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85. Sitzung
Inhalt:
Dr. Klepsch (CDU/CSU) 4745 D, 4746 A Frage des Abg. Kiep (CDU/CSU) :
Frau Funcke, Vizepräsident 4745 D Urteil des Bundesaußenministers in der
Freiherr von und zu Guttenberg Rede am 17. Oktober 1970 über den
(CDU/CSU) 4746 B Beitrag früherer Bundesregierungen zur
Dr. Czaja (CDU/CSU) 4746 C, D westlichen Entspannungspolitik
85. Sitzung
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Stenographischer Bericht keineswegs alle Kritiker dieser Politik mit Demago-
gen gleichgesetzt.
Beginn: 14.00 Uhr Ich wundere mich daher, daß ein Mitglied der
CDU/CSU-Fraktion, die erst vor wenigen Tagen
Vizepräsident Frau Funcke: Die Sitzung ist den Ausgleich mit dem polnischen Volk als Ziel auch
eröffnet. ihrer Politik bezeichnet hat, sich offensichtlich durch
die Worte des Herrn Bundeskanzlers getroffen fühlt.
Einziger Punkt der Tagesordnung ist die Aber man müßte ja blind sein, sähe man nicht, in
welch unverantwortlicher Weise etwa von den An-
Fragestunde hängern der sogenannten „Aktion Widerstand" Emo-
— Drucksache VI/1525 — tionen angestachelt und Verunglimpfungen über den
Herrn Bundeskanzler ausgeschüttet werden. Ich ver-
Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich des Bun- sage es mir, all die Parolen, die bis zur Aufforderung
deskanzleramtes. Zur Beantwortung ist Herr Bun- zum Mord gehen, hier zu wiederholen. Alle Parteien
desminister Professor Ehmke hier. dieses Hohen Hauses haben sich hiervon distanziert.
Wir sollten als Demokraten keinen Zweifel daran
Ich rufe die Frage 1 des Herrn Abgeordneten Ott aufkommen lassen, daß wir mit solchen Demagogen
auf: nichts gemein haben.
Welche Personen, Vereinigungen oder Publikationsmittel hatte
der Herr Bundeskanzler gemeint, als er auf dem Schriftsteller-
kongreß am 21. November 1970 in Stuttgart erklärte, daß „De-
magogen bekannter Machart unablässig Verleumdung und Vizepräsident Frau Funcke: Eine Zusatzfrage.
Hetze gegen seine Friedenspolitik zu setzen begonnen haben"?
Vizepräsident Frau Funcke: Eine Zusatzfrage Ich danke Herrn Bundesminister Professor Ehmke.
des Herrn Abgeordneten Dr. Geßner. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Auswärti-
gen Amts. Zur Beantwortung ist Herr Bundesmini-
Dr. Geßner (SPD) : Herr Minister, ist Ihnen be- ster Scheel hier.
kannt, daß sich die CSU-Freundeskreise, deren Ver-
bindung zur CSU dieser Tage in einer „Monitor" Ich rufe die Frage 6 des Herrn Abgeordneten Dr.
-Sendung von einem führenden Mitglied der CSU Marx (Kaiserslautern) auf:
Freundeskreise bestätigt worden ist, sich eines Vo- Trifft es zu, daß der Bundesaußenminister, wie im Bulletin
vom 21. Oktober 1970 behauptet wird, am 17. Oktober 1970 aus
kabulars bedienen, das man durchaus als Demago- -geführta:„Esindveg Jahrzlice
Hindernisse gegeben, die einem zügigen Ausbau zur westeuro-
gie bezeichnen kann? päischen Integration immer wieder im Wege standen. Es gab
künstliche und natürliche Hindernisse. Zu den künstlichen ge-
hörte zweifellos die Deutschland- und Ostpolitik früherer Bun-
Dr. Ehmke, Bundesminister für besondere Auf- desregierungen. Denn solange die Bundesrepublik Deutschland
nicht bereit war, in ihrer Außen- und Ostpolitik vom terri-
gaben: Ich verfolge das nicht so im einzelnen, daß torialen Status quo in Europa auszugehen, mußten unsere
westlichen Freunde befürchten, bei der Bildung einer politischen
ich das hier, ohne daß konkrete Beispiele genannt Union unter Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland auch
werden, unterstreichen könnte. deren besonderes Spannungsverhältnis zu den Staaten Ost-
europas mitübernehmen zu müssen und somit ihre eigene Sicher-
heit zu gefährden."?
Bundesminister Scheel
Zwischenzeit sicherlich gemerkt haben, davon über- Denn solange die Bundesrepublik Deutschland
zeugt, daß sich die Politik der Bundesregierung in nicht bereit war, in ihrer Außen- und Ostpolitik
voller Übereinstimmung mit dem Deutschland-Ver- vom territorialen Status quo in Europa aus-
trag befindet. zugehen, mußten unsere westlichen Freunde be-
fürchten, bei der Bildung einer politischen Union
Vizepräsident Frau Funcke: Eine Zusatzfrage unter Beteiligung der Bundesrepublik Deutsch-
des Herrn Abgeordneten Wagner. land auch deren besonderes Spannungsverhält-
nis zu den Staaten Osteuropas mitübernehmen
zu müssen und somit ihre eigene Sicherheit zu
Dr. Wagner (Trier) (CDU/CSU) : Herr Bundes- gefährden.
außenminister, wie vereinbart sich die von Ihnen
vorgetragene Auffassung mit der ganz unbezweifel- Ja, das ist doch ganz selbstverständlich.
baren Tatsache, daß frühere Ansätze zu einer poli- (Beifall bei den Regierungsparteien.)
tischen Union in Westeuropa keineswegs an dem
-
von Ihnen zitierten besonderen Spannungsverhält- Meine verehrten Herren, wenn sich sechs darüber
nis der Bundesrepublik zu osteuropäischen Staaten, unterhalten, ob sie eine politische Union bilden,
sondern im Gegenteil an inneren Spannungen der dann werden sie doch nicht zu konkreten Entschei-
Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften, dungen kommen, bevor nicht alle sechs ihre eigenen
das heißt an Meinungsverschiedenheiten über die Fragen geregelt haben.
Gestaltung ihres internen Verhältnisses gescheitert (Beifall bei den Regierungsparteien. — Zu
sind? rufe von der CDU/CSU.)
Das ist wie in der Wirtschaft. Wenn sechs Firmen
Scheel, Bundesminister des Auswärtigen: Ich etwa daran denken, eine Fusion zu betreiben, dann
habe niemals behauptet, daß die Integration West- werden sie einander mal unter die Lupe nehmen,
europas an diesem einen Element gescheitert wäre,
sondern ich habe dieses eine Element nur unter (Abg. Dr. Marx [Kaiserslautern] : Das ist
anderen aufgezählt; ich habe aber die anderen auch eine reine Theorie, die mit der Frage nichts
genannt. Natürlich ist die Ursache in diesem Punkt zu tun hat! — Weitere Zurufe von der
eine andere gewesen. CDU/CSU)
und wenn einer von den sechs etwa einen Schwanz
Vizepräsident Frau Funcke: Eine Zusatzfrage von Gerichtsverfahren noch nicht geklärt hat, dann
des Herrn Abgeordneten Dr. Apel. werden ihm die Kollegen sagen: Bring deine Sachen
erst einmal in Ordnung, bevor wir mit dir fusionie-
ren. Das ist in der Politik ganz genauso, Herr Kol-
Dr. Apel (SPD) : Herr Bundesminister, können lege, und das ist der Hintergrund dessen, was ich
Sie mir zustimmen, daß insbesondere auch Äuße-
gesagt habe. Ich glaube, hier wird mir jeder im
rungen des französischen Staatspräsidenten de
Saale zustimmen, wenn ich das sage.
