Sie sind auf Seite 1von 34

Deutscher Bundestag

77. Sitzung

Bonn, den 16. Mai 1963

Inhalt:

Nachruf auf den Abg. Lünenstrass Frage des Abg. Schmitt-Vockenhausen:


Vizepräsident Dr. Jaeger . . . . 3755 A Gebührenordnung für Maßnahmen im
Straßenverkehr
Erweiterung der Tagesordnung . . . . . 3737 A Dr. Seiermann, Staatssekretär . . . 3738 D,
3739 A, B

Fragestunde (Drucksachen IV/1250, IV/1255) Schmitt-Vockenhausen (SPD) . . . 3739 A

Frage des Abg. Marquardt: Fragen der Abg. Frau Schanzenbach:


-
Schriften des Presse- und Informations- Zugabteile für Reisende mit Kleinkin
amtes dern und Abteile für Raucher und
Nichtraucher
von Hase, Staatssekretär . . . 3737 C, D
Dr. Seiermann, Staatssekretär . 3739 B, C, D
Marquardt (SPD) 3737 C
Frau Schanzenbach (SPD) . . . . 3739 C

Fragen des Abg. Höhmann (Hessisch Frage des Abg. Dr. von Haniel-Niet-
Lichtenau) : hammer:
Bundesfinanzhilfen für Folgeeinrich- Schnellzugverbindung München Rom

tungen bei militärischen Bauvorhaben 3737 D


Dr. Seiermann, Staatssekretär . . . 3739 D

Frage des Abg. Schmidt (Kempten) : Frage des Abg. Berlin:


Englische Elektronengeräte für die Ersetzung von Bahnschranken durch
Bundeswehr Blinklichtanlagen in Lage
Hopf, Staatssekretär 3738 A Dr. Seiermann, Staatssekretär 3740A, B, D,
3741 A
Fragen des Abg. Felder: Berlin (SPD) . . . . . . . . 3740 B, D
Spies (CDU/CSU) 3741 A
Verleihung des Bundesverdienstkreu-
zes an Offiziere Frage des Abg. Schmidt (Kempten) :
Hopf, Staatssekretär 3738 B, C Freifahrten für weibliche Beschäftigte
Felder (SPD) 3738 C der Bundesbahn . . . . . . . . 3741 A
II Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 77. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Mai 1963

Fragen des Abg. Müller (Remscheid) : Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Ände-
Gastarbeiter und Bestimmungen über rung des Gesetzes über das Bundesver-
Waffenbesitz 3741 B fassungsgericht (Drucksache IV/1224) —
Erste Beratung —
Frage des Abg. Glombig: Dr. Bucher, Bundesminister 3755 B, 3760 B
Äußerung des Bundesarbeitsministers Dr. Wahl (CDU/CSU) . . . . . . 3756 C
zur Neuordnung der Kriegsopferver- Dr. Reischl (SPD) . . . . . . . 3757 D
sorgung
Frau Dr. Diemer-Nicolaus (FDP) . . 3760 D
Blank, Bundesminister . . . . 3741 C, D
Vizepräsident Dr. Schmid . . . . 3763 A
Glombig (SPD) . . . . . . . 3741 C, D
Entwurf eines Gesetzes über Kreuzun-
Entwurf eines Gesetzes zu der Gemein- gen von Eisenbahnen und Straßen
samen Erklärung und zu dem Vertrag (Eisenbahnkreuzungsgesetz) (Drucksache
vom 22. Januar 1963 mit der Französi- IV/183); Schriftlicher Bericht des Ver-
schen Republik über die deutsch-fran- kehrsausschusses (Drucksache 1V/1206) —
sösische Zusammenarbeit (Drucksache Zweite und dritte Beratung —
1V/1157); Schriftlicher Bericht des Ausw.
Ausschusses (Drucksache IV/1252) — Dr. Bleiß (SPD) 3764 A, D
Zweite und dritte Beratung — Lemmrich (CDU/CSU) 3764 B
Dr. Furler (CDU/CSU) 3742 B Eisenmann (FDP) 3765 D
Dr. Schmid (Frankfurt) (SPD) . . 3745 A
Wehner (SPD) 3745 D Wahl zum Wahlprüfungsausschuß . . . 3766 C

Dr. von Brentano (CDU/CSU) . . 3748 B Nächste Sitzung 3766 D


Dr. Mende (FDP) . . . . . . 3752 B
Dr. Adenauer, Bundeskanzler . . 3753 A Anlagen 3767
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 77. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Mai 1963 3737

77. Sitzung
Bonn, den 16. Mai 1963

Stenographischer Bericht z. B. die über die gesetzlichen Maßnahmen zur Eigentumsbildung,


mit dem Aufdruck „Wählt CDU" verteilt werden?

Herr Staatssekretär von Hase.


Beginn: 9.02 Uhr.
von Hase, Staatssekretär, Bundespressechef: Das
Vizepräsident Dr. Jaeger: Die Sitzung ist er- Presse- und Informationsamt der Bundesregierung
öffnet. nimmt auf die von ihm herausgegebenen Schriften
keine Aufdrucke parteipolitischer Art vor. Mir sind
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll auch keine Fälle bekannt, daß Empfänger von Schrif-
die heutige Tagesordnung erweitert werden um die ten derartige Aufdrucke vorgenommen haben.
Beratung der von der Bundesregierung vor- Die Broschüre „Eigentum auch für Dich" enthält
gelegten Neunundfünfzigsten Verordnung eine sachliche Darstellung der gesetzlichen Maß-
zur Änderung des Deutschen Zolltarifs 1962 nahmen zur Eigentumsbildung. Sie wird in Einzel-
(Zollkontingente 1963 — gewerbliche Waren stücken oder in kleineren Partien auf Anfrage an In-
— II. Teil) — Drucksache IV/1263 —, teressenten aller Parteien, aller gesellschaftlichen
um die und politischen Gruppen und an Besucher des Amtes
verteilt.
Beratung der von der Bundesregierung vor-
gelegten Sechzigsten Verordnung zur Ände- Vizepräsident Dr. Jaeger: Eine Zusatzfrage,
rung des Deutschen Zolltarifs 1962 (Zollaus- Herr Abgeordneter Marquardt.
setzung — Tomaten und Jungfernöl) —
Drucksache IV/1264 — Marquardt (SPD) : Herr Staatssekretär, muß ich
und um die daraus schließen, daß Sie annehmen, eine derart
konkrete Frage könnte ohne Anlaß und ohne Be-
Beratung der von der Bundesregierung vor- weismittel gestellt werden? Darf ich deshalb, weil es
gelegten Einundsechzigsten Verordnung zur sich nicht um eine Einmaligkeit handelt, sondern um
Änderung des Deutschen Zolltarifs 1962 die Verteilung größerer Mengen mit dem bewußten
(Zollkontingente 1963 — Agrarwaren) — Aufdruck, meine Frage wiederholen?
Drucksache IV/1265 —.
Das Haus ist mit der Aufsetzung einverstanden. — von Hase, Staatssekretär, Bundespressechef: Ich
Die Vorlagen sollen an den Außenhandelsausschuß kann Ihnen nur dieselbe Antwort geben: daß mir
überwiesen werden. Ist das Haus auch damit einver- bisher nicht bekannt ist, daß derartige Aufdrucke
standen? — Es erfolgt kein Widerspruch; damit ist vorgenommen worden sind.
die Überweisung beschlossen.
Vizepräsident Dr. Jaeger: Ich danke Ihnen,
Die folgende amtliche Mitteilung wird ohne Ver- Herr Staatssekretär.
lesung in den Stenographischen Bericht aufgenom-
men: Ich komme nunmehr zu den Fragen aus dem Ge-
Der Präsident des Bundestages hat entsprechend dem Beschluß schäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung.
des Bundestages vom 23. Februar 1962 die Zuerst die Frage XII/1 - des Abgeordneten Höh-
Siebenundfünfzigste Verordnung zur Änderung des
Deutschen Zolltarifs 1962 (Zollaussetzung — Melasse)
mann (Hessisch-Lichtenau) —:
— Drucksache IV/1262 — Ist dem Herrn Bundesverteidigungsminister bekannt, daß
dem Außenhandelsausschuß mit der Bitte um fristgemäße Be- Bundesfinanzhilfen für Schulbauten als Folgeeinrichtungen bei
handlung überwiesen. militärischen Bauvorhaben und Wohnsiedlungen teilweise so
verspätet gewährt werden, daß die Schulausbildung der Kinder
Meine Damen und Herren, wir kommen nunmehr der am Dienstort wohnenden Soldaten gefährdet ist?
zur Fortsetzung des ersten Punktes der gemein- Ist der Abgeordnete Höhmann im Saale? — Falls
samen Tagesordnung, der nicht, wird die Frage schriftlich beantwortet.
Fragestunde (Drucksachen IV/1250, IV/1255). Ich rufe auf die Frage XII/2 — des Abgeordneten
Zunächst eine Frage aus dem Geschäftsbereich des Höhmann (Hessisch-Lichtenau) —:
Ist es mit der Fürsorgepflicht des Staates gegenüber seinen
Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes, die Soldaten vereinbar, daß die Bundesfinanzhilfen für Folgeein-
Frage des Abgeordneten Marquardt: richtungen in ihrer Gesamtsumme weit unter dem tatsächlichen
Bedarf liegen?
Billigt es die Bundesregierung, daß vom Presse- und Informa-
tionsamt der Bundesregierung herausgegebene Schriften, wie Auch diese Frage wird schriftlich beantwortet.
3738 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 77. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Mai 1963

Vizepräsident Dr. Jaeger


Ich komme zur Frage XII/3 — des Abgeordneten Die Vorschläge zur Verleihung des Verdienst-
Schmidt (Kempten) —: ordens werden nach den vom Herrn Bundespräsi-
Wurde vor Vergabe des 67-Millionen-Auftrages für Elektronen- denten ergangenen Richtlinien vorgelegt. Diese
geräte der Bundeswehr nach Engl and seitens der zuständigen
Stellen die Möglichkeit in Erwägung gezogen, die mit Auf- Richtlinien sind für den Vorschlagsberechtigten, also
trägen nicht sehr gepolsterten entsprechenden deutschen Firmen
zu berücksichtigen?
bei uns für den Verteidigungsminister, bindend. Sie
sind außerdem vertraulich. Ich darf Ihnen die Richt-
Bitte, Herr Staatssekretär.
linien, wenn Sie einverstanden sind, nachher vor-
legen.
Hopi, Staatssekretär im Bundesministerium der
Verteidigung: Die Möglichkeit, Aufträge für das von Vizepräsident Dr. Jaeger: Eine Zusatzfrage,
Ihnen angeführte Gerät an die deutsche Elektro- Herr Abgeordneter Felder.
industrie zu geben, wurde nicht nur in Erwägung ge-
zogen, sondern auch verwirklicht. Es handelt sich um
eine Gemeinschaftsproduktion mit mehreren Län- Felder (SPD) : Herr Staatssekretär, sind Sie mit
dern. Ein sehr großer Teil ides Auftrags ist in der mir der Meinung, daß diese Verleihungen nicht etwa
Bundesrepublik geblieben. Die deutsche Elektroin- als eine Art Trostpreis für das vielleicht frühzeitige
dustrie, insbesondere das deutsche Unternehmen, Ausscheiden gedacht sind, sondern daß hier genauso
das das Gerät entwickelt hat, hat einen großen ein besonderes Verdienst vorliegen muß wie bei
Auftrag erhalten, und zwar einen Auftrag, der er- einem, der sich im Zivilberuf auszeichnet?
heblich größer war als der Auftrag, der nach England
gegangen ist. Die deutsche Entwicklungsfirma ist Hopf, Staatssekretär im Bundesministerium der
dadurch in die Lage versetzt worden, im Wege von Verteidigung: Herr Abgeordneter, ich bin völlig
Unteraufträgen weitere deutsche Unternehmen die- Ihrer Ansicht, und das steht auch in den Richtlinien
ser Branche zu beschäftigen. des Herrn Bundespräsidenten.
Im übrigen erfolgte die Vergabe des Teilauftrags
nach England im Einvernehmen mit der deutschen Vizepräsident Dr. Jaeger: Ich danke Ihnen,
Entwicklungsfirma. Außerdem war eine Vielzahl von Herr Staatssekretär.
Erwägungen zu berücksichtigen, wie z. B. die Liefer- Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäfts-
termine, internationale Standardisierung und Sicher- bereich des Bundesministers für Verkehr. Ich rufe
stellung weiterer Produktionsquellen. Ferner war auf die Frage XIII/1 — des Abgeordneten Schmitt-
zu berücksichtigen, daß wir im Rahmen des deut- Vockenhausen — :

schen Devisenabkommens mit England gewisse Auf- Aus welchen Gründen hat der Herr Bundesverkehrsminister
träge bei geeigneten Preisen und Qualitäten auch die Gebühren in der Gebührenordnung für Maßnahmen im
Straßenverkehr wesentlich erhöht?
dorthin geben.
Bitte sehr, Herr Staatssekretär!
Vizepräsident Dr. Jaeger: Ich komme zur
Frage XII/4 — des Abgeordneten Felder —: Dr. Seiermann, Staatssekretär im Bundesmini-
sterium für Verkehr: Die Gebühren nach der Ge-
Besitzt das Bundesverteidigungsministerium Aufzeichnungen
darüber, wie viele Offiziere der Bundeswehr seit 1960 bei ihrer bührenordnung für Maßnahmen im Straßenverkehr
Verabschiedung mit dem Bundesverdienstkreuz (und mit welcher
Klasse) ausgezeichnet wurden? vom 17. Juli 1953 wurden innerhalb der letzten
zehn Jahre nur einmal, nämlich im Jahre 1961, un d
Herr Staatssekretär, bitte!
dabeiuchnrtlwsö.Ehandetic
dabei in erster Linie um Gebühren für die Tätigkeit
Hopf, Staatssekretär im Bundesministerium der der amtlich anerkannten Sachverständigen und Prü-
Verteidigung: Herr Abgeordneter, ich darf Sie fer für den Kraftfahrzeugverkehr nach Art. II der
bitten, damit einverstanden zu sein, daß ich die Gebührenordnung für Maßnahmen im Straßenver-
beiden Fragen einheitlich behandle. kehr, also z. B. Gebühren für die Überprüfung von
Fahrzeugen, für die Prüfung einzelner Fahrzeuge
Vizepräsident Dr. Jaeger: Dann rufe ich wei- oder Fahrzeugteile, für die Prüfung von Bewerbern
ter auf die Frage XII/5 — des Abgeordneten Fel- um eine Fahrerlaubnis.
der —:
Die Erhöhung der auf der Grundlage des Jahres
Ist es richtig, daß die jeweils beantragenden Dienststellen bei
Verleihung des Bundesverdienstkreuzes nach einem Schema ver- 1951 errechneten und in der Gebührenordnung von
fahren, das besagt: bis einschließlich Major nur die unterste
Klasse, ab Oberstleutnant die 1. Klasse?
1953 niedergelegten Gebühren betrug im Durch-
schnitt etwa 25 %. Sie war erforderlich geworden,
Hopf, Staatssekretär im Bundesministerium der weil den Sachverständigen und Prüfern durch die
Verteidigung: Im Verteidigungsministerium werden Verordnung zur Änderung des Straßenverkehrs-
die an die Bundeswehrangehörigen verliehenen rechts vom 17. Juli 1960 zur Hebung der Sicherheit
Auszeichnungen zentral erfaßt. Wir haben daher im Straßenverkehr zusätzliche Aufgaben übertragen
einen genauen Überblick darüber, wie viele Orden wurden — das ist der eine Grund — und weil die
an welche Personenkreise vom Herrn Bundespräsi- persönlichen und sachlichen Aufwendungen dieses
denten verliehen worden sind. Wenn Sie einver- Personenkreises sich im Zuge der allgemeinen Ent-
standen sind, darf ich Ihnen vielleicht nach der wicklung ebenfalls erhöht hatten.
Fragestunde — für alle Dienstgrade aufgeschlüs- Unberücksichtigt blieben und nicht erhöht wurden
selt — mitteilen, wie viele Orden im einzelnen ver- die Gebühren für die Tätigkeit der Verwaltungs-
liehen worden sind. behörden nach Art. I der Gebührenordnung, wie
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 77. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Mai 1963 3739
Staatssekretär Dr. Seiermannn
z. B. die Gebühren für die Erteilung, Änderung oder Vizepräsident Dr. Jaeger: Dann komme ich zur
Ergänzung von Führerscheinen, Kraftfahrzeug- oder Frage XIII/3 — der Abgeordneten Frau Schanzen-
Anhängerscheinen und Betriebserlaubnissen. Diese bach — :

Gebühren beruhen jetzt noch ,auf der Grundlage des Ist die Bundesregierung bereit, bei der Hauptverwaltung der
Deutschen Bundesbahn darauf hinzuwirken, daß die angeblich
Jahres 1951. zu wenig ausgelasteten Eisenbahnabteile „Mutter und Kind"
mindestens ebenso deutlich gekennzeichnet werden wie die
Abteile für Raucher und Nichtraucher?
Vizepräsident Dr. Jaeger: Eine Zusatzfrage,
Herr Abgeordneter Schmitt-Vockenhausen. Dr. Seiermann, Staatssekretär im Bundesmini-
sterium für Verkehr: Ich kann auch diese Frage mit
Schmitt-Vockenhausen (SPD) : Ist die Bundes- Ja beantworten. Die Sonderabteile „Frau und Kind"
regierung bereit, den kommunalen Körperschaften werden durch weiße, beiderseitig beschriftete, ab-
bei der Festsetzung der Gebühren in der Gebühren- nehmbare Schilder in der Größe 297X 148 mm mit
ordnung Sätze zuzubilligen, wie sie die im Tech- folgendem Text gekennzeichnet:
nischen Überwachungsverein zusammengeschlosse-
Sonderabteil Frau und Kind. Nur für Mütter mit
nen Sachverständigen und Prüfer zu erheben be-
Kleinkindern und Frauen, die an Mutterstelle mit
rechtigt sind? Denn, Herr Staatssekretär, offensicht-
Kleinkindern reisen, sowie Geschwister der
lich sind doch die kommunalen Behörden bei Ihrer
Kleinkinder im Alter bis zu 10 Jahren.
Neuregelung benachteiligt worden. Ihnen haben Sie
versagt, was Sie privaten Sachverständigen zu- Diese Schilder sind wesentlich größer als die Schil-
erkannt haben. der „Raucher" und „Nichtraucher". Die Kennzeich-
nung erscheint demnach heute schon deutlicher als
Dr. Seiermann, Staatssekretär im Bundesmini- bei den Abteilen für Raucher und Nichtraucher.
sterium für Verkehr: Herr Abgeordneter, darüber
schweben bereits seit längerer Zeit Verhandlungen Vizepräsident Dr. Jaeger: Frau Abgeordnete
mit den Ländern, in denen dieses von Ihnen ange- Schanzenbach zu einer Zusatzfrage.
schnittene Problem ebenfalls gelöst werden wird.
Frau Schanzenbach (SPD) : Wird die Bundes-
Vizepräsident Dr. Jaeger: Eine weitere Zu- regierung darauf hinwirken, daß mindestens im
satzfrage! Sommer diese Schilder auch angebracht werden? Bei
meinen vielen Reisen habe ich noch in keinem Zug
gesehen, daß dieses Schild angebracht war. Im
Schmitt-Vockenhausen (SPD) : Kann ich aus Sommer wäre das wirklich nötig.
Ihrer Antwort entnehmen, Herr Staatssekretär, daß
Sie sich für eine Regelung im Sinne meiner Anfrage
einsetzen werden? Dr. Seiermann, Staatssekretär im Bundesmini-
sterium für Verkehr: Wir werden die Hauptverwal-
tung der Deutschen Bundesbahn daran erinnern, sie
Dr. Seiermann, Staatssekretär im Bundesmini- noch besonders darum bitten und auf sie entspre-
sterium für Verkehr: Herr Abgeordneter, man wird chend einwirken.
sich bei Anwendung des Gebührenprinzips dieser
berechtigten Forderung nicht verschließen können. Vizepräsident Dr. Jaeger: Ich komme zur
(Abg. Schmitt-Vockenhausen: Ich danke Frage XIII/4 — des Abgeordneten Dr. von Haniel-
Ihnen!) Niethammer —:
Wäre es nicht möglich, in Verhandlungen mit den öster-
reichischen und italienischen Stellen auf der Strecke München—
Vizepräsident Dr. Jaeger: Ich komme zur Rom, für die zur Zeit noch 15 Stunden Bahnfahrt benötigt wer-
den, wenigstens ein Schnellzugspaar einzurichten, das — ähnlich
Frage XIII/2 — der Abgeordneten Frau Schanzen- wie der TEE-Zug nach Mailand — im Grenzverkehr beschleunigt
bach —: abgefertigt wird und sich in Österreich auf Innsbruck als Halte-
punkt beschränkt, womit die Fahrzeit München—Rom um 2 bis
Teilt die Bundesregierung die Meinung, daß namentlich auch 3 Stunden verkürzt werden könnte?
das Zugbegleitpersonal Reisende mit Kleinkindern besonders auf
die Spezialabteile hinweisen sollte?
Dr. Seiermann, Staatssekretär im Bundesmini-
Bitte, Herr Staatssekretär!
sterium für Verkehr: Die Deutsche Bundesbahn
verhandelt seit Jahren mit den Österreichischen
Dr. Seiermann, Staatssekretär im Bundesmini- Bundesbahnen und den Italienischen Eisenbahnen
sterium für Verkehr: Ich kann die Frage mit Ja über die Einrichtung einer schnellen Tagesverbin-
beantworten. Es gehört von jeher zu den ureigen- dung von München nach Rom. Sie hat auf der Euro-
sten Aufgaben des Zugbegleitpersonals, sich um die päischen Reisezugfahrplan-Konferenz schon seit
Unterbringung der Reisenden zu bemühen. Die Vor- Jahren konkrete Vorschläge gemacht und die Durch-
schriften hierüber besagen, daß die Bediensteten sich führung einer neuen Zuges beantragt — es steht
der alleinreisenden Kinder, Hilfsbedürftigen, Kran- sogar schon der Name fest, er soll „Romulus" hei-
ken und Reisenden mit Kleinkindern besonders an- ßen —, der die 974 km lange Strecke München–Rom
zunehmen haben. Verstöße hiergegen werden von in etwa 13 bis 14 Stunden bewältigen sollte. Die An-
der Bundesbahn streng verfolgt. Wenn Sie Anlaß träge wurden jedoch von den Italienischen Eisen-
haben, eine Einzelbeschwerde vorzutragen, gnädige bahnen bisher abgelehnt, und zwar aus betrieb-
Frau, bin ich bereit, sie entgegenzunehmen und lichen Gründen, über die ich Ihnen noch nähere
nachprüfen zu lassen. Auskunft geben kann, Herr Abgeordneter, wenn Sie
3740 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 77. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Mai 1963
Staatssekretär Dr. Seiermannn
es wünschen. Auf wiederholte Vorstellungen hin der Frage „Übergang B 239" noch nicht Stellung
ist es zunächst gelungen, den „Alpen Expreß" durch
- genommen und darf ,das jetzt nachholen.
Aufgabe von Halten bei den Österreichischen Bun- Die Bundesbahn beabsichtigt, den Bahnübergang
desbahnen — ein Halt nur noch in Innsbruck — und im Zuge der B 239, der zur Zeit durch eine Schranke
bei den Italienischen Eisenbahnen zu beschleunigen
gesichert ist, mit einer automatischen Sicherungsan-
und die Ankunft in Rom von jetzt 23.43 auf 22.45
lage ,auszurüsten. Sie hat zu diesem Zweck am
Uhr im kommenden Fahrplan zu verbessern. Die
15. Januar dieses Jahres Idas Planfeststellungsver-
Reisezeit beträgt aber immer noch 14 Stunden und
fahren beim Regierungspräsidenten in Detmold ein-
45 Minuten. Auch auf der diesjährigen Europäischen
geleitet. Gegen diese Maßnahme liegen — wie mir
Reisezugfahrplan-Konferenz werden die Bemühun-
bekannt ist — bereits Einsprüche vor. Falls diese
gen fortgesetzt, die Reisezeiten über den Brenner
nicht ausgeräumt werden können, wird die Ange-
durch Einlegung zusätzlicher, schnellerer Züge zu
legenheit dem Bundesminister für Verkehr zur Ent-
verbessern.
scheidung vorgelegt werden.
Vizepräsident Dr. Jaeger: Keine Zusatzfrage. Auf Ihre Frage wegen der Beurteilung der Sicher-
Ich komme zur Frage XIII/5 — des Abgeordneten heit kann ich Ihnen folgendes sagen:
Berlin —: Die Hauptverwaltung der Deutschen Bundesbahn
Ist der Bundesregierung bekannt, welche entscheidenden ist der Aufffassung, daß gegenüber der Sicherung
Gründe für die Absicht vorliegen, in der Stadt Lage Kr. Detmold
an zwei mit starkem Verkehr belegten Straßen (in einem Falle durch Schranken die Sicherung durch Blinklichtan-
handelt es sich um die Bundesstraße 61) die Bahnschranken aus- lagen den Vorteil hat, daß das menschliche Ver-
zubauen und durch Blinklichtanlagen zu ersetzen?
sagen, das bei handbedienten Schranken leider sehr
häufig ist, völlig ausgeschaltet wird und daß die
Dr. Seiermann, Staatssekretär im Bundesmini- Sperrzeiten für den Straßenverkehr am Bahnüber-
nisterium für Verkehr: Bei den genannten zwei gang infolge kürzerer Schließungszeiten abgekürzt
Bahnübergängen handelt es sich einmal um die werden können.
Kreuzung der B 66 Lemgoer Straße
— mit vier—

Bahnhofsgleisen und sodann um die Kreuzung der Im übrigen ist ja bekannt, daß der immer stärker
B 239 — nach Herford — am nördlichen Stadtrand werdende Mangel an geeigneten Kräften, geeigneten
mit der Bahnlinie Lage Bielefeld. Wie mir die Bun-
- Schrankenwärtern zur verstärkten Umstellung auf
desbahn mitteilt, sind folgende Maßnahmen einge- automatische Sicherungsanlagen zwingt.
leitet bzw. geplant:
Ganz generell und allgemein, Herr Abgeordneter,
Der erstgenannte Bahnübergang — Lemgoer kann man die Frage, ob Schranken sicherer sind als
Straße — sollte schon seit Jahren durch ein Bau- automatische Sicherungen, also Blinklichtanlagen
werk ersetzt werden. Wegen fehlender Mittel war oder Blinklichtanlagen mit Halbschranken, nicht be-
dies leider bisher nicht möglich. Die Deutsche Bun- antworten; diese Frage muß in jedem Einzelfall an-
desbahn hält die von der Stadt Lage geplante hand der örtlichen Verhältnisse auf Grund der Ver-
schrankenabhängige Straßenverkehrssignalanlage für kehrsbelastung einerseits der Schiene, andererseits
nicht ausreichend. Sie wird daher in Kürze dem Bun- des kreuzenden Straßenverkehrs, geprüft und ent-
desminister für Verkehr einen Antrag vorlegen, in schieden werden. Ich kann auch heute noch nicht
dem gebeten wird, einen anderen, weniger wichtigen sagen, wie, wenn es nicht möglich ist, die in Detmold
Bahnübergang zurückzustellen und dafür vordring- vorliegenden Einsprüche zu bereinigen, der Bundes-
lich den von Ihnen, Herr Abgeordneter, angespro- minister für Verkehr entscheiden wird. Es wird
chenen Bahnübergang in Lage zu beseitigen. Eine wahrscheinlich noch mehrerer Beratungen, auch
Entscheidung hierüber kann aber erst nach Vorlie- Ortsbesichtigungen, bedürfen, um ein klares Bild
gen dieses in Aussicht gestellten Antrages in mei- für die Entscheidung zu bekommen.
nem Hause getroffen werden.

