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D eutscher Bundestag

48. Sitzung

Bonn, den 14. November 1962

Inhalt:

Fragestunde (Drucksache IV/727) Frage des Abg. Dr. Bucher:

Frage des Abg. Drachsler: Kaufpreis für ein Lager des Bundes-
grenzschutzes in Untergrombach
Ausbau von Straßen bei Grafenwöhr
und Hohenfels Lenz, Bundesminister 2098 B

Lenz, Bundesminister . . . . . 2095 B, D Frage des Abg. Fritsch:


Drachsler (CDU/CSU) . . . . . . 2095 D
Nachtdienstzulage für die Bediensteten
der Bundesbahn
Frage des Abg. Dr. Mommer:
Höcherl, Bundesminister . . . . 2098 C, D,
Beitragspflicht von Landwirten zur
Altershilfe 2099 A

Blank, Bundesminister . 2096 A, B, C, D, Fritsch (SPD) 2098 D


2097 A Brück (CDU/CSU) 2099 A
Dr. Mommer (SPD) . . . . . . . 2096 B
Frage des Abg. Dr. Kohut:
Dr. Schmidt (Gellersen) (SPD) . . 2096 B
Ritzel (SPD) . . . . . . . . 2096 C, D Lehrkräfte an Hochschulen
Geiger (SPD) 2096 D Höcherl, Bundesminister . . . . 2099 A, B
Dr. Kohut (FDP) . . . . . . . . 2099 B
Frage des Abg. Josten:
Sonntagsruhe auf dem Rheinstrom Frage des Abg. Dr. Kohut:
Blank, Bundesminister . . . . 2097 A, B Zunahme der Bundesbeamten im höhe-
Josten (CDU/CSU) . . . . . . . 2097 B ren Dienst
Höcherl, Bundesminister 2099 B
Frage des Abg. Dr. Hahn (Heidelberg) :
Paketzustellung am 1. Weihnachtstag Frage des Abg. Dr. Kohut:
Stücklen, Bundesminister . . . 2097 C, D Zahl der Hochschullehrer in Ländern
der EWG und der EFTA
Dr. Hahn (Heidelberg) (CDU/CSU) . 2097 D
Höcherl, Bundesminister . 2099 C, 2100 A
Frage des Abg. Fritsch: Dr. Kohut (FDP) 2100 A
3. Novelle zum Kriegsgefangenenent-
schädigungsgesetz Fragen des Abg. Dr. Dörinkel:
Mischnick, Bundesminister . . . . 2098 A Stromtarife für industrielle Verbraucher 2100 B
II Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 48. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. November 1962

Frage des Abg. Brand: Frage des Abg. Müller (Nordenham) :


Bundesbanknoten zu 500 und 1000 DM Unterhaltung der Sommerdeiche der
Dr. Westrick, Staatssekretär . . . 2100 C Unterweser
Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister . 2104 D,
Frage des Abg. Brand: 2105 B, C
Graphische Gestaltung neuer Bank- Müller (Nordenham) (SPD) . . . 2105 B, C
noten
Dr. Westrick, Staatssekretär . . 2100 C, D Fragen des Abg. Dr. Ramminger:
Brand (CDU/CSU) . . . . . . . 2100 D Verkehrseinschränkungen auf der Ne
benbahnstrecke Obernzell—Wegscheid
Frage des Abg. Dr. Hamm (Kaiserslau- Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister . 2105 C,
tern): 2106A, B, C, 2107A
Kostenunterdeckung bei den Kranken- Dr. Ramminger (CDU/CSU) . . . 2106 A, B,
anstalten 2107 A
Dr. Westrick, Staatssekretär . . . 2101 A
Frage des Abg. Drachsler:
Frage des Abg. Dr. Hamm (Kaiserslau- Bahnsteigsperren
tern) :
Dr.-Ing. Seebohm,
-
Erhaltung der Leistungsfähigkeit der Bundesminister . 2107 B, C, D, 2108 A
Krankenhäuser durch Änderung der
Bundespflegesatzverordnung Drachsler (CDU/CSU) 2107 C
Dr. Westrick, Staatssekretär . . 2101 B, C Ritzel (SPD) 2107 D, 2108 A
Dr. Hamm (Kaiserslautern) (FDP) . 2101 B, C
Ergänzung der Tagesordnung
Frage des Abg. Dr. Supf: Entwarf , eines Sechsten Gesetzes zur
Änderung des Tabaksteuergesetzes
Gebäude des Bahnhofs Kehl (Drucksache IV/575) 2108 B
Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister . 2101 C
Entwurf eines Gesetzes zur Änderung
Frage des Abg. Dr. Supf: des Einkommensteuergesetzes (Druck-
Fahrbares Büfett am Bahnhof Kehl sache IV/721) 2108 B
Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister . 2102 A
Schriftlicher Bericht des Ernährungsaus-
schusses über die Verordnung über die
Frage des Abg. Dr. Schäfer:
Senkung von Abschöpfungssätzen bei
Lenkradschlösser in Personenkraft- der Einfuhr von geschlachteten Gänsen
wagen (Drucksachen IV/703, IV/717)
Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister 2102 A, D, Dr. Reinhard (CDU/CSU) 2108 C, 2111 B
2103 A
Frau Strobel (SPD) . . . 2109 A, 2114 B
Dr. Schäfer (SPD) . . . 2102 D, 2103 A
Struve (CDU/CSU) 2111 B
Dr. Mommer (SPD) . . . . . . 2103 A
Margulies (FDP). . . . 2112 C, 2116 D
Frage des Abg. Dr. Mommer: Dr. Schmidt (Gellersen) (SPD) . . . 2113 A

Belastung der Autobahn Frankfurt Dr. Siemer (CDU/CSU) . 2113 C, 2120 C


Heidelberg Bading (SPD) 2115 B
Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister 2103 B, D, Bauer (Wasserburg) (CDU/CSU) . 2115 D
2104 A, B Dr. Dr. h. c. Baade (SPD) 2117 A
Dr. Mommer (SPD) 2103 C, D Unertl (CDU/CSU) 2118 B
Baier (Mosbach) (CDU/CSU) . . 2104 A Dr. Deist (SPD) 2119 B
Dr. Kübler (SPD) 2104 A Ertl (FDP) 2119 D

Frage des Abg. Müller (Nordenham) : Entwurf eines Fünften Gesetzes über die
Brandbekämpfung auf der Weser Anpassung der Renten aus den gesetz-
lichen Rentenversicherungen aus Anlaß
Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister . 2104 B der Veränderung der allgemeinen Bemes-
Müller (Nordenham) (SPD) . . . . 2104 D sungsgrundlage für das Jahr 1962 (Fünf-
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tes Rentenanpassungsgesetz — 5. RAG) Entwurf eines Vierten Gesetzes zur Ände-


(Drucksache IV/702) — Erste Beratung ; — rung des Flüchtlings Notleistungsgeset-
-

in Verbindung mit dem zes (Drucksache IV/593); Mündlicher


Bericht des Ausschusses für Inneres
Bericht der Bundesregierung über die Ent- (Drucksache IV/715) — Zweite und dritte
wicklung der wirtschaftlichen Leistungs- Beratung — 2153 A
fähigkeit und der Produktivität sowie die
Veränderungen des Volkseinkommens je
Entwurf eines Dritten Gesetzes über die
Erwerbstätigen und über die Finanzlage
Erhöhung von Dienst- und Versorgungs-
der gesetzlichen Rentenversicherungen
bezügen (Drittes Besoldungserhöhungs-
(Sozialbericht 1962) (Drucksache IV/641)
gesetz) (Drucksache IV/712) — Erste Be-
und den
ratung —
Versicherungstechnischen Bilanzen der Ren- Brück (CDU/CSU) 2153 C
tenversicherung der Arbeiter und der Schmitt-Vockenhausen (SPD) . . 2153 C
Rentenversicherung der Angestellten für
Dr. Miessner (FDP) . . . . 2153 D, 2154 A
den 1. Januar 1959, des Gutachtens des
Sozialbeirats und des Berichts der Bun- Jahn (SPD) 2154 A
desregierung hierzu (Drucksache IV/640)
Blank, Bundesminister . 2121 B, 2134 A, Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag.
2141D, 2146B vom 27. März 1961 mit dem Königreich
Dr. Schellenberg (SPD) . 2124 C, 2140 C, Griechenland über die Förderung und
2145C, 2146 D den gegenseitigen Schutz von Kapital-
Kühn (Hildesheim) (CDU/CSU) . . 2132 C anlagen (Drucksache IV/710) — Erste Be-
ratung 2154 C
Gaßmann (CDU/CSU) . . . . . . 2136 B

Spitzmüller (FDP) . . . . . . 2138 A


Stingl (CDU/CSU) 2143 B Entwurf eines Gesetzes zu dem Überein-
kommen vom 24. Januar 1959 über die
Fischerei im Nordostatlantik (Drucksache
Entwurf eines Gesetzes zur Änderung
IV/711) — Erste Beratung 2154 C
des Bundesbesoldungsgesetzes (Abg. Dr.

Miessner, Brück, Dorn, Wagner, Ertl,


Hübner, Mertes, Dr. Bieringer, Hammer- Entwurf eines Gesetzes zu der Vereinba-
sen, Biechele u. Gen.) (Drucksache IV/673) ; rung vom 12. September 1961 mit der
Berichte des Haushaltsausschusses und Königlich Dänischen Regierung über
des Ausschusses für Inneres (Druck- Gastarbeitnehmer (Drucksache IV/719) —

sachen IV/716, IV/692) — Zweite und Erste Beratung — 2154 D


dritte Beratung — ; in Verbindung mit
dem
Entwurf eines Gesetzes zu dem Abkommen
Schriftlichen Bericht des Ausschusses für vom 25. April 1961 mit dem Königreich
Inneres über den Antrag der Fraktion Griechenland über Soziale Sicherheit
der SPD betr. Ü berbrückungszulage für (Drucksache IV/720) — Erste Beratung 2154 D

die Beamten und Versorgungsempfänger


des Bundes (Drucksachen IV/509, IV/692)
Entwurf eines Gesetzes über das Zollkon-
Wagner (CDU/CSU) 2147 C tingent für feste Brennstoffe 1963 und
Gscheidle (SPD) 2148 A 1964 (Drucksache IV/732) — Erste Be-
ratung 2155 A
Dr. Miessner (FDP)

2148 C
Brück (CDU/CSU) 2152 D
Schriftlicher Bericht des Ernährungsaus-
Entwurf eines Gesetzes zu dem Internatio- schusses über die Entschließungsanträge
nalen Übereinkommen vom 13. Dezem- der Fraktion der SPD und der Fraktionen
ber 1960 über Zusammenarbeit zur Siche- der CDU/CSU, FDP zur dritten Beratung
rung der Luftfahrt „EUROCONTROL" des von den Fraktionen der CDU/CSU,
(Drucksache IV/93); Schriftlicher Bericht FDP eingebrachten Entwurfs eines Geset-
des Verkehrsausschusses (Drucksache zes zur Durchführung der Verordnung
IV/687) — Zweite und dritte Beratung — Nr. 19 (Getreide) des Rates der Euro-
päischen Wirtschaftsgemeinschaft, des
Iven (Düren) (SPD) 2149 A von den Fraktionen der CDU/CSU, FDP
Eisenmann (FDP) 2150 B eingebrachten Entwurfs eines Abschöp-
fungserhebungsgesetzes, ,des von den
Wendelborn (CDU/CSU) . . . . 2151 A
Fraktionen der CDU/CSU, FDP einge-
Dr. Seiermann, Staatssekretär . . 2151 D brachten Entwurfs eines Gesetzes zur
IV Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 48. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. November 1962

Durchführung der Verordnungen Nr. 20 Antrag des Präsidenten des Bundesrech-


(Schweinefleisch), Nr. 21 (Eier) und Nr. 22 nungshofes betr. Rechnung und Ver-
(Geflügelfleisch) des Rates der Euro- mögensrechnung des Bundesrechnungs-
päischen Wirtschaftsgemeinschaft sowie hofes für das Rechnungsjahr 1960 —
zur Änderung des Gesetzes zur Förde- Einzelplan 20 (Drucksache IV/705) . 2155 C

rung der deutschen Eier und Geflügel-


-

wirtschaft unid des von den Fraktionen


der CDU/CSU, FDP eingebrachten Ent- Nächste Sitzung 2155b
wurfs eines Gesetzes zur Änderung des
Zollgesetzes (Drucksache IV/725, Um-
drucke 130, ,139) 2155 A Anlagen 2157
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 48. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. November 1962 2095

48. Sitzung

Bonn, den 14. November 1962

Stenographischer Bericht bereits bewilligte Ausbauvorhaben in dem genann


ten Gebiet für rund 14 Millionen DM erteilt worden.
Beginn: 9.02 Uhr Für das nach den Vorschlägen des Landes Bayern
durchzuführende weitere Ausbauprogramm beab-
sichtige ich, zu Lasten des Rechnungsjahres 1963
Vizepräsident Dr. Dehler: Die Sitzung ist er- weitere Mittel in Höhe von 5 Millionen DM bereit-
öffnet. zustellen, sobald das Haushaltsgesetz für 1963 in
Die amtlichen Mitteilungen werden ohne Verle- Kraft getreten und der Haushaltsansatz entspre-
sung in den stenographischen Bericht aufgenommen: chend den Vorschlägen der Bundesregierung von-
Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 9. November 1962 dem Hohen Hause gebilligt worden ist.
beschlossen, zum
Gesetz zu dem Internationalen Fernmeldevertrag Die erforderliche Abstimmung über die im Rah-
vom 21. Dezember 1959 men des Ausbauprogramms durchzuführenden Maß-
einen Antrag gemäß Artikel 77 Abs. 2 des Grundgesetzes nicht
zu stellen. nahmen mit den amerikanischen Streitkräften
Der Präsident des Bundestages hat entsprechend dem Beschluß konnte noch nicht abgeschlossen werden. Das Bun-
des Bundestages vom 23. Februar 1962 die nachstehenden Ver-
ordnungen überwiesen:
desministerium der Finanzen wird aber die entspre-
Achtunddreißigste Verordnung zur Ä nderung des Deutschen
chenden Bescheide für das Rechnungsjahr 1963 so
Zolltarifs 1962 (Assoziation: EWG-Griechenland) — Druck- rechtzeitig erteilen, daß die Baumaßnahmen, wie
sache IV/729 — an den Außenhandelsausschuß
vorgesehen, im Jahre 1963 begonnen und in den
Neununddreißigste Verordnung zur Ä nderung des Deutschen
Zolltarifs 1962 (Angleichungszölle für unverarbeiteten Tabak folgenden drei Rechnungsjahren fortgeführt und ab-
und Tabakabfälle) — Drucksache IV/730 — an den Außen- geschlossen werden können.
handelsausschuß.
Der Präsident hat am 13. November 1962 gemäß § 76 Abs. 2 GO
den Bericht der Bundesregierung über die Prüfung der Anrech-
Vizepräsident Dr. Dehler: Eine Zusatzfrage!
nungsbestimmungen in den verschiedenen Zweigen des sozialen
Leistungsrechts — ,Drucksache IV/446 — dem Ausschuß für Sozial- Drachsler (CDU/CSU) : Können Sie mir, Herr
politik — federführend — und dem Ausschuß für Kriegsopfer-
und Heimkehrerfragen — mitberatend — überwiesen. Minister, in Vertretung des Herrn Finanzministers
Der Herr Staatssekretär des Bundesministeriums für Wirtschaft vielleicht sagen, was unternommen wird, damit die
hat unter dem 8. November 1962 die Kleine Anfrage der Frak- entsprechenden Verhandlungen mit den Amerika-
tion der SPD betr. Förderung der deutschen Filmwirtschaft —
Drucksache IV/675 — beantwortet. Sein Schreiben ist als Druck- nern bald zu einem Abschluß kommen, und zwar
sache IV/731 verteilt.
vor allem unter dem Gesichtspunkt, daß seit April
Ich rufe auf Punkt 1: 1961 an Hilfe für die Randgebiete praktisch nichts
Neues geschehen ist, sondern diese Summen, die
Fragestunde (Drucksachen IV/727, IV/728). Sie anführen, nur in Fortführung der Programme
Wir beginnen mit der Frage aus dem Geschäftsbe- früherer Jahre aufgewandt werden?
reich des Bundesministers der Finanzen — der Frage
des Herrn Abgeordneten Drachsler —: Lenz, Bundesschatzminister: Herr Abgeordneter,
Wann ist mit den Finanzmittelzuteilungen und den notwendi- ich wäre Ihnen dankbar, wenn das Finanzministe-
gen Bescheiden über die planmäßige Fortführung des verstärkten rium Ihnen diese Frage schriftlich beantworten
Ausbaues von Straßen, Brücken und Wegen in den Randgebieten
des Übungsplatzes Grafenwöhr und Hohenfels zu rechnen? könnte. Ich könnte Ihnen nur von mir aus sagen,
was ich tun würde; aber das wird Sie nicht interes-
Lenz, Bundesschatzminister: Herr Abgeordneter, sieren.
ich darf an Stelle des Herrn Bundesfinanzministers
Ihre Frage beantworten. Vizepräsident Dr. Dehler: Der Fragesteller ist
einverstanden.
Für den verstärkten Ausbau von Straßen, Wegen
und Brücken in den Randgebieten der Truppen- Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäfts-
übungsplätze Grafenwöhr und Hohenfels hat das bereich des Bundesministers für Arbeit und Sozial-
Bundesministerium der Finanzen für Ausbaumaß- ordnung, zunächst zu der Frage II/1 — des Herrn
nahmen im Rechnungsjahre 1962 Bundesfinanzhilfen Abgeordneten Dr. Mommer —:
im Betrage von 17,2 Millionen DM bewilligt und die Hält es die Bundesregierung für tragbar, daß nach dem Alters-
hilfe-Gesetz Landwirte zu Beitragsnachzahlungen gezwungen wer-
erforderlichen Mittel dem bayerischen Staatsmini- den, obwohl sie nach der Novelle von 1961 von der Beitrags-
sterium der Finanzen zugewiesen. Für das Rech- pflicht befreit werden?
nungsjahr 1963 sind Bindungsermächtigungen für Bitte, Herr Minister.
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Blank, Bundesminister für Arbeit und Sozialord- hat wegen der Streitfrage, ob ein Beitrag zu zahlen
nung: Ich darf die Frage wie folgt beantworten: war oder nicht. Wie werden die Alterskassen jetzt
Der Einzelfall, der, wie ich annehme, Ihrer An- nach der Neuregelung in diesen Fällen verfahren
frage zugrunde liegt, ist mir nicht bekannt. Ich kann können?
deshalb Ihre Frage nur allgemein beantworten. Das
Gesetz zur Neuregelung der Altershilfe für Land- Blank, Bundesminister für Arbeit und Sozialord-
wirte vom 3. Juli 1961 hat den Kreis der von der nung: Wenn es zu Prozessen kommt, dann haben
Beitragspflicht zu befreienden Landwirte gegen- nicht die Alterskassen, sondern die Gerichte zu ent-
über der Regelung von 1957 erweitert. Die neue scheiden. Ich weiß nicht, wie dm vorliegenden Falle
Vorschrift eröffnet diese Befreiungsmöglichkeiten entschieden worden ist. Das muß ich der Rechtspre-
vom 1. Januar 1962 an für die Zukunft. Eine rück- chung überlassen.
wirkende Befreiung sieht das Gesetz, auch in seinen
Übergangsvorschriften, nicht vor. Daher müssen Vizepräsident Dr. Dehler: Eine Zusatzfrage
die landwirtschaftlichen Alterskassen Landwirte, die des Herrn Abgeordneten Ritzel!
nach dem früheren Gesetz für die Zeit vor dem
1. Januar 1962 beitragspflichtig waren, für die vor- Ritzel (SPD) : Herr Bundesminister, würden Sie
ausgegangene Zeit zur Beitragszahlung heranziehen. bereit sein, zu prüfen, ob es hier nicht eine große
Die Alterskassen haben keine Möglichkeit, von der Zahl von Fällen gibt, die man als Grenzfälle im Rah-
Beitragsforderung abzusehen. Auch eine Nieder- men dieser gesetzlichen Regelung bezeichnen darf
schlagung der Forderung wäre, wie im gesamten und in denen ein Unrecht gegenüber denjenigen vor-
Bereich der Sozialversicherung, nur dann möglich,
liegt, die niemals einen Rechtsanspruch auf diese
wenn die Forderung endgültig uneinbringlich wäre.
Altersversorgung erheben können, aber nun zum
Ich glaube auch nicht, daß eine Lücke im Gesetz großen Teil nachträglich als beitragspflichtig erklärt
vorliegt; denn bei einem Umlagesystem, wie es in werden? Sind Sie nicht der Auffassung, daß hier eine
der landwirtschaftlichen Altershilfe besteht, ist eine Art von Übergangsregelung gesetzlich notwendig
Änderung des Beitragsrechtes nur für die Zukunft sein würde?
möglich. Bei den in Rede stehenden Fällen dürfte
es sich aber darum handeln, daß Beiträge rück- Blank, Bundesminister für Arbeit und Sozialord-
ständig waren. Diese Landwirte können nicht anders nung: Herr Kollege Ritzel, ich bin nicht dieser Mei-
behandelt werden als diejenigen, deren Beiträge nung; denn als wir das Gesetz neu faßten, sind diese
rechtzeitig entrichtet worden sind. Die Bundesregie- Fragen in den zuständigen Ausschüssen sicherlich
rung sieht daher auch keine Gründe dafür, das vom
eingehend und, wie ich glaube, mit höchstem Pflicht-
Hohen Haus beschlossene Gesetz nicht für tragbar
bewußtsein beraten worden. Ich bin dennoch der
zu halten. Meinung, man könnte noch einmal eine solche Nach-
prüfung vornehmen. Ich glaube aber nicht, daß Anlaß
Vizepräsident Dr. Dehler: Eine Zusatzfrage, gegeben sein wird, das bestehende Recht zu ändern.
Herr Dr. Mommer! Aber das würde ich der Prüfung überlassen, wenn
wir diese Fälle, die Sie im Auge haben, einmal einer
Dr. Mommer (SPD) : Herr Minister, ist Ihnen be- Gesamtnachprüfung unterziehen.
kannt, ,daß es Fälle gibt, in denen es sich nicht um
ein Zurückbleiben in der Beitragszahlung durch per-
Vizepräsident Dr. Dehler: Eine weitere Frage
sönliches Verschulden handelt und dann der Fall
des Herrn Kollegen Ritzel!
eintritt, daß ein Bauer jetzt von der Beitragszahlung
freigestellt wird, also keine Aussicht hat, je etwas
aus der Altershilfe zu bekommen, und doch für Ritzel (SPD) : Darf ich das dahin verstehen, Herr
mehr als vier Jahre Beiträge nachzahlen muß? Minister, daß Ihr Haus wegen der grundsätzlichen
Regelung von Härtefällen gegebenenfalls selbst
initiativ werden würde, um einen Härteausgleich
Blank, Bundesminister für Arbeit und Sozialord-
nung: Der Fall mag möglich sein. Aber, herbeizuführen?
Herr Kollege, das Gesetz hatte es damals so befoh-
len, daß der Mann beitragspflichtig ist. Wenn er die Blank, Bundesminister für Arbeit und Sozialord-
Beiträge bisher nicht geleistet hat — und nur darum nung: Das möchte ich zunächst nicht mit Ja oder
kann es sich handeln —, muß natürlich dieser Zweig Nein beantworten. Denn wenn der Wunsch an mich
der Sozialversicherung sehen, wie er die Beiträge herangetragen wird, etwas zu prüfen, kann ich meine
einzieht. Er kann nur dann darauf verzichten, wenn Entschlüsse natürlich erst vom Ergebnis der Prüfung
die Einbringung unmöglich ist. Wollte man anders abhängig machen.
handeln, so würde man diejenigen bestrafen, die
ihre Beiträge pflichtgemäß bezahlt haben. Vizepräsident Dr. Dehler: Eine Zusatzfrage
des Herrn Abgeordneten Geiger.
Vizepräsident Dr. Dehler: Eine Zusatzfrage
des Herrn Abgeordneten Schmidt! Geiger (SPD) : Herr Minister, sind Sie nicht be-
reit, für die Alterskassen der Landwirtschaft die glei-
Dr. Schmidt (Gellersen) (SPD) : Herr Bundes- che Regelung einzuführen, die man bei der Inva-
minister, es gibt doch nach dem ersten Gesetz ge- lidenversicherung hat, nämlich die Beiträge dann zu-
wisse Grenzfälle, in denen es zu Prozessen geführt rückzuzahlen, wenn kein Leistungsanspruch besteht?
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 48. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. November 1962 2097

Blank, Bundesminister für Arbeit und Sozialord- ist es außerordentlich schwierig, die sehr unter-
nung: Herr Kollege, ich kann gar nichts einführen. schiedlichen Auffassungen auf einen Nenner zu brin-
Bestenfalls könnte ich dem Hause einen Gesetzes- gen. Die Bundesregierung wird ihr möglichstes tun.
vorschlag der Bundesregierung unterbreiten. Es (Abg. Josten: Danke sehr!)
bliebe dann dem Hohen Hause überlassen, ein Ge-
setz zu beschließen oder abzulehnen.
Vizepräsident Dr. Dehler: Keine weitere
(Zuruf von der CDU/CSU: Gut!) Frage. Ich danke Ihnen, Herr Minister.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundes-
Vizepräsident Dr. Dehler: Keine weitere ministers für das Post- und Fernmeldewesen. Ich
Frage. Ich rufe auf die Frage 11/2 — des Herrn Ab- rufe auf die Frage des Herrn Abgeordneten Dr.
geordneten Josten —: Hahn (Heidelberg) :
Wie weit sind die Verhandlungen wegen der Sonntagsruhe Ich frage die Bundesregierung, ob die Informationen richtig
auf dem Rheinstrom fortgeschritten? sind, denen zufolge in diesem Jahr .am 1. Weihnachtstag die
Paketzustellung wieder erfolgen soll und dadurch zusätzlich
Bitte Herr Minister! vielen Postbeamten die Möglichkeit genommen wird, den 1.
Weihnachtsfeiertag mit ihren Familien zu verbringen.

Bitte, Herr Minister!


Blank, Bundesminister für Arbeit und Sozialord-
nung: Die Mannheimer Akte vom 17. Oktober 1868 Stücklen, Bundesminister für das Post- und Fern-
gewährleistet die freie Rheinschiffahrt für Fahrzeuge meldewesen: Die Information ist richtig. Die Durch-
aller Nationen auf dem Rhein. Die Bundesrepublik führung der Paketzustellung am ersten Weihnachts-
Deutschland bedürfte daher für Regelungen der feiertag ist nicht zu umgehen. Sonst würden nicht zu
Arbeitsbedingungen auf dem Rhein, die für alle vertretende Verzögerungen in der Ankunft der Pa- -
Schiffe gelten sollen, .der Zustimmung der übrigen ketsendungen eintreten. Außerdem wären unüber-
Vertragsstaaten. Maßnahmen, die sich nur gegen sehbare Betriebsstörungen während der Feiertage
deutsche Schiffe richten würden, wären theoretisch bei den Zustellämtern wegen des starken Post-
zwar zulässig, würden aber die Lage der deutschen eingangs und der vielfach unzulänglichen Raumver-
Rheinschiffahrt im Wettbewerb beeinträchtigen. hältnisse nicht zu vermeiden. Es ist dabei auch zu
berücksichtigen, daß die zu den Festtagen versandten
D ie Arbeitsbedingungen auf dem Rhein sind durch Geschenksendungen vielfach leicht verderblichen In-
das Pariser Abkommen, das am 1. Dezember 1959 in halt haben, so daß eine um Tage verzögerte Zu-
Kraft getreten ist, geregelt. Nach diesem Abkom- stellung erhebliche Schäden verursachen könnte. Die
men sollen 26 Sonntage im Jahr arbeitsfrei bleiben. Deutsche Bundespost muß außerdem dem besonders
Zur Zeit wird eine Revision des Pariser Abkommens dringenden Wunsch aller Postbenutzer auf schnellste
vorbereitet. Durch diese Revision soll insbesondere Zustellung der Festtagspost, der aus vielen Zuschrif-
die Möglichkeit geschaffen werden, die Einhaltung ten immer wieder zu erkennen ist, Rechnung tragen,
der Bestimmungen des Abkommens wirksam zu zumal sie auf diese Weise mit dazu beitragen kann,
überwachen. Insbesondere sollen Verfahren festge- die Festtagsfreude in den Familien zu erhöhen.
legt werden, um Verstöße gegen die Ruhezeiten
festzustellen und zu ahnden. Die Vorarbeiten hier- Es ist nicht zu übersehen, daß die Zusteller, die
für sind unter Förderung durch das Internationale über Weihnachten Pakete zustellen, nur ein gerin-
Arbeitsamt weit fortgeschritten. Ich rechne damit, ger Teil des Postpersonals sind, das in seiner Ge-
daß im Jahre 1963 eine dreigliedrige Konferenz der samtheit an ungewöhnlichen Zeiten zu erhöhten
Vertragsstaaten den neuen Text des Abkommens schweren Leistungen herangezogen werden muß. Die
festlegen wird. In dieser Konferenz wird auch die Eigenart des Postdienstes bedingt es, daß z. B. auch
Frage der Sonntagsruhe eingehend erörtert und ver- der gesamte Postbeförderungsdienst an allen Sonn-
sucht werden, die unterschiedlichen Meinungen der und Feiertagen sowie am Weihnachtsabend und am
beteiligten Staaten zu koordinieren. Silversterabend fortgesetzt werden muß und daß zahl-
reiche Frauen und Männer zu diesen Zeiten im Fern-
sprech-, im Telegraphendienst und in der Eilzustel-
Vizepräsident Dr. Dehler: Eine Zusatzfrage lung tätig sind. Ähnlich liegen die Verhältnisse in
Herr Abgeordneter Josten. allen anderen Verkehrsbetrieben.

Vizepräsident Dr. Dehler: Eine Zusatzfrage


Josten (CDU/CSU) : Herr Minister, ist Ihnen be- Herr Abgeordneter Dr. Hahn!
kannt, daß auch in der Rheinschiffahrt ein großer
Personalmangel besteht, daß das Fehlen der Sonn-
tagsruhe viele Jugendliche davon abhält, den Schif- Dr. Hahn (Heidelberg) (CDU/CSU) : Herr Mini-
ferberuf zu ergreifen, und daß es daher sehr zu be- ster, halten Sie es für möglich, daß durch eine recht-
grüßen wäre, wenn man auf der von Ihnen genann zeitige Unterrichtung die Öffentlichkeit auch dazu
ten Konferenz zu einem besseren Ergebnis käme? erzogen wird, ihre Pakete so frühzeitig abzusenden,
daß die Familien der Postbeamten doch die Mög-
lichkeit haben, das Fest miteinander zu begehen?
Blank, Bundesminister für Arbeit und Sozialord-
nung: Jawohl, Herr Kollege, und ich hoffe auch, daß Stücklen, Bundesminister für das Post- und Fern-
wir dieses Ergebnis erzielen werden. Aber Sie wis- meldewesen: Was auf diesem Gebiete an Werbung
sen, bei allen diesen internationalen Verhandlungen zur rechtzeitigen Aufgabe von Paketen und anderen
2098 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 48. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. November 1962
Bundespostminister Stücklen
Briefsendungen für Weihnachten möglich war, haben von 460 000 DM, mit dem sich die Eigentümer ein-
wir getan. Wir haben aber die Erfahrung, daß in verstanden erklärten. Da dieser Kaufpreis nach den
allen Jahren noch am Heiligen Abend Paketsendun- Ermittlungen meiner Bauabteilung angemessen war
gen in größerer Zahl eingetroffen sind, die aus den und das Grundstück sich für die Zwecke des Bundes-
Gründen, die ich angegeben habe, noch zugestellt grenzschutzes voll eignete, habe ich dem verein-
werden müssen. barten Kaufpreis zugestimmt.
Es mag zwar zutreffen, daß die Eigentümer an-
Vizepräsident Dr. Dehler: Keine weitere fänglich auf Grund besonderer Umstände einen Ver-
Frage; ich danke Ihnen, Herr Minister. kauf zu einem geringeren Preis in Erwägung gezo-
Frage aus dem Geschäftsbereich des Bundesmini- gen hatten. Für die Ermittlung des vom Bund zu
sters für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschä- zahlenden Kaufpreises wäre jedoch nicht — und
digte — des Herrn Abgeordneten Fritsch —: darauf möchte ich ausdrücklich hinweisen — die be-
Wann ist mit der Vorlage einer 3. Novelle zum Kriegsgefan- sondere Situation der Eigentümer, sondern aus-
genenentschädigungsgesetz (KgfEG) durch die Bundesregierung schließlich der von den zuständigen Baudienststellen
zu rechnen?
ermittelte Verkehrswert maßgebend gewesen.
Herr Minister!
Vizepräsident Dr. Dehler: Keine Zusatzfrage.
Mischnick, Bundesminister für Vertriebene,
— Ich danke Ihnen, Herr Minister.
Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte: Der Referenten-
entwurf eines Dritten Änderungs- und Ergänzungs- Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundes-
gesetzes zum Kriegsgefangenenentschädigungsge- ministers des Innern! Frage VI/1 — des Herrn Ab-
setz ist mit den beteiligten Bundesressorts abge- geordneten Fritsch —:
stimmt worden. Wegen der Änderung einiger ver- Ist die Bundesregierung bereit, die Nachtdienstzulage für die
Bediensteten der Deutschen Bundesbahn von bisher 0,40 DM pro
fahrensrechtlicher Vorschriften findet am 20. Novem- Stunde ,angemessen zu erhöhen?
ber 1962 noch eine Besprechung mit den durchfüh-
renden Stellen der obersten Landesbehörden statt. Bitte, Herr Minister!
Mit der Zuleitung des Regierungsentwurfs an die
gesetzgebenden Körperschaften kann in den näch- Höcherl, Bundesminister des Innern: Ich darf die
sten Wochen gerechnet werden. Frage wie folgt beantworten. Eine Nachtdienstzulage
erhält nicht nur das Personal der Deutschen Bundes-
bahn, wie man aus der Frage entnehmen könnte, sie
Vizepräsident Dr. Dehler: Eine weitere Frage? wird vielmehr allgemein für Nachtdienstzulagen im
— Nein. Ich danke Ihnen, Herr Minister. Bundesdienst gezahlt. Bei den Beamten beruht die
Frage aus dem Geschäftsbereich des Bundes- Zulage auf § 22 des Bundesbesoldungsgesetzes, bei
schatzministers — des Herrn Abgeordneten Dr. den Angestellten und Arbeitern auf tarifvertrag-
Bucher —: lichen Regelungen. Diese Nachtdienstzulage ist erst
vom 1. Juli 1961 an von bisher 25 Pf auf 40 Pf pro
Ist die in Nr. 41 Seite 66 des „Spiegel" aufgestellte Behaup-
tung richtig, daß die Bundesrepublik für ein Lager des, Bundes- Stunde erhöht worden. Sie ist eine pauschalierte
grenzschutzes in Untergrombach bei Bruchsal ein Anwesen für Entschädigung für den durch den Nachtdienst ent-
460 000 DM gekauft hat, obwohl bereits vorher 'ein anderer
Kaufinteressent das Grundstück für 255 000 DM vom Verkäufer stehenden Mehraufwand, insbesondere an Ernäh-
erhalten sollte?
rung. Bei der letzten Erhöhung bedurfte es noch
Herr Minister! eines besonderen Beschlusses der Bundesregierung
nach § 3 Nr. 12 des Einkommensteuergesetzes dahin-
Lenz, Bundesschatzminister: Herr Abgeordneter, gehend, daß die Nachtdienstzulage voll als Auf-
es trifft zu, daß die Bundesrepublik ein Anwesen in wandsentschädigung anzuerkennen sei, da die Fi-
Untergrombach bei Bruchsal für Zwecke des Bundes- nanzämter einen solchen Aufwand ursprünglich nicht
grenzschutzes zu einem Kaufpreis von 460 000 DM anerkennen wollten. Seit der letzten Erhöhung am
erworben hat. Ob vorher ein anderer Kaufinteres- 1. Juli 1961 sind nach Ansicht der Bundesregierung
sent das Grundstück für 255 000 DM erhalten sollte, keine so wesentlichen Veränderungen eingetreten,
war der mit dem Erwerb der Grundstücke beauf- daß eine weitere Erhöhung der Nachtdienstzulage
tragten Oberfinanzdirektion Karlsruhe nicht be- vorgeschlagen werden müßte.
kannt. Nach den jetzt von mir angestellten Ermitt-
lungen sind die Grundstückseigentümer niemals Vizepräsident Dr. Dehler: Zu einer Zusatz-
bereit gewesen, ihr Grundstück zum Preis von frage Herr Abgeordneter Fritsch.
255 000 DM zu veräußern. Ihr sind zwar Angebote,
die sich zwischen 250 000 DM und 400 000 DM be-
wegten, gemacht worden. Diese sind aber nicht Fritsch (SPD) : Herr Bundesminister, würden Sie
angenommen worden. Die Eigentümer hatten bei nicht der Meinung sein, daß es sozial gerecht wäre,
ihren Verhandlungen mit der Oberfinanzdirektion die Nachtdienstzeit anders zu gestalten bzw. aus-
Karlsruhe zunächst einen Kaufpreis in Höhe von zudehnen, etwa so, daß man die Nachtdienstzeit auf
520 000 DM gefordert. Sie stützten sich dabei auf 8 Uhr abends oder 9 Uhr abends — mindestens
ein von ihnen eingeholtes Gutachten. Die Ober- während der Winterzeit — festlegt?
finanzdirektion Karlsruhe bot dagegen — vorbe-
haltlich meiner Genehmigung — auf Grund einer Höcherl, Bundesminister des Innern: Ich werde
von ihr angestellten Wertermittlung einen Kaufpreis das überprüfen, Herr Kollege.
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 48. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. November 1962 2099

Vizepräsident Dr. Dehler: Zu einer Zusatz- Die Bundesverwaltung befand sich im Jahre 1950
frage Herr Abgeordneter Brück. im Aufbau. Bundesverwaltungen mit großem Perso-
nalkörper — z. B. der auswärtige Dienst und die
Brück (CDU/CSU) : Herr Bundesminister, darf ich Bundeswehrverwaltung — sind erst nach diesem
ich in dem Zusammenhang die gleiche Bitte an Sie Zeitpunkt neu errichtet worden. Der Bundesverwal-
richten: einmal zu prüfen, ob der Begriff „Nacht- tung sind seit 1950 darüber hinaus durch den Bun-
dienst" in der in Frage kommenden Rechtsverord- desgesetzgeber in erheblichem Umfang neue Auf-
nung überhaupt noch unseren heutigen Auffassungen gaben übertragen worden, deren Erledigung
entspricht? Wenn Sie das überprüften, wäre ich zwangsläufig eine Personalvermehrung erforderte.
Ihnen sehr dankbar. Schließlich ist noch ein weiterer Gesichtspunkt zu
beachten. Inwieweit durch Aufgabenzuwachs eine
Höcherl, Bundesminister des Innern: Das wird Vermehrung der Planstellen für Beamte notwendig
geschehen, Herr Kollege. ist, wird durch den Haushaltsausschuß des Deut-
schen Bundestages bei der Erörterung des Entwurfs
Vizepräsident Dr. Dehler: Frage VI/2 — des des Haushaltsplans für das jeweilige Rechnungsjahr
Herrn Abgeordneten Dr. Kohut —: eingehend geprüft. Die letzte Entscheidung fällt das
Plenum in den Haushaltsberatungen. Wir sind also
Wieviel Lehrkräfte kommen auf je hundert Studenten an deut-
schen Universitäten und Technischen Hochschulen? der Meinung, daß sich sowohl die Regierung wie
das Parlament in der Ausstattung mit höheren Plan-
Höcherl, Bundesminister des Innern: Nach den stellen durchaus einig waren.
Erhebungen des Statistischen Bundesamts kamen im
Wintersemester 1960/61 — andere Unterlagen liegen Vizepräsident Dr. Dehler: Keine Zusatzfrage.
naturgemäß nicht vor — an den wissenschaftlichen Dann rufe ich die Frage VI/4 — des Herrn Abge-
Hochschulen der Bundesrepublik einschließlich Berlin ordneten Dr. Kohut — auf:
insgesamt 4,8 Lehrpersonen auf 100 Studenten. Dabei
Wie ist das ziffernmäßige Verhältnis zwischen Lehrkräften und
teilen wir die Lehrpersonen in folgende Gruppen Studenten an den Universitäten in den Ländern der EWG und
der EFTA?
auf: 1,4 sind Lehrstuhlinhaber — ordentliche und
außerordentliche Professoren —, 1,7 habilitierte Höcherl, Bundesminister des Innern: Internatio-
Nichtordinarien — das sind außerplanmäßige Pro- nale Vergleiche über die Zahl der Hochschullehrer
fessoren und Privatdozenten — und 1,7 sonstige sind problematisch, und zwar aus den bekannten
Lehrpersonen — Honorarprofessoren, Lehrbeauf- Gründen der Definition des Begriffs „Hochschul-
tragte, Lektoren, sonstige nichthabilitierte Beamte lehrer". Sie ist nach den Ländern außerordentlich
und Angestellte des wissenschaftlichen Dienstes —. verschieden. An dem Beispiel der vorletzten Frage
Die wissenschaftlichen Assistenten sind in dieser haben Sie gesehen, .daß wir z. B. die wissenschaft-
Zahl nicht enthalten. lichen Assistenten nicht dazurechnen, andere Per-
sonengattungen aber doch; denn die Zulassungsvor-
Vizepräsident Dr. Dehler: Zu einer Zusatz- aussetzungen sind überall verschieden. Zusammen-
frage Herr Dr. Kohut. fassende Übersichten über die Länder der EWG
und der EFTA — diese Begriffe existieren erst seit
Dr. Kohut (FDP) : Bestehen bei diesen von Ihnen einiger Zeit — fehlen. Wir haben uns aber bemüht,
genannten Durchschnittszahlen in den einzelnen Län- uns Angaben aus statistischen Jahrbüchern dieser
dern erhebliche Abweichungen nach oben oder Länder zu besorgen, und sind auf folgende Zahlen
unten? gekommen: In Frankreich kommen auf 100 Studen-
ten 3,1 Lehrpersonen — das war 1960 —, in Italien
1959/60 2,3 Lehrpersonen, in Dänemark 1961 3,6
Höcherl, Bundesminister des Innern: Ja, Herr Lehrpersonen, in Schweden 1960 3,7 und in der
Kollege. Wir haben eine Gesamtberechnung ange- Schweiz 1961/62 8,7 Lehrpersonen — eine sehr hohe
stellt. Eine Aufgliederung nach Ländern wurde nicht Zahl —. Nach einer anderen Erhebung kamen 1958
vorgenommen, weil davon in der Frage nichts ent- auf 100 Studenten in den EWG-Ländern in Belgien
halten war. Falls Sie sie wünschen sollten, wäre 7,1, in Frankreich 2,2, in Italien 2,2, in den Nieder-
ich gern bereit, das nachzuholen. landen 5,0 Lehrpersonen. In den EFTA-Ländern:
Dänemark 7,9, Großbritannien 11,4 — eine der höch-
Dr. Kohut (FDP) : Ich wäre Ihnen sehr dankbar, sten Zahlen —, Österreich 6,6, Schweden 11,1, in
Herr Minister. der Schweiz wären es nach dieser Studie, von der
wir innerhalb der kurzen Zeit nicht nachprüfen
konnten, inwieweit sie zuverlässig ist, sogar 12,1
Vizepräsident Dr. Dehler: Frage VI/3 — des Lehrpersonen, Norwegen 6,6. Für Portugal und
Abgeordneten Dr. Kohut —: Luxemburg konnten wir in der kurzen Zeit keine
War die Zunahme der Bundesbeamten im höheren Dienst Zahlen ermitteln; die Zahlen für die Bundesrepublik
(ohne Wirtschaftsunternehmen) von 1840 im Jahre 1950 auf 7878
im Jahre 1960 unvermeidbar? habe ich schon in der Antwort auf Ihre erste Frage
bekanntgegeben.
Höcherl, Bundesminister des Innern: Ich muß die
Frage mit Ja beantworten, und zwar aus ganz ein- Vizepräsident Dr. Dehler: Zu einer Zusatz-
fachen Gründen. frage Herr Abgeordneter Dr. Kohut.
2100 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 48. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. November 1962

Dr. Kohut (FDP) : Ist es nicht auffällig, Herr Das Wort zur Beantwortung hat der Herr Staats-
Minister, daß die Bundesrepublik mit Lehrkräften sekretär.
ziffernmäßig ziemlich am schlechtesten versehen
ist? Dr. Westrick, Staatssekretär im Bundesministe-
rium für Wirtschaft: Zu der neuen Serie der Bundes-
Höcherl, Bundesminister des Innern: Herr Kol- banknoten, von der bisher die Noten zu 20, 50 und
lege, die Zahl bei uns beträgt 4,8 Lehrkräfte je 100 100 DM zur Ausgabe gelangt sind, gehören auch
Studenten. Danach würden wir im west- und zen- Scheine zu 500 und 1000 DM. Diese Scheine sind in
traleuropäischen Bereich ungefähr in der Mitte lie- Bearbeitung. Mit ihrer Ausgabe kann allerdings erst
gen, während einige Länder, vor allem im nordi- in der zweiten Hälfte des Jahres 1963 gerechnet
schen Bereich, erheblich mehr haben. Ich bin Ihrer werden, da die übrigen Abschnitte im Zahlungsver-
Meinung, Herr Kollege, daß da noch einiges zu tun kehr wesentlich dringender benötigt wenden und die
ist. Es ist aber zu beachten, daß bei uns eine ganze Gesamtkapazitäten der Druckereien voll ausgelastet
Reihe von Lehrstühlen, und zwar interessanter- sind. Die Gesamtserie wird sich dann aus Noten zu
weise insbesondere im technischen Bereich, Archi- 5, 10, 20, 50, 100, 500 und 1000 DM zusammensetzen.
tektur, Bergbau usw., aus den bekannten Gründen
nicht besetzt sind. Dort gibt es Unterbesetzungen
bis zu 25 %, weil es offenbar an geeigneten oder,
Vizepräsident Dr. Dehler: Keine Zusatzfrage.
ich möchte sagen, eintrittswilligen Lehrkräften fehlt. Eine weitere Frage des Herrn Abgeordneten
Brand, Nr. VII/4:
Vizepräsident Dr. Dehler: Noch eine Zusatz- Wird bei der graphischen Gestaltung der Banknoten ein
künstlerischer Beirat, wie ihn die Deutsche Bundespost für die
frage! Briefmarkengestaltung hat, herangezogen?

Herr Staatssekretär!
Dr. Kohut (FDP) : Herr Minister, liegt das viel-
leicht an der Honorierung der Lehrkräfte, ist diese
zu gering? Dr. Westrick, Staatssekretär im Bundesministe-
rium für Wirtschaft: Bei der graphischen Gestaltung
Höcherl, Bundesminister des Innern: Im tech- neuer Banknoten bittet die Deutsche Bundesbank
nischen Bereich dürfte das der Fall sein. Sie wissen, deutsche Künstlerverbände um Benennung geeig-
daß es eine besondere Besoldungsordnung für neter Künstler. Die (Bundesbank fordert sodann eine
Hochschullehrer gibt. Von den derzeitigen Besol- Reihe von Künstlern zur Fertigung von Entwürfen
dungsverhältnissen bei den Hochschullehrern, die auf. Von den eingereichten Entwürfen wählt .sie für
natürlich durch die Hörgeldregelung differenziert jede Banknote einen aus und legt diese Entwürfe
sind, möchte ich annehmen, daß sie im allgemeinen dem Herrn Bundespräsidenten zur Prüfung und Bil-
ausreichen. In gewissen Bereichen gibt es keine ligung ,vor.
Schwierigkeiten. In denen, die von der wirtschaft-
lichen Konjunkturentwicklung besonders umkämpft Vizepräsident Dr. Dehler: Zu einer Zusatz-
sind, sind die größten Fehlstellen. Darauf dürfte es frage Herr Abgeordneter Brand!
wohl zurückzuführen sein.
Brand (CDU/CSU) : Herr Staatssekretär, können
Vizepräsident Dr. Dehler: Ich danke, Herr Sie mir vielleicht darüber Auskunft geben, ob der
Minister. auf dem neuen Hundertmarkschein abgelbildete Vo-
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäfts- gel einen Adler darstellen soll oder mehr .in die
bereich des Bundesministers für Wirtschaft. Ich rufe Kategorie des Mastgeflügels einzureihen ist?
auf die Frage VII/1 — des Herrn Abgeordneten Dr. (Heiterkeit.)
Dörinkel—:
Ist der Bundesregierung das im Auftrag der EWG-Kommission
ausgearbeitete Gutachten der Professoren Wessels, Pernis und Dr. Westrick, Staatssekretär im Bundesministe-
Mortara bekannt, nach welchem die Stromtarife für industrielle
Verbraucher 'in der Bundesrepublik erheblich über denen in den rium für Wirtschaft: Ich persönlich bin der Meinung,
anderen EWG-Mitgliedstaaten liegen? daß er zumindest einen Adler darstellen soll.
Ist Herr Abgeordneter Dr. Dörinkel anwesend? —
Wird er vertreten? — Die Frage wird schriftlich be- Brand (CDU/CSU) : Glauben Sie denn, Herr
antwortet. Staatssekretär, .daß dieser Adler in seinem unge-
Die Frage VII/2 — des Herrn Abgeordneten Dr. wöhnlich guten Futterzustand der Aufforderung
Dörinkel — lautet: „flieg, deutscher Adler" nachzukommen in der Lage
Ist die Bundesregierung bereit, den in Frage VII/1 dargeleg- sein würde?
ten Sachverhalt zu überprüfen, insbesondere im Hinblick darauf,
daß die Elektrizitätsversorgungsunternehmungen in der Bundes- (Heiterkeit.)
republik eine durch Konzessionsverträge und Demarkattonsab-
sprachen geschützte Monopolstellung haben?

Sie wird ebenfalls ¡schriftlich beantwortet. Dr. Westrick, Staatssekretär im Bundesministe-


rium für Wirtschaft: Ich glaube immerhin, daß die
Ich rufe auf 'die Frage VII/3 — des Herrn Abge- Darstellung „im guten Futterzustand" ein Kompli-
ordneten Brand —: ment für die Geflügelzucht 'der deutschen Landwirt-
Warum ist dem .aus der in- und ausländischen Bankpraxis schaft sein sollte.
kommenden Wunsch nach einem größeren Geldschein von 500
DM oder 1000 DM immer noch nicht entsprochen worden? (Heiterkeit.)
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 48. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. November 1962 2101

Vizepräsident Dr. Dehler: Ich rufe auf die Vizepräsident Dr. Dehler: Eine zweite Zusatz-
Frage VII/5 — des Herrn Abgeordneten Dr. Hamm frage.
(Kaiserslautern) —
Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß die bereits im
Dr. Hamm (Kaiserslautern) (FDP) : Herr Staats-
Bericht Nr. 823 des Bundesministers für Wirtschaft vom 1. Sep- sekretär, darf ich das so verstehen, daß Sie die
tember 1959 dargestellte erhebliche Kostenunterdeckung bei den Notwendigkeit, in erster Linie auf die Kostenlage
Krankenanstalten der Bundesrepublik eine entscheidende Ursache
darin hat, daß gemäß § 2 Abs. 4 der Bundespflegesatzverord- der Krankenhäuser abzustellen, auch daraus her-
nung vom 31. August 1954 die Preisbildungsstellen der Länder
gehalten sind, bei der Genehmigung oder Festsetzung der leiten, daß nach dem Krankenversicherungs-Neu-
Pflegesätze die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der für die regelungsentwurf des Bundesministers für Arbeit
KrankehusbtzldnSoiaverschugtäz
beachten? von der Kopfpauschale für die Bezahlung des Arz-
tes auf die Einzelhonorierung übergegangen wird
Dr. Westrick, Staatssekretär im Bundesministe- und eine gewisse Parallele dazu vorliegt?
rium für Wirtschaft: Nach § 2 Abs. 4 der Bundes-
pflegesatzverordnung ist die Kosten- und Ertrags- Dr. Westrick, Staatssekretär im Bundesministe-
lage der Krankenanstalten neben der wirtschaft- rium für Wirtschaft: Dies ist die Meinung des Bun-
lichen Leistungsfähigkeit der beteiligten Sozialver- deswirtschaftsministeriums.
sicherungsträger bei der Genehmigung oder Fest-
setzung von Krankenhauspflegesätzen durch die Vizepräsident Dr. Dehler: Ich danke Ihnen,
Länder zu berücksichtigen. Nach der Rechtsprechung Herr Staatssekretär.
hierzu ist die Berücksichtigung der wirtschaftlichen
Leistungsfähigkeit der beteiligten Sozialversiche- Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäfts-
rungsträger gleichrangig. Der Bundesminister für bereich des Bundesministers für Verkehr.
Wirtschaft teilt die Auffassung, daß die gegenwär- Frage VIII/1 — des Abgeordneten Dr. Supf —:
tig noch immer bestehende Kostenunterdeckung der Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, darauf Ein-
Krankenanstalten der Bundesrepublik jedenfalls fluß zu nehmen, daß der Bahnhof Kehl eine äußere Form erhält,
die der Bedeutung dieses Grenzübergangsbahnhofs als Visiten-
zum Teil auf diese Vorschrift zurückzuführen ist. karte für Deutschland entspricht?

Bitte, Herr Minister.


