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Deutscher Bundestag

64. Sitzung

Bonn, den 13. März 1963

Inhalt:

Fragestunde (Drucksachen IV/1048, IV/1052) Frage des Abg. Blumenfeld:


Ermittlungen gegen den Hamburger
Frage des Abg. Rasner: Innensenator Schmidt
Ermittlungen gegen die Abg. Merten Dr. Bucher, Bundesminister . . 2961 C, D,
und Jahn 2962 A, B, D, 2963 A
Dr. Bucher, Bundesminister . . . 2958 C, D,
2959 A, B, C, D, 2960 A Schmitt-Vockenhausen (SPD) . . . 2961 C
Rasner (CDU/CSU) 2958 D Blumenfeld (CDU/CSU) . 2961 D, 2962 A
Benda (CDU/CSU) . . . 2958 D, 2959 A Wehner (SPD) 2962 A, B
Wittrock (SPD) 2959 A, B Vizepräsident Dr. Dehler 2962 B, C, 2963 A
Hirsch (SPD) 2959 B Dr. Aigner (CDU/CSU) . . . 2962 C, D
Erler (SPD) 2959 C
Spies (CDU/CSU) 2962 D
Dr. Schäfer (SPD) . . . 2959 C, 2960 A
Haase (Kassel) (CDU/CSU) . . . . 2959 D Wittrock (SPD) 2962 D
Wagner (CDU/CSU) 2963 A
Frage des Abg. Rasner:
Gespräche in der Sache Merten und Frage des Abg. Blumenfeld:
Jahn Gespräche in der Angelegenheit
Dr. Bucher, Bundesminister . 2960 A, B, C, D Schmidt
Rasner (CDU/CSU) 2960 B, C Dr. Bucher, Bundesminister . . . 2963 B
Erler (SPD) 2960 C
Erler (SPD) 2963 B
Dr. Schäfer (SPD) 2960 D
Frage des Abg. Dr. Kohut:
Frage des Abg. Rasner:
Ermittlungsverfahren gegen einen am-
Ermittlungen gegen sozialdemokrati- tierenden Staatssekretär
sche Abgeordnete im Zusammenhang
mit den Ermittlungen gegen den „Spie von Hassel, Bundesminister . . . 2963 C
Schmelz -gel"Rdakteur
Dr. Bucher, Bundesminister . . . 2961 A, B Frage des Abg. Dr. Kohut:
Rasner (CDU/CSU) 2961 A Versorgung von wehrdienstbeschädig-
Dr. Schäfer (SPD) 2961 B ten Soldaten der Bundeswehr
Erler (SPD) 2961 B von Hassel, Bundesministei 2963 C, 2964 A
Dr. Mommer (SPD) 2961 C Dorn (FDP) 2964 A
II Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 64. Sitzung. Bann, Mittwoch, den 13. März 1963

Frage des Abg. Wegener: Frage des Abg. Kaffka:


Bau einer Überführung für Panzerfahr- Eisenbahnstrecke Zweibrücken-
zeuge bei Dörenkrug Landau–Karlsruhe
von Hassel, Bundesminister . . . 2964 B Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister 2968 C, D
Kaffka (SPD) 2968 D
Frage des Abg. Wegener:
Verkehrsgefährdung in der Gemeinde Frage des Abg. Dröscher:
Augustdorf Radabdeckungen an Kraftfahrzeugen
von Hassel, Bundesminister . . . 2964 B der ausländischen Streitkräfte
Dr.-Ing. Seebohm,
Frage des Abg. Rademacher: Bundesminister . . . . 2969 A, B, C
Ausstattung von zur Personenbeförde- Dröscher (SPD) . . . . . . . . 2969 B
rung bestimmten Fahrzeugen der Bun-
deswehrverwaltung mit Fahrtschrei-
Fragen des Abg. Felder:
bern
Wagenstau am Grenzübergang nach
von Hassel, Bundesminister . . . 2964 D Salzburg durch unterschiedlichen Sperr-
stundenbeginn
Frage des Abg. Josten: Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister . 2969 D
Umgehungsstraße Sinzig
Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister . 2964 D, Fragen des Abg. Faller:
2965 A
Einstellung des Drahtfunks
Fragen des Abg. Dr. Hamm (Kaisers- Dr. Steinmetz, Staatssekretär . 2970 B, C, D
lautern) : Faller (SPD) 2970 B, C
Hygiene in Speisewagen der Bundes-
bahn
Frage des Abg. Lemper:
Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister 2965 B, C
Freifahrt für Begleitpersonen von
Schwabe (SPD) . . . . . . . . 2965 C Schwerkriegsbeschädigten
Dr. Steinmetz, Staatssekretär . . . 2970 D
Frage des Abg. Hansing:
Schäden durch Schiffswrack s in den Zu-
fahrten zur Elbe und Weser Frage des Abg. Lemper:
Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister . 2965 D, Nachgebühr bei der Erhöhung der Post-
2966 B, C, D gebühren

Hansing (SPD) 2966 B, C Dr. Steinmetz, Staatssekretär . . . 2971 A


Seifriz (SPD) 2966 C, D
Müller-Hermann (CDU/CSU) . . 2966 D Frage des Abg. Freiherr von Mühlen:
Gebühren für Post- und Paketabholer
Frage des Abg. Kaffka: Dr. Steinmetz, Staatssekretär . . . 2971 B,
Ausbau der Eisenbahnstrecke Pirma- 2972 A, B, D
sens–Bitsch Freiherr von Mühlen (FDP) 2971 D, 2972 A
Dr.-Ing. Seebohm, Rademacher (FDP) . . . . . . 2972 B
Bundesminister . . . . 2967 A, B, C, D Dürr (FDP) 2972 C
Kaffka (SPD) 2967 B Faller (SPD) 2972 C, D
Dr. Müller-Emmert (SPD) . . . 2967 C, D

Entwurf eines Gesetzes zur Ä nderung des


Frage des Abg. Kaffka: Gesetzes über die Finanzverwaltung,
Ausbau von Bundesstraßen der Reichsabgabenordnung und anderer
Steuergesetze (Drucksache IV/352) ;
Dr.-Ing. Seebohm,
Schriftlicher Bericht des Finanzausschus-
Bundesminister . . . . 2968 A, B, C ses (Drucksache IV/1005) — Zweite und
Kaffka (SPD) 2968 B dritte Beratung —
Dr. Aigner (CDU/CSU) 2968 B Dr. Besold (CDU/CSU) . . . . . 2973 B
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 64. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. März 1963 III

Zur Tagesordnung Entwurf eines Gesetzes zu dem Überein-


Rasner (CDU/CSU) 2973 D kommen Nr. 116 der Internationalen Ar-
beitsorganisation vom 26. Juni 1961
Dr. Mommer (SPD) 2973 D über die Abänderung der SchluBartikel
(Drucksache IV/1003) — Erste Bera-
Entwurf eines Gesetzes zur Einschränkung tung — 3004 C
des § 7 b des Einkommensteuergesetzes
(Drucksachen IV/738, IV/342) — Schrift-
licher Bericht des Finanzausschusses Entwurf eines Gesetzes zu dem Zusatzab-
(Drucksachen IV/1006, zu IV/1006) — kommen vom 14. Mai 1962 zu dem mit
Zweite und dritte Beratung — dem Königreich der Niederlande am
Seuffert (SPD) . . . . . . . . 2974 A 8. April 1960 geschlossenen Vertrag über
die Regelung der Zusammenarbeit in
der Emsmündung (Ems-Dollart-Vertrag)
Entwurf eines Gesetzes über die Rechte der (Drucksache IV/1025) — Erste Bera-
Flüchtlinge aus der sowjetischen Besat- tung — 3004 C
zungszone und dem sowjetisch besetzten
Sektor von Berlin (Flüchtlingsgesetz —
F1G) (SPD) (Drucksache IV/694) — Erste
Entwurf eines Gesetzes zum Zusatzabkom-
Beratung —
men vom 14. Mai 1962 zu dem mit dem
Frau Korspeter (SPD) 2974 C Königreich der Niederlande am 8. April
Eichelbaum (CDU/CSU) . 2978 D, 2988 D 1960 geschlossenen Finanzvertrag (Druck-
sache IV/1038) — Erste Beratung — . . 3004 D
Schmidt (Kempten) (FDP) . . . . 2980 C
Mischnick, Bundesminister . . . 2982 C
Wehner (SPD) 2985 C Mündlicher Bericht des Rechtsausschusses
über die Streitsache vor dem Bundesver-
Rehs (SPD) 2988 A
fassungsgericht Antrag der Gesamtdeut-
Vizepräsident Schoettle . 2989 A, 2991 A schen Partei (DP/BHE) wegen Verletzung
des Artikels 3 Abs. 1 des Grundgesetzes
(Drucksache IV/1035) . . . . . . . 3004 D
Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des
Bewertungsgesetzes (CDU/CSU) (Druck-
sache IV/909) — Erste Beratung —
Schriftlicher Bericht des Gesundheitsaus-
Dr. Wilhelmi (CDU/CSU) . . . 2989 B schusses über den Vorschlag der Kom-
Seuffert (SPD) 2991 B mission für eine Richtlinie des Rates der
EWG über Angleichung der Rechts- und
van Delden (CDU/CSU) . . . . 2993 B
Verwaltungsvorschriften für pharmazeu-
tische Erzeugnisse (Drucksachen IV/965,
Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des IV/1032) 3005 A
Einkommensteuergesetzes und des Ge-
werbesteuergesetzes (SPD) (Drucksache
IV/722) — Erste Beratung — Schriftlicher Bericht des Ernährungsaus-
Dr. Koch (SPD) . . . . . . . . 2994 B schusses über den Vorschlag der Kom-
mission für eine Richtlinie des Rates der
Dr. Artzinger (CDU/CSU) . . . . 2995 D EWG zur Regelung viehseuchenrecht-
licher Fragen beim innergemeinschaft-
Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des lichen Handelsverkehr mit Rindern und
Bundesbaugesetzes (FDP) (Drucksache Schweinen (Drucksachen IV/954, IV/1009) 3005 B
IV/924) — Erste Beratung —
Dr. Imle (FDP) . . . . . . . . 2996 B
Schriftlicher Bericht des Außenhandelsaus-
Dr. Besold (CDU/CSU) 2998 A, 3002 A schusses über die Vorschläge der Kom-
Jacobi (Köln) (SPD) . . 2999 B, 3003 A mission für Verordnungen des Rates der
EWG betr. Änderungen der Verordnung
Stiller (CDU/CSU) . . . . . . . 3002 C Nr. 55 (Drucksachen IV/946, IV/972,
Dr. Schmidt (Wuppertal) (CDU/CSU) 3003 C IV/1046) 3005 B
Dr. Dr. h. c. Dresbach (CDU/CSU) . 3003 D
Bericht des Außenhandelsausschusses über
Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des die Achte Verordnung zur Änderung der
Gesetzes über die Errichtung eines Bun- Einfuhrliste — Anlage zum Außenwirt-
desgesundheitsamtes (Drucksache IV/999) schaftsgesetz — (Drucksachen IV/939,
— Erste Beratung — 3004 C IV/1037) 3005 C
IV Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 64. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. März 1963

Bericht des Außenhandelsausschusses über Zweiundfünfzigste Verordnung zur Ände-


die Einundvierzigste, Fünfundvierzigste rung des Deutschen Zolltarifs 1962 (An-
und Sechsundvierzigste Verordnung zur gleichungszölle für Hartkaramellen,
Änderung des Deutschen Zolltarifs 1962 Weichkaramellen, Dragées und Brot —
(Drucksachen IV/937, IV/935, IV/936, Neufestsetzung) (Drucksache IV/1041) 3005 D
IV/1036) 3005 C

Dreiundfünfzigste Verordnung zur Ände- Nächste Sitzung 3005 D


rung des Deutschen Zolltarifs 1962
(Zollkontingente 1963 — gewerbliche
Waren — I. Teil) (Drucksache IV/1040) . 3005 D Anlagen . . . . . . . . . . . . 3007
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64. Sitzung

Bonn, den 13. März 1963

Stenographischer Bericht die Giftwirkung wurde allerdings bei wesentlich höheren Kon-
zentrationen der Detergentien beobachtet, als sie in unseren Ge-
wässern praktisch vorkommen.
Gegenüber Warmblütern zeigten sich bei Untersuchungen von
anderer Seite keine Unterschiede in dre Giftigkeit, die hier
Beginn: 9.01 Uhr vergleichsweise sehr gering ist. Außerdem überwiegt bei den
geprüften „weichen" Detergentien die gute Abbaubarkeit ihre
höhere Giftigkeit gegenüber Kaltblütern, so daß im Falle ihrer
späteren Verwendung nicht damit zu rechnen ist, daß sie den -
Fischbestand in den Gewässern oder die Trinkwasserversorgung
Vizepräsident Dr. Dehler: Die Sitzung ist er- gefährden.
Die Ergebnisse des erwähnten Gutachtens erlauben im übrigen
öffnet. für die Praxis noch keine abschließende Beurteilung, da die
von der Industrie im Jahre 1960 begonnene Entwicklung
sogenannter „weicher" Detergentien zur Zeit noch keineswegs
Folgende amtliche Mitteilungen werden ohne abgeschlossen ist. So vermitteln zum Beispiel vor etwa drei
Verlesung in den Stenographischen Bericht auf- Monaten bekanntgegebene Forschungsergebnisse den Eindruck,
daß gewisse neu entwickelte Detergentien unter Laboratoriums-
genommen: bedingungen zum Teil über 90 % abbaubar und mit den be-
kannten „harten" Detergentien verglichen praktisch ungiftig sein
Der Abgeordnete Schwabe hat mit Schreiben vom 8. März 1963 sollen; in der Folgezeit wird eine weitere Prüfung ergeben
seine mündlichen Anfragen XII/2, XII/5 und XII/6 auf Druck- müssen, ob dieser erste Eindruck allen Erfordernissen der
sache IV/1019 zurückgezogen. Praxis an Abbaubarkeit und Wascheigenschaften standhält.
Der Präsident des Bundestages hat entsprechend dem Be- Da die Meinung der Fachleute, auch derjenigen der Industrie,
schluß des Bundestages vom 23. Februar 1962 die Zweiundfünf- dahin geht, daß bei Inkrafttreten der Rechtsverordnung brauch-
zigste Verordnung zur Änderung des Deutschen Zolltarifs 1962 bare Detergentien verfügbar sein werden, d. h. Stoffe, die auch
(Angleichungszölle für Hartkaramellen, Weichkaramellen, Dra- hinsichtlich ihrer Giftigkeit weder für den Fischbestand noch für
gées und Brot — Neufestsetzung) Drucksache IV/1041 dem die Trinkwasserversorgung eine erhöhte Gefahr mit sich brin-
Außenhandelsausschuß mit der Bitte um fristgemäße Behandlung gen, sieht das Bundeswirtschaftsministerium keinen Anlaß, in
überwiesen. diese Entwicklung durch eine Änderung bzw. Ergänzung von
Rechtsvorschriften einzugreifen.
Der Präsident des Bundestages hat entsprechend dem Beschluß
des Bundestages vom 25. Juni 1959 die nachstehenden Vorlagen b) Im einzelnen führe ich hierzu noch folgendes aus: Zu Frage
überwiesen: III./1:
Verordnung zur Änderung der Verordnung Nr. 9 über den
Europäischen Sozialfonds — Drucksache IV/1050 — Die Landesanstalt für Fischerei von Nordrhein-Westfalen in
Albaum (Sauerland) hat im Auftrag des Herrn Ministers für
an den Ausschuß für Arbeit — federführend — und an den Ernährung, Landwirtschaft und Forsten des Landes Nordrhein-
Ausschuß für Sozialpolitik — mitberatend — mit der Bitte um Westfalen am 18. Mai 1962 einen ausführlichen Bericht „über die
Vorlage des Berichts rechtzeitig vor dem Plenum am 29. März Untersuchung der Störungsschwelle bei Fischen und Fischnähr-
1963, tieren" durch Detergentien erstattet. Gegenstand des Berichtes
Richtlinie des Rates über die Angleichung der Rechtsvor- waren toxikologische Untersuchungen mit sogenannten weichen,
schriften der Mitgliedstaaten für konservierende Stoffe, die abbaufähigen Detergentien. Die Landesanstalt für Fischerei in
in Lebensmitteln verwendet werden dürfen — Drucksache Albaum hat sechs verschiedene Detergentien geprüft und eine
IV/1051 — höhere Giftigkeit einiger neuer, sogenannter „weicher" Deter-
gentien nachgewiesen.
an den Ausschuß für Gesundheitswesen mit der Bitte um Vor Aus diesem Grunde und im Zusammenhang mit Verlautbarun-
lage des Berichts rechtzeitig vor dem Plenum am 17. Mai 1963, gen der Presse und des Rundfunks wurde die Frage einer etwa
Verordnung Nr. 12/63/EWG des Rats vom 20. Februar 1963 erhöhten Giftigkeit der neuen Detergentien von Sachverstän-
zur Änderung der Verordnung Nr. 42 des Rats und zur digen der Wasserwirtschaft, der Hygiene, der Fischerei und der
Verlängerung der Verordnungen Nr. 45, 46 und 116 des Rats Detergentien herstellenden Industrie im Hauptausschuß „Deter-
(Amtsblatt S. 405/63) gentien und Wasser" behandelt. Vorsitzender des Ausschusses
ist Professor Dr. Husmann, Essen, der den Bundestagsausschuß
an den Außenhandelsausschuß — federführend — und an den 26 bei der Erörterung des Entwurfes für das Detergentien-Gesetz
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten — mit- beraten hat.
beratend — mit der Bitte um Berichterstattung innerhalb eines
Monats, wenn im Ausschuß Bedenken gegen die Verordnung Vom Hauptausschuß „Detergentien und Wasser" wurde für
erhoben werden. diesen Zweck ein besonderer Unterausschuß eingesetzt, der in
Ringversuchen in mehreren Instituten (u. a. Bundesgesundheits-
amt, Bundesforschungsanstalt für Fischerei und Hygiene-Institut,
Zu den in der Fragestunde der 61. Sitzung des Hamburg) die Abbaufähigkeit von insgesamt 15 neuen Deter-
gentien und ihre Giftwirkung auf Fische und Fischnährtiere
Deutschen Bundestages am 15. Februar 1963 ge- untersuchte. Die Ergebnisse wurden zusammengefaßt und auf
stellten Fragen des Abgeordneten Dr. Hamm (Kai- der 11. Sitzung des Hauptausschussus „Detergentien und Wasser"
am 21. Mai 1962 in Essen vorgetragen und diskutiert. Dabei
serslautern) Nr. III/1 und Nr. III/2 *) ist inzwischen stellte sich heraus, daß die Ergebnisse dieser unabhängig
voneinander durchgeführten Versuchsreihen weitgehend über-
die schriftliche Antwort des Herrn Bundesministers einstimmten.
Dr. Dr. h. c. Erhard vom 11. März 1963 eingegan- Die Versuche ergaben insbesondere, daß die neuen Deter-
gentien bis auf einen geringen Restbetrag biologisch abbaubar
gen. Sie lautet: sind. Der 'Abbau konnte, wie von allen beteiligten Stellen be-
stätigt wurde, mit einem Wirkungsgrad von über 80 % durch-
Im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Gesundheits- geführt werden. Zum Teil wurden sogar Abbauleistungen von
wesen beantworte ich Ihre Fragen wie folgt: über 90 % erzielt, während bei den zur Zeit verwendeten
a) Zusammengefaßt für die Fragen III./1 und III./2: „harten" Detergentien nur etwa 20 % erreicht wurden.
Es trifft zu, daß nach einem Gutachten, das im Auftrage der Bezüglich der möglichen Gefahren für die Fischwelt bestätigten
Landesregierung Nordrhein-Westfalen eingeholt worden ist, die Versuche, daß die neuen, leicht abbaubaren Waschrohstoffe
einige Stoffe aus der Gruppe sogenannter „weicher" Deter- für Fische und Fischnährtiere giftiger sind als die bisher ver-
gentien geprüft worden sind, die eine etwas höhere Giftigkeit wendeten sogenannten „harten" Detergentien. Während nämlich
gegenüber Kaltblütern (Fische und Fischnährtiere) zeigten als bei diesen die Schädlichkeits- bzw. Tödlichkeitsgrenzen bei etwa
die zur Zeit verwendeten sogenannten „harten" Detergentien; 10 bis 15 mg pro Liter liegen (z. B. Alkylsulfonate, Alkylaryl-
sulfonate), liegen sie bei den hier geprüften neuen Stoffen,
soweit diese für Wasch- und Reinigungsmittel in Betracht kom-
*) Siehe 61. Sitzung Seite 2782 B men, bei 5 mg/l.
2958 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 64. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. März 1963

Vizepräsident Dr. Dehler


Dem Nachteil der stärkeren Giftwirkung steht aber bei den wurden, die eine wesentlich höhere Abbaubarkeit (zum Teil über
zu diesem Zeitpunkt vorliegenden neu entwickelten Detergentien 90 %) und eine wesentlich geringere Giftigkeit haben sollen als
der Vorteil gegenüber, daß sie wesentlich besser biologisch die gegenwärtig im Handel befindlichen harten Detergentien.
abgebaut werden. Der Hauptausschuß „Detergentien und Wasser" Hier lassen allerdings die bisher nur unter Laboratoriums-
und die offiziellen Vertreter der Fischerei im Lande Nordrhein- bedingungen angestellten Abbau- und Waschversuche noch kei-
Westfalen, dazu gehört insbesondere auch die eingangs er- nen endgültigen Schluß zu auf die Ergebnisse einer Nachprüfung
wähnte Landesanstalt für Fischerei in Albaum, vertreten seit- unter den Bedingungen der Praxis.
dem die Auffassung, daß der Vorteil der besseren Abbaubarkeit Die allgemeine Meinung der Fachleute, auch derjenigen der
den Nachteil der stärkeren Giftwirkung in diesem Falle über- Industrie, geht dahin, daß einwandfreie, der Verordnung ent-
wiegt. Hierbei haben sie mit berücksichtigt, daß sich bisher sprechende Detergentien, die hinsichtlich ihrer Giftigkeit keine
keine Bestätigung für die Befürchtung ergeben hat, der Abbau erhöhte Gefahr für den Fischbestand oder die Trinkwasser
der Detergentien könne zu Produkten führen, die mit den üb- versorgung mit sich bringen, rechtzeitig zur Verfügung stehen
lichen Analysenverfahren für anionaktive Detergentien zwar werden.
nicht mehr feststellbar, aber deswegen nicht weniger giftig
seien. Nach den vorliegenden Äußerungen zu diesen Fragen Das Bundeswirtschaftsministerium sieht daher gegenwärtig
scheinen die Abbauvorgänge vielmehr zu weitgehend ungiftigen keinen Anlaß, in diese Entwicklung durch eine Änderung bzw.
Produkten zu führen. Hierüber liegen Versuche des Hygiene- Ergänzung von Rechtsvorschriften einzugreifen.
Institutes in Hamburg vor, denen zufolge die geprüften neuen
Waschrohstoffe nach der Reinigung der Abwässer in einwand- Wir beginnen mit der
frei arbeitenden biologischen Anlagen bei gleichen Konzen-
trationen sogar weniger giftig sind als die Ausgangsprodukte.
Auch die speziell zu dieser Frage durchgeführten Versuche des
Institutes für Wasser-, Boden- und Lufthygiene des Bundes-
Fragestunde (Drucksachen IV/1048, IV/1052).
gesundheitsamtes mit verschiedenen Waschrohstoffen bestätigten
diese Beobachtung. Wir behandeln zunächst die Fragen aus dem
Zu der Auffassung, daß bei den bisher geprüften neuen, wei- Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz. Ich
chen Detergentien der Vorteil einer besseren biologischen Ab-
baubarkeit den Nachteil einer stärkeren Giftigkeit bei weitem rufe auf die Frage IV/1 — des Herrn Abgeordneten
überwiegt, haben nicht zuletzt auch folgende Überlegungen Rasner —: -
beigetragen:
Sind gegen den SPD-Bundestagsabgeordneten Merten, Stell-
1. Nach den bisher vorliegenden Untersuchungen des biologisch vertretender Vorsitzender des Verteidigungsausschusses, und
leicht abbaubaren Dodecylbenzolsulfonats, das vorbehaltlich
weiterer Entwicklungen zunächst als Ersatz für die harten den SPD-Bundestagsabgeordneten Jahn, parlamentarischer Ge-
schäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, Ermittlungen wegen
Detergentien in Frage kommt, ergeben sich im Säugetier- des Verdachtes der Weitergabe von Verschlußsachen geheimen
organismus und damit für den Menschen praktisch keine und militärischen Charakters geführt worden, die sich auch auf
Unterschiede in der Eigengiftigkeit dieses Stoffes im Ver-
gleich zu dem bisher überwiegend verwendeten Tetrapropy- Räume dieses Hohen Hauses erstreckten?
lenbenzolsulfonat (hartes Detergens). Beispielsweise beträgt
nach Prüfungen die mittlere tödliche Dosis (LD50) Herr Minister!
für das alte „harte" Detergens Tetrapropylenbenzolsulfonat
(TBS)
1220 mg pro kg Körpergewicht,
für ein neues „weiches" Detergens der Chemische Werke
Dr. Bucher, Bundesminister der Justiz: Ich be-
Hüls AG Hüls antworte die Frage mit Nein. Ermittlungen gegen
1260 mg pro kg Körpergewicht. die genannten Bundestagsabgeordneten können so
An dieser Stelle ist darauf hinzuweisen, daß die entspre-
chende Dosis für Kochsalz etwa 3000 mg pro kg Körper- lange nicht geführt werden, wie die Immunität nicht
gewicht beträgt. Wenn man also überhaupt von einer „Gift- aufgehoben ist.
wirkung" der neuen geprüften Detergentien sprechen will,
dann würde diese gegenüber Warmblütern etwa der von
Kochsalz entsprechen. Echte Gifte liegen in Wirklichkeit weit
unter diesen Verträglichkeitsgrenzen. Vizepräsident Dr. Dehler: Eine Zusatzfrage,
Untersuchungen über die chronische Wirkung des neuen Pro- Herr Abgeordneter Rasner!
duktes der Chemische Werke Hüls AG, die über ein Jahr
lang mit 120 Ratten sowohl für diese Produkte als auch für
den Vergleichsversuch (TBS) und 240 Kontrolltieren durch-
geführt wurden, ließen dementsprechend auch keine gesund- Rasner (CDU/CSU) : Herr Minister, liegen Tat-
heitlichen Schäden erkennen.
bestände — wie in meiner Frage aufgeführt —
2. Wenn somit anzunehmen ist, daß eine Giftwirkung praktisch
nur auf Fische und Fischnährtiere möglich ist, würde sie auch vor, in denen nach Ziffer 4 b der Grundsätze dieses
nur dann auftreten, wenn diese Organismen mit so hohen
Detergentien-Konzentrationen in Berührung kommen, daß die
Hohen Hause in Immunitätsangelegenheiten verfah-
Giftschwelle erreicht ist. In der Praxis ist es jedoch nicht ren wurde oder in denen Ermittlungsverfahren ein-
erlaubt, schädliche Konzentrationen in die Wasserläufe ein-
zuleiten, diese gelangen also praktisch nur in die Kanali- geleitet worden wären, wenn dem nicht die Immu-
sationsleitungen und werden erst hochgradig verdünnt, be-
vor sie — bzw. erst nach Passieren und Abbau in einer
nität entgegengestanden hätte?
Kläranlage — in den Vorfluter gelangen. In diesem Zusam-
menhang ist darauf hinzuweisen, daß in den Vorflutern im
allgemeinen nur 0,1-0,3 mg/I und nur in äußerst ungünstig Dr. Bucher, Bundesminister der Justiz: Ich
gelagerten Fällen bis etwa 0,9 mg/1 Detergentien nachge-
wiesen wurden. Abgesehen davon, daß die Abwässer der möchte den ersten Teil Ihrer Frage bejahen; der
Kanalisationen andere Giftstoffe von viel stärkerer Wirkung zweite ist hypothetisch.
enthalten, ist somit in der Praxis nicht damit zu rechnen, daß
durch diese neuen Detergentien das biologische Leben im
Vorfluter geschädigt wird.
Rasner (CDU/CSU) : Herr Minister, laufen oder
Zu Frage III./2: liefen noch gegen andere Abgeordnete dieses Hau-
Die 1960 begonnene Entwicklung der beteiligten Industrie- ses, wie gelegentlich in der Presse behauptet, glei-
betriebe zur Herstellung sogenannter weicher, d. h. biologisch
weitgehend abbaufähiger Detergentien ist zum gegenwärtigen che oder ähnliche Untersuchungen?
Zeitpunkt noch nicht abgeschlossen. Zunächst sind Forschungs-
ergebnisse vorgelegt worden, die eine höhere Abbaubarkeit
(etwa 80 %) aber auch eine höhere Giftigkeit für Fische und
Fischnährtiere ergaben, während die Giftigkeit gegenüber Warm- Dr. Bucher, Bundesminister der Justiz: Nein,
blütern nicht erhöht war. solche Untersuchungen sind weder gelaufen noch
Die Entwicklung von den alten „harten" zu den neuen „wei-
chen" Detergentien macht verständlicherweise bei den verschie- laufen sie jetzt.
denen beteiligten Firmen verschiedene Stadien durch. Man kann
nicht jetzt schon — 19 Monate vor Inkrafttreten der Bestim-
mungen — erwarten, daß alle Entwicklungen im positiven Sinne
abgeschlossen sind. Der lange Zeitraum von der Verkündigung
Vizepräsident Dr. Dehler: Abgeordneter
des Gesetzes (5. September 1961) bis zum Inkrafttreten der Benda, eine Zusatzfrage!
Verordnung (Verordnung vom 1. Dezember 1962) zum 1. Ok-
tober 1964 ist nach eingehenden Verhandlungen zwischen den
Bundesressorts, dem zuständigen Bundestagsausschuß und der
Detergentien herstellenden Industrie festgelegt worden, damit Benda (CDU/CSU) : Herr Minister, sind über die
gewährleistet wird, daß beim Inkrafttreten der Verordnung auch
tatsächlich Detergentien mit den erwünschten Eigenschaften in
Frage, ob das von dem Herrn Abgeordneten Jahn
Verkehr gebracht werden. nach seinen eigenen öffentlichen Erklärungen an
Daß sich die Industrie intensiv um eine Weiterentwicklung in den „Spiegel" weitergegebene Protokoll des Ver-
dieser Richtung bemüht, zeigt die Tatsache, daß vor etwa drei
Monaten Forschungsergebnisse über Detergentien mitgeteilt teidigungsausschusses materielle Staatsgeheimnisse
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 64. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. März 1963 2959
Benda
enthält, Sachverständigen-Gutachten eingeholt wor- Dr. Bucher, Bundesminister der Justiz: Dafür
den? habe ich bis jetzt keine Erklärung.

Dr. Bucher, Bundesminister der Justiz: Ein sol- (Lachen und Zurufe von der SPD.)
ches Gutachten ist bereits eingeholt worden; ein
zweites steht noch aus. Vizepräsident Dr. Dehler: Herr Abgeordneter
Erler zu einer Zusatzfrage!
Vizepräsident Dr. Dehler: Eine weitere Frage,
Herr Abgeordneter Benda! Erler (SPD) : Sind Sie bereit, zu prüfen, ob unter
Umständen aus Ihrem Geschäftsbereich derartige
Benda (CDU/CSU) : Läßt sich auf Grund des In- Fragen den Fragestellern zugänglich gemacht wor-
halts des von dem Herrn Abgeordneten Jahn an den sind?
den „Spiegel" gegebenen Protokolls sowie auf
Grund des bisher weiterhin vorliegenden Materials Dr. Bucher, Bundesminister der Justiz: Ich bin
die von dem Herrn Abgeordneten Jahn in der durchaus gewillt, das zu tun, da ich ja auch nicht auf
Öffentlichkeit aufgestellte Behauptung aufrecht- meinem Hause die Behauptung ruhen lassen möchte,
erhalten, daß das dem „Spiegel" zugeleitete Proto- daß dort undichte Stellen seien.
koll lediglich die Erörterung personalpolitischer
Fragen eines Offiziers und nicht darüber hinaus Vizepräsident Dr. Dehler: Herr Abgeordneter
weitere Tatsachen enthält, die möglicherweise als Schäfer zu einer Zusatzfrage.
Staatsgeheimnisse angesehen werden müssen?
Dr. Schäfer (SPD) : Herr Minister, ist es richtig,
Dr. Bucher, Bundesminister der Justiz: Die Be- daß es in dem Protokoll, um das es sich hier handelt,
antwortung dieser Frage, Herr Kollege Benda, hängt um eine Personalangelegenheit des Oberstleutnants
eben von den beiden genannten Gutachten ab, von Barth ging, die mit der Fallex-Übung 1962 gar nichts
denen das eine noch nicht vorliegt. zu tun hat?

Vizepräsident Dr. Dehler: Herr Abgeordneter Dr. Bucher, Bundesminister der Justiz: Es ist
Wittrock, eine Zusatzfrage bitte! richtig, daß es in diesem Protokoll in erster Linie
darum geht.
Wittrock (SPD) : Herr Minister, ist Ihnen be- (Abg. Rasner: In erster Linie!)
kannt, daß der Präsident des Bundestages den Vor-
sitzenden der sozialdemokratischen Bundestagsfrak- Vizepräsident Dr. Dehler: Herr Abgeordneter
tion über den Sachverhalt, der ja irgendwie der Haase zu einer Zusatzfrage!
Frage des Abgeordneten Rasner zugrunde liegt,
vertraulich unterrichtet und vertraulich um Hilfe ge- Haase (Kassel) (CDU/CSU) : Herr Minister, es
beten hat? geht aber 'in diesem Protokoll nicht nur um die
Personalsache Barth, wenn ich Sie richtig verstan-
Dr. Bucher, Bundesminister der Justiz: Das ist
den habe?
mir bekannt.

Wittrock (SPD) : Ist Ihnen bekannt, Herr Mini- Vizepräsident Dr. Dehler: Ich bitte, Herr Ab-
ster, daß diese so vertraulich erbetene Hilfe gewährt geordneter Haase, die Frageform zu wählen. Sie
worden ist? sollen Fragen stellen.

Dr. Bucher, Bundesminister der Justiz: Ja! Haase (Kassel) (CDU/CSU) : Herr Minister, wenn
ich Sie richtig verstanden habe, geht es aber nicht
Wittrock (SPD) : Danke schön! nur um die Personalsache Barth in dieser Angele-
genheit?
Vizepräsident Dr. Dehler: Herr Abgeordneter (Heiterkeit.)
Hirsch, eine Zusatzfrage! Habe ich Sie richtig verstanden, Herr Minister?
(Erneute Heiterkeit und Beifall.)
Hirsch (SPD) : Herr Minister, haben Sie Anhalts-
punkte dafür, daß vertraulich zu behandelnde Vor-
ermittlungen in Ihrem Hause oder sonstwo dem
Dr. Bucher, Bundesminister der Justiz: Ich darf
sagen, ich hätte die Frage auch ohne Fragezeichen
Herrn Fragesteller bekanntgeworden sind?
verstanden.
(Heiterkeit.)
Dr. Bucher, Bundesminister der Justiz: Dafür,
daß das in meinem Hause geschehen ist, liegen Sie haben mich richtig verstanden. Ich habe auf die
keine Anhaltspunkte vor; ob sonstwo, weiß ich nicht. Frage des Herrn Abgeordneten Schäfer vorhin
gesagt, daß es in erster Linie um diese Personal-
Hirsch (SPD) : Wie erklären Sie es sich dann, daß frage geht.
diese Informationen in die Öffentlichkeit gekommen
sind? Vizepräsident Dr. Dehler: Herr Dr. Schäfer!
2960 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 64. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. März 1963

Dr. Schäfer (SPD) : Herr Minister, aber habe ich Dr. Bucher, Bundesminister der Justiz: Mit wel-
Sie recht verstanden, oder ist es richtig — — chem Ziel? Mit dem Ziel, die beiden Herren von mir
(Heiterkeit.) aus zu informieren.

Ist es richtig, daß es dabei auf jeden Fall nicht um Vizepräsident Dr. Dehler: Abgeordneter Ras-
Fallex 1962 ging? ner, bitte sehr!

Dr. Bucher, Bundesminister der Justiz: Jawohl. Rasner (CDU/CSU) : Herr Minister, war das
Hauptziel dieser sozialdemokratischen Abgeordne-
Vizepräsident Dr. Dehler: Herr Abgeordneter ten die Verhinderung oder die Hinauszögerung des
Schmitt-Vockenhausen zu einer Zusatzfrage! Immunitätsverfahrens?

Schmitt-Vockenhausen (SPD) : Das hat sich er- Dr. Bucher, Bundesminister der Justiz: Davon
ledigt. war keine Rede.
(Lachen bei der SPD.)
Vizepräsident Dr. Dehler: Also keine Zusatz-
frage mehr zu dieser ersten Frage des Herrn Abge- Vizepräsident Dr. Dehler: Herr Abgeordneter
ordneten Rasner? Erler, zu einer Zusatzfrage!
Ich rufe seine zweite Frage — IV/2 — auf:
Haben andere sozialdemokratische Abgeordnete dieses Hauses Erler (SPD) : Herr Minister, haben sozialdemo-
über die in Frage IV/1 bezeichneten Ermittlungen und über kratische Abgeordnete je versucht, die ordnungs-
die Frage der Aufhebung der Immunität dieser Abgeordneten
mit Angehörigen des Bundesjustizministeriums oder der Ermitt- mäßige Aufklärung und Verfolgung etwaiger Straf-
lungsbehörden Gespräche geführt?
taten durch das Bundesjustizministerium oder durch
Bitte, Herr Minister! die Ermittlungsbehörden in diesem Zusammenhang
zu behindern?
Dr. Bucher, Bundesminister der Justiz: Die (Abg. Memmel: Das fehlte ja gerade noch!
zweite Frage beantworte ich wie folgt. Über diese — Heiterkeit.)
Sache hat mein Vorgänger auf Anraten von Herrn
Präsident Gerstenmaier die Abgeordneten Erler und Dr. Bucher, Bundesminister der Justiz: Ich darf
Arndt informiert. Mit beiden Herren habe in der mir die Antwort zu eigen machen, die der Herr Kol-
Folge auch ich je ein Gespräch geführt. lege Memmel gegeben hat: Nein.
(Heiterkeit. — Abg. Erler: Das war doch
Vizepräsident Dr. Dehler: Herr Abgeordneter der Sinn Ihrer Frage gewesen, Herr Rasner!)
Rasner, eine Zusatzfrage.
Vizepräsident Dr. Dehler: Herr Abgeordneter
Rasner (CDU/CSU) : Herr Minister, wie oft, wann Schäfer zu einer Zusatzfrage.
zum erstenmal und mit welchen speziellen Ge- (Anhaltende Auseinandersetzungen zwi-
sprächsthemen und welchem Ziel sind diese SPD- schen der SPD und der CDU/CSU.)
Bundestagsabgeordneten im Justizministerium vor-
Herr Abgeordneter Schäfer, bitte sehr!
stellig geworden?

Dr. Schäfer (SPD) : Herr Minister, haben auch


Dr. Bucher, Bundesminister der Justiz: Eine CDU-Abgeordnete Unterhaltungen über diesen Fra-
etwas inquisitorische Frage! Wie oft? Einmal. Ich genkomplex mit Ihnen geführt, und ist auch dabei
habe gesagt: ich habe mit beiden Herren je ein die Anregung zu der Unterredung von Ihnen oder
Gespräch geführt. von dem Herrn Präsidenten ausgegangen, oder ha-
Beide Herren sind nicht im Justizministerium vor- ben diese Abgeordneten die Unterredung erbeten?
stellig geworden, sondern im ersten Fall ging die
Initiative, wie ich sagte, vom Herrn Präsidenten Dr. Bucher, Bundesminister der Justiz: Ich habe
dieses Hauses aus, im zweiten Fall von mir. über diese Sache nur — wenn Sie ihn als Abgeord-
neten bezeichnen — mit dem Herrn Bundeskanzler
Das Gespräch mit Herrn Arndt fand, erinnere ich
und mit dem Herrn Abgeordneten Güde gesprochen,
mich zufällig, am 1. Februar in Berlin statt, das mit
letzteres mit Wissen von Herrn Jahn, vor allem um
Herrn Erler, glaube ich, 14 Tage vorher.
die Frage der Immunität zu klären.
(Abg. Rasner: Ach, da ist doch drüber ge-
Vizepräsident Dr. Dehler: Eine Zusatzfrage, sprochen worden!)
Herr Abgeordneter Rasner!
— Mit Herrn Gilde.
Rasner (CDU/CSU) : Ich hatte gefragt: Wann, (Abg. Rasner: Ich denke, es ist nicht über
wie oft und mit welchem Ziel? die Immunität gesprochen worden!)
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 64. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. März 1963 2961

Vizepräsident Dr. Dehler: Keine Zusatzfragen Vizepräsident Dr. Dehler: Herr Abgeordneter
mehr? — Dann rufe ich auf Frage IV/3 — des Herrn Dr. Mommer zu einer Zusatzfrage.
Abgeordneten Rasner —:
Stehen die in Frage IV/1 bezeichneten Ermittlungen gegen Dr. Mommer (SPD) : Ist vielleicht der anwesende
sozialdemokratische Bundestagsabgeordnete im Zusammenhang
mit den Ermittlungen gegen das Mitglied des Sicherheitsaus- Herr Verteidigungsminister in der Lage, diese Frage
schusses beim Bundesvorstand der SPD, den
Schmelz?
„Spiegel"-Redakteur zu beantworten?

Herr Minister Bucher! Vizepräsident Dr. Dehler: Ich möchte doch


meinen, daß das keine sachdienliche Frage im An-
Dr. Bucher, Bundesminister der Justiz: Die Er- schluß an die Frage des Herrn Abgeordneten Ras-
mittlungen stehen im Zusammenhang mit den Er- ner ist.
mittlungen gegen Redakteur Schmelz, aber, wenn Weitere Zusatzfragen? — Ich rufe dann auf die
ich so sagen darf, nicht in Zusammenhang mit der
Frage IV/4 — des Herrn Abgeordneten Blumen-
Sache, wegen der gegen Schmelz ermittelt wird, son- feld —:
dern insofern, als die beiden Protokolle bei Schmelz
Sind auch gegen ein sozialdemokratisches Mitglied des Bundes-
gefunden worden sind. rates, nämlich den Hamburger Innensenator Schmidt, Ermitt-
lungen wegen des Verdachtes der Weitergabe von Verschluß-
sachen geheimen und militärischen Charakters geführt worden?
Vizepräsident Dr. Dehler: Eine Zusatzfrage.
Herr Minister!
Rasner (CDU/CSU) : Herr Minister, wissen Sie,
ob der Spiegelredakteur Schmelz immer noch Mit- Dr. Bucher, Bundesminister der Justiz: Die
glied des Sicherheitsausschusses beim Bundesvor- Frage ist mit Ja zu beantworten.
stand der SPD ist?
Vizepräsident Dr. Dehler: Eine Zusatzfrage?
(Heiterkeit bei der SPD.)
(Abg. Blumenfeld: Danke sehr!)
Dr. Bucher, Bundesminister der Justiz: Damit — Keine Zusatzfrage? — Eine Zusatzfrage des
bin ich überfordert. Herrn Abgeordneten Schmitt-Vockenhausen.
(Beifall bei der SPD und der FDP.)
Schmitt-Vockenhausen (SPD) : Herr Minister,
Vizepräsident Dr. Dehler: Herr Abgeordneter ist es richtig, daß Herr Senator Schmidt die der
Schäfer zu einer Zusatzfrage, bitte. öffentlichen Diskussion zugrunde liegende Einla-
dung an Journalisten zur Teilnahme im Benehmen
Dr. Schäfer (SPD) : Herr Minister, ist Ihnen die mit dem zuständigen Wehrbereichskommando und
Erklärung des Mitglieds des Präsidiums der SPD in Übereinstimmung mit den Richtlinien der Bun-
Fritz Erler vom 14. November 1962 bekannt, in der desregierung ergehen ließ?
es wie folgt heißt:
Der Sicherheitsausschuß beim Vorstand der Dr. Bucher, Bundesminister der Justiz: Entschul-
SPD hat zu keiner Zeit geheime Dokumente von digung, ich muß mich berichtigen. Die Frage ist nicht
irgendeiner Stelle zur Verfügung gehabt und mit Ja, sondern mit Nein zu beantworten. Es wird
sie seinen Mitgliedern zugänglich gemacht. gegen Herrn Senator Schmidt nicht wegen des Ver-
Seine Aufgabe besteht darin, Beschlüsse des dachts der Weitergabe von Verschlußsachen gehei-
Parteivorstandes oder der Parteitage auf dem men und militärischen Charakters ermittelt, son-
Gebiet der Verteidigungspolitik vorzubereiten. dern wegen eines anderen Sachverhalts. Ich bitte
Dabei ist niemals geheimes Material verwen- um Entschuldigung.
det worden.
Ist Ihnen diese Erklärung bekannt? Vizepräsident Dr. Dehler: Wir kehren also
zurück. Herr Abgeordneter Blumenfeld, Sie haben
Dr. Bucher, Bundesminister der Justiz: Sie war die Möglichkeit, Zusatzfragen zu stellen.
mir im Augenblick nicht gegenwärtig.
Blumenfeld (CDU/CSU) : Herr Minister, darf ich
Vizepräsident Dr. Dehler: Eine Zusatzfrage, Sie fragen, ob Sie mir bekanntgeben können, aus
Herr Abgeordneter Erler. welchem Motiv oder Tatverdacht heraus dann ge-
gen den Herrn Senator Schmidt ermittelt wird?
Erler (SPD) : Trifft es zu, Herr Bundesjustizmini-
ster, daß der Journalist Schmelz nicht nur laufend
Informationen durch das Bundesverteidigungsmini-
Dr. Bucher, Bundesminister der Justiz: Gegen
Herrn Senator Schmidt wird wegen folgenden Sach-
sterium erhielt, sondern auch zu Manövern der Bun-
verhalts ermittelt. Er soll dem Redakteur Ahlers
deswehr als Beobachter eingeladen wurde?
bei der Abfassung des Artikels „Bedingt abwehr-
Dr. Bucher, Bundesminister der Justiz: Auch bereit" behilflich gewesen sein. Dieser Verdacht
hier bin ich überfragt, da ich über diese Gepflogen- bestand.
heiten des Bundesverteidigungsministeriums nicht (Hört! Hört! bei der CDU/CSU. — Abg.
informiert bin. Rasner: Das ist Beihilfe!)
2962 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 64. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. März 1963

Vizepräsident Dr. Dehler: Herr Abgeordneter Vizepräsident Dr. Dehler: Eine weitere Frage,
Blumenfeld zu einer Zusatzfrage. Herr Abgeordneter Wehner?