Gaulle zur Frage der Oder-Neiße-Linie doch in der
Tat auch das Integrationsklima in der EWG nach- (Abg. Dr. Marx [Kaiserslautern] : Eine ganz
teilig beeinflußt haben und insofern Ihre Aussage, triviale Politik ist das!)
die in der umstrittenen Rede von Ihnen gemacht
wurde, eben doch eine reale Basis hat? Vizepräsident Frau Funcke: Eine Zusatzfrage
(Abg. Dr. Marx [Kaiserslautern] : Diese des Herrn Abgeordneten Kliesing.
Frage ist natürlich ein Bärendienst!)
Dr. Kliesing (Honnef) (CDU/CSU) : Herr Mini-
ster, rechnen Sie zu diesen „künstlichen Hindernis-
Scheel, Bundesminister des Auswärtigen: Nein
sen" auf dem Wege zur westeuropäischen Integra-
— — Herr Kollege, ich stimme Ihnen zu, daß die
unterschiedlichen Auffassungen der Partner in der tion im Sinne Ihrer Ausführungen auch die frühere
EWG bei der Diskussion über die politische Eini- Außenpolitik des Außenministers Brandt und die
gung Europas natürlich ein Hindernis sein mußten. frühere Deutschlandpolitik des Gesamtdeutschen
Ministers Wehner?
Vizepräsident Frau Funcke: Eine Zusatz- Scheel: Bundesminister des Auswärtigen: Ich
frage des Herrn Abgeordneten Reddemann. habe sogar gesagt, daß ich die Politik von Regie-
rungen dazu rechne, denen ich selber angehört habe.
Reddemann (CDU/CSU) : Herr Minister, wollen Mehr kann ich nicht sagen.
Sie den letzten Satz Ihrer Ausführungen tatsächlich (Abg. Dr. Marx [Kaiserslautern] : Das ist
aufrechterhalten, daß die frühere Politik die eigene eine besondere Art der Vergangenheits
Sicherheit Europas gefährdet hätte? Es geht dabei bewältigung!)
um die Politik, die Regierungen betrieben haben,
von denen Sie selbst sagten, daß Sie ihnen ange-
hörten? Vizepräsident Frau Funcke: Eine Zusatzfrage
frage des Herrn Abgeordneten Fellermaier.
Scheel, Bundesminister des Auswärtigen: Ver-
ehrter Herr Kollege, das habe ich nie gesagt. Sie Fellermaier (SPD) : Herr Bundesminister, kön-
müssen korrekt zitieren. Der Satz heißt: nen Sie mir zustimmen, daß Frankreich in der Frage,
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 85. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1970 4743
Fellermaier
die politische Union möglich zu machen, viel freier stellung, daß durch den Moskauer Vertrag das
geworden ist, als die Algerien-Krise bereinigt Recht der Deutschen auf Selbstbestimmung gefähr-
war, was mit eine der Voraussetzungen für das war, det sei und die Politik der Bundesregierung, die
was Frankreich heute ist? diesem Vertrag zugrunde liegt, die Fundamente der
(Lachen und Zurufe bei der CDU/CSU.) westlichen Integrations-Bündnis-Politik bedrohe.
(Abg. Dr. Klepsch: Auch das ist so!)
Scheel, Bundesminister des Auswärtigen: Zwei- — Aber da steht Herr Kiesinger sicherlich mit sei
fellos hat Frankreich nach Beendigung der Algerien- ner Meinung völlig allein. Zumindest die Mitglieder
Krise Energien frei gehabt, um sich der europäischen der westlichen Allianzen sind alle anderer Meinung
Politik stärker als vorher zu widmen. Das ist von (Beifall bei den Regierungsparteien.)
demselben Tage an sichtbar geworden.
Als nächstes die Behauptung des CDU-General-
sekretärs Heck im „Deutschland-Union-Dienst'' vom
Vizepräsident Frau Funcke: Eine Zusatzfrage-
des Herrn Abgeordneten Ott. 31. August 1970, wonach das Moskauer Abkommen
keinen vorbehaltlosen Gewaltverzicht der Sowjet-
union gegenüber der Bundesrepublik enthalte.
Ott (CDU/CSU) : Herr Bundesaußenminister, wür-
(Abg. Dr. Marx [Kaiserslautern] : Wo ist
den Sie mir zustimmen, wenn ich behaupte, daß ein
denn in dem Abkommen der Gewaltver
entscheidender Unterschied zwischen dem Kolonial-
zicht? — Zuruf des Abg. Dr. Schäfer
land Algerien im Verhältnis zu Frankreich und den
[Tübingen].)
Gebieten östlich der Oder und Neiße besteht?
— Da brauchen Sie nur nachzulesen. Ich habe das
Scheel, Bundesminister des Auswärtigen: Ein Exemplar da.
solcher Vergleich ist hier wohl auch nicht angestellt (Abg. Dr. Marx [Kaiserlautern] : Ich habe es
worden. im Kopf!)
Als nächstes die Äußerung von Herrn Barzel im
Vizepräsident Frau Funcke: Keine weitere ZDF vom 9. September 1970:
Zusatzfrage.
Wenn wir uns den Vertrag ansehen, vermissen
(Abg. Haase [Kassel] meldet sich zu einer wir jede Gegenleistung. Wir sehen, daß der
Zusatzfrage.) Weg zur Selbstbestimmung der Deutschen nicht
— Ich habe jetzt abgeschlossen. Es kommen ja aber erleichtert, sondern erschwert ist. Wir sehen,
noch mehr Fragen, bei denen Sie Ihre Zusatzfrage daß die Grenzen zementiert werden und nicht
noch unterbringen können. durchlässig werden.
(Beifall bei der CDU/CSU.)
Ich rufe die Frage 7 des Herrn Abgeordneten
Reddemann auf: Dafür wird Herr Barzel jeden Beweis schuldig blei-
Was hat der Bundesaußenminister in seiner beim außer- ben. Wenn er die Zeitungen aufmerksam liest, hat
ordentlichen Parteitag der FDP gehaltenen und im offiziellen er im Augenblick Gelegenheit, die gegenteilige
Bulletin der Bundesregierung am 21. Oktober 1970 abgedruckten
Rede konkret gemeint, als er, den deutschsowjetischen Ver- Bewegung festzustellen.
trag erklärend, behauptete: „Angesichts der gezielten Falsch-
informationen über das Moskauer Abkommen und der Fehl- (Lachen und Zurufe bei der CDU/CSU.)
interpretationen einzelner Vertragsbestimmungen ..."?
Ich weiß nicht, meine Kollegen, ob Sie etwas dage-
Scheel, Bundesminister des Auswärtigen: Herr gen haben, daß Verhandlungen des Deutschen
Kollege Reddemann, ich möchte Ihnen nur einige Roten Kreuzes immerhin mit gewissen ersten posi-
der Falschinformationen und der Fehlinterpretatio- tiven Schritten Erfolg gehabt haben.
nen nennen. Ich kann naturgemäß nicht alles her- (Zurufe von der CDU/CSU.)
ausholen, was an Falschinformationen und Fehl- Wenn Sie das alles nicht wollen, wenn Ihnen das
interpretationen über die Verträge verbreitet wor- alles zuwenig ist, wenn Ihnen das nicht in den
den ist. Ich habe mich auf Äußerungen von einigen Kram paßt, dann müssen Sie das deutlich sagen,
Kollegen des Bundestages beschränkt. Ich habe nicht meine Herren.
auf einen Teil der Presse Bezug genommen, auf (Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg.
manche Presseerzeugnisse, die ja große Teile ihrer Dr. Marx [Kaiserlautern] : Wie kommen Sie
Auflagen der Erläuterung und der Interpretation dazu, von ersten Schritten des Roten Kreu
gewidmet haben, nicht immer der wahren Inter- zes zu sprechen?! — Weitere Zurufe von
pretation. der CDU/CSU.)
