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D eutscher Bundestag

36. Sitzung

Bonn, den 27. Juni 1962

Inhalt:

Glückwünsche zum Geburtstag des Abg. Erler (SPD) . . . . . . 1483 C, 1484 A


Heide 1479 A Dr. Schmid (Frankfurt) (SPD) . . . 1483 D,
1484 A
Zusammenstellung der über- und außer- Dr. Dr. h. c. Friedensburg (CDU/CSU) 1484 A
planmäßigen Haushaltsausgaben im
4. Vierteljahr des Rechnungsjahres 1961
Frage des Abg. Dr. Schmid (Frankfurt) :
(Drucksache IV/505) . . . . . . . . 1479 A
Gefahren für die europäische Eini-
gungspolitik durch einseitige Zusam-
Zur Tagesordnung: menarbeit
Schmitt-Vockenhausen (SPD) . . . 1479 C Dr. Schröder, Bundesminister . . 1484 C, D,
Glombig (SPD) . . . . . . . . 1480 C 1485B
Dr. Schellenberg (SPD) . . . . . 1481 D Dr. Schmid (Frankfurt) (SPD) . . 1484 C
Dr. von Brentano (CDU/CSU) . . . 1481 D Wehner (SPD) . . . 1484 D, 1485 A
Dr. Mommer (SPD) . . . . . . . 1485 B
Fragestunde (Drucksache IV/510)

Frage des Abg. Ollenhauer: Frage des Abg. Dr. Deist:


Beitritt Großbritanniens zu den Euro- Stellungnahme des 4. Internationalen
päischen Gemeinschaften Kongresses der Europäischen Bewe-
gung betr. politische Einigung Europas
Dr. Schröder, Bundesminister . . . 1482 D,
1483 A, B Dr. Schröder, Bundesminister . . 1485 C, D,
1486 A
Ollenhauer (SPD) . . . . . . . 1482 D
Dr. Deist (SPD) 1485 D
Majonica (CDU/CSU) . . . . . . 1483 A
Dr. Kopf (CDU/CSU) 1486 A
Dr. Birrenbach (CDU/CSU) . . . . 1483 A
Erler (SPD) 1483 B Frage des Abg. Dr. Mommer:
Dr. Mommer (SPD) 1483 B Unmittelbare Wahlen zum Europa-
parlament
Frage des Abg. Erler:
Dr. Schröder, Bundesminister . . 1486 B, C
Assoziierung Schwedens, der Schweiz
Dr. Mommer (SPD) . . . . . . 1486 B
und Österreichs mit der EWG
Majonica (CDU/CSU) 1486 C
Dr. Schröder, Bundesminister . .1483 C, D,
1484 A Dr. Schmid (Frankfurt) (SPD) . . 1486 C
II Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1962

Frage des Abg. Mattick: Blachstein (SPD) 1492 A, B


Aufnahme bestimmter Länder in die Mattick (SPD) . . . . . . . 1492 C
EWG
Frau Dr. Hubert (SPD) . . . . 1492 C
Dr. Schröder, Bundesminister . . . 1486 D,
Dr. Dr. h. c. Friedensburg (CDU/CSU) 1492 D
1487 A, C, D, 1488 A, B
Wehner (SPD) . . . . . . . . 1493 A
Mattick (SPD) . . . . . . . . 1486 D
Erler (SPD) . . . . . . . . . 1493 A
Dr. Kohut (FDP) . . . . . . . . 1487 C
Dr. Schmid (Frankfurt) (SPD) . . . 1487 D,
1488 A Frage des Abg. Kahn-Ackermann:
Dr. Dr. h. c. Friedensburg (CDU/CSU) 1488 A Ablehnung von Einladungen in die
Bundesrepublik durch Bürger der Re-
Blachstein (SPD) . . . . . . . . 1488 A publik Ceylon
Dr. Schröder, Bundesminister . . 1493 B, C
Frage des Abg. Metzger:
Kahn-Ackermann (SPD) . . . . 1493 B, C
Demokratisch-parlamentarische Ent-
wicklung Europas
Frage des Abg. Kahn-Ackermann:
Dr. Schröder, Bundesminister . 1488 B, C, D
Stahlwerk Heluan in Ägypten
Metzger (SPD) . . . . . . . 1488 B, C
Dr. Schröder, Bundesminister . . 1493 C, D,
1494 A
Frage des Abg. Wehner:
Kahn-Ackermann (SPD) . . . . . 1493 D
Gefahren für die EWG
Vogt (CDU/CSU) . . . . . . . 1494 A
Dr. Schröder, Bundesminister . . . 1488 D,
1489 A, B, C, D
Frage des Abg. Spies:
Wehner (SPD) . . . . . . . 1489 A
Vertrag mit Dänemark über Kriegs-
Dr. Schmid (Frankfurt) (SPD) . . . 1489 B
gräberfürsorge
Freiherr zu Guttenberg (CDU/CSU) 1489 C
Dr. Schröder, Bundesminister . . . 1494 A
Erler (SPD) 1489 C, D
Frage des Abg. Spies:
Frage des Abg. Birkelbach:
Vertrag mit Frankreich über Kriegs-
Politische Einigung Europas durch gräberfürsorge
Konferenzen von Regierungschefs oder
Schaffung von Organen Dr. Schröder, Bundesminister . . . 1494 B
Dr. Schröder, Bundesminister Spies (CDU/CSU) . . . . . . . 1494 B
1490 A, B, C, D, 1491 A, B
Birkelbach (SPD) 1490 A, B Frage der Abg. Frau Dr. Hubert:
Freiherr zu Guttenberg (CDU/CSU) 1490 C, Empfehlung des Europarates betr. Sti-
1491 A pendien aus dem Kulturfonds
Dr. Schmid (Frankfurt) (SPD) . . . 1490 D Dr. Schröder, Bundesminister . . 1494 C, D
Dr. Mommer (SPD) 1490 D Frau Dr. Hubert (SPD) . . . . 1494 C, D

Frage der Abg. Frau Dr. Hubert: Frage des Abg. Dr. Schmidt (Wuppertal) :
Übertragung von Souveränitätsrech - Kritik an den diplomatischen Vertre-
ten an europäische Organe tungen in Afrika
Dr. Schröder, Bundesminister . 1491 B, C, D Dr. Schröder, Bundesminister . . . 1494 D
Frau Dr. Hubert (SPD) . . . . 1491 B, C
Frage des Abg. Dr. Dr. h. c. Friedensburg:
Freiherr zu Guttenberg (CDU/CSU) 1491 C
Bau eines neuen Botschaftsgebäudes in
Dr. Mommer (SPD) 1491 D
Wien

Frage des Abg. Blachstein: Dr. Schröder, Bundesminister . . . 1495 A

Vertreter Spaniens auf dem Münchener


Kongreß der Europäischen Bewegung Frage des Abg. Keller:

Dr. Schröder, Bundesminister Sittlichkeitsverbrechen an Kindern


1492 A, B, C, D, 1493 A Dr. Stammberger, Bundesminister . 1495 B
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1962 III

Frage des Abg. Wittrock: Logemann (FDP) 1506 C


Wohnungsdefizit Schwarz, Bundesminister 1507 D
Lücke, Bundesminister 1495 D, 1496 A, B Dr. Serres (CDU/CSU) 1508 C, D, 1509 A, B
Wittrock (SPD) . . . . 1495 D, 1496 A
Entwurf eines Gesetzes zur Durchführung
der Verordnungen Nr. 20 (Schweine-
Frage des Abg. Dr. Kohut: fleisch), Nr. 21 (Eier) und Nr. 22 (Geflü-
Mieten für aus Bundesmitteln mitfinan- gelfleisch) des Rates der Europäischen
zierten Wohnungen in Bonn Wirtschaftsgemeinschaft sowie zur Än-
Lücke, Bundesminister . . 1496 C, 1497 A derung des Gesetzes zur Förderung der
deutschen Eier- und Geflügelwirtschaft
Dr. Kohut (FDP) . . . . 1496 D, 1497 A (CDU/CSU, FDP) (Drucksache IV/465) ;
Berichte des Haushalts- und des Ernäh-
rungsausschusses (Drucksachen IV/521
Sammelübersicht 8 des Petitionsausschusses
[neu], . IV/516, zu IV/516) — Zweite Be-
über Anträge zu Petitionen und systema-
ratung
tische Übersicht über die vom 17. Okto-

ber 1961 bis 31. Mai 1962 eingegangenen Präsident D. Dr. Gerstenmaier . . . 1499 D
Petitionen (Drucksache IV/459) . . . . 1497 B Müller (Ravensburg) (SPD) . . . . 1510 B
Frehsee (SPD) . . . . 1511 A, 1519 D
Wahl von Mitgliedern des Verwaltungs-
rates der Lastenausgleichsbank (Druck- Schwarz, Bundesminister . 1513 D, 1522 D
sache IV/536) 1497 B Ertl (FDP) 1514 D
Dr. Pflaumbaum (CDU/CSU) . . 1515 D
Entwurf eines Gesetzes über die Erhebung
Lücker (München) (CDU/CSU) . . 1517 B
der Abschöpfungen. nach Maßgabe der
Verordnungen der Europäischen Wirt- Dr. Serres (CDU/CSU) . 1521 C, 1523 C
schaftsgemeinschaft über die schrittweise Dr. Reinhard (CDU/CSU) . . . 1522 A
Errichtung gemeinsamer Marktorganisa-
tionen für die landwirtschaftlichen Er- Bauknecht (CDU/CSU) 1522 D
zeugnisse (Abschöpfungserhebungsgesetz)
(CDU/CSU, FDP) (Drucksache IV/464) ; Entwurf eines Gesetzes über den Verkehr
Berichte des Haushalts- und des Finanz- mit Düngemittel (Düngemittelgesetz)
ausschusses (Drucksachen IV/545, IV/530) (Drucksache IV/287); Schriftlicher Bericht
— Zweite Beratung — des Ernährungsausschusses (Drucksache
IV/496) Zweite und dritte Beratung 1523 D
D r. Koch (SPD) . . . . . . . . 1497 C
— —

Seuffert (SDP) . . . . 1500 B, 1502 C Entwurf eines Gesetzes zu dem Euro-


Dr. Serres (CDU/CSU) 1500 D, 1501 B, päischen Übereinkommen vom 15. De-
1509 D zember 1958 über den Austausch thera-
peutischer Substanzen menschlichen Ur-
Dr. Schmidt (Wuppertal) (CDU/CSU) 1501 C
sprungs (Drucksache IV/175); Schriftlicher
Bauknecht (CDU/CSU) . . . . 1502 A Bericht des Auswärtigen Ausschusses
Schwarz, Bundesminister 1502 D (Drucksache IV/481) — Zweite und dritte
Beratung — 1524 A
Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Entwurf eines Gesetzes zu dem Abkommen
Zollgesetzes (CDU/CSU, FDP) (Druck- vom 22. Dezember 1960 mit dem Malai-
sache IV/466) ; Mündlicher Bericht des ischen Bund über die Förderung und den
Finanzausschusses (Drucksache IV/531) gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen
— Zweite Beratung —
(Drucksache IV/279) ; Schriftlicher Bericht
Dr. Koch (SPD) . . . . . . . . 1503 C des Auswärtigen Ausschusses (Druck-
sache IV/513) Zweite und dritte Be-

ratung — 1524 C
Entwurf eines Gesetzes zur Durchführung
der Verordnung Nr. 19 (Getreide) des
Rates der Europäischen Wirtschaftsge- Entwurf eines Gesetzes zu dem Protokoll
meinschaft (CDU/CSU, FDP) (Drucksache vom 21. Juni 1961 zur Änderung des Ab-
IV/463) ; Berichte des Haushalts- und kommens vom 7. Dezember 1944 über die
des Ernährungsausschusses (Drucksachen Internationale Zivilluftfahrt (2. Änderung
IV/520, IV/515, zu IV/515) — Zweite Be- des Abkommens über die Internationale
ratung —
Zivilluftfahrt) (Drucksache IV/396);
Schriftlicher Bericht des Verkehrsaus-
Müller (Worms) (SPD) . 1504 A, 1506 D schusses (Drucksache IV/488) — Zweite
Bauknecht (CDU/CSU) . 1505 C, 1508 B und dritte Beratung — . . . . . . . 1524 D
IV Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1962

Entwurf eines Gesetzes zu dem Abkom- Schriftlicher Bericht Ides Verteidigungsaus-


men vom 31. Mai 1961 mit dem König- schusses über den Jahresbericht 1961 des
reich Griechenland über Arbeitslosenver- Wehrbeauftragten des Bundestages
sicherung (Drucksache IV/283); Schrift- (Drucksachen IV/371, IV/477) 1555 A
licher Bericht des Ausschusses für Arbeit
(Drucksache IV/480) Zweite und dritte Schriftlicher Bericht des Verteidigungsaus-
Beratung — 1525 A schusses über den Entschließungsantrag
der Fraktion der SPD zur dritten Bera-
Entwurf eines Gesetzes zum Übereinkom- tung des Entwurfs eines Zweiten Gesetzes
men Nr. 112 der Internationalen Arbeits- zur Änderung des Wehrpflichtgesetzes
organisation vom 19. Juni 1959 über das (Drucksache IV/495, Umdruck 25) . . . 1555 B
,

Mindestalter für die Zulassung zur Arbeit


in der Fischerei (Drucksache IV/232); Mündlicher Bericht des Verteidigungsaus-
Schriftlicher Bericht des Ausschusses für schusses über den Entschließungsantrag
Arbeit (Drucksache IV/508) — Zweite und der Fraktion der SPD zur dritten Bera-
dritte Beratung — 1525 C, tung des Entwurfs eines Zweiten Geset-
zes zur Änderung des Wehrpflichtge-
setzes (Drucksache IV/478, Umdruck 26)
Entwurf eines Vereinsgesetzes (Drucksache
IV/430) — Erste Beratung —
D r. Supf (FDP) 1555 C
Höcherl, Bundesminister . 1525 D 1528 B
Mündlicher Bericht des Verteidigungsaus-
Hansing (SPD) 1526 D schusses über den Entschließungsantrag
Dr. Barzel (CDU/CSU) 1528 C der Fraktion der SPD unid den Entschlie-
ßungsantrag der 'Fraktionen der CDU/
CSU, FDP zur dritten Beratung des Ent-
Entwurf eines Gesetzes über Ausbildungs- wurfs eines Zweiten Gesetzes zur Ände-
förderung (SPD) (Drucksache IV/415) — rung des Wehrpflichtgesetzes (Drucksache
Erste Beratung — IV/489, Umdrucke 27, 37)
Frau Freyh (Frankfurt) (SPD) . . . 1529 A Dr. Süsterhenn (CDU/CSU) 1556 B
Dr. Wuermeling, Bundesminister . . 1533 D
Schriftlicher Bericht des Finanzausschusses
Dr. Stoltenberg (CDU/CSU) . . . 1535 A
über die Entwürfe einer Verordnung
Dürr (FDP) 1537 C zur Festlegung der Bestimmungen und
Lohmar (SPD) 1538 D des Verfahrens für die Erhebung der in
Artikel 12 Absatz 1 der Protokolle über
die Vorrechte und Befreiungen der EWG
Antrag betr. Berufsausbildungsgesetz (SPD) und der EAG vorgesehenen Steuer zu-
(Drucksache IV/354) gunsten der Gemeinschaft und einer Ver-
ordnung Nr. ... der Räte zur Aufstellung
Folger (SPD) . . . . . . . . 1541 A der Liste der Leistungen und Zulagen, die
Diebäcker (CDU/CSU) 1544 A im Hinblick auf die Familie gewährt wer-
Dr. Imle (FDP) 1545 D den usw. (Drucksachen IV/403, IV/454,
IV/526) 1556 D
Dr. Mommer (SPD) 1548 B
Schmücker (CDU/CSU) . . . . 1548 C Schriftlicher Bericht des Ausschusses für
Inneres über den Entwurf einer Verord-
Dürr (FDP) . . . . . . . . . 1548 D
nung über das Statut der Beamten und
Liehr (SPD) . . . . . . .. 1549 A die Beschäftigungsbedingungen für die
sonstigen Bediensteten der Europäischen
Wirtschaftsgemeinschaft und der Euro-
Entwurf eines Gesetzes zur Angleichung päischen Atomgemeinschaft (Drucksachen
des Sozialversicherungsrechts im Saarland IV/359, IV/490) 1557 B
an das im übrigen Bundesgebiet geltende
Recht (Sozialversicherungs Angleichungs-
- Schriftlicher Bericht des Außenhandelsaus-
gesetz Saar) (Drucksache IV/474) Erste
— schusses über den Entwurf einer Sech-
Beratung — 1553 A zehnten Verordnung zur Änderung des
Deutschen Zolltarifs 1962 (Holzhäuser)
(Drucksachen IV/455, IV/484) . . . . 1557 C
Antrag betr. ausländische Arbeitskräfte in
der Bundesrepublik (SPD) (Drucksache Schriftlicher Bericht des Außenhandelsaus-
IV/470) s chusses über den Entwurf einer Sieb-
zehnten Verordnung zur Änderung des
Gerlach (SPD) 1553 B Deutschen Zolltarifs (Sardinen usw.)
Blank, Bundesminister 1554 D (Drucksachen IV/456, IV/485) . . . . 1557 C
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1962 V

Schniftlicher Bericht des Außenhandelsaus- fläche der ehemaligen Flakkaserne Leon-


schusses über den Entwurf einer Acht- berg an den Landkreis Leonberg (Druck-
zehnten Verordnung zur Änderung des sachen IV/208, IV/491) . . . . . . . 1558 D
Deutschen Zolltarifs 1962 (Salz, Natur-
kork usw.) (Drucksachen IV/457, IV/486) 1557 D Mündlicher Bericht des Ausschusses für
wirtschaftlichen Besitz des Bundes über
Schriftlicher Bericht deis Außenhandelsaus- den Antrag des Bundesministers der
schusses über den Entwurfeiner Neun- Finanzen betr. Veräußerung einer Teil-
zehnten Verordnung zur Änderung des fläche der ehemaligen Sedankaserne in
Deutschen Zolltarifs 1962 (Fertigbauteile) Ulm an die Firma Telefunken GmbH
(Drucksachen IV/458, IV/487) . . . . . 1557 D (Drucksachen IV/243, IV/492) . . . . . 1559 A

Schniftlicher Bericht deis Außenhandelsaus- Ubersicht 5 des Rechtsausschusses über die


schusses über den Entwurf einer Sechs- dem Deutschen Bundestag zugeleiteten
undzwanzigsten Verordnung zur Ände- Streitsachen vor dem Bundesverfassungs--
rung des Deutschen Zolltarifs 1962 (Zoll- gericht (Drucksache IV/493) . . . . . 1559 A
kontingente der EKGS — 2. Halbjahr
1962) (Drucksachen IV/522, IV/532) . . 1558 A
Bericht des Wahlprüfungsausschusses über
den Wahleinspruch des Jakob Baumann,
Schriftlicher Bericht deis Außenhandelsaus- Zweibrücken, gegen die Gültigkeit der
schusses über den Entwurf einer Sieben- Wahl zum 4. Deutschen Bundestag vom
undzwanzigsten Verordnung zur Ände- 17. September 1961 im Wahlkreis 161
rung des Deutschen Zolltarifs 1962 (Zweibrücken) (Drucksache IV/497) . . . 1559 B
(Methylprednisolon usw.) (Drucksachen
IV/523, IV/533) . . . . . . . . . 1558B
Bericht des Wahlprüfungsausschusses über
den Wahleinspruch des Julius Schuster,
Schniftlicher Bericht des Außenhandelsaus- Stuttgart, gegen die Gültigkeit der Wahl
schusses über den Entwurf einer Acht- zum 4. Deutschen Bundestag vom 17. Sep-
undzwanzigsten Verordnung zur Ände- tember 1961 (Drucksache IV/498) . . . 1559 C
rung des Deutschen Zolltarifs 1962 (Wein,
zum Herstellen von Weindestillat)
Bericht des Wahlprüfungsausschusses über
(Drucksachen IV/524, IV/534) . . . . . 1558 B
den Wahleinspruch des Dr. Fritz Hintze,
Hösseringen, gegen die Gültigkeit der
Schriftlicher Bericht des Außenhandelisaus- Wahl zum 4. Deutschen Bundestag vom
s chusses über den Entwurf einer Neun- 17. September 1961 im Wahlkreis 39 (Uel-
undzwanzigsten Verordnung zur Ände- zen) (Drucksache IV/499) . . . . . . 1559 C
rung des Deutschen Zolltarifs 1962 (Zoll-
kontingente für Aluminiumoxyd und für
Rohaluminium) Bericht des Wahlprüfungsausschusses über
(Drucksachen IV/525,
IV/535) 1558 C den Wahleinspruch des Heinrich Kindler,
Lörrach-Stetten, gegen die Gültigkeit der
Bericht des Außenhandelsausschusses über Wahl zum 4. Deutschen Bundestag vom
die von der Bundesregierung erlassene
17. September 1961 (Drucksache IV/500) 1559 C
Dreizehnte Verordnung zur Änderung
des Deutschen Zolltarifs 1962 (Tabak, Bericht des Wahlprüfungsausschusses über
verarbeitet; Tabakauszüge und Tabak- den Wahleinspruch des Heinz Rieger, Tü-
soßen) (Drucksachen IV/439, IV/482) . . 1558 C bingen, gegen die Gültigkeit der Wahl
zum 4. Deutschen Bundestag vom 17. Sep-
Bericht des Außenhandelsausschusses über tember 1961 im Land Schleswig-Holstein
die von der Bundesregierung erlassene (Drucksache IV/5Q1) . . . . . . . . 1559 C
Dritte Verordnung zur Änderung der Ein-
fuhrliste — Anlage zum Außenwirt- Bericht des Wahlprüfungsausschusses über
schaftsgesetz — (Drucksache IV/452, den Wahleinspruch des Heinrich Schöf-
IV/483) 1558 C beck, Bochum, gegen die Gültigkeit der
Wahl zum 4. Deutschen Bundestag vom
Bericht des Außenhandelsausschusses über 17. September 1961 im Wahlkreis 111
die von der Bundesregierung erlassene (Wattenscheid—Wanne-Eickel) (Druck-
Erste Verordnung zur Änderung der sache IV/502) 1559 D
Außenwirtschaftsverordnung vom 3. Mai
1962 (Drucksachen IV/418, IV/494) . . . 1558 D Bericht des Wahlprüfungsausschusses über
den Wahleinspruch des Dr. Heinz Josef
Mündlicher Bericht des Ausschusses für Varain, Kiel, gegen die Gültigkeit der
wirtschaftlichen Besitz des Bundes über Wahl zum 4. Deutschen Bundestag vom
den Antrag des Bundesministers der 17. September 1961 im Land Schleswig-
Finanzen betr. Veräußerung einer Teil Holstein (Drucksache IV/503) 1559 D
VI Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1962

Bericht des Wahlprüfungsausschusses über Bericht des Wahlprüfungsausschusses über


den Wahleinspruch des Harry Griebat, den Wahleinspruch des. Ludwig Land-
Bochum, gegen die Gültigkeit der Wahl wehr, Osnabrück, gegen die Gültigkeit
zum 4. Deutschen Bundestag vom 17. Sep- der Wahl zum 4. Deutschen Bundestag
tember 1961 im Wahlkreis 75 (Wupper- vom 17. September 1961 im Wahlkreis 28
tal I) (Drucksache IV/504) . . . . . . 1559 D (Osnabrück-Stadt und -Land) (Drucksache
IV/519) 1560 A
Bericht des Wahlprüfungsausschusses über
den Wahleinspruch des Emil Sander, Mündlicher Bericht des Wahlprüfungsaus-
Oberhausen, und anderer gegen die Gül- schusses betr. a) Aufhebung der Immuni-
tigkeit der Wahl zum 4. Deutschen Bun- tät von Abgeordneten bei Verkehrsdelik-
destag vom 17. September 1961 im Land ten und Bagatellsachen, b) Ermächtigung
Nordrhein Westfalen (Drucksache IV/514) 1559 D
- gemäß § 197 StGB (Drucksache IV/506)
Dr. Dittrich (CDU/CSU) . 1560 B, 1561 C
Bericht des Wahlprüfungsausschusses über
Wittrock (SPD) 1560 D
den Wahleinspruch des Kurt Erlebach,
Hamburg, gegen die Gültigkeit der Wahl
zum 4. Deutschen Bundestag vom 17. Sep- Nächste Sitzung 1561 D
tember 1961 im Wahlkreis 21 (Hamburg
VII) (Drucksache IV/518) . . . . . . 1560 A Anlagen 1563
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1962 1479

36. Sitzung

Bonn, den 27. Juni 1962

Stenographischer Bericht Bevor wir zur Sache kommen, gebe ich das Wort
zur Tagesordnung dem Herrn Abgeordneten- Schmitt-
Beginn: 9.02 Uhr Vockenhausen.

Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Die Sitzung Schmitt-Vockenhausen (SPD) : Herr Präsident!


ist eröffnet. Meine Damen und Herren! Im Namen der sozial-
(Abg. Schmitt-Vockenhausen: Zur Tages demokratischen Bundestagsfraktion beantrage ich,
ordnung, Herr Präsident!) unseren Antrag Drucksache IV/509 auf Zahlung
einer Überbrückungszulage an Beamte und Versor-
— Ich habe Ihre Wortmeldung zur Tagesordnung gungsempfänger des Bundes auf die Tagesordnung
gesehen, aber zuerst wollen wir die Glückwünsche der heutigen Plenarsitzung zu setzen.
des Hauses idem Herrn Kollegen Heide aussprechen,
der am 20. Juni 65 Jahre alt geworden ist. Die Frage der Anpassung der Besoldung im öffent-
lichen Dienst beschäftigt die deutsche Offentlichkeit
(Beifall.) leider seit vielen Wochen und Monaten, ohne daß
Es ist eingegangen eine Zusammenstellung der es die Regierungsparteien bisher geschafft haben,
über- und außerplanmäßigen Haushaltsausgaben im Klarheit herbeizuführen. Ich brauche die sachliche
Notwendigkeit der Anpassung der Gehälter nicht
vierten Vierteljahr des Rechnungsjahres 1961. Die
besonders zu begründen. Die maßgeblichen Männer
Drucksache IV/505 liegt Ihnen vor. Vorgesehen ist
der Regierungsparteien, der Herr Bundeskanzler
die Überweisung der Vorlage .an den Haushaltsaus-
und die zuständigen Ressortminister, haben immer
schuß. Ist das Haas damit einverstanden? — Kein
wieder erklärt, daß sie die Wünsche der Beamten-
Widerspruch; es ist so beschlossen. schaft für berechtigt halten.
Die folgenden amtlichen Mitteilungen werden Diese Lage ist für die Beamtenschaft um so be-
ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht
dauerlicher, als sich die Bundesregierung für die
aufgenommen: Angestellten und Arbeiter des öffentlichen Dienstes
Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 22. Juni 1962 den inzwischen der Notwendigkeit nicht länger ver-
nachstehenden Gesetzen zugestimmt bzw. einen Antrag gemäß
Artikel 77 Abs. 2 GG nicht gestellt: schlossen und den neuen Tarifverträgen zugestimmt
Gesetz zur Verlängerung der Geltungsdauer des Gesetzes hat. Mit Recht ist daher in der Öffentlichkeit erklärt
über die Sicherstellung von Leistungen auf dem Gebiet der worden, daß es unmöglich ist, nach der Entscheidung
gewerblichen Wirtschaft
Gesetz zu dem Vertrag vom 27. November 1961 zwischen
für die Angestellten und Arbeiter die Beamten von
der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Osterreich der Verbesserung der Bezüge auszuschließen. Bitte,
zur Regelung von Schäden der Vertriebenen, Umsiedler und
Verfolgten, über weitere finanzielle Fragen und Fragen aus denken Sie doch daran, meine Damen und Herren!
dem sozialen Bereich (Finanz- und Ausgleichsvertrag) Man kann beim besten Willen keinem Postschaffner
Gesetz zu dem Abkommen vom 9. Juli 1961 zur Gründung und keinem Mann von der Bundesbahn klarmachen,
einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsge-
meinschaft und Griechenland, dem Abkommen über die zur daß er für die gleiche Tätigkeit keine Gehalts-
Durchführung des Assoziierungsabkommens intern zu treff en-
den Maßnahmen und die dabei anzuwendenden Verfahren erhöhung bekommt, während der Kollege im Ange-
und dem Abkommen über das Finanzprotokoll stellten- oder Arbeiterverhältnis eine Gehalts- und
Gesetz über die in Monaco am 18. November 1961 unter- Lohnerhöhung erhält. Schließlich darf doch auch bei
zeichnete Zusatzvereinbarung zu dem am 2. Juni 1934 in
London revidierten Haager Abkommen vom 6. November 1925 den Beamten nicht das Gefühl entstehen, daß nur
über die internationale Hinterlegung gewerblicher Muster
oder Modelle durch die Tatsache, daß nach unserem Recht der
Gesetz zur Ä nderung des Jugendarbeitsschutzgesetzes Beamte kein Streikrecht hat, seine wirtschaftlichen
Gesetz zu der Erklärung vom 18. November 1960 über den Sorgen und Wünsche von der Bundesregierung an
vorläufigen Beitritt Argentiniens zum Allgemeinen Zoll- und das Ende der Bedarfsskala gesetzt werden.
Handelsabkommen
Gesetz zur Durchführung des Artikels 64 Abs. 2 des Saar- Die jetzige Haltung der Regierung würde vor
vertrages
allem bedeuten, daß Millionen von Beamten im Hin-
Gesetz zu dem Niederlassungs- und Schiffahrtsvertrag vom
18. März 1960 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und blick auf die stark gestiegenen Lebenshaltungs-
dem Königreich Griechenland. kosten sogar eine große Schmälerung ihres Real-
In der gleichen Sitzung hat der Bundesrat gemäß § 77 Abs. 5 einkommens auf längere Zeit hinnehmen müßten.
des Zollgesetzes beschlossen, gegen die Dreizehnte Verordnung
zur Anderung des Deutschen Zolltarifs 1962 (Tabak, verarbeitet; Wenn man den Beamten verweigert, was für die
Tabakauszüge und Tabaksoßen) keine Bedenken zu erheben.
Sein Schreiben ist als Drucksache IV/528 verteilt. Angestellten und Arbeiter mit gutem Grund aner-
1480 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1962
Schmitt-Vockenhausen
kannt worden ist, ist das eine empörende Verletzung gewillt sind, sich der von Ihnen als berechtigt an-
der Fürsorgepflicht. erkannten Wünsche und Forderungen des öffent-
(Beifall bei der SPD.) lichen Dienstes anzunehmen.
Wir bedauern, daß weder die Bundesregierung (Beifall bei der SPD.)
noch die Regierungsparteien bei der Beratung des
Haushalts diesen Punkt bedacht haben und daß bei Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Ich habe noch
der Rangfolge, die sie festgelegt haben, der öffent- mehr Wortmeldungen zur Tagesordnung. Ehe ich
liche Dienst mit den Kriegsopfern zum Schlußlicht abstimmen lasse, gebe ich jeder Seite das Wort,
gemacht worden ist. einem Redner dafür und einem Redner dagegen. Wir
können die Abstimmung vereinfachen, indem wir
Der Herr Bundesfinanzminister hat zum Abschluß
über die Anträge zusammen abstimmen.
der dritten Lesung des Bundeshaushaltsgesetzes
folgendes — zur Opposition gerichtet — gesagt: Jetzt hat das Wort zur Tagesordnung der Herr
Abgeordnete Glombig.
Die Beschwerde, daß die Koalitionsparteien zu-
wenig auf ihre Anträge eingegangen sind, habe -
sich eigentlich nicht so sehr ernst genommen, Glombig (SPD) : Herr Präsident! Meine Damen
weil nun eben einmal der Haushalt der zahlen- und Herren! Im Namen der SPD-Fraktion habe ich
mäßige Ausdruck für das ist, was eine Regie- Ihnen den Geschäftsordnungsantrag zu unterbreiten,
rung und die Parteien — die Koalition, die sie den Antrag der Fraktion der SPD betreffend ein
im Parlament stützt — politisch wollen und Zweites Neuordnungsgesetz zur Kriegsopferversor-
durchführen wollen. gung — Drucksache IV/469 — auf die Tagesordnung
zu setzen. In diesem Antrag wird die Bundesregie-
Meine Damen und Herren, damit haben Sie die Ent- rung ersucht, dem Bundestag bis zum 30. September
scheidung gegen die Beamten getroffen! 1962 den Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Ände-
(Unruhe. — Lebhafte Zurufe von der rung und Ergänzung des Kriegsopferrechts — also
CDU/CSU: Lauter!) eines Zweiten Neuordnungsgesetzes — vorzulegen.
Das ist um so bedauerlicher, als immer wieder aus Das Gesetz zur Änderung und Ergänzung des
berufenem Munde erklärt worden ist, daß die Be- Kriegsopferrechts vom 27. Juni 1960, das Erste Neu-
amtenschaft in den zurückliegenden Jahren ge- ordnungsgesetz, bedeutet unbestreitbar einen Fort-
wissenhaft und loyal ihre Pflicht erfüllt habe. Es schritt und hat die wirtschaftliche Lage der Kriegs-
mußte die Beamten empfindlich verletzen, daß Sie opfer verbessert. Es ist aber allen mit der Materie
es fertiggebracht haben, den Versuch zu unterneh- Vertrauten klar, vor allem den Kriegsopfern selbst,
men, Verbraucher und öffentlichen Dienst gegenein- daß das Endziel einer gerechten Versorgung noch
ander auszuspielen. nicht erreicht ist und daß das materielle Versor-
gungsrecht noch erhebliche Lücken und Härten auf-
(Erneute Zurufe von den Regierungs
parteien: Lauter!) weist, die erneut zu einer großen Unzufriedenheit
unter den Kriegsopfern geführt haben und die die
Es wäre nicht zu verantworten, wenn das Parla- Arbeit der Versorgungsverwaltung erheblich er-
ment in die Sommerferien ginge, ohne in dieser schweren.
Frage eine klare Aussage für die Offentlichkeit und Die SPD-Fraktion hatte bereits vor Monaten er-
für die Beamten zu machen. kannt, daß die Bundesregierung und die Koalitions-
(Wiederholte Zurufe und Unruhe bei den parteien des Bundestages nicht bereit sind, in abseh-
Regierungsparteien.) barer Zeit den Entwurf eines Zweiten Neuordnungs-
gesetzes vorzulegen, so wie es bei der Verabschie-
Das ist um so notwendiger, als der vorliegende dung des Ersten Neuordnungsgesetzes von allen
Entwurf der sogenannten Harmonisierungsnovelle Fraktionen des Hohen Hauses den Kriegsopfern ver-
für die Beamtenschaft eine große Enttäuschung be- sprochen worden war. Deshalb hat die SPD-Fraktion
deutet. Es ist nicht nur die Anpassung der Besoldung schon im Dezember vorigen Jahres den Entwurf
an die der Länder nicht erreicht worden, sondern eines Gesetzes über die Anpassung der Renten der
auch die immer wieder zugesicherte Verbesserung Kriegsopfer auf Drucksache IV/54 vorgelegt, der
für die Beamten des mittleren und einfachen Dien- eine 10 %ige Erhöhung der Grundrenten der Beschä-
stes ist unzureichend. Es ist unverständlich, meine digten und Witwen sowie der Altersrenten vorsieht.
Damen und Herren, wie man mit diesem unzurei- Bei der Beratung dieses Gesetzentwurfs im Kriegs-
chenden Vorschlag auch noch den Wunsch nach einer opferausschuß hat der Arbeitsminister Blank erklärt,
Grundgesetzänderung verbinden kann. Mit dieser daß eine weitere Novellierung des Kriegsopferrechts
Regelung verlangen Sie nicht mehr und nicht weni- im jetzigen Zeitpunkt verfrüht wäre; dies gelte ins-
ger, als daß die Gesamtkompetenz zur sozialen besondere auch für den Antrag der SPD auf eine
Fortentwicklung in Zukunft dorthin gegeben wer- lineare Erhöhung der Grundrenten um ,10 %. Die
den soll, wo die Bereitschaft zu Verbesserungen am Bundesregierung werde jedoch — so erklärte er —
geringsten ist. zu gegebener Zeit Vorschläge über die Weiterent-
Ich bitte daher nochmals, unseren Antrag auf die wicklung des Bundesversorgungsgesetzes ausarbei-
Tagesordnung der heutigen Sitzung zu setzen. Durch ten. Herr Blank vertrat weiter die Meinung, daß der
Ihre Zustimmung können Sie der Offentlichkeit be- Problematik der Weiterentwicklung des Kriegsopfer-
weisen, daß Ihnen die Belange des öffentlichen rechts mit einer einmaligen linearen Anhebung aller
Dienstes wirklich am Herzen liegen und daß Sie Renten um 10 °/o nicht beizukommen sei. Ähnliche
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1962 1481
Glombig
Erklärungen hat Herr Blank auch den Vertretern beraten wurde. Heute beantragen wir zum zweiten
der Kriegsopferverbände gegenüber gemacht, übri- mal, diesen Gesetzentwurf auf die Tagesordnung
gens in sehr unzulänglicher Weise, wie ja Herr zu setzen.
Blank überhaupt, so meine ich, eine unnachahmliche Zweck unseres Gesetzentwurfs ist es, zu verhin-
Art hat, mit den Vertretern der Kriegsopfer umzu- dern, daß bis zur Neuregelung des Kindergeld-
gehen. rechtes Familien mit Kindern in ihrer Lebenshal-
Wir wollen mit dem Antrag auf Drucksache IV/469 tung absinken. Diese Gefahr besteht insbesondere
der Bundesregierung die Möglichkeitieinräumen, über für Familien mit Zweitkindern, deren Einkommen
die maßvollen Forderungen der SPD-Fraktion hin- im Jahre 1961 die Grenze von 600 DM monatlich
aus — die übrigens nur auf eine Überbrückungs- überschritten hat. Diesen 300 000 Familien muß
regelung hinzielen — den Kriegsopfern gründlich nach dem geltenden Recht mit Wirkung vom 1. Juli
und schnell zu helfen und damit das Sozialpaket, das das gegenwärtig gewährte Kindergeld entzogen
doch wohl nur ein Päckchen zu sein scheint, an dem werden. Das muß nach Ansicht meiner Fraktion ver-
sie offenbar aber schwer zu tragen hat, um einen hindert werden.
Spalt zu lüften. Wir haben absichtlich mit diesem (Beifall bei der SPD.) -
Antrag noch keine materiellen Einzelforderungen Deshalb sollte der Gesetzgeber noch vor der Som-
gestellt, uni dem Herrn Bundesfinanzminister Starke merpause handeln.
nicht erneut die Gelegenheit zu dem provozierenden
Ausruf: „Alles auf einmal" zu geben. Wir wollen Auch aus einem weiteren Grunde ist es erforder-
vielmehr ihm und der gesamten Regierungs- lich, daß der Gesetzgeber sofort im Interesse der
koalition die Gelegenheit geben, ihre Konzeption für Familien tätig wird. Der Kindergeldsatz für Fami-
eine fortschrittliche Weiterentwicklung des Kriegs- lien mit drei und mehr Kindern besteht seit März
opferversorgungsrechts umgehend in aller Offent- 1959. Seitdem ist das Volkseinkommen um fast
lichkeit darzulegen. 30 °/o gestiegen. An dieser Entwicklung sollen nach
unserem Gesetzentwurf auch Familien mit Kindern
Im Interesse der Kriegsopfer muß dieser Antrag einen bescheidenen Anteil haben, und zwar durch
auf die Tagesordnung, damit der Gesetzentwurf dem Erhöhung des Kindergeldes für Zweitkinder um
Hohen Hause bis zum 30. September dieses Jahres 5 DM monatlich und für Familien mit drei und mehr
vorgelegt werden kann. Wir alle wissen, wie lange Kindern um 10 DM monatlich.
die Beratung eines solchen Gesetzentwurfs dauert.
Wenn er nicht bis zum 30. September dieses Jahres Die beantragte Anpassung des Kindergeldes an
vorgelegt wird, wird die Verbesserung der Kriegs- die wirtschaftliche Entwicklung hält sich im Rah-
opferversorgung günstigstenfalls im Jahre 1964 und men dessen, was die Regierung noch vor einem
nicht — wie vor allem von der FDP den Kriegs- Jahr dem Hause berichtet hat. Nach den Erklärun-
opferverbänden immer wieder versprochen — im gen der Regierung sollen 1 870 000 Zweitkinder in
Jahre 1963 kommen. den Genuß des Kindergeldes kommen. Tatsächlich
erhalten aber nur 1 530 000 Zweitkinder Kindergeld.
Es wäre das erste Mal in der parlamentarischen Diese Zahl wird vom 1. Juli an um weitere 300 000
Nachkriegsgeschichte der Kriegsopferversorgung, auf 1 200 000 absinken. Für 600 000 Zweitkinder
daß die Fraktionen des Bundestages in ihrem Bemü- weniger, als von der Regierung selbst geplant war,
hen, den Kriegsopfern ebenfalls nachhaltig und wird also nach dem 1. Juli Kindergeld gezahlt wer-
schnell zu helfen, nicht einig sind. Überwinden Sie den. Deshalb schafft unser Gesetzentwurf finanz-
daher, meine Damen und Herren von der Regie- wirtschaftlich keine besonderen Probleme. Er gleicht
rungskoalition, wenigstens in diesem Punkt Ihre das Kindergeld nur an die veränderten wirtschaft-
permanente Uneinigkeit in Sachen Sozialpolitik lichen Verhältnisse an und greift der notwendigen
und stimmen Sie mit uns dafür, daß der Antrag Reform nicht vor.
Drucksache IV/469 auf die Tagesordnung gesetzt
wird! Seien Sie sich darüber im klaren, daß eine Noch eine letzte Bemerkung. Wenn Sie heute
Ablehnung dieses Antrages — trotz aller gegebenen zum zweitenmal die Beratung des Gesetzentwurfs
Versprechen — nicht weniger bedeutet als eine Ver- mit Mitteln der Geschäftsordnung verhindern soll-
zögerung der sachlichen und menschlich mehr als ten, so ist die Frage zu stellen, ob dadurch nicht
gerechtfertigten Verbesserung der Kriegsopferver- faktisch das verfassungsmäßige Recht auf Gesetzes-
sorgung auf unbestimmte Zeit. Das allerdings wäre initiative aus der Mitte des Hauses behindert wird,
nicht zu verantworten. und das ausgerechnet bei einem Gesetz zugunsten
der Familie!
(Beifall bei der SPD.)
Deshalb beantrage ich, den Gesetzentwurf Druck-
sache IV/468 auf die Tagesordnung zu setzen.
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Das Wort zur
Tagesordnung gebe ich Herrn Abgeordneten Dr. (Beifall bei der SPD.)
Schellenberg.
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Das Wort zur
Dr. Schellenberg (SPD) : Herr Präsident! Meine Tagesordnung hat der Abgeordnete Dr. von Bren-
Damen und Herren! Am 15. Juni hat die CDU/CSU- tano.
Fraktion durch Fristeinrede verhindert, daß unser
Entwurf eines Kindergeldverbesserungsgesetzes im Dr. von Brentano (CDU/CSU) : Herr Präsident!
Zusammenhang mit der Großen Anfrage, die ja auch Meine Damen und Herren! Die Fraktionen der CDU/
das Kindergeldrecht behandelt, in erster Lesung CSU und der FDP halten im Hinblick auf die gene-
1482 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1962

Dr. von Brentano


relle Entwicklung der Löhne und Gehälter eine all- klärung wird schriftlich vorgelegt und zu Protokoll
gemeine Anpassung der Beamtengehälter für er- genommen. *)
forderlich. Die beiden Fraktionen werden nach Wie- Meine Damen und Herren, wir kommen zur Ab-
derzusammentritt des Bundestages unverzüglich die stimmung. Ich lasse über die Anträge in der Reihen-
Beratungen über die Anpassung aufnehmen. Hier- folge abstimmen, wie sie begründet worden sind.
bei ist die schwierige Situation gerade der unte-
ren Einkommensgruppen im öffentlichen Dienst be- Zunächst stimmen wir ,ab über den Antrag auf
sonders zu berücksichtigen. Aufnahme des Antrags Drucksache IV/509 in die
Tagesordnung, begründet von Herrn Abgeordneten
(Beifall bei den Regierungsparteien.) Schmitt-Vockenihausen. Wer dafür ist, daß dieser
Die Neuregelung kann nur im ordentlichen Ge- Antrag auf idie Tagesordnung kommt, gebe bitte ein
setzgebungsverfahren, also unter Beteiligung des Handzeichen. — Gegenprobe! — Das ist die Mehr-
Bundesrates und damit der ebenfalls von der An- heit ; der Antrag ist iabgelehnt.
passung betroffenen Länder, vorgenommen wer-
den. (Abg. Schmitt-Vockenhausen: Das war kein
(Sehr richtig! bei der CDU/CSU.) Heldenstück, Octavio!) -
Nun kommt der Antrag Drucksache IV/469, be-
Deshalb kommt dem Antrag der SPD, der erst in den
letzten Tagen vor der Sommerpause dem Parla- gründet von Herrn Abgeordneten Glombig. Wer
ment vorgelegt worden ist, zu diesem Zeitpunkt dafür ist, daß dieser Antrag auf die Tagesordnung
nur propagandistische Bedeutung zu. kommt, gebe bitte ein Handzeichen. — Gegenprobe!
— Das ist die gleiche Mehrheit; auch dieser Antrag
(Erneuter Beifall bei den Regierungspar ist abgelehnt.
teien. — Abg. Schmitt-Vockenhausen:
Monatelang haben Sie die Beamten mit Es folgt der Antrag Drucksache IV/468, begründet
Versprechungen hingehalten! — Weitere von Herrn Abgeordneten Dr. 'Schellenberg. Wer
Zurufe von der SPD.) dafür ist, daß dieser Antrag auf die Tagesordnung
kommt, gebe bitte ein Handzeichen. — Gegenprobe!
Die Serie von Anträgen der sozialdemokratischen — Das ist wieder die gleiche Mehrheit. Die Tages-
Fraktion auf den verschiedensten Gebieten des ordnungsanträge sind abgelehnt.
wirtschaftlichen und sozialen Lebens erfordert zu-
sätzliche Mittel, die in die Milliarden gehen. (Abg. Schmitt-Vockenhausen: In der Ableh
nung ist sich die Koalition sogar mal
(Sehr richitg! bei der CDU/CSU.) einig! — Abg. Erler: Es ist halt eine
Die Anträge sind ohne Deckungsvorschläge vorge- negative Koalition!)
legt worden. Meine Damen und Herren, wir kommen zur Tages-
(Hört! Hört! bei der CDU/CSU.) ordnung. Ich rufe auf Punkt 1:
Ihre agitatorische Absicht im Hinblick auf die bevor- Fragestunde (Drucksachen IV/510, IV/537).
stehenden Wahlen ist eindeutig erkennbar. Die Fragestunde schließt um 10.30 Uhr.
,(Beifall bei den Regierungsparteien.) Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts; Frage I/1.
Die Entscheidungen, die hier zu fällen sind, kön- — des Herrn Abgeordneten Ollenhauer —:
nen nur im Rahmen einer sozialpolitischen Gesamt- Welche Bemühung wird die Bundesregierung unternehmen,
um den vom Bundestag gewünschten Beitritt Großbritanniens zu
konzeption und in Würdigung der Finanz- und Haus- den Europäischen Gemeinschaften als wichtigsten und vordring-
haltslage des Bundes getroffen werden. Das ist erst lichsten Schritt auf dem Wege zum europäischen Zusammenschluß
herbeizuführen?
im )Herbst möglich. Die Regierungsparteien werden
bei den Beratungen im Herbstinsbesondere auch Zur Beantwortung der Herr Bundesminister des
die Fortentwicklung des Rechts der Kriegsopferver- Auswärtigen.
sorgung in Angriff nehmen und bei allen Maßnah-
men auf eine familiengerechte Lösung bedacht sein. Dr. Schröder, Bundesminister des Auswärtigen:
Die Antwort auf diese Frage lautet wie folgt: Die
Ich bitte, die Anträgeabzulehnen. deutsche Delegation bei den Brüsseler Regierungs-
(Beifall bei den Regierungsparteien. — verhandlungen über den Beitritt Großbritanniens
Zuruf von der SPD: Den Beifall werden wird alles in ihren Kräften Stehende tun, um diese
wir uns merken!) Verhandlungen zu einem baldigen erfolgreichen Ab-
schluß zu führen.
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Wünschen Sie
das Wort zur Tagesordnung? Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Eine Zusatz-
frage? — Herr Abgeordneter Ollenhauer.
Dr. Miessner (FDP) : Ich bitte um das Wort zu
einer Erklärung zur Abstimmung über die Tages- HerMinst,chmöSe (SPD): Olenhaur
ordnung. fragen, ob Sie als Mitglied des Ministerrates der
Gemeinschaft sich bei den kommenden Verhandlun-
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Herr Abge- gen für die baldige positive Erledigung der Auf-
ordneter Miessner, ich möchte Erklärungen nach nahme Großbritanniens in die Gemeinschaft einset-
§ 36 nicht in dieser Debatte zur Tagesordnung ent-
zen werden.
gegennehmen. Ich gebe anheim, eine Erklärung zur
Abstimmung nach § 59 abzugeben. Eine solche Er- *) Siehe Anlage 2
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1962 1483

Dr. Schröder, Bundesminister des Auswärtigen: gestellt ist, hinaus, Herr Kollege Mommer; aber ich
Ich kann Ihnen sagen, Herr Kollege Ollenhauer: ich glaube, ich teile Ihre Meinung.
werde heute nachmittag nach Brüssel fahren, um an
diesen dreitägigen Verhandlungen in dem Sinne, Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Keine weitere
wie ich es gerade erklärt habe, teilzunehmen. Zusatzfrage.
Frage I/2 — des Herrn Abgeordneten Erler —:
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Eine Zusatz-
Ist die Assoziierung der europäischen Neutralen (Schweden,
frage des Herrn Abgeordneten Majonica. Schweiz, Osterreich) mit der EWG nach Meinung der Bundes-
regierung nicht nur unbedenklich, sondern den Zwecken der
EWG und der europäischen Zusammenarbeit sehr dienlich?
Majonica .(CDU/CSU) : Ist die Bundesregierung
Zur Beantwortung der Herr Bundesminister des
nicht auch der Meinung, daß eine Formel gefunden
Auswärtigen.
werden kann, die den möglichst baldigen Beitritt
Großbritanniens im Rahmen der Verträge unter Be-
rücksichtigung berechtigter Interessen des Common- Dr. Schröder, Bundesminister des Auswärtigen:
wealth möglich macht? Die Antwort auf diese Frage lautet wie folgt:
Traditionell sind diese drei neutralen Staaten
Dr. Schröder, Bundesminister des Auswärtigen: wirtschaftlich mit den Mitgliedstaaten eng verfloch-
Herr Kollege Majonica, ich halte das für möglich. ten. Die Art und Weise ihrer Beteiligung am Ge-
meinsamen Markt wirft eine Reihe von Problemen
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Eine Zusatz- auf, die sich nicht im Rahmen der Fragestunde
frage des Herrn Abgeordneten Birrenbach. behandeln lassen. Unsere Grundlinie ist es, nach
Lösungen zu suchen, die dem besonderen Interesse
Dr. Birrenbach (CDU/CSU) : Ist sich die Bundes- und der besonderen Lage dieser drei Länder Rech-
regierung darüber klar, daß ein erfolgreicher Ver- nung tragen.
lauf der Verhandlungen über den Eintritt Großbri-
tanniens in die EWG von den Vereinigten Staaten Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Eine Zusatz-
geradezu als eine Voraussetzung für die Entwick- frage.
lung einer Partnerschaft zwischen dem vereinigten
Europa von morgen und den USA angesehen wird? Erler (SPD) : Ist sich die Bundesregierung bewußt,
daß angesichts der Zugehörigkeit dieser drei Länder
Dr. Schröder, Bundesminister des Auswärtigen: zur europäischen Völkerfamilie, und zwar der Fa-
Ihre Meinung ist zutreffend, Herr Kollege. milie der freien Völker Europas, die Beziehungen
zwischen der Gemeinschaft und den drei euro-
(Heiterkeit.)
päischen neutralen Ländern wirksamer gestaltet
werden müssen als lediglich etwa wie durch Han-
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Eine Zusatz- delsabkommen zwischen der Gemeinschaft und
frage des Herrn Abgeordneten Erler. Japan oder anderen Ländern anderer Kontinente?

Erler (SPD) : Darf davon ausgegangen werden, Dr. Schröder, Bundesminister des Auswärtigen:
daß der Herr Bundeskanzler bei seiner Reise nach Ich würde zweierlei sagen. Erstens, es handelt sich
Paris in ähnlicher Weise die Haltung der Bundes- hier um eine sehr enge Beziehung, um eine engere
regierung vertreten wird, wie es soeben der Herr Beziehung als z. B. bei der Beziehung zu Japan,
Außenminister in dieser Frage in diesem Hause ge- die Sie erwähnten. Zweitens wird lange und, ich
tan hat? glaube, ausführlich darüber zu sprechen sein, wel-
ches die beste Art der Verbindung dieser drei
Dr. Schröder, Bundesminister des Auswärtigen: Neutralen mit den in der EWG zusammengefaßten
Herr Kollege Erler, ich habe hier gerade Erklärun- Staaten ist.
gen im Namen der Bundesregierung abgegeben.
(Beifall bei der CDU/CSU.) Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Eine Zusatz-
frage, Herr Abgeordneter Dr. Schmid (Frankfurt)!
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Eine Zusatz-
frage des Herrn Abgeordneten Mommer. Dr. Schmid (Frankfurt) (SPD) : Herr Minister, hält
die Bundesregierung die bloße Tatsache, daß diese
Dr. Mommer (SPD) : Herr Minister, sind Sie be- Staaten neutral sind, für ein absolutes Hindernis
reit, zu erklären, daß die Aufnahme Großbritanniens einer vollen Assoziation an die EWG?
unter den verschiedenen Zielen, die gegenwärtig in
der europäischen Politik verfolgt werden — ich Dr. Schröder, Bundesminister des Auswärtigen:
nenne nur, außer dem Ziel der Aufnahme, das Zu- Herr Kollege Schmid, das läßt sich nicht mit wenigen
standekommen einer politischen Gemeinschaft — Worten beantworten. Die Lage, auch hinsichtlich
den ersten Rang in der Liste der zu verfolgenden der Neutralität, ist bei diesen drei Staaten etwas
Ziele einnimmt? unterschiedlich, und daher ist auch die Interessen-
lage unterschiedlich. Neutralität als solche ist kein
Dr. Schröder, Bundesminister des Auswärtigen: Hindernis für Assoziierung, wie z. B. die afrika-
Das geht ein bißchen über die Grundfrage, die hier nischen Staaten zeigen.
1484 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1962

Dr. Schmid (Frankfurt) (SPD) : Nun ist die Neu- an eine einseitige Zusammenarbeit von dreien ge-
tralität der afrikanischen Staaten ja etwas anderes dacht.
als die der. Schweiz.
Dr. Schmid (Frankfurt) (SPD) : Darf ich fragen,
Dr. Schröder, Bundesminister des Auswärtigen: warum diesbezügliche Meldungen über Außerungen
Ja, in der Tat. des Herrn Bundeskanzlers nicht dementiert worden
(Heiterkeit.) sind.

Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Bine zweite Dr. Schröder, Bundesminister des Auswärtigen:
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Erlerl Herr Kollege Schmid, es gibt vielerlei Arten von
Meldungen, und es gibt einen mehr oder weniger
Erler (SPD) : Isst der Fortgang der Integration hohen Grad des Zutreffens und Nichtzutreffens von
unter den Vollmitgliedern der Gemeinschaft nach Meldungen. Es gibt auch vielerlei Arten von Demen
der Meinung des Herrn Bundesaußenministers durch tis. Hier bestand kein Anlaß, irgendeine Meldung
die Assoziierung von Neutralen, die ja auf den zu dementieren.
Fortgang der Integration der Vollmitglieder gar kei- -
nen Einfluß nehmen können, in irgendeiner Weise Dr. Schmid (Frankfurt) (SPD) : Darf ich eine
gefährdet oder nicht? zweite Zusatzfrage stellen, Herr Präsident?
Dr. Schröder, Bundesminister des Auswärtigen:
Ich glaube nicht, daß er gefährdet wäre. Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Eine zweite
Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Schmid
Erler (SPD) : Danke. (Frankfurt) !

Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Eine Zusatz- Dr. Schmid (Frankfurt) (SPD) : Meine Frage ist
frage des Herrn Abgeordneten Dr. Friedensburg! sehr allgemein: Glauben Sie nicht, Herr Minister,
daß Europa nur dann europäisch sein wird, wenn
Dr. Dr. h. c. Friedensburg (CDU/CSU) : Teilt kein Unterschied zwischen Großen und Kleinen ge-
nicht die Regierung grundsätzlich die Ansicht, daß macht wird, und zwar auch hinsichtlich der politi-
die drei Länder, die von jeher einen so wesentlichen schen Einschätzung ihrer Bedeutung für Europa?
Beitrag zu Europas Kultur und Wirtschaft geleistet
haben, unter allen Umständen in irgendeiner Form Dr. Schröder, Bundesminister des Auswärtigen:
beteiligt werden müssen? Ich kann Ihrer Auffassung nur zustimmen. Alles, was
wir bisher auf dem Gebiet der europäischen Eini-
Dr. Schröder, Bundesminister des Auswärtigen: gung getan haben, beruht im Grunde auf dem
Ich glaube, Herr Kollege Friedensburg, die Antwort Grundsatz der Gleichberechtigung.
lautet: Diese drei Länder sollen auch in Zukunft so
eng wie möglich mit den anderen verbunden blei- Dr. Schmid (Frankfurt) (SPD) : Ich höre das gern.
ben.
(Beifall.)
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Eine Zusatz-
frage des Herrn Abgeordneten Wehner!
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Meine Damen
und Herren, ich gehe weiter zur Frage I/3, gestellt
von Herrn Abgeordneten Dr. Schmid (Frankfurt). Wehner (SPD) : Der Herr Minister hat, wenn ich
ihn recht verstanden habe, gesagt, es habe keine
(Abg. Metzger: Ich wollte noch eine Zusatz
Ursache für ein Dementi bestanden. Meine Zusatz-
frage stellen, Herr Präsident!)
frage: Ist also die Erklärung des Bundesverteidi-
— Meine Damen und Herren, ich muß daran erin- gungsministers in seiner Rede über aktuelle Fragen
nern, daß es in der Verantwortung des Präsidenten im Verhältnis Amerika — Europa vor einer ameri-
liegt, die Fragestunde so durchzuführen, daß nicht kanischen Universität, am 14. Juni gehalten, kein
nur die ersten zehn oder zwanzig Fragen beant- Dementi? Ich meine folgenden Satz:
wortet werden. Es sind hundert Fragen gestellt
Die Frage, ob eine politische Union einen klei-
worden. Ich muß dafür Sorge tragen, daß die, die
neren Kreis von Staaten umfassen kann als die
weiter hinten stehen, auch noch drankommen.
Europäische Wirtschaftsgemeinschaft, ist von
(Sehr richtig! in der Mitte.) Bundeskanzler Adenauer vor wenigen Tagen
Ich rufe also die Frage I/3 — des Herrn Abgeord- angeschnitten worden. Diese Frage kann aber
neten Dr. Schmid (Frankfurt) — auf: zur Zeit nicht eindeutig beantwortet werden.
Ist sich die Bundesregierung der Gefahren bewußt, die der Ist das kein Dementi, oder muß diese Erklärung des
europäischen Einigungspolitik von einer besonders intensiven
einseitigen Zusammenarbeit der drei großen Mitglieder der Bundesverteidigungsministers dementiert werden,
Gemeinschaft drohen könnten? soweit sie den Bundeskanzler betrifft?
Zur Beantwortung der Herr Bundesminister des
Auswärtigen! Dr. Schröder, Bundesminister des Auswärtigen:
Herr Kollege Wehner, ich würde einmal versuchen,
Dr. Schröder, Bundesminister des Auswärtigen: die Sache ein bißchen im Zusammenhang zu sehen.
Die Antwort auf diese Frage lautet: Wir haben nie Wenn über EWG und Politische Union gesprochen
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1962 1485
Bundesminister Dr. Schröder
wird, muß man sich darüber klar sein, daß die ge- offen zu halten. Ein bißchen sind solche auf Einstim-
genwärtige Ausgangslage für eine Politische Union migkeit angewiesenen Gemeinschaftswerke ja vom
die bisherigen Arbeiten und Leistungen und die bis- Mitziehen aller abhängig. Ich glaube, das werden
herge Gemeinschaft der Sechs darstellen. Im Blick Sie einräumen. Aber wir werden in den nächsten
auf die Zukunft mag durchaus offen bleiben, ob sich Wochen und Monaten noch viel Mühe mit dieser
der Kreis der an der EWG Beteiligten und der Kreis Sache haben.
der an einer Politischen Union Beteiligten absolut
(Abg. Dr. Schmid [Frankfurt] : Wir werden
decken müssen. Wir haben, wie Ihnen vielleicht er-
Ihnen helfen!)
innerlich ist, im Kreis der Außenminister im Dezem-
ber in Paris den Standpunkt eingenommen, daß mög-
lichst der Kreis der EWG-Angehörigen und der der Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Keine Zusatz-
Politischen Union Angehörigen zur Deckung ge- frage.
bracht werden sollten. Ich habe damals den Aus- Frage 1/4 — des Herrn Abgeordneten Dr. Deist —:
druck „sollten" gebraucht, um ein bißchen zwischen Vermag sich die Bundesregierung der Stellungnahme des 4.
„sollen" und „müssen" zu unterscheiden. Aber im Internationalen Kongresses der Europäischen Bewegung in Mün-
chen vom 6. Juni 1962 anzuschließen, in der es u. a. - heißt: der
Blick auf die Zukunft bleibt es offensichtlich doch Vertrag über die politische Einigung Europas ,,muß ine r
eine offene Frage, ob sich unbedingt und zu allen oder mehreren Etappen neue Kompetenzen auf dem Gebiet der
Außen- und Verteidigungspolitik dem Rat der bestehenden Ge-
Zeiten Mitgliedschaft der EWG und Politische Union meinschaften zuteilen, der auf der Ebene der Staats- oder Re-
gierungschefs oder auch der Minister zusammentritt und auf
decken müssen, vor allen Dingen, wenn Sie daran Vorschlag der schließlich zusammengeschlossenen Exekutiven
denken, daß die Zahl der Beitrittsgesuche ziemlich seine Entscheidungen zunächst mit Einstimmigkeit und später
mit qualifizierter Mehrheit trifft. Diese Exekutive, die unab-
gewachsen ist. hängig von den Staaten ist und das allgemeine europäische
Interesse vertritt, wacht über die Durchführung der Entschei-
dungen. In der Ausübung dieser neuen Kompetenzen müssen
der Rat und die Exekutive der Kontrolle des Parlaments und des
Präsident D. Dr. Gerstenmaler: Eine zweite Gerichtshofes unterstellt sein"?
Zusatzfrage?
Dr. Schröder, Bundesminister des Auswärtigen:
Wehner (SPD) : Ich bedanke mich. Ich wollte nur Die Antwort auf diese Frage lautet: Die Bundes-
fragen, ob nun diese unterschiedlichen Auffassungen regierung kann den Vorschlägen des Memorandums
und öffentlich gegenübergestellten Auffassungen des im wesentlichen zustimmen. Da die Verhandlungen
Bundeskanzlers und seines Verteidigungsministers über das politische Statut schweben, möchte ich auf
unter einen Hut zu bringen sind. Einzelheiten nicht näher eingehen.

Dr. Schröder, Bundesminister des Auswärtigen: Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Eine Zusatz-
Herr Kollege Wehner, ich hoffe, Sie stimmen zu, daß frage.
ich hier eine gewisse Harmonisierung vorgenommen
habe. Dr. Deist (SPD) : Da bekannt ist, daß unter Um-
ständen — auch nach Ihren Darlegungen — Über-
(Große Heiterkeit. — Beifall bei den Regie
rungsparteien.) gangslösungen in Frage kommen, darf ich fragen,
ob Sie bereit wären, alles zu tun, damit bei den
Verhandlungen eine Konstruktion gewählt wird, die
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Eine Zusatz- die Handlungs- und Entwicklungsfähigkeit der be-
frage des Herrn Abgeordneten Dr. Mommer. stehenden Gemeinschaften nicht beeinträchtigt, son-
dern sich im Gegenteil in sie einfügt und diese
Dr. Mommer (SPD) : Herr Minister, sind Sie mit Gemeinschaften stärkt.
mir der Meinung, daß in der bisherigen europäischen
Entwicklung zu kleineren Zusammenschlüssen nur Dr. Schröder, Bundesminister des Auswärtigen:
dann gegriffen wurde, wenn es sich zeigte, daß an- Herr Kollege Deist, das ist in der Tat die Linie
dere Staaten nicht bereit waren, die notwendigen gewesen, die wir in den vergangenen Monaten ein-
Verzichte an Rechten und an Selbständigkeit zu lei- genommen haben.
sten, und daß, wenn man hier zu einem Dreibund
griffe, es umgekehrt wäre. Es sind nämlich die drei
Kleinen, die bereit sind, mehr Verzichte zu leisten,
Dr. Deist (SPD) : Danke sehr! Darf ich eine zweite
Frage stellen?
und einer der Großen ist nicht bereit, auf dem Wege
zu mehr Gemeinsamkeit vorwärtszugehen.
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Eine zweite
Zusatzfrage.
Dr. Schröder, Bundesminister des Auswärtigen:
Herr Kollege Mommer, die bisherigen Bemühungen
Dr. Deist (SPD) : Wären Sie bereit, zur Stärkung
um die Politische Union, sagen wir einmal, in den
der bestehenden Gemeinschaften darauf hinzuwir-
letzten zwölf Monaten, waren ein bißchen eine Lei- ken, daß die drei Exekutiven endlich fusioniert
densgeschichte. Ich will die Schuldfrage jetzt nicht
werden?
im einzelnen untersuchen; dazu brauchten wir eine
größere Debatte. Aber, bitte, gehen Sie davon aus,
daß wir anstreben, so schnell wie möglich zu' einer Dr. Schröder, Bundesminister des Auswärtigen:
Politischen Union zu kommen und in sie auch mög- Unser Ziel ist das. Daß es recht schwierig ist, wissen
lichst alle die einzubeziehen, die der EWG der- Sie aus eigenen Erlebnissen.
zeit angehören, und darüber hinaus die Türen (Abg. Dr. Deist: Danke! — Heiterkeit.)
1486 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1962

Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Eine Zusatz- Dr. Schröder, Bundesminister des Auswärtigen:
frage? — Herr Abgeordneter Dr. Kopf. Die Sache ist im Ministerrat noch nicht behandelt
worden. Ich müßte mich, um keine Divergenzen auf-
Dr. Kopf (CDU/CSU) : Herr Minister, ist die Bun- kommen zu lassen, wohl so ausdrücken: Wir haben
desregierung der Auffassung, daß der Vertrag über alle diesbezüglichen Vorarbeiten unterstützt. Das
die politische Einigung Europas die sich aus den wäre vielleicht korrekter.
Römischen Verträgen ergebenden Rechte und (Zuruf von der SPD: Seit zwei Jahren!)
Pflichten der Mitgliedsstaaten unangetastet lassen
soll, daß sich ferner die Übernahme von Verteidi-
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Zusatzfrage,
gungsaufgaben durch die Politische Union im Rah-
Herr Abgeordneter Majonica!
men der NATO vollziehen soll und daß ferner die
Fortführung der europäischen Einigungsbestrebun-
gen durch die Schaffung einer geeigneten Revisions- Majonica (CDU/CSU) : Hält die Bundesregierung
bestimmung erleichtert werden soll? die Einführung allgemeiner und unmittelbarer Wah-
len zum Europäischen Parlament für geeignet, um
Dr. Schröder, Bundesminister des Auswärtigen: die Wirkungskraft des Europäischen Parlaments zu
Herr Kollege Kopf, die Bundesregierung teilt die erhöhen?
Meinung, die Sie gerade dargelegt haben.
Dr. Schröder, Bundesminister des Auswärtigen:
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Aber ich ver- Ja, wir sind dieser Meinung.
weise auf die Nummer 7 der Richtlinien für die
Fragestunde, wonach Fragen kurz und konkret ge- Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Zusatzfrage,
stellt werden müssen und, verehrter Herr Kollege Abgeordneter Professor Schmid!
Kopf, Unterfragen nicht zulässig sind. Die Frage,
die Sie jetzt vorgelegt haben, bestand eigentlich aus Dr. Schmid (Frankfurt) (SPD) : Herr Minister —
drei Zusatzfragen. Sie sprachen von den Vorarbeiten, die Sie hier
(Zuruf von der CDU/CSU: Das gilt aber vorgenommen haben —, haben Sie darauf gedrängt,
auch für den Haupttext der Frage 4!) daß diese Vorarbeiten möglichst rasch abgeschlossen
— Was denn? Lesen Sie: werden?