Blumenfeld (CDU/CSU) : Herr Minister, halten Wehner (SPD) : Danke.


Sie es dann nicht auch für etwas erstaunlich, daß
der Senator Schmidt bei der Einleitung des Ver- Vizepräsident Dr. Dehler: Eine Zusatzfrage
fahrens gegen die Spiegel-Redakteure als Senator des Herrn Abgeordneten Aigner.
für Inneres besonders intensive Vorstellungen und
Angriffe gegen die Bundesanwaltschaft gerichtet Dr. Aigner (CDU/CSU) : Herr Minister, haben
hat? die Ermittlungen im „Spiegel"-Verfahren ergeben,
daß der „Spiegel" leider vor Einleitung des Verfah-
Dr. Bucher, Bundesminister der Justiz: Für er- rens gewarnt war und unter Umständen belastendes
staunlich würde ich das dann halten, wenn sich Material rechtzeitig weggeschafft wurde,
der Verdacht, der gegen Herrn Senator Schmidt be-
,
(Zuruf von der SPD: Kein Sachzusammen-
steht, zu einem rechtskräftigen Urteil verfestigen
hang!)
würde.
(Hört! Hört! bei der CDU/CSU.) unter Umständen auch Material, das in dieses Haus
führt? -
Vizepräsident Dr. Dehler: Eine Zusatzfrage
des Herrn Abgeordneten Wehner. Vizepräsident Dr. Dehler: Ich glaube nicht,
daß diese Frage im Zusammenhang steht. — Haben
Sie eine weitere Zusatzfrage?
Wehner (SPD) : Ist dem Herrn Bundesminister be-
kannt, daß der Herr Senator Schmidt in seiner
Dr. Aigner (CDU/CSU) : Herr Präsident, darf ich
Eigenschaft als ein Sachkenner in militärischen,
noch einmal den Zusammenhang mit der letzten
militärpolitischen und strategischen Fragen, als der
Frage —
Verfasser von Büchern, als — —

(Lachen bei der CDU/CSU. — Abg. Rasner: Vizepräsident Dr. Dehler: Nein; nein; ich
,, Spiegel"-Hilfsredakteur!) lasse diese Frage nicht zu. Sie steht mit dieser Frage
— Entschuldigen Sie, wenn ich eine Zwischenbe- nicht im Zusammenhang.
merkung mache. Daß bei uns Leute — wenn von
Büchern die Rede ist — nicht nur mit Krimnalroma- Dr. Aigner (CDU/CSU) : Herr Präsident, es steht
nen zu tun haben, ist doch 'wohl eine Ehrensache. mir leider keine Kritik zu.
(Lebhafter Beifall bei der SPD.)
Vizepräsident Dr. Dehler: Natürlich nicht. —

Vizepräsident Dr. Dehler: Meine Damen und Herr Abgeordneter Spies zu einer Zusatzfrage.
Herren — einen Augenblick, Herr Abgeordneter
Wehner! —, es ist eine Verständigung erzielt wor- Spies (CDU/CSU) : Herr Minister, hat ein Sach-
d en auf Initiative des Präsidenten dieses Hauses, kenner auf dem militärischen Sektor Vorrechte, mit
daß in der Fragestunde gefragt und geantwortet, anderen über Staatsgeheimnisse zu sprechen, gegen-
aber kein Beifall oder kein Mißfallen gezollt wird. über anderen Sterblichen?
Ich schlage vor, daß wir uns an diese Übung halten. (Abg. Wehner: Auch andere müssen erst
Bitte, Herr Abgeordneter Wehner, vielleicht be- ein Gutachten anfertigen lassen!)
ginnen Sie Ihre Frage noch einmal.
Dr. Bucher, Bundesminister der Justiz: Sicher
Wehner (SPD) : Darf ich wiederholen: ich frage nicht.
den Herrn Bundesminister der Justiz, ob ihm be-
kannt ist, daß der Herr Senator Schmidt in seiner Vizepräsident Dr. Dehler: Herr Abgeordneter
Eigenschaft als Sachkenner in militärischen, militär- Wittrock zu einer Zusatzfrage.
politischen, strategischen Fragen, als der Verfasser
von Büchern, von Artikeln und als Teilnehmer an Wittrock (SPD) : Herr Minister, ist Ihnen be-
internationalen Tagungen, die sich mit diesen Fra- kannt, daß Herr Senator Schmidt, als er auf Grund
gen befaßt haben, vom Redakteur Ahlers gefragt seiner Sachkunde von dem Redakteur Ahlers bera-
worden ist hinsichtlich der strategischen und Ver- tend in Anspruch genommen wurde, ausdrücklich
teidigungskonzeptions-Angelegenheiten, die Ahlers von der Veröffentlichung bestimmter Punkte abriet,
beschäftigten, als er seinen Artikel verfaßte? und zwar gerade aus Geheimhaltungserwägungen
(Zuruf von der CDU/CSU. — Abg. Wehner heraus abriet?
[SPD] : Lassen Sie doch den Minister ant
worten!) Dr. Bucher, Bundesminister der Justiz: Es ist mir
bekannt, daß Herr Senator Schmidt, als er zu der
Sache gehört wurde, sich so geäußert hat.
Dr. Bucher, Bundesminister der Justiz: Das ist
mir bekannt. (Zuruf von der SPD: Na also!)
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 64. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. März 1963 2963

Vizepräsident Dr. Dehler: Herr Abgeordneter von Hassel, Bundesminister der Verteidigung:
Wagner zu einer Zusatzfrage. Ich beantworte diese Frage wie folgt: Eine Beant-
wortung der Frage würde nach meinem Dafürhalten
Wagner (CDU/CSU) : Herr Minister, was werden auf eine Beeinflussung des schwebenden Verfahrens
Sie noch tun, um den Herrn Bundesanwalt Kuhn hinauslaufen können. Ich bitte daher um Verständ-
gegen den wirklich ungeheuerlichen Vorwurf des nis, daß ich eine solche Frage in der Fragestunde
Abgeordneten Dr. Arndt in Schutz zu nehmen, eine nicht beantworten kann.
gesetzeswidrige Ermittlung zum Vorwand für eine
staatsgefährdende Hetze gegen die SPD genommen
zu haben? Vizepräsident Dr. Dehler: Frage VI/2 — des
Herrn Abgeordneten Dr. Kohut —:
Dr. Bucher, Bundesminister der Justiz: Ich kann Trifft es zu, daß Angehörige der Bundeswehr bei schweren
Verletzungen im Dienst, z. B. bei Verlust eines Beines, eine
dagegen das tun, daß ich hier an dieser Stelle diesen Rente von nur 45 DM monatlich erhalten?
Vorwurf entschieden zurückweise, und ich muß
Bitte, Herr Minister.
sagen, es ist mir unerklärlich, wie ein so hervor-
ragender Jurist, wie es Herr Arndt ist, dazu kom-
men kann, einem Beamten, gegen den kein Verdacht
von Hassel, Bundesminister der Verteidigung:
vorliegt, ein derartig schweres Verbrechen vorzu-
Wehrdienstbeschädigte Soldaten der Bundeswehr-
werfen. Es ist ja ein Verbrechen, das mit Zuchthaus-
erhalten nach dem dritten Teil des Soldatenversor-
strafe bedroht ist.
gungsgesetzes Versorgung in entsprechender An-
(Beifall bei der CDU/CSU. — Zuruf von der wendung der Vorschriften des Bundesversorgungs-
CDU/CSU: Arndt darf alles!) gesetzes. Der Umfang dieser Versorgung richtet sich
nach dem Grade der Minderung der Erwerbsfähig-
Vizepräsident Dr. Dehler: Wir wollen uns — keit, die nach der körperlichen Beeinträchtigung im
das ist meine Bitte — daran halten, daß wir Beifall allgemeinen Erwerbsleben zu beurteilen ist.
und Mißfallenskundgebungen unterlassen.
Für den Verlust eines Beines ist nach den Ver-
Wir kommen zu der Frage IV/5 — des Herrn Ab- waltungsvorschriften zu § 30 des Bundesversor-
geordneten Blumenfeld —: gungsgesetzes eine Minderung der Erwerbsfähigkeit
Haben Mitglieder des SPD-Parteivoistandes, der SPD-Bundes- um mindestens 70 v. H. festzusetzen. Es stehen als-
tagsfraktion, des Senats oder der Senatsbehörden von Ham- dann im wesentlichen folgende Versorgungsleistun-
burg in der Frage IV/4 bezeichneten Angelegenheit mit Ange
hörigen des Bundesjustizministeriums oder der Ermittlungsbe- gen zu:
hörden Gespräche geführt?
1. freie Heilbehandlung einschließlich orthopädi-
Dr. Bucher, Bundesminister der Justiz: Für diese scher Versorgung und Einkommensausgleich im
Frage gilt dasselbe: Es sind dieselben genannten Falle einer Erkrankung, die zur Arbeitsunfähigkeit
Herren informiert worden; außerdem in Vertretung führt, 2. Berufsförderungsmaßnahmen, 3. eine vom
des damals kranken Herrn Bürgermeisters Never Einkommen unabhängige Grundrente in Höhe von
mann der Zweite Bürgermeister Engelhard. 105 DM monatlich, 4. eine von der Höhe ander-
weitigen Einkommens abhängige Ausgleichsrente
bis zu 120 DM, 5. Familienzuschläge zur Ausgleichs-
Vizepräsident Dr. Dehler: Herr Abgeordneter rente für die Ehefrau in Höhe von 25 DM monat-
Erler, eine Zusatzfrage. lich, für jedes Kind in Höhe von 40 DM monatlich,
6. als Ersatz für außergewöhnliche Kosten für Klei-
Erler (SPD) : Hat der Herr Bundesjustizminister der- und Wäscheverschleiß 7 DM monatlich.
den Eindruck, daß diese Unterrichtung zur Behinde-
rung oder zur Erschwerung von Ermittlungen in Die für den Verlust eines Beines genannte Min-
irgendeiner Weise mißbraucht worden ist? derung der Erwerbsfähigkeit um 70 v. H. ist die
Mindestminderung der Erwerbsfähigkeit. Je nach
dem Umfang des Beinverlustes kommt eine Minde-
Dr. Bucher, Bundesminister der Justiz: Nein! rung der Erwerbsfähigkeit um 80 v. H. oder sogar
90 v. H. in Betracht. Ist der Beschädigte durch die
Vizepräsident Dr. Dehler: Ich danke Ihnen, Art der Schädigungsfolgen in seinem Beruf beson-
Herr Minister; die Sie angehenden Fragen sind er- ders betroffen, so ist die Minderung der Erwerbs-
schöpft. fähigkeit weiter zu erhöhen. Die genannten im Ein-
Ich rufe nun die Fragen aus dem Geschäftsbereich zelfall in Betracht kommenden Erhöhungen führen
des Bundesministers der Verteidigung auf, zunächst zu entsprechend höheren Leistungen, und zwar bei
die Frage VI/1 — des Herrn Abgeordneten Dr. der Grundrente bis zu 200 DM monatlich und bei
Kohut —: der Ausgleichsrente ebenfalls bis zu 200 DM monat-
lich.
Hält es die Bundesregierung für richtig, einen Staatssekretär
im Amt zu halten, gegen den ein strafrechtliches Ermittlungs-
verfahren wegen Verdachts des Amtsmißbrauc hs und der Frei- Der in der Anfrage genannte Rentenbetrag von
heitsberaubung schwebt und der nach vorübergehender Beur-
laubung wegen des gleichen Sachverhalts wieder eingestellt
45 DM entspricht der monatlichen Grundrente bei
wurde? einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um 40 v. H.
Bitte, Herr Minister, (Anhaltende Unruhe.)
2964 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 64. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. März 1963

Vizepräsident Dr. Dehler: Meine Damen und Die Haustenbeckerstraße, die vom Truppen-
Herren, ich darf dringend bitten, Ruhe im Saal zu übungsplatz Senne kommend in bzw. durch den Ort
halten. Man kann einem Mitglied der Bundesregie- Augustdorf führt, wird außer von zivilen Verkehrs-
rung nicht zumuten, Antworten zu geben, wenn es teilnehmern und der Bundeswehr vornehmlich von
nicht gehört wird. Darf ich bitten, grundsätzlich alliierten Fahrzeugen benutzt. Die Gemeinde
Privatgespräche in die Nebenräume zu verlegen. Augustdorf beabsichtigt, an der Straße einen Fuß-
Herr Abgeordneter Dorn, eine Zusatzfrage! weg anzulegen, der vor allem als Schulweg dienen
und eine Gefährdung der Schulkinder ausschließen
soll. Die Gemeinde hat hierfür einen Bundeszuschuß
Dorn (FDP) : Herr Minister, sind Sie nicht der
Auffassung, daß das zwar theoretisch möglich sein in Höhe von 33 000 DM erbeten.
kann, daß aber in der Praxis solche Zuschüsse und Eine Verkehrszählung hat ergeben, daß der zivile
Hilfeleistungen, wie Sie sie hier dargestellt haben, Verkehr mehr als das Vierfache des militärischen
bis heute noch nicht spürbar geworden sind? Verkehrs ausmacht. Im Hinblick auf die angespannte
Haushaltslage wurde deshalb der Herr Minister für
von Hassel, Bundesminister der Verteidigung: Landesplanung, Wohnungsbau und öffentliche
Herr Abgeordneter, ich habe dargelegt, welche recht- Arbeiten des Landes Nordrhein-Westfalen am
lichen Möglichkeiten gegeben sind, und ich gehe da- 20. Dezember 1962 gebeten, der Gemeinde August-
von aus, daß ein jeder diese rechtlichen Möglich- dorf die erbetene Finanzhilfe landesseitig zur Ver-
keiten ausschöpfen kann. fügung zu stellen. Nach meiner Unterrichtung wur-
den der Gemeinde Augustdorf inzwischen die
Dorn (FDP) : Wir kommen darauf zurück. Antragsunterlagen von dem zuständigen Land-
schaftsverband zugeleitet, so daß in absehbarer Zeit
Vizepräsident Dr. Dehler: Ich rufe auf Frage mit einer Entscheidung gerechnet werden dürfte.
VI/3 — des Herrn Abgeordneten Wegener —:

Vizepräsident Dr. Dehler: Ich rufe auf die


Trifft es zu, daß der Bau einer Überführung für Panzerfahr-
zeuge über die L. I. O. 758 im Raume Dörenkrug (Truppen- Frage II — des Herrn Abgeordneten Rademacher —
übungsplatz Augustdorf) nicht zur Ausführung gelangen soll? auf Drucksache IV/1052:
Bitte, Herr Minister. Ist die Ausstattung der zur Beförderung von Personen be-
stimmten Fahrzeuge mit mehr als 14 Fahrgastplätzen (Kraft-
omnibusse) sowie der gemäß § 57 a StVZO betroffenen Lastkraft-
wagen und Zugmaschinen der Bundeswehrverwaltung mit Fahrt-
von Hassel, Bundesminister der Verteidigung: schreibern — wie am 31. März 1960 durch den Bundesverteidi-
Es wird anerkannt, daß der Bau einer Überführung gungsminister mit Drucksache 1773 der 3. Wahlperiode zuge-
sichert — durchgeführt, bzw. wann wird sie durchgeführt sein?
für Panzerfahrzeuge über die Landstraße I. Ordnung
Nr. 758 bei Dörenkrug als Zufahrt vom Lager Herr Minister!
Augustdorf an der Senne zum Standortübungsplatz
Orne erforderlich ist. Das Vorhaben, das mit von Hassel, Bundesminister der Verteidigung:
1 876 000 DM veranschlagt ist, konnte jedoch leider Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Aus-
wegen der angespannten Haushaltslage im Haus- stattung der zur Beförderung von Personen be-
haltsjahr 1962 nicht begonnen werden; es ist zur stimmten Fahrzeuge mit mehr als 14 Fahrgastplät-
Etatisierung für künftige Haushaltsjahre vorge- zen — Kraftomnibusse — sowie der gemäß § 57 a
merkt, wird jedoch voraussichtlich nicht vor Ende der Straßenverkehrs-Zulassungsordnung betroffe-
1964 zur Ausführung kommen können. nen Lastkraftwagen und Zugmaschinen der Bundes-
wehrverwaltung mit Fahrtschreibern wurde bis
Vizepräsident Dr. Dehler: Keine Zusatzfrage. Dezember 1960 durchgeführt.
Ich rufe auf Frage VI/4 — des Herrn Abgeordneten
Wegener —: Vizepräsident Dr. Dehler: Ich danke Ihnen,
Was gedenkt das Bundesverteidigungsministerium zu tun, um Herr Minister.
die steigende Gefährdung des zivilen Verkehrs auf den Straßen
im Wohnbereich der Gemeinde Augustdorf, die sich vor allem Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäfts-
aus dem Befahren dieser Straßen durch alliierte Panzerfahrzeuge
ergibt, zu beseitigen? bereich des Bundesministers für Verkehr. Ich rufe
auf die Frage VII/1 — des Abgeordneten Josten —:
Bitte, Herr Minister!
Warum wurde mit dem Bau der Umgehungsstraße Sinzig
(Rhein) 1962 nicht begonnen, obwohl hierfür eine Zusage in
der Fragestunde am 22. Februar 1962 gegeben wurde?
von Hassel, Bundesminister der Verteidigung:
Als Hauptverkehrsstraßen des Ortes Augustdorf
sind die Pivitsheiderstraße und die Haustenbecker- Dr. Ing. Seebohm, Bundesminister für Verkehr:
-

straße anzusehen. Herr Kollege, bei der Beantwortung der Frage nach
dem Baubeginn der Umgehungsstraße Sinzig am
Für die Anlegung eines Gehweges an der Pivits- 22. Februar des vorigen Jahres war als Vorausset-
heiderstraße, die vom Lager Augustdorf bis etwa zung für den Baubeginn im Jahre 1962 genannt wor-
zur Ortsmitte führt, ist der Gemeinde Augustdorf den, daß das Planfeststellungsverfahren durch die
im Oktober 1961 ein Zuschuß in Höhe von 43 500 Behörden des Landes Rheinland-Pfalz spätestens im
DM aus Mitteln des Verteidigungshaushalts bewil- April 1962 abgeschlossen wird. Außerdem war vor-
ligt worden. Dieser Gehweg ist bereits fertiggestellt, ausgesetzt, daß die Mittelzuweisung nicht gekürzt
so daß die Gefahrenmomente beseitigt sind. wurde. Der Abschluß des Planfeststellungsverfah-
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 64. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. März 1963 2965
Bundesminister Dr.-Ing. Seebohm
rens ist aber zum genannten Zeitpunkt nicht erfolgt, Schwabe (SPD) : Haben Sie, Herr Minister, nicht
weil gegen den Beschluß ein Einspruch beim Ver- auch den Eindruck gewonnen und bestätigt bekom-
waltungsgericht vorlag und der Beschluß daher nicht men, daß die Mitarbeiter und Angehörigen der DSG
rechtskräftig wurde. Die Mittelzuweisung wurde gerade jetzt im abgelaufenen Winter Hervorragen-
durch den Nachtrag zum Bundeshaushalt 1962 emp- des geleistet haben und daß, alles in allem gesehen,
findlich gekürzt, nachdem zuvor Mittel in noch grö- die Leistung dieser Gesellschaft und der dort arbei-
ßerem Umfang eingespart worden waren. Trotz die- tenden Menschen wirklich Anerkennung verdient,
ser Schwierigkeit, die eine mehrmonatige Verzöge- weil die Mehranforderungen in ausgezeichneter
rung brachte, konnte das Brückenbauwerk über den Weise gemeistert worden sind?
„Grünen Weg" noch im vorigen Jahr in Auftrag
gegeben werden. Wegen des frühzeitig einsetzen- Dr. Ing. Seebohm, Bundesminister für Verkehr:
-

den Winterwetters war es aber der Baufirma nicht Herr Kollege Schwabe, ich bin ganz Ihrer Meinung.
möglich, das Brückenbauwerk schon 1962 zu begin- Ich darf hinzufügen, daß nicht nur jetzt im Winter,
nen. Die Arbeiten werden jetzt nach Beendigung sondern vor allem auch in den Sommermonaten an
des Frostwetters anlaufen. das Personal in den Speisewagen außerordentlich
hohe Anforderungen gestellt werden, die noch da-
Vizepräsident Dr. Dehler: Keine Zusatzfrage. durch verstärkt werden, daß bei der Beschleuni-
Wir kommen zur Frage VII/2 — des Herrn Abge- gung der Züge das Arbeiten in diesen Wagen und
ordneten Dr. Hamm —: in den Kücheneinrichtungen sehr anstrengend und-
Wer überwacht die Einhaltung der Hygiene in den bei der nervenbelastend ist.
Deutschen Bundesbahn mitgeführten Speisewagen?

Schwabe (SPD) : Haben Sie auch den Eindruck


Dr. Ing. Seebohm, Bundesminister für Verkehr:
-
gewonnen, Herr Minister, daß sich die Einstellung
Die gewerbepolizeiliche und insbesondere die ge- weiblicher Kräfte, insbesondere bei den Schnell-
werbehygienische Aufsicht über den Speisewagen zügen, ausgezeichnet bewährt hat?
betrieb in ihrem Bereich führt die Deutsche Bundes-
bahn. Zuständig ist dafür der bahnärztliche Dienst.
Bei der Deutschen Schlaf- und Speisewagen Dr. Ing. Seebohm, Bundesminister für Verkehr:
-

Gesellschaft ist außerdem ein Arzt tätig, der die Herr Kollege Schwabe, ich darf das als ein Lob für
ortsfesten und rollenden Einrichtungen sowie das mich entgegennehmen, denn ich habe Wert darauf
Personal ständig überwacht und dessen Aufgabe es gelegt, in den TEE-Zügen eine weibliche Bedienung
auch ist, Vorschläge für Verbesserungen auszuarbei- in den Speisewagen zu bekommen.
ten. (Heiterkeit.)
— Das kommt nicht ins Protokoll:
Vizepräsident Dr. Dehler: Keine Zusatzfrage.
Ich rufe auf die Frage VII/3 — des Herrn Abge- (Abg. Wittrock: Es kommt alles ins Proto-
ordneten Dr. Hamm —: koll!)
Welche Möglichkeiten sieht das Bundesverkehrsministerium,
die hygienischen Verhältnisse des Betriebes der Speisewagen
im allgemeinen und mancher Speisewagen im besonderen zu Vizepräsident Dr. Dehler: Wir kommen zur
verbessern? Frage VII/4 — des Herrn Abgeordneten Hansing —:
Welche Verantwortung trägt die Bundesregierung für die
Dr. Ing. Seebohm, Bundesminister für Verkehr:
- schweren Schäden, die am 15. Februar 1963 an dem holländischen
Fahrgastschiff „Maasdam" und am 27. Februar 1963 an dem
Die Frage hängt mit der vorigen Frage zusammen. liberianischen Tanker „Chrysanthy" durch Auflaufen auf eines
Die Speisewagen-Gesellschaften — sowohl die DSG der Wracks des gesunkenen britischen Frachters „Harborough"
bzw. russischen Frachters „Kholmogory" entstanden, nachdem
als auch die ISG — bemühen sich, dauernd eine ein- ich durch meine Frage in der Fragestunde vom 3. Juni 1959
auf die große Gefahr hingewiesen habe, die für die Schiffahrt
wandfreie Hygiene in ihren Wagen sicherzustellen. in Richtung der Weser- und Elbhäfen durch die beiden Wracks
Die Schulung des Personals ist verstärkt worden. In entstanden war?
den Küchen sind zahlreiche moderne Einrichtungen
wie Müllschlucker, Tiefkühltruhen und gasbeheizte Dr. Ing. Seebohm, Bundesminister für Verkehr:
-

Herde eingebaut worden; Kochküche und Spülküche Die Wracke der Schiffe „Harborough" und „Kholmo-
werden systematisch getrennt. gory", auf die das holländische Fahrgastschiff „Maas-
Ich wäre Ihnen, Herr Kollege Hamm, sehr dank- dam" und wahrscheinlich der liberianische Tanker
bar, wenn Sie mir verbesserungswürdige Tatsachen „Chrysanthy" aufgefahren sind, befinden sich außer-
oder Vorschläge hinsichtlich der Hygiene der Speise- halb der Dreimeilenzone, also auf hoher See. In die-
wagen sowie die von Ihren Wünschen betroffene sem Bereich hat die Bundesrepublik keine Rechtsver-
Gesellschaft, also die DSG oder die ISG, freundlichst pflichtung zur Sicherung des Verkehrs; sie kann also
mitteilen würden. Ich kann dann auf Grund des für die durch die Wracks entstandenen Schäden
Bundesbahngesetzes, falls Verstöße gegen gesetz- auch nicht schadensersatzpflichtig gemacht werden.
liche Bestimmungen oder sonstige die Hygiene be- Die Bundesrepublik hat dennoch in Fürsorge für
treffenden Vorschriften vorliegen sollten, im Wege die Schiffahrt die Wracks durch Seezeichen kenntlich
der Rechtsaufsicht auf die Deutsche Bundesbahn ein- gemacht, aber damit eine zivilrechtliche Verantwor-
wirken. tung nicht übernommen. Sie hat außerdem die Zu-
fahrten zur Elbe, Weser und Jade so weit entmint
Vizepräsident Dr. Dehler: Herr Abgeordneter und verlegt, daß die Wracks nunmehr außerhalb der
Schwabe zu einer Zusatzfrage! neugeschaffenen Schiffahrtswege liegen. Solange
2966 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 64. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. März 1963

Bundesminister Dr.-Ing. Seebohm


sich die Schiffahrt auf den ihr bekanntgemachten Vizepräsident Dr. Dehler: Eine weitere Zu-
minenfreien Wegen befindet und die Seezeichen satzfrage!
sinnvoll zur Navigationshilfe heranzieht, ist sie auf
diesen Wegen am wenigsten gefährdet. Nur bei Hansing (SPD) : Ist die Bundesregierung bereit,
Navigationsfehlern — auf Grund unsichtigen Wet- beim Haager Gerichtshof hiergegen ein Urteil zu
ters oder falscher Positionsbestimmung — oder im erwirken?
Falle der Vertriftung der Tonnen im Eise sind Un-
fälle möglich. Hierfür kann aber die Verwaltung
nicht verantwortlich gemacht werden; denn die Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister für Verkehr:
Schiffahrt wird in den amtlichen Seenachrichten im- Ich habe mich danach erkundigt. Mir ist mitgeteilt
mer wieder darauf hingewiesen, daß sie, insbeson- worden, , daß sich der Internationale Gerichtshof vor-
dere bei Eislagen, mit vertriebenen Tonnen rechnen aussichtlich mit einer solchen Frage nicht beschäf-
muß. Das Seeamt Bremerhaven hat bekanntlich in- tigen wird.
zwischen festgestellt, daß die beiden Tonnen, die die
Wracklage bezeichneten, durch den schweren Eis- Vizepräsident Dr. Dehler: Eine Zusatzfrage,
gang etwas versetzt waren, hat jedoch als maßgeb- Herr Abgeordneter Seifriz!
lichen Grund des Unfalls ein Versagen des Lotsen
herausgestellt. Seifriz (SPD) : Herr Bundesminister, ist die Bun-
Wie bereits in der Beantwortung Ihrer früheren desregierung der Ansicht, daß sie wegen der erheb-
Anfrage 1959 mitgeteilt, ist die Beseitigung des lichen Gefährdung von Menschenleben beim Auf-
Wracks außerhalb der Dreimeilenzone . nur dann laufen von Schiffen auf die Wracks, wie hier soeben
möglich, wenn entweder die Eigentümer selbst die dargelegt wurde, einen Notstand möglicherweise
gesunkenen Schiffe entfernen lassen oder wenn sie auch dann zu beseitigen hätte, wenn die Bundes-
auf ihren Eigentumsanspruch ausdrücklich verzich- republik für die Erfüllung eventueller Rechtsan-
ten; erst dann wird der Bundesrepublik freie Hand sprüche verantwortlich gemacht werden könnte?
bei der Wrackbeseitigung außerhalb der eigenen
Hoheitsgewässer auf ihre Kosten gegeben. Jeder Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister für Verkehr:
vorherige Eingriff wäre ein Verstoß gegen das Völ- Herr Kollege, ich habe soeben darauf hingewiesen,
kerrecht. daß die Bundesrepublik nicht für irgendwelche Un-
Schließlich ist darauf hinzuweisen, daß in den fälle verantwortlich gemacht werden kann, die
letzten Jahren weit über 100 000 Schiffe die Liege- außerhalb der Dreimeilenzone eintreten. Damit ist
stelle der Wracks passiert haben, ohne Schaden zu die Angelegenheit für uns vom Standpunkt des
nehmen. Auf Grund von Eigentumsverzichten sind Hoheitsrechts aus erledigt. Was wir hier im übrigen
im Raum um das Feuerschiff „Weser" in den letz- tun und uns zu tun bemühen, hat den Zweck, die
ten Jahren drei Wracks geräumt worden. Ein viertes Zufahrt zu unseren Seehäfen so sicher wie möglich
Wrack, nämlich der holländische Bagger „Beverwijk zu gestalten. Das tun wir aber freiwillig.
15", wird in diesen Tagen beseitigt. Wegen der Räu-
mung eines weiteren Wracks, der „Santos", laufen Vizepräsident Dr. Dehler: Zweite Zusatzfrage.
zur Zeit noch Verhandlungen. Lediglich bei den
Wracks der „Maipu", der „Harborough" und der
„Kholmogory" konnte trotz aller Bemühungen bis- Seifriz (SPD) : Herr Minister, ist der Bundesregie-
her ein Eigentumsverzicht nicht erreicht werden. Die rung bekannt, daß verschiedene ausländische Reede-
Bundesregierung wird mit Nachdruck ihre Bemühun- reien offenbar Überlegungen anstellen, 'die Nord-
gen fortsetzen, um die Voraussetzung zur Entfer- seehäfen so lange nicht mehr anzulaufen, bis diese
nung der Wracks zu schaffen. Schwierigkeiten beseitigt sind?

Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister für Verkehr:


Vizepräsident Dr. Dehler: Herr Abgeordneter Herr Kollege, solche Dinge stehen wohl in den Zei-
Hansing, eine Zusatzfrage!
tungen, haben aber keine reale Grundlage.

Hansing (SPD) : Herr Minister, ist nunmehr die Vizepräsident Dr. Dehler: Zusatzfrage des
Bundesregierung bereit, da die Verlegung des Herrn Abgeordneten Müller-Hermann!
Schifffahrtsweges keine wirksame Maßnahme zur
Verhütung von Schiffskollisionen war, den Eigen- Müller-Hermann (CDU/CSU) : Herr Bundes-
tümern von Schiff und Ladung einen Termin zur minister, können Sie eine Auskunft darüber geben,
Beseitigung der Wracks zu stellen? ob seitens der Bundesregierung oder des Auswär-
tigen Amtes diplomatische Schritte bei den Regie-
Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister für Verkehr: rungen der Länder eingeleitet worden sind, unter
Herr Kollege, Sie wissen, daß die Eigentümer gar deren Flagge 'die gesunkenen Schiffe fuhren?
nicht direkt von uns, sondern nur über ihre Regie-
rungen angesprochen werden können und daß ich Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister für Verkehr:
Eigentümern niemals einen Termin setzen kann, Herr Kollege Müller-Hermann, wir haben in den
wenn es sich um ein Gebiet handelt, in dem wir ersten Märztagen eine Verbalnote sowohl an die
keine Hoheitsrechte haben. argentinische als auch an die sowjetische Regierung
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 64. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. März 1963 2967
Bundesminister Dr.-Ing. Seebohm
gerichtet, um die entsprechenden Möglichkeiten zu früher stattfinden müssen und nicht erst zu diesem
erhalten. Sollten diese Verbalnoten nicht rechtzeitig Zeitpunkt des rheinland-pfälzischen Wahlkampfes?
beantwortet werden, werden wir versuchen, weitere (Heiterkeit und Zurufe.)
diplomatische Schritte aufzunehmen. Wir werden
auch versuchen, nach Möglichkeit einen gewissen
Dr. Ing. Seebohm, Bundesminister für Verkehr:
-
moralischen Druck auf diese Regierungen auszu-
Herr Kollege, ich bin auch im vorigen Jahr bei
üben, soweit man das eben diplomatisch tun kann.
meiner alljährlichen Straßenbereisung in diesem Ge-
biet gewesen. Ich weiß nicht, ob Ihnen das aufgefal-
Vizepräsident Dr. Dehler: Frage VII/5 — des len ist.
Herrn Abgeordneten Kaffka —:
(Beifall und Heiterkeit bei der CDU/CSU.)
Beabsichtigt die Bundesregierung die Eisenbahnverbindungen
nach Frankreich zu verbessern durch Ausbau der Eisenbahn-
strecke Pirmasens-Bitsch (Lothringen) unter Zugrundelegung der
seit Jahrzehnten bereits existierenden Pläne? Vizepräsident Dr. Dehler: Eine Zusatzfrage,
Bitte, Herr Bundesverkehrsminister! Herr Abgeordneter Müller-Emmert.

Dr. Müller Emmert (SPD) : Herr Minister, wür-


Dr. Ing. Seebohm, Bundesminister für Verkehr:
-

-
den ,Sie vielleicht im nächsten Jahr, wo kein Wahl-
Herr Kollege, wie mir die Hauptverwaltung der kampf in Rheinland-Pfalz ist, einer Einladung der
Deutschen Bundesbahn mitteilte, war bereits vor dem pfälzischen SPD-Bundestagsabgeordneten in die
Ersten Weltkrieg eine Eisenbahnstrecke von Pirma- Pfalz Folge leisten?
sens nach Bitsch in Lothringen geplant. Die Pläne
sind jedoch niemals verwirklicht worden. Es besteht
auch heute seitens der beteiligten Eisenbahngesell-
Dr. Ing. Seebohm, Bundesminister für Verkehr:
-

Herr Kollege, ich würde das sehr gern getan haben,


schaften, also auf französischer und auf deutscher
wenn Sie mir nicht so liebenswürdigerweise zwei
Seite — wie mir berichtet wird —, keine Absicht,
mit grünen Nummern versehene Autos mit entspre-
diese Strecke zu bauen, da angeblich nach wie vor
chend unfreundlichen Aufschriften während meiner
weder ein genügendes betriebliches noch ein genü-
ganzen Bereisung beigegeben hätten.
gendes verkehrliches Bedürfnis dafür gegeben ist.
Grund dafür sollen vor allem die durch .die Gelände- (Beifall und Heiterkeit bei der CDU/CSU.
und Trassierungsverhältnisse sehr hohen Baukosten — Lachen bei der SPD.)
sein, die die Strecke unwirtschaftlich machen würden.
Dr. Müller Emmert (SPD) : Herr Minister,
-

Vizepräsident Dr. Dehler: Eine Zusatzfrage? könnten Sie nicht meine Frage beantworten?

Dr. Ing. Seebohm, Bundesminister für Verkehr:


-

Kaffka (SPD) : Herr Minister, welche Möglich- Ich habe gesagt: ich würde das sehr gern getan
keiten sehen Sie, die Verkehrslage der Stadt Pirma- haben; darin liegt eine liebenswürdige Verneinung.
sens 'zu verbessern, nachdem diese Stadt durch die
strategische Planung der vergangenen Jahrzehnte
— als die Gegensätzlichkeiten gegen Frankreich be-
Dr. Müller Emmert (SPD) : Herr Minister, das
-

war ein Mißverständnis. Ich habe Sie gefragt, ob


standen — besonders benachteiligt worden ist?
Sie bereit seien, eine Einladung für das nächste
Jahr anzunehmen.
Dr. Ing. Seebohm, Bundesminister für Verkehr:
-

Herr Kollege, ich bin gerade vorgestern in Pirmasens Dr. Ing. Seebohm, Bundesminister für Verkehr:
-

gewesen und habe dort in aller Öffentlichkeit diese Herr Kollege, ich bin in jedem Jahr, wie männig-
Fragen beantwortet; sie sind auch ausführlich in den lich bekannt ist, auf der Straße unterwegs. Ob ich
Zeitungen wiedergegeben worden. Es würde zu weit im nächsten Jahr noch im Amt sein werde, kann
führen, glaube ich, hier diese Fragen in allen Einzel- ich bekanntlich wegen der Verhältnisse, die im
heiten darzulegen. Die weitere Entwicklung hängt Herbst kommen, noch nicht entscheiden.
natürlich auch sehr stark davon ab, welche Verhand-
(Große Heiterkeit.)
lungen im Zuge des deutsch-französischen Vertrages
nunmehr mit der französischen Seite, vor allen Din- Wenn ich in meinem Amt bin, werde ich mir über-
gen wegen der Führung von Straßen nach Süden, legen, ob ich der Einladung folgen soll, und wenn
geführt werden. Der Ausbau der Bundesstraße 10, es möglich ist, werden wir uns darüber schon ver-
der Bundesstraße 270 nach Kaiserslautern und der ständigen. Sie werden mir aber erlauben, daß ich
Verbindung über die Bundesstraße 40 nach Mainz dann einen Wagen mit CDU-Inschriften hinter mir
ist in dem zweiten Vierjahresplan, der Ihnen vor- herführe.
liegt, eingehend geschildert. (Erneute Heiterkeit.)

Vizepräsident Dr. Dehler: Eine weitere Frage, Vizepräsident Dr. Dehler: Frage VII/6 — des
Herr Abgeordneter Kaffka. Herrn Abgeordneten Kaffka —:

Nach welchen Gesichtspunkten stellt das Bundesverkehrs-


ministerium die Reihenfolge der Dringlichkeit bei Ausbauten der
Kaffka (SPD) : Herr Minister, hätte Ihre Reise Bundesstraßen fest?

nach Pirmasens und in diesen Raum nicht schon viel Bitte, Herr Minister!
2968 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 64. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. März 1963

Dr. Ing. Seebohm, Bundesminister für Verkehr:


- Dr. Ing. Seebohm, Bundesminister für Verkehr:
-

Den Mitgliedern des Hohen Hauses ist am 29. Ja- Ja. Ich erkenne das voll und ganz an und bemühe
nuar 1963 der zweite Vierjahresplan für den Aus- mich, soweit es mir im Rahmen der mir zugewie-
bau der Bundesfernstraßen in den Rechnungsjahren senen Mittel möglich ist, die entsprechenden. Arbei-
1963 'bis 1966 auf Grund der mir vom Bundeskabi- ten so aufzuteilen.
nett erteilten Ermächtigung mit der Bitte um Kennt-
nisnahme überreicht worden.
Vizepräsident Dr. Dehler: Ich rufe auf die
In den Vorbemerkungen hierzu ist ausgeführt Frage VIII? — des Herrn Abgeordneten Kaffka —:
worden, daß .der Plan darauf abgestellt ist, neben Bestehen Pläne, die Eisenbahnstrecke Zweibrücken-Landau-
der Fortführung der in den Vorjahren begonnenen Karlsruhe wieder zweigleisig auszubauen, wie es vor Jahren
schon von verschiedenen Expertengremien vorgeschlagen worden
Bauobjekte solche Maßnahmen bevorzugt zur Durch- ist?
führung zu bringen, die der Überlastung bestimmter
Bundesstraßen und Bundesautobahnen durch die
vorhandenen und noch weiter zunehmenden Ver- Dr. Ing. Seebohm, Bundesminister für Verkehr:
-

kehrsmengen entgegenwirken. Derartige Pläne, Herr Kollege, bestehen zur Zeit,


wie mir die Deutsche Bundesbahn mitteilt, nicht.
Dabei wurde für besonders dringlich der Ausbau Ihre Frage war bereits dreimal Gegenstand einer
oder Neubau von Bundesstraßen im Vorfeld der Anfrage in der Fragestunde des Deutschen Bundes-
größeren Städte und in den Ballungsgebieten gehal- tages. Damals habe ich den anfragenden Herren
ten. Außerdem ist dringlich der Bau von Bundes- Kollegen mitteilen müssen, daß die eingleisigen
straßen als Ergänzung zu den überlasteten und noch Streckenabschnitte Zweibrücken-Landau und Win-
unvollständigen Nord-Süd-Verbindungen, die Durch- den-Wörth, die auch heute noch eingleisig sind,
führung von Maßnahmen zur Erleichterung bestimm- nur zur Hälfte ihrer Leistungsfähigkeit ausgenützt
ter Verkehrsbeziehungen zu und in den Randgebie- waren und daher ein Bedürfnis für ihre zweiglei-
ten der Bundesrepublik und zu den Nachbarstaaten sige Wiederherstellung nicht bestand.
im Hinblick auf eine gedeihliche Einpassung in den
Wirtschaftsraum der Europäischen Wirtschaftsge- Dieser Sachverhalt ist auch heute noch gegeben,
meinschaft. wie mir die Bundesbahndirektion Mainz gerade
noch in den letzten Tagen an Ort und Stelle mit-
Im einzelnen ergibt sich die Reihenfolge der geteilt hat. Hinzu kommt, daß mit der Vollendung
Dringlichkeit aus dem Grad der Überlastung und der der Elektrifizierung der weiter nördlich gelege-
Unfallhäufigkeit auf der vorhandenen Straße oder nen Strecke Saarbrücken-Kaiserslautern-Neustadt
den Straßen im Zuge neuer oder alter Verkehrs- (Weinstraße)-Ludwigshafen — und zwar ist diese
beziehungen. Bei der Reihenfolge der Bauinangriff- Elektrifizierung im Frühjahr 1964 beendet — die
nahme ist außerdem der Stand der Vorarbeiten ein- Belastung der Strecke Zweibrücken-Landau-Karls-
schließlich des Grunderwerbs ausschlaggebend. In- ruhe noch geringer als bisher sein dürfte, weil die
folge der starken Beschränkung in den Mittelzuwei- Bundesbahn eine große Anzahl von Güterzügen auf
sungen können eine große Anzahl vordringlicher die andere Strecke verlegen wird. Aus diesen Grün-
Bauvorhaben 1963 nicht begonnen und andere nicht den ist seitens der Deutschen Bundesbahn auch
1963, wie vorgesehen, beendet werden. heute nicht beabsichtigt, die eingleisigen Strecken-
abschnitte wieder zweigleisig auszubauen. Wie
Vizepräsident Dr. Dehler: Nach der langen sich das im Zuge des Neuaufbaus des Industrie-
Antwort doch keine Zusatzfrage mehr?! zentrums im Raume Wörth-Karlsruhe in der Zu-
kunft entwickelt, ist jetzt noch nicht zu übersehen.

