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45. Sitzung
Inhalt:
Frage des Abg. Schmitt-Vockenhausen: Entwurf eines Gesetzes über die Feststel-
lung eines Nachtrags zum Bundeshaus-
Staatssekretär Dr. Strauß und die Un-
haltsplan für das Rechnungsjahr 1962
terrichtung des Bundesjustizministers (Nachtragshaushaltsgesetz 1962) (Druck-
Höcherl, Bundesminister . . . . 1955 D, sache IV/699) — Erste Beratung —; ver-
1956 A, B, C, D, 1957 A, B, C, D bunden mit dein
Schmitt-Vockenhausen ,(SPD) . . . 1956 A Entwurf eines Gesetzes über die Feststel-
lung des Bundeshaushaltsplans für das
Dr. Müller-Emmert (SPD) . . . 1956 A, B Rechnungsjahr 1963 (Haushaltsgesetz
Erler (SPD) 1956 B 1963) (Drucksache IV/700) — Erste Be-
ratung —
Wittrock (SPD) 1956 C
Dr. Starke, Bundesminister . . . . 1963 D
Dr. Mommer (SPD) 1956 C
Ritzel (SPD) . . . . 1956 D, 1957 A, B Begrüßung des Präsidenten des Schweizeri
Dr. Kohut (FDP) 1957 B schen Nationalrates 1979 B
Dr. Schäfer (SPD) . . . . . . 1957 C
Verordnung über die Senkung von Ab-
Merten (SPD) . . . . . . . . 1957 C schöpfungssätzen bei der Einfuhr von ge-
schlachteten Gänsen (Drucksache IV/703) ;
in Verbindung mit der
Frage des Abg. Dr. Arndt (Berlin) :
Verordnung über die Senkung von Ab-
Durchlesen der Fahnenabzüge des schöpfungssätzen bei der Einfuhr von ge-
„Spiegel" Nr. 44 schlachteten Hühnern (Drucksache IV/ 704)
Höcherl, Bundesminister 1957 D, 1958 A, C, Bading (SPD) 1891 A
1959 A, Bauer (Wasserburg) (CDU/CSU) . 1891 B
Dr. Arndt (Berlin) (SPD) . • . . 1958 A, C Seuffert (SPD) 1891 D
Dr. Stoltenberg (CDU/CSU) . . . 1958 D
Dr. Müller-Emmert (SPD) . . . 1959 A Erklärung gemäß § 36 GO
Abg. Ritzel (SPD) . . . 1980 C, 1983 C
Frage des Abg. Dr. Arndt (Berlin) : Dr. Adenauer, Bundeskanzler . . . 1981 D,
1983 B, D, 1993 A, 1998 A
Einschränkung der Benutzung der Erler (SPD) 1983 A, 1985 B,
Räume und technischer Einrichtungen 1990 D, 2010 A
Höcherl, Bundesminister . . . . 1959- C, D, Dr. Barzel (CDU/CSU) . . 1984 D, 2005 C
1960 A, B, C
Höcherl, Bundesminister 1985 D
Dr. Arndt (Berlin) .(SPD) . . . 1959 C, D
Dr. Mende (FDP) . . . . . . 1987 A
Sänger (SPD) 1960 A
Präsident D. Dr. Gerstenmaier . . 1988 A, D
Rehs (SPD) . . . . . . . . 1960 A
Rasner (CDU/CSU) . . . . . . 1988 C
Dr. Kohut (FDP) 1960 B, C
Jaksch (SPD) 1989 C
Wacher (CDU/CSU) 1990 A
Frage des Abg. Wittrock: Döring (Düsseldorf) (FDP) . . . 1995 C
Festnahme des „Spiegel"-Redakteurs Dr. Arndt (Berlin) (SPD) 1996 B
Ahlers in Malaga Dr. h. c. Güde (CDU/CSU) . . . 1999 A
Höcherl, Bundesminister 1960 B Dr. Schäfer (SPD) . . . . . . 2002 B
1961 C, D, 1962 A, B, C, D, 1963 B
Memmel (CDU/CSU) 2004 C
Wittrock (SPD) . . . . . . . 1961 C, D
Sänger (SPD) . . . . . . . . 2006 A
Lohmar (SPD) 1962 A
1962 A, B, C Nächste Sitzung 2010 D
Dr. Schäfer (SPD) . . . .
Ritzel (SPD) 1962 C, 1963 B Anlage 2011
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 45. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. November 1962 1949
45. Sitzung
Stenographischer Bericht schließlich auf den Kreis derjenigen Beamten, die für
eine Mitwirkung bei den geplanten Maßnahmen in
Betracht kamen. Nicht gemeint war damit, daß eine
Beginn: 9.03 Uhr Verständigung der vorgesetzten Dienststellen unter-
bleiben sollte.
Aber darüber hinaus hat der Beamte des Bundes-
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Die Sitzung kriminalamtes noch darauf hingewiesen, daß der
ist eröffnet. Herr Innenminister des Landes Nordrhein-Westfalen
Vor Eintritt in die Tagesordnung spreche ich entweder vom Bundesministerium des Innern oder
die Glückwünsche des Hauses dem Herrn Abgeord- durch die Bundesanwaltschaft unterrichtet würde.
neten Hübner zum 65. Geburtstag aus.
(Beifall.) Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Eine Zusatz-
frage?
Die amtlichen Mitteilungen werden ohne Verle-
sung in den stenographischen Bericht aufgenommen:
Schmitt-Vockenhausen (SPD) : Herr Minister,
Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 26. Oktober 1962 ge-
mäß § 77 Abs. 5 des Zollgesetzes beschlossen, gegen die Vier- wie erklären Sie sich dann die Ausführungen des
unddreißigste Verordnung zur Änderung des Deutschen Zoll- Herrn Ministerpräsidenten Meyers und des Herrn
tarifs 1962 (Angleichungszölle für Fondantmasse, Kekse und
Waffeln) — Drucksache IV/662 — keine Bedenken zu erheben. Innenministers Weyer in dieser Frage?
Sein Schreiben ist als Drucksache IV/693 verteilt.
Der Herr Bundesminister des Innern hat unter dem 2. No-
vember 1962 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Memmel, Höcherl, Bundesminister des Innern: Herr Kol-
Dr. Dollinger und Genossen betr. kommunistische Propaganda
in Hamburg — Drucksache IV/648 — beantwortet. Sein Schreiben lege, ich halte diese beiden Äußerungen, die mir be-
wird als Drucksache IV/706 verteilt.
Der Herr Bundesminister für Wohnungswesen, Städtebau und
kanntgeworden sind — genau wie Ihnen durch die
Raumordnung hat unter dem 1. November 1962 auf Grund des Presse —, beide für schneidig, aber für unzutreffend.
Beschlusses des Bundestages vom 18. Mai 1962 über -die Prüfung
der Maßnahmen berichtet, die eine verstärkte Ausweisung und
Erschließung neuen Baulandes in Randgebieten der Schwerpunkte (Beifall und Heiterkeit bei der CDU/CSU.)
des Wohnungsbedarfs raumordnerisch wirksam fördern. Sein
Schreiben wird als Drucksache IV/707 verteilt.
Damit, meine Damen und Herren, kommen 'wir Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Eine zweite
zur Tagesordnung. Zusatzfrage!
Höcherl, Bundesminister des Innern: Ich hatte tragt, den Hamburger Innensenator vor Beginn der
zum ersten Mal mit dem § 4 zu tun, und der übliche bundesanwaltschaftlichen Maßnahmen zu unterrich-
— — Ich kenne den üblichen Weg nicht, sondern ten. Nach dieser Unterrichtung hat der Beamte des
habe den Weg eingeschlagen, der nach meiner Aus- Bundeskriminalamtes noch zusätzlich den Hambur-
legung und nach der Sachlage notwendig erschien. ger Kriminaldirektor Dr. Land von dem bevor-
(Unruhe bei der SPD.) stehenden Eingreifen des Bundesanwalts und sei-
ner Hilfsbeamten in Kenntnis gesetzt. Der betref-
fende Beamte wußte, daß die Unterrichtung des
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Eine zweite Innensenators Schmidt zu diesem Zeitpunkt bereits
Zusatzfrage!
erfolgt sein mußte.
Dr. Schäfer (SPD) : Ich hatte gebeten, uns mitzu- Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Zusatzfrage!
teilen, wie dieser Weg aussieht.
Dr. Schäfer (SPD) : Herr Minister, Sie haben vor-
Höcherl, Bundesminister des Innern: Der Weg hin meine Zusatzfrage nicht beantwortet. Ich wie-
sieht so aus, daß die Landesregierungen vor Beginn
derhole sie jetzt: Wie erfolgt die Inanspruchnahme
der Ermittlungsmaßnahmen in Kenntnis gesetzt
des § 4? Telefonieren Sie, telefoniert Ihr Staats-
werden.
sekretär, oder treffen Sie eine Verfügung
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Keine wei- (Zuruf des Abg. Arndgen)
tere Zusatzfrage. — Sie als ehemaliger Minister wissen genau, was
(Widerspruch bei der SPD.) meine Frage bedeutet —, die den einzelnen Landes-
regierungen zugeht?
Herr Abgeordneter Wittrock, ich gestatte Ihnen die
Zusatzfrage, aber ich habe ausgerechnet, wie viele Höcherl, Bundesminister des Innern: Ich bin so
Minuten wir für die einzelnen Fragen verwenden verfahren, daß ich einmal die Anordnung auf Grund
dürfen. des § 4 des Gesetzes erteilt habe und daß ich zwei-
(Zurufe und Unruhe bei der SPD. — Abg. tens alle Vorkehrungen getroffen habe, um sicher-
Wehner: Ist das Ihr Amt? Haben Sie eine zustellen, daß die Landesregierungen vor Beginn
Stoppuhr? — Gegenrufe von der CDU/CSU.) der Maßnahmen der Bundesanwaltschaft und deren
Hilfsbeamten rechtzeitig informiert wurden, auf je-
— Ruhe! Das schlage ich der Fragestunde zu! den Fall vorher. Das war für mich das Entschei-
Herr Abgeordneter Wittrock! dende bei dem dringenden Geheimhaltungsgrund,
den die Bundesanwaltschaft geltend gemacht hat
(Anhaltende Rufe und Gegenrufe.)
und der der Sache nach mehr als angemessen und
mehr als berechtigt erschien.
Wittrock (SPD) : Herr Minister, ist es nur ein
merkwürdiger Zufall, daß der Staatssekretär im (Beifall in der Mitte.)
dortigen Innenministerium in Nordrhein-Westfalen
sich genauso verhalten hat wie der Staatssekretär Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Zweite Zu-
des Bundesjustizministeriums? satzfrage!
Höcherl, Bundesminister des Innern: Ich kann Dr. Schäfer (SPD) : Herr Präsident, ich vermag
über das Verhalten des dortigen Staatssekretärs zwar nicht einzusehen, daß das Nächste eine zweite
nichts aussagen. Ich kenne seine Motive nicht. Auf Zusatzfrage ist; denn ich will nur darauf hinweisen,
jeden Fall steht nach meinen intensiven Feststellun- daß meine Frage nicht beantwortet worden ist.
gen einwandfrei fest, daß mein Staatssekretär bei
der Unterrichtung darauf hingewiesen hat, daß er Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Zusatz-
davon ausgehe, daß der dortige Staatssekretär sei- frage! —
nen Innenminister verständigen werde. (Beifall bei der SPD.)
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Ich rufe auf Dr. Schäfer (SPD) : Herr Minister, ich wiederhole
die Frage I/2 — des Herrn Abgeordneten Dr. meine erste Frage dann als zweite Zusatzfrage, und
Schäfer —: wir können erwarten, daß Sie sie beantworten: Ist
Aus welchem Grunde hat der Bundesinnenminister den Ham- das schriftlich erfolgt; ist das telefonisch erfolgt;
burger Kriminaldirektor Dr. Land vor dem Innensenator der oder ist das aktenkundig gemacht worden?
Freien und Hansestadt Hamburg Helmut Schmidt unterrichtet?
Höcherl, Bundesminister des Innern: Die Ver- Höcherl, Bundesminister des Innern: Was?
mutung — wenn ich vielleicht so sagen darf — trifft
nicht zu. Der Hamburger Innensenator Schmidt ist Dr. Schäfer (SPD) : Die Inanspruchnahme des § 4.
vielmehr v o r dem Hamburger Kriminaldirektor
Dr. Land unterrichtet worden. Höcherl, Bundesminister des Innern: Ich habe
Der Tatbestand ist folgender: Der Bundesminister veranlaßt, daß ein Staatssekretär und ein Ministe-
des Innern hat einen Beamten seines Hauses beauf- rialdirigent, die diese Dinge kompetenzmäßig be-
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 45. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. November 1962 1951
Bundesinnenminister Höcherl
arbeiten — der eine persönlich und der andere tele- sich dann, daß sich der Verwaltungsbeamte Toyka
fonisch —, die Benachrichtigung vornehmen. Ich bin hier an das Landeskriminalamt gewandt hat, obwohl
der Meinung, daß die persönliche Benachrichtigung es nicht zu seinen Zuständigkeiten gehört?
angemessener ist als eine schriftliche Benachrichti-
gung. Höcherl, Bundesminister des Innern: Der Mini-
sterialdirigent Toyka hat sich nicht an das Landes-
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Keine weite- kriminalamt gewandt, sondern ein Beauftragter der
ren Zusatzfragen. Ich rufe auf die Frage I/3 — des Sicherungsgruppe, also ein Kriminalbeamter. Es
Abgeordneten Dr. Schäfer —: wurden die Ebenen vollständig eingehalten: Mini-
Wie gelang es dem Ministerialdirigenten Toyka vom Bundes-
sterialebene zu Ministerialebene und Polizeiebene
innenministerium, den Hamburger Innensenator Helmut Schmidt zu Polizeiebene.
bereits um 20.30 Uhr in Hamburg zu informieren, wenn sich
erst gegen 20.00 Uhr nach einem Verhaftungsmißgriff in Düssel-
dorf herausstellte, daß die Aktion gegen den „Spiegel" wegen
Verdunkelungsgefahr entsprechend der Ausnahmebestimmung Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Zusatzfrage
des § 104 der Strafprozeßordnung in den Nachtstunden vorge-
nommen werden mußte?
des Herrn Abgeordneten Schmitt-Vockenhausen.
Höcherl, Bundesminister des Innern: Ministe- Schmitt-Vockenhausen (SPD) : Es ist also rich-
rialdirigent Toyka wurde am 26. Oktober 1962 vor tig, Herr Minister, daß Sie lieber in den bayeri-
20 Uhr von dem in Hamburg anwesenden Vertreter schen Wahlkampf gefahren sind, als sich selbst um
der Bundesanwaltschaft davon in Kenntnis gesetzt, die Unterrichtung der Minister zu kümmern?
daß das bundesanwaltschaftliche Eingreifen gegen (Beifall bei der SPD. — Zurufe von der
einige Redakteure des „Spiegel" unmittelbar bevor- CDU/CSU.)
stand. Er hat sich deshalb unverzüglich zum Innen-
senator Schmidt begeben, um 'ihn von den bevor- Höcherl, Bundesminister des Innern: Es ist rich-
stehenden Maßnahmen zu unterrichten. tig, daß ich in den bayerischen Wahlkampf gefahren
bin.
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Zusatzfrage? (Abg. Schmitt-Vockenhausen: In einer so
wichtigen Sache haben Sie Wahlversamm
Dr. Schäfer (SPD) : Herr Minister, wenn ich Sie lungen der persönlichen Unterrichtung vor
recht verstanden habe, ist die Landesregierung gezogen!)
Hamburg von Ihrem Ministerium verständigt wor- — Es ist richtig, Herr Schmitt-Vockenhausen, daß ich
den? in den bayerischen Wahlkampf gefahren bin, daß
ich aber vorher ganz eingehend und gründlich und
Höcherl, Bundesminister des Innern: Jawohl, durch entsprechende Belehrung alle sonstigen Maß-
persönlich durch Herrn Toyka. nahmen sichergestellt habe, daß die Mitteilungen
erfolgen, und zwar zeit-, frist- und situationsgerecht.
Dr. Schäfer (SPD) : Wann ist Herr Toyka beauf- (Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Weh
tragt worden, das zu tun? ner: Das kann man bezweifeln!)
-
Höcherl, Bundesminister des Innern: Bevor ich Man soll das eine tun und das andere nicht lassen.
in den bayerischen Wahlkampf gefahren bin, um
mich mit Ihren Freunden in Bayern auseinanderzu- Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Zusatzfrage
setzen des Abgeordneten Erler.
(Abg. Wehner: Was hat das denn damit
zu tun? — Unruhe bei der SPD) Erler (SPD) : Herr Minister, ergibt sich aus den
Zeitangaben, die wir soeben von Ihnen gehört ha-
— und zwar nicht in der Form, wie Sie das meinen, ben, daß der Beginn der Aktion in Hamburg nicht
sondern in der Form der Konkurrenzwerbung und ausgelöst wurde durch den Fehlgriff bei einer Ver-
Sympathiewrbung—,cHeToykabuf- haftung in Düsseldorf, denn dieser Fehlgriff hat sich
tragt, sich nach Hamburg zu begeben und abzuwar- erst gegen 20 Uhr herausgestellt, während nach
ten, bis ihm der Vertreter des Bundesanwalts mit- Ihrer Mitteilung der Auftrag an Herrn Ministerial-
teile, daß die Maßnahmen der Bundesanwaltschaft dirigent Toyka zur Unterrichtung des Hamburger
beginnen. Das sollte er vorher dem Innensenator Innensenators bereits vor 20 Uhr erteilt worden ist?
mitteilen. Vor der Information des Innensenators
hat keine Maßnahme in Hamburg begonnen.
Höcherl, Bundesminister des Innern: Herr Kol-
lege Erler, die Sache verhielt sich folgendermaßen.
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Zweite Zu- Ich darf das noch einmal wiederholen. Die letzten
satzfrage des Abgeordneten Schäfer. Mitteilungen, die ich von der Bundesanwaltschaft
erhalten habe, zeigen doch, wie sehr gerechtfertigt
Dr. Schäfer (SPD) : Herr Minister, wenn Sie das der äußerste Grad von Geheimhaltung war.
Bundeskriminalamt nach § 4 beauftragen, ist es dann
nicht so, daß das Bundeskriminalamt gegenüber den (Beifall bei der CDU/CSU.)
Landeskriminalämtern zuständig ist, daß es aber Mehr kann ich ja nicht tun. Ich habe veranlaßt, daß
allein Aufgabe des Ministeriums ist, die Landes- Ministerialdirigent Toyka vom Herrn Bundesanwalt
regierungen zu verständigen? Wie erklären Sie es unterrichtet wird, wann die Maßnahmen bevor-
1952 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 45. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. November 1962
Bundesinnenminister Höcherl
stehen. Der in Hamburg anwesende Vertreter der Höcherl, Bundesminister des Innern: Über die
Bundesanwaltschaft bzw. der dortige Ermittlungs- Motive des Ermittlungsrichters des Bundesgerichts-
richter des Bundesgerichtshofs haben gegen 20 Uhr hofs und über die Motive des Bundesanwalts kann
Herrn Toyka unterrichtet, und Toyka hat das un- ich mir keine Vorstellung machen, weil ich das
mittelbar, noch vor Beginn einer Maßnahme - Seelenleben dieser beiden Herren zu diesem Zeit-
Es handelte sich gar nicht um eine Aktion, sondern punkt nicht kennen kann.
es handelte sich um staatsanwaltschaftliche Ermitt- (Heiterkeit und Beifall in der Mitte.)
lungshandlungen.
(Beifall bei der CDU/CSU.) Erler (SPD) : Ist Ihnen denn nicht die Strafpro-
Ich möchte den Begriff „Aktion" vermieden haben, zeßordnung bekannt?
weil er nicht sachgerecht ist und nicht der Strafpro-
zeßordnung entspricht. Die Sache hat einen ganz Höcherl, Bundesminister des Innern: Auf jeden
anderen Charakter. Es ist zweifellos richtig, soweit Fall haben sich die beiden Herren — bestätigt durch
meine Feststellungen gehen, und Sie wissen, daß das bisherige Ergebnis — veranlaßt gesehen, sofort
ich kein anderes Interesse habe — ich nehme an, zuzugreifen, und das haben sie getan. Das war in
daß das ganze Haus kein anderes Interesse hat —, ihrem eigenen Ermessen durchaus enthalten,
als die Unabhängigkeit der Rechtspflege in diesem (Zurufe von der SPD)
Fall wie in jedem anderen Fall auch unter allen
Umständen zu wahren. und darauf hat niemand einen Einfluß. Es sollte sich
auch jeder hüten, Auslegungsversuche zu machen,
(Beifall bei der CDU/CSU.) die fast an die Grenze, ich möchte mal sagen, der
Diese Unabhängigkeit der Rechtspflege kann auch Einflußnahme gehen.
in einer ganz anderen Form beeinträchtigt werden;
das wissen Sie ganz genau. Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Zusatzfrage
(Zustimmung in der Mitte. — Zuruf von der des Herrn Abgeordneten Spies.
SPD: Was soll das heißen?)
Spies (CDU/CSU) : Herr Bundesminister, ist Ihnen
— Was das heißen soll? Sie sind nicht gemeint, bekannt, ob der Hamburger Innensenator, Herr Hel-
Herr Schmitt-Vockenhausen
mut Schmidt, über seinen Zuständigkeitsbereich
(Abg. Dr. Schäfer: Aber es interessiert uns!) hinaus Leute über die Informationen, die er bekom-
men hat, unterrichtet hat, weil in der Frage I/3 die
und auch Herr Erler und Ihre Parteifreunde sind
genaue Uhrzeit 20.30 Uhr als bekannt genannt ist?
nicht gemeint. Sie wissen genau, was ich meine.
(Zurufe von der SPD: Herr Strauß!) Höcherl, Bundesminister des Innern: Es ist mir
— Ich würde an Ihrer Stelle nicht einen Vorwurf er- nichts darüber bekannt. Ich werde die Dinge aber
heben, den ich nicht beweisen kann. prüfen.
(Beifall bei der CDU/CSU. — Zuruf von der (Sehr gut! bei der CDU/CSU. — Zurufe von
SPD: Doch! — Abg. Rasner: Doch, das ist der SPD.)
ihre Stärke!)
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Zusatzfrage
— Sie werden Gelegenheit haben, Ihre Beweise vor-
des Abgeordneten Kohut.
zulegen.
(Zurufe von der SPD. — Gegenrufe von Dr. Kohut (FDP) : Herr Minister, wenn Sie sich
der Mitte.) streiten über den Begriff der strafrechtlichen Aktion
Aber es ist richtig, Herr Kollege Erler, daß, soweit oder anwaltschaftlichen Ermittlungen: kann man das
ich informiert worden bin und soweit ich mir Kennt- Ganze nicht auch als eine politische Aktion bezeich-
nis darüber verschaffen konnte, der eine Vorgang nen?
in Düsseldorf zur rascheren Auslösung der staats- (Zurufe von der Mitte: Oh! Oh!)
anwaltschaftlichen Ermittlungen geführt hat, als das
ursprünglich nach der Planung der Kriminalbehörde Höcherl, Bundesminister des Innern: Ich möchte
und Staatsanwaltschaft vorgesehen war. sagen, es handelt sich um die Verfolgung wegen
des bisher schwersten Vorwurfs, des Landesverrats.
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Zweite Zu- Das sollte eine gemeinsame Angelegenheit von uns
satzfrage des Herrn Abgeordneten Erler. allen sein.
(Beifall bei der CDU/CSU.)
Erler (SPD) : Wie erklären Sie es sich aber dann, Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Zusatzfrage
daß Herr Toyka den Hamburger Innensenator von
des Herrn Abgeordneten Lohmar.
der bevorstehenden Aktion unterrichtet hat, bevor
die Auswertung des Düsseldorfer Geschehnisses mit
der falschen Verhaftung geschehen sein konnte? Ist Lohmar (SPD) : Herr Bundesminister, wie ist der
also dann nicht doch die nächtliche Aktion in Ham- Seelenzustand, von dem Sie vorhin gesprochen ha-
burg durch andere Motive ausgelöst worden als ben, rechtlich zu qualifizieren?
durch die Fehlverhaftung in Düsseldorf? (Lachen in der Mitte.)
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 45. Sitzung. Bonn, Mittwoch, Iden 7. November 1962 1953
Höcherl, Bundesminister des Innern: Der Seelen- Welche Gründe waren dafür maßgebend, daß trotz des Ver-
dachtes des Landesverrats die beanstandete Nr. 41 des „Spiegel"
zustand ist ein Faktum und kein rechtlicher Tat- nicht unverzüglich beschlagnahmt wurde?
bestand.
Die Frage wird beantwortet vom Herrn Bundes-
(Heiterkeit.)
minister des Innern.
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Ich gehe Höcherl, Bundesminister des Innern: Ich darf die
weiter zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des
Frage stellvertretend beantworten. Die Antwort
Bundesministers der Justiz. Der Herr Bundesjustiz-
lautet: Da bereits ein großer Teil der Auflage aus
minister hat sich als krank entschuldigt.
geliefert war, wäre eine Beschlagnahme sinnlos
(Zurufe von der Mitte — Hört! Hört! bei gewesen, weil die etwaige Preisgabe von Staats-
der SPD.) geheimnissen nicht mehr rückgängig gemacht wer-
den konnte.
Höcherl, Bundesminister des Innern: Meine sehr
verehrten Damen und Herren, ich muß die Fragen Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Zusatzfrage
als Vertreter des Herrn Kollegen Stammberger, der des Herrn Abgeordneten Jahn.
leider aus Gesundheitsgründen nicht erscheinen
kann, hier behandeln. Jahn (SPD) : Ist keiner Stelle der Bundesregie-
(Erneute Rufe von der SPD: Hört! Hört!) rung beim ersten Lesen dieser Ausgabe — ich neh-
me an, am frühen Morgen des Montag, an dem sie
— Würden Sie es richtig finden, daß, wenn Sie sich
zur Verfügung stand — aufgefallen, daß hier ein
krank meldeten, wenn Sie sich als krank entschul-
Vorwurf erhoben werden könnte, der eine sofor-
digten, jemand Zweifel hätte, auch wenn er die
tige Maßnahme notwendig machte?
Zweifel durch Lächeln zum Ausdruck bringt?
(Beifall in der Mitte — Abg. Wehner: Sie Höcherl, Bundesminister des Innern: Sie, Herr
können sich doch nicht in den Seelenzu Kollege Jahn, wissen genauso wie ich, daß es ein
stand hineinversetzen!) Legalitätsprinzip gibt, das die Bundesanwaltschaft
Ich gebe also, meine Damen und Herren — verpflichtet, bei Verdacht strafbarer Handlungen —
(Unruhe.) hier vor allem bei Verdacht schwerer Verbrechen
— sofort von Amts wegen tätig zu werden. Darauf
konnten wir uns verlassen und werden wir uns
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Einen Augen- auch in aller Zukunft verlassen.
blick —
(Fortgesetzte Zurufe von der SPD.) (Beifall bei der CDU/CSU.)
Höcherl, Bundesminister des Innern: Ich gebe Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Zweite Zu-
also — satzfrage des Herrn Abgeordneten Jahn.
-
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Einen Augen- Jahn (SPD) : Muß daraus entnommen werden,
blick, Herr Bundesminister, ich bitte — daß innerhalb der Bundesregierung niemand An-
stoß an dem Artikel genommen hat?
(Anhaltende Unruhe.)
— Meine Herren, entweder lassen Sie mich spre- Höcherl, Bundesminister des Innern: Wir haben
chen oder die Fragestunde muß abgebrochen wer- Anstoß genommen und nehmen heute noch sehr
den; ich mache 'darauf aufmerksam. schweren Anstoß.
(Zurufe von der SPD.) (Lachen und Beifall.)
— Meine Herren, ich habe hier für Ordnung dieses
Hauses zu sorgen. Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Eine Zusatz-
(Weitere Zurufe von der SPD.) frage des Herrn Abgeordneten Ehren.
Erler (SPD) : Darf ich aus den Mitteilungen des Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Eine Zusatz-
Ministers über das Legalitätsprinzip schließen, daß frage des Herrn Abgeordneten Dr. Arndt.
auch ein Ermittlungsverfahren wegen der Veröffent-
lichung von Geheimakten des Auswärtigen Amtes Dr. Arndt (Berlin) (SPD) : Herr Bundesminister,
1 — der berühmte Epstein-Artikel im Rheinischen wollen Sie sagen, daß das für die Staatsanwaltschaft
Merkur — schwebt? geltende Legalitätsprinzip die Bundesregierung von
jeder Wachsamkeit, von jeder Obhut über die ihr
Höcherl, Bundesminister des Innern: Ich habe, anvertrauten Geheimnisse und von jeder initiativen
weil ich diese Frage nicht erwartet habe, keine Zusammenarbeit mit der Bundesanwaltschaft be-
Feststellungen darüber getroffen, ob hier ein Ermitt- freit?
lungsverfahren schwebt. Aber ich habe keinen
Zweifel: es gibt keinen Umstand, der nur die ge- Höcherl, Bundesminister des Innern: Herr Kol-
ringste Veranlassung gäbe, den Verdacht zu haben, lege Arndt, ich möchte nicht im geringsten daran
daß das Legalitätsprinzip nicht in der korrektesten denken, daß sich die Bundesregierung von solchen
Form angewandt wird, gerade von unserem höch- Verpflichtungen frei wüßte, sondern ich bin gern
sten Gerichtshof. bereit, Ihre Anregungen aufzunehmen, noch schärfer
und noch eindringlicher gerade in solchen Dingen
zu handeln.
Erler (SPD) : Ich bitte um eine schriftliche Mittei-
lung, ob ein Verfahren läuft. (Beifall bei der CDU/CSU.)
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Eine Zusatz- Dr. Arndt (Berlin) (SPD) : Herr Bundesminister,
wenn Sie mit mir darin übereinstimmen, daß die
frage des Herrn Abgeordneten Sanger.
Bundesregierung zur Wachsamkeit und zur Obhut
verpflichtet ist, dann darf ich Sie fragen, warum Sie
Sänger (SPD) : Ist dem Herrn Bundesjustizmini- noch weniger getan haben in dieser Angelegenheit,
ster bekannt, daß in der Pressekonferenz der Bun- nachdem der „Spiegel" erschienen war.
desanwaltschaft am 2. November Herr Bundesan-
(Zurufe und Lachen bei der CDU/CSU.)
walt Dr. Westram erklärt hat: Auch mit den Augen
des Laien war zu erkennen, daß im Spiegel-Fall mili-
tärische Dinge wiedergegeben worden sind, die ge- Höcherl, Bundesminister des Innern: Ich bin
heimgehalten werden mußten, und warum wurde gern bereit, Ihre Anregungen aufzunehmen und
dann erst noch ein Gutachten eingeholt? festzustellen, daß es vielleicht noch zu wenig war.
(Lachen bei der CDU/CSU.) (Beifall bei der CDU/CSU.)
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 45. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. November 1962 1955
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Eine Zusatz- rungschef —, wann der Herr Bundeskanzler und
frage des Herrn Abgeordneten Dr. Mommer. sein Staatssekretär Globke über die Aktion unter-
richtet wurden?
Dr. Mommer (SPD) : Herr Minister, wenn es
nicht möglich ist, eine Zeitschrift zu beschlagnah- Höcherl, Bundesminister des Innern: Es wäre
men, die schon heraus ist, warum ist dann vor eini- sehr gut gewesen, wenn Sie diese Frage in den
ger Zeit die illustrierte Zeitschrift „Quick" beschlag schriftlichen Teil aufgenommen hätten; dann hätten
nahmt worden, obschon sie schon heraus war, weil wir uns ,darauf vorbereiten können.
sie militärische Geheimnisse verriet?
(Lachen bei der SPD.)
Höcherl, Bundesminister des Innern: Ich habe Aber ich möchte annehmen, daß nach der Praxis
doch bei meiner ersten Antwort erklärt, daß bei der Bundesanwaltschaft der Regierungschef und der
der „Spiegel"-Auflage der größte Teil nach unserer Staatssekretär Globke — genauso wenig wie ich
Feststellung schon draußen war. Bei „Quick" war bei der Anforderung nach § 4 — nicht vor dem
eben nicht der größte Teil draußen. äußersten Zeitpunkt in Kenntnis gesetzt worden
sind.
(Lachen bei der SPD.)
Aufwand und Ergebnis müssen in einem Verhältnis Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Zusatzfrage
stehen, und das wurde beachtet. des Herrn Abgeordneten Dr. Schäfer.
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Ich rufe auf Dr. Schäfer (SPD) : Könnte sich nicht der Herr
die Frage des Herrn Abgeordneten Dr. Mommer, Bundeskanzler selber dazu äußern?
Frage II/2:
Weiche Minister und Staatssekretäre wurden mit dem Ver- Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Will der Herr
langen nach einem Gutachten und mit dem Gutachten selber
befaßt? Bundeskanzler das Wort zur Beantwortung?
Höcherl, Bundesminister des Innern: Für den Dr. Adenauer, Bundeskanzler: Ich denke, wenn
Herrn Kollegen Stammberger darf ich die Frage wie ich hierzu etwas sagen kann, daß ich überhaupt im
folgt beantworten: Laufe dieser Fragestunde noch einmal das Wort
Daß die Bundesanwaltschaft ein Gutachten ange- nehme. Der Herr Innenminister hat die Frage durch-
fordert hat, haben außer dem Justizminister die aus richtig beantwortet.
Staatssekretäre Dr. Strauß und Hopf gewußt. Mit (Beifall und Heiterkeit bei der CDU/CSU.)
der Anfertigung des Gutachtens war weder ein
Minister noch ein Staatssekretär befaßt. Staats- Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Einen Augen-
sekretär Hopf war, wie Herr Kollege Strauß bei blick, meine Damen und Herren. Was ich jetzt sage,
der Beantwortung der Frage 3 darlegen wird, mit geht nicht zu Lasten der Fragestunde. Ich mache nur
der Absendung des Gutachtens befaßt. -
auf folgendes aufmerksam: Das Haus und die Re-
gierung sind sich darüber im klaren, daß zwar die
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Eine Zusatz- Vertreter der Bundesregierung — übrigens ebenso
frage. wie die Vertreter des Bundesrates — nach einer Be-
stimmung der Verfassung jederzeit das Wort ver-
Dr. Mommer (SPD) : Herr Minister, ist es rich- langen können und es ihnen dann auch gegeben
tig, was ein Sprecher des Justizministeriums gesagt werden muß. Nur würde das die Fragestunde spren-
hat, daß das Justizministerium über die Anforde- gen. Denn wenn ein Vertreter der Bundesregierung
rung des Gutachtens erst em 24. Oktober informiert anders, als in Beantwortung einer Frage das Wort
wurde, obschon der Haftbefehl, der Durchsuchungs- nimmt, gibt er damit eine Erklärung ab; und das
befehl das Datum des 23. Oktober trägt? eröffnet automatisch eine Aussprache im Hause. Ich
mache also jedermann auf die Konsequenzen auf-
merksam.
Höcherl, Bundesminister des Innern: Herr Kol- (Heiterkeit.)
lege Mommer, wenn ich richtig informiert bin —
Sie sehen ja meine Situation, daß ich fremde Fragen Nun geht es in der Fragestunde weiter.
beantworte, und zwar ganz strikte Zeitfragen aus Ich rufe auf die Frage II/3 — des Herrn Abge-
einem anderen Hause —, aber wenn ich richtig in- ordneten Schmitt-Vockenhausen —:
formiert bin, war es so, daß das Bundesjustizmini-
Hatte der Staatssekretär im Bundesjustizministerium, Dr. Wal-
sterium bereits am 22. — Durchlaufen des Aktes — ter Strauß, die Mäglichkeit, nach der Beratung mit dem Staats-
von der Anforderung des Gutachtens Kenntnis ha- sekretär des Bundesverteidigungsministeriums am Mittwoch, dem
24. Oktober 1962, und im Hinblick auf den am 23. Oktober aus-
ben mußte. gestellten Durchsuchungs- und Festnahmebefehl dem Bundes-
justizminister bis zu seiner Abreise am Freitag, dem 26. Ok-
tober, von der Aktion gegen den „Spiegel" zu unterrichten?
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Zweite Zu-
satzfrage. Höcherl, Bundesminister des Innern: Für den
Herrn Kollegen Stammberger darf ich Ihre Frage
Dr. Mommer (SPD) : Herr Minister, könnten Sie wie folgt beantworten: Staatssekretär Strauß war
uns sagen — oder vielleicht der anwesende Regie- am 24. Oktober 1962 darüber unterrichtet, daß ein
1956 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 45. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. November 1962
Bundesinnenminister Höcherl
Eingreifen der 'Bundesanwaltschaft gegen die des Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Meine Da-
Landesverrats verdächtigen Redakteure und Infor- men und Herren, wenn zwei sich streiten, wer jetzt
manten geplant war. Darüber hat er mich nicht un- dran ist, dann verlassen Sie sich darauf, daß ich das
terrichtet — sagt der Justizminister Stammberger —. Wort demjenigen gebe, der am Mikrophon steht.
Als Staatssekretär Strauß .am 26. Oktober 1962 er- Herr Abgeordneter Wittrock zu einer Zusatzfrage!
fuhr, daß das Eingreifen der Bundesanwaltschaft be-
vorstehe, hat er versucht, den Justizminister zu Wittrock (SPD) : Herr Minister, wurde der vor-
unterrichten, aber vergeblich, weil der Justizmini- hin von Ihnen erwähnte Staatssekretär Globke zeit-
ster sich auf einer Dienstreise befand. lich vor dem Staatssekretär Strauß unterrichtet?
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Zusatzfrage! Höcherl, Bundesminister des Innern: Das weiß
ich nicht, Herr Kollege Wittrock.
Schmitt-Vockenhausen (SPD) : Wer hat Staats-
sekretär Strauß von der bevorstehenden Aktion
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Zweite Zu-
unterrichtet? satzfrage!
Dr. Müller-Emmert (SPD) : Wer hat Staats- Dr. Mommer (SPD) : Herr Minister, ist es rich-
sekretär Strauß die Auflage gemacht, den Minister tig, daß unmittelbar vor dem Beginn der Aktion ge-
nicht zu unterrichten? gen die Pressehäuser eine Besprechung mit der Bun-
desanwaltschaft stattgefunden hat, an der wohl Herr
Verteidigungsminister Strauß und Herr Staatssekre-
Höcherl, Bundesminister des Innern: Mir ist von
tär Strauß teilnahmen, nicht aber der Bundesjustiz-
einer Auflage nichts bekannt.
minister?
Dr. Müller-Emmert (SPD) : Ich darf weiter fra- Höcherl, Bundesminister des Innern: Herr Kol-
gen: - lege Mommer, ich habe Sie vorhin schon gebeten
und möchte diese Bitte wiederholen: Sprechen wir
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Zweite Zu- doch nicht von Aktion,
satzfrage!
(Beifall bei der CDU/CSU)
Dr. Müller-Emmert (SPD) : Hat eine Vorbespre- sondern bleiben wir bei der Formulierung: höchst
chung der Staatssekretäre im Sicherheitsausschuß staatsanwaltschaftliche Ermittlungshandlung wegen
stattgefunden? eines sehr schweren Vorwurfs des Landesverrates;
das müssen wir immer wieder sehen.
Höcherl, Bundesminister des Innern: Soweit ich (Abg. Dr. Mommer: Meine Frage, Herr
im Bilde bin: nein! Minister!)