Vizepräsident Dr. Dehler: Die zweite Frage —
Frage VII/6 — des Herrn Abgeordneten Dr. Hamm: Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister für Verkehr:
Ist die Bundesregierung zur Herstellung und Erhaltung der
Herr Kollege, Voraussetzung für den Neubau des
Leistungsfähigkeit der Krankenhäuser bereit, die Bundespflege- Empfangsgebäudes ist die mit der Hebung der Eisen-
satzverordnung dahin zu ändern, daß bei der Genehmigung oder
Festsetzung der Pflegesätze allein die bei sparsamer Wirtschafts- bahnbrücke verbundene Höherlegung des Bahnhofs
führung entstehenden Selbstkosten der Krankenhäuser zu be-
rücksichtigen sind?
in Kehl. Nach Mitteilung der Hauptverwaltung der
Deutschen Bundesbahn sind die Entwürfe für das
Bitte, Herr Staatssekretär. neue Empfangsgebäude bereits begutachtet und ge-
nehmigt. Der Entwurf dürfte der Bedeutung dieses
Dr. Westrick, Staatssekretär im Bundesministe- Grenzbahnhofes gerecht werden.
rium für Wirtschaft: Es ist eine Änderung des § 2
Abs. 4 der Bundespflegesatzverordnung durch den Für die Errichtung des Gebäudes sind mehr als
Bundesminister für Wirtschaft in Aussicht genom- 2 Millionen DM aufzuwenden. Die Abmessungen des
men, durch die gewährleistet werden soll, daß bei geplanten Gebäudes betragen 90 m Länge, 12 m
Genehmigung oder Festsetzung der Pflegesätze in Breite und 8,50 m Höhe in zwei Geschossen. Die
erster Linie die Kosten- und Ertragslage der Kran- Empfangshalle des Bahnhofs wird eine Größe von
kenanstalten berücksichtigt wird. 260 qm und eine lichte Höhe von 4,50 m haben. Für
die Verkehrs- und Betriebsdienststellen, den deut-
schen und französischen Zoll wird in Verbindung
Vizepräsident Dr. Dehler: Eine Zusatzfrage. mit dem Empfangsgebäude ein sechsgeschossiges
Bürohaus errichtet.
Dr. Hamm (Kaiserslautern) (FDP) : Herr Staats- Der Zeitpunkt für die Errichtung des Gebäudes
sekretär, wann ist mit einer solchen Änderung zu
liegt allerdings bisher aus den eingangs genannten
rechnen? Wenn ich recht unterrichtet bin, geht die
Gründen noch nicht fest. Er ist davon abhängig, ob
Diskussion darüber schon lange.
und wann der Herr Bundesminister der Finanzen
sich bereit erklärt, die Steigerung der seinerzeit
Dr. Westrick, Staatssekretär im Bundesministe- ermittelten vom Bund zu tragenden Kosten für die
rium für Wirtschaft: Herr Abgeordneter, die Frage Hebung der Eisenbahnbrücke Kehl und die Höher-
ist in der Tat schwer zu beantworten. Die Ressort- legung des Bahnhofs Kehl auf jetzt 23,6 Millionen
besprechungen konnten bisher noch nicht zum Ab- DM zu decken. Die Verhandlungen wegen der Erstat-
schluß gebracht werden, obwohl viel Mühe und viel tung des erhöhten Betrages sind noch im Gange.
Zeit darauf verwandt wurde. Es war auch der Ent-
wurf des Neuregelungsgesetzes für die Krankenver- Vizepräsident Dr. Dehler: Frage VIII/2 — des
sicherung abzuwarten. Ich möchte in diesem Zusam- Herrn Abgeordneten Dr. Supf —:
menhang darauf hinweisen, daß für die soziale Kran- ist die Bundesregierung bereit, darauf Einfluß zu nehmen, daß
kenversicherung im Rahmen dieses Entwurfs ein am Grenzübergangsbahnhof Kehl ein fahrbares Büfett einge-
richtet wird, damit die aus Frankreich kommenden Reisenden
Schiedsgerichtsverfahren — unter gleichrangiger in Kehl Gelegenheit haben, sich mit Getränken und Speisen zu
versehen?
Beteiligung der Krankenanstalten und der Sozial-
versicherungsträger — vorgesehen ist. Bitte, Herr Minister.
2102 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 48. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. November 1962

Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister für Verkehr: Ich darf dazu noch folgendes mitteilen: Die Siche-
Herr Kollege, das jetzige Empfangsgebäude enthält, rung der Kraftfahrzeuge soll, wie gesagt, die unbe-
wie die Deutsche Bundesbahn mir mitteilt, eine den fugte Benutzung erschweren, wenn nicht unmöglich
Bedürfnissen entsprechend großräumige Gaststätte, machen. Die Diebstähle dieser Art haben in den
die mit einem Verkaufskiosk und einem sogenannten letzten Jahren ständig zugenommen. Ich darf Ihnen
Schnellimbiß verbunden ist. Es steht dem nichts im einmal die Häufigkeit der Diebstähle — bezogen auf
Wege, daß der Pächter der Gaststätte ein fahrbares 100 000 Einwohner — nennen: 1953 37 Fälle, 1956
Büfett einrichtet, um die grenzüberschreitenden 76 Fälle, 1958 156 Fälle und 1960 228 Fälle. Die
Reisenden an den Zügen mit Getränken und Speisen Zahl ist also außerordentlich stark gestiegen. Bei
zu versorgen. Ich habe die Deutsche Bundesbahn ge- diesen Delikten treten immer wieder grobe Ver-
beten, sich Ihres Wunsches, Herr Kollege, durch Ver- stöße gegen die Verkehrsregeln mit zum Teil schwe-
handlungen mit dem Pächter anzunehmen. ren Unfällen auf. Seit nun die neuen Vorschriften
bestehen, ist ein Rückgang festzustellen. Nach einem
Vizepräsident Dr. Dehler: Ich danke, Herr Artikel der Rheinischen Post vom 26. Juli dieses
Minister. Jahres hat der Präsident des Bundeskriminalamtes
anläßlich einer Pressekonferenz auf der Tagung der
Frage VIII/3 — Abgeordneter Dr. Schäfer —: Arbeitsgemeinschaft der Kriminalämter im Juni 1962
Besteht die Bundesregierung darauf, daß bis zum 31. Dezember bekanntgegeben, daß in diesem Jahr die Zahl der
1962 in die Personenkraftwagen Lenkradschlösser eingebaut
werden müssen, obwohl sich gezeigt hat, daß die serienmäßig Kraftfahrzeugdiebstähle erstmalig rückläufig sei. Es
eingebauten Lenkradschlösser keinen Schutz gegen Diebstahl
bieten?
wurde von ihm festgestellt, daß in erster Linie nur
noch Fahrzeuge unbefugt benutzt werden, die nicht
Bitte, Herr Minister. mit Sicherungseinrichtungen gegen unbefugte Be--
nutzung ausgerüstet sind oder bei denen der Fahrer
Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister für Verkehr: die vorhandene Sicherungseinrichtung beim Verlas-
Herr Kollege, die Vorschrift der Straßenverkehrs sen des Fahrzeuges nicht wirksam gemacht hatte.
Zulassungs-Ordnung über die Sicherung von Kraft- Ich habe in dieser Angelegenheit auch noch ein-
fahrzeugen gegen unbefugte Benutzung ist für erst- mal beim Polizeipräsidenten der Freien und Hanse-
mals in den Verkehr kommende Fahrzeuge am 1. Juli stadt Hamburg nachgefragt. Er hat mir mitgeteilt,
1961 und für andere Fahrzeuge am 1. Juli 1962 in daß von 100 Kraftfahrzeugentwendungen 90 bis 95
Kraft getreten. Für Fahrzeuge, die wegen Schwierig- Gebrauchsdiebstähle — also unbefugte Benutzung
keiten in der Beschaffung oder des Einbaus von — seien. Die Vernehmung der Täter habe einwand-
Sicherungseinrichtungen bisher nicht damit ausge frei ergeben, daß sie vor Kraftfahrzeugen mit Siche-
rüstet werden konnten, wurde die Frist bis zum rungseinrichtungen zurückschreckten, und zwar man-
31. Dezember 1962 verlängert. gels geeigneten Werkzeugs und vor allem deshalb,
Die Bundesregierung beabsichtigt nicht, diesen weil noch genügend Fahrzeuge ohne derartige
Termin nochmals hinauszuschieben oder die Vor- Sicherungseinrichtungen auf den Straßen stehen,
schrift aufzuheben. Sie besteht allerdings keinesfalls deren man sich leichter bedienen kann.
darauf, daß in die Personenkraftwagen ausschließ-
lich Lenkradschlösser eingebaut werden. Geeignet Vizepräsident Dr. Dehler: Eine Zusatzfrage,
zur Erfüllung der Vorschrift sind alle Sicherungs- Herr Abgeordneter Dr. Schäfer.
einrichtungen, nach deren Beseitigung oder Zerstö-
rung die Kraftfahrzeuge nicht in Betrieb gesetzt Dr. Schäfer (SPD) : Herr Minister, nehmen Sie an,
werden können, und solche, deren Beseitigung oder daß mit den modernen Lenkradschlössern, von
Zerstörung einen längeren Zeitaufwand erfordert. denen Sie sprachen, Fälle wie der jetzt bekannt-
Solche Sicherungseinrichtungen sind außer den be- gewordene ausgeschlossen werden können, in dem
kannten Lenkradschlössern u. a. Getriebeschlösser, allein ein Kraftfahrzeugdieb im Laufe von zwei Jah-
Schalthebelschlösser und Einrichtungen, die das ren 60 Kraftfahrzeuge entwendet hat?
Ingangsetzen des Motors verhindern.
Ob Sicherungseinrichtungen diesen gesetzlichen Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister für Verkehr:
Bestimmungen genügen, wird durch die anerkann- Natürlich wird ein Spezialist auf diesem Gebiet, mit
ten Sachverständigen für den Kraftfahrzeugverkehr geeigneten Werkzeugen versehen, solche Dieb-
geprüft. Für serienmäßig gefertigte Sicherungsein- stähle auch weiterhin ausführen können. Das wird
richtungen hat es der Technische Überwachungsver- aber dann ein Mann sein, der im allgemeinen
ein Hannover übernommen — in Zusammenarbeit einen Sachdiebstahl beabsichtigt, d. h. ein Kraftfahr-
mit dem Landeskriminalamt Niedersachsen — zeug stiehlt, um es auszuschlachten oder umzuarbei-
Musterprüfungen durchzuführen. ten und dann zu verkaufen. Die Maßnahmen, die
Wenn in einzelnen Fällen Sicherungseinrichtun- wir angeordnet haben, sollen in erster Linie davor
gen leicht unwirksam gemacht werden konnten, so schützen, daß Jugendliche oder andere Unbefugte
handelte es sich dabei fast ausschließlich um ältere sich vorübergehend in den Besitz eines Kraftfahr-
und nicht mustergeprüfte Einrichtungen. Es hat sich zeuges setzen, damit fahren und dadurch Unfälle
aber gezeigt, daß selbst diese Einrichtungen in vie- verursachen.
len Fällen schon allein durch ihr Vorhandenseir
einen hinreichenden Schutz gegen eine unbefugte Vizepräsident Dr. Dehler: Eine weitere Zu-
Benutzung der Kraftfahrzeuge bieten. satzfrage Herr Abgeordneter Dr. Schäfer.
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 48. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. November 1962 2103

Dr. Schäfer (SPD) : Herr Minister, ist angesichts nannten Spitzenbelastung entfielen zwei Drittel,
dieser verhältnismäßig geringen Sicherheit gegen nämlich 38 500 Kraftfahrzeuge in 24 Stunden, allein
Sachdiebstähle der Aufwand, den man den Kraft- auf den Nord-Süd-Verkehr.
fahrzeugbesitzern zumutet, zu verantworten? Für den durch den zwischenstädtischen Verkehr
noch zusätzlich belasteten Abschnitt Mannheim—
Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister für Verkehr: Heidelberg betragen die einzelnen Jahresmittel-
Ich glaube doch, weil das unbefugte Benutzen des werte 1952/53 19 000 Kraftfahrzeugeinheiten in
Kraftfahrzeuges auch für den Kraftfahrzeugbesitzer 24 Stunden und 1960 37 000 Kraftfahrzeugeinheiten
sehr unangenehme Folgen haben kann. in 24 Stunden. 1962 wurde hier eine Sonderzählung
nicht durchgeführt. Die Jahresmittelwerte liegen so-
Vizepräsident Dr. Dehler: Zusatzfrage des mit für diesen Flaschenhals in den einzelnen Jahren
Herrn Abgeordneten Dr. Mommer. um rund 8- his 11 000 Kraftfahrzeugeinheiten je
24 Stunden höher als auf der Strecke Frankfurt—
Dr. Mommer (SPD) : Herr Minister, ist Ihnen zu- Mannheim.
fällig ein Filmbericht bekannt geworden, der kürz- Wegen dieser Entwicklung befinden sich die Ent-
lich im Deutschen Fernsehen gezeigt und in dem lastungsautobahnstrecken Mainbrücke bei Rüssels-
dargestellt wurde, wie geübte Autoknacker mit den heim—Groß Gerau—Darmstadt und Mannheim-
verschiedenen Schloßsystemen an Automobilen in Schwetzingen—Walldorf—Wiesloch im Bau. Da-
wenigen Sekunden fertig wurden? durch werden vor allem die Teilstrecken Frank-
furt—Darmstadt und Mannheim—Heidelberg ent-
Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister für Verkehr: scheidend entlastet. Die Strecke Darmstadt—Mann-
Herr Kollege Mommer, ich habe durch Zufall — heim soll durch den Bau des Main-Neckar-Schnell-
obwohl ich sonst wenig Gelegenheit habe, vor dem weges, der den Raum Darmstadt direkt mit Heidel-
Bildschirm zu sitzen —, gerade diese Übertragung berg verbindet, entlastet werden. Wir hoffen, den
gesehen. Ich wurde dazugerufen. Ich habe dazu Bau dieser Straßenzüge im Laufe des zweiten Vier-
Feststellungen treffen lassen und soeben schon be- jahresplanes durchführen zu können.
merkt, daß es sich dabei um Einrichtungen handelt,
die älterer Art und nicht mustergeprüft sind. Bei Vizepräsident Dr. Dehler: Eine Zusatzfrage
den neuen Einrichtungen soll das, wie mir von den des Abgeordneten Dr. Mommer.
technischen Sachverständigen zuverlässig versichert
wird, nicht möglich sein. Dr. Mommer (SPD) : Herr Minister, wie hoch
wird die Durchlaßkapazität einer Autobahn inner-
) Vizepräsident Dr. Dehler: Frage VIII/4 — des halb 24 Stunden geschätzt, und ist diese nicht schon
Herrn Abgeordneten Dr. Mommer —: überschritten?
Wie hat sich die Verkehrsbelastung der Autobahn Frank-
furt—Mannheim—Heidelberg in den letzten Jahren entwickelt? Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister für Verkehr:
Herr Kollege, das ist natürlich verschieden, je nach-
Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister für Verkehr: dem, wie die Autobahn ausgebaut ist. Diese alten
Herr Kollege, die Verkehrsbelastung der Bundes- Autobahnstrecken haben wir früher mit etwa 40 000
autobahn Frankfurt—Mannheim—Heidelberg hat in Kraftfahrzeugeinheiten in 24 Stunden bewertet. Wir
den letzten Jahren, wie die Verkehrsbelastung auf haben in der Zwischenzeit an dieser Strecke, wie
all unseren Straßen, weiter erheblich zugenommen. Sie ja wissen, eine Reihe von Verbesserungen ein-
Das Jahresmittel 1962 auf der Strecke Frankfurt— treten lassen durch den Bau von Leiteinrichtungen,
Mannheim erreichte das Dreifache des für 1952/53 von Abstellstreifen und anderen Einrichtungen, so-
festgestellten Mittelwertes. Der Abschnitt Mann- weit das bei der vorhandenen Strecke möglich war.
heim—Heidelberg nimmt dabei als Flaschenhals Dadurch ist die Kapazität sicherlich gesteigert wor-
eine Sonderstellung ein. Die Werte für die Strecke den. Wir sind aber der Meinung, daß durch diese
Frankfurt—Mannheim schwanken geringfügig für Zahlen, die ich soeben angegeben habe, die Kapa-
die verschiedenen Zählstellen. zität nunmehr in der Spitze übertroffen wird und
daß die Zahlen sich in den normalen Belastungen
Für diese Strecke werden folgende Jahresmittel- der gegebenen Kapazität bereits nähern. Deswegen
werte für den durchschnittlichen täglichen Verkehr haben wir uns entschlossen, diese Entlastungsstrek-
festgestellt: 1952/53 10 000 bis 12 000 Kraftfahrzeug-
ken zu bauen.
einheiten in 24 Stunden, 1958 21 000 bis 23 000
und 1962 27 000 bis 30 000 Kraftfahrzeugeinheiten
in 24 Stunden. In Prozentzahlen ausgedrückt bedeu- Vizepräsident Dr. Dehler: Eine weitere Frage,
tet dies bei Annahme der Verkehrsbelastung im Herr Dr. Mommer.
Jahre 1952/53 mit 100 eine Zunahme bis 1958 auf
200 %, bis 1962 auf 260 %. Die bei der Dauerzähl- Dr. Mommer (SPD) : Ist es nicht so, daß sich also
stelle Darmstadt ermittelten Spitzenwerte betrugen noch auf Jahre hinaus die Schere zwischen der
1956 das 1,7fache des Jahresmittelwertes, nämlich Kapazität der Straße und der Belastung weiter öff-
32 000 Kraftfahrzeugeinheiten in 24 Stunden, und nen wird?
stiegen bis 1962 auf das 2,2fache des Jahresmittel-
wertes, also proportional nicht so stark wie der Jah- Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister für Verkehr:
resmittelwert selbst, nämlich auf 62 500 Kraftfahr- Ich fürchte, daß Sie recht haben. Aber ich glaube,
zeugeinheiten in 24 Stunden. Bei dieser zuletzt ge- daß wir dann, wenn wir die genannten Entlastungs-
2104 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 48. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. November 1962

Bundesverkehrsminister Dr.-Ing. Seebohm


strecken in Betrieb nehmen können, also im Laufe zu möglichst wirkungsvollem Einsatz gelangen und,
der nächsten drei bis vier Jahre, in erheblichem wenn nötig, vorbeugend mit ergänzenden Einrich-
Maße die Belastung der Hauptstrecke kappen kön- tungen versehen werden. Sie ist schon seit längerer
nen, insbesondere bei diesen stark überbelasteten Zeit dazu übergegangen, auf den verwaltungseige-
Strecken zwischen Mannheim und Heidelberg und nen Schiffen Wasserspritzen, die zur Fremdhilfe ge-
zwischen Frankfurt und Darmstadt. eignet sind, einzubauen. Auf der Unterweser sind
13 Fahrzeuge so ausgerüstet worden.
Vizepräsident Dr. Dehler: Eine Zusatzfrage Nach den Feststellungen der Wasser- und Schiff-
des Herrn Abgeordneten Baier. fahrtsdirektion Bremen befinden sich neben den
örtlichen Feuerlöschstationen und Feuerlöschein-
Baier (Mosbach) (CDU/CSU) : Herr Minister, hat richtungen im Hafen Bremen 3 und im Hafen Bre-
sich auf dieser Strecke die zeitweise eingeführte merhaven 2 hafeneigene Feuerlöschboote. Ferner
Geschwindigkeitsbegrenzung bewährt, und ist etwa sind auf der Weser 30 Bugsierschlepper des Nord-
daran gedacht, diese in Zukunft beizubehalten? deutschen Lloyd und der Unterweser-Reederei-AG
mit leistungsfähigem Feuerlöschgerät ausgerüstet.
Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister für Verkehr: Da sich Katastrophen auf den Wasserstraßen er-
Nach unserer Auffassung, Herr Kollege, hat sich fahrungsgemäß über die Ufer hinaus erstrecken
die Geschwindigkeitsbegrenzung bewährt; aber sie und die anwohnende Bevölkerung gefährden kön-
ist ja nicht eine Maßnahme des Bundesministers für nen, wird es von uns für richtig gehalten, daß die
Verkehr, sondern der zuständigen hessischen Lan- zuständigen Landesbehörden einen Katastrophen-
desbehörden. Sie ist damals von dem Herrn Hes- plan aufstellen, um einen möglichst erfolgreichen
sischen Minister des Innern eingeführt worden. Einsatz aller Abwehrmittel an einer entsprechenden
Dann ging die Zuständigkeit auf den Herrn Hessi- Notstelle sicherzustellen. Die Wasser- und Schiff-
schen Minister für Wirtschaft und Verkehr über. fahrtsdirektion Bremen ist angewiesen, sich an der
Dieser hat die Maßnahme wieder aufgehoben. Aufstellung eines solchen Planes der beiden betei-
ligten Länder Bremen und Niedersachsen zu betei-
Vizepräsident Dr. Dehler: Eine Zusatzfrage ligen und ihn mit den ihr zur Verfügung stehenden
des Herrn Abgeordneten Kübler. Mitteln zu unterstützen.

Dr. Kübler (SPD) : Herr Minister, ist Ihnen be- Vizepräsident Dr. Dehler: Zusatzfrage.
kannt, daß eine Sonderzählung des Ferienverkehrs
Ende August, Anfang September über 42 000 Fahr- Müller (Nordenham) (SPD) : Herr Minister, ist
zeuge im Raum Mannheim—Heidelberg bei Fried- Ihnen die Entschließung des Kreistages des Land-
richsfeld feststellte? kreises Wesermarsch vom 25. September 1962 vor-
gelegt worden?
Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister für Verkehr:
Ich weiß nicht, ob das eine amtliche Zählung ge- Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister für Verkehr:
wesen ist; sie ist mir nicht als amtliche Zählung be- Herr Kollege Müller, nicht alle Entschließungen der
kannt. Aber daß die Zahl etwa zutrifft, ergibt sich Kreistage können zu meiner Kenntnis gelangen.
aus den von mir genannten Zahlen. Ich sagte ja, Wenn sie mir oder meinen Mitarbeitern zugeschickt
daß die Jahresmittelwerte auf der Strecke Heidel- worden ist, dann haben mindestens diese sie sicher
berg—Mannheim um etwa 10 000 Kraftfahrzeuge zur Kenntnis genommen. Mir selbst ist die Sache
höher liegen als die Jahresmittelwerte der Strecke nicht vorgelegt worden, also ist sie wohl auch nicht
Frankfurt—Mannheim, gesagt wurde allerdings an mich persönlich geschickt worden.
„Mannheim"! Das ergäbe entsprechend schon einen
Jahresmittelwert von etwa 40 000. In der Spitze Vizepräsident Dr. Dehler: Keine weitere
steigt der Wert noch entsprechend an. Frage?
Dann kommt die Frage VIII/6 — ebenfalls von
Vizepräsident Dr. Dehler: Die Frage VIII/5 — dem Abgeordneten Müller (Nordenham) —:
des Herrn Abgeordneten Müller (Nordenham) —: Warum lehnt die Bundesregierung, vertreten durch die Was-
ser- und Schiffahrtsdirektion Bremen, die weitere Unterhaltung
Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung getroffen, um der Sommerdeiche auf den durch Erbpachtverträge landwirt-
eine möglichst wirkungsvolle Brandbekämpfung auf der Bundes- schaftlich genutzten etwa 60 ha großen Außendeichsländereien
wasserstraße Weser zu erreichen? zwischen km 24 und km 29 der Unterweser ab?

Bitte schön, Herr Minister! Herr Minister!

Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister für Verkehr: Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister für Verkehr:
Herr Kollege, die Brandbekämpfung gehört nicht zu Herr Kollege, das ist eine etwas schwierige Ange-
den gesetzlichen Aufgaben des Bundes, sondern ist legenheit. Bei den Außendeichsländereien zwischen
Sache der Länder, die ihrerseits damit die Gemein- km 24 und km 29 an der Unterweser handelt es sich
den beauftragt haben. Dazu gehört also auch die um die sogenannten Weserdeicher Sände im Bezirk
Brandbekämpfung auf den Bundeswasserstraßen. der Großgemeinde Berne am linken Weserufer.
Die Wasser- und Schiffahrtsverwaltung ist jedoch Als das Deutsche Reich in den Jahren vor 1930
trotzdem bemüht, dazu beizutragen, daß die vor- die Unterweser für 8 m tiefgehende Seeschiffe aus-
handenen Feuerlöscheinrichtungen im Bedarfsfalle baute, befürchteten die Eigentümer der genannten
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 48. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. November 1962 2105
Bundesverkehrsminister Dr.-Ing. Seebohm
Außendeichsländereien, daß ihre Grundstücke in- Müller (Nordenham) (SPD) : Herr Minister, sind
folge der neugeschaffenen Verhältnisse häufiger als Sie bereit, dieses Gutachten erstellen zu lassen,
bisher durch höher auflaufende Fluten beeinträch- wenn der Anspruch so begründet wird?
tigt werden würden, und so erhoben sie im wasser-
rechtlichen Ausbauverfahren Ansprüche auf entspre-
chende Schutzmaßnahmen. Die oldenburgische Aus- Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister für Verkehr:
legungsbehörde erster Instanz kam im Jahre 1937 Wenn das erforderlich ist, werden wir das tun. Aber
diesem Verlangen nach. Sie ordnete durch Beschluß wahrscheinlich hätten die Betreffenden bei der Aus-
an, daß das Deutsche Reich zum Schutz dieser Außen- legung der Unterlagen für den Ausbau schon Ein-
deichsländereien Sommerdeiche errichte und erhalte. spruch einlegen müssen. Ich kann im Augenblick
nicht beurteilen, ob ihre Möglichkeiten, Entschädi-
Es ist nun die Frage, ob die Bundesrepublik gungen zu bekommen, nicht dadurch erschöpft sind,
Deutschland zu der dem Deutschen Reich damals auf- daß sie nicht rechtzeitig Einspruch eingelegt haben.
erlegten Unterhaltung der Sommerdeiche verpflichtet Das will ich aber gern überprüfen lassen, wenn ent-
ist. Die Wasser- und Schiffahrtsdirektion Bremen hat sprechende Anträge eingereicht werden.
ein Schreiben des Wasserverbandes „Weserdeicher
Sände" vom 19. April 1962 erhalten. Darin wird
gebeten, die Bundesrepublik Deutschland solle ent- Vizepräsident Dr. Dehler: Frage VIII/O — des
sprechende Unterhaltungsansprüche erfüllen und Herrn Abgeordneten Dr. Ramminger — :

solle Entschädigungsansprüche wegen nicht erfolg- Was gedenkt die Bundesregierung gegen die von der Bundes-
ter Unterhaltung anerkennen. Gemäß § 27 des All- bahn-Direktion Regensburg angekündigte dauernde Einstellung
des Personenzugverkehrs auf der Nebenbahnstrecke Obernzell-
gemeinen Kriegsfolgengesetzes hat die Wasser- und Wegscheid zu tun, da diese Bahnlinie eigens zur Förderung und
Schiffahrtsdirektion Bremen das Schreiben zuständig- Erschließung dieses marktfennen Grenzgebietes einst gebaut -
wurde und der Omnibusverkehr auf der Straße in den Berufs-
keitshalber der Oberfinanzdirektion in Hannover verkehrszeiten am Morgen und Spätnachmittag nach Passau und
zurück derart überlastet ist, daß dieser Zustand laut Protest-
zugeleitet. Die Oberfinanzdirektion hat mit Entschei- Bürgerversammlung in Wegscheid am 18. Oktober 1962 nur mit
dung vom 23. Oktober dieses Jahres die Forderun- den Verhältnissen in den Nachkriegsjahren zu vergleichen ist?

gen des Wasserverbandes abgelehnt, nicht nur, weil


sie verspätet angemeldet seien, sondern vor allem Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister für Verkehr:
deshalb, weil die Forderungen auch bei rechtzeitiger Herr Abgeordneter, die Deutsche Bundesbahn teilt
Anmeldung nach § 1 Abs. 1 und nach § 2 Nrn. 1 und mir zu dieser Frage folgendes mit: Bei der Neben-
3 in Verbindung mit § 1 Abs. 1 des Allgemeinen bahn Obernzell—Wegscheid handelt es sich um
Kriegsfolgengesetzes erloschen seien. Der Wasser- eine Bergstrecke mit schwierigen Steilstreckenab-
verband kann gegen diese Entscheidung — worauf schnitten. Infolgedessen hat die Strecke nur eine
die Oberfinanzdirektion hingewiesen hat — binnen ganz geringe Reisegeschwindigkeit. Seit dem Som-
6 Monaten Klage vor dem zuständigen Gericht gegen mer 1962 verkehrt werktags nur noch ein Personen
die Bundesrepublik Deutschland (Bundesfinanzver- zugpaar, das in geringem Umfang dem Berufsver-
waltung), vertreten durch die Oberfinanzdirektion in kehr dient. Der weitaus größte Teil des Personen-
Hannover, erheben. Die Oberfinanzdirektion hat je- verkehrs wird mit Bahnbusfahrten abgewickelt. Die
doch in ihrer Entscheidung schon darauf hingewiesen, Bevölkerung hat sich seit 1945 weitgehend dem
daß nach ihrer Auffassung bei der gegebenen Rechts- Bahnbusverkehr zugewandt, der sich als eine bes-
lage eine gerichtliche Geltendmachung der An- sere Verkehrsbedienung erwiesen hat. Die Bahnbus-
sprüche wenig Aussicht auf Erfolg habe. linie schließt über Wegscheid hinaus das Gebiet bis
Wir sind also an der Sache selbst gar nicht be- zu dem 15 km entfernt liegenden Ort Breitenberg
teiligt. zusätzlich auf. Mit dem Zug fahren zwischen Obern-
zell und Wegscheid nur noch 40 Reisende täglich,
mit dem Bus dagegen 1540 Reisende. Aus diesem
Vizepräsident Dr. Dehler: Eine Zusatzfrage, Grunde ist von der Bundesbahn beabsichtigt, auch
Herr Abgeordneter Müller.
das letzte Zugpaar auf die Straße umzulegen, weil
hier die Reisezeiten erheblich günstiger sind und
Müller (Nordenham) (SPD) : Herr Minister, tref- damit die Verkehrsbedienung besser ist.
fen di e Behauptungen nicht zu, daß die Schäden, die
jetzt an den Deichen verursacht werden, nicht nur Zu der von Ihnen erwähnten Überlastung der
vom 8-m-Ausbau herrühren, sondern auch vom Straßenomnibusse im Berufsverkehr ist folgendes zu
8,70-m-Ausbau? sagen: Unmittelbar nach der Protestversammlung,
und zwar am 23. und am 24. Oktober, wurden von
der Bundesbahndirektion Regensburg Zählungen in
Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister für Verkehr: den Hauptverkehrszeiten durchgeführt. Dabei hat
Das kann nur durch eine Tatsachenuntersuchung sich ergeben, daß in keinem einzigen Falle Reisende
und ein Gutachten entschieden werden. Vor dem zurückbleiben mußten. Ich werde mir jedoch auf
8,70-m-Ausbau sind seinerzeit auch entsprechende Grund Ihrer Frage erneut von der Deutschen Bun-
Untersuchungen bei den zuständigen Instituten desbahn über den Sachverhalt berichten lassen. Eine
durchgeführt worden. Damit ist aber der Anspruch Entscheidung über den vom Verwaltungsrat der
bisher nicht begründet worden. Deutschen Bundesbahn unter dem 9. Oktober ge-
nehmigten Antrag des Vorstandes auf Stillegung
Vizepräsident Dr. Dehler: Eine weitere Frage des Reisezugverkehrs auf der Strecke durch mich ist
des Herrn Abgeordneten Müller. bisher noch nicht erfolgt.
2106 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 48. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. November 1962

Vizepräsident Dr. Dehler: Eine Zusatzfrage Vizepräsident Dr. Dehler: Ich rufe die Fragen
des Herrn Abgeordneten Dr. Ramminger. VIII/8 und VIII/9 des Herrn Abgeordneten Dr. Ram-
minger auf:
ist der Bundesregierung bekannt, daß die Bundesbahn-Direk-
Dr. Ramminger (CDU/CSU) : Ist Ihnen nicht be- tion Regensburg Vorbereitungen zur Einstellung des gesamten
Güterverkehrs auf der Nebenbahnstrecke Obernzell-Wegscheid
richtet worden, Herr Bundesminister, daß dieser trifft, indem sie die im Landkreis Wegscheid vorhandenen Fuhr-
einzige noch verkehrende Schienenbus zu einer Zeit unternehmen aufgefordert hat, Angebote zur Verfrachtung der
Güter mit Kraftlastwagen in diesem Grenzgebiet abzugeben?
verkehrt, die ganz verkehrsungünstig ist, nämlich
Ist die Bundesregierung nicht der Ansicht, daß die Verkehrs-
13.15 Uhr ab Passau und 16 Uhr wieder zurück von einschränkungen der Deutschen Bundesbahn auf der Nebenbahn-
Wegscheid nach Passau, und an Samstagen und strecke Obernzell-Wegscheid im Widerspruch stehen zur wirt-
schaftlichen Grenzlandförderung durch Mittel des Bundes und des
Sonntagen überhaupt nicht verkehrt? Wäre es denn Landes Bayern, weil dieses Grenzgebiet dadurch wirtschaftlich
abgedrosselt wird und durch eine nachfolgende Verteuerung der
nicht besser, die Zeit für den Schienenbus zu ändern, Frachten die bereits angelaufene und staatlich geförderte Indu-
um eine Entlastung des Straßenbus-Verkehrs zu er- strieansiedlung gehemmt und wieder abgestoppt wird?
reichen? Es kann wohl stimmen, daß niemand zu-
rückbleibt; aber die Leute sind so eingepfercht, daß Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister für Verkehr:
man es für absolut unmöglich hält, auf diese Weise Die Deutsche Bundesbahn zieht auch die Einstellung
weiterzumachen. des Güterzugbetriebes auf der Nebenbahnstrecke
Obernzell–Wegscheid in Erwägung. Ein Antrag ist
jedoch bisher bei mir noch nicht eingegangen. Die
Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister für Verkehr:
Deutsche Bundesbahn teilt zu dieser Frage folgen-
Herr Kollege, das muß ich leider der Bundesbahn
des mit:
überlassen. Fahrplangestaltungen sind ausschließ-
lich Aufgabe der Bundesbahn; wir haben darauf Im Gegensatz zum Reisezugbetrieb kann der-
keinen Einfluß. Ich habe die Bundesbahn schon oft Güterzugbetrieb wegen der Neigungsverhältnisse
gerügt, daß bei den Strecken, auf denen sie den der Strecke nur mit Hilfe von Zahnraddampfloko-
Personenzugverkehr einstellen will, vorher eine so- motiven durchgeführt werden. Hierfür steht nur
genannte „Austrocknung" stattfindet. Ich bin aber eine einzige betriebsbereite Lokomotive zur Ver-
nicht in der Lage, über diese Rüge hinaus der Bun- fügung. Mit Rücksicht auf das hohe Alter dieser
desbahn Einzelweisungen in diesen Fällen zu er- Speziallokomotive hat die Deutsche Bundesbahn
teilen. Das Hohe Haus hat das seinerzeit bei der Ab- Vorerhebungen bei Fuhrunternehmern über eine
fassung des Bundesbahngesetzes ausdrücklich abge- etwaige Beförderung der Güter mit Lastkraftwagen
lehnt. angestellt.
Diese vorsorglichen Ermittlungen der Deutschen
Vizepräsident Dr. Dehler: Eine weitere Frage Bundesbahn sollen die Beförderung der durch
des Herrn Abgeordneten Dr. Ramminger. schnittlich täglich nur noch aufkommenden drei
Wagenladungen für den Fall sicherstellen, daß die
Zahnraddampflokomotive plötzlich ausfallen sollte.
Dr. Ramminger (CDU/CSU) : Ist Ihnen bekannt,
Herr Minister, daß die Bundesbahn diese Verkehrs- Der Bundesminister für Verkehr ist bei der Ge-
einstellung deshalb vornehmen will, weil sie weder nehmigung von Anträgen der Deutschen Bundes-
die beiden altersschwachen Spezial-Loks mit Zahn- bahn auf Stillegung unwirtschaftlicher Nebenbah-
radgetriebe unter hohen Kosten reparieren noch nen stets bemüht, den besonderen Verhältnissen im
neue anschaffen will, andererseits aber auch eine Zonenrandgebiet Rechnung zu tragen. Im vorliegen-
Diesel-Lok, z. B. die V 60, diese Steilstrecke ohne den Fall haben sich jedoch in den letzten vier Jah-
weiteres bewältigen würde, allerdings irgendeine ren die Erwartungen der Deutschen Bundesbahn auf
elektromagnetische Bremse eingebaut werden Belebung des Güterverkehrs auf der Schiene durch
müßte, die etwa 50 000 DM kosten soll? Ist der Bund Ansiedlung von Industrie- und Gewerbebetrieben
nicht bereit, hier, wenn die Bundesbahn nun in in diesem Raum leider nicht erfüllt. Die Struktur
Schwierigkeiten kommt, helfend einzugreifen? des Verkehrs hat sich klar gewandelt; denn auch im
Güterverkehr haben sich in diesem Gebiet die Ver
kehrtreibenden weitgehend dem Kraftwagen zuge-
Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister für Verkehr:
wandt.
Herr Kollege, darf ich vielleicht, damit wir uns nicht
zu weit verlieren, Ihre beiden anderen Fragen mit Unter dem Gesichtswinkel der wirtschaftlichen
beantworten, weil zum Teil das Problem darin an- Grenzlandförderung ist die Deutsche Bundesbahn,
gesprochen ist. Wenn der Herr Präsident erlaubt, wie ich betont habe, bereit, den Güterzugbetrieb
würde ich zuerst auf die beiden anderen Fragen weiterzuführen, wenn das Land oder der Bund
antworten. Dann kann ich auf diese Zusatzfrage ihrerseits sich zu finanziellen Beteiligungen bereit
noch eingehen. erklären könnten. Eine Frachtenverteuerung wird
nicht eintreten, weil der Güterfernverkehr im allge-
meinen die gleichen Frachten erhebt wie die Eisen-
Vizepräsident Dr. Dehler: Ich hoffe, daß sie bahnen und im Güternahverkehr sogar niedrigere
nicht zu ausführlich sind, weil wir sonst in Zeitnot Sätze angewendet werden.
geraten.
Der Bundesminister für Verkehr kann den Stil-
legungsantrag nur ablehnen, wenn die Ausgleichs-
Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister für Verkehr: pflicht des Bundes gegenüber der Deutschen Bun-
Ich werde mich bemühen. desbahn nach § 28 a des Bundesbahngesetzes erfüllt
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 48. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. November 1962 2107
Bundesverkehrsminister Dr.-Ing. Seebohm
wird. Dazu ist die Zustimmung des Herrn Bundes- schlecht abzuschätzendes Risiko an möglichen Fahr-
ministers der Finanzen einzuholen. Nach Lage der geldhinterziehungen ist dabei außer acht gelassen.
Verhältnisse und unseren bisherigen Erfahrungen Wir haben allerdings bei einem Versuch in erheb-
ist mit dessen Zustimmung nicht zu rechnen. Wenn lichem Maße diese Fahrgeldhinterziehungen fest-
also das Land sich nicht bereit findet, hier einen stellen müssen.
Zuschuß zu geben, dürfte leider nichts zu machen
sein. Vizepräsident Dr. Dehler: Eine Zusatzfrage
des Herrn Abgeordneten Drachsler.
Vizepräsident Dr. Dehler: Eine Zusatzfrage
des Herrn Abgeordneten Ramminger!
Drachsler (CDU/CSU) : Können Sie uns sagen,
Herr Minister, wie im Ausland die Fahrkartenkon-
Dr. Ramminger (CDU/CSU) : Herr Bundesmini- trolle gehandhabt wird? Weiter möchte ich fragen,
ster, glauben Sie nicht, daß doch eine Frachtver- ob Sie nicht auch der Meinung sind, daß diese Aus-
teuerung insofern eintreten muß, als z. B. Kohle kunft, die zweifellos von der Bundesbahn erteilt
transporte per Bahn dann in Obernzell umgeladen wurde, gar nicht den Kern der Angelegenheit trifft.
werden müssen und mit Lastwagen extra den Berg Es trifft nämlich nicht zu, daß in großem Umfang
hinauf, etwa 20 km, befördert werden? Ebenso ist Schwerbeschädigte an den Kontrollbahnsperren sit-
es zum Teil bei landwirtschaftlichen Produkten. Das zen, sondern, wie man namentlich in den großen
würde bei dieser doch sehr schwachen Wirtschafts- Bahnhöfen der Bundesrepublik beobachten kann,
lage eine erhebliche Belastung ergeben. voll auslastbare Arbeitskräfte.

Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister für Verkehr: Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister für Verkehr:
-

In Einzelfällen ist das möglich, Herr Kollege. Im all- In den anderen Ländern ist es ja vielfach so, daß es
gemeinen muß aber auch von Wegscheid aus das keine . Bahnsteigsperren gibt, mit Ausnahme bei
Material vom Bahnhof zu den Verbrauchsstellen Spezialzügen, wie z. B. in Paris. Aber die Kontrolle
gefahren werden, und man muß es dann natürlich in den Zügen ist dann wesentlich schärfer. Und
auch umladen. Es ist also nur die Frage, ob der wenn Sie das Personal, das als Begleitpersonal ein-
Transport auf der Zwischenstrecke tatsächlich billi- gesetzt ist, mit dem Personal an den Bahnsteigsper-
ger ist und ob der Bundesbahn zugemutet werden ren vergleichen, kommen Sie natürlich kaum zu un-
kann, eine solche völlig unrentable Strecke bei drei günstigeren Verhältnissen als bei uns. Es ist ferner
Wagenladungen am Tag noch aufrechtzuerhalten. richtig, daß das Zugbegleitpersonal teurer ist als
die Mitarbeiter an den Bahnsteigsperren. Außerdem
Vizepräsident Dr. Dehler: Wir kommen zur hat das Zugbegleitpersonal einen ständigen Dienst
Frage VIII/10 — des Herrn Abgeordneten Drachs- mit Dienstbereitschaft an den Wechselstationen, der
ler keineswegs besonders angenehm ist. Auch das führt
Kann der Herr Bundesverkehrsminister dem Parlament mit- natürlich zu Verteuerungen und zu ähnlichen Fol-
teilen, welche Einsparungen die Deutsche Bundesbahn dadurch
erzielen könnte, wenn sie ihre Bahnsteigsperren vor den Reise-
gen. Die Bundesbahn ist vom Verwaltungsrat seit
zügen auflassen würde? Jahren mit dieser Frage befaßt und hat durch ihre
Dienststellen immer wieder mitgeteilt, daß sie sich
Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister für Verkehr: nicht entschließen könne, die Bahnsteigsperren auf-
Die von der Deutschen Bundesbahn mehrfach durch zuheben.
geführten Untersuchungen haben immer wieder zu
dem Ergebnis geführt, daß durch die Aufhebung Vizepräsident Dr. Dehler: Eine Zusatzfrage
der jetzt noch bestehenden Bahnsteigsperren auf des Herrn Abgeordneten Ritzel!
den mittleren und größeren Bahnhöfen im End-
ergebnis keine Ersparnisse erzielt würden. Soweit Ritzel (SPD) : Herr Bundesverkehrsminister, hat
nicht der Sperrendienst von den Angehörigen son- die Deutsche Bundesbahn in jüngster Zeit Vergleiche
stiger Dienstzweige nebenbei besorgt wird, sind in gezogen zwischen ihrem System und dem Sy-
großem Umfang, vor allem auf den großen Bahn- stem der Schweizerischen Bundesbahn, wo ja keine
höfen, Schwerbeschädigte eingesetzt, für die eine Bahnsteigkontrolle erfolgt?
andere Verwendungsmöglichkeit nicht besteht. Die
Sperreschaffner sind, wo immer möglich, mit zusätz-
lichen Aufgaben betraut. Sie haben auf den mitt- Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister für Verkehr:
leren Bahnhöfen die Funktion des Auskunftsbeam- Herr Kollege Ritzel, die Bundesbahn hat seinerzeit
ten und ähnliche Aufgaben. auf Veranlassung des Verwaltungsrates, in dem ge-
rade auch auf die Schweizer Verhältnisse hingewie-
Ein finanzieller Erfolg bei einer Aufhebung der sen wurde, den Versuch gemacht, in einigen Sta-
Sperren würde nach Auffassung der Bundesbahn tionen auf der Strecke München—Rosenheim die
vor allem aber deshalb nicht eintreten, weil zusätz- Bahnsteigsperren fallen zu lassen. Dabei hat sich —
liche Aufwendungen entstehen müßten für eine so hat die Bundesbahn berichtet — herausgestellt,
dann notwendige Verstärkung des Zugbegleitperso- daß in großem Umfang die Leute Fahrkartenunter
nals, vor allem in den Zügen des an allen Stationen schleife begangen haben. Das ist in der Schweiz
haltenden Bezirkspersonenzugverkehrs, und weil nicht , der Fall. Offenbar ist dort eine andere Diszi-
außerdem durch den Fortfall von Bahnsteigkarten plin bei der Bevölkerung gegeben , als bei uns. Aus
Einnahmeausfälle entstehen würden. Ein nur diesem Grunde hat die Bundesbahn damals dem
2108 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 48. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. November 1962

Bundesverkehrsminister Dr.-Ing. Seebohm


Verwaltungsrat vorgetragen, man möge es bei den Berichterstatter ist Herr Abgeordneter Dr. Rein-
bisherigen Verhältnissen belassen. Der Verwal- hard. Es liegt ein Schriftlicher Bericht vor. Ich danke
tungsrat hat dann so beschlossen. Die Frage ist in dem Herrn Berichterstatter. — Herr Abgeordneter
den letzten Jahren, etwa vor zwei Jahren, noch- Dr. Reinhard hat das Wort als Berichterstatter.
mals im Verwaltungsrat mit dem gleichen Ergebnis
behandelt worden.
Dr. Reinhard (CDU/CSU) : Herr Präsident! Meine
Vizepräsident Dr. Dehler: Eine weitere Frage Damen und Herren! Die Bundesregierung hat eine
des Herrn Abgeordneten Ritzel! Verordnung über die Senkung der Abschöpfungs-
sätze bei der Einfuhr von geschlachteten Gänsen
Ritzel (SPD) : In Erinnerung an eine Unterhaltung vorgelegt. Der Ausschuß für Ernährung, Landwirt-
mit dem früheren Präsidenten der Bundesbahn, schaft und Forsten hat sich sehr eingehend mit die-
Herrn Hilpert, darf ich fragen: Sind für die Bundes- ser Vorlage beschäftigt. Er ist mit Mehrheit zu dem
bahn heute noch die gleichen Überlegungen für die Beschluß gekommen, diese Vorlage abzulehnen. Da-
Aufrechterhaltung der Sperren ausschlaggebend? für waren mehrere Gründe maßgebend.
Damals wurde gesagt, entscheidend sei vor allem Erstens sind die Abschöpfungsbeträge nicht etwa
die Beschäftigung von schwerbeschädigten Kriegs- ausgehandelte, sondern auf Grund der unterschied-
versehrten, die anders bei der Bundesbahn nicht be- lichen Erzeugungskosten errechnete Beträge. Auf
schäftigt werden könnten. dem Abschöpfungssystem beruht eigentlich die ge-
samte Marktordnung nach Aufgabe der Kontingente
Dr.-Ing. Seebohm Bundesminister für Verkehr: und der Zölle. Deshalb kann man nicht einfach eine
Das wird von der Bundesbahnverwaltung stets als Senkung vornehmen. Das bedeutet ein Verlassen
wesentliches Argument für die Aufrechterhaltung des Grundsatzes. Das muß ausdrücklich gesagt
der Sperren angegeben, und es wird darauf hinge- werden.
wiesen, daß in anderen Ländern der Zwang, daß
ein bestimmter Anteil der Belegschaft Schwerbe- Zum zweiten hat sich der Ernährungsausschuß
schädigte sein müssen, nicht gegeben sei. von der Überlegung leiten lassen, daß die Gänse-
haltung in der Landwirtschaft hauptsächlich in
Vizepräsident Dr. Dehler: Ich danke Ihnen, klein-, kleinst- und mittelbäuerlichen Betrieben er-
Herr Minister. Die Fragestunde ist beendet. folgt. Wenn eine Senkung des Abgabepreises er-
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll folgte, so bedeutete das eine Schädigung gerade der
bäuerlichen Kreise, die besonders gefährdet sind.
die heutige Tagesordnung um zwei Punkte ergänzt
Man kann nicht einfach einen Grundsatz verlassen,
werden, zunächst um die
der mit sehr viel Mühe erreicht worden ist. Eine
Erste Beratung des von der Bundesregierung neue Wettbewerbsverzerrung wäre die Folge.
eingebrachten Entwurfs eines Sechsten Ge-
setzes zur Änderung des Tabaksteuergesetzes Noch eine dritte Überlegung ist angestellt wor-
(Drucksache IV/575). den. Die Rindfleischpreise liegen 10 bis 15 % niedri-
Das Haus ist damit einverstanden, daß das geschieht. ger als im vergangenen Jahr. Angesichts der Ab-
Ich rufe dann diesen Punkt auf. — Begründung er- hängigkeit der Preise bei den einzelnen Fleisch-
folgt nicht. Aussprache ist nicht vorgesehen. sorten untereinander würde ein weiterer Verlust
auf die Landwirtschaft zukommen.
Der Entwurf soll an den Finanzausschuß als feder-
führenden Ausschuß und an den Haushaltsausschuß Dazu kommt noch, daß vor Inkrafttreten der ge-
überwiesen werden. — Einverständnis des Hauses; meinsamen Marktordnung große Mengen Jungmast-
es ist so beschlossen. geflügel eingeführt worden sind, die es verhindern,
daß die normalen Preise für Jungmastgeflügel wie-
Weiter soll in die Tagesordnung aufgenommen der erreicht werden. Auch aus diesem Grunde hat
werden die die Mehrheit .des Ausschusses die Regierungsver-
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes ordnung abgelehnt.
zur Änderung des Einkommensteuergesetzes Die Minderheit wandte dagegen ein, daß aus
(Drucksache IV/721). preispolitischen Gründen im Interesse des Verbrau-
Auch damit ist das Haus einverstanden. Der Entwurf chers auf einen Teil der Abschöpfungen verzichtet
soll ohne Debatte an den Finanzausschuß überwie- werden sollte. Die Mehrheit hat diesen Einwand sehr
sen werden. — Ich stelle das Einverständnis fest; ernst genommen; denn auch sie war der Überzeu-
es ist so beschlossen. gung, daß man an den Verbraucher denken müsse.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll Nach Lage der Dinge sind aber die einzuführenden
zunächst der Tagesordnungspunkt 12 aufgerufen Mengen bereits gehandelt und befinden sich zum
werden: Teil schon gar nicht mehr in , der Hand der Impor-
teure, so daß, wenn eine Senkung deis Abschöp-
Beratung des Schriftlichen Berichts des Aus- fungsbetrages erfolgen würde, sich dies keinesfalls
schusses für Ernährung, Landwirtschaft und zugunsten der Verbraucher auswirken würde.
Forsten (19. Ausschuß) über die von der Bun-
desregierung vorgelegte Verordnung über die Außerdem ist noch zu sagen, daß sich die Han-
Senkung von Abschöpfungssätzen bei der Ein- delsspanne in den letzten Jahren sehr stark erwei-
fuhr von geschlachteten Gänsen (Drucksachen tert hat, während der Abgabepreis bei den Bauern
IV/703, IV/717). rückläufig war. Sie müssen bedenken, meine Da-
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 48. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. November 1962 2109
Dr. Reinhard
men und Herren, daß gegenüber 1960 die Lebend machen. Als hier die Getreidepreise beschlossen
preise für Gänse um 1 DM je Kilo gesenkt worden wurden, haben wir Sozialdemokraten, gerade um
sind und daß, wenn man die vorjährigen Verbrau- niedrigere Futtermittelpreise für die Erzeuger zu
cherpreise als gerecht empfände, sogar der Abschöp- haben, beantragt, die Reports nicht, wie Sie beschlos-
fungsbetrag noch in dieser Spanne Platz hätte. Der sen haben, in Höhe von 4,50 DM, sondern nur in
Verbraucher wird nichts davon haben, wenn diese Höhe von 4 DM monatlich zu erheben. Das hätte
Verordnung Rechtskraft erlangt. Aber der Bauer, bedeutet, daß die Futtermittelpreise nicht in dem
der Erzeuger, wird einen Nachteil halben. Maße gestiegen wären, wie sie jetzt gestiegen sind.
Deshalb bitte ich, dem Antrag des Ausschusses zu Wir hatten außerdem beantragt, die Großhandels-
folgen und die Verordnung abzulehnen. spanne, in der sich bekanntlich eine Spanne von
8 DM für Fracht befindet, um den Teil der Fracht-
ermäßigung, also um 4 DM, zu senken. Sie haben
Vizepräsident Dr. Dehler: Mitberatend waren auch diesen Antrag abgelehnt und damit dazu beige-
der Außenhandelsausschuß und .der Wirtschaftsaus- tragen, daß diese Großhandelsspanne heute voll auf
schuß. Werden diese Ausschüsse über ihr Votum die Futtergetreidepreise aufgeschlagen wird und daß
berichten? An sich ist es ja ihre Pflicht. tatsächlich die Erzeuger heute mehr für das Futter-
Das Wort hat zunächst Frau Abgeordnete Strobel. getreide bezahlen müssen, als notwendig gewesen
wäre. Wir haben damals schon versucht, die Erzeu-
Frau Strobel (SPD) : Herr Präsident! Meine sehr ger zu schützen. Leider sind Sie uns nicht gefolgt.
verehrten Damen und Herren! Darf ich eingangs (Beifall bei der SPD.)
feststellen: das war ein etwas eigenartiger Bericht;
es war nämlich bereits der Diskussionsredner der Herr Reinhard, Sie haben gesagt, daß die Ermäßi-
-
CDU, der hier gesprochen hat, und nicht der Bericht- gung der Abschöpfung eine Durchbrechung des Prin-
erstatter. zips sei. Man muß hier vielleicht etwas zu der
(Beifall bei der SPD.) chronologischen Seite der Angelegenheit sagen. Als
das Abschöpfungsprinzip für Geflügel in Brüssel be-
Ich werde mich mit den einzelnen Argumenten des schlossen wurde, hat die Bundesregierung beantragt,
Herrn Reinhard noch auseinandersetzen. die Gänse aus dieser Abschöpfung herauszulassen.
Natürlich ist es richtig, daß dieses Problem drei Das ist in Brüssel abgelehnt worden. Aber die EWG-
Aspekte hat. Die erste Frage ist: Wie wirkt sich die Kommission hat schon im Mai dieses Jahres in die-
Senkung der Abschöpfungsbeträge für die Erzeuger sem Zusammenhang den Beschluß gefaßt, einem An-
in der Bundesrepublik aus? Die zweite Frage ist: trag der Bundesregierung auf Ermäßigung dieser
Wie wirkt sich die Senkung entsprechend der Re- Abschöpfung stattzugeben. Nicht umsonst steht in
gierungsvorlage für die Verbraucher aus, und was den Verordnungen über die Abschöpfung auf Ver-
bedeutet ihre Ablehnung für die Verbraucher? Die edelungsprodukte, daß die Regierungen ermächtigt
dritte Frage lautet: Wie wirkt sich die hohe Ab- sind, solche Anträge zu stellen, wenn die Gefahr
schöpfung, also die volle Erhebung, auf die handels- von zu hohen Preiserhöhungen auf dem einheimi-
politische Seite der Angelegenheit aus? schen Markt besteht. Das ist ein Teil dieser Ver-
ordnungen. Das ist ein Teil der Einführung der Ab-
Wir Sozialdemokraten haben uns immer als ein schöpfung, weil es sich dabei zunächst einmal um
ehrlicher Makler zwischen den Interessen der Er- eine Neueinführung handelt und weil man zu Be-
zeuger und der Verbraucher betätigt und suchen den ginn dieser neuen Regelungen gewisse nicht gewollte
Ausgleich. Folgen zu neutralisieren versuchen muß.
(Beifall bei der ,SPD. — Na! Na! bei der
Warum hat die Bundesregierung diesen Antrag
CDU/CSU.)
gestellt? Eigentlich müßte sie ja hier als Regierung
Wir suchen den Ausgleich zwischen den echten In- gegen die Regierungsparteien ihren Antrag vertre-
teressen der Erzeuger und der Verbraucher. Sie ha- ten. Ich hoffe, daß das der Herr Bundesernährungs-
ben ja an den Beratungen sowohl im Außenhandels minister oder das Wirtschaftsministerium noch tut.
ausschuß als auch im Wirtschaftsausschuß und im
Ernährungsausschuß teilgenommen. Die Regierung (Zuruf von der SPD: Ist ja nicht da!)
hat dort den Standpunkt vertreten, daß die Eigen- Warum ist dieser Antrag gestellt worden? Ich denke,
erzeugung von etwa 12 000 t Gänsen in der Bundes- doch deswegen, weil heute bereits die Verbraucher-
republik einem echten Marktanteil nicht gleichzu- preise für Gänse wesentlich höher sind als im vori-
setzen ist; daß die Eigenerzeugung am allerwenig- gen Jahr. Die Preise haben sich bereits von 4,32 DM
stens zum Großhandel kommt, sondern daß sie auf 4,80 DM, also um 12 %, erhöht.
meist direkt im Rahmen des örtlichen Handels an
den Verbraucher verkauft wird und daß deswegen (Hört! Hört! bei der SPD.)
der Preis für das eingeführte Gefriergeflügel bzw.
Das ist eine nicht unbeträchtliche Steigerung. Meine
die eingeführten Gefriergänse den Preis für die ein-
Damen und Herren, eine Regierung, die sowohl
heimischen Frischgänse nicht in dem Maße beein-
von diesem Podium aus als auch in der Öffentlich-
flußt, wie es Herr 'Reinhard gesagt hat.
keit dauernd die Auffassung vertritt, das Preisstabi-
Sie sagen, daß die Erzeuger in Anbetracht der lität eines ihrer wichtigsten wirtschaftspoltischen
hohen Futtermittelpreise vor nicht vertretbaren Ziele sei, muß hier ja schließlich auch einmal han-
Preisen geschützt werden müßten. Ich darf Sie in deln;
diesem Zusammenhang auf folgendes aufmerksam (Beifall bei der SPD)
2110 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 48. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. November 1962
Frau Strobel
in diesem Zusammenhang ist die Vorlage gemacht — Entschuldigen Sie, das ist eine Behauptung wi-
worden. der besseres Wissen.
Ich darf für die Damen und Herren, die nicht an Bedenken Sie, daß die Weihnachtsgans heute der
den Ausschußsitzungen teilnehmen konnten, heute Weihnachtsbraten des kleinen Mannes ist!
aber hier entscheiden müssen, folgendes sagen. Im
(Oho-Rufe rechts.)
vorigen Jahr hatten wir Importeurpreise von etwa
2,50 bis 2,60 DM. Dazu kamen 15 % Zoll und die Wollen Sie nun tatsächlich die kleinen Verbraucher
Umsatzausgleichsteuer. Das führte zu einem Groß- um ihren Weihnachtsbraten bringen? Meine Da-
handelseinstandspreis von 3,10 DM. Wenn in die- men und Herren, wer es sich leisten kann, der ißt
sem Jahr die Abschöpfung voll erhoben wird, dann heute zu Weihnachten keine Gans, sondern eine
wird eine Abschöpfung plus Umsatzausgleichsteuer Pute. Wir aber möchten, daß die Verbraucher auch
von 1,14 DM je Kilo auf den Importpreis draufge- in diesem Jahr zu vertretbaren Preisen zu ihren
schlagen. Der Importpreis ist aber bereits von 2,57 Weihnachtsgänsen kommen.
auf 2,90 DM erhöht worden, weil im Rahmen dieser (Beifall bei der SPD.)
EWG-Verordnungen ein Einschleusungspreis von
2,90 DM eingeführt worden ist. Das heißt, die 1,14 In diesem Zusammenhang eine Bemerkung darüber,
DM würden voll auf die 3,10 DM vom vorigen Jahr was das insgesamt kostet. Wir führen etwa 12 000 t
draufgeschlagen werden, und wir müßten dann mit Gefriergänse ein. Das sind 12 Millionen Kilo. Wenn
einem Großhandelseinstandspreis von über 4 DM diese 12 Millionen Kilo Gänse um 1 DM teurer wer-
und mit einem Verbraucherpreis von 5,26 für das den, dann kostet das die Verbraucher 12 Millionen
Kilo Gänse rechnen. DM. Es ist also keine Kleinigkeit. Wenn sie um
Meine Damen und Herren, das ist gegenüber dem 50 Pf teurer werden — und sie werden auch bei An- -
Vorjahr eine Erhöhung des Gänsepreises um 25 %! nahme der Regierungsvorlage um 50 Pf teurer —,
dann sind das immerhin 6 Millionen DM, die die
(Hört! Hört! bei der SPD.) Verbraucher in diesem Jahr mehr ausgeben müssen.
Wie verträgt sich das denn mit Ihren ständigen Be- Das verdanken sie allerdings der Erhöhung der Fut-
hauptungen, daß Sie die Preisstabilität garantieren tergetreidepreise, die durch Sie beschlossen worden
wollen? Wie verträgt sich das mit dem Appell maß- ist.
zuhalten? (Beifall bei der SPD.)
(Beifall bei der SPD.) Noch einen Hinweis auf die handelspolitischen
Wie verträgt sich das mit der Behauptung, die im- Folgen! Wir führen bekanntlich den größten Teil
mer wieder aufgestellt wird, daß ausgerechnet die dieser Weihnachtsgänse aus Polen ein. Glauben Sie
Verbraucher, weil sie nicht Rücksicht auf den Markt nicht, daß es sehr, sehr bedauerlich und politisch
nehmen, die Preise in die Höhe trieben? Wer treibt völlig unerwünscht wäre, wenn wir ausgerechnet
denn hier die Preise in die Höhe? Es sind doch die- jetzt den Außenhandel mit Polen auf diese Weise
jenigen, die eine Ermäßigung dieser hohen Abschöp- störten?
fungen verhindern wollen. (Abg. Bauer [Wasserburg] : Die sind doch
Herr Reinhard hat davon gesprochen, daß der schon da!)
Preis für Rindvieh gefallen ist. Herr Reinhard, Sie — Bitte, behaupten Sie nicht, daß das keine Folgen
wissen, daß wir das mit Ihnen bedauern. Wir fra- habe!
gen in diesem Zusammenhang allerdings, wozu wir
eigentlich Einfuhr- und Vorratsstellen haben. Wo- Ich möchte Sie darauf aufmerksam machen, daß
zu haben wir so viele Kühlhäuser geschaffen — schon heute infolge der Neuregelung und infolge
auch über den Grünen Plan —, wenn jetzt nicht die der Präferenz für den Gemeinsamen Markt die Ge-
Möglichkeit bestanden hat, dieses Vieh aus dem flügeleinfuhren aus dem EWG-Raum von 30 auf
Markt zu nehmen und einzulagern, um das Fallen 65 % gestiegen sind. Um diese Zahl geht der Außen-
der Preise zu verhindern, zumal die Verbraucher handel mit Drittstaaten zurück. Die Eiereinfuhren
von den gefallenen Preisen nichts haben? aus dem EWG-Raum sind von 65 auf 85 % gestie-
gen; die Eiereinfuhren aus Drittstaaten sind prak-
(Beifall bei der SPD.) tisch zum Erliegen gekommen. Das kann doch han-
Im Gegenteil, sie zahlen dafür mehr als früher! delspolitisch nicht erwünscht sein! Wir müssen wirk-
Herr Unertl war so liebenswürdig, im Außenhan- lich alles tun, um diese nicht gewünschten handels-
delsausschuß zu sagen, wir mögen doch den Haus- politischen Folgen zu vermeiden.
frauen zuraten, wenn die Gänse so teuer würden,
sollten sie auf billiges Rindfleisch ausweichen. Nun, Zum Schluß noch eine Bemerkung zu der Tatsache,
Herr Unertl, sorgen sie erst einmal dafür, daß die- daß es sich um eine Regierungsvorlage handelt, eine
ses billige Rindfleisch den Verbrauchern auch wirk- Regierungsvorlage, die, wie man aus der Reaktion
lich angeboten wird! der Herren, die hier vorne rechts sitzen, merken
kann, zumindest von einem Teil der CDU/CSU und
(Beifall bei der SPD. — Abg. Unertl: Das der FDP, also der Regierungsparteien, abgelehnt
gibt es in Niederbayern jede Menge!) wird. Das ist eine ganz pikante Illustration der Vor-
— Ja, aber bis es von Niederbayern zum Verbrau- gänge: Wenn sich die Regierung ein einziges Mal
cher kommt, wird es wesentlich teurer. dafür einsetzt, daß die Verbraucherpreise nicht um
(Abg. Unertl: Weil der Konsum versagt! eine Mark pro Kilo, sondern nur um 50 Pf pro Kilo
— Weiterer Zuruf: Das liegt an den Kon steigen, wollen Sie das illusorisch machen, indem
sumvereinen!) Sie die Regierungsvorlage ablehnen! Dabei nützen
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 48. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. November 1962 2111
Frau Strobel
Sie den Erzeugern damit überhaupt nicht, denn ihre So gesehen meine ich, daß es eigentlich keinen
Preise werden davon nicht beeinflußt. Sie erreichen Streit darüber geben sollte, welche Partei oder wel-
bloß wieder, daß die Verbraucher auf die Erzeuger cher einzelne nun mehr für den Erzeuger oder mehr
schimpfen, für den Verbraucher eintritt. Die CDU/CSU hat sich
(Zuruf rechts: Weil soviel gehetzt wird!) jedenfalls immer von dem Grundsatz leiten lassen,
daß Erzeugerinteressen zu gleicher Zeit auch Ver-
weil sie annehmen, die Bauern bekommen dafür braucherinteressen beinhalten.
mehr, was in Wirklichkeit gar nicht stimmt.
(Zustimmung bei der CDU/CSU.)
Ich möchte aus diesem Grunde an die Damen und
Herren in den Regierungsparteien, die nicht wie Wenn Sie sich die in den verschiedenen Jahren
die Herren hier vorn dem Ernährungsausschuß an- für einzelne Produkte immer von der SPD zur Dis-
gehören, appellieren, sich zu überlegen, ob es nicht kussion gestellten Anträge auf Zollermäßigung usw.
aus volkswirtschaftlichen Gründen angebracht wäre, ansehen, werden Sie feststellen, daß bei allen die-
der Regierungsvorlage zuzustimmen und damit den sen Vorlagen, die unter der Überschrift „Für den
Familien in unserem Lande zu ermöglichen, daß sie Verbraucher" standen, die Auswirkung sich ins
für die Gänse in diesem Jahr keinen unnatürlich Gegenteil verkehrt hat. Immer dann, wenn die
hohen Preis bezahlen müssen. Sie haben das in der deutsche Produktion — entweder bei Frühkartof-
Hand. Wir stimmen für die Regierungsvorlage; wir feln, bei Obst und Gemüse oder bei anderen Ver-
wollen mal sehen, wieviel Damen und Herren aus edelungsprodukten — sich unter die 50 %-Grenze
der CDU/CSU und aus der FDP das auch tun! bewegte, waren es nicht die Einfuhren, die dem Ver-
(Beifall bei der SPD.) braucher den günstigen Verbraucherpreis brachten.
Im Gegenteil, immer dann, wenn die deutsche Pro-
duktion gestört war und darniederlag, waren die
Vizepräsident Dr. Dehler: Zunächst noch ein Preise für den Verbraucher erheblich in die Höhe
Wort zu der Notwendigkeit, den Bericht des Aus- gegangen.
schusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
zu ergänzen. Im Schriftlichen Bericht wird gesagt: Frau Kollegin Strobel, Sie können es nicht be-
streiten: Sie gehen bei Ihren Überlegungen und Be-
Bei Abfassung dieses Berichts lagen die Stel- gründungen von dem Erzeugerpreis des vergange-
lungnahmen des mitbeteiligten Außenhandels- nen Jahres aus, und Sie haben leider verschwiegen,
ausschusses und des mitbeteiligten Wirtschafts- daß dieser Erzeugerpreis von 2,30 DM für ein Kilo
ausschusses noch nicht vor. Im Hinblick auf die Lebendgänse auf einem Tiefstand war, wie wir ihn
Eilbedürftigkeit dieser Verordnung werden die in den Jahren davor — bis 1955 zurück — nie
Stellungnahmen dieser beiden Ausschüsse vom erlebt haben; er hat gelegen bei 3,12 DM, 3,35 DM,
Berichterstatter mündlich vorgetragen werden. 3,30 DM, 3,30 DM, und dann kam der Sturz von
Nach § 74 Abs. 2 unserer Geschäftsordnung besteht 1 DM pro Kilo mit dem Ergebnis, daß Sie heute
die Notwendigkeit dazu. Wollen Sie, Herr Dr. Rein- feststellen, daß alle mittel- und großbäuerlichen
hard, in dieser Hinsicht den Bericht ergänzen? — Betriebe diesen Zweig ad hoc haben fallenlassen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Reinhard als Sie stellen weiter fest, daß heute die Gänsefleisch-
Berichterstatter. produktion, die noch zu 50 % im Inland ist, bei den
kleinsten Bauern und den kleinbäuerlichen Betrie-
ben liegt, wo die Frau versucht, ein kleines Geld
Dr. Reinhard (CDU/CSU) : Herr Präsident! Meine extra zu verdienen.
Damen und Herren! Es ist noch nachzutragen, daß
sich der Außenhandelsausschuß dem Votum des (Beifall bei der CDU/CSU. — Zurufe von
federführenden Ausschusses angeschlossen hat. Der der SPD.)
Wirtschaftsausschuß hat dagegen die Regierungs- Die deutschen Bauern, die hier im Februar näch-
vorlage angenommen. sten Jahres an Hand des Grünen Berichts um ihre
Ertragslage kämpfen werden, sind bei der Gänse-
Vizepräsident Dr. Dehler: Das Wort hat der fleischproduktion so gut wie gar nicht berücksich-
Abgeordnete Struve. tigt. Daran sind sie wenig interessiert. Es handelt
sich um ein Geld, das sich die Frauen — und nicht
nur Bauersfrauen, sondern auch in Nebenerwerbs-
Struve (CDU/CSU) : Herr Präsident! Meine Damen stellen, bei Kleinbauern — nebenbei verdienen
und Herren! Wir haben aus der Berichterstattung möchten.
entnommen, daß die Ansichten über diese Frage in (Beifall rechts.)
den einzelnen Ausschüssen des Hohen Hauses aus-
einandergehen. In der Tat ist dies einzig und allein Ich möchte deshalb ganz eindeutig der These
darauf zurückzuführen, daß wir im agrarischen Be- widersprechen, es handele sich um ein Problem, bei
reich auf Grund der EWG-Verordnungen bei ein- dem die deutschen Bauern als Erzeuger aufmar-
zelnen Dingen — so auch beim Geflügel — in eine schierten und ihnen die deutschen Verbraucher ent-
völlig neue Rechtsphase eintreten. Ich glaube, daß gegentreten müßten. Wir sollten ein Interesse
es hier, wo es sich scheinbar nur um Gänse handelt, daran haben, daß die Produktion bei Gänsefleisch
in der Tat auch um den Grundsatz geht, wie in nicht noch weiter eingeschränkt wird.
Zukunft diese Dinge vom Hohen Hause im einzel- Ich meine — und das ist die die große Mehrheit
nen gehandhabt werden sollen. meiner politischen Freunde bewegende Einstel-
2112 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 48. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. November 1962

