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Deutscher Bundestag — 7. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22.

September 1949 47

Präsident Dr. Köhler: Meine Damen und Herren!


Für den Verlauf der heutigen Aussprache ist ge-
mäß Vereinbarung im Ältestenrat vorgesehen, daß
nach der Fraktionsstärke gesprochen wird, und
zwar in folgender Reihenfolge: Deutsche Partei,
Bayernpartei, Kommunistische Partei, Wiederauf-
bauvereinigung, Zentrum, Nationale Rechte.
Was den zeitlichen Verlauf anlangt, so nehme
ich das Einverständnis des Hauses an, daß wir, wie
es üblich ist, um 1 Uhr Mittagspause machen und
um 3 Uhr wieder fortfahren.
Als erster Redner hat der Herr Abgeordnete
Ewers das Wort.
Ewers (DP): Meine sehr geehrten Damen und

7. Sitzung Herren! Die Stunden, die wir seit der Mitte des
September bis Ende des Monats hier in Bonn er-
leben, sind die Geburtsstunden eines neuen deut-
Erster Tag schen Staatswesens. Diese Stunden fallen in eine
Zeit, die wir Älteren zeitweilig schwerlich mehr zu
Bonn, Donnerstag, den 22. September 1949. erleben gehofft haben. Wenn ich an die letzten Jahr-
zehnte zurückdenke, so fällt mir ganz persönlich die
Tatsache ein und auf, daß just in diesen Tagen vor
zwanzig Jahren der vielleicht einzige deutsche
Geschäftiche Mitteilungen 47B, 67C, D Staatsmann europäischen Formats gestorben ist,
den Deutschland in diesem Jahrhundert hervor-
Fortsetzung der Aussprache über die gebracht hat: Gustav Stresemann. Mit seinem Tode
Erklärung der Bundesregierung . . . 47B sank damals Schritt für Schritt die deutsche Repu-
Ewers (DP) 47C blik, die deutsche Demokratie, ins Grab über die
Dr. Seelos (BP) 53D Zeit der Notverordnungen bis zu jenem Dritten
Reimann (KPD) 58C Reich, das von sich behauptete, es würde minde-
stens ein Jahrtausend bestehen. Wir haben das
Dr. Adenauer, Bundeskanzler . . . 67A Dritte Reich überlebt und stehen nun erneut an
Unterbrechung der Sitzung . 67C der Wiege unseres Volkes und Staates, geprüft und
gefeit durch Erfahrungen, die andere Völker tat-
Loritz (WAV) 67D sächlich vielleicht erst in einem ganzen Jahrtau-
Frau Wessel (Z) 72B send machen können.
Heute und jetzt haben wir Stellung zu nehmen
Dr. Richter (DRP) 80A zu der Erklärung des Herrn Bundeskanzlers, und
Clausen (SSW) 85C mir als einem nicht in Hannover gewählten Mit-
Dr. Edert (Parteilos) 86B glied der Deutschen Partei hat die Fraktion das
ehrenvolle Amt übertragen, in ihrem Namen zu
Fortsetzung der Sitzung 87C dieser Erklärung Stellung zu nehmen.
Die Erklärung des Herrn Bundeskanzlers findet
— mit einer kleinen Einschränkung, auf die ich
Die Sitzung wird um 10 Uhr 11 Minuten durch im Laufe meiner Rede zu sprechen komme — den
den Präsidenten Dr. Köhler eröffnet. vollsten und ungeteilten Beifall meiner Fraktion.
(Hört! Hört! links.)
Präsident Dr. Köhler: Meine Damen und Herren! Diese Erklärung billigen und unterschreiben wir
Ich eröffne die 7. Sitzung des Deutschen Bundes- nicht nur in ihrer Haltung, sondern auch in ihrer
tags. Formulierung im einzelnen Satz für Satz. Wir
Die Tagesordnung hat einen einzigen Punkt: hoffen und wünschen, daß die Regierung alles
Fortsetzung der Aussprache über die Erklärung wahrmachen kann, was dem deutschen Volk und
der Bundesregierung. den deutschen Menschen in dieser Erklärung ver-
heißen ist.
Ehe wir in die Tagesordnung eintreten, habe ich Ich habe zur Erklärung des Herrn Bundeskanz-
einige Mitteilungen zu machen. Ich bitte zunächst lers namens meiner Fraktion in einzelnen Bezie-
den Schriftführer, Herrn Abgeordneten Dr. Mieß- hungen einige erläuternde und bestätigende An-
ner, die Namen der abwesenden Mitglieder des merkungen zu machen. Wir legen ganz entscheiden-
Hauses zu verlesen. den Wert darauf, daß sich jedermann, der für die
Bundesrepublik Deutschland spricht und handelt,
Dr. Mießner, Schriftführer: B e u r la u b t sind bei jedem Wort und bei jeder Tat bewußt bleibt,
wegen Krankheit die Abgeordneten Kuhlemann, daß wir vorläufig nur ein Torso sind, daß wir nur
Marx, Wönner, Zühlke. ein Teilstaat, ein Rudiment, ich möchte sagen ein
Auf Grund von Entschuldigungen fehlen die Ab- Embryo eines zukünftigen Deutschlands sind, das,
geordneten Frau Albertz, Arndgen, Eichler, Früh- von keiner auswärtigen Macht bevormundet, sich
wald, Dr. Gülich, Dr. Horlacher, Kalbitzer, Karpf, wieder, und zwar in den Grenzen des Jahres 1937,
Frau Kipp-Kaule, Margulies, Mißmahl, Dr. Nöll in die europäischen Nationen einzureihen haben
von der Nahmer, Dr. Koch, Schütz, Dr. Suhr, Rade- wird. Wir empfinden es als Schönheitsfehler, daß
macher, Frau Thiele, Vesper, Zinn, Dr. Hilpert, die Bezeichnung, die sich unser westdeutscher
Dr. Frey und Freitag. Staat gegeben hat, „Bundesrepublik Deutschland",
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(Ewers)
zu Mißdeutungen Veranlassung geben könnte, wenn Ich sage: auf allen Seiten der Koalitionsparteien
man nicht immer die Worte der Präambel des bestand kein Unterschied in der Auffassung der
Grundgesetzes dazunimmt und sich vergegenwär- Wirtschaftspolitik; und nun waren wir als im Auf-
tigt, daß das allerdings noch nicht alles ist. Es bau und in der ersten Entfaltung begriffene Par-
wäre wohl richtiger gewesen, wenn schon in der tei vor die schwere Frage gestellt, ob wir dem
Bezeichnung dieser vorläufige und zunächst den Wunsch nach Beteiligung an der Regierungsbil-
ersten Schritt bedeutende Charakter unseres neuen dung nach diesen Anfangserfolgen, die wir in
Staates zum Ausdruck gekommen wäre. einem relativ kleinen Gebiet der westdeutschen
Wir sind des weiteren der Auffassung, daß nach Bundesrepublik errungen hatten, folgen sollten
dem Ergebnis der Wahlen des 14. August die jetzt oder nicht. Der Entschluß war nicht leicht. Wir
gebildete Regierung eine durch den Willen der haben aber davon abgesehen, allein der Propa-
deutschen Wählerschaft bekundete Notwendigkeit ganda Rechnung zu tragen. Wir hatten unseren
ist. Das hätte nicht so sein müssen. Wenn etwa Wählern gewisse Zusicherungen gemacht und ha-
zwischen den beiden großen Parteien dieses Hau- ben stets erklärt, daß wir uns vor keiner Verant-
ses, die zwei Drittel aller Abgeordneten stellen, wortung scheuen. In Einlösung dieser Zusicherun-
in dem Wahlkampf außenpolitische Meinungsver- gen mußten wir es für unsere staatspolitische
schiedenheiten hervorgetreten wären, so hätte ich Pflicht halten, uns dem Wunsch der größeren Par-
es von meinem Standpunkt aus für unbedingt er- teien nicht zu versagen.
forderlich gehalten, diese zunächst einmal unter- Nach der Regierungserklärung bereuen wir die-
einander abzustimmen, ehe man in die von Sorgen sen Entschluß keinen Augenblick.
und Not belasteten zukünftigen Monate und Jahre (Abg. Dr. Schmid: Sie haben auch gar
eintritt. Denn seien wir uns darüber klar: die keinen Anlaß dazu!)
Politik, die wahrhafte Kunst der Politik beginnt
Daß solche Koalitionsverhandlungen mit gewissen
erst bei der Außenpolitik. Das Innere, die Ordnung
im eigenen Hause ist naturnotwendig erst zweit- Schwierigkeiten verbunden sind, das weiß die SPD
rangig, und weil wir als Deutsche wohl von je und besser als jede andere Partei.
je das Innere vorangestellt haben, haben wir im (Zuruf von der SPD: Woher wissen Sie
Auswärtigen dann ja auch zweimal innerhalb von das?)
25 Jahren so über alle Maßen kläglich Schiffbruch — Woher ich das weiß? Aus meinen langjährigen
erlitten. Da aber nach dem Wahlkampf in der Erfahrungen im parlamentarischen Leben.
Außenpolitik zwischen den beiden großen Frak- (Zuruf von der SPD: So?)
tionen und wohl auch, wenn ich von der äußersten
Linken absehen darf, sonst überhaupt nirgendwo Meine sehr geehrten Damen und Herren, so war
Meinungsverschiedenheiten auftraten, darf ich in- die Regierungsbildung im staatspolitischen Sinne
soweit hoffen, daß die Regierung auch bei der notwendig. Denn eins hat die Weimarer Republik
Opposition dieses Hauses jede Unterstützung fin- unter anderem erschüttert und schließlich zum Er-
den wird, wenn sie bei den Besatzungsmächten liegen gebracht:
oder, sagen wir, bei den Herren Kommissaren — (Zuruf von der SPD: Ihre Leute!) '
denn Macht ist es ja nicht mehr, es soll ja „Zivil" die beklagenswerte Tatsache, daß in jener Zeit,
sein, was über uns entscheidet — oder bei sonsti- vor dem Jahre 1930, Wahlen eigentlich keinen
gen auswärtigen Stellen etwas für uns Deutsche Zweck hatten. Es änderte sich nämlich nach den
erreichen will. Wahlen sozusagen gar nichts.
So verschiebt sich in der Tat die Frage des Wer-
dens des deutschen Volkes auf das Innerpolitische, (Abg. Dr. Schmid: Dann müssen Sie sich
auf das Wirtschaftsgebiet, um das sich ja nach doch ein bißchen mehr im Kalendarium
meiner Beobachtung der gesamte Wahlkampf in umsehen!)
all seiner Hitze sozusagen ausschließlich gedreht — Nein, das brauche ich ganz und gar nicht, meine
hat. Auf diesem Gebiet standen wir von der Deut- Erinnerung ist durchaus plastisch. Es ist eine Tat-
schen Partei im Wahlkampf durchaus in derselben sache, daß die ganze Wählerei keinen Sinn mehr
Linie wie die CDU, wie die FDP. hatte. Das war allgemeine Meinung des Mannes
(Abg. Dr. Schmid: Ein bißchen mehr auf der Straße. Vielleicht haben die Herren Pro-
schwarz-weiß-rot!) fessoren darüber anders gedacht:
— Nein, das auch nicht, sondern einschließlich (Sehr gut! bei der DP.)
schwarz-weiß-rot, Herr Professor; einschließlich — Der normale Deutsche sah in den Wahlen keinen
das darf ich auf alle Fälle feststellen —, denn man Sinn mehr. Das lag damals daran, daß die SPD
hat sich uns allseitig angenähert. wenn nicht die Gewinnerin, so doch die Nutznieße-
(Lachen links.) rin der sogenannten 1918er Revolution war und
— Ja, das hat man! sich alle Parteien bis ganz nach rechts herüber,
(Abg. Renner: Also Adenauers Fahne ist ja bis einschließlich der NSDAP nach ihr umsahen,
auch schwarz-weiß-rot?) wenn es sich um soziale Dinge handelte. Die SPD
war damals zwar nicht so doktrinär wie Herr Dr.
- Das wird sich finden! Schumacher; aber sie wurde immerhin sozusagen
(Abg. Renner: Dann können wir bald als Schulmeisterin in sozialpolitischen Dingen an-
wieder „Deutschland, Deutschland über gesehen. Daher konnte sich keine Partei erlauben,
alles" singen!) irgend etwas zu tun, was die SPD ihr im nächsten
— Das wollen wir auch bald wieder tun. Wahlkampf auf das gefährlichste ankreiden konnte.
(Hört! Hört! links.) (Zuruf des Abg. Renner.)
Dazu sind wir auch fest entschlossen.
(Unruhe links.) Ich begrüße es, daß wir jetzt aus \ dieser Schul-
Darf ich fortfahren? meisterei heraus sind.
(Zurufe.) (Abg. Dr. Schmid: Sie haben etwas gelernt!)
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(Ewers)
Ich begrüße es, daß wir nunmehr dazu kommen, Menschen, gegen das Recht auf Existenz verstoßen.
eine Sozialpolitik und eine Wirtschaftspolitik nicht- (Sehr richtig! bei der DP.)
sozialdemokratischen Gepräges auf die Beine zu Sie müssen so gehalten sein, daß jeder Anständige
stellen. sie als selbstverständlich achtet und daß derjenige,
(Beifall bei der DP. — Lachen links.) der sie nicht achtet, nicht nur von dem unglück-
Ich warne vor jeder klassenkämpferischen Ideolo- seligen Richter, der gestern noch selbst dagegen
gie. Ich warne vor der Gegenüberstellung Arbeiter verstoßen hat, der Strafe zugeführt wird, sondern
und Bürger. Wenn es gute Bürger gibt, sind es die die allgemeine Verachtung als Gesetzesbrecher
Arbeiter. erfährt.
(Händeklatschen rechts. — Abg. Renner: (Beifall bei der DR)
Wie billig!) Nur so ist eine Gesetzgebung moralisch zu recht-
fertigen.
Ich warne des weiteren davor, das, was gegen die
Sozialdemokratie steht, mit einem „Anti" zu be- Ich komme nun zu einem Problem, das uns
zeichnen. Am „Antimarxismus" ist das sogenannte Schleswig-Holsteinern — ich darf das sagen, da
ich Lübecker bin und aus dem Land stamme, mir
Bürgertum vor 1933 gescheitert. Meine sehr ge- also als Muß-Schleswig-Holsteiner —
ehrten Herren von der Koalition und auch die
Kollegen rechts von uns, sehen wir uns rechtzeitig (Heiterkeit und Zurufe)
nach einem „Pro" um. Wir haben jetzt das Wort besonders am Herzen liegt, und hier glaube ich
„soziale Marktwirtschaft". Schön, machen wir dar- zugleich für die Schleswig-Holsteiner aller Parteien
aus etwas! im Hause sprechen zu dürfen: zum Vertriebenen-
problem.
(Sehr richtig! bei der DP. — Lachen und
Zurufe links.) Meine sehr geehrten Damen und Herren, dürfen
wir unsere Erfahrungen unseres kleinen, einem
— Sehr richtig! Machen wir daraus etwas, was Machtspruch Englands seine Existenz verdankenden
auch dem Mann auf der Straße einleuchtet! Mit Ländchens Ihnen hier kurz unterbreiten? Das Ver-
Schlagworten allein ist es nicht getan. In diesem triebenenproblem ist nämlich nicht nur ein Problem,
Sinne ist die Koalition naturnotwendig und ein das das Schicksal dieser unglücklichsten deutschen
klares Ergebnis, eine klare Schlußfolgerung aus Mitmenschen berührt, sondern auch ein Problem
einer demokratischen Wahl. der Einheimischen, wie ich Ihnen zeigen darf.
Was nun die Einzelheiten der Regierungserklä- Schleswig-Holstein, früher eine preußische Provinz,
rung anlangt, so möchte ich namens meiner Frak- jetzt ein selbständiges deutsches Land, weist fol-
tion und auch von meinem persönlichen Stand- gende Zahlen auf, die dem Statistischen Landesamt
punkt aus nur einige Punkte herausgreifen; sonst Schleswig-Holsteins entstammen. Bei einem
käme man mit einer normalen Redezeit selbstver- Flächeninhalt von 6,4 Prozent des Bundesgebiets,
ständlich nicht aus. bei einer Einwohnerzahl von 5,9 Prozent des
(Zuruf von der KPD: Aber verraten Sie Bundesgebiets ist der Anteil dieses Landes an Ver-
wenigstens Ihr Regierungsprogramm!) kehrs- und Besitzsteuern nur 3,8 Prozent, an den
— Ich werde auf die Dinge eingehen, die uns am Krediten für Privatwirtschaft nur 3,7 Prozent und
Herzen liegen, und nicht auf Dinge, wie sie die an Spareinlagen je Kopf der Bevölkerung nur
Kommunisten wünschen. Herr Reimann mag dann 3,8 Prozent der entsprechenden Zahlen des ge-
den Standpunkt der Kommunisten hier ebenso samten Bundesgebiets. Was die Spareinlagen an-
vertreten. langt, so hat Schleswig-Holstein je Kopf der Be-
Meine Fraktion möchte zunächst einmal die völkerung nach dem Stichtag vom 1. Oktober 1948
Worte des Herrn Bundeskanzlers unterstreichen, 32 DM bei einem Bundesdurchschnitt von 48 DM,
daß der Gesetzgebung eine ungeheure Arbeit harrt. also genau zwei Drittel an Spareinlagen des ge-
Darf ich als Jurist der Tendenz der Gesetzgebung samten Bundes. Das nächstniedrige Land ist
Bayern, das immerhin 42 DM pro Kopf der Be-
einige Segensworte mitgeben. Wir stehen heute völkerung Spareinlagen hat, also für jeden Men-
vor dem Trümmerhaufen der Gesetzgebung nicht schen in Bayern 10 DM mehr als Schleswig-Hol-
nur wegen der Aushöhlung des einheitlichen deut- stein. Woher kommt diese erschütternde Armut in
schen Rechts, nein, vielmehr deshalb, weil alle
diese Zwangsbewirtschaftungsgesetze bis zum heu- dem Lande, das bisher niemals als Elends- oder
tigen Tage dem tatsächlichen Zustand in einer Notstandsgebiet gegolten hat, das vielmehr auf
geradezu beklagenswerten Weise nachhinken. Es seine Art friedlich und schön in einer herrlichen
Landschaft mit Nord- und Ostseeküste leben und
geht einfach nicht an, daß Dinge überall geschehen,
als erlaubt hingenommen und auch von jedem in gedeihen konnte? Woher kommt sie? Eine einzige
Zahl zeigt es Ihnen: bei einem Bevölkerungsanteil
diesem Hause mitgemacht werden, die gesetzlich von 5,9 Prozent nach der letzten Volkszählung von
unter Strafe stehen.
1946 wohnen in Schleswig-Holstein 38,2 Prozent
(Beifall bei der DP und der FDP.) aller Vertriebenen des Bundesgebiets,
Es geht einfach nicht an, daß in der Presse offen (Hört! Hört! rechts)
von einem Schwarzen und Grauen Markt ge-
sprochen wird. das heißt: knapp ein Sechzehntel der Gesamtbevöl-
kerung ist von fast genau zwei Fünfteln aller
(Zuruf von der KPD.) Flüchtlinge, muß ich sagen, heimgesucht. Diese
Das ist ein Unding, das ist eine Unterhöhlung der unglücklichen, ich muß schon sagen, an unsere
Achtung vor dem Gesetz, die zu Korruption, zu Küsten gespülten Menschen hausen dort unter Um-
Egoismus schlimmsten Grades, ja eben zum Recht ständen, die für sie selbst unerträglich sind und die
des Dschungels führt, wie wir es in den zurück- das Zusammenleben mit den Einheimischen auf
liegenden Jahren in allen Klassen und Kreisen das äußerste erschweren.
aufs traurigste erlebt haben und in gewissen Nach- Lassen Sie mich in diesem Hause, wie ich hoffe,
wehen auch heute noch erleben. unter Zustimmung unseres dänischen Vertreters
Dem hat die Bundesregierung nur zu steuern. Die Herrn Clausen, sagen: das ganze von Dänemark
Gesetze dürfen nicht gegen die Naturrechte des gesehen Süd-, von uns aus gesehen Nord-Schleswig-
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(Ewers)
Problem ist nichts anderes als ein Vertriebenen- Kategorisierung ist mit wahrhaft demokratischen
problem. Denn das Zusammenwohnen in den länd- Einrichtungen vollständig unvereinbar.
lichen Bezirken ist auf die Dauer für beide Teile (Sehr richtig! rechts.)
unerträglich, das muß schnurstracks auf lange
Sicht zum Nihilismus führen. Es bleibt den Men- Die Bestrafung von Schuld und von Vergehen ist
schen, den Einheimischen fast ebensosehr wie den Sache des Strafrichters. Da mögen politische Abtei-
Vertriebenen, die keine Heimat finden können, lungen im Gericht eingerichtet werden, die über
gar nichts anderes, als im Nichts ihr Heil zu suchen. diese Herrschaften, von denen wir alle wissen, daß
Diese Not ist so groß, daß die Bundesregierung von sie sich zum Teil vergangen haben, zu Gericht
uns gebeten werden muß, von der Ermächtigung, sitzen und nach Recht und Gesetz bestrafen.
durch Verordnung den Austausch zu regeln, sofort, (Zuruf links: Dr. Schacht!)
ich möchte sagen, noch heute Gebrauch zu machen. — Es ist schön, daß Sie Dr. Schacht nennen. Der
Danach verlangt uns, weil wir andernfalls einem Name Dr. Schacht scheint einer der Bonbons zu
irgendwie gearteten Zusammenbruch in die Augen sein , die Sie nicht herunterschlucken können. Dazu
sehen müssen, der von uns aus natürlich gleich auf ein Wort. Dr. Schacht ist ein ganz typischer Fall.
Niedersachsen übergreifen wird, wo die Verhält- Er hat als hochintelligenter, kluger Wirtschafts-
nisse zwar nicht ganz so liegen, aber schlimm genug mann den Irrtum begangen, zu glauben, daß man
sind, ebenso natürlich auf Bayern, das ebenso von durch den Beitritt zu einer totalitären Bewegung
südostdeutschen Heimatvertriebenen heimgesucht an dem Werdelauf irgend etwas zu ändern vermöge.
ist. Dieser Ausgleich ist vorderstes und erstes Ge- (Unruhe links und Zuruf: Sie irren auch!)
bot, das meine Fraktion von der Regierung ver-
langen muß. Dieser Irrtum war leider Gottes weit verbreitet.
Er hat aber im Gegensatz — —
Dann möchte ich ein Wort aus der Rede, oder
sage ich besser aus dem Kolleg des Herrn Dr. (Große Unruhe. — Zurufe.)
Schumacher, nämlich über volkswirtschaftliche — Bitte, es ist mir nicht möglich, f gegen viele
Lehrmeinungen aus der Mitte des vorigen Jahr- Schreier aufzukommen; gegen einen kann ich es
hunderts, das er vor diesem Hause gehalten hat, vielleicht. — Sein Irrtum ist aber insofern von
herausgreifen, ein Wort, dessen Unlogik bei einem allen anderen Irrtümern, die Hunderttausende
professoralen Kolleg auffallend in die Augen auch kluge Menschen begangen haben, deshalb
springt. scharf zu unterscheiden, weil er im Gegensatz zu
(Glocke des Präsidenten.) den sonstigen Mit- oder Vorläufern den Absprung
rechtzeitig getan hat,
Präsident Dr. Köhler: Herr Abgeordneter Ewers,
(Zuruf von den Kommunisten: Rechtzeitig? —
darf ich Sie darauf aufmerksam machen: sämtliche Lachen links)
Mitglieder des Hauses halten grundsätzlich nur
Reden. und zwar in einem Moment getan hat, bevor die
vernichtenden Eingriffe in unsere deutsche Wirt-
Ewers (DP): Ich bitte um Verzeihung! — Die schaft und insbesondere die Ausrottung der Juden 1
Rede oder besser die Ansprache — darf ich das im November 1938 begannen. Er hat sich bis dahin
sagen? — des Herrn Dr. Schumacher enthielt fol- schützend vor die Wirtschaft gestellt. Und er ist
genden Satz frappanter Unlogik. Er behauptete, nicht nur abgesprungen. Es sollte auch den Kom-
daß die Frage der Oder-Neiße-Linie außenpolitisch munisten nicht verborgen geblieben sein, daß Herr
überhaupt erst dann angeschnitten werden könne, Dr. Schacht in der Widerstandsbewegung nach
nachdem wir Deutschen die Vertriebenen artgemes- 1938 eine Hauptrolle spielte; und wenn er nicht
sen untergebracht hätten. Die Unlogik liegt darin: in noch rasch vor dem 8. Mai 1945 abgemurkst wor-
demselben Moment, wo uns das gelungen sein sollte, den ist, so ist das einem reinen Zufall zu verdan-
wo diese Quadratur des Zirkels zu Ende geführt ken. Er ist der typische Widerständler.
sein sollte, wäre ja rein wohnpolitisch ein Grund (Schallende Heiterkeit. — Zuruf links:
dafür, uns die Oder-Neiße-Linie zurückzugeben, Da lacht sogar die CDU! — Unruhe. —
kaum mehr gegeben. Zwar betrachten wir diese Glocke des Präsidenten.)
Frage nicht nur wohnpolitisch, sondern wir sehen — Wenn man Tatsachen komisch findet, ist daran
dieses Gebiet als deutsche Heimat, als ein Gebiet nichts zu ändern. Witze habe ich nicht gemacht;
an, mit dem unsere Seele verbunden ist. Aber die ich bin aber unter Umständen auch zu Witzen auf-
Tatsache, daß wir die armen Ostdeutschen, soweit gelegt.
sie noch keine neue Heimat gefunden haben, ange- Ich habe die historischen Tatsachen kurz ge-
messen und auf die Dauer befriedigend in dem kennzeichnet, und die Frage ist die, ob man ihm
Restdeutschland, das uns zur Zeit noch verblieben sein Verhalten vor 1938 oder nach 1938 in erster
ist, gar nicht so unterbringen können, daß sie eine Linie ankreiden will. Im übrigen hat er keine Ver-
neue Heimat finden, sollte jedem klar sein, und die brechen begangen, und er gehört für mich als
Regelung dieses Problems kann überhaupt gar politisch Schuldiger außerhalb jeder Kategorisie-
nicht geschehen, ohne daß die Ostgrenze klar und rung.
deutlich zur Debatte gestellt wird. Diese Tatsache Dazu ein Wort. Ich wohne an der Ostgrenze vor
möchte ich als Abgeordneter eines der Länder, die dem Eisernen Vorhang. Von meiner Wohnung habe
ganz besonders von dem Flüchtlingsproblem be- ich fünf Minuten Omnibusfahrt bis zum Eisernen
troffen sind, hier ganz klar herausstellen. Vorhang. Ich habe in meiner Person alles daran-
Neben dem Vertriebenenproblem ist dann noch gesetzt, um die Deutsche Partei in Schleswig-Hol-
für uns als weitere Bemerkung zur Rede des Herrn stein Fuß fassen zu lassen. Das mögen Sie als
Bundeskanzlers ein Punkt zu berühren, den die Schuld ansehen. Ich selbst sage: es ist ein hohes
Herren Vorredner auch schon angeschnitten haben Verdienst, und ich werde auch nicht ablassen,
und den ich deswegen auch nur ganz kurz erläutern wenn später einmal ein Gericht feststellen würde:
möchte: das ist die Kategorisierung deutscher Men- es war Schuld. Was ich bedauere, ist, daß auch
schen, die von den Besatzungsmächten vorgeschrie- soviele frühere Nazis diese politische „Schuld"
ben und von einzelnen Deutschen mit, ach wie nicht bedingungslos anerkennen, daß sie ausweichen
großer Begeisterung durchgeführt worden ist. Diese und daß selbst Hanns Johst es sich gefallen läßt,
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(Ewers)
als „Mitläufer" eingereiht zu werden. Das ist un- Dienst erwiesen werden, wohl aber vielleicht den
möglich. Nein, Mitläufer wäre ich ganz und gar Funktionären der Arbeiterschaft.
nicht. Ich wäre schuldig an der DP in Schleswig- (Beifall rechts.)
Holstein, und diese Schuld würde ich vor jedem Fo-
rum verantworten und tragen. Wir möchten daher vor einer solchen Manipulation
ebenso wie vor einer Kommunalisierung dieser Be-
(Zuruf links: Regierungserklärung!) triebe nachdrücklich warnen.
— Es handelt sich um die Denazifizierung. Davon (Zuruf von der KPD.)
spreche ich nämlich jetzt.
— Nein, ich bin keiner.
(Zuruf links: Machen Sie sich nicht inter
essanter, als Sie sind!) (Abg. Renner: Schade, Sie passen doch in
die Koalition hinein!)
— Nein, ich bin gar nicht so interessant, um Got-
tes willen! — Ja, wir passen ausgezeichnet hinein.
Wir sind gegen die Kategorisierung und verlan- (Abg. Renner: Das habe ich gemerkt!)
gen, daß man nur politisch „Schuldige" nicht mehr Meine Damen und Herren! Nun noch ein allge-
bestraft. Man bestrafe Vergehen gegen die Gesetze meines Wort im Anschluß an die Erklärung der
oder gegen die allgemeine Moral, aber keinen po- Bundesregierung zu dem, was nach unseren Ein-
litischen Irrtum. gangsworten unser Wollen und Wesen ist und wieso
Dann noch ein anderes Wort, das hoffentlich wir, um mit Herrn Renner zu sprechen, vorzüglich
nicht so viel Unruhe und Gelächter auslösen wird. in die Koalition passen. Über unsere Deutsche
Bei den Nachbarstaaten, mit denen wir uns ab- Partei sind in der Presse — in einer gewissen geg-
zufinden haben, hat der Herr Bundeskanzler das nerischen Presse, insbesondere aber auch in der
Land Österreich unerwähnt gelassen. Das ist viel- ausländischen lizenzierten Presse — soviele un-
leicht richtig, weil unsere Beziehungen zum Lande sinnige Torheiten verbreitet worden, daß man glau-
Österreich ja keineswegs rein außenpolitischer Art ben müßte, unsere Partei setze sich außerhalb
sind. Das Land Österreich ist ein Land, das nicht Hannovers aus nackten und klaren Idioten zu-
nur der Zunge, sondern auch der Kultur nach zu sammen.
uns als Brudervolk gehört. Meister wie Mozart, (Zuruf links: Sehr richtig! — Heiterkeit.)
Bruckner, Grillparzer, Schubert oder Hofmanns- Es ist immer gefährlich, den politischen Gegner zu
thal unterschätzen. Man tut eher gut daran, ihn zu-
(Beifall rechts) nächst für klüger zu halten, als er ist.
sind deutsche Genien österreichischer Herkunft, ge- (Abg. Dr. Schmid: Aber dagegen verstoßen Sie!)
nau so wie es deutsche Genien von allen möglichen
Herkünften gibt. An dieser Tatsache sollen staat- Wir sind keine Idioten.
liche Grenzen niemals etwas ändern. - (Heiterkeit.)
Nun zum Schluß der Regierungserklärung! Un- Es ist kein Geheimnis, daß die Deutsche Partei ihre
sere Mitarbeit an der Regierung hängt davon ab, Wiege in Niedersachsen hat. Es sollte aber allen
daß die Erklärung des Herrn Bundeskanzlers über Menschen mit einiger Verstandesklarheit mittler
den sozialen Charakter seines Kabinetts nicht nur weile ruchbar geworden sein, daß sie eine Partei
Worte bleiben, sondern erfüllt werden. Wir sind ist, die sich über die Landesgrenzen hinaus ver-
uns klar darüber, daß weite Kreise der Arbeiter- breitet und dabei ihr Wesen irgendwie wandeln
schaft uns gewählt haben. Ich brauche die Herren muß; denn daß wir in Schleswig-Holstein für han-
aus Schleswig-Holstein an die einzelnen Zahlen der noversche Belange eintreten sollten, das wäre ja
Wahlkreise nicht zu erinnern. Sie haben dort eine eine Zumutung, die geradezu grotesk ist.
Art Schockwirkung ausgelöst. Dennoch lehnen wir (Lachen links.)
es mit aller Entschiedenheit ab, uns etwa „Arbeiter-
partei" nach dem Vorbild der NSDAP zu nennen. Das liegt uns in der Tat gänzlich fern. Uns hat da-
Denn wir sind im schärfsten Gegensatz zur SPD her schon sehr früh bei der NLP ihr deutsches
der Meinung, daß es gänzlich unmöglich ist, für Programm angezogen, und wir haben in dieser Par-
einen einzelnen Stand auf Kosten anderer Stände tei etwas gesehen, was dem deutschen Wähler, der
irgendwelche Erfolge zu erzielen. Wir sind nicht sich bis dahin politisch heimatlos fühlte, fehlte. So
nur für die Arbeiter, sondern mit der gleichen Ent- haben wir uns dieser Partei angeschlossen, die jetzt
schiedenheit für die Landwirte, für die Gewerbetrei- in der Regierung ist, zur Pflege nicht der Masse,
benden, für die Kaufleute, für die Gelehrten, für sondern des deutschen . Menschen als vornehmsten
die freien Berufe. Die Abwägung, wie man diese Trägers unserer Staatspolitik, des deutschen Men-
Stände zum Zuge kommen läßt, das ist die Kunst schen, der naturrechtlich, darf ich sagen, kraft gött-
der Politik des Innern. Darüber mag später das lichen Gebots an seine Heimat gebunden ist, in der
Nötige gesagt werden. Wir sind uns aber vollkom- Familie aufwächst, dem Stamme angehört und der
men darüber klar: ein Kabinett, das etwa gegen im Stamm zum deutschen Volk zusammenwächst.
die Interessen des volkreichsten Standes, des Ar- (Zurufe links.)
beiterstandes, regieren wollte, würde sich selbst Dieser Naturverbundenheit stehen aber Pflichten
sein Grab schaufeln. gegenüber, und zwar dem Freiheitsrecht die Dul-
(Abg. Dr. Schmid: Es wird!) dungspflicht. Freiheit — das bitte ich jedermann
— Es wird es nicht. Prophezeien ist sehr gefähr- sich hinter die Ohren zu schreiben — darf nur be-
lich, Herr Professor! Hitler hat auch sehr viel pro- gehren, wer sie gewähren will. Und die Duldung
phezeit. Man kann sich dabei in die Nesseln setzen. ist das erste Gebot der Freiheit. Die Haltung, die
Nun dazu das eine Wort des Vorbehalts. Der wir so einnehmen, mag man als ethischen Konser-
Herr Bundeskanzler sprach von den Besitzverhält- vatismus bezeichnen. Diesen Namen in der Firma
nissen an der Schlüsselindustrie im Ruhrgebiet. zu führen, lehnen wir entschieden ab; denn eine
Wenn damit etwa gemeint sein sollte, die Besitz- Verwechslung mit ostelbischem Reaktionärtum ist
verhältnisse sollten sich in dem Sinne ändern, daß uns meilenfern. Wir sind gegenwartsnahe und zu-
sie zum Teil wenigstens einem Kollektiv der Be- kunftsgläubig und haben mit der Vergangenheit
legschaft zugeführt werden, so glauben wir, da- nichts anderes zu tun, als daß wir bewahren möch-
mit würde der Arbeiterschaft ein sehr schlechter ten, was echten und guten deutschen Wesens ist.
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(Ewers)
Wir bekennen uns insbesondere zu der Erklärung derjenige, der vor ihr steht, nur ein Achselstück
des Herrn Bundeskanzlers über die entschiedene träger oder ein Kerl ist. Diese Unterscheidung: Kerl
Abkehr von allen antidemokratischen Richtungen. oder Vorgesetzter, ist ihr im Blute; und danach
Wir sind eine Partei der deutschen Demokratie oder folgt sie. Seien Sie versichert, wenn Sie der Jugend
des demokratischen Deutschlands, und zwar ist die Aufblick und Achtung und Ehrfurcht einpauken
Betonung auf beiden Wörtern, auf Beiwort und können, nicht durch Lehrgänge,
Hauptwort, gleich stark. Wir lehnen die Nachäffung (Abg. Dr. Schmid: Durch Stahlhelm!)
ausländischer demokratischer Formen, seien sie von
England, von Amerika oder von Frankreich ange- sondern durch Haltung, dann haben Sie sie zu
priesen, durchaus ab. Wir wollen eine Demokratie einem großen Teil gewonnen. So unsere Erfahrung,
deutschen Wesens und deutschen Gepräges bilden. die ich auf Kosten der eigenen Partei zum besten
gebe.
(Zuruf von der KPD: Daran wird die Welt
genesen!) (Abg. Dr. Schmid: Das hat Herr Seldte auch
gemacht!)
— Daran soll keineswegs die Welt genesen, son- Und was die Demokratie anlangt, so muß für sie
dern unser Volk soll endlich einmal zur Ruhe und genau das gleiche gelten.
Genesung kommen. Diese Demokratie muß, mit
dem akademischen Ausdruck des Herrn Dr. Schu- (Zuruf des Abg. Dr. Schmid.)
macher gesprochen, in der Tat „Angelegenheit deut- — Herr Dr. Schmid, bitte, hören Sie jetzt einmal
scher Herzenswärme" werden, wenn sie je gedeihen ganz genau zu, ohne Zwischenrufe!
soll. Verordnet durch Paragraphen oder vorge- (Abg. Dr. Schmid: Sie machen es mir schwer!)
schrieben durch Besatzungsmächte kann sie nicht Die Demokratie der Weimarer Zeit ist an ihrer Hal-
allein werden, sondern diese deutsche Herzens- tungslosigkeit, ich möchte sagen, an ihren ungebü-
wärme gilt es hervorzurufen. Wir, die wir auf der gelten Hosen zugrunde gegangen.
rechten Seite des Hauses stehen, sehen unsere (Heiterkeit und Zurufe.)
Hauptaufgabe darin, den deutschen Menschen, ins-
besondere den jungen deutschen Menschen, an de- Wir deutschen Menschen und gerade die unpoliti-
mokratische Staatsformen zu gewöhnen, ihn um sche Masse will einen Aufblick haben, sie will ver-
Gottes willen nicht zu schulen, denn geschult sind ehren, sie will sagen: Hier wird repräsentiert.
wir langsam genug, sondern ihn dahin zu führen, (Abg. Renner: Deshalb ist sie Hitler ver
daß er darin nichts Verächtliches sieht. Die Schu- fallen!)
lung, die wir die letzten vier Jahre unter dem Se- Sie achtet auf die Haltung, die man ihr von der
gen der Besatzungsmächte und unter dem Treiben demokratischen Führung entgegenbringt.
demokratischer Stümper durchgemacht haben, war Leider Gottes begann unsere Geburtsstunde als
nicht gerade sehr verheißungsvoll. eigener Staatskörper mit einer ganz tief bedauer-
Wenn hier von einer nationalrevolutionären Be- - lichen Haltungslosigkeit. Als der Herr Bundespräsi-
wegung gesprochen worden ist, so ist das selbstver- dent Heuss gewählt war, hat es die Linke für mög-
ständlich übertrieben. Es beruht darauf, daß, wenn lich gehalten, in ihm nur den Mann und nicht den
irgendein späterhin vor Gericht als nicht verant- Träger unserer Staatsgewalt zu sehen. Als er durch
wortlich erkannter Zwischenrufer oder Redner Erheben von den Plätzen geehrt wurde, blieb sie
einer Versammlung etwas ausgemacht Törichtes geschlossen sitzen. Das ist eine Haltungslosigkeit,
und Dummes gesagt hatte, die Weltpresse davon die in unseren Reihen tiefste Empörung ausgelöst
widerhallt. Von meinen Reden, die ich in Versamm- hat.
lungen gehalten habe, ist fast nie — — (Zustimmung rechts.)
(Lachen links.) Davor warne ich nachhaltig. Wir hätten umgekehrt,
Das wäre eine Reklame gewesen. Das dagegen war wenn einer Ihrer Herren gewählt worden wäre,
Verächtlichmachung des politischen Gegners. Herr nicht die Person, sondern den Staatsmann gegrüßt,
Wunnerow ist eine bekannte Persönlichkeit gewor- der unser Staatsoberhaupt ist. Eine solche Haltung
den, aber er fiel unter § 51 und konnte nicht be- müssen wir in einer wahrhaften deutschen Demo-
straft werden. Derartige Methoden der politischen kratie unter allen Umständen verlangen. Nur wenn
Propaganda lehnen wir weit ab. das gewahrt wird, kann ich sagen, daß die Möglich-
keit gegeben ist, daß demokratisches Wesen eine
Was aber in diesem Zusammenhang die Jugend „Angelegenheit der warmen Herzen" wird, wie
anlangt, so steht die Jugend weder links noch Herr Dr. Schumacher es bei der Einheit Deutsch-
rechts, sondern sie steht politisch vielleicht überall. lands gewünscht hat. Das ist die Voraussetzung für
Sie verweilt in Massen auf den Fußballplätzen. Und unser Leben, nicht das, was Gesetze vorschreiben,
das ist vielleicht ganz gut so. Wenn Sie aber wissen sondern, wie Herr Dr. Schäfer gesagt hat, was
wollen, was wohl die Jugend von ganz links bis Brauch und Sitte und Anstandsgefühl für richtig
ganz rechts nicht mehr will, so will ich Ihnen das halten.
sagen: sie will nicht mehr Schlagworte.
(Zuruf von der KPD: Blut und Boden!)
(Zuruf links: Keinen neuen Krieg!)
Das ist das, was die Menschen formt und was die
Sie hat die Ohren noch voll; noch heute dröhnen Dinge gestaltet. Nicht das, was eine Partei durch
ihr die vielen Spruchbänder und Lautsprecheran- Gesetzesparagraphen oder Druckpapier zum besten
lagen des Dritten Reiches in den Ohren. Danach ist gibt, wirkt, sondern das, was die Menschen erleben
der große Trümmerhaufen gekommen. Mit Schlag- und was ihnen in Fleisch und Blut übergeht.
wörtern ist gar nichts gedient, wohl aber mit Hal- So sehen wir die Möglichkeit einer deutschen
tung und mit Vorbild. Demokratie durchaus gegeben, wenn alle wahrhaft
(Zurufe und Lachen links.) demokratischen Parteien — die Kommunisten
— Lachen Sie nur, Herr Renner! Wenn Sie darüber schließe ich ausdrücklich aus — sich nur in der Hal-
lachen, wird die Jugend Ihnen nicht folgen. Bewah- tung einig sind, daß wir, ganz anders als in der
ren Sie lieber Haltung! Das ist viel gesünder für Weimarer Zeit, die Demokratie nicht als eine, sagen
Ihre Richtung. Diese Haltung und dieses Vorbild ist wir einmal, rein genossenschaftliche Gesamtwirt-
die Erfahrung aus sechs Kriegsjahren, die die Ju- schaft ansehen, sondern als ein Staatswesen, das
gend gemacht hat. Denn sie weiß ganz genau, ob etwas auf sich hält.
Deutscher Bundestag — 7. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. September 1949 53
(Ewers)
Ich möchte in diesem Zusammenhang ganz per- Farben leider — wiederum mit den Worten Dr.
sönlich, nicht für meine Fraktion, eine Frage an die Schumachers — nicht Angelegenheit deutscher Her-
Herren dieses Hauses richten: Soll eigentlich, so- zenswärme sind, ohne daß — das möchte ich beto-
lange der Bundestag überhaupt tagt, die Flaggen- nen — gegen diese historisch völlig einwandfreien
gala da draußen wehen? Mir ist das zu festlich. So Farben irgend etwas zu sagen wire.
etwas, was am Anfang zu Recht geschehen ist, (Lebhafte Zurufe von der SPD.)
sollte für den Feiertag aufgespart werden. Es ist Daß wir kein Bundeslied haben, ist tief bedauer-
nichts dagegen einzuwenden, daß die Bundesflagge
hier auf dem Hause weht, wenn wir tagen. Das lich, und ich weiß nicht, was die Linke hindert, das
Haus ist dann eben besetzt. Ich bitte aber zu prü- von ihrem Reichspräsidenten Ebert uns geschenkte
fen — ich sage das ganz offen —, ob die Flaggen- Nationallied wieder einzuführen. Ich halte es für
einen Ausdruck unseres deutschen Wesens auch in
gala da vorn dem Ansehen unseres Bundestags und einem friedfertigen und durchaus in Europa sich
unserer Republik auf die Dauer nützlich ist, ob es einzureihen bestrebten deutschen Vaterland.
zweckmäßig ist, wenn hier dauernd festlich ge-
schmückt ist. Man kann darin auch zuviel tun. (Lebhafte Zurufe von der SPD: Schluß jetzt!)
Nun noch eins, und damit komme ich auf den Ich komme nunmehr zum Schluß. Meine Damen
Punkt, den wir schon durch Zwischenrufe berührt und Herren! Es lag mir ob, für meine Fraktion zu
haben. Auch die Demokratie braucht Symbole. Was erklären, in welchem Geiste wir an der Regierung
die Farben Schwarz-Rot-Gold, die im Fahnentuch teilzuhaben entschlossen sind, damit Sie genau wis-
leider nur schwarz-rot-gelb sein können, anlangt, sen, mit wem Sie es zu tun haben. Seien Sie ver-
(Rufe links: Aha!) sichert: reaktionär sind wir in keiner Weise.
so ist gegen diese Farben historisch wenig einzu- (Erneute lebhafte Zurufe.)
wenden. Die Vergangenheit ist vergangen, und nichts in uns
(Starke Unruhe links. Erregte Rufe von der ist bereit, Vergangenes wiederherzustellen.. Wir
SPD: Raus! — Zuruf: Wir halten hier keine schauen in das neue Land der Zukunft, und wir
Nazi-Reden! — Weiterer Zuruf von der hoffen und vertrauen, daß mit der nunmehr gebil-
SPD: Mit diesen Provokationen hört es deten Bundesregierung die ersten Schritte in diese
auf! — Vielfache Rufe: Schluß! — Glocke noch wolkenverhangene Zukunft für das gesamte
deutsche Volk nicht ohne Segen sein werden. Darf
des Präsidenten.) ich meine Ausführungen mit dem kurzen Ausruf
Präsident Dr. Köhler: Herr Abgeordneter, Sie ha- Goethes schließen: Wir heißen euch hoffen!
ben — — (Lebhafter Beifall bei der DP.)
(Zuruf von der SPD: Das ist die Methode
Präsident Dr. Köhler: Meine Damen und Herren,
der SA!) das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Seelos.
— Jetzt lassen Sie mich bitte sprechen, sonst kann
ich die Angelegenheit nicht regeln. — Herr Abge- Dr. Seelos (BP): Herr Präsident! Meine Damen
ordneter, Sie haben von den Farben Schwarz-Rot- und Herren! Bevor ich zur Regierungserklärung
Gelb gesprochen. Haben Sie damit die Farben der selbst Stellung nehme, möchte ich grundsätzlich
Bundesrepublik Deutschland gemeint? über den Rahmen sprechen, in dem eine Arbeit der
(Zuruf von der SPD: Natürlich!) Bayernpartei im Bunde möglich erscheint. Die
Bayernpartei begrüßt die Gelegenheit, um hier vor
Ewers (DP): Ich habe gesagt: Die Farben Schwarz- dem Forum Deutschlands und der Welt eine Frage
Rot-Gold lassen sich im Fahnentuch leider nur als anzuschneiden, die durch die Ablehnung der Bon-
schwarz-rot-gelb darstellen. ner Verfassung durch Bayern entstanden ist: die
bayerische Frage. Die bayerische Frage wird so
Präsident Dr. Köhler: Ich bitte, Ihre Worte zu lange nicht mehr aus der Politik ausscheiden, als
wiederholen. nicht die Beziehungen zwischen dem Bund und
(Erneute erregte Rufe von der SPD: Schluß!) Bayern neu geregelt sind. Wir erklären mit Nach-
druck, daß auch wir Bayern Deutschland wollen.
Ewers (DP): Ich habe gesagt: Die Farben Schwarz- Wir haben nur eine andere Auffassung von seiner
Rot-Gold, die im Fahnentuch leider nur in schwarz- verfassungsrechtlichen Gestaltung, die sich aus den
rot-gelb darzustellen sind. harten Lehren der deutschen Geschichte ergibt. Die
(Erneute Rufe von der SPD: Raus! - immer größere Machtanballung unter preußisch-
Glocke des Präsidenten.) deutscher Führung hat uns nacheinander zwei
Weltkriege gebracht. In einer föderalistischen Ge-
Präsident Dr. Köhler: Herr Abgeordneter Ewers, staltung des neuen Bundes sehen wir gerade auch
IhreAusfüngidartesl,ßi für Deutschland, an dem wir von ganzem Herzen
den Eindruck erwecken müssen, als wollten Sie eine hängen und zu dem wir uns in Freud und Leid be-
Kritik an den verfassungsmäßig festgelegten Far- kennen, die beste Friedenssicherung. In einem sol-
ben der Bundesrepublik Deutschland üben. Die ver- chen wahrhaft föderalistischen Deutschland wird
fassungsmäßigen Farben der Bundesrepublik sich der bayerische Staat und das bayerische Volk
Deutschland sind Schwarz-Rot-Gold. Ich bin nicht wohlfühlen, weil er uns der Notwendigkeit enthebt,
geneigt, eine andere Bezeichnung dieser Farben immer nur auf der Wacht und in der Sorge um
hier zuzulassen. unsere staatliche Existenz zu sein und uns damit in
eine Abwehrstellung zu drängen, die wir gar nicht
(Lebhafter Beifall in der Mitte und bei der wollen. Bayern ist in wenig veränderten Grenzen
SPD.) seit 1400 Jahren ein selbständiger Staat gewesen,
(Zurufe von der SPD)
Ewers (DP): Mir hat es völlig ferngelegen — das
wäre eine Haltungslosigkeit —, gegen die im Grund- bis ihn Hitler 1933 zu einer Provinz degradierte.
gesetz festgelegten Farben unseres Staates irgend Die Hüterin des bayerischen Staatsgefühls ist die
etwas sagen zu wollen. Ich habe nur erklären wol- Bayernpartei geworden,
len, daß in weiten Schichten unserer Wähler diese (lebhafte Zurufe in der Mitte)
54 Deutscher Bundestag — 7. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. September 1949
(Dr. Seelos)
die bei den Bundeswahlen einen eindrucksvollen auf Grund unserer engen stammesmäßigen Bezie-
Vertrauensbeweis des bayerischen Volkes für ihre hungen zwischen Bayern und Österreich
föderalistische Ideologie bekommen hat. (Zuruf links: Donau-Föderation!)
(Erneute lebhafte Zurufe von der SPD. — an die Auswirkung und den Eindruck in Öster-
Abg. Dr. Schmid: O Kurfürst Max-Emanuel!) reich zu denken.
— Herr Carlo Schmid, hören Sie auf, der Sie sich (Beifall bei der BP. — Zuruf: Das hat
da unten in einem von den Alliierten geschaffenen schon einmal einer gesagt!)
Kleinstaat die Allongeperücke des Duodezfürsten Die gleichen preußisch-deutschen Kreise, die schon
als Staatspräsident aufsetzen wollten! 1866 Österreich aus dem Deutschen Bund getrie-
(Lebhafter Beifall bei der BP. — Zurufe ben haben, waren in Bonn wieder am Werk.
und Lachen bei der SPD.) (Lachen links und in der Mitte.)
Obwohl die Stärke der Bayernpartei bereits vor Wir haben volles Verständnis, wenn die Preußen
Beginn der Bonner Verhandlungen durch Wahlen ihre Hauptstadt Berlin immer wieder in den Vor
erwiesen war, ist sie gegen jede demokratische Art dergrund ihrer Betrachtungen und Sorgen stellen,
von den Bonner Verfassungsberatungen völlig aus- (Zurufe von der SPD)
geschlossen geblieben. Wir sind daher nicht für
diese Verfassung verantwortlich, die die Staatlich- lassen Sie uns aber das Recht, daß unser Herz
keit Bayerns weitgehend aushöhlt und einem über- warm schlägt für unser Brudervolk Österreich!
mäßigem Zentralismus Tür und Tor öffnet. (Zuruf: München, Hauptstadt der Bewegung!)
(Zuruf: Meinen Sie den bayerischen Zen- — Na, von der Gegenbewegung wollen wir auch
tralismus?) reden!
Wir Bayern sehen aber in einem zentralistischen (Zurufe.)
Kommandostaat preußischer Prägung, Wir Bayern sehen nur in einem baldigen Auf-
gehen in Europa einen endgültigen Schutz vor den
(lebhafte Zurufe) gefährlichen Tendenzen eines neuen preußisch-
auf den die Tendenzen der Bonner Verfassung hin- deutschen Machtstaates. Weil wir in diesem Be-
weisen, — — kenntnis zum föderalistischen Deutschland eine
(erneute lebhafte Zurufe: Bayern! — Existenzfrage des deutschen und des bayrischen
Glocke des Präsidenten.) Volkes sehen, bekämpfen wir die zentralistische
Bonner Verfassung.
Präsident Dr. Köhler: Herr Dr. Seelos spricht in (Zuruf in der Mitte: Seit wann vertreten
seiner Eigenschaft als Abgeordneter der Bayern- Sie eigentlich diesen föderalistischen
partei. Ich darf das noch einmal feststellen. - Standpunkt?)
(Zurufe und Heiterkeit.) Sie ist uns durch die Bestimmungen der Londoner
Dokumente vom 1. Juli 1948 aufgezwungen wor-
Dr. Seelos (BP): — auf den die Tendenzen der den, wonach zwei Drittel der Länder die anderen
Bonner Verfassung hinweisen, eine politische Ge- zwingen, die Verfassung anzunehmen. Ein Staat
fahr, da er das Aufgehen Deutschlands in Europa kann aber nicht durch Mehrheitsbeschlüsse zur
und den Zusammenschluß zu einer europäischen Einbuße oder Aufgabe seiner Staatlichkeit gezwun-
Gemeinschaft hemmt oder gar verhindert, weil er gen werden.
insbesondere eine ehrliche Versöhnung und dau- (Sehr richtig! bei der BP.)
ernde Verständigung zwischen Deutschland und Die Bayern-Partei wird deshalb eine Neuregelung
Frankreich erschwert, ohne die wir nie zu einer der Bundesverfassung im föderalistischen Geist bei
wahrhaft europäischen Gemeinschaft und einer erstgegebener Gelegenheit aufgreifen.
aufrichtigen Friedensatmosphäre in der Welt kom- (Lachen und Zurufe in der Mitte.)
men. Wir werden dann in freiwilliger Vereinbarung, und
(Zustimmung bei der BP. — Zuruf links: nicht gezwungen wie jetzt, dem Bund alle notwen-
Nun hören Sie aber auf!) digen Rechte zugestehen.
Man soll sich nicht mit den Lippen zum europä- (Zuruf von der BP: Bis jetzt ist es Befehl
ischen Gedanken bekennen, wenn man gleichzeitig der Militärregierung, sonst nichts! — Ge
durch Förderung eines zentralistischen Staates das genruf rechts: Ahnungsloser Engel!)
Mißtrauen der Welt erregt. Wenn die Bayern-Partei trotz dieser ablehnenden
(Beifall bei der BP. — Lachen links.) Haltung zur Verfassung durch Abgeordnete im
Nur ein föderalistisches Deutschland, für das wir Bundestag vertreten ist, so deshalb, um die weni-
leidenschaftlich kämpfen, bietet die Garantie für gen föderalistischen Möglichkeiten der Bonner Ver-
ein friedliches Deutschland. fassung auszuschöpfen, um die zentralistischen Ten-
(Zuruf: Nanu!) denzen, die in diesem Hause so stark vertreten sind,
Nur ein friedliches Deutschland kann Mitglied der möglichst zurückzudrängen und die selbstverständ-
europäischen Völkerfamilie sein. lich gewordene Benachteiligung Bayerns in wirt-
schaftlicher und finanzieller Hinsicht zum Ende zu
(Zurufe.) bringen.
Deutschland wird deshalb föderalistisch sein, oder (Zurufe.)
es wird nicht sein! Ich will nun zum Kabinett des Herrn Bundes-
(Lebhafter Beifall bei der BP. — Zurufe kanzlers selbst sprechen. Wir haben dem Kabinett
von der SPD.) Dr. Adenauer in völliger Unvoreingenommenheit
Das Bonner Grundgesetz, das in vielem eine Fort- entgegengesehen, da wir es als die logische Konse-
setzung der Weimarer Verfassung darstellt, schließt quenz der letzten Jahre betrachten. Wir haben den
durch seine zentralistische Gestaltung andere deut- verschiedenen Anregungen, in das Kabinett einzu-
sche Länder wie Österreich auf immer aus der treten, nicht nachgegeben,
deutschen Gemeinschaft aus. Gerade wir Bayern (Zuruf in der Mitte: Wollten Sie nicht dem
aber können deutsche Dinge nie betrachten, ohne Kabinett angehören?)
Deutscher Bundestag — 7. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. September 1949 55
(Dr. Seelos)
um die Bewegungsfreiheit für die Durchsetzung nisterien organisiert sind, können wir nicht ein-
unserer föderalistischen Ziele und Forderungen in- sehen, wozu man dem Innenministerium ein solches
nerhalb dieser Regierung nicht zu verlieren. Gewicht gibt, nachdem doch die Fragen der inneren
(Zuruf in der Mitte: Wer hat angeregt?) Verwaltung und der Polizei zur Zuständigkeit der
Die Zusammensetzung des Kabinetts und auch die Länder gehören. Wir müssen fast vermuten, daß
Regierungserklärung des Herrn Bundeskanzlers ha- man auf dem Gebiet der inneren Verwaltung und
ben unsere Bedenken voll bestätigt. Das Bundes- der Polizei einen Einbruch in die wenigen verblie-
kabinett wird allein durch die Zahl der Ministerien benen Hoheitsrechte der Länder vorhat. Wir wer-
den deshalb die Arbeit des Bundesinnenministe-
(Zurufe) riums mit größter Sorgfalt verfolgen.
mit ihren neuen Aufgabengebieten zu einer immer
stärkeren Machtzusammenballung im zentralisti- (Ironische Bravo-Rufe in der Mitte.)
schen Sinn führen. Das Kabinett enthält nicht weniger als fünf
(Lachen und Zurufe in der Mitte und rechts.) Über Ministerien, nämlich für die Angelegenheiten
-

Die Regierungsbank kann die Fülle der Minister des Marshallplans, für den Wohnungsbau, für die
nicht mehr fassen. Kein Mensch konnte diese In- Vertriebenen, für die gesamtdeutsche Frage und
flation voraussehen. für die Angelegenheiten des Bundesrats. Wenn wir
angesichts der entscheidenden Bedeutung der
(Zuruf: Sie reden doch nicht auf dem Ok Flüchtlingsfrage einem Flüchtlings-Ministerium zu-
toberfest! — Weitere Zurufe.) stimmen, so sehen wir in der Schaffung von vier
Die Empfehlungen des Organisationsausschusses, weiteren Über-Ministerien nur eine sehr große Er-
in dem wochenlang die besten Sachverständigen schwernis der Regierungsarbeit, die sich weitge-
sich über die Zweckmäßigkeit und Zahl der Mi- hend in Kompetenzstreitigkeiten und Zuständig-
nisterien unterhalten und diese auf neun bzw. zehn keitsschwierigkeiten erschöpfen kann. Selbstver-
festgesetzt haben, sind einfach beiseite geschoben ständlich
Aufgaben,rsiköchaeprobtR- handelt es sich hier um lebenswichtige
worden.
(Zuruf in der Mitte: Das ist ja „furcht gierungspraxis viel besser im Rahmen von Staats-
bar"! — Gegenruf: Das waren eben keine sekretariaten oder durch Ministerialdirektoren be-
Sachverständigen!) handeln und zu einem sachgemäßen Ende bringen
Es handelt sich hier aber nicht bloß um die Per- lassen. Wir fürchten, daß in dem allzu großen Zu-
sonen der Minister, sondern jeder von ihnen hat im ständigkeitskampf der Bundesministerien dann
Gefolge eine Schar von neuen Bürokraten. wiederum die Rechte der Länder zu kurz kommen,
wenn sie sich dann anmelden, um auch in den Zu-
(Zuruf in der Mitte: Wolltet Ihr nicht auch
Stellen haben?) ständigkeitsfragen hinsichtlich der Länder gehört
zu- werden.
Wie man bei der Not unseres Volkes eine solche (Anhaltende Unruhe und Lachen. —
Aufblähung des Regierungsapparats verantworten
kann, ist uns unverständlich. Glocke des Präsidenten.)
(Lachen in der Mitte und Zurufe.) Es ist bedauerlich, daß die Schaffung dieser neuen
Super-Ministerien nicht aus ernsthaften staatspoli-
Wenn uns von seiten des Herrn Bundeskanzlers tischen Notwendigkeiten, sondern aus dem durch-
versichert wird, daß es sich bei einigen Ministerien sichtigen Geltungsbedürfnis von politischen Grup-
nur um vorübergehende Erscheinungen handelt, so pen geschehen ist. Die Errichtung eines Bundes-
möchten wir darauf hinweisen, daß Baracken be- ministeriums für Angelegenheiten des Bundesrats
kanntlich am längsten stehen. ist für uns noch keine Garantie für die Lösung der
(Lachen.) föderalistischen Frage, die wir nur in der materiel-
len Berücksichtigung der Länderansprüche sehen.
Präsident Dr. Köhler: Was meinen Sie mit Ba-
racken? Zu der personellen Zusammensetzung des Bun-
deskabinetts müssen wir darauf hinweisen, daß
Dr. Seelos (BP): Baracken sind etwas Vorüber- uns der föderalistische Charakter der Regierung
gehendes; sie halten aber immer länger, als eigent- gefährdet erscheint, wenn so ausgesprochene Zen-
lich geplant. tralisten wie Herr Storch und Herr Kaiser daran
teilnehmen.
Präsident Dr. Köhler: Ich möchte Sie nochmals (Lachen in der Mitte.)
fragen: Sie meinten damit die Ministerien, die sei- Herr Storch hat in Frankfurt die Interessen der
tens des Herrn Bundeskanzlers als vorübergehend Länder in keiner Weise berücksichtigt und ihnen,
genannt wurden? ohne für eine Deckung zu sorgen, schwerste La-
sten aufgebürdet. Bei dem Ministerium für ge-
Dr. Seelos (BP): Das war nur die Einrichtungs- samtdeutsche Fragen werden wir sehr darauf
dauer. achten, daß es nicht zu einem Ministerium zur Li-
quidation der deutschen Länder wird.
Präsident Dr. Köhler: Herr Abgeordneter, ich
bitte, mit solchen Vergleichen doch in Zukunft et- (Lebhafter Beifall der BP.)
was vorsichtiger zu sein. Wenn wir schon Meldungen lesen, daß dieses Mi-
nisterium ganz oder zum Teil nach Berlin kom-
Dr. Seelos (BP): Mit Erstaunen haben wir festge- men soll,
stellt, daß innerhalb des Kabinetts dem Reichsmini- (Huh-Rufe in der Mitte)
sterium des Innern der erste Platz unter den Mi-
nisterien zugewiesen wurde. dann stimmt uns das doppelt zur Vorsicht. Will
man hier eine Zweiteilung des Kabinetts auf kal-
(Zurufe: Wir sind nicht mehr im Auswär tem Wege machen, teilweise mit Sitz in Bonn, teil-
tigen Amt! Es heißt Bundesministerium!) weise mit Sitz in Berlin, und dann noch die an-
Da bereits die wichtigsten Sachgebiete — das deren Behörden sogar in Frankfurt, oder will man
Flüchtlingswesen, die gesamtdeutsche Frage, die einen Teil der Regierung der Kontrolle des Bun-
Angelegenheiten des Bundesrats - in eigenen destags und des Bundesrats entziehen? Wir mel-
Mi-
56 Deutscher Bundestag — 7. Sitzung. Bo nn, Donnerstag, den 22. September 1949
(Dr. Seelos)
den dann jetzt schon unsere schärfste Opposition — Ja, und in Berlin waren die größten Nazis!
an.
(Abg. Dr. Schmid: Ihr habt ihn doch er-
(Unruhe.) funden! — Abg. Dr. Baumgartner: Die
Das Kabinett Adenauer trägt mit den Antipoden preußischen Offiziere um Ludendorff und
Storch und Kaiser auf der einen Seite, Hellwege um Hitler! — Abg. Strauß: Und die Leute
und Schäffer auf der anderen Seite ein föderali- vom Auswärtigen Amt!)
stisch-zentralistisches Janusgesicht.
Präsident Dr. Köhler: Meine Damen und Herren,
(Lachen.) nachdem die Zwischenphase der Zwischengespräche
Wir können nur hoffen, daß das milde Gesicht des beendet ist, fährt der Herr Abordnete Dr. See-
Föderalismus uns öfter zulächelt. los fort.
(Abg. Strauß : Sie meinen damit wohl
Ihren eigenen Kopf? Dr. Seelos (BP): Wir haben die Regierungs-
Fast kann man sich des Gedankens nicht erwehren, erklärung des Herrn Bundeskanzlers sorgfältig
daß ein Föderalist innerhalb des Kabinetts, in dem danach geprüft, ob wir eine Ausschöpfung der
er auch zentralistische Regierungserklärungen und wenigen in der Bonner Verfassung vorhandenen
Maßnahmen mitmachen und billigen muß, unge- föderalistischen Tendenzen erwarten können. Wir
fährlicher ist und besser an die Leine genommen sind in dieser Hoffnung tief enttäuscht worden.
werden kann als nur innerhalb der Fraktion. (Zuruf in der Mitte: Gott sei Dank!)
(Abg. Schütz: Wir brauchen einen guten Der Herr Bundeskanzler hat in seiner 11/2stündigen
bayerischen Bevollmächtigten!) Rede die föderalistischen Dinge fast nur in einem
Satz behandelt, während er in den anderen Aus-
Meine Damen und Herren! Wenn ich nun zu dem führungen nur auf die materiellen Spannungs-
materiellen Inhalt der Regierungserklärung Stel-
verhältnisse eingegangen ist. Durch die Unter-
lung nehme, so möchte ich folgendes sagen: Der streichung der Redner der Regierungsparteien, die
ganze Tenor der Regierungserklärung, die ja auch kaum von föderalistischen Dingen oder von
sicherlich aus einem Guß war und fast alle Pro-
bleme gestreift hat, den Sorgen der Länder gesprochen haben — nicht
einmal der Redner der Deutschen Partei —, sind
(Abg. Renner: Stimmt nicht ganz!) wir sehr besorgt, in diesem Hause hier unsere
ist mir vorgekommen, als ob er doch etwas der föderalistischen Ziele noch zur Verwirklichung
inneren Herzenswärme entbehren würde. Sie war bringen zu können. Insbesondere ist auch .der Red-
eiskalt. ner der FDP ja noch über die Bonner Ver-
(Widerspruch.) fassung hinausgeschossen, indem er die Regelung
Auch die anderen Erklärungen der größten Par- der Finanzhoheit so scharf kritisiert hat. Es ist
teien, sowohl der Oppositionspartei, der SPD, und nicht richtig, daß die Alliierten etwa dieses Recht
dann der Regierungspartei, der CDU, haben nicht der Finanzhoheit der Länder angemeldet hätten.
die innere Leidenschaft in sich getragen, Wir Bayern haben handfeste Forderungen in die-
(Lachen) ser Hinsicht gestellt.
die das Volk nach 17 Jahren Elend und nach 10 Jah- (Abg. Renner: Ihr profitiert ja davon,
ren von Blut und Tränen hätte erwarten können. Ihr Bayern!)
Man hätte glauben mögen, das ganze Leben des Wir hörten in der Regierungserklärung fast nur
einzelnen würde nur aus materiellen Dingen be- davon, daß die kulturellen Zuständigkeiten der
stehen. Länder gewahrt werden sollen. Von all den ande-
(Abg. Strauß: Wo haben Sie den Krieg ren Gebieten, die genannt worden sind und die
verbracht?) nach der Verfassung zur konkurrierenden Gesetz-
Fast nie hat man die Gesamtproblematik an- gebung der Länder gehören, wurde es gerade als
sprechen hören, die uns in dieses grauenvolle Un- eine Selbstverständlichkeit betrachtet, daß hier die
glück gebracht hat. Zuständigkeit des Bundes in Anspruch genommen
werden soll. Wir haben nie ein Wort von der Eigen-
(Abg. Strauß: An dem Sie mitgewirkt haben! staatlichkeit der Länder gehört.
Wir waren Soldaten!)
(Zuruf links: Gott sei Dank!)
Fraglos handelt es sich bei den Problemen eben
nicht bloß um materielle, sondern um geistige Wir haben nie davon gehört, daß vom Bund ge-
Dinge, die wir verarbeiten müssen. Es ist in der redet worden ist, sondern nur vom Staat. Da müs-
Regierungserklärung und bei den großen Parteien sen wir sagen: Herr Bundeskanzler, wir sind hell-
fast nur die Spannung sozialer Art, auch materieller hörig in solchen Dingen, und wir sehen mit Sorge
Art angesprochen worden, ebenso die Spannungen der weiteren Entwicklung der Regierungspolitik
zwischen Opposition und Regierungsparteien, aber in föderalistischer Hinsicht entgegen.
nie die Spannungsverhältnisse zwischen dem Bund Herr Dr. Adenauer, Sie sind nicht Reichskanz-
und den Ländern. ler, Sie sind Bundeskanzler!
(Zuruf von der SPD: Kommt noch!) (Beifall bei der BP.)
Warum sind wir denn in dieses Unglück gekom- Diese Besorgnis wird dadurch unterstrichen, daß
men? Nicht weil es vielen unter den Nazis viel- der Herr Bundeskanzler erklärt hat, die Politik
leicht materiell schlecht ging, sondern weil es zu des Frankfurter Wirtschaftsrats fortsetzen zu
dieser zentralen Machtanballung gekommen ist, wollen.
nachdem die Stimmen der einzelnen Länder ver- (Abg. Schütz: Was wollen Sie denn?)
nichtet worden sind, die sich vielleicht diesem Viele Maßnahmen der Frankfurter Wirtschafts-
nationalistischen, imperialistischen Machtstreben verwaltung sind in Bayern auf schärfste Ableh-
der Nazis hätten entgegenwerfen können. nung gestoßen, weil sie von einem mangelnden
(Lebhafter Beifall bei der BP. — Wider- Verständnis für die bayrischen Notwendigkeiten
spruch bei der SPD. — Zuruf von der getragen sind
SPD: In Bayern stand das Braune Haus!) (Lachen)
Deutscher Bundestag - 7. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. September 1949 57
(Dr. Seelos)
und weil sie rücksichtslos die zentralen Machtmit- Wir begrüßen insbesondere die Zusicherung des
tel gegenüber Bayern ausgenützt haben. Die Poli- Herrn Bundeskanzlers auf eine gleichmäßigere
tik des Frankfurter Wirtschaftsrats hat sich durch Verteilung der Vertriebenen auf die verschiedenen
verhängnisvolle Widersprüche ausgezeichnet und Länder im Interesse der besonders hart betroffe-
durch eine Zweigleisigkeit in der Behandlung der nen Länder und auch im Interesse der Vertriebe-
gewerblichen und der agrarischen Wirtschaft. Dort nen selbst. Diese Zusicherungen entsprechen einem
verfolgte man die Lockerung und Aufhebung der nachdrücklichen Verlangen der Bayernpartei,
Zwangswirtschaft, hier, entgegen der tatsächlich (Zurufe von der SPD.)
bestehenden Lage, die Beibehaltung der Zwangs-
Wir bitten aber nun, daß diese Maßnahmen auch
wirtschaft.