Eine Anfrage darf nur eine konkrete Frage ent- Dr. Schröder, Bundesminister des Auswärtigen:
halten. Sie darf nicht in mehrere Unterfragen Herr Kollege Schmid, diese Vorarbeiten sind zu
unterteilt werden. einem gewissen Abschluß gelangt. Aber alle die-
Das steht in meiner Geschäftsordnung, und die muß jenigen, die sich an dieser Debatte beteiligen, wis-
ich einhalten. sen, daß es auch unter den Mitgliedern der EWG
Ich gehe jetzt weiter zur Frage I/5 — des Herrn keine totale Übereinstimmung gibt. Es gibt hier
Abgeordneten Dr. Mommer —: noch Schwierigkeiten, die uns sicher noch geraume
Zeit beschäftigen werden.
Hält die Bundesregierung den Auftrag der Artikel 138 (EWG-
Vertrag), Artikel 108 (Euratom-Vertrag) und des revidierten
Artikels 21 (Montanunion-Vertrag) über die Ausarbeitung eines
Entwurfs für allgemeine unmittelbare Wahlen zum Europaparla- Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Frage I/6 —
ment für eine auch die Ministerräte der drei Gemeinschaften
bindende Verpflichtung? des Herrn Abgeordneten Mattick —:
Bitte, Herr Bundesaußenminister. Wird sich die Bundesregierung der Aufnahme von bestimmten
Ländern als Vollmitglieder der EWG widersetzen, wenn und
solange deren innere politische Struktur nicht den Erfordernissen
der Menschenrechtskonvention des Europarates vom 4. Novem-
Dr. Schröder, Bundesminister des Auswärtigen: ber 1950 entspricht?
Die Antwort ist sehr kurz, Herr Präsident und Herr Zur Beantwortung der Herr Bundesminister des
Kollege Dr. Mommer. Die Antwort lautet: ja. Auswärtigen.
(Beifall in der Mitte.)
Dr. Schröder, Bundesminister des Auswärtigen:
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Zusatzfrage? Die Antwort lautet, daß diese Frage hypothetisch ist
und daß solche Anträge, auf die abgehoben wird,
Dr. Mommer (SPD) : Welche Folgerung haben meines Wissens nicht vorliegen.
Sie bisher aus dem Ja gezogen, Herr Minister?
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Zusatzfrage!
Dr. Schröder, Bundesminister des Auswärtigen:
Herr Kollege Mommer, wir haben alle diesbezügliche Mattick (SPD) : Herr Minister, billigt die Bundes-
Arbeiten unterstützt. regierung die Äußerung, die Herr Minister von
Merkatz in diesen Tagen in Madrid gemacht hat?
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Zweite Zu-
satzfrage! (Abg. Rasner: Das ist keine Zusatzfrage!)
— Ich glaube, es ist eine Zusatzfrage, die sich auf
Dr. Mommer (SPD) : Wann haben Sie im Mini- Spanien bezieht, wo der Herr Minister festgestellt
sterrat den Entwurf des Europaparlaments zur De- hat, daß Demokratie und Autorität keine Gegen-
batte gestellt? sätze seien, sondern sich ergänzen könnten. Ich
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1962 1487
Mattick
glaube, es ist insofern eine Zusatzfrage, als in meine Dr. Schröder, Bundesminister des Auswärtigen:
Frage auch Spanien einbezogen ist und darüber Herr Kollege Mattick, ich muß leider wiederholen,
jetzt Gespräche laufen. was ich gesagt habe: da die Grundfragestellung
(Widerspruch bei der CDU/CSU.) hypothetisch ist, werden Sie nicht erwarten können,
daß ich hier ein so generelles Urteil über die spa-
nischen Verhältnisse ausspreche.
Dr. Schröder, Bundesminister des Auswärtigen:
Herr Kollege Mattick, wenn der Herr Präsident die (Beifall bei der CDU/CSU.)
Frage zuläßt, habe ich keine Bedenken, darauf eine
Antwort zu geben. Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Zusatzfrage
des Abgeorneten Dr. Kohut.
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Herr Bundes-
außenminister, der Präsident läßt die Frage zu.
Dr. Kohut (FDP) : Herr Minister, war das, was
Sie hier .vorgetragen haben, eine Rechtfertigung für
die Existenz faschistischer Diktaturen in der Euro-
Dr. Schröder, Bundesminister des Auswärtigen: päischen Wirtschaftsgemeinschaft?
Dann darf ich kurz folgendes dazu sagen. Ich lese (Beifall bei der FDP und der SPD. — Oh!-
einmal ein Stückchen aus der „Frankfurter Allge- Rufe bei der CDU/CSU.)
meinen Zeitung" von gestern vor, das diese Aus-
führungen meines Kollegen von Merkatz ins richtige
Licht setzt. Dort heißt es folgendermaßen:
Dr. Schröder, Bundesminister des Auswärtigen:
Herr Kollege Kohut, ich habe etwas als Antwort auf
Bundesminister von Merkatz fand Beifall, als eine Frage vorgelesen. Wie Sie das, was dort in der
er sagte, daß alles, was in Spanien geschehe „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" berichtet ist,
oder Spanien angehe, ganz zwangsläufig einen werten wollen, muß ich Ihnen selbst überlassen.
Teil allgemeiner europäischer Sicherheit und (Abg. Rasner: Und der Intelligenz!)
Entwicklung darstelle und daß darum auch eine
friedliche innere Evolution hinter den Pyre-
näen allgemeine europäische Herzensangelegen- Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Zweite' Zu-
heit sein sollte. Der spanische Entwicklungs- satzfrage des Herrn Abgeordneten Kohut.
prozeß müsse sich ohne parteigebundene oder
parteibestimmende Einmischung des Auslandes Dr. Kohut (FDP) : Darf ich dennoch fragen, Herr
in drei großen Etappen vollziehen: wirtschaft- Minister, ob das, was Sie verlesen haben, eine Wer-
liche Mobilisierung und Einordnung nach tung einer Äußerung eines Ihrer Kollegen war?
Europa, soziale Hebung und Angleichung und
schließlich politische Evolution, die Spanien mit Dr. Schröder, Bundesminister des Auswärtigen:
den großen demokratischen Industriestaaten des Herr Kollege Kohut, ich kann es nicht noch einmal
Westens auf gleichen politischen und ideolo- vorlesen. Ich habe diese Zusammenfassung zitiert,
gischen Grundlagen vereint und zusammen- um einen Eindruck von dem zu geben, was Herr von
schließen soll. Der deutsche Minister hat dabei Merkatz, dessen Äußerung ein bißchen falsch darge-
die Bedeutung der engen politischen Zusam- stellt worden ist, wirklich gesagt hat, mit welcher
menarbeit Frankreichs und der Bundesrepublik Tendenz er sich ausgesprochen hat, und ich erlaube
für diesen spanischen Evolutionsprozeß beson- mir sogar die Vermutung, Herr Kollege Kohut, daß
ders hervorgehoben; Vertreter Frankreichs und Sie mit dieser Tendenz übereinstimmen werden.
Englands sprachen ähnliche Erwartungen aus. (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU.)
Die starke Resonanz, die solche Bekenntnisse
beider Seiten über die Unteilbarkeit spanischer Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Zusatzfrage
und europäischer Entwicklung in der Offent- des Herrn Abgeordneten Professor Schmid.
lichkeit, vor allem aber in den politischen
Oberschichten Madrids ausgelöst haben, wird Dr. Schmid (Frankfurt) (SPD) : Ich habe unabhän-
zweifellos dazu beitragen, das politische Klima gig von Spanien die Frage, ob die Bundesregierung
in Spanien wieder zu normalisieren. der Meinung ist, daß das Nichtübereinstimmen eines
Ich glaube, daß ist eine — wenn auch vielleicht Regimes mit der Menschenrechtskonvention ein ab-
etwas indirekte — Antwort auf Ihre Frage. solutes Hindernis für den Beitritt zur EWG ist. Es
gibt ja auch andere Staaten als Spanien, bei denen
das Problem sich stellen würde.
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Eine zweite
Zusatzfrage des Abgeordneten Mattick. Dr. Schröder, Bundesminister des Auswärtigen:
Ich sage noch einmal: ich möchte, damit wir prak-
Mattick (SPD) : Darf ich den Herrn Minister fra- tisch genug bleiben, nicht so gern auf hypothetische
gen, ob die Bundesregierung dann mit mir der Auf- Fragestellungen eingehen. Was wir hier besprechen,
fassung ist, daß bisher die spanischen Verhältnisse ist die Frage, wie wir uns zu vorliegenden Beitritts-
der Menschenrechtskonvention des Europarats nicht und Assoziierungsgesuchen verhalten. Ich glaube,
entsprechen und daher bisher die Schlußfolgerung man sollte das nicht auf theoretische Fragestellungen
richtig ist, daß Spanien nicht ein ordentliches Mit- ausweiten.
glied der EWG werden kann? (Beifall bei der CDU/CSU.)
1488 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1962

Dr. Schmid (Frankfurt) (SPD) : Dann darf ich die das vorgesehene Statut der Politischen Union soll
Frage nicht theoretisch, sondern moralisch stellen: das Europaparlament weitere Befugnisse erhalten.
Gibt es für die Bundesregierung keine absoluten
Hindernisse? Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Eine Zusatz-
frage!
Dr. Schröder, Bundesminister des Auswärtigen:
Sicherlich gibt es absolute Hindernisse; wir sind Metzger (SPD) : Hier ist zunächst einmal von
aber bisher vor solche noch nicht gestellt worden. dem Europaparlament, das der EWG zugeordnet ist,
(Heitekeit und Beifall bei der CDU/CSU.) die Rede. Ist sich die Bundesregierung darüber klar,
daß die Tatsache, daß nach Artikel 189 des EWG-
Vertrages der Ministerrat, also die Minister die
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Zusatzfrage Gesetzgebungsgewalt haben, ein Verstoß gegen das
des Herrn Professor Friedensburg. demokratische Prinzip der Gewaltenteilung ist?

Dr. Dr. h. c. Friedensburg (CDU/CSU) : Würde Dr. Schröder, Bundesminister des Auswärtigen:
nicht nach Ansicht der Bundesregierung gerade die -
Ich würde mich nicht so hart ausdrücken — ein
Annäherung der Länder, von denen Kollege Mattick „Verstoß gegen das Prinzip der 'Gewaltenteilung"
gesprochen hat, an die Europäische Wirtschafts- —, wie Sie es tun. Aber, Herr Kollege Metzger, wir
gemeinschaft dazu beitragen, die von uns allen ge- stimmen wohl darin überein, daß es sich um einen
wünsthte Evolution herbeizuführen bzw. zu erleich- Entwicklungsprozeß handelt und handeln muß und
tern? erst am Ende die vollverantwortliche Regierung
(Beifall bei der CDU/CSU.) und das vollbefugte Parlament stehen kann. Das er-
gibt sich, 'glaube ich, aus den natürlichen Gegeben-
Dr. Schröder, Bundesminister des Auswärtigen: heiten dieses Wachstumsprozesses.
Ich möchte auf jeden Fall sagen, ohne damit end-
gültig auf Ihre Frage einzugehen, daß wir alles tun Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Eine zweite
sollten, um diese Annäherung herbeizuführen. Zusatzfrage!

Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Zusatzfrage Metzger (SPD) : Sie sagen, es handle sich um
des Herrn Abgeordneten Blachstein. einen Entwicklungsprozeß. Ist die Regierung bereit,
diese Entwicklung zu fördern, z. B. in der Weise —
abgesehen von einer Änderung des Vertrages —,
Blachstein (SPD) : Herr Minister, ist sich die Bun-
daß sich der Ministerrat bereit erklären würde, nur
desregierung darüber im klaren, daß durch Reden
dann Verordnungen zu erlassen, wenn das Euro-
wie die des Herrn Ministers Merkatz in Madrid der
päische Parlament zustimmt?
Eindruck entstehen kann, daß ein Regime, das unter
aktiver Mithilfe der deutschen Reichsregierung Hit-
ler an die Macht gelangt ist, von der heutigen Bun- Dr. Schröder, Bundesminister des Auswärtigen:
desregierung in ihrer Tätigkeit und ihrer Praxis .ge- Ich möchte mich jetzt nicht so definitiv festlegen,
stützt wind? Meinen Sie nicht, daß damit die demo- sondern nur sagen, daß gerade dieser gesamte Fra
kratische Glaubwürdigkeit der Bundesrepublik genkomplex bei den Arbeiten am politischen Statut
Deutschland im In- und Ausland in Frage gestellt immer wieder von neuem behandelt worden ist und
wenden kann? weiter behandelt werden wird unid das wir das im
Lichte einer fortschreitenden Ausweitung der parla-
mentarischen Befugnisse tun. Sie kennen die Ent-
Dr. Schröder, Bundesminister des Auswärtigen: würfe, die im einzelnen so aussehen, daß es jetzt
Herr Kollege Blachstein, ich würde es bedauern, gewisse Befugnisse gibt und daß über gewisse wei-
wenn die Fragestellung tatsächlich so behandelt tere Befugnisse 'in einer zweiten Stufe gesprochen
würde, wie Sie sie hier gerade gestellt haben. Ich werden soll.
glaube, man sollte sie ein bißchen versöhnlicher
und ein 'bißchen in die Zukunft blickend vornehmen, Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Ich rufe auf
und gerade deshalb fand ich diese Darlegung der die Frage I/8 — des Herrn Abgeordneten Wehner—:
„Frankfurter Allgemeinen Zeitung" so hervorragend. Meinte der Herr Bundeskanzler mit seiner Bemerkung über
die Gefahr des Platzens der EWG vor der Presse in Berlin, daß
(Beifall bei der CDU/CSU.) dies durch den Beitritt Großbritanniens, Dänemarks, Norwegens,
Irlands oder die Assoziierung der europäischen neutralen Staa-
ten gegeben sei?

Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Ich rufe auf Zur Beantwortung der Herr Bundesminister des
Frage I/7 — des Herrn Abgeordneten Metzger —: Auswärtigen. .
Was ist die Bundesregierung zu tun bereit, um über die
Stärkung der Position des Europaparlaments eine demokratisch
parlamentarische Entwicklung Europas zu fördern?
Dr. Schröder, Bundesminister des Auswärtigen:
Die Antwort auf diese Frage lautet: nein. Der Herr
Zur Beantwortung der Herr Bundesminister des Bundeskanzler hat vielmehr seiner Besorgnis Aus-
Auswärtigen. druck gegeben, daß ein zu rasches Wachstum der
EWG die Führungs- und Verwaltungsschwierigkei-
Dr. Schröder, Bundesminister des Auswärtigen: ten außerordentlich erhöhen würde. Diese Besorgnis
Die Antwort auf diese Frage lautet wie folgt. Durch ist offenbar begründet.
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1962 1489

Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Eine Zusatz- Freiherr zu Guttenberg (CDU/CSU) : Würde


frage! die Bundesregierung die Auffassung teilen, daß die
Voraussetzungen zum Erwerb der Vollmitglied-
Wehner (SPD) : Der Herr Bundeskanzler hat einer schaft im Gemeinsamen Markt und damit die Ab-
solchen Besorgnis Ausdruck gegeben. Bedeutet das, steckung der Grenzen dieses Gemeinsamen Marktes
daß es andere solche Gefahren gibt? Welche sieht wesentlich in der Anerkennung des Grundsatzes
die Bundesregierung mit dem Bundeskanzler? bestehen, den der britische Minister Heath am
l0. Oktober formuliert hat, als er uneingeschränkt
davon sprach, daß sich Großbritannien zum Geist
Dr. Schröder, Bundesminister des Auswärtigen: und Inhalt der Verträge bekenne?
Vielleicht haben Sie meine Antwort akustisch nicht
ganz gehört. Ich sagte: nein. Das gilt als Antwort
auf Ihre Frage. Ich erkläre neu, daß der Bundes- Dr. Schröder, Bundesminister des Auswärtigen:
kanzler Besorgnisse darüber geäußert hat, daß ein Herr Guttenberg, das ist überhaupt die Vorausset-
zu rasches Wachstum der EWG die Führungs- und zung für einen Beitritt. Die Voraussetzung für die
Verwaltungsschwierigkeiten außerordentlich erhö- volle Mitgliedschaft ist das Eintreten auf dem Bo-
hen würde. Ich meine in der Tat, daß diese Besorg- den der Römischen Verträge und die Bejahung ihrer
nis begründet ist. politischen Zielsetzung.

Wehner (SPD) : Akustisch ist das schon angekom- Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Eine Zusatz-
men. Ich möchte eine zweite Zusatzfrage stellen. frage des Herrn Abgeordneten Erler!
Ich wollte gern wissen, welche Gründe es für diese
Besorgnis eines zu raschen Verwaltungswachstums
noch gibt, wenn als Grund der Beitritt Großbritan- Erler (SPD) : Darf ich aus der Antwort auf die
niens, Dänemarks usw., der vielleicht gemeint sein Frage des Herrn Professor Schmid schließen, daß es
könnte, entfällt. sich bei den Wachstumsschwierigkeiten nicht han-
delt um Schwierigkeiten aus dem geographischen
Anwachsen der Mitgliedsländer, der Zahl der Mit-
Dr. Schröder, Bundesminister des Auswärtigen: gliedstaaten, sondern um das Anwachsen der Büro-
Herr Kollege Wehner, das Ganze wird doch ein zeit- kratie unter der Stabsführung des Vorsitzenden der
lich auseinandergezogener und gestaffelter Prozeß Wirtschaftskommission, Professor Hallstein?
sein. Wenn etwas wachsen soll, muß man es doch
möglichst in Übereinstimmung mit den das Wachs- (Heiterkeit.)
tum begleitenden Möglichkeiten halten. Wenn Sie
sich jetzt ein wenig die Personallage, die Personal-
anforderungen, die Größe der Apparate, die Größe Dr. Schröder, Bundesminister des Auswärtigen:
der Aufgabenstellung vor Augen halten, so werden Herr Kollege Erler, wir haben jetzt keine Möglich-
Sie zugeben, daß das alles nicht über Nacht erreicht keit, Herrn Präsidenten Professor Hallstein nach sei-
werden kann. Das wird, glaube ich, auch niemand nen Erfahrungen zu befragen. Sie haben vielleicht
annehmen. in diesen Tagen einmal privat diese Möglichkeit ge-
habt. Das ist offenbar ein sehr schwieriges Problem,
das eben nur in Phasen lösbar ist und von dessen
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Eine Zusatz- Endlösung wir alle bisher nur eine höchst unvoll-
frage des Herrn Abgeordneten Dr. Schmid! kommene Vorstellung haben. Deshalb ist es, glaube
ich, ganz nützlich, daß einmal das Augenmerk dar-
Dr. Schmid (Frankfurt) (SPD) : Eine Frage zu auf gerichtet wird. Sie konnten ja in den letzten
meiner besseren Erleuchtung. Sie sagten — wenn ich Tagen in Artikeln lesen, daß man auch Institutionen
recht verstanden habe —, es seien administrative überfordern kann, auch durch das Tempo des Bei-
Gesichtspunkte, die den Bundeskanzler zu seiner tritts.
Äußerung veranlaßt hätten. Wir haben jetzt mit der großen Aufgabe Groß-
britannien zu tun. Alle Aufgaben, die sich dann
Dr. Schröder, Bundesminister des Auswärtigen: anschließen werden, müssen in eine einigermaßen
Plus Führungsschwierigkeiten! nach Phasen abgestimmte Beziehung gesetzt wer-
den zu dem, was wir dann haben. Das Problem ist
also schwieriger, als es vielleicht aussieht.
Dr. Schmid (Frankfurt) (SPD) : Nicht politische
Gesichtspunkte?
Erler (SPD) : Also handelt es sich auch um Länder
Dr. Schröder, Bundesminister des Auswärtigen: und nicht nur um die Bürokratie.
Das ist zutreffend. Man kann es darauf verengen.
(Heiterkeit.) Dr. Schröder, Bundesminister des Auswärtigen:
Das Argument ist das, was ich gegeben habe; es
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Eine Zusatz- ist ein Hinweis darauf, daß sich die weitere Ent-
frage des Herrn Abgeordneten Freiherr zu Gutten- wicklung eben nur in gewissen, den Möglichkeiten
berg! entsprechenden Phasen vollziehen kann.
1490 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1962

Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Frage I/9 — institutionelle Einrichtungen sehr hoch schätzen, sie
des Herrn Abgeordneten Birkelbach —: anstreben und an ihnen arbeiten wollen und dann
Ist die Bundesregierung der Meinung, daß die politische Eini- dem völlig institutionsfreien formlosen Zusammen-
gung Europas durch die Einrichtung periodischer Konferenzen kommen eine so hohe Wirksamkeit zutrauen, wie
von Regierungschefs oder vielmehr durch die Schaffung von
handlungsfähigen europäischen Organen erreicht werden muß, Sie es offenbar gerade tun. Ich glaube, daß man
die einer wirksamen parlamentarischen Kontrolle unterliegen?
sozusagen erst einmal ein bißchen Gerüst oder ein
(Abg. Dr. Schmid [Frankfurt] : Schade, ich bißchen Plattform haben muß. Wir bemühen uns seit
hätte zum vorigen Punkt noch eine nette mehr als einem Jahr, dieses Stück politischer Platt-
Frage gehabt!) form zu schaffen, was im übrigen ja nicht aus-
schließt, daß es in weiten Feldern eine enge Zusam-
Dr. Schröder, Bundesminister des Auswärtigen: menarbeit gibt. Z. B. die Gemeinsamkeit der betei-
Die Antwort auf diese Frage lautet: Hier handelt es ligten Regierungen in der Behandlung von Beitritts-
sich nicht um ein Entweder-Oder, sondern um eine gesuchen usw. ist ja eine permanente politische
fortschreitende Entwicklung, für die beides erfor- Zusammenarbeit; das darf man nicht verkennen.
derlich ist.
(Beifall bei der CDU/CSU.) Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Eine Zusatz-
frage des Abgeordneten Freiherrn zu Guttenberg!
Präsident D. Dr. Gerstenmaier? Eine Zusatz-
frage des Herrn Abgeordneten Birkelbach! Freiherr zu Guttenberg (CDU/CSU) : Herr
Minister, darf ich der ersten Antwort, die Sie auf
Birkelbach (SPD) : Herr Minister, da die vertrag- die Frage des Herrn Abgeordneten Birkelbach gege-
liche Fixierung einer ersten Form — z. B. regel- ben haben, entnehmen, daß nach Auffassung der
mäßige Regierungskonferenzen — schon auf solche Bundesregierung die Institution periodischer Re-
Schwierigkeiten stößt, wäre es da unter Umstän- gierungskonferenzen nicht, wie Herr Abgeordneter
den nicht richtig, derartige Konferenzen auf der Birkelbach es offenbar vermutet hat, eine negative
Basis mindestens der sechs Staats- bzw. Regierungs- Alternative darstellt zur Schaffung handlungsfähiger
chefs zur praktischen Übung werden zu lassen und europäischer Organe, sondern im Gegenteil selbst
dann erst die Form etwas näher zu fixieren? die zusätzliche Schaffung eines solchen europäischen
handlungsfähigen Organs darstellen würde?
Dr. Schröder, Bundesminister des Auswärtigen:
Herr Kollege Birkelbach, das ist in der Tat ein sehr Dr. Schröder, Bundesminister des Auswärtigen:
schwieriges Problem. Ich sehe die Sache so, daß ein Herr Kollege Birkelbach hat das Zusammenkommen
gewisser institutioneller Rahmen doch erst einmal auch außerhalb der Institutionen gerade sehr hoch
vorhanden sein muß, um überhaupt zu einer geord- bewertet. Ich bemühe mich, darzutun, daß es, ob-
neten gleichförmigen dauernden Wirksamkeit zu wohl auch ich es hoch bewerte, nicht ausreicht,
kommen. Die Schwierigkeit besteht jetzt nur darin, konkrete Fortschritte zu erzielen.
daß auch dieser institutionelle Rahmen des Anfangs
nicht etwa durch Mehrheitsentscheidung herbeige- Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Eine Zusatz-
führt werden kann, sondern eben wirklich eines frage, Herr Professor Schmid!
Einvernehmens, einer Übereinstimmung aller be-
darf, Das ist das Problem, mit dem wir jetzt zu tun Dr. Schmid (Frankfurt) (SPD) : Herr Minister,
haben, was übrigens nicht ausschließt — das darf glauben Sie nicht, daß der Beitritt Großbritanniens
ich noch hinzusetzen —, daß wir tatsächlich zunächst dazu führen könnte, daß aus pragmatischer Übung
wieder einmal eine Konferenz aller Regierungs- Institutionen werden, wie das in England seit
chefs haben müssen, um einen weiteren Impuls in 700 Jahren der Fall ist?
die Arbeit zu bringen, vielleicht mit der Hoffnung,
daß die Regierungschefs unter Umständen ein Stück Dr. Schröder, Bundesminister des Auswärtigen:
erfolgreicher sein werden als ihre Außenminister. Herr Kollege Schmid, ich würde liebend gern Ihren
Optimismus teilen. Aber das, was man im eigenen
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Eine zweite Land in ein paar hundert Jahren fertig bekommen
Zusatzfrage! hat, ist in der Zuammenarbeit mit anderen nicht im-
mer in sehr viel kürzeren Zeiträumen erreichbar.
Birkelbach (SPD) : Darf ich meine Frage noch Trotzdem werden sich alle von den besonderen Er-
einmal dahin präzisieren, daß es nicht allein darum fahrungen Großbritanniens auch auf dem Gebiet die-
geht, die Regierungschefs in bezug auf die mögliche ser Zusammenarbeit etwas versprechen dürfen.
vertragliche Form einen weiteren Schritt vorwärts-
kommen zu lassen, sondern daß es darum geht, die Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Eine Zusatz-
sechs Regierungs- und Staatschefs daran zu gewöh- frage, Herr Abgeordneter Dr. Mommer!
nen, auch ohne diese Form in der jetzigen Situation
möglichst auf Sechserebene regelmäßig zusammen- Dr. Mommer , (SPD) : Herr Minister, ist es nichtig,
zukommen. daß zu der Zeit, als Sie noch Innen- und nicht
Außenminister waren, es schon eine Praxis des
Dr. Schröder, Bundesminister des Auswärtigen: periodischen Zusammenkommens der Außenminister
Herr Kollege Birkelbach, man kann nicht einmal der Sechs gegeben hat, ohne daß es dafür vertrag-
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1962 1491
Dr. Mommer
liche Bestimmungen gab, und meinen Sie nicht, daß Dr. Schröder: Bundesminister des Auswärtigen:
diese Praxis fortgeführt werden sollte? In der Tat ist das unsere Meinung.

Dr. Schröder: Bundesminister des Auswärtigen: Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Eine zweite
Herr Kollege Mommer, es trifft zu, daß es so ein Zusatzfrage!
Zusammenkommen auch schon früher gegeben hat.
Die entsprechenden Zusammenkünfte sind im Frau Dr. Hubert (SPD): Welche Bemühungen
Augenblick vielleicht deshalb außerhalb des Blick- hat die Bundesregierung unternommen, das franzö-
feldes geraten, weil ja beinahe permanente Zusam- sische Staatsoberhaupt, Idas doch offensichtlich nicht
menkünfte zur Behandlung der Beitritts- und Asso- diese Meinung teilt, davon zu überzeugen, daß diese
ziierungsgesuche usw. in Brüssel stattfinden. Für Übertragung von Souveränitätsrechten notwendig
wichtiger halte ich in der Tat — obwohl dieser per- ist?
sönliche Kontakt sicher recht befriedigend ist —,
daß man mit den Anfängen des Institutionellen
Dr. Schröder: Bundesminister des Auswärtigen:
etwas weiterkommt, d. h. mit anderen Worten, daß
Die Frage würde etwas schwer und sehr umfangreich
es Vereinbarungen über diese Zusammenkünfte der
detailliert zu beantworten sein. Aber seien Sie
Regierungschefs, der Außenminister, der Verteidi-
sicher, daß wir in der europäischen Zusammenarbeit
gungsminister und der für die Kultur zuständigen
bemüht sind, zu einem hohen Maß von Überein-
Leute gibt und daß auch ein Minimum von orga-
stimmung zu gelangen. Auch dies ist ein Werdens-
nisiertem Zusammenhalt auf diesem Gebiete geschaf-
und Wachstumsprozeß.
fen wird. Erst wenn das da ist, wird aus einer guten
Absicht eine Übung und aus einer Übung eine all-
mähliche Verfestigung des Zusammenarbeitens. Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Eine Zusatz-
frage des Abgeordneten Freiherrn 'Zu Guttenberg!
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Eine zweite
Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Freiherrn zu Freiherr zu Guttenberg (CDU/CSU) : Herr
Guttenberg! Minister, würde die Bundesregierung bereit sein,
einen Vertrag über eine politische Union Europas
auch dann zu unterzeichnen, wenn der in der Frage
Freiherr zu Guttenberg (CDU/CSU) : Herr von Frau Dr. Hubert als allein möglich bezeichnete
Minister, darf ich aus dem, was Sie soeben gesagt Weg einer Übertragung begrenzter Souveränitäts-
haben, entnehmen, daß die Bundesregierung der rechte trotz der in diesem Hause bestimmt bestehen-
Auffassung ist, daß gerade die Institutionalisierung
d en Wünsche sich als nicht gangbarerweisen würde,
I solcher periodischer Regierungskonferenzen die hingegen die Mindestforderungen erfüllt werden,
europäische Zusammenarbeit fördern und ein Instru-
die der Herr Kollege Dr. Kopf vorhin hinsichtlich
ment zur Entwicklung gemeinsamer Initiativen wer-
eines solchen Vertrages formuliert hat?
den könnte?
Dr. Schröder: Bundesminister des Auswärtigen:
Dr. Schröder: Bundesminister des Auswärtigen: Das ist in der Tat zu bejahen. Das ist die Linie, die
Das ist in der Tat die Meinung der Bundesregierung. wir aus praktischen Gründen angestrebt haben, weil
In der Tat bemühen wir uns darum sehr. wir sehen, daß dies sozusagen ,das Höchstmaß von
Übereinstimmung sein dürfte, Idas wir in wenigen
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Ich rufe auf Monaten, wie wir hoffen, erreichen können.
die Frage I/10 — der Frau Abgeordneten Dr. Hubert
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Eine Zusatz-
Hält die Bundesregierung die begrenzte, aber echte Ü ber-
tragung von Souveränitätsrechten an europäische Organe, die
frage, Herr Abgeordneter Dr. Mommer!
auch Mehrheitsbeschlüsse fassen können, für eine „Chimäre"
oder für den allein möglichen Weg, um die in den Verträgen
von Paris und Rom gesteckten wirtschaftlichen und politischen Dr. Mommer (SPD) : Herr Minister, gilt das auch
Ziele zu erreichen?
dann, wenn in einem solchen Text keine Möglich-
Zur Beantwortung der Herr Bundesministerdes keit eröffnet ist, z. B. in einer Revisionsklausel, zu
Auswärtigen! einem späteren Zeitpunkt von dieser Anfangsregel
abzuweichen und doch zu einer engeren Zusam-
Dr. Schröder: Bundesminister des Auswärtigen: menarbeit zu kommen?
Die Antwort auf diese Frage lautet: E s gibt bereits
europäische Organe, auf die Souveränitätsrechte Dr. Schröder: Bundesminister des Auswärtigen:
übertragen sind und die Mehrheitsbeschlüsse fassen. Herr Kollege Mommer, die Sache ist so — um das
einmal in drei Sätzen zu sagen —: wir haben eigent-
lich zwischen denen, die für sehr wenig Inte-
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Eine Zusatz- gration waren — im Anfangsstadium —, und den
frage, Frau Abgeordnete Dr. Hubert! anderen, die für viel Integration waren, eine prak-
tische Mittellinie eingenommen. Wir befinden uns
Frau Dr. Hubert (SPD) : Ist die Bundesregierung hier in der glücklichen Lage, sowohl gegenüber un-
nicht der Meinung, daß das nun fortschreitend wei- serer Öffentlichkeit als auch gestützt auf dieses
ter geschehen muß, um zu einer wirklichen poli- Hohe Haus, daß wir eigentlich einem hohen Maß
tischen Einigung zu kommen? an Integration zustimmen können, wenn wir es un-
1492 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1962

Bundesminister Dr. Schröder


ter Zustimmung der anderen erreichen können. Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Eine weitere
Also: gehen Sie bitte davon aus, daß wir an sich in Zusatzfrage? — Herr Abgeordneter Mattick.
der Linie eines möglichst hohen Maßes an Integra-
tion liegen, daß wir aber die Überzeugung haben,
daß diese unter den gegebenen praktischen Ver- Mattick (SPD) : Herr Minister, ist sich die Bundes-
hältnissen in der Tat eine längere Entwicklung er- regierung darüber im klaren, daß jede Stützung der
fordern wird. restlichen Diktaturen in Westeuropa durch die Bun-
desregierung eine schwere moralisch-politische Be-
lastung des Widerstandskampfes in der Zone be-
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Also, meine deuten würde?
Herren, jetzt gehe ich weiter; ich muß auch an die
anderen denken. (Sehr gut! bei der SPD. — Unruhe bei der
CDU/CSU.)
Ich rufe die Frage I/11 — des Herrn Abgeord-
neten Blachstein — auf: Dr. Schröder, Bundesminister des Auswärtigen:
Hat die Bundesregierung auf den Kongreß der Europäischen Herr Kollege Mattick, ich glaube, daß dies- eine zu-
Bewegung in München eingewirkt, um die Sprecher des demo-
kratischen Spaniens nicht zu Wort kommen zu lassen? gespitzte Fragestellung ist, die den Tatsachen nicht
gerecht wird. Ich glaube — es tut mir leid, zum
Zur Beantwortung der Herr Außenminister! dritten Male darauf kommen zu müssen —, das,
was über Spanien und Europa in dem kleinen Be-
Dr. Schröder: Bundesminister des Auswärtigen: richt der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" gesagt
Die Antwort auf diese Frage ist sehr kurz, die Ant- worden ist, scheint mir sowohl die wirkliche Lage
wort lautet: nein. als auch unsere Einstellung zu dem Problem ganz
gut widerzuspiegeln.
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Eine Zusatz-
frage? Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Eine Zusatz-
frage? — Frau Abgeordnete Dr. Hubert!
Blachstein (SPD) : Herr Minister, ist auch nicht
durch den Vertreter der Bundesregierung auf die- Frau Dr. Hubert (SPD) : Ist die Bundesregierung
sem Kongreß in München versucht worden, eine bei der spanischen Regierung dagegen vorstellig ge-
Resolution zu verhindern, die von 118 spanischen worden, daß spanische Staatsangehörige, die in der
Delegierten einstimmig angenommen wurde und in Bundesrepublik an einem europäischen Kongreß
der die Wiederherstellung der demokratischen Frei- teilgenommen haben, bei ihrer Rückkehr auf Inseln
heit in Spanien, das Organisationsrecht und allge- verbannt worden sind oder teilweise nicht in ihre
meine demokratische Verhältnisse von spanischen Heimat zurückkehren konnten?
Repräsentanten aus dem Lande und aus der Emi-
gration — gemeinsam von den Monarchisten über (Zuruf• und Unruhe bei den Regierungs
Christlich-Soziale bis zu Sozialisten — verlangt parteien.)
wurde?
Dr. Schröder, Bundesminister des Auswärtigen:
Dr. Schröder: Bundesminister des Auswärtigen: Frau Kollegin, ich muß sagen: wir müssen uns ein
Herr Kollege Blachstein, ich bleibe bei meiner Ant- bißchen — das gilt auch im Verkehr mit anderen
wort, daß die Bundesregierung keine Einwirkung Regierungen — im Rahmen unserer Zuständigkei-
genommen hat — ohne daß ich Einzelheiten des ten halten. Genauso wenig, wie wir gern sehen,
Ablaufs des Kongresses kenne —; ich kann für die daß sich andere in unsere inneren Angelegenheiten
Bundesregierung nur erklären: die Bundesregierung einmischen, werden wir uns nicht ohne Not in die
hat keine Einwirkung auf diesen Kongreß genom- , inneren Angelegenheiten eines anderen Landes ein-
men. mischen.
(Beifall bei der CDU/CSU.)
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Eine zweite
Zusatzfrage? Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Eine Zusatz-
frage? — Herr Abgeordneter Dr. Friedensburg!
Blachstein (SPD) : Darf ich Ihrer Antwort, Herr
Minister, entnehmen, daß die Bundesregierung Dr. Dr. h. c. Friedensburg (CDU/CSU) : Ist die
nichts tun wird, was die Bemühungen der spani- Bundesregierung nicht der Ansicht, daß doktrinäre
schen Opposition um die Veränderung der spani- Ungeduld und doktrinäre Unduldsamkeit die un-
schen Verhältnisse in demokratischer Richtung geeignetsten Mittel sind, die europäische Einigung
hemmen wird? voranzutreiben?
(Zurufe von der CDU/CSU.)
Dr. Schröder, Bundesminister des Auswärtigen:
Dr. Schröder, Bundesminister des Auswärtigen: Herr Kollege Friedensburg, das ist eine sehr weit
Herr Kollege Blachstein, dies liegt sozusagen außer- gespannte Frage, eine ein bißchen theoretische
halb unserer eigenen Aktivitäten und Zuständig- Frage, wenn ich mir erlauben darf, das zu sagen.
keiten. Aber ich glaube, wir teilen Ihre Meinung.
(Beifall bei der CDU/CSU.) (Beifall bei der CDU/CSU.)
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1962 1493

Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Eine weitere Dr. Schröder, Bundesminister des Auswärtigen:
Zusatzfrage? — Herr Abgeordneter Wehner! Der Botschafter in Colombo hat der ceylonesischen
Regierung in einer Verbalnote mitgeteilt, daß die
Wehner (SPD) : Hält der Herr Minister die fla- Bundesrepublik die derzeitige Behandlung unserer
grante grobe Verletzung der Menschenrechte für die Einladungen als nicht zufriedenstellend betrachtet.
„innere Angelegenheit eines Landes"? Er hat eine Änderung des bisherigen Verfahrens der
Übermittlung solcher Einladungen angekündigt.

Dr. Schröder, Bundesminister des Auswärtigen:


Herr Kollege Wehner, die Frage kann ich so, wie Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Zweite Zu-
Sie sie stellen, nicht mit Ja beantworten. Die Frage satzfrage!
ist nur, ob diese Voraussetzung auf alles Vorange-
gangene, vorher Gesagte zutrifft. Ich bin aber gern Kahn-Ackermann (SPD) : Darf ich Sie fragen,
bereit — da offenbar Vorgänge auf dem Münchener Herr Minister, wie viele Gäste aus Ceylon als Gäste
Kongreß herangezogen werden, die ich im einzelnen der Bundesregierung im abgelaufenen Jahr in der
nicht kenne —, mir diese Sache noch einmal anzu- Bundesrepublik waren?
sehen, und behalte mir durchaus vor, meine Mei-
nung dazu zu revidieren, wenn die Tatsachen mich
dazu nötigen sollten. Grundsätzlich möchte ich aber Dr. Schröder, Bundesminister des Auswärtigen:
bei dem bleiben, was ich hier gesagt habe. Das entzieht sich leider meiner Kenntnis; ich will
die Frage aber gern noch einmal prüfen und kann
die Antwort dem Hause schriftlich mitteilen.
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Zusatzfrage,
Herr Abgeordneter Erler. Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Ich komme
nun zu der Frage I/13 — des Herr Abgeordneten
Erler (SPD) : Hielte es der Herr Bundesminister Kahn-Ackermann —:
für einen Nachteil für die deutschen Interessen,
Treffen Pressemeldungen zu, daß das von deutschen Firmen
wenn die Bundesregierung ihrer Sympathie für die in Ägypten errichtete Stahlwerk Heluan stillgelegt worden ist?
um mehr Freiheit ringenden Christlichen Demokra-
Zur Beantwortung der Herr Bundesminister des
ten in Spanien gelegentlich Ausdruck gäbe?
Auswärtigen.

Dr. Schröder, Bundesminister des Auswärtigen: Dr. Schröder, Bundesminister des Auswärtigen:
Herr Kollege Erler, die heutige Art der Behandlung
Die Antwort auf diese Frage lautet: Nein.
der Sache ist zu abgekürzt, als daß man in all diesen
Dingen definitive Aussagen machen könnte. Aber
das Problem, das Sie gerade aufgeworfen haben, Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Zusatzfrage.
könnten wir vielleicht in einem anderen Zusammen-
hang noch einmal behandeln. Kahn-Ackermann (SPD) : Können Sie mir dann
erklären, Herr Minister, auf welche Art und Weise
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Ich komme diese Nachricht in der deutschen Presse verbreitet
zu der Frage I/12 — des Herrn Abgeordneten Kahn- worden ist?
Ackermann —: (Heiterkeit bei den Regierungsparteien.)
Trifft es zu, daß prominente Bürger der Republik Ceylon
konsequent alle Einladungen in die Bundesrepublik ablehnen
bzw. daß das Außenministerium der Republik Ceylon die not-
wendigen Empfehlungen gegenüber dem Auswärtigen Amt ver-
Dr. Schröder, Bundesminister des Auswärtigen:
weigert? Herr Kollege Kahn-Ackermann, das geht allerdings
weit über meine Sehergabe hinaus.
Zur Beantwortung der Herr Bundesminister des
Auswärtigen.
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Zweite Zu-
satzfrage!
Dr. Schröder, Bundesminister des Auswärtigen:
Die Antwort auf diese Frage lautet: Nein. Es ist
allerdings richtig, daß sich die ceylonesische Regie-
Kahn-Ackermann (SPD) : Herr Minister, ist
rung die Genehmigung der Annahme von Ein- Ihnen bekannt, daß es dort im Betrieb dieses Wer-
kes Schwierigkeiten gegeben hat?
ladungen vorbehält, die von amtlichen Stellen drit-
ter Staaten an ceylonesische Staatsbürger gerichtet
werden. Dr. Schröder, Bundesminister des Auswärtigen:
Was ich hiervon weiß, ist, daß es gewisse Schwie-
rigkeiten mit der deutschen Beratergruppe gegeben
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Zusatzfrage! hat, und zwar insoweit, als diese Beratergruppe bzw.
die betreffende Firma für diese Tätigkeit in ägyp-
Kahn-Ackermann (SPD) : Trifft es zu, Herr tischen Pfunden bezahlt wurde und daß sich hieraus
Minister, daß die Bundesregierung unseren Bot- Transferschwierigkeiten ergeben haben. Das ist das
schafter in Colombo veranlaßt hat, in dieser Frage einzige, was ich über diesen Zusammenhang weiß.
bei der ceylonesischen Regierung vorstellig zu wer-
len? Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Zusatzfrage?
1494 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27 Juni 1962

Vogt (CDU/CSU) : Trifft es zu, Herr Minister, daß Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Ich rufe die
der Abberufungdeutscher Ingenieure im Stahlwerk von der Abgeordneten Frau Dr. Hulbert gestellte
Heluan vor etwa zwei, drei Jahren ihre Wieder- Frage I/16 auf:
berufung folgte, weil sonst die Existenz des Wer- Hat die Bundesregierung sich entsprechend der Empfehlung
kes ohnehin gefährdet gewesen wäre? Nr. 291 des Europarates dafür eingesetzt, daß aus dem Kultur-
fonds Stipendien für Wissenschaftler, Künstler, Schriftsteller,
Philosophen und Studenten, besonders aus Polen — und wenn
die Umstände es erlauben, auch aus anderen östlichen Ländern
Dr. Schröder, Bundesminister des Auswärtigen: — gewährt werden, damit diese in Staaten des Europarates
arbeiten und studieren können?
Ich weiß es nicht, Herr Kollege, aber ich halte das
für sehr wohl möglich.
Dr. Schröder, Bundesminister des Auswärtigen:
Die Antwort auf diese Frage lautet: Ja. Mein Stell-
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Ich gehe wei- vertreter im Ministerausschuß des Europarates hat
ter zu der Frage I/14 — des Herrn Abgeordneten die Weisung erhalten, 'der Empfehlung Nr. 291 zu-
Spies —: zustimmen. Die Bundesregierung ist stets daran
Was ist von deutscher Seite die Ursache, daß der mit Däne- interessiert gewesen, die kulturellen Beziehungen
mark paraphierte Vertrag liber die Kriegsgräberfürsorge nicht zu (den Völkern der osteuropäischen Staaten und
ratifiziert wird?
insbesondere zu Polen zu intensivieren. Mein Stell-
vertreter hat iaußerdem idarauf hingewiesen, daß die
Dr. Schröder, Bundesminister des Auswärtigen: Vergabe von Mitteln des Kulturfonds an Staatsan-
Die Antwort auf diese Frage lautet, daß der Ab- gehörige der Republik Polen unid polnische Emigran-
schluß eines deutsch-dänischen Kriegsgräberalbkom- ten nicht dazu führen sollte, daß mit diesem Geld
mens unmittelbar bevorsteht. eine gegen die Bundesrepublik gerichtete publi-
zistische oder pseudowissenschaftliche Tätigkeit
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Keine Zusatz- unterstützt werde.
frage. —
Frage I/15 — des Herrn Abgeordneten Spies —: Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Zusatzfrage?
Was unternimmt die Bundesregierung, um den vertraglosen
Zustand in der Kriegsgräberfürsorge mit Frankreich alsbald zu
beseitigen? Frau Dr. Hubert (SPD) : Herr Minister, sind
solche Stipendien schon vergeben worden?
Zur Beantwortung der Herr Bundesminister des
Auswärtigen.
Dr. Schröder, Bundesminister des Auswärtigen:
Ich habe hier nur eine Aufzeichnung darüber, daß
Dr. Schröder, Bundesminister des Auswärtigen: bilaterale Stipendien an Polen oder Angehörige der
Die Antwort auf diese Frage ist ein bißchen länger. Ostblockstaaten nicht vergeben sind, daß das viel-
Das Auswärtige Amt isst seit langem bemüht, das mehr (der Verband Deutscher Studentenschaften tut.
deutsch-französische Kriegsgräberabkommen vom Zur Zeit gibt es solche Stipendien an zwei polnische
23. Oktober 1954, das die Pflege und Instandsetzung Staatsangehörige.
für deutsche Kriegsgräber des 2. Weltkriegs in
Frankreich zum Gegenstand hat, durch ein neues Frau Dr. Hubert (SPD) : Herr Minister, es han-
Abkommen zu ersetzen. Dieses soll 'auch die deut- delt sich ja nicht nur um Studenten, sondern auch
schen Kriegsgräber aus den Kriegen 1870/71 und um Wissenschaftler, Künstler usw.
1914/18 erfassen. Deutsch- ranzösische Verhandlun-
gen konnten noch nicht eingeleitet werden, da die
finanziellen Voraussetzungen noch nicht geklärt Dr. Schröder, Bundesminister des Auswärtigen:
sind. Zur Zeit wird geprüft, ob ein Weg gefunden Frau Kollegin, ,das geht ein bißchen über das hinaus,
werden kann, unter Einschränkung des vom Volks- auf das ich vorbereitet war. Ich will 'das gerne fest-
bund Deutsche Kriegsgräberfürsorge vorgelegten stellen und, wenn Sie damit einverstanden sind,
großen Umbettungs- und Neuanlegungsprogramms schriftlich mitteilen.
die einzelnen Gräber in Gruppen zusammenzufassen
und diesen eine würdige Ausstattung zu geben. Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Frage I/17 —
Abgeordneter Dr. Schmidt (Wuppertal) —:
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Zu einer Zu- Ist die in der deutschen Presse (vgl. „Welt am Sonntag"
vom 6. Mai 1962) geübte abfällige Kritik an den diplomatischen
satzfrage Herr Abgeordneter Spies. Vertretungen auf dem afrikanischen Kontinent, insbesondere
an der Vertretung von Addis Abeba, ganz oder teilweise be-
gründet?

Spies (CDU/CSU) : Herr Minister, ist die finan-


zielle Frage von deutscher older von französischer Dr. Schröder, Bundesminister des Auswärtigen:
Seite aus nicht geklärt? Die Antwort lautet, daß die Kritik nicht begründet
ist. Der zitierte Bericht entspricht in den maßgeben-
Dr. Schröder, Bundesminister des Auswärtigen: den Punkten nicht den Tatsachen.
Herr Kollege S p ies, ich muß gestehen, 'daß das aus
meinen Unterlagen nicht hervorgeht. Aber ich werde Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Keine Zusatz-
das gern feststellen. frage.
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1962 1495
Präsident D. Dr. Gerstenmaier
Frage I/18 — Abgeordneter Dr. Friedensburg —: er den Schutz der Allgemeinheit vor gefährlichen
Aus welchen Gründen ist der Bau eines neuen Gebäudes für Verbrechern, indem er das System der Maßregeln
die Botschaft der Bundesrepublik in Wien bisher noch nicht be- der Besserung und Sicherung weiter ausbaut. Er er-
gonnen worden, obwohl der Herr Bundesaußenminister bereits
unter dem 23. September 1960 erklärt hatte, daß die Vorarbeiten leichtert nicht nur die Anordnung der Sicherungsver-
sich dem Abschluß näherten? wahrung, sondern schlägt auch neue Maßregeln,
darunter die vorbeugende Verwahrung für be-
Dr. Schröder, Bundesminister des Auswärtigen: stimmte junge Täter und die Sicherungsaufsicht, vor.
Den Vorarbeiten für den Neubau lag der Gedanke Diese ermöglicht es, bestimmte Täter nach ihrer
zugrunde, auf dem zurückgegebenen Grundstück in Haftentlassung in der Freiheit über gewisse kriti-
Wien, Metternichgasse 2, nur eine Botschaftskanzlei sche Zeiträume hinweg zu unterstützen und zu über-
und einige Dienstwohnungen zu errichten. Später wachen, um sie von weiteren Straftaten abzuhalten
kam man jedoch zu der Erkenntnis, daß es vorteil- und zu einem gesetzmäßigen und geordneten Leben
hafter ist, auch , die Botschafterresidenz dort zu er- zu führen.
richten. Die Umplanung nahm eine gewisse Zeit in
Anspruch. Nachdem der Haushaltsausschuß in seiner Neben den immerhin begrenzten Möglichkeiten
Sitzung am 1. März dieses Jahres der erweiterten des Strafrechts kommt den außerstrafrechtlichen
Zweckbestimmung zugestimmt hatte, die nunmehr Maßnahmen zur Verhütung von Sittlichkeitsverbre-
lautet: chen an Kindern erhöhte Bedeutung zu. Die wich-
tigste Abwehrmaßnahme ist hier die Aufklärung der
Neubau eines Dienstgebäudes für die Botschaft, Kinder durch Eltern, Erziehungsberechtigte und Leh-
eines Dienstwohngebäudes für den Botschafter rer über die ihnen von Unbekannten drohenden
und von Dienstwohnungen in Wien (einschließ- Gefahren. Zahlreiche Sittlichkeitsverbrechen wären
lich Abbrucharbeiten), nicht begangen worden, wenn die Kinder nicht in
hat der Herr Bundesminister bereits am 29. März ihrer Arglosigkeit dem Täter die Durchsetzung seiner
dieses Jahres der Bundesbaudirektion Berlin die Er- Pläne erleichtert hätten. Eltern und Erzieher müssen
mächtigung zur Erteilung des Bauauftrages gegeben. es als ihre ernste Pflicht ansehen, die ihnen anver-
Das baupolizeiliche Genehmigungsverfahren ist noch trauten Kinder in geeigneter Form immer wieder
beim Magistrat der Stadt Wien im Gange. Es wird und eindringlich davor zu warnen, Einladungen Un-
erwartet, daß keine Schwierigkeiten mehr auftreten, bekannter anzunehmen.
so daß noch in diesem Jahr mit dem Bau begonnen Darüber hinaus kann die gesamte Offentlichkeit
werden kann. bei der Verhütung von Sittlichkeitsverbrechen an
Kindern dadurch mithelfen, daß Beobachtungen ver-
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Keine Zusatz- dächtiger Personen unverzüglich der Polizei gemel-
frage. Damit sind die Fragen aus dem Geschäftsbe- det werden. Auch die zuständigen Landesbehörden,
reich des Bundesministers des Auswärtigen erledigt. insbesondere die Polizei, leisten umfangreiche Auf-
(Beifall bei den Regierungsparteien.) klärungsarbeit. Das Bundesministerium für Familien-
und Jugendfragen hat außerdem eine entsprechende
Ich komme zu den Fragen aus dem Geschäftsbe- Warnung und Mahnung an Eltern und Offentlichkeit
reich des Bundesministers der Justiz. Die von den den Familienverbänden, dem Bundeselternrat und
Abgeordneten Wischnewski gestellte Frage II/1 ist dem Kinderschutzbund sowie der Presse zur Ver-
zurückgezogen. breitung zugeleitet.
Frage II/2 — Abgeordneter Keller —:
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Wir kommen
Welche Schritte hat das Bundesfamilienministerium eingeleitet,
um den Sittlichkeitsverbrechen an Kindern, wie sie in jüngster zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bun-
Zeit wieder aufgetreten sind, zu begegnen? desministers für Wohnungswesen, Städtebau und
Zur Beantwortung der Herr Bundesminister der Raumordnung.
Justiz. Frage III/1 — des Herrn Abgeordneten Witt-
rock —:
Dr. Stammberger, Bundesminister der Justiz: Sieht die Bundesregierung Anlaß zu Konsequenzen aus der
Im Benehmen mit dem Herrn Bundesminister für Tatsache, daß zur Berechnung des Wohnungsdefizits nach den
einschlägigen Vorschriften von dem Gesamtbestand der vorhan-
Familien- und Jugendfragen beantworte ich die denen Wohnungen auszugehen ist, und zwar einschließlich der
Frage wie folgt. von Angehörigen der Stationierungsstreitkräfte bewohnten Woh-
nungen, obgleich bei der Zahl der Wohnfamilien diese Ange-
hörigen der Stationierungsstreitkräfte nicht zu berücksichtigen
Das Bundesjustizministerium widmet der Frage, sind, so daß in Gebieten mit relativ hoher Zahl von Angehöri-
ob der Schutz der Kinder gegen Sittlichkeitsverbre- gen dieser Streitkräfte, wie z. B. in Wiesbaden, bei der Berech-
nung des Wohnungsdefizits ein günstigeres Bild der Wohnraum-
chen neue gesetzgeberische Maßnahmen verlangt, versorgung entsteht als tatsächlich gerechtfertigt ist?
seine besondere Aufmerksamkeit. Schon das gel-
tende Recht ermöglicht bei Sittlichkeitsverbrechen Lücke, Bundesminister für Wohnungswesen,
an Kindern angemessene Strafen und läßt gegen ge- Städtebau und Raumordnung: Die Antwort lautet:
fährliche Verbrecher außerdem freiheitsentziehende Nein.
Maßregeln der Sicherung und Besserung zu.
Der Entwurf eines neuen Strafgesetzbuches, wie Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Eine Zusatz-
ihn die Bundesregierung am 13. Juni 1962 beschlos- frage?
sen hat, sieht Strafdrohungen für Sittlichkeitsverbre-
chen an Kindern vor, die jene des geltenden Rechts Wittrock (SPD) : Herr Minister, bleiben Sie bei
zum Teil noch überschreiten. Insbesondere verstärkt dieser Auffassung auch, wenn Sie in Ihre Erwägun-
1496 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1962
Wittrock
gen einbeziehen, daß gerade in den Fällen, in denen Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Frage III/2 —
die bekannte 3-%-Grenze erreicht wird, die für den des Herrn Abgeordneten Dr. Kohut —:
Wegfall von Bindungsmaßnahmen wesentlich ist,
Was gedenkt die Bundesregierung dagegen zu tun, daß für die
das in der Frage erwähnte Mißverhältnis äußerst aus Bundesmitteln mitfinanzierten Wohnungen in Bonn in zu-
nehmenden Maße Mieten erhoben werden, bevor diese sich in
kritisch sein und zu einer Verzerrung der tatsäch- vertragsmäßigem Zustand befinden, ohne daß die zuständigen
lichen Gegebenheiten führen kann? Verwaltungsstellen des Bundes gegenüber den Darlehnsnehmern
rechtzeitig eine Kontrolle über die vertragsmäßigen Fertig-
stellungen der Wohnungen ausüben?

Lücke, Bundesminister für Wohnungswesen,


Städtebau und Raumordnung: Den speziellen Fall Lücke, Bundesminister für Wohnungswesen,
Wiesbaden werden wir prüfen. Ich bin gern bereit, Städtebau und Raumordnung: Herr Kollege Kohut,
Ihnen den ganzen Komplex schriftlich darzulegen. die einschlägige Rechtsprechung der Nachkriegszeit
Im übrigen darf ich versichern, daß wir so weiter- stellt an die Bezugsfertigkeit von Neubauwohnun-
bauen werden, bis die letzte Wohnungsnot auch in gen nur geringe Ansprüche. Wegen des dringenden
Wiesbaden beseitigt ist. Das ist der sicherste Weg, Wohnungsbedarfs legten die Oberfinanzdirektionen
mit dem Problem fertig zu werden. bei den aus Bundesmitteln mitfinanzierten Woh-
nungen den gleichen Maßstab an, zumal die früh-
zeitige Einzugsgenehmigung den Wünschen vieler
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Eine zweite Bundesbediensteter entgegenkam.
Zusatzfrage.
Zur Vermeidung von Mißhelligkeiten zwischen
Vermietern und Mietern habe ich jedoch nach mehr-
Wittrock (SPD) : Abgesehen davon, daß es sich fachen früheren mündlichen Unterrichtungen mit
hier nicht um den Fall Wiesbaden handelt, sondern meinem Erlaß vom 31. Oktober 1961 vorgeschrieben,
um das grundsätzliche Problem eines solchen rech- daß die Bezugsfertigkeit nach einem strengeren
nerischen Mißverhältnisses, darf ich Sie fragen, ob Maßstabe beurteilt wird. Dieser Erlaß legt die Er-
Ihnen bekannt ist, daß z. B. — ich betone: zum Bei- fordernisse im einzelnen fest und verpflichtet die
spiel — im Falle Wiesbaden dieses Mißverhältnis Oberfinanzdirektionen zur genauen Überprüfung.
zu einem rechnerischen Unterschied von 2,3 % führt. Im Raum Bonn wird seit eh und je jede Wohnung
Betrachten Sie eine solche Fehlerquelle von 2,3 % bei der Bezugsfertigkeit von den technischen Stel-
angesichts der Bedeutung der Grenze von 3 % nicht len abgenommen. Allerdings hat die Oberfinanz-
als so wesentlich, daß sie Anlaß zu Konsequenzen direktion Köln zugelassen, daß von den 554 Woh-
geben müßte? nungen, die in diesem Jahr bezugsfertig wurden,
248 auf Wunsch der Mieter bis zu vier Wochen
Lücke, Bundesminister für Wohnungswesen, vor dem amtlich festgestellten Bezugsfertigkeitster-
Städtebau und Raumordnung: Es handelt sich dar- min bezogen werden konnten. Die Miete ist jedoch
um, ob die für Streitkräfte beschlagnahmten Woh- erst vom Bezugsfertigkeitstermin an erhoben wor-
den.
nungen angerechnet werden oder nicht. Beschlag-
nahmte Wohnungen sind in dem zur Ermittlung des Restarbeiten in bereits bezogenen Neubauwoh-
rechnungsmäßigen Wohnungsdefizits herangezoge- nungen können nach der einschlägigen Rechtspre-
nen Bestand an Normalwohnungen nicht enthalten. chung den Mietern zugemutet werden. Infolge der
Die privatrechtlich gemieteten Wohnungen dagegen schwierigen Lage auf dem Baumarkt lassen sie sich
sind darin enthalten. Um einen Überblick über diese auch leider nicht vermeiden. Wollte man auch die
privatrechtlich gemieteten Wohnungen zu gewin- Durchführung der geringfügigen. Rest- und Nachhol-
nen, sind im Rahmen der gebäudestatistischen Fest- arbeiten vor der Einweisung der Mieter abwarten,
stellungen bei der letzten Volkszählung im Juni so würde das eine haushaltsmäßig nicht zu vertre-
1961 bereits entsprechende Ermittlungen angestellt tende Weiterzahlung von Trennungsentschädigung
worden. Nach Mitteilung des Statistischen Bundes- für einen nicht benötigten Zeitraum, vor allem aber
amtes werden die Ergebnisse für die einzelnen auch eine familienpolitisch und aus dem Gesichts-
Kreise und die wichtigeren größeren Gemeinden punkt der Fürsorge unerwünschte Hinauszögerung
Ende des Jahres vorliegen. Es ist vorgesehen, diese der Familienzusammenführung zur Folge haben.
Ergebnisse dann bekanntzugeben.
Wird eine Wohnung ausnahmsweise vor der Be-
Für die in der Frage als Beispiel genannte Stadt zugsfertigkeit bezogen und besteht deshalb die
Wiesbaden hat das Hessische Statistische Landes- vertragsgemäße Nutzungsfähigkeit noch nicht, er-
amt dem Statistischen Bundesamt als erste vorläufige möglicht der Bund dem Vermieter, die Miete inso-
Feststellung mitgeteilt, daß sich das Wohnungsdefizit weit zu ermäßigen.
in Wiesbaden am 31. Dezember 1961 bei Ausklam-
merung der privatrechtlich von Angehörigen auslän- Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Eine Zusatz-
discher Streitkräfte gemieteten Wohnungen auf frage.
7,9 % gegenüber 7 % ohne Ausgliederung der ge-
nannten Wohnungen beläuft. Der Unterschied ist
also nicht, wipe Sie sagen, 4 %, Dr. Kohut (FDP) : Da doch offensichtlich die Män-
gel, über die sich die Mieter beschweren, bekannt-
(Abg. Wittrock: 2,3 % habe ich gesagt!) geworden sind, frage ich Sie, ob die Ursache dieser
Mängel nicht darin liegt, daß einzelnen Bauunter-
sondern beträgt lediglich 0,9 %. nehmern zu viel Aufträge gegeben worden sind
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1962 1497
Dr. Kohut
und diese, um alle Aufträge ausführen zu können, Ich rufe den Punkt 5 der Tagesordnung auf:
im Einzelfall gepfuscht haben? Zweite Beratung des von den Fraktionen der
CDU/CSU, FDP eingebrachten Entwurfs eines
Lücke, Bundesminister für Wohnungswesen, Gesetzes über die Erhebung der Abschöpfun-
Städtebau und Raumordnung: Herr Kollege Kohut, fungen nach Maßgabe der Verordnungen der
Sie kennen die Probleme in der Bauwirtschaft, die Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft über
Überbeanspruchung des Baugewerbes, des Bauhand- die schrittweise Errichtung gemeinsamer
werks und der Bauindustrie. Uns fehlen hundert- Marktorganisationen für die landwirtschaft-
tausende Bauarbeiter. Wir haben deshalb ein Bau- lichen Erzeugnisse (Abschöpfungserhebungs-
stoppgesetz gemacht. Es ist keine Bonner Erschei- gesetz) (Drucksache IV/464) ;
nung, sondern eine Erscheinung, die wir überall a) Bericht des Haushaltsausschusses (13. Aus-
beklagen. Es hängt eben damit zusammen, daß die schuß) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
Industrie einfach überfordert wird. (Drucksache IV/545) ;
b) Mündlicher Bericht des Finanzausschusses
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Eine zweite (14. Ausschuß) (Drucksache IV/530).
Zusatzfrage. (Erste Beratung 35. Sitzung)

Ich frage zunächst den Herrn Berichterstatter des


Dr. Kohut (FDP.): Herr Minister, hat die Bundes-
Finanzausschusses, Herrn Abgeordneten Dr. Koch,
regierung die Absicht, die für die Kontrolle der
ob er das Wort wünscht. — Bitte sehr!
vertragsgemäßen Fertigstellung der Wohnungen
zuständigen Behörden anzuweisen, die geschädigten
Mieter nicht mehr — wie bisher im Regelfall — Dr. Koch (SPD) : Herr Präsident! Meine Damen
auf den privaten Rechtsweg, der in jedem Einzel- und Herren! Im Auftrage des Finanzausschusses
fall Zeit, Prozeßkosten und langwierigen Ärger mit habe ich Ihnen zu dem Initiativgesetzentwurf auf
sich bringt, zu verweisen? Drucksache IV/464 folgende mündliche Begründung
zu geben:
Lücke, Bundesminister für Wohnungswesen, Zunächst im allgemeinen über den Zweck des
Städtebau und Raumordnung: Wir müssen bei der Gesetzes: Nach dem Vertrag über die Gründung
rechtlichen Regelung bleiben. Wir haben einen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft werden
Rechtsstaat, Herr Kollege Kohut. die bisher eigenständigen Agrarmärkte der Mit-
gliedstaaten schrittweise zu einem gemeinsamen
Agrarmarkt verschmolzen. Die gemeinsame Organi-
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Meine Damen sation der Agrarmärkte wird durch die Einführung
und Herren, Schluß der Fragestunde. Fortsetzung eines für alle Mitgliedstaaten verbindlichen Ab-
morgen vormittag. schöpfungssystems vorbereitet. Durch dieses System
werden alle Zölle, Abgaben gleicher Wirkung und
Ich rufe den Punkt 2 der Tagesordnung auf:
mengenmäßigen Beschränkungen ersetzt.
Beratung der Sammelübersicht 8 des Aus-
schusses für Petitionen (2. Ausschuß) über An- Damit bilden die Abschöpfungen ab 30. Juli 1962
träge von Ausschüssen des Deutschen Bun- den einzigen Außenschutz für die einzelnen Markt-
destages zu Petitionen und systematische bereiche, die durch die Verordnungen Nr. 19 —
Ubersicht über die beim Deutschen Bundes- Getreideverordnung —, Nr. 20 — Schweinefleisch-
tag in der Zeit vom 17. Oktober 1961 bis verordnung —, Nr. 21 — Eierverordnung — und
31. Mai 1962 eingegangenen Petitionen Nr. 22 — Geflügelfleischverordnung — in das Ab-
(Drucksache IV/495). schöpfungssystem einbezogen worden sind. Sie fin-
den diese EWG Verordnungen im Bundesgesetz-
-

Ich frage, ob dazu das Wort gewünscht wird. — blatt vom 14. Juni 1962, Teil II Seite 709 ff.,
Das Wort wird nicht gewünscht. Wer dem Antrag veröffentlicht. Mit der Einbeziehung weiterer
des Ausschusses zustimmen will, den bitte ich um Marktbereiche kann gerechnet werden.
ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen?
— Angenommen. Diese Verordnungen des Rats der Europäischen
Wirtschaftsgemeinschaft, die kraft Art. 189 des
Punkt 3 der Tagesordnung: EWG-Vertrages in jedem Mitgliedstaat unmittelbar
Wahl von Mitgliedern des Verwaltungsrates geltendes Recht sind, werden durch entsprechende
der Lastenausgleichsbank (Drucksache IV/ nationale Durchführungsgesetze ergänzt und bilden
536). die materielle Grundlage für die nationalen Agrar-
marktordnungen und damit auch für die deutsche
Ihnen liegt auf Drucksache IV/536 der Antrag der Agrarmarktordnung im gemeinsamen Markt.
Fraktionen der CDU/CSU und der SPD vor. Wird
dazu das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Um Rechtssicherheit für die beteiligten Wirtschafts-
Wer diesem Antrag zustimmen will, den bitte ich kreise und Klarheit bei der Grenzabfertigung zu
um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltun- schaffen, bedarf es darüber hinaus eines zusam-
gen? — Der Antrag ist einstimmig angenommen. menfassenden Gesetzes, in dem das Abschöpfungs-
erhebungsverfahren einheitlich für den Bereich der
Der Punkt 4 wird am Freitag aufgerufen. deutschen Agrarmarktordnung geregelt wird.
1498 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1962
Dr. Koch
Die für die Abschöpfungserhebung maßgeblichen grundsätzlich nach Verordnungen ides Ministerrates
Vorschriften sind in dem vorliegenden Gesetzent- bzw. der Kommission der EWG, idle nach § 189
wurf enthalten. Hiernach sind Abschöpfungen wie EWG-Gesetz unmittelbar geltendes Recht in der
Zölle zu erheben. Bundesrepublik Deutschland sind. Bei Getreide sind
Das große Einfuhrvolumen der Bundesrepublik die Berechnungsgrundlagen für ¡die Abschöpfungs-
an Agrarerzeugnissen, die Vielzahl der Einfuhrbe- sätze teils durch Rechtsnormen der EWG, teils durch
teiligten und die Bedeutung der Abschöpfung sein- nationale Rechtsnormen festgelegt. Die Errechnung
nahmen für den Bundeshaushalt erfordern ein Erhe- und Bekanntmachung erfolgt nach Iden Bestimmun-
bungsverfahren, das dem im gewerblichen Bereich gen des § 6 'der Drucksache IV/463, die Ihnen als
angewendeten Verfahren entspricht. Gesetzentwurf vorliegt (Entwurf eines Gesetzes zur
Durchführung .der Verordnung Nr. 19 des Rates der
Im Interesse der Verbraucher und 'der beteiligten EWG).
Wirtschaftskreise können damit die Vorteile ides
neudtschZolr—aetwguvr- Zu § 4 Abs. 1 und 2: Maßgebender Zeitpunkt für
edelung, Zollgutverwendung, Zollgutlagerung und die Anwendung des Abschöpfungssatzes. Einer be-
anderes — voll ausgenutzt werden, so daß idas Ab- sonderen Bestimmung des Zeitpunktes für die An-
schöpfungssystem 'wirtschaftsnah und mit 'der not- wendung des Abschöpfungssatzes bedarf es, um die
wendigen Elastizität gehandhabt werden kann. Abschöpfung entsprechend dem Grundsatz der EWG-
Verordnungen möglichst genau für den „Tag der
Durch 'die Anwendung der Zollvorschriften auf das Einfuhr" zu ermitteln, damit die Abschöpfung die
Abschöpfungsverfahren und die Enhebung der Ab- Aufgabe der Preisangleichung erfüllen kann.
schöpfungen durch die Bundesfinanzbehörden wird
es voraussichtlich möglich sein, .zusätzliche Personal- Bei der Fassung des Abs. 2 des § 4 sind die Grund-
ausgaben zu vermeiden. Nennenswerte Sachausga- sätze der Empfehlung der Kommission der Europä-
ben werden 'zusätzlich nicht entstehen. ischen Wirtschaftsgemeinschaft vom 25. Mai 1962 —
III/Kom. (62)92 endgültig — beachtet worden.
Zur Rechtslage: Abschöpfungen sind Abgaben, die
nachfestAböpugäzneimWarvkh Zu Abs. 3: Die Möglichkeiten des Veredlungsver-
von bestimmten Agrarerzeugnissen iiber die Zoll- kehrs werden für den Handel mit Drittländern be-
grenze erhoben werden. Sie dienen idem Schutz des deutsam sein. Hierdurch können Rohstoffe zu Welt-
marktpreisen verarbeitet und ausgeführt werden.
inländischen Agrarmarktes unid bewirken eine Preis-
Damit werden auch für die Fälle, in denen die
angleichung. Der Ausschuß hat sich eingehend mit
EWG-Verordnungen Restitutionen nicht vorsehen,
der Rechtsnatur der Abschöpfung, insbesondere mit
die Ausfuhrmöglichkeiten gewährleistet. Soweit
den sich daraus nach den tgrundgesetzlichen Vor-
Nebenerzeugnisse und Abfälle im Inland verblei-
schriften ergebenden Folgerungen, nämlich etwa Zu-
ben, werden sie mit dem Satz abgeschöpft, der am
stehen des Aufkommens aus der Abschöpfung, Ver-
Tage der Gestellung gilt; denn an diesem Tage tre-
waltungskompetenz, befaßt. Er ist zu idem Ergebnis
ten sie, wirtschaftlich gesehen, mit dem durch die
gekommen, ,daß , es sich bei der Abschöpfung um eine
Abschöpfung geschützten inneren Markt in Verbin-
Abgabe handelt, 'die, verfassungsrechtlich gesehen,
dung.
zu den Zöllen im Sinne von Art. 105 Abs. 1, Art. 106
Abs. 1 Nr. 1 und Art. 108 Abs. 1 Satz 1 des Grund- Abs. 4 bezieht sich auf Getreidetermingeschäfte.
gesetzes gehört. Der Ausschuß ist in dieser Auffas- Die Vorschrift erfaßt die Fälle der sogenannten Vor-
sung durch die vom Bundesverfassungsgericht in fixierung der Abschöpfung gemäß Art. 17 Abs. 2
dem Beschluß vom 29. Oktober 1958 betreffend Hel- der EWG-Getreideverordnung (VO Nr. 19). Dabei
goländer Gemeindeausfuhrsteuer (2 BvL 19/56; Ent- bemißt sich die Abschöpfungsschuld nach dem Ab-
scheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bd. 8 schöpfungssatz, der an dem Tage gilt, an dem die
S. 260 ff.) gemachten Ausführungen über das Wesen Einfuhrlizenz beantragt wird. Eine Prämie wird zu-
von Abgaben, die von der Warenbewegung über sätzlich nach den von der Kommission festgeleg-
die Grenze erhoben werden, bestärkt worden. Damit ten Sätzen erhoben. Ich verweise auf Art. 17 Abs. 3
steht also nach der Meinung des Ausschusses die der EWG-Getreideverordnung — Bundesgesetzblatt
Gesetzgebungs-, Erhebungs- und Verwaltungskom- vom 14. 6. 1962 Teil II, Seite 715 —. Dem Handel
petenz über die Abschöpfungsabgaben dem Bund zu. bleibt durch § 4 Abs. 4 die Möglichkeit des weltweit
üblichen Termingeschäfts mit Getreide erhalten.
Zu ,den Bestimmungen nunmehr im einzelnen. Zu
§ 1: Der Abschöpfungsgegenstand ist in der Weise Zu § 5 habe ich Ihnen namens des Finanzausschus-
bestimmt, ,daß hierdurch sowohl die gegenwärtig ses in Abweichung von der Vorlage die Streichung
vorgeschriebenen als auch die noch zu erwartenden dieses Paragraphen vorzuschlagen. Während der
Abschöpfungen, z. B. von Milch .und Milcherzeugnis- Wirtschaftsausschuß und der Außenhandelsausschuß
sen, erfaßt werden. vorgeschlagen haben, den § 5 der Vorlage zu strei-
chen — so hat es auch der Finanzausschuß beschlos-
Zu § 2: Grundsätzlich ist das deutsche Zollrecht
sen —, hat der Ernährungsausschuß empfohlen, den
anwendbar. Nach dieser Feststellung ist § 2 Abs. 2
§ 5 bestehen zu lassen. Der Finanzausschuß ist zu
eigentlich überflüssig, weil er selbstverständlich ist.
seinem Vorschlag, den § 5 zu streichen, auf Grund
Zu § 3: Diese Vorschrift schafft Klarheit über den von zweierlei Erwägungen gekommen. Einmal hat
Abschöpfungssatz, nämlich den Tarif, den der Ab- der Finanzausschuß die Erkenntnis gewonnen, daß
fertigungsbeamte auf ,die einzelnen Warenpartien die Abschöpfungsbeträge, verfassungsrechtlich ge-
anzuwenden hat. Die Abschöpfungsisätze werden be- sehen, als Zölle anzusehen sind. Dann ist es aber
stimmt bei Eiern, Geflügel unid Schweinefleisch logisch, § 37 Abs. 2 des Zollgesetzes, der die Ge-
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1962 1499
Dr. Koch
währung des Zollaufschubs vorsieht, bestehen zu Die Notwendigkeit, diesen Abschöpfungstarif durch
lassen. Zweite Erwägung für die Streichung: die Rechtsnorm festzusetzen, ergibt sich daraus, daß die
Abschöpfungsbeträge, die an die Stelle der bisheri- Erläuterung des Abschöpfungstarifs nach § 9 Abs. 3
gen Zölle treten, werden voraussichtlich höher sein ebenfalls durch Rechtsnorm festgesetzt werden soll.
als die Zölle. Der Importeur hat in Zukunft allein Die Ermächtigung des § 9 Abs. 2 bezieht sich auf das
schon dadurch höhere Kosten. Der Wegfall des Zoll- Tarifschema. Die Abschöpfungssätze ergeben sich
aufschubs würde ihn also doppelt belasten, zumal aus anderen Rechtsquellen, die ich in meiner Be-
da er bei Wegfall des Zollaufschubs mit größter gründung zu § 3 bereits näher bezeichnet habe.
Wahrscheinlichkeit Bankkredit in Anspruch nehmen Zu den §§ 10 und 12 habe ich folgendes zu be-
muß. Dadurch ergeben sich Zinskosten, die höher merken. Über die Beschlüsse des Finanzausschusses
liegen als die Kosten, die jetzt bei dem Zollschub hinaus habe ich auf Grund von Mitteilungen, die mir
entstehen. Deshalb hat der Finanzausschuß vorge- inzwischen zugegangen sind, dem Hohen Hause
schlagen, § 5 der Vorlage zu streichen. vorzuschlagen, in § 10 und § 12 den Zeitpunkt dahin
§ 6 befaßt sich mit , der Bevorratung. Die der staat- zu ändern, daß an Stelle des 1. Juli 1962 der
lichen Bevorratung dienende Ware muß abschöp- 30. Juli 1962 tritt. Ich werde das bei § 12,- zu dem
fungsfrei gelagert werden können, wenn dies im In- ich noch kommen werde, näher begründen.
teresse der Bundesrepublik erforderlich ist. Hier
Zu § 10 ist zu bemerken, daß diese Übergangs-
wird erst abgeschöpft, wenn die Ware gewälzt, das
vorschrift nur die wirtschaftlich nicht sehr bedeut-
heißt in den Binnenmarkt gegeben wird. Die Mög-
samen Fälle betrifft, in denen für Agrarerzeugnisse
lichkeiten der privaten Lagerhaltung ergeben sich
die Abschöpfungsschuld nach dem Inkrafttreten
aus der Anwendbarkeit des Zollrechts. ses Gesetzes entsteht, der für die Anwendung des
In § 7 ist vorgesehen, daß über Streitigkeiten we- Tarifsatzes maßgebende Zeitpunkt aber vorher ge-
gen Abschöpfungsbeschetiden das finanzamtliche Be- legen hat.
rufungsverfahren zugelassen werden soll. Sie sehen
§ 11 enthält die übliche Berlinklausel.
den Verweis auf § 229 der Reichsabgabenordnung.
Es ist vorgesehen, die Marktordnungsstelle zu dem Zu § 12 Änderung des Termins des Inkraft-

