Sie sind auf Seite 1von 8

2. Deutscher Bundestag — 46. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5.

Oktober 1954 2227

Präsident D. Dr. Ehlers: Ich danke vielmals.


Meine Damen und Herren, der an Stelle des
verstorbenen Abgeordneten Tenhagen in den
Bundestag eingetretene Abgeordnete Mißmahl
nimmt zum erstenmal an der Sitzung teil. Ich
heiße Sie in unserem Kreise herzlich willkommen,
Herr Kollege Mißmahl.
Am 29. September hat der Abgeordnete Dewald
seinen 62. Geburtstag gefeiert, am 1. Oktober Herr
Abgeordneter Richter seinen 60. Geburtstag. Ich
gratuliere beiden Abgeordneten herzlich.
(Beifall.)
Die übrigen amtlichen Mitteilungen werden
ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht
46. Sitzung aufgenommen:
Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 1. Oktober 1954 zu
den nachstehenden Gesetzen einen Antrag gemäß Art. 77 Abs. 2
Bonn, Dienstag, den 5. Oktober 1954. des Grundgesetzes nicht gestellt:
Gesetz über die Abwicklung der Bundesstelle für den Waren-
verkehr der gewerblichen ,Wirtschaft und die Errichtung
eines Bundesamtes für gewerbliche Wirtschaft (Gesetz über
Geschäftliche Mitteilungen 2227 B das Bundesamt für gewerbliche Wirtschaft);
Begrüßung des neu in den Bundestag einge- Gesetz über das Seelotswesen.
tretenen Abg. Mißmahl 2227 C Der Herr Bundesminister der Finanzen hat unter dem 25. Sep-
tember 1954 die Kleine Anfrage 48 der Fraktion der FDP be-
Glückwünsche zu Geburtstagen der Abg treffend Ehrensold für Bombenentschärfer — Drucksache 411 —
Dewald und Richter 2227 C beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 852 verviel-
fältigt.
Beschlußfassung des Bundesrats zu Gesetzes- Der Herr Bundesminister des Innern hat unter dem 1. Ok-
beschlüssen des Bundestags 2227 C tober 1954 die Kleine Anfrage 106 der Fraktion der DP betref-
fend Unterbringung der unter Art. 131 des Grundgesetzes fal-
lenden Lehrpersonen — Drucksache 802 — beantwortet. Sein
Mitteilung über Beantwortung der Kleinen Schreiben wird als Drucksache 854 vervielfältigt.
Anfragen 48, 106, 107, 108 (Drucksachen
Der Herr Bundesminister des Innern hat unter dem 28. Sep-
411, 852; 802, 854; 806, 853; 812, 855) . . . 2227 C tember 1954 die Kleine Anfrage 107 der Fraktion der DP be-
treffend Pensionsansprüche nach Art. 131 des Grundgesetzes
Entgegennahme einer Erklärung der Bundes- für Berechtigte mit ständigem Wohnsitz im Ausland — Druck-
regierung (Londoner Konferenz): sache 806—beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 853
vervielfältigt.
Dr. Adenauer, Bundeskanzler 2227 D Der Herr Bundesminister der Finanzen hat unter dem 30. Sep
tember 1954 die Kleine Anfrage 108 der Fraktion der SPD be-
Nächste Sitzung 2234 C treffend Vorlage eines Gesetzentwurfs über die Regelung der
Verhältnisse der Pensionskasse deutscher Eisenbahnen und
Straßenbahnen — Drucksache 812 — beantwortet. Sein Schreiben
- wird als Drucksache 855 vervielfältigt.

Die Sitzung wird um 14 Uhr 3 Minuten durch Wir treten in die Tagesordnung ein. Einziger
den Präsidenten D. Dr. Ehlers eröffnet. Punkt der heutigen Tagesordnung ist die
Präsident D. Dr. Ehlers: Meine Damen und Her- Entgegennahme einer Erklärung der Bun-
ren! Ich eröffne die 46. Sitzung des Deutschen desregierung.
Bundestages und bitte um Bekanntgabe der Namen Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
der entschuldigten Abgeordneten.
Dr. Adenauer, Bundeskanzler (von den Regie-
Frau Rösch, Schriftführerin: Es suchen für längere rungsparteien mit lebhaftem Beifall begrüßt): Herr
Zeit um Urlaub nach die Abgeordneten Stücklen Präsident! Meine Damen und meine Herren! Die
für weitere vier Wochen wegen dienstlicher In- Bundesregierung hat den Wunsch, das Hohe Haus
anspruchnahme und Frau Korspeter für drei Wo- unmittelbar nach dem Abschluß der Londoner Kon-
chen wegen Krankheit. ferenz über den Verlauf und die Ergebnisse der
Verhandlungen zwischen der Bundesrepublik
Präsident D. Dr. Ehlers: Ich nehme an, daß das Deutschland und den weiteren acht an der Konfe-
Haus mit der Erteilung dieses über eine Woche renz beteiligten Mächten zu unterrichten.
hinausgehenden Urlaubs einverstanden ist. — Das
ist der Fall. Ich darf zunächst kurz die Vorgänge darstellen,
die zur Einberufung der Londoner Konferenz ge-
Frau Rösch, Schriftführerin: Der Präsident hat führt haben. Die Bemühungen, eine wirksame Ver-
für zwei Tage Urlaub erteilt den Abgeordneten teidigung Europas aufzubauen und den freien
Bauknecht, von Hassel, Oetzel, Scheppmann, Böhm europäischen Nationen Sicherheit zu gewährleisten,
(Düsseldorf), Dr. Horlacher, Dr. Oesterle, Schwarz, hatten sich seit zwei Jahren in erster Linie darauf
Richter, Gefeller und Dr. Franz. gerichtet, den Vertrag über die Europäische Vertei-
Für einen Tag ist Urlaub erteilt den Abgeord- digungsgemeinschaft zu verwirklichen.