Kaffka (SPD) : Herr Minister, wird bei der Ver-


kehrszählung, die ja sicher mit zugrunde gelegt Vizepräsident Dr. Dehler: Herr Abgeordneter
wird, auch der verstärkt anfallende militärische Kaffka zu einer Zusatzfrage!
Verkehr in den Räumen berücksichtigt, wo Lager
und Depots der NATO stationiert sind? Kaffka (SPD) : Herr Minister, sind Sie nicht der
Ansicht, daß die geringere Benutzung dieser Bahn-
Dr. Ing. Seebohm, Bundesminister für Verkehr:
-
linie darauf zurückzuführen ist, daß die Verkehrs-
Jawohl, Herr Kollege. Deswegen bauen wir z. B. verbindungen so schlecht geworden sind?
auch die Umgehung Lauterecken ab diesem Jahr.
Dr. Ing. Seebohm, Bundesminister für Verkehr:
-

Vizepräsident Dr. Dehler: Herr Abgeordneter Herr Kollege, der Ansicht bin ich nicht. Ich habe das
Aigner! auch jetzt bei meinen verschiedenen Besprechungen
noch einmal festgestellt. Sicher könnten durch die
Fahrplangestaltung noch manche Verbesserungen im
Dr. Aigner (CDU/CSU) : Herr Minister, ist Ihnen Personenzugverkehr erfolgen. Das kann aber sicher
bekannt, daß zur Entwicklung förderungswürdiger ohne weiteres bei einer eingleisigen Strecke unter
Gebiete in der Bundesrepublik eine der wesentlich- den heutigen technischen Voraussetzungen mit der
sten Voraussetzungen die Verkehrserschließung ist, Indusi-Zugsicherung und neuen Signalanlagen ge-
und werden auch diese Momente bei Ihren Planun- schehen. Wir haben ja auf der Strecke Stuttgart-
gen berücksichtigt? Horb-Singen ähnliche Verhältnisse.
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 64. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. März 1963 2969

Vizepräsident Dr. Dehler: Ich rufe auf die daß die Vertragsbestimmungen für die alliierten
Frage VII/8 — des Herrn Abgeordneten Dröscher —: Streitkräfte entsprechend geändert werden?
Wie können die Verkehrsteilnehmer vor den Gefahren ge-
schützt werden, die sich dadurch ergeben, daß die Fahrzeuge der
ausländischen Streitkräfte ohne jegliche Radabdeckung unsere Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister für Verkehr:
öffentlichen Straßen benutzen? Herr Kollege, die Vertragsbestimmungen können
Bitte, Herr Minister! wir nicht ändern; denn sie sind ja ein ratifiziertes
Gesetz. Seine Änderung würde erhebliche Schwie-
Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister für Verkehr: rigkeiten verursachen. Aber man kann immerhin
Herr Kollege, auf Grund des Truppenvertrages vom — und nicht ohne Erfolg — auch bei den Streit-
26. Mai 1952 ist keine rechtliche Handhabe gegeben, kräften, die bei uns sind, durch begründete Vor-
die Einhaltung bestehender deutscher Vorschriften sprache und Bitten zu Ergebnissen gelangen. Das
für Radabdeckungen an Kraftfahrzeugen auch für die ist vorgesehen, sobald ich ihnen auf Grund der
Fahrzeuge der ausländischen Streitkräfte zu fordern. Versuche nachweisen kann, daß militärische Be-
Nach Art. 17 Abs. 5 Satz 2 des Vertrages über Rechte lastungen durch eine solche Maßnahme an den
und Pflichten ausländischer Streitkräfte und ihrer Fahrzeugen nicht eintreten.
Mitglieder in der Bundesrepublik Deutschland sind
Kraftfahrzeuge, die Eigentum der Streitkräfte oder Vizepräsident Dr. Dehler: Ich rufe die
ihrer Mitglieder sind oder von ihnen betrieben wer- Frage VII/9 — des Herrn Abgeordneten Felder —
den, von deutschen Gesetzen, Vorschriften oder poli- auf :
zeilichen Maßnahmen befreit, die Änderungen oder Ist dem Herrn Bundesverkehrsminister bekannt, daß im Last-
wagendirekt- und Transitverkehr zwischen der Bundesrepublik
Ergänzungen in dem Bau, der Ausführung oder Aus- und Österreich die Zeitdifferenz beim Sperrstundenbeginn zu
rüstung der Fahrzeuge erfordern würden, wie z. B. einem nicht unerheblichen Wagenstau an der Landesgrenze
(hauptsächlich am Autobahnübergang nach Salzburg) führt?
bei Erkennungszeichen, Warnsignalen, Bremsen, Be-
leuchtungs- und Richtungsanzeigern. Solange bei der Bitte, Herr Minister.
deutschen Bundeswehr die Versuche, ob an allen
Fahrzeugen die Anbringung und die Erhaltung von Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister für Verkehr:
wirksamen Radabdeckungen möglich sind, ohne daß Herr Präsident, darf ich mir erlauben, die Fragen 9
hierdurch die militärische Gebrauchsfähigkeit dieser und 10 gemeinsam zu beantworten?
geländegängigen Fahrzeuge eingeschränkt wird,
noch nicht abgeschlossen sind, ist es mir leider nicht Vizepräsident Dr. Dehler: Selbstverständlich.
möglich, mit begründeter Aussicht auf Erfolg den Ich rufe auch die Frage VII/10 — des Herrn Abge-
Versuch zu machen, für Fahrzeuge der ausländischen ordneten Felder — auf:
Streitkräfte die Anbringung von Radabdeckungen Ist der Herr Bundesverkehrsminister bereit, mit seinem öster-
auf freiwilliger Basis zu erbitten. reichischen Kollegen in Verhandlungen über einen gleichzeitigen
Sperrstundenbeginn einzutreten?

Vizepräsident Dr. Dehler: Eine Zusatzfrage Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister für Verkehr:
Herr Abgeordnete Dröscher.
Im Jahre 1962 befaßte sich die Europäische Kon-
ferenz der Verkehrsminister mit der Frage, ob die
Dröscher (SPD) : Herr Bundesminister, sind Sie Zeiten des Verkehrsverbots für Nutzfahrzeuge an
mit mir der Meinung, daß es eine nahezu unerträg- Sonn- und Feiertagen vereinheitlicht werden kön-
liche Belästigung bedeutet, insbesondere in den stark nen. Nach eingehenden Erhebungen bei den euro-
mit alliierten Truppen belegten Gebieten, daß der päischen Ländern über die Dauer des Sonntagsfahr-
Teilnehmer am öffentlichen Verkehr durch diese verbots empfahl der Rat der europäischen Verkehrs-
nicht geschützten Militärfahrzeuge ununterbrochen minister am 27. November 1962 das Verkehren
gefährdet wird? von Nutzfahrzeugen über ein von der jeweiligen
nationalen Gesetzgebung bestimmtes zulässiges Ge-
Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister für Verkehr: samtgewicht an Sonn- und Feiertagen zu verbieten,
Herr Kollege, selbstverständlich bin ich im Grunde soweit dies durch die wirtschaftlichen Erfordernisse
genommen Ihrer Ansicht. Aber ich bin auch der An- und die Eigenarten des Verkehrs gerechtfertigt ist.
sicht, daß das Militär eben besondere Rechte für Für Samstage empfahl der Ministerrat ein solches
sich in Anspruch nehmen kann, wenn es seinen be- Verbot nicht.
sonderen Zwecken dienlich ist. Daher die Versuche, Im übrigen vertrat die Europäische Verkehrs-
die ich bei unserer Bundeswehr erbeten habe. Ich ministerkonferenz die Auffassung, daß weder die
glaube, wenn die Versuche bei unserer Bundeswehr Verkehrssicherheit noch der Verkehrsfluß es ge-
entsprechend ausgehen, auch an die anderen Streit- biete, die Verbotszeiten in den verschiedenen Län-
kräfte auf unserem Boden herantreten zu können. dern zu koordinieren.
Ich bin nicht sicher, ob eine Anstauung von Last-
Vizepräsident Dr. Dehler: Zu einer weiteren kraftwagen durch die unterschiedlichen Zeiten des
Frage Herr Abgeordneter Dröscher. Verkehrsverbots verursacht wird. Dies dürfte viel-
mehr eher darauf zurückzuführen sein, daß sowohl
Dröscher (SPD) : Würden Sie, wenn bei der Bun- auf der 'deutschen als auch auf der österreichischen
deswehr die Dinge geklärt sind, bereit sein, un- Seite — übrigens auch auf der deutschen und der
mittelbare Versuche dahin gehend zu unternehmen, niederländischen Seite — die Zollabfertigung des
2970 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 64. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. März 1963

Bundesminister Dr.-Ing. Seebohm


gewerblichen Güterverkehrs an Samstagen nur bis sische Rundfunk nur mit einem Spitzengerät und
13.00 Uhr stattfindet. Infolgedessen stauen sich auf nur mit einer Antenne zum Preis von über 400 DM
beiden Seiten der Grenze 'die Fahrzeuge, die nicht empfangen werden kann, wenn kein Drahtfunk vor-
mehr rechtzeitig zur Zollabfertigung angekommen handen ist?
sind.
Über den Umfang solcher Stauungen bin ich im Dr. Steinmetz, Staatssekretär im Bundesmini-
Augenblick nicht zuverlässig unterrichtet. Diese sterium für das Post- und Fernmeldewesen: Herr
Frage lasse ich zur Zeit prüfen, ebenso die Frage, Abgeordneter, es ist uns bekannt, daß noch gewisse
mit welchen Mitteln ihnen abgeholfen werden Versorgungslücken in topographisch ungünstigen
könnte, etwa durch Anlegung von Parkplätzen. Gebieten bestehen. Die Sendeanlagen für den Ton-
Die Prüfung erfolgt gemeinsam mit der Bundeszoll- rundfunk mit Ausnahme derjenigen, über die die
verwaltung und in Ihrem Fall mit dem Bayerischen Programme des Deutschlandfunks und der Deut-
Staatsministerium 'des Innern. Sie ist noch nicht 'ab- schen Welle ausgestrahlt werden, sind Eigentum der
geschlossen. Ich werde mir erlauben, Ihnen, Herr Rundfunkanstalten und werden von ihnen betrie-
Kollege, nach Durchführung aller nötigen Erhebun- ben. Damit haben diese Anstalten auch primär die
gen schriftlich weitere Nachricht zukommen zu las- Verpflichtung, eine ausreichende Rundfunkversor-
sen. gung sicherzustellen und vorhandene Lücken zu
schließen.
Vizepräsident Dr. Dehler: Mit meinem Dank, Ich darf dennoch wiederholen, was ich soeben
Herr Minister, verbinde ich die bescheidene Bitte vorgetragen habe: Wir werden uns bemühen, diese
um Kürze der Antwort. vorübergehenden Schwierigkeiten durch ein länge-
Wunschgemäß rufe ich jetzt die Fragen aus dem res Aufrechterhalten des Drahtfunks in diesen Ge-
Geschäftsbereich des Bundesministers für das Post- bieten zu beseitigen.
und Fernmeldewesen auf, zuerst die Frage VIII/l —
des Herrn Abgeordneten Faller —: Vizepräsident Dr. Dehler: Eine weitere Zu-
Ist der Bundesregierung bekannt, daß die Deutsche Bundespost
die bewährte Einrichtung des sog. Drahtfunks — beispielsweise
satzfrage des Abgeordneten Faller.
im Bereich der Oberpostdirektion Freiburg — zum 30. Juni 1963
aufgeben will?

Bitte, Herr Staatssekretär! Faller (SPD) : Herr Staatssekretär, als Mitglied


des Post -und Fernmeldeausschusses darf ich Sie
nun noch fragen: Wie konnte es in einem technisch
Dr. Steinmetz, Staatssekretär im Bundesmini- so gut geführten Haus vorkommen, daß dem Ver-
sterium für das Post- und Fernmeldewesen: Ich darf
waltungsrat auf Fragen, ob diese Maßnahme den
mir erlauben, die beiden Fragen des Herrn Abge-
Empfang in den betreffenden Gebieten beeinträch-
ordneten Faller betreffend Drahtfunk zusammen zu
tige, mit Nein geantwortet wurde und daß nur dar-
beantworten.
aufhin dieser Beschluß gefaßt wurde?
Vizepräsident Dr. Dehler: Einverstanden. Ich
rufe also auch die Frage VIII/2 — des Herrn Abge- Dr. Steinmetz, Staatssekretär im Bundesmini-
ordneten Faller — auf: sterium für das Post- und Fernmeldewesen: Herr
Abgeordneter, ich glaube sagen zu können, daß
Ist der Bundesregierung bekannt, daß der Rundfunkempfang
in den Randgebieten bei Aufgabe des sog. Drahtfunks erheblich jener Beschluß nicht wegen einer so formulierten
erschwert, bei Besitzern älterer Geräte sogar fast unmöglich
wird? Antwort gefaßt worden ist. Es ist meines Wissens
sehr ausführlich über noch vorhandene Lücken ge-
Dr. Steinmetz, Staatssekretär im Bundesmini- sprochen worden.
streium für das Post- und Fernmeldewesen: Es trifft
zu, daß der Drahtfunk, der zur Zeit nur noch etwa
33 000 Teilnehmer hat — das sind 0,5 % der Rund- Vizepräsident Dr. Dehler: Ich rufe die von
funkteilnehmer —, wegen Unwirtschaftlichkeit zum dem Abgeordneten Lemper gestellte Frage VIII/3
1. Juni 1963 eingestellt werden wird. Zur Vermei- auf:
dung von Härten, die in Einzelfällen auftreten kön- Beabsichtigt die Bundesregierung, den Fortfall der Freifahrt für
Begleitpersonen Schwerkriegsbeschädigter bei der Deutschen
nen, wird jedoch geprüft, ob der Drahtfunk in den Bundespost aufrechtzuerhalten?
Gebieten, in denen eine ausreichende drahtlose
Rundfunkversorgung noch nicht besteht, für eine Dr. Steinmetz, Staatssekretär im Bundesmini-
gewisse Übergangszeit aufrechterhalten werden sterium für das Post- und Fernmeldewesen: Die Be-
kann. In diese Prüfung werden auch die Gebiete der
stimmungen über die gebührenfreie Beförderung
beiden Drahtfunknetzgruppen der Oberpostdirek- der Begleitpersonen von Schwerkriegsbeschädigten
tion Freiburg, Appenweier und Lörrach, einbezogen.
sind durch die Gebührenverordnung im Postreise-
dienst nicht geändert worden. Vielmehr werden wie
Vizepräsident Dr. Dehler: Zu einer Zusatz- bisher auf allen Kraftpostlinien Begleitpersonen von
frage Herr Abgeordneter Faller. Schwerkriegsbeschädigten, Schwerbeschädigten und
Blinden gebührenfrei befördert, wenn in den amt-
Faller (SPD) : Herr Staatssekretär, ist Ihnen be- lichen, von den Fürsorgestellen ausgegebenen
kannt, daß gerade in dem von Ihnen zuletzt genann- Schwerbeschädigtenausweisen die Notwendigkeit
ten Gebiet z. B. der Sender Stuttgart oder der Hes- der ständigen Begleitung anerkannt ist.
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 64. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. März 1963 2971
Staatssekretär Dr. Steinmetz
In der bisher geltenden Verordnung war bestimmt, Postbetrieb auf die Zustellung der Sendungen ein-
daß die Notwendigkeit einer Begleitung „nachge- gerichtet. Werden die Sendungen abgeholt, so wer-
wiesen" sein mußte. Die Art des Nachweises ist den zwar durch den Wegfall der Zustellung gewisse
durch Ausführungsbestimmung geregelt worden. postbetriebliche Leistungen gespart. Dafür entsteht
Diese Regelung wurde jetzt — materiell unverändert aber bei den meisten Postämtern eine Zweigleisig-
— in den Verordnungstext übernommen. keit in der Behandlung der Sendungen, die entge-
gen einer leider weitverbreiteten irrigen Meinung
Vizepräsident Dr. Dehler: Eine Zusatzfrage einen besonderen personellen und materiellen Auf-
wird nicht gestellt. wand erfordert und damit zum Teil sogar erhebliche
Mehrkosten verursacht. Zunächst einmal können die
Ich rufe die von dem Abgeordneten Lemper ge- Sendungen, die abgeholt werden, nicht wie die
stellte Frage VIII/4 auf: Masse der Sendungen bis zum Zusteller durch-
Hält es die Bundesregierung für richtig, daß auch in der Über-
gangszeit zur Einführung der neuen Postgebühren für im Orts- laufen, sondern sie müssen vorher ausgesondert
verkehr mit 0,10 DM freigemachte Postkarten (gedruckte Be- werden. Die Aussonderung ist besonders schwierig,
nachrichtigungen) eine Nachgebühr oder Strafporto in Höhe von
0,35 DM erhoben wird? wenn die Sendungen, wie in vielen Fällen, nicht als
Abholsendungen bezeichnet sind. Die ausgesonder-
Dr. Steinmetz, Staatssekretär im Bundesmini- ten Sendungen müssen sodann bereitgestellt und
sterium für das Post- und Fernmeldewesen: Die Ab- ausgehändigt werden. Aussonderung, Bereitstellung
sicht der Deutschen Bundespost, eine Reihe von Post- und Aussonderung erfordern zusätzliches Personal.
gebühren wegen der gestiegenen Kosten zu erhö- Die Bereitstellung der Sendungen zur Abholung er-
hen, ist seit Monaten bekannt und in der Öffentlich- fordert darüber hinaus aber auch noch zusätzlichen
keit lebhaft erörtert worden. Die Erhöhungen im Raum bei den Postämtern, der nicht anderweitig ge-
einzelnen sind am 26. Januar 1963 im Bundesanzei- nutzt werden kann, weil die Lagerflächen ständig für
ger verkündet worden und am 1. März 1963 in Kraft abzuholende Sendungen bereitgehalten werden müs-
getreten. Bereits am 31. Januar 1963 ist der Presse sen. Der für die Bereitstellung abzuholender Pakete
eine ausführliche Darstellung der Gebührenände- benötigte Raum ist naturgemäß besonders groß. Es
rung übersandt worden. Am 22. Februar 1963 sind wäre daher von der Deutschen Bundespost, die
der Presse nochmals die wichtigsten Änderungen nach wirtschaftlichen Grundsätzen zu arbeiten ge-
mit der Bitte um Veröffentlichung mitgeteilt wor- setzlich verpflichtet ist, nicht vertretbar, wenn die
den. Am gleichen Tag sind Presse, Rundfunk und durch die Abholung entstehenden besonderen per-
Fernsehen auch durch besondere Fernschreiben über sonellen und sächlichen Kosten durch eine entspre-
die Gebührenänderungen informiert worden. Presse, chende Gebühr nicht wenigstens teilweise gedeckt
I Rundfunk und Fernsehen haben die neuen Gebüh- würden.
rensätze der Öffentlichkeit auch zur Kenntnis ge- Diese Regelung gilt jedoch nur für regelmäßig zur
bracht. Abholung bereitgestellte Sendungen. In allen ande-
Leider läßt sich nicht sicherstellen, daß auch der ren Fällen, so z. B. wenn im Rahmen des allgemei-
letzte Postkunde bei Gebührenänderungen von den nen Kundendienstes, insbesondere bei Poststellen,
neuen Sätzen rechtzeitig Kenntnis nimmt. Erfah- Sendungen ohne Abholungserklärung auf Nachfrage
rungsgemäß ändert auch die Gewährung einer län- gelegentlich ausgehändigt werden, ist keine Gebühr
geren Übergangsfrist, als sie bei dieser Gebühren- zu erheben.
änderung gegeben war, hieran nichts.
Es mag sein, daß dies Wünschen von Einzelab-
holern, insbesondere auf dem flachen Lande, nicht
Vizepräsident Dr. Dehler: Eine Zusatzfrage immer genügt. Deshalb hat der Herr Bundespost-
wird nicht gestellt. minister bereits Anweisung zu einer weiteren Auf-
Ich rufe die von dem Abgeordneten Freiherrn von lockerung erteilt. Ohne Ihnen heute bereits kon-
Mühlen gestellte Frage VIII/5 auf: krete Angaben machen zu können, darf ich jedoch
versichern, daß bei einfachen und übersichtlichen
Ist der Herr Bundespostminister bereft, die Verordnung zur
Einführung von Gebühren für Post- und Paketabholer ab Platzverhältnissen und betrieblichen Gegebenheiten,
1. März 1963 (veröffentlicht im Amtsblatt Nr. 13 des Bundes-
ministers für das Post- und Fernmeldewesen) angesichts der vor allem bei den Poststellen I und II und den
großen Erbitterung, die diese Maßnahme bei allen Betroffenen kleineren Postämtern der Gruppen G bis L, eine
hervorgerufen hat, nochmals zu überprüfen bzw. zu ändern, zu-
mal es sich hier uni eine neue Gebührcnbelastung eines Kunden- gebührenfreie Einzelabholung ermöglicht werden
kreises der Deutschen Bundespost handelt, der durch Selbstab-
holung der Post- und Paketsendungen den Zustelldienst nicht wird.
belastet, sondern entlastet?
Vizepräsident Dr. Dehler: Eine Zusatzfrage,
Dr. Steinmetz, Staatssekretär im Bundesmini- Herr Abgeordneter von Mühlen!
sterium für das Post- und Fernmeldewesen: Eine die Freiherr von Mühlen (FDP) : Herr Staatssekre-
gleiche Materie betreffende Frage des Herrn Abge- tär, ist Ihnen bekannt, daß dem großen Kundenkreis
ordneten Junghans für die letzte Fragestunde ist der Post und den Selbstabholern diese von Ihnen
schriftlich beantwortet worden. Mit Genehmigung gegebenen, in vielen Punkten durchaus einleuchten-
des Herrn Präsidenten darf ich die schriftliche Ant- den Begründungen für die Einführung dieser zusätz-
wort, die in vollem Umfang auch für die Frage des lichen Gebühren völlig unbekannt geblieben sind
Herrn Abgeordneten von Mühlen gilt, vorlesen: und daß die Postkunden lediglich in einem kurzen
Da die Deutsche Bundespost verpflichtet ist, die hektographierten, im Weisungston gehaltenen
Sendungen den Empfängern zuzustellen, ist der Schreiben von dieser Maßnahme in Kenntnis gesetzt
2972 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 64. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. März 1963
Freiherr von Mühlen
wurden? Halten Sie es nicht für richtig, in Zukunft Abgeordneter, ich kann diese Ihre Frage uneinge-
solche Begründungen seitens des Ministeriums zu- schränkt mit Ja beantworten.
sammen mit der Veröffentlichung neuer Verordnun-
gen eindeutig und klar herauszubringen, damit die Vizepräsident Dr. Dehler: Eine Zusatzfrage
Postkunden das Gefühl haben, daß sie wirklich Kun- des Herrn Abgeordneten Dürr.
den der Post sind und dort nicht nur als Verwal-
tungsobjekte registriert werden? Dürr (FDP) : Herr Staatssekretär, ist es richtig,
daß z. B. ein Gewerbetreibender in der Lage ist, die
Dr. Steinmetz, Staatssekretär im Bundesmini- Abholgebühr dadurch zu umgehen, daß er sich nicht
sterium für das Post- und Fernmeldewesen: Herr mehr als Selbstabholer meldet, dafür aber seine
Abgeordneter, es ist mir bekannt, daß alle diese Lieferanten bittet, ihm die Pakete möglichst post-
Gründe und Ursachen für unsere, wie wir meinen, lagernd zu schicken?
berechtigten Maßnahmen nicht allen Abholern bis
zum letzten bekannt sind. Wir sorgen in diesen Dr. Steinmetz, Staatssekretär im Bundesmini-
Tagen dafür, daß sie bis zum letzten kleinen Ort des sterium für das Post- und Fernmeldewesen: Ich
Bundesgebietes bekanntwerden, und wir hoffen, daß möchte diese Möglichkeit nicht ausschließen.
wir damit auch auf etwas größeres Verständnis sto-
ßen werden.
Vizepräsident Dr. Dehler: Eine Zusatzfrage
des Herrn Abgeordneten Faller.
Vizepräsident Dr. Dehler: Herr von Mühlen,
eine weitere Zusatzfrage!
Faller (SPD) : Herr Staatssekretär, nach Ihrer
Freiherr von Mühlen (FDP) : Darf ich die An- Antwort muß ich Sie fragen: Wäre es dann nicht
regung geben ,in Zukunft solchen hektographierten ehrlicher gewesen, wenn die Bundespost diese Mög-
Schreiben wenigstens in kurzer Form die Begrün- lichkeit bezahlter Abholung gleich aufgehoben hätte
dung für neue Maßnahmen gleich hinzuzufügen, so — denn das ist ja der Sinn der Gebührenerhö-
daß es sich nachher erübrigt, in der Fragestunde des hung —?
Parlaments Begründungen herbeizuführen.
Dr. Steinmetz, Staatssekretär im Bundesmini-
Dr. Steinmetz, Staatssekretär im Bundesmini- sterium für das Post- und Fernmeldewesen: Ich bin
sterium für das Post- und Fernmeldewesen: Herr so ehrlich, zu sagen, daß ich Ihre Frage nicht ganz
Abgeordneter, ich danke Ihnen sehr. Wir werden verstehe. Bei Gebührenerhöhungen kann es sich ja
Ihre Anregung gern verwirklichen. nicht um Unehrlichkeiten handeln. Ich muß noch
einmal sagen, daß ich den Sinn Ihrer Frage nicht
Vizepräsident Dr. Dehler: Herr Abgeordneter verstehe.
Rademacher zu einer Zusatzfrage!
Vizepräsident Dr. Dehler: Wollen Sie bitte
Rademacher (FDP) : Herr Staatssekretär, können die Frage wiederholen, Herr Abgeordneter.
Sie jetzt schon übersehen, ob die Einführung dieser
sehr unbeliebten Abholgebühr zu einer erheblichen Faller (SPD) : Ich frage Sie nochmals, Herr Staats-
Einschränkung der Zahl der Abholer geführt hat? sekretär. Sie haben geantwortet, daß der Sinn der
Denn das ist ja doch wohl der Sinn Ihrer Maß- Maßnahme sei — so mußte ich Sie doch verste-
nahme. hen —, die Paketabholung gegen Gebühr langsam
ad absurdum zu führen. Deshalb frage ich, ob es
Dr. Steinmetz, Staatssekretär im Bundesmini- dann nicht ehrlicher gewesen wäre, diesen Sinn der
sterium für das Post- und Fernmeldewesen: Herr Maßnahme den Abholern sofort bekanntzugeben
Abgeordneter Rademacher, nach so kurzer Zeit kön- und sie nicht erst durch eine höhere Gebühr zu ver-
nen wir natürlich noch nicht feststellen, inwieweit anlassen, von der Selbstabholung Abstand zu neh-
das der Fall ist. Aber ich darf sehr offen ausspre- men.
chen: wir hoffen, daß sich die Zahl der Abholer ver-
ringert.
Dr. Steinmetz, Staatssekretär im Bundesmini-
sterium für das Post- und Fernmeldewesen: Ver-
Vizepräsident Dr. Dehler: Eine weitere Zu-
ehrter Herr Abgeordneter, ganz so einfach liegen
satzfrage des Herrn Abgeordneten Rademacher.
die Dinge nicht. Denn einmal hat der Postverwal-
tungsrat auf die Vorlage des Herrn Ministers diese
Rademacher (FDP) : Herr Staatssekretär, sind Maßnahme aus betrieblichen Gründen getroffen,
Sie bereit, in einer absehbaren Zeit hierüber eine zum anderen aber spielt dabei noch ein Punkt eine
Auskunft zu geben, damit man die Offentlichkeit wesentliche Rolle, nämlich der, daß die Paketgebühr
davon überzeugen kann, daß diese Maßnahme wirk- nur die Aufwendungen von der Auflieferung bis
lich einen Sinn gehabt und zu einer Rationalisie- zum Eingang in die Packkammer des Bestimmungs-
rung der Arbeit der Post geführt hat? amtes deckt. Für die besonderen Kosten am Bestim-
mungsort haben wir in unserer-Gebühr nichts drin.
Dr. Steinmetz, Staatssekretär im Bundesmini- Im übrigen gibt es selbstverständlich Gründe, die
sterium für das Post- und Fernmeldewesen: Herr wir als berechtigt anerkennen müssen, Pakete sel-
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 64. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. März 1963 2973
Staatssekretär Dr. Steinmetz
ber abzuholen. Diesen berechtigten Wünschen — Ich schließe die zweite und eröffne die
nicht nur auf dem flachen Land, sondern auch in Iden dritte Beratung.
großen Städten bei Großauflieferern — wollen wir
selbstverständlich Rechnung tragen. Wer dem Gesetzentwurf in dieser Fassung zustim-
men will, erhebe sich vom Platz. — Gegenprobe! —
Enthaltungen? — Das Gesetz ist einstimmig ange-
Vizepräsident Dr. Dehler: Ich danke Ihnen, nommen.
Herr Staatssekretär.
Es liegt ferner der Entschließungsantrag des Aus-
Damit sind wir am Ende der heutigen Frage- schusses unter B Nr. 2 vor. Wer diesem Entschlie-
stunde. ßungsantrag zustimmen will, gebe bitte das Hand-
Der Tagesordnungspunkt 2 — zweite und dritte zeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Eben-
Beratung des von den Abgeordneten Etzel, Brand, falls einstimmige Annahme.
Dr. Schmidt (Wuppertal), Wacher, Dr. Imle und den Der Tagesordnungspunkt 4 soll nach einer inter-
Fraktionen der CDU/CSU, FDP eingebrachten Ent- fraktionellen Vereinbarung am Freitag aufgerufen
wurfs eines Zwölften Gesetzes zur Änderung des werden.
Umsatzsteuergesetzes — soll nach einer interfrak- (Widerspruch.)
tionellen Vereinbarung heute nicht aufgerufen wer-
den. — So ist mir mitgeteilt worden.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 3 auf: (Abg. Rasner: Nein, das ist ein Irrtum!)
Zweite und dritte Beratung des von der Bun- — Das liegt mir schwarz auf weiß vor, und ich bin
desregierung eingebrachten Entwurfs eines ja sehr schriftgläubig. Er soll sofort aufgerufen
Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über werden?
die Finanzverwaltung, der Reichsabgabenord- (Abg. Rasner: Nein, wir bitten, den Punkt 6
nung und anderer Steuergesetze (Drucksache vorzuziehen, Herr Präsident!)
IV/352).
— Besteht eine Verständigung?
Schriftlicher Bericht des Finanzausschusses
(Widerspruch bei der SPD.)
(14. Ausschuß) (Drucksache IV/1005).
Der Schriftliche Bericht des Herrn Abgeordneten — Also Punkt 4 soll auf jeden Fall im Augenblick
nicht aufgerufen werden? — Doch? — Bestehen
Dr. Besold liegt vor. Ich danke dem Herrn Bericht-
Bedenken? — Bitte, Herr Kollege Rasner.
erstatter und gebe ihm das Wort zur Ergänzung des
Schriftlichen Berichts.
Rasner (CDU/CSU) : Herr Präsident! Meine Da-
men und Herren! Wir bitten, den Punkt 6 der Tages-
Dr. Besold (CDU/CSU) : Herr Präsident! Meine ordnung vorzuziehen. Ich glaube, daß die Begrün-
Damen und Herren! Ich berufe mich auf meinen dung der Vorlage nicht lange dauern wird. Spre-
Schriftlichen Bericht, muß aber den Antrag stellen, cher unserer Fraktion ist der Kollege Wilhelmi. Sie
daß in der Drucksache IV/1005 ein Fehler berichtigt wissen, daß gegenwärtig die Synode der Evange-
wird. Auf Seite 6 der Drucksache muß unter Arti- lischen Kirche tagt und daß der Herr Kollege Wil-
kel 2 das, was in Ziff. 1 a rechts steht, in Ziff. 1 b, helmi dort Vorsitzender des Rechtsausschusses ist.
andererseits das, was in Ziff. 1 b steht, in Ziff. 1 a 'Er hat den verständlichen Wunsch, sofort wieder
gebracht werden. nach Bethel zurückzufahren. Deswegen bitten wir,
diesen Punkt vorzuziehen.
Vizepräsident Dr. Dehler: Ziff. 1 a und Ziff. 1 b
werden also verschoben? Vizepräsident Dr. Dehler: Herr Dr. Mommer.

Dr. Mommer (SPD) : Herr Präsident! Meine Da-


Dr. Besold (CDU/CSU) : Müssen ausgetauscht men und Herren! Es ist uns immer eine Selbstver-
werden, ja. Das ist sehr wichtig, weil ,der Zeitpunkt ständlichkeit, auf solche Wünsche Rücksicht zu neh-
für das Inkrafttreten für beide Bestimmungen ver- men. Aber hier stehen zwei wahrscheinlich gleich-
schieden ist. wertige Bedürfnisse einander gegenüber. Einer unse-
rer Redner, der zum Flüchtlingsgesetz sprechen will,
muß ebenfalls weg, und zwar zu einer wichtigen
Vizepräsident Dr. Dehler: Ich danke dem Sitzung im Ausland. In diesem Konflikt würde ich
Herrn Berichterstatter. es für richtig halten, daß wir bei der Vereinbarung
Das Wort wird nicht gewünscht. Wir können in bleiben.
die Einzelberatung eintreten. Ich rufe auf: Art. 1, —
Art. 2 mit der Änderung, die der Herr Berichterstat- Vizepräsident Dr. Dehler: Da keine Verstän-
ter bekanntgegeben hat, daß die Ziffern 1 a und 1 b digung erzielt wird, rufe ich Punkt 4 der Tages-
ausgetauscht werden, — Art. 3, — Art. 4, — Art. 5, ordnung auf:
— Art. 6, — Art. 7, — Einleitung und Überschrift. Zweite und dritte Beratung des Entwurfs
— Wer zuzustimmen wünscht, gebe bitte Zeichen. eines Gesetzes zur Einschränkung des § 7 b
— Gegenprobe! — Enthaltungen? — Ich darf ein- des Einkommensteuergesetzes (Drucksachen
stimmige Annahme feststellen. IV/738, IV/342) ;
2974 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 64. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. März 1963
Vizepräsident Dr. Dehler
Schriftlicher Bericht des Finanzausschusses Es liegen die Anträge des Ausschusses vor —
(14. Ausschuß) (Drucksachen IV/1006, zu IV/ Ziffer 2 —, den Entschließungsantrag der Fraktion
1006) . der SPD für erledigt zu erklären und — Ziffer 3 —
Es liegt der Schriftliche Bericht des Finanzaus- den dort formulierten Entschließungsantrag anzu-
schusses vor, erstattet durch den Herrn Abgeord- nehmen. Kann gleichzeitig abgestimmt werden? —
neten Seuffert. Ich danke dem Herrn Abgeordneten. Wer den beiden Anträgen zustimmt, gebe bitte das
Keine Ergänzungen? — Keine Wortmeldungen? Zeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — -Ein-
stimmige Annahme des Entschließungsantrages un-
Wir können dann in die Einzelberatung eintreten. ter Ziffer 3.
Ich rufe auf Art. 1, — Art. 2, — Art. 3, — Einleitung
und Überschrift. — Wer zustimmen will, gebe bitte Ich rufe dann den Punkt 5 der Tagesordnung auf:
ein Zeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Erste Beratung des von der Fraktion der SPD
Einstimmige Annahme. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über
Ich schließe die zweite und eröffne die die Rechte der Flüchtlinge aus der sowjeti-
schen Besatzungszone und dem sowjetisch
dritte Beratung.
besetzten Sektor von Berlin (Flüchtlingsge-
Das Wort hat Herr Abgeordneter Seuffert. setz — F1G) (Drucksache IV/694).
Frau Abgeordnete Korspeter hat das Wort zur Be-
Seuffert (SPD) : Herr Präsident! Meine Damen gründung.
und Herren! Die Fraktion der Sozialdemokratischen
Partei begrüßt es, daß diese Gesetzesvorlage nach
einigen Mühen und Widerständen nun endlich zur Frau Korspeter (SPD) : Herr Präsident! Meine
Beschlußfassung durch das Haus kommt. Es ist der Herren und Damen! Meine Fraktion legt dem Hause
Beweis dafür, daß ausnahmsweise auch einmal eine mit Drucksache 694 einen Gesetzentwurf vor, der
Maßnahme durchgeführt werden kann, obwohl sie schon durch seinen Titel „Entwurf eines Gesetzes
in einer Regierungserklärung angekündigt worden über die Rechte der Flüchtlinge aus der sowjetischen
ist. Besatzungszone und dem sowjetisch besetzten Sektor
(Heiterkeit.) von Berlin" zum Ausdruck bringt, daß wir hierdurch
den gesamten Rechtsbereich für die Flüchtlinge zu-
Die Gesetzesvorlage suspendiert den § 7 b des sammenfassen wollen, eine Regelung, die sich un-
Einkommensteuergesetzes für die Zeit bis zum März seres Erachtens wegen der Zersplitterung des Flücht-
nächsten Jahres, also für eine Zeit, in der sich der lingsrechts als dringend notwendig herausgestellt
bestehende Überhang an Wohnungsbauten noch hat.
auswirken dürfte. Sie suspendiert ihn nicht für Ein-
familienhäuser, Eigentumswohnungen usw. Darüber hinaus sollen aber mit unserem Gesetz-
entwurf zwei Grundprobleme der Flüchtlingsgesetz-
Es ist aber nicht so, daß dieser Paragraph nur gebung neu geordnet werden. Einmal wollen wir die
zeitweilig außer Kraft gesetzt wird, sondern er wird Stellung der Flüchtlinge untereinander neu regeln,
wirklich „wegen Umbau geschlossen" oder, um es das heißt, mit der Kategorisierung in anerkannte
genauer zu sagen, er wird „abgerissen". Er soll in und nicht anerkannte Flüchtlinge soll Schluß ge-
dieser Form nicht mehr wiederkehren, jedenfalls macht werden, weil eine solche Praxis schon von
nicht außerhalb des Bereichs, der auch jetzt aus- jeher unendliche Härten und Schwierigkeiten mit
genommen worden ist — Einfamilienhäuser usw. —. sich brachte und weil sie keineswegs dem Schicksal
Darüber werden noch Überlegungen anzustellen der Flüchtlinge und auch der politischen Entwick-
sein. Der Entschließungsantrag, den der Finanzaus- lung in der Zone gerecht werden konnte. Zum an-
schuß vorlegt, ist in diesem Falle also fast wichtiger deren wollen wir die Gleichstellung der Flüchtlinge
als die Gesetzesvorlage selbst. mit den Heimatvertriebenen herbeiführen, weil un-
Die sozialdemokratische Fraktion begrüßt nicht seres Erachtens beide Gruppen hier in der Bundes-
nur die Gesetzesvorlage, sondern auch diese Ent- republik vom gleichen Schicksal betroffen sind und
schließung, insofern sie nunmehr anstelle der sich deshalb auch mit gleichen Maßstäben in der Gesetz-
schlecht auswirkenden und nicht mehr mit Gerech- gebung gewertet werden müssen.
tigkeit wirksamen Begünstigung des Häuserbauens Bevor ich auf die einzelnen politischen Schwer-
eine dauerhafte Regelung der steuerlichen Behand- punkte unseres Gesetzentwurfes eingehe, muß ich
lung des Hausbesitzes einschließlich aller ihrer Aus- einige Ausführungen zur Problematik unserer bis-
wirkungen auf Mietberechnungen usw. vorsieht. herigen Flüchtlingsgesetzgebung und der Entwick-
Wir sind deswegen froh, daß wir heute zu dieser lung machen, um allen unsere Zielsetzung verdeut-
Beschlußfassung kommen. lichen zu können.
Seit Kriegsende haben 10 Millionen Heimatver-
Vizepräsident Dr. Dehler: Keine weiteren triebene aus den Gebieten jenseits der Oder-Neiße-
Wortmeldungen. Wir kommen zur Schlußabstim- Linie und zirka 3,7 Millionen Flüchtlinge aus Mittel-
mung. Wer dem Gesetz in der vorliegenden Fassung deutschland hier in der Bundesrepublik ihre Auf-
zustimmt, erhebe sich. — Gegenprobe! — Enthal- nahme gefunden. Bei den Grundsätzen, die die bis-
tungen? — Ich stelle einstimmige Annahme fest. herige Gesetzgebung bestimmten, ging man davon
aus, allen Vertriebenen, auch den jetzt noch ständig
(Abg. Spies: Ich habe dagegen gestimmt!)
zu uns kommenden Spätaussiedlern, einen eindeuti-
— Abgeordneter Spies hat dagegen gestimmt. gen Status zu geben, nach dem jeder, der die Ver-
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 64. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. März 1963 2975
Frau Korspeter
treibungsgebiete verläßt, auch als Vertriebener an- Mauer in Berlin, nur noch wenige unter Todes-
erkannt wird und die ihm zustehenden Rechte und risiko entziehen können.
Vergünstigungen in Anspruch nehmen kann. Da- Damit sind also auch nach der Meinung des zustän-
gegen ging man bei den Deutschen, die aus der Zone digen Ministeriums alle, die zu uns gekommen sind,
in die Bundesrepublik flüchteten — zum Unterschied politische Flüchtlinge, die Jungen wie die Alten,
vom allgemeinen Vertriebenenschicksal als Massen- die Arbeiter wie die Angestellten und die Selb-
schicksal — vom Einzelschicksal aus, weil die An- ständigen. Sie sind Flüchtlinge, weil sie unter Zu-
sicht vorherrschte, daß die Flucht aus der Zone auf rücklassung der Heimat, des Besitzes und des Grund
Grund einer individuellen Entscheidung ausgelöst und Bodens, der Existenz und unter Zerreißung
worden sei. Diese Betrachtungsweise führte dazu, ihrer Familienbande unter dem Druck des Systems
daß die Fluchtgründe sowohl für die Aufnahme in eine Entscheidung für die Freiheit getroffen haben.
der Bundesrepublik durch das Notaufnahmegesetz
als auch für die Anerkennung als Sowjetzonenflücht- Das in der Vergangenheit von offiziellen Stellen
ling im engeren Sinne nach dem § 3 des Bundesver- gegen unsere Auffassung und unsere Versuche, eine
triebenengesetzes einer eingehenden individuellen Änderung des § 3 herbeizuführen, immer wieder be-
Bewertung unterzogen wurden. Nur der wurde als nutzte Argument der Sogwirkung ist damit unseres
Flüchtling anerkannt, von dem man meinte, daß Erachtens auch für die Vergangenheit offiziell und
seine Flucht aus Mitteldeutschland in einem engen amtlich widerlegt worden, eine Feststellung, die
Zusammenhang zu überdurchschnittlichen indivi- wir begrüßen; aber sie bleibt nur Theorie, wenn
duellen Verfolgungsmaßnahmen stand. Vom Flücht- wir nicht den Versuch unternehmen, daraus grund--
ling wurde verlangt — das schreibt der § 3 des Bun- sätzliche gesetzgeberische Konsequenzen zu ziehen.
desvertriebenengesetzes vor —, seine besondere (Zustimmung bei der SPD.)
Zwangslage, die ihn zur Flucht veranlaßt hatte, zu
Wenn wir in der öffentlichen Diskussion immer
beweisen.
wieder von den 3,7 Millionen Flüchtlingen sprechen,
Jeder von uns, der sich mit dieser Problematik die die Zone des Unrechts verlassen haben, wenn
beschäftigt hat, weiß, daß die den Antragstellern wir immer wieder diese Tatsache herausstellen, so
zugeschobene Beweislast in vielen Fällen zur Be- sind wir auch verpflichtet, diese Menschen als politi-
weisnot führte, die für den Flüchtling große Härten sche Flüchtlinge anzuerkennen, weil sie letzten
mit sich brachte und die ihn in vielen Fällen nach sei- Endes nur von dem Grundrecht Gebrauch gemacht
ner Flucht in die Freiheit an der Rechtsstaatlichkeit haben, das wir für uns in Anspruch nehmen und
der Bundesrepublik zweifeln ließ. Die Kluft, die durch das nach Entscheidungen des Bundesverfassungs-
die Bestimmung des § 3 zwischen den anerkannten gerichts auch für die Zonenbewohner geltendes
) und den nichtanerkannten Flüchtlingen aufgerissen Recht sein soll.
wurde, wiegt um so schwerer, weil wir niemals in Unser Entwurf wird dieser Sachlage gerecht, in-
der Lage waren, die zur Erlangung der Flüchtlings-
dem er allen Flüchtlingen, die nicht dem Zonen-
eigenschaft angegebenen Fluchtgründe einwandfrei
regime Vorschub geleistet oder sonst gegen die
zu überprüfen. Die Fragwürdigkeit der Überprü- Grundsätze unserer freiheitlichen, demokratischen
fung der Fluchtgründe wurde insbesondere im Hin-
Rechtsordnung verstoßen haben, den Flüchtlings-
blick auf den unbestimmten Rechtsbegriff der be-
status gewährt. Damit würden endlich die verschie-
sonderen Zwangslage immer wieder deutlich.
denen Kategorien von Flüchtlingen beseitigt, und
Nur aus der von jeher engherzigen Fassung des die Flüchtlinge würden untereinander gleichgestellt.
§ 3 des Bundesvertriebenengesetzes läßt es sich über- Damit würde aber auch erreicht, daß auf alle Flücht-
haupt erklären, daß von den 3,7 Millionen Flücht- linge die gleichen Betreuungsmaßnahmen Anwen-
lingen nur rund 700 000 die Anerkennung im en- dung finden können statt der bisher unterschied-
geren Sinne erhalten haben und daß auch mit den lichen und ungerechten Regelung, die fünf Sechstel
verschiedenen Novellierungen keine entscheiden der Flüchtlinge rechtlich und sozial schlechter stellt
Änderungen — etwa rückwirkend durch Zweitan- als das restliche eine Sechstel der anerkannten
träge — erreicht werden konnten. Flüchtlinge.
Während im Zweiten Abschnitt unseres Gesetz-
Wir sind immer der Meinung gewesen — die
entwurfs eine Reihe von Maßnahmen und Bestim-
Veröffentlichungen des Bundesministeriums für Ver-
mungen festgelegt ist, die voraussichtlich keine
triebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte im Bul-
grundsätzliche politische Auseinandersetzung her-
letin vom 12. September und 4. Oktober des ver-
vorrufen, wird im Dritten Abschnitt die Aufnahme
gangenen Jahres bestätigen die von uns ständig
von Deutschen aus dem sowjetischen Besatzungs-
vertretene Auffassung —, daß man diesen Flüchtlin-
gebiet neu geregelt. Obgleich die Praxis der Not-
gen, denen man den Charakter des politischen
aufnahme angesichts der Tatsache, daß zur Zeit
Flüchtlings abgesprochen hat, unrecht tat. Im Bulle-
alle Flüchtlinge unter Todesrisiko die Mauer über-
tin vom 12. September 1962 wird ausgeführt:
winden, dahin geht, selbstverständlich alle aufzu-
Die Flucht der 3,7 Millionen Deutschen aus der nehmen, erscheint doch gerade im Hinblick auf
sowjetischen Besatzungszone seit 1945 war zu diese Situation das Notaufnahmegesetz als völlig
keiner Zeit wesentlich durch wirtschaftliche wirklichkeitsfremd. Die von uns vorgeschlagene
Überlegungen der Flüchtlinge bestimmt. Sie Regelung berücksichtigt deshalb einerseits das allen
wichen vielmehr vor einem unerträglichen Deutschen nach Art. 11 des Grundgesetzes zuste-
Druck, dem sich nun, nach der Errichtung der hende Recht auf Freizügigkeit, andererseits aber
2976 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 64. Sitzung. Bann, Mittwoch, den 13. März 1963