Verfahren vor den Finanzgerichten hinzuzuziehen, tretens. Das Gesetz muß gleichzeitig mit den Durch-
wenn deren besondere Sachkunde erforderlich oder führungsgesetzen zu den EWG-Agrarverordnungen
nützlich sein könnte. Dies gilt insbesondere in den in Kraft treten, da die Abschöpfungsregelung von
Fällen, in denen mit dem Abschöpfungsbescheid der diesem Zeitpunkt ab anzuwenden ist. Da der Mini-
Zollstelle zugleich die von den Marktordnungsstel- sterrat den Zeitpunkt des Inkrafttretens der EWG-
len allgemein bekanntgemachten Abschöpfungssätze Agrarverordnungen Nrn. 19 bis 22 auf den 30. Juli
angefordert werden. verschieben wird, ist es notwendig, diesen Zeitpunkt
Der Finanzausschuß schlägt Ihnen gleichfalls die abweichend von der vorliegenden Drucksache IV/464
Streichung des § 8 vor. Bei der Beratung des § 8 hat als Zeitpunkt des Inkrafttretens zu bestimmen. Das
sich der Finanzausschuß mit § 22 der Abgabenord- ist aber der 30. Juli 1962. Daraus ergibt sich, daß
nung befaßt, der die Aufrechterhaltung des Steuer- in den §§ 10 und 12 die Worte „1. Juli 1962" durch
geheimnisses vorsieht, und ist zu dem Ergebnis ge- die Worte „30. Juli 1962" ersetzt werden müssen.
kommen, daß die Annahme des § 8, wenn wir also
Namens des Finanzausschusses darf ich dem
§ 8 in der hier beschlossenen Form bestehen lassen
Hohen Hause empfehlen, den Initiativgesetzentwurf
würden, einen wesentlichen Einbruch in das Steuer-
Drucksache IV/464 mit den von mir vorgeschlagenen
geheimnis bedeuten würde. Der Finanzausschuß ist
Änderungen anzunehmen.
aus grundsätzlichen Erwägungen nicht bereit, einen
Einbruch in das Steuergeheimnis zuzulassen. Im
übrigen können die Bundesfinanzbehörden über die Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Ich danke
mengenmäßigen Warenübergänge über die Grenze dem Herrn Berichterstatter.
den Ernährungsbehörden ohne weiteres Mitteilung Meine Damen und Herren, ehe ich zur zweiten
machen. Die Bundesfinanzbehörden sollen aber Lesung aufrufe, muß ich das Haus von folgendem
nicht den Namen des Importeurs, der die Abferti- unterrichten. Bei dem Tagesordnungspunkt 8, der
gung beantragt, den Ernährungsbehörden mitteilen nochitaufgers,lichaudß
können. Es wird also vorgeschlagen, § 8 in der Vor- einer der mitbeteiligten Ausschüsse, der Ernäh-
lage Drucksache IV/464 zu streichen. rungsausschuß, ein der Sache nachträglich ver-
Zu Abs. 1 und Abs. 3 des § 9 — Ermächtigungen handelt und Änderungen an dem Gesetzentwurf
— ist auf das Zollgesetz zu verweisen. Im § 78 Abs. 1 vorgenommen hat. Außerdem liegt ein Ände-
und 2 des Zollgesetzes finden wir bereits gleich rungsantrag Umdruck 132 zum Gesetzentwurf
lautende Ermächtigungen. Wir haben hier nur die Drucksache IV/465 vor. Der Vorsitzende des
Modifikation, daß der Bundesfinanzminister, wenn Haushaltsausschusses macht — nach meiner Über-
er seine Verwaltungsverordnungen erläßt, dazu das zeugung mit vollem Recht — darauf aufmerksam,
Einvernehmen des Ernährungsministers braucht. daß die Annahme dieser Änderungen die finanziellen
Mögliche Auswirkungen auf die Ernährungswirt- Auswirkungen der Vorlage ganz wesentlich verän-
schaft werden damit von vornherein berücksichtigt. dern würde. Der Haushaltsausschuß muß deshalb
unter allen Umständen — das folgt aus § 96 der
Zu § 9 Abs. 2 ist folgendes zu bemerken. Nach Geschäftsordnung; es steht zwar nicht wörtlich drin,
Abs. 2 werden die von der Abschöpfung erfaßten gehört aber dem Sinne nach dazu — die Möglichkeit
Waren in einem Abschöpfungstarif zusammengefaßt. haben, sich mit den Konsequenzen der veränderten
1500 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1962

Präsident D. Dr. Gerstenmaier


Vorlage auseinanderzusetzen, bevor das Haus dar- Wir haben einen zweiten Antrag zu § 4 des Ge-
übervhandlt. setzes gestellt. Nach dem Zollgesetz kann derjenige,
Herr Bauknecht, ich kann Ihnen daher im Moment der eine Ware in ein Zollaufschublager verbracht
das Wort nicht geben. Der Haushaltsausschuß muß hat — was eine Abfertigung zum freien Verkehr
die Möglichkeit haben, sich damit zu befassen und voraussetzt; im Zollaufschublager ist die Ware zum
zu überlegen, was daraus werden würde, wenn . . . freien Verkehr abgefertigt —, für den Fall, daß sich
der Zollsatz zwischen der Verbringung in das Zoll-
Ich schlage dem Hause vor, dem Haushaltsaus- aufschublager — das ist die Abfertigung zum freien
schuß diese Möglichkeit zu geben, in der Tagesord- Verkehr — und dem Tage der Auslagerung aus dem
nung fortzufahren und nachher den Änderungs- Zollaufschublager verändert hat, beantragen, daß
antrag zu behandeln. Herr Antragsteller, das ist der letztere Zollsatz, also der vom Zeitpunkt der
auch in Ihrem Interesse. Entnahme aus dem Zollaufschublager, angewendet
Ist das Haus mit der erneuten Überweisung des wird.
Gesetzentwurfs Drucksache IV/465 an den Haus- Wir möchten sicher- und klarstellen, daß diese
haltsausschuß zu einer abschließenden Stellung- Bestimmung des Zollrechts auch für die Abschöp-
nahme einverstanden? — Das. ist der Fall; es wird sungsabgaben gilt. Es soll also auch hier beantragt
so verfahren. werden können, statt des an sich maßgebenden Ab-
schöpfungssatzes am Tage der Einbringung ins Zoll-
Wir fahren mit der zweiten Lesung des Abschöp- aufschublager den Abschöpfungssatz am Tage der
fungserhebungsgesetzes fort. Ich rufe auf §§ '1, — Auslagerung aus dem Zollaufschublager anzuwen-
2, — und 3. — Änderungsanträge liegen nicht vor. den, wie es im Zollgesetz auch für Zölle vorgesehen
Wird das Wort gewünscht? — Das Wort wird nicht ist.
gewünscht. Deswegen unser weiterer Antrag; ich darf ihn
Wer den §§ 1 bis 3 zustimmen will, den bitte ich verlesen:
um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltun- In § 4 wird folgender neuer Abs. 3 eingefügt:
gen? — Einstimmig angenommen.
Werden Waren aus einem Zollaufschublager
Wir kommen zu § 4. Dazu hegt ein Änderungs- ausgelagert, so wird auf Antrag der am Tage
antrag auf Umdruck 136 vor. Ist er schon verteilt? der Auslagerung geltende Abschöpfungssatz an-
Er ist nicht verteilt. Herr Abgeordneter Seuffert, gewandt. Der Zeitpunkt der Auslagerung ist der
wollen Sie ihn bitte vorlesen und begründen. zuständigen Zollstelle rechtzeitig vorher anzu-
zeigen.
Seuffert (SPD) : Herr Präsident! Meine Damen Das letztere ist natürlich notwendig, um eine zeit-
und Herren! Der Änderungsantrag, den wir Ihnen liche Kontrolle der Auslagerung zu ermöglichen.
der Eile halber vorlegen, ohne daß er schon verteilt Dann würde der bisherige Abs. 3 zu Abs. 4 und
wäre, betrifft eine Frage, die sehr technisch aus- der bisherige Abs. 4 zu Abs. 5 werden.
sieht, aber große wirtschaftliche Auswirkungen ha-
ben kann. In den Freihäfen unserer Häfen — Bre- Ich wäre Ihnen dankbar, meine Damen und Her-
men, Hamburg usw. — sind für die in Betracht ren, wenn Sie diesen Anträgen stattgeben würden,
kommenden Waren, insbesondere Getreide, keine die, wie ich bemerken darf, auf sehr eindringliche
solchen Lagereinrichtungen vorhanden wie z. B. in Vorträge der Städte Bremen und Hamburg zurück-
den niederländischen Konkurrenzhäfen; unsere Im- gehen, mit diesen eingehend durchgesprochen wor-
porteure sind sehr weitgehend auf die Lagerung von den sind und von ihnen auch für dringend notwen-
Zollgütern außerhalb der Freihäfen in Zollgutlagern dig gehalten werden, um Schädigungen der deut-
und Zollaufschublagern angewiesen, und zwar viel schen Häfen im internationalen Vergleich hintanzu-
weitgehender, als man in den ausländischen Konkur- halten. Es ist nötig, derartige Dinge in ihren Einzel-
renzhäfen darauf angewiesen ist. heiten hier im Plenum zu behandeln, da es sich um
ein Gesetz handelt, das nun einmal den Bundesrat
Nun ist die Befürchtung aufgetaucht, daß die Ver- nicht durchlaufen hat und bei dem wegen des Zeit-
bringung eines Abschöpfungsguts aus dem Freihafen drucks es ausgeschlossen werden muß, daß der Bun-
in ein Zollgutlager oder Zollaufschublager — ich desrat etwa über den Vermittlungsausschuß noch
möchte zunächst vom Zollgutlager sprechen — Korrekturen vornimmt.
außerhalb des Freihafens bereits schädlich sein
könnte in dem Sinne, daß damit der Abschöpfungs- Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Das Haus hat
satz festgelegt ist, insofern nämlich, als das als eine diese zwei Änderungsanträge zunächst entgegen-
Antragstellung für einen besonderen Abschöpfungs-
genommen, ohne daß sie schon verteilt wären.
verkehr angesehen werden könnte. Wenn das rich-
tig wäre, würden die Importeure der deutschen Herr Abgeordneter Serres, wollen Sie zu beiden
Häfen stark benachteiligt sein gegenüber den aus- Änderungsanträgen sprechen?
ländischen Häfen. Wir beantragen deshalb unter (Abg. Dr. Serres: Zu beiden!)
Ziffer 1, in § 4 Abs. 2 Satz 1 die Worte „oder zu
einem besonderen Abschöpfungsverkehr — mit Aus- — Bitte sehr, Herr Abgeordneter Serres!
nahme des Abschöpfungsgutversands —" zu strei-
chen, um damit klarzustellen, daß auch durch diese Dr. Serres (CDU/CSU) : Herr Präsident! Ich habe
Verbringung in Zollgutlager der Abschöpfungssatz die Bitte, die Abstimmung zu diesen beiden An-
noch nicht festgelegt wird. trägen so lange auszusetzen, bis die Drucksache
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1962 1501
Dr. Serres
vorliegt Wir haben doch den Wunsch, uns noch sprechenden Antrag in Ziffer 2 des Umdrucks 133
einmal mit der Drucksache zu befassen, da zum Teil gestellt.
auch eine Reihe von technischen Problemen darin (Vorsitz: Vizepräsident Dr. Dehler.)
sind. Es erscheint notwendig, auch darüber noch
einmal kurz Rücksprache mit den Sachverständigen Die beiden antragstellenden Fraktionen sind der
der Bundesregierung zu nehmen. Meinung, daß die Auskunfterteilung dringend er-
forderlich ist wegen der Maßnahmen, die unter Um-
Ich wäre den Antragstellern dankbar, wenn sie ständen vom Bundesministerium für Ernährung,
diesem Ersuchen stattgäben, damit wir uns noch Landwirtschaft und Forsten getroffen werden müs-
einmal kurz dahin verständigen könnten, ob wir sen. Die dafür nötigen Angaben müssen von den
den Antrag unterstützen können. Bundesfinanzbehörden geliefert werden.
(Abg. Seuffert: Einverstanden!) Ich darf Sie bitten, meine Damen und Herren,
dem Änderungsantrag Umdruck 133 Ihre Zustim-
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Sie sind ein- mung zu geben.
verstanden, es muß so gemacht werden, Herr Kol-
lege Seuffert. Ich stelle diese Abstimmung und da- Vizepräsident Dr. Dehler: Das Wort hat der
mit den ganzen § 4 zurück. Abgeordnete Dr. Schmidt (Wuppertal).

Ich rufe auf den § 5. Hierzu liegt ein Änderungs- Dr. Schmidt (Wuppertal) (CDU/CSU) : Herr Prä-
antrag vor. Ich nehme an, daß der Umdruck 133 sident! Meine Damen und Herren! Sie haben aus
verteilt ist. dem Vortrag des Berichterstatters die Gründe
Herr Dr. Serres, ich mache auf folgende Schwie- gehört, die den Finanzausschuß veranlaßt haben, für
rigkeit aufmerksam. Sie sollten Ihren Änderungs- die Streichung des § 5 und des § 8 einzutreten. Wir
antrag ändern; denn der Ausschuß hat die §§ 5 sind für die Streichung des § 5 eingetreten — ich
und 8 gestrichen. Infolgedessen kann in Ihrem Än- darf die Gründe noch einmal wiederholen —, weil
derungsantrag nicht gelesen werden: „Der § 5 erhält wir eine möglichst gleichförmige Anpassung an das
folgende Fassung", sondern Sie müssen sagen: „Es Zollrecht wünschten. Der Finanzausschuß hat sich
wird ein neuer § 5 eingefügt." Eine reine Formalität. seit Monaten wiederholt mit der Frage der Überprü-
fung der Zollaufschubfristen befaßt. Innerhalb des
Das Wort zur Begründung des Änderungsantrags Ausschusses war eine sehr starke Tendenz, das alles
Umdruck 133 hat Herr Abgeordneter Dr. Serres. zu überprüfen. Man könnte also das, was in dem
Änderungsantrag zum Abschöpfungserhebungsge-
setz gefordert wird, sehr wohl auch im Zollgesetz so
Dr. Serres (CDU/CSU) : Herr Präsident! Meine regeln. Ich glaube, es ist nicht wünschenswert, daß
Damen und Herren! Ich nehme gern die Anregung für die verschiedensten Artikel verschiedene Fristen
des Herrn Präsidenten auf und stelle einen ent- bestehen. Aber das ist ein rein formaler Gesichts-
sprechenden Antrag. Im übrigen spreche ich also punkt. Man kann also unter Umständen aus wirt-
zum Änderungsantrag Umdruck 133. Wie der Herr schaftspolitischen Gesichtspunkten durchaus der An-
Präsident schon zutreffend ausgeführt hat, hat der regung folgen, die die beiden Fraktionen der Regie-
federführende Finanzausschuß beschlossen, dem rungsmehrheit für den § 5 geben.
Hause zu empfehlen, die §§ 5 und 8 des Abschöp-
fungserhebungsgesetzes, Drucksache IV/464, zu Ganz anders scheint mir dagegen die Sache bei
streichen. § 8 zu liegen. Hier wird eine ganz grundsätzliche
Frage angerührt, die wir um der Sache willen nicht
Was den § 5 angeht, so hätte dieser Beschluß des ohne weiteres passieren lassen sollten. Wenn man
Finanzausschusses zur Folge, daß Zahlungsaufschub den § 8 liest, wie er da steht, ist er völlig harm-
nach den Bestimmungen des Zollgesetzes gewährt los. Er ist eine solche Platitüde, daß man überhaupt
würde. Das würde bedeuten, daß ein Zahlungsauf- davon absehen sollte; denn daß die Bundesfinanz-
schub von drei Monaten gewährt wird. Die beiden behörden befugt sind, dem Bundesministerium für
antragstellenden Fraktionen waren der Auffassung, Ernährung, Landwirtschaft und Forsten und den
daß eine solche Frist für den Zahlungsaufschub zu Marktordnungsstellen allgemeine Auskünfte zu er-
weitgehend isst und daß sie verkürzt werden sollte. teilen über die Erfahrungen, die sie im Grenzver-
Deswegen ist die vorliegende Fassung des § 5 be- kehr, im Abfertigungsverkehr machen, das braucht
antragt worden. Danach kann der Zahlungsaufschub nicht gesetzlich geregelt zu werden. Das ist inner-
höchstens bis zu sechs Wochen gewährt werden; die halb der Exekutive selbstverständlich und ist eine
Mindestfrist wäre 14 Tage. Ich wäre dankbar, wenn Frage des Vertrauensverhältnisses der Behörden;
das Haus diesem Antrag zustimmen wollte. das braucht nicht geregelt zu werden.
Dann hat der Finanzausschuß beantragt, den § 8 Aber als wir der Sache nachgingen, stellten wir
zu streichen. § 8 befaßt sich mit der Auskunftertei- fest, daß dahinter mehr steht, daß nämlich damit
lung. Nach dem Antrag soll also die Befugnis der indirekt das Steuergeheimnis des § 22 der Abgaben-
Bundesfinanzbehörde nicht mehr bestehen, dem ordnung angetastet werden soll, daß gewissermaßen
Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft ein Loch geöffnet werden soll, um Auskünfte auch
und Forsten usw. Auskünfte zu erteilen. Wir waren über die Person des Steuerpflichtigen zu geben,
der Auffassung, daß diese Bestimmung aufrecht- nämlich Auskünfte über ausländische Importeure
erhalten werden sollte, und haben daher einen ent- und 'über inländische Importeure.
1502 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1962

Dr. Schmidt (Wuppertal)


Da hatte allerdings der Ausschuß aus grundsätz- Seuffert (SPD): Herr Präsident! Meine Dament
lichen Erwägungen die schwersten Bedenken. Prak- und Herren! Die beantragte neue Fassung des § 5
tisch würde diese Regelung dazu führen, daß bringt eine Verkürzung der bisher geltenden Stun-
Schwarze Listen geführt werden über Personen, die dungsfristen. Die Stundungsfristen sind vielleicht
unerwünscht sind öder erwünscht sind. Alles das auf vielen 'Gebieten sowieso etwas zu lang. Wir
widerspricht unserem Zoll- und Steuersystem so können uns also mit der beantragten neuen Fassung
grundsätzlich, daß wir dem unter keinen Umstän- einverstanden erklären.
den folgen sollten. Der Bundesernährungsminister
Was den § 8 anbelangt, so scheint mir gerade zu
und die Marktordnungsstellen sollen alle Auskünfte
den Bemerkungen (des Kollegen Bauknecht einiges
über den Marktverkehr über die Grenze bekommen,
klarzustellen zu sein. Das, was bisher geübt worden
die notwendig sind, soweit sie sich auf Waren be-
ist, nämlich Meldungen der Zollstellen an die Ein-
ziehen. Wir wünschen aber unter keinen Umstän-
fuhr- und Vorratsstellen usw., kann nur so beschaf-
den, daß das auch insoweit geschieht, als sie sich
fen gewesen sein, daß dieser § 8 dazu nicht erfor-
auf Personen beziehen. Das steht hinter dem § 8,
derlich ist. Es ist vollständig klar, daß die Zollstel-
und deshalb darf er meines Erachtens nicht wieder-
len Meldungen über Einfuhren, Einfuhrmengen,
hergestellt werden.
festgesetzte Zollbeträge usw. ohne Namensnennung
der Beteiligten machen können und meiden sollen
Vizepräsident Dr. Dehler: Das Wort hat der und dazu einen Paragraphen wie diesen § 8 nicht
Abgeordnete Bauknecht. brauchen. Solange sie diesen Paragraphen nicht hat-
ten, konnten sie Meldungen mit Namensangabe der
Bauknecht (CDU/CSU) : Herr Präsident! Meine Beteiligten nicht machen; daran hinderte sie der
Damen und Herren! Es tut mir leid, daß ich den § 22 der Abgabenordnung über das Steuergeheim-
Ausführungen meines Kollegen Schmidt (Wupper- nis. Wenn also nur die bisherige Übung fortgesetzt
tal) widersprechen und mich der Ansicht des Vorsit- werden soll, ist der § 8 als unnötig zu streichen.
zenden des Außenhandelsausschusses, Dr. Serres, Er ist nur erforderlich, wenn es zur Durchführung
anschließen muß. Die Frage ist: was soll hier er- der Marktordnung für notwendig gehalten wird,
reicht werden? daß die Zollstellen — db sie das technisch können,
Dem Hause ist vielleicht unbekannt, daß ¡an und ist eine andere Frage — Meldungen mit Namensan-
für sich durch die Vorlage der Koalition nichts gaben über die an den Geschäften Beteiligten an die
Neues geschaffen werden soll. Die Auskünfte in der Stellen 'des Bundesernährungsministeriums usw. ge-
Form, wie wir sie haben wollen, werden schon seit ben. Wenn das beabsichtigt ist, braucht man den
11 Jahren gegeben, beispielsweise bei der Abschöp- § 8; wenn man nur die 'bisherige Übung beibehalten
fung bei Getreide. Der Gedanke der Abschöpfung will, braucht man ihn nicht. Falls bisher Meldungen
ist gar nichts Neues. Dort wind die Regelung schon mit Namensnennung ergangen sein sollten, wäre
mehr als ein Jahrzehnt praktiziert. Es hat keine das unzulässig gewesen. Das Ernährungsministe-
Widerstände und keine Anstände gegeben. Das rium ist wegen technischer und zeitlicher Verhinde-
Neue ist nur: bisher waren 'die Meldungen an die rung nicht in der Lage gewesen, uns im Finanzaus-
Einfuhr- und Vorratsstelle notwendig, und nunmehr, schuß darzutun, daß es in der Tat Meldungen mit
nachdem die praktische Handhabung der Abschöp- Namensnennung für die Erfüllung seiner Aufgaben
fung von der Einfuhr- und Vorratsstelle an 'die Zoll- braucht.
behörde übergegangen ist, .verlangen wir, daß von Die Zollstellen haben uns übrigens auch nicht er-
der Zollbehörde die gleichen Auskünfte wie bisher klären können, daß sie in der Lage sind, solche
durch idle Einfuhr- und Vorratsstelle gegeben wer- Meldungen fertigzustellen. Es wäre also für unsere
den. Stellungnahme zu diesem Antrag notwendig, zu
Diese Dinge sind von erheblicher Bedeutung. Wir wissen, ob das Ernährungsministerium uns begrün-
haben jetzt eine neue Form der Marktordnung, und den kann, daß solche namentliche Mitteilungen not-
niemand weiß, wie sich idas alles auf den Markt wendig sind. Wenn wir uns davon überzeugen
auswirkt. Weil 'die Europäische Kommission das er- könnten — was wir bisher nicht konnten —, müßten
kannt hat, hat sie die Möglichkeit geschaffen, im wir dem § 8 zustimmen:
Verordnungswege beispielsweise eine Schutzklau-
sel anzuwenden, wenn der Markt, sagen wir, zuun- Vizepräsident Dr. Dehler: Das Wort hat der
gunsten 'der deutschen Erzeuger zusammenzu- Herr Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft
brechen droht oder wenn das deutsche Getreide gar und Forsten.
nicht abfließt und neue Kosten dadurch entstehen,
daß alles aber die Interventionskäufe wieder dem
Staate zuläuft. Hierfür ist eine laufende Ubersicht
Schwarz, Bundesminister für Ernährung, Land-
wirtschaft und Forsten: Herr Präsident! Meine Da-
notwendig, da sind die Einzelheiten entscheidend.
men und Herren! Der § 8, der hier zur Debatte steht,
Ich bitte daher, daß Sie die Vorlage annehmen, ist für die 'Durchführung der Maßnahmen, die wir
also den § 8 in der Form, wie er in der Ausschuß- zu ergreifen gedenken, von außergewöhnlicher Wich-
drucksache steht, und den Antrag des Finanzaus- tigkeit. Es ist so, wie der Herr Vorredner gesagt
schusses abzulehnen. hat, daß wir bereits in der Vergangenheit durch den
Vorgang der Warenübernahme über die Einfuhr-
Vizepräsident Dr. Dehler: Das Wort hat der und Vorratsstelle die Daten bekommen haben, die
Abgeordnete Seuffert. wir brauchten; ich möchte hinzufügen, Herr Kollege,
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1962 1503
Bundesminister Schwarz
auch mit Namensnennung bei der 'Erteilung des digt ist. Wir werden diesen Punkt wieder aufneh- I
Übernahmevertrages. Ich lasse eis dahingestellt sein, men, sobald der Umdruck vorliegt. *)
ob Ihre Meinung richtig ist oder vielleicht auch
nicht, ob das zulässig war oder nicht. In jedem Fall Ich rufe auf Punkt 6 der Tagesordnung:
ist es aber jetzt so, daß wir unter allen Umständen Zweite Beratung des von den Fraktionen der
— angesichts der Komplikation, die wir über S chutz- CDU/CSU, FDP eingebrachten Entwurfs
klauseln, Lizenzen usw. in das ganze Marktord- eines Gesetzes zur Änderung des Zollgeset-
nungssystem bekommen — eine klare Beweisfüh- zes (Drucksache IV/466) ;
rung brauchen, um welche Mengen, welchen Preis, Mündlicher Bericht des Finanzausschusses
welchen Namen es sich handelt; nicht in allen Fäl- (14. Ausschuß) (Drucksache IV/531)
len, aber um irgendwelche kritische Situation im
Griff zu behalten. Deswegen brauchen wir den § 8. (Erste Beratung 35. Sitzung).
Wir brauchen ihn einmal zur Festsetzung von Zu- Das Wort hat der Berichterstatter, Abgeordneter
satzbeträgen bei Unterschreitung des Einschleu- Dr. Koch.
sungspreises durch Angebotspreise, zweitens zur
Verringerung des Abschöpfungsbetrages bei zu ge-
ringer Einfuhr, drittens zur rechtzeitigen und unan- Dr. Koch (SPD) : Herr Präsident! Meine Damen
greitbaren Anwendung von Maßnahmen der Schutz- und Herren! Im Auftrage des Finanzausschusses darf
klauseln. Der letztgenannte Punkt betrifft einen ich zu der Ihnen bereits vorliegenden Begründung
Fall, der ganz besonders kritisch ist. Wenn der noch einige Änderungen vortragen.
Markt völlig andere Wege geht als die, die man er- In der Begründung zu Art. 1 Nr. 1 Buchstabe a
wartet, müssen wir Schutzklauseln anwenden und müssen wir sagen:
sind gegenüber der Kommission und dem Minister- Es soll im Gesetzeswortlaut noch deutlicher zum
rat beweispflichtig. Viertens brauchen wir Unter- Ausdruck gebracht werden, daß die Ausgleichs-
lagen für eine laufende Unterrichtung der Kommis- abgaben, die der EWG-Vertrag vorsieht, ob-
sion über Einfuhr- und Preisentwicklung. wohl sie nach diesem Vertrag keine Zölle sind,
Da wir nach Ansicht meines Hauses mit dem § 8 aus verwaltungsökonomischen Gründen inner-
nichts Neues von Ihnen verlangen — es sei denn, staatllich in Form von Angleichungszöllen erho-
daß bisher die Einfuhr- und Vorratsstellen diejeni- ben werden.
gen waren, die die Meldungen machten, während es Die Begründung zu Art. 1 Nr. 1 Buchstabe b hat
jetzt die Finanzverwaltung sein soll —, darf ich Sie richtiger zu lauten:
bitten, den § 8 wiederherzustellen.
Die Kommission der EWG hat erklärt, daß sie
in Zukunft Ausgleichsabgaben nicht nur auf
Vizepräsident Dr. Dehler: Wir kommen zur Artikel 46 und 226 des EWG-Vertrages, son-
Abstimmung, und zwar zunächst über den Antrag dern auch auf die Beschlüsse des Ministerrates
Umdruck 133 Ziffer 1 auf Neufassung des § 5. Wer gemäß Artikel 235 des EWG-Vertrags stützen
dem Antrag zustimmt, der gebe bitte Zeichen. — wird. Es ist deshalb erforderlich, den Buchsta-
Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig ange- ben e einzufügen.
nommen. Zu dem Buchstaben e des Art. 1 Nr. 1 Buchstabe b
Ich rufe § 6 und § 7 auf. Wer zustimmt, gebe bitte empfiehlt der Finanzausschuß folgende redaktio-
Zeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Ange- nelle Änderungen: In Zeile 6 ist „vorgenannten
nommen. Vertrags" statt „vorbezeichneten Vertrags" zu set-
zen. In Zeile 10 muß es heißen „vorgesehen hat"
Wir stimmen nunmehr über Ziffer 2 des von den statt „beschlossen hat". In den Zeilen 11 und 12 ist
Fraktionen der CDU/CSU und FDP gestellten Antra- jeweils „Industrien" statt „Industriezweige" zu set-
ges Umdruck 133 ab, den § 8 in der Fassung der zen.
Vorlage — Drucksache IV/464 — wiederherzustel- Abschließend hat der Ausschuß beschlossen, das
len. Wer diesem Antrag zustimmt, gebe bitte Zei- Plenum zu bitten, dem so geänderten Gesetzentwurf
chen — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der An- seine Zustimmung zu geben.
trag ist angenommen. Damit ist § 8 wieder einge-
fügt.
Vizepräsident Dr. Dehler: Ich danke dem
Ich rufe auf § 9. Wer zustimmt, gebe bitte Hand- Herrn Berichterstatter. Wir treten in die Beratung
zeichen. — Gegenprobe! — Angenommen. ein.
In § 10 und § 12 ist nach dem Antrag des Bericht- Ich rufe auf Art. 1, — 2, — 3, — Einleitung und
erstatters der Termin des 1. Juli durch den 30. Juli Überschrift. — Das Wort wird nicht gewünscht. Wer
zu ersetzen. Wer mit der Maßgabe dieser Änderung zuzustimmen wünscht, gebe bitte das Zeichen. —
den §§ 10 und 12 sowie dem § 11 zustimmt, gebe Gegenprobe! — Enthaltungen? — Ich stelle ein-
bitte Handzeichen. — Gegenprobe! — Angenommen. stimmige Annahme fest.
Einleitung und Überschrift. Wer zustimmt, gebe Damit ist die zweite Beratung geschlossen. Die
bitte Zeichen. — Gegenprobe! — Angenommen. dritte Beratung erfolgt am Freitag.
Wir können die zweite Beratung noch nicht schlie-
ßen, da zu § 4 noch ein Änderungsantrag angekün- *) Siehe Seite 1509 D.
1504 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1962

Vizepräsident Dr. Dehler


Ich rufe auf Punkt 7 der Tagesordnung: Meine Fraktion hält deshalb einen Vermark-
Zweite Beratung des von den Fraktionen der tungssatz von 19,50 DM für völlig ausreichend. Das
CDU/CSU, FDP eingebrachten Entwurfs eines haben wir bei unseren Preisvorschlägen in unserem
Gesetzes zur Durchführung der Verordnung Antrag Umdruck 128 zugrunde gelegt.
Nr. 19 (Getreide) des Rates der Europäischen
Die Bundesregierung bzw. die Koalitionsparteien
Wirtschaftsgemeinschaft (Drucksache IV/463) ;
haben von der Möglichkeit der EWG-Getreide-
a) Bericht des Haushaltsausschusses (13. Aus- marktordnung, die Differenz zwischen den soge-
schuß) gemäß § 96 der Geschäftsordnung nannten Grundinterventionspreisen und den Grund-
(Drucksache IV/520) richtpreisen zwischen 5 und 10 % Aufschlag festzu-
b) Schriftlicher Bericht des Ausschusses für setzen, in der Weise Gebrauch gemacht, daß sie
Ernährung, Landwirtschaft und Forsten einen Satz von 7,5 % wählten. Meine Freunde ste-
(19. Ausschuß) (Drucksachen IV/515, zu hen auf dem Standpunkt, daß eine Differenz von
IV/515) 5 % völlig ausreichend ist. Wenn man 7 1/2 % zu-
grundelegt, bedeutet das bei Weizen eine Steige-
(Erste Beratung 35. Sitzung). rung von 33 DM je Tonne zwischen dem Grund-
Wird von den Herren Berichterstattern das Wort interventionspreis und dem Grundrichtpreis. Wenn
gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Ich darf den man unseren Vorstellungen folgt und die Differenz
Herren Berichterstattern danken. auf 5 °/o ermäßigt, also um 2 1/2 % herabsetzt, würde
der Aufschlag, d. h. die Differenz zwischen dem
Es liegen die Anträge auf den Umdrucken 128, Grundinterventionspreis und dem Grundrichtpreis,
131 und 134 vor. Ich rufe zunächst § 1 der Vorlage immer noch 22 DM je Tonne betragen.
auf. Das Wort hat der Abgeordnete Müller.
Da bekanntermaßen Verteuerungen durch die
Einführung der EWG-Getreidemarktordnung mög-
Müller (Worms) (SPD) : Herr Präsident! Meine
lichst vermieden werden sollen, halten meine poli-
Damen und Herren! Die Koalitionsparteien, die den
tischen Freunde es für richtig, daß man die Diffe-
Enwurf eines Gesetzes zur Durchführung der Ver-
renz zwischen Grundinterventionspreis und Grund-
ordnung Nr. 19 (Getreide) des Rates der Euro-
päischen Wirtschaftsgemeinschaft vorgelegt haben richtpreis auf 5 % festsetzt, weil das sowohl im
— oder soll ich sagen: die Bundesregierung? —, Interesse der Verbraucher als auch im Interesse der
Erzeuger liegt.
sind bei ihren Preisvorschlägen davon ausgegan-
gen, daß die bisherigen Erzeugermindestpreise in Hinsichtlich der sogenannten Monatsaufschläge
dem jetzigen Hauptzuschußgebiet in der Bundes- hat die Vorlage der Koalitionsparteien bzw. der
republik — das ist der Raum Duisburg — zugrunde Regierung ohnehin den Betrag von 4 DM je Tonne
gelegt werden. Unabhängig von der Frage, ob diese vorgesehen. Im Ausschuß haben die Vertreter der
Erzeugermindestpreise richtig sind und im Inter- Koalitionsparteien einen Vorschlag gemacht, der
esse der deutschen Landwirtschaft liegen, haben wir weiter geht als ihr ursprünglicher Vorschlag, und
einige andere Vorstellungen hinsichtlich der soge- haben 4,50 DM an sogenannten Reports gefordert.
nannten Vermarktungskosten, zweitens hinsichtlich Ich gebe zu, daß mir ursprünglich dieser Vorschlag
der Differenz zwischen den sogenannten Grund- selber einleuchtend war. Aber die Prüfung der Zu-
interventionspreisen und den Grundrichtpreisen und sammensetzung dieses Reports hat ergeben, daß die
drittens hinsichtlich der sogenannten Monatsauf- Argumente, die im Ausschuß von seiten der Bun-
schläge. desregierung vorgetragen wurden, durchaus zu
Die bisherigen Erzeugermindestpreise haben für respektieren sind, zumal in der Kalkulation eines
Weichweizen 419 DM, für Roggen 379 DM und für Monatsreports in Höhe von 4,50 DM die Kosten für
Gerste 360 DM, jeweils je Tonne, betragen. Auf die Verzinsung und die Kosten für die Verarbei-
diese Erzeugermindestpreise wurden in den Preis- tung des Getreides offensichtlich überhöht fest-
vorschlägen, wie sie in der Drucksache IV/463 ent- gesetzt worden sind.
halten sind, an Vermarktungskosten 23,50 DM je
Tonne aufgeschlagen. Dadurch kommen die soge- Die Vertreter der Bundesregierung im Ausschuß
nannten Interventionspreise zustande, und zwar — für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten haben
immer im Hauptzuschußgebiet im Raume Duisburg außerdem darauf hingewiesen, daß eine Heraufset-
— für Weichweizen 442,50 DM, für Roggen zung der Monatsaufschläge von 4 DM auf 4,50 DM
402,50 und für Gerste 383,50 DM. je Tonne zu einer Verteuerung des Getreides füh-
ren würde. Die ursprünglichen Befürchtungen, daß
Es ist von den Verarbeitungsbetrieben, insbeson- ein Report von 4 DM dazu führen könnte, zuviel
dere den Mühlen überzeugend nachgewiesen wor-
Getreide auf die Einfuhr- und Vorratsstelle zulaufen
,

den, daß in dem Hauptzuschußgebiet im Raum


zu lassen, von wo es dann zu einem erhöhten Preis
Duisburg die Vermarktungskosten in den vergange-
wieder in den Markt komme, dürften sich als nicht
nen Jahren je Tonne zwischen 15 und 17 DM be- stichhaltig erweisen.
tragen haben. In den Vermarktungskosten von
23,50 DM ist für Beförderungskosten ein Betrag Meine politischen Freunde haben insofern den
von 8 DM enthalten. Da die Frachten an sich um Vorschlag der Bundesregierung wiederhergestellt,
50 % gesenkt werden sollen, wäre es nur logisch, indem sie in ihren Preisvorschlägen von Monatsauf-
wenn auch die Vermarktungskosten eine Ermäßi- schlägen in Höhe von 4 DM je Tonne ausgegangen
gung um wenigstens 4 DM erführen. sind.
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1962 1505
Mü ller (Worms)
Wir haben außerdem einige Vorschläge hinsicht- Landwirtschaft und der deutschen Verbraucher Ihre
lich der Erweiterung des § 1 gemacht. Sie finden Zustimmung zu erteilen.
diese Vorschläge in unserem Änderungsantrag auf (Beifall bei der SPD.)
Umdruck 128. Wir begehren darin, daß der § 1
durch die von uns vorgeschlagenen Absätze 3, 4
und 5 erweitert wird. Vizepräsident Dr. Dehler: Das Wort hat der
Abgeordnete Bauknecht.
Der von uns vorgeschlagene Abs. 3 lautet:
Die für
- die Errechnung der abgeleiteten Richt
und Interventionspreise anzuwendenden Fracht- Bauknecht . (CDU/CSU) : Herr Präsident! Meine
kosten sind so zu bemessen, daß das durch- Damen und Herren! Das, was mein Kollege Müller
schnittliche Niveau der übrigen Mitgliedstaaten (Worms) soeben ausgeführt hat, war Gegenstand
annähernd erreicht wird. Der Bund stellt eingehender Beratungen im Ernährungsausschuß.
nötigenfalls entsprechende Ausgleichsmittel zur Wir haben uns dort stundenlang über diese Fragen
Verfügung. unterhalten. Als Ergebnis der Beratung sind wir
dann zu der Auffassung gekommen, die in den Be-
Wir wissen, daß die Frachtkosten bei uns gegen- schlüssen des federführenden Ausschusses ihren
über den Frachtkosten in den meisten Mitgliedstaa- Niederschlag gefunden hat.
ten überhöht sind. Auf Grund dieser Tatsache ist ja
bereits eine Frachtsenkung veranlaßt worden. Wir Herr Kollege Müller, im einzelnen möchte ich fol-
meinen aber, daß es sinnvoll wäre, im Gesetz zu gendes sagen. Die Annahme, daß bei einer Fracht-
verankern, daß ein durchschnittliches europäisches kürzung um etwa 50 % — also statt 8 DM 4 DM —
Niveau hinsichtlich der Frachten angestrebt werden die Möglichkeit bestünde, die Richtpreise um diese
muß. 4 DM zu kürzen, ist mehr oder weniger theoretischer
Natur. Das mag unter besonderen Gesichtspunkten
Der von uns vorgeschlagene Abs. 4 hat folgenden
zutreffen, wo es sich z. B. tatsächlich um eine Bahn-
Wortlaut:
fracht allein handelt. Aber, Herr Kollege Müller,
Soweit sich für eingeführtes Getreide durch er- Sie wissen ja ebenso wie ich genau, wieviel Getreide
höhte Abschöpfungen, durch den Wegfall der anders verfrachtet wird als mit der Bahn. Der zweite
Frachterstattungen und des Preisausgleiches für Gesichtspunkt ist, daß sich dann auch eine Kürzung
höhere Weltmarktpreise Verteuerungen er- ergäbe, wenn der Erzeuger selber verfrachtet, also
geben, sind diese nach Artikel 23 Abs. 4 der nicht etwa Genossenschaften und Handel.
Verordnung Nr. 19 (Getreide) des Rates der
Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft durch Zu den Monatszuschlägen oder Reports liegen
den Bund auszugleichen. Eingaben und genaue Beiechnungen der Stellen vor,
die sich mit diesen Aufgaben zu befassen haben, so
Der Herr Bundesminister für Ernährung, Landwirt- vom Verband landwirtschaftlicher Genossenschaf-
schaft und Forsten hat in diesem Hohen Hause be- ten, Raiffeisenverband genannt, und vom Zentral-
reits darauf hingewiesen, daß die Regierung ent- verband des deutschen Getreide-, Futter- und Dünge-
schlossen sei, von solcher Möglichkeit Gebrauch zu mittelhandels. Diese Eingaben habe ich selbst ein-
machen. Wir meinen aber, es wäre zweckmäßig, das gehend geprüft und habe mit zahlreichen Stellen
auch ausdrücklich im Gesetz zu verankern. darüber diskutiert. Ihnen sind diese Eingaben, die
Der Abs. 5 soll nach unserem Vorschlag lauten: sorgfältig aufgestellt sind, auch bekannt. Die beiden
Fachverbände, denen alle angeschlossen sind, kamen
Falls sich aus diesem Gesetz unzumutbare Ein- zu anderen Berechnungen, die sogar über 4,50 DM
kommensminderungen für bäuerliche Betriebe hinausgehen. Ich bitte also, diesem Satz von 4,50 DM
ergeben, sind diese vom Bund zu tragen. die Zustimmung zu erteilen.
Hierbei beziehen wir uns auf die Entschließung an-
läßlich der Debatte über die EWG, die am 31. Januar Meine Damen und Herren, noch ,ein anderer Ge-
in diesem Hohen Hause stattgefunden hat. In dieser sichtspunkt ist zu beachten. Es ist das letzte Mal,
Entschließung heißt es ausdrücklich, daß Einkom- daß man in eigener nationaler Zuständigkeit hier
mensminderungen für bäuerliche Betriebe, soweit noch bestimmte Möglichkeiten hat. Die Erzeuger
solche durch die Einführung der EWG-Getreide- werden nicht unter allen Umständen die jetzt in-
marktordnung entstehen, ausgeglichen werden müs- folge des Frachtgefälles in den marktfernen Gebie-
sen. Wir meinen also, daß sowohl die Interessen ten gekürzten Interventionspreise ausgezahlt bekom-
der Verbraucher als auch die Interessen der Erzeu- men. Ich kann mir theoretisch durchaus vorstellen
ger durch eine entsprechende Ergänzung des Ge- — und wahrscheinlich wird es sich auch in der
setzes gewahrt werden müssen. Praxis erweisen —, daß Handel und Genossenschaf-
ten im Wettbewerb vielleicht bereit wären, dem
Ich darf vielleicht noch ergänzend sagen, daß
Bauer, der durch das neue Gesetz geschädigt wird,
unsere Preisvorschläge für die Grundrichtpreise und
etwas von ihrer Handelsspanne abzulassen, so daß
die Grundinterventionspreise analog naturgemäß
sich auf diese Weise ein gewisser Ausgleich für die
auch für den Katalog der abgeleiteten Richt- und
geschädigte Landwirtschaft ergäbe.
Interventionspreise gelten.
Meine Damen und Herren, ich darf Sie im Auf- Das sind die Gründe, die mich veranlassen, Sie
trage meiner politischen Freunde bitten, diesen zu bitten, den Antrag der sozialdemokratischen
Änderungsanträgen im Interesse der deutschen Fraktion abzulehnen.
1506 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1962
Bauknecht
Unter Ziffer 2 'des Antrags Ihrer Fraktion, Herr ringste Aussicht eröffnet, Kleberweizen anzubauen.
Kollege Müller, wünschen Sie, daß dem § 1 ein Ab- An sich ist es ja eines der Ziele, daß Weichweizen
satz 4 angefügt wird: nicht mehr in solchen Massen, sondern statt dessen
Soweit sich für eingeführtes Getreide durch er- bessere Weizensorten angebaut werden. Der Anreiz
höhte Abschöpfungen, durch den Wegfall der dazu ist völlig genommen.
Frachterstattungen und des Preisausgleiches Ich will auf weitere Einzelheiten nicht eingehen,
für höhere Weltmarktpreise Verteuerungen obwohl noch weitere 'Gesichtspunkte angeführt wer-
ergeben, sind diese nach Artikel 23 Abs. 4 der den könnten, die für die Mühlenwirtschaft von
Verordnung Nr. 19 (Getreide) des Rates der Interesse sind, vor allem für die Binnenmühlen. Die
EuropäischenWtafgmschdur Regierung wird sich sorgfältig überlegen müssen,
den Bund auszugleichen. wie sie hier vorgehen soll. Ich darf Sie also bitten
— ich spreche im Auftrage der beiden Koalitions-
Meine Damen und Herren, wir sind nicht der Auf-
fraktionen —, , die Anträge der sozialdemokrati-
fassung, daß diese Bestimmung in den Gesetzes-
schen Fraktion auf Umdruck 128 abzulehnen.
text aufgenommen werden sollte, glauben vielmehr,
daß dieses Anliegen bereits durch die Erklärungen -
des Herrn Bundesministers für Ernährung bei der Vizepräsident Dr. Dehler: Das Wort hat der
Einbringung des Gesetzes, also bei der ersten Le- Herr Abgeordnete Logemann.
sung, erledigt ist. Er hat damals erklärt, die Regie-
rung werde bemüht sein, alles zu tun, damit sich Logemann (FDP) : Herr Präsident! Meine Damen
durch diese Erhöhungen des Preises für Auslands- und Herren! Ich möchte Sie für die Fraktion der
getreide bei den Eierteigwaren, bei den Nährmit- FDP ebenfalls bitten, die Anträge der SPD nicht
teln und beim Brot keine Verteuerungen ergeben. anzunehmen. Wir sind der Auffassung, daß es bei
Wir bitten daher, diese Vorschrift nicht in das .Ge- dem Satz von 7,5 % bleiben muß. Wir befürchten,
setz aufzunehmen. daß die in den marktfernen Gebieten erzeugende
Sie beantragen weiter folgenden Abs. 5 zu § 1: Landwirtschaft trotzdem noch benachteiligt wird.
Falls sich aus diesem Gesetz unzumutbare Ein Im übrigen gehört eine Beseitigung der Wettbe-
kommensminderungen für bäuerliche Betriebe werbsverzerrungen durch Frachten nicht in das Ge-
ergeben, sind diese vom Bund zu tragen. setz. Ich finde, das ist ein allgemeines Anliegen, das
wir durchaus zu vertreten haben. Wir sind auch
Das wäre technisch eine völlig unmögliche Sache. insofern etwas beruhigt, als der Herr Minister in
Da 'handelt es sich um individuelle Verhältnisse. Brüssel ganz konkrete Aussagen zur Beseitigung der
Solche Einkommensminderungen ließen sich ja gar Wettbewerbsverzerrung gemacht hat.
nicht kontrollieren. Das liefe auf die Wiederher- Weiter halten wir es für richtig, daß der Ernäh-
stellung des alten Getreidegesetzes hinaus, bei rungsausschuß die Reports, die monatlichen Auf-
dem die Frachten vorn Bund übernommen werden. schläge, erhöht hat. Wir haben ja nur noch einmal
Das wäre also 'die Wiederherstellung der alten die Möglichkeit, eine Erhöhung der Reports in der
Lage! nationalen Agrarpolitik vorzunehmen. Wir müssen
Im übrigen möchte ich noch eine 'Bitte an die Re- alles tun, um die uns in dieser Situation in der
gierung richten. Herr Bundesernährungsminister, zweiten' Übergangsstufe noch verbliebenen Ver-
eine Frage ist noch nicht geklärt. Sie haben bei der tragsmöglichkeiten durch eine nationale Agrarpoli-
ersten Lesung zugesagt, daß Sie von der Möglich- tik zu nutzen.
keit Gebrauch machen wollen — und das kommt Weiter sind die erhöhten Reports doch auch etwas
dem Anliegen der SPD entgegen —, bei bestimmten durch die infolge der verschiedensten Umstände
Weizensorten auf die volle Abschöpfung zu ver- fortlaufend steigenden Kosten begründet. Die erhöh-
zichten. Wenn 'Sie das tun wollen, ergeben sich aber ten Reports sollten einen besonderen Anreiz für die
zwei Fragen, erstens: Wollen Sie das in dem Um- private Einlagerung der Erzeuger geben. Auch das
fang wie bisher tun? Zweitens: Wem wollen Sie sollten wir berücksichtigen. Deshalb bitten wir Sie,
das zugute kommen lassen? Wollen Sie das einzel- die Anträge der SPD abzulehnen.
nen Mühlen oder allen zugute kommen lassen? Um
gerecht zu sein, müßten Sie es allen zugute kom-
men lassen. Dann kommen Sie aber um eine Ver- Vizepräsident Dr. Dehler: Das Wort hat der
mahlungsregelung oder einen Beimahlungszwang Abgeordnete Müller (Worms).
für Inlandsgetreide nicht herum. Sie können dem
einzelnen nur soviel zuteilen, als er auch bisher Müller (Worms) (SPD): Herr Präsident! Meine
schon an verbilligtem Getreide gehabt hat. Damen und Herren! Die Argumente, die soeben von
den Herren Kollegen Bauknecht und Logemann vor-
Falls also die Bundesregierung so etwas vor- getragen worden sind, haben wir bereits im Aus-
haben sollte, würde leider ,das Ziel der neuen euro- schuß gehört. Ich glaube, Ihre Überlegungen hin-
päischen Marktordnung verwässert werden. Die Er- sichtlich der Differenz zwischen dem Grundinter-
zeuger hätten keine Chancen, für Kleberweizen ventionspreis und dem Grundrichtpreis sind nicht
einen höheren Preis zu 'bekommen als für den zutreffend. Ich sagte Ihnen schon, die Differenz von
Weichweizen. Dadurch, daß Sie wieder subventio- 71/2 % bedeutet — ich will nur das Beispiel Weich-
nieren, würde den Erzeugern in den marktfernen weizen nehmen — einen Aufschlag von 33 DM je
Gebieten keinerlei Möglichkeit, auch nicht die ge- Tonne. Wenn wir auf 5 % reduzieren, bedeutet das
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1962 1507
Mü ller (Worms)
einen Aufschlag von 22 DM je Tonne. Sie haben Nun zu dem, was Sie im übrigen zu unseren
befürchtet, daß die marktfernen Gebiete dadurch Ergänzungsvorschlägen hinsichtlich der Frachten
Benachteiligungen erfahren könnten. gesagt haben. Ich möchte sagen, das muß doch wohl
das Ziel sein, wenn wir einer Wettbewerbsverzer-
(Zurufe rechts: Noch mehr Benachteiligun rung entgegenwirken wollen, ein einheitliches euro-
gen!) päisches Frachtniveau anzustreben. Ich weiß gar
— Noch mehr Benachteiligungen erfahren könnten, nicht, was für Bedenken Sie haben, so etwas in das
wenn Sie das als solche bezeichnen. Gesetz hineinzuschreiben. Schließlich enthält die
EWG-Getreidemarktordnung ja den Art. 23 Abs. 4,
Wir haben bisher im marktfernsten Gebiet —
und er ist ausdrücklich zu dem Zweck eingeführt,
d. h. in der Terminologie der EWG-Getreidemarkt-
daß die nationalen Regierungen die Möglichkeit
ordnungen — im Raum Passau einen Erzeugermin-
haben, Verteuerungen auszugleichen. Damit befin-
destpreis von 411 DM gehabt. Die Differenz zwischen den wir uns doch in voller Übereinstimmung mit
Passau und Duisburg betrug also 8 DM je t. Nach dem, was uns die EWG-Getreidemarktordnung als
den Vorschlägen, die Sie selbst eingereicht haben, Recht einräumt. Wir möchten in das Gesetz hinein-
beträgt der Mindestpreis im marktfernsten Gebiet, -
geschrieben haben, daß eventuelle Nachteile der
im Raum Passau, 403 DM je t bei Weichweizen. Erzeugerbetriebe, der Bauern — Sie sprachen ja
Hier ist also eine Verminderung um 8 DM erfolgt, selbst auch davon, daß diese verhindert werden
so daß die Spanne zwischen dem Hauptüberschuß- müssen; das ist doch wohl auch Ihre Auffassung —
gebiet im Raum Passau und dem Hauptzuschuß- auszugleichen sind. Ich weiß gar nicht, weshalb Sie
gebiet im Raum Duisburg nunmehr 16 DM je Tonne nicht mit uns der Auffassung sind, daß das expressis
beträgt. Dabei sind Sie in Ihren Vorschlägen schon verbis im Gesetz verankert werden sollte.
davon ausgegangen, daß die Frachtdifferenzen
zwischen dem marktfernsten Gebiet und dem Ich möchte also darum bitten, unserem Antrag
Hauptzuschußgebiet nicht voll zur Auswirkung Ihre Zustimmung zu geben. Im übrigen erwarte ich,
kommen; denn nach den bisherigen Frachten würde daß sich der Herr Bundesminister für Ernährung,
der Unterschied 50 DM je Tonne ausmachen. Sie Landwirtschaft und Forsten zu Wort melden wird.
haben also schon einmal auf 16 DM je Tonne redu- (Heiterkeit und Beifall bei der SPD.)
ziert. Wenn aber die Frachten um 50 % gesenkt
werden sollen, würde das Frachtgefälle zwischen
dem Raum Passau und dem Raum Duisburg nur Vizepräsident Dr. Dehler: Wortmeldungen lie-
noch 25 DM je Tonne ausmachen. gen nicht vor. — Doch! Der Herr Bundesminister für
Ernährung, Landwirtschaft und Forsten hat das
Wenn also der Erzeuger aus dem marktfernsten Wort.
Gebiet in das Hauptzuschußgebiet lieferte und eine
Fracht von 25 DM oder, sagen wir, 30 DM aufwen- Schwarz, Bundesminister für Ernährung, Land-
den müßte, wäre das durch die Spanne zwischen wirtschaft und Forsten: Herr Präsident! Meine Da-
Hauptüberschußgebiet und Hauptzuschußgebiet nicht men und Herren! Nachdem so außerordentlicher
gedeckt. Dafür haben wir aber die Möglichkeit, in Wert darauf gelegt wird, daß ich noch einmal zu den
Richtung auf den Grundrichtpreis auszuweichen. Fragen Stellung nehme, komme ich natürlich dem
Wenn die Differenz im Hauptzuschußgebiet auch Wunsch des Herrn Kollegen gerne nach.
nach unserem Vorschlag 22 DM beträgt, meine ich,
daß der von Ihnen selbst festgesetzte Erzeuger- Zunächst ein Wort zu den Frachten und der For-
mindestpreis im Raume Passau in keiner Weise ge- derung, von 8 DM auf 4 DM zurückzugehen. Ich will
fährdet wird. Die Frachtkosten könnten in vollem die Frage kurz beleuchten. Wir haben den Betrag
Umfang in Anspruch genommen werden. von 8 DM nach bestem Wissen eingefügt. Es handelt
sich aber um einen sehr schwer zu berechnenden
Hinsichtlich der Monatsaufschläge befinden wir Betrag, weil nicht nur Eisenbahnfrachten und Lkw-
und in guter Gesellschaft, nämlich in Ihrer eigenen Frachten, sondern vor allen Dingen der Nahverkehr
ich beziehe mich auf Ihren ersten Vorschlag. Ich enthalten ist. Auf all den Strecken, die um eine
habe mir die Mühe gemacht, das noch einmal nach- Mühle herum liegen, liegt aber der Nahverkehr
zurechnen und zu überprüfen. Sie haben sich leider weitaus vorn im Rennen der Transporte. Da der
dieser Mühe entzogen. Nahverkehr nicht verbilligt wird und andere Fak-
(Abg. Dr. Pflaumbaum: Nein!) ten ebenfalls mit hineinspielen, die eine exakte
Rechnung unmöglich machen, könnte man allenfalls
Die Regierung hat in den Ausschußberatungen die zu dem Ergebnis kommen, daß die Spanne von 23,50
Argumente für einen Monatsaufschlag von 4 DM DM auf Grund der Frachtensenkung um 1 bis 2 DM
mit großem Nachdruck vorgetragen. Ich verstehe höher ist, als vor der Frachtensenkung errechnet.
nicht, wieso der Bundesminister für Ernährung,
Landwirtschaft und Forsten, während wir hier seine Ich habe deswegen alle Veranlassung, diesen
Auffassung, die Auffassung seines Ministeriums Punkt nicht als so wichtig zu betrachten, und möchte
verfechten, so passiv auf seinem Platz sitzen bleibt. Sie bitten, die Koalitionsvorlage mit dem Betrag
Ich möchte deswegen die Bitte an ihn richten, hier von 23,50 DM anzunehmen.
an diese Stelle zu treten und die Auffassung der Nun zu der Frage, ob 5 oder 7 1/2 % richtig sind. In
Regierung zur Frage der Monatsaufschläge zu ver- erster Linie handelt es sich darum, daß wir von der
treten und dem Hause die Argumente für die Re- Kommission die Genehmigung bekommen haben,
ports von 4 DM vorzutragen. die entfernt liegenden Gebiete auf Grund des Un-
1508 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1962

Bundesminister Schwarz
terschiedes zwischen Interventionspreis und Richt- Wer diesem Änderungsantrag Ziff. 2 auf Um-
preis noch einmal mit 50 %iger Verminderung der druck 128 zustimmt, der gebe bitte Zeichen! — Ge-
Verlustspannen, die in den entfernt liegenden Ge- genprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag ist ab-
bieten eintreten können, zu bedienen. Deswegen gelehnt.
haben wir den höheren Satz gewählt, weil andern- Ich kann dann den § 1 aufrufen mit der beschlos-
falls aus einer so kleinen Spanne von 5 % keine senen Änderung. Wer dem zustimmt, der gebe Zei-
merkbaren Verbesserungen für die entfernt liegen- chen! — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Mit
den Gebiete ankommen. Mehrheit angenommen!
Herr Kollege Müller hat soeben dargelegt, daß Ich rufe auf die §§ 2, 3. Wer zustimmt, gebe Zei-
auf ,Grund verschieldener Umstände die entfernt lie- chen! — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Mit
genden Gebiete nicht jene Preiseinbußen hätten, die Mehrheit angenommen!
man ursprünglich angenommen habe. Das ist der
Bemühung der deutschen Delegation und der Bun- Zu § 4 liegt der Änderungsantrag des Herrn Ab-
desregierung zu verdanken, die alles getan hat, um geordneten Bauknecht lauf Umdruck 131 Ziffer 2
ihr Wort einzulösen, auch den entfernt liegenden vor.
Gebieten das Möglichste zukommen zu lassen, ja Bitte, Herr Abgeordneter Serres!
sogar ihnen keine Einkommenseinbußen zuzumuten.
Wir wissen nicht, wie sich !die Märkte in den ent- Dr. Serres (CDU/CSU) : Herr Präsident! Meine
fernt liegenden ,Gebieten entwickeln werden. Des- Damen und Herren! Es handelt sich bei Umdruck
wegen ist das letzte Wort in dieser Angelegenheit 131 Ziffer 2 lediglich um eine 'Präzisierung des
noch nicht gesprochen. Ich meine aber, wir hätten Textes, die von den juristischen Sachverständigen
alle Veranlassung, daß äußerste zu tun, um diesen .der Bundesregierung vorgeschlagen worden ist. Es
Last zu be- Gebitnzuhlfdsvoer soll also an Stelle von „gilt als" gesetzt werden:
freien, die unter Umständen auf sie zukommt. „ist die", d. h. die Ein- und Ausfuhrlizenz nach dem
(Beifall bei der CDU/CSU.) Außenwirtschaftsgesetz.
Ich komme zu der Frage der Reports In der . In Abs. 2 soll aus demselben Grunde das Wort
Koalitionsvorlage wird ein Satz von 4 DM vorge- „sinngemäß" gestrichen werden.
schlagen. Dieser Satz ist in unserem Hause errech- Ich bitte Sie, dementsprechend zu entscheiden.
net worden. Er beruht auf Fakten, die wir für gege-
ben halten, und ich stehe nicht ,an, hier zu erklären,
daß ich diesen Satz für richtig halte. Vizepräsident Dr. Dehler: Darf ich annehmen,
daß Idas Haus damit einverstanden ist?
Die übrigen Punkte möchte ich nicht behandeln.
Ich bitte ebenfalls, die entsprechenden Änderungs- (Zuruf von der SPD: Bei vielen Enthaltungen!)
anträge der SPD abzulehnen. Der Antrag Umdruck 131 Ziffer 2 ist — bei Enthal-
tungen — angenommen.
Vizepräsident Dr. Dehler: Wir kommen zur Dann kann ich feststellen daß § 4 in der Fassung
Abstimmung über den Antrag Umdruck 128 Ziffer 1 des Ausschusses mit den soeben beschlossenen
zu § 1. Wer diesem Antrag zustimmen will, gebe Änderungen angenommen ist.
bitte das Zeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen?
— Der Antrag ist abgelehnt. Ich rufe auf die §§ 5, 6, 7, 8. Wer zustimmt, gebe
bitte Zeichen! — Gegenprobe! — Enthaltungen? —
Ich lasse nun abstimmen über die Anlagen 1 bis 4 Diese Paragraphen sind in der Fassung des Aus-
zu § 1. Wer diesen Anlagen zustimmt, der gebe schusses angenommen.
bitte Zeichen! — , Gegenprobe! — Enthaltungen? —
Die Anlagen sind in der Fassung des Ausschusses Zu § 9 liegt der Änderungsantrag der Fraktionen
angenommen. der CDU/CSU und FDP auf Umdruck 134 vor. Es
handelt sich um die Einfügung eines neuen Abs. 3.
Ich rufe dann auf zu § 1 den Antrag auf Umdruck
131, Ziffer 1, Änderungsantrag des Abgeordneten Bitte, Herr Abgeordneter Dr. Serres!
Bauknecht.
Dr. Serres (CDU/CSU) : Herr Präsident! Meine
Bauknecht (CDU/CSU) : Herr Präsident, nur noch Damen und Herren! Umdruck 134 sieht die Hinzu-
eine redaktionelle Änderung, die sich aus dem In- fügung eines Abs. 3 zu § 9 vor. Damit soll sicher-
krafttreten des Gesetzes ergibt: Nicht am 1., son- gestellt werden, daß die Rechtsverordnungen, die
dern am 30. Juli! nach§9Abs.2erg,imSndsAußewrt-
schaftsgesetzes behandelt werden, d. h. daß sie nach
Vizepräsident Dr. Dehler: Ich nehme an, daß der Verkündung dem Bundesrat und dem Bundestag
das Haus diesem ,Antrage zustimmt. — Das ist der zugeleitet werden. Ich möchte hierauf — ganz be-
Fall. sonders auch für den Bundesrat — aufmerksam
machen, da ja in dem Text der Absätze 1 und 2 da-
Ich rufe dann auf den Umdruck 128, Änderungs- von die Rede ist, daß diese Verordnungen ohne
antrag der Fraktion der SPD, Ziffer 2, auf Einfügung Zustimmung des Bundesrats erlassen werden kön-
der Absätze 3 bis 5. Wind der Antrag weiter be- nen. Dias will besagen, daß ohne vorherige Zustim-
gründet? mung des Bundesrats diese Verordnungen erlassen
(Zurufe von der SPD: Ist schon begründet!) werden können. Es ist aber sichergestellt, daß diese
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1962 1509
Dr. Serres
Verordnungen nach dem Außenwirtschaftsgesetz b e- befassen. Ich darf bitten, diesen Bestimmungen
handelt werden, so daß die nachträgliche Zuleitung ebenfalls Ihre Zustimmung zu geben.
an (Bundesrat und Bundestag durch eine Beschluß-
fassung zu Umdruck 134 sichergestellt ist. Vizepräsident Dr. Dehler: Das ergibt sich aus
Ich wäre dankbar, wenn Sie, meine Damen und dem Sachzusammenhang. Als Vater des Gesetzes
Herren, indiesem Sinne entscheiden würden., über Ordnungswidrigkeiten kann ich versichern,
daß die Dinge in guter Ordnung sind.
Vizepräsident Dr. Dehler: Wir können über Ist es möglich, daß ich die Anträge Ziffer 5, Zif-
den Antrag Unidruck 134 auf Beifügung \des Abs. 3 fer 6, Ziffer 7 und Ziffer 8 des Umdrucks 131 zusam-
abstimmen. Wer zustimmen will, gelbe bitte Zeichen. men aufrufe? — Einverständnis. Wer zustimmt,
— Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag ist gebe bitte Zeichen. — Gegenprobe! — Enthaltun-
angenommen. gen? — Bei wenigen Enthaltungen und einigen
Gegenstimmen angenommen.
Ich rufe (den § 9 mit ,diesem Abs. 3 auf. Wer zu-
stimmt, gebe bitte Zeichen. — Gegenprobe! — Ent- Ich rufe auf die Ziffer 9 dieses Umdrucks, An-
haltungen? — Es ist bei zahlreichen Enthaltungen trag auf Einfügung eines § 15 c.
so beschlossen. ((Abg. Dr. Serres: Es betrifft dasselbe!)
Ich rufe auf § 10, — § 10 a und § 11. — Wer zu- — Es gilt das gleiche. Ich muß also ordnungsgemäß
stimmt, (gebe Zeichen. —: ,Gegenprobe! — Enthaltun- die Ziffern 9 und 10 des Änderungsantrags Um-
gen? — Bei zahlreichen Enthaltungen angenommen. druck 131 aufrufen. Wer zustimmt, gebe bitte Zei-
chen.. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Mit dem
Zu § 12 liegt der Änderungsantrag des Herrn Alb-
gleichen Ergebnis angenommen.
geordneten Bauknecht auf Umdruck 131 unter Zif-
fer 3 vor. — Herr Abgeordneter Serres! Dann darf ich feststellen, daß gegen die §§ 16 und
17 keine Bedenken bestehen und daß sie mit dem
gleichen Stimmenverhältnis angenommen sind.
Dr. Serres (CDU/CSU) : Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Es handelt sich hier um die Be- Dann rufe ich den Änderungsantrag Umdruck 131
stimmungen über Ordnungswidrigkeiten und Buß- Ziffer 11 auf, der die Änderung des § 18 betrifft:
geldvorschniften, die in der ursprünglichen Vorlage das Datum „30. Juli" statt „1. Juli" festzulegen.
wesentlich kürzer gefaßt waren. Die Sachverstän- Wer zustimmt, gebe bitte das Handzeichen. — Ge-
digen der Bundesregierung haben aber juristische genprobe! — Enthaltungen? — Wieder das gleiche
Bedenken gegen die ursprüngliche Formulierung Stimmenverhältnis wie bisher ; angenommen.
geäußert, so daß die beteiligten Ressorts gebeten Einleitung und Überschrift. — Ich darf wohl das
worden sind, diese Bestimmungen noch einmal zu gleiche Stimmenverhältnis feststellen; angenommen.
überarbeiten. Das Ergebnis dieser Arbeiten der ju-
ristischen Sachverständigen des Justizministeriums, Damit sind wir am Ende der zweiten Beratung.
des Ernährungsministeriums, des Wirtschaftsmini- Die dritte Beratung findet am Freitag statt.
steriums und des Finanzministeriums finden Sie in Ich kehre zum Tagesordnungspunkt 5 zurück. In-
derZif3sUmuck1. zwischen ist der Antrag Umdruck 136 verteilt wor-
Angesichts dieses massiven Sachverstandes ver- den. Er bezieht sich auf § 4 der Vorlage. Können
zichte ich darauf, auf Einzelheiten dieser Bestim- wir gleich zur Abstimmung kommen? — Bitte, Herr
mungen einzugehen. Ich glaube nach näherer Prü- Abgeordneter Serres.
fung, daß sie der Sachlage entsprechen uüd daß wir
in der Lage sind, ihnen zuzustimmen. Ich wäre Dr. Serres (CDU/CSU) : Herr Präsident! Meine
dankbar, wenn Sie der Ziffer 3 des Änderungsan- Damen und Herren! Mir ist soeben von der sozial-
trags Umdruck 131 Ihre Zustimmung gäben. demokratischen Fraktion gesagt worden, daß die
Ziffer 1 dieses Antrags zurückgezogen werde. Darf
Vizepräsident Dr. Dehler: Ich rufe dann die ich annehmen, daß das zutrifft? Dann brauchte ich
Ziffer 3 des Änderungsantrags Umruck 131 auf nur zu Ziffer 2 des Antrags Umdruck 136 Stellung
Änderung des § 12 auf. Wer zustimmt, gebe Zeichen. zu nehmen.
— Gegenprobe! — Enthaltungen? — Zwei Enthal- (Abg. Dr. Schmidt [Gellersen] : Ich nehme
tungen, im übrigen einstimmige Annahme. an! Ich weiß es nicht!)
Ich rufe auf § 13. Hierzu liegt der Änderungs- Ich kann dann schon kurz zu Ziffer 2 Stellung
antrag des Herr Abgeordneten Bauknecht auf Um- nehmen. Im Namen meiner politischen Freunde darf
druck 131 Ziffer 4 vor. Wird der Antrag begründet? ich Ihnen erklären, daß wir im Interesse der Küsten-
— Bitte, Herr Abgeordneter Serres! länder der Ziffer 2 des Umdrucks 136 unsere Zu-
stimmung geben. Wir haben allerdings an die Bun-
Dr. Serres (CDU/CSU) : Herr Präsident! Meine desregierung die Bitte — insbesondere an den Herrn
Damen und Herren! Ich habe vorhin übersehen, zu Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und
sagen, daß meine Ausführungen zu Ziffer 3 entspre- Forsten —, daß sie die weitere Entwicklung auf
chend auch für alle übrigen Ziffern des Änderungs- Grund der neuen Bestimmung beobachten. Wir be-
antrags Umdruck 131 gelten, d. hfürdieZn4. halten uns vor, eventuell Änderungen vorzuneh-
bis 10, die sich alle mit den Bußgeldvorschriften men, falls sich bei der Anwendung der neuen Be-
und den Vorschriften über Ordnungswidrigkeiten stimmung irgendwelche Unzuträglichkeiten ergeben
1510 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1962
Dr. Serres
sollten. Im übrigen werden wir dieser Bestimmung so verändert, daß der Haushaltsausschuß gemäß § 96
unsere Zustimmung geben. der Geschäftsordnung seinen Beschluß rückgängig
machen mußte. Kein Mensch ist in der Lage, zu
Vizepräsident Dr. Dehler: Erfolgt eine Erklä- sagen, wie hoch die finanziellen Auswirkungen die-
rung zu der Frage, ob Ziffer 1 zurückgenommen ser Veränderungen sind; man schätzt aber, daß es
wird? immerhin bis zu 400 Millionen DM sein können, und
darüber kann der Haushaltsausschuß nicht hinweg-
(Zurufe von der SPD: Wird zurück gehen.
genommen!)
— Wird zurückgenommen; ich stelle es fest. Wir (Zuruf von der Mitte: Wer soll das glauben?)
haben also nur über die Ziffern 2, 3 und 4 abzustim-
men. Wer zustimmt, gebe bitte das Handzeichen. — Vom Haushaltsrecht her gesehen dürfen wir den
§ 30 unseres Haushaltsgesetzes für 1962, das wir
Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig an-
genommen. alle miteinander beschlossen haben und das für die
Durchführung des verabschiedeten Haushalts gültig
Wer dem § 4 in der so geänderten Form zu- ist, nicht übersehen. In diesem § 30 ist zu - lesen,
stimmt, gebe bitte das Handzeichen. — Gegenprobe! daß Ausgleichsbeträge nach § 1 des Gesetzes zur
— Enthaltungen? — Ich darf ebenfalls einstimmige Förderung der deutschen Eier- und Geflügelwirt-
Annahme feststellen. schaft vom 31. März 1956 dem Geflügelhalter nicht
Einleitung und Überschrift! — Ich darf feststellen, gewährt werden, wenn die Voraussetzungen für die
daß sie genehmigt sind. Zahlung des Ausgleichsbetrages nach dem Zeitpunkt
eingetreten sind, von dem ab die Abschöpfungsrege-
Damit ist die zweite Beratung geschlossen. lungen nach den Verordnungen des Ministerrats der
Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft über die
Ich rufe Punkt 8 der Tagesordnung auf: schrittweise Errichtung einer gemeinsamen Markt-
Zweite Beratung des von den Fraktionen der organisation für Eier und Geflügel angewandt
CDU/CSU, FDP eingebrachten Entwurfs eines werden. Nach § 30 unseres Haushaltsgesetzes ist es
Gesetzes zur Durchführung der Verordnun- also einfach nicht möglich, daß nachträglich noch ein
gen Nr. 20 (Schweinefleisch), Nr. 21 (Eier) derartiger Absatz in ein anderes Gesetz eingefügt
und Nr. 22 (Geflügelfleisch) des Rates der wird, und ich kann mir nur vorstellen, daß dieser
Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft sowie neue, zusätzliche Absatz zurückgenommen wird.
zur Änderung des Gesetzes zur Förderung der
deutschen Eier- und Geflügelwirtschaft (Druck- Der Haushaltsausschuß hat sich erneut mit der
sache IV/465) Sachlage beschäftigt und ist zu der Auffassung ge-
kommen, daß gegen die Vorlage Bedenken bestehen,
a) Bericht des Haushaltsausschusses (13. Aus- da der in § 6 eingefügte Absatz 2 a im Widerspruch
schuß) gemäß § 96 der Geschäftsordnung zu § 30 des Haushaltsgesetzes 1962. steht und außer-
[Drucksache I1/521 (neu)] dem nicht zu übersehende finanzielle Auswirkungen
b) Schriftlicher Bericht des Ausschusses für hat, für die der Haushaltsausschuß Deckungsvor-
Ernährung, Landwirtschaft und Forsten schläge nicht machen kann.
(19. Ausschuß) (Drucksachen IV/516, zu
IV/516) Im übrigen — wenn die Bestimmung des § 6
Abs. 2 a wegfällt — hat der Haushaltsausschuß ge-
(Erste Beratung 35. Sitzung) gen die Vorlage keine Bedenken. Der Haushaltsaus-
Ihnen liegt der Bericht des Haushaltsausschusses schuß ist nach § 96 neu der Geschäftsordnung nicht
gemäß § 96 — Berichterstatter ist Herr Abgeordne- in der Lage, Deckungsvorschläge zu machen; er kann
ter Müller — vor, ferner der Schriftliche Bericht des demzufolge diesem zusätzlichen Abs. 2 a nicht zu-
Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und For- stimmen, kann also in diesem Fall dem ganzen Ge-
sten — des Herrn Abgeordneten Frehsee. setz seine Zustimmung nicht geben.
Zunächst Herr Abgeordneter Müller als Bericht-
erstatter. Vizepräsident Dr. Dehler: Das Haus wird die
Bedenken des Haushaltsausschusses — besonders
Müller (Ravensburg) (SPD) : Herr Präsident! bei der Beratung des § 6 Abs. 2 a — zu würdigen
Meine Damen und Herren! Die Beratung der Vor- haben. Ob der Hinweis, daß die finanziellen Aus-
lage Drucksache IV/465 hat einen etwas eigenarti- wirkungen des Gesetzes nicht zu überblicken und
gen Lauf genommen. Der Haushaltsausschuß hat die aus diesem Grunde Deckungsvorschläge nach § 96
Vorlage beraten und keine Einwendungen erhoben; nicht möglich seien, ein ernstlicher Einwand gegen
das ist aus der Drucksache IV/521 zu ersehen. Mitt- die Behandlung der Vorlage ist, möchte ich bezwei-
lerweile ist aber mit Datum vom 26. Juni ein Schrei- feln.
ben des Herrn Vorsitzenden des Ausschusses für Er- Wird der Herr Berichterstatter Frehsee noch das
nährung, Landwirtschaft und Forsten beim Haus- Wort nehmen?
haltsausschuß eingelaufen, in dem festgestellt wird,
daß der Ernährungsausschuß der zuerst beratenen (.Abg. Frehsee: Ich verweise auf den Schrift
Vorlage noch einen neuen Absatz eingefügt hat. Es lichen Bericht!)
handelt sich um den § 6, Drucksache 516. Durch die
Einfügung des neuen Abs. 2 a hat sich die Vorlage — Ich danke den Herren Berichterstattern.
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1962 1511
Vizepräsident Dr. Dehler
Wir treten in die Einzelberatung ein. Ich rufe auf — Sie irren sich, Herr Kollege Ertl; es war ein
§ 1. Hierzu liegt der Änderungsantrag der Fraktion wenig übereifrig.
der SPD auf Umdruck 129 vor. (Abg. Wehner: Sonst kommt er gar nicht in
Bitte, Herr Abgeordneter Frehsee. Erscheinung! — Heiterkeit bei der SPD.)
Haben Sie es nicht noch im Ohr, daß ich verlesen
Frehsee (SPD) : Herr Präsident! Meine Damen habe: „eine agrarpolitische Konzeption zu entwik-
und Herren! Die Fraktion der SPD hat Ihnen auf keln, die ... die Interessen der Verbraucher wahrt
Umdruck 129 einen Antrag vorgelegt, der darauf und zugleich finanzpolitisch tragbar ist"?
abzielt, dem Verbraucher Verteuerungen auf Grund
(Abg. Ertl: Sie halben es jetzt verlesen!)
des Inkrafttretens der EWG-Agrarverordnungen zu
ersparen. 1n § 1 des jetzt hier zur Debatte stehenden — Nein, Herr Kollege Ertl, ich habe es jetzt zum
Gesetzes heißt es, daß die Bundesregierung mit Zu- zweitenmal verlesen.
stimmung des Bundestages die Abschöpfungssätze Wir fußen auf dieser einstimmig angenommenen
durch Rechtsverordnung verringern könne. Die Entschließung, wenn wir im Interesse der Verbrau-
rechtlichen Voraussetzungen für diesen Eingriff in cher den Antrag auf Änderung des § 1 des vorlie-
die Bestimmungen der EWG-Agrarverordnungen genden Gesetzentwurfs stellen, der darauf abzielt,
sind zu finden in Art. 6 Abs. 1 der EWG-Verord- Verteuerungen bei Geflügelfleisch, Schweinefleisch
nung Nr. 20 für Schweinefleisch, Art. 5 Nr. 1 der und Eiern zu vermeiden.
Verordnung Nr. 21 für Eier und Art. 5 Abs. 1 der
Verordnung Nr. 22 für Geflügelfleisch. Ich will mich hier nicht mit dem Umfang der mög-
lichen Verteuerungen auseinandersetzen. Es sind
Die sozialdemokratische Fraktion ist der Meinung, eine ganze Reihe von Überlegungen darüber ange-
daß diese Bestimmung nicht nur eine Kann-Bestim- stellt worden. Der Deutsche Industrie- und Handels-
mung sein sollte, sondern daß man daraus eine tag hat Zahlen genannt. Er hat davon gesprochen,
zwingende Bestimmung machen müßte. Wir befin- daß bei Geflügelfleisch Verteuerungen von 11 und
den uns mit dieser Auffassung völlig in Überein- 13 % zu befürchten seien, bei Eiern von 15,8 %
stimmung mit der in diesem Hohen Hause am usw. Im Ausschuß ist von den Vertretern der Regie-
31. Januar 1962 einstimmig angenommenen Ent- rung nachdrücklich dargelegt worden, daß man die
schließung. Wir haben damals die Erklärung der Höhe der möglichen Verteuerungen jetzt nicht über-
Bundesregierung vom 24. Januar 1962 betreffend sehen könne. 'Es ist daher müßig, über bestimmte
EWG debattiert, in der über die Brüsseler Beschlüsse Beträge zu sprechen und darüber zu diskutieren, ob
zur Einleitung der gemeinsamen Agrarpolitik be- z. B. ein Kilogramm' Geflügelfleisch eine Mark
richtet worden war. Es heißt in dieser Entschließung teurer wende, wie man sagt. Wir sind auch der
— ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten Meinung, daß sich jetzt noch nicht genau übersehen
zitieren — :
läßt, welche Verteuerungen es geben wird. Aber
In diesen Gesetzentwürfen alle Fachleute sind sich darüber einig, daß es zu-
mindest bei Geflügelfleisch und Eiern und vielleicht
— die die Bundesregierung in Ausführung der EWG-
auch bei Schweinefleisch Verteuerungen geben wird.
Agrarverordnung dem Hohen Hause vorzulegen hat
Dieser Antrag der SPD zwingt die Regierung, wenn
er angenommen wird, von den Möglichkeiten der
sind alle Möglichkeiten auszuschöpfen, um die
EWG-Agrarverordnungen Gebrauch zu machen und
berechtigten Interessen der deutschen Land-
die Abschöpfungssätze in dem Maße zu verringern,
und Ernährungswirtschaft und der Verbraucher
wie es erforderlich ist, um solche Verteuerungen
zu berücksichtigen
eben nicht eintreten zu lassen.
.. .