Ich will die von unserem Kollegen Dr. Barzel am
16. August aufgestellte Behauptung erwähnen, daß Vizepräsident Frau Funcke: Eine Zusatzfrage
unsere Ostpolitik die Vorherrschaft der Sowjetunion des Herrn Abgeordneten Reddemann.
in Europa stärke. Das ist eine Falschinformation.
(Zustimmung bei der SPD. — Lachen und Reddemann (CDU/CSU) : Herr Minister, könnte
Zurufe bei der CDU/CSU.) es Ihnen gelingen, gelegentlich den Unterschied
zwischen Information und Meinung zu verarbeiten?
Die zweite, die ich erwähne, ist eine von Herrn
Kiesinger am 26. August 1970 im Zusammenhang (Beifall bei der CDU/CSU.)
mit einer CDU-Präsidiumssitzung getroffene Fest- — Sollte das eine Antwort auf meine Frage sein?
4744 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 85. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1970
Scheel, Bundesminister des Auswärtigen: Ich für eine gezielte Falschinformation gehalten, wenn
habe Sie akustisch nicht verstanden. die Opposition behauptet hat, sie sei über Verlauf
und Inhalt der in Moskau geführten Gespräche und
Reddemann (CDU/CSU): Ich habe Sie gefragt, Verhandlungen nicht intensiv unterrichtet worden,
ob es Ihnen gelegentlich gelingen könnte, den Un- (Zurufe von der CDU/CSU)
terschied zwischen Information und Meinung her-
auszuarbeiten, da Sie jetzt in der Hauptsache Mei- nachdem jedesmal zwischen den Gesprächen und
nungen als sogenannte Falschinformationen zitiert vor den Verhandlungen über diese Dinge im Aus-
wärtigen Ausschuß ausführlich berichtet und gespro-
haben.
chen worden ist?
(Sehr gut! und Beifall bei der CDU/CSU. —
Zurufe von der SPD.) Vizepräsident Frau Funcke: Meine Herren
und Damen ; wir wollen uns nun wirklich an den Text
Scheel, Bundesminister des Auswärtigen: Nein.- der Fragestellung halten. Herr Kollege Raffert, ich
Hier sind ja Falschinformationen und Fehlinterpre- kann auch diese Frage nicht zulassen. Ich bitte Sie
tationen. Die hier geäußerte Meinung ist eine Fehl- alle wirklich, sich exakt daran zu halten. Es ist un-
interpretation dessen, was vorliegt. möglich, in der Fragestunde eine gesamte ost-
politische Debatte zu führen; dann müssen Sie schon
Vizepräsident Frau Funcke: Eine weitere Zu- eine Aktuelle Stunde beantragen. Aber jetzt können
satzfrage des Herrn Abgeordneten Reddemann. wir uns nur unmittelbar an die Frage selbst halten.
Herr Kollege Ott!
Reddemann (CDU/CSU) : Herr Minister, halten
Sie es nicht eher für eine Falschinformation, wenn Ott (CDU/CSU) : Herr Bundesaußenminister, da
der Staatssekretär des Bundespresse- und Informa- Sie vorhin den Eindruck erwecken wollten, daß ein
tionsamtes, Ahlers, davon sprach, Herr Bahr habe Teil dieses Hauses dagegen wäre, daß das Rote
mit dem sowjetischen Außenminister Gromyko le- Kreuz über die Rückführung zur Zeit verhandelt:
diglich Gesprächsnotizen angefertigt, während er in sind Sie bereit, zuzugeben, daß in den letzten zehn
Wirklichkeit bereits den Vertrag ausarbeitete? Jahren ohne einen Vertrag und ohne Ihre Ge-
(Beifall bei der CDU/CSU. — Zuruf von spräche in Moskau durch das Rote Kreuz bereits
der SPD: Was hat das mit der Frage 380 000 Umsiedler zurückgekommen sind?
zu tun?)
Vizepräsident Frau Funcke: Herr Kollege
Ott, auch diese Frage steht nicht im unmittelbaren
Vizepräsident Frau Funcke: Herr Kollege
Reddemann, diese Frage hängt nun wirklich nicht Zusammenhang — —
mit der ursprünglich gestellten Frage zusammen. (Lebhafter Widerspruch bei der CDU/CSU.
— Unruhe.)
(Widerspruch bei der CDU/CSU. — Abg.
Reddemann: Es geht um Falschinformatio-
nen, Frau Präsidentin! — Zurufe von der Ott (CDU/CSU) : Doch, doch! — Frau Präsidentin,
der Herr Außenminister hat unterstellt, daß es in
SPD) .
diesem Hause Personen gäbe, die dagegen sind, daß
— Ich kann Fragen nach den Äußerungen des Herrn das Rote Kreuz Rückführungen vermittelt. Dagegen
Pressesprechers der Bundesregierung nicht zulassen. muß ich mich verwahren.
Sie stehen in keinem unmittelbaren Zusammenhang
mit der hier gestellten Frage. Es tut mir leid, Herr Vizepräsident Frau Funcke: Meine Herren
Kollege. und Damen, das ist nicht behauptet worden, sondern
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Breid- hier ist zitiert worden — —
bach. (Abg. Ott: Doch, doch! — Abg. Haase
[Kassel] : Herr Scheel hat es doch gesagt!
Breidbach (CDU/CSU) : Herr Minister, halten Sie — Weitere Zurufe und Unruhe bei der CDU/
es für politisch stilvoll, wenn man in einem Atem- CSU.)
zug von Behauptungen, Wertungen spricht und
— Meine Herren und Damen, wir können hier so
diese gleichzeitig als Falschinformationen dekla-
nicht weiter fortfahren. Der Sinn der Fragestunde
riert?
ist es, konkrete Fragen an die Regierung zu richten,
(Zurufe von der SPD.)
aber nicht, Grundsatzfragen zu erörtern oder außen-
politische Debatten zu führen. Es geht nicht an, jede
Scheel, Bundesminister des Auswärtigen: Falsch- Äußerung, die mit dem Wort „Fehlinterpretation"
information und Fehlinterpretation, so habe ich das gemeint sein könnte, zum Anlaß zu einer umfassen-
genannt. den Diskussion auf „Nebenkriegsschauplätzen" zu
nehmen. Das geht einfach nicht. Ich muß Sie bitten
Vizepräsident Frau Funcke: Eine Frage des — sonst muß ich die Frage hier absetzen —, sich
Herrn Abgeordneten Raffert. wirklich an den Text der Frage zu halten und nicht
Raffert (SPD) : Herr Bundesaußenminister, stim- (Zuruf von der CDU/CSU: Der Außenmini
men Sie mir zu, wenn ich sage, ich habe es immer ster auch! — Weitere Zurufe von der Mitte.)
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 85. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1970 4745
Vizepräsident Frau Funcke
— Er hat lediglich zitiert, welche Fehlinterpreta- haben. Aber mir ist ein solcher Zeitabschnitt — nach
tionen — — einer Prüfung dieser letzten Jahre — nicht bekannt.
(Widerspruch bei der CDU/CSU. — Zuruf:
Er hat das Deutsche Rote Kreuz genannt!) Vizepräsident Frau Funcke: Eine Zusatzfrage.
— Natürlich hat er Beispiele genannt. Aber wir kön-
nen jetzt nicht jedes Beispiel zum Inhalt einer neuen Haase (Kassel) (CDU/CSU) : Herr Bundesaußen-
Frage machen. minister, um da etwas nachzuhelfen: glauben Sie
Meine Herren und Damen, ich kann nur noch denn, daß man mit einer solchen globalen Feststel-
Fragen zulassen, die exakt zur Ursprungsfrage ge- lung beispielsweise dem geschichtlichen Wirken
hören und nicht zu allen möglichen Erweiterungen Stresemanns gerecht wird?
der Fragestellung. Sie können ja andere Fragen in
der nächsten Woche stellen. Da besteht kein Hin-
-
Scheel, Bundesminister des Auswärtigen: Es war
dernis. ja eine der großen Schwächen der Politik Strese-
(Zurufe von der CDU/CSU. — Anhaltende manns, daß es ihm nicht gelungen ist, das Verhältnis
Unruhe.) zu Polen zu regeln.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Apel. (Zustimmung bei den Regierungsparteien.)
