung nach § 31 GO
Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/
der Abgeordneten Klaus-Peter Willsch, Manfred CSU und FDP zu der Abgabe einer Regierungs-
Kolbe, Alexander Funk, Dr. Peter Gauweiler, erklärung durch den Bundesminister der
Veronika Bellmann und Christian Hirte (alle Finanzen: Stabilität der Euro-Zone sichern –
CDU/CSU) zur Abstimmung über den Ent- Reformkurs in Griechenland vorantreiben (Zu-
schließungsantrag der Fraktionen der CDU/ satztagesordnungspunkt 17)
CSU und FDP zu der Abgabe einer Regierungs-
Am 11. Februar 2010 haben die Staats- und Regie-
erklärung durch den Bundesminister der
rungschefs der Europäischen Union gemeinsam geschaf-
Finanzen: Stabilität der Euro-Zone sichern –
fenes und von allen Staaten der EU ratifiziertes Recht
Reformkurs in Griechenland vorantreiben (Zu-
und damit europäisches Recht kollektiv gebrochen.
satztagesordnungspunkt 17)
Es wurde angekündigt, dass man Griechenland auf je-
Griechenland ist insolvent und nicht nur illiquide. Die
den Fall finanziell helfen werde, falls es Griechenland
Gesamtverschuldung beträgt rund 350 Milliarden Euro.
im April und Mai 2010 nicht gelingen sollte, sich zu aus-
Allein von 2010 zu 2011 stieg die Gesamtverschuldungs-
reichend niedrigen Kosten am Kapitalmarkt zu refinan-
quote von 142,7 Prozent auf 153,4 Prozent des Bruttoso-
zieren. Damit haben die Staats- und Regierungschefs am
zialprodukts. Keinem Land der Welt ist es bisher gelungen,
11. Februar 2010 den Bruch der No-Bail-out-Klausel im
einen solchen Schuldenberg abzutragen. Einsparungen
Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union,
alleine werden nicht ausreichen. Griechenland verfügt
AEUV, verkündet. Am 7. Mai 2010 erklärte die Bundes-
auch über keine wettbewerbsfähige Exportwirtschaft,
kanzlerin hier im Deutschen Bundestag, dass die Grie-
und eine solche kann auch nicht in wenigen Jahren aufge-
chenland-Hilfe eine einmalige Hilfe sei, die absolute
baut werden, wie die deutschen Erfahrungen mit dem
Ausnahme und sonst nichts.
Aufbau Ost zeigen. Die Privatisierungserlöse werden in
den ersten Jahren eher bescheiden sein. Die bisherige Als der Deutsche Bundestag am 21. Mai 2010 das so-
Strategie, Zeit zu gewinnen, um die Wachstumskräfte in genannte Euro-Rettungspaket, den viel zitierten Ret-
Griechenland in Bewegung zu setzen, ist damit geschei- tungsschirm, verabschiedete, wurde hier im Deutschen
tert. Bundestag erklärt, dass ohnehin niemand unter diesen
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 115. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. Juni 2011 13283
(A) Schirm flüchten werde. Lediglich die Finanzmärkte ten wissen. Wir werden die Nutzung des gleichen Ge- (C)
müssten durch ein starkes Zeichen beruhigt werden. schäftsmodells demnächst bei Schuldtiteln aus Zypern
Heute drängeln sich bereits Irland und Portugal unter erleben. Zypern ist klein. Wir werden die Nutzung des
diesem Schirm, Griechenland soll folgen. Im Herbst die- gleichen Geschäftsmodells anschließend bei Anleihen
ses Jahres soll er mangels Kapazität in seinem Ausleih- aus Italien und Spanien erleben. In allen drei Ländern
volumen weiter erhöht werden. Noch am 27. Oktober sinkt die Sparquote. In Zypern und Italien ist sie bereits
2010 erklärte die Bundeskanzlerin zur Dauer des Ret- negativ. In allen drei Ländern existieren hohe Leistungs-
tungsschirms: bilanzdefizite. Fallende und schließlich negative Spar-
quoten bei hohen Leistungsbilanzdefiziten gingen jeweils
Er läuft 2013 aus. Das haben wir auch genau so ge- dem Bankrott in Griechenland und Portugal voraus.
wollt und beschlossen. Eine einfache Verlängerung Wenn wir die Subventionierung der Anleihegläubiger
kann und wird es mit Deutschland nicht geben, weil Griechenlands nicht beenden, werden wir in kurzer Zeit
der Rettungsschirm nicht als langfristiges Instru- im Bundestag zusammenkommen, weil wir erneut vor
ment taugt, weil er Märkten und Mitgliedstaaten der gleichen Situation stehen. Dann aber werden es Spa-
falsche Signale sendet und weil er eine gefährliche nien und Italien sein, die Hilfe suchend den Blick nach
Erwartungshaltung fördert. Er fördert die Erwar- Norden richten. Angesichts der wirtschaftlichen Größe
tungshaltung, dass Deutschland und andere Mit- beider Länder kann sich jeder ausmalen, was das für den
gliedstaaten und damit auch die Steuerzahler dieser Euro bedeuten wird. Der Preis, den wir für den im Februar
Länder im Krisenfall schon irgendwie einspringen des Jahres 2010 eingeschlagenen und heute weiter be-
und das Risiko der Anleger übernehmen können. schrittenen falschen Weg zu bezahlen haben werden, ist
Vier Wochen später galt dieses alles nicht mehr. Und es hoch. Viel zu hoch. Er kostet den Euro und dadurch viel-
wurde dann sogar am 11. März 2011 ein Weg zur „Ände- leicht die europäische Einigung.
rung des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäi-
Es ist höchste Zeit und vielleicht schon zu spät, um
schen Union hinsichtlich eines Stabilitätsmechanismus
umzukehren und endgültige Lösungen zu diskutieren.
für die Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist –
Wir müssen uns trauen, die einzigen möglichen Wege, die
Ratsdokument 17620/10 (EUCO 30/10), Anlage I“ einge-
Griechenland wirklich helfen, zu gehen. Wir müssen uns
schlagen. Dieser Weg ist erstens ein Weg zur Ausweitung
endlich eingestehen, dass wir es mit einer pathologischen
des bestehenden Euro-Rettungsschirms, die der Deutsche
Überschuldung von Staaten und Banken zu tun haben.
Bundestag nie wollte. Dieser Weg ist zweitens ein Weg zur
Wir müssen uns endlich eingestehen, dass das staatliche
unbefristeten Verlängerung des Euro-Rettungsschirms,
Geldsystem zu einer Überschuldungskrise von Staaten
die der Deutsche Bundestag nie wollte. Schließlich ist
und Banken geführt hat. Wir ignorieren die Krankheit un-
dieser Weg drittens ein Weg zur qualitativen Veränderung
(B) seres staatlichen Geldsystems, in dem Geld und Kredit (D)
der europäischen Wirtschaftsverfassung, die der Deut-
aus dem Nichts geschaffen werden. Dieses Geldsystem
sche Bundestag nie wollte.
hat ein Schneeballsystem aus ungedeckten zukünftigen
Heute befassen wir uns mit einer zweiten Griechen- Zahlungsverpflichtungen geschaffen. Wie jedes Schnee-
landhilfe. Aller Bekundungen zum Trotz hat bereits die ballsystem wird es früher oder später in sich zusammen-
erste Griechenland-Hilfe vor einem Jahr die Situation für brechen.
Griechenland nicht entschärft, sondern verschärft. Es ist
Wir befinden uns auf dem Weg in die Knechtschaft.
eingetreten, was die Bundeskanzlerin angekündigt hat.
Dieser führt uns von Intervention zu Intervention spiral-
Durch die Griechenland-Hilfe haben wir den Märkten
förmig abwärts. An seinem Ende erwartet uns ein plan-
falsche Signale gesendet. Wir haben die Erwartungshal-
wirtschaftliches Europa. Mit dem planwirtschaftlichen
tung gefördert, dass Deutschland und damit auch seine
Europa kommt die Vollendung seines ökonomischen Ver-
Steuerzahler im Krisenfall schon irgendwie einspringen.
falls. Ökonomischer Verfall führt zu Unzufriedenheit bei
Wir haben die berechtigte Hoffnung geweckt, dass der
den betroffenen Menschen. Die schlimmen politischen
Staat das Risiko der Anleger übernehmen wird.
Folgen ökonomischer Unzufriedenheit sehen wir in Dä-
Der Erwerb griechischer Anleihen ist dadurch zum nemark, das seine Grenzen schließt. Statt eines Europas
Geschäftsmodell geworden. Wir ändern daran nichts, mit Grenzen für Güter und Menschen brauchen wir ein
sondern verstetigen im Gegenteil mit der weiteren Sub- marktwirtschaftliches Europa mit Freihandel und gesun-
ventionierung der Anleihegläubiger das Geschäftsmo- dem Geld. Nur so erhalten wir ein Europa der Freiheit.
dell. Wir perpetuieren die Erwartungshaltung. Wir erhal-
ten die berechtigte Hoffnung, dass der Staat das Risiko
der Anleiheinhaber übernimmt. Nichts von dem wird da- Anlage 6
durch geändert, dass wir die Gläubiger über die verspro-
chene Prolongation beteiligen. Die Anleiherenditen wer- Zu Protokoll gegebene Reden
den immer noch überdurchschnittlich sein. Mit dem zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur
Kauf von Anleihen erwirbt man die hohe Rendite ent- Neuordnung des Kreislaufwirtschafts- und Ab-
sprechend dem griechischen Insolvenzrisiko, ohne dass fallrechts (Tagesordnungspunkt 32)
dieses Risiko zu tragen ist.
Bedrohlicher noch ist der Blick über die griechische Michael Brand (CDU/CSU): Wenn wir ab heute in
Situation hinaus. Was wir anhand des griechischen Bei- die letzten Runden der Novellierung des Kreislaufwirt-
spiels vorexerzieren, werden die Marktteilnehmer zu deu- schaftsgesetzes gehen, dann ist allen Beteiligten be-
13284 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 115. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. Juni 2011
(A) wusst, dass wir bei diesem wichtigen Schritt auf dem Man hat ja manches Mal schon den Einruck, es wären (C)
Weg in eine echte Kreislaufwirtschaft, hin zu einem res- die Unternehmen, die auf der Seite der Kommunen den
sourcenschonenden Stoffstrommanagement, einen Kon- politischen Takt vorgeben. Hier möchte ich aus meiner
sens brauchen. eigenen kommunalen Erfahrung im Kreistag den Rat mit
einbringen, dass es wesentlich vernünftiger ist, die Ab-
Dieser Konsens ist Ausdruck des gesellschaftlichen fallentsorgung aus dem Blickwinkel der Bürgerinnen
Bewussteins, dass wir bei der Endlichkeit der Rohstoff- und Bürger als Gebührenzahler und der besten Lösung
basis für viele Produkte, die später im Abfall landen, uns für effizienten Ressourcenschutz zu betrachten, statt mit
mehr denn je um die Vermeidung von Abfall am Beginn der Brille des Profitstrebens kommunaler oder privater
und um die Wiedergewinnung, um das Recycling von Entsorger.
Rohstoffen am Ende kümmern müssen.