Vizepräsident Dr. Jaeger: Eine Zusatzfrage Vizepräsident Dr. Jaeger: Eine weitere Zu-
des Herrn Abgeordneten Berlin. satzfrage, Herr Abgeordneter Berlin.

Berlin (SPD) : Herr Staatssekretär, bei den ge- Berlin (SPD) : Herr Staatssekretär, darf ich Ihrer
nannten Schrankenanlagen handelt es sich in erster Antwort entnehmen, daß die eventuell schon getrof-
Linie um die a n der B 239 und nicht um die an der fenen Vorbereitungen für die Veränderung der ge-
B 66. genwärtigen Situation so lange gestoppt werden, bis
Ich habe dann die zusätzliche Frage: Sieht die Bun- die von Ihnen erwähnten Besprechungen, Ortsbe-
desregierung in den Blinklichtanlagen eine größere sichtigungen usw. durchgeführt worden sind, ehe
Sicherheit als bei Bahnschranken, die mit Schranken- man zu der einen oder anderen Entscheidung
wärtern besetzt sind? Es handelt sich bei der B 239 kommt?
um eine verkehrsreiche Straße, auf der z. B. in den
letzten Wochen in 24 Stunden über 1000 Fahrzeuge Dr. Seiermann, Staatssekretär im Bundesmini-
gezählt worden sind. sterium für Verkehr: Herr Abgeordneter, wenn
irgendwelche baulichen Veränderungen vorgenom-
Dr. Seiermann, Staatssekretär im Bundesmini- men werden oder vorgenommen worden sind, so
sterium für Verkehr: Herr Abgeordneter, ich war wird idas die Entscheidungsfreiheit des Ministers
mit meiner Antwort noch nicht fertig; ich habe zu in keiner Weise beeinträchtigen.
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 77. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Mai 1963 3741

Vizepräsident Dr. Jaeger: Eine Zusatzfrage Eine Frage des Herrn Abgeordneten Glombig:
des Herrn Abgeordneten Spies. Was hat der Herr Bundesarbeitsminister in seiner Rede an-
läßlich der Verleihung des Hörspielpreises des Bundes der
Kriegsblinden am 29. April 1963 in bezug auf die Neuordnung
der Kriegsopferversorgung gemeint, wenn er sagte: „Es war
Spies (CDU/CSU) : Herr Staatssekretär, ist Ihnen immer mein Bestreben, weniger in Gleichmacherei zu tun als
vielmehr individuell diese Dinge zu gestalten."?
bekannt, ob an Übergängen mit Blinkanlagen oder
an Übergängen mit Schranken mehr Unfälle passiert Herr Bundesminister, darf ich bitten.
sind?
Blank, Bundesminister für Arbeit und Sozialord-
nung: Mit dieser Äußerung habe ich meine Ansicht
Dr. Seiermann, Staatssekretär im Bundesmini- ausgedrückt, daß man bei den Bemühungen um eine
sterium für Verkehr: Dast ist natürlich bekannt. Die gerechte Versorgung der Kriegspofer auch die Ein-
Statistiken werden monatlich vorgelegt, und ich bin zelschicksale beachten und versuchen sollte, das
gern bereit, Sie z. B. über das letzte Monatsergebnis Bundesversorgungsgesetz so zu gestalten, daß auch
zu unterrichten. Aber diese Generalstatistik, Herr diese Einzelschicksale gebührend berücksichtigt wer-
Abgeordneter, gibt ebenfalls keine schlüssige Aus- den.
kunft darüber. Sie müssen berücksichtigen, daß es
viele Tausende von Bahnübergängen gibt, die einen Vizepräsident Dr. Jaeger: Eine Zusatzfrage?
außerordentlich geringen Verkehr haben. Anderer-
seits gibt es Bahnübergänge mit einem außerordent- Glombig (SPD) : Ja. Herr Minister, wie ist es
lich starken Verkehr. Es wird also, wie gesagt, in dann zu erklären, daß außer mir auch Associated
jedem Einzelfall zu prüfen sein, ob eine handbe- Press in ihrer Meldung vom 29. April davon aus-
diente Schranke möglich oder notwendig ist, ob geht, Sie hätten mit der Bezeichnung „Gleichmache-
eine automatische Blinklichtanlage genügt oder ob, rei" darauf hindeuten wollen, daß Bedenken gegen
wozu wir immer mehr übergehen, die Blinklicht- die Forderung der großen Verbände und einer Bun-
anlage mit automatischen Weckern oder mit Halb- destagsmehrheit zu erheben seien, außer der Besei-
schranken gekoppelt werden muß. tigung von Härten vor allem auch eine Erhöhung
der Grundrenten vorzusehen?
Vizepräsident Dr. Jaeger: Ich rufe auf die
Frage XIII/6 — des Herrn Abgeordneten Schmidt Blank, Bundesminister für Arbeit und Sozialord-
(Kempten) — :
nung: Ich kann Ihnen keine Auskunft darüber geben,
Sieht die Bundesregierung in der Tatsache, daß weibliche
aus welchem Grunde eine Nachrichtenagentur eine
Beschäftigte der Deutschen Bundesbahn im Gegensatz zu ihren Äußerung von mir so interpretiert, wie Sie sie inter-
männlichen Kollegen nur Freifahrten für sich selbst erhalten,
den Grundsatz der Gleichberechtigung gewahrt? pretieren wollen. Im übrigen aber hat die Bundes-
regierung, was Ihnen bekannt ist, auf meinen
Der Fragesteller hat sich mit schriftlicher Beantwor-
Vorschlag dem Bundesrat eine Gesetzesvorlage zu-
tung einverstanden erklärt. Die Antwort liegt noch
geleitet, in der eine Erhöhung der Grundrenten
nicht vor. Sie wird nach Eingang im Sitzungsbericht
vorgesehen ist.
abgedruckt.
Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär. Vizepräsident Dr. Jaeger: Eine weitere Zu-
Wir kommen zu den Fragen auf Drucksache satzfrage?
IV/1255, zunächst Geschäftsbereich des Bundesmini-
sters des Innern.
Glombig (SPD) : Herr Minister, Sie haben im
„Bulletin" vom 3. Mai 1963 Stellung genommen zu
Ich rufe auf die Frage I/1 — des Herrn Abgeord- meinen Behauptungen, daß Sie mit der Bezeichnung
neten Müller (Remscheid) —: „Gleichmacherei" gegen die Erhöhung der Grund-
und Ausgleichsrenten Stellung bezogen hätten,
Werden ausländische Gastarbeiter, die nach Deutschland fahren
wollen, schon in ihren Heimatländern vor ihrer Hinreise in die haben sich aber nicht dazu bekannt, das Wort
Bundesrepublik auf die hier geltenden Waffenbestimmungen „Gleichmacherei" gebraucht zu haben. Darf ich Sie
aufmerksam gemacht?
noch einmal fragen, aus welchem Grunde Sie dieses
Der Fragesteller hat sich mit schriftlicher Beant-
Wort gebraucht haben?
wortung einverstanden erklärt. Die Antwort liegt
noch nicht vor. Sie wird nach Eingang im Sitzungs-
bericht abgedruckt. Blank, Bundesminister für Arbeit und Sozialord-
nung: Ich sehe zwar keinen Zusammenhang zwi-
Ich rufe auf die Frage I/2 — des Herrn Abgeord- schen Ihrer jetzigen Frage und der vorhin gestellten
neten Müller (Remscheid) —: Frage. Aber ich habe Ihnen ja geantwortet, daß ich
Werden Gastarbeiter bei ihrer Einreise in das Bundesgebiet
mit dieser meiner Äußerung meine Ansicht ausge-
— wenigstens stichprobenartig — auf Waffen, insbesondere drückt habe, daß man besser als bisher auch den
Schußwaffen, untersucht?
Einzelschicksalen gerecht werden sollte. Ich habe in
Der Fragesteller hat sich mit schriftlicher Beantwor- einer kurzen, frei gehaltenen Rede, die — Sie haben
tung einverstanden erklärt. Die Antwort liegt noch zugehört — mit großem Beifall aufgenommen wor-
nicht vor. Sie wird nach Eingang im Sitzungsbericht den ist, vor den Kriegsblinden über ein Problem ge-
abgedruckt. sprochen, das diesen besonders am Herzen liegt.
Wir kommen zu den Fragen unter II, Geschäftsbe-
reich des Bundesministers für Arbeit und Sozial- Vizepräsident Dr. Jaeger: Keine weiteren Zu-
ordnung. satzfragen. — Ich danke Ihnen, Herr Bundesminister.
3742 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 77. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Mai 1963
Vizepräsident Dr. Jaeger
Die Frage des Herrn Abgeordneten Bading fang, der de Gaulle hier in der Bundesrepublik
unter III — Geschäftsbereich des Bundesministers zuteil wurde, vereinbarten, Schritte zu tun, um zu
der Verteidigung — ist vom Fragesteller zurück- einer noch engeren Gestaltung dieser Zusammen-
gezogen worden. arbeit, dieser deutsch-französischen Freundschaft zu
Damit ist die Fragestunde abgeschlossen. gelangen. Sie wissen, daß zunächst vorgesehen war,
das ganze in einem Protokoll niederzulegen. Man
Meine Damen und Herren, ich darf zunächst dar- entschloß sich dann aber zu der Vertragsform, weil
auf hinweisen, daß heute ab 15 Uhr die Möglichkeit der Bundestag auf jeden Fall zu diesen Vereinbarun-
zu Ausschußsitzungen besteht. gen Stellung nehmen mußte.
Ich rufe auf Punkt 4 der Tagesordnung: Der Vertrag hat aber auch einen Zusammenhang
Zweite und dritte Beratung des von der Bun- mit einer besonderen europäischen Entwicklung.
desregierung eingebrachten Entwurfs eines Nachdem die wirtschaftspolitischen Gemeinschaften,
Gesetzes zu der Gemeinsamen Erklärung und die EWG, die Montangemeinschaft und Euratom,
zu dem Vertrag vom 22. Januar 1963 zwischen sehr stark nach vorn drängten und arbeiteten, er-
der Bundesrepublik Deutschland und der schien es notwendig, daß die sechs Staaten oder
Französischen Republik über die deutsch- solche, die noch weiter dazukämen, auch auf Gebie-
französische Zusammenarbeit (Drucksache ten, die nicht in den Gemeinschaften geregelt waren
IV/1157); — Außenpolitik, Verteidigungspolitik und Kultur-
politik —, sich näher zusammenfänden und zusam-
Schriftlicher Bericht des Ausschusses für menarbeiteten. Es waren die Pläne einer politischen
auswärtige Angelegenheiten (3. Ausschuß) Union, die die beiden Völker und unsere anderen
(Drucksache IV/1252) europäischen Freunde zwei Jahre hindurch beschäf-
(Erste Beratung 73. Sitzung). tigt haben. Diese Verhandlungen führten leider nicht
Meine Damen und Herren, gemäß einer Absprache zu einem Erfolg. Sie wurden im April vorigen Jahres
im Ältestenrat darf ich vorschlagen, daß im Anschluß abgebrochen. Aber der Gedanke der politischen
an die Berichterstattung die üblicherweise der Union liegt immer noch in der Luft. Es ist durchaus
dritten Beratung vorbehaltene allgemeine Aus- möglich, sogar wahrscheinlich, daß in absehbarer
sprache stattfindet. — Darüber besteht -Einver- Zeit wiederum Bestrebungen auftauchen, dieses
Werk fortzusetzen.
ständnis.
Ich danke dem Berichterstatter, dem Abgeordneten In diesen beiden Zusammenhängen steht der
Dr. Furler, für seinen Schriftlichen Bericht und darf deutsch-französische Vertrag. Sein Kernstück ist die
ihm zur Ergänzung das Wort erteilen. Konsultationsverpflichtung. Beide Staaten verpflich-
ten sich, in Fragen der Außenpolitik, die von Be-
deutung und von gemeinsamem Interesse sind, sich
Dr. Furler (CDU/CSU) : Herr Präsident! Meine gegenseitig zu konsultieren. Das gilt aber auch für
Damen und Herren! Ich glaube, es ist nicht Aufgabe Fragen der Verteidigungspolitik, Fragen der Zu-
des Berichterstatters, hier das zu wiederholen, was sammenarbeit auf dem Gebiet der Jugend, der
er schon schriftlich ausgeführt hat. Ich will auch Sprachentwicklung und ähnliches mehr. Ich darf
nicht auf gewisse Einzelheiten mehr technischer daran erinnern, daß es nie gelungen ist, in der
Art über die Auslegung des Vertrages eingehen. NATO, in der WEU oder in anderen multilateralen
Sie können das in meinem Bericht lesen. Ich meine, Verträgen eine Konsultationspflicht einzuführen. Sie
ich sollte mich auf einige Grundfragen konzentrieren, ist in dem deutsch-französischen Vertrag realisiert.
die im Ausland erörtert worden sind, die auch Ge-
genstand der öffentlichen Debatte gewesen sind und Es wäre aber falsch, den Vertrag nur als Konsul-
von deren Kenntnis und Beurteilung natürlich das tationsvertrag zu bezeichnen; denn beide Partner
Urteil über den deutsch-französischen Vertrag ab- haben es auch übernommen — und das halte ich für
hängt. wesentlich; denn darin zeigt sich, daß sie enger und
freundschaftlich miteinander zusammenarbeiten —,
Der Vertrag hat zwei Entstehungsursachen. Die in wichtigen Fragen zu versuchen, zu einer gemein-
eine ist die grundlegende Umgestaltung des deutsch- samen Haltung zu gelangen. Sowohl im außenpoli-
französischen Verhältnisses nach dem zweiten Welt- tischen Bereich als auch im Bereich der Verteidi-
krieg, nach der Entstehung der Bundesrepublik. Sie gungspolitik wollen sie im Rahmen der Konsulta-
wissen, daß damals bald eine immer enger werdende tion versuchen, zu gemeinsamen Konzeptionen, zu
Zusammenarbeit erfolgte. Sie erfolgte unmittelbar einer gemeinsamen Haltung zu kommen, und idas
zwischen den beiden Staaten; sie erfolgte aber auch ist wiederum für die Beurteilung von ganz entschei-
im Rahmen der europäischen Entwicklung, weil dender Bedeutung. Der Vertrag zwingt keinen der
natürlich die europäischen Gemeinschaften Gelegen- Partner, die Auffassung des anderen zu überneh-
heit gaben, noch mehr und noch enger zusammenzu- men. Er veranlaßt sie nur, zu versuchen, zu einer
kommen. Die Entwicklung wurde immer intensiver. gemeinsamen Haltung zu gelangen. Entscheidend
Es war auch eine starke persönliche Verbindung ist, daß in den Fragen der Außenpolitik, der Ver-
unter den Menschen, unter den Völkern da: Paten- teidigungspolitik in grundlegenden Dingen die bei-
schaften, Partnerschaften und ähnliches mehr. den Regierungen die letzte Entscheidung in eigener
Es ist verständlich, daß Bundeskanzler Adenauer Hand haben. Der Vertrag ist also ein Instrument
und General de Gaulle nach dem Besuch des Bundes- der Konsultation, des Versuchs, zu gemeinsamen
kanzlers in Frankreich und nach dem großen Emp Lösungen zu kommen; aber er verpflichtet nicht den
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 77. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Mai 1963 3743
Dr. Furler
einen oder den anderen Staat, von seiner bisheri- denden Völker in dieser Form könnte zur Bildung
gen Politik abzugehen oder etwas zu tun, was ihm einer Achse, ja zu einer Hegemonie innerhalb der
vielleicht nicht richtig erscheint. auf dem Gemeinschaftsgeist aufgebauten euro-
In diesem Zusammenhang darf ich Sie auf die päischen Gemeinschaften führen.
gemeinsame Erklärung hinweisen, die die beiden Ich kann Ihnen sagen, welchen wirklichen Sach-
Regierungen im Zusammenhang mit dem Vertrag verhalt wir nach der Prüfung festgestellt haben. Der
abgegeben haben und die die Unterschriften von wirkliche Sachverhalt ist so, daß der Vertrag in
General de Gaulle und unseres Bundeskanzlers seinem Wortlaut und in seinem Sinn nicht gegen
trägt. Diese gemeinsame Erklärung ist gewisser- diese Gemeinschaftsverträge verstößt. Wesentlich
maßen eine Präambel. Sie stellt keine neuen Ver- ist natürlich seine spätere Handhabung; darauf
pflichtungen auf, aber sie zeigt die Zusammenhänge, komme ich noch zu sprechen.
in denen 'diese gemeinsame Arbeit erfolgen soll. Wir kamen zu der Überzeugung, daß das Gemein-
Dazu gehört einmal die Solidarität der beiden schaftsrecht, dieses neue Recht der europäischen Ge-
Völker, ihre gemeinsamen Interessen, die in dieser meinschaften, das noch kein Vorbild im Völkerrecht
gemeinsamen Arbeit zum Ausdruck kommen. Es ist hatte, dem bilateralen Vertragsrecht vorgeht. Das
aber auch ausdrücklich hervorgehoben, daß die Ver- Hauptargument dafür war, daß in diesen Gemein-
stärkung dieser Zusammenarbeit, diese Konsulta- schaften ein gemeinsamer Oberster Gerichtshof be-
tion, der Versuch, zu gemeinsamen Lösungen zu ge- steht, der über die Entwicklung und die Auslegung
langen, einen unerläßlichen Schritt auf dem Wege der Verträge entscheidet und dessen Entscheidungen
zu dem vereinten Europa darstellt, welches das Ziel auch für die Gerichte der einzelnen Mitgliedstaaten
beider Völker ist. bindend sind. Es handelt sich also um Recht, das
man durch einen solchen Vertrag gar nicht besei-
Der Auswärtige Ausschuß hat sich die Angele-
tigen kann.
genheit nicht leicht gemacht; auch die mitberaten-
Aber dann war klar — ich möchte das auch be-
den Ausschüsse haben den Vertrag eingehend bera-
ten. Wir haben drei Sitzungen abgehalten und zu tonen —, daß diese Zusammenarbeit nicht Organe
den verschiedensten Fragen Stellung genommen. dieser Gemeinschaften berührt oder beeinträchtigt,
Gegenstand der Diskussion war einmal die Frage: die völlig unabhängig von nationalen Bindungen
- wich- sind, die reine Gemeinschaftsorgane darstellen, wie
Ist dieses Abkommen zwischen den beiden so
tigen Staaten mit multilateralen Verträgen, vor die Kommission, das Europäische Parlament, der
allem mit der atlantischen Verteidigungsorganisa- Gerichtshof. Soweit diese Kompetenzen haben, sind
tion, mit den Rechten und Pflichten aus der NATO sie ihnen gehörig und bleiben ihnen unverändert
gegeben. Ebenso ist sicher, daß diejenigen Gebiete
vereinbar? Wir waren uns nach kurzen Überlegun
der Souveränität der Nationalstaaten — man mag
gen darüber klar, daß eine Konfliktsmöglichkeit mit
sich darüber freuen oder nicht, und es gibt Leute,
diesem nach klassischen völkerrechtlichen Grundsät-
zen zwischen 15 Staaten abgeschlossenen NATO- die sich vielleicht nicht darüber freuen —, die end-
Vertrag nicht besteht. Es besteht überhaupt keine gültig auf die europäischen Gemeinschaften über-
Konfliktsmöglichkeit mit anderen multilateralen tragen sind, übertragen bleiben, daß es also keine
Möglichkeit gibt, solche Entscheidungen wieder
Verträgen; sie wenden nicht berührt. Auch der
irgendwie rückgängig zu machen.
Deutschlandvertrag bleibt völlig unberührt, auch die
WEU, selbstverständlich auch die 'besonderen Rechte Nun haben wir — und darin liegt auch eine Pro-
und Pflichten, die Berlin betreffen und alle ähn- blematik — in den Gemeinschaften ein Organ, das
lichen Dinge. die Regierungen dort vertritt, aber zugleich ein Ge-
meinschaftsorgan ist: den Ministerrat. Es ist unbe-
Das Hauptproblem, das uns beschäftigte — ich stritten, daß die sechs Minister ihre Weisungen von
muß das ganz offen hier sagen — war die Frage: den nationalen Regierungen bekommen. Infolge-
Wie steht dieser Vertrag zu den zwischen den sechs dessen ist es auch möglich, daß die nationalen Re-
europäischen Staaten — Frankreich, Italien, Deutsch- gierungen — zwei oder drei — sich untereinander
land und den drei Benelux-Staaten — bestehenden abstimmen oder beraten oder Kontakt nehmen und
Verträgen über die europäischen Gemeinschaften, sich konsultieren, wie ihre Minister sich im Minister-
insbesondere zu dem Vertrag über die Europäische rat verhalten sollen. Dies ist praktisch auch schon
Wirtschaftsgemeinschaft? Sie verstehen, daß mir bei oft geschehen, nicht nur zwischen uns und Frank-
meinem europäischen Wirken diese Frage beson- reich, sondern auch zwischen den Beneluxstaaten
ders am Herzen lag; aber auch alle Mitglieder des und auch zwischen anderen Staaten; solches Ver-
Auswärtigen Ausschusses haben darum gerungen. halten ist also durchaus möglich und erlaubt.
Wir dürfen nicht verkennen, daß der Vertrag Aber — und das ist entscheidend — dieser Mini-
gerade hier zunächst eine Reihe von Mißdeutungen sterrat ist nicht eine Konferenz der Minister der
erfahren hat, daß man an ihm im Ausland Kritik sechs Länder, sondern er ist ein Gemeinschaftsorgan
geübt hat, daß man Dinge unterstellte, von denen und hat als solches die Aufgabe, die Gemeinschafts-
man annahm, sie seien als neue Ziele plötzlich da; interessen im Rahmen des Möglichen zu vertreten.
man befürchtete in verschiedener Richtung, die Bun- Diese Verpflichtung, die Gemeinschaftsinteressen zu
desrepublik wolle einen grundlegenden Wandel in vertreten, ist eindeutig. Sie wird zum Beispiel dazu
der europäischen Politik durchführen. Diese ganze führen — nur als Beispiel —, .daß, wenn im Rahmen
Kritik, diese Erörterungen veranlaßten uns zu sehr der Konsultation Deutschland und Frankreich in
eingehenden Prüfungen. Es war auch vorgetragen einem Punkt übereingekommen sind, eine gemein-
worden: diese Zusammenarbeit der beiden entschei same Linie zu vertreten — was für die Gemeinschaft
3744 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 77. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Mai 1963