Das war ja die große Schwäche dieser Politik.
Dr. Apel (SPD) : Herr Bundesminister, wie kommt
es eigentlich, daß in Ihrem Katalog die eindeutige Haase (Kassel) (CDU/CSU) : Herr Bundesminister,
Falschinformation des Kollegen Dr. Heck fehlt, die lag das seinerzeit an Stresemann?
darauf hinauslief, die westeuropäische Integration,
der „politische Bundesstaat Europa", würde unmög-
lich werden durch die Formulierungen des Moskauer Scheel, Bundesminister des Auswärtigen: Ich
Vertrages? habe zu dieser Frage überhaupt keine Stellung
genommen, sondern ich habe nur zu den Tatsachen
(Lachen und Zuruf bei der CDU/CSU: Und in meiner Rede Stellung genommen, aber keinerlei
diese Frage? — Weitere Zurufe.) Wertung und keinerlei Ursachen erwähnt.
(Zustimmung bei den Regierungsparteien.)
Vizepräsident Frau Funcke: Meine Herren
und Damen, ich setze die Frage ab.
Vizepräsident Frau Funcke: Eine Zusatzfrage
Wir kommen zu Frage 8 des Kollegen Haase
des Herrn Abgeordneten Dr. Klepsch.
(Kassel) :
Ist der Bundesaußenminister bereit, seine spezifische Ge-
schichtsbetrachtung (Rede vom 17. Oktober 1970) : ,,Zum erstn
Mal seit der Gründung des Zweiten Deutschen Reiches im Jahre
Dr. Klepsch (CDU/CSU) : Herr Außenminister,
1871 wird in einem deutschen Staat eine Außenpolitik gemacht, wenn ich dem Gedankengang Ihrer Antwort richtig
die die Völker Europas in Ost und West gleichermaßen als
vernünftig und konstruktiv werten" zu erläutern?
folge, so würden Sie etwa das Ergebnis der Hitler
schen Außenpolitik, die zu einem Ausgleich mit
Bitte, Herr Minister! Polen gelangt ist, im Vergleich zur Stresemann
schen Außenpolitik — —
Scheel, Bundesminister des Auswärtigen: Frau (Abg. Wehner: Unerhört! Das ist schmutzig!
Präsidentin, wenn Sie erlauben, möchte ich einen Hitler mit einem Ausgleich mit Polen in
Irrtum aufklären, der hier zur Verwirrung geführt Zusammenhang zu bringen! Das ist das
hat, nämlich von Herrn Kollegen Ott. Vielleicht ist Letzte! Das machen Sie zur Brunnenvergif
die Aufklärung für Herrn Kollegen Ott nützlich. Ich tung! — Weitere lebhafte Zurufe von der
möchte nicht, daß er einen falschen Eindruck gewon- SPD.)
nen hat. Ich habe nicht unterstellt, daß die Kollegen
des Hauses eine bestimmte Entwicklung nicht wol- Darf ich meine Frage zu Ende bringen, Frau Präsi-
len, sondern ich habe nur festgestellt: wenn ich das dentin?
erlebe, kann ich nicht sagen, daß die Grenzen zemen-
tiert sind. Vizepräsident Frau Funcke: Es gehört zu den
Grundsätzen der Fragestunde, daß Wertungen im
Vizepräsident Frau Funcke: Herr Bundes- Rahmen des Erträglichen bleiben.
minister, wir sind bei der Frage 8!
Dr. Klepsch (CDU/CSU): Ich spreche ja jetzt als
Scheel, Bundesminister des Auswärtigen: Herr Historiker, gnädige Frau.
Kollege Haase, es bedarf, so glaube ich, eigentlich (Lachen bei der SPD.)
keiner weiteren Erklärung. Wenn Ihnen, Herr Kol-
lege Haase, ein Zeitabschnitt in den letzten hundert — — im Vergleich zur Stresemannschen Außen-
Jahren der deutschen Geschichte bekannt ist, in dem politik, in welcher Zeit — ich komme jetzt nämlich
die Völker Europas in Ost und West gleichermaßen auf die Frage des Kollegen Haase zurück — die
die deutsche Außenpolitik als konstruktiv und ver- deutsche Republik nach allen Seiten hin über ein
nünftig gewertet haben, dann mag das eine vertiefte gesichertes außenpolitisches, von allen Völkern
Kenntnis der Entwicklung bei Ihnen zur Grundlage akzeptiertes Verhältnis verfügte, sehen?
4746 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 85. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1970
Scheel, Bundesminister des Auswärtigen: Ich chermaßen die Politik der Bundesrepublik als kon-
habe die Frage nicht verstanden, auch den Sinn Ihrer struktiv erachtet haben, natürlich aus der damaligen
Frage nicht. Situation der Bundesrepublik, die nach einer Seite
(Lachen bei der SPD.) hin den Versuch der Normalisierung und des Aus-
gleichs mit den Völkern unternommen hat, nach der
Dr. Klepsch (CDU/CSU) : Darf ich sie wieder- anderen Seite aber eben nicht. Das ist doch nun
holen. Ich knüpfte an Ihre Antwort auf die Frage des wirklich kein Geheimnis. Ich weiß gar nicht, warum
Kollegen Haase bezüglich Stresemann an, zu welcher man sich in diesen Fragen ereifern kann, meine ver-
Zeit das außenpolitische Verhältnis der deutschen ehrten Kollegen.
Republik zu allen ihren Nachbarn zufriedenstellend (Zurufe von der CDU/CSU.)
geregelt war. Sie haben das verneint. Sie haben das
einzig und allein an einem Vertrag mit Polen auf- Das sind doch nüchterne Feststellungen, die wir
gehängt. Den hat erst später Adolf Hitler erzielt, eigentlich alle mit großer Zustimmung bedenken
sollten. Ich habe hier ja auch gar nicht gesagt, daß
1934.
(Anhaltende Zurufe von der SPD.) wir mit dieser Politik schon zu einem erfolgreichen
Abschluß gekommen sind. Wir sind ja erst auf
Wenn das Vorhandensein eines Vertrages das Krite- einem Wege.
rium sein sollte — das war der Sinn meiner Frage —,
(Abg. Freiherr von und zu Guttenberg:
möchte ich Sie fragen, ob sie unter diesem Gesichts-
Keine Antwort!)
punkt die Stresemannsche Außenpolitik im Sinne
Ihrer Ausführungen als nicht gerechtfertigt ansehen. — Die Antwort habe ich gerade gegeben.
Scheel, Bundesminister des Auswärtigen: Ich Vizepräsident Frau Funcke: Eine Frage des
habe den Eindruck, Frau Präsidentin, diese Frage Herrn Abgeordneten Czaja.
kann nur entstehen, wenn man nicht mit der nötigen
Objektivität an die Diskussion des Stoffes heran- Dr. Czaja (CDU/CSU) : Herr Außenminister,
geht. würden Sie im Zusammenhang mit Ihrer vorherigen
(Beifall bei den Regierungsparteien. — Äußerung über Stresemann zugestehen, daß Strese-
Lachen und Zurufe von der CDU/CSU.) mann in vollem Ausmaß einen Ausgleich mit dem
Ich habe nur festgestellt, daß es in diesen hundert Osten, allerdings unter Wahrung berechtigter deut-
Jahren keinen solchen Zeitabschnitt gegeben hat, scher Interessen und vertraglich für die Deutschen
und auf den Einwand von Herrn Haase, daß doch vereinbarter Rechte, wiederholt versucht hat?