Wenn vollends der Herr Bundeskanzler auf dem schnell und wirksam durchgeführt werden, damit
Gebiet der Ernährung und Landwirtschaft eine die Entlastung sich bald fühlbar macht
neue Linie der Intensivierung der zentralen Zu- (Abg. Strauß: Bundesexekutive?)
ständigkeiten ankündigt, so sehen wir hier bereits und wir zu einer gewissen Linderung dieser Not
die verhängnisvollen Folgen von Artikel 74 Zif- kommen.
fer 17, in der ganz allgemein und ohne Einschrän- (Zuruf von der CDU: Hoffentlich rufen Sie
kung die Förderung der Agrarwirtschaft und der nicht den Bund zu Hilfe!)
land- und forstwirtschaftlichen Erzeugung der kon- Wir stimmen im wesentlichen auch den außen-
kurrierenden Zuständigkeit des Bundes überwie- politischen Ausführungen des Herrn Bundeskanz-
sen wird. Diese Bestimmungen wurden gegen die lers bei, wenn wir auch gewünscht hätten, daß
schärfsten Warnungen des Bayrischen Bauernver- einige freundliche Worte für Ö sterreich darin ent-
bandes in die Verfassung aufgenommen, nur weil halten gewesen wären.
die Frankfurter Bürokratie diese Bestimmungen (Händeklatschen bei der BP.)
zur Ausweitung ihrer künftigen Zuständigkeiten
brauchte. Wir hatten gehofft, daß von diesen Zu- Ich habe aus den Reden der Opposition und der
ständigkeiten nur in sparsamster Form Gebrauch Regierung folgenden Eindruck bekommen: daß
gemacht werden würde. Nun aber sehen wir aus man sich immer wieder darum streitet, wer das
der Ankündigung des Herrn Bundeskanzlers, daß Erstgeburtsrecht hat in bezug auf solche außen-
eine gefährliche Offensive gegen die Zuständigkeit politischen Fragen, die das gesamte deutsche Volk
der Landwirtschaftsministerien der Länder zu er- betreffen. Es ist doch grotesk, daß irgendeine Par-
warten ist. Sowohl die Aufklärung der landwirt- tei, wie sie auch heiße, das Recht für sich in An-
schaftlichen Bevölkerung als auch die Förderung spruch nimmt, zuerst auf Fragen der Kriegsgefan-
der agrarischen Wirtschaft ist Sache der Länder genenrückführung eingegangen zu sein oder zuerst
und der Landesministerien. Wir hoffen nur, daß die Oder-Neiße-Grenze abgelehnt zu haben.
der neue Bundes-Landwirtschaftsminister sich bald (Abg. Dr. Schmid: Tun Sie es auch?)
i von den Reminiszenzen und von dem Geiste der Ich finde, es steht im Gegensatz zu der Politik,
Frankfurter Verwaltung freimacht. die die mächtigsten und größten Staaten wie die
(Abg. Dr. Schmid: Bravo!) USA und England betrieben haben, wo man außen-
politische Dinge als solche des ganzen Volkes an-
In der Unterstreichung der Förderung des Mit- sieht. Wir als ein so armes, bedrängtes und nieder-
telstandes folgen wir Herrn Dr. Adenauer in jeder
geschlagenes Volk können es uns um so weniger
Weise. Wir vermissen aber ein stärkeres Eingehen leisten, wenn es um solche Fragen der gemeinsamen
auf die Bedürfnisse des Arbeiterstandes, das nicht Not und um gemeinsame Forderungen des deut-
dadurch kompensiert wird, daß Herr Adenauer in schen Volkes geht, die Auseinandersetzung auf die
einem unverständlichen Zugeständnis an den so- NiedrungPatpolikzbrnge.
zialistischen Flügel der CDU Hinsichtlich des Besatzungsstatuts gehen wir
(Hört! Hört! und Lachen links) allerdings von etwas anderen Voraussetzungen aus.
die Forderung nach einer Neuordnung der Besitz- Das Besatzungsstatut ist von den Außenministern
verhältnisse der Grundindustrien aufstellt. Frankreichs, Großbritanniens und der Vereinigten
Staaten am 8. April 1949, also vor fast sechs Mo-
(Hört! Hört! links und in der Mitte.) naten, beschlossen worden unter Verhältnissen, die
Wie Herr Dr. Adenaue r das mit seinem Wirtschafts- völlig anders lagen als jetzt. Wir wissen nicht ein-
programm, der Förderung der freien Marktwirt- mal, ob das Besatzungsstatut als außenpolitischer
schaft, der Förderung der Privatinitiative verein- Akt von den Parlamenten der drei Mächte ange-
bart, wenn sich die Industrien von einer neuen nommen worden ist. Um so mehr sind wir dar-
Sozialisierungswelle durch die jetzige Bundes- über verwundert, daß der Herr Bundeskanzler die-
regierung bedroht sehen, ses Besatzungsstatut in seiner gestrigen Rede
(Heiterkeit und Zurufe links und in der - allerdings nicht in seiner vervielfältigten - als
Mitte) Diskussionsgrundlage hinnimmt. Von uns ist es von
scheint uns nicht ganz klar. Anfang an höchstenfalls als eine eingetragene
Sicherheitshypothek der Militärgouverneure, die
(Abg. Strauß: Carlo Schmid hat die meiste wir möglichst bald löschen wollen, angesehen wor-
Angst!) den. Wir würden es dankbar begrüßen, wenn wir
Die freundlichen Bemerkungen des Herrn Bun- mehr erfahren könnten über die Form der Über-
deskanzlers über die etwaige Möglichkeit, Auf- reichung dieses so wichtigen Schreibens durch die
wertungshärten gegenüber den Altsparern zu kor- Militärgouverneure gestern und über die Stellung-
rigieren, begrüßen wir, da das zu einer seit lan- nahme. welche die Bundesregierung in diesem Mo-
gem aufgestellten Forderung der Bayernpartei ge- ment eingenommen hat, denn das ist von größter
hört. Wir hätten es begrüßt, wenn Herr Dr. Aden- historischer Bedeutung und von größter Auswir-
auer diese Frage etwas vertieft hätte, da das zur kung auf das gesamte deutsche Volk.
Beruhigung weiter, hart betroffener Bevölkerungs- (Abg. Renner: Die Stellungnahme kann ich
teile gedient hätte. Ihnen verraten!)
5S Deutscher Bundestag — 7. Sitzung. Bo nn, Donnerstag, den 22. September 1949
(Dr. Seelos)
— Behalten Sie es für sich, das interessiert mich Versucht man, uns unseren tausendjährigen baye-
nicht! rischen Staat zu nehmen,
Den Ausführungen des Herrn Bundeskanzlers
über die Berlin-Hilfe haben wir entnommen, daß (große Heiterkeit und Zurufe)
in 15 Monaten über eine Milliarde Mark nach Ber- dann gefährden Sie den Bestand Deutschlands!
lin geflossen ist, die damit dem Aufbau der west- (Lebhafter Beifall und Händeklatschen bei
deutschen Wirtschaft entzogen worden ist. der BP. — Anhaltende Zurufe. — Unruhe.
(Zuruf links: Oho!) — Glocke des Präsidenten.)
Wir vermißten deshalb in der Regierungserklärung
einen Hinweis darauf, daß, wenn man der be- Präsident Dr. Köhler: Meine Damen und Herren,
drängten Stadt weiterhin Hilfe leisten will, man wir fahren in der Aussprache fort. Das Wort hat
auf einer Kontrolle des Verwendungszweckes be- der Herr Abgeordnete Reimann.
stehen wird.
(Abg. Dr. Baumgartner: Sehr richtig!) Reimann (KPD): Meine Damen und Herren! Der
Denn wir sind nicht gewillt, unter irgendwelchem Herr Bundeskanzler schilderte eingangs seiner Re
Mäntelchen die sozialistischen Experimente der gierungserklärung das Werden dieses westdeutschen
dortigen sozialistischen Regierung zu tolerieren. Staates. Bei dieser Schilderung dachte ich an die
(Beifall bei der BP. — Zuruf von der SPD: Entstehungsgeschichte dieses Staates und an jene
Aha!) Kräfte des Auslandes, die den Auftrag zur Bildung
Bei dieser Gelegenheit hätte man sehr wohl auch dieses Staates erteilten. Dabei dachte ich auch an
der Gebiete gedenken können, die durch die poli- jene Deutschen, die aus Furcht vor einer gesamt-
tische Grenzziehung ebenfalls schweren Schaden deutschen demokratischen Entwicklung dieses
gelitten haben und in einem schweren Existenz- durchführten.
kampf stehen, wie zum Beispiel die bayerischen Gestatten Sie, daß ich auf die Urquelle zurück-
Nordgebiete, die durch Grenzüberschneidungen und greife. Ich erinnere mich, daß eine amerikanische
Einschnitte der Ostzone und durch die Abschnü- Zeitung, die „New York Herald Tribune" vom 16.
rung gegenüber der Tschechoslowakei stark beein- März 1949, über den Sinn der damals schon ge-
trächtigt sind. Wir haben uns erlaubt, Anträge zur planten Regierung schrieb:
Behebung des Notstandes dieser Gebiete einzu- Die geplante westdeutsche Regierung ist auf
bringen, und hoffen, daß diese Anträge ebenso wie den Status einer kolonialen Verwaltungsstelle
die Anträge hinsichtlich der Berlin-Hilfe die Unter- reduziert, die nicht unter einem, sondern unter
stützung sämtlicher politischen Parteien finden drei Vizekönigen, dem französischen, britischen,
werden. -
und USA-Militärgouverneur, oder ihren zivilen
(Beifall bei der BP. — Zuruf von der CDU: Nachfolgern operiert.
Das kann nur auf der Bundesebene geregelt Deutlicher als diese Zeitung kann ich den Charak-
werden! — Zuruf des Abg. Renner.) ter dieses Staates nicht ansprechen. Es zeigt sich
Hinsichtlich der Entnazifizierung stimmen wir also: diese Regierung oder, wenn ich die Worte der
mit der Ansicht des Herrn Bundeskanzlers völlig . New York Herald Tribune" wiederholen darf,
überein, daß es endlich Zeit ist, nicht mehr zwei diese „koloniale Verwaltungsstelle" mit Herrn Dr.
Klassen von Menschen in Deutschland zu haben. Adenauer an der Spitze entspricht den Wünschen
(Abg. Dr. Schmid: Sie haben besonderen der Herren aus Washington.
Grund dazu!) (Zuruf in der Mitte: Das ist aber unerhört!
Ich hoffe, daß er davon auch die CSU-Mitglieder Das lassen wir uns nicht gefallen! — An
seines Kabinetts überzeugt, denn noch zu Beginn haltende Zurufe. — Große Unruhe. —
dieses Jahres hat die CSU ein Wahlgesetz beschlos- Glocke des Präsidenten.)
sen, das diese Gliederung in zwei Klassen von Men-
schen festgelegt hat. Präsident Dr. Köhler: Herr Abgeordneter Rei-
(Abg. Dr. Baumgartner: Sehr richtig! — mann, darf ich Sie einmal unterbrechen.
Zuruf: Das war Wahlpropaganda!)
(Abg. Reimann: Ja! — Heiterkeit.)
Wir werden im weiteren Verlauf der Aussprache
noch zu einzelnen Punkten Stellung nehmen. Für Wir haben am 7. September den ersten Bundestag
die Generaldebatte möchte ich mich mit diesen we- der Bundesrepublik Deutschland konstituiert, wir
sentlichen Ausführungen begnügen und nur noch- haben am 12. September das Staatsoberhaupt, den
mals unterstreichen, daß wir die weitere Entwick- Bundespräsidenten, gewählt, und wir haben am
lung des Kabinetts im Hinblick auf seine födera- 20. September die Mitteilung von der Bildung der
listischen und zentralistischen Maßnahmen mit deutschen Bundesregierung entgegengenommen.
größter Aufmerksamkeit verfolgen werden. Bei Ich glaube, außer Ihnen, Herr Abgeordneter Rei-
einer föderalistischen Ausgestaltung der Gesetz- mann, ist hier im Saale niemand vorhanden; der
gebung wird man auf die Mitarbeit der Bayern- etwa diesen Vorgang als den einer kolonialen
partei rechnen können; dem verhängnisvollen Zen- Stelle bezeichnen könnte. Ich erhebe Einspruch und
tralismus sagen wir unseren Kampf an. weise Sie darauf hin, daß ich, wenn Sie diese Be-
(Zurufe von der SPD: Oho!) zeichnung der Deutschen Bundesrepublik als Ko-
lonie oder Kolonialland noch einmal wiederholen,
Diese Haltung entspricht unserem allgemeinen Be-
kenntnis zu einem föderalistischen Deutschland (Hört! Hört! bei der KPD)
und unserer Ablehnung eines zentralistischen entsprechende Maßnahmen ergreifen werde.
Deutschlands. Wir bekennen uns zu Deutschland, (Beifall in der Mitte und rechts. — Zuruf
aber merken Sie wohl auf: wir sind Deutsche nur rechts: Das können Sie den Russen oder
als Bayern! in der Ostzone sagen, Herr Reimann! Ha-
(Lebhafter Beifall bei der BP. — Zurufe.) ben Sie die Heimkehrer gesehen?)
Deutscher Bundestag — 7. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. September 1949 59

Reimann (KPD): Herr Präsident, ich stelle aus- liche politische Grundlage des westdeutschen Staa-
drücklich fest, daß diese Bezeichnung ja nicht von tes darstellt, einen Friedensvertrag verhindert und
mir stammt, sondern ich zitiere die Bezeichnung die Besatzungsdauer ungeklärt läßt.'
einer amerikanischen Zeitung.
(Sehr wahr! bei der KPD.)
(Zurufe rechts: Das ist Tendenz! Das kann
ja eine kommunistische Zeitung sein! — Die Begleitmusik bei der Bildung dieser Regierung
Zuruf links: So etwas kann man eben nur ist das Geklirre rollender Panzer im Ruhrgebiet
in Bayern glauben!) und das Dröhnen der Demontagehämmer zur Ver-
Es ist daher auch kein Zufall, daß diese Regierung nichtung unserer Friedensindustrie, um die deut-
gerade eine Sammlung von Repräsentanten der sche Konkurrenz auf dem Weltmarkt auszuschalten.
deutschen Schwerindustrie (Lebhafter Widerspruch in der Mitte und
(Lachen rechts) rechts. — Vielfache Zurufe in der Mitte:
und der Finanzherren darstellt. Ostzone!)
(Zuruf: Jakob Kaiser und Storch!) — Sie werden bei meinen Reden noch sehr viel
Denn beide, die deutschen sowie die amerikani- schreien, und trotzdem werde ich Ihnen das sagen,
schen, sind ja eng miteinander verflochten. was Sie hören müssen.
(Zuruf in der Mitte: Besser als die deutsch- (Beifall bei der KPD. — Zurufe rechts: Wo
russischen!) ' haben Sie Ihren Sohn? Was ist mit den
Der Herr Bundeskanzler hat hier den Eid auf Kriegsgefangenen und den Ostvertriebe
das Grundgesetz abgelegt. Damit soll beim deut- nen? — Anhaltender Lärm.)
schen Volk der Eindruck erweckt werden, als ob - Meine Herren der Rechten, ein neues 1932 wird
das am 23. Mai verkündete Grundgesetz des Parla- es nicht mehr geben, verlassen Sie sich darauf!
mentarischen Rates die wirkliche Verfassung für (Bravo! bei der KPD. — Zuruf in der
diesen westdeutschen Staat darstellt. Mitte: Weil Ihr nicht einmal mehr 5 Pro
(Zuruf in der Mitte: Selbstverständlich!) zent zusammenbringt!)
In Wirklichkeit liegen jedoch die Dinge anders. Ich kann mich erinnern, daß 1947 bei der Verkün-
(Zuruf in der Mitte: Bei Ihnen!) dung des Marshallplans von westdeutschen Poli-
Nicht zufällig wurde gerade am Tage nach der tikern im Volk große Illusionen über den Wieder-
Regierungsbildung das Besatzungsstatut durch die aufstieg und die Blüte der deutschen Wirtschaft
drei Hohen Kommissare in Kraft gesetzt. verbreitet wurden, und am 20. Juni 1948 kündigte
(Sehr gut! bei der KPD.) -Professor Erhard neue Wunder an.
Die Hohen Kommissare brachten damit noch ein- (Zuruf in der Mitte: Sehen Sie in die
mal besonders deutlich zum Ausdruck, welches die Ostzone!)
wirkliche Verfassung dieses westdeutschen Staa- Alle Warnungen von einsichtigen Politikern im
tes ist. Wirtschaftsrat wurden in den Wind geschlagen.
(Sehr richtig! bei der KPD.) Man sah die Rettung in der separaten westdeut-
Dies wird sich in allen politischen Maßnahmen, die schen Währung und in dem Marshallplan. Heute
künftig getroffen werden, geradezu umgekehrt aus- muß der Herr Bundeskanzler in seiner Regierungs-
wirken, als es der Herr Bundeskanzler uns in sei- erklärung zugeben, daß die Gefahr einer Deflation
ner Regierungserklärung darzustellen beliebte. oder Inflation in diesem westdeutschen Staat be-
steht.
(Zuruf in der Mitte: Dann wandern wir in (Abg. Strauß: Beides zugleich?)
die Ostzone aus!)
Der Herr Bundeskanzler erklärte: Deutschland Mir scheint, die wirtschaftspolitischen Auslassun-
gen des Herrn Bundeskanzlers in seiner Regie-
ist infolge Besatzungs- und Ruhrstatut, Marshall-
plan usw. enger mit dem Ausland verflochten als rungserklärung sind noch weniger fundiert als jene
je zuvor. — Ich mache jetzt darauf aufmerksam, des Herrn Professors Erhard am Tage der Wäh-
Herr Präsident, daß ich den Herrn Bundeskanzler rungsreform.
zitiere, damit Sie mich hier nicht wieder unter- (Abg. Strauß: Da hat ein Fachmann von
brechen. euch gefehlt!)
(Heiterkeit.) Letzterer baute seine Wirtschaftspolitik auf die
„Verflechtung" nennt der Herr Bundeskanzler in Hortungslager und pries die Hortung als nationale
seiner Regierungserklärung jetzt das, was er früher Tat.
als Diktat fremder Mächte und Kolonialstatut be- (Sehr gut! bei der KPD.)
zeichnet hat. Aber worauf baut der Herr Bundeskanzler seine
(Zurufe von der KPD: Sehr gut! Seine Er-Konzeption auf? Etwa auf diesen Währungsrutsch?
klärung im Landtag von Nordrhein-West-Die heutige Währungsabwertung ist doch der
falen!) Ausdruck des verschärften Kampfes um die ver-
Dabei versucht der Herr Bundeskanzler, uns glaub- engten kapitalistischen Absatzmärkte, um den
haft zu machen, daß die Hohen Kommissare vor höchsten Anteil an dem Export, den die inter-
allen wichtigen Entscheidungen mit der Bundes- nationale Hochfinanz führt. Dieser verschärfte Kon-
regierung vorher Fühlung nehmen werden. Genau kurrenzkampf und die in seinem Zeichen erfolgte
umgekehrt wird es sein. Abwertung der D-Mark werden dazu führen, daß
einerseits Westdeutschlands Export noch stärker
(Zuruf in der Mitte: Genau wie in Ruß-gedrosselt, die Exportblockade verschärft wird. Ich
land!) erinnere in diesem Zusammenhang an die Auffas-
Ich möchte ausdrücklich noch einmal darauf auf-sung der britischen Exporteure, daß die deutschen
merksam machen, daß das Besatzungsstatut in den Waren der schärfste Konkurrent der britischen
Händen der drei Hohen Kommissare die eigent-Waren auf dem Weltmarkt sind.
60 Deutscher Bundestag - 7. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. September 1949
(Reimann)
Andererseits wird aber der Zwangsimport ame- von Löhnen und Preisen im ganzen nur zu relativ
rikanischer Waren die Lebenshaltungskosten der geringfügigen Verschiebungen führen werden." So
westdeutschen Bevölkerung enorm verteuern. sagt der Herr Bundeskanzler in seiner Regierungs-
(Sehr gut! bei der KPD.) erklärung. Die Zusammensetzung der Regierung
Durch die Abwertung der D-Mark wird den ame- läßt keinen Zweifel offen, daß die Folgen der Ab-
rikanischen Finanzleuten das Tor zu einem um- wertung der D-Mark auf die Schultern der werk-
fangreichen Kapitalexport nach Westdeutschland tätigen Bevölkerung abgewälzt werden, genau so
geöffnet. Den hat der Herr Bundeskanzler gefor- wie bei der Währungsreform. Zum zweiten Mal in
dert, zwei Jahren werden auf dem Rücken der Arbeiter,
Angestellten, Kleinsparer, Handwerker, Invaliden,
(Abg. Strauß: Besser als der Menschen- Altersrentner und des Mittelstandes Währungs-
export nach Rußland!) manipulationen durchgeführt, von denen nur die
verschweigt aber zu sagen, daß durch diesen ame- besitzende Klasse profitiert.
rikanischen Kapitalexport die deutsche Wirtschaft Meine Damen und Herren! 15 Monate seit der
aufgesaugt und ausverkauft wird. Währungsreform haben uns deutlich gemacht, was
Von diesem Währungsrutsch sind alle Länder unter sozialer Marktwirtschaft, die der Herr Bun-
betroffen, die sich dem Marshallplan unterordnen deskanzler wieder verkündet hat, zu verstehen ist.
und die nach dem alten kapitalistischen System de r Soziale Marktwirtschaft heißt Ein- und Unterord-
sogenatfriMkwschatben.Di- nung der westdeutschen Wirtschaft unter den Mar-
ser Währungsrutsch zeigt deutlich die Zerrüttung shallplan mit all den Folgen der Marshallplanpolitik.
der kapitalistischen Wirtschaft im Gegensatz zu der Ich spreche absichtlich von Folgen der Marshall-
Krisenfestigkeit und Stabilität der Wirtschaft der planpolitik, weil ich den Eindruck habe, daß
Sowjetunion, auch die eifrigsten Verfechter des Marshall
(Lachen rechts und in der Mitte) plans ihre Felle wegschwimmen sehen. Ich habe
der volksdemokratischen Länder und auch der so- zum Beispiel nichts davon gehört, daß der Herr
wjetischen Besatzungszone Deutschlands. Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung zu
(Heiterkeit rechts und in der Mitte. — Zu-den Äußerungen des Marshallplan-Administrators
Hofmann oder zu den Verlautbarungen des Pari-
ruf rechts: Dafür hatten wir gestern le-
ser ERP-Büros Stellung nahm, die wörtlich laute-
bende Zeugen hier!) ten, „daß der Kontinent trotz der amerikanischen
In diesen Gebieten konnte sich die Wirtschaft Unterstützung bis 1952 wirtschaftlich nicht auf
festigen, eigene Füße gestellt werden kann". Auf diese Er-
(Abg. Strauß: Fragen Sie Ihren Sohn!) klärung, auf diesen Währungsrutsch baut nun der
weil die Werktätigen und mit ihnen die demokra- -Herr Bundeskanzler seine Politik der freien Markt-
tischen Kräfte des Bürgertums den Weg der demo- wirtschaft auf und spricht von einer Aufwärtsent-
kratischen Neuordnung aus eigener Kraft beschrit- wicklung. .1947 sagte Marshall bei der Verkündung
ten haben. des Marshallplans, dieser Plan sei gegen Hunger,
(Abg. Dr. von Brentano: Wie Ihr Sohn!) Armut, Verzweiflung und Chaos gerichtet. Und
das Resultat nach zwei Jahren? Wir haben das
Auf Grund der Abwertung der D-Mark muß man Chaos der Währung, die begonnene Abwertung,
sich unwillkürlich der These Professor Erhards der noch weitere folgen werden.
„Ehrliches Geld für ehrliche Arbeit" erinnern. Der
Arbeiter, Beamte und Angestellte, der kleine Bauer Meine Damen und Herren, nehmen Sie den letz-
und viele andere haben immer ehrlich gearbeitet. ten UN-Bericht über die Wirtschaftslage 1948/49.
Der Arbeiter war der erste, der im Jahre 1945 Darin wird gesagt, daß zum ersten Mal seit Be-
die Trümmer und den Schutt wegräumte, den Ver- endigung des Krieges die Produktion ins Stocken
kehr in Ordnung und die Betriebe wieder in Gang geraten ist und die Zahl der Arbeitslosen stetig
brachte. Aber ehrliches Geld hat er nie dafür er- wächst. Allein im Westen Deutschlands sind es
halten. mehr als 1,2 Millionen Arbeitslose und ebensoviel
Kurzarbeiter. Diese Entwicklung kommentierte der
(Zuruf rechts: In der Ostzone auch nicht!)
Herr Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung
Die erarbeiteten Werte wurden vor der Wäh- mit den Worten: „Unsere Wirtschaft ist im Auf-
rungsreform und auch nach der Währungsreform stieg." Ein recht eigenartiger Aufstieg!
zur Bereicherung derjenigen benutzt, deren Politik Die amerikanische Gruppe der internationalen
uns diese Trümmer und diese Katastrophe brach- Handelskammern wirft den Anhängern des Mar-
ten. Bereits bei der Währungsreform hat Herr Pro- shallplans auf Grund dieser Schwierigkeiten in den
fessor Erhard eine Forderung erhoben, die der einzelnen Ländern Unfähigkeit zum kühnen Han-
Herr Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung deln vor und fordert zu drakonischen Maßnahmen
wiederholte, nämlich die Forderung nach Kapital- auf. In diesem Zusammenhang wurde mir auch
bildung; Kapitalbildung zur Erhöhung des Profits, klar, was der Sinn und Zweck der Ernennung eines
nicht aber zur Befriedigung der Bedürfnisse der Ministers für den Marshallplan ist. Die Durchfüh-
Bevölkerung. Das ist der Sinn der Wirtschaftspoli- rung dieser drakonischen Maßnahmen, nämlich die
tik der Regierung. Deshalb wurde auch in der Re- Senkung des Lebensstandards des werktätigen
gierungserklärung des Herrn Bundeskanzlers mit Volkes, . soll in dieser Regierung die Aufgabe
keinem Wort die aufopferungsvolle Arbeit der Ar- des Vizekanzlers und ERP-Ministers Blücher sein.
beiter und Angestellten der letzten vier Jahre er- Jeder, der diesen ERP-Minister Blücher im Wirt-
wähnt. schaftsrat erlebt hat, weiß, daß er diese Aufgabe
(Sehr richtig! bei der KPD.) im Interesse des deutschen und auch amerikani-
Der Herr Bundeskanzler bringt der Bevölkerung schen Finanzkapitals gut durchführen wird.
Westdeutschlands einen leeren Trost: „Es besteht (Pfuirufe rechts.)
kein Grund zur Beunruhigung", so sagt er, „da die Aber er hat auch noch eine andere Aufgabe, näm
zu erwartenden Veränderungen auf dem Gebiete lich die der Kontrolle über die Herren sozialdemo-
Deutscher B undestag — 7. Sitzung. B onn, Donnerstag, den 22. September 1949 61
(Reimann)
kratischen Wirtschaftsminister in den einzelnen Wie sollen sie beschafft werden? Der Herr Bundes
Ländern. Dies läßt die Vermutung zu, daß die west- kanzler sagt: der Bund will Geld zur Verfügung
deutschen Finanzherren auch von dieser Seite die stellen, die Länder sollen alle Möglichkeiten er-
Kontrolle über die Wirtschaft übernehmen. schöpfen. Aber woher? Diese Frage hat der Herr
Im Zeichen der Krise des Marshallplans werden Bundeskanzler nicht beantwortet. Sollen diese
Gelder etwa aus den bankrotten Staatshaus-
die sozialen Spannungen in Westdeutschland wach- halten der einzelnen Länder genommen werden?
sen. Diese Regierung wird kein soziales Problem Die Mieten, so sagt er, sollen so festgesetzt werden,
lösen. Sie scheint sich dessen selbst bewußt zu das heißt so erhöht werden, daß das Privatkapital,
sein; denn nur so ist die Drohung des Herrn Bun- die Finanzspekulanten am Wohnungsbau stärker
deskanzlers gegen „linksradikale Elemente" zu interessiert werden. Sie glauben doch wohl selber
verstehen. Das heißt: diese Regierung Dr. Aden- nicht, Herr Bundeskanzler, daß unter den heutigen
auers ist bereit, gegen Hunger und weitere Ver- Bedingungen der Teuerung, der steigenden Zahl
elendung den Machtapparat des Staates einzu- der Konkurse und Betriebsstillegungen der Hand-
setzen. werker, der Kleingewerbetreibenden und der klei-
(Zuruf rechts: Das ist ja gar nicht wahr!) nen Hausbesitzer irgendwelche Mittel für den
Das ist ein altes Rezept aller reaktionären Regie- Wohnungsbau durch diese Personen selber gedeckt
rungen. werden können. Klar und eindeutig hat der Herr
Bundeskanzler ausgesprochen, daß es für ihn nur
(Zuruf rechts: Gerade in der Ostzone! — eine Lösung des Problems gebe, nämlich durch
Weitere Zurufe.) Sicherung profitabler Geschäfte. Das ist praktisch
Der Herr Bundeskanzler sagte: „Die Rechtsbezie- das Ende des sozialen Wohnungsbaus,
hungen zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern
müssen zeitgemäß geordnet werden." Was versteht (Sehr gut! bei der KPD)
diese Regierung eigentlich unter dem Begriff „zeit- den die CDU/CSU in ihrem Wahlprogramm der
gemäße Ordnung"? In Nordrhein-Westfalen wurde Bevölkerung versprochen hat. Mieterhöhungen be-
vom Landtag die Sozialisierung des Bergbaus be- deuten heute bei den unzureichenden Löhnen und
schlossen. In Hessen ist die Sozialisierung bestimm- bei den Hungerrenten der Sozialberechtigten, daß
ter Industriezweige ih der Verfassung verankert. diese gezwungen sind, noch enger zusammenzu-
Durch einen Federstrich der Gouverneure wurden rücken. Die kleinen Leute, die sich in schwerer
diese demokratischen Beschlüsse außer Kraft ge- Arbeit ein Siedlungshäuschen geschaffen haben,
setzt. Das ist wohl für den Herrn Bundeskanzler werden, um ihren Besitz zu behalten, gezwungen
„zeitgemäße Ordnung". Das demokratische, ver- sein, in Keller- oder in Dachräume überzusiedeln
fassungsmäßig garantierte Mitbestimmungsrecht in -und die übrigen Räume abzuvermieten. Wohnungs-
Hessen, Bremen, Württemberg-Baden wurde auf bau durch Kapitalbildung auf Grund von Miets-
demselben Wege suspendiert. Da dies auch eine erhöhungen wird bei dieser wirtschaftlichen Lage
Forderung der Regierungsparteien ist, findet auch nicht durchführbar sein. Die kommunistische Frak-
das der Herr Bundeskanzler als „zeitgemäß ge- tion hat Ihnen zum Bau von Wohnungen einige
ordnet". Anträge vorgelegt, in denen es heißt, daß die
(Sehr gut! bei der KPD.) Bundesregierung beauftragt werden soll, den Be-
satzungsmächten mitzuteilen, daß die Bundes-
Unter zeitgemäßer Ordnung der Beziehungen zwi- regierung nicht mehr in der Lage ist, die hohen
schen Arbeitnehmer und Arbeitgeber versteht der Besatzungskosten zu zahlen, und daß sie daher
Herr Bundeskanzler die Sicherung der Macht der vorschlägt, dieselben um 50 % zu kürzen. Daraus
wirtschaftlich Starken. Wohl und voll überlegt soll der Wohnungsneubau zum Teil bestritten wer-
will er den wirtschaftlich Schwachen den Schutz den.
des Staates restlos versagen. (Bravorufe bei der KPD.)
(Sehr gut! bei der KPD.)
Im Wahlkampf hat die CDU den sozialen Lasten-
Das zeigt uns den Charakter dieser Regierung. ausgleich versprochen, dasselbe hat die FDP auch
Selbst in der Weimarer Zeit erkannte man minde- getan. Jetzt aber sagt der Herr Bundeskanzler,
stens formal die Pflicht des Staates, die wirtschaft- doch sicher im Auftrage der Regierungsparteien:
lich Schwachen zu schützen, an. Nur eine blühende Wirtschaft kann die Belastung
Es war also kein Zufall, wenn Herr Dr. aus dem Lastenausgleich für die Dauer tragen.
Adenauer in seiner Regierungserklärung kein Wort Blüht aber die Wirtschaft in diesem westdeutschen
von den Forderungen der Gewerkschaften nach Staat? Ist überhaupt damit zu rechnen, daß sie in
dem Mitbestimmungsrecht in den Betrieben und absehbarer Zeit zu neuer Blüte kommen wird? Nur
in der Wirtschaft gebracht hat, wenn er selbst die Träumer können bei der Wirtschaftspolitik in
Forderungen des Bochumer Katholikentages und diesem westdeutschen Staat auf eine Blüte der
vieler Tausender katholischer Arbeiter ignoriert Wirtschaft hoffen.
hat. Vielleicht ist das das Werk des Herrn Vize-
kanzlers. (Zuruf von der KPD: Ja, Sumpfblüte!)
Der Herr Bundeskanzler hat die Versicherung Trotzdem hat Herr Dr. Adenauer, der genau wie
gegeben, daß seine Regierung bei ihrer Arbeit wir weiß, daß unter den Bedingungen des Ruhr-
„sozial" — das ist wörtlich — „im wahrsten und statuts und des Marshallplans die deutsche Wirt-
besten Sinne des Wortes, wie irgend möglich, han- schaft nicht wieder gesunden kann, erklärt, daß
deln werde." Meine Damen und Herren! Solche mit einer baldigen Verabschiedung des endgültigen
Verheißungen hat doch unser Volk schon öfter Lastenausgleichs zu rechnen ist. Dasselbe hat man
auch von anderen deutschen Regierungen gehört. schon 1948 versprochen. Lastenausgleich bei dem
Nun, prüfen wir, was der Herr Bundeskanzler gegenwärtigen politischen Kräfteverhältnis in
den einzelnen Gruppen der sozial Interessierten diesem westdeutschen Staat, Lastenausgleich unter
versprochen hat. Im Versprechen ist diese Regie- einer Regierung, deren Prinzip es ist, das Eigentum
rung groß, besonders groß Herr Dr. Adenauer. Den der Schwerindustrie zu schützen, bedeutet einen
Obdachlosen hat man Wohnungen versprochen. Lastenausgleich, der die Kriegsschuldigen schont
62 Deutscher Bundestag — 7. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. September 1949
(Reimann)
und die Opfer dieses Hitler-Krieges leer ausgehen der Vergangenheit gezogen haben, an solche Er-
läßt. eignisse wie an den 20. Juli 1932 und auch an den
(Sehr gut! bei der KPD.) 30. Januar 1933 erinnert.
Der Herr Bundeskanzler hat in seiner Regie- (Zuruf rechts: Wo ihr so glänzend
rungserklärung zum Ausdruck gebracht, daß er die marschiert seid!)
Politik des Frankfurter Wirtschaftsrats fortsetzen Ich glaube, daß derartige Fragestellungen — das
und dem Prinzip der sozialen Marktwirtschaft beweist uns das Programm dieser Regierung, in
gegenüber einer Planung zum Siege verhelfen wird. welchem von den Forderungen der Mehrheit der Be-
Dabei werfen Sie, meine Herren, in Ihrer Propa- völkerung, nämlich der Arbeiter, nichts zu finden
ganda mit Absicht Planung und hitlerische Zwangs- ist — ihre Berechtigung haben. Von einem sozial-
wirtschaft in einen Topf. demokratischen Funktionär aus Schleswig-Holstein
(Zustimmung bei der KPD.) — um nur einige Beispiele zu nennen, wie weit
Die fünfzehnjährige Zwangswirtschaft hat nicht wir sind — erhielt ich einen Brief, in dem dieser
das geringste mit der von uns geforderten Wirt- darauf hinweist, daß in diesem Lande dieselben
schaftsplanung zu tun. Natürlich können wir — dar- Kräfte, die hier in Bonn die Regierung gebildet
über sind wir uns klar — von dieser Regierung haben, sich darauf vorbereiten, die dortige sozial-
Adenauer-Blücher niemals eine Planung der Wirt- demokratische Regierung durch eine Rechtsregie-
schaft erwarten. Planung der Wirtschaft heißt rung zu ersetzen.
nicht: Rationierung und Strangulierung der Ver- (Oho-Rufe rechts.)
teilung; diese Zwangsmaßnahmen wurden von — Sie haben ja eine Zeitlang unter dem Genuß
denselben Herren eingeführt, die heute die soziale eines solchen Verteters hier gestanden. Aus Ham-
Marktwirtschaft vertreten. burg wurde ich von vielen sozialdemokratischen
(Sehr gut! bei der KPD.) Arbeitern auf die Tatsache hingewiesen, daß der
Rechtsblock dort einen kompakten Angriff gegen
Planung heißt vielmehr Organisierung und Len- jede Position des Fortschritts im Wahlkampf zu den
kung der Produktion nach den Bedürfnissen des Bürgerschaftswahlen organisiert, um die in Ham-
Volkes und freie Verteilung. Gegen diese Planung burg traditionelle SPD-KPD-Mehrheit zu brechen
der Produktion sind eben die Herren Vertreter der und die Sozialdemokratie — so sagen sie — aus
sozialen Marktwirtschaft, weil eine Planung der der Regierung zu entfernen.
Produktion auch die Entmachtung der Konzern-
herren voraussetzt. (Sehr richtig! rechts.)
(Erneute Zustimmung bei der KPD.) — Ja, ich weiß: „Sehr richtig!" von rechts.
Aber auch in seiner Regierungserklärung wagt Wenn man an mich jetzt die Frage richtet: Sie
heute Dr. Adenauer nicht, die Konzernherren offen lehnen doch den westdeutschen Staat ab; ist es
zu schützen, wie das auch Herr Professor Erhard Ihnen dann nicht gleichgültig, wer in den Positio-
nicht wagte. Deshalb werden Sie auch niemals aus nen dieses Staates sitzt? — so muß ich darauf
dem Munde Dr. Adenauers oder Professor Erhards antworten: wir lehnen diesen westdeutschen Staat
hören, daß sie in ihrer Polemik gegen die Wirt- ab und kämpfen konsequent für die Einheit
schaftsplanung auch nur versuchen, gegen eine Deutschlands.
Planung der Produktion zu polemisieren. (Lebhafte Zurufe in der Mitte und rechts:
(Zuruf in der Mitte: Genau so wenig wie Für Rußland!)
Sie in Rußland!) Aber nachdem dieser westdeutsche Staat gegen
Sie polemisieren mit Berechnung gegen eine Pla- unseren Willen gebildet worden ist, kann es uns
nung der Verteilung, die niemand von uns will, nicht gleichgültig sein, in wessen Händen die Po-
und erinnern dabei an die Hitlersche Zwangswirt- sitionen dieses Staates liegen und welche Wirt-
schaft, um den Gedanken der Planung der Pro- schafts-, Sozial- und Kulturpolitik in diesem Staate
duktion für den kleinen Mann in ein Schreckens- getrieben wird.
gespenst zu verwandeln. (Zustimmung bei der KPD. — Zurufe in
(Zuruf rechts: Da haben wir Sie aber ganz der Mitte.)
falsch eingeschätzt!) Ich will noch mehr sagen: die Kommunistische
— Wir kennen uns! Partei hat aus der Vergangenheit ernste Lehren
gezogen
Meine Damen und Herren! Auf Grund des Wahl-
ergebnisses, nach der Veröffentlichung der Steuer- (Lachen in der Mitte und rechts)
reformpläne des Herrn Pferdmenges, die der Herr — dies werden Sie noch merken, meine Herren von
Bundeskanzler zu seinen eigenen gemacht hat, und rechts! — und insbesondere aus der Zeit vor 1933.
nach der Bildung dieser Regierung wurde mir (Zuruf von der KPD: Die Lautsprecher
aus Gewerkschaftskreisen eine Reihe von Äuße- sind abgeschaltet!)
rungen bekannt. Diese Äußerungen decken sich mit
den Diskussionen, die von Arbeitern, Angestellten
und Bürgern, welche der SPD und auch der CDU Präsident Dr. Köhler: Ich höre eben, daß die
angehören, geführt werden. In diesen Diskussionen Lautsprecher abgeschaltet sind.
wird deutlich zum Ausdruck gebracht, daß heute in (Zuruf rechts: Sie sollen neu eingeschaltet
Wirtschaft und Verwaltung dieselben Kräfte herr- und nur noch etwas verstärkt werden!)
schen, die das Unglück für unser Volk herbeige- Ich bin dankbar, daß ich darauf aufmerksam ge-
führt haben, und es werden auch Parallelen macht worden bin.
zwischen der Brüning- und Papen-Regierung und (Zurufe. — Glocke des Präsidenten.)
der heutigen Regierung Dr. Adenauers gezogen.
Noch schneller als nach 1918 wird derselbe Weg — Herr Abgeordneter, wollen Sie jetzt so lange
wie in der Weimarer Republik noch einmal be- warten, bis die Lautsprecher eingeschaltet sind?
schritten, sagen die Arbeiter und sehr viele Bürger.
Anläßlich der Bildung dieser Regierung wurde aus Reimann (KPD): Ich kann mich auch so verständ-
allen Kreisen von Menschen, die die Lehren aus lich und deutlich machen.
Deutscher Bundestag — 7. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. September 1949 63
(Reimann)
Ich wünsche nur, andere Parteien, insbesondere SiE erinnerten an die zweite Periode der Weimarer
auch die SPD, würden genau so ernste Lehren aus Situation. Mir scheint aber, daß Ihre Konzeption
der Vergangenheit ziehen. einen Widerspruch in sich birgt. In der achtzig-
(Zurufe.) jährigen Geschichte der deutschen Arbeiterbewe-
Die große Lehre ist: alle die, die eine Wiederholung gung wurde immer und immer wieder die Fest-
analoger Ereignisse wie die des 20. Juli 1932 ver- stellung getroffen, daß das Kapital international
hindern wollen, alle die, die dem Ansturm des ist. Sollte diese Feststellung heute vergessen sein?
Rechtsblocks gegen die Forderungen der Gewerk- Mir scheint, sie gilt heute für Westdeutschland
schaften, Arbeiter, Angestellten und Beamten sowie mehr denn je; denn ohne den Einfluß des ameri-
des Mittelstandes Einhalt gebieten wollen, die ver- kanischen Finanzkapitals wäre doch wohl eine
hindern wollen, daß Arbeiter, Gewerkschaftler, So- Restaurierung der alten Kräfte, wie sie nach 1945
zialdemokraten und andere fortschrittliche Kräfte wieder erfolgte, unmöglich.
aus den Positionen verdrängt und von den Vertre- (Sehr gut! bei der KPD.)
tern des Besitzbürgerblocks abgelöst werden sollen, Oder meinen Sie etwa, die Aussetzung der Soziali-
müssen sich in einer gemeinsamen Kampffront sierung und die Aufhebung der Mitbestimmungs-
gegen diese Reaktion finden. rechte der Betriebsräte durch Vertreter des ameri-
(Beifall bei der KPD.) kanischen Finanzkapitals sei im Interesse der De-
mokratie und des Fortschritts erfolgt? Diese Maß-
Im gemeinsamen Handeln aller fortschrittlichen
Kräfte unseres Volkes liegt ihre Stärke. Aus der nahmen erfolgten im Interesse des in- und aus-
Zersplitterung und Spaltung hat immer nur die ländischen Großkapitals. Man kann also nicht kon-
Reaktion Nutzen gezogen und kann nur die Re- sequent gegen die Angriffe des deutschen Groß-
aktion Nutzen ziehen. kapitals kämpfen, wenn man nach der anderen
Seite hin dem amerikanischen Kapital Konzessio-
(Zuruf in der Mitte: Darum „fortschrittliche" nen macht. Ich freue mich, feststellen zu können,
KZs!) daß führende Gewerkschaftler und Sozialdemokra-
Ich spreche deshalb folgendes offen aus: wir sind ten erkennen, daß dieser Widerspruch untragbar
in den Betrieben, in den Parlamenten und auch ist, und daß sie sogar in der Öffentlichkeit konse-
sonst wo immer zu gemeinsamen Absprachen mit quent den Weg des Kampfes gegen den Marshall-
den Sozialdemokraten bereit, plan und das Ruhrstatut beschreiten.
(Lachen in der Mitte) In ihrem Kampf gegen die Angriffe des Besitz-
um den Ansturm der Reaktion auf die Positionen bürgerblocks und der Reaktion haben die Arbeiter-
und Rechte der werktätigen Bevölkerung abzu- schaft und alle fortschrittlichen Kräfte Deutsch-
wehren. lands heute eine starke Position, die geschaffen
(Lachen und Zurufe in der Mitte.) wurde durch die Industriereform, Bodenreform
und Schulreform in der sowjetischen Besatzungs-
— Ja, das tut Ihnen weh! Ich weiß aber, daß wir zone.
damit auf dem richtigen Wege sind, um Sie zu er- (Unruhe. — Zuruf: „Zwangsarbeit!")
ledigen.
Selbstverständlich ist die Veränderung der öko-
(Beifall bei der KPD. — Zuruf: Was heißt nomischen Basis und des sozialen Überbaues in der
„erledigen"? Liquidieren?) sowjetischen Besatzungszone keine einfache Sache.
— Politisch! Politisch! Es gibt beim Aufbau einer neuen Wirtschaft und
(Zuruf in der Mitte: Im Wolfspelz oder im Verwaltung aus eigener Kraft ohne Hilfe von
Schafspelz?) außen Schwierigkeiten des Wachstums. Selbstver-
Ich glaube nicht, Herr Dr. Schumacher, daß Sie ständlich brachte auch die Spaltung Deutschlands,
sich der Illusion hingaben, daß wir mit unserer die Tatsache, daß die sowjetische Besatzungszone
Stimmabgabe für Sie die nach unserer Meinung keine eigene Schwerindustrie hat
schädliche Anti-Ostpolitik akzeptieren. Ich komme (Abg. Strauß: nicht mehr hat!)
im Laufe meiner Ausführungen noch darauf zurück. und, wenn die Spaltung Deutschlands anhält, sich
(Zurufe in der Mitte.) eine eigene Schwerindustrie aufbauen muß, zu-
Ich möchte deutlich und vernehmlich erklären: nächst Schwierigkeiten. Aber eins steht fest: daß
unsere Stimmabgabe für den Kandidaten Dr. Schu- diese Schwierigkeiten in wachsendem Maße vom
macher bei der Bundespäsidentenwahl war ein Volke selbst überwunden werden. Man wird die
symbolischer Ausdruck unserer Gemeinschaft, ge- Schwierigkeiten überwinden. Hier geht man aber
meinsam mit der SPD überall, insbesondere aber in die Krise. Und wenn hier die Frage des Ma-
in den Betrieben, den Kampf gegen die Wieder- gneten gestellt wurde, so kann ich Ihnen heute in
holung einer Brüning- und Papen-Politik zu vollem Optimismus antworten: der Magnet wird
führen, nicht der westdeutsche Staat mit seiner Regierung
(Zurufe rechts) Adenauer-Blücher sein, sondern der Magnet für
das Volk wird die neue demokratische Ordnung
gegen die Angriffe der autoritären Besitzverteidi- der sowjetischen Besatzungszone sein!
gungsregierung, wie Herr Dr. Schumacher diese (Lebhafter Beifall der Kommunisten.
Regierung genannt hat, auf die Löhne und alle Widerspruch in der Mitte. Anhaltende
Rechte der Arbeiter und der werktätigen Bevölke- Unruhe. — Zuruf: Er ist ein guter Hu-
rung. morist! — Glocke des Präsidenten.)
(Zuruf: Das scheint aber eine unglückliche Gestatten Sie mir, daß ich einige Bemerkungen
Liebe zu sein!) zur verflossenen Konferenz der Außenminister in
Herr Dr. Schumacher, Sie haben ziemlich starke Paris mache. Es wurde hier sehr viel von der Ein-
Worte gegen die jetzige Regierung gebraucht. Sie heit Deutschlands gesprochen, die man nicht auf-
sprachendvo,ßRtsruckbedami, gebe. Der Herr Bundeskanzler hat sogar einen Mi-
als er in den Mandatszahlen seinen Ausdruck nister für gesamtdeutsche Fragen ernannt. Welchen
findet. Wert die Beteuerungen über die Einheit Deutsch-
(Zuruf: Das hängt von euch ab!) lands von Ihrer Seite haben, zeigt uns doch die Tat-
64 Deutscher Bundestag — 7. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. September 1949
(Reimann)
sache, daß, obwohl die Pariser Außenministerkon- Besatzungsmächten feierlichst verkündete Rechts-
ferenz die Wiederaufnahme von Wirtschaftsbe- grundlage ablehnt?
ziehungen auf dem Wege der Verständigung der (Zurufe: Was heißt Rechtsgrundlage? Wie
bestehenden Wirtschaftsorgane empfohlen hat, die stehen Sie zu Potsdam?)
Durchführung dieser Empfehlungen bisher von der
Frankfurter Wirtschaftsverwaltung abgelehnt wor- Sie haben, Herr Bundeskanzler, mit einem Male
den ist. Mir scheint aber, daß Tausende und aber (Abg. Strauß: Wie stehen Sie zu Potsdam?)
Tausende von Unternehmern und Geschäftsleuten, das Potsdamer Abkommen zitiert und angeführt,
denen Betriebsstillegungen drohen oder die vor dem daß die endgültige Grenzregelung auf einer Frie-
Konkurs stehen, die Aufnahme der Wirtschaftsbe- denskonferenz vorgenommen werden soll. Es mutet
ziehungen mit der Ostzone fordern. Der Handel mich sehr eigenartig an, daß Sie sich auf das Pots-
mit der Ostzone ist auch die Brücke zu der Wieder- damer Abkommen und auf eine Friedenskonferenz
aufnahme des Handels mit dem Osten und Süd- berufen. Mir scheint, hier zeigen Sie sich, Herr
osten Europas. Bundeskanzler, als ein Politiker der verpaßten Ge-
(Zuruf: Das haben wir schon gemerkt!) legenheiten;
(Sehr gut! bei der KPD)
Oder wohin wollen Sie nach der Abwertung des
Pfundes um 30 Prozent und der vorgesehenen Ab- denn Ihre Politik ist es ja gewesen, die Durchfüh-
wertung der D-Mark um 20 Prozent noch expor- rung des Potsdamer Abkommens zu verhindern.
tieren? Mir ist bekannt, daß Tausende englischer Sie haben ja die Westmächte ermuntert, vom Pots-
Handelsfirmen ihre Geschäftsangebote nach Polen damer Abkommen abzutreten. Sie haben doch
und in die Tschechoslowakei schicken und auch ihre gerade, wenn ich mich recht erinnere, das Be-
Handelsagenten nach dort abkommandieren. Ich satzungsstatut begrüßt und den Abschluß eines
kann mir nicht vorstellen, daß es in Westdeutsch- Friedensvertrages mit einer gesamtdeutschen Re-
land solche unklugen Geschäftsleute gibt, die der gierung durch die Bildung eines westdeutschen
Konkurrenz den Vortritt lassen wollen. Staates verhindert.
(Sehr gut! bei der KPD.)
(Sehr gut!) Sie haben in Ihrer Regierungserklärung Herrn
Ich bin sogar der Meinung, daß diese Geschäftsleute Churchill zitiert und angekündigt, daß Sie eine
auch die Politiker, die aus engstirnigen Gesichts- Denkschrift veröffentlichen wollen.
punkten heraus den Handel mit der Ostzone und Herr Bundeskanzler! Gestatten Sie mir, daß auch
mit Osteuropa ablehnen, zwingen werden, das zu ich Herrn Churchill jetzt zitiere. Am 27. Oktober
tun, was im Interesse der deutschen Wirtschaft 1944 hielt Herr Churchill im britischen Unterhaus
liegt. eine Rede. Dabei führte er wörtlich aus:
(Abg. Strauß: Sie werden zur KPD gehen!) - Es steht den Polen frei, ihr Gebiet auf Kosten
Ich muß mich in diesem Zusammenhang an eine Deutschlands nach Westen auszudehnen.
zynische Bemerkung einer ausländischen Zeitung (Hört! Hört! bei der KPD. — Zuruf
erinnern. Die „New York Herald Tribune" schreibt: aus der Mitte: Ihre Gebiete!)
Es ist wahr, daß das Schlagwort „Exportiere Dabei müßte die Ausweisung der Deutschen,
oder stirb" für Großbritannien und Deutsch- — denn das ist es, was vorgeschlagen wurde —
land gilt. Aber wenn in dem kommenden die Ausweisung sämtlicher Deutschen aus den
Kampf um die Weltmärkte schon jemand ster- an Polen gefallenen Gebieten im Westen und
ben muß, so sollen es die Deutschen sein. Norden vorgenommen werden,
(Hört! Hört! bei der KPD.) (Hört! Hört! bei der KPD)
Wir wollen nicht, daß diese Fragestellung Wirklich- denn eine Ausweisung ist,
keit wird. Wir Deutschen wollen nicht sterben, wir — so sagt Churchill —
wollen leben. Deshalb treten wir für eine Verstän- soweit wir sehen konnten, die Methode, die am
digung zwischen Ost und West ein, für die Bildung zufriedenstellendsten und auch die dauer-
eines gemeinsamen Wirtschaftsausschusses zwischen hafteste sein wird. Es wird reiner Tisch ge-
den bestehenden Organen und für eine gesamt- macht!
deutsche Wirtschaftspolitik. Die Bildung eines So sagte Herr Churchill 1944. Weiter erklärte er:
Ministeriums für gesamtdeutsche Fragen liegt nicht Ich fühle mich nicht alarmiert durch die Aus-
im Interesse der deutschen Wirtschaft und nicht im sicht auf eine Loslösung von Bevölkerungen,
Interesse einer deutschen Verständigung. Dieses auch nicht einmal durch diese großen Trans-
Ministerium ist ein widernatürliches Ministerium, ferierungen, die unter modernen Verhältnissen
ein Ministerium der Fortsetzung des kalten Krie- eher möglich sind, als sie jemals waren.
ges. Das wird auch durch die Tatsache bewiesen,
daß zwar der Herr Bundeskanzler die Bildung (Zuruf in der Mitte: Ja, jetzt kommen
dieses Ministeriums bekanntgab, aber ein so poli- Sie dran!)
tisches Ereignis wie die Pariser Zusammenkunft - Ich komme! Nur Geduld, meine Herren!
der Außenminister und ihre Empfehlungen in (Zuruf von der KPD: Er gibt Ihnen schon
seiner Regierungserklärung völlig außer acht ließ. die Antwort!)
(Zuruf: Er hat Angst vor dem Frieden!) Soweit Churchill! Und im Spätherbst 1944 schrieb
Der Herr Bundeskanzler sprach in seiner Regie- Herr Roosevelt an Mikolaiczyk einen Brief. In die-
rungserklärung davon, daß er in einem geordneten sem Brief heißt es — ich zitiere wörtlich —:
Rechtsgang Ansprüche auf die Gebiete jenseits der Falls die polnische Regierung und das polni-
Oder-Neiße-Linie verfolge. sche Volk den Wunsch haben sollten, nach der
(Abg. Strauß: Wie stehen Sie dazu?) neuen Grenzziehung ihre nationalen. Minder-
Was versteht der Herr Bundeskanzler unter „ge heiten umzusiedeln, soll dem von amerikani-
ordnetem Rechtsgang", nachdem er das Potsdamer scher Seite nichts entgegenstehen. Wir werden
Abkommen, die einzig existierende, von den vier - so sagt Roosevelt —
Deutscher Bundestag — 7. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. September 1949 65
(Reimann)
diese Umsiedlung vielmehr nach Kräften ähnlichen, so würde kein Churchill, auch nicht Herr
er-
leichtern. Truman, die Frage der Revision der Oder-Neiße
Am 13. Mai 1943 sandte Herr Benesch — jetzt Linie stellen.
etwas für die Sudetendeutschen, die gestern so ge- (Zuruf in der Mitte: Aber wir Deutschen!)
rufen haben — — Es würde westdeutschen Politikern verboten wer-
(Zurufe von allen Seiten und Unruhe.) den, die Revision zu fordern!
Am 13. Mai — — (Abg. Renner: Sehr gut! — Erregte Zurufe
(Fortgesetzte Zurufe.) in der Mitte und rechts. — Abg. Strauß:
Ich komme! Ich bleibe Ihnen keine Antwort Wie stehen Sie denn als Deutscher zur
schuldig; verlassen Sie sich darauf! Oder-Neiße-Linie? — Abg. Schütz: Man
soll nicht die anderen in den Gassen su
(Zuruf: Wir wollen die Antwort nicht chen, wo man selber spazieren geht!)
haben! — Unruhe.)
Eine polnische Regierung, geführt durch den ka
Vizepräsident Dr. Schmid: Meine Damen und tholischen Bauernführer Michailowic, hinter dem
Herren! Ich bitte, den Redner sprechen zu lassen. der Vatikan steht, —
Die Oder-Neiße-Linie ist in der Regierungserklä- (erregte Zurufe in der Mitte und rechts)
rung angezogen worden; der Redner hat das Recht, ich wage zu behaupten, Herr Adenauer, Sie
darüber zu diskutieren. würden dann die Revision der Oder-Neiße-Linie
(Sehr richtig! bei der KPD. — Zuruf rechts: nicht fordern.
Aber nicht über Adam und Eva!) (Erregte Zurufe in der Mitte und rechts:
Pfui! Unerhört! — Große Unruhe. — Zu
Reimann (KPD): Nein, nein! — Ich hätte Ihnen ruf: Schämen Sie sich als Deutscher! —
jetzt beinahe etwas gesagt! Weitere Zurufe: Raus! Raus!)
(Abg. Strauß: Tun Sie es doch, wir hören Genau so wenig, wie Sie das heute für das Saar-
Sie gerne!) gebiet tun!
Am 13. Mai 1943 sandte Herr Benesch an Masa- (Andauernde erregte Zurufe in der Mitte
ryk ein Telegramm .über seine Verhandlungen mit und links: Eine Frechheit sondergleichen!
Roosevelt. In diesem Telegramm heißt es: Pöbeleien! — Glocke des Präsidenten.)
Er
— Roosevelt — Präsident Dr. Köhler: Herr Abgeordneter Rei-
mann, Ihre Redezeit ist abgelaufen!
stimmt mit der Konzeption überein, daß es
notwendig ist, die Zahl der Deutschen in der -Reimann (KPD): Ich komme jetzt zum Schluß.
Tschechoslowakei soweit als möglich durch Wäre dort eine englandhörige Regierung, wäre
Umsiedlung zu vermindern. Herr Churchill sogar bereit,
(Zurufe.) (erneute lebhafte Rufe: Pfui!)
Auf dieses Telegramm von Benesch antwortete die Grenze bis an die Spree zu verlegen.
Masaryk im Telegramm Nr. 186 vom 29. Mai 1943: (Weitere erregte Zurufe: Pfui! Pöbel! —
Anknüpfend daran, daß nach der britischen Abg. Renner: Wo sitzt denn der Pöbel?)
jetzt auch die amerikanische Regierung für die Aber weil es anders gekommen ist, der britisch-
Umsiedlung der Deutschen in der Tschecho- amerikanische Einfluß ausgeschaltet ist, deshalb
slowakei ist, erklärte ich ihm, will man revidieren,
— Bogomolow, dem russischen Vertreter — (große Unruhe)
daß wir jetzt das gleiche von der Sowjetregie- deshalb hetzt man das deutsche Volk erneut gegen
rung erwarten und daß uns nicht die Erklä- die Völker des Ostens auf.
rung genüge, daß das unsere innere Ange-
legenheit sei. (Abg. Renner: Sehr richtig! — Lachen in
der Mitte und rechts. — Pfuirufe.)
(Hört! Hört! bei der KPD. — Zurufe.)
Man gibt dem deutschen Volke ein Kriegsziel.
Angesichts dieser Dokumente, die ich noch er-
weitern könnte, erhebt sich die Frage, wie es mög- (Abg. Strauß: Gehen Sie hin! Wir wollen
lich ist, daß die Westalliierten, die so eifrig für die Sie hier gar nicht sehen!)
Aussiedlung der Deutschen eintraten und die Oder Wenn die Herren jenseits des Kanals, wenn die
Neiße-Linie mit festlegten, sich heute für eine Än- Herren amerikanischen Imperialisten die Kraft
derung der von ihnen selbst betriebenen Maßnah- hätten, würden sie die Grenze bis zur Weichsel
men so stark machen. oder noch weiter ostwärts verlegen.
(Abg. Strauß: Wie stehen Sie als Deutscher (Abg. Renner: Sehr gut!)
zur Oder-Neiße-Linie?) Dies hat Hitler schon probiert.
Die Antwort ist eine ganz einfache, nämlich: (Zuruf in der Mitte: Wir fordern die alten
Grenzen wieder!)
(Zuruf in der Mitte: Verhalten Sie sich als Das deutsche Volk, welches diesem Wahnsinnigen
Deutscher!) folgte, mußte diese Gefolgschaft mit dieser Kata-
weil es nicht so kam, wie Sie es wünschten, weil strophe bezahlen.
Polen und die Tschechoslowakei sich vom englisch- (Abg. Strauß: Ihr folgt dem andern
amerikanischen Einfluß befreiten! Wahnsinnigen!)
(Lebhafte Zurufe in der Mitte und rechts: Es wäre Pflicht eines jeden real denkenden deut-
Aha!) schen Politikers, dem deutschen Volke die Wahr-
Ich wage zu behaupten: wäre Polen heute noch das heit über diese Lage zu sagen.
alte Polen mit der Regierung Pilsudski oder einer (Abg. Renner: Sehr richtig!)
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(Reimann)
Das ist besser und für unser Volk erfolgreicher, Herr Abgeordneter Reimann, ich mache Sie da-
als wenn es täglich solche kriegshetzerischen Redenrauf aufmerksam, daß Ihre Redezeit abgelaufen
hört. ist.
(Lebhafter Widerspruch in der Mitte und (Lebhafte Zurufe in der Mitte und rechts:
rechts.) Aufhören! Abtreten!)
Das deutsche Volk, das nach zwei Weltkriegen zwei Herr Abgeordneter Reimann, — —
furchtbare Niederlagen hinnehmen mußte, das Mil-
lionen Menschen opferte, darf nicht noch einmal (Abg. Strauß: Treten Sie ab! Aufhören! —
für die Interessen Fremder und der hier im Westen Lärm.)
Deutschlands restaurierten Imperialisten in einen Herr Abgeordneter Reimann, — —
dritten Weltkrieg gehetzt werden,
(Anhaltende lebhafte Zurufe: Aufhören!
(lebhafte Zurufe in der Mitte und rechts) Schluß! Abtreten! — Abg. Reimann: Ich
der mit der Vernichtung unseres Volkes enden gehe hier nicht fort! — Abg. Strauß: Auf
würde. hören! Abtreten! — Ein Zuhörer, seinem
(Abg. Strauß: War auch Hitler Stalins Aussehen nach ein Heimkehrer aus russi
Beauftragter?) scher Kriegsgefangenschaft, begibt sich un
Wir wollen in Frieden und Freundschaft mit allen ter erregten Zurufen und Hinweis auf
Völkern leben und besonders mit den Völkern des seine Kleidung und seine Schuhe durch die
Ostens und Südostens. Reihen der Abgeordneten zum Redner
pult. — Ein Teil der Abgeordneten der
(Händeklatschen bei der KPD. — Zuruf aus CDU verläßt den Saal.)
der Mitte: Ihr habt die Heimat von 12 Mil-
lionen Menschen vergeben!) Meine Damen und Herren, ich bitte Platz zu neh-
Gerade die Revision stört nicht nur unser Verhält- men; die Sitzung ist noch nicht aufgehoben.
nis gegenüber Polen, sondern bedeutet in der end- (Der Zuhörer wird auf Anweisung des
gültigen Konsequenz den Krieg! Präsidenten aus dem Saal geführt. —
(Abg. Renner: Sehr gut!) Abg. Rische: Das ist eine organisierte Pro-
Das darf nicht sein! Unser Volk darf nicht in einem vokation! — Abg. Renner: Der junge Mann
dritten Weltkrieg vernichtet werden. war gestern den ganzen Abend hier! Diese
Provokation ist seit gestern abend vorbe-
(Lebhafte Zurufe.) reitet! — Erregte Gegenrufe rechts und in
Die Oder-Neiße-Grenze ist die Grenze des Friedens. der Mitte. — Abg. Rische: Sie sind mit-
(Andauernde erregte Rufe: Pfui! Pfui! — - verantwortlich! — Abg. Reimann: Sie ha
Lärm. — Glocke des Präsidenten. — Er- ben Menschen vergasen lassen! Sie!)
regte Zurufe: Abtreten! Abtreten!) Meine Damen und Herren, ich bitte Sie, mir
einen Augenblick zuzuhören!
— Ich trete hier nicht ab, bis ich nicht alles gesagt
habe! (Andauernde große Unruhe.)
(Fortgesetzter Lärm. — Glocke des
Präsidenten.) Auf den Verlauf und den Ausgang dieser Sitzung
schaut nicht nur das deutsche Volk, sondern die
Welt, und ich bin der Meinung, wir haben diese
Präsident Dr. Köhier: Herr Abgeordneter Rei- Sitzung in Würde und Achtbarkeit zu beenden.
mann, ich habe seit gestern — —
(Anhaltende Unruhe. — Zuruf: Das war
(Andauernde große Unruhe und Rufe: Landesverrat!)
Pfui! Raus!—Abg. Strauß: Schickt ihn nach
Moskau! Ziehen Sie die Uniform an! — Ich stelle folgendes fest, Herr Abgeordneter
Abg. Reimann: Ich werde hier nicht Reimann: Ihre Redezeit hat nach unseren Auf-
gehen!) zeichnungen — hören Sie mir bitte zu, Herr Ab-
geordneter Reimann — um 11 Uhr 40 begonnen.
— Meine Damen und Herren! Wir haben jetzt 12 Uhr 50. Nach der Geschäfts-
(Andauernde große Unruhe. - Zurufe: ordnung muß eine Verlängerung der Redezeit über
Moskauer Agent! Bezahlter Provoka- eine Stunde hinaus durch das Plenum genehmigt
teur! — Abg. Reimann: Das sind Sie! werden.
— Lärm.) (Zurufe von der KPD.)
— Herr Abgeordneter Reimann, Sie haben eben
Ich glaube kaum, daß es einer Einholung der Zu-
ausgesprochen, daß die Oder-Neiße-Linie die Frie- stimmung des Plenums zu einer Verlängerung die-
denslinie ist.
ser Redezeit über eine Stunde hinaus bedarf. Ich
(Anhaltende große Unruhe.) gebe Ihnen noch eine Minute zum Abschluß Ihrer
Seitdem gestern hier sämtliche Parteien gespro- Ausführungen, und dann entziehe ich Ihnen das
chen haben, haben sie übereinstimmend die Oder- Wort.
Neiße-Linie als die deutsche Grenzlinie abgelehnt. (Lebhafter Beifall und Händeklatschen. —
Das möchte ich hier einmal feststellen. Zurufe von der KPD.)
(Händeklatschen in der Mitte und rechts.)
Reimann (KPD): Der Kampf um die Einheit
Es ist eine Provokation der überwältigenden Deutschlands ist das Problem Nr. 1, das vor dem
Mehrheit dieses Hauses, wenn Sie derartige Aus- deutschen Volke steht, die Herstellung der Ein-
führungen machen. Ich rufe Sie deshalb zur Ord- heit Deutschlands, die Bildung einer gesamtdeut-
nung! schen Regierung und der Abschluß eines Friedens-
(Bravorufe und Händeklatschen in der vertrags mit derselben,
Mitte und rechts. — Zurufe und Lachen bei (Zurufe von der KPD: Sehr wahr! Sehr
der KPD.) richtig!)
Deutscher Bundestag — 7. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. September 1949 67
(Reimann)
dem laut termingemäßer Festlegung der Abzug abend ist besprochen worden, daß dieser
aller Besatzungstruppen aus ganz Deutschland zu Mann hier dieses Theater vorzuspielen hat!
folgen hat. Dieses Schauspiel ist famos gespielt wor
(Abg. Neumann: Dann müßt ihr aber als den! — Abg. Strauß: Ihr sollt die Erfolge
erste gehen!) eurer Politik sehen! — Glocke des Präsi
Wir erklären uns bereit, für diese Ziele mit allen denten. — Abg. Renner: Gebt den Leuten
zu arbeiten und zu kämpfen. Wenn wir ein ein- lieber Brot! — Anhaltender Lärm. —
heitliches Deutschland haben mit einer einheitlich Glocke des Präsidenten.)
ausgerichteten demokratischen Wirtschaft, Meine Damen und Herren, ich werde das Steno-
(Zuruf rechts: Diktatur von Moskau!) gramm der Rede des Abgeordneten Reimann nach-
prüfen und das Nötige veranlassen.
dann wird dieser Staat ein friedliebender Staat
sein Ich mache ferner darauf aufmerksam: es ist mir
(Abg. Strauß: Die Minute ist aus!) mitgeteilt worden, daß sowohl auf der Tribüne
wieaußrhlbdsPnmeHauichPr-
und noch viele Beiträge zum Frieden für Europa sonen an den Kundgebungen beteiligen. Ich weise
und die Welt liefern. darauf hin, daß ich, wenn ich noch einmal derar-
(Glocke des Präsidenten.) tige Kundgebungen außerhalb des Plenums dieses
Saales beobachte, sofort die Tribünen räumen las-
Präsident Dr. Köhler: Herr Abgeordneter Rei- sen werde.
mann, Ihre Minute ist um. Ich entziehe Ihnen das
Wort. (Abg. Renner: Das kommt reichlich post
festum.)
Reimann (KPD): Dieses wird kommen, Meine Damen und Herren, im übrigen ist inzwi
(Lebhafte Rufe. Schluß! Schluß!) schen i nterfrakti on ell vereinbart wo rd en, daß die
Fortsetzung dieser Sitzung um 15 Uhr 30 erfolgt.
und viel schneller, als Sie es sich überhaupt den- Ich unterbreche daher diese Sitzung bis 15 Uhr 30.
ken können.
(Unterbrechung der Sitzung um 13 Uhr 3 Minuten.)
(Lebhafter Beifall bei der KPD. — Anhal
tende Pfuirufe in der Mitte und rechts.)
Die Sitzung wird um 15 Uhr 48 Minuten durch
Präsident Dr. Köhler: Meine Damen und Herren! den Präsidenten Dr. Köhler wieder aufgenommen.
Der Herr Bundeskanzler hat ums Wort gebeten.
Ich erteile ihm das Wort. -Präsident Dr. Köhler: Meine Damen und Herren,
ich eröffne nach der Mittagspause wieder die
Dr. Adenauer, Bundeskanzler: Meine Damen und Sitzung.
Herren! Der Herr Abgeordnete Reimann hat er-
klärt, wenn die katholische Regierung in Polen Ehe wir in der Aussprache fortfahren, gestatten
noch bestünde, würde ich die Revision der Oder Sie mir, eine geschäftsordnungsmäßige Bemer
Neiße-Linie nicht fordern. Ich bitte den Herrn kung. Die Logen, die sich im Hintergrund des
Präsidenten, den Abgeordneten Reimann wegen Hauses unterhalb der Balustrade befinden, sind
dieser Beleidigung zur Ordnung zu rufen. lediglich Angehörigen der Bundesregierung bzw.
(Lebhafte Rufe: Sehr gut! und Händeklat Beamten der Länderregierungen zugänglich. Ich
schen. — Abg. Renner: Alles nach Kom- muß darum bitten, daß Mitglieder des Hauses da-
mando!) von absehen, etwa Bekannte oder Verwandte auf
Grund irgendeines Ausweises in diesen Logen zu
Ich habe weiter im Namen der Bundesregierung placieren. Für Damen und Herren, die weder dem
folgende Erklärung abzugeben: Wir bedauern, daß Haus angehören noch Vertreter der Bundesregie-
dieser Saal und diese Rednertribüne durch eine rung oder des Bundesrats sind, ist lediglich die
solche Rede des Abgeordneten Reimann, die den Tribüne oberhalb des Saales zur Verfügung ge
deutschen Interessen absolut zuwiderläuft, ent- stellt.
weiht worden sind.
(Lebhafte Zustimmung und Händeklatschen.) Es haben sich inzwischen noch mehrere Abgeord-
nete beurlaubt, und zwar wegen Krankheit Dr.
Die Bundesregierung erachtet es weder mit ihrer Bucerius und Winkelheide, auf Grund von Ent-
Stellung und ihrer Verantwortung noch mit ihrer schuldigungen Dr. von Rechenberg.
Würde für vereinbar, in Zukunft solche Reden an-
zuhören. Wir fahren nunmehr in der Aussprache fort. Ich
erteile zunächst dem Herrn Abgeordneten Loritz
(Anhaltender Beifall und Händeklatschen. das Wort.