Dr. Furler
durchaus nützlich sein kann —, sie diesen Stand- brauchen darüber nicht lange zu sprechen. Der Aus-
punkt im Ministerrat ändern, wenn sich in den Be- schuß für Familien- und Jugendfragen hat sich über
ratungen, in dem Dialog mit der Kommission ergibt, die damit zusammenhängenden Probleme sehr ein-
daß es noch einen anderen, besseren europäischen gehend geäußert; das steht in dem Schriftlichen Be-
Standpunkt gibt. Dann wird nicht blockiert, sondern richt.
dann wird sich eben dieser europäische Standpunkt Nun komme ich zu unserer eigentlichen Aufgabe,
durchsetzen. nämlich zur Verabschiedung des Ratifikationsge-
Ferner wurde von der Sperrminorität gesprochen. setzes. Der Vertrag muß, um völkerrechtlich wirk-
Es wurde gesagt, nach den Bestimmungen hätten die sam zu werden, ratifiziert werden, und deshalb un-
beiden Staaten die Möglichkeit zu blockieren, weil sere heutige Sitzung. Wir haben zu dem Ratifika-
in dem Zeitpunkt, in dem Mehrheitsentscheidungen tionsgesetz zunächst eine ganz kurze Änderung vor-
bevorstehen oder getroffen werden, gegen die Stim- geschlagen, nämlich die Berlin-Klausel in der üb-
men der beiden Staaten kein Beschluß gefaßt wer- lichen Form aufzunehmen. Das hat der Berliner
den kann. Hierzu darf ich doch zur Aufklärung Senat angeregt, und die Bundesregierung war damit
sagen: bei dem ersten Vertrag, bei dem supranatio- einverstanden.
nalsten, den es gibt, bei dem Vertrag über die Euro- Weiterhin haben wir etwas vielleicht nicht All-
päische Gemeinschaft für Kohle und Stahl, wurde tägliches vorgeschlagen. Wir haben nämlich im
durch komplizierte Vertragsklauseln festgelegt, daß Auswärtigen Ausschuß beschlossen — zuletzt ge-
Frankreich und Deutschland als die Hauptmontan- meinsam —, Ihnen zu empfehlen, dem Vertrag eine
mächte, als die Haupterzeuger von Kohle und Stahl, Präambel vorauszuschicken. Wir hatten darüber be-
nicht überstimmt werden können. Und als wir die raten, ob eine Entschließung gefaßt werden sollte.
europäischen Verträge gestalteten, wurde ausdrück- Wir waren aber der Meinung, daß wegen der für
lich vorgesehen, daß zwei große Staaten, sei es Ita- unser Volk so wichtigen Fragen die Form der
lien, sei es Frankreich, sei es Deutschland, nicht Präambel genommen werden sollte, weil sie als
überstimmt werden dürfen, wenn sie in einem be- Teil des Gesetzes eine höhere Wirksamkeit hat als
stimmten Punkt nicht mitmachen wollen. Denn man eine Entschließung. So war die Auffassung des Aus-
sagte schon damals: es ist schlecht, einen Gemein- wärtigen Ausschusses.
schaftsstandpunkt gegenüber, sagen wir, Italien und
Frankreich zu vertreten, wenn die beiden geschlos- Diese Präambel befaßt sich zunächst — das darf
sen dagegen sind. Also ist es gar kein Problem, daß nie außer acht gelassen werden, bei aller Diskus-
zwei Mitgliedstaaten auf Grund der bestehenden sion — mit dem Kernpunkt, nämlich mit der Aus-
Verträge in einem bestimmten Fall nicht überstimmt söhnung, der Freundschaft, der Zusammenarbeit mit
werden können. Frankreich als dem grundlegenden, entscheidenden
Ziel dieses Vertrages. Diese Zusammenarbeit, die
Aber — das ist entscheidend — nach den Erklä- im Laufe der Jahre gewachsen ist, die wichtig ist,
rungen, die die Bundesregierung im Auswärtigen hat in diesem Vertrag ihren deutlichsten Ausdruck
Ausschuß abgab, hat weder sie noch nach ihren In-
gefunden.
formationen Frankreich die Absicht, die Entwick-
lung der Gemeinschaften durch solche Vetos zu ver- Die Präambel befaßt sich dann allgemein mit der
hindern oder zu beeinträchtigen. Im Gegenteil: un- Frage, ob der Vertrag mit früher geschlossenen
sere Zusammenarbeit soll auch dazu dienen, diese multilateralen Verträgen vereinbar ist. Ich habe das
wirtschaftspolitische und sozialpolitische Zusammen- schon behandelt. Die Präambel sagt: Diese Verträge
arbeit in den Gemeinschaften zu fördern. bleiben unberührt.
Meine Damen und Herren, es ist doch sicher, und Die Präambel befaßt sich weiterhin mit den Zie-
die Erfahrung der täglichen europäischen Politik len, die wir in der Zusammenarbeit mit unseren
lehrt, daß es gut ist, wenn Frankreich und Deutsch- Verbündeten in der westlichen Welt seit Jahren
land nicht offensichtliche Differenzen in Gemein- durchzusetzen uns bemühen, und schließlich legt
schaftsfragen haben; denn ohne die Zusammenarbeit die Präambel relativ detailliert die Grundpunkte
dieser beiden Kernländer Europas wäre die euro- und Grundziele der deutschen Politik fest. Es wird
päische Entwicklung gar nicht möglich gewesen. da zunächst gesagt, daß eine partnerschaftliche Zu-
sammenarbeit mit den Vereinigten Staaten von
(Beifall bei der CDU/CSU.)
Amerika unser Ziel ist und bleibt. Es wird in den
Sie dürfen davon überzeugt sein, es wäre für die Vordergrund gestellt, was uns alle zutiefst bewegt,
Gemeinschaften, für ihre Organe keine einfache nämlich die Durchsetzung des Selbstbestimmungs-
Situation, wenn sie vor der Gegebenheit stünden, rechts für das deutsche Volk und die Wiederherstel-
daß sich Frankreich und Deutschland in ständigen lung der Einheit Deutschlands.
Differenzen befinden. Das würde auch die Vor-
wärtsentwicklung dieser Gemeinschaften sehr be- Schließlich wird gesagt, daß es unser Ziel in der
einträchtigen. Folglich sehen wir in dem Vertrag Politik bei Durchführung des Vertrages ist, in der
die Möglichkeit — ich sage: es kommt auf die spä- bisherigen Weise in der NATO zusammenzuarbeiten
tere Haltung an —, in der europäischen Entwicklung und die NATO weiter zu verstärken. Wir haben ja
durch eine Zusammenarbeit in der bisherigen Form schließlich unsere militärischen Streitkräfte der
weiterzuschreiten. NATO unterstellt.
Weiterhin ist in dem Vertrag der stärkere Ein- Sodann haben wir als unser Ziel festgelegt, daß
satz der Jugend und die sprachliche Förderung die Einigung Europas weiterschreiten soll, und zwar
behandelt. Das sind selbstverständliche Dinge; wir auf dem Wege, den wir mit den europäischen Ge-
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 77. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Mai 1963 3745
Dr. Furler
meinschaften begonnen haben. Wir sagen ausdrück- das durch den zweiseitigen Vertrag geschaffene
lich, daß es das Ziel der deutschen Politik auch ist, Recht, falls es überhaupt zu einem Zweifel kommen
diese Gemeinschaften weiterhin zu stärken. sollte.
Schließlich wird ein konkretes, akutes Problem Im Ausschuß kam weiter zum Ausdruck, daß durch
angesprochen und ausgeführt, daß die Europäische die Feststellung, daß durch diesen Vertrag die
Wirtschaftsgemeinschaft eine offene Politik zu be- Rechte und Pflichten aus den von der Bundesrepu-
treiben habe, daß sie insbesondere die Hand er- blik Deutschland .abgeschlossenen multilateralen
greifen solle, die ihr Amerika entgegengestreckt Verträgen unberührt bleiben, sowie durch die Er-
hat, in einer großen zollpolitischen Zusammenarbeit klärung des Willens, die Einigung Europas auf dem
im Rahmen des GATT. Die berühmte Kennedy- durch die Schaffung der europäischen Gemeinschaf-
Runde und all diese Dinge sollen im Interesse einer ten begonnenen Wege durchzuführen, klargestellt
Aufgeschlossenheit der Gemeinschaft positiv betrach- ist, daß Europapolitik und Verteidigungspolitik der
tet werden. Bundesregierung von den durch 'die aufgeführten
multilateralen Verträge geschaffenen Einrichtungen
Nun, meine Damen und Herren, komme ich zum
und Zielsetzungen auszugehen haben. Damit ist eine
Antrag. Der Auswärtige Ausschuß beantragt, daß Sie
jede Bundesregierung auf eine aktive Europapolitik
das Vertragswerk billigen, indem Sie das Ratifika-
festgelegt; ebenso lauf eine Politik des Ausbaus und
tionsgesetz mit der kleinen Änderung der Berlin
der Ausweitung .der Europäischen Wirtschaftsge-
Klausel und unter Aufnahme der ganzen Präambel
meinschaft; auf eine Politik, die hilft, die Voraus-
in den Vorspruch zu diesem Gesetz annehmen.
setzungen für ein Wirksamwerden der Kennedy-
(Allseitiger Beifall.) Round — um es in der Abkürzung zu sagen — zu
schaffen, schließlich auf eine Politik, über die durch
Vizepräsident Dr. Jaeger: Ich danke dem die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft geschaffe-
Herrn Berichterstatter. nen europäischen Realitäten hinaus auf eine stärkere
politische Integration Europas hinzuwirken.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Schmid.
Der Ausschuß war der Überzeugung, daß damit
alle Befürchtungen gegenstandslos geworden sind
Dr. Schmid (Frankfurt) (SPD) : Herr Präsident!
- — falls sie begründet gewesen sein sollten —, die
Meine Damen und Herren! Ich habe nicht die Ab- innerhalb Deutschlands und außerhalb durch den Ab-
sicht, in meiner Eigenschaft als zweiter Berichterstat- schluß des Vertrages und die Begleitumstände seines
ter den Bericht des ersten Berichterstatters, des Abschlusses aufgekommen sein mögen. Denn es
Kollegen Furler, in tatsächlicher Hinsicht zu ergän- steht nunmehr fest, daß der Vertrag einer jeden
zen. Sein Bericht umfaßt alles, was über den Hergang deutschen Bundesregierung nur als Instrument einer
der Beratungen, über die gestellten Anträge und das positiven europäischen Integrationspolitik und atlan-
Schicksal dieser Anträge wissenswert ist. Ich glaube tischen Verteidigungspolitik dienen kann.
jedoch, daß es nützlich sein könnte, die im Aus-
schuß zutage getretenen Auffassungen über die Wir wissen, daß darüber, was Europa sein soll,
Rechtswirkungen der Präambel und die durch ihren verschiedene Meinungen bestehen. Manche 'glauben,
Inhalt erfolgte Bindung jeder deutschen Regierung es genüge, ein Europa der Regierungen zu schaffen,
bei der Anwendung des Vertrages in einer prägnan- .andere, eines der Staaten. Ich glaube mich nicht zu
ten Zusammenfassung darzulegen. täuschen, wenn ich sage, daß die überwiegende
Meinung im 'deutschen Volk ist, ,daß Europa ein
Ich bemerke, daß über die einzelnen Feststellun- Europa der Völker sein soll.
gen, die ich nun treffen werde, nicht formell abge-
stimmt worden ist, glaube jedoch, sicher sein zu (Beifall auf allen Seiten.)
dürfen, daß das, was ich sagen werde, die ein-
mütige Auffassung des Ausschusses wiedergibt. Vizepräsident Dr. Jaeger: Das Wort hat der
Abgeordnete Wehner.
Im Ausschuß kam zum Ausdruck, daß die Präambel
nicht etwa nur eine deklamatorische Zusammenfas-
sung guter Wünsche darstellt, sondern den Organen Wehner (SPD) : Herr Präsident! Meine Damen
der Bundesrepublik die Rechts pflicht auferlegt, und Herren! Bei der ersten Lesung des Ratifikations-
entsprechend ihrem Inhalt zu handeln. Die Präambel gesetzes zu dem deutsch französischen Vertrag
-

ist ein Teil des Gesetzes, genauso rechtsverbindlich konnte Übereinstimmung darüber 'festgestellt wer-
wie dessen paragraphierter Teil. den, .daß )die Freundschaft oder beiden Völker lebens-
Im Ausschuß kam weiter zum Ausdruck — und wichtige Bedeutung für Deutschland und Frankreich
diese Meinung wurde vom Vertreter der Regierung selbst und für , das Zusammenwachsen Europas hat.
geteilt —, daß der deutsch-französische Vertrag in- Umstritten war die Auswirkung des Vertrages auf
nerhalb der rechtlichen und politischen Ordnungen das Leiben und damit auf die weitere Entwicklung
gilt, die durch die Römischen Verträge und die an- — zu der auch das Wachsen gehört — der europäi-
deren multilateralen Verträge über die Integration schen Gemeinschaften und auf die Partnerschaft mit
Europas und das nordatlantische Verteidigungs- den Vereinigten Staaten von Amerika.
system sowie durch den Deutschlandvertrag ge- Es ist uns dabei, soweit es meine Fraktion betrifft,
schaffen worden sind. Danach bricht im Zweifels- nicht in erster Linie ;darum gegangen, ob der Wort-
falle das Recht der multilateralen Verträge das Ge- laut des Vertrages und die rechtliche Wirkung der
meinschaftsrecht, wie es mit Recht genannt wurde, durch ihn ins Leben 'gerufenen Einrichtungen über-
3746 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 77. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Mai 1963
Wehner
haupt mit den Bestimmungen und mit den Ver- Tendenzen beobachtet, bei der parlamentarischen
fahrensregeln der europäischen Gemeinschaftsver- Ratifikation des Vertrages außer jeden Zweifel zu
träge vereinbar seien. Unsere Sorge — und ich weiß, setzen, daß der Vertrag nicht zu Wirkungen auf die
das war tauch die Sorge vieler in den Partnerländern materilGnschfodugieGmn-
der europäischen Gemeinschaften — ist gewesen: schaftsverfahren führen darf, die dem Sinn unseres
Wird durch das besondere Verhältnis der Regierun- Vertrages zuwiderlaufen.
gen beider Staaten in das Gefüge der europäischen
Nun, der Herr Berichterstatter selber hat heute
Gemeinschaften ein störendes, ihre Entwicklung
gesagt, daß wir mit der Einfügung der Präambel in
hemmendes Element gebracht?
das Ratifikationsgesetz doch wohl dieser eindring-
Über diese unsere Sorge haben wir in der ersten lichen Aufforderung entsprochen haben, eben der
Lesung offen gesprochen. Der Berichterstatter hat Aufordeng,biGlhtesrpamn-
in seinem Schriftlichen Bericht dargelegt, wie ver- rischen Ratifikation so klar und so verbindlich wie
sucht worden ist, die Sorgen zu zerstreuen und möglich festzulegen, daß Auslegung und Anwen-
Einwände zu entkräften. Er hat in diesen Teilen dung des Vertrages Bestand, Funktionieren und Dy-
seines Berichts im wesentlichen wiedergegeben, was namik unserer Gemeinschaft nicht beeinträchtigen
in den Ausschußberatungen zu gewissen Klarstel- dürfen. Darauf kam es an, und wenn wir alle Zwei-
lungen geführt hat. Er hat dabei in dem Bericht auch fel ausräumen wollen, dann können wir und dann
die vom Präsidenten der Europäischen Kommission sollen wir auch freimütig sagen, daß es dem Deut-
der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft geäußer- schen Bundestag darauf ankommt, dies so klar und
ten Befürchtungen erwähnt, es könne ein fremdes so verbindlich wie nur möglich festzulegen.
Gewicht in den ausgewogenen Gemeinschaftsprozeß Der Herr Berichterstatter hat in seinem Schrift-
hineingetragen werden. Soweit der Herr Bericht- lichen Bericht ausführliche Betrachtungen über das
erstatter bei der Behandlung dieser Einwände gel- Schicksal der Versuche angestellt, eine europäische
tend macht, die Mehrheit des Ausschusses für aus- politische Union zustande zu bringen. Wir Sozial-
wärtige Angelegenheiten habe sich diesen Über- demokraten vertreten nach wie vor die Auffassung,
legungen nicht anschließen können, hat er damit — daß die Teilnahme Großbritanniens an dem Anfang
wenn ich das, ohne ihn korrigieren zu können und einer europäischen politischen Union entscheidend
zu wollen, so ausdeuten darf — eigentlich wohl be- dafür ist, Europa einen erhöhten Einfluß auf das
tonen wollen, es bestehe auf deutscher Seite nicht Weltgeschehen zu sichern.
die Absicht, ein solches fremdes Gewicht hineinzu-
tragen. Ich habe auch seine heutigen mündlichen (Beifall bei der SPD.)
Erläuterungen zu diesem Bericht mit Genugtuung so Deshalb fordern wir, ungeachtet der bisherigen Fehl-
verstanden. schläge und auch ohne die Augen vor den derzeiti-
gen auch in Großbritannien selbst erkennbaren
Aber der Herr Präsident der Kommission der Schwierigkeiten zu verschließen, weitere zähe Be-
Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft hat ja selber mühungen, England mit dem Gemeinsamen Markt
ausdrücklich erklärt, die Kommission habe bei der zu vereinigen und dadurch die Grundlage für die
Prüfung des Sachverhalts selbstverständlich keiner- europäische politische Union zustande zu bringen.
lei Absicht der Vertragsschließenden unterstellt,
damit gegen ihre Gemeinschaftsverpflichtungen zu (Erneuter Beifall bei der SPD.)
handeln. Er 'hat hinzugefügt, die EWG Kommission
-
Wir halten uns an die Feststellung, daß das Ver-
nehme als Kriterium ihres Urteils nicht einen for- tragswerk, wie der Herr Berichterstatter sagt, nach
malen juristischen Maßstab, und er hat betont, die der übereinstimmenden Ansicht beider Vertrags-
EWG-Kommission sei der Meinung, daß der partner die politische Union nicht ersetzen könne
Schwerpunkt der Frage im Bereich des Politischen und solle und daß ein Ansatzpunkt zur Erweiterung
liege, und deshalb — so habe ich Herrn Hallstein in der Bestimmung des Schlußkapitels — III/2 —
verstanden — hat er in seiner Eigenschaft als Prä- liege, wo es heißt, daß die beiden Regierungen die
sident der Kommission der Europäischen Wirt- Regierungen der übrigen Mitgliedstaaten der euro-
schaftsgemeinschaft als Kriterium des Urteils der päischen Gemeinschaften über die Entwicklung der
Kommission die, wie er sich ausdrückte, Ratio des deutsch-französischen Zusammenarbeit laufend un-
Vertrages selbst bezeichnet, d. h. das Interesse an terrichtet halten werden.
einer in ihrer Substanz und Dynamik unversehrten
Gemeinschaft, d. h. einer sicheren und uneinge- Ich möchte hinzufügen, wir wünschen und erwar-
schränkten Verwirklichung des materiellen Ver- ten, daß der Herr Bundesminister des Auswärtigen
im Zusammenwirken mit den Partnern der europä-
tragsinhalts und an einem reibungslosen und höchst
ischen Gemeinschaften die in Brüssel durch seine
produktiven Funktionieren der verfassungsmäßigen
Initiative dankenswerterweise begonnenen Be-
Organisation der Gemeinschaft. — Soweit Herr
mühungen um eine Praxis der Konsultation mit den
Hallstein.
zum Beitritt entschlossenen Ländern und mit den
Angesichts dieser Erklärungen wäre es uns rich- Ländern, die ein Assoziationsverhältnis zur Gemein-
tiger erschienen, wenn der Herr Berichterstatter es schaft finden wollen, fortsetzt.
für möglich gehalten hätte, ganz freimütig auf jene (Beifall bei der SPD.)
Bemerkungen des Herrn Präsidenten der Kommis-
sion der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft ein- In diesem Sinne möchten wir verstanden wissen,
zugehen, in denen gesagt worden ist, die Kommis- was im Bericht auf Seite 4 unter Nr. 5 erklärt wor-
sion habe mit Aufmerksamkeit und mit Genugtuung den ist, nämlich:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 77. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Mai 1963 3747
Wehner
Die Unterstützung, die das deutsch-französische lung und in der Ausgestaltung der europäischen
Vertragswerk bei seiner Anwendung im Bun- Gemeinschaften den wirklichen Integrationsprozeß,
destag und auch in der Offentlichkeit finden den wirklichen Einigungsprozeß in Europa sehen.
wird, dürfte zu einem großen Teil davon ab- (Beifall bei der SPD.)
hängen, wie überzeugend die Orientierung aller
zweiseitigen Maßnahmen an dem übergreifen- Diese europäischen Gemeinschaften, meine Damen
den europäischen Ziel verwirklicht wird. und Herren, müssen wir auch herausbringen helfen
aus einem Zwielicht, in dem sie sich in den Augen
So der Herr Berichterstatter im Schriftlichen Bericht. der Demokratien Skandinaviens, Großbritanniens
Das möchten wir auch im Hinblick auf die im Ver- und der Vereinigten Staaten von Amerika in man-
trag enthaltenen Bestimmungen über die Förderung cher Hinsicht befinden.
des Austauschs und der Begegnung junger Men- Wenn unsere Erklärungen in der ersten Lesung
schen und Mitbürger beider vertragschließenden und die Beratungen in den Ausschüssen dazu beige-
Länder besonders hervorheben. Wir haben im Aus- tragen haben, eindeutige Feststellungen zu erwir-
schuß betont und im einzelnen ausgeführt, daß wir ken, so sind wir darüber froh. Im Bericht wird auf
es als einen Prüfstein ansehen, ob bestehende und Seite 6 festgestellt,
segensreich wirkende private und öffentlich-recht-
liche Organisationen und Einrichtungen — wir haben politisch widerspräche es nach den im Auswär-
z. B. auf die gewerkschaftlichen in Paris hingewie- tigen Ausschuß abgegebenen Erklärungen der
sen — gefördert werden oder ob etwa mit Hilfe des Bundesregierung den Absichten der beiden Re-
zu errichtenden Fonds die Schwerpunkte auf ganz gierungen, die Entwicklung der Gemeinschaften
andere Arten von Einrichtungen verlagert werden. etwa durch ein gemeinsames Veto blockieren
Es kommt hier sehr auf die Förderung des Frei- zu wollen. Der Vertrag soll auch für das Werk
willigen an, weil das wohl im Sinne des Vertrages der Europäischen Gemeinschaften förderlich
und einer solchen Beziehung der Völker liegt. sein. Die Vertragschließenden haben durch die
doppelte Erwähnung der Gemeinschaften im
(Beifall.)
Text klargemacht, daß sie bei der Organisation
Ich habe mit Freude festgestellt, daß darüber Ein- ihrer verstärkten Zusammenarbeit von der Exi-
verständnis im Ausschuß und auch bei der stenz und der Bedeutung der Gemeinschaften
- Regie-
rung herrscht. Es ist uns jedenfalls, wie es der für das Leben ihrer Völker ausgehen. Die Kon-
Bericht auf Seite 7 vermerkt, ausdrücklich zuge- sultationen bieten die Möglichkeit, die für die
sichert worden, daß so verfahren werde. europäische Integration so notwendige deutsch-
französische Übereinstimmung herbeizuführen.
Wir haben es im Ausschuß weiter als Prüfstein
angesprochen, ob auch entsprechende kulturelle Be- Niemand
ziehungen zur Jugend anderer europäischer Staaten — so heißt diese Stelle des Berichts —
gefördert werden und Initiativen dazu von deutscher
Seite ergriffen werden. Im Bericht ist ausdrücklich zweifelt daran, daß ohne diese Übereinstim-
erwähnt, daß ein solcher Wunsch in Übereinstim- mung die Situation der Gemeinschaften sehr
mung wohl aller Seiten besteht. schwierig wäre.
Es folgt dann jene Feststellung über die politische
Die Sozialdemokraten haben in der ersten Lesung
Union als Wille auch derer, die diesen Vertrag
ausdrücklich gesagt, es gehe uns nicht darum, hier
schließen, und sicher, möchte ich sagen, als unser
die eine oder die andere Einzelheit im Vertragswerk
Wille, als Wille derer, die wir hier als Teil der
zu kritisieren, sondern darum, in jeder Form dafür
zu sorgen, daß die europäischen Gemeinschaften als Gesetzgebung dazu Stellung zu nehmen haben:
der Kern der Entwicklung zu einem vereinigten Der Wille beider Vertragspartner, an der Politik
Europa unbeeinträchtigt und unangetastet bleiben. der europäischen Vereinigung festzuhalten,
kommt auch in der Abschlußbestimmung zum
Wir kennen die Schwierigkeiten, mit denen die Ausdruck, nach der die übrigen Mitgliedstaaten
Gemeinschaften jetzt zu ringen haben. Es wäre über den Fortgang der deutsch-französischen
falsch — auch von unserer Sicht aus —, den deutsch- Zusammenarbeit unterrichtet werden. Eine der-
französischen Vertrag an sich als Ursache dieser artige Norm ist in einem bilateralen Vertrag
Schwierigkeiten hinzustellen. Er ist wohl eher einer nicht üblich. Sie erklärt sich aus der mit dem
der Ausdrücke für solche Schwierigkeiten. Aber Vertrag verbundenen europäischen Zielsetzung.
immerhin! Hier kann der Ansatzpunkt für die Wiederauf-
Die Bundesregierung wird in jedem Fall unsere nahme der Verhandlungen über die Bildung der
vorbehaltlose Unterstützung haben, wenn sie sich Europäischen Politischen Union liegen.
um die Überwindung der Hindernisse bemüht. Das Darin, meine Damen und Herren, sehen wir einen
sei besonders auch im Hinblick auf die Verhand- Fortschritt, gemessen an den Erklärungen, die der
lungen betont, deren Schatten ja jetzt schon voraus- Herr Staatssekretär Carstens noch am 1. März im
geworfen werden, die mit der Kennedy-Runde be- Bundesrat gegeben hatte.
vorstehen. Wir haben Wert darauf gelegt, die deut-
sche Politik müsse in ihrer Praxis und auch in dem, Wir finden die im Bericht wiedergegebene Haltung
was der Gesetzgeber hier beschließt — das werden und die im Text der Präambel des Ratifikationsge-
wir ja heute zu tun haben —, eindeutig und unver- setzes verbindlich festgelegten Richtlinien auch im
rückbar klarstellen, daß wir in der Weiterentwick Einklang mit Erläuterungen, die am 28. Juli 1959
3748 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 77. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Mai 1963
Wehner
bezüglich der Stellungnahme der Bundesregierung Meine politischen Freunde und ich gehen aber an
zu Anregungen über ein politisches Dreier Direk-
- den Vertrag etwas anders heran als Herr Kollege
torium innerhalb der EWG — worum es damals Wehner, der zunächst seine Bedenken gegen den
ging — gegeben worden waren. In jener Erklärung Vertrag in den Vordergrund gestellt hat, um nachher
hieß es: zu sagen, daß er, nachdem sie ausgeräumt seien,
Es ist mit den politischen Absichten der Bundes- seine Zustimmung geben könne. Wir sagen ja zu
regierung und anderer Regierungen unverein- dem Grundgedanken in konsequenter Fortsetzung
bar, wenn der Eindruck entsteht, daß eine einer Politik, die wir seit Beginn der Bundesrepublik
Blockbildung beabsichtigt sei. Dies ist auch un- eingeleitet und die wir bisher, wie ich glaube, mit
vereinbar mit den Zielsetzungen der Organi- vollem Erfolg durchgeführt haben.
sationen — wie der EWG, der WEU, der (Beifall bei den .Regierungsparteien.)
NATO —, denen die Bundesrepublik angehört. Wir waren uns klar — in allen außenpolitischen Dis-
Jede politische Zusammenarbeit in diesen Or- kussionen ist das zum Ausdruck gekommen —, daß
ganisationen muß auf der Grundlage der Ver- an der Spitze einer jeden europäischen Politik die
träge erfolgen und darf nicht einzelne Staaten deutsch-franzöiAugdetsch-
beeinträchtigen. französische Zusammenarbeit stehen müssen.
Das war die damalige Erklärung, und wir finden, (Beifall bei den Regierungsparteien.)
daß sich das, was jetzt in diesem Bericht über unsere
eigenen Absichten dargelegt worden ist, mit jener Das war auch früher unbestritten, es war unbestrit-
Erklärung deckt. ten in der ganzen uns verbündeten Welt. Deswegen
— das möchte ich hier schon sagen — bedaure ich es
Lassen Sie mich bitte hinzufügen, daß wir Deut- aufrichtig, daß dieser deutsch französische Vertrag
-