Stresemann einen Versuch gemacht habe, habe ich
gesagt: ja, einen außerordentlichen bedeutsamen Scheel, Bundesminister des Auswärtigen: Ja.
Versuch; aber hier war der Mangel in der Tat, daß Ich habe auch nie behauptet, daß er das nicht ver-
es nicht gelungen ist, mit Polen zu einem Ausgleich sucht habe. Ich habe nur schlicht gesagt: es ist nicht
zu kommen. Das ist ein objektiver, nachlesbarer Tat- gelungen.
bestand. (Beifall bei den Regierungsparteien.)
(Zurufe von der CDU/CSU.)
Aber in anderen Zeiten gibt es andere Schwierig- Dr. Czaja (CDU/CSU) : Ich meine: auf der Wah-
keiten. Meine Feststellung war nur die, daß wir auf rung deutscher Interessen bestanden hat!
einem Wege sind, der zum erstenmal in der Tat in (Abg. Haase [Kassel] : Weil er die deutschen
Ost und West gleichermaßen als konstruktiv bewer- Interessen gewahrt hat! — Weitere Zurufe
tet wird und der die Zustimmung unserer Nachbarn von der CDU/CSU und von der SPD.)
in Ost und West findet.
Vizepräsident Frau Funcke: Eine Frage des
Vizepräsident Frau Funcke: Eine Zusatzfrage Herrn Abgeordneten Dr. Kliesing.
des Herrn Abgeordneten Freiherr von und zu Gut-
tenberg. Dr. Kliesing (Honnef) (CDU/CSU) : Herr Mi-
nister, sind Sie tatsächlich so sicher, daß Völker Ost-
Freiherr von und zu Guttenberg (CDU/CSU) : europas die gegenwärtige Außenpolitik der Bundes-
Herr Bundesminister, woher nehmen Sie diese Ihre regierung als konstruktiv ansehen? Liegt hier nicht
erstaunliche Sicherheit Ihrer Annahme, daß Ade- vielmehr eine Verwechslung mit den Regierungen
nauers strikte Freiheitspolitik von den Völkern des Ostens vor, und sollte es, wenn das der Fall
Osteuropas — ich wiederhole: von den V ö l k e r n ist, nicht sehr nachdenklich stimmen, wenn diese
Osteuropas — geringer gewertet worden sei als der kommunistischen Regierungen in ihrem Sinne die
jetzige Annäherungsversuch der Bundesregierung deutsche Ostpolitik als konstruktiv ansehen?
an Moskau? (Beifall bei der CDU/CSU.)
(Beifall bei der CDU/CSU. - Abg. Raffert:
Allensbach war das!) Scheel, Bundesminister des Auswärtigen: Herr
Kollege, auch diese Frage zeigt etwas von der Ver-
klemmung,
Scheel, Bundesminister des Auswärtigen: Ich
nehme diese meine Meinung, daß auch in jenem (Beifall bei den Regierungsparteien —
Zeitabschnitt die Völker in Ost und West nicht glei- Lachen und Zurufe von der CDU/CSU)
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode - 85. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1970 4747
Bundesminister Scheel
die wir im Verhältnis zu Osteuropa immer noch Breidbach (CDU/CSU) : Herr Minister, woher
haben. Es kann sogar sein, daß nicht nur Frank- nehmen Sie den Mut,
reich und die Bundesrepublik, wenn sie gemein- (Abg. Haase [Kassel] : Den traurigen Mut!)
samer Meinung sind, eine für Europa nützliche Mei-
nung vertreten, sondern daß dies auch dann der Fall in der Weise, wie sie es hier gerade versucht haben,
ist, wenn die Bundesrepublik und ein osteuro- die Zustimmung aller europäischen Völker zu Ihrer
päisches Land über den Nutzen politischer Entwick- Politik global zu reklamieren, nachdem doch gerade
lungen einer Meinung sind. die letzten Landtagswahlen den Völkern in Ost-
europa gezeigt haben, daß zumindest in der deut-
(Zurufe von der CDU/CSU.) schen Bevölkerung Ihre Außenpolitik nicht so getra-
gen wird?
Vizepräsident Frau Funcke: Eine Frage des (Beifall bei der CDU/CSU. — Lachen und
Herrn Abgeordneten Dr. Marx. Zurufe von den Regierungsparteien.)
-
Dr. Marx (Kaiserslautern) (CDU/CSU) : Herr Scheel, Bundesminister des Auswärtigen: Da
Bundesaußenminister, da zu den europäischen Völ- muß ich gestehen: dann muß ich das Ergebnis der
kern in Ost und West auch das deutsche Volk ge- letzten Landtagswahl offenbar nicht zur Kenntnis
hört, möchte ich gern fragen, ob Sie ganz sicher sind, bekommen haben. Ich hatte immer gedacht, dieses
ob jener Teil des deutschen Volkes, der ostwärts des Ergebnis beweise, daß die Wähler mit der Außen-
Minengürtels leben muß, Ihre Politik, als, wie sie politik auf jeden Fall zufrieden sind. Sonst hätten
sagen, vernünftig und konstruktiv wertet im Zu- sie ja wohl nicht meiner eigenen Partei ein beson-
sammenhang mit den Zusagen von Kassel und Mos- ders gutes Ergebnis gebracht.
kau, daß Sie bereit sind, alle Maßnahmen der Macht- (Abg. Dr. Marx [Kaiserslautern] : Unglaub
haber drüben, die diese in ihrem eigenen Herr- lich! 5,5 %! Weniger, als wir überall drei
schaftsbereich treffen, zu achten. fach zugenommen haben! — Abg. Haase
[Kassel] : Herr Minister, die CSU hat zum
Scheel, Bundesminister des Auswärtigen: Ich Teil mehr über 60 0/0, als Sie überhaupt in
will bei der Beantwortung dieser Frage ausnahms- Bayern haben! — Abg. Dr. Marx [Kaisers
weise einmal die Argumentation des Kollegen Klie- lautern] : Wissen Sie, daß die CSU dreimal
sing zu Hilfe nehmen. Da die Regierung der DDR mehr zugenommen hat, als Sie Stimmen
offenbar mit der Politik der Bundesregierung nicht bekommen haben?)
einverstanden ist, habe ich um so eher Anlaß, anzu-
nehmen, daß das Volk mit ihr einverstanden ist. Vizepräsident Frau Funcke: Herr Ott, bitte!
(Beifall bei den Regierungsparteien. — La-
chen und lebhafte Zurufe von der CDU/CSU.) Ott (CDU/CSU) : Vorweg eine Bemerkung, Herr
Ich stelle fest, meine Kollegen, Sie lassen diese Bundesaußenminister.
Art von Argumentation nur in einer Richtung gel- (Zurufe von der SPD: Nein!)
ten. Ich wollte zeigen: man kann sie in beiden Rich-
tungen anwenden. Vizepräsident Frau Funcke: Nein, eine Frage
(Beifall bei den Regierungsparteien. — bitte, Herr Ott! Andere Kollegen wollen ja auch
Anhaltende Zurufe von der CDU/CSU.) noch drankommen.
(Abg. Dr. Marx [Kaiserslautern] : Sehr gut, Vizepräsident Frau Funcke: Eine letzte Frage
Herr Mattick, ausgezeichnet!)
des Herrn Abgeordneten Fellermaier. Meine Herren
und Damen, die Fragen haben schon wieder nichts
Vizepräsident Frau Funcke: Herr Breidbach! mehr mit der Ursprungsfrage zu tun. - Bitte schön!