Struve
lung —, daß wir bezüglich der EWG-Verordnung in Stufen — verhältnismäßig wenig Störungen ent
der Tat vor der Grundsatzfrage stehen: Wollen wir standen sind. Das Verhältnis von Brot- und Futter-
die EWG mit allen Konsequenzen, wollen wir der getreide ist in der Tat gestört. Den zuständigen
deutschen Landwirtschaft einen Umstellungsprozeß Ausschüssen des Hohen Hauses liegen diesbezüg-
— seit einigen Jahren eingeleitet und weiter bis liche Vorlagen vor. Ich bin überzeugt, daß wir in
1970 — zumuten, so wie er klarer, präziser, als in den. Beratungen dieser Ausschüsse einen Weg fin-
dem sogenannten Professorengutachten zum Aus- den und dem Hohen Hause vorschlagen werden,
druck kommt, eigentlich völlig unbestritten von der um diese Unebenheiten zu bereinigen. Hinsichtlich
öffentlichen Meinung aufgefaßt wird? Oder wollen der Frage der Getreidepreise gehen die Meinungen
wir jetzt den Weg gehen, daß wir Stück für Stück von Regierungskoalition und SPD — wenn ich es
bei einzelnen Produkten und bei einzelnen Positio- richtig sehe — nach wie vor auseinander. Was aber
nen die Frage stellen: könnten hier unter Umstän- die Verhältnisse beim Futtergetreide anlangt, habe
den Vorteile für diese oder jene Gruppe liegen? ich im Hohen Hause nie große Unterschiede fest-
Nach meinem Dafürhalten wäre das Hohe Haus gestellt. Ich zweifle nicht daran, daß wir auch diese
schlecht beraten, wenn es in einer solchen Frage Dinge beheben werden.
jetzt gleich umfallen würde. Ich möchte das Hohe Haus bitten, sich dem Vo-
tum des federführenden Ausschusses anzuschließen.
(Zustimmung in der Mitte.)
(Beifall bei der CDU/CSU.)
Frau Kollegin Strobel, Sie meinen, daß Sie den
Käufern der ausländischen, aus dem Ostblock kom-
menden Gänse einen Gefallen täten. Ich möchte Vizepräsident Dr. Dehler: Das Wort hat der
Ihnen darauf folgendes sagen: täuschen Sie sich Abgeordnete Margulies.
-
nicht darüber, daß Sie damit für die ganze Geflügel-
haltung, vor allem für die Eier- und Geflügelfleisch- Margulies (FDP) : Herr Präsident! Meine Damen
produktion, die Vertrauensgrundlage erheblich stö- und Herren! Die bei uns allen so beliebten Weih-
ren, die jetzt langsam wächst. Die Erzeuger könnten nachtsgänse kommen hier, glaube ich, zu etwas un-
dann nicht mehr die Investitionen wagen, die not- verdienten Ehren. Sie sind eigentlich nur der Prüf-
wendig sind, um eine vernünftige Eigenproduktion stein geworden für unsere Haltung zu dem, was wir
auf die Beine zu stellen. vor knapp einem halben Jahr in Brüssel vereinbart
haben und was hier jetzt durchgeführt werden soll.
(Zustimmung in der Mitte.) Wenn wir jedesmal dann, wenn sich irgendwelche
Und verfolgen Sie einmal den Markt! Täuschen Schwierigkeiten zeigen, den Konsequenzen auswei-
wir uns doch nicht darüber, daß gerade die deutsche chen wollen, kommen wir aus dem Hin und Her
Hausfrau ein Interesse daran hat, daß hochqualifi- nicht heraus.
zierte frische Eier genauso wie Geflügelfleisch von (Beifall bei der FDP.)
Hühnern, Enten und Gänsen laufend auf dem Markt Wenn es sich auch um ein Agrarprodukt handelt,
bleiben. so wollen wir doch nicht der These huldigen: Rin
(Abg. Seuffert: Aber billig!) in die Kartoffeln, raus aus den Kartoffeln!
Ich bin der Meinung, daß wir nicht zuletzt aus die Wie liegen denn die Dinge? Wir haben am
em Grunde diesen Produktionszweig mit allen 14. Januar in erregenden Nachtsitzungen eine ge- -s
Mitteln fördern müssen, damit ein großes Inlands- meinsame Agrarpolitik in Brüssel beschlossen. Ob
angebot — ein noch größeres als heute — auf den sie gut oder falsch ist, möchte ich hier jetzt gar nicht
Markt kommt. untersuchen. Die einzelnen Regierungen haben sich
hingesetzt und eine Fülle von Vorschriften aus-
(Zuruf von der SPD: Dann sorgen Sie für gearbeitet, durch die sich jetzt noch kein Mensch
billiges Futtergetreide!) hindurchfindet. Wir wollen einmal ganz klar und
Dann wird die Produktion in diesem Zweig nicht deutlich sagen, daß es einer gewissen Anlaufzeit
nur manchem kleinbäuerlichen Betrieb und mancher bedarf, bis man mit diesem neuen Instrument arbei-
Nebenerwerbsstelle einen zusätzlichen Gewinn ten kann. Wenn wir aber dieses Instrument abrupt
bringen, sondern dann wird vor allem auch der Ver- und jeden Tag erneut ändern, besteht überhaupt
braucher mit bester deutscher Frischware bedient keine Möglichkeit mehr, diese Agrarpolitik durch-
werden. zuführen.
Und nun zu Ihrem Zwischenruf: Futtergetreide! (Sehr gut! bei der FDP.)
Dazu möchte ich sagen, daß wir auch hier ähnlich Nun hätte ich natürlich sehr viel von dem, was
wie bei Schweinefleisch und bei Geflügel, wo die uns Frau Strobel gesagt hat, sehr wohlwollend ge-
Verordnungen in Kraft getreten sind, vor völlig prüft und aufgenommen, wenn das vor sechs oder
neuen Überlegungen standen. Es ist hier von die- acht Wochen gewesen wäre. Aber jetzt sind wir
ser Stelle aus von unserem Bundesminister Schwarz doch mitten im Verzehr drin. Es handelt sich doch
schon zum Ausdruck gebracht worden, daß die vie- gar nicht mehr darum, daß die Gänse eingeführt
len Befürchtungen, die vorgebracht worden sind, in werden müssen; die liegen doch schon in den Läden,
keiner Weise eingetreten sind. Das Hohe Haus muß die sind doch schon abgemeldet. Wir laufen also
— in zunehmendem Maße ist das in allen Fach- hinter der Sache her. Wir haben schon ein paarmal
und Tageszeitungen zu verfolgen — die Tatsache kurz vor Weihnachten störend in den Markt einge-
herausstellen, daß sowohl im Erzeuger- wie im Ver- griffen, ohne daß der Verbraucher oder der Erzeu-
braucherbereich — mit allen dazwischenliegenden ger etwas davon gehabt hätte, weil die Wirkung
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 48. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. November 1962 2113
Margulies
der angestrebten Maßnahme in der Eile überhaupt Vizepräsident Dr. Dehler: Dieser Aufforde-
nicht mehr durchkommen konnte. rung wird offensichtlich nicht entsprochen.
Deshalb möchte ich Sie bitten, die Regierungsvor- (Lachen und Zurufe bei der SPD.)
lage abzulehnen und sich dem Ausschußvotum an- Bitte, Herr Kollege Siemer.
zuschließen, damit wir etwas Ruhe in die Dinge hin-
einbekommen und damit sich diese ganze Methode
der Agrarpolitik erst einmal durchsetzen kann; da- Dr. Siemer (CDU/CSU) : Herr Präsident! Meine
mit wir erst einmal wissen, wie man mit diesem In- sehr verehrten Damen und Herren! Da sich die
strument arbeiten kann, und damit wir nicht ständig Bundesregierung zu dieser Frage nicht meldet, darf
störend in den Marktablauf eingreifen. ich vielleicht zu der Vorlage der Bundesregierung
noch etwas sagen.
(Beifall bei der FDP.)
Verehrte Frau Kollegin Strobel, Sie haben, wenn
ich das so sagen darf, gegen die Brüsseler Beschlüsse
Vizepräsident Dr. Dehler: Das Wort hat der gesprochen.
Abgeordnete Dr. Schmidt (Gellersen). (Abg. Frau Strobel: Das ist nicht wahr!)
Daher ist es nicht verwunderlich, wenn wir nunmehr
Dr. Schmidt (Gellersen) (SPD) : Meine Damen und einmal gegen die Regierungsvorlage Stellung neh-
Herren! Meine Vorredner haben hier einige Tat-
men.
bestände verdreht, was man nicht unwidersprochen
hinnehmen kann. Ich muß das unterstützen, was der Vorredner,
Herr Kollege Margulies, gesagt hat. Es geht hier
Erstens, Herr Kollege Struve, haben Sie von der sicherlich nicht nur um die fetten Gänse zu Weih-
Bedeutung der Gänsehaltung im Rahmen der Einnah- nachten, die wir jeder Hausfrau zu einem möglichst
men der deutschen Landwirtschaft gesprochen, und billigen Preis gönnen. Es geht hier doch grundsätz-
zwar in einer Weise, als wenn nun damit der ganze lich darum, ob wir, obwohl wir überhaupt noch kei-
Grüne Plan umfiele. nen Überblick über die Auswirkungen der Brüsseler
(Abg. Struve: Genau das Entgegengesetzte!) Beschlüsse haben, beginnen, von uns aus da schon
hineinzufunken. Nicht nur die Vorlage der Verord-
Die Gänsehaltung ist im Rahmen der Einnahmen der nung über die Herabsetzung der Abschöpfungsbe-
deutschen Landwirtschaft bedeutungslos, und das träge bei Gänsen, sondern auch die Vorlage über die
nicht nur von der EWG her, sondern seit eh und je. Herabsetzung der Abschöpfungsbeträge bei Hühnern
Das hängt damit zusammen, daß sich die Ver- steht auf der Tagesordnung. Ferner ist eine Verord-
brauchergewohnheiten im Laufe der letzten Jahre nung über die Herabsetzung bei Eiprodukten in
geändert haben. Sie wissen ganz genau, daß die Bearbeitung, und wer weiß, was noch alles kommen
Gans, vor allem im westlichen Teil, nicht mehr die wird. Wenn wir nunmehr bei der nicht übermäßig
Bedeutung hat, die sie früher hatte. wichtigen Angelegenheit der Herabsetzung des Ab-
schöpfungsbetrages für Gänse beginnen, bringen wir
(Abg. Struve: Das habe ich genau ausge-
praktisch das durcheinander, was wir als die neue
führt! — Zuruf von rechts: Warum dann
Marktordnung im EWG-Raum gemeinsam beschlos-
die Aufregung?)
sen haben.
Sie haben auch früher nicht an die Gänse gedacht,
Sie können doch nicht sagen, Frau Kollegin Stro-
warum auf einmal jetzt?
bel, daß durch die Herabsetzung des Abschöpfungs-
(Zuruf rechts: Das ist eine Logik!) betrages für Gänse, wenn es auch nur 50 Pf pro Kilo
sind, der Markt für die Eigenerzeugung der kleinen
Sie haben zweitens davon gesprochen, daß wir und mittleren Landwirte nicht betroffen würde. Ab-
hier nicht umfallen sollten. Ich erinnere mich noch gesehen davon wissen wir aus der Erfahrung der
an die Verhandlungen in Brüssel vor dem 14. Ja- letzten Jahre, daß die Preise ganz anders gebildet
nuar. Es war die Bundesregierung, die in das Pa- werden, und wenn Sie den vorjährigen Preis zu-
ket bereits die Forderung eingebaut hatte, daß sie grunde legen, diesen sogenannten Preis, von dem
im Rahmen dieser Verordnung im kommenden Win- man wirklich sagen kann, daß er für die Geflügel-
ter eine besondere Herabsetzung der Abschöpfungen wirtschaft geradezu eine Katastrophe war, dann
beantragen werde. Das gehörte zum Bündel. Nicht können Sie allerdings erwarten, daß wir in einigen
wir sind umgefallen, sondern die Bundesregierung
Jahren überhaupt keine eigene Mästung oder keine
hat das bereits vor einem halben Jahr in Brüssel
eigene Erzeugung mehr haben. Würden wir dies
angesprochen. durchführen, so wäre die psychologische Wirkung
Und nun eine andere Bemerkung. Wir haben auf unsere bäuerliche Bevölkerung katastrophal, das
heute die Bundesregierung noch nicht gehört. Die muß ich einmal ganz ausdrücklich feststellen.
Bundesregierung hat ja im Ernährungsausschuß diese
Frau Kollegin Strobel, daß die Regierung mit
Vorlage verteidigt. Ich bitte daher den Vertreter
ihrem Maßhalteprogramm jetzt gerade bei uns Bau-
des Ernährungsministers, hier an dieser Stelle jetzt
ern anfangen müßte, entspricht keineswegs den Tat-
dazu Stellung zu nehmen, ob sie noch zur Vorlage
sachen. Wo haben wir stabile Preise? Seit 1950
steht oder ob sie auch bereits umgefallen ist.
haben wir auf dem gesamten Preisgebiet landwirt-
(Beifall bei der SPD.) schaftlicher Erzeugnisse fast keine Änderung. Hier
2114 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 48. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. November 1962
Dr. Siemer
ist das Wort vom Maßhalten wirklich nicht ange- Höhe treiben wollen - hinter solchen Grundsatz-
bracht. fragen verstecken wollen.
(Beifall bei der CDU/CSU.) (Beifall bei der SPD.)
Wenn man sich vergegenwärtigt, meine Damen Denn mit den wesentlichen Preiserhöhungen für den
und Herren, daß wir vor einer strukturellen Krise Verbraucher haben Sie sich gar nicht auseinander-
oder vor einer Umstrukturierung in der Landwirt- gesetzt.
schaft stehen, wie das Professorengutachten ganz
eindeutig nachweist, dann sollte man sich auch ent- Der Herr Kollege Siemer war so nett, den Herrn
schließen, dem Rat des Finanzministers Dr. Starke Finanzminister Starke zu zitieren. Allerdings, die
zu folgen, der in seiner letzten Haushaltsrede er- Regierung nimmt — vom rein (fiskalischen Stand-
klärt hat: Unsere Mittel, der Landwirtschaft zu hel- punkt aus betrachtet —, je höher die Abschöpfun-
fen, sind wahrscheinlich schon im nächsten Jahre gen sind, desto mehr ein. Im vorigen Haushalt hat-
erschöpft. Wir müssen darauf umschalten, daß wir ten wir 400 Millionen DM Einnahmen aus Abschöp-
den Landwirten die entsprechenden Preise bewil- fungen, in diesem Haushalt haben wir eine Mil-
ligen. Der Finanzminister hat als Beispiel hierfür die liarde D-Mark.
Schweiz angeführt. Man kann daraus viele Konse- (Hört! Hört! bei der SPD! — Zurufe von
quenzen ziehen. Aber eine Konsequenz müssen der CDU.)
wir heute ziehen: Daß wir dort, wo es durchführbar
ist, nicht Preisherabsetzungen gegenüber den Brüs- Da ist ein Teil dieser erhöhten Abschöpfungen schon
seler Beschlüssen fordern. Das wäre ein Schlag ins einkalkuliert, nicht allein zu Lasten der Verbrau-
Gesicht der Landwirte, die infolge der Integration cher, sondern auch zu Lasten der Erzeuger, die we-
in den EWG-Markt wahrscheinlich in den nächsten sentlich höhere Futtergetreidepreise zahlen müssen. -
Jahren schwer um ihre Existenz ringen müssen. Ich muß Sie wieder daran erinnern, daß Sie, als wir
den Versuch machten, diese Erhöhung der Futter-
Ich bitte also, die Regierungsvorlage schon des- getreidepreise zu verhindern, nicht mit uns, sondern
wegen abzulehnen, weil sie einfach nicht in das Ge- gegen unseren Antrag, also gegen 'die Erzeuger, ge-
samtbild unserer neuen marktstrukturellen Maßnah- stimmt haben.
men, die von Brüssel vorgelegt werden, hineinpaßt.
(Beifall bei der SPD.)
Darum, meine Damen und Herren, geht es hier nicht
um die konkrete ad-hoc-Frage, die Gänse zu Weih- Heute wollen Sie sich darauf hinausreden, daß Sie
nachten etwas zu verbilligen — was dem Konsu- die Erzeuger in Schutz nehmen wollen.
menten wahrscheinlich gar nicht zugute kommen Noch ein Wort zu dem Argument, wenn heute die
würde —, sondern es geht um die grundsätzliche Senkung der Abschöpfungen beschlossen würde,
Frage, ob wir das gesamte Marktordnungssystem käme das dem Verbraucher nicht zugute, weil die
von Brüssel hier durchlöchern und damit die Ver- Importeure sie nicht an die Verbraucher weiterge-
trauensbasis der Landwirte zu einer normalen, ech- ben würden. Nun, 'das ist einfach eine Behauptung,
ten Regierungspolitik erschüttern. die man nicht beweisen kann.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU.)
(Widerspruch bei der CDU/CSU.)
Vizepräsident Dr. Dehler: Das Wort hat Frau Im Gegenteil, meine Damen und Herren, es steht
Abgeordnete Strobel. fest, daß sich 'der allergrößte Teil dieser Einfuhren
noch in den Zollaufschublagern befindet. Das hat die
Frau Strobel (SPD) : Herr Präsident! Meine Da- Regierung in den Ausschüssen berichtet. Es ist klar,
men und Herren! Da die Regierung offensichtlich daß erst dann, wenn sie jetzt aus den Zollaufschub-
nichts tun will, um ihre eigene Vorlage zu verteidi- lagern herauskommen, die Abschöpfung draufgege-
gen, müssen wir uns halt noch einmal melden. ben wird, und zwar entweder die ermäßigte oder
die erhöhte, je nachdem, wie wir heute abstimmen
Ich 'wollte Herrn Dr. Siemer darauf aufmerksam werden, und das wird seine Folgen für den Preis
machen, daß seine Behauptung, ich wendete mich haben.
gegen die Brüsseler Beschlüsse, einfach nicht stimmt.
Ich würde Ihnen empfehlen, die Geflügel-Verord- Im übrigen, Herr Struve, möchte ich zum Erzeu-
nung einmal zu lesen. In Art. 5 der Geflügel-Ver- gerpreis noch (folgendes sagen. Einmal ist der Ein-
ordnung steht, daß die Kommission einen Mitglied- schleusungspreis durch diese EWG-Verordnungen
staat ermächtigen kann, die Abschöpfungen zu sen- neu eingeführt worden. Der Einschleusungspreis be-
ken, wenn es — — trägt 2,90 DM pro Kilo. Dieser Preis von 2,90 DM ist
also berechtigterweise schon höher als der von
(Zurufe von der CDU/CSU.) Ihnen angegebene Vorjahrespreis. Dazu kommt
natürlich. Warum soll man von einer Kann dann noch die Abschöpfung von mindestens 50 Pf;
Bestimmung nicht Gebrauch machen? Sie ist ein Teil denn selbst wenn sie ermäßigt wird, beträgt sie
der Verordnung. noch 50 Pf. Das sind dann also schon 3,40 DM.
(Beifall bei der SPD.)
Im übrigen beweist die Tatsache, daß Sie, besonders Vizepräsident Dr. Dehler: Gestatten Sie eine
Herr Margulies, die Diskussion einfach mit der Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Struve?
Grundsatzfrage führen, sehr deutlich, daß Sie Ihr
schlechtes Gewissen — weil Sie die Preise in die Frau Strobel (SPD) : Aber bitte sehr.
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 48. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. November 1962 2115

Struve (CDU/CSU) : Frau Kollegin, ist Ihnen nicht wollen ihn mit allen Konsequenzen für alle an der
ein Irrtum unterlaufen, indem Sie Preise für leben- Wirtschaft Beteiligten, und wir wollen alle Möglich-
des Geflügel mit Preisen für geschlachtetes Geflügel keiten, den Bauern zu helfen und den Verbrauchern
vergleichen? zu helfen, ausnützen. Das ist unsere gemeinsame
Zweitens — darf ich gleich eine Zusatzfrage hin- Meinung, wie ich hoffe. — Sie sind vielleicht der
zufügen? —: Haben Sie denn eine Erklärung dafür, Ansicht, daß man nur den Bauern helfen sollte; das
daß, selbst wenn die Ausschußvorlage angenommen
mag sein.
wird, der Preis 5,20 DM sein muß, in Wirklichkeit Dann darf ich etwas zu den Ausführungen von
in den Läden aber jetzt um 5,80 DM liegt und auch Herrn Margulies sagen. Herr Margulies hat er-
im Vorjahr dort lag, obwohl der Erzeugerpreis 1 DM klärt, da die Regelung nun einmal da sei, sollte man
niedriger war? sie nicht sofort wieder ändern. Nun schön, ein Stand-
punkt, den man durchaus diskutieren kann. Aber es
Frau Strobel (SPD) : Herr Struve, erstens ist mir ist doch eine neue Regelung, und nach dem Vertrag
der jetzige Lebendviehpreis leider nicht bekannt. und nach den Verordnungen sind Möglichkeiten vor-
handen, Anfangsschwierigkeiten zu überwinden.
(Zurufe von der CDU/CSU: Aha!) Hier handelt es sich um die Überwindung einer An-
Ich beziehe mich darauf, daß im vorigen Jahr der fangsschwierigkeit, die entstanden ist, weil hier die
Importeurpreis 2,51 DM und in diesem Jahr der Ein- Durchführung des Prinzips der Abschöpfung — das
schleusungspreis 2,90 DM ist. Das sind von vorn- heißt: die Nichtermäßigung der Abschöpfung — zu
herein 40 Pf mehr. Ich bedauere mit Ihnen, wenn einer Verteuerung führen würde, die auf der ande-
das den Erzeugern nicht zugute kommt, sondern ren Seite der Landwirtschaft gar nichts einbringt.
-
diese hohen Spannen auf dem Weg zwischen dem Herr Kollege Dr. Siemer sagte, das sei keine Ad-
Erzeuger und dem Verbraucher aufgebraucht wer- hoc-Frage, sondern eine grundsätzliche Frage.
den. Aber dann, bitte, seien Sie in Zukunft bereit,
im Bereich der Wirtschaftspolitik mit uns etwas zu (Zuruf von der CDU/CSU: Richtig!)
tun, daß der Erzeugeranteil am Endverbraucherpreis
Lieber Herr Dr. Siemer, es handelt sich um die Sen-
größer wird.
kung der Abschöpfung für Schlachtgeflügel bis zum
(Beifall bei der SPD.)
31. Dezember. Das ist doch keine Grundsatzfrage,
Es geht also nur um diese Dinge und um. nichts sondern eine Frage, die einfach vom rein prak-
anderes. Ich bin mit Ihnen der Meinung, daß, wenn tischen her entschieden werden muß, nämlich unter
jetzt eine Abschöpfung und eine Umsatzausgleich Abwägung, ob es den Verbrauchern nützt und den
steuer von 1,14 DM pro Kilo Gänse erhoben wird, Erzeugern nicht schadet oder umgekehrt. Sie. sind
sich das bis zum Verbraucher noch einmal um 40 Pf der Ansicht, daß den Erzeugern daraus großer Scha-
vermehrt, so daß der Verbraucher nicht 1 DM, son- den erwächst, und wir sind der Ansicht, daß den
dern wahrscheinlich sogar 1,50 DM mehr bezahlen Erzeugern überhaupt kein Schaden erwächst. Denn
muß. Mit der von Ihrer Regierung propagierten der Markt für die deutschen Gänse ist ein völlig an-
Preisstabilität hat das eben nichts mehr zu tun, und derer Markt als der für die gefrorenen polnischen
deshalb muß man hier darauf aufmerksam machen. Gänse. Die Märkte hängen gar nicht miteinander
Ich glaube nicht, daß wir uns mit Ihnen einigen zusammen. Wenn Sie sich wirklich einmal davon
werden. Aber wir sind in diesem Falle mindestens überzeugt hätten, wie es in den Läden aussieht,
einig mit der Regierung, es sei denn, sie hat ihre würden Sie meiner Meinung folgen. Ich bin der An-
Meinung geändert; und dann wäre es ganz inter- sicht: hier ist die Frage zu entscheiden: Soll die
essant, wenn sie das hier sagte. Daß sie schweigt, Weihnachtsgans 6 DM teurer werden,
scheint mir ein schlechtes Zeichen zu sein, auch ein (Zurufe und Lachen in der Mitte)
schlechtes Zeichen für ihr künftiges Verhalten auf
dem Gebiet der Preisstabilität. oder wollen Sie sie 6 DM billiger haben? Das ist
doch die Frage, und um die Antwort auf diese Frage
(Beifall bei der SPD.) dürfen Sie sich nicht herumdrücken.
(Abg. Struve: Wie schwer ist denn diese
Vizepräsident Dr. Dehler: Das Wort hat der Weihnachtsgans, Herr Bading? — Weitere
Abgeordnete Bading. Zurufe von der Mitte.)

Bading (SPD) : Herr Präsident! Meine sehr ver- Vizepräsident Dr. Dehler: Das Wort hat der
ehrten Damen und Herren! Frau Kollegin Strobel Abgeordnete Bauer (Wasserburg).
hat schon das meiste dessen gesagt, was ich hier
ausführen wollte; ich darf es nur ganz kurz er-
gänzen. Bauer (Wasserburg) (CDU/CSU) : Herr Präsident!
Wir gewähren selbstverständlich der Bundes- Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich be-
regierung, wenn auch unerbeten, sehr gerne „Amts- daure zutiefst, daß aus diesen so friedlichen Mar-
hilfe", wenn sie einmal Vorschläge gemacht und tini- und Weihnachtsgänsen offensichtlich Wahl-
Anträge gestellt hat, die vernünftig sind. Insofern kampfgänse geworden sind.
also, Herr Staatssekretär, sind Sie mit mir einig. (Beifall in der Mitte. — Zurufe von der
Herr Struve hat die Frage aufgeworfen: Wollen SPD.)
wir die EWG und den EWG Markt mit allen Kon-
- Das lassen Sie mich als erstes feststellen. Ich be
sequenzen? Ja, Herr Struve, wir wollen ihn; wir daure das um so mehr, als die Martinsgänse längst
2116 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 48. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. November 1962

Bauer (Wasserburg)
verspeist sind und für die Weihnachtsgänse das herrscht hier in der Bundesrepublik immer noch die
Geschäft, mindestens bis zur Kleinhandelsstufe, be- größere Preisstabilität.
reits abgewickelt ist.
Hier geht es, Herr Kollege Bading, in der Tat Vizepräsident Dr. Dehler: Gestatten Sie eine
um eine Grundsatzfrage, die der Kollege Margulies Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Schmidt?
und auch mein Kollege Struve schon angesprochen
hat, nämlich um die Grundsatzfrage, ob wir uns zu Bauer (Wasserburg) (CDU/CSU) : Bitte sehr!
dem Instrument Abschöpfung, das wir hier in die-
sem Hause gebilligt haben, nun auch bekennen, ob Dr. Schmidt (Gellersen) (SPD) : Herr Kollege
wir der Landwirtschaft, von der wir doch wissen, Bauer, wäre es nicht besser, Sie würden sich an die
daß sie bei der Umstellung auf den Gemeinsamen Regierung wenden, die die Vorlage eingebracht hat?
Markt in der EWG mit größeren Schwierigkeiten
als die übrigen Partner in unserer Volkswirtschaft
zu ringen hat, nun die notwendige Ruhe geben, hier
Bauer (Wasserburg) (CDU/CSU) : Herr Kollege
von diesem Hause aus, oder db wir ad hoc von Schmidt, Sie betonen so oft, daß dieses Parlament
Fall zu Fall, wie es gerade einmal paßt, einmal hü souverän sein soll. Wenn wir hier von der Fraktion
und einmal hott in dieser Entwicklung sagen. aus nun einmal der Regierung Widerstand leisten,
weil wir es für richtig und notwendig halten, dann
(Abg. Schoettle: Was macht denn die Re sollten Sie uns belobigen, statt uns zu kritisieren.
gierung? Die sagt auch hü und hott!) (Beifall bei den Regierungsparteien. —
Ich sage nun: diese Landwirtschaft braucht beson- Lachen bei der SPD.)
ders in einer solchen Zeit unsere Unterstützung. Wir Frau Kollegin Strobel, Sie haben in geradezu
-

müssen uns von diesem Parlament aus zu den Brüs- rührender Weise unsere Regierung zu unterstützen
seler Verträgen und zu den daraus entstandenen versucht. Sie haben in rührender Weise gemahnt,
Verordnungen bekennen und dürfen nicht — ich wir sollten doch diese friedlichen Weihnachtsgänse
sage es noch einmal — nachtarocken; denn etwas durch unsere böse Politik nun nicht etwa so sehr
anderes geschieht doch nicht als nachtarocken. verteuern. Ich habe Ihnen schon gesagt, daß wir gar
Von Frau Strobel ist gesagt worden: Was bedeutet keinen Einfluß mehr auf diese Preisentwicklung neh-
die Abschöpfung für den Verbraucher und was be- men. Ich bitte Sie ebenso herzlich, das doch einmal
deutet sie für den Erzeuger? Lassen Sie mich doch in aller Ruhe zu prüfen.
einmal nur zwei Zahlen nennen. Der Erzeugerpreis Wenn es wirklich so wäre, dann müßte sich immer
lebend ab Hof — und hier bitte ich insbesondere die- noch die Frage stellen: Wer ,ist denn eigentlich der-
jenigen herzuhören, die glauben, dem Verbraucher jenige, auf den wir mehr Rücksicht nehmen müssen,
helfen zu wollen und helfen zu sollen; ich habe vol- derjenige, der die Gänse zur Zeit noch züchtet und
les Verständnis dafür — ist von 1955 bis 1960 durch- mästet und diese Arbeit übernimmt, oder derjenige,
weg zwischen 3 DM und 3,30 DM gelegen. Seit 1961 der in der glücklichen Lage ist, diese Gans ver-
liegt er um 1 DM niedriger, nämlich bei 2,30 DM, speisen z14 dürfen?
und heuer bei 2,25 DM. Nun stellen Sie dem einmal (Beifall bei der CDU/CSU. — Lachen bei
den Verbraucherpreis gegenüber. Er lag von 1955 an der SPD.)
bis 1960 zwischen 4,80 und 5,65 DM, und er lag 1961
bei 5,75 DM. Jetzt liegt er bei 5,80 DM. Ich frage
Sie, ob hier in irgendeiner Form der Erzeugerpreis Vizepräsident Dr. Dehler: Das Wort hat der
oder etwa die EWG einen Einfluß auf diese jetzige Abgeordnete Margulies.
Preisentwicklung genommen hat. Im Gegenteil, der
Erzeuger bekommt eine Mark weniger. Er bekommt Margulies (FDP) : Herr Präsident! Meine Damen
auch keinen Pfennig, wenn Sie jetzt etwa noch eine und Herren! Ich glaubte vorhin mich so kurz fassen
Änderung in dieser Richtung treffen. Auch der Ver- zu können, um die Angelegenheit der Martini- und
braucher bekommt nichts. Das ist die andere Seite, Weihnachtsgänse wieder auf die Bedeutung zurück-
Frau Strobel. Ich sage Ihnen noch einmal: die Mar- zuführen, die ihr im allgemeinen politischen Ge-
tinigans ist weg, sie ist verspeist, und die Weih- schehen zukommt. Aber nachdem sich jetzt eine
nachtsgans ist weitestgehend im Geschäft abge- große Debatte entwickelt hat, möchte ich doch einige
wickelt. Wenn Sie jetzt etwas tun, dann rütteln Sie Mißverständnisse beseitigen.
auf der einen Seite am Prinzip der Abschöpfung, zum
anderen helfen Sie aber weder dem Erzeuger noch Frau Strobel hat mir vorgeworfen, daß ich aus
dem Verbraucher. schlechtem Gewissen auf dem Prinzip herumreite.
Nun sehe ich noch nicht recht ein, wieso es abträg-
(Zurufe von der SPD.) lich ist, einmal an einem Prinzip festzuhalten. Hier
geht es aber noch um ein wesentlich bedeutsameres
Es ist soviel von der Preisstabilität die Rede ge- Prinzip, meine Damen und Herren. Es handelt sich
wesen. Haben Sie denn dieser Tage nicht die Zei- darum, ob wir dulden wollen, daß der Staat jeder-
tungen gelesen? Dort steht, wir in der Bundes- zeit mit Maßnahmen in den Wirtschaftsablauf ein-
republik hätten wieder einmal feststellen können, greift, oder ob wir der Meinung sind, wie wir Freien
daß wir im ersten Halbjahr gerade auf diesem Demokraten, daß der Staat das nicht tun darf. Die-
Sektor unter allen vergleichbaren europäischen Län- ses Beispiel hier ist so wunderschön, wie man zum
dern am besten abgeschnitten haben. Gott sei Dank falschesten Zeitpunkt mitten in den Geschäftsablauf
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 48. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. November 1962 2117
Margulies
mit einer Maßnahme hineinplatzen kann, daß wir der Abschöpfung geschützt werden kann, so muß man
schon aus diesem Grunde die Vorlage ablehnen einsehen, daß das, was hier Kollege Margulies und
müssen. Kollege Struve gesagt haben, einfach nicht stimmt.
Ich habe aber auch nicht gesagt, die Importeure Das Prinzip dessen, was wir in jahrzehntelanger
würden eine Senkung der Abschöpfungssätze nicht mühsamer Arbeit aufgebaut haben — das darf ich
weitergeben. Das hört man zwar gelegentlich, aber wirklich aus eigener Erfahrung berichten —, be-
steht in der Elastizität und nicht in der Starrheit.
wenn man überhaupt das Prinzip der sozialen
Wenn die Situation eine Erhöhung des Schleusen-
Marktwirtschaft erkannt hat, weiß man, daß es dar-
niveaus verlangt, dann muß die Erhöhung eintreten,
in liegt, daß solche Preissenkungen einfach durch
und wenn die Situation für eine Senkung des
den Wettbewerb erzwungen weitergegeben wer-
Schleusenniveaus spricht, so muß die Senkung ein-
den. Daran kann überhaupt kein Zweifel sein.
treten. Nur dadurch wird das Prinzip der elastischen
Hier geht es darum, daß in dieser Saison, die von Abschirmung gewahrt.
Anfang November bis Mitte und Ende Dezember
Infolgedessen möchte ich insbesondere an die,
läuft, der größte Teil des Geschäfts bereits abge-
Kolleginnen und Kollegen in der CDU und in der
wickelt ist. Wenn wir jetzt mit dieser Maßnahme
FDP appellieren, die sich noch überlegen, wie sie in
hineinplatzen, bringen wir die Leute, die die Ware
dieser Frage abstimmen sollen. Ich freue mich, daß
schon durchgeschleust haben, die schon abgemel-
wir doch immer noch ein Haus mit denkenden Män-
det haben, in ein großes Durcheinander hinein. Das
nern und Frauen haben. Ich möchte mich an sie
ist der Grund, weshalb ich mich jedenfalls dafür
wenden: stimmen Si e in diesem Falle für eine Er-
einsetze, der Ausschußvorlage zuzustimmen.
mäßigung der Abschöpfung! Dem Prinzip des elasti-
schen Systems tragen Sie damit in der besten Weise
Vizepräsident Dr. Dehler: Das Wort hat Herr Rechnung.
Abgeordneter Dr. Baade.
Vizepräsident Dr. Dehler: Herr Kollege Pro-
Dr. Dr. h. c. Baade (SPD) : Herr Präsident! fessor Baade, gestatten Sie noch eine Frage des
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sie wis- Herrn Abgeordneten Dr. Dresbach?
sen, ich spreche selten in diesem Hause im Plenum
und spreche nur, wenn ich das Gefühl habe, daß hier
etwas sehr Prinzipielles zur Diskussion steht. Ver- Dr. Dr. h. c. Baade (SPD): Bitte!
schiedene Redner aus der CDU und auch Herr Mar-
gulies haben die Behauptung aufgestellt, das Prin-
zip des Schutzes der deutschen landwirtschaftlichen Dr. Dr. h. c. Dresbach (CDU/CSU) : Ich möchte
Märkte würde in Frage gestellt, wenn wir die Ab- mich an der Weihnachtsgänse-Schnatterei nicht be-
schöpfungssätze für Gänse senkten. Meine Damen teiligen. Aber ich wollte mal bei Ihnen Weisheit
und Herren, die Konstruktion, die wir zum Schutz schöpfen. Wie kommt das Wort „Abschöpfung"
der deutschen Landwirtschaft errichtet haben, ist eigentlich zustande? Man muß doch was draufzah-
len.
eine elastische Abschirmung gegenüber den Welt-
märkten. Sie besteht im Prinzip der Abschöpfung. (Heiterkeit.)
Ich darf hier sagen — und ich glaube, das wird nicht Dann ist das Wort „Abschöpfung" doch eine contra-
als eine Anmaßung empfunden werden —, daß ich dictio in adjecto. Wenn Sie das auch erfunden
mich zwar nicht als den Vater, aber mindestens als haben, Herr Professor, dann brauchen Sie nicht stolz
den Großvater dieser Konstruktion betrachten kann. darauf zu sein.
Wir haben vor einem Vierteljahrhundert in der (Heiterkeit.)
Weimarer Republik jahrelang darum gekämpft, das
Prinzip der starren Zölle durch ein elastisches In-
Dr. Dr. h. c. Baade (SPD) : Sehr richtig! Herr
strument zu ersetzen, das wir heute die Einfuhr-
Dresbach, darf ich Ihnen gleich darauf antworten.
schleuse nennen. Ich war in der Weimarer Repu-
Die Erkenntnis des Prinzips der Abschöpfung hat
blik der Vorkämpfer für dieses Instrument, und es
sich bei uns langsam gedanklich entwickelt. Zu-
ist für mich eine leise Genugtuung, festzustellen,
nächst — ich sprach von der Weimarer Republik —
daß sich dieses Prinzip als das grundlegende Kon-
war die gesamte Landwirtschaft überzeugt, daß nur
struktionsprinzip des landwirtschaftlichen Preis-
ein starrer und möglichst hoher Zoll ihr nützen
schutzes seither nicht nur in Deutschland, sondern
könne, bis wir sie mühsam davon überzeugt haben,
in fast allen Ländern der Welt durchgesetzt hat und
daß der Aufschlag auf die Weltmarktpreise je nach
daß es auch das Prinzip des landwirtschaftlichen
der Situation verschieden hoch sein müsse. In dem
Markt- und Preisschutzes im größeren Europa sein Begriff „Abschöpfung", lieber Herr Kollege Dres-
wird: die Abschöpfung.
bach, liegt nicht nur die Möglichkeit, immer mög-
Wenn man sich aber zu diesem Prinzip bekennt lichst viel abzuschöpfen, sondern auch die Möglich-
und wenn man begriffen hat, daß angesichts der keit, manchmal ein bißchen weniger abzuschöpfen.
chaotischen Entwicklung auf den Weltmärkten der (Abg. Dr. Dr. h. c. Dresbach: Ich bejahe das,
heimische Markt — sei es nun der kleine deutsche aber es ist ein komisches Wort!)
Markt oder der große europäische Markt — nicht
durch starre Zölle, sondern nur durch eine elastische
Abschirmung oder durch ein Schleusensystem mit der Vizepräsident Dr. Dehler: Darf Herr Kollege
Möglichkeit der Erhöhung oder der Verringerung Struve noch eine Zwischenfrage stellen?
2118 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 48. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. November 1962