Frau Korspeter
auch das berechtigte Interesse der Bundesrepublik steht und die nur nach Maßgabe der zur Verfügung
an der restlosen Erfassung von Personen, die in der stehenden Mittel gegeben werden können. Darüber
sowjetischen Besatzungszone beheimatet waren und hinaus sind den C-Flüchtlingen gegenüber den Ver-
in der Bundesrepublik ihren ständigen Aufenthalt tribenen weitere Rechte und Leistungen vorent-
nehmen. Unser Vorschlag ermöglicht es gleichzeitig, halten, .die sich auf die Schadensfeststellung und die
die Menschen, die zur Begründung ihres ersten Ausgleichsleistungen beziehen.
Wohnsitzes der öffentlichen Hilfe bedürfen, im Rah- Ich möchte auch der oft gehörten Argumentation
men eines geregelten Verfahrens auf die Länder und entgegentreten, daß eine rechtliche Gleichstellung
Gemeinden zu verteilen. Nach diesen Vorschlägen der Flüchtlinge mit den Vertriebenen unseren ge-
soll das Notaufnahmeverfahren in ein unbürokrati- samtdeutschen Interessen entgegenstehe und daß
sches Registrierverfahren mit einer Meldepflicht man aus dieser Haltung heraus die Flüchtlinge auf
umgewandelt werden. einen späteren gesamtdeutschen Gesetzgeber ver-
Der Sechste Abschnitt unseres Gesetzentwurfs be- trösten solle. Ebensowenig wie die Heimatvertrie-
handelt die rechtliche und soziale Gleichstellung benen durch die Einbeziehung in den Lastenaus-
der Flüchtlinge mit den Vertriebenen im Hinblick gleich auf die Rechte in der Heimat verzichtet ha-
auf die Schadenfeststellung und den Lastenaus- ben, wird der Flüchtling aus der sowjetisch besetz-
gleich. Dabei — ich muß es noch einmal wieder- ten Zone bei einer Gleichstellung mit den Heimat-
holen — gehen wir von der Erkenntnis aus, daß vertriebenen seine Rechte in .der Heimat aufgeben.
Flüchtlinge und Heimatvertriebene gemeinsam das Die Präambel des Lastenausgleichsgesetzes muß für
gleiche Schicksal tragen, das seine Ursachen in dem die Flüchtlinge die gleiche Bedeutung wie für die
Ausgang des Krieges und in der vorausgegangenen Vertriebenen haben.
politischen Entwicklung hat. Wir verweisen in die- Wir sind der Meinung, daß der Anspruch der
sem Zusammenhang erneut auf das Gutachten von Flüchtlinge auf volle Gleichstellung mit den Ver-
Herrn Professor Weber, Göttingen, das er vor der triebenen damit gerechtfertigt ist. Es geht jetzt nicht
Arbeitsgemeinschaft Deutscher Landwirte und mehr darum, wie es die Bundesregierung mit dem
Bauern abgegeben hat. Ich zitiere wörtlich: Flüchtlingshilfegesetz beabsichtigt, den Flüchtlingen
Das alles geschah und geschieht nach einem — übrigens auch nur wieder einem sehr kleinen
einheitlichen, wohlüberlegten Plan in einer ein- Teil von ihnen — nur Hilfen karitativen Charakters
heitlichen Aktion. Heimatvertriebene und zu geben. Vielmehr haben die Flüchtlinge einen An-
Zonenflüchtlinge sind hier in gleicher Weise spruch darauf, aus einem gleichen Schicksal her-
Opfer. Man kann die erste Ursache dieser aus die gleiche rechtliche und soziale Stellung in
Opfersituation in die militärische Niederlage der Gesetzgebung zu erhalten wie die Heimatver-
Deutschlands oder weiter noch in die Fehler triebenen.
und Verfehlungen der Politik Hitlers zurück- (Beifall bei der SPD.)
verlegen. Das ist im Ergebnis gleichgültig; an Herr Minister Mischnick, der zuständige Ressort-
der Einheitlichkeit des Ereignisses ändert sich minister, weiß sehr genau, daß die Flüchtlinge und
dadurch nichts, und jedenfalls sind alle Ein- ihre Verbände die Bestimmungen des Flüchtlings-
bußen, die der Vertriebenen wieder Sowjet- hilfegesetzes, das er vorzulegen beabsichtigt, nicht
zonenflüchtlinge, die unmittelbare Folge ein für ausreichend halten, ja, daß sie es ablehnen, und
und derselben Aktion, nämlich der Ausbreitung die Regierung sollte sich sehr genau überlegen, ob
des sowjetrussischen Macht- und Beherrschungs- sie einen Gesetzentwurf einbringen will, der auf
systems in das Gebiet der sogenannten Satel- die berechtigten- Wünsche und Hoffnungen dieses
litenstaaten und Deutschlands hinein bis zu der Personenkreises überhaupt keine Rücksicht nimmt.
Linie, für die die Bezeichnung „Eiserner Vor-
hang" gebräuchlich geworden ist. (Hört! Hört! bei der SPD.)
Dabei kommt Herr Professor Weber zu der Schluß- Der Gesetzgeber wird den Flüchtlingen nur gerecht,
folgerung, daß sich vor dem Forum der Gesetz- wenn er ihnen nicht mehr, aber auch nicht weniger
gebung eine unterschiedliche Behandlung in einer gibt als den Heimatvertriebenen. Aus diesem Geist
Besserstellung der Heimatvertriebenen einerseits heraus haben wir in unserer Gesetzgebung für die
und einer Benachteiligung der Flüchtlinge anderer- Schadensfeststellung vorgesehen, Flüchtinge
seits nicht vertreten läßt. Beide Gruppen hätten wobei wir gesetzestechnisch bewußt den Weg ge-
Heimat, Besitz und Existenz verloren und müßten gangen sind, die Feststellung der Schäden der
hier wieder eine neue Existenz aufbauen, beiden Flüchtlinge in das bereits bestehende Feststellungs-
Gruppen hätten, so sagt er, gleiche Rechte und Ver- gesetz für die Heimatvertriebenen hineinzuarbeiten.
günstigungen gewährt wenden müssen. Wir haben in unserem Gesetzentwurf ferner vor-
gesehen, den Flüchtlingen dieselben Entschädi-
Das. ist bisher nicht der Fall gewesen. Ich möchte gungsleistungen zu geben, wie sie die Vertriebenen
in diesem Zusammenhang gleichzeitig der oft, auch nach dem Lastenausgleichsgesetz erhalten.
von offizieller Seite, geäußerten Ansicht entgegen-
treten, daß die C Flüchtlinge den Heimatvertriebe-
- Es ist bekannt, daß ein in der vorigen Legislatur-
nen in den wesentlichen Punkten gleichgestellt periode beratenes Beweissicherungsgesetz insbeson-
seien. Auch die Flüchtlinge mit C-Ausweis erhalten dere deshalb nicht verabschiedet wurde, weil sich
keine Ausgleichsleistungen, sondern laut Härte- die Bundesregierung und auch die damalige Mehr-
fonds des Lastenausgleichs Beihilfen zur Milderung heit des Parlaments einer echten Schadensfeststel-
von Härten, Beihilfen, auf die kein Anspruch be- lung widersetzten und nicht bereit waren, den be-
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 64. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. März 1963 2977
Frau Korspeter
rechtigten Wünschen der Flüchtlinge Rechnung zu Aus gesamtdeutscher Sicht wurde in § 26 Zif-
tragen. fer 17 b bestimmt, daß der Auszahlungsbetrag der
(Hört! Hört! bei der SPD.) Hauptentschädigung, der auf 'Grund eines Zonen-
fluchtschadens zu leisten ist, bis auf eine spätere
Die Flüchtlinge haben das begrüßt. Sie haben es gesetzliche Regelung als zinsloses Darlehen gegeben
begrüßt, daß dieses Beweissicherungsgesetz nicht werden soll. Eine solche Regelung der Ansprüche
zum Zuge kam, da sie mit Recht eine Feststellung der Flüchtlinge im Rahmen des Lastenausgleichs-
ihrer Schäden in gleicher Weise und im gleichen gesetzes kann und darf selbstverständlich nicht zu
Umfang verlangen, wie sie den Vertriebenen ge- Lasten der Vertriebenen gehen. Deshalb muß hin-
währt wird. sichtlich der Finanzierung für die Flüchtlinge eine
neuer Weg gegangen werden. Die vorgesehene Bil-
Schon in der Regierungserklärung des Jahres 1961 dung eines Sonderfonds wird dieser Sachlage ge-
wurde den Flüchtlingen ein Beweissicherungsgesetz recht, indem die Finanzierung des vorgesehenen
oder ein Feststellungsgesetz in Aussicht gestellt. Wir Sonderfonds durch Haushaltsmittel des Bundes und
bedauern außerordentlich, daß man bis heute von der Länder festgelegt wird.
seiten der Regierung dem berechtigten Verlangen
der Flüchtlinge noch nicht nachgekommen ist, ja, daß Da die Auszahlung der Hauptentschädigung erst
laut Regierungserklärung von 1963 auch noch nicht in einigen Jahren anlaufen und sich dann ebenso
einmal über die Grundsätze entschieden wurde, in wie bei der Hauptentschädigung für Vertriebene bis
welcher Weise nun von seiten der Regierung vor- 1979 erstrecken wird, werden in den nächsten Jah-
gegangen werden soll. Die Regierungserklärung ren vor allem die Aufwendungen für Hausratsent-
brachte uns jedenfalls keine Klarstellung darüber, schädigung und Unterhaltshilfe einschließlich Ent-
was die Regierung beabsichtigt. Es ist ganz selbst- schädigungsrente ins Gewicht fallen. Die dafür und
für sonstige noch anfallenden Leistungen für Flücht-
verständlich, daß die Flüchtlinge über eine solche
linge in den nächsten Jahren aufzubringenden Mit-
Haltung aufs tiefste enttäuscht sind.
tel werden jedoch keinesfalls mehr Haushaltsmittel
Selbstverständlich sind wir uns der Schwierig- beanspruchen, als in den Haushalten des Bundes
keiten der gestellten Aufgabe bewußt. Auch wir und der Länder in den Jahren 1960 bis 1961 für die
wissen, daß die Feststellung der Schäden der Heimat- gesamten Betreuungs- und Eingliederungsmaßnah-
vertriebenen durch die Eindeutigkeit des Schadens- men der Flüchtlinge in Ansatz gebracht worden sind.
tatbestandes leichter durchzuführen war, als es an- Im Rahmen dieses Gesetzentwurfs war es noch
gesichts der Differenziertheit der Schadenstatbe- notwendig, eine Reihe von allgemeinen Regelungen
stände bei den Flüchtlingen möglich ist. Aber das festzulegen, und zusätzlich haben wir versucht, die
Problem wird schließlich nicht dadurch gelöst, daß Frage der Prüfungen und Befähigungsnachweise zu
ständig nur auf diese Schwierigkeiten hingewiesen lösen, die seit dem 8. Mai 1945 in der sowjetisch be-
wird. Im Gegenteil, man kann sich beinahe des Ein- setzten Zone abgelegt worden sind. Die augenblick-
drucks nicht erwehren, daß man mit einer solchen liche Praxis hat zu willkürlichen, oft nur von dem
Argumentation eigentlich die Lösung dieser Fragen Interesse an der Arbeitskraft abhängigen Maßnah-
auf die lange Bank zu schieben versucht. Wir hof- men geführt, bei denen die gesamtdeutschen Ge-
fen deshalb, daß dieser Abschnitt in unserem Ge- sichtspunkte nur geringe Berücksichtigung fanden.
setzentwurf eine gute Grundlage für unsere Bera-
tungen schafft, wobei wir — ich sage das ganz offen Schließlich erwies es sich noch als notwendig, in
und in aller Eindeutigkeit — selbstverständlich be- dem vorhandenen Bundesvertriebenen- und Flücht-
reit sind, uns in Einzelfragen durch einen besseren _ lingsgesetz die notwendigen Streichungen vorzu-
Sachverstand überzeugen zu lassen. Dabei möchte nehmen, um es zu einem reinen Vertriebenengesetz
ich aber sehr deutlich sagen: wir sind grundsätzlich zu machen.
der Meinung — davon lassen wir uns nicht abbrin- Wir sind uns dessen bewußt, daß wir mit der
gen —, daß sich die Feststellung der Schäden der Vorlage dieses Gesetzentwurfs eine Materie zu
Flüchtlinge zwangsläufig nach den Regeln und regeln versuchen, die — das geben wir zu — sicher
Grundsätzen des bisherigen Feststellungsgesetzes in ihrer Komplexheit schwierig, aber im Interesse
richten muß, d. h. daß der Zonenfluchtschaden und der Flüchtlinge notwendig ist. Wir alle wissen, daß
der Kriegssachschaden der Flüchtlinge in derselben sich unter den Flüchtlingen eine große Unruhe be-
Weise festgestellt und anerkannt werden muß wie merkbar gemacht hat, die darauf zurückzuführen ist,
der der Heimatvertriebenen. Uns war bei unseren daß sie sich ungerecht behandelt fühlen. Wenn im
Überlegungen völlig klar, daß, wenn wir auch eine „Flüchtlingsanzeiger", dem Presseorgan des Ge-
rechtliche Gleichstellung der Flüchtlinge mit den samtverbandes der Sowjetzonenflüchtlinge, von
Vertriebenen herbeiführen wollen, eine solche Fest- einem Mitglied des geschäftsführenden Vorstandes
stellung auf das Ziel, Ausgleichsleistungen zu ge- geschrieben wird:
währen, gerichtet sein müßte. Wir haben deshalb in Man kann eine rechtlich verschiedene Behand-
§ 26 unseres Entwurfs die Leistungen für die Flücht- lung im Schicksal gleicher Gruppen eine kurze
linge in das bestehende Lastenausgleichsgesetz ein- Übergangszeit vertreten. Die Verantwortlichen
geordnet, so daß den Flüchtlingen für den erlittenen müssen sich jedoch darüber klar sein, daß dieser
Zonenfluchtschaden einschließlich Kriegssachschaden Diskriminierung der Sowjetzonenflüchtlinge
und Sparerschaden ein Anspruch auf alle Entschädi- eine Grenze gesetzt ist, wenn nicht der Glaube
gungsleistungen zustehen soll. an die Gerechtigkeit und an den guten Willen
2978 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 64. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. März 1963

Frau Korspeter
der politischen Kräfte in der Bundesrepublik in in diesen Beratungen mit verwendet werden kön-
Verbitterung umschlagen soll ... nen. Wir werden also diese Dinge mit politischem
dann, meinen wir, sollte dieses Haus diese Äuße- Verstand und mit heißem Herzen bearbeiten; denn
rungen sehr ernst nehmen. Wir dürfen deshalb auch schließlich sehen wir ja in den Flüchtlingen — und
im Parlament einer Auseinandersetzung über diese hier spreche ich ausdrücklich für meine Fraktion —
Probleme — und, wie ich hoffe, einer Lösung dieser die unfreiwilligen Sendboten der Menschen drüben
Probleme — nicht ausweichen. in der Zone, denen unser heißes Mitgefühl durch
alle diese Jahre unvermindert gilt.
Schließlich darf dabei nicht übersehen werden,
daß der Beitrag der Sowjetzonenflüchtlinge für den Ich glaube, es ist aus den Ausführungen der Vor-
Wiederaufbau unserer Wirtschaft von unschätz- rednerin schon deutlich geworden, daß diese Fragen
barem Wert war und auch noch ist. Es wäre sicher nicht nur soziale, sondern in erster Linie politische
auf die Dauer ungerecht, wenn die Flüchtlinge zwar Fragen sind; denn schon die Besonderheit der Not
an allen Pflichten in der Bundesrepublik teilnehmen und der Hilfsbedürftigkeit dieser Menschen ist ja
müßten, aber, gemessen an den Rechten der Ver- politisch begründet, und so sind eine Reihe von
triebenen, benachteiligt würden. politischen Entscheidungen zu fällen. Schon die eine
Frage: Sollen die Flüchtlinge mit den Vertriebenen
(Sehr richtig! bei der SPD.)
gleichbehandelt oder gesondert betrachtet und be-
Wir sind selbstverständlich jederzeit bereit, jede handelt werden? — ist eine politische Frage. Ich
Anregung die von einer anderen Seite kommt, zu muß schon sagen — entschuldigen Sie —, daß in
prüfen und uns mit dieser Anregung auseinander- Ihrem Entwurf ein gewisser Widerspruch vorliegt.
zusetzen. Aber — ich möchte das zum Schluß sehr Einmal trennen Sie die Flüchtlinge von den Ver-
deutlich sagen — wir wären froh, wenn es zu einer triebenen, indem Sie sie aus dem Bundesvertrie-
gemeinsamen konstruktiven Zusammenarbeit mit benen- und Flüchtlingsgesetz heraus in ein beson-
dem Ziel käme, den Flüchtlingen und ihrem Schick- deres Flüchtlingsgesetz nehmen. Andererseits wol-
sal endlich gerecht zu werden. len Sie wieder, daß die Regelung der Probleme, die
Wir bitten, unseren Gesetzentwurf um seiner jetzt angegriffen werden sollen, im Feststellungs-
politischen Bedeutung willen dem Ausschuß für gesetz und im Lastenausgleichsgesetz gemeinsam
gesamtdeutsche und Berliner Fragen — federfüh- erfolgt. Man kann es nämlich theoretisch auch um-
rend — und zur Mitberatung dem Ausschuß für gekehrt machen. Man kann etwa sagen: Flüchtlinge
Heimatvertriebene, dem Ausschuß 'für den Lasten- und Vertriebene gehören, gerade wenn auf eine
ausgleich und dem Haushaltsausschuß zu überwei- Gleichstellung hingezielt wird, in e i n Gesetz, aber
sen. .die Besonderheit der Leistungen für die Flüchtlinge
(Beifall bei der SPD.) wird außerhalb des Lastenausgleichs und außerhalb
des Feststellungsgesetzes in parallelen Gesetzen
geregelt. Das ist eine Frage, über die wir uns unter-
Vizepräsident Dr. Dehler: Die Antragstellerin halten müssen.
hat ihren Entwurf begründet.
Über zwei Dinge muß man, glaube ich, noch eini-
Wir treten in die Beratung ein. Das Wort hat der ges sagen. Das eine ist die Frage der Notaufnahme
Herr Abgeordnete Eichelbaum. und der Flüchtlingsanerkennung. Frau Korspeter
sagte, die Notaufnahme sei heutzutage in ihrer
Durchführung „wirklichkeitsfremd". Ich darf viel-
Eichelbaum (CDU/CSU) : Herr Präsident! Meine
leicht in aller Höflichkeit daran erinnern, daß wir
Damen und Herren! Ich möchte am Anfang meiner
unter Vorsitz Ihres Kollegen Wehner im Winter
Ausführungen mich bei der Vorrednerin dafür
1961/62, also schon in der neuen Situation, im Not-
bedanken, daß sie das Anliegen, das sie vertreten aufnahmelager Marienfelde über diese Frage ver-
hat, so objektiv und so unpolemisch vertreten hat. handelt haben und bei uns der Eindruck entstehen
Das steht in einem geradezu erfreuenden Gegensatz mußte, als ob die Sozialdemokratische Partei die
zu manchen Äußerungen von Wahlkampfreden und Notaufnahme, wie sie dort von uns praktisch mit-
Wahlkampfartikeln. Ich kann mir manches, _ worauf erlebt und dann behandelt wurde, keineswegs als
ich vorbereitet war, Gott sei Dank ersparen. wirklichkeitsfremd betrachtet.
Für die Fraktion der CDU/CSU erkläre ich hier- Wir sind der Meinung, daß die Notaufnahme nicht
mit, .daß die Fraktion die Weiterbildung der Flücht- einfach in eine Registrierung verwandelt werden
lingsgesetzgebung bejaht. Es ist eine erwünschte könnte. Ich glaube, die Notaufnahme hat auch etwas
Gelegenheit, anläßlich dieses Gesetzentwurfs der Gutes darin, daß Beschlüsse, die auf Grund politi-
OpositnderchAusüeni scher Erwägungen zu fällen sind, eben nicht im Ein-
ernsthaft mit diesen Dingen zu befassen und die mannverfahren — gewissermaßen durch behördliche
Probleme wieder neu zu sehen und wieder neu zu Entscheidung —, sondern auf Grund von Ausschuß-
besprechen. Der Anruf zu einer gemeinsamen kon- und Kollegialbeschlüssen gefaßt werden. Das ist
struktiven Arbeit, den Sie, Frau Kollegin Korspeter, eine sachdienliche, bewährte Lösung der Angelegen-
am Schluß an uns gerichtet haben, wird von uns heit. Bloß wünschte ich dabei, daß es in dem An-
erwidert. Wir hoffen, daß dann auch die Regierung erkennungsverfahren ähnlich gemacht würde! Wenn
etwas Genaueres über die Einzelheiten ihrer Ent- es nach mir persönlich ginge, würde in der Notauf-
würfe mitteilen kann und daß die Gedanken der nahme auch schon über die Anerkennung entschie-
Regierungsentwürfe, vielleicht die Entwürfe selbst, den. Aber das ist leider nicht durchführbar.
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 64. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. März 1963 2979
Eichelbaum
Nun ist die Frage, wie Sie es mit der „Anerken- folgt — und das ist der Differenzpunkt bei unseren
nung" machen wollen. Sie haben gesagt, Frau Kol- Anschauungen —, wenn man mit Ihrem Gedanken
legin Korspeter, es soll keinen Unterschied mehr jeden aus Mitteldeutschland Herübergekommenen
zwischen anerkannten und nichtanerkannten Flücht- schon als einen Verdrängten und Vertriebenen an-
lingen geben. Nach Ihrem Gesetzentwurf wollen sieht, dann machen wir aus der mitteldeutschen
Sie aber ein Anerkennungsverfahren und einen An- Zone ein Vertreibungsgebiet, und das dürfen wir
erkennungsausweis beibehalten. Wir müssen uns aus politischen Gründen nicht tun.
also darüber unterhalten: Soll das Anerkennungs-
Um es so zu sagen: Wir setzen bei jedem Vertrie-
verfahren völlig abgeschafft werden, oder soll es,
benen voraus, daß er beseelt ist von dem Rückkehr-
wie es nach Ihrem Gesetzentwurf erscheint, in einer
willen. Darauf bauen wir unser Verlangen, die uns
entscheidenden Weise weitergebildet und reformiert entrissenen Gebiete wiederzubekommen. Entspre-
werden? Ich persönlich stehe auf dem Standpunkt —
chend setzen wir bei jedem Mittteldeutschen seinen
und ich glaube, auch die Regierung ist bereit, in die-
Ausharrewillen voraus. Darauf basiert unsere For-
sem Sinne zu verfahren —, daß wir durchaus noch
derung nach der Selbstbestimmung dieser Menschen
einmal sehen sollten, ob und wie das Anerkennungs-
auf Freiheit und Zugehörigkeit zu uns. Ausharre-
verfahren und die Formulierung der Anerkennungs-
wille ist ein Recht und eine Pflicht, und das Aner-
bedingungen weiterentwickelt werden können. Da-
kennungsverfahren ist ja im Grund weiter nichts
bei müßte auch festgestellt werden, ob das Verfah-
als eine Kontrolle im Interesse der Mitteldeutschen,
ren, wie S i e es jetzt vorschlagen, praktikabel ist.
ob der Betreffende die ihm durch Schicksal aufer-
Das ist eine Aufgabe für den Ausschuß.
legte Solidaritätspflicht seinen Mitmenschen gegen-
Vor anderthalb Jahren haben wir eine Novellie- über gewahrt hat oder ob er sich etwa an die
rung durchgeführt, deren Ergebnis Sie als völlig un- Unterdrücker dort herangedrängt oder sich diesem
befriedigend hingestellt haben. Nach meiner Unter- Schicksal ohne Not entzogen hat. Natürlich, das
richtung ist es noch gar nicht abschätzbar, wie sie Grundrecht der Freizügigkeit kann man niemandem
sich tatsächlich ausgewirkt hat, namentlich nachdem bestreiten, und wir sind auch mit der Bundesregie-
sich das Bundesverwaltungsgericht, dem ich dafür rung der Meinung, daß denen, die nicht als Flücht-
meine Reverenz erweise, den Anschauungen gegen- ling anerkannt werden konnten, soziale Hilfen in
über, die uns bei dieser Neuformulierung des § 3 einer Notlage gegeben werden müssen. Ich würde
bewegt haben, sehr verständnisvoll gezeigt hat. Das das nicht ohne weiteres ablehnen mit der sachlichen
wird ja auch nach unten weiterwirken. Schärfe, mit der Sie das getan haben.
Wir haben damals eine vierte Novelle verabschie- Das ist die eine Frage, über die wir uns unterhal-
det, in der ursprünglich daran gedacht war, auch die ten müssen, und ohne Zweifel ist das eine politische
Entscheidungen in erster Instanz gewissermaßen Frage. Wir sind uns einig, daß man dieses Aner-
kollegial zu machen und mit Sachverständigen zu kennungsverfahren weiterentwickeln kann. Nur feh-
unterstützen. Ich bedauere heute noch, daß uns die len uns noch Vorschläge, die uns das praktisch deut-
Länder auf diesem Wege nicht gefolgt sind. Es wäre lich machen. Eine weitere Frage ist einmal die von
für die Beruhigung unter den Flüchtlingen und für Ihnen gestellte, ob wir es überhaupt beibehalten
ihr Gefühl, gerecht behandelt zu werden, sicher ein müssen.
wichtiger Fortschritt gewesen.
Ein neuer Gedanke in diesem Gesetz ist das Pro-
Nun müssen wir natürlich fragen: Wollen Sie blem einer Entschädigung der Flüchtlinge. Wir sind
allen, die aus Mitteldeutschland herübergekommen darüber einig, glaube ich, daß eine Entschädigung in
sind, die Flüchtlingseigenschaft zuerkennen oder dem Sinne, daß der Entschädigte gewissermaßen
nicht? Natürlich dürfen wir das nicht von der Zahl seinen Verlust drüben als irreparabel hinnimmt und
aus beurteilen, sondern müssen es als politisches sich deshalb in Geldwert entschädigen läßt, wegen
Problem sehen. Ich bin schon der Meinung, daß, ihrer Auswirkung unmöglich ist. Wir können und
wenn man eine Definition in § 1 macht, in der der wollen vor dem In- und Ausland nichts tun, was uns
Flüchtling definiert wird als einer, der die Zone in Verdacht bringt, als ob wir die gewaltsam herge-
„verlassen hat", wir diesen Mann ja gar nicht mehr stellten Eigentumsverhältnisse drüben als gültig und
Flüchtling nennen könnten, sondern er eben jedenfalls unaufhebbar ansehen. Darum setzen Sie
schlechtweg ein Mitteldeutscher in der Bundesrepu- die praktische Auswirkung einer Entschädigung aus
blik wäre. und wollen dafür ein zinsloses Darlehen einführen.
Ich glaube, man müßte sehr ernst überlegen, ob es
Hier möchte ich ausdrücklich und mit Beifall zitie-
dann nicht richtiger wäre, wegen dieser Mißdeut-
ren den Professor Werner Weber aus Göttingen,
barkeit den Ausdruck „Entschädigung" überhaupt
dessen Ausführungen Sie ja auch beifällig zitiert
fallen zu lassen.
haben, der in demselben Vortrag erklärt hat: Wenn
die Flüchtlinge den Anspruch erheben, mit den Ver- Man sollte aber auch diese Frage nicht nur nega-
triebenen gleichbehandelt und ihnen gleichgestellt tiv beantworten, sondern sich sehr ernsthaft über-
zu werden, dann können sie das nur auf Grund legen: Was kann in dieser Richtung geschehen? Ich
eines Vergleichsmoments, nämlich des „Verdrängt- bin der Meinung, daß die Flüchtlinge, auch wenn
sein-Tatbestandes." Das bedeutet doch, daß eben sie jetzt nominell keine Entschädigung bekommen
nicht jeder herübergekommene Mitteldeutsche schon können, Ausgleichsleistungen für die Nachteile be-
damit ein Flüchtling ist, sondern daß er eben ein anspruchen können, die sie den Vertriebenen
Verdrängter, d. h. ein durch Zwang Herausgetrie- gegenüber dadurch haben, daß sie eben diesen An-
bener sein muß. Wenn man nämlich Ihrer Lesart spruch nicht erfüllt bekommen. Daraus folgt, daß
2980 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 64. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. März 1963

Eichelbaum
alle die, die durch Zwang . getrieben Heimat und Ich zeige sie hier nicht auf; denn ich will ja gerade
Eigentum verlassen mußten und die in ihrem Ver- das Gemeinsame als Ziel. Es gibt Probleme, bei
mögen, Betrieb, Geschäft oder Gut die Versorgung denen eine Einigkeit in diesem Hause von vorn-
ihres Alters gesichert hatten, mindestens dann — herein stillschweigend geradezu vorausgesetzt wird
und dann bestimmt — eine Hilfe brauchen, wenn — ich denke an das Gebiet der Wiedergutmachung—,
sie weder einen Rentenanspruch noch einen Pen- und es hat Gebiete gegeben und gibt Gebiete, wo
sionsanspruch haben und hier bloß auf die Unter- — Gott sei es geklagt — die Fraktionen aufein-
haltshilfe angewiesen sind. Ich bin der Meinung, anderprallen: in der Frage der Betreuung bestimm-
daß eine Ersatzkonstruktion geschaffen werden muß, ter Bevölkerungsschichten, die an diesem Aufein-
durch die sie denen, die als Vertriebene eine Ent- anderprallen und Aneinanderschlagen ganz be-
schädigungsrente bekommen, sozial gleichgestellt stimmt keineswegs interessiert sind. Ich würde
werden. Ob man das nun einen Vermögenszuschlag mich freuen, wenn wir in Zukunft Flüchtlingspolitik
oder eine Entschädigung für den entgangenen Nut- treiben könnten mit der Überschrift: „Ohne Partei-
zen nennen soll, darüber können wir uns unter- hader".
halten. (Beifall bei der CDU/CSU.)

Ich freue mich jedenfalls, daß ich von Regierungs-


Vizepräsident Schoettle: Das Wort hat der
seite gehört habe, daß man einen solchen Gedanken
Abgeordnete Schmidt (Kempten).
keineswegs ablehnt, sondern bereit ist, sich über -
seine Durchführbarkeit zu unterhalten, und daß die
Regierung selbst schon Pläne in dieser Richtung hat. Schmidt (Kempten) (FDP) : Herr Präsident! Meine
sehr geehrten Damen und Herren! Namens meiner
Um es noch einmal zu sagen: die vordringliche Fraktion begrüße ich die hier soeben von Frau Kol-
Aufgabe in der Flüchtlingsbetreuung ist, den früher legin Korspeter und Herrn Kollegen Eichelbaum ge-
selbständigen, nicht mehr arbeitsfähigen Menschen machten Ausführungen auf das wärmste und möchte
etwas zu geben, was sie vor sozialer Deklassierung beiden sehr herzlich dafür danken, daß heute eine
bewahrt. Ich glaube, dieser Pflicht kann sich die grundsätzliche Bereitschaft zur gemeinsamen Arbeit
Bundesrepublik nicht länger entziehen. an diesen Aufgaben zum Ausdruck kam.
Und nun zum Schluß! Die Flüchtlinge wissen, daß Meine Freude wäre allerdings noch größer, wenn
sie, wenn sie in die Bundesrepublik gekommen sind, diese Bereitschaft bereits im Jahre 1958 vorhanden
eine Luft der Freiheit atmen, die sie drüben nicht gewesen wäre, als wir Freien Demokraten einen
atmen durften, daß sie hier Arbeit und durch ihre Entwurf auf den Tisch des Hauses legten, der in
Arbeit einen vergleichbaren Wohlstand erreichen diese Richtung zielte und die Dinge anpacken wollte.
können.. Sie sollen für das, was sie als besondere Leider entwickelte sich nach drei Jahren daraus
Nachteile haben, Rechtens so gestellt werden, daß ein Gesetzentwurf, dem wir unsere Zustimmung
sie in gleicher Weise leben, wirken und existieren nicht mehr geben konnten, weil dieser Entwurf so
können wie die Menschen, die hier von Geburt an aussah, daß es besser war, kein Gesetz zu machen.
gelebt haben. Bei allen unseren Überlegungen ha- Da gebe ich der Frau Kollegin Korspeter vollkom-
ben wir hieran zu denken. Bei allen unseren Über- men recht, die vorhin von diesen Dingen sprach.
legungen haben wir auch daran zu denken: Was ist Ich glaube, eines darf hier gesagt werden. Wir
nützlich, dienlich und gut für die Menschen, die in Freien Demokraten können für uns in Anspruch
der Zone leben? Was müssen wir vermeiden, um nehmen, schon sehr zeitig auf die dringend not-
diesen Menschen nicht zu schaden, um ihren Wider- wendige Gleichstellung und auf die dringend not-
standswillen zu erhalten und zu kräftigen? wendige Beweissicherung hingewiesen zu haben.
Nun fällt es mir leicht, Frau Korspeter, am Schluß Wir können auch für uns in Anspruch nehmen, daß
eine Bemerkung anzufügen, von der ich anfangs das vorhin von Frau Kollegin Korspeter aus der
nicht wußte, ob sie in meine Rede passen würde. Regierungserklärung aufgegriffene Wort zu diesen
Fragen die Handschrift unseres FDP-Vertriebenen
(V o r sitz: Vizepräsident Schoettle.) ministers Wolfgang Mischnick trug. Bei dem, was
dazu in der Regierungserklärung stand, war — das
Meine Damen und Herren von der Sozialdemokrati- wurde jedem, der die Dinge kannte, sehr deutlich —
schen Partei, ich halte es für einen entscheidenden die Handschrift der FDP dabei. Ich komme nachher
Vorteil, daß Regierungsparteien und Opposition sich darauf zu sprechen, warum es etwas länger ge-
gefunden haben in der gemeinsamen Bejahung be- dauert hat, bis wir zu entsprechenden Gesetzesvor-
stimmter Grundprinzipien auf dem Gebiet der lagen seitens des Vertriebenenministers kommen.
Außenpolitik, auf dem Gebiet der Verteidigungs- Auch wir Freien Demokraten haben das sehr be-
politik und, was mich besonders bewegt und er- dauert. Aber es gibt nun einmal Dinge, die nicht
freut, auf dem Gebiete der Wiedervereinigungs- so leicht über die Bühne gehen können.
politik. Ich glaube, daß man nun den Wunsch aus-
sprechen sollte, zu prüfen, ob nicht die Beratung Nun etwas zu dem von der Fraktion der Sozial-
dieses Gesetzes dazu führen kann, daß wir auch demokratischen Partei vorgelegten Entwurf. Wir
auf dem mit der Wiedervereinigungspolitik so eng begrüßen aus unseren Gedanken und Initiativen,
zusammenhängenden Gebiet der Flüchtlingspolitik die ich erwähnt habe, diesen Entwurf. Wir begrü-
gemeinsame Grundlinien finden können. ßen vor allem die Fülle der darin enthaltenen grund-
sätzlichen Überlegungen und freuen uns, daß dar-
(Abg. Frau Korspeter: Ich danke Ihnen!) aus eine gewisse Weiterentwicklung der Gedanken
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 64. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. März 1963 2981

Schmidt (Kempten)
auch in der Fraktion der SPD zu ersehen ist. Aber Nun eine andere Frage, die Sie vorhin aufgewor-
eines scheint uns etwas weniger geeignet zu sein: fen haben und zu der selbstverständlich auch eini-
das ist die Form. Ich weiß nicht, meine Damen und ges zu sagen ist: Warum hat die Bundesregierung,
Herren, ob es sehr glücklich ist, die Regelung all warum hat der Bundesvertriebenenminister noch
der Fragen, die in diesem Zusammenhang auftau- kein solches Gesetz vorgelegt, wie es in der Regie-
chen und auf die wir in den Beratungen ja immer rungserklärung vorgesehen war? Auch wir be-
noch im einzelnen kommen werden, in die beste- dauern dies; das sage ich Ihnen ganz offen. Denn
hende Lastenausgleichsgesetzgebung einzubauen. wir haben diese Frage für eine der dringlichsten
Ich glaube, es sind doch zu viele Unterschiede vor- Fragen aus dem Gebiet der Kriegs- und der Nach-
handen — auf einige darf ich nachher zu sprechen kriegsfolgen in den letzten Jahren gehalten.
kommen —, die eine eigenständige Gesetzgebung Aber ist daran wirklich, wie so gern gesagt wird,
auf diesem Gebiet als besser erscheinen lassen. der Bundesvertriebenenminister oder die Bundes-
Wir glauben sogar, daß zwei Gesetze nötig sind, ein regierung schuld? Müssen wir nicht abwarten, und
Flüchtlingsgesetz, das die Fragen der Gleichstellung ist es für diese Gesetzesvorlagen nicht auch wichtig,
vor allen Dingen auf sozialem Gebiet regelt und
was in den Gott sei Dank in 14 Tagen stattfindenden
das eventuell später einmal durch Zusammenlegun-
Endberatungen der 16. Novelle entschieden werden
gen und durch Koordinierungen zu einem großen
wird? Bei der heute zutage tretenden Gemeinsamkeit
Gesetzeswerk werden kann, und ein Beweissiche-
kann ich mir vorstellen, daß wir hier eine sehr gute
rungs- und Feststellungsgesetz als eigenständiges
Lösung finden, die für den dann allerdings dringen-
Gesetz neben dem derzeitigen Lastenausgleichsge-
den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Gleich-
setz.
stellungsfrage maßgeblich sein dürfte. Außerdem ist
Denken Sie daran, daß wir allein 28 verschiedene es kein Geheimnis, daß der Entwurf des Flüchtlings-
nachweisbar vorhandene Verlustmöglichkeiten in gesetzes praktisch vorliegt und daß nur noch die Ver-
der Zone haben. Es gibt nun einmal auf Grund der abschiedung der 16. Novelle abgewartet werden muß,
jahrelangen Entwicklung des Zonenregimes völlig ferner daß der Vertriebenenminister in seinem Haus-
verschiedene Fakten. Es dürfte sehr schwer sein, halt bereits 90 Millionen DM für diese Gleichstel-
sie in einen echten Zusammenhang mit dem Lasten- lung eingesetzt hat. Es ist also ganz klar, daß die
ausgleichsgesetz zu bringen. Ich erinnere nur an Vorlage erfolgen soll. Wir hoffen, daß dieser Gesetz-
einige: Verluste aus der Zeit der Bomben- und entwurf im Laufe der nächsten Wochen vorliegen
Kriegseinwirkungen, die Kontensperrungen 1946, die wird. Wenige Monate später erwarten wir von der
Enteignungen in den ersten Monaten, die Boden- Bundesregierung allerdings auch das Beweissiche-
reform, die Kollektivierungen und die im Zusam-
rungs- oder Feststellungsgesetz.
menhang damit immer wieder neu auftauchenden
Gesetze, dann die verschiedenen Arten der Flucht Zu unseren eigenen Vorstellungen nur einige
unter Zurücklassung. All das sind zusammen 28 Tat- kurze Worte; denn ich kann auf das verweisen, was
bestände. Ob man sie durch Einbau in ein vor- von uns bereits 1958 zu diesen Fragen gesagt wurde.
handenes Gesetz besser regeln könnte, ist sehr Auch wir glauben, daß eines der vordringlichsten
fraglich. Wir glauben, daß ein eigenständiges Be- Probleme die von Herrn Kollegen Eichelbaum an-
weissicherungs- und Feststellungsgesetz hier besser geschnittene Versorgung oder Unterstützung der
wäre. früher selbständigen alten Menschen ist. Ich halte es
für unmöglich, daß wir Menschen, die sich ihre Exi-
Vizepräsident Schoettle: Gestatten Sie eine stenz selbst aufgebaut und sich eine Altersversor-
Zwischenfrage? gung geschaffen hatten und die nach 1945 nach der
Flucht zum Teil noch einmal anfingen, heute länger
Schmidt (Kempten) (FDP) : Bitte sehr! der Fürsorge oder Sozialhilfe überantworten müssen.
Wir glauben weiter, daß die bisher noch nicht fest
geregelte Einrichtungshilfe eine feste gesetzliche
Frau Korspeter (SPD) : Ich darf jetzt einmal die
Fundierung brauchen wird.
Frage an Sie stellen, Herr Kollege Schmidt: Was
meinen Sie nun eigentlich, ein Beweissicherungs- Wir glauben zum dritten, daß die Frage der Dar-
gesetz oder ein Feststellungsgesetz? lehen zur Schaffung von Wohnungseigentum, zur
Schaffung von neuen Existenzen so geregelt werden
Schmidt (Kempten) (FDP) : Beweissicherung und muß, daß hier keinerlei Unterschiede in der Behand-
Feststellung! lung der Sowjetzonenflüchtlinge und der Heimat-
vertriebenen mehr vorhanden sind.