schen ja nicht zuletzt auch aus den Notwendigkeiten Mißverständnisse und Mißdeutungen ausgelöst hat,
unserer Deutschlandpolitik ein solches partnerschaft- und selbstverständlich sind wir entschlossen, sie im
liches Verhältnis pflegen müssen. Im Ringen um die Interesse unserer Freundschaft auch mit anderen
Einheit Deutschlands in gesicherter Freiheit, im Völkern .auszuräumen.
Bemühen darum, die Last unserer Landsleute zu
Schon als das erste Wort über die Notwendigkeit
verringern, die noch in der Unterdrückung leben
der europäischen Einigung gesprochen worden ist,
müssen, sind wir darauf angewiesen, die Partner-
hat Churchill gesagt — in der häufig zitierten histo-
schaft der freien Völker zu pflegen.
rischen Rede in Zürich —, ihr Beginn müsse darin
Aus diesen Erwägungen und in dem festen Willen, bestehen, daß Deutschland und Frankreich sich die
die gesamtdeutsche und die europäische Verpflich- Handreicht,umopäseVölkrfamizu
tung zu erfüllen, die wir uns in unserem Grund- schaffen. — Meine Damen und Herren, was damals
gesetz auferlegt haben, wird die Fraktion der Sozial- gesagt 'wurde, ist heute unverändert gültig. Niemand
demokraten dem Gesetz in der in den Beratungen von uns wird sich vorstellen können, daß wir in der
erreichten Form zustimmen. europäischen oder der atlantischen Arbeit fortfahren
könnten, wenn nicht auf der Grundlage einer uner-
(Beifall bei der SPD und von Abgeordneten
schütterlichen und unverbrüchlichen Freundschaft
der CDU/CSU.) zwischen dem deutschen und dem französischen
Volke.
Vizepräsident Dr. Jaeger: Das Wort hat der (Beifall bei den Regierungsparteien.)
Bundestagsabgeordnete Dr. von Brentano. Wir haben im Bereich Ides europäischen Einigungs-
werkes nicht nur multilaterale Vereinbarungen ge-
Dr. von Brentano (CDU/CSU) : Herr Präsident! troffen. Wir haben nicht nur einen Vertrag ge-
Meine Damen und Herren! Ich möchte die Gelegen- schlossen, der seine Initiative Robert Schuman
heit benutzen, um zunächst den beiden Berichterstat- verdankt, und wir haben nicht nur Initiativen
tern, den Herren Kollegen Furler und Schmid, für geprüft wie den Gedanken des französischen Mini-
die sorgfältige Darlegung dessen, was im Auswär- sterpräsidenten Pleven. Wir haben vielmehr bila-
tigen Ausschuß geschehen ist, aufrichtig zu danken. terale Vereinbarungen und Verträge geschlossen.
Nach meiner Überzeugung ist jeder einzelne zwei-
(Allgemeiner Beifall.) seitige Vertrag, den wir im europäischen Bereich
Ich glaube, daß im Auswärtigen Ausschuß eine gute geschlossen haben, auch ein fruchtbarer Beitrag zur
und erfolgreiche Arbeit geleistet worden ist. Schon europäischen Politik und zur Politik der Zusam-
bei der ersten Lesung haben wir erklärt — das menarbeit der freien Wellt gewesen.
möchte ich an den Eingang meiner Ausführungen (Beifall bei den Regierungsparteien.)
stellen —, es sei wünschenswert, daß dieser Vertrag Ich lege Wert darauf, das festzustellen, um den
mit einer großen und eindringlichen Mehrheit ver- falschen Eindruck zu vermeiden, als sei ein zwei-
abschiedet werde, weil wir die Verständigung nicht seitiger Vertrag zwischen zwei Völkern, die in
zwischen den Regierungen von heute suchen, son- anderen, multilateralen Bindungen stehen, mit dem
dern zwischen den Völkern. Ich glaube, die Arbeit Odium des Unüblichen belastet, ja als sei aus einem
des Auswärtigen Ausschusses hat — wie die Er- solchen zweiseitigen Vertrag die Absicht heraus-
klärung des Herrn Kollegen Wehner bewiesen hat zulesen, sich aus der multilateralen Zusammenarbeit
—. diese Verabschiedung durch eine starke Mehrheit, zu entfernen oder eine Unsicherheit hineinzutragen.
ja vielleicht eine einmütige Zustimmung ermöglicht. Nein, meine Damen und Herren, ich glaube, daß es
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 77. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Mai 1963 3749
Dr. von Brentano
auch ein Beitrag zur europäischen Politik war, als Gemeinschaft gilt die Präambel des Vertrages über
Deutschland und Frankreich den Vertrag über das die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft, gilt die
Saargebiet abgeschlossen haben. Ich möchte daran Bereitschaftserklärung des Art. 237, daß diese Ge-
erinnern, daß wir damals eine Erklärung abgegeben meinschaft offen sein soll für alle, die bereit sind,
haben, ein Kommuniqué, das derdamalige Außen- sich mit gleichen Rechten und gleichen Pflichten an
mini ster Pineau gemeinsam mit mir unterzeichnet dieser europäischen Arbeit zu beteiligen.
hat. In diesem Kommuniqué heißt es: (Allseitiger Beifall.)
Die Opfer, die gegenseitig gebracht wurden, Meine Damen und Herren, ich glaube, es ist nicht
zeugen von dem Willen der beiden Regierun- nötig, auf die Einzelheiten dieses deutsch-französi-
gen, einen neuen Abschnitt der deutsch-franzö- schen Vertrages einzugehen; sie sind in dem Be-
sischen Beziehungen zu beginnen, in dem die richt, den ich schon nannte, erschöpfend dargestellt.
beiden Völker gemeinsam einer besseren Zu- Wir wünschen eine möglichst enge, eine perma-
kunft entgegenschreiten sollen. Es soll in Zu- nente, eine intensive Zusammenarbeit zwischen der
kunft zwischen den beiden Ländern nur noch deutschen und der französischen Regierung, zwi-
solche Fragen geben, wie sie sich zwischen gu- schen dem deutschen und dem französischen Volk
ten Nachbarn stellen. in allen Bereichen, die sich dazu anbieten, und wir
Hier war nichts anderes, nicht mehr und nicht weni- hoffen, daß deswegen der Vertrag auch extensiv
ger gesagt als ,das, was wenige Jahre vorher Bun- und nicht intensiv interpretiert wird. Ich denke da-
deskanzler Adenauer erklärt hatte: bei ganz besonders an die Frage, die auch schon
Keine deutsche Regierung, gestellt worden ist, an die Verwirklichung des Ge-
dankens nämlich, die jungen Menschen aus den bei-
— sagte er am 27. Juni 1952 — den Nationen enger als bisher zusammenzuführen.
auf welche parlamentarischen Kräfte sie auch Wir haben uns für die Freizügigkeit im europä-
immer sich stützen würde, könnte den elemen- ischer Bereich ausgesprochen, aber wir haben sie
taren Lebensnotwendigkeiten des deutschen — seien wir redlich! — noch nicht verwirklicht.
Volkes, die zwingend ein Zusammengehen mit Verwirklicht haben wir die Freizügigkeit eigentlich
den freiheitlichen Völkern der westlichen Welt nur für Kohle und Stahl, aber noch nicht für die
erfordern, zuwiderhandeln. Weil aber die euro- Menschen, und es ist meine Bitte, daß auch die
päische Einigung die deutsch-französische Ver- Bundesregierung und die Regierungen der Länder,
ständigung voraussetzt, bedeutet jeder Schritt, deren Zuständigkeit wir selbstverständlich sorgfäl-
der der Stärkung des Vertrauens zwischen dem tig respektieren, alles tun mögen, damit aus dieser
deutschen und dem französischen Volke dient, guten Absicht, die im Vertrag niedergelegt ist, auch
zugleich einen Schritt auf dem Weg zu Europa. wirklich greifbare und sichtbare Ergebnisse werden.
Meine Damen und Herren, ich glaube, das, was im (Allseitiger Beifall.)
Jahre 1952 gesagt worden ist, steht nicht nur in kei-
nem Gegensatz zu dem, was in dem deutsch-franzö- Es geht nicht nur darum, daß wir Besuche austau-
sischen Vertrag zu lesen ist, sondern ist eine Vor- schen; es geht darum, daß wir ein ernstes Gespräch
aussetzung dieses Vertrages, ist eine der Grund- darüber beginnen, ob nicht der Zeitpunkt gekom-
lagen dieses Vertrages, zu dem wir ja sagen. men ist, daß wir Examina anerkennen, daß wir die
Semester anerkennen, die einer im anderen Land
Es ist richtig, daß dieser Vertrag nicht — Herr verbringt,
Kollege Schmid hat mit Recht darauf hingewiesen (erneuter allseitiger Beifall)
— an die Stelle dessen getreten ist, was wir mit
einer europäischen politischen Union zu erreichen ob wir nicht Befähigungsnachweise anerkennen, ob
versuchten, aber doch versucht hat, einen Hohlraum wir nicht auch in den freien Berufen und in ihren
auszufüllen, der entstanden ist, weil dieser Plan Organisationen zu einem Austausch kommen kön-
sich nicht verwirklichen lassen konnte, nicht ver- nen. Ich glaube, daß das die beste Wirkung dieses
wirklichen lassen konnte im Fouchet- und Catani- Vertrages wäre; denn es gibt nichts, das eine so
Ausschuß, nicht zuletzt auch wegen der offenen wahrhaft integrierende Wirkung ausüben könnte
Frage, ob und wann Großbritannien dieser Gemein- wie diese von mir eben in einigen Worte gekenn-
schaft beitreten werde und ob es richtig und not- zeichnete Entwicklung.
wendig sei, darauf zu warten. Ich wiederhole die Bitte an die Bundesregierung,
Ich möchte ausdrücklich betonen, daß wir diesen hier alles zu tun, was in ihrer Macht steht, und ich
Vertrag — ich glaube, daß ich hier die Auffassung wiederhole auch die Bitte an die Länderregierungen,
wiedergebe, die auch im Auswärtigen Ausschuß vielleicht einmal über den eigenen Schatten zu
zum Ausdruck kam — nicht als einen Ersatz einer springen und gewisse bürokratische Bedenken zu
politischen Union betrachten, sondern als einen Bei- überwinden.
trag auf dem Wege zu einer politischen Einigung. (Allgemeiner Beifall.)
(Sehr gut! bei der CDU/CSU.)
Lieber würde ich es in Kauf nehmen, daß es einmal
Denn diese politische Union soll nicht zwischen nicht gut war, ein Examen anzuerkennen, wenn es
Deutschland und Frankreich allein bestehen, sie einer unter hundert Fällen ist und die Anerkennung
soll bestehen aus allen europäischen Ländern, die sich in neunundneunzig Fällen als berechtigt er-
der europäischen Gemeinschaft von heute oder von wiesen hat. Wenn wir nicht den Mut haben, nach
morgen angehören. Denn auch für die politische vorn vorzustoßen, dann, meine Damen und Herren,
3750 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 77. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Mai 1963
Dr. von Brentano
ist es müßig, über die europäische Integration zu deutig gesagt worden — ich brauche das nicht zu
sprechen; dann werden wir doch immer in nationalen zitieren; denn ich halte es für selbstverständlich,
und nationalistischen Vorbehalten ersticken und daß auch 'die französische Regierung davon aus-
hängenbleiben. geht —, daßdieser zweiseitige Vertrag in keiner
(Beifall bei der CDU/CSU.) Weise geeignet ist oder gar die Aufgabe haben
sollte, auf Verträge multilateraler Art einzuwirken,
Es ist schon darauf hingewiesen worden, und wir sondern daß unsere Verpflichtungen aus den euro-
haben darüber schon in der ersten Lesung gespro- päischen Verträgen ebenso wie unsere Verpflichtun-
chen, daß dieser Vertrag in der Tat im Ausland auf gen aus dem NATO-Pakt selbstverständlich unver-
Mißverständnisse und auf Mißdeutungen gestoßen ändert weiterhin gültig sind.
ist. Das sind Mißdeutungen und Mißverständnisse,
die wir alle bedauern, die ich aber nicht recht ver- Deswegen liegt, so sehe ich es, in der Präambel
stehe. Ich möchte jedoch zu einzelnen Äußerungen auch nicht die Absicht, die Bedeutung des Vertrages
nicht Stellung nehmen. Ich möchte auch nicht zu zu schmälern, ich sehe darin nicht die Absicht, den
den Erklärungen des Präsidenten der Kommission Anwedugsbrichzänke,sodrich
der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, meines sehe darin die, wie ich glaube, gelungene Absicht,
Freundes Professor Hallstein, Stellung nehmen; im Interesse der Glaubwürdigkeit der gemeinsamen
aber ich möchte nicht verschweigen, daß ich nicht politischen Anstrengungen beider Länder eine Klar-
der Meinung war, er habe sehr klug gehandelt, als stellung über die politischen Ziele herbeizuführen.
er uns diese Verhaltungsmaßregeln erteilte. Denn es darf nicht sein, daß dieser Vertrag weiter-
(Zuruf von der SPD: Das war sehr gut! — hin irgendwelchen Mißdeutungen begegnet. Dieser
Heiterkeit.) Vertrag darf nicht dazu führen, daß in anderen uns
befreundeten Ländern falsche Vorstellungen entste-
Meine Damen und Herren! Der Auswärtige Aus- hen oder weiterleben, die unser freundschaftliches
schuß hat sich, wie ich schon festgestellt habe, mit Verhältnis zu diesen Ländern beeinträchtigen könn-
Erfolg bemüht, möglichen Einwendungen in Deutsch- ten.
land oder im Ausland entgegenzuwirken und vorzu-
beugen, und er hat uns eine Präambel vorgelegt, Ich möchte noch ein paar Worte zu dem Inhalt der
von der ich gleich sagen möchte, daß sie die Präambelsgn,owhic ermsnt-
- völlige lichen auf das beziehen kann und beziehen will,
Zustimmung meiner Fraktion finden wird.
was im Bericht des Herrn Kollegen Furler dazu schon
Aber es ist ein Weiteres hinzugekommen, das den gesagt worden ist.
Zweifelnden überzeugen könnte. Gestern hat, wie
ich heute in der Zeitung gelesen habe, die französi- Das Ziel der deutschen Politik — ich habe es schon
sche Regierung den Vertrag auch dem französischen ausgesprochen — im europäischen Raum war und
Parlament vorgelegt und in dem dort üblichen Ex- bleibt die europäische Einigung, die auch 'in dem
posé des motifs Erklärungen abgegeben, von denen deutsch-französischen Vertrag als gemeinsames Ziel
ich glaube, daß sie mit unseren Vorstellungen voll der deutschen und der französischen Politik erneut
und ganz übereinstimmen. fixiert worden ist. Aber ich halte es für glücklich
und für richtig, daß hier der Wunsch ausgesprochen
(Beifall bei der CDU/CSU.) und es als Aufgabe der deutschen Politik heraus-
Es heißt in dieser Begründung, daß der deutsch- gestellt worden ist, im Sinne der Präambel der
französische Vertrag einen fundamentalen Beitrag Römischen Verträge und im Sinne des Art. 237 —
zum Bau Europas darstelle, daß die französische ich habe das vorhin schon angedeutet — die Zusam-
Regierung den Wunsch habe, eine ähnliche Zusam- menarbeit auszudehnen auf andere europäische
menarbeit mit ihren übrigen europäischen Partnern Staaten, die bereit sind, zu den gleichen Bedingun-
zu vereinbaren, wenn diese es wünschten, und daß gen, wie der Vertrag sie vorschreibt, unter Anpas-
sie jederzeit bereit sei, mit diesem Ziel einen Ge- sung an ihre Besonderheiten in diese Gemeinschaft
dankenaustausch aufzunehmen. einzutreten.

Ich darf Sie daran erinnern, daß ich schon in der Wir wissen es sehr wohl, und ich möchte gar kein
ersten Lesung darauf hingewiesen habe, daß es viel- Hehl daraus machen, daß jede solche Verhandlung
leicht gut wäre, diese europäische Zusammenarbeit Schwierigkeiten mit sich bringt. Das haben die
durch ein Netz zweiseitiger ähnlich gearteter Ver- Brüsseler Verhandlungen bewiesen. Ich möchte noch
träge zu ergänzen. Hier finden Sie die Bereitschaft einmal darauf hinweisen: unsere Situation wäre
der französischen Regierung, und ich glaube, auch sehr viel leichter, wir hätten wahrscheinlich weniger
das sollte dazu beitragen, die falschen Vorstellun- Verstimmung erlebt und uns nicht mit der Präambel
gen von dem Hegemoniestreben Paris—Bonn etwas befassen müssen, wenn die Entscheidung in Groß-
auszuräumen. britannien — ich sage das ohne Vorwurf — früher
(Abg. Blachstein: Vielleicht könnte man mit gefallen wäre als im Jahre 1961. Aber ich möchte
Großbritannien anfangen?!) doch auch für meine Freunde der Bundesregierung
den Wunsch auf den Weg geben, mit dazu beizutra-
— Durchaus. Warum nicht? Ich habe schon gesagt, gen, daß zwischen den sechs EWG Partnern und
-

daß wir nach meiner Auffassung jederzeit dazu Großbritannien ein ständiger Austausch von Infor-
bereit sein sollten. mationen einsetzt.
In dem genannten Exposé ist auch erörtert wor- (Beifall bei den Regierungsparteien und bei
den, was die Konsultation bedeutet. Es ist darin ein der SPD.)
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 77. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Mai 1963 3751
Dr. von Brentano
Es sollte ein Gedankenaustausch stattfinden, der die werden nach besten Kräften dazu beitragen, daß
Gewähr dafür bietet, daß die Maßnahmen, die wir dieser Gedanke verwirklicht wird.
in Brüssel treffen, unid die Maßnahmen, die in Lon- (Zustimmung bei den Regierungsparteien
don getroffen werden, nicht gegeneinander getrof- und bei der SPD.)
fen, sondern nach Möglichkeit aufeinander abge-
stimmt werden. Es darf und es sollte nichts gesche- In der Präambel zum deutsch-französischen Ver-
hen, was noch zusätzlich den Beitritt Großbritan- trag wird auch ausgesprochen, daß der Vertrag der
niens zu einer Europäischen Gemeinschaft, mit dem Verwirklichung der deutschen Politik dienen solle.
wir rechnen und auf den wir hoffen, erschweren Ich begrüße es, daß der französische Außenminister
könnte. Couve de Murville in seinem Exposé des motifs
(Beifall bei den Regierungsparteien auch darauf eingegangen ist. Diese deutsche Politik
und bei der SPD.) ist auch im Deutschlandvertrag niedergelegt und hat
in zahlreichen Erklärungen ihre Bestätigung erfah-
Auf allen Seiten sollte man ein Höchstmaß an gu- ren. Sie ist auf die Verwirklichung des Selbstbe-
tem Willen und an politischer Entschlossenheit zei- stimmungsrechtes für alle Deutschen und auf die
gen. Die Entschlossenheit, die schon in der Bereit- Wiederherstellung der staatlichen Einheit Deutsch-
schaft zum Ausdruck kam, die Verhandlungen mit lands in einer geordneten rechtsstaatlichen Form
Großbritannien aufzunehmen, sollte man auch heute gerichtet. Sie geht davon aus, daß ein Friedensver-
in der Praxis der europäischen Zusammenarbeit trag nur mit einem freien Deutschland geschlossen
zeigen. werden kann und daß keine Vorentscheidungen —
Ich möchte ein Zweites sagen. Auch unsere Politik auch nicht in den Grenzfragen — getroffen werden
in der atlantischen Gemeinschaft darf und wird von können und dürfen.
diesem Vertrag nicht berührt werden. Es fällt mir Ich möchte hier eine Äußerung in Erinnerung
gar nicht leicht — das möchte ich noch einmal aus- rufen, die in Deutschland vielleicht gar nicht so
sprechen —, darüber zu sprechen, daß gute Bezie- richtig verstanden worden ist. Ich glaube, wir haben
hungen zwischen Europa und den Vereinigten Staa- Grund, mit Dankbarkeit und Anerkennung festzu-
ten eine unerschütterliche Voraussetzung der Zu- stellen, was der französische Staatschef, General de
sammenarbeit der freien Welt sein müssen; es Gaulle, am 25. April 1960 vor dem amerikanischen
kommt mir peinlich vor, das immer wieder betonen Kongreß in Washington gesagt hat:
-
zu müssen.
Bevor die Völker zu einem Modus vivendi ge-
(Beifall bei der CDU/CSU.) langen werden, wäre es verfrüht und völlig
Aber ich möchte unseren amerikanischen Bundes- unangebracht, Forderungen über abzuschlie-
genossen und Freunden drüben sagen: es gibt in ßende Verträge, festzulegende Gegenden zu
Deutschland keine Meinungsverschiedenheit, es gibt stellen, weil dies unweigerlich die herbeizu-
keine verschiedenen Auffassungen in der Bundes- führende Besserung der Beziehungen kompro-
regierung oder im Deutschen Bundestag darüber, mittieren würde. Dagegen würden sich in der
daß diese Zusammenarbeit in der NATO mit der friedlichen Atmosphäre, die geschaffen werden
größten Führungsmacht der freien Welt in der bis- könnte, mehr und mehr die objektiven Lösun-
herigen Form nicht nur fortgesetzt, sondern ausge- gen abzeichnen.
baut werden soll.
Jeder begreift,
(Beifall im ganzen Hause.) — so sagte Präsident de Gaulle —
Ich möchte einen Hinweis aufgreifen, der hier gege- daß ich, indem ich derartige Fragen berühre,
ben worden ist. Auch ich glaube, daß der deutsch- vor allem auf die Probleme Deutschlands an-
französische Vertrag, wenn er sich bewährt, sogar spiele. Ohne diese Probleme ausführlich behan-
ein Musterbeispiel für das sein kann, was wir in deln zu wollen, stelle ich fest, daß man jeden
der NATO seit langer Zeit wünschen. Wir wün- Versuch abwehren muß, die Wunden des deut-
schen auch dort eine Konsultation, damit politische schen Volkes zu vertiefen.
Entscheidungen in der NATO den Vorrang vor mili-
tärischen Entscheidungen haben. (Beifall bei der CDU/CSU.)
(Beifall im ganzen Hause.) Ich glaube, wir können eine solche Erklärung nur
mit Zustimmung und mit Dankbarkeit zur Kenntnis
In der Präambel zu dem Vertrag bekennt sich
nehmen. Sie enthält gerade in der vorsichtigen For-
auch der Deutsche Bundestag zur Fortsetzung der
mulierung, glaube ich, eine sehr klare Antwort auf
atlantischen Politik, zur Bereitschaft, die atlantische
die von uns gestellte Frage, eine Antwort, die zeigt,
Partnerschaft zu verwirklichen und an der Kennedy
daß die deutsche Politik bei unserem französischen
Runde teilzunehmen. Auch hier wollen wir in aller
Bündnispartner nicht nur auf Verständnis stößt, son-
Offenheit sagen, daß die Schwierigkeiten riesengroß
dern daß wir damit rechnen können, daß sie in ihren
sein werden. Aber auch .das, was in Genf diskutiert
Grundsätzen zusammen mit Frankreich verwirklicht
wird, wird mit einem Mindestmaß an gutem Willen
wird. Das ist, wenn es nötig wäre, eine zusätzliche
und Verhandlungsbereitschaft gelöst werden kön-
Rechtfertigung für diesen Vertrag.
nen. Ich glaube, es gibt für uns in Europa und ganz
gewiß für uns in der Bundesrepublik nur eine Ant- Ich habe eingangs gesagt, daß meine Fraktion
wort auf das Angebot der amerikanischen Regie- diesen Verträgen zustimmen wird. Ich möchte, be-
rung, die atlantische Partnerschaft zu verwirklichen. vor ich schließe, daran erinnern, daß wir vor weni-
Es gibt nur die Antwort: wir sind dazu bereit und gen Tagen den 85. Geburtstag von Stresemann be-
3752 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 77. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Mai 1963
Dr. von Brentano
Bangen haben und daß wir, wenn wir heute diesen nationaler Solidarität von Bund und Ländern zu
Vertrag verabschieden, etwas verwirklichen, was gelangen.
Stresemann vor 40 Jahren schon zusammen mit (Beifall bei den Regierungsparteien.)
Aristide Briand zu verwirklichen versuchte. Es ist
nicht uninteressant — und erlauben Sie mir, daß ich Ich glaube nicht, daß der Freiherr vom Stein ver-
Ihnen das noch vortrage —, nachzulesen, was Ari- dächtigt wird, ein großer Zentralist gewesen zu sein;
stide Briand in seiner Senatsrede vom 4. Juni 1926 er ist schließlich der Vater der Selbstverwaltung.
gesagt hat, als er dem französischen Senat den Aber der Satz, den Freiherr vom Stein im Jahre 1809
Locarno Vertrag vorlegte. Er sagte:
-
über das Verhältnis von Gesamtstaat und Glied-
staaten prägte, scheint mir in dieser Stunde durch-
Solche Verträge sind entweder wertlos und aus eines Zitates in diesem Hause würdig zu sein.
deshalb abzulehnen, oder sie haben ihren vol- Damals, im Jahre 1809, schrieb Freiherr vom Stein:
len Wert und Anspruch auf eine erhöhte Wir-
kungskraft durch eine große Stimmenzahl. Die Auflösung Deutschlands in viele kleine,
In dieser Versammlung ohnmächtige Staaten hat dem Charakter der
— sagte Briand vor dem französischen Senat — Nation das Gefühl von Würde und Selbständig-
keit genommen, das bei großen Nationen Macht
sitzen Männer, deren politische Einsicht die und Unabhängigkeit erzeugt. Es hat ihre Tätig-
ganze Welt achtet und deren Meinung überall keit abgeleitet von den größeren Nationalinter-
Geltung hat. Ich hoffe, daß sich unter ihnen essen, es hat Titelsucht, das elende Treiben der
eine starke Mehrheit findet, um dem Vertrage Eitelkeit, Absichtlichkeit, Ränke durch die Ver-
erhöhte Bedeutung zu verleihen. Dies wird, vielfältigung der kleinen Höfe vermehrt.
dessen bin ich sicher, nicht ohne große mora-
lische Wirkung in der Welt bleiben. Auch wir sollten gerade auf dem Gebiet der Zusam-
Ich glaube, daß wir diese Sätze zitieren können und menarbeit Deutschlands und Frankreichs in Kultur,
daß wir auch hier sagen können: die starke Mehr- Wissenschaft, Forschung und Jugendaustausch da-
heit, die dieser deutsch-französische Vertrag finden nach trachten, daß nicht die kleinen, mittleren oder
wird, wird nicht ohne starke moralische Wirkung gar größeren Höfe dem Gesamtinteresse zuwider-
auf die ganze Welt bleiben. laufende Kompetenzstreitigkeiten heraufbeschwören.
(Beifall bei den Regierungsparteien und bei Die Präambel ist hier von meinen Vorrednern
der SPD). wiederholt in ihrem Wert und in ihrer politischen
Bedeutung analysiert worden. Ich möchte mich dar-
Vizepräsident Dr. Jaeger: Das Wort hat der auf beschränken, mit Genugtuung festzustellen, daß
Abgeordnete Dr. Mende. die Freie Demokratische Partei sehr früh den an-
deren Kolleginnen und Kollegen dieses Hauses die
Anregung einer Präambel vermittelte an Stelle der
Dr. Mende (FDP) : Herr Präsident! Meine Damen im Bundesrat beschlossenen Entschließung.
und Herren! In der ersten Lesung des deutsch-
französischen Vertrages vor genau drei Wochen hat Über den Rang einer Präambel hat es gelegent-
der Sprecher der Opposition die Befürchtung ge- liche Mißklänge in öffentlichen Äußerungen gegeben.
äußert, der deutsch-französische Vertrag könnte Professor Carlo Schmid hat in seinem Bericht darauf
unter einem gewissen Zeitdruck behandelt werden. hingewiesen, daß nach höchstrichterlicher Entschei-
Die Berichterstattung der Kollegen Professor Furler dung des Bundesverfassungsgerichts über den Rang
und Professor Schmid hat bewiesen, daß diese Be- der Präambel des Ratifizierungsgesetzes und über
fürchtung grundlos war. Es ist sehr sorgfältig im die verbindliche innerdeutsche Wirkung kein Zweifel
Auswärtigen Ausschuß und in den mitberatenden herrschen kann. Bezüglich ihrer politischen Bedeu-
Ausschüssen jede einzelne Bestimmung des deutsch- tung darf ich mich auf meine Äußerungen in der
französischen Vertrages geprüft worden. Dabei ersten Lesung berufen.
zeigte sich allerdings eine gewisse Problematik im Gestern hat der französische Außenminister Couve
Bereich des Jugendaustausches, der Zusammenarbeit de Murville vor dem Auswärtigen Ausschuß des
auf dem Gebiete der Wissenschaft und Forschung französischen Parlaments den Charakter des deutsch-
und auf dem Gebiet des Kulturwesens. französischen Vertrages so interpretiert, wie auch
Die Verfassungsverhältnisse und damit die Zu- der Bundestag ihn versteht, nämlich ,als eine Grund-
ständigkeiten bringen gewisse Schwierigkeiten für lage einer europäischen Union, und Couve de Mur-
die Bundesrepublik Deutschland mit sich. Ich möchte ville forderte die anderen Staaten auf dem Beispiel
das unterstreichen, was Herr Kollege von Brentano der deutsch-französischen Freundschaft zu folgen und
hier soeben als Mahnung an die Länder richtete: diesem Vertrag beizutreten. Ähnliche Feststellungen
Man sollte auf diesem so wesentlichen Gebiet des sind auch in der Versammlung der Westeuropäischen
Austauschs unserer Jugend, auf dem Gebiet der Union gemacht worden. Wir begrüßen die sich an-
Förderung von Wissenschaft und Forschung, auf dem bahnende Tendenz, den deutsch-französischen Ver-
Gebiet der kulturellen Zusammenarbeit zwischen trag als eine Grundlage einer politischen Union
Deutschland und Frankreich nicht mit dem Maß Europas zu werten. Was wir zu diesem Ziel bei-
engstirniger Kompetenzstreitigkeiten messen, auch tragen können, wollen wir unter Auswertung der
nicht mit dem Maß von Rivalitäten zwischen Bund Möglichkeiten des deutsch-französischen Vertrages
und Ländern, sondern es sollte der Versuch gemacht tun. Der deutsch-französische Vertrag und die euro-
werden, aus mancher Rivalität in ein Verhältnis päische Union wiederum müssen in engem Verbund
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 77. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Mai 1963 3753
Dr. Mende
mit der ,atlantischen Partnerschaft gesehen und ge- Dann, meine Damen und Herren, haben Herr de
handhabt werden. Gaulle und ich den damaligen Ministerpräsidenten
Die Freie Demokratische Partei erklärt daher ihre Fanfani gebeten, er möge doch die Regierungschefs
uneingeschränkte Zustimmung zum deutsch-französi- der sechs Länder nach Rom einladen — es war
schen Vertrag. schon früher von einer Konferenz in Rom die
Rede —, damit wir dort mit der Frage der poli-
(Beifall bei den Regierungsparteien.) tischen Union weiterkämen. Leider hat es Herr
Fanfani abgelehnt, uns nach Rom einzuladen.