Soweit meine Feststellungen reichen, hat eine solche
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Herr Abge- Besprechung unter Ausschluß des von Ihnen er-
ordneter Erler, eine Zusatzfrage! wähnten Ministers und unter Anwesenheit des an-
deren Ministers nicht stattgefunden.
Erler (SPD) : Warum hat Herr Staatssekretär
Strauß mit der Unterrichtung ides Ministers absicht- Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Zusatzfrage
lich zurückgehalten, bis das unmittelbare Eingreifen des Herrn Abgeordneten Ritzel.
in Hamburg bevorstand, und warum hat er nicht den
Minister verständigt, solange der Minister noch an- Ritzel (SPD) : Herr Bundesinnenminister, auf wes-
wesend war, daß überhaupt eine solche Ermittlung sen Veranlassung hat Staatssekretär Strauß, dem
im Laufen war? am 24. Oktober die Angelegenheit bekannt wurde,
dem am 24. und am 25. Oktober in seinem Hause
Höcherl, Bundesminister des Innern: Herr Kol- anwesenden Bundesjustizminister keine Mitteilung
lege Erler, Sie sehen aus dem zweiten Teil meiner gemacht?
Antwort, daß sich Herr Strauß am 26. bemüht hat,
seinen Minister zu verständigen. Warum er das nicht Höcherl, Bundesminister des Innern: Herr Kol-
sofort am 24. getan hat, weiß ich nicht. lege Ritzel, ich habe die Frage schon beantwortet.
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 45. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. November 1962 1957
Bundesinnenminister Höcherl
Ich glaube, daß ich dieselbe Frage nicht zweimal schlüsse zu fassen und fassen auch keine, sondern
beantworten muß. unterhalten sich.
Ritzel (SPD) : Nein, das haben Sie nicht beant- Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Zusatzfrage
wortet. Tut mir leid. des Herrn Abgeordneten Dr. Schäfer!
Höcherl, Bundesminister des Innern: Ich habe Dr. Schäfer (SPD) : Herr Minister, welche Mini-
Ihnen schon erklärt, daß ich es nicht weiß, weil Herr ster und Staatssekretäre waren in der Besprechung
Staatssekretär Strauß mir das nicht gesagt hat und im Innenministerium anwesend, bei der der Be-
ich keine Gelegenheit hatte, ihn zu fragen, da ich schluß gefaßt wurde, den § 4 in Anspruch zu neh-
erst heute früh erfahren habe, daß ich diese Frage men?
beantworten soll. Ich sage bei jeder Antwort, die
ich vortrage, daß ich die Frage stellvertretend be- Höcherl, Bundesminister des Innern: Es hat we-
antworte. Ich glaube, es könnte eine gewisse Fair- der eine Besprechung dieser Art gegeben noch war
neß geben, weil Sie das genau wissen. Ich sehe ein,. jemand der von Ihnen genannten Personen anwe-
daß es Ihnen schwerfällt. Aber es gibt eine gewisse send. Vielmehr habe ich das mit dem Leiter der
Fairneß, und diese sollte gelten, wenn Sie sehen, Sicherungsgruppe besprochen und ihm den Auf-
daß ich nicht nur die schriftlich formulierten, son- trag gemäß § 4 erteilt. Der Antrag der Bundesan-
dern auch die Ergänzungsfragen aus einem anderen waltschaft wurde mir mündlich überbracht.
Ressort beantworte. Man könnte wohl erwarten,
daß Sie darauf auch Rücksicht nehmen. Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Zusatzfrage
(Beifall bei der CDU/CSU.) des Herrn Abgeordneten Merten.
Aber ich scheue mich vor keiner Zusatzfrage. Ich
sage: die gleiche Frage ist inhaltlich schon gestellt. Merten (SPD) : Herr Minister, können Sie erklä-
Ich habe erklärt, ich weiß das nicht. ren, warum der Herr Staatssekretär Strauß von sei-
nem Posten entfernt worden ist, nachdem er sich
(Abg. Rasner: Fairneß ist nicht drin!) doch nach Ihren Ausführungen hier völlig korrekt
verhalten hat?
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Eine zweite (Heiterkeit.)
Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Ritzel.
Höcherl, Bundesminister des Innern: Herr Mer-
Ritzel (SPD) : Gerade aus Gründen der Fairneß ten, eine für mich ganz unbegreifliche Frage!
erlaube ich mir, den Herrn Bundeskanzler als den (Lachen bei der SPD.)
nach dem Grundgesetz verantwortlichen Regie-
rungschef zu fragen, ob ihm bekannt ist, wer dem Ich darf Ihnen meine Meinung dazu sagen, obwohl
Herrn Staatssekretär Strauß die Weisung erteilt hat, ich gar nicht zu einer Meinungsmitteilung verpflich-
- Hause
seinem Minister trotz dessen Anwesenheit im tet wäre. Aber ich will es trotzdem tun. Meine Mei-
keine Information weiterzuleiten. nung ist folgende: daß Herr Staatssekretär Strauß
deswegen zur Disposition gestellt worden ist, weil
er seinen Minister nicht informiert hat. Die Gründe,
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Zusatzfrage warum das nicht geschehen ist, warum er das nicht
des Herrn Abgeordneten Dr. Kohut.
gemacht hat, weiß ich nicht. Aber es steht zu seiner
(Abg. Ritzel: Keine Antwort!) Ehrenrettung fest: am 26. Oktober hat er den ernst-
— Die Regierung ist frei, zu antworten oder nicht. haften und nachweisbaren Versuch unternommen,
— Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten seinen Minister zu verständigen.
Dr. Kohut. (Lachen bei der SPD.)
(Abg. Dr. Schäfer: Herr Präsident, die Frage
ist nicht beantwortet!) Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Ich rufe auf
die Frage II/4 — des Herrn Abgeordneten Dr.
Dr. Kohut (FDP) : Trifft es zu, Herr Minister, daß Arndt —:
es in Bonn eine Art Ständiger Konferenz der Staats- Sind die Fahnenabzüge des „Spiegel" Nr. 44 vom 31. Oktober
sekretäre gibt und daß auf diesen Zusammenkünf- vor ihrem Erscheinen eingesehen oder durchgelesen worden?
ten regelmäßiger oder unregelmäßiger Art der
Staatssekretäre beschlossen wurde, die. Dinge ohne Höcherl, Bundesminister des Innern: Für den
Information der Minister zu behandeln? Herrn Kollegen Stammberger darf ich die Frage wie
folgt beantworten. Ein Beamter des Bundeskrimi-
Höcherl, Bundesminister des Innern: Nein, das nalamtes legte Fahnenabzüge für die Nr. 44 des
trifft nicht zu. Es gibt eine „Gewerkschaft der „Spiegel", die sich in den zu durchsuchenden Ver-
Staatssekretäre", wie man das heißt, lagsräumen befanden, in einem verschlossenen Um-
schlag dem Ermittlungsrichter zur Durchsicht vor.
(Heiterkeit) Die Durchsicht diente nicht der Prüfung, ob die
in deren Rahmen sich die Staatssekretäre gesell neue Nummer des „Spiegel" erscheinen könne oder
schaftlich treffen. Sie haben dort aber keine Be ob sie ganz oder teilweise zu beschlagnahmen sei,
1958 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 45. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. November 1962
Bundesinnenminister Höcherl
sondern nur der Prüfung, ob in den Fahnen Be- Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Die zweite I
weise für die den Beschuldigten zur Last gelegte ZusatzfrgedHnAbotDr.d!
Tat enthalten seien.
(Abg. Dr. Mommer: Dann konnnte man Dr. Arndt (Berlin) (SPD): Herr Bundesminister,
doch warten, bis es ausgedruckt war!) ist Ihnen nicht bekannt, daß die von mir erwähnten
Tatsachenbehauptungen, die Sie ja in einer großen
Reihe von Zeitungen lesen konnten, wo auch ich
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Eine Zusatz- sie gelesen habe — ist Ihnen nicht bekannt, daß
frage! der Herr Bundesanwalt Loesdau ausdrücklich eine
Verantwortung der Bundesanwaltschaft für diesen
Dr. Arndt (Berlin) (SPD) : Herr Bundesminister, Vorgang zurückgewiesen hat, weil doch nach unser
glauben Sie denn, daß es zur Prüfung der Frage, aller Meinung — hoffentlich doch wohl auch nach
ob sich in Fahnenabzügen Beweismittel befinden, Ihrer Meinung — eine jede polizeiliche Vorzensur
notwendig ist, daß man die Fahnen, statt sie zu ein absoluter Bruch der Verfassung ist?
lesen, zunächst einmal in Kuverts tut, diese ver-
siegelt, die Siegel von Hauptkommissar Schütz von Höcherl, Bundesminister des Innern: Herr Kol-
der Sicherungsgruppe und von Redakteur Mathie- lege Arndt, ich bin zwar genau so wie Sie presse-
sen unterschreiben läßt, daß man sie dann zum freundlich, aber nicht so zeitungsgläubig. Ich möchte
Ermittlungsrichter schickt? Glauben Sie denn im nicht annehmen, daß alle Einzelheiten, die Sie ge-
Ernst, daß das wirklich geschehen sein könnte, um lesen haben, so stimmen müssen, wie sie in einem
Beweise zu finden, obgleich man wußte, daß am notariellen Protokoll vielleicht festgehalten werden
nächsten Tage diese Nummer erscheinen würde? könnten. So weit geht meine Glaubensfähigkeit
(Unruhe bei der CDU/CSU.) nicht. Aber wollen Sie mehr verlangen, als daß der
Polizeibeamte hergeht und sagt: Es besteht der
Höcherl, Bundesminister des Innern: Herr Kol- Verdacht, daß im Rahmen dieser Arbeit etwas an-
lege Arndt, ich bin erstaunt über diese Einzelhei- deres beiseite geschafft werden könnte? Ein Teil der
ten und über diese Mitteilung. Redaktion durfte doch die Arbeit fortsetzen. Sie
kennen die Schwere der Vorwürfe, um die man sich
(Beifall bei den Regierungsparteien. — doch auch kümmern sollte. Herr Wehner hat es ja
Lebhafte Zurufe von allen Seiten.) getan. Aber die Fragen beweisen, daß das nicht in
dem Maße geschieht, wie es zu einer einheitlichen
Ich darf aber auf Ihre Zusatzfrage folgendes ant- Willensbildung und Meinungsbildung bei so schwe-
worten. Es hat sich herausgestellt, daß die Polizei- ren Angelegenheiten notwendig wäre. Wenn der
beamten, vor allem die Beamten der Sicherungs- Polizeibeamte die Druckfahnen einpackt, weil er
gruppe, die ein immenses Arbeitspensum zu belä- den Verdacht hat, es könnte etwa anderes damit
stigen — — beiseite geschafft werden, und dem Richter die Ent-
(Lachen bei der SPD) scheidung überläßt, dann können Sie doch nicht
— zu bewältigen hatten, — — - sagen, daß man in einem staatsanwaltschaftlichen
— Ich wäre an Ihrer Stelle nicht so unfair, wenn ich Ermittlungsverfahren überhaupt mehr tun könnte,
mich verspreche, darüber zu lachen, wenn ich erst als den Richter, und zwar den Ermittlungsrichter des
daran denke, meine Damen und Herren, wie oft Sie Bundesgerichtshofes, darüber entscheiden zu lassen.
sich sachlich heute schon versprochen haben, ohne Das scheint mir das äußerste Maß von korrektem
daß ich gelacht habe. Vorgehen zu sein, und es scheint mir mit Vorzensur
und all diesen Dingen nichts mehr zu tun zu haben.
(Lebhafter Beifall bei den Regierungspar Ich bin vielmehr der Meinung, der Polizeibeamte
teien. — Zurufe von der SPD.) hat sich vorbildlich verhalten. Ich wäre dankbar —
und Sie wissen, wie sehr wir uns gemeinsam um
Meine Damen und Herren, ich darf antworten. Es die Polizei kümmern —, wir hätten überall so tüch-
ist selbst von der Seite des „Spiegel" anerkannt tige, so gewandte und so vorsichtige Polizeibeamte.
worden, daß sich die Polizeibeamten bei der Art
ihres Vorgehens den hohen Respekt selbst der Be- (Beifall bei der CDU/CSU.)
troffenen erworben haben. Wenn sich ein Polizei-
beamter in einer so schwierigen Sache — und wie Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Zusatzfrage
schwierig die Dinge waren, ist ja durch die Aufklä- des Herrn Abgeordneten Dr. Stoltenberg!
rung des Bundesanwalts nachgewiesen — die
größte Zurückhaltung auferlegt und sogar sofort
sieht, daß hier die Gefahr einer Zensur besteht, Dr. Stoltenberg (CDU/CSU) : Herr Bundesmini-
und wenn er nun diese Gefahr dadurch zu vermei- ster, mußte die Bundesregierung nach früheren
den sucht, daß er die Druckfahnen in einem festen Äußerungen der Opposition und der deutschen
Umschlag gibt und dem anwesenden Ermittlungs- Presse über die Grundsätze der Unabhängigkeit der
richter des höchsten Gerichtshofes übergibt, um ja Richter und der Beachtung des Legalitätsprinzips
nicht über das Zensurverbot zu stolpern, dann stelle für den Generalbundesanwalt nicht damit rechnen,
ich mich vor diese Leute hin und sage: Hut ab vor daß sie wegen Einmischung in ein schwebendes
dieser vorsichtigen Art der polizeilichen Arbeit! Verfahren heftigster Kritik ausgesetzt gewesen
wäre, wenn sie sich so sehr um diese Einzelfragen
(Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU.) des richterlichen und staatsanwaltschaftlichen Er-
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 45. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. November 1962 1959
Dr. Stoltenberg
mittlungsverfahrens gekümmert hätte, wie das hier Bundesminister des Innern in Stellvertretung des
unterstellt wird? Herrn Bundesjustizministers.
Höcherl, Bundesminister des Innern: Herr Kol- Höcherl, Bundesminister des Innern: Für Herrn
lege Stoltenberg, wir haben sehr oft erlebt, wie Kollegen Stammberger darf ich antworten: Die
maßgebliche und prominente Vertreter der Opposi- Durchsuchungsanordnung des Ermittlungsrichters be-
tion hier für die Unabhängigkeit der Rechtspflege zog sich auch auf die Geschäftsräume des Verlegers
vor allem in gewissen Fällen mit einem Feuereifer Augstein. Die Durchführung der Anordnung machte
eingetreten sind, wenn es sich angeblich um Ein es notwendig, das zu durchsuchende Material zu
flußnahme — der Regierung — handelte. Das ist sichern. Daraus ergab sich, daß die Räume und de-
ja das Schlimme, das andere ist ja weniger schlimm. ren technische Einrichtungen wie Telefon, Fern-
Aber ich bin sehr traurig darüber, daß von der Seite schreiber usw. für die Angehörigen des Verlages
der Fragesteller der Anschein einer Einflußnahme nur in sehr beschränktem Umfang verfügbar blie-
erweckt wird. Darüber bin ich tief erschüttert. ben. Es handelt sich also nicht um eine Beschlag-
nahme der Räume und deren technischer Einrich-
(Zustimmung bei der CDU/CSU. — Zurufe
tungen. Die Einschränkung in der Benutzung war
von der SPD.) nur eine vorübergehende Folge der angeordneten
Durchsuchung.
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Zusatzfrage
des Herrn Abgeordneten Müller-Emmert! Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Zusatzfrage!
Dr. Müller - Emmert (SPD) : Herr Minister, eine Dr. Arndt (Berlin) (SPD) : Herr Bundesminister,
Zusatzfrage zu den Zusatzfragen des Herrn Abge- bei allem Verständnis für Ihre schwierige Lage darf
ordneten Arndt: Sind Sie nicht der Auffassung, daß ich doch
die Durchsicht der Druckfahnen in ihrer Wirkung
(Abg. Wacher: Für Ihre! — Unruhe)
einer Art Vonzensur gleichkam?
— das warten Sie erst mal ab, wer hier in schwie-
Höcherl, Bundesminister des Innern: Ich habe riger Lage ist —
doch schon zweimal erklärt, Herr Kollege, daß die (Zustimmung bei der SPD)
Druckfahnen nicht zensiert wurden, sondern daß die die Zusatzfrage stellen, ob es denn für die Durch-
Druckfahnen eingepackt und dem Ermittlungsrich- suchung erforderlich war, die Einrichtungen wie
ter gegeben worden sind. Telefon, Fernschreiber und die anderen Apparatu-
(Zuruf von der CDU/CSU: Er kapiert ren und technischen Möglichkeiten einem Verlags
schwer!) unternehmen doch mindestens rund eine ganze
Woche zu entziehen.
Wollen Sie behaupten, daß der Ermittlungsrichter
eine Vorzensur ausgeübt hätte? Ich würde mir das
an Ihrer Stelle sehr überlegen. - Höcherl, Bundesminister des Innern: Herr Kol-
lege Arndt, erstens, ich habe Ihnen soeben erklärt,
(Beifall in der Mitte.) wie weit der Ermittlungsrichter den Rahmen des
Durchsuchungsbefehls gezogen hat. Zweitens möchte
Präsident D: Dr. Gerstenmaier: Ich gehe wei- ich zu Ihrer Frage folgendes sagen. Es gibt keinen
ter und rufe auf die Frage — Staat in der Welt, in dem es so viele Rechtsmittel-
möglichkeiten und so viele Beschwerdemöglichkei-
(Widerspruch bei der SPD.)
ten gibt. Ich glaube, daß man die Unabhängigkeit
— Meine Herren, ist der Präsident vielleicht frei, der Rechtspflege bei einem schwebenden Verfahren
in der Fragestunde weiterzufahren, oder ist er das am besten dadurch achtet, daß man zunächst den
nicht? Was ist denn das für eine Methode?! Wollen Rechtsweg sich erschöpfen läßt und den Abschluß
Sie mich hier blockieren?! der Ermittlungen abwartet. Das scheint mir das Rich-
(Beifall bei der CDU/CSU. — Zuruf von tige zu sein. Hände weg von der Justiz, auch mittel-
der CDU/CSU: Immer dasselbe!) bar!
(Beifall in der Mitte.)
Ich rufe auf die Frage des Herrn Abgeordneten
Dr. Arndt unter II/5:
Präsident D. Dr. Gerstenmaler: Zweite Zu-
Inwiefern konnten die Räume aller Redakteure des „Spiegel" satzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Arndt!
und seines Verlegers sowie die technischen Einrichtungen, wie
Telefon, Fernschreiber und andere Apparaturen, für die einge-
leiteten Untersuchungen von Bedeutung sein, so daß sie be-
schlagnahmt werden durfte:? Dr. Arndt (Berlin) (SPD) : Herr Bundesminister,
ist Ihnen denn nicht klar, daß ich gar nicht vom Er-
(Zuruf von der SPD.)
mittlungsrichter spreche, sondern von dem, was die
— Nein, aber der Präsident hat für die Ordnung zu Sicherungsgruppe Bonn der Polizei dort getan hat?
sorgen und dafür, daß andere Leute auch noch zu
(Zustimmung bei der SPD.)
Wort kommen. Ich habe hier achtzehn Fragen.
(Widerspruch bei der SPD.)
Höcherl, Bundesminister des Innern: Im Vollzug
Es ist aufgerufen die Frage II/5 des Herrn Abge- eines richterlichen Durchsuchungsbefehls. Von der
ordneten Dr. Arndt. Zur Beantwortung der Herrn betroffenen Seite ist anerkannt worden, daß sich
1960 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 45. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. November 1962
Bundesinnenminister Höcherl
die Angehörigen der Sicherungsgruppe bei dem Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Zweite Zu-
weitgespannten Durchsuchungsbefehl die äußerste satzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Kohut.
Korrektheit und Zurückhaltung auferlegt haben.
Dr. Kohut (FDP) : Herr Minister, haben Sie es
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Herr Abge- nicht miterlebt, wie sich Ihr Kollege Strauß darüber
ordneter Sänger zu einer Zusatzfrage. beschwert hat, wie lange der Rechtsweg in Deutsch-
land läuft, wieviel Jahre man warten muß?
Sänger (SPD) : Herr Minister, können wir uns (Beifall bei der SPD.)
darüber verständigen, daß Telephone und Fern-
schreibleitungen der Zuleitung neuen Materials für Höcherl, Bundesminister des Innern: Herr Kol-
eine neu herauszugebende Nummer dienen, daß lege Kohut, Herr Kollege Strauß mußte wie wir
also die Beschlagnahme oder die Sperre solcher Zu- Minister alle als einfache Leute unten bei der Be-
leitungen einer Zensur gleichkommt? leidigungssache anfangen. Er mußte sich bis in die
(Zuruf von der CDU/CSU: Die können letzInsamporbie.Dhältfasknr
auch der Verdunklung dienen!) aus.
(Heiterkeit.)
Höcherl, Bundesminister des Innern: Herr Kol-
lege, ich habe auch schon einmal gehört, daß über Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Mir ist so-
Fernsprecher und Fernschreiber jemand gewarnt eben gesagt worden, daß die Frage II/6 zurückge-
wurde. zogen ist.
(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU.) (Abg. Schmitt-Vockenhausen: Jawohl!)
Ich rufe die Frage II/7 — des Herrn Abgeordneten
Wittrock - auf:
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Zusatzfrage
des Herrn Abgeordneten Rehs. Wer veranlaßte ,die spanische Polizei, den „Spiegel"-Redakteur
Ahlers i n Malaga festzunehmen?
— Bitte, das sind die Feststellungen, die ich von — gehört haben-,dann werden Sie feststellen,
gestern abend — zum Teil in der Nacht — bis heute daß der stellvertretende Präsident des Bundeskrimi-
früh treffen konnte. nalamtes, nachdem er von der vorläufigen Fest-
nahme am Vormittag des 27. gehört hatte, den
(Abg. Schwabe: Sie haben 14 Tage Zeit ge Haftbefehl an die Deutsche Botschaft im Text wei-
habt!) tergegeben hat mit idem Ersuchen, Herrn Ahlers
— 14 Tage Zeit? Ich habe die Meldung des spani- unter Aufhebung der vorläufigen Festnahme die
schen Informationsministeriums, wie ich sagte, erst freiwillige Rückkehr zu ermöglichen, die Herr
gestern abend bekommen! Ahlers auch gewählt hat. Das scheint mir nicht eine
1962 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 45. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. November 1962
Bundesinnenminister Höcherl
Sache gegen, sondern für die Auslieferungsrechts- Dr. Schäfer (SPD) : Meine zweite Frage! Herr
lage 711 sein. Minister, Sie haben vorher gesagt, daß das Verteidi-
(Lebhafte Zurufe von der ,SPD. — Unruhe. gungsministerium informiert wurde. Meine Frage:
— Zurufe links: Das ist ja unmöglich! — warum, und was hat das Verteidigungsministerium
Das machen kommunistische Staaten!) daraufhin gegenüber dem Bundeskriminalamt ge-
tan?
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Eine Zusatz-
frage des Herrn Abgeordneten Lohmar. Höcherl, Bundesminister des Innern: Ich darf die
erste Frage dahingehend beantworten, daß das Ver-
teidigungsministerium deswegen informiert wurde,
Lohmar (SPD) : Herr Bundesinnenminister, kön- weil — nach meiner bisherigen Feststellung — die
nen Sie uns eine Vorstellung von den Maßstäben Beamten der Sicherungsgruppe erfahren haben — —;
vermitteln, die den spanischen Informationsminister weil von der Reise Ahlers nach Spanien das Ver-
dazu veranlaßt haben könnten, von unerwünschten teidigungsministerium oder Angehörige dieses Be-
oder erwünschten Ausländern zu sprechen? reiches in irgendeiner Form unterrichtet waren,
wenn nicht beteiligt waren.
Höcherl, Bundesminister des Innern: Herr Kol- (Abg. Dr. Schäfer: Den zweiten Teil meiner
lege Lohmar, ich bin überrascht, daß Sie eine solche Frage haben Sie nicht beantwortet!)
Frage stellen. Mehr will ich darauf nicht antworten.
(Beifall bei der CDU/CSU.) Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Eine Zusatz-
frage des Herrn Abgeordneten Seuffert. — Ist erle-
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Eine Zusatz- digt.
frage des Herrn Abgeordneten Dr. Schäfer.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Ritzel.
(Anhaltende Unruhe und Zurufe von der
CDU/S.) Ritzel (SPD) : Herr Bundesinnenminister, darf ich
fragen, ob Ihnen der Text des Telegramms vorliegt,
Dr. Schäfer (SPD) : Herr Minister, Sie sprachen das von der Sicherungsgruppe nach Spanien gerich-
davon, daß der stellvertretende Präsident des Bun- tet worden ist, und von wann dieses Telegramm ist?
deskriminalamtes tätig geworden sei, nachdem er
erfahren habe, daß Herr Ahlers vorläufig festge- Höcherl, Bundesminister des Innern: Ja, der
nommen wurde. Wollten Sie damit sagen, daß das Wortlaut liegt mir vor, und zwar 'ist das eine wört-
Bundeskriminalamt vorher nicht eingeschaltet war liche Wiedergabe des Haftbefehls ide s Ermittlungs-
und vorher nicht tätig war? richters des Bundesgerichtshofes, der am 23. Ok-
tober erlassen wurde. Soll ich den Text vorlesen?
Höcherl, Bundesminister des Innern: Nein, Herr (Zurufe von der SPD: Ja! Bitte!)
Kollege Schäfer, ich habe folgendes erklärt. Der
stellvertretende Präsident des Bundeskriminalamtes
war mit den Ermittlungshandlungen gar nicht be- Der Ermittlungsrichter
faßt — es war die Sicherungsgruppe —, aber der des Bundesgerichthofs
stellvertretende Präsident ist gleichzeitig Leiter der — darunter das Aktenzeichen —
Interpol, und in dieser Eigenschaft list er von der
Sicherungsgruppe davon in Kenntnis gesetzt wor- z. Zt. Bad Godesberg, den 23. 10. 1962
den, daß in den frühen Morgenstunden des 27. Ok- Haftbefehl
tober die vorläufige Festnahme in Spanien erfolgt
Der Redakteur Conrad Ahlers, Hamburg 1,
war. Das hat er in der zweiten Eigenschaft — bei Speersort 1, ist zur Untersuchungshaft zu brin-
der Weiterleitung des Haftbefehls an die Deutsche gen. Er ist dringend verdächtigt, im Oktober
Botschaft - erfahren. Die Sicherungsgruppe hat das 1962 in Hamburg und an anderen Orten der
zweifellos gewußt. Ich habe doch vorher mitgeteilt Bundesrepublik Staatsgeheimnisse verraten zu
— das haben Sie doch auch gehört —, ,daß das Ver- haben.
teidigungsministerium von der Sicherungsgruppe
über die Vorgänge der Abwesenheit und des Aus- — Verbrechen nach Par. 100 Abs. 1 StGB —
landsaufenthaltes usw. Mitteilung bekommen hat. Der Beschuldigte hat als der bei dem Nach-
richtenmagazin ,,Der Spiegel" für den Bereich
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Eine zweite der Bundeswehr zuständige Redakteur die
Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Schäfer. in der am 8. Oktober 1962 ausgelieferten
Nummer 41/16. Jahrgang veröffentlichte Titel-
geschichte „Bundeswehr" (Seite 32 ff.) verfaßt.
Dr. Schäfer (SPD) : Herr Minister — nur zur Diese Abhandlung enthält Tatsachen aus dem
Klarheit in diesem Hause —: die Sicherungsgruppe Bereich der Bundeswehr und der NATO, deren
ist ein Teil des Bundeskriminalamtes und unter- Geheimhaltung vor einer fremden Regierung
steht damit dem stellvertretenden Präsidenten? für das Wohl der Bundesrepublik erforderlich
ist. Es besteht der dringende Verdacht, daß sich
Höcherl, Bundesminister des Innern: Jawohl, das der Beschuldigte der Geheimhaltungsbedürftig-
ist richtig. keit dieser Tatsachen bewußt war und die mit
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 45. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. November 1962 1963
Bundesinnenminister Höcherl
deren Preisgabe verbundene Gefährdung des und fahren genau an dem Punkt fort, an dem wir
Wohles der Bundesrepublik gebilligt hat. jetzt stehengeblieben sind.
Da ein Verbrechen Gegenstand des Verfahrens (Beifall bei der CDU/CSU. — Zurufe von
ist, ist Fluchtverdacht gesetzlich begründet. Dar- der SPD. — Glocke des Präsidenten.)
über hinaus ist mit Rücksicht auf die Art der
dem Beschuldigten zur Last gelegten Straftat Ich rufe auf Punkt 2 der Tagesordnung — —
die Gefahr begründet, daß er die Ermittlung der (Anhaltende Unruhe.)
Wahrheit durch Vernichtung von Spuren der
Tat, von Beweismitteln anderer Art oder durch — Meine Damen und Herren, wenn es sein muß,
Beeinflussung von Zeugen oder Mitbeschuldig- bin ich bereit, eine Pause einzulegen.
ten erschweren werde, wenn er auf freiem Fuß (Abg. Ritzel: Herr Präsident! Ich bitte um
belassen würde (Par. 112 StPO). Ihren Schutz! — Abg. Ritzel begibt sich
Gegen diesen Haftbefehl ist das Rechtsmittel zum Präsidenten. — Fortdauernde Unruhe.)
der Beschwerde zulässig. Statt der Beschwerde — Meine Damen und Herren, wenn Sie meinen, daß
kann mündliche Verhandlung nach Par. 114 d wir so fortfahren können, haben Sie sich getäuscht.
StPO beantragt werden. Ich rufe den Tagungsordnungspunkt nicht auf, wenn
Sie sich nicht setzen. Setzen Sie sich, meine Damen
Bundeskriminalamt SG Bad Godesberg i. A.
und Herren! Beruhigen Sie sich!
gez. Saevecke, RKR
Meine Damen und Herren, jetzt ist genug Ent-
Bundeskriminalamt Wiesbaden ... Ltd. RKD. spannung; wir fahren in der Tagesordnung fort.
Dickopf
Ich gebe Ihnen nachher das Wort zu einer per-
sönlichen Erklärung, Herr Abgeordneter Ritzel.
Da unten heißt es dann noch: Ich rufe auf die Punkte 2 und 3 der Tagesordnung:
Interpol WBN Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über
Das ist der in die Matrize eingestanzte Vermerk,
die Feststellung eines Nachtrags zum Bundes-
der die Leitung, aber nicht die Institution Interpol
haushaltsplan für das Rechnungsjahr 1962
wiedergibt.
(Nachtragshaushaltsgesetz 1962) (Drucksache
IV/699),
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Eine zweite Erste Beratung des von der Bundesregierung
zweite Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Ritzel. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über
die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für
Ritzel (SPD) : Zunächst die Wiederholung der das Rechnungsjahr 1963 (Haushaltsgesetz
Bitte, auch den Zeitpunkt dieses Telegramms be- 1963) (Drucksache IV/700).
kanntzugeben. Das Wort hat der Herr Bundesfinanzminister.
Dann bitte ich um die Beantwortung der Frage, (Anhaltende Unruhe.)
aus welchen Gründen nicht — wie sonst immer üb-
lich — die Interpol-Zentrale in Paris um entspre-
chende Maßnahmen gebeten wurde. Dr. Starke, Bundesminister der Finanzen: Herr
Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-
Höcherl, Bundesminister des Innern: Zeitpunkt ren!
der Absendung dieses Telegramms war der 27. Ok- Am 13. März dieses Jahres hatte ich die Ehre,
tober 1962, 10.45 Uhr. Die Adresse lautet „An die dem Hohen Hause den Entwurf des Haushalts-
Deutsche Botschaft Madrid". gesetzes für das Rechnungsjahr 1962 vorzulegen.
Die Interpol wurde deshalb nicht eingeschaltet, Heute, nach wenig mehr als sieben Monaten, habe
weil dem absendenden Beamten bekannt war, daß ich namens der Bundesregierung neben dem Ent-
§ 3 des Interpol-Gesetzes eine Anwendung auf die- wurf eines Nachtragshaushaltsgesetzes für das Rech-
sen Haftbefehl nicht erlaubt. nungsjahr 1962 den Entwurf des Haushaltsgesetzes
für das Rechnungsjahr 1963 vorzutragen und zu
begründen.
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Die Frage- Bevor ich mich den Problemen des Haushalts-
stunde ist vorbei. Ich lasse keine weiteren Fragen
entwurfs 1963 zuwende, möchte ich Ihnen einen
mehr zu. Überblick über die Haushaltslage 1962 geben und
(Unruhe.) die Ursachen darlegen, die zur Vorlage des Ent-
wurfs eines Nachtrags zum Bundeshaushaltsplan
— Meine Damen und Herren, Sie täuschen sich. Der 1962 geführt haben.
Bundestagspräsident ist nicht der Herr, sondern der
Knecht der Geschäftsordnung. Dort steht: Die Frage- Die von mir angekündigte Wende in der finanz-
stunde darf 60 Minuten nicht überschreiten. Die politischen Situation des Bundes ist dadurch ge-
Fragestunde ist vorbei; morgen geht es weiter. Wir kennzeichnet, daß die Ausgaben im Haushalt 1962
beginnen morgen Vormittag mit der Fragestunde stärker gestiegen sind als die Einnahmen. Das war
1964 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 45. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. November 1962
Bundesfinanzminister Dr. Starke
nicht zuletzt darauf zurückzuführen, daß der Bun- eines Verwaltungsabkommens mit den betreffenden
deshaushalt 1962 seine letzte Ausprägung durch die Ländern wird der Bund zwei Drittel dieser Aufwen-
Auswirkungen der Ereignisse des 13. August 1961 dungen übernehmen, die auf rund 360 Millionen DM
erhalten hatte. Bei Nichtberücksichtigung der Ent- beziffert sind. Im Nachtragsentwurf ist eine erste
wicklungsanleihe über 1,5 Milliarden DM, die nur Rate von 100 Millionen DM ausgebracht.
einen durchlaufenden Posten darstellte, betrug die
Bei den Anforderungen zugunsten des Steinkoh-
tatsächliche Erhöhung der Ausgaben 6,8 Milliarden
lenbergbaus handelt es sich um 'die Durchführung
DM oder 14,8 v. H.; damit überschritt sie die mit
von Sofortmaßnahmen, die später durch gesetzliche
7,5 v. H. angenommene Wachstumsrate des Brutto-
Maßnahmen fundiert werden sollen. Hiermit wird
sozialprodukts nahezu um das Doppelte. Auf der
anderen Seite ließ sich infolge des schwächeren sich das Hohe Haus noch eingehend beschäftigen
müssen.
Wirtschaftswachstums und des Rückgangs der Ge-
winne bereits bei Aufstellung des Haushalts 1962 Durch die Erhöhung der Bundeshilfe für Berlin um
eine nachlassende Zuwachsrate bei den Steuerein- 150 Millionen DM sollen vor allem die Einnahme-
nahmen voraussehen. ausfälle im Berliner Landeshaushalt ausgeglichen
Angesichts dieser Lage kam alles darauf an, den werden, die durch das Gesetz zur Änderung und
mit großer Mühe erreichten Haushaltsausgleich auch Ergänzung des Gesetzes zur Förderung der Wirt-
bei Ausführung des Haushaltsplans 1962 sicherzu- schaft von Berlin (West) und des Steuererleichte-
stellen. rungsgesetzes für Berlin (West) vom 26. Juli 1962
hervorgerufen werden.
(Vorsitz: Vizepräsident Schoettle.)
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Einen Augen-
blick, Herr Bundesfinanzminister. Meine Damen und Mittel für die Eingliederung der deutschen Land-
Herren, ich muß jetzt zum letztenmal an das Haus wirtschaft in den Gemeinsamen Markt sind mit dem
appellieren. Es geht unter gar keinen Umständen, Nachtrag nicht angefordert, obwohl noch für das
daß bei einem so wichtigen Gegenstand nicht ge- Jahr 1962 Mittel in Höhe von etwa 60 Millionen DM
spannte Aufmerksamkeit herrscht. benötigt werden. Hierauf konnte mit Rücksicht auf
die im Ernährungshaushalt — Einzelplan 10 — ent-
(Beifall bei den Regierungsparteien.)
haltene grundsätzliche Ermächtigung verzichtet wer-
Ich bitte also, die Gespräche, die jetzt noch geführt den, etwaige Mehreinnahmen aus Abschöpfungen
werden müssen, nach draußen zu verlegen, was auch oder Minderausgaben aus nicht benötigten Bewil-
nicht sehr schön ist; das Haus ist sowieso nicht sehr ligungen für diese Zwecke zu verwenden.
gut besetzt.
Die Deckung dieses Nachtragshaushalts soll durch
(Zuruf von der CDU/CSU: Pressetribüne!) gezielte Kürzungen erfolgen. In Höhe von 295 Mil-
lionen DM wird die im Interesse der Beeinflussung
Dr. Starke, Bundesminister der Finanzen: Nach der Baukonjunktur nach § 8 des Haushaltsgesetzes
den ersten zehn Monaten des Rechnungsjahres ergibt 1962 ausgebrachte Sperre der Baumittel in eine
sich noch kein klares Bild über den endgültigen echte Kürzung umgewandelt. Das ist möglich und
Ablauf des Haushalts 1962. Die Finanzierung des vertretbar, weil jetzt im November zu übersehen ist,
Haushalts ist bisher ohne größere Schwierigkeiten daß auf Grund der konjunkturpolitischen Maßnah-
möglich gewesen. Das ist darauf zurückzuführen, men der Bundesregierung tatsächlich Minderaus-
daß auf dem Baugebiet konjunkturbedingte Sperren gaben in dieser Höhe verbleiben werden.
angebracht wurden und sich in einigen Einzelplänen Weitere Kürzungen in Höhe von 186 Millionen
größere Minderausgaben infolge der verspäteten DM können im Schuldenhaushalt vorgenommen
Verabschiedung des Haushalts ergeben. Vor allem werden, weil nach Ablauf der ersten 10 Monate des
aber sind für das bisher erreichte Gleichgewicht von Rechnungsjahres 1962 feststeht, daß Mittel in dieser
Einnahmen und Ausgaben auch die freiwilligen Bei- Höhe, auch wenn noch weitere Kreditaufnahmen des
träge der Länder mitbestimmend gewesen, die zum Bundes zu Lasten des Haushalt 1962 erfolgen, nicht
Teil bereits in die Bundeskasse geflossen sind. abfließen werden.