Insofern erwarten wir die Beibehaltung der privaten
Für uns als Union ist dies eine auch grundsätzliche gewerblichen und auch der privaten gemeinnützigen
Frage. Wie beim Thema Energiekonsens von Umwelt- Sammlungen. Im weiteren Verfahren wird sich bei un-
minister Norbert Röttgen gestern angesprochen, geht es ideologischer Betrachtung ein Weg der Mitte finden, der
uns – wie anderen sicher auch – bei der Schonung von auf praktische Erfolge baut, wie wir das in der Kommu-
natürlichen Ressourcen um die Bewahrung unserer na- nalpolitik gewohnt sind.
türlichen Lebensgrundlagen – es geht um einen echten
Beitrag zur Bewahrung der Schöpfung. Dass es dabei in
Gerd Bollmann (SPD): Das heute eingebrachte Ge-
der Frage, wie wir dieses Ziel optimal umsetzen können,
setz zur Novellierung des Kreislaufwirtschafts- und Ab-
durchaus ordnungspolitische Differenzierungen und auch
fallgesetzes soll die europäische Abfallrahmenrichtlinie
Unterschiede gibt, ist auch klar.
in deutsches Recht umsetzen. Diese Umsetzung hätte bis
Wichtig bleibt, dass wir bei der Verfolgung der Ziele, 12. Dezember 2010 erfolgen müssen. Wohlgemerkt: die
der Umsetzung der EU-Abfallhierarchie und der Weiter- Umsetzung und nicht die Einbringung eines Gesetzes,
entwicklung der gewachsenen, erfolgreichen und zu- wie sie heute erfolgt.
meist effizienten Entsorgungsstrukturen uns nicht von Liegt dieser Verzug nun an rechtlichen oder etwa an
den jeweiligen Ideologien und Partikularinteressen ver- europarechtlichen Problemen? Wohl kaum! Grund ist
einnahmen lassen – sondern dass wir strikt das Allge- ein politischer Streit innerhalb der Koalition, genauer
meinwohl im Blick behalten. gesagt: ein politischer Grundsatzstreit. Mehr Privatisie-
Die einen sehen den Sozialismus am Horizont, wo es rungen, weniger öffentlich-rechtliche Daseinsvorsorge.
nur um die legitimen und notwendigen Kriterien der Da- Privat vor Staat! Die marktradikalen Forderungen von
(B)
seinsvorsorge durch die Kommunen geht. Die anderen FDP, aber auch Teilen der Union haben eine zügige Um- (D)
malen den Untergang ordnungsgemäßer Entsorgung an setzung der Abfallrahmenrichtlinie verhindert.
die Wand und beschreien die böse private Seite, der ein Nun können aber diejenigen, die diesem Gesetz skep-
Pauschalangriff auf das öffentliche Wohl unterstellt tisch gegenüberstehen – dazu gehören, da bin ich ganz
wird. Bleiben wir gelassen: Oftmals ist sehr klar hinter sicher, auch viele CDU- und CSU-Abgeordnete –, beru-
der Fassade von Gutachten und Brandbriefen der einen higt in ihre Wahlkreise fahren. Denn nach den Beschlüs-
oder der anderen Seite weniger der Schutz von Umwelt sen des Bundesrates wird aus dieser Gesetzesvorlage
und Natur, sondern der eigenen Bilanzen und Gewinne ohne erhebliche Änderungen ohnehin nie ein rechtskräf-
deutlich erkennbar! tiges Gesetz.
Um es für die Union kurz und prägnant festzuhalten: Die Frage der Zuständigkeiten für Abfallentsorgung
Wir sind für einen fairen Interessensausgleich zwischen begleitet die deutsche Abfallpolitik seit Jahrzehnten. Im
Kommunalen und Privaten, für fairen Wettbewerb mit ersten Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz behielten
niedrigen Gebühren und hohen Umweltstandards – und die Kommunen die Zuständigkeit für den Hausmüll und
wir wollen weder Vollkommunalisierung noch Vollpri- den hausmüllähnlichen Gewerbeabfall. Dies ist auch ge-
vatisierung. rechtfertigt: Es ist eine Aufgabe der Daseinsvorsorge,
den Bürgern die regelmäßige, ordentliche Entsorgung ih-
Wir werden im weiteren Verfahren sehr darauf achten, res Mülls zu garantieren.
dass wir das Allgemeinwohl im Blick halten, so wie es
die Vorlage der Bundesregierung auch tut. Wir empfeh- Diese klare Trennung der Zuständigkeiten wurde aber
len der Bundesregierung, sich gegenüber den Ländern bereits durch die Verpackungsverordnung durchlöchert.
zum Beispiel bei der Frage der gewerblichen Sammlung Private Entsorger erhielten die Möglichkeit, Verkaufs-
nicht ins Eck drängen zu lassen. Hier war die Mehrheit verpackungen auch bei Privathaushalten einzusammeln.
der Länderkammer in der Tat schlecht beraten, die mess- Begünstigt wurde diese Entwicklung durch eine falsche
baren Erfolge des Nebeneinanders von kommunaler und Begriffsdefinition im deutschen Abfallrecht: Abfälle zur
privater Sammlung zu missachten und zu einseitig gegen Beseitigung in kommunaler Hand, Abfälle zur Verwer-
diejenigen mittelständischen Unternehmen vorzugehen, tung bei den Privaten. Daraus haben die Vertreter der
die brav in der Region ihre Steuern zahlen. Hier müssen privaten Entsorgungswirtschaft den Schluss gezogen,
wir, um es deutlich auszudrücken, doch auch die Kirche alle Abfälle, die verwertet werden, gehörten in ihre Zu-
im Dorf lassen, statt falsche „Tabula rasa“-Beschlüsse zu ständigkeit, allerdings nur, wenn damit Geld zu verdie-
fassen. nen ist. Das eigentliche Motto der Privatisierungslobby
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 115. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. Juni 2011 13285
(A) lautet nämlich: Gewinne bei den Privaten, Verluste beim Wunsch der überwältigenden Mehrheit Ihrer Parteikolle- (C)
Bürger! Auch in der Abfallwirtschaft ist dieses Konzept gen in Ländern und Kommunen! Hunderte Gemeinden
gemeinwohlgefährdend. und Kreise haben eine Resolution der kommunalen Spit-
zenverbände für die Zuständigkeit der Kommunen beim
Deutlich wurde dies bei der Entwicklung gewerblicher Hausmüll verabschiedet. Fast alle Ihrer Kolleginnen und
Altpapiersammlungen. Als der Preis für Altpapier immer Kollegen in den Räten, meine Damen und Herren von
weiter anstieg, haben private Entsorger blaue Tonnen auf- Union und FDP, haben dieser Resolution zugestimmt. Im
gestellt, überall dort, wo sie an einen schnellen Erfolg Rat meiner Heimatsstadt Herne haben, wie in vielen an-
glaubten. Geschädigt wurden öffentlich-rechtliche Ent- deren Städten, die Stadtverordneten von SPD, Grünen,
sorger, aber auch von Kommunen beauftragte private Un- CDU, Linken und FDP einstimmig der Resolution der
ternehmen. Die Betroffenen stritten vor Gericht in zahl- kommunalen Spitzenverbände gegen den Regierungs-
reichen Verfahren, ohne Klärung. entwurf zugestimmt. Stimmen Sie daher auch für ein
Zwischenzeitlich erfolgte in der Finanz- und Wirt- bürgerfreundliches, ökologisches und auf dem Grund-
schaftkrise ein Einbruch der Preise. In der Folge blieben satz der Daseinsvorsorge fußendes Kreislaufwirtschafts-
die blauen Tonnen stehen, das Altpapier wurde nicht ab- gesetz! Nur so ermöglichen Sie den Erhalt der Arbeits-
geholt und nicht recycelt. Und genau hier ist das Problem. plätze in den kommunalen Entsorgungsbetrieben, nur so
Wir wollen keine Hausmüllentsorgung nach Marktlage. verhindern Sie steigende Abfallgebühren.
Wir wollen nicht, dass der Hausmüll in einem Monat als
Über den Streit um die Zuständigkeiten sind in der öf-
Wertstoff abgeholt und im nächsten als wertloser Abfall
fentlichen Diskussion die ökologischen Aspekte zu kurz
liegen bleibt. Wir wollen, dass der Bürger sicher sein
gekommen. Bereits während des Gesetzgebungsverfah-
kann, dass sein Abfall ordnungsgemäß entsorgt wird. Wir
rens zur Abfallrahmenrichtlinie in der EU haben wir uns
wollen, dass der Abfall in ökologisch bestmöglicher
eingemischt. Die SPD hat sich für eine fünfstufige Ab-
Weise verwertet wird und eben nicht nur dann, wenn
fallhierarchie ausgesprochen.
große Gewinne erzielt werden.
Garantiert werden kann dies nur, wenn die Hausmüll- Insbesondere der Vorrang der stofflichen Verwertung
entsorgung Aufgabe der Kommunen ist und bleibt. Die vor der energetischen Verwertung muss sichergestellt
Städte und Kreise bzw. deren öffentlich-rechtliche Ent- werden. Der Regierungsentwurf setzt aber noch nicht ein-
sorger müssen für den gesamten Hausmüll zuständig mal die europäischen Vorgaben korrekt um. Es gibt kei-
sein. nerlei Vorgaben für die Abfallvermeidung. Ebenso wird
die zweite Stufe der Abfallhierarchie, die Wiederverwen-
Dieser Meinung ist auch das Bundesverwaltungsge- dung, nur namentlich erwähnt. Vor allem aber wird der
(B) richt. In seinem sogenannten Altpapierurteil hat es die Vorrang der stofflichen Verwertung vor der energetischen (D)
Zulassung gewerblicher Sammlungen an hohe Anforde- Verwertung durch die Einführung einer Heizwertklausel
rungen geknüpft. Dieses Urteil hat jahrelange Streite- ab 11 000 Kilojoule aufgehoben. Hier muss unbedingt
reien beendet und endlich Klarheit geschaffen. nachgebessert werden, um die fünfstufige Abfallhierar-
chie auch wirklich umzusetzen.
Meine Damen und Herren der Regierungsparteien,
ohne Not wollen sie dies mit der vorgelegten Novelle Es gibt noch eine Reihe von Punkten zu kritisieren; so
rückgängig machen: vermehrte gewerbliche Sammlun- sind die Quoten für die stoffliche Verwertung zu niedrig
gen, eine Wertstofftonne in der Zuständigkeit der privaten und vieles ist im Gesetzentwurf viel zu ungenau gere-
Wirtschaft – mit anderen Worten: eine weitere Privatisie- gelt.
rung der Hausmüllentsorgung. Angeblich ist dies aus eu-
roparechtlichen Gründen notwendig. Genaueres soll später in Verordnungen festgelegt
werden, zum Beispiel zu der wichtigen Frage der Ein-
Wir teilen diese Auffassung nicht. Wir halten, wie das führung einer Wertstofftonne. Trotzdem gibt es im jetzi-
Bundesverwaltungsgericht, die Zuständigkeit der örE für gen Gesetzentwurf bereits Formulierungen, welche nur
die Hausmüllentsorgung für europarechtskonform. Die den Schluss zulassen, dass die Wertstofftonne in die Zu-
Sozialdemokraten sind aus Gründen der Daseinsvor- ständigkeit der privaten Entsorgungswirtschaft fallen
sorge und der Ökologie für enge Grenzen gewerblicher soll. Wir Sozialdemokraten sind für die Einführung einer
Sammlungen. Wertstofftonne, aber in kommunaler Zuständigkeit. Die-
Dabei stehen wir nicht alleine. Der Bundesrat hat in sen Konflikt sollten wir, im Interesse der Ökologie und
seiner Sitzung am 27. Mai zahlreiche Änderungsanträge der Bürger, schnellstens lösen. Seit über zwei Jahren
beschlossen. Der Bundesrat will die Zuständigkeit der wird über die Wertstofftonne gestritten, wir können nicht
Kommunen für die Hausmüllentsorgung. Der Bundesrat weitere Jahre der Ungewissheit zulassen.
will, dass sich die Regelungen für die gewerblichen Bevor ich zum Schluss komme, möchte ich hier eine
Sammlungen am Altpapierurteil des Bundesverwaltungs- Einschätzung aus der CDU-Kreistagsfraktion im nord-
gerichtes orientieren. Ausführlich hat auch der Bundesrat rhein-westfälischen Warendorf zitieren:
dargelegt: Das ist europarechtskonform.