Vizepräsident Dr. Jaeger: Das Wort hat der Ich bitte Sie, meine Damen und Herren, aus dem,
Herr Bundeskanzler. was ich da gesagt habe, zu entnehmen, daß ein
Haupthindernis dafür, daß nicht schon im Jahre 1961
eine politische Union geschaffen wurde, nicht etwa
Dr. Adenauer, Bundeskanzler: Herr Präsident! Frankreich war, nicht General de Gaulle war, son-
Meine Damen und meine Herren! Ich möchte mich dern andere es gewesen sind. General de Gaulle
auf wenige Wort beschränken. Ich glaube, ich steht meines Wissens — er hat mir das auch aus-
kann das nach den vorzüglichen Berichten auch tun, drücklich gesagt — nach wie vor auf dem Boden
die wir mündlich und schriftlich bekommen haben. einer politischen Union Europas. Das steht auch
Was die Präambel angeht, so hat niemals jemand ausdrücklich in den Erklärungen, die de Gaulle und
ich am 22. Januar dieses Jahres in Paris abgegeben
von uns daran gedacht, daß der deutsch-französische
Vertrag die in der Präambel genannten Verträge haben.
irgendwie beeinträchtigen solle. Meine Damen und Herren, Sie wundern sich viel-
leicht — lassen Sie mich auch das hier einfügen —
Ich möchte, damit vielleicht hie und da in der
,

daß sich Länder innerhalb der Sechs so stark kon-


Tiefe schlummernde Bedenken ganz wegfallen, aber
sultieren. Ich bitte Sie, doch einmal die zwischen
auch noch folgendes sagen. Ich habe den Staats-
sekretär Rusk im Frühsommer des vergangenen Jah- den Benelux Staaten bestehenden Verträge zu lesen.
-

Lesen Sie sie doch einmal! Es sind mehrere Ver-


res gefragt, ob die Vereinigten Staaten Bedenken
träge. Sie fingen vorsichtig an. Ich glaube aber
dagegen hätten, wenn wir, woran wir dächten, in
ein engeres Verhältnis zu Frankreich treten würden. kaum, daß man sie jetzt noch Konsultationsverträge
Herr Rusk hat mir damals gesagt: Keineswegs; die nennen kann. Und wer in aller Welt hat sich dar-
Vereinigten Staaten werden immer in einem enge- über bisher aufgeregt? Niemand, meine Damen und
ren Verhältnis zu England stehen, und deswegen Herren! Die Benelux-Staaten haben sich sehr heftig
begrüße ich es, wenn Sie und Frankreich auch in und sehr eindringlich konsultiert. Das hat der gan-
einem engeren Verhältnis stehen. zen Sache nichts geschadet. Im Gegenteil, wenn
eine Einigung zwischen mehreren erfolgt — die na-
Es ist also, meine verehrten Damen und Herren, türlich nicht dem anderen aufgezwungen werden
gar nicht etwa Verborgenen vor Amerika ver- darf —, kommt man doch sehr viel leichter zu einem
handelt worden, sondern ich habe sogar zuerst den gemeinsamen Beschluß, wenn man zu sechs ist.
amerikanischen Staatssekretär befragt, ob Amerika
da Bedenken hätte. Ich möchte dem Herrn Kollegen Wehner noch
etwas sagen. Herr Kollege Wehner — das wird ihm
Was dann das Verhältnis des französischen Präsi- kein Mensch abstreiten — hat doch eine Begabung
denten zur politischen Union angeht, so möchte ich für Zukunftsblicke in die Politik.
Sie auf folgendes hinweisen. Nach der Konferenz (Heiterkeit. — Beifall bei der SPD.)
von Godesberg im Juli 1961 hat der französische
Präsident General de Gaulle einen Entwurf für einen — Ich bin noch nicht fertig, meine Damen und Her-
Vertrag über eine politische Union vorgelegt. In die- ren. Nein, ich wollte ihm gar kein Kompliment
sem Vertragsentwurf war vorgesehen, daß auch die machen,
schon bestehenden europäischen Einrichtungen von (Heiterkeit)
dem neuen Vertrag mit erfaßt werden sollen. Das sondern ich wollte ihm nur sagen, daß er die Bega-
war für uns und auch für andere nicht annehmbar. bung dafür hat.
Ich bin damals mit Herrn de Gaulle in Baden-Baden
(Erneute Heiterkeit.)
zusammengekommen und halbe ihm das auseinander-
gesetzt, habe ihm gesagt, daß bestehende Einrich- Sie alle haben das doch anerkannt, meine Herren;
tungen, die gut funktionieren, doch nicht durch neu denn Sie sind ihm doch in seinen zukunftsseherischen
zu schaffende der politischen Union beeinträchtigt Ausblicken immer gefolgt.
werden dürften. Er hat mir 'zugestimmt und seine
Meinung in diesem Punkte geändert, so daß nun- (Wiederholte Heiterkeit.)
mehr der Entwurf der politischen Union uns absolut
Herr Kollege Wehner, stellen Sie sich doch einmal
annehmbar erschien.
vor, das Verhältnis zwischen Frankreich und
Aber damals haben die Niederlande und Belgien Deutschland wäre nicht gründlich, wie das durch
gegen diese politische Union Protest eingelegt. Das diesen Vertrag erfolgen soll, bereinigt worden, die
ist wahrscheinlich von den Niederlanden ausgegan- ganze, in alte Jahrhunderte zurückreichende Rech-
gen; denn ich habe später mit Herrn Spaak ein nung nicht beglichen, nicht alles erledigt worden,
Gespräch darüber gehabt, .aus dem ganz klar her- nicht ein neuer Anfang, ein gemeinsamer Anfang
vorging, daß er seine Ansicht zu ändern bereit war. gemacht worden! Sie werden mir darin sicher recht
3754 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 77. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Mai 1963

Bundeskanzler Dr. Adenauer


geben: Wenn das nicht erfolgt wäre, wäre ein Auf- det, ein geschichtliches Ereignis darstellt, das
bau Europas völlig unmöglich gewesen. das Verhältnis der beiden Völker
(Beifall bei den Regierungsparteien.) — „Völker", ich _unterstreiche das Wort —
Ich brauche Sie doch nur daran zu erinnern, daß zueinander von Grund ,auf neugestaltet.
nach dein Zusammenbruch Deutschlands im Jahre
1945 sehr ernsthafte Bestrebungen im Gange waren Und an einer anderen Stelle heißt es:
— gestützt von Frankreich und von Sowjetruß in der Erkenntnis, daß die Verstärkung der Zu-
land —, in Deutschland überhaupt keine zentrale sammenarbeit zwischen den beiden Ländern
Gewalt mehr entstehen zu lassen und insbesondere einen unerläßlichen Schritt auf dem Wege zu
das Industriegebiet zu internationalisieren. Diese dem vereinigten Europa bedeutet, welches das
Vorgänge, unter denen wir alle damals sehr gelit- Ziel beider Völker ist.
ten haben, muß man sich einmal in Erinnerung
rufen, um ermessen zu können, welche Bedeutung Das ist in jener sehr feierlichen Stunde damals in
das hat, was wir jetzt gemacht haben. Paris erklärt und unterschrieben worden vom Prä-
sidenten ide Gaulle und von mir als Bundeskanzler.
(Beifall bei den Regierungsparteien.)
Meine verehrten Damen und Herren, ich bin auf-
Das möchte ich auch noch Herrn Wehner sagen: richtig glücklich darüber, daß, wie es allem Anschein
Sie wissen, daß die Sowjetunion an mehrere Staaten nach kommen wird, eine so imposante, so große
wegen dieses Vertrages Noten gerichtet hat. Die Mehrheit für diesen Vertrag ist. Denn nur dann,
schärfste Note ist von der Sowjetunion ,an Frankreich wenn dieser Vertrag nicht von der einen oder ande-
gerichtet worden, eine Warnung, diesen Vertrag mit ren Mehrheit, sondern von der großen Menge des
Deutschland abzuschließen. Diese Note, die von Mos- ganzen deutschen Volkes — und das wird er, meine
kau nach Paris gegangen ist, ist für mich eine hun- Damen und Herren — und von der ganz großen
dertprozentige innere Rechtfertigung unseres Stand- Mehrheit — ich wage nicht zu sagen: einstimmig;
punkts. deswegen sage ich: von der ganz großen Mehrheit —
(Beifall bei der CDU/CSU.) des Bundestages getragen wird, können wir erwar-
Ich darf auch daran erinnern, daß zwischen dem ten, daß dieser Vertrag die Wirkungen haben wird,
-
Deutschen Reich und dem zaristischen Rußland jahr- die wir von ihm erhoffen und die in eine weite,
zehntelang ein Vertrag gegen Frankreich bestan- weite Zukunft hineinreichen sollen.
den hat. Ich darf weiter daran erinnern, daß schon (Lang anhaltender, lebhafter Beifall bei den
ein Jahr nach dem Ausscheiden Bismarcks die fran- Regierungsparteien.)
zösische Flotte in Kronstadt war und daß dann von
Frankreich ein Vertrag mit dem zaristischen Ruß- Vizepräsident Dr. Jaeger: Meine Damen und
land gegen Deutschland geschlossen worden ist. Herren, das Wort wird nicht mehr gewünscht. Ich
Wie groß 'der Wechsel, die Änderung, die Spanne schließe die allgemeine Aussprache.
der Entwicklung ist, das können Sie auch daraus Wir kommen zur Einzelberatung der zweiten
sehen, daß es kein anderer als General de Gaulle Lesung. Ich rufe auf Art. 1 und 2, letzteren mit der
war, der im Jahre 1944 als Ministerpräsident nach Streichung der beiden Worte „und soweit", wie es
Moskau gefahren ist, um den Vertrag mit Moskau der Auswärtige Ausschuß Ihnen vorgeschlagen hat,
gegen Deutschland wiederherzustellen. sowie Art. 3, Einleitung und Überschrift. — Das
Alle diese Dinge, die ja noch gar nicht so weit Wort hierzu wird nicht mehr gewünscht. Wer den
zurückliegen, die wir selbst erlebt haben, muß man aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht,
sich vor Augen halten, um sich klarzumachen, was den bitte ich um das Handzeichen. — Es ist so be-
hätte kommen können und was nun Gott sei Dank schlossen.
abgewendet worden ist und für alle Zukunft abge-
wendet bleibt. Wir kommen zur
(Beifall bei den Regierungsparteien.) dritten Beratung.
Die allgemeine Aussprache hat bereits stattgefun-
Ich bin Herrn von Brentano sehr dankbar, daß er den. Wird sonst noch das Wort gewünscht? — Das
den Dank an de Gaulle wegen der Rede, die er ist nicht der Fall. Damit, meine Damen und Herren,
damals vor dem amerikanischen Senat für Deutsch- kommen wir zur Schlußabstimmung. Wer dem Ge-
land gehalten hat, ausgesprochen hat. Ich kann nur setzentwurf als ganzem zuzustimmen wünscht, den
hinzufügen, daß auch in sehr engem Kreise Herr bitte ich, sich zu erheben. — Ich bitte um die Gegen-
de Gaulle immer absolut unsere Rechte nach dem probe. — Eine Gegenstimme rechts und einige Ge-
Osten zu vertreten hat. genstimmen links. Enthaltungen? — Gegen einige
(Beifall bei der CDU/CSU.) Stimmen bei einigen Enthaltungen mit sehr großer
Mehrheit angenommen.
Es war ein sehr feierlicher Akt, als Präsident de
Gaulle und ich i n Paris die Gemeinsame Erklärung (Beifall im ganzen Hause, bei dem sich die
unterschrieben. Es heißt darin: Abgeordneten der CDU/CSU erheben.)
in der Überzeugung, daß die Versöhnung zwi- Meine Damen und Herren, ich habe eine traurige
schen dem deutschen und dem französischen Pflicht zu erfüllen.
Volk, die eine Jahrhunderte alte Rivalität been (Die Abgeordneten erheben sich.)
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 77. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Mai 1963 3755
Vizepräsident Dr. Jaeger
In den frühen Morgenstunden dieses Tages ist Gründen des Gerichts nicht verschließen können,
unser Kollege Karl-Heinz Lünenstraß durch einen daß die Umwandlung im gegenwärtigen Zeitpunkt
Verkehrsunfall gestorben. Er befand sich wohl auf nicht vertretbar ist. Die Geschäftsbelastung des Ge-
dem Wege zur Sitzung dieses Hohen Hauses. richts hat entgegen den Erwartungen bei der Ver-
Unser Kollege Lünenstraß wurde am 28. Novem- abschiedung der letzten Novelle nicht nachgelassen.
ber 1919 in Dahlhausen im Ennepe/Ruhr-Kreis ge- Ich werde mir erlauben, im Rechtsausschuß hierzu
boren. Nach der Schriftsetzerlehre wurde er Soldat neues Zahlenmaterial vorzulegen, da die in der Be-
und nahm 1939 bis 1945 am zweiten Weltkrieg teil. gründung zum Regierungsentwurf genannten Zah-
Nach Beendigung des Krieges übte er zunächst sei- len inzwischen überholt sind.
nen Beruf als Schriftsetzer aus und arbeitete an ver- Die Umwandlung des Bundesverfassungsgerichts
schiedenen Tageszeitungen mit. in ein Einheitsgericht würde jedenfalls, wenn man
Von 1947 bis 1949 war er hauptamtlich für die das Gericht nicht mit der Arbeit völlig überfordern
Sozialdemokratische Partei in Geldern, Kleve und will, nur mit einer Einschränkung seiner Zuständig-
Krefeld tätig. Im Jahre 1949 wurde er Parteisekretär keiten erkauft werden können. An eine solche Ein-
im Landkreis Düsseldorf-Mettmann. schränkung der Zuständigkeiten des Gerichts denkt
jedoch niemand. Sämtliche Zuständigkeiten sind or-
Karl-Heinz Lünenstraß hat früh den Weg zur So- ganisch miteinander verbunden und außer der Ver-
zialdemokratischen Partei gefunden. Bereits vor 1933 fassungsbeschwerde auf Grund eines wohlüberleg-
war er Mitglied der Sozialistischen Jugend. Nach ten Planes des Verfassungsgesetzgebers im Grund-
1945 stellte er sich sofort in den Dienst der sozial- gesetz selbst festgelegt. Auch die im Grundgesetz
demokratischen Parteiarbeit. Im Landkreis Düssel- nicht festgelegte Verfassungsbeschwerde hat eine
dorf-Mettmann war er Kreistagsmitglied und Frak- so bedeutsame Funktion bei der Fortbildung des
tionsvorsitzender. Er bekleidete das Amt des Verfassungsrechts, insbesondere bei der Auslegung
Bürgermeisters der Stadt Mettmann. Er war Vor- der Grundrechte, erlangt, daß eine Einschränkung
sitzender des Beirats bei der Landespolizeibehörde jedenfalls so lange nicht erwogen werden sollte,
Düsseldorf. als der Prozeß der Konkretisierung der Grundrechte
Er gehörte dem Deutschen Bundestag über die durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungs-
Landesliste Nordrhein-Westfalen seit 1957, also nun gerichts noch nicht als abgeschlossen angesehen
zum zweitenmal, an. Er war Mitglied des Aus- werden kann.
schusses für Inneres.
Aus diesen Gründen glaubt die Bundesregierung
Ich spreche den Angehörigen des verstorbenen dem Hohen Hause einen der Entschließung von 1959
Kollegen und den Mitgliedern der Sozialdemokrati- entsprechenden Entwurf über die Umwandlung des
schen Partei Deutschlands die tiefe Anteilnahme des Bundesverfassungsgerichts in ein Einheitsgericht
Hauses aus. — Ich stelle fest, daß Sie sich zu Ehren noch nicht vorlegen zu können. Unabhängig von
des Verstorbenen erhoben haben. Ich danke Ihnen. der Frage der Umwandlung in ein Einheitsgericht
muß aber angesichts der am 1. September dieses
Jahres kraft Gesetzes eintretenden Herabsetzung
Ich rufe auf Punkt 5 der Tagesordnung:
der Richterzahl geprüft werden, wie die Arbeits-
Erste Beratung des von der Bundesregierung kraft des Gerichts weiterhin gewährleistet werden
eingebrachten Entwurfs eines Dritten Geset- kann. Allein die Zahl der jährlich eingehenden Ver-
zes zur Ä nderung des Gesetzes über das Bun- fassungsbeschwerden hat sich von 1956 bis heute
desverfassungsgericht (Drucksache IV/1224). verdoppelt. Zur Lösung dieses Problems gibt es nur
zwei Wege: entweder bleibt es für eine weitere
Zur Einbringung des Gesetzes hat das Wort der Übergangszeit bei zehn Richtern je Senat, oder das
Herr Bundesminister der Justiz. Gericht wird durch Verfahrensvereinfachungen in
die Lage versetzt, auch mit acht Richtern je Senat
den Arbeitsanfall zu bewältigen.
Dr. Bucher, Bundesminister der Justiz: Herr Prä-
sident! Meine Damen und Herren! Bei der Verab- Die Bundesregierung glaubt, es nicht vertreten
schiedung des letzten Ä nderungsgesetzes zum Bun- zu können, dem Hohen Haus eine Verlängerung der
desverfassungsgerichtsgesetz hat das Hohe Haus Übergangszeit, also eine Belassung von je zehn
die Bundesregierung ersucht, rechtzeitig einen Ge- Richtern, vorzuschlagen, zumal ja eine solche Ver-
setzentwurf über die Umwandlung des Bundesver- längerung schon einmal im Jahre 1959 vorgenom-
fassungsgerichts aus einem Zwillingsgericht in ein men worden ist. Das Bundesverfassungsgericht ist
Einheitsgericht für das Jahr 1963 vorzulegen. Der bei seinem hohen Rang denkbar ungeeignet für Über-
Bundesrat ist dieser Entschließung damals beige- gangslösungen. Eine Übergangslösung würde auch
treten. die Erreichung des für richtig gehaltenen Zieles
eines Einheitsgerichts wesentlich erschweren.
Die Bundesregierung hat nun in enger Fühlung-
Schließlich würden wir nach Ablauf der Übergangs-
nahme mit dem Bundesverfassungsgericht geprüft, zeit mit Sicherheit vor demselben Problem stehen.
ob die Umwandlung in ein Einheitsgericht möglich
erscheint. Sie stimmt mit den gesetzgebenden Kör- Die Bundesregierung schlägt deshalb nach sorg-
perschaften nach wie vor darin überein, daß ein fältigen Erörterungen mit dem Bundesverfassungs-
Einheitsgericht die angemessene Organisationsform gericht den zweiten Weg vor, dem sich auch der
für das Bundesverfassungsgericht darstellt. Die Bun- Bundesrat mit großer Mehrheit angeschlossen hat. .
desregierung hat sich jedoch den überzeugenden Es muß der Versuch gemacht werden, durch Verfah-
3756 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 77. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Mai 1963