— Abg. Renner: Der letzte Satz war sehr
schwach!) Loritz (WAV): Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wir haben vorgestern anläßlich der Re-
Präsident Dr. Köhler: Meine Damen und Herren, gierungserklärung aus dem Mund des Herrn Bun-
das Stenogramm der Rede des Herrn Abgeordne- deskanzlers eine Reihe von sehr wohl abgewoge-
ten Reimann liegt mir noch nicht vor. Ich selbst nen und sehr treffend formulierten Erklärungen
bin nach meiner Erinnerung in diesem Augenblick gehört. Wir haben programmatische Darlegungen
draußen gewesen, als er diesen Ausdruck ge- des Bundeskanzlers vernommen, wie er und seine
brauchte. Regierung sich für die nächste Zeit die Arbeit auf
(Zuruf von der SPD: Herr Präsident, ge- den verschiedenartigsten Gebieten vorstellt, auf
bieten Sie mal Ruhe! Die Demonstrationen dem Gebiet der allgemeinen Wirtschaft, der Besei-
nehmen ja kein Ende! — Weiterer Zuruf: tigung der Arbeitslosigkeit, des Wohnungsbaues,
Ich bitte festzustellen, wer da hinten sitzt. der Fürsorge für die Kriegsversehrten, die Heimat-
— Abg. Renner: Ich bitte festzustellen, wer vertriebenen und andere Schichten der Bevölke-
den Mann hierher organisiert hat! Gestern rung.
68 Deutscher Bundestag — 7. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. September 1949
(Loritz)
Meine Damen und Herren, wir von der WAV heute noch nicht die Zeit, darüber zu reden, wie
haben dazu folgendes zu bemerken. Uns kommt es es die Regierung im einzelnen machen wird. Wir
nicht darauf an, ob in all diesen Sätzen wirklich werden es sehen. Ich sagte schon, daß wir diese
alle Berufsstände mit Worten bedacht sind; uns Regierung nach ihren Taten und sonst nach gar
kommt es nicht darauf an, ob vielleicht der eine nichts anderem beurteilen werden. Sine ira et
Berufsstand in der Regierungserklärung drei Sätze studio werden wir die Arbeit der Regierung unter
mehr und der andere einen Satz weniger zuge- die Lupe nehmen, weder mit Voreingenommenheit
teilt bekommen hat. Uns kommt es überhaupt nicht noch mit der Gewährung von Vorschußlorbeeren.
auf Worte an; denn die Regierungserklärungen Aber eines möchten wir die Regierung bitten: geht
- wieviele haben wir in den letzten Jahren schon ge- raschestens an die Arbeit; denn die Not ist unge-
hört? — gleichen einander wie ein Ei dem andern, heuerlich groß.
und sie müssen wohl auch einander weitestgehend Das Problem der Heimatvertriebenen muß end-
gleichen. Worauf es heute angesichts der ungeheu-
lich einmal richtig in Angriff genommen werden;
ren Not unserer Zeit ankommt, sind keine Erklä-
denn es ist eine Kulturschande für unser Land,
rungen mehr, sondern sind nur noch Taten, und
wenn Millionen von Heimatvertriebenen in schä-
wir werden nach dem Bibelwort verfahren. An
bigen Holzbaracken logieren müssen.
ihren Früchten sollt ihr sie erkennen! Wir werden
diese Regierung nach ihren Früchten und nur da- (Zuruf: Und in Bunkern!)
nach beurteilen, aber nicht danach, ob jetzt viel- — Und in Bunkern — ganz richtig — und teil-
leicht ein Satz etwas treffender und besser formu- weise sogar im Freien! Ich kenne Heimatvertrie-
liert ist als der andere. Wir werden nicht skrupu- bene, die noch nicht einmal eine Holzbaracke ha-
lös jedes Komma in der Rede des Kanzlers unter- ben oder darauf verzichten, während des Sommers
suchen. O nein! Wir werden sehen, was diese Re- darin zu wohnen, weil die Holzbaracken bekannt-
gierung fertigbringt. Die Früchte brauchen — das
lich so verlaust und in einem solchen Zustand
geben wir der Regierung ohne weiteres zu — sind, daß man einfach nicht darin wohnen kann.
einige Zeit zum Reifen. Aber lange Zeit ist dafür
Mein Freund Götzendorf, selbst ein Heimatvertrie-
nicht vorhanden. Wir rufen der Regierung nur
bener, wird über das Problem der Heimatvertrie-
eines zu: Eilt, eilt! — denn die Not unseres Volkes
ist ungeheuerlich groß, und ich möchte beinahe sa- benen noch ausführlicher zu reden haben.
gen: es ist schade um jeden Tag, an dem die Re- Aber eines freut mich in der Regierungserklä-
gierung davon abgehalten wird, sofort an die Ar- rung: daß nämlich die Regierung so klare Worte
beit zu gehen. hinsichtlich der Oder-Neiße-Linie gesprochen hat.
Wir alle — ohne Rücksicht auf Partei — werden
(Lebhafter Beifall rechts.) niemals die Oder-Neiße-Linie anerkennen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Unge- (Lebhafter Beifall.)
heuerlich groß ist die Not unseres Volkes überall,
wo Sie hinsehen: draußen auf den Straßen, in den Aber eins habe ich in der Regierungserklärung
Baracken, wo die Flüchtlinge wohnen, bei den vermißt. Genau so wie uns Schlesien und Pom-
Kriegsversehrten, die oft nicht einmal soviel Geld mern, wie uns Ostpreußen und alle diese übrigen
haben, um sich eine Prothese für ihren Bein- deutschen Gebiete am Herzen liegen, genau so
stumpf anschaffen zu können, bei den Kriegerwit- liegt uns auch das Schicksal der Deutschen in den
wen und Kriegerwaisen, bei dem Mittelstand, der Gebieten in Böhmen und Mähren am Herzen.
heute wiederum am Verarmen ist; denn gerade die (Sehr richtig! rechts.)
kleinen Geschäftsleute sind es, denen es schlecht Genau so wie Schlesien gehört auch Deutsch-Böh-
geht, während die großen Schieber glänzend da- men zu uns, zu Deutschland. Die Deutschen in
stehen. Was haben denn die kleinen Geschäfts- Böhmen haben 1919 ausdrücklich erklärt, daß sie
leute in ihrer Kasse? Eine Reihe von geplatzten lediglich in den neuen tschechischen Staat hinein
Wechseln. Und wie sieht es sonst im Wirtschafts- vergewaltigt worden sind, daß sie aber niemals de
leben aus? Böse genug! jure anerkennen, daß dieses deutsch-böhmische Ge-
Wir können nicht den Optimismus teilen, daß es biet Gebiet der Tschechoslowakei sei. Ich möchte
schon so glänzend aufwärts ginge. Ja, für Hun- hier keineswegs dem Herrn Bundeskanzler irgend-
derttausende von Großschiebern in diesem Land welche Absichten unterstellen. Es ist vielleicht
geht es aufwärts; aber für die breite Masse der nur im Laufe der Rede vergessen worden. Des-
Bevölkerung geht es nicht aufwärts. Gerade da- wegen kam auch ein Zwischenruf von unserer
rauf kommt es aber nach unserem Dafürhalten an, Seite. Ich glaube, daß die Bundesregierung genau
daß die breite Masse unserer Bevölkerung end lich so wie wir alle der Auffassung ist: Deutsch-Böh-
einmal einen Lebensstandard bekommt, daß das men ist genau so deutsches Gebiet wie Schlesien
Leben auch lebenswert genannt werden kann. Die- und Pommern und Ostpreußen!
ser Standard wäre möglich. Es ist Zeug genug da, Meine sehr verehrten Damen und Herren! Aber
auf allen möglichen Gebieten! Unser Volk ist auch mit der Hoffnung auf Rückkehr der Flüchtlinge,
fleißig und arbeitsam wie von jeher. Die Ursache mit der Hoffnung darauf, daß endlich einmal dieses
dafür, daß es nicht so aufwärts geht, wie wir das furchtbare Unrecht, das in Jalta und später am
wünschen und wie es wenigstens auf den Gebie- deutschen Volk begangen worden ist, mit der Hoff-
ten, in denen uns auswärtige Mächte nichts drein- nung allein, daß das wieder gutgemacht wird,
reden, möglich ist, muß also irgendwoanders lie- können wir uns noch nicht begnügen. Wir müssen
gen. eine rascheste Eingliederung der Heimatvertriebe-
Wir haben eine Wunschliste für den Herrn Bun- nen in die einheimische Wirtschaft haben, und
deskanzler und seine Regierung. Wir wollen uns dann wird sich ja bald herausstellen, daß das, was
fetzt mit keinem Satz dabei aufhalten, die Rede die Heimatvertriebenen mitgebracht haben — aus
des Herrn Bundeskanzlers zu zerpflücken. O nein! Böhmen und Mähren und überallher sonst, ich
Wir möchten ihm nur namens unserer Wähler sa- nenne von diesen Flüchtlingsindustrien nur die
gen, was wir von der Regierung erwarten. Es ist Gablonzer Industrie und die Graslitzer Industrie
Deutscher Bundestag — 7. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. September 1949 69
(Loritz)
—, wahre Goldgruben für die Flüchtlinge genau fen können; wie es ja überhaupt Sache der Bundes-
so wie für die Einheimischen werden können. regierung sein wird, die Tätigkeit der Länder end-
Und so bitten wir den Herrn Bundeskanzler und lich einmal zu koordinieren und endlich einmal in
die Bundesregierung ganz besonders, ihr Augen- eine gleiche, für das ganze Deutschland nützliche
merk dem Schicksal der Flüchtlinge und ihrer In- und heilsame Richtung zu bringen. Wir warnen also
dustrien zuwenden zu wollen! die Regierung vor Mietpreiserhöhungen aller Art!
Das zweite, ebenso wichtige Problem, von dem Vor noch etwas warnen wir diese Regierung
wir hoffen und erwarten, daß es die Bundesregie- — auch darüber sind einige Sätze im Regierungs-
rung mit aller Kraft angehen wird, ist das Problem programm gesprochen worden, die aber, wenigstens
der Arbeitslosigkeit. Wir warnen vor jeder theore- nach unserem Dafürhalten, noch nicht klar und ein-
tischen Betrachtung der Lage, vor einer Betrach- deutig ausgelegt werden können —: wir warnen
tung, wie sie in den Sälen der Universität bei an- die Regierung davor, ohne weiteres und unbesehen
gehenden Studenten vielleicht am Platze sein mag, dem Beispiel anderer Staaten zu folgen, die in einer
denen man die theoretischen Grundbegriffe des ganz anderen Lage als wir sind. Wir warnen die Re-
Wissens erst beibringen muß, die in der Praxis gierung, hier einfach in das kalte Wasser nachzu-
aber vollkommen fehl am Platze ist. Wir warnen springen, selbst dann, wenn andere uns vorausge-
vor einem Auspendelnlassen der Arbeitslosen, wir sprungen sind. Wir warnen vor einer Währungs-
warnen davor mit aller Kraft, weil es sich hier devalvation. Wir warnen vor einem neuerlichen
nicht um totes Metall und tote Uhrenpendel han- Währungsschnitt, und wir können den Beruhi-
delt, sondern um lebende Menschen, und der gungserklärungen leider — ich sage: leider — nicht
Mensch muß Mittelpunkt des ganzen Staates sein. Glauben schenken, diesen Beruhigungserklärungen,
Nur das ist wahre Demokratie, alles andere ist die schon in der Bundeskanzler-Erklärung angedeu-
Spiegelfechterei. tet sind: „Na, Kinder, so schlimm wird's ja wohl
(Beifall bei der WAV.) nicht werden! Es wird nur vielleicht eine Verteu-
Wir warnen vor einem. Auspendelnlassen der Ar- erung um einige Prozent bei deal Import-Artikeln
beitslosenziffer. Die Arbeitslosenziffer ist schon geben, wenn wir jetzt die D-Mark um 20 oder
hoch genug, viel zu hoch schon. Wir müssen unter 30 Prozent herabwerten lassen, und das wird sich
allen Umständen an ihre Beseitigung und ihren Ab- dann im allgemeinen Preisgefüge verlaufen. Es
bau herangehen. wird keineswegs dazu führen, daß das gesamte
Da kann ich nicht ganz dem Optimismus der Re- Lohn- und Preisniveau ins Rutschen kommt!" Wir
gierungserklärung folgen, die meint, daß schon le- glauben dieser Beruhigungserklärung nicht! War-
diglich durch eine Belebung des Baumarktes die um? Weil jeder, der schon mal zwei Semester lang
Arbeitslosen weitgehend zum Verschwinden ge- Volkswirtschaftslehre gehört hat, weiß, daß jede
bracht werden könnten. So einfach ist das Ding Regierung
- nach jeder Währungsabwertung schon
doch nicht! Ganz besonders aber möchte ich war- solche Erklärungen abgegeben hat. Und Währungs-
nen, vielleicht die einen Arbeitslosen in die Arbeit abwertungen haben wir in den letzten Jahrzehnten
hineinzubringen und dafür andere Hunderttau- in ganz Europa bisher schon am laufenden Band
'sende, die jetzt noch gerade mit Mühe und Not im gehabt. Und was ist denn dabei herausgekommen?
Lebenskampf durchkommen, zu Arbeitslosen wer- Schauen wir die berühmte Franc-Abwertung aus
den zu lassen, und zwar dadurch, daß man einen dem Jahre 1936 an, die als Schulbeispiel herangezo-
der wichtigsten Ausgabenposten im Budget des gen wird! Schauen wir andere Abwertungen in an-
kleinen Mannes in die Höhe steigen läßt: ich meine deren Ländern an! Was ist herausgekommen? Nach
den Ausgabenposten an Mieten. Die Miete ist genau wenigen Monaten war es so, daß die Preise für die
so wie der nackte Lebensunterhalt eine der wich- wichtigsten Warengattungen sich wieder dem ur-
tigsten Ziffern im Budget des kleinen Man- sprünglichen Niveau weitgehend angegliedert ha-
nes, und wehe, wenn wir heute zu Mietpreis- ben, also an den inhärierenden Goldwert. Nach
erhöhungen kommen würden! Ich glaube, sogar im wenigen Monaten war die Wirkung einer Abwer-
Namen von Tausenden von Hausbesitzern zu spre- tung verpufft. Die Leidtragenden und die Dummen
chen, wenn ich Ihnen sage: das ist nicht einmal das bei der ganzen Sache waren die ehrlich Arbeiten-
Ziel der Vernünftigen unter den Hausbesitzern. den, waren die Arbeiter, die Angestellten und die
Wir müssen selbstverständlich dazu kommen, daß kleinen Geschäftsleute.
wiederum Beträge für die Reparatur von Woh- (Beifall bei der WAV.)
nungen bereitstehen. Wir kennen ganz genau die Die Leidtragenden waren jene, deren Löhne und
Lage auf diesem Gebiet. Aber niemals kann das deren Einnahmen nur mühselig hinter der Steige-
durch eine Mietzinssteigerung erreicht werden. Das rung der Preise nachhumpeln konnten.
muß durch etwas ganz anderes erreicht werden: das Wir glauben nicht, daß hier eine Abwertung der
muß dadurch erreicht werden, daß die irrsinnig D-Mark ohne allzu große Folgen für das Preis-
hohen Steuerlasten, die auf dem Hausbesitz ruhen, niveau sein und bleiben würde. Wir glauben etwas
endlich abgebaut werden; denn der Hausbesitzer ist ganz anderes: daß nämlich unmittelbar nach der
ja heute nichts anderes mehr als der Kassenbote Währungsabwertung das gesamte Preis- und Lohn-
des Finanzamtes. gefüge ins Rutschen kommt und daß daraus die
(Beifall bei der WAV.) schädlichsten Spannungen und Streitigkeiten bei
Wir können etwas ganz anderes tun: wir können uns entstehen können. Der Erfolg wird am Schluß
Mittel für die dringlichst notwendigen Reparatu- nur der sein, daß das mühsam für die D-Mark ge-
ren der Häuser bereitstellen, ohne die Mieten zu sammelte Vertrauen wiederum restlos zerstört
erhöhen, denn jede Mieterhöhung würde sofort die wird.
Schraube ohne Ende in Bewegung setzen. Wir müs- (Sehr richtig! bei der WAV.)
sen endlich einmal die wahnsinnig überhöhten England hat durch die Abwertung wenigstens et-
Mietzinssteuern herunterbringen, und soweit es was bekommen: England hat durch die Abwertung
Sache der Länder auf diesen Gebieten ist, wird der seine Staatsschulden um 30 oder wieviel Prozent
Bund irgendwie dann einen Ausgleich für die Län- heruntergebracht. Wir selbst sind in einer ganz an-
der zu schaffen haben, daß wir dann von selbst deren Lage. Unsere Staatsschulden sind ja weitest-
auch hier dringendst notwendige Maßnahmen tref gehend durch die Währungsreform aufgeflogen und
70 Deutscher Bundestag - 7. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. September 1949
(Loritz)
beseitigt worden. Für uns trifft dieser Vorteil einer Aus allen diesen Gründen werden wir durch
Abwertung nicht zu. Wir haben nur Nachteile — ich einen schematischen Währungsabwertungsschnitt
betone: nur Nachteile! Ich glaube nicht an den Vor- nur verlieren, nicht dagegen gewinnen können. Wir
teil einer Abwertung der D-Mark. Ich glaube ganz bitten — ich wiederhole es — gerade angesichts der
besonders deshalb nicht daran, weil wir auf lange Wichtigkeit der Dinge diese Regierung, unter gar
Jahre, vielleicht auf Jahrzehnte hinaus bedeutend keinen Umständen so bereitwillig mitzumachen und
mehr importieren müssen, als wir exportieren kön- gleich dem englischen Beispiel zu folgen. Wir Deut-
nen. schen müssen doch nicht gleich wie ein Pudel jedes-
(Sehr richtig! bei der WAV.) mal sofort bereitwillig durch jeden Reifen hin
Wir müssen uns nicht einseitig dem Sterlingblock durchspringen, den man uns entgegenhält.
anschließen und ihm nachfolgen. Wir werden auf (Bravorufe und Händeklatschen bei der WAV.)
lange Zeit hinaus vielmehr Anlehnung suchen müs-
Das zu diesem Problem.
sen an die Währung, die jetzt fest geblieben ist,
also an die Dollarwährung, nachdem Amerika auf Wir können allerdings — das sagte ich schon —
lange Zeit hinaus zum größten Teil wohl die Im- die Währung nur dann auf dem Stande von heute
porte bestreiten wird und muß, ohne daß noch Ge- halten, wenn wir die Produktion dadurch weitge-
genwerte aus den deutschen Exporten in entspre- hend verbilligen, daß wir mit den Steuern her-
chender Höhe zur Verfügung stehen. Bis es einmal untergehen. Da habe ich nun große Befürchtungen;
so weit ist, dürften sich die Preise am Weltmarkt denn es ist meistens so: zuerst kommt der Minister,
schon lange wieder so angeglichen haben, daß aus dann kommen fünf Ministerialdirektoren als Abtei-
einer heutigen Abwertung kein Vorteil entstehen lungsleiter, dann kommen zwanzig Ministerialräte,
würde. und dann wird der Apparat immer größer und um-
Ich weiß selbstverständlich: wir sind noch nicht fangreicher. Selbst wenn der Minister bremst, dann
ganz frei auf allen Gebieten. Es ist leider noch sorgen die Herren Ministerialdirektoren und Mi-
nicht so, daß die Bundesregierung die letzte und nisterialräte schon von selbst dafür, daß dieser
einzige Entscheidung auf diesen Gebieten in der Bremsdruck nicht allzu stark wirksam wird und
Hand hat. Das ist, weiß Gott, kein Vorwurf gegen immer weiter und weiter Personal eingestellt wird;
die Bundesregierung, sondern ein Vorwurf gegen denn man muß ja seine Notwendigkeit im Amt be-
ganz andere Leute. Aber ich kann mir nicht den- weisen. Der beste Beweis aber für die Herren Bü-
ken, daß dann, wenn die Bundesregierung gegen- rokraten für ihre absolute Notwendigkeit war es
über der ganzen Weltöffentlichkeit fest und klar noch stets, eine möglichst große Zahl von Akten-
ihren Standpunkt kundgibt und erklärt: wir wollen nummern zu haben, damit man im Schlußbericht
keine Abwertung der mühsam erworbenen D-Mark, alle Vierteljahre oder alle Jahre sagen kann:
die Alliierten darüber einfach zur Tagesordnung - „Schaut mal an, wie umfangreich der Aufgaben-
übergehen können. bereich unseres Ministeriums ist!" Da darf der Mi-
nister noch so wohlmeinend bremsen — und ich
Meine Damen und Herren, dieses Problem beun- sehe schon ein Lächeln auf der Regierungsbank,
ruhigt uns von der WAV ganz besonders, dieses ein Lächeln des Einverständnisses damit —,
Problem, aus dem sich hunderterlei andere Pro- (große Heiterkeit — Bravorufe und Hände-
bleme entwickeln werden, gerade jetzt bei begin-
nender Wintersaison, wo in kurzer Zeit die Arbeits- klatschen bei der WAV)
losigkeit schon rein saisonmäßig ansteigen wird. da darf man noch so bremsen, meine Damen und
Wir sehen mit größter Sorge der Zukunft entgegen. Herren, da sind manchmal die Ministerialräte und
Eine Herabsetzung der Exportpreise für die deut- Oberregierungsräte stärker als die Herren Minister.
schen Waren, die zweifelsohne nach der Sterling- Diesen Anfängen gilt es zu wehren, meine Damen
Abwertung notwendig sein wird, um konkurrieren und Herren, und wir bitten diese Regierung hände-
zu können, müssen wir auf andere Art und Weise ringend: Seid sparsam bei der Aufstellung des Per-
erzielen als durch einen Währungsschnitt. Wir müs- sonaletats!
sen und können diese Herabsetzung dadurch er- (Erneuter lebhafter Beifall bei der WAV.)
reichen, daß wir endlich einmal die Wirtschaft weit- Wir können es uns nicht mehr leisten! Wir haben
gehend von den unerhört hohen und einfach nicht sowieso schon eine Länderbürokratie in fast allen
mehr tragbaren Steuerlasten befreien, die auf der deutschen Ländern, die phantastisch groß ist. Wol-
Produktion und auf der gesamten Wirtschaft ruhen. len wir jetzt auch noch eine Bundesbürokratie
Im Altertum hat man gesagt, man könne vom Volk schaffen, die ebenso groß oder vielleicht noch grö-
nur den Zehnten verlangen und nicht mehr. Was ßer ist? Wer soll das alles bezahlen? Letzten Endes
wären wir froh, wenn heute nur der Zehnte aus zahlt es immer nur unsere Wirtschaft und zahlen es
allen Einkünften der Wirtschaft und der Steuerzah- unsere Steuerzahler. Wir möchten der Regierung
ler verlangt würde! vor allem das mit auf den Weg geben: Tut alles, um
(Zustimmung.) den Behördenapparat möglichst klein zu halten;
Wir müssen eine Herabsetzung der Steuern bekom- denn die Wirksamkeit und die Güte eines Mini-
men. Dann können wir die Produktion auch im Ex- steriums vermindert sich in geometrischer Pro-
port ohne weiteres verbilligen und auch dort, wo gression mit der Zunahme der Beamtenstellen im
es nötig ist um auf dem Weltmarkt von der eng- Ministerium.
lischen Konkurrenz nicht allzu scharf in den Hinte r (Lebhafte Zustimmung.)
-grunderängtzuwerdn.
Wie gesagt: dieses Problem soll man nicht theo- Das steht für jeden fest, der schon einmal ein Mi-
retisch angehen, noch dazu nicht angesichts der Tat- nisterium, und sei es nur kurze Zeit, geleitet hat.
sache, daß es ja nun einmal so ist, daß wir auf (Große Heiterkeit. — Zuruf: Sie sprechen
lange Zeit hinaus, mindestens noch für die näch- aus Erfahrung?)
sten Jahre und vielleicht Jahrzehnte darauf ange- Jeder in diesem Hause ohne Rücksicht auf die Par-
wiesen sind, von Amerika her riesige Mengen an teieinstellung wird mir hierin recht geben, und es
Lebensmitteln und sonstigen Gütern zusätzlich zu wird die hohe Aufgabe gerade dieses Bundesparla-
importieren, wobei die Bezahlung dieser Güter ments sein, immer und immer wieder dafür zu sor-
nicht ohne weiteres gleich wird erfolgen können. gen, daß nicht hier von einer Beamtenbürokratie
Deutscher Bundestag — 7. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. September 1949 71
(Loritz)
aus ein übersetzter Beamtenapparat aufgebaut durchgemacht haben; den Dank an die, die drau-
wird, der den Steuerzahlern einfach nicht mehr ßen waren, ohne daß sie deswegen Militaristen ge-
tragbar erscheint. wesen sind; den Dank genau so an die, die her-
Ich möchte nun ein Wort wiederholen, das wir innen gestanden sind, beim Löschen der Brände
von der WAV schon vor drei Jahren geprägt haben. ihren Nachbarn geholfen und nicht viel danach
Es freut mich immer, wenn solche Formulierungen gefragt haben, ob sie am nächsten Tag bei einer
dann von großen Parteien aufgenommen und wie- Kasse eine Bezahlung dafür in Empfang nehmen
derholt werden. Wir möchten eines nicht erleben: konnten; und schließlich seit 1945 den Dank an
daß nämlich irgendeine politische Partei, heiße sie, unser ganzes deutsches Volk, das sich in bewun-
wie sie wolle, zu einem Stellenvermittlungsbüro dernswerter Art und Weise benommen hat
für alle die Bewerber wird, die sich zu Hunderten, (Händeklatschen bei der WAV)
ja zu Tausenden schon melden, um in diese neue mit Ausnahme einiger hunderttausend Großschie-
Bundesbeamtenschaft aufgenommen zu werden. ber, Währungsreformgewinnler und ähnlicher
Wenn das wahr ist, was in einigen Zeitungen stand: schmutziger Subjekte, die aus der Not unseres
an einem einzigen Tage über 700 Stellengesuche Volkes Golddukaten geschlagen haben.
und Bewerbungen von Beamten aller Art, die nach (Sehr richtig!)
Bonn hergeflattert sind, dann beneide ich den
Herrn Bundeskanzler und seine Regierung weiß Denen allen müßte man danken, und es hätte uns
Gott nicht um die Aufgabe, hier Spreu vom Weizen sehr gefreut, wenn die Regierungserklärung dar-
zu sondern und aus diesem Wust und aus diesem über Näheres enthalten hätte, und zwar ausführ-
Berg von Stellengesuchen die wirklich Fähigen lich.
— das werden wahrscheinlich nur wenige sein — Bewundernswert war und ist die Haltung un-
herauszupicken seres Volkes. Ich frage Sie: welche anderen Völ-
ker hätten sich wohl so diszipliniert, so anständig
(große Heiterkeit) und ruhig benommen, wenn sie pro Monat 150
und als Regierungsräte und Oberregierungsräte und Gramm Fleisch und 75 Gramm Fett bekommen
so weiter auf die Posten zu stellen, auf denen sie hätten und sonst gar nichts außer ein bißchen
wirklich produktive Arbeit leisten können. schlechtes Brot und ein paar Kilo Kartoffeln? Das
Meine Damen und Herren, es gibt noch eine waren doch die Lebensbedingungen unseres Vol-
Reihe wichtigster Probleme, zu denen wir einiges kes. Unser heißester Dank muß daher diesen allen
Wenige sagen möchten: das Problem der Kriegs- gelten, namentlich all den Millionen von Haus-
versehrten, der Kriegerwitwen, der Kriegshinter- frauen, die alles getan haben, um durchzuhalten.
bliebenen. Wenn man einmal hineingeschaut hat in Deshalb freut es uns ganz besonders, daß der Herr
die Elendsquartiere dieser anständigen Menschen, Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung auch
dann möchte man es oft nicht für möglich halten, der Frauen und der Frauenprobleme eigens ge-
wie es da zugeht, wie Leute mit 20 oder 30 Mark dacht hat.
im Monat leben müssen. Es ist bewundernswert, Meine Damen und Herren, der Herr Bundeskanz-
was unser Volk alles erduldet. Aber das darf uns ler hat in seiner Erklärung sehr richtig gesagt: Wir
nicht dazu führen, daß wir hier denken: na, das können uns nicht auf ewige Zeiten darauf verlas-
ist bisher schon so gegangen, das kann noch weiter sen, daß uns aus dem Ausland all das gegeben
so gehen; diese armen Teufel werden sich schon wird, was wir nicht selbst erarbeiten und kaufen
nicht rühren. — Nein, wir müssen jetzt endlich ein- können. Wir müssen unsere Produktion erhöhen,
mal, und zwar von Bundes wegen, mit einer um- und das Alpha und Omega der ganzen Regierungs-
fassenden Regelung der Versorgung dieser Ärmsten tätigkeit soll sein: wie kann die Produktion in
unseres Volkes herauskommen, die ihre Pflicht und diesem Lande erhöht werden? Allerdings, ich muß
sonst gar nichts getan haben, ihre Pflicht gegenüber schon sagen: schematisch geht das nicht. Wir leh-
ihren Mitbürgern, die ins Feld hinausgezogen sind nen jeden Schematismus und jeden Doktrinaris-
nicht aus Begeisterung am Kriegführen. O nein, mus auf diesem Gebiete ab. Schlagwörter haben
wir alle oder fast alle, die wir hier sitzen, wissen hier sehr wenig Bedeutung. Wir glauben, daß von
es, wie bedrückt am 25. August 1939 ganze Regi- Fall zu Fall in empirischer Art und Weise der Herr
menter ausmarschiert sind, wie bedrückt, ohne La- Wirtschaftsminister und die Regierung sich bei
chen auf den. Gesichtern, diese Menschen hinaus- jedem einzelnen Tatbestand immer wieder darüber
gegangen sind. Man hat sie hinauskommandiert; es schlüssig werden müssen, was zu geschehen hat
war nicht ihr freier Wille. Sie haben draußen ihre oder nicht. Hier kann nicht mit Allerweltsrezepten
Pflicht getan gegenüber ihren Mitbürgern, gegen- oder grauen Theorien etwas erreicht werden. Eines
über ihren Kameraden, die sie herausgeholt haben, allerdings, meine Damen und Herren, muß besei-
wenn sie verwundet waren, und die sie noch aus tigt werden: es darf nicht so weitergehen, daß
den Stacheldrahtverhauen zurückgebracht haben. heute in weiten Gebieten Deutschlands das Bau-
Diesen Menschen möchten wir von der WAV un- holz zum großen Teil keinen Absatz mehr findet
seren ganz besonderen Dank zum Ausdruck brin- deswegen, weil nicht genügend Nachfrage da ist,
gen. weil nicht genügend gebaut wird. Ich kenne Zie-
(Beifall bei der WAV.) geleien in der Umgebung meiner Vaterstadt, die
Meine Damen und Herren, der Herr Bundes- die Produktion sogar drosseln und herabsetzen,
kanzler hat mit Recht einer ganzen Reihe von Or- weil zu wenig Nachfrage nach Ziegelsteinen be-
ganisationen im In- und Ausland, dem Roten Kreuz steht.
und vielen anderen, namens des ganzen deutschen (Zuruf rechts: Weil kein Geld da ist!)
Volkes wärmstens gedankt für das, was diese Or- — Sehen Sie, solche Dinge dürfen nicht mehr pas-
ganisationen für unsere Mitbürger getan haben. Ich sieren.
glaube, wir müßten zu diesem Dank auch noch Es darf auch nicht so weitergehen, daß wir heute
eines zum Ausdruck bringen, nämlich den unend- allein in der Bizone über 250 000 arbeitslose Bau-
lichen Dank unseres ganzen Volkes all denen un- handwerker haben, für die Arbeit in Hülle und
serer Mitbürger gegenüber, diesen Millionen von Fülle auf Jahrzehnte hinaus vorhanden wäre. Hier
Mitbürgern, die brav und anständig gewesen sind, fordern wir die Regierung auf, tatkräftig einzu-
ihre Pflicht getan haben und namenloses Elend schreiten, wobei wir allerdings davor warnen, das
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(Loritz)
Heil in einer uferlosen Kreditausweitung erblicken wie ich eingangs feststellen möchte, ohne Bindung
zu wollen. Wir würden etwas ganz anderes begrü- an die Regierungskoalition, die bekanntlich die
ßen, nämlich eine Herabsetzung der Staatsausga- Kleine Koalition genannt wird, alle Maßnahmen
ben, namentlich der Ausgaben für Zehntausende der Regierung unterstützen, die richtig und gerecht
von Beamtenposten, die in den letzten Jahren sind, aber alles ablehnen und bekämpfen, was
künstlich und ohne Notwendigkeit geschaffen oder meinen politischen Freunden und mir von anderen
mit unfähigen Leuten besetzt worden sind. Durch Gesichtspunkten als denen des Volkswohles aus
einen Abbau aller dieser Posten würden wir zu nicht richtig und gerecht erscheint. Wir sehen es
Ersparungen gelangen, die sich sehen lassen könn- als unsere Aufgabe an, Willkür und Machtmiß-
ten und die groß genug wären, um riesige Beträge brauch zu verhindern, für Toleranz und Menschen-
für den Wohnungsbau und andere dringende So- achtung, Freiheit und Gerechtigkeit einzutreten,
fortmaßnahmen abzweigen zu können. der Wahrheit zu dienen und gegebenenfalls dunkle
Ein Redner hat sich hier über die Förderung der Kräfte und Motive, die Staat und Gemeinschaft
Landwirtschaft ausgelassen. Er sagte: wir müssen bedrohen, durchsichtig zu machen.
unter allen Umständen die landwirtschaftliche Die Sprecher der Fraktionen in diesem Hohen
Produktion dadurch in die Höhe bringen, daß wir Hause, sowohl diejenigen, die sich zur Regierung
den Hackfruchtanbau intensivieren. Lassen Sie bekennen, wie auch diejenigen, die in der Oppo-
mich bitte eines dazu sagen. Es ist doch heute sition stehen, haben im wesentlichen ihre Haltung
so, daß in einigen Gebieten Deutschlands der Hack- und ihr Programm aufgezeichnet. Wir haben auf
fruchtanbau zur Zeit schon deswegen reduziert wird, Grund dieser Darlegungen das Empfinden, daß
weil nicht genügend landwirtschaftliche Arbeits- nicht nur Trennen de s, sondern auch vieles
kräfte da sind Gemeinsame vorhanden ist, und wir können
(Sehr richtig! bei der WAV) uns nicht des Eindrucks erwehren, daß man Grö-
oder vermittelt werden können. Sehen Sie, das ßeres als eine kleine Koalition hätte erreichen kön-
sind einige dieser Fehldispositionen auf dem Ge- nen, wenn man von Anfang an bemüht gewesen
biete des Wirtschaftslebens, wo wir die neue Bun- wäre, nicht das Trennende, sondern das Gemein-
desregierung dringendst bitten, hier endlich einzu- same zu finden.
greifen, weil es wirklich höchste Zeit ist. Wie kann (Sehr richtig! beim Zentrum.)
man denn den Hackfruchtanbau und Zuckerrüben-
anbau, die bekanntlich enorm arbeitsintensive An- Alle wollen wir den Wiederaufbau Deutschlands
bauarten sind, intensivieren, wenn heute nicht ein- in möglichst kurzer Frist, in einem ständig sich
mal den Bauern genügend landwirtschaftliche steigernden Tempo erreichen. Die Wiederherstel
Kräfte zur Verfügung stehen, um die bisherige - lung zerstörter Wohnbezirke, die Lösung des Ver-
Produktionsweise weiterhin durchführen zu kön- triebenenproblems, die Schaffung von Lebens-
nen? sicherheit auch für die Ärmsten, das alles sind
(Sehr richtig! bei der WAV.) Notwendigkeiten, denen sich niemand verschließen
Hier muß der Staat, hier muß der Deutsche Bund kann, ganz gleichgültig ob er zur Regierung oder
entsprechend eingreifen, und zwar so rasch wie zur Opposition gehört. Diesen Notwendigkeiten
möglich. kann sich auch das Ausland nicht verschließen.
Meine Damen und Herren, es gäbe noch so viel Wir haben das Verhalten des Auslandes und seine
zu sagen zu den einzelnen Punkten des Regie- Stellung zu unserem Volk nach dem Zusammen-
rungsprogramms. Wir wollen es uns ersparen, hier bruch der Katastrophenpolitik des Nationalsozia-
allzulange darüber zu reden. Denn jede Stunde, lismus erlebt, wir haben es erlebt in den mensch-
die der Regierung an Zeit durch Debatten weg- lichen Hilfeleistungen, wie sie auch vom Herrn
genommen wird, geht ihr für produktive Arbeit Bundeskanzler gezeigt worden sind, in den Hilfe-
verloren. leistungen jener Völker und Staaten, die als Sieger
aus diesem zweiten Weltkrieg hervorgegangen sind.
(Sehr richtig! in der Mitte. — Der Bundes Zu jenen, die der Herr Bundeskanzler genannt hat,
kanzler klatscht Beifall. — Heiterkeit.) dem Roten Kreuz, dem Vatikan, der Ökumene von
Wir werden in einigen Monaten sehen, wie es diese Genf, glauben wir noch hinzufügen zu müssen die
Regierung bewerkstelligen wird. Wir werden in Hilfe der Quäker, der Heilsarmee, der Mennoniten,
einigen Monaten sehen, ob diese Regierung auf der nordischen Länder, der Schweiz wie aller jener
alten, ausgefahrenen Geleisen fortfahren wird oder Organisationen und auch Einzelpersonen, die oft
ob sie neue, konstruktive Ideen haben wird, die unter persönlichen Opfern für die Fürsorgeorgani-
endlich einmal unsere Wirtschaft aufwärtsbringen sationen oder für einzelne Familien in Deutschland
können. In einigen wenigen Monaten schon wird gesorgt haben. Meine Damen und Herren, es be-
es sich die Regierung gefallen lassen müssen, daß deutet keine nationale Würdelosigkeit, wenn man
wir uns hier darüber ausführlichst unterhalten. Bis dafür dankbar ist. Wir müssen den Mut zu dieser
zu diesem Zeitpunkt aber — ich wiederhole es — Wahrheit auch gegenüber jenen nationalistischen
werden wir von der WAV ohne Haß und ohne Phrasendreschern haben, die heute schon wieder
Vorschußlorbeeren-Gewährung diese Regierung dabei sind, das Bild des deutschen Menschen in
beurteilen. Wir werden sie nach ihren Taten beur- verhängnisvollster Weise zu verzeichnen.
teilen, und ich wünsche der Regierung nur, sie
möchte recht viele gute Taten setzen zum Wohle (Beifall beim Zentrum.)
unseres armen deutschen Volkes und unseres ar- Wir wissen alle gemeinsam, wie schwer der Auf-
men deutschen Vaterlandes. bau Deutschlands ist. Wir wissen, daß Millionen
(Beifall bei der WAV und rechts.) Menschen, wie es eben auch von meinem Vor-
redner gezeichnet worden ist, aus ihrer gesicherten
Präsident Dr. Köhler: Das Wort hat Frau Abge- Existenz geschleudert wurden und heute kaum das
ordnete Wessel. Lebensnotwendigste haben. Aber wir dürfen bei
all diesem doch nicht übersehen, was sich während
Frau Wessel (Z): Meine Damen und Herren, die des Hitlerkrieges jenseits der deutschen Grenzen
Zentrumsfraktion, als deren Sprecherin ich zu der abgespielt und was für grauenvolle Spuren auch
Regierungserklärung Stellung nehmen darf, wird, dort der Krieg hinterlassen hat.
Deutscher Bundestag - 7. Sitzung. Bo nn, Donnerstag, den 22. September 1949 73
(Frau Wessel)
Diese außenpolitische Situation gehört mit zu delt, muß sich die Tatsache vor Augen halten, daß
den Wirklichkeiten, von denen heute der deutsche unser deutsches Volk zwar ein großes Einfühlungs-
Politiker ausgehen muß. Nur wenn er dieses tut, vermögen in fremde Sprachen und Kulturen, in
nur wenn er in den Wechselwirkungen auch das vergangene Zeiten und Epochen besitzt, aber daß
rechte Verständnis des Auslandes für unsere Ver- es, wenn es sich mit den lebendigen Kräften frem-
hältnisse findet, wird er gute Außenpolitik machen der Nationen befassen soll, plötzlich jedes Augen-
können. Im Rahmen des europäischen Aufbaus ist maß verlieren kann und von Wunschträumen und
mit dem Marshallplan auch dem deutschen Volk Wunschbildern zu leben beginnt, wie sie in kaum
schon beträchtlich geholfen worden, und in der Po- einem anderen Volk der Welt anzutreffen sind.
litik ist, soweit es sich jedenfalls um die westliche
Welt handelt, für Deutschland ein Stand erreicht (Beifall bei Zentrum und in der Mitte.)
worden, der die Schaffung dieser Bundesrepublik Wir haben, meine Damen und Herren, alle Ver-
ermöglicht hat. anlassung, unser Volk zu lieben; aber weil wir es
Die Wirkung der ersten Bundesregierung beginnt lieben, müssen wir es davor bewahren, immer ein
nun. Es ist dabei gewiß schmerzlich zu wissen, daß Opfer seiner Schwächen und Fehler zu werden. Ge-
Deutschland seine Souveränität nur mit Einschrän- rade heute haben wir allen Grund, an die Wirk-
kungen wieder erhalten hat, die sich aus der durch lichkeit zu denken und einmal das. Wort wahrzu-
die Oberkommissare ausgeübten Kontrolle ergibt. machen, das wir alle so gern in den Mund neh-
Dabei überwachen die Oberkommissare, wie ja be- men: Realpolitiker zu sein.
kannt ist, nicht nur den demokratischen Aufbau Gestatten Sie mir hier die Bemerkung, daß sich
und die Friedens- und Sicherheitsgarantien allein. nach dieser Grundeinstellung auch der Typ des
Schon die Unfreiheit, die auf dem Gebiete des
deutschen Diplomaten richten muß, der uns künf-
Außenhandels geblieben ist, zeigt die Situation, in tig — zunächst auf dem Gebiete des Außenhandels
der sich Deutschland heute befindet. Nicht schnell
genug kann eine andere, eine echte und dauernde und hoffentlich sehr bald auf dem gesamten Ge-
biete der Außenpolitik gegenüber den anderen
Ordnung herbeigeführt werden. Es wird eine der

wichtigsten Aufgaben sein, die deutscherseits in Staaten vertreten soll. Meine politischen Freunde
den zwischenstaatlichen Beziehungen erfüllt wer- und ich verkennen durchaus nicht, daß es unter
den müssen, die Siegerstaaten von der Notwendig- den Diplomaten der alten Schule charakterfeste
keit eines Friedensvertrages für Deutschland zu Menschen gegeben hat, beste Repräsentanten des
überzeugen. Deutschtums, Männer, vor denen auch heute das
(Beifall beim Zentrum.) Ausland noch Achtung hat. Aber ebenso ist es eine
Meine Damen und Herren! Mehr als 52 Monate sind Tatsache, daß die Exklusivität, die früher im Aus-
seit der Einstellung der Kampfhandlungen vergan- wärtigen Amt herrschte, hochqualifizierte Persön-
gen, und de jure befinden wir uns noch immer im lichkeiten vom diplomatischen Dienst ausgeschaltet
Kriegszustand. Eine Konferenz ist der anderen ge- hat.
folgt, aber das Deutschlandproblem konnte nicht ge- (Sehr richtig! beim Zentrum.)
klärt werden. Alles ist offen; nichts ist entschieden. Wir warnen dringend vor dem Korpsstudenten als
Aber jeder fühlt, daß die Dinge zur Entscheidung dem geborenen Anwärter für den auswärtigen
drängen, wenn Europa überhaupt gesunden und in Dienst.
Ordnung kommen soll. Das Tragische an der eu- (Lebhafte Zustimmung beim Zentrum und
ropäischen Situation ist, daß das Dritte Reich es bei der SPD.)
fertiggebracht hat, in seinen Niedergang ganz Eu- Wir warnen auch davor, nur Leute mit sieben- oder
ropa zu verstricken. Mit Deutschland ist Europa neunzackigen Kronen ins Ausland zu schicken
an den Rand des Abgrundes gebracht worden und (erneuter Beifall)
heute auf die Hilfe Amerikas angewiesen. Dadurch
ist die Lösung des deutschen Problems so erschwert und zu glauben, damit die deutsche Demokratie
worden. So sehen wir uns in unserer Außenpoli- allein repräsentieren zu können. Meine politischen
tik vor die Notwendigkeit gestellt, uns einzufügen Freunde würden es mit besonderer Genugtuung
in diese weltpolitische Situation und die deutsche begrüßen, wenn die Bundesregierung in dieser Be-
Frage in Verbindung mit ihr zu betrachten. Sie ziehung jedenfalls nicht dem Beispiel der Wei-
kann nur im Rahmen Europas gelöst werden, wenn marer Republik folgen würde und den Mut hätte,
wir uns nicht auf den Standpunkt stellen wollen, einen ganz andern Weg zu gehen. Es wird schon
daß wir uns von Europa lösen müssen. Es dürfte allerlei darüber gemunkelt, wie sich gewisse Leute
somit eine der wichtigsten Aufgaben der Regie- der alten Schule nach vorn drängen, wie sie anti-
rung sein — und gerade bei dem Charakter der chambrieren und sich mit besonderen Denkschrif-
Regierung, die jetzt gebildet worden ist —, die ten in empfehlende Erinnerung bringen. Die Bun-
richtige Stellung in der Außenpolitik zu beziehen desregierung würde dem deutschen Volk keinen
und diese auch dem deutschen Volke klarzuma- Dienst erweisen, wenn sie derartigen Bewerbern
chen. zu bereitwilligst Gehör schenken würde. Wir mei-
Gewiß, meine Damen und Herren, Deutschland nen, es scheint jetzt die Zeit gekommen zu sein,
liegt in der Mitte von Europa; aber halten wir einen neuen Typ des Vertreters deutscher Inter-
uns frei von den nationalistischen Selbstüber- essen im Auslande herauszustellen, und ich möchte
schätzungen, als wenn Deutschland das Herzstück nicht zuletzt auf diejenigen hinweisen, die in
Europas in der Weltpolitik wäre. Uns tut eine den Nazijahren unfreiwillig ihre Auslandserfah-
kluge, abwägende Politik not, und ich möchte rungen gesammelt haben. Wir haben Kaufleute,
wünschen, daß man diese Notwendigkeit künftig wir haben Journalisten, die jahrelang draußen ge-
nicht einmal in den Wahlkämpfen vergißt, weil uns wesen sind und von denen wir nicht zu befürchten
nichts so schadet wie das törichte Wettrennen mit brauchen, daß sie der uns umgebenden Welt ein
schiefes Bild von Deutschland vermitteln.
dem Nationalismus. Die Zentrumspartei ist durch-
aus nicht schlecht dabei gefahren, als sie die Kon- (Beifall beim Zentrum.)
zession an den Nationalismus rundweg in ihren Damit soll, um das hinzuzufügen, gar nicht ge-
Wahlversammlungen ablehnte, Wer anders han-sagt sein, daß für Diplomaten der alten Schule
74 Deutscher Bundestag — 7. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. September 1949
(Frau Wessel)
keine Verwendung wäre. Es soll nur darauf hin- In der großen Linie der amerikanischen Politik
gewiesen werden, daß angesichts einer ziemlich zeichnet sich immer mehr die Notwendigkeit einer
großen Auswahl eine sehr sorgfältige Auslese ge- Verständigung für Europa ab. Im Rahmen dieser
troffen werden kann und hohe Ansprüche zu stel- europäischen Verständigung muß auch das Ost-
len sind. Ich habe nicht den Eindruck, daß dieser problem und das Problem der deutschen Menschen,
Hinweis verfrüht wäre. Vielmehr hoffe ich, daß die jenseits des Eisernen Vorhangs leben, gelöst
er noch einigermaßen rechtzeitig erfolgt. werden.
(Beifall.) In der Epoche, die jetzt durch die Ausgestaltung
Zur Realpolitik gehört auch die Frage, ob wir der Beziehungen der Staaten und Völker unter-
Deutschen nur die Wahl zwischen Ost und West einander beginnt, muß die deutsche Politik das
haben. Wir haben uns darüber heute in diesem Kommende erkennen. Nicht nur der Osten wird
Hause sehr temperamentvoll unterhalten, und doch die Bundesrepublik Deutschland vor große Ent-
glaube ich, es wäre eine Verkennung der histo- scheidungen stellen, auch der Westen hat seine
rischen Gegebenheiten und Aufgaben unseres Vol- Probleme. Es sind vor allem zwei Mächte, die den
kes, wollten wir sagen, wir könnten nur zwischen Wiederaufbau und Neuaufbau Europas fördern
Ost und West wählen. Wir können unsere Tradi- können. Europa hat sich vor 2000 Jahren aus der
tion, unsere Vergangenheit, unsere Geschichte, Wechselwirkung von Hellas und Rom geformt und
alles, was wir geworden sind und darstellen, nicht gestaltet. Von Hellas stammte der geistige Inhalt,
aufgeben, ohne uns selbst aufzugeben. Deshalb stammten die Persönlichkeitswerte, mit denen die
abendländische Welt zu ihrer wahrhaften Größe em-
haben wir keine Wahl zwischen West und Ost. Wir porstieg. Von Rom stammte die ordnende und staats-
können uns weder von der einen noch von der bildende Kraft. Aus diesen beiden Kräften wurde
anderen Seite gänzlich abwenden, und ich glaube, Europa und war es in der Lage, das christliche
es wäre nichts katastrophaler, als wenn von Ideengut zu einer überstaatlichen Hochkultur aus-
Deutschland eine Verschärfung der Spannungen zuformen. Auch heute sind es, wenn wir vom .deut-
ihren Ausgang nehmen würde. Wir können in schen Volke absehen, vornehmlich zwei Völker, bei
unserem eigensten Interesse nur immer wieder denen noch die letzte, aber große Chance für Eu-
betonen, wie sehr uns an einer Verständigung zwi- ropa liegt, Frankreich und England, wenn sie sich
schen West und Ost gelegen ist. Um keinen Preis ihrer großen geschichtlichen Aufgabe bewußt wer-
darf in der Welt der Eindruck entstehen, daß diese den und sich im echt föderativen Gedanken für den
Verständigung uns unerwünscht wäre. Heute Aufbau Europas einsetzen. Wir unterstützen des-
scheint sich zwischen Europa und Rußland eine halb die Absicht der Regierung, am europäischen
Kluft aufzutun. Wollen wir uns nicht selbst un- Zusammenschluß mitzuarbeiten. Wir kämpfen für
treu werden, dann kann es nicht unsere Aufgabe diesen europäischen Zusammenschluß, weil wir dar-
sein, diese Kluft zu erweitern und zu vertiefen. an glauben, daß die christlich-abendländischen
Rußland ist immerhin der vierte Partner jenes Kulturwerte, die Europa noch bewahrt, der gesam-
Friedensvertrages für Deutschland, mit dessen ten Menschheit erhalten bleiben müssen.
Hilfe wieder ein Gesamtdeutschland entstehen
kann. Meine Damen und Herren! Auf dem Gebiete der
Innenpolitik erwarten wir von der Regierung, daß
Von dieser Betrachtungsweise aus möchten wir sie durch die Verwirklichung einer echten Demo-
auch das Ostministerium sehen. Wenn das Ost- kratie der Befriedung des ganzen Volkes dient und
ministerium einen politischen Sinn und Wert haben die Notwendigkeit anerkennt, die Mitarbeit aller
soll, dann muß es den Willen zur Einheit Deutsch- aufbauwilligen Kräfte zu gewinnen. Uns scheint es
lands verkörpern, und dies auf der Basis der gege- nicht zu genügen, wenn der neue Bundesstaat be-
benen Tatsachen, soll nicht unter den Deutschen jaht wird. Viel wichtiger ist es, daß die Ideen und
jenseits des Eisernen Vorhangs der Eindruck ent- Gestaltungskräfte erkannt werden, die ihn erfüllen
stehen, daß sie abgeschrieben und vergessen wer- müssen. Das Schicksal unserer Demokratie hängt
den. Das Ziel eines Ostministeriums muß sein, an von ihrer Funktionsfähigkeit ab. Deshalb würden
den Chancen für eine Verständigung aller Partner wir es begrüßen, wenn auch die in der Opposition
mitzuarbeiten. stehenden Parteien sich dessen bewußt sind, daß
Ich weiß, daß diese Darlegungen bei gewissen sie zwar nicht Träger der Regierung, aber Mitge-
Leuten Befremden erregen könnten. Aber ich stalter der deutschen Demokratie sind.
glaube, daß sie jedem aus dem Herzen gesprochen (Beifall.)
sind. der von einem echten Nationalbewußtsein
Wir dürfen nicht noch einmal die letzte Chance
erfüllt ist. Ich brauche hier nicht zu betonen, daß
zur Schaffung einer Demokratie verspielen und
das Zentrum seiner ganzen Natur nach zu den
müssen deshalb alles tun, um in diesem Hohen
schärfsten Gegnern des Kommunismus gehört. Aber Hause zu sachlichen Auseinandersetzungen zu kom-
es gibt nur eine Art des Sieges in diesem Kampf.
Sie heißt: hier im Westen das Größte leisten, hier men.
den echten Fortschritt zustande bringen, hier die (Sehr gut! beim Zentrum.)
Persönlichkeitswertung durchsetzen. Dann wird Ebenso halten wir es für falsch, anzunehmen,
die europäische Idee den Osten erobern, nicht aber daß aus den Wahlresultaten vom 14. August schon
der Bolschewismus das Gesicht Europas bestimmen. das endgültige Gesicht des jungen Staates heraus-
zulesen wäre. Noch befinden wir uns im Stadium
(Beifall beim Zentrum.) der Vorläufigkeit, noch ist der Volkskörper in
Dabei verkennt das Zentrum keineswegs die einer ständigen inneren Bewegung und Umschich-
Aufgabe der Bundesregierung, sich der deutschen tung. Das deutsche Volk ist durch eine zu tiefe
Kriegsgefangenen und Verschleppten mit beson- Katastrophe seines Wesens gegangen, als daß es
derer Sorge anzunehmen und durch eine kluge heute schon ein Gesicht hätte, das seiner Art ent-
Außenpolitik zu erreichen, daß alle Völker mithel- sprechen würde und als endgültig anzusehen wäre.
fen, diesen bedauernswerten Menschen recht bald Die Bundesregierung sollte sich streng davor hü-
die Rückkehr in die Heimat zu ermöglichen. ten, die knappe Majorität, von der sie getragen
Deutscher Bundestag — 7. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. September 1949 75
(Frau Wessel)
0 wird, durch den Charakter einer starken Regierung An der Spitze der Ministerialbeamten sollte ein
ausgleichen zu wollen. völlig unpolitischer Beamter stehen. Nur so ist
(Bravo! beim Zentrum.) eine klare Trennungslinie zwischen der politischen
Es steht ihr jederzeit frei, durch entsprechende Verantwortung und der fachlichen Verwaltungsar-
Gesetzesvorlagen eine breitere Majorität zu gewin- beit möglich. Diese Trennungslinie liegt namentlich
nen als diejenige, von der sie ausgegangen ist. Ich auch im Interesse des Berufsbeamtentums, für
habe eingangs betont, daß meine politischen Freun- dessen Aufrechterhaltung das Zentrum eintritt.
de und ich keine Bindung an die Koalition haben, Sorgfältig — das versprechen wir dem Herrn
daß wir aber bereit sind, jede Maßnahme zu unter- Bundeskanzler — werden wir darauf achten,
stützen, die nach unserer Auffassung dem Wohl welche Rolle die Steigbügelhalter des Naziregimes
des Volksganzen dient. spielen werden.
Die Bundesregierung könnte sehr bald ein über- (Beifall beim Zentrum und links.)
zeugendes Beispiel für ihr demokratisches Wollen Die verhängnisvolle Entnazifizierung hat auf der
liefern, wenn sie das im Grundgesetz vorgesehene einen Seite Leute rehabilitiert, zu denen wir nie
Parteiengesetz einbringen würde, in welchem die und nimmer das Vertrauen haben können, daß sie
im Grundgesetz geforderte Kenntlichmachung der es mit der Demokratie ehrlich meinen, und anderer-
Finanzquellen der Parteien natürlich nicht fehlen seits unzählige kleine und harmlose Pgs in die
dürfte. Wüste geschickt. Nachdem man lange genug die
(Lebhafter Beifall bei der SPD und beim Kleinen gehängt und die Großen hat laufen lassen,
Zentrum.) möchten wir diese Großen nun unter gar keinen
Es mag sein, daß dieses Gesetz in Kreisen, die der Umständen zu hohen und höchsten Würden empor-
Regierung nahestehen, ein gewisses Unbehagen steigen sehen.
auslösen würde. (Sehr gut! beim Zentrum und links.)
(Sehr gut! links.) Es scheint, meine Damen und Herren, eine euro-
Aber ich erinnere mich mit großer Genugtuung der päische Tatsache, daß der jähe Übergang von der
Tatsache, daß auch politische Freunde des Herrn monarchischen zur republikanischen Staatsform auf
Bundeskanzlers — leider nicht alle, doch einige — dem beamtenpolitischen Gebiete ein schier unlös-
schon im Parlamentarischen Rat für die Forderung bares Problem aufwirft. Die Beamtenschaft ist an
meiner Freunde nach Offenlegung der Finanzquel- sich ein Kind des Absolutismus, und sie scheint
len gestimmt haben. In der öffentlichen Diskussion zwangsläufig in Bürokratie auszuarten, wenn zwar
des Grundgesetzes ist gerade dieser Passus als der Monarch geht, aber die königlichen Beamten
einer der neuen konstruktiven Gedanken unserer bleiben. Was ich schon für die kommenden deut-
vorläufigen Verfassung begrüßt worden. Es liegt schen Diplomaten ausführen durfte, das gilt in die-
auf der Hand, daß die demokratische Entwicklung ser Hinsicht auch für die Beamtenschaft schlecht-
in Deutschland entscheidend gefördert wird, wenn hin. Es gilt, über Weimar hinauszukommen. Wenn
die Offenlegung der Finanzquellen der Parteien die Bundesregierung dies Ziel erreichen will, kann
schleunigst Tatsache wird. Die Bundesregierung ihr nicht dringend genug empfohlen werden, sich
würde dadurch ein in weiten Kreisen der Bevöl- in erster Linie der charakterfesten Beamten zu be-
kerung bestehendes Mißtrauen entkräften. Für dienen, die auch im Hitler-Staat dem demokra-
meine politischen Freunde darf ich feststellen, daß tischen Freiheitsideal die Treue gehalten haben.
wir den im Parlamentarischen Rat begonnenen (Lebhafter Beifall beim Zentrum und links.)
Kampf fortsetzen werden und, falls die Bundesre- Es geht hier nicht — um das einmal herauszu-
gierung uns im Stich läßt, in diesem Hohen Hause stellen — um Wiedergutmachungsansprüche dieser
von uns aus das Notwendige tun werden, um durch Beamten, die auf einer anderen Linie liegen; es
die Forderung nach Offenlegung der Parteifinanzen geht hier um den Staat selbst und um die Bildung
das Vertrauen der Bevölkerung zur parlamenta- einer demokratisch zuverlässigen Beamtenschaft.
rischen Demokratie zu festigen. (Erneute Zustimmung beim Zentrum und
Verhängnisvoll wäre es weiterhin, wollte man links.)
für die Bundesregierung einen Beamtenkörper
schaffen, der nur aus Anhängern der Regierungs- In dieser Hinsicht ist in der Weimarer Zeit viel
parteien bestehen würde. Die Folge davon würde versäumt worden, und von der jüngeren Genera-
sein, daß weiteste Volkskreise, die der Regierung tion hoffen wir daß sie den in manchen Amts-
,

fremd gegenüberstehen, der neuen Bundesrepublik stuben dringend benötigten frischen Wind bringen
wird.
noch stärker entfremdet würden, während es doch Schließlich darf hier auch nicht außer acht ge-
die Aufgabe der Regierung sein muß, Staat und lassen werden, daß der gesamte öffentliche Beam-
Volk miteinander zu verbinden. Im übrigen würde ten- und Angestelltenapparat — auch das ist schon
jeder Regierungswechsel zu einer ungeheuren Be- von den Vorrednern gesagt worden — der Ver-
unruhigung der Beamtenschaft führen. Wir ha- armung unseres Volkes angepaßt sein muß. Es ist
ben nichts dagegen einzuwenden, wenn die Regie- ja in dem hinter uns liegenden Wahlkampf von
rung sich durch Verwendung von Staatssekretären allen Parteien außerordentlich viel vom Verwal-
den politischen Einfluß innerhalb ihrer Ministerien tungsabbau gesprochen worden, und wir hätten es
sichert. Wir sehen darin auch eine zu begrüßende deshalb begrüßt, wenn die Kleine Koalition nicht
Kontrolle der Bürokratie. Die Staatssekretäre aber durch die große Zahl von 13 Ministerien darge-
sollten nicht Beamte werden. Sie müssen, wie es stellt worden wäre.
in England der Fall ist, Politiker bleiben, die bei (Sehr gut! beim Zentrum.)
einem Regierungswechsel mit den Ministern auto-
matisch zurücktreten. Im übrigen aber dürften für Zu den 111 Ministerien, die wir bereits in den drei
die Auswahl der Beamten parteipolitische Gesichts- Westzonen haben, kommen nach Bildung der Bun-
punkte unter gar keinen Umständen Bedeutung desregierung noch 14 einschließlich des Bundes-
haben. kanzleramtes hinzu.
(Beifall beim Zentrum.) (Zuruf links: Sechs sind noch anwesend!)
76 Deutscher Bundestag — 7. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. September 1949
(Frau Wessel)
Ob das verarmte deutsche Volk 125 Minister nur wünschen wir, daß nicht nur, wie es in der Regie-
in seinem westlichen Bundesgebiet auf die Dauer rungserklärung heißt, die Pensionsansprüche für
bezahlen kann, ist eine durchaus beachtenswerte die vertriebenen Beamten geregelt werden sollen,
Frage, wozu dann noch das besondere Charakte- sondern auch die Freigabe und Aufwertung der
ristikum kommt, daß man in den kleineren Län- Spar- und Bankkonten sowie der Versicherungen
dern den Ehrgeiz hat, möglichst viele Minister zu der Vertriebenen in einem ähnlichen Verhältnis
besitzen. wie für die einheimische Bevölkerung ihre Rege-
(Sehr richtig! beim Zentrum.) lung finden.
Auch bei der Bildung der Bundesregierung kön- (Beifall beim Zentrum und links.)
nen wir uns des Eindruckes nicht erwehren, daß
dabei auch der Zweck erfüllt wurde, die Wünsche Wir werden die Regierung auch in ihrem Be-
der Koalitionspartner zu befriedigen. mühen unterstützen, einen Spitzenausgleich der
Vertriebenen unter den westdeutschen Ländern
(Erneute Zustimmung beim Zentrum.) vorzunehmen, wobei wir es sowohl im Interesse
Wir glauben nicht, daß das verarmte deutsche der Flüchtlinge als auch der Länder für wünschens-
Volk für diese Großzügigkeit des Herrn Bundes- wert erachten, daß dabei auf die kulturelle und
kanzlers seinen Koalitionsfreunden gegenüber das konfessionelle Zugehörigkeit der Flüchtlinge stär-
entsprechende Verständnis aufbringen wird. ker Rücksicht genommen wird als bisher, weil
(Sehr gut! beim Zentrum.) dadurch vielerlei Spannungen zwischen Vertriebe-
Meine politischen Freunde und ich würden es des- nen und einheimischer Bevölkerung vermieden
halb begrüßen, wenn die Bundesregierung beim werden könnten. In diesem Zusammenhang möchte
Aufbau der Bundesverwaltung ein hervorragendes ich auch noch auf einen Vorschlag hinweisen, der
Beispiel für eine einfache und leistungsfähige Ver- von unserem Dr. Stricker im Frankfurter Wirt-
waltung geben würde. Schließlich kann ja ein Ver- schaftsrat gemacht worden ist, in dem er sich für
waltungsabbau nicht einfach darin bestehen, daß geschlossene Siedlungen für die Flüchtlinge aus-
man irgendwelche Angestellte auf die Straße setzt. gesprochen hat, um damit Gewerbezweige — sie
Verwaltungsabbau kann immer nur bedeuten, daß wurden eben schon erwähnt — wie zum Beispiel
man die Verwaltungsaufgaben abbaut. Zweifellos die Glasindustrie zu erhalten, aber auch um den
hat der Staat, vor allem auf wirtschaftlichem Ge- Vertriebenen in ihrem Zusammengehörigkeits-
biete, Aufgaben an sich gerissen, die nicht von ihm, gefühl entgegenzukommen.
sondern von der Selbstverwaltung der Wirtschaft Meine Damen und Herren, die Regierung wird
erledigt werden sollten. Wir sind sehr dafür, daß das Maß an Souveränität haben, das sie sich ver-
die Wirtschaftsbürokratie im Staate verschwindet; dient, und sie wird im Volk soviel Vertrauen fin-
wir wünschen aber nicht, daß diese Aufgaben von den, wie sie sich erwirbt. Gesetze und Verordnun-
einer Selbstverwaltung der Wirtschaft übernom-
men werden, die schließlich von den Unternehmern gen haben nicht nur dem Buchstaben, sondern vor
beherrscht wird und von der sich die breite werk- allem auch dem Geist des Grundgesetzes zu ent-
tätige Masse unseres Volkes ausgeschlossen fühlt. sprechen. Die Durchführung und ihre Art müssen
Vielmehr müssen die Verwaltungskörperschaften es jedem Bürger ermöglichen, ihre Berechtigung
der Wirtschaft demokratisch gestaltet werden. In und ihren Nutzen einzusehen. Dabei erwarten wir,
ihnen ist das Mitbestimmungsrecht der Arbeitneh- daß jedermann das höchstmögliche Maß an Frei-
merschaft schleunigst zu realisieren. heit gewährt wird, ohne daß die dem einzelnen zu-
(Beifall beim Zentrum und links.) gestandene Freiheit die Freiheit anderer einzu-
schränken braucht. Totalitäres darf es in Deutsch-
Wenn das geschieht, dann ist die wichtigste Vor- land nicht mehr geben! Und es muß die Aufgabe
aussetzung für den Abbau der Wirtschaftsbüro- sein, in allem, was das Menschen- und Völkerver-
kratie erfüllt. bindende, aber auch innerhalb Deutschlands das
Meine Damen und Herren! Recht und Gerechtig- Länderverbindende ist, die Toleranz zur Richt-
keit zu üben, das muß das Fundament aller Maß- schnur des Handelns zu machen und jedem ein-
nahmen der Bundesregierung sein. Die Gleichheit zelnen, so groß oder so klein er sein mag, die
aller Bürger vor dem Gesetz darf nicht nur ein Gleichberechtigung in jeder Weise zu verbürgen.
Bestandteil des Grundgesetzes sein, sondern muß
von jedem Bürger als die neue Wirklichkeit Tag Die Bundesrepublik Deutschland muß solch gu-
für Tag erlebt werden können. Ich möchte gerade tes Beispiel demokratischer Staatsführung nicht
als Sprecherin der Zentrumsfraktion hier betonen, nur für die westdeutsche, sondern auch im Hinblick
daß die demokratische Gleichberechtigung auch auf die ostdeutsche Bevölkerung geben. Das wird
für unsere jüdischen Mitbürger gilt, wie es bereits ihr gelingen, wenn die zu ihrer Leitung berufenen
vom Herrn Bundeskanzler in seiner Regierungs- Männer von allen parteipolitischen Winkelzügen
erklärung betont und auch von den Vorrednern absehen und ungeachtet der parteipolitischen Un-
ausgeführt worden ist. Eine Regierung, die gegen- terschiede verantwortungsbewußte, dem Gemeinen
über einem wiederaufkommenden Antisemitismus dienende volksnahe Arbeit leisten. Das Volk er-
nicht klar und deutlich macht, daß dieser nach wartet die rasche und planvolle Lösung seiner
allem, was in Deutschland und Europa den Juden brennendsten Probleme. Von der Erfüllung dieser
angetan worden ist, in dieser Auswirkung sich für Erwartungen — darüber wollen wir uns ganz klar
das deutsche Volk als Fluch erwiesen hat, verletzt sein — hängt das Schicksal der Demokratie in Ge-
das Recht und die Gerechtigkeit und handelt dem samtdeutschland ab.
Interesse unseres Volkes zuwider. (Sehr richtig! beim Zentrum.)
(Beifall beim Zentrum und links.) Die Bundesregierung hat eine Fülle an gesetz-
Wir begrüßen ferner die vom Herrn Bundes- geberischer Arbeit zu leisten. Der allgemeinen Un-
kanzler angekündigte Amnestie, für die meine sicherheit über die Gültigkeit früherer Gesetze ist
Fraktion dem Hohen Haus ja bereits einen Antrag ein Ende zu machen. Ein Umbau der Gesetze, ins-
vorgelegt hat. besondere der aus der Zeit von 1933 bis 1945, ist
Mit der Bundesregierung liegt uns auch die durch die Ausmerzung des nationalsozialistischen
Sorge für die Vertriebenen sehr am Herzen. Dabei Ideentums notwendig geworden. Wir halten ferner
Deutscher Bundestag — 7. Sitzung. Donn, Donnerstag, den 22. September 1949 77
(Frau Wessel)
ein Bundesversorgungsgesetz für die Kriegsbeschä- Wir haben den Eindruck, daß schon in nächster
digten und ihre Hinterbliebenen für dringend not- Zeit Entscheidungen zu treffen sein werden, die
wendig. über die Art der von der Regierung empfundenen
(Beifall beim Zentrum und links.) sozialen Verpflichtung Auskunft geben werden. Es
das vom Gedanken der Gerechtigkeit und der scheint uns im Augenblick noch verfrüht, von den
Sorge für diese Menschen erfüllt ist. sozialen Auswirkungen der neuen währungspoli-
tischen Situation zu sprechen. Es ist auch nicht
In reichlich unbestimmten Worten hat der Herr zweifelhaft, daß diese neue Lage in einem für die
Bundeskanzler vom Umbau des bürgerlichen Rechts Bundesrepublik sehr ungünstigen Augenblick ein-
gesprochen, noch vorsichtiger und allgemeiner als getreten ist. Der Verwaltungsapparat der Bundes-
von der notwendigen sozialen Neuordnung. Wir regierung befindet sich zum Teil noch im Aufbau
würden gern etwas Genaueres - wenigstens hin- und zum Teil im Umzug. Bei der Frage der Wäh-
sichtlich der Leitgedanken — über die Art ver- rung möchten wir aber die Regierung darauf hin-
nommen haben, wie sich die Regierung die Ver- weisen, die Quote der Abwertung so niedrig wie
wirklichung der Gleichstellung von Mann und möglich zu nehmen, um den Glauben an die Festig-
Frau im Familienrecht denkt, die Grundsätze und keit der Währung nicht zu erschüttern. Keineswegs
Richtung der neuen Ehegesetzgebung und die Neu- darf aber die Währung, um Vertrauen zu haben,
regelung auch des Erziehungs- und Personensorge- je geringer ihre Realdeckung ist, zu einem politi-
rechts. Meine Damen und Herren, ich weiß nicht, schen Instrument werden. Dadurch wäre sie jeder
ob das Schweigen der Regierungserklärung nicht politischen Schwankung unterworfen. Wir haben
leicht so aussehen könnte, als ob die inneren Mei- ja in Deutschland immer die traurige Erfahrung
nungsverschiedenheiten der Koalitionsparteien über machen müssen, daß gewisse Unternehmerkreise
das Elternrecht sich auch hier offenbarten. solche Situationen ausgenutzt haben, um aus ihnen
Dringend benötigen wir — um das auch einmal etwas für ihren Profit herauszuschlagen. So man-
anzuführen - ein Pressegesetz. Es war Lassalle, che Erinnerungen an die Weimarer Zeit machen
der für die Arbeiterzeitungen forderte, daß sie von
uns da bedenklich. Wir halten auch wenig von
Inseraten Abstand nehmen, da die Zeitungen un- den Appellen an die Moral, wenn dahinter nicht
frei wären, wenn sie Inserate hätten. Heute liegen die harte Entschlossenheit steht, denjenigen, die
die größten Gefahren für die Freiheit der Presse die Notlage auszunutzen trachten, tüchtig auf die
auf anderem Gebiet. An sich sollte schreiben kön- Finger zu klopfen.
nen, wer das Zeug dazu hat. Zum Publizisten muß
man geboren sein. Das kann man nicht lernen, (Beifall beim Zentrum.)
sondern das ist man von Haus aus. Es kann sehr wohl sein, meine Damen und Her-
(Sehr richtig!) ren, daß die Bundesregierung schon in den näch-
- Wochen der Bevölkerung den Beweis zu er-
sten
Das bringt sich früher oder später zum Ausdruck. bringen hat, daß sie kapitalistischem Freibeuter
ObdieMtwlasofrnketdbs tum keine Chance gewährt. Bleibt sie diesen Be-
erst in einer späteren Zeit verstanden wird, das weis schuldig, dann wird es die Aufgabe dieses
liegt sehr oft in den Zeitverhältnissen begründet. Hohen Hauses sein, die Bundesregierung eindring-
Jedenfalls sollte die Bundesregierung beim Ent- lich an ihre große Verantwortung zu erinnern.
wurf eines Pressegesetzes darauf achten, daß die-
ses Gesetz die Publizisten nicht hindert, sondern Der Herr Bundeskanzler hat nur zu einer Seite
dieser sehr ernsten Fragestellung Stellung genom-
fördert. men, indem er die Notwendigkeit der Steigerung
Lassen Sie mich auch das feststellen: daß eine des Exports herausgestellt hat. Auf die Folgen, die
subventionierte Presse nicht der Freiheit und Un- sich aus der Abwertung für den Import ergeben,
abhängigkeit unseres Volkes dienen würde. Unter zum Beispiel Verteuerung der Lebensmittelein-
gar keinen Umständen darf es wieder zu Zeitungs- fuhr, ist er nicht eingegangen. Wir wünschen nicht
trusts und -konzernen kommen, wie Hugenberg zuletzt auch im Interesse einer erhöhten Spartätig-
es gemacht und wodurch er die Zeitungen unter keit, daß die Bundesregierung alle Maßnahmen
seine Kontrolle gestellt hat. ergreift, die eine Verteuerung des Lebensunter-
(Sehr gut! beim Zentrum.) halts namentlich der Arbeiter und der minderbe-
Wie auf jedem anderen Gebiet ist eine kapitali- mittelten Bevölkerung verhindern. Wir hoffen, daß
stische Entartung auch auf dem Gebiet der Presse die Bundesregierung alles tun wird, um die Stei-
eine unmittelbare Gefahr für die Demokratie und gerung des Reallohns herbeizuführen, wodurch
für die Freiheit. eine Stabilität der Preise und Löhne am sichersten
(Sehr gut! beim Zentrum und links.) gewährleistet wird.