neten Dr. Reif, Jahn (Frankfurt), Hansen (Köln), Nachdem die Benelux-Länder und die Bundes-
Dr. Friedensburg, Diekmann, Spies (Brücken), Leib- republik den EVG-Vertrag ratifiziert hatten und
fried, Jacobi, Jacobs, Mensing, Ziegler, Dr. Wels- auch die Ratifikation des Deutschland-Vertrages in
kop, Dr. Gülich, Dr. Baade, Rehs, Mellies, Birkel- den Vereinigten Staaten, in Großbritannien und
bach, Dr. Gleissner (München), Dr. Czaja und der Bundesrepublik durchgeführt worden war,
Keuning. stand die für das Ganze entscheidende Frage, ob
2228 2. Deutscher Bundestag — 46. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. Oktober 1954
(Bundeskanzler Dr. Adenauer)
das französische Parlament die Verträge anneh- 1. Fortführung der Politik der europäischen
men würde, im Mittelpunkt einer besorgten Auf- Einigung mit allen dazu bereiten Völkern
merksamkeit. Der französische Ministerpräsident und auf allen dazu geeigneten Gebieten,
Mendès-France hatte bei seinem Amtsantritt er- Konsultationen über die weitere Behandlung
klärt, daß er es sich zum Ziel gesetzt habe, eine der militärischen Integration mit den Län-
schnelle Entscheidung des französischen Parlaments dern, die die EVG ratifiziert haben oder un-
über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft mittelbar vor der Ratifizierung stehen;
herbeizuführen. 2. Wiederherstellung der Souveränität;
In Frankreich waren die Meinungen geteilt. Die 3. Teilnahme an der westlichen Verteidigung
einen wollten nationale Vorrechte nicht aufgeben, ohne Diskriminierung;
die anderen erblickten in vornehmlich supranatio- 4. rechtliche Regelung des Aufenthalts von
nalen Lösungen einen gangbaren Weg. Auf beiden Truppen anderer Länder in der Bundesrepu-
Seiten haben zweifellos ernste Überzeugungen die blik durch Abschluß von Verträgen;
Haltung bestimmt.
5. unverzügliche Verhandlungen mit den Ver-
Alle Versuche, die Meinungsverschiedenheiten zu einigten Staaten von Amerika und Großbri-
überwinden, scheiterten. Die französische Regie- tannien.
rung glaubte, die Vorlage des Vertrages mit ihrer
eigenen Autorität nur unterstützen zu können, Dieser Beschluß der Bundesregierung ist die Di-
wenn die supranationale Struktur der Verteidi- rektive für das deutsche Vorgehen in dem Zeit-
gungsgemeinschaft abgeschwächt würde. Die Un- abschnitt bis zur Londoner Konferenz und bei den
terzeichnermächte des Vertrages kamen am 18. Verhandlungen in London selbst geblieben.
August in Brüssel zusammen, um sich mit den Vor- Die Einheit der freien Welt, die die wirksamste
schlägen der französischen Regierung zu befassen. Garantie für die Erhaltung der Sicherheit und Frei-
Alle französischen Vorschläge ließen sich jedoch heit der westlichen Nationen darstellt, war in
ohne eine neue parlamentarische Behandlung des diesen Wochen ernsthaft bedroht. Die Gefahr, daß
Vertrages durch alle Unterzeichnerstaaten nicht in Europa ein politisch und militärisch unbestimm-
verwirklichen. Auch waren sie nach der Auffassung ter Raum, ein Vakuum entstehen könnte, mußte
aller anderen Unterzeichnerstaaten der EVG sach- so schnell wie möglich abgewendet werden. Eine
lich nicht durchführbar. genaue Analyse der weltpolitischen Entwicklung
In dem Bemühen, den französischen Wünschen seit dem Ende der Berliner Konferenz ließ keine
entgegenzukommen, wurde ein vom belgischen Elemente erkennen, die die Notwendigkeit eines
Außenminister entworfener Gegenvorschlag unter Zusammenschlusses der freien europäischen Staa-
breitet, der aber der französischen Delegation ten abschwächten.
nicht genügte. Die Konferenz wurde am 22. August (Sehr richtig! in der Mitte.)
ergebnislos beendet. Trotz der unüberbrückbaren Im Gegenteil, unbestreitbar hatten die kommu-
Meinungsverschiedenheiten zwischen der französi- nistisch geführten Länder eine Reihe von wichtigen
schen Delegation und der Auffassung der übrigen Vorteilen erreichen können, die sie in der Hoffnung
Unterzeichnermächte wurde in Brüssel doch deut- bestärken mußten, auch in Europa weiteren Boden
lich, daß alle beteiligten Regierungen nach wie vor zu gewinnen.
von der Notwendigkeit überzeugt waren,- daß das
Werk der europäischen Einigung fortgesetzt wer- (Sehr wahr! in der Mitte.)
den müsse. niese Überzeugung fand im Schluß- Eine derartige Aussicht konnte vor allen Dingen
kommuniqué der Konferenz ihren Ausdruck. Es für die Entwicklung in Deutschland verhängnisvoll
heißt dort wörtlich: werden. Die Verwirklichung der Politik der Zu-
Die Vertreter der sechs Regierungen haben sammenarbeit mit der westlichen Welt, die die
festgestellt, daß die Hauptziele ihrer europä- Bundesregierung vom Anbeginn ihrer Tätigkeit an
ischen Politik: Verstärkung der europäischen verfolgt hatte, durfte nicht länger hinausgezögert
Zusammenarbeit zum Schutze Westeuropas werden, wenn nicht das deutsche Vertrauen in die
gegen die Kräfte, die es bedrohen, Vermeidung Solidarität der freien Nationen erschüttert werden
jeglicher Neutralisierung Deutschlands, Beitrag sollte.
zur Wiedervereinigung Deutschlands und zu (Sehr richtig! in der Mitte. — Zuruf rechts:
seiner Beteiligung an der gemeinsamen Ver- Ausgezeichnet!)
teidigung, Suche nach einer politischen und
wirtschaftlichen Formel der westlichen Inte- Die drohende Gefahr eines inneren Zerfalls der
gration, unverändert bleiben. europäischen Gemeinschaft und die verhängnisvol-
len Auswirkungen dieses Vorgangs für die freie
Der Vertrag über die Europäische Verteidi- Welt wurden innerhalb und außerhalb Europas mit
gungsgemeinschaft wurde durch die französische voller Klarheit und Schärfe erkannt.
Nationalversammlung am 30. August abgelehnt. Es
wurde dadurch, meine Damen und meine Herren, Wie stellte sich insbesondere die Lage nach dem
in der ganzen freien Welt eine akute Krise aus- Wegfall der EVG für Deutschland dar? Die Folgen
gelöst. des Scheiterns der EVG für Deutschland sind vielen
Die Bundesregierung hat 48 Stunden nach die- nicht recht zum Bewußtsein gekommen.
sem Entscheid in einem Kabinettsbeschluß ihre (Sehr gut! Sehr richtig! in der Mitte.)