Die Bundesregierung legt nunmehr zum Bundes- Mit dieser Deckung des Nachtragshaushalts durch
haushalt 1962 einen Nachtrag vor, um neue Aus- gezielte Kürzungen bleiben die Endsummen der Ein-
gabeverpflichtungen des Bundes zu decken, die nach nahmen und Ausgaben mit 53,4 Milliarden DM be-
Verabschiedung ides Haushalts unabweisbar gewor- stehen. Das Ausgabevolumen des Haushalts 1962
den sind. Die Gesamtsumme des Nachtrags beläuft verändert sich dadurch nicht, was ein vordring-
sich auf 481 Millionen DM. liches Anliegen der Bundesregierung war und ein
Bei den Mehraufwendungen für Angestellte und Beispiel für die kommenden Haushaltsjahre sein
Arbeiter handelt es sich um die Auswirkungen der muß.
im Juni dieses Jahres abgeschlossenen Tarifver- (Beifall bei der FDP.)
träge. Der gegenwärtige Stand der Haushaltsabwicklung
Die Mittel für eine Beihilfeleistung des Bundes an bietet auch unter Berücksichtigung des Nachtrags-
die Küstenländer zur Milderung der durch die Flut- haushalts ein zu günstiges Bild der Finanzlage des
katastrophe entstandenen Schäden an gewerblichen Bundes; denn es muß mit Mindereinnahmen aus
und landwirtschaftlichen Betrieben tragen einem Steuern von etwa 500 Millionen DM und aus zur
Wunsch dieses Hohen Hauses Rechnung. Auf Grund Haushaltsdeckung geeigneten Krediten von 600 bis
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 45. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. November 1962 1965
Bundesfinanzminister Dr. Starke
800 Millionen DM gerechnet werden. Bisher standen higkeit der deutschen Wirtschaft gegenüber dem
den Mindereinnahmen entsprechende Minderausga- Ausland in Frage zu stellen beginnen.
ben gegenüber. In den letzten beiden Monaten des Trotz nachlassender Expansionskraft bei Teilen
Rechnungsjahres muß aber mit einem schnelleren der Wirtschaft hat die Übernachfrage im allgemei-
Abfluß der Mittel gerechnet werden. Ein Ausgleich nen und insbesondere im Bausektor angehalten.
der Haushaltsrechnung setzte Minderausgaben von Hier lagen die Preise für Bauleistungen an Wohn-
über einer Milliarde D-Mark voraus. Daraus ergibt gebäuden im August 1962 um 6,3 v. H. über dem
sich, daß im gegenwärtigen Zeitpunkt freie Dek- Vorjahresstand und um rund 33 v. H. über dem
kungsmittel für zusätzliche Ausgaben nicht nachge- Jahresdurchschnitt 1958. Auch im Straßenbau war
wiesen werden können. der Preisauftrieb in letzter Zeit kaum minder stark.
Nicht unerwähnt bleiben darf, daß der Bundes- Diese Kostensteigerung im Bauwesen ist — um mit
minister der Verteidigung eine Nachforderung zum den Worten des Herrn Bundeskanzlers in der Re-
Einzelplan 14 über 7- bis 800 Millionen DM geltend gierungserklärung zu sprechen — ein Krankheits-
macht, um die nach dem 13. August 1961 eingeleite- herd, der die gesamte Wirtschaft infiziert.
ten Maßnahmen termingemäß verwirklichen zu kön- Die Bundesregierung ist bemüht, die volkswirt-
nen. schaftlich schädliche Übernachfrage nach Bauleistun-
Angesichts der oben genannten Unsicherheiten gen zu beseitigen. Neben dem Gesetz zur Einschrän-
und der Tatsache, daß die Ausgaben für die Vertei- kung der Bautätigkeit und der vom Bund vorge-
digung unabweisbar sein dürften, steht die Bundes- nommenen Beschränkung seiner Bautätigkeit durch
regierung im Hinblick auf den Initiativantrag auf eine Sperre in Höhe von 20 v. H. der bauwirksamen
eine Überbrückungshilfe an Beamte und Ruhege- Haushaltsmittel hat die Bundesregierung mit ihrer
haltsempfänger des Bundes für 1962 vor einer gro- Erklärung vom 9. Oktober 1962 Maßnahmen zur
ßen Schwierigkeit. Auf der einen Seite ist die Be- Verminderung der Übernachfrage eingeleitet.
rechtigung dieser Forderung nicht zu verkennen.
Auf der anderen Seite belastet dieser Initiativantrag Der angestrebte Erfolg derartiger konjunkturpoli-
den Haushalt 1962 mit 134 Millionen DM ohne Be- tischer Maßnahmen kann jedoch nur dann eintre-
rücksichtigung der Auswirkungen auf die Bundes- ten, wenn sich Länder, Gemeinden und Körper-
bahn mit 107,5 Millionen DM und die Bundespost schaften des öffentlichen Rechts in gleichem Maße
mit 74 Millionen DM. derartigen Maßnahmen unterziehen.
Bei Betrachtung der Gesamtlage darf nämlich nicht (Beifall bei den Regierungsparteien.)
übersehen werden, daß jedes Defizit und jeder Hier steht der Bundesregierung noch eine große
größere Vorgriff, die das Rechnungsjahr 1963 vor Aufgabe bevor.
belasten, den an sich schon schwierigen Haushalts-
ausgleich 1963 und damit auch die Beschlüsse der Alle diese Maßnahmen sollen nur erreichen, daß
Bundesregierung hierzu vom 11. und 12. September bei sinnvollen Kosten und Preisen optimale Leistun-
außerordentlich gefährden. gen im Baubereich erzielt werden. Zur Wohnungs-
versorgung der Bevölkerung sollen auch weiterhin
Die Bundesregierung hofft zuversichtlich,- daß es ausreichend Wohnungen gebaut werden, um nach
unter der Voraussetzung eines Eingangs der Län- mehr als vier Jahrzehnten zwangswirtschaftlicher
derbeiträge von 1050 Millionen DM gelingen wird, Bindungen im Wohnungswesen die Überführung
durch straffe Bewirtschaftungsmaßnahmen den Ab- der Wohnungswirtschaft in die soziale Marktwirt-
schluß 1962 ohne ungünstige Auswirkungen auf den schaft vornehmen zu können.
Bundeshaushalt 1963 zu ermöglichen. Es bleibt mir,
gerade an dieser Stelle, den Länder nochmals den (Beifall bei den Regierungsparteien.)
Dank der Bundesregierung und meinen Dank für Die Bundesregierung übersieht nicht, daß durch
ihre freiwillige Leistung zur Überwindung der einen solchen Anpassungsvorgang Härtefälle ein-
Haushaltsschwierigkeiten des Bundes im Rechnungs- treten und durch die sich dann bildenden Marktmie-
jahr 1962 auszusprechen. ten in Einzelfällen sozial unzumutbare Mietbela-
stungen eintreten können. Zur Milderung solcher
(Beifall bei den Regierungsparteien.)
Härtefälle wird die Einführung von Wohnbeihilfen
Der Entwurf des Bundeshaushalts 1963 ist ein in- (Miet- und Lastenbeihilfen) auf gesetzlicher Grund-
tegrierender Bestandteil des Ihnen am 9. Oktober lage vorbereitet.
dieses Jahres in der Regierungserklärung durch den
Im ersten Halbjahr 1962 hat der reale Anstieg
Herrn Bundeskanzler vorgetragenen Stabilisie-
des Bruttosozialprodukts nach Zuwachsraten in 1960
rungsprogramms.
von 8,8 v. H. und in 1961 von 5,3 v. H. nur noch
Ausgangspunkt des Regierungsprogramms wie 3,5 v. H. betragen. Die Produktivität ist je Erwerbs-
auch des Haushaltsentwurfs war die Feststellung, tätigem nur noch um gut 2 v. H. angestiegen, wäh-
daß sich nach dem ungewöhnlichen Wirtschafts- rend die Bruttolöhne je beschäftigten Arbeitnehmer
wachstum der Aufbaujahre eine Normalisierung mit weit stärker zugenommen haben, und zwar um
sehr viel bescheideneren realen Zuwachsraten des 8,4 v. H.
Sozialprodukts anbahnt. Eine Übernachfrage nach
(Hört! Hört! bei der CDU/CSU.)
Gütern und Dienstleistungen und eine Knappheit
an Arbeitskräften haben außerdem erhebliche Preis- Unter diesen Umständen wird der Konkurrenz
und Lohnsteigerungen heraufbeschworen, die die druck des Auslands immer spürbarer. Die Einfuhr
Bevölkerung beunruhigen und die Konkurrenzfä- ist mit 12,5 v. H. in den ersten neun Monaten des
1966 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 45. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. November 1962
Bundesfinanzminister Dr. Starke
laufenden Jahres gegenüber der Vergleichszeit des junkturpolitischen Sperre in eine Kürzung um
Vorjahres weit stärker als die Ausfuhr mit nur 100 Millionen DM aus finanzpolitischen Gründen im
noch 3,2 v. H. gestiegen. Diese Entwicklung muß in gegenwärtigen Zeitpunkt unvereinbar.
allen ihren Auswirkungen auf unsere Volkswirt- Von den unabweisbaren Mehrausgaben entfallen
schaft erkannt und es muß entsprechend dieser auf: Militärische und zivile Verteidigung 2,0 Mil-
Erkenntnis gehandelt werden. liarden DM — für den Verteidigungshaushalt sind
In Kenntnis und unter Berücksichtigung dieser nunmehr 17 Milliarden DM vorgesehen — auf ge-
Zusammenhänge hat sich die Bundesregierung ent- setzliche Regelungen oder vertragliche Verpflich-
schlossen, sich nicht mit den Maßnahmen auf dem tungen 1,5 Milliarden DM, auf sonstige unabweis-
Bausektor zu begnügen, sondern den gesamten bare Ausgaben 1,9 Milliarden DM.
Haushalt 1963 in den Dienst der Preisstabilisierung Auch der Bundeshaushalt 1963 wird wieder ge-
zu stellen. Die Bundesregierung geht damit mit prägt durch die großen kaum beeinflußbaren Aus-
gutem Beispiel voran. Sie appelliert an das Hohe gabeblöcke für die äußere Sicherheit und für die
Haus, den Haushaltsausschuß im besonderen, ihre innere Sicherheit, für das Verkehrswesen, für ' die
Bemühungen um eine konjunkturgerechte Haus- Ernährung, für die Kriegsfolgengesetzgebung und
haltsgebarung voll zu unterstützen. Die Billigung für die Entwicklungshilfe.
dieser Grundsätze durch das Hohe Haus bei der
Beratung des Bundeshaushalts 1962 bestärkt mich Für Verteidigungsausgaben sind insgesamt rund
in der Annahme, daß diese Bitte auf fruchtbaren 18,4 Milliarden DM veranschlagt, davon 17 Milliar-
Boden fallen wird. den DM für die Bundeswehr, 0,6 Milliarden DM für
Verteidigungslasten im Zusammenhang mit dem
Der Ihnen vorliegende Haushaltsentwurf ist mit
Aufenthalt verbündeter Streitkräfte und 0,8 Milliar-
seinem Ausgabevolumen von 56,8 Milliarden DM
den DM für die zivile Verteidigung. Die Verteidi-
das Ergebnis einschneidender Kürzungen der Anfor-
gungsausgaben steigen damit gegenüber dem Vor-
derungen der Ressorts. Diese Kürzungen erforder-
jahr um rund 2 Milliarden DM = 12,9 v. H. Rechnet
ten viel Verständnis seitens meiner Kabinettskol-
man die Berlinhilfe, die ihrer politischen Bedeutung
legen für die erwähnten Zusammenhänge und für
wegen nach Auffassung der Bundesregierung auch
die Notwendigkeit, noch so berechtigte Einzelwün-
zur Sicherung unserer Freiheit nach außen gehört,
sche hinter der einen großen gemeinsamen Auf-
den Verteidigungsaufwendungen hinzu, betragen
gabe — nämlich den Haushalt in den Dienst der
die Verteidigungsausgaben im weiteren Sinne mehr
Preisstabilisierung zu stellen und Steuererhöhungen
als ein Drittel der Gesamtausgaben des Bundes,
zu vermeiden — zurücktreten zu lassen.
nämlich 35,4 v. H.
(Beifall bei der FDP.)
Die Bundesregierung glaubt, mit der Bereitstel-
Nur dieser Einsicht ist es zuzuschreiben, daß das lung dieser nicht unerheblichen Mittel erneut ihre
sprunghafte Ansteigen der Bundesausgaben ge- Entschlossenheit bekundet zu haben, einen ange-
bremst und daß die Ausgaben einerseits den realen messenen Beitrag zur Stärkung der gemeinsamen
Möglichkeiten des volkswirtschaftlichen Angebots Verteidigungskraft der westlichen Welt im Inter-
angepaßt, andererseits aber auch mit den im Rah- esse der Erhaltung des Friedens zu leisten.
men des öffentlichen Gesamthaushalts ohne Steuer- (Beifall bei den Regierungsparteien.)
erhöhungen erzielbaren Einnahmen in Einklang ge-
bracht werden konnten. Sie ist mit dem Beitrag für das Rechnungsjahr 1963
an die Grenze dessen gegangen, was von der Bun-
Gegenüber dem Volumen des Haushalts 1962 ist desrepublik für die äußere Sicherheit aufgebracht
1963 die Ausgabensteigerung auf 2,8 Milliarden DM werden kann, ohne daß andere für die politische
— also auf rund 5 v. H. - begrenzt. Auch diese und wirtschaftliche Entwicklung der Bundesrepublik
Steigerung ist bedeutend. Bedenken wir aber, daß wesentliche Aufgaben zurückgestellt werden.
sich allein die neuen unabweisbaren Ausgaben für
1963 auf 5,4 Milliarden DM belaufen. Die Begren- Die 17 Milliarden DM für die eigenen Streitkräfte
zung des tatsächlichen Mehrbedarfs auf 2,8 Milliar- setzen sich zusammen aus 7,9 Milliarden DM für die
den DM war daher nur durch Streichung und Strek- laufenden Kosten und 9,1 Milliarden DM für Mate-
kung von Ausgaben in Milliardenhöhe erreichbar. rialbeschaffungen, militärische Bauten und Wohnun-
Das scheint mir unzweifelhaft ein Erfolg zu sein. gen für Angehörige der Bundeswehr.
So sind auch die Mittel für Bauausgaben für das Die Ausgabensteigerung für die eigenen Streit-
Rechnungsjahr 1963 mit Rücksicht auf die konjunk- kräfte beruht zum überwiegenden Teil auf Material-
turellen Überhitzungserscheinungen auf dem Bau- beschaffungen im In- und Ausland. Der ständige
sektor unter Anlegung eines strengen Maßstabes Prozeß einer Anpassung an die technische und
veranschlagt worden. Sämtliche im Entwurf des militärische Entwicklung fordert hier zwangsläufig
Haushaltsplans aufgenommenen Bauvorhaben sind seinen Tribut. Außerdem führt die Personalvermeh-
deshalb vom Bedarf her notwendig. Die von der rung im Zuge des weiter fortschreitenden Aufbaus
Bundesregierung auch für 1963 vorgesehene allge- der Bundeswehr zu einer Steigerung der Personal-
meine 20 v. H.-Sperre (§ 8 des Haushaltsgesetzes) ausgaben. Der Personalbestand wird sich gegenüber
ist ausschließlich unter konjunkturpolitischen Ge- dem Rechnungsjahr 1962 für das militärische Per-
sichtspunkten und nicht aus Deckungsgründen be- sonal von 415 000 um 28 000 auf 443 000 und für
schlossen worden. Mit diesem Ziel der Bundesregie- das zivile Personal von rund 152 000 um 17 700 auf
rung wäre die Umwandlung eines Teiles der kon- rund 170 000 erhöhen.
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 45. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. November 1962 1967
Bundesfinanzminister Dr. Starke
Die auf 400 Millionen DM erhöhten Mittel für opferversorgung sind fast 4 Milliarden DM vorge-
den Wohnungsbau für Soldaten und Zivilbedien- sehen. 700 Millionen DM sind für Zwecke der
stete der Bundeswehr sind durch 180 Millionen DM Kriegsfolgenhilfe veranschlagt. 424 Millionen DM
überplanmäßig bereitgestellter Mittel verstärkt entfallen auf das Kindergeld für Zweitkinder. Der
worden. Bundeszuschuß zum Lastenausgleich beträgt 361
Millionen DM. Der Rest verteilt sich auf kleinere
Für die zivile Verteidigung sind 817 Millionen Positionen.
vorgesehen. Damit werden neben der fortschreiten-
den Aufstellung eines Warn- und Alarm ,d'ienste.s Insgesamt ergibt sich für das Rechnungsjahr 1963
und eines Luftschutzhilfsdienstes insbesondere im Haushalt eine Zunahme der Sozialausgaben im
Maßnahmen igefördert, die der Aufrechterhaltung engeren Sinne um 228 Millionen DM.
des öffentlichen Verkehrs sowie der Funktions- Von dem Mehrbedarf in Höhe von 500 Millionen
fähigkeit der Fernmeldenetze der Deutschen Bun- DM für die Zuschüsse zur Sozialversicherung wer-
despost und der Bundesverkehrsverwaltung dienen. den 375 Millionen DM benötigt für die an die Lohn-
Außerdem sollen weitere Vorräte an Lebens- und entwicklung gebundenen Zuschüsse des Bundes zu
Futtermitteln sowie an Arzneimitteln angelegt wer- den Rentenversicherungen der Arbeiter und der
den. Angestellten. Der Mehrbedarf zur Deckung ides Defi-
Die Bundeshilfe für Berlin, die der Bund zur wirt- zits bei der knappschaftlichen Rentenversicherung
schaftlichen und sozialen Sicherung und zum Wie- beträgt 145 Millionen DM. Er wird im wesentlichen
deraufbau Berlins leistet, hat seit dem 13. August zur Finanzierung der Rentenerhöhungen benötigt.
1961 eine zusätzliche politische Bedeutung erhalten. Auf die mit der Neuordnung der Kriegsopferver-
Im Rahmen des damals beschlossenen 500 Mil- sorgung und des Kindergeldrechts in Zusammenhang
lionen-Programms ist im Bundeshaushalt 1962 die stehenden Fragen komme ich noch zu sprechen.
Finanzhilfe für den Haushalt Berlin allein um 446
Betrachtet man die Ausgaben für die soziale
Millionen DM auf über 1,5 Milliarden DM erhöht
Sicherung im weiteren Sinne, zu denen insbesondere
Worden, um Auswirkungen der Gewaltmaßnahmen
die Leistungen nach Art. 131 des Grundgesetzes
dies 13. August 1961 auf die Berliner Bevölkerung
gehören, so kommt man zu einem Gesamtaufwand
zu mindern und die Aufwärtsentwicklung von Ber-
von etwas über 15 Milliarden DM, das sind 27,3 v. H.
lin weiter zu fördern. Von den damals ergriffenen
der Gesamtausgaben des Bundes.
Maßnahmen haben sich die 'Förderung des Zuzugs
von Arbeitskräften nach Berlin und die Familien- Zusammen mit den Ausgaben für die Verteidigung
gründungsdarlehen besonders bewährt, so daß sie belaufen sich also die Ausgaben für die innere und
fortgeführt werden sollen. Dazu tritt der im Nach- äußere Sicherheit in dem eben umschriebenen Sinne
tragsentwurf vorgesehene weitere Zuschuß von 150 auf rund 33,4 Milliarden DM oder 60,7 v. H. der
Millionen DM. Gesamtausgaben des Bundes.
Im 'Entwurf des Bundeshaushalts 1963 sind für In den genannten Zahlen sind noch nicht die Aus-
Berlin Zuschüsse und Darlehen von insgesamt- 1687 gabebelastungen berücksichtigt, die für gesetzgeber-
Millionen DM vorgesehen. Dieser Beitrag ist auf ische Maßnahmen des Jahres 1963 entstehen. Die
Grund der bisher übersehbaren Entwicklung ge- Bundesregierung hat angekündigt, daß sie dem Bun-
schätzt worden. Wie in jedem Jahr werden auch destag zu gleicher Zeit drei untereinander unlösbar
diesmal Verhandlungen mit dem Senator für Finanzen verbundene Gesetzentwürfe über das Kindergeld,
über den nach § 16 des Dritten Überleitungsgesetzes die Lohnfortzahlung und die Krankenversicherungs-
zu beschließenden Finanzhilfebetrag notwendig. reform, sowie Gesetzentwürfe über die Beseitigung
Deshalb vermag ich auch noch nicht abschließend zu von Härten in der Kriegsopferversorgung, in der
den höher liegenden Anmeldungen Berlins Stellung Flüchtlingsgesetzegbung und bei der Kriegsgefan-
zu nehmen. Ich kann heute dazu nur erklären, daß genenentschädigung vorlegen wird. Durch diese
Berlin — wie bisher — jede notwendige Bundes neuen Sozialgesetze wird der Bundeshalthalt 1963
erhalten wird. zusätzlich mit mehr als 1 Milliarde DM belastet
werden. In den folgenden Rechnungsjahren wird die
(Beifall im ganzen Hause.)
Mehrbelastung — umgerechnet auf ein volles Rech-
Diese Bundeshilfe muß Ausdruck dafür sein, daß die nungsjahr — weit höher liegen.
Bundesrepublik hinter dieser Stadt steht, die ein
Die Bundesregierung stellt durch dieses Paket von
Bollwerk des freien Westens ist. Sozialgesetzen unter Beweis, daß sie sich auch in
(Beifall im ganzen Hause.) schwieriger Finanzlage sowohl ihrer sozialen Ver-
antwortung als auch ihrer Verpflichtungen gegen-
Neben den Ausgaben für die Verteidigung — die
über den Kriegsgeschädigten voll bewußt ist.
äußere Sicherheit — sind es die Ausgaben für die
Sozialleistungen — für die innere Sicherheit —, die (Beifall bei den Regierungsparteien.)
den Bundeshaushalt .am stärksten belasten. 12,6 Mil- Sie sieht insbesondere in den Leistungen an die
Harden DM sind bereits im Haushalt 1963 für Sozial- Opfer des Krieges die Erfüllung einer Ehrenschuld,
leistungen im engeren Sinne vorgesehen. die dem deutschen Volke in seiner Gesamtheit ge-
Die Träger der Sozialversicherung erhalten an genüber diesem besonders hart getroffenen Per-
Bundeszuschüssen 7 Milliarden DM, das sind 0,5 Mil- sonenkreis obliegt.
liarden DM mehr als im Vorjahr. Für die Kriegs- (Beifall bei den Regierungsparteien.)
1968 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 45. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. November 1962
Bundesfinanzminister Dr. Starke
Wenn die Bundesregierung Mittel für diese Ge- Linie Aufgabe der Deutschen Bundesbahn selbst
setzentwürfe im Entwurf des Haushaltsplanes nicht ist, den Ausgleich ihrer Rechnung anzustreben. Ich
veranschlagt hat, so liegt dies daran, daß bei der verkenne nicht, daß einer Verwirklichung dieser
Aufstellung des Haushaltsplanes der Inhalt dieser Forderung große Schwierigkeiten entgegenstehen.
Gesetzentwürfe im einzelnen, der Zeitpunkt der Vor- Obwohl die Deutsche Bundesbahn sich einer ver-
lage, die Dauer der Behandlung im Parlament, der schärften Wettbewerbslage durch den Güterkraft-
Zeitpunkt des Inkrafttretens und damit auch die verkehr auf der einen und die Binnenschiffahrt auf
genauen Kosten noch nicht zu übersehen waren. der anderen Seite gegenübersieht, wird sie ver-
Die für diese Gesetze erforderlichen Mittel werden suchen müssen, ihre Einnahmen durch eine entspre-
in einem Nachtragshaushalt veranschlagt werden. chende Tarifpolitik zu erhöhen. Die Deutsche Bun-
Dabei kann ich allerdings nicht verhehlen, daß die desbahn wird mit Zustimmung der Bundesregierung
Finanzierung zunächst von den Steuereingängen, zum 1. Januar 1964 eine Reihe von Güter- und Per-
insbesondere etwaigen Steuermehreinnahmen, und sonentarifen der veränderten Kostenlage anpassen,
letzten Endes auch von dem Ausgang der Verhand- um Mehreinnahmen von etwa 280 Millionen DM zu
lungen mit den Ländern über eine Veränderung des erzielen.
Anteils an der Einkommensteuer und der Körper- Daneben wird die Deutsche Bundesbahn mit allen
schaftsteuer zugunsten des Bundes abhängt. Mitteln versuchen müssen, ihre Kosten durch Ratio-
Aber das sind nicht die einzigen Sorgen, die die nalasierung ihrer Organisation und durch arbeits-
Bundesregierung angesichts des Sozialhaushalts be- kraftsparende Investitionen zu senken. Hierzu soll
wegen. Mit den jetzt erstmals vorliegenden ver- im Rechnungsjahr 1963 dadurch ein wesentlicher
Beitrag des Bundes geleistet werden, daß der Ka-
sicherungstechnischen Bilanzen der Rentenversiche-
pitaldienst für eine weitere Anleihe über 500 Mil-
rung der Arbeiter und der Angestellten für den 1. Ja-
lionen DM, die die Deutsche Bundesbahn im Ge-
nuar 1959 werden neue Probleme aufgeworfen. Sie
schäftsjahr 1963 begibt, vom Bundeshaushalt über-
haben die Bundesregierung veranlaßt, eine Über-
nommen wird. Dem Eigenkapital der Deutschen
prüfung vorzusehen, welche Maßnahmen erforderlich
Bundesbahn wird dadurch in den Jahren 1962 und
werden, um bei Aufrechterhaltung der vorgesehenen 1963 1 Milliarde DM zugeführt, um damit ein um-
Leistungen in der Rentenversicherung zu verhin- fangreiches Investitionsprogramm zu finanzieren.
dern, daß einerseits die Beitragslast der Arbeit-
nehmer und der Arbeitgeber untragbar wird oder Diese Rationalisierungsmaßnahmen müssen mit
andererseits dem Bundeshaushalt untragbare Mehr- der größten Beschleunigung durchgeführt werden,
belastungen zugemutet werden. Im Zusammenhang da die Zuschußleistungen des Bundeshaushalts nur
damit ergibt sich die Frage einer Abstimmung der vorübergehender Natur sein können und die Deut-
verschiedenen Sozialleistungen aufeinander derart, sche Bundesbahn bei einem fortschreitenden Zu-
daß die Leistungsberechtigten nicht glauben ver- sammenwachsen des Gemeinsamen Marktes auf
suchen zu müssen, sich gegenseitig den Rang abzu- dem Verkehrsgebiet mit einem verschärften Wett-
laufen. bewerb rechnen muß.
Ich komme nunmehr zu den Verkehrsausgaben. Die vorstehenden Grundsätze für die Betriebs-
Für den weiteren Ausbau der Verkehrswege - und wirtschaft der Deutschen Bundesbahn müssen auch
deren Anpassung an das gestiegene Verkehrs- für die Wirtschaftsführung der Deutschen Bundes-
volumen auf der Straße, der Schiene und den Was- post gelten, die sich allerdings in einer ungleich
sterstraßen sowie in der Luft sind im Rechnungsjahr günstigeren Lage befindet, da auf verschiedenen
1963 die gleichen Ansätze wie im laufenden Rech- Gebieten ihre Monopolstellung nicht angetastet
nungsjahr, nämlich 4,288 Milliarden DM vorgesehen. wurde. Die Deutsche Bundespost wird ebenfalls
zum 1. Januar 1964 einen Teil ihrer Tarife der ver-
Mit den Mitteln des Straßenbauplans in Höhe von änderten Kostenlage anpassen, um aus ihrer gegen-
rund 2,4 Milliarden DM wird es möglich sein, die wärtigen defizitären Entwicklung herauszukommen
Straßenbaumaßnahmen des Bundes kontinuierlich und in der Lage zu sein, ihre notwendigen Investi-
und zügig fortzuführen und die Leistungsfähigkeit tionen zu finanzieren.
des Bundesfernstraßennetzes weiter zu steigern. Wegen der Auswirkung auf die Wettbewerbslage
Sollte es gelingen, die Vorbereitung der Baumaß- im Verkehr werden von mir vielleicht noch einige
nahmen — z. B. die Grundstücksbeschaffung und die Ausführungen zu der Beförderungsteuer im Werk-
Planung — zu beschleunigen, wird die Bildung von fernverkehr erwartet. Ihnen ist der Initiativgesetz
Resten vermieden und werden im Rechnungsjahr entwurf zur Änderung des Beförderungsteuergeset-
1963 rund 350 Millionen DM mehr Mittel als 1962 zes bekannt, der darauf hinausläuft, die Beförde-
verbaut werden können. Die zeitlich befristete Be- rungsteuer von gegenwärtig 5 Pf je t/km in zwei
schränkung der Zweckbindung der Mineralölsteuer Stufen auf den Satz von 1 Pf zu senken. Der Ent-
für den Straßenbau, die in § 9 des Entwurfs des wurf wird zur Zeit in meinem Hause unter finanz-
Haushaltsgesetzes 1963 vorgesehen ist, dürfte daher wirtschaftlichen Gesichtspunkten geprüft. Da die
keinerlei Einschränkung des Bundesstraßenbaues Beförderungsteuer für den Werkverkehr seinerzeit
nach sich ziehen. durch das Verkehrsfinanzgesetz 1955 aus verkehrs-
Für die Deutsche Bundesbahn sind wie im Vor- politischen Gründen eingeführt worden ist, muß ich
jahr insgesamt 1 047 Millionen DM vorgesehen. Ich mich außerdem noch mit dem Bundesverkehrsmini-
habe während meiner Amtszeit wiederholt darauf ster in Verbindung setzen.
hingewiesen — und ich möchte es auch heute noch Mit den Ansätzen für den Ausbau, den Betrieb
einmal nachdrücklichst betonen —, daß es in erster und die Unterhaltung der Bundeswasserstraßen von
Deutscher Bund estag — 4. Wahlperiode — 45. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. November 1962 1969
Bundesfinanzminister Dr. Starke
rund 435 Millionen DM wird es möglich sein, den deres Augenmerk gilt dabei den notwendigen Struk-
Ausbau der laufenden großen Wasserbauvorhaben, turveränderungen. Das Haushaltsvolumen dieses
wie z. B. die Moselkanalisierung, den Ausbau des Einzelplans erhöht sich gegenüber dem Vorjahr um
Dortmund-Ems-Kanals, die Rhein-Main-Donau-Groß- rund 156 Millionen DM auf 3942 Millionen DM.
schiffahrtstraße und die Modernisierung des Nord- Der beherrschende Posten dieses Einzelplans ist
Ostsee-Kanals sowie die Anpassung der Seewasser- der für Maßnahmen des Grünen Planes 1963 vorge-
straßen zu den deutschen Häfen an die immer grös- sehene Betrag von 2114 Millionen DM, wozu wie
ser werdenden Schiffstypen, zügig fortzusetzen und im Vorjahre Bindungsermächtigungen über 95 Mil-
die Mittelweserkanalisierung zu Ende zu führen. lionen DM und 175 Millionen DM zentral verbil-
Über die Inangriffnahme weiterer Großbauvor- ligte Kapitalmarktmittel treten. Die Bundesregie-
haben, wie der Jade-Vertiefung, der Bau des Nord- rung hat nach dem Landwirtschaftsgesetz vorsorg-
Süd-Kanals sowie über die Forderung des Saarlan- lich Beträge in den Entwurf des Bundeshaushalts
des nach einer Kanalverbindung, sind von der Bun- für die Maßnahmen einzustellen, die nach dem zum
desregierung noch keine Entscheidungen getroffen. 15. Februar 1963 vorzulegenden Bericht über die
Durch die schon mehrere Jahre anhaltende Frach- Lage der Landwirtschaft jeweils notwendig sein
tenbaisse, die insbesondere durch das weltweite werden. Die Bundesregierung ist dieser Vorschrift
Überangebot an Laderaum hervorgerufen wurde, — wie in den vergangenen Jahren — gefolgt; sie
sind deutsche Reedereien in eine wirtschaftlich hat jedoch in diesem Haushaltsentwurf anstelle
schwierige Lage geraten. Bekanntlich hatte sich die eines Globalbetrages erstmalig eine Aufgliederung
Bundesregierung bereit erklärt, in den Jahren 1962 auf die beabsichtigten Maßnahmen vorgenommen,
und 1963 eine Hilfe für die Seeschiffahrt in Höhe ohne daß damit dem Grünen Bericht 1963 und den
von je 80 Millionen DM in den Bundeshaushalt auf- Entscheidungen des Bundestages hierzu vorgegrif-
zunehmen. Da die Frachtenbaisse noch anhält und fen werden soll. In den Vorbemerkungen zum Kap.
der Modernisierungsbedarf noch nicht gedeckt ist, 10 02 ist daher ein Vorbehalt für eine Umgestaltung
ist die Beibehaltung des Ansatzes von 80 Millionen des Grünen Planes ausgesprochen, die sich aber
DM für das Rechnungsjahr 1963 gerechtfertigt. Da- notwendig im Rahmen des Haushalts halten muß.
mit wird zugleich ein fühlbarer Beitrag zur Beschäf- Für die Maßnahmen des Grünen Planes 1963 sind
tigung der deutschen Werftindustrie geleistet, die 100 Millionen DM mehr als 1962 zur Verfügung
sich durch die Überkapazität im Weltschiffbau und vorgesehen. Hervorzuheben sind insbesondere die
die Subventionspolitik verschiedener Schiffbaulän- Verstärkungen der Ansätze der Flurbereinigung, Auf-
der in einer höchst ungünstigen Lage befindet. Zur stockung und Aussiedlung und zusätzliche Förde-
Stärkung ihrer Wettbewerbsfähigkeit wird eine rungsmaßnahmen in Gebieten, die von Natur be-
Erhöhung der Umsatzsteuerrückvergütung erwogen. nachteiligt sind, um rund 150 Millionen DM auf zu-
Die Erörterungen hierüber sind noch nicht abge- sammen rund 750 Millionen DM. Der Gesamtbetrag
schlossen. für agrarstrukturelle Maßnahmen steigt unter Hin-
Der wachsenden Bedeutung des Luftverkehrs wird zurechnung der Bindungsermächtigungen über 95
durch Erhöhung der Gesamtansätze um 17 Millio- Millionen DM und der 175 Millionen DM zentral-
nen DM auf rund 211 Millionen DM Rechnung ge- verbilligter Kapitalmarktmittel auf über 1 Milliarde
tragen. Damit sollen vor allem die flugsicherungs- DM an!
technischen Einrichtungen auf den neuesten Stand Die Zinsverbilligungsmittel ermöglichen die Be-
der Hochfrequenztechnik gebracht werden. reitstellung eines Kreditvolumens von rund 1300
Für die Deutsche Lufthansa ist wiederum ein Be- Millionen DM zu einem tragbaren Zinssatz.
triebszuschuß zur Verlustdeckung von 45 Millionen Für Zuschüsse zur Erhöhung des Auszahlungs-
DM und ein Investitionsbeitrag von 40 Millionen preises für Qualitätsmilch sind 600 Millionen DM
DM vorgesehen. Auch von der Lufthansa muß er- als Höchstbetrag vorgesehen.
wartet werden, daß sie ihre Investitionsprogramme
noch stärker als bisher nach betriebswirtschaftlichen Die Mittel für die ländliche Siedlung sind 1962
Gesichtspunkten ausrichtet und unwirtschaftliche um 74,7 auf 367,4 Millionen DM erhöht worden.
Kapazitätsausweitungen vermeidet. Das Endziel - Die Bundesregierung hat für 1963 eine weitere
eine ausgeglichene Gewinn- und Verlustrechnung — Steigerung der Mittel um 73,8 auf 441,2 Millionen
darf auch bei diesem Unternehmen ungeachtet aller DM beschlossen und beabsichtigt, damit und mit
internationalen Schwierigkeiten und Beengungen Beiträgen aus dem LA-Fonds und dem Zweckver-
nicht aus den Augen verloren werden. Eine Diskri- mögen bei der Deutschen Siedlungsbank ein Sied-
minierung der Lufthansa durch Staaten, die vom lungsprogramm im finanziellen Rahmen von 700
Bund Entwicklungshilfe erhalten, kann - auch im Millionen DM aufzustellen. Dabei muß allerdings
Haushaltsinteresse — künftig nicht hingenommen Voraussetzung sein, daß sich die Länder angemes-
werden. sen beteiligen.
(Beifall bei den Regierungsparteien.) Für wasserwirtschaftliche Maßnahmen sind wie
—
den Ausbau der großen Forschungsanstalten weiter- über dem Vorjahr fast unveränderter Betrag von
zuführen. 86,2 Millionen DM vorgesehen, zu denen noch Bin-
dungsermächtigungen in Höhe von 14,5 Millionen
Eine ganz erhebliche Steigerung ergibt sich bei DM treten.
den Ansätzen für die Weltraumforschung. Während
für die innerdeutsche Forschung auf diesem Gebiet Auf dem Gebiet der Wiedergutmachung werden
im Rechnungsjahr 1962 nur 10 Millionen DM zur die Leistungen auch im Rechnungsjahr 1963 etwa
Verfügung gestellt werden konnten, beläuft sich der die gleiche Höhe erreichen wie 1962.
Förderungsbetrag für das Rechnungsjahr 1963 auf
50 Millionen DM. Daneben sind die Beiträge bzw. Für die Durchführung des Bundesentschädigungs-
gesetzes, dessen Aufwand zu rund 55 v. H. vom
Vorleistungen an die Europäische Organisation für
Weltraumforschung und die Europäische Organi- Bund und zu rund 45 v. H. von der Gesamtheit der
Länder zu tragen ist, sind im Haushaltsjahr 1963
sation für die Entwicklung und den Bau von Raum-
vom Bund wiederum 1,2 Milliarden DM aufzubrin-
fahrzeugträgern beträchtlich erhöht worden, und
gen. Nach dem derzeitigen Stand werden bis zum
zwar von 25 auf 57 Millionen DM.
31. Dezember 1962 für die Durchführung dieses Ge-
Der Verbesserung der Wettbewerbslage dienen setzes Leistungen in Höhe von rund 13,9 Milliarden
auch die Maßnahmen, die der Bund zur Förderung DM erbracht worden sein. Der Gesamtaufwand für
der Rationalisierung im Kohlebergbau vorgesehen das Bundesentschädigungsgesetz in der jetzt gelten-
hat. Dafür werden voraussichtlich vom Bund 88,5 den Fassung dürfte rund 20 Milliarden DM betra-
Millionen DM beizutragen sein. Der Bund ging bis- gen.
her davon aus, daß die an der Wettbewerbsfähig- Für Zahlungen, die der Erfüllung von Globalab-
keit der Kohle besonders interessierten Länder sich kommen dienen, die die Bundesregierung in den
an der Finanzierung beteiligen — ebenso wie die letzten Jahren mit verschiedenen europäischen
Länder bei den regionalen Hilfsmaßnahmen betei- Ländern zur Entschädigung der sich dort aufhalten-
ligt sind —, zumal die Maßnahmen die Grundlage den Verfolgten der NS-Gewaltherrschaft abge-
für eine weitergehende Selbsthilfeaktion des Kohle- schlossen hat, ist auch 1963 ein Haushaltsansatz
bergbaues schaffen sollen. Nach den letzten Be- von 0,3 Milliarden DM vorgesehen; hieraus sollen
schlüssen der Regierung des Landes Nordrhein auch die Leistungen an die Fonds bestritten werden,
Westfalen scheint diese Auffassung der Bundes- die zugunsten bestimmter Verfolgtengruppen, wie
regierung nicht auf Verständnis gestoßen zu sein. z. B. zugunsten von Nichtglaubensjuden, errichtet
(Abg. Dr. Dr. h. c. Dresbach: Sind aber doch worden sind.
Kartellbrüder! — Heiterkeit.) Als Leistung des Bundes für die Durchführung des
-
Der Hinweis auf die Heizölsteuer, die in allen Län- Bundesrückerstattungsgesetzes ist entsprechend den
dern aufgebracht wird, geht fehl, weil die Beträge Erfahrungen der letzten Jahre ein Betrag von 450
aus der Heizölsteuer für andere Zwecke im Inter- Millionen DM veranschlagt worden. Bis zum Ablauf
esse der Kohle Verwendung finden. Es ist zu hof- des Rechnungsjahres 1962 werden auf die Verpflich-
fen, daß das großzügige Rationalisierungsvorhaben tungen des Bundes nach der derzeitigen Regelung
nicht scheitert. des Bundesrückerstattungsgesetzes einschließlich
der vom Haushaltsausschuß genehmigten Voraus-
Die für das Gesundheitswesen vorgesehenen Mit- zahlungen rund 1,6 Milliarden DM erbracht worden
tel sind 1963 erstmals im Einzelplan des Bundes- sein. Nach den neuesten Schätzungen werden auf
ministeriums für Gesundheitswesen zusammenge- Grund dieser Regelung noch etwa weitere 900 Mil-
faßt. Die Ausgaben wurden um 10,5 Millionen DM lionen DM zu zahlen sein, deren Abfluß mit dem
auf 63,9 Millionen DM erhöht. Fortschreiten der Durchführung des Gesetzes schnel-
ler als in den Vorjahren erfolgen wird. Deshalb ist
Im Einzelplan des Bundesministers für Vertrie-
— wie ich dem Bundesrat entgegenhalten muß —
bene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte sind mit eine Kürzung dieses Ansatzes um 50 Millionen DM
Rücksicht auf die in der Regierungserklärung vom nicht vertretbar.