Frau Korspeter (SPD) : Das sind zwei grund- Noch eines zu den vorhin auch schon von Frau Kol-
legend verschiedene Gesetze. legin Korspeter erwähnten Argumenten, die uns
manchmal wegen der politischen Bedeutung solcher
Gesetze entgegengehalten werden.
- Schmidt (Kempten) (FDP) : Beweissicherungs
oder Feststellungsgesetz; Ich gehe völlig mit Ihnen einig in der Meinung,
daß die Behauptung, die manchmal von gewissen
(Abg. Frau Korspeter: Was meinen Sie Seiten kommt, eine Gleichstellung der Sowjetzonen-
denn nun?) flüchtlinge würde eine Anerkennung der Mauer dar-
so ist es von uns im Jahre 1958 bereits einmal an- stellen oder die Wiedervereinigung verzögern und
geschnitten worden. vielleicht 'überhaupt unmöglich machen, bedeuten
2982 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 64. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. März 1963

Schmidt (Kempten)
würde, daß dieses Haus mit der Verabschiedung der dem anschließen, was meine beiden Vorredner ge-
Lastenausgleichsgesetze die Ansprüche auf die Ge- sagt haben — zu einer guten Zusammenarbeit kom-
biete östlich der Oder-Neiße-Linie bereits aufge- men werden.
geben hätte. Ich glaube, keiner von Ihnen, meine Noch ein Wort zur Ausschußüberweisung. Hier
Damen und Herren, hat das damals getan. Also soll allerdings sind wir Freien Demokraten nicht der
man heute nicht mit diesen Argumenten kommen, Meinung, daß der vorliegende Gesetzentwurf dem
wenn wir uns um die notwendigen Hilfen für die Gesamtdeutschen Ausschuß als federführendem Aus-
Flüchtlinge aus der Sowjetzone bemühen. schuß überwiesen werden sollte. Wir stellen den
(Sehr richtig! bei der FDP.) Antrag, den Entwurf dem Lastenausgleichsausschuß
— federführend —, dem Ausschuß für Heimatver-
Auch ein anderes Argument kommt immer ein-
triebene, dem Gesamtdeutschen Ausschuß und dem
mal wieder aus den bei uns ja vorhandenen Solidar-
Haushaltsausschuß zur Mitberatung zu überweisen.
begriffen heraus. Es kommt das Argument: „Diese
Menschen, die von drüben kommen, helfen ja kein (Beifall bei den Regierungsparteien.)
bißchen mit dazu, die Mittel aufzubringen, die nun
einmal notwendig sind." Diesen Kritikern sollte man Vizepräsident Schoettle: Das Wort hat der
entgegenhalten, daß erstens von den aus der Zone Herr Bundesminister für Vertriebene.
zu uns kommenden Brüdern und Schwestern 50 %
unter 24 Jahre alt sind, 50 % also Menschen sind,
die sehr viel und sehr Gutes für unsere gesamte
Mischnick, Bundesminister für Vertriebene,
Konzeption weiter leisten werden, und daß zweitens Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte: Herr Präsident!
interessanterweise die Alterspyramide bei dieser Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich darf
Gruppe Menschen sogar wesentlich günstiger ist als mich aus voller Überzeugung dem Dank der Frak-
bei allen anderen Gruppen unserer Bevölkerung. tionssprecher anschließen. Ich danke dafür, daß diese
Fragen, die nach meiner Überzeugung in der
(Sehr richtig bei der CDU/CSU.) Öffentlichkeit leider oft nicht die nötige Beachtung
Auch diese Sachverhalte sollte man ganz genau finden, hier in dieser sachlichen Form behandelt
sehen, und man sollte nicht glauben, mit den er- worden sind. Ich habe volles Verständnis dafür,
wähnten Argumenten berechtigte Forderungen bei- daß Vorschläge und Wünsche weiter als das gehen,
seite schieben zu können. was die Bundesregierung bisher tun konnte oder
(Sehr gut! bei der FDP.) an Überlegungen angestellt hat. Die Grundsatz-
haltung ist ja in den beiden Regierungserklärun-
Zum Schluß, meine Damen und Herren, nur noch gen zum Ausdruck gekommen, nämlich die soziale
etwas Grundsätzliches dazu. Ich glaube, wenn wir Gleichstellung der Sowjetzonenflüchtlinge gesetz-
an die Frage herangehen und sie gerecht lösen wol- geberisch voranzutreiben und darüber hinaus für
len, müssen wir uns darüber klar sein, daß es jedem die Vermögensverluste in der Zone eine Beweis-
Rechtsstaat, jedem sozialen Rechtsstaat eine Ver- sicherung oder Feststellung zu treffen. Ich darf zu
pflichtung ist, Menschen zu helfen, die aus Angst diesen Punkten anschließend noch ein paar weitere
um ihr Leben, um ihre Existenz, aus Gewissensnot Bemerkungen machen.
und anderen für den in Freiheit Lebenden nur zu
verständlichen Gründen alles zurücklassen und sich Zunächst darf ich darauf hinweisen, sehr verehrte
vertrauensvoll an ihn wenden. Jedem Rechtsstaat Frau Kollegin Korspeter, daß politische Argumente,
wird es zustehen, diesen Menschen zu helfen; dop- die hier zum Teil angeführt worden sind, von der
pelt und dreifach sogar aber sollte wohl unsere Ver- Bundesregierung selbstverständlich in aller Nüch-
pflichtung hier sein, da es sich ja um unsere Brüder ternheit geprüft werden müssen. Manches dieser
und Schwestern handelt, die durch eine geschicht- Argumente, das auf den ersten Blick nicht als so
liche und von uns nicht zu vertretende Situation in wichtig oder stichhaltig erscheint, muß von der Bun-
diese Lage gekommen sind, in die jeder von uns desregierung doch bis ins Letzte überdacht werden,
auch hätte kommen können, wenn er 1945 nicht zu- bevor man zu einer grundsätzlichen Entscheidung in
fällig woanders gewesen wäre. Das muß noch ein- diesem oder jenem Sinne kommen kann. Dabei
mal sehr deutlich gesagt werden. pflichte ich dem bei, was Sie ebenso wie der Kollege
Schmidt sagten, daß manche Argumente, die als po-
Deshalb glaube ich, daß wir in den nächsten Mo-
naten dieses Jahres die soziale Gleichstellung der litische Argumente genannt werden, nicht die Durch-
Sowjetzonenflüchtlinge mit den Vertriebenen und schlagskraft haben, die man ihnen gern geben
die Frage der Beweissicherung der gesamten Ver- möchte. Ich bitte zu bedenken, daß diese Fragen
mögensverluste und -schäden dringend behandeln nicht einfach vom Tisch gewischt werden können,
müssen. Bei der bisher festzustellenden grundsätz- sondern im Rahmen der Gesamtberatung bedacht
lichen Bereitschaft aller darf ja wohl mit einem werden müssen. Ich will hier nicht auf die Einzel-
positiven Ergebnis gerechnet werden. heiten eingehen.
Allerdings erwarten wir Freie Demokraten auch, Die Bundesregierung ist sich bewußt, daß die
daß die Bundesregierung nun gemäß der Regie- Wünsche der Verbände, die Wünsche der Vertreter
rungserklärung sobald wie möglich nach der Verab- der Sowjetzonenflüchtlinge, erheblich über das hin-
schiedung der 16. Novelle eigene Vorlagen — die ausgehen, was z. B. in dem unter dem Arbeitstitel
ja an sich vorhanden sind — auf den Tisch des Hau- — ich darf es so bezeichnen — Flüchtlingshilfegesetz
ses legt. Ich hoffe, daß wir dann — ich darf mich laufenden Entwurf vorgesehen und bereits mit den
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 64. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. März 1963 2983
Bundesminister Mischnick
Landesflüchtlingsverwaltungen und mit den Ver- Ihre Vorschläge gehen ja durch den Einbau in den
bänden in ersten Aussprachen beraten worden isst. Lastenausgleich — das ist von Ihnen dargelegt wor-
Auf der anderen Seite bitte ich auch Verständnis den — weiter als das, was hier vorgesehen ist.
dafür zu haben, daß der zuständige Minister sich (Abg. Frau Korspeter: Es klang so, Herr
in die Gesamtkonzeption einordnen muß, die die Minister!)
Bundesregierung hat und die auch vom Parlament
durch die Bewilligung der Mittel für die einzelnen — Dann bitte ich um Entschuldigung, wenn es so
Positionen im Haushalt jeweils gesetzt wird. Daß klang. Es ist eindeutig, daß die in Ihrem Gesetz-
jeder darum bemüht ist, einen möglichst großen entwurf enthaltenen Bemühungen darauf abgestellt
Anteil an dieser Gesamtposition für die Sachfragen sind, alle Rechte der Vertriebenen voll zu über-
zu erreichen, die er zu vertreten hat, ist selbstver- tragen. Ich habe dargelegt, daß Ihnen durch das
ständlich. Aber, meine sehr verehrten Damen und Flüchtlingshilfegesetz in erster Linie drei Positionen
Herren, vor allem meine verehrten Kollegen aus vorgeschlagen werden sollen und daß dafür die ent-
dem Kreis der Vertriebenen und Flüchtlinge, es ist sprechenden Mittel im Haushaltsplan bereitgestellt
worden sind.
notwendig, auch hier zu bedenken, daß nicht alles
aufeinmlgschkudaßwirschte Ich darf eine weiteres Kapitel als den zweiten
vorgehen müssen. großen Komplex, der in der Regierungserklärung
angekündigt ist und hier in der Debatte eine Rolle
Die Bereitstellung von 90 Millionen DM — wenn spielt, etwas ausführlicher behandeln. Es handelt
ich die Mittel für die Fortsetzung der Hausratshilfe sich um die Frage eines Beweissicherungs und Fest-
-

mit einbeziehe — hat ja den Sinn, für diesen Gesetz- stellungsgesetzes. In der Zwischenzeit ist dazu von
entwurf im Haushalt die finanziellen Voraussetzun- der Bundesregierung ein Grundsatzbeschluß gefaßt
gen zu eröffnen. Mit diesen 90 Millionen DM, die worden, und das Finanzministerium und das Ver-
der Haushaltsausschuß inzwischen qualifiziert ge- triebenenministerium sind, wie das auch beim
sperrt hat, sollen gewisse soziale Gleichstellungs- Lastenausgleich der Fall war, beauftragt worden,
maßnahmen in Angriff genommen werden. Insbe- gemeinsam die vom Kabinett festgelegten Grund-
sondere soll das vom Kollegen Eichelbaum genannte züge nunmehr in einen Referentenentwurf zu gießen.
und vom Kollegen Schmidt unterstrichene Petitum Der erste Referentenentwurf liegt vor und wird
durchgesetzt werden, den ehemals Selbständigen zwischen den Ressorts beraten.
unter den Sowjetzonenflüchtlingen eine Unterhalts-
hilfe zu gewähren. Ich will auf diesen Punkt nicht Ich darf Ihnen heute die Grundsätze dazu be-
im einzelnen eingehen. kanntgeben. Dabei möchte ich eines aufklären: Be-
weissicherung und Feststellung schließen sich nach
In diesem Zusammenhang darf ich die drei Auffassung der Bundesregierung nicht aus. Die Bun-
Schwerpunkte des Flüchtlingshilfegesetzes nennen: -desregierung denkt daran, ein Beweissicherungs
erstens die gesetzliche Regelung der Einrichtungs- und Feststellungsgesetz in der Richtung vorzulegen,
hilfe, zweitens die Frage der Unterhaltshilfe für ehe- daß die im Rahmen des Lastenausgleichs behandel-
mals Selbständige und drittens das Problem der ten Vermögensverluste auch im Rahmen dieses ge-
Darlehensgewährung zur Schaffung von Wohnungs- planten Gesetzes festgestellt werden sollen. Die
eigentum für Flüchtlinge. Bundesregierung denkt darüber hinaus aber daran,
die Dinge, die im Rahmen des Feststellungsgesetzes
Vizepräsident Schoettle: Herr Minister, ge- für die Heimatvertriebenen nicht festgestellt wer-
statten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordne- den, zu einer Beweissicherung zuzulassen, um aus
ten Korspeter? diesem Gesamtkomplex heraus gleichzeitig eine Art
Dokumentation des Schadens, des Vermögensent-
Mischnick, Bundesminister für Vertriebene, zuges, der in der Zone eingetreten ist, vorlegen zu
Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte: Ja, bitte. können. Die Bundesregierung will also nach den
bisherigen Grundsatzbeschlüssen beide Gesichts-
punkte berücksichtigen.
Frau Korspeter (SPD) : Herr Minister Mischnick,
ist Ihnen nicht klar, daß dieses Petitum durch unse- Die Skizze dieses Beweissicherungs- und Fest-
ren Vorschlag Ausgleichsleistungen zu gewähren stellungsgesetzes sieht nach dem Beschluß des Kabi-
und damit auch Entschädigungsrente für die früher netts etwa wie folgt aus:
Selbständigen zu zahlen, selbstverständlich in unse- Erstens. Gegenstand der Beweissicherung und
rem Gesetzentwurf enthalten ist? Ist Ihnen nicht Feststellung sollen Vermögensverluste sein, die im
klar, daß durch Ihre Bemerkung der Eindruck er- Bereich der sowjetischen Besatzungszone oder im
weckt werden könnte, in unserem Gesetzentwurf sei sowjetisch besetzten Sektor von Berlin eingetreten
dieses Petitum nicht enthalten? sind, sofern der Verlust beruht auf a) Enteignungen,
Beschlagnahmen oder ähnlichen Maßnahmen durch
Mischnick, Bundesminister für Vertriebene, die Besatzungsmacht oder die Zonenbehörden nach
Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte: Entschuldigen dem 8. Mai 1945, b) sonstigen zonentypischen
Sie, das war bestimmt nicht so gemeint, und ich bin Schäden, z. B. Zurücklassung von Vermögen durch
sicher, daß es auch wohl im allgemeinen nicht so Flucht, c) Kriegssachschäden im Sinne des Lasten-
verstanden worden ist. Ich bezweifelte nicht, daß ausgleichsgesetzes.
der SPD-Entwurf z. B. die Unterhaltshilfen für ehe- Zweitens. Es werden die Beweise für die auf diese
mals Selbständige enthält. Selbstverständlich, denn Art entstandenen Einbußen an beweglichen und un-
2984 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 64. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. März 1963
Bundesminister Mischnick
beweglichen Sachen, ferner z. B. an privatrechtlichen eigenen Gesetz zusammenzufassen, das Flüchtlings-
geldwerten Ansprüchen sowie an Anteilen an Kapi- hilfegesetz vielleicht als erste Stufe zu nehmen und
talgesellschaften gesichert. es dann weiter auszubauen, wobei ich ebenfalls der
Drittens. Das Verfahren soll auf Antrag durchge- Meinung 'bin, daß die Form der Zusammenfassung,
führt werden. die Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren
von der Sozialdemokratischen Partei, in Ihrem Ge-
Viertens. Die Beweissicherung und Feststellung setzentwurf vorsehen, nicht zweckmäßig ist. Man
erstreckt sich insbesondere auf a) den Vermögens- sollte das auseinandernehmen: einmal das Flücht-
bestand vor der Schädigung, b) die Ursache und den lingsgesetz — sei es vom sozialen Gesichtspunkt,
Zeitpunkt der Schädigung, c) den Umfang des Scha- sei es vom Grundsatz her 'gesehen —, auf der ande-
dens, d) die Elemente einer Schadensbewertung. ren Seite die Fragen der Beweissicherung und der
Fünftens. Als Beweismittel sollen zugelassen sein Feststellung.
Zeugen, Urkunden und Sachverständige. Noch ein paar Bemerkungen zu den einzelnen
Sechstens. Die Durchführung des Verfahrens ob- Beiträgen. Sehr verehrte Frau Kollegin Korspeter,
liegt den Feststellungsbehörden. Sie haben darauf hingewiesen, daß fünf Sechstel
der Zonenflüchtlinge nicht anerkannt seien und
Siebentens. Den Abschluß des Verfahrens soll der
demzufolge nur ein Sechstel den C Ausweis erhal-
Erlaß eines Bescheides bilden, der rechtsmittelfähig
-

ten hat. Man mußte Ihren Ausführungen entneh-


und jederzeit auf Grund neuer Beweise ergänzungs-
men, daß diese Zahl exakt berechnet ist. Ich darf
fähig sein soll.
Sie aber auf einen Irrtum aufmerksam machen.
Achtens. Das Verfahren soll für die Antragsteller Bis zum 31. Dezember 1962 sind bei 3,7 Millionen
kostenfrei sein. Die Frage der Tragung der Verwal- Flüchtlingen im Bundesgebiet insgesamt rund
tungskosten soll noch geprüft werden. 1 045 000 Anträge auf einen C-Ausweis gestellt
Das sind die Grundsätze, die für die Ausarbeitung worden. Von diesen Anträgen sind rund 537 000
des Referentenentwurfs durch das Kabinett festge- bewilligt worden. Das sind 51,4 %. In dieser Zahl
legt worden sind und die im Augenblick von den soll — vielleicht wird mich ein bayerischer Kollege
zunächst beauftragten beiden Ressorts beraten wer- darauf hinweisen — eine Unrichtigkeit für das
den, um die Paragraphierung vorzunehmen. Ich darf Land Bayern enthalten sein. Stellt sich heraus, daß
wiederholen, was dankenswerterweise von den die Beanstandung richtig ist, so würde der Anteil
Sprechern aller drei Fraktionen hier gesagt worden derjenigen, die 'den C-Ausweis erhalten haben,
ist, und das damit bestätigen: die Paragraphierung von 51,4 % auf etwa 52,5 % steigen. Ich will damit
ist schwieriger als bei dem Feststellungsgesetz für nur sagen, daß über die Hälfte der Antragsteller
die Heimatvertriebenen, weil die Schadenstatbe- den C-Ausweis erhalten haben. Das zur Situation
stände sehr unterschiedlich sind. einmal festzustellen, scheint mir durchaus notwen-
dig zu sein.
Ich darf Ihnen versichern, Frau Kollegin Kors-
peter, daß die Bundesregierung nicht daran denkt,
aus dieser Tatsache nun den Schluß zu ziehen, man Vizepräsident Schoettle: Herr Minister, ge-
habe Zeit mit der Vorlage des Gesetzes. Wir gehen statten Sie eine Frage? — Bitte, Frau Korspeter.
aber davon aus, daß es angesichts der komplizier-
ten Rechtsfragen, die in ihren Wirkungen ganz an- Frau Korspeter (SPD) : Herr Minister, sind Sie
ders sind als das Feststellungsgesetz für Heimat- nicht auch der Meinung, daß man von den 3,7 Mil-
vertriebene, besser ist, alle Tatbestände, soweit sie lionen Flüchtlingen ausgehen muß, wenn man die
überhaupt überschaubar sind, möglichst gründlich zu Zahl derer betrachtet, die den C-Ausweis bekom-
prüfen. Bitte vergessen sie nicht, daß der größere Teil men haben, und sind Sie nicht ebenfalls der Mei-
derjenigen, die einen Schaden erlitten haben oder nung, daß die enge Fassung des § 3 des Bundes-
erlitten haben könnten, nach wie vor in der Zone vertriebenengesetzes viele Flüchtlinge von vorn-
lebt. Ein Teil der nach diesem Gesetz Anspruchs- herein davon abgehalten hat, den Antrag auf Aus-
berechtigten lebt hier und ein Teil noch drüben in stellung des C-Ausweises zu stellen?
der Zone. Daraus entstehen für uns sehr schwierige
rechtliche Fragen. (Abg. Kuntscher: Das stimmt nicht!
Familienverband!)
Die Bundesregierung beabsichtigt, das Notauf-
nahmegesetz im Grundsatz beizubehalten, aber in
Mischnick, Bundesminister für Vertriebene,
der technischen Durchführung gewisse Überlegun-
Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte: Verehrte Frau
gen anzustellen und Modulationen vorzuneh-
Kollegin, ich will nicht ausschließen, daß vielleicht
men, um das Gesetz der Entwicklung der letz-
die Fassung des § 3 den einen oder anderen davon
ten Monate anzupassen. 'Ich denke dabei an die
abgehalten hat, den Antrag zu stellen. Ich bitte aber
Fragen, die dadurch aufgeworfen werden, 'daß sich
doch an die Zahl zu denken, die vorhin genannt
in den letzten Monaten Möglichkeiten einer ver-
wurde, nämlich daß 50 % der Flüchtlinge 24 Jahre
stärkten Familienzusammenführung ergeben haben.
und jünger sind. Da der Ausweis C erst mit dem
Besprechungen darüber sind im Gange.
16. Lebensjahr, wenn ich es jetzt richtig im Kopf
Lassen Sie mich zum Grundsatz des Gesetzent- habe, ausgestellt wird, sind bei einer Umrechnung
wurfs noch folgendes bemerken. Die Bundesregie- etwa 15 bis 18 % der Flüchtlinge automatisch von
rung prüft zur Zeit, ob es richtig ist, alles, was der Gewährung eines Ausweises ausgeschaltet, weil
mit dem Flüchtlingsrecht zusammenhängt, in einem sie zu jung sind. Das bedeutet, daß von diesen 3,7
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 64. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. März 1963 2985
Bundesminister Mischnick
Millionen etwa 500 000 bis 600 000 gar kein Recht Vizepräsident Schoettle: Das Wort hat der
haben, einen Antrag auf Ausstellung eines Auswei- Abgeordnete Wehner.
ses zu stellen. Ich möchte deshalb bitten, die Zahl
der ausgestellten C-Ausweise nicht mit der Gesamt-
Wehner (SPD) : Herr Präsident! Meine Damen
zahl von 3,7 Millionen zu vergleichen, sondern mit
und Herren! Nachdem der Herr Bundesminister hier
der Zahl derer, die nach dem Gesetz überhaupt in
einige interessante Ausführungen über Absichten
der Lage sind, den Antrag zu stellen. Dann bitte ich
des Kabinetts hinsichtlich der Beweissicherung und
wiederum zu vergleichen zwischen der Zahl der An-
der Beweisfeststellung gemacht hat, möchte ich nur
tragsteller und der Zahl der Bewilligungen. Dabei
noch einmal die Gelegenheit benützen, zu sagen:
ist immerhin festzustellen, daß die Zahl der Bewilli-
Die Stellung meiner politischen Freunde zu diesem
gungen bei über 50 % liegt.
Komplex war immer und wird auch bei der weiteren
Nun werden Sie sagen: Ja, aber die Ergänzungen Behandlung der Entwürfe, die wir nun wohl in ab-
und die Verbesserungen, die wir vorgenommen ha- sehbarer Zeit zu sehen bekommen werden, die sein,
ben, haben nicht den Erfolg gezeitigt, den man sich daß Folgerungen aus Beweissicherungen und aus
bei der Änderung des § 3 versprach. Ich darf auch Feststellungen nicht durch ein Gesetz ausgeschlossen
hier eine Zahl nennen. Nach dem Stand vom 31. De- werden dürfen. Wir haben uns damals gegen die
zember 1962 sind rund 37 000 Anträge neu einge- Art gewandt, in der mit einem Beweissicherungs-
gangen. Sie sehen es mir bitte nach, wenn ich die gesetz der Eindruck erweckt wurde, als sei das eine
Zahlen nicht bis auf die letzte Einerstelle nenne. wesentliche Maßnahme, die alle Flüchtlinge be- -
Von diesen rund 37 000 Anträgen wurden bei einer treffe, während dies in Wirklichkeit beinahe ein
erneuten Überprüfung rund 40 % positiv entschie- Messer ohne Heft war, dem dazu auch noch die
den. Es zeigt sich also, daß die Veränderung des Klinge fehlte.
§ 3 durchaus für die Antragsteller eine Verbesse- (Heiterkeit links. — Lachen bei der
rung gebracht hat. Es ist allerdings — das darf ich CDU/CSU.)
hinzufügen — landschaftlich sehr unterschiedlich. Im
Lande Schleswig-Holstein liegt z. B. der Bewilli- -- Na, Sie wissen, was das dann ist. — Insofern
gungsstand bei über 65 %, während er im Lande hoffen wir, daß man aus diesem Vorgang einiges
Bayern bei etwa 43 %, 44 % liegt. gelernt hat.
(Hört! Hört! bei der CDU/CSU.) Der Herr Minister war selber der Initiator eines
solchen Vorschlages, über den dann meine poli-
Hier ist festzustellen, daß es in den Ländern, die tischen Freunde und ich hinausgegangen sind, —
bisher einen niedrigeren Stand hinsichtlich der Aus- aber in Konsequenz dessen, was der Herr Minister,
stellung hatten, natürlich durch die Möglichkeit, der damals noch Abgeordneter war, in dieser Sache
neue Anträge zu stellen, zu einer höheren Bewilli- gewollt hat. Er wird also unsere Haltung wohl ver-
gung kommt als in den Ländern, die bisher schon stehen. Ich werde mich bei diesem Stand der Debatte
einen hohen Anteil hatten. und den drängenden anderen Punkten nicht sehr
ausführlich dazu äußern.
Weiterhin ist, um nur auf einzelne Punkte einzu-
gehen — ich will nicht zu allen Fragen Stellung Der Entwurf, den wir eingebracht haben und der
nehmen —, davon gesprochen worden, daß die ja für sich selber spricht, wird sicher bei einer sach-
Maßnahmen, die die Bundesregierung vorgesehen lichen Beratung eine brauchbare Grundlage für all
hat, von den Verbänden und Organisationen als die Gedanken hergeben, die im Zusammenhang mit
unzureichend angesehen werden. Daß ich das genau dieser Gesetzgebung aufzubringen sind von denen,
weiß, kann ich Ihnen durchaus bestätigen, Frau die sich um die Menschen Sorgen machen, die damit
Kollegin Korspeter. Aber genauso wie Sie, meine gemeint sind. Wenn nun jetzt diese oder jene Ein-
sehr verehrten Damen und Herren, die Sie mit die- zelheit kritisch betrachtet wird, so ist das ein gutes
sen Fragen zu tun haben, im Gespräch mit den Kol- Recht aller, die mit diesem Entwurf konfrontiert
legen aus dem Haushaltsausschuß immer wieder die werden.
übergeordneten Notwendigkeiten feststellen und
Wenn der Minister sozusagen schon ein Urteil
manche berechtigten Wünsche zurückstellen müs-
vorwegnimmt, daß unser Entwurf vielleicht nicht
sen, geht es dann im Gesamtrahmen des Kabinetts
zweckmäßig sei, wenn man an die von ihm ge-
auch dem Vertriebenenminister. Ich glaube, die De-
wünschte oder gedachte Grundteilung einer Flücht
batte, die wir heute geführt haben, wird mit dazu
lingsgesetzgebung denke, — nun, wir haben jeden-
beitragen, manche Schwierigkeiten in Einzelfragen
falls diesen Anfang gemacht. Wir können ja nicht
auszuräumen. Es ist für uns eine wertvolle Erkennt-
alles wissen, was in den Kabinetten und in den
nis, hier aus den Erklärungen festzustellen, daß im
Grundsatz übereinstimmend der Weg zur sozialen
Ressorts im einzelnen gesprochen wird. Wir nehmen
Gleichstellung bejaht wird, wenn auch von seiten
es gern auf uns, dann wenigstens das Rohmaterial
der sozialdemokratischen Fraktion verlangt wird, in geliefert zu haben, an dem andere sich dann nicht
rechtlicher Hinsicht einen Schritt weiterzugehen. nur entzünden, sondern als die wirklichen Bildner
Dieses gemeinsame Bemühen aller Fraktionen wird beweisen können.
dazu beitragen, daß die Bundesregierung möglichst (Beifall bei der SPD. —Lachen bei der
bald die angekündigten Gesetzentwürfe vorlegen CDU/CSU.)
kann.
Ich hoffe, daß wir dazu einen Grundstock mit gelie-
(Beifall bei den Regierungsparteien.) fert haben.
2986 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 64. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. März 1963
Wehner
Herr Minister, jetzt kein Streit über die Sache Organisatorischem unvermeidlich ist, für die große
mit den Prozenten! Ich denke, wir wollen da nicht Menge Menschen zu entbürokratisieren, die im
mit anderen wetteifern, die an Stelle von Argumen- eigenen Vaterland aus dem sowjetisch besetzten
ten — ich werfe Ihnen das nicht vor — häufig und inzwischen so scharf von uns getrennten Teil
Prozente setzen. Darüber könnte man wohl manches zu uns kommen oder zu uns zu kommen versuchen.
sagen. Was Sie meinten, ist mir verständlich. Sie Das war immer 'die wesentliche Sorge. Es ist dabei
wollen sagen: die Zahl derer, die keinen Ausweis immer darum gegangen, soweit wie möglich das
bekommen haben, ist nicht so groß, wie es erschei- Verständnis für die Menschen auch bei den unver-
nen muß, wenn man sie mit der Zahl der Flücht- meidlichen behördlichen Behandlungen wirken zu
linge überhaupt vergleicht. Gut, dann müßte man lassen. Darüber hat es manchmal unterschiedliche
hierüber weiter reden. Sachlich sind wir da wohl Auffassungen gegeben, und zwar — das möchte ich
jedenfalls nicht an einem Punkt, wo wir unverein- gerne unterstellen — nicht weil die einen weniger
bare Vorstellungen hätten. und die anderen mehr humanitär waren, sondern
weil es da verschiedene politische Gesichtspunkte
Aber ich möchte nicht alte Meinungsverschieden-
gab.
heiten aufbringen. Ich habe mit einem gewissen
Schmunzeln festgestellt, daß mein verehrter Kollege (Zurufe von der CDU/CSU.)
Eichelbaum seine Rede damit begann, daß er einen — Nun streiten wir uns doch nicht! Im Ausschuß für
Teil seiner Notizen wieder zu sich gesteckt hat, gesamtdeutsche und Berliner Fragen — es wird
weil er gefunden hat, daß bei der Begründung die- jetzt vielleicht anders, es würde mir sehr leid tun —-
ses Entwurfs die Kollegin Korspeter nicht das ge- streiten wir über eine solche Sache nicht, darüber
sagt hat, was sie nach seiner Meinung sagen würde. reden wir, bis wir einen Punkt gefunden haben,
(Abg. Eichelbaum: „Der Flüchtling" aus Ber an dem wir sagen können, daß wir entweder Dis-
lin. — Sie wissen! — Abg. Frau Korspeter: sens oder Übereinstimmung haben. Aber sachlich
Das hat doch damit nichts zu tun!) zeigen wir nicht mit den Fingern aufeinander. Ich
bin das so gewohnt, und ich denke, solange ich da-
— Ich gehöre in diesem Fall, muß ich sagen — man mit zu tun habe, behandeln wir die Fragen so und
wird schon allmählich grau in diesem Hause —, nicht anders.
nicht zu den heurigen Hasen, genauso wie Sie nicht. Es handelt sich um das schwierige Problem —
Wir werden nicht Einzelfälle oder Überspitzungen, und das ist auch aus den Reden meiner verehrten
die gelegentlich von 'dem oder jenem vorgebracht Vorredner hervorgegangen —: Kann man bei der
worden sind, unsererseits als maßgebend nehmen. Fortführung der Flüchtlingsgesetzgebung — und wir
Sie haben am Schluß — der Anfang war gut, das haben ja dazu in unserem Entwurf einen Versuch
Ende war auch gut — gemacht; der steht zur Kritik und zur Entscheidung
und vorher zur Beratung — einen Weg finden, bei
(Abg. Eichelbaum: Danke!)
dem die Menschen nicht darunter leiden, daß wir als
an alle appelliert, man sollte ohne Parteihader ver- Sprecher für Gesamtdeutschland bestimmte politi-
suchen, gemeinsame Grundlinien für die Behand- sche und Rechtsansprüche nicht aufgeben können
lung der Probleme, die für die Flüchtlinge anstehen, und dürfen? Darum geht es. Einiges ist bei Ihnen an-
zu finden. Ich denke, das sollte man praktisch bei geklungen. Dies ist ein Problem. Wir haben früher
der Behandlung dieses Entwurfs versuchen. Wir manchmal auch ringen müssen — das gebe ich zu;
sind offen für alle Erörterungen. Was wir nur nicht ich gebe es nicht nur zu, ich habe es auch immer
möchten, ist ein Auf-die-lange-Bank-Schieben. gesagt; ich denke da an den verehrten verstorbenen
(Beifall bei der SPD.) Kollegen Kaiser, als die großen Flüchtlingswellen
kamen — hinsichtlich dessen, was Sie heute hier
Insofern sind wir uns hoffentlich einig. Der Entwurf wieder aufgebracht haben, Herr Kollege Eichelbaum,
ist klar, auch für denjenigen, der an ihm etwas aus- hinsichtlich der Notwendigkeit, den Aushaltewillen
zusetzen hat oder der es sich anders denkt. Wir zu bekräftigen und die Rückkehrabsicht als Vor-
haben ja soeben gehört, daß der Minister sich man- aussetzung zu behandeln. Manche der Worte —
ches anders denkt. So dürfen wir hoffentlich die nehmen Sie mir das bitte nicht übel — sind ange-
Freude haben, ihn wieder in unserem Ausschuß sichts der inzwischen eingetretenen tatsächlichen
begrüßen zu können, dessen Mitglied er früher war, Verhältnisse — die schreckliche Mauer in Berlin,
diesmal als Minister; eine solche Rückkehr ist ehren- die Einpferchung der Menschen in der Zone, Ver-
haft. D a, meine ich, können wir wohl miteinander tiefung der Gräben, Stacheldrahtverhaue und Minen-
über diese Dinge reden. felder — doch wohl zu überdenken. Das, glaube
ich, müßten Sie ebenso tun, wie es seinerzeit der
Ich sagte, daß ich selber nicht alte Meinungsver-
frühere Minister für gesamtdeutsche Fragen, Kaiser,
schiedenheiten aufbringen will. Es hat ja immer be-
getan hat.
stimmte unterschiedliche Wertungen des Notauf-
nahmeverfahrens oder dessen, was sich daraus er- Ich habe ihn einmal erlebt, als er mecklenburgi-
gab oder dem zugrunde lag, gegeben. Das ist auch schen Bauern gegenübersaß und sagte: „Aber Sie
nicht schlimm. Aber man sollte die Unterschiede hätten doch dort weiter ausharren müssen." Einer
auch nicht verwischen. Dabei ist es, Herr Kollege hat ihm dann gesagt: „Ich kann und darf jetzt für
Eichelbaum, wenn man das Wesentliche sagen will, uns alle sprechen, Herr Minister; meine Familie
immer darum gegangen, das, was für die Behand- hatte diesen Hof 400 Jahre in fortwährender Folge,
lung eines solchen Phänomens an Staatlichem und glauben Sie, ich wäre von ihm gegangen, wenn ich
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 64. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. März 1963 2987
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nicht durch die Verhältnisse gezwungen worden zugehen. Nun bitte ich Sie herzlich, Herr Kollege
wäre?" Eichelbaum, lassen wir doch das so, wie es wirklich
Da finden wir uns wahrscheinlich. Wir werden ist! Bei den Überlegungen, die wir hatten, ist e s
uns mit dieser Veränderung, mit dieser schreck- immer um das auch unter diesen Verhältnissen un-
lichen Verschlimmerung der Verhältnisse, unter vermeidliche und notwendige Maß von Sicherung
denen die Menschen dort zu leben haben, näher gegenüber Personen gegangen, die — sagen wir es
befassen. Ich glaube nicht, daß wir in diesem Punkt einmal vorsichtig — die Flüchtlingseigenschaft für
bleibende Meinungsverschiedenheiten haben werden. andere Zwecke mißbrauchen wollen oder sogar sol-
Es geht darum, sich um die Menschen zu kümmern, len, weil sie einen Auftrag haben; das gibt es selbst
so wie sie sind, so wie sie zu uns haben kommen unter denen, die dramatische Fluchtumstände aufzu-
können und zu uns haben kommen müssen ohne all weisen haben. Nichts wird von unserer Seite abge-
das, was Menschen sonst sich in ihrem Leben zu- lehnt oder unmöglich gemacht werden, was dieser
sammengespart und erarbeitet haben, und auch wie unvermeidlichen Sicherung dient. Aber das heißt
dieses Schicksal sie getroffen hat. Da ist ein Punkt, doch nicht, daß man unter den Umständen, unter
in dem ich ganz empfindlich bin. Heute macht die denen heute eine Flucht möglich ist, einfach fort-
ganze Sache mit den Flüchtlingen ja nicht mehr fährt, als wäre fast nichts geschehen, außer den
Zeitungs- und Fundfunknachrichten aus; denn auf entsprechenden Einsparungen im Beamten-, Ange-
der anderen Seite hat es Änderungen in einer Weise stellten- und Mitarbeiterstab, der ja vom zuständigen
gegeben, daß Vergleiche nicht mehr so möglich sind. Ministerium für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegs-
Wir dürfen nicht auf der einen Seite erklären, daß geschädigte in, soviel ich beurteilen kann, sauberer
jenes System drüben, unter dem die Menschen in Weise behandelt wird, so daß man sagen kann, hier
dem anderen Drittel unseres Vaterlandes leben ist nichts versäumt worden. Wir sind darüber auch
müssen, ein eigentlich unerträgliches System ist, immer auf dem laufenden gehalten worden.
und auf der anderen Seite von den Menschen, die zu
uns gekommen sind und zu uns kommen, sogar Aber wir sollten wohl einen Schritt weiter in Rich-
wenn sie Mauerspringer sind, erst noch einmal im tung dessen tun, was Sie Flüchtlingsgesetzgebung
Einzelfall den Beweis verlangen, daß es für sie nennen. Und wenn es dann noch Unterschiede gibt,
drüben tatsächlich unerträglich gewesen sei. Diese nun gut, lassen Sie die uns klar finden und, wenn
Diskrepanz finde ich unerträglich: auf der einen es geht, zum Wohle aller Betroffenen den besten
Seite unsere Feststellung, was ein System, wie es Weg wählen. Wir sind nicht ehrgeizig, aber wir
dort herrscht — vermischt sogar mit der Fremd- glauben, daß unser Entwurf vieles dessen, was dafür
herrschaft —, für die Menschen, die unter ihm notwendig ist, in sich hat.
leben müssen, bedeutet, und auf der anderen Seite Nun darf ich noch ein Wort über die Ausschuß-
müssen diejenigen, denen es geglückt ist, zu uns zu überweisung sagen, auch wenn es komisch wirkt,
kommen, und die unsere Hilfe in Anspruch nehmen daß ich das sozusagen in eigener Sache tue. Der
müssen — denn anders kommen sie nicht weiter, Kollege Schmidt von der FDP hat ja gesagt, daß Sie
und wir haben die Pflicht, ihnen zu helfen; darüber hinsichtlich der Ausschußüberweisung anderer Auf-
gibt es überhaupt keinen Streit —, im einzelnen Fall, fassung sind. Ich würde sagen — entschuldigen Sie
so kann man es spitz sagen, faktisch immer noch be- diese Sentimentalität —: es täte mir leid, wenn
weisen, daß es für sie unerträglich geworden sei. damit zum erstenmal in diesem Hause seit dem
Das ist der Punkt. Jahre 1949 ein Gesetzentwurf von solcher politischer
Der Bundeskanzler hat in einem anderen Zusam- gesamtdeutscher Tragweite von einem anderen Aus-
menhang, in einer Regierungserklärung vom Okto- schuß als dem Ausschuß für gesamtdeutsche und
ber, in bezug auf die Menschen, die in der Zone le- Berliner Fragen federführend behandelt würde. Ich
ben und gezwungen sind, dort zu leben, und in be- würde darin eine andere Art des Herangehens an
zug auf die Möglichkeiten, deren Lebensverhältnisse, die Behandlung dieser Fragen erkennen müssen. Ich
wenn es ginge, im Sinne der Schaffung freiheitliche- halte es nach wie vor für berechtigt, daß dieser
rer Verhältnisse zu bessern, gesagt, da ließen wir, Ausschuß mit dem vorliegenden Entwurf feder-
weil es uns so wichtig sei, über manches mit uns führend befaßt wird, weil es sich zweifellos um
reden. Nun möchte ich sagen: wenn es sich um die Probleme handelt, die für den Zusammenhalt unseres
Opfer der Spaltung unseres Landes und jenes Sy- Volkes, ungeachtet der Spaltung, wesentlich sind.
stems handelt, soweit sie zu uns haben gelangen Da gibt es politische Gesichtspunkte, die nicht ein-
können, müssen wir nicht nur mit uns reden lassen, fach beiseite gelassen werden sollten. Es würde mir
sondern müssen das, was wir tun können, was in un- leid tun, würde man von der bisherigen Übung
abweichen. Ich will damit nicht sagen, andere Aus-
seren Kräften steht, auch tatsächlich tun, und wir
schüsse hätten nicht ihre Aufgaben. Jeder, der mit
können es auch tun. Daran werden uns unübersteig-
diesem Ausschuß zu tun gehabt hat, weiß, daß jede
bare Meinungsverschiedenheiten sicher nicht hindern
Meinung eines mitberatenden Ausschusses sorg-
können.
fältigst behandelt wird. Das wird in anderen Fällen
Sie haben daran erinnert, daß wir verschiedent- auch so sein. Aber wenn dieser Ausschuß mitbera-
lich, auch in den späteren Zeiten, nach der Errich- tend wäre, so wäre das nicht die richtige Reihen-
tung der Mauer, in Marienfelde versucht haben, uns folge. Weil es sich um wesentliche politische Ge-
selbst einen Eindruck von den Umständen zu ver- sichtspunkte handelt, sollte man auch diesen Gesetz-
schaffen, unter denen die Menschen schließlich die- entwurf dem Ausschuß für gesamtdeutsche und
sen Entschluß faßten, selbst bei riesigem Risiko weg- Berliner Fragen überweisen. Die Entscheidung muß
2988 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 64. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. März 1963

Wehner
ich zwar Ihrem Urteil überlassen. Ich möchte Sie sich der Öffentlichkeit infolge tendenziöser und
aber herzlich bitten, in diesem Fall nicht von einer irreführender Erfolgsberichte und Zahlenspiele dar-
alten Übung abzugehen. Vielleicht würde sogar der stellt. Hier liegt noch manches im argen, und wir
Minister, dessen Fraktion diesen Antrag gestellt hat, werden auch hierüber in diesem Bundestag bei
als ein ehemaliger Angehöriger dieses Ausschusses, anderer Gelegenheit eingehend zu reden haben.
wo er selber als Abgeordneter in dieser Richtung Von diesen berechtigten Forderungen soll und darf
Initiativen gestartet hat, finden, daß es nicht ungut deshalb auch nichts beiseite gedrückt werden. Des-
wäre, diesen Ausschuß auch diesmal politisch mit der wegen ist aber im vorgelegten Entwurf ausdrücklich
Federführung zu betrauen. vorgesehen, daß die Mittel, die für die Maßnah-
(Beifall bei der SPD.) men nach diesem Gesetz erforderlich werden, aus
einem Sonderfonds kommen müssen, der den
Vizepräsident Schoettle: Das Wort hat der Lastenausgleichsfonds nicht berührt. Das ist nach
Abgeordnete Rehs. meinem Dafürhalten der kardinale Punkt, nicht so
sehr das dabei anzuwendende Verfahren.
Rehs (SPD) : Herr Präsident! Meine Damen und Meine sehr geehrten Damen und Herren, man
Herren! Angesichts des Standes der Diskussion muß sich selbstverständlich darüber klar sein, , daß
möchte ich mich nicht mit Einzelheiten des Entwurfs die finanzielle 'Gesamtaufgabe durch die neuen
befassen. Aber nachdem die Bundesregierung trotz Maßnahmen nach diesem Gesetz nicht leichter wird.
jahrelangen Drängens bis zum heutigen Tag — wir Wir nehmen sie genauso ernst wie jeder auf der
haben heute aus dem Munde des Vertriebenen- Regierungsseite, der angesichts der derzeitigen
ministers zum erstenmal von einem gewissen Grund- Finanzsituation verspätete Maßhalte-Parolen für
satzbeschluß gehört — keinen Absprung in dieser ein geeignetes Heilmittel hält. Aber Unterlassungen
schweren Gesetzgebungsaufgabe gefunden hat, ist früherer Jahre können damit nicht repariert wer-
doch wohl die Feststellung erlaubt, daß sich die den. Es wird eben, wie Frau Kollegin Korspeter es
Kollegin Korspeter und die Freunde, die die Initia- in ihrer Begründung betont hat, unsere gemein-
tive entwickelt und sich der Arbeit unterzogen same Aufgabe sein müssen, Mittel und Wege zu
haben, die dieser Gesetzentwurf verkörpert, um die finden, um das richtige Maß der Gerechtigkeit für
vielen Millionen Sowjetzonenflüchtlinge ein wirk- alle zu finden. Ich meine, daß auch für dieses not-
liches Verdienst erworben haben. Denn ich habe den wendige Bemühen der vorliegende Gesetzentwurf
Eindruck, daß ohne diese Vorlage die Grundsatz- ein gutes Beispiel sein kann.
beschlüsse, von denen wir heute erfahren haben, (Beifall bei der SPD.)
wahrscheinlich auch noch nicht zustande gekommen
wären. Vizepräsident Schoettle: Das Wort hat der
Noch ein weiteres Wort halte ich für angebracht, Abgeordnete Eichelbaum.
und zwar aus dem Munde eines, der zu der anderen
großen Millionengruppe gehört, die — nach der Eichelbaum (CDU/CSU) : Herr Präsident! Meine
Begründung der Frau Kollegin Korspeter — aus dem Damen und Herren! Ich will nicht besonders erwi-
eigenen Vertreibungsschicksal dem Schicksal der dern. Ich möchte bloß noch etwas zu der Frage der
Zonenflüchtlinge besonders nahesteht. Ich selber bin Ausschußüberweisung sagen. Die CDU unterstützt
Heimatvertriebener und möchte deshalb nachdrück- den Antrag der FDP, den Gesetzentwurf dem La-
lich feststellen, daß meine heimatvertriebenen stenausgleichsausschuß — federführend —, dem
Freunde und ich voll hinter diesem Gesetzentwurf Ausschuß für gesamtdeutsche und Berliner Fragen,
stehen. dem Ausschuß für Heimatvertriebene und entspre-
(Zustimmung bei der SPD.) chend dem § 96 der Geschäftsordnung dem Haus-
In manchen Köpfen besteht die Vorstellung von haltsausschuß — mitberatend — zu überweisen.
vermeintlichen Rivalitäten zwischen Heimatvertrie- Zur Erklärung, Herr Kollege Wehner, ein Wort!
benen und Zonenflüchtlingen in der Frage der Ge- Ich glaube, wenn wir das so machen, ehren wir den
setzgebung, über gewisse Prioritäten usw. Ich möchte Ausschuß, dessen Vorsitzender Sie sind, in der
dazu erklären, daß ein Protest gegen die eigene Weise, 'daß er das erste Wort in der Angelegenheit
Benachteiligung immer auch ein Protest gegen die hat. Das ist deshalb von Wichtigkeit und Bedeu-
Benachteiligung des anderen sein muß, wenn er tung, weil ja die politischen Fragen zuerst behan-
moralisch standhalten will. Man kann Solidarität delt und entschieden 'werden müssen, ehe man an
von anderen nur verlangen, wenn man sie selber die Sachbehandlung der anderen Fragen herange-
beweist. hen kann. Also ich glaube, wir geben zeitlich und
(Zustimmung bei der SPD.) auch mit Gewicht Ihrem Ausschuß ein Prae. Ich
Infolgedessen möchte ich wiederholen, daß meine möchte bitten, daß Sie das so auffassen und nicht
heimatvertriebenen Freunde alles tun werden, um als eine Mindereinschätzung des von Ihnen gelei-
die Grundgedanken dieses Gesetzentwurfs in den teten Ausschusses, dem anzugehören ja auch ich
Ausschüssen zum Erfolg zu führen. die Ehre und die Freude 'habe.
Natürlich haben wir Heimatvertriebenen —und (Beifall bei der CDU/CSU.)
das möchte ich in diesem Augenblick wegen der
besonderen Situation anmerken — selber noch Vizepräsident Schoettle: Weitere Wortmel-
schwere Sorgen. Die Lage ist für große Teile unse- dungen liegen nicht vor. Die Aussprache ist ge-
rer vertriebenen Landsleute keineswegs so, wie sie schlossen.
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 64. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. März 1963 2989