Wir sind außerordentlich enttäuscht über das, was
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und uns der Bundesumweltminister vorgelegt hat, weil
Kollegen aus Union und FDP, folgen Sie dem Bundesrat wir auch über
in diesen Punkten! Stimmen Sie den bürger- und kom-
munalfreundlichen Änderungen zu! Dies ist auch der – es folgt der Name des Bundestagsabgeordneten –
13286 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 115. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. Juni 2011
(A) auf die Gefahren der einseitigen, privatwirtschaftli- Dreh- und Angelpunkt der Gesetzgebung ist die Stär- (C)
chen Ausrichtung der gesetzlichen Regelung hinge- kung des Recyclings. Denken in Kreisläufen bedeutet
wiesen haben und nun feststellen, dass erneut in ei- aber auch, Rahmenbedingungen herzustellen, um mög-
nem zentralen kommunalpolitischen Anliegen in lichst viel der gebrauchten Materialien dem Wiederge-
Berlin unsere offenbar berechtigten Sorgen nicht brauch zuzuführen. Nur dann wird es gelingen, eine Ver-
gehört werden. sorgungssicherheit hinsichtlich dringend benötigter
Rohstoffe herzustellen. Die Wertstofftonne, die das Sys-
Ich hoffe, dass wir jetzt sachlich und zügig auf der tem der gelben Säcke und der gelben Tonne ablöst, ist
Grundlage der Bundesratsempfehlungen bis zur zweiten dabei der erste Schritt. 600 000 Tonnen Abfall jährlich
und dritten Lesung eine vernünftige Einigung erzielen mehr als beim gelben Sack bzw. der gelben Tonne wer-
werden. den dann dem Recycling zugeführt. Gegenüber Wert-
stoffhöfen in der jetzigen Form ist diese Zahl noch ein-
mal deutlich höher. Diese Zahlen sprechen für sich.
Horst Meierhofer (FDP): Die Woche stand ganz im
Zeichen von Energie, Ehec und Euro. Abfall scheint auf Uns ist aber auch klar, dass das Trennverhalten in
den ersten Blick da nicht mithalten zu können. Dieses Deutschland unterschiedlich ist. Während in ländlichen
Bild trügt: Die Opposition ist dabei, eine gesamte Bran- Gebieten die Trennung sehr gut funktioniert, ist die
che zu ruinieren, indem sie über den Bundesrat einen gu- Quote der sogenannten Fehlwürfe in Städten größer.
ten Gesetzentwurf blockieren möchte. Deshalb wollen wir das Subsidaritätsprinzip hochhalten
und es den Kommunen überlassen, wie auf ihrem Gebiet
Um die Tragweite dieses traurigen Vorgangs zu erfas- die Rohstoffe eingesammelt werden sollen.
sen, will ich Ihnen verdeutlichen, welche Ausmaße die
Abfall- und Recyclingbranche hat: Der Umsatz der Ab- Wie wir die Wertstofftonne organisieren und finanzie-
fall- und Recyclingbranche liegt bei über 50 Milliarden ren, ist dann natürlich die entscheidende Frage, um die
Euro jährlich, und das nur in Deutschland. Mehr als bloße Menge auch tatsächlich in eine hohe Recycling-
250 000 Menschen sind dort beschäftigt. Nur zum Ver- qualität umzusetzen. Und um das zu erreichen, brauchen
gleich: Der Umsatz von Solar- und Windenergie lag wir Wettbewerb und keine Monopole. Wir wollen eine
2005 bei unter 20 Milliarden Euro, also nicht einmal der faire Gleichbehandlung. Eigens dafür ist auf unser Drän-
Hälfte, und das weltweit. Aktuell sind in den Wachs- gen die neutrale Stelle in die Gesetzesbegründung zum
Kreislaufwirtschaftsgesetz gekommen. Nur das schafft
tumsbranchen Solar und Windenergie 50 000 bzw.
Wettbewerb. Wettbewerb schafft Umwelt- und Ressourcen-
87 000 Arbeitsplätze entstanden. Der Weltmarktanteil
schutz. Daraus folgen Marktführerschaft und Arbeits-
der deutschen Wirtschaft im Bereich „Umwelttechnolo-
plätze. Wir Liberale wollen mehr Markt. Der Abfall-
(B) gien im Recycling“ ist hoch. Deutlich mehr als jede (D)
markt darf nicht wie bisher einigen wenigen vorbehalten
zweite Sortieranlage zur automatischen Stofftrennung sein. Mit diesem Gesetzesentwurf ermöglichen wir Un-
stammt von einem deutschen Hersteller. Jedes vierte Re- ternehmen, am Markt zu partizipieren. Eine Einschrän-
cyclingpatent weltweit kommt aus Deutschland. Der kung gibt es: Die Funktionsfähigkeit der kommunalen
Durchschnittswert aller anderen Sektoren liegt demge- Entsorgungssysteme darf damit nicht gefährdet werden.
genüber bei etwa 15 Prozent. Die Prognosen sagen uns:
Die Wachstumsmärkte liegen in Asien und anderswo. Ein wichtiger Bestandteil dieses Gesetzes ist die Wei-
Damit die deutschen Unternehmen hier weiterhin erfolg- terentwicklung der Produktverantwortung; denn nur
reich sein können, sind sie darauf angewiesen, im deut- über diese werden wir auch in Zukunft unsere Technolo-
schen Markt weiterhin Entwicklungen anzustoßen und gieführerschaft behalten.
nach neuen Technologien zu forschen. Man muss hier aber auch ganz deutlich sagen, dass
Warum verweise ich auf die ganzen Zahlen? Der Sek- diese Verbesserung hin zu mehr Recycling, Umwelt-
schutz und Wettbewerb von der Opposition konsequent
tor „Abfall und Recycling“ wird in der öffentlichen
über den Bundesrat bekämpft wird. Ich kann nicht glau-
Wahrnehmung unterschätzt. Der Markt hat ein unglaub-
ben, dass die Grünen kategorisch gegen Umweltschutz
liches Entwicklungspotenzial, und zwar grenzüber-
und die SPD kategorisch für Abbau von Arbeitsplätzen
schreitend. Deutsche Unternehmen haben eine Vorreiter-
sind. Aber hier haben sich SPD und Grüne von den kom-
stellung. Neben den wirtschaftlichen Vorteilen dürfen
munalen Spitzenverbänden benutzen lassen. Die Forde-
wir aber eines nicht vergessen: Recycling spart Roh- rungen des Bundesrates hätten fatale Folgen. Gewerbli-
stoffe und hilft der Umwelt und dem Klima. che Sammlungen würden massiv eingeschränkt werden
Die Koalition hat nun einen Gesetzentwurf für die und von den Kommunen untersagt werden können, und
Kreislaufwirtschaft vorgelegt, der es der Branche ermög- dies vollkommen willkürlich. Fairer Wettbewerb sieht
licht, mehr Materialien als bisher zu recyceln; unser Sys- anders aus.
tem ist einfacher, effizienter und gerechter. Mit diesem Der Mittelstand ist alarmiert und spricht von Verdrän-
Gesetz ermöglichen wir eine Wertstofftonne. In diese gungswettbewerb gegen private Unternehmen und mas-
eine Tonne darf dann alles rein, was recycelt werden siver Ungleichbehandlung. Verdrängt werden nämlich
kann. Vorbei mit der Zeit, in der Bürger verzweifelt vor nicht nur die großen, sondern vor allem die mittelstän-
den Mülltonnen standen und nicht sicher waren, ob das disch geprägten Unternehmen aus der Entsorgungswirt-
Stück Plastik in ihren Händen in die graue oder gelbe schaft, diejenigen, die den entscheidenden Anteil am
Tonne gehört. Exportschlager Recycling haben. Im Gegensatz zu SPD
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 115. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. Juni 2011 13287
(A) und Grünen wollen wir einen fairen Wettbewerb zwi- wendung Trumpf. Qualitätsprodukte halten länger, ent- (C)
schen Privaten und Kommunen. Damit erreichen wir sta- lasten damit die Umwelt. Darum fordern wir längere
bile Müllgebühren, einen effizienten Umgang mit unse- Herstellergarantien. Aber auch das beste Produkt ist ir-
ren Ressourcen, die Schaffung von Innovationsanreizen gendwann kaputt oder veraltet. Nachrüsten auf neuen
und benutzerfreundliche Abfalltonnen. Wir sind davon Standard spart Ressourcen, schont die Umwelt. Produkte
überzeugt, dass wir diese Ziele nur erreichen können, müssen entsprechend entwickelt werden. Ist ein Produkt
wenn wir einen funktionierenden Wettbewerb herstellen. endgültig hinüber, sind seine Bestandteile wieder zu ver-
Wir wollen weder Kommunen noch Private bevorzugen, wenden. Zum Beispiel enthält eine Tonne Handys circa
sondern den Besseren. 250 Gramm Gold.
Die Scheinheiligkeit der Opposition hat den Gipfel Um die in Elektronik enthaltenen Schätze zu erfassen,
erreicht. Sie werfen unserer fairen Abwägung zwischen um gefährliche Abfälle wie Batterien einzusammeln,
privaten und kommunalen Interessen wieder einmal sind Pfandsysteme erforderlich. Mit dem Kauf bezahlt
Lobbyismus vor. Ich fasse aber gerne noch einmal man Pfand, und der Hersteller zahlt eine Erfassungs- und
zusammen, was Sie als Handlanger der kommunalen Entsorgungsgebühr. Bei der Abgabe in kommunalen
Spitzenverbände durchsetzen wollen: Sie wollen Ar- Wertstoffhöfen erhält man den Pfand zurück.
beitsplätze bei kleinen und mittelständischen Sammelun-
ternehmen vernichten, sie wollen Innovationen verhin- Die Kommunen erfassen die Wertstoffe, Altpapier
dern, sie wollen gegen das Recycling zugunsten von und Glas sowie die restlichen Abfälle. Die Einnahmen
Müllverbrennung vorgehen. Ihre Position und totale Be- aus der Verwertung von Wertstoffen aus dem Abfall und
fürwortung einer Rekommunalisierung ist falsch. Erken- aus dem Erfassen und Recyceln von Elektronik und
nen sie endlich an, dass gerade auch die breit aufgestellte Metallen verbleiben beim kommunalen Entsorger. Die
mittelständische Entsorgungswirtschaft für den rasanten Einnahmen allein aus Altpapierverkauf decken zum Bei-
Schub im Recycling verantwortlich ist. Ziehen Sie ein- spiel im Saale-Holzland-Kreis 10 Prozent der Müllge-
mal den Vergleich zur Energiewirtschaft. Die private bühren.