Linie für die zukünftige Führung der Außenpoli- Die Vorteile des Deutschland-Vertrages waren
tik bekanntgegeben. In dem Beschluß heißt es: weggefallen. Die Verpflichtung der Westmächte, die
In konsequenter Fortsetzung der bisherigen Wiedervereinigung und einen in Freiheit ausgehan-
Linie der deutschen Außenpolitik und in der delten Friedensvertrag für Deutschland herbeizu-
Überzeugung, daß nur auf diesem Wege die führen, sowie die Verabredung einer gemeinsamen
Wiedervereinigung Deutschlands in Frieden Politik zu diesem Zwecke waren nicht mehr vor-
und Freiheit herbeigeführt werden kann, wur- handen.
den folgende Ziele festgelegt: (Hört! Hört! in der Mitte.)
2. Deutscher Bundestag — 46. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. Oktober 1954 2229
(Bundeskanzler Dr. Adenauer)
Der Schutz unserer Sicherheit durch die automa- tischen Premierminister Sir Winston Churchill
tische Beistandspflicht der Mitglieder des EVG- undisbeormtchnAußeisr
Vertrages und Großbritanniens sowie durch die Eden zu danken.
BeistandpflchrübgMitedsNATO- (Beifall bei den Regierungsparteien.)
Paktes nach Maßgabe dieses Vertrages bestand
nicht mehr. Der Aufbau einer westlichen Verteidi- Es wird ein hervorragendes Verdienst des briti-
gung durch Einbeziehung des deutschen Beitrages, schen Außenministers bleiben, daß sich die Konfe-
der nicht nur für die Verteidigung des Westens renz der Neun Mächte in einem Geist der Koope-
überhaupt, sondern insbesondere für uns von vita- ration zusammenfand und das umfangreiche Ar-
ler Bedeutung war, war hinfällig geworden. Es beitsprogramm dieses für das Schicksal der west-
bestand die Gefahr, meine Damen und Herren, daß lichen Welt entscheidenden Zusammentreffens
die Vereinigten Staaten ihre Truppen aus Europa bewältigt werden konnte.
zurückziehen würden. (Erneuter Beifall bei den Regierungsparteien.)
(Hört! Hört! in der Mitte.) Ich möchte nicht unerwähnt lassen, daß auch die
technische Vorbereitung und Durchführung der
Der britische Außenminister, Mr. Eden, suchte
Konferenz vorzüglich organisiert waren. Ich möchte
am 11. September und an den darauffolgenden hier auch dafür danken, daß die deutsche Dele-
Tagen die Unterzeichnermächte des EVG-Vertrages gation, die zum ersten Male an einer internationa-
auf, um ihnen die Auffassung der britischen Regie- len Konferenz der Großmächte von weltpolitischer
rung darzulegen und um sich selbst einen Über- Bedeutung teilnahm, im Kreise der übrigen Dele-
blick über die Absichten der EVG-Staaten zu ver-
gationen eine freundschaftliche Aufnahme gefun-
schaffen. Seine Überlegungen bewegten sich etwa
den hat.
auf der folgenden Linie: 1. Der Besatzungszustand
in der Bundesrepublik sollte zu einem frühen (Erneuter Beifall bei den Regierungsparteien.)
Zeitpunkt beendet werden. 2. Der Brüsseler Pakt Bei der Darstellung der Ergebnisse der Londoner
sollte geändert und die Bundesrepublik und Italien Konferenz werde ich im wesentlichen die Reihen-
zum Beitritt aufgefordert werden. 3. Die Bundes- folge der behandelten Themen beibehalten, wie sie
republik sollte in die NATO eintreten und einen in der Schlußakte der Konferenz, die von den neun
Beitrag zur Verteidigung Europas leisten. Der Außenministern unterzeichnet wurde, enthalten ist.
Grundsatz der Nichtdiskriminierung sollte bei der Die in der Schlußakte der Londoner Konferenz
Verwirklichung dieser Pläne Anwendung finden. niedergelegten Beschlüsse regeln alle grundsätz-
lichen Fragen; sie sollen unverzüglich formuliert
Wenige Tage nach dem Besuch des britischen werden, so daß die erforderlichen Erklärungen,
Außenministers in Bonn fand ein ausführlicher
Abmachungen und Verträge auf den für die zweite
Meinungsaustausch der Bundesregierung mit dem
Oktoberhälfte in Aussicht genommenen Konferen-
amerikanischen Außenminister, Mr. J. Foster
zen der Vier Mächte, der Neun Mächte und der
Dulles, in Bonn statt, der ebenfalls dazu beitrug, NATO-Mächte unterzeichnet werden können. Ihr
geeignete Lösungen zu entwickeln, um die beste- Inkrafttreten hängt von der parlamentarischen Be-
henden Gefahren zu überwinden. Herr Foster
handlung innerhalb der verschiedenen Vertrags-
Dulles unterstrich in diesem Meinungsaustausch die
- Grund
Gefahr, daß die Vereinigten Staaten sich auf
staaten ab.
der Ablehnung der EVG vom Kontinent zurück- Es waren drei Gruppen von Problemen zu lösen:
ziehen würden, wenn nicht in absehbarer Zeit erstens die völkerrechtliche Stellung der Bundes-
konkrete Ergebnisse hinsichtlich der europäischen republik, zweitens der europäische Zusammen-
Einigung sie davon überzeugten, daß die euro- schluß auf der Grundlage des Brüsseler Paktes,
päische Integration trotz dieses Rückschlags fort- drittens ein deutscher Verteidigungsbeitrag im
gesetzt werde. Rahmen der NATO.
(Hört! Hört! in der Mitte.) Die erste Gruppe war von den Vier Mächten —
Frankreich, Vereinigtes Königreich, Vereinigte
Hinsichtlich der deutschen Souveränität verwies Staaten, Bundesrepublik —, die beiden anderen
er auf den einstimmigen Beschluß des amerikani- waren von den Neun Mächten zu behandeln. Trotz-
schen Senats vom 30. Juli dieses Jahres, in dem die
dem bilden alle Beschlüsse Teile einer allge-
amerikanische Regierung aufgefordert wird, für
meinen Regelung; sie formen ein Ganzes.
den Fall des Scheiterns der EVG die erforderlichen
Schritte zur Wiederherstellung der deutschen Sou- Im Abschnitt I der Schlußakte erklären die
veränität und für einen deutschen Verteidigungs- Regierungen Frankreichs, des Vereinigten König-
beitrag zu tun. reichs und der Vereinigten Staaten, daß sie die
Politik verfolgen, das Besatzungsregime in der
Die Bundesregierung unterhielt in diesem Zeit- Bundesrepublik so bald wie möglich zu be-
abschnitt auch mit allen anderen Mächten ständige
enden, das Besatzungsstatut aufzuheben und
und intensive diplomatische Kontakte. Als die bri- die Alliierte Hohe Kommission abzuschaffen.