Dr. Dr. h. c. Baade (SPD) : Sichel. gibt es Preisvorteile und -nachteile, die niemals
dem Erzeuger und dem Verbraucher zugute kom-
Struve (CDU/CSU) : Herr Kollege Baade, sind Sie men können. Auf Grund dessen möchte ich sagen,
der Auffassung, daß bei Befolgung Ihrer Empfeh- daß der Zug abgefahren ist und wir über etwas
lung die schon im Sinken begriffene deutsche Pro- reden, was vor einem halben Jahr am Platz gewe-
duktion im nächsten Jahr angeregt wird? sen wäre.
Die Argumente dafür und dagegen sind bereits so
Dr. Dr. h. c. Baade (SPD) : Herr Kollege Struve, oft vorgetragen worden, daß ich es mir ersparen
die Gans ist in Deutschland ein komischer Vogel ge- möchte, das Gesagte zu wiederholen.
worden. Ich erinnere an das Wort von Fritz Reuter:
„De Gans is en narrischer Vogel, en tom Fröhstöck (Sehr richtig!)
is nick naugh, un eet man twee en Beeten groot, Ich möchte nur darum bitten, gelten zu lassen, daß
verdarft man sick dat Middagbrood." Sie ist auch es in allen Fraktionen Sprecher für die eine wie die
ein merkwürdiger Vogel in dem Sinne geworden, andere These gibt. Frau Strobel, Sie dürfen es mir
daß der größere Teil der Gänseproduktion in abnehmen: ich bin Ihnen gar nicht böse, wenn Sie
Deutschland heute der landwirtschaftlichen Selbst- im Bundestag den Verbraucher mehr in Ihr Herz
versorgung und der Versorgung eines mit dem schließen als draußen in den Versammlungen bei
Lande sehr fest verwachsenen Teiles der Bevölke- unseren kleinbäuerlichen Wählern.
rung dient, während die Versorgung der großen
Märkte heute ganz überwiegend über die Einfuhr (Heiterkeit bei der CDU/CSU.)
geht. Ich bin mit Ihnen einer Meinung, Herr Struve, Meine Damen und Herren von der SPD, ich nehme
daß das keine erwünschte Entwicklung ist. Wir Ihnen das gar nicht übel. Hier geht es nun einmal
wünschen, daß sich die deutsche Landwirtschaft in darum, daß wir den Großen nicht etwas geben soll-
stärkerem Maße an der Belieferung der großen ten, wie Herr Struve sagte. Ich komme doch aus
Märkte auch mit Gänsen beteiligt. Aber wenn Sie dem Bayerischen Wald. Ich kenne meine kleinen
das erreichen wollen, müssen Sie unseren Vorschlä- Bauern im Vilstal, ich kenne die kleinen Bauern
gen folgen und die Futtergetreidepreise senken und und Landwirte in der Rhön. Ich denke an all die
nicht die Gänse verteuern. Bauern in den kleinbäuerlichen Gebieten, derer Sie
(Beifall bei der SPD.) sich gerade jetzt in Bayern so warm annehmen.
Deswegen seien Sie doch jetzt mit uns so freund-
Vizepräsident Dr. Dehler: Noch eine Frage lich und geben Sie zu, daß bereits viel besser und
des Abgeordneten Struve! treffender als der Niederbayer Unertl meine Vor-
redner hier gesagt haben, daß alles zu spät sei.
Struve (CDU/CSU) : Darf ich Ihrer Antwort ent- Wenn wir die Abschöpfungsbeträge senken würden,
nehmen, daß Sie also der deutschen Gänseproduk- hätte auf Grund der Tatsache, daß die Vielzahl der
tion keine Chance geben möchten, den alten Stand Gänse, die Martini- und Weihnachtsgänse bereits,
wieder aufzuholen? wie gesagt, in den Läden sind, beim Einzelhandel
genauso wie beim Konsumverein, in der Zwischen-
Dr. Dr. h. c. Baade (SPD) : Herr Struve, ich gebe stufe niemand mehr den Nutzen davon, auch nicht
der deutschen Gänseproduktion eine Chance, weil der Verbraucher, sondern nur der Importeur, der
ich die Hoffnug nicht aufgegeben habe, daß man für beim Einkauf die Höhe der Abschöpfung kannte
eine konstruktive Agrarpolitik einschließlich der und entsprechend kalkuliert hat.
Futtergetreidepolitik auch in Ihren Kreisen Mitstrei- Frau Strobel, ich weiche Ihrer Frage nicht aus,
ter finden kann. ohne jetzt einen Spannenkrieg und eine Debatte
(Beifall bei der SPD.) über Spannen herbeiführen zu wollen. Sie wissen
ganz genau, was ich im Außenhandelsausschuß
Vizepräsident Dr. Dehler: Das Wort hat der geantwortet und gesagt habe: Das Ausweichen auf
Abgeordnete Unertl. andere von mir angeführte Lebensmittel, z. B. Rind-
fleisch, ist möglich, wir wissen aber, daß Löhne
(Zurufe von der SPD.)
und soziale Belastungen, Versicherungsbeiträge
und Strompreise und alles miteinander für den
Unertl (CDU/CSU) : Herr Präsident! Meine Damen höheren Preis eine Rolle spielen; das ist nicht neu.
und Herren! Das spricht eigentlich doch dafür, daß Aber über dieses Thema können wir uns ein ande-
der Niederbayer auch auf der linken Seite des res Mal unterhalten.
Hauses willkommen geheißen wird.
Heute möchte ich zum Schluß nur eines sagen.
(Sehr wahr!) Gehen gerade Sie, meine Damen und Herren von
Wir sollten dieses Thema zum Abschluß bringen. der Sozialdemokratischen Partei, die Sie sich immer
Halten wir uns doch vor Augen, daß wir heute den so sehr um die kleinbäuerlichen Familien und die
14. November im Kalender verzeichnen. Aus der Familienbetriebe bemühen, mit uns und lassen Sie
Praxis im Außenhandelsausschuß wissen wir, daß uns die Ausschußvorlage zum Tragen bringen. Es
selbst bei Finanzzöllen die rückwirkende Anwen- geht gar nicht darum, ob wir eine Regierungsvor-
dung von gesenkten Zollsätzen niemals den Ver- lage verteidigen oder ablehnen. Hier hat der Bun-
brauchern dient. Das haben wir immer wieder destag auf Grund der Tatsache zu entscheiden, daß
erlebt. Bei der Rückzahlung bereits gezahlter Zölle wir uns das Gesetz gegeben haben, selbst mitzure-
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 48. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. November 1962 2119
Unertl
den, wenn aus Brüssel die Änderung von Abschöp- wirklichung europäischer Gedanken wirken, sollten
fungssätzen auf uns zukommt. Hier haben wir als sich fragen, ob sie es zulassen können, daß auf diese
Parlament die Mitsprachemöglichkeit, und da reden völlig ungerechtfertigte Weise Inhalt und Tenden-
wir auch mit. zen der europäischen Politik diffamiert werden.
Es wurde auch kurz die Frage der zu hohen Fut- (Beifall bei der SPD. — Zurufe von der
tergetreidepreise angeschnitten. Ich habe im Außen- CDU/CSU.)
handelsausschuß gesagt und wiederhole es hier: Eine zweite Bemerkung. Der Herr Bundeswirt-
Gerade das Sinken der Großviehpreise durch die schaftsminister und die Bundesregierung gehen land-
forcierte Bullenmast hat gezeigt, wie schwierig und auf, landab mit der Parole, das Preisniveau müsse
wie empfindlich dieser Markt und die Veredelungs- stabilisiert werden. Es ist nicht uninteressant, die-
produktion sind. Wir wissen, daß dann, wenn wir sen Gesichtspunkt in den Vordergrund zu rücken.
Ihrem Antrag stattgeben würden, nämlich die Fut- In den Durchführungsgesetzen zur Agrarpolitik
tergetreidepreise zu senken, das Schreckgespenst haben Sie Bestimmungen über die Handelsspanne
aufkäme, von dem uns draußen überall ebenfalls getroffen, die auf der einen Seite ganz zweifellos
vorerzählt wird, daß die Veredelungsproduktion zu Preiserhöhungen führen müssen, während sie auf
dann industriell gemacht würde und die bäuerliche der anderen Seite dem Erzeuger überhaupt nicht zu-
Veredelung aufhören müßte. gute kommen.
Heute legt Ihnen die Regierung eine Vorlage vor,
Vizepräsident Dr. Dehler: Gestatten Sie eine
die verhüten will, daß die durch Ihre Beschlußfas-
Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Schmidt (Gel-
sungen bedingten Preiserhöhungen in einem gewis-
lersen)? —
sen Ausmaß wieder beseitigt werden. Ich nehme an,-
die Bundesregierung hat ihre Gründe und weiß ent-
Dr. Schmidt (Gellersen) (SPD) : Glauben Sie denn, gegen Ihren Darlegungen, daß das bäuerliche Inter-
daß Sie mit Gänsen die Ochsen retten können? essen gar nicht entscheidend beeinträchtigt. Trotz-
(Heiterkeit.) dem nehmen Sie hier eine Haltung ein, die weitere
Preiserhöhungen zur Folge hat.
Unertl (CDU/CSU) : Ja. Aber umgekehrt, lieber Lassen Sie mich eines sagen, meine Damen und
Herr Kollege Schmidt, haben die Gänse noch nicht Herren. Die Wirklichkeit ist nach allen Feststellun-
die Bedeutung wie der Ochse. Im Prinzip hat der gen so, daß sich die Gänse heute noch in den Zoll-
Ochse jedoch aufgehört, selbst als Gespannvieh; er lägern befinden und infolgedessen eine Beschluß-
ist vom Traktor ersetzt. Aber die Gänsemast wollen fassung entsprechend der Vorlage der Bundesregie-
wir den kleinen Bauern und Landwirten erhalten. rung dafür sorgen würde, daß den Familien zu
Darum bitte ich, dem Beschluß des Ernährungsaus- Weihnachten billigere Gänse zur Verfügung stehen.
schusses zu folgen und die Ausschußvorlage anzu-
nehmen. (Beifall bei der SPD.)
(Beifall bei den Regierungsparteien.) Eine dritte Feststellung betrifft das Verhalten der
Regierung. Wir haben es hier mit einer Frage zu
tun, die doch wohl irgendwie mit dem Problem der
Vizepräsident Dr. Dehler: Das Wort hat der Preisstabilisierung zusammenhängt. Wir stellen fest,
Abgeordnete Dr. Deist.
daß zu diesem Punkt der Tagesordnung der Bundes-
wirtschaftsminister nicht erschienen ist, auch kein
Dr. Deist (SPD) : Meine sehr verehrten Damen Vertreter seines Ministeriums.
und Herren! Gestatten Sie mir einige wenige kurze
Bemerkungen, weil ich meine, diese Debatte ist ein (Hört! Hört! bei der SPD.)
Symptom für eine Haltung zu grundsätzlichen wirt- Wir stellen weiter fest, daß der Bundesernährungs-
schaftspolitischen Fragen, die nicht in interessanten minister zwar durch seinen Staatssekretär vertreten
und netten Unterhaltungen, die hier teilweise ge- ist, daß aber niemand von der Regierung einschließ-
pflogen worden sind, untergehen darf. lich des Staatssekretärs des Bundesernährungsmini-
(Zustimmung bei der SPD.) sters trotz unserer Aufforderung den Mut gefunden
hat, die eigene Vorlage hier im Bundestag zu ver-
Zunächst einmal eine Feststellung. Einer der Her- treten.
ren Vorredner hat gemeint, wir dürften das grund- (Beifall bei der SPD.)
sätzliche Bild der EWG-Konstruktion und dessen,
was sich daraus ergebe, nicht verwischen, sondern Meine Damen und Herren, Sie können sich nicht
sollten uns dazu bekennen. Meine Damen und Her- wundern, wenn die Öffentlichkeit daraus die Schluß-
folgerung zieht, daß die Bekenntnisse der Bundes-
ren, das ist eine ganz gefährliche und irreführende
regierung zur Preisstabilität nicht immer ernst zu
Formulierung. Die Futtergetreidepreispolitik und
nehmen sind.
ihre Auswirkungen auf die Veredelungswirtschaft
(Beifall bei der SPD.)
haben mit den Grundsätzen der EWG-Politik nichts,
aber alles mit der hier im Bundestag verfolgten
Politik der Mehrheitsparteien zu tun. Vizepräsident Dr. Dehler: Das Wort hat der
Abgeordnete Ertl.
(Beifall bei der SPD.)
Diejenigen Damen und Herren, die in ihren Fraktio Ertl (FDP) : Herr Präsident! Meine sehr verehr-
nen für europäische Gesinnung und für die Ver ten Damen und Herren! Sie sehen, wie in Wahl-
2120 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 48. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. November 1962
Ertl
kampfzeiten sogar Gänse zu Wahlgänsen werden abzulehnen, und Sie tun der Agrarpolitik einen gu-
können. Wir sind aus einer Gänseschlacht in eine ten Dienst!
Grundsatzschlacht eingetreten. Ich möchte nur noch (Beifall bei den Regietungsparteien.)
zu zwei grundsätzlichen Fragen Stellung nehmen.
Mit Recht wurde von Herrn Professor Baade be- (V o r sitz : Vizepräsident Schoettle.)
tont, daß es bei der Abschöpfung um die Elastizität
gehe. Ich möchte aber betonen, es geht auch darum,
die heimische Landwirtschaft zu sichern. Die Elasti-
Vizepräsident Schoettle: Das Wort hat der
Abgeordnete Dr. Reinhard.
zität darf nicht im Ausgangspunkt einer Agrar- und
Wirtschaftspolitik stehen, die den landwirtschaft- (Abg. Dr. Reinhard: Verzichte!)
lichen Betrieb in der Produktion hemmt an- — Dann der Abgeordnete Dr. Siemer.
statt fördert. Wir sehen deshalb in der Abschöpfung
ein Instrument, die heimische Landwirtschaft und
ihre Produktion zu sichern.
Dr. Siemer (CDU/CSU) : Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Ich werde Ihre Zeit nicht lange
Bei der Behandlung der EWG-Gesetze und des in Anspruch nehmen! Aber ich muß zwei Behaup-
anstehenden Problems wurde immer wieder betont, tungen und Erklärungen schärfstens widersprechen,
daß die deutsche Landwirtschaft sich sehr auf die weil sie nicht stimmen.
Veredelungsproduktion einstellen sollte. Wir haben
Herr Dr. Deist, Sie haben gesagt, die Abschöp-
in diesem Hause immer wieder gehört, gerade auch
fungsherabsetzung werde von der Regierung ge-
von den Kolleginnen und Kollegen der linken Seite,
macht, weil wir eine falsche, wenn ich so sagen
wie notwendig die Erhaltung eines Kleinbauern-
darf, Getreidepreispolitik betrieben hätten. Diese
tums ist. Die Gänsehaltung spielt für die Klein-
Herabsetzung der Abschöpfung wird ja nicht vor-
bauern nicht zur Selbstversorgung, sondern für ihre
genommen, weil zur Zeit die Futtergetreidepreise
wirtschaftliche Existenz immer noch eine Rolle, und
gestiegen sind, sondern die Abschöpfungserrech-
wir sollten ihnen für die Zukunft ein Chance auf
nungen sind von Brüssel vorgenommen worden zu
diesem Sektor erhalten. Das ist eine sehr soziale
einer Zeit, als die Getreidepreissteigerungen auf
Politik und vor allen Dingen ein echtes Ja für die
dem Futtermittelsektor überhaupt noch nicht be-
Kleinbauern.
kannt waren. Es ist also wohl irrig, anzunehmen,
Wir sollten uns hüten, durch Experimente auf dem daß diese Herabsetzung deswegen erfolgt, weil zur
Sektor der Abschöpfung die Unsicherheit, die nicht Zeit die Futtergetreidepreise steigen.
nur die Verbraucher, sondern in noch weit höherem
(Zuruf von der SPD: Das ist doch nicht
Maße auch die Erzeuger ergriffen hat, zu vergrö-
wahr!)
ßern. Wir sollten den Erzeugern demonstrieren —
das ist die Meinung meiner Fraktion —, daß wir Zweitens möchte ich Herrn Professor Baade etwas
an einer stabilen Agrarpolitik festhalten und nicht sagen. Herr Kollege Professor Baade, Sie haben ge-
von heute auf morgen auf Experimente ausweichen, sagt, die Abschöpfung sei elastisch.. Bis zur Vollen-
die letzten Endes dem Erzeuger und dem Verbrau- dung der EWG-Gemeinschaft im Markt stehen uns
cher nichts bringen. noch sieben Jahre zur Verfügung. Die Vollendung
aber hat gerade zur Voraussetzung, daß die Ab-
Die Martinsgans ist verzehrt, und ich bin felsen- schöpfungsbeträge jährlich abgebaut werden. Man
fest überzeugt, auch die Weihnachtsgans wird auf kann also doch den Fall ad hoc nicht dazu be-
dem Markt nicht so sehr eine Rolle spielen. Ich nutzen, der landwirtschaftlichen Veredelungsproduk-
möchte aber feststellen, daß die Wirtschaftspolitik, tion vor der Zeit Schäden zuzufügen. Wie soll sie sich
die wir seit 1949 mitgestaltet haben — und die in den Gemeinsamen Markt einbauen, wenn wir
Freien Demokraten sind stolz darauf —, immerhin die Abschöpfungen, deren Herabsetzung pro Jahr
dazu geführt hat, daß die Gans der Weihnachts- im Vertrag vorgesehen ist, vorwegnehmen? Daß die
schmaus des kleinen Mannes geworden ist. Wir ha- Abschöpfungen elastisch sind, ist eine Selbstver-
ben es gottlob recht weit gebracht, eine große so- ständlichkeit; sonst brauchte man sie nicht vorzu-
ziale Tat! Das sollten wir anerkennen und sollten nehmen. Sie sind ein Übergang zum Gemeinsamen
dabei nicht vergessen, daß es auch um die Gerech- Markt. Aber jetzt vorweg den Bauern dadurch
tigkeit geht. Schaden zuzufügen, daß man von der Kann-Bestim-
Wir wollen den einheimischen Markt in dieser mung Gebrauch macht, das liegt — das möchte ich
Form für unsere Kleinbauern erhalten und ihnen auch den Hausfrauen sagen — doch nicht in unse-
sogar eine Ausweitungschance geben, und zwar zu rem Interesse. Vergegenwärtigen wir uns doch, daß
Lasten der Importe aus dem Ostblock. Auch das ist zur Zeit in Deutschland 22 Milliarden DM für Rauch-
eine vernünftige Agrarpolitik. mittel und Alkohol ausgegeben werden. Bei dem
In zehn Tagen ist in Bayern gewählt, und die kleinen Mann, der die Gänse aufzieht, will man we-
Weihnachtsgans ist für alle vergessen. gen 50 Pf feilschen. Ich bin der Auffassung, daß das
eine Inkongruenz in unserem Denken ist, die wir
(Zurufe von der SPD: Nein!) uns nicht leisten können.
Ich möchte meinen, nachdem hier soviel über die (Beifall bei der CDU/CSU.)
Gänse geredet, beinahe hätte ich gesagt, geschnat-
tert worden ist: das Capitol ist gerettet, der Bun- Vizepräsident Schoettle: Es liegen keine Wort-
destag ist gerettet! Lassen Sie es bei der Lösung, meldungen mehr vor. Wir kommen zur Abstim-
die wir vorschlagen, nämlich die Regierungsvorlage mung.
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 48. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. November 1962 2121
Vizepräsident Schoettle
Ich lasse abstimmen über die Verordnung, die des Volkseinkommens je Erwerbstätigen in dem
dem Hause vorliegt. vorausgegangenen Kalenderjahr und über die
(Zuruf von der Mitte: Über den Ausschuß Finanzlage der gesetzlichen Rentenversicherung be-
antrag!) richtet wird. Der Aufbau des Sozialberichts folgt
dem bewährten Schema: In Teil A wird über die
— Nein, meine Damen und Herren, wirtschaftliche Entwicklung in der Bundesrepublik
(Zuruf von der Mitte: Doch!) im Jahre 1961 mit einem Ausblick auf die Jahre
— Die Verordnung ist dem Hause vorgelegt mit 1962 und 1963 berichtet. Der Teil B enthält die Dar-
dem Ersuchen um Zustimmung. Das ist der Antrag, stellung der Finanzlage der gesetzlichen Rentenver-
über den das Haus zu entscheiden hat. Ich lasse ab- sicherung. In Teil C sind die Schlußfolgerungen ge-
stimmen. Wer der Verordnung der Regierung — zogen, die sich im Hinblick auf eine Rentenanpas-
Drucksache IV/703 — zustimmen will, den bitte ich sung aus den Teilen A und B ergeben.
um ein Handzeichen. — Ich bitte um die Gegen- Ich möchte nicht die einzelnen Daten des Berichts
probe. — Enthaltungen? Das Ergebnis ist offen. Wir vortragen. Aber wichtig sind die Schlußfolgerungen
können im Präsidium nicht feststellen, welches die aus dem erarbeiteten Zahlenmaterial. Auf sie
Mehrheit ist. -Ich bitte, die Abstimmung durch Auf- möchte ich näher eingehen. Was die Daten selbst
stehen zu wiederholen. Wer zustimmt, den bitte betrifft, so verweise ich auf den schriftlichen Bericht.
ich, sich zu erheben. — Ich bitte um die Gegen-
probe. — Enthaltungen? — Eine Enthaltung. Das Zunächst zur Finanzlage. im Sozialbericht 1961 ist
Präsidium kann sich nicht einigen. Es muß durch vorausgeschätzt worden, daß außer der damaligen
Hammelsprung entschieden werden. Ich bitte, den. 4. Rentenanpassung ohne Unterschreitung des vor-
Saal zu verlassen. — geschriebenen Rücklagesolls in der Rentenversiche- -
rung der Arbeiter mit Sicherheit noch einmal, wahr-
Ich gebe das Ergebnis der Abstimmung bekannt. scheinlich sogar zweimal und in dier Rentenversiche-
Mit Ja halben gestimmt 187 Abgeordnete, mit Nein rung der Angestellten noch zweimal angepaßt wer-
179. den könnte. Die Entwicklung der Beitragseinnahmen
(Heiterkeit und Beifall bei der SPD.) ist — ich stelle es mit Freude fest - auch diesmal
Ein Abgeordneter hat sich der Stimme enthalten. wieder günstiger verlaufen, als in unseren Voraus-
Das Haus hat also der Vorlage der Regierung zu- schätzungen angenommen wurde. Die Gründe sind:
gestimmt. einmal die Erhöhung der Löhne und Gehälter, zum
Wir fahren in der Beratung fort. Ich rufe auf anderen der Zuwachs an Beitragszahlern durch die
Punkt 2 der Tagesordnung: wachsende Zahl der ausländischen Arbeiter. Die
darauf beruhenden Mehreinnahmen erlauben, die
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung Vorausschätzungen weiter zu verbessern, so daß
eingebrachten Entwurfs eines Fünften Ge- die Folgerungen, die im .Sozialbericht 1961 getroffen
setzes über die Anpassung der Renten aus wurden, jetzt erst recht mit noch größerer Sicherheit
den gesetzlichen Rentenversicherungen aus gezogen werden können. Es kann also außer der
Anlaß der Veränderung der allgemeinen Be- 5. Rentenanpassung noch die 6. Rentenanpassung
messungsgrundlage für das Jahr 1962 (Fünf- durchgeführt werden, ohne das Idas Rücklagesoll am
tes Rentenanpassungsgesetz — 5. RAG) 31. Dezember 1966 unterschritten wird.
(Drucksache IV/702)
Die Bedeutung der Ü berschüsse der letzten Jahre,
b) Beratung des Berichts der Bundesregierung so erfreut wir darüber sind, darf jedoch nicht über-
über die Entwicklung der wirtschaftlichen Lei- schätzt werden. Ich werde auf die damit zusammen-
stungsfähigkeit und der Produktivität sowie hängenden Fragen noch im einzelnen eingehen.
die Veränderungen des Volkseinkommens j e Aber schon an dieser Stelle möchte ich auf folgen-
ErwebstäignudüFazlger des hinweisen: für das Jahr 1962 ist im Sozialbericht
gesetzlichen 'Rentenversicherungen (Sozial- 1962 ein Überschuß der Einnahmen über die Aus-
bericht 1962) (Drucksache IV/641) gaben von je 800 Millionen DM in der Rentenver-
c) Beratung der versicherungstechnischen Bilan- sicherung der Arbeiter und in der Rentenversiche-
zen der Rentenversicherung der Arbeiter und rung der Angestellten vorausgeschätzt worden. Die
der Rentenversicherung der Angestellten für Finanzlage der gesetzlichen Rentenversicherung
den 1. Januar 1959, des Gutachtens des So- wird aber nicht nur durch die derzeitigen Kassen
zialbeirats und des Berichts der Bundesregie- Überschüsse bestimmt, sondern auch durch die künf-
rung hierzu (Drucksache IV/640). tige Entwicklung der Ausgaben und der Einnah-
men. Die Entwicklung der Ausgaben und der Ein-
Das Wort zur Begründung des Entwurfs der Bun- nahmen wiederum hängt von der Entwicklung der
desregierung unter Punkt 2 a der Tagesordnung hat Anzahl der Rentner und der Anzahl der Beitrags-
der Herr Bundesminister für Arbeit. zahler ab.
Dazu haben nun die ersten versicherungstechni-
Blank, Bundesminister für Arbeit und Sozialord- schen Bilanzen festgestellt, daß sich das Verhältnis
nung: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! der Anzahl der Rentner zur Anzahl der Beitrags-
Die Bundesregierung legt — ihrer Verpflichtung zahler in den nächsten Jahren ständig vergrößern
gemäß — den Sozialbericht 1962 vor, in dem über wird. Während 1960 auf 100 Pflichtversicherte der
die Entwicklung der wirtschaftlichen Leistungsfähig- Rentenversicherungen der Arbeiter und der Ange-
keit und der Produktivität sowie die Veränderung stellten 37 Versichertenrentner und Witwenrentner
2122 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 48. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. November 1962

Bundesarbeitsminister Blank
kamen, werden 15 Jahre später auf 100 Pflichtver- Einkommen eine Anhebung der Bestandsrenten ge-
sicherte 48 Versichertenrentner und Witwenrentner rechtfertigt erscheint.
kommen. Der Grund dafür ist, daß die besonders Von der sozialpolitischen Seite her gesehen hat
starken Geburtsjahrgänge zwischen 1900 und 1914 sich aber auch in diesem Jahr wieder die Frage nach
im Laufe der beiden nächsten Jahrzehnte von Bei- einer nachholenden Rentenanpassung gestellt. Über
tragszahlern zu Rentnern werden und daß in die ihre sozialpolitische Rechtfertigung besteht kein
Gruppe der Beitragszahler immer mehr die schwä- Zweifel. Auch der Sozialbeirat hat erklärt, daß eine
cheren Geburtsjahrgänge seit dem ersten Welt- nachholende Anpassung aus sozialpolitischen Grün-
krieg hineinwachsen. Wenn sich aber das Verhält- den zu rechtfertigen wäre. Im Hinblick auf die
nis der Anzahl der Rentner zur Anzahl der Beitrags- Finanzlage sowie die derzeitigen wirtschaftlichen
zahler erhöht, wird sich auch das Verhältnis der und konjunkturellen Gegebenheiten hat er jedoch
Ausgaben zu den Einnahmen stark zu den Aus- zum gegenwärtigen Zeitpunkt von ihr abgeraten.
gaben hin verschieben. Diese Überlegungen muß
In Übereinstimmung mit ihm hat die Bundesregie-
man zusätzlich zu der Betrachtung der derzeitigen
rung von einem Vorschlag abgesehen, die unter-
Kassenüberschüsse der gesetzlichen Rentenversiche-
lassene Anpassung ganz oder zum Teil nachzuholen.
rung anstellen, wenn man sich zutreffend über die
Finanzlage der gesetzlichen Rentenversicherung Hierzu ist im einzelnen zu sagen: Durch die An-
unterrichten will. passung der Renten um rund 6,6 v. H. erwachsen den
Die zweite Frage, vor der wir stehen, ist, wie sich Trägern der gesetzlichen Rentenversicherungen
die diesjährige Rentenanpassung in den Rahmen Mehraufwendungen, wie ich bereits sagte, in Höhe
der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung einfügt. Der von über einer Milliarde DM für das Jahr 1963.
Sozialbeirat hat sich im Hinblick auf die gegenwär- Würde man ab 1. Januar 1963 die nachholende An-
tige wirtschaftliche und konjunkturelle Lage in der passung durchführen, so würden sich die Mehrauf-
Bundesrepublik nicht zu einer 'konkreten Empfeh- wendungen um etwa 1,5 Milliarden DM auf etwa
lung entschließen können. Ihrer Verpflichtung ein- 2,6 Milliarden DM erhöhen, von denen 1530 Mil-
gedenk, mit allen Kräften auf die Stabilisierung des lionen DM auf die Rentenversicherung der Arbeiter,
gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts hinzuwirken, 755 Millionen DM auf die Rentenversicherung der
hat die Bundesregierung die diesbezüglichen Er- Angestellten und 305 Millionen DM auf die knapp-
wägungen des Sozialbeirats besonders sorgfältig schaftliche Rentenversicherung entfallen würden.
gewürdigt. Sie verkennt nicht das Gewicht der kon- Der zusätzliche Mehrbedarf bei nachholender An-
junkturpolitischen Argumente, glaubt jedoch, ihren passung in Höhe von insgesamt 1,5 Milliarden DM
Vorschlag zur vollen Rentenanpassung auf folgende würde, soweit er mit 900 Millionen DM auf die
Tatsachen stützen zu können. Rentenversicherung der Arbeiter und mit 440 Mil-
lionen DM auf die Rentenversicherung der Ange-
Für die Auswirkungen der Rentenanpassung auf stellten entfällt, von den Trägern dieser Rentenver-
die Wirtschaft sind neben der voraussichtlichen Kon- sicherungen zu tragen sein, soweit er mit 180 Mil-
junktursituation im Zeitpunkt der Rentenerhöhun- lionen DM auf die knappschaftliche Rentenversiche-
gen vor allem die Höhe und die Verwendungsart rung entfällt, vom Bund zu übernehmen sein. Die
der Anpassungsbeträge von Bedeutung. Die Anpas- Kosten einer nachholenden Rentenanpassung im
sung der laufenden Renten an die allgemeine Be- Jahre 1963 sind also, mindestens in der Renten-
messungsgrundlage des Jahres 1962 mit Wirkung versicherung der Arbeiter, von derselben Größen-
vom 1. Januar 1963 an erfordert einen Jahresbetrag ordnung wie die gesamten für das Jahr 1962 vor-
von 1070 Millionen DM. Aus verwaltungstechnischen ausgeschätzten Überschüsse der Einnahmen über die
Gründen kommt die erste volle Monatsrate der An- Ausgaben, die, wie ich bereits sagte, etwa 800 Mil-
passung erst im März 1963 zur Auszahlung. Die lionen DM betragen dürften. Bei nachholender Ren-
weiteren Raten verteilen sich über das ganze Jahr tenanpassung würde also bereits 1963 die Vermö-
1963. Der Gesamtaufwand von rund 1 Milliarde DM gensbildung der Versicherungsträger sehr beein-
tritt daher nicht mit einem Schlag als Nachfrage in trächtigt, wenn nicht überhaupt gedrosselt werden.
Erschienung, verteilt sich vielmehr über einen län-
geren Zeitraum, wobei wir aus Erfahrung wissen, Noch ernster wird das Bild, wenn man wieder an
daß ein Teil davon, wie auch bisher, gespart wird. die künftige Entwicklung der Ausgaben und der
Die Belastung, die sich für die Wirtschaft ergibt, Einnahmen in den Rentenversicherungen denkt. Ich
wird also ohne nachteilige Folgen bleiben, wenn es sagte vorhin, daß in den nächsten Jahren die Aus-
unseren Anstrengungen um die Stabilisierung des gaben der Rentenversicherungen im Verhältnis zu
wirtschaftlichen Gleichgewichts gelingt, die An- den Einnahmen außerordentlich ansteigen werden.
sprüche an das Sozialprodukt in den Grenzen seiner Diese nicht sehr erfreuliche Zukunftsaussicht wird
realen Steigerung zu halten. dadurch gemildert, daß wenigstens zur Zeit noch die
Einnahmen beträchtlich über den Ausgaben liegen.
Die Rentenanpassungen sind ungeachtet ihrer
Baut man aber den derzeitigen Einnahmeüberschuß
Verflechtung mit den gesamtwirtschaftlichen Vor-
durch eine nachholende Anpassung ab, so rückt der
gängen in erster Linie ein sozialpolitisches Problem,
Zeitpunkt, an dem die Ausgaben der Rentenversiche-
und sozialpolitische Gründe sind es auch, die für
rungen der Arbeiter und der Angestellten über die
die Bundesregierung den Ausschlag gegeben haben,
Einnahmen hinauswachsen, erheblich näher.
auch diesmal wieder die volle Rentenanpassung vor-
zuschlagen. Sie befindet sich insoweit im Einklang Bei der knappschaftlichen Rentenversicherung ist
mit dem Sozialbeirat; denn auch dieser hat erklärt, zu beachten, daß die zusätzlichen Mehraufwendun-
daß im Hinblick auf die Entwicklung der sonstigen gen für eine nachholende Anpassung in Höhe von
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 48. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. November 1962 2123
Bundesarbeitsminister Blank
180 Millionen DM im Jahre 1963 vom Bund über- ner Rente. Die Post will versuchen, in diesem Jahr
nommen werden müßten. Die äußerst angespannte den Zeitraum für die Nachzahlung abzukürzen und
Haushaltslage des Bundes ist bekannt. Es ist aus- die angepaßte Rente vom 1. März 1963 an zu zah-
geschlossen, den Bund neben den Mehraufwendun- len. Die Nachzahlungen für die Monate Januar und
den in Höhe von 125 Millionen DM, die im Jahre Februar 1963 sollen dann ebenfalls mit der Rente
1963 durch die Rentenanpassung in der knappschaft- für März 1963 ausgezahlt werden.
lichen Rentenversicherung nach dem Gesetzentwurf Nun noch ein Wort zu den versicherungstech-
ohnehin auf ihn zukommen werden, noch, mit zu- nischen Bilanzen. Gleichzeitig mit dem Entwurf
sätzlichen Mehraufwendungen von 180 Millionen DM eines Fünften Rentenanpassungsgesetzes und dem
zu belasten, für die keine Deckung geschaffen wer- Sozialbericht 1962 legt die Bundesregierung die er-
den kann. sten versicherungstechnischen Bilanzen der Renten-
Zu einer teilweisen nachholenden Anpassung, versicherung der Arbeiter und der Rentenversiche-
etwa um 4 v. H., möchte ich bemerken, daß sich der rung der Angestellten nach der Rentenversiche-
finanzielle Aufwand hierfür auf über 1,8 Milliar- rungs-Neuregelung vor. Dem Bundesminister für
den DM erhöhen würde. Selbst wenn man vom Ver- Arbeit und Sozialordnung, der diese Bilanzen auf-
mögensstand der Versicherungsträger zum 31. De- zustellen hatte, war vom Gesetzgeber die Aufgabe
zember 1962 ausgeht, wie er sich aus dem Sozial- gestellt, „die Bilanzen sollten für die drei auf den
bericht 1962 ergibt, und für die Entgeltsentwicklung Stichtag folgende Jahrzehnte erkennen lassen, wie
an Stelle der Annahmen in den Bilanzen die tat- sich die Einnahmen, die Ausgaben und das Ver-
sächlichen Zahlen für 1961 und 1962 setzt, so zeigt mögen der Versicherungsträger voraussichtlich ent-
sich, daß bereits am Ende des 1. Deckungsabschnitts wickeln werden". Die versicherungstechnischen Bi-
bei einer solchen teilweisen nachholenden Anpas- lanzen der gesetzlichen Rentenversicherung unter-
sung das Rücklagesoll erheblich unterschritten scheiden sich — darauf möchte ich aufmerksam
würde. Im nächsten Deckungsabschnitt müßten dann machen — deshalb grundsätzlich von den versiche-
diese Fehlbeträge durch weitere zusätzliche Einnah- rungstechnischen Bilanzen in der Privatversiche-
men gedeckt werden. rung. Das ist auch im einzelnen in dem Gutachten
des Sozialbeirates zu den versicherungstechnischen
Der Gesetzentwurf des Fünften Rentenanpassungs- Bilanzen ausgeführt worden. Die künftige Entwick-
gesetzes, der gleichzeitig vorgelegt wird, schließt lung der Einnahmen, der Ausgaben und des Ver-
mit seinen Regelungen an die bisherigen Renten- mögens der gesetzlichen Rentenversicherung hängt
anpassungsgesetze an. Er sieht eine Erhöhung sämt- von einer Fülle volkswirtschaftlicher, bevölkerungs-
licher Renten, die auf Versicherungsfällen beruhen, kundlicher, versicherungstechnischer und gesetzes-
die im Jahre 1961 oder früher eingetreten sind, um technischer Gegebenheiten ab. Wenn man die ver-
6,6 v. H. vor, d. h. um den Vomhundertsatz, um den sicherungstechnischen Bilanzen der gesetzlichen Ren-
die allgemeine Bemessungsgrundlage für die im tenversicherung aufstellen will, muß man über die
Jahre 1962 neu zugegangenen Renten gegenüber Entwicklung jeder dieser vielen Gegebenheiten in
dem Vorjahre erhöht worden ist. Das technische den nächsten 30 Jahren irgendwelche Annahmen
Verfahren der Anpassung wird den Versicherungs- machen.
trägern nicht vorgeschrieben. Es wird nur noch das
Ergebnis bestimmt, das durch die Anpassung er- Damit ist bereits gesagt, daß die Bilanzen nur
reicht werden soll. Die Masse der anzupassenden folgendes aussagen können: Wenn sich alle Gege-
Renten kann wie in den vergangenen Jahren von benheiten, von denen die Entwicklung der Einnah-
den Rentenrechnungsstellen der Bundespost mit men und Ausgaben abhängt, in der angenommenen
Hilfe elektronischer Rechengeräte umgerechnet wer- Weise entwickeln werden, dann werden sich die
den, ohne daß die Versicherungsträger dabei tätig Einnahmen und die Ausgaben in der vorausberech-
werden müssen. neten Weise entwickeln.
Die Bilanzen können sich dagegen nicht anmaßen,
Auch von 1961 auf 1962 hat sich die Beitragsbe- zu prophezeien: Alle Gegebenheiten, von denen die
messungsgrenze in den Rentenversicherungen der
Entwicklung der Einnahmen und der Ausgaben ab-
Arbeiter und der Angestellten erhöht. Sie ist in die-
hängen, und damit die Einnahmen und Ausgaben
sem Zeitraum von 10 800 DM jährlich auf 11 400 DM
selbst werden sich in der und der Weise entwickeln.
jährlich gestiegen. Da sich die Beitragsbemessungs-
grenze und damit die Höchstgrenzen erhöht haben, Um vor Trugschlüssen zu bewahren, habe ich
ändern sich auch in diesem Jahr — wie in dem schon einmal vor diesem Hohen Hause Gelegenheit
vergangenen Jahr — die nach der Versicherungs- genommen, darauf hinzuweisen, was solche Bilan-
dauer gestaffelten individuellen Rentenhöchstbe- zen überhaupt nur aussagen können. Welche Grund-
träge. Das bedeutet, daß z. B. die Renten, die 1957 annahmen bei den Bilanzrechnungen gemacht wor-
auf 562,50 DM monatlich begrenzt waren, nunmehr den sind und für welche von ihnen mehrere Varian-
vom 1. Januar 1963 auf 712,50 DM monatlich an- ten durchgerechnet worden sind, ist in der Bilanz
steigen werden. selbst deutlich gesagt.
Die Renten werden — wenn das Gesetz noch in Das Hauptergebnis der Bilanzen habe ich bereits
diesem Jahr in der vorgeschlagenen Fassung ver- in meinen Ausführungen über den Entwurf eines
abschiedet wird — nach dem eingespielten Verfah- Fünften Rentenanpassungsgesetzes angedeutet. Der
ren umgerechnet. Jeder Rentenempfänger erhält bei künftigen Bevölkerungsentwicklung entsprechend
der Auszahlung der Rente für den Monat Februar werden die Ausgaben der Rentenversicherung, die
1963 eine schriftliche Mitteilung über die Höhe sei- zur Zeit noch kleiner als die Einnahmen sind,
2124 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 48. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. November 1962

Bundesarbeitsminister Blank
wesentlich stärker anwachsen als die Einnahmen. vorgesehen, durchgetagt werden, sondern nach der
Für die nächsten Deckungsabschnitte werden sich Rede des Herrn Abgeordneten Schellenberg soll
also ernsthafte Finanzierungsprobleme für die ge- eine Mittagspause von einstündiger Dauer gemacht
setzliche Rentenversicherung ergeben. Davor darf werden. Das ergibt die Aussicht, daß wir dann we-
man die Augen nicht verschließen. nigstens noch zu einer Zeit mit den Beratungen fer-
tig werden, die es ermöglicht, daß die Ausschüsse
(Sehr richtig! in der Mitte.)
anschließend tagen.
Für die Gegenwart dagegen vertritt die Bundes-
Ich erteile dem Abgeordneten Schellenberg das
regierung in ihrem Bericht zu den Bilanzen die An- Wort.
sicht, daß die Ergebnisse der versicherungstechni-
schen Bilanzen gesetzgeberische Maßnahmen zur
Zeit noch nicht erforderlich machen; die Bundes- Dr. Schellenberg (SPD) : Herr Präsident! Meine
regierung wird jedoch prüfen, ob solche Maßnah- Damen und Herren! Zur Beratung stehen heute drei
men bis zum Ablauf des ersten zehnjährigen Dek- Vorlagen, das Fünfte Rentenanpassungsgesetz,. der
kungsabschnitts noch erforderlich werden. Die Sozialbericht 1962 und die langerwartete versiche-
rungstechnische Bilanz.
Bundesregierung hat sich dabei auch von der Er-
wägung leiten lassen, daß die Ergebnisse der ver- Das Fünfte Rentenanpassungsgesetz entspricht im
sicherungstechnischen Bilanzen zuverlässiger und wesentlichen den früheren Prinzipien, und wir
wertvoller werden, wenn erst einmal mehrere im haben deshalb zu diesem Gesetzentwurf im wesent-
Abstand von zwei Jahren aufeinanderfolgende lichen die gleichen Bemerkungen zu machen wie zu
Bilanzen vorliegen werden. Denn von Bilanz zu den früheren. Unsere Kritik bezieht sich nämlich
Bilanz werden die statistischen Unterlagen breiter erstens auf die Anrechnung der Anpassungsbeträge
und tragfähiger werden. auf sonstige Sozialleistungen, zweitens darauf, daß
die Bezieher der Sonderzuschußrenten, d. h. der
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich kleinsten Renten nicht einmal in den vollen Genuß
bitte Sie herzlich, bei Ihren Beratungen im Aus- der Anpassung kommen, und drittens bedauern wir,
schuß — ich bin mir darüber klar, daß man ein so daß die Benachteiligung der sogenannten Altrent-
umfangreiches Werk wie die versicherungstechni- ner auch noch nicht einmal schrittweise beseitigt
schen Bilanzen nicht in allen Details im Plenum werden soll. Wir werden auf diese wichtigen Fra-
auseinanderlegen kann — diesen Bilanzen Ihre gen bei den Ausschußberatungen näher eingehen
höchste Aufmerksamkeit zu widmen. Die Sorge um und behalten uns für die zweite und dritte Lesung
den Bestand der Ansprüche, die 8 Millionen Rentner gegebenenfalls Anträge vor.
gegenwärtig an diesen Sozialversicherungszweig
Als Begründung dafür, daß diese Härten im Fünf-
haben, bewegt mich zu dieser Bitte; denn was wir
ten Rentenanpassungsgesetz beibehalten werden
heute vielleicht falsch machten, würden wir später
sollen — von den Härten und Ungerechtigkeiten
nur sehr schwer wieder regulieren können. Ich
der Rentenversicherungsgesetze im ganzen will ich
möchte, daß die Rentner auch in der Zukunft den
heute nicht sprechen —, beruft sich die Bundesregie-
Glauben haben dürfen, daß sich ihre Renten im
rung auf die Finanzlage der Rentenversicherung. Über
gleichen Ausmaß weiterentwickeln, wie sie sich bis- diese Finanzlage der Rentenversicherung sollen die
her, wenn auch mit zeitlicher Verzögerung, mitent- beiden anderen Vorlagen, die wir zu beraten haben,
wickelt haben entsprechend der Entwicklung der der Sozialbericht 1962 und die versicherungstech-
Löhne. nische Bilanz, Auskunft geben.
(Beifall bei den Regierungsparteien.)
Die versicherungstechnische Bilanz, die nach dem
Zum Schluß möchte ich nicht verfehlen, dem So- Gesetz — der Bundesarbeitsminister hat darauf hin-
zialbeirat für seine beiden, nach eingehender und gewiesen — Vorausberechnungen oder -schätzungen
sorgfältiger Beratung erstatteten Gutachten zur bis 1986 über Einnahmen-, Ausgaben- und Vermö-
Rentenanpassung und zu den versicherungstechni- gensentwicklung enthalten soll, ist auf den Stichtag
schen Bilanzen zu danken. Ich möchte nicht verfeh- — auch das entspricht dem Gesetz — 1. Januar 1959
len, auch einmal all den vielen Tausenden zu dan- bezogen. Seit dieser Zeit haben wir, meine Damen
ken, die im Bereich der Selbstverwaltung als und Herren von den Regierungsparteien — Sie wer-
Arbeiter, Beamte und Angestellte bei den verschie- den es nicht bestreiten —, Verständnis für die
densten Rentenversicherungsträgern tätig waren; Schwierigkeiten bei der Erstellung dieser Bilanzen
denn auch ihrer unermüdlichen Arbeit ist es zu bewiesen. Wir haben die Regierung nicht unter
danken, daß die Versorgung dieser 8 Millionen Zeitdruck gestellt, sondern wir haben im Gegenteil
Rentner doch im großen und ganzen reibungslos jeder Terminverlängerung zugestimmt.
vonstatten ging. Nun liegt die versicherungstechnische Bilanz vor.
(Beifall bei den Regierungsparteien.) Nach Durcharbeitung müssen wir leider, feststellen,
daß sie in keiner Weise den Anforderungen ent-
Vizepräsident Schoettle: Damit ist die Begrün- spricht, die für eine auch langfristige Beurteilung
dung der Vorlagen zu Punkt 2 der Tagesordnung der Finanzentwicklung bei der Rentenversicherung
erfolgt. Wir treten in die Aussprache ein. unerläßlich sind.
Bevor ich jedoch das Wort erteile, möchte ich dem Einen solchen Vorwurf muß ich und will ich be-
Hohen Hause Kenntnis geben von einer interfrak- gründen. Erstens. Meine Damen und Herren, Sie
tionellen Vereinbarung, die der Geschäftslage des wissen, daß seit der Vorlage der Rentenversiche-
Hauses entspricht. Es soll nicht, wie ursprünglich rungs-Neuregelungsgesetze nicht nur hier im Hause,
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 48. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. November 1962 2125
Dr. Schellenberg
sondern auch in der Öffentlichkeit harte Ausein- legt, nämlich einmal der Sozialbericht 1962 und zum
andersetzungen über die Finanzgrundlagen der so- anderen die versicherungstechnische Bilanz. Beide
genannten dynamischen Renten geführt werden. Es Vorlagen weichen in ihren Rechnungsgrundlagen,
ist auch unbestritten, daß die Bundesregierung die soweit sie sich auf die gleichen Zeiträume beziehen,
Finanzentwicklung — sie sagt, für kurzfristige Zeit- erheblich voreinander ab. Auch dafür möchte ich
räume — stets negativer beurteilt hat als wir So- Ihnen einige Beispiele geben.
zialdemokraten. Ich will für diese viel zu negativen
a) Die Rentenversicherung kennt nicht die Zahl
Vorausberechnungen einige Beispiele geben. Dann
ihrer Versicherten. Das ist ein Mangel. — Des-
komme ich auch noch auf die Mängel in der lang-

halb werden in der versicherungstechnischen Bilanz


fristigen Beurteilung zu sprechen.
Berechnungen über die Zahl der Versicherten ange-
a) In dem ersten Entwurf der Rentenneuregelungs- stellt. Dieser Bilanz können wir das erstaunliche Er-
gesetze rechnete die Bundesregierung auf der Ein- gebnis entnehmen, daß die Zahl der Pflichtversicher-
nahmenseite mit einer jährlichen Steigerung von ten der Rentenversicherung von 1960 auf 1961 um
2 %, die sich aus einer Zunahme der Beschäftigten- 48 000 gesunken sein soll. Das wurde uns im Sep-
zahlen plus Lohn- und Gehaltsentwicklung zusam- tember 1962 berichtet. Dagegen nennt der Sozial-
mensetzt. Das Bundesarbeitsministerium rechnete bericht vom gleichen Tage für den gleichen Zeit-
mit einer Einkommensentwicklung von 2 % . Das raum — Entwicklung von 1960 auf 1961 — zwar
Bundesfinanzministerium und das Bundeswirtschafts- nicht die Zahl der Pflichtversicherten, sondern die
ministerium legten aber, als im Jahre 1956 die Ge- der Erwerbsbevölkerung und gibt deren Erhöhung
setzesvorlage erstellt wurde, ihren Prognosen Steige-
mit 310 000 an.
rungsraten von 6 % bis -8 % zugrunde. So wurde
schon zu Beginn der Auseinandersetzung über die Nun, meine Damen und Herren, sind nicht alle
Rentenreform sozialpolitisch einerseits und wirt- Erwerbstätigen pflichtversichert, das wissen wir.-
schafts- und finanzpolitisch andererseits mit zwei Aber ein erheblicher Teil dieser Erwerbstätigen
verschiedenen Maßstäben operiert. sind auch Pflichtversicherte. Die Zahlen beider Re-
b) Im ersten Sozialbericht, der eine Vorausschau gierungsvorlagen — ich muß nochmals betonen, daß
bis zum Jahre 1966 enthielt, wurde für dieses Jahr sie 'dem Hause am gleichen Tage zugeleitet wurden
1962 von der Bundesregierung ein Defizit von — widersprechen sich also in Angaben über gleiche
220 Millionen DM vorausgeschätzt. Nach dem Sozial- zurückliegende Zeiträume.
bericht, den wir jetzt für 1962 vorliegen haben, wird (Zuruf von der CDU/CSU: Das muß doch
nicht nur kein Defizit aufgeführt, sondern ein Über- kein Widerspruch sein!)
schuß von rund 1,6 Milliarden DM erwartet. Der — Für mich ist das ein Widerspruch. Wenn ich in
Deutschland-Union-Dienst hat für 1962 ganz andere zwei Regierungsvorlagen vom gleichen Datum über
Zunahmen prophezeit, aber darauf will ich gar nicht die Zahl der Beschäftigten für das gleiche Jahr, näm-
eingehen. Ich beziehe mich lediglich auf das offiziell lich 1961, das man annähernd überschauen kann,
vorliegende Material. finde, daß die eine Vorlage sagt, die Zahl der
c) Bei diesem ersten, und zwar eingehendsten Pflichtversicherten sei 1961 zurückgegangen, und die
Sozialbericht, den wir bisher erhalten haben, wurde andere, die Zahl sei gestiegen — was man auch aus
von der Bundesregierung erklärt, daß, abgesehen dem Statistischen Jahrbuch hätten entnehmen kön-
von der vorgeschlagenen Anpassung für die Renten- nen -, dann ist das für uns ein Widerspruch, und
versicherung der Arbeiter, noch höchstens drei und zwar bin beachtlicher Widerspruch,
für die Angestelltenversicherung aber nur höchstens
eine weitere Anpassung möglich seien. Bei jedem (Abg. Schütz meldet sich zu einer Zwischen
weiteren Sozialbericht mußte dann die Bundesregie- frage.)
rung ihre Vorausberechnungen korrigieren. Sie — Herr Kollege Schütz, gestatten Sie, daß ich dies-
korrigierte bei jedem weiteren Bericht die Voraus- mal ausnahmsweise keine Zwischenfragen beant-
berechnung dahin, daß jeweils noch eine Anpas- worte. Ich will Ihnen dafür eine Erklärung geben:
sung für ein weiteres Jahr möglich sei, und zwar Ich möchte eine Gesamtkonzeption auch hinsichtlich
vom ersten bis jetzt zum 5. Rentenanpassungsgesetz der langfristigen Vorausschätzungen darlegen. Herr
und Sozialbericht. Meine Damen und Herren, ich muß Kollege Schütz, ich erkläre mich aber bereit, daß ich
sagen, das ist ein Spiel, das sich alljährlich wieder- mich sofort zu Wort melden werde, wenn Sie eine
holt hat. Ich muß diesen Ausdruck deshalb gebrau- Wortmeldung abgegeben haben werden, um Ihnen
chen, weil man hätte erwarten sollen, daß die Regie- dann zu antworten. Deshalb möchte ich darum bit-
rung, nachdem sie sich einmal, zweimal, dreimal in ten, daß ich jetzt erst meine Auffassung vortragen
den Vorausschätzungen geirrt hat, daraus bei den darf.
weiteren Berichten doch die erforderlichen Konse- b) Ein weiteres Beispiel. Für die Einnahmen der
quenzen zieht. Sie hat sich aber selbst in die Lage Rentenversicherung haben, wie wir alle wissen, die
gebracht, im nächsten Jahr immer wieder erklären durchschnittlichen Arbeitsverdienste eine erhebliche
zu müssen: Wir haben uns doch in der Vorausberech- Bedeutung. In der versicherungstechnischen Bilanz
nung verkalkuliert. Meine Damen und Herren, das wird für 1961 als durchschnittlicher Arbeitsverdienst
ist eine schlechte Praxis, denn die Vorausberechnun- der Versicherten ein Betrag von 6534 DM jährlich
gen sollen der Wirklichkeit doch möglichst nahe- angegeben. Die Bundesregierung hat jetzt eine
kommen. Sechste Verordnung über eine Änderung der Be-
Unter dem Datum 29. September dieses Jahres zugsgrößen in der Rentenversicherung beschlossen,
wurden uns die berühmten zwei Vorlagen vorge- die für die weitere Beitrags- und Leistungsgestal-
2126 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 48. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. November 1962
Dr. Schellenberg
tung der Rentenversicherung maßgebend ist. Darin schnittseinkommen der Versicherten, und auch An-
wird der durchschnittliche Arbeitsverdienst der Ver- gaben über Vermögenszuwachs 1962. Wir müssen
sicherten mit einem Betrag festgelegt, der um feststellen, daß diese Bilanz nicht von den neuesten
189 DM jährlich höher ist. Feststellungen der Bundesregierung ausgeht, son-
Nun sagen Sie nicht, das sei noch ein kleiner Be- dern von Unterlagen, die im Zeitpunkt der Vorlage
trag. In der finanziellen Auswirkung bedeutet die der Bilanz durch eigene Berichte der Bundesregie-
rung überholt sind.
Differenz zwischen der Rechnung, auf die sich die
versicherungstechnische Bilanz stützt, und jener Der Sinn der versicherungstechnischen Bilanz,
Rechtsverordnung der Bundesregierung eine Ein- die in der Öffentlichkeit ein weites Echo gefun-
nahmenminderung für 1961 um rund 450 Millionen den hat, worauf ich noch eingehen werde, kann
DM. Berücksichtigt man dann weiter, daß die Zahl doch wohl nicht sein, gewissermaßen frühere Fehl-
der Pflichtversicherten in , der Bilanz für 1961 offen- einschätzungen der Bundesregierung zu illustrieren,
sichtlich zu niedrig angenommen worden ist, dann damit wir uns nun ausrechnen können, wie sehr sich
ist zu erkennen, daß man bei der ersten Phase der die Bundesregierung in ihren Vorausschätzungen
langfristigen Berechnung, nämlich für 1961, in der geirrt hat. Der Sinn dieser Bilanz ist doch, mög-
versicherungstechnischen Bilanz mit einer um rund lichst exakte Unterlagen für die weitere Entwick-
700 Millionen DM geringeren Beitragseinnahme lung der Finanzlage zu bieten.
rechnet, als sie sich aus den anderen Unterlagen der
Bundesregierung ergibt. Wer nun meint — das könnte ein weiterer Ein-
wand sein —, leider hätten die neuesten Erkennt-
c) Noch ein Beispiel! Der Sozialbericht enthält eine nisse wegen der vielfältigen Rechenarbeiten, die
Vorausschätzung der Rechnungsergebnisse für 1962. mit dieser Bilanz zu erledigen sind, nicht berück-
-
Der Herr Bundesarbeitsminister hat gesagt: je rund sichtigt werden können, der kennt nicht moderne
800 Millionen DM für beide Versicherungen gleich Rechengeräte.
1,6 Milliarden DM insgesamt an Überschuß. Aus der (Sehr gut! bei der SPD.)
versicherungstechnischen Bilanz ergibt sich dagegen
für das Jahr 1962 ein voraussichtlicher Überschuß Ich habe das große Vergnügen gehabt, in bestimm-
von insgesamt 800 Millionen DM. Das heißt, für ten Jahren an solchen Maschinen arbeiten zu kön-
1962, also einen annähernd überschaubaren Zeit- nen. Die Rechnerei ist bei einer versicherungstech-
raum, ergibt sich zwischen den neuesten Erkennt- nischen Bilanz der geringste Teil der Sache. Die
nissen des Sozialberichts und den Grundlagen der grundsätzliche Konzeption, die Programmierung, die
versicherungstechnischen Bilanz eine Differenz in Thesen oder Hypothesen, die man ihr zugrunde
der Vermögensentwicklung von etwa 100 %. legt, sind das Entscheidende, nicht die Rechnereien.
Das ist eine verhältnismäßig sehr wenig Zeit bean-
(Zuruf von der Mitte.) spruchende Angelegenheit, ich möchte sagen, bei
Wir Sozialdemokraten sind im Gegensatz zu Ihnen, entsprechenden Maschinen eine Angelegenheit von
Herr Kollege Zwischenrufer, der Meinung — und wenigen Tagen.
damit komme ich zu meinen dritten Punkt —, daß Deshalb erheben wir den Vorwurf: es wurden den
zwei Vorlagen, die uns die Bundesregierung am versicherungstechnischen Bilanzen nicht nur über-
gleichen Tage zur gleichen Materie für die gleichen holte Zahlen zugrunde gelegt, sondern es wurde
Zeiträume unterbreitet, übereinstimmen müssen. offensichtlich mit Methoden gerechnet, die altertüm-
Erhebliche Differenzen, die ich Ihnen darlegte, sind lich sind. Gestatten Sie, daß ich eine persönliche Er-
unseres Erachtens nicht zu verantworten. fahrung einschalte. Als ich Lehrling in der Sozial-
Nun kommen Sie wahrscheinlich mit dem Hin- versicherung war, mußten wir, wie wir sagten, „mit
weis, die versicherungstechnische Bilanz sei per der Kaffeemaschine orgeln", nämlich an der alten
Stichtag 1. 1. 1961 aufgestellt. „Brunsviga" drehen, um Rechenergebnisse zu er-
reichen. Ich erkläre hier nach genauer Durchsicht.
(Zuruf von der CDU/CSU: 1959!) der Bilanz: diejenigen, die sie errechnet haben, ken-
— Entschuldigen Sie, 1959! Es war ein Sprechfehler, nen nicht die modernen technischen Geräte, kennen
der aber begründet war, weil nämlich beispiels- nicht, um ein Beispiel zu nehmen, die „IBM 1401".
weise bezüglich des Vermögensstandes nicht das Damit haben diese Persönlichkeiten noch nicht ge-
Ergebnis 1. 1. 1959, sondern 1. 1. 1961 zugrunde arbeitet. Das merkt jeder Sachkenner. Sonst hätte
gelegt wird. Da hat sich die Regierung also schon man einfach die letzten Daten, die man in dem an-
korrigiert, sonst wären die Abweichungen zwischen deren Sozialbericht genannt hat, durch die Maschine
Vorausberechnung und tatsächlicher Entwicklung geschickt und die Bilanz auf den neuesten Stand ge-
noch verheerender geworden. „Stichtag 1. 1. 1959" bracht.
ist daher auch nicht ganz richtig, sondern man hat Deshalb müssen wir den Vorwurf erheben, daß
praktisch d as Material nach dem einen Stand, den man bei Anwendung moderner Hilfsmittel — wo-
manfürdievschugtneBilazoch zu wir der Bundesregierung jede Hilfe zu bieten
meinte verwerten zu können, herangezogen und bereit wären — ein Zahlenmaterial auch der ver-
dann rückwirkend auf den Stichtag 1. Januar sicherungstechnischen Bilanz erhalten hätte, das
1959 abgestellt. Aber der Hinweis auf den Stichtag dem gegenwärtigen Erkenntnisstand mehr entspro-
der versicherungstechnischen Bilanz — 1. Januar chen hätte als die gegenwärtige Vorlage. Die Folgen
1959 — geht deshalb an der Sache vorbei, weil wir dieser Mängel sind, daß die Fehler der ersten Jahre
in dieser Bilanz Angaben für 1961 finden, beispiels- — 1961/62 — sich bei der Weiterführung der Rech-
weise über die Zahl der Versicherten, über Durch nung bis 1986 zwangsläufig vervielfachen müssen.
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 48. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. November 1962 2127
Dr. Schellenberg
Denn wenn man schon von falschen Hypothesen aus- ausschätzungen des Bundesarbeitsministeriums
geht, dann müssen die Ergebnisse so langer Vor- kannten. Ein Arbeitgebervertreter des Beirats hat
ausberechnungen fehlerhaft sein. Deshalb muß ich gewissermaßen als Antwort auf die Meinungsäuße-
leider erklären: das Ganze ist ein hochinteressantes rung des Herrn Bundesarbeitsministers, man könnte
Werk für diejenigen, die deutsche Sozialgeschichte das doch vielleicht — die fehlende Anpassung —
studieren wollen; aber es ist unbrauchbar für die einmal nachholen, auf die ungünstigen Perspektiven
Entscheidungen, die wir zu treffen haben. jener Teilergebnisse vor der Presse hingewiesen.
(Beifall bei der SPD.) Der Herr Bundesarbeitsminister hat sich mit Recht
gegen die vorzeitige Bekanntgabe solcher Teil-
Dennoch wollen wir die Bilanz im Ausschuß gern ergebnisse gewandt. Aber er konnte nicht die Rich-
beraten, Sachverständige hinzuziehen, damit Lehren tigkeit jener ungünstigen Tendenz bestreiten. Damit
gezogen werden können und jeder daraus lernen
war schon vor einem Jahr der Kampf um den Inhalt
kann.
der versicherungstechnischen Bilanzen, die wir
(Lachen in der Mitte.)
heute beraten, eröffnet.
— Selbstverständlich auch wir! Nach Fertigstellung dieser Bilanzen hat dann eine
Aber im Grundsatz müssen wir feststellen: es ist sehr angesehene deutsche Tageszeitung, die nicht
in dieser Sache ein großer Aufwand nutzlos vertan der SPD nahesteht, ausführlicher über den Inhalt
worden, denn die Bilanzen sind für sinnvolle Über- berichten können.
legungen nicht verwertbar. (Zuruf von der CDU/CSU.)
Viertens machen wir der Bundesregierung den
— Herr Ruf, jetzt wende ich mich an Ihre Koalitions-
Vorwurf, daß sie in dieser versicherungstechnischen partner. Eine der FDP nahestehende Korrespondenz -
Bilanz Zahlen herausgegeben hat, von denen man teilte wenige Tage später unter der Überschrift „Er-
bei Zugrundelegung neuester Erkenntnisse wissen schreckende Bilanz" weitere Einzelheiten mit und
mußte, daß sie Fehler enthalten. Gewissermaßen als schrieb unter anderem: „Sollen die Bundeszuschüsse
Trost wird in dem Geleitwort zu den versicherungs- auf der derzeitigen Höhe gehalten werden, müssen
technischen Bilanzen erklärt — der Herr Bundes- im ersten Deckungsabschnitt bis 1966 die Renten um
arbeitsminister hat das bestätigt —, daß der Aus- 5 % und ab 1966 um 25 % gekürzt werden." Schnell
sagewert der versicherungstechnischen Bilanzen folgte dann eine Pressemitteilung des Deutschen
wachse, wenn erst einmal eine Reihe solcher Bilan-
Industrieinstituts, in der u. a. unter Bezugnahme
zen vorliegen werde. auf die Bilanz erklärt wurde, die Beiträge zur Ren-
(Abg. Ruf: Das ist doch klar!) tenversicherung müßten ab 1. Januar 1962 zwi-
1 Aber was heißt das praktisch für die Öffentlichkeit? schen 5 und 11 % erhöht werden.
Erst nach der dritten oder vierten Bilanz, d. h. nach Meine Damen und Herren, mit diesen Mittei-
vier bis sechs Jahren, wird die Entwicklung genauer lungen, konkret gehalten, war das Stichwort für
zu übersehen sein. Aber entscheidend — auch poli- all diejenigen gegeben, die seit 1956/57 gegen die
tisch entscheidend — ist folgendes: Rentenanpassung in der Öffentlichkeit gekämpft
haben. Ich will nur wenige Beispiele anführen, wie
(Abg. Ruf: Entscheidend ist die langfristige
auf Grund dieser Mitteilung über die Bilanzen ge-
Betrachtung und nicht die kurzfristige!)
gen das System unserer Rentenversicherung pole-
— Dazu komme ich, Herr Kollege Ruf. Entscheidend misiert wurde. Im Deutschen Volkswirt vom 20. Juli
ist, daß dann für Jahre die Menschen, um die es fiel im Zusammenhang mit der Rentendynamisie-
geht, die Rentner von heute und die von morgen, rung das Wort „aufgelegter Schwindel". Der
in den Irrtümern über Vorausberechnungen gehal- „Kurier" (Berlin) — Herr Kollege Stingl, eine Ihnen
ten werden. sehr nahestehende Zeitung; sie nennt Sie den Ren-
tensepp — brachte am 7. September eine einge-
Wie sind die Irrtümer entstanden? Den Anstoß
hende Darstellung des Inhalts der Bilanzen unter
gab, und gewiß unbeabsichtigt, der Herr Bundes-
der Überschrift: „Ernste Warnung vor Erhöhung
arbeitsminister in jener bekannten Rundfunkerklä-
der Renten". Am gleichen Tage schrieb die „Deut-
rung vom September 1961, in der er im Zusammen-
sche Zeitung" unter Bezugnahme auf die dynami-
hang mit der vierten Rentenanpassung sagte: „Wir
schen Renten von einer „automatisch inflatio-
hinken bei den Altrenten in der Anpassung um ein
nistischen Methode". Schließlich erklärte am 27. Sep-
Jahr nach". Er fuhr dann fort: „Die Frage, ob man
tember, auch unter Hinweis auf die Bilanzen, der
nicht den Weg gehen könnte, nicht bei dieser An-
„Industriekurier": „Spätestens in diesem Jahr ist
passung, sondern vielleicht bei der nächsten" — also
auch naiven Gemütern ersichtlich geworden, wel-
derjenigen, die wir jetzt zu behandeln haben —
ches Kuckucksei der Bundestag in die soziale Land-
„und bei der übernächsten das jeweils um die
schaft gelegt hat."
Hälfte nachzuholen, so daß man vielleicht bei der
sechsten Rentenanpassung jenes fehlende Jahr auf- (Abg. Schütz: Ja, ja, die öffentliche Mei
geholt hätte". „Hätte" hat er gesagt. Das war eine nung ist böse!)
Meinungsäußerung. Meine Damen und Herren, diese Zitate veran-
Aber diese Meinungsäußerung hat natürlich nicht schaulichen doch, daß sich diejenigen, die schon
nur bei den Rentnern gewisse Hoffnungen erweckt, früher die Rentenanpassung kritisiert haben, in
sondern auch Widerspruch bei denen hervorgerufen, ihrer Kritik bestätigt fühlen und dem drastisch
die erste Teilergebnisse der pessimistischen Vor- Ausdruck gegeben haben.
2128 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 48. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. November 1962