In einem weiteren Absatz dieser einstimmig ange-


nommenen Entschließung heißt es, daß eine agrar- Aber es handelt sich bei diesem Paragraphen
politische Konzeption zu entwickeln sei, „die die nicht ausschließlich um die Verteuerung dieser Ver-
Interessen der Verbraucher wahrt und zugleich edelungsprodukte. Es handelt sich ein wenig auch —
finanzpolitisch tragbar ist". und ich muß darauf eingehen — um den agrarpoliti-
schen Kurs der Bundesrepublik in der Europäischen
Wirtschaftsgemeinschaft. Ich darf noch einmal auf
Vizepräsident Dr. Dehler: Gestatten Sie eine die Entschließung vom 31. Januar verweisen. Darin
Zwischenfrage des Abgeordneten Ertl?
istgefordwn,aßiBudesrg
eine agrarpolitische Konzeption entwickelt. Es ist
Frehsee (SPD) : Gern. sogar ein Termin genannt worden. Der Bundestag
hat der Erwartung Ausdruck gegeben, daß das bis
Ertl (FDP) : Würden Sie auch noch den weiteren zur „Grünen Debatte" erfolgt. Nun, ich will nicht
Teil dieser Entschließung vorlesen, wo es heißt: darüber streiten, inwieweit dem Auftrag, der in
„und zugleich finanzpolitisch tragbar ist" ? Das ge- dieser Entschließung niedergelegt wurde, Rechnung
hört mit dazu. getragen worden ist.
Frehsee (SPD) : Ich habe es vorgelesen, Herr Für uns liegen die Dinge so. Diesem Vorschlag,
Kollege Ertl; Sie werden es später im Protokoll fin- der von der Regierung kommt und nur aus Zeit-
den. gründen als Initiativgesetzentwurf von den Frak-
(Abg. Ertl: Nein, Sie haben nur verlesen tionen der CDU/CSU und der FDP vorgelegt worden
bis „Verbraucher wahrt"!) ist, liegt wieder die alte agrarpolitische Konzeption
1512 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1962
Frehsee
der Mehrheit dieses Hauses zugrunde, nämlich der voraussichtliche Entwicklung des Verbrauchs von
Vorrang der Bodenproduktion vor der Veredelungs- landwirtschaftlichen Veredelungsprodukten lesen,
wirtschaft. Wir sind nach wie vor der Meinung, daß werden Sie zu dem Ergebnis kommen, daß man von
diese agrarpolitische Konzeption, die diesem Gesetz- einer Fehlorientierung der Produktion auch aus der
entwurf zugrunde liegt, irrig ist. Wir haben im Aus- Sicht der deutschen Landwirtschaft sprechen müßte,
schuß lange darüber diskutiert. Es stand Meinung die sich ein weites Produktionsgebiet im Bereich der
gegen Meinung. Wir haben im Ausschuß darum ge- Veredelungswirtschaft entgehen läßt, das bisher
beten, daß uns doch endlich einmal das Gutachten schon den anderen überlassen war und bei einer
vorgelegt wird, das die' Regierung, weil sie selber solchen Konstruktion auch in Zukunft den anderen
unsicher ist, ob diese alte, konservative agrarpoliti- überlassen würde.
sche Konzeption — Bodenproduktion vor Verede- Ich will in diesem Zusammenhang nur auf die
lungswirtschaft — richtig ist und wirklich im wohl- Sorgen hinweisen, die in bezug auf die Überproduk-
verstandenen Interesse der Landwirtschaft liegt, bei tion an Getreide bestehen, wenn diese deutsche
namhaften Wissenschaftlern in Auftrag gegeben hat. Konzeption sich in der Europäischen Wirtschaftsge-
Es sollten darin die Auswirkungen eventueller Ge- meinschaft durchsetzt, und auf die Sorge, die in
treidepreissenkungen auf die Einkommenslage der England und in den Commonwealth-Staaten bei
in der Landwirtschaft Beschäftigten untersucht wer- Fortsetzung einer solchen Agrarpolitik entsteht. Die
den. Dieses Gutachten ist bisher nicht vorgelegt wor- Aufnahme Großbritanniens in die Europäische Wirt-
den. Wir müssen fragen: Warum wird es geheimge- schaftsgemeinschaft, von der heute morgen so viel
halten? Warum wird es nicht vorgelegt? Ist es etwa gesprochen worden ist, ist zwar zu einem Teil, wir
so, daß das, was darin steht, der Tendenz nicht ent- Agrarpolitiker wissen das, erschwert wegen der, ich
spricht, die hier von der Mehrheit noch vertreten gebe zu, unterschiedlichen Agrarpreissysteme bei
wird? Wir Sozialdemokraten bekennen uns auch uns und in den anderen EWG-Ländern auf der einen
heute zu der Überzeugung, daß eine Senkung der und in England auf der anderen Seite, aber auch,
Getreidepreise und im besonderen der Futterge- meine Damen und Herren, wegen des hohen Ge-
treidepreise nicht nur im Interesse der Verbraucher
treidepreises, den wir hier haben; ganz zu schwei-
von Veredelungsprodukten läge, sondern auch im
gen von einem letzten Argument, das immer wieder
Interesse der landwirtschaftlichen Erzeuger.
auch von seiten der Agrarwissenschaft vorgetragen
Im Schriftlichen Bericht ist schon aufgeführt — wird: daß in bezug auf die Entwicklungshilfe eine
aber ich darf es an dieser Stelle noch einmal zitie- Revision dieser Konzeption erfolgen müsse.
ren —, daß die Landwirtschaft der Bundesrepublik
im Jahr für 2,3 Milliarden DM Getreide verkauft, Vizepräsident Dr. Dehler: Herr Abgeordneter
davon für 2 290 000 000 DM Brotgetreide und nur Frehsee, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
für 10 Millionen DM Futtergetreide. Die Landwirt-
schaft der Bundesrepublik kauft auf der anderen Frehsee (SPD) : Ja, bitte schön, Herr Kollege
Seite für 3 Milliarden DM Futtermittel. Das ist nicht Struve.
alles Getreide; davon sind etwa zwei Drittel Ge-
treide. Für etwa 2 Milliarden DM also kauft die Vizepräsident Dr. Dehler: Herr Abgeordneter
Landwirtschaft der Bundesrepublik Futtergetreide. Struve!
Sie kauft es zu diesem hohen Preis, den das auf dem
Weltmarkt sehr viel billigere Futtergetreide hier
Struve (CDU/CSU) : Herr Kollege Frehsee,
wegen der deutschen Getreidegesetze und der be-
reits praktizierten Abschöpfung kostet. Es ist die sind Sie der Meinung, daß das Kleinbauerntum in
Frage, ob die Betriebe, die das Brotgetreide verkau- Deutschland noch eine Existenzgrundlage hat, wenn
fen, Futtergetreide kaufen, und ob die Betriebe, die die — nach Ihrer Ansicht viel zu hohen — Getreide-
Futtergetreide kaufen müssen, Brotgetreide zu ver- preise gesenkt werden?
kaufen haben. Wären es die gleichen Betriebe, so
würde sich das ausgleichen. Die Beträge liegen etwa Frehsee (SPD) : Ja, Herr Kollege Struve, ich bin
auf der gleichen Höhe: für 2,3 Milliarden DM wird dieser Überzeugung, und ich und meine Freunde
Brotgetreide verkauft, für 2 Milliarden DM wird wollen nach Kräften dafür wirken, daß es eine gute
Futtergetreide gekauft. Aber ich habe das ziemlich und ausreichende, gesunde Existenzgrundlage wird.
bestimmte, nicht nur unbestimmte Gefühl, daß ge- (Abg. Struve: Gestatten Sie eine zweite
rade diejenigen Betriebe, die Futtergetreide kaufen, Frage?)
weil sie Veredelungswirtschaft betreiben, nicht oder Bitte schön!
nicht vornehmlich zu den Verkäufern von Brotge-
treide gehören. Struve (CDU/CSU) : Haben Sie in Ihre Über-
Es ist insgesamt dazu auch noch zu sagen, daß legung einbezogen, daß der Großbetrieb dann mit
diese Konzeption, die dem Entwurf zugrunde liegt, Abstand die Chancen der Veredelung nutzt und für
unter Umständen zu einer Fehlproduktion führen den Kleinbauern keine Existenzgrundlage mehr da
kann — wir haben sie schon; also: zu einer noch ist?
größeren Fehlproduktion —, nämlich wegen der Be- (Beifall bei den Regierungsparteien.)
vorzugung der Bodenproduktion. Wenn Sie die Be-
rechnungen eines namhaften Agrarmarktwissen- Frehsee (SPD) : Ich hin nicht Ihrer Auffassung,
schaftlers, des Professors Plate aus Braunschweig- Herr Kollege Struve. Schon aus arbeitswirtschaft-
Völkenrode, und dessen Betrachtungen über die lichen und Arbeitsmarktgründen bin ich nicht der
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1962 1513
Frehsee
Auffassung, daß die landwirtschaftlichen Großbe- ser Streit geht doch schon Jahre, wenn nicht ein
triebe sich dann mit Bravour auf die Veredelungs- Jahrzehnt —, endlich einmal hier herauszukommen,
wirtschaft verlegen werden. wenn die Sache so akut wird, wie sie jetzt gewor-
den ist.
(Abg. Bauknecht: Die können das viel
leichter!) Deswegen möchte ich die Aufforderung, die wir
im Ausschuß an die Regierung gerichtet haben, hier
Außerdem erinnere ich noch einmal, Herr Kollege wiederholen: Bitte, legen Sie uns dieses Gutachten
Bauknecht, an die Zahlen, die ich zwar nicht im vor! Vielleicht bringt uns das in diesem Streit wei-
einzelnen angeführt habe, auf die Sie aber hin- ter. Wenn wir Politiker überfordert sind, müssen
gewiesen haben, die Herr Professor Plate in bezug wir uns der Wissenschaft bedienen und müssen uns
auf die künftige Entwicklung des Verbrauchs an von denen helfen lassen, die die Dinge und die vor-
Veredelungsprodukten errechnet hat. Er hat sie nur aussichtliche Entwicklung dieser Dinge übersehen
für die Bundesrepublik errechnet; aber bitte gehen können.
Sie doch davon aus, daß wir demnächst einen Ge- (Abg. Struve: Aber die Stimme des Prak
meinsamen Markt haben werden; gehen Sie doch -
tikers auch beachten!)
bitte auch davon aus, daß auch die deutsche land-
wirtschaftliche Veredelungsproduktion ein Auf- — Ja, ja, Herr Kollege Struve, ich will selber meine
gabengebiet in dem Export von Veredelungsproduk- Herkunft nicht ganz verleugnen. Ich bin durchaus
ten sehen könnte. Ihrer Meinung, daß man die Wissenschaft nicht Ent-
scheidungen treffen lassen sollte.
(Abg. Struve: Na also!)
Vizepräsident Dr. Dehler: Herr Abgeordneter,
gestatten Sie eine weitere Frage? Die wollen auch in Zukunft nur wir treffen. Aber
wir sollten uns der Wissenschaft bedienen. Sie ist
(Abg. Frehsee: Bitte!) doch dazu bereit, uns unsere schwierige Aufgabe zu
erleichtern, und wir sollten das im Auge behalten.
— Herr Abgeordneter Bauknecht!
Nun will ich aber diesen Ausflug in die agrar-
politische Konzeption beenden und zum Schluß nur
Bauknecht (CDU/CSU) : Herr Kollege Frehsee, ganz kurz sagen: Wenn jetzt aus Anlaß der Ein-
sind Sie nicht der Auffassung, daß, wie Kollege führung dieser EWG-Agrarverordnungen nach dem
Struve es sagte, der größere Betrieb dann diese 30. Juli — dazu ist es ja schon zu spät, das ist nicht
Chancen nutzen würde? Was bleibt dann noch für mehr zu erwarten — von Ihnen schon keine andere
den kleinen übrig, wo wir doch heute schon in der Konzeption eingeleitet werden wird, wie das ja in
EWG einen Überfluß von Veredelungsprodukten der Entschließung vom 31. Januar gefordert worden
haben? ist und wie es insbesondere die Freien Demokraten
(Zuruf von der SPD.) hier so nachdrücklich gefordert haben, bitte, dann
tun Sie sich doch mit uns zusammen, um zu ver-
Und wissen Sie nicht, daß in der EWG gerade bei suchen, wenigstens Schäden aus Anlaß des Inkraft-
Futtergetreide noch eine Lücke vorhanden ist? tretens dieser EWG-Agrarverordnungen zu verhin-
Wenn Sie aber den Futtergetreidepreis herunter- dern, und zwar nach beiden Seiten. Das fordert die
setzen, — glauben Sie nicht, daß dann mindestens Entschließung vom 31. Januar. Lassen Sie keine
ein Drittel der ganzen heutigen pflanzlichen Pro- Verbraucherpreiserhöhungen aus Anlaß des Inkraft-
duktion stillgelegt würde, weil ja alle anderen, tretens dieser Verordnungen zu und stimmen Sie
nämlich die Grünlandwirtschaft und der Hackfrucht mit uns für den zweiten Absatz dieses Antrags, der
bau, eine innere Preisrelation zum Futtergetreide zum Ziel hat, auch Einkommenseinbußen bei den
haben? landwirtschaftlichen Betrieben auszugleichen.
(Zurufe von der CDU/CSU.)
Frehsee (SPD) : Den ersten Teil der Frage, Herr
Kollege Bauknecht, habe ich ja soeben schon be- — Wir haben uns darüber im Ausschuß eingehend
antwortet. Sie haben die Frage lediglich wiederholt. unterhalten, so daß ich das hier nicht weiter aus-
Offensichtlich haben Sie sich auf diese Frage kon- zuführen oder zu verdeutlichen brauche.
zentriert und das überhört. Ich will es dem Hohen Ich darf Sie also bitten, im Interesse aller Betei-
Hause ersparen, das zu wiederholen. ligten, im Interesse der Verbraucher und der land-
wirtschaftlichen Erzeuger, diesem sozialdemokrati-
Im übrigen kann man natürlich streiten. Gerade schen Antrag auf Umdruck 129 zuzustimmen.
deswegen, weil Unklarheit darüber besteht, Herr
Kollege Bauknecht, um wieviel die Bodenproduk- (Beifall bei der SPD.)
tion eingeschränkt wird, ist ja das Gutachten in
Auftrag gegeben worden. Ich kann nur wieder- Vizepräsident Dr. Dehler: Das Wort hat der
holen: im Ausschuß steht Auffassung gegen Auffas- Herr Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft
sung und Meinung gegen Meinung. Das ist ja legi- und Forsten.
tim. Es ist ja wohl in der Demokratie so, daß man
derartige unterschiedliche Auffassungen vertreten Schwarz, Bundesminister für Ernährung, Land-
kann und sich diese unterschiedlichen Auffassungen wirtschaft und Forsten: Herr Präsident! Meine Da-
dann gegenüberstehen. Man muß versuchen — die- men und Herren! Herr Kollege Frehsee hat eben
1514 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1962
Bundesminister Schwarz
einen Ausflug in die Agrarpolitik gemacht und da- unsere Produktion in der Vergangenheit, sagen wir
bei Fragen aufgeworfen, die meiner Auffassung in den letzten zehn Jahren, von 12 Millionen
nach nicht so im Raume stehenbleiben sollten. Es Schweinen auf 21,5 Millionen Schweine und von
handelt sich um die Grundsatzfrage — wie Herr 280 000 auf 450 000 t Butter gesteigert haben. Das
Kollege Frehsee sagte —: Vorrang der Veredelung heißt, soviel wurde erzeugt, es wurde daran ver-
oder der Bodenproduktion? Ich möchte hier klar dient, und die Verdienste wurden durch die steigen-
zum Ausdruck bringen, daß die Bundesregierung die den Unkosten aufgefressen. Die Landwirtschaft hat
Bodenproduktion als die Grundlage der Veredelung per saldo im Jahre 1962 trotz der größeren Vered-
ansieht. Die Veredelung wird in einem leeren Raum lung nicht mehr verdient, als sie 1952 verdiente,
hängen und nur auf Einfuhren angewiesen sein, und es ist nicht einzusehen, warum es in der Zu-
wenn die Bodenproduktion nicht in Ordnung ist. kunft anders sein sollte.
(Beifall bei den Regierungsparteien.) (Abg. Bauknecht: Sehr gut!)
Es handelt sich hier also nicht um eine Konkurnenz Ich darf zum Schluß mit Genehmigung des Herrn
zwischen Veredelung und Bodenproduktion, sondern Präsidenten vorlesen, was einer der Herren
um ein organisches Entwickeln beider Teile. Ich - Profes-
soren, die an dem Gutachten beteiligt waren und
glaube, die Veredelung würde bei uns krank wer- es jetzt wieder sind, in einer der jüngsten Num-
den, wenn wir unsere Bodenproduktion nicht gesund mern eines führenden agrarwirtschaftlichen Blattes
hielten. Oder, sehr einfach ausgedrückt: wenn die geschrieben hat:
Bodenproduktion so weit absinkt, daß wir aus ihr
nicht mehr die Rohstoffe für die Veredelung mit Eine Herabsetzung der Getreidepreise bedeutet
Nutzen ziehen können, gehen wir besser gleich zum keine Verbilligung der Kosten im eigentlichen
Getreidehändler und kaufen uns Importware. Dann Sinne. Mit den Getreidepreisen ermäßigen sich
würde die deutsche Landwirtschaft veröden. nämlich ... die Preise der Veredlungserzeug-
nisse. Bei Veredelung von eigengebautem Ge-
(Beifall bei den Regierungsparteien.) treide verringert sich der Veredlungserlös je dz
Wegen der Gutachten möchte ich folgendes sagen. Futtergetreide und je ha Futtergetreide genau
Wir haben im Jahre 1960, als die verschiedenen um den Betrag der Getreidepreissenkung. Dabei
neuen Fragen hinsichtlich der EWG auf uns zu- wird vorausgesetzt, daß Futtergetreide in dem
kamen, unseren Wissenschaftlichen Beirat beauf- Umfang zur Verfügung steht und verwendet
tragt, ein Gutachten über die Auswirkung der EWG- wird, der zur Erstellung einer Produktion aus-
Regelung anzufertigen. Das Gutachten ist erstellt, reicht, die beim neuen Preis des Veredelungs-
aber uns mit der ausdrücklichen Bitte übergeben produktes nachgefragt wird. Wer dagegen zu-
worden, es nicht zu veröffentlichen, weil die Zeit und gekauftes Getreide veredelt, erhält vor und
die im Augenblick verfügbare Übersicht nicht aus- nach einer Preisänderung für das Getreide die-
reichten, um aus einer gewissen statistischen Betrach- selbe Veredelungsspanne.
tung heraus die Entwicklungen auch für die Zu- Meine Damen und Herren, ich glaube, daraus geht
kunft, die weitere Entwicklung des Sozialprodukts, hervor, daß man also vor und nach Gebrauch nicht
das Steigen des Verbrauchs von Veredlungsproduk- sehr viel klüger ist. Mir scheint die Erhaltung der
ten usw., richtig zu beurteilen. Wir haben deswegen Bodenproduktion die Grundlage zu sein, auf die wir
dieses Gutachten nicht veröffentlicht. Ich stehe aber unsere Agrarpolitik ausrichten sollten.
gar nicht an zu erklären, daß es Ihnen selbstver-
ständlich gern zur Verfügung steht, wenn Sie zu (Beifall bei den Regierungsparteien.)
Ihrer privaten Information einen Einblick tun wol-
len. Vizepräsident Dr. Dehler: Das Wort hat der
(Abg. Frehsee: Danke schön!) Abgeordnete Ertl.
Ich darf nur darauf hinweisen, daß Ihnen ja auch
Ertl (FDP): Herr Präsident, meine sehr verehrten
bekannt ist, meine Damen und Herren, daß solche
Damen und Herren! Namens meiner Fraktion bitte
Gutachten, wenn sie in die Öffentlichkeit kommen,
ich Sie, die Anträge auf Umdruck 129 abzulehnen.
unter Umständen entstellend wirken können, wenn
Wir haben grundsätzlich Bedenken, einmal schon
man einen Teil herausreißt. Genau das wollten die
bei der Fassung des Abs. 1, „Soweit sich für Eier,
Professoren nicht, weil sie nunmehr auf einer er-
Geflügelfleisch und Schweinefleisch durch dieses Ge-
weiterten Basis, und zwar internationaler Art, für
setz Verteuerungen ergeben ...", denn es wirft sich
Herrn Präsident Mansholt und mein Haus ein neues sofort die Frage auf, von welchem Tag an man die
Gutachten erstellt haben, das in diesen Tagen über- Verteuerungen berechnet. Wenn Sie nämlich die
geben werden soll, das an Umfang größer ist und Statistik verfolgen, meine sehr verehrten Damen
das alle Fakten berücksichtigt. Wir denken, daß wir und Herren, dann werden Sie feststellen, daß die
dann jene Unterlagen haben. Inlandeier im Jahre 1950/51 18,8 Pf gekostet haben,
Ich möchte aber das bisher gehütete Geheimnis im Jahre 1955/56 20,2 und derzeit ungefähr bei 14 Pf
insoweit lüften, als wir bei Verminderung der Bo- liegen. Gehen wir also vom Stand des Jahres
denproduktionswerte auf ein Milliardendefizit kom- 1955/56 aus, so haben wir noch eine große Spanne
men, aufzuholen. Das sollte einmal grundsätzlich gesagt
(Zuruf rechts: Aha!) werden.
das sich nicht ohne weiteres durch Veredlung aus Ähnliches kann main zur Zeit auf dem Schweine-
gleichen läßt. Ich darf daran erinnern, daß wir markt feststellen. Im Jahre 1950/51 lag der Preis für
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1962 1515
Ertl
50 kg Lebendgewicht bei 133 DM, im Jahre 1960/61 damit nicht sehr lange aufhalten. Mit der Senkung
bei 128 DM. der Futtermittelpreise würde es zu einem Rutsch
Daraus ergibt sich wiederum die Frage, ob es kommen. Wir wollen aber keine einseitige groß-
nicht besser wäre, die Abschöpfungen in diesem gewerbliche Veredelungswirtschaft im Küstenraum
Sinne sogar zu erhöhen. Wir sollten hier nicht dau- und nur aufgeforstete Böden im Bayerischen Wald,
ernd ein Spiel treiben. Wir alle haben Verständnis wohin der Ernährungsausschuß demnächst fahren
dafür, daß im Lande zur Zeit der Ruf nach Stabilität will. Unsere bäuerlichen Familienbetriebe sind nur
erklingt. Wir wären aber sehr dankbar, wenn er von dann existenzfähig, wenn sie auf beiden Füßen ste-
allen Partnern der Volkswirtschaft gehört würde, hen, nämlich auf einer rentablen Bodenproduktion,
sei es im Hinblick auf die Preise, sei es im Hinblick die zu einem entsprechenden Preis veredelt werden
auf die Löhne. Fangen wir überall mit dem Stillhal- kann. Nur bei Befolgung dieser Prinzipien lassen
ten an. Dann können wir uns auch bescheiden. Aber sich die Gefahren für den bäuerlichen Betrieb ver-
es ist heute wohl nicht mehr eine Frage der Wirt- hindern. Das ist wohl für uns eine Aufgabe von
schaftspolitik, sondern eine Frage der Sozialpolitik, allgemein politischer und nicht nur von wirtschaft-
ja geradezu der sozialen Gerechtigkeit, der Land- licher oder sozialpolitischer Bedeutung.
wirtschaft den gleichen Anteil oder die gleiche Be- Gestatten 'Sie mir, diese wenigen grundsätzlichen
rechtigung im Rahmen der allgemeinen Entwicklung Bemerkungen zu diesen Anträgen zu machen; denn
der Volkswirtschaft zuteil werden zu lassen wie es ist wohl unser aller Pflicht, bei Beginn einer ge-
allen übrigen Wirtschaftszweigen. meinsamen Landwirtschaftspolitik der EWG der
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU.) überall herrschenden Unruhe langsam ein Ende zu
bereiten. Es ist nicht angebracht, zu sagen, die
Im übrigen ist die Bundesregierung auch auf Lebensmittelpreise würden durch die Überführung
Grund der EWG-Gesetzgebung dazu verpflichtet, der Landwirtschaft in die EWG dermaßen verteuert,
das Prinzip der Kostendeckung zu wahren. Ich weise wie es in der Tat immer wieder behauptet wird. Die
darauf hin, daß in Art. 44 Abs. 3 des EWG-Vertra- Ihnen vorgelegten Zahlen beweisen, daß wir in den
ges bewußt von der Kostendeckung ausgegangen letznJahriRückgbednErzu
worden ist. Diese Kostendeckung sollte man der haben und nicht ein Vorwärtsschreiten, während
Landwirtschaft zurechnen. Unsere Haushaltslage wir in der übrigen Volkswirtschaft eine laufende
erlaubt uns nicht, über mehr als den jetzigen An- Zunahme von 10 % zu verzeichnen haben. Das
satz für Einkommenshilfe zu verfügen. Wir müssen wollte ich Ihnen noch kurz sagen und bitte deshalb
deshalb den Teil nutzen für den Erzeugerpreis, der um Verständnis für unsere ablehnende Haltung.
sich über den Markt holen läßt. Auch hier müssen
wir gerecht sein. Wir sollten die Landwirtschaft Im übrigen 'hoffe ich, daß sich nach den Parla-
nicht zum bösen Buben machen bei all dem, was zur mentsferien sehr bald die Möglichkeit zu einer
Zeit auf dem Preis-Lohnsektor geschieht. erneuten EWG-Debatte ergibt. Sehr viele Fragen
(Abg. Dr. Schmidt [Gellersen] : Wer macht sind ungeklärt. Ich möchte noch hinzufügen: ich be-
sie denn dazu?!) dauere außerordentlich, daß alles, was mit der EWG
zusammenhängt, im Parlament hopplahopp gemacht
— Das klingt immer so durch zu verschiedenen Zei- werden muß. Wir bitten deshalb, dafür zu sorgen,
ten. Lesen Sie die Tagespresse. Lesen Sie die ver- daß in Zukunft mehr Zeit zur Verfügung steht, diese
schiedenen Erklärungen beim jetzigen Lohnkonflikt. Probleme gründlich zu beraten.
Das nur nebenbei. Ich darf zum Schluß betonen: wir möchten die
Nirgends hat die Kaufkraft so zugenommen wie PrinzpedsGtgbuweinZkft
bei den Lebensmitteln. Nur einige Beispiele. Für mehr 'beachtet haben. Das aber nur als 'allgemeine
1 kg Milch mußte man zum Beispiel noch vor zehn Erläuterung. Wir hoffen, wie gesagt, daß wir uns
Jahren 16 Minuten arbeiten, heute sind es 9 Minu- über diese Fragen nach den Parlamentsferien noch
ten. Bei Eiern waren es 10 Minuten, heute sind es einmal ausführlich unterhalten können.
4 Minuten. Per Saldo ist also die Kaufkraft bei (Beifall bei der FDP.)
Lebensmitteln gestiegen. Dabei möchte ich das
Thema Handelsspanne noch gar nicht berühren.
Ich wollte das nur kurz begründen.
Vizepräsident Dr. Dehler: Das Wort hat der
Abgeordnete Pflaumbaum.
Das letzte Mal wurde zu Recht gesagt, man sollte
die EWG nicht mit einem negativen Votum oder mit Dr. Pflaumbaum (CDU/CSU): Herr Präsident!
Mißtrauen für 'die Verbraucher beginnen. Es muß Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Än-
Schluß damit gemacht werden, daß Verbraucher und derungsantrag der SPD bezieht sich auf die zukünf-
Erzeuger ständig beunruhigt werden. Die EWG darf tige Preisgestaltung für die Produkte auf dem
nicht der Anlaß für ein Bauernlegen sein, sondern Eier-, Geflügelfleisch- und Schweinefleischgebiet. Er
sie muß die in der EWG-Gesetzgebung veranker- geht davon aus, daß die Abschöpfungssätze, falls
ten Möglichkeiten für die Erhaltung eines breit ge- sich hier Verteuerungen ergelben, herabgesetzt wer-
streuten Eigentums in unserer deutschen Landwirt- den sollen. Da nunmehr — das trifft im 'besonderen
schaft bieten. bei 'den Schweinen zu — von der Bundesregierung
(Beifall bei der FDP.) Kontingente nicht mehr erteilt werden können, sind
Dazu einige grundsätzliche Worte zur Boden- und die Abschöpfungssätze der Maßstab und der Regu-
Veredelungsproduktion. Ich habe bereits im Januar lator für die Preisgestaltung für. diese Produkte im
dazu Ausführungen gemacht und möchte Sie heute Bundesgebiet.
1516 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1962

Dr. Pflaumbaum
Werden idle Abschöpfungssätze herabgesetzt, oft Klage darüber geführt worden ist. Wenn man
werden die Preise für die Produkte der Bauern herab- Ihrem Wortlaut zustimmt, wird es vom Standpunkt
gesetzt, dann frage ich: kann man danach noch auf des Bauern heißen: Dieser niedrige Preisstandard,
der einen Seite die Herabsetzung der Preise fordern den wir Erzeuger augenblicklich haben, soll für die
und auf der ,anderen Seite sagen: wenn sich unzu- Zukunft verankert werden. Sie werden nicht an-
mutbare Einkommensminderungen für bäuerliche nehmen können, daß wir mit unserem Herzen für
Betriebe ergeben, sind diese durch den Bund auszu- die Bauern diesen Standpunkt teilen und deshalb
gleichen? Sie werden sagen, da könnte man Subven- für Ihren Antrag stimmen.
tionen geben. Hier steht aber ein individuelles An- Herr Kollege Frehsee, Sie haben einen Ausflug
liegen ¡an, so daß man beides ,gar nicht in einen in die höhere Agrarpolitik gemacht. Gestatten Sie
Rahmen hineinbringen kann. Sie widersprechen mir dazu ein paar Worte. — Herr Kollege Schmidt,
sich in einem gewissen Maße. Sie werden ja dazu auch Ihre Meinung vertreten.
Es kommf noch eines 'hinzu. Der Bauer ist ja gar (Abg. Dr. Schmidt [Gelersen] : Am Freitag!)
nicht die letzte Ursache für alle Preiserhöhungen
oder Verteuerungen. Er ist ja nur zu einem gewis- — Ich darf hier schon ein paar Worte im voraus
sen Prozentsatz an dem Endverbraucherpreis betei- sagen. Ich weiß ja nicht, ob ich am Freitag noch zu
ligt, nehmen wir an, mit 60 %. Wenn sich nun z. B. Wort komme.
Verteuerungen durch die Zwischeninstanzen beim Hier heißt es: Herr Professor Woehrmann hat
Handel usw. ergäben, !würde das nach dem vor- schon vor zwei Jahren berechnet, daß, wenn das
liegenden Antrag bedeuten, daß die Abschöpfungs- Preisniveau insgesamt für Futtergetreide und Brot-
beträge in dem Maße, wie sich das auf dieser Seite getreide gesenkt wird, das eine Minderein-
ergibt, beeinflußt 'werden, daß also der Bauer dar- nahme von 1,3 Milliarden DM für die Landwirt-
unter leiden soll und daß seine Preise gedrückt wer- schaft des Bundesgebiets bedeuten würde. Wissen-
den ,sollen. E s ist nicht möglich, beides miteinander schaftler haben nun erklärt: Diesen Verlust kann
anzusprechen. die Landwirtschaft dadurch ausgleichen, daß sie in
Nun bedeutet 'der Antrag, daß der Preisstandard höherem Maße in die Veredlungsproduktion ein-
von heute 'für die Zukunft ungefähr sanktioniert steigt.
werdnuhaltbiso.Dedarfch Sie sehen schon heute, daß die letzten Chancen
für die Damen und Herren, ,die auf diesem Gebiete bei der Veredlungsproduktion ausgenutzt sind und
nicht vollstäadig im 'Bilde sind, kurz ein paar Aus- der Punkt, an dem noch eine rentable Veredlungs-
führungen über die Erzeugerpreise von heute ge- produktion zu betreiben ist, nach den heutigen
rade bei 'diesen Kategorien der Produktion machen. Preisverhältnissen schon überschritten ist.
Die Eierpreise betrugen im Durchschnitt in den
(Zuruf rechts: Völlig illusorisch!)
Jahren 1959 16 Pf, 1960 16,2 Pf, 1961 16,3 Pf. Sie
haben also in den Jahren von 1959 'bis 1961 im Da ist nichts mehr drin.
Durchschnitt bei 16,2 Pf gelegen. Zum zweiten betont man: Wenn wir das Preis-
(Abg. Dr. Schmidt [Gellersen] : Es geht um niveau aufrechterhalten, wird zuviel Getreide pro-
den langjährigen Durchschnitt!) duziert. Vor allem wird dabei auf Frankreich hin-
— Jawohl, ich komme gleich darauf, Herr Kollege gewiesen. Auf der anderen Seite betont man, daß
Schmidt. Ich bitte mir nicht zu unterstellen, daß ich, weniger produziert werden solle, daß aber die
wenn ich den Eierpreis von heute nenne, damit Chance für die Produktion der Veredlungswirt-
einen restlosen Vergleich beabsichtige mit den schaft gegeben wäre.
Durchschnittspreisen, die ich soeben erwähnt habe. Ich verweise auf folgende Tatsache. Wenn die
Aber bis zu einem gewissen Grade kann man doch Veredlungsproduktion um 100 000 t, 500 000 t — bei
einen Vergleich ziehen. den Schweinen haben wir von einem Jahr zum an-
Bei 40 % der Eier hat der Preis in der ersten dern ungefähr 400 000 t — steigt, dann steigt auch
Juniwoche mit der Prämie bei ,14 Pf gelegen, unid er die Anforderung an Futtergetreide zur Erstellung
liegt jetzt bei 13 bis 15 Pf je Ei, hei 10 bis 12 Pf der Veredlungsproduktion, und zwar nach Adam
ohne Prämie. 60 % aller deutschen Eier werden also Riese viermal soviel als die Veredlungsproduktion.
zu den niedrigen Sätzen ohne Prämie verkauft, also Deshalb wundern sich unsere Gelehrten in diesen
zu 10, 11 oder 12 Pf. Tagen darüber, daß die Anforderungen auf dem
Futtergetreidesektor von Jahr zu Jahr höher wer-
Ich gebe auch zu, daß wir bei einem außerordent- den. Man hat prophezeit: Das wird heruntergehen.
lich niedrigen Stand der Schweinefleischpreise nicht Wir haben aber in jedem Jahr höhere Anforde-
davon ausgehen sollten, daß das ein Maßstab für rungen; in diesem Jahr in einem Ausmaß, an das
die Vergangenheit und für die Zukunft sein kann. vor Jahr und Tag noch keiner gedacht hat.
Wir hatten nämlich im Jahre 1959 einen Durch-
schnittspreis von 133 DM, 1960 von 126 DM, 1961 Nun kommt die dritte Frage. Nehmen wir einmal
von 128 DM. In der ersten Juniwoche lag er bei an, wir würden die Bodenproduktion, die Getreide-
118; in der vergangenen Woche ist der Preis auf produktion unrentabel und unwirtschaftlich machen.
113,20 DM herabgesunken. Dann würde sich folgendes ergeben. Ein Bauern-
betrieb, der für die Veredlungsproduktion 50 %
(Hört! Hört! in der Mitte.)
selbst erzeugt und 50 % zukauft, würde an der
Genauso verhält es sich bei Masthähnchen. Auch Bodenproduktion die Hälfte verlieren und das auf
dort sind die Preise niedrig. Sie wissen, daß schon der anderen Seite durch Zukauf wieder ausgleichen.
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1962 1517
Dr. Pflaumbaum
Ein Bauernbetrieb, der 75 % selbst erzeugt und Nun, Herr Kollege Frehsee, ich darf daran erin-
25 % zukauft, würde ein Verlustbetrieb sein. Ein nern, daß ich in den letzten drei Jahren mindestens
Bauernbetrieb ohne Ahr und Halm — ich will gleich jedes Jahr einmal hier von der gleichen Stelle für
auf das krasseste Beispiel kommen —, der 100 % meine Fraktion — insbesondere in Zusammenhang
zukauft, würde all den anderen Betrieben überlegen mit der EWG-Agrarpolitik — ganz eindeutig er-
sein, die ja ihre Verluste damit ausgleichen müßten. klärt habe, daß. Boden und Veredlungsproduktion
für uns eine Verbundwirtschaft ist, bei der es müßig
(Zuruf des Abg. Dr. Schmidt [Gellersen].)
ist, danach zu fragen, ob die eine oder die andere
— Nur noch ein Wort, Sie können dann nachher den Vorrang hat. Das ist fast genauso müßig, Herr
sprechen. — In diesem Augenblick würden wir in Kollege Frehsee, wie der Streit, der insbesondere
eine industrielle und gewerbliche Veredlungspro- in Brüssel lange geherrscht hat, ob in der Agrar-
duktion hineinlaufen, die die Vernichtung unseres politik die Strukturpolitik oder die Markt- und
Kleinbauerntums' darstellt. Preispolitik den Vorrang haben soll.
(Beifall in der Mitte und rechts.) Wir alle wissen, daß die Agrarpolitik eine Harmo-
nie braucht, ein Gleichgewicht, und daß in diesem
Nun noch einige Worte! Herr Frehsee ist wohl Gleichgewicht allen entscheidenden Gebieten der
vorhin nicht ganz darauf eingegangen, als er darauf Agrarpolitik ihr Rang zukommt. Ich darf daran er-
angesprochen wurde, ob die Großbetriebe denn nicht innern ; daß auch in sehr einflußreichen Kreisen in
in die Veredlungsproduktion einsteigen könnten. Brüssel, die Ihnen sicherlich persönlich bekannt si n d,
Verzeihen Sie mir, mein sehr verehrter Herr Kollege lange Zeit, insbesondere zu Beginn der ganzen
Frehsee: Ich sehe schon heute mit großem Bedauern, gedanklichen Überlegungen um eine gemeinsame
daß das bereits Tatsache ist. Ich wünsche das nicht, Konzeption der EWG-Agrarpolitik, die These ver-
aber es ist Tatsache, weil die Betreffenden — ent- treten wurde: Umstellen von der Bodenproduktion,
schuldigen Sie! — sagen: Wir wollen dem empfoh- mit vollen Segeln hinein in die Veredlungsproduk-
lenen Trend entsprechen — das ist ja das große tion.
Ziel —, die Bodenproduktion herabzusetzen, und
Es war der heutige hochverehrte Herr Bundes-
wir müssen uns rechtzeitig umstellen und ver-
präsident, damals unser Minister für Ernährung,
suchen, in die Veredlungsproduktion zu Lasten der
Landwirtschaft und Forsten, der von Anfang an
kleinbäuerlichen Betriebe einzusteigen, was wir alle
dieser Häresie in der Agrarpolitik entgegengetreten
miteinander nicht wünschen.
ist, und Gott sei Dank mit Erfolg. Wir haben gemein-
Das war ein kurzer Ausflug. Ich darf noch einmal sam immer wieder darauf aufmerksam gemacht, daß
— unter Hinweis auf die angeführten Argumente — dieser Weg, wenn man ihn beschreiten wollte, uns
bitten, Verständnis dafür zu haben, daß wir den sehr schnell in eine Sackgasse führen würde.
Änderungsantrag nicht allein ablehnen, sondern
Was sich hier bei uns in der Bundesrepublik
nach unserer Auffassung ablehnen müssen.
vollzieht, muß man, glaube ich, mit einem etwas
(Beifall bei den Regierungsparteien.) anderen Akzent sehen, wobei ja in der öffentlichen
Diskussion häufig nicht nur von der konservativen
Agrarpolitik gesprochen wird. Man geht ja in der
Vizepräsident Dr. Dehler: Das Wort hat der WahlderscmüknAtibuewasrnd
Abgeordnete Lücker.
wirft dann der amtlichen oder der Agrarpolitik die-
ses Hauses, besondrs meiner Fraktion, vor, daß
Lücker (München) (CDU/CSU) : Herr P'räsident! wir nach wie vor in ,den früheren Thesen der „ost-
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr elbischen" Agrarpolitik verstrickt seien. Nun, das
Kollege Frehsee hat mich mit seinen grundsätzlichen ist einfach und schlicht unwahr. Was ist die Wirk-
Ausführungen zur agrarpolitischen Entwicklung ge- lichkeit? Die Wirklichkeit ist, daß durch die Ver-
radezu gedrängt, mich zu Worte zu melden, und es hältnisse der Zeit nach dem Kriege eine differen-
ist dabei nicht nur die Freude, wieder einmal hier zierte Agrarpolitk entwickelt worden ist, nicht weil
mit den Kollegen diskutieren zu können, was wir man damit eine zeitlich überholte ostelbische Form
„Europäer" außerordentlich vermissen — ich darf der Agrarpolitik weiterführen wollte, die auf die
das ganz offen sagen —, sondern es drängt mich Bodenproduktion der Großbetriebe ausgerichtet
auch deswegen, hier noch etwas zu sagen, weil Sie, wäre. Es war vielmehr so, daß, als wir die Markt-
Herr Kollege Frehsee, doch einige Dinge in den ordnugsetz1950/2machben,di
Raum gestellt haben, die, wie der Herr Minister deutsche Landwirtschaft von jedem Verantwort-
schon sagte, nicht unwidersprochen bleiben sollen. lichen, vom Bundespräsidenten über den Bundes-
kanzler bis zu allen Ministern, aufgefordert wurde,
Ich darf anknüpfen an Ihre Ausführungen über das
zu produzieren und zu intensivieren, damit sich
Verhältnis zwischen Bodenproduktion und Vered-
unsere Menschen in Deutschland wieder satt essen
lungsproduktion, und ich gestehe Ihnen gerne zu,
konnten. Das hat die deutsche Landwirtschaft in der
daß Sie sich relativ elegant und charmant ausge-
Zwischenzeit auch mit Bravour erfüllt.
drückt haben; Sie haben von der alten konservativen
Auffassung der Agrarpolitik gesprochen, von der Von der Situation damals ausgehend, hatten wir
meine Fraktion offensichtlich noch geleitet sei, in- gerade auch bei den Veredlungsprodukten noch
dem sie den Vorrang der Bodenproduktion ein- einen großen, nach den damaligen Meinungen kaum
räume und die Veredlungsproduktion vernachläs- zu deckenden Einfuhrbedarf und Versorgungsbedarf.
sige. Wir haben damals geglaubt, man könne die Markt-
1518 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1962

Lücker (München)
ordnung auf den Märkten der Veredlungsprodukte treidewerteinheiten ausmacht. Ich darf ja nicht nur
mit etwas leichterer Hand gestalten als bei der das Futtergetreide zählen, sondern muß die gesam-
Bödenproduktion, weil wir diesen großen Einfuhr- ten erzeugten Futterstoffe sehen, die in die Ver-
bedarf von den Eiern bis zum Fleisch hatten. Das edlung überführt werden. Diesen 170 Millionen
gleiche wiederholte sich bei 'der Entwicklung unse- Tonnen Getreidewerteinheiten an Futtererzeugung
rer Liberalisierungsliste, die wir mit der Einbezie- stehen fü'r die EWG etwa 8 bis 10 Millionen Ton-
hung von Käse in die Liberalisierung agrarpolitisch nen Einfuhr pro anno gegenüber. Das heißt: wäre
albgeschlossen haben. es überhaupt eine vernünftige Agrarpolitik, die
etwa auf den 4, 5, 6 % Einfuhr an Futtergetreide
Mittlerweile hat sich die Produktion erholt, und aufbauen wollte und die 90 bis 95 % der Gesamt-
was wir heute erleben, ist in gewissem Sinne eine futtererzeugung unseres europäischen Bodens außer
agrarpolitische „Wiedergutmachung" aus dieser Ent- acht ließe? Ich glaube, die Antwort auf diese Frage
wicklung seit 1949/50. ist sehr eindeutig.
(Abg. Bading: Also 'war es Unrecht?!) Ich will Ihnen auch sagen, worum der Kampf in
— Nein, es war nicht Unrecht. unserer Landwirtschaft in der Zukunft geführt
- wird.
Herr Kollege Frehsee, Sie werden mit mir sicherlich
(Abg. Bading: Wenn es eine Wiedergut darin übereinstimmen, daß wir heute in der Bundes-
machung ist, 'dann muß vorher ein Unrecht republik im "Schnitt — legen Sie mich bitte nicht auf
zugefügt worden sein!) den Zehntelpfennig oder Pfennig fest — die 1000
— Ich hoffe, Sie haben die Anführungszeichen, in Stärkeeinheiten im Futter für die Veredlungswirt-
die ich diesen Begriff gesetzt habe, zwischendurch schaft praeter propter mit 60 Pf einführen. Bei den
mit gehört. Es war kein Unrecht, sondern durch die gegenwärtigen Verhältnissen stehen wir mit der Er-
damalige Situation bedingt. Ich hoffe, daß Sie sich zeugung der 1000 Stärkeeinheiten aus unserem ei-
noch erinnern können — und Ihnen das Bewußt- genen Grundfutter noch in einem Konkurrenzkampf,
sein dafür in der Zwischenzeit nicht getrübt worden den wir, wenn auch mit sehr viel Mühe, noch zu-
ist —, daß damals die Masse unseres Volkes dar- gunsten der deutschen Landwirtschaft entscheiden
auf bedacht war — und deswegen hat die Regie- können. Das Ziel sollte sein, die 1000 Stärkeeinhei-
rung damals auch Überall in der Welt angehalten —, ten aus unserem eigenen Grundfutter nach Möglich-
die notwendige Menge an Nahrungsgütern, insbe- keit für 40 bis 45 Pf zu erzielen. Das ist auch die
sondere an hochwertigen Veredlungsprodukten, zu Aufgabe in der Rationalisierung und in der Be-
erhalten, um eine angemessene Versorgung unseres triebsberatung unserer landwirtschaftlichen Betriebe.
Volkes sicherzustellen. Aber was will ich schlußfolgern? Herr Frehsee,
Was sich heute vollzieht, ist die Herbeiführung man braucht kein Prophet zu sein, aber für eines
eines neuen Gleichgewichts, das die deutsche Agrar- stehe ich heute schon gerade: die Existenz unserer
politik von dem Zeitpunkt an, wo es in die euro- kleinen und in Sonderheit unserer mittelbäuerlichen
päische Gemeinschaft ging, von sich aus gar nicht Betriebe wird davon abhängen, ob ,es gelingt, den
mehr erreichen konnte. Das konnte nur im Zusam- Konkurrenzkampf in der Kostenfrage bei der Erzeu-
menhang mit der gemeinsamen Agrarpolitik in gung der ,1000 Stärkeeinheiten zu unseren Gunsten
Brüssel geschehen. Es war sehr interessant — für die Zukunft zu entscheiden. Wenn das nicht ge-
Herr Kollege Schmidt war ja lange genug bei die- lingen wird, Herr Frehsee, wird die Entwicklung
sen 'Diskussionen in Brüssel, er wird sich noch zwangsläufig dahin gehen, daß die Veredlungspro-
daran erinnern —, daß gewisse Kreise, auch Herr duktion flächenunabhängig wird. Damit wird das
Präsident Mansholt, Vorstellungen in Anlehnung Grab für unsere bäuerliche Familienwirtschaft ge-
an das holländische Agrarsystem gehabt haben, das schaufelt.
für Holland, solange es eine Nationalwirtschaft be- Ich erinnere in diesem Zusammenhang an zwei
trieb, durchaus angemessen und richtig war. Ich bin Dinge der allerjüngsten Tage. Der französische
in Brüssel sogar einmal so weit gegangen, zu sagen: Landwirtschaftsminister Pisani hat in der letzten
Wenn ich holländischer Landwirtschaftsminister in Woche der Französischen Nationalversammlung den
der Nachkriegszeit gewesen wäre, hätte ich genau EntwurfeisGzvoglt,ndemPisa
die gleiche Agrarpolitik dort gemacht. Aber in dem vorschlägt, ein Gesetz zu erlassen, mit dem die
Moment, wo wir nach Europa gingen, gab es die Erzeugung von Geflügel, Eiern und Schweinefleisch
Auseinandersetzung mit diesem System. einer Konzessionspflicht unterworfen wird, um diese
Produktionszweige für die landwirtschaftlichen Be-
Heute wird in Brüssel von niemandem mehr be- triebe zu erhalten.
stritten — und zwar auch aus einer 40jährigen Be-
obachtung der Entwicklung der Weltmärkte—, daß (Hört! Hört! hei der CDU/CSU.)
die Preise der Veredlungsprodukte mit einer ge- Das ist ein Menetekel, ein Fanal in der europäischen
wissen zeitlichen Phasenverschiebung der Preisent- Agrarpolitik. Ich möchte hier ganz eindeutig sagen:
wicklung für das Getreide folgen. ich weiß noch nicht definitiv, wie die Entwicklung
Damit komme ich zu einer sehr schwerwiegenden verlaufen wird, aber ich bin heute bereits davon
Konsequenz. Sie haben darauf hingewiesen, daß überzeugt, daß wir auch in der europäischen Agrar-
wir soviel Getreide zukaufen. Das stimmt aber nur politik mit dieser Frage früher oder später — wahr-
auf den ersten Blick. Wir haben im Bereich der scheinlich eher früher als später — konfrontiert
Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft eine Boden- werden und uns überlegen müssen, was wir tun
produktion, die etwa 170 Millionen Tonnen Ge- können, um auch in einem Grad der volkswirt-
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1962 1519
Lücker (München)
schaftlichen Rentabilität und der Opportunität diese wenn ich mir auch nicht jede Zahl, die er nennt,
Veredelungsproduktionszweige für die deutsche zu eigen mache. Aber diese Entwicklung für unsere
und europäische Landwirtschaft zu sichern. Landwirtschaft und speziell für unsere klein- und
mittelbäuerliche Landwirtschaft, für die Masse unse-
Ich will Ihnen ein zweites Fanal nennen. Am
rer Familienbetriebe also, können wir nur sichern,
vergangenen Dienstag haben 6000 bretonische Bau-
wenn es uns gelingt, eine rentable Futtergrundlage
ern die erste gewerbliche Geflügelmast und
auch auf unseren eigenen Böden zu erhalten. Sonst
schlächterei in der Bretagne gestürmt und völlig
wird diese Veredelungsproduktion unabhängig von
-

demoliert. In dieser Geflügelschlächterei wurden


der Landwirtschaft und gewerblich, und dann kom-
täglich 41/2 Tausend Stück Mastgeflügel mit einem
men die Notleinen, die in Frankreich Herr Minister
Einsatz von 15 Arbeitskräften geschlachtet. Seit der
Pisani heute bereits zieht.
Nacht von Dienstag auf Mittwoch liegt diese Geflü-
gelschlächterei in Trümmern und Asche. Ich nenne Wie die Verhandlungen zeigen, macht sich in die-
auch dieses Fanal nur, um zu zeigen, daß wir uns ser Beziehung auch England seine Gedanken über
sehr wohl überlegen müssen, wohin der weitere die Zukunft. Ich verrate hier kein Geheimnis und
Weg gehen wird. Ich empfehle das hier nicht als greife wohl auch nicht dem Ergebnis der Verhand-
Beispiel, ich mache nur auf diese Dinge aufmerksam, lungen vor, wenn ich sage: Das Ergebnis - dieser
die man in der Gesamtverantwortlichkeit für die Verhandlungen wird sein, daß auch in England —
Agrarpolitik sehr wohl beobachten muß. Und man mit Zustimmung der englischen Regierung — in
muß die Konsequenzen daraus ziehen. Zukunft nicht das bisherige englische Agrarschutz
Ich glaube also, daß es wirklich notwendig ist, uns system, sondern das kontinentale System, wie wir
anzustrengen, die Veredelungsproduktionszweige es in der EWG definiert haben, gültig sein wird.
für unsere deutsche und europäische Landwirtschaft Über die Schwierigkeiten, die daraus erwachsen
zu erhalten. Das wird aber wesentlich davon abhän- werden, will ich hier nicht im einzelnen sprechen;
gen, ob es uns gelingt, jene Bodenproduktions- dazu wird sicherlich später noch Gelegenheit sein.
grundlage zu erhalten. Ich habe die Ziffern heute Eines möchte ich klarstellen: Keine noch so schön
nicht zum erstenmal genannt; ich darf daran erin- gedrechselten Formeln können darüber hinwegtäu-
nern, daß ich diese Ziffern von 170 Millionen Ton- schen — jeder, .der mit den Dingen befaßt ist,
nen Getreidewerteinheiten Futtererzeugung in der schiebt die Formeln sehr schnell beiseite und sucht
europäischen Landwirtschaft gemessen an 8 bis 10 den Inhalt, um den es geht —, daß auch in der EWG
Millionen Tonnen Einfuhr schon vor eineinhalb unsere Landwirtschaft Bodenproduktion und Ver-
Jahren — wenn ich mich recht erinnere — hier zum edelungsproduktion im Gleichgewicht und im har-
erstenmal genannt habe, um deutlich zu machen, monisch abgestimmten Verhältnis betreiben muß,
worum es geht. wenn die bäuerliche Familienwirtschaft in Europa
Herr Kollege Frehsee, Sie haben mit Recht auf für die Zukunft gerettet werden soll.
die Prognosen von Herrn Professor Plate hingewie- (Beifall bei den Regierungsparteien.)
sen; Sie haben so häufig das Gutachten der Profes-
soren zitiert. Ich wäre mit Ihnen, Herr Frehsee, sehr
dankbar dafür, wenn uns die 6 oder 8 Professoren
Vizepräsident Dr. Dehler: Es hat -sich noch
Herr Frehsee zu Wort gemeldet. Aber zweckmäßi-
wirklich ein einmütiges Gutachten vorlegen wür-
gerweise lassen wir jetzt erst die Mittagspause ein-
den. Ich kann mich aber noch gut daran erinnern,
daß ich schon damals, als dieses Gremium eingesetzt treten.
wurde, gesagt habe, daß uns natürlich nur an einem Ich unterbreche die Verhandlungen bis 15 Uhr.
Gutachten läge, das auch von allen unterschrieben
(Unterbrechung der Sitzung von 13.16 bis
wird.
15.01 Uhr.)
Der Herr Minister hat heute in sehr vornehmer
Weise darauf hingewiesen, daß das Gutachten in Vizepräsident Schoettle: Die Sitzung ist wie-
diesen Tagen übergeben werden soll. Aber das kann der eröffnet.
doch nur über die Tatsache hinwegtäuschen, daß
sich auch die 8 Professoren lange genug gestritten Wir fahren fort in der Beratung des Antrags
haben — ob sie sich einig geworden sind, wage ich Drucksache IV/465 und des Schriftlichen Berichts
auch heute noch zu bezweifeln trotz der Erklärung Drucksache IV/516. Das Wort hat der Herr Abge-
des Herrn Ministers —, um über diese Auswirkun- ordnete Frehsee.
gen zu einem Ergebnis zu kommen. Das bestätigt
nur — zur Ehre der Professoren sei es gesagt —, Frehsee (SPD) : Herr Präsident! Meine Damen
daß auch die Professoren nur Menschen sind; trotz- und Herren! Ich habe mich nur deswegen noch ein-
dem werden die verantwortlichen politischen Ent- mal zu Wort gemeldet, weil ich sicherstellen
scheidungen nachher doch auf unseren Schultern möchte, daß keinerlei Mißverständnisse bestehen-
liegen bleiben, und niemand wird uns davon be- bleiben, und um zu einigen grundsätzlichen Fragen,
freien. Das muß man sehen, bei allem Respekt, den die vor der Mittagspause aufgeworfen worden sind,
ich vor der Weisheit und der Abgewogenheit des kurz Stellung zu nehmen.
Urteils unserer Professoren habe.
Ich darf anfangen mit einigen Äußerungen des
Ich stimme mit den Prognosen von Herrn Profes- Kollegen Lücker. So kontrovers diese Debatte heute
sor Plate in bezug auf die Entwicklung der zukünf- vor der Mittagspause gelaufen ist — kontrovers in
tigen Verbrauchszuwachsraten weitgehend überein, der Sache; im übrigen ist sie sehr sachlich und un-
1520 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1962
Frehsee
polemisch verlaufen, was ich sehr dankenswert Herr Kollege Dr. Pflaumbaum, glaube ich, hat
finde —, so wurde aus ihr doch deutlich, in welch danngesagt, er habe die Sorge, daß, wenn so ver-
bedeutendem Abschnitt sich die Landwirtschaft be- fahren würde, wie ich hier heute vormittag 'darge-
findet, und zwar nicht nur bei uns in der Bundes- legt habe, die Bodenproduktion ins Hintertreffen
republik Deutschland, sondern in der ganzen EWG gerate. Ich möchte auch dieses Mißverständnis auf-
und auch darüber hinaus. Bei uns — das sollte hier klären. Die Bodenproduktion soll nach unserer
noch einmal in Erinnerung gebracht werden — lei- Meinung nicht ins Hintertreffen geraten,
det die Landwirtschaft unter dem Nachholprozeß,
(Zuruf von der CDU/CSU: Aber sie wird!)
den sie wegen der nach unserer Meinung nicht ge-
rade sehr günstigen Agrarpolitik der vergangenen sie soll ihren Rang behalten.
acht Jahrzehnte zu bewerkstelligen hat. Das ist das
Die Veredelungsproduktion auf der eigenen Wirt-
eine, was ihr das Leben schwer macht.
schaftsfuttergrundlage ist sicherlich das Erstrebens-
Das andere ist zweifellos die jetzt stattfindende werte und Optimale. Ich sage das, weil in den Dis-
Integration in die Industriegesellschaft, dieses Hin- kussionsbeiträgen der Kollegen der Eindruck ent-
einsetzen der Landwirtschaft in das rauhe Klima der standen ist, als wenn ich die Dinge anders- gemeint
modernen Wirtschaft der Industriegesellschaft, die hätte. Ich habe sie aber so gemeint, wie ich das
sich ihrerseits schon wieder im Übergang zur Dienst- jetzt noch einmal deutlich 'unterstrichen habe. Ich
leistungsgesellschaft befindet. Das ist die zweite bin Ihnen, meine Herren Kollegen von der Koali-
Schwierigkeit, mit der es die Landwirtschaft zur tion, dankbar, daß Sie mich durch Ihre Diskussions-
Zeit zu tun hat. beiträge veranlaßt haben, das hier nun so deutlich
zu sagen und zu unterstreichen, und daß Sie mir die
Die dritte ist eben — das kommt leider alles zu- Möglichkeit gegeben haben, Mißverständnisse aus-
sammen — die europäische Integration. zuräumen.
Das erste dieser Probleme haben Länder wie Hol- Das zum Grundsätzlichen.
land und Dänemark nicht. Wir haben alle drei. Ich
weiß allerdings, Herr Kollege Lücker, daß auch die Allgemein dazu, meine Damen und Herren: Wir
nen Sorgen mit der Integration in die Industrie Dä
sind bereit — ich kann das nur wiederholen —, der
Ich weiß, daß sie auch mit der
gusen shaft haben
deutschen Landwirtschaft in diesem 'schwierigen
Subventionierung der Wirtschaft vor einigen Prozeß, in dem sie sich 'befindet, in dieser sozialen
Jahren angefangen haben. Dieses Problem ist allent- und technischen Revolution, in diesem Integrations-
halben das gleiche. prozeß z u helfen; ihr zu helfen, diesen Prozeß mög-
lichst ungeschädigt hinter sich zu bringen. Wir sind
Bei uns hat man — Sie haben recht — seit 1950 der Meinung, daß der deutschen Landwirtschaft ein
versucht, die Dinge im nationalen Rahmen ein wenig wichtiger Platz in unserer Volkswirtschaft gebührt
ins Gleichgewicht zu bringen., Aber wie fragwürdig und 'daß alles getan werden muß, um diesen Platz
diese Bemühungen und ihre Ergebnisse waren, das zu sichern und abzuschirmen gegen irgendwelche
zeigt sich jetzt. Bei der europäischen Integration Gefahren; ohne daß wir — da möchte ich wieder
zeigt sich dieses Ungleichgewicht — ich will mich nicht mißverstanden werden — vielleicht der Mei-
einmal der Terminologie bedienen, mit der hier an- nung wären, daß das gelänge mit einem Fernhalten
gefangen wurde — in seiner ganzen Ausdehnung. von der Integration. Diese Integration muß erfolgen,
Nun haben Sie gesagt, Herr Kollege Lücker — und sie wird eben ihre Begleiterscheinungen haben.
und Sie haben mich darauf hingewiesen, daß Sie Diese Begleiterscheinungen aber möglichst abzumil-
diesen Standpunkt schon seit langem vertreten und dern, muß unser aller Anliegen sein.
daß auch Ihre Freunde ihn vertreten —, daß es nach Zu einigen anderen Beiträgen noch ganz wenige
Ihrer Auffassung nicht um einen Vorrang der Bo- Bemerkungen.
denproduktion vor der Veredelungswirtschaft oder
vor der Produktion von Veredelungserzeugnissen Herr Kollege Pflaumbaum, Sie haben im ersten
geht, sondern daß nach Ihrer Auffassung eine Ver- Teil Ihres Diskussionsbeitrages gesagt, wenn man
bundwirtschaft notwendig ist. Nun, da bin auch ich von einer Verteuerung spreche, müsse man sagen,
Ihrer Meinung. Ich möchte das hier ganz ausdrück- von welcher Verteuerung. Nun, ich habe das offen-
lich sagen, damit keine Mißverständnisse bestehen. gelassen; wir 'haben das bewußt offengelassen. Es
Wogegen ich mich gewandt habe, ist nur ein für ist in unserer Fraktion darüber gesprochen worden,
meine Begriffe ungesunder Vorrang der Bodenpro- ob man die Formel wählensolle: „Verteuerung
duktion. Verbundwirtschaft ist vermutlich das rich- gegenüber den durchschnittlichen Verbraucherprei-
tige. Wir haben sie aber nicht, sondern wir haben sen der letzten zwei Jahre" oder „drei Jahre" oder
aus Gründen der Tradition, der Überlieferung und sonst 'irgendetwas. Wir haben das aber, weil wir
der 'Struktur den Vorrang der Bodenproduktion, den uns da noch nicht ganz schlüssig geworden sind,
ich schuldig spreche für manches, was in der Land- offengelassen. Es ist (auch klar, daß man, wenn eine
wirtschaft nicht glücklich aussieht. solche Sache offen 'ist, auslegen kann; und bei die-
ser Auslegung hätten wir das Thema gern weiter
Also: Gleichberechtigung der Veredelungsproduk- diskutiert. Ich habe zwar den Eindruck, daß wir
tion mit der Bodenproduktion — sie ist bisher nicht nicht in diese Lage versetzt werden — da das Hohe
vorhanden — müssen wir nach unserer Meinung Haus. schon jetzt so schwach besetzt ist —; aber
herstellen; wir müssen beides auf das gleiche wir hätten es sehr begrüßt, das dann noch weiter
Niveau bringen. entwickeln 'zu können.
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1962 1521
Frehsee
Dem Herrn Minister möchte ich sagen, daß auch Weitere Wortmeldungen liegen nicht mehr vor,
er mich offensichtlich mißverstanden haben muß, wir kommen zur Abstimmung über den Änderungs-
wenn er davon spricht, eine solche Konzeption antrag der Fraktion der SPD auf Umdruck 129. Wer
würde dazu führen, daß die Landwirtschaft veröde. stimmt diesem Änderungsantrag zu? Ich bitte um
Ich nehme Ihnen — sehr verehrter Herr Minister, das Handzeichen. — Danke! — Die Gegenprobe! —
wenn Sie vielleicht einen Augenblick zuhören wol- Das letztere ist die Mehrheit; der Antrag ist abge-
len — das gar nicht einmal ab. Sie können es nur lehnt.
gesagt haben, weil Sie vielleicht wie andere der Wir kommen zur Abstimmung über § 1 in der
mißverständlichen Meinung gewesen sind, wir woll- Fassung der Vorlage des Ausschusses. Wer stimmt
ten die Bodenproduktion völlig abschaffen und nur dem § 1 in dieser Fassung zu? Ich bitte um ein
Veredelungsproduktion betreiben. Das ist nicht so, Handzeichen. — Danke! Gegenprobe! — Das erste
sondern es muß, wie es der Kollege Lücker darge- war die Mehrheit; § 1 ist angenommen.
legt hat, beides den gleichen Rang haben. Wenn die
Bodenproduktion den gleichen Rang hat, wird hier Ich rufe § 2 auf. Dazu liegen keine Änderungsan-
nichts veröden. Abgesehen davon ist doch Boden- träge vor. Wer stimmt dem § 2 zu? Ich bitte um ein
produktion nicht nur Getreidebau, sondern auch -
Handzeichen. — Danke! Gegenprobe! — Enthaltun-
Anbau von Futterpflanzen und von Hackfrüchten. gen? — Der § 2 ist angenommen.
Auch insoweit kann also von einer Verödung der
Ich rufe § 3 auf. Dazu liegt ein Änderungsantrag
Landwirtschaft in bezug auf die landwirtschaftliche
der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP vor.
Nutzfläche nicht gesprochen werden.
Wird das Wort zur Begründung gewünscht? —
Zu den Bemerkungen des Kollegen Ertl einige Herr Abgeordneter Dr. Serres hat das Wort.
wenige Sätze. Herr Kollege Ertl, Sie werden wohl
konzedieren müssen, daß in den Kreisen der Ver-
braucher, besonders der Gewerkschaften, in dieser Dr. Serres (CDU/CSU) : Herr Präsident! Meine
Diskussion eine sehr große Aufgeschossenheit zu Damen und Herren! Der Antrag Umdruck 135 sieht
verzeichnen ist. Es war erst dem Deutschen Indu- eine Ergänzung des § 3 des Gesetzes vor, und zwar
strie- und Handelstag vorbehalten, von den alarmie- soll ein neuer Abs. 2 a eingefügt werden. Ähnlich
rend steigenden Preisen zu sprechen und so die wie bei dem Getreidegesetz soll auch hier die Mit-
Preise heraufzureden. Im übrigen ist doch die Dis- wirkung des Bundestages und des Bundesrates ent-
kussion sehr verhalten gewesen, was auch wir dank- sprechend den Bestimmungen des Außenwirtschafts-
bar verzeichnen müssen. Wir müssen es in bezug gesetzes gesichert werden. Sie finden daher in die-
auf alle Beteiligten anerkennen, daß sie sich nicht in ser Ergänzung die Bezugnahme auf § 27 Abs. 2 des
irgendeine Psychose hineingeredet und wegen die- Außenwirtschaftsgesetzes, wonach die ergehenden
ser Dinge eine Massenpsychose erzeugt haben. Rechtsverordnungen unmittelbar nach der Verkün-
dung dem Bundestag und dem Bundesrat zugeleitet
Daß wir zu dem Gesetz zur Durchführung der Ver- werden. Ich darf Sie bitten, diesem Änderungsantrag
ordnungen Nr. 20, 21 und 22 den Antrag gestellt Ihre Zustimmung zu geben.
haben, in § 1 zu bestimmen, daß die Bundesregie-
rung die Abschöpfungssätze verringern muß, wenn
sich eine Verteuerung ergibt, ist zum großen Teil Vizepräsident Schoettle: Weitere Wortmel-
auch dadurch begründet, daß das in uns und zweifel- dungen? — Keine weiteren Wortmeldungen.
los auch in die Bundesregierung gesetzte Vertrauen
nicht enttäuscht werden darf. Diese Gefahr besteht, Wir kommen zur Abstimmung über den Ände-
wenn es nach dem 30. Juli erhebliche Preiserhöhun- rungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der
gen geben sollte und die Bundesregierung nicht von FDP, Umdruck 135. Wer stimmt diesem Antrag zu?
den ihr gegebenen Möglichkeiten Gebrauch macht. — Danke! Ich bitte um die Gegenprobe. — Keine
Wenn uns dann durch dieses Gesetz die Hände Gegenstimmen. Enthaltungen? — Keine Enthaltun-
gebunden wären, würde das unter Umständen zu gen. Der Antrag ist einstimmig angenommen.
Lasten des europäischen Einigungsgedankens gehen. Wir kommen dann zur Abstimmung über den § 3
Es würde zu Unrecht zu Lasten der EWG gehen; in der nunmehr beschlossenen Fassung. Wer stimmt
denn es wäre wirklich nicht Schuld der EWG, daß diesem § 3 zu? Ich bitte um ein Handzeichen. —
es solche Entwicklungen gäbe, sondern Schuld der Danke! Die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Das
deutschen Instanzen, der Bundesregierung und der erste war die Mehrheit; § 3 ist angenommen.
Mehrheit dieses Parlaments.
Zu § 4 liegen keine Änderungsanträge vor. Wir
Diese Überlegung war auch einer der Gründe für
kommen zur Abstimmung. Wer stimmt dem § 4 zu?
diesen Antrag der Fraktion der SPD, dem zuzustim-
— Danke! Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das
men ich Sie nochmals bitte.
erste war die Mehrheit; § 4 ist angenommen.
(Beifall bei der SPD.)
Ich rufe auf § 5; dazu liegen ebenfalls keine Än-
derungsanträge vor. Wer stimmt dem § 5 zu? —
Vizepräsident Schoettle: Das Wort hat der Danke! Die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das
Herr Abgeordnete Dr. Schmidt (Gellersen). erste war die Mehrheit; § 5 ist in der Fassung der
Ausschußvorlage angenommen.
(Abg. Dr. Schmidt [Gellersen]: Herr Präsi
dent, ich verzichte! Ich komme am Freitag Ich rufe auf § 6. Dazu hat Herr Abgeordneter
darauf zurück!) Dr. Reinhard das Wort.
1'522 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1962