tische Regierung ihre Einladung zu einer Konfe-
Die drei Regierungen werden weiterhin bestimmte
renz auf den 28. September nach London an die Verantwortlichkeiten in Deutschland wahrnehmen,
sechs EVG-Mächte, die Vereinigten Staaten und
die sich aus der internationalen Lage ergeben. Es
Kanada ergehen ließ, hatte sich die Bundesregie-
handelt sich hierbei um die Verpflichtungen, die
rung Gewißheit verschaffen können, daß die in-
sich aus den Vier-Mächte-Abmachungen hinsichtlich
zwischen entwickelten Pläne eine hinreichende Berlins und Gesamtdeutschlands ergeben und an
Grundlage für fruchtbare Verhandlungen darstell- deren Aufrechterhaltung wir ein besonderes Inter-
ten. Sie nahm daher die Einladung zur Konferenz esse haben. Die hierzu vereinbarten Abmachungen
an. können entweder vor den Abmachungen über den
Soweit, meine Damen und Herren, zur Vor- deutschen Verteidigungsbeitrag oder gleichzeitig mit
geschichte der Londoner Konferenz. Daß sie zu- ihnen in Kraft gesetzt werden. In der Zwischen-
stande kam, ist der britischen Regierung, dem bri zeit weisen die Drei Regierungen ihre Hohen Korn-
2230 2. Deutscher Bundestag — 46. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. Oktober 1954
(Bundeskanzler Dr. Adenauer)
missare an, unverzüglich im Geiste dieser Politik Wir haben bei den Partnerstaaten volles Verständ-
zu handeln. Ein Junktim zwischen der Wiederher- nis für die besondere Lage dieser Stadt und ihren
stellung der Souveränität und der Leistung eines Kampf für die Erhaltung der Freiheit gefunden.
Verteidigungsbeitrages besteht also nicht mehr. Ins- Wenn das Besatzungsregime dort aufrechterhalten
besondere werden die Hohen Kommissare keinen werden muß, so doch nur, weil dies zur Sicherung
Gebrauch von den Befugnissen machen, die aufge- der Freiheit in Berlin erforderlich ist.
geben werden sollen, es sei denn im Einvernehmen
mit der Bundesregierung. Für diese fünf Punkte gilt, daß alle anderen
NATO-Staaten aufgefordert werden, sich diesen
Neben der Erklärung über die Beendigung des Erklärungen anzuschließen.
Besatzungsregimes haben die Alliierten in einer be-
sonderen Erklärung die Frage der Wiedervereini- Die Bundesrepublik Deutschland hat sich ihrer-
gung und die Stellung Deutschlands innerhalb der seits bereit erklärt, ihre Politik gemäß den Grund-
westlichen Welt behandelt. Sie erklären: sätzen der Satzung der Vereinten Nationen zu ge-
stalten, und nimmt die in Art. 2 dieser Satzung ent-
Erstens. Die Alliierten betrachten die Regierung der haltenen Verpflichtungen an. Nach ihrem Beitritt
Bundesrepublik Deutschland als die einzige deutsche zum Nordatlantikpakt und zum Brüsseler Vertrag
Regierung, die frei und rechtmäßig gebildet wurde erklärt die Bundesrepublik Deutschland, daß sie
und daher berechtigt ist, für Deutschland als Ver- sich aller Maßnahmen enthalten wird, die mit dem
treter des deutschen Volkes in internationalen An- streng defensiven Charakter dieser beiden Verträge
gelegenheiten zu sprechen. unvereinbar sind. Insbesondere verpflichtet sich die
(Beifall bei den Regierungsparteien.) Bundesrepublik Deutschland, die Wiedervereini-
gung Deutschlands oder die Änderung der gegen-
Zweitens. Sie werden sich in ihren Beziehungen wärtigen Grenzen der Bundesrepublik Deutschland
mit der Bundesrepublik an die im Art. 2 der nicht mit gewaltsamen Mitteln herbeizuführen und
Satzung der Vereinten Nationen enthaltenen alle zwischen der Bundesrepublik und anderen
Grundsätze halten. Das heißt, daß sie die in der Staaten gegebenenfalls entstehenden Streitfragen
UNO aufgestellten Grundsätze des Zusammen- mit friedlichen Mitteln zu lösen.
lebens der Völker auch auf die Bundesrepublik an-
wenden. Eine solche Erklärung war nötig, weil die Zusammenfassend können wir feststellen: Das
Bonner Vertragswerk wird überprüft und umge-
Bundesrepublik j a noch nicht Mitglied der UNO ist.
formt. Diejenigen Vertragsteile, die überholt oder
Drittens. Eine zwischen Deutschland und seinen der neuen Situation nicht mehr angemessen sind,
früheren Gegnern frei vereinbarte friedensvertrag- werden gestrichen. Es ist nicht daran gedacht, alle
liche Regelung für Gesamtdeutschland, welche die Gegenstände neu zu verhandeln. Es wird in aller
Grundlage für einen dauerhaften Frieden legen soll, Deutlichkeit klargestellt werden, daß die Bundes-
bleibt ein wesentliches Ziel der alliierten Politik. republik die volle Macht eines souveränen Staates
Die endgültige Festlegung der Grenzen Deutsch- über ihre inneren und äußeren Angelegenheiten
lands muß bis zum Abschluß einer solchen Rege- haben wird.
lung zurückgestellt werden. (Beifall bei den Regierungsparteien.)
Viertens. Die Schaffung eines völlig freien und Die Notstandsklausel entfällt. Bis zu dem Augen-
vereinigten Deutschlands durch friedliche - Mittel blick, in dem sich die Bundesrepublik aus eigenem
bleibt ein grundsätzliches Ziel der Politik der Drei Recht die Möglichkeit schafft, bei einem Notstand
Mächte. die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, können
(Beifall bei den Regierungsparteien.) die Drei Regierungen noch eigene Maßnahmen für den
Schutz ihrer Truppen treffen, auch dies jedoch nur
Mit anderen Worten, meine Damen und Herren:
die Drei Mächte machen sich das wesentliche Ziel unter der Voraussetzung, daß auch die Bundes-
unserer Politik — die Wiedervereinigung — zu regierung solche Maßnahmen für erforderlich hält.
eigen und werden mit uns zusammenwirken, um es Ein neuer Truppenvertrag nach dem Modell des
NATO-Truppenstatuts wird ausgehandelt werden,
zu erreichen.
um den Truppenvertrag des Bonner Vertragswerks
(Erneuter Beifall bei den Regierungs abzulösen.
parteien.)