Wirtschaft außen vor zu lassen, ist in etwa so, wie den Das Recht und die Pflicht zur Haushaltsabfallentsor-
Umbau des gesamten Energiesystems in die Hand der gung als ein Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge ge-
Kommunen zu legen. Wer betreibt dann die Forschung? hört für die Linke auf jeden Fall den Kommunen.
Wer entwickelt und wer vertreibt Produkte auf anderen
Märkten? Wie sollen wir auf dem Weltmarkt mithalten? Was jedoch plant diese Bundesregierung?
Deutschland ist eine Exportnation. Wir wollen die Kom-
munen nicht ausschließen. Sie sollen und dürfen ja mit- Private Entsorger könnten die Erfassung der Wert-
(B) mischen. Als Stadtrat liegt mir eine kommunalfeindliche stoffe verlangen – natürlich machen sie es nur dort, wo (D)
Position ohnehin fern. sie viel verdienen könnten. Wenn das Einsammeln der
Wertstoffe teurer ist als die Erlöse, wie zum Beispiel in
Ich finde, man kann nun wirklich auch von Ihnen er- kleinen Orten, dann müssen jedoch die öffentlichen Ent-
warten: Befassen Sie sich vernünftig mit dieser kom- sorger ran. Gewinnbringende Mengen von Altmetallen,
plexen Materie, und bereiten Sie nicht das Sterbebett für Altpapier, Altglas greifen dann die Privaten ab und ver-
eine gesamte Branche! kaufen diese mit Profit. Die Kosten für die Beseitigung
der von den privaten Entsorgern verschmähten Reste
Ralph Lenkert (DIE LINKE): Wer kennt nicht den bleiben bei den öffentlichen Entsorgern. Kommunen
stinkenden Mülleimer, die eklige Tonne und das Gerüm- müssten dann die Müllgebühren erhöhen, weil ja für den
pel, das zu Hause nur noch stört. Raus – weg – aus den Rest die Entsorgungspflicht besteht. Diesen erneuten
Augen, fort mit dem Gestank. Kaum zu glauben – aber Versuch von CDU und FDP, Gewinne zu privatisieren
um unseren Müll tobt ein Kampf, zwischen internationa- und Verluste allen anderen aufzudrücken, lehnen wir ab.
len Konzernen wie Eon, Remondis und Suez, Mittel-
Mit der Ablehnung Ihrer Pläne sind wir nicht allein,
ständlern und Kommunen. Es geht um viel, um unser
über 200 kommunale Parlamente haben diese Ihre Pläne
Geld, um wertvolle Rohstoffe aus dem Müll und um
abgelehnt. Auch Sie haben die Protestresolutionen und
mögliche Profite.
Beschlüsse per Post, per Fax erhalten. Das sind auch Ihre
Wer hat das Recht und wer hat die Pflicht, unseren Parteigenossen aus CDU und FDP aus Mannheim, aus
Haushaltsabfall zu entsorgen? Das wird im Kreislauf- Bochum aus Arnstadt und Jena. Berücksichtigen Sie die
wirtschaftsgesetz geregelt, und über die von der EU ge- Einwände der Kommunen, auch Ihrer Bürgermeister.
forderte Neufassung des Gesetzes streiten Parteien und Wir haben heute die erste Lesung, der Entwurf muss
Interessenvertreter erbittert seit mehr als zwölf Monaten. nicht so bleiben. Ändern Sie dieses Gesetz, stärken Sie
Die EU-Richtlinie verfolgt edle Ziele im Abfallbereich. die kommunalen Entsorger, das EU-Recht erlaubt dies!
Das Wichtigste ist Müllvermeidung, gefolgt von Wieder-
verwertung – stofflichem Recycling – dann erst die ther- Die Hoffnung, dass Sie unserem Konzept folgen,
mische Verwertung – das Verbrennen – und zuletzt Ab- habe ich nicht, aber entfernen Sie die Verstöße gegen die
fallentsorgung auf einer Deponie. Abfallhierarchie aus dem Gesetzentwurf der Bundesre-
gierung und kämpfen Sie wenigstens für eine öffentliche
Die Abfallhierarchie konsequent umzusetzen, ist Abfallentsorgung und eine Wertstofferfassung, von der
linke Politik. Wegwerfprodukte sind Verschwendung zu- nicht Aktienkurse, sondern Bürgerinnen und Bürger pro-
lasten der Umwelt, also ist Haltbarkeit und Wiederver- fitieren!
13288 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 115. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. Juni 2011
(A) Dorothea Steiner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): mehrfach betont, dass hier ein Verstoß gegen EU-Recht (C)
Es ist fast ein Jahr her, dass das Ministerium einen ersten vorliegen könnte – mit allen Konsequenzen für Sie.
Entwurf zum neuen Abfallrecht vorgelegt hat. Wir war-
ten seit einem Jahr darauf, das Gesetz im Parlament be- Und natürlich eine Bemerkung zur Wertstofftonne:
raten zu können. Deutschland ist mal wieder im Verzug Eine bessere Wertstofferfassung ist in Deutschland drin-
mit der nationalen Umsetzung einer EU-Richtlinie. gend erforderlich. Wir müssen weg von einer Einweg-
gesellschaft, die der Erde in großen Mengen Rohstoffe
Trotz intensiven Diskussionen mit Verbänden und entnimmt und damit Produkte herstellt, die nach Ge-
Entsorgern hat sich in diesem Jahr auch nicht viel getan. brauch nicht wiederverwendet werden können. Die Ein-
Die Schwächen des ersten Entwurfs finden sich nach wie führung der Wertstofftonne findet sich bereits in Ihrem
vor unverändert im jetzigen Entwurf. Koalitionsvertrag. Nach einer derart langen Entwurfszeit
des Gesetzes schaffen Sie es jetzt lediglich, den Begriff
Ich nehme mal das Beispiel Abfallvermeidung. Ver-
einzuführen – ohne irgendeine Festlegung, wie dies or-
meidung von Abfällen muss ganz oben in der Rangord-
ganisiert werden soll. Stattdessen kündigen Sie uns eine
nung stehen. Die Regierung nimmt hier lediglich vage
Verordnung an. Dabei gibt es zahlreiche Pilotvorhaben
Lippenbekenntnisse vor. Wir fordern verbindliche Mindest-
zur Einführung der Wertstofftonne. Die großen Städte,
anforderungen für Abfallvermeidungspläne und kon-
aber auch viele ländliche Kommunen testen derzeit
krete Maßnahmen, die die Abfallmengen in Deutschland
unterschiedliche Modelle. Auf Grundlage dieser Erfah-
weiter reduzieren. Davon findet sich derzeit noch nichts
rungen hätten Sie längst einen konkreten Vorschlag vor-
im Gesetz. Mit diesem Gesetzentwurf verabschiedet sich
legen können, wie die Wertstoffsammlung künftig orga-
die Bundesregierung von der Vorreiterrolle Deutsch-
nisiert wird. Für mich ist die Wertstofftonne ein guter
lands bei Müllvermeidung, -trennung und Wiederver-
Weg, mehr Wertstoffe aus dem Hausmüll herauszuholen.
wertung. Sehen wir uns mal ihre angestrebten Recy-
Diesen wollen wir aber den Kommunen, in denen es be-
clingquoten an: Sie haben viel zu niedrige Ziele beim
reits etablierte haushaltsnahe und verbraucherfreundli-
Recycling. Die von der Regierung vorgeschlagenen
che Wertstoffsammelsysteme gibt, nicht aufzwingen.
Ziele werden bereits jetzt erreicht. Es wird also lediglich
der jetzige Stand festgeschrieben, anstatt weiter gehende Es hat den Anschein, dass Sie den privaten Entsor-
Ziele zu formulieren. Laut offizieller Statistik wurden gern ein gutes Geschäft mit den gewinnbringenden Be-
bereits 2008 64 Prozent aller Siedlungsabfälle stofflich standteilen des Abfalls verschaffen wollen. Uns ist aber
verwertet. Das Ziel der Bundesregierung lautet nun klar: Wir brauchen die Erfahrung der und Kontrolle
65 Prozent bis 2020 – eine wahrlich enorme Steigerung durch die Kommunen. Diese müssen wir nutzen und
von 1 Prozent in zwölf Jahren! Die Zahlen stammen stärken. Unserer Ansicht nach müssen die Städte und
übrigens aus der aktuellen Abfallbilanz des Statistischen Kommunen entscheiden können, ob sie die Wertstoff- (D)
(B)
Bundesamtes. Ohne deutlich höhere Recyclingziele, sammlung ausschreiben und privat vergeben oder in For-
mindestens 80 Prozent, wird sich nichts verändern: men kommunaler Verantwortung selbst betreiben wol-
Keine Innovationen, ohne Anreize keine Ambitionen. len.
Das ist schwarz-gelbe Abfallpolitik.
Wir Grüne setzen uns von Beginn an konsequent für
Und dazu kommt: Nicht alles, was die Bundesregie- einen vernünftigen Umgang mit unseren natürlichen
rung als Verwertung verstehen will, ist auch eine. Sie Ressourcen ein. Für die schwarz-gelbe Regierung ist
scheuen sich geradezu davor, die umweltverträglichste dieses Thema anscheinend Neuland – nur so erklärt sich
Verwertungsoption festzuschreiben. Zum Beispiel: Re- dieses bescheidene Ergebnis langer Diskussionen. Wir
cycelte und wiederaufbereitete Baustoffe gehören in werden in der parlamentarischen Beratung Änderungen
Hochbau oder Gebäude – nicht als billiger Verfüllersatz einbringen, um unsere Vorstellungen wirksam werden zu
auf die Straßen. lassen, die das Gesetz besser machen. Wir hoffen, dass
Bezüglich der Abfallhierarchie meinen wir, dass Ihnen die Regierung nicht beratungsresistent ist.
selbst die wenig anspruchsvolle Umsetzung des Europa-
rechts auf niedrigstem Niveau nicht gelingt. Ich spreche Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin beim
von der Einhaltung der Rangfolge der Verwertungsoptio- Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsi-
nen. Europa schreibt richtigerweise vor: stoffliche vor cherheit: Mit dem heute in den Deutschen Bundestag
der energetischen Verwertung, also dem sinnlosen Ver- eingebrachten Regierungsentwurf des Gesetzes zur Neu-
heizen wertvoller Rohstoffe. Sie legen jedoch fest: Was ordnung des Kreislaufwirtschafts- und Abfallrechts wird
gut brennt, kann auch in die Verbrennung. Sie können ein zentraler Bereich des Umweltrechts neu gestaltet.
doch nicht im Ernst wollen, dass mühsam gesammeltes Mit dem Gesetzentwurf wird nicht nur die EU-Abfall-
Altpapier in die Verbrennung geht – weil es halt gut rahmenrichtlinie in deutsches Recht umgesetzt, sondern
brennt. Auch jeder Kunststoff fällt hierunter – und gleichzeitig auch die Abfallwirtschaft ökologisch fort-
könnte zukünftig direkt in die Verbrennung gehen – und entwickelt. Ziel des neuen Kreislaufwirtschaftsgesetzes
somit auch alle schädlichen Zusatzstoffe, die enthalten ist eine nachhaltige Verbesserung des Umwelt- und Kli-
sind. Dieses als umweltverträglichste Lösung zu verkau- maschutzes sowie der Ressourceneffizienz.