4748 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 85. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1970
Fellermaier (SPD) : Herr Bundesaußenminister, dieser auch einräumen möchte, daß sie einmal einen
es ist doch sicher richtig, daß wir im Interesse einer Fehler macht, bitte ich Sie höflichst, Herr Außen-
Verbesserung der Friedenssicherung in der Welt minister, zur Kenntnis zu nehmen, daß es „keinem"
versuchen sollten, mit allen Staaten über diploma- statt „einem" heißen muß.
tische Beziehungen einen Ausgleich herbeizuführen,
ganz gleich, welche Regierungsform diese Staaten Scheel, Bundesminister des Auswärtigen: Nein,
besitzen? das kann ja nun gar nicht sein, Herr Abgeordneter,
(Abg. Reddemann: Wenn das Herr Matt- denn wenn es in Ihrer Frage wirklich „keinem"
höfer hört und liest! - Abg. Haase geheißen hätte, wäre die Frage allerdings völlig
[Kassel] : Herr Matthöfer will das nicht sinnlos.
wissen! - Weitere Zurufe von der CDU/ (Abg. Dr. Apel: Genau! — Beifall bei den
CSU.) Regierungsparteien. — Abg. Wohlrabe:
Nein, nein!)
Scheel, Bundesminister des Auswärtigen: Herr
Abgeordneter, es ist die Absicht der Außenpolitik Vizepräsident Frau Funcke: Herr Kollege, Sie
der Bundesregierung, neben den Integrationsprozeß, können eine dritte Frage stellen, wenn Sie zu-
den wir im letzten Jahre, so glaube ich, durch un- nächst einmal die Frage so stellen, daß wir wissen,
sere Politik ganz erheblich belebt haben, auch den was Sie meinen.
Versuch zu stellen, zu einer Kooperation zwischen
den west- und den osteuropäischen Ländern zu Wohlrabe (CDU/CSU) : Es geht um die Begriffe
kommen, wobei die Grundlage natürlich die Kennt- „Die Rechte ..." bzw. „Die Frage der Rechte .. "
nis ist, daß die politische und gesellschaftliche Ord- und zwar unter dem Gesichtspunkt der Infragestel-
nung in diesen beiden Teilen Europas unterschied- lung.
lich ist. Wir werden eine dauerhafte Friedensord-
nung in Europa aber nicht zustande bringen, wenn Scheel, Bundesminister des Auswärtigen: „Die
es uns nicht gelingt, auch zwischen Ländern unter- Rechte und Verantwortlichkeit der Vier Mächte ..."
schiedlicher politischer und gesellschaftlicher Ord- — so haben Sie es gesagt — „werden durch diesen
nung ein normales Verhältnis herzustellen. Vertrag nicht berührt" . Die Formulierung „Die
Frage der Rechte der Vier Mächte ..." hat, außer
in sprachlicher Hinsicht, keine andere Bedeutung.
Vizepräsident Frau Funcke: Ich rufe die
Frage 9 des Herrn Abgeordneten Wohlrabe auf: (Abg. Mattick: Wir haben hier doch keinen
Leseunterricht!)
Wieso formuliert der Bundesaußenminister in seiner Rede
vom 17, Oktober 1970: „Die Rechte und Verantwortlichkeiten
der Vier Mächte in bezug auf Berlin und Deutschland als Gan-
zes werden durch diesen Vertrag nicht berührt", während er laut Wohlrabe (CDU/CSU) : Kann ich Ihrer Antwort
deutscher Note an die drei alliierten Mächte vom 7. August entnehmen, daß Sie die Rechte der Vier Mächte für
1970 dem sowjetischen Außenminister offiziell erklärt hat: „Die
Frage der Rechte der Vier Mächte steht in einem Zusammen- Berlin und Deutschland als Ganzes in der Interpre-
hang mit dem Vertrag ..."?
tation, von der ich ausgehe — so war die zweitletzte
Zeile meiner Frage gemeint —, nicht in Frage stel-
Scheel, Bundesminister des Auswärtigen: Herr len? Darum ging es.
Kollege Wohlrabe, die Erklärung der Bundesregie-
rung, die Sie in Ihrer Frage zitieren, ist falsch zi- Scheel, Bundesminister des Auswärtigen: Es ist
tiert. so, wie ich es hier gesagt habe: „Die Rechte und
(Abg. Wohlrabe: Druckfehler!) Verantwortlichkeiten der Vier Mächte in bezug auf
Das Gegenteil ist gesagt worden. Berlin und Deutschland als Ganzes werden durch
diesen Vertrag nicht berührt." Der Text der Erklä-
(Abg. Dr. Apel: Dann hat die Frage aber
rung, von der Sie sprechen, lautet: „Die Frage der
keinen Sinn mehr!)
Rechte der Vier Mächte steht in keinem Zusammen-
- Wo befindet sich ein Druckfehler? Jedenfalls hang mit dem Vertrag . . .". Das ist dasselbe. Die
nicht in den Unterlagen, die wir dazu herausge- Rechte der Vier Mächte werden nicht berührt.
geben haben.
(Abg. Wohlrabe: In dem letzten Satz!) Vizepräsident Frau Funcke: Eine Frage des
Herrn Abgeordneten Raffert.
Offenbar ist der Druckfehler in der Frage des Herrn
Kollegen Wohlrabe. Raffert (SPD) : Herr Bundesaußenminister, sind
(Abg. Wohlrabe: Es muß statt „einem" Sie mit mir der Auffassung, daß, nachdem diese
heißen: „keinem"!) Frage nun das zweite oder dritte Mal in einer
Drucksache des Bundestages in dieser Weise ausge-
— Es ist kein Druckfehler in den Unterlagen der
druckt worden ist, für den Kollegen Wohlrabe die
Bundesregierung.
Gelegenheit bestanden hätte, diesen Druckfehler bei
(Abg. Wohlrabe: Das hat keiner behauptet!) der Drucksachenstelle inzwischen zu korrigieren?
Bei der Entwicklung Ihrer Frage haben Sie die Un-
terlagen offenbar falsch gelesen. So ist es. Vizepräsident Frau Funcke: Herr Kollege
Raffert, das ist eine rhetorische Frage. Sie wird nicht
Wohlrabe (CDU/CSU) : Nein! Da ich nicht die beantwortet.
Druckstelle des Deutschen Bundestages bin und ich Bitte schön, Herr Kollege Dr. Marx!
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 85. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1970 4749
Bundesminister Scheel
einzelne Politiker der Bundesrepublik diese Bemü- handlungen, die eine Aussicht auf einen Erfolg bie-
hungen nachhaltig gestört haben. ten. Das hat damals die Bundesregierung im Keime
erstickt. Sie hat erst gar nicht den Versuch gemacht,
(Hört! Hört! bei der SPD. — Abg. Dr.
mit ihren Verbündeten in solche Verhandlungen ein-
Marx [Kaiserslautern] : Das ist ein harter
zutreten.
Vorwurf!)
(Beifall bei den Regierungsparteien.)
— Herr Marx, ich werde gleich noch etwas sagen,
was Sie wahrscheinlich irritieren wird. Vizepräsident Frau Funcke: Eine Zusatzfrage
(Abg. Dr. Marx [Kaiserlautern] : Dazu wer- des Herrn Abgeordneten Kiep.
den wir uns aber auch äußern! Unglaublich!)
Sie kennen diesen Vorgang, meine verehrten Kol- Kiep (CDU/CSU) : Herr Bundesaußenminister, ob-
legen, der damals auch in der Presse eine große wohl ich jetzt nach einer Reihe von anderen Bei-
Rolle gespielt hat, wobei sich die amerikanische Re- spielen fragen könnte, möchte ich meine Frage von
gierung sehr offiziell über gezielte Indiskretionen vorhin wiederholen: Hätten Sie eine solche Maß-
in dieser Phase beschwert hat. nahme der Bundesregierung und eine solche Ent-
scheidung für einen Beitrag zur Entspannungspolitik
(Sehr richtig! bei der SPD.) gehalten?