Auf finanziellem Gebiete ist es gelungen, zu einer
Fünftens. Die Sicherheit und das Wohl Berlins Gesamtvereinbarung zu kommen, die das Auslaufen
und die Aufrechterhaltung der dortigen Stellung des Besatzungskostenrechts, die Stationierungsver-
der Drei Mächte werden von den Drei Mächten als hältnisse während der Interimszeit und gewisse
wesentliche Elemente des Friedens in der gegen- Finanzfragen für die Zeit nach dem NATO-Eintritt
wärtigen internationalen Lage betrachtet. Dem- regelt. Die Bundesrepublik wird schnell auch finan-
entsprechend werden sie innerhalb des Gebiets von ziell den Status aller übrigen NATO-Staaten er-
Berlin Streitkräfte unterhalten, solange ihre Ver- halten. Es ist Sorge getragen, daß über alle Ver-
antwortlichkeiten dies erfordern. Sie bekräftigen pflichtungen neu verhandelt wird, wenn der Ein-
erneut, daß sie jeden Angriff gegen Berlin, von tritt in die NATO nicht bis zum 30. Juni 1955 voll-
welcher Seite er auch kommen mag, als einen An- zogen sein sollte.
griff auf ihre Streitkräfte und auf sich selbst behan-
deln werden. Ich komme jetzt zur Behandlung des Brüsseler
Vertrags. Ich darf zunächst folgendes in Erinnerung
(Beifall bei den Regierungsparteien.) rufen. Der Brüsseler Vertrag wurde am 17. März
Ich darf mit Nachdruck darauf hinweisen, daß 1948 zwischen Belgien, Frankreich, Luxemburg, den
sich die deutsche Delegation bei den Verhandlungen Niederlanden und Großbritannien geschlossen. Er
über diese Erklärung besonders für die Aufrecht- setzte sich zum Ziel, die wirtschaftlichen, sozialen
erhaltung der Sicherheit und der Freiheit Berlins und kulturellen Bindungen zwischen diesen Staaten
eingesetzt hat. zu verstärken. Die Unterzeichnermächte verpflich-
teten sich ferner zu gegenseitigem Beistand und
(Beifall bei den Regierungsparteien.) dazu, sich einer Erneuerung einer deutschen An-
2. Deutscher Bundestag — 46. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. Oktober 1954 2231
(Bundeskanzler Dr.. Adenauer)
griffspolitik zu widersetzen. Keiner der Vertrags- Mir scheint diese Erklärung des britischen Außen-
partner darf sich an irgendeiner Allianz beteiligen, ministers, die in Wahrheit — ich wiederhole das
die sich gegen einen der Mitgliedstaaten richtet. Wort — einen revolutionären Akt in der britischen
Der Vertrag stand weiteren Staaten, die sich zu den Politik darstellt, von solcher Bedeutung, daß ich sie
gleichen Zielen bekennen, offen. Er war auf 50 hier dem Hohen Hause im Wortlaut verlesen
Jahre geschlossen. möchte:
Nunmehr fordern die ursprünglichen Unterzeich- Das Vereinigte Königreich wird weiterhin auf
nerstaaten des Brüsseler Vertrags die Bundes- dem europäischen Festland einschließlich
republik und Italien auf, dem Brüsseler Pakt beizu- Deutschlands die tatsächliche Stärke der jetzt
treten. Diese Tatsache, meine Damen und Herren, SACEUR zugeteilten Streitkräfte — vier Divi-
beleuchtet mehr als jedes andere Ereignis die ver- sionen und die taktische Luftwaffe —, oder was
änderte Lage. immer SACEUR als gleichwertiges Kampfpoten-
(Sehr wahr! in der Mitte und rechts.) tial ansieht, unterhalten. Das Vereinigte König-
reich verpflichtet sich, diese Streitkräfte nicht
Dem Vertrag wird die betonte Spitze gegen gegen den Wunsch der Mehrheit der Mächte des
Deutschland genommen. Deutschland und Italien Brüsseler Vertrages zurückzuziehen, die ihre
treten als neue Mitglieder ein. Die gegenseitige Entscheidung in Kenntnis der Auffassung von
automatische Beistandsgarantie wird auf die beiden SACEUR treffen. Diese Verpflichtung würde
neuen Mitgliedstaaten ausgedehnt. mit dem Vorbehalt erfolgen, daß ein akuter Not-
In der Londoner Schlußakte heißt es unter dem stand in Übersee die Regierung Ihrer Majestät
Titel Brüsseler Vertrag: zwingen könnte, von diesem Verfahren abzu-
weichen. Falls zu irgendeiner Zeit die Unter-
Der Brüsseler Vertrag wird verstärkt und aus-
gebaut, um ihn zu einem wirksameren Kern der haltung von Streitkräften des Vereinigten
Königreiches auf dem europäischen Kontinent
europäischen Integration zu gestalten.
eine zu schwere Belastung der auswärtigen
Zu diesem Zwecke sind folgende Abmachungen Finanzen des Vereinigten Königreiches mit sich
vereinbart worden: bringen sollte, wird das Vereinigte Königreich
a) Die Bundesrepublik Deutschland und Italien den Nordatlantikrat ersuchen, die finanziellen
werden aufgefordert werden, dem Vertrag Bedingungen zu überprüfen, unter denen die
beizutreten, der in geeigneter Weise geändert Verbände unterhalten werden.