Dr. Schellenberg
Aber nicht nur diese Kreise, sondern die gesamte noch einen besonderen Bericht zu den versiche-
deutsche Öffentlichkeit war außerordentlich besorgt rungstechnischen Bilanzen zu erstatten. Dieser ist
über das Ergebnis der versicherungstechnischen sehr kurz gehalten. Er findet sich auf der letzten
Bilanzen. Die gesamte deutsche Presse - das war Seite der Drucksache. Das, was in dem kurzen Be-
ihre Pflicht — hat in Auszügen darüber berichtet. richt der Bundesregierung steht, ist sehr interessant.
Das hat nicht nur die Rentner, sondern auch man- Die Bundesregierung verweist nämlich ausdrücklich
chen Beitragpflichtigen und freiwillig Versicherten, auf die Abschnitte 2 a und 2 b des Geleitworts zu
der vor der Entscheidung steht, ob er sich weiter den Bilanzen. Ich muß Ihnen daraus deshalb vor-
versichern soll, in Unruhe versetzt und erschreckt. lesen, meine Damen und Herren, weil nicht alle von
Ihnen die Zeit gehabt haben werden, ein so kom-
(Zuruf des Abg. Schütz.)
pliziertes Werk im einzelnen durchzuarbeiten.
— Herr Kollege Schütz, falls Sie das bezweifeln
wollen, kann ich Ihnen praktische Beispiele dafür (Zuruf von der CDU/CSU: Sie unterschät
nennen, welche Sorgen sich die Menschen auf Grund zen uns!)
der Berichterstattung über die Bilanzen gemacht — Nein, das konnte nicht Aufgabe jedes einzelnen
haben. Ich habe einen ganzen Stoß von Pressemit- Kollegen sein. Aber weil die Bundesregierung aus-
teilungen darüber hier. drücklich auf die Abschnitte 2 a und 2 b Bezug
Die Presse hat über den beunruhigenden Inhalt nimmt, muß ich das aus dem Bericht zitieren:
der Bilanzen berichtet, aber die Bundesregierung Wollte man
bzw. das Bundesarbeitsministerium sah keine Ver- — so heißt es —
anlassung, durch die ihnen zur Verfügung stehen-
den Publikationsmöglichkeiten dem irgendwie ent- weder den Beitragssatz noch den allgemeinen-
gegenzuwirken. Sie ließen diese Seite der Ange- Bundeszuschuß erhöhen, im übrigen aber die
legenheit leider schleifen. Die Bundesregierung hat Art des Leistungssystems grundsätzlich auf-
untätig zugesehen, als sich auf Grund ihrer, ich rechterhalten, so wäre man — wie aus den
muß sagen, unausgegorenen Vorausberechnungen Bilanzergebnissen leicht zu errechnen ist — ge-
die Menschen Sorgen um ihre wirtschaftliche Siche- zwungen, im I. Deckungsabschnitt
rung im Alter machten. — d. h. in der Zeit vom 1. Januar 1962 bis 31. De-
zember 1966 —
Ich will hier kein Urteil darüber abgeben, ob
die Zurückhaltung des Bundesarbeitsministers in alle Renten um 5 v. H. zu kürzen, im II. und im
erster Linie im Wandel der Pressepolitik seines III. Deckungsabschnitt
Ministeriums oder darin begründet ist, daß der Mi- - also ab 1. Januar 1967 —
nister zuerst vor dem Parlament ein Wort zu den
Dingen sagen wollte. alle Renten um rund 25 v. H. zu kürzen.
(Zuruf von der CDU/CSU: Genau!) Das ist genau das gleiche, was schon am 1. Juni
jene der FDP nahestehende Korrespondenz berichtet
— Ich weiß es nicht; es bleibt jedem überlassen, hatte.
sich ein Urteil darüber zu bilden,
Abschließend hat die Bundesregierung, wie der
(Abg. Schütz: So war's!) Bundesarbeitsminister erwähnt hat, darauf hinge-
Aber ein Minister hat sich zu Wort gemeldet, näm- wiesen, daß sie es noch nicht für erforderlich hält,
lich der Bundesvertriebenenminister, und zwar schon bestimmte Maßnahmen vorzuschlagen, jedoch prü-
sehr frühzeitig, am 1. Juni, ausgerechnet in Berlin, fen wird, ob solche Maßnahmen bis zum Abschluß
lange vor Übersendung der versicherungstechni- des I. Deckungsabschnitts, also bis Ende 1966, noch
schen Bilanzen. Er sagte: „Wenn die gegenwärtige erforderlich werden.
Rentenversicherung noch vier bis fünf Jahre bei- Auf diese versicherungstechnischen Bilanzen weist
behalten wird, dann muß der Beitrag um 5 % erhöht u. a. auch der Finanzbericht der Bundesregierung
oder die Rente um 20 % gekürzt werden." Das war, 1963 hin, auch der Bericht der Bundesbank aus den
in Berlin gesprochen, eine sehr bedenkliche Berner- letzten Tagen. Beide Berichte nehmen die Bilanzen
kung des Bundesvertriebenenministers. zur Grundlage ihrer Überlegungen.
(Hört! Hört! bei der SPD. —Zuruf von der (Abg. Ruf: Eine gute Grundlage!)
CDU/CSU: Aber doch nicht für die Bundes
regierung!) — Ja, Herr Ruf, darüber sind wir leider sehr unter-
schiedlicher Meinung, und ich hoffe, Sie noch durch
— Ich weiß nicht, welche Motive der Herr Vertrie- weitere Ausführungen überzeugen zu können. —
benenminister gehabt hat. Vielleicht wollte er nur Im Finanzbericht der Bundesregierung wird näm-
der Kritik seiner Freunde an der Rentenreform Aus- lich praktisch erklärt, daß ab 1. Januar 1967 der
druck geben, oder vielleicht wollte er seine Forde- Beitragssatz um 30 bis 44 % oder an seiner Stelle
rungen als Vertriebenenminister zum Sozialpaket der Bundeszuschuß um 96 bis 120 % erhöht werden
durch eine Kritik an der Rentenversicherung unter- müsse. Diese Ankündigung erfolgt in der Annahme,
streichen. Das weiß ich nicht; ich habe hier nur die daß die versicherungstechnischen Bilanzen ausrei-
Äußerung des Minister festzustellen. chend fundiert sind. Aber gerade das bestreiten wir
Fünftens. Nach dem Gesetz hat die Bundesregie- natürlich sehr nachdrücklich.
rung uns nicht nur die versicherungstechnischen Jetzt komme ich zum Punkt 6, nämlich zu der
Bilanzen zuzuleiten, sondern sie hat darüber hinaus Frage, wie es nicht nur kurzfristig, von 1957 bis
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 48. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. November 1962 2129
Dr. Schellenberg
1962, sondern langfristig um die Bevölkerungsstruk- b) Unser Bevölkerungsaufbau ist bestimmt durch
tur, die Veränderung des Rentnerstandes usw. be- die Umschichtung dessen, was ich „Familienstruk-
stellt ist. Die Beanstandungen der Sozialdemokra- tur" nennen möchte; Sie können auch sagen: „Ge-
tischen Partei richten sich nicht nur gegen die er- burtenhäufigkeit je Ehe". Da ergeben sich sehr weit-
wähnten Rechenfehler. Wir haben bei unserer Kri- gehende Wandlungen. Immerhin muß ich, wenn von
tik auch zu bemerken, daß , die „demografischen Da- der Geburtenhäufigkeit zu sprechen ist, doch er-
ten" der Bilanzen, die Angaben über Bevölkerungs- wähnen, daß der Sozialbericht mitteilt: „Der Gebur-
aufbau, Struktur des Rentnerstandes, Verhältnis der tenüberschuß des Jahres 1961 von 7,4 auf Tausend
Arbeitenden zu den Rentnern problematisch sind, übertraf nicht nur den des Vorjahres, sondern stellt
ich will mich sehr vorsichtig ausdrücken. auch gegenüber den Geburtenüberschüssen aller an-
deren Jahre seit 1950 einen neuen Höchstwert dar."
Wir erkennen gern an, daß sich die Verfasser der
versicherungstechnischen Bilanzen mit diesen Din- (Abg. Ruf: Aber doch kein Vergleich zur
gen Mühe gemacht haben. Aber eines ist doch er- Geburtenhäufigkeit früherer Jahrzehnte!)
staunlich; das wird jeder, der die Bilanzen auch nur Meine Damen und Herren, das sagt der Sozialbericht
durchblättert, erkennen. Man stellt verschiedene der Bundesregierung. Bei weiteren versicherungs-
Berechnungen, Variationsrechnungen über dieses technischen Bilanzen müssen doch auch diese Fakten
und jenes an. Die Ergebnisse der Variationen be- positiver Art berücksichtigt werden.
züglich des Zinssatzes sind zwar von gewisser Be-
deutung, aber finanzwirtschaftlich nicht von so ent- (Zustimmung bei der SPD.)
scheidender Bedeutung wie die Auswirkungen der Wenn Sie, Herr Kollege Ruf, sagen, — —
Bevölkerungsstruktur; darüber sind wir uns doch
(Abg. Ruf: Vor dem ersten Weltkrieg war
wohl einig. die Geburtenzahl viel größer!)
Deshalb ist es ein ernsthafter Mangel, daß die Wenn sich eine positive Entwicklung hinsichtlich der
versicherungstechnischen Bilanzen bezüglich dieser Geburtenhäufigkeit ergibt, soll man bei einer lang-
wichtigen Daten — Bevölkerungsstruktur, Verhält- fristigen Voraussage nicht nur alles Negative zu-
nis der Arbeitenden zu den Rentnern — keine Alter- sammenzählen, sondern muß versuchen, die Dinge
nativrechnungen durchführen. Für alle anderen Dinge zu bewerten. Deshalb habe ich gesagt, es wäre besser
werden die verschiedensten Hypothesen durchge- gewesen, man hätte auch bezüglich des Bevölke-
rechnet, aber für diese wichtigste Grundlage einer rungsaufbaues und dergleichen verschiedene Berech-
langfristigen Vorausschau gibt es praktisch in den nungen angestellt
Bilanzen nur ein Hypothese. Das ist zu dürftig für (Beifall bei der SPD)
die Dinge, um die es geht.
und nicht nur grau in grau gemalt.
Meine Damen und Herren, wir wissen wie Sie —
darüber gibt es unter uns keine Meinungsverschie- c) Nun wird gesagt — wir wissen es alle —: die
denheit —, daß die Probleme der Bevölkerungs- Lebenserwartung hat sich verlängert, und das werde
struktur, des Verhältnisses Arbeiter und Rentner sehr wesentliche Auswirkungen auf die Finanzen
sehr vielschichtig sind. Wir werden uns sicher im der Rentenversicherung haben. Auch dazu kann ich
Ausschuß zu gegebener Zeit darüber nicht nur unter mich wieder auf Material der Bundesregierung be-
uns aussprechen, sondern. auch Sachverständige bit- ziehen; das tue ich am liebsten, weil das für Sie be-
ten, uns ihre Auffassung darzulegen zu gegebener sondere Überzeugungskraft hat. Im Sozialbericht
Zeit; ob das jetzt geschehen muß oder bei der näch- heißt es u. a., daß sich die Sterblichkeit nach den
sten Bilanz, wird der Ausschuß entscheiden. Altersgruppen weiter differenzieren wird. Die ver-
längerte Lebenserwartung ist im Entscheidenden be-
Ich muß aber dennoch auf vier Fragen, die mit gründet im Rückgang der Säuglingssterblichkeit —
dieser Bevölkerungsstruktur zusammenhängen, kurz sie ist immer noch viel zu hoch, aber sie ist allge-
eingehen, weil die Formulierung, die auf Grund die- mein zurückgegangen — und im Rückgang der
ser Bilanzen in die Öffentlichkeit gelangt ist: „Wir Sterblichkeit der jüngeren Jahrgänge. Aber leider
sind auf dem Weg zum Rentnerstaat", nicht unwider- hat sich die Alterssterblichkeit nicht so verringert,
sprochen bleiben darf. Das ist eine bedenkliche For- wie wir es eigentlich wünschen sollten. Im Sozial-
mulierung. Deshalb möchte ich einige Bemerkungen bericht heißt es: Eine schon im vergangenen Jahr-
zur Bevölkerungsstruktur machen. zehnt beobachtete erhöhte Alterssterblichkeit — ins-
besondere der Männer — wird das statistische Bild
a) Wir alle wissen, daß unser Bevölkerungsaufbau bestimmen. So sagt es die Bundesregierung selbst.
durch die Auswirkungen beider Kriege bestimmt Deshalb sollte man nicht mit dem, ich möchte sagen,
wird, und zwar einerseits durch das Fehlen der- Schlagwort von der verlängerten Lebenserwartung
jenigen, die im Kriege ihr Leben lassen mußten, und aufwarten. Die Dinge sind sehr vielschichtig. Wir
andererseits durch das, was man nüchtern Geburten- haben deshalb gesagt: wir wollen sie gemeinsam
ausfall nennt. Volkswirtschaftlich gesehen wären gründlich studieren; denn es liegt uns daran, mög-
das „Kriegsfolgelasten". Kriegsfolgelasten dieser lichst genaue Erkenntnisse zu gewinnen.
und jener Art — dieser und jener Art, sage ich auch d) Noch eine andere Bemerkung über die, wie es
mit gutem Grunde — verlieren für so lange Zeit- heißt — der Herr Bundesarbeitsminister hat aus-
räume, für die solche Bilanzen aufgestellt werden drücklich darauf h ingewiesen —, ungünstige Rela-
müssen, allmählich, sehr allmählich, an Gewicht oder tion zwischen Arbeitenden und Rentnern. Die ver-
könnten an Gewicht verlieren. sicherungstechnischen Bilanzen sprechen von der so-
2130 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 48. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. November 1962

Dr. Schellenberg
genannten „Belastungsquote". Sie ist keineswegs nur Wenn wir solche Anstrengungen unternehmen,
naturbedingt, sondern 'da gibt es viele Faktoren, dann werden sie auch positive Ergebnisse haben,
das zu beeinflussen, auch in positivem Sinne. und das. wird sich, auf die Dauer gesehen, lang-
(Abg. Frau Kalinke: Welche?) fristig auch auf die Finanzlage der Rentenversiche-
rung positiv auswirken.
— Ach, Frau Kollegin Kalinke, ich könnte Ihnen Deshalb ist es nicht gerechtfertigt, vom jetzigen
Zitate aus der Zeit der ersten Auseinandersetzun- Stand der Rentner ausgehend unter Berücksichti-
gen um die Rentenreform bringen. Ich will das nicht gung des Altersaufbaues einfach weiterzurechnen
tun. Ich möchte bei meiner Darstellung über die und zu sagen: Die Relation zwischen Arbeitenden
Probleme bleiben. und Rentnern wird sich noch bedenklicher entwik-
keln, und das dann zur Grundlage von düsteren Prog-
Vizepräsident Schoettle: Ich bitte doch, die nosen zu machen. Man kann auch hierauf einwirken.
Mittagspause nicht in Gefahr zu bringen. Ich habe mir die Frage gestellt — und vielleicht
auch mancher andere —, weshalb eigentlich die
Dr. Schellenberg (SPD) : Ja, Herr Präsident, ich Bundesregierung die Finanzlage der Rentenver-
bemühe mich; aber ich hatte von vornherein die sicherung ständig, und zwar nicht nur kurzfristig, in
Dauer meiner Redezeit genau angekündigt. Es geht den Sozialberichten von Jahr zu Jahr zu pessimi-
bei den Bilanzen um eine bedeutende Sache. Wir stisch beurteilt, so daß sie sich immer wieder be-
wissen alle — ich wende mich vor allem an die Kol- richtigen mußte. Ich habe mir die Frage gestellt,
legen aus dem Bereich der Sozialpolitik —, daß es weshalb die Bundesregierung auch bei der lang-
sich hier um ganz erhebliche Größenordnungen han- fristigen Prognose die Möglichkeiten, jene Relation
delt. Schließlich wird in der Bilanz erklärt, für 1986 zwischen Arbeitenden und Rentnern positiv zu be-
sei ein Deckungskapital bis 80 Milliarden erfor- einflussen, faktisch gar nicht zur Kenntnis nimmt,
derlich. Das sind ja Größenordnungen, die nicht nur sondern nur eine ungünstige Prognose weiterrech-
sozialpolitisch ins Gewicht fallen, sondern unsere net. Der Herr Bundesarbeitsminister hat, wie das
gesamte Volkswirtschaft entscheidend bestimmen. seine Pflicht ist, von der besonderen Sorge und
Nach der letzten Statistik der Rentenversicherung Verpflichtung der Bundesregierung gesprochen, auch
der Arbeiter und Angestellten mußten von rund langfristig für die Finanzierung der Rentenversiche-
389 000 neu bewilligten Renten 245 000, also 63 %, rung Sorge zu tragen. Das ist eine Sorge nicht nur
nicht wegen Erreichens der Altersgrenze, sondern des Herrn Ministers, sondern eine Verpflichtung
wegen vorzeitiger Berufs oder Erwerbsunfähigkeit
-
von uns allen. Darüber sind wir uns doch wohl ge-
gewährt werden. Wenn man die Knappschaftsver- meinsam einig.
sicherung noch dazurechnet, so bedeutet das, daß Aber der Tatsache, daß die Bundesregierung stän-
heute rund zwei Drittel der Versicherten vorzeitig dig bei den kurzfristigen Prognosen und jetzt auch
— vor der normalen Altersgrenze von 65 Jahren bei der ersten langfristigen Prognose von den pessi-
und in den Fällen, wo sie gesetzlich festgelegt ist, mistischen Grundlagen ausgeht, liegen doch wohl
mit 60 Jahren — arbeitsunfähig — früher sagte auch gewisse politische Tatbestände zugrunde.
man: invalide — werden, mit ihrer Gesundheit und
Arbeitskraft verbraucht sind und wir ihnen deshalb (Widerspruch bei der CDU/CSU.)
Rente gewähren. Wer an den Auseinandersetzungen um die Renten-
Meine Damen und Herren, das ist nicht nur reform 1956/57 teilgenommen hat, der weiß doch,
sozialpolitisch und nicht nur finanzwirtschaftlich, daß es beispielsweise bei Ihnen in der CDU gerade
das ist. auch menschlich ein unbefriedigender Zu- in der Frage der Rentendynamisierung sehr erheb-
stand. liche Meinungsverschiedenheiten gab und daß es
(Beifall .bei der SPD.) Ihr Wirtschaftsminister und Vizekanzler war, der
von dem „Gift der Rentendynamisierung" in der
Niemand bestreitet auch von uns, daß beispiels-
Öffentlichkeit gesprochen hat.
weise durch die Entwicklung 'des Heilverfahrens der
Rentenversicherung Gutes getan worden ist, um der (Abg. Schütz: Ich könnte auch andere
Frühinvalidität entgegenzuwirken. Aber, meine Namen nennen, die vom gleichen Gift
Damen und Herren, noch nicht genug auch in dieser sprachen!)
Hinsicht. Der Tatbestand, daß zwei Drittel der Men- — Herr Kollege Schütz, Sie können das nachher tun.
schen vorzeitig arbeitsunfähig werden, darf nicht Ich habe Ihnen schon erklärt: Ich melde mich un-
bis 1986 als naturgesetzlich hingenommen werden. mittelbar nach Ihnen zu Wort, dann können wir
Das akzeptieren wir nicht. darüber sprechen. Ich sage nur, daß in der CDU — —
(Beifall bei der SPD.) (Zuruf des Abg. Schütz.)
Deshalb sagen wir immer wieder: es muß mehr — Herr Kollege Schütz, ich verstehe gar nicht, wes-
für die gesundheitliche Vorbeugung, es muß mehr
halb Sie sich darüber aufregen, daß es bei Ihnen
für den Arbeitsschutz, es muß mehr für die Rehabi-
Meinungsverschiedenheiten über die Dynamisierung,
litation getan werden. Das sind schwierige Auf-
gab. Interne Meinungsverschiedenheiten in der CDU
gaben, dafür gibt es kein Patentrezept. Das ist eine
schwierige Aufgabe, aber eine gemeinsame Auf- gab es
gabe unseres ganzen Volkes. (Zurufe von der CDU/CSU: Sicher! — Klar!)
(Beifall bei der SPD.) und gibt es.
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 48. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. November 1962 2131
Dr. Schellenberg
Die Meinungsverschiedenheiten über dieses Pro- zweiten und dritten Durchgang darauf zurückkom-
blem innerhalb der Regierung sind sicher durch die men.
Beteiligung der FDP, die ja die Rentenversiche- Angesichts des unzureichenden Materials dieser
rungsgesetze abgelehnt hat Bilanz wäre es eine reine Spekulation, heute eine
(Abg. Weber [Georgenau] : Sie hat aber Aussage darüber zu machen, wie die Vermögens-
ihre Stellungnahme präzisiert dargelegt!) lage der Rentenversicherung voraussichtlich in 5, 10
oder 25 Jahren sein wird. Das kann man auf Grund
— ich gebe Ihnen gleich eine Antwort —, noch grö- dieser Unterlagen leider nicht tun. Eines scheint sich
ßer geworden. — Nun zu Ihrem Zuruf, Herr Kol- aber für uns abzuzeichnen: daß auf Grund der Fak-
lege Weber, Sie hätten Ihre Stellungnahme präzi- ten, die ich hinsichtlich Bevölkerungsaufbau sowie
siert! Herr Kollege Weber, ich will Ihnen an Hand Relation Rentner und Arbeitende genannt habe,
der Protokolle einmal folgendes sagen. Die Renten- auch langfristig gesehen die Entwicklungstendenzen
reformgesetze vom. Januar 1957 haben Sie abge- günstiger sein könnten
lehnt, dem Ersten Rentenanpassungsgesetz haben (Sehr richtig! bei der SPD)
Sie zugestimmt, das Zweite Rentenanpassungsgesetz
haben Sie wieder abgelehnt, dem Dritten Renten- — ich will vorsichtig sein; ich sage noch nicht: gün-
anpassungsgesetz haben Sie wieder zugestimmt. stiger sein müssen, aber günstiger sein könnten —
Wenn Sie das als eine konsequente Haltung an- als nach der Bilanz. Auch geht die Bilanz schon für
sehen, 1961/62 von sehr negativen Grundsätzen aus und
(Beifall bei der SPD) läßt darüber hinaus manche positive Faktoren völlig
außer Betracht. Damit will ich gar nicht sagen, daß
kann ich nur sagen: dem kann ich nicht folgen. Das es nicht einmal finanzielle Probleme für die Ren-
waren die Fakten, die ich Ihnen protokollarisch be- tenversicherung geben könnte. Sie können doch
legen kann. nicht diejenigen schrecken, die sich klarmachen,
Ich muß noch ein wichtiges Zitat des Herrn Bun- welche finanziellen und sozialen Probleme unser
desfinanzministers bringen. Nicht jetzt, aber beim Volk seit 1891 zu bewältigen hatte, als eine Renten-
Zweiten Rentenanpassungsgesetz hat er als Spre- versicherung in Deutschland eingeführt wurde.
cher seiner Fraktion hier erklärt: Auch in der langfristigen Vorausschau werden wir
Sozialdemokraten uns — das muß ich immer wie-
Das Gesetz, das Sie der betonen — hinsichtlich der finanziellen Siche-
— CDU und SPD — rung der Rentenversicherung von niemandem über-
damals vor der Wahl gemacht haben und vor treffen lassen.
dem wir gewarnt haben, erzeugt draußen im (Beifall bei der SPD.)
Lande in zunehmendem Maße Unzufriedenheit, Das geschieht selbstverständlich aus Verantwor-
weil es eine ungeheure Mehrbelastung gebracht tung gegenüber den Menschen, die heute arbeiten,
hat. die Beiträge zahlen, und selbstverständlich auch ge-
Ich nehme an, daß Herr Dr. Starke seine damalige genüber den Rentnern.
Überzeugung nicht geändert hat und sie in der Aber, um Sie ganz zu beruhigen, will ich auch
Bundesregierung entsprechend zum Ausdruck brin- einen realpolitischen Grund für unsere Haltung in
gen wird. Was also erklären, politisch erklären der Finanzfrage anführen. Für die langfristigen Zeit-
könnte, weshalb das Zahlenmaterial so einen pessi- räume, um die es bei diesen Vorausberechnungen
mistischen Drall hat. geht, wird doch wohl auch der härteste Gegner der
(Zurufe von der CDU/CSU.) SPD keinen Zweifel daran haben können, daß wir
politische Verantwortung in diesem Lande tragen
Nun komme ich zum Schluß, meine Damen und werden. Niemand wird doch so töricht sein oder
Herren. niemand sollte so töricht sein, anzunehmen,
(Anhaltende Zurufe von der CDU/CSU.) (Abg. Stingl: Sie sind zu pessimistisch!)
— Ja, meine Damen und Herren, die Sozialpolitiker daß wir Sozialdemokraten die Rentenversicherung
haben von vornherein beklagt, daß wir mit dieser finanziell in Schwierigkeiten bringen würden für
so wichtigen finanzwirtschaftlichen Frage in der eine Zeit, in der Sozialdemokraten auf der Regie-
Tagesordnung hinter die Gänsepreise gerückt sind. rungsbank sitzen.
Das hat das Haus bestimmt. Aber da wir zum er- (Beifall bei der SPD.)
stenmal in den Bilanzen eine finanzielle Grundlage
für die Rentenversicherung erhalten, muß man dar- Für so töricht werden Sie uns nicht halten.
über auch eingehender sprechen können. Wir sind (Abg. Ruf: 1986! — Weitere Zurufe von der
von der Bilanz enttäuscht, weil wir genaue Unterla- CDU/CSU: So weit sind Sie noch gar nicht!
gen über zukünftige Perspektiven erhofft hatten. — Nach welcher Formel errechnet sich das?)
(Abg. Ruf: Daran ist nicht die Bilanz schuld, — Die hessischen Wahlergebnisse werden Ihr Ge-
daß sie nicht bringt, was Sie wollen!) müt bewegen und Ihnen Sorge bereiten, deshalb
— Aber Herr Ruf, dieser Zuruf ist unangebracht. Ich habe ich volles Verständnis dafür, daß Sie sich hier
habe Ihnen ja Fakten genannt und Ihnen aufgezeigt, mit Zurufen trösten wollen.
wo grobe Irrtümer vorliegen. Sie haben auf die (Abg. Schütz: Bis dahin sind Sie doch die
Redezeit verwiesen. Wir können auch noch beim bessere CDU!)
2132 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 48. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. November 1962

Dr. Schellenberg
Im Kern geht es bei all diesen Dingen darum, ob Vizepräsident Dr. Dehler: Wir setzen die
auch die ältere Generation auf die Dauer laufend an Sitzung in der Beratung des Tagesordnungs-
dem wachsenden Wohlstand, den die arbeitende punktes 2 fort.
Generation schafft, teilnehmen soll, laufend daran Das Wort hat der Abgeordnete Kühn.
teilnehmen soll. Das ist das Kernproblem.
(Zuruf von der Mitte: Eben! — Abg. Kühn (Hildesheim) (CDU/CSU) : Herr Präsident!
Schütz: Das tun wir doch!) Meine Damen und Herren! Herr Professor Schellen-
berg hat sich bei der Rede, die er zu den Vorlagen
Wer das in Frage stellt — es gibt manche, die es in der Bundesregierung über die Fünfte Rentenanpas-
Frage stellen —, der hat wenig Vertrauen in die sung, über den Sozialbericht dazu und über die So-
Zukunft unseres Volkes. zialbilanz — gehalten hat, im wesentlichen mit der
Sozialbilanz befaßt Soweit die Sozialbilanz in
Wir Sozialdemokraten erklären: unsere älteren Rede steht, wind dazu mein Kollege Gaßmann nach-
Mitbürger haben nicht nur wirtschaftlich — durch her noch einige Worte von unserer Seite sagen. Ich
ihr Leben der Arbeit, das hinter ihnen liegt — ein habe mich mit der Frage der Rentenanpassung zu
Recht auf Teilnahme an diesem Wachstum der befassen, um die es ja zuerst und, wie ich meine,
Wirtschaft. Wir Sozialdemokraten erklären weiter: auch am dringlichsten heute geht.
auch durch die Sozialpolitik sind mit die wirtschaft-
lichen Voraussetzungen dafür zu schaffen, dies zu Da möchte ich mit zwei Feststellungen beginnen.
ermöglichen, durch eine aktive Gesundheitspolitik, Ich möchte zunächst, Herr Professor Schellenberg,
durch konstruktive Familienpolitik und dadurch, die Unterstellung zurückweisen, die aus Ihren Wor-
daß bessere Möglichkeiten geschaffen werden, da- ten hervorklang, als ob durch eine bewußte Mani-
mit alle Schichten unseres Volkes ihre produktiven pulierung des Zahlenmaterials in der Sozialbilanz in
Fähigkeiten besser als bisher entfalten können. der Öffentlichkeit der Eindruck erweckt werden
Schließlich entspringt die Verpflichtung, die Alten sollte, die Situation der gesetzlichen Rentenver-
an der wirtschaftlichen Entwicklung dauernd teil- sicherung sei katastrophal. Daß Sie das in dieser
nehmen zu lassen, Grunde — — Form und mit dieser Härte — und immer wieder
unterstrichen — hier getan haben, dient auch nicht
(Abg. Ruf: Deswegen haben wir doch die dem Ziel, das Sie selber als eines Ihrer vordring-
Rentenreform gemacht!) lichsten bezeichnet haben, nämlich bei den Rentnern
— Sagen Sie das mir oder Ihren Koalitionspartnern? selber und bei den Rentenversicherten das Gefühl
dafür zu wecken, daß wir in der Zukunft mit einer
(Sehr gut! bei der SPD.) gesicherten Rentenversicherung und mit Zahlungen
aus dieser gesicherten Rentenversicherung zu rech-
Meine Damen und Herren, deshalb möchte ich nen haben.
sagen: für uns — und ich hoffe, für uns alle — ist
diese Verpflichtung auch ein Ausdruck der Ehr- (Abg. Geiger: Herr Kollege Kühn, da geht
furcht vor dem alten Menschen. Für unser ganzes es aber um den Nachweis, nicht um die
Volk sollte es eine moralische Verpflichtung sein, Zurückweisung!)
unseren Mitbürgern die Gewißheit zu geben, daß —Entschuldigung, ich habe ja gesagt: zu dem Zah-
sie auch im Alter gleichberechtigter Teil des Gan- lenspiel wird nachher Herr Kollege Gaßmann noch
zen bleiben, auch wirtschaftlich. Stellung nehmen. Zunächst muß diese Methode zu-
rückgewiesen werden, weil ich meine, sie ist in der
(Beifall bei der SPD. — Abg. Schütz: Genau Sache nicht (gerechtfertigt.
das!)
(Beifall bei der CDU/CSU. — Zuruf des
Wenn wir dieses sittliche Gebot unseren Kindern Abg. Dr. Schellenberg.)
und Kindeskindern vermitteln, dann haben wir
Hier ist doch festzustellen, daß, wenn diese Fünfte
keine Sorge um die Zukunft, auch nicht diejenige
Rentenanpassung so, wie die Bundesregierung sie
der deutschen Rentenversicherung.
uns vorgelegt hat, Wirklichkeit geworden ist, ge-
(Lebhafter Beifall bei der SPD.) genüber dem Rentenbestand am Stichtag des 31. Ja-
nuar 1957 eine Erhöhung der Renten um über 100 %
vorgenommen worden ist. Ich wäre dankbar gewe-
Vizepräsident Schoettle: Wir treten jetzt in sen, wenn wir dazu von der Seite der Opposition
die Mittagspause ein. Bevor ich die Sitzung unter- auch einmal ein anerkennendes Wort für die Regie-
breche, gebe ich bekannt, daß die Ausschüsse, die rung gehört hätten.
für heute nachmittag Sitzungen anberaumt hatten, (Beifall bei der CDU/CSU.)
mit ihren Sitzungen erst nach Schluß des Plenums
beginnen sollten. Ich glaube, daß das eine Leistung ist, die bei den
Rentnern selber durchaus anerkannt wind und auch
Wir fahren um 14.30 Uhr fort. bekannt ist. Wir sollten sie deswegen so unter-
streichen, weil wir damit deutlich gemacht haben,
Ich unterbreche die Sitzung. daß die Regierung, auch der Sozialheirat, durch eine
sorgfältige Beobachtung der Entwicklung die Vor-
(Unterbrechung der Sitzung von 13.22 bis aussetzung dafür geschaffen hat, daß nicht beim
14.31 Uhr.) einen Mal eine besonders hohe Anpassung und dann
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 48. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. November 1962 2133
Kühn (Hildesheim)
infolge einer solchen Überzogenheit im nächsten nicht anders behandelt werden als jedes andere Ein-
Jahr nur eine niedrigere gewährt wird, daß wir eine kommen auch; dann müssen selbstverständlich die
Konstanz geschaffen haben, die wir auch in der Zu- Einkommen aus dieser Rente bei den sonstigen
kunft halten wollen. Sozialleistungen entsprechend berücksichtigt wer-
den.
(Zustimmung bei der CDU/CSU. — Zuruf
von der SPD: Das ist selbstverständlich!) (Abg. Geiger: Aber Sie vergessen, die Kriegs
opferrenten anzuheben!)
— Ja, natürlich. Man muß in diesem Zusammenhang
auch sagen, daß das nicht zuletzt darauf zurückzu- — Wir haben nicht vergessen, die Kriegsopferren-
führen ist, daß die Bundesregierung die Dinge nicht, ten anzuheben. Das kann kein Mensch behaupten.
wie Herr Professor Schellenberg gemeint hat, pessi- Sehen Sie sich doch einmal an, was in den vergan-
mistisch darzustellen sich bemüßigt gesehen hat, genen Jahren seit Verabschiedung des Bundesver-
sondern die Dinge realistisch im Blick auf die zu- sorgungsgesetzes auf diesem Gebiet schon alles ge-
künftige Entwicklung (gesehen und aus dieser Sicht schehen ist.
die brauchbaren Vorschlage gemacht hat. (Abg. Schütz: Pauschalfreibetrag von 50 DM
(Beifall bei der CDU/CSU.) für die Renten!)
Gewißheit den Alten zu geben, Herr Professor — Eben ruft es mir der Kollege Schütz hier noch
Schellenberg, haben Sie gesagt, daß ihre Sicherheit einmal zu. Sie wissen, daß bei dem ersten Neurege-
für das Alter gewährleistet ist, das sei die Haupt- lungsgesetz entgegen der ursprünglichen Absicht
aufgabe unserer Maßnahmen in der Rentengesetz- der Regierung, die ich für richtiger gehalten hätte,
gebung. In der Tat, das ist es. Weil das s o ist, kön- nicht ein sich wandelnder Freibetrag, sondern ein
nen wir nicht pessimistisch oderoptimistisch an die Fixbetrag von 50 DM eingesetzt worden ist; dieser -
Beurteilung der Lage herangehen, sondern müssen Betrag ist sicherlich höher, als wenn wir in den
sie sehen, wie sie ist. Da kommen wir nicht daran vergangenen Jahren bei den Anrechnungen jeweils
vorbei, festzustellen, daß wir in der Zukunft mit Prozentsätze zugrunde gelegt hätten. Das muß man
einer wesentlichen Zunahme an Rentenzugängen doch in diesem Zusammenhang sehen und auch ent-
und jedenfalls in den nächsten Jahren mit einer Ab- sprechend werten.
nahme bei den Beitragszahlenden zu rechnen haben. Nun zum Schließen der Schere! Wir haben uns
Ganz sicher ist auch hier die Tatsache zu werten, schon im vergangenen Jahr darüber unterhalten,
daß die Geburtenentwicklung einen günstigen Ver- und wir haben damals das gesagt, was wir auch
lauf nimmt; das soil nicht geleugnet werden. Sie ha- heute sagen müssen: Man muß die Entwicklung
ben die Zahlen von 1960 und 1961 genannt. Es ver- abwarten. Sie wissen, daß gegen den Sozialbericht
gehen aber mindestens noch 20 Jahre, bis sich das auch in diesem Jahr aus den Kreisen der Mitglieder
auf die Beitragszahlungen auswirkt. des Sozialbeirats erhebliche volkswirtschaftliche Be-
denken geäußert worden sind. Diese Bedenken wür-
Herr Professor, Sie haben sich darauf beschränkt,
den sich wesentlich verstärken, wenn wir über die
zu sagen, daß Ihre Fraktion in diesem Jahr wie in
in diesem Gesetzentwurf vorgesehene Anpassungs-
den anderen Jahren ihre Forderung wiederholt, daß
rate hinaus einen zusätzlichen Betrag für die An-
auch in diesem Jahr und heute schon eine gewisse
passung einsetzten.
Schließung der Schere eintreten müsse. Sie möchten
darüber hinaus die Anrechnungsbestimmungen Es ist wohl — und damit könnte ich meine Be-
überprüft haben. Ferner haben Sie sich dagegen merkungen zu dem, was hier zu Ihren Wünschen in
gewandt, daß der Betrag von 21 DM in die Renten- bezug auf die Rentenanpassung gesagt worden ist,
gestaltung mit einbezogen wird. abschließen — folgendes zu sagen. Wir glauben, daß
die Bundesregierung gut beraten war, als sie, wie
Zunächst zu der letzten Forderung, weil sie am
schnellsten zu beantworten ist. Wir haben — ich in den vergangenen Jahren, auch in diesem Jahr
muß das heute noch einmal unterstreichen — dazu durchaus von haushälterischen Überlegungen aus-
festzustellen, daß dieser Sonderzuschlag von 21 DM ging. Ich glaube nicht, daß es zweckmäßig ist, sich
kein Bestandteil einer beitragsbezogenen Rente ist. bei diesen Dingen aus dem Gefühl heraus, im Au-
Deswegen kann er bei der Anpassung nicht berück- genblick eine etwas größere Dispositionsmöglich-
sichtigt werden. keit zu haben, dazu verleiten zu lassen, höhere Zu-
sicherungen zu machen, die uns eines Tages in er-
(Zuruf von der SPD: Das haben wir schon hebliche Schwierigkeiten bringen könnten.
oft gehört!)
Meine Damen und Herren, eine sorgliche Sozial-
— Ja sicher, Sie haben es schon oft gehört. Sie stel- politik, — und ich möchte noch einmal unterstrei-
len aber die Forderung jedes Jahr wieder neu und chen: daß sie so betrieben wird, dafür sollten wir
zwingen uns, erneut dazu etwas zu sagen. Man auch dem Bundesarbeitsminister danken —
kann ja das, was richtig ist, nicht deswegen ver-
schweigen, weil trotz dieser Erkenntnis die Forde- (Beifall bei der CDU/CSU)
rung immer wieder vorgebracht wird.
hat nicht davon auszugehen, welche Höchstleistun-
Nun zur Frage der Anrechnung! Wir haben ganz gen sie im Augenblick geben kann. Sie hat vielmehr
bewußt in den Renten-Neuregelungsgesetzen — wie davon auszugehen, welch bestmöglichen Leistungen
ich meine: auch mit Ihrer Unterstützung — be- sie für die Dauer gewähren kann. Das ist Sozial-
stimmt, daß die Rente Lohnersatzfunktion haben politik.
soll. Wenn sie ein Lohnersatz ist, dann kann sie (Beifall in der Mitte.)
2134 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 48. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. November 1962

Kühn (Hildesheim)
Wir sind dankbar, daß das bei diesem Entwurf be- in unseren Rentenversicherungs-Neuregelungsgeset-
rücksichtigt ist, und wir werden mit Ihnen gemein- zen befindet. Und weil das so ist — —
sam, glaube ich, auf Grund dieses Entwurfes zu (Zuruf von der SPD.)
einer guten Lösung kommen.
(Beifall in der Mitte.) — Ach, Herr Schäfer, das habe ich gar nicht nötig,
ich brauche dazu — —
Vizepräsident Dr. Dehler: Das Wort hat der (Abg. Dr. Schäfer: Ich habe ja gar nichts
Herr Bundesministerfür Arbeit und Sozialordnung. gesagt!)
— Oh, doch, ich habe ein sehr, sehr, gutes Gehör;
Blank, Bundesminister für Arbeit und Sozial- aber ich will gar nicht mehr darauf eingehen.
ordnung: Herr Präsident! Meine Damen und Her- (Abg. Dr. Schäfer: Und trotzdem haben Sie
ren!Ich will nur auf einiges wenige von dem ein-
falsch gehört!)
gehen, was Herr Schellenberg heute morgen zu
meinem Erstaunen hier gesagt hat. Ich bin seinen — Nein, ich habe nicht falsch gehört.
Ausführungen sehr aufmerksam gefolgt und werde
(Abg. Wehner: Um die Ecke gehört!)
versuchen, das, was er gesagt hat, einmal zu analy-
sieren. — Ach, Herr Wehner, wenn ich an Ihre letzte Vor-
Er baut sich für meine Begriffe, meine Damen stellung denke, die Sie hier gegeben haben, glaube
und Herren, einen Popanz auf und beginnt, gegen ich, daß Sie gar nicht Ursache haben zu lachen.
den zu kämpfen. (Beifall bei der CDU/CSU. — Zurufe von der
(Abg. Dr. Schäfer: Da braucht man nichts SPD.)
aufzubauen!) Herr Schellenberg sagte, diese Zahlen seien poli-
— Ach, Herr Dr. Schäfer, warten Sie einmal ab, was tisch bestimmt, sie seien gefärbt. Sind Sie der ein-
ich ausführe! Ich weiß, was für einen Ärger es zige, der nicht das Gutachten des Sozialbeirats auch
Ihnen bereitet hat, nachdem Sie mit dem Schlagwort zu diesen versicherungstechnischen Bilanzen gelesen
von der sozial rückschrittlichen Koalition angetreten hat? Wollen Sie die Ehrenhaftigkeit und Glaubwür-
sind, daß das erste Gesetz, das diesem Parlament im digkeit dieser Herren, von denen auch einige, wie
vergangenen Jahr vorgelegt wurde, das Vierte Ren- Sie doch wissen, zu Ihnen gehören, irgendwie in
tenanpassungsgesetz war und daß ich diesmal wie- Zweifel setzen?
der fristgerecht mit der fünften Rentenanpassung
bei der Hand bin. Darf ich Ihnen, meine sehr verehrten Damen und
Herren, einmal ganz weniges daraus zitieren, wenn
(Beifall bei der CDU/CSU. — Zuruf von der Sie, Herr Präsident, es gestatten. Darf ich Ihnen ein-
SPD: Das ist keine besondere Leistung!) mal sagen, was der Sozialbeirat in seinem Gutachten
— Das ist keine besondere Leistung? Ich bin der zu diesen versicherungstechnischen Bilanzen sagt.
Meinung, daß ich das getan habe, was meines Er sagt u. a., daß die notwendigen Annahmen durch
Amtes ist. Ich bin weiterhin der Meinung, daß das das Bundesarbeitsministerium bestmöglich erfaßt
eine Leistung ist, die ich vor dem deutschen Volk seien, daß die dafür erforderlichen Angaben von den
vertreten kann und die ich vor dem deutschen jeweils zuständigen Stellen eingeholt, daß sie ge-
Volke vertreten darf. meinsam mit diesen erarbeitet seien und daß die ver-
sicherungsmathematische Methode durchdacht und
(Beifall bei der CDU/CSU.)
mit großer Sorgfalt sowie nach Anhören einiger ver-
Nun ich will einmal versuchen, Ihnen zu schildern, sicherungsmathematischer Sachverständiger im Bun-
wie dieser Popanz aussieht. Der Popanz sieht so desministerium für Arbeit rechnerisch durchgeführt
aus: Das gegenwärtige System der Rentenversiche- sei.
rung ist in Gefahr, und da es in Gefahr ist, sagt (Hört! Hört! in der Mitte.)
Herr Schellenberg, hätten wir damit Zahlen politi-
schen Charakters gegeben, also — sprechen wir es Das ist nur ein Satz aus dem Gutachten des Sozial-
doch nackt und nüchtern aus — Zahlen gefärbt. beirats.
Nun, meine sehr verehrten Damen und Herren, Aber, Herr Schellenberg, der Vorwurf, den ich
was zunächst einmal die Gefahr für dieses System Ihnen jetzt mache, ist folgender. Sie unterscheiden
betrifft, so lege ich hiermit, wie Sie ja wissen, das nicht zwischen dem Sozialbericht und der versiche-
Fünfte Rentenanpassungsgesetz vor. Sie können es rungstechnischen Bilanz. Beide haben zwei ganz ver-
schnell verabschieden, und Sie haben dann wieder schiedene Aufgaben zu erfüllen: Der Sozialbericht
einen Meilenstein in der Entwicklung dieses Renten- gibt an Hand des neuesten statistischen Materials
systems gesetzt, Sie haben es weiterhin befestigt. einen Überblick über die derzeitige, also sozusagen
Die Bundesregierung wird auch das nächste Renten- über die Augenblickslage bei den Finanzen der Ren-
anpassungsgesetz wiederum zeitgerecht vorlegen, tenversicherungsträger, und er erlaubt dann auch,
und Sie, Herr Schellenberg, hätten es in der Hand, Maßnahmen zu beschließen, die von dieser Augen-
mit tunlichster Beschleunigung eine noch festere blickslage her gerechtfertigt erscheinen mögen. Des-
Verankerung dieses Rentensystems herbeizuführen. halb ja auch der Vorschlag der Bundesregierung, ein
Bemühen Sie sich um die Verabschiedung des Un- Rentenanpassungsgesetz vorzulegen und nicht davon
fallversicherungs-Neuregelungsgesetzes, wo wir ja auszugehen, was längerfristige Aussagen, nämlich
genau das gleiche Rentensystem einführen, das sich die der versicherungstechnischen Bilanz, bekunden.
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 48. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. November 1962 2135
Bundesarbeitsminister Blank
Dann, Herr Schellenberg, ist es etwas ganz an- lenberg, gibt es auch keine Diskrepanz, wie Sie
deres, und ich wundere mich, daß Sie das hier als vermuten.
eine Erkenntnis ausgeben wollen, daß das, was Wogegen ich mich aber mit aller Entschiedenheit
im Sozialbericht für die Jahre 1960/61 steht, nicht
wehre, ist die Unterstellung, daß ich, um einmal den
identisch sei mit dem, was in der versicherungs-
Kräften ein wenig vorzuarbeiten, die vielleicht
technischen Bilanz stehe; denn dort sei ja ein um
daran denken, unser Rentensystem zu ändern, mich
2 Milliarden größerer Vermögenszuwachs ausgewie-
dazu hergegeben hätte, das Zahlenspiel entspre-
sen.
chend zu manipulieren. Das ist ein Vorwurf, Herr
Herr Schellenberg, ich muß versuchen, Ihnen die Schellenberg, den ich zurückweise. Denn er hat auch
Unterschiedlichkeit der beiden Dinge auseinander zum Inhalt, daß die Beamten des Ministeriums be-
zulegen. Bei der versicherungstechnischen Bilanz reit gewesen seien, einer solchen Anordnung ihres
handelt es sich um nichts anderes als darum, von Ministers zu folgen. Ich gebe niemandem eine An-
Annahmen ausgehend, eine Reihe von Variations- ordnung, von der Wahrheit abzuweichen, und ich
rechnungen aufzumachen, um daran ablesen zu kön- glaube, ich kann zur Ehre der Beamten meines Mini-
nen, wie die Entwicklung wäre, wenn sich diese An- steriums sagen, sie würden auch trotz Anordnung
nahmen als gerechtfertigt erwiesen. Niemand — we- nicht von der Wahrheit abweichen.
d er die Verfasser der versicherungstechnischen
Bilanz, noch ihre Überprüfer, noch ihre Kritiker — (Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Geiger:
hat jemals — und das bringt das Gutachten des So-
Es handelt sich hier nicht um die Unwahr-
zialbeirats ganz klar zum Ausdruck — zu sagen ge- heit, sondern um die Wertung der Zahlen!)
wagt, ob diese Annahmen auch im einzelnen Wirk- — Herr Geiger, lassen Sie mich nur ausführen, was
lichkeit werden. So basiert die eine dieser Vari- ich auszuführen für richtig halte. -
ationsrechnungen, die es Ihnen angetan hat, Herr Worum es der Sozialdemokratie geht, ist doch die
Schellenberg, auf der Annahme, daß die Entgelte Frage, warum man nicht die noch fehlende Anpas-
um 6 % jährlich wachsen. Das ist eine Annahme. sung nachholt. Da darf ich daran erinnern, daß ich
Wenn ich aber einmal eine Annahme mache, dann in meiner Einbringungsrede gesagt habe:
muß ich mit dieser Annahme bis zum Schluß durch-
rechnen. Ich kann mir zwar eine zweite, eine dritte, Von der sozialpolitischen Seite her gesehen, hat
eine vierte, eine fünfte Annahme setzen und dann sich auch in diesem Jahre wieder die Frage
wiederum mit dieser Annahme weiterrechnen. Aber nach einer nachholenden Rentenanpassung ge-
dann muß ich ebenfalls durchrechnen, und ich kann stellt. Über ihre sozialpolitische Rechtfertigung
nicht in dieser Durchrechnung einen Sprung eintreten besteht kein Zweifel. Auch der Sozialbeirat hat
lassen und die Annahme selbst verändern. Um das erklärt, daß eine nachholende Anpassung aus
und um nichts anderes handelt es sich hier. sozialpolitischen Gründen zu rechtfertigen wäre.
(Sehr richtig! bei der CDU/CSU.) Aber sie ist eben leider nicht zu rechtfertigen —
sehr zu meinem Schmerz nicht zu rechtfertigen —,
Es hat sich gezeigt — ich schaue nicht einmal in wenn ich die gesamte finanzielle Entwicklung der
meine Unterlagen, das habe ich im Kopf —, daß die Rentenversicherungsträger betrachte.
Entgelte in Wahrheit nicht um 6 %, sondern um
10,2 % zugenommen haben. Bei dieser immerhin Herr Schellenberg, Sie haben heute morgen im
erstaunlich großen Zunahme der Entgelte wurden Hinblick auf die Hessen-Wahl gesagt, Sie hätten ja
auch die Beiträge entsprechend höher, und damit kein Interesse daran, die finanziellen Verhältnisse
wuchs das Vermögen in einem größeren Ausmaß, in der Sozialversicherung zu verschlechtern, denn
als wir erstens annehmen konnten und zweitens in Sie würden ja einmal hier stehen. Nun, ich bin der
dieser einen Annahme und ihrer folgerichtigen Meinung, daß Sie, wenn Sie heute hier schon stün-
Durchrechnung enthalten ist. den, Ihre Rede nicht gehalten hätten,

Wie absurd es wäre, anzunehmen, der Zuwachs (sehr richtig! bei der CDU/CSU)
von 10,2 % könne sich kontinuierlich wiederholen, sondern sich mit meiner bescheidenen begnügt hät-
will ich Ihnen damit dartun, Herr Schellenberg, daß ten;
es Ihnen, wenn Sie sich, wie ich annehme, genau wie (Beifall bei den Regierungsparteien)
ich noch an einige Schulkenntnisse erinnern, ein
leichtes wäre, nachzurechnen, daß wir bei einem und die geht auf folgendes hinaus:
fortschreitenden Zuwachs von 10 % am Ende der Ich habe dieses Rentensystem nicht erfunden. Ich
30 Jahre eine Versiebzehnfachung der Entgelte hät- halte es für gut, richtig und zweckmäßig. Ich habe
ten. Daß solche astronomischen Zahlen nicht im Be- mein Amt übernommen in dem festen Entschluß,
reich irgendwelcher Möglichkeiten liegen, brauche das, was ich von meinem Vorgänger auf diesem Ge-
ich, glaube ich, nicht ausdrücklich darzutun. So ist, biet übernommen habe, zu bewahren und weiter
Herr Schellenberg, gar keine Diskrepanz vorhan- auszubauen.
den. Sie müssen sich nur einmal mit der Eigenart
(Beifall bei der CDU/CSU.)
der beiden Unterlagen vertraut machen, die Sie
hier zur Hand haben. Das eine ist ein Ausweis des Solange ich Minister für Arbeit und Sozialordnung
zur Zeit tatsächlich Gegebenen, und das andere ist bin, werde ich alljährlich, wie es das Gesetz be-
nichts anderes als eine Rechnung, die uns zeigt, wie fiehlt, fristgerecht diesem Parlament ein Renten-
bei einer bestimmten Annahme am Ende die Ent- anpassungsgesetz vorlegen. Darauf können Sie sich
wicklung sein würde. Deshalb, Herr Kollege Schel- verlassen. Was ich aber niemals tue, ist, daß ich
2136 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 48. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. November 1962