Meine politischen Freunde und ich sind uns der Die Regierungserklärung spricht weiterhin von
grundlegenden Unterschiede, die uns auf wirt- der Notwendigkeit, dem Altsparer das Vertrauen
schaftlichem Gebiet von den Auffassungen eines zur staatlichen Gesetzgebung wiederzugeben, da-
großen Teils der Regierungsparteien trennen, mit auch von dieser Seite her der Anreiz und das
durchaus bewußt. Das bedeutet aber nicht, daß Vertrauen zum Sparen gegeben wird. Hier sind
wir der Regierung von vornherein mit bestimmten wir der Auffassung, daß für die Altsparer die
Vorurteilen gegenübertreten werden; vielmehr Aufwertung der sogenannten Schattenquote durch-
werden wir abwarten, ob sich die unterschiedlichen geführt werden muß und daß darüber hinaus ein-
Auffassungen in den praktischen Maßnahmen der mal überlegt werden sollte, inwieweit eine bessere
Bundesregierung auswirken werden. Die vom Aufwertung als 10 zu 1 doch erfolgen kann. Der
Herrn Bundeskanzler vertretene These, die beste § 2 des Währungsumstellungsgesetzes sieht ja
Wirtschaftspolitik sei auch die beste Sozialpolitik, diese Möglichkeit vor.
ist nur dann richtig, wenn sozial denkende und Wir haben leider aus den Frankfurter Tagen ein
handelnde Unternehmer der Arbeiterschaft als Beispiel vor Augen, das uns namentlich gegenüber
Partner gegenüberstehen. der Person des Herrn Wirtschaftsministers mit
(Sehr richtig! beim Zentrum.) einem gewissen Mißtrauen erfüllt. Trotz monate-
78 Deutscher Bundestag — 7. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. September 1949
(Frau Wessel)
langer Geburtswehen hat das Anti-Monopolgesetz und auch der Altsparaufwertung ein wichtiger Bei-
in Frankfurt nicht das Licht der Welt erblicken trag zur Lösung beider Fragen zu sein.
können. Wir hoffen, daß die Bonner Luft diesem Ganz mit Recht hat der Bundeskanzler die be-
Gesetz besser bekommen wird. sondere Bedeutung des Wohnungsbaus herausge-
(Lachen.) stellt. Wir hoffen, daß die Bundesregierung mit
Denn es stellt eine der unerläßlichen Maßnahmen größter Tatkraft an eine planvolle, dem Gemein-
im Kampf gegen die liberalistisch-kapitalistischen wohl dienende Wohnungsbauaktion herangehen
Entartungserscheinugen dar. Sollte es dem Einfluß wird. Es wird die besondere Aufgabe dieses Ho-
gewisser Kartell- und Konzernherren gelingen, das hen Hauses sein, in konstruktiver Zusammenarbeit
Anti-Monopolgesetz noch weiter hinauszuzögern, die gesetzlichen Grundlagen für die Durchführung
so wäre damit — das darf ich offen aussprechen — eines wirklich großzügigen Wohnungsbaupro-
für uns ein casus belli gegeben. Ich möchte nicht gramms zu schaffen. Wenn es in der letzten Zeit
versäumen, auf die Tatsache der Wichtigkeit dieses ausgerechnet in der Bauwirtschaft zu einem Mangel
Gesetzes schon heute hinzuweisen, weil wir be- an Arbeit gekommen ist, so stehen diese Verhält-
fürchten, daß es zu allerlei Legendenbildungen nisse in einem grotesken Widerspruch zum Wohn-
kommen kann, wenn sich aus einer weiteren Ver- raumbedarf der deutschen Bevölkerung. Die Bele
zögerung des Anti-Monopolgesetzes eventuell sogar bung der Bauwirtschaft ist die geeignetste Maß-
internationale Schwierigkeiten ergeben würden. nahme zu einer allgemeinen Wirtschaftsbelebung
Mit großer Besorgnis hat meine Fraktion das und zur Hebung des Lebensstandards im allgemei-
bislang zu verzeichnende Ansteigen der Arbeits- nen. Die Bundesregierung wird mit allen Bemü-
losigkeit beobachtet. Ohne daß ich damit auf den hungen auf dem Gebiete des Wohnungsbaus wie
Streit um den Bundessitz eingehe, möchte ich doch auf allen übrigen Gebieten der Wirtschaft aber
zum Ausdruck bringen, daß die unmittelbare keinen gemeinnützigen Erfolg haben, wenn sie nicht
Nähe des rheinisch-westfälischen Industriegebietes die Bereitwilligkeit aufbringt, dem kapitalistischen
der Bundesregierung sehr nützlich sein kann, wenn Eigennutz die notwendigen Schranken zu setzen.
sie ein feineres Gespür für die Sorgen und Nöte Meine Damen und Herren! In der Wahlkampf
der werktätigen Bevölkerung aufbringt, als es bei Atmosphäre hat man sich mit allerlei ökonomischen
der Frankfurter Verwaltung der Fall war. Die Bun- Schlagworten in völlig überflüssiger Weise ausein-
desregierung muß sich darüber klar sein, daß sie andergeredet. Man hat so getan, als wenn Pla-
durch die Koalition zustande gekommen ist, an nung und Kontrolle lediglich ein Rückfall in die
der sich weite Kreise der Industriearbeiterschaft nazistische Zwangswirtschaft
doch unbeteiligt fühlen. Um so mehr hat die Bun- (Zustimmung bei der SPD)
desregierung Grund, der Zustimmung der Arbei- oder gar eine Anleihe beim kommunistischen
terschaft allergrößte Aufmerksamkeit zu schenken. - Staatskapitalismus bedeuten. Nachdem doch jetzt
Und es ist keine Übertreibung, wenn ich fest- der Wahlkampf vorüber ist und sich auch die Par-
stelle, daß die Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit be- teipolitiker wieder wie normale Menschen unter-
reits zu einer starken Beunruhigung im Ruhrgebiet halten können,
geführt hat. Dies wirkt sich auch in einem Mangel
an Kaufkraft aus, der auf das Geschäftsleben zu- Heiterkeit — Abg. Dr. Schumacher: Das
rückfällt. haben sie auch während des Wahlkampfes
gekonnt!)
Ohne auf Einzelheiten noch einzugehen, möchte
ich für meine Fraktion betonen, daß wir die vom sollte mit dieser Wahlkampfakrobatik Schluß ge-
Bundeskanzler in Aussicht gestellte Steuerreform macht werden.
begrüßen und unterstützen werden, wenn sie ins- Wenn wir dem Herrn Wirtschaftsminister die
besondere dem kleinen Mann, dem Handwerker, den planvolle Lenkung der Kredite, ja des gesamten
kleinen und mittleren Betrieben zugute kommt. Kapitalstromes eindringlich ans Herz legen, so
Auch müßte die Frage der kinderreichen Familie wissen wir uns damit über den Verdacht erhaben,
bei der Steuerreform berücksichtigt werden. Ins- daß wir irgendwelchen nazistischen oder gar bol-
besondere aber erwarten wir, daß die Grenze des schewistischen Neigungen zum Opfer gefallen wä-
steuerfreien Einkommens nach oben gehoben wird. ren. Wir wissen uns im Gegenteil in weitgehender
Ferner halten wir es für notwendig, daß sich die Übereinstimmung mit dem wissenschaftlichen Bei
Bundesregierung der großen Not vieler Bomben- rat, den der Herr Wirtschaftsminister, als er noch
geschädigter annimmt. Es gibt nicht nur eine Direktor für Wirtschaft war, zur Seite gehabt hat.
Vertriebenennot, es gibt auch eine Not der Bom- (Hört! Hört! links.)
bengeschädigten. Das zu sehen ist notwendig. Wir sehen in Deutschland schon wieder eine ver-
(Sehr gut!) hängnisvolle Zusammenballung von Kapital und
Wenn man von dem Problem der Wohnungen wirtschaftlicher Macht in den Händen einzelner,
ausgeht, so könnte man auch einmal die Frage auf- bei denen es sich nicht etwa allein um Eigentümer,
werfen, ob man der Mehrzahl der bombengeschä- sondern um Treuhänder oder Verwalter dieses Gu-
digten Hausbesitzer nicht dann helfen sollte, wenn tes handelt.
sie das Haus mit eigenen Mitteln nicht aufbauen (Sehr gut!)
können. Wir wünschen nicht, daß von solchen Machtpositi-
(Sehr gut!) onen auch das Schicksal unseres Volkes entschie-
Wir erwarten, daß die Regierung Mittel und Wege den wird. Es scheint uns auch - und das darf ich
finden wird, die dem bombengeschädigten Haus- in diesem Zusammenhang erwähnen — hinsichtlich
besitzer einen rentablen Wiederaufbau seines zer- der handwerklichen Interessen wünschenswert zu
störten Hauses ermöglichen, ohne daß Mieterhö- sein, daß innerhalb des Wirtschaftsministeriums
hungen größeren Umfanges erforderlich sind. ein Staatssekretariat für das Handwerk eingerichtet
(Beifall beim Zentrum.) wird.
(Bravo! beim Zentrum.)
Es scheint uns dabei die Verbindung des Lasten-
ausgleichs mit den notwendigen Wohnungsbeschaf- Ebenso halten wir es für erforderlich, daß die Bun-
fungen durch solche bombengeschädigten Häuser desregierung der Bodenreform und als Ergänzung
Deutscher Bundestag — 7. Sitzung. Donn, Donnerstag, den 22. September 1940 7
(Frau Wessel)
dazu dem Siedlungsproblem als einem gesamtdeut- halb begrüßt, wenn der Herr Bundeskanzler sich
schen Problem ihre besondere Aufmerksamkeit nicht darauf beschränkte, einer Frau ein Referat
widmet. im Ministerium des Innern anzuvertrauen, sondern
Meine politischen Freunde haben mich beauf- ihr einen Kabinettssitz eingeräumt hätte,
tragt, hier schon heute die Forderung nach einem (Händeklatschen beim Zentrum.)
Betriebsrecht anzumelden, das jeden arbeitenden
Menschen in seinen Rechten und Pflichten sicher- und zwar aus der Erkenntnis heraus, wie notwen-
stellt. Wir meinen nicht etwa nur, daß diese oder dig die Frau für den Neuaufbau der deutschen
jene Räte in ihren Betrieben eine Stimme haben Demokratie ist. Wir hätten dies um so mehr be-
oder zu Wort kommen. Es geht dabei um mehr. grüßt, meine Herren, weil ja von der Regierung
Es geht um die Sicherung des gerechten und aus- immerhin sehr wichtige Gesetze vorzubereiten sind,
reichenden Lohnes, um die Würdigung der Ar- die tief in das Leben der Frau, sei sie verhei-
beit und die unbeschränkte Freiheit in der Wahl ratet oder unverheiratet, eingreifen.
des Arbeitsplatzes. Auch im wirtschaftlichen Be- Noch ein letztes Wort möchte ich sprechen zu
reich gibt es eine Rangordnung der Werte. Wieder den kulturellen Fragen. Der Herr Bundeskanzler
und wieder wird heute erklärt — das ist auch ist sehr kurz darauf eingegangen. Er hat betont,
in diesem Hohen Hause geschehen —, der Mensch daß sie zu den Zuständigkeiten der Länder gehö-
stehe im Mittelpunkt der Wirtschaft; die Wirt- ren. Immerhin sei mir doch der kurze Hinweis ge-
schaft habe dem Menschen zu dienen. Aber mit stattet, daß diese Auffassungen zum mindesten
Proklamationen ist auf diesem Gebiete nichts getan. in den Wahlreden vieler Redner der Partei, der
Der werktätige Mensch muß ihre Verwirklichung der Herr Bundeskanzler angehört, nicht vertreten
im Alltag erleben. Die Arbeit ist die Grundlage worden sind.
unserer natürlichen gesellschaftlichen Ordnung; sie (Sehr gut! beim Zentrum.)
ist keine Ware, sondern eine bewußte Leistung
des einzelnen Menschen an die Gesellschaft. Das Infolgedessen halte ich auch die Feststellung des
Recht der Arbeit darf nicht auf dem Papier stehen Herrn Bundeskanzlers nicht für richtig, daß das
bleiben. Wir wünschen auch einen weitgehenden Ergebnis der Wahlen am 14. August, zumindest was
Kündigungsschutz und halten es für unerläßlich, die CDU anbetrifft, nur auf die Bejahung der
daß das Recht des arbeitenden Menschen gegenüber Erhardschen Wirtschaftspolitik zu beziehen ist.
irgendwelchen Sachwerten allein im Vordergrund (Händeklatschen beim Zentrum und bei der
steht. Wir sind auch gegen jeden Arbeitszwang. SPD.)
Wir möchten schon heute keinen Zweifel darüber Ich glaube, bei vielen Wählern und besonders bei
lassen, daß wir keine Art von Arbeitsdienst, auch vielen Wählerinnen, die der CDU ihre Stimme ge-
nicht einen freiwilligen, widerspruchslos hinneh- geben haben, haben weltanschauliche und kultu-
men. -
relle Gesichtspunkte eine sehr große Rolle gespielt,
(Sehr gut! beim Zentrum und links.) (Sehr richtig! beim Zentrum)
Dem Arbeiter ist im Rahmen einer geordneten mehr als die Erhardsche Wirtschaftspolitik.
Betriebsvertretung in sozialen, personellen und
wirtschaftlichen Fragen ein ausreichendes Mitbe- (Lebhafter Beifall beim Zentrum und bei
stimmungsrecht einzuräumen. der SPD.)
(Lebhafter Beifall.) Diese Wähler, meine Damen und Herren, würden
Ich darf hier, meine Damen und Herren, ein Wort es zumindest begrüßt, ja sie werden es sicher sogar
von Franz Hitze zitieren, von dem ich annehme, erwartet haben, daß die Bundesregierung ein
daß er dem Herrn Bundeskanzler noch nicht zu klares Bekenntnis für die Rechtmäßigkeit des Kon-
sehr entrückt ist. In „Kapital und Arbeit" schreibt kordats abgelegt hätte. Darüber hinaus halten wir
Franz Hitze: von der Zentrumspartei es für erforderlich, daß
gleiche Staatsverträge wie das Konkordat mit der
Dem Privateigentum an Produktionsmitteln Evangelischen Kirche abgeschlossen werden, um die
steht das Arbeitsrecht, das Recht auf Mit- Stellung von Staat und Kirche damit rechtmäßig zu
verfügung über die Arbeitsmittel, auf Mit- fundieren.
genuß der Arbeitsfrüchte gegenüber. Wo ich Meine Damen und Herren, ich komme zum
nicht mitrate, ich auch nicht mittate. Schluß. Wir alle wissen, daß der Weg des deut-
Meine politischen Freunde würden es sehr begrü- schen Volkes nach dem furchtbaren Zusammen-
ßen, wenn der Herr Bundeskanzler „Kapital und bruch, den wir in unserer wechselreichen Geschichte
Arbeit" unter seine Lieblingsbücher einreihen 1945 erlebt haben, weit und schwer ist. Viel Miß-
würde. trauen ist noch in der Welt zu beseitigen, aber noch
Wir wünschen uns einen Ausbau der Sozialver- viel mehr Mißtrauen im eigenen Volk. Für die
sicherung, die seinerzeit unter maßgeblicher Be- Regierung wie für die Opposition gilt es deshalb,
teiligung von Zentrumspolitikern geschaffen wor- lebendig und aufgeschlossen den Aufgaben und
den ist. Entsprechend der heutigen Situation sind Fragen der Zeit gegenüberzustehen, die rechten
Sozial-, Unfall- und Altersversicherung zu reorga- Wege zur Gestaltung des deutschen Volksstaates zu
nisieren und neu einzurichten. Für einen paritä- finden. Schon einmal nach einem Weltkriege ist
tischen Ausbau der Versicherungsanstalten ist das deutsche Volk zu diesem Ziel aufgebrochen,
Sorge zu tragen. Die Selbstverwaltung ist nach aber vom Geiste des Hochmuts und der Vermessen-
demokratischen Gesichtspunkten zu entwickeln. heit nicht frei geworden. Heute, nachdem wir un-
Lassen Sie mich zum Schluß kurz auch noch sere politische Torheit durch das Naziregime so
auf eine andere Frage eingehen. In seiner Regie- haben büßen müssen, wissen wir um die Schwere
rungserklärung hat der Herr Bundeskanzler die des Weges und dieses Wissen wird uns vor Hoch-
Lage der Frau, insbesondere der berufstätigen un- mut und Übermut bewahren können und uns end-
verheirateten Frau, erwähnt. Auch wir wünschen, lich zu den wahren Quellen des deutschen We-
daß der Artikel 3 des Grundgesetzes, der die Gleich- sens führen.
berechtigung von Mann und Frau bestimmt, nicht (Bravorufe und Händeklatschen beim Zen
eine schöne Deklaration bleibt. Wir hätten es des- trum, in der Mitte und links.)
80 Deutscher Bundestag — 7. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. September 1949

Präsident Dr. Köhler: Meine Damen und Herren! konnte, die sich nicht durch ein Lied, das alle
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Richter. Deutschen ansprechen muß und angeht, zu Einig-
keit und Recht und Freiheit bekannte.
Dr. Richter (NR): Meine Damen und Herren! Der
Herr Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklä- (Beifall rechts.)
rung darauf hingewiesen, daß sich die Opposition Diejenigen, die dem entgegenstanden, wollen aller
im Parlament klar zeigen soll. Ich habe nach der Wahrscheinlichkeit nach weder Einigkeit noch
gestrigen Sitzung das Gefühl, daß man in die- Recht noch Freiheit.
sem Hohen Hause den Eindruck erwecken wollte, (Sehr gut! rechts.)
als gäbe es überhaupt nur eine Oppositonspartei.
Daß dem nicht so ist, möchte ich heute unterstrichen Dem werden wir mit all denen, die es ehrlich da-
haben. Allerdings denken wir nicht daran, die Op- mit meinen, mit aller Entschiedenheit entgegen-
position so aufzufassen, als ob sie sich allein in der treten.
Negation erschöpfen dürfte, sondern wir glauben, Wir haben eine große Verpflichtung gegenüber
daß der Wert des demokratischen Regimes gerade der deutschen Zukunft. Dem deutschen Volke ist
darin liegt, daß die Opposition die Regierung auf heute wohl die letzte Möglichkeit gegeben zu be-
Fehler und Mängel aufmerksam machen kann, da- weisen, welche gestaltenden Kräfte in ihm schlum-
mit diese derartige Fehler und Mängel, wenn sie mern. Wir nennen das, was wir heute haben, eine
aufgezeigt werden, in Zukunft vermeiden kann. Demokratie. Man sollte mit diesem Worte etwas
Wir treten hier nicht an, um als Oppositions- vorsichtiger umgehen. Bereits im Jahre 1945 näm-
partei etwa auch von vornherein über die Regie- lich sprach man mehr als oft von Demokratie, und
rung den Stab zu brechen. Ich gehe hier vielmehr ich habe das Empfinden, daß wir seitdem weniger
mit dem Abgeordneten Loritz einig, der darauf hin- eine Demokratie als vielmehr eine Demokratur
wies, daß wir die Regierung nach ihren Taten hatten.
beurteilen wollen. Allerdings möchte ich auf eines (Heiterkeit und Zurufe. — Zuruf von der
schon aufmerksam machen: in Anbetracht der CDU: Wollen Sie uns sagen, was das be
Schwierigkeiten, vor die sich die deutsche Bundes- deuten soll?!)
regierung ohne Zweifel gestellt sieht, ist es not- Es hat einmal einen Mann gegeben, der, wäre er
wendig, darauf hinzuweisen, daß sie unter Umstän- ein Philosoph geblieben, sich ohne Zweifel in der
den in eine Lage kommen kann, die es ihr nicht ganzen Welt einen Namen als großer Demokrat
ermöglicht, gewisse Aufgaben, deren Erfüllung man
von irgendeiner Seite verlangen könnte, auch tat- hätte erhalten können,
sächlich zu erfüllen. Nach dem, was sich vor allem (Zuruf von der CDU: Wer ist denn das?)
in den letzten Jahren in Deutschland abgespielt hat, - der durch sein staatsmännisches Wirken allerdings
stehe ich vielmehr auf dem Standpunkt, daß manch- immer wieder in Gegensatz zu seinen philosophi-
mal — und das muß auch für die Zukunft gelten — schen Ideen geriet: das war Masaryk. Masaryk hat
ein ehrliches Nein besser ist als ein unehrliches Ja.
Die Regierung darf sich auf keinen Fall in eine einmal gesagt: Demokratie ist Diskussion, und ich
Lage hineinmanövrieren lassen, aus der es dann glaube, es wird von der Fähigkeit der Deutschen
keinen Ausweg mehr gibt oder die gegenüber dem zu diskutieren, abhängen, inwieweit sie sich als
deutschen Volke nicht tragbar ist. Demokraten bezeichnen können. Ohne Freiheit der
Persönlichkeit, die gerade diese Demokratur immer
Es gibt gewiß manches an Regierung und Regie- wieder einzuschränken sich bemühte, gibt es keine
rungserklärung zu kritisieren. Uns beispielsweise Demokratie. Und woran krankte das, was man bis-
gefällt auch die große Zahl der Ministerien nicht. her in Deutschland etwas vermessen „Demokratie"
Wir hätten uns vorstellen können, daß für den Mann, nannte? Meiner Überzeugung nach daran, daß man
der heute jenes etwas eigenartig anmutende zu sehr die Partei und zu wenig das Volk sah.
Außenministerium für innerdeutsche Angelegenhei- Tocqueville hat einmal die Demokratie
ten verwaltet, noch eine andere Aufgabe hätte
gefunden werden können. Die Lage des deutschen (Zuruf: Ein Liberaler!)
Volkes erfordert allergrößte Sparsamkeit auf allen „eine öde baumlose Ebene" genannt, „in der jeder
Gebieten, sonderlich in der öffentlichen Verwal- Strauch wie ein Baum erscheint". Wie konnte er
tung. Eine Vermehrung der Ministerien über die zu einem solchen nicht gerade löblichen Urteil
klassische Zahl hinaus — abgesehen vielleicht von kommen? Ich glaube, Professor Burckhardt gab mit
dem Flüchtlingsministerium, dessen Errichtung ich der Frage bereits die Antwort, ob nicht die Demo-
bereits vor der Ernennung des Bundeskanzlers kratie jedem Hervorragenden geheimen und offe-
beim Herrn Bundespräsidenten gefordert habe —
trägt diesem Gebot nicht Rechnung. Eine Ver- nen Haß entgegenbringt.
schlechterung der Arbeit in der Ministerialinstanz Meine Damen und Herren, zum mindesten in
ist von einer Verringerung der Zahl der Ministerien gewissen Landesteilen Deutschlands droht heute
nicht zu erwarten. Im Gegenteil muß befürchtet diese Gefahr wieder. Man redet dort von Demo-
werden, daß die Vielzahl der Ministerien zu Über- kratie, denkt aber an Parteidiktatur, obwohl man
schneidungen, Widersprüchen und zu einer Läh- sich sonst in Redensarten nicht demokratisch genug
mung der Arbeit führt. Allerdings wollen wir auch gebärden kann. Demgegenüber sei das eine her-
hier abwarten, wie sich die ganze Sache einspielt. vorgehoben, was der Schweizer Professor Zbinden
Aber eines darf ich betonen: wir sehen in die- einmal in die Worte faßte: „Wenn die menschliche
sem Staat, den wir durchaus bejahen, eine Vor- Gesellschaft nicht immer dafür sorgt, daß sie zu
stufe zum Deutschen Reich, zu einem Reich, in einer Herrschaft der Besten strebt, wird sie zu
dem alle Deutschen, die es wollen, ihre Heimat einer Herrschaft der Bestien." Ich glaube, wir
finden sollen, zu einem Reich, das nicht das Eigen- haben das treffendste Beispiel in den Volksdemo-
leben deutscher Stämme in irgendeiner Weise be- kratien, die sich zwar Demokratien nennen, aber
einträchtigen darf. Allerdings habe ich es be- doch von Demokratie keine Ahnung haben und
schämend gefunden, daß hier eine Versammlung auch nicht haben wollen. Doch ich muß immer
gewählter deutscher Vertreter zusammentreten wieder betonen, was auch für gewisse Teile West-
Deutscher Bundestag — 7. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. September 1949 81
(Dr. Richter)
deutschlands zutrifft, was Bodenstedt einmal in auch niemals mit einer Entsozifizierung einverstan-
die Worte faßte: den wären.
(Zuruf rechts: Sie haben wohl ein Zitaten (Zuruf links. — Beifall rechts.)
lexikon? — Heiterkeit) Unrecht gegen jedes Rechtsgefühl ist allen
Kriegs- und Bombengeschädigten dadurch ge-
Der Staub, wie hoch ihn auch der Wind er- schehen, daß man ihnen bis heute kaum einen
hebt, bleibt doch gemein. roten Heller gezahlt hat. Nicht Almosen wollen
zeichnen ist und der auch wirklich den Charakter diese Menschen, sondern ihr Recht. Wir sehen es
eines Rechtsstaates trägt, einen Staat mit völliger deshalb als eine Verhöhnung dieser Menschen an,
Unabhängigkeit der Richter und mit einem völlig daß die Entschädigung ais eine Art Wohlfahrts-
überparteilichem Berufsbeamtentum. unterstützung gezahlt werden könnte. Wir ver-
(Zuruf von links: Überparteilich?) langen einen Lastenausgleich mit festgesetzten be-
— Jawohl, überparteilich. Auf jeden Fall ein über- stimmten Quoten. Dies allein entspricht dem
Der Edelstein, den man im Sand begräbt, Rechtsgedanken. Alle anderen Theorien führen
bleibt Edelstein. nur zur Verwässerung.
Unrecht laden wir auf uns, wenn wir unsere
Dieser Edelstein, glaube ich, ist das deutsche Volk, Kriegsversehrten und Kriegerwitwen, die Kriegs-
den man nur von dem Staub befreien muß, der waisen mit Hungerrenten abspeisen. Auch nach
in den letzten Jahren aufgewirbelt wurde und der einem verlorenen Kriege ist es eine Ehrenpflicht
den Glanz dieses Edelsteins verdunkelt. Um die- des Volkes, für seine Kriegsopfer wirtschaftlich
sem Edelstein zum Glanz zu verhelfen, deshalb
einzustehen. Die unendlichen persönlichen Leiden
fordern wir einen Staat, der als Rechtsstaat zu be- können wir ohnehin nicht abnehmen.
parteiliches Berufsbeamtentum.
Unrecht geschah und geschieht heute noch allen
Wenn wir uns auch auf den Plätzen der äußer- ehemaligen Berufssoldaten. Sie sind Beamte wie
sten Rechten niedergelassen haben, so möchte ich j eder St aats b eam te
und hab en rechtlich e An-
dazu noch das eine sagen: wir hatten weder die sprüche, die ein Staat, wenn er ein Rechtsstaat
Absicht, wie es von einigen Parteien behauptet sein will, nicht einfach von heute auf morgen
wurde oder wie es in einigen Zeitungen hieß, zu außer Kraft setzen kann. Deshalb sind wir auch
stehen, noch verneinen wir, daß wir tatsächlich die mit dem Stichtag von 1936 durchaus nicht einver-
Rechte darstellen. Allerdings ist der Name, den standen und fordern die Einbeziehung aller Be-
wir führen, oft mißverstanden worden. Wir sind rufssoldaten, auch der deutschen Offiziere und der
nicht im betonten Sinne nun unbedingt die Partei Beamten der ehemaligen österreich-ungarischen
der alleinigen Rechten, sondern die Partei des Wehrmacht.
Rechts. -
Unrecht geschieht auch dem Arbeiter, solange
(Aha! links und Heiterkeit.) man ihn nicht in irgendeiner Form am Gewinn des
Wir fordern, daß auch den kleinen Parteien in Betriebes beteiligt. Mit Sozialisierung ist ihm nicht
jeder Form das Recht zugestanden wird, sich zu gedient, da hierdurch weder sein Lohn noch seine
betätigen, wie den großen. Arbeitsbedingungen entscheidend verbessert wer-
Ich möchte dabei auf eines gleich von vornherein den könnten, wie das im übrigen das Beispiel der
hingewiesen haben: wir lehnen jeden Radikalis- Staatsbetriebe in England zur Genüge zeigt. Eben-
mus, ganz gleich von welcher Seite er kommt, ab. so wie beide, menschliche Arbeitskraft und Ma-
Denn wir werden niemals in den Fehler derer ver- schine, zusammenarbeiten, ebenso müssen beide
fallen, die nun meinen, irgendwo wieder dort an- Faktoren, Arbeit und Kapital, am Endergebnis, am
fangen zu können, wo sie einmal aufhören muß- Gesamtergebnis des Betriebes beteiligt sein. Es
ten. Aber weil wir auf dem Standpunkt des Rechts gibt in Deutschland Betriebe, die in dieser Hin-
stehen, deshalb fordern wir die schnellste Beseiti- sicht schon sehr nachahmenswerte Beispiele abge-
gung allen Unrechts, das dem deutschen Volke zu- geben haben. Durch diese Beteiligung am Betriebs-
gefügt wurde. ergebnis wird der Arbeiter am Unternehmen so
Unrecht gegen jedes Kriegsrecht ist die Festhal- interessiert, als ob es sein eigenes wäre, und darin
kann man schon die Lösung der sozialen Frage in
tung von Millionen deutscher Kriegsgefangener
der Praxis erblicken. Die ganze marxistische Volks-
vier Jahre nach Kriegsende. Wir werden nicht auf-
hören, diese Brutalität in der Welt anzuprangern, vergiftung fällt mit der Beseitigung des Klassen-
bis der letzte deutsche Soldat aus dem Osten er- kampfes dann von selbst in sich zusammen.
löst ist. Unrecht gegen jedes Volksgefühl war und Wir werden niemals die Raubpolitik, die man
ist es, für die Verbrechen einzelner das ganze Volk in der Sowjetzone betrieben hat, anerkennen. Wir
verantwortlich zu machen oder eine Kategorisie- wissen ganz genau, daß dort arbeits- und licht-
rung der Deutschen in ein, zwei, drei und mehr scheues Volk sich oftmals in den Besitz derer ge-
Stufen vorzunehmen. Welches Leid hat die Ent- setzt hat, die durch generationslange Arbeit und
nazifizierung unserm Volk in der Stunde seiner Mühe zu Werten gekommen sind, die ihnen von
größten Not zusätzlich gebracht! Wir fordern des- einem Tag zum andern genommen wurden. Wir
halb kategorisch die endgültige Beseitigung jeder stehen vielmehr auf dem Boden des Privateigen-
Diffamierung irgendwelcher Deutschen, soweit es tums, soweit es ehrlich erworben ist, und werden
sich nicht um kriminelle Verbrecher handelt, und immer Diebstahl als Diebstahl bezeichnen. Wenn
wir fordern nicht nur das, sondern wir fordern die im niedersächsischen Landtag ein SPD-Abgeord-
unbedingte Wiedergutmachung alles dessen, was neter die Worte prägte: „Die soziale Struktur-
ihnen zugefügt worden ist, nicht nur papierne Am- änderung wird in der Ostzone nicht verschwinden
können; wir werden sie im Gegenteil, wenn wir
nestien. überhaupt eine Zukunft unseres Volkes gewinnen
(Widerspruch links.) wollen, auch hier in der Westzone mit politischer
Vielleicht könnte man die Sache schmackhafter Leidenschaft und politischem Ernst anfassen müs-
machen, wenn wir ganz offen erklären, daß wir sen", dann sind das Worte, die uns sehr bedenklich
82 Deutscher Bundestag — 7. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. September 1949
(Dr. Richter)
stimmen. Ich muß das eine sagen, daß wir auch Ich glaube, daß der Ausgangspunkt für die Aus-
hier in diesen Kreisen, wie es bei den sozialisti- tragung unserer Forderungen durchaus kein un-
schen Parteien in Polen, in der Tschechoslowakei, günstiger ist. Uns liegen im Völkerrecht, in der
in Ungarn, Rumänien und so weiter der Fall war, Haager Landkriegsordnung von 1907, in der Gen-
nichts anderes sehen können als den Wegbereiter fer Konvention von 1929 und in der Atlantik
des Bolschewismus. Charta, die von allen unterzeichnet wurde, die es
Man hat in den letzten Jahren sich nicht ent- angeht, Mittel vor, deren wir uns eingehend be-
blöden können, dem deutschen Volk groß aufge- dienen sollten. Der amerikanische General Taylor
machte Rechnungen zu präsentieren über die Ver- hat vor einigen Monaten einmal erklärt, daß das
gehen, die einzelne unseres Volkes, wie das bei Völkerrecht auch heute noch seine Gültigkeit hat,
jedem Volk vorkommen kann, begangen haben. selbst wenn es für gewisse Mächte unbequem sein
Allerdings einzelne! Denn ich stehe auf dem Stand- sollte. Es gibt ein Beispiel in der Geschichte dafür,
punkt, daß man das ganze Volk niemals für die wie man unter Berufung auf das Völkerrecht ein
Vergehen einzelner schuldig sprechen kann und Land retten konnte, nämlich Talleyrand hat es uns
darf. Wenn man schon von Verbrechen gegen die im Jahre 1815 auf dem Wiener Kongreß gegeben.
Menschlichkeit spricht, dann glaube ich, meine Da- Er vertrat ein völlig geschlagene Land gegenüber
men und Herren, wir könnten wohl auch mit einer einem siegreichen Europa, können wir sagen. Die-
Gegenrechnung kommen, die meinetwegen bei ser Mächtegruppierung von Siegern trat er ent-
Hamburg, Köln, Mannheim, München, Stuttgart, gegen mit der Frage: Steht der Kongreß auf dem
Hannover beginnt und bei Dresden aufhört und Boden des gültigen Rechts? Das mußte der Kon-
die nicht sehr klein ausfallen dürfte. greß bejahen, falls er nicht als Rechtsbrecher in
Wenn man überhaupt von Verbrechen gegen die der ganzen Welt gebrandmarkt werden wollte. Die
Menschlichkeit spricht, dann — auf diesem Stand- Frage, ob die Alliierten und die anderen, die es
punkt stehe ich — muß man zuallererst das größte noch angeht, auf dem Boden des Völkerrechts
Verbrechen, das jemals gegen die Menschlichkeit stehen, ist meiner Ansicht nach die erste, die man
begangen worden ist, hervorheben, nämlich die überhaupt bei Beginn eines außenpolitischen Ge-
viehische Vertreibung von Millionen Deutscher aus sprächs zu stellen hat.
den urdeutschen Ostgebieten. Der Artikel 43 der Haager Landkriegsordnung
gibt dem Okkupanten das Recht, nachdem tatsäch-
(Beifall rechts und in der Mitte.) lich die Macht in seine Hände übergegangen ist,
Dieses Land ist deutsch seiner Geschichte nach. für die Wiederherstellung der öffentlichen Ordnung
Denn zu einer Zeit, als die Bringer einer Überkul- und des öffentlichen Lebens zu sorgen, wobei die
tur aus dem Osten noch nomadisierend in der Landesgesetze zu beachten sind. Die besetzende
Gegend des Unterlaufs der Wolga herumtobten, - Macht hat nach der Haager Landkriegsordnung kein
saßen bereits unsere Vorfahren, Recht zu Handlungen, die nur dem Souverän zu-
(Zuruf links: Bei wem?) stehen, und in unserem Fall wäre Souverän das
deutsche Volk. Jede Abtrennung deutschen Gebie-
deren außerordentlich hohe Kultur von jedem tes steht also außerhalb aller völkerrechtlichen
Wissenschaftler anerkannt wird, im Raum von Grundlagen und widerspricht nicht nur dem Arti-
Memel bis herunter nach Österreich. kel 43 der Haager Landkriegsordnung, sondern
Deutsch ist dieser Raum seiner Kultur nach, darüber hinaus auch noch der Atlantik-Charta. Das
deutsch auf Grund der dort geleisteten Arbeit. gilt beispielsweise für das Saargebiet und andere
Wenn man heute in Memel oder Königsberg, in Teile des Westens wie für alle Ostgebiete. Wenn in
Danzig oder in Breslau, in Reichenberg, Aussig, der Regierungserklärung davon die Rede war, daß
Eger oder Krummau kein deutsches Wort mehr man eventuell bereit sein würde, auf gewisse
hört, dann reden die Steine nach wie vor eine be- Souveränitätsrechte zu verzichten, dann möchten
redte deutsche Sprache. Dann sprechen die Kultur- wir den Herrn Bundeskanzler doch bitten, nicht
schöpfungen, die Werte, die diese Länder aufzu- einen einseitigen Verzicht auszusprechen, sondern
weisen haben, so deutlich für das, was das Deutsch- auf jeden Fall auch einen solchen Verzicht von der
tum dort geleistet hat, wie die Leistungen der in diesem Augenblick entgegenstehenden Macht
Lieblingskinder gewisser großer Mächte, die sie im gleichen Ausmaß zu verlangen.
in diesem Raum aufzuweisen haben und die in Es ist hier viel über die Oder-Neiße-Linie gespro-
zerstörten Dörfern und Städten durch abgedeckte chen worden. Es sind auch Worte, zu denen wir
Dächer, herausgerissene Fenster und Türen zum uns voll und ganz bekennen, über Ö sterreich ge-
Ausdruck kommen, ebenfalls eine sehr beredte, funden worden. Aber eines bedauern wir sehr, daß
allerdings slawisch-ostische Sprache sprechen. man wie die Katze um den heißen Brei um die
(Zuruf: Die Opfer von Lidice und Lodz!) sudetendeutsche Frage herumgegangen ist. Dabei
liegen in der sudetendeutschen Frage die Dinge
Wir haben deshalb an den Präsidenten eine Bitte durchaus nicht unklarer als bei den anderen Ostge-
zu richten. Ich glaube, der größte Teil dieses Hau- bieten; sie liegen nur anders. Ich darf mir erlau-
ses fühlt doch so deutsch, daß er sich zu diesem ben, auf einige wenige durchaus nicht unwichtige
alten deutschen Ostland uneingeschränkt bekennt. Tatsachen hinzuweisen. Am 8. Januar 1918 erklärte
Unsere Bitte geht dahin, neben den Fahnen der Wilson vor dem amerikanischen Kongreß: „Den
Länder, die wir vor dem Bundeshaus haben, eben- Völkern Österreich-Ungarns" — danach auch den
falls die Länderwappen von Ostpreußen, von West- Deutschen - „soll freieste Gelegenheit autonomer
preußen, Pommern, Danzig und Schlesien, dem Entwicklung zugestanden werden. Jede Nation, die
Sudetenland, aber auch der Länder, die deutsch ihr eigenes Leben zu leben wünscht, soll vor Ver-
sein wollen, aber noch nicht sein dürfen: Sachsen, gewaltigungen und selbständigen Angriffen ge-
Thüringen, Anhalt, Brandenburg und Mecklenburg schützt sein." Und in seinem Punkt 10 der be-
aufzuziehen. Deshalb können wir auch weder in kannten 14-Punkte-Erklärung hieß es: „Es ist unser
Bonn noch in Frankfurt etwas Endgültiges sehen. Wunsch, den Völkern Österreich-Ungarns, deren
Wir sehen nach wie vor in Berlin die Hauptstadt Platz unter den Nationen wir geschützt und ge-
des Deutschen Reiches. sichert sehen wollen, Gelegenheit zu freiester auto-
Deutscher Bundestag — 7. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. September 1949 83
(Dr. Richter)
nomer Entwicklung zu geben." Auf Grund dieser Damals hat man unter dem Druck der Entente
und zahlloser anderer Zusagen und Versicherungen Deutsch-Österreich verboten, sich Deutschland an-
seitens der Alliierten forderte am 6. Oktober des zuschließen. Damit kamen auch die Sudetenländer
gleichen Jahres der Deutsche Volksrat für Oster- unter die Herrschaft eines Volkes, das von vorn-
reich einstimmig und entschlossen volles und unein- herein drauf und dran war, alle Verträge zu miß-
geschränktes Selbstbestimmungsrecht der Völker. achten, wie der tschechische Staatsrechtler Pro-
Allerdings mußte das Deutschtum innerhalb der fessor Weyr ganz klar hervorblicken ließ. Wir be-
österreichisch-ungarischen Monarchie sehr bald er- kennen uns aber heute noch zu dem, was die su-
kennen, daß diese Zusagen nur leere, auf bestimmte detendeutschen Landesregierungen in ihrem letzten
Verlockungen ausgehende Worte waren. Die Natio- Aufruf in die Worte gefaßt haben: „Niemals wird
nalversammlung der Sudeten- und Alpenländer unser Volk den Anspruch auf Selbstbestimmung
hat am 11. November 1918 einstimmig — wohlge- aufgeben, niemals die Vergewaltigung des Rechts-
merkt! — beschlossen, daß Deutsch-Österreich ein zustandes anerkennen und niemals aufhören, den
Bestandteil des Deutschen Reiches wäre. Damit Kampf um seine nationale Freiheit mit allen Mit-
waren auch die sudetendeutschen Gebiete mit dem teln zu führen."
Reich staatsrechtlich zusammengeschlossen. Durch Gewiß ist von den brutalen Ausweisungen, durch
den Vorfriedensvertrag wurden von beiden Par- die die Ostdeutschen aus ihrer Heimat vertrieben
teien die Punkte Wilsons, darunter das Selbst- wurden, schon viel gesprochen worden. Wir haben
bestimmungsrecht, als bindende Vertragsgrundlage vermißt, während man auf der einen Seite, nicht
angenommen, und da die Tschechoslowakei als immer auf unangreifbare Weise, Prozesse gegen
kriegführende Regierung anerkannt war, war auch Deutsche durchgeführt hat, daß auch gegen dieje-
sie an diese Vorfriedensvertrags-Abmachungen ge- nigen, die für die Brutalitäten an den Ostdeutschen
bunden. Die Vergewaltigung des Sudetendeutsch- verantwortlich waren, internationale Gerichte ein-
tums stellte damals einen geradezu unglaublichen gesetzt worden sind. Im Gegenteil, es treiben sich
Vertragsbruch dar, von dem allerdings das berüch- heute noch in Deutschland Elemente frei herum,
tigte Weltgewissen, das s on st bei jeder Kleinigkeit denen inzwischen der Boden unter den Füßen zu
in Wallungen gerät, keine Kenntnis genommen heiß wurde, ohne daß man sie wegen ihrer Ver-
hat. brechen vor Gericht gestellt hat. Die älteste
Noch am 11. Februar 1919 erklärte Wilson, daß deutsche Universität, die Karls-Universität in Prag,
Völker und Länder nicht von Oberherrschaft zu hat bis heute noch keine Unterkunft gefunden,
Oberherrschaft verschachert werden können, als ob während man für die armen und ach so bedrängten
sie Waren wären. Aber sehr bald sah man, daß Tschechen bereits wieder eine tschechische Univer-
man Völker tatsächlich wie Waren behandelte. sität aufgerichtet hat.
Ohne einen Schiedsspruch der Friedenskonferenz Wir stehen nun auf dem Standpunkt, daß die
abzuwarten, rückte die tschechische Soldateska Vertriebenenfrage nicht durch einen Bevölkerungs-
damals bereits plündernd in die sudetendeutschen austausch gelöst werden kann, so sehr er zur Lin-
)Gebiete ein. Man wollte vollendete Tatsachen schaf- derung der augenblicklichen Not auch zu befürwor-
fen, und diesen vollendeten Tatsachen beugten ten ist. Wir sind uns auch darüber klar, daß, wenn
sich gegen jedes Gerede vom Selbstbestimmungs- man nicht ganz andere Maßnahmen ergreift, der
recht der Völker und vorn Völkerrecht auch die Lastenausgleich unter Umständen nur damit endet,
Alliierten. daß vielleicht zu guter Letzt die Ostvertriebenen
noch zuzahlen müssen. Wir stehen vielmehr auf
Es ist bezeichnend gewesen, wie man sich da- dem Standpunkt: die einzige Lösung der Ostfrage
mals um das Recht drückte, daß kein Vertreter der besteht darin, daß man das ostdeutsche Gebiet den-
betroffenen Stämme und Völker zu den Frie- jenigen, die dahin gehören, zurückgibt. Wir stehen
densverhandlungen nach den Vororten von Paris nicht an, ganz offen zu erklären — und ich hoffe,
eingeladen wurde. Was in diesen Vororten bei den daß dem doch der größte Teil des deutschen Vol-
sogenannten Friedensverträgen verbrochen worden kes auch zustimmt —, daß wir niemals in einem
ist, geht aus wenigen Beispielen hervor. Man zer- Friedensvertrag einen wahren Frieden sehen wür-
schlug einen großen, wirtschaftlich hervorragend den, der unsere ostdeutsche Heimat den Mordban-
eingespielten Körper wie die österreichisch-ungari- den eines Bierut oder eines Gottwald oder eines
sche Monarchie, von der selbst der Nestor der tsche- Zapotocki überlassen würde.
chischen Geschichtsbetrachtung Palacky einmal ge-
sagt hat: Wenn es diesen Staat noch nicht gäbe, so (Erregte Zurufe von der KPD: Das ist eine
müßte man ihn schaffen. Man zerschlug einen Staat, Beleidigung! Provokateur!)
von dem der Amerikaner Ingrim in seinem Buch Was das Kapitel der Demontagen anlangt, so
„Von Talleyrand zu Molotow" erklärt, daß die haben wir dazu nur auf den Artikel 52 der Haager
Zerschlagung der österreichisch-ungarischen Monar- Landkriegsordnung zu verweisen, der der Besat-
chie einer der Hauptgründe für den zweiten zungsmacht zwar das Recht gibt, Naturalleistungen
Weltkrieg gewesen ist, was sich gewisse Leute, die zu verlangen, soweit es sich um die Befriedigung
glauben, heute schon die Geschichte in dieser Rich- der Bedürfnisse der Besatzungsmacht handelt. Aber
tung völlig beherrschen zu können, doch einmal diese Leistungen dürfen nicht im Mißverhältnis zu
hinter die Ohren schreiben möchten. Daher geht un- den Hilfsquellen des besetzten Landes stehen. Nun,
sere Forderung dahin — und die möchten wir auch inwieweit hier über die notwendigen, für den Un-
der Regierung unterbreiten —, daß, wenn es, was terhalt der Besatzungsmacht vielleicht als berech-
wir hoffen wollen, sehr bald zu Friedensverhand- tigt anzuerkennenden Naturalleistungen hinausge-
lungen kommen sollte, dann auch Ostdeutsche als gangen ist, das wissen Sie selber; das brauche ich
Vertreter hinzugezogen werden. nicht zu wiederholen. Wie man diesen Dingen ge-
genübersteht — obwohl wir genau wissen, daß sich
(Abg. Dr. Baumgartner: Herr Kollege, fürchten heute Menschen aus reinen Propagandagründen
Sie nicht, das Thema zu verfehlen?) plötzlich mit großer Begeisterung der Demontage
— Durchaus nicht, ich rede von dem, was leider annehmen, die bis vor kurzem noch nicht so recht
Gottes in der Regierungserklärung vergessen wor- wußten, ' ob sie es dürften oder nicht —, das, glaube
den ist. ich, konnte man am klarsten erkennen, als ich im
84 Deutscher Bundestag — 7. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. September 1949
(Dr. Richter)
Frühjahr dieses Jahres Gelegenheit hatte, in Ge- Eines aber haben wir mit besonderer Spannung
genwart des englischen Ministers Lord Henderson erwartet, was nämlich der Herr Bundeskanzler
von einem Sozialdemokraten die Frage zu hören, über die von ihm geplante Agrarpolitik sagen
wie es denn mit der Demontage stünde, die wäre würde. Mit Recht sagte der Herr Bundeskanzler,
doch nur auf Konkurrenzneid zurückzuführen. Als daß sich das deutsche Volk am 14. August für die
das Wort Konkurrenzneid fiel, hätten Sie einmal Marktwirtschaft entschieden habe. Während der
erleben sollen, wie aufgeregt der sozialistische Ge- Herr Bundeskanzler uns zwar die Aufhebung der
nosse Lord Henderson dem deutschen Sozialisten Kohlenbewirtschaftung in Aussicht stellt, scheint
entgegentrat. Ich gestehe ehrlich, ich hätte nie ge- man in der Agrarpolitik noch an keine Änderung
glaubt, daß ein englischer Lord so temperamentvoll zu denken. Auch die Auswahl der Persönlichkeit
werden könnte. Er wies ihn zurecht und sagte: für das Amt des Enährungsministers deutet das an.
„Wie können Sie mir als Sozialist vorwerfen, daß (Zuruf bei der CDU: Nein, ganz und gar
ich nur aus Konkurrenzneid demontieren lasse!" nicht!)
Nun, wir sind uns darüber klar, daß die ganze
Demontage nur dem deutschen Aufbau dient und Da möchte ich den Herrn Bundeskanzler doch dar-
daß wir zutiefst dankbar sein müssen, daß man auf aufmerksam machen, daß am 14. August im
uns von der ach so überflüssigen Industrie befreit. Rahmen der großen auch noch eine Sonderentschei-
Aufbau durch Abbau heißt ja die neue volkswirt- dung erfolgt ist, und zwar in der vernichtenden
schaftliche These, die man uns hier in Deutsch- Niederlage, die der Anwalt des bisherigen Agrar-
land vorexerziert. Wenn man uns schon die Ost- kurses hat einstecken müssen. Darin, daß die schon
gebiete genommen hat — deren Wert für Deutsch- tausendmal gehörte These, daß die Landwirtschaft
land so groß ist, daß ich offen erkläre: ohne diese mehr produzieren müsse, ein tausenderstes Mal
Ostgebiete wird Deutschland nie lebensfähig sein—, wiederholt wird, liegt noch keine Kursänderung.
dann müßte man uns wenigstens unsere Industrie In der allgemeinen Preiszusage fehlte ein Hinweis,
lassen, damit wir noch so viel exportieren können, der vielleicht einen Fortschritt hätte bringen kön-
wie wir unbedingt zum Leben brauchen. Nun aber nen, nämlich daß die Preise es ermöglichen müssen,
ergab es sich, daß unser gerade anlaufender Ex- daß auch der Landarbeiter endlich einen der ge-
port von den Kreisen, die eigentlich aus lauter werblichen Arbeit gleichwertigen Lohn erhält. Wir
sozialistischer Brüderschaft unsere Bemühungen werden hieran immer wieder erinnern, weil wir
um eine Verbesserung der Lebensverhältnisse des in einem harmonischen Verhältnis der tragenden
deutschen Volkes hätten unterstützen müssen, an-
gegriffen wurde, nämlich von den englischen Ge- Wirtschaftsstände zueinander die wirksamste Siche-
- gegen Wirtschaftskrisen sehen. Auch die D
rung
werkschaften, die im Februar dieses Jahres eine
Drosselung des deutschen Exports forderten, weil Mark-Sorgen dieser Tage beweisen erneut, wessen
er den englischen Export bedrohe. Ja, wenn wir sich ein Volk versieht, wenn es sich mit seiner
nicht exportieren können, und zwar soviel, daß wir Versorgung gar zu stark in Weltmarktabhängig-
das , was wir hereinnehmen, auch durch Exporte keit begibt. Wir wissen wohl, daß eine Erhöhung
wieder bezahlen können, dann werden wir auf der Lebensmittelpreise für die Minderbemittelten
immer und ewig die Almosenempfänger derer sein, nicht tragbar ist; aber das darf nicht zum Vorwand
die uns vielleicht noch etwas geben. dafür werden, nun die Unterbezahlung der Land-
Und kaum daß der erste Ansturm gegen den arbeit zu stabilisieren, sondern dann muß der
deutschen Export vorgetragen worden ist, da er- Weg von Subventionen oder der einer Marktspal-
leben wir wieder, daß durch eine ganz einseitige tung zugunsten der Minderbemittelten beschritten
Maßnahme ohne Rücksicht auf andere, durch die werden. Was auf keinen Fall sein darf, ist, daß
Pfundabwertung, wiederum nicht nur wir, sondern der heutige Ausnahmezustand gegenüber der Land-
auch andere Länder in eine Mitleidenschaft gezogen wirtschaft bestehenbleibt. Wir werden ja wohl von
werden, die nicht genug angeprangert werden dem neuen Herrn Ernährungsminister später noch
kann. Die „Rhein-Zeitung" schrieb mit Recht: hören. Schon heute aber möchten wir ihn bitten,
Die britische Labour-Regierung, die, verstrickt ganz deutlich werden zu lassen, ob er den Kurs,
in die ungeheuerlichen Fehldispositionen ihrer den er bisher in Frankfurt mitgemacht hat, fort-
sozialistischen Wirtschaftspolitik, schon seit ge- setzen oder ob er neue Wege gehen will, wie er
raumer Zeit nicht mehr ein noch aus wußte, sich die Beseitigung der Zweigleisigkeit in der
hat der Welt einen bösen Schlag versetzt. Durch Wirtschaft denkt und wie er es schließlich der
die brüske Abwertung des Pfundes zwingt Sir Landwirtschaft ermöglichen will, die volle Gleich-
Stafford Cripps die europäischen Völker, an berechtigung mit den anderen Wirtschaftsständen
der englischen Misere teilzunehmen. In Lon- zu erringen.
don hat man nicht versucht, einen organischen Es ist zweifellos noch über manchen Punkt zu
Ausgleich sämtlicher Währungen durch inter- sprechen. Wir überlassen das der Spezialdebatte.
nationale Abmachungen zu erreichen. Man Ich darf schon das eine hier sagen, daß wir in
dachte — wem fielen hier nicht die Demon- dem, was wir im Verlauf der Debatte gehört ha-
tagen in Westdeutschland ein? — nur an sich, ben, vieles gefunden haben, dem wir unbedingt
an die durch eigene Schuld verfahrene Situation zustimmen werden. Aber ich will eines nicht un-
der regierenden Partei. An einen Rücktritt, an erwähnt lassen, nämlich daß wir uns als Deutsche
die Möglichkeit, der Opposition die Verantwor- als Glied der europäischen Familie fühlen. Mir hat
tung zu übertragen, dachte man nicht, ebenso einmal ein Engländer gesagt: Nur ein guter Deut-
wie man sich keinen Deut um die anderen scher kann ein guter Europäer sein, und ich glaube,
kümmerte: um die erst jetzt wieder in Straß- daß dieser Standpunkt ohne weiteres richtig ist.
burg beschworene Gemeinschaft Europas. Allerdings verlangen wir, da wir wissen, daß es
Ich glaube, daß hier der Bundesregierung ganz ohne Deutschland kein Europa gibt, die unbedingte
besondere und sehr schwere Aufgaben erwachsen, Gleichberechtigung mit den anderen. Wenn gestern
und wir sind durchaus bereit, sie bei allem zu un-ein Satz geprägt wurde, dem wir an sich zustim-
terstützen, wenn es um die Aufrechterhaltung des men möchten, nämlich: Europa bedeutet Gleich-
Wertes unserer Währung geht. berechtigung, dann würde es mich freuen, wenn
Deutscher Bundestag - 7. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. September 1949
85
(Dr. Richter)
dieselbe Seite doch einmal bei den englischen So- Präsident Dr. Köhler: Darf ich die Herren Ab-
zialisten in dieser Richtung aufklärend wirkte. Ich geordneten, die dieses Wort eben gebraucht haben,
habe noch im Frühjahr dieses Jahres von Denis darauf aufmerksam machen, daß es seinen amt-
Healey von der Hauptleitung der Labour-Partei lichen Wert verloren hat. Ich nehme an, daß es
einen Vortrag gehört, der auch von der Gleich- als Ironie gemeint war.
berechtigung, die Deutschland in der europäischen (Allgemeine Heiterkeit. — Unruhe.)
Gemeinschaft finden sollte, schöne Töne machte; Meine Damen und Herren, als nächster Redner
aber er machte dann soundso viele Ausnahmen. Ich hat der Abgeordnete Clausen das Wort.
glaube, meine Damen und Herren, wir sind uns
zu gut, die Pflichten bei einem solchen Zusammen- Clausen (SSW): Gestatten Sie mir, als Vertreter
gehen auf uns zu nehmen, wenn wir nicht diesel- der kleinsten anerkannten politischen Partei, des
ben Rechte haben, die die anderen durchaus mit Südschleswigschen Wählerverbandes, und gleich-
Recht für sich in Anspruch nehmen. zeitig als Repräsentant des dänisch gesinnten Be-
(Beifall.) völkerungsteils in Südschleswig einige Worte zum
Regierungsprogramm zu sagen!
Man redet soviel von Sicherheit. Ich glaube, daß Welche Bedeutung unter Umständen eine kleine
es nicht sehr glorreich ist, gegenüber dem abge- Partei, ja eine Einmann-Fraktion
rüsteten deutschen Volk heute noch und immer
wieder dann in ein hysterisches Sicherheitsgeschrei (Heiterkeit)
auszubrechen, wenn Deutschland durchaus nicht im parlamentarischen Leben erhalten kann, wurde
unbegründete Forderungen anmeldet. Wir sind be- mir nach der Bundeskanzlerwahl klar,
reit, den anderen die gleiche Sicherheit zu geben, (Lachen links)
die sie uns geben wollen. als eine Zeitung meldete, daß man aus der bekann-
(Zuruf von der KPD: Großdeutschland!)
ten zuverlässigen Quelle erfahren hätte, Clausen
vom Südschleswigschen Wählerverband hätte die
— Ich glaube, meine Herren von links, daß Sie 202. Stimme für Herrn Dr. Adenauer abgegeben.
nicht nur ein — allerdings sehr einseitig gekenn- Beinahe hätte man mir die ganze Verantwortung
zeichnetes — Großdeutschland, sondern wahr- aufgebürdet.
scheinlich noch ein größeres Rußland anstreben. (Allgemeine Heiterkeit.)
(Zuruf von der KPD: Denkste! Denkste!) Diese amüsante Behauptung stimmt übrigens schon
Da wir jetzt im Goethe-Jahr leben, möchte ich deswegen nicht, weil ich in der fraglichen Sitzung
noch auf eines hinweisen. Es ist bereits sehr viel nicht anwesend sein konnte.
-
über Goethe gesprochen worden; aber ich finde: (Heiterkeit.)
es war nicht sehr glücklich, daß man in einem Auch die Zeitungsmeldung, daß ich mich der
I Jahr, das einem Mann geweiht war, der sich zum CDU angeschlossen hätte, ist nicht richtig. Ich ge-
Starken, zum Großen bekannte, der die Worte höre also nicht zur Regierungskoalition.
prägte: „Allen Gewalten zum Trutz sich erhalten", (Zurufe.)
einen Mann in den Mittelpunkt der Ehrungen
Meine Stellung als Vertreter des dänisch gesinn
stellte, der in Wirklichkeit gar kein deutscher
ten Bevölkerungsteils oder, wenn Sie es lieber
Mann ist.
wollen, der dänischen Minderheit in Südschleswig
(Zurufe links.) (Zuruf: Aber der echten, Herr Clausen!)
Zu einer Zeit, in der ein aufrüttelndes, ermuntern- zur Bundesregierung ist frei und wird sich danach
des Wort für Deutschland so unerhört viel bedeu- richten, inwieweit die Bundesregierung den Wün-
tet hätte, goß er die ganze stinkende Jauche seines schen und Sorgen dieses Grenzlandes Südschleswig
ätzenden Spottes über das deutsche Volk aus. Von gerchtwid.EsmaRenirDbat
diesem Mann hat einmal ein Schweizer gesagt, daß beanstandet werden, wenn man von den Sorgen
er auch nicht dadurch zu einem großen Dichter eines einzelnen Gebiets der Bundesrepublik spricht;
würde, daß er Dinge, die in Klarheit und Eindeu- aber die Mitglieder meiner politische n Organisa-
tigkeit und Einfachheit mit wenigen Sätzen in der tion und meine Wähler sind auf das Grenzgebiet
Bibel zum Ausdruck gebracht sind, in zwei dicken Südschleswig beschränkt. Ich bitte daher das Hohe
Schmökern verarbeitet. Dieser Schweizer hat von Haus um Verständnis.
diesem selben Mann erklärt, er hoffe als Schwei- Der Herr Bundeskanzler hat von einer gleich-
zer, daß dieser Mann nicht länger als Praeceptor mäßigeren Verteilung der Heimatvertriebenen auf
Germaniae gelte. Ich muß sagen, daß es eigentlich die verschiedenen Länder gesprochen. Es ist mitt
beschämend für Deutschland gewesen ist, daß man lerweile bekannt geworden, daß Südschleswig—und
diesen Mann in den Mittelpunkt der Ehrungen ich spreche als Landtagsabgeordneter auch für
stellte. Wir haben auch heute noch deutsche Dich- Holstein — am meisten unter dem Bevölkerungs-
ter, Dichter, die weiß Gott noch mehr Anerken- überdruck leidet. Ich möchte daher von dieser
nung hätten finden müssen als dieser Mann. Stelle der Regierung sagen: nicht allein der Lasten-
(Zurufe links: Blunck und so weiter!) ausgleich ist dringend notwendig, ebenso dringend
notwendig ist der Bevölkerungsausgleich. Gehen
Wenn ich mich eben zu Europa bekannt habe, Sie ernsthaft und schnell an eine gerechte Ver-
dann will ich zum Schluß den Mächten, die immer teilung der Vertriebenen heran, denn Sie tun da-
so viel davon gesprochen haben, daß sie Europa mit sowohl der einheimischen Bevölkerung einen
erretten wollen, das Wort eines wirklich großen Dienst, die unter dieser Überbevölkerung leidet,
Dichters zurufen, nämlich das Wort Kolbenheyers: wie Sie auch den Vertriebenen einen Dienst leisten,
„Ihr wollt Europa retten? — Rettet zuerst Deutsch- die in unserem Grenzlande niemals eine Existenz
land, dann werdet ihr Europa retten können!" finden können und die keine Lehr- und Arbeits-
(Rufe von der KPD: Sieg Heil! Sieg Heil! plätze für ihre Kinder finden. Sie beseitigen damit
Sieg Heil!) zugleich ein Unrecht gegen das Land Südschleswig.
86 Deutscher Bundestag — 7. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. September 1949
(Clausen)
In der Regierungserklärung und wohl auch in Wir müssen aus den Reden und Kundgebungen
der Debatte ist viel über die Grenzen der Bundes- der SSW schließen, daß das letzte Ziel dieser Süd-
republik gesagt worden. Ich vermisse aber eines: schleswig-Bewegung ein separatistisches ist. Das
es ist nichts über das Selbstbestimmungsrecht eines geht aus der Eingabe der SSW an die Alliierten
Grenzvolkes gesagt worden. Dieses Recht fordern vom Mai dieses Jahres und aus vielen Reden
wir in unserem Programm, und davon ist auch in der Parteiführer hervor. Die großen Kundgebun-
der Atlantik-Charta deutlich die Rede. Dieses gen in Schleswig sind eigentlich alle mehr oder
Selbstbestimmungsrecht und das Recht, mit demo- weniger unter das Motto gestellt: Heim ins König-
kratischen Mitteln für die Ausübung dieses Rechts reich! Wir Deutsche aller deutschen Parteien sehen
zu wirken, gehören zu den elementarsten demo- aber die jetzige Grenze als die endgültige Lösung
kratischen Grundsätzen und Grundlagen der Men- an. Sie ist durch die Abstimmung von 1920, die
schenrechte. Die Zukunft wird es zeigen, ob die ja unter alliierter Kontrolle stattfand, festgelegt.
Bundesregierung für die Minderheitenrechte in Sie fand statt unter Umständen, die für Deutsch-
Grenzgebieten zu sorgen hat. Bei uns hat die land so ungünstig wie nur möglich waren, gleich
schleswig-holsteinische Landesregierung die Sache nach dem ersten verlorenen Krieg. Damals blieben
in die Hand genommen, und wir hoffen, daß sie mindestens 30 000 Deutsche als Minderheit in
sie auch zu einem zufriedenstellenden Abschluß Dänemark und etwa 7- bis 8000 Dänen als Minder-
bringt. Sollte die Bundesregierung es als ihre Auf- heit in Deutschland. Beide waren echte Minder
gabe übernehmen, in Grenzgebieten für Minder- heiten, die sich dann in den Jahren von 1920 bis
heitenrechte zu sorgen, dann bitte ich die Regie- 1945 in ihrem Bestand kaum geändert haben.
rung, großzügig zu sein und Rechte zu schaffen, die Meine Damen und Herren! An der Sicherheit
tatsächlich die Forderung der Freiheit erfüllen und dieser Nordgrenze hat niemand gezweifelt, weder
die von kleinlichen Schikanen frei sind, an denen in Deutschland noch in Dänemark. Selbst Hitler hat
die Vergangenheit so reich war. Gerade bei der sie nicht verändert. Der dänische Staatsminister
Regelung von Grenzlandverhältnissen dort, wo die Buhl erklärte in der ersten Sitzung des dänischen
verschiedenen Kulturen sich überschneiden, kann Reichstags nach dem Zusammenbruch 1945 feier-
eine Regierung am besten beweisen, daß es ihr mit lich: die Grenze liegt fest.
der Demokratie ernst ist. (Hört! Hört!)
Nicht unerwähnt will ich lassen, daß zu den Vor- Wir hofften, daß damit der alte Streit zwischen
aussetzungen einer völligen Freiheit in unserem den beiden Nachbarn endgültig beendet sei. Das
Grenzgebiete die Selbstverwaltung Südschleswigs aber, was sich nun von 1945 bis heute in Schles-
gehört, die meine Organisation in ihrem Programm wig zugetragen hat, das, was die dänische Seite
fordert. Nur in der Selbstverwaltung können nach - als Wiedererwachen des verschütteten Dänentums
unserer Auffassung die drei vorhandenen Kultu- bezeichnet, hat mit einem eigentlichen Volkstums-
ren — die deutsche, die friesische und die däni- kampf wenig zu tun. Es ist nach unserer Auffassung
sche — sich gleichberechtigt und vollkommen frei im wesentlichen eine Folgeerscheinung des verlo-
entfalten. Bei der Länderbildung hätte man darauf renen Krieges, des geistigen Zusammenbruchs, der
Rücksicht nehmen sollen. Selbst Preußen hat Flucht aus der deutschen Mitverantwortung, der
mehrfach erwogen, das Gebiet Südschleswigs zu Flucht aus deutschem Elend in ein Land, wo an-
einem besonderen Verwaltungsbezirk zu machen. geblich Milch und Honig fließt.
Es ist aber nicht zur Durchführung gekommen. (Sehr richtig!)
Historisch gesehen, hat diese Forderung ihre Be- Ich kann das mit zwei, drei Zahlen schlagend
rechtigung. belegen. Die Zahl der alten dänischen Minderheit
Zum Schlusse möchte ich sagen, um jeder Miß- wurde auf 8000 geschätzt. Sie stieg am 1. Januar
deutung vorzubeugen: Sie werden den dänisch ge- 1946 auf 11 800 und dann bis zum 1. Juli 1947,
sinnten Bevölkerungsteil Südschleswigs und mich also in 11/2 Jahren, auf 75 000 Mitglieder. Die Zahl
als seinen gewählten Vertreter überall dort finden, der dänischen Stimmen, die im ganzen Herzogtum
wo es gilt, die Grundsätze der Demokratie zu pfle- Schleswig 1932, bei der letzten geheimen Wahl, et-
gen, durchzuführen und zu verteidigen. was mehr als 1300 betrug, stieg 1947 auf 99 000. Sie
ist inzwischen 1948 auf 92 000 und 1949 auf 75 000
gesunken. Die Zahl der dänischen Schulen stieg
Präsident Dr. Köhler: Als letzter Redner hat der von 13 auf 66, die der dänischen Lehrer von 24
Herr Abgeordnete Dr. Edert das Wort. auf 217, die der Schüler von 800 auf 14 000 — das
alles in zwei Jahren! Niemand wird glauben, daß
eine solche plötzliche Sinnesänderung auf der Än-
Dr. Edert (Parteilos): Meine Damen und Herren! derung des Volkstums beruhen kann. Der große
Als der deutsche Vertreter von Flensburg, der dänische Historiker Aage Friis hat vor nicht langer
Hochburg des Dänentums, der Stadt, wo heute Zeit in bezug auf diese Zahlen gesagt: Kein Däne
noch ein dänischer Oberbürgermeister und eine und kein Deutscher wechselt seine Gesinnung über
überwiegend dänische Stadtverwaltung regieren, Nacht.
bitte ich, zu den Ausführungen meines verehrten (Sehr gut!)
Herrn Vorredners und lieben Nachbarn hier im Diese südschleswigsche Bewegung — bei uns nen-
Hause Stellung nehmen zu dürfen. Herr Clausen nen die Leute sie „Neudänen" — hat noch keine
hat ausgeführt, daß er auf die Durchführung des innere Bindung zur dänischen Sprache und Kultur.
Selbstbestimmungsrechts und insbesondere auf die Sie will sich diese Kultur erst aneignen. Auf ihren
verwaltungsmäßige Trennung Schleswigs von Hol- Versammlungen wird deutsch gesprochen. Die Pla-
stein Wert legt. Wir Deutsche sehen in dieser For- kate für die Wahlen sind deutsch. Es ist eine Be-
derung nicht in erster Linie eine verwaltungs- wegung, von der ein anderer Däne, Nis Nissen,
mäßige Maßnahme, sondern wir haben Grund, an- gesagt hat: „Nicht hin zu Dänemark, sondern weg
zunehmen, daß diese Forderung die Vorstufe der von Deutschland."
endgültigen Abtrennung ist. Die grenzpolitische Linie der Deutschen aller
(Zuruf von der CDU: Sehr richtig!) Parteien ist klar und eindeutig. Wir wollen der
Deutscher Bundestag — 7. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. September t949 87
(Clausen)
echten dänischen Minderheit jede kulturelle Frei-Deutschen. Dieser Kampf ist deswegen so schwer,
heit gewähren in der Hoffnung, daß die gleichen weil diese südschleswigsche dänische Bewegung
Rechte auch der arg bedrängten deutschen Min- aus dem Königreich mit ungeheuer großen Geld-
derheit in Nordschleswig bewilligt werden. mitteln unterstützt wird; wir schätzen sie auf 18
(Sehr richtig!) bis 20 Millionen Kronen jedes Jahr.