Bundesminister Dr. Bucher


rensvereinfachungen das Gericht in die Lage zu ver- dem Gericht, und ich nehme an, daß der Rechtsaus-
setzen, auch mit acht Richtern je Senat den Arbeits- schuß — wenn ich mir diese Anregung erlauben
anfall zu bewältigen. Die Möglichkeiten hierzu sind darf — auch dem Bundesverfassungsgericht selbst
allerdings begrenzt. Die Entlastung muß vor allem Gelegenheit geben wird, seine Auffassung hierzu
bei der Fülle der Verfassungsbeschwerden gesucht im Rechtsausschuß vorzutragen.
werden, die fast 90 % aller Eingänge ausmachen Abschließend darf ich auch vor diesem Hohen
und von denen weniger als 1 % Erfolg hat. Hause das besondere Anliegen der Bundesregie-
Ich möchte aber betonen, daß die von der Bundes- rung hervorheben, gesetzliche Bestimmungen, die
regierung vorgeschlagene Regelung die Verfas- das Bundesverfassungsgericht betreffen, im größt-
sungsbeschwerde als solche unangetastet läßt. Ich möglichen Einvernehmen aller Verfassungsorgane
bin auch der Auffassung, daß die Bedeutung der und auf breitester parlamentarischer Grundlage —
Verfassungsbeschwerde, die für das Verhältnis zwi- d. h. jedenfalls auf breiterer, als der derzeitigen
schen Staat und Bürger und für die Konkretisierung Besetzung des Hauses entspricht — zu beschließen.
der Grundrechte derart wichtig ist, nicht allein an (Beifall bei den Regierungsparteien.)
der Zahl der erfolgreichen Verfassungsbeschwerden
gemessen werden kann. Jedoch ist zu berücksichti-
gen, daß in der Vergangenheit nur knapp 5 % aller
Vizepräsident Dr. Schmid: Das Wort hat der
Abgeordnete Professor Dr. Wahl.
Verfassungsbeschwerden durch die Senate selbst
entschieden wurden. Der Rest wurde von den Vor-
prüfungsausschüssen verworfen. Das hat seinen Dr. Wahl (CDU/CSU) : Herr Präsident! Meine
Grund darin, daß ein hoher Prozentsatz der Verfas- Damen und Herren! In jeder Legislaturperiode des
sungsbeschwerden mißbräuchlich eingelegt wird und Bundestages kehrt eine Vorlage wieder, die das im
daß namentlich in Fällen, in denen die Beschwerde- Grundgesetz vorgesehene höchste Verfassungs-
führer nicht durch Anwälte vertreten sind, allzu gericht, seine Organisation, seine Geschäftsvertei-
häufig ein Verfahren begehrt wird, das weder der lung und seine Methoden der Sacherledigung zum
Stellung des Gerichts noch dem Sinn der Verfas- Gegenstand hat. Diese Vorlagen stellen den Bun-
sungsbeschwerde entspricht. destag jedes Mal vor eine schwierige Aufgabe. Allzu
leicht geraten die an der Gesetzgebung beteiligten
Der Entwurf sieht deshalb zur Entlastung- des Ge-
politischen Instanzen in den Verdacht, der Reform-
richts neben anderen Verfahrensvereinfachungen
eine Umgestaltung des Verwerfungsverfahrens in wille gegenüber dem Bundesverfassungsgericht ent
springe einer Animosität. Bekanntlich kann es ein
ein positives Annahmeverfahren und die Auflocke-
Gericht nicht allen Prozeßbeteiligten und Interessen-
rung der Begründungspflicht bei ablehnenden Ent-
ten recht machen, besonders wenn die Entscheidun-
scheidungen vor. Diese beiden Änderungen stehen
in einer Wechselbeziehung. Sie sollen auf der einen gen so weittragend sind wie die Urteile des Bundes-
Seite eine Entlastung des Gerichts in Fällen der un- verfassungsgerichts. Es bedarf deshalb von seiten
zulässigen, offensichtlich unbegründeten oder gar dieses Hohen Hauses der größten Behutsamkeit,
mißbräuchlich eingelegten Verfassungsbeschwerde sowohl bei den gesetzgeberischen Lösungen selbst
gewährleisten und auf der anderen Seite sicherstel- wie bei deren Vorbereitung, und ich bin davon
len, daß die verfassungspolitisch bedeutsamen Ver- überzeugt, daß der Rechtsausschuß insoweit den
fahren zur Entscheidung vor die Senate selbst kom- Anregungen des Herrn Ministers Rechnung tragen
men. wird, auch dieses Mal nicht ohne Zuziehung der
Richter des Bundesverfassungsgerichts als Sachver-
Ob diese Entlastung als Ausgleich für die am ständige seine Beratungen durchzuführen.
1. September eintretende Herabsetzung der Richter-
zahl von zehn auf acht Richter je Senat ausreichen Meine Damen und Herren, als das Bundesver-
wird oder ob eine weitere Entlastung geboten ist, fassungsgericht geschaffen wurde, entschloß sich der
wird sehr sorgfältiger Prüfung im Rechtsausschuß Rechtsausschuß zur Einrichtung des Zwillingsge-
bedürfen. Sie kennen hierzu den Vorschlag des Bun- richts, d. h. es wurden zwei Senate geschaffen, deren
desrates, die Begründungspflicht für die ablehnen- Zuständigkeit voneinander in der Weise abgegrenzt
den Entscheidungen im Annahmeverfahren zu besei- wurde, daß für _seinen Zuständigkeitsbereich jeder
tigen. In diesem Vorschlag des Bundesrates sehe Senat das Bundesverfassungsgericht ist. Ich hatte
ich einen vertretbaren Ansatzpunkt. Ich berücksich- damals auf den französischen Kassationshof hinge-
tige hierbei vor allem, daß eine einmal angenom- wiesen, der dank der Vorschaltung der Chambre des
mene Verfassungsbeschwerde nur in begründeter Requêtes, die bei ihrer Vorprüfung die Kassations-
Form verworfen werden kann und daß im übrigen beschwerde abweisen kann oder die Sache an die
bereits zwei Richter genügen, um eine solche be- stärker besetzte Zivilkammer weiterverweist, mit
gründete Senatsentscheidung herbeizuführen. Das einem einzigen Spruchkörper, nämlich der Chambre
höchste Gericht der Bundesrepublik kann das Ver- Civile auskommt und mit allen Kassationsrekursen,
trauen für sich in Anspruch nehmen, daß es von der die aus dem ganzen Lande anfallen, fertig wird. Ich
Freistellung vom Begründungszwang in maßvoller wurde damals vom Rechtsausschuß beauftragt, ge-
Weise Gebrauch machen würde, so daß in dem ver- nauer über das französische Recht zu berichten, und
fassungsrechtlich bedeutsamen Bereich die Frage stieß bei meinen Studien in den entscheidenden
einer begründungslosen Verwerfung von Verfas- französischen Prozeßrechtswerken auf eine heftige
sungsbeschwerden kaum entstehen dürfte. Kritik am geltenden französischen System, das bes-
Über diese zweifellos sehr schwierigen Fragen ser durch ein Mehrkammersystem nach Art des deut-
stehe ich noch in einem Meinungsausstausch mit schen Reichsgerichts ersetzt würde. So kam es dann
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 77. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Mai 1963 3757
Dr. Wahl
zu zwei Senaten für das Bundesverfassungsgericht, zumal auch bei der nun bald anstehenden Schaffung
wobei wir etwas übersahen, was dem Rechtsver- des Einheitsgerichts naturgemäß die Entlastungs-
gleicher und dem Rechtshistoriker eigentlich längst fragen im Vordergrund stehen werden. Die Regie-
bekannt ist. Die Menschen sind nun einmal so an- rungsvorlage hat diese Frage mutig angepackt, und
gelegt, daß sie ihr eigenes Elend am deutlichsten der Bundesrat hat dazu noch weitere Anregungen
fühlen und die anderen glücklich preisen, deren gegeben. Freilich ist es nicht so, daß die Verringe-
Lebensverhältnisse mangels eigener Erfahrung rung der Richterzahl automatisch im gleichen Ver-
ihnen günstiger erscheinen, als sie es in Wirklich- hältnis auch die Leistungsfähigkeit des Gerichts her-
keit verdienen. Anders ausgedrückt: wenn man aus absetzt, da bekanntlich in einem größeren Bera-
der Rechtsvergleichung Nutzen ziehen will, darf tungsgremium selbst bei äußerster Selbstzucht der
man sich nicht so sehr an die Reformvorschläge des Beteiligten die Erledigung eines Tagesordnungs-
Auslands halten als an das dort geltende Recht, das, punktes sich mehr in die Länge zieht als in kleineren
wie in diesem Fall das Verfahrensrecht des Kassa- Zirkeln. Aber es ist natürlich ebenso klar, daß der
tionshofes, seit 150 Jahren in Kraft ist und die in Begründungszwang für die ergangenen Entscheidun-
der ganzen Welt berühmte schöpferische Recht- gen mit mehr Richtern leichter bewältigt werden
sprechung des höchsten französischen Gerichtshofs kann als mit einer kleineren Richterzahl. Worin
ermöglicht hat. Solche historischen Erfahrungen stel- ich vor allem einen Ansatzpunkt für eine mögliche
len einer Institution das Zeugnis aus, daß sie in der Entlastung des Gerichts sehe, ist die stattliche An-
Rechtsanwendung ihre Probe bestanden hat, und sie zahl höchst bedeutender Entscheidungen, durch die
besagen mehr für die Praktikabilität eines Systems das Bundesverfassungsgericht zahlreiche Lücken des
als noch so überlegte Reformvorschläge, deren Be- Verfassungsrechts mittlerweile ausgefüllt hat. Bei
währung in der Praxis noch aussteht. der ewigen Wiederkehr gleicher oder ähnlicher
Fälle kann sich das Gericht eine Erleichterung ver-
So hat auch das Zwillingsgericht bald gezeigt, daß schaffen, indem es auf bereits früher erarbeitete
ihm das Einheitsgericht, als das der Supreme Court Rechtsgrundsätze verweist. Die entscheidende Auf-
der Vereinigten Staaten, das angesehenste Verfas- gabe des Rechtsausschusses sehe ich deshalb in der
sungsgericht der Welt, von Anfang an wirkte, orga- Erörterung der §§ 93 a und 93 b des Entwurfs. Dazu
nisatorisch überlegen ist. Das Verfassungsrecht ist liegen schon Anregungen aus dem Bundesrat vor,
eben eine Einheit, und so einleuchtend es erscheint, die jetzt aber bei der ersten Lesung noch nicht be-
daß man die Organstreitigkeiten von den Grund- sprochen zu werden brauchen.
rechtsfragen trennt und die beiden Materien ver-
schiedenen Senaten überträgt, so sind doch Über- Ich schließe mit dem Antrag, die Vorlage dem
schneidungen unvermeidlich. Ich erinnere bloß an Rechtsausschuß zu überweisen.
die verfassungsrechtlichen Notstandsprobleme, die (Beifall bei den Regierungsparteien.)
uns im Augenblick besonders beschäftigen und bei
denen der innere Zusammenhang zwischen dem
Funktionieren der Verfassungsorgane und dem Vizepräsident Dr. Schmid: Das Wort hat der
Schutz der Grundrechte besonders deutlich ist. Die Abgeordnete Dr. Reischl.
Zweierherrschaft, die man im Zwillingsgericht in
gewissem Sinne verwirklicht sehen kann, ist schon Dr. Reischl (SPD) : Herr Präsident! Meine Damen
bei der römischen Konsularverfassung problematisch und Herren! Die Novelle, mit der wir uns heute zu
gewesen, wie ich hier nicht näher auszuführen befassen haben, dient wieder einmal dazu, am Bun-
brauche. desverfassungsgericht und an seinem Verfahren, wie
Deshalb hat der Bundestag sich bei der ersten mein Vorredner schon richtig gesagt hat, herumzu-
größeren Reform im Jahre 1956 dafür ausgesprochen, ändern. Ich möchte gleich einleitend namens meiner
das Bundesverfassungsgericht solle allmählich zum Fraktion sagen, daß wir den Entwurf in der uns
Einheitsgericht umgestaltet werden, und hat die vorliegenden Form im ganzen für unbefriedigend
allmähliche Herabsetzung der Richterzahl verfügt. halten,wircPoblemanfßt,udis
In diesem Gesetz ist für 1963 die Herabsetzung der heute geht und die auch schon offen zutage liegen.
Richterzahl von 10 auf 8 Richter pro Senat vor- Ich möchte mich durchaus dagegen wenden, daß
gesehen, um damit einen weiteren wichtigen Schritt man den Vorwurf erhebt, man dürfe nicht zu einem
auf dem Weg zum Einheitsgericht zu tun. Bundesverfassungnsgerichtsgesetz auch Novellen
Wir sind mit der Bundesregierung der Meinung, verabschieden .Selbstverständlich wird im Laufe der
daß die Umwandlung des Bundesverfassungsgerichts Zeit immer einmal die Notwendigkeit auftreten,
zum Einheitsgericht nicht dadurch wieder hinausge- eine Anpassung vorzunehmen. Aber es fragt sich
schoben werden darf, daß die Richterzahl noch ein- doch, ob es angeht, hier eine dritte Novelle einzu-
mal für eine weitere Übergangszeit wieder auf bringen, die wieder nur kleine Bereinigungen, einige
10 Richter erhöht werden soll, zumal jetzt ein Zeit- Verfahrensverbesserungenenthält, die aber eine
punkt herangekommen ist, in dem das Ausscheiden ganze Reihe von Fragen, die augenlblicklich offen
der Richter in keinem einzigen Fall die vorzeitige daliegen, und für eine Regelung reif wären, außer
Verabschiedung eines Richters bedingt. acht läßt.
Bei der Verringerung der Richterzahl ergibt sich Wir sollten uns darüber einig sein, daß wir uns
angesichts der Geschäftslage des Gerichts die Not- nicht mit einem normalen Gerichtsorganisationsge-
wendigkeit, eine weitere Entlastungsnovelle durch setz, sondern mit einem Organisationsgesetz für
eine Vereinfachung des Verfahrens zu beschließen, ein Verfassungsorgan 211 befassen haben, einem
3758 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 77. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Mai 1963

Dr. Reischl
Organisationsgesetz für das höchste Gericht der Bun- Lassen Sie mich ganz kurz auf die ungeklärten
desrepublik, ein Verfassungsorgan, das auf gleicher Fragen eingehen, die im Rahmen der Novelle unbe-
Ebene mit dem Bundestag und der Bundesregierung dingt hätten geklärt werden müssen. Das Gesetz
steht und das infolgedessen ein besonderes Maß an geht von einer Reduzierung der Zahl der Richter je
Achtung vor seiner Stellung und Funktion erfor- Senat von zehn auf acht zum 31. August 1963 aus
dert. Es geht dann einfach nicht an, daß man von mit dem Ziel, ein Einheitsgericht zu schaffen. Ich darf
Zeit zu Zeit an dem Gesetz zur Organisation dieses für unsere Fraktion betonen, daß wir dieses Ziel
Gerichts herumflickt und wichtige inzwischen aufge- nach wie vor bejahen.
tauchte Fragen, die .auch entscheidungsreif sind,
wieder ruhen läßt und auf die nächste Novelle ver- Aber man darf dabei nicht ganz außer acht lassen,
schiebt. Wir haben hier eine Art Novelle auf Probe daß das Gericht als Zwillingsgericht ins Leben getre-
vor uns, die für eine gewisse Zeit Erleichterungen ten ist und trotzdem in der ganzen Zeit, namentlich
schaffen soll, die aber schon den Keim der nächsten aber in den letzten Jahren, immer überlastet war.
Novelle in sich trägt. Selbst die wichtigste Frage, Wenn man bedenkt, daß die Zahl der Verfassungs-
mit der wir , es zu tun haben, nämlich die Frage der beschwerden allein vom Jahre 1961 bis zum Jahre
tatsächlichen Überlastung des Bundesverfassungs- 1962 von 700 auf 1400 gestiegen ist, dann wird man
gerichts, ist eigentlich nicht entschieden. Ich werde sehen, wie stark das Gericht überlastet ist. Vor
darauf gleich noch im einzelnen zu sprechen kom- allem aber sollte man sich in dem Zusammenhang
men. überlegen, ob man wirklich wegen eines Prinzips
— nämlich wegen der möglichst schnellen Herstel-
Die Novelle ist vor allem auch deswegen unbe- lung des Einheitsgerichtes — eine dauernde Über-
friedigend, weil der Zeitpunkt, zu dem sie kommt, in lastung und vor allem das gefährliche Ansteigen der
zwei Richtungen nicht den Notwendigkeiten ent- Rückstände in Kauf nehmen soll. Ich kann Ihnen aus
spricht. Einmal müssen wir bedenken, daß wir uns meiner eigenen richterlichen Erfahrung sagen, daß
gerade anschicken, im Rahmen der Notstandsgesetz- in der Gerichtsbarkeit nichts schlimmer ist, als einen
gebung eine besondere Bestandsgarantie für das Schreibtisch mit Rückständen aufräumen zu müssen.
Bundesverfassungsgericht in das Grundgesetz einzu-
bauen. Das ist dringend notwendig und wird von Ich habe manchmal das Gefühl, daß sich auch
uns als Schaffung einer Legalitätsreserve 'bejaht. gegenüber dem Bundesverfassungsgericht — wie lei-
Trotzdem läßt man das Gericht im gleichen Augen- der gegenüber allen Richtern bei uns in der Bundes-
blick in einer ganzen Reihe von Punkten in einer un- republik — das Pensendenken breit macht. Dieses
geklärten Lage. Man sollte — diesen Appell möchte Pensendenken ist der Stellung und der Arbeit des
ich an die andere Seite des Hauses richten — bei der Richters in gar keiner Weise angemessen, und ich
Zusammenarbeit im Rechtsausschuß doch auch daran möchte es hier einmal in einer etwas gehässigen
denken, daß wir hier vorsichtig sein müssen, um Form als ein kleinkariertes Verwaltungsdenken
nicht das Mißtrauen aufkommen zu lassen, daß durch ansprechen.
eine Einschränkung der Arbeitsmöglichkeit des Ge- (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten
richts manches wieder schlechter gemacht wird, was der CDU/CSU.)
andererseits durch die Verankerung der Unantast-
barkeit des Gerichts gutgemacht werden soll. Ich Der Richter ist einfach kein Automat, in den man
möchte hier niemandem böse Absichten unterstellen, oben Geld reinwirft, woraufhin unten dann ein Ur-
aber wir sollten jeden Schein in dieser Richtung ver- teil herauskommt. Es ist ein Nonsens, einem Rich-
meiden und daran bei der Beratung im Rechtsaus- ter vorzuschreiben, daß er in einer bestimmten Zeit
schußdenken. ein Urteil machen muß. Da gibt es einfach mal die
Notwendigkeit — das sage ich Ihnen ganz ehrlich —,
Das Gesetz wird aber ,auch zu spät vorgelegt. Es
eine schöpferische Pause einzulegen und ein paar
liegt auf der Hand und geht auch aus der Begrün-
Tage lang mit einer Entscheidung im wahrsten
dung des Gesetzentwurfs hervor, daß im Zusammen-
Sinne des Wortes schwanger zu gehen, um sie dann
hang mit 'diesem Gesetz die Frage der Richterzahl
wirklich gründlich durchdacht zu fällen. Der Staats-
noch einmal aufgeworfen wird. Der Termin für eine
bürger hat ein Recht darauf, daß die Entscheidungen,
Änderung auf diesem Gebiet wäre der 31. August
die vielfach endgültig sind, wirklich gründlich
1963; denn dann tritt die Herabsetzung der Richter- durchdacht sind.
zahl je Senat von 10 auf 8 in Kraft. Ich halte es für
einen nicht der Würde des Gerichts und der Bedeu- Bedenken Sie bitte auch noch folgendes. Wenn
tung der Sache angemessenen Stil, wenn man das der Richter überlastet ist — und das gilt ganz be-
Gesetz in einem so späten Zeitpunkt einbringt, daß sonders für den Richter beim Bundesverfassungsge-
eine Beratung in Ruhe über diese wichtige Frage richt —, dann nimmt man ihm die Möglichkeit, der
vor den Ferien — und vor den Ferien muß sie ja Richter zu bleiben, den wir eigentlich alle verlangen
erfolgen — kaum mehr möglich ist. Das soll kein müssen, nämlich der Richter, der nicht nur seine
Vorwurf gegen den jetzigen Bundesjustizminister Juristerei anschaut, der nicht nur die Gesetze stu-
sein, wie ich ausdrücklich betonen möchte; denn er diert, sondern der sich auch sonst noch ein bißchen
ist ja noch nicht so lange im Amt, daß er dafür ver- im Leben umsieht; er muß also auch noch Zeit für
antwortlich sein könnte. Aber es ist ein Vorwurf andere Dinge haben. Vor allem aber muß er Zeit
gegen sein Haus oder gegen diejenigen, die damit haben, um sich in seinem eigenen Fach noch weiter-
befaßt waren und die wenigstens einige Monate zubilden; denn auslernen kann ein Richter bis zu
eher mit diesem Entwurf vor die gesetzgebenden seiner Pensionierung nicht. Das möchte ich doch zu
Körperschaften hätten treten sollen. bedenken geben, und ich bitte, auch diesen Gesichts-
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 77. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Mai 1963 3759
Dr. Reischl
punkt bei den Beratungen zu berücksichtigen. Ich sehr, sehr vorsichtig sein, nicht den Verdacht auf-
hoffe, daß wir auch hierzu noch mehr Zahlenmaterial kommen zu lassen, daß ein Rechtsbehelf, der vielen
bekommen. als letzter Rettungsanker dünkt, beseitigt oder ge-
Die Vorschläge zur Verbesserung und Erleichte- schmälert werden soll.
rung des Verfahrens stammen vom Gericht. In Ich will nur stichwortartig noch drei Punkte an-
einem entscheidenden Punkt aber folgt der Entwurf fügen, die unseres Erachtens in einer wirklich
zunächst den Vorschlägen des Gerichts nicht, näm- gründlichen Novelle — die diesen Namen ver-
lich hinsichtlich der Aufhebung des Begründungs- dient — mit behandelt werden müßten. Da ist die
zwanges. Ich will mich darüber nicht länger ver- Frage, ob wir bei den Richtern auf Zeit bleiben
breiten, zumal angeklungen ist, daß eventuell die sollen oder ob ein Richter auf Lebenszeit eingesetzt
Neigung besteht, entsprechend den Vorschlägen des sein soll. Die Praxis hat gezeigt, daß die Richter auf
Bundesrates noch einen Schritt weiterzugehen. Eines Zeit, wenn sie wiedergewählt werden wollten, auch
möchte ich aber doch zu bedenken geben. Hier ha- wiedergewählt wurden, so daß wir es praktisch doch
ben wir es mit einer sehr, sehr wichtigen psycholo- mit Richtern auf Lebenszeit zu tun haben. Es ist
gischen Frage zu tun. Dadurch kann die Stellung des ernsthaft die Frage zu stellen, ob die wirkliche Un-
Gerichts in der öffentlichen Meinung eines Tages abhängigkeit des Gerichts nicht noch besser garantiert
sehr stark berührt werden. Es ist für den Staats- werden könnte, wenn wir generell zum Richter auf
bürger — von den Querulanten einmal ganz abge- Lebenszeit übergehen. Immerhin muß diese Frage
sehen — eine unbefriedigende Sache, wenn er in einmal gründlich in diesem Zusammenhang geprüft
einer Angelegenheit, die er für wichtig hält — und werden. Ich möchte keineswegs behaupten, daß die
jeder hält seine Sache für wichtig und glaubt, er Richter auf Zeit bisher nicht bewiesen haben, daß
habe recht —, eine Entscheidung vom allerhöchsten sie unabhängig sind. Aber der Institution angemes-
Gericht bekommt, in der nicht wenigstens mit eini- sen, glaube ich, wäre es, wenn wir Richter auf
gen Sätzen gesagt ist, warum die Klage abgelehnt Lebenszeit hätten. Mindestens müßte man sich ernst-
worden ist. lich mit der Frage der Versorgung der Richter auf
(Zustimmung bei der SPD.) Zeit befassen; das ist dann schon das Wenigste, was
man tun muß. Wenn man qualifizierte Kräfte haben
Ich möchte das ganz besonders hervorheben. Ich und halten will, muß man auch diese Frage heute
weiß aus meiner richterlichen Tätigkeit, wie- gefähr- regeln. Wir sollten uns darüber Gedanken machen.
lich es ist, Entscheidungen ohne Begründung zu er-
lassen, auch wenn man das darf; es gibt Fälle, wo Die Frage des Amtsgehalts brauche ich jetzt nicht
man es darf. Ich habe mich als Amtsrichter immer näher auszuführen, da inzwischen die Bundesregie-
dagegen gewehrt, eine Schiedsentscheidung ohne rung ja einen Entwurf beim Bundesrat eingebracht
Begründung zu erlassen, auch wenn beide Anwälte hat. Aber ich will in dem Zusammenhang sagen: ob
darauf verzichtet haben. Damit schafft man nämlich die Gleichstellung des Präsidenten des Bundesver-
erst den Querulanten. Man erweckt bei ihm. den fassungsgerichts mit einem Bundesminister ange-
Anschein, daß ihm Unrecht zugefügt werde. Ich messen ist, wage ich zu bezweifeln, denn das Bun-
möchte das in allem Ernst sagen. Wir müssen bei desverfassungsgericht steht auf gleicher Ebene wie
der Beratung dieser Frage diese Angelegenheit sehr die Bundesregierung. Da müßte man meines Erach-
sorgfältig prüfen und uns sehr gründlich überlegen, tens den Präsidenten mit dem Herrn Bundeskanzler
ob wir davon abgehen können, einen Begründungs- in finanzieller Beziehung gleichstellen. Ob dann
zwang für ablehnende Entscheidungen vorzuschrei- die Einstufung der übrigen Richter entsprechend
ben. Die ganze Novelle beruht darauf, daß man entwe- angemessen ist, möchte ich ebenfalls bezweifeln.
der das eine oder das andere tun muß, daß man also Aber darüber werden wir im Ausschuß bei der Bera-
entweder die Richterzahl beibehalten muß oder stär- tung dieses Gesetzentwurfs noch reden.
kere Verfahrenserleichterungen machen muß. Die Ein Letztes! Wir sollten ernstlich überlegen, ob
jetzige Novelle mit dem Verfahren nach den §§ 93 a wir die Verfassungsbeschwerde nicht jetzt bei dieser
und b, das so, wie es dasteht, keine wesentliche Gelegenheit im Grundgesetz verankern sollten. Ich
Erleichterung bringt, kommt mir vor wie ein Sprung habe auf die große Bedeutung für das Vertrauen
ins kalte Wasser, weil wir auf der einen Seite bei des Volkes zu diesem Gericht hingewiesen. Ich
der niedrigeren Richterzahl bleiben wollen, auf der möchte als Beispiel nur anführen, daß wichtigste
anderen Seite aber keine ernstliche Verfahrens- Entscheidungen wie das Apotheken-Urteil, das Ur
erleichterung bringen. Ich warne davor, in einer so teil zu § 71 der Straßenverkehrs-Zulassungsordnung
wichtigen Frage uns der Gefahr des Vorwurfs einer und die vielen Entscheidungen zur Ausgestaltung
Verantwortungslosigkeit auszusetzen, wenn wir des rechtlichen Gehörs auf Verfassungsbeschwerden
diese Frage nicht sehr sorgfältig prüfen. beruhen.
Zustimmung bei der SPD.) Zusammenfassend darf ich namens meiner Frak-
Denken Sie noch an eines, meine Damen und Her- tion zu bedenken geben, ob wir nicht eine ganz
ren! Das Bundesverfassungsgericht ist in unserer kleine Novelle — nach entsprechender Ausschuß-
demokratischen Entwicklung nicht mehr wegzuden- beratung — vorausschicken, also im Ausschuß aus
ken. Es genießt in einem Ausmaß das Vertrauen des der jetzigen Vorlage herausnehmen sollten, näm-
Volkes, das wir uns vielleicht gar nicht so vorstellen lich eine Novelle, die die Richterzahl doch noch bei-
können. Wenn wir im Lande herumhören, hören wir behält.
immer wieder: Letzte Reserve, letzter Rettungs- (Abg. Dr. Weber [Koblenz] : Nein! Lehnen
anker — das Bundesverfassungsgericht. Wir müssen wir ab!)
3760 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 77. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Mai 1963
Dr. Reischl
Dabei aber warne ich davor, eine feste Frist beizu- dieses Hohe Gericht, dessen Rolle Sie sehr deutlich
behalten. Denn erstens einmal ist es schwierig, Rich- herausgestellt haben, doch nicht zum Experimen-
ter auf Zeit nur für vier Jahre zu bekommen, und tieren eignet. Ich stimme Ihnen darin prinzipiell zu.
zweitens — das hat der Bundesminister der Justiz Andererseits ist auch dieses Bundesverfassungs-
schon ganz richtig gesagt — werden wir nach vier gericht ein Novum in unserem Staatsaufbau, und
Jahren, wenn wir z. B. diese Frist nehmen, mög- wir haben wenig Erfahrungen. Der Gesetzgeber hat
licherweise vor derselben Lage stehen. nun selber schon einmal auf diesem Gebiet Experi-
Allerdings darf man eines nicht vergessen. Wenn mente gemacht, wenn ich so sagen darf. Er hat näm-
wir uns endlich Luft schaffen würden in dieser lich im Jahre 1956 die Richtung auf ein Einheits-
Frage, könnten wir ohne Zeitdruck über die wirk- gericht hin eingeschlagen. Das war auch ein Wagnis
lich notwendigen sonstigen Reformen verhandeln. und ein Experiment. Das Gericht wurde verkleinert.
Wir sollten uns doch jetzt endlich einmal eine eini- Es soll jetzt noch einmal verkleinert werden. Des-
germaßen endgültige Regelung des Rechts des Bun- wegen sehen wir uns eben vor der Notwendigkeit,
desverfassungsgerichts als eines so wichtigen Ver- doch wieder etwas daran herumdoktern zu müssen.
fassungsorgans vornehmen. Die Zeit drängt außer- Wenn es uns gelingen sollte, in Erweiterung der
ordentlich, weil im Sommer eine ganze Anzahl von Vorschläge, die Sie von der Opposition dazu noch
Richtern ausscheidet. Das Problem der Zahl der Rich- machen wollen, zu einer umfassenderen Novelle zu
ter muß also als erstes erörtert werden. kommen, und wenn wir dann werden feststellen
(Abg. Dr. Weber [Koblenz] : Das ist doch können, daß wir nicht schon wieder eine Novelle
gelöst!) brauchen, so soll das der Bundesregierung sicher
nur recht sein.
Wir müssen die Frage aufwerfen, ob man die Zahl
doch noch beibehalten oder ob man eine echte Ent- Ich glaube, wir können über alle Ihre Vorschläge
lastung des Gerichts herbeiführen kann, ohne dabei diskutieren mit Ausnahme des einen, die Zahl von
die Rechtsbehelfe der Bevölkerung zu schmälern zehn Richtern beizubehalten. Dafür ist bis jetzt bei
und ohne dabei das Vertrauen des Volkes in dieses uns keine Meinung vorhanden.
wichtige Verfassungsorgan in irgendeiner Weise (Abg. Dr. Schäfer: Wenn keine Meinung
zu beeinträchtigen. vorhanden ist, können wir noch darüber
(Abg. Dr. Weber [Koblenz] : Die Frage ist reden!)
doch gesetzlich geregelt!) — Wenn man sagt, es sei keine Meinung vorhan-
Die Frage ist, ob es uns gelingt, das im Ausschuß den, ist man nicht dafür.
zu tun. Ich will hoffen, daß damit dem Bundesver- (Abg. Wehner: Aha! Neigung meinen Sie!)
fassungsgericht eine auf lange Zeit gültige Regelung
der Stellung und der Funktion dieses so wichtigen Für meine Person darf ich noch sagen: die Bemer-
Verfassungsorgans gegeben werden kann. kung über die Einstufung der Richter des Bundes-
verfassungsgerichtes, die Sie nebenbei noch mach-
(Beifall bei der SPD.) ten, war mir aus dem Herzen gesprochen. Aber ich
kann das für die Bundesregierung nicht sagen, we-
Vizepräsident Dr. Schmid: Das Wort hat der nigstens nicht für den gegenwärtigen Zeitpunkt. Ich
Bundesminister der Justiz. bin ja gehalten, den Vorschlag der Bundesregierung
zu vertreten. Aber ich habe auch die Vorstellung,
Dr. Bucher, Bundesminister der Justiz: Herr Prä- daß das Bundesverfassungsgericht nun wirklich nicht
sident! Meine Damen und Herren! Ich möchte nur irgendein Gericht ist, sondern ein Verfassungsorgan.
auf zwei der kritischen Bemerkungen des Herrn Ich hatte schon früher öfters Gelegenheit, in diesem
Kollegen Reischl kurz eingehen. Das eine ist die Hause zum Ausdruck zu bringen, was ich von dem
Frage des Zeitpunkts, zu dem diese Novelle vor- Bundesverfassungsgericht halte.
gelegt wird. Sie beanstanden mit Recht, daß sie sehr
spät vorgelegt wird. Sie hatten nun die Liebenswür- (Beifall bei Abgeordneten aller Fraktionen.)
digkeit, mich von einer Schuld daran freizusprechen
und die Schuld dem Hause zu geben. Das trifft aber Vizepräsident Dr. Schmid: Das Wort hat Frau
nicht zu. Mein Vorgänger hat bereits Anfang Januar Abgeordnete Diemer-Nicolaus.
die ersten Besprechungen mit dem Bundesverfas-
sungsgericht begonnen. Diese Besprechungen haben Frau Dr. Diemer-Nicolaus (FDP) : Herr Präsi-
sich ziemlich lange hingezogen, ohne daß ich des- dent! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der
wegen dem Gericht einen Vorwurf mache. Dann kam Herr Bundesjustizminister hat mir die Entgegnung
die Kabinettsumbildung dazwischen mit allem, was auf die Kritik, die Herr Kollege Reischl geübt hat,
sich davor und danach abgespielt hat. So sind wir in zum Teil schon abgenommen. Ich möchte in Ergän-
Bedrängnis gekommen, und ich muß tatsächlich eher zung dessen, was der Bundesjustizminister sagte,
mir selber etwas den Vorwurf machen, daß ich nicht noch folgendes bemerken.
mehr darauf gedrängt habe, diesen zeitgebundenen Als ich mir überlegte, was man in der ersten Le-
Entwurf vorzulegen. sung dieses Gesetzentwurfes sagen solle, habe ich
Das zweite. Sie haben beanstandet, daß — ich das Buch über das Bundesverfassungsgericht aufge-
glaube, Sie drückten es so aus — wieder einmal schlagen, das wir erst kürzlich zugeschickt bekamen.
an dem Bundesverfassungsgerichtsgesetz herum- Beim Lesen bin ich auf die Eröffnungsrede gekom-
gedoktert, also experimentiert werde und daß sich men, die am 28. September 1951 von Herrn Höpker-
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 77. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Mai 1963 3761
Frau Dr. Diemer--Nicolaus
Aschoff gehalten wurde. Ich nenne dieses Datum, Jahre besteht, sollten wir doch jeden weiteren
weil es zeigt, wie jung dieses hohe Gericht ist. Wir Schritt bei der Reform sehr vorsichtig bedenken.
müssen uns vor Augen halten, daß damals — darauf Wir sollten immer wieder, so wie das bisher bei
wurde schon hingewiesen — etwas vollkommen zwei Novellen getan wurde — andere Gesetze ha-
Neues für unser Volk geschaffen wurde. Es wurde ben eine ganz andere Zahl von Novellen, das bitte
ein Verfassungsorgan geschaffen, das auch keine ich Sie auch einmal zu bedenken —, erst die Er-
Tradition in dem früheren Staatsgerichthof der Wei- fahrungen abwarten.
marer Zeit hatte. Es bestehen Unterschiede, wie auch An und für sich hat sich die Neuverteilung der
ein grundliegender Unterschied zwischen unserem Aufgaben für die Senate durch die Novellen von
Grundgesetz und der Weimarer Verfassung besteht, 1956 bewährt. Herr Kollege Reischl, durch diese
nämlich insofern, als nach unserem Grundgesetz die Neuregelung konnten tatsächlich Rückstände schon
Grundrechte unmittelbar geltendes Recht für jeden weitgehend aufgearbeitet werden. Die genaueren
sind. So hat auch dieses hohe Gericht zum Teil an- Zahlen hierüber werden wir im Rechtsausschuß noch
dere Befugnisse erhalten, als sie der frühere Staats- erfahren.
gerichtshof hatte.
Wir müssen immer überlegen: Wie kommen wir
Herr Kollege Reischl, in Ihrer Kritik sprachen Sie diesem Ziel, das ja auch von der SPD bejaht wird,
davon, daß man experimentiere. Angesichts dieser dem Einheitsgericht, näher? Da zeigt sich folgendes
Kritik möchte ich auf eine Sache zurückkommen, an — ich darf es hier mit aller Offenheit sagen, Herr
die mich Herr Dr. Dehler, der damals Bundesjustiz- Kollege Reischl —: Wenn wir dem Ziel jetzt näher
minister war, erinnert hat. Die Freien Demokraten kommen wollen, dann können wir es nicht dabei
waren von Anfang für ein Einheitsgericht. Aber ge- bewenden lassen, daß wir die Zahl der Richter bei
rade Ihre Fraktion, Herr Kollege Reischl, war es, die jedem Senat bei zehn belassen, sondern dann müs-
sich für das Zwillingsgericht aussprach. sen wir — ich glaube, gerade hierfür hatte sich auch
Als das neue Gericht geschaffen wurde, wußte man Ihr Kollege Arndt ausgesprochen — in diesem Jahr
natürlich nicht, in welchem Maße es in Anspruch zu einer Verringerung der Richterzahl auf acht für
genommen werde. Erfreulicherweise hat sich heraus- jeden Senat kommen.
gestellt, worüber wir uns doch alle einig sind, daß Die Entscheidungen, die das Bundesverfassungs-
dieses Verfassungsorgan auch in der breiten Bevöl- gericht trifft, sind sehr bedeutungsvoll. Es ist sicher-
kerung höchstes Ansehen und höchstes Vertrauen lich richtig und notwendig, daß die Richter ausrei-
genießt. So ist es dazu gekommen, was man im chend Zeit und Muße haben. Da gebe ich Ihnen
Jahre 1951 nicht voraussehen konnte, daß bei diesem recht: man kann derart grundlegende Entscheidun-
hohen Gericht außerordentlich viele Verfahren an- gen, die hier zu treffen sind, nicht einfach nach
hängig gemacht wurden, vor allem deswegen, weil einer gewissen Stundenzahl fällen, sondern dazu
die neu eingeführte Möglichkeit der Verfassungs- gehört schöpferischer Geist, der sich nicht auf die
beschwerde, die jedem Bürger das Recht gibt, unter Stunde Arbeitszeit befehlen läßt.
bestimmten Voraussetzungen das Bundesverfas-
Man braucht auch Richter in ausreichender Zahl
sungsgericht anzurufen, in der Bevölkerung Anklang
für die Bearbeitung dieser Aufgaben. Aber wenn
gefunden hat. So stellte sich nach einigen Jahren die Gremien, die beraten, zu groß sind, bedeutet
heraus: die Belastung der zwei Senate ist so un- eine spätere nicht allzu große Verkleinerung nicht
gleichmäßig, daß dies nicht so bleiben kann. — das bestätigt die Erfahrung —, daß damit die Lei-
Daher kam es zunächst zu der Novelle von 1956. stungsfähigkeit des Senats erheblich beeinträchtigt
Als dann die Novelle von 1959 beraten wurde, Herr würde. Ich stelle das hier schon zur Diskussion.
Kollege Reischl, machte, wie ich mich noch sehr gut Ich möchte mich auch dafür einsetzen, daß bei unse-
erinnern kann, Ihr Kollege Dr. Arndt, der jetzt leider ren Beratungen im Rechtsausschuß der Präsident
nicht mehr dem Bundestag angehört, grundlegende des Bundesverfassungsgerichts anwesend ist,
Ausführungen über die Zukunft dieses Gerichts. Das, (Abg. Jahn: Die Präsidenten!)
was wir Freien Demokraten von Anfang an wollten
kam dann in der Entschließung zum Ausdruck: der damit er uns seine Auffassung und seine prak-
Weg muß zum Einheitsgericht führen. Damals be- tischen Erfahrungen mitteilen kann.
stand die Hoffnung, auch durch die Änderung des Ich möchte zu dieser Reform weiterhin sagen: Mir
Verfahrens schon in diesem Jahr das Einheitsgericht ist durchaus bekannt, daß die Verfassungsbeschwer-
zu schaffen. den — der Herr Bundesjustizminister sagte, daß
Herr Kollege Reischl, Sie sprachen vorhin vom die eingelegten Beschwerden 90 % des Geschäfts-
Herumexperimentieren und von einer „kleinen" anfalls betragen — natürlich eine sehr starke Be-
Novelle und beanstandeten, daß es keine grund- lastung sind. Manche Verfassungsbeschwerde ist
legende Reform sei. Ich bin sehr für grundlegende dabei, die schon von vornherein wirklich unzuläs-
Reformen, wo sie angebracht sind. Deswegen habe sig ist, z. B. wenn das Verfassungsgericht schon an-
ich — das möchte ich hier ganz klar zum Ausdruck gegangen wird, bevor der ordentliche Rechtsweg
bringen, und ich habe es auch bei der ersten Lesung ausgeschöpft ist.
der Strafrechtsnovelle gesagt — heute noch die In diesem Zusammenhang darf ich auf folgendes
größte . Achtung vor der großen geistigen Leistung hinweisen. Bei allen oberen Gerichten besteht An-
des Parlamentarischen Rates, der mit den anderen waltszwang. Er wurde nicht geschaffen, um den
echten Reformen auch das Bundesverfassungsgericht Rechtsanwälten eine Arbeitsmöglichkeit zu geben.
geschaffen hat. Aber jetzt, nach dem es erst zwölf Der Grund war vielmehr, daß durch die Anwalt-
3762 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 77. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Mai 1963