fen, halte ich für eine Farce! Da sind selbst die verbindli-
chen Minimalvorgaben der EU besser. Was sind die Markenzeichen des neuen Kreislaufwirt-
schaftsgesetzes? Das Gesetz baut konsequent auf den
Und das sehe nicht nur ich so: Auch die Generaldirek- Kernelementen und Grundprinzipien der EU-Abfallrah-
tion Umwelt der Europäischen Union hat inzwischen menrichtlinie auf. Es legt somit ein rechtssicheres Fun-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 115. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. Juni 2011 13289
(A) dament für alle betroffenen Kommunen und Wirtschafts- werden dies sicherlich ausführlich zu erörtern haben. (C)
unternehmen sowie für die Bürgerinnen und Bürger. Positiv festzuhalten ist allerdings, dass sich der Bundes-
Darüber hinaus wird der hohe deutsche Umwelt- und rat bei der künftig einzuführenden Wertstofftonne gegen
Entsorgungsstandard fortentwickelt: Auf der Grundlage eine Vorfestlegung auf eine kommunale Trägerschaft
der neu eingeführten fünfstufigen Abfallhierarchie wer- ausgesprochen hat.
den alle abfallwirtschaftlichen Pflichten der Abfallbesit-
Die Bundesregierung freut sich auf die anstehenden
zer konsequent auf die Abfallvermeidung und das Recy-
Beratungen im Bundestag und wird die Diskussionen ak-
cling ausgerichtet. Diese Neuausrichtung wird durch
tiv unterstützen.
konkrete Zielvorgaben flankiert, an denen sich die Be-
troffenen orientieren müssen: Mit der Einführung der ab
dem Jahr 2015 zu erfüllenden Pflicht zur Getrenntsamm-
lung von Bioabfällen sowie von Papier-, Metall-, Kunst- Anlage 7
stoff- und Glasabfällen schafft das Gesetz die Grundlage Zu Protokoll gegebene Reden
für ein hochwertiges Recycling mit einem hohen Res-
sourcenpotenzial. Bis zum Jahr 2020 sollen 65 Prozent zur Beratung des Antrags: Schutzschirm für
aller Siedlungsabfälle recycelt und 70 Prozent aller Bau- Stromkunden – Bezahlbare Energiepreise ge-
und Abbruchabfälle stofflich verwertet werden. währleisten (Tagesordnungspunkt 33)
(A) trauen Deutschland zu, auch in einem schärfer werden- Entwicklungen sind: die weltweit wachsende Nachfrage (C)
den internationalen Wettbewerb auf absehbare Zeit er- nach Energie, die Begrenztheit der fossilen Reserven und
folgreich bestehen zu können. Niemand will Ihre Plan- die höheren Förderkosten für neu erschlossene Vorkom-
wirtschaft. Ihre sozialistischen Spielchen gehören auf men, die drohenden Folgen der von Klimagasen verur-
den Müllhaufen der Geschichte! sachten Klimaveränderungen und die instabile politische
Lage in vielen Regionen, in denen Energiebodenschätze
Es ist richtig, dass zu Beginn unseres Kernkraftmora-
lagern oder die für die Weiterleitung von Energieträgern
toriums die Preise an den Energiebörsen angestiegen wichtig sind.
sind. Die Strompreise sind Marktpreise. Sie bilden sich
durch Angebot und Nachfrage am Strommarkt. Aus- Ein wichtiges Instrument zur Bewältigung dieser He-
schlaggebend für den Strompreis in Deutschland ist die rausforderung sind die erneuerbaren Energien. Da die
Preisbildung an der Leipziger Strombörse EEX. Für den Erneuerbaren heimische Energieträger sind, gibt der ver-
Verbraucher kommen noch die Kosten für Vertrieb und stärkte Einsatz erneuerbarer Energien langfristig auch
Transport, Netzentgelte, sowie die staatlich veranlassten eine Chance zu größerer Unabhängigkeit von den Preis-
Abgaben hinzu, Stromsteuer, Konzessionsabgabe, EEG- schwankungen der Weltenergiemärkte.
und KWKG-Umlage.
Die Experten betonen: Die größten Probleme werden
Wenn Kraftwerke mit geringen Erzeugungskosten, die Betriebe energieintensiver Branchen haben. Wir wer-
wie die Kernkraftwerke, abgeschaltet werden, müssen den deshalb energieintensive Unternehmen gezielt entlas-
mehr Kraftwerke mit höheren Erzeugungskosten Ener- ten. Die Betriebe energieintensiver Industrien mit ihren
gie ins Netz einspeisen. Dies ist der sogenannte Merit- rund eine Million Beschäftigten leisten einen wichtigen
Order-Effekt: Beginnend mit den niedrigsten Grenzkos- Beitrag zur Wertschöpfung in Deutschland. Dem soll
ten werden solange Kraftwerke mit höheren Grenzkos- durch Ausgleichszahlungen für emissionshandelsbe-
ten zugeschaltet, bis die Nachfrage gedeckt ist. An der dingte Strompreiserhöhungen von bis zu 500 Millionen
Strombörse bestimmt das letzte Gebot, das noch einen Euro aus dem Energie- und Klimafonds und nötigenfalls
Zuschlag erhält, den Strompreis. Der Preis für Strom darüber hinaus aus dem Bundeshaushalt Rechnung getra-
wird also durch das jeweils teuerste Kraftwerk bestimmt, gen werden. Zudem wird die besondere Ausgleichsrege-
das noch benötigt wird, um die Stromnachfrage zu de- lung für energieintensive Betriebe bei der EEG-Umlage
cken. flexibler und großzügiger gestaltet. Aber wir werden
Die Mehrheit der Menschen in diesem Land und auch auch darauf achten, dass sich mögliche Preissteigerungen
in diesem Hohen Haus will den Ausstieg aus der Kern- für private Stromkunden im Rahmen halten.
energie. Seit langem ist es Konsens in Deutschland, die Bei der Neugestaltung des Rahmens für die Förde-
(B) Nutzung der Kernenergie zu beenden und keine neuen rung der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien (D)
Kernkraftwerke zu bauen. Das haben auch wir schon in wollen wir Kostensenkungspotentiale ausschöpfen, so-
unserem Wahlprogramm, im Koalitionsvertrag und in dass die Größenordnung der EEG-Umlage von derzeit
unserem umfangreichen Energiekonzept vom Herbst 3,5 Cent pro Kilowattstunde nicht überschritten wird.
letzten Jahres beschlossen.
Zum Ausgleich für höhere Energiepreise muss aber
Ich persönlich bin zwar der Überzeugung, dass der vor allem den Themen Energieeffizienz und Einsparun-
Beschluss der Laufzeitverlängerung vom letzten Jahr gen ein hoher Stellenwert zukommen. Dafür haben wir
volkswirtschaftlich optimaler und technisch einfacher uns in unserem Energiekonzept vom Herbst 2010 bereits
gewesen wäre als der Weg, den wir nun gehen werden. anspruchsvolle Ziele gesetzt. Wir wollen bis 2020 den
Die furchtbare Katastrophe von Fukushima zwingt uns Primärenergieverbrauch gegenüber 2008 um 20 Prozent
aber zu einem Kurswechsel – nicht inhaltlich, sondern und bis 2050 um 50 Prozent senken und den Stromver-
zeitlich. brauch bis 2020 gegenüber 2008 in einer Größenord-
Bei unserem nun notwendigen, schnelleren Umstieg nung von 10 Prozent und bis 2050 von 25 Prozent ver-
in die erneuerbaren Energien müssen wir ein besonderes mindern.
Augenmerk auf die Entwicklung der Energiepreise rich-
Entscheidend ist in diesem Zusammenhang, dass
ten. Man kann die Preiswirkungen im Einzelnen jetzt
CO2-Einsparungen insbesondere im Wärmebereich er-
nicht endgültig vorhersagen. Die überwiegende Mehr-
reicht werden. Die energetische Umstellung insgesamt
heit der Experten geht von einem moderaten zusätzli-
kann zu einem großartigen Konjunkturprogramm wer-
chen Preisanstieg von einem Cent je Kilowattstunde aus.
den. Wir wollen bis 2050 einen nahezu klimaneutralen
Klar ist: Für Stromleitungen und Energiespeicher, für Gebäudebestand haben.
hochmoderne fossile Kraftwerke und den Ausbau der er-
Dafür ist die Verdoppelung der energetischen Sanie-
neuerbaren Energien müssen hohe Summen investiert
rungsrate für Gebäude von derzeit jährlich etwa 1 Pro-
werden. Ebenso klar ist aber auch: All diese Investitio-
zent auf 2 Prozent erforderlich. Noch in diesem Jahr
nen wären auch ohne die jetzt getroffenen Entscheidun-
werden wir die Energieeinsparverordnung (Verordnung
gen nötig geworden, teilweise allerdings erst später.
der Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrates)
So unterschiedlich die Einschätzung der Experten über novellieren und wichtige Meilensteine zur Steigerung
die Auswirkungen des beschleunigten Umstiegs auf die der Energieeffizienz setzen. Noch vor der Sommerpause
Energiepreise sind, so einig sind sich alle Voraussagen werden wir das Gesetz zur steuerlichen Förderung von
darin, dass die entscheidenden Energiepreistreiber andere energetischen Sanierungsmaßnahmen an Wohngebäuden
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 115. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. Juni 2011 13291
(A) verabschieden. Mit zusätzlichen Anreizen wollen wir die Auch mehr Wettbewerb auf den Energiemärkten (C)
erheblichen Potenziale zur Energie- und CO2-Einspa- wirkt preisdämpfend. Einerseits muss deshalb der Wett-
rung im Gebäudebereich heben. bewerb auf dem Strommarkt so entwickelt und reguliert
werden, dass beliebige, sachlich unbegründete Preis-
Wir setzen auf Anreize. Das ist das Wesen einer frei- erhöhungen nicht mehr durchsetzbar sind. Hier sind
heitlichen Gesellschaft. Wir wollen keinen Zwang, wie Politik und die zuständigen Institutionen, zum Beispiel
es ein Wesensmerkmal des Sozialismus ist. In einer frei- Bundeskartellamt oder Bundesnetzagentur, eindeutig ge-
heitlichen Gesellschaft wollen wir gemeinsam mit den fordert. Andererseits müssen wir alle als Strom- und
Menschen und nicht gegen sie unsere gemeinsame Welt Gaskunden auch eine Eigenverantwortlichkeit entwi-
gestalten. ckeln. Das bedeutet, den Strom- und Gasanbieter auch
einfach zu wechseln und einen preisgünstigeren Liefe-
Andrea Wicklein (SPD): Bei der Energiewende ranten zu wählen, wenn der Anbieter zu teuer wird. Dass
spielt die Frage der Bezahlbarkeit von Energie für die hier große Potenziale schlummern, zeigt die Tatsache,
Menschen und Unternehmen eine zentrale Rolle – das ist dass gegenwärtig immer noch über 80 Prozent der
für die SPD unbestritten. Aber wenn wir gewährleisten Stromkunden bei ihrem Grundversorger unter Vertrag
wollen, dass zukünftig nicht nur Strom, sondern auch stehen.