9. .Oktober 1961 angekündigte soziale Gleichstellung
der Zuwanderer aus der sowjetischen Besatzungs- Die Arbeiten an der in der Regierungserklärung
zone mit den Vertriebenen und auf abschließende vom 29. November 1961 angekündigten Wiedergut-
Maßnahmen in der Kriegsfolgengesetzgebung zu- machungsschlußgesetzgebung sind noch nicht abge-
sätzlich 120 Millionen DM veranschlagt worden. schlossen. Es ist aber zu erwarten, daß die Einbrin-
Durch gewisse Minderausgaben erhöht sich aber gung in wenigen Monaten erfolgen wird. Auch bei
der Einzelplan 26 nur um 56,2 Millionen DM auf dieser Schlußgesetzgebung wird die Bundesregie-
244 Millionen DM. rung sich davon leiten lassen, daß es sich hierbei
um eine Ehrenschuld des Deutschen Volkes handelt.
Dem Vorschlag des Bundesrats, die zusätzlichen
Mittel von 120 Millionen DM wieder zu kürzen, Zehn Jahre nach Abschluß der Haager Wiedergut-
konnte die Bundesregierung nicht folgen. Die Bun- machungsabkommen mit dem Staate Israel und der
desregierung ist jedoch mit einer Sperre dieser Mit- Claims Conference darf ich rückschauend feststellen,
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 45. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. November 1962 1973
Bundesfinanzminister Dr. Starke
daß die Leistungen der Bundesrepublik für die Wie- in diesem Gesetz zu behandelnden Materie werden
dergutmachung alle damaligen Vorstellungen weit die Prüfung des Entwurfs durch die Länder und die
übertroffen haben. In diesen zehn Jahren sind auf sich anschließenden Erörterungen eine gewisse Zeit
dem gesamten Gebiet der Wiedergutmachung etwa erfordern; das Hohe Haus wird sich daher erst im
20 Milliarden DM gezahlt worden; weitere 8 bis Jahr 1963 mit dem Entwurf befassen können.
10 Milliarden DM werden noch zu zahlen sein. Zu diesem Gesetzentwurf möchte ich aber noch
(Hört! Hört! bei der CDU/CSU.) einen besonderen Hinweis geben. Im Zuge von Aus-
einandersetzungen über Probleme der Sozialpolitik
Die Bundesregierung ist sich bewußt, daß das An- haben gewisse Kreise sehr scharf den Gedanken
sehen, das die Bundesrepublik im Ausland wieder einer Entschädigung für die im Reparationsschäden-
erworben hat, zu einem erheblichen Teil auch auf gesetz aufgeführten Schäden abgelehnt. Ich muß an-
der allgemeinen Anerkennung dieser Wiedergut- nehmen, daß sich diese Kritik gegen alle jene Be-
machungsleistungen in der Welt beruht. strebungen richtet, die in unzutreffender Würdigung
der Rechtslage und in Verkennung der gegebenen
Der Lastenausgleich nimmt nach seinem finanziel- Möglichkeiten der Bundesrepublik meinen, die Re-
len Gewicht nach wie vor einen besonderen Platz in parationsschäden müßten zu anderen, wesentlich bes-
der Gesetzgebung zur Liquidation des Krieges und seren Bedingungen abgegolten werden als andere
seiner Folgen ein. Schon der Umfang der bisherigen Kriegsfolgeschäden. Auch die Bundesregierung be-
Leistungen, die mit Ende des Jahres 1962 einen dauert Wünsche, die eine zu weitgehende Entschädi-
Gesamtbetrag von 46 Milliarden DM überschritten gung fordern; sie ist aber auch der Auffassung, daß
haben werden, zeigt seine große finanzielle und ein Verzicht auf jegliche Entschädigungsleistung
politische Bedeutung. nicht erwogen werden sollte. Der gemeinsam von
Das auslaufende Rechnungsjahr 1962 wird mit allen Bundesressorts aufgestellte und in seinen
über 4 Milliarden DM in Einnahmen und Ausgaben Grundzügen vom Kabinett gebilligte Entwurf eines
abschließen. Die Ausgaben für die Hauptentschädi- Reparationsschädengesetzes ist auf den Grundsätzen
gung, die ein Kernstück des Lastenausgleichs bildet, des Lastenausgleichs aufgebaut. Die Gewährung
werden den zunächst vorgesehenen Betrag von einer Entschädigung entspricht — das ist meine
etwas mehr als 1,2 Milliarden DM noch übersteigen. Überzeugung — dem Gebot der Gerechtigkeit; man
Der beschleunigten Abwicklung der Hauptentschä- denke zum Beispiel nur an diejenigen, die im Zuge
digung wird die Bundesregierung im Rahmen der der Maßnahmen gegen das deutsche Auslandsver-
gegebenen Möglichkeiten auch weiterhin ihre be- mögen dort ihre Ersparnisse verloren haben.
sondere Aufmerksamkeit widmen. Es muß immer
stärker darauf geachtet werden, daß die Novellen Durch Vorausleistungen auf Grund von Richt-
zum Lastenausgleichsgesetz nicht zu einer immer linien, die die Bundesregierung mit Zustimmung des
fühlbarer werdenden Anspannung der für die Haushaltsausschusses erlassen und in diesem Jahr
Hauptentschädigung verfügbaren Mittel des Aus- noch verbessert hat, wurde Sorge getragen, daß be-
gleichsfonds führen. Es muß betont werden, daß die sondere Härten vermieden wurden, die sich sonst für
dem Ausgleichsfond zufließenden Mittel gesetzlich alte oder in schwierigen Verhältnissen lebende Ge-
festliegen und Reserven des Ausgleichsfonds schon schädigte auf diesen Gebieten infolge der langwie-
jetzt nicht mehr vorhanden sind. Vom Jahre 1967 rigen Vorarbeiten ergeben hätten.
an muß der Bundeshaushalt ein Defizit des Aus- Gestatten Sie mir im Zusammenhang mit diesen
gleichsfonds tragen. Hinweisen ein allgemeines Wort zu dem Thema
(Hört! Hört! bei der CDU/CSU.) der Kriegsfolgengesetzgebung. Es sind nun bereits
über 17 Jahre seit der Beendigung der Feindselig-
Bei der Einbringung des Haushalts 1962 hatte ich keiten des zweiten Weltkrieges vergangen. Seit
darauf hingewiesen, daß im Zuge des in der Regie- der Währungsreform hat die öffentliche Hand —
rungserklärung angekündigten Abschlusses der Bund, Länder, Gemeinden sowie Lastenausgleichs-
Kriegsfolgengesetzgebung in meinem Ministerium fonds — an Aufwendungen zur Beseitigung von
die in § 3 des Allgemeinen Kriegsfolgengesetzes Folgen des verlorenen Krieges und der NS-Herr-
vorbehaltenen Gesetze bearbeitet werden. Diese schaft rund 270 Milliarden DM aufgebracht. Dieser
Arbeit hat weitere Fortschritte gemacht. Voraus- Betrag stellt nahezu die Hälfte des öffentlichen Fi-
sichtlich können die in meinem Hause fertig- nanzbedarfs der Vergleichszeit dar. Mit der Aufbrin-
gestellten Gesetzentwürfe zur Regelung der Rechts- gung dieser Summe hat das deutsche Volk eine ge-
verhältnisse nicht mehr bestehender öffentlicher waltige Leistung erbracht, wie sie ein besiegtes
Rechtsträger sowie zur Regelung der Verbindlich- Volk wohl kaum jemals nach einem solchen Zu-
keiten nationalsozialistischer Einrichtungen und sammenbruch auf sich genommen hat. Trotzdem
der Rechtsverhältnisse an deren Vermögen den werden immer wieder Stimmen laut, die das, was
gesetzgebenden Körperschaften noch in Kürze zur getan wurde, als unzureichend bezeichnen; diese
Beschlußfassung zugeleitet werden. Auch die Ar- Stimmen werden der Sachlage und den Anstrengun-
beiten an dem Entwurf eines Gesetzes zur Ab- gen der Bundesrepublik und aller Volksschichten un-
-
geltung von Reparations-, Restitutions-, Zerstörungs zweifelhaft nicht gerecht.
und Rückerstattungsschäden, des sogenannten
(Beifall bei den Regierungsparteien.)
„Reparationsschädengesetzes" sind so weit geför-
dert worden, daß dieser Entwurf inzwischen den Sicherlich gibt es Fälle, deren Regelung nicht voll
Ländern zur Beratung zugeleitet werden konnte. befriedigt. Ich halte es jedoch nicht für richtig, wenn
Bei der Vielschichtigkeit und der Schwierigkeit der unter Hinweis auf Einzelfälle eine Novellierung
1974 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 45. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. November 1962
Bundesfinanzminister Dr. Starke
aller Kriegsfolgengesetze gefordert wird. Alles Leid, Bund nahezu 90 v. H. aller Beamten angehören, be-
jedes Unglück und jeden finanziellen Schaden voll- sonders aus. Die Angehörigen dieser Gruppen be-
auf durch besondere Gesetze zu entschädigen oder finden sich gegenüber anderen Bevölkerungsgrup-
auch nur so zu regeln, daß alle Betroffenen zufrie- pen in einer sozial ungünstigen Lage. Die Bundes-
den sind, ist — darin glaube ich mit dem Hohen regierung ist bestrebt, diese Nachteile im Rahmen
Hause einig zu sein — völlig unmöglich. Die Scha- der finanziellen Möglichkeiten auszugleichen. Ihr
denstatbestände, für die Entschädigungen gewährt besonderes Augenmerk gilt hierbei aus fürsorge-
werden können, mußten nach gewissen Merkmalen rischen Gründen den unteren Beamtengruppen. Sie
persönlicher, zeitlicher, territorialer und sachlicher ist sich aber im klaren, daß der für die Besoldung im
Art abgegrenzt, die Höhe der Entschädigung und die Vordergrund stehende Leistungsgrundsatz erfordert,
zeitliche Reihenfolge ihrer Gewährung mußte den daß auch die übrigen Beamten den Platz im Besol-
Realitäten angepaßt werden. Es geht daher nicht an, dungsgefüge erhalten, der den erhöhten Anforde-
auf Grund von Einzelfällen eine Änderung der ge- rungen angemessen ist, die an sie gestellt werden.
samten Kriegsfolgengesetze zu verlangen. Auch hier Ein Staat kann ohne ein gut funktionierendes Be-
ist es an der Zeit, daß an die Stelle unerfüllbarer amtentum nicht handlungsfähig sein. Das gute Funk-
Forderungen das Gebot der Vernunft und der Be- tionieren setzt eine in ihrer wirtschaftlichen Lage
sinnung tritt und von allen die Grenze unserer Lei- gesicherte Beamtenschaft voraus. Es ist deshalb un-
stungsfähigkeit gesehen wird. sere Verpflichtung, das Beamtentum in seiner Ein-
(Beifall bei den Regierungsparteien.) kommensentwicklung wieder an die Stelle im Volks-
ganzen zu rücken, die ihm nach unserer aller Auf-
Es ist auch nicht möglich, meine sehr geehrten fassung gebührt.
Damen und Herren, die Frage der Änderung der
(Beifall bei den Regierungsparteien.)
Stichtage in zahlreichen Kriegsfolgengesetzen je-
weils nur unter den Gesichtspunkten einzelner Be- Erforderlich ist dabei eine wohlüberlegte Planung,
reiche wie z. B. des Lastenausgleichsgesetzes oder die sich über eine Reihe von Jahren erstrecken
des Gesetzes zur Regelung von Ansprüchen aus muß; der Bundesminister der Finanzen wird dabei
Lebens- und Rentenversicherungen zu betrachten. das Menschenmögliche tun. Gerade die letzten
Vielmehr bedarf es wegen des engen sachlichen und Jahre haben aber auch gezeigt, daß für die Ein-
politischen Zusammenhangs zwischen allen Ge- kommenssituation der Staatsdiener ein stabilisier-
setzen, die eine entsprechende Stichtagsregelung tes Preisniveau wichtigste Voraussetzung ist. Des-
enthalten, und wegen der schwerwiegenden finan- halb liegen die Bemühungen der Bundesregierung
ziellen Auswirkungen einer umfassenden Prüfung. in dieser Richtung im Interesse aller Festbesoldeten,
vor allem aber der Staatsdiener.
(Zustimmung bei den Regierungsparteien.)
(Beifall bei den Regierungsparteien.)
Die Bundesregierung hat deshalb eine eingehende
Untersuchung des Gesamtproblems für notwendig Die Bundesregierung hat darum im Jahre 1963
erachtet und die beteiligten Ressorts zu einer Be- dem Hohen Hause Gesetzentwürfe vorgelegt, durch
standsaufnahme und zu einer Prüfung der Aus- die ab Januar 1963 die Grundgehälter aller Beam-
wirkungen veranlaßt, deren Ergebnis zu Anfang des ten, Richter und Soldaten sowie der Versorgungs-
nächsten Jahres vorliegen soll. empfänger einschließlich der 131er linear um 6 v. H.
(Beifall bei den Regierungsparteien.) erhöht und zusätzlich den untersten Besoldungs-
gruppen zunächst monatlich Zuschläge von 12 bis
Die Bundesregierung widmet der wirtschaftlichen
25 DM gewährt werden, ab 1. April 1963 im Inter-
Lage der Angehörigen des öffentlichen Dienstes,
esse einer familiengerechten Lösung die Ortszu-
insbesondere der Beamten, Richter, Soldaten und
schläge unter anteiliger Einbeziehung des Kinder-
Versorgungsempfänger, besondere Aufmerksamkeit.
zuschlags ebenfalls um 6 v. H. erhöht werden und
Dieser Zweig des öffentlichen Dienstes ist seit der
die unerfreulichen, zum Teil sehr erheblichen Unter-
letzten großen Angleichung durch die Besoldungs-
schiede zwischen den Beamtenbezügen des Bundes
reform im Jahre 1957 gegenüber der Entwicklung in
und denjenigen der Länder und Gemeinden weit-
weiten Bereichen der Wirtschaft in seinem Einkom-
gehend ausgeglichen werden. Die Bundesregierung
men zurückgeblieben. Das trifft ganz besonders zu
steht nach den bisherigen Erfahrungen auf dem
für die rund 780 000 Beamten, Richter und Soldaten
Standpunkt, daß ohne die notwendige Änderung
des Bundes und für die vom Bund zu versorgenden
des Grundgesetzes eine einheitliche, gerechte und
rund 830 000 Versorgungsempfänger einschließlich
den Besonderheiten des Berufsbeamtentums entspre-
des Personenkreises nach dem Gesetz zu Artikel 131
chende Besoldungspolitik nicht möglich ist.
des Grundgesetzes. Das hat zur Folge, daß in größe-
rem Umfang Abwanderungen von Bundesbeamten Diese Vorschläge der Bundesregierung erfordern
zu Ländern und Gemeinden erfolgt sind. Diese Ab- 1963 für Beamte, Richter, Soldaten und Versor-
wanderungstendenz wird noch dadurch verstärkt, gungsempfänger einschließlich der 131er für den
daß infolge vielfach besserer Stellenschlüssel die Bundeshaushalt ohne Bahn und Post einen Aufwand
Länder und Gemeinden günstigere Beförderungs- von insgesamt 428 Millionen DM, die wegen der
möglichkeiten zu bieten haben als der Bund; dies tariflichen Automatik der Änderung des Ortszu-
wirkt sich vor allem auch dahin aus, daß der Bund schlages zugunsten der Angestellten weitere Mehr-
nicht unerhebliche Nachwuchssorgen hat. aufwendungen von rund 10 Millionen DM nach sich
Dieses Zurückbleiben der Bezüge der Bundes- ziehen. Diese Mittel sind in dem Haushaltsentwurf
beamten gilt für alle Besoldungsgruppen, wirkt sich eingeplant. Die Vorschläge für die Beamten und
aber im einfachen und mittleren Dienst, dem im Versorgungsempfänger ergeben darüber hinaus
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 45. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. November 1962 1975
Bundesfinanzminister Dr. Starke
e i ne Belastung der Bundesbahn von rund 343 Mil- müßte sie der Bund zur Finanzierung des sogenann-
lionen DM, der Bundespost von rund 256 Millionen- ten Sozialpaketes verwenden, dessen Kosten für
DM, zusammen also rund einer Milliarde DM. Die 1963 über 1 Milliarde DM betragen werden.
letztgenannten Beträge sind von diesen Verwal-
Im Zusammenhang mit der Höhe der Steuerschät-
tungen, der Bahn und der Post, selbst aufzubringen.
zungen hat der Bundesrat vorgeschlagen, den Bun-
Die Bundesregierung konnte daher der vom Bun-
desanteil an der Einkommen- und Körperschaft-
desrat vorgeschlagenen Kürzung des Ansatzes für
steuer um 167 Millionen DM und die Umsatz-, Ta-
die Verstärkung der Personalausgaben für Beamte,
bak-, Kaffee- und Mineralölsteuer um insgesamt
Richter sowie Versorgungsempfänger von 250 Mil-
300 Millionen DM höher zu veranschlagen. Der Bun-
lionen um 100 Millionen DM auf keinen Fall zu- desrat hat ausdrücklich erklärt, daß er mit diesen
stimmen. höheren Steuerschätzungen die von ihm bejahte
(Beifall bei der CDU/CSU.) wirtschafts-, finanz- und haushaltspolitische Konzep-
Der Ansatz für die Verstärkungsmittel liegt schon tion der Bundesregierung unangetastet lassen
unter dem tatsächlichen Mehrbedarf, der sich aus möchte. Er hält die erhöhten Steueransätze auch
den vorliegenden Gesetzentwürfen ergibt. bei einem stabilen Lohn- und Preisniveau, d. h. bei
In meiner Etatrede zum Haushalt 1962 hatte ich einem Sozialproduktswachstum um 5 v. H. noch für
schon darauf hingewiesen, daß uns der Bundes- realisierbar. Diese Auffassung ist jedoch nicht zu-
treffend.
haushalt 1963 in den Einnahmen wie in den Aus-
gaben vor noch viel größere Schwierigkeiten stel- Die erhöhte Veranschlagung , des Bundesanteils an
len würde als der Haushalt 1962. Die Entwicklung der Einkommen- und Körperschaftsteuer wird vom
hat die Richtigkeit meiner Aussage bestätigt. Die Bundesrat damit begründet, daß Bund und Länder
Deckung des Haushalts 1963 ist aus den dem Bund für das Rechnungsjahr 1963 'bei den gemeinschaft-
zur Verfügung stehenden Finanzquellen nicht mög- lichen Steuern vom Einkommen wegen ihrer Risiko-
lich. Dem Deckungsbedarf von rund 56,8 Milliarden gemeinschaft von einem gemeinsamen Steuersoll
DM stehen nur insgesamt rund 54,7 Milliarden DM ausgehen müßten. Die Bundesregierung hält es
gegenüber, und zwar Steuereinnahmen einschließ- ebenfalls für wünschenswert, daß Bund und Län-
lich der Heizölsteuer 48,1 Milliarden DM, das sind der zu einem gemeinsamen Ansatz für die Einkom-
2,7 Milliarden DM mehr als 1962, sonstige Einnah- men- und Körperschaftsteuer kommen. Der vom
men, einschließlich Postablieferung und der Einnah- Bundesrat geforderte Ansatz von rund 37,7 Mil
men aus der Abschöpfung bei Einfuhr von Agrar- liarden DM für die Steuern vom Einkommen ist je-
produkten 3 Milliarden DM, Lastenausgleichsabga- doch nicht das ,aufaddierte Soll der elf Länderhaus-
ben (durchlaufend) 1,7 Milliarden DM, außerordent- halte, da wegen der Landtagswahlen drei Landes-
liche Einnahmen aus Kreditaufnahmen 1,8 Milliar- haushaltsentwürfe noch nicht vorliegen und wegen
den DM. Danach verbleibt eine Deckungslücke von der in den letzten Monaten rückläufigen Entwick-
rund 2 Milliarden DM, die durch Erhöhung des Bun- lung der Steuereinnahmen einige Länder Verlauf
desanteils an der Einkommen- und Körperschaft- der Haushaltsberatungen wahrscheinlich ihre ur-
steuer geschlossen werden soll. sprünglichen Ansätze noch herabsetzen werden.
Die Schätzung der Steuermehreinnahmen für 1963 Eingemeinsamer Schätzungsbetrag für die
in Höhe von 2,7 Milliarden DM baut auf dem zu er- Steuern vom Einkommen setzt ferner voraus, daß
wartenden realen Anstieg des Bruttosozialprodukts Bund und Länder hinsichtlich der wesentlichen Be-
um 3,5 v. H. auf. Da die im laufenden Jahr, 1962 also, stimmungsgründe für Idas Aufkommen der vier
eingetretenen Preiserhöhungen sich im Jahre 1963 Steuern vom Einkommen von denselben Annahmen
auf ein volles Jahr erstrecken, ergibt sich eine no- ausgehen. Dies trifft aber besonders für die Schät-
minale Wachstumsrate des Bruttosozialprodukts zung der Lohnsteuereinnahmen für das Jahr 1963
von etwa 5 v. H. Davon ist die Bundesregierung bei nicht zu. Die Ansätze für die Lohnsteuer sind in
ihrer Steuerschätzung ausgegangen. Ein Anwachsen einigen Länderhaushalten so hoch, daß sie sich nur
des Bruttosozialprodukts um nominal 7 v. H. würde bei Zunahmen der Lohn- und Gehaltssumane von
in der gegenwärtigen volkswirtschaftlichen Situa- über 7 v. H. realisieren könnten. Außerdem hat der
tion eine durchschnittliche Lohnerhöhung von an- Bundesrat bei der veranlagten Einkommensteuer
nähernd gleichem Ausmaß voraussetzen. Eine sol- und .der Körperschaftsteuer ein Aufkommen ange-
che Entwicklung mit ihren Auswirkungen auf das setzt, das sich nur durch Gewinneinnahmen erklären
Preisniveau ist nicht wünschenswert; sie würde läßt, die von der nachlassenden Gewinnentwicklung
die Entwertungstendenzen verstärken und infolge nicht .gerechtfertigt werden. Wir haben bei unseren
der Kostensteigerungen die Wettbewerbsfähigkeit Berechnungen keineswegs die Bedeutung der Ge-
der deutschen Wirtschaft noch stärker in Frage stel- winne ,aus 1961 übersehen. Wir haben sie lediglich
len. realistisch geschätzt.
Die Bundesregierung ist bestrebt, dieser Entwick- Auch die vom Bundesrat vorgeschlagenen höheren
lung im Rahmen ihres Stabilisierungsprogramms Steuerschätzungen für die Umsatz-, Tabak-, Kaffee-
entgegenzuwirken. Sie kann deshalb auch nicht und Mineralölsteuer sind nicht gerechtfertigt, wenn
weitere Lohn- und Preissteigerungen zur Grundlage man bei den Steuerschätzungen keine inflationisti-
der Steuerschätzung und damit ihrer Haushaltspoli- sche Entwicklung unterstellt, sondern von einem
tik machen. Haushaltspolitik und allgemeine Regie- stabilisierten Lohn- und Preisniveau im Jahre 1963
rungspolitik müssen hier übereinstimmen. Sollten ausgeht. Sie lassen sich auch nicht mit der Auf-
sich beim Bund Steuermehreinnahmen ergeben, so kommensentwicklung im laufenden Haushaltsjahr
1976 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 45. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. November 1962
Bundesfinanzminister Dr. Starke
begründen. Nach den Aufkommensergebnissen der rückbleiben und selbst den um 291 Millionen DM
letzten Jahre nehmen die Einnahmen aus den Ver- niedrigeren ursprünglichen Ansatz des Bundes-
brauchsteuern im allgemeinen langsamer zu als die finanzministeriums im Entwurf des Bundeshaushalts
für die Konsumausgaben maßgebenden Massenein- 1962 nicht voll erreichen. Auch die Steuerschätzun-
kommen. Die Bundesregierung ist für 1963 von der gen des Bundes -für das Jahr 1961 wichen von der
schon optimistischen Annahme ausgegangen, daß tatsächlichen Aufkommensentwicklung um weniger
bei einer Zunahme der Masseneinkommen um etwa als 1 v. H. ab. Demgegenüber haben die Länderan-
5 v. H. das Tabaksteueraufkommen um 4,6 v. H. sätze für -die Einkommensteuer für 1961 um fast
und das Kaffeesteueraufkommen um 3,8 v. H. steigt. 3 Milliarden DM unter Idem tatsächlichen Aufkom-
Der Erhöhungsvorschlag des Bundesrates bedeutet men gelegen. 1962 werden die Schätzungen der Län-
eine Zunahme der Einnahmen aus der Tabaksteuer der um mindestens 1 Milliarde DM zu . hoch sein.
um 7,5 v. H. und aus der Kaffeesteuer um 7,7 v. H.
Da der Bundesrat die der Steuerschätzung der Bun- Diese großen Schätzungsunterschiede veranlassen
desregierung zugrunde gelegten Annahmen hin- mich au dem Vorschlag, künftig die Steuerschätzun-
sichtlich der Lohnentwicklung im Jahre 1963 für gen des Bundes nicht nur mit den Wirtschaftsfor-
richtig hält, geht sein Vorschlag weit über die nach schungsinstituten, sondern auch mit Vertretern der
langjährigen Erfahrungen bei den Konsumausgaben Länderfinanzministerien durchzuführen,
zu erwartenden Verbrauchssteigerungen hinaus. Die (Sehr gut! in der Mitte)
vom Bundesrat vorgeschlagenen höheren Steuer-
ansätze könnten nur dann erreicht werden, wenn dafür dann aber auch davon abzugehen, den Bund
auf zurückliegende Schätzungen, die nicht mehr dem
die Lohn- und Preissteigerungen sich in dem bishe-
neuesten Stand der Erkenntnisse entsprechen, fest-
rigen Maße auch im Jahre 1963 fortsetzen. Wenn
legen zu wollen.
sich aber die Lohn- und Preisentwicklung im kom-
menden Jahr, wie es die Bundesregierung anstrebt, (Beifall bei den Regierungsparteien.)
im Rahmen eines realen Anstiegs des Bruttosozial-
produkts um 3,5 v. H. hält, liegen die Einnahmen- Der Entwurf des Bundeshaushaltsplans für 1963
ansätze für 1963 bei der Steuerschätzung der Bun- sieht im außerordentlichen Haushalt einen Anleihe-
desregierung bereits an der Obergrenze des Schät- bedarf von knapp 1,8 Milliarden DM vor. Das ist
zungsspielraums. der gleiche Betrag wie im Haushaltsjahr 1962.
Zu den Steuerschätzungen möchte ich noch ab- Bisher sind im Jahre 1962 langfristige und mittel-
schließend zwei Bemerkungen machen: Der Bundes- fristige Kredite in Höhe von insgesamt 925 Millio-
rat stützt seine Erhöhungsvorschläge auch auf die nen DM aufgenommen worden. Der Bund hat in den
!Ergebnisse einer im Juni 1962 gemeinsam mit dem vergangenen Jahren den Kapitalmarkt auf Grund
Bundesministerium für Wirtschaft, der Bundesbank der günstigen Entwicklung der Steuereinnahmen
und den Wirtschaftsforschungsinstituten durchge- nur wenig in Anspruch genommen. Dadurch konnte
führten ersten Steuerschätzung für 1963. Die dama- auf dem Kapitalmarkt der dringende Bedarf der
ligen Steueransätze beruhten auf der Annahme, daß Wirtschaft, der Gemeinden und vor allem des Woh-
das Bruttosozialprodukt real um 3,5 v. H. steigen nungsbaues mit Vorrang gedeckt werden.
wird. Damals wurden im gleichen Umfang Preisstei- 1963 wird der Bund seinen außerordentlichen
gerungen erwartet. Das ergab eine nominale Haushalt in vollem Umfang am Kapitalmarkt finan-
Erhöhung des Bruttosozialprodukts um 7 v. H. Im zieren müssen, damit Steuererhöhungen vermieden
Spätsommer entschloß sich die Bundesregierung zu werden. Dabei wird der Bund auch in Zukunft im
wirtschafts- und finanzpolitischen Maßnahmen, die Einvernehmen mit der Bundesbank weitgehend
der Erhaltung der wirtschaftlichen und finanziellen Rücksicht auf die allgemeine Lage des Kapital-
Stabilität in der Bundesrepublik dienen sollen. Die marktes nehmen.
Bundesregierung beschloß, auch den Bundeshaushalt
1963 in den Dienst dieses Stabilisierungsprogramms 1962 sind für rund 10 Milliarden DM Wertpapiere
zu stellen. Daher ist die zweite Steuerschätzung für in der Bundesrepublik Deutschland neu aufgelegt
1963 unter der Annahme eines nominalen Wachs- und -abgesetzt worden. Der Bund hat davon noch
tums des Bruttosozialprodukts von 5 v. H. vorge- nicht einmal 10 v. H. für sich in Anspruch genommen.
nommen worden. Von der seit Jahren im Einver- Ich werde in Zusammenarbeit mit der Bundes-
nehmen mit den Wirtschaftsforschungsinstituten ge- bank prüfen, welche weiteren Möglichkeiten für die
übten Schätzungsmethode wurde dabei nicht abge- Entwicklung eines mittel- und Langfristigen Anleihe-
wichen. Im übrigen wird in den neuesten Schätzun- marktes für den Bund bestehen, und werde mich
gen von Instituten eine n o m i n a I e Steigerung des hierzu auch -des sachverständigen Rates von Fach-
Bruttosozialprodukts um 5,5 v. H. für 1963 ange- leuten aus der Bankwelt bedienen.
nommen.
Dadurch, daß der Bund seinen Finanzbedarf in
Schließlich sei noch erwähnt, daß sich die seiner- einem angemessenen Umfang über 'Anleihen und
zeit als pessimistisch bezeichneten Steuereinnahme- nicht über Steuern deckt, schafft er Eigentum in
schätzungen des Bundes für 1962 als noch zu opti- Form von Wertpapieren in 'der Hand seiner Staats-
mistisch, aber jedenfalls als sehr viel realistischer bürger. Eine solche Art der Finanzierung entspricht
erwiesen haben, als es seinerzeit bei den Verhand- den gesellschaftspolitischen Zielen der Bundesregie-
lungen 'im Bundesrat angenommen wurde. Die
rung.
Steuereinnahmen werden voraussichtlich um etwa
500 Millionen DM hinter dem Haushaltsansatz zu- (Beifall bei den Regierungsparteien.)
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 45. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. November 1962 1977
Bundesfinanzminister Dr. Starke
Die seit 1962 eingetretene Verminderung der jähr- Die Besprechungen sollen im Rahmen einer kleinen
lichen Steuermehreinnahmen des Bundes und die Kommission fortgeführt werden; dabei wird der
gleichzeitige starke Erhöhung der Ausgaben des Bund auch auf seine hohen zukünftigen Belastun-
Bundes haben dazu geführt, daß die dem Bund nach gen hinweisen müssen, die bereits auch von dem
Art. 106 Abs. 1 und 3 des Grundgesetzes zuge- Sprecher der Finanzminister der Länder, dem bayeri-
wiesenen Steuereinnahmen nicht mehr ausreichen, schen Finanzminister Dr. Eberhard, gewürdigt wor-
um bei Ausnutzung der Möglichkeiten des Kapital- den sind. Nicht unerörtert bleiben können ferner
marktes alle notwendigen Bundesausgaben zu dek- die Modalitäten der in Aussicht genommenen Re-
ken. Der Fehlbetrag im Bundeshaushalt ist nicht vor- gelung für die abschließende Verteilung der Kriegs-
übergehender Art; er wird sich vielmehr in den kom- folgelasten zwischen Bund und Ländern.
menden Jahren eher noch erhöhen. Mit der Anrufung des Art. 106 Abs. 4 des Grund-
Die Bundesregierung stand daher, nachdem sie gesetzes und mit den vorgenannten Besprechungen
alle Kürzungsmöglichkeiten und Einsparungen ge- sucht der Bund eine pragmatische Lösung für die im
prüft hatte, vor der Frage, ob sie den Ausgleich des Augenblick vordringlichsten Finanzprobleme. Ich
Bundeshaushalts 1963 durch Steuererhöhungen, d. h. bekenne offen, daß mir dies in der gegenwärtigen
durch zusätzliche Belastung der Allgemeinheit, oder Situation realistischer erscheint als der Versuch,
durch einen Rückgriff auf die Steuereinnahmen der ein Modell einer idealen Finanzverfassung in die
Länder anstreben sollte. Die Bundesregierung hat Wirklichkeit umzusetzen.
sich gegen Steuererhöhungen entschieden. Ungeachtet dessen bleibt die große Aufgabe der
(Beifall bei den Regierungsparteien.) Prüfung einer Finanzverfassungsreform unverändert
bestehen, und ich hoffe, daß diese Arbeit in Kürze
Für diese Entscheidung sprach die Erwägung, daß in vertrauensvollem Zusammenwirken von Bund,
Steuererhöhungen nur dann gerechtfertigt sind, Ländern, Gemeinden und allen Parteien aufgenom-
wenn die Steuereinnahmen der öffentlichen Hand men werden kann.
insgesamt nicht mehr zur Finanzierung aller notwen-
digen öffentlichen Aufgaben ausreichen. Dieser (Beifall bei der CDU/CSU.)
Grundsatz kommt auch in der Vorschrift des Grund- Ich habe mich um diese vertrauensvolle Zusammen-
gesetzes über die Festsetzung des Beteiligungsver- arbeit in den vergangenen Monaten außerordentlich
hältnisses an der Einkommen- und Körperschaft- bemüht. Eine der ersten Aufgaben der einzuberufe-
steuer zum Ausdruck, nach der die Deckungsbedürf- nen Finanzkommission wird es sein, den Zusammen-
nisse des Bundes und der Länder so aufeinander ab- hang zwischen der Finanzreform und der Einheits-
zustimmen sind, daß eine Überlastung der Steuer- bewertung zu untersuchen.
pflichtigen vermieden wird.
Die künftige Steuerpolitik wird durch die ange-
Hinzu kommt, daß bei der gegenwärtigen wirt-
spannte Haushaltslage des Bundes maßgebend be-
schaftlichen Lage eine Steuererhöhung und damit
einflußt werden. Die großen zwangsläufigen Auf-
eine weitere Erhöhung des Anteils der öffentlichen
gaben des Bundes und das langsamere Wachsen des
Hand am Sozialprodukt vermieden werden muß.
Sozialprodukts bringen es mit sich, daß im gegen-
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU.) wärtigen Zeitpunkt mit allgemeinen steuerlichen Er-
leichterungen nicht gerechnet werden kann. Es wird
Das gilt insbesondere für die Einführung der Er-
besonderer Anstrengungen bedürfen, um den Steu-
gänzungsabgabe zur Einkommen- und Körperschaft-
erzahlern nicht noch zusätzliche Lasten aufzubürden.
steuer, die kürzlich aus Kreisen der Opposition als
Trotzdem wird das Jahr 1963 ein Jahr sein, in dem
geeigneter Weg für die Deckung des Fehlbetrags
Steuerfragen mehr in den Vordergrund treten wer-
im Bundeshaushalt empfohlen worden ist.
den. Heute möchte ich nur einige Fragen anspre-
(Hört! Hört! bei der CDU/CSU.) chen, die auch ein besonderes haushaltsmäßiges Ge-
wicht haben.
Für eine Änderung der Steuerverteilung sieht
Art. 106 Abs. 4 des Grundgesetzes den Weg vor, daß Die Bundesregierung hat in ihrer Regierungser-
durch ein Gesetz mit Zustimmung des Bundesrates klärung die Notwendigkeit einer wettbewerbsneu-
das Beteiligungsverhältnis an der Einkommen- und tralen Umsatzsteuer ohne steuerlichen Anreiz zur
Körperschaftsteuer geändert wird. Dieser Weg soll Konzentration in. der Wirtschaft hervorgehoben. Die
1963 beschritten werden. Zur Deckung des Fehl- Bundesregierung wird die Gelegenheit der Beant-
betrags von rund 2 Milliarden DM müßte der Bun- wortung der Großen Anfragen der Fraktionen der
desanteil von 35 v. H. auf 40,5 v. H. erhöht werden. Sozialdemokratischen Partei und der Freien Demo-
Wegen der großen Bedeutung, die der Änderung kratischen Partei zur Umsatzsteuer-Systemreform
des bundesstaatlichen Finanzausgleichs zukommt, demnächst benutzen, auf diese Probleme im einzel-
hat der Herr Bundeskanzler mit Mitgliedern der nen einzugehen.