Frau Dr. Diemer-Nicolaus


schaft, die ein Organ der Rechtspflege ist, schon eine liche Maßnahmen treffen, durch die Eheleute
Vorprüfung erfolgt unid dadurch unzulässige und Unverheiratetenz.Bwirtschaflgenüb
von vornherein unbegründete Klagen bei Iden oberen benachtilgwrd.DseGankmvor
Gerichten unterbleiben sollen. Wenn Sie schon an allem auch bei Entscheidungen des Bundesverfas-
größere Reformen denken, dann sollten wir uns sungsgerichts auf steuerlichem Gebiet zum Aus-
doch auch einmal über die Frage Gedanken machen, druck. So wurde die in § 26 des Einkommensteuer-
ob eine gleiche Regelung im Interesse des Bundes- gesetzes vorgesehene Ehegattenbesteuerung eine —

verfassungsgerichts angebracht wäre. Vorschrift, gegen die die FDP sich mit aller Ent-
Bei diesem Anlaß — wir haben nicht oft Anlaß, schiedenheit gewandt hatte — erst durch das Bun-
über das Bundesverfassungsgericht zu sprechen — desverfassungsgericht aufgehoben, und diese Ent-
möchte ich auch noch zu einigen Entscheidungen des scheidung war der Anlaß zur Einkommensteuer-
Bundesverfassungsgerichts Stellung nehmen. Zwölf reform 1958 mit einer für die Ehepaare befriedi-
Jahre Tätigkeit zeigen, ob das Bundesverfassungs- genden Regelung.
gericht in seinen Entscheidungen auf dem Weg ge- Auch in jüngster Zeit hat das Bundesverfassungs-
blieben ist, den seinerzeit bei der Eröffnung Höpker gericht Entscheidungen in diesem Sinne getroffen.
Aschoff gewiesen hat. Er sagte damals in seiner So hat es entschieden, daß Ehegatten, die einen
Eröffnungsrede, daß das Bundesverfassungsgericht, Arbeitsvertrag geschlossen haben — was nicht nur
dessen Rechtsentscheidungen ja auch große poli- in der gewerblichen Wirtschaft, sondern auch bei
tische Auswirkungen hätten —das wissen wir alle den freien Berufen oft vorkommt —, steuerlich nicht
in diesem Hohen Hause —, nicht der Versuchung anders behandelt werden dürfen als die sonstigen
erliegen dürfe, seine politisch-sachlichen Erwägun- Vertragspartner eines Arbeitsverhältnisses.
gen an die Stelle der politisch-sachlichen Erwägun-
gen des Gesetzgebers zu setzen. Er führte wörtlich Weiterhin hat das Bundesverfassungsgericht ent-
aus, als er von der Versuchung, selbst den Gesetz- schieden, daß sich auch in bezug auf die Gewerbe-
geber spielen zu wollen, sprach: steuer die Mitarbeit der Ehefrau im Gewerbebetrieb
des Ehemannes nicht nachteilig für die Ehepaare
Wir haben nur 'darüber zu wachen, daß die auswirken, d. h. nicht zu einer höheren steuerlichen
Normen des Grundgesetzes auch von dem Belastung führen darf.
Gesetzgeber eingehalten werden. -
Im Zusammenhang mit Art. 3 des Grundgesetzes
Das Bundesverfassungsgericht muß sich bei hat das Bundesverfassungsgericht im Grundsätz-
seinen Entscheidungen bewußt bleiben der lichen schon ein Problem entschieden, das ich in der
politischen Folgen, und sei es auch nur, um Fragestunde angeschnitten habe, wieweit nämlich
seine Rechtsentscheidung um so sorgfältiger eine Regierung im Rahmen des Art. 80 des Grund-
abzuwägen, und darf auch der Frage nicht gesetzes Verordnungen zu gesetzlichen Bestimmun-
ausweichen, ob nicht durch seine Entscheidung gen erlassen darf. Ich will es konkret sagen, damit
ein gesetzloser Zustand herbeigeführt werden Sie wissen, worum es sich handelt.
kann, der eine Gefahr für die freiheitlich
demokratische Grundordnung des Staates b e- Wir hatten im Finanzausschuß im Zusammenhang
deutet. mit der Einkommensteuerreform ganz klar ent-
schieden, daß, wenn Ehepaare das Splitting-Verfah-
Wenn wir das politische Leben der letzten zwölf ren bei der Einkommensteuer wählen, die Steuer-
Jahre und die Entscheidungen des Bundesverfas- erklärung von beiden Ehegatten unterzeichnet wer-
sungsgerichts an unseren Augen vorüberziehen las- den muß. Dann, meine Herren Kollegen von der
sen, so können wir Freien Demokraten im Hinblick SPD, kam Ihre hessische Finanzverwaltung auf die
auf manche Entscheidung ides Bundesverfassungs- Idee, wie man diese Regelung, die vor allen Dingen
gerichts feststellen, daß wir durchaus Grund zur von gut verdienenden Ehemännern in Anspruch ge-
Freude haben. Denn in verschiedenen Fällen ist un- nommen wird, doch noch umgehen könnte. Das
sere Rechtsauffassung in bezug auf die Auslegung wurde dann von unserem damaligen Finanzminister
des Grundgesetzes durch das Bundesverfassungsge- und den anderen Ländern übernommen.
richt bestätigt worden, nachdem wir uns im Bundes-
tag damit nicht hatten durchsetzen können. Insofern ist es aufschlußreich, was das Bundes-
verfassungsgericht hierzu gesagt hat:
Das gilt besonders im Hinblick auf die Art. 3 unid
6 des Grundgesetzes. Ich brauche Ihnen nur Stich- Der Verordnungsgeber hat seinen Spielraum
worte zu nennen. Sie wissen, daß die Frage der von vornherein nur innerhalb der ihm jeweils
Gleichberechtigung von Mann und Frau im Sinne auf Grund des Art. 80 Abs. 1 des Grundgeset-
des Art. 3 Abs. 2 des Grundgesetzes vom Bundes- zes gegebenen Grenzen. Das Gleichheitsgebot
verfassungsgericht im Sinne der von den Freien bedeutet dann für ihn, daß er im wohlverstan-
Demokraten von Anfang an vertretenen Auffassung denen Sinn der ihm erteilten Ermächtigung zu
entschieden worden ist. Diese grundlegende Auf- handeln hat. Nur so wird die Gestaltungsfrei-
fassung hat bis i n die letzten Wochen hinein bei heit des Gesetzgebers auch im Verhältnis zum
den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Verordnungsgeber gewahrt.
ihre Früchte getragen. Insbesondere hat das Bundes- Das bedeutet, daß ein derartiges Verfahren, was
verfassungsgericht den engen Zusammenhang des ich schon in der Fragestunde bemängelt habe, dem
Art. 3 mit dem Art. 6, der den Schutz der nicht entspricht, was wir in den Ausschüssen und
Ehe und Familie vorsieht, klar herausgestellt. nachher im Plenum ausdrücklich beschlossen haben
Danach darf der Gesetzgeber keinerlei gesetz- und unzulässig ist. Der Wille des Parlaments muß
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 77. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Mai 1963 3763
Frau Dr. Diemer-Nicolaus
auch in den Durchführungsverordnungen von seiten sie ermöglicht erst die ständige geistige Aus-
der Exekutive beachtet werden. einandersetzung, den Kampf der Meinungen,
der ihr Lebenselement ist.
Eine weitere uns Freie Demokraten zufrieden-
stellende Entscheidung war, daß der Stichentscheid Und in einer weiteren Entscheidung:
nach den §§ 1628 und 1629 für grundgesetzwidrig
erklärt wurde. Nur die freie öffentliche Diskussion über Ge-
genstände von allgemeiner Bedeutung sichert
(Zuruf von der SPD: Das steht doch nicht die freie Bildung der öffentlichen Meinung, die
zur Debatte!) sich im freiheitlichen demokratischen Staat not-
Ich weiß, diese Ansicht hat nicht nur die FDP ver- wendig „pluralistisch" im Widerstreit verschie-
treten, sondern auch andere hier. dener und aus verschiedenen Motiven vertrete-
ner, aber jedenfalls in Freiheit vorgetragener
Eine weise Entscheidung in jüngster Zeit war
Auffassungen, vor allem in Rede und Gegen-
weiter die über die Höfeordnung, welche die Be-
rede vollzieht.
nachteiligung der Bauerntöchter für grundgesetz-
widrig erklärte. Diese Sätze haben gerade in der letzten Zeit bei
Disukussionen, die über bestimmte dichterische
(Zurufe: Zum Thema! — Abg. Dr. Kanka:
Werke stattgefunden haben, eine besondere Bedeu-
Was hat denn das mit der Vorlage zu tun?) tung erlangt. Sie sollten uns mahnen, tolerant ge-
— Das gehört mit dazu, welche Bedeutung das Bun- geneinander zu sein. Sie lehren uns, daß wir, auch
desverfassungsgericht hat. Entschuldigen Sie, Herr wenn eine künstlerische Gestaltung in ihrem geisti-
Kollege Kanka, ich glaube, es ist hier auch eine gen Inhalt nicht unserer Auffassung entspricht, nicht
Wertung des Bundesverfassungsgerichts nötig. Es nach dem Strafrichter rufen, sondern die Dinge in
hängt weiterhin damit zusammen, daß wir dem freier Diskussion klarstellen sollten.
Bundesverfassungsgericht bei dieser Reform auch in
Zukunft die Zeit lassen wollen, so grundlegende Weiter sagt das Bundesverfassungsgericht:
Entscheidungen zu treffen. Das ... Grundrecht der Pressefreiheit ist mehr
(Zurufe: Zur Sache! — Unruhe.) als nur ein Unterfall der Meinungsfreiheit, da
darüber hinaus die institutionelle Eigenständig-
-
keit der Presse von der Beschaffung der Infor-
Vizepräsident Dr. Schmid: Meine Damen und mation bis zur Verbreitung der Nachricht und
Herren, es ist durchaus üblich, daß Man, wenn man der Meinung gewährleistet ist.
über eine Institution spricht, auch sagt, was man
ihr zu verdanken oder von ihr fürchten zu müssen Das ist eine Entscheidung im Geiste unseres Grund-
glaubt. Insofern spricht die Rednerin zur Sache. gesetzes. Ich wünsche, daß das Bundesverfassungs-
gericht auch in Zukunft Zeit und Muße findet —
(Beifall bei der FDP.) Anlaß wird es immer haben —, seine Rechtspre-
chung in diesem Geiste, der seinerzeit zunächst von
Frau Dr. Diemer Nicolaus (FDP) : Für uns als
- Höpker-Aschoff geprägt wurde, fortzusetzen. Ich
Gesetzgeber, Herr Kollege Kanka, sollten die Ent- glaube auch, daß das Bundesverfassungsgericht sich
scheidungen des Bundesverfassungsgerichts immer im Politischen die Zurückhaltung auferlegt hat, die
eine Mahnung sein, bei allen Gesetzen, auch soweit Höpker-Aschoff damals forderte. Es hat sich be-
vorkonstitutionelles Recht vorliegt, sehr sorgfältig müht, nicht selbst den politischen Gesetzgeber zu
zu prüfen, ob sie dem Grundgesetz entsprechen. spielen — trotz der Versuchung, die natürlich in
manchen politischen Rechtsstreiten vorhanden war.
Eines kann ich Ihnen nun doch nicht vorenthalten,
weil es sich dabei um Entscheidungssätze handelt, Ich wünsche für das Bundesverfassungsgericht,
die für uns auch in der kommenden Zeit von größter daß wir in absehbarer Zeit über eine sinnvolle Ver-
politischer Bedeutung sind. Ich meine das, was das einfachung des Verfahrens hinaus den weiteren
Bundesverfassungsgericht zu Art. 5 des Grundge- Schritt, nämlich die Errichtung des Einheitsgerichts,
setzes gesagt hat, also zu dem Grundrecht der freien tun können und damit das höchste Gericht erhalten,
Meinungsäußerung und der Pressefreiheit. Hier hat das wir uns von Anfang an als Hüter unserer Grund-
das Bundesverfassungsgericht Grundsätze aufge- rechte gewünscht haben.
stellt, die für jeden, dem an einer lebendigen Demo- (Beifall bei den Regierungsparteien.)
kratie liegt, goldene Worte sein müssen. Deswegen
habe ich sie mir für den Schluß meiner Rede aufge- Vizepräsident Dr. Schmid: Es liegen keine
spart. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinen Wortmeldungen mehr vor.
Entscheidungen ganz klar herausgestellt, daß es
sich bei dem Grundrecht des Art. 5 des Grund- Wir kommen zur Abstimmung. Wir werden den
gesetzes um eines der vornehmsten Menschenrechte Entwurf wohl an den Rechtsausschuß überweisen
überhaupt handelt. Es bezeichnet dieses Grundrecht müssen. Ist das Haus einverstanden? — Das ist der
als Grundlage der Freiheit. Fall; dann ist es beschlossen.