Bundesarbeitsminister Blank
durch unüberlegte Handlungen — und das ist das derzuspiegeln. Er hat ausdrücklich betont - und
Entscheidende — das ganze System in Gefahr daran ist Herr Professor Schellenberg völlig vor-
bringe. Denn höher als die Möglichkeit, ob ich die beigegangen —, daß es sich hier um Vorausrech-
eine ausgebliebene Anpassung im Augenblick vor- nungen auf Grund bestimmter Annahmen handelt.
nehmen kann oder vielleicht erst zu Zeiten, wo man Solche Annahmen sind in ihrem versicherungs-
annehmen darf, jetzt ist die finanzielle Basis ge- mathematischen Wert unanfechtbar. Genauso wie
sicherter — höher als dieser Wunsch steht mir, daß ein Produktionsbetrieb auf Jahre hinaus plant und
ich das, was wir bisher erreicht haben, halte und abwägt, ob z. B. in 10 Jahren der Markt für eine
den Rentnern — und das sind 8 Millionen — die bestimmte Anzahl seiner Produkte aufnahmefähig
Versicherung geben kann: wir werden Sie Jahr für sein wird, und auf Grund einer solchen Verkaufs-
Jahr teilhaben lassen an der Entwicklung der allge- analyse dann seine Investitionspolitik aufbaut, ge-
meinen Produktivität, dem Zuwachs des Sozialpro- nauso sind die versicherungstechnischen Bilanzen
dukts, und wie diese Kriterien heißen. Nur darum von bestimmten Annahmen ausgegangen. Es liegt
geht es. doch auf der Hand, daß solche Vorausberechnungen
über einen Zeitraum von nahezu drei Jahrzehnten
Deshalb kam es mir darauf an, Herr Schellenberg,
zwar Möglichkeiten und Grenzen der künftigen Ent-
hier die Akzente wieder richtig zu setzen. Wir ha-
wicklung erkennen lassen, andererseits aber nicht
ben nicht mit Zahlen manipuliert — das weise ich mit Sicherheit die künftige Wirklichkeit treffen kön-
weit zurück —, sondern wir haben nach bestem
nen. Die versicherungstechnischen Bilanzen wollen
Wissen und Gewissen Ihnen eine Bilanz — wenn
also nur folgendes aussagen: Falls sich die Bevöl-
Sie so wollen: eine Vorausschau — gegeben, die zu
kerungsentwicklung, die Entwicklung der Anteile
geben uns das Gesetz verpflichtet. Ich glaube, wenn
von Versicherten und Rentnern an der Gesamtbe-
Sie im Ausschuß dieses umfangreiche Werk ins De- völkerung, die Entwicklung der Arbeitsentgelte, des -
tail gehend studiert haben werden, dann werden
Zinssatzes, des Beschäftigungsgrades, der Produk-
Sie mir recht geben, und dann werden Sie sagen: tivität usw. in der angenommenen Weise vollzieht,
Der Bundesminister für Arbeit hat insofern seine dann wird die finanzielle Entwicklung der gesetz-
Pflicht erfüllt, weil er sich bemüht hat, als echt sor- lichen Rentenversicherungen in der und der Weise
gender Hausvater die finanzielle Basis der Renten- verlaufen.
versorgung von 8 Millionen Versicherten nicht in
Gefahr zu bringen. Ich habe es deshalb außerordentlich bedauert, daß
heute vormittag in so abwertender Form von den
(Beifall bei den Regierungsparteien.)
Bilanzen gesprochen worden ist. Herr Professor
Schellenberg hat darauf hingewiesen, daß die Vor-
Vizepräsident Dr. Dehler: Das Wort hat der lage für ihn eine einzige Enttäuschung gewesen sei
Herr Abgeordnete Gaßmann. und daß sie in keiner Weise den Anforderungen
entspreche, die für eine langfristige Vorausberech-
Gaßmann (CDU/CSU) : Herr Präsident! Meine nung notwendig sei. Herr Professor Schellenberg, es
Damen und Herren! Herr Kollege Schellenberg hat geht hier nicht, wie Sie apostrophierten, um irgend-
heute vormittag die uns heute vom Herrn Bundes- ein Spiel, sondern es geht wahrhaftig um ernst
arbeitsminister vorgelegte und mit sehr treffenden zu nehmende Berechnungen, an denen die ganze
Worten eingeleitete sozialversicherungstechnische Zukunft der deutschen Rentenversicherung hängt.
Bilanz in einer Art und Weise herunterzureißen
versucht — ich sage ausdrücklich: versucht —, daß (Beifall bei der CDU/CSU.)
es schon notwendig ist, auf einige grundsätzliche Es ist völlig abwegig, wenn in einem gewissen Teil
Fragen im Zusammenhang mit dem, was er gesagt der Presse davon gesprochen wird, daß hier nun mit
hat, noch einmal einzugehen. einem Riesenaufwand ein Schriftstück mit 160 Sei-
Daß Herr Professor Schellenberg damit auch den ten verfaßt worden sei, es aber gar keinen rechten
Sozialbeirat in seiner Gesamtheit — der Herr Bun- Wert habe. So ist ja auch heute morgen die Beur-
desarbeitsminister hat soeben schon darauf hinge- teilung des Herrn Professor Schellenberg zu ver-
wiesen — in gleicher Weise herabgewürdigt hat, stehen gewesen. So ist das nicht, meine Damen und
also auch die im Sozialbeirat vertretenen prominen- Herren, und eine solche Feststellung darf, wie ich
ten Mitglieder des Deutschen Gewerkschaftsbundes, glaube, in diesem Raum nicht unwidersprochen
scheint dem Herrn Professor Schellenberg gar nicht bleiben.
zum Bewußtsein gekommen zu sein. (Beifall in der Mitte.)
Es geht doch bei der Kritik dieser versiche- Ich halte es deshalb für meine Pflicht — da ich die
rungstechnischen Bilanz wahrhaftig nicht nur dar- Arbeit an den Bilanzen kenne und da ich als ehe-
um, daß man die zurückliegenden verschiedenen maliges Mitglied des Sozialbeirats auch einiger-
Sozialberichte auswertet und sie dem, was hier in maßen über desen Arbeitsweise im Bilde bin —,
der Bilanz auf Grund einer langen Vorschau be- an dieser Stelle dem Herrn Bundesarbeitsminister
rechnet ist, gegenüberstellt. Der Herr Bundes- herzlichst zu danken für die großartige Arbeit, die
arbeitsminister hat in seinen Einführungsworten er und sein Haus mit der Aufstellung der versiche-
dem Sinne nach ausdrücklich darauf hingewiesen, rungstechnischen Bilanzen geleistet haben.
daß diese versicherungstechnischen Bilanzen doch (Beifall bei der CDU/CSU.)
keine Wahrsagungen darstellen sollen, die den An-
spruch darauf erheben wollten, die tatsächliche Ich spreche ihm und seinen Mitarbeitern, insbeson
künftige Entwicklung der Rentenversicherung wi dere dem Leiter seiner versicherungsmathemati-
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 48. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. November 1962 2137
Gaßmann
schen Abteilung, unsere Anerkennung und unser wiesen —, ist vom Sozialbeirat einstimmig bestätigt
Lob aus — ich glaube das auch im Namen meiner worden. Ich brauche hier die Worte, die vor mir der
gesamten Fraktion tun zu dürfen — für dieses Wun- Herr Bundesarbeitsminister vorgetragen hat und die
derweit an Zahlen — ein bewundernswertes Zah- in den Vorbemerkungen des Sozialbeirats zu seinem
lenwerk —, das mit unendlicher Mühe und Gewis- Bericht enthalten sind, nicht zu wiederholen.
senhaftigkeit nach jahrelanger Vorarbeit und erst-
malig wieder nach vielen Jahren aufgestellt worden Niemand allerdings verkennt die Problematik, die
ist. darin steckt, daß Einnahmen und Ausgaben für
(Erneuter Beifall bei der CDU/CSU.) 30 Jahre vorausgeschätzt werden müssen. Trotz-
dem sind solche Voraussetzungen für eine Versi-
Ich bin mir klar darüber, was ich jetzt sage, wenn cherung, die es mit so langfristigen Risiken, wie sie
ich feststelle, daß die versicherungstechnischen die gesetzliche Rentenversicherung darstellt, zu tun
Bilanzen methodisch ganz großartig angelegt sind. hat, unerläßlich. Auch ein vorsichtiger Hausvater
Sie haben für jede Frage und für jede Unklarheit und erst recht ein verantwortungsbewußter Unter-
(Abg. Geiger: ... eine passende Antwort!) nehmensleiter wird für seine Planungen weder un-
eine Erklärung. Wer sich die Mühe macht, sie rich- gezügelten Optimismus noch lähmenden Pessimis-
tig zu lesen, der findet sie gar nicht mehr so ge- mus gelten lassen, sondern er wird Krisenzeiten
heimnisvoll, wie es heute morgen hier dargestellt rechtzeitig schon mit einkalkulieren. Er richtet sich
worden ist. Im Gegenteil, die hier vorliegende ver- nach einem alten Erfahrungssatz: vorsichtig in der
sicherungstechnische Bilanz ist — davon bin ich Einnahmenschätzung und realistisch in der Ausga-
überzeugt — ein Musterbeispiel für Bilanzen: benberechnung!
durchsichtig und klar. Über die Finanzlage einer solchen Versicherung -
(Beifall in der Mitte.) kann man kein zutreffendes Bild gewinnen, wenn
man sich darauf beschränkt, so wie das Herr Profes-
Es wurde der Vorwurf erhaben — der Herr Bun- sor Schellenberg heute morgen getan hat, aus der
desarbeitsminister ist vorhin schon kurz darauf ein- Einnahmen- und aus der Ausgabenrechnung der
gegangen —, .daß 'bereits der Sozialbericht 1962 eine letzten Jahre — und nur der allerletzten Jahre —
Differenz von je etwa 500 Millionen DM gegenüber festzustellen, daß etwa die Einnahmen ein gutes
den Bilanzen ausweist, was eine Differenz von 3 Stück über den Ausgaben gelegen haben, oder wenn
bis 4 % der Gesamtsumme ausmacht. Damit ist
man allenfalls Vorausberechnungen für einen kurzen
über die Bilanzen als solche überhaupt kein Wert-
Zeitraum macht, den man mit einiger Sicherheit
urteil gefällt.
schon im voraus übersehen kann. Es kann durchaus
Herr Professor Schellenberg glaubt auch die An- sein, daß auch die Vorausberechnungen für die
nahmen bei der Frage der Bevölkerungsstruktur nächsten zwei oder die nächsten drei Jahre noch ein
variieren zu können. Darauf muß ich sagen, daß ganz befriedigendes Bild ergeben werden. Trotzdem
geade diese Annahmen am allerwenigsten eine Va- darf man sich dadurch nicht in Sicherheit wiegen
riation nötig haben oder überhaupt dazu geeignet lassen. Bei den langfristigen Risiken der Renten-
sind. Die künftige Bevölkerung errechnet sich aus versicherung, in der der Versicherungsfall in der
der gegenwärtigen Bevölkerung, die doch genau Regel erst Jahrzehnte nach dem Beginn der Bei-
ausgezählt ist. Um von der gegenwärtigen Bevölke- tragszahlung eintritt, muß durchaus damit gerech-
rung zur zukünftigen Bevölkerung zu kommen, net werden, daß in zehn oder in fünfzehn Jahren
braucht man nur die Sterbewahrscheinlichkeiten das Finanzbild ganz anders sein wird, als es in den
und die Geburtenhäufigkeiten. letzten beiden Jahren war oder für die nächsten
(Lachen bei der SPD.) Jahre vorausberechnet werden kann. Das wird ins-
besondere gerade dann eintreten, wenn die heute
Die nach Alter abgestuften Sterbeziffern sind seit morgen genannte Belastungsquote der Versiche-
Aufstellung der letzten allgemeinen deutschen rung, d. h. das Verhältnis der Anzahl der Rentner
Sterbetafel von 1949/1951 Jahr für Jahr aus den zur Anzahl der Beitragszahler, zur Zeit zwar noch
statistischen Jahrbüchern bekannt. Aus dieser 12 ganz befriedigend ist, wenn aber aus der Betrach-
Jahre alten Entwicklung kann die künftige Ent- tung der Geburtenzahlen in den letzten Jahrzehn-
wicklung 'der Sterbewahrscheinlichkeit mit ziem- ten schon jetzt mit Sicherheit zu erwarten ist, daß
licher Sicherheit vorausgeschätzt werden. Was die die Belastungsquote in den nächsten Jahrzehnten
Geburtenhäufigkeiten anlangt, darf davon kein beträchtlich ansteigen wird.
wesentlicher Einfluß auf die Ergebnisse der Bilan-
zen erwartet werden, bei denen ja eine gleichblei- (Sehr wahr! bei der CDU/CSU.)
bende Geburtenhäufigkeit unterstellt war. Denn die
in den letzten Jahren mehr geborenen Kinder wer- Gerade in dieser Lage befindet sich die gesetz-
den erst gegen Ende des Vorausberechnungszeit- liche Rentenversicherung in der Bundesrepublik.
raumes der Bilanzen in die gesetzliche Rentenver- Daraus ersieht man, von welcher Bedeutung für
sicherung eintreten. Sie sehen daraus, daß es höchst die gesetzliche Rentenversicherung langfristige Vor-
gefährlich ist, an solchen von vornherein feststell- ausschätzungen sind. Daß solche langfristigen Vor-
baren Tatbeständen noch variieren zu wollen. ausschätzungen stets mit einer gewissen Unsicher-
heit behaftet sein werden, muß der Sache nach in
Die Sorgfalt, mit der bei der Aufstellung dieses Kauf genommen werden.
Berichts vorgegangen worden ist — auch darauf
hat der Herr Bundesarbeitsminister schon hinge (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)
2138 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 48. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. November 1962
Gaßmann
Der Gesetzgeber hat gerade deswegen - das, was Sie hier als Möglichkeiten in den Raum
gestellt haben, durchgeführt werden könnte, ohne
(Abg. Geiger: Es muß aber ein hoher Grad
daß wir uns in die Gefahr begäben, daß Sie zu
von Wahrscheinlichkeit erreicht werden!)
einem Zeitpunkt, zu dem Sie vielleicht Arbeitsmini-
— Ja, gerade deswegen! Der Gesetzgeber hat des- ster sind, in ganz große Schwierigkeiten hinein-
wegen auch vorgeschrieben, daß versicherungs- geraten.
technische Bilanzen in kurzer Aufeinanderfolge, (Heiterkeit und Beifall bei den Regierungs
nämlich alle zwei Jahre, vorzulegen sind. Erkennt- parteien.)
nisse aus den Erfahrungen, die seit Aufstellung der
letzten Bilanz angefallen sind, können für die ,Sehr geehrter Herr Kollege Schellenberg, da Sie
nächste Bilanz verwertet werden und zur Stützung hier die ,,wachsweiche" oder die „Zickzack-Linie"
oder zur Berichtigung der ersten Bilanz führen, je der FDP in der Frage der Rentenneuregelungsge-
nachdem, wie der Fall liegt. Der Wert dieser Bilan- setze vorgeführt haben, muß ich Ihnen ins Gedächt-
zen steigert sich also mit jeder weiteren Bilanz. nis zurückrufen, warum unsere Fraktion im Jahre
Auch daran muß man denken, bevor man ein Urteil 1957 — ich hatte damals noch nicht die Ehre, diesem
über die uns hier vorgelegten Bilanzen abgibt. Hohen Hause anzugehören; aber in den anschlie-
ßenden Wahlkämpfen mußte man sich deswegen ja
(Beifall bei der CDU/CSU.)
manchmal recht kräftig verteidigen — diese Gesetze
abgelehnt hat: Sie wissen, daß wir große Bedenken
Vizepräsident Dr. Dehler: Das Wort hat der wegen der automatischen Anhebung der Neurenten,
Abgeordnete Spitzmüller. bezogen auf den Lohn, hatten, und das, was wir hier
bei der Anhebung der Altrenten bisher praktiziert-
Spitzmüller (FDP) : Herr Präsident! Meine sehr haben, ist bei uns auch noch nicht ganz verschmerzt;
verehrten Damen! Meine Herren! Zum fünften Male denn in § 1272 steht, daß diese Anpassung die Ent-
beschäftigt sich dieses Hohe Haus mit einem Ren- wicklung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, der
tenanpassungsgesetz, aber zum ersten Male wird Produktivität sowie die Veränderung des Volksein-
gleichzeitig eine versicherungstechnische Bilanz vor- kommens je Erwerbstätigen 711 berücksichtigen hat.
gelegt. Über diese versicherungstechnische Bilanz Wir haben aber bei allen Anpassungen so ange-
hat Herr Professor Schellenberg heute morgen sehr hoben — und auch bei der jetzigen wollen wir das
eingehende Ausführungen gemacht. Herr Kollege tun —, wie wir es bei den Neurenten vor einem
Schellenberg, Sie haben Zweifel geäußert, ob im Ar- Jahr getan haben, haben also mit einjähriger Ver-
beitsministerium überhaupt moderne Rechenmaschi- spätung die Altrenten angehoben, so daß bei uns
nen vorhanden seien. Ihre Ausführungen gipfelten in immer wielder einmal die Frage auftaucht: ist das
der Feststellung — Sie w andten sich damit an den eigentlich s o ganz im Sinne (dessen, was in § 1272
unvoreingenommenen Betrachter —, das Werk, das des Gesetzes festgelegt ist, oder sind wir nicht ,auch
uns hier vorgelegt worden sei, sei nicht stichhaltig, ein bißchen in das schematische Anheben hineinge-
das sei keine Unterlage, auf der man aufbauen kommen? Das ist eine Frage, die man zwar etwas
könne. Sie haben dann vor unserem geistigen Auge zurückstellen kann, die aber sicherlich angesichts
ein neues Gebilde aufgerichtet — dies hatten Sie der Lohnentwicklung der letzten zwei, drei Jahre
offensichtlich mit einer neuen Rechenmaschine oder einmal wieder im Vordergrund der Betrachtungen
nach altherkömmlicher Art in Ihrem Kopf ausge- bei der Anhebung der Altrenten stehen wird. Wir
rechnet — und gesagt: Das ist die Grundlage, von haben in diesem Saale in den letzten Tagen — so
der wir ausgehen. hatte es jedenfalls den Anschein, und so hat es auch
Lieber Herr Kollege Schellenberg, gestatten Sie in der Presse deutlich seinen Niederschlag gefun-
mir die leicht ironische Bemerkung: ich hoffe doch, den — um ganz bestimmte Begriffe der Rechtsstaat-
daß auch bei der neuartigen Rechenmaschine, von lichkeit, des rechtsstaatlichen Handelns und des
der Sie sprachen, immer noch nach dem Grundsatz rechtsstaatlichen Denkens gerungen. Man sollte sich
gegangen wird, daß zweimal zwei vier ist, und daß einmal überlegen, ob wir nicht eigentlich das, was
da nicht etwas anderes herauskommt. im Rentenneuregelungsgesetz steht, auch im Parla-
ment korrekt beobachten und durchführen müßten.
(Sehr gut! bei der CDU/CSU.)
Ich führe das nur an, um Ihnen deutlich zu ma-
Ihren Ausführungen konnte man entnehmen, daß
chen, daß unsere Bedenken keineswegs ausgeräumt
wir nicht nur die Rentenschere schließen, sondern
daß wir darüber hinaus eine ganze Fülle von Härten sind, daß wir aber auf Grund der günstigen Entwick-
beseitigen können, die wir und die Kollegen von lung unserer Wirtschaft, die diese Lohnsteigerungen
der CDU/CSU auch alle recht gern aus dem Gesetz bisher noch verkraften konnte, in der Lage gewesen
heraushaben möchten. Ich bin der Meinung, Herr sind, (diese unsere Bedenken, die damals vorder-
Kollege Schellenberg, wir werden das, was Sie hier gründig waren, in den Hintergrund treten zu lassen.
vorgetragen haben, mit unserem Koalitionspartner Sie werden sich daran erinnern, meine Damen und
noch einmal sehr aufmerksam durchgehen, Herren von der SPD, daß wir damals wegen des
Wortes „Beitragsgerechtigkeit" einige Bedenken
(Zurufe von der SPD) hatten; denn wir konnten nicht einsehen — und da
und wir werden es mit dem Arbeitsministerium stimmen wir mit unseren Koalitionspartnern ja
durcharbeiten. Ich glaube, niemand wäre glücklicher heute noch nicht (ganz überein daß von einer
als wir von der FDP und unsere Koalitionsfreunde Beitragsgerechtigkeit die Rede sein könne, wenn
von der CDU, wenn sich tatsächlich ergäbe, daß all man auf der einen Seite eine Höchstrentenbestim-
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 48. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. November 1962 2139
Spitzmüller
mung einsetzt und auf der anderen Seite nach einer sagen: Man kann die Rücklagen abbauen oder auf
gewissen Übengangsfrist Renten von 3, 5 und 10 ihrem derzeitigen Stand festhalten. Solche Vorstel-
DM als „beitragsgerechte" Renten ausweist. lungen würden jedoch bedeuten, daß m an ehrlich
die gesetzgeberische Initiative ergreift und eine
Lassen Sie mich aber noch auf eines hinweisen. Novelle zum Rentenneuregelungsgesetz vorlegt.
Wir beraten heute das Fünfte Rentenanpassungs- Diese hätte dann ganz klar zum Ausdruck zu brin-
gesetz in erster Lesung und werden uns darüber im gen, daß man mit der Rücklagenpolitik, die im
Ausschuß unterhalten müssen. In dieser Debatte Rentenneuregelungsgesetz eingeschlagen ist, nicht
und leider auch in der Öffentlichkeit ist es immer mehr einig geht und glaubt, daß vielleicht eine drei
wieder untergegangen — oder es wird zumindest oder viermonatige Rentenrücklage ausreichen
nicht so deutlich, wie es eigentlich notwendig würde, weil man bestimmte Versprechungen oder
wäre —, daß die Anpassung der Renten eine Lei- Vorstellungen verwirklichen will.
stungsverbesserung ist, und zwar eine Leistungs-
verbesserung, die eben die Dinge berücksichtigen Auch nach meiner Meinung muß man dem Herrn
muß, die in § 1272 angesprochen sind. Aber wir er- Bundesarbeitsminister zustimmen, der vor einem
leben immer wieder, daß in der Öfffentlichkeit der Jahr hier gesagt hat, dem Reformwerk tue eines gut,
Eindruck entsteht, diese Anpassung der Rente sei nämlich Ruhe, und man müsse erst einmal abwarten,
eine Art 'Teuerungszulage, weil — geben wir es weil bei der Schwierigkeit der Materie gewisse Män-
ehrlich zu — auch vieles durch gewisse Preissteige- gel nicht auszuschließen seien. Wir sind der Meinung
rungen im Laufe eines Jahres wieder weggenom- — wir haben das mit unserem Koalitionspartner ab-
men wird. Selbstverständlich wird durch die Berück- gestimmt —, daß man noch einmal ein Jahr zuwar-
sichtigung des Volkseinkommens das Nominalein- ten sollte, dann aber in einem großzügigen Novel-
kommen erfaßt und nicht das Realeinkommen. Das lierungswerk an die Beseitigung ganz bestimmter-
heißt, daß inflatorische Tendenzen, die zweifellos Härten herangehen muß.
vorhanden sind, die in den Lohnsteigerungen mit (Abg. Geiger: Vor der Wahl!)
enthalten sind, unabhängig, woher sie kommen,
übernommen werden. Wenn insbesondere aber die — Nicht vor der Wahl, sondern nach der ersten
Bezieher kleiner Renten effektiv an der Steigerung Hälfte der Legislaturperiode! Das ist nicht vor
des Volkseinkommens beteiligt werden sollen, so der Wahl, Herr Geiger! Ich habe aus Erfahrungen
wie das im Rentenneuregelungsgesetz gedacht ist, der Vergangenheit die Befürchtung, daß, wenn man
müssen wir uns auf einen ganz wesentlichen Grund- vor der Wahl Novellierungen durchführt, manches
satz unserer Wirtschaftsordnung zurückbesinnen, hineinkommt, was nicht genügend durchdacht ist
nämlich auf die Stabilität der Währung. Denn von und wieder die nächste Novellierung erforderlich
dem Maß der Sicherung unserer Währung wird es macht, und das tut einem Gesetzeswerk nicht gut.
entscheidend abhängen, ob das Ziel, das mit den Lassen Sie mich noch etwas anderes sagen, was
Rentenneuregelungsgesetzen gesetzt worden ist, daß die Mitglieder des Sozialpolitischen Ausschusses in
nämlich derjenige, der außerhalb des Arbeitspro- Berlin bei der Besichtigung der Bundesversicherungs-
zesses steht, an dem Zuwachs des Sozialprodukts anstalt festgestellt haben. Dort hat man uns gesagt,
teilnimmt, gewährleistet ist oder durch Preissteige- daß eine Novellierung dieser Gesetze durchaus mög-
rungen annulliert bzw. weitgehend inhibiert wird. lich ist, daß aber von einem gewissen Zeitpunkt an,
Es gibt nun Leute, die sagen, man könne in einer wenn nämlich die modernsten Maschinen angeschafft
Volkswirtschaft die Stabilität der Währung nicht sind und die Programmierung hierfür stattgefunden
sichern, wenn die Nachbarstaaten, mit denen man hat, an den Grundlagen nicht mehr gerüttelt werden
Handel treibe, sich in einer inflationistischen Ten- kann, weil sonst die Aufgaben nicht mehr zu bewäl-
denz befänden. Sicherlich gibt es manche, die an tigen sind. Diese technische Umstellung erst ermög-
inflationistischen Tendenzen verdienen, denen es licht — wovon Herr Professor Schellenberg hier ge-
dabei gut geht und die ihren Gewinn daraus ziehen. sprochen hat — die Erstellung einwandfreier Unter-
Aber es gibt zwei Kreise, die immer darunter lei- lagen, von denen man bei der Aufstellung der ver-
den: das sind die Sparer und das sind die Rentner sicherungstechnischen Bilanz ausgehen kann. Wenn
und Pensionäre. Ich wollte das aus Anlaß dieser wir das anstreben, dann muß bis zu dem Zeitpunkt,
fünften Rentenanpassung hier auch einmal klar her- zu dem die Maschinen beschafft werden, die Rich-
ausstellen, um darauf hinzuweisen, wie eng wirk- tung ganz klar bestimmt sein, in der die Renten-
lich soziale Gesinnung und wirklich soziale Hand- gesetzgebung zu gestalten ist. Dann kann man nicht
lungen eben mit unserem Wirtschaftsgefüge und mit mehr vom Grundsatz her an dauernde Novellie-
unserer finanzpolitischen Situation verbunden sind. rungen herangehen, sondern dann müssen die
Letzten Endes dürfen wir nicht so tun, als ob sich Grundsätze endgültig festliegen.
die Sozialpolitik frei im Raum bewegen könnte. Sie Lassen Sie mich noch eines sagen, Herr Kollege
ist integraler Bestandteil und absolut abhängig von Schellenberg. Sie haben betont — und das hat uns
dem, was unsere Wirtschaft schafft und was sie zu außerordentlich gefreut —, daß auch die SPD sich
leisten in der Lage ist. nicht in der Sorge dafür übertreffen lassen wolle,
daß die jetzt arbeitende Generation im Alter die
(Beifall bei den Regierungsparteien.)
Rente bekomme, die sie auf Grund ihrer jetzigen
Sicherlich könnte man eine Reihe von Verbesse- Beiträge zu erwarten habe. Lieber Herr Kollege
rungen, die dem einen oder anderen vorschweben, Schellenberg, das ist sicherlich richtig. Aber bei allen
durchführen. Aber wenn man sich einer oberfläch- Zweifeln an den Zahlen der versicherungstech-
lichen Betrachtungsweise hingibt, dann könnte man nischen Bilanz, die Sie geäußert haben und die von
2140 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 48. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. November 1962
Spitzmüller
dem Herrn Bundesarbeitsminister und von dem Kol- Das Maß sozialer Leistungsfähigkeit ist durch die
legen Gaßmann zurückgewiesen worden sind, kön- Wirtschaft vorgezeichnet. Nur eine gesunde und ,

nen Sie doch nicht bestreiten, daß in einer Reihe von stabile Wirtschaftspolitik kann der Garant für eine
Jahren auf 100 Beitragszahler 48 Rentenbezieher wirksame Sozialpolitik sein. In diesem Sinne sehen
kommen werden. Die in der Arbeit stehende Gene- wir auch dieses Fünfte Rentenanpassungsgesetz.
ration muß dann die Mittel für diese Leute aufbrin- Wir werden ihm zustimmen. Wir sind der Über-
gen; ob nun 48, 50 oder 52 Rentner auf 100 Beitrags- zeugung, daß es für uns und unser Volk nur gut
zahler kommen, spielt dabei keine Rolle. sein kann, wenn wir hier Schritt für Schritt vorge-
hen, also nicht übertriebene Vorstellungen' vorzeitig
Noch ein Wort zu Ihrer optimistischen Betrach-
in die Tat umsetzen und dadurch in die Gefahr ge-
tungsweise, Herr Kollege Schellenberg. Die starke
raten, nachher auf kleinere Ansätze zurückgehen zu
Belastung durch eine Vielzahl von Rentnern, näm-
müssen, etwas, was als möglicherweise notwendig
lich 48 Rentner auf 100 Beitragszahler, beginnt im
in der Tendenz der versicherungstechnischen Bilanz
Jahre 1973. Aber gerade diejenigen, die dann zu
aufgezeigt wird.
Rentenempfängern werden, haben erhebliche Ren-
tenansprüche, nämlich auf Grund der guten Ver- (Beifall bei den Regierungsparteien.)
dienste der letzten Jahre und auf Grund der hof-
fentlich noch besseren Verdienste in den Jahren von Vizepräsident Dr. Dehler: Das Wort hat der
1962 bis 1973. Es ist daher schon besser, wenn man Abgeordnete Professor Schellenberg.
von vorsichtigen Zahlen ausgeht, als von zu opti-
mistischen: Denn wir haben immer erlebt, daß man, Dr. Schellenberg (SPD) : Herr Präsident! Meine
wenn man bei einem Gesetz von einer bestimmten Damen und Herren! Der Herr Bundesarbeitsminister
Entwicklung, sagen wir 5 % Steigerung im Jahr, hat hier von dem Sozialbeirat gesprochen. Ich-
ausging, es dann aber nur 4 % waren, hier im Hause möchte dazu nur ein Wort sagen, Herr Minister.
und draußen i n der Öffentlichkeit den Eindruck zu Politisch verantwortlich ist die Bundesregierung.
erwecken versuchte, als sei dieses Gesetz ein Miß-
erfolg, weil die optimistischen Voraussagen sich (Abg. Geiger: Sehr richtig!)
nicht verwirklicht hätten. Im Interesse unserer Rent- Sie hat den Bericht vorzulegen, sie hat dazu ein
ner von morgen und unserer Arbeiter von heute Gutachten zu erstatten, und allein mit der Bundes-
dürfen wir keine übertriebenen Hoffnungen er- regierung setzen wir uns auseinander.
wecken, sondern müssen, wie es Kollege Kühn
schon ausgesprochen hat, dafür sorgen, daß die Ren- (Zurufe von der CDU/CSU.)
tenpolitik einen kontinuierlichen Verlauf nimmt. Wenn wir hier über Aussagen des Beirats eine
Die Entwicklung ist in den letzten Jahren recht politische Diskussion führten, wie sie der Herr Bun-
gut und günstig gelaufen. Trotzdem dürfen wir die desarbeitsminister vielleicht einleiten wollte, dann
Tendenzen, die in der versicherungstechnischen Bi- wären wir auf einem sehr schlechten Wege. Auch
lanz sichtbar werden, nicht bagatellisieren. Die FDP wir sind den Mitgliedern des Beirats für die gelei-
behält sich vor, zu gegebener Zeit durch einen An- stete Arbeit dankbar. Aber die politischen Bereiche
trag in diesem Hause die Voraussetzungen dafür liegen allein bei diesem Hause.
zu schaffen, daß die Möglichkeit einer anderen Ge- (Zurufe von der CDU/CSU. — Abg. Arnd
staltung noch einmal durch unabhängige Gutachter gen: Das hat doch keiner bestritten!)
überprüft werden kann.
— Aber, meine Damen und Herren, der Herr Mini-
Wir dürfen uns durch die guten Verhältnisse des ster hat doch versucht, sich bezüglich der versiche-
Augenblicks nicht den Blick für die Zukunft trüben rungstechnischen Bilanz durch den Beirat abzu-
lassen. Wir Freien Demokraten sind bereit, einer decken.
Anpassung im Rahmen der finanziellen Möglichkei- (Widerspruch bei der CDU/CSU.)
ten, wie sie vorgeschlagen ist, zuzustimmen. Wir
Wir wissen, wie schwierig die Meinungsäußerung in
sind aber nicht bereit, Wege mitzugehen, die nur
dem Beirat war.
eine Täuschung auf Zeit beinhalten würden, nämlich
dadurch, daß angebliche soziale Leistungen über das Aber das, was der Herr Minister gesagt hat, be-
hinaus, was die Wirtschaft effektiv verkraften kann, traf nur Randerscheinungen. Auf die wirklichen
gewährt werden. Denn letzten Endes würde das be- Grundfragen, die hier zur Erörterung stehen, die wir
deuten, daß alle die bekannten Randerscheinungen zur Erörterung stellen mußten, ist der Herr Mini-
einer inflatorischen Entwicklung Platz greifen und ster mit keinem Wort eingegangen.
die Substanz unserer Rentengesetzgebung in Frage
(Zustimmung bei der SPD.)
gestellt wird.
Er hat versucht, uns fundamentale Unterschiede
(Beifall bei den Regierungsparteien.)
zwischen Sozialbericht mit einer Vorausschau von
Die Bedenken gegen ein Fortschreiten auf dem 10 Jahren und versicherungstechnischer Bilanz mit
bisher eingeschlagenen Weg sind lauter geworden. einer Vorausschau von 30 Jahren darzulegen. Meine
Zum erstenmal liegt uns ein Sozialbericht und ein Damen und Herren, das wissen wir auch für die
Vorschlag zur Anpassung vor, für die sich keine Beitragsfrage sehr genau, besonders diejenigen, die
Mehrheit im Sozialbeirat gefunden hat. Wir sollten an dem Gesetz im Ausschuß gearbeitet haben, viel-
es uns gerade deshalb, weil manches besser gegan- leicht noch besser als der Herr Minister, der damals
gen ist, als zu erwarten war, heute und in den näch- noch nicht die besondere politische Verantwortung
sten zwei bis drei Jahren nicht leicht machen. für das Gesetz trug.
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 48. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. November 1962 2141
Dr. Schellenberg
Die einzige Möglichkeit, die Prämissen der Sozial- herige Schweigen der Bundesregierung dazu in der
berichte
Öffentlichkeit
und der versicherungstechnischen
entstanden
Bilanz, ist. Ich habe Ihnen
jene Hypothesen — im Bundesrat wurde von 200 heute morgen einige Zeitungen zitiert, die schon
Hypothesen gesprochen — zu überprüfen, sie in von vornherein gegen die Rentenanpassung auf-
einen Zusammenhang mit der Wirklichkeit zu brin- traten. Was schrieben große deutsche Tages-
gen, besteht darin, die Ergebnisse und die Voraus- zeitungen, was sagt der Rundfunk? Da heißt
schätzungen einander gegenüberzustellen. Und da es in den Überschriften: „Das Rentendilemma" —
liegen — das können Sie doch nicht bestreiten — „Rentendynamik zwingt zu höheren Beitragen" —
schon bei allen fünf vorgelegten Sozialberichten ent- „Niedrigere Renten oder höhere Zuschüsse?" —
scheidende Fehlkalkulationen vor. „Vor einer Erhöhung der Rentenbeiträge" — „Auf
Der Sinn meiner Ausführungen heute morgen war dem Wege zum Rentnerstaat" — „Schon 1967 reicht
doch, Ihnen durch Fakten zu beweisen, daß auch für das Geld für ihre Renten nicht mehr" usw. Wenn
die langfristige Vorausschau, auf die wir alle ange- das in jeden Haushalt gelangt, dann hat doch die
wiesen sind, Bundesregierung die Verpflichtung, ein Wort zu
solchen Auswirkungen der Bilanzen zu sagen. Das
(Abg. Ruf: Da kann man nicht mit 10 % hat sie unterlassen, und das war ein schweres Ver-
rechnen!) schulden.
schon bei den Ansätzen der ersten überprüfbaren (Beifall bei der SPD.)
Jahre hinsichtlich des Vermögenszuwachses sich Der Herr Bundesarbeitsminister hat hier das Wort
eine Differenz von 100 % ergibt. „Popanz" in den Munid genommen. Ich glaube, er
(Sehr wahr! bei der SPD.) hätte das unterlassen sollen. -

Das sind doch die Tatsachen, und dazu hat der Bun- (Zustimmung bei der SPD.)
desarbeitsminister, haben die Sprecher der Regie- Denn was ein Popanz ist, das wollen wir im Hin-
rungsparteien nichts gesagt. Herr Kollege Kühn, Sie blick auf die Zahlen, die uns heute vorgelegt wur-
haben hier gewissermaßen die Ausschußberatungen den, dahingestellt sein lassen.
über die Fragen des Sonderzuschusses und der Rück-
(Beifall bei der SPD.)
wirkung eröffnet.
(Zuruf des Abg. Kühn [Hildesheim].) Vizepräsident Dr. Dehler: Das Wort hat der
— Ich (habe, Herr Kollege Kühn, diese Dinge nur Herr Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung.
mit drei Sätzen berührt und ausdrücklich gesagt,
daß wir sie im Ausschuß (behandeln wollen, weil Blank, Bundesminister für Arbeit und Sozial-
heute hier ein viel größeres Problem zur Erörterung ordnung: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Da
steht. men und Herren! Der Herr Schellenberg hat gesagt:
Politisch verantwortlich ist die Bundesregierung,
Ich habe mich über etwas sehr gewundert: Drei
nur mit ihr haben wir die Diskussion zu führen;
oder vier Sprecher der Regierungsparteien haben
aber der Herr Minister hat versucht, sich abzudek-
gesprochen und auch der Herr Bundesarbeitsmini-
ken.
ster; aber zu dem sehr wesentlichen Tatbestand, daß
zwei Drittel der Menschen vor Erreichen der gesetz- Dazu möchte ich noch einmal Stellung nehmen.
lichen Altersgrenze arbeitsunfähig werden, haben Sie haben, Herr Schellenberg, für jeden Zuhörer
Sie kein Wort gesagt. unmißverständlich hier in mehreren Variationen
dargetan, daß die Zahlen der versicherungstech-
(Zuruf ides Abg. Schütz.)
nischen Bilanz mit Absicht so gestaltet seien, um
— Ich habe doch gesagt, daß alle gemeinsamen An- grau in grau zu malen, das heißt — so haben Sie
strengungen darauf gerichtet werden müssen, da gesagt, wenn ich das auch nicht mit gleichen Wor-
einen Wandel zu schaffen. ten wiedergeben kann, aber dem Sinne nach —, um
(Zuruf von der Mitte.) politisch den Boden vorzubereiten, um das derzei-
tige Rentengesetz aus den Angeln zu heben.
Herr Kollege Gaßmann, Sie sprachen von einem
Wunderwerk von Zahlen. Ich habe gesagt und wiederhole es, weil Sie das
wieder angesprochen haben: Sie haben sich einen
(Lachen bei der SPD. — Abg. Killat: Wir Popanz aufgebaut. Denn niemand in diesem Hause
haben uns auch gewundert!) — ich kann das mit aller Deutlichkeit für meine Frak-
— Ja. Lieber Herr Kollege Gaßmann, Sie lassen sich tion sagen, und der Sprecher der FDP hat ja soeben
durch eine Fülle von Zahlen beeindrucken; ich nicht. das seinige von der Auffassung seiner Fraktion her
Dazu habe ich in meinem Leben beruflich viel zu- gesagt —
viel mit Zahlen zu tun gehabt. (Zuruf von der SPD)
(Abg. Schütz: Das kann man wohl sagen!) — Ihre Ansicht in Ehren, ich lasse sie Ihnen unbe-
stritten — denkt daran, dieses Gesetzgebungswerk
Für mich isst die Bewertungsmöglichkeit der Zahlen aufzuheben oder grundlegend zu ändern. Wir hal-
in der Bilanz entscheidend. ten an dem Grundgedanken fest, die Rentenversor-
Politisch entscheidend — darauf haben Sie auch gung so zu gestalten, daß der arbeitende Mensch,
nicht geantwortet — ist die Wirkung, die durch die der ein erfülltes Arbeitsleben hinter sich hat und
Veröffentlichung der Bilanzen und durch das bis- mit seiner Beitragszahlung, die ja sehr hoch ist, da-
2142 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 48. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. November 1962
Bundesminister Blank
zu beigetragen hat, die derzeitigen Renten zu sache umfaßt, natürlich nicht zitieren. Aber, Herr
ermöglichen, später eine Rente bekommt, die Kollege Schellenberg, wenn Sie die einmal gründ-
in gleicher Relation zu den dann üblichen Verdien- lich durchlesen — ich glaube, daß Sie das auch tun
sten steht. werden, ich bin sogar davon überzeugt —, werden
(Beifall bei der CDU/CSU.) Sie diesen Ihren Vorwurf, ich hätte die Zahlen fär-
Deshalb, Herr Schellenberg, brauche ich mich gar ben lassen, zurücknehmen.
nicht zu verstecken; denn dieser Ihr Vorwurf hat Denn was erwarte ich? Ich erwarte, daß uns diese
zum Inhalt, daß ich ja nicht nur das Parlament versicherungstechnische Bilanz unter einer Reihe von
täusche. Nun braucht man den Vorwurf gar nicht Annahmen — ob diese zutreffen, weiß niemand von
so ernst zu nehmen; denn ich schätze die Intelligenz uns —, die man aber als möglich unterstellen muß,
der Parlamentarier so hoch ein, daß sie bei der Be- die man miteinander variieren muß, mit denen man
ratung dieser Bilanzen recht bald entdecken wür- eine Reihe von Rechnungen durchführen muß, eine
den, wo ich sie getäuscht hätte, und dieser Gefahr gewisse Tendenz in der Entwicklung zeigt. Dieser
setze ich mich gar nicht aus. Aufklärung bedürfen wir, weil wir von dort her ent-
scheiden müssen, was zu tun ist.
(Sehr gut! bei der CDU/CSU.)
Nun hat, Herr Kollege Schellenberg — Sie haben
Aber, Herr Schellenberg, ich verstecke mich nicht, eben gesagt, damals sei ich an dieser Sache nicht
sondern ich lege nur dar, was der Sozialbeirat beteiligt gewesen; nun, ich war auch damals Abge-
gesagt hat. Ich kann Sie, Herr Schellenberg, nur ordneter des Deutschen Bundestages, ich habe mich
noch einmal bitten: lesen Sie doch endlich einmal auch damals mit dem Gesetz beschäftigt —, der Ge-
sehr gründlich durch, was der Sozialbeirat gesagt setzgeber — mit Ihrer Stimme — sogar in das Ge-
-
hat, und zwar nicht gesagt hat, um mir einen setz hineingeschrieben, was zu tun sei, wenn ein-
Gefallen zu tun, sondern gesagt hat, weil ihn das mal die finanzielle Lage der Rentenversicherungs-
Parlament als Gesetzgeber dazu verpflichtet hat. träger ein bestimmtes Kriterium zeige; ich will es
Was er in seinem Gutachten, das er zu diesen ver- im einzelnen nicht umreißen.
sicherungstechnischen Bilanzen abzugeben hatte, Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir
gesagt hat, das muß, darf und kann nämlich Gegen- sind der Meinung, daß der derzeitige Sozialbericht
stand der Debatte in diesem Parlament sein. Was die Bundesregierung berechtigt, guten Gewissens
hat er denn gesagt? Er hat diese Bilanzen sehr dem Parlament zu sagen: Für diesen Augenblick,
genau analysiert und gesagt, er sei überzeugt — glauben wir, können wir die Anpassung vornehmen,
nicht nur: er nehme an, sondern: er sei überzeugt —, brauchen die vorgesehenen gesetzlichen Maßnahmen
daß die notwendigen Annahmen durch das Bundes- noch nicht ins Auge zu fassen, aber, auf lange Sicht
arbeitsministerium bestmöglich erfaßt seien. Ich gesehen, so scheint uns, ist die Entwicklung mit
will gar nicht weiter zitieren. Er unterstellt nicht, höchster Aufmerksamkeit zu beobachten.
daß wir mit höchst zweifelhaften Annahmen ope-
rierten, sondern er sagt, er sei überzeugt, daß das Wer dies nicht aus den Bilanzen herauslesen will,
Bundesarbeitsministerium diese Annahmen best wer den gegenteiligen Weg gehen will, etwa zu
möglich erfaßt habe. Er geht also davon aus, daß sagen: Na, es wird schon nicht so schlimm werden,
man sich — menschlichen Irrtum natürlich einge- wir könen jetzt statt nur des einen Schrittes der An-
schlossen — im Bundesarbeitsministerium bemüht passung gleich auch noch den zweiten tun, der ist
habe, so gut man das eben kann, alle Daten, die eben anderer Auffassung; denn das mag unter Um-
hier erforderlich sind, zu erfassen und mit ihnen ständen eine Frage der persönlichen Auffassung sein.
die Rechnungen aufzumachen. Das, Herr Schellen- Aber Herr Schellenberg hat doch mit Recht gesagt,
berg, stelle ich noch einmal hier in den Raum, wir alle hier in diesem Hause — nicht nur die Re-
damit Sie mir nicht mit der Bemerkung ausweichen gierung — trügen gemeinsam die Verantwortung
können: Jetzt will er sich hinter dem Beirat ver- dafür — und er kämpft doch so leidenschaftlich um
stecken! den Fortbestand dieses Systems —, daß die Renten-
versicherungsträger finanziell gesund bleiben. Da
Noch ein zweites, Herr Kollege Schellenberg. Ich will ich Ihnen mal etwas sagen, Herr Kollege Dr.
weise so etwas auch von mir. Was ich von den ver- Schellenberg — das ist doch Ihrem Scharfsinn sicher
sicherungstechnischen Bilanzen erwarte, habe ich, nicht entgangen, obwohl Sie es heute gar nicht be-
ohne daß sie hier zur Debatte standen, schon einmal handelt haben —: mögen auch die einzelnen An-
vor Jahren gesagt, und das möchte ich heute dem nahmen, von denen wir ausgegangen sind, so oder
Sinne nach wiederholen. Ich habe gesagt, es sei ein so kritisiert werden können, eine ist hier überhaupt
Irrtum, anzunehmen, wie es manche Leute tun, man nicht behandelt worden: Wir sind davon ausgegan-
mache eine versicherungstechnische Bilanz auf, gen, daß wir für die nächsten Jahrzehnte den der-
wisse nunmehr, wie die ganzen Verhältnisse über zeitigen Stand der Vollbeschäftigung hätten. Wer,
30 Jahre laufen, und sei dann jedes weiteren Nach- meine Damen und Herren, weiß das denn!
denkens darüber enthoben, was man im einzelnen (Sehr gut! in der Mitte.)
zu tun habe. Das ist nicht so. Der Aussagewert die-
ser versicherungstechnischen Bilanz ist vielmehr ein Und wer von uns weiß nicht, daß, wenn nur ein
sehr begrenzter. Das ist sehr genau im Vorwort einziges Mal, in einem einzigen Jahre, was Gott
niedergelegt. Das ist vom Sozialbeirat in seinem verhüten möge — wir wissen doch alle, daß es auch
Gutachten sehr ins Detail gehend dargelegt wor- Dinge gibt, die wir gar nicht in der Hand haben, die
den. Ich will die drei Seiten, die das in der Druck von außen her auf die Entwicklung einwirken kön-
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 48. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. November 1962 2143
Bundesminister Blank
nen —, die bisherige Vollbeschäftigung sich ab- man bestimmte Annahmen unterstellt. Diese Annah
schwächen würde, schon das ganze finanzielle Ge- men sind uns sehr klar, sehr nüchtern und eindeu-
bäude sehr fragwürdig würde. tig vom Ministerium dargelegt worden. Wir können
die versicherungstechnischen Bilanzen, wenn Sie so
Angesichts dieser Tatsachen glaube ich, aus meiner wollen, mit anderen Annahmen anders gestalten;
Verantwortung heraus dem Parlament sagen zu müs- nur, meine Damen und Herren, ob dann das Resul-
sen, daß man, ohne daß man zu pessimistisch zu sein tat zu mehr Optimismus berechtigt, das bezweifle
braucht, durchaus dazu raten kann: Jawohl, nehmen
ich sehr.
wir den Schritt der Anpassung um die 6,6 % vor.
Ich will Ihnen das an einigen Beispielen deutlich
Ich bin so objektiv, zuzugeben, daß es beachtliche machen. Der Herr Kollege Schellenberg hat uns dar-
Stimmen gibt — man kann ja nicht jeden deshalb getan, daß die Regierung Fehlkalkulationen began-
beiseite schieben, weil einem seine Meinung nicht gen habe und sich im Sozialbericht jeweils gegen-
paßt —, die auch daran Kritik üben. Aber ich glaube, über den Voraussagen habe korrigieren müssen.
guten Gewissens dem Parlament empfehlen zu kön- Meine Damen und Herren, forschen Sie doch nach
nen, diesen Schritt zu tun. Ob Sie ihn tun, haben den Ursachen! Woran liegt das? Es liegt daran,
Sie zu entscheiden. Aber ich glaube, ohne übertrie- daß wir eine Lohnentwicklung haben, die wir selber
ben pessimistisch zu sein, im Augenblick nicht nicht erwartet haben und die wir bei der Berech-
empfehlen zu können, obwohl ich es sozialpolitisch, nung unserer Rentenversicherungs-Neuregelungs-
wie gesagt, für richtig, für gut hielte, nunmehr auch gesetze auch nicht für möglich gehalten haben. Ich
noch die fehlende Anpassung nachzuholen. Denn will zu der Frage, ob die Lohnerhöhungen berechtigt
hier, meine Damen und Herren, scheint mir die ver- waren oder nicht, gar nicht Stellung nehmen. Ich
sicherungstechnische Bilanz eines klar zu machen — will nur eines sagen: gleiche Lohnerhöhungen vor-
wie ich einmal in der deutschen Öffentlichkeit ge- ausgesetzt und Ihr politisches Wollen damals ver--
sagt habe; ich möchte den Satz wiederholen —: sehr wirklicht, nämlich die Renten auf den jeweiligen
erfreulich ist sie nicht. Sollten wir uns darin getäuscht Lohnstand gebracht ohne die Verzögerung, die in
haben und sollten wir demnächst einsehen — auch der allgemeinen Rentenbemessungsgrundlage liegt,
das sind nicht meine Worte, die ich jetzt ge- und jährlich automatisch angepaßt, wären die da-
brauche —, daß ihre Aussagen um so besser und zu- maligen Voraussagen der Regierung viel, viel zu
treffender wären, je mehr solche Bilanzen kon- optimistisch gewesen.
tinuierlich aufeinander folgten — das hat der So-
zialbeirat ja gesagt —, sollten wir dann sehen, daß (Beifall bei den Regierungsparteien.)
unsere jetzige Auffassung vielleicht doch nicht Wir wären längst pleite mit allen Rentenversiche-
optimistisch genug war, nun, dann steht nichts im rungen.
Wege, diesen Schritt zu vollziehen, den Sie heute
schon tun könnten, den ich aber heute für noch nicht Man muß das sehr nüchtern sehen. Die günstige
zeitgemäß halte. Entwicklung, die wir im Augenblick haben, ist al-
lein darauf zurückzuführen, daß wir uns damals in
Deshalb, meine sehr verehrten Damen und Herren, vernünftiger Erkenntnis gegen Ihren äußersten
bitte ich Sie, bei aller kritischen Würdigung der Widerstand — ich erinnere mich genau — und nach
Ihnen gegebenen Unterlagen, folgen Sie dem Vor- Auseinandersetzungen in meiner eigenen Fraktion
schlag der Bundesregierung! entschlossen haben, die Regierungsvorlage, wenn
(Beifall bei den Regierungsparteien.) Sie so wollen, in einem Punkt etwas zu verschlech-
tern, weil wir die allgemeine Bemessungsgrundlage
um ein Jahr zurückgeschraubt haben. Daher näm-
Vizepräsident Dr. Dehler: Das Wort hat der lich kommt es, daß die Entwicklung der Löhne der
Abgeordnete Stingl. Entwicklung der Renten vorauseilt und damit ein
höheres Einkommen in die Tüte hineinkommt, das
Stingl (CDU/CSU) : Herr Präsident! Meine Damen wir nicht gleich ausgeben müssen.
und Herren! Herr Kollege Schellenberg, ich glaube,
Sie haben mit dem, was Sie vorhin über die ver- Das trifft für die ganze Entwicklung zu. Folgen
sicherungstechnischen Bilanzen gesagt haben, unse- Sie einmal dem Gedanken des Herrn Kollegen
ren gemeinsamen Überlegungen zur Rentenversiche- Schellenberg und projizieren Sie in die versiche-
rung keinen guten Dienst getan. Sie haben, Herr rungstechnischen Bilanzen anstelle der Größen, die
Kollege Schellenberg, in Ihren Ausführungen mehr- die Regierung angenommen hat, einmal diese hin-
fach darauf hingewiesen, daß die Zeitungsberichte, ein! Wer es ernst meint mit der Stabilität unserer
die teilweise recht alarmierende Überschriften hat- Währung, der muß sich doch auch einmal ansehen,
ten, beunruhigend gewirkt haben. Herr Kollege ob denn die versicherungstechnischen Bilanzen
Schellenberg, ich kann nur sagen: Ihre Ausführugen nachweisen, daß wir die 1986 anfallenden Renten
hier haben mich außerordentlich beunruhigt. Sie noch bezahlen können. Er soll aber einmal auch
haben mich deshalb beunruhigt, weil Sie am Ran- nachsehen, welche Größenordnungen das dann aus-
kenwerk einiger Zahlen aufzeigen wollen, daß man macht. Sehen Sie sich doch einmal die Durchschnitts-
das ganze Rentenversicherungsgesetz unter ganz arbeitsverdienste an, die in der versicherungstech-
anderen Aspekten, viel optimistischer behandeln nischen Bilanz zugrunde gelegt sind, in der Rech-
könne. Ich meine, das ist nicht richtig. Gewiß, man nung bei Entgeltsannahme 1, also mit einem Stei-
kann -- hier müssen wir einfach das akzeptieren, gerungssatz, den Sie ja geradezu als absurd be-
was der Herr Arbeitsminister gesagt hat — eine zeichnen müßten, da ja schon 6 % Steigerung Ihnen
versicherungstechnische Bilanz nur aufstellen, wenn nicht genehm ist. Sehen Sie doch einmal in der
2144 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 48. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. November 1962
Stingl
Übersicht nach. Da wird unterstellt, daß die Durch der jährlichen Anpassung der Rentenversicherung
schnittsentgelte im Jahre 1986 — meine Damen begrüßen, bitter nötig, weil wir dann nämlich die
und Herren, hören Sie zu! — jährlich 26 400 DM Renten in ihrem Ausgabesoll unter Umständen zu
betragen. Durchschnittsentgelte! Ist es tda nicht einer Konjunkturspritze machen können. Ich sage
berechtigt, einmal zu fragen: Hat das noch etwas nicht, daß wir das unter allen Umständen werden
mit der Stabilität der Währung zu tun, wenn wir machen müssen. Aber wir haben jedenfalls den
in diese Gefahr hineingeraten? Das muß doch be- Weg gewählt, daß dieses Haus sich jedes Jahr der
rücksichtigt werden. Und nun unterstellen Sie ein- Verantwortung bewußt werden muß in bezug dar-
mal statt der Steigerung von 3,53 usw., wie es die auf, was es zu tun hat und was es zu lassen hat.
Regierung getan hat, die 10,5 % die Sie vorschla-
gen. Was bekommen Sie denn dann für astrono- Meine Damen und Herren, wir haben wiederum
mische Zahlen! Kann einer von Ihnen mit gutem festzustellen — ich habe es schon öfter hier fest-
Gewissen behaupten, daß wir dann, wenn wir bei stellen müssen —, daß die Regierung und wir uns
einer Steigerung von 10,5 % die siebzehnfachen in einer guten Position befinden. Sie brauchen nur
Durchschnittsgehälter hätten, bis dahin auch das die Fachliteratur zu lesen. Ein Versicherungsmathe-
Sozialprduktfsebhnacröt matiker, Herr Heubeck, sagt: „Ja, was ist denn das
können? So etwas könnte man nur in kommunisti- für eine Regierung! Die ist ja von einem Optimis-
schen Ländern versprechen, nicht bei uns, meine mus befangen, der sich überhaupt nicht sehen las-
Damen und Herren. sen darf." Sie sagen, die Regierung sei von einem
Pessimismus befangen, der sich nicht sehen lassen
(Beifall bei den Regierungsparteien.) darf. Nun, meine Herren, gehen wir auf die Straße:
Herr Kollege Schellenberg, Sie haben auch immer Wir sind mittendrin; wir dürfen uns doch wohl nach
wieder darauf hingewiesen, daß die Regierung beiden Seiten sehen lassen. Herr Kollege Schellen--
zwar Variationen in der Frage des Zinssatzes ange- berg, es ist einfach zu billig — und es ist eigentlich
bracht habe; wobei ich Ihnen im übrigen gar nicht etwas, was Sie nicht tun sollten —, zu sagen, die
einmal so sehr böse bin, daß Sie gesagt haben, der versicherungstechnische Bilanz hätte auf den neu-
Zinssatz spiele nicht eine so furchtbar große Rolle. esten Erkenntnissen aufbauen müssen. Wissen Sie:
Aber die Frage der Entgeltsentwicklung spielt eine die IBM 1401 kann so gut rechnen, daß man sie mit
große Rolle. Sie haben die Regierung angegriffen, dem Futter, das man ihr dabei geben kann, gar
weil sie zuwenig Erhöhung der Entgelte anstrebe. nicht ausnützen könnte. Man braucht sie dafür gar
Meine Damen und Herren, wenn wir höhere Ent- nicht. Aber man muß ja — und die Regierung ist
gelte ansetzen, werden wir zwar, das ist richtig, dazu gezwungen — diese Dinge auf eine ganze
zu höheren Einnahmen kommen, zu Einnahmen, die Reihe von Jahren hindurch bewältigen und immer
im ungünstigsten Falle, bei der 6- % -Annahme der wieder auch den zuständigen Instanzen vorlegen. Es
Regierung, 109 Milliarden DM in einem Jahr aus- ist kein Geheimnis, daß die Frage der Methode der
machen. Wenn wir 10 % unterstellen, wird diese Aufstellung der Bilanz recht gründlicher Erörterun-
Einnahme noch mehr steigen, und wir kommen wer gen bedurfte und daß uns die nächsten Bilanzen
weiß wohin in den Summen an Geldern. Wer kann doch wohl etwas schneller vorgelegt werden kön-
denn dann sagen, daß er sich beruhigt dem Gedan- nen. Aber — ich kann nur wiederholen, was ich in
ken hingeben könne: „Ja, setzt nur die Prozent- diesem Hause schon mehrfach gesagt habe — auch
zahlen ein." die nächste versicherungstechnische Bilanz, auch die
übernächste und die überübernächste werden uns
Nun soll der Gegner einer Rentengesetzgebung nicht zu Propheten machen. Wir werden jedes Jahr
— hier stimme ich Ihnen zu — nicht etwa auf den vor neue Erfordernisse gestellt sein. Jede versiche-
Gedanken kommen dürfen: „Na, dann sparen wir rungstechnische Bilanz wird mit Annahmen arbeiten
halt bei den Rentnern!" Hier bin ich mit Ihnen müssen, die keiner im voraus als absolut sicher dar-
einig: die Stabilität der Währung und die Stabilität stellen kann und wofür er, gerade er, dann das
in unserem ganzen Wirtschaftsgeschehen erreichen Monopol gepachtet hat, sie wissen zu können.
wir nicht dadurch, daß wir die Renten nicht anpas-
sen. Das ist sicherlich auch richtig. Sie haben auch einige bevölkerungspolitische Da-
ten angegriffen. Herr Kollege Gaßmann hat schon
(Beifall bei der SPD.) darauf erwidert, und Herr Kollege Spitzmüller hat
Aber die Zahlen, die uns da vorgelegt werden, ge- auch etwas dazu gesagt. Ich will nur beides zusam-
ben uns doch ein deutliches Bild davon, daß wir in menziehen. Herr Kollege Schellenberg, Sie sagen:
der Gefahr stehen, das Maß zu verlieren, und daß Es ist die Geburtenhäufigkeit — die jetzt ja Gott
wir uns einfach einmal beherrschen müssen, daß sei Dank wieder festgestellt werden kann — nicht
wir uns die Dinge nüchtern vor Augen führen müs- genügend berücksichtigt. Ist Ihnen eigentlich nicht
sen aufgegangen, daß es Ihre Politik ist, diese Jugend-
(Beifall bei den Regierungsparteien.) lichen länger in der Schulzeit, länger in der Ausbil-
dung zu halten, so daß sie in dem Zeitraum, der die
und daß wir nicht darum herumreden können, als rentenversicherungstechnische Bilanz angeht, im all-
würde dabei gar nichts passieren. gemeinen gar nicht zu Beitragszahlern werden oder,
Ich kann nur unterstützen, was der Herr Mini- wenn sie es werden, nur geringe Beiträge zahlen?
ster soeben gesagt hat: Was ist denn, wenn wir Wenn Sie es schon so wollen, so will ich es ein-
einmal nicht mehr die Vollbeschäftigung haben? mal billig machen und die Geschichte umkehren.
Wo geht's denn dann hin? Dann werden Sie, meine Diese Geburtenhäufigkeit tritt im Raum der ver-
Damen und Herren, dankbar das Instrumentarium sicherungstechnischen Bilanz vielleicht in höheren
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 48. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. November 1962 2145
Stingl
Kindergeldzulagen oder höheren Waisenrenten in den Rentnern gegenüber haben, die wir den heute
Erscheinung; denn als im Erwerbsleben Stehende Arbeitenden gegenüber haben. Aber weil wir diese
und Beitragszahler stehen sie erst später wieder zur moralische und sittliche Verpflichtung bejahen, weil
Diskussion. wir dies alles wissen, darum sind wir der Meinung,
daß die Regierung recht gehandelt hat, daß die
Ich darf Herrn Spitzmüller noch einmal unterstüt-
Regierung die Annahmen, die sie zugrunde gelegt
zen. Gerade in den Rechnungen für die Jahre 1978/
hat, zu Recht zugrunde gelegt hat. Meine Damen
79 sehen Sie, welches Verhältnis zwischen Beitrags-
und Herren, wir würden die Regierung der Verant-
zahlern und Rentenempfängern besteht, und diese
wortungslosigkeit zeihen, hätte sie es anders ge-
Zahlen, Herr Kollege Schellenberg, sind nicht mehr
macht.
durch die spätere Geburtenhäufigkeit beeinflußbar;
diese Zahlen stehen jetzt schon fest. Wenn sich die (Beifall bei den Regierungsparteien.)
Sterblichkeitszahlen ändern sollten, Herr Kollege
Schellenberg, haben wir ein noch ungünstigeres Vizepräsident Dr. Dehler: Das Wort hat der
Verhältnis von Arbeitenden zu Rentnern. Abgeordnete Dr. Schellenberg.
Sie sagen, es sei erschreckend, daß zwei Drittel der
heutigen Rentenzugänge auf Berufsunfähigkeit oder Dr. Schellenberg (SPD) : Herr Präsident! Meine
Erwerbsunfähigkeit zurückzuführen seien. Ich stimme Damen und Herren! Herr Kollege Stingl, eine Reihe
Ihnen darin zu. Genauso haben wir auch bei den Ren- von Fragen, die Sie hier angeschnitten haben, wer-
tenversicherungsgesetzen der Ansicht zugestimmt — den wir im Ausschuß behandeln müssen. Ich möchte
wir hoffen auf eine gemeinsame Zustimmung auch im nur ganz wenige Dinge klarstellen. Sie haben er-
Falle der Krankenversicherung —, daß eben mehr klärt, wir Sozialdemokraten hätten den Wunsch,
Vorsorge betrieben werden kann, damit der Renten- daß in der Bilanz höhere Entgelte angesetzt wür- -
beginn später liegt, aber damit auch die Sterblich- den. Das habe ich nicht gesagt, sondern ich habe er-
keit hinausgeschoben wird. Wir hoffen sehr, daß klärt: Es sind nach einer Verordnung, die die Bun-
der spätere Rentenbeginn dadurch, daß wir die desregierung verabschiedet hat, für 1961 tatsächlich
Menschen länger in Arbeit halten können, weil sie höhere Entgelte entrichtet worden, als sie für die
gesund sind, ein Pendant darin findet, daß die Men- Berechnungen der Bilanz zugrunde gelegt wurden.
schen länger leben, wenn Sie Rentner sind. So wird Ich habe weiter gesagt: Deshalb sind schon im
das also praeter propter in der Bilanz sich doch ersten Jahr — und bei der Vermögensentwicklung
wohl nicht allzusehr auswirken. Das jedenfalls hof- habe ich erklärt: im zweiten Jahr — die Thesen,
fen wir. Wir sind wie Sie der Meinung, daß die auf die die Bilanz sich stützt, unrichtig.
Heilverfahren weiter ausgedehnt werden müssen;
Aber, Herr Kollege Stingl, im Grundsatz sind wir,
aber da kann es auch einen rein sozialdemokrati- so hoffe ich, gar nicht so weit auseinander.
schen Bundestag geben: befehlen, daß kein Mensch
mehr krank wird, kann auch der nicht. Wir wollen — und das war unsere Beanstan-
dung — versicherungstechnische Unterlagen — ob
(Abg. Dr. Schäfer: Wie klug!) sie nun Sozialberichte oder versicherungstechnische
— Ich will damit nur sagen, Herr Schäfer, daß Ihre Bilanzen sind —, die der Wirklichkeit möglichst
Argumentation zu billig ist. Ich habe vorhin aus- nahekommen. Wir haben beanstandet, daß da:
drücklich gesagt, daß ich manches umkehre, weil es heute vorgelegte Material der Wirklichkeit, soweit
so billig gesagt worden ist. sie überprüfbar ist, in wichtigen Punkten wider-
spricht.
(Abg. Dr. Schäfer: Ach was!)
Nun noch wenige Bemerkungen zu dem Herrn
— Herr Kollege Schäfer, es ist wirklich so: man Bundesarbeitsminister. Herr Bundesarbeitsminister
kann mit Gesetzen nicht die Gesundheit in der Welt Sie haben gesagt, ich hätte behauptet, durch die
für jeden garantieren. Das ist ausgeschlossen. Bilanzen solle politisch der Boden für eine Ä nde
(Beifall in der Mitte. — Zuruf des Abg. rung der Rentengesetze vorbereitet werden. Her]
Geiger.) Minister, so habe ich das nicht genau gesagt. Ich
will Ihnen aber etwas vorlesen, vielleicht klärt daß
— Nein, man kann nur 'die nötigen Mittel zur Ver- das Mißverständnis. Ich habe aus dem Bericht der
fügung stellen, damit der allgemeine Gesundheits- Bundesregierung vorgelesen, in dem es wörtlich
zustand gebessert wird. Aber auch bei besten wis- heißt:
senschaftlichen Erkenntnissen kann es immer noch
manches geben, was sich unserer Beurteilung ent- Die Bundesregierung ist der Ansicht, daß die
zieht, und trotz aller wissenschaftlicher Erkenntnisse Ergebnisse der Bilanzen zur Zeit noch nicht ge
wird es doch immer wieder sehr zahlreiche Krank- setzgeberische Maßnahmen erforderlich machen
heiten geben. wird jedoch prüfen, ob solche Maßnahmen bis
(Beifall in der Mitte.) zum Ablauf des ersten zehnjährigen Deckungs
abschnittes, d. h. bis 1966, noch erforderlich
Ich möchte sogar meinen, daß das in der Welt so werden.
gut ist.
Das hat die Bundesregierung erklärt. Im Fin a nz
(Abg. Dr. Schäfer: Wer hat das denn be bericht ist für die Zeit ab 1. Januar 1967 sogar ge
hauptet?) sagt, daß für dann auf Grund der Bilanzen ein
Meine Damen und Herren, wir bejahen wie Sie schneidende Änderungen in den Finanzgrundlagen
die moralische und sittliche Verpflichtung, die wir notwendig sein werden, wenn das Leistungssysten
2146 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 48. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. November 1962