Bundesregierung die geplante Erhöhung des Bundes- Im zwischenstaatlichen Warenverkehr haben sich
anteils an der Einkommen- und Körperschaftsteuer für einige Bereiche der deutschen Wirtschaft Wett-
in Übereinstimmung mit den Wünschen der Länder bewerbsnachteile ergeben, weil die Bundesrepublik
vor der Einbringung des Gesetzentwurfs in einer die Belastung der Einfuhrwaren mit Ausgleichsteuer
guten Atmosphäre mit den Ministerpräsidenten der und die Entlastung der Ausfuhrwaren durch Rück-
Länder erörtert. vergütungen nicht in allen Fällen in Höhe der tat-
(Zustimmung bei der CDU/CSU.) sächlichen umsatzsteuerlichen Belastungen des Bin-
1978 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 45. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. November 1962
Bundesfinanzminister Dr. Starke
nenmarktes vornimmt. Die Bundesregierung wird nur ein Steuermehraufkommen von etwa 30 Mil-
prüfen, wie diese Wettbewerbsstörungen zu besei- lionen DM für Bund und Länder. Auch darf nicht
tigen sind. übersehen werden, daß zur Einkommensteuerbela-
Die Bundesregierung hat in den letzten Jahren stung weitere Belastungen mit Kirchensteuer, Ver-
immer wieder mit großer Sorge beobachtet, welche mögensteuer, Lastenausgleich und bei den Ge-
Schwierigkeiten und unerwünschten Folgen sich aus werbetreibenden mit der Gewerbesteuer treten.
dem Festhalten an den veralteten steuerlichen Ein- Außerdem ist zu berücksichtigen, daß eine Erhö-
heitswerten ergeben. Diese Einheitswerte beruhen hung der Einkommensteuersätze zwangsläufig
noch auf dem niedrigeren Wertniveau des Jahres infolge des Zusammenhangs mit der Körperschafts-
1935 und haben besondere Bedeutung vor allem für besteuerung auch zu einer Erhöhung der Körper-
schaftsteuersätze führen müßte. Eine Erhöhung der
die Grundsteuer und die Vermögensteuer. Große
Steuersätze würde nach Auffassung der Bundes-
und bedeutsame Wirtschaftsgruppen sind besonders
regierung ihren Bestrebungen auf eine Preisstabili-
eng mit den Einheitswerten verbunden. Ich denke
tät entgegenlaufen.
hier insbesondere an die Landwirtschaft sowie an
den Haus- und Grundbesitz. Bei der Landwirtschaft Die Förderung des Sparens wird auch weiter ein
ergeben sich Schwierigkeiten im Hinblick auf das wesentliches Ziel der Bundesregierung sein. Die
Hineinwachsen in den Gemeinsamen Markt der prämienrechtliche Förderung einschließlich des
Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, beim Alt- Wohnbausparens ist bereits Gegenstand der Erör-
hausbesitz infolge der Überführung der Wohnungs- terungen in den Ausschüssen dieses Hohen Hauses.
wirtschaft in die Marktwirtschaft. Die bisherigen Förderungsmaßnahmen belasten al-
lerdings den Haushalt von Bund und Ländern er-
Die Bundesregierung wird deshalb vor der Vor- heblich. So erfordern die Begünstigung der Bau-
lage des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des sparverträge nach § 10 EStG und die Wohnungs-
Bewertungsgesetzes mit den beteiligten Kreisen bauprämien zur Zeit einen Betrag von 1,1 Milliarden
Verhandlungen aufnehmen. Es ist beabsichtigt, in DM jährlich. Aus dem gegenwärtigen Spar-Prämien-
dem Gesetzentwurf nur die Rechtsgrundlagen für gesetz erwächst dem Bundeshaushalt im Laufe der
die Feststellung der neuen Einheitswerte zu schaf- nächsten Jahre eine jährliche Belastung bis zu
fen und von einer Regelung der steuerlichen Folgen 800 Millionen DM, wobei Gesetzesänderungen nicht
zunächst abzusehen. Die Frage, welche steuerlichen berücksichtigt sind. Es erscheint mir erforderlich, bei
Folgen sich besonders für die Vermögensteuer und der Prüfung der Förderungsmaßnahmen auf steuer-
für die Grundsteuer ergeben, wird später nicht nur lichem Gebiet und im Pämienwege, die mit dem Ziel
unter dem Gesichtspunkt der neuen Einheitswerte, einer Harmonisierung der Vorschriften unter Be-
sondern im Zusammenhang mit der allgemeinen rücksichtigung sozialer Auswirkungen vorzunehmen
wirtschaftlichen und finanziellen Lage sowie der ge- wäre, auch die haushaltungsmäßigen Belastungen
samten steuerlichen Belastung beurteilt werden zu beachten.
müssen. Der Zeitpunkt, von dem an die neuen Ein-
heitswerte den einzelnen Steuerarten zugrunde zu (Abg. Dr. Schmidt [Wuppertal]: Auch die
legen sind, muß dann durch ein besonderes Gesetz volkswirtschaftlichen!)
geregelt werden. Schon bei der Einbringung des Haushaltsgesetzes
Für die nächste Hauptveranlagung der Vermö- für das Rechnungsjahr 1962 hatte ich auf gewisse
gensteuer, die auf den 1. Januar 1963 vorgesehen unerwünschte Auswirkungen des gespaltenen Kör-
ist, werden jedenfalls die alten Einheitswerte zu- perschaftsteuersatzes auf die Wettbewerbsstellung
grunde gelegt werden. ausländischer Unternehmen hingewiesen und deren
Beseitigung empfohlen. Es handelt sich hierbei um
Bei der Einkommensteuer wäre eine Änderung den sogenannten Ausländereffekt, der eine Besser-
des Einkommensteuertarifs für die mittleren und stellung ausländischer Muttergesellschaften im Ver-
unteren Einkommensgruppen im Hinblick auf die gleich zu inländischen Unternehmen bewirkt. Es
überproportionale Beteiligung der öffentlichen Hand war in Aussicht genommen, diese Besserstellung
a n dem gestiegenen Einkommen und auf gewisse dadurch abzuschwächen, daß von den Ausschüttun-
Unebenheiten im Tarifverlauf nicht ungerechtfertigt. gen an ausländische Muttergesellschaften eine Ka-
Selbst wenn sich die Steuersenkungsmaßnahmen pitalertragsteuer von 25 % erhoben wird.
auf diesem Gebiet in einem maßvollen Rahmen hiel-
ten, müßte mit einem Gesamtsteuerausfall von (Abg. Dr. Vogel: Sehr richtig!)
1,6 bis 2 Milliarden DM gerechnet werden. Würden Nach dein derzeitigen Stand der Doppelbesteue-
dazu noch die Forderungen auf Einführung eines rungsverhandlungen wird von allen Staaten die Be-
Arbeitnehmerfreibetrags und auf Erhöhung des rechtigung einer Kapitalertragsteuer in Höhe von
Pauschbetrags für Sonderausgaben erfüllt werden, 25 % anerkannt. Lediglich im Verhältnis zu den
würde sich — auch bei maßvoller Gestaltung — ein Vereinigten Staaten sind unsere Bemühungen bis-
weiterer zusätzlicher Ausfall von etwa 1 Milliarde her noch ohne Erfolg geblieben. Die Verhandlungen
DM ergeben. werden fortgesetzt.
Die gegenwärtige Finanzlage des Bundes läßt die Eine weitere Schwierigkeit dm Verhältnis zum
Erfüllung dieser Wünsche nicht zu. In keinem Falle Ausland ergibt sich aus dem zwischenstaatlichen
ließen sich derartige Steuerausfälle durch eine Er- Steuergefälle. Dieses Problem ist in seiner Bedeu-
höhung der Spitzensteuersätze bei der Einkommen- tung nicht auf die Körperschaften beschränkt. Der
steuer ausgleichen. Eine Erhöhung des Spitzensteuer- Bundestag hatte deshalb auch im Zusammenhang
satzes der Einkommensteuer um einen Punkt bringt mit der Verabschiedung des Haushaltsgesetzes für
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 45. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. November 1962 1979
Bundesfinanzminister Dr. Starke
das Rechnungsjahr 1962 die Bundesregierung er- Darüber hinaus kann im Augenblick eine Herab-
sucht, dem Bundestag einen Bericht über die Wett- setzung der Kaffee- und Tee-Steuer oder gar ihre
bewerbsverfälschungen zu erstatten, die sich aus Beseitigung im Haushaltsjahr 1963 wegen der ange-
Sitzverlagerungen in das Ausland und aus dem spannten Haushaltslage des Bundes nicht vorge-
zwischenstaatlichen Steuergefälle ergeben. Der Be- schlagen werden. Ich darf hier auf das Verständnis
richt ist weitgehend fertiggestellt, und ich hoffe, ihn des Hohen Hauses rechnen.
in nächster Zeit vorlegen zu können.
Auf dem Gebiet der Mineralölabgaben steht mit
Nach wie vor sind die Organschaft und das dem Ablauf des Haushaltsjahres 1963 eine grund-
Schachtelprivileg Fragen, die in der öffentlichen Dis- legende Umgestaltung bevor, (die sich aus der
kussion des Körperschaftsteuerrechts mit an erster Durchführung des EWG-Vertrages ergibt. Am 1. Ja-
Stelle stehen. Wie ich bereits im Zusammenhang nuar 1964 wird rohes Erdöl bei der Einfuhr zollfrei;
mit dem Haushaltsgesetz für das Rechnungsjahr damit werden erhebliche Zolleinnahmen wegfallen.
1962 ausgeführt habe, ist die Lösung der anstehen- Der Ausgleich wird bei der Mineralölsteuer gesucht
den Probleme einerseits von der Aktienrechtsre- werden müssen.
form und andererseits von den Ergebnissen der
Konzentrationsenquete abhängig. Lassen Sie mich nun zusammenfassen, meine sehr
geehrten Damen und Herren, und zum Schluß auf
(Abg. Dr. Schmidt [Wuppertal] : Und von
die neuesten weltpolitischen Ereignisse und ihre
der Entscheidung des Bundesfinanzhofes!)
finanzpolitischen Auswirkungen zu sprechen kom-
Die Bundesregierung wird sich auch weiterhin an men.
der Arbeit zur Harmonisierung der Steuern im Rah-
Am 13. März 19612 habe ich als Finanzminister des
men der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft be-
Bundes an die Bundesregierung und an den Deut-
teiligen. Für die Umsatzsteuer hat die Kommission
schen Bundestag einen Appell zur Sparsamkeit ge-
der EWG dem Rat der Europäischen Wirtschaftsge-
meinschaft noch in diesem Herbst einen Harmoni- richtet. Die Beschlüsse der Bundesregierung vom
11. und 12. September 1962 zum Nachtragshaushalt
sierungsvorschlag unterbreitet. Die Ergebnisse der
Verhandlungen über diesen Vorschlag werden auch 1962 und zum Bundeshaushalt 1963 sind für mich
für die Frage einer Reform der deutschen Umsatz- eine Antwort auf diesen Appell gewesen. Die Ant-
besteuerung von Bedeutung sein. Die Harmonisie- wort ist ein von der Bundesregierung beschlossener
Haushalt der Sparsamkeit für 1963 und ein Nach-
rung mehrerer Verkehrssteuern, der Verbrauch-
steuern und gewisser Regelungen bei den direkten tragshaushalt für 1962, der sich durch gezielte Kür-
Steuern ist ebenfalls eingeleitet oder in Vorberei- zungen an anderer Stelle im Rahmen des beschlos-
tung. senen Ausgabenvolumens hält.
Der Haushalt 1963 baut auf idem realen Anstieg
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Einen Augen- des Bruttosozialprodukts auf, er setzt dem sprung-
blick, Herr Minister. Erlauben Sie, daß ich Sie unter- haften Anstieg der Ausgaben ides Bundes ein Ende,
breche. und er vermeidet Steuererhöhungen durch Kürzun-
Ich mache das Haus darauf aufmerksam, daß wir gen und Einsparungen sowie durch ein angestrebtes
die Ehre und die Freude haben, den Herrn Präsi- Zusammenwirken mit den Ländern im Rahmen des
denten des Schweizerischen Nationalrates, Herrn Grundgesetzes.
Walther Bringolf, unter uns zu haben. Schon die Berücksichtigung eines Teils der zurück-
(Lebhafter Beifall.) gewiesenen Anforderungen für 1963 hätte ebenso
wie das Außerachtlassen eines Ausgleichs mit den
Ich heiße den Herrn Nationalratspräsidenten in die- Ländern zu Steuererhöhungen geführt, zumal, wie
sem Hause herzlich willkommen. Die Sympathie ich betont habe, etwaige Steuermehreinnahmen für
des Hauses, verehrter Herr Kollege, ist Ihnen, wie die Finanzierung des von mir umrissenen Pakets
Sie soeben gehört haben, sicher. Ich danke Ihnen. von Sozial-Gesetzen benötigt werden.
(Beifall.) Steuererhöhungen in dem dann notwendigen Um-
Bitte, Herr Minister, fahren Sie fort. fang wären aber nur über die Erhebung der Ergän-
zungsabgabe zur Einkommen-, Körperschaft- und
Dr. Starke, Bundesminister der Finanzen: Der Lohnsteuer möglich,
Ministerrat der Europäischen Wirtschaftsgemein- (Zuruf von der SPD: Nur?)
schaft hat am 21. Juni 1962 in Aussicht genommen,
den Kaffee und Tee Zoll gegenüber den assoziier-
- -
einer Steuer, die sowohl die Wirtschaft als auch
ten Ländern und Gebieten ab 1. Januar 1963 aufzu- breiteste Bevölkerungsschichten bis zum letzten
heben und gleichzeitig Iden EWG-Außenzollsatz, der Lohnsteuerzahler trifft. Wir müßten nicht, ob bei
zur Zeit 16 % bzw. 18 % des Wertes beträgt, um geringerem Wirtschaftswachstum und geringeren
25 v. H. zu senken und um 15 v. H. auszusetzen, so Gewinnmargen die Steuererträge höher wären,
daß insgesamt mit einer Herabsetzung der Zölle für aber wir müßten sicherlich mit weiteren Preissteige-
Kaffee und Tee um 40 v. H. zu rechnen ist. Sollte rungen und mit neuen Lohn- und Gehaltsforderun-
diese Absicht verwirklicht werden, so wird dies zu gen rechnen, die sich wiederum als Kostenbelastun-
einer fühlbaren Senkung ,der Eingangsabgaben für gen in der Wirtschaft niederschlügen. Wir würden
Kaffee und Tee führen und für den Bundeshaushalt gerade .das Gegenteil einer Stabilisierung der Lage
einen Einnahmeausfall von etwa 140 Millionen DM in der Wirtschaft und des Preisniveaus erreichen.
jährlich zur Folge haben. (Beifall bei den Regierungsparteien.)
1980 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 45. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. November 1962
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Meine Her- zwischen den bisherigen Zollvorlagen und deren
ren, die Kritik an dem Redner isst völlig unange- Behandlung einerseits und andererseits meinetwegen
bracht. Sie trifft den Präsidenten, dem diese Erklä- der Absenkung der Abschöpfung beruht einfach auf
rung vorher schriftlich vorgelegen hat und der sie der unterschiedlichen Bedeutung und Wirkung von
aus wohlerwogenen Gründen genehmigt hat. Zoll und Abschöpfung. Abschöpfungen sind etwas
(Beifall bei der SPD und der FDP.) anderes als die bisherigen Zölle. Infolgedessen be-
dürfen sie auch in diesem Hause einer anderen Be-
Wir müssen nunmehr noch zwei Überweisungen handlung. Ich habe gar nichts dagegen, wenn wir
vornehmen. Ich rufe die Punkte 6 und 7 der Tages- uns darüber einmal sehr gründlich und eingehend
ordnung auf: unterhalten, wie die Verteilung hinsichtlich der
Beratung der von der Bundesregierung vor- Materie und die Behandlung dieser Fragen künftig
gelegten Verordnung über die Senkung von hier erfolgen sollen. Daß Abschöpfungen aber nicht
Abschöpfungssätzen bei der Einfuhr von ge- gleichzusetzen sind mit Zöllen, das möchte ich hier
schlachteten Gänsen (Drucksache IV/703); nachdrücklich feststellen.
Beratung der von der Bundesregierung vor- (Beifall in der Mitte.)
gelegten Verordnung über die Senkung von Ich darf den Antrag stellen — weil Abschöpfun-
Abschöpfungssätzen bei der Einfuhr von ge- gen eine ganz andere wirtschaftspolitische Funktion
schlachteten Hühnern (Drucksache IV/704). als die bisherigen Zölle haben —, so zu verfahren,
In beiden Fällen ist die Überweisung an den Aus- wie der Ältestenrat vorgeschlagen hat und wie von
schuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten — dem Herrn Präsidenten gesagt worden ist. Ich bitte
federführend — sowie den Außenhandelsausschuß deshalb, den Antrag des Herrn Kollegen Bading
und den Wirtschaftsausschuß zur Mitberatung vor- abzulehnen.
geschlagen. — Hier wird Einspruch erhoben. Herr (Beifall in der Mitte. — Zurufe.)
Abgeordneter Bading!
(Unruhe.) Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Einen Augen-
blick! Das ist eine Geschäftsordnungsdebatte. —
— Bitte, meine Damen und Herren, behalten Sie
Herr Abgeordneter Seuffert, muß es sein? — Ich
Platz; ich fürchte, daß wir noch zu einer Kampfab-
sehe doch, daß wir zu einer Kampfabstimmung
stimmung kommen.
kommen. Aber bitte sehr. — Herr Abgeordneter
Seuffert zur Geschäftsordnung!
Bading (SPD) : Herr Präsident! Meine Damen und
Herren! Ich glaube, daß der Vorschlag des Ältesten- Seuffert (SPD) : Herr Präsident! Meine Damen
rates auf einem Irrtum beruht. Es ist hier im Hause und Herren! Ich darf wohl im Einvernehmen mit
Übung gewesen, daß bei Zollangelegenheiten die dem Herrn Kollegen Schmidt, dem Vorsitzenden des
Federführung beim Finanzausschuß für das Zollge- Finanzausschusses feststellen, daß wir vom Finanz-
setz als solches besteht, daß aber Angelegenheiten ausschuß bei der sowohl für die Zollgesetze wie
des Zolltarifs immer dem Außenhandelsausschuß auch für die Abschöpfungsgesetze verabredeten Re-
überwiesen werden. Da Abschöpfungen in der Sache gelung bleiben möchten, daß für die Fragen des
dasselbe wie Zölle darstellen, sollte diese Übung Zolltarifs und infolgedessen auch des Abschöpfungs-
auch hier fortgesetzt werden. tarifs nicht der Finanzausschuß, sondern der Außen-
Im übrigen darf ich auf eine interfraktionelle Ver- handelsausschuß zuständig ist. Ich glaube, das ist
einbarung verweisen, in der zum Ausdruck gekom- der Sinn unserer Regelung, Herr Kollege Schmidt.
men ist, daß das Abschäpfungserhebungsgesetz wie
alle früheren Zollgesetze dem Finanzausschuß zur Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Meine Damen
Federführung überwiesen werden soll, daß aber in und Herren, ich werde von den Sachverständigen
allen Fällen, in denen es sich um den Abschöpfungs- — hier meldet sich der Vorsitzende des Finanzaus-
tarif und dessen Änderung handelt, die Federfüh- schusses — darauf aufmerksam gemacht, daß dies
rung des Außenhandelsausschusses anerkannt wer- eine Frage sei, die subtilen Nachdenkens bedarf.
den soll. Das ist eine interfraktionelle Vereinbarung, Deshalb der Vorschlag, die Frage jetzt nicht zu
die im Juni dieses Jahres geschlossen worden ist. entscheiden, d. h. es wird jetzt nicht überwiesen,
sondern geht zurück an den Ältestenrat. Das Haus
Ich 'beantrage daher, die Gegenstände auf den
wird morgen wieder mit der Sache befaßt. Ich
Drucksachen IV/703 und IV/704 — Tagesordnungs- nehme an, daß sie so lange Zeit hat. — Ich höre
punkte 6 und 7 — dem Außenhandelsausschuß zur keinen Widerspruch; es wird so gemacht.
Federführung und dem Wirtschaftsausschuß und dem
Ernährungsausschuß zur Mitberatung zu überweisen. Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Herr Abge- Dr. Adenauer, Bundeskanzler: Herr Präsident!
ordneter Bauer (Wasserburg) ! Meine Damen und meine Herren! Ich erhalte gerade
den Wortlaut der Erklärung, die Herr Abgeord-
Bauer (Wasserburg) (CDU/CSU) : Herr Präsident! neter Ritzel soeben hier verlesen hat. Es finden sich
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr darin folgende Sätze:
Kollege Bading, ich glaube, diese Frage bedarf noch Wir müssen aber alle auch dafür sorgen, daß
einer gründlicheren Besprechung. Der Unterschied unsere Behörden einschließlich der Strafverfol-
1982 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 45. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. November 1962
Bundeskanzler Dr. Adenauer
gungsbehörden bei der Untersuchung von die Grenzen zu wahren, die die Liebe zum Volk — —
Straftaten den durch Verfassung und Gesetze
- (Lebhafte Zurufe von der SPD. — Gegenrufe
gezogenen Rahmen einhalten und rechtsstaat-
von der CDU/CSU. — Abg. Dr. Schmidt
lich vorgehen.
[Wuppertal] : Spiegel-Partei!)
(Abg. Seuffert: Sehr richtig!)
Die 18 Fragen, die heute in der Fragestunde zum Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Lassen Sie
Teil behandelt wurden, beziehen sich in keiner bitte den Herrn Bundeskanzler weiterreden.
Weise auf die gegenüber der „Spiegel"-Redak- (Abg. Wehner: Aber jeder Strizzi darf die
tion durch den Bundesanwalt erhobenen Be- SPD beschimpfen! — Weitere Zurufe von
schuldigungen des Landesverrats. Sie beziehen der SPD.)
sich einzig und allein auf die aufklärungsbedürf-
tigen Vorgänge in bezug auf das Verhalten von — Lassen Sie den Herrn Bundeskanzler weiterreden!
Ministern, Staatssekretären und des Bundeskri- (Oho-Rufe von der SPD.)
minalamts bei Durchführung des erteilten Be- — Der Präsident dieses Hauses schützt die Rede-
fehls auf Haussuchung und Beschlagnahme von freiheit auch für den Bundeskanzler.
belastendem Material. Der Schutz gegen Lan-
(Beifall bei der CDU/CSU.)
desverrat soll unser Volk vor fremder Macht
und fremder Willkür schützen. Es muß dann
aber auch dabei bleiben, daß der Staatsbürger Dr. Adenauer, Bundeskanzler: Meine Damen
gegen Willkür in eigenem Lande geschützt ist. und Herren, ist es, dann nicht erschreckend,
Die hierbei zu ziehenden Grenzen klarer zu (Sehr wahr! und Beifall bei der SPD)
machen, ist der Sinn unserer Fragen.
ist .es dann nicht erschreckend,
(Sehr richtig! bei der SPD.)
(Zurufe von der SPD: Ja!)
Meine Damen und Herren, soweit 'in dieser Er- wenn ein Oberst der Bundeswehr, nachdem er ge-
klärung der Vorwurf erhoben wird, daß das Bundes- hört hat, daß ein Verfahren gegen Augstein und
verfassungsgericht oder die Bundesanwaltschaft oder Redakteure des „Spiegels" eingeleitet sei, hingeht
die Beamten des Bundeskriminalamtes nicht rechts- und denen Bescheid gibt, damit Beweismaterial bei-
staatlich gehandelt haben seitegeschafft wird?
(lebhafter Widerspruch bei der SPD — Abg. (Zurufe von der Mitte: Unerhört! — Abg.
Hermsdorf: Steht denn das drin?) Seuffert: Hat darüber hier jemand gespro
und daß vor diesen Einrichtungen, dem Bundes- chen?)
gericht, der Bundesanwaltschaft und dem Bundes- — Ja, lesen Sie einmal durch, worüber Sie gespro-
kriminalamt, unsere Mitbürger geschützt werden chen haben,
müßten, lege ich gegen eine solche Erklärung schärf-
sten Protest ein. (Abg. Seuffert: Über ganz andere Dinge!)
(Beifall bei den Regierungsparteien. — und dann warten Sie das Ergebnis der weiteren
Lachen und Buh-Rufe von der SPD. — Abg. Feststellungen ab! Dann werden Sie bereuen, daß
Wehner: Dem Bundesverfassungsgericht? — Sie diese Fragen gestellt haben.
Abg. Schmitt-Vockenhausen: Dem Bundes- (Beifall bei der CDU/CSU.)
verfassungsgericht dürfen Sie wohl Vor- Ich erkläre nochmals, meine Damen und Herren:
würfe machen!) ich glaube, ich bin als Bundeskanzler dazu verpflich-
tet,
Meine Damen und Herren, aus meiner Kenntnis der
Dinge spreche ich allen Beamten dieser Organisa- (Zurufe von der SPD: — zu prüfen!)
tionen meinen Dank und meine Hochachtung aus. dem Bundesgericht und den Beamten der Bundes-
(Erneuter Beifall bei der CDU/CSU. — Zu-
anwaltschaft und den Beamten des Bundeskriminal-
amtes dafür zu danken, daß sie sich an diese Sache
rufe von der SPD.)
mit solcher Intensität herangemacht haben.
Ich möchte hier an alle Parteien und an das ganze
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP. —
deutsche Volk folgende Bitte richten.
Zurufe von der SPD.)
(Anhaltende lebhafte Zurufe von der SPD.)
Es ist Landesverrat ausgeübt worden — das ist sehr
wahrscheinlich —
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Einen Augen-
blick! Eine geschäftsordnungsmäßige Erinnerung,
(fortdauernde Zurufe von der SPD) bevor es weiter geht. § 48 Abs. 3 der Geschäfts-
ordnung:
von einem Manne, der eine Macht, eine journa-
listische Macht in Händen hatte. Ich stehe auf dem Ergreift ein Mitglied oder Beauftragter der
Standpunkt: je mehr Macht, auch journalistische Bundesregierung oder des Bundesrates das
Macht, jemand in Händen hat, Wort außerhalb der Tagesordnung,
(Abg. Wehner: ... ist nicht so pingelig!) — der Fall ist gegeben —
desto mehr ist er dazu verpflichtet, so wird auf Verlangen von 30 anwesenden Ab
(Abg. Wehner: Nicht so pingelig zu sein!) geordneten die Beratung über seine Ausfüh-
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 45. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. November 1962 1983
Präsident D. Dr. Gerstenmaier
rungen eröffnet. Sachliche Anträge dürfen hier- Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Das Wort hat
bei nicht gestellt werden. - der Herr Abgeordneter Ritzel.
Ich frage, ob 30 anwesende Abgeordnete eine
Beratung wünschen. — Das ist der Fall. Ritzel (SPD) : Herr Präsident! Meine Damen und
Herren! Die Ausführungen des Herrn Bundeskanz-
Jetzt kommt die sehr viel schwieriger zu entschei- lers zwingen mich zu folgender Klarstellung. In der
dende Frage: wer hat sich zuerst gemeldet, Herr von mir im Wortlaut verlesenen und in den Händen
Abgeordneter Ritzel oder Herr Erler? des Herrn Bundeskanzlers befindlichen Erklärung
(Zurufe von der SPD: Herr Erler!) heißt es im dritten Absatz, letzter Satz: „Sie" —
die 18 Fragen — „beziehen sich einzig und allein
— Herr Abgeordneter Erler hat das Wort. auf die der Aufklärung bedürftigen Vorgänge in
bezug auf das Verhalten von Ministern, Staatssekre-
tären und des Bundeskriminalamts bei Durchführung
Erler (SPD): Herr Präsident! Meine sehr verehr- des erteilten Befehls auf Haussuchung und Beschlag-
ten Damen und Herren! Die Intervention des Herrn nahme von belastendem Material." Mit keinem
Bundeskanzlers tut mir außerordentlich leid. Sie tut Wort, Herr Bundeskanzler
mir deshalb leid, weil damit leider — leider! —
der Umwelt gegenüber, in der man sehr sorgsam (lebhafte Zurufe von der Mitte: Zusatz
das rechtsstaatliche Verhalten unserer Behörden un- fragen!)
ter die Lupe nimmt, erneut Anlaß gegeben wird, und meine verehrten Damen und Herren, ist in
in die Festigkeit der rechtsstaatlichen Prinzipien in meiner Erklärung die Rede vom Bundesverfassungs-
diesem Lande Zweifel zu setzen. gericht und von der Bundesanwaltschaft. Ich darf
(Beifall bei der SPD. — Pfui-Rufe, Zurufe den Herrn Bundeskanzler bitten, das bei sich selbst
und große Unruhe bei der CDU/CSU. — zu berichtigen. Im übrigen haben die Fragen — und
Abg. Dr. Mommer: Zeitungskrise!) das ist in der Erklärung, die ich abzugeben hatte,
ebenfalls klipp und klar gesagt -- in keiner Weise
Wo es sich um Landesverrat handelt, muß zuge- das Ziel verfolgt — und sie erlauben überhaupt in
packt werden. keiner Weise eine derartige Feststellung —, in ein
(Anhaltende lebhafte Unruhe und Zurufe schwebendes Verfahren einzugreifen. Einzig und
bei der CDU/CSU.) allein die Sorgen um die Methoden, mit denen hier
gearbeitet worden ist,
Aber auch eine Untersuchung wegen Landesverrats
setzt die rechtsstaatlichen Prinzipien unseres Grund- (Zurufe von der Mitte: Vom Spiegel!)
gesetzes nicht außer Kraft. haben diese 18 Fragen veranlaßt.
(Beifall bei der SPD. — Zustimmung bei (Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der
Abgeordneten der CDU/CSU. — Zurufe.) FDP. — Zurufe von der Mitte.)
Ein Parlament, das sich den Ruf zuziehen würde, Dieses und nichts anderes ist hier zum Ausdruck
ein Verfahren wegen Landesverrats, das durchge- gebracht.
führt werden muß, nicht auch so zu beobachten, daß (Zuruf von der Mitte: Landesverrat!)
dabei im übrigen Verfassung und Gesetz nicht in
Trümmer gehen, würde seine Kontrollaufgabe nicht — Sie müsen erst einmal die gesetzlichen Bestim-
erfüllen. Nur darum geht es heute und um nichts mungen studieren, ehe Sie dazu sprechen.
anderes.
Ich wiederhole einen Satz aus der Erklärung im
(Beifall bei der SPD. — Unruhe bei den zweiten Absatz:
Regierungsparteien.)
Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands
und ich als einer ihrer Abgeordneten verurtei-
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Das Wort hat len gleich jedem anständigen Deutschen aufs
der Herr Bundeskanzler. schärfste Landesverrat, wo er wirklich vorliegt.
(Beifall bei der SPD. — Zuruf von der
(Abg. Seuffert zur CDU/CSU: Sie haben den
Mitte: Dann müssen Sie sich auch so ver
Fall noch nicht erfaßt, wenn Sie noch
halten!)
lachen!)
Bundesinnenminister Höcherl
Drittens hat der Herr Bundesanwalt — also nicht — Ich habe Auskunft gegeben bis zum Äußersten,
irgend jemand— erklärt: Folgende Beweise liegen - das wissen Sie ganz genau. Sie werden nicht eine
bereits vor. Auf Grund dieser Äußerung hat der einzige Zeile widerlegen können.
Herr Bundeskanzler seine Feststellung getroffen. (Abg. Seuffert: „Ich weiß es nicht", haben
(Beifall bei der CDU/CSU. — Lebhafter Sie gesagt! — Abg. Dr. Schäfer: Wir wer
Widerspruch bei der SPD.) den das Äußerste auch noch prüfen! —
— Und er hat praktisch wiederholt, — — Weitere lebhafte Zurufe von der SPD. —
Ein Abgeordneter meldet sich zu einer
(Anhaltende Zurufe. — Glocke des Präsi- Zwischenfrage.)
denten.)
— Meine Damen und Herren, wir wollen es ganz Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Was wollen
korrekt behandeln. Sie, eine Zwischenfrage stellen? — Gestatten Sie
(Abg. Seuffert: Es liegen keine Beweise eine Zwischenfrage?
vor!)
Er hat dringenden Tatverdacht — —
Höcherl, Bundesminister des Innern: Etwas spä-
ter, Herr Präsident.
(Abg. Seuffert: Herr Höcherl, Sie sind doch
Jurist! Verdacht ist doch kein Beweis!) Meine Damen und Herren, jetzt will ich Ihnen
noch etwas sagen. Sie beschweren sich immer, daß
— Moment! Dringender Tatverdacht, Bestätigung man Ihnen den Eingriff in ein schwebendes Ver-
des Haftbefehls und Feststellung des Bundesan- fahren vorwerfe. Der Spiegel hat jahrelang mit der
walts, daß ganz erhebliche und schwerwiegende Be- Ehre von ganz unschuldigen Menschen in einer Art
weise bereits sichergestellt sind. Sie haben es ja und Weise verfahren, die gar nicht beschrieben
gestern gelesen, und da sind Sie etwas schwächer werden kann.
geworden.
(Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU. -
(Zuruf des Abg. Seuffert. — Anhaltende Zurufe von der SPD.)
Zurufe.)
Er hat die Ehre von unschuldigen Menschen mit
Das ist das eine. Füßen getreten; das wissen Sie.
Meine Damen und Herren, ich will noch etwas (Erneute lebhafte Zurufe von der SPD.)
anderes sagen. Sie sind heute aufgetreten mit Be-
hauptungen, Minister, Staatssekretäre, Beamte hät- Ich habe noch niemals gehört, daß Sie sich für die
ten die und die Fehler begangen. Glauben Sie denn, Ehre dieser unschuldig Verfolgten und Verleum-
meine Damen und Herren, die Sie die Demokratie deten eingesetzt hätten.
so gepachtet zu haben glauben, daß in Amerika und (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU. —
in England eine solche Szene bei einem offenen Fortgesetzte Zurufe von der SPD.)
Verfahren möglich wäre? Glauben Sie das? Sie müssen doch, meine Damen und Herren, wenn
(Beifall bei der CDU/CSU. — Zurufe von Sie sich ausgerechnet bei dem Landesverratsverfah-
der SPD. — Abg. Schmitt-Vockenhausen: ren um die Rechtsstaalichkeit bemühen und sonst
Die Regierung wäre längst zurückgetreten!) in weiten Bereichen, wo unschuldige Leute angegrif-
Meine Damen und Herren, in diesen Ländern wäre fen worden sind, die dann freigesprochen worden
es eine Selbstverständlichkeit, daß man den Ab- sind, kein Wort erheben, in eine ganz komische
schluß des Verfahrens abwartet und erst dann Stel- Situation, in einen ganz komischen Verdacht kom-
lung bezieht. men. Suchen Sie doch nicht einseitig solche Situatio-
nen. Verfahren Sie gleichmäßig, dann kommen Sie
Jetzt darf ich Ihnen noch etwas vorhalten. Der nicht in den Verdacht. Sie bringen sich selber in
Herr Ritzel hat hier eine interessante Erklärung den Verdacht, nicht wir haben Sie hineingebracht.
abgegeben. Er hat erklärt: Wir stellen Fragen, deren
Inhalt wir kennen. Und dann vor allem die Zusatz- (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU. —
fragen, die ganz besonderer Natur waren. Jetzt Zurufe von der SPD.)
wollen Sie sich hinstellen und wollen sagen: Die
Fragen haben den Inhalt, den wir alle selber zur Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Meine Damen
Kenntnis nehmen und beurteilen können. Dabei und Herren, einen Augenblick. Darf ich vielleicht
waren die Zusatzfragen zum Teil rechtsstaatlich auch etwas sagen.
unmöglicher Natur.
(Anhaltende Zurufe von der SPD. —
(Beifall bei der CDU/CSU.) Gegenrufe von der CDU/CSU.)
Jetzt wollen Sie sich hinstellen und wollen sagen: — Meine Damen und Herren, zum erstenmal in
Durch eine einfache Erklärung nach § 36 GO kehren meiner Praxis überlege ich mir, ab ich von dem § 44
wir den ganzen Inhalt dieser Fragen um. Dieses der Geschäftsordnung Gebrauch machen muß. Herr
Manöver, meine Damen und Herren, gelingt Ihnen Kollege Seuffert, überlegen Sie sich, in welche
doch nicht. Schwierigkeit Sie das Haus bringen. Wissen Sie
(Abg. Seuffert: Sie stellen sich hin und das? In dem § 44 steht:
sagen: „ich weiß nicht" ! — Weitere leb- Wenn im Bundestag störende Unruhe ent-
hafte Zurufe von der SPD.) steht, — —
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 45. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. November 1962 1987
Präsident D. Dr. Gerstenmaier
— Ich könnte ja sagen, daß wir in einem ähnlichen Keine andere Stelle — sie mag noch so von hin-
Zustand heute schon sind. - reichendem Verdacht überzeugt sein — darf sich
das noch nicht erfolgte Urteil bereits zu eigen
(Abg. Seuffert: Es sind mehr Leute
machen wollen.
unruhig!)
(Beifall bei der FDP, der SPD und bei
— Ich rede nicht davon, wer daran schuld ist. — Ich Abgeordneten der CDU/CSU.)
sage noch einmal:
Wenn im Bundestag störende Unruhe entsteht, Die Pressefreiheit ist ein Grundrecht unserer Ver-
die den Fortgang der Verhandlungen in Frage fassung. Aber dieses Grundrecht der Meinungs- und
stellt, s o kann der Präsident die Sitzung auf Informationsfreiheit ist nicht schrankenlos, wie auch
bestimmte Zeit die Freiheit niemals schrankenlos sein kann.
(Beifall bei der FDP, der SPD und der
— nicht auf unbestimmte Zeit —
CDU/CSU.)
aussetzen oder ganz aufheben.
Sie muß gebunden sein an die Verantwortung vor
Herr Kollege Seuffert, wir wollen heute nachmittag dem Gesetz, vor dem Recht und schließlich auch an
um 17 Uhr nach Möglichkeit nicht wieder zusam- Moral und Ethos.
mentreten.
(Beifall bei der FDP, der SPD und der
(Zuruf von der SPD: Warum nicht?) CDU/CSU.)
— Wenn ich nämlich jetzt die Sitzung aufhebe und Die Presse- und Informationsfreiheit unseres Grund-
wenn wir um 17 Uhr mit dieser Sache fortfahren, gesetzes hat spätestens ihre Grenze dort, wo krimi-
dann gilt dasselbe wie jetzt, daß die Verhandlungen nelle Delikte beginnen, wo vor allem der Landes-
in Ordnung und Ruhe vor sich gehen. Das muß
verrat beginnt.
schließlich auch bei dieser gewiß alle möglichen
Leute aufregenden Sache ,der Fall sein. Außerdem (Beifall bei den Regierungsparteien und bei
habe 'ich noch eine ganze Reihe von Wortmeldungen der SPD.)
vorliegen. Sie häufen sich immer mehr.
Die Frage, ob bei den Verfahren Mängel auf-
Zunächst hat Herr Dr. Mende das Wort.
getreten sind, hat der Sprecher der Bundesregie-
rung, der Herr Staatssekretär von Hase, in einer
Bundespressekonferenz schon angeschnitten. Ich
Dr. Mende (FDP) : Herr Präsident! Meine Damen möchte darauf hinweisen, daß, soweit die Freie De-
und Herren! Die Fraktion der Freien Demokrati-
mokratische Partei gewisse Mängel der Information
schen Partei bedauert
ihrer Minister zu beklagen hat, diese Frage eine
(Zuruf von der SPD: Zutiefst!) koalitionspolitische Vertrauensfrage für uns war,
keine Frage des Rechtsstaates oder des Mißtrauens
die Erregung dieses Hauses und die Zuspitzung der in die Behörden.
Debatte. Sie ist der Meinung, daß die Fortführung
dieser Debatte in diesem Stil dem ganzen Haus den (Beifall bei den Regierungsparteien. —
Vorwurf einbringen könnte, es mische sich in ein Abg. Wehner: Hört! Hört! — Abg. Witt
schwebendes Verfahren ein. rock: Im Fernsehen haben Sie kürzlich
(Zuruf von der SPD: Einschließlich etwas anderes gesagt! — Weitere Zurufe
Bundeskanzler!) von der SPD.)
Landesverrat ist zu allen Zeiten und in allen Völ- Es ist hier der Zwischenruf gemacht worden:
kern — auch des Ostens — ein verabscheuungs- „Bundesjustizminister!", und es ist gerufen worden:
würdiges Verbrechen, und niemand in diesem Hause „Warum sind die Staatssekretäre zurückgetreten?"
denkt daran, sich schützend vor Landesverräter zu Darum ging es! Ein Staatssekretär ist in den einst-
stellen. weiligen Wartestand versetzt, der andere ist beur-
(Sehr wahr! bei der SPD.) laubt worden. In beiden Fällen — und darüber spre-
che ich im Augenblick — handelt es sich um die
Solange allerdings ein rechtskräftiges Urteil eines Frage der Nichtinformierung, also der politischen
unabhängigen Gerichtes die letzte Entscheidung Vertrauensgrundlage zwischen zuständigem Mini-
nicht getroffen hat, gelten nach unserer Strafprozeß- ster und seinem Staatssekretär.
ordnung alle zwar als Verdächtige und Beschuldigte,
doch noch nicht als verurteilte Landesverräter. (Beifall bei der FDP:)
(Beifall bei der FDP, der SPD und bei Die andere Frage, Herr Kollege Wittrock, wird den
Abgeordneten der CDU/CSU.) Ermittlungen der Regierung und des Justizministers
überlassen bleiben, und es ist Ihr Recht, von Ihren
Allein das ordentliche Gericht ist nach unserer parlamentarischen Untersuchungsmöglichkeiten Ge-
rechtsstaatlichen Ordnung berechtigt, die letzte und brauch zu machen und durch einen Untersuchungs-
endgültige Entscheidung zu treffen. ausschuß eine letzte Klärung zu versuchen.