Vizepräsident Schoettle
Wir kommen zur Entscheidung der Ausschußüber- ein Jahr herabzusetzen, so daß die Festsetzung alle
weisung. Vorgeschlagen ist Überweisung an den Jahre neu zu erfolgen hat.
Ausschuß für Lastenausgleich, den Ausschuß für Zum ersten Punkt unseres Vorschlages, Herabset-
Heimatvertriebene, den Ausschuß für gesamtdeut- zung der Bewertung von Anteilsrechten, ist zur Be-
sche und Berliner Fragen und an den Haushalts- gründung folgendes zu sagen. Seitdem es eine Ver-
ausschuß nach § 96 der Geschäftsordnung. Strittig mögensteuer gibt, ist es sehr umstritten, ob es
ist die Frage der Federführung. Es liegen zwei An- richtig ist, neben den Vermögen der Gesellschaften
träge vor. Die sozialdemokratische Fraktion bean- auch die Anteilsrechte als Vermögen zu besteuern.
tragt die Überweisung an den Ausschuß für gesamt- Das ist mit Recht sehr bestritten, weil unzweifel-
deutsche und Berliner Fragen — federführend —, haft — darüber ist kein Streit — hier ein Vermögen
während die FDP-Fraktion beantragt hat, die Feder- zweimal besteuert wird. Das Vermögen, um das es
führung dem Ausschuß für Lastenausgleich zu über- sich handelt, ist das Vermögen der Gesellschaft.
tragen.
Das Anteilsrecht ist an sich kein Vermögen, son-
(Abg. Leukert: Die CDU unterstützt diesen dern weist nur aus, in welchem Umfange der Besit-
Antrag!) zer dieses Anteilsrechtes am Vermögen dieser Ge-
— Na, das werden wir ja bei der Abstimmung sellschaft beteiligt ist. Es ist also grundsätzlich etwas
sehen. anderes, ob ich ein Anteilsrecht an einer Gesell-
schaft habe — das ist also als gängigstes und
Der Antrag der sozialdemokratischen Fraktion lag
bekanntestes die Aktie oder ein GmbH.-Anteil —
zuerst vor. Ich kann ja nicht nach „weitergehend"
oder ob ich etwa eine Industrieobligation habe.
oder „nicht weitergehend" entscheiden lassen. Ich
Wenn ich eine Aktie von einem Werk habe, bin ich
lasse deshalb über diesen Antrag der sozialdemo-
an dem Vermögen dieser Aktiengesellschaft zu
kratischen Fraktion zuerst abstimmen. Wer stimmt einem Bruchteil beteiligt, der sich aus der Höhe des
dem Antrag auf Federführung des Ausschusses für
Aktienbesitzes ergibt. Die Aktiengesellschaft hat
gesamtdeutsche und Berliner Fragen zu? Ich bitte ohne Rücksicht darauf, daß ich eine Aktie besitze,
um ein Handzeichen. — Danke. Ich bitte um die ihr Vermögen nach dem Vermögensteuergesetz voll
Gegenprobe. — Es ist hier keine Übereinstimmung zu versteuern. Anders ist das Verhältnis, das sich
im Präsidium. Wir müssen auszählen. durch eine Obligation ergibt. Wenn ich eine Obliga-
Ich gebe das Ergebnis der Auszählung bekannt. tion desselben Unternehmens habe, habe ich eine
Mit Ja haben 128 Abgeordnete gestimmt, mit Nein ganz bestimmte Forderung gegen dieses Unterneh-
172; enthalten hat sich ein Mitglied des Hauses. men. Wenn ich also eine Obligation zum Nenn-
Der Antrag auf Überweisung an den Ausschuß für betrag von 1000 DM habe, dann habe ich eine For-
gesamtdeutsche Fragen als federführenden Aus- derung von 1000 DM, die mir das Unternehmen
schuß ist abgelehnt. zahlen muß, wenn die Obligation fällig ist. Das
Muß ich noch eine Abstimmung über die Über- Unternehmen zieht die 1000 DM, die es mir schul-
weisung an den Ausschuß für Lastenausgleich als det, an seinem Vermögen ab. Hier findet also keine
Doppelbesteuerung statt. Der Vermögenswert be-
federführenden Ausschuß herbeiführen? — Viel-
findet sich eindeutig als Forderung in der Hand des-
leicht ist es besser, wir stimmen ab. Wer stimmt
jenigen, der die Obligation besitzt, und die Gesell-
diesem Antrag zu? — Danke. Gegenprobe! — Ent-
schaft hat eine Schuld in dieser Höhe. Beim Anteils-
haltungen? — Das erste war die Mehrheit; der
recht ist es anders. Hier wird das Vermögen zwei-
Ausschuß für den Lastenausgleich ist also feder-
mal versteuert, einmal bei der Gesellschaft, zum
führend. anderen bei dem Aktionär bzw. dem Anteilseigner.
Damit ist die Beratung des Punkts 5 abgeschlos- Weil diese offensichtliche wirtschaftliche Schwie-
sen. rigkeit besteht, haben sich die Steuerfachleute schon
Ich rufe auf Punkt 6 der Tagesordnung. immer bemüht, eine vernünftige Lösung zu finden.
Zehn Jahre lang, von 1924 bis 1934, hat die Rege-
Erste Beratung des von der Fraktion der lung gegolten, die wir jetzt mit diesem Gesetzent-
CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Ge- wurf vorschlagen. Danach soll der Aktionär oder
setzes zur Änderung des Bewertungsgesetzes Anteilseigner nur mit der Hälfte des Verkehrswer-
(Drucksache IV/909). tes seines Anteils, der häufig mit dem Kurswert an
Zur Begründung hat der Abgeordnete Wilhelmi der Börse gleichgesetzt ist, zur Vermögensteuer ver-
das Wort. anlagt werden.
Ich glaube, hinreichend dargetan zu haben, daß
Dr. Wilhelmi (CDU/CSU) : Herr Präsident! Meine das keine Benachteiligung der Leute ist, die eine
Damen und Herren! Der Gesetzentwurf, den ich Forderung haben. Ich habe Ihnen das soeben an
Ihnen namens der Fraktion der CDU/CSU als Initia- dem Beispiel der Industrieobligation gezeigt. Das
tiventwurf vorzulegen und zu begründen habe, be- gilt aber auch sonst. Wenn Sie als Steuerpflichtiger
faßt sich mit zwei Problemen. Wir schlagen vor, die eine Sparkassenforderung besitzen, muß diese
Anteilsrechte bei der Veranlagung zur Vermögen- selbstverständlich versteuert werden, weil sie bei
steuer mit Hälfte des Kurswertes anzusetzen, und der Sparkasse eine Schuld darstellt. Bei den An-
wir schlagen Ihnen zweitens vor, den bisherigen teilen ist das etwas anderes. Durch die Belastung
sogenannten Hauptveranlagungszeitraum von drei bei demjenigen, der das Anteilsrecht hat, entsteht
Jahren für die Bewertung von Anteilsrechten auf eine Unbilligkeit.
2990 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 64. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. März 1963
Dr. Wilhelmi
In Steuersachen macht man häufig Kompromisse. einen Kurs von 400, und wenn Sie heute diese
So hat man auch auf diesem Gebiet seit Jahrzehn- Aktie kaufen, müssen Sie die Vermögensteuer nach
ten immer Kompromisse gemacht. Es gibt verschie- dem Kurs von 800 bezahlen. Sie müssen also doppelt
dene Kompromißmöglichkeiten. Früher, vor der soviel versteuern, als Sie selbst aufgewendet haben.
eigentlichen Vermögensteuer, als man in Preußen Dadurch gibt es natürlich in erheblichem Umfang
noch die sogenannte Ergänzungsabgabe hatte, hat Verzerrungen hin und her.
man das Vermögen beispielsweise der Gesellschaf- Alle 'diese Verzerrungen sollen nun für die Zu-
ten bei der Veranlagung zur Vermögensteuer um kunft ausgeglichen werden. Deshalb haben wir
das Grundkapital reduziert. Es gibt Leute, die auch weiterhin den Vorschlag gemacht, die Bewertungs-
heute noch sagen: Wir wollen die Anteilsrechte sätze nicht mehr für einen Zeitraum von drei Jah-
lieber bei der Gesellschaft von der Vermögensteuer ren festzulegen, vielmehr soll für diese Anteilsrechte
freistellen. Es gibt alle möglichen Vorschläge. Ins- eine alljährliche Bewertung erfolgen. Das ist auch
gesamt, glaube ich, sind sich die Fachleute — will deshalb sachlich richtig, weil die Aktie wie jedes
ich vorsichtig sagen — weitgehend darüber einig, Anteilsrecht ein 'Risikopapier ist und weil in der Re-
daß es sich hier um eine Unbilligkeit handelt, gegen gel, wie wir es ja nun erlebt haben, Kursschwankun-
die etwas unternommen werden muß. gen vorkommen. Es ist nach beiden Seiten ungerecht,
Wir Isind der Auffassung, daß es richtig ist, auf einen so langen Veranlagungszeitraum als Grund-
die Regelung zurückzugreifen, die von 1929 bis lage der Bemessung zu wählen. Infolgedessen glaube
1934 gegolten hat. Die Anteile sollen also bei der ich, daß wir einen Akt der Gerechtigkeit tun, wenn
Veranlagung zur Vermögensteuer nur mit dem hal- wir die jährliche Veranlagung vorsehen.
ben Verkehrswert bewertet werden. Es wird hiergegen eingewandt, das mache zuviel
Nun wird vielfach gesagt: Jetzt kommt ihr mit Verwaltungsarbeit. Wir haben diese Frage geprüft.
diesem Gesetz; warum seid ihr nicht gekommen, als Nach unseren Feststellungen ist das nicht der Fall,
die Börsenkurse in die Höhe gingen und ein ge- ganz .gewiß nicht bei den Aktien, die an der Börse
wisser Vorteil darin lag, daß man nach der Kurs- gehandelt werden; denn es ist eine verhältnismäßig
bewertung ging? — Das ist sehr einfach zu sagen. einfache Sache, jedes Jahr festzustellen, welchen
Selbstverständlich wirkt sich eine ungerechte Be- Wert sie haben. Aber auch bei der etwas schwierige-
steuerung besonders stark aus, wenn — wie es in- ren Bewertung von GmbH-Anteilen fällt das nicht
zwischen der Fall ist — die Bewertung nach steuer- ernstlich ins Gewicht, weil Neuveranlagungen prak-
lichen Gesichtspunkten höher ist als der im Augen- tisch sowieso nur notwendig sind, wenn Verkäufe
blick vorhandene Verkehrswert. Dann wird ein un- stattgefunden haben und deshalb eine Neubewer-
gerechter Druck stärker empfunden. Es ist ohne wei- tung vorgenommen werden muß. Diese rein tech-
nische Frage, mit der sich im übrigen auch der Aus-
teres zuzugeben, daß in der Zeit, in der die Börsen-
kurse stiegen, die Belastung durch die Vermögen- schuß befassen muß, scheint mir also nicht ins Ge-
wicht zu fallen.
steuer für solche Anteilsrechte weniger empfindlich
war als heute, zumal die Frage des Veranlagungs- Zusammenfassend kann ich folgendes sagen. Wir
zeitraums, die in diesem Gesetz ebenfalls behandelt streben hier die Berichtigung nur einer Ungerechtig-
wird, hereinspielt. keit aus dem Komplex des gesamten Bewertungs-
Da sich nach der augenblicklichen Rechtslage der gesetzes an. Wir alle sind uns völlig bewußt, daß
Veranlagungszeitraum auf drei Jahre erstreckt, war manches an dem Bewertungsgesetz zu ändern wäre,
es natürlich bei steigenden Kursen sehr angenehm, daß sehr viel größere und wichtigere Fragen zu re-
wenn man nur den Vermögenswert zu versteuern geln wären. Aber ich glaube, man kann uns nicht ent-
hatte, der längst überholt, der längst durch stei- gegenhalten, daß wir nun mit der Beseitigung eines
gende Kurse überkompensiert war. Unrechts solange warten müßten, bis wir in der Lage
sind, alle Ungerechtigkeiten zu beseitigen. Ich stehe
(Abg. Seuffert: Hört! Hört!) immer auf dem Standpunkt, man soll einmal an einer
— Sicher, Herr Kollege, das ist zweifellos so gewe- Ecke anfangen; vielleicht gibt es dann Luft, so daß
sen. Die Ungerechtigkeit, die in dieser Doppelver- auch an anderen Stellen etwas geschehen kann.
steuerung lag, ist dadurch de facto wesentlich gemil- Wie wirkt sich das nun finanziell aus? Zunächst
dert worden. Aber jetzt sind die Börsenkurse rück- einmal ist der Bund nicht betroffen, sondern die
läufig und selbstverständlich auch die Bewertung der Länder. Der Bund ist nur indirekt betroffen. Die
GmbH-Anteile, also dessen, was nicht an der Börse Länder sind diejenigen, die die Vermögensteuer
ist. erhalten. Selbstverständlich ist dabei zu beachten,
Das Ergebnis ist, daß die Ungerechtigkeit, die in daß letztlich alles eine Einheit bildet, und deshalb
unserem Bewertungssystem liegt, nunmehr ganz müssen wir die Mindereinnahmen durchaus veran-
eklatant und sehr drückend für alle Beteiligten wird. schlagen. Die Schätzungen der Fachleute sind sehr
unterschiedlich. Sie schwanken zwischen etwa 150
Ich darf Ihnen dazu folgendes vor Augen führen. und 200 Millionen. Ob diese Schätzung der Minder-
Wir haben jetzt den neuen Stichtag; die Veranlagun- einnahmen richtig ist, wird noch zu prüfen sein.
gen sind auch noch nicht heraus. Im Augenblick wer- Manche sagen, der Ausfall sei überhaupt nicht
d en die Vermögen noch nach den Bewertungen vom nennenswert, weil inzwischen die Vermögensteuer
31. Dezember 1959 veranlagt. Wenn aber damals eine aus anderen Gründen angestiegen sei. Aber ich gebe
Aktie einen Kurs von etwa 800 hatte, hat sie heute ohne weiteres zu: wenn man es nur darauf abstellt,
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 64. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. März 1963 2991
Dr. Wilhelmi
mag es bei den Ländern einen Steuerausfall von als das in der Vergangenheit der Fall gewesen ist.
150 oder 200 Millionen DM geben. Ich bin der Auf- Insoweit kann die Sache überlegt werden.
fassung, daß dieser relativ geringe Ausfall nicht als Aber der Kern des Antrags ist die Herabsetzung
Begründung dafür dienen kann, einem Gesetz, das des Vermögensteuerwertes von Aktien auf die
den wirtschaftlichen Verhältnissen und der Rechts- Hälfte des an sich maßgebenden Wertes. Wir können
lage Rechnung trägt, nicht zuzustimmen. nur sagen, daß die sozialdemokratische Fraktion es
Ich bitte, den Gesetzentwurf .an den Finanzaus- bedauert, daß hier ein solcher Antrag gestellt wird.
schuß — federführend — und an den Wirtschafts- Es handelt sich darum, die Vermögensteuer zugun-
ausschuß — mitberatend — zu überweisen. sten der Aktienbesitzer um mindestens 200 Millionen
DM jährlich zu verringern; ich sage „mindestens",
(Beifall in der Mitte.)
denn der Betrag von 200 Millionen DM ist von den
Befürwortern dieses Antrags berechnet worden; es
Vizepräsident Schoettle: Damit ist der Gesetz- würde noch einer Nachprüfung bedürfen, ob er nicht
entwurf begründet. höher ist. Die Tatsache, daß das zu Lasten der
Länder und nicht zu Lasten des Bundes geschieht,
Meine Damen und Herren, bevor ich die Aus- scheint uns erst recht ein Grund zu sein, den Antrag
sprache eröffne, möchte ich noch einmal auf Punkt 5 zu bedauern.
der Tagesordnung zurückkommen. Es sind Zweifel (Beifall bei der SPD.)
aufgetaucht, ob die Überweisung an die vorgesehe-
nen Ausschüsse tatsächlich erfolgt sei. Wir haben Zur Begründung ist natürlich wieder von der
auszählen müssen, um die Frage der Federführung Doppelbesteuerung des Aktienvermögens gespro-
zu entscheiden. Es mag sein, daß ich die Frage an chen worden. Das ist eine alte Streitfrage, um nicht
das Haus unterlassen habe, ob der Überweisung zu- zu sagen: ein alter Ladenhüter, bei dem wir Sozial-
gestimmt wird. Ich darf aber jetzt, wenn ich keinen demokraten, wie Sie doch wissen, nicht mit uns
Widerspruch höre, feststellen, daß außer der Über- reden lassen. Unserer Ansicht nach ist die Besteue-
weisung an den Ausschuß für den Lastenausgleich rung der Körperschaften keine systemwidrige Dop-
— federführend —, die Überweisung an den Aus- pelbesteuerung, sondern sie ist im gesamten System
schuß für gesamtdeutsche und Berliner Fragen und des Ertrag- und Vermögensteuerrechts notwendig.
an den Ausschuß für Heimatvertriebene — mitbe- Es ist eine Besteuerung, die der Art und der Form
des in Körperschaften personifizierten Vermögens
ratend — sowie nach § 96 der Geschäftsordnung an
und den wirtschaftlichen und machtmäßigen Mög-
den Haushaltsausschuß erfolgt ist. — Das Haus
lichkeiten, die gerade diese Form der Organisation
widerspricht nicht; dann ist dieser kleine Fehler
des Vermögens bietet, angemessen ist und ange-
nachträglich wiedergutgemacht.
messen bleiben muß. Man kann doch nicht auf
Wir kehren nunmehr zu Punkt 6 der Tagesord- Grund der Tatsache, daß ein Aktienvermögen auch
nung zurück. Ich eröffne die Aussprache. — Das noch die seiner Art und Form entsprechende Steuer
Wort hat der Abgeordnete Seuffert. zu tragen hat, sagen, daß es dann bei der Vermö-
gensteuer Vergünstigungen haben müsse. Da könnte
man auch sagen, daß ein Grundvermögen Vergünsti-
Seuffert (SPD) : Herr Präsident! Meine Damen
gungen haben müsse, weil für dasselbe als Grund-
und Herren! Ich werde versuchen, zu dieser Ange- vermögen auch noch Grundsteuer zu zahlen ist, oder
legenheit so kurz Stellung zu nehmen, wie es die ein Betriebsvermögen, weil es als Betriebsvermögen
Bedeutung der Sache erlaubt, und andererseits so auch noch Gewerbesteuer zu zahlen hat. Sie wissen,
eindeutig, wie es die Geschäftsordnung des Hauses darüber könnte man einmal anders reden, wenn
gestattet. wir soweit wären, einmal über eine allgemeine
Ich will mich dabei nicht lange mit demjenigen Unternehmens- oder Betriebsteuer zu reden. Aber
Antrag aufhalten, auf den auch von den Antrag- Sie wissen: soweit sind wir noch lange nicht.
stellern weniger Wert gelegt worden ist, nämlich (Abg. Dr. Dr. h. c. Dresbach: Aha!)
mit der Einführung eines einjährigen Feststellungs-
zeitraums für die Bewertung der Wertpapiere und — Jawohl, aber soweit sind wir noch lange nicht,
Anteile. Es ist natürlich auffallend, daß, nachdem Herr Kollege Dresbach.
einige Jahre lang der dreijährige Feststellungszeit-
raum — wie auch der Herr Kollege Wilhelmi her- Vizepräsident Schoettle: Gestatten Sie eine
vorgehoben hat — zugunsten der Aktienbesitzer Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Schmidt
gewirkt hat, genau in dem Augenblick, in dem nun- (Wuppertal) ?
mehr die Befürchtung besteht, er könne sich gegen
die Aktienbesitzer auswirken, ein Antrag auf Ver- Seuffert (SPD) : Bitte sehr.
kürzung dieses Zeitraums gestellt wird.
(Sehr richtig! bei der SPD.) Dr. Schmidt (Wuppertal) (CDU/CSU) : Würde
Wenn man darauf rechnet, daß in den jetzt folgen- sich Ihrer Meinung nach bei einer allgemeinen Be-
den Jahren sich die Aktienkurse wieder erhöhen — triebsteuer das Problem der Doppelbelastung nicht
und ich sehe an sich nichts, was dagegen spricht — ,
ergeben?
so würde allerdings dieser Antrag ein sehr geeig-
netes Mittel sein, die Kurserhöhungen rechtzeitiger Seuffert (SPD) : Herr Kollege, der Gedanke einer
und wirksamer für die Vermögensteuer einzufangen, allgemeinen Betriebsteuer ist, die Besteuerung der
2992 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 64. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. März 1963
Seuffert
Unternehmen und infolgedessen auch des Unter- an die immer noch schwebenden Anliegen der freien
nehmensvermögens von der Organisationsform un- Berufe und der Dienstleistungsgewerbe.
abhängig zu machen. Selbstverständlich würde sich (Beifall bei der SPD.)
von dieser Grundlage aus das Problem der Ver-
mögenbesteuerung des Aktienbesitzes anders an- Sie sind nicht bereit gewesen, den berechtigten For-
sehen, als es sich bei der heutigen Rechtslage an- derungen auf Entlastung der kleinen Einkommen
sieht. bei der Einkommensteuer näherzutreten.
(Abg. Dr. Schmidt (Wuppertal) : Aber doch (Erneute Zustimmung bei der SPD.)
ohne daß sich die wirtschaftlichen Tatsachen Vor allen Dingen besteht ein sehr fühlbarer Kon-
geändert hätten!) trast zu der Behandlung der Forderungen zugunsten
— Verzeihung, die rechtlichen Grundlagen hätten der Arbeitnehmer.
sich geändert, das ganze System der Steuergesetz- (Sehr richtig! bei der SPD.)
gebung hätte sich geändert. Das gäbe eine andere
Ich will gar nicht von unserem Antrag Drucksache
Grundlage.
IV/67 — Erhöhung des Weihnachtsfreibetrages —
Es gäbe ein Argument, das man wohlweislich für sprechen, den Sie abgelehnt haben. Ich spreche von
die Herunterbewertung der Aktien nicht aufgeführt unserem Antrag Drucksache IV/721 — Erhöhung der
hat. Es gibt eine gewisse Überbewertung der Aktien Sonderausgabenpauschale für Arbeitnehmer —, ein
z. B. gegenüber dem Grundvermögen, -
Antrag, dessen Annahme nicht nur zur Entlastung
(Abg. Dr. Schmidt [Wuppertal] : Sehr der Steuerpflichtigen, sondern auch zur Entlastung
richtig!) der Finanzverwaltung
aber nicht nur der Aktien, weil es eine Unterbewer- (Beifall bei der SPD)
tung des Grundvermögens gibt. Wir wissen alle, und der Lohnsteuerstellen dringend gefordert wird.
warum diese Unterbewertung von den Antragstel- Dieser Antrag würde nach den dem Ausschuß vor-
lern die ganze Zeit hindurch aufrechterhalten wird
liegenden Berechnungen die Länder auch nicht viel
und aus welchen sehr eindeutigen politischen Grün-
mehr kosten als der hier gestellte Antrag zugun-
den dies geschieht.
sten der Aktienbesitzer. Die Berechnungen, die vor-
(Zuruf des Abg. Dr. Schmidt [Wuppertal].) liegen, sind zudem umstritten, und außerdem
— Ich höre Ihren Widerspruch, Herr Kollege Schmidt, könnte der Antrag, wenn es darauf ankäme, ja
und freue mich sehr über die Aussicht, die sich auch modifiziert werden. Sachlich ist dem Antrag
daraus ergibt, daß sich das ändert. Wir freuen uns zugunsten der Lohnsteuerpflichtigen und zugunsten
jedenfalls darüber, daß dieses Argument hier nicht der Finanzverwaltungen nichts entgegenzusetzen.
ins Feld geführt worden ist. Denn dann wäre ja die Das hat der Ausschuß bereits festgestellt
Frage: was ist dann mit dem Betriebsvermögen? Ist (Zustimmung bei der SPD)
es auch gegenüber dem Grundvermögen überbe-
wertet? Vor allem: was ist mit den Geldsparern? und in einem Beschluß festgehalten. Man hat den
Und das ist nun die Frage zu diesem Antrag zu- Antrag im Ausschuß vergraben, man hält ihn wegen
gunsten der Aktienbesitzer: Was ist mit den Geld- der Ausfallfrage zurück, d. h. man hat sich über-
sparern, deren Vermögen trotz der eingetretenen haupt noch nicht getraut, mit den Ländern über die-
Korrektur der Aktienkurse immerhin noch viel stär- sen Ausfall zu verhandeln. Während man also das
ker als die Aktien durch Entwicklungen, insbeson- zurückstellt, will man hier einen Antrag vorwärts-
dere Preisentwicklungen, bedroht ist, mit denen wir treiben, bei dem es sich um etwa denselben Betrag
uns ja jeden Tag zu beschäftigen haben? zu Lasten der Länder handelt, aber hier zugunsten
der Aktienbesitzer und nicht zugunsten der Arbeit-
Sparkapital, langfristiges Geldsparen ist für die nehmer und auch nicht zugunsten der Finanzver-
Volkswirtschaft mindestens ebenso lebensnotwendig waltung. — Herr Kollege Schmidt, bitte!
wie Aktienbesitz und Aktienstreuung,
(Beifall bei der SPD — Sehr richtig! bei der Dr. Schmidt (Wuppertal) (CDU/CSU) : Herr Kol-
CDU/CSU) lege Seuffert, glauben Sie nicht, daß der Besitzende
ganz abgesehen davon, daß nach wie vor für den einen Anspruch auf Steuergerechtigkeit auch gegen-
Kleinsparer und für den Anleger kleiner Vermögen über demjenigen habe, der lediglich einen Ent-
das Geldsparen — sei es Kontensparen, sei es Ver- lastungsanspruch aus sozialen Gesichtspunkten gel-
sicherungssparen, Versorgungssparen, seien es fest- tend macht?
verzinsliche Wertpapiere — doch immer noch die
weitaus angemessenere, jedenfalls wichtigere Form Seuffert (SPD) : Herr Kollege Schmidt, ich habe
des Sparens darstellt. Ihre Frage nicht verstanden. Den Unterschied zwi-
schen einem Anspruch auf Steuergerechtigkeit und
Wir müssen diesen Antrag zugunsten der Aktien- einem Anspruch auf Steuerentlastung verstehe ich
besitzer aber auch in Zusammenhang sehen mit der
nicht.
Haltung der Antragsteller zu anderen Anliegen, die
auf gewisse Steuererleichterungen abzielen. (Abg. Schmitt-Vockenhausen: Er hat soziale
Gerechtigkeit für Millionäre gefordert! —
(Abg. Schmitt-Vockenhausen: Sehr richtig!) Abg. Dr. Schmidt [Wuppertal] : Es geht um
Die Antragsteller sind nicht bereit, bei der Umsatz soziale Gerechtigkeit auch für den Besit-
steuer an Entlastungen heranzugehen. Ich erinnere zenden!)
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 64. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. März 1963 2993
Seuffert
— Selbstverständlich gibt es soziale Gerechtigkeit Ich darf daran erinnern, daß gerade die freien
auch für den Besitzenden. Aber über dieses „auch", Berufe, die Sie in einem anderen Zusammenhang
Herr Kollege Schmidt, unterhalten wir uns ja ge- hier zitiert haben, in der ganz großen Masse für
rade. Ich spreche von sozialer Gerechtigkeit auch ihre Altersversorgung auch die Aktie heranziehen.
für den Arbeitnehmer. Es gibt tatsächlich Aktienbesitz — das wissen Sie
genauso gut wie ich, Herr Kollege Seuffert —, bei
(Beifall bei der SPD.) dem man noch Geld aus anderen Quellen mit-
Herr Kollege Schmidt, wir bedauern es eben, daß bringen muß, um ihn zu erhalten. Herr Kollege
man die Arbeitnehmer und die Lage der Finanzver- Seuffert, es ist doch nicht so, daß hier eine Ent-
waltung nicht so interessant findet wie die Aktien- lastung nur zugunsten des sehr Reichen herbeige-
besitzer und daß man diesen Antrag ohne Rücksicht führt wird, sondern gerade diejenigen Witwen,
auf den Steuerausfall hier einbringt. freien Berufe usw., die einen Teil ihres späteren
Lebensunterhalts aus diesem Kapitalanlagevermö-
Ich möchte doch sehr hoffen, Herr Kollege
gen bestreiten wollen, müssen teilweise noch zu-
Schmidt, daß auch in den Reihen der antragstellen-
legen. — Bitte sehr, Herr Kollege Seuffert!
den Fraktion sich genug Abgeordnete finden, die
nach reiflicherer Überlegung dem Antrag ihre Zustim-
mung nicht geben werden, weil man ihn nur als Seuffert (SPD) : Herr Kollege van Delden, wie-
einen Schlag ins Gesicht der Arbeitnehmer und der viel schätzen Sie, entfällt von den geschätzten
Geldsparer auffassen kann. Steuerausfällen von 200 Millionen DM jährlich auf
(Beifall bei der SPD. — Abg. Dr. Schmidt Witwen?
[Wuppertal] : Das ist Klassenpolitik!) (Heiterkeit bei der SPD.)

Letztens, Herr Kollege Schmidt, bedauern wir,


daß dieser Antrag gestellt wird, weil er aussichts- van Delden (CDU/CSU) : Ich bin im Augenblick
außerstande, diese Schätzung vorzunehmen. Aber da-
los ist. Es ist doch bekannt, daß die Länder auf
Sondierungen des Bundesfinanzministeriums, in mit bringen Sie mich gleich auf ein Thema. Wir sind
welchen nur die Hälfte des hier beantragten Ab- gerade bei der Beratung des neuen Aktiengesetzes,
schlags vorgeschlagen wurde, bereits erklärt haben, und da wollen wir alle — ich glaube, auch Sie — die
daß sie dazu nicht bereit sind. Es ist ein Zustim- Aktie populärer machen, d. h. wir wollen ja gerade
mungsgesetz, und wir werden dieses Gesetz nicht das Eigentum durch die Aktie breiter streuen. Da-
gegen den Bundesrat und nicht gegen die Länder bei müssen wir auch einmal bedenken, daß aus den
verabschieden können. Dadurch, daß Sie jetzt einen kleinen Aktienbesitzern nachher Aktienbesitzer wer-
Initiativantrag an der Regierung vorbei machen — den, die außerhalb des Freibetrags für die Vermö-
außerdem müßte sich das Bundesfinanzministerium gensteuer kommen. Denken Sie auch daran, Herr
ja eigentlich auch zu der Sache äußern —, da- Kollege Seuffert, daß gerade die kleineren und mitt-
durch, daß Sie die Stellungnahme des Bundesrates leren Betriebe, soweit sie Aktiengesellschaften sind,
an das Ende der Beratung schieben, verändern Sie es sehr schwer haben, ihren Kapitalbedarf zu dek-
doch die tatsächliche Lage nicht. Also wozu das? ken, und daß wir aus diesem Grunde schon die Aktie,
Wozu dieser aussichtslose Antrag? auch stimmrechtslose Aktien usw., populärer machen
müssen. Das geht aber nur, wenn man die Unerträg-
Meine Damen und Herren, wir bedauern den An- lichkeit, die sich aus dem Doppelbesteuerungssystem
trag. Wir protestieren gegen ihn. Wir sehen ihn als ergibt, in einem gewissen Maße mildert. — Bitte,
einen Prüfstein der Steuerpolitik an. Wir werden Herr Kollege Seuffert!
ihm unter keinen Umständen zustimmen.
(Beifall bei der SPD.)
Seuffert (SPD) : Herr Kollege van Delden, wollen
Sie ernsthaft behaupten, daß der Aktienabsatz unter
Vizepräsident Schoettle: Das Wort hat der der, wie Sie sagen, „untragbaren Besteuerung" der
Abgeordnete van Delden. letzten Jahre irgendwie gelitten hat?

van Delden (CDU/CSU) : Herr Präsident! Meine van Delden (CDU/CSU): Bisher ja, natürlich!
Damen und Herren! Wenn der Herr Kollege Seuf- Bitte bedenken Sie auch einmal, daß die Kurse, die
fert den Antrag namens der Sozialdemokratie be- teilweise als überhöht betrachtet worden sind, u. a.
dauert, so muß ich ihm zwar konzedieren, daß er ein vielleicht auch durch das Bewertungsgesetz in die
guter Sozialdemokrat alten Stils ist, muß aber auch Höhe getrieben worden sind, nämlich dadurch, daß
sagen, daß er in meinen Augen ein schlechter die 'Kapitalgesellschaften, die einen großen Teil der
Steuerberater oder Steueranwalt ist. Auch wir be- Aktien in ihren Portefeuilles haben, gar nicht in der
zweifeln keineswegs, daß die Aktienbesitzer — Lage sind, diese zu veräußern, weil sie 'dann zur
und noch dazu, wenn ihr Vermögen oberhalb des Mehrsteuer herangezogen werden.
Freibetrags liegt — nicht zu den Ärmsten der
Armen gehören. Aber 'deswegen haben sie, wie
Herr Kollege Schmidt in seinem Zwischenruf vor- Vizepräsident Schoettle: Herr Abgeordneter,
hin schon zum Ausdruck gebracht hat, nach dem gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Grundgesetz doch Anspruch darauf, daß wir prüfen,
ob hier nicht eine steuerliche Verzerrung vorliegt. van Delden (CDU/CSU) : Bitte sehr.
2994 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 64. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. März 1963