Das hat dazu geführt, daß in der Regierung, in der
ich schon Mitglied war, der damalige Außenminister Scheel, Bundesminister des Auswärtigen: Herr
ein Verfahren eingeleitet hat, um herauszubekom- Kollege, ich kann im Rahmen dieser Fragestunde
men, wer diese Indiskretion begangen hat. Der Bun- nicht auf sachliche politische Punkte dieser Art ein-
desanwalt hat sich der Sache angenommen. Sie wer- gehen.
den wissen, daß das Verfahren eingestellt worden
(Abg. Freiherr von und zu Guttenberg: Sie
ist.
haben es doch aufgebracht!)
(Hört! Hört! bei der SPD.)
Ich müßte mir zunächst einmal in der Tat den Sach-
Ich möchte aus meiner Kenntnis der Dinge nur so
stand vor Augen führen, den Sie jetzt unterstellen;
viel sagen: der Grund für die Einstellung berech-
ich habe das jetzt nicht bei mir.
tigt mich zu der Feststellung, daß es gezielte Indis-
kretionen waren.
(Abg. Haase [Kassel] : Das gibt es doch Kiep (CDU/CSU) : Verehrter Herr Bundesaußen-
minister, darf ich darauf hinweisen,
heute auch! Bei Ihnen im Amt sogar!)
(Zurufe von der SPD)
— Gezielt? Nein, nein, nein, nein!
daß das, was soeben von Ihnen hier gesagt worden
(Zuruf von der CDU/CSU: Sicher!)
ist, Gegenstand meiner Frage ist und daß nicht ich
Gezielte Indiskretionen sind solche, die von politisch diesen Tatbestand hier eingeführt habe?
verantwortlich Tätigen ausgestreut werden,
(Beifall bei den Regierungsparteien) Scheel, Bundesminister des Auswärtigen: Haben
wir uns mißverstanden, Herr Kollege?
und nicht solche, die jemand sich von politisch ver-
antwortlich Seienden beschafft. Das ist etwas an- (Zurufe von der CDU/CSU.)
deres.
Vizepräsident Frau Funcke: Zu einer Zusatz-
Vizepräsident Frau Funcke: Eine Zusatzfrage frage Herr Abgeordneter Freiherr von und zu Gut-
des Herrn Abgeordneten Kiep. tenberg.
(Anhaltende Zurufe von der CDU/CSU.)
Kiep (CDU/CSU) : Herr Minister, nachdem hier
eine Diskussion über eine durch Ihre Äußerung Scheel, Bundesminister des Auswärtigen: Sie
entstandene Legende in Gang ist, möchte ich Sie können mich nur mißverstanden haben.
ganz konkret unter Bezugnahme auf das von Ihnen
angeführte Beispiel fragen, ob Sie es als einen Bei-
trag der Bundesrepublik Deutschland zur Entspan- Vizepräsident Frau Funcke: Herr von Gut-
nungspolitik des Westens betrachtet hätten, wenn tenberg hat das Wort!
die Bundesrepublik einer Neutralisierung der Zu-
gangswege nach Berlin und einer Überantwortung Freiherr von und zu Guttenberg (CDU/CSU) :
der Offenhaltung der Zugangswege an neutrale Herr Außenminister, nachdem Sie hier in Ihrer Rede
Staaten wie Österreich und Jugoslawien zugestimmt gesagt haben, unsere Freunde im Westen seien dar-
hätte. an gewöhnt worden, daß Bonn lange Zeit hindurch
es ängstlich vermieden habe, zur westlichen Ent-
Scheel, Bundesminister des Auswärtigen: Ich spannungspolitik einen eigenen Beitrag zu leisten,
hätte es für einen Beitrag der Bundesrepublik frage ich Sie, ob Sie es nicht mindestens für möglich
Deutschland gehalten, wenn sie mit ihren Verbün- halten, daß die vergangenen Bundesregierungen, die
deten den gleichen Grad an Konsultation begon- zum Teil ja auch von Ihrer Partei mitgetragen waren,
nen hätte, um zu dem Ergebnis zu kommen, das wir nicht eigene Entspannungsschritte abgelehnt haben,
jetzt erreicht haben: nämlich zum erstenmal Ver- sondern sorgsam darauf bedacht waren, daß nicht
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 85. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1970 4751
Freiherr von und zu Guttenberg
unter der falschen Überschrift der Entspannung in Dr. Kliesing (Honnef) (CDU/CSU) : Herr Mi-
Wahrheit deutsche Positionen gefährdet werden? nister, betrachten Sie die Friedensnote des da-
(Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Haase maligen Außenministers Schröder tatsächlich als
[Kassel] : Das ist das Problem!) einen Versuch, es ängstlich zu vermeiden, zur
„westlichen Entspannungspolitik einen eigenen Bei-
trag zu leisten"?
Scheel, Bundesminister des Auswärtigen: Herr (Beifall bei der CDU/CSU.)
Abgeordneter, Sie haben offenbar den Text nicht
richtig gelesen. Ich habe gesagt: „ ... unsere Freunde
im Westen daran gewöhnt waren" Scheel, Bundesminister des Auswärtigen: Herr
(Abg. Dr. Hauser [Sasbach] : Geben Sie doch Kollege, es ist bedauerlich, daß wir nicht noch an
die anderen Fragen herankommen; dann hätten Sie
eine Antwort auf die Frage!)
festgestellt, daß ich dies ausdrücklich erwähnt hätte.
— das tue ich ja gerade; nicht: „gewöhnt worden- Es kommt nämlich in der Beantwortung einer der
waren" —, „daß Bonn lange Zeit hindurch es ängst- nächsten Fragen vor.
lich vermied, zur westlichen Entspannungspolitik
einen eigenen Beitrag zu leisten." Das ist das, was Vizepräsident Frau Funcke: Zu einer Zusatz-
ich gesagt habe. Der eigene Beitrag fehlt, Herr Ab- frage Herr Abgeordneter Schulze-Vorberg.
geordneter.
(Beifall bei den Regierungsparteien.)
Dr. Schulze Vorberg (CDU/CSU) : Herr Bundes-
-
„ ... zur westlichen Entspannungspolitik einen eige- außenminister, glauben Sie, daß es dem Ansehen der
nen Beitrag zu leisten." Wenn Sie mir den nennen Bundesrepublik, dem Sie verpflichtet sind, dient,
würden! wenn Sie diese pauschale Verdächtigung gegen die
Bundesregierung aussprechen? Hier wurde schon an
Herrn Schröder erinnert. Nebenbei bemerkt, Sie
Vizepräsident Frau Funcke: Herr Abgeord- hätten dann wohl auch die Amtszeit Ihres Vorgän-
neter Dr. Marx! gers, des Außenministers Brandt, einbezogen. Glau-
ben Sie, daß es erträglich ist, wenn Sie hier mit
der Andeutung eines Beispiels antworten, das etwa
Dr. Marx (Kaiserslautern) (CDU/CSU) : Herr zehn Jahre zurückliegt, dann aber auf die Zusatz-
Bundesaußenminister, sind Sie nicht mit mir der
frage zugeben müssen, daß Sie den Fall nicht ken-
Meinung, daß die Bereitschaft der Bundesrepublik nen und die Unterlagen nicht besitzen?
Deutschland, als einziges Land der Welt einen eige-
nen Entspannungsbeitrag dadurch zu leisten, daß (Beifall bei der CDU/CSU.)
wir auf die Produktion und die Anwendung von A-,
B- und C-Waffen verzichtet haben, tatsächlich ein Scheel, Bundesminister des Auswärtigen: Erst
einmaliger Beitrag ist? Oder wollen Sie auch das jetzt komme ich darauf; ich konnte vorher gar nicht
ableugnen? verstehen, was Herr Kiep gefragt hat. — Diesen
(Beifall bei der CDU/CSU.) Fall kenne ich natürlich sehr wohl. Aber in die Dis-
kussion der politischen Sachfragen möchte ich mit
Scheel , Bundesminister des Auswärtigen: Herr
.