(Zuruf von der SPD: Nicht der (Zuruf von der SPD: Jawohl! — Weitere
Bundeskazlr!) Zurufe von der SPD.)
1988 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 45. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. November 1962
Dr. Mende
Aber, meine Damen und Herren, ich halte es für sprache" gelesen werden kann, jedenfalls daß der
-
ausgeschlossen, daß dieses Haus glaubt, in dieser § 30 sinngemäß angewendet werden könnte. Ich
Atmosphäre solche Fragen jetzt klären zu können. halte deshalb den Antrag für geschäftsordnungs-
(Beifall bei der FDP. — Abg. Schmitt- mäßig zulässig.
Vockenhausen: Leider hat doch der Herr Aber jetzt zur Geschäftsordnung dazu Herr Ab-
Bundeskanzler die Atmosphäre geschaffen! geordneter Erler!
— Abg. Wehner: Sagen Sie das allen
Seiten!) Erler (SPD) : Herr Präsident, ich möchte mich
Darum, glaube ich, sollte der Präsident prüfen, gegen diesen Antrag wenden und das Haus bitten,
ob nicht gemäß § 30 unserer Geschäftsordnung in ihm nicht zuzustimmen.
diesem Augenblick die Debatte beendet werden Es liegt durchaus in der Macht dieses Hauses,
sollte. auch den Rest dieser Aussprache auf eine anstän-
(Hört! Hört! und Zurufe von der SPD.) dige und sachliche Weise zu Ende zu führen. Wir
Der Rechtsausschuß, ein möglicher Untersuchungs- sollten aber nicht den Eindruck erwecken, daß die
ausschuß, aber auch noch die Instanzen der Bundes- Regierungsparteien von ihrer Macht Gebrauch ge-
regierung werden Gelegenheit haben, mögliche macht haben und mit Mehrheit eine Debatte zu Ende
Mängel, insbesondere bei der Verhaftung in Ma- bringen, nachdem der sozialdemokratischen Bundes-
laga, zu klären. Das Haus erweist sich einen tagsfraktion durch den Bundesminister des Innern
schlechten Dienst, und die parlamentarische Demo- erneut unterstellt worden ist, daß sie einseitig nur
kratie erweist sich einen, schlechten Dienst, wenn dann um die Wahrung des Rechtsstaates besorgt
dieses Thema in dieser Atmosphäre hier weiter er- sei, wenn es um den Schutz von vermeintlichen Lan-
örtert wird. desverrätern gehe. Dieser Vorwurf kann nicht so
stehen bleiben. Wir müssen die Möglichkeit haben,
(Beifall bei den Regierungsparteien.) dazu noch ein paar Sätze zu sagen. Sonst bleibt als
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Herr Abge- Eindruck der Debatte übrig — und das kann auch
ordneter Dr. Mende, Sie haben die Freundlichkeit nicht in Ihrem Interesse liegen — die Seelenverfas-
sung des Ministers, die er uns enthüllt hat — und
gehabt, in Ihren Ausführungen den Präsidenten zu
das muß nach seiner Darstellung leider so geschlos-
erwähnen. Der Präsident macht darauf aufmerksam,
daß es nicht in seiner Hand ist, den § 30 der Ge- sen werden —, daß es nicht nur um Landesverrat,
schäftsordnung in Gang zu setzen. Es heißt hier: sondern gleichzeitig auch um eine Abrechnung we-
gen früherer Aktivitäten des „Spiegel" geht.
Der Bundestag kann die Beratung abbrechen
(Sehr wahr! bei der SPD.)
oder schließen. Der Antrag auf Vertagung oder
Schluß der Beratung bedarf der Unterstützung Das darf nicht so bleiben im Interesse dieses Hauses
von 30 anwesenden Abgeordneten. und des Rechtsstaates. Ich 'bitte daher, den Antrag
abzulehnen.
Dieser Antrag müßte erst gestellt werden. Ich bin
nicht sicher: Haben Sie den Antrag stellen wollen? (Beifall hei der SPD.)
(Abg. Dr. Mende: Ich stelle jetzt diesen Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Herr Abge-
Antrag formell! — Unruhe bei der SPD.) ordneter Rasner zur Geschäftsordnung!
— Aber meine Herren, die Argumente haben Sie
doch gehört. Die Argumente lassen sich doch auch Rasner (CDU/CSU) : Herr Präsident! Meine Da-
wirklich hören. men und Herren! Sie haben den Antrag des Kolle-
Ich frage: Sind 30 Mitglieder des Hauses bereit, gen Mende gehört. Natürlich haben wir eine Ab-
diesen Antrag zu unterstützen? — Das sind mehr stimmung der Meinungen der Fraktionen in dieser
als 30 Mitglieder des Hauses. kurzen Zeit nicht herbeiführen können. Für meine
(Abg. Erler: Ich möchte dagegen sprechen!) Freunde, mit denen ich mich abstimmen konnte, und
für mich erkläre ich: Wir sind dafür, daß diese
— Wollen Sie noch dagegen sprechen? Bitte sehr, Debatte weiter und zu Ende geführt wird.
Herr Abgeordneter Erler!
(Abg. Ritzel: 'Das ist keine „Beratung"!) (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeord
neten der SPD.)
— Einen Augenblick! Von dem Herren Vorsitzenden
des Geschäftsordnungsausschusses kommt in diesem Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Gut, Herr Ab-
Augenblick ein sehr interessanter Zuruf, daß wir geordneter Rasner. Ich glaube, dann muß ich jetzt
uns gar nicht "in einer Beratung befinden. Herr Ab- die Sitzung wenigstens für den Augenblick unter-
geordneter, ich habe mir das auch überlegt. Ich brechen, daß der Präsident wechseln kann. Der
werde gerade, und zwar glaubwürdig, davon über- Präsident dieses Hauses sieht sich vor einer unab-
zeugt, daß in unserer Geschäftsordnung in diesen weisbaren Verpflichtung gegenüber einem auslän-
Fällen „Beratung" und „Aussprache" synonym ver- dischen Gast, die er wahrnehmen muß. Ich muß also
wendet werden. Ich kann jetzt in aller Eile natürlich einen meiner Kollegen im Präsidium bitten, mich
nicht eine durchgehende Exegese unserer Geschäfts- hier abzulösen. Ich bedaure das. Aber nach meiner
ordnung antreten, aber ich unterstelle, diese Auskunft Meinung steht jedenfalls auch die Regierung in
ist richtig, daß „Beratung" und „Aussprache" in un- derselben Veranstaltung einer unabweisbaren Ver-
serer Geschäftsordnung synonym gehandhabt wer- pflichtung gegenüber. Ich will damit dem Hause in
den, daß also hier statt „Beratung" ebenso „Aus seiner Souveränität in gar keiner Weise vorgreifen.
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 45. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. November 1962 1989
Präsident D. Dr. Gerstenmaier
Ich habe mir überlegt, ob die Debatte heute nach- Ich gebe das Ergebnis der Auszählung bekannt.
mittag nach einer Mittagspause fortgeführt werden Für die Vertagung .der Aussprache haben 169 Mit-
kann, was vielleicht gar nicht schlecht wäre. Aber glieder des Hauses gestimmt, mit Nein haben 196
ich habe die Beratungsmöglichkeiten der Fraktionen Mitglieder des Hauses gestimmt; .enthalten haben
ebenfalls zu schützen. sich 3. Die Aussprache geht weiter.
(Abg. Erler: Wieviel Wortmeldungen liegen Das Wort hat der Herr Abgeordnete Jaksch.
denn noch vor?)
— Im Augenblick noch drei Wortmeldungen zur
Jaksch (SPD) : Herr Präsident! Meine Damen und
Herren! Der Herr Bundeskanzler und :der Herr Bun-
Sache. Ich nehme an, daß sich dann noch weitere
desinnenminister 'haben die Erklärung des Kollegen
Wortmeldungen ergeben.
Ritzel in einer Weise kommentiert, die vor diesem
Ich frage zunächst die Fraktionen; ob sie von der Hohen Hause und vor dem Lande draußen die Mo-
ihnen heute zur Verfügung stehenden Beratungszeit tive der Erklärung ides Kollegen Ritzel und die Mo-
etwas für das Plenum für die Weiterführung der tive unserer Anfragen in der heutigen Sitzung in
Plenardebatte heute nachmittag abgeben können. Zweifel stellen könnte. In diesem Stadium der Dis-
(Abg. Rasner: Herr Präsident, ich schlage kussion sollte der Herr Bundeskanzler und sollten
vor, die Beratung jetzt zu unterbrechen und die Kollegen von den Unionsparteien zur Kenntnis
um 15 Uhr fortzufahren!) nehmen, daß sie es (bei den sozialdemokratischen
Mitgliedern auf den Bänken dieses Hauses mit einer
— Ist das möglich? Würden Sie damit einverstanden Partei zu tun haben, die für ihr Bekenntnis zur
sein? Rechtsstaatlichkeit Legionen von Märtyrern geopfert
(Abg. Erler: Nein! Gleich weiter! Wir sind hat
bald fertig!) (lebhafter Beifall bei der SPD)
— Wollen Sie beantragen, die Debatte jetzt auf und deren Bekenntnis zur Demokratie mit Blut und
15 Uhr zu vertagen? Tränen geschrieben ist.
(Zurufe von der CDU/CSU: Nein!) (Erneuter Beifall bei der SPD.)
— Ich muß jetzt zu einer Klarheit kommen. Herr Herr Bundeskanzler, in den sozialdemokratischen
Kollege Mende, wollen Sie Ihren Antrag aufrecht- Bänken sitzen Männer, die von den Schengen eines
erhalten? Unrechtsstaaates ihrer Freiheit beraubt,
(Abg. Dr. Mende: Ich halte den Antrag auf- (Zurufe von der CDU/CSU)
recht, Herr Präsident!) die geschlagen, gefoltert, i n Gefängnisse geschleppt
Meine Damen und Herren, dann lasse ich jetzt in worden sind.
folgender Reihenfolge abstimmen: zuerst über den (Fortgesetzte Zurufe von der CDU/CSU. —
weitergehenden Antrag des Herrn Abgeordneten Zuruf von der Mitte: Bei den anderen
Mende, gestützt auf § 30 der Geschäftsordnung und nicht?)
hinreichend unterstützt. Sollte dieser Antrag nicht
durchkommen, muß ich über Ihren Vertagungsan- Verstehen Sie die Motive dieser Männer, daß sie
trag abstimmen lassen. auf dem Boden der Rechtsstaatlichkeit bleiben wol-
len!
Zunächst lasse ich über den Antrag Dr. Mende
(Beifall bei der SPD. — Anhaltende Zurufe
abstimmen, die Debatte jetzt zum Abschluß zu brin-
gen. Wer dem Antrag zustimmen will, den bitte von der Mitte. Zurufe: Andere auch!)
ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Das ist Sie haben es bei den Kollegen von der sozialdemo-
die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt. kratischen Bundestagsfraktion mit einer Partei zu
tun,
Wir kommen nun zur Abstimmung über den zwei- (Vorsitz: Vizepräsident Dr. Schmid.)
ten Antrag — des Herrn Abgeordneten Rasner — ,
die Sitzung bis 15 Uhr zu vertagen. Wer dem An- deren seinerzeitiger Vorsitzender Otto Wels dem
trag zustimmen will, den bitte ich um ein Hand- triumphierenden Hitler in der Krolloper zugerufen
zeichen. — Gegenprobe! — hat: „Freiheit und Leben kann man uns nehmen,
unsere Ehre nicht."
(Unruhe.)
(Beifall bei der ;SPD. — Unruhe bei der
Ich lasse die Abstimmung wiederholen. Wer für CD U/CSU.)
Vertagung auf 15 Uhr ist, den bitte ich, sich zu er-
heben. — Gegenprobe! — Meine Kollegen im Prä- Biner der Männer, die damals den Mut hatten, in
sidium und ich können das nicht entscheiden, also der Krolloper gegen das Ermächtigungsgesetz zu
stimmen wir im Hammelsprung ab. stimmen, war der Kollege Ritzel.
(Die Abgeordneten verlassen den Saal.) (Lebhafter Beifall bei der SPD.)
Darum möchte ich Sie an die Worte von Otto Wels
Meine Damen und Herren, ich mache nochmals
darauf .aufmerksam, daß zur Abstimmung der Antrag erinnern: „Freiheit und Leben kann man uns neh-
des Abgeordneten Rasner steht, die Sitzung bis um men, unsere Ehre nicht."
15 Uhr zu unterbrechen! (Beifall bei der SPD.)
1990 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 45. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. November 1962
Vizepräsident Dr. Schmid: Das Wort hat der Ich frage Sie, ob ich nicht auch die Berechtigung
Abgeordnete Wacher. - hätte, empört zu sein. Wenn ich Herrn Hermsdorf
(Zurufe von der SPD zur CDU/CSU und richtig verstanden habe, — —
Gegenrufe. — Unruhe.) (Abg. Wehner: Weil Ihre Fraktionsführer
das abgesprochen haben!)
Wacher (CDU/CSU) : Herr Präsident! Meine Da-
men und Herren! Herr Kollege Erler hat, wie andere Vizepräsident Dr. Schmid: Herr Abgeordneter,
auch, Zweifel an der Rechtsstaatlichkeit angemeldet. ich bitte Sie, einen Augenblick zu pausieren. — Herr
Er folgt damit auch Herrn Ritzel. Sie werden es mir Abgeordneter Wehner, was haben Sie vorhin dem
nachsehen, wenn. ich Ihnen sage, daß ich aus dieser Abgeordneten Wacher zugerufen?
Debatte den Eindruck bekommen habe, daß Ihnen,
(Abg. Wehner: Daß er ein kalter Rechner
meine Herren van der Sozialdemokratie, die Rand- ist, daß er das hier so vorbringt und nicht
erscheinungen bei diesem Verfahren viel wichtiger
empört ist!)
sind als der Landesverrat selbst.
(Beifall bei der CDU/CSU. — Zurufe und
Pfui-Rufe von der SPD. — Abg. Dr. Schäfer: Wacher (CDU/CSU) : Sie haben nicht „Rechner"
Schämen Sie sich!) gesagt, Herr Wehner.
Ich gebe Ihnen zu, daß Sie sich auch mit dem Lan- (Zuruf von der Mitte: Sie haben „Schmut
desverrat hier beschäftigt haben, aber — verzeihen zer" gesagt!)
Sie mir —: immer nur dann, wenn Sie gleichzeitig Herr Wehner, Sie irren sich über eine Minute, —
damit Verdächtigungen gegen unsere Bundesmini- wie oft mögen Sie sich über Stunden und Jahre
ster, Staatssekretäre und Beamten ausgestoßen geirrt haben?!
haben.
(Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU. —
(Zustimmung bei der CDU/CSU. — Zuruf: Erregte Zurufe von der SPD. — Gegenrufe
„Panorama"-Stil!) von der Mitte.)
Ich bin der Meinung, Sie verschieben hier etwas die Ich darf folgendes sagen, da ich auch einige Be-
Gewichte. Es geht hier an erster Stelle um den rechtigung habe, empört zu sein. Wenn ich Herrn
schändlichen Landesverrat, Hermsdorf recht verstanden habe, hat er die CDU
(Zurufe von der SPD) als eine „Partei der Neofaschisten" bezeichnet.
Meine Damen und Herren, das ist eine unerhörte
und daß Sie diesen zurückstellen — oder zumindest
Verdächtigung, die ich mit aller Deutlichkeit zu-
den Eindruck erwecken —, das muß uns erregen.
rückweisen muß.
(Beifall in der Mitte. — Anhaltende Zurufe
Vizepräsident Dr. Schmid: Herr Abgeordneter, von der SPD.)
gestatten Sie eine Zwischenfrage?
habe ich eine Frage sehr neutraler Art, die morgen mandem — von hoch und niedrig nicht — erschüt-
behandelt wird, an den Bundesverteidigungsmini- tert werden kann, ohne daß ihm das Parlament
ster gestellt, damit vielleicht endlich einmal ein Ge- auch nur bei dem geringsten Ansatz in dieser Rich-
spräch in Gang kommt, wie man die heiklen Ver- tung warnend in den Weg tritt. Das ist unsere Auf-
teidigungsfragen so behandeln kann, daß nicht nur gabe.
die auf der Regierungslinie liegenden Journalisten (Beifall bei der SPD und der FDP.)
mit entsprechenden Materialien — auch geheimen
So haben wir sie immer aufgefaßt, nicht nur wenn
Charakters — versorgt werden, um Propaganda für
es um Verfahren ging wie dieses. Ich könnte dem
eine bestimmte Konzeption zu machen,
Gedächtnis des Herrn Bundesinnenministers nach-
(Zuruf von der Mitte: Der „Spiegel" hat helfen und eine lange, lange Reihe von sozialdemo-
doch mehr gemacht!) kratischen Vorstößen, Vorlagen, Abstimmungen in
während andere von dieser Form der Information diesem Hause, bei denen es um die Sicherung und
ausgeschlossen werden. den Ausbau der rechtsstaatlichen Ordnung dieses
Staates nach allen Richtungen hin ging, vortragen.
(Hört! Hört! und Sehr richtig! bei der SPD.)
Deswegen ging es bei der heutigen Debatte und
Da muß ein ordentliches, in allen westlichen Län- geht es bei der Fortsetzung der Fragestunde mor-
dern sonst übliches Verfahren entwickelt werden, gen eben um dieses Problem, nicht um das, über
wie man die Presse auch dort, wo sie eine andere das die Justiz zu entscheiden hat; da wird sich die
Gesinnung als die Regierungspartei vertritt, mit ins Regierung und werden auch wir uns nicht einmi-
Vertrauen ziehen kann. schen dürfen. Für die Widerlegung der Behauptung,
(Beifall bei der SPD.) es handele sich um Randerscheinungen— Sie glaub-
ten doch die Sache als „Randerscheinungen" abtun
Das ist eine wichtige Aufgabe, meine Damen und zu können —, haben Sie doch selbst gesorgt; sonst
Herren, völlig losgelöst von der aktuellen „Spie- wäre nicht dieses Haus in dieser Frage so lange
gel"-Frage. Denn dies ist wirklich ein Mangel in beieinander, um zu diskutieren. Das tun wir nicht
unserer Presse, daß wir im Unterschied zu anderen über bloße Randerscheinungen, sondern weil die
westlichen Ländern keine sinnvoll fundierte, ernst Sicherung und die Festigung unserer demokrati-
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 45. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. November 1962 1993
Erler
sehen Einrichtungen auch im Innern — und nicht ich nicht. Deswegen, so hat der Bundesanwalt ge-
nur gegen Landesverräter — eine gemeinsame- sagt, dauert diese Untersuchung so lange und muß
Sorge dieses Hohen Hauses sein müssen. so sorgfältig geführt werden, damit wir die Wahr-
(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der heit ermitteln. Da kann man doch wirklich keinem
FDP.) einen Vorwurf draus machen.
Aber dann kommt noch ein zweiter Satz, den Herr
Vizepräsident Dr. Schmid: Das Wort hat der Ritzel vielleicht in der Eile, mit der er das geschrie-
Bundeskanzler. ben hat, wohl gar nicht so beachtet hat. Er hat in
dem Schlußpassus folgendes einander gegenüber-
gestellt:
Dr. Adenauer, Bundeskanzler: Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Herr Erler hat eine Der Schutz gegen Landesverrat soll unser Volk
außerordentlich geschickte Art, abzulenken von vor fremder Macht und fremder Willkür schüt-
dem, was eigentlich der Kern unserer ganzen Aus- zen. Es muß dann aber auch dabei bleiben, daß
einandersetzung hier war, und in Gedankengänge der Staatsbürger gegen Willkür im eigenen
zu führen, in denen wir gemeinsamer Ansicht sind. Lande geschützt wird.
Ich darf doch in aller Ruhe feststellen, wodurch (Sehr richtig! bei der SPD. — Abg. Dr.
denn diese . Debatte ausgelöst worden ist. Sie ist Schäfer: Da sind Sie doch der gleichen Mei
dadurch ausgelöst worden, daß Herr Abgeordneter nung?)
Ritzel namens der sozialdemokratischen Fraktion
eine Erklärung verlesen hat. — Wenn das „sehr richtig" ist — und es ist auch
richtig —, dann braucht das doch nicht hier gesagt
(Abg. Dr. Schäfer: Nein, eine persönliche
zu werden. Es braucht doch nicht gesagt zu werden:
Erklärung nach § 36! — Abg. Erler: Aber
„Es muß dann aber auch . . ."
nehmen Sie es so, wir sind mit dem Inhalt
einverstanden!) (Beifall bei der CDU/CSU.)
— Aber, meine Herren, Sie werden sich doch nicht Sehen Sie, meine Herren, da habe ich mich aller-
von Herrn Ritzel distanzieren! dings verpflichtet gefühlt — und ich glaube, ich
(Zurufe von der SPD: Nein!) hatte diese Pflicht —, hier hinzutreten und mich
vor alle die Beamten zu stellen, die an diese außer-
— Also ist es doch eine Erklärung, die Herr Ritzel
ordentlich unangenehme und schwere Aufgabe mit
entweder namens der Sozialdemokratischen Frak-
Tatkraft herangegangen sind.
tion abgegeben hat oder der diese beitritt.
(Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Dr.
(Abg. Dr. Schäfer: Wir treten bei! — Abg.
Schäfer: Rechtmäßig!)
Erler: Völlig!)
Woran ich mich wirklich so gestoßen und inner- Ich glaube, meine Damen und Herren, ich würde
lich empört halbe, das sind zwei Sätze darin, die meine Pflicht nicht erfüllt haben, wenn ich das nicht
nun (bei dem Hin und Her vielleicht verlorengehen. getan hätte; und das mußte ich tun einem inneren
Ich möchte sie noch einmal vorlesen. — Aber er- Gebote der Gerechtigkeit zuliebe, meine Damen
tragen Sie mich, meine Herren. Wir sind im selben und Herren. Ich habe nie daran gedacht, Ihrer Par-
Parlament. Ich muß Sie ja auch ertragen. — Sehen tei etwa einen Vorwurf zu machen, daß sie mit einem
Sie, da steht der Satz drin, daß sich die Fragen Landesverräter sympathisiere. Habe ich nie dran ge-
„einzig und allein auf die der Aufklärung bedürf- dacht! Aber sehen Sie, in der Person Augstein sind
tigen Vorgänge in bezug auf das Verhalten von zwei Komplexe drin. Auf der einen — —
Ministern, Staatssekretären und des Bundeskrimi- (Zuruf des Abg. Dr. Schäfer.)
nalamts bei Durchführung des erteilten Befehls auf
Haussuchung und Beschlagnahme von belastendem — Ja, warten Sie doch einmal ab, meine Herren.
Material" beziehen. Das ist der eine Satz. Nun ist Auf der einen Seite verdient er am Landesverrat;
kein Minister dabei beteiligt mit Ausnahme — — und das finde ich einfach gemein.
(Unruhe bei der SPD.) (Zurufe von der SPD: Ist das erwiesen? —
— Meine Damen und Herren, wollen wir uns nicht Abg. Wehner: Hört! Hört! —Weiterer Zuruf
gegenseitig ertragen? Es wird soviel leichter da- von der SPD: Unglaublich!)
durch. — Und es war kein 'Staatssekretär bei der Und zweitens, meine Damen und Herren, verdient
Haussuchung und bei der Beschlagnahme beteiligt. er an allgemeiner Hetze auch gegen die Koalitions-
(Lachen bei der SPD.) parteien; und das gefällt Ihnen, wie Sie nicht be-
streiten können.
— Ja, meine Herren, ich kann das nur feststellen.
Das Bundeskriminalamt war dabei beteiligt. Der (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU. —
Bundesanwalt hat gestern in der Pressekonferenz Zuruf von der SPD: Infam!)
erklärt, ein aktiver Oberst der Bundeswehr habe
schon am 18. Oktober Augstein und die Redaktion Sie werden — also ich konzediere Ihnen das ohne
benachrichtigt, daß ein Verfahren wegen Landesver- weiteres, meine Herren, der ganzen sozialdemokra-
rats gegen sie eingeleitet sei. Ich glaube nicht, daß tischen Fraktion — ebenso wie ich überrascht wor-
nun die so Benachrichtigten und Gewarnten ihre den sein, daß man Augstein Landesverrat vorwer-
ganzen Papiere da haben liegen lassen. Das glaube fen konnte. Ich war davon überrascht. — Ich lese
1994 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 45. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. November 1962
Döring (Düsseldorf)
dient tam Landesverrat. Dann haben Sie als erster Bewunderung für den staatsbürgerlichen Mut des
hier ein Urteil gefällt, das zu fällen nur dem Gericht Herrn Kollegen Döring Ausdruck geben.
zusteht.
(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten
(Lebhafter Beifall bei Abgeordneten der der FDP.)
FDP und bei der SPD.)
Meine Damen und Herren, ich will mich beflei-
Herr Bundeskanzler, ich weiß, was ich sage. Ich bin ßigen, mit derselben Ruhe zu sprechen, die der Herr
nicht bereit— und das ist keine koalitionspolitische Bundeskanzler sich hat angelegen sein lassen. Ich
Frage —, unwidersprochen hinzunehmen, daß letzt- glaube, wenn wir in , der Sache überlegen, wo denn
lich durch eine ganz bestimmte Stimmungsentwick- die Unterschiede sind, dann finden wir es außer-
lu n g, gleichgültig wer sie bewirkt, Leute verurteilt ordentlich einfach in der Gegenüberstellung, daß der
sind, bevor sie überhaupt jemals einen Gerichtssaal Herr Bundeskanzler so in seiner plaudernden Art
gesehen haben. sagt: Ob denn nun der Herr Ahlers in Malaga oder
(Beifall bei Abgeordneten .der FDP und bei ob er in Hamburg verhaftet wird, was macht das
der SPD. — Abg. Wacher meldet sich zu denn für einen Unterschied!, während Herr Döring
einer Zwischenfrage.) sagt: Das ist mein Freund, und solange ein Mensch
bei uns im Rechtsstaat nicht rechtskräftig abgeurteilt
— Ich nehme im Augenblick keine Fragen an. ist, hat er volle Menschen- und Bürgerrechte und
Ich bin heute noch nicht bereit, hier darüber zu ist gleich vor dem Gesetz wie jeder andere! Sehen
sprechen, welche Bemühungen ich persönlich ange- Sie, das ist einfach die Spannung, weil hier nämlich
stellt habe, um einen auch mir unerträglich erschei- die Auffassung vertreten wird: auf das Wie, auf
nenden Kampf zwischen zwei Institutionen abzumil- die Methode kommt es gar nicht an. Als ob der
dern der beseitigen zu helfen. Ich werde vielleicht Zweck die Mittel heiligte!
gezwungen sein, eines Tages hier darüber zu spre- (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten
chen. der FDP. — Zurufe von der CDU/CSU.)
Aber sich sage Ihnen eines: Sowenig wie ich be-
reit bin, mich vor irgendeine gerichtlich bekräftigte Nach unserer Auffassung bedarf ein demokra-
Verfehlung meines Freundes Augstein oder seiner tischer Rechtsstaat, ein parlamentarisch-sozial re-
gierter Staat des besonderen Schutzes, des besonde-
Redakteure zu stellen, ,so sehr fühle ich mich ,ge-
ren Schutzes auch ganz selbstverständlich vor dem
zwungen, auch als Angehöriger dieser Koalition zu
so schweren, niederträchtigen und einem der schänd-
sagen, was an dem Tage, an dem ,der Verdacht auf-
lichsten Verbrechen, wie es der Landesverrat ist.
kam oder gerechtfertigt erschien, es sei nicht alles
AberdiDmokatucheslbondr
ganz Rechtens zugegangen, viele Menschen bewegt
Schutz, weil sie einmal für uns einen besonderen
hat, u. a. einen Menschen, der mir am nächsten
Wert darstellt, weil sie liebenswert ist um dessent-
steht: meine eigene Frau, von deren 26 Familien-
willen, was sie uns an Gütern bringt. Sie bedarf des
mitgliedern 22 in deutschen Konzentrationslagern
besonderen Schutzes auch deshalb, weil nämlich die
umgekommen sind, eine Frau, der es schwergefallen
Demokratie, anders als autoritäre und totalitäre
ist, nach Deutschland zurückzukommen, der ich mich
Staaten, sich nur auf rechtsstaatliche Weise vertei-
wochen- und monatelang bemüht habe klarzuma-
digen kann. Das ist eine Schwäche — das ist aber
chen, daß alle ihre Sorgen und Zweifel, die sie viel-
eine Schwäche, auf die wir stolz sind —, daß sie
leicht hier oder da haben könnte, unberechtigt sind,
sich nicht anders als auf rechtsstaatliche Weise ver-
die mich fragt: Ist es möglich, daß, wenn nur ein
teidigen kann.
Verdacht besteht, es sei nicht alles mit rechten Din-
gen zugegangen, irgendwo eine Hemmung besteht, (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten
diesen Verdacht aufzuklären? der FDP.)
Meine Damen und Herren, ich beschwöre jetzt Wenn wir uns auf rechtsstaatliche Weise vertei-
meine eigenen Koalitionsfreunde: Erwecken wir digen, dann bildet es sehr wohl einen Unterschied,
doch nicht einen Eindruck, es gehe hier etwa um ob jemand in Malaga unter Verstoß gegen inter-
eine koalitionspolitische oder machtpolitische Frage! nationale Abreden oder auf sonst dunkle und zwei-
Leisen Sie die Auslandszeitungen! felhafte Weise seiner Freiheit beraubt worden ist
(Abg. Dr. Schäfer: Richtig!) oder ob er hier auf unserem Boden nach einem
Haftbefehl eines Richters festgenommen worden ist.
Wir haben alle gemeinsam Grund, dafür zu sorgen, Das ist eine Frage der Rechtsstaatlichkeit, die nicht
daß nicht die Spur eines Verdachts an uns allen nur Begleiterscheinung oder Randerscheinung ist.
hängen bleibt.
Der Herr Bundeskanzler hat vorhin in seinen
(Beifall bei der FDP. — Anhaltender leb- Ausführungen gesagt — ich will mich bestreben,
hafter Beifall bei der SPD.) auch so ruhig zu bleiben, obgleich man sich manch-
mal darüber erregen könnte —, es sei für unsere
Vizepräsident Dr. Schmid: Das Wort hat der Sache doch nicht gut, wenn im Ausland der Ein-
Abgeordnete Arndt. druck entstanden sei, als ob hier wieder Methoden
früherer, vergangener Zeiten zur Anwendung ge-
Dr. Arndt (Berlin) (SPD) : Meine Damen und Her- kommen seien. Nun, woher haben denn die „Times"
ren, bevor ich das sage, was ich noch zu sagen habe und die „Time" — und ich kann Ihnen eine Fülle
— es ist nicht mehr viel nach den Ausführungen von Zeitungen aus den Vereinigten Staaten von
des Herrn Kollegen Döring —, möchte ich meiner Amerika, aus Großbritannien nennen, die „Times"
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 45. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. November 1962 1997
Dr. Arndt (Berlin)
voran, die gute alte Tante „Times", die bestimmt Der Herr Bundeskanzler hat auch wieder den Ein-
hier nicht Herrn Augstein zuliebe sein will —, die druck zu erwecken versucht, als ob es um ein Bun-
französische Presse, ihren Eindruck gewonnen? Doch desgericht gehe und irgend jemand in ein schwe-
nicht, weil wir heute hier Fragen stellen, bendes Verfahren eingreifen wollte. Nun, der einzige
(lebhafter Beifall bei der SPD) Eingriff in ein schwebendes Verfahren ist, daß hier
sondern weil aus Gründen, die die Bundesregierung Herr Augstein schon als Landesverräter behandelt
zu verantworten hat, der Eindruck entstand. wird und daß alle die diffamiert werden, die im
„Spiegel" inseriert haben. Offenbar ist dem Herrn
Nun sagte der Herr Bundeskanzler: Untersuchen
Bundeskanzler entgangen, daß die Bundeswehr
wir es doch in Ruhe! Na, meine Damen und Herren,
immer im „Spiegel" inseriert.
was tun wir denn anderes, wenn wir Fragen stellen?
Warum begrüßen Sie nicht unsere Fragen? Warum (Stürmische Heiterkeit und Beifall bei der
eilen Sie nicht herbei und beantworten die Fragen, SPD.)
statt daß Sie ausweichen? Also das ist der einzige Eingriff in ein schwebendes
(Erneuter lebhafter Beifall bei der SPD.) Verfahren: daß hier Leute schon als abgeurteilt hin-
Sehen Sie, dann hätte der Herr Bundeskanzler, wenn gestellt werden, gegen die noch nicht einmal eine
er jetzt zum Präsidenten Kennedy fährt, sagen kön- gerichtliche Voruntersuchung eröffnet ist. Wir haben
nen: Gut, da war in Deutschland eine gewisse gar keinen Anlaß, in ein schwebendes Verfahren
Unruhe, die Menschen haben auf der Straße von Ge- einzugreifen. Denn wir Sozialdemokraten haben hin-
stapo gesprochen. reichendes Vertrauen, daß die Gerichte ohne Anse-
(Zurufe von der CDU/CSU.) hen der Person ihres Amtes walten werden.
— So haben das westliche Zeitungen des Auslands Aber wenn immer so getan wird, als ob die
geschrieben. Ich kann Ihnen das aus dem „Nachrich- Bundesregierung das nichts anginge, so ist das ein-
tenspiegel" — er heißt zufälligerweise auch „Spie- fach nicht richtig. Wer ist denn vorläufig in Aktion?
gel" — der Bundesregierung vom 6. November vor- Die Sicherungsgruppe, die zum Bundeskriminalamt
lesen. Ich habe ihn zufällig nicht zur Hand, aber gehört und hier in . Bonn ist. Das Bundeskriminal-
nehmen Sie ihn einmal zur Hand, diesen „Nach- amt handelt als Hilfsorgan der Bundesanwaltschaft.
richtenspiegel" Nr. II und lesen Sie nach, was darin Infolgedessen ist die Bundesanwaltschaft für alles
über die Stimmung im Ausland und über auslän- verantwortlich, was diese ihre Hilfsorgane tun.
dische Pressestimmen steht. Da habe ich gelesen — Die Bundesanwaltschaft ist aber nicht, wie es der
nun kann ich nicht mehr sagen, ob es „Le Monde" Herr Bundespressechef in der letzten Pressekonfe-
oder die „Times" oder „Time" geschrieben hat —, renz hinzustellen beliebt hat, der einzige unkon-
in Deutschland sprächen die Menschen auf der Straße trollierte und unkontrollierbare Souverän in Deutsch-
von Gestapo. Lesen Sie doch die Dinge in der Presse land, sondern die Bundesanwaltschaft ist eine Be-
statt bloß Ihre eigene Parteizeitung! hörde der Rechtspflege, deren Aufsicht der Bundes-
(Beifall bei der SPD. — Abg. Etzel: So war regierung, und zwar dem Herrn Bundesminister der
es doch nicht! — Weitere Zurufe von der Justizt, obliegt.
Mitte.) Wenn ich jetzt noch eine etwas härtere Bemer-
Es muß doch unsere eigene Sorge, unser aller Sorge kung mache, so aus dem Grunde, daß auch mich hier
sein. Wenn so etwas im westlichen Ausland, in der einiges empört. Der Herr Bundeskanzler ist empört,
freien Welt in der Zeitung steht, dann haben wir und nun hat ja unsereiner auch das Recht dazu. Ich
alle die gemeinsame Aufgabe, der westlichen Welt meine die Tatsache, daß hier die Dinge so auf die
zu beweisen, daß es in diesem unserem Deutschland Beamten abgeschoben werden. Nein, weder die Be-
keine Gestapo-Methoden und keine derlei Dinge amten der Sicherungsgruppe noch die des Bundes-
gibt. kriminalamtes noch die Hilfsarbeiter der Bundes-
(Zurufe von der CDU/CSU.) anwaltschaft noch die Bundesanwälte noch auch die
Dazu war heute die Fragestunde angetan, wo doch in die Wüste geschickten Staatssekretäre können
vieles hätte aufgeklärt werden können, aber nicht sich vor dem Bundestag verantworten. Vor dem
aufgeklärt worden ist. Bundestag trägt die volle parlamentarische Verant-
Statt dessen hören wir nun: Seien Sie doch mensch- wortung für alles, was hier an Verfolgungsmaßnah-
lich, das sind doch Beamte, vor die man sich stellen men geschehen ist
muß, man muß sich doch in die Lage der Beamten (Zurufe von der CDU/CSU: Oho!)
versetzen! — Na, versetzen Sie sich doch mal in die
denn es ist außer dem Haftbefehl Durchsuchungs-
Lage des Staatssekretärs Strauß! Ist das kein
befehl — —
Beamter, Herr Bundeskanzler?
(Heiterkeit und lebhafter Beifall bei der SPD.) (Zuruf von der CDU/CSU: Pfui! — Unruhe
Das ist ja nicht bloß eine koalitionspolitische Frage bei der CDU/CSU.)
mit einem seit dreizehn Jahren tätigen Staatssekre- - Entschuldigen Sie, das ist ein juristisch-techni-
tär, sondern es geht darum, daß der leider erkrankte scher Ausdruck. Man spricht von Strafverfolgungs-
Herr Justizminister Stammberger — und ich bin behörden, und was hier vorliegt, ist ganz in tech-
überzeugt, daß er erkrankt ist — gesagt hat: Ich nischem Sinne eine Verfolgungsmaßnahme. Darin
kann infolge der Art der Unterrichtung die Verant- liegt kein Soupçon. — Die Herren Juristen von der
wortung nicht tragen, für Dinge, die sich da ereignet CDU nicken mir zu. Also bitte da keine Aufre-
zu haben scheinen. Das ist doch das, worum es geht. gung. — Alles, was bisher geschehen ist, ist — mit
1998 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 45. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. November 1962
Dr. Arndt (Berlin)
Ausnahme einiger weniger richterlicher Anordnun- Und diese Durchsuchung! Ich will Ihnen das vor-
gen — in der Verantwortung einer Behörde, die der lesen, was gestern in der Pressekonferenz der Bun-
Bundesregierung untersteht, und ob da etwas ge- desanwalt Lösdau gesagt hat: „Aus den Unterlagen,
schehen ist als Randerscheinung oder als Begleit- die die Ermittlungsrichter bisher in den Redaktions-
erscheinung oder als eine noch viel schwerer wie- räumen des „Spiegel" im Hamburg und Bonn be-
gende Erscheinung, das hat die Bundesregierung schlagnahmt haben ...". Das nennen Sie „wenige
vor dem Bundestag zu verantworten und vor allen richterliche Anordnungen" ! Sie sehen, die Durch-
Dingen zu beantworten. Und wenn es beantwortet suchung kann ja überhaupt nur vorgenommen wer-
würde, würden sich die Dinge wahrscheinlich unter den, wenn der Richter die Anordnung trifft, und
Umständen lösen. hier hat der Richter, der Beauftragte des Bundes-
Aber man kann der Beantwortung nicht auswei- gerichts, selbst diese Durchsuchung der Redaktions-
chen, indem man hier immer wieder die Frage räume in Bonn und Hamburg vorgenommen.
„Landesverrat" hochspielt. Das ist Sache der Ge- (Zuruf rechts: Angeordnet!)
richte. Man kann der Beantwortung und Verant-
— Nicht nur angeordnet, sondern auch vorgenom-
wortung nicht ausweichen, indem man hier die
men hat er sie selbst.