In einer anderen Entscheidung heißt es: Ich rufe auf Punkt 6 der Tagesordnung:
Für eine freiheitliche demokratische Staatsord Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
nung ist die politische Meinungsfreiheit, die desregierung eingebrachten Entwurfs eines
Geistesfreiheit schlechthin konstituierend, denn Gesetzes über Kreuzungen von Eisenbahnen
3764 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 77. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Mai 1963
Vizepräsident Dr. Schmid
und Straßen (Eisenbahnkreuzungsgesetz) 2. Die Bahnübergänge stellen für Schiene und
(Drucksache IV/183); Straße eine Gemeinschaftsaufgabe dar, für die auch
Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Ver- Bund und Länder mitverantwortlich sind. Der Inter-
kehr, Post- und Fernmeldewesen (23. Aus- essenlage der beteiligten Verkehrsträger soll da-
schuß) (Drucksache IV/1206) bei nach Möglichkeit Rechnung getragen werden.
(Erste Beratung 14. Sitzung). Dem entspricht der Vorschlag zu § 11 b und § 13.
Berichterstatter ist der Abgeordnete Cramer. Herr 3. Den Gemeinden sollen keine zusätzlichen
Abgeordneter Cramer ist verhindert. Statt dessen Lasten aufgebürdet werden. Darüber hinaus ist im
wird der Vorsitzende des Ausschusses, Herr Abge- § 15 für sie und sonstige finanzschwache beteiligte
ordneter Bleiß, den Bericht erstatten. Baulastträger eine besondere Zuschußregelung vor-
gesehen.
Dr. Bleiß (SPD) : Herr Präsident! Meine sehr ge- 4. Die Verfahrensvereinfachung war ein besonde-
ehrten Damen und Herren! Der Berichterstatter, res Anliegen. In erster Linie sollen sich die Beteilig-
Herr Kollege Cramer, der wegen einer Verkehrsbe- ten einigen. Entgegen der Regierungsvorlage soll
hinderung heute hier nichtanwesend sein kann, hat auch ein doppeltes Anhörungsverfahren, einmal im
mich beauftragt, Ihnen folgende redaktionelle Ände- Kreuzungsrechtsverfahren und dann im Planfest-
rung vorzutragen: Auf Seite 3 des Schriftlichen Be- stellungsverfahren, vermieden werden. Dem dient
richts Drucksache IV/1206 muß es zu § 9 in Zeile 12 die Verbindung beider Verfahren, wobei für die An-
statt „Vereinbarung" heißen: „Vereinigung". Ich hörung eine Landesbehörde zuständig sein soll.
bitte Sie höflichst, diese Änderung vorzunehmen. Nach unserer Meinung ist das verfassungsrechtlich
unbedenklich.
Vizepräsident Dr. Schmid: Wir treten in die Finanzielle Mehrbelastungen, die auf den Bund zu-
zweite Beratung ein. Ich rufe auf § 1, — 2, — 3, — kommen, dürfen nicht zu Lasten des Straßenbauhaus-
4,-5,-6,-7,-8,-9,-10,-11,-11a,- halts gehen, sondern nur da, wo Bundesfernstraßen
11b,—§ 12 entfällt — § 13,-14,-14a,-15,- beteiligt sind.
16, — 17, — 18, — 19, — Einleitung und Überschrift.
Es wird zweckmäßig sein, wenn der Bundesmini-
— Wer diesen Bestimmungen zustimmen will, gebe
ster für Verkehr im Zusammenwirken mit den für
das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen?
— Ich stelle einstimmige Annahme fest. die Eisenbahnen und Straßen zuständigen Landes-
ministern ein mehrjähriges Programm für die Besei-
Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen. tigung von Bahnübergängen aufstellt.
Wir haben gemeinsam etwas Gutes und Prakti-
Ich rufe den Entwurf zur kables zu schaffen versucht. Ein Gesetz kann noch
dritten Beratung so gut sein, es wird Ordnung und Wohlfahrt nur
bringen, wenn es von Menschen mit gutem Willen
auf. Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Es sol- und verständigem Gemeinsinn angewendet wird. Zu
len Erklärungen abgegeben werden. Das Wort hat einem solchen Verhalten die Kreuzungspartner auf-
zunächst Herr Abgeordneter Lemmrich. zurufen, sollten das Hohe Haus und die Bundes-
regierung nicht müde werden.
Lemmrich (CDU/CSU) : Herr Präsident! Meine (Beifall bei der CDU/CSU.)
sehr geehrten Damen und Herren! Namens der
Fraktion der CDU/CSU möchte ich zur Verabschie-
dung des Eisenbahnkreuzungsgesetzes folgende Er- Vizepräsident Dr. Schmid: Das Wort zu einer
klärung abgeben. Erklärung hat der Abgeordnete Dr. Bleiß,
Das alte Eisenbahnkreuzungsgesetz stellt für die
Eisenbahnen eine erhebliche Belastung dar und hat Dr. Bleiß (SPD) : Herr Präsident! Meine sehr ge-
in der praktischen Durchführung besonders in den ehrten Damen und Herren! Wenn wir heute das
letzten Jahren Schwierigkeiten gezeigt. Die große vorliegende Gesetz verabschieden, dann können wir
Unfallhäufigkeit an Bahnübergängen fordert in das leider nicht mit der Gewißheit tun, daß damit
höherem Maße, als es bisher der Fall war, die Be- endgültig grünes Licht für die schnelle Beseitigung
seitigung dieser alle. Verkehrsteilnehmer gefährden- der zur Zeit bestehenden 47 200 Bahnübergänge ge-
den Kreuzungspunkte. Die Neuregelung des Eisen- geben ist.
bahnkreuzungsrechtes ist .daher ein dringendes An- Bei den Beratungen im Ausschuß hat das Bundes-
liegen, das alle Bürger unseres Landes angeht. verkehrsministerium ein sehr umfangreiches Mate-
Die Fraktion der CDU/CSU begrüßt auf Grund rial vorgelegt. Unter Verwendung komplizierter
dieses Sachverhalts die von den beteiligten Aus- Formeln ist mit einiger Genauigkeit errechnet wor-
schüssen vorgenommenen Änderungen gegenüber den, wieviel unbedingt beseitigungsbedürftige Kreu-
zungen an den verschiedenen Stichtagen entweder
dem Regierungsentwurf. Dabei waren die folgenden
Leitgedanken maßgebend: vorhanden sind oder vorhanden sein werden, Kreu-
zungen also, die verkehrshemmend sind, d. h. bei
1. Die Praktikabilität des Gesetzes muß an erster der Zunahme des Verkehrs zu einem fühlbaren, teil-
Stelle aller Überlegungen stehen. Nur so kann dem weise unerträglichen Hindernis im Verkehrsfluß ge-
Gefahrenpunkt Kreuzung von Schiene und Straße worden sind. Das Bundesverkehrsministerium ist
tatkräftig zuleibe gerückt werden. dabei zu sehr beachtenswerten Ergebnissen gekom-
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 77. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Mai 1963 3765
Dr. Bleiß
men, nämlich, daß schon im Jahre 1960 1414 dieser versetzt werden, ihren Anteil an den Kosten aufzu-
unbedingt beseitigungsbedürftigen Kreuzungen vor- bringen. Der Entwurf bringt also lediglich einen
handen waren, daß sich die Zahl bis 1970 auf 2500 neuen Kostenverteilungsschlüssel, und diesem Ver-
und bis 1980 auf 3600 erhöhen wird. teilungsschlüssel stimmen wir zu, weil er der Bun-
Meine Damen und Herren! In den Unterlagen, die desbahn und den Gemeinden eine Entlastung bringt.
vom Verkehrsministerium im Ausschuß vorgelegt Der Ausschuß für Verkehr, Post- und Fernmelde-
wurden, wird u. a. gesagt: wesen war aber einmütig der Meinung — das ist
Unter der Voraussetzung einer Intensivierung auch in der Erklärung von Herrn Kollegen Lemm-
der Entwurfs- und Planungsarbeiten und unter rich zum Ausdruck gekommen —, daß die vom Bund
Berücksichtigung der voraussichtlich zur Ver- in seiner Eigenschaft als dritter Kostenpartner zu
fügung stehenden Baukapazität kann damit ge- tragenden Mittel im Haushalt besonders bereitge-
rechnet werden, daß die für den Zeitraum bis stellt werden müssen. Dieser Auffassung des Ver-
zum Jahre 1970 ermittelten 2500 Bahnübergänge kehrausschusses treten wir bei; sie bestimmt unsere
bis zum Jahre 1980 beseitigt oder entlastet sind. Haltung zum Gesetz. Wir halten es für keine ver-
Diese Prognose deckt sich mit dem Ausbauplan nünftige Verkehrsfinanzpolitik, wenn man ein Loch
der Bundesfernstraßen, nach dem bis zum Jahre dadurch zu stopfen versucht, daß man das andere
1970 festgestellter Bedarf bis zum Jahre 1980 be- um so mehr aufreißt. Wir würden es für eine gerade-
wältigt sein soll. Diese Parallele zu ziehen, zu verhängnisvolle Verkehrsfinanzpolitik halten,
wenn die ohnehin schon völlig unzureichenden
— heißt es in den Unterlagen — Straßenbaumittel weiter gekürzt würden, um Ver-
ist auch deswegen berechtigt, weil jedenfalls in pflichtungen aus dem Kreuzungsgesetz zu erfüllen.
einem Teil der Fälle die Beseitigung oder Ent- Die SPD-Fraktion wird 'dem Eisenbahnkreuzungs-
lastung eines Bahnübergangs nicht ohne vor- gesetz zustimmen. Wir stimmen dem Gesetz zu,
herigen oder gleichzeitigen Ausbau der beten weil es der Bundesbahn und den Gemeinden, soweit
ligten Straße durchgeführt werden kann. sie Kreuzungen beseitigen, eine fühlbare Entlastung
Meine Damen und Herren, aus diesen Unterlagen bringt.
ergibt sich, daß seitens des Bundesverkehrsministe- Eine Diskussion über die materielle Grundlage ist
riums hier eingestanden wird, daß wir nicht nur hin- im Augenblick verfrüht und nicht möglich, weil das
sichtlich der Kreuzungen, sondern auch hinsichtlich Gesetz erst am 1. Januar 1964 in Kraft tritt. Die
des Bundesfernstraßenbaus rund ein Jahrzehnt hin- finanziellen Notwendigkeiten müssen im Haushalt
ter dem Erfordernis der Motorisierung einherhinken, 1964 ihren Niederschlag finden. Wir werden auf das
und wir sind der Meinung, daß diese Prognose nicht finanzielle Erfordernis, das sich aus diesem Gesetz
etwa pessimistisch, sondern eher noch optimistisch ergibt, zurückkommen, wenn uns die Haushaltsan-
und der Rückstau noch wesentlich größer ist. sätze für das kommende Jahr bekannt sind.
Nach den Unterlagen des Bundesverkehrsministe- (Beifall bei der SPD und in der Mitte.)
riums kostet die Beseitigung eines Bahnübergangs
rund 2,8 Millionen DM. Allein bezogen auf die 1500
Übergänge, die heute beseitigungsreif sind — also Vizepräsident Dr. Schmid: Das Wort zur Ab-
Verkehrshindernisse darstellen —, bedeutet das gabe einer Erklärung hat der Abgeordnete Eisen-
einen Aufwand von rund 4,2 Milliarden DM, der für mann.
diesen Zweck erforderlich wäre.
Die Beseitigung des derzeitigen Überhanges an be- Eisenmann (FDP) : Herr Präsident! Meine sehr
seitigungsbedürftigen Kreuzungen, über acht Jahre verehrten Damen und meine Herren! Ich kann mich
verteilt, würde einen jährlichen Mehraufwand von im wesentlichen den Ausführungen meiner beiden
rund 500 Millionen DM 'bedeuten; und damit komme Herren Vorredner anschließen. Es gibt keine Zwei-
ich zur Kernfrage, nämlich zur finanziellen Grund- fel darüber, daß das Gesetz, das dieses Hohe Haus
lage des Gesetzentwurfs. Im Ausschuß haben wir verabschieden soll, eigentlich das im Verkehrs-
uns bemüht, die Finanzierungsfrage zu klären, bereich bedeutendste ist. Sie wissen, daß rund
haben aber keine Klarheit darüber gewinnen kön- 31 000 km Schienen sich mit rund 140 000 km klassi-
nen, ob und bis zu welchem Umfange der Kreuzungs- fizierter Straßen an 64 900 Stellen kreuzen. Davon
plan überhaupt bedient werden kann. So bringt nach sind 36 400 Stellen niveaugleiche Kreuzungen. Daß
unserer Auffassung der Gesetzentwurf eine Neue- an diesen niveaugleichen Kreuzungen Gefahren-
rung und eine Besserung in der Kostenverteilung. quellen vorhanden sind, darüber gibt es gar keinen
Zweifel. Sie wissen es vermutlich, daß allein pro
Es ist aber keineswegs so, daß mit der Verabschie-
Jahr im Durchschnitt 140 bis 150 Menschen an ni-
dung des Entwurfs die Problematik einer Beseitigung
der verkehrsgefährdenden und verkehrshemmenden veaugleichen Kreuzungen von Schienen und Stra-
ßen ums Leben kommen.
Bahnübergänge gelöst wäre. Das hängt davon ab,
welche Mittel der Bundesbahn und den nichtbundes- Wir haben also Ursache, zur Verabschiedung die-
eigenen Eisenbahnen für die Beseitigung der Kreu- ses Gesetzes beizutragen, und das war mit der Grund
zungen zur Verfügung stehen; denn in allen Fällen dafür, daß der vorliegende Entwurf vom Verkehrs-
sind die Schienenbahnen mit einem Drittel an den ausschuß und den mitberatenden Ausschüssen be-
Kosten beteiligt. Das Kreuzungsgesetz bleibt ein schleunigt behandelt worden ist. In diesem Gesetz
leerer Mantel, wenn die Beteiligten — und dazu werden die Zuständigkeiten und die Verantwortung
gehört auch die Bundesbahn — nicht in die Lage für die Rechtsverhältnisse der Betroffenen umfas-
3766 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 77. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Mai 1963

Eisenmann
send geklärt. Wir glauben, daß auch hinsichtlich der Wir Freien Demokraten sehen in dem Gesetz ei-
materiellen Belastung der Betroffenen eine gute nen Beitrag zur Verbesserung der Verkehrssicher-
Lösung gefunden worden ist. Meine Herren Vorred- heit, zu einer flüssigeren Abwicklung des Verkehrs
ner haben darauf hingewiesen, daß es uns im Ver- schlechthin und damit zum Nutzen aller Verkehrs-
kehrsausschuß wesentlich darauf angekommen ist, teilnehmer und nicht zuletzt zum Nutzen unserer
eine gerechte Kostenregelung zu finden, aber gleich- gesamten Volkswirtschaft. Die FDP-Fraktion wird
zeitig ein praktikables Gesetz zu schaffen. Wir ha- deshalb dem Gesetz zustimmen.
ben ein gewisses Mischsystem gefunden im Sinne
einer Kostenverteilung und eines Veranlassungs- (Beifall bei den Regierungsparteien.)
prinzips auf der anderen Seite, wobei wir gleich-
zeitig wußten, daß die schwächsten Baulastträger,
Vizepräsident Dr. Schmid: Weitere Wort-
die Kommunen, angemessen entlastet werden muß-
meldungen liegen nicht vor. Wir kommen zur Ab-
ten. Wir haben allein 29 500 Kreuzungen der
stimmung. Wer dem Gesetz zustimmen will, möge
Schiene mit Gemeindewegen, d. h. bei 84 % der
sich erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? —
niveaugleichen Kreuzungen handelt es sich um
Ich stelle einstimmig Annahme fest.
Kreuzungen mit Gemeindewegen. Es ist klar, daß
die Gemeinden diese Frage nach dem bisherigen Wir haben dann noch über den Antrag des Aus-
Veranlagungsprinzip nicht lösen konnten, da sie schusses unter Ziffer 2 abzustimmen, die zu dem
nicht über die notwendige Finanz-, Steuer- und Gesetz eingegangenen Petitionen für erledigt zu er-
Wirtschaftskraft verfügen. klären. - Das Haus ist einverstanden.
Ich glaube, wir haben mit dem jetzigen Misch- Ferner haben wir noch eine formale Wahl vorzu-
system ein Verhältnis gefunden, das den Belangen nehmen. Für den aus dem Bundestag ausgeschie-
der Gemeinden angemessen Rechnung trägt. Herr denen Abgeordneten Wittrock hat die Fraktion der
Kollege Lemmrich sprach von einer praktikablen SPD mit Schreiben vom 15. Mai den Abgeordneten
Lösung. Das kann man wohl wirklich sagen. Die zu- Dr. Schäfer als Mitglied des Wahlprüfungsausschus-
ständigen Ausschüsse haben sich auf Grund des uns ses benannt. - Das Haus ist mit diesem Vorschlag
vom Verkehrsministerium zur Verfügung gestellten einverstanden; dann ist der Abgeordnete Dr. Schä-
Materials eingehend mit dieser komplexen Materie fer gewählt.
befaßt. Wir sind der Auffassung, daß durch dieses
Gesetz die Verkehrsverhältnisse durchaus verbes- Damit sind wir am Ende unserer Tagesordnung.
sert werden können und die Gefahrenlage an den Ich habe noch bekanntzugeben, daß heute ab
Kreuzungen behoben werden kann. Ebenfalls kön- 15 Uhr und morgen Ausschüsse tagen können,
nen durch dieses Gesetz die Wettbewerbsverzerrun- jedoch besteht für morgen keine Präsenzpflicht.
gen herabgemindert werden.
Ich berufe die nächste Sitzung ein auf Mittwoch,
Wir wünschen, daß das Gesetz recht bald vom den 19. Juni 1963, 9 Uhr, und schließe die heutige
Bundesrat verabschiedet wird. Der Bundesrat sollte Sitzung.
recht bald seine Zustimmung geben, damit das Ge-
setz am 1. Januar kommenden Jahres in Kraft tre-
ten kann. (Schluß der Sitzung: 12.30 Uhr).
Deutscher Bundestag - 4. Wahlperiode - 77. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Mai 1963 3767

Anlagen zum Stenographischen Bericht

Anlage 1 Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich

Liste der beurlaubten Abgeordneten Margulies* 16. 5.


Marx 17. 5.
Abgeordneter) beurlaubt bis einschließlich Mattick 17. 5.
Mauk* 16. 5.
Dr. Aigner* 16. 5. Dr. h. c. Menne (Frankfurt) 16. 5.
Arendt (Wattenscheid) * 16. 5. Dr. von Merkatz 17. 5.
Dr. Arndt (Berlin) 31. 5. Metzger* 16. 5.
Dr. Atzenroth 17. 5. Michels 16. 5.
Dr.-Ing. Balke 17. 5. Missbach 18. 5.
Bausch 16. 5. Dr. Mommer 15. 7.
Bazille 17. 5. Dr. Morgenstern 17. 5.
Bergmann * 16. 5. Müller (Nordenham) 17. 5.
Beuster 10. 6. Müller-Hermann* 16. 5.
Birkelbach * 16. 5. Nellen 17. 5.
Birrenbach 16. 5. Ollenhauer 17. 5.
Böhme (Hildesheim) 6. 6. Peters (Norden) 19. 5.
Brünen 8. 6. Dr.-Ing. Philipp* 16. 5.
Dr. Burgbacher* 16. 5. Frau Dr. Probst* 16. 5.
Corterier 31. 5. Rademacher* 16. 5.
Cramer 17. 5. Ramms 17. 5.
Dr. Deist* 16. 5. Ravens 18. 5.
Deringer* 16. 5. Frau Renger 31. 5.
Dr. Dichgans* 16. 5. Richarts* 16. 5.
Dr. Effertz 16. 5. Rohde 16. 5.
Frau Dr. Elsner* 16. 5. Sander 17. 5.
Even (Köln) 18. 5. Scheppmann 16. 5.
Faller* 16. 5. Schulhoff 17. 5.
Figgen 15. 6. Schwabe 16. 5.
Franke 17. 5. Seifriz* 16. 5.
Dr. Dr. h. c. Friedensburg * 16. 5. Soetebier 16. 5.
Funk (Neuses am Sand) 25. 5. Spitzmüller 17. 5.
Dr. Furler* 16. 5. Dr. Stammberger 16. 5.
Gontrum 17. 5. Dr. Starke 16. 5.
Gscheidle 16. 5. Stauch 17. 5.
Dr. h. c. Güde 17. 5. Dr. Stecker 18. 5.
Haage (München) 21. 5. Stein 16. 5.
Hahn (Bielefeld) * 16. 5. Dr. Steinmetz 17. 5.
Dr. Harm (Hamburg) 17. 5. Storch 17. 5.
Heiland 19. 5. Frau Strobel* 16. 5.
Dr. Hellige 17. 5. Sühler 17. 5.
Hermsdorf 17. 5. Dr. Toussaint 17. 5.
Hirsch 24. 5. Wächter 17. 5.
Höhmann (Hessisch Lichtenau) 17. 5. Weinkamm* 16. 5.
Dr. Huys 17. 5. Wittmer-Eigenbrodt 31. 7.
Illerhaus 17. 5. Zoglmann 31. 5.
Dr. Jungmann 18. 5.
Kaffka 17. 5.
Kalbitzer* 16. 5.
Frau Kettig 22. 5.
Anlage 2
Killat 16. 5.
Klinker* 16. 5. Schriftliche Antwort
Dr. Kreyssig* 16. 5.
Kriedemann* 16. 5. des Herrn Staatssekretärs Dr. Westrick vom 14. Mai
Kühn (Hildesheim) 18. 5. 1963 auf die Mündlichen Anfragen des Abgeordne-
Lemmer 17. 5. ten Jacobi (Köln) (Drucksache IV/1217, Fragen IX/1
Lenz (Brühl) * 16. 5. und IX/2) :
Dr. Löhr* 16. 5. Ist der Bundesregierung bekannt, daß bisher vom Saarland
Lücker (München) * 16. 5. belieferte Versorgungsunternehmen des süddeutschen Raumes
mit dem Ablauf des Kohlenwirtschaftsjahres (31. März 1963) nur
Dr. Mälzig 17. 5. noch zu wesentlich verschlechterten Preisen und Bedingungen
mit Gaskohle beliefert werden?
Ist die Bundesregierung der Überzeugung, daß die für das
* Für die Teilnahme an einer Tagung des Europäischen in Frage IX/1 erwähnte Geschäftsgebaren gegebene Begründung
(Rationalisierungsmaßnahmen in Verbindung mit Grubenstill-
Parlaments legungen) zutreffend und vertretbar ist?
3768 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 77. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Mai 1963

I
Zur Frage IX/1 keit und Leistungskraft des Steinkohlenbergbaus
Der Bundesregierung ist bekannt, daß ein Teil der zu steigern. Der Saarbergwerke AG kann es daher
Versorgungsunternehmen im süddeutschen Raum m. E. nicht verwehrt werden, ihre Erlöse durch maß-
ab 1. April 1963 nicht mehr zu den bisherigen Son- volle Preiskorrekturen zu verbessern, wenn der
derpreisen und -bedingungen von den Saarbergwer- Markt eine solche Verbesserung erlaubt und diese
ken beliefert wird. Preiserhöhung durch die Kostenentwicklung bedingt
ist. Jedenfalls erscheint es vernünftiger, den Weg
Die Saarbergwerke mußten sich seit dem Kohlen- einer maßvollen Preiskorrektur zu wählen, als sich
wirtschaftsjahr 1958/59 vielfach den Konkurrenzprei- im Wege von Subventionen den unerläßlich not-
sen und den Sonderbedingungen des Ruhrbergbaus wendigen Ausgleich zu verschaffen.
anpassen, wenn sie ihre Produktion bei den Versor-
gungsunternehmen. des süddeutschen Raumes ab-
setzen wollten. Hierzu sind sie durch die Bestim-
mungen des Montanunion-Vertrages berechtigt. Anlage 3
Es wurden daher mit einem Großteil dieser Ver-
braucher entsprechende langfristige Verträge mit Schriftliche Antwort
unterschiedlichen Laufzeiten abgeschlossen. Soweit
des Herrn Staatssekretärs Hopf vom 16. Mai 1963
es sich hierbei um Verträge mit dreijähriger Dauer
auf die Mündlichen Anfragen des Abgeordneten
handelte, sind diese mit dem 31. März 1963 ausge-
Höhmann (Hessisch Lichtenau) Drucksache IV/1250
laufen. Neue derartige Verträge werden von den
(Fragen XII/1 und XII/2):
Saarbergwerken aus Erlösgründen 'vorerst nicht ab-
geschlossen. Ist dem Herrn Bundesverteidigungsminister bekannt, daß
Bundesfinanzhilfen für Schulbauten als Folgeeinrichtungen bei
militärischen Bauvorhaben und Wohnsiedlungen teilweise so
Wie bekannt, weist die Entwicklung im Steinkoh- verspätet gewährt werden, daß die Schulausbildung der Kinder
lenbergbau im ganzen Bundesgebiet steigende Ko- der am Dienstort wohnenden Soldaten gefährdet ist?
sten auf, die bisher nur zum Teil durch Rationalisie- ist es mit der Fürsorgepflicht des Staates gegeniiber seinen
Soldaten vereinbar, daß die Bundesfinanzhilfen für Folgeein-
rungen, Stillegungen usw. ausgeglichen werden richtungen in ihrer Gesamtsumme weit unter dem tatsächlichen
Bedarf liegen?
konnten. Infolgedessen sahen sich auch die Saar-
bergwerke gezwungen, verschiedene Preisvergünsti- Mir ist bekannt, daß seit einiger Zeit die Bundes-
gungen, die sie in früherer Zeit eingeräumt hatten, finanzhilfen mit erheblicher Verspätung gewährt
aufzuheben. werden. Dadurch treten Verzögerungen bei Schul-
Zur Frage IX/2 bauten und bei anderen, insbesondere kommuna-
len Folgemaßnahmen ein, die für den Schulunter-
Diese Frage steht im Zúsamenhang mit der Frage richt und für andere Dinge unangenehm sind.
IX/ 1. Die Verzögerungen in der Gewährung der Bundes-
Wie hierzu bereits dargelegt, waren auch die finanzhilfen liegen daran, daß die Geldmittel nicht
Saarbergwerke zu Rationalisierungsmaßnahmen und ausreichen, um die nötigen Aufgaben schnell durch-
im Zusammenhange damit zu Zechenstillegungen ge- zuführen.
nötigt. Nach meiner Unterrichtung reichen die bis-
Ich habe bereits angeregt, diese Sache in den zu-
herigen Rationalisierungserfolge jedoch nicht aus,
ständigen Ausschüssen des Deutschen Bundestages
um die Erhöhung der Arbeits- und Materialkosten
zu besprechen, um eine Abhilfe zu finden. Bis dies
voll auszugleichen. Ein teilweiser Ausgleich muß da-
grundsätz4ich möglich ist, werde ich mit dem Bundes-
her anderweitig — d. h. über den Preis — gesucht
minister der Finanzen erwägen, Bindungsermächti-
werden.
gungen zu erlangen, damit wenigstens Zusagen für
Die Bundesregierung sieht Preiserhöhungen selbst- das nächste Jahr gegeben werden und damit die
verständlich nicht gern. Andererseits aber ist es Gemeinden usw. endgültig planen und die Rest-
das Ziel der Energiepolitik, die Wettbewerbsfähig- finanzierung sicherstellen können.

Das könnte Ihnen auch gefallen