Seuffert (SPD) : Herr Kollege van Delden, werden Eine durch das ganze Steuerrecht sich hindurch-
Sie mir zugeben, daß die Frage der Veräußerungs- ziehende Einteilung der Steuern ist die nach der
gewinne mit dem Bewertungsgesetz wirklich nichts Form, in der die Leistung bestimmt wird. Wir unter-
zu tun hat? scheiden danach Festsetzungssteuern und selbst-
tätig zu entrichtende Steuern. Dieser Grundsatz
führt bei der Einkommensteuer zu der Unterschei-
van Delden (CDU/CSU) : Nein. Sie fragten vor- dung zwischen Veranlagten 'und Lohnsteuerpflich-
hin, ob der Absatz der Aktien darunter gelitten hat. tigen. Bei jeder Gehaltszahlung behält der Arbeit-
Indirekt hat er auch durch das Bewertungsgesetz ge- geber die Lohnsteuer ein, so daß der Steuergläubi-
litten. ger sie unverzüglich in seine Kasse bekommt. Da-
(Abg. Frau Bleyle: Das ist eine unbewiesene durch ist der Steuergläubiger auch automatisch an
Behauptung!) allen steigenden Gehaltsbezügen beteiligt, so daß
— Sie behaupten ja auch manchmal etwas, gnädige man etwa sagen kann: wenn im öffentlichen Dienst
Frau, ohne daß Sie es dezidiert beweisen. Vor allem, irgendwie eine Erhöhung der Bezüge eintritt, gehen
davon 20 % ohne weiteres wieder in die Staats-
wenn ich eine Antwort auf eine Zwischenfrage geben
kasse.
muß, kann ich keinen Beweis antreten, da ich anneh-
men muß, daß Sie sich vorbereitet haben, Während der Staat seinen Anteil an dem Ein-
kommen der Lohnsteuerpflichtigen also sehr schnell
(Beifall bei der CDU/CSU)
erhält, ist die Situation für die Veranlagten sehr
während ich aus dem Stegreif antworten muß. viel günstiger. Sie geben ihre Steuererklärung erst
Ich will noch einmal auf den Sachverhalt zurück- nach Jahresablauf ab. Vom Finanzamt wird sie dann
kommen. Wir, die Antragsteller, sehen in dem, was je nach Arbeitslage bald schnell, bald recht lang-
wir vorschlugen, einen Weg zur Steuergerechtigkeit. sam geprüft, so daß der Steuerbescheid unter Um-
Herr Kollege Wilhelmi hat vorhin schon zum Aus- ständen erst 12 bis 15 Monate später zugesandt
druck gebracht, daß das gesamte Bewertungsgesetz wird und damit die Fälligkeit entsprechend später
gewisse Ungerechtigkeiten in sich birgt. Sie, Herr eintritt.
Kollege Seuffert, haben es nicht bestritten. Deswegen Wir haben in der Abgabenordnung die besondere
möchten wir Sie bitten, daß Sie der Überweisung die- Regelung, daß die Steuerschuld nicht schon mit
ses Gesetzentwurfs, nachdem ihn Herr Kollege Wil- ihrem Entstehen fällig wird, d. h. zu entrichten ist,
helmi begründet und uns aufgerufen hat, endlich ein- sondern die Fälligkeit der Steuerschuld knüpft sich
mal an einer Ecke anzufangen, eine gewisse Steuer- an ein besonderes Verfahren an. Das Finanzamt
) gerechtigkeit herbeizuführen, auch im Hinblick — ich muß erst zur Zahlung auffordern. Die Fristen für
wiederhole es — auf die Beratung des Aktiengeset- die Einreichung der Erklärungen werden dann noch
zes und die mit ihm verbundene breitere Aktien- vom Finanzamt oft recht großzügig verlängert, wenn
streuung, trotz der Bedenken, die Sie hier geäußert ein Steuerberater am Verfahren beteiligt ist, der
haben, zustimmen. auf seine Überlastung verweist.
(Beifall bei der CDU/CSU.) Nun kann man bezüglich 'des Antrags natürlich
sagen: Sie vergessen die Vorauszahlungen! —
Vizepräsident Schoettle: Weitere Wortmel- Allerdings die Vorauszahlungen! Aber diese Vor-
dungen liegen nicht vor. Die Aussprache ist ge- auszahlungen bemessen sich nach der Vergangen-
schlossen. heit und hinken dadurch bei steigenden Einkünften
hinter den tatsächlichen Verhältnissen her. Sicher-
Es ist vorgeschlagen, die Vorlage an den Finanz- lich kann die Steuerbehörde anpassen, und sie ver-
ausschuß — federführend — und an den Wirt- sucht das auch. Ich habe mich in dieser Beziehung
schaftsausschuß zu überweisen. Ist das Haus mit der bei der Finanzverwaltung sehr genau erkundigt.
Überweisung an diese Ausschüsse einverstanden? Man versucht auf Grund der Umsatzsteuervoran-
— Das ist der Fall. Die Überweisung ist beschlossen. meldungen im Oktober festzustellen: Aha, hier hat
Ich rufe Punkt 7 der Tagesordnung auf: sich das Einkommen erhöht; wir werden die letzte
Einkommensteuervorauszahlung, sagen wir für 1962,
Erste Beratung des von der Fraktion der SPD per 10. Dezember 1962 erhöhend anpassen. — Wenn
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur das immer so einfach wäre! Bitte, gehen Sie zu den
Änderung des Einkommensteuergesetzes und Finanzämtern, fragen Sie die Veranlagungsbeamten,
des Gewerbesteuergesetzes (Drucksache die mit diesem Verfahren zu tun haben! So ohne
IV/722). weiteres läßt sich der Steuerzahler diese erhöhende
Wird die Vorlage begründet? — Das Wort zur Anpassung der letzten Einkommensteuervoraus-
Begründung hat der Herr Abgeordnete Dr. Koch. zahlung nicht gefallen, und das ist verständlich.
Gerade wenn es sich um einen guten Geschäftsmann
handelt, ist das durchaus einzusehen.
Dr. Koch (SPD) : Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Ich darf den Antrag Drucksache 722, Nehmen wir folgendes Beispiel: Die Vorauszah-
der im Prinzip die Soll- und Habenverzinsung bei lung per 10. Dezember 1962 soll für einen gut flo-
der Einkommen-, der Gewerbe- und der Körper- rierenden Mittelbetrieb für 1962 um 150 000 DM
schaftsteuer vorsieht, für meine Fraktion begrün- erhöht werden. Wenn der Steuerpflichtige diese
den. Erhöhung verhindern kann, so daß er mit diesem
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 64. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. März 1963 2995
Dr. Koch
Betrag für 1962, sagen wir, bis Ende 1963 arbeiten forderungen und Erstattungsansprüche ausdehnen,
kann, dann kann er bei dreimaligem Kapitalum- die sich aus nachträglichen Änderungen des Steuer-
schlag im Jahr und 10 °/o Verdienstspanne mit den bescheids ergeben. Gerade bei Berichtigungen, die
150 000 DM 45 000 DM verdienen. So ist es nur zu die Folge von Betriebsprüfungen sind, kann man
natürlich, daß die Steuerpflichtigen an der Auf- häufig die Begünstigung der veranlagten Steuer-
rechterhaltung des gegenwärtigen Zustands sehr pflichtigen gegenüber den Lohnsteuerpflichtigen
interessiert sind, und ich zweifle keinen Augen- sehr gut erkennen. Im übrigen sehen wir ja — das
blick daran, daß, wenn etwa ein Herr von der CDU darf ich noch einmal betonen — eine Verzinsung
zu diesem Antrag noch Stellung nimmt, er dann nicht nur pro Fiskus, sondern auch für den Steuer-
sagen wird: Das ist doch im Augenblick alles zahler vor, so daß der Steuerpflichtige, wenn er
bestens! redlich erklärt hat, bei Betriebsprüfungen durchaus
Der jetzige Zustand führt aber dazu, daß das die Chance hat, noch ganz erhebliche Beträge erstat-
Finanzamt auf stillem Wege Kredite gibt, die den tet zu bekommen.
Vorzug haben, daß sie zinslos sind und ohne Sicher- Da das gewerbliche Einkommen nicht nur von der
heit gewährt werden. Hier greift nun der Gesetz- Einkommensteuer, sondern auch von der Gewerbe-
entwurf ein. Die Antragsteller sind sich darüber im steuer erfaßt wird, ist der Gesetzentwurf auch auf
klaren, daß sie mit der Soll und Haben Verzinsung
- -
diese Steuer auszudehnen.
eine sehr einschneidende Veränderung des Veran-
lagungsverfahrens herbeiführen. Aber wir glauben Der gleiche Gesichtspunkt gilt für die Einkommen-
uns zu diesem Schritt gezwungen, um die verfas- steuer der juristischen Personen, d. h. also die
sungsmäßige Gleichheit vor dem Gesetz im Verhält- Körperschaftsteuer. Hier ist unseres Erachtens eine
nis der Veranlagten zu den Lohnsteuerpflichtigen besondere Bestimmung im Gesetz nicht erforderlich,
herzustellen. da sich die entsprechende Anwendung bereits aus
§ 20 des Körperschaftsteuergesetzes ergibt.
Das deutsche Steuerrecht hat in Richtung des
Antragschoewi,nauzghfteScri Es ist vorgesehen, daß der Gesetzentwurf zur
getan. Ich erinnere an die §§ 155 und 251 a der Ab- Mitberatung auch an den Haushaltsausschuß über-
gabenordnung, die bereits vor Fälligkeit, von wiesen wird. Obgleich die Überweisung an den
Rechtshängigkeit ab, eine Verzinsung für den Haushaltsausschuß den Vorschriften der Geschäfts-
Steuerpflichtigen und gegen den Steuerpflichtigen ordnung durchaus entspricht, würde ich vorschlagen,
vorsehen. eine Beratung nur im federführenden Finanzaus-
schuß stattfinden zu lassen. Denn aller Wahrschein-
Ich beziehe mich zur Begründung weiter auf das lichkeit nach wird die Annahme der Gesetzesvor-
Besteuerungsverfahren in den Vereinigten Staaten, lage zu einem Plus für die Bundeskasse führen.
das zur Vermeidung von Steuerausfällen bei der
Selbstberechnung die gleiche Verzinsung vorsieht, Ich beantrage somit, den Gesetzentwurf zur Be-
wie wir sie fordern. ratung an den Finanzausschuß zu überweisen und
von einer Überweisung an den Haushaltsausschuß
Wir möchten den Zinssatz an den Gang der wirt-
abzusehen.
schaftlichen Entwicklung anpassen und stellen des-
halb die Höhe des Zinsfußes, abweichend von dem
Steuersäumnisgesetz, auf den Notenbankdiskont Vizepräsident Schoettle: Das Wort hat der
plus 2 % ab. Zur Vereinfachung soll als Zinszeit- Abgeordnete Dr. Artzinger.
raum nur der volle Kalendermonat gelten, und es
soll von der Eehebung von Zinseszinsen abgesehen Dr. Artzinger (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine
werden. Damen und Herren! Ich kann für die CDU/CSU-
Fraktion erklären, daß wir durchaus bereit sind,
(Abg. Dr. Schmidt [Wuppertal] : Dann wird
ein Gespräch mit der Opposition über diesen Antrag
aber der Staat eine interessante Sparkasse!)
zu führen. Ich muß Sie also, sehr geehrter Herr
— Das können wir einmal abwarten, wer dabei am Vorredner, enttäuschen: ich bin keineswegs gewillt,
besten abschneidet. Ich bin da für 'die Staatskasse die Zustände, die Sie geschildert haben, in Bausch
nicht so bange, wie Sie es zu sein scheinen. und Bogen zu verteidigen. Ich bin nur der Meinung,
(Abg. Dr. Schmidt [Wuppertal] : Bei dem daß Sie in gröblicher Form verallgemeinert haben.
hohen Zinssatz!) Wenn Sie die Veranlagungspraxis der Finanzämter
kennen, so wissen Sie, daß erhebliche Nachzahlun-
Da die Zinszahlung automatisch, kraft Gesetzes, gen bzw. Abschlußzahlungen nur bei einem stark
am 1. August beginnt, sind Maßnahmen der Stun- steigenden Einkommen entstehen können. Im allge-
dung, Niederschlagung und Aussetzung auf die meinen wird man davon ausgehen können, daß die
Verzinsung ohne Einfluß. Geldbeträge, die als Einkommensverhältnisse sich von Jahr zu Jahr nicht
Sicherheitsleistung hinterlegt worden sind, sind für so sehr ändern, daß die Steuerschuld durch die Vor-
die Verzinsung wie Zahlungen zu berücksichtigen, auszahlungen in erheblichem Umfang nicht gedeckt
die am 1. August des auf die Veranlagung folgen- ist.
den Jahres oder, wenn die Hinterlegung später er-
Wir sind aber, meine Damen und Herren, mit
folgt ist, im Zeitpunkt der Hinterlegung geleistet
Ihnen der Auffassung, daß wir uns im Hinblick auf
worden sind.
den Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung
Vom Geist unserer Gesetzesvorlage aus ist es selbstverständlich darüber Gedanken machen müs-
nur logisch, daß wir die Verzinsung auch auf Nach- sen, wie man den Status des veranlagten Steuer-
2996 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 64. Sitzung. iBonn, Mittwoch, den 13. März 1963
Dr. Artzinger
pflichtigen möglichst weitgehend dem des Lohn- Zunächst darf ich darauf hinweisen, welche Gründe
steuerpflichtigen, also des im Abzugsverfahren er- dafür gesprochen haben, diesen § 172 in das Bun-
faßten Steuerpflichtigen, annähern kann. desbaugesetz einzufügen. Man wollte das drängende
Problem der Baulandbeschaffung einer Lösung zu-
Die Frage des sogenannten Steuerkontokorrents
führen, überhaupt den Mangel an Baugrundstücken
mit dem Finanzamt ist ja ein uralter Schuh. Wir sind
beheben und schließlich — das wurde als Haupt-
Ihnen dankbar, daß Sie die Frage wieder auf den
grund angeführt — Angebot und Nachfrage wieder
Tisch bringen. Aber wir können Ihnen nicht ver-
in Einklang bringen, um damit eine Preisminderung
hehlen, daß wir gegen diese Fassung doch einige
zu erreichen. Das Gesetz war dazu bestimmt, die
Bedenken anmelden müssen. So wie das Veranla-
Baupreise wieder in den Griff zu bekommen. Es sei
gungsverfahren jetzt in der Abgabenordnung vor-
notwendig, sagte man, um dieses Ziel zu erreichen,
gesehen ist, scheint uns diese Regelung noch nicht
daß baureife Grundstücke sofort baulich genutzt
der Weisheit letzter Schluß zu sein. Denn bitte
werden. Man hatte sich vorgestellt, daß das nur auf
bedenken Sie auch, daß es unter Umständen eine
dem Wege über eine erhöhte Besteuerung möglich
erhebliche Härte für einen Steuerpflichtigen bedeu-
sei.
ten kann, mit 2 O/o über Bundesbankdiskont ver-
zinsen zu müssen. Der Prüfungszeitraum für Klein- Welche Wirkungen hat aber dieses Gesetz vom
und Mittelbetriebe beträgt im regelmäßigen Turnus Juni 1960 gehabt? Von zahlreichen Gemeinden, be-
fünf Jahre. Wenn der Steuerpflichtige unter Umstän- sonders von Großstädten in Hessen und Bayern,
den für diesen Zeitraum eine Nachzahlung auf Grund wurde die Möglichkeit der Erhebung der Grund- -
der Betriebsprüfung verzinsen muß, so ergibt sich steuer C dazu benutzt, hohe Hebesätze einzuführen,
ein Betrag, der ihn — ohne sein Verschulden — die sich im Durchschnitt zwischen 300 und 500 %
möglicherweise doch sehr belastet. einerseits und 500 und 800 % andererseits bewegten,
ja sogar bis auf 1000 und über 1000 % hinaus
(V o r sitz: Vizepräsident Dr. Jaeger.) stiegen.
Ich würde daher sagen, wir sollten uns überlegen, Davon getroffen wurden eigentlich nur diejeni-
ob wir nicht im Zuge der Behandlung dieses Vor- gen, denen die Aufbringung schwerfiel. Denn wer
schlages auch zu einer Änderung der Reichsabgaben- in der Lage war, höhere Steuern aufzubringen,
ordnung etwa im Sinne nicht nur einer Selbstberech- wurde durchaus nicht gezwungen, die Folgerungen
nung, sondern einer Selbstveranlagung kommen. zu ziehen, die man mit diesem Gesetz bezweckt
Das geht ja sehr viel weiter als die Selbstberech- hatte. Getroffen wurde also derjenige, der noch
nung. Selbstveranlagung würde bedeuten, daß mit nicht so viel erspart hatte, daß er sofort mit dem
Einreichung der Steuererklärung beim Finanzamt Bauen beginnen konnte, der also noch nicht in der
die Steuerschuld nach der von dem Steuerpflich- Lage war, mit dem Bauen anzufangen, weil er mit
tigen selbst aufgemachten Berechnung festgesetzt seinen Sparraten noch nicht so weit war. Es gab
ist. Ich meine, daß man sich darüber ausgiebig unter- zwar nach dem Gesetz die Vergünstigung, daß der-
halten und selbstverständlich dazu auch die Stimme jenige, der innerhalb von zwei Jahren nach Erhe-
des Ministeriums hören muß. Aber dazu werden bung der Baulandsteuer, dieser Grundsteuer C,
wir, hoffe ich, im Finanzausschuß ausreichend Ge- baute, die erbrachte Grundsteuer zurückfordern
legenheit haben. konnte. Aber erst mußte er den Betrag aufbringen.
(Beifall bei der CDU/CSU.) Hierin liegt also schon ein Nachteil.
Wir sehen den Sinn dieser Vorschriften in einem
Vizepräsident Dr. Jaeger: Meine Damen und indirekten Verkaufs- oder Bauzwang. Die Frage ist,
Herren, Wortmeldungen liegen nicht mehr vor. Wir ob auf diese Weise in das Recht zur freien Ver-
kommen damit zur Ausschußüberweisung. Es ist auf fügung über das Eigentum eingegriffen wurde; und
jeden Fall Überweisung an den Finanzausschuß diese Zweifel sind dadurch zum Ausdruck gekom-
beantragt. Darüber besteht Einverständnis. Wird men, daß vor dem Bundesverfassungsgericht bereits
auch Überweisung an den Haushaltsausschuß bean- einige Verfahren laufen, die die Unwirksamkeit
tragt? — Das ist nicht der Fall; dann bleibt es allein dieser Bestimmungen herbeiführen sollen.
bei der Überweisung an den Finanzausschuß.
Welche Gedanken liegen hier nun im einzelnen
Ich rufe Punkt 8 der Tagesordnung auf: zugrunde? Ich darf das noch kurz anführen. Da ist
Erste Beratung des von der Fraktion der FDP einmal die Tatsache, daß die Grundsteuer als Ob-
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur jektsteuer grundsätzlich den Eigentümer trifft und
Änderung des Bundesbaugesetzes (Drucksache darauf abgestellt ist, daß die zu bewirkenden Lei-
IV/924). stungen aus den laufenden Erträgnissen erbracht
werden können. Es hat sich gezeigt, daß das bei
Wird der Antrag begründet? — Bitte sehr, Herr
'dem zügigen Anheben der Grundsteuer C nicht
Dr. Imle.
(Zurufe.) mehr möglich ist. Schon die Befolgung des obigen
Leitsatzes des Bundesverfassungsgerichts müßte
dazu führen, daß das Bundesverfassungsgericht zu
Dr. Imle (FDP) : Herr Präsident! Meine sehr ver der Entscheidung kommt, daß 'das Gesetz nicht mehr
geehrten Damen und Herren! Die Freien Demokra-
tragbar ist.
ten haben den Antrag eingebracht, den § 172 des
Bundeswohnungsbaugesetzes, der die Änderung Darüber hinaus muß auch bei einer Objekt-
grundsteuerlicher Vorschriften betrifft, aufzuheben. besteuerung auf die wirtschaftliche Leistungsfähig-
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 64. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. März 1963 2997
Dr. Imle
keit Rücksicht genommen werden. Das trifft hier Dr. Dr. h. c. Dresbach (CDU/CSU) : Ich versuche
keineswegs zu, weil die Festsetzung der Hebesätze alle philologischen Kräfte anzuspannen, um in
völlig unabhängig davon durchgeführt wird. Pro- Fragestellung zu kommen.
blematisch ist auch, ob es sich hier um eine Steuer (Heiterkeit.)
mit einem wirtschaftspolitischen Zweck handelt;
denn sie darf z. B. in Gebieten mit geringer Wohn- Herr Imle, ist Ihnen bekannt — Herrgott noch mal,
besiedlung überhaupt nicht angesetzt werden. Der muß ich denn mir einen solchen Däu antun, wie man
dritte Gesichtspunkt ist die unterschiedliche Be- im Heiligen Köln sagt?—, daß man z. B. den Schnaps
steuerung von Gemeinde zu Gemeinde. Diese drei früher besteuert hat, um eine Art von Prohibition
Grundsätze, die ich hier herausgestellt habe, mögen einzuführen, und als dann die Steuer floß, nicht
einmal genügen. Wir sollten uns im Parlament da- genügend gesoffen werden konnte, und sind Sie
vor hüten, daß ein Gesetz für ungültig erklärt wird. nicht bei Ihren Feststellungen auch zu der Feststel-
lung gekommen, daß den Gemeinden diese Steuer
Hinzu kommt folgendes. Seit geraumer Zeit be- als Steuerquelle dauernd erwünscht ist?
mühen wir uns darum, die Baukonjunktur zurück-
zuschrauben. Wir haben ein sogenanntes Baustopp-
gesetz erlassen und haben heute nach sehr vielen Dr. Imle (FDP) : Herr Kollege Dresbach, ich kann
Wehen auch den § 7 b endlich zu Grabe getragen, Ihnen diese Frage mit Ja beantworten. Die Steuer
indem wir ihn nur noch auf bestimmte Fälle an- ist in zahlreichen Fällen, gerade in Großstädten —
wenden. Da kann man nicht auf der anderen Seite ich darf auf München, Frankfurt, Regensburg u. a.
durch ein solches Gesetz die Menschen, die noch hinweisen — so hoch angesetzt worden, daß sie zu
nicht so weit sind und noch gar nicht bauen wollen, einer erheblichen Erhöhung der Gemeindeeinnah-
zum Bauen anreizen. men geführt hat.
(Abg. Dr. Dr. h. c. Dresbach: Herr Kollege
Die Steuer ist — das darf ich hier ruhig einmal Imle, haben Sie mich verstanden, daß ich
sagen; draußen wird es allgemein getan — zum Sie unterstützen wollte?)
Teil auch als unmoralisch und als unsozial bezeich-
net worden. Selbst von maßgebender Stelle ist er- — Herr Kollege Dresbach, ich hoffe, daß Sie aus
klärt worden, daß eine Entwicklung, die darauf ab- Ihrem Kuraufenthalt Ihre gute Meinung, die Sie
ziele, baureife Grundstücke, die zum Zwecke der bisher von mir hatten, auch beibehalten haben.
Altersversorgung oder der Vermögensanlage für
Wir sollten auch folgendes berücksichtigen. Bei
die Zukunft erworben worden sind, den Eigentümern
der Einführung der Baulandsteuer war sie auch
zu entziehen, nicht gebilligt werden könne. Da wir
gewissermaßen als Vorläufer für eine grundsätzliche
immer wieder die Forderung nach einer breiten Durchführung der Neubewertung von Grundstücken
Streuung des Eigentums erheben, ist es damit aber gedacht. Es ist ja allgemein bekannt, ich brauche
sehr schlecht zu vereinbaren, daß hier das in der das in diesem Hause gar nicht zu wiederholen, daß
Hand einzelner befindliche Eigentum verkauft wer- die Bewertungsgrundsätze von 1935 heute völlig
den soll. überholt sind. Andererseits sind die Gründe be-
Herr Kollege Dresbach, haben Sie etwas vor? kannt, warum bis heute die Neubewertung nicht
gekommen ist. Wir sind aber, glaube ich, hier im
Hause der Meinung, daß wir nun endlich dazu kom-
Dr. Dr. h. c. Dresbach (CDU/CSU) : Herr Kol- men müssen, die Neubewertung durchzuführen, und
lege Imle, eine Frage. Haben Sie bei Ihren Fest- die Bundesregierung wird sicherlich nicht umhin-
stellungen über die hohen Zuschläge zur Grund- können, weitere Verzögerungen zu vermeiden. An-
steuer C feststellen können, ob den Gemeinden dererseits können wir diese Entwicklung nicht ab-
diese hohe Grundsteuer inzwischen eine sehr be- warten; wir können nicht sagen: Wir werden die
liebte Einnahmequelle geworden ist, so daß der Baulandsteuer erst dann aufheben, wenn die Neu-
Sinn dieser Steuer ins Gegenteil verkehrt ist? Der bewertung vorgenommen ist; es muß jetzt hier
Sinn war ja: Die sollen verkloppen oder bauen. etwas geschehen.
Aber es könnte für die Gemeinden ja herauskom-
men, daß ihnen hier eine beliebte Einnahmequelle Welche anderen Wege wären viellicht noch
entstanden ist. möglich gewesen? — Ich bin gleich so weit, Herr
Kollege Schmidt. Ich hatte eben, als ich hier herauf-
(Glocke des Präsidenten.) ging, überlegt, ob ich überhaupt noch sagen könnte:
„Meine Damen und Herren!" Inzwischen ist aber,
— Herr Präsident, Verzeihung. — Ihnen sind ja
solche Fälle aus der Finanzgeschichte sicher bekannt. glaube ich, nur noch eine Dame im Hause, so daß ich
mir das beinahe hätte sparen können.
Ich meine, man hat früher — —
Die Härten, die in der Baulandsteuer liegen, hätte
Vizepräsident Dr. Jaeger: Herr Abgeordneter man vielleicht etwas abschwächen können. Man hat
Dr. Dresbach, Sie dürfen nur eine Frage stellen und daran gedacht, die von mir vorhin erwähnte Zwei-
keine Erklärung abgeben. jahresfrist auf vier Jahre zu verlängern. Aber das ist
ja insofern wieder schwierig, als dann die Bauland-
steuer gleichwohl wieder vorher aufgebracht werden
Dr. Imle (FDP) : Ich habe die Frage soweit ver- muß und dann die Belastung für den einzelnen noch
standen. schwieriger ist.
2998 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 64. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. März 1963
Dr. Imle
Alle diese Gründe, die ich Ihnen hier vortrug, ha- leistungen im gegenwärtigen Zeitpunkt mit weiteren
ben die Fraktion der Freien Demokraten veranlaßt, Preissteigerungen erkauft werden müssen.
einen Gesetzesantrag auf Streichung des § 172 des Das alles lag aber nicht in der Absicht des Gesetz-
Wohnungsbaugesetzes herbeizuführen. Wir sind der gebers. Es liegt auch nicht im Interesse unserer
Meinung, daß sonst das Eigentum in unerwünschte Sparer, insbesondere unserer Bausparer. Auf Grund
Kanäle fließt. Dabei ist keineswegs nur an Privat- der Entwicklung am Baumarkt wird durch die Bau-
leute gedacht; es soll hier auch durchaus einmal ge- landsteuer der kleine Mann am empfindlichsten
sagt werden, daß bestimmte gemeinnützige Gesell- getroffen. Die Steuer hat für ihn tatsächlich Enteig-
schaften von diesem Gesetz Gebrauch gemacht haben nungscharakter, während der wirkliche Spekulant
und daß das ebenfalls unerwünscht ist. die Steuer in ganz kalter Berechnung verdaut und
Ich beantrage die Überweisung der Vorlage an sein Grundstück für ein besseres und sicheres Ge-
den Finanzausschuß — federführend — und an den schäft retten will. Das war aber nicht der Wille des
Wohnungsbauausschuß — mitberatend —. Gesetzgebers.
(Beifall bei den Regierungsparteien.) Ich möchte hier dem Haus für die Beratung noch
einige Gedanken eines Wählers mit auf den Weg
geben, der im April 1962 an alle Fraktionen dieses
Vizepräsident Dr. Jaeger: Ich muß die Damen Hauses geschrieben hat. Mit Erlaubnis des Herrn
verteidigen. Es waren vier Damen im Hause, und so- Präsidenten darf ich einiges von dem zitieren, was
eben kommt eine fünfte. er schreibt:
'Meine Damen und Herren, das Wort hat der Ab- Freilich wird die Zahl derer, die durch dieses
geordnete Dr. Besold. Gesetz Unrecht erleiden müssen, relativ nicht
groß sein. Kann das aber rechtfertigen, in einer
Dr. Besold (CDU/CSU) : Herr Präsident! Meine Demokratie gegen eine vielleicht kleine Minder-
Damen und Herren! Es ist sicher keine sehr gute heit rigoros und mit solcher Härte vorzugehen?
Sache, wenn eine Gesetzesbestimmung, die erst vor Das sollten wir uns hier einmal sagen lassen. Nach
drei Jahren von diesem Haus erlassen worden ist, draußen möchte ich aber auch sagen, daß es nicht
nun wiederaufgehoben werden soll. Aber dennoch so ist, daß wir hier Gesetze nur für die breite Masse
werden meine politischen Freunde von der CDU/ und zur Erzielung von Wirkungen bei unseren Wäh-
CSU im Ausschuß sehr ernsthaft die Frage prüfen, lern machen. Wir haben, auch wenn nur wenige oder
ob es angebracht ist, die Baulandsteuer entweder zu der kleine Mann davon betroffen wird, den Mut,
suspendieren oder ganz aufzuheben. Ich glaube, ein solche Gesetze zu überprüfen. Der Betreffende
I Parlament und eine Bundesregierung, die im Zuge schreibt dann weiter:
des Wiederaufbaus in einem kühnen und großen
Wurf viele wichtige Gesetze beschlossen haben, die Bitte bedenken Sie, daß es sich bei diesen Krei-
im Zusammenwirken wirklich beachtliche Erfolge ge- sen des deutschen Volkes um solide und staats-
bracht haben — diese Erfolge werden auch vom Volk bejahende, somit auch staatserhaltende Kräfte
respektiert —, können ohne Scheu auch einmal prü- handelt, an deren Erhaltung interessiert zu sein
fen, ob ein Gesetz, das Ziel und Zweck nicht erreicht Regierung und Gesetzgeber stets behaupten.
hat, suspendiert oder vorzeitig aufgehoben werden Es ist in der Tat so, daß durch die nicht vorausseh-
sollte. bare Erhitzung des Baumarkts nicht der Bauspeku-
Ich möchte nicht sagen, daß die Baulandsteuer von lant, sondern diese Kreise erfaßt worden sind, für
vornherein schon ein totgeborenes Kind war. Als das die wir den Mut haben müssen, diese Baulandsteuer
Gesetz erlassen wurde, waren seine Ziele und wiederaufzuheben.
Zwecke unbedingt anzustreben. Es sollte, wie aus Ich möchte diesen Wähler, der an uns alle ge-
dem Bericht zu ersehen ist, das Angebot an baureifen schrieben hat, noch deutlicher sprechen lassen, da-
Grundstücken zur Wiederherstellung eines funk- mit wir sehen, wie das Volk draußen diese Dinge
tionsfähigen Bodenmarktes vermehren. Andererseits betrachtet. Er schreibt:
sollte es nach Aufhebung des Preisstopps für unbe-
baute Grundstücke im Zusammenwirken mit der Wie verträgt sich dieses gegen Gartenbesitzer
früheren Fälligkeit der Erschließungsbeiträge Preis- gerichtete und auf kalte Enteignung abzielende
steigerungen verhindern. Gesetz aber mit dem Plan der Bundesregierung
nach breiter Eigentumsstreuung? Will man dem
Auf Grund einer nicht voraussehbaren wirtschaft- finanziell nicht Starken, der noch nicht bauen
lichen Entwicklung sind die Verhältnisse auf dem kann, den Boden abnehmen, um den finanziell
Baumarkt dem, was mit der Baulandsteuer erreicht Stärkeren noch zu kräftigen? Es ergibt sich in
werden sollte, einfach davongelaufen. Das ist sicher diesem Zusammenhang die Frage, warum so
auf die damals 'übergroße Zahlungsbilanz und ihre viele Menschen bauen wollen. In den meisten
Auswirkungen auf das Wirtschaftsgefüge in der Fällen möchten diese doch ihr Geld in Sach-
Bundesrepublik zurückzuführen. Wir haben eine werten anlegen, um der bereits laufenden . . .
Überhitzung des Baumarktes erlebt. Auf der einen Inflation
Seite hatten wir nun die Baulandsteuer und auf der
anderen Seite den Baustopp. Das sind aber wider- — so hart drückt er sich aus —
sprechende Maßnahmen, die sich gegenseitig aufhe- zuvorzukommen. Und zu diesem Zeitpunkt sol-
ben. Hinzu kommt, daß die immer noch hohen Bau- len die Gartenbesitzer zum Verkaufen gezwun-
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 64. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. März 1963 2999
Dr. Besold
gen werden bei der sicheren Voraussicht, daß dem einige Herren zu sehen sind. Vom Bundes-
ein Erlös nach einem Jahr bereits nur noch einen wohnungsbauministerium, das diese Baulandsteuer
Teil des ursprünglichen Geldwertes darstellen mit Zähigkeit verteidigt und sie sogar mit großer
würde. Begründung eingeführt hat, ist niemand zu sehen.
Ich weiß, daß der Herr Minister persönlich verhin-
Meine Damen und Herren, ich habe diesen Satz
dert ist. Er gibt dem verstorbenen früheren Kollegen
hier zitiert, weil er vom Volke draußen gesprochen
Albers die letzte Ehre, und ich kritisiere ihn nicht.
wird. Es ist nicht so weit; das können wir ruhig
Ich meine aber, bei einem solchen Gesetz hätte sein
sagen.
Haus vertreten sein können und vertreten sein
Wir haben in allernächster Zeit über den Wirt- müssen. Ich muß das ausdrücklich rügen.
schaftsbericht zu debattieren. Das sind sehr schwie-
(Beifall bei der SPD.)
rige Fragen, bei denen wir alle uns bemühen müs-
sen, solche Sorgen, die hier im Hinblick auf eine Ihre Ausführungen, Herr Kollege Dr. Besold, sind
Steuer ausgesprochen werden, wo Menschen, kleine für mich nicht nur interessant, sondern zum Teil
Leute ihr Grundstück, das sie als ihren köstlichsten auch verwunderlich gewesen; denn Sie haben kri-
Besitz betrachten, hergeben sollen, auszuräumen. tische Stimmen zitiert, und zwar so, als ob diese
Ich glaube, wir sollten das hören. Wir sollten gerade Stimmen erst laut geworden wären, nachdem das
bei den Auseinandersetzungen in den kommenden Gesetz verabschiedet worden ist. Die hat es schon
Wochen diese Meinung des kleinen Mannes draußen vorher gegeben. Man könnte förmlich der Meinung
hören. sein, Sie hätten sich, ohne sich darüber im klaren zu
sein, noch in den letzten Stunden einige kritische
Wenn man aber dazu kommt, die Baulandsteuer Bemerkungen der Opposition aus der Zeit der Be-
aus eben diesen Gründen aufzuheben oder zu sus- ratung des Bundesbaugesetzes zu eigen gemacht;
pendieren, dann muß die Bundesregierung und muß
das Parlament etwas anderes ersinnen und über- (Sehr wahr! bei der SPD)
legen, um die wirklichen Bodenspekulanten zu tref- denn wir haben mit solchen und ähnlichen Argumen-
fen, unter denen nicht nur Privatleute, sondern auch ten diese Baulandsteuer bekämpft. Wir haben dar-
große Unternehmen und hier und da auch Gemein- getan, .daß war sie für wirkungslos halten.
den zu suchen sind.
Nun, es freut uns nie, in einem solchen Fall recht
Herr Kollege Seuffert ist jetzt gerade nicht da. zu behalten, es freut uns nicht, weil es uns allen
Er hat soeben von sozialer Gerechtigkeit gesprochen, schadet, daß Gesetze, die verabschiedet werden, sich
die geübt werden müsse. Ich glaube nicht, daß es nach einiger Zeit als überholt oder als verfehlt her-
sozial gerecht ist, wenn in Gemeinden ein Grund- ausstellen. Darunter leiden wir alle, von dem Auf-
stück mit Hebesätzen von 1000 % belastet wird. wand, der sinnlos vertan zu sein scheint, ganz
Dabei handelt es sich um ungefähr fünf oder sechs abgesehen.
große Städte, Städte, die wahrscheinlich unter der
Führung der SPD stehen. Herr Kollege Dr. Besold, ich muß Ihnen entgegen-
halten, daß nicht nur Steuerüberlegungen bei der
(Aha-Rufe und Lachen bei der SPD. — Verabschiedung des Gesetzes eine Rolle gespielt
Abg. Börner: Wer hat denn das Gesetz haben und daß man die Bestimmungen über die
gemacht? — Gegenruf von der CDU/CSU: Baulandsteuer nicht isoliert betrachten kann. Als
Es trifft aber zu!) seinerzeit hier in diesem Hause ein ziemlich leiden-
Ich möchte als Leitgedanken für solche neuen schaftlicher Kampf für und wider diese Steuer ein-
Überlegungen folgendes mitgeben. Es sollen die setzte, da hat es Reden gegeben — Freunde aus
Spekulanten durch neue Maßnahmen getroffen wer- Ihren Reihen waren daran beteiligt —, in denen es
den, die eine Bodenvorratswirtschaft als Selbstzweck hieß — Herr Dr. Hesberg sagte Derartiges —, die
betreiben, um daraus äußerst lukrativen und un- Baulandsteuer entspreche dem gesellschaftspoliti-
verdienten Gewinn zu erzielen, Spekulanten, die schen Leitbild der CDU für die Eigentumsbildung.
mit ihrem Tun unseren gesellschaftspolitischen, so- (Hört! Hört! bei der SPD.)
zialpolitischen und wohnungsbaupolitischen Vorstel-
lungen diametral entgegenstehen. Herr Kollege Dresbach, Sie selbst gehören zu den
Abgeordneten, die von Anfang an kritische Berner-
(Beifall bei den Regierungsparteien.)
kungen gemacht haben, und es gereicht Ihnen zur
Ehre, daß Sie bei einer Abstimmung, in der es um
Vizepräsident Dr. Jaeger: Das Wort hat der die Baulandsteuerbestimmungen ging, mit den So-
Abgeordnete Jacobi. zialdemokraten und den Freien Demokraten ge-
stimmt haben. Sie gehören zu denen, die von An-
Jacobi (Köln) (SPD) : Herr Präsident! Meine Da- fang an vor dieser Steuer gewarnt haben. Sie haben
men und Herren! Wenn ich in den Saal schaue und mit uns recht behalten — leider.
auf die Regierungsbank blicke, müßte ich die Mei- Warum treffe ich diese Feststellung, Herr Dr. Be-
nung vertreten: Das ist ein Bagatellgesetzchen, um sold? Nicht aus Freude an ihr, sondern weil Herr
das es hier geht, und es findet in diesem Hause Bundeswohnungsbauminister Lücke bis zu dieser
fraglos keinen Verteidiger mehr. Ich bin mir nicht Stunde zu den Verfechtern der Baulandsteuer ge-
ganz im klaren, ob ich berechtigt bin, eine solche hört hat, und zwar mit der Begründung, sie könne
Feststellung zu treffen. Als federführend mag sich und dürfe nicht isoliert betrachtet und bewertet
in dem Fall das Finanzministerium betrachten, von werden, sondern sie gehöre zu dem geschlossenen
3000 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 64. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. März 1963
Jacobi (Köln)
und wirksamen Instrumentarium des Bundesbau- Dieser Antrag und andere Anträge, die wir stellen
gesetzes. Es ist für uns hochinteressant, von Ihnen werden, geben uns hoffentlich bald Gelegenheit,
als dem Sprecher der CDU/CSU das Gegenteil zu nun endlich einmal wahrzumachen, was aus diesem
hören und damit bestätigt zu erhalten, was wir seit Hause der Öffentlichkeit gegenüber so oft als der
Jahren erklären: dieses Bundesbaugesetz mit sei- Wille aller bezeichnet worden ist.
nem sogenannten Instrumentarium verhindert nicht
(Abg. Dr. Dr. h. c. Dresbach begibt sich an
Bodenwucher und Bodenspekulation, es kann den
ein Saalmikrophon.)
Baumarkt nicht beleben, es kann nicht dazu führen,
daß Baulandpreise entstehen, die vertretbar sind. — Herr Kollege Dresbach kommt nach vorn. Ich
weiß, welche Frage er mir stellen will. Ich versuche
Wir müssen heute also eine sehr wichtige Fest-
einmal zu raten, was er mich fragen will. Er will
stellung treffen: das ganze große Gerede vom Bun-
mich fragen, ob mir nicht bekannt ist, daß eine
desbaugesetz, soweit in ihm bodenordnungspolitische
solche Besteuerung oder Regelung nach dem Grund-
Maßnahmen vorgesehen sind, hat sich als das er-
wiesen, was wir von vornherein befürchten mußten, gesetz nicht Angelegenheit des Bundes ist. Wollten
als eine Hoffnung, die nicht erfüllt worden ist. Das Sie das fragen, Herr Kollege?
Bundesbaugesetz hat insoweit, bei aller Bedeutung, (Dr. Dr. h. c. Dresbach: Ja! — Heiterkeit.)
die ihm sonst zukommt, offensichtlich versagt. Die
Grundsteuer C, die sogenannte Baulandsteuer als Vizepräsident Dr. Jaeger: Zu einer Zwischen-
eines der Instrumente des Bundesbaugesetzes, frage Herr Abgeordneter Dr. Dresbach.
scheint zu dieser Stunde im Hohen Hause nicht
einen Verteidiger mehr zu finden. Dr. Dr. h. c. Dresbach (CDU/CSU) : Herr Jacobi,
Wenn sie aber fällt, was bleibt dann eigentlich darf ich fragen — ich muß ja fragen —: Erstens, ist
noch an Maßnahmen, an Möglichkeiten vom Gesetz Ihnen bekannt, daß eine solche Wertzuwachssteuer
her, der Entwicklung der 'Bodenpreise, der Boden- zu den Steuern mit örtlich bedingtem Wirkungskreis
spekulation und dem Bodenwucher entgegenzutre- gehört, also nicht unter die Jurisdiktion dieses
ten? Die Vorverlegung der Erschließungsbeiträge, Hohen Hauses fällt? Zweitens frage ich: Herr Jacobi,
die Einrichtung der Gutachterausschüsse, jene bei- sind Sie nicht auch der Meinung, daß wir, bevor wir
den Instrumente, die neben dem hier heute anste- an diese recht komplizierte und zum Betrug ver-
henden den Kernpunkt der Regelungen bilden? führende Wertzuwachssteuer herantreten, an eine
Dann bleibt doch nichts mehr! Ich treffe diese Fest- ehrliche Einheitsbewertung herangehen sollten?
stellung mit dem Hinweis 'darauf, daß wir uns Ge-
) danken darüber machen sollten, ob, wenn die Bau- Jacobi (Köln) (SPD) : Herr Kollege Dresbach, ich
landsteuer aufgehoben wird, das wirklich völlig kann beide Fragen zu Ihrer Zufriedenheit beant-
ersatzlos geschehen kann, oder ob wir uns dann worten.
nicht doch noch einmal sehr ernsthaft mit der Frage
zu beschäftigen haben, was denn, da sie versagt (Abg. Dr. Dr. h. c. Dresbach: Ich kriege
hat, an ihrer Stelle an Maßnahmen getroffen werden schließlich noch Ihre Ehrennadel! — Zuruf
kann. Herr Kollege Besold machte eine Andeutung, von der CDU/CSU: Sie suchen einen neuen
daß auch er der Meinung ist, 'daß nach dieser Rich- Geschäftsführer! — Heiterkeit.)
tung hin 'in den Ausschußberatungen Überlegungen — Herr Kollege Dresbach, ich bin der Auffassung
angestellt werden müßten. gewesen, Sie hätten die Reihe Ihrer Fragen abge-
Es wird aber auch allmählich Zeit. Wir haben schlossen, und ich wollte sie beantworten. Wollten
zwei- oder dreimal in diesem Bundestag einstimmig Sie — ich bitte sehr um Entschuldigung — noch
die Bundesregierung aufgefordert, wirksame Maß- ergänzend etwas fragen?
nahmen gegen Bodenwucher und Bodenspekulation (Abg. Dr. Dr. h. c. Dresbach: Ich hatte nur
einzuleiten und Vorlagen zu unterbreiten. gesagt, bei dieser Übereinstimmung be-
(Abg. Dr. Schmidt [Wuppertal] : Wissen komme ich allmählich Ihre Ehrennadel! —
Sie, welche?) Heiterkeit.)
Jahr für Jahr, und nichts ist geschehen. Wir haben — Herr Kollege Dresbach, darüber können wir zu
im federführenden Wohnungsbauausschuß noch einem späteren Zeitpunkt einmal reden.
einen Antrag der SPD unerledigt anstehen, der aus (Erneute Heiterkeit.)
dem vergangenen Jahr stammt und in Verbindung
mit unserer Großen Anfrage über die Baulandpreise Selbstverständlich sind uns die grundgesetzlichen
angenommen wurde. In dem Antrag heißt es: Schwierigkeiten bekannt. Wenn sich im Laufe der
Zeit herausstellen sollte, daß es anders nicht geht,
Die Bundesregierung wird ersucht, müßte unter Umständen uns allen, das wissen wir,
bis spätestens 1. Oktober 1962 dem Bundestag der Gedanke nähergebracht werden, sogar im Wege
einen Gesetzentwurf vorzulegen, der eine einer Grundgesetzänderung Möglichkeiten zu schaf-
Wertzuwachs abgabe auf die Spekulationsge- fen. Aber der von mir erwähnte Antrag der SPD ist
winne aus Bauboden einführt oder durch den ja nur einer der Anträge, von denen ich sprach.
auf andere Weise Spekulationsgewinne abge- Wir haben bei der Beratung des Bundesbaugesetzes
schöpft werden, die aus einer Steigerung der und besonders bei der Beratung der Bestimmungen
Bodenwerte und der Bodenpreise entstanden über die Baulandsteuer einen Antrag eingebracht —
sind. damit komme ich auf Ihre zweite Frage zu sprechen,
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 64. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. März 1963 3001