Motive der parlamentarischen Opposition verdäch-
tigt. Denn die tut nur das, was auch Sie tun sollten, Und was hat er gefunden? Das will ich Ihnen
wenn wir uns um diese Dinge kümmern, nämlich auch mal sagen, das scheinen Sie nicht so genau zu
wir stellen uns vor die Verfassung. lesen:
(Stürmischer Beifall bei der SPD.) Aus den Unterlagen, die die Ermittlungsrichter
bisher in den Redaktionsräumen des „Spiegel"
Vizepräsident Dr. Schmid: Das Wort hat der in Hamburg und Bonn beschlagnahmt haben,
Herr Bundeskanzler. nannte die Bundesanwaltschaft vier Doku-
mente, deren Bekanntgabe zum gegenwärtigen
Dr. Adenauer, Bundeskanzler: Herr Präsident! Zeitpunkt die Untersuchung nicht mehr gefähr-
Meine Damen und Herren! Herr Kollege Arndt hat den könnte. Zunächst ein mehrseitiges Exposé,
gesagt, ich hätte erklärt, auf die Methode komme dessen Photokopie in einem Panzerschrank von
es nicht an. Das ist nicht wahr, Herr Arndt. Rudolf Augstein gefunden wurde und das
Staatsgeheimnisse von hohem Rang über die
(Zuruf von der SPD: „Unwichtig"!)
Landesverteidigung enthält.
— Das ist nicht wahr. Bitte, lesen Sie das unkorri-
(Hört! Hört! Bei der CDU/CSU.)
gierte Stenogramm! Ich habe es nicht da, aber ich
weiß genau, was ich gesagt habe. Ich habe dann In dem Exposé ist ausdrücklich vermerkt, das es
hinzugesetzt: wir wollen für sich untersuchen, ob geheimzuhaltende Dinge enthält. Das scheint also
irgendwelche Verstöße vorgekommen sind. Das dorthin geliefert worden zu sein. Ein Teil dieser
habe ich gesagt. geheimen Tatsachen sei im „Spiegel" publiziert
worden.
(Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)
Ich meine, meine Damen und Herren, bei solch
Also bitte, sagen Sie nicht, ich hätte erklärt, auf
gravierenden Dingen — — und ich kann Ihnen lei-
die Methode käme es nicht an.
der nicht noch mehr Einzelheiten sagen, ich darf es
(Widerspruch bei der SPD.) nicht, ich kenne sie auch nicht alle; ich habe mich
— Das stimmt nicht. - Aber, meine Damen und absichtlich, das möchte ich bemerken, so fern gehal-
Herren, da haben wir ja noch Stenographen hier; ten von dieser ganzen Sache, wie ich es mit meinen
lesen Sie doch das Stenogramm! Amtspflichten vereinbaren konnte, aus dem ein-
(Heiterkeit.) fachen Grunde, weil ich mich um Dinge entweder
ganz kümmere oder wenig kümmere. Aber wenn
Ich weiß genau, daß ich gesagt habe: wir wollen ich mich ganz darum kümmern sollte — dafür habe
das für sich untersuchen. Wenn ich gesagt habe „für ich keine Zeit —, dann hätte ich mich der ganzen
sich untersuchen", dann meine ich damit, daß man Sache Tag und Nacht widmen müssen. Das kann
nicht allmählich einen Nebel über alles schaffen ich nicht, ich habe auch noch andere Dinge zu tun.
soll. Dadurch wird ja gerade der schlechte Eindruck
im Ausland hervorgerufen. Aber ich bitte Sie, meine Damen und Herren:
diese wenigen Mitteilungen, die gestern der Bun-
Aber nun möchte ich doch folgendes noch vor- desanwalt öffentlich in einer Pressekonferenz ge-
lesen, was anscheinend Ihnen weitgehend unbe- macht hat, die genügen doch wohl. Herr Arndt, ich
kannt ist. Herr Arndt hat gesagt: „die und die und möchte gerade Ihnen als Jurist noch einmal sagen —
die sind tätig gewesen, mit Ausnahme weniger Sie haben das so zart erklärt, „mit Ausnahme we-
richterlicher Anordnungen". Sehen Sie einmal, wie niger richterlicher Anordnungen" —: nein, die rich-
zart, Herr Arndt! Diese „wenigen richterlichen An- terlichen Anordnungen sind der Kern des Ganzen.
ordnungen" sind die Haftbefehle, sind die Abwei-
(Abg. Dr. Arndt: Darüber reden wir doch
sungen der Beschwerde dagegen und sind der
gar nicht!)
Durchsuchungsbefehl sowohl in Hamburg wie in
Bonn. Das sind die „wenigen richterlichen Anord- — Sie reden doch darüber, nicht ich. Sie haben es
nungen"? Nein, das ist der Kern des Ganzen, Herr doch eben gesagt.
Arndt! (Abg. Dr. Arndt: Sie haben es ja noch nicht
(Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU.) verstanden!)
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 45. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. November 1962 1999
Bundeskanzler Dr. Adenauer
— Doch, Herr Arndt, ich verstehe Sie. Wir kennen die Erklärung des Internationalen Presserates. Ich
uns jetzt schon 13 Jahre. Ich kenne Sie sehr genau,
- bin auch erschrocken darüber, daß der Anschein er-
und ich verstehe Sie auch. weckt worden ist, als ob hier Gesetz und Recht,
Verfassung und Pressefreiheit nichts seien.
(Heiterkeit in der Mitte.)
Aber das wird ja nun Gott sei Dank heute nie-
Ich weiß ganz genau, wie Sie die Sachen, den Kern
mand mehr mit Grund sagen können, und da muß
einzuwickeln verstehen in andere Dinge. Das weiß
ich jetzt auch noch einmal wie der Herr Bundes-
ich ganz genau.
kanzler gegenüber dem Herrn Kollegen Arndt sa-
(Beifall bei der CDU/CSU.) gen: Der Herr Innenminister hat nicht zu Unrecht
heute früh darum. gebeten, das törichte Wort „Ak-
Vizepräsident Dr. Schmid: Das Wort hat der tion" oder „Polizeiaktion" aus der Debatte zu las-
Abgeordnete Güde. sen. Es handelt sich um eine bundesanwaltschaft-
liche, auf richterliche Anordnung und Haftbefehle
Dr. h. c. Glide (CDU/CSU) : Herr Präsident! gestützte Maßnahme und um nichts anderes. Nur
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe am Rande können Dinge vorgekommen sein, die
den Beginn dieser, wie ich sagen muß, unglücklichen nicht gedeckt sind von der pflichtgemäßen Hand-
Debatte lung der Bundesanwälte und von der pflichtgemä-
(Zustimmung rechts) ßen Handlung der Richter, und das ist doch nun
einfach die Hauptsache, die die öffentliche Meinung
nicht miterlebt, weil ich während der Verlesung der und die auch Sie, meine Herren in der Opposition,
Erklärung des Abgeordneten Ritzel draußen beschäf- zu klein schreiben. So verzerrt man die Maße in
tigt war und erst durch den Stil der Volksversamm- der Angelegenheit.
lung wieder hereingelockt worden bin. Aber ich
bin unglücklich, unglücklich als alter Jurist und un- (Beifall in der Mitte.)
glücklich als Abgeordneter. Sie haben vorhin in einem Zwischenruf gesagt:
Darüber reden wir doch gar nicht! Aber darin liegt
Vor Monaten habe ich in einem anderen Zusam-
ja nun das Falsche, daß Sie darüber gar nicht re-
menhang an das Wort vom athenischen Scherben-
den, als ob e s das nicht gäbe,
gericht erinnert. Ich darf noch einmal in wenigen
Worten sagen, was das war. Mißliebige Politiker (Sehr gut! in der Mitte)
wurden in einer Volksabstimmung in kurzem Prozeß als ob es nicht die Justiz wäre, die da handelt, als
aus dem Lande gejagt, in einem Verfahren, bei dem ob es nicht Bundesanwälte wären, die pflichtgemäß
niemand wußte und niemand prüfte, worauf es an handeln, als ob es nicht Richter wären, die nach
kam oder nicht ankam. Es kam nicht auf Schuld Recht und Gewissen das getan haben, was sie nach I
oder Nichtschuld an, sondern auf die Erregung in ihrer Meinung dem Gesetz und dem Recht schuldig
einer großen Volksversammlung. So wird bei waren.
Plutarch erzählt: Aristides saß in der Volksver- (Lebhafter Beifall in der Mitte und bei Ab
sammlung, als über seine eigene Verbannung abge- geordneten der FDP.)
stimmt wurde. Der Mann neben ihm konnte nicht
schreiben auf den Scherben und bat ihn, er solle Darüber muß man reden. Man kann es nicht ein-
doch auf den Scherben „Aristides" schreiben. Aristi- fach ausklammern und so tun, als ob die Polizei
des fragte ihn dann: „Kennen Sie eigentlich den und die Minister und die Staatssekretäre und ich
Aristides?" Da antwortet der: „Nein, aber von dem weiß nicht wer diese „Aktion" — Ihr Wort —,
reden die Kerle ja soviel und ewig; das habe ich diese „Aktion" „bei Nacht und Nebel" oder ich
satt; der muß raus!" weiß nicht wie gemacht hätten.
Meine Damen und Herren, es ist kein Geheimnis,
Meine Damen und Herren, manches, manches in
daß ich dieses Amt, das hier tätig geworden ist,
den letzten Wochen und Monaten erinnert an ein
jahrelang selbst geführt habe. Die Verdächtigung,
solches Scherbengericht, auch die jetzige Debatte.
die doch im deutschen Raum steht, als ob dieses
Es erinnert daran der Prozeß in der öffentlichen
Amt samt den Richtern dem Racheakt einer Regie-
Meinung seit 10 oder 14 Tagen, einer allerdings
rung oder eines Ministers zugänglich wäre, weise
unglücklicherweise nicht genügend belehrten öffent-
ich wirklich von mir und meinen Kollegen; das gibt
lichen Meinung;
es Gott sei Dank nicht.
(Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU und Abgeord
denn wenn der öffentlichen Meinung in einer kla- neten der FDP.)
ren und vernünftigen Weise in der ersten Stunde Es hat manchmal in meinem Amt auch Konflikte
gesatwordnä:Dumhaeltsic;d nach der Regierungsseite zu gegeben, weil ich —
wird geprüft, und es ist genügend Anlaß, das zu aber das bin nicht ich allein, so denkt die Justiz in
prüfen, dann hätte nicht dieses Scherbengericht der Deutschland, weil sie rechtsstaatlich denkt; so han-
-öffentlichen Meinung im Innern und außen entstehen delt sie auch, weil sie rechtsstaatlich handelt — ge-
können. Seien wir uns darüber klar, daß das, was legentlich vom Recht her gesagt habe: ich glaube,
sich draußen in der öffentlichen Meinung ereignet das und jenes nicht tun zu können. Aber glauben
hat, ein Widerhall unserer eigenen völlig durch- Sie nicht, daß die Bundesanwälte und der amtierende
einander gekommenen öffentlichen Meinung ist. Generalbundesanwalt, die jetzt dieses Ermittlungs-
Ich erschrak auch, als ich die „Times" in die verfahren führen, anders denken und handeln als
Hand nahm. Am meisten bin ich erschrocken über ich; Gott sei Dank nicht!
2000 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 45. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. November 1962
Dr. h. c. Güde
Nein, nein, auch das gehört doch zu dem Scher- Rache eines Ministers oder einer Regierung tätig
bengericht, vor dem wir uns alle fürchten müssen, - seien,
(Sehr gut! bei der CDU/CSU) (Beifall in der Mitte)
ist doch eine fast untragbare Belastung.
Sie wie wir. Wenn nämlich die Methode des Scher-
bengerichts einmal wieder anhebt, dann trifft es Sie Ich habe (heute Kdolegn,Busawt
wie uns. Manches, was ich heute in der Debatte der das Verfahren nun verantwortlich führt, zum
gehört habe, von allen Seiten, meine Damen und erstenmal seit Beginn des Verfahrens draußen im
Herren, gehört zur Methode des Scherbengerichts Foyer für fünf Minuten gesprochen. Und nebenbei —
— von allen Seiten! Ich unterschreibe auch gar nicht das nur zur Steuer der Wahrheit —: ich habe, als
jedes Wort, das einer meiner Parteifreunde hier ich in der Fibag-Debatte hier stand, nicht das ge-
gesagt hat, weil ich ängstlicher bin — das will ich ringste von. diesem Versfahren gewußt. Nur zur
Ihnen ganz ehrlich sagen —, ängstlicher bin um die Steuer der Wahrheit: ich habe auch in den Tagen
Wahrung des Rechts und der Rechtsformen. Die seither nicht die mindeste Erkundigung bei meiner
nehme ich nicht leicht. Ich gebe jederzeit zu: darin alten Behörde eingeholt, weil ich sie völlig trennen
liegt der Rechtsstaat, darin liegt in der Tat seine wollte von dem Raum der Politik, in dem ich jetzt
Würde, daß kein noch nicht Verurteilter als schuldig stehe. Ich habe heute früh zum erstenmal diesen
behandelt wird, daß auch derjenige, der wahrschein- Mann gesehen, der seit Nächten nicht mehr im Bett
lich schuldig ist, denselben Rechtsformen unterliegt, war, der nun wirklich am Rande dessen ist, was ein
denselben Anspruch hat auf die Rechtsform. Dar- Mensch in einem solchen Amt tragen kann. Daran
über debattiere ich gar nicht. Das ist so selbstver- denken .Sie doch auch einmal! Und das ist nicht
ständlich in unserem Staat, in unserem Bereich der Sentimentalität des Herrn Bundeskanzlers, wenn er
Justiz. sich schützend vor die Herren stellt, sondern das ist
Meine Herren, ich bitte Sie immer wieder, sehen tatsächlich eine Rechts-und Anstandspflicht, daß man
Sie, daß die Justiz am Werk war und daß diejeni- die pflichtmäßige Arbeit dieser Justiz ins richtige
gen, die Herr Kollege Arndt so in den Vordergrund Licht stellt und auch schützt vor solchem Unrecht.
gestellt hat, das Bundeskriminalamt und die Siche- (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeord
rungsgruppe und wer es sonst war, nur im Auftrag neten der FDP.. — Abg. Dr. Arndt [Berlin] :
der Justiz handeln. Und das Ganze ist durch Justiz Herr Kollege Güde, eine Zwischenfrage!)
gedeckt.
— Aber bitte.
Meine Damen und Herren, Sie haben vorhin von
dem Herrn Kollegen Arndt gehört, das sei ja nun
die beste aller Methoden, über die Dinge zu spre- Dr. Arndt (Berlin) (SPD) : Herr Kollege Güde, ist
chen. Das können Sie vernünftigerweise nicht sagen. es richtig — ich weiß es nicht genau, ich bin ja nur
In der Fragestunde — ich bitte Sie, ich bin ja ein auf die Presse angewiesen — und können Sie be-
Neuling, ein homo novus — ein so kompliziertes stätigen, daß tagelang ein Bundesanwalt in Hamburg
Verfahren anzusprechen nicht persönlich anwesend war, sondern nur ein
Hilfsarbeiter in Gestalt eines Oberstaatsanwaltes?
(Sehr gut! in der Mitte) Ich frage Sie deshalb, weil es ja immer darum geht,
mit Fragen und Zusatzfragen, die der Zufall und die wie die Dinge gemacht worden sind. Richterliche
Laune, eine manchmal sehr kuriose Laune der Fra- Akte hat bis jetzt keiner von uns kritisiert.
genden erzeugt, meine Damen und Herren, das ist
keine vernünftige Methode. Dr. h. c. Güde (CDU/CSU) : Herr Kollege Arndt,
(Beifall in der Mitte und bei Abgeordneten ich weiß das nicht, was Sie mich fragen, weil ich es
der FDP.) aus Grüniden, die Sie verstehen und die Sie sicher
auch respektieren, geflissentlich vermieden habe,
Dieses Trommelfeuer von Fragen um einen sehr mir auch nur den Anschein zu geben, als ob ich, der
ernsten Kern eines gerichtlichen Strafverfahrens ich Abgeordneter dieses Hauses bin, in dieses Ver-
herum ist allerdings geeignet, wiederum der Welt fahren auch nur mit dem kleinen Finger eingreifen
innen und außen zu sagen: Also, das muß ja ein wollte.
scheußliches Verfahren sein.
Sie sagen: Von dem Gerichtlichen reden wir nicht! Dr. Arndt (Berlin) (SPD) : Dann sagen Sie aber
Aber das Gerichtliche steht im Mittelpunkt all des- bitte auch nicht, daß ich die Maßstäbe verzerrte!
sen, was Sie reden.
(Zurufe von der Mitte: Sehr richtig! Genau!) Dr. h. C. Güde (CDU/CSU) : Herr Kollege Arndt,
die Maßstäbe — ich sage es noch einmal — sind
Ich sage noch einmal: dieses Amt habe ich selbst schon dadurch verzerrt, daß der wesentliche und
geführt. Ich bedauere meine Kollegen, die in diesem
wichtigste Teil, der Kern des gerichtlichen Verfah-
Trommelfeuer der öffentlichen Meinung Tag für Tag
rens und die Tätigkeit der Bundesanwälte und Bun-
ihre Pflicht tun — dazu gehören Nerven, meine
desrichter von Ihnen mit dem Satz abgetan wird:
Damen und Herren —, beschimpft und verdächtigt
Darüber reden wir doch gar nicht. Dadurch allein
von der öffentlichen Meinung; ich sage jetzt nicht:
von Ihnen. Aber allein die Unterstellung, daß all sind die Gewichte schon falsch gesetzt.
diese Bundesanwälte und Richter im Dienst der (Beifall bei der CDU/CSU.)
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 45. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. November 1962 2001
Vizepräsident Dr. Schmid: Gestatten Sie eine — an den Rändern. Glauben Sie nicht, daß wir nicht
Zwischenfrage? - unglücklich sind darüber, daß wir über den Uneben-
heiten dieses Verfahrens einen Mann wie den
Dr. h. C. Güde (CDU/CSU) : Bitte, Herr Kollege Staatssekretär Dr. Strauß verloren haben und auch
Ritzel. einen Mann, der nicht in unsere Reihen gehört, den
wir aber achten und respektieren und hochschätzen,
Ritzel (FDP): Herr Kollege Güde, ist Ihnen be- den Herrn Staatssekretär Hopf? Glauben Sie nicht,
kannt — ich hatte mir vorhin auf Ihren Wunsch er- daß wir selbst unglücklich sind über dieses Er-
laubt, Ihnen den Text meiner Erklärung zur Ver- gebnis?
fügung zu stellen —, daß in meiner Erklärung nach (Beifall bei der CDU/CSU.)
§ 36 der Geschäftsordnung mit keinem Wort Kritik
Die Unebenheiten dieses Verfahrens leugne ich für
am Bundesgericht und an der Bundesanwaltschaft
meinen Teil nicht.
geübt worden (ist?
Aber der Herr Bundeskanzler hat recht. In dieser
Dr. h. c. Güde (CDU/CSU) : Herr Kollege Ritzel, Versammlung, in dieser Sitzung ist offensichtlich
Sie waren so liebenswürdig, mir Ihre Erklärung, da keine Chance, die Dinge zu einer vernünftigen De-
ich sie nicht gehört hatte, in die Hand zu geben. Ich batte zu bringen, nämlich zu einer Diskussion von
gebe zu, in der Lektüre hat sie mich nicht erregt. Tatsachen, die man kennt. Einstweilen kennen Sie
Ich weiß nicht, wie Sie sie vorgetragen haben. Mir sie nicht, und ich auch nicht, meine Damen und
ist es, offengestanden, rätselhaft, wie sich allein an Herren. Glauben Sie mir: in der Fragestunde können
dieser Ihrer Erklärung dieser ganze Volkszorn ent- Sie doch nicht einen so komplizierten Sachverhalt
zünden konnte. aus diesen Mosaiksteinchen zusammensetzen, daß
(Beifall bei der SPD. — Abg. Ritzel: Ich es ein vernünftiges Diskussionsthema wäre; wir
danke Ihnen; genau das wollte ich!) werden schon — und dem versagen wir uns nicht,
meine Damen und Herren, auch meine Fraktion
— Sie sehen, meine Herren, ich versuche ganz un- nicht, auch die Regierungskoalition nicht — in aller
befangen — wie mein ganzes Leben lang —, objek- Ruhe und in einem vernünftigen seelischen Raum
tiv zu sein und wahr zu sprechen. Da Sie mir eben und auf der Grundlage von Tatsachen — Tatsachen,
so applaudiert haben, will ich Ihnen aber gleich dazu meine Damen und Herren, und nicht Verdächtigun-
sagen: Alles, was ich nachher gehört habe, hat mich gen — zu debattieren haben, was zu bessern ist.
allerdings entsetzt. Nur noch einmal: im Kern dieses Verfahrens, in
(Erneuter Beifall bei der SPD.) den Verhaftungen, in den Beschlagnahmen, sind
diese Unebenheiten nicht drin, sondern am Rande;
— Ich meine genau Sie, meine Damen und Herren,
und dort müssen Sie auch den Herrn Bundeskanzler
genau Sie.
richtig verstehen, wenn er sagt: zu Unrecht — zu
(Abg. Etzel: Beifall!)
Unrecht, sachlich zu Unrecht — ist Ahlers in Spanien
Gewiß, ich bedanke mich. nicht festgenommen worden. Daß dort eine Torheit
(Abg. Wittrock: Sie haben dem Bundes- begangen worden ist,
kanzler nicht zugehört!) (Abg. Wehner: Hört! Hört!)
- Ich bin in der Tat bei der ersten Erklärung des eine Dummheit, das können Sie von mir auch quit-
Herrn Bundeskanzlers erst bei den letzten Worten tiert haben, wenn Sie es haben wollen und wenn Sie
gekommen. mir dafür Beifall zollen wollen; aber das ist kein
(Zurufe von der SPD: Aha!) Geheimnis.
Ich muß sagen, die Erklärungen, die ich gehört habe, (Abg. Dr. Arndt [Berlin]: War es nur Dumm
fand ich allerdings sachgerecht, pflichtgemäß und heit?)
des Herrn Bundeskanzlers durchaus würdig. — Ich würde sagen: Soweit ich die Dinge bis jetzt
(Beifall bei der SPD.) beurteilen kann, ist es eine gehörige Dummheit,
— Ich freue mich, daß ich Ihre Gunst so genieße. kein ausgesprochener Verstoß gegen das Recht.
Denn Sie werden ja den Beifall dem zollen, daß der (Abg. Dr. Mommer: Vielleicht war der
Herr Bundeskanzler sachgemäß und gerecht ge- Genius loci mit im Spiel!)
sprochen hat; danke sehr, meine Herren.
— Nein, Herr Kollege Mommer, sondern ich würde
(Zuruf von der SPD.) sagen: wirklich eine Kombination von Torheiten,
— Nein, meine Damen und Herren, erlauben Sie aber kein Verstoß gegen irgendwelches bindendes
jetzt einem alten Juristen, zu sagen: So kann deutsches Recht. Sie haben heute morgen die Aus-
man — ich will gar nicht das Wort „schwebendes lieferungsverträge und das Reglement von Interpol
Verfahren" gebrauchen — unmittelbar in die Be- zitiert. Das sind beides keine Dinge, gegen die ein
mühungen der Justizbehörden nicht hineinschreien. echter Rechtsverstoß hier begangen worden ist. Aber
Das tut die öffentliche Meinung, und in der Gefahr wir werden das in Ruhe miteinander bereden müs-
sind Sie heute. Sie sind wirklich in der Gefahr. sen. Entstellen Sie nicht, wenn der Herr Bundes-
kanzler aus seiner Schau der Dinge sagt: Nun ja,
Sie haben vollkommen recht, in dem Verfahren
dem Mann, der ja tatsächlich, als er wiederkam,
ist offenbar nicht alles ebenmäßig gegangen,
verhaftet worden ist, dem ist in der Sache ja kein
(Beifall bei der SPD) Unrecht geschehen; in der Form wahrscheinlich.
2002 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 45. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. November 1962
Dr. h. c. Güde
Sie haben, Herr Kollege Arndt, pathetisch den haben wir ihn mal. Was ist das für eine sonderbare
Rechtsstaat beschworen. Nun, an dem Rechtsstaat Methode?
hängen wir alle seit dem Ende jener schrecklichen (Beifall bei der SPD. — Lebhafte Zurufe
Jahre, in denen er mit Füßen getreten war; nicht von der CDU/CSU.)
Sie allein und nicht irgend jemand anders allein in
diesem Hause, sondern Gott sei dank wir alle. Es ist — Meine Damen und Herren, ist Ihnen ein Organ,
mir unvergeßlich, was Radbruch — der Ihr Freund das Ihnen manchmal unangenehm ist, weil es die
war, der meine aber auch — nach dem Jahre 1945 Wahrheit sagt,
gesagt hat: „Demokratie ist gut; aber Rechtsstaat — (lebhafte Zurufe von der CDU/CSU —
Rechtsstaat ist wie Luft zum Atmen und wie Wasser Pfui-Rufe von der Mitte — Zuruf von der
zum Trinken und wie Brot zum Essen." Glauben Sie CDU/CSU: Sie können die Wahrheit nicht
nicht, daß dieses Wort allein bei Ihnen bewahrt vertragen!)
wird! Bei uns in der Justiz selbstverständlich, weil weil es Ihnen Beschwerden macht,
das unsere allererste Pflicht ist; aber auch Gott sei
dank in diesem ganzen Hause. Davon nehme ich (anhaltende Zurufe von der CDU/CSU)
gar niemand aus. Nur dürfen Sie auch nicht ein so unangenehm, daß Sie glauben, bei Gelegenheit
Monopol auf den Rechtsstaat sich zuschreiben. sich sozusagen rächen zu können, so wie es der
(Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeord- Herr Güde dargestellt hat?
neten der FDP.)
Nein, meine Damen und Herren, lassen Sie es mich Vizepräsident Dr. Schmid: Herr Abgeordneter
noch einmal sagen, in allem Frieden und in aller Ver- Schäfer, gestatten ,Sie eine Zwischenfrage?
nunft: was wir die letzten Stunden diskutiert haben,
war nicht gut — nicht gut nach innen, nicht gut Dr. Schäfer (SPD) : Nein!
nach außen. Denn es bleibt, daß die Justiz sich in
ein schweres Unternehmen eingelassen hat. Ich habe Meine Damen und Herren, in der deutschen Be-
völkerung ist Unruhe. Diese Unruhe in der deut-
vor Jahren schon gesagt, und zwar vor den deut-
schen Bevölkerung ist begrüßenswert.
schen Journalisten und vor dem Deutschen Presse-
rat: „Eine kluge Justiz wird sich nicht ohne Not- (Zurufe von der Mitte.)
wendigkeit mit der Pressefreiheit anlegen." Eine Es ist ein Zeichen vom Rechtsbewußtsein in unse-
kluge Justiz rem Volke, daß es auch schon dort, wo nur der
(Abg. Dr. Schäfer und Dr. Mommer: Sehr Verdacht besteht, daß das Recht verletzt wird, in
gut! Sehr richtig!) der Weise reagiert, wie es in den letzten zehn Ta-
gen geschehen ist.
nicht ohne Notwendigkeit. Aber, meine Damen und
Herren, bestreiten Sie doch nicht, daß in diesem Fall (Beifall bei der SPD.)
die Notwendigkeit gegeben war, zu prüfen — mehr Unser Freund Arndt, der ein überzeugter Jurist
verlangt von Ihnen an Einsicht im Augenblick noch ist — in diesem Hause bedarf er keiner besonderen
niemand —, daß die Notwendigkeit gegeben war, Vorstellung —, hat dieser Besorgnis Ausdruck ge-
die zwingende, bittere und sicher von niemand geben. Es ist eine sonderbare Art des Herrn Bun-
leichtfertig auf sich genommene Notwendigkeit, deskanzlers, wenn er dem glaubt entgegenhalten zu
einen bösen Verdacht zu prüfen. Sie sollten nicht den können, der Herr Kollege Arndt habe eine ge-
Anschein erwecken, als ob Sie diesen wesentlichen schickte Art, den Kern einzuwickeln.
Kern vergessen wollten. Das andere, was schief- (Beifall bei der CDU/CSU. — Zuruf von
gegangen sein mag, vergessen auch wir nicht. Aber der CDU/CSU: Stimmte doch!)
wir bleiben einstweilen bei dem, was das Wesent-
liche und der Kern und das Wichtige ist, und wer- Hier geht es nicht darum, den Kern einzuwickeln,
den auf das andere zu gegebener Stunde zurück- sondern darum, den Kern klarzustellen. Es handelt
kommen. sich um zwei Probleme: einmal um das Strafver-
fahren,
(Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeord-
neten der FDP.) (Zuruf von der CDU/CSU: Darüber reden
wir nicht!)
das seinen Gang gehen und durch die Behörden der
Vizepräsident Dr. Schmid: Das Wort hat der Justiz und der Rechtsprechung seine Erledigung
Abgeordnete Dr. Schäfer. finden wird. Daneben steht das, was der Herr Kol-
lege Güde in erfreulicher Offenheit jetzt dargestellt
Dr. Schäfer (SPD): Herr Präsident! Meine Damen hat: die Kombination von Torheiten, die gleichzei-
und Herren! Als Herr Kollege Güde am Anfang tig begangen worden sind. Wir wollen hoffen, daß
seiner Ausführungen von dem Scherbengericht es nur Torheiten sind und daß es sich nicht um
sprach, meinte ich, er würde über Herrn Bundes- mehr handelt als um Torheiten.
innenminister Höcherl sprechen. Es sind Torheiten vorgekommen. Da kann sich
(Zurufe von der Mitte.) doch der Herr Bundeskanzler nicht hinstellen und
sagen: Ich nehme sie alle, alle, alle in Schutz, denn
Denn Herr Höcherl hatte vorher gesagt: Wir haben sie haben ein schweres Amt; alle, alle haben ihre
uns jahrelang über den Spiegel geärgert, und jetzt Pflicht zu tun nach Recht und Gesetz, und alle, alle
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 45. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. November 1962 2003
Dr. Schäfer
haben sich der Überprüfung ihrer Zuständigkeit zu Ich sagte aber, daß die Regierung gleichzeitig einen
unterziehen. Zu dieser Zuständigkeit gehört doch Bericht, soweit es bis jetzt möglich ist, hätte an-
offensichtlich auch, daß nicht ein Beamter, ein kündigen müssen. Sie hätte ankündigen müssen,
Staatssekretär, der sich nicht hier im Hause verant- daß allen „Torheiten" — will ich jetzt bloß einmal
worten kann, dann entlassen wird. So einfach geht sagen —, von denen auch Sie schon sagen können,
es für die Herren Minister doch nicht, wie es sich daß es Torheiten sind — ich darf nur auf Ihr Rund-
der Herr Verteidigungsminister Strauß macht, in- funkinterview Bezug nehmen —, nachgegangen
dem er sagt: Ich gebe dem Staatssekretär den Auf- wird, daß sie untersucht werden. Sie werden doch
trag, das Notwendige zu tun, und ich bin froh, wenn mit mir darin einig sein, daß die Regierung das
ich nichts davon höre; und hinterher schickt er ihn heute schon von sich aus hätte erklären können.
in die Wüste. Dann muß der Herr Bundeskanzler
(Zuruf von der CDU/CSU: Hat sie doch!)
die Konsquenzen ziehen und die Beamten in allen
Ringen — einschließlich der Staatssekretäre — Sie haben in einem Rundfunkinterview — ich
schützen auch gegenüber ihren eigenen Ministern. darf es Ihnen vorlesen — selber folgendes gesagt:
(Beifall bei der SPD.) (Zuruf von der CDU/CSU: Palaver!)
Auf was wir hier alle Wert legen müssen, meine — Ihr eigenes Urteil über Sie selber kann ich nicht
Damen und Herren — diese Auffassung sollte doch hindern! —
einheitlich sein, und in der ersten Presseverlaut- Soweit es sich um richterliche Maßnahmen han-
barung der Sozialdemokratischen Partei kam das delt, gibt es nur den legalen Weg des Appel-
deutlich zum Ausdruck —: es muß auch der letzte lierens an eine richterliche, an eine gerichtliche
Verdacht ausgeräumt werden, daß hier polizei- Instanz; soweit nicht richterlich — die Fest-
staatliche Methoden angewandt worden sind. Daran nahme in Spanien z. B. kann nicht auf Anord-
haben wir alle ein Interesse. nungen eines deutschen Richters beruhen —,
(Zurufe von der CDU/CSU.)
— so wörtlich bei Ihnen: „kann nicht auf Anordnun-
Ich gebe dem Herrn Kollegen Güde zu, daß es gen eines deutschen Richters beruhen", Herr
außerordentlich schwer ist, das in der Fragestunde Güde —
zu klären. Ich frage aber Sie von der CDU: Warum sind andere Wege gegeben, an die Regierung
haben Sie dann die Erörterung im Rechtsausschuß und an die verantwortlichen Regierungsstellen.
unmöglich gemacht?
Ja, wollen Sie denn sagen, daß die Regierung nicht
(Beifall bei der SPD.) einmal weiß, wer für diese Dinge verantwortlich
Warum hat die Regierung, wo sie doch aus der war? Dann hätten wir allerdings einen sonderbaren
Presse sieht, welche Unruhe entstanden ist, wo sie Rechtsstaat, wenn wir uns in einer solchen Situation
aus der Auslandspresse sieht, wie gefährlich dieses befänden, daß weder ein Richter noch eine Regie-
Echo ist — denn das ist gefährlich —, nicht ihrer rungsstelle dafür verantwortlich wäre. Dann wäre
Verpflichtung gemäß das Parlament und damit die es also Willkür. Und genau das gilt es auszuräumen:
deutsche Bevölkerung aufgeklärt und die Unter- diesen Verdacht, daß irgendwo Willkür herrscht.
suchung dieser Kombination der Torheiten ange- Und dort, wo einer vielleicht im Übereifer über das
kündigt und in die Wege geleitet? Warum hat man Ziel hinausgeschossen ist, muß er zur Rechenschaft
sich dann nicht hier hergestellt und einen gesam- gezogen werden. Das gehört zu diesem Beruf, daß
melten, sauberen, ehrlichen — meine Damen und er die Grenzen genau einzuhalten weiß und daß
Herren, ehrlichen! —, nichts beschönigenden Bericht er dort, wo er sie nicht einhält, zur Rechenschaft
gegeben, um diese Fragen klarzustellen? Dann wä- gezogen wird. Darüber werden Sie und ich auch
ren alle die Schwierigkeiten, Herr Kollege Güde, einig sein.
die Sie im Zusammenhang mit der Fragestunde an- (Zuruf von der CDU/CSU.)
deuteten, ausgeräumt. Meine Damen und Herren, die Aussprache hat
bekanntlich der Herr Bundeskanzler eröffnet, nicht
Vizepräsident Dr. Schmid: Gestatten Sie eine wir.
Zwischenfrage? (Sehr wahr! bei der SPD.)
Wir haben unsere Pflicht als Opposition zu tun, da
Dr. Schäfer (SPD) : Bitte schön! Sie offensichtlich nicht willens sind, in gleicher
Weise Ihre Pflicht zu tun.
Dr. h. c. Güde (CDU/CSU) : Herr Kollege Schäfer, (Zurufe von der CDU/CSU.)
Sie sind auf Ihrem Gebiet — dem entsprechenden —
ebenso Fachmann wie ich. Glauben Sie, daß es der Ich darf nur an den Rechtsausschuß-Beschluß er-
Regierung im Augenblick möglich wäre, unter Ach- innern.
tung der Selbständigkeit des gerichtlichen Verfah- (Zuruf von der CDU/CSU: Wieder eine
rens einen umfassenden Bericht zu geben? Glauben Unterstellung! — Weitere lebhafte Zurufe
Sie das jetzt, in diesem Augenblick? von der CDU/CSU.)
- Sie haben doch als Beweis den Beschluß des
Dr. Schäfer (SPD) : Herr Kollege Güde, ich bin Rechtsausschusses, der die Sache nicht behandeln
durchaus mit Ihnen einig. und der diese Dinge nicht untersuchen wollte, Herr
(Zurufe von der CDU/CSU.) Kollege Brand!
2004 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 45. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. November 1962
Vizepräsident Dr. Schmid: Eine weitere Zwi- Memmel (CDU/CSU) : Herr Präsident! Meine Da-
schenfrage? men und Herren! In diesem Hohen Hause, das 519
Mitglieder zählt, sind jetzt nach meiner vorsichtigen
Dr. Schäfer (SPD): Bitte! Zählung zehn Mann, die jemals in ihrem Leben
einen Haftbefehl beantragt, einen Haftbefehl erlas-
sen oder einen Haftbefehl bestätigt haben. Hinter
Dr. h. c. Güde (CDU/CSU) : Entschuldigen Sie, ich mir, glaube ich, sitzt jemand und rechts auf der
muß Sie nur fragen, ob Ihnen die Tatsachen nicht Ministerbank, und dort unten sehe ich zwei. Ich
bekannt sind. Der Rechtsausschuß hat lediglich seine möchte das deswegen sagen, um Ihnen klarzumachen,
Sitzung unterbrochen und konnte dann am Nach- wie schwierig eine solche Sache ist und wie der
mittag nicht tagen, weil der Herr Justizminister Richter und der Staatsanwalt bei einer solchen Ge-
nicht zur Verfügung stand. Wir haben uns im Rechts- schichte zu kämpfen haben. Ich weiß aus eigener
ausschuß nicht geweigert. Erfahrung, wie schwierig Verfahren gegen Ober-
(Zurufe von der SPD.) bürgermeister und Landräte durchzuführen sind, und
ich hatte einmal das „Vergnügen", gegen einen
Dr. Schäfer (SPD) : Herr Kollege Güde, ich bin bayerischen Minister ein Verfahren durchführen zu
etwas überrascht über Ihre Teilsachdarstellung. Was müssen, nicht auf Auftrag, sondern weil es in mein
Sie soeben getan haben, darf man nicht tun. Dann Ressort fiel, noch zu Zeiten, als die Kriegswirt-
muß ich schon den Vorgang erzählen. Sie hatten schaftsverordnung gait.
um zehn Uhr beantragt: Schluß und keine Aus-
Aus dieser Sachlage heraus will ich Ihnen folgen-
sprache darüber. Und Sie, die ganze CDU, hatten
des sagen. Für mich ist der Herr Augstein ein Be-
beschlossen, die Aussprache abzuwürgen. Erfreu-
schuldigter. Das ist jeder, gegen den ein Verfahren
licherweise konnte dann mit den Stimmen der FDP
läuft. Für mich ist der Herr Augstein aber ein quail-
beschlossen werden, daß die Aussprache fortgesetzt
fizierter Beschuldigter, weil ein Haftbefehl gegen
wird. Sie haben es dann doch fertiggebracht, daß sie
ihn erlassen und bestätigt worden ist. Wenn irgend
nicht fortgesetzt wurde.
jemand in Verdacht gerät, so ist er ein Beschuldigter,
(Abg. Dr. Arndt [Berlin] : Weil Sie als große es wird ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Wenn
Fraktion beraten mußten!) aber etwas dazukommt, nämlich wenn ein dringen-
Meine Damen und Herren, ich bin erfreut, daß der Tatverdacht vorliegt and wenn die Haftgründe
unser Kollege Döring in dieser unmißverständlichen noch dazukommen, dann erst ist er ein qualifizierter
Weise hier seine Stimme erhoben hat und daß er Beschuldigter, dann erst kann er nämlich verhaftet
auch von seiner Seite aus auf die Gefahren noch werden.
einmal hingewiesen hat. Ich darf es noch einmal (Abg. Wittrock: Was Sie da sagen, liegt
sagen: das Rechtsbewußtsein in unserem Volke, das neben dean Thema!)
so Schweres hinter sich hat, verlangt Klarstellung.