Dr. Reinhard (CDU/CSU) : Herr Präsident! nen? Diese Fragen erfordern eine Antwort vor Ver-
Meine Damen und Herren! Art. 13 Abs. 2 der Ver- abschiedung des Gesetzes.
ordnung 21 läßt die Gewährung von Ausgleichsbe-
Um allerdings heute die Beratungen nicht zu er-
trägen für Eier in der Übergangszeit zu. Herr Bun-
schweren und zu verzögern, aber nur aus diesem
desminister Schwarz hat angesichts der Entwicklung
Grunde, ziehen wir § 6 Abs. 2 a zurück. Wir behal-
der Eierpreise diese Ermächtigung erwirkt. Der Er-
ten uns allerdings vor, zur dritten Lesung neue
nährungsausschuß wollte mit der Einfügung eines
diesbezügliche Anträge zu stellen.
Abs. 2 a in den § 6 in Anbetracht dieser Ermächti-
gung eine automatische Gewährung von Eieraus- (Abg. Dr. Schmidt [Gellersen] : Sie können
gleichsbeträgen bei nur teilweiser Erhebung der Ab- ihn doch gar nicht zurückziehen; das ist ein
schöpfungsbeträge erwirken. Die Ausgleichsbeträge Beschluß des Ausschusses!)
sollen im Verhältnis zur Senkung der Abschöpfungs- — Sie haben recht, Herr Schmidt. Ich stelle den An
beträge gewährt werden.
trag, die Vorlage der Koalition wiederherzustellen.
Nun werden Sie sagen, Herr Frehsee: Da haben
Sie gerade den Antrag abgelehnt, mit dem wir das- Vizepräsident Schoettle: Meine Damen - und
selbe erreichen wollten. In der Tendenz ist das auch Herren, hier ist eine sehr ernste geschäftsordnungs-
richtig. Aber Ihr Antrag auf Umdruck 129 war so mäßige Frage aufgetaucht. Ich darf darauf aufmerk-
allgemein gefaßt — mein Kollege Pflaumbaum hat sam machen, daß die Anwendung von § 96 der Ge-
das ja auch schon begründet —, daß gefragt werden schäftsordnung, der seinerzeit beschlossen worden
muß: Was ist hier eine Preissteigerung? Sie haben ist, um finanzpolitische Fehlentscheidungen soweit
soeben gesagt, Sie hätten das offengelassen. Was wie möglich zu verhindern, dazu führen würde, daß,
heißt hier offengelassen? 1952 kostete die B-Qualität da der Haushaltsausschuß keinen Deckungsvorschlag
bei Eiern 18 Pf, im Durchschnitt 1958A60 16 Pf und für Abs. 2 a zu machen in der Lage war, dieses
1961 14 Pf. Bei welchen Preissteigerungen soll eine Haus selbst über einen Deckungsvorschlag beraten
Herabsetzung der Abschöpfungsbeträge obligato- müßte. Wann ein solcher Deckungsvorschlag vom
risch werden? Aber ebenso haben Sie es offengelas- Hause nicht angenommen würde, wäre die ganze
sen, wenn „unzumutbare Einkommensminderungen Vorlage praktisch erledigt. Das sind Konsquenzen,
für die bäuerlichen Betriebe" eintreten. Auch dar- von denen ich annehme, daß sie niemand will. Ich
über würde man sehr lange diskutieren müssen. sage das mit voller Absicht in dieser Klarheit, damit
Sie haben ja aber der Einfügung des Absatzes 2 a jeder weiß, was dabei auf dem Spiele steht.
zugestimmt, deshalb sind wir gar nicht uneinig. Wir
wollten mit der Einfügung eine exakte Regelung Herr Reinhard hat beantragt, die ursprüngliche
treffen. Vorlage der Koalition wiederherzustellen. Es ist
wohl das beste, wenn ich über diesen Antrag ab-
Leider sind die Bedenken des Haushaltsausschus- stimmen lasse. Wer stimmt dem Antrag zu, die alte
ses, daß der in § 6 eingefügte Abs. 2 a in Wider- Vorlage wiederherzustellen? — Herr Bauknecht,
spruch zu § 30 des Haushaltsgesetzes von 1962 steht, wünschen Sie das Wort?
nicht zu entkräften. Leider haben uns — ich muß
auch das sagen — das Justiz- und das Finanzmini- (Abg. Bauknecht: Ich möchte etwas zur Ab
sterium nicht auf diesen Widerspruch hingewiesen. stimmung sagen!)
Beängstigend kommt der Hinweis, daß damit außer- — Zur Abstimmung Herr Abgeordneter Bauknecht!
dem — so sagt der Haushaltsausschuß — „nicht zu
übersehende finanzielle Auswirkungen verbunden" Bauknecht (CDU/CSU) : Herr Präsident! Wir
seien, für die der Haushaltsausschuß keine Dek- wollen selbstverständlich nicht gegen die Geschäfts-
kungsvorschläge machen könne. Herr Kollege Mül- ordnung verstoßen. Deswegen stellen wir den An-
ler (Ravensburg) spricht von 400 Millionen DM, die trag auf Streichung. Wir hätten aber sehr gern die
im äußersten Falle mehr aufgewendet werden müs- Stellungnahme der Regierung gehört, nachdem wir
sen. Das ist maßlos übertrieben. Es sind in einem über folgendes völlig im unklaren sind: Wenn die
Jahr nie mehr als 120 Millionen DM an Eieraus- Regierung beabsichtigt, von den Möglichkeiten der
gleichsbeträgen ausgezahlt worden. Abschöpfung etwa nicht voll Gebrauch zu machen,
Nun gibt aber § 1 der Bundesregierung, allerdings wird ein empfindlicher Schaden für den landwirt-
mit Zustimmung des Bundestages, die Möglichkeit, schaftlichen Erzeuger entstehen. Das ist doch nicht
den Abschöpfungsbetrag herabzusetzen. Deshalb der Sinn dieser .Sache. Wir wären dankbar, wenn
muß ich die Frage stellen, wie im Falle eines Ver- der Herr Ernährungsminister vorher ein Wort dazu
zichts auf einen Teil der Abschöpfung ein Ausgleich sagen würde.
erfolgen soll. Die Landwirtschaft soll doch durch die (Zurufe von der SPD: Wir sind in der
EWG nicht zu Schaden kommen. Hier steht unser Abstimmung!)
verehrter Herr Bundesminister im Wort.
Aus der Diskussion ergibt sich eine zweite Frage. Vizepräsident Schoettle: Ich kann natürlich
Für die Ausgleichszahlungen stehen nach dem keine Regierungserklärung erzwingen. — Herr Bun-
1. Juli keine Etatmittel mehr zur Verfügung. Die desminister für Ernährung, Landwirtschaft und For-
Erhebung der Abschöpfungsbeträge wird aber erst sten.
vom 1. August an möglich sein. Dadurch entsteht
ein Vakuum. Wie glaubt die Bundesregierung bis Schwarz, Bundesminister für Ernährung, Land-
dahin die Ausgleichszahlungen finanzieren zu kön- wirtschaft und Forsten: Herr Präsident! Meine
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1962 1523
Bundesminister Schwarz
Damen und Herren! Ich bin sehr glücklich, daß der Dr. Serres (CDU/CSU) : Herr Präsident! Meine
Antrag gestellt wurde, die alte Vorlage wiederher- Damen und Herren! Ich bitte um die Genehmigung,
zustellen, weil es unverantwortlich wäre, in diesem Herr Präsident, die Anträge unter den Ziffern 2 bis 9
Augenblick irgend etwas zu unternehmen, was ein des Umdrucks 132 zu begründen, da es sich um
Scheitern des Durchbringens dieser Vorlage bedeu- dieselbe Materie handelt.
ten würde. Wenn aber nun von mir verlangt wird, Die Strafvorschriften dieses Gesetzes sind ent-
ich solle eine bindende Erklärung für alle Zukunft sprechend den Strafvorschriften des Getreidegeset-
abgeben, daß die Regierung die Abschöpfungsbe- zes formuliert. Gegen die ursprüngliche Fassung
träge nicht heruntersetzt, so bin ich dazu. nicht in
der Strafvorschriften im Koalitionsantrag sind Be-
der Lage. Ich kann nur das eine feststellen, daß die
denken geäußert worden. Inzwischen haben die be-
Regierung nicht die Absicht hat, diese Abschöpfun-
teiligten Ressorts eine neue Formulierung ausgear-
gen zu mindern.
beitet, die zum Gegenstand des Änderungsantrags
Im übrigen darf ich darauf hinweisen, Herr Kol- Umdruck 132 des Herrn Kollegen Bauknecht ge-
lege Bauknecht, daß Beschlüsse dieser Art seitens macht worden ist. Dabei ist Wert darauf gelegt
der Regierung noch einmal das Parlament passieren worden, daß weitgehend auf die Strafvorschriften
-
müssen, Sie also Ihrerseits dann auch die Möglich- des Außenwirtschaftsgesetzes Bezug genommen
keit haben, einzugreifen. wird.
Ich darf Sie bitten, den Änderungsanträgen Zif-
Vizepräsident Schoettle: Meine Damen und fern 2 bis einschließlich 9 des Umdrucks 132 zuzu-
Herren, wir kommen zur Abstimmung. Ich glaube, stimmen.
es ist wohl das beste, wenn wir über die Streichung
des § 6 Abs. 2 a abstimmen. Das schafft die klarste
Situation.
Vizepräsident Schoettle: Wird weiter das
Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
(Zustimmung.)
Darf ich den Herrn Antragsteller, Herrn Dr. Rein- Ich habe so verstanden, Herr Abgeordneter, daß
hard, fragen, ob er seinen Antrag so verstanden Sie nicht nur den § 8, sondern auch die §§ 9, 10, 11,
wissen will? 11 a, 11 b, 11 c und 11 d gemeint haben. Praktisch
(Abg. Dr. Reinhard: Ja!) würden alle diese Paragraphen an die Stelle der
jetzt vom Ausschuß vorgeschlagenen Fassung treten.
Dann stimmen wir also über die Streichung des
Abs. 2 a ab. Wer der Streichung zustimmt, den bitte (Abg. Dr. Serres: Ja!)
ich um ein Handzeichen. — Danke. Ich bitte um die Wir komen zur Abstimmung. Wer den aufgeru-
Gegenprobe. — Enthaltungen? — Zwei Enthaltun- fenen §§ 8 bis 11 d in der Fassung des Änderungs-
gen. Das erste war offenkundig die Mehrheit; damit antrags Umdruck 132 zustimmen will, den bitte ich
ist also die ursprüngliche Vorlage wiederhergestellt. um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltun-
Wir haben nun noch abzustimmen über den An- gen? — Gegen zahlreiche Enthaltungen angenom-
trag auf Umdruck ,132 Ziffer 1, bei dem es sich offen- men.
sichtlich um eine Korrektur und nicht um eine mate- Wir kommen zu § 13.
rielle Änderung handelt. Wer diesem Antrag Um-
(Abg. Bauknecht: Es ist beantragt, das Da
druck 132 Ziffer 1 zustimmt, den bitte ich um das
turn zu ändern!)
Handzeichen. — Danke. Die Gegenprobe! — Ent-
haltungen? — Dieser Antrag ist bei einigen Enthal- — Danach soll das Gesetz am 30. Juli 1962 in Kraft
tungen angenommen. treten.
Jetzt stimmen wir ab über § 6 in der durch die Wortmeldungen liegen nicht vor. Wer dem § 13
bisherigen Abstimmungen festgestellten Fassung. in der vorgeschlagenen Fassung zuzustimmen
Wer stimmt diesem § 6 zu? — Danke. Die Gegen- wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ge-
probe! — Enthaltungen? — Das erste war die Mehr- genprobe! — Enthaltungen? — Das erste war die
heit; § 6 ist angenommen. Mehrheit; § 13 ist angenomen.

Wir kommen zu § 6 a. Dazu liegen keine Anträge Wer der Einleitung und der Überschrift des Ge-
vor. Wir kommen zur Abstimmung. Wer stimmt setzes zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das
dem § 6 a zu? — Danke. Gegenprobe! — Enthaltun- Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? —
gen? — Einstimmig angenommen. Angenommen.
Die dritte Beratung soll am Freitag stattfinden.
Ich rufe auf § 7. Dazu liegen ebenfalls keine
Änderungsanträge vor. Wir kommen zur Abstim-
Ich rufe auf Punkt 9 der Tagesordnung:
mung. Wer stimmt dem § 7 in der vom Ausschuß
vorgeschlagenen Fassung zu? Ich bitte um ein Hand- Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
zeichen. — Danke. Die Gegenprobe! — Enthaltun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines
gen? — Das erste war die Mehrheit; § 7 ist ange- Gesetzes über den Verkehr mit Düngemitteln
nommen. (Düngemittelgesetz) (Drucksache IV/287) ;
Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Er-
Ich rufe auf § 8. Hierzu liegt ein Änderungsantrag
nährung, Landwirtschaft und Forsten (19. Aus-
auf Umdruck 132 Ziff. 2 vor. Wird der Antrag be-
gründet? — Herr Abgeordneter Dr. Serres hat das schuß) (Drucksache IV/496).
Wort. (Erste Beratung 26. Sitzung.)
1524 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1962

Vizepräsident Schoettle
Berichterstatter ist der Abgeordnete Seither. — Ich rufe den Punkt 11 der Tagesordnung auf:
Der Herr 'Berichterstatter verweist auf den Schrift-
Zweite und ,dritte Beratung des von der Bun-
lichen Bericht.
desregierung eingebrachten Entwurfs eines
Wir kommen zur zweiten Beratung. Ich eröffne Gesetzes zu dem Abkommen vom 22. De-
die Aussprache. Wird . das Wort gewünscht? — Das zember 1960 zwischen der Bundesrepublik
Wort wird nicht gewünscht. Deutschland und dem Malaiischen Bund über
Ichrufe auf §§ 1,-2,-3,-4,-5,-6,-7, die Förderung und den gegenseitigen Schutz
— 8, — 9, — 10, — Einleitung und Überschrift. — von Kapitalanlagen (Drucksache IV/279);
Wer den aufgerufenen Paragraphen sowie der Ein- Schriftlicher 'Bericht des Ausschusses für aus-
leitung und der Überschrift zustimmen will, den wärtige Angelegenheiten (3. Ausschuß)
bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — '(Drucksache IV/513).
Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.
(Erste Beratung 28. Sitzung).
Wir kommen zur Berichterstatter ist Herr Abgeordneter Blumenfeld.
-
dritten Beratung. Wünscht der Herr Berichterstatter das Wort? —
Das scheint nicht der Fall zu sein. Wird sonst das
Ich eröffne die Aussprache. Wird das Wort ge- Wort gewünscht? — Auch .das ist nicht der Fall .

wünscht? — Das ist nicht der Fall.


Wir kommen zur Abstimmung. Ich rufe auf:
Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Art. 1, 2, 3, Einleitung und Überschrift des Gesetzes.
Gesetz in dritter Beratung zustimmen will, den Wer stimmt den aufgerufenen Artikeln sowie der
bitte ich, sich zu erheben. — Danke. Die Gegen- Einleitung und Überschrift zu? Ich 'bitte um ein
probe! — Das Gesetz ist einstimmig angenommen Handzeichen! — Danke. Gegenprobe! — Enthaltun
und damit verabschiedet. gen? — Das Gesetz ist einstimmig angenommen.
Ich rufe auf den Punkt 10 der Tagesordnung: Wir treten in die
Zweite und dritte Beratung des von der Bun- dritte Beratung
desregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zu dem Europäischen Übereinkom- ein. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort wird nicht
men vom 15. Dezember 1958 über den Aus- gewünscht. Die Aussprache ist geschlossen.
tausch therapeutischer Substanzen mensch- Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Gesetz
lichen Ursprungs (Drucksache IV/175); in dritter Beratung zustimmen will, den bitte ich,
Schriftlicher Bericht des Ausschusses für aus- sich zu erheben. — 'Danke. Ich bitte um die Gegen-
wärtige Angelegenheiten (3. Ausschuß) probe! — Soweit ich sehe: keine Gegenstimmen!
(Drucksache IV/481). Das Gesetz ist einstimmig angenommen.

(Erste Beratung 14. Sitzung). Ich rufe den Punkt 12 der Tagesordnung auf:
Berichterstatter ist Herr Abgeordneter Dr. Martin. Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
Wünscht der Herr Berichterstatter das Wort? — Der desregierung eingebrachten Entwurfs eines
Berichterstatter verzichtet offenbar auf die münd- Gesetzes zu 'dem Protokoll vom 21. Juni 1961
liche Berichterstattung. zur Änderung des Abkommens vom 7. De-
Wir treten in die Beratung ein. Ich rufe auf: zember 1944 über die Internationale Zivil-
luftfahrt (2. Änderung des Abkommens über
Art. 1, 2, 3 und 4, Einleitung und Überschrift. — Das
die Internationale Zivilluftfahrt) (Drucksache
Wort wird nicht gewünscht. Ich schließe die Aus-
sprache. IV/396) ;
Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Ver-
Wir kommen zur Abstimmung. Wer stimmt dem
kehr, Post- und Fernmeldewesen (23. Aus-
Entwurf eines Gesetzes zu dem Europäischen Über-
schuß) '(Drucksache IV/488).
einkommen vom 15. September 1958 zu? Ich bitte
um ein Handzeichen! — Danke. Die Gegenprobe! , (Erste Beratung 33. Sitzung):
— Enthaltungen? — Keine Gegenstimmen. — Keine
Berichterstatter ist Herr Abgeordneter Wendelborn.
Enthaltungen; das Gesetz ist in zweiter Beratung
Ich vermute, daß der Herr Berichterstatter darauf
angenommen.
verzichtet, das Wort zu nehmen. — Das scheint so
Wir treten in die zu sein.
dritte Beratung , Wir treten in die Beratung ein. Ich rufe auf Art, 1,
Art. 2, die Einleitung und die Überschrift des Geset-
ein. Ich eröffne die Aussprache. Wird das Wort zes. — Das Wort wird nicht gewünscht.
gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Ich schließe
die Aussprache. Wir stimmen ab. Wer stimmt dem Gesetz zu?
— Danke. Gegenprobe! — Angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Gesetz
in dritter Beratung zustimmen will, den bitte ich, Ich rufe auf zur
sich zu erheben. — Danke. Ich bitte uni die Gegen-
probe! — Enthaltungen? — Ich stelle fest, daß das dritten Beratung.
Gesetz einstimmig angenommen worden ist. — Das Wort wird nicht gewünscht.
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1962 1525
Vizepräsident Schoettle
Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem. Wir stimmen ab. Wer den aufgerufenen Arti-
aufgerufenen Gesetz in dritter Beratung zustimmen keln, der Einleitung und der Überschrift zustimmt,
will, den bitte ich, sich zu erheben. — Ich bitte um den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe!
die Gegenprobe. — Keine Gegenstimmen. Das Ge- — Keine Gegenstimmen. Einstimmig angenommen.
setz ist einstimmig angenommen.
Wir kommen zur
Ich rufe auf Punkt 13 der Tagesordnung: dritten Beratung.
Zweite und dritte Beratung des von der Bun- Wer dem Gesetz in der Schlußabstimmung zustim-
desregierung eingebrachten Entwurfs eines men will, den bitte ich, sich zu erheben. — Danke.
Gesetzes zu dem Abkommen vom 31. Mai Gegenprobe! — Keine Gegenstimmen. Das Gesetz
1961 zwischen der Bundesrepublik Deutsch- ist einstimmig angenommen.
land und dem Königreich Griechenland
über Arbeitslosenversicherung (Drucksache Ich rufe auf den Punkt 18 der Tagesordnung:
IV/283) ;
Erste Beratung des von der Bundesregierung
Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Ar- eingebrachten Entwurfs eines Vereinsgeset-
beit (21. Ausschuß) (Drucksache IV/480). zes (Drucksache IV/430).
(Erste Beratung 26. Sitzung) Soll das Gesetz begründet werden? — Das Wort
Berichterstatter ist Herr Abgeordneter Blöcker. hat der Herr Bundesminister des Innern.
Wünscht der Herr Berichterstatter das Wort? —
Höcherl, Bundesminister des Innern: Herr Präsi-
(Abg. Blöcker: Ich verzichte!)
dent! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der
— Er verzichtet. Entwurf eines Vereinsgesetzes regelt einen Bereich
Wir treten in die Beratung ein. Ich rufe auf die des öffentlichen Lebens, der von großer politischer
Art. 1, 2 und 3, die Einleitung und die Überschrift Bedeutung ist. Seine Verabschiedung ist vor allem
des Gesetzes. Wird das Wort gewünscht? — Das deswegen notwendig und meines Erachtens vor-
ist nicht der Fall. Die Aussprache ist geschlossen. dringlich, weil das Reichsvereinsgesetz von 1908 ab-
gelöst werden muß und an die Stelle der jetzt noch
Wir kommen zur Abstimmung. Wer den aufge- geltenden bruchstückhaften, unübersichtlichen und
rufenen Artikeln, der Einleitung und der Über- veralteten Bestimmungen eine zeitgemäße Neurege-
schrift des Gesetzes zustimmen will, den bitte ich lung gesetzt werden muß.
um ein Handzeichen. — Danke. Gegenprobe! —
Das neue Vereinsgesetz wird einen nicht uner-
Angenommen.
heblichen Beitrag zur Festigung der freiheitlichen
Wir treten ein in die und rechtsstaatlichen Ordnung leisten. Einerseits
präzisiert es den Bereich der gegen behördliche Ein-
dritte Beratung. griffe gesicherten Vereinigungsfreiheit. Anderer-
— Das Wort wird nicht gewünscht. seits soll es die Grundlage bilden für das Einschrei-
ten von Behörden gegen Vereinigungen aller Art,
Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Gesetz deren Bestrebungen sich gegen die verfassungsmä-
in dritter Beratung zustimmen will, den bitte ich, ßige Ordnung, den Gedanken der Völkerverständi-
sich zu erheben. — Danke. Gegenprobe! — Ich gung oder die Strafgesetze richten.
nehme an, daß die stehenden Herren Abgeordneten
nicht abstimmen wollen. Ich stelle fest, daß das Das Grundgesetz garantiert in Art. 9 Abs. 1 die
Gesetz einstimmig angenommen ist. Vereinsfreiheit so umfassend, daß es insoweit kaum
näherer gesetzlicher Festlegung bedarf. Eine wesent-
Ich rufe auf Punkt 14 der Tagesordnung: liche Aufgabe des Vereinsgesetzes muß es sein, Aus-
führungsvorschriften zu den Verbotstatbeständen
Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
des zweiten Absatzes des Art. 9 zu schaffen, die die
desregierung eingebrachten Entwurfs eines
Durchführung erforderlicher Vereinsverbote im In-
Gesetzes zum Ü bereinkommen Nr. 112 der
teresse unserer demokratischen Lebensordnung
Internationalen Arbeitsorganisation vom
wirksam gewährleisten und zugleich das Verfahren
19. Juni 1959 über das Mindestalter für die
so eingehend und gewissenhaft regeln, daß den Er-
Zulassung zur Arbeit in der Fischerei (Druck-
fordernissen des Rechtsstaates und der Rechtssicher-
sache IV/232);
heit Genüge geschieht.
Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Ar-
Die Grundzüge des Entwurfs lassen sich kurz wie
beit (21. Ausschuß) (Drucksache IV/508).
folgt zusammenfassen. Sie wissen, daß dem Ent-
(Erste Beratung 21. Sitzung) wurf eine sehr umfangreiche Begründung beigege-
Berichterstatter ist Herr Abgeordneter Hussong. ben ist, aber ich darf zur Vereinfachung Ihrer ersten
Beratung eine kurze Zusammenfassung geben.
(Abg. Hussong: Ich verzichte!)
In die Vereinigungsfreiheit soll erst eingegriffen
— Der Berichterstatter verzichtet. werden können, nachdem die im Vereinsgesetz be-
Ich eröffne die Aussprache. Ich rufe auf Art. 1, — stimmten Behörden durch Verwaltungsakt festge-
Art. 2, — Art. 3, — die Einleitung und die Über- stellt haben, daß die Voraussetzungen des Art. 9
schrift des Gesetzes. — Das Wort wird nicht ge- Abs. 2 des Grundgesetzes gegeben sind, mit anderen
wünscht. Worten: daß die Vereinigung sich verfassungswid-
1526 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1962

Bundesinnenminister Höcherl
rig, strafgesetzwidrig oder völkerverhetzend betä- lichen Gesetzbuches — keinen bestimmten Sitz
tigt. Der Entwurf legt damit die auch schon jetzt in oder sogar mehrere Sitze haben oder die Geschäfte
Schrifttum und Rechtsprechung herrschende Auffas- formell in einem Lande führen, in dem die Vereini-
sung zugrunde, daß aus Gründen der Rechtssicher- gung nicht oder kaum hervortritt. Hier 'hätte der
heit nicht jede Exekutivbehörde in eigener Zustän- Vorschlag des Bundesrates entweder überhaupt
digkeit die Prüfung nach Art. 9 Abs. 2 des Grund- keine Verbotszustiändigkeit oder konkurrierende
gesetzes anstellen kann. Länderzuständigkeiten zur Folge, ein zweifellos un-
Bei der Faststellung eines Verbots nach Art. 9 tragbares Ergebnis. Eine andere erprobte Taktik
Abs. 2 des Grundgesetzes ist mit der Auflösung des verfassungswidriger Vereinigungen ist die wieder-
Vereins grundsätzlich auch die Beschlagnahme und holte Verlegung des Sitzes, die dann bei der Ver-
Einziehung des Vereinsvermögens zu verbinden. Da- wirklichung des Vorschlags 'des (Bundesrates jeweils
mit wird verhindert, daß die materiellen Mittel des einen Wechsel der Ermittlungs- und Verbotszustän-
verbotenen Vereins in anderer Weise erneut verfas- digkeit nach sich ziehen müßte.
sungswidrigen oder strafgesetzwidrigen Bestrebun- Der Bundesrat glaubt eine ausreichende Abhilfe
gen dienstbar gemacht werden. Eine solche Einzie- dieser Schwierigkeiten dadurch zu finden, daß die
hung hat bereits die Republikschutzgesetzgebung Bundesregierung die Befugnis erhalten soll, 'die zu-
der Weimarer Zeit gekannt. Neu ist, daß das Ver- ständigen Landesbehörden zum Verbot verfassungs-
fahren und die Rechtsfolgen der Einziehung im ein- widriger oder välkerverhetzender Vereinigungen
zelnen genau geregelt werden. anzuweisen. Würde aber die Bundesregierung,
Der Entwurf umfaßt weiter ein gesetzliches Ver- wenn sie nicht Ermittlungsbehörde ist, sich die aus-
bot, Ersatzorganisationen verbotener Vereinigungen reichende Tatsachenkenntnis verschaffen können,
zu bilden, und behält die Feststellung, ob eine Er- 'die die Voraussetzung für die Ausübung einer sol-
satzorganisation gegeben ist, besonderer Verfügung chen Weisungsbefugnis wäre? Im übrigen würde
der gesetzlich bestimmten Behörden vor. Eine Neu- eine etwa so 'auf Weisung handelnde Landesregie-
erung ist ferner die gesetzliche Regelung der Rechts- rung unter Umständen ein Verbot auszusprechen
stellung von Ausländervereinen und ausländischen und zu vertreten haben, für das sie politisch die
Vereinen. Schließlich enthält der Entwurf eine Privi- Verantwortung ablehnt.
legierung von Arbeitnehmer- und Arbeitgeberorga- Ich .glaube 'daher, diese Erwägungen zwingen zu
nisationen mit Rücksicht auf das Übereinkommen der Erkenntnis, daß das Verbot einer überregiona-
Nr. 87 der Internationalen Arbeitsorganisation, Son- len Vereinigung und die ihm vorausgehenden Er-
dervorschriften für Kapitalgesellschaften und Straf- mittlungen nur in die Zuständigkeit des Bundes ge-
normen, die die Einhaltung der Vereinsverbote legt werden 'können, wenn eine reibungslose und
sicherstellen sollen. vollständige Verwirklichung des Gesetzeszweckes
erreicht werden soll. Ist das 'aber der Fall, dann ist
Auf einen Punkt 'des Entwurfs möchte ich noch
nach den auch vom 'Bundesverfassungsgericht bestä-
kurz zu sprechen kommen. Ich sehe in ihm ein Kern-
stück der Konzeption und eine wesentliche Bedin- tigten Grundsätzen unseres Grundgesetzes eine
Verwaltungszuständigkeit des Bundes nicht nur zu-
gung dafür, daß das Vereinsgesetz die ihm gestell-
ten Aufgaben 'wirksam erfüllen kann. Leider ist ge- lässig, sondern schlechthin geboten.
rade 'dieser Punkt, wie Sie den Anlagen 2 und 3 D er Entwurf — das möchte ich abschließend be-
der Bundestagsdrucksache IV/430 entnehmen kön- merken — ist das Ergebnis eines Bemühens, die Er-
nen, zwischen der Bundesregierung und dem Bun- fordernisse der Rechtssicherheit und Rechtsstaatlich-
desrat kontrovers und offengeblieben. Es handelt keit mit denen der Sicherheit unseres Staates und
sich um (die Zuständigkeit des Bundesministers deis unserer Demokratie in Einklang und zur Deckung
Innern als Ermittlungs- und Verbotsbehörde bei zu bringen. Ich bin daher sicher, daß dieses Hohe
Vereinigungen, deren Organisation oder Tätigkeit Haus bei seinen Beratungen beiden Aspekten ge-
sich über das Gebiet eines Landes hinaus erstreckt. bührend Rechnung tragen wird.
Es (liegt auf der Hand, daß gegen verfassungs- (Beifall in der Mitte.)
widrige Vereinigungen, die im ganzen Bundesge-
biet oder doch über den Bereich eines Landes hin-
aus tätig sind, nur mit einem bundeseinheitlich wir- Vizepräsident Schoettle: Wir treten in die
kenden Verbot :wirksam vorgegangen werden kann. Aussprache ein. Das Wort hat der Abgeordnete
Auch der Bundesrat will 'den derzeitigen Rechtszu- Hansing.
stand, wonach jedes Land für sein Gebiet ein be-
sonderes Verbot erlassen muß, nicht aufrechterhal-
ten. Er .glaubt aber, aus der grundgesetzlichen Auf- Hansing (SPD): Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Nachdem der Herr Innenminister den
teilung der Verwaltungsaufgaben zwischen Bund
Entwurf erläutert hat, wird eine große bekannte
und Ländern folgern zu müssen, daß die Zuständig-
deutsche Zeitung, die vor einiger Zeit schrieb, daß
keit für überregional wirkende Vereinsverbote
dieses Vereinsgesetz als Ablösung des Vereins-
einem Land vorbehalten bleiben müsse, und zwar
rechts zu betrachten sei, ihren Standpunkt revi'di'e-
dem, in dessen Gebiet der Verein seinen Sitz hat.
ren müssen. Diese große Zeitung wird nach dem
Nun erweist aber die Praxis — und wir haben Bericht des Herrn Innenministers einsehen, daß die-
viele Beispiele 'dafür —, daß 'die Vereinigungen, die ses Vereinsgesetz doch etwas mehr ist als die Ab-
hier in Betracht kommen — und das sind ja vielflach lösung des Vereinsrechts. Der Sinn des Vereinsge-
nichteingetragene Vereine im Sinne 'des Bürger- setzes kann nur im Zusammenhang mit dem Art. 9
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1962 1527
Hansing
des Grundgesetzes gesehen wenden, obwohl die solchen Fällen die Schwierigkeiten der Abgrenzung'
Bundesrgi chtklanudiezrB- sind.
deutung des Grundgesetzes unid besonders des Eine andere wichtige Bestimmung ist der § 3 mit
Art. 9 herausstellt. Im Art. 9 Abs. 1 des Grund- der Regelung der Verbotszuständigkeit. Es heißt in
gesetzes wird die Vereinsfreiheit konstituiert; im
§ 3 Abs. 2:
Abs. 2 das Verbot von Vereinigungen. Die Grund-
lage , aber des Vereinsverbots ist nicht 'das Vereins- Verbotsbehörde ist
gesetz, sondern Art. 9 Abs. 2 des Grundgesetzes. 1. die oberste Landesbehörde für Vereine und
Das Vereinsgesetz kann nur 'die Zuständigkeit und Teilvereine, deren Organisation und Tätig-
das Verfahren regeln. Die materielle Frage, wann keit sich auf das Gebiet eines Landes be-
ein Verein verboten ist, ist in Art. 9 Abs. 2 des schränken;
Grundgesetzes abschließend geregelt. Es sollten also
keinerlei Ausnahmen im Vereinsgesetz vorgesehen 2. der Bundesminister des Innern für Vereine
werden. und Teilvereine, deren Organisation oder
Tätigkeit sich über das Gebiet eines Landes
Daß die Neuregelung des Vereinsrechts notwen- hinaus erstreckt.
dig ist, unterliegt keinem Zweifel. Ob aber dieser
Gesetzentwurf den Erfordernissen des modernen Gewiß Weden hier Gesetze für alle Staatsbürger und
Staatsrechts und Staatsschutzes entspricht, wie es für alle Regierungen, also nicht nur die jetzt amtie-
im Bulletin zu lesen ist, möchte ich sehr bezweifeln. rende, gemacht. Aber man kann es uns als Opposi-
Wir jedenfalls sind der Meinung, daß der Entwurf tion nicht verübeln, daß wir auf Grund der Vergan-
in der vorliegenden Fassung den Forderungen, die genheit und bedenklicher Äußerungen bestimmter
an einen modernen Staatsschutz zu stellen sind, Politiker in der jüngsten Zeit diesem Gesetzentwurf
nicht genügt. sehr kritisch und mißtrauisch gegenüberstehen und
gefühlsmäßig, aber auch von der Sache her dazu
Die umstrittensten Paragraphen sind die §§ 1, 3 neigen, die Verbotszuständigkeit mehr den Ländern
und 16, denn sie sind von politischer Bedeutung. Bei zu geben. Aber darüber, glaube ich, sollten wir uns
der Beratung in den zuständigen Ausschüssen wird noch im Ausschuß gründlich unterhalten. Ich nehme
es sich zeigen, ob es der Bundesregierung tatsäch- an, daß uns der Innenminister gute Argumente ge-
lich darauf ankommt, ein Gesetz zu schaffen, wel- ben wird, und daß er uns vielleicht überzeugt, daß
ches der modernen Auffassung vom Staatsschutz wir doch einer zentralen Regelung zustimmen kön-
entspricht, oder darauf, Wünsche durchzusetzen, die nen.
sie in der Vergangenheit nicht hat durchsetzen
Nun aber zu dem § 16. Bei diesem Paragraphen
können.
muß die Regierung Farbe bekennen. Ich sagte schon,
In § 1 Abs. 2 heißt es: dieses Vereinsgesetz sollte nicht etwa dazu dienen,
Dinge durch die Hintertür hereinzubringen, die man
Dieses Gesetz ist nicht anzuwenden in der Vergangenheit nicht erledigen konnte, Herr
1. auf politische Parteien ... Minister. Wenn tatsächlich ein neues Vereinsgesetz
geschaffen werden soll, dann müssen Sie das auch
2. auf Religionsgesellschaften und Vereini-
im § 16 klar herausstellen. Hier muß die Regierung
gungen, die sich die gemeinschaftliche
Antwort geben. Im Jahre 1956 beschloß der Bundes-
Pflege einer Weltanschauung zur Aufgabe
tag auf Empfehlung der Bundesregierung, daß die
machen ...
Bundesrepublik Deutschland dem Übereinkommen
Daß die großen Religionsgesellschaften nicht unter Nr. 87 der Internationalen Arbeitsorganisation über
dieses Gesetz fallen, ist selbstverständlich, da sie die Vereinigungsfreiheit und den Schutz des Ver-
Körperschaften öffentlichen Rechtes sind. Es bleiben einigungsrechts beitritt. In Art. 4 dieses Überein-
aber noch die kleinen Vereinigungen, die sich eben- kommens heißt es: „Die Organisationen der Arbeit-
falls der Pflege einer Weltanschauung hingeben. nehmer und der Arbeitgeber dürfen im Verwal-
Mithin würde das Gesetz insoweit bereits eine Aus- tungswege weder aufgelöst noch zeitweilig einge-
nahme bringen. Das Vereinsgesetz kann aber keine stellt werden." Ich stelle hier die Frage: Steht die
Ausnahme machen, denn die Grundlage bleibt Art. 9 Bundesregierung zu diesem Übereinkommen der
Abs. 2 des Grundgesetzes. Die Frage ist allein, ob Internationalen Arbeitsorganisation, dem der Bun-
solche Vereinigungen unter das Verbot des Art. 9 destag einstimmig zugestimmt hat? Wenn ja, Herr
Abs. 2 fallen. Nur unter diesem Gesichtspunkt dür- Minister, wie kommt dann das Bundesinnenministe-
fen wir das Problem in den Ausschüssen behandeln. rium dazu, in § 16 die Möglichkeit des Verbots
Wir werden uns in den zuständigen Ausschüssen durch Verwaltungsbehörden zu geben? Ich sage
nochmals: In Art. 4 des Arbeitsabkommens heißt es:
zu überlegen haben, wie diese Vereinigungen zu
„Die Organisationen der Arbeitnehmer und der
behandeln sind. Die Begründung der Bundesregie-
Arbeitgeber dürfen im Verwaltungswege weder
rung, daß solche Vereinigungen wie die, von denen
aufgelöst noch zeitweilig eingestellt werden." Sie
ich eben sprach, sobald sie sich politisch betätigen,
selber aber bringen in § 16 die Möglichkeit des Ver-
unter das Vereinsgesetz fallen und verboten wer-
bots durch Verwaltungsbehörden.
den können, sticht nicht ganz; denn die Grenzen
sind hier sehr schwer zu ziehen. Es ist nicht immer Wir dürfen wohl auch die Frage stellen, was man
gut, Beispiele aus der Vergangenheit heranzuzie- mit diesem § 16 vorhat. Denn daß Sie die Arbeit-
hen, aber hier ist es vielleicht doch angebracht: Die geberverbände nicht verbieten werden, darüber sind
Ludendorff-Bewegung hat uns gezeigt, wie groß in wir uns wohl hier im Hause alle einig. Kommen Sie
1528 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1962

Hansing
bitte nicht damit, daß ein Verbot der Verwaltungs- Was Sie über die Religionsgesellschaften ausführ-
behörde erst dann wirksam wird, wenn es unan- ten, ist ebenfalls unzutreffend, und zwar deswegen,
fechtbar ist! Wir sind der Meinung, daß Verbote weil Religionsgesellschaften den besonderen Schutz
gegenüber den Arbeitnehmer- oder Arbeitgeber- der Verfassung nur dann genießen, wenn sie sich
organisationen — die wir sowieso ausschließen — auf die eigentliche religiöse und geistige Tätigkeit
einzig und allein von einem Verwaltungsgericht, beschränken. All die anderen Dinge, die Sie ange-
nicht aber von einer Verwaltu ngsbehörde ausge- sprochen haben und die vor allem Sekten usw. be
sprochen werden dürften. Hier muß Klarheit ge- treffen können, die in ihrer Tätigkeit über diese
schaffen werden. Ich glaube, es ist an der Zeit, daß Beschränkungen hinausgehen, unterliegen natürlich
sich die Bundesregierung und auch die Mehrheit genauso den Vomschniften wie bei allen übrigen Ver-
dieses Hauses klar zu dem Beschluß des Bundes- einigungen; Einzelhandlungen solcher religiösen
tages aus dem Jahre 1956 bekennen. Vereinigungen, die einen grundgesetzlichen Schutz
haben, sind, wenn sie sich gegen gesetzliche Verbote
In § 1 sieht die Bundesregierung vor, daß Vereini- richten, durchaus in geeigneter Form abzuwehren.
gungen — ich spreche jetzt nicht von den großen,
anerkannten Religionsgesellschaften —, die sich die Ihr ganzes Mißtrauen, Herr Kollege Hansing,
-
gemeinschaftliche Pflege einer Weltanschauung zur scheint mir nicht begründet, und ich bin sogar der
Aufgabe machen, nicht unter das Vereinsgesetz fal- Auffassung, wenn Sie die Begründung, die wir dem
len. Ich frage den Bundesinnenminister: Sind irgend- Gesetz beigegeben haben und die sehr umfangreich
welche Sekten zuverlässiger, politisch kompetenter und gründlich ist, genau studiert hätten, hätten Sie
oder staatstreuer als die Gewerkschaften? einen Teil der Ausführungen, die Sie gemacht ha
ben, nicht gemacht.
Meine Damen und Herren, ich habe im Rahmen
der ersten Lesung die wichtigsten Punkte dieses (Beifall bei der CDU/CSU.)
Entwurfs aufgezeigt. Die Ausschüsse werden ein
gerütteltes Maß an Arbeit haben, wenn der vorlie- Vizepräsident Schoettle: Das Wort hat der
gende Entwurf als neues Vereinsgesetz wirklich in Abgeordnete Dr. Barzel.
Erscheinung treten soll.
Dr. Barzel (CDU/CSU) : ,Herr Präsident! Meine
(Beifall bei der SPD.)
Damen! Meine Herren! Wir haben nicht die Absicht,
in dieser grundsätzlichen ersten Lesung in Details
Vizepräsident Schoettle: Wird das Wort wei- einzutreten; wir möchten ausdrücklich darauf ver-
ter gewünscht? — Der Herr Bundesminister des zichten und uns auf wenige Bemerkungen beschrän-
Innern. ken. Wir stimmen grundsätzlich dem Entwurf der
Bundesregierung zu und danken dem Herrn Bun-
desminister des Innern dafür, daß er ihn vorgelegt
Höcherl, Bundesminister des Innern: Herr Präsi- hat. Es ist ein guter Entwurf. Wir unterstreichen
dent! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich auch die Bitte des Herrn Bundesministers, daß dieser
möchte nur auf einige Bemerkungen des Herrn Kol- Entwurf vordringlich im Hause behandelt werden
legen Hansing eingehen. sollte.

Zunächst hat er erklärt — das war sein Haupt- Ich möchte mich zú den von Herrn Kollegen
einwand; vielleicht war es nur eine unbeabsichtigte Hansing vorgetragenen Einzelheiten, nachdem der
Unterstellung —, daß wir mit dem berühmten § 16 Herr Minister selber gesprochen hat, nicht äußern,
vielleicht unlautere Absichten hätten. Herr Kollege mit einer Ausnahme. Ich glaube, Herr Kollege Han-
Hansing, ich glaube nicht, daß Sie der Bundesregie- sing, daß in der Tat die Befürchtungen, die Sie aus
rung mit Recht oder mit vernünftigen Gründen so dem § 16 herleiten, nicht berechtigt sind. Man wird
etwas unterstellen können. § 16 ist vielmehr in im Ausschuß im einzelnen darüber sprechen kön-
seiner Sonderstellung ein Beweis dafür, daß die nen. Ich habe — gerade eben, als Sie vortrugen —
Bundesregierung das für sie verbindliche Abkom- die Begründung dazu nachgelesen und kann nur
men durchaus zu schätzen weiß. Sie hat deswegen. sagen, daß ich durchaus die Auffassung des Herrn
den § 16 als Sonderstellung für diese Art von Ver- Bundesministers des Innern decke.
einigungen eingeführt. Die Auslegung, die Sie dem Ich möchte mich bedanken, daß Sie anerkannt
Art. 4 des Übereinkommens geben, ist meines Er- haben, daß in diesem Gesetzentwurf etwas vom
achtens deswegen nicht zutreffend, weil in § 16 des modernen Staatsschutz — das war Ihr Wort zwei-
Gesetzentwurfs der gerichtliche Schutz — und zwar
mal — enthalten sei. Ich glaube, das ist ein Anlaß,
ein Schutz, wie er kaum in einem anderen Lande
zu hoffen, daß wir hier dieses Gesetz bald und recht
möglich ist — absolut sichergestellt ist. Erst wenn
einmütig verabschieden können. Für uns allerdings
die Rechtskraft einer solchen Entscheidung eingetre-
— und ich glaube, auch für Sie — ist dies nicht nur
ten ist, sei es dadurch, daß eine gerichtliche Ent-
ein Aspekt des Staatsschutzes, sondern ein Stück
scheidung nicht beantragt ist, sei es, daß die letzte
Gestaltung freiheitlicher Ordnung. Denn der Staats-
Instanz ausgeschöpft ist, ist ein Verbot möglich.
schutz kommt nur da, wo die Freiheit mißbraucht
Mehr an Rechtsschutz zu verlangen, ist, glaube ich,
wird.
nicht notwendig. Österreich und Italien, die dem
gleichen Abkommen beigetreten sind und die ähn- Auf diese Bemerkungen möchten wir uns heute
liche gesetzliche Maßnahmen getroffen haben, haben beschränken. Wir danken für den Entwurf; wir stim-
sich zu dieser Auffassung bekannt. men ihm grundsätzlich zu; wir sehen der Ausschuß-
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 36, Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1962 1529
Dr. Barzel
beratung entgegen und hoffen mit Vergnügen, zu Anläßlich der Beratung der Novelle zum Reichs-
einer einmütigen Verabschiedung alsbald zu kom- jugendwohlfahrtsgesetz ist ersichtlich geworden, daß
men. auf einen Einbau der Ausbildungsförderung in das
(Beifall bei der CDU/CSU.) Jugendwohlfahrtsgesetz verzichtet wurde. Herr Mi-
nister Wuermeling hat in seinen damals zu Proto-
koll gegebenen schriftlichen Ausführungen jedoch
Vizepräsident Schoettle: Wird das Wort wei- ausdrücklich betont, daß das Ausklammern der Re-
ter gewünscht? — Das ist nicht der Fall; ich schließe gelurig des Ausbildungsbeihilfewesens kein Aus-
die Aussprache. Das Gesetz soll überwiesen werden weichen bedeute und daß darüber, daß etwas ge-
an den Ausschuß für Inneres — federführend — und schehen müsse, innerhalb der Bundesregierung
an den Rechtsausschuß und den Ausschuß für Arbeit keine Meinungsverschiedenheiten bestünden. Es
— mitberatend —. Ist das Haus mit diesen Über- wurde ausdrücklich erklärt, daß in den beteiligten
weisungsvorschlägen einverstanden? — Es erfolgt Bundesressorts die Beratungen über die erreich-
kein Widerspruch; dann ist die Überweisung erfolgt. baren Ziele und die einzuschlagenden Wege mit
Wir kommen nun zu Punkt 19 a der Tagesord- Nachdruck und Gründlichkeit fortgesetzt werden, bis
Klarheit und Einverständnis erreicht ist und dem
nung. Obwohl hier zwei Punkte miteinander gekop-
Wunsch des Bundestages vom April 1959 entspro-
pelt sind, ist mir von den Antragstellern versichert
worden, daß es sich um sehr verschiedene Gegen- chen werden kann.
stände handele, so daß eine getrennte Beratung Inzwischen sind wieder eineinhalb Jahre — ver-
durchaus zweckmäßig erscheine. mutlich mit Ressortberatungen — verstrichen. Eine
(Sehr richtig! bei der SPD.) umfassende Regelung von Ausbildungsförderungs-
maßnahmen kann nur noch in Form eines Sonderge-
setzes getroffen werden. Die sozialdemokratische
Ich rufe also auf Punkt 19 a der Tagesordnung:
Fraktion hat einen entsprechenden Gesetzentwurf
Erste Beratung des von der Fraktion der SPD ausgearbeitet und legt ihn heute vor, weil sie da-
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über von überzeugt ist, daß diese Fragen nun dringend
Ausbildungsförderung (Drucksache IV/415). geregelt werden müssen.
Der Gesetzentwurf soll begründet werden. Zur Aus den vielfältigen Äußerungen und Ankündigun-
Begründung hat Frau Abgeordnete Freyh das Wort. gen hoffen wir jedenfalls den Schluß ziehen zu kön-
nen, daß die Türen der CDU-Fraktion für eine Rege-
lung der Fragen der Ausbildungsförderung tatsäch-
Frau Freyh (Frankfurt) (SPD) : Herr Präsident! lich offenstehen.
) Meine Damen und Herren! Die sozialdemokratische
Bundestagsfraktion hat am 17. Mai 1962 einen Ge- Lassen Sie mich bitte zunächst einiges Allge-
setzentwurf zur Ausbildungsförderung eingebracht, meine über die Gedankengänge sagen, die unserem
der heute diesem Hause zur Beratung in erster Entwurf zugrunde liegen. Damit möchte ich gleich-
Lesung vorliegt. Fragen der Ausbildungsförderung zeitig versuchen, die Situation zu umreißen, der sich
sind an dieser Stelle — ich habe mich als neues Mit- das Ausbildungsförderungswesen anpassen muß.
glied dieses Hauses sozusagen im historischen Rück-
blick damit befassen können — schon öfter Gegen- Unter den Entwicklungstendenzen der modernen
stand von Erörterungen gewesen. Ich darf dazu ein Industriegesellschaft zeichnet sich eine ganz beson-
Beispiel geben. Vor mehr als drei Jahren, im April ders klar und deutlich ab: der Bedarf an qualifizier-
1959, lag dem Bundestag nach fast einjährigen Aus- ten ausgebildeten Arbeitskräften wächst außeror-
schußberatungen ein Antrag der SPD-Fraktion zur dentlich rasch und wird in Zukunft vermutlich noch
Abstimmung vor, nach dem die Bundesregierung zu rascher wachsen. Helmut Schelsky hat einmal darauf
einer gesetzlichen Neuregelung der Ausbildungsbei- hingewiesen, daß die industrielle Gesellschaft die
hilfen für Jugendliche aufgefordert werden sollte. Anwendung wissenschaftlicher Kenntnisse und Auf-
Dieser Antrag wurde damals von allen Fraktionen gaben in Berufe hineingetragen hat, die noch vor
einstimmig angenommen. Wir hoffen also, von der einer Generation allein mit Erfahrung und Praxis-
Tatsache ausgehen zu können, daß dem vorliegen- ausbildung zu meistern waren. Bereits vorhandene
den Beratungsgegenstand von den Mitgliedern die- Berufe ändern in dieser Weise ihre Struktur, und
ses Hauses weitgehendes Verständnis entgegenge- neue Berufe entstehen. Diese Verschiebung in der
bracht wird. Art der Qualifikation durch die jüngste Entwicklung
läßt sich beispielsweise daran ablesen, daß ein stei-
Von seiten der zuständigen Ressortminister ist in gender Bedarf an Ausgebildeten besteht, die über
den letzten Jahren durch Referentenentwürfe prak- die Ausbildung eines Facharbeiters mit handwerk-
tisch anerkannt worden, daß hier eine Aufgabe be- licher Lehre hinaus auch über eine besondere tech-
steht, die gelöst werden muß. Darüber hinaus hat nische Ausbildung verfügen.
die interessierte Öffentlichkeit immer wieder auf die
Regelung der Ausbildungsförderung in einem Bun- Es ändern sich jedoch nicht nur die Ausbildungs-
desgesetz gedrängt. Ich darf erinnern etwa an den inhalte, auch die Bedarfszahlen wachsen. Für die
Verein für öffentliche und private Fürsorge, an die technisch-naturwissenschaftlichen Fachgebiete hat
Gesellschaft für sozialen Fortschritt, an die Arbeits- sich — zumindest theoretisch — bereits die Über-
gemeinschaft Jugendaufbauwerk, an den Deutschen zeugung durchgesetzt, daß mit einer Expansion über
Gewerkschaftsbund und an verschiedene Studenten- den bloßen Bedarf hinaus gerechnet werden muß.
verbände. Aber z. B. auch für den Lehrerberuf läßt sich ein sol-
1530 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1962
Frau Freyh (Frankfurt)
cher zusätzlicher Bedarf real begründen und errech- Niemand wird behaupten wollen, daß es in der
nen. Bundesrepublik soviel weniger begabte junge Men-
Aus all dem folgt als notwendige Konsequenz, schen geben sollte als in den zum Vergleich her-
daß auch das wachsen muß, was man vielleicht als angezogenen Ländern. Dagegen scheinen Begrün-
Reservoir an Kräften für qualifizierte Berufe be- dungen, wie sie etwa von Professor Edding gege-
zeichnen könnte. ben wurden, durchaus wahrscheinlich: Schnelles
Wirtschaftswachstum läßt in der Regel auch die
Die Organisation unseres Bildungswesens und Zahlen der qualifiziert Ausgebildeten schnell an-
seine Verknüpfung mit den Möglichkeiten des Zu- wachsen. Das ist nicht nur eine Folge der Möglich-
gangs zu einer bedeutenden Zahl von Berufen ist keiten für viele Familien, ihre Kinder nicht unmit-
natürlich immer wieder Gegenstand von Diskus- telbar nach Beendigung der Volksschulpflicht als
sionen und Reformvorschlägen gewesen. , Aber Mitverdiener betrachten zu müssen, sondern unter
darum geht es hier nicht. Zunächst handelt es sich gesamtwirtschaftlichen Gesichtspunkten geradezu
beidiesem sogenannten Berechtigungswesen einfach eine Notwendigkeit.
um Tatsachen, von denen man in der gegenwärtigen In den zum Vergleich herangezogenen- Ländern
Situation ausgehen muß. Die Schulen sind nach sind die Förderungsmöglichkeiten für den Besuch
Helmut Schelsky nach wie vor primäre entschei- weiterführender Schulen besser ausgebaut. Nicht
dende und nahezu einzige soziale Dirigierungsstel- zuletzt dürfte das aus der Erkenntnis geschehen,
len für Rang, Stellung und Lebenschancen des ein- daß das Fehlen von gut ausgebildeten Kräften
zelnen in unserer Gesellschaft. zur Stagnation der Wirtschaftsentwicklung und da-
mit zu sinkendem Lebensstandard und verminder-
Aus dieser Feststellung ergibt sich in unserem ter internationaler Wettbewerbsfähigkeit beitragen
Zusammenhang die Frage, ob denn der Zugang zu würde.
qualifizierenden Ausbildungsstätten weit genug of- (Sehr richtig! bei der SPD.)
fensteht. Haben bei gleicher Begabung alle befähig-
ten jungen Menschen wirklich in befriedigendem Unter diesem Gesichtspunkt muß die Frage ge-
Maße die Möglichkeit zum Besuch weiterführender stellt werden, wann die Bundesrepublik mit ver-
Schulen und Ausbildungsstätten? Die Untersuchun- mehrten Anstrengungen zu einer breiten Förderung
gen und das statistische Material lassen erhebliche ihres Nachwuchses beginnen will. Das reale Sozial-
Zweifel aufkommen. produkt je Einwohner hat sich in den Jahren von
1950 bis 1960 verdoppelt. Die Zahl der qualifiziert
Nach Mitteilung des Statistischen Bundesamtes Ausgebildeten ist in diesem Zeitraum bei weitem
kamen im Jahre 1960 von rund 600 000 Berufs- nicht in der notwendigen Relation angestiegen.
anfängern 73 % unmittelbar aus Volksschulen und Nach Art. 12 Abs. 1 des Grundgesetzes haben alle
Berufsfachschulen, darunter allein 58 % aus Volks- Deutsche das Recht, Beruf und Ausbildungsstätte frei
schulen. Dabei muß man sich vergegenwärtigen, daß zu wählen. In der überwiegenden Zahl der Länder-
die Berufsfachschulen unmittelbar nach dem Volks verfassungen ist das Recht auf Erziehung und Aus-
schulabschluß besucht werden können und in über- bildung klar festgelegt. In einer Reihe von Länder-
wiegendem Maße auf eine Berufsausübung in kauf- verfassungen wird dieses Recht ausdrücklich nur
männischen und Frauenberufen vorbereiten. Die nach Maßgabe der Begabung und Fähigkeiten be-
GrupedVizhn-bsZwagjäre,di stimmt, unabhängig von der wirtschaftlichen Lage
ihrem Alter nach eine qualifizierte Ausbildung noch des Elternhauses. Eine freiheitlich-demokratische
nicht abgeschlossen haben kann, hatte nach der- Gesellschaftsordnung bedarf zweifellos solcher Prin-
selben Zusammenstellung an den neu ins Erwerbs- zipien. Der Staat muß jedoch auch ausreichende
leben Eintretenden einen Anteil von 86,4 %. In Maßnahmen zu ihrer Verwirklichung treffen. In
demselben Jahr wurden nur 12,8 % der Gesamtzahl jeder Gesellschaft wird es notwendigerweise Diffe-
der Berufsanfänger, d. h. jeder achte Jugendliche, renzierungen zwischen den Erwachsenen geben. Um
nach einer qualifizierten Berufsausbildung berufs- so mehr gehört es zu den politischen und mora-
tätig. Beschränkt man sich bei dieser Betrachtung lischen Verpflichtungen, wenigstens den jungen
auf Hochschulen, lehrerbildende Anstalten und Menschen soweit wie irgend möglich gleiche Start-
Ingenieurschulen, so handelt es sich lediglich um bedingungen für das Leben zu geben.
einen Anteil von 4,7 °/o unter sämtlichen Berufs- Die gegenwärtige Form der Ausbildungsbeihilfen
anfängern des Jahres 1960. Damit wird ohne Frage ist gewiß unzureichend. Soweit es sich um bundes-
der künftige Bedarf an qualifizierten Arbeitskräf- einheitliche Regelungen handelt, orientiert sich die
ten nicht gedeckt werden können. Hilfe an Sozialtatbeständen und an bestimmten
Gruppen von Geschädigten. Überspitzt könnte man
Diese Feststellung wird noch deutlicher im inter-
fast sagen, daß die ungefähr 20 Förderungsmöglich-
nationalen Vergleich. Der Quote von 4,7 % Hoch-
keiten eine Umkehrung der verfassungsmäßigen
schulabsolventen und Abgängern aus Ingenieur-
Garantie darstellen. Sie bieten gleich begabten
schulen und pädagogischen Ausbildungsstätten in
Jugendlichen in der gleichen wirtschaftlichen Situa-
der Bundesrepublik steht in den Vereinigten Staaten
tion nicht die gleiche Chance.
eine Quote von 12 % gegenüber. In Schweden sind
es 11 %, in der Sowjetunion, wenn auch unter an- (Abg. Memmel: Das mit der Verfassung
deren Inhalten und Zielen des Bildungsvorganges, müssen Sie aber noch einmal erklären!)
ungefähr eine doppelt so hohe Quote wie in der — Das ist in doppeltem Sinne zu verstehen, Herr
Bundesrepublik. Kollege. Ich komme jetzt gerade dazu.
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1962 1531
Frau Freyh (Frankfurt)
Die Höhe der Beihilfe entscheidet sich nicht nur sich schließlich 'die benötigten Ausbildungsbeihilfen
nach dem Leistungsträger, den der Jugendliche in zusammensetzen.
Anspruch nimmt. Sie schafft auch Ungleichheit zwi- (Abg. Dr. Mommer: Warum einfach, wenn
schen dem zu einer Beihilfe Berechtigten und es kompliziert geht?!)
Jugendlichen aus Familien gleichen Einkommens,
die keinerlei Anspruch haben. Die verschiedenar- Ich habe hiermit durchaus 'keinen Ausnahmefall
tigen Förderungsmöglichkeiten sind aus Sonderbe- geschildert. Diese Beispiele ließen sich beliebig ver-
dürfnissen entstanden. Vorwiegend handelt es sich mehren. Das Beispiel sollte nur dazu 'dienen, Ihnen
um Maßnahmen zur Überwindung von Kriegsfolgen. das gegenwärtige System noch einmal deutlich in
Die Ausbildungsbeihilfen sind nur ein Teilbereich Erinnerung zu rufen unid auch darauf hinzuweisen,
einer Konzeption mit eigenständiger Zielrichtung. daß hier eine Änderung dringend notwendig gewor-
Aber die so entstandene Vielfalt und Ungleichmäßig- den ist.
keit zwingt geradezu zu einer umfassenden Neu- (Beifall bei der SPD.)
regelung. Das gegenwüärtige Beihilfewesen schafft aber
nicht nur Ungleichheiten in den Voraussetzungen
Vielleicht erlauben Sie mir, dazu ein Beispiel aus
und Leistungen und ist für den Bürger und zum Teil
meinem beruflichen Wirkungskreis heranzuziehen,
auch für die Durchführungsbehörden völlig unüber-
das die Dinge vielleicht noch etwas klarerstellt. Ein
sichtlich geworden; in der Offentlichkeit und in
einundzwanzigjähriger junger Mann war am 13. Au-
interessierten Fachkreisen ist auch auf einen ande-
gust 1961 aus Ostberlin nach Westberlin geflohen. ren Mangel immer wieder hingewiesen worden. Die
Er hatte die Volksschule besucht und eine Berufs- jetzige Förderung läßt die Kinder aus Familien mitt-
ausbildung absolviert, allerdings in Westberlin lerer Einkommen weitgehend unberücksichtigt. Da-
schon vor der Schließung der Grenzen eine Schule zu gehören vor allem die festbesoldeten Einkom-
zur Vorbereitung Berufstätiger auf die Reifeprüfung mensempfänger dieser Gruppen, deren Einkommen
besucht. Er bewarb sich in einem Bundesland um erfahrungsgemäß am ehesten hinter der allgemeinen
Aufnahme in ein Institut des Zweiten Bildungs- wirtschaftlichen Entwicklung zurückbleiben.
weges und bestand auch eine dafür vorgesehene
Ausleseprüfung. Da er weder über Familienunter- Es sind vor allem zwei Gründe, die die Kritik
stützung noch über Ersparnisse verfügte, wurde er hervorrufen. Erstens sind die Einkommensgrenzen
auf die Möglichkeit öffentlicher Ausbildungsbeihil- für die Familie des Antragstellers zu niedrig ange-
fen hingewiesen. Er beantragte deshalb erstens Bei- setzt, zweitens werden die Kosten für den Lebens-
hilfen aus dem Garantiefonds für jugendliche Zu- unterhalt unid den Ausbildungsbedarf des Auszubil-
wanderer, weitens Ausbildungsbeihilfen nach dem denden selbst häufig zu gering angenommen. Das
Lastenausgleichsgesetz, drittens Ausbildungsbeihil- gilt beispielsweise nicht nur für Ausbildungsbeihil-
fen des betreffenden Bundeslandes. fen nach idem Bundessozialhilfegesetz, sondern auch
für die Einschätzung 'der Ausbildungskosten und da-
Zum Zeitpunkt des ganztägigen Unterrichtsbe- mit 'für die Höhe der Stipendien nach 'dem Honnefer
ginns — er hatte im Februar diese Anträge gestellt, Modell, der Studentenförderung.
der Unterricht begann Ende April — war noch keine
Ich möchte für diesen Teil der Kritik einen be-
der beantragten Beihilfen bewilligt. Deshalb gab
kannten Hochschullehrer zitieren. Herr Professor
ihm eine kommunale Stiftung als Vorauszahlung
Tellenbach kommt hinsichtlich der Höhe und der
auf die zu erwartenden Beihilfen eine Über-
Verwendung der Stipendien nach dem Honnefer
brückungshilfe. Als schließlich Ende Mai die Ga-
Modell, die in der Anfangsförderung 195 DM monat-
rantiefondsmittel bewilligt wurden, wurden sie ihm
lich — ohne Ferienmonate — und in der Hauptför-
nicht ausgezahlt unter Hinweis auf die kommunale
derung 245 DM betragen, zu dem Schluß, „daß wohl
Leistung. Zwischen der kommunalen Stiftung und
jede Sorge vergeht, daß Wohlleben und Luxus zu
der die Garantiefondsmittel verwaltenden Stelle falschen Perspektiven und Ablenkungen verführen
mußte nun noch die Frage der vorrangigen Leistung könnten. Eher ergibt sich die Frage, ob bei einer so
geklärt werden. Sollte jedoch auch über den An- weitgehenden materiellen Beengtheit die Bildungs-
trag auf Lastenausgleichsbeihilfe positiv entschieden möglichkeiten noch frei genug genutzt werden kön-
werden, würde 'dies zur Folge haben, daß erstens nen."
die 'Mittel aus dem Garantiefonds wieder gekürzt
werden würden und zweitens die Landesbeihilfen Hinzu kommt, daß eine Reihe von bundeseinheit-
neu berechnet werden müßten. Hier handelt es sich, lichen Förderungsmaßnahmen mit der zunehmenden
wenn man es kurz auf einen Nenner bringen darf, Entfernung vom Kriegsende allmählich auslaufen.
um einen jungen Mann, der die Begabung zu einer Die bundeseinheitlichen Ausbildungsbeihilfen ha-
qualifizierten Ausbildung besitzt und studieren ben im Jahre 1960 von den Geförderten ungefähr
möchte. Er verfügt selbst nicht über die notwendi- 75 % Jugendliche mit kriegsfolgebestimmten An-
gen Mittel, ist aber im Sinne des heutigen Förde- sprüchen gefördert. Ich glaube, das ist eine recht
rungswesens ein mehrfach Anspruchsberechtigter. beachtliche Zahl, die eine Rolle spielt bei der Frage,
Er setzt mit seinen Anträgen den Verwaltungs- ob wir nicht dringend am System etwas ändern
mechanismus von vier für ihn zuständigen Ämtern müssen.
in Bewegung, die sich nach langwierigen Bewilli- (Beifall bei der SPD.)
gungsverfahren auch noch darüber einigen müssen, Neben diesen sogenannten bundeseinheitlichen
aus welchen Teilbeträgen 'des jeweiligen Amtes Regelungen haben vor allem die Bundesländer Aus-
1532 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1962