wird, um dem Ziel der europäischen Einheit In diesen Zusammenhang gehört auch die be-
Nachdruck zu verleihen; die beiden Staaten deutsame Erklärung des Außenministers der Ver-
haben sich zu diesem Beitritt bereit erklärt. einigten Staaten John Foster Dulles. Der amerika-
Das System der gegenseitigen automatischen nische Außenminister erklärte mit Ernst und star-
Beistandsleistung im Angriffsfalle wird da- kem Nachdruck, daß die Vereinigten Staaten die
mit auf die Bundesrepublik Deutschland und Zusage der Stationierung amerikanischer Truppen
Italien ausgedehnt. auf dem europäischen Kontinent nur dann erneuern
b) Die Struktur des Brüsseler Vertrags wird könnten, wenn durch die Beschlüsse der Londoner
verstärkt werden. Insbesondere wird der in Konferenz begründete Aussichten für die Verwirk-
dem Vertrag vorgesehene Konsultativrat ein lichung der europäischen Einheit geschaffen wür-
Rat mit Entscheidungsbefugnissen werden. den. Diese Erklärung ist für die amerikanische Hal-
tung von so großer Bedeutung, daß ich mich ver-
Im Zusammenhang mit dem deutschen Verteidi- pflichtet fühle, auch sie dem Hohen Hause zu ver-
gungsbeitrag erfährt der Aufgabenbereich des Brüs- lesen:
seler Paktsystems eine weitere Ausdehnung. Ich
werde mich dieser Frage zuwenden, sobald ich die Wenn die Hoffnungen, die in die EVG gesetzt
Regelung des deutschen Verteidigungsbeitrags worden sind, sinnvoll auf die Abmachungen
näher darlege. übertragen werden können, die das Ergebnis
dieser Konferenz sein werden, dann wäre ich
Der Sinn der erweiterten Brüsseler Organisation bestimmt bereit, dem Präsidenten zu empfehlen,
ist, die Mitgliedstaaten zur Verwirklichung gemein- die Zusicherung zu erneuern, die er im letzten
samer kultureller, politischer, wirtschaftlicher und Frühjahr im Zusammenhang mit dem Vertrag
militärischer Ziele zusammenzufassen. Die Neun über die Gründung der Europäischen Verteidi-
Mächte haben eine enge Zusammenarbeit zwischen gungsgemeinschaft angeboten hat. Diese Zu-
dem Brüsseler Paktsystem und der NATO beschlos- sicherung würde dahin gehen, daß die Vereinig-
sen. Das allgemeine Bestreben wird sein, auch die ten Staaten weiterhin in Europa einschließlich
Nordatlantikpakt-Organisation nicht ausschließlich Deutschlands die Verbände ihrer Streitkräfte
als ein rein militärisches Instrument zu behandeln. belassen werden, die gegebenenfalls erforderlich
Daß es während der Londoner Verhandlungen ge- und angemessen sind, um ihren fairen Anteil zu
lang, Einigkeit über die Erweiterung und den Aus- den Streitkräften beizutragen, die für die ge-
bau des Brüsseler Pakts herbeizuführen, war nur meinsame Verteidigung des nordatlantischen
möglich, weil die britische Regierung in einem revo- Gebiets benötigt werden, solange eine Be-
lutionär zu nennenden politischen Entschluß die drohung dieses Gebietes besteht, und diese
Verknüpfung Großbritanniens mit dem Schicksal Streitkräfte im Einklang mit der vereinbarten
des Kontinents hergestellt hat. Es wird zu den her- Nordatlantikstrategie für die Verteidigung dieses
vorragendsten Zeugnissen britischer Staatskunst Gebietes einsetzen werden.
gehören, daß der britische Außenminister in einer
Erklärung die Verpflichtung zur Stationierung Auch der kanadische Außenminister hat in Lon-
britischer Truppen auf dem Kontinent eingeht und don in einer Erklärung .die neue Form des Brüs-
die Belassung der Truppen der Mehrheitsentschei- seler Pakts begrüßt und ihm seine Unterstützung
dung des Ministerrats des Brüsseler Pakts unter- im Rahmen der NATO zugesagt.
worfen hat. Wie die EVG so soll sich nach dem Willen der
(Beifall bei den Regierungsparteien.) neun auf der Londoner Konferenz vertretenen
2232 2. Deutscher Bundestag — 46. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. Oktober 1954
(Bundeskanzler Dr. Adenauer)
Mächte auch das System des Brüsseler Vertrages als und Holland freiwillig auf die Herstellung von
europäischer Eckpfeiler in den Nordatlantikpakt Waffen für die Atomkriegführung sowie für den
einfügen. Infolgedessen steht auch der deutsche Bei- bakteriologischen und chemischen Krieg verzichtet.
trag zur Verteidigung Europas in einer engen Ver- Ferner hat die Bundesrepublik verzichtet auf die
knüpfung zu beiden Vertragssystemen. Die Bundes- Herstellung von weittragenden ferngelenkten Ge-
republik soll Mitglied der NATO werden. Ihr mili- schossen, auf den Bau von großen Kriegsschiffen
tärischer Beitrag im Rahmen der Verteidigungs- und von Langstreckenbombern. Es wird Aufgabe
organisation des Atlantikpakts wird unter den des Rüstungsamtes des Brüsseler Pakts sein, die
gleichen Bedingungen erfolgen, die auch für alle Innehaltung dieser Bestimmungen zu überwachen.
anderen Mitgliedstaaten des Brüsseler Pakts gelten. Ferner wird durch die gleiche Dienststelle über-
Es heißt dazu in dem mit „NATO" bezeichneten wacht werden, daß kein Mitgliedstaat mehr schwere
Kapitel der Schlußakte: Waffen besitzt, als dies nach den entsprechenden
Die auf der Konferenz anwesenden Mitglied- NATO-Bestimmungen erforderlich ist. Importierte
staaten von NATO vereinbarten, bei dem näch- oder durch die sogenannte Außenhilfe gelieferte
sten Ministertreffen des Nordatlantikrats zu Waffen werden in diese Kontrolle einbezogen. Das
empfehlen, daß die Bundesrepublik Deutschland Rüstungsamt des Brüsseler Pakts wird dem Mini-
unverzüglich zum Beitritt aufgefordert werden sterrat unterstellt sein und soll auch einer parla-
soll. mentarischen Kontrolle unterliegen, wobei noch zu
Ferner wird vereinbart, NATO zu empfehlen, ihre entscheiden sein wird, welches europäische Gre-
Organisation in Europa wesentlich zu verstärken. mium diese Kontrolle ausüben soll. Mir liegt be-
sonders daran, festzustellen, daß sich diese Kon-
Die Bestimmungen über die Streitkräfte selbst trolle im allgemeinen nur auf den Bestand an Waf-
enthalten folgende wesentliche Punkte, die teils fen bezieht, wie er in den verschiedenen Mitglied-
im Rahmen des Brüsseler Pakts, teils im Rahmen staaten vorhanden ist. Bei den Waffen, auf die wir
von NATO behandelt werden: freiwillig verzichtet haben, wird eine intensivere
Kontrolle dafür sorgen, daß der Verzicht innege-
Alle Streitkräfte der Staaten des Brüsseler Pakts halten wird.