Wir wenden uns nicht gegen das amtliche Däne- (Hört! Hört! in der Mitte und rechts.)
mark. Wir erkennen mit Dank an, daß der gegen- Gegenüber dieser Summe sind die eigenen Lei-
wärtige Ministerpräsident Hedtoft von den grenz- stungen des ja völlig verarmten Landes Schleswig
politischen Forderungen der dänischen Aktivisten Holstein gering. Unser Land Schleswig-Holstein
selbst nichts wissen will. Wir Deutsche an der erwartet von dem neuen Bund in dieser Not eine
Grenze möchten dringend den Frieden mit Däne- schnelle und wirksame Hilfe, einmal bei einer an-
mark. Uns Deutschen, die wir die Übersteigerung derweitigen gerechten Verteilung und menschen-
des nationalistischen Denkens blutig bezahlt würdigen Unterbringung der Heimatvertriebenen
haben, die wir am Vorabend des neuen Europa ste- — in der Beziehung stimme ich mit meinem Vor-
hen, scheint dieser alte Streit mit dem nordischen, redner ganz überein —, zum andern bei der Unter-
uns so nahe verwandten Nachbarn völlig über- stützung unserer kulturellen Aufbau- und Ab-
holt. Er ist uns aufgedrängt vom Nationalismus, wehrarbeit gegenüber dem Dänentum. Wir wollen
der vom Norden über die Grenzen schlägt. Wir diesen Kampf mit geistigen Waffen kämpfen. Wir
meinen, wir sollten nicht Grenzen verschieben, son- lehnen jede Schikane, jede Gewaltmaßnahme, je-
dern Grenzen überbrücken. Unsere Abwehr richtet des staatliche Eingreifen ab, aber wir müssen wis-
sich gegen die dänischen Nationalisten, die nördlich
der Grenze sitzen allein die dänische Grenz- sen, daß bei diesem schweren kulturellen Ringen
vereinigung hat 200 000 Mitglieder —, vor allem das ganze Deutschland hinter der Grenzbevölke-
gegen die eigenen Landsleute, die südlich der rung steht!
Grenze wohnen: die einen, die einer falsch ver- (Lebhafter Beifall.)
standenen Ideologie erlegen sind, und di e a nderen,
die glauben, daß sie der ungeheuren wirtschaft- Präsident Dr. Köhler: Meine Damen und Herren,
lichen Not des Landes, der Raumnot, der Über- die Rednerliste ist für heute erschöpft. Wir unter-
völkerung -- in den Kreisen, die mein verehrter brechen die 7. Sitzung des Bundestags. Ihre Fort-
Vorredner und ich vertreten, ist in den meisten setzung findet morgen um 10 Uhr statt.
Dörfern und Städten die Zahl der Heimatvertrie- Die Angehörigen des Ältestenrats bitte ich auf
benen ebenso groß wie die der Einheimischen — heute 8 Uhr 30 in das bekannte Sitzungszimmer.
und der dadurch entstandenen ungeheuren Arbeits-
losigkeit durch Angliederung an Dänemark ent- - Die Sitzung ist geschlossen.
kommen können. So geht es in diesem Grenzkampf
um das Gewinnen und Verlieren der einheimischen (Unterbrechung der Sitzung 18 Uhr 48 Minuten.)
Deutscher Bundestag — 7. Sitzung. Bonn, Freitag, den 23. September 1949 89

Loritz, Schriftführer: Es sind beurlaubt


wegen Krankheit die Herren Abgeordneten: Dr.
Atzenroth, Kuhlemann und Dr. Bucerius.
Auf Grund von Entschuldigungen sind beurlaubt
die Herren Abgeordneten Bahlburg, Bauknecht,
Clausen, Dr. Noell von der Nahmer, Marx, Früh-
wald, Dr. Horlacher, Dr. Gülich, Dr. Solleder,
Gluesing, Wartner, Naegel, Karpf, Schröter.
(Zuruf: Schröter ist da!)
Präsident Dr. Köhler: Die Beurlaubung ist zu-
rückgezogen.
Loritz, Schriftführer: Weiter sind beurlaubt
die Herren Abgeordneten Dr. Hasemann, Dr. v.
Rechenberg, Margulies, Freudenberg, Rademacher,
Kiesinger, Vesper, Reimann und Frau Thiele.
7. Sitzung Präsident Dr. Köhler: Danke schön!
Zweiter Tag Über den Verlauf der heutigen Sitzung habe
ich auf Grund der Besprechungen des Ältesten
rats von gestern abend folgendes mitzuteilen: Es
Bonn, Freitag, den 23. September 1949. werden heute vormittag die drei großen Frak-
tionen je eine Stunde sprechen, wobei es den Frak-
tionen überlassen bleibt, inwieweit sie die Stunde
Geschäftliche Mitteilungen . . . . 89B, C, 109B auf einen oder mehrere Redner verteilen wollen.
Am Nachmittag sprechen die kleinen Fraktionen je
eine halbe Stunde. Der weitere Verlauf der Sitzun-
Fortsetzung der Aussprache über die Erklä gen wird in einer Ältestenratssitzung um 15 Uhr
rung der Bundesregierung 8 9B 30 festgelegt.
Wenn augenblicklich die Bundesregierung nicht
Blank (CDU) 89D in vollem Umfange vertreten ist, so darf ich mit-
Dr. Laforet (CSU) 93C teilen, daß das Kabinett noch eine Sitzung
94B - die sich mit der Frage der Auswirkungen der
hat,
Dr. Henle (CDU) Pfundabwertung beschäftigt. Ich nehme an, daß im
Ollenhauer (SPD) 97A Laufe der nächsten halben Stunde das Kabinett
Dr. Wellhausen (FDP) 103B vollzählig dasein wird.
Rüdiger (FDP) 107A (Zuruf von der Ministerbank:
Unterbrechung der Sitzung . . 109B Die Sitzung ist schon beendet!)
Dr. Adenauer, Bundeskanzler . . 110D — Danke schön!
Dr. Zawadil (FDP) 111A Dann, meine Damen und Herren, treten wir in
die Aussprache ein. Wir sind uns gestern darüber
Dr. von Merkatz (DP) 112C klar geworden, daß die Reihenfolge der Redner
Frau Kalinke (DP) 114B nach der Stärke der Fraktionen festgelegt werden
. . . . . . . 118A soll. Ich erteile zunächst für die erste Stunde als
Dr. Etzel (BP) erstem Redner Herrn Abgeordneten Blank das
Fisch (KPD) 121C Wort.
Götzendorff (WAV) 125D
Blank (CDU): Meine sehr verehrten Damen und
Ribbeheger (Z) 129C Herren! Der Herr Bundeskanzler hat in der Regie-
Dr. Leuchtgens (NR) 130D rungserklärung gesagt, die Koalitionsparteien seien
Euler (FDP) (persönliche Bemerkung) 134D sich völlig einig darin, daß sie sich bei ihrer ganzen
Arbeit von dem Bestreben leiten lassen würden, so
Nächste Sitzung 109C, 135D sozial im wahrsten und besten Sinne des Wortes zu
handeln wie irgend möglich. Ich erkläre als
Ollenhauer (SPD) 109C Sprecher meiner Fraktion noch einmal, daß dies
Dr. von Brentano (CDU) . . . . 110A unsere feste Absicht ist. Die Sozialpolitik wird des-
halb eine beherrschende Stellung in der Regie-
Dr. Schmid (SPD) 110C rungsarbeit einnehmen, und ich hoffe, daß die Op-
position gerade hier die Gelegenheit findet, wo sie
nicht unter allen Umständen nein sagen muß.
Die Sitzung wird um 10 Uhr 19 Minuten durch
den Präsidenten Dr. Köhler eröffnet. (Lachen links. — Sehr gut! rechts. — Zuruf
links: Wer lacht da?)
Präsident Dr. Köhler: Meine Damen und Herren! — Es freut mich. Ihre Freude gibt mir Gewähr da-
Ich eröffne die Sitzung. Die heutige Tagesord- für, daß Sie mitarbeiten werden.
nung ist die gleiche wie gestern: Nun kann aber die wechselseitige Abhängigkeit
Fortsetzung der Aussprache von Sozial- und Wirtschaftspolitik nicht übersehen
über die Erklärung der Bundesregierung. werden. Denn in erster Linie bestimmen Wert und
Umfang des Sozialprodukts das Ausmaß sozialer
Ich bitte zunächst den Herrn Schriftführer, Ab- Leistungen. Daher sagt die Regierungserklärung
geordneten Loritz, die Namen der abwesenden weiter: „Die beste Sozialpolitik ist eine gesunde
Mitglieder des Bundestags bekanntzugeben. Wirtschaftspolitik, die möglichst vielen Brot und
90 Deutscher Bundestag — 7. Sitzung. Bonn, Freitag, den 23. September 1949
(Blank)
Arbeit gibt." Meine Damen und Herren, die wirt- schaften. Wir wollen keine anonyme Verantwor-
schaftspolitische Linie der Regierung ist klar, sie tungslosigkeit mehr in der Wirtschaft. Darüber
besteht — darüber kann kein Zweifel sein — in der hinaus erwarten wir von der Regierung Gesetz-
Fortsetzung des im Wirtschaftsrat beschrittenen entwürfe, die die restlose Offenlegung von Ge-
Weges. Dazu verpflichtet sie die Entscheidung des schäftsberichten, Gewinn- und Verlustrechnungen
Wählers. Denn nicht zuletzt durch Sie, meine und Bilanzen bei allen Kapitalgesellschaften
Damen und Herren von der Opposition, stand der gewährleistet. Ich kann auch hier wieder darauf
Wahlkampf hauptsächlich unter der Parole: Für hinweisen, daß wir uns dabei in völliger Über-
oder gegen die Frankfurter Wirtschaftspolitik? Es einstimmung mit einer Forderung der Gewerk-
blieb Herrn Dr. Schumacher vorbehalten, die in schaften befinden, die sie an dieses Bundesparla-
freier demokratischer Wahl getroffene Entschei- ment gerichtet haben, die dahin geht, es sei eine
dung der Wähler dahin umzudeuten, der deutsche Erweiterung der für wirtschaftliche Unterneh-
Besitz habe diese Regierung etabliert. Die Zahl der mungen bestehenden gesetzlichen Publikations-
diese Regierung tragenden Wählerstimmen zeigt, vorschriften erforderlich. Meine Damen und
daß sie ihren Auftrag aus dem Willen des Volkes Herren, gerade den Arbeitern wird damit gedient,
hat, und der Auftrag lautet: Fortsetzung und Wei- die als Wertschaffende auch einen Anspruch darauf
terentwicklung der Frankfurter Wirtschaftspolitik. haben, über den wahren Stand des Unternehmens
Wie und nach welchen Prinzipien das geschehen und den erzielten Gewinn unterrichtet zu werden.
soll, meine Damen und Herren, das möchte ich in (Sehr richtig! in der Mitte.)
Kürze in dieser Spezialdebatte darlegen.
Obwohl es wegen mangelnder Kenntnis der Zu-
Unser wirtschaftspolitisches Ziel ist die soziale sammenhänge noch unpopulär ist, halten wir daran
Marktwirtschaft, und ich möchte gleich sagen: sie fest, daß sich die Preise marktgerecht bilden müs-
ist gleichweit entfernt von der Planwirtschaft wie sen. Wohin die behördlich festgesetzten Preise, die
von der freien Wirtschaft des Manchestertums. doch nur eine Illusion sind, führen, haben wir seit
(Sehr richtig! bei der CDU.) dem Jahre 1936 erlebt. Behördlich festgesetzte
Denn in ihr sind die Ordnungselemente: sowohl Preise, zugewiesene Kontingente, feste Gewinn-
Freiheit als auch Bindung. Wir wünschen als moto- spannen, eine solche Sinekure wollen wir dem
rische Kraft Freiheit im Wettbewerb und als Bin- Unternehmertum ein zweites Mal nicht mehr
dung unabhängige Monopolkontrolle, um Miß- gönnen.
brauch der Freiheit zu verhindern. (Beifall rechts, in der Mitte und bei einem Teil
(Sehr richtig! in der Mitte.) der SPD.)
Dazu wird es einer Reihe von gesetzgeberischen Unternehmer sein heißt nämlich nicht: Staatspen-
Maßnahmen bedürfen, und eine dieser Maßnahmen sionär sein.
wird sein, durch ein Monopolgesetz den Wett- (Lebhafter Beifall in der Mitte und rechts.)
bewerb in der Wirtschaft zu sichern. Frau Ab- Das muß wieder begriffen werden.
geordnete Wessel bemängelte gestern in ihrer
Rede, daß ein solches Monopolgesetz in Frankfurt Die Arbeiterschaft kann mit Recht von demjeni-
am Main in der Schublade der Verwaltung für gen, der sich Eigentümer der Produktionsmittel
Wirtschaft liegengeblieben sei. nennt, verlangen, daß er von diesen Produktions-
mitteln auch einen Gebrauch macht mit echtem
(Zuruf von der KPD: Wagnis, einen Gebrauch, der höchste Rentabilität
Da bleibt es auch weiter liegen!) des Betriebes sichert. Wer das nicht kann, soll die
— Da bleibt es nicht liegen! Alle Sachkenner sind Finger von diesem Geschäft lassen.
sich darüber klar, daß es sich hier um eine außer- (Sehr richtig! bei der CDU.)
ordentlich verwickelte Materie handelt,
Meine Damen und Herren, darüber hinaus werden
(Lachen und Aha-Rufe links) Sie uns Preisbeeinflussung mit Mitteln der Kredit-
die gründlichster Vorarbeit bedarf und auch nie- und Steuerpolitik, die wir nach Lage der Verhält-
mals restlos abgeschlossen sein wird, weil sie nisse anzuwenden gewillt sind, nicht als Abkehr
ständig an den sich ergebenden Tatbeständen neu von unseren Prinzipien auslegen. Ich bin der Mei-
überprüft und revidiert werden muß. Sie dürfen nung, wir stimmen darin überein, daß dies probate
aber die Versicherung entgegennehmen, daß ein Mittel sind.
solches Monopolgesetz geschaffen wird. Wir be- Lassen Sie mich, meine Damen und Herren, an
finden uns dabei in völliger Übereinstimmung mit dieser Stelle ein kurzes Wort über die Steuer-
einer Forderung, die die Gewerkschaften auf- politik, von der fast alle Redner gesprochen haben
gestellt haben, die sich auf die Schaffung einer einfügen. Herr Dr. Schumacher meinte zum dies-
Stelle zur Überwachung kartell- und monopol- bezüglichen Punkt der Regierungserklärung, die
artiger Einrichtungen und Abreden bezieht. Dieses geplante Steuersenkung stünde in Konkurrenz min -
unser Gesetz wird alle Marktabreden und Kartell- den Besatzungskosten und den erforderlichen So-
verträge verbieten, und es muß die Bildung wirt- zialleistungen. Ich lege mir das zunächst so aus, daß
schaftlicher Macht verhindern. Herr Dr. Schumacher meinte, die Besatzungskosten
Meine Damen und Herren! Wir werden das be- zu senken läge nicht in unserer Macht, und eine
stehende Gesellschaftsrecht einer Überprüfung zu Senkung der Sozialleistungen beabsichtige die Re-
unterziehen haben, und wir werden es entspre- gierung nicht; infolgedessen sei die Steuersenkung
chend unserem Ziele zu ändern haben. unmöglich. Dazu möchte ich sagen: Die heutigen
(Abg. Rische: Abschaffung des Bankgeheimnisses!) Steuersätze lähmen und hindern die Spartätigkeit,
— Warten Sie ab, Herr Abgeordneter Rische! — sie führen zur Verschwendung und lenken Mittel
Wer Unternehmer sein will, muß auch mit seinem in den Luxuskonsum, die bei vernünftiger Steuer-
ganzen persönlichen Besitz einstehen. politik produktiven Zwecken zugeführt würden.
(Sehr richtig! in der Mitte.) (Lebhafte Zustimmung in der Mitte und rechts.)
Das gilt nicht nur für den Unternehmer, das gilt Wenn der Staat 80 bis 90 Prozent jedes Aufwandes
unserer Ansicht nach auch für die Vorstands- deckt — und das geschieht tatsächlich —, dann tre
mitglieder und Geschäftsführer von Kapitalgesell--ten Unterschiede im Lebensstandard stärker in Er-
Deutscher Bundestag — 7. Sitzung. Bonn, Freitag, den 23. September 1949 91
(Blank)
scheinung, als sie nach der Einkommensverteilung Aber es sei mir ein Wort zur Frage der Wirt-
überhaupt möglich wären. schaftsverfassung erlaubt. Die Regierungserklärung
(Sehr gut!) spricht sich dazu aus. Sie sagt nämlich: Die sozial-
Wir versprechen uns von einer Steuersenkung und gesellschaftspolitische Anerkennung der Ar-
folgende Wirkungen. Erstens eine Zunahme der beitnehmerschaft macht eine Neuordnung der Be-
Spartätigkeit und damit erhöhte Kapitalbildung sitzverhältnisse in den Grundstoffindustrien not-
durch alle Schichten des Volkes; zweitens eine Ent- wendig. Herr Dr. Schumacher meinte dazu, es sei
lastung des unmittelbaren Konsums, insbesondere nicht klar, ob damit die Wiederherstellung der
des Luxuskonsums; drittens eine erhöhte Investi- alten Besitzverhältnisse gemeint sei. Ich will diesen
tionstätigkeit, Belebung der einschlägigen Indu- Zweifel bei ihm beheben, meine Damen und Her-
strien, insbesondere der Bauwirtschaft; viertens ren von der Opposition. Denn in der Regierungs-
eine Aufsaugung der Arbeitslosigkeit und Ent- erklärung heißt es „eine Neuordnung". Das dürfte
stehung zusätzlichen Arbeitseinkommens; fünftens doch einem Manne nicht entgangen sein, der gerade
steigende Nachfrage auch auf den Konsumgüter- in seiner Partei nach 1945 die Parole ausgab, nicht
märkten und auch dort vermehrte Beschäftigung; von dem Aufbau zu sprechen - denn das könne
sechstens durch steigende Umsätze und erhöhte Restaurierung bedeuten —, sondern von dem Neu-
Produktion auch steigende Steuereinnahmen trotz bau. Ich glaube, dieser Hinweis auf Ihre eigene Defi-
Senkung der Steuersätze. nition wird Ihnen klar sagen, was hier mit dem
(Sehr gut!) Wort „Neuordnung der Besitzverhältnisse" gesagt
sein soll.
Aber nicht unbedeutend dürften auch die diesen
zugeordneten Nebenwirkungen sein: erstens ein (Beifall bei der CDU. — Zuruf des Abg. Renner.)
Rückgang der Bürokratie, weil durch freie Kapital- Es freut mich, hier feststellen zu können, daß die
bildung der Riesenapparat der staatlich-zentra- Regierungserklärung sich wieder einmal mit den
listischen Kapitalverteilung überflüssig wird; Forderungen der Gewerkschaften deckt, wo es im
(Bravo! in der Mitte und rechts) Abschnitt VI unter an d erem he ißt: ,,Essindehalb
zweitens eine Förderung der kleineren und mitt- vordringlich insbesondere der Bergbau, die eisen-
leren Existenzen, die nur bei freier Kapitalbildung, und stahlschaffende Industrie sowie die Großchemie
wie" alle Erfahrungen lehren, Kredite erhalten in Gemeineigentum zu überführen." Wenn also
können, während bei staatlicher Verteilung erfah- Herr Dr. Schumacher in seiner Rede bemängelt hat,
rungsgemäß nur öffentliche und Riesenunterneh- daß die Regierungserklärung sich nicht mit den
mungen bedacht werden. Gewerkschaften beschäftige, so kann ich feststellen,
daß sie das tut — das werde ich Ihnen gleich noch
(Sehr richtig! in der Mitte und rechts.)
darlegen —, daß sie sogar wesentliche Programm-
Gerade hier aber sind wir an einem Kernpunkt punkte der Gewerkschaften in ihr Programm
unseres wirtschaftspolitischen Wollens, nämlich übernommen hat. Das ist gar kein Wunder, meine
Klein- und Mittelexistenzen zu fördern. Damen und Herren!
(Lebhafter Beifall in der Mitte und rechts. — (Abg. Rische: „Wunderschön"!)
Zuruf des Abg. Renner.)
Dasjenige Volk wird sozial am gesundesten sein, Denn auf den Bänken der Regierungsparteien sitzen
das möglichst viele selbständige Existenzen hervor- bessere Gewerkschaftler, als Sie einer sind, Herr
bringt, und nicht ein Volk, Herr Renner, das nichts Rische.
mehr ist als seelenlose Nummern in einem Macht- (Bravorufe bei der CDU. — Abg. Rische: Das ist
staatsapparat. aber billig! Sehr billig!)
(Lebhafte Zustimmung in der Mitte und rechts.) Ich sage noch einmal, auf den Bänken der Regie-
Wir erwarten drittens Rückkehr zu dem finanz- rungsparteien — —
politischen Grundsatz: die Staatsausgaben haben
sich den finanzpolitischen Möglichkeiten anzupas- (Abg. Renner: Von der SPD reden Sie nicht!)
sen und nicht umgekehrt. Präsident Dr. Köhler: Herr Abgeordneter Blank,
(Sehr wahr!) ich darf bitten, keine persönlichen Wertungen vor-
Die geplante Steuersenkung steht damit wohl nicht zunehmen.
in Konkurrenz mit den Sozialleistungen.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich kurz Blank (CDU): Verzeihen Sie, Herr Präsident! Ich
zur Wirtschaftspolitik zurückkehren. Wir sind da- habe von dem Herrn Abgeordneten Rische einen
von überzeugt, daß sich durch diese Wirtschafts- Zuruf bekommen, den ich so auffassen mußte, als
politik eine Wirtschaft entwickelt, die ein möglichst ob er meine Ausführungen anzweifele. Deshalb
großes Sozialprodukt erzeugt. Daß uns das seit der habe ich diese Antwort gegeben. Aber ich stehe
Wende durch das Leitsätze-Gesetz schon in erfreu- nicht an: wenn dies ein unzulässiger Ausdruck ge-
lichem Maße gelungen ist, lehrt der Augenschein wesen sein sollte, der den Herrn Abgeordneten
jedes Menschen in der Bizone. Rische beleidigen könnte, so nehme ich ihn hiermit
(Sehr gut! rechts.) in aller Form zurück.
Das alles betrifft aber im Grunde genommen nur (Lachen und Zurufe links.)
die Wirtschaftsweise und besagt noch nicht viel Ich sage noch einmal: auf den Bänken der Re-
über die Fragen der Wirtschaftsverfassung. Die gierungsparteien sitzt eine ganze Anzahl von Män-
Wirtschaftsweise, wie ich es definieren will, die nern, deren Lebensaufgabe darin bestand, für die
Wettbewerbswirtschaft mit den Prinzipien, die wir Rechte der Arbeitnehmerschaft zu wirken, und die
ihr zugrunde legen, würde sowohl in der Privat- heute noch wie ihre Gewerkschaftskollegen auf den
wirtschaft als auch in der Gemeinwirtschaft zu Bänken der Opposition in der Gewerkschaftsbe-
gelten haben. Auch eine Gemeinwirtschaft, wenn wegung praktisch tätig sind.
sie nicht zur Ertraglosigkeit verurteilt sein wollte,
würde sich zu diesen Prinzipien des echten Wett- (Lebhafter Beifall bei der CDU.)
bewerbs untereinander zu bekennen haben. Deshalb können Sie, meine Herren von der Oppo-
(Sehr richtig! bei der CDU.) sition, in dieser Frage völlig unbesorgt sein.
92 Deutscher Bundestag — 7. Sitzung. Bonn, Freitag, den 23. September 1949
(Blank)
Die Regierungserklärung, betone ich noch einmal, Herr Dr. Schumacher bemängelte, daß die Re-
deckt sich hier mit einer der Forderungen der Ge- gierungserklärung das Wort ,,Arbeiter" nicht einmal
werkschaften. Ich weiß, daß alle bisherigen Ver- erwähnt habe. Ich darf darauf aufmerksam
suche zur Lösung dieser Fragen durch Länder- machen, daß auf Seite 11 der Regierungserklärung
gesetzgebung von den Militärregierungen nicht an- gleich zweimal von Arbeitnehmern die Rede ist.
erkannt wurden. Wir sind von den Militärregie- Aber darüber twill ich gar nicht streiten. Viel
rungen darauf hingewiesen worden, daß diese Fra- entscheidender als die Frage, ob das Wort „Arbeiter"
gen durch das deutsche Volk zu entscheiden seien, in der Regierungserklärung steht, ist für uns, daß
wenn es eine Regierung habe. Dieser Zeitpunkt ist auf der Regierungsbank einer der markantesten
gekommen. Wir kennen unsere Aufgabe. Und so Vertreter der christlichen Arbeiterbewegung, der
klar, wie die Regierungserklärung sich hierzu aus- auch in der heutigen Gewerkschaftsbewegung etwas
spricht, so klar, wie wir es in unserem Ahlener gilt, sitzt.
Programm und in den Düsseldorfer Leitsätzen nie-
dergelegt haben, so klar werden wir in diesem (Bravo! in der Mitte.)
Parlament für die Lösung dieser Fragen eintreten. Er ist der Garant unseres sozialpolitischen Wollens!
(Zuruf des Abg. Rische.) (Lebhafter Beifall bei der CDU.)
Eins aber möchte ich von vornherein sagen: Über- Und, meine Damen und Herren, es sitzt ja auch
führung in Gemeineigentum — ich übernehme es noch ein zweiter Mann auf der Regierungsbank,
wörtlich, wie es hier in den Forderungen der Ge- dessen Ansehen in der Arbeiterbewegung sicherlich
werkschaften steht — kann für uns nie und nimmer mehr als groß ist, einer der Männer, der zusammen
Verstaatlichung bedeuten. mit dem Freunde Leuschner von der anderen Seite
(Bravorufe in der Mitte und rechts.) die Seele des Widerstandes der gewerkschaftlich
organisierten Arbeiterschaft war.
Wir kennen die Gefahren. Wir wünschen nicht
einen „geliebten Führer", einen Einheitsstaat, ein (Erneuter lebhafter Beifall bei der CDU.)
Einheitsgesicht, eine Einheits-Übererfüllung der Zwei solche Männer auf der Regierungsbank sind
Übernormen. Wir wünschen vielmehr nach dem Ge- uns mehr als zwanzigfache Erwähnung der Arbeiter
setz, nach welchem die Arbeitnehmer angetreten in der knappen Regierungserklärung.
sind, daß dem Menschen seine persönliche Freiheit (Erneute Zustimmung bei der CDU.)
erhalten bleibt und er nicht zum Sklaven eines Meine Damen und Herren, die Regierung ist auch
totalitären Staates wird. willens zu einer loyalen Zusammenarbeit mit den
(Lebhafter Beifall in der Mitte und rechts.) Gewerkschaften, und dafür haben wir schon einen
Meine Damen und Herren, es wird sehr viel über Beweis. Gestern hat der Herr Bundeskanzler an
diese Materie zu sagen sein. Wir werden die Vor- den Vorsitzenden des Deutschen Gewerkschafts-
lagen, die wir demnächst bekommen, sehr ernst zu bundes, Herrn Dr. Böckler, einen Brief gerichtet
prüfen haben. und ihm mitgeteilt, daß Maßnahmen, die in Ver-
(Abg. Rische: Zehn Jahre wird man reden!) folg der Pfundabwertung erforderlich sein würden,
Wir werden mit aller gebotenen Überlegung an mit den Gewerkschaften besprochen werden würden
diese Frage herangehen. Wir lehnen es ab, sinnlose und daß er in Kürze einen Besuch von Herrn Dr.
Experimente zu machen; denn wir wollen in Wirk- Böckler und noch einigen Herren der Gewerk-
lichkeit dem Menschen, der Arbeiterschaft dienen. schaften erwarte, um mit ihnen über die Dinge zu
beraten.
(Abg. Rische: Nur darüber reden!)
(Beifall bei der CDU. - Zuruf von der KPD:
Nur noch eins! Die Gewerkschaften haben For-
Nein, um stillzuhalten!)
derungen zur Regelung der Rechtsbeziehungen im
Arbeitsleben und in der Sozialversicherung aufge- Ich glaube nicht, daß Herr Dr. Böckler ein Mann
stellt. Da freut es mich, darauf hinweisen zu kön- ist, der sich zum Stillhalten eignet.
nen, daß auch die Regierungserklärung sagt: „Die Meine Damen und Herren, ich glaube, hierzu
Rechtsbeziehungen zwischen Arbeitnehmern und noch einiges sagen zu müssen. Wenn die Regierung
Arbeitgebern müssen zeitgemäß geordnet werden, bereit ist, loyal mit den Gewerkschaften zusammen-
und die Selbstverwaltung der Sozialpartner muß zuarbeiten, dann soll aber niemand auf den ab-
an die Stelle der staatlichen Bevormundung treten." wegigen Gedanken kommen, es bestünde auch nur
Ohne das gesamte Gebiet des Arbeitsrechts, das im entferntesten die Möglichkeit, nach volksdemo-
einer Lösung harrt, hier in dieser kurzen Rede kratischem Muster außerparlamentarische Organi-
in allen Einzelheiten darlegen zu wollen, kann ich sationen im parlamentarischen Leben einsetzen zu
Ihnen sagen, daß wir auch hier im Grundsätzlichen können.
mit dem übereinstimmen, was die Arbeitnehmer- (Lebhafter Beifall in der Mitte. —
schaft auf diesem Gebiete als ihre berechtigten Abg. Rische: Das sagt ein Gewerkschaftler!)
Forderungen erhebt. Das sagt ein Gewerkschaftler deshalb, weil er sich
Auf allen Gebieten des Arbeitsrechts und der über die unterschiedlichen Aufgaben der Gewerk-
Sozialpolitik besteht seit jeher eine große Zersplit- schaften und der politischen Parteien völlig klar
terung des Rechts. Unterschiedliche Regelungen ist!
wichtiger arbeitsrechtlicher und sozialpolitischer (Erneute lebhafte Zustimmung in der
Angelegenheiten in den Ländern haben zur wei- Mitte und rechts.)
teren Zersplitterung und Uneinheitlichkeit der
Rechtsvorschriften geführt. Die Gewerkschaften Anders als in früheren Zeiten stehen die Sozial-
fordern daher ein einheitliches und fortschritt- probleme vor uns. Es ist aber Tatsache, daß gegen-
liches Arbeitsrecht für alle Arbeitnehmer. Diese wärtig nicht mehr die Arbeiterschaft die am
Forderung, meine Damen und Herren, wird — tiefsten stehende soziale Schicht darstellt, sondern
davon bin ich fest überzeugt - in diesem Hause, das Riesenheer der Flüchtlinge die tiefste Elends-
durch die Damen und Herren dieses Parlaments schicht bildet. Deshalb, meine Damen und Herren,
ihre Erfüllung finden. stellt die Regierungserklärung an die Spitze der
dringenden Bundesaufgaben die Lösung der Flücht-
(Zustimmung in der Mitte.) lingsfrage und der Wohnungsfrage, und deshalb
Davon dürfen Sie überzeugt sein! haben zwei Ministerien in diesem Kabinett die
Deutscher Bundestag — 7. Sitzung. Bonn, Freitag, den 23. September 1949 93
(Blank)
Aufgabe, diese Fragen einer Lösung entgegen- sachlich bei der Arbeit beobachten. Ich glaube
zuführen. aber, daß es keine Ursache hat, an unserem guten
Lassen Sie mich aber, da über diese Dinge Be- Willen zu zweifeln. Gott gebe, daß wir ihm bald
rufenere als ich aus den Kreisen der Flüchtlinge bessere Verhältnisse herbeiführen können!
selber sprechen werden, noch einiges Wenige (Lebhafter Beifall in der Mitte und rechts.)
zur Sozialversicherung sagen. Ich weiß, meine
Damen und Herren, daß der gegenwärtige Zustand Präsident Dr. Köhler: Meine Damen und Herren!
der Sozialversicherung dringend Reformen not- Ehe ich dem zweiten Redner der CDU/CSU-
wendig macht. Ich weiß, daß hier eine umfang- Fraktion das Wort erteile, darf ich noch darauf
reiche Gesetzgebung auf uns wartet. Lassen Sie hinweisen, daß für die Fraktion insgesamt nur noch
mich noch einige wenige Grundprinzipien dar- 25 Minuten Redezeit zur Verfügung stehen.
stellen. Wir verlangen in allen Sozialversicherungs-
zweigen Wiederherstellung des Versicherungs- Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Laforet.
prinzips; denn wir wollen, daß der Renten-
empfänger kein Wohlfahrtspflegling ist, sondern Dr. Laforet (CSU): Meine Damen und Herren!
eine Rente bezieht, auf die er einen selbst er- Im Auftrag meiner näheren bayrischen Freunde
worbenen Rechtsanspruch hat. habe ich kurz grundsätzliche Stellung zu nehmen.
(Lebhafter Beifall in der Mitte und rechts.) Der Herr Vertreter der Bayernpartei hat erklärt,
daß die Bayernpartei die Hüterin des bayrischen
Wir wollen weg von der staatlichen Einfluß- Staatsgefüges sei. Im Namen meiner politischen
nahme auf diese Dinge. Wir wünschen, die An- Freunde der CSU lege ich gegen diesen Satz aufs
gelegenheit der Sozialversicherung mehr und mehr entschiedenste Verwahrung ein.
in die Hände der Sozialpartner zu legen. Dort (Bravo! bei der CSU.)
nämlich, wo sich die beiden um den Ertrag der Die Herren der Bayernpartei haben in ihren Über
Wirtschaft mühen, haben sie beide auch die Vor- treibungen, in ihrer Maßlosigkeit Bayern ebenso
aussetzung dafür zu schaffen, daß der Arbeit- geschadet wie die Zentralisten in Berlin und Bonn.
nehmer später seine erdiente Rente bekommen
kann. (Rufe in der Mitte und rechts: Sehr gut! Aus
(Sehr gut! in der Mitte.) gezeichnet! — Zuruf von der BP: Lesen Sie
Artikel 178 der bayerischen Verfassung, Herr
Meine Damen und Herren, wir wünschen keine Abgeordneter!)
Mammutgebilde, sondern Versicherungsträger in
Gliederungen, die den Versicherten eine lebendige Wir vertreten Bayern mit der gleichen Liebe zur
Verbundenheit und Mitwirkungsmöglichkeiten engeren Heimat wie die Herren der Bayernpartei.
lassen. In der Krankenversicherung werden wir (Zuruf von der BP: Das haben wir gesehen!)
Gesundes zu erhalten wissen. In der Rentenver- Wir - singen in Bayern „Gott mit dir, du Land der
sicherung der Arbeiter werden wir die Rechts- Bayern, deutsche Erde, Vaterland!" Auch unsere
angleichung an den Stand der Angestelltenver- bayrische Erde ist deutsche Erde.
sicherung herbeizuführen wissen. Wir werden die (Lebhafter Beifall in der Mitte.)
Rentenversicherung der Angestellten — weil wir
Gleichheit nicht im Eintopf sehen — zu erhalten Wir sind Glieder in der Gesamtheit des deutschen
wissen. Volkes.
(Sehr gut! in der Mitte.) Wir haben als Mitglieder der CSU beim Bonner
Grundgesetz mit aller Gründlichkeit mitgearbeitet.
Wir werden in der Unfallversicherung auch die
Mitwirkung der Arbeitnehmer sichern; denn wir (Zuruf: Das kann man sagen!)
wünschen deren Heranführung an die Verant- Die Gestaltung des Grundgesetzes in den letzten
wortung auch in diesem wichtigen Punkt. Und in Wochen seiner Abfassung hat es uns unmöglich ge-
der Arbeitslosenversicherung werden wir baldigst macht, dem Grundgesetz in der zuletzt gegebenen
die Selbstverwaltung wiederherzustellen haben. Fassung zuzustimmen. Wir haben erhebliche Er-
Grundsatz aber bleibt bei uns, das Vermögen der innerungen gegen kulturpolitische und wirtschafts-
Versicherungsträger vor Zugriffen eines geld- politische Bestimmungen. Vor allem war nach
gierigen Staates sicherzustellen, unserer Überzeugung das Gleichgewicht . zwischen
(Beifall in der Mitte) Bund und Ländern wesentlich gestört. In einer
Reihe von Bestimmungen sind Ansätze dafür ge-
aber Ersatz der Vermögen, die der Staat im geben und Wege möglich gemacht, die Eigen-
wahrsten Sinne des Wortes verpulvert hat. staatlichkeit der Länder zu untergraben und den
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich meine Deutschen Bund wieder in die Staatsform eines
Ausführungen über die Sozialversicherung mit Einheitsstaats überzuleiten, der uns in den Ab-
diesen knappen Worten beenden. Wir haben in grund gebracht hat.
der Regierungserklärung gesagt, daß wir willens (Bravo! Bravo! bei der BP. — Abg. Dr. Seelos:
sind, so sozial wie möglich in diesem Bundestag zu Genau das habe ich gesagt!)
wirken. Und wenn ich die Männer und Frauen
hier vor mir sitzen sehe, sowohl in den Regierungs- Wir haben aber im Parlamentarischen Rat am
parteien als auch auf der Seite der Opposition, und 8.Mai194nderglchEkäu,inderw
an die vielen denke, die mit uns gemeinsam in den unsere Ablehnung bekunden mußten, klar gesagt,
Organisationen stehen, die außerhalb des Parla- daß wir uns auch in dieser Stunde dem deutschen
ments die Rechte der Arbeitnehmer wahrnehmen, Volk aufs tiefste verpflichtet fühlen.
dann bin ich mir darüber klar, daß wir hier eine (Abg. Dr. Seelos: Auch das haben wir betont!)
einmalige Gelegenheit haben, eine echte Sozial-
Und der gleiche Gedanke kam in der Erklärung der
politik zu betreiben, eine Sozialpolitik, die nur Bayrischen Staatsregierung und im Beschluß des
deshalb möglich ist, weil durch eine vernünftige
Wirtschaftspolitik die Wirtschaft auch wieder Er- Bayrischen Landtags vom 19. Mai 1949 zum Aus-
träge abwirft. Dieser Verpflichtung werden wir uns druck, als erklärt wurde, daß wir das Grundgesetz
bewußt sein und in diesem Sinn unsere Arbeit auch für Bayern als verbindlich anerkennen
leisten. Das deutsche Volk wird uns nüchtern und (Bravo! in der Mitte)
94 Deutscher Bundestag — 7. Sitzung. Bonn, Freitag, den 23. September 1949
(Dr. Laforet)
und daß wir bereit sind, in der Ausgestaltung des und jedes, für jede kleinste Frage der Innenpolitik,
Grundgebäudes zur Wiedererlangung der deut- für die man uns nun die Selbstregierung zuge-
schen Einheit mit allem Bemühen mitzuarbeiten. standen hat. Innenpolitik treiben, ohne den Blick
Wir können den föderalistischen Staatsgedanken nach außen zu richten, hieße ja wahrlich Politik
nur dann in die Tat umsetzen, wenn in gegen- im luftleeren Raum betreiben und unsere ganze
seitigem Vertrauen die Lebensgrundlagen des Arbeit aus dem Rahmen herausnehmen, in den sie
deutschen Volkes gemeinsam geschaffen werden. nun einmal durch die Umstände unabänderlich hin-
Nur dann ist auch das Gedeihen eines selbständigen eingestellt ist. Gerade das Besatzungsstatut, das
staatlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Le- uns die Selbständigkeit außenpolitischer Entschei-
bens der Gliedstaaten gewährleistet. Aus dieser Er- dung noch vorenthält, ist ja selbst der beste Be-
kenntnis ist in gegenseitigem Vertrauen und aus weis dafür, wie eng unsere inneren Dinge mit dem
der gemeinsamen weltanschaulichen Zielsetzung Ausland und mit seinen Organen in. Deutschland
heraus die Gemeinschaft der CDU/CSU gegründet heute verflochten und verwachsen sind, fast bis in
worden. jede Einzelfrage der Wirtschafts-, Finanz- oder
(Bravo!) sonstigen Politik hinein. Wirtschaftspolitik kann
Der Herr Bundeskanzler Dr. Konrad Adenauer man heute in Deutschland schon gar nicht treiben,
hat in seiner Regierungserklärung, wie er aus- ohne fortgesetzt und ständig den Blick nach dem
führte, den ernsten Willen bekundet, den föde- Auslande zu richten. Darüber hinaus wissen wir
rativen Charakter des Grundgesetzes sicherzu- aber auch alle, und auch die Welt weiß es, daß es
stellen und die Rechte der Länder zu wahren. Wir für die ganze Zukunft von schlechthin entscheiden-
haben das volle Vertrauen, daß das Kabinett des der Bedeutung ist, wie das deutsche Volk sich in
Herrn Kanzlers dahin wirken wird, das Grund- den großen Fragen, die heute die Welt bewegen,
gesetz so auszulegen und so auszubauen, daß dem entscheiden wird. Und darüber müssen wir uns,
Bunde gegeben wird, was in einer denkbar ernsten glaube ich, auch klar sein: Die Gleisstellung wird
und schweren Zeit zur Erhaltung der deutschen doch schon heute vorgenommen, und auch das Aus-
Rechtseinheit und Wirtschaftseinheit unerläßlich land nimmt — wir haben es ja gesehen — heute
ist, daß aber die deutschen Gliedstaaten auf allen bereits zu unseren Wünschen und Bestrebungen
anderen Gebieten die rechtliche Befugnis und die wesentlich mit nach Maßgabe dessen Stellung, was
finanzielle Macht haben, nach ihrer geschicht- es heute und jetzt aus Deutschland hört. Da die
lichen Entwicklung vor allem ihre Kulturaufgaben Dinge nun einmal so liegen, können wir uns gar
zu erfüllen nach den Forderungen ihres Staatsvolks nicht darauf beschränken, hier nur von innen-
und der Entscheidung ihrer Staatsorgane. Wir politischen Problemen, vom Wohnungsbau, von der
wollen lebenskräftige Gliedstaaten in einem freien sozialen Frage und dergleichen mehr zu sprechen,
deutschen Bundesstaat, und in diesem Sinne geben sondern wir müssen auch zu den großen welt-
wir dem Kanzler Adenauer und seinem Kabinett weiten Gegenwartsfragen Farbe bekennen, in die
unser Vertrauen. wir hineingestellt sind.
(Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU.) Daß es dabei nicht damit getan ist, Ziele und
Wünsche zu proklamieren, die wir für die Zukunft
Präsident Dr. Köhler: Als nächster Redner hat der hegen, weiß jeder von uns. Durch die unheilvolle
Herr Abgeordnete Dr. Henle das Wort. Politik Hitlers und ihre schließliche Katastrophe im
Jahre 1945 ist Deutschland auf einen Tiefpunkt her-
Dr. Henle (CDU): Meine Damen und Herren! abgesunken, ja in einen Abgrund geraten, aus dem
Lassen Sie mich — gewissermaßen im Wege der uns nur mühsame Arbeit Schritt für Schritt wieder
Arbeitsteilung mit den Herren Vorrednern — den herausführen kann. Aus eigenen Kräften wäre es
politischen sowie wirtschafts- und sozialpolitischen uns vielleicht nie gelungen, den Weg nach oben
Darlegungen, die Sie soeben gehört haben, einige wieder zu finden, und so müssen wir dankbar sein,
Bemerkungen zu den Fragen hinzufügen, die das bereits da zu stehen, wo wir heute sind, und bei
Verhältnis unserer jungen Bundesrepublik zu den der Umschau nach weiteren Möglichkeiten zur
Besatzungsmächten und der übrigen Welt draußen Fortsetzung unseres Weges große Vorsicht walten
betreffen. lassen.
Sobald wir von diesen Dingen reden, begeben wir Gewiß, das Besatzungsstatut zieht unserem ei-
uns auf ein Terrain, auf dem es mehr als bei allen genen Wirken noch viele Grenzen. Und doch stellt
anderen Fragengebieten darauf ankommt, das es einen erheblichen Fortschritt dar, um so mehr,
Einigende herauszustellen oder doch jedenfalls jede als es die bekannte Revisionsklausel enthält, die
unfruchtbare Polemik zu vermeiden. So lassen Sie uns ein weiteres Fortschreiten auf dem Weg er-
mich denn auch auf solche Auseinandersetzungen hoffen läßt, der uns wieder als voll gleichberech-
mit den in der bisherigen Debatte zum Ausdruck tigtes Volk in die Familie der freien Völker dieser
gekommenen unterschiedlichen Auffassungen im Erde zurückführen soll. Wie segensreich wäre es
wesentlichen verzichten und meine Darlegungen doch für die ganze Welt gewesen, hätte sich eine
vielmehr vor allem darauf beschränken, wie wir Revisionsklausel seinerzeit auch im Versailler Ver-
die hier zur Erörterung stehenden Dinge sehen. trag von 1919 befunden!
Es handelt sich dabei um Fragen, bei deren Er- (Sehr richtig! bei der CDU.)
örterung wir uns durchaus dessen bewußt sind, Diesmal können wir die Hoffnung und den Willen
daß die eigentliche Außenpolitik zu den Materien haben, unseren Weg nicht gegen eine Welt zu
gehört, in denen unserer jungen Bundesrepublik suchen, sondern m i t einer Welt, die uns hilfreich
die volle Bewegungsfreiheit vorerst noch versagt die Hand bietet. Solch hilfreiche Handbietung er-
bleibt. Auch die Pflege eigener amtlicher Be- hoffen wir vor allem von der Zusammenarbeit
ziehungen zum Ausland ist uns noch nicht zuge- zwischen der Bundesregierung und den Hohen
standen worden. Dennoch stellt der Komplex der Kommissaren der Besatzungsmächte. Daß sie sich
Fragen unseres Verhältnisses zur Welt draußen ein ersprießlich und vertrauensvoll gestalten möge, ist
Thema dar, dessen Prüfung und Durchsprache wir unser aller lebhaftester Wunsch.
uns gar nicht entziehen können. Denn dieses Ver- Ein Gutes haben diese Fragen unseres Verhält-
hältnis ist letztlich eben mit bestimmend für alles nisses zur Welt draußen jedenfalls vor allen son-
Deutscher Bundestag — 7. Sitzung. Bonn, Freitag, den 23. September 1949 95
(Dr. Henle)
stigen Fragen voraus, die uns hier in diesem Hause liegen und ob und wann er zweckmäßig vor-
beschäftigen werden, nämlich daß wir uns über sie gebracht wird. Hier dieses Haus aber ist das Fo-
in den wesentlichen Punkten ja nahezu alle einig rum, in dem gerade auch von uns Abgeordneten
sind. Einig sind wir uns, daß die Wiedergewinnung unterstrichen werden sollte, daß es auf unserer
der deutschen Einheit für uns alle oberstes Ziel Seite nicht im geringsten an dem Wunsche nach
deutscher Politik bleibt, einig, daß die Oder-Neiße-ehrlicher und enger Zusammenarbeit mit den
Linie als Ostgrenze für uns indiskutabel und unan- zwölf im Europa-Rat vereinigten Ländern fehlt,
nehmbar ist. daß wir im Gegenteil zu solch enger und ver-
(Sehr richtig! in der Mitte.) trauensvoller Zusammenarbeit bereit sind und uns
Einig ist sich die erdrückende Mehrheit dieses ihr bestimmt da nicht entziehen werden, wo man
Hauses, daß wir — wie das Ergebnis der Bundes- uns die Möglichkeit dazu bietet.
tagswahl aller Welt klar gezeigt hat — unsere Zu- (Sehr richtig! in der Mitte.)
kunft vor allem an der Seite der Welt des Westens Der Europa-Rat ist noch ein recht bescheidener
suchen wollen, daß heißt einer Welt, die die Freiheit Anfang. Das hat die Straßburger Tagung deutlich
des einzelnen und die Gerechtigkeit für alle Völker, gezeigt. Unser Grundgesetz ist jedenfalls dafür
große und kleine, auf ihre Fahnen geschrieben hat. Zeuge — das möchte ich auch meinerseits noch-
Was uns eint, ist auch der Glaube daran, daß die mals betonen —, daß wir bereit sind, den Weg, der
Welt des Westens uns letztlich verstehen wird' und sich in Straßburg als eine Zukunftsmöglichkeit ab
daß damit dann die Mißverständnisse verschwinden gezeichnet hat, auch wirklich zu gehen, das heißt
werden, die heute noch vielfach bestehen, weil man eigenstaatliche Rechte dem Gesamtinteresse Eu-
vielerorts bei uns nur einen übersteigerten Natio- ropas zu opfern.
nalismus sehen will, während wir doch wirklich (Sehr gut! in der Mitte.)
alles und jedes nur vom friedlichen Zusammen-
wirken der Völker erhoffen und jedem Gedanken Von einer engen Zusammenarbeit in einer Eu-
an Gewa l t l ösun g en durch unsagbar schwere Er- ropäischen Union erhoffen wir vor allem die end
fahrung belehrt, wahrlich entsagt haben. liche Ersetzung des alten Interessengege n satzes
zwischen uns und unseren westlichen Nachbarn
(Sehr richtig! in der Mitte.) durch die Herstellung einer weitgehenden Inter-
Diese unsere positive Haltung zur Welt des essengemeinschaft. Hierzu gab es ja schon immer
Westens, der wir uns zugehörig fühlen, bedeutet soviele natürliche Voraussetzungen wirtschaftlicher
natürlich nicht, daß wir nicht auch mit dem Osten und sonstiger Art. Sie müssten aber in unserer
irk Frieden und Freundschaft leben wollen. Nichts Generation endlich fruchtbar gemacht werden,
kann uns, glaube ich, erwünschter sein, als daß es wollen wir uns nicht mitschuldig machen am Ver-
auch in dieser Richtung der Welt gelingen möge, zu säumen
- einer bedeutsamen geschichtlichen Stunde.
Lösungen zu kommen, die die noch bestehenden Freilich wird diese Interessengemeinschaft nur
Gegensätze und Spannungen überbrücken und in den dann sich auswirken können, wenn beide Seiten
Hintergrund treten lassen. Daß das immerhin mög- dazu Opfer zu bringen bereit sind, vor allem das
lich ist, hat ja schließlich die Vergangenheit ge- Opfer der endlichen Überwindung des Mißtrauens
zeigt, und wir wehren uns gegen jeden grundsätz- in die Absichten des anderen, dieser alten Erb-
lichen Pessimismus in dieser Hinsicht. Die Fragen, sünde aller Politik, die so viel Schuld daran trägt,
die dabei für uns auf dem Spiele stehen, nämlich daß frühere Anläufe zur Behebung des deutsch-
die Wiederherstellung der deutschen Einheit und, französischen Gegensatzes zum Scheitern verurteilt
schon heute, das Schicksal und Ergehen unserer blieben. Der erfolgversprechendste dieser Anläufe
Brüder und Schwestern in der russischen Zone, war wohl in den 20er Jahren die Politik Gustav
sind viel zu wichtig und bedeutsam, als daß eine Stresemanns und Aristide Briands. Sie scheiterte,
pessimistische Resignation - denn auf etwas an- wie ja so oft großes Wollen wiederholten Anlaufs
deres würde es ja nicht hinauslaufen - für uns bedarf und nicht immer gleich beim ersten Wurf
denkbar wäre. Es ist selbstverständlich, daß wir gelingt. Das soll uns deshalb nur zu neuem Ver-
den Berlinern nach Kräften helfen werden; doch da- suche anspornen. Blinde Vertrauensseligkeit kön-
hinter steht das noch größere Problem des ge- nen wir natürlich von niemandem erwarten, und
samten Ostdeutschlands. Wir geben uns vor allem wir denken auch selbst nicht daran, uns ihr zu
davon Rechenschaft, daß dieses Problem besonders verschreiben. Übertriebenes Mißtrauen ist aber
schwer belastet ist mit der unglückseligen Forde- der Totengräber jeden Fortschritts, auch wenn
rung nach der Oder-Neiße-Linie. Darüber, wie in man sich dabei noch so sehr auf die halbe Welt-
dieser Hinsicht die rechtliche und internationale geschichte glaubt berufen zu können.
Lage und der deutsche Standpunkt dazu be- (Sehr richtig! in der Mitte.)
schaffen sind, hat der Herr Bundeskanzler hier so
eindeutige Ausführungen gemacht, daß ich dem Lebhaft teilen wir den Wunsch des Herrn Bun-
nichts hinzuzufügen brauche. deskanzlers, daß sich nicht etwa die Saarfrage als
Ich komme nun zu den weiteren Fragen, vor die ein neuer Zankapfel zwischen Deutschland und
sich die Bundesregierung schon heute gestellt Frankreich schieben möge. Die Bundesregierung
sieht und in denen sie gewiß sein muß, daß die wird, so hoffe ich, Mittel und Wege finden, darauf
Mehrheit dieses Hauses hinter ihr steht Das ist hinzuwirken, daß das vermieden wird. Was ge-
einmal das Problem der deutschen Haltung zum fährlich ist, sind nur überstürzte Festlegungen und
Gedanken der Europäischen Union und im beson- Entscheidungen. Gelingt es, die große Interessen-
deren zur Frage des deutschen Beitritts zum gemeinschaft zu verwirklichen, von der ich sprach
Europa-Rat. In dieser Frage hat man uns jetzt in und die wir erhoffen, so beheben sich viele Dinge
Straßburg das Wort ja geradezu zugeschoben. Man von selbst. Bis dahin sollte manches ein Provi-
hat gesagt, es sei unsere Sache, gegebenenfalls un- sorium bleiben.
seren Beitrittswunsch zur Kenntnis des Minister- Nicht anders steht es auch mit der Ruhrkontrolle.
komitees der zwölf Regierungen zu bringen. Es WirlehndRuböichtvonre
wird Aufgabe der Bundesregierung sein, zu ent- ab, und wir sind bereit, in ihr mitzuarbeiten, freilich
scheiden, ob die Voraussetzungen zur formellen in der Erwartung und Voraussetzung, daß sie sich
Anhängigmachung eines solchen Wunsches vor- dann auch wirklich als ein Auftakt zu größerer
96 Deutscher Bundestag — 7. Sitzung. Bonn, Freitag, den 23. September 1949
(Dr. Heide)
Zusammenarbeit in einem breiteren Rahmen er- gerüsteten Lande, und zu wenig von der Sicher
weist, wie das von seiten der fremden Mächte ja heit für uns,
auch bei ihrer Begründung ausdrücklich als anzu- (Sehr gut! bei der CDU)
strebendes Ziel bezeichnet worden ist.
die wir doch die höchstgerüstete Macht des Erd-
(Sehr gut! bei der CDU.) balls im eigenen Lande stehen haben. Bei all den
Was im besonderen unser Verhältnis zum bri- Erörterungen von Sicherheitsfragen spricht ira
tischen Volk anlangt, so wünschen wir, glaube ich, Auslande meist die unheilvolle Verstricktheit in
alle, daß es sich denkbar freundschaftlich gestalten Auffassungen der Vergangenheit mit, von der sich
möge. Wir bedauern es sehr, daß in letzter Zeit Nationen, die nicht einen solch furchtbaren Zu-
besonders die leidige Demontagefrage, die ja ge- sammenbruch wie wir erlebt haben, ja wohl auch
radezu zu einem neuralgischen Punkt unserer Be- schwerer lösen können. Und doch scheint es mir
ziehungen zu den Besatzungsmächten geworden ist, dringend wünschenswert, daß man sich überall
darauf so etwas wie einen Schatten geworfen hat. Rechenschaft geben möge von dem völligen Wandel
Wenn man uns dieser Frage wegen in England der politischen Bühne, der sich in Europa voll-
vielfach eines Nationalismus schlimmster Sorte be- zogen hat und der ein Weiterfahren in den alten
zichtigte, so hat man dabei, glaube ich, doch über- Gleisen nationaler Rivalität als ebenso anachro-
sehen, daß es sich bei aller Behandlung dieses nistisch erscheinen lassen müßte, wie es einst der
Themas aus deutschem Munde letztlich um nichts Fortgang der Kämpfe zwischen den hellenischen
anderes handelt als eine Flucht in die Öffentlich- Staaten oder auch der zwischen den italienischen
keit, und zwar in die Weltöffentlichkeit, einfach Stadtstaaten des Mittelalters war, als ihr Schicksal
deshalb, weil man -auf der Gegenseite jede weitere schon längst von Mächten weit größeren Aus-
Erörterung dieses Themas kategorisch verweigerte. maßes überschattet wurde.
(Sehr gut! bei der CDU.) Gewiß, die Vergangenheit hält uns noch mit
Eine der wichtigsten Seiten der Demontagefrage tausend Fäden fest. Noch leben wir heute, über
ist und wird immer die psychologisch-politische vier Jahre nach Einstellung der Feindseligkeiten,
sein. Wiederaufbau und Abbruch zugleich sind nun im Kriegszustand m it den Kriegsgegnern Hitler
einmal Gegensätze, die sich nicht zusammenreimen, Deutschlands, ein eigentlich widersinniger Zustand
gerade in Anbetracht all dessen, was inzwischen
(erneute lebhafte Zustimmung bei der CDU) von seiten der Westmächte zur Wiederaufrichtung
und wer den Abbruch vor Augen hat, wird zwangs- der deutschen Wirtschaft und des deutschen
läufig in seinem Glauben an die Aufrichtigkeit Staatswesens geschehen ist. Mit seinem Dank für
des Strebens nach Wiederaufbau irre. die uns vielfach gewährte ausländische Hilfe hat
(Sehr richtig! bei der CDU.) der Herr Bundeskanzler, so glaube ich, uns allen
- aus dem Herzen gesprochen. Es ist in der Tat etwas
Und wie groß auch immer die Zahl der zusätz- Großes, was besonders von den Vereinigten Staaten
lichen Arbeitslosigkeit sein mag, die die Demontage hier geleistet worden ist, deren Regierung mit dem
nach sich ziehen würde, ein Land, das schon an großzügigen Hilfsprogramm des Marshallplanes die
1 1 /4 Millionen Arbeitslose zählt, muß in diesem ganze westeuropäische Wirtschaft überhaupt erst
Punkte überaus empfindlich sein. wieder flott gemacht und damit der Lethargie ent-
(Erneute lebhafte Zustimmung bei der CDU.) rissen hat, unsere eigene Wirtschaft mit ein-
Wir sind nun einmal ein Volk, das mitten in dem begriffen. Doch noch leidet diese unsere Wirt-
Ringen um seine Lebensgrundlage steht. Und schaft an dem heutigen Zwischenzustand zwischen
diese Lebensgrundlage heißt und kann nicht an- Krieg und Frieden, in dem wir leben. Ich meine,
ders heißen als Produktion und Wirtschaft. Daher es müßte sich doch wohl die juristische Formel
und nur daher die heftige Reaktion in Deutsch- finden lassen, aus diesem no ch unbefriedigenden
land gegen die Beseitigung von Produktions- Bild wenigstens das Wort „Kriegszustand" auszu-
stätten, die für die Friedenswirtschaft von Nutzen merzen mit allen seinen bedenklichen Folgen für
sein können. Wenn deshalb der Herr Bundes- die Rechtslage und auch für unsere wirtschaftliche
kanzler sagte, wir würden uns freuen, wenn es zu Betätigung in der Welt draußen, auf die wir an-
einer Nachprüfung dieses Problems käme, so gibt gewiesen sind.
es sicher keinen Deutschen, der diese Freude nicht (Sehr gut! bei der CDU.)
aus vollem Herzen teilen würde. Das gilt besonders
natürlich auch von der Bevölkerung an Ruhr und Wir hoffen, daß vor allem unser Außenhandel
Rhein, als deren Wortführer ich hier mit sprechen sich bald wieder wirklich frei in der Welt wird be-
darf. wegen können; denn das ist ein unbedingtes Er-
Und nun ein kurzes Wort zu der Frage der fordernis, sollen wir nicht auf allen Märkten von
Sicherheit, die bei der Ruhrkontrolle und den De- vornherein benachteiligt sein. Dazu gehört wesent
montagen ja so stark mit im Spiele steht. Ich sagte lich auch die Wiederöffnung unserer Grenzen. Wir
im Frankfurter Wirtschaftsrat schon einmal, die müssen heraus aus dieser Art Isolierung, in der
entscheidende Sicherheitsgarantie für die gesamte sich Deutschland im großen gesehen ja immer noch
westliche Welt liege nicht in Demontagen und ähn- befindet, heraus in die Weite der Welt, und zwar
lichen Maßnahmen, sondern im Gewinn der Seele nicht nur aus wirtschaftlichen Gründen, sondern
des deutschen Volkes für die Ideale des Westens. auch um sozusagen geistig den Anschluß an unsere
Mitwelt nicht zu versäumen und mit Scheuklappen
(Sehr richtig! bei der CDU.) herumzulaufen, wo es doch so not tut, daß wir den
In den Bundestagswahlen hat sich das deutsche Weg der Friedensarbeit auch geistig zusammen mit
Volk nun in erdrückender Mehrheit zu diesen den anderen Ländern gehen. Das gilt besonders
Idealen bekannt, und unsere ganze Aufgabe hier auch von unserer Jugend, deren Blick sich wieder
richtet sich darauf, den Glauben daran in ihm zu weiten muß, weshalb zum Beispiel jeder Studenten-
festigen. t und Schüleraustausch die wärmste Förderung
Aber es gibt noch eine andere Seite der durch die Bundesregierung erfahren sollte.
Sicherheitsfrage. Ich glaube wirklich, die Welt Vielleicht ist es nicht zu optimistisch, dem Ge-
redet etwas zu viel von der Sicherheit vor uns, danken Ausdruck zu geben, daß man die Möglich-
das heißt vor einem restlos entwaffneten und ab- keit der Erteilung von Aus- und Einreisegenehmi-
Deutscher Bundestag — 7. Sitzung. Bonn, Freitag, den 23. September 1949 97
(Dr. Henle)
gungen doch bald in die Hand deutscher Behörden der parlamentarischen Demokratie und im Inter-
legen möge, esse der jungen deutschen Bundesrepublik durch
(Sehr gut! bei der CDU) unser Verhalten keinen Zweifel darüber auf-
wobei ja das Ausland durch die Erteilung Seiner kommen lassen, daß Freiheit und Demokratie nicht
Sichtvermerke immer noch eingeschaltet bleibt. Der gleichzusetzen sind mit Zügellosigkeit.
britische Außenminister hat, wenn ich nicht irre. (Sehr gut! bei der SPD.)
vor längerer Zeit einmal geäußert, er betrachte es Eine weitere Bemerkung. Wir haben gestern in
als ein Ziel einer gesunden Außenpolitik, wenn diesem Hause so eine Art „spontaner Aktion" er-
man wieder überallhin eine Fahrkarte lösen und
lebt. Wir Sozialdemokraten wünschen unter keinen
dann ohne weitere Förmlichkeiten ungehindert Umständen die Wiederholung solcher Aktionen.
dorthin reisen könne. Nun, diese Empfindung teilen Das Abhalten von derartigen Demonstrationen
wir, glaube ich, alle ganz und ear, denn wir sehnen wollen wir gern den Volksdemokratien und ihren
uns wahrlich nach einer Niederlegung, der die Anhängern überlassen,
Völker heute noch trennenden Schranken und da-
mit nach einem wirklichen Frieden. Möge man sich (Sehr gut! bei der SPD.)
im Ausland — und mit diesem Wunsche möchte ich Ich will damit nicht behaupten, daß an den gestri-
schließen — von einem überzeugen lassen: der gen Vorgängen hier irgendeiner Weise die Kom-
Friedensgeist, der jeden wahren Frieden tragen munisten schuldig sind. Ich glaube es auch nicht.
muß, ist bei uns vorhanden. Er verkörpert sich Aber sie sollten bei dieser Gelegenheit erkennen,
auch hier in diesem Hause und bei uns im Lande wie schnell böse Beispiele gute Sitten verderben.
draußen, auch ohne daß wir geräuschvolle Frie-
denstage veranstalten. Möge dieser Baugrund von Ich möchte dann zu einigen Punkten sprechen,
allen denen, die in diesen - unheilvollsten aller die in der bisherigen Diskussion über die Regie-
Kriege verstrickt worden sind, nicht ungenutzt rungserklärung aufgetaucht sind. Wir haben hier,
w i e ich glaube, eine sehr nützliche grundsätzliche
gelassen bleiben, damit nicht Unkraut aus ihm
emporschießt, sondern vielmehr rasch genutzt wer- Debatte über das Verhältnis zwischen Opposition
den zum Aufbau eines neuen, der Gesundung und und Regierung in einer Demokratie gehabt. Wir
Einigkeit zustrebenden Europa. begrüßen es, daß in dieser Debatte auch von den
Regierungsparteien die Anerkennung der Gleich-
(Händeklatschen in der Mitte und rechts.) wertigkeit von Opposition und Regierung in der
Demokratie ausgesprochen worden ist. Wenn wir
Präsident Dr. Köhler: Das Wort hat Herr Abge- an diesem Grundsatz festhalten, dann haben wir,
ordneter Ollenhauer. glaube ich, einen guten Boden für die sachliche
Auseinandersetzung gefunden.
Ollenhauer (SPD): Meine Damen und Herren! Aber es ist dabei notwendig, so scheint mir, daß
Ich möchte zunächst auf Vorgänge zurückkom- wir uns aUch über die Konsequenzen klar sind, die
men, die sich bei der gestrigen und vorgestrigen in einer solchen Anerkennung liegen. Ich möchte
Debatte in diesem Hause ereignet haben. Wir hier auf eine Bemerkung des Herrn Abgeordneten
haben gestern erlebt, daß bei dieser ersten großen von Brentano zurückkommen, der nach der Anerken-
politischen Aussprache des deutschen Bundestags nung des eben genannten Prinzips zum Ausdruck
ein Redner dieses Hauses die Farben der Bundes- gebracht hat, daß mit dieser Anerkennung die Be-
republik in herabsetzender Weise zitiert hat. Wir seitigung der Schranken des parteipolitischen Miß-
Sozialdemokraten sind der Auffassung, daß wir in trauens verbunden sein sollte. Er hat in diesem
der neuen deutschen Demokratie von Anfang an Zusammenhang außerdem den Mangel an Ver-
mit Entschiedenheit den Versuchen wehren müssen, trauen bei der Opposition gegenüber der Regierung
die Symbole der Demokratie anzugreifen und her- bedauert. Beide Punkte treffen das Problem nicht.
abzuwürdigen. Die parteipolitischen Gegensätze in der Demokra-
(Händeklatschen bei der SPD.) tie sind ja nicht Ausfluß eines bösen Willens, son-
dern sie sind der Ausdruck realer Gegensätze und
Die Sozialdemokratische Partei wird die notwen- Spannungen, die wir als Tatsachen zu respektieren
digen Anträge einbringen, um in Deutschland den haben. Ich möchte die Träger demokratischer Ge-
Schutz der Symbole des Bundes und seiner ver- danken in diesem Hause darauf aufmerksam
fassungsmäßigen Einrichtungen vor Herabsetzung machen, daß wir mit diskriminierenden Bemer-
und Verleumdung wirksam zu sichern. Wir wün- kungen über die Parteien in der jungen deutschen
schen aber auch, daß in Zukunft mit Nachdruck Demokratie sehr vorsichtig sein sollten. Wir wissen,
und ohne Zögern in diesem Hause jeder Herab- daß die politischen Parteien ihre Mängel und
setzung der Symbole des Bundes sofort entgegen- Schwächen haben. Aber unter den gegebenen Be-
getreten wird.
dingungen gibt es keine bessere Form des Aus-
(Sehr richtig! bei der SPD.) drucks des politischen Wollens und der Formung
Ich verstehe die Schwierigkeit, in der wir uns des politischen Willens, als es die politischen Par-
hier befinden: dieses Parlament und seine Parteien teien sind.
müssen sich erst zu einem parlamentarischen (Zustimmung bei der SPD und in der Mitte.)
Körper entwickeln. Die Schwierigkeit besteht auch Angesichts der Tatsache, daß es heute in Deutsch-
darin, daß mindestens bei einem Teil der Mit- land Millionen von jungen Menschen gibt, denen
glieder dieses Hauses die demokratische Erfahrung jede eigene Erfahrung über das innere Leben und
sehr kurz ist über die innere Gesetzmäßigkeit demokratischer
(Sehr richtig! bei der SPD) Parteien fehlt, die durch den Auswuchs des Ein-
und daß noch gewisse Mißverständnisse darüber Parteiensystems verbildet und verbogen sind,
bestehen, was demokratische Freiheit heißt. sollten wir ohne Übertreibung und Schönfärberei
(Sehr gut! bei der SPD.) auf die elementare Bedeutung demokratischer Par-
teien in einer Demokratie hinweisen und dieses
Wir werden die Freiheit jeder sachlichen Diskus-Bewußtsein stärken.
sion respektieren und verteidigen. Aber ich glaube,
wir sollten im Interesse des Hauses, im Interesse (Zustimmung in der Mitte.)
98 Deutscher Bundestag — 7. Sitzung. Bonn, Freitag, den 23. September 1949
(Ollenhauer)
Vor allen Dingen deshalb, meine Damen und Ostzone gegeben, insbesondere als er behauptete,
Herren, weil wir in dem Augenblick, in dem wir daß die Sozialdemokratie, mindestens in ihrer
die Existenznotwendigkeit und Nützlichkeit der führenden Schicht, vor der SED kapituliert habe.
Parteien in der Demokratie in Frage stellen, nicht (Abg. Dr. von Brentano: Ja!)
nur die Parteien treffen, sondern auch die Demo-
kratie. Ich glaube, daß diese Behauptung mit dem tatsäch-
(Sehr richtig! bei der SPD.) lichen Ablauf der Dinge nicht übereinstimmt. Die
Vernichtung der Sozialdemokratie als selbständige
Jeder Angriff gegen die Parteien ist im Grunde ein Organisation in der Ostzone war ausschließlich das
Angriff gegen die Demokratie. Er mag noch so sehr Resultat einer Zwangsvereinigung der SPD mit der
verbrämt sein, und er mag noch so sehr aus irgend- KPD unter Ausschluß jeder freien Willensäußerung
welchen guten Motiven kommen, der Effekt ist eine der Sozialdemokraten in der Ostzone.
Schwächung der Demokratie.
(Abg. Hilbert: Stimmt nicht ganz, Herr Kollege!)
Ich habe diese Bemerkung nicht als eine pole-
mische Bemerkung gegenüber dem Herrn Ab- Für den Ausschluß jeder freien Willensäußerung
geordneten von Brentano gemacht, aber ich wollte der Sozialdemokraten in der Ostzone gibt es ja
seinen Hinweis zum Anlaß nehmen, um unsere auch einen unbestreitbaren Beweis. Wir haben in
grundsätzliche Auffassung über die Bedeu- der damaligen Periode an einem Platz, der auch
tung der politischen Parteien in der Demokratie unter russischer Kontrolle stand, nämlich in Ber-
klarzustellen. lin, die Möglichkeit einer freien Entscheidung von
Das zweite, meine Damen und Herren: Das aus- Sozialdemokraten über die Vereinigung mit den
gewogene Verhältnis zwischen Opposition und Re- Kommunisten gehabt. Das Resultat der freien Ent-
gierung besteht in der Demokratie nach unserer scheidung der Berliner Sozialdemokraten war der
Meinung nicht in erster Linie darin, daß wir auf fast einstimmig gefaßte Beschluß, die Sozial-
einem guten Sprechfuß mit der Regierung stehen. demokratie in Berlin als unabhängige Sozialdemo-
Es kann auch nicht darin bestehen, daß man von kratische Partei aufrechtzuerhalten.
der Opposition erwartet, daß sie aus irgendeinem (Lebhafte Zustimmung bei der SPD.)
persönlichen oder sachlichen Grunde der Regie- Sie dürfen davon überzeugt sein, daß, wenn in der
rung gegenüber ein positives Vertrauensverhältnis Ostzone die gleichen demokratischen Voraus-
hat. Gerade die Tatsache, daß uns sachliche Gegen- setzungen bestanden hätten, dasselbe Resultat zu-
sätze in die Opposition gegenüber der Regierung stande gekommen wäre.
zwingen, verhindert ja, daß wir ein solches Ver- (Sehr wahr! bei der SPD.)
trauensverhältnis haben können.