Frau Freyh (Frankfurt)


bildungsbeihilfen vergeben. Obwohl die Verfas- dient aber ausdrücklich der Vorbereitung auf eine
sungspostulate weitgehend übereinstimmen, wur- erneute Ausbildung in einem der Begabung adäqua-
den jedoch sehr unterschiedliche Regelungen für teren Beruf.
die Ausbildungsförderung getroffen. Bei einem Ver- Die Ausbildungsförderung soll sowohl den Aus-
gleich des relativen Schulbesuchs in den einzelnen bildungsbedarf als auch die Kosten des Lebensun-
Bundesländern ergibt sich folgendes: In Schleswig- terhalts umfassen. Erleichterungen, die den Ausbil-
Holstein besuchen relativ fast doppelt so viele Schü- dungsbedarf betreffen wie Gebühren- oder Schul-
ler weiterführende Schulen wie in Nordrhein-West- geldfreiheit, haben sicherlich als Förderungsmaß-
falen, in Hessen fast ein Drittel mehr als in Rhein- nahmen positive Wirkungen. Sie reichen aber erfah-
land-Pfalz. Die Gleichheit der Ausbildungschancen rungsgemäß bei weitem nicht aus, um den Familien
ist zweifellos nicht gegeben. Die Möglichkeiten zu und Jugendlichen, die in dieses Gesetz einbezogen
besserer Ausbildung variieren in den einzelnen werden sollen, eine ausreichende finanzielle Entla-
Bundesländern beträchtlich. stung zu bringen. Die Lebenshaltungskosten sind
Diese Darlegungen mögen ausreichen, um zu- deshalb ein wichtiger Bestandteil der Ausbildungs-
nächst den Rahmen. abzustecken für das nach Mei- kosten.
nung der sozialdemokratischen Fraktion dringend Das Gesetz sieht eine Unterscheidung vor nach
benötigte neue Gesetz. den Kosten, die für eine Ausbildung am Familien-
Ich möchte einige Punkte aus dem vorgelegten wohnsitz oder bei auswärtiger Unterbringung ent-
Entwurf herausgreifen. Der Gesetzentwurf sieht die stehen. Es ist bewußt berücksichtigt worden, daß
Einbeziehung aller staatlichen und staatlich aner- die Ausnutzung vorhandener Ausbildungseinrich-
kannten Ausbildungseinrichtungen und die Ausbil- tungen bei der unterschiedlichen Struktur der Bun-
dung in Lehr- und Anlernberufen vor. Die Förde- desrepublik sehr häufig nur möglich sein dürfte,
rungsmöglichkeit soll also von der Lehrlingsaus- wenn die Ausbildung auch an einem anderen Orte
durchgeführt werden kann als am Familienwohn-
bildung und den mittleren und höheren Schulen
sitz oder in dessen unmittelbarer Umgebung.
über die Berufsfach- und Fachschulen bis zu den
Hochschulen reichen. Nur ein derart umfassendes Die Bundeskompetenz zur Ausbildungsförderung
und einheitliches System kann die Gewähr bieten, kann sich nur auf eine Hilfe erstrecken, die gegeben
daß der befähigte junge Mensch seine Anlagen bis wird, wenn der Auszubildende selber oder seine
zu dem Ausbildungsgrad entfalten kann, in dem er Familie nicht in der Lage ist, die Kosten der Aus-
seine Kräfte am sinnvollsten und nutzbringendsten bildung aus eigenen Mitteln zu bestreiten. Das galt
in einem Beruf einzusetzen vermag. auch für die bisherigen Maßnahmen zur Ausbil-
dungsförderung. Aber wie die Erfahrungen gelehrt
Die vorgesehene Einheitlichkeit ist mehr als eine haben, kann die Eigenleistung nicht, wie beispiels-
bloße Vereinheitlichung. Das Gesetz soll nicht bloß weise im Sozialhilfegesetz und in den Sonderrege-
eine Zusammenfassung der bisherigen Regelungen lungen zur Beseitigung von Kriegsfolgetatbestän-
nach vereinheitlichten Voraussetzungen und Lei- den, am physischen Existenzminimum orientiert
stungen bringen; es soll sich vielmehr unmittelbar sein. Das würde die Wirksamkeit eines Ausbil-
an der Aufgabe der Ausbildungsförderung selbst dungsförderungsgesetzes in Frage stellen.
orientieren. Wenn sich Begabungen je nach der
Herausforderung und Pflege, die sie erfahren, ent- (Beifall bei der SPD.)
wickeln, gehören auch die vorbereitenden Ausbil-
Soll die Aufgabe einer aktiven Ausbildungsför-
dungsstufen in ein solches System. Wir können es
derung nicht verfehlt werden, so kann als Maßstab
uns aus vielen Gründen nicht mehr leisten, nur ein-
nur eine Regelung gewählt werden, die sich an der
zelne Ausbildungsgänge zu fördern.
Leistungskraft mittlerer Einkommen orientiert. Die
Ein anderer Gesichtspunkt: Wie anders soll in vorgeschlagenen Freibeträge, die beispielsweise für
einem föderalistischen Staat wie der Bundesrepu die Eltern bei einfachen Ausbildungsgängen monat-
blik eine gleichwertige Förderung aller Ausbil- lich 460 DM und bei qualifizierten Ausbildungsgän-
dungsmöglichkeiten erreicht werden als in einem gen monatlich 550 DM betragen sollen, sind Min-
System, das für alle Ausbildungsgänge soweit wie destsätze, wenn das Gesetz seinen Sinn erfüllen soll.
möglich und sinnvoll einheitliche Voraussetzungen Daneben muß gewährleistet sein, daß diese Beträge
schafft? nicht durch Veränderungen der wirtschaftlichen Ver-
(Beifall bei der SPD.) hältnisse mit ihren Rückwirkungen auf Lebenshal-
tungs- und Ausbildungskosten entwertet werden.
Außerdem kann nur in einer umfassenden Rege- Eine solche Anpassung der Einkommensfreibeträge
lung die Ausbildung in einem weiteren Beruf befrie-
ist der Bundesregierung ausdrücklich auferlegt.
digend berücksichtigt werden. Eine solche Möglich-
keit fehlte bisher in den bundeseinheitlichen Förde- Die Zuständigkeit für die Durchführung soll bei
rungsmaßnahmen. Das hat sich in vielen Fällen als den Ländern liegen. Sie sollen Organisation und
ein Hemmnis für den beruflichen und sozialen Auf- Verfahren regeln und die für die Durchführung des
stieg erwiesen. Eine Korrektur des zunächst einge- Gesetzes und die Feststellung der Eignung zustän-
schlagenen beruflichen Weges hat sich aber gerade digen Stellen bestimmen. Die besonderen Gegeben-
in den letzten Jahren aus wirtschaftlichen und bil- heiten an den wissenschaftlichen Hochschulen sollen
dungspolitischen Erwägungen als notwendig erwie- dabei ausdrücklich berücksichtigt werden. Die För-
sen. Beispielsweise setzt der Zweite Bildungsweg derung an den wissenschaftlichen Hochschulen soll
die Bewährung in einem praktischen Beruf voraus, wie bisher gehandhabt und der Bereich der Hoch-
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1962 1533
Frau Freyh (Frankfurt)
begabtenförderung von diesem Gesetz nicht berührt Förderungswesen nicht aus. Eine gesetzliche Neu-
werden. regelung muß deshalb die Voraussetzungen und
Leistungen der Ausbildungsförderung vereinheit-
Eine Ausnahme in dieser Regelung bilden ledig-
lichen, sie außerdem so wirkungsvoll gestalten, daß
lich die Förderungsmaßnahmen bei Lehr und An-
-

ein größerer Kreis von jungen Menschen vor allem


lernberufen, die unter Berücksichtigung der dort be-
reits gesammelten Erfahrungen als Pflichtaufgabe aus mittleren Einkommensgruppen berücksichtigt
der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und werden kann.
Arbeitslosenversicherung übertragen werden sollen. Das Gesetz zur Ausbildungsfärderung soll alle
Bildungs- und Ausbildungsgänge nach beendigter
Die Bundesregierung wird im Rahmen ihrer Kom- Volksschulpflicht umfassen, damit sich geeignete
petenz insbesondere zu Verordnungen, die die junge Menschen auch in den vorbereitenden Aus-
Kosten des Lebensunterhalts und die Einkommens- bildungsstufen entfalten können. In diesem Sinne
freibeträge betreffen, ermächtigt. Auf diese Weise ist die Ausbildungsförderung unter dem Gesichts-
ist eine den verfassungsmäßigen Grundlagen ent- punkt der Angleichung der beruflichen Startchancen
sprechende Aufgabenteilung zwischen Bund und und mit dem Ziel der vermehrten Ausschöpfung
Ländern gewährleistet. Selbstverständlich kam bei der Begabungsreserven ein neuer sozialpolitischer
den bisherigen Formen der Ausbildungsbeihilfen Aufgabenbereich. Gerade in der Jugendpolitik aber
eine Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse über haben sich die Bedürfnisse für eine produktive So-
einzelne Bundesländer hinaus nicht in Betracht. zialpolitik vermehrt, und es ist an der Zeit, den
Wenn die Ausbildungsförderung einheitlich und veränderten Voraussetzungen Rechnung zu tragen.
hoffentlich auch schnell die qualifiziert ausgebilde-
ten Kräfte in unserem Lande vermehren und die (Beifall bei der SPD.)
Gleichheit der Chancen aller Jugendlichen sichern
soll, so kann dies nur durch ein einheitliches Ge- Meine Fraktion beantragt, den Entwurf dem Aus-
setz erreicht werden. schuß für Familien- und Jugendfragen — feder-
führend — und den Ausschüssen für Arbeit und
Die Gesamtsumme der Aufwendungen wird nach Kulturpolitik sowie dem Haushaltsausschuß zur
Schätzungen jährlich etwa 850 Millionen DM be- Mitberatung zu überweisen.
tragen. Sie soll von den Ländern und für den Teil-
bereich der Lehrlingsausbildung von der Bundes- (Beifall bei der SPD.)
anstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenver-
sicherung finanziert werden. Der Bund leistet Vizepräsident Schoettle: Das Wort hat der
beiden Trägern einen Zuschuß in Höhe von 40 % Herr Bundesminister für Familien- und Jugendfra-
des Aufwandes. Die geschätzten Mehraufwendun- gen.
gen des Bundes werden pro Haushaltsjahr etwa
60 Millionen DM betragen. Damit wäre aber ein
sehr viel effektiverer Einsatz der Bundesmittel ge- Dr. Wuermeling, Bundesminister für Familien-
währleistet, als er mit den bisherigen Förderungs- und Jugendfragen: Herr Präsident! Meine sehr ver-
maßnahmen erreichbar war. ehrten Damen und Herren! Im Einvernehmen mit
den Herren Bundesministern des Innern und für
Die Aufwendungen scheinen nach Auffassung der Arbeit und Sozialordnung nehme ich zu dem von
sozialdemokratischen Fraktion durchaus vertretbar. der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurf eines
Auf das Bruttosozialprodukt des Jahres 1961 be- Gesetzes über Ausbildungsförderung wie folgt Stel-
zogen, ergeben sie eine Quote von 3 pro mille. Die lung.
bisherigen Aufwendungen der Bundesrepublik für
das gesamte Schul- und Hochschulwesen betrugen Bereits mehrfach hat die Bundesregierung von
im Jahre 1959/60 3,6 % des Bruttosozialprodukts. dieser Stelle aus die Bedeutung einer Neuordnung
Eine Vermehrung um die notwendigen Mittel der der Ausbildungsbeihilfen unterstrichen. Was bei den
Ausbildungsförderung würde die Bundesrepublik früheren Anlässen über die Leitgedanken gesagt
auch weiterhin weit hinter den Aufwendungen bei- wurde, die dabei zu verfolgen sind, gilt heute unver-
spielsweise der USA mit 4,6 und der UdSSR mit ändert weiter. Die Arbeiten der drei beteiligten
7,1 % des Bruttosozialproduktes zurückstehen las- Ressorts haben in einem in gemeinsamer Federfüh-
sen. rung erarbeiteten Entwurf inzwischen ihren Nieder-
schlag gefunden.
Abschließend möchte ich noch einmal zusammen-
fassen, welche Gründe uns zur Vorlage dieses Ge- (Unruhe bei der SPD.)
setzes über die Ausbildungsförderung bewogen ha- Die Bundesregierung wird diesen Entwurf den ge-
ben und worin unsere wesentlichen Vorschläge
setzgebenden Körperschaften zuleiten,
bestehen.
(Zurufe von der SPD: Wann?)
Die Bundesregierung hat in der vergangenen
Legislaturperiode das von allen Fraktionen gefor- sobald die nunmehr anstehenden Erörterungen mit
derte Gesetz über Ausbildungsbeihilfen für alle den Ländern, den kommunalen Spitzenverbänden
Jugendlichen nicht vorgelegt. Der vermehrte Bedarf und sonstigen Fachverbänden abgeschlossen sind.
an qualifiziert ausgebildeten jungen Menschen kann (Zuruf von der SPD: Also in zwei Jahren!)
in absehbarer Zeit nicht mehr gedeckt werden, wenn
nicht die Absolventen höherer Ausbildungsgänge be- Zum Grundsätzlichen des vorliegenden Entwurfs
trächtlich zunehmen. Dazu reicht das gegenwärtige der SPD ist folgendes zu bemerken.
1534 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1962
Bundesminister Dr. Wuermeling
1. Der Entwurf geht in seiner Grundsatznorm Wir werden uns daher um sachgemäße Grenzen
außerordentlich weit, indem er ganz allgemein ein bemühen müssen. Dabei wird unter anderem auch
Recht des jungen Menschen auf eine seiner erkenn- der Standpunkt des SPD-Entwurfs kritisch zu wür-
baren Eignung und Neigung entsprechende Bildung digen sein, nach dem jeder Besuch van Berufs- und
und Berufsausbildung statuiert. Ein derart umfas- Fachschulen ohne Rücksicht darauf gefördert werden
sendes, in seiner Tragweite nicht mehr eingrenz- soll, ob für den gleichen Beruf etwa für weit gerin-
bares Recht muß den Rahmen eines Gesetzes über gere Kosten eine gleichwertige oder bessere Ausbil-
Ausbildungsförderung sprengen. dung im Betrieb möglich ist. Es wäre falsch, im Be-
reich der gewerblichen Wirtschaft das bisher vor-
2. Nach dem SPD-Entwurf soll die öffentliche Bei- wiegend betriebsgebundene Ausbildungssystem auf
hilfe offenbar nur gegenüber der zumutbaren Eigen- dem Wege über die Ausbildungsförderung einzu-
leistung der Eltern, des Ehegatten und des Auszubil- schränken.
denden selber zurücktreten. Die zahlreichen son- (Zustimmung tin der Mitte.)
stigen Leistungen aber, die von Einzelpersonen, Be-
trieben, Verbänden, privaten Stiftungen usw. für die 5. Die Frage der Einbeziehung der Studentenför-
derung bedarf noch gründlicher Erwägung, nachdem
Zwecke der Ausbildungsförderung gegeben wer-
den, werden im Entwurf nicht hinreichend berück- auch von den Ländern und von der Rektorenkon-
ferenz gewichtige Bedenken gegen eine Einbezie-
sichtigt. Dem muß die Bundesregierung widerspre-
hung des Honnefer Modells in die gesetzliche
chen, weil eine solche Regelung zu einem Abbau
Regelung der Ausbildungsbeihilfen geltend gemacht
aller freiwilligen Leistungen und ihrem Abwälzen
worden sind.
auf die öffentliche Hand führen würde. Ein solches
Gesetz würde nicht als Anregung, sondern als 6. Die in dem Entwurf vorgesehene Höhe der
Hemmnis für die wertvollen Bemühungen freier Leistungen und der Einkommensgrenzen bedarf
Kräfte und privater Stellen wirken, einer gründlichen Überprüfung. Wenn der Entwurf
beispielsweise für einen fünfzehnjährigen Lehrling
(Lachen und Zurufe von der SPD: Hört! bei Anwendung der neuen Regelsätze höhere Lei-
Hört!) stungen vorsieht, als sie gegenwärtig das Honnefer
Modell den Studenten an wissenschaftlichen Hoch-
die wir erhalten müssen und erhalten wollen.
schulen gewährt, und die Dinge bei Bemessung der
3. Die Bundesregierung hält die im Entwurf der Einkommensgrenzen ähnlich aussehen, so muß einer
SPD vorgesehene rigorose Aufhebung aller heute solchen Ausweitung der Förderung aus öffentlichen
bestehenden Regelungen über die Gewährung von Mitteln schon jetzt widersprochen werden.
Ausbildungsbeihilfen — seien es nun die Vorschrif- Ich fasse zusammen. Die Bundesregierung ist der
ten des Bundesversorgungsgesetzes, des Lastenaus- Meinung, daß der Entwurf der SPD erstens zu stark
gleichsgesetzes, des Honnefer Modells usw. — weder von versorgungsstaatlichem Denken beherrscht
für notwendig noch für richtig. wird,
(Lachen bei der SPD)
(Abg. Dr. Schellenberg: Wollen Sie es bei
den 20 bisherigen Kategorien belassen?) zweitens dem Abwälzen bisher freiwillig erbrachter
Leistungen auf den Staat Vorschub leistet und drit-
Die meisten dieser Regelungen laufen ohnehin in tens zu einem übertriebenen Anspruchsdenken ver-
kurzer Zeit aus oder verlieren infolge des Heraus- leitet.
wachsens der zu fördernden Jahrgänge stark an
Bedeutung. Man sollte nicht — trotz des einen oder Vizepräsident Schoettle: Herr Minister, ge-
anderen Mangels — bewährte Einrichtungen einfach statten Sie eine Zwischenfrage?
preisgeben, sondern es sollte einer Regelung der
Vorzug gegeben werden, die das Neue sinnvoll mit Dr. Wuermeling, Bundesminister für Familien-
dem Bestehenden abstimmt und einen gleitenden und Jugendfragen: Bitte schön!
Übergang ohne drastische Einschnitte gewähr-
leistet. Dr. Schellenberg (SPD) : Herr Minister, warum
hat die Bundesregierung den einstimmig erteilten
4. Der Entwurf der SPD sieht Ausbildungsförde-
Auftrag des Bundestages vom 8. April 1959 nicht
rung schlechthin für alle staatlichen und staatlich
erfüllt und einen eigenen konstruktiven Plan zur
anerkannten Ausbildungsstätten vor und setzt da-
Berufsausbildungsförderung vorgelegt?
bei ganz allgemein nur bloße Eignung voraus. Of-
fentliche Ausbildungsförderung soll nach Meinung
der Bundesnegierung gewiß auf breiter Basis helfen Dr. Wuermeling, Bundesminister für Familien-
und die Bedingungen für den Start in das Berufs- und Jugendfragen: Herr Kollege Schellenberg, ich
leben einander möglichst angleichen. Aber es kann meine, ich hätte eben klar und deutlich zum Aus-
nicht ihr Sinn sein, jede beliebige berufliche Nei- druck gebracht, daß ein Entwurf der Referenten der
gung des Einzelnen mit einem Rechtsanspruch aus- drei zuständigen 'Ressorts ausgearbeitet ist und
zustatten und nahezu unbeschränkt zu fördern. Ein nunmehr mit den Ländern und den anderen in Be-
so übersteigerter Individualismus scheint der Bun- tracht kommenden Organisationen erörtert werden
desregierung im Blick auf die verpflichtenden Maß- muß. Dieses 'Gesetz, Herr Kollege Schellenberg,
stäbe des Gemeinwohls nicht vertretbar zu sein. wirft eine große Fülle von verfassungsrechtlichen,
verfassungspolitischen, pädagogischen, familien-
(Lachen bei der SPD.) rechtlichen, finanzpolitischen und sonstigen Proble-
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1962 1535
Bundesminister Dr. Wuermeling
men auf. Die SPD-Fraktion kann natürlich in einem seiner Stellungnahme zum Bundeshaushalt 1962, in
Initiativantrag schlicht und einfach über diese Dinge der Vorlage des Finanzausschusses, die auch mit
hinweggehen. Wir sind aber als Bundesregierung den Stimmen der sozialdemokratisch regierten Län-
genötigt, uns vor allem mit den Ländern über den der verabschiedet wurde, hinsichtlich der Studenten-
gemeinsam zugehenden Weg abzustimmen, unid das förderung die Auffassung vertreten hat, daß das
ist leider nicht in der kurzen Frist möglich gewesen, eindeutig eine Ländersache sei. Dieser Hinweis
zeigt, daß man es sich parteipolitisch nicht ganz 'so
(Lachen bei der SPD) leicht machen kann. Quer durch die politische
in der es uns erwünscht gewesen wäre. Struktur 'der Länder werden ganz unterschiedliche
Ich 'darf abschließend sagen, die Bundesregierung Auffassungen vertreten. Deshalb ist es erforderlich,
wird den von den beteiligten Ressorts, wie gesagt, daß die Bundesregierung sich mit der gebotenen
bereits weitgehend fertiggestellten . Entwurf mit Sorgfalt und Ausführlichkeit davon überzeugt, ob
Nachdruck weiter fördern und ihn dem Hohen ein Gesamtentwurf in 'der Breite, Wie Sie ihn anstre-
Hause .sobald wie möglich vorlegen. ben und auch wir im Grundsatz für richtig halten,
vom Bundesrat bejaht wird ober ob er nicht- schließ-
(Beifall bei den Regierungsparteien.) lich doch mit einem unsicheren Ausgang in Karls-
ruhe landet, womit wohl niemandem gedient wäre.
Vizepräsident Schoettle: Das Wort hat der Sie haben einige kritische Bemerkungen über den
Herr Abgeordnete Dr. Stoltenberg. Stand der Leistungen gemacht. Das Bild ist wohl
etwas günstiger, als hier anklang und als es nach
Dr. Stoltenberg (CDU/CSU) : Herr Präsident! manchen polemischen Darstellungen in der Offent-
Meine Damen und Herren! Es war zu erwarten, daß lichkeit und Publizistik erscheint. Auf Grund der
der sozialdemokratische Antrag in der Begründung bestehenden vielfältigen, ständig verbesserten Ein-
mit einigen kritischen Bemerkungen über Regie- zelibestimmungen von Bund und Ländern ist 'gerade
rung verbunden sein würde und daß begreiflicher- in den letzten Jahren eine ganz beträchtliche Stei-
weise auch an die Aufforderung des Bundestages an gerung der Leistungen zu verzeichnen, und es ist
die Regierung erinnert werden würde, einen ent- nützlich, einige Zahlen zu nennen. Im Jahre 1959
sprechenden Gesetzentwurf vorzulegen. Wenn uns wurden aus Bundesmitteln oder auf Grund von Bun-
aber bis zum heutigen Tage keine Vorlage der Re- desgesetzen 340 000 junge Menschen mit 330 Mil-
gierung zugegangen 'ist, dann ist das nach unserer lionen DM individuell in ihrer Ausbildung geför-
Auffassung nicht — wie es soeben in den etwas dert. 'Hinzu kommen die Leistungen der Länder, die
prononcierten Bemerkungen von Herrn Schellen- man nicht genau erfassen kann, die aber wohl an
berg anklang — ein Ausdruck der Saumseligkeit die 150 Millionen DM herankommen.
oder eines unverzeihlichen mangelnden Interesses, Es ist interessant, daß über den Bereich 'der
(Abg. Dr. Schellenberg: Sondern besonderen Kriegsfolgemaßnahmen hinaus, deren Problematik
Tatendranges!) in der rechtlichen Zersplitterung auch wir kennen,
gerade in den letzten zwei/drei Jahren ein Auf-
sondern, Herr Kollege Schellenberg, eine Konse- kommen der bisher zurückgebliebenen Gruppen
quenz oder ein Ausdruck der außerordentlichen festzustellen ist, jener Gruppen, die eben nicht in
Schwierigkeit der Materie, nicht zuletzt auch der erster Linie von der Kriegsfolgengesetzgebung er-
schwierigen verfassungsrechtlichen und verfassungs- faßt werden. Wir haben 'bei den Studenten an den
politischen Probleme, die mit diesen wichtigen Fra- Ingenieurschulen in den letzten drei Jahren eine
gen 'verbunden sind. Sonst wird ja von Ihrer Seite, Vervierfachung der Leistungen von 3,3 auf 15,3 Mil-
Herr Schellenberg, nicht mit 'Ermahnungen und Vor- lionen DM und 'bei den Studenten an Pädagogischen
würfen 'gespart. Wenn wir einmal in einer solchen Hochschulen, die früher immer etwas im Schatten
verfassungsrechtlich schwierigen Frage einen Pro- gestanden haben, in den letzten drei Jahren fast
zeß verlieren, das Bundesverfassungsgericht fest- eine Verdreifachung der Leistungen von 7,2 auf
stellt, 'daß diese oder jene vom Bundestag — 19,3 Millionen DM festzustellen.
manchmal auch mit Ihren Stimmen — beschlossene
Maßnahme nicht seinen Normenentspricht, dann (Abg. Kahn-Ackermann: Die Studenten
wird uns 'vorgehalten, daß wir ein politisches Zweck- zahlen sind gestiegen!)
denken über die rechtlichen Normen setzen. Was — Aber doch nicht in diesem Verhältnis, Herr Kol-
in Fällen gilt, in denen die Mehrheit sich aus wohl- lege Kahn-Ackermann, doch nicht auf das Vierfache
erwogenen und ihrer Auffassung nach auch recht- und Dreifache! Sicher ist dabei auch zu berücksich-
lich guten Gründen für eine solche Maßnahme ent- tigen, daß die Studentenzahlen um 30 bis 50 %
schlossen hat und wo sie dann eines anderen be- gestiegen sind. Aber die Leistungen sind eben um
lehrt wird, das 'sollten Sie auch für Ihr eigenes Ver- 300 oder 400 % gestiegen. Ich sage das nur, damit
halten und Ihre eigene Politik gelten lassen. wir uns über die Grundlagen der Diskussion klar
sind, nämlich den Tatbestand, daß über die Kriegs-
Die (Bundeskompetenz 'ist für den Bereich der Ar-
folgengesetzgebung hinaus auf Grund von prakti-
beitsverwaltung der gewerblichen Wirtschaft ein-
schen und gesetzgeberischen Maßnahmen in Bund
deutig und unbestritten. Ihnen ist aber nicht unbe-
und Ländern bereits eine ganz beträchtliche Ver-
kannt, daß im Bereich des Bildungswesens, der
mehrung dieser Leistungen zu verzeichnen ist.
Hochschulen und Schulen bei den Ländern ganz
andere Auffassungen vertreten werden. Ich 'darf Es ist auch nicht so, wie es in einem sozialdemo-
darauf verweisen, daß der Bundesrat zuletzt noch in kratischen Leitartikel heißt — hier klangen diese
1536 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1962

Dr. Stoltenberg
Töne erfreulicherweise nicht an, aber man hört sie äußert haben. Ich will auf diese Diskussion im ein-
in der Offentlichkeit —, daß wir mit unseren Lei- zelnen nicht eingehen. Ich bin in Übereinstimmung
stungen in Westeuropa an letzter Stelle stehen oder mit dem Sprecher der Bundesregierung der Ansicht,
daß wir uns mit den Nachbarländern in keiner daß die Frage, ob man die Studentenförderung ein-
Weise messen könnten. Vor kurzem ist im Bundes- beziehen soll, ob man sie nur mit einer General-
arbeitsblatt ein interessanter Aufsatz von Gerhard klausel berücksichtigen oder ob man etwa auf an-
Vogel erschienen, in dem dargestellt wird, was die dere gesetzliche Regelungen auf einer anderen ver-
anderen europäischen Länder tun. Danach kommt fassungsrechtlichen Grundlage verweisen soll, erst
man zu dem Ergebnis, daß wir bereits deutlich über in den Ausschußverhandlungen mit aller Sorgfalt
den Leistungen anderer Staaten wie etwa Belgien, geprüft und entschieden werden kann. Auf jeden
Italien und 'Schweiz liegen. Fall gilt gerade auch für den Bereich der Hochschul-
förderung — und hier setzt die Kritik der wissen-
Im übrigen möchte ich, bevor ich mich den Einzel- schaftlichen Selbstverwaltungsorganisationen an den
fragen dieses SPD-Entwurfs zuwende, einmal fol- Tendenzen Ihres Entwurfs ein —, daß es nicht zu
genden Gesichtspunkt betonen. Die nachhaltigste einer Veränderung des im Grunde bewährten
Förderung der Jugend liegt unseres Erachtens in Systems, das wir mit dem Stichwort „Honnefer Mo-
einer richtigen und erfolgreichen Wirtschaftspolitik, dell" umschreiben können, also nicht zu einer un-
die der Jugend aus sich heraus und auch mit der gezielten, fast unbegrenzten Breitenförderung kom-
Hilfe von Staat und Gesellschaft Chancen gibt. Ich men darf, die allerdings das Bild unserer Hochschu-
glaube, man darf, wenn so manche zu kritischen len negativ auf das schwerwiegendste beeinflussen
und bitteren Töne in der öffentlichen Diskussion würde.
dieser Frage anklingen, doch auch einmal sagen:
Noch niemals hat eine junge Generation in unserem Wir sagen dabei ein entschiedenes Ja zu einem
Lande durch die wirtschaftliche Situation, verbunden systematischen Ausbau der Förderungsmöglichkei-
mit der Staatshilfe, so reiche Möglichkeiten weit- ten gerade auch für das Hochschulstudium für Ju-
gehend unabhängig von der sozialen Herkunft im gendliche aus sozial schwachen Familien. Hier ist
beruflichen Leben gehabt wie die heutige junge die soziale Struktur noch nicht so positiv — das ist
Generation. von meiner Vorrednerin mit Recht gesagt worden
(Beifall bei der CDU/CSU.) — wie in einigen anderen westlichen Ländern. Im-
merhin haben wir eine Verdoppelung der Zahl der
Ich möchte mich nun bei der ersten Lesung nur
Arbeiterkinder an den Hochschulen gegenüber dem
ganz kurz einigen Detailfragen dieser außerordent-
Anfang der fünfziger Jahre, allerdings auch im Rah-
lichen vielfältigen und schwierigen Materie zuwen-
men einer Steigerung der Zahl der Studierenden
den. Ich möchte hier folgende These aufstellen, die
überhaupt. Es ist allerdings die Frage, inwieweit
Sie mir bitte nicht übelnehmen wollen: Der zeitliche
es materielle und inwieweit es nicht auch psycholo-
Vorsprung der Sozialdemokratie mit ihrer Gesetzes-
gische Gründe sind, die zu diesem verhältnismäßig
initiative ist mit erheblichen sachlichen Mängeln
starken Zurückbleiben bei uns führen; eine Frage,
erkauft.
zu der die Soziologen manche Beiträge geliefert
Für uns ist zunächst einmal sehr gravierend — haben.
und hier scheiden sich offenbar die Auffassungen,
das wissen wir aus anderen Diskussionen —, daß Ein zweiter entscheidender Einwand, den wir zu
der wesentliche Begriff der Eignung, der Qualifika- erheben haben, ist die Nichtberücksichtigung der
tion in den 31 Paragraphen dieses Entwurfs nur ein- Leistungen der Wirtschaft, auch der Arbeitnehmer-
mal auftaucht, nämlich im ersten. Dies kann — es organisationen, gemeinnütziger Stiftungen und pri-
muß nicht sein, aber es kann, und manches, was wir vater Vereinigungen. Das sind so große Leistungen,
aus sozialdemokratischen Kreisen hören, spricht da- daß es völlig unerträglich ist, daß wir hier im Parla-
für — eine Preisgabe des bisherigen, weiter zu ent- ment einen Gesetzentwurf verabschieden, in dem
wickelnden und zu verbessernden, aber doch im nicht in wesentlicher Weise auch diese Leistungen
Grundsatz ausgewogenen Systems von Bedürftigkeit gewürdigt, aber auch praktisch in der Gesetzes-
und Qualifikation als den wesentlichen Normen für systematik einbezogen werden.
eine staatliche Politik auf diesem Gebiet zur Folge
Schließlich ist zu sagen, daß die finanziellen Aus-
haben. Es bleibt allerdings unseres Erachtens der
wirkungen außerordentlich schwer abzuschätzen
entscheidende Gesichtspunkt, daß die zumutbare
sind. Es wäre einmal interessant zu hören — viel-
Eigenverantwortung und die Qualifikation die Aus-
leicht wird das in einer Veröffentlichung dargelegt
gangspunkte sind, auf die dann die staatliche Hilfe
werden —, wie diese Zahl von 850 Millionen DM,
wirkungsvoll folgt. Wenn wir diese Weichenstel-
die Sie nannten — vorsichtigerweise auch als eine
lung ändern — und einiges in Ihrem Entwurf spricht
Schätzung —, im einzelnen berechnet ist. Es gibt,
dafür —, dann hat das tiefgreifende und negative
Folgen für unser ganzes gesellschaftliches Leben. glaube ich, auch von den fachlichen Seiten der Bun-
desregierung noch keine abschließende Berechnung
Dies gilt für alle Berufszweige. Es gilt insbeson- darüber, was Ihr Entwurf kostet. Ich vermute aber
dere für die Hochschulen. Es ist schon von Herrn nach den bisher fragmentarischen Unterlagen, die
Minister Wuermeling darauf hingewiesen worden, ich habe, daß wir doch auf eine Zahl kommen, die
daß die wissenschaftlichen Organisationen — Rek- weit über eine Milliarde beträgt. Es kann überhaupt
torenkonferenz, Hochschullehrerverband usw. — gar kein Zweifel darüber bestehen, daß wir ernst-
erhebliche Bedenken gegen eine Einbeziehung der haft einen solchen Entwurf erst dann beraten kön-
Studentenförderung in diese Vorlage überhaupt ge- nen, wenn wir seine finanziellen Auswirkungen
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1962 1537
Dr. Stoltenberg
viel deutlicher sehen, als das aus den vagen Schät- Tat dem Hohen Hause einen Entwurf zuleitet, der
zungen möglich ist. noch bei den Ausschußberatungen Berücksichtigung
finden kann. Wir hoffen das um so mehr, als wir aus
Wir müssen uns mit den Sätzen und den Eigen- den genannten Gründen diesen Entwurf, den Sie
leistungen befassen. Es scheint mir allerdings auch eingebracht haben, nicht als eine voll befriedigende
ein Ausdruck einer flüchtigen Arbeit zu sein — zu- Basis ansehen können.
mindest im Detail —, wenn Sie einem fünfzehnjäh-
rigen Lehrling einen höheren Betrag zudenken, als Meine Fraktion schließt sich dem Antrag auf Aus-
ihn heute die Studenten an den wissenschaftlichen schußüberweisung an und bittet, als mitberatenden
Hochschulen bekommen. Ausschuß den Wirtschaftsausschuß hinzuzunehmen.

Zur Frage der Finanzträgerschaft haben Sie nur (Beifall bei der CDU/CSU.)
knapp, lapidar in etwa zehn Zeilen Stellung genom-
men. Sie wollen die Bundesarbeitsverwaltung für
die Lehr- und Anlernberufe zuständig machen und Vizepräsident Dr. Jaeger: Das Wort hat der
dann für die schulische Ausbildung, für die Hoch- Abgeordnete Dürr. -
schulen die Länder; und der Bundeshaushalt soll
dann diesen beiden Trägern 40 °/o zuschießen. Auch Dürr (FDP) : Herr Präsident! Meine Damen und
wir glauben, daß eine stärkere Beteiligung der Herren! Das Problem Ausbildungsförderung, das wir
Arbeitsverwaltung, eine Erweiterung ihrer Auf- heute in einer verhältnismäßig kurzen Zeit behan-
gaben ein ernstzunehmender Vorschlag, vielleicht deln, gäbe ein Diskussionsthema für dieses Hohe
die Lösung für diesen Bereich sein kann. Aber sonst Haus für mindestens einen ganzen Tag, ohne daß
haben wir ernste Bedenken gegen die eindeutige man sagen könnte, wir hätten im Plenum in der
Schwächung der Stellung des Bundes, den Ihr Ge- ersten Lesung allzu viel Detailfragen vorweggenom-
setzesantrag in der Finanzträgerschaft für den schu- men. Seit ,dem Jahre 1955 besteht ein Bundestags-
lischen Bereich, den Bildungsbereich und die Hoch- beschluß, daß die Bundesregierung ein Ausbildungs-
schulen bedeutet. Die Richtlinienkompetenz — mit förderungsgesetz vorlegen soll. Die Fraktion der
Zustimmung des Bundesrates —, die Sie dem Bund FDP war bis 1961 in der Opposition. Wir haben uns
zusprechen wollen, kann, dafür gibt es ja viele Er- aber in dieser Zeit gehütet, die Bundesregierung zu
fahrungen auch in anderen Bereichen, ausgehöhlt rügen, daß sie dieser Forderung nicht rechtzeitig
werden, wenn die Finanzkompetenz so eindeutig nachgekommen sei. Wir haben uns damals als
auf die Länder fällt — die sie bisher im Bereich Oppositionspartei davor gehütet, weil es uns klar
etwa der wissenschaftlichen Hochschulen nicht war, wie vielfältig und wie schwierig dieses Gebiet
haben — und der Bund im Grunde, entschuldigen ist, in dem es nicht nur auf dem verfassungsrecht-
Sie den Ausdruck, in die Rolle eines Alimentärs ab- lichen Sektor von neuralgischen Punkten geradezu
gedrängt wird. Diese Frage ist mit aller gebotenen wimmelt.
Sorgfalt zu prüfen. Wir halten aus den genannten
Gründen gerade im Interesse einer einheitlichen Es ist verständlich — und insofern stimme ich dem
Ausbildungsförderung über die Grenzen der Länder Kollegen Stoltenberg zu —, daß eine Oppositions-
hinweg, für die Sie sich ausgesprochen haben, den fraktion, die zu diesem Problem einen Gesetzent-
Weg, den Sie vorschlagen, nicht für richtig. wurf einreicht, es bei diesem Entwurf auf Kosten
der Qualität gehen lassen muß. Andererseits, Herr
Ich möchte zum Schluß folgendes sagen. Diese Kollege Stoltenberg — Sie waren nie in einer Partei,
kritischen Anmerkungen sollten die These bestäti- die in parlamentarischer Opposition stand —,
gen, daß Ihr Antrag sicher eine Reihe von wichtigen
und beachtlichen Ansatzpunkten für die weitere (Zuruf von der CDU/CSU: Doch! — Zuruf
Diskussion bietet, daß er aber aufs Ganze gesehen von der SPD: Noch nicht!)
eben doch dadurch bestimmt ist: der zeitliche Vor-
müssen Sie — und das mildert den Vorwurf — die
sprung ist auf Kosten der Qualität gegangen. Der
Schwierigkeiten bedenken, die eine in der Oppo-
Entwurf ist unfertig und unseres Erachtens mit be-
sition stehende Partei ohne Rückhalt des der Partei
trächtlichen, auch mit bedenklichen Mängeln behaf-
angehörenden Ministers und seiner Berater hat. Was
tet. Wir haben gehört, daß aus Ihren eigenen Krei- soll eine in der Opposition stehende Partei aus dem
sen Kritik geübt worden ist. Ich habe etwa die Wunsch nach Beschleunigung schon anderes machen,
Stellungnahme des Sozialdemokratischen Hochschul- als durch Einreichung eines Gesetzentwurfs die
bundes gelesen, der in der Frage der Zuständigkeit Sache zur Diskussion zu bringen, nachdem sie den
für die wissenschaftlichen Hochschulen eine andere Weg über einen Antrag, die Regierung möge ein
Auffassung vertritt, auch in der Frage der gesetz- Gesetz einbringen, bereits vor längeren Jahren be-
lichen Regelung. nutzt hat?
Diese Debatte kann sicher ein Ansporn, sie soll
(Heiterkeit. — Abg. Dr. Mommer: Sehr ver
ein Ansporn für Regierung und Parlament sein, sich nünftig, Herr Dürr!)
nun mit Nachdruck diesen Dingen zuzuwenden. Wir
hoffen auch — ich verstehe die Ausführungen von Aus dieser Haltung heraus, die den Schwierigkei-
Herrn Minister Wuermeling so —, daß die Bundes- ten der Sache Rechnung trägt, möchte ich ein paar
regierung nach den erforderlichen gründlichen Be- kritische Bemerkungen zum Inhalt des Éntwurfs
ratungen mit den Ländern vor allem über die ver- machen. Ich will nicht behaupten, Herr Kollege
fassungsrechtliche, verfassungspolitische Seite in der Dr. Mommer, daß, wenn unsere Fraktion einen Ent-
1538 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1962

Dürr
wurf eingereicht hätte, er mit Sicherheit weit, weit rung dieses Ausschusses ist auch aus den pädago-
besser als der SPD-Entwurf gewesen wäre. gischen Gründen zweckmäßig, die 'der Minister vor-
hin erwähnt hat, und zwar deshalb, weil staatliche
(Abg. Dr.Mommer: Das ist klar! Versteht Regelungen Änderungen in der Wertung bringen
sich! — Erneute Heiterkeit.) können, die bestimmte Berufsgruppen in der
Das erste Bedenken, das wir haben, ist bereits öffentlichen Meinung genießen.
angedeutet worden. Es betrifft die verfassungs- Ich möchte diesen abstrakten Satz an einem kur-
mäßige Zuständigkeit. Meine Damen und Herren, zen Beispiel erläutern. Es wäre falsch, und es wäre
wenn wir die verfassungsmäßige Zuständigkeit des schlimm, wenn etwa in der Offentlichkeit die Mei-
Bundes in der Frage der Ausbildungsförderung aus nung aufkäme, der Absolvent einer höheren tech-
Art. 74 Ziffer 7 des Grundgesetzes herleiten, daraus nischen Lehranstalt habe eine sozial bedeutend
nämlich, daß der Bund Gesetze auf dem Gebiet der höhere Stellung als einer, der die Meisterprüfung in
öffentlichen Fürsorge erlassen kann, so ist das nicht einem Handwerk bestanden hat, und wenn sich dar-
gerade befriedigend, und auch jedem Nichtjuristen aus dann die Folgerung ergäbe, daß Leute, die her-
wird es schon gefühlsmäßig nicht sehr einleuchten. vorragende Handwerksmeister geworden wären,
Der Empfänger von Fürsorge würde bei einer so glaubten, das könnten sie ja nicht werden, denn sie
weiten Ausdehnung des Begriffs nicht mehr einer seien zu Höherem berufen und müßten mindestens
sein, dem im Notfall geholfen wird, sondern der Ingenieur sein. Wir brauchen auf allen Gebieten
Empfang von Fürsorge würde für die meisten der gute Leute. Das nur als Beispiel zu dem aufgeworfe-
Regelfall. Der traditionelle Begriff der öffentlichen nen Problem.
Fürsorge würde völlig gesprengt.
Wir geben zu, das Tohuwabohu der Ausbildungs-
Ich gebe zu, daß man auch nicht gerade sagen beihilfen hat dazu geführt, daß wir beinahe noch
kann, daß ein Bundesgesetz über Ausbildungsförde- Ausbildungsbeihilfenberater als Wegweiser durch
rung mit Sicherheit zur Förderung der wissenschaft- diesen Irrgarten brauchen. Ob es aber so leicht ist,
lichen Forschung gehört, für die nach Art. 74 Zif- sozusagen mit einem Schwertstreich zu einer Ver-
fer 13 des Grundgesetzes dem Bund die konkurrie- einheitlichung zu kommen, wie es der SPD-Entwurf
rende Gesetzgebung zusteht. machen will, das ist fast zu schön, um wahr zu sein.
Allein deswegen ist der Antrag berechtigt, daß Wir haben gelinde Zweifel und wollen im Ausschuß
dieser Gesetzentwurf auch dem Rechtsausschuß zur genau prüfen, ob diese Zweifel berechtigt sind.
Mitberatung überwiesen wird.
Ein letztes. Die Kammern und Verbände der Wirt-
Ich bitte das Hohe . Haus, nicht den Fehler zu schaft haben bisher bei der Berufsausbildung dem
machen, der im vergangenen Bundestag gemacht Staat eine Menge von Arbeit abgenommen, und für
worden ist, als man den Entwurf eines Gesetzes zur diese Arbeit in den letzten Jahrzehnten sind wir
Änderung des Reichsjugendwohlfahrtsgesetzes dem diesen Kammern und Verbänden Dank schuldig.
Rechtsausschuß nicht überwiesen hat. In diesem Fall Diese guten Erfahrungen sprechen zumindest prima
sollten wir den Rechtsausschuß unbedingt mitbe- facie dafür, daß ernsthaft geprüft werden sollte,
ratend tätig werden lassen. wieweit diese Kammern und Verbände der Wirt-
(Abg. Jahn: Sehr richtig!) schaft auch bei der Durchführung der Ausbildungs-
förderung eingeschaltet werden können. Deshalb
Wenn verfassungsrechtliche Bedenken bestehen, sollten sich unsere Fachleute auf diesem Gebiet,
ist auch von seiten der Bundesministerien Behut- nämlich die von den Fraktionen in den Wirtschafts-
samkeit und nicht abruptes Vorgehen erforderlich. ausschuß entsandten Mitglieder, mit dieser Materie
Das wollen wir Herrn Bundesminister Wuermeling befassen.
zugestehen angesichts der Tatsache, daß die Oppo- Der Herr Bundesminister für Familien- und Ju-
sition auf einem anderen Gebiet, nämlich in der gendfragen hat eine Stellungnahme abgegeben, die
Frage der Regelung des Notstands, den jetztigen vielleicht nicht übermäßig kulant in der Form gewe-
Bundesinnenminister Höcherl für seine Behutsam- sen ist. In der Sache stimmen wir Freien Demokra-
keit viel mehr lobt als seinen Vorgänger. ten dieser Stellungnahme voll zu, und wenn wir
Wir haben die Tendenz in der Bevölkerung, sich Herrn Minister Wuermeling dieses Kompliment ma-
oft, viel zu oft auf den Staat zu verlassen. Bei der chen, dann ist es um so echter, weil ja das Verhält-
Beratung dieses Entwurfs muß das Verhältnis zu nis der Freien Demokraten zum Minister Wuerme-
den freien Trägern, die bisher Ausbildungsförde- ling in den letzten Jahren nicht durch dauernde
rung geleistet haben, geklärt und genau durchge- Übereinstimmung gekennzeichnet gewesen ist.
prüft werden. Kein Ausbildungsförderungsgesetz
darf ungewollt ein Abschreckungsinstitut für Mä- (Beifall bei der FDP. — Heiterkeit. — Abg.
zene sein. Memmel: Sehr freundlich ausgedrückt!)

Die Studentenförderung ist einer der Kernpunkte


des Entwurfs, nicht deshalb, weil die meisten, die Vizepräsident Dr. Jaeger:. Das Wort hat der
unter die Empfänger von Ausbildungsförderung Abgeordnete Lohmar.
fielen, Studenten wären, sondern deshalb, weil die
Regelung für Studenten als Leitbild für viele andere Lohmar (SPD) : Herr Präsident! Meine Damen
angesehen wird. Deshalb erscheint es richtig und und Herren! Als die sozialdemokratische Bundes-
nötig, den Familien- und Jugendausschuß federfüh- tagsfraktion vor einiger Zeit ihren Entwurf dieses
rend mit diesem Gesetz zu befassen. Die Federfüh- Gesetzes veröffentlichte, hörten wir als erste Reak-
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1962 1539
Lohmar
tion der Christlich-Demokratischen Union darauf, wir regierung erwartet. Abgesehen davon, ist es aber
rennten damit offene Türen ein. Nun, meine Damen schon terminologisch nicht möglich, beides zugleich
und Herren, die CDU/CSU hat uns heute einen zu befürchten. Man kann nicht auf der einen Seite
Spalt zu der Kammer ihrer Vorstellungen geöffnet. übersteigerte individualistische Auswirkungen und
Aber ich muß sagen, daß das Mobiliar, das hinter auf der anderen Seite versorgungsstaatliche Ten-
dieser Tür an Vorstellungen sichtbar geworden ist, denzen befürchten.
mehr als dürftig und außerdem altmodisch ist. Lassen Sie mich die Gelegenheit benutzen, eines
(Beifall bei der SPD. — Zurufe von der noch einmal ganz klar zu stellen. Die Sozialdemo-
CDU/CSU.) kraten haben in ihrem Godesberger Programm und
im Regierungsprogramm des Jahres 1961, das auch
Ich darf zunächst ein paar Bemerkungen zu dem die Grundlage unserer parlamentarischen Arbeit in
machen, was Herr Bundesminister Wuermeling ge- diesem 4. Bundestag ist, klar gesagt, daß wir einen
sagt hat. Er hat erstens gemeint, der Entwurf der modernen Sozialstaat wollen. Ein solcher moderner
Sozialdemokraten gehe in der Fixierung seiner Sozialstaat ist nach unserem Selbstverständnis das
Grundnorm der Eignung über das Mögliche und Gegenteil eines totalen Versorgungsstaates. Wir
Wünschenswerte hinaus. Herr Minister, ich kann -
wollen eine Politik der Hilfe zur Selbsthilfe und
mir schlecht vorstellen, daß ein Entwurf wie der nicht eine Politik, die den Menschen die Eigenver-
von uns vorgelegte unberechtigterweise etwas dar- antwortung abnimmt.
über aussagen könnte, was ohnehin im Grundgesetz
und in einer Reihe von Artikeln der Länderverfas- (Beifall bei der SPD.)
sungen als Forderung vorgesehen ist. Wir haben Das Ziel dieses Gesetzes ist es, die jungen Men-
nichts anderes getan, als den Versuch gemacht, die schen in die Lage zu versetzen, die Verantwortung
entsprechenden verfassungsrechtlichen Normen mit für ihr Leben auf Grund bestmöglicher Startbedin-
einem konkreten Inhalt zu füllen. Wenn Sie also gungen selber zu tragen.
von einer zu weitgehenden Grundnorm sprechen,
müssen Sie diese Polemik gegen die Verfassung (Erneuter Beifall bei der SPD.)
richten — was immerhin interessant wäre —, aber
nicht gegen den Entwurf, den die Fraktion der SPD Das wollen wir, das verstehen wir unter einem
vorgelegt hat. modernen Sozialstaat.
(Zuruf von der CDU/CSU: Theoretisch
Der Herr Bundesminister hat sich weiter die Fest-
sind wir uns einig!)
stellung erlaubt, der Entwurf der Sozialdemokraten
führe, wenn man ihn annähme, zu einer Behinde- — Das ist schön. Nur ist es oft so, daß die Einigung
rung der freien Kräfte. Ich weiß, daß die Christlich über Grundsätze leichter zu erzielen ist als die Ver-
Demokratische Union kein, wie man so schön sagt, ständigung über die konkrete Ausgestaltung.
„Intelligenzblatt" hat. Aber sie hat eine ihr nahe-
stehende Zeitung für die christlich-demokratischen (Abg. Schmücker: Genau! Das beweist Ihre
Studenten, die unter dem Titel „Civis" seit lan- Politik!)
gem erscheint. In der letzten Ausgabe dieser christ- — Entschuldigen Sie, Herr Kollege Schmücker! Wir
lich-demokratischen Zeitschrift kann man lesen, der haben es doch immerhin fertiggebracht, einen Ent-
Entwurf der SPD gehe — ich zitiere — „streng nach wurf vorzulegen, während trotz der großen perso-
katholischem Subsidiaritätsprinzip und Elternrecht, nellen und technischen Vorteile, die der Herr
gepaart mit dem Sozialstaatsprinzip des Grund- Kollege Dürr der Bundesregierung und der Mehr-
gesetzes" vor. Meine Damen und Herren, ich heitsfraktion attestierte, dieser kompakte Apparat
möchte wenigstens zu bedenken geben, warum die dazu offenbar nicht in der Lage gewesen ist. Das
Redakteure und Mitarbeiter der Ihnen nahestehen- sollten Sie doch immerhin als eine Vorleistung der
den Zeitung — zu Recht — zu einem solchen. Urteil Opposition anerkennen. Wenn Sie schon eine solche
kommen, das ja doch in krassem Gegensatz zu der technische Überlegenheit haben und wir Ihnen au-
apodiktischen Feststellung des Herrn Bundesfami- ßerdem noch Arbeit abnehmen, sollten Sie das
lienministers steht. dankbar begrüßen, meine Damen und Herren.
Drittens darf ich einige Bedenken zu dem machen, (Beifall bei der SPD. — Abg. Behrendt:
was der Herr Bundesminister über einige andere Herr Schmücker, das geben Sie zu, wenn
von. ihm und, wie er sagte, offensichtlich von der Sie in der Opposition sind!)
Bundesregierung im ganzen befürchtete Auswirkun-
gen unseres Gesetzesvorschlages gesagt hat. Er hat Der Herr Bundesminister hat in seiner Antwort
einmal davon gesprochen, das Gesetz bewirke einen auf unseren Entwurf weiterhin gesagt, dieser Ent-
übersteigerten Individualismus. Etwas später hat er wurf gehe bezüglich der vorgesehenen Mittel weiter
seiner Befürchtung Ausdruck gegeben, es berge ver- als z. B. die Studentenförderung nach dem Honnefer
sorgungsstaatliche Tendenzen in sich. Herr Kollege Modell. Das ist richtig. Wir haben in der Tat die
Dürr hat sich der Stellungnahme des Bundesfamilien- Absicht, bessere Lösungen für die Studenten zu
ministers angeschlossen. Von besonderem Interesse, erzielen, als sie das Honnefer Modell vorsieht. Ich
Herr Kollege Dürr, wäre es für mich, zu erfahren, entnehme der vorläufigen Antwort des Bundes-
was Sie als Freier Demokrat gegen übersteigerte ministers mit Interesse, daß die Bundesregierung
individualistische Tendenzen einzuwenden haben. offenbar nicht gewillt ist, dieser unserer Absicht zu
Wenigstens in diesem Punkt hätte ich eine Abgren- folgen. Wir werden darüber bei anderer Gelegen-
zung gegenüber der Stellungnahme der Bundes- heit sprechen müssen.
1540 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1962

Lohmar
Ich habe nach der Antwort der Bundesregierung tet habe. Nun, wir sind darauf gespannt, in den
und auch nach dem Diskussionsbeitrag des Herrn Ausschußberatungen Näheres darüber zu hören, wo
Kollegen Dr. Stoltenberg überhaupt den Eindruck, und in welchen Punkten eine solche Kritik ansetzen
daß die Bundesregierung und die Mehrheitsfrak- will. Wir sehen dem mit Gelassenheit entgegen.
tion sich sehr wohl der Tatsache bewußt sind, daß Ihre Vorstellung, Herr Kollege Dr. Stoltenberg, daß
die Realisierung der Forderungen unseres Entwurfs nach unserem Entwurf ein Lehrling mehr bekommen
z. B. eine sehr weitgehende Vergrößerung der Zahl solle als ein Student, ist durch den Text unseres
junger Menschen mit sich bringen könnte, die auf Entwurfs nicht gedeckt. Insofern muß ich Ihnen 'den
Hochschulen und auf Fachschulen drängt. Daß Sie Vorwurf machen, daß Sie sich Ihre Kritik zu leicht
sich über die damit auf den Bund und die Länder gemacht haben.
zukommenden finanziellen Belastungen durchaus
Im übrigen meine ich, daß wir über den guten
klar sind, ist offensichtlich; nur müssen Sie uns
Willen der Bundesregierung nicht allzu sehr strei-
erlauben, daß wir Sie hier wie bei anderer Gele-
ten. sollten. Ich möchte Sie dazu an ein dem Fran-
genheit vor die Frage der Rangordnung der poli-
zosen Malraux zugeschriebenes Wort erinnern, wo-
tischen Ziele in diesem Staat stellen werden.
- in der
nach es sich in der Politik so verhalte wie
(Abg. Dr. Stoltenberg: Herr Lohmar, wir Kunst: das 'Gegenteil des iGuten sei manchmal nicht
warten immer noch auf diejenigen, die Sie das Schlechte, sondern das Gutgemeinte.
heruntersetzen wollen; Sie wollen immer
(Beifall bei der 'SPD.)
alle hochsetzen!)
— Aber Herr Stoltenberg! Wir haben doch vor Vizepräsident Dr. Jaeger: Weitere Wortmel-
ein paar Tagen ein schönes Gespräch gehabt. Er- dungen liegen nicht vor. Soweit ich sehe, ist die
innern Sie sich daran. Da ergab sich zu später Auusschußüberweisung zum Teil umstritten. Einig
Stunde gewisse Übereinstimmung, die ich jetzt in scheint mir das Haus darin zu sein, daß der Antrag
der Hitze des parlamentarischen Gefechts nicht zer- Drucksache IV/415 an den Ausschuß für Familien-
reden will. und Jugendfragen überwiesen werden soll. —
Ich möchte noch eine Bemerkung zu dem machen, Widerspruch erfolgt nicht; dann ist so beschlossen.
was Herr Kollege Stoltenberg gesagt hat. Er hat Einstimmigkeit besteht wohl ebenso darüber, daß
sich auf die Bedenken der Westdeutschen Rektoren- der Antrag gemäß § 96 der Geschäftsordnung an den
konferenz bezogen, die diese gegenüber einigen Haushaltsausschuß zu überweisen ist. — Auch .das
Vorstellungen unseres Gesetzentwurfes geäußert ist beschlossen.
hat. Ich freue mich darüber, daß der Sprecher der
Sind Sie mit der Überweisung an den Ausschuß
CDU die Ansichten der wissenschaftlichen Institu-
für Arbeit — mitberatend — einverstanden? —
tionen bei dieser Gelegenheit ernster zu nehmen
Auch das ist einmütig beschlossen.
bereit ist, als z. B. bei den Haushaltsberatungen.
Das ist ein Fortschritt. Zur Sache möchte ich meinen, Dann ist also nur noch die Überweisung an den
daß wir in den Ausschußberatungen selbstverständ- Rechtsausschuß, an den Kulturausschuß und an den
lich eingehend z. B. mit der Westdeutschen Rek- Wirtschaftsausschuß strittig.
torenkonferenz werden diskutieren müssen. Uns (Zurufe von der SPD: Überweisung an den
liegt sehr daran, hier vorliegende Mißverständnisse Rechtsausschuß ist nicht strittig!)
auszuräumen; denn ich glaube, daß die meisten der
von der Westdeutschen Rektorenkonferenz geäu- — Kein Widerspruch gegen die Überweisung an
ßerten Bedenken entweder auf Mißverständnissen den Rechtsausschuß?
beruhen oder aber durch ruhige sachliche Über- (Zurufe: Nein!)
legung aus der Welt geschafft werden können.
— Dann ist auch Überweisung an den Rechtsaus-
(Abg. Dr. Stoltenberg: Das ist aber eine schuß beschlossen.
erstaunlich niedrige Einschätzung der Ur
teilsfähigkeit, wenn Sie hier nur von Miß Damit komme ich zur Frage: Soll der Antrag an
verständnissen sprechen!) den Wirtschaftsausschuß Überwiesen werden?
— Entschuldigen Sie, Politiker und Wissenschaft- (Zurufe.)
ler haben sicher das eine gemeinsam, daß sie beide — Wer für die Überweisung an den Wirtschaftsaus-
nicht vor Mißverständnissen geschützt sind. Ich schuß ist, den b itte ich um ein Handzeichen. — Ich
glaube nicht, daß Wissenschaftler für sich in An- bitte um die Gegenprobe. — Die Mehrheit ist da-
spruch nehmen, davon frei zu sein. gegen; es wird nicht an den Wirtschaftsausschuß
(Heiterkeit.) überwiesen.

Herr Kollege Dr. Stoltenberg hat für die Bun- Sind Sie dafür, daß an den Kulturausschuß über-
desregierung in Anspruch genommen, daß man ihr wiesen wird? Wer dafür ist, den bitte ich um ein
wenigstens den guten Willen attestieren solle so- Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. —
wie eine sehr sorgfältige Art der Vorbereitung ihres Das erste war die Mehrheit; der Antrag wird an
eigenen angekündigten Entwurfs. Er hat damit eine den Kulturausschuß — mitberatend — überwiesen.
Polemikgegenüber der „saloppen" Art verbunden, Außerdem wird der federführende Ausschuß ge-
mit der seiner Auffassung nach die sozialdemokra- beten, Mitglieder aus dem Kreise des Ausschusses
tische Bundestragsfraktion ihren Entwurf vorberei- für Kommunalpolitik und Sozialhilfe zu seinen Be-
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1962 1541
Vizepräsident Dr. Jaeger
ratungen hinzuzuziehen. — Auch darüber besteht der Produktion möglich ist, fortschreitende Ver-
Einigkeit. kürzung der Arbeitszeit, Verlagerung vom Manu-
ellen zum Geistigen infolge Mechanisierung, Tech-
Ich rufe auf Punkt 1'9 b der Tagesordnung: nisierung, Automation — ursprünglich notwendige
Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Handfertigkeiten werden von Apparaten abgenom-
betr. Berufsausbildungsgesetz (Drucksache IV/ men —, dafür schwierigere Aufgaben geistiger Art.
354) . Die bisherige Trennungslinie zwischen dem künfti-
gen Hand- und Kopfarbeiter Ist Idamit zerfranst.
Soll der Antrag begründet werden? — Bitte sehr. Beispiel: der Elektriker, der raffinierteste Schaltun-
gen für voll- oder halbautomatische Maschinen und
Folger (SPD) : Herr Präsident! Meine sehr geehr- Anlagen herstellen muß.
ten Damen und Herren! Ich habe den ehrenvollen
Auftrag, den Antrag der Fraktion der SPD betr. Die Einsicht, daß die Berufsausbildung rechtlich
neu unterbaut werden muß, ist nicht etwa die Idee
Berufsausbildungsgesetz, Drucksache IV/354, zu be-
gründen. Um alle Zweifel auszuschalten, mache ich oder das geistige Eigentum der Antragsteller, son-
-
dern sie ist schon 43 Jahre alt. Seit 19,19 wird be-
vorweg darauf aufmerksam, daß wir nur 'die recht-
liche Gestaltung und Sicherung der betrieblichen raten, geschrieben, gesprochen von 'der Notwendig-
Berufsausbildung und gewisse Formen 'der über- keit, auf diesem Gebiet etwas zu tun. 1929 wurde
betrieblichen Berufsausbildung meinen, 'z. B. die dem damaligen Reichstag der Entwurf eines Berufs-
Förderung gemeinsamer Lehrwerkstätten, nicht da- ausbildungsgesetzes vorgelegt, aber durch die tra-
gegen die zur Zuständigkeit der Länder gehörige gische politische 'Entwicklung nicht mehr verab-
schiedet. Die Naziregierung hat später einen neuen
Berufsausbildung in Berufsschulen, Fach-, Ingenieur-
und Hochschulen. Entwurf veröffentlicht, der — von den braunen
Arabesken abgesehen — auf dem alten Entwurf
Die in der einschlägigen Literatur und Statistik beruhte. Aber auch dieser ist nie verwirklicht wor-
genannten Zahlen über die in 'der Bundesrepublik den.
ständig in betrieblicher Berufsausbildung befind- Nach 1945 haben sich Jugendorganisationen, Für-
lichen jungen Menschen schwanken zwischen 1 1/4 sorgeverbände, Einzelpersönlichkeiten, die Verwal-
und 1 1/2 Millionen. Ungefähr 400 000 Lehrverträge tung für Wirtschaft der Bizone und der Deutsche
werden jährlich neu abgeschlossen. Gewerkschaftsbund um 'die notwendige Neugestal-
Ich bitte Sie daher inständig, unserem Antrag Ihre tung bemüht. Der ganze Leidensweg war bisher um-
volle Aufmerksamkeit zu widmen und an die Be sonst.
deutung, die sich aus diesen Zahlen ergibt, bei Ihren Die Lehrverhältnisse der gewerblichen Lehrlinge
Überlegungen und Ihrer Entscheidung zu denken. — das 'sind vorwiegend nur noch ,die Lehrlinge in
Der Herr Bundesminister für Arbeit und Sozial- der Industrie — werden durch die §§ 126 ff. der
ordnung denkt offensichtlich nicht an 'die Bedeutung Gewerbeordnung von 1869, die auf 'die jahrhun-
der Berufsausbildung für die jungen Menschen, dertealten Zunftbestimmungen zurückreichen, be-
nachdem er seine Mißachtung des Parlaments auch stimmt. Die betriebliche Berufsausbildung der jun-
heute wieder durch seine Abwesenheit demonstriert. gen Kaufleute richtet sich nach den §§ 76 ff. des
Handelsgesetzbuchs von 1897. Für die handwerk-
(Zuruf von 'der SPD: Sehr wahr!) lichen Lehrlinge wurde zwar in den §§ 17 ff. der
Handwerksordnung von 1953 eine Neuregelung ge-
Es geht uns nicht darum, die guten Leistungen in schaffen; das Merkmal dafür ist aber mehr eine
der Vergangenheit bei 'der betrieblichen Berufsaus- Separierung als eine Modernisierung.
bildung zu unterschätzen. Wir wollen auch nicht die
verantwortungsvolle, umfangreiche Arbeit, die die Alle sonstigen betrieblichen Berufsausbildungs-
SelbstvrwaungodeUtrhmbis verhältnisse, insbesondere im öffentlichen Dienst, in
geleistet haben, herabsetzen. Sie haben trotz einer der Land- und Forstwirtschaft, in der Hauswirt-
veralteten und mangelhaften Gesetzgebung das schaft, bei den Angehörigen der freien 'Berufe wie
getan. Jetzt heißt es, die ungerechtfertig- Mögliche Ärzten, Rechtsanwälten, Architekten, Ingenieuren,
ten Unterschiede zwischen den verschiedenen Aus- bei 'den wirtschafts- und steuerberatenden 'Berufen
bildungszweigen abzubauen. Die Praxis weicht von und bei den Maklern, richten sich nach 'den küm-
den geltenden 'Gesetzen ab 'und muß sich immer merlichen §§ 611 bis 630 des Bürgerlichen Gesetz-
mehr selber helfen, weil die Gesetzgebung 'den heu- buches, das am 1. 1. 1900 in Kraft getreten ist. Diese
tigen Verhältnissen nicht mehr genügt. Das ist Bestimmungen deis Bürgerlichen Gesetzbuches gel-
neben vielen anderen Mängeln 'die Ursache dafür, ten für Dienstverträge sowohl in abhängigen wie in
daß die Staatsbürger den Gesetzen nicht immer den unabhängigen Dienstverhältnissen und nehmen
notwendigen Respekt entgegenbringen. keine 'Rücksicht darauf, daß Lehrverhältnisse nicht
nur Dienst-, sondern auch Arbeitsverhältnisse sind,
Die Behauptung, 'daß die Gesetzgebung auf dem bei denen sich zusätzliche Erziehungs- und Aus-
Gebiete der betrieblichen Berufsausbildung nicht bildungspflichten ergeben.
mehr 'den 'Erfordernissen 'der 'Zeit entspricht, sei
mit einigen Stichworten begründet: Ausdehnung der Wir kennen außerdem noch das Berliner Gesetz
Volksschul- und Berufsschulpflicht, fortschreitende über die Berufsausbildung, von dem man sagen
Arbeitsteilung in den Betrieben, auch im Handwerk, kann, daß es die wünschenswerte Erfassung aller
so daß nicht mehr überall eine einwandfreie, viel- Berufsausbildungsverhältnisse gebracht hat. Aber
seitige Berufsausbildung am \Arbeitsplatz innerhalb leider macht eine Schwalbe noch keinen Sommer.
1542 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1962

Folger
Das Berliner Gesetz könnte eine brauchbare Vorlage Nach dem Berliner Gesetz müssen die Ausbilder
für das von uns geforderte Berufsausbildungsgesetz volljährig und fachtechnisch geeignet sein, außer-
abgeben. dem sollen sie berufspädagogisch geeignet sein.
Außerdem gibt es in Baden-Württemberg ein Ge- Ich frage: Ist ein Mitglied des Deutschen Bundes-
setz über die Berufsausbildung in der Landwirt- tages der Meinung, daß dieser himmelweite Unter-
schaft von 1959, in Bayern ein Gesetz über die prak- schied durch die sogenannte gewachsene Ordnung
tische Berufsausbildung in der Landwirtschaft von berechtigt ist? Daß ein Lehrling im graphischen Ge-
1954 und eine bayerische Verordnung über die Be- werbe nur von einem mindestens 24 Jahre alten
rufsausbildung in der ländlichen Hauswirtschaft von Lehrmeister angelernt werden darf und daß die Aus-
1961. bildung von jungen Kaufleuten — hier gibt es
ständig die größte Zahl von Lehrverträgen — von
Es gibt auch einige spezielle Gesetze, z. B. über jedermann vorgenommen werden kann? Wer mor-
die Berufsausbildung in verschiedenen Kranken- gen auf der anderen Straßenseite einen Krämer
pflegeberufen, und zahlreiche Gesetze, in denen Teil- laden aufmacht, kann einen Lehrling einstellen ohne
gebiete der Berufsausbildung berührt werden, wie Rücksicht darauf, wie alt er selber ist, was- er bisher
z. B. die Bestimmungen über Berufsberatung im getan hat und was er kann.
Gesetz über die Bundesanstalt für Arbeitsvermitt-
lung und Arbeitslosenversicherung. Man glaubt Gespenster zu sehen, wenn man man-
che anderen Vorschriften der Gewerbeordnung an-
Weitere Felder der betrieblichen Berufsausbil- schaut. So heißt es in § 127 Abs. 2:
dung werden ohne Rechtsgrundlage auf Grund
Übung, Praxis, Tradition beackert, so z. B. die so- Zu häuslichen Dienstleistungen dürfen Lehr-
genannte staatliche Anerkennung von Lehr- und linge, welche im Hause des Lehrherrn weder
Anlernberufen durch das Bundesministerium für Kost noch Wohnung erhalten, nicht herange-
Wirtschaft im Einvernehmen mit dem Bundesmini- zogen werden.
sterium für Arbeit und Sozialordnung. Das würde Mit anderen Worten heißt das, daß die unter die
weiter kein Unglück sein, wenn es nicht dadurch Gewerbeordnungen fallenden Lehrlinge, die Kost
auch viel Unkraut und wilde Auswüchse auf den und Wohnung im Hause des Lehrherrn erhalten,
Feldern gäbe. Es ' wäre reizvoll, die durch nichts ge- auch zu häuslichen Arbeiten herangezogen werden
rechtfertigten Unterschiede zwischen den vielen Aus- dürfen, obwohl das mit der Berufsausbildung nichts
bildungszweigen zu illustrieren. Ich beschränke mich zu tun hat. Allerdings dürfen nach der Handwerks-
auf einige wenige Beispiele. ordnung dem Lehrling nur solche Verrichtungen
übertragen werden, die dem Ausbildungszweck ent-
Nach einer erst einige Jahre alten Ergänzung der
sprechen. Nach der Gewerbeordnung ist der Lehr-
Gewerbeordnung haben im graphischen Gewerbe
ling der väterlichen Zucht, nach der Handwerksord-
nur solche Personen das Recht zur Ausbildung von nung der väterlichen Obhut unterworfen. Im Falle
Lehrlingen, die 24 Jahre alt sind und die Lehr-
unbegründeter Weigerung der Rückkehr in das
meisterprüfung abgelegt haben, mit begrenzten Aus-
Lehrverhältnis hat nach § 127 d der Gewerbeord-
nahmemöglichkeiten für den Fall des Todes des
nung die Polizeibehörde den Lehrling zwangsweise
Lehrherrn. Das heißt also: Mindestalter, Fachkennt-
in das Lehrverhältnis zurückführen zu lassen.
nisse und pädagogische Kenntnisse.
Wer von solchen mangelhaften, lückenhaften und
Nach der Handwerksordnung dürfen Lehrlinge rückständigen Gesetzen Kenntnis nimmt, kommt zu
nur von Personen angeleitet werden, die 24 Jahre der Ansicht, daß eine wichtige Vorausetzung für
alt sind und die Meisterprüfung gemacht haben, d. h. die Existenz der deutschen Bevölkerung vom Ge-
Mindestalter und Fachkenntnisse. setzgeber bisher sträflich vernachlässig worden ist.
Nach der Gewerbeordnung, mit Ausnähme des
Am 26. Juni 1958 hat mein leider sehr jung ver-
schon erwähnten graphischen Gewerbes, sind keine
storbener Fraktionskollege Heinrich an die Bundes-
anderen Bedingungen an das Recht zur Ausbildung
regierung die Frage gerichtet, ob ihr bekannt sei,
von Lehrlingen geknüpft als die Vorschrift, daß die
daß die Lehrlingsausbildung nach dem heutigen
Befugnis ganz oder auf Zeit entzogen werden kann,
Stand nicht mehr den veränderten Bedingungen von
wenn wiederholt grobe Pflichtverletzungen oder
Technik und Wirtschaft Rechnung trägt, und ob sie
Tatsachen vorliegen, die sie in sittlicher Beziehung
bereit sei, eine entsprechende gesetzliche Regelung
ungeeignet erscheinen lassen, ferner wenn sie wegen
zu treffen, gegebenenfalls bis wann. Der Herr Bun-
geistiger oder körperlicher Gebrechen nicht geeignet
desminister für Arbeit und Sozialordnung, Blank,
sind.
hat damals darauf u. a. geantwortet, daß bereits
Im Handelsgesetzbuch sind — mit Ausnahme der unter seinem Amtsvorgänger, Herrn Bundesarbeits-
auch sonst überall enthaltenen Vorschrift, daß Per- minister Storch, Besprechungen mit den beteiligten
sonen, die nicht im Besitz der bürgerlichen Ehren- Ressorts und den Sozialpartnerd geführt und Grund-
rechte sind, keine Lehrlinge ausbilden dürfen — züge für ein Rahmengesetz vorbereitet worden
keine Bedingungen an das Recht zur Berufsausbil- seien; gegenwärtig sei diese Frage Gegenstand von
dung geknüpft. Der Lehrherr ist nur dazu verpflich- Verhandlungen, die er vor einiger Zeit mit dem
tet, dafür zu sorgen, daß der Lehrling in den bei Bundesminister für Wirtschaft wieder aufgenom-
dem Betrieb des Geschäftes vorkommenden Arbeiten men habe. Seitdem war nichts mehr von ihm zu
unterwiesen wird. hören.
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1962 1543
Folger
Die 31. Konferenz der Arbeitsminister und Sena- daß nicht nur eine Addition alter Vorschriften, son-
toren für Arbeit der Länder vom 3. und 4. Novem- dern eine große Lösung notwendig ist.
ber 1960 in Hamburg war der Meinung, daß der (Sehr wahr! bei der SPD.)
Berufsausbildung überwiegend Faktoren der Sozial-
ordnung und Arbeitsmarktpolitik innewohnen. Die Umfassender Geltungsbereich, Rechte und Pflichten
bisherigen Regelungen im Rahmen des Gewerbe- der Lehr-Vertragsparteien, Eintragung und Prüfungs-
oder Wirtschaftsrechts seien nicht befriedigend, im wesen, Satzungsrecht der Kammern, staatliche An-
übrigen unzulänglich oder überholt. Eine gesetzliche erkennung und Streichung der Ausbildungsberufe,
Regelung müsse primär auf die Aufgabe, den In- arbeitsmarktpolitische Erfordernisse müssen berück-
halt und das Ziel der Berufsausbildung sowie des sichtigt werden. Wenn das schon früher bedacht
Berufsausbildungsverhältnisses abgestellt sein und und geregelt worden wäre, dann hätten wir wahr-
sich auf die Berufsausbildung in allen Produktions- scheinlich heute nicht den beängstigenden Mangel
zweigen sowie auf gewerbliche, kaufmännische und an Nachwuchs, z. B. im Lebensmitteleinzelhandel
Büroberufe einschließlich Hauswirtschaft erstrecken. und im Gastgewerbe. Ausbildungsbefugnis, Aner-
Der Herr Bundesminister für Arbeit und Sozialord- kennung und Förderung überbetrieblicher Ausbil-
nung wurde durch Beschluß der Länderarbeitsmini- dungsstätten, Gütestellen, Vergütung und Freizeit,
ster und Senatoren für Arbeit gebeten, unter Be- Beendigung des Ausbildungsverhältnisses, Mitwir-
rücksichtigung dieser gesammelten Erfahrungen für kung der Gewerkschaften müßten gemeinsam ge-
eine zusammenfassende gesetzliche Regelung der regelt werden.
Berufsausbildung in privaten und öffentlichen Be- Der Berufsausbildung der weiblichen Jugend muß
trieben des Handels, der Industrie, des Handwerks mehr Aufmerksamkeit gewidmet werden.
und der sonstigen Gewerbe, des Verkehrs, der Ver- (Beifall bei der SPD.)
sorgung sowie in Banken und Versicherungen, bei
freiberuflich tätigen Personen und in privaten und Die Zahl begabter jugendlicher Hilfsarbeiterinnen
öffentlichen Haushaltungen einzutreten und die ist viel zu hoch. Wir haben zur Zeit 37 % unge-
Vorlage eines entsprechenden Entwurfs zu veran- lernte Männer, aber 53 % ungelernte Frauen unter
lassen. Der Herr Bundesminister für Arbeit und So- den Erwerbstätigen. Das Ausbildungsniveau vieler
zialordnung, Blank, hat darauf wörtlich geäußert, kleiner Betriebe muß durch überbetriebliche Ein-
daß er nicht die mindesten Bedenken dagegen habe; richtungen gehoben werden, etwa durch Gemein-
der Beschluß könne Anlaß sein, daß die Bundes- schaftslehrwerkstätten, Ausbildungspläne, Schulung
regierung diese Frage aufgreife. Geschehen ist wie- der Ausbilder. Es kommt nicht nur auf die fachliche,
der nichts. Nur das Bundeswirtschaftsministerium sondern auch auf die menschliche, charakterliche
sowie auf die pädagogische Eignung an. Wir Sozial-
hat inzwischen einen Referentenentwurf, der auf
demokraten sind der Meinung, daß die Berufsaus-
eine Änderung der Gewerbeordnung abzielt, in die
bildung nicht in erster Linie von dem Gewerbezweig
Welt gesetzt. Wahrscheinlich will das Bundeswirt-
oder dem Zeitpunkt aus, zu dem die dafür gelten-
schaftsministerium den schon historischen Kompe-
den Bestimmungen erlassen wurden, gestaltet wer-
tenzkonflikt mit dem Bundesarbeitsministerium
den darf, sondern vom Jugendlichen aus. Er soll
durch einen Husarenstreich zu seinen Gunsten ent-
in allen Beschäftigungszweigen eine bestmögliche
scheiden. Durch diesen Husarenstreich sollen neben
und zuverlässige Berufsausbildung erhalten. Wir
Industrie und Handel auch Bergbau, Bundesbahn
wollen in Zukunft keine „Preiszettelabtrenner", son-
und Bundespost sowie kommunale Betriebe und das dern junge Kaufleute; wir wollen keine „Nur-
Hilfspersonal der freien Berufe einbezogen werden. Ersatzteilauswechsler", sondern Kraftfahrzeug-
(Abg. Memmel: Muß man das in dieser mechaniker. Wir wollen nicht länger 42 % an- und
Breite machen?) ungelernte Erwerbstätige. Wir wollen keine auf
spezielle Bedürfnisse des Betriebes abgestellte Be-
— Herr Kollege Memmel, die Frage der Berufs- rufsausbildung, sondern Rücksicht auf die umfassen-
ausbildung für 1,3 Millionen Menschen, die dauernd, den Anforderungen, die an eine vielseitig verwend-
seit Jahrzehnten, in der Offentlichkeit gefordert, bare Fachkraft zu stellen sind. Wir wollen keine
aber nicht realisiert wird, muß es wert sein, dar- Berufsausbildung in Einmannbetrieben, in manchen
über einmal eine halbe Stunde zu sprechen und all Büros und Verkaufsläden, in denen kein Ausbil-
die Fakten offenzulegen. dungspersonal vorhanden ist. Wir wollen die Lehr-
linge nicht als billige Arbeitskräfte mißbrauchen
(Beifall bei der SPD. — Zurufe von der lassen in Betrieben, in denen es keine Unterwei-
CDU/CSU.) sung oder gar Betreuung, keine methodische Aus-
Ich würde mich an Ihrer Stelle nicht so sehr dage- bildung gibt, bei denen die Hauptlast die Berufs-
gen spreizen, weil das in der Offentlichkeit dann die schule tragen muß und der Lehrling dem Zufall
Untätigkeit auf diesem Gebiet noch mehr offenbaren ausgeliefert ist. Die Spannweite zwischen hervor-
wird. ragender und schlechter Berufsausbildung ist bei
uns viel zu groß und muß durch die Ausschaltung
(Abg. Schütz: Nein, nein; es beweist nur, ungeeigneter Betriebe abgebaut werden.
daß jemand tätig war!)
Die Besorgnis in der gemeinsamen Erklärung der
Land- und Forstwirtschaft, einige freie, nicht ge- Spitzenverbände der Unternehmer vom Mai 1962,
werbliche Berufe und das ganze Handwerk sollen daß das gegenwärtige System durch eine zentra-
wieder draußen bleiben. Das wäre die sogenannte listische, bürokratische Regelung ersetzt werden
kleine Lösung. Wir Antragsteller sind der Meinung, soll, ist nicht gerechtfertigt. Es geht uns um das-
1544 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1962