Herrn Kiep jetzt nicht eintreten. Den Fall habe ich
Kollege, ich muß wieder das vorlesen, was ich ge- hier. Sie können ihn einsehen. Wenn Sie wollen,
sagt habe: „ ... daran gewöhnt waren, daß Bonn können Sie von diesen Fällen noch mehr sehen;
lange Zeit hindurch" — ich habe ja nicht gesagt: denn es gibt noch mehr Beispiele, es ist ja nicht
immer — — das einzige. Ich habe natürlich nur einen Fall ge-
(Lachen bei der CDU/CSU.) nannt.
(Beifall bei den Regierungsparteien. —
— Herr Kollege, ich habe gesagt: „lange Zeit hin- Abg. Dr. Marx (Kaiserslautern) : Wir müs
durch". sen die Moskauer Protokolle sehen!)
(Zurufe von der CDU/CSU.)
— Herr Marx, dazu werden Sie bestimmt Gelegen-
Ich habe ja niemals etwa bestritten, heit haben.
(fortgesetzte Zurufe von der Mitte)
daß unser Grundgesetz eine erhebliche Leistung für Vizepräsident Frau Funcke: Zu einer Zusatz-
eine internationale Entspannungspolitik an sich ist. frage Herr Abgeordneter Geßner.
Aber ich wiederhole: Unsere Verbündeten im
Westen waren daran gewöhnt, daß wir lange Zeit Dr. Geßner (SPD) : Herr Außenminister, ist es
hindurch keine eigenen Beiträge geleistet haben. richtig, daß es lange Zeit außenpolitisches und mili-
Jetzt leisten wir eigene Beiträge. tärpolitisches Prinzip der Unionsparteien gewesen
(Beifall bei den Regierungsparteien.) ist, daß bei genügender westlicher Stärke die So-
wjetunion zu Zugeständnissen in der Deutschland-
frage gezwungen werde, mit der Absicht möglicher-
Vizepräsident Frau Funcke: Zu einer Zusatz- weise, keinen eigenen Entspannungsbeitrag zu
frage Herr Abgeordneter Dr. Kliesing. leisten?
4752 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 85. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1970
Scheel, Bundesminister des Auswärtigen: Ich Herr Kollege Wagner! — Auch nicht mehr.
möchte keine — — Herr Kollege Ott!
(Abg. Dr. Schulze-Vorberg begibt sich zum
Bundesaußenminister.) Ott (CDU/CSU) : Herr Bundesaußenminister, im
— Nein, das ist ein Geheimdokument. Hinblick auf Ihre vorher zitierten Äußerungen, daß
Bonn es lange Zeit hindurch ängstlich vermieden
(Abg. Dr. Marx [Kaiserslautern] : Das war habe usw., möchte ich eine Frage an Sie richten.
eine öffentliche Auslobung im Plenum des Sie haben doch lange Zeit in der Bundesregierung
Bundestages! — Weitere Zurufe von der gesessen und haben das alles mitgetragen, was Sie
CDU/CSU.) jetzt beanstanden. Weshalb haben Sie als Minister
Das können Sie nur unter den dafür üblichen Be- so lange in einer Regierung gesessen und als Ab-
dingungen einsehen, im Amt. geordneter sie unterstützt, mit der Sie nach Ihren
(Unruhe bei der CDU/CSU.) heutigen Äußerungen im Gewissen nicht einver-
standen sein konnten?
— Meine verehrten Kollegen, ich habe nicht sehr
viel Verständnis für den Stil, in dem Sie Fragen
Scheel, Bundesminister des Auswärtigen: Ich
dieser Art behandeln. weiß nicht, auf welche Frage Sie sich bezogen haben.
(Beifall bei den Regierungsparteien.)
Ich glaube, Sie sollten zumindest die Haltung von Ott (CDU/CSU) : Auf die vorige Frage und auf
Abgeordneten hier aufbringen können, in diesen Ihre Äußerung, nach der unsere Freunde im Westen
Dingen eine Information zu geben unter Umständen, daran gewöhnt waren, daß Bonn lange Zeit hin-
die es mir ermöglichen, sie entgegenzunehmen. durch es ängstlich vermied, zur westlichen Entspan-
nungspolitik einen eigenen Beitrag zu liefern. Das
(Abg. Dr. Schulze-Vorberg: Sie haben es
haben Sie gesagt. Ich frage Sie: weshalb haben Sie
mir doch angeboten! — Weitere Zurufe
nicht Konsequenzen gezogen?
von der CDU/CSU.)
— Meine Kollegen, Sie sollten sich danach erkun- Scheel, Bundesminister des Auswärtigen: Herr
digen, unter welchen Umständen Geheimpapiere Kollege, das kann ich Ihnen sagen. Erstens. Sie
eingesehen werden können. Die Kollegen, die das werden sich erinnern, daß ich ganz zu Beginn bei der
noch nicht wissen, sollten sich zumindest bei ihren ersten Frage zu den Punkten in der Rede, nach denen
erfahreneren Kollegen erkundigen, unter welchen Sie gefragt haben, gesagt habe: es bezieht sich auch
) Umständen man eine geheime Akte einsehen kann. auf Regierungen, denen ich angehört habe. Das ist
(Erneute Zurufe von der CDU/CSU.) ganz selbstverständlich, das ist ja leicht nachzu-
lesen.
— Sie können es ja auch sehen, Herr Kollege. Ich
spreche von den Umständen, unter denen Sie die Zweitens. Bei dem, was sie in dieser Frage ange-
Akte einsehen können. zogen haben, handelt es sich um Vorgänge, die im
Jahre 1961 bis in das Jahr 1962 hinein passiert sind.
(Abg. Dr. Schulze-Vorberg: Sie haben das Es sind Vorgänge, die vor meiner Zeit in der Regie-
Geheimdokument doch öffentlich angebo- rung entstanden sind und die ich bei meinem Ein-
ten! — Weitere Zurufe.) tritt in die Bundesregierung gar nicht gekannt habe,
— Meine Kollegen, ich habe es Ihnen, den Abgeord- sondern die ich erst viel später kennengelernt habe.
neten, angeboten unter den Umständen, die üblich
sind. Dann können Sie jederzeit die Einsicht neh- Vizepräsident Frau Funcke: Keine weitere
men. Ich bin nicht ganz sicher, ob Sie darüber am Zusatzfrage.
Ende besonders erfreut sein werden.
Die Fragen 11 bis 15 sind von den jeweiligen
(Abg. Wohlrabe: Ist das eine falsche Akte? Fragestellern zurückgezogen.
— Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)
Ich danke Ihnen, Herr Bundesaußenminister
Scheel. Wir sind am Ende der Fragestunde.
Vizepräsident Frau Funcke: Ich lasse noch Ich berufe das Haus auf Freitag, den 11. Dezem-
drei Fragen zu, von Kollegen, die ich hier notiert ber, 9 Uhr, ein.
habe. Die Fragestunde ist gleich zu Ende. — Bitte
schön, Herr Kollege Wohlrabe! Die Sitzung ist geschlossen.
(Abg. Wohlrabe: Ich habe mich nicht ge-
meldet!) (Schluß der Sitzung: 15.05 Uhr.)
Berichtigung
Es ist zu lesen:
83. Sitzung, Seite 4666 C, Zeile 13 statt: „gemäß § 96
der Geschäftsordnung" : „mitberatend"
Deutscher Bundestag - 6. Wahlperiode - 85. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1970 4753