Wärme und Mobilität für alle Menschen bezahlbar blei- Neben einer bezahlbaren Energieversorgung für Pri-
ben, dann ist der Griff nach planwirtschaftlichen Instru- vathaushalte gilt es auch, die Notwendigkeit wettbe-
menten aus der Mottenkiste des Sozialismus, wie ihn die werbsfähiger Strompreise für die deutsche Wirtschaft im
Linke heute vorschlägt, der falsche Weg. Blick zu behalten. Dies betrifft in erster Linie jene Un-
ternehmen der sogenannten energieintensiven Branchen.
Besonders die angesprochene Verpflichtung, Sozial-
Die in Deutschland vorhandene Wertschöpfungskette
tarife anzubieten, würde vielen kommunalen Unterneh-
von industrieller Grundstoffproduktion bis zum hoch-
men, also den Stadtwerken, schaden. Denn in Regionen,
spezialisierten Hightechmittelständler ist die entschei-
in denen überdurchschnittlich viele Verbraucher auf-
dende Voraussetzung für Innovationen, die für die Ener-
grund ihrer Einkommenssituation den Strom zu günsti-
giewende und den Klimaschutz notwendig sind. Die
geren Preisen erhalten müssten, wären die örtlichen Ver-
SPD hat ein Modell entwickelt, das die internationale
sorger mit erheblichen Verlusten konfrontiert. Ich frage
Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie stärkt und
Sie: Wer soll das ausgleichen? Hinzu kommt: Die vorge-
auf drei Säulen basiert. Erstens plädieren wir für die Ein-
schlagenen Sozialtarife behindern die Bemühungen um
führung eines Grundlaststromangebots für bestimmte
Energieeinsparung. Mehr noch: Sie sorgen auch für be-
energieintensive Unternehmen. Dies sichert nicht nur
trächtliche Umsatz- und Gewinneinbrüche bei den loka-
(B) eine bezahlbare Stromversorgung für die Industrie, son- (D)
len Energieversorgern, deren Wettbewerbsfähigkeit und
dern ist gleichzeitig ein wichtiger Beitrag zur Gewähr-
Investitionskraft angesichts des anstehenden Umbaus
leistung der Netzstabilität.
unseres Energiesystems eher gestärkt werden müssen.
Zweitens halten wir eine angemessene Vergütung der
Statt Strompreise staatlich festzulegen, wollen wir als industriellen zu- und abschaltbaren Lasten für nötig. Er-
SPD-Bundestagsfraktion die Menschen dabei unterstüt- neuerbare Energien – vornehmlich Wind- und Solarener-
zen, Energie und somit auch Geld einzusparen. Wir ma- gie – speisen aufgrund der natürlichen Bedingungen
chen uns hier im Deutschen Bundestag für ein Energie- nicht regelmäßig Strom ins Netz ein. Je nach Wetterlage
effizienzgesetz stark, das seinen Namen auch verdient wird somit die Nachfrage über- oder unterboten. Dies
und eine jährliche Steigerung der Energieproduktivität führt zu steigenden Instabilitäten im Stromnetz. Ener-
um durchschnittlich 3 Prozent festschreibt. Mit diesem gieintensive Industrien können beispielsweise einen
Gesetz wollen wir einen Energieeffizienzfonds einrich- wichtigen Beitrag zur Netzstabilität leisten, indem sie
ten, dessen Mittel für die Energieberatung von insbeson- vom Netzbetreiber entsprechend des Netzzustandes vom
dere finanzschwachen Haushalten genutzt werden sol- Netz genommen werden und somit notwendige Energie-
len. Bezahlbarkeit von Strom ist eine Seite der Medaille, mengen zur Stabilisierung des Netzes bereitstellen. In
Energieeffizienz die andere. Hierzu machen wir kon- der Anhörung zum Atomgesetz am Mittwoch betonten
krete Angebote. Für die Umsetzung von Energieeffi- übrigens die Netzbetreiber, dass die Zahl derartiger Ein-
zienzmaßnahmen schlagen wir zinsgünstige Mikrokre- griffe zukünftig zunehmen und die Bedeutung der zu-
dite und Zuschüsse für private Haushalte und kleine und abschaltbaren Lasten für die Systemsicherheit an-
Unternehmen vor. In dem flächendeckenden Einsatz von steigen wird.
intelligenten Zählern sehen wir von der SPD die große
Chance, einen sparsamen und kostenorientierten Einsatz Drittens ist es aus unserer Sicht absolut notwendig,
von Energie bei den Bürgerinnen und Bürgern zu för- den Unternehmen der energieintensiven Industrien
dern. Kompensationsleistungen für die indirekten Belastungen
aus dem Emissionshandel in Form steigender Strom-
Es ist einfach so: Das Setzen der richtigen Rahmen- preise anzubieten. An dieser Stelle ist die Bundesregie-
bedingungen für Energieeinsparung und der kostenbe- rung ja bereits tätig geworden und wird in Brüssel weiter
wusste Umgang mit Energie wirken nachhaltiger! Staat- für die Umsetzung ihres Vorschlags werben müssen.
liche Preise oder die von Ihnen geforderten Sozialtarife
bieten keine Anreize, sparsam mit Energie umzugehen, Die SPD-Bundestagsfraktion hat in den letzten Mona-
und sind – mal wieder – zu kurz gedacht. ten in vielen Anträgen und nicht zuletzt in unserem ener-
13292 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 115. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. Juni 2011
(A) giepolitischen Programm aufgezeigt, wie der Umbau un- werden sie billiger. So wie jetzt beim Gemüse wäre es (C)
seres Energiesystems gestaltet werden kann: auf Basis auch im Stromsektor.
einer vernünftigen Wirtschaftspolitik und in Verbindung
mit einer nachhaltigen Umwelt- und Klimapolitik. Die Es tummeln sich nämlich inzwischen mehr als 1 000
Energieversorgung der Zukunft muss sicher, nachhaltig Unternehmern mit mehr als 10 000 Tarifen auf dem
und bezahlbar sein – für Privathaushalte und Unterneh- Markt. Durchschnittlich hat der Kunde laut Bundesnetz-
men. agentur die Auswahl zwischen 142 Energieanbietern je
Netzgebiet. Aber statt die Stromanbieter mit einem
Wechsel unter Druck zu setzen, verharren viele Verbrau-
Dr. Erik Schweikert (FDP): Für uns Liberale sind cher in vergleichsweise teuren Tarifen.
bezahlbare Energiepreise ein Kernanliegen. Ich verhehle
nicht: Auch ich bin mit der Preisentwicklung am Strom- Es ist aber auch unsere Aufgabe als Politik, den Ver-
markt nicht zufrieden. Wenn gefallene Einkaufspreise brauchern die Angst vor dem Wechsel zu nehmen und
nicht an die Verbraucher weitergegeben werden, aber sie entsprechend zu informieren. Das tun wir. Auf vielen
beispielsweise die gestiegene EEG-Umlage am Ende Veranstaltungen habe ich dieses Thema angesprochen
vollends an die Kunden durchgereicht wird, dann ärgert und den Verbrauchern Empfehlungen gegeben. Ich weiß
mich das, wie wahrscheinlich alle innerhalb und außer- daher, dass viele Verbraucher den Wechsel scheuen, weil
halb dieses Hauses. sie Angst haben, plötzlich im Dunkeln zu sitzen. Das
wird aber nicht passieren. Der alte Anbieter muss so
Diese Preisspirale ist aber keine Folge der Liberalisie- lange weiter liefern, bis der Wechsel endgültig erfolgt
rung des Stromsektors. Denn wenn Sie einmal einen ist. Auch bei der Suche nach einem geeigneten Tarif gibt
Blick auf die Strompreisentwicklung werfen, so werden es Unterstützung. Eine Vielzahl an Internetportalen mit
Sie feststellen, dass es auch in der Zeit des nicht liberali- Preisvergleichen ist dem Verbraucher bei der Tariffin-
sierten Stromsektors massive Preissteigerungen gab. Im dung behilflich.
Jahrzehnt nach 1980 stieg der durchschnittliche Strom-
preis beispielsweise um etwa 7 Cent pro Kilowattstunde Wir als christlich-liberale Koalition lassen die Ver-
an, von circa 8 auf circa 15 Cent pro Kilowattstunde. braucherinnen und Verbraucher nicht allein. Wir haben
Seit der Liberalisierung des Strommarktes im Jahr 1998 im vergangenen Jahr die Überförderungen von Solaran-
ist der durchschnittliche Strompreis um circa 8 Cent ge- lagen reduziert. Die von Rot-Grün eingeführte viel zu
stiegen. Wer anhand dieser Zahlen noch meint, die Libe- hohe Einspeisevergütung für Solarstrom hat am Ende
ralisierung sei der Strompreistreiber, kann eigentlich nur der Verbraucher durch höhere Strompreise bezahlt. Wir
aus ideologischen Gründen blind sein. haben sie um 16 Prozent abgesenkt, gegen scharfe Wi-
derstände der grünen Lobbygruppen, die lieber weiter
(B) Mir zeigt dieser Vergleich aber eines: Der Wett- den Verbraucher schröpfen würden. (D)
bewerb funktioniert auch nach der Liberalisierung nicht
zum Wohle der Verbraucherinnen und Verbraucher. Des- Unser Energiekonzept fördert Energieeffizienz. Denn
halb brauchen wir aber keinen Staatsstrom mit kom- wer Strom spart, kann auch am meisten Geld sparen.
munistischem Festpreis, wie ihn die Linke gerne hätte, Deshalb setzen wir auf effizienten Gebrauch, auf innova-
sondern funktionierenden Wettbewerb. Erst durch funk- tive Geräte, die weniger Strom verbrauchen. Wir setzen
tionierenden Wettbewerb werden wir es erreichen, dass auf energieeffiziente Sanierung von Gebäuden. Wir trei-
die Preise für die Verbraucherinnen und Verbraucher ben die Einführung des intelligenten Stromzählers vo-
wieder sinken. Deshalb müssen wir uns fragen, woran es ran. Dieser schafft nicht nur bessere Transparenz über
liegt, dass es trotz einer hohen Anzahl an Wettbewerbern den eignen Stromverbrauch und hilft, Energiefresser zu
und Tarifen offensichtlich keinen funktionierenden Wett- identifizieren. Durch intelligente Stromzähler kann der
bewerb im Strommarkt gibt. Verbraucher auch durch variable, tageszeitabhängige Ta-
rife Energie und Geld sparen.