Pohle
selbe, was die Spitzenverbände der Unternehmer Einen Gesetzentwurf mit so weitgehenden Maß-
in der gleichen Erklärung auch für notwendig hal- nahmen soll die Bundesregierung bis zum 1. Okto-
ten, nämlich um eine Verbesserung der Berufsaus- ber 1962 dem Hohen Hause vorlegen. Wir von der
bildung. CDU/CSU-Fraktion stimmen mit der SPD darin über-
Im Namen der .sozialdemokratischen Fraktion lade ein, daß die Bundesregierung den Entwurf eines
ich Sie ein, unserem Antrag zuzustimmen. Berufsausbildungsgesetzes vorlegen sollte, meinen
aber, daß die Frist bis zum 1. Februar 1963 verlän-
(Beifall bei der SPD.) gert werden muß.
Wir stimmen aber nicht mit den von der SPD zum
Vizepräsident Dr. Jaeger: Das Wort hat der Berufsausbildungsgesetz entwickelten Grundsätzen
Abgeordnete Diebäcker. in allen Teilen überein. Ich darf unsere Ablehnung
in wenigen Sätzen darlegen.
Diebäcker (CDU/CSU) : Herr Präsident! Meine Die Initiatoren übersehen offenbar, daß es sich
Damen und Herren! Ich werde mich relativ kurz bei unserem gegenwärtigen Berufsausbildungs-
fassen und hoffe, damit Ihre besondere Aufmerk- system um eine Ausbildung handelt, die nach den
samkeit einzufangen. Bedürfnissen der jeweiligen Sachgebiete gewach-
Niemand in diesem Hause verkennt die Bedeu- sen ist und die Eigenart der verschiedenen Berufs-
tung einer geordneten Berufsausbildung. Für die zweige, für die ein sachkundiger Nachwuchs zur Ver-
Wirtschaft, in deren Reihen die weitaus größte Zahl fügung gestellt werden muß, berücksichtigt. Meiner
der Auszubildenden steht, ist ein solides Ausbil- Meinung nach läßt sich kein überzeugender sach-
dungswesen die Basis für ein erfolgreiches Wirken licher Grund dafür vorbringen, die sehr unterschied-
überhaupt. Wir haben soeben schon gehört, daß zur lichen Verhältnisse innerhalb der gewerblichen Wirt-
Zeit 1,2 bis 1,3 Millionen Jugendliche in den Betrie- schaft, aber auch außerhalb der Wirtschaft, bei-
ben der Wirtschaft ausgebildet werden. Aber gerade spielsweise in der Landwirtschaft, in der Hauswirt-
weil es sich um ein so wichtiges Gebiet handelt, schaft und in vielen anderen Berufen, unter ein Ge-
sollte man nur mit äußerster Vorsicht an Reformen setz zu bringen, das das gesamte Gebiet der Berufs-
herangehen, von denen man noch nicht weiß, wie sie ausbildung perfekt und komplett regelt.
sich auswirken werden. Bemühungen dieser Art — wir haben es soeben
Selbstverständlich bedeutet die Tatsache, daß die gehört — sind schon in den zwanziger Jahren be-
Berufsausbildung, so wie sie sich heute in Deutsch- gonnen worden, ohne daß es bisher zu einem Er-
land präsentiert, auf eine lange Geschichte und eine folg auf diesem Gebiet gekommen wäre. Ich habe
große Tradition zurückblicken kann, noch lange den Eindruck, daß es ein Zeichen unserer organisa-
nicht, daß sie in allen Teilen unbedingt gutzuheißen tionsgläubigen Zeit ist, anzunehmen, daß durch der-
ist. Wir haben aber mit der Berufsausbildung in artige Dinge die Berufsausbildung selbst, auf die es
Deutschland gute Erfahrungen gemacht, und das letzten Endes ankommt, verbessert werden kann.
deutsche Ausbildungssystem wird vom Ausland Ich sagte schon, daß sich das Berufsausbildungs-
ohne Einschränkung als zweckmäßig, ja als nachah- wesen in den verschiedensten Zweigen unserer
menswert anerkannt. Ich betone nochmals: das soll Volkswirtschaft eigenständig entwickelt hat. Es
nicht heißen, daß wir hier Fehler einfach übersehen mußte diese Entwicklung nehmen, um den verschie-
dürfen. denen Anforderungen, die in den zahlreichen und
unterschiedlichen Berufen gestellt wurden, gerecht
Mir scheint aber, daß es sich bei dem vorliegen- zu werden.
den SPD-Antrag, mit dem die Bundesregierung auf-
gefordert wird, ein Berufsausbildungsgesetz vorzu- Man darf andererseits nicht verkennen, daß die
legen, nicht nur darum handelt, Fehler und Unzweck- Berufsausbildung schon heute sich in überschau-
mäßigkeiten auszumerzen. Es geht sicherlich um baren und übersichtlichen Ordnungssystemen dar-
mehr. Der Gesetzentwurf soll alle, wie es heißt,. stellt, die heute untereinander dort verbunden sind,
zersplitterten gesetzlichen Bestimmungen über die wo es erforderlich erscheint. Was ist mit einer rest-
Berufsausbildung nicht nur zusammenfassen, son- losen Erfassung auch des letzten Berufsausbildungs-
dern auch vereinheitlichen und der Entwicklung von verhältnisses und einer schematischen Vereinheit-
Technik und Wirtschaft anpassen. Dabei sollen alle lichung für die Leistungfähigkeit der Berufsaus-
Berufsausbildungsverhältnisse und alle Arbeitsver- bildung schließlich erreicht? Eine Gleichschaltung
hältnisse in sämtlichen Beschäftigungszweigen erfaßt aller Berufsausbildungsverhältnisse würde eine
werden, wobei nach dem Entwurf der SPD sicherzu- fortschrittliche Entwicklung auf diesem Gebiet nur
stellen ist, daß auch die nicht in Berufsausbildungs- behindern. Eine fortschrittliche Entwicklung, die
verhältnissen beschäftigten Jugendlichen in ihrem sich den wandelnden Verhältnissen der Technik und
Beschäftigungszweig eine Grundausbildung erhal- den veränderten Methoden der Wirtschaft anpaßt,
ten. ist dringend notwendig und wird auch gerade von
Besonders bemerkenswert erscheint mir, daß der der SPD gefordert. Wie aber sollen Bestimmungen
Gesetzentwurf die Berufsausbildung ausdrücklich als dieser Berufsausbildung, die in das starre Schema
eine öffentliche Aufgabe anerkennen und allen an eines allumfassenden Gesetzes gepreßt sind, den
der Berufsausbildung Beteiligten ein Selbstverwal- sichwandelnden Bedürfnissen des Alltags ange-
tungsorgan zur Verfügung stellen will. paßt werden können? Ein solches Gesetz wäre, ab-
gesehen von seinem Umfang, morgen wieder ver-
(Sehr gut! bei der SPD.) altet, und wir würden die Novellen, die notwendig
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1962 1545
Diebäcker
wären, um dieses Gesetz praktikabel zu gestalten, gewisse Verbesserungen auf dem hier in Rede
gar nicht so schnell verabschieden können, wie es stehenden Gebiet durchgeführt werden sollten. So
erforderlich wäre. müssen die zum Teil veralteten gesetzlichen Be-
stimmungen sicherlich zeitgemäßen Erfordernissen
(Zuruf von der SPD.)
von Wirtschaft und Technik angepaßt werden. Es
— Meine Herren, das liegt aber in Ihrem Antrag. sollten die vertraglichen Grundlagen des Lehrver-
Dann müssen Sie das deutlicher zum Ausdruck brin- hältnisses neuzeitlichen Bedürfnissen entsprechend
gen. gestaltet werden. Bei allen Reformen muß an 'dem,
(Zuruf von der SPD: Das liegt nicht drin!) so meine ich, bewährten Prinzip der Betriebslehre
festgehalten werden.
Eine sogenannte umfassende Regelung würde ledig-
lich, so meine ich, zu einem Rahmengesetz führen, Die Einheitlichkeit der Berufsausbildung sollte
bei dem die bunte Vielfalt des Lebens in einer ge- als oberstes Ordnungsprinzip gesichert werden.
radezu verwirrenden Fülle von Ausführungs- und Dies könnte geschehen durch die staatliche Aner-
Durchführungsbestimmungen eingefangen werden kennung 'der Ausbildungsberufe, durch die (einheit-
müßte. liche Festlegung 'der Lehrzeitdauer, durch -einheit-
liche Festlegung der Berufsbilder und Prüfungsan-
Die Initiatoren dieses Gesetzes übersehen weiter,
forderungen und durch einheitliche Regelung des
daß auch heute schon in erheblichem Umfang eine
Prüfungswesens. Darüber hinaus sollte im Inter-
Anpassung der Berufsausbildungsverhältnisse an esse einer fachgerechten und sachgemäßen Berufs-
die sich wandelnde Technik und Wirtschaft erfolgt,
ausbildung ungeeigneten Ausbildern und ungeeig-
ohne daß dieserhalb der Gesetzgeber bemüht zu
neten Betrieben — insofern stimmen wir auch
werden brauchte. Ich verweise in diesem Zusam- überein — die Ausbildungsbefugnis entzogen wer-
menhang beispielsweise auf die Arbeiten der Ar-
den können, und zwar schneller und besser und
beitsstelle für betriebliche Berufsausbildung, die
wirksamer, als das bisher der Fall war.
unter Heranziehung aller fachlichen und regionalen
Organisationen 'der Wirtschaft und der Gewerk- Schließlich sollte man bei einer Neuordnung des
schaften prüft, ob etwa ein neuer Lehrberuf geschaf- Berufsausbildungswesens auch davon ausgehen —
fen werden kann oder soll, ob ein schon vorhande- diese Dinge klangen soeben in den Ausführungen
ner Lehrberuf aufgehoben oder verändert werden des Sprechers der SPD nicht an —, daß eine nach
muß. Durch diese Arbeiten, die unter Beteiligung modernen Grundsätzen durchgeführte Berufsaus-
aller, d. h. der Unternehmer und der Arbeitnehmer, bildung für die Jugendlichen, für die Gesellschaft,
vor sich gehen, werden unmittelbar aus den Erfor- für die Unternehmer und Arbeitnehmer von gleich
dernissen der Praxis heraus die Ausbildungsziele großer Bedeutung ist. Daher sollte u. a. auch den
den gewandelten Verhältnissen von Wirtschaft und Arbeitnehmern etwa bei der Erarbeitung der Ord-
Technik angepaßt. nungsmittel für die Ausbildungsberufe oder 'bei der
Durchführung des Prüfungswesens und auf anderen
Der vorliegende Antrag möchte weiter die Be- Gebieten der Berufsausbildung eine angemessene
rufsausbildung als öffentliche Aufgabe gesetzlich Mitwirkung auf gesetzlicher Grundlage ermöglicht
anerkannt wissen und allen an der Berufsausbil- werden.
dung Beteiligten ein Selbstverwaltungsorgan zur
Verfügung stellen. Dies deutet darauf hin — ich Meine Damen und Herren, ich darf zum Schluß
drücke mich sehr vorsichtig aus: dies deutet darauf nochmals sagen, wir werden uns für die Annahme
hin —, daß die Initiatoren nach neuen Formen der des Abs. 1 des Antrages der SPD aussprechen mit
Organisation der Berufsausbildung suchen. Hier der Maßgabe, daß der Termin geändert und hier
möge man bedenken, daß immerhin die heutige der 1. Februar 1963 eingesetzt wird. Dagegen bitten
Berufsausbildung, so wie sie sich jetzt präsentiert, wir, den Abs. 2 und den Abs. 3 abzulehnen.
getragen wird von einer stattlichen Schar von (Beifall bei der CDU/CSU.)
80 000 ehrenamtlichen Prüfern aus dem Kreise der
Unternehmer und der Arbeitnehmer; von 80 000
Prüfern, die sich dieser Aufgabe mit hohem Idealis- Vizepräsident Dr. Jaeger: Das Wort hat der
mus widmen. Die Betriebe bringen für die Berufs- Abgeordnete Dr. Imle.
ausbildung jährlich die runde Summe von etwa
2,3 bis 2,5 'Milliarden DM aus eigenen Mitteln auf. Dr. Imle (FDP) : Herr Präsident! Meine sehr ge-
Auf 'freiwilliger 'Grundlage werden innerhalb der ehrten Damen und Herren! Dies wird sicherlich nicht
deutschen Wirtschaft mehr Lehrlinge ausgebildet die letzte Diskussion sein, die wir über die Berufs-
als in irgendeinem anderen Lande der Welt. Wenn ausbildung zu führen haben.
man an neue Organisationen denkt, sollte man nicht (Abg. Behrendt: Das glaube ich auch!)
dais Maß an ehrenamtlicher Arbeit übersehen, das
bei der heutigen Organisation des Berufsausbil- Denn dieses Problem ist wohl zu schwierig, als daß
dungswesens geleistet wird. Es wäre schade, wenn seine Lösung sehr schnell über die Bühne gehen
durch eine andere Organisation die Initiative und könnte. Das zeigt schon die Tatsache, auf die bereits
der ideale Schwung, der jetzt in der Sache liegt, der Begründer hinwies, daß man sich seit vielen
gelähmt würden. Jahren mit der Schaffung eines Gesetzes befaßt.
Neben diesen Bedenken gegen die im Antrag der Die Begründungen für die Schaffung eines Berufs-
SPD erwähnten Grundsätze zur Neuordnung der ausbildungsgesetzes haben gewechselt. Zunächst
Berufsausbildung betone ich aber ausdrücklich, daß brachte man vor, ein solches Gesetz sei aus Gründen
1546 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1962

Dr. Imle
der Rechtssystematik notwendig, auf diesem Gebiet Eine weitere Ergänzung der Berufsausbildungs-
müsse ein einheitliches und übersichtliches Recht bestrebungen auf privatwirtschaftlicher Basis war
geschaffen werden. Zweitens wurde eine sozial- die im Jahre 1908 erfolgte Gründung des Deutschen
politische Begründung gebracht, die darauf hinaus- Ausschusses für technisches Schulwesen, des soge-
lief, durch ein solches Gesetz müsse eine volle Mit- nannten DATSCH, der im Zuge seiner Arbeit die
bestimmung erreicht werden. Schließlich. gab es noch Berufsbilder entwickelte.
eine sachliche Begründung, die besagte, die Berufs- Seit 1920 haben wir dann eine allmähliche über-
ausbildung als solche solle verbessert werden. Da- betriebliche Koordinierung der Berufsausbildung,
bei entsteht die Frage, ob man die Verbesserung die sich in der Zusammenarbeit der Handwerks-
einer Berufsausbildung, die doch vornehmlich im kammern und' der Industrie- und Handelskammern
Betrieb erfolgt, überhaupt durch ein Gesetz erreichen äußert, die diese Berufsausbildung Zug um Zug
kann. zum Gegenstand der Selbstverwaltung der Wirt-
Wir dürfen nicht vergessen, daß — das wurde zum schaft gemacht haben.
Teil vorhin auch schon angeführt — auf den ver- Ich möchte hier nicht mehr auf die eben von
schiedensten Gebieten schon ein einheitliches Recht Ihnen erörterte Begründung für das Gesetz- von
besteht. So haben wir z. B. die Berufsberatung und 1929 eingehen. Aber ich möchte sagen, daß der da-
die Lehrstellenvermittlung im AVAVG niederge- malige Entwurf in seiner Art von der Wirtschaft
legt. Wir haben die Berufsschulpflicht vereinheit- abgelehnt wurde, weil er nämlich nur die Fixierung
licht. Wir haben auf dem Gebiete des Jugendarbeits- der bis dahin bestehenden Bestimmungen war, ohne
schutzes eine Reihe von Bestimmungen über Urlaub, in die Zukunft zu schauen.
gesundheitliche Überwachung und dergleichen für
Jugendliche bis zu 18 Jahren geschaffen. Wenn Sie anführten, daß auch in den Jahren nach
1933 ein Berufsausbildungsgesetz nicht zustande ge-
(Abg. Lange [Essen] : Das ist doch keine Aus kommen ist, so darf ich Ihnen aus meiner eigenen
bildung!) Kenntnis als damaliger Angehöriger des Reichs-
— Das gehört ja schließlich dazu, daß der Jugend- wirtschaftsministeriums sagen, daß der Gesetzent-
liche im Betrieb gesund ist. In einem weiten Rahmen wurf bis zuletzt fertig war, von allen Ressorts
gehört auch das dazu. Wenn Sie meinen, das gehöre unterschrieben, und dann von damaligen Reichs-
nicht hierher, bin ich darüber sehr befriedigt, zumal kanzler nicht unterschieben wurde, weil ihm das
ich Ihnen gleich noch etwas dazu sagen werde, Herr Gesetz zu lang war. Damit waren die Dinge ge-
Lange. platzt. So ist die Entwicklung gewesen. Wenn nicht
(Zuruf des Abg. Lange [Essen].) plötzlich diese Idee aufgekommen wäre, wäre das
Gesetz damals sicherlich verkündet worden, wobei
Aber lassen Sie mich doch noch einmal geschicht- ich allerdings der Meinung bin, daß es zu den
lich zurückschauen. Dazu haben mich Ihre Ausfüh- ersten gehört hätte, die nach 1945 aufgehoben wur-
rungen vorhin bewogen. Die Gewerbeordnung aus den, weil es typisches nationalsozialistisches Gedan-
dem Jahre 1869 — also vor fast 100 Jahren — kengut enthalten hätte. Diese Dinge gehören also
kannte überhaupt noch keine Definition des Lehr- der Vergangenheit an. Ich wollte das nur einmal
lings. Diese fehlt ja auch bis jetzt völlig. Die Novel- zur Klarstellung hier sagen.
lierung von 1878 brachte dann allerdings so ver- Erst in den dreißiger Jahren hat. sich gleichwohl
staubte Bestimmungen wie den vorhin angeführten aus der Selbstverwaltung heraus das betriebliche
§ 127 d. Aber wir wollen doch sagen: wenn diese Ausbildungswesen verbessert und weiterentwickelt.
Bestimmungen auch vorhanden sind, so ist doch Wir haben Musterlehrverträge bekommen, die
von ihnen nicht mehr Gebrauch gemacht worden. Lehrlingsrollen wurden angelegt und, was ja wohl
Das sind Dinge, die der Vergangenheit angehören. die Hauptsache ist, es wurde eine auf die Prüfung
Es ist doch wohl in der Neuzeit nicht mehr gesche- gezielte Ausbildung vorgenommen und auch die .

hen, daß ein Lehrling durch die Polizei zurückge- AusbildngetrchPüfukonliert.


führt worden ist, wenn er entlaufen war. Diese Dinge Damit möchte ich die rechtssystematischen Dinge
sind eben überholt, und deswegen müssen diese abschließen.
Bestimmungen jetzt einmal novelliert werden.
Bei den sozialpolitischen Überlegungen, die zu
Von entscheidender Bedeutung für die Berufsaus- dem Verlangen nach einer Reorganisation des Aus-
bildung war aber das im Jahre 1897 verabschiedete bildungswesens durch ein Gesetz führen, geht die
preußische Kammergesetz, das in seinem § 39 den Kritik doch wohl darauf zurück, daß man hierbei
Industrie- und Handelskammern die Befugnis verlieh, auch an eine einseitige Bevorzugung der Kammern
Anlagen und Einrichtungen, die die Förderung von denkt, was aber keineswegs der Fall ist. Denn wir
Handel und Gewerbe sowie die geschäftliche Aus- haben ja auch bereits sozialpolitische Überlegungen
bildung, die Erziehung und den sittlichen Schutz der und Regelungen der Ausbildung in anderen Geset-
darin beschäftigten Gehilfen und Lehrlinge bezwek- zen. In der innerbetrieblichen Gesetzgebung haben
ken, zu begründen, zu unterhalten und zu unter- wir den § 56 des Betriebsverfassungsgesetzes, der
stützen. Damit ist dieser § 39 des preußischen den Betriebsrat im Betrieb an der Ausbildung mit-
Kammergesetzes gewissermaßen der Ausgangspunkt beteiligt. Außerdem sind ja auch heute schon alle
für die Selbstverwaltung der Wirtschaft auf dem Institutionen, die an der Ausbildung interessiert
Gebiete der Berufsausbildung, und die Kammern sind, bei den Erlassen, die der Herr Bundeswirt-
haben dann auch von dieser Möglichkeit in zuneh- schaftsminister über die Anerkennung von Lehr-
mendem Maße Gebrauch gemacht. berufen herausgibt, beiteiligt, nicht nur die Kam-
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1962 1547
Dr. Imle
mern und die Spitzenorganisationen der Wirtschaft, alles von einem modernen Berufsausbildungsgesetz
sondern genauso die Gewerkschaften; mit ihnen zu verlangen ist. Wir sind der Meinung, daß es hier-
werden die Lehrberufe im einzelnen abgesprochen. zu nicht eines Berufsausbildungsgesetzes bedarf,
Warum also hier ein Gesetz, wenn das alles. in sondern daß eine Novellierung der Gewerbeord-
dieser Form schon so bestens geht? nung durchaus ausreicht. Wir hätten heute sicher-
lich einen solchen Gesetzentwurf gehabt, wenn Sie
Dabei kann man natürlich Überlegungen anstel-
nicht der Aufnahme in die Tagesordnung wider-
len, ob es nicht zweckmäßig ist, hier eine bessere
Rechtsform als nur einen Erlaß zu finden, nämlich sprochen hätten.
eine Rechtsverordnung. (Abg. Dr. Schellenberg: Herr Kollege, liegt
der überhaupt schon gedruckt vor? Wer hat
Auch die Prüfungen haben sich bereits durch die
Beteiligung der Arbeitgeber und Arbeitnehmer ihn gesehen? Sie vielleicht, aber sonst hat
neuzeitlich und fortschrittlich entwickelt und haben, niemand im Hause den Antrag gesehen!)
wie doch wohl zugegeben werden muß, mit der — Das gebe ich Ihnen auch gern zu. Bloß geht es
Ausbildung für unsere deutsche Wirtschaft erst uns einmal so, wie es Ihnen auch geht, daß die
einmal die Grundlage dafür geschaffen, daß wir Dinge einfach nicht angenommen werden. - Da wir
durch unsere Wert- und besonders gute Arbeit in uns aber sowieso darüber einig sind, daß eine Frist
der Welt allgemein anerkannt sind. Wenn die bis zum 1. Februar 1963 gesetzt werden soll, wer-
Ausbildung nicht in Ordnung gewesen wäre, hätten den Sie sicher bis dahin Zeit genug haben, Herr
wir diesen Vorsprung vor anderen Volkswirtschaf- Kollege Schellenberg, diesen Gesetzentwurf sehr
ten nicht erringen können. eingehend zu studieren und ihn sich zu überlegen.
Lassen Sie mich etwas zu der Forderung sagen,
(Abg. Dr. Schellenberg: Herr Kollege Imle,
daß die zersplitterten gesetzlichen Bestimmungen in
ist das schon der Regierungsentwurf?)
einem Gesetz zusammengefaßt werden sollen. So-
weit es sich um die Berufsausbildung auf verschie- — Nein. Wieso? Ich bin doch nicht die Regierung.
denen Gebieten handelt, sagen wir, auf dem Ge- Diese Frage wird mir öfter von Ihnen gestellt. Daß
biete der gewerblichen Wirtschaft, der Landwirt- wir als Regierungspartei vielleicht mit der Regie-
schaft oder etwa um die Berufsausbildung der rung ein besseres Verhältnis haben als Sie, ist
Bademeister, Masseure, oder technischen Assisten- natürlich klar.
tinnen, kommt mir das Zusammenfassen in einem
Daraus ergeben sich weitere Folgerungen. Sie
Gesetz ungefähr so vor, als ob ich Äpfel, Birnen,
sollten uns doch wohl folgendes zubilligen: Sollten
Pflaumen und Pfirsiche in einen Korb zusammentue.
Sie einmal hier oben sitzen, dann würden Sie sich
Dann habe ich zwar Obst, aber kein einheitliches
genauso in dieser Form fühlen.
Gesetz.
(Sehr wahr! bei der FDP.) (Zuruf von der SPD: Der kleine Bruder hat
abgeschrieben.)
Entscheidend ist doch wohl, daß die Berufsausbil-
dung in den einzelnen Zweigen in Ordnung geht Ich kann es mir daher ersparen, dazu Stellung zu
und richtig geregelt ist, nicht, daß man ein großes nehmen.
umfassendes Gesetz bloß um der Perfektionierung Wir sollten bei der zukünftigen Novellierung der
willen macht. Man sollte daher wohl davon ab- Gewerbeordnung das Hauptaugenmerk darauf rich-
sehen, das in dieser Form zu tun. ten, daß das, was sich bisher in der Praxis bewährt
Was soll nun geschehen? Meines Erachtens muß hat und wie es sich bisher entwickelt hat, in Geset-
man davon ausgehen, daß das Ausbildungsverhält- zesform gebracht wird. Damit werden wir auch einer
nis von Lehrlingen nicht, wie hier gesagt wurde, zukünftigen guten Berufsausbildung zum Wohle
ein Arbeitsverhätlnis, sondern ein Erziehungsver- unserer Jugend den Weg ebnen.
hältnis ist. Das ist der grundlegende Unterschied,
mit dem man überhaupt einmal an ein solches Ge- Vizepräsident Dr. Jaeger: Herr Abgeordneter
setz herangehen muß. Wenn wir nämlich das Lehr- Behrendt zu einer Zwischenfrage.
lingsverhältnis als ein Arbeitsverhältnis bezeichnen,
werden die bisher bestehenden Formen restlos in Behrendt (SPD) : Herr Kollege Imle, meinen Sie,
ein anderes Gleis gebracht. Daß dabei gearbeitet daß die 'Verbesserung der ,Berufsausbildung nur
wird, Herr Lange, ist natürlich klar. durch eine Änderung der Gewerbeordnung zu er-
(Zuruf von der Mitte: Berufsausbildungs reichen wäre?
verhältnis!)
— Eben, es ist ein Erziehungsverhältnis, kein Dr. Imle (FDP) : Der Auffassung bin ich eben
Arbeitsverhältnis. nicht. Es gehört nämlich zur Berufsausbildung eine
(Abg. Lange {Essen] : Es ist ein Arbeitsver gute innerbetriebliche Durchführung der Berufsaus-
hältnis besonderer Art!) bildung. Ich bin aber nicht der Meinung, daß —
man konnte vorhin hier diesen Eindruck bekommen
— Darüber werden wir uns sicherlich nicht einig, — unsere Berufsausbildung außerordentlliche Miß-
wenn wir uns auch über manche Dinge sicherlich stände enthielte. Das glaube ich nicht. Mansollte
einigen können. sich vielmehr bei der Berufsausbildung nach den
Vorhin wurde schon von meinem Vorredner, guten Seiten, die wir hier haben, ausrichten. Man
Herrn Kollegen Diebäcker, darauf hingewiesen, was sollte nicht, weil, wie das überall im Leben ist,
1548 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1962
Dr. Imle
einige Entgleisungen ,vorkommen, sofort ein Gesetz ich nach § 46 der Geschäftsordnung die Herbei-
machen. rufung des Herrn Ministers für Arbeit und Sozial-
Die Novellierung der Gewerbeordnung muß ordnung.
Grundsätze enthalten, kann aber nicht bis ins ein- (Beifall bei der ,SPD.)
zelne gehen. Zu einer Perfektionierung sollten wir
dalher hier nicht kommen. Man sollte deshalb der Vizepräsident Dr. Jaeger: Meine Damen und
bisherigen Selbstverwaltung, die alles dieses zur Herren, nach § 46 der Geschäftsordnung kann jeder
Zufriedenheit der deutschen Wirtschaftdurchgeführt Abgeordnete die Herbeirufung eines Mitgliedes der
hat, auch weiterhin das Vertrauen schenken und Bundesregierung beantragen. Der Antrag bedarf der
sollte nicht durch andere Organe, die man hier Unterstützung von 30 anwesenden Abgeordneten.
eventuell einbauen will. die 'bewährten Kräfte an Über den Antrag entscheidet der Bundestag mit ein-
die Seite stellen. Insbesondere kann man nicht auf facher Mehrheit. Ich darf zuerst einmal feststellen,
die zehntausende von freiwilligen Helfern und Mit- ob der Antrag des Kollegen Dr. Mommer von 30
arbeitern nicht nur im Betrieb, sondern auch bei der Mitgliedern des Hauses unterstützt wird. — Das ist
Durchführung .der Prüfungen verzichten. nicht zu bezweifeln.
(Zurufe von ,der CDU/CSU: Darauf will Meine Damen und Herren, wird zu dieser Frage
doch niemand verzichten! — Wo steht das Wort gewünscht? — Das Wort hat der Abgeord-
deen das?) nete Schmücker.

— Deswegen sage ich es ja. Ich bin erfreut, daß Sie


zustimmen; denn wir haben es auch schon anders Schmücker (CDU/CSU) : Meine Darien und Her-
gesehen. ren, so wie ich die Geschäftslage überblicke, möchte
ich sagen, daß wir doch schon kurz vor Schluß der
(Zuruf von 'der CDU/CSU: E s ist eine erste BeratungübdisPktehn.Imübrig
Lesung!) besteht wohl im wesentlichen Übereinstimmung
— Ich bin gleich .soweit. — Aus diesem Grunde darin, daß dieser Antrag, die Regierung solle einen
sind wir der Meinung, daß man hier keinen Per- Gesetzentwurf vorlegen, angenommen werden soll.
fektionismus 'betreiben sollte. Ich glaube nicht, daß es notwendig ist, die Herren
herbeizurufen, zumal der Herr Staatssekretär uns
(Zuruf 'von der CDU/CSU: Auch nicht beim vorhin mitgeteilt hat, daß er einer dringenden Ein-
Reden!) ladung des Herrn Bundespräsidenten nachkommen
Man sollte hier vielmehr eine Novellierung vor- muß. Er hat sich ausdrücklich entschuldigt.
nehmen, die den gegenwärtigen Anforderungen ge- Ich bitte deshalb, von dem Antrag Abstand zu
recht wird. nehmen oder, wenn das nicht möglich ist, ihn abzu-
Sollte man allerdings die Absicht haben — und lehnen.
das will ich auch ganz eindeutig betonen —, über
diese Berufsausbildurug zu einem überbetrieblichen Vizepräsident Dr. Jaeger: Herr Abgeordneter
Mitbestimmungsrecht zu kommen, dann werden sich Dürr!
hier, das muß ich allerdings sagen, die Geister schei-
den. Man sollte sich däher,
daher, wenn wir diesen Ent-
wurf und später den Regierungsentwurf haben, sehr Dürr (FDP) : Herr Präsident! Meine Damen und
eingehend mit diesen Fragen befassen, damit wir Herren! Der Herr Minister und der Herr Staats-
zum Wohle unserer Jugend und unserer Wirtschaft sekretär sind in diesem konkreten Fall aus ver-
das beste aus diesen Dingen herausholen. ständlichen Gründen nicht anwesend. Allgemein ist
aber diese Leere der Regierungsbank, wie man sie
(Beifall bei der FDP. — Abg. D r. Mommer: gelegentlich sieht, zu bedauern. Um diesem Be-
Zur Geschäftsordnung!) dauern Ausdruck zu geben, wird die FDP-Fraktion
dem Antrag nicht entgegentreten, sondern sich der
Vizepräsident Dr. Jaeger: Das Wort zur Ge- Stimme enthalten.
schäftsordnung hat der Abgeordnete Dr. Mommer.
Vizepräsident Dr. Jaeger: Jetzt, glaube ich,
Dr. Mommer (SPD) : Herr Präsident! Meine Da- wird das Wort zum Antrage des Herrn Abgeordne-
men unid 'Herren! Wir beraten hier über einen An- ten Dr. Mommer nicht mehr gewünscht. Ich lasse
trag, oder von der Bundesregierung verlangt, idaß sie also abstimmen über den Antrag, den Herrn Bun-
bis zu einem bestimmten Termin einen Gesetzent- desminister für Arbeit und Sozialordnung herbeizu-
wurf über Berufsausbildung vorlegen soll. Wir sind rufen. Wer diesem Antrage zuzustimmen wünscht,
uns alle einig darin, daß ein solches 'Gesetz not- den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um
wendig ist. Wir müssen feststellen, daß die Regie- die Gegenprobe. —
rungsbank völlig unbesetzt ist. Wir haben Ver-
iRstänedgafrüu,ß Hen Wir wollen es etwas eindeutiger feststellen. Ich
viel Arbeit haben. Aber bei einem sie betreffenden bitte diejenigen, die dem Antrage des Herrn Abge-
sSunokebtmühaic.r ordneten Dr. Mommer zustimmen wollen, -P sich zu
derStaskäiRgerunbakvls. erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. —
DasHuwürdeichlbntgeschäz, Das Ergebnis der Abstimmung ist zweifelhaft. Wir
wensichdabtlße.Dswgnatr stimmen im Hammelsprung ab. —
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1962 1549
Vizepräsident Dr. Jaeger
Meine Damen und Herren, ich gebe das Ergebnis Bereich der Industrie und Handelskammern zu
-

der Abstimmung durch Auszählung bekannt. Für Grunde gelegt worden sind. Der Deutsche Bundestag
den Antrag auf Herbeirufung des Herrn Bundesmi- als Gesetzgeber wollte damit unter anderem sicher
nisters für Arbeit und Sozialordnung haben 129 auch die Institutionalisierung der Berufsausbildung
Abgeordnete gestimmt, dagegen ebenfalls 129; als eine alle Beteiligten zusammenführende und da-
(Heiterkeit) mit übergeordnete Aufgabe feststellen.

35 Abgeordnete haben sich der Stimme enthalten. Wir wissen, daß das Prinzip der Selbstverwaltung
Der Antrag ist bei Stimmengleichheit abgelehnt. eine ganz entscheidende Rolle spielt. Es ist schon
sehr deutlich geworden, daß dabei in der Tat erheb-
(Große Heiterkeit.) liche Schönheitsfehler zu verzeichnen sind. Jeder
Ich stelle im übrigen fest, daß der Herr Bundesmi- weiß, daß in der Vollversammlung der Handwerks-
nister der Justiz inzwischen eingetroffen ist, so daß kammer zwei Drittel Arbeitgeber- und ein Drittel
die Regierungsbank jetzt nicht mehr leer ist. Arbeitnehmervertreter sind. Jeder weiß, daß im
(Beifall bei den Regierungsparteien.) Gegensatz dazu der Ausschuß für Berufsausbildung
bei der Industrie- und Handelskammer zwar die
Wir fahren in der Aussprache fort. Das Wort hat Parität hat, daß aber in der Vollversammlung der
der Abgeordnete Liehr. Handelskammer, dort, wo die letzte Entscheidung
fällt, nicht ein einziger Arbeitnehmervertreter Sitz
Liehr (SPD): Herr Präsident! Meine sehr ver- und Stimme hat.
ehrten Damen und Herren! Mein Kollege Erwin Fol- Wir müssen deshalb mit Bedauern feststellen, daß
ger hat den Antrag der sozialdemokratischen Frak- den Kammern zwar der Status „Anstalt des öffent-
tion schon sehr eindringlich begründet. Ich darf mir lichen Rechts" verliehen worden ist und daß sie
erlauben, einige Grundsätze dieses Antrags zu damit bestimmte hoheitsrechtliche Funktionen im
erläutern, und dabei auch auf die Ausführungen der Interesse des Gemeinwohls zu erfüllen haben, daß
beiden Herren Vorredner Bezug nehmen. sie aber dieser Verpflichtung nur unzureichend ent-
(Unruhe.) sprechen können. Denn obwohl hier Arbeitnehmer-
interessen in ganz erheblichem Maße berührt wer-
den, findet das nur sehr ungenügend Ausdruck in
Vizepräsident Dr. Jaeger: Meine Damen und der Mitwirkung der Arbeitnehmer in den Organen
Herren, ich darf um Ruhe für den Redner bitten. Ich dieser Anstalten. Lassen Sie mich bitte hier sehr
darf Sie bitten, Platz zu nehmen. Wer Privatunter- freimütig hinzufügen: Von einer echten Selbstver-
haltungen für notwendig hält, den bitte ich, sie waltung im Sinne einer gleichberechtigten Mitwir-
außerhalb des Saales zu führen. kung kann keine Rede sein. Man muß hier mit Fug
und Recht feststellen, daß sogar das demokratische
Liehr (SPD) : Mit Recht wurde hier auf die viel- Prinzip der Sozialpartnerschaft durch die Konstruk-
fältigen Bemühungen der Wirtschaft verwiesen, die tion, wie wir sie heute vorfinden, erheblich verletzt
Berufsausbildung zu qualifizieren. Für die sozial- wird. Verstehen Sie bitte recht, meine Damen und
demokratische Fraktion können wir das nur mit Herren, hier liegen wesentliche Ansatzpunkte für
Dankbarkeit feststellen. Aber der Ordnung halber die Kriterien, die wir zur Handhabung der Berufs-
darf ich hinzufügen, daß, wenn hier von solchen ausbildung vorbringen.
Bemühungen der Wirtschaft die Rede ist, nicht nur
Es wäre jedoch völlig verfehlt, daraus etwa
die Arbeitgeber, sondern selbstverständlich auch
schlußfolgern zu wollen, daß es uns dabei im we-
die Arbeitnehmer und ihre Interessenvertretungen
gemeint sein müssen. sentlichen nur auf organisatorische Änderungen im
Bereich der Berufsausbildung ankomme. Ganz im
(Abg. Diebäcker: Ist ja auch gesagt Gegenteil, im Wandel der Zeiten, einer sich tagtäg-
worden!) lich ändernden Arbeitswelt kann man einfach nicht
Meine Damen und Herren, Sie stimmen sicher mit erwarten, daß die Berufsausbildung davon völlig
uns überein, daß wir mit Zunftvorstellungen der unberührt bleibt. Eine ständige Überprüfung der
heutigen Wirklichkeit nicht mehr gerecht werden Form, des Inhalts und auch der Methode der Berufs-
können. Wir alle miteinander sind daran interes- ausbildung ist nach unserem Dafürhalten unerläß-
siert, die Berufsausbildung so einwandfrei und so lich
vorbildlich wie nur irgend denkbar zu praktizieren. (Abg. Diebäcker: Wird ja gemacht! Das
Das heißt aber auch, daß die Bedeutung der Berufs- habe ich auch gesagt!)
ausbildung ein Ressortdenken, welcher Gruppe und und bedingt .auch eine Neuordnung der gesetzlichen
Institution auch immer, nicht mehr zuläßt. Berufs- Grundlagen.
ausbildung in unserer Zeit muß als eine uns alle
verpflichtende öffentliche Aufgabe angesehen wer- (Abg. Winkelheide: Sie sollten beachten,
den. was der Kollege Diebäcker gesagt hat, aber
keine vorbereitete Rede halten!)
Nur so ist es letzthin auch zu verstehen, daß nach
der Handwerksordnung z. B. die Handwerkskammer — Aber lieber Herr Kollege, Sie sollten nicht auf
ganz wesentliche Funktionen im Bereich der Berufs- dem verkehrten Bein hurra schreien, sondern mich
ausbildung zu erfüllen hat. Ihr ist der Status „An- ausreden lassen. Dann werden Sie merken, wo die
stalt des öffentlichen Rechts" verliehen worden. Wir entscheidenden Lücken in der Aussage des Herrn
wissen auch alle, daß gleiche Prinzipien für den Kollegen Diebäcker — im Gegensatz zu unserer
1550 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1962
Liehr
L) Auffassung — liegen. Denn ich habe geschlußfolgert, ses Berliner Berufsausbildungsgesetz hat sich be-
daß eine ständige Überprüfung der Berufsausbildung währt. Es sind beispielhafte Einrichtungen der Be-
auch eine Neuordnung der gesetzlichen Grundlage rufsausbildung entwickelt worden, und auch das
beinhaltet. Wer wollte es leugnen? Wir haben ge- Prinzip der Ehrenamtlichkeit hat letztlich jede nur
rade aus dem Munde des FDP-Vertreters gehört, mögliche Förderung erhalten. Es wurden Erfahrun-
welche Auffassung seine Fraktion vertritt: daß in gen gesammelt, die zur Intensivierung und Verbes-
diesem hochindustrialisierten 20. Jahrhundert, im serung der Berufsausbildung führten. Manche Experi-
sogenannten Atomzeitalter die Gewerbeordnung mente konnten durchgeführt werden, die letzten
aus dem Jahre 1869 — um deren Novellierung es Endes einer positiven Weiterführung der Berufsaus-
doch einem Teil des Hauses offensichtlich geht — bildung dienlich waren. Auch das muß gesagt wer-
ebenso wie das Handelsgesetzbuch aus dem Jahre den: immer gab es eine kollegiale Zusammenarbeit
1892 weiß 'Gott reichlich antiquiert sind. aller Beteiligten, nie gab es in diesem Kreise
(Abg. Winkelheide: Die SPD ist auch schon Kampfabstimmungen. Daraus mögen Sie ersehen,
hundert Jahre alt!) daß Parität letzten Endes kein Hinderungsgrund ist,
Maßnahmen zu realisieren, die schließlich auch —
Wenn der Herr Bundeswirtschaftsminister, wie wie es so schön heißt — der Wirtschaft dienlich
wir hörten, durch Hinzuziehung der Sozialpartner sind.
die Absicht bekundet hat, bei diesen Gesetzen — (Zuruf von der Mitte: Das ist die Berliner
was die Sachbezüge zur Berufsausbildung anlangt — Luft!)
durch Änderungsgesetze die Spinnweben zu besei-
tigen, dann unterstellen wir zwar die gute Absicht, Seit langem ist es jedenfalls der Wunsch der Ber-
aber wir sagen ganz eindeutig: das ist ein Versuch liner, daß der Deutsche Bundestag ein modernes,
am verkehrten Objekt. Bedeutsam an der ganzen umfassendes und bundeseinheitliches Berufsausbil-
Sache ist nur eines — was auch der Herr Bundes- dungsgesetz verabschiedet, das sich die positiven
wirtschaftsminister damit deutlich macht —: daß die Berliner Erfahrungen zu eigen macht. Sie wissen, daß
Dringlichkeit der gesetzlichen Neuordnung der Be- es an Bemühungen für ein solches Gesetz nicht ge-
rufsausbildung anerkannt wird. Denn sonst hätte er mangelt hat. Der Deutsche Gewerkschaftsbund hat
nicht die Sozialpartner mit der Novellierung der Ge- schon 1959 und jetzt erneut dem Deutschen Bundes-
werbeordnung , befaßt. tag einen Entwurf unterbreitet, und wir müssen zu-
Aber wenn dem so ist, dann sollten wir uns geben, daß es dem DGB dabei nicht leicht gemacht
schließlich durchringen und verstaubte Gesetze einer worden ist. Solange er nur die Forderung nach
vergangenen Epoche ruhen lassen, weil sie schließ- einem Berufsausbildungsgesetz ganz allgemein er-
lich ihren Zweck erfüllt haben. Heute kommt es hob, hieß es: Ja, aber das ist doch viel zu allgemein
darauf an, etwas Vernünftiges zu schaffen. Inso- gehalten. Als dann ein konkreter Entwurf vorge-
fern ist auch die durch den CDU-Sprecher zum Aus- legt wurde, sagten die Kritiker: Das ist ja viel zu
druck gekommene Bereitschaft, unserem Antrag im detailliert, viel zu umfassend.
Prinzip zuzustimmen, ein außerordentlich erfreu- Aber wie dem auch sei, dieser Entwurf ist sicher
liches Zeichen. an einigen Stellen korrekturbedürftig; aber insge-
Aber Sie werden zugeben, daß es nicht nur dar- samt ist er es wert, in die anstehenden Beratungen
auf ankommt, gewissermaßen die Überschrift, die da miteinbezogen zu werden.
lauten soll „Berufsausbildungsgesetz", zu erfinden Nun lassen Sie mich bitte noch ein Wort zur
oder ihr zuzustimmen, sondern daß es ganz ent- Berufsausbildung unter internationalen Aspekten
scheidend darauf ankommt, auch die Grundzüge der sagen, weil das schließlich auch — wie wir meinen
Berufsausbildungsgesetzgebung in ihrer Tendenz zu — ein wesentlicher Bestandteil unseres Antrages ist.
charakterisieren. Gerade darum geht es uns, die wir Die Erkenntnis wächst jetzt zunehmend, daß Bildung
Wert darauf legen, daß die Bundesregierung unsere und damit auch Berufsausbildung ein ganz entschei-
Auffassung in den Grundzügen kennenlernt. dender Faktor des wirtschaftlichen und gesellschaft-
Gehen wir bitte nicht daran vorüber, daß schließ- lichen Lebens ist, und wir sind der festen Überzeu-
lich auch in den uns umgebenden Ländern bestimmte gung, daß wir dem wachsenden Konkurrenzkampf
Entwicklungen weiter vollzogen worden sind. Dort sowohl in politischer als auch gerade in wirtschafts-
wurden bereits auf die jeweiligen Strukturen zuge- politischer Hinsicht nur bestehen können, wenn be-
schnittene Berufsausbildungsgesetze geschaffen. reits heute durch Schule und Berufsausbildung —
Mancher in diesem Kreise mag sie vielleicht nicht darauf kommt es mir an; und Berufsausbildung im
akzeptieren. Sie sind auch ganz gewiß nicht immer weitesten Sinne des Wortes — der Grundstein für
vergleichbar mit dem, was wir in unserem Lande ein umfassendes Wissen gelegt wird.
wollen. Aber übersehen darf man die Entwicklung
(Vorsitz: Vizepräsident D r. Schmid.)
in den uns umgebenden Ländern nicht.
Wer von Ihnen jedoch nicht liebt, den Blick in die Wir halten es für sehr begrüßenswert, daß das
Ferne schweifen zu lassen, kann sich auch in unse- Internationale Arbeitsamt im Juni vergangenen Jah-
rem eigenen Land umsehen. Er kann zur Kenntnis res eine Empfehlung von Berufsausbildungsgrund-
nehmen, welche Einschätzung das Berliner Berufs- sätzen beschlossen hat. Natürlich war diese Empfeh-
ausbildungsgesetz, das seit 1951 in Kraft ist, gefun- lung, da es sich dabei um weltweite Maßstäbe han-
den hat. Ich darf aus eigener über zehnjähriger Mit- delt, die zur Anwendung kommen sollen, allge-
arbeit — auch im Beirat für Berufsausbildung beim meiner gehalten als das, was in den Grundsätzen
Senator für Arbeit und Sozialwesen feststellen: die- der EWG beschlossen worden ist. Aber das mindert
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1962 1551
Liehr
ja nicht den Wert solcher Empfehlungen. Die EWG- Liehr (SPD) : Bitte.
Kommission hat schließlich im April 1961 Grund-
sätze zur Durchführung einer gemeinsamen Politik Dr. Imle (FDP) : Wenn so verfahren wird, wie
der Berufsausbildung verabschiedet, die im wesent- Sie es vorhaben, wollen Sie dann eine neue Orga-
lichen auch vom Europäischen Parlament sanktio- nisation bis in die einzelnen Orte herunterschaffen?
niert worden sind.
Diese Grundsätze zur Durchführung einer gemein- Liehr ,(SPD) : Wenn Sie mir noch eine Weile Ihr
samen Politik der Berufsausbildung im Bereich der Ohr leihen, werden Sie hören, was wir dazu zu
EWG scheinen mir so bemerkenswert, daß ich um sagen haben. Ich darf aber 'schon an dieser Stelle
die Erlaubnis bitte, hier etwas zitieren zu dürfen, sagen, daß 'wir nach wie vor 'die betrieblich orien-
um so mehr, als der Herr Kollege Diebäcker die tierte Berufsausbildung für richtig halten. Vielleicht
Vorbildlichkeit der Berufsausbildung in Deutschland ist das eine Teilantwort auf Ihre Frage.
auch für andere Staaten hier besonders herausge- (Abg. Dr. Imle: Also das soll im Betrieb
stellt hat. Es heißt dort: bleiben?)
Die Berufsausbildung ermöglicht es, die Ver- — Ich halbe Verständnis (dafür, daß Sie sich ein
teilung der erwerbstätigen Bevölkerung auf die wenig aufgerührt fühlen.
einzlWrtschafwgeändiEro-
Ich (darf noch einmal sagen: Das sind Feststellun-
dernissen der wirtschaftlichen Entwicklung an-
zupassen. Sie bildet die Grundlage für eine gen, die die EWG-Kommission getroffen hat. Wir
dürfen uns nicht zu einer Überschätzung (dessen ver-
dynamisch aufgefaßte Beschäftigungspolitik,
leiten lassen, was sich im Bereich der Berufsausbil-
welche die allgemeine wirtschaftliche Entwick-
dung in unserm Lande vollzieht, nachdem wir spü-
lungstendenz und die Weiterentwicklung der
ren, in welchem Maße und mit welcher Klarheit 'im
technologischen Produktionsbedingungen durch
supranationalen Raum eine Neuordnung der Berufs-
Bereitstellung der erforderlichen Arbeitskräfte
ausbildung gewollt ist.
verstärkt.
Eines ist ganz offensichtlich für uns: daß wir
Und an anderer Stelle: selbst alle Veranlassung haben, wollen wir nicht ins
Die erforderliche Abstimmung zwischen dem Hintertreffen geraten, eine Bestandsaufnahme vor-
festgestellten Bedarf und den Berufswünschen zunehmen, neue gesetzliche Grundlagen zu schaf-
der Schüler, Lehrlinge und gegebenenfalls 'der fen, auf denen eine koordinierende Zusammenarbeit
Erwachsenen muß Aufgabe (der Berufsberatung aller an der Berufsausbildung Beteiligten möglich
sein. Damit ist ist.
(Zuruf von der Mitte: Das kann man doch
—so heißt es hier — 'alles im Ausschuß sagen!)
die Berufsberatung in einem weiten Sinn zu Zu dieser Bestandsaufnahme muß auch die Frage
verstehen. Sie muß die Ermittlung der persön- gehören, ob wir eigentlich bei der Förderung des
lichen Eignung und die Unterrichtung über (die beruflichen Nachwuchses verantwortungsbewußt ge-
Wege der Berufsausbildung und die Berufsaus- nug vorgehen. Lassen Sie mich einige Zahlen dazu
sichten einschließen und sich schließlich auch nennen, die sich auf 'das Jahr 1961 beziehen. Wir
damit befassen, die zweckmäßigsten Neigungen haben es mit rund (1,3 Millionen jungen Menschen
zu wecken und zu fördern. zu tun, die sich in .einem Berufsausbildungsverhält-
nis befinden. Davon entfallen 750 000 auf Industrie
Um Fehllenkungen zu vermeiden,
und Handel mit 491 Lehr- und Anlernverhältnissen
— und nicht zuletzt bitte ich Sie, mir besonders unid 450 000 auf den Bereich des (Handwerks mit 137
Gehör zu schenken — Lehr- und Anlernverhältnissen. Nach Schätzungen,
die sich auf Repräsentativerhebungen und andere
muß bis in die örtlichen Stellen für ein enges Untersuchungen der vergangenen Jahre stützen,
'Zusammenwirken zwischen der Vorausschät- werden von den etwa 1,3 Millionen Berufsausbil-
zung der Lage auf Idem Arbeitsmarkt und einer dungsverhältnissen innerhalb eines Ausbildungs-
derartig als Berufslenkung verstandenen Be- ganges von drei Jahren — wenn wir das einmal als
rufsberatung gesorgt werden, da es nur allzu den Regelfall zugrunde legen — etwa 400 000 jun-
häufig vorkommt, daß 'sich bei (der Ermittlung ge Menschen in Lehr- und Anlernberufen ausge-
des Arbeitskräftebedarfs in einigen Bereichen bildet, 'in denen sie nach 'bestandener Lehrabschluß-
herausstellt, daß 'die Zahl der Ausgebildeten prüfung nicht tätig bleiben, ja, ich müßte 'sagen,
weit über den Bedarf hinausgeht. nicht tätig bleiben können. Das heißt, daß jährlich
Ich (darf noch einmal sagen, damit es keine Mißver- etwa 130 000 Jugendliche 'nicht so ausgebildet wer-
ständnisse gibt: Das ist keine Feststellung, (die wir den, wie es volkswirtschaftlich erforderlich ist.
als sozialdemokratische Fraktion treffen, sondern Sie werden mir zugeben, auch wenn Sie sich viel-
dasiteZrung,Empfhl
EWG- leicht nicht so intensiv mit diesen Fragen befassen:
Kommission, die vom Europäischen Parlament sank- Was hier an Fehlinvestitionen zu verzeichnen ist —
tioniert worden ist. jenseits der menschlichen Entsagung, von Kummer
und Verdruß — ist auch volkswirtschaftlich nicht
Vizepräsident Dr. Schmid: Gestatte n Sie eine länger zu vertreten.
Zwischenfrage? (Beifall bei der SPD.)
1552 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1962
Liehr
Wir folgern daraus, daß es in unser aller Interesse übrigen Punkte 1 bis 6 beizubehalten. Sie werden es
erforderlich ist, den Nachwuchsbedarf zu erforschen mir nicht verübeln, wenn ich sage: Ihr Vertrauen in
und — natürlich, um nicht mißverstanden zu wer- die Bundesregierung in allen Ehren, aber wir wollen
den, unter Beachtung der Grundgesetzbestimmun- schließlich nicht darauf verzichten, die Bundesregie-
gen über die Freizügigkeit — eine gezielte Berufs- rung wissen zu lassen, was das Parlament für rich-
ausbildung und -beratung durchzuführen, die solche tig hält. Wir hätten uns auch sehr darüber gefreut,
Fehlinvestitionen wenigstens auf ein vertretbares wenn neben der Streichung zweier Positionen — Sie
Mindestmaß zu reduzieren in der Lage ist. Vielleicht haben das anklingen lassen — andere, positive
wäre auch hier ein übergeordneter Ausschuß für Ergänzungen dem Hause vorgelegt worden wären.
Berufsausbildung auf Bundesebene — ein Vorschlag, Die sozialdemokratische Fraktion jedenfalls hat sich
wie er im Entwurf des Deutschen Gewerkschafts- auf diese sechs Punkte beschränkt. Wir haben ganz
bundes enthalten ist — ein Ansatzpunkt dafür, bewußt darauf verzichtet, einen eigenen Entwurf
Hand in Hand mit den sonstigen Überprüfungen im einzubringen, immer um im Interesse der Sache
Bereich der Berufsausbildung zukunftsweisend zu einen gemeinsamen Nenner zu finden und uns nicht
wirken. in allzuviel gesetzliche Einzelheiten zu verlieren.
Wir sehen also, wie vielfältig die Ansatzpunkte Zum Schluß darf ich folgendes sagen. Wir wissen,
sind, die eine Neuordnung der Berufsausbildungs- daß ein solches Gesetz ganz gewiß nicht das allein
gesetzgebung erfordern. Lassen Sie mich unmißver- seligmachende ist. Aber die Beseitigung vielfältiger
ständlich sagen: Wir wollen mit einem Berufsaus- Rechtszersplitterung, die Schaffung gleicher Grund-
bildungsgesetz keinen gesetzlichen Perfektionismus. sätze für alle Auszubildenden, eine in die Zukunft
Wir wollen keine Verstaatlichung der Berufsaus- zielende Modernisierung und Intensivierung der
bildung. Wir bejahen nach wie vor die betriebs- Berufsausbildung und nicht zuletzt auch die Errich-
bezogene Berufsausbildung. Bei allen Neuerungen, tung einer Selbstverwaltung auf paritätischer Basis
die wir anstreben, soll die Kontinuität gewahrt unter Beteiligung der Arbeitgeber und der Arbeit-
bleiben, die sich vor allen Dingen auch aus den nehmer, kurzum, eine Verbesserung der Berufsaus-
gute Traditionen der Berufsausbildung in unserem bildung in gemeinsamer Verantwortung aller Betel-
Lande ergibt. — Ich möchte meinen, daß gerade ligten wäre nach unserem Dafürhalten ein ganz ent-
auch die letzten Feststellungen keineswegs abwegig scheidender Schritt vorwärts. Wir dürfen Sie darum
sind, daß wir uns im Gegenteil eigentlich sehr rasch bitten, unserem Antrag einschließlich der Punkte 2
auf diesen gemeinsamen Nenner verständigen und 3 zuzustimmen.
müßten.
(Beifall bei der SPD.)
Nun haben wir gehört, daß die Regierungspar-
teien eine Verlängerung der Frist für die Vorlegung Vizepräsident Dr. Schmid: Melden sich wei-
des Berufsausbildungsgesetzes bis zum 1. Februar tere Mitglieder des Hauses zu diesem Punkt zum
1963 verlangt haben. Dieses Verlangen scheint uns Wort? — Das ist nicht der Fall.
nicht ganz gerechtfertigt zu sein; denn — Sie müs-
sen sich das freundlicherweise immer wieder anhö- Dann kommen wir zur Abstimmung. Es ist bean-
ren — die Forderung nach einem Berufsausbildungs- tragt worden, punktweise abzustimmen.
gesetz ist nicht neu. Mein Kollege Folger hat schon Zunächst kann ich wohl die Feststellung treffen,
auf die 31. Arbeitsministerkonferenz vom Novem- daß das ganze Haus — auch die Antragsteller —
ber 1960 Bezug genommen, in der das Bundesmini- damit einverstanden ist, daß statt des Datums
sterium für Arbeit und Sozialordnung um die Vor- „1. Oktober 1962" das Datum „1. Februar 1963" ein-
legung eines solchen Gesetzes gebeten worden ist. gefügt wird.
Seitdem sind zwei Jahre verstrichen. Hier hätte man
gewiß Vorbereitungen treffen können, zumal sich Dann stimmen wir zunächst einmal über die ein-
auch beim Einblick in die Protokolle zurückliegen- zelnen Punkte 1 bis 6 und dann über das Ganze ab.
der Sitzungen dieses Hauses ergeben hat, daß es (Zurufe: Absatzweise Abstimmung!)
eigentlich quer durch alle Fraktionen eine Stimmung
dafür gab, mit dem ständigen Flickwerk, so wohl- — Ich bitte um Entschuldigung, ich habe nicht die
gemeint es auch sein mag, aufzuhören und eine ganze Verhandlung miterlebt. Es soll also über den
Überprüfung vorzunehmen, die ihren Ausdruck in ganzen Absatz abgestimmt werden, nicht über die
einer Erneuerung der gesetzlichen Grundlagen fin- einzelnen Ziffern? — Gut, ich weiß jetzt Bescheid.
den sollte. Dann stimmen wir also zunächst ab über den
Aber da wir natürlich auch sehr daran interessiert Absatz:
sind, es schließlich mit einem guten Gesetz zu tun Der Bundestag wolle beschließen:
zu haben, stimmen wir nach der Devise: „Was lange
währt, wird gut" trotz mancherlei anderer Bedenken Die Bundesregierung wird ersucht,
diesem Wunsch auf Fristverlängerung zu. dem Deutschen Bundestag bis zum 1. Februar
Im übrigen erfüllt es uns als sozialdemokratische 1963 den Entwurf eines Gesetzes über die Be-
Fraktion mit großer Genugtuung, daß Sie unserem rufsausbildung (Berufsausbildungsgesetz) vor-
Antrag die prinzipielle Zustimmung geben wollen. zulegen.
Wir legen jedenfalls den allergrößten Wert darauf, Wer dafür ist, gelbe das Handzeichen. — Gegen-
neben der Einführung und neben dem Prinzip, das probe! — Enthaltungen? — Ich stelle einstimmige
im ersten Satz des Antrags enthalten ist, auch die Annahme fest.
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1962 1553
Vizepräsident Dr. Schmid
Nun Absatz 2, Raum. Mehr als 90 % der in der Bundesrepublik
(Zuruf: Über den Rest kann gemeinsam ab beschäftigten Ausländer stammen aus den OECD-
Staaten. Nach der Arbeits- und Sozialstatistik des
gestimmt werden!)
Bundesministers für Arbeit vom 31. Januar 1962
der beginnt „Der Gesetzentwurf soll" und endet sind in der Bundesrepublik rund 17 300 Jugoslawen
„berücksichtigen". und annähernd 22 000 Arbeitnehmer aus außer-
(Zuruf von der CDU/CSU: Bis zum Schluß!) europäischen Ländern registriert.
— Wir stimmen über den ganzen Rest ab. Wer zu- Bei einer Gesamtbeschäftigtenzahl von rund
stimmen will, gebe das Handzeichen. — Gegen- 21 Millionen Arbeitnehmern mag diese Zahl von
probe! — Enthaltungen? —Das zweite war die 700 000 Ausländern — gleich 3 % — nicht 'beson-
Mehrheit; dieser Teil des Antrages ist abgelehnt. ders hoch erscheinen. Hinter dieser Zahl verbirgt
Nunmehr müssen wir über das Ganze abstimmen. sich eine anerkennenswerte Leistung der Beamten
und Angestellten der Bundesanstalt, insbesondere
(Zuruf von der CDU/CSU: Wieso? Es ist der deutschen Kommissionen, von denen in Italien,
kein Gesetz!) - schät-
Spanien, Griechenland und der Türkei bisher
— Ich weiß e s; aber es könnte ja sein, daß jemand zungsweise 250 000 Arbeitnehmer angeworben
mit dem Torso nicht zufrieden ist und dagegen wurden.
stimmt, obwohl er für den ersten Absatz gestimmt
Es darf jedoch nicht unerwähnt bleiben, daß ein
hat. Die Logik ist eine komplizierte Sache, Herr
nicht unerheblicher Teil ausländischer Arbeitneh-
Kollege Stingl!
mer unkontrolliert, d. h. nicht über die deutschen
,(Heiterkeit. — Abg. Stingl: Ich gebe 'es zu, Kommissionen, in die Bundesrepublik einreisen
Herr Präsident!) und eine Tätigkeit — 'dann allerdings in der Regel
Wer also dem Antrag in seiner jetzigen Form zu- mit Genehmigung der Arbeitsämter — aufnehmen.
stimmen will, der gebe das Handzeichen. Gegen- Die 'Schätzungen darüber, wieviel Spanier z. B. in
probe! — Enthaltungen? — Ich stelle 'einstimmige der Bundesrepublik ohne Einschaltung der deut-
Annahme fest. schen Kommission arbeiten, schwanken zwischen
25 000 und 35 000.
Dieser Punkt der Tagesordnung ist erledigt. Wir
fahren in der Tagesordnung fort. Punkt 20: Andererseits führt das griechische Arbeitsmini-
sterium darüber Klage, daß das deutsche General-
Erste Beratung des von der Bundesregierung konsulat in Saloniki ohne nähere Prüfung Einreise-
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur visa erteilt, obwohl es nach Meinung dieses Mini-
Angleichung des Sozialversicherungsrechts steriums in vielen Fällen offensichtlich ist, daß die
im Saarland an das im übrigen Bundesgebiet griechischen Staatsangehörigen hier in der Bundes-
geltende Recht (Sozialversicherungs-Anglei- republik Arbeit aufnehmen wollen bzw. zu ihren
chungsgesetz Saar) (Drucksache IV/474). Familienangehörigen reisen und hier für längere
Das ist eine erste Beratung. Wird das Wort ge- Zeit bleiben wollen. Hier beginnt schon die Pro-
wünscht? — Das Wort wird nicht gewünscht. Der blematik.
Vorschlag des Ältestenrats ist es, die Vorlage an
Der Antrag der sozialdemokratischen Fraktion
den Ausschuß für 'Sozialpolitik zu überweisen. —
enthält 15 Hauptpunkte. Ich bin sicher, daß bei An-
Kein weiterer Antrag? — Kein Widerspruch? —
nahme dieses Antrags die Bundesregierung in ihrer
Dann ist so 'beschlossen.
Berichterstattung noch weitere Feststellungen tref-
Punkt 21 der Tagesordnung: fen wird, die sich aus der Behandlung des Gesamt-
komplexes ergeben werden.
Beratung 'des - Antrags der Fraktion der SPD
'betreffend ausländische Arbeitskräfte in der Die 15 vorliegenden Fragen haben verschiedene
Bundesrepublik (Drucksache IV/470). Gewichtigkeit, die sich nicht aus der Reihenfolge
Wird dazu das Wort gewünscht? — Das Wort hat ergibt. Unter anderem bitten wir dem Punkt 9 be-
der Abgeordnete Gerlach. sondere Aufmerksamkeit zu schenken. In ihm wird
nach den gesundheitlichen Vorsichtsmaßnahmen ge-
fragt, die bei der Einreise ausländischer Arbeit-
Gerlach (SPD) : Herr Präsident! Meine Damen nehmer getroffen werden, um das Einschleppen von
und Herren! In einem Erfahrungsbericht der Bun- ansteckenden Krankheiten zu verhüten. Einzelfälle
desanstalt in Nürnberg vom April 1962 über die geben Veranlassung, die Bundesregierung zu bitten,
Anwerbung und Vermittlung ausländischer Arbeit- zum Schutze unserer Bevölkerung und der einrei-
nehmer 'wird festgestellt, daß seit Beginn dieses senden Ausländer auch diejenigen ausländischen
Jahres 81 400 ausländische Arbeitnehmer durch die Arbeitskräfte vor der Arbeitsaufnahme einer ärzt-
deutschen Kommissionen im Ausland angeworben lichen Untersuchung unterziehen zu lassen, die ohne
wurden. Darunter befinden sich 51 400 Italiener, Vermittlung durch die deutschen Kommissionen aus
15 300 Spanier, 10 800 Griechen und 3900 Türken. den südeuropäischen Ländern und der Türkei ein-
Zur Zeit sind rund 620 000 Ausländer in der Bun- gereist sind. Wir halten es auch für notwendig, daß
desrepublik beschäftigt. Diese Zahl wird voraus- der internationale Impfpaß vorgelegt wird, insbe-
sichtlich gegen Ende dieses Jahres auf rund 700 000 sondere von Einreisenden aus den Ländern, die kei-
steigen, davon etwa die Hälfte aus dem EWG- nen Impfzwang eingeführt haben.
1554 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 36. Sitzung. Borin, Mittwoch, den 27. Juni 1962