Was wir zu geben bereit sind, ist die Achtung und Auf der andern Seite: gegenüber dieser Zwangs-
der Respekt gegenüber der Regierung als einer vereinigung der SPD besteht doch die Tatsache,
verfassungsmäßigen Institution der Republik, aller- daß die beiden anderen Parteien neben der Kom-
dings unter der Voraussetzung, daß die Regierung munistischen Partei, die CDU und die LDP, in
die gleiche Achtung und den gleichen Respekt der ihrer Existenz und in ihrer Arbeitsmöglichkeit be-
Opposition und ihrer Führung entgegenbringt. stehen geblieben sind,
(Sehr richtig! bei der SPD.) (Sehr wahr! bei der SPD),
daß beide Parteien bis zum heutigen Tage die
Ich komme zu diesen Feststellungen, weil ich Förderung durch die Besatzungsmacht akzeptieren
glaube, daß wir uns, wenn wir jetzt in diesem und daß sie bis heute gemeinsam mit der SPD
Hause zur sachlichen Arbeit kommen, die Zeit Träger der von der Besatzungsmacht diktierten
sparen sollten, um uns gegenseitig gut zuzureden. Blockpolitik sind.
Darauf kommt es gar nicht an. Es kommt darauf
an, daß wir die sachlichen Positionen der einen (Sehr gut! bei der SPD.)
und der anderen Seite beziehen und dann fest- Gewiß, es hat auch in diesen beiden Parteien
stellen, wo es eine Gemeinsamkeit gibt und wo das Trennungen von der offiziellen Politik dieser Par-
nicht der Fall ist. Denn unsere Opposition ist nicht teien gegeben. Aber das Bemerkenswerte ist, daß in
die Negation der Regierung. Unsere Opposition ist der Regel und in den am meisten sichtbaren Fällen
begründet auf unserer eigenen Vorstellung über der Bruch nur da erfolgte, wo dieser Bruch von
die zweckmäßigste Form des Aufbaus und der Ver- den Besatzungsmächten oder von der SED herbei-
waltung der Bundesrepublik und über den poli- geführt wurde.
tischen und sozialen Inhalt des neuen Staatswesens. (Sehr wahr! bei der SPD. — Zuruf von der KPD:
Von dieser eigenen, von uns selbst bestimmten Ist gar nicht wahr!)
Position allein können wir die Entscheidung über Schließlich: ein führendes Mitglied der CDU ver-
unser Verhältnis zur Regierung fällen. Es gibt in dankt allein dieser Tatsache seine Mitgliedschaft
der Tat nur ein einziges Mittel für die Regierung in der gegenwärtigen Bundesregierung.
und die Regierungsparteien, uns zu überzeugen: das (Sehr gut! bei der SPD.)
sind die praktischen Handlungen der Regierung.
Sie werden der Maßstab unserer Kritik oder un- Es kann keinen Zweifel darüber geben, daß die
serer Zustimmung sein. entscheidende Widerstandskraft gegen diese Ver-
gewaltigung der Demokratie in der Ostzone die
Und nun, meine Damen und Herren, möchte ich Sozialdemokraten bilden.
in diesem Zusammenhang noch eine weitere Be-
merkung über die besondere Stellung machen, in (Zuruf von der CDU: Das stimmt nicht! —
der sich die sozialdemokratische Opposition be- Abg. Dr. von Brentano: Das kauft Ihnen niemand
findet; die besondere Stellung, die sich einfach aus ab, Herr Kollege Ollenhauer!)
der Tatsache ergibt, daß wir in dem Bundestag der Meine Damen und Herren, ich möchte nur die
Bundesrepublik Deutschland zwar den größeren Frage an Sie richten, wie die politische Zusammen-
Teil Deutschlands, aber nicht ganz Deutschland setzung dieses Hauses aussehen würde, wenn am
repräsentieren. Herr Abgeordneter von Brentano 14. August in allen vier Zonen Deutschlands ge-
hat vorgestern eine bemerkenswert einseitige Dar- wählt worden wäre.
stellung der parteipolitischen Entwicklung in der (Lebhafter Beifall bei der SPD und in der Mitte.)
Deutscher Bundestag 7. Sitzung. Bonn, Freitag,' den 23. September 1949 99
(Ollenhauer)
Das ist der Punkt, auf den ich in aller Sachlich- Die Bemerkung von Dr. Schumacher in seiner
keit die Bundesregierung aufmerksam machen Rede am Mittwoch, daß die Anerkennung der Rolle
möchte. der Opposition auch in der Personalpolitik des
(Zuruf rechts: Sie haben in letzter Zeit falsch Bundes zum Ausdruck kommen muß, hat bei den
gerechnet!) Regierungsparteien ein bemerkenswertes Echo ge-
— Ich hoffe, daß wir recht bald die Gelegenheit be- funden. Man hat in den Zwischenrufen von Par-
kommen, den Beweis für die Richtigkeit unserer teienwirtschaft gesprochen. Nun, für uns war dieses
Annahme vor Ihnen anzutreten. Echo nur ein Beweis dafür, wie notwendig diese
Bemerkung war.
(Lebhafte Zustimmung bei der SPD. — Zurufe von
der CDU: Das hoffen wir auch!) (Sehr richtig! bei der SPD.)
Worauf es mir in diesem Zusammenhang an- Ich möchte sie noch einmal ausdrücklich unter-
kommt, Ist etwas Spezielles. Wir sind uns völlig streichen. Es handelt sich ja nicht um den An-
darüber klar, daß die Bundesregierung im Laufe spruch einer Partei; es handelt sich hier um die
ihrer Tätigkeit in die Lage kommen wird, für das Sicherung eines wichtigen demokratischen Prinzips.
ganze deutsche Volk zu sprechen, auch für die 18 Wir stehen am Beginn des Aufbaus der Bundes-
Millionen Deutsche, die heute stumm in der Ost- verwaltung, und wir wünschen, daß die Regierung
zone leben. Ich glaube, daß damit die Verantwor-den Artikel 3 Absatz 3 des Grundgesetzes bei ihrer
tung dieser Regierung außerordentlich wächst, und Personalpolitik in vollem Umfang respektiert.
wir erwarten, daß die Regierung und die Regie- (Zuruf rechts: Gilt das auch für die Länder?)
rungsparteien in allen ihren Handlungen, die sich Es heißt dort:
auf ganz Deutschland beziehen, auch den poli- Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner
tischen Willen der Menschen in der Ostzone in
Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache,
Rechnung stellen, die heute an der freien Bekun- seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens,
dung ihrer politischen Üeberzeugun g gehindert seiner religiösen oder politischen Anschauungen
werden.
benachteiligt oder bevorzugt werden.
(Zustimmung bei der SPD. — Abg. Dr. v. Brentano: Wir wünschen, daß dieser Grundsatz strikte inne-
Selbstverständlich!) gehalten wird.
Jedenfalls sollte in diesem Provisorium Bundes- (Abg. Dr. Würmeling: Sagen Sie das einmal Ihren
republik Deutschland auch auf politischem Gebiet Länderministern! — Unruhe rechts.)
nichts an Entscheidungen und Maßnahmen ge- — Ich glaube, die Frage der Länderpolitik be-
schehen, was von unserer Seite die Wiederher- handeln wir auch nach Ihren Vorstellungen vor
stellung der deutschen Einheit erschwert.
-allem in den Landtagen.
Ich komme zu einem andern Punkt. Wir wün- (Anhaltende Unruhe rechts.)
schen, daß die Regierung dem Bundestag mög- Sie würden es ja wahrscheinlich als eine Ver-
lichst bald konkrete Vorschläge macht oder uns letzung des Grundgesetzes ansehen, wenn wir hier
konkret informiert über ihre Vorstellungen über
den Aufbau der Bundesorgane und der Bundes- Länderfragen diskutieren würden.
organisation. Es gibt dabei eine Menge Probleme, (Zuruf von der FDP: Das sind keine Länder
die von grundsätzlicher Bedeutung sind, weil wir fragen, das ist Ihre demokratische Haltung! Es
am Anfang eines Neuaufbaus stehen. Wir würden handelt sich darum, daß Sie mit verschiedenem
es als eine Verletzung des Grundsatzes der verant- Maß messen wollen!)
wortlichen Mitbeteiligung der Opposition ansehen, - Ich habe hier nichts anderes festgestellt, als daß
wenn an der Beratung und Entscheidung über den wir den ausdrücklichen Wunsch haben, daß die
Neuaufbau der Bundesorgane, über die Gestaltung Bundesregierung sich in ihrer Personalpolitik an
der Bundesorganisation die Opposition nicht schon den Artikel 3 Absatz 3 des Grundgesetzes hält. In
im frühesten Stadium beteiligt würde. jedem Fall erwarten wir außerdem, daß der Nach-
(Sehr richtig! bei der SPD.) weis demokratischer Zuverlässigkeit nicht ein Hin-
dernis, sondern eine Voraussetzung für die Be-
Ich will Ihnen unsere Bedenken ganz offen setzung von wichtigen Stellen der Bundesverwal-
sagen. Die Tatsache, daß in dieser Bundesregie- tung im In- und Ausland ist.
rung Minister und in der Koalition Parteien ver- (Lebhafter Beifall bei der SPD.)
treten sind, die dem Grundgesetz von Bonn nicht
zugestimmt haben, verpflichtet die positiven Ver- Die Bemerkungen von Dr. Schumacher über die
treter dieses Grundgesetzes, zu denen die Sozial- staatspolitische Bedeutung der Gewerkschaften
demokratie gehört, zu besonderer Aufmerksamkeit. sind zum Anlaß genommen worden, um der Sozial-
demokratie den parteipolitischen Mißbrauch der
(Sehr wahr! bei der SPD.) Gewerkschaften vorzuwerfen. Ich möchte dazu
Der Herr Abgeordnete Laforet hat heute in seiner folgendes erklären. Die Sozialdemokratie bejaht die
kurzen Erklärung ein Wort geprägt, das mir sehr Einheitsgewerkschaften, und sie respektiert die sich
nahegegangen ist. Er hat nämlich die Bundesregie- aus dieser Einheit ergebenden Notwendigkeiten.
rung aufgefordert, das Grundgesetz auszubauen. Wir sehen in der Bildung der Einheitsgewerk-
(Abg. Renner: Sehr gut!) schaften einen Fortschritt in der Richtung der er-
Ich glaube, das ist auf keinen Fall die Aufgabe der folgreichen Vertretung der sozialpolitischen und
Bundesregierung. wirtschaftlichen Ziele der deutschen arbeitenden
Menschen. Wenn diese Einheit der Gewerkschaften
(Sehr richtig! bei der SPD.) heute manchmal umstritten erscheint, dann wissen
Die Bundesregierung hat die Pflicht, das Grund- vor allem die Gewerkschafter selber, daß diese Ge-
gesetz anzuwenden, aber nicht, es zu verändern. fährdung der Einheit nicht durch die Sozialdemo-
(Zustimmung bei der SPD.) kraten, sondern durch ganz andere Kräfte außer-
Wir möchten am Beginn der Tätigkeit der Regie- halb der Gewerkschaften erfolgt.
rung gerade auf diesem Gebiet unsere Auffassung (Beifall bei der SPD.)
in aller Klarheit und Eindeutigkeit bereits zum Die Gewerkschaften sind sicher gar nicht daran
Ausdruck gebracht haben. interessiert, hier eine Diskussion der Parteien über
100 Deutscher Bundestag — 7. Sitzung. Bonn, Freitag, den 23. September 1949
(Ollenhauer)
die Organisationsprobleme der Gewerkschaften zu daß es niemand mehr gibt, der in der reinen Ver
haben. Das ist schließlich ihre eigene Angelegen- staatlichung die Erfüllung des Begriffes Sozialisie-
heit. Aber was sie wissen wollen, ist, wie die Re- rung oder Ueberführung in das Gemeineigentum
gierung und die Regierungsparteien zu ihren sach- sieht.
lichen Forderungen stehen. Da möchte ich Ihnen (Beifall bei der SPD. — Hört! Hört! und Unruhe
sagen, daß weder die Regierungserklärung noch die rechts.)
heutige Rede des Herrn Abgeordneten Blank in Meine Damen und Herren, lassen Sie uns doch
irgendeiner Weise befriedigend war. in diesem Hause auf dieser Ebene diskutieren;
(Zuruf von der CDU: Sie haben nicht gut dann kann ja vielleicht doch ein praktisches Resul-
zugehört!) tat erzielt werden.
— Nein, ich habe sehr genau zugehört. Wir wären (Bravo! bei der SPD.)
in der deutschen Demokratie in bezug auf die Was mich allerdings bedenklich stimmt, ist die Tat-
Wirtschafts- und Sozialpolitik in einer viel besse- sache, daß zum Beispiel die christlichen Gewerk-
ren Situation, wenn wir uns heute auf positive Er- schafter der CDU im Nordrhein-Westfälischen
klärungen von Ihrer Seite über die Stellung zu Landtag, obwohl das dortige Sozialisierungsgesetz
den Gewerkschaften beziehen könnten. keine Verstaatlichung im üblichen Sinne vorsah,
(Sehr wahr! bei der SPD.) sich nicht entschließen konnten, für dieses Gesetz
Leider ist diese positive Erklärung weder in der zu stimmen.
Regierungserklärung noch in der Rede des Herrn (Zuruf bei der CDU: Wir haben doch für
Abgeordneten Blank gefunden worden. unseren eigenen Entwurf gestimmt!)
Sehen Sie, das hilft uns doch hier nichts, wenn — Entschuldigen Sie, es kommt ja nicht darauf an,
man als Beweis für die Uebereinstimmung zwi- daß man einen eigenen Entwurf nach Hause bringt,
schen den Absichten der Bundesregierung und den sondern daß ein praktisches Resultat erzielt wird.
Forderungen der Gewerkschaften etwa den Ver-
such unternimmt, den dürftigen Satz der Regie- (Sehr gut! bei der SPD.)
rungserklärung über die Neuordnung der Besitz- Ich glaube, daß wir die Frage der Stellung der
verhältnisse mit der viel konkreteren Formulie- Gewerkschaften in Staat und Wirtschaft deshalb
rung des Punktes 6 im Gewerkschaftsprogramm, so ernst nehmen müssen, weil sie auf der Tages-
der Forderung der Überführung der Schlüssel- ordnung bleiben wird, und zwar nicht nur im rein
industrien in das Gemeineigentum gleichzusetzen. Sozialpolitischen, sondern auch im Oekonomischen.
(Sehr richtig! bei der SPD.) Das, was hier gegenwärtig droht, ist ja gar nicht
eine abgeschwächte oder verwässerte Form einer
Machen wir uns doch nichts vor! Wenn der Herr Veränderung der Besitzverhältnisse in der . Rich-
Bundeskanzler den Punkt 6 gemeint hätte, hätte -tung der Ueberführung in das Gemeineigentum;
er ihn hineingeschrieben. die wirkliche Gegenposition dieser Regierung auf
(Lebhafter Beifall bei der SPD.) diesem Gebiet liegt ganz woanders. Sie liegt
Daß er eine andere Formulierung gewählt hat, be- darin, daß hier erneut in der Praxis der Versuch
weist doch, daß die Ziele der Bundesregierung in gemacht wird, den Begriff Wirtschaft oder Wirt-
diesem Punkt nicht in Uebereinstimmung mit dem schaftsführung mit ihrer Repräsentation durch die
Punkt 6 des Gewerkschaftsprogramms sind. Ich Unternehmer gleichzusetzen.
unterstelle durchaus, daß Herr Blank diese fort- (Sehr richtig! bei der SPD..)
schrittlichere Formulierung des Gewerkschaftspro-
gramms wünscht. Aber, Herr Blank, ich glaube, Das wirkliche Problem ist, daß wir in der Wirt-
es wäre für Sie und Ihre Freunde in der CDU sehr schaft und in der Wirtschaftsführung zu der vollen
gut, wenn Sie sich nicht damit trösten würden, Gleichberechtigung der Arbeitnehmer, vertreten
daß man mit wesentlich anderen Worten dasselbe durch die Gewerkschaften, kommen, und zwar
sagen kann, sondern wenn Sie sich darüber klar nicht nur in der technischen oder sozialpolitischen
sein würden, daß eine Durchsetzung Ihrer wirt- Leitung der Betriebe, sondern in der Bestimmung
schaftspolitischen Forderungen auf diesem Gebiet und Durchführung der Wirtschaftspolitik selbst.
nur möglich sein wird, wenn es Ihnen gelingt, (Zuruf bei der CDU: Was auf eines herauskommt!)
diese Auffassung zunächst einmal in Ihrer eigenen Ich glaube, daß in den vergangenen Jahrzehnten
Fraktion durchzusetzen. in der Geschichte der aufsteigenden Gewerk-
(Sehr gut! bei der SPD.) schaftsbewegung mehr Beweise für die volkswirt-
Ich habe allerdings erhebliche Zweifel; denn ich schaftliche Einsicht und Tüchtigkeit der arbeiten-
den Menschen liegen, als sie auf der Seite vieler
denke daran, daß selbst die Exponenten des christ- Unternehmer zu finden sind.
lichen Sozialismus in der CDU heute in ihren
öffentlichen Erklärungen meilenweit von dem so- (Lebhafte Zustimmung bei der SPD.)
genannten Ahlener Programm abrücken. Lassen Sie mich, meine Damen und Herren, dies
(Sehr richtig! bei der SPD.) Kapitel mit einer Bemerkung abschließen. Es ist
hier — ich glaube, vorgestern — vom Sprecher der
Es hat doch wiederum auch keinen Zweck, daß CDU von der notwendigen neuen Gemeinschaft
Sie hier den Versuch machen, die Schwäche Ihrer der Deutschen gesprochen worden. Meine Damen
Position damit zu verdecken, daß Sie, Herr Abge- und Herren, das ist ein schönes Wort, und letzten
ordneter Blank, erklären, Sie seien für die Soziali- Endes lebt diese Vorstellung in jedem von uns.
sierung, aber gegen die Verstaatlichung. Als wenn Aber sie hat nur dann einen Sinn, 'wenn wir
hier ein Gegensatz zwischen einem christlichen Ge- ernsthafte Anstrengungen machen, sie zu realisie-
werkschafter und einem sozialdemokratischen Ge- ren. Hier, meine Damen und Herren, in der
werkschafter läge! In der Frage der Form der Neuordnung der Besitzverhältnisse und in der
Sozialisierung gibt es sicher in allen Lagern ver- Neuordnung der Führungsverhältnisse in der Wirt-
schiedene Auffassungen, schaft durch die Anerkennung des gleichberechtig-
(Sehr richtig! bei der CDU) ten Anspruchs der Arbeitnehmer müssen Sie den
und das letzte Wort ist weder bei Ihnen noch bei Beweis dafür erbringen, ob es Ihnen mit Ihrem
uns darüber gesprochen. Aber eines steht doch fest: Verlangen nach einer neuen Gemeinschaft, nach
Deutscher Bundestag — 7. Sitzung. Bonn, Freitag, den 23. September 1649 101
(Ollenhauer)
einer sozialen Ordnung in Deutschland wirklich nen sich auf den Standpunkt stellen: wir müssen
ernst ist oder nicht. zu einem Zustand der Selbstverantwortung des
(Lebhafter Beifall bei der SPD.) Einzelnen für sein persönliches Schicksal kommen.
Meine Damen und Herren, ich habe es für richtig Sagen Sie das einmal einem von den Millionen von
gehalten, die Rolle der Gewerkschaften hier noch Flüchtlingen! Dann wird er Sie fragen, wie denn
einmal zu unterstreichen, weil ich das Hohe Haus diese Selbstverantwortung und Selbstgestaltung
auch auf die bedeutsame Funktion der Gewerk- seines Schicksals aussehen soll.
schaftsbewegung in der internationalen Politik (Beifall bei der SPD. — Zurufe in der Mitte.)
ausdrücklich aufmerksam machen möchte. Denken Ich sage das gar nicht als ein agitatorisches Mo-
Sie nur an das schwierige Problem der Demon- ment.
tagen! Ich will in diesem Zusammenhang nicht auf (Zurufe in der Mitte.)
die Sache selbst eingehen; aber hier haben wir den — Entschuldigen Sie, lassen Sie mich doch argu-
amerikanischen Gewerkschaften für die mutige mentieren! Ich sage es aus einem ganz anderen
Initiative zu danken, die sie in dieser Frage im Grund. Meine Damen und Herren, warum geben
Interesse eines friedlichen deutschen und euro- Sie nicht zu — welches sachliche Argument haben
päischen Aufbaues ergriffen haben. Sie? —, warum geben Sie nicht zu, daß in einem
(Lebhafter Beifall links. — Zuruf rechts: Das Volk, das auf Trümmern lebt, daß in einem Volk,
sind nicht sozialistische Gewerkschaften!) das heute noch mit 50 Prozent seiner Lebensmittel
— Das hat niemand behauptet. — Wir freuen uns von Importen abhängig ist, daß in einem Volk, das
außerdem, daß jetzt auch die britischen Gewerk- heute 8 bis 10 Millionen Menschen auf diesem Ge-
schaften auf ihrem Kongreß Anfang September biet mehr in Arbeit und in Kleidung und in Nah-
die Notwendigkeit einer Ueberprüfung dieser rung und in Wohnung zu bringen hat als vor dem
Frage anerkannt haben, und wenn jetzt eine ge- Krieg, das Problem. der Wirtschaftsgestaltung von
wisse Aussicht auf eine befriedigendere Regelung einer solchen erdrückenden Gewalt ist, daß wir
besteht, dann danken wir es nicht zuletzt dem es nur meistern, wenn wir uns entschlieern,hßi
Weitblick und der Tatkraft dieser Arbeiterorgani- an dem Punkt zu sagen, was wir auf dem Gebiet
sationen in Amerika und England. der Produktion unbedingt leisten müssen, damit
(Erneuter Beifall links.) die Menschen leben und arbeiten können und
Lassen Sie mich ein Wort hinzufügen. Bedenken ebenso essen, zu sagen, worauf wir verzichten müs-
wir, daß in der Pariser Organisation des ERP- sen, weil wir es in dieser Notlage uns einfach nicht
Plans die demokratischen Länder Europas und gestatten können.
Amerika die Bedeutung der Gewerkschaften für (Lebhafter Beifall bei der SPD.)
die wirtschaftliche Entwicklung dadurch praktisch Das ist doch die große Frage. Sie können ihr gar
anerkannt haben, daß repräsentative Vertreter der nicht ausweichen!
Gewerkschaften verantwortlich in dieser Organi- (Zuruf in der Mitte: Das wollen wir auch nicht!)
sation mitarbeiten. Ich glaube, unsere Bundesregie- — Bitte, hier hat — und das hat mich betroffen,
rung sollte die Dinge nicht nur unter dem Ge- das sage ich Ihnen ganz offen — Herr Blank
sichtspunkt der Vertretung Deutschlands durch gesagt: sehen Sie sich doch an, wieviel besser es
einen Minister, sondern erst recht unter dem in Deutschland aussieht!
Gesichtspunkt der Vertretung der arbeitenden
Menschen sehen, die ja letzten Endes durch ihre (Hört! Hört! links.)
Arbeitskraft den Erfolg der Marshallplanhilfe in Was ist denn in Deutschland geschehen? Nur daß
der Richtung einer Gesundung unserer Wirtschaft wir heute um die primitivsten Lebensnotwendig-
garantieren müssen. keiten des Alltags nicht mehr anzustehen brau-
chen! Das ist doch nicht der Beginn des Paradieses
Meine Damen und Herren, ich möchte nicht noch oder der Neuordnung!
einmal auf alle Argumente eingehen, die hier wie-
derum in bezug auf den Gegensatz zwischen der (Zuruf in der Mitte: Das hat ja auch niemand
Regierung und den Regierungsparteien auf der gesagt!)
einen und uns auf der anderen Seite in der Frage Daß Sie in diesem Deutschland lediglich vor die
der Wirtschaftspolitik bestehen. Ich muß sagen: es Elendslager der Flüchtlinge die glänzenden Bau-
sind hier eigentlich ziemlich freudig und unbe- ten der Luxusgeschäfte setzen,
kümmert wieder die Argumente des Wahlkampfes (lebhafter Beifall bei der SPD)
vorgebracht worden, zum Beispiel die Methode, die das ist das, was wir nicht akzeptieren.
Zwangswirtschaft der Kriegszeit und der Nazis mit
Planung gleichzusetzen und sie dann der Sozial- (Zurufe in der Mitte: Wollen wir auch nicht!
demokratie als ihr Wirtschaftsideal zu unterstel- Agitation! Sachliche Arbeit! — Glocke des
len; oder das andere Argument: sehen Sie die Präsidenten.)
Mißerfolge der Planungspolitik der britischen Ar- — Meine Damen und Herren, wenn Sie sagen:
beiterbewegung! Eigentlich hat in dieser Diskus- wir wollen es auch nicht, dann sind Sie ja ge-
sion nur noch einer der Wahlschlager gefehlt, näm- zwungen, das zu tun, was wir von Ihnen verlan-
lich es fehlten nur noch die vier Radioapparate, die gen: lenken Sie die Produktion nach den Bedürf-
Herr Professor Dr. Erhard in allen seinen Wahl- nissen der breiten Masse, und Sie erfüllen nicht
versammlungen herumgereicht hat. irgendein Programm einer marxistischen Vorstel-
(Lachen in der Mitte.) lung, sondern Sie erfüllen in diesem Deutschland
nicht mehr und nicht weniger als eine einfache
Meine Damen und Herren: warum sind Sie nicht nationale Notwendigkeit.
zu einer sachlichen Diskussion über diese Frage
bereit? (Lebhafter Beifall bei der SPD.)
(Sehr richtig! bei der SPD.) Meine Damen und Herren, die Regierung ist
Sie können ihr ja gar nicht ausweichen! Sie kön- jetzt am Beginn ihrer Tätigkeit, und sie wird vom
nen hier wohl das Prinzip der freien Wirtschaft ersten Tag ab durch die internationale Verflech-
verkünden, wie es Herr Abgeordneter Schäfer für tung zu einer Politik gezwungen werden, die weit
die Freie Demokratische Partei getan hat; Sie kön-entfernt ist von der sogenannten freien Wirtschaft.
102 Deutscher Bundestag — 7. Sitzung. Bonn, Freitag, den 23. September 1949
(Ollenhauer)
Ich war erstaunt, daß Herr Dr. Schäfer in seiner der Wirtschaftspolitik des Frankfurter Wirtschafts
Rede auf den Zwischenruf „Marshallplan" — ich rats sei. Alle diejenigen unter Ihnen, die den engen
glaube, von kommunistischer Seite — geantwortet Kontakt mit den arbeitenden Menschen haben, die
hat: der Marshallplan geht 1952 zu Ende. heute noch in der CDU ihre politische Repräsen-
(Zurufe links.) tation sehen, wissen, daß da sehr, sehr starke Span-
Dieses Argument genügt nicht, auch für Sie nicht, nungen leben. Lassen Sie mich nur einen einzigen
meine Damen und Herren; denn dieser Marshall- kurzen Hinweis geben! Ich kenne einen Brief, den
plan ist das Programm der amerikanischen Re- ein CDU-Mann an einen andern geschrieben hat.
gierung: Sie können sich darauf verlassen: es ist ein ernster
Brief, geschrieben von einem Mann, der es ernst
(Zuruf in der Mitte: Wissen wir!) meint mit der CDU, und geschrieben an einen
den europäischen Ländern bis zum Jahre 1952 Mann, der es mit seiner Arbeit im öffentlichen
zu helfen, eine koordinierte und geplante Wirt- Leben ernst meint. Ich will Ihnen nur einen Ab-
schaft aufzubauen. satz vorlesen.
(Sehr richtig! bei der SPD.) Man täusche sich nicht, und es wäre ein ver-
Wenn wir in Westeuropa einschließlich West- hängnisvoller Irrtum, wollte man behaupten,
deutschland nicht morgen mit der Planung und daß alle Wähler der CDU der Wirtschafts- und
Koordinierung beginnen, dann werden wir alle Sozialpolitik zustimmen. Im Gegenteil! Es ist
unter den Folgen dieses Versäumnisses zu leiden eine sehr . große Anzahl unter ihnen, die unter
und schwere politische und soziale Konsequenzen Zurücksetzung ernstester und berechtigtster Be
zu tragen haben. denken wegen der betriebenen Wirtschafts-
(Beifall bei der SPD.) politik sich bei ihrem Wahlgang ausschließlich
Meine Damen und Herren, und nun nehmen Sie von weltanschaulichen Dingen leiten ließen. Ob
das andere Problem, das uns allen auf den Nägeln sich dies noch einmal wiederholen wird, hängt
brennt: die Abwertung der D-Mark. in erster Linie von Richtung und Entwicklung
der Wirtschafts- und Sozialpolitik der CDU ab.
Ich linde es nicht gut, wenn in einer solchen
Situation die Regierung sich darauf beschränkt, die Meine Herren, das ist die Frage, und ich meine, —
Minister erklären zu lassen: der innere Wert der (Zuruf: Sie verwenden einen einzigen Brief für die
Mark wird nicht beeinträchtigt. Meine Damen und Argumentation! Ich kann Ihnen noch mehr solcher
Herren, das glaubt Ihnen doch niemand! Briefe vorlegen!)
(Sehr richtig! bei der SPD.)
— Bitte, der stammt nicht von mir, der stammt von
Denn jeder Mensch weiß doch, daß eine Abwer- einem Ihrer Freunde, und ich wollte Sie nur darauf
tung der Mark unweigerlich verhängnisvolle Kon- - aufmerksam machen!
sequenzen für die Lebenskosten der breiten Mas-
sen des Volkes haben muß. Meine Damen und Herren, ich möchte jetzt die-
ses Gebiet verlassen und möchte nur noch kurz
) (Zuruf von der CDU: Wenn Sie freilich jetzt auf die gestrige Rede des Herrn Abgeordneten Rei-
die Preise in die Höhe reden!) mann zurückkommen. Der Herr Abgeordnete Rei-
Glauben Sie mir, die Unruhe ist noch verstärkt mann hat gestern die kommunistische Unterstützung
worden, weil durch einen Zufall die Meldung von der Kandidatur Dr. Schumachers bei der Präsiden-
der Abwertung des Pfundes und der folgenden tenwahl begründet. Er hat erklärt, daß die Kom-
Abwertung der Mark doch gleichzeitig mit der munisten keinen neuen 20. Juli 1932 wünschen. Ich
Mitteilung der Bundesregierung kam, daß sie Ende kann dazu nur sagen, daß wir Sozialdemokraten
des Jahres auch die Reste der öffentlichen Bewirt- diese Absicht begrüßen, denn der 20. Juli 1932 wäre
schaftung der lebensnotwendigsten Güter aufheben ohne das damalige Bündnis von Kommunisten,
wollte. Deutschnationalen und Nazis im Preußischen Land-
(Bravorufe.) tag nicht möglich gewesen.
Meine Damen und Herren, wollen Sie die Situa- (Beifall auf der äußersten Rechten und bei der
tion, die da heranreift, auch dem berühmten freien SPD.)
Spiel der Kräfte überlassen? Ich bin erfreut darü- Wir Sozialdemokraten freuen uns über jede neue
ber, daß der Herr Bundeskanzler den Gewerk- politische Einsicht, vor allem, wenn sie nicht zu
schaften mitgeteilt hat, er stehe zu einer Unter- spät kommt.
haltung über diese Probleme zur Verfügung; aber,
meine Damen und Herren, wenn diese Unterhal- (Zuruf von der KPD: 1935 haben wir dazu
tung positive Resultate haben soll, dann müssen Stellung genommen!)
Sie eingreifen, dann müssen Sie ordnen und pla- — Ja, aber ihr habt später wieder Rückfälle gehabt!
nen. Ich habe diese Bemerkungen gemacht, nicht Selbstverständlich haben die Kommunisten wie
um ein Steckenpferd zu reiten, sondern weil ich jede andere Fraktion hier im Hause die volle
das Gefühl habe, daß wir über diesen Punkt in Freiheit, für oder gegen sozialdemokratische Kan-
diesem Parlament sehr oft miteinander diskutieren didaten oder Anträge zu stimmen. Aber ich möchte
müssen; und ich möchte, meine Damen und Her- darauf aufmerksam machen, daß die Frage von
ren, daß wir dann an den Kern der Probleme gemeinsamen Aktionen, wie sie gestern Herr Rei-
gehen, damit wir wissen, wo wir stehen. Es hat mann für seine Partei angekündigt hat, gemein-
doch keinen Sinn, daß wir so tun, als ob es sich same Aktionen von Sozialdemokraten und Kommu-
hier nur um agitatorische Floskeln handelte. nisten, ja schließlich nicht allein von den Kommu-
Meine Damen und Herren, ich möchte mich heute nisten entschieden werden kann,
auf diese Bemerkungen beschränken. Wir werden (Lachen)
jedenfalls noch genügend Gelegenheit haben, dar-
auf zurückzukommen. Im übrigen, glaube ich, ist und ich möchte erklären, daß die Sozialdemokra-
es gut, meine Damen und Herren von der CDU tische Partei jedenfalls nicht bereit ist, den Kom-
und CSU, wenn Sie sich nicht allzusehr und allzu- munisten die ihnen fehlenden Massen für ihre
laut immer wieder darauf berufen, daß der Erfolg Propaganda zu liefern.
des 14. August für Sie eine positive Anerkennung (Lebhafter Beifall bei der SPD.)
Deutscher Bundestag — 7. Sitzung. Bonn, Freitag, den 23. September 1949 103
(Ollenhauer)
Wir werden die Kommunisten hier nicht nach dem auf dem Gebiete, von dem ich spreche, der Kollege
beurteilen, was sie in neuentdeckter brüderlicher Blank hier dargelegt haben. Ich bitte, mir bei der
Liebe erklären, sondern danach, was sie in der Bewegung, mit der der Kollege Blank gesprochen
Ostzone tun. hat, zu gestatten, daß ich hinzufüge, daß ich mich
(Sehr richtig! bei der SPD.) freue, diese Bemerkung auch als Arbeitgeber dem
Dort sind sie die Staatspartei der Diktatur, und Arbeitnehmer gegenüber machen zu können.
dort erklären sie die Sozialdemokraten als Ver- (Bravo!)
räter oder stecken sie als „Schumacherlinge" in die In einem Punkte, nämlich in den persönlichen Vor-
Konzentrationslager. schußlorbeeren, die der Abgeordnete Blank zu ver-
Es war ein neckischer Zufall: während Herr Rei- teilen sich bemühte, weiche ich ab. Ich glaube, es
mann gestern hier den Sozialdemokraten Bündnis- genügt, wenn ichgrundsätzlich Sage, solche Vor-
vorschläge machte, berichtete der Leipziger Sender, schußlorbeeren sollte man überhaupt nicht ver-
Dr. Schumacher habe in seiner Rede am Mittwoch teilen.
den Bundeskanzler Dr. Adenauer um ein Ministe- Was Herrn Ollenhauer angeht, so glaube ich,
rium in seinem Kabinett gebeten. daß ich ein wenig bescheidener bin als er. Für mich,
(Heiterkeit.) meine verehrten Damen und Herren, war am
Es muß den Kommunisten überlassen bleiben, wie 8. Mai 1945 - ein Tag, an den wir viel zu wenig
sie mit diesem Zweifrontenkrieg fertigwerden. denken —, dem Tag der bedingungslosen Kapitula-
tion, in Deutschland überhaupt nichts mehr selbst-
(Erneute Heiterkeit.) verständlich. Wenn heute auf wirtschaftlichem
Ich möchte ganz im Ernst eines sagen: es gibt für Gebiet einiges wieder selbstverständlich ist, so ver-
die Sozialdemokraten eine unlösbare Gemeinschaft kenne ich nicht, daß das über eine Normalisierung
des Kampfes, das ist die Gemeinschaft mit den un- der Verhältnisse im wesentlichen nicht hinausgeht.
terdrückten, inhaftierten und illegalen Freiheits- Ich bin aber nicht so undankbar, die Augen davor
kämpfern in der Ostzone. zu verschließen, daß das ausschließlich ei neFolg
(Lebhafter Beifall bei der SPD.) a) der Währungsreform und b) der Abkehr und
Und es gibt für uns eine unversönhnliche Gegner- Umkehr in der Wirtschaftspolitik gewesen ist. Ich
schaft, das ist die Gegnerschaft zu den kommu- glaube, meine verehrten Herren von der Linken,
nistischen Trägern des Diktatursystems in der Ost- Ihre Hausfrauen daheim — vielleicht nicht Ihre
zone und zu ihren kommunistischen Mitschuldigen weiblichen Kollegen —, Ihre Hausfrauen daheim
in der Westzone. haben für diesen Gedankengang ein recht gutes
(Erneuter lebhafter Beifall bei der SPD.) Verständnis, und Sie werden sich ja auch gelegent-
lich erinnern, daß Sie zu Hause wesentlich besser
Meine Damen und Herren! Es lag mir daran, in -zu essen bekommen, als dies früher der Fall war.
dieser Frage so eindeutig und klar als möglich zu
sprechen, damit jedermann weiß, woran er ist. Ich will aber nun, da ich der Auffassung sein
möchte, daß des Grundsätzlichen langsam genug
Nun, meine Damen und Herren, habe ich zum geredet worden ist, zu einigen akuten Fragen über-
Schluß nur noch eine Bemerkung zu machen. Wir gehen, und zwar zunächst zur Finanz und Steuer.
stehen vor der Tatsache, daß bis jetzt nur eine Wir sind auf dem Gebiete der Steuerpolitik im
einzige Regierungspartei, und zwar der Sprecher
der Deutschen Partei, uneingeschränkt und bedin- Frankfurter Wirtschaftsrat Schritt für Schritt vor-
gungslos die Zustimmung zu der Regierungserklä- angegangen, und ich glaube, sagen zu dürfen, nicht
rung ausgesprochen hat. Das ist außerordentlich ohne Erfolg. Wir dürfen sagen, daß wir den Wider-
bemerkenswert, um so mehr als der Herr Bundes- sinn der Kontrollratsgesetze in steuerlicher Bezie-
kanzler nur mit einer Stimme Mehrheit gewählt hung schon ein wenig beseitigt haben, und wir
wurde. Angesichts dieser Sachlage fragen wir den werden in diesem Bestreben logisch und energisch
Herrn Bundeskanzler, ob er es nicht für notwendig fortfahren. Wir wissen, daß eine Steuersenkung
hält, am Schluß dieser Debatte eine Entscheidung das Gebot der Stunde ist. Ich warne Sie aber, meine
des Bundestags darüber herbeizuführen, ob der verehrten Damen und Herren, Ihre Hoffnungen in
Bundestag in seiner Mehrheit die Regierungserklä- diesem Punkte allzu hoch zu spannen. Vielleicht
rung billigt. lassen Sie sich einmal von Ihren zuständigen Büros,
oder was Sie sonst an Stellen haben, einen Ver-
(Sehr gut! bei der SPD.) gleich aufstellen über die Steuerbelastung insbeson
Es scheint uns ein schlechter Start für die Regie- dere in den niederen Einkommenstufen, einen Ver-
rung zu sein, wenn sie ohne diese ausdrückliche gleich zwischen der Zeit vor 1933 und jetzt. Dann
Klarstellung an ihre Arbeit geht. werden Sie zum Teil überraschende Feststellungen
(Lebhafter Beifall bei der SPD.) treffen.
Das hat nichts damit zu tun, daß eine Steuer-
Vizepräsident Dr. Schmid: Das Wort hat der Herr senkung im großen notwendig ist und meines Er-
Abgeordnete Dr. Wellhausen. achtens auch durchzusetzen sein wird. Die größeren
Möglichkeiten liegen aber in der Bewertung und
Dr. Wellhausen (FDP): Meine verehrten Damen in den Methoden der Veranlagung. Das setzt ein
und Herren! Ich hatte die Absicht, zu einigen akuten ganz anderes persönliches Niveau bei den Finanz-
Fragen der Wirtschafts-, der Finanz- und der Sozial- behörden, insbesondere bei den Finanzämtern vor-
politik zu sprechen, und halte es für meine Pflicht, aus, als wir es heute haben. Sie werden sich
eingangs sowohl an Herrn Blank wie an Herrn erinnern, daß wir in dieser Beziehung schon einmal
Ollenhauer ein Wort der Entgegnung zu richten. besser gestellt waren. Wenn immer beklagt wird,
Meine Freunde und ich freuen uns, mit den Aus- daß man zwar die kleinen Zensiten an die Hammel-
führungen unseres Koalitionsfreundes Blank in den beine nimmt, aber die großen nicht erfaßt und
großen Linien einig zu gehen. Wir sind davon über- durchleuchtet — Herr Loritz hat von hunderttau-
zeugt, daß er und seine Freunde die Absicht haben, send Schiebern gesprochen —, dann ist daran be-
in der Durchführung der Koalition alles an die stimmt sehr viel Richtiges. Das liegt an der Unzu-
Ziele zu setzen, die der Herr Bundeskanzler und länglichkeit der Veranlagungsbehörden. Wir brau-
104 Deutscher Bundestag — 7. Sitzung. Bonn, Freitag, den 23. September 1949
(Dr. Wellhausen)
chen eine außerordentliche Verbesserung des Be eine vordringliche Aufgabe ist. Die Flurbereinigung,
-triebspüfdnuählicerDg.Iw die Erhöhung der Produktion und schließlich die
hier am Rande die Frage streifen, ob es nicht doch Mechanisierung in der Landwirtschaft sind ebenfalls
möglich ist, den sehr seriösen Stand der Wirt- unumstrittene Gebiete.
schaftsprüfer und Steuerberater in irgendeiner
Weise in diese Arbeit miteinzuschalten. Gewundert hat es uns, daß bisher mit keinem
Worte von der Reichsbahn, oder, wie sie jetzt heißt,
Ich glaube, daß es auf die Dauer unmöglich ist, von der Bundesbahn die Rede gewesen ist. Sie ist
die Betriebe danach zu besteuern und verschieden der größte Arbeitgeber, sie ist auch der größte
zu besteuern, in welcher juristischen Form sie Auftraggeber in der Bundesrepublik Deutschland.
betrieben werden. Wir müssen zu einer Betriebs- Sie machen sich kaum eine Vorstellung, wie viele
steuer kommen und haben gern festgestellt, daß der Industriezweige von der Auftragspolitik der Bun-
wissenschaftliche Beirat der Verwaltung für Finan- desbahn geradezu abhängig sind. Ich, will hier von
zen sich in diesem Sinne ausgesprochen hat. Es wird Aufzählungen absehen, aber die Zunahme der Ar-
hoffentlich möglich sein, diese Betriebssteuer schon beitslosigkeit in den letzten Wochen und Monaten
in einem Gesetz über die Neuordnung von Steuern führe ich bis zu einem gewissen Grade auf die
ab 1. Januar 1950 wirksam werden zu lassen. immer noch nicht geregelte Kreditlage der Bundes-
Ich glaube weiter, daß wir eine Senkung der bahn zurück. Ich bitte Sie, sich einmal einen
indirekten Steuern brauchen — Tabak, Kaffee —, Moment zu überlegen, was das bedeutet. Es gibt
und zwar, wenn es auch paradox klingt, um die Industrien — denken Sie zum Beispiel an Loko-
Erträgnisse aus diesen Steuern zu vermehren. Die motiven —, die in ihrer Inlandsbeschäftigung von
Steuermoral, die aua allen Gebieten schlecht ist, der Bundesbahn geradezu abhängig sind, und eine
ist bei den indirekten Steuern besonders schlecht, gewisse Inlandsbeschäftigung ist die Voraussetzung
und wir sollten uns alle Mühe geben, sie zu heben. dafür, daß diese Industrien ihre zweite Aufgabe,
Ein ganz kurzes Wort zur Währungsreform. Daß nämlich Export zu treiben, erfüllen können. Ich halte
sie technisch gelungen ist und daß es auch trotz der es nicht für übertrieben, wenn ich sage, daß. die
Abwertung des englischen Pfundes dabei bleibt, Aufrechterhaltung des jetzigen Zustandes hinsicht-
darüber besteht, glaube ich, Einverständnis. lich der Kreditgewährung an die Bundesbahn nicht
(Zuruf links.) nur für die Bundesbahn, sondern auf die Dauer
auch für Zweige der Wirtschaft tödlich sein wird.
— Einverständnis, daß sie technisch gelungen ist!
Denn letzten Endes, meine Damen und Herren, ist
Dieses Gelingen ist auch nicht mit der Neben-
es doch ein Unsinn, Investierungen aus der Westen-
erscheinung verbunden, daß der Patient tot ist. tasche oder aus den Tageseinnahmen zu bezahlen,
Aber wir haben in diesem Zusammenhang noch und welche Investierungen bei der Bundesbahn
sehr weitgehende Wünsche. Das setzt jedoch voraus, nötig sind, wissen Sie alle. Es sollte sich langsam
daß uns eine größere Freiheit in dieser Beziehung herumgesprochen haben, daß ein solches Unter-
von den Besatzungsbehörden zugestanden wird. Wir nehmen hierfür große Kredite braucht, und ich
haben sie an sich auf Grund des Besatzungsstatuts, meine, die Verhandlungen, die darüber geführt
aber die Generalklausel der Liste der Eingriffs- worden sind, sollten mit etwas mehr Energie jetzt
möglichkeiten läßt doch wohl Befürchtungen auf- zu Ende gebracht werden.
kommen. Es gehört dazu, daß auch das Organi-
sationsstatut der Bank deutscher Länder eine durch- Ich darf, da ich eben von der Bundesbahn spreche,
greifende Änderung erfährt. noch hinzufügen, daß es uns notwendig erscheint,
sie etwas näher an die Kontrolle des Parlaments
(Abg. Dr. von Brentano: Sehr richtig!) heranzuführen.
Wenn nun hier, meine Damen und Herren, von
der „Schattenquote" gesprochen worden ist, so muß (Sehr richtig! bei der FDP.)
ich darauf aufmerksam machen, daß einer Regelung In dieser Beziehung sind wir in einen Zustand
über die Schattenquote unbedingt die Wiedergut- hineingeschlendert, der nicht tragbar ist. Das bedeu-
machung des schreienden Unrechts vorausgehen tet nicht, daß in der Bundesbahn die Betriebsfüh-
muß, das durch die zweite Währungsreform began- rung nicht nach kaufmännischen Gesichtspunkten
gen warden ist, nämlich durch die Herabsetzung erfolgen soll; im Gegenteil, das ist eine absolute
der Quote für Geldforderungen von 10 auf 6,5 Pro- Notwendigkeit. — Im übrigen bitte ich, diese Aus-
zent. Wenn in dieser Beziehung etwas geschehen führungen über die Bundesbahn in erster Linie als
soll, muß das die Reihenfolge sein. ein Beispiel für die Notwendigkeit langfristiger
(Sehr richtig! bei der FDP.) Kredite anzusehen.
Wenn wir eine größere Freiheit auf diesem Ge- Was die ausländische Finanzhilfe angeht, so haben
biete erwarten, dann erbitten oder wollen wir sie uns die Besatzungsmächte vielfach erklärt, sie
insbesondere in einer Form, daß sie sich nützlich wünschten und erwarteten, daß zunächst das Inland
auf dem Gebiete der Finanzpolitik auswirkt. Ich die äußersten Anstrengungen mache. Wir haben
glaube, daß die Sicherheit der Währung, die ich mehrfach Ausführungen darüber gelesen, was in
hier für meine Person nochmals betonen möchte, dieser Beziehung aus privaten und öffentlichen
es nunmehr erlaubt, auch in der Kreditpolitik und Mitteln geschehen ist. Das ist wesentlich mehr, als
in den Fragen der Vorfinanzierung etwas mehr man vielleicht hätte erwarten können, und ich
Großzügigkeit walten zu lassen. Ich spreche keines- glaube, sagen zu dürfen, daß nun der Zeitpunkt
wegs für einen Leichtsinn, aber ich spreche für für die Zurverfügungstellung ausländischer Kredite
einen, sagen wir, leichten Sinn oder eine, wie ich gekommen und nach diesen unseren Vorleistungen
es eben nannte, Großzügigkeit. Es gibt eine Reihe die Bahn dafür frei ist. Ich möchte daran aber noch
von Gebieten, meine Damen und Herren, auf denen einen Wunsch knüpfen, nämlich daß die Freigabe
wir weiß Gott nicht mehr länger auf langfristige aus den Counterpart Funds usw. nicht weiterhin
Kredite warten können. Über den Wohnungsbau mit diesem Formalismus und mit dieser Lang-
brauche ich nicht zu sprechen, das ist hier schon wierigkeit behandelt wird, sonst ist in diesem Falle
so oft erörtert worden. Es besteht auch Einverständ- doch einmal der Patient tot, ehe ihm geholfen
nis darüber, daß die Modernisierung im Bergbau werden kann.
Deutscher Bundestag - 7. Sitzung. Bonn, Freitag, den 23. September 1949 105
(Dr. Wellhausen)
Was die öffentlichen Haushalte anlangt, meine wichtigsten Gesetze vorgelegt und verabschiedet
Damen und Herren, so glaube ich, daß ihre Lage worden sind. Ja es ist vorgekommen, daß Gesetze
nicht nur schwierig ist, sondern in allernächster parlamentarisch beraten worden sind, ohne daß sie
Zeit eher noch schwieriger wird. Ich meine jetzt in vorher das Plazet des Verwaltungsrats, also des da-
erster Linie die Haushalte der Länder und der maligen Kabinetts gehabt hätten. Mein Freund
Kommunen. Denn etwaige Steuersenkungen und Seelos ist nicht da, sonst würde ich ihn fragen, ob
etwaige dringend notwendige Entlastungen auf dem es mir erlaubt ist, ein bayerisches Wort zu zitieren.
Gebiete der Besatzungskosten werden bestimmt Ich will es trotzdem tun. Es heißt: Langsam, weil's
durch Erfordernisse zum Beispiel auf dem Gebiete pressiert!
der Sozialpolitik und in anderen Dingen überkom- (Heiterkeit.)
pensiert. Ich will gar nicht von Subventionen reden, Das sollte sich der Herr Minister für Arbeit für
die wir aus diesen öffentlichen Haushalten werden seine künftigen Gesetzesvorlagen etwas hinter die
zahlen müssen. Es dürfte wohl im ganzen Hause Ohren schreiben, wenn man bei einem Minister von
kein Zweifel darüber bestehen, daß Subventionen Ohren sprechen darf, was ich den hohen Herrn
auf die Dauer eine ungesunde Angelegenheit sind. Präsidenten eventuell zu überlegen bitte.
Aber, meine Damen und Herren, wie soll man
solchen von außen kommenden Ereignissen wie der Präsident Dr. Köhler: Genehmigt angesichts der
Abwertung des Pfundes und der Neuregelung der Scherzhaftigkeit der Bemerkung!
Bezahlung bzw. Abrechnung der Lebensmittelein-
fuhren, die schon am 1. Juli in Kraft getreten ist, (Heiterkeit.)
Ereignissen, die uns so über Nacht beschert werden,
wie soll man denen — ich sage das bewußt als Dr. Welihausen (FDP): Ich danke Ihnen vielmals,
Wirtschaftler — von heute auf morgen anders Herr Präsident.
begegnen als auch unter Inanspruchnahme von Es war so, daß insbesondere die finanzielle
Subventionen? Deswegen werden Sie mir zugehen Grundlage für das, w as b eschl osse n werden sollte
daß die Lage der öffentlichen Haushalte schlecht und auch beschlossen worden ist, in keiner Weise
bleiben wird. Um so wichtiger ist alles das, was hier gesichert gewesen ist. Das fing an mit dem viel be-
über Ersparnismaßnahmen gesagt worden ist. sprochenen und berühmten Sozialversicherungs-
Nun sind hier gestern eine große Reihe von anpassungsgesetz. Sehen Sie, meine Damen und
Wünschen vorgetragen worden, besonders von der Herren, mit dem Grundgedanken dieses Gesetzes,
Frau Abgeordneten Wessel. Ich habe einmal hinter die Renten der Sozialversicherungsempfänger an
ihr hergeschaut und mich gefragt, wo wohl der das veränderte Lohn- und Preisgefüge zupassen,
große Goldsack ist, den sie eigentlich mit sich her- sind wir jederzeit einverstanden gewesen. Es ist ein
umtragen muß. Denn es ist ja doch nicht möglich, notwendiges,
- absolut dringliches Unterfangen. Aber
meine Damen und Herren, derartige Wünsche zu dieses Gesetz geht weit über diesen Komplex hin
äußern, ohne gleichzeitig entsprechende Deckungs- aus. Es ist eine noch nicht einmal kleine Sozial-
vorschläge zu machen. versicherungsreform. Die neuen Männer in dem
(Sehr richtig! bei der FDP.) Ministerium für Arbeit — ich habe von solchen
neuen Männern gerüchtweise etwas gehört —
Ich glaube, wir sollten doch in unsere Geschäfts- werden von meinen Freunden gebeten, doch nun
ordnung, auch in die vorläufige, einen Satz hinein- das Versäumte auf das schnellste nachzuholen. Da-
bringen, wonach solche Anträge von Deckungs- zu gehört natürlich vor allem, eine versicherungs-
vorschlägen, so gescheit man sie sich nur ausdenken mathematische Bilanz aufzustellen. Denn man kann
kann, begleitet sein müssen. verlangen, einen Überblick darüber zu bekommen,
(Sehr gut! bei der FDP.) welche Mehraufwendungen durch die neuen Be-
Ich will mich auf diese wenigen Ausführungen stimmungen tatsächlich erwachsen. Es ist eine kauf-
über Wirtschafts- und Finanzpolitik beschränken, männische Binsenwahrheit, daß die Lastenträger —
da mir sehr daran liegt, noch etwas zur Sozialpolitik das mag sein, wer es will, die, Versicherten, die
zu sagen. Mein Freund Schäfer hat sich schon in Arbeitgeber, der Bund, das Land oder die Gemein-
seiner Rede ziemlich eingehend damit beschäftigt. den — sich vorher ausrechnen können, ob und wie
Wenn ich in der heutigen Debatte ausführlicher zu sie diese Mehrlasten übernehmen können. Bisher
diesen Dingen Stellung nehme, so geschieht das - darüber wird wohl kein Streit bestehen —
einerseits, um zu unterstreichen, wie wichtig dieses waren sie ausschließlich auf Schätzungen angewie-
Aufgabengebiet uns erscheint, andererseits aber sen. Wenn man so vorgeht, dann ist das schon
auch, um zum Ausdruck zu bringen, daß die Art grundsätzlich falsch. Aber es ist auch gegenüber den
und Weise, in der die Verwaltung für Arbeit im Versicherten nicht zu vertreten, bei denen — absolut
Wirtschaftsrat bzw. im Vereinigten Wirtschafts- berechtigterweise - Hoffnungen entstehen. Wenn
gebiet vorgegangen ist, nicht unseren Beifall findet sich diese Hoffnungen hinsichtlich des Sozial-
und daß wir bitten müssen, hier einen Wandel ein- versicherungsanpassungsgesetzes nicht als voll er-
treten zu lassen, weniger, wie ich hoffe, in der füllbar herausstellen sollten, dann wäre das doch
Zielsetzung, wohl aber absolut in den Methoden. ein schreckliches Desaster.
Ich will Sie jetzt nicht damit aufhalten, Ihnen Es gehört in dieses Kapitel, meine Damen und
die Entwicklung der letzten Monate zu schildern, Herren, daß zu unserem lebhaften Bedauern eine
obwohl das sehr reizvoll wäre. Aber wenn Sie sich zeitgemäße Regelung der Körperbeschädigten
die letzten Briefe der Militärregierungen an den Renten, das heißt zu deutsch weit überwiegend der
Präsidenten des Wirtschaftsrats ansehen, werden Kriegsbeschädigten-Renten sich bisher nicht hat er
Sie feststellen, eine wie große Zahl von Gesetzen möglichen lassen. Die Länder haben erklärt, daß
gerade auf diesem Gebiet entweder der Ablehnung sie auf dem Gebiet der Sozialversicherung derartig
verfallen oder der Behandlung durch den Bundestag in Anspruch genommen worden sind, daß zusätz-
vorbehalten geblieben sind, und dann, werden Sie liche Leistungen der Sozialpolitik nicht oder jeden-
mit mir der Meinung sein, daß das kein Zufall ist. falls nicht in dem beabsichtigten Maße möglich sind.
Vielmehr liegt das daran, daß mit unziemlicher Eile Ich brauche nicht zu betonen, wie das auf die Be-
und noch dazu ohne gehörige Vorbereitung die troffenen und die ganze Öffentlichkeit wirkt. Sie
106 Deutscher Bundestag — 7. Sitzung. Bonn, Freitag, den 23. September 1949
(Dr. Wellhausen)
haben darüber in den Zeitungen gelesen. Ausge- errichten. Das ist auch ein Teil der von mir schon
rechnet die Körperbeschädigten sind durch die gestreiften Selbstverwaltung. Die Bedürfnisse der
falsche Systematik, die die Verwaltung für Arbeit Ortskrankenkassen werden durch die ausdrückliche
angewandt hat, nicht nur hintangesetzt, sondern Bestimmung in der Reichsversicherungsordnung,
auch grob enttäuscht und verbittert worden. Ich die wir wiederherstellen wollen, in jeder Weise
glaube, ich brauche nicht ausführlicher zu werden, berücksichtigt.
um meine Forderung zu begründen, daß in diesen Meine Damen und Herren, ich muß mit diesem
Dingen in der Verwaltung für Arbeit oder im Katalog aufhören. Aber Sie ersehen daraus, ein wie
jetzigen Bundesministerium ein grundlegender breites Arbeitsfeld sich gerade auf diesem Gebiet
Wandel geschaffen werden muß. für uns eröffnet. Wir sehen es als dringendste
Es hat uns enttäuscht, meine Damen und Herren, Aufgabe des Bundestages an, mit Ernst und großer
daß wir es infolge der Ablehnung durch die Militär- Sachlichkeit und so leidenschaftslos wie möglich,
regierung nicht fertigbekommen haben, die Selbst- aber natürlich unter Berücksichtigung der finan-
verwaltung in der Sozialversicherung wieder her- ziellen Gegebenheiten manche Lücke zu schließen,
beizuführen. Wer die wechselvollen und sehr ver- die auf dem Gebiete des Arbeitsrechts und der
antwortungsbewußt geführten Verhandlungen mit- Sozialversicherung heute noch klafft. Wir wünschen
erlebt hat, die wegen dieses Punktes im Wirtschafts- mit Ihnen allen, daß der hohe Rang, den Deutsch-
rat und seinen Ausschüssen geführt worden sind, land seit Jahrzehnten, auf dem Gebiete des Arbeits-
der wird mir das nachempfinden. Denn wir sind rechts und der Sozialpolitik innegehabt hat, erhal-
doch schon weit im Verzuge mit dieser ganz ten bleibt. Denn wir sind zutiefst davon überzeugt
simplen, wenn auch verbesserten Wiederherstellung — und das sind keine Worte —, daß der soziale
der Verhältnisse vor 1933. Hier handelt es sich um Friede eine der ersten und wichtigsten Voraus-
eine wirkliche Ausmerzung nazistischen Rechts. setzungen für alle unsere übrige Arbeit ist und daß
Ich glaube, es sollte eins unserer ersten Bestreben fortschrittliche Regelung gerade auf diesem Gebiete
sein, jetzt, wo wir nicht auf die Genehmigung der geeignet ist, uns vor der Gefahr schwerer innerer
Militärregierung angewiesen sind, einen Schluß- Erschütterungen — so hoffe ich — zu schützen.
punkt unter dieses Gesetz zu machen. Ich bin mir darüber klar, daß es nicht leicht sein
Schwieriger liegen die Dinge bei zwei anderen wird, jetzt etwas Positives und Fortschrittliches zu
Sozialgesetzen: dem Lohnregelungs- und dem Kün- leisten. Denn es ist in dieser Debatte mehrfach ge-
digungsschutzgesetz. Hier werden sehr schwierige sagt worden und mit großem Recht —, daß die
Fragen des Arbeitsrechts angesprochen. Darauf ist größte und vordringlichste soziale Aufgabe für uns
es wohl zurückzuführen, daß sich die Militärregie- der Lastenausgleich ist. Wie Sie übrigens daneben
rung mit diesem Gesetz nicht positiv beschäftigt — Herr Abgeordneter Ollenhauer ist nicht mehr
hat. Aber wie dringlich es ist, daß in dieser Frage da — noch eine Neuordnung der übrigen Besitzver-
eine Ordnung erfolgt, erkennen Sie schon, wenn hältnisse vornehmen wollen, das müssen Sie mir
Sie sich die ungeheure Rechtszersplitterung und erst einmal erklären.
Rechtsungleichheit ansehen, die gerade auf sozial- Also an diesem Vorrang des Lastenausgleichs ist
rechtlichem Gebiet in der Zeit von 1945 an in nichts zu ändern. Wir müssen uns aber alle Mühe
den elf Ländern der Bundesrepublik Deutschland geben, der Gefahr zu begegnen, daß die Fürsorge
entstanden ist. Dazu ist noch gekommen, daß die für unsere Arbeiterschaft und die Sicherung ihrer
Besatzungsbehörde durch Direktiven, oder wie sie Rechte, wie der Rechte der Arbeitgeber, die selbst-
es sonst genannt hat, alle möglichen zusätzlichen verständlich genau so gesichert werden müssen, in
Dinge geregelt hat und daß auch manche Länder- den Hintergrund treten. Denn, meine sehr verehr-
regierungen, wie das so nach 1945 zuweilen vor- ten Damen und Herren, so wie es sicherlich richtig
kam, reichlich willfährig den Anregungen der Mili- ist, daß eine gute Sozialpolitik nur bei einer
tärregierung auf diesem Gebiete entsprochen haben. intakten Wirtschaft und bei einer guten Wirtschafts-
Ich bin der Auffassung, daß wir hier nur dann zu politik möglich ist, so ist — und das möchte ich hin-
einem guten Ergebnis kommen, wenn wir - zu- zufügen — der Erfolg der Wirtschaft nicht zuletzt
nächst vorläufig — die Weimarer Gesetze wieder von einem sozial denkenden Staat und von
in Kraft setzen. einem sozial denkenden Unternehmertum bestimmt.
Das gilt nach meiner Auffassung — ich kann das Wenn immer wieder gesagt worden ist — und ich
heute nicht vertiefen — auch für das Betriebsräte- habe es selbst einleitend gesagt —, daß ein Mensch,
gesetz. Das Gesetz von 1920 war in jeder Weise der zu essen hat, zufriedener ist, wie wir nach der
fortschrittlich und als solches international aner- Währungsreform an unserem ganzen Volkskörper
kannt. Noch nicht einmal auf diesem Stand sind in sinnfälligster Weise festgestellt haben, so ist es
wir heute. Wir haben vielmehr in den Ländern auch richtig, daß ein Arbeiter — ich gebrauche den
ganz verschiedene Regelungen. Selbstverständlich Sammelbegriff —, ein Arbeiter jeglicher Art und
müßte dann dieses Gesetz an die Erfordernisse von jeglichen Grades nur dann mit Erfolg für seinen
heute angepaßt werden, die sich nicht in allem mit Arbeitgeber, der letzten Endes immer noch das
denen vor 1933 decken. Wir haben die Möglichkeit, Risiko trägt, seine Arbeit ausführt, wenn er von
auf Grund des Grundgesetzes diese Materie an uns dessen sozialer Gesinnung überzeugt ist und sie auf
zu ziehen. Ich glaube, auch sehr weit vorgeschrit- Grund fortschrittlicher Gesetze und vielleicht ge-
tenen oder fortgeschrittenen Föderalisten wird das legentlich auch — sobald es möglich ist — durch
als notwendig und richtig erscheinen. Wir hätten freiwillige Leistungen täglich und stündlich spürt.
die Rechtsgleichheit herbeigeführt und einer wei- Meine Damen und Herren! Ich. möchte Ihnen vor-
teren Zersplitterung in dieser Beziehung vorge- schlagen, hinsichtlich der Sozialpolitik in diesem
beugt. Dann wäre schon sehr viel geschehen. Sinne an die Arbeit zu gehen. Wir sind jedenfalls
Ich habe schon davon gesprochen, daß es vor- dazu bereit.
dringlich ist, die Reste nazistischer Gesetzgebung (Beifall bei der FDP und in der Mitte.)
zu beseitigen. In dieses Kapitel — und nur in dieses
Kapitel — gehört unter anderem auch die Wieder- Präsident Dr. Köhler: Das Wort hat Herr Abge-
herstellung des Rechts, Betriebskrankenkassen zu ordneter Rüdiger.
Deutscher Bundestag - 7. Sitzung. Bonn, Freitag, den 23. September 1949 107

Rüdiger (FDP): Meine Damen und Herren! Ich genau von der umgekehrten Seite anfassen, als es
möchte an die Worte des Herrn Abgeordneten Blank bisher geschehen ist.
anschließen, der hier sagte, daß es ein Erfordernis (Sehr gut!)
des Staates ist, in erster Linie eine Reihe von Es muß aber auch betont werden, daß die Zwei-
mittelständischen Existenzen kleinerer und größerer gleisigkeit in der Wirtschaftspolitik, was den indu-
Art sicherzustellen. Ich freue mich darüber und striellen Markt auf der einen Seite und den l and-
darf sagen, daß wir von der FDP restlos dieselbe wirtschaftlichen Markt auf der andern Seite betrifft,
Linie beschreiten müssen. Zu diesen mittelstän- nun endlich in irgendeiner Form ausgeglichen wer-
dischen Existenzen gehört in erster Linie das Hand- den muß.
werk. Dem Handwerk muß eine besondere Förde- (Sehr gut! bei der FDP.)
rung und Aufmerksamkeit in weitgehendem Maße
zuteil werden. Gerade der handwerkliche Nach- Uns kommt es heute nicht darauf an und dem
wuchs ist auch im Interesse der Großbetriebe Bauern kommt es nicht darauf an, was er für den
- auch der industriellen Wirtschaft — in weit- Zentner, Weizen bekommt, sondern was er für einen
gehendem Maße zu fördern. Er ist aus der Wirt- Zentner Weizen tatsächlich wieder einkaufen kann.
schaft gar nicht wegzudenken. (Sehr richtig!)
Ich darf aber dann meiner Freude Ausdruck Dieses Mißverhältnis, diese klaffende Presschere
geben, daß ich im Auftrage meiner Fraktion im muß wieder auf ein gesundes Verhältnis zurück-
wesentlichen jetzt zu einigen sachlichen agrarpoli- geführt werden.
tischen Fragen Stellung nehmen darf und daß diese Wir legen auch ganz besonderen Wert darauf, daß
Anregung nicht von agrarischen Abgeordneten endlich einmal ein Sozialproblem gelöst wird
unserer Fraktion, sondern ausgerechnet von indu- — hier ist soviel von sozialen Problemen gesprochen
strieller Seite ausgegangen ist. Ich freue mich dar- worden —, das der dringlichsten Lösung bedarf,
über ganz besonders, weil ich mir klar darüber bin, das ist die Entlohnung der Landarbeiter. Wir kön-
daß Agrarpolitik nie eine einseitige Interessen- nen an dieser Frage nicht einfach vorübergehen.
oder Interessentenpolitik sein darf. In dieser Hin- Der Abgeordnete Loritz hat schon gesagt, es sei
sicht sollten wir uns ein Beispiel an dem Ausland, heute so, daß wir von Intensivierung reden und
an Amerika, nehmen, wo gerade die Agrarpolitik nicht die notwendigsten Arbeitskräfte zur Verfü-
über den Rahmen der einzelnen Parteien hinaus gung stehen. Immerhin ist die Zahl der Arbeits-
eine Politik des gesamten Staates und nicht losen in unserer Bundesrepublik doch eine sehr
der Parteien geworden ist. Auch bei uns muß beträchtliche. Deshalb müssen wir die Ursachen
Agrarpolitik eine Volkspolitik sein. Wir müssen ergründen, die hier von entscheidender Bedeutung
nicht nur auf die Steigerung der Produktion, der sind. Wir müssen dahin kommen, daß die Unter-
Erzeugung, sondern selbstverständlich auch auf die bewertung der Landarbeit der Vergangenheit
Kaufkraft der breiten Masse Rücksicht nehmen. angehört.
Die Verhältnisse in Deutschland und in Amerika (Beifall rechts.)
liegen grundverschieden. In Amerika gibt es Ich hoffe, daß uns in der Hinsicht auch die Ge-
weite Flächen mit einer verhältnismäßig gerin- werkschaften in weitestgehendem Maße unter-
gen Bevölkerungszahl; in Deutschland haben wir stützen. Wir bejahen die Gewerkschaften, wenn sie
kleinere Flächen mit einer auf engstem Raum zu- nicht ein Staat im Staate werden; sie sind aus dem
sammengepreßten außergewöhnlich hohen Bevölke- öffentlichen Leben nicht wegzudenken. Wir bejahen
rungszahl. sie, aber auf der andern Seite auch einen Gegen-
Die Binnenpreise des Getreides und die Binnen- pol, die landwirtschaftliche Gewerkschaft, den
preise anderer landwirtschaftlicher Produkte sollen Deutschen Bauernverband, der natürlich auch nicht
immer nur so hoch sein, daß sie die Produktions- nur seine einseitigen Interessen vertreten darf,
kosten, die Bezahlung stadtgleicher Landarbeiter- aber bei allen mehr oder weniger maßgebenden
löhne und einen bescheidenen Verdienst decken. Entscheidungen zumindest gehört werden muß.
Wir sind besonders erfreut darüber, feststellen Wir bedauern, daß wir insbesondere jetzt bei den
zu können, daß gerade auch von den Bauernver- neuen Handelsvertragsverhandlungen und den
bänden niemals die einseitige Forderung erhoben neuen Handelsverträgen nicht im entscheidenden
worden ist, unmittelbar heute die Angleichung an Maße gehört worden sind. Ich habe den dringenden
den Weltmarktpreis vorzunehmen. Es ist eine fest- Wunsch an den Landwirtschaftsminister, daß er in
stehende Tatsache, daß ohne die Abwertung im dieser Hinsicht den Verhältnissen in Zukunft mehr
Augenblick der Weizenpreis frei Schiff Hamburg Rechnung trägt, den realen Verhältnissen, wie sie
5,50 D-Mark pro Zentner über dem Preis liegt, den tatsächlich liegen.
der deutsche Bauer bezahlt bekommt. (Unruhe und Zuruf rechts: Wo ist der Minister
für Ernährung und Landwirtschaft?)
(Sehr richtig!)
— Ich bedaure, daß die Regierungsbank sich geleert
Ich möchte das nur sachlich feststellen. Wir wollen hat.
aber auch eines: wir wollen nur die Deckung der
Produktionskosten. Allerdings muß diese Deckung Präsident Dr. Köhler: Herr Abgeordneter Rüdiger,
der Produktionskosten unter allen Umständen bitte einen Moment! Ad die Frage, wo die Regie-
sichergestellt werden. rung geblieben ist, kann ich Ihnen nur antworten:
In der bisherigen Zeit der Agrarpolitik hat man ich habe selbst schon festgestellt, daß die Re-
im allgemeinen immer viel von Erfassung geredet gierung die Regierungsbank verlassen hat. Der
und sich auch mit Erfassung beschäftigt und hat Herr Bundeskanzler hat mich vorher gefragt, wie
die Produktion erheblich kurztreten lassen. Wir lange die Sitzung voraussichtlich noch dauern
können diesen Standpunkt nicht verstehen. Ich würde. Ich habe ihm daraufhin nach Einsicht in die
freue mich besonders darüber, daß in der Regie- Rednerliste die Antwort zukommen lassen: bis etwa
rungserklärung zum Ausdruck gekommen ist, dieser 1.25 Uhr. Die Anfrage wurde mit der Notwendigkeit
Zustand solle nunmehr grundsätzlich geändert der Abhaltung einer sofortigen Kabinettssitzung
werden. Wir müssen tatsächlich dieses Problem begründet. .