Dr. Schellenberg
usw. aufrechterhalten werden soll. Das habe ich er- um diesen Effekt zu erzielen. Dagegen habe ich mich
klärt. verwahrt, und ich habe mich mit Recht auch auf das
Weiter muß ich, Herr Bundesarbeitsminister, um Votum des Sozialbeirates berufen.
es ganz präzis zu sagen, erklären, daß die bisher Nun mache ich aber zum letztenmal einen Ver-
vorgelegten Materialien auch dazu benutzt worden such; vielleicht gelingt es mir doch, Ihnen endlich
sind und benutzt werden, die Beseitigung der be- einmal klar zu machen, was Sie nicht auseinander-
stehenden Härten und Ungerechtigkeiten hinauszu- halten können. Sie sagen, bei dieser versicherungs-
schieben. technischen Bilanz sei man nicht mit den modern-
Noch ein letztes Wort über den nun schon so viel sten, mit den letzten Zahlen an den Aufbau heran-
zitierten Beirat! Meine Damen und Herren, wir So- gegangen. Herr Kollege Schellenberg, natürlich
zialdemokraten haben im Ausschuß einmal bean- haben die Entgelte von 1960 auf 1961 eine durch-
tragt, die Mitglieder des Beirates selbst in den Aus- schnittliche Erhöhung um 10,2 % erfahren, und sie
schuß zu bitten, damit wir mit ihnen gemeinsam die werden sich nach dem bisher vorliegenden Material
Probleme erörtern könnten. Das hat die Mehrheit von 1961 auf 1962 vermutlich etwa im gleichen Aus-
maß erhöhen. Aber, Herr Kollege Schellenberg, ich
leider abgelehnt.
kann doch nun nicht eine versicherungstechnische
(Hört! Hört! bei der SPD. — Abg. Arndgen: Bilanz, für die wir die Materialien ja sehr sorgfäl-
Mit Recht!) tig sammeln mußten — ich will nicht mehr im ein-
zelnen darstellen, was da alles notwendig war —,
Das war der Tatbestand. Wir können diesen Antrag
jetzt damit über den Haufen werfen, daß ich sage:
gern wieder stellen und werden dann die Auffas-
Heute weiß, ich, daß die Entgelte von 1960 auf 1961
sungen hören. Ich wäre sehr dankbar, wenn der
um 10,2 % gestiegen sind. Denn was sagt eigent--
Herr Bundesarbeitsminister, der dem Ausschuß viel
lich eine Rechnung unter der Annahme, daß die
zu selten die Ehre seiner Anwesenheit gibt, dann Entgelte um 6 % steigen werden? Sie sagt doch
dabei wäre. nicht, Herr Kollege Schellenberg — und Sie sind
(Beifall bei der SPD.) doch, wie Sie eben sagten, in Ihrem Leben so viel
mit Zahlen umgegangen —, daß das Jahr für Jahr
so sein wird. Vielmehr besagt das für die Durch-
Vizepräsident Dr. Dehler: Das Wort hat der rechnung, daß man annimmt, ein solcher durch-
Herr Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung. schnittlicher Zuwachs werde eintreten. Es würde
auch meine Rechnung nicht wesentlich ändern, wenn
dann einmal in dem einen Jahr eine Abweichung
Blank, Bundesminister für Arbeit und Sozial- nach oben und in dem anderen Jahr eine Abwei-
ordnung: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! chung nach unten ist. Aber nun zu sagen „Du gehst
Herr Schellenberg, Ihr Vorbringen erheischt, daß mit falschen Voraussetzungen daran; du hättest ja
man sofort und auf der Stelle antwortet. Ich wun- von 10,2 % Zuwachs ausgehen müssen", heißt doch,
dere mich, daß Sie so wenig zu meinen Ausführun- Herr Schellenberg — ich bitte Sie, vielleicht kom-
gen über die Tätigkeit des Sozialbeirates sagen. In- men wir jetzt der Sache näher, Herr Kollege Schel-
zwischen ist Ihnen aufgegangen, wie schwerwiegend lenberg —, schlicht anzunehmen, über die ganzen
Ihr Vorwurf gewesen ist. 30 Jahre hinweg würde der durchschnittliche Zu-
wachs 10,2 % betragen. Daß das eine Utopie ist,
Nun sagen Sie, Sie hätten gar nicht den Vorwurf habeicnErugadieZnszforml
erhoben, daß wir das Zahlenmaterial, die Unter- darzustellen versucht, von der ich annehme, daß
lagen, na, so in einer bestimmten politischen Ten- sie uns beiden noch in gleichem Maße geläufig ist.
denz ausgewählt hätten. Haben Sie wohl! Sie haben Das hätte aber zur Folge, wie ich eben schon sagte,
an diese Ihre Darlegungen eine ganze Reihe von daß nun die Entgelte den 17 1/2fachen Wert von dem
Zitaten aus unterschiedlichsten Presseorganen ange- hätten, was gegenwärtig hier angenommen worden
knüpft, die FDP hat mal wieder herhalten müssen, ist. Deshalb, Herr Kollege, beruht Ihr Vorwurf, wir
und deren Minister haben Sie zitiert, um darzutun, hätten die versicherungstechnische Bilanz mit fal-
warum man dieses Zahlenmaterial angeblich so auf- schem Zahlenausgangsmaterial aufgebaut, einfach
gebaut habe. Diesen Eindruck, Herr Schellenberg, auf einer fundamentalen Unkenntnis der Vorausset-
können Sie nicht verwischen, und wir werden es ja zungen und Zusammenhänge und auf einer funda-
im Wortprotokoll der heutigen Sitzung nachlesen. mentalen Unfähigkeit, gegeneinander zu entschei-
den, was ist Bericht und was ist Bilanz.
Jetzt beginnen Sie die Dinge etwas abzumildern
und sagen, ja, die dazu vorgelegten Daten und (Beifall bei der CDU/CSU. — Zurufe von
Materialien seien aber prompt benutzt worden, um der SPD.)
die Beseitigung von Härten und Unzuträglichkeiten
in der Gesetzgebung weiter hinauszuschieben. Vizepräsident Dr. Dehler: Das Wort hat der
Meine Damen und Herren, dafür, wozu irgend je- Abgeordnete Professor Schellenberg.
mand unser Material benutzt, können Sie uns nicht Dr. Schellenberg (SPD) : Meine Damen und
verantwortlich machen, genausowenig wie wir Sie Herren, auf die letzte Bemerkung antworte ich nicht.
dafür verantwortlich machen können. Aber auch Sie selbst tun es mit einer bezeichnenden Hand-
hier schwingt doch wieder mit, daß dieses Material bewegung ab.
in einer bestimmten Weise manipuliert sei,
(Abg. Arndgen: Dann bleiben Sie doch sit
(Zuruf von der CDU/CSU: Genau!) zen!)
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 48. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. November 1962 2147
Dr. Schellenberg
Meine Damen und Herren, nehmen Sie sich doch — § 2, — § 3, - § 4, - Einleitung unid Überschrift.
die Bilanzen vor. Auf Seite 5 wird die Berechnung — Wer zuzustimmen wünscht, (gebe bitte Hand-
für die Arbeitsentgelte keineswegs durchgehend nur zeichen. — 'Gegenprobe! — (Enthaltungen? — Ich
mit 6 % durchgeführt. Da beginnt vielmehr beispiels- stelle einstimmige Annahme fest.
weise die Rechnung 1 mit 7 % und wird dann vari-
iert. Solche Möglichkeiten hat also die Bilanz gehabt, Ich schließe (die zweite Beratung und eröffne die
und man hat dies nicht entsprechend der Realität
genutzt. Ich habe nur gesagt, daß die Zahlen, die wir dritte Beratung.
für die ersten zwei Jahre überprüfen können, nicht
Es werden Erklärungen der Fraktionen abgege-
der Realität entsprechen.
ben, und zwar, wie ich annehme, jetzt in der allge-
Ich möchte noch einmal auf den Beirat zurück- meinen Aussprache.
kommen. Wir stellen den Antrag, den Beirat in den
Das Wort hat der Abgeordnete Wagner.
Ausschuß zu bitten. Ich werde dann prominente Bei-
ratsmitglieder bitten, mich von der Verschwiegen-
heitspflicht zu befreien, um Ihnen mitzuteilen, was Wagner (CDU/CSU) : Herr Präsident! Meine Da-
ich an Näherem weiß. men und Herren! Die Fraktion der CDU/CSU unter-
(Beifall bei der SPD.) stützt den Antrag Drucksache IV/673 auf Gewährung
einer Ausgleichszahlung an die Beamten und Ver-
sorgungsempfänger des Bundes. Wir bekennen uns
Vizepräsident Dr. Dehler: Jetzt kann ich. wohl
damit wie bisher zu dem Grundsatz, daß die im
die Beratung schließen.
öffentlichen Dienst Beschäftigten in ihrer Besoldung
Es ist vorgesehen, die Vorlage unter Punkt 2 a) an der albgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung -
der Tagesordnung an den Ausschuß für Sozialpolitik teilhaben müssen. Mit der Zustimmung zum vorlie-
und zusätzlich an den Haushaltsausschuß zu über- genden Antrag will die CDU/CSU insbesondere da-
weisen. Die Vorlagen unter 2 b) und 2 c) der Tages- zu beitragen, die Gleichheit der Besoldungsverhält-
ordnung sind an den Ausschuß für Sozialpolitik zu nisse in Bund und Ländern wiederherzustellen.
überweisen. Ist das Haus einverstanden? — Ich Diese Gleichheit ist notwendig, wenn im Bereich
stelle das fest; es ist so beschlossen. des öffentlichen Dienstes der Arbeitsfriede gewahrt,
Abwanderungen von Bundesbedienstetem vermie-
Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 3 a) : den unid der Nachwuchs für den Bundesdienst ge-
Zweite und dritte Beratung des von den Ab sichert werden soll. Wir erwarten, daß künftig
geordneten Dr. Miessner, Brück, Dorn, Wag Wege gefunden werden, die die Gleichheit des Be-
ner, Ertl, Hübner, Mertes, Dr. Bieringer, soldungsgefüges in Bund und Ländern gewährlei-
Hammersen, Biechele und Genossen einge- sten.
brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände-
Die CDU/CSU begrüßt es, daß im Antrag der
rung des Bundesbesoldungsgesetzes (Druck-
vom Herrn Bundesinnenminister vertretene Ge-
sache IV/673) ; danke, künftig im Besoldungsaufbau Gesichtspunkte
aa) Bericht des Haushaltsausschusses (13. der Familie noch stärker zur Geltung zu bringen,
Ausschuß) gemäß § 96 der Geschäftsord- mit der Gewährung von Zulagen für Verheiratete
nung (Drucksache IV/716) und Kinder aufgegriffen wurde.
bb) Schriftlicher Bericht des Ausschusses für (Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Schm itt
Inneres (6. Ausschuß) (Drucksache IV/692) Vockenhausen: Späte Erkenntnis, aber
(Erste Beratung 42. Sitzung). immerhin!)
Hier liegen der Bericht des Haushaltsausschusses, — Rechtzeitig genug!
erstattet durch den Herrn Abgeordneten Niederalt,
und der Bericht des Ausschusses für Inneres, erstat- Die Deckung der erforderlichen Mehrausgaben
tet durch den Herrn Abgeordneten Wagner, vor. Ich kann nur haushaltsgerecht erfolgen. Der Haushalts-
danke den Berichterstattern. ausschuß hat dafür Möglichkeiten aufgezeigt. Las-
s en Sie mich eine Zwischenbemerkung einfügen: Die
Ich rufe weiterhin auf Punkt 3 b) : Besorgnis, daß die Deckung bei den Haushaltsmit-
teln zur Förderung der Landwirtschaft gesucht wer-
Beratung des Schriftlichen Berichts des Aus- den wind, entfällt damit; diese Lösung hätte nie-
schusses für Inneres (6. Ausschuß) über den mandem gedient.
Antrag der Fraktion der SPD betr. Über-
brückungszulage für die Beamten und Ver- Die CDUU/CSU bittet die Bundesregierung, dem
sorgungsempfänger des Bundes (Drucksachen Beschluß dieses Hohen Hauses trotz aller nicht zu
IV/509, IV/692). verkennenden Schwierigkeiten zu folgen und für
eine rasche Auszahlung der Ausgleichsbeträge an
Sollen die Berichte ergänzt (wenden? - Das ist die Beamten unid Versorgungsempfänger des Bundes
nicht der Fall. zu sorgen.
Eine allgemeine Beratung ist auch nicht ge- (Beifall bei (den Regierungsparteien.)
wünscht. Wir kommen zur Einzelberatung.
Ich rufe in der Zusammenstellung in der zweiten Vizepräsident Dr. Dehler: Das Wort hat der
Lesung, nachdem keine Anträge vorliegen, auf: § 1, Abgeordnete Gscheidle.
2148 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 48. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. November 1962

Gscheidle (SPD) : Herr Präsident! Meine Damen Hohen Hauses eine erneute Verzögerung zu be-
und Herren! Namens der SPD-Bundestagsfraktion fürchten wäre.
darf ich zu 'dem hier zu behandelnden Thema fol- (Beifall bei der SPD.)
gendes erklären.
Die SPD-Fraktion bedauert, daß ihr Antrag auf Vizepräsident Schoettle: Das Wort hat der
eine einmalige Ausgleichszahlung in Höhe von 50 % Abgeordnete Dr. Miessner.
der Gesamtbruttobezüge von der Mehrheit des In-
nenausschusses abgelehnt wurde. Wir sind nach wie
vor davon überzeugt, daß unsere Forderung in ihrer Dr. Miessner (FDP) : Herr Präsident! Meine Da-
Höhe berechtigt ist. men und Herren! Namens der FDP-Fraktion habe
ich folgende Erklärung abzugeben.
(Vorsitz : Vizepräsident Schoettle.) Im Mittelpunkt der beamtenpolitischen Erörte-
rungen stand seit Monaten die Frage, ob nach den An-
Ich darf :Sie in diesem Zusammenhang noch ein- gestellten und Arbeitern des öffentlichen Dienstes
mal auf folgende Tatsachen hinweisen: in Bund und Ländern und nach den Landes- und
1. In der allgemeinen Einkommensentwicklung Gemeindebeamten auch. den Bundesbeamten für
bleiben die Beamten erheblich zurück. das Jahr 1962 eine entsprechende Erhöhung ihrer
Bezüge zugestanden 'werden soll. Schon aus Grün-
2. Die Preiserhöhungen wurden nicht ausgeglichen den der Gerechtigkeit wurde es erforderlich, die seit
und trafen die Beamten der unteren Besoldungs- dem 1. Juli 1962 bestehende ungleichmäßige Be-
gruppen und ihre Familien besonders hart. Bei handlung innerhalb des öffentlichen Dienstes zu be-
einem Nettofamilieneinkommen unter 500 DM — seitigen. Nach Lage der Dinge konnte das jetzt nur
das trifft für eine große Zahl von Beamtenfamilien durch eine einmalige Zahlung geschehen, bei der
zu — konnten die 7 % durchschnittliche Preissteige- allerdings zum. Unterschied von den Ländern eine
rungen seit der letzten Besoldungsanpassung nur familiengerechtere Lösung gewählt wurde, wie sie
durch Konsumverzicht auch bei hochwertigen Grund- auch von der Bundesregierung in ihrem Entwurf
nahrungsmitteln aufgefangen werden. für ein Drittes Besoldungserhöhungsgesetz, Druck-
3. Der von der Bundesregierung bei der letzten sache IV/712, angestrebt wird. Die Einmalzahlung
Besoldungsänderung benannte Stichmann — Ver- für 1962 bedeutet damit im Grunde nichts anderes
hältnis angelernter Arbeiter zu einem Briefträger, als eine insoweit vorgezogene Harmonisierung der
Bahnschaffner und dergleichen — bezieht heute ein Besoldung in Bund und Ländern. Die Fraktion der
durchschnittliches Monatsbruttoeinkommen von FreinDmokatsdhermvon65Abg-
rund 620 DM, der Vergleichsbeamte von 530 DM. ordneten der FDP, CDU und CSU eingebrachten
Initiativantrag auf Zahlung einer einmaligen Über-
4. Die Löhne und Gehälter der bei den Betriebs- brückungszulage an die Bundesbeamten in vollem
verwaltungen im gleichen Dienst mit den Beamten Umfang zu.
beschäftigten Angestellten und Arbeiter wurden
nicht nur ab 1. Juli 1962 angehoben, sondern durch (Beifall bei den Regierungsparteien.)
eine Pauschale wurde auch für die drei Monate vor-
her ein gewisser Ausgleich geschaffen. Vizepräsident Schoettle: Weitere Wortmel-
5. Bei einem Vergleich mit den Länderregelungen dungen liegen nicht vor. Die Aussprache ist ge-
muß berücksichtigt werden, daß neben der 6 %igen schlossen. Anträge zur dritten Beratung liegen nicht
Erhöhung für die Länderbeamten auch ein Weih- vor.
nachtsgeld gezahlt wird. Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem
Die SPD-Bundestagsfraktion begrüßt, daß ihr Gesetz im ganzen zustimmen will, den bitte ich, sich
monatelanges Drängen trotz des unverständlichen zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? —
Widerstandes der Bundesregierung und ständig Das Gesetz ist einstimmig verabschiedet.
widersprechender Erklärungen in der Öffentlich- (Beifall und Heiterkeit.)
keit bei Abgeordneten der Regierungskoalition Er-
folg hatte. Dadurch wird eine staatspolitisch be- Ich rufe auf Punkt 4 der Tagesordnung:
denkliche Auseinandersetzung beendet. Trotz un-
genügender Höhe kann eine wichtige besoldungs- Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
politische Frage zugunsten des betroffenen Perso- desregierung eingebrachten Entwurfs eines
nenkreises abgeschlosen werden. Angesichts der Gesetzes zu dem Internationalen Überein-
EinkomesvrhältdBamen,isbo- kommen vom 13. Dezember 1960 über Zu-
dere im einfachen und mittleren Dienst, verbietet sammenarbeit zur Sicherung der Luftfahrt
sich jede verfassungsrechtliche Diskussion über „EUROCONTROL" (Drucksache IV/93) ;
eventuell noch verbleibende Möglichkeiten, wie Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Ver-
man die Ausgleichszahlung verhindern kann. kehr, Post- und Fernmeldewesen (23. Aus-
Die SPD-Bundestagsfraktion stimmt dem Gesetz- schuß) (Drucksache 1V/687)
entwurf Drucksache IV/673 zu, weil es uns um eine (Erste Beratung 9. Sitzung).
rasche und wirksame Hilfe für die Beamten geht
und bei einer Wiederholung unserer im Ausschuß Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der
gestellten Anträge bei der Geschäftslage des Abgeordnete Iven.
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 48. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. November 1962 2149

Iven (Düren) (SPD) : Herr Präsident! Meine sehr Sie daran erkennen: die Bundesregierung hatte zu
verehrten Damen und Herren! Meine Freunde und gesagt, für die zu verbeamtenden Angestellten einen
ich sind der Meinung, daß vor der Verabschiedung Übergangsbetrag in Höhe des bislang gewährten
des Gesetzes über EUROCONTROL einige grund- Angestelltengehaltes zu zahlen; diese Übergangs-
sätzliche Bemerkungen zum Problem der Luftsiche- beträge, die jetzt nach einer zum Teil erfolgten
rung im allgemeinen und zur nationalen Luftsiche- Verbeamtung gewährt werden, sind in der Spitze
rung im besonderen gemacht werden sollten. mit 500 DM im Monat anzusetzen.
Die von den Verkehrsministern im Dezember Lassen Sie mich im Zusammenhang mit der Schaf-
1960 in Brüssel getroffenen Vereinbarungen lassen fung von EUROCONTROL einige grundsätzliche Be-
einige Fragen offen, die uns natürlich nicht veran- merkungen zur Qualität unserer Luftsicherung
lassen sollten, dem Gesetz heute nicht zuzustim- machen.WirsdMug,aßrchdieIn-
men. Die Frage der militärischen und zivilen Ein- stitution EUROCONTROL für den Luftraum über
richtungen der nationalen Luftsicherungsstellen ist 6100 m, also den sogenannten höheren Luftraum,
in den Brüsseler Vereinbarungen nach unserer Auf- für die Stahltriebflugzeuge eine gute Regelung ge-
fassung nicht eindeutig geregelt. Wir möchten hier troffen wird. Wenn wir aber schon darangehen, die-
die Hoffnung zum Ausdruck bringen, daß wir dazu sen höheren Luftraum ganz konkret und exakt zu
noch nähere Erläuterungen bekommen. sichern und den Verkehr dort zu lenken, dann soll-
ten wir uns endlich dazu bereit finden, die Luft-
Ferner sollte die Bundesregierung darauf hinwir- sicherung in dem darunter befindlichen Luftraum
ken, daß neben den jetzt an EUROCONTROL be- der inzwischen in anderen Ländern vorhandenen
teiligten Ländern — England, Frankreich, den Qualität anzupassen.
Benelux-Ländern und der Bundesrepublik — auch
die übrigen europäischen Länder sich der Einrich- Wir Sozialdemokraten möchten dazu im einzelnen -
tung EUROCONTROL anschließen. Wir denken da- einige Bemerkungen machen. Wir halten es für
bei vor allen Dingen an Irland, an die skandinavi- einen erheblichen Mangel, daß im sogenannten all-
schen Länder und an Italien. Wir wissen, daß wir gemeinen Luftverkehr — darunter verstehen wir
dabei keine konkrete Auflage erteilen können. Un- den Sportverkehr und die private Fliegerei — sich
sere Empfehlung geht auch nur dahin, die Bundes- noch eine erhebliche Zahl von Luftfahrzeugen täglich
regierung möge politisch und diplomatisch dahin in der Luft bewegen, die vom Boden aus durch
wirken, daß es zu einer wirklich arrondierten euro- keinerlei Radarortung erfaßbar sind. Deshalb regen
päischen Luftsicherung kommen kann. wir an, daß alle Luftfahrzeuge technisch so ausge-
stattet werden, daß sie für die Sicherungsorgane in
Nach den Brüsseler Vereinbarungen sind die ein-
den Bodenstationen erkennbar werden.
zelnen Mitgliedstaaten von EUROCONTROL jeweils
nach dem Ergebnis ihres Sozialprodukts an den Wir sind uns klar darüber, daß aus dieser Forde
Kosten für die Institution EUROCONTROL beteiligt. rung für die Flugsport treibenden Jugendverbände
Danach müßte die Bundesrepublik 27,4 % der ge- erhebliche finanzielle Belastungen entstehen kön-
samten Kosten für EUROCONTROL übernehmen; nen. Darum regen wir an, in den Bundes- und Lan-
das entspricht einem Betrag von etwa 25 Millionen desjugendplänen entsprechende Dotierungen für die
DM im Jahr. Meine Freunde und ich sind der Mei- technische Ausstattung der Luftfahrzeuge dieser
nung, daß nach dieser Kostenaufteilung die nationa- Verbände vorzusehen.
len Luftsicherungseinrichtungen an der Personal-
gestellung für EUROCONTROL beteiligt werden Wir sind darüber hinaus der Meinung, daß in
müßten. Das geht auch aus den Vereinbarungen diesem Lande endlich das eingeführt werden sollte,
von Brüssel hervor. Es würde bedeuten, daß unsere was es in vielen anderen Ländern gibt: daß jedes
nationalen Luftsicherungseinrichtungen einige hun- Luftfahrzeug, das sich in unserem Luftraum bewegt,
dert Leute in die Institutionen von EUROCONTROL mit einer Wechselsprechanlage ausgestattet ist.
in naher Zukunft abstellen müßten. Auch hier ergeben sich für die private Fliegerei und
die Flugsport treibenden Jugendverbände erhebliche
Angesichts dieser Frage ergibt sich die Notwen- Kosten. Hier ist zu sagen, daß z. B. der Deutsche
digkeit, über die Personalsituation unserer nationa- Aero-Club in dieser Richtung schon sehr positiv
len Luftsicherungsorgane einige Bemerkungen zu gewirkt hat. In den letzten zwei Jahren ist auf
machen. Ich hatte schon bei der Verabschiedung des Empfehlung und unter Hilfeleistung des Deutschen
jetzt laufenden Haushalts die Ehre, zu dieser Frage Aero-Clubs eine erhebliche Zahl von Sportmaschi-
etwas zu sagen. Ich habe damals ausgeführt, daß nen und Privatflugzeugen mit Wechselsprechgeräten
einzelne Luftsicherungseinrichtungen personell bis ausgestattet worden.
zu 20 % unterbesetzt sind. Der Herr Bundesver-
kehrsminister hat es bei der Verabschiedung des Wir möchten darüber hinaus anregen, daß die
jetzt laufenden Haushalts durchgesetzt, daß wesent- Bundesregierung ihre Empfehlung, im unteren Luft-
liche Teile des Personals unserer Flugsicherungs- raum nach sogenannten Quadrantenflugregeln zu
stellen verbeamtet wenden. Ich möchte darauf hin- fliegen, in eine feste Bindung umwandelt. Ich möchte
weisen, daß auch diese Verbeamtungsmaßnahme zur Verdeutlichung ganz kurz erklären, um was es
unsere Personalmisere bei den Luftsicherungsstellen sich dabei handelt. Die Quadrantenflugregeln sehen
nicht gebessert hat. Vielmehr meinen wir, daß sie vor, daß in bestimmter Richtung fliegende Flugob-
sich auf die Dauer verschlechtert, weil die finan- jekte auch nur bestimmte Höhenschichten benutzen
zielle Lage der in Zukunft verbeamteten Luftsiche- dürfen. Diese Quadrantenflugregeln gelten in
rungsleute schlechter ist als bislang. Das können unserem Lande nur als Empfehlung. Wir meinen,
2150 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 48. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. November 1962

Iven (Düren)
daß diese Empfehlung in verbindliche Auflagen um- digen Herren des Bundesverkehrsministeriums sich
gewandelt werden sollte. Gedanken über das machen werden, was Sie zu Fra-
gen der Verbesserung der Luftsicherheit und des
Wir haben an dieser Stelle durch verschiedene
Luftlenkungsdienstes, hinsichtlich der Schaffung mo-
Sprecher unserer Fraktion immer wieder darauf
dernster Einrichtungen und der Koordinierung der
aufmerksam machen lassen, daß der Luftraum ober-
Maßnahmen gesagt haben. Auch meine Freunde,
halb der Bundesrepublik endlich völlig durch Radar
die Freien Demokraten, begrüßen dieses Gesetz
abgedeckt werden sollte. Ich habe schon bei letzter zum Übereinkommen über EUROCONTROL und
Gelegenheit darauf aufmerksam gemacht, daß wir sind der Auffassung, daß es dazu dient, eine bes-
zwar auf einzelnen Flughäfen sogenannte Präzi- sere Koordinierung zwischen einigen europäischen
sionsradaranlagen installiert haben, daß wir diese Staaten — leider noch nicht zwischen allen europä-
Anlagen aber auf Grund des Personalmangels nicht ischen Staaten — bei der Luftfahrtlenkung
mit der notwendigen Intensität betreiben können. und der Verbesserung der Flugsicherheit vor allem
Meine Damen und Herren, wir möchten noch eine auch im oberen Luftraum zu erreichen.
weitere Anregung zur Steigerung der Sicherheit des
Gerade in diesem Zeitabschnitt, wo immer mehr
Luftverkehrs geben. Die amerikanische Luftsiche-
Düsenflugzeuge, sowohl vom militärischen wie vom
rungsbehörden haben für den über ihrem Kontinent
zivilen Verkehrssektor her, in den Verkehr kom-
ablaufenden Flugverkehr das sogenannte Sekundär
men, ist nach unserer Meinung eine bessere Len-
Radar zwingend verlangt. Daraus ergibt sich z. B. kung im oberen" Luftraum notwendig. Sowohl vom
für die Deutsche Lufthansa das Kuriosum, daß die Militärischen als auch vom Zivilen her muß eine
Maschinen, die von der Bundesrepublik nach Nord- Koordinierung und Zusammenarbeit erzielt werden,
amerika fliegen, bordseitig über das zusätzliche damit wir für die Passagiere ein Höchstmaß an-
Sicherungsgerät des Sekundär-Radars verfügen Sicherheit beim Ablauf des Fluges erreichen. Inso-
müssen, es aber bei den Start- und Landebewegun- weit begrüßen wir das vorliegende Gesetz. Auch
gen in der Bundesrepublik nicht einsetzen können, wir meinen, daß es in der Tat notwendig war und
weil bodenseitig die sogenannten Gegenanlagen weiter notwendig ist, der Luftverkehrskontrolle
einfach fehlen. Wir möchten die Empfehlung aus- eine erhöhte Aufmerksamkeit zu schenken. Die
sprechen, daß die Inbetriebnahme des Sekundär Zahl der Beinahe-Zusammenstöße in der Luft ist
Radars, welche eine ungeheure Steigerung der sehr hoch. Wir sollten daher gerade der Verbesse-
Sicherheit im Luftverkehr mit sich bringen würde, rung der Luftfahrtlenkung im oberen Luftraum un-
auch für unsere nationale Luftsicherung praktiziert sere volle Aufmerksamkeit schenken. Sie ist ohne
wird. Zweifel von primärer Bedeutung für die Sicherheit,
Schon bei dieser kleinen Anzahl von Empfehlun- für die Regelmäßigkeit und für die Wirksamkeit des
gen und Vorschlägen werden sich wahrscheinlich Ablaufs des gesamten Luftverkehrs.
beim Skeptiker die Überlegungen ergeben: Was Wir wünschen wie Sie, Herr Kollege Iven, daß
mag das kosten, und wie mag das zu bewerkstel- man bei der Auswahl des Personals, sowohl der
ligen sein? Meine Damen und Herren, auch hierfür Piloten als auch der Leute beim Fluglenkungsdienst,
einen von unseren Freunden schon wiederholt hier auf entsprechend ausgebildeten Nachwuchs Bedacht
vertretenen Vorschlag. Man sollte endlich die heute nimt,derhoc Gäbedinka,
nebeneinander arbeitenden militärischen und zivi- und daß die Stellen so dotiert sind, die Leute also
len Flugsicherungseinrichtungen zusammenarbeiten so bezahlt werden, daß man sagen kann: Es ist in
lassen. Es besteht zwar auch heute ein geringes Ordnung. Sie haben es angedeutet: wir wissen um
Maß an Zusammenarbeit in Form von gegenseitiger die Schwierigkeit der Frage, die einige Zeit gerade
Information und Hilfeleistung. Wir möchten vor- bei den controllers bestanden hat, meinen aber, daß
schlagen, daß es in unserem Land wie auch in den doch eine einigermaßen befriedigende Lösung ge-
Vereinigten Staaten aus besseren Erkenntnissen zu funden worden ist. Auch hier glauben meine
einer völligen Integrierung der militärischen und Freunde und ich, daß man dieser Frage ihre volle
zivilen Flugsicherungseinrichtungen kommen sollte. Bedeutung zuerkennen muß.
Mit einer solchen Zusammenfassung wäre es mög-
lich, die von uns hier aufgeworfenen Probleme ohne Auf die anderen Probleme, die hier aufgezeigt
worden sind, brauche ich nicht einzugehen; Herr
neue Kosten und Personalgestellungen abzuwickeln.
Kollege Iven, Sie haben sie angedeutet. Wir Freien
Im übrigen stimmen meine Freunde und ich dem Demokraten wünschen aber vor allem eine bessere
Gesetzentwurf zu. Zusammenarbeit zwischen den militärischen und
(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten zivilen Luftfahrtstellen gerade in den Fragen der
der Regierungsparteien.) Luftverkehrslenkung. Wir meinen, daß hier noch
Reserven vorhanden sind, die ausgenutzt werden
können, daß man zu einer besseren Koordinierung
Vizepräsident Schoettle: Das Wort hat der kommen kann, daß man auch bei der Ausbildung
Herr Abgeordnete Eisenmann. des Personals für die Lenkung im oberen Luftraum
zu einer besseren Zusammenarbeit gelangen kann;
denn letzten Endes soll alles das der Verbesse-
Eisenmann (FDP) : Herr Präsident! Meine sehr rung der Luftverkehrssicherheit dienen.
verehrten Damen! Meine Herren! Herr Kollege
Iven, Sie haben ohne Zweifel sehr interessante Aus- Wir haben die Bitte an das Bundesverkehrsmini-
führungen gemacht, und ich glaube, daß die zustän- sterium, es möge durch Verhandlungen zu erreichen
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 48. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. November 1962 2151
Eisenmann
suchen, daß sich die Staaten, die zur Zeit noch nicht Aber es ist, glaube ich, auch in den Ausschuß-
angeschlossen sind, möglichst rasch anschließen. beratungen mit aller Deutlichkeit gesagt worden,
Gerade der Luftverkehr bewegt sich im internatio- Herr Kollege Iven, daß der Herr Bundesverkehrs-
nalen Raum, so daß es dringend notwendig ist, daß minister und seine Mitarbeiter in der Frage der
sich Schweden, Italien, die Schweiz, Irland und Stellung der deutschen Fluglotsen mit äußerster Be-
Österreich EUROCONTROL anschließen. Ich glaube, hutsamkeit vorgegangen sind. Wenn Sie den Satz,
daß es nicht nur im deutschen, sondern in der Tat den Sie hier ausgesprochen haben, einmal nachlesen,
auch im Interesse der von mir genannten Staaten dann, nehme ich an, werden Sie diesen Satz selbst
liegt und der Sicherheit des Luftverkehrs im Raume korrigieren. Sie haben gesagt, der Minister habe
dieser Staaten dient, wenn sie sich möglichst bald durchgesetzt, daß eine beträchtliche Anzahl von
EUROCONTROL anschließen. Fluglotsen nunmehr bereit sei, in den Beamten-
Wir begrüßen dieses Gesetz als einen ersten status überzutreten. Wenn man hier sagt, der Herr
Schritt zur Verbesserung der Luftverkehrslenkung Minister habe diese Sache durchgesetzt, dann wird
und der Erhöhung der Luftverkehrssicherheit. Wir die Sache doch etwas einseitig betrachtet. Denn,
wünschen, daß alle europäischen Staaten die Not- Herr Kollege Iven, niemand, auch nicht die Bundes-
wendigkeit der Zusammenarbeit zur Verbesserung regierung, kann die Verantwortung dafür überneh-
der Luftverkehrssicherheit begreifen. Möge man men, ob ein einzelner, der im Moment noch Ange-
überall erkennen, daß das Gesetz zum Übereinkom- stellter ist, in den Bamtenstand übertreten oder in
men über EUROCONTROL im Sinne eines fort- Zukunft als freier Mitarbeiter tätig sein will. Diese
schrittlichen Denkens ein erster Schritt zur Verbes- Entscheidung kann immer nur von den Betreffenden
serung der Flugsicherheit ist! selbst, und zwar ganz allein, getroffen werden. Ich
glaube, gerade die Verhandlungen der zuständigen
-
(Beifall bei den Regierungsparteien.) Verwaltungen mit den beiden Gewerkschaften, der
ÖTV und der DAG, haben Zeugnis dafür gegeben,
daß auf beiden Seiten bei den Bemühungen, für die
Vizepräsident Schoettle: Das Wort hat der Fluglotsen nunmehr auch angemessene besoldungs-
Abgeordnete Wendelborn. rechtliche und sonstige arbeitsrechtliche Verhältnisse
herbeizuführen, äußerste Loyalität geherrscht hat.
Die Redewendung, die Sie hier gebraucht haben,
Wendelborn (CDU/CSU) : Herr Präsident! Meine paßt nicht ganz auf das, was wir auch selbst mit-
Damen und Herren! Ich darf zunächst meiner Freude erlebt haben und über das uns auch im Ausschuß
darüber Ausdruck geben, daß der Sprecher der so- Auskunft gegeben worden ist.
zialdemokratischen Fraktion, Herr Kollege Iven, Ich glaube daher, im Namen meiner Fraktion sa
trotz der von ihm hier vorgebrachten Bedenken die gen zu dürfen, daß wir die große Hoffnung haben,
Zustimmung seiner Fraktion zu diesem Gesetz an- daß diesem Vertrag baldmöglichst auch noch andere
gekündigt hat. europäische Staaten beitreten mit dem Ziel, die Luft-
Wir machen mit der Verabschiedung dieses Ge- sicherheit im Interesse unserer Mitbürger so weit
setzes einen ersten Schritt auf dem Wege zu einer wie möglich zu verbessern und zu erhöhen.
europäischen Zusammenarbeit in der Frage der (Beifall bei der CDU/CSU.)
WÜbeirwgalcuhn,dßLftseri.
mit der Vorlage dieses Gesetzes viele Wege und
Tore zu einer Verbesserung geöffnet sind mit dem Vizepräsident Schoettle: Das Wort hat der
Herr Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium.
Ziele, nicht nur die Luftsicherheit über den Verkehrs-
räumen der Staaten, die diesem Vertrag zugestimmt
haben, zu verbessern, sondern auch, wie es die Bun- Dr. Seiermann, Staatssekretär im Bundesmini-
desregierung in den Ausschußberatungen bekundete, sterium für Verkehr: Herr Präsident! Meine Damen
weitere Länder zum Beitritt zu dieser Vereinbarung und Herren! Gestatten Sie mir einige Bemerkungen
zu bewegen, so daß eines Tages der Erfolg der zu den Ausführungen der Vertreter der drei in die-
Bemühung der Bundesregierung von diesem Hohen sem Hohen Hause vertretenen Parteien.
Hause zur Kenntnis genommen werden kann. Zunächst sind Wünsche und Sorgen hinsichtlich
Ich stimme im großen unid ganzen mit den Aus- der Sicherheit des Flugverkehrs besonders unter
führungen des Kollegen Iven überein, darf aber dem Giesichtspunkt der Flugsicherung vorgeschlagen
doch zwei oder drei Punkte herausstellen, die von worden. Ich (darf Ihnen versichern, daß diese Wün-
dem Herrn Kollegen Iven angesprochen worden sind. sche und diese Sorgen die Wünsche und Sorgen
Selbstverständlich wird auch nach Verabschiedung auch unseres Hauses sind und daß wir für alle An-
dieses Gesetzes noch ein Nebeneinander der mili- regungen, die auf diesem Gebiet vorgetragen wer-
tärischen und der zivilen Luftfahrtüberwachung und den, immer ein aufmerksames Ohr haben werden.
-lenkung bestehen bleiben. Es ist auch unser Ich könnte Ihnen im einzelnen darlegen, daß ein
Wunsch, daß beide Instrumente weitestgehend zu- Teil der angesprochenen Sicherungsprobleme be-
sammenarbeiten und gegebenenfalls das eine oder reits Gegenstand der Prüfung ist, teilweise bereits
das andere eingespart werden kann. Wir hoffen seit längerer Zeit. Ich verspreche Ihnen, daß die
unter anderem auch, daß die Bemühungen der Bun- Prüfung der übrigen Anregungen aufgenommen
desregierung, weitere Länder zum Beitritt zu diesem wird. Sie gelten vor allem der weitengehenden
Vertrag zu bewegen, von Erfolg gekrönt sein wer- Sicherung unter dem Gesichtspunkt der Einschaltung
den. des Sportverkehrs in die Sicherungsmaßnahmen.
2152 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 48. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. November 1962
Staatssekretär Dr. Seiermann
Es ist an die Bundesregierung appelliert worden, das Gesetz ist in der zweiten Beratung einstimmig
dafür zu sorgen, daß sich der Kreis der Teilnehmer angenommen.
an EUROCONTROL möglichst bald erweitert und
auf das gesamte europäische Gebiet erstreckt. Ich Wir kommen zur
kann Ihnen sagen, daß nach den uns bekannten Tat-
sachen Irland sofort nach Abschluß des Vertrages dritten Beratung.
Schritte unternehmen wird, um beizutreten. Ich kann
Ich eröffne die Aussprache. — Das Wort wird nicht
Ihnen weiter sagen, daß sowohl in der Schweiz wie
in Österreich die Frage eines Beitritts oder einer gewünscht. Anträge liegen nicht vor. Wir kommen
Assoziierung bereits im Gespräch ist und daß Ita- zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz im ganzen
lien an den Verhandlungen bereits beteiligt war zustimmen will, den bitte ich, sich zu erheben. —
und daß nicht Gründe, die mit dem Inhalt der Ma- Gegenprobe! — Ich nehme an, alle die Herrschaften,
terie des Vertrages zusammenhängen, dazu geführt die stehen, wollen trotzdem dem Gesetz zustimmen.
haben, daß sich Italien zunächst einmal absentiert — Das scheint so zu sein. — Gegenstimmen? — Ent-
hat; wir hoffen, daß das nur vorübergehend ist. haltungen? — Das Gesetz ist einstimmig beschlos-
sen.
Bs sind auch Sorgen vorgetragen worden, ob un-
Wir haben dann noch die Ziffer 2 des Ausschuß-
sere Verwaltung in der Lage sein wird, mit dem
antrages zu erledigen:
vorhandenen Personal Personalanforderungen zu
befriedigen, die von seiten der BUROCONTROL an der Bundesregierung zu empfehlen, darauf hin-
uns herangetragen werden. Ich glaube, wir brau- zuwirken, daß a) die deutsche Sprache ebenfalls
chen hier keine Sorge zu haben, Herr Abgeordneter zur Arbeitssprache der Kommission und zur
Iven. Die Zahl wird nicht so hoch sein, wie Sie ver- Verwaltungssprache der Agentur erklärt wird,
muten — einige hundert —, sondern sich um die b) bei der Besetzung der führenden Posten des
Grenze von hundert, wahrscheinlich darunter, hal- Ausschusses der Agentur die deutschen Inter-
ten. Sie dürfen nicht vergessen, daß ein Teil Ver- essen gebührend berücksichtigt werden.
waltungspersonal ist, das bereits abgestellt ist. Sie Wer diesem Antrag des Ausschusses zustimmen
dürfen nicht vergessen, daß die auf dem deutschen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Danke.
Bereich einzurichtenden Zweigstellen zum Teil be- Es ist so beschlossen.
reits durch Personal bedient werden, das auch zu-
sätzlich die EUROCONTROL-Aufgaben überneh- Meine Damen und Herren, ich habe noch etwas
men kann. Sie müssen daran denken, daß der Ver- nachzutragen. Bei der Behandlung des Punktes 3
trag die Möglichkeit vorsieht und mit der Wahr- der Tagesordnung ist übersehen worden, daß im
scheinlichkeit zu rechnen ist, daß sich die Zuständig- Antrage des Ausschusses auf Drucksache IV/692
keit der EUROCONTROL im Laufe der Zeit auch auf eine Ziffer 2 enthalten ist, nämlich, den Antrag der
den unteren Luftraum erstrecken wird und dadurch Fraktion der SPD — Drucksache IV/509 — ab-
das Personal, das bisher dafür notwendig war, frei zulehnen. Ich war der Meinung, daß diese Ziffer
wird. des Ausschußantrages durch die Abstimmung zum
Gesetzentwurf selbst erledigt sei; ich bin aber
Ich freue mich, in diesem Zusammenhang auch belehrt worden, daß trotzdem noch eine förmliche
feststellen zu können, daß die Möglichkeit der Ver- Erledigung notwendig sei. Wer dem Antrag des
beamtung des Flugsicherungspersonals mid die da-
Ausschusses zustimmen will, den bitte ich um ein
für , geschaffenen Laufbahnrichtlinien bereits erwie-
Handzeichen. Ist das nun Teilnahme an der Abstim-
sen haben, daß dieser Beruf auch in der verbeam- mung? — Ich bitte doch mitzustimmen. — Gegen-
teten Form eine große Anziehungskraft auf die Ju-
probe! — Meine Damen und Herren, ich komme in
gend ausübt. Wir haben sowohl für den technischen eine schwierige Situation.
Dienst wie den Flugkontrolldienst bereits eine ver-
hältnismäßig große Anzahl von Dienstanfängern auf- (Heiterkeit.)
genommen, und wir hoffen, daß die, ich möchte sa- Ich bin mir nicht ganz klar darüber, wie ich aus
gen, Liebe zu diesem Beruf sich ausdehnen wird, so dieser Affäre am besten und ohne Schaden heraus-
daß wir hoffentlich auf längere Zeit von den Nach- komme. — Herr Brück!
wuchssorgen befreit sein werden.
Ich freue mich, daß der Entwurf offenbar die Zu- Brück (CDU/CSU) : Herr Präsident! Meine Damen
stimmung des gesamten Hauses finden wird, und und Herren! Der Antrag, der mit Drucksache IV/692
danke dem Hause dafür. gestellt ist, lautet:
(Beifall.) B. Antrag des Ausschusses
Der Bundestag wolle beschließen,
Vizepräsident Schoettle: Es liegen keine 1. den Gesetzentwurf — Drucksache IV/673 —
Wortmeldungen mehr vor. Ich schließe die Aus- in der aus der nachstehenden Zusammen-
sprache. Wir kommen zur Abstimmung in der zwei- stellung ersichtlichen Fassung anzunehmen;
ten Beratung. Ich rufe auf Artikel 1, — Artikel 2,
— Artikel 3, — Einleitung und Überschrift. Wer den 2. den Antrag der Fraktion der SPD — Druck-
aufgerufenen Artikeln zustimmen will, den bitte ich sache IV/509 — abzulehnen.
um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltun- Ich darf die Frage stellen: Ist denn nicht, nachdem
gen? — Keine Gegenstimmen, keine Enthaltungen; im Plenum einstimmig beschlossen worden ist, den
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 48. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. November 1962 2153
Brück
unter Ziffer 1 genannten Antrag anzunehmen, damit Wird das Wort zur Begründung gewünscht? —
automatisch auch der Antrag unter Ziffer 2 erledigt? Das ist nicht der Fall. Ich eröffne die Aussprache.
— Das Wort wird nicht gewünscht. Ich schließe die
(Zurufe.) Aussprache.
Das Gesetz soll an den Ausschuß für Inneres —
Vizepräsident Schoettle: Herr Abgeordneter, federführend —, an den Haushaltsausschuß und an
genau das war der Punkt, um den es ging. Wir den Ausschuß für Verteidigung überwiesen werden.
haben nämlich nicht über den Antrag des Ausschus- Wird gegen diese Überweisungsvorschläge Wider-
ses im ganzen, sondern über das Gesetz abgestimmt. spruch erhoben? — Herr Abgeordneter Brück!
Der Antrag des Ausschusses unter Ziffer 2 war
damit nicht erledigt. Ich stehe nun vor der Frage,
ob ich durch die Abstimmung eine Situation schaffe, Brück (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Damen
die tatsächlich in Widerspruch zu dem Beschluß des und Herren! Wir haben jetzt den Umstand zu ver-
Hauses von vorhin steht. — Ich bin der Meinung, zeichnen, daß dieses Gesetz, das Dritte Besoldungs-
daß durch die Beschlußfassung zu Ziffer 1, also zum erhöhungsgesetz, nun plötzlich auch dem Vertei-
Gesetz selber, der Antrag unter Ziffer 2 erledigt ist. digungsausschuß zur Mitberatung überwiesen wer-
den soll. Das war bisher zum mindesten nicht Praxis.
(Zustimmung.) Ich möchte bitten, es bei der alten Praxis zu belas-
Ist das Haus mit dieser Auslegung einverstanden? sen und das Gesetz an den Ausschuß für Inneres als
— Das ist der Fall. Immerhin ist es ganz interessant federführenden Ausschuß und an den Haushaltsaus-
gewesen, an diesem Punkt einmal zu demonstrieren, schuß zur Mitberatung zu überweisen. Sonst kom-
was unter Umständen entstehen kann, wenn man men wir in Zukunft in Schwierigkeiten, die für uns
dabei formal vorgeht. alle nicht gut sind. -

Wir kommen zu Punkt 5 der Tagesordnung:


Vizepräsident Schoettle: Das Wort hat Herr
Zweite und dritte Beratung des von der Bun- Abgeordneter Schmitt-Vockenhausen.
desregierung eingebrachten Entwurfs eines
Vierten Gesetzes zur Änderung des
Flüchtlings-Notleistungsgesetzes (Drucksache Schmitt-Vockenhausen (SPD) : Herr Präsident!
IV/593) ; Meine Damen und Herren! Ich bin sehr froh, daß
der Herr Kollege Brück diesen Sachverhalt noch
Mündlicher Bericht des Ausschusses für Inne einmal klargestellt hat. Eine solche Erweiterung
res (6. Ausschuß) (Drucksache IV/715) der Mitberatung liegt auch nicht im Sinne der
(Erste Beratung 40. Sitzung). grundsätzlichen Beschlüsse des Ältestenrates und
würde nur zu einer Verzögerung der Verabschie-
Berichterstatterin ist Frau Kettig. Wünscht die Be-
dung führen. Uns allen liegt daran, daß dieses dritte
richterstatterin das Wort? — Die Berichterstatterin
Anpassungsgesetz vor Weihnachten in diesem
verzichtet. Hohen Hause wieder behandelt wird. Ich bitte herz-
Ich eröffne die Aussprache in der zweiten Bera- lich darum, diese Erweiterung der Mitberatung ab-
tung. — Das Wort wird nicht gewünscht. Ich zulehnen:
schließe die Aussprache. (Beifall bei der SPD und der FDP.)
Wir kommen zur Abstimmung. Ich rufe auf Art. 1,
— Art. 2, — Art. 3, — Einleitung und Überschrift. — Vizepräsident Schoettle: Herr Abgeordneter
Wer den aufgerufenen Artikeln sowie der Einlei- Dr. Miessner!
tung und der Überschrift zustimmen will, den bitte ich
um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Keine Ge-
genstimmen. Enthaltungen? — Keine Enthaltungen. Dr. Miessner (FDP) : Herr Präsident! Meine Da-
Das Gesetz ist in der zweiten Beratung angenom- men und Herren! Ich bitte um Überweisung an den
men. Innenausschuß und an den Haushaltsausschuß ge-
mäß § 96 der Geschäftsordnung.
Wir kommen zur
Vizepräsident Schoettle: Das letzte ist eine
dritten Beratung.
neue Version.
Ich eröffne die Aussprache. Wird das Wort ge- (Zurufe von der FDP: Haushaltsausschuß
wünscht? — Das Wort wird nicht gewünscht. Ich nicht mitberatend!)
schließe die Aussprache. Wir kommen zur Schluß-
— Ich muß die Entscheidung des Hauses herbei-
abstimmung. Wer dem Gesetz im ganzen zustim-
führen. Besteht Übereinstimmung darüber, daß die
men will, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegen-
Vorlage an den Innenausschuß als federführenden
probe! — Das Gesetz ist einstimmig verabschiedet.
Ausschuß überwiesen werden soll?
Ich rufe auf Punkt 6 der Tagesordnung: (Wird bejaht.)
Erste Beratung des von der Bundesregierung — Gut, es ist so beschlossen.
eingebrachten Entwurfs eines Dritten Geset-
Soll der Haushaltsausschuß nach § 96 oder mit-
zes über , die Erhöhung von Dienst- und Ver-
beratend beteiligt werden?
sorgungsbezügen (Drittes Besoldungserhö-
hungsgesetz (Drucksache IV/712). (Zurufe von der SDP: Mitberatend!)
2154 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 48. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. November 1962
Vizepräsident Schoettle
— Meine Damen und Herren, ich mache darauf auf- Wir kommen zu Punkt 7 der Tagesordnung:
merksam, daß die Überweisung an den Haushalts- Erste Beratung des von der Bundesregierung
ausschuß nach § 96 den Ausschuß von der wirk- eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu
lichen Mitberatung praktisch ausschließt. Wenn das Idem Vertrag vom 27. März 1961 zwischen der
die Absicht ist, dann muß das Haus diese Entschei- Bundesrepublik Deutschland und dem König-
dung herbeiführen. reich Griechenland über die Förderung und
(Abg. Dr. Miessner: Es war bisher immer den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen
so! — Zurufe von der SPD: Mitberatend!) (Drucksache IV/710).
— Hier sind also Anträge gestellt. Zunächst ist be- Ich eröffne die Aussprache. Wird das Wort ge-
antragt, nach § 96 zu überweisen. wünscht? — Das Wort wird nicht gewünscht. Ich
schließe die Aussprache.
(Abg. Jahn: Zur Geschäftsordnung!)
Der Gesetzentwurf soll an den Wirtschaftsaus-
— Herr Abgeordneter Jahn! schuß als federführenden Ausschuß, an den Aus-
schuß für auswärtige Angelegenheiten, den Aus-
schuß für Entwicklungshilfe und den Außenhandels
Jahn (SPD) : Meine Damen und Herren, es ent- ausschuß als mitberatende Ausschüsse überwiesen
spricht der Verabredung im Ältestenrat, Überwei- werden. Wird diesen Vorschlägen widersprochen? —
sungen an den Haushaltsausschuß uneingeschränkt Das ist nicht der Fall. Dann ist im Sinne des Vor-
zur Mitberatung zu beschließen. Ich bitte, dement- schlages beschlossen.
sprechend zu verfahren.
Ich rufe auf den Punkt 8 der Tagesordnung: -

Erste Beratung des von der Bundesregierung


Vizepräsident Schoettle: Bitte, Herr Dr. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu
Miessner! dem Ubereinkommen vom 24. Januar 1959
über die Fischerei im Nordostatlantik (Druck-
sache IV/711).
Dr. Miessner (FDP) : Herr Präsident! Meine Da-
men und Herren! Ich würde /bitten, doch auch eine Ich eröffne die Aussprache. — Das Wort wird
Begründung dafür zu geben, warum hier seitens des nicht gewünscht. Die Aussprache ist geschlossen.
Ältestenrates von der bisherigen Praxis abgewichen Die Vorlage soll an den Ausschuß für Ernährung,
wurde. Denn ich muß darauf aufmerksam machen, Landwirtschaft und Forsten Überwiesen werden.
daß bisher in solchen Fällen die Vorlagen dem Keine anderen Vorschläge! Das Haus stimmt die-
Haushaltsausschuß nicht zur Mitberatung zuge- sem Überweisungsvorschlag zu? — Es ist so be-
wiesen wurden. Eine „Mitberatung" würde nämlich schlossen.
bedeuten, daß die ganze Sache im Haushaltsaus-
schuß noch einmal materiell geprüft werden kann, Ich rufe auf den Punkt 9 der Tagesordnung:
während sie bei Überweisung gemäß § 96 der Ge- Erste Beratung des von der Bundesregierung
schäftsordnung nur im Hinblick auf die finanzielle eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu der
Auswirkung auf den Haushalt überprüft werden Vereinbarung vom 12. September 1961 zwi-
kann. Das ist zweifellos ein wesentlicher Unter- schen der Regierung der Bundesrepublik
schied. Ich halte daher meinen Antrag betont auf- Deutschland und der Königlich Dänischen Re-
recht. gierung über Gastarbeitnehmer (Drucksache
IV/719).
Ich eröffne die Aussprache. — Das Wort wird
Vizepräsident Schoettle: Wir stimmen ab. Es nicht gewünscht. Die Aussprache ist geschlossen.
ist beantragt, die Vorlage dem Haushaltsausschuß Es wird vorgeschlagen, die Vorlage an den Aus-
nach § 96 der Geschäftsordnung zu überweisen. Wer schuß für Arbeit zu überweisen. Ist das Haus mit
stimmt diesem Antrag zu? — Gegenprobe! — diesem Vorschlag einverstanden?
Das letzte ist die Mehrheit; der Antrag ist abge-
lehnt. (Zustimmung.)
Ich nehme danach an, daß nach den Vorschlägen — Das ist der Fall. Es ist so beschlossen.
des Ältestenrats überwiesen werden soll, und zwar
dem Haushaltsausschuß zur Mitberatung. — Ich Ich rufe auf 'den Punkt 10 der Tagesordnung:
darf feststellen, daß das so ist. Erste Beratung des von der Bundesregierung
Dann ist noch vorgeschlagen, den Ausschuß für eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu
Verteidigung mitberatend zu beteiligen. Darüber dem Abkommen vom 25. April 1961 zwischen
müssen wir nun abstimmen. Wer dafür ist, daß der der Bundesrepublik Deutschland und dem
Ausschuß für Verteidigung mitberatend beteiligt Königreich Griechenland über Soziale Sicher-
wird, den bitte ich um ein Handzeichen. — Es erhebt heit (Drucksache IV/720).
sich keine Hand; damit ist der Vorschlag des Älte- Ich eröffne die Aussprache. — Das Wort wird
stenrats abgelehnt. Der Gesetzentwurf ist an den nichtgewünscht. Die Aussprache ist geschlossen.
Ausschuß für Inneres als federführenden Ausschuß Die Vorlage soll überwiesen werden an den Aus
und an den Haushaltsausschuß als mitberatenden schuß für Sozialpolitik — federführend — und an
Ausschuß überwiesen. den Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten.
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 48. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. November 1962 2155
Vizepräsident Schoettle
W ir d diesem Vorschlag widersprochen? — Das ist den Fraktionen der CDU/CSU, FDP einge
nicht der Fall. Dann ist so beschlossen. brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände-
rung des Zollgesetzes (Drucksache IV/725,
Ich rufe auf Punkt 11 der Tagesordnung: Umdrucke 130, 139).
Erste Beratung des von der Bundesregierung Berichterstatter ist der Abgeordnete Sühler.
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Wünscht der Herr Berichterstatter das Wort? — Das
das Zollkontingent für feste Brennstoffe 1963 scheint nicht der Fall zu sein. Wird in der Aus-
und 1964 (Drucksache IV/732). sprache das Wort gewünscht? — Auch das ist nicht
Ich eröffne die Aussprache. — Keine Wortmel- der Fall. Die Aussprache ist geschlossen.
dungen; die Aussprache ist geschlossen. Wir kommen zur Abstimmung. Der Antrag des
Überweisung soll erfolgen an den. Wirtschafts- Ausschusses ist auf der Drucksache IV/725 auf
ausschuß — federführend — und an den Außen- Seite 2 zu finden. Wer dem Antrag des Ausschus-
handelsausschuß — mitberatend —. Wird diesen ses zustimmen will, den bitte ich um ein Handzei-
Vorschlägen widersprochen? — Das ist nicht der chen. — Danke. Ich bitte um die Gegenprobe. —
Fall; es ist so beschlossen. Enthaltungen? — Der Antrag des Ausschusses ist
einstimmig angenommen worden.
Ich rufe auf den Punkt 13 der Tagesordnung:
Ich rufe auf den Punkt 14 der Tagesordnung:
Beratung des Schriftlichen Berichts des Aus-
schusses für Ernährung, Landwirtschaft und Beratung des Antrags des Präsidenten des
Forsten (19. Ausschuß) über die Entschlie- Bundesrechnungshofes betr. Rechnung und
ßungsanträge der Fraktion der SPD und der Vermögensrechnung des Bundesrechnungs-
Fraktionen der CDU/CSU, FDP zur dritten hofes für das Rechnungsjahr 1960 — Einzel--
Beratung des von den Fraktionen der CDU/ plan 20 (Drucksache IV/705).
CSU, FDP eingebrachten Entwurfs eines Ge- Wird das Wort zur Aussprache gewünscht? —
setzes zur Durchführung der Verordnung Das ist nicht der Fall; ich schließe die Aussprache.
Nr. 19 (Getreide) des Rates der Europäischen
Wirtschaftsgemeinschaft, des von den Frak- Die Vorlage soll an den Haushaltsausschuß über-
tionen der CDU/CSU, FDP eingebrachten Ent- wiesen werden. Wird diesem Vorschlag widerspro-
wurfs eines Abschöpfungserhebungsgesetzes, chen? — Das ist nicht der Fall; dann ist so beschlos-
des von den Fraktionen der CDU/CSU, FDP sen.
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Damit, meine Damen und Herren, sind wir am
Durchführung der Verordnungen Nr. 20 Schluß der heutigen Sitzung angelangt. Ich berufe
(Schweinefleisch), Nr. 21 (Eier) und Nr. 22 die nächste Sitzung auf Freitag, den 16. November,
(Geflügelfleisch) des Rates der Europäischen 9 Uhr.
Wirtschaftsgemeinschaft sowie zur Änderung Die Sitzung ist geschlossen.
des Gesetzes zur Förderung der deutschen
Eier- und Geflügelwirtschaft und des von (Schluß der Sitzung: 17.14 Uhr.)