Gerlach
Unter Ziffer 2 unseres Antrages wird u. a. nach Kirche. Von diesen wird ein Kirchgeld. von 50 Pf
den Grundsätzen gefragt, die für die Arbeitsver- monatlich auf der Basis der Freiwilligkeit erhoben.
träge gelten. Diese Grundsätze sind unterschiedlich. Die Heimatkirche selbst sieht sich außerstande, die
Nach Art. 13 der Vereinbarung mit Spanien über- für die Betreuung notwendigen Kosten zu tragen.
nimmt die Bundesregierung bzw. der deutsche Ar-
. Wir halten hier eine Hilfe für notwendig.
beitgeber die Anreisekosten ab den vereinbarten Nicht unwesentlich erscheint uns die Frage, wie
Abreiseorten. Das gleiche gilt nach Art. 9 der Ver- die Unterrichtung der ausländischen Arbeitskräfte
einbarung für Italien, während nach Art. 13 Abs. 2 über die deutschen Verhältnisse erfolgt, vor Antritt
der Vereinbarung mit Griechenland die Reise- und der Reise und während des Aufenthalts in der Bun-
Verpflegungskosten für die griechischen Arbeit- desrepublik. Nach den Vereinbarungen erhalten die
nehmer erst ab griechischer Grenze übernommen Bewerber ein Merkblatt, aus dem sie alles Wesent-
werden, obwohl gerade die griechischen Arbeits- liche entnehmen sollen. Es steht jedoch fest, daß
kräfte -und die aus der Türkei stammenden die so- ein großer Teil der griechischen, 'spanischen und tür-
zial schwächsten sind und zudem noch in der Regel kischen Arbeitskräfte, weniger der italienischen,
die -.relativ höchsten Kosten — bis Piräus bzw. Analphabeten sind. Hier liegt auch offensichtlich die
Istambul — haben, die sie auch noch selbst tragen Schwierigkeit, Unterricht in der deutschen Sprache
müssen. zu erteilen. Meines Erachtens müßten in wesent-
Die Vereinbarung zwischen den Niederlanden lich größerem Umfang als bisher geeignete synchro-
und Griechenland sieht dagegen vor, daß die Nie- nisierte Filme zu Hilfe genommen werden, wobei
derlande die Kosten ab Wohnort des Arbeitnehmers insbesondere die politischen Verhältnisse in der Bun-
tragen. Das wird nach Meinung des griechischen desrepublik und die mit der Teilung Deutschlands
Arbeitsministeriums zur Folge haben, daß sich mehr zusammenhängenden Probleme behandelt werden
und mehr griechische Arbeitskräfte für die Nieder- sollten.
lande anwerben lassen.
Wir fragen in dem letzten Punkt unseres Antrags
In diesem Zusammenhang sollte auch geprüft die Bundesregierung nach Verbesserungsvorschlä-
werden, ob die von den Arbeitgebern zu zahlende gen. Wir werden uns selbst bemühen, derartige
Unkostenpauschale die tatsächlichen Anwerbungs-, Vorschläge zu unterbreiten.
Reise- und Verpflegungskosten deckt bzw. von
Meine Damen und Herren, ich bitte das Hohe
wem die eventuelle Differenz getragen wird.
Haus, über den in unserem Antrag liegenden sach-
Zweifelsohne wird in den kommenden Jahren das lichen Fragen auch die menschlichen und politischen
Problem der Familienzusammenführung eine immer Momente zu sehen. Sicher, es handelt sich um Ar-
größere Rolle spielen. Das gilt insbesondere für die beitskräfte, die die Wirtschaft braucht. Aber es sind
ausländischen Arbeitskräfte, die ihre Verträge ver- nicht nur Arbeitskräfte, es sind Menschen, die eines
längert haben. Wir bitten daher die Bundesregie- Tages in ihre Heimat zurückkehren und dann da-
rung in Zusammenhang mit unseren Fragen unter nach gefragt werden, wie sie hier behandelt wur-
Ziffer 8 um Prüfung, ob durch Gewährung von ent- den, was sie hier erlebt haben, wie die Deutschen
sprechenden Darlehen der Familienwohnungsbau sind.
für ausländische Arbeitskräfte in ähnlicher Weise (Abg. Mommer: Sehr gut!)
gefördert werden kann wie der Bau von Unter- Sie sollten zu Hause auch davon mit Überzeugung
künften. Wir reden damit nicht einer Auswande- sprechen können, daß wir den Frieden und die Frei-
rung nach Deutschland das Wort, zumal in den heit für unsere Landsleute jenseits des Eisernen
Verträgen mit den jeweiligen Regierungen festge- Vorhangs und der Mauer wollen und diese Freiheit
legt ist, daß die ausländischen Arbeitskräfte, die auf friedlichem Wege erreichen wollen — das ist
auf Grund von Vereinbarungen in Deutschland ein Politikum —, und wir sollten dafür sorgen, daß
Arbeit aufgenommen haben, ohne Prüfung von diesen Menschen diese Überzeugung mit guten
ihren Heimatländern wiederaufgenommen werden Mitteln und auf richtigem Wege vermittelt wird. Ich
müssen. Eine längere Trennung von den Familien bitte Sie, dem Antrag der sozialdemokratischen
ist jedoch nicht zumutbar. Fraktion zuzustimmen.
Damit taucht natürlich auch das Problem der (Beifall bei der SPD.)
Unterrichtung der Kinder auf, ein Problem, das nicht
zur Seite geschoben werden darf, so schwierig es
auch zu ,sein scheint. Vizepräsident Dr. Schmid: Dais Wort hat der
Ich bitte Sie auch, der Frage 10 Ihre Aufmerksam- Bundesarbeitsminister.
keit zu schenken. Mir ist bekannt, daß die Betreu-
ung der ausländischen Arbeitskräfte unterschiedlich Blank, Bundesminister für Arbeit und Sozial-
ist. Relativ einfach scheint sie da zu sein, wo eine ordnung: Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
größere Anzahl in einem Betrieb oder an einem Ich werde mich bemühen, den gewünschten Bericht
Ort tätig ist. Allerdings verstehen wir unter Betreu- in Zusammenarbeit mit der Bundesanstalt für Ar-
ung nicht die in einer Stadt ins Gespräch gebrachte beitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung, in
Einrichtung eines Abschöpfungsetablissements für Zusammenarbeit mit den Sozialpartnern und den
ausländische Arbeitskräfte. Schwieriger ist es schon beteiligten Bundesressorts zu erstellen und dem
in kleineren Orten. Bundestag termingerecht vorzulegen. Sollte sich
Offensichtlich mangelt es aber an der kirchlichen wider Erwarten ergeben, daß die eine oder andere
Betreuung der Anhänger der griechisch-orthodoxen Frage bis dahin nicht genügend geklärt werden
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1962 1555
Bundesarbeitsminister Blank
kann, werde ich mir erlauben, das dann Festgestellte Ich rufe auf Punkt 24 der Tagesordnung:
und Ermittelte als erstes vorzulegen. Beratung des Mündlichen Berichts des Aus-
Ich möchte aber die Gelegenheit nicht vorüber- schusses für Verteidigung (5. Ausschuß) über
gehen lassen, an dieser Stelle zu sagen, daß die den Entschließungsantrag der Fraktion der
Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeits- SPD zur dritten Beratung des von der Bundes-
losenversicherung und ihre Selbstverwaltungs- regierung eingebrachten Entwurfs eines Zwei-
organe großen Dank verdienen für das, was sie ten Gesetzes zur Änderung des Wehrpflicht-
bisher schon auf den Gebieten geleistet haben, über gesetzes (Drucksache IV/478, Umdruck 26).
die die sozialdemokratische Fraktion oder das Hohe Berichterstatter ist Herr Abgeordneter Dr. Supf.
Haus durch diese Fragen nähere Auskunft wünscht. Wollen Sie den Bericht erstatten?
(Beifall bei den Regierungsparteien.) (Abg. Dr. Supf: Ja, es liegt kein Schrift-
licher Bericht vor!)
Vizepräsident Dr.. Schmid: Wir kommen zur — Dann erteile ich Ihnen das Wort zur Berichterstat-
Abstimmung. Meine Damen und Herren, wer dem tung. -
Antrag auf Drucksache IV/470 zustimmen will, der
gebe das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthal- Dr. Supf (FDP) : Herr Präsident! Meine sehr ver-
tungen? — Ich stelle einstimmige Annahme fest. ehrten Damen und Herren! Da kein Schriftlicher Be-
richt zu dieser Sache vorliegt, darf ich noch ganz
Punkt 21 ist erledigt. kurz die Geduld des Hohen Hauses beanspruchen.
Wir wollten mit der Behandlung dieser Frage den
Ich rufe auf Punkt 22: Beweis liefern, daß sich der Verteidigungsausschuß
nicht nur mit 'der Bewaffnung, der Besoldung usw.
Beratung des Schriftlichen Berichts des Aus-
befaßt, sondern vor allem auch, und zwar in sehr
schusses für Verteidigung (5. Ausschuß) über
starkem Maße, mit der Verpflegung unserer jungen
den Jahresbericht 1961 des Wehrbeauftragten Soldaten.
des Bundestages (Drucksachen IV/371, IV/477).
Von der SPD war die Frage gestellt worden, ob
Es sind zwei Berichterstatter bestimmt, die Abge- der Verpflegungssatz von 2,75 DM täglich für den
ordneten Dr. Seffrin und Berkhan. Wehrpflichtigen in den Ausbildungseinheiten der
(Abg. Dr. Seffrin: Ich verweise auf den Grundausbildung ausreicht und auf welche Weise
Schriftlichen Bericht!) die in zahlreichen Einheiten der Bundeswehr bei
Einkauf, Zubereitung und Ausgabe gemachten guten
— Sie verzichten, Herr Abgeordneter Berkhan offen- Erfahrungen allen Truppenteilen zugänglich gemacht
bar auch. Ist das Haus bereit, sich damit zufrieden zu werden können. Ich habe mit verschiedenen höheren
geben, oder wünscht es einen Mündlichen Bericht? Beamten des Ministeriums gesprochen, habe Ein
— Das ist nicht der Fall. Melden sich Mitglieder des blick in Befehle usw. genommen und habe vor allem
Hauses zum Wort? — Das ist auch nicht der Fall. die Gelegenheit genutzt, mich in meiner engeren
Heimat, wo ein Ausbildungsregiment stationiert ist,
Dann haben wir darüber abzustimmen, ob wir den an Ort und Stelle über die Dinge zu unterhalten.
Jahresbericht 1961 des Wehrbeauftragten zur Kennt-
nis nehmen wollen — so lautet der Antrag des Ich kann dem Hohen Hause erfreulicherweise be-
Ausschusses —. Wer das will, der gebe das Hand- richten, daß das Resultat der Erkundung durchaus
zeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Ich positiv und als gut zu bewerten ist. Mit sehr viel
stelle einstimmige Annahme des Ausschußantrages Bedachtsamkeit, Fleiß und Aufmerksamkeit wird auf
fest. diese Dinge geschaut. Was ich von den jungen Sol-
daten selbst, von ihren Offizieren, ihren Beamten,
Punkt 23 der Tagesordnung: auch von den Ärzten gehört habe, zeigt, daß keine
schlechten Erfahrungen mit der Verpflegung ge-
Beratung des Schriftlichen Berichts des Aus- macht werden. Die Speisepläne sind vielseitig. Es
schusses für Verteidigung (5. Ausschuß) über wird im allgemeinen anscheinend — vielleicht mit
den Entschließungsantrag der Fraktion der der einen oder anderen Ausnahme — gut und ab-
SPD zur dritten Beratung des von der Bundes- wechslungsreich gekocht. Die Soldaten sind zufrie-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Zwei- den. Manche Wünsche bleiben natürlich offen. Daß
ten Gesetzes zur Änderung des Wehrpflicht- die Bayern nicht so sehr gerne viel Fisch essen
gesetzes (Drucksache IV/495, Umdruck 25). und dafür lieber Weißbrötchen und derartiges mehr,
das muß man in Kauf nehmen. Aber im allgemeinen
Berichterstatter ist der Abgeordnete Rommers- geht es gut.
kirchen. Wird auf Entgegennahme des Mündlichen
Berichts verzichtet? — Das ist der Fall. Wird das Was sich — und das möchte ich dem Hohen Hause
Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. besonders sagen — ausgezeichnet bewährt, sind die
kleinen Lehrabteilungen, die in jeden Wehrbereichs-
Der Ausschuß empfiehlt, den Entschließungsantrag bezirk hinausgeschickt werden. Es sind Köche und
auf Umdruck 25 auf Grund der Beratungen im Aus- entsprechende Beamte, die Anregungen geben, die
schuß für Verteidigung als erledigt zu erklären. Ist die Truppenköche schulen. Es wurde mir wiederholt
das Haus damit einverstanden? — Kein Wider- gesagt, es wäre schön, wenn diese Herren öfters
spruch; dann ist so beschlossen. kämen; denn aus dem Besuch ergäbe sich jedesmal
1556 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1962
Dr. Supf
eine wesentliche Bereicherung des Speiseplanes. Daß den, um damit einen gewissen Ausgleich herbeizu-
natürlich manche Küche nicht ganz so gut funktio- führen.
niert, wie sie soll, ist klar. Es besteht ja auch ein
Ganz abgesehen von diesem Gerechtigkeitsprin-
Mangel an guten Köchen. Aber im allgemeinen,
zip gibt es auch sachliche Notwendigkeiten, denen
glaube ich, daß wir zufrieden sein können.
mit diesem Verfahren gedient werden soll.
Der Ausschuß hat sich dem, was ich in meiner
In Nummer 3 des Antrags ist etwas an sich Selbst-
ausführlichen Berichterstattung vor einigen Wochen
verständliches gesagt, daß nämlich junge Leute, die
gesagt habe, einstimmig angeschlossen.
bereits eine Spezialausbildung in bestimmten For-
(Beifall.) mationen erhalten haben, nun auch entsprechend
dieser Spezialausbildung bei der Verteidigungslei-
Vizepräsident Dr. Schmid: Ich danke dem stung eingesetzt werden.
Herrn Berichterstatter für die Unterrichtung des Hau- Die Nummern 4 und 5 des Antrags betreffen die-
ses. Das Wort wird wohl nicht gewünscht. Wir kom- jenigen, die von der Ubergangsregelung der
men zur Abstimmung. Wer dem Antrag des Aus- 2. Wehrpflichtnovelle betroffen worden sind. Sie
schusses auf Drucksache IV/478 zustimmen will, sind von dieser Gesetzesänderungen überrascht
gebe Handzeichen. — Gegenprobe l —Enthaltungen? worden und können dadurch unter Umständen Ver-
— Der Antrag ist angenommen; Punkt 24 ist erle- luste und Schädigungen bei der Ausbildung erlei-
digt. den. Der Ausschuß richtet deshalb an die Bundes-
regierung die . Bitte, doch alles daranzusetzen, um
Ich rufe auf Punkt 25 der Tagesordnung: diesen jungen Menschen in ihrem Ausbildungsgang
Beratung des Mündlichen Berichts des Aus- keine ungünstigen zusätzlichen Belastungen über
schusses für Verteidigung (5. Ausschuß) über die Verlängerung der Dienstzeit hinaus zuzumuten.
den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD
und den Entschließungsantrag der Fraktionen Unter Nummer 5 werden insbesondere die Stu-
der CDU/CSU, FDP zur dritten Beratung des denten angesprochen. Es war die übereinstimmende
von der Bundesregierung eingebrachten Ent- Meinung des Ausschusses, daß wir an unsere Hoch-
wurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung schulen den Appell richten sollten, diesen jungen
des Wehrpflichtgesetzes (Drucksache IV/489, Leuten mit einer möglichst unbürokratischen Manier
Umdrucke 27, 37). entgegenzukommen, und zwar in einem größeren
Maße, als das bisher geschehen ist, um erhebliche
Ich erteile dem Berichterstatter, dem Abgeordne- Schädigungen hinsichtlich der Verlängerung der
ten Dr. Süsterhenn, das Wort. Studienzeit usw. nach Möglichkeit zu verhindern. Es
finden ständig Verhandlungen mit der Konferenz
Dr. Süsterhenn (CDU/CSU) : Herr Präsident! der Kultusminister statt, die sich bemüht haben,
Meine Damen und Herren! Der Antrag des Vertei- auch in dieser Richtung zu wirken. Nach dem be-
digungsausschusses, der Ihnen in Drucksache IV/489 kannten Selbstverwaltungssystem unserer Hoch-
vorliegt, ist vom Verteidigungsausschuß einstimmig schulen besteht aber keine unmittelbare Weisungs-
gefaßt worden. Dieser Antrag beruht auf den im möglichkeit der Kultusministerien, so daß wir
Rubrum angegebenen Entschließungsanträgen der eigentlich auf den guten Willen der Rektoren und
Fraktion der SPD und der beiden Fraktionen der Dekane der verschiedenen Hochschulen und Fakul-
täten angewiesen sind.
CDU/CSU und der FDP. Die in diesen beiden Anträ- •
gen enthaltenen Gedanken sind durchberaten und Der Ausschuß ist der Meiung, daß das Hohe Haus
dann in dem hier. vorliegenden Antrag als Aus- durch die Annahme dieses Antrags auch einmal
druck gemeinsamer Überzeugung zusammengefaßt einen Appell an unsere Hochschulen richten sollte,
worden. Ich habe Ihnen als Berichterstatter diesen unseren Studenten das Studium durch eine groß-
Antrag vorzulegen mit der Bitte, ihn anzunehmen. zügige und loyale Handhabung zu erleichtern.
Zur sachlichen Begründung darf ich Arielleicht (Beifall.)
ganz kurz folgendes bemerken. Die Punkte 1 und 2
dieses Ausschußantrages beruhen eigentlich auf
dem Gefühl, daß eine gewisse soziale Ungerechtig- Vizepräsident Dr. Schmid: Ich danke dem
keit vorliegt, weil unter den gegenwärtigen Ver- Herrn Berichterstatter. Wird zu dem Antrag das
hältnissen nur ein relativ kleiner Teil der Dienst- Wort gewünscht? -- Das eist nicht der Fall.
pflichtigen seine Dienstpflicht ableisten kann. Wir Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Antrag
wissen alle, daß eine gewisse Unzufriedenheit über des Ausschusses auf Drucksache IV/489 zustimmen
eine derartige wirkliche oder vermeintliche Unge- will, gebe bitte das Handzeichen. — Gegenprobe! —
rechtigkeit entstanden ist. Deshalb wird mit den Enthaltungen? — Ich stelle einstimmige Annahme
Anträgen unter den Nummern 1 und 2 die Tendenz fest. •
verfolgt, denen, die nicht zur Ableistung des Grund-
wehrdienstes einberufen werden können, wenig- Ich rufe auf Punkt 26 der Tagesordnung:
stens in einer anderen Weise, sei es in Form des Beratung des Schriftlichen Berichts des Finanz-
verkürzten Grundwehrdienstes, der Ausbildung im ausschusse,s (14. Ausschuß) über die von der
Sanitätsdienst oder auch der Erfüllung einer zivilen Bundesregierung zur Unterrichtung vorgeleg-
Dienstpflicht im Rahmen der zivilen Landesvertei- ten Entwürfe einer Verordnung zur Festle-
digung, nun auch irgendeine Leistung mit aufzubür- gung der Bestimmungen und des Verfahrens
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1962 1557
Vizepräsident Dr. Schmid
für die Erhebung der in Artikel 12 Absatz 1 Die Punkte 28 unid 29 wenden am Freitag aufge-
der Protokolle über die Vorrechte und Befrei- rufen werden.
ungen der EWG und der EAG vorgesehenen
Steuer zugunsten der Gemeinschaft und einer Ich rufe den Punkt 30 auf:
Verordnung Nr.... der Räte zur Aufstellung Beratung des Schriftlichen Berichts des
der Liste der Leistungen und Zulagen, die im Außenhadlsc(17.Auhß)
Hinblick auf die Familie gewährt werden über den (von der Bundesregierung einge-
oder die sozialer Art sind und die von der brachten Entwurf einer Sechzehnten Verord-
Besteuerungsgrundlage für die Berechnung nung zur Änderung des Deutschen Zolltarifs
der gemäß Artikel 12 des Protokolls über 1962 (Holzhäuser) (Drucksachen IV/455,
die Vorrechte und Befreiungen zugunsten der IV/484) .
Gemeinschaften eingefügten Steuer abgezo-
gen werden müssen. (Drucksachen IV/403, Berichterstatter ist Herr Abgeordneter Junker.
IV/454, IV/526). (Abg. Junker: Ich verzichte!)
Berichterstatter ist der Abgeordnete Goldhagen. — Sie verzichten auf Berichterstattung. Das Haus
Er hat einen Schriftlichen Bericht vorgelegt. Will wird Ihnenwahrscheinlich auch dafür danken.
sich das Haus mit diesem Bericht begnügen? — Das (Heiterkeit.)
ist der Fall. Das Wort wird nicht gewünscht.
— Nicht nur für den Inhalt Ihres Berichtes, meine
Wir kommen zur Abstimmung. Der Antrag des ich!
Auschusses auf Drucksache IV/526 lautet:
Wortmeldungen liegen nicht vor. Der Antrag des
Der Bundestag wolle beschließen, Ausschusses ist Ihnen bekannt. Wer dem Verord-
1. die Verordnungsentwürfe — Drucksachen nungsentwurf zustimmen will, der gebe das Hand-
IV/403, IV/454 — zur Kenntnis zu. nehmen; zeichen! — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Ich
stelle einstimmige Annahme fest.
2. die Bundesnegierung erneut zu ersuchen,
entsprechend dem Beschluß des Bundestages Wir kommen nunmehr zu Punkt 31:
vom 25. Juni 1959 — Drucksache 1187 der
3. Wahlperiode — durch ihre Vertreter im Beratung des ,Schriftlichen Berichts des
Ministerrat daraufeinzuwirken, daß ihr die Außenhandelsausschusses (17. Ausschuß) über
Vorlagen so rechtzeitig zugehen, daß eine den von der Bundesregierung eingebrachten
Stellungnahme bzw. eine Anregung des Bun- Entwurf einer Siebzehnten Verordnung zur
destages vor einer Behandlung durch den Änderung des Deutschen Zolltarifs 1962 (Sar-
Ministerrat möglich ist. dinen usw.) (Drucksachen IV/456, IV/485).
Ich lasse über diesen Antrag des Ausschusses ab- Berichterstatter ist Herr Abgeordneter Bäumer.
stimmen. Wer zustimmen will, gebe bitte das Hand- Legen Sie Wert darauf, Ihren Schriftlichen Bericht
zeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Ich mündlich zu ergänzen? — Der Bericht besteht aus
stelle einstimmige Annahme fest. einem Satze. Der Ausschuß empfiehlt Zustimmung.
Das Wort wird nicht gewünscht. Wer dem Ver-
Wir kommen zu Punkt 27:
ordnungsentwurf zustimmen will, der gebe das
Beratung des Schriftlichen Berichts des Aus- Handzeichen! — Gegenprobe! — .Enthaltungen? —
schusses für Inneres ,(6. Ausschuß) über den Ich stelle einstimmige Annahme fest.
von der Bundesregierung zur Unterrichtung
vorgelegten Entwurf einer Verordnung über Punkt 32:
das Statut der Beamten und die Beschäfti- Beratung Ides Schriftlichen Berichts des
gungsbedingungen für die sonstigen Bedien- Außenhandelsausschusses (17. Ausschuß) über
steten der Europäischen Wirtschaftsgemein-
den von der Bundesregierung eingebrachten
schaft und der Europäischen Atomgemein-
Entwurf einer Achtzehnten Verordnung zur
schaft (Drucksachen IV/359, IV/490).
Änderung des Deutschen Zolltarifs 1962 (Salz,
Berichterstatter ist der Herr Abgeordnete Dr. Naturkork usw.) (Drucksachen IV/457, IV/
Zimmer. Der Schriftliche Bericht liegt vor. Begnügt 486) .
sich das Haus mit diesem Bericht? — Das ist der
Herr Abgeordneter D r. Löbe, Sie sind 'Berichterstat-
Fall. Legen Sie Wert darauf, Ihren Bericht noch
ter.
mündlich zu ergänzen?
(Dr. Löbe: Ich verzichte!)
(Abg. Dr. Zimmer: Nein!)
— Sie verzichten auf 'die Ergänzung Ihres Berichts.
— Ich bedanke mich. Der Antrag des Ausschusses lautet, idem Verord-
Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der nungsentwurf unverändert zuzustimmen. Wer zu-
Fall. stimmen will, der gebe das Handzeichen! — Gegen-
Dann kommen wir zur Abstimmung. Der Antrag probe! — Enthaltungen? — Ich stelle einstimmige
des Ausschusses ist ziemlich umfangreich; ich Annahme fest.
brauche ihn nicht vorzulesen. Sie finden ihn in
Drucksache IV/490. Wer zustimmen will, gebe das Punkt 33:
Handzeichen! — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Beratung des Schriftlichen 'Berichts des
Ich stelle einstimmige Annahme fest. Außenhandelsausschusses (17. Ausschuß) über
1558 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1962

Vizepräsident Dr. Schmid


den von der Bundesregierung eingebrachten Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? —
Entwurf einer Neunzehnten Verordnung zur Ich stelle einstimmige Annahme fest.
Änderung des Deutschen Zolltarifs 1962
(Fertigbauteile) (Drucksachen IV/458, IV/487). Ich rufe auf Punkt 38 der Tagesordnung:
Berichterstatter ist Herr Abgeordneter Glüsing Beratung des Schriftlichen Berichts des Außen-
(Dithmarschen). Offenbar wird auch hier auf einen handelsausschusses (17. Ausschuß) über den
mündlichen Bericht verzichtet. von der Bundesregierung eingebrachten Ent-
wurf einer Neunundzwanzigsten Verordnung
(Zuruf ,von der CDU/CSU: Jawohl!) zur Änderung des Deutschen Zolltarifs 1962
(Zollkontingente für Aluminiumoxyd und für
Der Ausschuß empfiehlt, dem Verordnungsentwurf Rohaluminium) (Drucksachen IV/525, IV/535).
zuzustimmen. Wer zustimmen will, der gebe das
Handzeichen! — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Herr Abgeordneter Junker, wollen Sie den Bericht
Ich stelle einstimmige Annahme fest. mündlich erstatten? — Offenbar Fehlanzeige.
Der Ausschuß empfiehlt, dem Verordnungsent-
Punkt 34 wird am Freitag aufgerufen werden. wurf zuzustimmen. Wer zustimmen will, gebe das
Punkt 35: Handzeichen. — Bei der Besetzung ist es erlaubt,
Einstimmigkeit festzustellen ohne Gegenprobe. Ich
Beratung des Schriftlichen Berichts des stelle einstimmige Annahme fest.
Außenhandelsausschusses (17. Ausschuß) über
den von der Bundesregierung eingebrachten Ich rufe auf Punkt 39 der Tagesordnung:
Entwurf einer Sechsundzwanzigsten Verord-
Beratung des Berichts des Außenhandelsaus-
nung zur Änderung des Deutschen Zolltarifs
1962 (Zollkontingente der EGKS — 2. Halb- schusses (17. Ausschuß) über die von der Bun-
jahr 1962) (Drucksachen IV/522, IV/532). desregierung erlassene Dreizehnte Verord-
nung zur Änderung des Deutschen Zolltarifs
Der Ausschuß empfiehlt, der Verordnung unverän- 1962 (Tabak, verarbeitet; Tabakauszüge und
dert zuzustimmen. Wer zustimmen will, der gebe Tabaksoßen) (Drucksachen IV/439, IV/482).
das Handzeichen! — Gegenprobe! — Enthaltungen? Zu welcher Art von Nahrungsmitteln werden diese
— Ich stelle einstimmige Annahme fest. Soßen gereicht?
Ich rufe auf Punkt 36 der Tagesordnung: (Heiterkeit. — Zurufe: Kautabak!)
Beratung des Schriftlichen Berichts des Hier brauchen wir keinen Beschluß zu fassen, son-
Außenhandelsausschusses (17. Ausschuß) über dern nur zur Kenntnis zu nehmen. Herr Abgeord-
den von der Bundesregierung eingebrachten neter Keller, der Berichterstatter, teilt uns schrift-
Entwurf einer Siebenundzwanzigsten Verord- lich mit, daß der Ausschuß empfiehlt, diese Kenntnis
nung zur Änderung des Deutschen Zolltarifs zu nehmen.
1962 (Methylprednisolon usw.) (Drucksachen
IV/523, IV/533). Dasselbe gilt für Punkt 40 der Tagesordnung:
„Methylprednisolon" — sicher wissen alle genau, Beratung des Berichts des Außenhandelsaus-
was das ist, — mit Ausnahme meiner Person, ich schusses (17. Ausschuß) über die von der
weiß es nicht. Bundesregierung erlassene Dritte Verord-
(Heiterkeit.) nung zur Änderung der Einfuhrlisten — An-
lage zum Außenwirtschaftsgesetz — (Druck-
Der Ausschuß empfiehlt, dem Verordnungsent- sachen IV/452, IV/483).
wurf zuzustimmen. Wer zustimmen will, der gebe
das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? und für Punkt 41 der Tagesordnung
— Ich stelle einstimmige Annahme fest.
Beratung des Berichts des Außenhandelsaus-
Ich rufe auf Punkt 37 der Tagesordnung: schusses ( 17. Ausschuß) über die von der
Bundesregierung erlassene Erste Verordnung
Beratung des Schriftlichen Berichts des Außen- zur Änderung der Außenwirtschaftsverord-
handelsausschusses (17. Ausschuß) über den nung vom 3. Mai 1962 (Drucksachen IV/418,
von der Bundesregierung eingebrachten Ent- IV/494).
wurf einer Achtundzwanzigsten Verordnung
zur Änderung des Deutschen Zolltarifs 1962 Auch hier wird wohl das Wort nicht gewünscht.
(Wein zum Herstellen von Weindestillat) Wer von den drei Verordnungen, die in den Ta-
(Drucksachen IV/524, IV/534). gesordnungspunkten 39, 40 und 41 aufgeführt sind,
Sind das die Bestandteile, aus denen man Mosel- Kenntnis zu nehmen bereit ist, gebe das Handzei-
und Rheinwein macht? chen. — Auch hier stelle ich einstimmige Kenntnis-
nahme fest.
(Zurufe: Kognak! — Heiterkeit.)
Punkt 42 wird Freitag aufgerufen.
Herr Abgeordneter Richarts, wollen Sie Ihren Be-
richt mündlich erstatten? — Auch er verzichtet. Ich rufe auf Punkt 43 der Tagesordnung:
Der Ausschuß empfiehlt Zustimmung zu dem Ver- Beratung des mündlichen Berichts des Aus-
ordnungsentwurf. Wer zustimmen will, gebe das schusses für wirtschaftlichen Besitz des Bun-
Deutscher Bundestag - 4. Wahlperiode - 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1962 1559
Vizepräsident Dr. Schmid
des (28. Ausschuß) über den Antrag des Bun- Ich rufe also zusammen auf noch. die Punkte 47
desministers der Finanzen betreffend Ver ' - bis 56:
äußerung einer Teilfläche der ehemaligen
Flakkaserne Leonberg an den Landkreis Beratung des Berichts des Ausschusses für
Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsord-
Leonberg (Drucksachen IV/208, IV/491).
nung (1. Ausschuß) - Wahlpriifungsangele-
Berichterstatter ist Herr Abgeordneter Dr. Mäl- genheiten - über den Wahleinspruch des
zig. Ich nehme an, daß das Haus hier auf Entgegen- Julius Schuster, Stuttgart, gegen die Gültig-
nahme
— eines mündlichen Berichts verzichtet. keit der Wahl zum 4. Deutschen Bundestag
— Wortmeldungen sehe ich nicht. vom 17. September 1961 (Drucksache IV/498);
Wir können abstimmen. Wer dem Antrag des Beratung des Berichts des Ausschusses für
Ausschusses auf Drucksache IV/491 zustimmen will, Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsord-
gebe das Handzeichen. - Ich stelle einstimmige An- nung (1. Ausschuß) - Wahlprüfungsangele-
nahme fest. genheiten - über den Wahleinspruch des Dr.
Fritz Hintze, Hösseringen, gegen die
- Gültig-
Ich rufe auf Punkt 44 der Tagesordnung: keit der Wahl zum 4. Deutschen Bundestag
vom 17. September 1961 im Wahlkreis 39
Beratung des Mündlichen Berichts des Aus-
(Uelzen) (Drucksache IV/499);
schusses für wirtschaftlichen Besitz des Bun-
des (28. Ausschuß) über den Antrag des Bun- Beratung des Berichts des Ausschusses für
desministers der Finanzen betreffend Ver- Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsord-
äußerung einer Teilfläche der ehemaligen nung (1. Ausschuß) - Wahlprüfungsangele-
Sedankaserne in Ulm an die Firma Telefun- genheiten - über den Wahleinspruch des
ken GmbH (Drucksachen IV/243, IV/492). Heinrich Kindler, Lörrach-Stetten, gegen die
Gültigkeit der Wahl zum 4. Deutschen Bun-
Auch hier wird nach dem Antrag des Ausschusses
destag vom 17. September 1961 (Drucksache
auf Drucksache IV/492 Zustimmung empfohlen. Wer
IV/500) ;
zustimmen will, gebe das Handzeichen. - Ich stelle
einstimmige Annahme fest. Beratung des Berichts des Ausschusses für
Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsord-
Ich rufe auf Punkt 45 der Tagesordnung: nung (1. Ausschuß) - Wahlprüfungsange-
legenheiten - über den Wahleinspruch des
Beratung der Ubersicht 5 des Rechtsausschus-
Heinz Rieger, Tübingen, gegen die Gültigkeit
ses (12. Ausschuß) über die dem Deutschen
der Wahl zum 4. Deutschen Bundestag vom
Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem
17. September 1961 im Land Schleswig-Hol-
Bundesverfassungsgericht (Drucksache IV/
stein (Drucksache IV/501);
493) .
Hier empfiehlt der Rechtsausschuß — Drucksache Beratung des Berichts des Ausschusses für
IV/493 -, von einer Äußerung zu den „nachstehend Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsord-
aufgeführten Streitsachen vor dein Bundesverfas- nung (1. Ausschuß) - Wahlprüfungsange-
sungsgericht" abzusehen. „Nachstehend aufgeführt" legenheiten - über den Wahleinspruch des
heißt: die Rückseite der Drucksache. Wird das Wort Heinrich Schöfbeck, Bochum, gegen die Gültig-
gewünscht? - Das ist nicht der Fall. keit der Wahl zum 4. Deutschen Bundestag
vom 17. September 1961 im Wahlkreis 111
Dann können wir abstimmen. Wer zustimmen
Wattenscheid-Wanne-Eickel) (Drucksache
will, gebe das Handzeichen. - Ich stelle einstim-
IV/502) ;
mige Annahme fest.
Beratung des Berichts des Ausschusses für
Punkt 46: Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsord-
nung (1. Ausschuß) - Wahlprüfungsange-
Beratung des Berichts des Ausschusses für
legenheiten - über den Wahleinspruch des
Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsord-
Dr. Heinz Josef Varain, Kiel, gegen die Gül-
nung (1. Ausschuß) - Wahlprüfungsangele-
tigkeit der Wahl zum 4. Deutschen Bundes-
genheiten - über den Wahleinspruch des
tag vom 17. September 1961 im Land Schles-
Jakob Baumann, Zweibrücken, gegen die Gül-
wig Holstein Drucksache IV/503);
tigkeit der Wahl zum 4. Deutschen Bundes-
-

tag vom 17. September 1961 im Wahlkreis Beratung des Berichts des Ausschusses für
161 (Zweibrücken) (Drucksache IV/497). Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsord-
(Abg. Dr. Dittrich: Die Punkte 46 bis 56 der nung (1. Ausschuß) - Wahlprüfungsange-
Tagesordnung ohne mündliche Bericht legenheiten - über den Wahleinspruch des
erstattung!) Harry Griebat, Bochum, gegen die Gültigkeit
der Wahl zum 4. Deutschen Bundestag vom
- In allen Fällen wird auf den schriftlichen Bericht 17. September 1961 im Wahlkreis 75 (Wupper-
verwiesen. Ich nehme aber an, daß wir trotzdem tal I) (Drucksache IV/504) ;
über jeden einzelnen Fall abstimmen müssen. In
allen Fällen wird, wenn ich mich nicht täusche, Beratung des Berichts des Ausschusses für
Zurückweisung des Einspruchs empfohlen. Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsord-
1560 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1962

Vizepräsident Dr. Schmid


nung (1. Ausschuß) — Wahlprüfungsange- Es hat sich nämlich herausgestellt, daß die Auf-
legenheiten — über den Wahleinspruch des
. hebung einer Immunität durch dieses Hohe Haus
Emil Sander, Oberhausen, und anderer gegen im allgemeinen eine große Publizität erzeugt hat.
die Gültigkeit der Wahl zum 4. Deutschen Alle Zeitungen haben die Immunitätsaufhebung
Bundestag vom 17. September 1961 im Land registriert, zur Kenntnis genommen und veröffent-
Nordrhein-Westfalen (Drucksache IV/514) ; licht. Ist ein Abgeordneter dieses Hauses freige-
sprochen worden — möglicherweise mangels
Beratung des Berichts des Ausschusses für Schuld —, dann hat niemand mehr davon Kennt-
Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsord- nis genommen.
nung (1. Ausschuß) — Wahlprüfungsange- Aus dem Haus sind uns in dieser Hinsicht ver-
legenheiten — über den Wahleinspruch des schiedene Anregungen zugegangen, die allerdings
Kurt Erlebach, Hamburg, gegen die Gültigkeit zum größten Teil nicht verwirklicht werden konn-
der Wahl zum 4. Deutschen Bundestag vom ten, weil dem unsere gegenwärtige Verfassung,
17. September 1961 im Wahlkreis 21 (Ham- insbesondere Art. 46 unseres Grundgesetzes, ent-
burg VII) (Drucksache IV/518) ; gegensteht.
Beratung des Berichts des Ausschusses für Der Ausschuß kam deshalb dem Ergebnis, daß
Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsord- abgesehen von der Änderung, über die ich zu be-
nung (1. Ausschuß) — Wahiprüfungsange- richten habe, eine weitere Vereinfachung nur dann
legenheiten — über den Wahleinspruch des vorgenommen werden kann, wenn das Grundgesetz
Ludwig Landwehr, Osnabrück, gegen die Gül- entsprechend geändert wird. Eine Änderung des
tigkeit der Wahl zum 4. Deutschen Bundestag Grundgesetzes ist aber nur nach einer Absprache
vom 17. September 1961 im Wahlkreis 28 mit den Ländern möglich.
(Osnabrück-Stadt und -Land) (Drucksache
Nun zu dem Bericht Drucksache IV/506. Es geht
IV/519).
darum, daß wir das vereinfachte Verfahren, das wir
Es handelt sich um Wahlprüfungssachen, und in bei Verkehrsdelikten entwickelt haben — ich darf
allen Fällen empfiehlt der zuständige Ausschuß Zu- Sie auf das Institut der Vorentscheidungen hinwei-
rückweisung des Einspruchs. Ist das Haus mit dieser sen —, auch auf die Strafvollstreckung ausweiten
Art der Abstimmung einverstanden? — Dann stim- wollen. Künftig soll bei einer Freiheitsstrafe, die
men wir über alle Anträge zusammen ab. Wer den nicht höher als drei Monate liegt, oder wenn bei
Ausschußanträgen zustimmen will, der gebe das einer Gesamtstrafenbildung keine der erkannten
Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einzelstrafen drei Monate übersteigt, das verein-
Ich stelle einstimmige Annahme der Ausschußan- fachte Verfahren der Vorentscheidung ebenfalls
träge fest. durchgeführt werden.
Das bedeutet: es müssen zwei Drittel der stimm-
Punkt 57 der Tagesordnung:
berechtigten Ausschußmitglieder zustimmen, daß
Beratung des Mündlichen Berichts des Aus- die Immunität eines Abgeordneten wegen eines
schusses für Wahlprüfung, Immunität und Ge- Verkehrsdelikts oder wegen einer Bagatellsache
schäftsordnung (1. Ausschuß) — Immunitäts- aufgehoben wird. Sie werden dann in Ihren Fächern
angelegenheiten — betreffend die Drucksache vorfinden und entsprechend Ein-
a) Aufhebung der Immunität von Abgeord- spruch einlegen können. Dieses vereinfachte Ver-
neten bei Verkehrsdilikten und Bagatell- fahren soll nun jetzt auch auf die Strafvollstrek-
sachen, kung ausgedehnt werden und im übrigen auch dort
Anwendung finden, wo es sich um Ermächtigungen
b) Ermächtigung gemäß § 197 StGB (Druck- gemäß § 197 des Strafgesetzbuchs zu einer Straf-
sache IV/506). verfolgung handelt.
Berichterstatter ist Herr Abgeordneter Dr. Dittrich. Ich darf Sie bitten, sich dieser Beschlußfassung
In diesem Fall glaube ich doch, daß wir nicht darauf des Ausschusses, die eine Ergänzung unserer Im-
verzichten sollten, einen mündlichen Bericht ent- munitätsgrundsätze bedeutet, anzuschließen.
gegenzunehmen. Ich erteile dem Berichterstatter das
Wort.
Vizepräsident Dr. Schmid: Das Wort hat der
Dr. Dittrich (CDU/CSU) : Herr Präsident! Meine Abgeordnete Wittrock.
Damen und Herren! Der Ausschuß für Wahlprü-
lung, Immunität und Geschäftsordnung hat sich in Wittrock (SPD) : Herr Präsident! Meine Damen
seinen letzten Sitzungen mit der Überprüfung der und Herren! Herr Kollege Dr. Dittrich, es ist Ihnen
Immunitätsgrundsätze beschäftigt. Er hat über- ein kleiner Irrtum unterlaufen, und ich möchte we-
prüft, inwieweit diese Grundsätze verbessert bzw. gen der Bedeutung der Sache ein kurzes Wort dazu
vereinfacht werden könnten. Dabei ging es dem sagen. Es kommt mir hier nicht auf einen kontradik-
Ausschuß in erster Linie darum, daß der bisherige torischen Einwand, sondern auf eine Klarstellung
Immunitätsschutz, der nach herrschender und auch an. Sie haben hier gesagt — und ich habe Sie sicher-
nach der vom Bundestag vertretenen Auffassung lich richtig verstanden —, daß der Ausschuß der
lediglich dem Bundestag als Parlament zukommt, Auffassung gewesen sei, einer weitergehenden Ver-
sich teilweise zuungunsten der einzelnen Abge- einfachung des Verfahrens stünden verfassungs-
ordneten ausgewirkt hat. rechtliche Bedenken entgegen. Sie werden sich ge-
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1962 1561
Wittrock
wiß daran erinnern, daß der Ausschuß dieses Pro- Dr. Dittrich (CDU/CSU) : Herr Präsident! Meine
blem, das van einem Ausschußmitglied aufgewor- Damen und Herren! Selbstverständlich sind wir da-
fen worden war, nicht ausdiskutiert hat. Er hat also mit einverstanden, daß man die Frist von drei Ta-
die Grenzziehung, die das Grundgesetz insoweit vor- gen auf sieben Tage erhöht. Es wäre nur zweck-
nimmt, dahingestellt sein lassen. Der Ausschuß hat mäßig gewesen, daß wir uns insoweit bereits im
sich nach meiner Erinnerung — und ich glaube nicht, Ausschuß verständigt hätten; das wäre sicher mög-
daß ich mich täusche — auf den Standpunkt gestellt: lich gewesen.
wir lassen die weitergehenden Vereinfachungserwä- Nun, Herr Kollege Wittrock, ein Wort zu Ihren
gungen, die aus allen Fraktionen vorgetragen wor- Ausführungen bezüglich einer weiteren Verein-
den waren, zunächst einmal dahingestellt sein und fachung des Immunitätsrechtes ohne Verfassungs-
beschränken uns auf diesen ersten Schritt in der änderung. Wir haben im Ausschuß auch hierüber
Richtung auf eine Vereinfachung. gesprochen, sind aber immer wieder an die Schranke
Ich glaube, das sollte auch hier im Plenum des des Art. 46 unseres Grundgesetzes gestoßen. Man
Bundestages klargestellt werden, damit wir uns muß unterscheiden, wie weit eine beabsichtigte
nicht selbst eine Barriere bauen, die etwaigen wei- Vereinfachung gehen soll. Natürlich sind Änderun-
teren Vereinfachungsüberlegungen entgegensteht; gen, die nur kleine Varianten bedeuten, ohne wei-
denn es ist die Meinung der sozialdemokratischen teres möglich. Zu einer grundlegenden Änderung des
Bundestagsfraktion, daß das Problem einer weiter- Immunitätsrechts brauchen wir aber eine Änderung
gehenden verfahrensmäßigen Vereinfachung — nur der Verfassung. Das war Gegenstand der Beratun-
darum geht es — noch künftiger Erörterungen be- gen im Ausschuß für Wahlprüfung, Geschäftsord-
darf. nung und Immunität, und so, Herr Kollege Witt-
rock, möchte ich meine Ausführungen verstanden
Meine Damen und Herren, ich habe im übrigen wiss en.
namens der sozialdemokratischen Bundestagsfrak-
tion hier eine kleine Änderung zu beantragen. Im (Abg. Wittrock: Das gilt nur, soweit es sich
letzten Absatz der Drucksache 506 heißt es: um eine grundlegende Änderung handelt;
hier geht es aber nur um die Modalitäten
Sie gelten einer Verfahrensvereinfachung, und da ha-
— „Sie", das heißt die Beschlüsse des Ausschusses — ben wir das Problem nicht ausdiskutiert!)
als Entscheidung des Bundestages, wenn inner-
halb von drei Tagen nach Mitteilung kein Wi- Vizepräsident Dr. Schmid: Das Wort wird
derspruch erfolgt. weiter nicht gewünscht. Wir kommen zur Abstim-
mung über den Antrag des Ausschusses unter Be-
Die sozialdemokratische Fraktion beantragt, die
rücksichtigung der von dem Abgeordneten Wittrock
Zahl „drei" durch die Zahl „sieben" zu ersetzen;
beantragten Änderung: sieben Tage. Wer zustim-
denn eine Frist von drei Tagen ist inpraktikabel,
men will, gebe das Handzeichen. — Gegenprobe!
eine solche Frist ist zu kurz. Man denke etwa an die

Enthaltungen? — Ich stelle einstimmige Annahme


Wochenenden! Die Frist beginnt mit der Verteilung
fest.
der Vorentscheidungen in die Fächer der Mitglie-
der des Hauses zu laufen, und da ergibt sich aus Damit sind die für heute vorgesehenen Tages-
dem Tagungsrhythmus des Hauses, daß eine Frist ordnungspunkte erledigt. Punkt 58, der Bericht des
von drei Tagen etwas zu kurz ist. Diese Praktikabi- Untersuchungsausschusses, wird morgen beraten
litätserwägungen lassen es als gerechtfertigt er- werden. Weitere Anträge sind nicht gestellt.
scheinen, die Zahl drei durch die Zahl sieben zu er- Ich berufe die nächste Sitzung des Bundestages
setzen. Ich darf dem Herrn Präsidenten diesen An- ein auf morgen, Donnerstag, den 28. Juni 1962,
trag schriftlich überreichen und bitte Sie, meine Da- 9 Uhr.
men und Herren, um Zustimmung.
Ich schließe die Sitzung.
Vizepräsident Dr. Schmid: Bitte, Herr Bericht-
erstatter! (Schluß der Sitzung: 19.58 Uhr.)

Berichtigung
Es ist zu lesen:
35. Sitzung Seite 1444 B Zeile 5 von unten statt
„sind zwei" : sind nicht zwei.
Deutscher Bundestag - 4. Wahlperiode - 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1962 1563

Anlagen zum Stenographischen Bericht "

Anlage 1 beurlaubt bis einschließlich


Storch* 29. 6.
Liste der beurlaubten Abgeordneten Frau Strobel* 29. 6.
Unertl 30. 6.
Abgeordneta(r) Urban 30. 6.
Dr. Vogel 30.6.
Adorno 30. 6.
Frau Dr. h. c. Weber (Essen) 29. 6.
Dr. Aigner* 29. 6.
Weinkamm* 29. 6.
Arendt (Wattenscheid) * 29. 6.
Welke 30. 6.
Dr. Aschoff* 29. 6.
Wischnewski* 29. 6.
Dr. Atzenroth 29. 6.
Bergmann* 29. 6.
Fürst von Bismarck 30. 6.
Börner 27. 6. -
Dr. Brecht 30. 6.
Anlage 2
Brese 30. 6.
Burckhardt 27. 6. Erklärung
Dr. ,Burgbacher* 29. 6. gemäß § 59 der Geschäftsordnung zur Abstimmung
Dr. Deist* 29. 6. über den Antrag der SPD-Fraktion die Drucksache
Deringer* 29. 6. IV/509 auf die Tagesordnung zu setzen.
Dr. Dichgans* 29. 6.
Drachsler 30. 6. Für mich persönlich - nicht für meine Fraktion
Eichelbaum 30. 6. - gebe ich folgende Erklärung ab:
Frau Dr. Elsner* 29. 6. Der Antrag der SPD zur Beamtenbesoldung
Engelbrecht-Greve* 29. 6. würde eine allgemeine Aussprache über die Besol-
Dr. Eppler 30. 6. dungssituation der Beamten ermöglichen.
Faller* 29. 6.
Nachdem diese Frage seit Monaten in der Offent-
Dr. Dr. h. c. Friedensburg* 29. 6.
lichkeit diskutiert wird, wäre e s ohne Zweifel not-
Dr. Furler* 29. 6.
wendig, hierzu auch im Parlament noch vor der
Goldhagen 30. 6.
Sommerpause Stellung zu nehmen. So wäre es
Hahn (Bielefeld)* 29.6.
sicherlich angebracht, hier im Bundestag in diesem
Heiland 27. 6.
Augenblick die Zweckmäßigkeit oder Unzweck-
Illerhaus* 29. 6.
mäßigkeit der von der Bundesregierung verabschie-
Kalbitzer* 29. 6.
deten sog. Harmonisierungsnovelle zu diskutieren,
Frau Dr. Kiep-Altenloh 27. 6.
die ja immerhin fast eine halbe Milliarde DM
Dr. Klein (Berlin) 30. 6.
kosten soll. Aber alles das ist nicht möglich, wenn
Koenen (Lippstadt) 30. 6.
der SPD-Antrag heute ;abgelehnt wird. Darum
Dr. Kreyssig* 29. 6.
29. 6.
stimme ich dafür, diesen Antrag IV/509 auf die
Kriedemann*
Kühn (Bonn) 30. 6. Tagesordnung zu setzen.
Kühn (Köln) 30.6. Dr. Miessner
Lenz (Bremerhaven) 30.6.
Lenz (Brühl)* 29.6.
Dr. Löhr* 29. 6.
Lücker (München) * 29. 6.
Dr. Mälzig 27.6. Anlage 3
Margulies* 29. 6. Schriftliche Antwort
Matthöfer 30. 6.
Mauk* 29. 6. des Herrn Staatssekretärs Hüttebräuker auf die Zu-
Dr. Menzel 30. 6. satzfrage zu der Mündlichen Anfrage des Abgeord-
Metzger* 29. 6. neten Dröscher (Fragestunde der 34. Sitzung vom
Michels* 29. 6. 14. Juni 1962 Drucksache IV/453 Frage X/5.) *)
Müller-Hermann* 29. 6. Die Zahl der auf Kreisebene tätigen landwirt-
Oetzel 29. 6. schaftlichen Beratungskräfte betrug im Jahre 1961
Dr.-Ing. Philipp* 29.6. insgesamt 2837 (1473 Lehrkräfte an Landwirtschafts-
Frau Dr. Probst* 29. 6. schulen, die zugleich in der Beratung tätig sind, und
Rademacher* 29. 6. 1364 zusätzliche Wirtschaftsberater). Die entspre-
Ramms 27. 6. chende Vergleichszahl der Beraterinnen beläuft sich
Richarts* 29. 6. auf 1160 (1037) Lehrerinnen an Landwirtschafts
Ritzel 29. 6.
Schlick 29. 6.
Seifriz* 29. 6. für die Teilnahme an der Tagung des Europäischen
Parlaments
Seither 1. 8.
Spitzmüller 28. 6. *) siehe 34. Sitzung Seite 1433 C.
1564 Deutscher Bundestag - 4. Wahlperiode - 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1962

schulen, die zugleich in der Beratung tätig sind, Duisburg (frei Entladestelle an dem von der
und 123 zusätzliche Beraterinnen). . Interventionsstelle bezeichneten Lager in
Ein Teil der zusätzlichen Berater sind in den priva- Duisburg)
ten Ringen, deren es 247 in Niedersachsen und 71 in
I II III
Schleswig-Holstein gibt, tätig. Weich
weizen Roggen Gerste
Hinzu kommen noch 782 Spezialberater (hiervon
als Spezialberater auf Bundesebene für den Obst- inDMjet
und Gartenbau, die Geflügelhaltung und die Wald-
1962
bauernberatung je 1 Berater und für die Arbeitswirt-
schaft 3 Berater) sowie als Hilfskräfte der Wirt- Juli 438,50 398,50 379,50
schaftsberatung 502 im Ackerbau, 130 in der Ge- August 438,50 398,50 379,50
flügelhaltung, 57 im Obst- und Gartenbau und 138
in der ländlichen Hauswirtschaft. September 442,50 402,50 379,50
Oktober 446,50 406,50 383,50
-
November 450,50 410,50 386,80
Anlage 4 Umdruck 128 Dezember 454,50 414,50 390,10

1963
Änderungsantrag der Fraktion der SPD zur
zweiten Beratung des von den Fraktionen der Januar 458,50 418,50 393,40
CDU/CSU, FDP eingebrachten Entwurfs eines Ge- Februar 462,50 422,50 396,70
setzes zur Durchführung der Verordnung Nr. 19
(Getreide) des Rates der Europäischen Wirtschafts- März 466,50 426,50 400,00
gemeinschaft (Drucksachen IV/463, IV/515). April 470,50 430,50 403,30
Mai 474,50 434,50 403,30
Der Bundestag wolle beschließen:
Juni 478,50 438,50 403,30
1. Zu § 1 Abs. 1:
d) In Anlage 4 (zu § 1 Nr. i2 Buchstabe b) ver-
a) Anlage 1 erhält folgende Fassung:
mindern sich die darin genannten Preise um
Anlage .1 (zu § 1 Nr. 1 Buchstabe a) Grund- die aus der Anlage 3 ersichtlichen Abschläge.
richtpreise für den Handelsplatz Duisburg
(frei Entladestelle Duisburg Hafen - Wasser- 2. Dem § 1 sind folgende neue Absätze 3 bis 5
anzufügen:
löschstelle —)
,,,(3) Die für die Errechnung der abgeleiteten
I II III Richt- und Interventionspreise anzuwendenden
Weich Roggen Gerste Frachtkosten sind so zu bemessen, daß das durch-
weizen
in DM jet schnittliche Niveau der übrigen Mitgliedstaaten
annähernd erreicht wird. Der Bund stellt nötigen-
1962 falls entsprechende Ausgleichsmittel zur Verfü-
gung.
Juli 460,50 418,50 398,50
(4) Soweit sich für eingeführtes Getreide
August 460,50 418,50 398,50 durch erhöhte Abschöpfungen, durch den Weg-
September 464,50 422,50 398,50 fall der Frachterstattungen und des Preisaus-
402,50
gleiches für höhere Weltmarktpreise Verteue-
Oktober 468,50 426,50
rungen ergeben, sind diese nach Artikel 23
November 472,50 430,50 405,80 Abs. 4 der Verordnung Nr. 19 (Getreide) des
Dezember 476,50 434,50 409,10 Rates der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft
durch den Bund auszugleichen.
1963 (5) Falls .sich aus diesem Gesetz unzumutbare
Januar 480,50 438,50 412,40 Einkommensminderungen für bäuerliche Betriebe
ergeben, sind diese vom Bund zu tragen."
Februar 484,50 442,50 415,70
März 488,50 446,50 419,00 Bonn, den 26. Juni 1962
April 492,50 450,50 422,30
Mai 496,50 454,50 422,30 Ollenhauer und Fraktion
Juni 500,50 458,50 422,30
b) In Anlage 2 (§ 1 Nr. 1 Buchstabe b) vermin-
dern sich die darin genannten Preise um die
aus der Anlage 1 ersichtlichen Abschläge.
Anlage 5 Umdruck 129
c) Anlage 3 erhält folgende Fassung: Änderungsantrag der Fraktion der SPD zur
Anlage 3 (zu § 1 Nr. 2 Buchstabe a) Grund zweiten Beratung des von den Fraktionen der CDU/
interventionspreise für den Handelsplatz CSU, FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den — 27. Juni 1962 1565

zur Durchführung der Verordnungen Nr. 20 (Schwei- 2. In § 4 werden


nefleisch), Nr. 21 (Eier) und Nr. 22 (Geflügelfleisch) a) in Absatz 1 die Worte „gilt als" ersetzt
des Rates der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft durch die Worte „ist die";
sowie zur Änderung des Gesetzes zur Förderung
der deutschen Eier- und Geflügelwirtschaft (Druck- b) in Absatz 2 das Wort „sinngemäß" gestri-
sachen IV/465, IV/516) chen.
3. § 12 erhält folgende Fassung:
Der Bundestag wolle beschließen:
㤠12
1. § 1 Abs. 1 erhält folgende Fassung:
(1) Ordnungswidrig handelt, wer vorsätzlich
„(1) Soweit sich für Eier, Geflügelfleisch und oder fahrlässig einer Vorschrift einer nach § 9
Schweinefleisch durch dieses Gesetz Verteuerun- oder nach § 11 ergangenen Rechtsverordnung
gen ergeben, sind die Abschöpfungssätze oder einer auf Grund einer solchen Verordnung
nach Artikel 6 Abs. 1 der Verordnung Nr. 20 erlassenen vollziehbaren Verfügung zuwider-
über die schrittweise Errichtung einer gemein- handelt, soweit die Rechtsverordnung für einen
-
bestimmten Tatbestand auf diese Bußgeldvor-
samen Marktorganisation für Schweinefleisch
vom 4. April 1962 (Amtsblatt der Europäischen schrift verweist.
Gemeinschaften 1962 S. 945) (Schweinefleisch (2) Der Versuch einer vorsätzlichen Ordnungs-
Verordnung), widrigkeit nach Absatz 1 kann geahndet wer-
nach Artikel 5 Abs. 1 der Verordnung Nr. 21 den, wenn die Rechtsverordnung dies bestimmt.
über die schrittweise Errichtung einer gemein- (3) Ordnungswidrig handelt ferner, wer vor-
samen Marktorganisation für Eier vom 4. April sätzlich
1962 (Amtsblatt der Europäischen Gemein-
schaften 1962 S. 953) (Eier-Verordnung) und 1. unrichtige oder unvollständige Angaben tat-
sächlicher Art macht oder benutzt, um für
nach Artikel 5 Abs. 1 der Verordnung Nr. 22 sich oder einen anderen eine Genehmigung
über die schrittweise Errichtung einer gemein- oder eine Bescheinigung zu erschleichen, die
samen Marktorganisation für Geflügelfleisch nach einer zur Durchführung der Verord-
vom 4. April 1962 (Amtsblatt der Europäischen nung Nr. 19 oder dieses Gesetzes erlassenen
Gemeinschaften 1962 S. 959) (Geflügelfleisch Rechtsvorschrift erforderlich ist,
Verordnung)
2. die Nachprüfung (§ 44 des Außenwirtschafts-
zu verringern. Die Bundesregierung ist ver- gesetzes) von Umständen, die nach der Ver-
pflichtet, die diesbezüglichen Anträge bei der ordnung Nr. 19, nach diesem Gesetz oder
Kommission der Europäischen Wirtschaftsge- nach einer zur Durchführung der Verord
meinschaft (Kommission) zu stellen." nung Nr. 19 oder dieses Gesetzes erlasse-
nen Rechtsvorschrift erheblich sind, dadurch
2. In § 1 wird folgender Absatz 1 a eingefügt: verhindert oder erschwert, daß er Bücher
„(1 a) Falls sich aus diesem Gesetz unzumut- oder Aufzeichnungen, deren Führung oder
bare Einkommensminderungen für bäuerliche Be- Aufbewahrung ihm nach handels- oder
triebe ergeben, sind diese durch den Bund aus- steuerrechtlichen Vorschriften obliegt, nicht
zugleichen." oder nicht ordentlich führt, nicht aufbewahrt
oder verheimlicht.
Bonn, den 26. Juni 1962 (4) Eine Ordnungswidrigkeit nach Absatz 1
kann, wenn sie
Ollenhauer und Fraktion 1. vorsätzlich begangen ist, mit einer Geld-
buße bis zu fünfzigtausend Deutsche Mark,
2. fahrlässig begangen ist, mit einer Geldbuße
bis zu fünfundzwanzigtausend Deutsche
Mark
Anlage 6 Umdruck 131
geahndet werden. Eine Ordnungswidrigkeit
Änderungsantrag des Abgeordneten Bauknecht nach Absatz 3 Nr. 1 kann mit einer Geldbuße
zur zweiten Beratung des von den Fraktionen der bis zu fünfzigtausend Deutsche Mark, eine
CDU/CSU, FDP eingebrachten Entwurfs eines Ge- Ordnungswidrigkeit nach Absatz 3 Nr. 2 mit
setzes zur Durchführung der Verordnung Nr. 19 einer Geldbuße bis zu zehntausend Deutsche
(Getreide) des Rates der Europäischen Wirtschafts- Mark geahndet werden."
gemeinschaft (Drucksachen IV/ 463, IV/515). 4. § 13 Abs. 1 beginnt wie folgt:

Der Bundestag wolle beschließen: „(1) Die Bußgeldvorschriften des § 12 gelten


auch ... "
1. § 1 Abs. 1 Satz 2 erhält folgende Fassung:
5. § 14 erhält folgende Fassung:
„Die Richtpreise und Interventionspreise sowie
die Handelsplätze ergeben sich für die Zeit vom „§ 14
30. Juli 1962 bis 30. Juni 1963 aus den Anlagen (1) Begeht jemand in einem Unternehmen
1 bis 4." eine Zuwiderhandlung nach § 12, so kann ge-
1566 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1962

gen den Inhaber oder Leiter des Unternehmens 10. Folgender § 15 d wird eingefügt:
oder den gesetzlichen Vertreter des Inhabers
oder ein Mitglied des zur gesetzlichen Vertre- 㤠15 d
tung berufenen Organs einer juristischen Per- Die Verwaltungsbehörde und die Einfuhr- und
son oder einen vertretungsberechtigten Gesell- Vorratsstelle können die ihnen durch § 44 des
schafter einer Personenhandelsgesellschaft eine Außenwirtschaftsgesetzes eingeräumten Befug-
Geldbuße festgesetzt werden, wenn sie vorsätz- nisse auch ausüben, um die Einhaltung der Ver-
lich oder fahrlässig ihre Aufsichtspflicht ver- ordnung Nr. 19 dieses Gesetzes und der zur
letzt haben und die Zuwiderhandlung hierauf Durchführung der Verordnung Nr. 19 und die-
beruht. ses Gesetzes ergangenen Rechtsvorschriften zu
(2) Die Geldbuße beträgt im Falle eines Ver überwachen."
stoßes gegen § 12 Abs. 1 oder Abs. 3 Nr. 1
11. § 18 erhält folgende Fassung
1. bei vorsätzlicher Aufsichtspflichtverletzung
bis zu fünfzigtausend Deutsche Mark,
㤠18
2. bei fahrlässiger Aufsichtspflichtverletzung -
Dieses Gesetz tritt am 30. Juli 1962 in Kraft."
bis zu. fünfundzwanzigtausend Deutsche
Mark.
Bonn, den 26. Juni 1962
Im Falle eines Verstoßes gegen § 12 Abs. 3
Nr. 2 beträgt die Geldbuße Bauknecht
1. bei vorsätzlicher Aufsichtspflichtverletzung
bis zu zehntausend Deutsche Mark,
2. bei fahrlässiger Aufsichtspflichtverletzung
bis zu fünftausend Deutsche Mark." Anlage 7 Umdruck 132
6. § 15 erhält folgende Fassung: Änderungsantrag dies Abgeordneten Bauknecht
㤠15 zur zweiten Beratung des von den Fraktionen der
CDU/CSU, FDP eingebrachten Entwurfs eines Ge-
(1) Begeht jemand als Mitglied des zur ge- setzes zur Durchführung der Verordnungen Nr. 20
setzlichen Vertretung berufenen Organs oder (Schweinefleisch), Nr. 21 (Eier) und Nr. 22 (Geflügel-
als Prokurist einer juristischen Person oder als fleisch) des Rates der Europäischen Wirtschaftsge-
vertretungsberechtigter Gesellschafter oder als meinschaft sowie zur Änderung des Gesetzes zur
Prokurist einer Personenhandelsgesellschaft Förderung der deutschen Eier- und Geflügelwirt-
eine Zuwiderhandlung nach den §§ 12 oder 14, schaft (Drucksachen IV/465, IV/516).
so kann auch gegen die juristische Person oder
die Personenhandelsgesellschaft ein Bußgeld Der Bundestag wolle beschließen:
nach Maßgabe dieser Vorschriften festgesetzt 1. In § 6 Abs. 1 wird in § 9 Abs. 2 des Gesetzes
werden. zur Förderung der deutschen Eier- und Geflügel-
(2) § 6 des Gesetzes über Ordnungswidrig- wirtschaft „§ 22 Abs. 1" geändert in „§ 2 Abs. 1".
keiten gilt auch für das Entgelt und den Ge-
winn, den die juristische Person oder die Per- 2. § 8 erhält folgende Fassung:
sonenhandelsgesellschaft für die Ordnungswi-
drigkeit empfangen oder aus ihr gezogen hat." 8 ,§
(1) Ordnungswidrig handelt, wer vorsätzlich
7. § 15 a Abs. 2 wird gestrichen. oder fahrlässig einer Vorschrift einer nach § 3
oder nach § 7 ergangenen Rechtsverordnung
oder einer auf Grund einer solchen Verordnung
8. § 15 b erhält folgende Fassung: erlassenen vollziehbaren Verfügung zuwider-
handelt, soweit die Rechtsverordnung für einen
㤠15 b
bestimmten Tatbestand auf diese Bußgeldvor-
Gegenstände, auf die sich eine der in § 12 schrift verweist.
Abs. 1 mit Geldbuße bedrohten Handlungen be-
(2) Der Versuch einer vorsätzlichen Ordnungs-
zieht, können eingezogen werden. Im übrigen
widrigkeit nach Absatz 1 kann geahndet werden,
gelten die Vorschriften des Außenwirtschafts-
wenn die Rechtsverordnung dies bestimmt.
gesetzes über Voraussetzung der Einziehung,
das selbständige Einziehungsverfahren und (3) Ordnungswidrig handelt ferner, wer vor-
die Entschädigung entsprechend." sätzlich
1. 'unrichtige oder unvollständige Angaben tat-
9. Folgender § 15 c wird eingefügt: sächlicher Art macht oder benutzt, um für
sich oder einen anderen eine Genehmigung
㤠15 c oder eine Bescheinigung zu erschleichen, die
Die §§ 42 und 43 Abs. 3 bis 6 des Außenwirt- nach einer der zur Durchführung der
schaftsgesetzes gelten entsprechend." Schweinefleischverordnung, der Eierverord-
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1962 1567

nung, der Geflügelfleischverordnung oder 5. § 11 erhält folgende Fassung:


dieses Gesetzes erlassenen Rechtsvorschrift
erforderlich ist, 㤠11
2. die Nachprüfung (§ 44 des Außenwirtschafts- 11) Begeht jemand als Mitglied des zur ge-
gesetzes) von Umständen, die nach der setzlichen Vertretung berufenen Organs oder
Schweinefleischverordnung, der Eierverord- als Prokurist einer juristischen Person oder
nung, der Geflügelfleischverordnung, nach als vertretungsberechtigter Gesellschafter oder
diesem Gesetz oder nach einer zur Durchfüh- als Prokurist einer Personenhandelsgesellschaft
rung der genannten Verordnungen oder die- eine Zuwiderhandlung nach den §§ 8 oder 10,
ses Gesetzes erlassenen Rechtsvorschrift er- so kann auch gegen die juristische Person
heblich sind, dadurch verhindert oder er- oder die Personenhandelsgesellschaft ein Buß-
schwert, daß er Bücher und Aufzeichnungen, geld nach Maßgabe dieser Vorschriften festge-
deren Führung oder Aufbewahrung ihm nach setzt werden.
handels- oder steuerrechtlichen Vorschriften (2) § 6 des Gesetzes über Ordnungswidrig-
obliegt, nicht oder nicht ordentlich führt, nicht keiten gilt auch für das Entgelt und den Ge-
aufbewahrt oder verheimlicht. winn, den die juristische Person oder die Per-
(4) Eine Ordnungswidrigkeit nach Absatz 1 sonenhandelsgesellschaft für die Ordnungs-
kann, wenn sie widrigkeit empfangen oder aus ihr gezogen
hat."
1. vorsätzlich begangen ist, mit einer Geldbuße
bis zu fünfzigtausend Deutsche Mark,
6. § 11 a Abs. 2 wird gestrichen.
2. fahrlässig begangen ist, mit einer Geldbuße
bis zu fünfundzwanzigtausend Deutsche
Mark 7. § 11 b erhält folgende Fassung:
geahndet werden. Eine Ordnungswidrigkeit nach 㤠11 b
Absatz 3 Nr. 1 kann mit einer Geldbuße bis zu
fünfzigtausend Deutsche Mark, eine Ordnungs- Gegenstände, auf die sich eine der in § 8 Abs. 1
widrigkeit nach Absatz 3 Nr. 2 mit einer Geld- mit Geldbuße bedrohten Handlungen bezieht,
buße bis zu zehntausend Deutsche Mark geahn- können eingezogen werden. Im übrigen gelten
det werden." die Vorschriften des Außenwirtschaftsgesetzes
über Voraussetzung der Einziehung, das selb-
3. § 9 Abs. 1 beginnt wie folgt: ständige Einziehungsverfahren und die Entschä-
digung entsprechend."
„ (1) Die Bußgeldvorschriften des § 8 gelten
auch ..."
8. Folgender § 11 c wird eingefügt:
4. § 10 erhält folgende Fassung: „§ 11 c
.,§ 10 Die §i§ 42 und 43 Abs, 3 bis 6 des Außenwirt-
schaftsgesetzes geltend entsprechend."
(1) Begeht jemand in einem Unternehmen
eine Zuwiderhandlung nach § 8, so kann gegen
den Inhaber oder Leiter des Unternehmens oder 9. Folgender § 11 d wird eingefügt:
den gesetzlichen Vertreter des Inhabers oder
ein Mitglied des zur gesetzlichen Vertretung be- 㤠11 d
rufenen Organs einer juristischen Person oder Die Verwaltungsbehörde, die Einfuhr- und Vor-
einen vertretungsberechtigten Gesellschafter ratsstelle und die Außenhandelstelle können
einer Personenhandelsgesellschaft eine Geld- die ihnen durch § 44 des Außenwirtschafts-
buße festgesetzt werden, wenn sie vorsätzlich gesetzes eingeräumten Befugnisse auch aus-
oder fahrlässig ihre Aufsichtspflicht verletzt üben, um 'die Einhaltung der Schweinefleisch-
haben und die Zuwiderhandlung hierauf beruht. verordnung, der Eierverordnung, der Geflügel-
(2) Die Geldbuße beträgt im Falle eines Ver- fleischverordnung, dieses Gesetzes und der zur
stoßes gegen § 8 Abs. 1 oder Abs. 3 Nr. 1 Durchführung der genannten Verordnungen und
1. bei vorsätzlicher Aufsichtspflichtverletzung dieses Gesetzes ergangenen Rechtsvorschriften
bis zu fünfzigtausend Deutsche Mark, zu überwachen."
2. bei fahrlässiger Aufsichtspflichtverletzung
10. § 13 erhält folgende Fassung:
bis zu fünfundzwanzigtausend Deutsche
Mark. 㤠13
Im Falle eines Verstoßes gegen § 8 Abs.- 3 Nr. 2 Dieses Gesetz tritt am 30. Juli 1962 in Kraft."
beträgt die Geldbuße
1. bei vorsätzlicher Aufsichtspflichtverletzung
bis zu zehntausend Deutsche Mark, Bonn, den 26. Juni 1962
2. bei fahrlässiger Aufsichtspflichtverletzung
bis zu fünftausend Deutsche Mark." Bauknecht
1568 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Juni 1962

Anlage 8 Umdruck 133 der CDU/CSU, 'FDP eingebrachten Entwurfs eines


Gesetzes zur Durchführung der Verordnungen Nr. 20
Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU, (Schweinefleisch) Nr. 21 (Eier) und Nr. 22 (Geflügel-
FDP zur zweiten Beratung des von den Fraktionen fleisch) des Rates der Europäischen Wirtschaftsge
der CDU/CSU, FDP eingebrachten Entwurfs eines meinschaft sowie zur Änderung des Gesetzes zur
Abschöpfungserhebungsgesetzes (Drucksachen IV/ Förderung der deutschen Eier- und Geflügelwirt-
464, IV/530) . schaft (Drucksachen IV/465, IV/516).

Der Bundestag wolle beschließen: Der Bundestag wolle beschließen:


1. § 5 erhält folgende Fassung: § 3 erhält folgenden neuen Absatz 2 a:
,, (2) Für die Mitwirkung des Bundestages und
„§ 5 des Bundesrates bei den Rechtsverordnungen gemäß
Zahlungsaufschub Absatz 2 gilt § 27 Abs. 2 des Außenwirtschaftsge-
Die Zahlung der Abschöpfung wird auf Antrag setzes entsprechend."
des Abschöpfungsschuldners bei Sicherheits- -
leistung bis zum 15. ides auf die Entstehung der Bonn, den 27. Juni 1962
Abschöpfungsschuld folgenden Monats auf ge-
schoben, nach Lagerung in Abschöpfungsauf- Struve und Fraktion
schublagern bis zum 15. des Monats, in dem die Dr. Mende unid Fraktion
Abschöpfungsschuld fällig wird."

2. Der § 8 wird in der Fassung der Vorlage —


Drucksache 1V/464 — wiederhergestellt.
Anlage 11 Umdruck 136
Bonn, den 27. Juni 1962
Änderungsantrag der Abgeordneten Hansing,
Dr. Harm, Jürgensen, Seuffert und Fraktion der SPD
Struve und Fraktion
zur zweiten Beratung des von den Fraktionen der
Dr. Mende und Fraktion
CDU/CSU, FDP eingebrachten Entwurfs eines Ab-
schöpfungserhebungsgesetzes (Drucksachen IV/464,
IV/530) .
Anlage 9 Umdruck 134
Der Bundestag wolle beschließen:
Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU, 1. In § 4 Abs. 2 Satz 1 werden die Worte „oder zu
FDP zur zweiten Beratung des von den Fraktionen einem besonderen Abschöpfungsverkehr — mit
der CDU/CSU, FDP eingebrachten Entwurfs eines Ausnahme des Abschöpfungsgutversands —"
Gesetzes zur Durchführung der Verordnung Nr. 19 gestrichn.
(Getreide) des Rates der Europäischen Wirtschafts-
gemeinschaft (Drucksachen IV/463, IV/515) 2. In § 4 wird folgender neuer Absatz 3 eingefügt:
Der Bundestag wolle beschließen: „ (3) Werden Waren aus einem Zollaufschub-
§ 9 erhält folgenden neuen Absatz 3: lager ausgelagert, so wird auf Antrag der am
Tage der Auslagerung geltende Abschöpfungs-
„ (3) Für die Mitwirkung des Bundestages und satz angewendet. Der Zeitpunkt der Auslage-
des Bundesrates bei den Rechtsverordnungen gemäß rung ist der zuständigen Zollstelle rechtzeitig
Absatz 2 gilt § 27 Abs. 2 des Außenwirtschaftsgeset- vorher anzuzeigen."
zes entsprechend."
3. Bisheriger Absatz 3 wird Absatz 4.
Bonn, den 27. Juni 1962
4. Bisheriger Absatz 4 wird Absatz 5.
Struve und Fraktion
Dr. Mende und Fraktion Bonn, ,den 27. Juni 1962

Hansing
Anlage 10 Umdruck 135 Dr. Harm
Jürgensen
Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU, Seuffert
FDP zur zweiten Beratung des von den Fraktionen Ollenhauer und Fraktion

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