108 Deutscher Bundestag — 7. Sitzung. Bonn, Freitag, den 23. September 1949
(Präsident Dr. Köhler)
Ich bitte, Herr Abgeordneter, fahren Sie fort. gegeben, daß diese Gebiete schon seit länger als
tausend Jahren deutsch waren, bevor überhaupt
Rüdiger (FDP): Nach dieser Erklärung des Herrn Amerika nur entdeckt wurde. Ich meine, das ist
Präsidenten brauche ich wohl nicht zu sagen, daß eine sachliche Feststellung. Wir haben diese Ge-
ich es besonders bedauerlich finde, daß gerade biete auch als die Kornkammern nötig, gewiß; wir
bei einem derart entscheidenden und wich- haben sie aber auch im Interesse der Auffrischung
tigen Regierungsprogramm die Regierungsbank sich unserer westlichen Landwirtschaft nötig, um uns
restlos geleert hat. Ich meine, wir sind in der Hin- unsere Kartoffelanbaugebiete, unsere Kartoffel-
sicht schon manches gewohnt. Ich hoffe aber, daß saatzuchtbetriebe in Vorpommern und Hinter-
es in Zukunft besser wird und daß man auch den pommern, die wir so dringend hier für den Westen
agrarpolitischen Fragen im Interesse des gesamten benötigen, zur Steigerung der Produktion wieder
Volkes und in Ablehnung eines ungesunden Berufs- einverleiben zu können. Daran kranken wir in
egoimus etwas mehr Verständnis entgegenbringt, erheblichem Maße. Ich will Ihnen hier keine land-
als es bisher geschehen ist. wirtschaftlichen Exerzitien vortragen. Sie können
(Zustimmung rechts.) sich aber darauf verlassen, daß das wissenschaft-
Ich komme zur Zwangswirtschaft. Der Herr Ab- lich begründet ist.
geordnete Ollenhauer hat hier Bedenken dagegen (Zuruf von der SPD: Aber nicht ,mit den
geäußert, daß nun auch die Zwangswirtschaft wei- Latifundien!)
ter abgebaut werden soll. Wir teilen diese Beden- Ich komme in diesem Zusammenhang zu einer
ken allerdings in keiner Weise. Ich möchte die Forderung. Weil wir diese Zwangswirtschaft schon
Herren von der Linken und auch die Kollegen des als Abgeordnete praktisch nicht einhalten, ist es
Herrn Abgeordneten Ollenhauer fragen: möchte auch erforderlich, daß man nicht mit der härtesten
jemand den Zustand herbeisehnen, der vor einein- Gesetzgebung die Leute bestraft, die im Interesse
halb oder eindreiviertel Jahren in Deutschland ge- einer Produktionssteigerung für ihre Betriebe viel-
herrscht hat? leicht irgendwelche Fehler begangen haben. Diesen
(Unruhe und Zurufe links.) Leuten muß meiner Ansicht nach eine General-
Oder ist es nicht entschieden besser geworden, amnestie gewährt werden, damit auch der Richter
haben sich die Verhältnisse nicht wesentlich ge- und der Staatsanwalt nicht in den Gewissenskon-
bessert? flikten stecken bleibt, in denen er heute steht.
(Erneute Zurufe links.) (Beifall rechts.)
Eine Zwangswirtschaft, die nur auf dem Papier Ich habe zu Hause mit unserem Herrn Oberstaats-
steht, ist keine Zwangswirtschaft. -anwalt gesprochen. Der Mann kommt tatsächlich von
(Sehr richtig! bei der FDP.) einem Gewissenskonflikt in den andern. Geben Sie
Und nun ein ernstes Wort und eine ernste Frage ihm die Möglichkeit, daß wieder Recht und Gerech-
I an Sie und an alle Abgeordneten dieses Hauses. tigkeit als Eckpfeiler des Staates in den Vorder-
Ich will diese Frage auch an die Regierung richten: grund geschoben werden.
Gibt es überhaupt einen Menschen in diesem Hohen (Zuruf von der KPD: Da können sie wieder
Hause, der jemals die Gesetze der Zwangswirtschaft schieben!)
hundertprozentig befolgt hat oder befolgt haben — Ich stehe nicht auf dem Standpunkt, daß die
könnte? Ich zweifle daran. Schieber und diese Brüder etwa auch unter diese
(Zustimmung rechts.) Amnestie fallen sollen. Davor möchte ich dringend
Wenn ich in diesem immerhin sehr anständig und warnen. Ich will Ihnen hier nur folgendes sagen.
luxuriös eingerichteten Hause in den Speisesaal Ich kenne einen Fall, in welchem ein Viehhändler
gehe, hat mich noch nicht ein) Mensch gefragt, was 56 Stück Großvieh nachgewiesenermaßen zu Wucher-
ich für Marken und Karten abzugeben habe. Wenn preisen in ein DP-Lager verschoben hat. Diese Tat
das hier und schlechthin in Bonn nicht der Fall ist, liegt bereits ein Jahr zurück, und dieser Mann ist
wo man durchaus gut verpflegt ist, dann frage bis heute noch nicht bestraft. Dafür habe ich aller-
ich mich, warum man dieses künstliche Gebilde dings kein Verständnis. Sie müssen mich nur richtig
einer einseitigen Zwangswirtschaft heute noch auf- verstehen — wir wollen uns doch gegenseitig ver-
rechterhalten soll. stehen und aussprechen —, daß wir nur an die
kleineren Fehler denken, die tatsächlich im Rahmen
(Lebhafter Beifall rechts.) einer gesunden Wirtschaftsführung fast unumgäng-
Da sollte man doch die Macht der Tatsachen für lich waren.
sich sprechen lassen und sollte sagen, daß derartige Ich komme kurz noch einmal auf das Gebiet der
Sachen nun endlich der Vergangenheit angehören. Bodenreform. Hier möchte ich sagen, daß die Frei-
Ich möchte noch sagen, daß wir durch ein ver- willigkeit in vieler Hinsicht viel besser wäre als
nünftiges Preisgefüge endlich zu einer Steigerung der außergewöhnliche Zwang, der ausgeübt wird.
der Produktion im weitestgehenden Maße kommen Ich bejahe durchaus das Flüchtlingssiedlungsgesetz
müssen. Dazu zwingt uns unsere Not und unsere und stehe durchaus auf dem Standpunkt, daß eine
Armut. Es ist auch von den Herren der Linken vernünftige Bodenreform durchführbar ist. Aber
— ich glaube, auch von dem Herrn Abgeordneten eine vernünftige! Versprechen wir uns aber von
Ollenhauer und Herrn Dr. Schumacher — gesagt dieser Bodenreform keine uferlosen Erfolge! Selbst
worden, daß wir uns im Augenblick nur zu 50 Pro- im Osten hat man heute im Interesse einer
zent aus eigener Erzeugung ernähren und ernähren gesunden Volksernährung mehr größere Betriebe
können. aufrechterhalten, als wir im Westen überhaupt
Wir sind der Überzeugung, daß allerdings die noch besitzen. Das ist ein entscheidender Faktor.
Oder-Neiße-Linie nie die Grenzlinie des deutschen Bedenken Sie, daß in Nordrhein-Westfalen die
Volkes sein wird. Ich will diese politischen Zusam- größeren Betriebe, die unter die Bodenreform fallen
menhänge nicht erneut behandeln, auch nicht diese würden, noch nicht 4 Prozent der Gesamtfläche
volkspolitischen Zusammenhänge. Ich habe wieder dieses Staates ausmachen. Bedenken Sie, daß das
holt den Amerikanern sehr deutlich zu verstehen bei uns in Hessen ganz genau so ist. Wir dürfen
Deutscher Bundestag - 7. Sitzung. Bonn, Freitag, den 23. September 1949 109
(Rüdiger)
uns also von diesen Gedankengängen nicht zu über- Zweitens: der Ältestenrat hat sich soeben mit
triebenen Hoffnungen verleiten lassen. Mehrheit dafür ausgesprochen, daß die Verhandlun-
gen heute abend ihr Ende finden, nachdem die vor-
(Sehr gut! rechts.) gesehene Rednerfolge erledigt ist, mit folgender
Ich möchte in diesem Zusammenhang sagen - ich Maßgabe, daß die nächste Plenarsitzung
habe das schon vorhin gesagt die Gewerk- am Dienstag nächster Woche um 15 Uhr beginnt,
schaften sind ein Faktor, und wir wollen mit den und zwar mit der Fortsetzung der Aussprache über
Gewerkschaften rechten. Wir wollen auch mit den die Regierungserklärung. Ich gebe dem Hause
Gewerkschaften in vernünftiger Weise streiten. davon Kenntnis und trage, bb dazu das Wort
Aber es ist unmöglich, daß man den Deutschen gewünscht wird.
Bauernverband so kaltstellt, wie es augenblicklich
geschehen ist. Denn der Deutsche Bauernverband Bitte, Herr Abgeordneter Ollenhauer.
hat im Rahmen einer gesunden, vernünftigen Volks-
wirtschaft seine Aufgaben. Denken Sie, wenn Sie Ollenhauer (SPD): Meine Damen und Herren! Ich
schon überhaupt davon sprechen, daran, wie möchte zu diesem Beschluß der Mehrheit des
schwierig es ist, die Arbeitskräfte zu beschaffen, Ältestenrates hier eine Erklärung der sozialdemo-
und was in der Landwirtschaft tatsächlich geleistet kratischen Fraktion abgeben. Es ist das zweite Mal
wird. Denken Sie auch an die Bauersfrau, die tat- in dem kurzen Arbeitsdasein dieses Parlaments,
sächlich der größte Arbeitssklave ist, den man sich daß wir durch die Regierungsparteien vor die Not-
überhaupt nur denken kann. wendigkeit gestellt werden, kurzfristig Verein-
barungen über die Arbeitsweise des Plenums zu
(Beifall rechts.)
ändern. Am Ende der vorigen Woche ist ohne vor-
Wenn wir allen diesen Verhältnissen und Gesichts- herige Rücksprache mit den übrigen Fraktionen der
punkten Rechnung tragen, dann muß sich auch auf Herr Abgeordnete Bleicher mit der v Antrag in das
agrarpolitischem Gebiet eine vernünftige Lösung Plenum gekommen, die für Montag vorgesehene
finden lassen. Plenarsitzung auf Dienstag zu ver tagen
Das Kernproblem ist und bleibt, daß man tat-
sächlich die Produktionskosten deckt. Es mutet kein (Abg. Dr. Schumacher: Es war die Nacht
Mensch einem Arbeiter zu, daß er unter Tarif der Erleuchtung!)
arbeitet. Wir wissen, daß er nur zu einem sehr Wir sind in der Abstimmung über diesen Antrag
bescheidenen Teil ausgelohnt wird. Wir möchten in der Minderheit geblieben. Wir hatten auf Grund
alle hoffen und wünschen, daß das etwas günstiger dieser Erfahrung am Montag dieser Woche im
wird, als es augenblicklich der Fall ist. Man mutet Ältestenrat Wert darauf gelegt, daß eine feste Ver-
keinem Industriellen und keinem Handwerker zu, abredung über die Arbeitsweise des Plenums in
daß er eine Produktion und eine Leistung voll- - dieser Woche zustande kommt; und im Hinblick
bringt, bei der seine Unkosten nicht gedeckt wer- auf die Schwierigkeiten, die für viele Mitglieder
den. Diese Unkostendeckung ist auch im Rahmen des Hauses am Wochenende immer entstehen, haben
der deutschen Landwirtschaft eine selbstverständ- wir am Montag vorgeschlagen, den Sonnabend
liche Forderung. sitzungsfrei zu lassen.
(Beifall rechts.) Gegen diese Vorschläge haben die Vertreter der
Regierungsparteien mit sehr starken Argumenten
Präsident Dr. Köhler: Meine Damen und Herren! opponiert. Sie haben uns auseinandergesetzt, daß es
Ich höre soeben von der Fraktion der FDP, daß der im Interesse der Aufnahme der praktischen Arbeit
als dritter Redner vorgesehene Herr Abgeordnete der Regierung und des Parlaments unbedingt erfor-
Dr. Zawadil jetzt mit Rücksicht auf die Nichtanwe- derlich sei, die Debatte über die Regierungserklä-
senheit der Bundesregierung verzichten will. Ich rung und die Behandlung der Anträge, die schon
stelle fest, daß dann die Restzeit, die der Fraktion vor längerer Zeit in Aussicht genommen worden
der FDP für die Aussprache zur Verfügung steht, war, hintereinander zu erledigen, auch unter Ein-
eine Viertelstunde beträgt. Wir würden dann heute beziehung des Wochenendes, so daß ab Montag
nachmittag bei der Wiedereröffnung der Debatte abend die Abgeordneten des Hauses mit einigen für
als ersten Redner den dritten Redner der FDP mit das Plenum sitzungsfreien Tagen rechnen konnten.
einer Viertelstunde hören. Wir haben uns am Montag abend trotz schwerer
Ich mache ferner auf folgendes aufmerksam Bedenken diesen sachlichen Argumenten ange-
— ich bin darum gebeten worden —: die Fraktion schlossen und haben am Dienstag morgen in der
der CDU/CSU hat um 14 Uhr eine Fraktionssitzung, Fraktion diesen Beschluß des Ältestenrats vertreten.
der Ältestenrat wird um 15.30 Uhr zusammen- Unsere Fraktion ist in erhebliche Schwierigkeiten
treten. Wir werden gemäß einer gestern abend im gekommen, weil selbstverständlich eine Menge
Ältestenrat getroffenen Vereinbarung die Plenar- unserer Mitglieder auch für dieses Wochenende
sitzung um 16 Uhr fortsetzen. disponiert hatten; aber wir sind zu einem ein-
Ich unterbreche die Sitzung. stimmigm Beschluß gekommen. daß wir diesen
Vorschlag des Ältestenrats akzeptieren.
(Unterbrechung der Sitzung um 13 Uhr 13 Minu- Gestern hat uns die CDU-Fraktion im Ältesten-
ten.) rat mitgeteilt, daß sie sich nicht mehr an diesen
Beschluß halten könne, und alle unsere Versuche,
Die Sitzung wird um 16 Uhr 27 Minuten wieder sie davon zu Oberzeugen. daß auf diese Weise eine
aufgenommen. vernünftige Arbeit des Parlaments unmöglich ist,
haben kein Resultat gehabt. Heute mittag hat sich
Präsident Dr. Köhler: Meine Damen und Herren, herausgestellt, daß die Mehrheit der Parteien in
die Sitzung ist wieder eröffnet. diesem Hause sich dem Vertagungswunsch der CDU
Ehe wir wieder in die Aussprache eintreten, habe und der übrigen Regierungsparteien angeschlossen
ich einige Mitteilungen zu machen. hat.
Erstens: als weiterhin beurlaubt gilt wegen Meine Damen und Herren, ich bin der Auffas
Krankheit Herr Abgeordneter Mißmahl. sung, daß wir in dieser Weise die Arbeit des Hauses
110 Deutscher Bundestag — 7. Sitzung. Bonn, Freitag, den 23. September 1949
(Ollenhauer)
nicht organisieren können. Es scheint uns nicht erledigt wird. Aus diesem Grunde haben wir diesen
möglich, daß immer in dem Augenblick, in dem bei Antrag im Ältestenrat gestellt. Er ist dort nicht
den Regierungsparteien aus irgendwelchen Gründen nur mit den Stimmen der Regierungsparteien, son-
Schwierigkeiten auftreten, diese Parteien des Hau- dern auch mit den Stimmen der anderen Parteien
ses mit ihrer Mehrheit die Dispositionen ändern. mit Ausnahme der SPD und unter Stimmenthaltung,
Wir haben uns am Montag getreu unserer Er- wenn ich mich recht erinnere, des Herrn Vertreters
klärung, daß wir zur sachlichen Arbeit entschlossen der KPD angenommen worden. Ich bitte Sie daher,
sind, dem einstimmigen Beschluß des Ältestenrats den entgegenstehenden Antrag der SPD abzulehnen.
gefügt, aber wir sehen uns nicht in der Lage, heute
unmittelbar vor dem Beginn des Wochenendes Präsident Dr. Köhler: Wird das Wort wieder zu
angesichts der inzwischen getroffenen Dispositionen dieser Angelegenheit der Geschäftsordnung ge-
nun wieder von dem Beschluß des Ältestenrats wünscht? Ich stelle fest: das ist nicht der Fall.
abzugehen. Ich glaube, es wäre nützlich und läge Dann kommen wir zur Abstimmung über den
auch im Interesse der Arbeit dieses Hauses, wenn Antrag des Herrn Abgeordneten Ollenhauer.
wir an unserer ursprünglichen Verabredung fest- (Abg. Dr. Schmid: Ich bitte ums Wort zur
hielten und die Diskussion über die Regierungs- Abstimmung!)
erklärung und die Beschlüsse über die Anträge in
der Weise zu Ende bringen würden, wie es am — Bitte schön, Herr Dr. Schmid.
Montag beschlossen war. Dr. Schmid (SPD): Meine Damen und Herren! Ich
Die sozialdemokratische Fraktion bittet daher, glaube, die Abstimmung müßte anders erfolgen,
den Vorschlag der Mehrheit des Ältestenrats abzu- nicht darüber, ob die Mehrheit des Hauses der Auf-
lehnen. rechterhaltung des Beschlusses des Ältestenrats vom
(Zustimmung bei der SPD.), letzten Montag zustimmt, sondern darüber, ob die
Mehrheit des Hauses dafür ist, daß dieser regulär
Präsident Dr. Köhler: Ich darf diese Bitte als gefaßte Beschluß abgeändert werden soll.
einen Antrag auffassen. (Lebhafter Widerspruch. — Zuruf: Es ist gar kein
(Abg. Ollenhauer: Bitte!) neuer Beschluß da!)
Wird das Wort weiter gewünscht? — Herr Abge-
ordneter Dr. von Brentano. Präsident Dr. Köhler: Wir hatten uns vorhin im
Ältestenrat darüber verständigt, daß Herr Kollege
Dr. von Brentano (CDU): Meine Damen und Ollenhauer den von ihm eben begründeten Antrag
Herren! Ich möchte die Ausführungen des Herrn stellen würde, über den dann abgestimmt werden
Kollegen Ollenhauer nicht unwidersprochen lassen. sollte. So ist es doch, Herr Kollege Ollenhauer?
Richtig ist, daß der Ältestenrat sich am vergan- (Zustimmung. — Abg. Dr. Schmid: Das wußte ich
genen Montag darüber verständigt hat, bis Montag nicht; ich bitte um Entschuldigung!)
durchzutagen.
— Bitte sehr.
(Zuruf von der SPD: Auf Ihren Antrag!)
Also darf ich in der vorgesehenen Weise jetzt zur
Richtig ist aber auch, daß inzwischen eine völlige Abstimmung schreiten über den Antrag des Herrn
Veränderung hinsichtlich des Ausmaßes der Arbeit Abgeordneten Ollenhauer, die Sitzung, wie es
eingetreten ist; denn es liegen nunmehr 21 An- ursprünglich beabsichtigt war, bis zum Montag
träge vor. Unsere Absicht, von der wir damals aus- nächster Woche fortzuführen; so lautet der Antrag.
gingen, die Arbeit vorläufig am Montag abend abzu- Wer für diesen Antrag ist, den bitte ich, die Hand
schließen, läßt sich unter diesen Umständen mit zu erheben. - Ich bitte um Auszählung. Ich bitte
Bestimmtheit nicht verwirklichen. Aus diesem die beiden Schriftführer, sich in die Reihen zu
Grunde hat die CDU/CSU und haben dann auch begeben und auszuzählen. — Ich bitte, noch einmal
sämtliche anderen Parteien heute im Ältestenrat die Hand zu erheben; die Herren Schriftführer sind
den Antrag gestellt, die Sitzung heute abend abzu- offenbar nicht zu einem gleichen Ergebnis gekom-
brechen und am Dienstag fortzuführen. Ich möchte men.
nicht, daß hier im Hause — und das könnte aus
den Ausführungen des Herrn Kollegen Ollenhauer (Abg. Schoettle: Herr Präsident, es genügt doch
hervorgehen — der Eindruck entsteht, als hätten eigentlich, wenn Sie die Gegenprobe machen! —
die Regierungsparteien die Absicht, die Arbeit der Zustimmung.)
Opposition irgendwie zu erschweren. Es ist selbst- Ich kann es von hier aus nicht genau übersehen,
verständlich, daß wir im umgekehrten Fall auch ich wollte ganz korrekt verfahren.
bereit wären und bereit sein werden, dem Wunsche Ich glaube, es bedarf jetzt keiner weiteren Aus-
einer großen Fraktion, auch wenn sie der Opposi- zählung. Für den Antrag sind 114 Stimmen abge-
tion angehört, nachzukommen. Ich glaube, man geben worden. Ich bitte um die Gegenprobe. — Ich
sollte bei einem solchen Vorfall nicht generalisieren glaube, ohne Widerspruch feststellen zu dürfen, daß
und wie Herr Kollege Ollenhauer sagen, es wäre das letztere die Mehrheit war. Damit ist der Antrag
nicht gut, wenn immer so vorgegangen würde, nach- abgelehnt.
dem zwei Vorgänge dieser Art vorliegen. Meine Damen und Herren! Das Wort hat zunächst
(Zuruf von der SPD: In einer Woche zwei!) der Herr Bundeskanzler zu einer Erklärung
Herr Kollege Ollenhauer, ich hoffe, daß Sie es uns erbeten.
durch eine solche Erklärung nicht etwa erschweren,
einem begründeten und berechtigten Wunsch, den Dr. Adenauer, Bundeskanzler: Meine Damen und
Sie sicher in absehbarer Zeit auch einmal zu stellen Herren! Im Namen der Bundesregierung erlaube
haben, nachzukommen. ich mir, Ihnen folgende Mitteilung zu machen: Die
Ich erkläre, um abzuschließen: unser Antrag dient Preise für bewirtschaftete Lebensmittel wie Ge-
der sachlichen Arbeit, die bis Montag nicht abge- treide, Brot, Mehl, Mehlerzeugnisse sowie Fette
schlossen werden kann. Wir sind nicht der Meinung, werden aus Anlaß der Neufestsetzung des Umrech-
daß die Güte der Arbeit immer im richtigen Ver- nungskurses der D-Mark keine Erhöhung erfahren.
hältnis steht zu der Schnelligkeit, mit der sie (Beifall bei den Regierungsparteien.)
Deutscher Bundestag — 7. Sitzung. Bonn, Freitag, den 23. September 1949 111

Präsident Dr. Köhler: Meine Damen und Herren, Unter diesen Einflüssen drohen die Heimatvertrie-
wir treten nunmehr in die Aussprache ein. benen aus der zeitbedingten Isolierung, in die sie
Von heute vormittag war der Fraktion der FDP hineingeraten sind, in ein Stadium der Selbst-
noch eine Restredezeit von 15 Minuten geblie- isolierung zu gelangen. Wir selbst halten die Be-
ben. Ich erteile das Wort Herrn Abgeordneten strebungen einiger Flüchtlingsvertreter, die, befan-
Dr. Zawadil. gen in einer Not- oder Lagerpsychose, die Elends-
massen zu radikalisieren versuchen, für schädlich
Dr. Zawadil (FDP): Meine Damen und Herren! und vollkommen abwegig.
Der Herr Kanzler hat in seiner Erklärung zusam- (Sehr richtig! rechts.)
menfassend das Grundsätzliche der Bundespolitik
formuliert. Meinerseits will ich mich nunmehr be- Dieser großen Gefahr gilt es mit allen Mitteln
mühen, ausgehend von dieser Regierungserklärung legislativer und exekutiver Natur zu steuern und
das Grundsätzliche zum Vertriebenenproblem zu durch eine parallel vorzunehmende psychische Auf-
sagen, von dem aus die Behandlung aller Detail- richtung vorzubeugen. Der seelische und materielle
fragen erfolgen sollte. Schock der Vertreibung muß überwunden werden.
Die Heimatvertriebenen müssen aus ihrer Selbst-
Der Herr Kanzler erklärte, daß das Los der Ver- isolierung herausgehoben und zu lebendigen und
triebenen besonders hart sei und die Frage ihres konstruktiven Bestandteilen im gegenwärtigen
zukünftigen Schicksals von Deutschland allein nicht Mosaik des deutschen Volkes werden.
gelöst werden könne. Ich glaube den Sinn dieses
Satzes richtig verstanden zu haben, wenn ich die Wir bejahen daher die Eingliederung; sie ist de
Betonung auf das Wort „zukünftig" lege und daraus jure gewollt und festgelegt. Aber wir verstehen
folgere, daß das gegenwärtige Schicksal, worunter unter Eingliederung nicht die bedingungslose Unter-
ich das innerpolitische Dasein der Heimatvertrie- werfung unter den Willen der herrschenden Mehr-
benen verstehe, nunmehr mit verdoppelter Kraft heit, sondern wir verstehen unter Eingliederung
e in e Ein glied e r u n g a l s Gleiche unter Gleichen Eine
einer Lösung zugeführt werden muß. Die augen-
blickliche Lage der Heimatvertriebenen in Deutsch- solche wahrhafte Eingliederung soll die Voraus-
land ist zu einem Kardinalproblem geworden. Aus setzung für die Erhaltung der Substanz unseres
der Inkarnation des Elends, zu dessen Trägern wir Lebens sein, für die Erhaltung unserer körperlichen
geworden sind, ergeben sich, auf die Dauer gesehen, und seelischen Leistungsfähigkeit, die unter der
große Gefahren, durch deren Übersehen alle Be- ständigen Wirkung des Wohnungselends und aller
mühungen, Deutschland auf den verschiedensten sonstigen materiellen Not zu erlahmen droht. Hier
Gebieten des Lebens einer Gesundung zuzuführen, hat zum Beispiel ein wirklicher und echter Aus-
zunichte gemacht werden könnten. gleich der Lasten gegenüber allen Geschädigten des
Krieges als erster Schritt entscheidende Bedeutung.
Das Vorhandensein der Heimatvertriebenen birgt Immer größer wird die Zahl der Heimatvertrie-
jedoch auch große positive Möglichkeiten für benen, die auch in ihrem heutigen grausamen
Deutschlands Gesundung in sich. In dem Satze des Elendsdasein einen schicksalhaften Sinn erkennen
Herrn Kanzlers, daß die Frage des zukünftigen und daraus die Forderungen für eine positive
Schicksals der Vertriebenen nicht von Deutschland Lebens- und Daseinsbejahung ableiten. Wir müssen
allein gelöst werden könne, sehe ich die Tatsache zu der Erkenntnis gelangen, daß, so wie jede
bestätigt, daß die außenpolitischen Aspekte des Ver- geschichtliche Epoche letzten Endes einen tiefen
triebenenproblems mit äußerster Geduld und Um- Sinn aufweist, auch das Schicksal von Millionen
sicht und unter ständiger Abstimmung mit der Ent- Heimatloser letzten Endes einen Sinn beinhaltet,
wicklung der allgemeinen internationalen Lage zu und, daraus folgernd, den organischen Ablauf der
behandeln sind. Geschichte erkennen und fähig werden, die ewigen
Demgegenüber sind jedoch innenpolitisch unab- Gesetze der Geschichte in zeitbedingten Formen
dingbar alle Sofortmaßnahmen zu ergreifen, um im zu verwirklichen. Ich glaube, daß uns dasselbe
Rahmen und bei völliger Ausnutzung aller Mög- Schicksal, das unsere Ost- und Grenzlanddeutschen,
lichkeiten die Frage einer entscheidenden Lösung die jahrhundertelang den Schutzschild Europas
entgegenzuführen. Wir haben den Eindruck, daß bildeten, heute, nachdem dieser Schutzschild zer-
im Laufe der letzten vier Jahre zwar in Wort und brochen und die Trümmer in das Binnendeutschtum
Schrift das Los der Heimatvertriebenen besondere hineingeworfen wurden, die hohe Aufgabe gestellt
Beachtung gefunden hat, weniger jedoch durch hat, gemeinsam mit den fortschrittlichen und
wirkliche, entscheidende Taten. In dieser Beziehung konstruktiven Faktoren des Binnendeutschtums
wird die Bundesregierung über die zwischen den Deutschlands Zukunft zu gestalten. Größte Not
Ländern zu koordinierenden Maßnahmen hinaus zu schafft stärksten Willen; wir sind die Träger der
entscheidenden Grundlösungen übergehen müssen. größten und bittersten Not, daher auch die stärk-
Die Auswirkungen der materiellen und existen- sten Willensträger deutscher Zukunftsgestaltung.
tiellen Not der Heimatvertriebenen in Deutschland Wir Vertriebene des deutschen Ostens sind keines-
liegen vor allem auf seelischem Gebiet. Bedingt wegs mit leeren Händen nach hier gekommen,
durch ein vielfach festzustellendes mangelndes materiell zwar verarmt, aber im Vollbesitz eines
menschliches und behördliches Verständnis, gepaart reichen Erbes an wirtschaftlichen, staatspolitischen
mit allen Auswirkungen der deutschen Niederlage, und kulturellen Erfahrungen und an Können. Die
wurden die Heimatvertriebenen in eine Art Isolie- vornehmste Aufgabe der Heimatvertriebenen wird
rung und Minderheitenstellung gedrängt. Die Folge es sein, dieses Erbe in den Dienst der gesamtdeut-
davon ist eine verstärkte Tendenz des Rückblickens. schen Sache zu stellen. Es wird sich dabei nicht
des ständigen Erheben der Frage, wann es endlich darum handeln, eine separate Tradition aller Erb-
eine Rückkehr in die Heimat geben wird. Das Ver- güter zu pflegen, was letzten Endes zu einem Ver-
grübeln in ständige Rückerinnerungen an die Hei- siegen schöpferischer Fortsetzung führen würde.
mat führt zu Verbitterung und Gleichgültigkeit, die Jedoch die besonderen Erfahrungen und Tatsachen,
Erinnerung an die unmenschlichen Grausamkeiten die wir Ost- und Grenzlanddeutschen aufzuweisen
im Zuge der Vertreibung zu einem seelischen Er- haben, an Wirtschaftskraft, an gesellschaftlichen
starren in dem Gedanken an Rache und Vergeltung. Überlieferungen, an kulturellen Gehalten und vor
112 Deutscher Bundestag - 7. Sitzung. Bonn, Freitag, den 23. September 1949
(Dr. Zawadil)
allem an politischem Instinkt müssen verwertet und wir sind und wirken hier als deutsche Abgeordnete,
zu Impulsen einer Neubelebung des deutschen darüber hinaus als Fachkräfte im Hinblick auf das
Lebens werden. Unsere Erfahrungen auf dem Ge- zu lösende Vertriebenenproblem. Und alle uns im
biete der Selbstverwaltung, der Wirtschaftsver- Bundestag gestellten Aufgaben möchten wir in
bände, der Kreditgenossenschaften wie überhaupt gleichberechtigter Stellung und vertrauensvoller
in allen Belangen genossenschaftlicher Zusammen- Zusammenarbeit behandelt wissen, der Sache dien-
arbeit sind nicht zu übersehen und ebensowenig lich und dem Volke als Beispiel.
die Erfahrungen und Einstellungen, besonders der Ich bin überzeugt, daß unter solchen Gesichts-
Sudetendeutschen, in Fragen staatlicher Neuord- punkten unser Wirken im Rahmen dieses Hauses
nung uni deren Vorstellungen aus österreichischer ein fruchtbringendes sein kann, und sehe darüber
Erfahrung heraus auf den Gebieten der Justiz, Ver- hinaus unsere Aufgabe darin. der organischen Ent-
waltung und Erziehung. Es gehört zum Wesen alt- wicklung einer wahrhaften Eingliederung im Sinne
österreichischer Tradition, daß Volksrechte als schöpferischer Kräftegestaltung innerhalb unserer
Menschengrundrechte in jedem Staatsgebilde ge- Schicksalsgefährten überall im Lande ideologisch
wahrt sein müssen. den Weg zu bereiten. So gesehen glauben wir, nicht
Wir Heimatvertriebene müssen uns darüber klar nur unseren Leidensgenossen, sondern Deutschland
sein, daß wir nicht nur in die Vergangenheit blicken einen geschichtlichen Dienst erweisen zu können.
oder gar in ihr verharren dürfen, wenn wir unserer Denn noch immer sind wir Ost- und Grenzland
Aufgabe dienen wollen. Das Leid des Gewesenen deutsche da, wenn es um Deutschland geht!
muß sich zur gestaltenden Kraft des Kommenden (Lebhafter Beifall rechts und in der Mitte.)
wandeln. Die künftige Neuordnung Europas, die,
beschattet vom Gegensatz der großen Mächte, Vizepräsident Dr. Schmid: Meine Damen und
schüchtern beginnt. wird vermutlich viel groß- Herren, ehe ich das Wort weiter erteile, möchte ich
räumigere wirtschaftliche und politische Einheiten § 86 unserer vorläufigen Geschäftsordnung verlesen,
schaffen. wenn sich Europa unter dem neuen Macht- wenigstens die erste Zeile:
verhältnis behaupten will. Wir missen daher wirt- Die Redner sprechen in freiem Vortrag.
schaftlich. politisch und kulturell europäisch denken,
Ich glaube, daß es der Debatte dieses Hauses nützen
wenn wir eine Zukunft haben wollen.
könnte, wenn man sich insoweit an die Geschäfts-
(Sehr gut! in der Mitte.) ordnung hielte.
Alle Traditionen unseres Erbes, die dahin weisen, (Sehr richtig! links.)
sind zu pflegen, alle gegensätzlichen zurückzudrän-
gen. Wir wünschen und sehen es im Sinne unserer Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. von Mer-
vom Schicksal gestellten Aufgabe als wichtig an, katz.
daß die besonderen Fähigkeiten und Begabungen -
des binnendeutschen Menschen, gepaart mit den Dr. von Merkatz (DP): Herr Präsident! Meine
besonderen Befähigungen der Ost- und Grenzland-Damen und Herren! Wenn man über Fragen der
deutschen, zu einer schöpferischen Synthese werden, Außenpolitik spricht, muß man sich im besonderen
aus der heraus sich jene Kräfte ableiten, die ge- Maße der Verantwortung bewußt sein, die man
eignet sind, eine Neugestaltung Deutschlands zu damit, zumal in diesem Hause, übernimmt.
ermöglichen. Aus der im Augenblick noch bestehen- (Sehr richtig! bei der DP.)
den und auf die Dauer unhaltbaren Polarität zwi- Als Sprecher meiner Fraktion begrüße ich lebhaft
schen Alt- und Neubürgern muß über eine frucht- den wohlabgewogenen, sowohl festen wie taktvollen
bare Spannung hinweg die Kräftepaarung erfolgen. Ton der Regierungserklärung. Meine Fraktion ist
In dieser Richtung haben sich alle Maßnahmen der mit ganzem Willen bereit, die Regierung bei der
Regierung zu bewegen. Und es ist vor allem Bewältigung der unendlich schwierigen Aufgaben
energisch dafür Sorge zu tragen, daß das legislative zu unterstützen, die ihrer auf dem Gebiete der
Wollen in der Exekutive, und zwar bis in die Außenpolitik harren. Sie bringt namentlich dem
untersten Instanzen, seine Durchführung erfährt. Herrn Bundeskanzler, in dessen Ressort diese
So sehen wir drei große Aufgaben, nach denen unser gesamtes nationales Interesse berührenden
sich das künftige Dasein und Wirken der Heimat- Fragen in erster Linie gehören, ihr volles Ver-
vertriebenen zu richten hat: erstens den Dienst an trauen entgegen.
der Heimat in der lebendigen Pflege aller kul- (Bravo! rechts und in der Mitte.)
turellen Elemente unseres stammlichen Daseins; Unterstützen, erleichtern und fördern — darunter
zweitens unser Wirken für Deutschland, indem wir verstehe ich vor allem ein hohes Maß von Selbst-
seiner Gesundung alle unsere körperlichen und disziplin. Außenpolitische Fragen sollten nicht Ge-
geistigen Fähigkeiten zur Verfügung zu stellen genstand einer emotionalen Propaganda der Par-
haben; und drittens ist uns die hohe Aufgabe ge- teien sein.
stellt, als lebendige Zeugen des in der Menschheits-
geschichte noch nie dagewesenen völkerrechtswidri- (Abg. Dr. Bucerius: Sehr richtig!)
gen Verbrechens der brutalen Vertreibung von Wir haben in der Welt das Vertrauen zurückzu-
Millionen unschuldiger Deutscher zu Vorkämpfern gewinnen. Vertrauen ist wie im Verkehr unter den
eines neuen friedvollen Menschheitsdenkens zu Menschen auch die Grundlage des Verkehrs unter
werden, auf daß nie wieder Menschen um ihrer den Völkern. Vertrauen ist die Basis der Verwirk-
Weltanschauung, ihrer Sprache, ihres nationalen lichung des Rechts und das Recht überhaupt der
Daseins willen oder ihres Glaubens wegen entrechtet Boden, auf dem die Beziehungen unter den Völkern
und vertrieben werden. gedeihen und sich in Stetigkeit zu einer Ordnung
(Beifall rechts und in der Mitte.) des Friedens und der kulturellen Blüte entwickeln.
Ich erhoffe mir die Zustimmung aller Schicksals- Wir sind ein besiegtes, ein unter Fremdherrschaft
gefährten in diesem Hause, wenn ich die Fest- stehendes Land, das nach der Meinung einiger Un-
stellung treffe, daß wir heimatvertriebenen Abge- versöhnlicher unter unsern Gegnern gewisser
ordneten in primärer Hinsicht nicht als Vertriebene maßen außerhalb des Rechts gestellt, für vogelfrei
oder Flüchtlinge betrachtet werden wollen, sondern erklärt und der Willkür preisgegeben werden sollte.
Deutscher Bundestag - 7. Sitzung. Bonn, Freitag, den 23, September 1949 113
(Dr. von Merkatz)
In den Gebieten östlich der Oder-Neiße-Linie sind alles zu vernichten, was das Leben lebenswert ge-
Dinge geschehen, die über jedes Maß hinaus so macht hat. Das ist die deutsche Aufgabe, Aufgabe
furchtbar sind, eines Landes, in dem sich Abgründe offenbart
(Abg. Rische: Meinen Sie Auschwitz?) haben, deren Wirklichkeit die Visionen dantischer
Phantasie ins Unsagbare übertreffen.
daß kein Wort die Qual auszudrücken vermag, die
tief in unsere Volksseele eingebrannt ist, unvergeß- Landesbischof Lilje hat zu Beginn der Evange-
lich als eine Last schier unüberwindbarer Be- lischen Woche in Hannover ein Wort gesprochen,
drückung. das über den Beginn unserer Arbeit auch in diesem
(Sehr gut! rechts.) Hause stehen könnte: Herr, bewahre uns vor leeren
Worten! Das gilt auch für das Gebiet der Außen-
Das Gewicht dieses Erlebnisses lastet auf dem Frie- politik. Bemühen wir uns, in bescheidenem, demü-
den der Welt. Wurzellos und friedlos sind alle die tigem Dienst an den Tatsachen eine konkrete Vor-
jenigen, denen das ungeheure Unrecht der Ver- stellung der Probleme zu gewinnen, um die es hier
stümmelung unseres Vaterlandes angetan worden geht.
ist. Darüber ist nicht hinwegzukommen. Verstüm-
melt ist unser Land, verwüstet sind unsere Seelen, Ich begrüße die Entscheidung des Herrn Bundes-
verödet und ausgebrannt alles das, was redlicher kanzlers und seiner Berater, kein Außenministerium
Fleiß in Jahrhunderten dort für Deutschland ge- zu schaffen. Dazu ist die Zeit noch nicht reif. Auf
schaffen hat. Wortdeklamationen kommt es nicht an. Zwar be-
schränken die Vorbehalte des Besatzungsstatuts
(Abg. Rische: Reden Sie doch einmal darüber, eine deutsche Außenpolitik nicht restlos. Das, was
warum alles so gekommen ist!) die Hohen Kommissare in Vertretung der außen-
- Diese Frage möchte ich nicht mit Ihnen dis- politischen Kompetenz Deutschlands wahrnehmen,
kutieren. ist nicht deutsche Außenpolitik, sondern steht unter
(Zurufe von der KPD.) dem Verdacht, Ausdruck dessen zu sein, was ihnen
die Interessen ihrer Regierungen in bezug au f
Vizepräsident Dr. Schmid: Ich bitte, den Redner Deutschland vorschreiben. So wirkt es auch nicht
nicht allzu häufig zu unterbrechen. gerade ermutigend, wenn die Hohen Kommissare
Dr. von Merkatz (DP): Hier liegt die große durch den Erlaß eines Pressegesetzes gleich nach
deutsche, die europäische Aufgabe, die Grundlage Beginn des Inkrafttretens des Besatzungsstatuts die
des Friedens in der Welt. Es gibt keine Freiheit und deutsche Kompetenz welter einengen, als ursprüng-
Gleichberechtigung, das heißt: es gibt kein Leben lich im Besatzungsstatut vorgesehen ist. Unendlich
für Deutschland, wenn nicht hier auf friedlichem mühsam ist hier die Aufgabe unserer Bundesregie-
Wege - ich betone. um alle Mißverständnisse aus- rung,
-
eine Zusammenarbeit zu ermöglichen, die die
zuräumen, auf friedlichem Wege! — eine Lösung deutschen lebensnotwendigen Interessen geltend
gefunden wird, die uns Deutschen das wiedergibt, macht und in zäher Kleinarbeit jenes Bild des Zu-
worauf wir nach göttlichem und menschlichem sammenwirkens ermöglicht, dessen letztes großes
Recht einen Anspruch haben. Ziel die europäische Gemeinschaft zu gegenseitigem
Nutzen ist. Es soll ihr niemand dabei in den Rücken
Aber seien wir uns auch bewußt, daß wir nur fallen; er versündigt sich an unserer Zukunft. Wir
ein Mittel haben, dieses hohe nationale Ziel zu ver- werden hierüber Rechenschaft abzulegen haben vor
wirklichen und zu fördern. Es gibt keine wirk- unserm Volk und vor dem höchsten Richter, der die
samere Demonstration unseres Anspruchs auf die Weltgeschicke lenkt und Völker und Menschen wägt
deutschen Ostgebiete als das ganz ehrliche, heiße in der Freiheit ihres Willens und ihrer Taten, die
Bemühen, das Problem der Heimatvertriebenen in er zu verwirklichen ihnen aufgegeben hat.
dem uns verbliebenen Raum soweit zu lösen, wie Es ist eine sehr ernste, eine von mitternächt-
das in unserer Kraft steht. Wenn wir hier der Welt lichem Dunkel umhüllte Stunde über uns verhängt
beweisen, daß wir wirklich eine nationale Gemein- worden, in der wir zur Entscheidung aufgerufen
schaft sind, gereift durch das Schicksal, geschmiedet worden sind. Zeigen wir uns nicht als Schwächlinge
in den Feuern einer ungeheuren Wirklichkeit, dann oder als Knechte! Das Gebiet der Außenpolitik ist
werden wir den moralischen Kern aller Dinge in eine Angelegenheit von tiefem Ernst. Bedenken
dieser Welt so überzeugend bloßgelegt haben, wie Sie, daß jedes unserer Worte vielleicht unsagbare
das notwendig ist, um unser Lebensrecht, unser Leiden für alle jene bedeuten mag, die fern von
Recht auf Freiheit und Gleichberechtigung vor aller uns in den Lagern des Ural schutzlos preisgegeben
Augen zu stellen. sind.
Es ist nicht wahr, daß die Macht die Welt allein Das, was wir brauchen, ist zunächst eine zuver-
bewegt. Es ist der Geist, der das Weltgewissen lässige Information über die Vorgänge in der Welt
wachruft. und sind gute Analytiker, die diese Informationen
(Zuruf von der KPD: Hätten Sie vor 12 Jahren zu einem klaren Bild zusammenzufügen vermögen,
daran gedacht!) um dem Kabinett zuverlässige Unterlagen zu ver-
Gottes Wille regiert die Welt, nicht die Bosheit und mitteln, auf die es seine Entschlüsse aufzubauen
die Brutalität. Ein Volk, das es über sich bringt, vermag. Ich bin nicht so vermessen, dem Kabinett
in der Stunde seiner tiefsten Erniedrigung zu sich, als Ansicht unserer Partei Rezepte vorzulegen, ge-
zu seiner Verpflichtung zu finden, besiegt die wissermaßen Vorschriften für eine künftige Außen-
Mächte der Finsternis. Hier liegt die Würde des politik zu geben. Wir sind aber nun wieder da, ein
Besiegten, jene stille Vornehmheit der Gesinnung beschränkt souveräner Staat von rund 45 Millionen,
und der Tüchtigkeit, die stärker ist als alle Waffen. zusammengedrängt auf engstem Raum an einem
Wir leben in einem furchtbaren Jahrhundert, in wichtigen Ort Europas und damit der Welt. Das ist
dem der Einbruch der Barbarei, gewappnet mit eine Realität, die niemand übersehen kann. Der
den größten Mitteln der Technik und gelenkt von Herr Bundeskanzler und mit ihm sein Kabinett
der Eiseskälte der Herzlosigkeit und von narkoti- werden diese Realität geltend zu machen wissen.
siertem Gewissen, erfolgt ist. Richten wir Dämme Wir wollen uns hierbei einfügen in den Willens-
auf vor dem Satanischen, das da aufgebrochen ist, strom, der aus unserem Volke kommt und der der
114 Deutscher Bundestag - 7. Sitzung. Bonn, Freitag, den 23. September 1949
(Dr. von Merkatz)
Exekutive ihre Richtung gibt. Besonnene Ruhe und Wenn das deutsche Volk in allen seinen Schichten
Festigkeit des Willens mögen uns hierbei lenken. in diesen Tagen und in diesen Stunden besonders
Wir sind uns unserer historischen Würde bewußt nach Bonn herhorcht, dann sollten alle Politiker,
in dem bescheidenen Stolz, den uns unsere alte die hier das Wort ergreifen, diese Verantwortung
Geschichte gibt. Es hat unter den Siegern Leute gegenüber der Sehnsucht und der Erwartung des
gegeben, die glaubten, man könne unser Rückgrat deutschen Volkes spüren. Sie sollten sie zum Leit-
brechen, indem man uns unser geschichtliches Be- stern ihres Redens und Handelns machen und sich
wußtsein nahm. Aber wir sind der Überzeugung, damit auch hüten, hier ins Leere hinaus dog-
daß das Unglück moralische Kräfte in einem Volke matische Reden zu halten, die nicht zur Lösung der
mobilisiert, die die Anfechtungen der Not über- sozialen Spannungen beitragen. Ich habe es insofern
winden. Darum halten wir mit der ganzen Kraft wohltuend empfunden, daß die heutige Spezial-
des Herzens an unserem Gefühl für unseren natio- debatte sich von der Generaldebatte in der Bezie-
nalen Wert fest. Wir richten unseren Blick auf das hung sehr weit abgehoben hat. Politik soll zwar mit
Leuchtende in unserer Geschichte und bekennen dem Kopf gemacht werden. Und doch kann die
uns in Demut auch zu den Schatten unserer Ver- Hingabe an sie, wenn sie eben mehr als ein
gangenheit, in dem heißen Bemühen, diese Ge- frivoles, intellektuelles Spiel sein, sondern echtes,
spenster zu überwinden. menschliches Handeln bedeuten soll, nur aus der
(Abg. Rische: Die leben noch, die Gespenster!) Leidenschaft des Herzens und aus der Hingabe der
Hier stehen wir in der Mitte des Jahrhunderts zu- ganzen Persönlichkeit geboren sein. Das Problem,
innerst bereit, mit unserer Situation fertig zu wer- das von uns fordert, auf der politischen Ebene um
den, damit wir vor der Nachwelt nicht als Versager die Lösung der Spannungen zu ringen, verlangt von
gewertet werden. Wir sind bereit, unser Kreuz auf uns, daß wir im Dienst der Sache jene Leidenschaft
uns zu nehmen und ein für allemal ein Beispiel zu des Herzens verantwortlich mit der Kühle des Ver-
geben, daß man ein altes Kulturvolk nicht zu einem standes in Einklang bringen. Dann werden wir auch
Knechtsvolk machen kann. die Fülle der vielen Probleme, die vor uns stehen,
Ich bitte um Vergebung, wenn ich die mir kurz in einer Atmosphäre lösen, die nicht eine Atmo-
bemessene Zeit nicht besser zu nutzen wußte als sphäre des Mißtrauens, sondern die bessere Atmo-
zu Worten, deren Leidenschaft ich nicht ganz zu- sphäre des Vertrauens sein wird.
rückzudrängen vermochte. Der ganze einfache In- Bei dem Primat der Sozialpolitik, unter dem der
halt meiner Darlegungen sollte nichts anderes sein Beginn unserer Regierungsarbeit steht, habe ich
als das, was Sie ja alle beseelt, ein Bekenntnis zu jene Auseinandersetzung von heute morgen, auch
Deutschland, zu dem Land, dem wir unser ganzes die Ausführungen des Kollegen Ollenhauer, die sich
Dasein verdanken, das wir lieben in seinem Un- von denen des Herrn Dr. Schumacher in ihrer
glück, dem wir dienen wollen mit allen unseren Sachlichkeit, aber auch in ihren absolut klaren
Kräften. Forderungen wohltuend absetzten, begrüßt, und ich
Ich habe namens meiner Fraktion noch folgenden habe mit Freude die Ausführungen des Kollegen
Auftrag zu erfüllen und folgendes zu erklären. Aus Blank von der CDU gehört, der mit ganzem Herzen
den Schlußworten des Herrn Abgeordneten Ollen- dahinterstand, als er sein Bekenntnis zu einer fort-
hauer ist bei uns der Eindruck entstanden, daß schrittlichen Sozialpolitik ablegte. Ich identifiziere
seine Fraktion die Absicht hat, den Herrn Bundes- mich mit den Ausführungen des Herrn Kollegen
kanzler aufzufordern, am Schluß der Besprechung Wellhausen, mit denen meine Fraktion vollkommen
der Regierungserklärung die Vertrauensfrage zu einverstanden ist.
stellen. Meine Fraktion muß dagegen auf Grund Handwerk und Landwirtschaft haben in der heu-
des Artikels 68 des Grundgesetzes Widerspruch er- tigen Debatte so warme Fürsprecher gefunden, daß
heben. Sie hält ein solches Verlangen für verfas- ich es mir wegen der Kürze der mir verbliebenen
sungswidrig, und zwar in dem Sinne, daß die und der uns auch heute nur bewilligten Zeit schen-
Initiative ganz bei dem Herrn Bundeskanzler liegt, ken muß, darauf besonders einzugehen. Der Kollege
ob er die Vertrauensfrage stellt oder nicht, Rüdiger von der FDP hat an dem Beifall, den er
gefunden hat, wohl die volle Zustimmung gespürt.
(Sehr richtig! bei der CDU)
Der Herr Kanzler hat in seiner Regierungserklä-
und daß es bereits verfassungswidrig ist, wenn aus rung das verantwortliche soziale Handeln zur vor-
diesem Hause irgendein präjudizierendes Verlangen nehmsten Pflicht der Koalition erklärt. Die Deutsche
in dieser Richtung gestellt wird. Partei stimmt dieser Erklärung im vollen Bewußt-
(Beifall rechts. — Zuruf von der SPD: Das ist sein der hohen Verantwortung und ohne jede Ein-
aber eine sonderbare Auffassung!) schränkung zu. Sie hat mit den Koalitionspartnern
gemeinsam den Kampf um die Befreiung der Wirt-
Vizepräsident Dr. Schmid: Das Wort hat Frau schaft von den Fesseln des Zwanges geführt, und
Abgeordnete Kalinke. sie wird mit ihnen gemeinsam darum bemüht' sein,
daß eine gesunde, freie und sich aufwärts ent-
Frau Kalinke (DP): Meine Herren und Damen! wickelnde Wirtschaft die beste Grundlage für eine
Ich kann zu den sozialpolitischen Problemen nicht gesunde und fortschrittliche Sozialpolitik sein wird.
sprechen, ohne zunächst der Regierungserklärung (Sehr richtig! bei der DP.)
und vor allem der Erklärung unseres Bundeskanz- Unser junger Staat kann in Anbetracht seiner
lers zu gedenken, die er uns soeben gegeben hat. grenzenlosen Armut und angesichts seiner Trüm-
In diesem Hause ist in der Generaldebatte das Wort merhaufen -- und dabei denke ich nicht nur an die
Ghandis gesprochen worden: „Dem Armen erscheint baulichen Trümmer — keinerlei Experimente ver-
Gott im Brot". Es ist notwendig, zu erklären: tragen, Experimente, die vielleicht in der Optik der
die Tatsache, daß die Regierung verhindert hat, Massenwirkung verlockend erscheinen mögen, die
daß durch die Ereignisse dieser Tage der Brotpreis aber ihre Begrenzung bei den finanziellen Schwie-
und der Fettpreis erhöht werden, verpflichtet uns rigkeiten und Unmöglichkeiten finden. Deshalb
zu Dank und Anerkennung und beruhigt uns. sollten wir uns davor hüten, in diesem Hause über
(Beifall rechts.) Gesetze zu diskutieren, für die eine Realisierung
Deutscher Bundestag - 7. Sitzung. Bonn, Freitag, den 23. September 1949 115
(Frau Kalinke)
mangels Mitteln unmöglich ist. Und ich kann mich daß darüber hinaus — und da fühle ich mich als
auch hier an die Ausführungen des Kollegen Well- Sprecherin für alle Frauen verantwortlich - die
hausen anschließen, der jene unverantwortliche ausgleichende und verantwortliche Stimme der Frau
Politik ablehnt, von der unser niedersächsischer in allen Ministerien maßgeblich gehört werden
Weiser und Philosoph Wilhelm Busch sagt: „Ohne sollte.
die notwendigen Mittel soll man keinen Krieg be- (Sehr richtig! bei der DP.)
ginnen" auch nicht in der Sozialpolitik. Eine Fülle von sozialen Aufgaben auf dem Gebiet
Die Deutsche Partei erwartet zunächst eine Akti- der Arbeit, der Abgrenzung zwischen sozialer und
vität auf all den Gebieten, auf denen wir der privater Fürsorge, der Gesundheitsvorsorge, der
Massennot, der Massennot der Heimatlosen, der Wohlfahrt und nicht zuletzt der Jugendarbeit und
Kriegsopfer und unserer Jugend, wirksam begeg- -fürsorge gestatten es nach meiner Auffassung nicht,
nen können. Sie hat deshalb die Errichtung des daß die Frauen bei solchen Lösungen einfach
Flüchtlingsministeriums mit dem Ziel eines echten ausgeschaltet werden. Ich bin davon überzeugt, daß
Flüchtlingsausgleichs begrüßt und sie sieht in der es nur dieser Anregung bedarf, um die Herren
Arbeit des Wiederaufbauministeriums die vordring- Minister darauf hinzuweisen, daß sie die grund-
lichste Möglichkeit, eine Fülle von sozialen Nöten, sätzliche Anerkennung der Notwendigkeit einer
die die Volksgesundheit nicht nur physisch bedro- solchen verantwortlichen Mitarbeit der Frau in die
hen, durch wirksames Beheben der Wohnungsnot Tat umsetzen.
zu beseitigen. Das Problem des Wohnungsbaus kann Von der grundsätz lichen Anerkennung auch der
aber nach unserer Auffassung nur gelöst werden, Gleichberechtigung von Mann und Frau ist in der
wenn der private Wohnungsbau und die private Vergangenheit viel zu viel gesprochen worden und
Initiative in ganz großem Maße gefördert werden. wird auch in der Gegenwart viel zuviel gesprochen,
(Beifall bei der DP.) aber in der Praxis ist davon viel zuwenig zur Tat
Wir erw arten ab
e r, daß überall da, wo mit Krediten geworden. Gerade auch im Hinblick auf die Aus-
des Staates Wohnungen privat gebaut werden und führungen des Kollegen Dr. Schumacher möchte ich
private Initiative mit Krediten des Staates einge darum bitten, daß die SPD, die in der Vergangen-
setzt wird, jede zweite Wohnung mindestens einer heit immer eine Vorkämpferin für dieses Grund-
vertriebenen Familie zur Verfügung gestellt wird. recht war, überall da, wo ihre politischen Freunde
in Gewerkschaften und Verwaltungen Macht und
(Zustimmung bei der DP.) Einfluß haben —. ich denke da besonders an die
Wir glauben auch, daß den vielen ausgebombten Wohnungs- und Arbeitsämter —, sich mit warmem
Hausbesitzern, denen die Mittel zur Trümmerräu- Herzen für die praktische Verwirklichung dieses
mung ihres Grundstücks fehlen, auf diesem Wege hohen Ziels einsetzt, auch wenn die Betroffenen
sehr gründlich geholfen werden könnte. Auf dem -
einmal nicht der SPD angehören sollten.
Gebiet des sozialen Wohnungsbaus hätte vor der (Sehr gut! und Beifall rechts.)
Währungsreform längst vieles begonnen werden Ich bitte weiter um Verständnis für den notwen-
können. Maßgebliche Mittel der Sozialversicherung digen Schutz unserer Frauen und Mütter, die als
und der privaten Versicherung sind vor der Wäh- Trägerin des Lebens trotz aller Opfer, die sie wäh-
rungsreform verlorengegangen und hätten bei einer rend zweier schwerer Kriege und der Nach-
wirksamen Initiative dem sozialen Wohnungsbau kriegszeit gebracht haben, in den Reihen vieler
zugeführt werden können. Manch Vertriebener unserer Kollegen in den Landtagen, in den
hätte die eigene Initiative und die eigenen Kräfte Länderparlamenten, bei der Gesetzgebung selten
angesetzt, wenn man ihm die Möglichkeit gegeben das nötige Verständnis gefunden haben. Es wäre
hätte. Das ist schnellstens nachzuholen. sonst nicht möglich, ein Mutterschutzgesetz abzu-
Ich bin dem Herrn Bundeskanzler besonders lehnen und es dann neu zu beraten, nur weil es
dankbar für das Versprechen, beim Wohnungsbau eine politische Partei gemacht hat, mit der wir
die Millionen alleinstehender Frauen nicht zu ver- nicht einverstanden sind.
gessen. Ich bitte aber, bei den Planungen für den (Hört! Hört!)
sozialen Wohnungsbau nicht nur Kleinstwohnungen
für Arbeiterinnen, Angestellte und Beamtinnen zu Wir sollten uns angewöhnen, sozialpolitische Er-
schaffen, sondern darüber hinaus auch möglichst rungenschaften, wenn sie gut sind, auch dann an-
viele Heime, in denen alleinstehende Frauen die zuerkennen, wenn unsere Gegner die Initiative
Atmosphäre der Familie gewinnen können. Bei der dazu ergriffen haben.
Schaffung solcher Heime könnte für manche Rent- (Sehr richtig! und Beifall rechts. — Zurufe links.)
nerin, für manche ältere Vertriebene, die auf dem
Arbeitsmarkt einen Platz nicht mehr finden kann, Ich würde es immer ablehnen, die Initiative von
eine Möglichkeit gegeben werden, hier den jünge- Kollegen aus der Sozialdemokratischen Partei nicht
ren berufstätigen Frauen bei ihrer Doppelbelastung anzuerkennen.
durch Haus und Beruf die Arbeit abzunehmen, Wir sind alle darin einig, daß das von der bri-
ihnen wirksam zu helfen und selbst dabei eine tischen Militärregierung erlassene Gesetz, die S o-
Feierabend-, ja vielleicht sogar eine Lebensaufgabe zialversicherungsdirektive Nummer 27, schnellstens
zu finden. Die Durchführung eines solchen Vor- einer umfassenden und ausreichenden Kriegsbeschä-
habens würde besonders in Anbetracht der Lebens- digten- und Kriegshinterbliebenen-Gesetzgebung
pyramide unseres Volkes und unter Berücksichti- weichen sollte. Leider ist aber in diesen Tagen hier
gung der vielen Alten und Kranken unter den Ver- immer nur vom materiellen Recht gesprochen wor-
triebenen eine große soziale Tat sein. den. Gestatten Sie mir deshalb, der Meinung unse-
In diesem Zusammenhang wird der Herr Bundes- rer Fraktion dahin Ausdruck zu geben, daß mit
kanzler auch verstehen — und ich glaube, ich der Gewährung dieses materiellen Rechts allein
spreche da im Namen aller meiner Kolleginnen hier das Problem nicht gelöst ist. Wir sind auch
im Hause —, daß es mir nicht ausreichend erscheint, nicht der Auffassung, daß nur die Sozialversiche-
daß nur im Innenministerium eine Frau echte ver- rung verpflichtet sein sollte, Renten zu zahlen,
antwortliche Aufgaben gestalten könnte, sondern sondern wir sind der Meinung, daß das gesamte
116 Deutscher Bundestag — 7. Sitzung. Bonn, Freitag, den 23. September 1949
(Frau Kalinke)
deutsche Volk in allen seinen Ständen mit allen Das Zentrum und die SPD haben in diesen Tagen
Steuerzahlern verpflichtet ist, jene ausreichende mit großem Eifer ein Monopolgesetz gefordert. Ich
Rente für diejenigen sicherzustellen, die darauf hoffe, daß sie sich mit gleichem Eifer und aus
einen Anspruch vor dem ganzen Volk haben. gleichem Geist und mit gleicher Verantwortung
(Beifall rechts.) g gen jedes Monopol der Sozialversicherung wenden
Wir glauben aber, daß mindestens ebenso wertvoll werden
und ebenso wichtig wie die Renten alle jene Maß- (Sehr gut! bei der DP)
nahmen sind, die dazu beitragen, die Beschädigten und daß sie mit uns gemeinsam daran arbeiten wer-
selbst sowie ihre Angehörigen einzuschulen und den, die vorbildliche deutsche Sozialversicherung
umzuschulen, sie wieder so lebenstüchtig wie nur nach deutschen Bedürfnissen und nach deutschen
möglich zu machen und ihnen alle die Hilfe zu Gedanken neu zu ordnen.
geben, die notwendig ist, damit sie je nach ihren (Zuruf: Was verstehen Sie darunter?)
physischen und psychischen Fähigkeiten wieder aus - Darunter verstehe ich, daß wir Deutschen auf
eigener Kraft sich in den Kreis derer miteinglie- Grund unserer stolzen Tradition in der Sozial-
dern können, die eben aus eigener Kraft für die gesetzgebung es nicht nötig haben, Versuche zu
Ihrigen selbst sorgen können. Alle hier verwandten machen, die andere Völker auf unsere Kosten im-
Mittel werden vielfältige Frucht tragen. portieren und deren Erfolg absolut nicht sicherge-
Mit besonderer Genugtuung habe ich heute die stellt ist.
klare Stellungnahme des Kollegen Blank zum Ke rn (Beifall rechts. — Zurufe links.)
Sozialver--stückderushnSozialptk,ur Wenn England und Frankreich solche Versuche
sicherung gehört. Wir wissen uns mit unseren
Koalitionspartnern darin einig, daß wir uns von eines sozialisierenden Gesundheitsdienstes für
der Psychose unserer Zeit abwenden wollen, Sicher- alle auf Kosten nicht immer ihrer eigenen Steuer-
heit für alle von einem Staat zu verlangen, der zahler unternehmen, so können wir uns in
seinen bedürftigen Gliedern schließlich nur das unserem armen Vaterlande keinerlei Versuche
dieser Art leisten, von denen wir jetzt schon wis-
geben kann, was seine Steuerzahler an Mitteln auf- sen, daß sie nicht nur finanziell untragbar sind,
zubringen in der Lage sind. Wir sehen die Grenzen sondern daß sie auch in den Ländern — —
der staatlichen So Sozialpolitik da, wo der Mensch aus
eigener Kraft in der Lage ist, für die Wechselfälle (Zuruf: Sozialpolitik soll wohl ein Geschäft sein?)
des Lebens vorzusorgen. Weil wir die Gefahren der - Wenn es bei Ihnen so ist? Ich spreche nicht aus
fortschreitenden Bürokratisierung des Lebens sehen, dieser Erfahrung.
die im sozialen Sektor jede persönliche Initiative (Beifall bei der DP.)
und damit jede notwendige Selbstverantwortung - Wir wissen, daß in den Ländern, wo solche Ver-
lahmlegen würden, lehnen wir auch das politische suche unternommen werden, sie der heftigsten
Streben nach einem Sozialversicherungsmonopol Kritik der eigenen Staatsbürger schon jetzt unter-
ab. Wir sehen in allen Einheitsbestrebungen einen liegen, und ich möchte auch nicht versäumen, hier
gefährlichen Weg zur Zusammenballung von Macht mit allem Nachdruck zu erklären, daß meine Partei
und Einfluß und alle Gefahren des nivellierenden nicht damit einverstanden ist, daß die Mittel der
Kollektivs, dem wir auf allen Gebieten des öffent Steuerzahler der Westzonen, die Berlin zur Ver-
lichen Lebens begegnen wollen. fügung gestellt werden, etwa dafür verwandt wer-
(Zuruf.) den, die zusammengebrochene Versicherungsanstalt
Die Deutsche Partei ist eine gewerkschaftsfreund- Berlin zu erhalten und dort monatlich 12 bis 14
liche Partei. Sie ist allerdings der Meinung, daß die Millionen Zuschüsse zu geben, die der Magistrat
Form der Einheitsgewerkschaft, die unsere poli- der Stadt Berlin für diesen Zweck wieder ange-
tischen Gegner vertreten, die sie mit soviel Wärme fordert hat.
vertreten, sich als Konzentration der Kräfte der (Zuruf links: Sie haben eine Ahnung!)
Arbeitnehmer nur dann bewähren kann, wenn sie - Ich glaube, ich habe mehr Ahnung als Sie davon!
eine wirkliche und echte parteipolitische Neutrali- (Beifall bei der DP. — Lachen links. — Allge
tät gewinnt. meine anhaltende Unruhe. — Zurufe: Sie sehen
(Beifall rechts.) nicht so aus, als ob Sie in Berlin waren! Das
Bis heute können wir nur sagen, daß sie diesem nennt sich Deutsche Partei! — Glocke des
Ziele wohl nachstreben mag, daß sie es aber noch Präsidenten.)
nicht erreicht hat. Die Freiheit der Wirtschaft, aber auch die Frei-
(Zuruf von der .SPD: Wir warten gerade auf Ihre heit der Person fordert die freie Entscheidung der
Belehrung!) Persönlichkeit, auch in den Fragen der sozialen
Sicherung, und das gilt auch für Berlin, wobei
— Sie würde Ihnen manchmal nützlich sein! leider in der Diskussion der vergangenen Jahre fast
(Beifall rechts.) immer nur von der Organisation als Selbstzweck
Aus ihrem Bekenntnis zum Föderalismus sieht die Rede war und wobei ich den Wunsch habe, daß
die Deutsche Partei in der berufsständischen Glie- in den Gesprächen in diesem Hause, im Plenum
derung eine sinnvolle Ordnung. Sie glaubt, daß sich wie im Ausschuß, nicht mehr von der Organisation
auch eine große Reihe von Spannungen in einer als Selbstzweck, sondern nur noch von den echten
beruflichen Schicksalsgemeinschaft durch echte Ge- verantwortlichen Aufgaben der Neuordnung von
meinschaftshilfe am besten lösen lassen. Darum innen her die Rede ist.
möchte sie auch das Beispiel aller echten genos- In der Invaliden- und Knappschaftsversicherung
senschaftlichen Selbsthilfeeinrichtungen, wie sie sich ist die Frage der Staatszuschüsse neu zu regeln
in den alten Formen der Innungen, der Innungs- und nach gerechten Übergangslösungen unter Be-
kassen, der Betriebs- und der Landkrankenkassen rücksichtigung der Verluste durch den unsozialen
sowie den Ersatzkassen der Arbeiter und Ange- Währungsschnitt zu suchen. Die Angestelltenver-
stellten entwickelt haben, erhalten, fördern und sicherung hat als Bundesamt für Angestellte
fortentwickeln. schnellstens wiederhergestellt zu werden und ist
Deutscher Bundestag — 7. Sitzung. Bonn, Freitag, den 23. September 1949 117
(Frau Kalinke)
aus der treuhänderischen Verwaltung der Landes- Rückkehr zur Schulbank oder die Möglichkeit des
versicherungsanstalten, die sie nur als kriegsbedingt Aufnehmens einer handwerklichen Lehre erleich-
und notverordnet bekamen, zu lösen. Eine umfas- tern sollte, indem man nicht Tarifverträge — und
sende Arbeitslosenhilfe ist Bundesaufgabe, der das ist wieder eine sehr wichtige Aufgabe für die
Finanzausgleich auch auf diesem Gebiet vordring- Gewerkschaften — zugrunde legt, die mit jenem
lich. Die Arbeitslosenversicherung dagegen ist mit Entgelt, das man den Vierzehn- bis Siebzehnjähri-
jeder Kritik zu betrachten, wobei die Erkenntnis, gen zahlt, nun für die älteren heimkehrenden bis-
daß man gegen Arbeitslosigkeit nicht versichern her kriegsgefangenen Soldaten, die sehr oft unter
kann, sich auch längst herumgesprochen haben sehr viel schwierigeren Bedingungen in den Beruf
dürfte. Bei der Tatsache dieser unechten Versiche- hineingehen, unmöglich anzunehmen sind.
rung ist das Problem nicht damit gelöst, daß man Die echte Selbstverwaltung, die wir als Freunde
schnellstens nach der Errichtung einer Versiche- des echten Föderalismus als hohe Schule der Demo-
rungsanstalt schreit. kratie werten, soll nun endlich den Sozialpartnern
Schließlich sind die Auswirkungen des Sozial- wiedergegeben werden. Mit Recht sind in der Re-
versicherungsanpassungsgesetzes zu überprüfen, gierungserklärung die vielen armen und gequälten
und dabei sind — das betone ich ausdrücklich — Opfer der Vergangenheit erwähnt worden. Alle
bei Beibehaltung der notwendigen Erhöhung der Bemühungen zur Lösung und Meisterung unserer
kleinen Renten alle jene Ungerechtigkeiten zu be- zahlreichen Nöte sollten sich aber nach Auffassung
seitigen, mit denen dieses Gesetz die von ihm meiner Fraktion von dem so oft falsch verstandenen
betroffenen Angestellten und. weiterversicherten Grundsatz der Solidarität abwenden und sollten in
Handwerker hinsichtlich der Beitrags- und Lei- der Bemühung gipfeln, nicht jedem das Gleiche,
stungsgestaltung entgegen seinen Versprechungen sondern jedem das Seine zu geben.
getroffen hat. Die breiten Schichten des Mittel- De Deutsche Partei bekennt sich zum Berufs-
standes, denen in der Regierungserklärung ver- beamtentum und zum Aufbau einer Verwaltung,
ständnisvolle Hilfe zugesagt ist, erwarten hier ge- in der fachliches Können und charakterliche Werte
rechtere Lösungen. die Voraussetzung des Aufstieges für jedermann
Bei der Lösung aller sozialen Spannungen darf sein sollen. Sie wehrt sich mit Abscheu gegen jede
es sich aber in erster Linie nicht um Fragen der Politik, die in jüngster Vergangenheit das Problem
Nützlichkeit oder nur um materielle Probleme han- nicht löste, indem sie an die Stelle eines braunen
deln, sondern immer primär um ein menschliches Parteibuches ein andersfarbiges setzte. Die Folgen
Problem. Es kommt mehr denn je darauf an, den der Denazifizierung, die zu einem sozialen Problem
einzelnen Menschen an seine Arbeit und an die wurden, sollte bei der Wiedereingliederung be
Gemeinschaft, in der er diese Arbeit leistet, so zu fähigter Könner schnellstens beseitigt werden. Wir
binden, daß er alle Spannungen im Sinne dieser haben
- solchen Mangel an gutem Berufswissen und
echten Bindung an die ihm gemäße Aufgabe löst, Menschen, die daneben bereit sind, Verantwortung
und zu verhindern, daß der Mensch zum Werkzeug zu tragen, daß wir auf keinen von ihnen beim Neu-
anderer oder gar kollektiver Mächte herabsinkt. bau des deutschen Hauses verzichten können, sei er
Hier erwachsen gerade den Gewerkschaften große Hilfskraft oder sei er Architekt.
und echte Gemeinschaftsaufgaben, nicht klassen- Eine gerechte Lohnpolitik soll den Tüchtigen
kämpferischer, sondern heilsam verbindender Art, belohnen und den Fleißigen anreizen. Wie eine ver-
und hier kann auch der echte Ausgleich durch den nünftige Steuerreform aussehen soll, das hat Ihnen
Sozialpartner herbeigeführt werden, wenn dem heute Herr Dr. Wellhausen sehr ausführlich gesagt.
seiner Berufsaufgabe innerlich verbundenen Men- Ich darf wegen der drängenden Zeit davon absehen.
schen der sozial verantwortliche Arbeitgeber gegen- Einen letzten Wunsch darf ich noch äußern: daß
übersteht, der um die hohe Verpflichtung jeden bei dieser Steuerreform die berufstätige Frau be-
Besitzes weiß. Ein verständiger Ausgleich sozialer sonders berücksichtigt wird. Ich denke dabei an die
Gegensätze führt dann nicht zur Nivellierung, son- große Belastung der vielen auch unverheirateten
dern zur Erhöhung des Einzelschicksals im Massen- Frauen, die Familienunterhaltsverpflichtungen von
schicksal und damit zu einer Aufstiegsmöglichkeit einem Ausmaß haben, das den meisten von Ihnen
für alle. nicht bekannt sein wird. Ich denke daran, daß bei
(Glocke des Präsidenten.) einer vernünftigen Steuerreform diese Frauen
— Gestatten Sie, ich bin bald fertig. genau so berücksichtigt werden müssen, wie jeder
Es wird sehr viel von der berechtigten Forderung Familienvater einen gerechten Anspruch darauf hat.
nach der endlichen Heimkehr unserer Kriegsgefan- Es ist hier mit Recht gesagt worden, daß, die Not
genen gesprochen, und es ist dies eine selbstver- so unabsehbar groß ist, daß wir das Feuer schnell
ständliche Forderung aller Deutschen. Nur ist dem löschen müssen, wenn wir noch etwas retten wollen.
das eine hinzuzufügen, daß wir doch endlich die Ich habe den Mut, hier so unpopulär zu sein —
notwendigen Mittel und Wege finden möchten, den und damit komme ich zum Schluß —, zu erklären,
Heimkehrenden auch eine echte Heimkehr zu berei- daß wir mit dem Herrn Bundeskanzler darin einig
ten. Dazu gehört nicht nur die Freizügigkeit, dazu sind, daß eben nur die beste Wirtschaftspolitik
gehört nicht nur die endliche Zusammenführung Gewähr für eine gute Sozialpolitik ist, und daß
der getrennten Familienmitglieder, dazu gehört meine Fraktion nicht an das Wort glaubt, daß ein
nicht nur alle nur mögliche Hilfe bei den Behörden, armes Volk die beste Sozialpolitik haben kann oder
dazu gehören auch neue Gesetze, die vielen unserer haben muß, weil es so arm ist. Wir wissen, daß wir
Heimkehrer, die durch Krieg und Gefangenschaft alle zusammen viel mehr werden arbeiten und uns
aus der Bahn einer geordneten Ausbildung gerissen noch in sehr vielen Dingen werden einschränken
sind oder eine solche noch gar nicht beginnen konn- müssen. Wir glauben aber, daß wir trotz dieser
ten, neue Wege mit bisher ungewöhnlichen, neuen nüchternen Schau der Realitäten mit unserem flei-
Mitteln eröffnen. Ich denke dabei an die Bewah- ßigen Volk aus unseren Trümmerhaufen wieder
rung vor einem neuen akademischen Proletariat, herauskommen werden, und wir hoffen, daß wir
wenn Sie mir das Schlagwort gestatten wollen. Ich mit allen deutschen Brüdern, auch den Brüdern und
denke daran, daß man den älteren Heimkehrern die Schwestern, die jenseits der Grenzen sind, dann
118 Deutscher Bundestag - 7. Sitzung. Bonn, Freitag, den 23. September 1949
(Frau Kalinke)
endlich jenen sozialen Frieden gewinnen werden, Sorge erfüllen, daß die Rückgewinnung dieser
der die beste Grundlage für den wahren Frieden Märkte nur durch bedenkliche politische Konzes-
der Welt ist, den wir als gute Europäer, aber auch sionen möglich ist.
als gute Deutsche mit heißem Herzen ersehnen. Wenn in der Regierungserklärung davon die Rede
(Beifall bei der DP.) ist, daß der Kurs des Frankfurter Wirtschaftsrats
fortgesetzt werden soll, so wollen wir diese Zu-
Vizepräsident Dr. Schmid: Meine Damen und sicherung auf den Grundsatz der sozialen Markt-
Herren! Die Frau Abgeordnete Kalinke hat ihre wirtschaft einschränken, den wir anerkennen. Wir
Redezeit um fast hundert Prozent überschritten. wollen aber hoffen, daß die zentralistischen Metho-
Ich habe sie in ihrer Rede nicht gestört den, die den Frankfurter Wirtschaftsrat in einer
(Heiterkeit) uns so unsympathischen und nachteiligen Weise
erscheinen ließen, nicht weitergeführt werden.