Jacobi (Köln)
Herr Kollege Dresbach, und kann sie wahrscheinlich Memmel (CDU/CSU) : Herr Kollege Jacobi, was
positiv beantworten —, einen Antrag im Hinblick soll mit den Leuten geschehen, die jetzt loyal und
auf eine Einheitsbewertung, die den veränderten treu dem Gesetz nachgekommen sind und verkauft
Verhältnissen Rechnung trägt. haben? Was soll mit denen geschehen? Die sind doch
dann die Dummen.
Nach unserem Antrag sollte an die Stelle der
schließlich von der Mehrheit dieses Hauses ange-
Jacobi (Köln) (SPD) : Herr Kollege Memmel, das
nommenen Bestimmungen über die Baulandsteuer
ist doch eine Frage, die nicht ich zu beantworten
eine Regelung treten, die grundsteuerrechtlich und be-
habe. Die müssen Sie beantworten. Sie haben ja zu
wertungsrechtlich gefaßt, entsprechend fundiert und
denen gehört, die die Steuer eingeführt haben;
rechtlich so abgesichert war, daß sie in die Zustän-
digkeit dieses Hauses fiel. Unser Antrag sah Rege- (Beifall bei der SPD)
lungen vor, die gleichmäßig sind und die vor wir waren von Anfang an dagegen. Die Opposition
allen Dingen nicht den Irrtum gestatten, daß man ist doch nicht dazu da, Schwierigkeiten, die die
einer Entwicklung entgegentreten könne, die wirt- Bundesregierung oder die sie tragende Mehrheit
schaftspolitisch leider danebengegangen war. Es herbeigeführt haben, zu aplanieren. Sie kann nur
ist also ein Anliegen, das Ihnen vom Steuerrecht dazu Stellung nehmen, indem sie erklärt: Das hättet
und vom Finanzrecht her, glaube ich, immer näher ihr euch vorher überlegen müssen!
stand. Wirtschaftspolitik soll man nicht unbedingt -
mit Steuergesetzen betreiben.
Vizepräsident Dr. Jaeger: Gestatten Sie eine
(Zustimmung bei der SPD und bei Abge weitere Frage des Herrn Abgeordneten Memmel?
ordneten der CDU/CSU.)
Wir haben nach der Richtung hin Überlegungen Memmel (CDU/CSU) : Herr Kollege Jacobi, be-
angestellt, und wir werden Ihnen alsbald eine ent- fürchten Sie nicht, daß wegen der Ungerechtigkeit
sprechende Vorlage unterbreiten. — daß diejenigen bevorzugt sind, die sich hartnäckig
geweigert haben, den Zweck des Gesetzes zu erfüllen
Es bleibt mir nur noch weniges festzustellen. Es ist — von den Benachteiligten Ansprüche gestellt wer-
bereits darauf hingewiesen worden, daß die Bauland- den?
steuer etwas bewirken sollte, was nach unserer Über-
(Zurufe von der SPD. — Zuruf: Das muß
zeugung nicht mit ihr erreicht werden konnte. Offen-
man vorher überlegen!)
bar stellt sich nunmehr auch bei Ihnen die Über-
zeugung heraus, daß Sie sich unserer von uns schon Jacobi (Köln) (SPD) : Herr Kollege Memmel,
früher vertretenen Auffassung leider anschließen wenn Sie diesen Standpunkt vertreten, der Sie an
müssen. Die Baulandsteuer sollte den Bodenmarkt sich ehrt, dann muß ich Sie fragen: wie sollen wir
regulieren, vor allem das Angebot an Bauland an- sonst das Leben regulieren, wenn wir eines Tages
reichern, indem sie die Zurückhaltung baureifen Bo- feststellen, daß wir eine falsche Entscheidung ge-
dens verhinderte. Es bedarf nach einigen Jahren Pra- troffen haben, die revidiert werden muß? Da ist es
xis in der Tat keines weiteren Abwartens, sondern doch einfacher, sich zu überlegen, wie man dies
man kann schon jetzt feststellen, daß alle diese oder jenes, was in der Vergangenheit angerichtet
Zwecke nicht erreicht worden sind und mittels dieser worden ist, korrigiert, statt an einer Maßnahme
Steuer auch nicht erreicht werden können. festzuhalten, die für alle Zukunft unvertretbar und
Von Anfang an war erkennbar, daß wirtschaftlich im Hinblick auf das Anliegen derer, die sie einge-
schwache Eigentümer kleiner Grundstücke, vor allem führt haben, unwirksam gewesen ist!
Bausparer, in Schwierigkeiten geraten würden, weil Wir Sozialdemokraten — ich betone das noch.
sie von der Baulandsteuer in ihrer ganzen Schwere einmal—ködFDP-Antragbeiuslo
getroffen wurden, dagegen kapitalkräftige Grund- unterstützen, soweit er die Aufhebung der Bau-
stückseigentümer bei dieser Besteuerung in völliger landsteuer bezweckt, sind aber der Meinung, daß
Gelassenheit die Entwicklung abwarten konnten. wir allesamt daran mitzuwirken haben, daß nun
Wir haben diese Steuer von Anfang an als unge- wirklich Maßnahmen getroffen werden, die der
recht, als unsozial und als für die gedachten Zwecke Bodenpreisentwicklung und der Spekulation ent-
unwirksam bezeichnet. gegenwirken.
Wir können uns also heute bei unserer Stellung- Wir möchten infolgedessen dazu raten, diesen
nahme zu dem FDP-Antrag kurzfassen. Wir werden Antrag möglichst beschleunigt zu beraten und die
nötige Zeit aufzubringen, um vertretbare, gerechte
ihn unterstützen. Dabei können wir davon absehen,
und allgemein wirksame Maßnahmen zu treffen,
alle angeschnittenen Fragen mit zu erwägen, z. B.
die Bodenwucher, Bodenspekulation und Boden-
die, ob die Steuer verfassungswidrig ist. Sie ist in
preissteigerungen und den großen Nutznießern der-
ihrer tatsächlichen Gestalt unvertretbar, und ich
selben entgegentreten. Wir werden Ihnen nach der
glaube, daß sich in diesem Hause entsprechende
Richtung einige Vorschläge zu unterbreiten versu-
Mehrheiten finden werden, sie abzuschaffen.
chen, mit denen Sie sich dann hoffentlich positiver
beschäftigen, als Sie das bei der Beratung des Bun-
Vizepräsident Dr. Jaeger: Herr Abgeordneter, desbaugesetzes in der Vergangenheit getan haben,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abge- als Sie, die Mehrheit, alle unsere Anträge und darin
ordneten Memmel? vorgeschlagenen Regelungen abgelehnt haben.
3002 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 64. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. März 1963
Jacobi (Köln)
Es steht fest, daß die Baulandsteuer keine wirk- Vizepräsident Dr. Jaeger: Das Wort hat der
liche Waffe gegen die Bodenspekulation gewesen Abgeordnete Stiller.
ist, wie das von seiten der CDU/CSU behauptet
worden ist. Sie 'war bis zu dieser Stunde ein gesell-
schaftspolitisches Alibi und gar nichts anderes. Sie Stiller (CDU/CSU) : Herr Präsident! Meine Damen
ist nicht mehr vertretbar, und wir werden mit dazu und Herren! Herr Jacobi, ich wollte zu diesem
beitragen, daß sie fällt. Thema eigentlich nicht sprechen, weil ich, wie Sie
wissen, kein Freund der Baulandsteuer war. Ich
(Beifall bei der SPD.) muß jetzt aber 'doch das Wort nehmen, weil Sie sich
hier gewissermaßen als das Unschuldslamm hinge-
Vizepräsident Dr. Jaeger: Das Wort hat der stellt haben: Sie könnten nichts für die Bauland-
Abgeordnete Dr. Besold. steuer.
Warum ist es denn dazu gekommen, Herr Jacobi?
Dr. Besold (CDU/CSU) : Herr Präsident! Meine Sie wissen sehr genau, daß Sie selbst, daß die SPD
Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Kollege im Ausschuß während der zweiten und dritten Le-
Jacobi, ich nehme sehr gern eine Kritik entgegen. sung des Bundesbaugesetzes den Antrag auf eine
Aber gegen eines möchte ich hier doch auftreten, Mehrwertsteuer gestellt hatte. Diese Mehrwert-
und zwar dagegen, daß Sie denen, die dieses Ge- steuer ist nichts anderes als eine gewandelte Wert-
setz gemacht haben, unterstellen wollen, sie hätten zuwachssteuer, die wir schon einmal vor Jahrzehn-
damit nicht sozialpolitische Erwägungen, nämlich ten hatten und von der jeder weiß, daß sie sich
Förderung des Eigentums usf., verfolgt. nicht bewährt hat. Glauben Sie, Herr Kollege Jacobi,
daß die sogenannte Mehrwertsteuer, die gewandelte
(Zurufe von der SPD.)
Wertzuwachssteuer den Bausparer, von dem Sie
— So hat es aber geklungen. Damals war die jetzt gesprochen haben, mehr geschont hätte, als es
Situation am Baumarkt noch so, daß die Ziele und die Baulandsteuer getan hat? Das wäre sicher nicht
die Zwecke, die ich aufgezeigt habe und die auch der Fall gewesen.
im Gesetz festgelegt worden sind, mit diesem Ge-
setz und mit dieser Baulandsteuer angestrebt wer- Nun noch etwas zur Baulandknappheit. Die Bau-
den konnten. Daß wir nicht Hellseher sind und vor- landsteuer sollte nicht als einziges Mittel dazu die-
aussehen können, darüber sind wir froh; denn nen, wieder zu einem Baulandmarkt zu kommen.
sonst könnte man wahrscheinlich in der Politik Sie wissen genau, daß wir im Bundesbaugesetz ver-
überhaupt nicht leben. schiedene Maßnahmen niedergelegt haben. Es wird
dazu verhelfen, daß wir wieder zu einem Bauland-
Ich verstehe nicht, daß Sie Kritik daran üben, markt-kommen. Allerdings geht das nicht von heute
daß wir jetzt an die Aufhebung gehen, nachdem auf morgen. Sie dürfen nicht vergessen, daß wir in
Sie selbst dieses Gesetz kritisieren. Dann müssen den letzten 10 Jahren 7 Millionen Wohnungen er-
Sie doch eigentlich zustimmen und sagen: Gut, stellt haben. Dafür mußte ja auch das Bauland be-
Respekt! Sie haben die Konsequenz gezogen und reitgestellt werden und ist bereitgestellt worden.
Sie suchen einen neuen Weg! Heuer, im Jahre 1963, werden wieder 500 000 Woh-
(Abg. Jacobi [Köln] : Habe ich gesagt!) nungen gebaut und im nächsten und im übernäch-
sten Jahr ebenfalls. Auch für diese Wohnungen ist
— Das ist eine sehr erfreuliche Feststellung. Ich das Bauland schon bereit.
habe eingangs schon gesagt, daß wir uns gar nicht
zu genieren brauchen, einmal ein Gesetz aufzu- Daß das Bauland knapp wird, wenn ein solcher
heben, das Auswirkungen in einer ganz anderen Baulandbedarf besteht, ist klar. Aber wenn das
Richtung gezeigt hat, als man von Anfang an ernst- Bundesbaugesetz richtig angewendet wird, wird
lich gewollt hat. Wir wollten nicht die Spekulanten es Bauland schaffen. Die Gemeinden haben durch
unterstützen und wir wollten nicht 'diejenigen, die das Bundesbaugesetz die Möglichkeit bekommen,
durch Bebauungspläne Bauland auszuweisen. Sie
sich die Baulandsteuer leisten können, unter-
haben die Möglichkeit bekommen, dieses Bauland
stützen.
zu erschließen. Die Grundeigentümer werden sofort
(Abg. Jacobi [Köln] : Das haben wir nicht herangezogen, die Beiträge zu zahlen, sobald er-
einmal unterstellt!) schlossen ist.
Ich verstehe Ihre Argumentation nicht. Jetzt miß- All diese Maßnahmen, meine Damen und Herren,
billigen Sie dieses Baulandsteuergesetz, während führen dazu, daß wir genügend Bauland bekommen
Sie seinerzeit, als das Gesetz gemacht wurde, weit werden. Allerdings müssen auch die Gemeinden
höhere Belastungen an Baulandsteuer wollten. Zu dabei helfen und müssen das Bundesbaugesetz
welchem Zweck? Damit vielleicht das erreicht wird, anwenden. Aber besonders die größeren Gemeinden
was man in den Städten, die dieses Gesetz miß- tun das nicht.
braucht haben und die Tausend-Prozent-Hebesätze Heute wurde schon über die hohen Hebesätze der
eingeführt haben, erreicht hat: diesen Leuten das Baulandsteuer gesprochen. Ich muß darauf hinwei-
Eigentum abzunehmen? Die Argumentation, die Sie sen, daß z. B. die Städte Regensburg und Offenbach
gegen meine Ausführungen vorgebracht haben, hat — beide haben sozialdemokratische Oberbürger-
also nicht einer ehrlichen und guten Handhabung meister — für die Baulandsteuer Hebesätze von
eines Gesetzes das Wort geredet. 1000 % eingeführt haben. Daß eine derart hohe
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 64. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. März 1963 3003
Stiller
Steuer Enteignungscharakter trägt, ist natürlich klar. Im übrigen basiert das alles ja noch auf Einheits-
Gerade diese Dinge haben die Baulandsteuer auch werten aus dem Jahre 1935. Und wenn Sie einmal
in der Bevölkerung draußen nach und nach unmög- durchrechnen — ich habe die Zahlen da, aber in der
lich gemacht. Darum sind wir der Meinung, daß sie Eile soeben nicht gefunden —, wie hoch die Bela-
jetzt endlich geändert werden sollte. stung im Verhältnis zu dem wirklichen wirtschaft-
lichen Wert des betroffenen Grundstücks ist, dann
(Beifall bei den Regierungsparteien.)
werden Sie finden, daß, von sozialen Härtefällen
abgesehen, dieser Steuer selbst in einem solchen
Vizepräsident Dr. Jaeger: Das Wort hat der Fall nicht die Bedeutung zukommt, die Sie ihr bei-
Abgeordnete Jacobi. messen möchten.
Kurz und gut, das Instrument scheint praktisch
erledigt zu sein, und ich glaube, wir sind gut bera-
Jacobi (Köln) (SPD) : Herr Präsident! Meine Da-
ten, ihm alsbald den Garaus zu machen.
men und Herren! Es ist für Sie, meine Herren
Kollegen von der CDU/CSU, natürlich nicht ganz (Beifall bei der SPD.)
einfach, jetzt mit Argumenten zu kommen, die die
Baulandsteuer rechtfertigen, nachdem zwei Parteien Vizepräsident Dr. Jaeger: Das Wort hat der
dieses Hauses von Anfang an gegen diese Steuer Abgeordnete Dr. Schmidt (Wuppertal).
gewesen sind. Aber wir wollen hier jetzt nicht
richten und rechten, sondern bei den nüchternen Dr. Schmidt (Wuppertal) (CDU/CSU) : Herr Prä-
Tatsachen bleiben. sident! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Ich muß Ihnen, Herr Kollege Stiller, entgegen- Als wir seinerzeit die Baulandsteuer einführten,
halten, daß just diese Baulandsteuer aus der Sicht haben wir sie ganz klar als ein Ersatzmittel gewählt.
z. B. des Herrn Bundeswohnungsbauministers Lücke Insbesondere wir im Finanzausschuß waren uns
bis zu dieser Stunde das stärkste Instrument des darüber klar, daß dieses Problem an sich durch eine
Bundesbaugesetzes gewesen ist. Was bleibt denn da Reform des Reichsbewertungsgesetzes gelöst werden
sonst noch? Die Vorziehung der Erschließungsbei- müßte. Ich bin auch heute noch der Auffassung, daß
träge, die Verpflichtung der Gemeinden, Bauland das der einzige Weg ist, um zu klaren und vernünf-
aufzuschließen. Das wirkt sich auf den Bodenmarkt tigen Lösungen zu kommen. Weder eine Wertzu-
nicht so fühlbar aus, daß man Spekulation und wachssteuer noch die Idee des Wertausgleichs noch
Bodenwucher damit entscheidend entgegentreten das, was sonst noch vorgeschlagen ist, insbesondere
könnte. Verkehrswert und viele andere Dinge — von unserem Freund Lubahn, der uns ja alle mehr
Sie wissen das alles — stehen einer solchen Ent- oder weniger stark in Anspruch genommen hat,
wicklung entgegen, wie wir sie alle wünschen. bedeutet einen Ausweg. Sowenig es ein Ausweg
war, eine Baulandsteuer einzuführen, ist es ein
Damit komme ich zu den Ausführungen des Kolle- Ausweg, sie wiederaufzuheben. Wir müssen an das
gen Dr. Besold. Herr Kollege Dr. Besold, zu keiner Problem der Reform des Bewertungsgesetzes heran.
Stunde hat einer meiner Freunde oder habe ich
unterstellt, daß die Vertreter der Maßnahmen des (Beifall in der Mitte und bei der SPD.)
Bundesbaugesetzes das Spekulantentum hätten för- Wir haben es soeben im Zusammenhang mit der
dern wollen. Geirrt haben sie sich, sie haben ge- Bewertung von Anteilen von inländischen Kapital-
glaubt Maßnahmen zu treffen, die wirksam seien, gesellschaften gesehen: wo auch immer wir uns
und haben jetzt wie wir ihre Unwirksamkeit fest- über Steuerfragen und vor allem über Finanzver-
stellen müssen. Das ist eine ganz nüchterne Tat- fassungsreformprobleme unterhalten, immer wieder
sachenfeststellung, und Sie werden keine Stimme stoßen wir auf diese Frage. Wir stecken den Kopf
aus unseren Reihen anführen können, die etwa in den Sand. Nach meiner Auffassung dürfen wir
behauptete, Sie hätten bewußt die Bodenspekulan- das nicht länger tun. Wir müssen das Problem der
ten unterstützen wollen. Aber die Erkenntnis, die Reform des Reichsbewertungsgesetzes anpacken.
heute dem ganzen Hause kommt, hätte keine drei
Jahre auf sich warten zu lassen brauchen. Die hätten (Beifall auf allen Seiten des Hauses.)
wir damals schon haben können, denn es ist ja
gewarnt worden. Vizepräsident Dr. Jaeger: Das Wort hat der
Es ist auch nicht sehr sinnvoll, Herr Kollege Stiller Abgeordnete Dr. Dresbach.
und Herr Kollege Besold, nun zu untersuchen, ob
in dieser oder jener Gemeinde mehr oder weniger Dr. Dr. h. c. Dresbach (CDU/CSU) : Herr Präsi-
hohe Hebesätze zugrunde gelegt worden sind. Auch dent, \der Herr Kollege Jacobi hat mich soeben an-
in den Gemeinden gibt es unterschiedliche Situatio- gesprochen. Er glaubte meine Meinung richtig zu
nen. Ich kann mir vorstellen, daß es z. B. im Innen- interpretieren, als er sagte, man solle bei einem
gebiet von Städten Besitzer von Grundstücken gibt Steuergesetz nicht zu viele wirtschaftspolitische und
— also Grundstücksbesitzer, die nicht unbedingt zu sonstige Überlegungen anstellen. So habe ich Sie
den wirtschaftlich Schwachen gehören müssen —, verstanden, Herr Jacobi, und ich möchte das aus-
die durch ihre Zurückhaltung städtebaulichen Not- drücklich bejahen. Die Baulandsteuer, die Grund-
wendigkeiten nicht in dem Maße entsprechen, wie steuer C, ist seinerzeit \als unbedingte Ordnungs-
es gefordert werden muß. Das alles mag örtlich steuer ohne Rücksicht darauf geschaffen worden, ob
seine Gründe haben. sie Erträge bringt oder nicht. Wir haben eine Paral-
3004 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 64. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. März 1963
Dr. Dr. h. c. Dresbach
lele dazu. Das ist die Heizölsteuer, die seinerzeit Ich rufe auf Punkt 9 der Tagesordnung:
geschaffen worden ist, um Ordnung zu schaffen, Erste Beratung des von der Bundesregierung
ohne Rücksicht darauf, ob sie Erträge bringt oder eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
nicht. Neuerdings haben wir ja eine Ausflucht dafür Änderung des Gesetzes über die Errichtung
gefunden: wir verwenden sie an der Ruhr. eines Bundesgesundheitsamtes (Drucksache
(Heiterkeit.) IV/999) .
Aber, meine Damen und Herren, ich möchte am Auf Begründung und Aussprache wird verzichtet.
Schicksal der Baulandsteuer einmal ablesen, wie Ich schlage Ihnen Überweisung an den Ausschuß für
verheerend der Begriff der Ordnungssteuer wirken Gesundheitswesen vor. — Widerspruch erfolgt nicht;
kann, indem er nämlich zur Unordnung im öffent- es ist so beschlossen.
lichen Abgabenrecht führt. Also ich bin Herrn Pro-
fessor Gerloff in Frankfurt wirklich nicht dankbar, Ich rufe auf Punkt 10 der Tagesordnung:
daß er diesen Begriff so eingeführt hat. Ich persön- Erste Beratung des von der Bundesregierung
lich halte es immer noch mehr mit der alten Finanz- eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu
wissenschaft Adolf Wagners in Berlin, wenn er dem Ü bereinkommen Nr. 116 der Internatio-
auch schon lange tot ist. nalen Arbeitsorganisation vom 26. Juni 1961
Und nun noch eine Bemerkung, die die Zustän- über die Abänderung der Schlußartikel (Druck--
digkeit betrifft. Ich spreche hier nicht nur als Mit sache IV/1003).
glied des Steuerausschusses. Aber wie ist es mit Auf Begründung und Aussprache wird verzichtet.
unserer Zuständigkeit allmählich geworden? Die Ich schlage Ihnen Überweisung an den Ausschuß für
Mineralölsteuer, bestimmt eine Verbrauchsteuer Arbeit vor. — Widerspruch erfolgt nicht; es ist so
wie jede andere auch, geht in die Zuständigkeit des beschlossen.
Verkehrsministeriums über. Die Heizölsteuer geht
in die Zuständigkeit des Wirtschaftsministeriums Ich rufe auf Punkt 11 der Tagesordnung:
über. Die Baulandsteuer, die Grundsteuer C, eine Erste Beratung des von der Bundesregierung
Objektsteuer, eine Realsteuer wie die anderen auch, eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu
geht in die Zuständigkeit des Wohnungsbaumini- dem Zusatzabkommen vom 14. Mai 1962 zu
steriums über. Und das Finanzministerium und der dem zwischen der Bundesrepublik Deutsch-
Steuerausschuß üben bestenfalls noch die Rolle von land und dem Königreich der Niederlande am
Justitiaren oder, sagen wir, von Reparaturschlossern 8.April1960untezchVragübe
aus. Das ist die Zersplitterung 'hinsichtlich der Zu- die Regelung der Zusammenarbeit in der Ems-
ständigkeit im Abgabenrecht. mündung (Ems-Dollart-Vertrag) (Drucksache
Die Beispiele ließen sich, glaube ich, noch um IV/1025).
einige vermehren. Ich wollte nur — seien Sie mir Auf Begründung und Aussprache wird verzichtet.
darum nicht böse; Sie können ja auch schimpfen; Ich schlage Ihnen Überweisung an den Ausschuß für
dem Publizisten, der 'ich nun einmal bin, ist es fast auswärtige Angelegenheiten vor. — Widerspruch
egal, ob er gelobt oder kritisiert wird; nur wenn erfolgt nicht; es ist so beschlossen.
er totgeschwiegen wird, dann ist das blamabel —
Ich rufe auf Punkt 12 der Tagesordnung:
(Heiterkeit)
Erste Beratung des von der Bundesregierung
die Konsequenz allgemeiner Art daraus ziehen, daß eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum
man die öffentliche Abgabe, eine Steuer, nicht vor- Zusatzabkommen vom 14. Mai 1962 zu dem
nehmlich zum Dirigismus verwenden, sondern sie zwischen der Bundesrepublik Deutschland
als eine echte Steuer betrachten sollte, die Geld und dem Königreich der Niederlande am
einbringen soll, ein Geld, das auf Grund exakter 8.April1960untezchFiavrtg
alljährlicher Beschlüsse zur Ausgabenseite veraus- (Drucksache IV/1038).
gabt wird.
Auf Begründung und Aussprache wird verzichtet.
Hier haben Sie den Beweis dafür, wie man gegen
Ich schlage Ihnen Überweisung an den Ausschuß für
diese alte gefestigte Auffassung — meines Erachtens
Wiedergutmachung — federführend — und an den
sollte sie gefestigt sein — von Einnahmen und Aus- Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten — mit-
gaben des öffentlichen Haushalts gesündigt hat.
beratend — vor. — Das ist beschlossen.
Tun wir es in Zukunft nicht mehr!
(Beifall.) Ich rufe Punkt 13 der Tagesordnung auf:
Beratung des Mündlichen Berichts des Rechts-
ausschusses (12. Ausschuß) über die Streit-
Vizepräsident Dr. Jaeger: Es liegen keine sache vor dem Bundesverfassungsgericht An-
Wortmeldungen mehr vor. Die Aussprache ist ge-
trag der Gesamtdeutschen Partei (DP/BHE)
schlossen. wegen Verletzung des Artikels 3 Abs. 1
Ich schlage Ihnen vor, den Gesetzentwurf an den des Grundgesetzes durch Maßnahmen und
Finanzausschuß — federführend — und an den Aus- Unterlassungen in bezug auf Kapitel 06 02
schuß für Wohnungswesen, Städtebau und Raum- Tit. 612 des Bundeshaushaltsgesetzes für 1962
ordnung — mitberatend — zu überweisen. — Wider- („Sondermittel für politische Bildungsarbeit")
spruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen. (Drucksache IV/1035).
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 64. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. März 1963 3005
Vizepräsident Dr. Jaeger
Berichterstatter ist der Abgeordnete Benda. Ich wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich
erteile ihm das Wort. bitte um die Gegenprobe. — Keine Gegenstimmen.
(Zurufe.) Enthaltungen? — Keine Enthaltungen. Einstimmig
angenommen!
Der Abgeordnete Benda ist nicht im Saal. Ich schlage
vor, daß das Haus auf einen Bericht verzichtet. — Ich rufe Punkt 17 der Tagesordnung auf:
Das ist der Fall. Wird das Wort zur Aussprache ge- Beratung des Berichts des Außenhandelsaus-
wünscht? — Das ist nicht der Fall. Dann bitte ich schusses (17. Ausschuß) über die von der
diejenigen, die dem Antrag des Ausschusses auf Bundesregierung erlassene Achte Verordnung
Drucksache IV/1035 zuzustimmen wünschen, die zur Änderung der Einfuhrliste — Anlage zum
Hand zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. Außenwirtschaftsgesetz — (Drucksachen IV/
— Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? — Keine 939, IV/1037).
Enthaltungen. — Einstimmig angenommen! Berichterstatter ist der Abgeordnete Dr. Löhr.
Ich rufe Punkt 14 der Tagesordnung auf: Ist das Wort erforderlich? — Das ist nicht der Fall;
das Haus verzichtet auf den Bericht. Werden An-
Beratung des Schriftlichen Berichts des Aus- träge aus der Mitte des Hauses gestellt? — Wort-
schusses für Gesundheitswesen (11. Ausschuß) meldungen? — Das ist nicht der Fall, dann stelle
über den von der Bundesregierung zur Unter- ich fest, daß das Haus Kenntnis von dem Bericht
richtung vorgelegten Vorschlag der Kommis- auf Drucksache IV/1037 genommen hat.
sion für eine Richtlinie des Rates der EWG
über Angleichung der Rechts- und Verwal- Ich rufe Punkt 18 der Tagesordnung auf:
tungsvorschriften für pharmazeutische Erzeug- Beratung des Berichts des Außenhandelsaus-
nisse (Drucksachen IV/965, IV/1032). schusses (17. Ausschuß) über die von der
Bundesregierung erlassene Einundvierzigste,
Der Berichterstatter, der Abgeordnete Dr. Dittrich, Fünfundvierzigste und Sechsundvierzigste
hat einen Schriftlichen Bericht vorgelegt, für den ich Verordnung zur Änderung des Deutschen
ihm danke. Das Wort wird nicht gewünscht? — Wer Zolltarifs 1962 (Drucksachen IV/937, IV/935,
dem Antrag des Ausschusses Ziffern 1 und 2 zuzu- IV/936, IV/1036).
stimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. Berichterstatter sind die Abgeordneten Junker,
— Ich bitte um die Gegenprobe. — Keine Gegenstim- van Delden und Sander. Wird das Wort hierzu
men. Enthaltungen? — Keine Enthaltungen; einstim- gefordert? — Das ist nicht der Fall; das Haus ver-
mig angenommen. zichtet auf weitere Berichte. Anregungen? — An-
Ich rufe Punkt 15 der Tagesordnung auf: träge? — Wortmeldungen? — Das ist nicht der Fall.
Beratung des Schriftlichen Berichts des Aus- Dann hat das Haus von dem Bericht auf Drucksache
schusses für Ernährung, Landwirtschaft und IV/1036 Kenntnis genommen.
Forsten (19. Ausschuß) über den von der Bun- Ich rufe Punkt 19 der Tagesordnung auf:
desregierung zur Unterrichtung vorgelegten Beratung der von der Bundesregierung vor-
Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie gelegten Dreiundfünfzigsten Verordnung zur
des Rates der EWG zur Regelung viehseuchen- Änderung des Deutschen Zolltarifs 1962 (Zoll-
rechtlicher Fragen beim innergemeinschaft- kontingente 1963 — gewerbliche Waren —
lichen Handelsverkehr mit Rindern und L Teil) (Drucksache IV/1040).
Schweinen (Drucksachen IV/954, IV/1009). Das Wort wird nicht gewünscht? — Ich schlage
Der Berichterstatter, Herr Abgeordneter Sühler, Überweisung
— an den Außenhandelsausschuß vor.
hat einen Schriftlichen Bericht vorgelegt, für den ich Widerspruch erfolgt nicht; es ist beschlossen.
ihm danke. Wird das Wort zur Aussprache ge- Ich rufe Punkt 20 der Tagesordnung auf:
wünscht? — Das ist nicht der Fall. Dann lasse ich Beratung der von der Bundesregierung erlas-
über den Antrag des Ausschusses Ziffern 1 und 2 senen Zweiundfünfzigsten Verordnung zur
abstimmen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich Änderung des Deutschen Zolltarifs 1962 (An-
um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegen- gleichungszölle für Hartkaramellen, Weich-
probe. — Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? — karamellen, Dragées und Brot — Neufestset-
Auch keine Enthaltungen. Einstimmig angenommen! zung) (Drucksache IV/1041).
Damit komme ich zu Punkt 16 der Tagesordnung: Das Wort wird nicht gewünscht? — Ich schlage
Beratung des Schriftlichen Berichts des Außen- Ihnen Überweisung an den Außenhandelsausschuß
handelsausschusses (17. Ausschuß) über die — federführend — sowie an den Ausschuß für
von der Bundesregierung vorgelegten Vor- Ernährung, Landwirtschaft und Forsten — mitbe-
schläge der Kommission für Verordnungen des ratend — vor. — Widerspruch erfolgt nicht: es ist
Rates der EWG betreffend Änderungen der beschlossen.
Verordnung Nr. 55 (Drucksachen IV/946, Meine Damen und Herren, wir stehen am Ende
IV/972, IV/1046). der heutigen Tagesordnung.
Berichterstatter sind die Abgeordneten Dr. Ich berufe die nächste Sitzung auf morgen, Don-
Rinderspacher und Glüsing (Dithmarschen); sie ha- nerstag, den 14. März, 14.00 Uhr, ein.
ben einen Schriftlichen Bericht vorgelegt, für den ich
ihnen danke. — Das Wort wird nicht gewünscht. Die Sitzung ist geschlossen.
Wer dem Antrag des Ausschusses zuzustimmen (Schluß der Sitzung: 14.10 Uhr.)
Deutscher Bundestag - 4. Wahlperiode - 64. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den. 13. März 1963 3007

Anlagen zum Stenographischen Bericht


Anlage 1 Abgeordneter) beurlaubt bis einschließlich

Liste der beurlaubten Abgeordneten b) Urlaubsanträge

beurlaubt bis einschließlich Gaßmann 31. 3.


Abgeordneter)
Freiherr zu Guttenberg 31. 3.
a) Beurlaubungen Jaksch 26. 4.
Dr. Knorr 4. 4.
Dr. Arndt (Berlin) 16. 3. Meis 23.3.
Dr. Atzenroth 13. 3. Dr. Serres 23. 3.
Dr. Dr. h. c. Baade 31. 3.
Dr. Bechert 15.3.
Dr. Bleiß 13. 3.
Blöcker 15. 3.
Frau Blohm 15. 3. Anlage 2
Dr. Böhm (Frankfurt) 14. 3.
13.3. 2. Schriftliche Antwort
Dr. von Brentano
Dr. Deist 13. 3. des Herrn Staatssekretärs Bargatzky auf die Münd-
Dr. Dörinkel 15. 3. liche Anfrage des Abgeordneten Dr. Bechert (Frage-
Dr. Dr. h. c. Dresbach 31. 3. stunde der 54. Sitzung vom 16. Januar 1963, Druck-
Dr. Effertz 14. 3. sache IV/888, Frage XVI/5) : *)
Frau Eilers 15.3.
Der Präsident des Bundesgesundheitsamtes äu-
Figgen 20.4.
ßert nach kritischer Durchsicht des Gutachtens und
Dr. Frede 20.4.
auf Grund der persönlichen Erfahrungen der Sach-
Frehsee 16.3.
bearbeiter seines Amtes mit Geräten der mit o. .a.
Dr. Frey (Bonn) 116. 3.
Gutachten bezeichneten Bauart sowie auf Grund der
Funk (Neuses am Sand) 31. 3.
Besichtigungen und Prüfungen eines Gerätes dieser
Gehring 15. 3. Bauart die Vermutung, daß
Dr. Hahn (Heidelberg) 13. 3.
Hauffe 16. 3. 1. die Gutachter des Staatl. Materialprüfungsamtes
Dr. Dr. Heinemann 14. 3. Nordrhein-Westfalen keine praktische Erfahrung
Hellenbrock 31. 3. in der Handhabung medizinischer Röntgengeräte
Dr. Hellige 20. 4. besitzen,
Horn 15.3. 2. sie über die zugrunde liegenden Bestimmungen
Illerhaus 14.3. und insbesondere die Bedienungsanweisung die-
Jacobs 14.3. ser Geräte nicht ausreichend orientiert waren,
Katzer 31.3.
3. der Gegenstand des Gutachtens entweder ein
Frau Kipp-Kaule 15. 3.
13. 3. nichtintaktes Gerät war oder das Gerät nicht in
Koenen (Lippstadt)
15. 3. Übereinstimmung mit der Betriebsanleitung ge-
Kriedemann
14.3. gehandhabt wurde.
Leber
Lenz (Brühl) 13.3. Aus den Messungen des Materialprüfungsamtes,
Lermer 16. 3. die mir im übrigen als nicht ausreichend erschei-
Lohmar 30. 4. nen, geht hervor, daß Geräte dieser Bauart 'den
Dr. Löhr 15.3. DIN-ormenAusgab195tprchen,wsi
Dr. Luda 15. 3. intakt sind und sachkundig gehandhabt werden.
Majonica 13. 3. Die aus der Stellungnahme des Bundesgesund-
Mattick 15.3. heitsamtes zu ziehenden Schlußfolgerungen hin-
Dr. h. c. Menne (Frankfurt) 15. 3. sichtlich der Bauartprüfung und Bauartzulassung
Metzger 15.3. werden in der Röntgenverordnung für den medizi-
Müller (Aachen-Land) 13. 3. nischen Bereich, die von meinem Hause zur Zeit
Müller (Berlin) 31. 3. erarbeitet wird, berücksichtigt werden.
Frau Dr. Pannhoff 30.3.
Dr. Rieger (Köln) 27. 3.
Schlick 15. 3.
Dr. Schmid (Frankfurt) 15. 3.
Schulhoff 13. 3. Anlage 3
Seither 25.3.
Spitzmüller 13. 3. Schriftliche Antwort
Strauß 18. 3. des Herrn Bundesministers Dr.-Ing. Seebohm auf
Frau Vietje 31.3. die Mündliche Anfrage des Abgeordneten Oetzel
Wacher 15. 3. (Fragestunde der 63. Sitzung vom 8. März 1963,
Dr. Weber (Koblenz) 13. 3. Drucksache IV/1019, Frage XI/2):
Wehking 15. 3.
Wittmer-Eigenbrodt 30. 4. *) 1. schriftliche Antwort siehe 55. Sitzung Anlage 14
3008 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 64. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. März 1963

Beabsichtigt die Bundesregierung für Ö ltransportwagen im ist festzustellen, daß den obersten Straßenbaubei
Straßenverkehr und für die Fahrer derselben verschärfte Zulas-
sungsbedingungen einzuführen, um die in letzter Zeit sich häu- hörden für Unterhaltung, Instandsetzung, Zwischen-
fenden Unfälle und die damit sehr oft verbundenen Trinkwasser-
verschmutzungen weitmöglichst einzuschränken? ausbau und dgl. bereits über 400 Millionen DM
Das Straßenverkehrsgesetz gestattet dem Bundes- zugewiesen worden sind. Davon hat das Land
minister für Verkehr nicht, Rechtsverordnungen Bayern allein rd. 80 Millionen DM erhalten. Mit
über den Straßenverkehr zum Schutz des Grund- diesen Mitteln sind bevorzugt die Frostschäden zu
wassers zu erlassen. Eine Ergänzung des Gesetzes beseitigen. Sollte dadurch die weitere ordnungsge-
wird vorbereitet und voraussichtlich bei den Bera- mäße Unterhaltung der Bundesfernstraßen gefährdet
tungen über das Zweite Gesetz zur Sicherung des werden, so ist vorgesehen, im Wege des Mittelaus-
Straßenverkehrs (Bundestagsdrucksache IV/651) er- gleichs zu helfen, indem Investitionsmaßnahmen ge-
örtert werden. kürzt und die frei werdenden Mittel der Unterhal-
tung zugeführt werden. Die finanziellen Vorausset-
Die Bundesregierung hat inzwischen unter Feder- zungen für die rasche Beseitigung von Frostschäden
führung des Herrn Bundesministers für Arbeit und sind also gegeben, und es ist Aufgabe der Länder
Sozialordnung eine Verordnung über Anforderun- als Auftragsverwaltungen des Bundes, dafür zu
gen an Anlagen zur Lagerung, Abfüllung und Be- sorgen, daß die Mittel bevorzugt den Gebieten zu-
förderung brennbarer Flüssigkeiten zu Lande vor- gute kommen, die auf Grund ihrer besonderen
bereitet. Diese Verordnung wird auf Grund des § 24 Situation in erster Linie einer raschen Hilfe be-
der Gewerbeordnung voraussichtlich Ende 1963 ver- dürfen.
kündet werden und für Behälter von Tankwagen,
aber auch für Aufsetztanks Vorschriften enthalten,
die sich auf den Grundwasserschutz auswirken.
Gleichzeitig werden beim Bundesminister für Ver- Anlage 5
kehr kraftfahrzeugtechnische Bestimmungen bera-
ten, die den besonderen Gefahren des Tankwagen- Schriftliche Antwort
verkehrs Rechnung tragen und nach entsprechender des Herrn Bundesministers Dr.-Ing. Seebohm auf die
Ergänzung des Straßenverkehrsgesetzes erlassen Mündliche Anfrage des Abgeordneten Schmidt
werden sollen. Hierbei handelt es sich vor allem (Kempten) (Fragestunde der 63. Sitzung vom 8. März
um die Verbesserung der Bremsen und der Schwer- 1963, Drucksache IV/1019, Frage XI/12) :
punktlage, um Verhütung von Reifenbränden, um Ist die Bundesregierung bereit, bei Maßnahmen zur Behebung
zusätzliche Einrichtungen zur Sicherung haltender der erheblichen Frostschäden dem Allgäu eine besondere Dring-
lichkeit zuzubilligen, um die dort ansässige marktferne Landwirt-
Fahrzeuge und um besondere Anordnungen für den schaft und Industrie vor weit überhöhten Mehrbelastungen, ja
Straßenverkehr in Wasserschutzgebieten. zum Teil vor Existenzgefährdungen zu bewahren?

Die Fahrer der Tankwagen besitzen im allgemei- Bei den Winterschäden, die heute schon auf un-
nen die Fahrerlaubnis der Klasse 2. Der Erwerb seren Straßen festzustellen sind, handelt es sich
dieser Fahrerlaubnis hängt von der Erfüllung stren- ausschließlich um Deckenschäden, also um sog.
ger Bedingungen ab. Die Fahrzeughalter sind daran Oberflächenschäden. Die eigentlichen schweren
interessiert, daß ihre Tankwagen von sachkundigen „Frostschäden", ,die ihre Ursache im Aufweichen
Fahrzeugführern gelenkt werden. Die sehr starke des Untergrundes haben, werden erst eintreten,
Zunahme der Mineralöltransporte während der wenn der Untergrund der Straßen auftaut. Es läßt
letzten Jahre hat es mit sich gebracht, daß noch nicht sich daher heute auch noch nicht annähernd über-
alle Fahrer über umfangreiche Erfahrungen ver- sehen, ob sich die Frostschäden gleichmäßig über
fügen. Dieser Nachteil kann nur durch verstärkte das ganze Gebiet der Bundesrepublik verteilen wer-
Schulung ausgeglichen werden. Die Mineralölindu- den oder ob gewisse Bereiche, wie z. B. das Allgäu,
strie und das Verkehrsgewerbe bemühen sich um besonders schwer betroffen sein werden.
die Verbesserung der Schulung. Die Einführung Wie bereits ausgeführt wurde, ist es Aufgabe der
einer besonderen Fahrerlaubnis für Tankwagen- Länder, jene Gebiete bevorzugt zu berücksichtigen,
fahrer scheint mir deshalb noch nicht erforderlich. in denen die Frostschäden einen überdurchschnitt-
lichen Umfang annehmen.

Anlage 4
Schriftliche Antwort
Anlage 6
des Herrn Bundesministers Dr.-Ing. Seebohm auf
die Mündliche Anfrage des Abgeordneten Schmidt Schriftliche Antwort
(Kempten) (Fragestunde der 63. Sitzung vom 8. März des Herrn Staatssekretärs Dr. Steinmetz auf die
1963, Drucksache IV/1019, Frage XI/11): Mündliche Anfrage des Abgeordneten Ertl (Frage-
Kann damit gerechnet werden, daß die Bundesregierung durch stunde der 63. Sitzung vom 8. März 1963, Druck-
Vorausbewilligung von Mitteln eine Inangriffnahme der durch
Frostschäden verursachten Instandsetzungsarbeiten zumindest für sache IV/1019, Frage XII/1):
die Gebiete gewährleistet, die nur über eine oder ganz wenige
Positivstraßen verfügen? Wann werden die technischen Voraussetzungen gegeben sein,
damit alle Teilnehmer des Fernsehens auch die Möglichkeit
Diese Frage ist z. T. bereits durch die Ausführun- erhalten, das 2. Programm zu empfangen?

gen von Herrn Staatssekretär Dr. Seiermann zur Nach den Planungen der Deutschen Bundespost
Frage XI/10 beantwortet worden. Darüber hinaus werden bis Ende des Jahres 1965 rund 87-90 v. H.
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 64. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. März 1963 3009

der Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland Anlage 8


das 2. Fernsehprogramm gut empfangen können.
Die erst dann feststellbaren kleinen Versorgungs- Schriftliche Antwort
lücken werden, soweit dies überhaupt technisch
des Herrn Staatssekretärs Grund auf die Mündliche
möglich ist, bis zum Jahre 1970 geschlossen werden.
Anfrage des Abgeordneten Dröscher (Fragestunde
der 63. Sitzung vom 8. März 1963, Drucksache
IV/1022, Frage II/2):
Könnte es nicht zu einer erheblichen Verwaltungsvereinfachung
führen, wenn anstelle von 975 000 nachträglichen Zahlungen der
Betriebsbeihilfe für landwirtschaftlich verwendetes Gasöl ein
direkt steuerbegünstigter Bezug, ähnlich wie beim Heizöl,
Anlage 7 ermöglicht würde?

Schriftliche Antwort Beim Übergang von dem System der nachträg-


lichen Zahlung der Betriebshilfen auf den Bezug
des Herrn Staatssekretärs Dr. Steinmetz auf die unversteuerten Gasöls wäre eine Verwaltungsver-
Mündlichen, Anfragen des Abgeordneten Dr. Kohut einfachung nicht zu erwarten. -
(Fragestunde der 63. Sitzung vom 8. März 1963, Nach dem geltenden System befassen sich die
Drucksache IV/1019, Fragen XII/3 und XII/4) : landwirtschaftlichen Dienststellen mit jedem Berech-
Warum lehnen Bundespostministerium und nachgeordnete Stel- tigten einmal im Jahr anläßlich der Zahlung der
len seit drei Jahren die Errichtung einer öffentlichen Fernsprech- Betriebsbeihilfe. Mindestens einmal im Jahr müßte
stelle auf dem Bahnhof Neu-Isenburg ab, obwohl der Bahnhof
außerhalb der Stadt mitten im Wald gelegen ist und nachts ein- sich aber auch der Steueraufsichtsdienst der Zollver-
treffende Reisende keine Möglichkeit haben, ein Taxi herbeizu-
rufen?
waltung zur Prüfung der ordnungsmäßigen Verwen-
dung des Gasöls mit jedem Berechtigten befassen,
Ist dem Herrn Bundespostminister bekannt, daß den Benutzern wenn der Bezug unversteuerten Gasöls zugelassen
-
der internationalen Auto-Reisezüge, die in Neu-Isenburg ent
und beladen werden, verwehrt wird, den Dienstfernsprecher zu würde. Insoweit wäre der Aufwand der gleiche wie
benutzen, obwohl keine andere Fernsprechmöglichkeit vorhan-
den ist, weil dadurch der Schalterbetrieb gestört wird? bisher. Ein weiterer Aufwand käme aber noch hinzu.
An den Tankstellen gibt es nur versteuertes Gasöl.
Nach den Ermittlungen der Oberpostdirektion Um die landwirtschaftlichen Verbraucher mit unver-
Frankfurt am Main werden auf dem Bahnhof Neu- steuertem Gasöl beliefern zu können, müßten in
Isenburg Gesprächswünsche nur in sehr geringem großer Zahl und breiter Streuung Steuerlager zuge-
Umfang vorgetragen. Die angespannte Finanzlage lassen werden. Die erforderliche Überwachung der
der Deutschen Bundespost zwingt dazu, zunächst Steuerlager würde einen erheblichen zusätzlichen
nur dort Münzfernsprecher einzusetzen, wo Einnah- Verwaltungsaufwand erfordern. Insgesamt wäre
men zu erwarten sind, die wenigstens annähernd also der Verwaltungsaufwand beim Übergang auf
die Selbstkosten decken. Ein Fernsprechhäuschen den Bezug unversteuerten Gasöls voraussichtlich
mit Münzfernsprechern am Bahnhof Neu-Isenburg, wesentlich höher als jetzt. Es kommt hinzu, daß der
das nur von wenigen Reisenden benutzt wird, würde Zollverwaltung das Aufsichtspersonal für eine wirk-
laufend große Zuschüsse erfordern. Hinzu kommt, same Verwendungskontrolle überhaupt nicht zur
daß die Lieferungen an Münzfernsprechapparaten Verfügung steht.
leider nicht den notwendigsten Bedarf decken. Die
Deutsche Bundespost sieht sich aus allen diesen
Gründen nicht in der Lage, einen Münzfernsprecher
vor dem Bahnhof Neu-Isenburg aufstellen zu lassen,
solange die Aufstellung wirtschaftlich nicht zu ver- Anlage 9
treten ist.
Schriftliche Antwort
Ich bin 'darüber unterrichtet, daß die Deutsche
des Herrn Ministerialdirektors Dr. Schönleiter auf
Bundesbahn ihre Schalterbeamten angewiesen hat,
die Mündliche Anfrage des Abgeordneten Dr.
in dringenden Fällen die Benutzung des dienstlichen
Schmidt (Offenbach) (Fragestunde der 63. Sitzung
Fernsprechanschlusses des Bahnhofs Neu-Isenburg
den Reisenden zu gestatten. Damit dürfte dem vom 8. März 1963, Drucksache IV/1022, Frage IV) :
Sprechbedürfnis 'der nachts eintreffenden Reisenden, Wann ist mit der Herausgabe der mehrfach angekündigten
Richtlinien über die Gewährung von Härteausgleich (gemäß
die ein Taxi herbeizurufen wünschen, ausreichend § 89 Abs. 2 BVG) bei Krebsfällen zu rechnen?
Rechnung getragen sein. Das gleiche gilt auch für
die Reisenden der Autoreisezüge. Mir ist nicht be- Die Fertigstellung des grundsätzlichen Gutachtens
kannt, daß den Reisenden der Autoreisezüge die über eine Härteausgleichsversorgung nach § 89
Benutzung des dienstlichen Fernsprechanschlusses Abs. 2 des Bundesversorgungsgesetzes bei Krebs-
des Bahnhofs Neu-Isenburg grundsätzlich mit der erkrankungen durch Prof. Bauer, Heidelberg, nach
Begründuvwhti,.aßdurceShl- dem Sie und andere Abgeordnete sich schon mehr-
terbetrieb gestört werde. fach erkundigt haben, hat sich leider durch eine Er-
krankung von Prof. Bauer weiter verzögert. Prof.
Die Oberpostdirektion Frankfurt am Main wird Bauer hat auf meine dringenden Vorstellungen am
die Angelegenheit jedoch weiter beobachten und die 2. März 1963 telegrafisch mitgeteilt, daß das Gut-
Aufstellung einer öffentlichen Sprechstelle veran- achten nun im Entwurf fertiggestellt ist; es ist also
tassen, wenn sich die Verhältnisse wesentlich än- damit zu rechnen, daß dieser in absehbarer Zeit vor-
dern. liegt. Die Richtlinien folgen dann ebenfalls in Kürze.
3010 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 64. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. März 1963

Anlage 10 (Fragestunde der 63. Sitzung vom 8. März 1963,


Schriftliche Antwort Drucksache IV/1022, Frage VI) :
Auf Grund welcher postalischer Leistungen sollen die Paket
des Herrn Bundesministers Dr.-Ing. Seebohm auf die Selbstabholer ab 1. März 1963 eine monatliche Gebühr von
Mündliche Anfrage des Abgeordneten Dröscher 10 DM entrichten?
(Fragestunde der 63. Sitzung vom 8. März 1963,
Drucksache IV/1022, Frage V/1): Da die Deutsche Bundespost verpflichtet ist, die
Sendungen den Empfängern zuzustellen, ist der
Wieviel mehr Zusteiger und Umsteiger benutzen im Jahres-
durchschnitt täglich den Bahnhof Bingerbrück gegenüber dem Postbetrieb auf die Zustellung der Sendungen ein-
Bahnhof Bingen? gerichtet. Werden die Sendungen abgeholt, so wer-
Ihre Annahme, die Zahl der zusteigenden Reisen- den zwar durch den Wegfall der Zustellung ge-
den im Bahnhof Bingerbrück sei größer als im Bahn- wisse postbetriebliche Leistungen gespart. Dafür
hof Bingen, trifft nach den mir von der Deutschen entsteht aber 'bei den meisten Postämtern eine
Bundesbahn übermittelten Unterlagen nicht zu. Im Zweigleisigkeit in der Behandlung der Sendungen,
täglichen Jahresdurchschnitt kommen im Bahnhof die entgegen einer leider weitverbreiteten irrigen
Bingen rd. 1700 mehr Zusteiger auf als im Bahnhof Meinung einen besonderen personellen und materi-
Bingerbrück. Nur die Zahl der umsteigenden Reisen- ellen Aufwand erfordert und damit zum Teil sogar
den dagegen ist im Bahnhof Bingerbrück um rd. erhebliche 'Mehrkosten verursacht. Zunächst einmal
1600 Reisende größer als im Bahnhof Bingen. können die Sendungen, die abgeholt werden, nicht
wie die Masse der Sendungen bis zum Zusteller -
Der Gesamtreiseverkehr in Bingerbrück ist im durchlaufen, sondern müssen vorher ausgesondert
Durchschnitt geringer als der in 'Bingen. werden. Die Aussonderung ist besonders schwierig,
wenn die Sendungen, wie 'in vielen Fällen, nicht als
Abholsendungen bezeichnet sind. 'Die ausgesonder-
ten Sendungen müssen sodann bereitgestellt und
Anlage 11 ausgehändigt werden. Aussonderung, Bereitstel-
Schriftliche Antwort lung und Aushändigung erfordern zusätzliches Per-
sonal. Die Bereitstellung der Sendungen zur Abho-
des Herrn Bundesministers Dr.-Ing. Seebohm auf die
lung erfordert 'darüber hinaus aber auch noch zu-
Mündliche Anfrage des Abgeordneten Dröscher
sätzlichen Raum bei den Postämtern, der nicht an-
(Fragestunde der 63. Sitzung vom 8. März 1963,
derweitig genutzt werden kann, weil die Lagerflä-
Drucksache IV/1022, Frage V/2) : chen ständig für abzuholende Sendungen bereitge-
Wie vereinbart es sich mit der in der Fragestunde am 7. De- halten 'werden müssen. Der für die Bereitstellung
zember 1962 gegebenen Antwort des Herrn Staatssekretärs Dr.
Seiermann, den Flugsicherungsbediensteten, die eine Übernahme abzuholender Pakete benötigte Raum ist naturge-
in das Beamtenverhältnis ablehnen, würden keine beruflichen
Nachteile erwachsen, daß in Birkenfeld laut ausdrücklicher Wei- mäß besonders groß. Es wäre daher von der Deut-
sung Angestellte mit bestandener Wachleiterprüfung trotz
offener Planstellen wegen ihres Angestellten-Status nicht als
schen Bundespost, die nach wirtschaftlichen Grund-
Wachleiter eingesetzt werden durften? sätzen zu arbeiten gesetzlich verpflichtet ist, nicht
Die Außenstelle Birkenfeld ist eine Dienststelle vertretbar, wenn die durch die Abholung entste-
des FS-Bezirkskontrolldienstes, die voraussichtlich henden besonderen personellen und sächlichen Ko-
im Herbst 1963 Eurocontrol unterstellt werden wird. sten durch eine entsprechende Gebühr nicht wenig-
stens teilweise gedeckt würden.
In Birkenfeld ist neben vier Beamten ein Ange-
stellter als Wachleiter tätig. Eine ausdrückliche Diese Regelung gilt jedoch nur für regelmäßig
Weisung, Angestellte mit Wachleiterbefähigung zur Abholung bereitgestellte Sendungen. In ande-
wegen ihres Angestelltenstatus nicht als Wachleiter ren Fällen, so zum Beispiel, wenn im Rahmen des
einzusetzen, ist von mir weder schriftlich noch münd- allgemeinen Kundendienstes, insbesondere bei Post-
lich gegeben worden. Bereits seit 1957 können Wach- stellen, Sendungen ohne Abholungserklärung auf
leiterposten nur im Einvernehmen mit mir besetzt Nachfrage gelegentlich ausgehändigt werden, ist
werden. Gegen die Verwendung des vorerwähnten keine Gebühr zu erheben.
Angestellten als Wachleiter habe ich keine Beden-
ken erhoben. Es mag sein, daß dies Wünschen von Einzelab-
holern, insbesondere auf dem flachen Lande, nicht
Der Einsatz eines weiteren Wachleiters ist gegen- immer genügt. Deshalb habe ich bereits Anweisung
wärtig nicht erforderlich. zu einer weiteren Auflockerung erteilt. Ohne Ihnen
heute bereits konkrete Angaben machen zu können,
darf ich jedoch versichern, daß bei einfachen und
Anlage 12 übersichtlichen Platzverhältnissen ,und betrieblichen
Gegebenheiten, vor allem bei den Poststellen I und
Schriftliche Antwort
II und den kleineren Postämtern der Gruppe G—L
des Herrn Staatssekretär Dr. Steinmetz auf die eine gebührenfreie Einzelabholung ermöglicht wer-
Mündliche Anfrage des Abgeordneten Junghans den wird.

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