Dieses Rechtsbewußtsein kann nicht davon existie- — Das liegt nicht neben dem Thema. Ich komme
ren, daß irgend etwas in einer Verfassung steht, noch heran, Herr Kollege Wittrock. — Herr Kollege
sondern kann sich nur danach ausrichten, was ge- Schmitt, wenn ich jetzt hinuntergehe, können Sie
lebt wird, was praktiziert wird von denjenigen Stel- auch sagen, was Sie bei Bundesinnenminister
len, die dafür Zuständig sind. Höcherl gesagt haben: Und so was will mal Amts-
richter gewesen sein! Das können Sie von mir aus
(Abg. Dr. Barzel: Ohne Beweis verdächtig!) sagen, wenn ich nachher gehe.
— Herr Barzel, sind Sie nicht mit mir einig? Ich habe ein paar Fragen an Sie. Muß das, was
(Abg. Dr. Barzel: Daß man ohne Beweis jetzt geschehen ist, in diesem Augenblick sein?
verdächtigt!) (Zurufe von der SPD: Ja!)
— Deshalb soll man nicht ahne Beweis verdächtigen,
Muß das jetzt sein, im Laufe dieses Verfahrens?
sondern beweisen. Deshalb fragen wir, und deshalb
Müssen die Beamten und die Richter jetzt so unter
muß man diese Fragen klären. Druck gesetzt werden, wie es hier geschieht? Muß
(Abg. Rasner: Lesen Sie einmal den „Vor- das sein?
wärts"! — Weitere Zurufe von der CDU/ (Beifall bei der CDU/CSU.)
CSU.)
Wenn hier jemand aufsteht, sich hier hinstellt und
Herr Kollege Güde hat zum Schluß unseren Freund sagt: Der Beschuldigte ist mein Freund, und wenn
Radbruch zitiert. Genau so ist es: Der Rechtsstaat eine so große Fraktion wie die Ihre dann tosend
ist für die Demokratie das Lebenselixier. Aber das Beifall klatscht, glauben Sie nicht, daß das eine Be-
Volk muß davon überzeugt sein, daß es in diesem einflussung ist?
Staate auch nicht dine zuständige Stelle gibt, die (Beifall bei der CDU/CSU.)
ihre Kompetenzen übersteigt oder die diesen Rechts-
staat mit Füßen tritt, und um den kämpfen wir. Das muß wirklich nicht sein, es muß nicht jetzt sein.
Ich bin mit Ihnen vollkommen einig, daß wir nach
(Beifall bei der SPD.)
Abschluß dieses Verfahrens, und zwar im Rechts-
ausschuß, nicht hier in diesem Gremium, gründlich
Vizepräsident Dr. Schmid: Das Wort hat der prüfen sollten, ob all diese Methoden, die angewen-
Abgeordnete Memmel. det worden sind, Rechtens waren oder nicht. Da bin
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 45. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. November 1962 2005
Memmel
ich mit Ihnen vollkommen einig. Aber ich bin da- Dr. Barzel (CDU/CSU) : Herr Präsident! Meine
gegen, daß wir jetzt in diesem Zeitpunkt den Ver- Damen! Meine Herren! Ich spreche nicht, um die
such machen, Leute unter Druck zu setzen. Debatte aufzuhalten. Ich habe in dem ersten Bei-
Zweitens möchte ich folgendes fragen. Der Herr trag, den ich für unsere Fraktion gab, darum gebe-
ten, nicht mit Andeutungen und Verdächtigungen
Augstein ist doch ein so versierter Mann und er hat
zu arbeiten, sondern Beweise auf den Tisch zu le-
so viel Geld. Er kann sich alle Mittel — und wir
gen. Ich bin der Debatte mit Sorgfalt gefolgt. Ich
haben so viel Mittel in unserem Rechtsstaat — lei-
sten, und er leistet sie sich auch, um zu seinem habe keinen Beweis für eine Rechtswidrigkeit, durch
Recht zu kommen. Da müssen Sie sich doch als Ge- Tatsachen belegt, vortragen gehört.
samtfraktion nicht dahinterstellen. Das ist doch nicht Herr Kollege Erler, Sie haben davon gesprochen,
notwendig. wir wollten diese Dinge gesundbeten.
(Widerspruch bei der SPD.) (Abg. Wittrock: Haben Sie die Rede von
Seien Sie nicht böse, wenn von unserer Seite der Herrn Gilde nicht gehört?)
Gedanke auftaucht, wenn Sie sich geschlossen als Nein, Herr Kollege Erler, wir sind hoffentlich einig
Fraktion dahinterstellen, daß Sie dann in einen darin, daß, wenn hier etwas krank ist oder war, wir
bestimmten Verdacht geraten. das miteinander verurteilen werden.
Vizepräsident Dr. Schmid: Gestatten Sie eine (Abg. Dr. Schäfer: Na also!)
Zwischenfrage des Kollegen Wittrock? Wir wollen aber nicht Krankheiten behaupten, be-
vor wir sie festgestellt haben; denn man kann einen
Memmel (CDU/CSU) : Bitte, Herr Wittrock. Staat auch krank reden, nicht nur etwas gesund-
beten.
Wittrock (SPD) : Herr Kollege, können Sie mir (Beifall bei der CDU/CSU.)
erklären, wieweit es irgend etwas mit dem Ermitt-
lungsverfahren und dem Kern des Ermittlungsver- Wenn einer der Kollegen, die hier Andeutungen
gemacht haben — ich ziehe da meinen Kollegen
fahrens zu tun hätte, wenn die Bundesregierung
beispielsweise in der Frage, wie es zu der Ver- Döring und auch meinen Kollegen Güde hinein —,
einen Beweis hat, dann heraus damit, entweder hier
haftung in Spanien kommen konnte, dem Hause
und der Öffentlichkeit klaren Wein einschenkte? oder wo immer der zuständige Ort sein sollte! Aber
Sagen Sie mir, inwieweit durch eine solche Klärung bitte, keinerlei scheinbare oder voreilige Urteile
in irgendeiner Weise Belange des Verfahrens be- ohne volle Kenntnis der Tatsachen, bitte auch nicht
im „Vorwärts" und sonstwo anders. Der Rechtsstaat
einträchtigt werden!
kann auch eine Atmosphäre unbewiesener Ver-
Memmel (CSU/CSU) : Herr Kollege Wittrock, ich dächtigungen nicht ertragen. Wenn verstoßen wor-
kann Ihnen nicht sagen, was die Bundesregierung den ist, dann wollen das alle ahnden.
bewogen hat, Ihnen auf diese Frage nicht die von Nun würde ich glauben, daß es, auch nach den
Ihnen gewünschte Antwort zu geben. Ich kann es Reden der Herren der Opposition, besser wäre,
Ihnen nicht sagen. nachdem Sie 18 Fragen gestellt haben, von denen
(Zurufe von der SPD.) heute nach der Geschäftsordnung nur ein Teil hat
beantwortet werden können — mit einer ungewöhn-
Im übrigen wird es seinen Grund gehabt haben, daß lichen Beschleunigung: die gestern gestellten Fra-
nicht die von Ihnen gewünschte Antwort kam. gen wurden heute beantwortet —, wenn wir ge-
Ich will zum Schluß noch folgendes sagen. Seien meinsam erwägen würden, morgen erst den zweiten
Sie doch nicht böse darüber, wenn in unseren Rei- Teil der Antworten anzuhören. Dann wird es uns
hen und bei vielen Leuten im Volke jetzt ein biß- vielleicht leichter sein, Herr Kollege Gilde, wie Sie
chen Schadenfreude herrscht. Sicherlich, es gibt viele selbst auch gesagt haben, gestützt auf weitere Tat-
Leute, die sagen: Der „Spiegel" ist mit so vielen sachen hier zu debattieren. Wir haben ja die Debat-
Leuten recht ruppig und hart umgegangen, es ist ten der kommenden Tage vor uns und können dann
ganz gut, wenn es ihn jetzt auch einmal erwischt immer wieder am geeigneten Ort darauf zurück-
hat, um es auf gut bayerisch zu sagen. Das ist doch kommen. Ich glaube nicht, daß wir hier jetzt ewig
bloß ein bißchen Schadenfreude. Sie müssen doch weiter diskutieren sollten unter dem Motto: Wir
nicht daraus entnehmen, daß das von vornherein wollen mal sehen, was dieser Staat alles aushält.
beabsichtigt war und daß das jetzt begünstigt wird. Dieser Staat braucht, wenn er ein Rechtsstaat blei-
Ein bißchen Schadenfreude herrscht in manchen ben soll, die Atmosphäre der Klarheit und nicht die
Kreisen. Aber an Sie, meine ich, müßte man die Atmosphäre unbewiesener Verdächtigungen.
präzise Frage richten, warum Sie durch diese Frage-
(Sehr richtig! rechts.)
stunde — und nicht durch eine Behandlung in einem
anderen Gremium — die Geschichte auf die Spitze Und wenn dieser Rechtsstaat und die Tatsache, daß
getrieben haben. es ihn hier heute gibt, noch eines Beweises bedurft
(Beifall bei der CDU/CSU.) hätten, dann war es diese Debatte, die sicher nicht
in allem glücklich war, aber doch Beweis einer
Vizepräsident Dr. Schmid: Weitere Wort- rechtsstaatlichen Ordnung ist. Ich fand es hoch-
meldungen liegen nicht vor. — Ich habe mich geirrt; interessant, daß wir sie in unserer Mehrheit — und
Herr Barzel hat um das Wort gebeten. Ich erteile nicht etwa die oppositionelle Seite, — fortgesetzt
ihm das Wort. sehen wollten.
2006 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 45. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. November 1962
Dr. Barzel
Ich glaube deshalb, es wäre das zweckmäßigste, gel" Nr. 44 vom 31. Oktober vor ihrem Erscheinen
die morgige Fragestunde abzuwarten; denn sie - eingesehen und durchgelesen worden? Er hat diese
wurde ja gerade an dem Punkt unterbrochen, wo Frage in Kenntnis der Äußerung in der Pressekonfe-
in der Tat die von Ihnen immer wieder erwogene renz der Bundesanwaltschaft vom 2. November die-
Frage „Malaga" durch den Herrn Bundesinnenmini- ses Jahres, Herr Dr. Güde, gestellt, in der nach dem
ster klar hätte beantwortet werden können. Aber Bulletin vom 6. November — nicht nach irgendeiner
da war plötzlich Schluß. Ich glaube, solange das Zeitung — gesagt worden ist, die Behauptung, es
nicht beantwortet ist, sollten wir hier nicht in Ver- sei eine Vorzensur ausgeübt worden und der „Spie-
dächtigungen hin und her eine Debatte führen, die gel" werde in seiner Arbeit absichtlich behindert,
wohl uns allen nichts nützt. sei falsch.
Darum würde ich jetzt vorschlagen, ohne einen So die Bundesanwaltschaft. Auf die entsprechende
Antrag zu stellen, Herr Präsident — denn wir sind Frage hat der Herr Innenminister — und nun müs-
im Gegensatz zu Ihnen bereit, die Debatte ad sen Sie das Stenogramm lesen — nicht mehr be-
calendas graecas zu führen —, zunächst die Fragen stritten, daß Fahnen, die für die nächste Ausgabe des
und ihre Beantwortung abzuwarten; das wäre viel- „Spiegel" bestimmt waren, beschlagnahmt, einge-
leicht klüger. packt, dem Ermittlungsrichter vorgelegt und gelesen
(Beifall bei der CDU/CSU.) worden sind. Und Sie nennen das nicht Zensur!
(Zurufe von der CDU/CSU: Nein!)
Vizepräsident Dr. Schmid: Das Wort hat der
Abgeordnete Sanger. Aber wir nennen das Zensur, und das ist eine Zensur.
(Beifall bei der SPD.)
Sanger' (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Im Grundgesetz steht: „Eine Zensur findet nicht
Herren! Lediglich die Bemerkung des Herrn Kollegen statt." Da gibt es keine Einschränkung durch For-
Barzel hat mich hierhergerufen, der gern Beweise mulierungen wie „im Rahmen bestehender Gesetze"
oder wenigstens Material darüber haben möchte, oder „unbeschadet ..." oder wie man es sonst aus-
daß bei den sogenannten Randerscheinungen doch zudrücken pflegt. Hier ist Zensur geübt und eine
wohl Verstöße vorgekommen seien. klare Bestimmung des Grundgesetzes gebrochen
Lassen Sie mich bitte zunächst einmal ganz deut- worden.
lich voneinander trennen. Auf der einen Seite gibt Der zweite Punkt: In eben dieser Pressekonferenz
es hier — um in der Ausdrucksweise einiger Redner der Bundesanwaltschaft am 2. November ist — wie-
der CDU zu bleiben — eine sehr wichtige, eine der nach idem Bulletin der Bundesregierung — ge-
sehr zentrale Sache, das ist der Vorwurf des Landes- sagt worden: „Auf zahlreiche Fragen zum Fall
verrats. In der Auffassung, daß ein solcher Verdacht Ahlers wurde erklärt, daß weder Interpol noch MAD
untersucht werden muß und daß ein Gericht zu prü- noch BND eingeschaltet gewesen seien." Herr Bun-
fen hat, ob der Verdacht in dieser Sache berechtigt desinnenminister Höcherl hat heute erklärt, daß von
war oder nicht, sind wir uns alle einig. Auf der an- Interpol ein Telegramm an die Botschaft der Bun-
deren Seite geht es um das Verfahren, um die Frage, desrepublik nach Madrid gegangen sei; nicht mehr.
wie diese Untersuchung eingeleitet und bisher durch- Hier ist also die eine Behauptung — der Bundesan-
geführt worden ist. Die Erscheinungen, die dabei waltschaft — gegen die andere Behauptung gestellt.
zutage getreten sind und die wir heute in unserer Wir wissen nicht, was die Botschaft der Bundesre-
Fragestunde hervorgeholt haben, nennen Sie Rand- publik in Madrid getan hat. Aber ich für meine
erscheinungen. Person glaube nicht, daß das Auswärtige Amt oder
Nun, meine Damen und Herren, immerhin sind eine Dienststelle ides Auswärtigen Amtes, wo man
zwei Punkte heute durch die Beantwortung des sehr wohl weiß, wie wenig Porzellan uns noch zur
Herrn Bundesinnenministers zwar nicht geklärt, aber Verfügung steht, das zerschlagen werden könnte,
der Klärung einigermaßen zugeführt worden. so handelt, daß damit ein Unrecht gegeben wäre.
(Abg. Dr. Fritz [Ludwigshafen] : Sie wollten Hier ist also der zweite Fall, wo wiederum zwei
doch konkrete Anschuldigungen nennen!) Aussagen gegeneinanderstehen und sehr deutlich
— Sie werden sie gleich hören. — Zwei Punkte sind geworden ist, daß ein Übergriff geschehen ist.
der Klärung etwas nähergebracht worden — nicht
wir haben die Antwort gegeben, sondern der Herr Der Herr Bundeskanzler hat gemeint, das alles
Bundesinnenminister —, zwei Punkte, die Sie mög- seien ja wohl Angriffe auf Beamte. Kein Beamter
licherweise noch immer als Randerscheinungen be- hat irgendetwas zu befürchten, wenn er sich keines
nennen wollen, die wir aber als sehr wichtig und sehr Übergriffes schuldig gemacht hat. Wenn es aber so
gravierend bezeichnen. Bei dieser Bewertung befinden gewesen ist, daß ein Beamter sanders gehandelt hat,
wir uns in voller Übereinstimmung nicht nur mit der als seine Vorschriften ihm vorschreiben und als auf
öffentlichen Meinung in Deutschland und in der Grund seiner Ausbildung und seines Bildungsstan-
Welt, sondern auch mit einem großen Teil der Zei- des bei einer solch ungewöhnlichen Situation von
tungen, die Ihrer Partei nahestehen. ihm erwartet werden kann, muß er damit rechnen,
daß das hier durch Fragen und hoffentlich auch durch
Welches sind diese beiden Punkte? Jetzt komme Antworten klargestellt wird, und dann muß unter-
ich Ihnen entgegen, Herr Kollege. Herr Kollege sucht werden, ob von Schuld gesprochen werden
Arndt hat gefragt: Sind die Fahnenabzüge des „Spie kann und was danach zu erfolgen hat.
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 45. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. November 1962 2007
Sänger
Hier wurde soeben eine Zwischenbemerkung ge- Vizepräsident Dr. Schmid: Sie gestatten sicher
macht des Inhaltes, daß man, wenn nur noch wenig- eine weitere Zwischenfrage? — Bitte!
Porzellan zur Verfügung stehe, doch darauf achten
möge. Meine Damen und Herren, wie das Ausland
sich zu den Vorgängen geäußert hat, die ja von der Dr. h. c. Güde (CDU/CSU) : Habe ich in dem
Exekutive und nicht von der Judikative eingeleitet Vortrag vor dem Presserat von Vorzensur gespro-
wurden oder zu verantworten sind, wie also das chen?
Ausland reagiert hat, das steht in den Zeitungen
des Auslandes. Sänger (SPD) : Herr Dr. Güde, würden Sie die
(Zuruf von der CDU/CSU: Haben Sie den Freundlichkeit haben, im Tätigkeitsbericht des
„Vorwärts" gelesen? — Abg. Dr. h. c. Güde Deutschen Presserates von 1960, ich glaube, auf
meldet sich zu einer Zwischenfrage.) Seite 27, die sogenannten Schlußfolgerungen nach-
— Bitte! zulesen, die Sie dort aus Ihrem Vortrag gezogen
haben.
(Abg. Dr. h. c. Güde: Von „Vorzensur"
Dr. h. c. Güde (CDU/CSU) : Herr Kollege, Sie habe ich in dem ganzen Vortrag nicht ge
sagten eben: Maßnahmen, /die .von der Exekutive sprochen! — Weiterer Zuruf von der CDU/
ausgelöst worden sind. Meinen .Sie das ernstlich? CSU: So wird argumentiert!)
— Bitte, lesen Sie den Vortrag nach. Sie haben den
Sänger (SPD) : Ich meine das Telegramm der Ausdruck „Vorzensur" nicht gebraucht,
Interpol,
((Dr. h. c. Güde: Ach so!) (Rufe von der CDU/CSU: Aha!)
über das ich gesprochen habe, und die Handlungs- aber den Ausdruck „Zensur". Im Grundgesetz steht:
weise des Hauptkommissars, der die Fahnen einge- „Eine Zensur findet nicht statt". Wenn ich die Silbe
packt hat. „vor" davorgesetzt habe, so geschah es nur, um
noch einmal deutlich zu machen, daß hier eine Zen-
Ich habe Ihnen also noch einmal zwei Vorgänge
sur vor dem Erscheinen eines Druckerzeugnisses
in Erinnerung gerufen, die Ihnen unwichtig erschei-
stattgefunden hat.
nen, bei deren einem aber das Grundgesetz verletzt
und bei deren anderem Bestimmungen, möglicher- (Abg. Rasner: Darüber entscheidet Karls
weise sogar internationale Abkommen übergangen ruhe morgen!)
worden sind. Das muß geklärt werden, nicht nur
— Wir werden ja sehen, was das Gericht zu der
weil das Ausland das erwartet, sondern weil das
Sache noch zu sagen hat.
unser Gewissen verlangt, damit wir jeden Augen-
blick überzeugt bleiben können, daß wir in einem (Zustimmung und Beifall bei der SPD.)
Rechtsstaat wohnen, wo auch in außergewöhnlichen
Situationen in jedem Falle das Recht gewahrt wird. Aber wir werden es als Journalisten, wir werden
es als Bürger dieses Staates, wir werden es in der
Demokratie unter gar keinen Umständen ruhig mit
Vizepräsident Dr. Schmid: Gestatten Sie eine ansehen können, wenn Beamte, die eine Unter-
Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Stolten- suchung über ein vergangenes angebliches Verbre-
berg? — Bitte! chen oder Vergehen oder was es ist vornehmen,
(Zurufe von der CDU/CSU: „Angebliches"!)
Dr. Stoltenberg (CDU/CSU) : Ist Ihnen bekannt, nun noch ein zukünftiges auch gleich mit festzu-
Herr Kollege, daß die Frage, ob es sich um eine
stellen beabsichtigen.
Vorzensur handelt, vor dem Bundesverfassungs-
gericht morgen diskutiert und eventuell entschieden (Zurufe von der CDU/CSU.)
werden wird, und ferner, daß die Bundesanwalt-
schaft Ihre Behauptung entschieden bestreitet; Meine Damen und Herren, dies ist nach meiner
und halten Sie es mit der — auch von Ihnen be- Auffassung eine Aufgabe des Parlaments: die Kon-
tonten — gebotenen Zurückhaltung gegenüber trolle darüber aufzunehmen und auszuüben, was
einem schwebenden Verfahren für vereinbar, daß von den Organen der Regierung oder den im Auf-
Sie in dieser Frage ein solches Urteil abgeben? trage der Regierung Handelnden tatsächlich getan
worden ist. Es ist die ursprüngliche Aufgabe des
(Beifall bei der CDU/CSU.) Parlaments, und sie ist es um so mehr, als wir nur
durch Einmütigkeit in der Verfolgung möglicher
Sänger (SPD) : Die Frage, ob es sich um eine Vor- unrechter Geschehnisse beweisen können — nach
zensur oder um eine Zensur gehandelt hat, Herr innen wie nach außen —, daß wir es ernst nehmen
Kollege Stoltenberg, ist für mich nach einem aus- mit dem Rechtsstaat.
gezeichneten Vortrag beantwortet, den Herr Dr.
(Beifall bei der SPD.)
Güde am 7. März 1960 vor dem Deutschen Presse-
rat gehalten hat und den Sie im Tätigkeitsbericht
des Presserates nachlesen können. Vizepräsident Dr. Schmid: Das Wort hat der
(Beifall bei der SPD.) Herr Bundesminister des Innern.
2008 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 45. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. November 1962
Höcherl, Bundesminister des Innern: Herr Prä- gestern halten können. Nachdem ich mich in der
sident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Fragestunde bemüht hatte, Sie über das aufzuklären,
Ich hätte mich nicht mehr zu Wort gemeldet, wenn was ich weiß, waren Ihre Ausführungen zumindest
nicht der Abgeordnete Sänger es für richtig befun- obsolet geworden.
den hätte, Behauptungen aufzustellen, die gerade Herr Kollege Schäfer und Herr Kollege Erler, Sie
durch. den Verlauf der Fragestunde und durch die haben Behauptungen aufgestellt, die meine Person
Beantwortung längst widerlegt worden sind. betreffen; ich hätte meine Schadenfreude darüber
Ich habe zu diesen beiden Fragen Stellung bezo- ausgedrückt, daß wir es endlich so weit gebracht
gen, und ich habe Ihnen versichert — und ich kann hätten, den „Spiegel", der uns unbequem sei, zu
die gleiche Glaubwürdigkeit in Anspruch nehmen, Fall zu bringen. Ich weise eine solche Behauptung
die Sie für sich in Anspruch nehmen, wie wir das als unerträgliche Verleumdung zurück.
alle im Hause tun sollten —, daß ich das äußerste (Beifall in der Mitte.)
Maß von Nachprüfung aufgeboten habe, das in der
kurzen Zeit von der Fragestellung bis zur heutigen
Beantwortung zur Verfügung stand, — wobei ich Vizepräsident Dr. Schmid: Gestatten Sie eine
Zwischenfrage des Abgeordneten Sänger?
noch die Ehre hatte, die Fragen an den Kollegen
Stammberger mit zu beantworten. Die ganze Nacht
hindurch habe ich mich mit der Aufklärung einer Höcherl, Bundesminister des Innern: Nein.
ganzen Reihe von Vorfällen befaßt, und ich habe Es ist geradezu unmöglich. So gehen Sie mit der
Ihnen den Teil der Ermittlungen, der mir bekannt- Ehre anderer um! Was ich gesagt habe, können Sie
geworden ist, mitgeteilt. Das Weitere werden Sie im Protokoll genau nachlesen. Ich bin weit von dem
morgen hören, wenn die Fragestunde fortgesetzt entfernt, was Herr Erler mir unterstellt hat. So kön-
wird. Das ist das eine. nen wir nicht debattieren. Man kann sich nicht ein-
fach einige Tatsachen zusammenreimen und daraus
Vizepräsident Dr. Schmid: Gestatten Sie eine Folgerungen ableiten und Konsequenzen ziehen,
Zwischenfrage? sondern wir müssen uns so verständigen, daß wir
die wenigen Fakten, die wir haben, auf den Tisch
Höcherl, Bundesminister des Innern: Jetzt nicht, legen, schön und sauber herausoperieren und daraus
ich möchte meine Ausführungen konsequent zu Folgerungen ziehen.
Ende führen. Herr Erler hat gesagt, ich hätte Ihrer Fraktion
Herr Kollege Sanger, ich habe — ich bitte Sie, unterstellt, daß sie vielleicht in irgendeiner Form
Idas doch zu beachten, und ich nehme an, daß Sie der mit Landesverrat zusammenhinge. Das ist ebenfalls
Debatte mit Aufmerksamkeit gefolgt sind — zu der eine unzutreffende Behauptung, die Sie hier aufge-
Frage der Fahnenabzüge erklärt, daß diese nicht stellt haben. Ich habe so etwas nicht gesagt und
zum Zwecke der Zensur und zur Prüfung der Frage, werde es auch nicht sagen und habe auch nicht den
ob das Druckerzeugnis am nächsten Tag veröffent- geringsten Anlaß dazu.
licht werden kann oder nicht, beschlagnahmt wur-
Was soll hier geklärt werden? Das eigentliche
den, sondern aus anderen Gründen, wegen der
Problem ist folgendes. Sie scheinen zu vergessen,
Frage, ob damit Beweismittel usw. vertuscht wer-
daß es neben dem Landesverratsprozeß ein weiteres
den; deswegen sind sie beschlagnahmt und vom
schwebendes Verfahren gibt. Dieses zweite schwe-
Richter geprüft worden.
bende Verfahren geht um die sogenannten Rand-
Zu dem zweiten, zu der Frage „Malaga" habe ich erscheinungen, wie sie bezeichnet worden sind, um
erklärt: daß wir festgestellt haben, daß der stell- die sehr wichtigen Formvorgänge, in denen ein ganz
vertretende Leiter des Bundeskriminalamtes den wesentlicher Teil des rechtsstaatlichen Charakters
Haftbefehl, und zwar einige Stunden nach der be- des Strafprozesses liegt. In diesem zweiten Verfah-
reits durch die spanische Polizei erfolgten Fest- ren ist morgen Termin beim obersten Gericht, das
nahme, an die Botschaft in Madrid geleitet hat und wir haben, beim Bundesverfassungsgericht. Haben
gleichzeitig in einem Telefongespräch weitergegeben Sie denn kein Gefühl dafür, daß es unangemessen
hat mit dem Ersuchen um die Aufhebung dieser ist, diesen beiden Verfahren vorzugreifen, wobei das
Festnahme, weil ihm klar war, — — zweite für diese Fragen viel entscheidender ist als
(Abg. Dr. Schäfer: Wer hat denn fest- das erste, weil das erste materielle Dinge betrifft
genommen!) und das zweite den ganzen Komplex der Beschlag-
nahme usw. usw. erfaßt? Das höchste Gericht spricht,
— Das weiß ich nicht. Ich habe schon erklärt: ich bin und Sie halten es für richtig, daß hier aus dem
noch dabei, festzustellen, ob am 27. in der Früh um Bundestag ein Tribunal gemacht und zwischen den
2 Uhr, so wie die Spanier das mitgeteilt haben, eine beiden Terminen debattiert wird.
Aufforderung durch Sicherungsorgane oder Polizei-
organe ergangen ist, einen Haftbefehl zu vollziehen. (Beifall in der Mitte.)
Das konnte ich noch nicht klären, und zwar des- Ich darf Ihnen noch etwas sagen. Wenn ich er-
wegen, weil einer der Herren, den ich befragen muß, kläre: Eingriff in ein schwebendes Verfahren, so soll
dienstlich im Ausland ist. Weitere Aufklärung wer- damit gar nichts beschwichtigt und gar nichts aufge-
den Sie am laufenden Band bekommen. schoben werden. Aber Sie müßten doch eigentlich
Herr Sanger, die Rede, die Sie soeben gehalten wissen, daß es bei der Frage des schwebenden Ver-
haben, hätten Sie vielleicht, jedenfalls von mir aus, fahrens und eines Eingriffs in das schwebende Ver-
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 45. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. November 1962 2009
Bundesinnenminister Höcherl
fahren — das ist x-mal betont worden; ich will es Schäfer, wenn Sie behaupten, das hätte mit Anstand
nicht wiederholen — nicht um einen irgendwie - zu tun, so behaupte ich, das hat mit dem Gegenteil
brutalen und primitiven Akt vielleicht der Einwir- etwas zu tun.
kung auf einen Bundesanwalt oder auf einen Richter (Abg. Dr. Schäfer: Das habe ich nicht ge
geht. Das steht überhaupt nicht zur Debatte. Die sagt!)
Frage der modernen Beeinflussung eines schweben- — Dann lesen Sie es halt nach!
den Verfahrens ist ja etwas ganz anderes. Da wird
in der breiten Öffentlichkeit eine Welle von Dingen (Abg. Dr. Schäfer: Ich habe es doch nicht
hochgezogen, und es wird eine Pression ausgeübt. gesagt; Sie haben es gesagt, und Herr
Eine solche Pression in der Art, wie Sie es heute Memmel hat es gesagt! Ich habe es nur
versucht haben, vor dem morgen stattfindenden Ver- wiederholt!)
fahren, ist unmöglich. Haben Sie doch Verständnis — Ich will Ihnen einmal etwas sagen.
dafür! Ich gehe dabei noch davon aus, daß der eine
(Lebhafte Zurufe von der SPD.)
oder andere von Ihnen von dem morgigen Termin,
der diese Erscheinungen betrifft, keine Kenntnis ge- — Herr Schäfer, etwas anderes will ich Ihnen ein-
habt hat. Nun, wer das nicht weiß, dem ist zugute zu mal sagen. Diese Debatte und diese Pressewelle,
halten, daß er diese Debatte ohne Kenntnis des Ver- die entfacht worden ist, muß auf das Gericht, auf
fahrens und des Termins heraufbeschworen hat. die Richter und alle Beteiligten drücken. Das ist
der moderne Stil des Eingreifens in ein Verfahren,
(Zurufe von der SPD.)
und das ist hier versucht worden, nicht absichtlich,
Ich möchte Sie um eines bitten. Sie haben ein aber die Wirkung ist so.
Recht darauf, solche Fragen zu stellen. Dieses Recht Ich habe mich im Rahmen dieser Auseinander-
darf Ihnen nicht verwehrt werden und wird Ihnen setzungen sehr um die Frage bemüht — ich habe
auch von uns nicht verwehrt. Das ist völlig klar. eine gewisse Zuständigkeit dafür —, wie man den
Wir sind von der Regierung her und von der Koali- Beruf des Journalisten vor solchen Risiken bewah-
tion her genauso wie Sie daran interessiert, festzu- ren kann. Das ist eine wichtige Frage, und ich darf
stellen, ob alles rechtsstaatlich zugegangen ist. Was Ihnen sagen, wie es in meinem Hause und, wie
wir aber vor einem solchen Termin und im Rahmen ich weiß, in anderen Häusern auch gehandhabt
eines laufenden Verfahrens vermeiden müssen, ist, wird. Jeder Journalist kann sich bei uns erkundigen
den Eindruck zu erwecken — ich behaupte nicht ein- und bekommt eine sofortige Aufklärung, ob es sich
mal, daß Sie das wollen; aber der Anschein wird um eine geheimzuhaltende Sache handelt.
erweckt, und wir haften für den äußeren Anschein
genauso wie für das, was wir wollen —, als werde (Abg. Dr. Schäfer: Na also!)
Einfluß auf ein schwebendes Verfahren genommen Das machen wir bereits, und das ist — das darf ich
und da wir in solchen Dingen Kundige sind, haften jetzt einmal ganz offen sagen, und da werden Sie
wir in einem erhöhten Maße. Diesen Anschein ha- sich wundern — in allerletzter Zeit gegenüber dem
ben Sie hervorgerufen, und dieses Gut, ein Rechts- „Spiegel" auch von meiner Person aus geschehen—,
verfahren, vor einem solchen Anschein zu bewahren, damit Sie wissen, was für eine Schadenfreude ich
das haben wir in der Fragestunde und in dieser darüber habe, daß die Welt voll davon ist, daß wir
Debatte versucht. auf die Weise mit Hilfe von nützlichen Dummköpfen
Aber kommen Sie mir nicht, meine Damen und auswärts verleumdet werden, die gar nicht wissen,
Herren, mit Unterstellungen, daß wir eine Schaden- was sie anfangen.
freude empfinden, mit Unterstellungen, daß Strauß (Beifall bei der CDU/CSU. — Lebhafte Zu
sich in ein Verfahren eingemischt hat. rufe von der SPD.)
(Zurufe von der SPD.) Ich billige Ihnen zu, meine Damen und Herren,
— Herr Schäfer hat das behauptet. Meine Damen daß Sie mit guten Absichten an diese Debatte her-
und Herren, seien Sie vorsichtig mit diesen Behaup- angegangen sind. Aber sie halben fahrlässig, grob-
tungen, genauso vorsichtig, wie Sie selbst behandelt fahrlässig gehandelt, weil Sie den Anschein erweckt
werden wollen. haben, daß 'Sie auf das morgige Verfahren vor dem
Bundesverfassungsgericht zumindest am Rande ein-
(Anhaltende Unruhe bei der SPD.) wirken.
— Es gibt doch nichts Empfindlicheres als Sie in (Vorsitz: Vizepräsident Dr. Dehler)
der Opposition. Kübelweise werden über uns Be-
leidigungen ausgestoßen. Das können Sie nicht leugnen, das ist 'so. Darum
wollen wir uns morgen so unterhalten, daß wir den
(Beifall bei der CDU/CSU. — Lebhafte Termin vom Donnerstag nicht mehr beeinträchtigen.
Unruhe bei der SPD.)
Das ist ein gemeinsames Rechtsgut. Wir beachten die
Meine Damen und Herren, ich sehe einmal von Form genauso wie Sie — wir wissen, welcher rechts-
meiner Person ab. Ich gehöre nicht zu den Empfind- politische Charakter und Inhalt in dieser Form ist —,
samen, bestimmt nicht. Herr Schäfer hat sich hier aber machen es nicht so, wie Sie das betrieben haben,
hingestellt und gesagt, ich hätte als Innenminister und Sie sollten nicht Tatsachen verdrehen und nicht
jetzt die Katze aus dem Sack gelassen und ich hätte ein großes Pathos vorlegen, sich nicht in Selbstlob
als Innenminister gesagt: Endlich haben wir den ergehen, was Sie schon alles geleistet haben, wer
„Spiegel" bekommen und können hier unser Müt- der bessere Demokrat ist. Meine Damen und Herren,
chen kühlen. Das ist doch gesagt worden. Herr das braucht es alles nicht. Hier sitzen nur Demo-
2010 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 45. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. November 1962
Bundesinnenminister Höcherl
kraten. Wir haben uns nur mit der Sache ausein- Ein Drittes. Ich möchte dem Herrn Bundesinnen-
anderzusetzen. Das wollte ich jetzt doch gesagt minister in aller Bescheidenheit sagen: diese Debatte
haben. hier haben w i r nicht angefangen.
(Beifall bei der CDU/CSU.) (Zuruf von der Mitte: Aber den Stil!)
— Nein, entschuldigen Sie, diese Debatte mitsamt
Vizepräsident Dr. Dehler: Das Wort hat der ihrem Stil und mitsamt der Schärfe ist nach Ab-
Abgeordnete Erler. schluß der Fragestunde vom Herrn Bundeskanzler
heraufbeschworen worden;
Erler (SPD) : Herr Präsident! Meine sehr verehr- (Beifall bei der SPD. — Abg. Rasner: Das ist
ten Damen und Herren! Der Antrag auf Erlaß einer ja falsch, das ist doch einfach nicht wahr!)
einstweiligen Anordnung wegen der Freigabe von
Räumen und Herausgabe von Gegenständen hat das möchte ich festhalten.
z. B. mit der Frage, auf welche Weise ein Redakteur (Abg. Rasner: Es war Herr Ritzel!)
in Spanien von der dortigen Polizei vorläufig fest- — Aber entschuldigen Sie, der Kollege Güde von
genommen worden ist, nichts zu tun. Ihrer Fraktion hat hier ausdrücklich bestätigt, daß
(Sehr richtig! bei der SPD.) die Erklärung des Genossen Ritzel
Die Erörterung dieses Problems hat also nicht das (Lachen und Zurufe von der Mitte:
geringste zu tun Genossen?!)
(Zurufe von der Mitte: Hat niemand be- — des Kollegen Ritzel — überhaupt keinen Anlaß
hauptet!) für Volksaufregung geboten hätte.
mit einer Streitfrage, die beim Bundesverfassungs- (Beifall bei der SPD.)
gericht ansteht. Wir haben es aber auch und gerade An diese Erklärung Ihres Kollegen Güde möchte ich
mit einem solchen Problem und mit einigen anderen mich hier halten;
Fragen zu tun gehabt, die ebenfalls nicht in den
(Abg. Rasner: Ich bin anderer Meinung!)
Kreis der Betrachtungen gehören,
das war sehr wohl abgewogen, und dem ist in die-
(Zuruf von der Mitte: Aber Herr Sänger sem Punkte kein Wort hinzuzufügen.
hat doch von etwas anderem geredet!)
Ich glaube, meine Damen und Herren, daß wir nun
mit denen sich das Bundesverfassungsgericht be- dem Rate des Kollegen Barzel folgen sollten und
schäftigen wird. Die einstweilige Anordnung befaßt das, was weiter noch zu klären ist, auf diejenige
sich nicht einmal mit der Prüfung, ob Zensur vor- Art und Weise klären, die dem Bundestag obliegt,
gelegen hat oder nicht; das ist wieder eine andere nämlich morgen in der Fragestunde. Dann werden
Geschichte. wir weiter Tatsachen erfahren. Ich begrüße es, daß
(Zuruf von der Mitte: Herr Sänger hat aber damit wenigstens Sie — im Gegensatz zu manchen
doch von etwas anderem geredet!) anderen Ihrer Freunde — diese Form parlamentari-
scher Kontrolle als außerordentlich notwendig und
Insofern trifft der Vorwurf, daß hier jemand unter nützlich auch in dieser Sache bezeichnet haben.
Druck gesetzt werde, einfach nicht zu. Sehen wir uns also in dieser Sache morgen bei der
Ein Zweites. Wenn hier schon eine Meinungs- Fragestunde wieder!
bildung in der Sache vorgenommen worden ist — (Beifall bei der SPD.)
in der bei unserer Justiz anhängigen Hauptsache —,
dann ist sie vom Herrn Bundeskanzler vorgenom-
men worden,
Vizepräsident Dr. Dehler: Weitere Wort-
meldungen liegen nicht vor.
(Beifall bei der SPD)
Ich berufe die nächste Sitzung auf Donnerstag,
indem er hier — mit ganz klaren Worten — jeman- den 8. November, 9 Uhr.
den bereits als verurteilt betrachtet hat, bei dem
eben das Verfahren noch schwebt, wie man auch Die Sitzung ist geschlossen.
die Beweiskette beurteilen mag, die bis zur Stunde
bekannt ist. (Schluß der Sitzung: 15.18 Uhr.)
Deutscher Bundestag - 4. Wahlperiode - 45. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. November 1962 2011