Berichtigungen
Es ist zu lesen:
47. Sitzung Seite 2075 D Zeile 6 und 7 von unten
statt „keine Anzeigepflichtverletzung, Anzeige
Racheakt": keine Anzeige: Pflichtverletzung, An-
zeige: Racheakt; Seite 2078 D Zeile 14 statt „be-
kannt": unbekannt.
Deutscher Bundestag - 4. Wahlperiode - 48. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. November 1962 2157

Anlagen zum Stenographischen Bericht

Anlage i Anlage 2
Schriftliche Antwort
Liste der beurlaubten Abgeordneten des Herrn Bundesministers Dr. Schröder auf die
Mündliche Anfrage des Abgeordneten Fritsch (Frage-
Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich stunde der 47. Sitzung vom 9. November 1962,
Drucksache IV/698, Frage II/1):
a) Beurlaubungen Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um das Schicksal
des 1950 nach Rußland verschleppten deutschen Staatsbürgers
Wulf Günther Kurt Lüdtke, geboren am 1. Januar 1929 zu Stet-
Frau Albertz 30. 11. tin, zu klären, der nach einwandfreien Zeugenaussagen 1955
Dr. Aschoff 15. 11. noch lebte, während ihn das Sowjetische Rote Kreuz als im
Januar 1949 in Rußland verstorben verzeichnet?
Dr. Atzenroth 14. 11.
Auge 19. 11. Der Suchdienst des Deutschen Roten Kreuzes ist
Bauknecht 16. 11. bereits seit dem Jahre 1954 um die Auklärung des
Dr. Birrenbach 17. 11. Schicksals des Wulf Lüdtke bemüht. Das Auswärtige
Fürst von Bismarck 17. 11. Amt hat sich im September 1957 auf Antrag der
Dr. von Brentano 17. 11. Mutter des Verschollenen ebenfalls der Nach-
Dr. Burgbacher 17. 11. forschung nach dem Verbleib des Wulf Lüdtke an-
Deringer 14. 11. genommen. Es hat ferner unter Übersendung aller
Dr. Dittrich 16. 11. vorliegenden Zeugenaussagen die deutsche Botschaft
Dr. Dollinger 16. 11. in Moskau angewiesen, das sowjetische Außen-
Dopatka 17. 11. ministerium um Klärung des Falles zu bitten. Das
16. 11. sowjetische Außenministerium hat der Botschaft
Frau Dr. Elsner
28. 11. Ende August d. J. mitgeteilt, daß die von den zu-
Dr. Dr. h. c. Friedensburg
17. 11. ständigen sowjetischen Stellen durchgeführte Über-
Freiherr zu Guttenberg
prüfung bestätigt hat, daß Wulf Lüdtke am 15. Ja-
Haase (Kellinghusen) 16. 11.
nunar 1949 verstorben ist.
Dr. Harm 1. 12.
Dr. Heck 16. 11. Ungeachtet dessen hat das Deutschen Rote Kreuz
Herold 17. 11. bei einer kürzlich abgehaltenen Konferenz der Inter-
Hoogen 16. 11. nationalen Rotkreuzgesellschaften in Genf alle Un-
Jacobs 18.11. terlagen zum Fall Lüdtke erneut dem sowjetischen
Dr. Jaeger 17. 11. Roten Kreuz übergeben und gebeten, den Fall Wulf
Frau Kipp-Kaule 16. 11. Lüdtke noch einmal zu überprüfen.
Dr. Klein (Berlin) 16. 11. Auch das Auswärtige Amt wird weiterhin allen
Dr. Kliesing (Honnef) 17. 11. Spuren, die sich etwa ergeben sollten, nachgehen.
Kriedemann 16. 11.
Kühn (Bonn) 31. 12.
Kuntscher 31. 12. Anlage 3
Leber 16. 11.
Lücker (München) 15. 11. Schriftliche Antwort
Merten 17. 11.
16. 11. des Herrn Bundesministers Dr. Schröder auf die
Michels
Mündlichen Anfragen des Abgeordneten Werner
Paul 17. 11.
(Fragestunde der 47. Sitzung vom 9. November 1962,
Pöhler 17. 11.
Drucksache IV/698, Fragen II/2 und 11/3):
Porzner 15. 11.
Ramms 16. 11. Ist die Bundesregierung bereit, der Arabischen Republik
Syrien auf der Basis des Protokolls vom 5. Juli 1961 einen aus-
Rasner 16. 11. reichenden Kredit für den Aufbau des Euphrat-Dammes nach wie
vorzugebn?
Richarts 16. 11.
Dr. Schneider (Saarbrücken) 16. 11. Können aus dem der Bundesrepublik vorliegenden Gutachten
über den Aufbau des Euphrat-Dammes positive Schlüsse gezogen
Schultz 17. 11. werden, die eine wirtschaftliche Nutzung des Dammprojekts mög-
lich erscheinen lassen?
Starch 15. 11.
Frau Strobel 14. 11. Die Bundesregierung steht mit der syrischen Re-
Frau Vietje 16. 11. gierung in Verhandlungen über die Anpassung des
Dr. Wahl 15. 11. Protokolls vom 5. Juli 1961 an die durch den Aus-
Wienand 17. 11. tritt Syriens aus der VAR entstandenen neuen Ver-
Dr. Wilhelmi 16. 11. hältnisse. Die Bundesregierung kann jedoch bereits
Wullenhaupt 16. 11. jetzt erklären, daß das Ausscheiden Syriens aus der
Vereinigten Arabischen Republik ihre Einstellung
b) Urlaubsanträge zu dein Staudammprojekt nicht beeinträchtigt, wenn
im übrigen die Voraussetzungen für den Kredit ge-
Haage (München) 30. 11. geben sind. Dazu gehört insbesondere, daß die noch
Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller 30. 11. ausstehenden wirtschaftlichen Untersuchungen zu
Rademacher 15. 12. einem positiven Ergebnis führen.
2158 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode - 48. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. November 1962

Was die wirtschaftliche Nutzung des Projekts be- zyankali, Arsen, Blei, Algen und Pflanzenschleim enthalten und
daß die Bundesregierung in diesen Fällen auf die Ausübung der
trifft, liegt bereits ein umfangreiches technisches Kontrollrechte gegenüber Italien verzichtet, obwohl sich heraus-
gestellt haben dürfte, daß amtliche italienische Gutachten nicht
Gutachten vor, dem zu entnehmen ist, daß die immer richtig waren?
Durchführung des Staudammbaues in mehreren
Stufen technisch möglich ist. Soweit dieses Gut- In Vertretung des Staatssekretärs darf ich die
achten auf wirtschaftliche Fragen eingehen konnte, Frage wie folgt beantworten:
ergeben sich sehr wohl Anhaltspunkte dafür, daß Die Weinkontrolle ist Angelegenheit der Länder.
die einzelnen Ausbaustufen mit wirtschaftlichem Die Bundeszollverwaltung wirkt bei der Kontrolle
Nutzen betrieben werden können. Eine abschlie- der Einfuhren dadurch mit, daß sie die gesetzlich
ßende Beurteilung wird erst nach Vorlage des Er- vorgeschriebene Untersuchung auf Einfuhrfähigkeit
gebnisses der erwähnten wirtschaftlichen Unter- durch die Untersuchungsanstalten der Länder ver-
suchungen möglich sein. anlaßt. Südweine (Dessertweine) dürfen aus Italien
Im übrigen ist sich die Bundesregierung darüber in das Bundesgebiet nur in dem Zustand eingeführt
im klaren, daß das Projekt Euphratdamm ein Vor- werden, in dem sie das Ursprungsland verlassen.
haben darstellt, das über die deutsch-syrischen Be- Diese Weine müssen von einem amtlichen Unter-
ziehungen hinaus eine Rolle in zahlreichen anderen suchungszeugnis des Ursprungslandes begleitet sein
arabischen Ländern spielt. und dürfen nur in Behältnissen eingeführt werden,
die von den Behörden amtlich verschlossen, d. h.
verplombt worden sind, die das Untersuchungszeug-
nis ausgestellt haben. Beim Grenzeingang werden
Anlage 4 die Sendungen unter Einschaltung der Untersu-
Schriftliche Antwort chungsanstalten der Länder in dem gebotenen Um--
fang daraufhin untersucht, ob die Ware mit dem
des Herrn Bundesministers Höcherl auf die Münd- vorgelegten Untersuchungszeugnis übereinstimmt.
liche Anfrage des Angeordneten Ertl (Fragestunde Ergeben sich Zweifel an der Richtigkeit des Unter-
der 47. Sitzung vom 9. November 1962, Druck- suchungszeugnisses oder an der Einfuhrfähig-
sache IV/698, Frage III/2): keit des Weines, so wird die Sendung einer Nach-
Wann werden die Beamten mit Wohnsitz in München jenen untersuchung durch die Landesuntersuchungsanstal-
mit Wohnsitz in Hamburg und Berlin entsprechend der Rege-
lung des § 51 des Bundesbesoldungsgesetzes gleichgestellt? ten zugeführt. Weine, die danach nicht für einfuhr-
fähig anzusehen sind, werden von den Zollstellen
Nach § 41 Abs. 1 des Bundesbesoldungsgesetzes von der Einfuhr zurückgewiesen. Auf die Ausübung
erhalten die Beamten mit dienstlichem Wohnsitz in der Kontrollrechte gegenüber Italien hat die Bundes-
Berlin oder Hamburg wie bisher einen örtlichen regierung nicht verzichtet.
Sonderzuschlag in Höhe von 3 v. H. des Grund-
gehalts. Diese Vorschrift ist in die Übergangsvor- Die von den Zollstellen veranlaßten Nachunter-
schriften des Gesetzes aufgenommen worden, um suchungen haben in den vergangenen Monaten dazu
dadurch zum Ausdruck zu bringen, daß sie an eine geführt, daß die Untersuchungsanstalten eine Reihe
bereits bestehende Regelung anknüpft, aber nicht von Sendungen für nicht einfuhrfähig erklärt haben.
weiter ausgedehnt werden soll. Darauf sind die von Ihnen angeführten Notizen in
der Tagespresse zurückzuführen. Die Sendungen
Am 3. Juli 1958 hatte eine Reihe von Bundestags- enthielten Weine, die durch physikalische und che
abgeordneten beim Bundestag den Antrag einge-
mische Behandlung weitgehend analysenfest ge-
bracht, die Regelung auf München auszudehnen —
macht worden waren, trotzdem aber von den Unter-
Drucks. 511 —. Dieser Antrag ist vom Bundestag am
suchungsanstalten als nicht einfuhrfähig erkannt
11. November 1959 abgelehnt worden.
werden konnten. Das Bundesministerium für Ge-
Die Bundesregierung, die Bayerische Staatsregie- sundheitswesen hat mir mitgeteilt, daß nach den
rung und die anderen Länderregierungen hatten sich ihm vorliegenden Untersuchungsberichten der deut-
unter Hinweis auf den Übergangscharakter der schen Auslandsweinkontrollanstalten aus den letz-
Regelung geschlossen gegen den Antrag ausgespro- ten drei Jahren ein Gehalt an Eisenzyankali, Arsen
chen. Durch die Gewährung eines örtlichen Sonder- oder Blei bei den zur Einfuhruntersuchung vorge-
zuschlages auch für München würden sich Berufun- stellten Südweinen aus Italien nicht festgestellt
gen anderer bundesdeutscher Großstädte ergeben, in worden sei. Die übrigen genannten Stoffe seien
denen die Lebenshaltungskosten mindestens ebenso Kellerbehandlungsmittel, die bei der Herstellung
hoch sind wie in München. von Südweinen und teilweise sogar bei der Her-
stellung von deutschen Weinen verwendet werden
dürften, oder Stoffe, die sich aus diesen Mitteln im
Wein bilden könnten.
Anlage 5
Schriftliche Antwort
des Herrn Ministerialdirektors Puhan auf die Münd- Anlage 6
liche Anfrage des Abgeordneten Dr. Supf (Frage-
Schriftliche Antwort
stunde der 47. Sitzung vom 9. November 1962, Druck-
sache IV/698, Frage V) : des Herrn Bundesministers Dr. Dr. h. c. Erhard auf
die Mündlichen Anfragen des Abgeordneten Reich
Trifft es zu, wie Notizen in der Tagespresse erkennen lassen,
daß aus Italien importierte Südweine gelegentlich Gips, Eisen mann (Fragestunde der 47. Sitzung vom 9. Novem-
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 48. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. November 1962 2159

ber 1962, Drucksache IV/698, Fragen VI/1, VI/2 Die in den Jahren 1960 und 1961 stillgelegten
und VI/3) : Zechen der Gelsenkirchener Bergwerks-AG (Prinz-
Sind der Bundesregierung die immer größer werdenden Ver- regent, Engelsburg und Friedlicher Nachbar) und
sorgungsschwierigkeiten der Kleinverbraucher mit Hausbrand zwei weitere ebenfalls am Südrande des Ruhrreviers
kohle (Steinkohle und Braunkohlenbriketts) bekanst?
gelegene Zechen („Alter Hellweg" der Heinrich Berg-
Die Versorgungsschwierigkeiten der Kleinver- bau AG, „Klosterbusch" der Gewerkschaft Ver-
braucher von Hausbrandkohle sind der Bundesregie- einigte Klosterbusch) förderten Eßkohle und Mager
rung bekannt. Allerdings sind nach unseren Infor- kohle, die neben Anthrazit in erster Linie für Haus-
mationen diese Schwierigkeiten, über die in der brandzwecke (und auch als Kesselkohle) Verwen-
Vergangenheit schon geklagt wurde, nicht größer dung finden können. Gerade bei Eßkohle und Eß-
geworden. Vielmehr haben sie sich, in manchen kohlenbriketts bestanden zu jener Zeit außerordent-
Gegenden jedenfalls, erfreulicherweise verringert. liche Absatzschwierigkeiten. Auch war der Betrieb
Gerade in diesen Tagen hat mir eine Landesregie- dieser Zechen mit hohen Verlusten verbunden. Über-
rung mitgeteilt, daß die Versorgung zwar noch nicht wiegend aus diesen Gründen wurden die Zechen
ganz voll befriedigt, aber doch wesentlich besser stillgelegt, um damit die Wettbewerbsfähigkeit der
geworden sei. Unternehmen zu steigern. Eßkohle und Eßkohlen-
Die Schwierigkeiten beschränken sich neben An- briketts wurden damals besonders deswegen viel-
thrazit, der im allgemeinen knapp ist, im wesent- fach von den Verbrauchern abgelehnt, weil hoch-
lichen auf Steinkohlenbriketts und in geringerem wertigere Hausbrandkohle erhältlich war. Es kann
Umfang auch auf Braunkohlenbriketts. Der Bergbau selbstverständlich nicht bestritten werden, daß das
ist ernstlich bemüht, soweit das überhaupt möglich heutige Angebot an Eßkohle infolge der damaligen
ist, diese Schwierigkeiten zu beheben, und verfährt Stillegungen dieser Zechen geringer geworden ist.
deshalb teilweise schon Sonderschichten. Diesen Unabhängig von der Stillegung aber ist die An--
Bemühungen des Bergbaus ist es zu danken, daß lieferung von Steinkohlenbriketts — wie ich in der
dem Hausbrandsektor von April bis Oktober d. J. Beantwortung des ersten Teils der Anfrage schon
1,9 Mio t an festen Brennstoffen, davon etwa 1,4 dargelegt habe — ganz erheblich angewachsen.
Mio t Steinkohle, Steinkohlenbriketts und Stein- Ich glaube konkret die Frage damit beantworten
kohlenkoks mehr zur Verfügung gestellt wurden zu können, daß durch die Stillegungen dieser Zechen
als im gleichen Zeitraum vorigen Jahres (1,4 Mio t die gegenwärtigen Versorgungsschwierigkeiten
mehr, bei einer Gesamtlieferung von Steinkohle, nicht überwiegend verursacht sind. Der Anteil der
Steinkohlenbriketts und Steinkohlenkoks für Haus- Eßkohle an der gesamten Kohlenförderung der Ruhr
brand von 9,7 Mio t). Von dieser Mehrlieferung von ist von 3,58 % im Jahre 1959 auf 2,46 % im Jahre
1,4 Mio t entfallen ca. 350 000 t auf Steinkohlen- 1961 zurückgegangen.
briketts. Die Lieferung an Steinkohlenbriketts hat
Ist die Stillegung der Zechen der Gelsenkirchener Bergwerks
besonders im Monat Oktober stark zugenommen; AG und anderer Zechen durch für diesen Zweck bereitgestellte
dadurch konnten die Lieferrückstände, die Ende Sep- Bundesmittel unterstützt worden?
tember noch 390 000 t betrugen (dieser Lieferrück- Die Gelsenkirchener Bergwerks-AG ebenso wie
stand wurde bereits in der Fragestunde vom 9. Ok- die Heinrich Bergbau AG und die Gewerkschaft
tober 1962 erwähnt), auf 240 000 t per Ende Oktober Vereinigte Klosterbusch haben ihren damaligen Ent-
vermindert werden. Die verstärkten Lieferungen schluß, die Anlagen wegen dauernder Unwirtschaft-
werden unter besonderer Berücksichtigung der lichkeit stillzulegen, in eigener Entscheidung ge-
revierfernen Gebiete fortgesetzt. Der Kohlenberg- troffen. Stillegungsprämien sind ihnen weder in
bau hat die Hoffnung, die Rückstände bis Ende Aussicht gestellt noch gewährt worden. Es ist auch
Dezember erledigt zu haben, sofern keine unvor- nicht vorgesehen, ihnen solche noch nachträglich zu
hergesehenen Umstände eintreten. gewähren. Nach dem Entwurf für das Gesetz über
Um die Versorgungsschwierigkeiten zu beheben, den Rationalisierungsverband sollen vielmehr nur
hat der Steinkohlenbergbau dringend empfohlen, für solche Stillegungen Prämien gezahlt werden, die
Eier- und Nußbriketts mit feinem Brechkoks (der nach dem 15. Mai 1962 eingeleitet worden sind.
ausreichend zur Verfügung steht) zu mischen; das
ist ohne wesentliche Schwierigkeiten für den Haus-
brand möglich — wenngleich ich zugeben muß, daß
die Handhabung einer Ofenheizung mit Briketts Anlage 7
natürlich angenehmer ist. Schriftliche Antwort
Die Mehrlieferungen an Braunkohlenbriketts be- des Herrn Bundesministers Schwarz auf die Münd-
trugen — wiederum in dem genannten Zeitraum liche Anfrage des Abgeordneten Dr. Schmidt (Gel-
von April bis Oktober 1962 — 520 000 t (bei einer lersen), (Fragestunde der 47. Sitzung vom 9. No-
Gesamtlieferung von 8,05 Mio t). vember 1962, Drucksache IV/698, Frage VII/1):
Die Ursachen der gegenwärtig noch spürbaren Treffen Pressemeldungen zu, daß aus Grünen-Plan-Mitteln für
Verknappungserscheinung sind bereits in der Frage- den Bau einer Kegelbahn in Bayern 186 000 DM abgezweigt wor-
den sind?
stunde am 9. Oktober 1962 dargelegt worden; ich
darf deshalb davon absehen, sie im einzelnen noch- Den Pressemeldungen liegt folgender Sachver-
mals auszuführen. halt zugrunde: Ein Sauerkrauthersteller in Bayern
Sind die Versorgungsschwierigkeiten der Kleinverbraucher mit
hat 1959 eine Kohlscheune als Lagerraum für Weiß-
Hausbrandkohle durch die Stillegung von Zechen der Gelsen- kraut mit einem Rauminhalt von rd. 3 800 cbm er-
kirchener Bergwerks AG und einiger weiterer Zechen im Süden
des Ruhrgebiets überwiegend verursacht worden? richtet. Die Kosten haben sich auf rd. 190 000 DM
2160 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 48. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. November 1962

I belaufen. Hierzu ist ihm aus öffentlichen Mitteln den muß,bedarf es eingehender Erörterungen inner
ein Zuschuß von 65 000 DM gewährt worden (davon halb der Bundesregierung, die noch nicht abgeschlos-
2 /3 aus Bundesmitteln). Bei der Bauabnahme nach sen sind.
der Fertigstellung haben sich keine Beanstandun-
gen ergeben.
Später hat der Betriebsinhaber in diese Scheune Anlage 9
eine Kegelbahn eingebaut; sie hat einen Raumin-
halt von rd. 280 cbm des Lagerraums beansprucht. Schriftliche Antwort
Gleichzeitig hat der Betriebsinhaber aber auch neue des Herrn Bundesministers Blank auf die Mündliche
Lagerräume für Weißkohl mit einem Rauminhalt Anfrage des Abgeordneten Peiter (Fragestunde der
von 1 014 cbm erstellt; für diesen Neubau hat er 47. Sitzung vom 9. November 1962, Drucksache IV/
keine Zuwendung aus öffentlichen Mitteln bean- 698, Frage VIII/2) :
tragt, obwohl dieses nach den Richtlinien möglich
gewesen wäre. Er war nach seinen Angaben der Ist damit zu rechnen, daß diejenigen Kriegerwitwen, die vor
Inkrafttreten des Bundesversorgungsgesetzes wieder eine Ehe
Meinung, daß er durch diesen Neubau ohne staat- eingegangen sind, noch in den Kreis derer einbezogen werden,
die nach § 44 Abs. 1 des Gesetzes eine Heiratsabfindung er-
liche Hilfe die Zweckentfremdung von 280 cbm für halten?
die Kegelbahn weit mehr als ausgeglichen habe.
Im Hinblick hierauf hat er die Unterrichtung des Zum Gegenstand Ihrer Frage habe ich bereits in
Bayerischen Staatsministeriums für Ernährung, der Fragestunde der 35. Sitzung des Deutschen Bun-
Landwirtschaft und Forsten unterlassen. destages am Freitag, dem 15. Juni 1962 eingehend
Stellung genommen. Dabei habe ich darauf hinge-
Bei einer örtlichen Prüfung durch den Bayerischen wiesen, daß die Versorgung der Opfer des Krieges
Obersten Rechnungshof ist dann die teilweise bis zum Inkrafttreten des Bundesversorgungsgeset- -
Zweckentfremdung festgestellt worden und hat zu
zes Angelegenheit der Länder war und sich nach
der Rückforderung von 3 100 DM der gewährten
den hierzu ergangenen länderrechtlichen oder auch
Zuwendung geführt. Der Rückforderungsbetrag ent-
besatzungsrechtlichen Vorschriften richtete. Ich be-
spricht dem Anteil der öffentlichen Mittel an den
absichtige nach wie vor nicht, diesbezüglich eine
Kosten für den zweckentfremdeten Raumumfang
Änderung des Gesetzes vorzuschlagen. Auf meine
in Höhe von rd. 10 000 DM.
ausführliche Antwort in der damaligen Fragestunde
nehme ich Bezug.

Anlage 8

Schriftliche Antwort Anlage 10


des Herrn Bundesministers Schwarz auf die Münd- Schriftliche Antwort
liche Anfrage Id e s Abgeordneten Sander (Frage-
des Herrn Bundesministers Blank auf die Münd-
stunde der 47. Sitzung vom 9. November 1962, liche Anfrage des Abgeordneten Frehsee (Frage-
Drucksache IV/698, Frage VII/2):
stunde der 47. Sitzung vom 9. November 1962,
Welche Folgerungen gedenkt die Bundesregierung im Hinblick Drucksache IV/698, Frage VIII/3) :
auf das Professoren-Gutachten (Niehaus, Woermann u. a.) betr.
Folgen des EWG-Marktes auf die Landwirtschaft zu ziehen? Ist der Bundesregierung bekannt, daß im „Wegweiser für die
Wahlen der Sozialversicherung", 3. Auflage — neubearbeitet
Gemeinsam mit dem Vizepräsidenten der EWG, von Kurt Doubrawa, Ministerialrat im Bundesarbeitsministerium
—, erschienen im Erich-Schmidt-Verlag, Berlin 1962, auf den
Herrn Mansholt, habe ich seinerzeit eine Kommis- Seiten J 45 und J 47 zum Inhalt ,des § 21 der Wahlordnung, der
sich mit der Ausstellung der Wahlausweise beschäftigt, folgende
sion von Professoren beauftragt, die Auswirkungen Feststellungen getroffen werden:
einer von der EWG-Kommission vorgeschlagenen „Selbst die wenigen Experten des Wahlrechts der Sozialver-
Senkung (der Getreidepreise auf die deutsche Land- sicherung, die ohnehin ähnlich wie die Fachleute für langfristige
Wettervoraussage täglich mit dem Schicksal wegen der ihnen
wirtschaft zu untersuchen. Das nunmehr vorliegende zugewiesenen Aufgabe hadern, packt das kalte Grauen, wenn
sie sich mit dem § 21 WO beschäftigen müssen. Denn praktisch
Gutachten bestätigt die immer von mir vertretene ist es unmöglich, das von diesem Paragraphen umschriebene
Auffassung, ,daß eine Senkung der Getreidepreise Gelände zu beschreiten, ohne bis zum Hals im Morast zu ver-
sinken."
eine allgemeine Senkung des Agrarpreisniveaus zur „.anzuerk,dßWhlinerawtscfh
Folge haben würde. Weiterhin wurde durch das Unfallversicherung nicht möglich sind und deshalb für diese
eine anderweitige gesetzliche Regelung getroffen werden muß.
GutachenmiAsbtäg,daßieAuswr- Das sollte die selbstverständlichste Folge sein."?
kungen einer Getreidepreissenkung auf die wirt- Die in Ihrer Anfrage zitierten Ausführungen sind
schaftliche Lage der westdeutschen Landwirtschaft mir bekannt.
durch eine infolge der Preissenkung zu erwantende
Steigerung der Nachfrage nach tierischen Vered- Nach § 66 Absatz 1 Nr. 2 des Bundesbeamten-
lungserzeugnissen nicht wettgemacht werden kann. gesetzes ist eine schriftstellerische, wissenschaft-
Außerdem wird bestätigt, daß durch eine Getreide- liche, künstlerische oder Vortragstätigkeit nicht ge-
preisenkung die Rentabilität in der Veredlungs- nehmigungspflichtig. Die gesetzlichen Bestimmun-
wirtschaft nicht verbessert wind, weil die Preise für gen geben mir keine Möglichkeit, derartige Aus-
Veredlungserzeugnisse sich den geringeren Futter- führungen zu kontrollieren. Die von Ihnen zitierte
getreidepreisen entsprechend anpassen werden. Kommentarstelle halte ich in der Form für unge-
wöhnlich und billige sie nicht. Die Schwierigkeiten
Bei der Tragweite der Agrarpreisfrage, die in bei der Durchführung der genannten Vorschrift sind
ihrer Auswirkung nicht nur ökonomisch, sondern mir bekannt. Es wird zur Zeit geprüft, wie sie be-
auch sozial- und gesellschaftspolitisch gesehen wer seitigt werden können.
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 48. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. November 1962 2161

Anlage 11 (EACSO) zuständig. Am 17. Februar 1962, also etwa


ein Vierteljahr vor der (beabsichtigten Einrichtung
Schriftliche Antwort der Lufthansa-Linie nach Südafrika, hat die Bundes-
des Herrn Ministerialdirektors Gumbel auf die regierung bei der EACSO die , Gewährung von kom-
Mündlichen Anfragen des Abgeordneten Merten merziellen Rechten für Landungen in Nairobi be-
(Fragestunde der 47. Sitzung vom 9. November 1962, antragt. Trotz ständigen Drängens zögerte die
Drucksache IV/698, Fragen IX/1 und IX/2): EACSO ihre Antwort immer wieder hinaus, um
schließlich fünf Monate nach .Eingang des deutschen
Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung ergriffen, um den
unhaltbaren Zuständen in der Kantine des Bundeswehr-Artille- Antrages am 20. Juli 1962 die Gewährung von kom-
riebataillons in Kempten zu begegnen? merziellen Rechten in Nairobi abzulehnen. In Aus-
Wie ist der Stand des Verfahrens gegen den Kantinenwirt in sicht gestellt wurden solche Rechte nur für Daressa-
Kempten, das wegen Körperverletzung gegen ihn eingeleitet lam unid Entebbe. Dieser Vorschlag war nicht an-
worden ist?
nehmbar, da Marktuntersuchungen ergeben hatten,
In Vertretung des Staatssekretärs erlaube ich mir, daß in Daressalam bzw. Entebbe nur ein Bruchteil
Ihre Anfragen wie folgt zu beantworten: des Verkehrsaufkommens von Nairobi erwartet
Der Pächter der Truppenkantine Artilleriekaserne werden kann.. Als Kompromiß wurde deutscherseits
Kempten, Herr Groß, ist am 29. 10. 1962 von dem die Bereitschaft der Lufthansa mitgeteilt, bei einem
Amtsgericht Kempten wegen fortgesetzten Verge- zweimaligen Anflug von Nairobi auf einem dieser
hens der gefährlichen Körperverletzung zu einer Flüge auch Daressalam zu bedienen. Aber auch die-
Gefängnisstrafe von 3 Monaten verurteilt worden. ses Entgegenkommen blieb ohne Wirkung. Die
Die Vollstreckung der Strafe wurde unter der Be- EACSO lehnte am 1. September 1962 wiederum jeg-
dingung ausgesetzt, daß sich G. in den nächsten 3 liche kommerziellen Landerechte in Nairobi ab. Es
Jahren straffrei führt und an die Kriegsgräberfür- wurde (behauptet, daß dem nationalen Unternehmen -
sorge einen Betrag von 900,— DM zahlt. G. will East African Airways bei einem Anflug von Nairobi
gegen das Urteil Berufung einlegen. Der Pachtver- durch die Lufthansa ein Verlust von mehreren
trag mit G. ist im Einvernehmen mit der beteilig- 100 000 Pfund jährlich entstehen werde.
ten. Truppe gekündigt. Der neue Pächter wird die Die Lufthansa hat sich daraufhin entschlossen, den
Kantine ab 1. Januar 1963 übernehmen. Damit wer- Verkehr mit Johannesburg via Ostafrika zum Jah-
den in der Truppenkantine 'der Artilleriekaserne resende einzustellen. Statt dessen soll die bisher in
Kempten wieder normale Verhältnisse hergestellt Lagos (Nigeria) endende Westafrika-Fluglinie nach
sein. Johannesburg verlängert werden; über die hierfür
erforderlichen Verkehrsrechte wird ab 6. dieses Mo-
nats in Pretoria verhandelt. An Nigeria wurde ein
Anlage 12 entsprechender Antrag Anfang Oktober gestellt.

Schriftliche Antwort Das deutsche Interesse an Verkehrsrechten für


Nairobi besteht dabei unverändert fort. Gegebenen-
des Herrn Ministerialdirektors Gumbel auf die falls würde die Lufthansa diesen wichtigen Hafen
Mündliche Anfrage des Abgeordneten Schultz (Fra- als End- oder Zwischenlandepunkt wieder in ihren
gestunde der 47. Sitzung vom 9. November 1962, afrikanischen Fluglinienverkehr einbeziehen. Daher
Drucksache IV/698, Frage IX/3) : sind Besprechungen zwischen der Lufthansa und den
Welchen Einfluß haben die Innenminister der Länder auf die Eeast African Airways zur , Klärung künftiger Mög-
Besetzung von Planstellen für Standortkommandanten in den
Wehrbereichen? lichkeiten vorgesehen.
In Vertretung des Staatssekretärs erlaube ich mir,
Ihre Anfrage wie folgt zu beantworten:
Anlage 14
Die Länder-Innenminister haben auf die Beset-
zung der Planstellen für Standortkommandanten Schriftliche Antwort
keinen Einfluß.
des Herrn Bundesministers Dr.-Ing. Seebohm auf
die Mündliche Anfrage des Abgeordneten Dr. Supf
(Fragestunde der 47. Sitzung vom 9. November
Anlage 13 1962, Drucksache IV/698, Frage X/4) :
Ist die Bundesregierung damit einverstanden, daß die Deutsche
Schriftliche Antwort Bundesbahn, entgegen dem Willen des Gesetzgebers, das Per-
sonenbeförderungsgesetz dazu benutzt, dem privaten Omnibus-
des Herrn Bundesministers Dr.-Ing. Seebohm auf die gewerbe die Konzessionen für den Arbeiterberufsverkehr abzu-
nehmen, obgleich nach Angaben der Bundesbahn der Arbeiter-
Mündliche Anfrage des Abgeordneten Dr. Supf berufsverkehr defizitär ist?
(Fragestunde der 47. Sitzung vom 9. November 1962,
Drucksache IV/698, Frage X/3) : Nach dem Personenbeförderungsgesetz kann die
Deutsche Bundesbahn in einem vorgeschriebenen
Welche Gründe liegen dafür vor, daß die neuerrichtete Plug Anhörverfahren Einwendungen gegen die Einrich-
linie der Deutschen Lufthansa nach Johannesburg in Nairobi
(Kenia) nur zur technischen Zwischenlandung zugelassen ist, tung eines Arbeiterberufsverkehrs erheben, wenn
ohne daß Passagiere diese Landemöglichkeit benutzen können?
sie glaubt, daß ihre Rechte verletzt werden. Die
Für die Erteilung von Luftverkehrsrechten in den Entscheidung über die Erteilung von Genehmigun-
Gebieten Kenia, Tanganjika und Uganda ist die gen für den Arbeiterberufsverkehr und damit auch
East African Common Services Organization über die Einwendungen der Deutschen Bundesbahn
2162 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 48. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. November 1962

liegt bei den Genehmigungsbehörden der Länder. dene Länder haben auf Grund dieser Ermächtigung
Die Bundesbahn hat also nach dem Personenbeför- die Landkreise als derartige Stellen bestimmt. In
derungsgesetz nicht die Möglichkeit, dem privaten anderen Ländern bestehen Ortsplanungsstellen bei
Gewerbe Konzessionen abzunehmen, es sei denn, den höheren Verwaltungsbehörden, die die Ge-
daß das Gesetz die Übernahme von Konzessionen meinden 'beraten oder für sie die Pläne ausarbei-
auf die Bundesbahn rechtfertigt. Übrigens ist der ten. Im übrigen ist selbstverständlich das Recht der
Arbeiterberufsverkehr, den die Deutsche Bundes- Gemeinden unberührt geblieben, andere fachlich
bahn auf der Straße durchführt, nicht defizitär, son- geeignete Personen z. B. freiberuflich tätige Pla-
dern gewinnbringend. ner mit der technischen Ausarbeitung der Pläne zu
beauftragen.

Ich habe dagegen keine Zweifel, daß die Ge-


meindevertretungen im Rahmen der Selbstverwal-
Anlage 15 tung befähigt sind, die Bauleitpläne zu beschließen
und damit die politische Entscheidung über die künf-
Schriftliche Antwort tige Entwicklung ihres Gemeindegebietes zu tref-
des Herrn Bundesministers Stücklen auf die Münd- fen.
liche Anfrage des Abgeordneten Dr. Roesch (Frage-
stunde der 47. Sitzung vom 9. November 1962,
Drucksache IV/698, Frage XI) :
Ist dem Bundespostministerium bekannt, daß es in der wirt-
schaftlich aufstrebenden Gemeinde Neustadt über Waiblingen
(3500 Einwohner) trotz mehrfacher Anträge nicht einmal eine Anlage 17
ÖfentlichFrsp e
gibt, so daß bei akuten Krankheits- -
fällen und Unfällen keine Möglichkeit besteht, über eine Öffent-
liche Fernsprechstelle einen Arzt herbeizurufen, und daß in der- Schriftliche Antwort
selben Gemeinde in den letzten Jahren 62 gestellte Anträge auf
Errichtung privater Fernsprechanschlüsse unerledigt blieben?
des Herrn Bundesministers Dr.-Ing. Balke auf die
Die Aufstellung eines öffentlichen Münzfernspre- Mündliche Anfrage des Abgeordneten Dr. Bechert
chers in Neustadt über Waiblingen ist zur Zeit des- (Fragestunde der 47. Sitzung vom 9. November
halb nicht möglich, weil alle Kabeladern belegt sind. 1962, Drucksache IV/698, Frage XIII) :
Jedoch wird die nächste freiwerdende Leitung für
Warum sind die Vierteljahresberichte des Bundesministeriums
den bereits vorgesehenen öffentlichen Münzfern- für Atomkernenergie über „Umweltradioaktivität und Strah-
sprecher verwendet werden. Eine seit langem ge- lenbelastung" für die Zeit vom 1. April 1961 bis Ende 1961 trotz
Ankündigung im Bulletin der Bundesregierung vom 27. April 1962
plante bessere fernmeldetechnische Versorgung der erst Ende Juli und Ende September 1962 veröffentlicht worden,
Gemeinde Neustadt wird bereits im Jahre 1963 und warum ist für das Jahr 1962 bisher überhaupt noch kein
solcher Bericht erschienen?
durchgeführt werden.
Im Bulletin der Bundesregierung vom 27. 4. 1962
wurde darauf hingewiesen, daß die noch ausstehen-
den Vierteljahresberichte „in Kürze" erscheinen
Anlage 16 werden. Zu dieser Zeit befand sich der Bericht für
das zweite und dritte Quartal 1961 im Druck, das
Schriftliche Antwort Manuskript des Berichts für das vierte Quartal 1961
des Herrn Staatssekretärs Dr. Ernst auf die Münd- wurde noch bearbeitet. Die Herausgabe dieser Vier-
lichen Anfragen des Abgeordneten Erte (Frage- teljahresberichte verzögerte sich durch technische
stunde der 47. Sitzung vom 9. November 1962, und personelle Schwierigkeiten. Die Meßwerte, die
Drucksache IV/498, Fragen XII/1 und XII/2) : in den Berichten veröffentlicht werden, gehen mei-
nem Hause von den amtlichen Meßstellen des Bun-
Liegen seit Inkrafttreten des Bundesbaugesetzes Erfahrungen des und der Länder sowie von privaten Meßstellen
vor, inwieweit die Ü bertragung der Planungshoheit auf sämt-
liche Gemeinden sich bewährt hat oder ob es zu Schwierigkeiten zu. Die Bearbeitung dieser Meßergebnisse in einer
gekommen ist? für die Veröffentlichung geeigneten Form bean-
Die bisherigen Erfahrungen seit dem Inkrafttre- sprucht viel Zeit, weil meinem Hause dafür zu we-
ten des Bundesbaugesetzes geben keine Anhalts- nig Arbeitskräfte zur Verfügung stehen. Ferner sind
punkte dafür, daß sich die Planungshoheit der Ge- die von den Druckereien benötigten Fertigungs-
meinden etwa nicht bewährt hätte. fristen sehr lang, insbesondere auch deshalb, weil
es sich bei den Vierteljahresberichten fast aus-
Sind die Gemeinden überhaupt in der Lage, die ihnen durch schließlich um ein drucktechnisch schwieriges Ta-
das Bundesbaugesetz übertragene Planungshoheit sachlich und
fachlich zu bewältigen? bellenwerk handelt. Die Vierteljahresberichte ha-
ben vor allen Dingen dokumentarischen Wert. Die
Ja, es ist richtig, daß kleine Gemeinden vielfach Unterrichtung der Öffentlichkeit über die aktuelle
nicht in der Lage sind, die Ausarbeitung der Bau- radiologische Lage erfolgt regelmäßig durch die
leitpläne selbst vorzunehmen, da ihnen hierfür der „Atominformationen", die von meinem Hause wö-
notwendige Verwaltungsapparat fehlt. Dies war chentlich herausgegeben werden.
dem Gesetzgeber bekannt. Er hat deshalb in § 2
Abs. 3 des Bundesbaugesetzes die Landesregierun- Die Vierteljahresberichte für das erste und zweite
gen ermächtigt, durch Rechtsverordnungen Stellen Quartal 1962 befinden sich derzeit im Druck. Um
zu bestimmen, die verpflichtet sind, auf Antrag der die Herausgabe zu beschleunigen, wurden zwei
Gemeinden Bauleitpläne auszuarbeiten. Verschie Druckereien mit der Fertigstellung beauftragt.
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 48. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. November 1962 2163

Anlage 18 zertifiziertes Sortensaatgut beschränkt, zumal die


Landwirtschaft schon mehrfach durch Einfuhren un-
Schriftliche Antwort geeigneter Herkünfte schwer geschädigt wurde.
der Frau Bundesminister Dr. Schwarzhaupt auf die Die Unterlagen der Außenhandelsstelle ergeben,
Mündlichen Anfragen des Abgeordneten Dröscher daß der normale Importbedarf an Rotkleesaatgut ge-
(Fragestunde der 47. Sitzung vom 9. November 1962, deckt werden kann, wobei der Anteil aus südöst-
Drucksache IV/698, Fragen XIV/1 und XIV/2) : lichen Ländern besonders berücksichtigt wurde. Die
Gemäß GGO II § 10 gebe ich im Einvernehmen dem Vernehmen nach gute Rotkleeernte in Süd-
mit dem Herrn Bundesminister für Wirtschaft fol- deutschland verringert den Importbedarf aus dem
gende Antworten: Ostblock ebenso wie neue Angebote aus Oberöster-
reich. Bezeichnend für die ausreichende Versorgung
Warum werden die im Einzelplan 36 Kap. 36 05 vorgesehenen ist die Tatsache, daß der Rotkleemarkt zur Zeit
Mittel zur Schaffung von Anlagen der Wasserwirtschaft, obwohl
mehrere vorbearbeitete Anträge vorliegen, nicht im Sinne ihrer stagniert.
Bereitstellung ausgegeben?

Bis zur bundesgesetzlichen Regelung der Finan-


zierung der Notstandsmaßnahmen werden Mittel
aus Einzelplan 36 Kapitel 36 05 nur für solche Vor- Anlage 20
haben der Wasserwirtschaft ausgegeben, die dazu
dienen, technische Notstandsmaßnahmen zu erpro- Schriftliche Antwort
ben und Erfahrungen auf diesem Gebiet zu sam- 'des Herrn Bundesministers Blank auf die Münd-
meln. lichen Anfragen des Abgeordneten Folger (Frage-
Trifft es zu, daß, bevor das Bundesgesundheitsministerium über stunde der 47. Sitzung vom 9. November 1962,
die im Einzelplan 36 Kap. 36 05 vorgesehenen Mittel zur Schaf-
fung von Anlagen der Wasserwirtschaft verfügen kann, jede Drucksache IV/709, Fragen III/1 und 111/2):
einzelne Maßnahme mit den Bundesministern des Innern, der
Finanzen und für Wirtschaft abgestimmt werden muß und daß Die Frage
Titelverwalter für diese Gelder nicht das Bundesgesundheits-
ministerium, sondern das Bundeswirtschaftsministerium ist? Ist die Bundesregierung bereit, bei der Bundesanstalt für
Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung dahin zu wir-
Es besteht ein Beschluß des Bundesverteidigungs- ken, daß bezüglich der Abgrenzung von Arbeitsamtsbezirken
das Benehmen mit den beteiligten obersten Landesbehörden
rates, wonach die Entscheidung über jede einzelne gemäß § 2 Abs. 2 AVAVG im Sinne des Gesetzgebers nicht nur
Notstandsmaßnahme auf dem Gebiet der Wirtschaft formell, sondern so verstanden wird, daß die Stellungnahmen
der obersten Landesbehörden ernsthaft gewürdigt und nach
zwischen den beteiligten Ressorts abgestimmt wer- Möglichkeit berücksichtigt werden?
den muß. Zu diesen Ressorts gehören neben dem beantworte ich wie folgt:
Bundesministerium für Gesundheitswesen und dem
Bundesministerium für Wirtschaft das Bundesmini- Nach § 34 AVAVG erstreckt sich die Aufsicht des
sterium der Finanzen, das Bundesschatzministerium, Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung über
das Bundesministerium des Innern und das Bundes- die Bundesanstalt nur darauf, daß Gesetz und Sat-
ministerium der Verteidigung. Dieser Beschluß gilt zung beachtet werden. Gegen einen Beschluß des
auch für die Wasserwirtschaft. Titelverwalter für Verwaltungsrates der Bundesanstalt kann ich daher
die im Einzelplan 36 — Kapitel 36 05 - ausgebrach- nur einschreiten, wenn er Gesetz oder Satzung ver-
ten Mittel ist nach dem Bundeshaushaltsplan der letzt.
Bundesminister für Wirtschaft.
Schon bei früheren Gelegenheiten habe ich darauf
hingewiesen, daß für die Abgrenzung der Arbeits-
amtsbezirke nach § 7 Abs. 1 Ziffer 2 AVAVG aus-
schließlich der Verwaltungsrat der Bundesanstalt
Anlage 19 zuständig ist; er hat vorher das Benehmen mit den
beteiligten obersten Landesbehörden herbeizufüh-
Schriftliche Antwort ren, d. h. ihre Stellungnahme einzuholen. Daß die
des Herrn Bundesministers Schwarz auf die Münd- Anhörung der obersten Landesbehörde in irgend-
liche Anfrage des Abgeordneten Bading (Frage- einem Falle unterblieben sei, ist nicht behauptet
stunde der 47. Sitzung vom 9. November 1962, worden. Die Stellungnahme der obersten Landesbe-
Drucksache IV/709, Frage II) : hörde ist auch in jedem Falle den Mitgliedern des
Verwaltungsrates vor der Beschlußfassung zur
Warum lehnt die Bundesregierung die Einfuhr von Rotklee- Kenntnis gebracht und — wie die Sitzungsnieder-
saat aus Rumänien ab, obwohl dieses Saatgut von deutschen
staatlichen Versuchsstationen für gut befunden wurde und schriften ausweisen — im Verwaltungsrat einge-
winterhartes Saatgut weder aus deutscher Ernte zur Verfügung hend erörtert worden. Damit ist dem Gesetz Genüge
steht noch aus anderen Ländern in ausreichendem Umfang ein-
geführt warden kann? getan. Ich habe daher keinen Grund, dem Verwal-
tungsrat vorzuwerfen, er habe gegen das Gesetz
Die Einfuhr von Rotkleesaatgut aus Rumänien oder die Satzung verstoßen.
muß innerhalb des Gesamtkomplexes der Saatgut-
einfuhr aus Ostblockländern gesehen werden. Diese Ob die Entscheidung, die der Verwaltungsrat in
richtet sich nach dem Bedarf, also den Versorgungs- der Sache trifft, den Bedenken, die von der ober-
möglichkeiten aus eigener Ernte und liberalisierten sten Landesbehörde gegen einen Abgrenzungsvor-
Einfuhren gleichartigen Saatguts aus westlichen schlag geltend gemacht worden sind, Rechnung trägt,
Ländern. Die Ausschreibungen für Einfuhren aus bleibt dem pflichtgemäßen Ermessen der Verwal-
Ostblockländern werden — solange ausreichende tungsratsmitglieder überlassen. Diese sind bei Aus-
Lieferungsmöglichkeiten bestehen — auf amtlich übung ihres Amtes keinerlei Weisungen unterwor-
2164 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 48. Sitzung.. Bonn, Mittwoch, den 14. November 1962

fen; § 17 AVAVG schreibt ausdrücklich vor, daß Anlage 22


Mitglieder der Organe in der Ausübung ihres Am-
tes nicht beschränkt werden dürfen. Wenn ich daher Schriftliche Antwort
versuchen wollte, auf die Stimmabgabe der einzel-
nen Verwaltungsratsmitglieder Einfluß zu nehmen, des Herrn Bundesministers Dr.-Ing. Seebohm auf die
indem ich den Verwaltungsrat aufforderte, die Stel- Mündliche Anfrage der Abgeordneten Frau Dr. Die-
lungnahme der obersten Landesbehörden „ernsthaft mer Nicolaus (Fragestunde der 47. Sitzung vom
-

zu würdigen und nach Möglichkeit zu berücksich- 9. November 1962, Drucksache IV/709, Frage IV/2) :
tigen", würde ich damit selbst gegen das Gesetz ver- ist die Deutsche Bundesbahn bereit, die Strecke Stuttgart—
stoßen. Zürich zu elektrifizieren, zum mindestens die Strecke Schaff-
hausen—Singen, um eine Beschleunigung des Zugverkehrs zu
Ich muß daher diese Frage verneinen. erreichen?

Die Frage Der Umfang des zunächst zu elektrifizierenden


Streckennetzes der Deutschen Bundesbahn liegt im
ist die Bundesregierung bereit, .die Bundesanstalt für Arbeits-
vermittlung und Arbeitslosenversicherung darauf aufmerksam zu wesentlichen fest. Danach ist auf der Strecke Stutt-
machen, daß § 2 Abs. 2 AVAVG so anzuwenden ist, daß die
Zusammenlegung von Arbeitsämtern und Landesarbeitsämtern
gart—Zürich der Abschnitt Böblingen—Singen--
ohne gewissenhafte Berücksichtigung wirtschaftlicher Zus ammen- Schaffhausen vorläufig nicht für eine Umstellung
hänge gegen das Gesetz verstößt und dann dienstaufsichtlich zu
beanstanden wäre? vorgesehen.
beantworte ich wie folgt: Die Bundesbahndirektionen Stuttgart und Karls-
ruhe untersuchen z. Z., unter welchen Finanzierungs-
Der Verwaltungsrat der Bundesanstalt hat bei der bedingungen gewisse bisher zurückgestellte Strek-
Beratung über Abgrenzungsvorschläge stets auch ken für die Elektrifizierung vorgesehen werden
die wirtschaftlichen Zusammenhänge erörtert. Ich können. Das Ergebnis dieser Untersuchung wird
habe deshalb keinen Anlaß, ihn auf die Vorschrift auch der Deutschen Bundesbahn ermöglichen, über
des § 2 Abs. 2 AVAVG besonders hinzuweisen und die Art der Betriebsführung auf der Strecke Stutt-
ihm sogar eine Beanstandung seiner Entscheidung gart—Zürich endgültig zu entscheiden. Die Elektri-
anzudrohen für den Fall, daß die wirtschaftlichen fizierung des Abschnittes Singen—Schaffhausen
Zusammenhänge nicht gewissenhaft berücksichtigt bringt keine Verbesserungen im Reisezugdienst zwi-
werden. Ein solches Vorgehen würde mir mit Recht schen Stuttgart und Zürich, da in Singen die Züge
den Vorwurf einbringen, ich versuchte die Entschei- ohnehin umgespannt werden müssen, weil sie je-
dung des Verwaltungsrates in der Sache unzuläs- weils in Gegenrichtung weiterfahren.
ligerweise zu beeinflussen.
Der Aufenthalt in Schaffhausen wird von den
1 Ich muß also auch diese Frage mit „Nein" beant- Schweizerischen Bundesbahnen benötigt, um Wa-
worten. gen für den Verkehr innerhalb der Schweiz zu- und
abzusetzen.
Ein Durchlauf der Schweizer E-Lok kann daher auf
der etwa 20 km langen Strecke keinen Zeitgewinn
Anlage 21 bringen.
Schriftliche Antwort
des Herrn Bundesministers Dr.-Ing. Seebohm auf
die Mündliche Anfrage der Abgeordneten Frau
Dr. Diemer Nicolaus (Fragestunde der 47. Sitzung
- Anlage 23
vom 9. November 1962, Drucksache IV/709, Frage
IV/1) : Schriftliche Antwort
Ist die Deutsche Bundesbahn bereit, auf der Strecke Stuttgart
—Zürich das nach 1945 ,abmontierte zweite Gleis alsbald wieder des Herrn Bundesministers Stücklen auf die Münd-
einzubauen? liche Anfrage des Abgeordneten Ramms (Frage-
stunde der 47. Sitzung vom 9. November 1962,
Die Frage nach dem Wiedereinbau des nach 1945 Drucksache IV/709, Frage V11):
abmontierten zweiten Gleises im Abschnitt Horb—
Tuttlingen der Bundesbahnstrecke Stuttgart–Zürich Ist die Bundesregierung bereit, die Deutsche Bundespost zu
veranlassen, den Verteilerdienst für Drucksachen und Waren-
war schon wiederholt Gegenstand von Eingaben und proben so zu beschleunigen, daß diese Sendungen den Empfän-
Denkschriften. ger spätestens drei Tage nach dem Einlieferungsdatum erreichen
und damit unvorherberechenbare Versendungszeiten bis zu 14
Tagen ausgeschlossen werden?
Nach wie vor wird ein Wiedereinbau des zweiten
Gleises von der Deutschen Bundesbahn nicht vorge- Verzögerungen bei der Beförderung von Druck-
sehen, denn dies ist aus Gründen der betrieblichen sachen und Warenproben können dann auftreten,
Belastung dieser nur zu 70 % eingleisig ausgenutz- wenn plötzlich und unvorhersehbar größere Mengen
ten Strecke nicht nötig. Der Aufwand für den Wie- Drucksachen eingeliefert werden. Ich habe jedoch
dereinbau des zweiten Gleises ist daher nach Auffas- organisatorische Maßnahmen getroffen, nach deren
sung der Deutschen Bundesbahn wirtschaftlich nicht Durchführung bereits im nächsten Halbjahr eine all-
zu rechtfertigen. Da die Deutsche Bundesbahn lt. Ge- gemeine Verbesserung der Laufzeiten von Druck-
setz ihren Betrieb wie ein Wirtschaftsunternehmen sachen zu erwarten ist. Voraussetzung ist hierbei
zu führen hat, kann auch d ie Bundesregierung sie aber auch, daß in der Aufschrift die neue Postleit-
zu der gewünschten Maßnahme nicht veranlassen. zahl angegeben ist.
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 48. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. November 1962 2165

Anlage 24 gen, alle Städte mit über 20 000 Einwohnern im


Durchschnitt zu etwa 90 v. H. mit Hausbriefkästen
Schriftliche Antwort auszurüsten. Ein Mangel liegt auch nicht in der
des Herrn Bundesministers Stücklen auf die Münd- Größe der bereitgestellten Hausbriefkästen, da
liche Anfrage des Abgeordneten Folger (Frage- Hausbriefkästen in verschiedener Größe verwendet
stunde der 47. Sitzung vom 9. November 1962, werden können. Darüber hinaus habe ich angeord-
Drucksache IV/709, Frage V/2) : net, daß besonders große Sendungen, die erfah-
rungsgemäß nur sehr selten vorkommen, in keinem
Ist die Bundesregierung bereit, alle geeigneten Maßnahmen zu
treffen, um die Mißstände bei der Postzustellung durch Haus- Fall über Hausbriefkästen, sondern dem Empfänger
briefkästen radikal abzustellen — z. B. durch Bereitstellung
größerer Hausbriefkästen, Aufklärung und Überwachung des
in der Wohnung zugestellt werden. Diese Mehrlei-
Personals, bessere Zeiteinteilung für die Zusteller, damit sie für stungen der Zusteller werden bei der Größenein-
die Hausbriefkästen ungeeignete Sendungen in den Wohnungen
abgeben können? teilung der einzelnen Zustellbezirke auch berück-
sichtigt. Im übrigen wird das Personal der Deut-
Bevölkerungsumfragen haben ergeben, daß die schen Bundespost — soweit es die angespannte
Einrichtung der Hausbriefkästen von den Postkun- Personallage zuläßt — laufend über seine Dienst-
den allgemein anerkannt wird. Nur deshalb konnte obliegenheiten unterrichtet und bei seiner Tätigkeit
es in wenigen Jahren auf freiwilliger Basis gelin überwacht.

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