auf dem Kontinent werden dem militärischen Ober-
kommando der NATO unterstellt. Der Umfang Im Vergleich zu der innerhalb der EVG getroffe-
dieser Streitkräfte wird durch ein Sonderabkom- nen Regelung sind damit für Deutschland folgende
men festgelegt werden. Dieses Abkommen wird von Vorteile erzielt worden, erstens: Die zivile Atom-
den Brüsseler-Pakt-Staaten abgeschlossen und von forschung und Ausnutzung von Atomenergie sind
den übrigen NATO-Staaten gebilligt werden. Der frei, zweitens: Alle Waffen, die die deutschen
Umfang der deutschen Streitkräfte wird dem des Truppen brauchen, dürfen auch in Deutschland
EVG-Vertrages entsprechen. Durch besondere Be- hergestellt werden. Die Flugzeugproduktion, ab-
stimmungen ist sichergestellt, daß die Gliederung gesehen von strategischen Langstreckenbombern,
dieser Streitkräfte ständig den fortschreitenden ist frei.
militärischen Erkenntnissen angepaßt bleibt. Damit habe ich, meine Damen und Herren, den
Der große Wert dieser Vereinbarung liegt in der Inhalt der Londoner Schlußakte in ihren wichtig-
Bestimmung, nach der alle Truppen dem Oberkom- sten Teilen dargestellt. Während der Londoner
mando der NATO unterstellt werden. Dadurch wird Konferenz gewann ich die Überzeugung, daß alle
eine einheitliche Führung hergestellt. Dies gilt auch Teilnehmerstaaten die getroffenen Beschlüsse so
für alle auf dem Kontinent befindlichen britischen schnell wie möglich in Einklang mit den in den
Truppen. Der innere Zusammenhalt all dieser Trup- einzelnen Ländern geltenden rechtlichen und par-
pen wird dadurch gefestigt werden, daß sie inte- lamentarischen Vorschriften verwirklichen wollen.
griert, d. h. gemischt werden, soweit die militärische Es kann nicht anders sein, wenn man die Bedeu-
Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit dies zuläßt. tung der Londoner Ergebnisse für den Weltfrieden
Ebenso wird eine einheitliche Versorgungsorganisa- richtig einschätzt. In der Schlußakte heißt es dazu:
tion geschaffen werden. Die Kommandobehörde der Diese Abkommen und Vereinbarungen stel-
NATO wird das aus ihrer Verantwortung folgende len einen bemerkenswerten Beitrag zum Welt-
Inspektionsrecht besitzen. frieden dar. Nunmehr ist ein Westeuropa im
Auch für die Streitkräfte auf dem Kontinent, Entstehen, das auf der Grundlage der engen
die nicht dem NATO-Oberkommando unterstellt Assoziierung des Vereinigten Königreiches mit
werden sollen, gelten einheitliche Regeln für alle dem Kontinent und der sich vertiefenden
Staaten. Hier handelt es sich um Kräfte der Hei- Freundschaft zwischen den Teilnehmerstaaten
matverteidigung und der Polizei. Nur im Rahmen die atlantische Gemeinschaft festigen wird.
der allgemeinen in der NATO gültigen Bestimmun- Das von der Konferenz ausgearbeitete System
gen wird es ferner erlaubt sein, Ersatztruppenteile wird die Entwicklung der europäischen Einheit
oder ähnliche Einrichtungen für überseeische und Integration fördern.
Streitkräfte aufrechtzuerhalten. Meine Damen und meine Herren! Das Ergebnis von
Die Kontrolle der Innehaltung all dieser Be- London erfüllt uns mit Genugtuung und mit Hoff-
stimmungen obliegt den militärischen Kommando- nung. Die Tatsache, daß unsere Außenpolitik eine
stellen der NATO. Die Brüsseler Organisation wird Zeit schwerer Erschütterungen überwinden konnte,
über das Ergebnis dieser Inspektionen unterrichtet. scheint mir ein sicherer Beweis dafür zu sein, daß
ihre Grundkonzeption richtig war und richtig ist.
Außerdem wird im Rahmen des Brüsseler Pakts
eine Stelle geschaffen, die eine Kontrolle der Rü- (Anhaltender lebhafter Beifall bei den
stung und Bewaffnung für alle Länder durchzu- Regierungsparteien.)
führen hat. Hierzu haben die Mächte des Brüsseler Ich halte es für notwendig, daß wir uns in dieser
Pakts untereinander gewisse Verbote der Herstel- Stunde noch einmal vergegenwärtigen, welche Ziele
lung bestimmter Waffen vereinbart. In diesem Zu- unser außenpolitisches Handeln in den letzten
sammenhang haben die Bundesrepublik, Belgien Jahren bestimmt haben.
2. Deutscher Bundestag — 46. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. Oktober 1954 2233
(Bundeskanzler Dr. Adenauer)
Als die Bundesregierung vor fünf Jahren ihre supranationalen Weiterentwicklung enthält. Auch
Arbeit aufnahm, ergaben sich folgende zentrale wenn die Form in diesem oder jenem wechselt, die
Probleme: 1) die Herstellung der Unabhängigkeit Einheit Europas bleibt unser unverrückbares Ziel.
und Selbstbestimmung der Bundesrepublik, 2) die Ich hoffe, daß es uns gelingen wird, die Organisa-
Wiedervereinigung Deutschlands, 3) der Zusam- tion des Brüsseler Paktes durch den Beitritt wei-
menschluß des freien Europas und die Eingliede- terer Staaten auszudehnen und sie tatsächlich, wie
rung Deutschlands in die europäische Gemeinschaft. es in der Londoner Schlußakte heißt, zu einem
Kernpunkt der europäischen Integration zu
So ungewiß es damals war, ob es gelingen würde, machen.
diese Ziele in naher, ja selbst in ferner Zukunft zu
erreichen, so sicher war es, daß nur e i n gangbarer Am 26. Juli 1950 faßte der Deutsche Bundestag
Weg zu ihnen führen würde, nämlich die Zusam- den Beschluß, für die Bildung eines Europäischen
menarbeit Deutschlands mit den freien Nationen. Bundespaktes einzutreten. Er beschloß damals wie
folgt:
(Lebhafter Beifall bei den Regierungs
parteien.) In der Überzeugung, daß die gegenwärtige
Zersplitterung Europas in souveräne Einzel-
Die Politik der Zusammenarbeit mit ihnen konnte staaten die europäischen Völker von Tag zu
deshalb zu einem bestimmenden Faktor für das Tag mehr in Elend und Unfreiheit führen muß,
Verhalten der Bundesregierung werden, weil in tritt der in freien Wahlen berufene Bundestag
allen Kreisen und Schichten des deutschen Volkes der Bundesrepublik Deutschland für einen
nach den Leiden zweier Kriege die Überzeugung Europäischen Bundespakt ein, wie ihn die
tief Wurzel geschlagen hatte, daß nur die Einigung Präambel und der Artikel 24 des Grundge-
der europäischen Nationen Deutschland und Europa setzes für die Bundesrepublik Deutschland
eine Zukunft sichern würde, in der ein Leben in vorsehen.