Leider muss ich sagen: Die Verbraucher machen es
den Stromkonzernen auch viel zu leicht. Denn die Wech- Wir halten Anreize zum Stromsparen für wichtiger als
selbereitschaft der Stromkunden ist deutlich unterentwi- Anreize zum Schuldenmachen. Denn offen gestanden ist
ckelt. Die Bundesnetzagentur hat festgestellt, dass seit ihre Forderung, bei der Zahlungsunfähigkeit von Ver-
der Strommarktliberalisierung bis zum Jahr 2010 45 Pro- braucherinnen und Verbrauchern Stromsperren zu ver-
zent der Haushalte keinen Gebrauch von ihrer Wechsel- bieten, völliger Unfug. Denn wir leben ja zum Glück
möglichkeit gemacht haben. Die jährliche Wechselquote nicht im Sozialismus, sondern in einer Marktwirtschaft.
lag in den Jahren 2005 bis 2010 nur zwischen drei und Diese funktioniert nach dem einfachen Prinzip: kein
fünf Prozent. Dabei liegen die Unterschiede zwischen Geld, keine Leistung! Aber übrigens auch umgekehrt:
den angebotenen Tarifen manchmal bei bis zu 30 Pro- keine Leistung, kein Geld. Deshalb verbietet die christ-
zent und mehr. Wenn dann aber das Beharrungsvermö- lich-liberale Koalition ja auch kostenpflichtige Warte-
gen der Verbraucher höher ist als die Wechselbereit- schleifen bei Servicehotlines. Dieses Gegenleistungs-
schaft, dann ist es kein Wunder, dass die Preise nicht prinzip aufzugeben, hieße aber auch, der Abzocke Tür
sinken, sondern weiter steigen. und Tor zu öffnen. Das lehnen wir ab.
Die Verbraucher müssen eben auch von Ihrer Ver- Das A und O für eine verbraucherfreundliche Strom-
brauchermacht Gebrauch machen. Wie stark die Markt- preisentwicklung bleibt ein funktionierender Markt. Vo-
macht der Verbraucher ist, zeigt die Ehec-Krise derzeit raussetzungen sind neben der Wechselbereitschaft der
deutlich. Wenn Produkte nicht mehr gekauft werden, Verbraucher auch eine effiziente Wettbewerbsaufsicht
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 115. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. Juni 2011 13293
(A) durch die Kartellbehörden und die Transparenz im hatte die Große Koalition aus CDU/CSU und SPD die (C)
Markt. Deshalb wird die schwarz-gelbe Bundesregie- Preisaufsicht der Länder abgeschafft. Das geschah gegen
rung eine Markttransparenzstelle schaffen und diese den Widerstand von Verbraucherschützern und gegen
beim Bundeskartellamt ansiedeln. Diese Markttranspa- den Rat der Wissenschaft. Mit der Abschaffung der
renzstelle soll laufend marktrelevante Daten erheben, Preisaufsicht – genauer: der Preisgenehmigungspflicht –
sammeln und analysieren. Dies dient der effektiveren sind die Strompreise noch rasanter in die Höhe ge-
Aufdeckung und Bekämpfung möglichen Fehlverhaltens schnellt. Deshalb wollen wir die Preisaufsicht wieder
bei der Preisbildung. Insbesondere geht es dabei um das einführen und ihr einen Verbraucherbeirat zur Seite stel-
schnelle Aufdecken von missbräuchlichen Kapazitätszu- len. Bis die Preisaufsicht arbeitsfähig ist, muss ein un-
rückhaltungen. mittelbares Strompreismoratorium Preiserhöhungen aus-
schließen.
Außerdem wird sich die Bundesregierung auf euro-
päischer Ebene für die Stärkung der wettbewerblichen Zweitens müssen die Energieversorger verpflichtet
Strukturen einsetzen. Denn von einem funktionierenden werden, verbindliche Sozialtarife für einkommens-
Strombinnenmarkt sind wir noch meilenweit entfernt. schwache Haushalte anzubieten. Belgien und Frankreich
haben das erfolgreich umgesetzt.
Erst wenn der Wettbewerb seine wahre Kraft entfal-
tet, werden sich die Preise verbraucherfreundlich entwi- Drittens fordern wir: Niemandem darf wegen Zah-
ckeln. Deshalb wird sich diese Bundesregierung auch lungsschwierigkeiten der Strom abgestellt werden. Ener-
nicht für einen ineffizienten und widersinnigen Stromso- gieversorgung ist für uns als die Linke ein existenzielles
zialismus einsetzen, sondern Anreize und Vorgaben für Grundrecht. Doch die Realität ist derzeit leider, dass jähr-
einen funktionierenden Markt entwickeln. lich Hundertausende Haushalte von Stromsperren betrof-
fen sind – mit steigender Tendenz. Die großen Energie-
Caren Lay (DIE LINKE): In den letzten zehn Jahren konzerne haben ihre Gewinne in weniger als zehn Jahren
haben sich die Strompreise fast verdoppelt. Verbrau- versiebenfacht. Aber zugleich müssen immer mehr Men-
cherinnen und Verbraucher zahlen Jahr für Jahr 10 bis schen unter Energiearmut leiden. Das kann doch nicht an-
15 Milliarden Euro zu viel in die Kassen der Stromkon- gehen.
zerne – das sind die offiziellen Zahlen des Umweltbun-
Das alles zeigt: Wir brauchen einen Schutzschirm für
desamtes – und das alles, ohne dass ein einziges Atom-
Verbraucherinnen und Verbraucher, nicht für Stromkon-
kraftwerk vom Netz gegangen ist. Die Gründe sind
zerne. Auch deshalb plädiere ich für die federführende
andere: weil die vier großen Energiekonzerne – RWE,
Beratung unseres Antrags im Verbraucherausschuss.
Eon, EnBW und Vattenfall – die Preise bestimmen und
(B) weil die Bundesregierung tatenlos zusieht. (D)
Ingrid Nestle (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die
Wir brauchen hier endlich eine politische Antwort. Energiepolitik steht vor einer epochalen Herausforde-
Wenn der Kollege Fuchs von der CDU in seiner ges- rung. Die Probleme der Klimaveränderung, des wach-
trigen Rede betont: „Mein Deutschland ist und bleibt ein senden Energiehungers, der zunehmenden Rohstoff-
Industrieland. Daher werde ich dafür kämpfen, dass die knappheit und der steigenden Energiepreise müssen
Industrie überall in Deutschland preisgünstigen Strom gleichzeitig gelöst werden, und zwar so, dass kommen-
erhält“, dann frage ich mich: Wo aber bleiben die Ver- den Generationen die Zukunft eröffnet und nicht verbaut
braucherinnen und Verbraucher? Wir als die Linke sa- wird. Diese Sätze haben wir vor dem Atommoratorium
gen: Die Energieversorgung darf nicht dem privaten der Bundesregierung in unserem Energiekonzept ge-
Markt überlassen werden. Wir müssen die Energiewende schrieben, und sie gelten insbesondere für die Energie-
sozial gestalten und dürfen uns nicht von den Atomkon- preise genauso weiter. Denn die weltweite Entwicklung
zernen die Preise für den Strom diktieren lassen. der Öl- und Gaspreise ist immer noch der allergrößte
Fakt ist: Atomstrom ist der teuerste Strom, wenn man Strompreistreiber. Das Abschalten der Atomkraftwerke
die enormen Kosten für Sicherheit und Entsorgung und ist im Vergleich dazu vernachlässigbar.
die Subventionen hinzurechnet. Je schneller die Ener-
Langfristig ist der beste Schutz vor hohen Stromprei-
giewende kommt, desto besser ist es – in jeder Hinsicht.
sen eine 100-prozentige erneuerbare Energieversorgung;
Die Warnung von Verbraucherministerin Ilse Aigner vor
da sind wir unabhängig von den Preisen der fossilen
einem übereilten Ausstieg ist daher völlig verfehlt. Die
Energieträger. Dieses Ziel dürfen wir nicht aus den Au-
Gewinne der Stromkonzerne waren in den letzten Jahren
gen verlieren.
hoch genug, um die Investitionen selbst finanzieren zu
können. Die Stromriesen dürfen die Investitionskosten Doch in einer Übergangszeit treiben steigende Öl-
nicht auf die Verbraucherinnen und Verbraucher abwäl- preise und fehlender Wettbewerb die Strompreise nach
zen. oben. Deshalb wollen wir die sozialschwachen Haus-
Es ist die Aufgabe der Politik, bezahlbare Energie- halte, die besonders von steigenden Preisen betroffen
preise für alle zu gewährleisten. Deshalb legen wir heute sind, helfen, indem wir sowohl Energiesparen und Ener-
hier unseren Antrag vor. gieeffizienz fördern als auch die Sozialleistungen ver-
bessern. Wir wollen einkommensschwache Haushalte
Erstens brauchen wir endlich wieder eine staatliche beim Energiesparen unterstützen, zum Beispiel mit un-
Preisaufsicht, um Strompreise wirksam und verbraucher- serem Energiesparfonds. Ich nenne Ihnen hier ein paar
gerecht zu regulieren. Vor vier Jahren, im Juni 2007, Beispiele an Maßnahmen.
13294 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 115. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. Juni 2011
(A) Wir fordern für einkommensschwache Haushalte be- den Geschäftsberichten ausgewiesene Gewinnsumme (C)
sondere Angebote, zum Beispiel „Stromsparchecks“, seit 2002 ist um 8 Milliarden Euro angewachsen, wäh-
wie von den „Cariteams“ der Caritas. rend die EEG-bedingten Mehrkosten im gleichen Zeit-
raum nur um weniger als 7 Milliarden Euro gestiegen
Wir fordern einen Zuschuss für den Austausch ineffi- sind. Insgesamt machten die drei Konzerne Eon, RWE
zienter „Weißer Ware“ durch neue hocheffiziente Geräte und EnBW im Jahr 2009 einen Gewinn von mehr als
nach einer Energieberatung oder einem Stromsparcheck 23 Milliarden Euro, seit 2002 von über 100 Milliarden
durch Energiespardienstleister, Stadtwerke oder neue Euro. Seit dem Jahr 2002 haben sich die Gewinne ver-
Energieanbieter. Die Vergabe ist an einen Entsorgungs- vierfacht.
nachweis geknüpft.
Da frage ich mich: Wo bleibt das Gesetz zur Entflech-
Wir fordern Kredite für Mini-Contracting-Programme
tung marktbeherrschender Unternehmen? Wir Grüne ha-
wie etwa das „pay as you save“-Programm in
ben die Regierung schon im Dezember letzten Jahres
Großbritannien, bei dem Dienstleister in Effizienz inves-
dazu aufgefordert, endlich einen Gesetzentwurf für ein
tieren müssen, die Kosten aber über die Energie-
Entflechtungsinstrument vorlegen. Der Koalitionsvertrag
rechnung abwickeln können, und vieles mehr. Wenn Sie
sah ein Entflechtungsinstrument im Gesetz gegen Wett-
mehr wissen wollen, lesen Sie unser Positionspapier
bewerbsbeschränkungen, GWB, vor. Doch der entspre-
„Der Grüne Energiesparfonds – Energiekosten senken,
chende Gesetzentwurf befindet sich seit Januar 2010 in
Klimaschutz stärken und Arbeitsplätze schaffen“, Frak-
der Ressortabstimmung. Meine Bitte an Herrn Rösler:
tionsbeschluss vom 24. Mai 2011.
Trauen Sie sich!
Auch Stromsperren sollten nur eine Ultima Ratio
Und ich frage mich auch: Wo bleibt die sogenannte
sein, wir wollen sie verbraucherfreundlicher regeln.