Freiheit und Würde möglich ist.
(Beifall bei den Regierungsparteien.) Diese Überzeugung, wie sie in dem Beschluß des
Bundestags zutage tritt, hat das Handeln der Bun-
Diese Einsicht ist der beste Besitz, den die Euro- desregierung in den vergangenen Jahren geleitet
päer aus den Erfahrungen der jüngsten Vergan- und bestimmt es unverändert auch heute.
genheit gewonnen haben. Wenn diese Einsicht ver-
lorengeht oder abnimmt, wachsen die Gefahren, (Beifall bei den Regierungsparteien.)
die eine noch immer unruhige und unsichere Welt Dieses geistige und politische Klima hat der Bun-
für Deutschland und für Europa in sich birgt. Der desregierung erlaubt, überzeugend eine Politik der
europäische Gedanke hat unser nationales Leben europäischen und atlantischen Solidarität zu füh-
tiefgehend und in der glücklichsten Weise beein- ren. Damit konnte die Bundesrepublik ein in dieser
flußt. Die Deutschen haben dem reaktionären Na- Zeit großer internationaler Spannungen ungewöhn-
tionalismus abgesagt. liches Maß an Vertrauen erringen.
(Beifall bei den Regierungsparteien.) (Sehr gut! in der Mitte.)
Sie haben in vielen Wahlen die extremen politi- Diese Politik der Solidarität hat eine Verkörpe-
schen Auffassungen zur Bedeutungslosigkeit ver- rung gefunden in den Londoner Abkommen. Die
urteilt. - Bundesregierung sieht in diesen Abkommen mehr
(Sehr gut! in der Mitte.) als die diplomatischen und juristischen Instrumente
zur Erledigung internationaler Geschäfte. Sie
Das deutsche Volk ist auch der Bundesregierung
gefolgt, als sie sich mit aller Kraft für das Zustan- sieht in ihnen ein Symbol für die Partnerschaft
dekommen der Europäischen Verteidigungsgemein- Deutschlands mit einer weltweiten Gemeinschaft
freier und mächtiger Staaten, denen wir uns durch
schaft eingesetzt hat. gleiche Ideale und Interessen verbunden fühlen.
(Zustimmung bei den Regierungsparteien.)
(Beifall bei den Regierungsparteien.)
Es gibt dafür keinen besseren Beweis als das Wahl-
ergebnis vom 6. September 1953. Die Zusammenarbeit mit unseren Vertragspartnern
wird die freie Welt stärken und damit der Erhal-
(Beifall bei den Regierungsparteien. — tung des Friedens dienen. Sie wird aber auch dazu
Unruhe bei der SPD.) führen, daß unsere Partner der Lösung der beson-
Die Europäische Verteidigungsgemeinschaft sollte deren deutschen Probleme, insbesondere unserem
durch die Übertragung souveräner Rechte auf eine Verlangen nach Wiedervereinigung in Frieden und
supranationale Gemeinschaft die europäischen Völ- Freiheit, ihre volle Unterstützung leihen.
ker zu einer Einheit zusammenfügen. Wenn wir (Beifall in der Mitte.)
Europa wirklich wollen, muß diese Einheit unser
Ziel bleiben. In dieser Gemeinschaft können wir mit größerer
Aussicht auf Erfolg unsere Bemühungen für die
(Erneuter Beifall bei den Regierungs Wiederherstellung der deutschen Einheit fort-
parteien.) setzen. Unsere außenpolitische Arbeit wird nicht
Ich wiederhole deshalb auch vor Ihnen die Erklä- nur für die Bundesrepublik, sondern auch für eine
rung, die ich den Neun Mächten gegenüber abge- friedliche und gesicherte Zukunft eines wieder-
geben habe, daß die Bundesregierung bereit ist, vereinigten Deutschlands geleistet.
ihre Streitkräfte in eine integrierte europäische (Beifall bei den Regierungsparteien.)
Organisation zu überführen, sobald eine solche ge-
schaffen wird. Das gilt auch in vollem Umfang für die in Lon-
(Wiederholter Beifall bei den Regierungs don geschlossenen Abkommen.
parteien.) Meine Damen und meine Herren! Die Krise der
Es darf uns mit Genugtuung erfüllen, daß auch westlichen Gemeinschaft ist, wie wir hoffen, glück-
der Brüsseler Pakt eine Reihe von Ansätzen zur lich überwunden worden. Sie enthielt auch für die
2234 2. Deutscher Bundestag — 46. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. Oktober 1954
(Bundeskanzler Dr. Adenauer)
Sicherheit der Bundesrepublik und Berlins Gefah- Frieden, keine Freiheit und keine Wiedervereini-
ren, die unsere Existenz hätten in Frage stellen gung gibt.
können. Auf der Londoner Konferenz sind nun- (Langanhaltender lebhafter Beifall
mehr die Grundlagen für eine Arbeitsgemeinschaft bei den Regierungsparteien.)
der europäischen und atlantischen Welt gelegt
worden. Auf ihnen wollen wir das Gebäude einer Präsident D. Dr. Ehlers: Meine Damen und Her-
immer engeren Zusammenarbeit errichten. Dafür ren, mit der Abgabe dieser Erklärung der Bundes-
ist notwendig, daß alle beteiligten Völker natio- regierung ist die heutige Tagesordnung erledigt.
nalistische Vorstellungen überwinden und sich vom
Geiste gegenseitigen Vertrauens leiten lassen. Ich berufe die nächste Sitzung des Bundestages
auf Donnerstag, den 7. Oktober 1954, 9 Uhr, ein.
Wir freuen uns über die Ergebnisse der Lon- Einziger Punkt der Tagesordnung: Aussprache über
doner Konferenz, weil sie nicht zuletzt unserem die Erklärung der Bundesregierung.
Vaterlande zugute kommen. Aber unsere Freude
wird erst vollkommen durch die Gewißheit, daß in Ich schließe die 46. Sitzung des Deutschen Bun-
London die Einheit der westlichen Welt wieder- destages.
hergestellt wurde, ohne die es auch für uns keinen (Schluß der Sitzung: 15 Uhr 5 Minuten.)

Das könnte Ihnen auch gefallen