Markttransparenzstelle? Deutschland will als einziges
Doch für Zahlungsrückstände sind die von uns überleg-
Land das Kartellamt und nicht die Energieregulierungs-
ten Maßnahmen sinnvoller. Den Strom abdrehen soll der
behörde mit der Marktüberwachung beauftragen. Des-
Energieversorger erst nach einem mehrstufigen Verfah-
halb verzögert die Bundesregierung die Einrichtung der
ren der Konfliktlösung, das heißt nach einem Raten-
Markttransparenzstelle und gewährt so den vier großen
zahlungsvorschlag, und erst nach einer gescheiterten
Konzernen für Manipulationen der Strompreise weitere
Schlichtung. Auch die Voraussetzungen für eine Sperre
wertvolle Zeit.
wollen wir strenger fassen, und die Verbraucher sollen
mehr Zeit haben, um versäumte Zahlungen nachzuholen. Fazit: Sozial- und umweltverträglich geht! Doch man
Eine Sperre sollte zum Beispiel erst nach einem Zah- darf nicht vergessen: Energiearmut ist letztendlich auch
lungsverzug in Höhe von drei monatlichen Durch- ein generelles Armutsproblem: Mindestlohn und höhere
(B) schnittsbeträgen statt wie bei jetzt 100 Euro durchge- Hartz-IV-Sätze, Kitaplätze und bessere Bildung stehen (D)
führt werden dürfen. Ein bundesweites Monitoring der jetzt an!
Sperren ist auch überfällig. Die Versorgungsunterneh-
men sollen der Netzagentur jährlich über durchgeführte
Sperren berichten. Und unverhältnismäßige Sperren, ins- Anlage 8
besondere auch bei Härtefällen wie Schwangeren, Neu-
geborenen etc., wie Sie es vorschlagen, sind übrigens Amtliche Mitteilungen
heute schon rechtswidrig. Der Bundesrat hat in seiner 883. Sitzung am 27. Mai
Statt Sozialtarife einzuführen, wollen wir lieber mit 2011 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zuzu-
sozialökologischen Tarifmodellen Anreize für alle zum stimmen bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Absatz 2
Stromsparen setzen und die Grundgebühr abschaffen. des Grundgesetzes nicht zu stellen:
Ein stark progressiver Tarifverlauf, das wäre nämlich ein – Zweites Gesetz zur Änderung des Europäischen
sozialökologischer Tarif, verbindet das soziale Ziel einer Betriebsräte-Gesetzes – Umsetzung der Richtli-
Entlastung von einkommensschwachen Haushalten mit nie 2009/38/EG über Europäische Betriebsräte
geringem Energieverbrauch mit ökologischen Anreizen (2. EBRG-ÄndG)
zum Energiesparen. Das Wort „Strompreisregulierung“
in Ihrem Antrag klingt zwar schön, ist aber schwierig – Gesetz zur Koordinierung der Systeme der sozia-
durchzuführen. Das konnte man in der Vergangenheit se- len Sicherheit in Europa und zur Änderung ande-
hen: Nach der Liberalisierung sanken die Preise erst mal rer Gesetze
ab, was zeigt, dass auch die regulierten Preise vorher – Gesetz gegen den Handel mit illegal eingeschlage-
überhöht waren. Die Konzerne kamen damals mit über- nem Holz (Holzhandels-Sicherungs-Gesetz –
höhten Strompreisforderungen, die dann heroisch von HolzSig)
den Behörden ein wenig abgesenkt wurden. Mit einer
staatlichen Strompreisregulierung würde jede Strompreis- – Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2009/65/EG
erhöhung ein Regierungsgütesiegel bekommen. zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungs-
vorschriften betreffend bestimmte Organismen
Viel wichtiger ist die Strommarktüberwachung. Denn
für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren
ein großer Kostentreiber sind die unverschämten Kon-
(OGAW-IV-Umsetzungsgesetz – OGAW-IV-UmsG)
zerngewinne. Die Gewinne von RWE, Eon und EnBW
sind seit 2002 stärker gestiegen als die EEG-Umlage, die – Sechstes Gesetz zur Änderung von Verbrauch-
gern als Hauptpreistreiber gebrandmarkt wird. Die in steuergesetzen
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 115. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. Juni 2011 13295
(A) – Gesetz zur Änderung des Vormundschafts- und Kommunen für zusätzliches Personal in der Amtsvor- (C)
Betreuungsrechts mundschaft kommen könne, der bis zu doppelt so
hoch wie gegenwärtig sei. Legt man hingegen die in
der Entwurfsbegründung ebenfalls genannte Zahl von
Der Bundesrat stellt fest, dass das Gesetz gemäß Arti- bis zu 200 Vormundschaften je Amtsvormund zu-
kel 104 a Absatz 4 des Grundgesetzes seiner Zustim- grunde, ergibt sich tatsächlich ein bis zu vierfacher
mung bedarf. Personalbedarf gegenüber dem gegenwärtigen Zu-
Begründung: stand. Ein Verständnis dahingehend, dass sich die Zu-
stimmungsbedürftigkeit nur auf die erstmalige Be-
Das Gesetz bedarf der Zustimmung des Bundesrates. gründung bezieht, widerspricht dem Normzweck des
Eine solche ist jedoch in der Eingangsformel nicht Artikels 104 a Absatz 4 GG, die Länder bei kostenaus-
vorgesehen. lösenden Bundesgesetzen in Form eines Zustim-
mungserfordernisses zu beteiligen. Denn der Bund
Die Zustimmungsbedürftigkeit ergibt sich aus Arti- hätte es ansonsten in der Hand, jedwede Ausweitung
kel 104 a Absatz 4 GG. Das Gesetz begründet in Arti- bestehender Leistungsgesetze einer solchen Mitwir-
kel 2 Nummer 1 (§ 55 Absatz 2 Satz 4 SGB VIII-neu)
kung der Länder zu entziehen. Der Bund kann sich
eine Pflicht der Länder zur Erbringung einer „ver-
deshalb nicht darauf berufen, es werde keine Leis-
gleichbaren Dienstleistung gegenüber Dritten“ gemäß
tungspflicht begründet, weil es Amtsvormundschaf-
Artikel 104 a Absatz 4 GG, indem den Jugendämtern
ten gegenwärtig bereits gibt.
ein Vormundschafts-/Pflegschaftsschlüssel von maxi-
mal 50 Mündeln je vollzeitbeschäftigtem Beamten
oder Angestellten vorgegeben wird. Ferner hat der Bundesrat folgende Entschließung ge-
fasst:
Wie sich aus den Gesetzesmaterialien zu der im Rah-
men der Föderalismusreform eingefügten Regelung Der Bundesrat äußert erneut seine Erwartung, dass
des Artikels 104 a Absatz 4 GG ergibt, wollte der ver- der Bund die infolge des Gesetzes zur Änderung des
fassungsändernde Gesetzgeber in weitem Umfang für Vormundschafts- und Betreuungsrechts den Kommu-
die Länder kostenauslösende Bundesgesetze der Zu- nen entstehenden finanziellen Mehrbelastungen aus-
stimmungspflicht unterwerfen. Nach Artikel 104 a gleicht.
Absatz 4 GG bedürfen solche Bundesgesetze der Zu-
stimmung des Bundesrates, die Pflichten der Länder – Siebtes Gesetz zur Änderung des Straßenver-
zur Erbringung von Geldleistungen, geldwerten Sach- kehrsgesetzes
leistungen oder vergleichbaren Dienstleistungen ge-
(B)
genüber Dritten begründen und von den Ländern als – Gesetz zur Neuregelung mautrechtlicher Vor- (D)
eigene Angelegenheit ausgeführt werden, wenn da- schriften für Bundesstraßen
raus entstehende Kosten von den Ländern zu tragen – Gesetz zur Änderung des Steinkohlefinanzie-
sind. rungsgesetzes
Hier kommt die dritte Alternative, die „Begründung – Gesetz zu dem Abkommen vom 9. April 2010 zwi-
der Erbringung von vergleichbaren Dienstleistungen
schen der Bundesrepublik Deutschland und dem
gegenüber Dritten“ in Betracht.
Commonwealth der Bahamas über die Unterstüt-
Eine Vergleichbarkeit einer Dienstleistung mit Geld- zung in Steuer- und Steuerstrafsachen durch In-
oder geldwerten Sachleistungen ist dann gegeben, wenn formationsaustausch
sie unter vergleichbar engen Voraussetzungen wie dies
bei Geld- und Sachleistungen der Fall ist, einem Dritten – Gesetz zu dem Abkommen vom 27. Juli 2010 zwi-
Vorteile gewährt oder sonstige Maßnahmen gegenüber schen der Bundesrepublik Deutschland und dem
Dritten veranlasst, die zu einer erheblichen Kostenbe- Fürstentum Monaco über die Unterstützung in
lastung der Länder führen (vgl. Gesetzentwurf zur Steuer- und Steuerstrafsachen durch Informa-
Änderung des Grundgesetzes, Einzelbegründung zu tionsaustausch
Artikel 104 a Absatz 4 GG, Bundestagsdrucksache – Gesetz zu dem Abkommen vom 9. Mai 2010 zwi-
16/813, S. 18). Zählt daher in diesem weiten Verständ- schen der Regierung der Bundesrepublik Deutsch-
nis beispielsweise auch die Bereitstellung von Tages- land und der Regierung der Kaimaninseln über
betreuungsplätzen (als ein Bündel staatlicher Sach- die Unterstützung in Steuer- und Steuerstrafsa-
und Dienstleistungen) zum Anwendungsbereich des chen durch Informationsaustausch
Artikels 104 a Absatz 4 GG, muss Gleiches auch für
die Vormundschaft und Pflegschaft als – staatlich an- – Gesetz zur Änderung des Bundesversorgungsge-
geordneter – Dienstleistung für die Familien gelten. setzes und anderer Vorschriften
Soweit Artikel 104 a Absatz 4 GG eine „Begründung“
der Leistungspflicht voraussetzt, entspricht es dem
Sinn und Zweck der Regelung, auch eine wesentliche Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben
Ausweitung von Leistungsstandards hierunter zu fas- mitgeteilt, dass der Ausschuss gemäß § 80 Absatz 3 Satz 2
sen. Die Bundesregierung führt in der Entwurfsbe- der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den
gründung aus, dass es zu einem Mehrbedarf bei den nachstehenden Vorlagen absieht:
13296 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 115. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. Juni 2011
Verteidigungsausschuss
Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben
Drucksache 17/4927 Nr. A.21
mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden Unions- Ratsdokument 16828/10
dokumente zur Kenntnis genommen oder von einer Bera- Drucksache 17/4927 Nr. A.22
tung abgesehen hat. Ratsdokument 17373/10
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 115. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. Juni 2011 13297
(A) Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Ausschuss für die Angelegenheiten (C)
Drucksache 17/5575 Nr. A.2 der Europäischen Union
Ratsdokument 8020/11 Drucksache 17/178 Nr. A.38
Ratsdokument 15019/09
Drucksache 17/2408 Nr. A.33
Ausschuss für Bildung, Forschung und EuB-EP 2028
Technikfolgenabschätzung Drucksache 17/2994 Nr. A.62
Drucksache 17/504 Nr. A.23 Ratsdokument 11423/10
Ratsdokument 15897/09 Drucksache 17/4338 Nr. A.21
Drucksache 17/2580 Nr. A.11 EuB-EP 2085
EuB-EP 2043 Drucksache 17/4338 Nr. A.23
Ratsdokument 16219/10
Drucksache 17/5575 Nr. A.3
Ratsdokument 7377/11
(B) (D)
Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co., Buch- und Offsetdruckerei, Bessemerstraße 83–91, 12103 Berlin, www.heenemann-druck.de
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ISSN 0722-7980