— aus Galanterie. Ich möchte aber die nachfolgen-
den Redner warnen und sie bitten, sich nicht all- (Zuruf: Welche denn?)
gemein auf die Unerschöpflichkeit meiner Langmut Die Betonung der besonderen Fürsorge für den
zu verlassen. Mittelstand haben wir mit Genugtuung aufgenom-
(Zuruf von der KPD: Jetzt kommen Männer!) men, weil der Mittelstand für uns der klassische
Träger des Individualitätsgedankens in wirtschaft-
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Etzel. licher und gesellschaftlicher Hinsicht ist, weil wir
(Abg. Renner: „Jedem das Seine!" stand der Meinung sind, daß versucht werden muß, die
über der Eingangstür des Lagers Buchen- gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Probleme
wald. Frau Abgeordnete der Deutschen in möglichst weitem Maße mittelständisch-bürger-
Partei, wo haben Sie die Nazi-Terminologie lich zu lösen, weil wir von der Bayernpartei jede
her? Waren Sie Mitglied der Partei?) Methode der hochkapitalistisch-klassenkämpferi-
— Herr Abgeordneter Renner, Sie haben nicht ums schen und der proletarisch-klassenkämpferischen
Wort gebeten! Austragung gesellschaftlicher und wirtschaftlicher
(Abg. Renner: Ich habe nur eine kleine Spannungen ablehnen.
Zwischenbemerkung gemacht; das stand Wir sind für den sozialen Frieden. Die großen
wörtlich über der Eingangstür von Buchen- Aufgaben, die hier den Gewerkschaften gesetzt
wald!) sind, können und werden sie nur dann erfüllen,
— Das Wort haben nicht Sie, Herr Abgeordneter wenn sie jedem Gedanken an die Möglichkeit eines
Renner, sondern der Herr Abgeordnete Dr. Etzel. Klassenkampfes entsagen und darangehen, in sich
die Voraussetzungen und Möglichkeiten des schied-
Dr. Etzel (BP): Meine Damen und Herren! Ur- lich-friedlichen Einvernehmens zwischen den Ar-
sprünglich bestand bei meiner Partei und bei beitnehmern und Arbeitgebern durch berufsständi-
meiner Fraktion die Absicht, nicht mehr zur Re- sche Organisation und Methode zu erwägen und zu
gierungserklärung zu sprechen, weil wir durchaus schaffen.
mit dem Abgeordneten und bayerischen Landsmann Auf die Frage der Wiederherstellung des Ver-
Loritz der Meinung sind, der Bundesregierung die trauens der Sparer und auf die Notwendigkeit einer
Zeit nicht vorenthalten zu sollen, die sie braucht, steuerlichen Entlastung werde ich mit wenigen
um die brennenden Probleme alsbald in Angriff zu Worten in einem ganz arideren Zusammenhang am
nehmen. Schluß noch kommen.
(Zuruf links: Sie haben doch um zwei Tage Da ich die Rangordnung der einzelnen Fragen
vertagt!) berücksichtigen möchte, werde ich mich vor allem
Wir haben uns trotzdem entschlossen, noch einmal staatsrechtlichen und staatspolitischen Ausführun-
das Wort zu nehmen, weil wir glauben, daß der gen zuwenden. In dem Grundgesetz ist behauptet,
bisherige Verlauf der Debatte uns Anlaß zur Be- und zwar sowohl in der Präambel wie in Artikel 20,
sorgnis gegeben hat. Heute morgen — das darf ich daß der Bonner Staat ein Bundesstaat sei. Das ist,
am Rande vermerken — hat der Herr Vertreter gelinde ausgedrückt, ein Euphemismus. Ich könnte,
der CSU behauptet, daß die von der Fraktion der wenn ich ganz deutlich werde, auch sagen: es ist
Bayernpartei gebilligten Ausführungen des Frak- eine Unrichtigkeit. Ich will nicht sagen, es ist eine
tionsvorsitzenden Übertreibungen und Maßlosig- Unwahrheit, aber es ist eine Unrichtigkeit. Denn
keiten enthalten haben. Ich glaube, daß das Hohe dieser Bundestag ist ja nicht durch Verbündung
Haus kein Interesse an der Fortführung von Aus- zustande gekommen, sondern durch Majorisierung.
einandersetzungen haben kann, die ausschließlich Ein Bundesstaat setzt, so wie die Bismarcksche Ver-
innerbayerischen Charakters sind. Diese Ausein- fassung auf den Novemberverträgen beruhte,
andersetzungen werden in sehr absehbarer Zeit auf Staatsverträge voraus. Solche sind aber nicht abge-
einem anderen Glacis zum Austrag kommen. schlossen worden.
Es wäre wichtig und auch reizvoll, die Fragen (Lachen.)
der Wirtschaft und der Sozialpolitik im einzelnen In der Präambel des Grundgesetzes ist weiter
zu durchleuchten. Die Zeit, die mir zur Verfügung zum Ausdruck gebracht, daß das deutsche Volk sich
steht, erlaubt dies nicht. Ich darf aber darauf hin- dieses Grundgesetz gegeben habe. Der Herr Bun-
weisen, daß die Lage der deutschen Wirtschaft deskanzler Dr. Adenauer hat zu einer Zeit, als er
durchaus geändert ist durch grundlegende struk- diese hohe Würde noch nicht bekleidete — das war
turelle Wandlungen, die in dem Bericht der Wirt- am 23. Mai bei der feierlichen Unterzeichnung des
schaftskommission der UN über das Jahr 1948 mit Grundgesetzes —, gesagt, die Verfassung beruhe auf
klarer Deutlichkeit zum Ausdruck gekommen sind. dem freien Willen des deutschen Volkes. Wir
Wir können uns vorstellen, welche Situation für die können eine solche Auffassung nicht teilen. Das
deutsche Wirtschaft unter Berücksichtigung des deutsche Volk hat das Grundgesetz nicht beschlos-
Verlustes weitgehender Gebiete der Ostmärkte sen. Artikel 146 sagt selbst: Dieses Grundgesetz
besteht, die auf die Dauer für die westdeutsche verliert seine Gültigkeit an dem Tage, an dem eine
Produktion unentbehrlich sind. Es könnte uns mit Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen
Deutscher Bundestag - 7. Sitzung. Bonn, Freitag, den 23. September 1949 119
(Dr. Etzel)
Volk in freier Entscheidung beschlossen worden ist. die Mehrheit des deutschen Volkes außer Österreich
Hier ist die Meinung widerlegt, daß das Grund- beherrschende preußisch-deutsche Einheitsstaat oder
gesetz das Geschöpf einer freien Entscheidung des kurz: die nationale Monarchie mit bündischen In-
deutschen Volkes sei. stitutionen sei. Ich wäre begierig, das Urteil
(Sehr richtig! bei der BP. — Zuruf von der SPD: Treitschkes zu hören, wenn er das Bonner Grund-
Was hat sich denn das deutsche Volk gesetz erlebt hätte, nachdem er schon die Bismarck
am 14. August vorgestellt?) sche Verfassung, die wesentliche föderalistische
Sein Zustandekommen zeigt die verschlungenen Elemente und Grundlagen enthielt, in einer solchen
Linien einer teils verfassungs-, teils besatzungs- Weise als Zentralstaat charakterisieren konnte.
rechtlichen Manipulation, und es besteht in der Tat (Abg. Dr. Baumgartner: Treitschke wäre
nur vom Standpunkt des Besatzungsrechts aus. heute ein Bayernparteiler! - Große Hei
Wir haben also schon in der Stunde der Geburt terkeit.)
von Föderalismus nichts erleben können. Der Auf- Warum lehnen wir eine andere als eine födera-
bau des Grundgesetzes selbst zeigt nur Rudimente listische Gestaltung der europäischen Mitte ab? Wir
des Föderalismus. Daher enthält auch das Geneh- sind gegen jede Blockbildung. Wir von der Bayern-
migungsschreiben der Militärgouverneure zu dem partei wenden uns dagegen, daß hier in Mittel-
Grundgesetz die Worte Föderalismus und föde- europa eine Äußere Mongolei errichtet wird, sei es
ralistisch nicht mehr, und die Charta für die Hohe nach der einen oder nach der anderen Himmels-
Alliierte Kommission spricht nur noch von den richtung. Wir wollen keine solchen Optionen, die
durch die Verfassung angegliederten Ländern. Kein uns aufs neue in den Schlund der Machtpolitik hin-
Wort mehr von Föderalismus! Wir bedauern den abschleudern müßten.
Stellungswechsel der amerikanischen Politik außer- (Zurufe.)
ordentlich. Vor allem aber liegt uns an Gesamtdeutschland.
Die britische Politik hat uns nicht überrascht, sie Wer die Geschichte des Deutschen Bundes kennt,
izutfbwesnmracliDhgerd weiß,daßsiedieGeschichtederTreu Bayernsund
orientiert, gleichviel ob es Whig-, Tory- oder Österreichs zu Gesamtdeutschland ist.
Labour-England war. Wir wissen aus den Jahren (Bravo! bei der BP.)
1866/67: als Preußen die Folgerung aus seinem Wer die Geschichte des Deutschen Bundes kennt,
Siege und den Augustbündnissen zog und auf den weiß, daß der zentralistische Partikularismus des
Trümmern des von ihm zerstörten Deutschen Bun- preußischen Staatsgedankens gegen Gesamtdeutsch-
des den Norddeutschen Bund errichtete, da brach land war,
die britische Presse in Jubel aus, weil sie glaubte, (Sehr richtig! bei der BP)
daß hier eine neue Konstruktion geschaffen worden
sei, die den hochpolitischen Zielen der britischen vom Unionsprojekt des Jahres 1849 angefangen bis
zur - Zertrümmerung des Bundes mit Hilfe des Zünd-
Politik zur Verfügung stehen würde. Es wunderte
uns nicht, daß Bevin an jenem Himmelfahrtstage nadelgewehrs. Wir vermögen uns Deutschland nicht
1947 bei der Deutschlanddebatte im Unterhaus der ohne Österreich vorzustellen, und wir wollen nicht
Sache nach erklärt hat, daß die britische Politik nur auf die fünf Länder der Sowjetzone verzichten. Das
einen übermäßigen Zentralismus ablehne, und das Gefälle, das zwischen Ost und West bereits besteht,
Memorandum eben dieses Bevin zur Londoner wird bei einer Fortsetzung der staatspolitischen,
Außenministerkonferenz trug alle Züge der Weima- der wirtschafts- und sozialpolitischen Arbeit im
Bonner Staat einerseits und in den deutschen Ost-
rer Verfassung.
staaten andererseits immer größer werden, und
(Zuruf von der SPD: Und die französische wenn drei Jahre vorüber sein sollten, würden wir
Politik?) die beiderseitigen Teile dieses gequälten Deutsch-
Daß die amerikanische Politik so weit ging, in land kaum mehr miteinander vergleichen können.
ihrer Denkschrift vom 24. März 1948, die sie zur Es ist undenkbar, daß wir die fünf deutschen Län-
Sechsmächtekonferenz vorlegte, eine Verschärfung der der Ostzone in einen zentral gestalteten West-
des Zentralismus des Frankfurter Wirtschaftsrats staat eines Tages einzugliedern vermögen, wenn
für die künftige deutsche Gestaltung vorzuschlagen, nicht vorher das Gefälle vollkommen eingeebnet
das ist uns eine tiefe Enttäuschung gewesen, nach- worden ist. Ich möchte aber den kennen, der mir
dem wir in den Jahren 1945 und 1946 eine so glaubhaft machen kann, daß das dann möglich
staatsmännische Weitsicht der amerikanischen Poli- wäre. Wir haben ja schon eine Stimme gehört,
tik im föderalistischen Sinne erlebt hatten. Ich meine Damen und Heren, die gesagt hat: wenn es
wundere mich, daß die französische Politik eine einmal dazu kommen solle, werde es notwendig
solche zentralistische Entwicklung mitmacht und sein, zumindest die volkseigenen Betriebe in der
billigt; Ostzone aufrechtzuerhalten, mit anderen Worten
(Hört! Hart!) die Kollektivierung, die dort in weitem Umfang
denn sie erklärt gleichzeitig, besteht, nicht zu beseitigen.
(Zuruf von der SPD: Die hat sich inzwischen (Abg. Rische: Schrecklich! Furchtbar!)
besser aufklären lassen!) Wir wollen Deutschland. Deutschland aber gibt
dieser neue Zentralstaat sei möglicherweise eine es nicht ohne Österreich und ohne die Länder der
Bedrohung. Es ist mir unverständlich, daß die Sowjetzone. Glauben Sie doch nicht, daß es möglich
französische Politik, wenn sie eine neue Machtkon- wäre, Österreich nochmals, wie im Jahre 1938,
zentration auf zentralistischer Grundlage hier in gegen seinen Willen mit Gewalt anzuschließen.
Mitteleuropa befürchtet, gleichzeitig eine solche Kein Vernünftiger kann daran denken wollen. Der
Möglichkeit mit konstruieren hilft. Beitritt Österreichs, wenn er einmal erfolgen sollte,
Heinrich von Treitschke hat in einem Aufsatz in kann, darf und wird nur ein freiwilliger sein. Aber
den Preußischen Jahrbüchern gesagt, er lasse es wir können uns Deutschland ohne Österreich und
dahingestellt, ob das Bismarcksche Reich staats- ohne unsere österreichischen Brüder nicht vor-
rechtlich ein Bundesstaat sei, und er erklärte, daß stellen.
es jedenfalls politisch und geschichtlich bereits der (Händeklatschen bei der BP und der WAV.)
120 Deutscher Bundestag — 7. Sitzung. Bonn, Freitag, den 23. September 1949
(Dr. Etzel)
Dieses Österreich vermag aber nur dann in den wirken, der da sagt: „Die Geschichte lehrt, daß sie
gesamtdeutschen Verband hereinzukommen, wenn nichts lehrt."
9 ihm eine staatenbündische, staatsmännisch richtige Das Selbstbestimmungsrecht der Völker, das
Konstruktion das erlaubt und ermöglicht. Und, immer und überall als Menschenrecht anerkannt
meine Damen und Herren, hüten wir uns doch ist, gewährt auch die Möglichkeit, mit demokra-
davor, ein Schema, eine Schablone, die in einer so tischen Mitteln für die Verwirklichung dieses Rech-
fürchterlichen Weise widerlegt worden ist, für tes zu kämpfen. Wenn wir von Menschenrecht und
modern zu halten. Der staatenbündische Gedanke Menschenwürde und vom Individuum sprechen und
ist modern im höchsten Sinne. Seine elastischen wenn wir dabei an die metaphysischen Verantwor-
Konstruktionen bieten jeder Aufgabe, die ihm ge- tungen denken, die dem einzelnen Menschen ge-
stellt wird, Grundlage und Möglichkeit, während setzt sind, dann dürfen wir das Individualrecht
jede Zentralisierung — abgesehen von der in ihr eines alten Staates, wie es der bayerische ist, nicht
liegenden Gefahr der Vorbereitung einer neuen negieren wollen. Seien wir doch objektiv und
Diktatur — die Schaffung Gesamtdeutschlands warmherzig genug, die Auffassungen 'auch eines
unmöglich macht, andern, die mißverstanden werden können, gelten
(Beifall bei der BP) zu lassen. Aber wir wollen in diesem Hohen Hause
und das werfen wir dem Grundgesetz des Bonner dafür sorgen, daß keine Mißverständnisse über die
Staates vor. grundsätzliche Politik der Bayernpartei entstehen
Ein ehrfurchtgebietender Mann — ich sage das können. Ich denke, dann wird man auch die Auf-
deswegen, weil es ein in hohem Alter stehender fassungen des anderen achten und nicht einfach
Mann ist, der in Ehren grau geworden ist —, der unter Ausnützung einer Majorität mitleidlos nieder-
sozialdemokratische Bundeskanzler von Österreich treten wollen.
Dr. Karl Renner, hat im Januar 1947 vor dem (Beifall bei der BP.)
Wiener Presseklub in elegischer Weise der hohen Ich, glaube, es war ein Kollege von der Nationalen
Mission und Aufgabe gedacht, die die ehemalige Rechten, der sagte: „Nur ein guter Deutscher kann
Monarchie im Donauraum erfüllt hat, und er sprach ein guter Europäer sein." Er sagte ferner, daß es
die Hoffnung aus, daß es doch möglich sein möchte, ohne Deutschland kein Europa gäbe. Ich möchte
eine ähnliche Konstruktion, wenn auch beschränkt diesen Satz dahin abwandeln, daß ich sage: Es
auf Wirtschaftsaufgaben, dort wieder zu errichten. kann nur der ein guter Bayer sein, der auch ein
Die Alliierten haben im Jahre 1918 diesen Staat guter Deutscher ist und damit ein wirklich guter
mit auflösen - ich will nicht das harte Wort „zer- Europäer.
stören" gebrauchen — helfen. Sie wären wohl
glücklich, wenn heute eine deutsch geführte Ord- (Beifall bei der BP. — Lachen links.)
nungsmacht im Donauraum anwesend wäre statt - Unsere Aufgabe und die Stellung Bayerns sind
des Gorgonenhauptes einer anderen. vielfach verkannt worden.
(Beifall bei der BP. - Zuruf von der KPD.) (Lachen und Unruhe.)
Wenn wir doch erkannt haben, daß die zentra-
listische preußisch-deutsche Staatskonstruktion, die Vizepräsident Dr. Schmid: Meine Damen und
notwendig eine partikularistische ist, nicht nur dazu Herren, jeder Redner hat hier das Recht, seine
geführt hat, uns in zwei furchtbare, lebenbedro- VorstelungvdDiorzutagen.
hende Katastrophen zu stürzen, sondern auch dazu, (Heiterkeit.)
daß die Lebenslinie des deutschen Volkes immer
weiter von Osten nach Westen vorgerückt wurde; Dr. Etzel (BP): Ich darf zum Schluß kommen. Die
wenn wir weiter erkannt haben, daß wir nicht bloß tiefe Krise unserer Zeit, ihr Hang zur Skepsis und
an der Oder-Neiße-Linie Anstoß nehmen müssen, zum Nihilismus, ist nicht zuletzt darauf zurückzu-
dann dürfen wir nichts von unserer Seite dazu tun, führen, daß immer wieder ein schroffer Gegensatz
um eine Elbelinie zu verstärken. besteht zwischen Verkündigung und Tat, zwischen
(Sehr wahrt rechts.) Soll und Haben der moralischen Rechnung, mit
Wir dürfen uns nicht verhalten wie das Huhn, um anderen Worten, daß die Unverbrüchlichkeit der
das ein Kreidekreis gezogen worden ist — ich bitte Grundsätze dem Opportunismus, dem Zweckdenken
mich nicht mißzuverstehen, Herr Präsident, und ich geopfert wird. Wenn in der Regierungserklärung
bitte, keinen Ordnungsruf in Aussicht zu nehmen. eine Fülle von Ankündigungen enthalten ist, so
möchten wir hoffen, daß uns hier dieser Wider-
Vizepräsident Dr. Schmid: Sie haben volle Indul- spruch zwischen Ankündigung und Ausführung er-
genz. spart bleibt. Die amerikanische Politik hat vor drei
bis vier Jahren noch von Föderalismus gesprochen,
Dr. Etzel (BP): Ich will nicht etwa ein Mitglied heute ist sie antiföderalistisch, man betreibt gleich-
des Hohen Hauses mit einem Huhn vergleichen. zeitig Demontagen und ERP-Hilfe, fordert uns
Aber ich sage: wir dürfen nicht handeln wie ein höchste Besatzungskosten ab und bietet uns den
Huhn, das nicht wagt, den magischen Kreis, der um Marshallplan, man spricht von Menschenrechten
es gezogen ist, zu durchbrechen, oder wie das Insekt, und versagt einem alten Kulturvolk mit größten
das am Leitband seines blinden Instinkts unaus- Leistungen auf wirtschaftlichem, kulturellem und
gesetzt gegen die Fensterscheibe prallt, wenn wir sozialem Gebiet über viereinhalb Jahre hinaus den
als homines sapientes, das heißt mit Vernunft Frieden, man spricht von der Wiederherstellung
begabte Menschen erkennen können, daß es not- des Vertrauens und sieht sich gleichzeitig ge-
wendig ist, aus der Geschichte, ihrem Anschauungs- zwungen — ich will das einmal annehmen —, einer
unterricht und ihren Lehrbeispielen die notwendi- neuen Erschütterung des Vertrauens durch Abwer-
gen Folgerungen zu ziehen. Wir haben einmal als tung zuzustimmen.
kleine Schüler aus den Lehren des Katechismus
jeweils die Nutzanwendung ziehen müssen; wir (Zuruf von der CDU: Wer spricht davon?)
wollen als große Menschen auch die Nutzanwen- Hier sind Befürchtungen angebracht. Wir müssen
dung ziehen und dem Pessimismus Hegels entgegen endlich einmal dazu gelangen, daß, wenn einer
Deutscher Bundestag - 7. Sitzung. Bonn, Freitag, den 23. September 1949 121
(Dr. Etzel)
Christus sagt, er nicht Baumwolle, Uran oder Öl dem ein alter Vorkämpfer des Rechts, der berühmte
meint. Jurist Rudolf von Ihering, in seiner Schrift „Der
(Sehr richtig! bei der BP.) Kampf ums Recht" sagt: „Kein Unrecht, das der
Wir wollen, daß, wenn man von Menschenrechten Mensch zu erdulden hat, reicht von weitem an das
spricht, man nicht durch Jalta und Potsdam ge- heran, welches die von Gott gesetzte Obrigkeit ver-
gangen sein darf. Wir wollen, mit anderen Worten, übt, indem sie selbst das Recht bricht."
endlich die Möglichkeit haben, zu erkennen, daß Ich darf schließen und dem Herrn Präsidenten
die Zusicherungen der Regierung, die eine Stan- für seine Langmut und Ihnen selbst für Ihre Auf-
darte des Guten, Wahrerin und Vollstreckerin des merksamkeit danken.
sittlichen Rechtes sein muß, auch zur Wahrheit und
Wirklichkeit gemacht werden. Vizepräsident Dr. Schmid: Als Redner der
(Sehr richtig! bei der BP.) Bayernpartei hatte sich noch Herr Abgeordneter
Dr. Besold gemeldet. Mir ist aber gesagt worden,
Das ist wesentlich und eine Voraussetzung für die daß er verzichtet habe.
Gesundung nicht nur unserer psychologischen, son-
dern gerade auch unserer materiellen Lage. Es ge- (Abg. Dr. Besold: Ich verzichte!)
nügt nicht, daß wir nach Caux gehen und uns der Das war die Ursache meiner Langmut.
Oxfordbewegung anschließen oder mit ihren An- (Heiterkeit.)
hängern irgendwelche literarischen oder auch
moralischen Gespräche führen, sondern es ist not- Ich erteile nun dem Abgeordneten Fisch das Wort.
wendig, daß wir hier gegenüber den einzelnen Be- Fisch (KPD): Meine Damen und Herren! Ich
rufsständen und einzelnen Menschen das menschlich möchte bezweifeln, ob sich alle Mitglieder dieses
Richtige und das von der Moral Geforderte tun Hauses über die Bedeutung gewisser Vorgänge im
und daß wir das ausführen, was wir ankündigen, klaren sind, die sich gestern hier abgespielt haben.
daß wir so handeln, wie wir sprechen. Zumindest glaube ich, daß das Echo dieser Vor
(Sehr richtig! bei der BP.) -gänge im Ausland den einen oder andern doch
Das durfte ich sagen, meine Damen und Herren, etwas nachdenklicher stimmen wird, als man
weil die Frage der Wiederherstellung des Ver- gestern zu erkennen gab. Dabei möchte ich nicht
trauens der Sparer nicht schon im Keime erstickt gewisse Reden als entscheidend betrachten, die von
werden darf. Wenn man erklärt — die Erklärung einigen Sprechern der Rechten des Hauses hier ge-
wurde in diesem Hause gut aufgenommen —: die halten worden sind. Viel wichtiger scheint mir die
Preise für Lebensmittel, für landwirtschaftliche Er- Frage zu sein, wie die Regierung und der Herr
zeugnisse würden nicht erhöht, so mag diese Zu- Bundeskanzler selbst auf diese Reden reagiert
-haben und auf welche Weise sie damit zu erkennen
sicherung an und für sich zunächst positiv beurteilt
werden. Bei näherem Zusehen aber erkennt man, gegeben haben, wie sie sich die Grundlage ihrer
daß auf diese Weise die Möglichkeit der Steuersen- künftigen Außenpolitik denken.
kungen — weil die Beibehaltung der Preise ja nur Zuvor möchte ich an einige Worte der Frau Kol
durch Subventionen möglich ist — von vornherein legin Wessel erinnern, von denen ich hoffen möchte,
begrenzt wird. daß sie einigen Damen und Herren dieses Hauses
(Zuruf von der CDU: Es gibt auch andere doch zu etwas besinnlicherem Nachdenken Anlaß
Möglichkeiten!) geben. Manches, was Frau Kollegin Wessel gesagt
Wir begrüßen es außerordentlich, daß die Regie- hat, wird vielleicht einen Weg für die Art der
rung sich vorgenommen hat, daß das Währungs- Überbrückung von Gegensätzen, die bisher schein-
unrecht beseitigt wird. Welch eine Diskrepanz! Im bar unüberwindlich waren, zeigen können. Sie hat
dritten Währungsgesetz, im Umstellungsgesetz, ist vor allem auf einen Umstand hingewiese n', der uns
angekündigt, daß sich die Militärgouverneure vor- Deutschen in der Vergangenheit oft den Weg zu
behalten, eine zweite D-Mark auf zehn R-Mark zu einem freundschaftlichen Verhältnis mit unseren
gewähren. Was ist aber geschehen? Man hat nicht Nachbarvölkern und mit der ganzen Welt verbaut
einmal das Verhältnis 1 zu 10 für die Sparkonten hat. Sie hat auf das Unvermögen vieler Deutscher
bewilligt, sondern sie auf 6,5 zu 100 dezimiert. Das hingewiesen, die politischen Gegebenheiten anderer
ist einer jener Fälle, von denen ich vorhin gespro- Völker und anderer Staaten so zu beachten und
chen habe, in denen die Unverbrüchlichkeit der in Rechnung zu stellen, als ob es unsere eigenen
rechtlichen und moralischen Zusicherung nicht ge- wären. Sie warnte insbesondere vor gewissen Tra-
wahrt ist. ditionen der deutschen Diplomatie, die durch Über-
heblichkeit und Korpsstudentengeist charakterisiert
Wir möchten hoffen, daß von der Regierung, die- sind.
weil wir ihr vollkommen vorurteilslos, aber mit Man sollte nun meinen, daß eine Regierung, die
größtem Argwohn und Mißtrauen gegenüberstehen, denNamRgiruBndespblkDutch-
gerade diese moralische Haltung beachtet wird. land trägt und ihn für sich auch weiterhin in An-
Wir möchten gerne die Gewißheit haben, daß das spruch nehmen möchte, sich solchen Gedanken-
Schicksal des deutschen Volkes bei der Bundesre- gängen nicht verschließen wird. Aber das Gegenteil
gierung in getreuen, reinen und geschickten Händen ist eingetreten. Man kann wohl sagen, daß diese
liegt. Wir möchten hoffen, daß der Rechtsgedanke Regierung und ihr Sprecher an einem Tage in
überall, mag es sich um die Wiederherstellung der unserm Verhältnis zur Welt mehr Porzellan zer-
wohlerworbenen Rechte der Beamten, die durch die schlagen haben als jemals irgendeine Regierung der
Entnazifizierungsmühle gegangen sind, oder um die Weimarer Republik.
Berücksichtigung der Rechte der früheren Wehr-
machtbeamten und der ehemaligen Berufssoldaten, (Zustimmung bei der KPD.)
mag es sich um die Rechte der Sozialrentner han- Diese Regierung behauptet von sich, ihr Bestreben
deln, durch den Staat — wir nennen ihn wohl bestehe darin, den Weg in die freie Gemeinschaft
Bund, sind aber überzeugt, daß er ein Zentralstaat der Völker erfolgreich anzutreten, ihr Weg bestehe
ist - voll verwirklicht wird, wobei der Bund ein darin, von der Weltöffentlichkeit wieder gehört,
wohlwollender Vater ist; der Rechtsgedanke, von ernst genommen und beachtet zu werden. Wie stellt
122 Deutscher Bundestag — 7. Sitzung. Bonn, Freitag, den 23. September 1949
(Fisch)
sich diese Regierung und ihr Kanzler diesen Weg Wortführer dieser Ansprüche macht, der selbst ein-
vor, wenn sie auf solche Weise zu operieren ge- mal Funktionär der Henlein-Partei gewesen ist.
denkt, wie sie uns das gestern demonstriert hat? (Hört! Hört! bei der KPD.)
Die ganze staatsmännische Weisheit und Klugheit Man braucht sich nicht zu wundern, wenn von die-
dieser Regierung besteht anscheinend darin, eine ser Seite jenes obskure Wort von der „tschechischen
Politik zu betreiben, die Deutschland in eine völlige Soldateska" fällt, hier im sogenannten Deutschen
Isolierung hineintreiben muß. Bundestag unwidersprochen, die gleiche Formu-
(Sehr richtig! bei der KPD.) lierung, die wir von Goebbels und Hitler unmittel-
Ihre erste staatsmännische Handlung bestand darin, bar vor dem Überfall auf die Tschechoslowakei
einen Schreckschuß gegen jene Völker loszulassen, hörten.
die gerade erst das fürchterliche Erlebnis der Be- (Erneute Rufe von der KPD: Hört! Hört!)
setzung durch das Hitlerregime hinter sich haben. Ich muß schon darum bitten, diesen Ausdruck hin-
Der Bundeskanzler hielt es für angebracht, in die zunehmen, aber ich finde keinen andern dafür,
Debatte einzugreifen und das ganze Gewicht seiner wenn ich sage: Es ist doch zumindest eine Ge-
politischen Stellung dadurch zur Geltung zu schmacklosigkeit sondergleichen, im Jahre 1949 von
bringen, daß er solchen Auffassungen widersprach, den deutschen Leistungen in Polen und der Tsche-
die nichts anderes wollen, als unserem Volke zum choslowakei zu sprechen und daraus Gebietsan-
Frieden zu verhelfen und unser Verhältnis zu sprüche abzuleiten.
unseren Nachbarvölkern und zur ganzen Welt in (Zurufe. — Glocke des Präsidenten.)
geordnete Bahnen zu bringen..
(Zuruf in der Mitte: Oder-Neiße-Linie!) Vizepräsident Dr. Schmid: Herr Abgeordneter,
Er bediente sich dabei Methoden, die jeglicher par- Sie haben den Ausdruck „Geschmacklosigkeit" ge-
lamentarischen Gepflogenheit widersprechen. braucht. Das ist keine sachliche Feststellung, son-
dern ein Werturteil, das geeignet ist, die Personen,
(Zuruf von der CDU: Woher weißt du?) die Sie meinten, in ihrem Selbstgefühl zu treffen.
Obwohl er das getan hat, hatte er jedoch nichts zu Fisch (KPD): Ich meine, wenn man heute — im
einigen Ausführungen von Freunden seiner Regie- Jahre 1949 — von Leistungen, die unter deutschem
rungskoalition zu bemerken, die uns und auch diese Namen in jenen Ländern vollbracht worden sind,
westdeutsche Bundesrepublik im Ausland aufs spricht, dann hätte man die Pflicht, an die „Lei-
schwerste belasten müssen. Hier sprach ein Ange- stungen" der Jahre 1939 bis 1945 zu denken. Das
höriger der Bayernpartei davon, daß Böhmen und polnische Volk denkt bei Worten wie deutsche Lei-
Mähren urdeutsche Gebiete seien genau wie Schle- stungen an Lodz, an Auschwitz, an Warschau, an
sien, Pommern, Ostpreußen, Westpreußen usw., auf Lublin, und das tschechoslowakische Volk denkt bei
die wir nicht verzichten könnten. Der Herr Bun- diesen Formulierungen an den Namen Lidice,
deskanzler schweigt zu diesem Anspruch der neuen (Zuruf in der Mitte: An Aussig!)
westdeutschen Bundesrepublik auf die Eingliede- der tief in die Herzen aller tschechoslowakischen
rung von Böhmen und Mähren. Ein anderer Spre- Bürger eingeprägt ist.
cher, ein Angehöriger der Bayernpartei, erklärt, er
bedaure, daß österreich aus dem Deutschen Bund (Unruhe und Zuruf rechts: Unerhört!)
ausgeschlossen sei. Ein weiterer Sprecher hat soeben Meine Damen und Herren! Ich glaube, man
erklärt, er bedaure, daß es nicht eine deutsch ge- muß es auch als eine Herausforderung bezeichnen,
führte Vormacht im Donauraum gebe, die den alten wenn in diesem Hause Staatsoberhäupter in einer
Zustand der österreich-ungarischen Monarchie solchen Form tituliert werden, wie das gestern
wiederherstelle. Auch dazu schweigt die Regierung. hier geschehen ist, Staatsoberhäupter von Staaten,
Es gab einen anderen Sprecher, der sich die Kühn- mit denen die Länder, die Hohe Kommissare auf
heit erlaubte, zu erklären: Wir werden keinem den Petersberg geschickt haben, normale und kor-
Friedensvertrag zustimmen, der den Mordbanden rekte Beziehungen pflegen und aufrechtzuerhalten
Bieruts und Gottwalds den deutschen Osten über- wünschen. Ist es nicht der Ausdruck eines unglaub-
läßt. lichen Chauvinismus und nebenbei eines politischen
(Zuruf in der Mitte: Sehr richtig!) Unverstandes, derartige Reden gerade gegenüber
Meine Damen und Herren, das sind keine Einzel- den Staatsoberhäuptern solcher Länder zu führen,
gänger oder absonderliche Gestalten, die sich in das mit denen gerade Handelsverträge abgeschlossen
Bundeshaus verirrt haben. werden sollen, auf deren Erfolg die Wohlfahrt und
das Vorwärtskommen unserer Wirtschaft in star-
(Zuruf rechts: Gott sei Dank!) kem Maße angewiesen sind?
Das sind Sprecher von Regierungsparteien, das sind (Sehr gut! bei der KPD.)
Sprecher solcher Gruppen, die der Regierung zum
mindesten nahestehen. Einer von ihnen erklärt un- Solche Reden können aber nur gehalten, geduldet
widersprochen, er nehme an, daß die von ihm wie- und damit sanktioniert werden, wenn man den
dergegebene Auffassung auch der Meinung des Chauvinismus zur Grundlage seiner Politik erklärt.
Herrn Bundeskanzlers entspreche. Auch dazu (Zuruf rechts: Unerhört!)
schwieg der Herr Bundeskanzler, und der Herr Das ist die Politik der Katastrophe. Es kann einen
Präsident hielt es in diesem Falle nicht für geboten nicht wundern, wenn als Sprecher einer solchen
einzugreifen. Politik Leute auftreten, die die deutsche Außen-
Ist eine solche Redeweise bei der Eröffnung die- politik der Zukunft auf ihren Erfahrungen und
ses Parlaments nicht geradezu eine Herausforde- Aspekten aus ihrer Tätigkeit während der Nazizeit
rung aller Völker, die unter der Besetzung des aufbauen wollen. Wenn es hier im Hause Leute
Naziregimes so Fürchterliches erduldet haben? Eine gibt, die sich während der Nazizeit damit beschäf-
Herausforderung ist es, die alten nazistischen An- tigten, als Syndizi des IG-Farbenkonzerns Tausende
sprüche wieder geltend zu machen und sie sich zu von tschechischen Zwangsarbeitern anzuwerben und
eignzumach.Mksintwuder, sie nach Auschwitz zu bringen,
wenn sich ein Mann der Rechten dieses Hauses zum (Hört! Hört! bei der KPD)
Deutscher Bundestag — 7. Sitzung. Bonn, Freitag, den 23. September 1949 123
(Fisch)
dann allerdings darf man sich nicht wundern, wenn tano als Sprecher der CDU-Fraktion wollte uns
solche Leute glauben, sie könnten die Theorien und zwar glauben machen, dieses Ministerium verzichte
Praktiken ihrer eigenen Vergangenheit heute als auf die Pflege völkerrechtlicher Beziehungen, es
die moderne Außenpolitik dem deutschen Volke habe nur die eine Aufgabe: zu verfolgen, was dort
empfehlen. geschieht. Und in Anbetracht der sozialen und
(Zuruf von der FDP: Namen nennen!) strukturellen Änderungen, die in diesem Teil
- Die Herren der FDP-Fraktion sind genau infor- Deutschlands vor sich gehen, hielt es Herr von
miert, wen ich meine. Brentano in der ihm eigenen bescheidenen und zu-
rückhaltenden Weise für angebracht, zu erklären, es
(Erneuter Zuruf von der FDP: Namen nennen!) sei die Aufgabe des Ostministeriums, zu prüfen,
— Ich meine den Herrn Abgeordneten Euler. wie gewisse Dinge revidiert werden können, die
(Hört! Hört! bei der KPD.) sich in den letzten Jahren in der gesellschaftlichen
Struktur der Ostzone Deutschlands angebahnt
Vielleicht sind manche erstaunt über die frivole haben. Er meinte, das könne ja nicht von heute auf
Unbekümmertheit, mit der gewisse amerikanische morgen revidiert werden. Was wollen Sie, Herr von
Zeitschriften heute Karten drucken, in denen die Brentano?
Niedergangspunkte von Atombomben fein säuber- (Abg. Dr. von Brentano: Wissen Sie genau!)
lich eingezeichnet sind, die Städte Bonn, Mannheim
und Düsseldorf. Aber ich glaube, es liegt in der Wollen Sie Listen zusammenstellen, nach denen
gleichen Richtung, wenn hier in diesem Hause festgestellt wird, wie die enteigneten Junker von
Reden gehalten werden, die nicht zurückschrecken Ostelbien wieder zu ihrem alten Besitz kommen,
vor der Spekulation auf neue kriegerische Aktionen, von dem dann die Neubauern verjagt werden
vor der Spekulation auf neue gewaltsame Abände- sollen?
rungen der europäischen Landkarte. (Zuruf von der CDU: Die gehen ja von allein!)
(Lachen rechts.) Wollen Sie die Gleichschaltung von hier aus be-
Meine Damen und Herren! Jene, die sich so sehr treiben? Wollen Sie die alten Konzernherren wie-
als Realisten bezeichnen, sollten einen Moment da- der in ihre alten Privilegien zurückbringen? Wol-
ran denken, auf welchem Erdteil wir eigentlich len Sie alle jene reaktionären Onkels aus dem
leben, ob wir in Texas oder vielleicht in der Nähe Justizapparat wieder in ihre alten Positionen zu-
von Hollywood leben. Wenn das der Fall wäre, rückführen? Wollen Sie Vorbereitungen treffen für
könnte ich mir vorstellen, daß gewisse Reden den die Wiederherstellung der Privilegien der Söhne
Schein einer Berechtigung hätten. Aber wir leben und Töchter der Reichen, damit ihnen allein die
in Europa. Wir leben in einem Gebiet, in dem Nach- Bildungsstätten und Hochschulen gehören?
- (Zuruf: Nein, aber nicht das Kz Buchenwald!)
bar sich an Nachbar drängt. Wir können unsere
Außenpolitik nicht darauf aufbauen, daß gewisse Was wollen Sie eigentlich? - Meine Damen und
Senatoren zu gegebener Zeit unsere deutsche Ju- Herren, ich habe heute mittag einen kleinen Hin-
gend in Divisionen einrangieren wollen mit dem weis in der heutigen Ausgabe des Düsseldorfer
Versprechen, sie selber würden dann die dazu er- „Handelsblattes" gefunden, der — so scheint mir
forderlichen Atombomber bereitstellen. Wir können - die künftige Funktion des Ostministeriums er-
nicht auf eine mehr als fragliche Hilfe bauen, läutern könnte. Hier findet sich ein großes Inserat
die nur erteilt wird, um demjenigen, der sie mit folgendem Text:
spendet, eine um so höhere Rendite zu verschaffen. Reichsverbürgte Rüstungskredite für früheren
Ich denke, das Beispiel Berlin sollte manchen nach- Ostzonenbesitz. Namens einer mir nahestehen-
denklich machen. Es gibt Opfer der Luftbrücke, den seriösen Gesellschaft, die sich der Geltend-
jene, die allzustark darauf spekuliert haben, die machung der Rückzahlung von reichsverbürg-
militärische Demonstration gewisser Husarengene- ten Rüstungskrediten nach Verlust ihres Ost-
rale würde gleichzeitg eine Lösung auf die Dauer zonenbesitzes gegenübersieht, suche ich andere
für das Leben der West-Berliner Bevölkerung be- Gesellschaften oder Personen, die sich in der
deuten. Wir wünschen nicht, daß es dem deutschen gleichen Lage befinden, zwecks unentgeltlichen
Volke so geht wie heute der West-Berliner Be- wechselseitigen Gedankenaustauschs zur Vor-
völkerung, die sich in immer stärkere Krisen ver- bereitung gemeinsamer Interessenwahrneh-
strickt sieht, nur deshalb, weil sie sich dazu ver- mung, eventuell auch durch Einflußnahme bei
führen ließ, einer Husarenstrategie ihr Ohr und den gesetzgebenden Körperschaften.
ihre Aufmerksamkeit zu leihen.
Ich möchte das unterstreichen, was sehr beschei- (Hört! Hört! bei der KPD. — Lachen bei der CDU.)
den aus einigen Reihen dieses Hauses angedeutet Meine Damen und Herren, ich nehme an, daß mit
worden ist, nämlich: wenn wir eine Chance haben, diesen gesetzgebenden Körperschaften die Organe
als deutsches Volk zu gesunden, dann nur auf dem des sogenannten .Ostministeriums gemeint sind.
Wege, daß wir nichts tun, was irgendwie die be- (Zuruf rechts: Das sind doch keine gesetz
stehenden Gegensätze zwischen den Großmächten, gebenden Körperschaften!)
die gegenwärtig noch über Deutschland bestimmen, Was Sie wollen, meine Herren vom rechten Flügel
vertiefen könnte. dieses Hauses, ist folgendes. Sie haben den ko-
(Sehr richtig! links.) mischen Ehrgeiz, sich in die Serie jener Hasardeure
Es gibt in der Debatte des gestrigen und vor- der modernen Geschichte einzureihen, die es nie
gestrigen Tages noch einen anderen Beweis poli- vermögen, aus der Vergangenheit zu lernen, und
tischer Kurzsichtigkeit und Unbelehrbarkeit. Es die immer meinen, die künftige Geschichte müßte
wurde zwar von allen Seiten betont, man möchte so ablaufen, wie es sich in ihren Hirnen als Zu-
alles tun, um die Einheit Deutschlands vorzuberei- kunftsmusik abspielt.
ten. Aber die Erläuterungen, die uns seitens der Meine Damen und Herren, es hat sich in den
CDU-Fraktion über die Funktionen des Ostmini- letzten Monaten einiges ereignet, an dem auch Sie
steriums gegeben worden sind, müssen uns alles nicht achtlos vorübergehen sollten. Auch auf der
andere als optimistisch stimmen. Herr von Bren- Pariser Konferenz glaubte man am Anfang, mit
124 Deutscher Bundestag — 7. Sitzung. Bonn, Freitag, den 23. September 1949
(Fisch)
jenen bekannten fünf ultimativen Punkten die Mit dem Lebensniveau von Kulilöhnen, mit der Be-
These der Eingliederung der Ostzone in den west- seitigung des Mitbestimmungsrechts der Arbeiter
deutschen Bundesstaat und die These der Gleich- und Angestellten sowie der Gewerkschaften in den
schaltung vertreten zu müssen. Aber vom Anfang Betrieben. Man kann anlocken mit der Perspektive
bis zum Ende dieser Pariser Konferenz hat sich der Minderung des sozialen Lebensniveaus für die
einiges gewandelt, und vielleicht erinnern Sie sich, Rentner, für die Flüchtlinge und alle anderen, die
meine Damen und Herren von der Rechten des heute die Opfer unserer fürchterlichen Notlage ge-
Hauses, daß seitdem einige Generale und Zivil- worden sind.
strategen des „kalten Krieges" von der amerika- Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir in
nischen Regierung zurückgepfiffen worden sind. diesem Zusammenhang eine kurze Antwort auf die
(Zuruf von der SPD: Oder vom Osten!) Ausführungen des Herrn Kollegen Ollenhauer von
Zu Ende der Pariser Konferenz gab man den heute vormittag. Der Herr Kollege Ollenhauer
Deutschen andere Empfehlungen als im vergange- nahm zu den Ausführungen meines Parteifreundes
nen Jahre, nämlich sie mögen gemeinsame Organe Reimann Stellung. Er meinte, die Ereignisse um
aus Osten und Westen bilden, die die dringlichsten den 20. Juli des Jahres 1932 seien doch wohl nicht
Forderungen der Gegenwart besprechen und in ohne die Mithilfe der Kommunisten zustande ge-
Vorschlägen formulieren, wie man zuerst die inter- kommen. Herr Kollege Ollenhauer, wenn unsere
zonale Wirtschaft und den Handel wieder in Gang Partei so überheblich wäre, nie von ihren Fehlern,
setzen kann. Ja, Herr von Brentano, Sie erinnern sondern nur von ihren positiven Leistungen zu
sich vielleicht auch an einen Satz: „Es erben sich sprechen, dann wäre diese Mahnung angebracht
Gesetz und Rechte wie eine ewige Krankheit fort. gewesen. Wir haben zu einem sehr viel früheren
Gesetz wird Unsinn, Wohltat Plage; weh dir, daß Zeitpunkt erklärt, daß wir es für falsch halten,
du ein Enkel bist!" was im Jahre 1932 auch nur im geringsten der
(Abg. Dr. von Brentano: Wissen Sie auch, wer Reaktion vielleicht dazu verholfen hat, schneller
das gesagt hat?) an die Macht heranzukommen, indem wir nicht alle
Möglichkeiten der Schaffung eines einheitlichen
Wenn Sie noch immer an jener alten Konzeption Handelns der Arbeiterklasse und der werktätigen
des „kalten Krieges" der Londoner Konferenz von Bevölkerung förderten und unterstützten.
1948 festhalten, dann werden Sie Ihr Lebtag einer
dieser Enkel bleiben, dem das Gesetz nur Unsinn (Zuruf von der SPD: Und Ihre Kzs?)
ist, aber der den Unsinn dieses Gesetzes niemals Meine Damen und Herren, die Kommunisten sind
begreifen wird. eine ernste Partei, die ihr Verhältnis zur Öffent-
Meine Damen und Herren! Ich glaube, es kann lichkeit nicht nur in programmatischen Erklä-
n ur einen Weg zur Herstellung der Einheit Deutsch- rungen, sondern auch
lands geben, nämlich den Weg der freien Selbst- (Zuruf rechts: In Konzentrationslagern!)
bestimmung des ganzen deutschen Volkes. in offener Einstellung gegenüber ihren eigenen
(Lebhafte Zustimmung und Händeklatschen Handlungen und in einer offenen Selbstkritik dar-
rechts und in der Mitte. — Zuruf: Das war das stellt. Wir wünschen, daß jede deutsche Partei, die
erste vernünftige Wort! — Heiterkeit.) in diesem Hause vertreten ist, ein ebensolches Maß
Sie kann sich nicht vollziehen unter dem Regime an Selbstkritik an ihre eigene Haltung in der Ver-
von Ruhr- und Besatzungsstatut und unter dem gangenheit bis zum Jahre 1933 und während der
Diktat gewisser Hoher Kommissare. Nazizeit anlegen und das auch der Öffentlichkeit
(Zurufe rechts: Auch nicht in Kzs! mitteilen würde. Ich glaube, es würde unter solchen
Polit-Kommissare meinen Sie wohl!) Bedingungen seit 1945 manches anders gegangen
sein.
-- Das ist ein alter Witz.
(Abg. Neumann: Reden Sie doch von den Kz's
(Sehr richtig! bei der KPD.) seit 1945!)
Meine Damen und Herren! Der Herr Bundes- — Herr Kollege Neumann, ich bin gerne bereit,
kanzler sprach von einer eminent wichtigen Auf- gemeinsam mit Ihnen festzustellen, welche wirk-
gabe, die er als die Grundvoraussetzung einer er- lichen Sozialdemokraten sich heute in sogenannten
folgreichen Wirtschaftspolitik und damit auch einer Internierungslagern befinden.
erfolgreichen Sozialpolitik bezeichnete. Er meinte,
man müsse das Vertrauen des ausländischen Kapi- (Abg. Neumann: Wo ist Major Heinrich?
tals wiedergewinnen. Nun gut, das ausländische Weitere Zurufe.)
Kapital steht vor den Toren. Es hat sich die er- Meine Herren, ich möchte den Kollegen Ollen-
forderlichen Maßnahmen zum leichteren Eingang hauer daran erinnern, daß auch in seiner Partei in
bereits im Ruhrstatut und im Besatzungsstatut ge- der Vergangenheit die Kritik nicht übersehen
schaffen. Es hat durch die Währungsumstellung die- wurde, jedenfalls zu einem früheren Zeitpunkt.
ser Tage die letzten Vorbereitungen getroffen, und Ich möchte Sie, Herr Kollege Ollenhauer, an das
am Ende muß der Aufkauf entscheidender Teile der Dokument des Prager Parteivorstandes vom Jahre
deutschen Wirtschaft stehen. 1934 erinnern, das Sie selbst unterzeichnet haben
(Sehr richtig! bei der KPD.) und in dem Sie zu Ihrer Politik der Vergangenheit
sehr kritisch Stellung nehmen und einen neuen
Aber ich möchte den Herrn Bundeskanzler fragen: Kurs, eine Neuorientierung ausarbeiten. Ich möchte
Womit möchte er denn nun das ausländische Kapital Sie auch an die von Ihnen selbst mitbeschlossene
anlocken? Entschließung des Parteivorstandes in Köln vorn
(Abg. Dr. von Brentano: Nicht mit Ihnen!) September 1946 erinnern, in der Sie feststellen,
Womit möchte er den Eindruck erwecken, daß es daß heute bereits wieder die alten Kräfte der
sich lohnt, in Deutschland zu investieren? Doch Reaktion in den entscheidenden Stellen von Staat
wohl nur damit, daß die Anlagebedingungen für und Wirtschaft stehen. Nun, meine Damen und
das ausländische, insbesondere für das amerika- Herren, wenn dies der Fall ist — und wir unter-
nische Kapital ein Höchstmaß von Profiten in streichen diese Feststellung —, dann muß man aus
Aussicht stellen. Womit kann man also anlocken? dieser Feststellung Schlüsse ziehen, und zwar nicht
Deutscher Bundestag — 7. Sitzung. Bonn, Freitag, den 23. September 1949 125
(Fisch)
nur in Worten, sondern auch im Handeln. Das ist Vizepräsident Dr. Schmid: Meine Damen und
es, was uns not tut. Sie meinen, Herr Kollege Herren! Der Vorredner hat einige Äeußerungen
Olenhaur,dßwiKomsten lch gebraucht, durch die sich der Abgeordnete Euler
Kurs befolgen, weil uns nur darum zu tun sei, die persönlich betroffen fühlt. Der Abgeordnete Euler
fehlenden Massen für unsere Propaganda zu ge- möchte das Wort zu einer persönlichen Bemerkung
winnen. Wir sind weit davon entfernt! Es geht uns haben. Nach § 84 unserer Geschäftsordnung können
keineswegs um Prestigeerfolge unserer Partei. Wir jedoch persönliche Bemerkungen erst am Schluß der
haben 1933 erlebt, was es bedeutet, wenn eine Beratung abgegeben werden. Es ist unmöglich, für
Partei der Arbeiterklasse sich in erster Linie von diesen Fall etwa durch einen Mehrheitsbeschluß
Prestigegesichtspunkten ihrer Partei leiten läßt. ein anderes Verfahren zu beschließen. Dagegen ist
Zuerst kam die KPD in Zuchthäuser und Konzen- es möglich, dem Abgeordneten Euler das Wort zu
trationslager, dann folgten die Funktionäre der dieser persönlichen Bemerkung jetzt schon zu er-
SPD, und dann folgten die Funktionäre der christ- teilen, wenn sämtliche Anwesenden damit einver-
lichen Gewerkschaften und andere. Es geht uns standen sind. Ich stelle die Frage an das Haus —
nicht um einen Propagandaerfolg für den Augen- der Abgeordnete Euler hat mich gebeten, diese
blick. Wir sagen deutlich, was wir wollen: wir Frage zu stellen —, ob sich ein Widerspruch da-
wollen verhindern, daß die jetzige Situation, die gegen erhebt, daß der Herr Abgeordnete Euler jetzt
allzusehr der Lage von 1932 ähnelt, ihre Fort- schon das Wort zu einer persönlichen Bemerkung
setzung in einem neuen 1933 und in einem neuen erhält.
1939 findet. (Zuruf links: Ja! Erst nach Abschluß der Debatte!)
(Sehr wahr! bei der KPD.)
— Es ist Widerspruch erhoben worden. Herr Ab-
Ich denke, das ist klar! Und zu diesem Ziel ist uns geordneter Euler, ich kann Ihnen das Wort erst
jedes Mittel recht. nach Abschluß der Beratung erteilen.
(Aha! in der Mitte.) (Abg. Euler: Das ist sehr bedauerlich . Ich bitte
festzustellen, ob der Widerspruch aus den
Man kann über dieses und jenes in der Ostzone Reihen der Kommunistischen Partei kam! —
verschiedener Meinung sein. Es läßt sich darüber Gegenrufe links und Unruhe.)
streiten. Aber, meine Damen und Herren, eines
muß gesagt werden: Die erdrückende Mehrheit — Es ist ohne jeden Einfluß auf den Fortgang der
aller ehemals führenden Sozialdemokraten in die- Verhandlungen, woher der Widerspruch kam. Ich
ser Zone, Schöpflin, Ebert, Buchwitz, und wie sie habe daher keine Veranlassung, eine Feststellung
alle heißen, hat eine Lehre aus den Fehlern beider zu treffen.
Arbeiterparteien in der Weimarer Republik gezo- - (Abg. Euler: Ich möchte nur ganz kurz be
gen. Sie alle haben erkannt, daß der entscheidende
Fehler darin lag, daß die fortschrittlichen Kräfte merken: Die Behauptung ist unwahr! —
und die Arbeiterklasse damals nicht einheitlich und Unruhe und Zurufe links.)
nicht mit starker Hand handelten. Daraus haben
sie gelernt. Niemand kann ihnen daraus einen Vor- Ich habe Ihnen nicht das Wort gegeben, und Sie
wurf machen. können daher jetzt nicht sprechen.
Wir sagen darum heute: das Programm des Das Wort hat der Herr Abgeordnete Götzendorff.
Herrn Bundeskanzlers ist mehr als deutlich. Es
droht die Gefahr eines Vormarsches der reaktio- Götzendorff (WAV): Meine Damen und Herren!
närsten Elemente in Deutschland. Es droht die Ge- Die Schaffung eines Bundesministeriums für
fahr eines Generalangriffs auf die Löhne der Ar- Angelegenheiten der Vertriebenen hat die Flücht-
beiterklasse, auf die Renten, auf die Mieten, auf linge mit Befriedigung erfüllt. Es kommt jetzt für
das Leben aller einfachen Menschen und auch auf uns alles darauf an, in welchem Geist und mit wel-
die demokratischen Rechte der Arbeiterschaft, der chem Eifer dieses Ministerium seine unerhört um-
Gewerkschaften und aller anderen Angehörigen der fangreichen Aufgaben erfüllt. Uns ,Heimatver-
werktätiger. Schichten. triebene wird in diesem Zusammenhang ganz be-
(Hört! Hört!) sonders die personelle Zusammensetzung dieses
neuen Ministeriums interessieren. Wohl keine an-
Darum, meine Damen und Herren, wollen wir dar- dere Bevölkerungsgruppe in Deutschland hat die
auf hinweisen — das ist die Frage, die wir in der Bildung einer deutschen Regierung in dem Maße
Rede meines Parteifreundes Reimann angeschnitten herbeigesehnt, wie es die Heimatvertriebenen ge-
haben —: es kommt nicht darauf an, hier Dekla- tan haben. Sie taten dies nicht nur aus dem
mationen zu verkünden, sondern dem Volk draußen Gefühl der Grenzdeutschen, die sich zu allen
einen Weg zu zeigen, der der Reaktion den Weg Epochen geschichtlichen Denkens zutiefst mit dem
zum Sieg versperrt, einen Weg zu zeigen, der dem deutschen Vaterland verbunden fühlten, sie taten es
Volk die Mittel in die Hand gibt, mit denen es gleichermaßen auch aus ihrer tiefen materiellen
kämpfen kann, mit denen es stärker wird als in der und seelischen Notlage heraus.
'Verganhit. Es soll daher meine Aufgabe sein, die Bundes-
regierung und dieses Hohe Haus zu bitten, mit aller
Die Regierung ist mit ihren 202 Stimmen, die sie Kraft Maßnahmen zu ergreifen, die geeignet sind,
erhalten hat, schwach. Das heißt aber noch nicht, der unaufhaltsamen Verelendung der Vertriebenen
daß die andern, die ihr entgegenstehen, automatisch zu begegnen. Ebensowenig wie es eine befriedete
stark sind. Sie sind nur stark, wenn sie gemeinsam Welt ohne Deutschland geben kann, ebensowenig
handeln. Sie sind stark, wenn sie die große Chance kann es ein wahrhaft demokratisches und befriede-
erkennen, die im gemeinsamen Handeln für den tes Deutschland geben, bevor nicht alle Heimatver-
Sieg des Fortschritts und des Friedens unseres triebenen die Gleichberechtigung unter Deutschen
Volkes liegt. erhalten haben.
(Beifall bei der KPD. — Zuruf: Zur Volksrepublik!) (Zuruf: Sehr gut!)
126 Deutscher Bundestag — 7. Sitzung. Bonn, Freitag, den 23. September 1949
(Götzendorff)
Eine einheitliche Flüchtlingsgesetzgebung wird da- nimmt, und niemals wird es Friede geben in der
her eine der vornehmsten Aufgaben dieses Hauses Welt, solange die Grenze Asiens an der Elbe liegt.
sein, nicht etwa eine Gesetzgebung wie die baye- (Lebhafter Beifall bei der WAV.)
rische, die, nur mit kümmerlichen Ausführungsbe-
stimmungen ausgestattet, ohne Strafbestimmungen Die einhellige Antwort aller Deutschen muß die
auf dem Papier steht, eine Flüchtlingsgesetzgebung, Berufung auf das Heimatrecht des Menschen sein.
hinter der die Autorität des Bundes steht. Man -
Diese Berufung auf die Grundsätze der christlich
kann sich nicht auf den Standpunkt stellen, ledig- abendländischen Kultur schafft aber keine Lösung
lich die Beschlüsse von Jalta und Potsdam müßten für die nächsten Jahre. Wenn die Vertriebenen
revidiert werden. Selbstverständlich ist dies die stets zu sagen pflegen, sie unterscheiden in ihrem
unabdingbare Forderung aller Flüchtlinge über- Kampf ein Fernziel und ein Nahziel, dann meinen
haupt und auch der Mehrheit des gesamten deut- sie mit dem Nahziel die Eingliederung in das Wirt-
schen Volkes. Die Flüchtlingsfrage ist aber nicht schafts- und Erwerbsleben der neuen Heimat, dann
nur eine internationale Frage, sie ist gleichzeitig meinen sie einen Ausweg aus der sozialen und see-
die deutsche Frage Nummer 1. Die moralische lischen Not, einen Silberstreifen der Hoffnung am
und rechtliche Verpflichtung Deutschlands ist es, Horizont für sich und ihre Kinder. Unter den Er-
den sieben Millionen in Westdeutschland vegetie- werbslosen der deutschen Länder sind die Heimat-
renden Heimatvertriebenen eine Möglichkeit zu ge- losen am schwersten betroffen. Das Wort des
ben, von der untersten Stufenleiter der sozialen Wirtschaftsministers Dr. Erhard, er wolle die Ar-
Rangordnung, von der eines Parias überhaupt auf- beitslosen sich auspendeln lassen, hat zahllose Ver-
zusteigen. Diese Grenzdeutschen müssen an Leib triebene mit neuer tiefer Sorge und Furcht vor dem
und Seele gesund erhalten werden, gesund für den kommenden Winter erfüllt. Die Blüte unserer In-
Tag der Rückkehr, wann immer er kommen möge, telligenz, die in Jahrhunderten harter Arbeit dem
damit sie fähig sind, die dann vor ihnen liegenden deutschen Osten das Gepräge eines Kulturlandes
großen Aufgaben zu meistern. Stimmen aus der gab, vegetiert in Dörfern und ausweglosen Einöden
ganzen Welt und unsere immer stärker werdende hoffnungslos dahin, ohne die Möglichkeit zu sehen,
eigene Stimme lassen uns hoffen, daß das Komplott die ererbten und erarbeiteten Geistesgaben wieder
des Schweigens, das die Welt jetzt gegenüber den einmal dem deutschen Vaterlande dienstbar zu ma-
deutschen Vertriebenen ausübt, einmal gebrochen chen. Gerade das Wirken der Deutschen im Grenz-
wird, berechtigen uns zu der Hoffnung, daß die land und Ausland aber ist mit Recht als das Wir-
Welt einsieht, daß es nicht gut ist, 197 Menschen ken von Pionieren für die deutsche Kultur und die
auf einen Quadratkilometer in Westdeutschland zu- christlich-abendländische Kultur bezeichnet wor-
sammenzupferchen, während die Gebiete in Schle- den. Ein Volk, das — wie das deutsche - in
sien, dem Sudetenland und Pommern veröden und unerhörtes Elend gestoßen wurde, kann es sich
mit 40 Menschen auf dem gleichen Raum ausge- -nicht erlauben, auf die Dauer auf diese reichen
füllt sind. Die Austreibung war nicht nur ein Geistesgaben zu verzichten. Die Hilfe an den Hei-
tiefes Unglück, ein Verbrechen an den Vertriebe- matvertriebenen muß eine solche der Tat sein.
nen, sie war darüber hinaus ein Verbrechen am Viele von uns sind schon im Hoffen und Vertrauen
gesamten deutschen Volk und an der gesamten zi- müde geworden, und viele von uns haben gemeint,
vilisierten Welt. das Christentum habe versagt. Wir aber wollen
bekennen: nicht das Christentum in seinen hohen
(Sehr richtig!) Werten hat versagt, sondern einige Menschen, die
und sie wird hoffentlich auch bald von der ganzen sich mit dem Lippenbekenntnis Christen nannten
Welt als solche erkannt werden. und die das Wort von der Liebe und Toleranz ver-
Nun lassen Sie mich in diesem Zusammenhang ein gessen haben.
Wort sagen zu den Dingen, die sich gestern hier, Die Hilfe an die Heimatvertriebenen setzt vor-
als der Abgeordnete Reimann sprach, zugetragen aus, daß jeder Deutsche sich mit jenen Volksgenos-
haben. Ich habe mich gestern, wie so mancher un- sen solidarisch fühlt, die ein unmenschlicher Be-
ter Ihnen, geschämt, in diesem Hause zu sitzen, schluß ihrer Heimat beraubte. Die These der Kol-
wo es möglich ist, daß einer aufsteht und dem lektivschuld des deutschen Volkes ist von uns
andern das nehmen will, worauf er seit Jahrhun- längst abgelehnt worden. Die für Deutschland ent-
derten seiner Abstammung nach ein Anrecht hat. standenen Lasten des Krieges müssen gemeinsam
(Lebhafter Beifall in der Mitte,.) getragen werden, und die Austreibung ist nichts
anderes als eine Folgeerscheinung dieses Krieges.
Ich glaube auch, daß der Abgeordnete Reimann Für ihn haben die Vertriebenen in einer Weise be
seinen Wählern einen schlechten Dienst erwiesen zahlt, die an das Menschenmögliche überhaupt
hat. Ich kann mir nicht denken, daß die Kumpels grenzt, mit Hab und Gut, mit Heimat und Existenz.
aus dem Ruhrgebiet, die mit uns draußen im Osten Wenn der Herr Vorredner das Wort von der
Not und Entbehrung getragen haben, daß sie, in- tschechoslowakischen Soldateska, das irgendwo
dem sie ihre Stimme der KPD gaben, damit uns gefallen ist, übelnimmt, dann möchte ich ihn fragen,
unserer Heimat berauben wollen. ob er etwas vom Prager Todesmarsch gehört hat.
(Sehr richtig!) (Beifall bei der WAV und bei einem Teil
Ich habe es so aufgefaßt, als stünde nicht nur Rei- der Mitte.)
mann hier, als stünde ein Megaphon des Kreml Dann möchte ich ihm sagen, daß die Heimat für
hier, ein Megaphon, hinter dem die asiatische uns nicht nur ein leerer Begriff ist. Dann möchte
Fratze der roten Machthaber grinst. ich ihn an die Worte des Herrn Bundespräsidenten
Reimann hat von der Oder-Neiße-Linie als einer erinnern, als er sprach: „Heimat ist nicht Kar-
Friedenslinie gesprochen. Dazu möchte ich Ihnen toffelacker, Heimat ist das Land aller Deutschen".
sagen: Friede ist nicht nur, wenn die Waffen Wir haben früher diesen Wert vielleicht auch nicht
schweigen, Friede ist erst, wenn er einkehrt in so erkannt; heute aber wissen wir, es ist nicht
die Herzen der Menschheit. Niemals aber wird nur das irdische Gut, es sind nicht nur die Kisten
es Friede in der Welt geben, wenn man den Men- und Kasten, die wir daheimgelassen haben, es ist
schen das Anrecht auf die angestammte Heimat all das, was einst das Leben reich und kostbar ge-
Deutscher Bundestag — 7. Sitzung. Bonn, Freitag, den 23. September 1949 127
(Götzendorff)
macht hat. Es sind die Straßen und Plätze. Wenn Eine unserer vordringlichsten Aufgaben wird
wir zurückdenken an diese Dinge, an die Elends- es sein, im Bundestag einen Flüchtlingsaus-
straßen im Sudetenland, in Ostpreußen, in Schle- gleich zu beantragen, damit diejenigen Flücht-
sien: hinter uns das Grauen, über uns der Tod, — linge, die die nihilistische und programmlose
dann ist dieser Weg, Treck an Treck, Mensch an WAV gewählt haben, anderweitig eine neue
Mensch — und mancher brach zusammen und fand Heimat erhalten,
ein vergessenes Grab —, dann ist dieser Weg eine (Hört! Hört! bei der WAV)
Reihe schwarzer Kreuze, die niemals gesetzt wor-
den sind. Mag mein Herr Vorredner vielleicht an nachdem sie die bayrische Heimat ablehnen.
diese Dinge denken, wenn er den Begriff „tsche- Wir haben keine Lust, uns länger mit Ele-
chische Soldateska" für etwas zu stark gewählt menten zu belasten, die für die berechtigten
findet. Interessen in ihrer neu gewonnenen Heimat
kein Verständnis aufbringen, ja darüber hinaus
Hieraus ergibt sich, daß die Heimatvertriebenen die Selbständigkeit Bayerns vernichten wollen.
Gläubiger der westdeutschen eingesessenen Be-
völkerung sind und diese damit zu einem Teil de- Meine Damen und Herren, ich glaube, wenn man
ren Schuldner. Kein Mensch hat das Recht, aus diese Mitteilung auf ihren sachlichen Gehalt hin
dieser Schicksalsgemeinschaft auszubrechen. Ein untersucht, dann muß man hier mit einem tiefen
ganzes Volk hat den Krieg verloren, und ich glaube, Befremden erfüllt sein. Diese Veröffentlichung
ein ganzes Volk muß ihn auch bezahlen. Die hier- mag von manchem belächelt und als Ausdruck
aus entstehenden Forderungen der Vertriebenen eines übersteigerten Lokalpatriotismus gewertet
gegenüber der eingessenen Bevölkerung West- werden. Für uns stellt sich aber die Angelegenheit
deutschlands sind somit rechtlich begründet, ab- ernster dar. Wir sehen in ihr nicht nur eine
gesehen von der zwingenden moralischen Ver- eklatante Gefährdung der Grundrechte des deut-
pflichtung. In jenem Teil, in dem das Flüchtlings- schen Volkes, zu denen die freie Wahl gehört,
problem eine deutsche Frage ist, hat demnach die sondern das Heraufziehen einer neuen Abart des
St amm eshasses. Ich möchte
eingesessene Bevölker ung Wes tdeutschlands vor Rassenhasses, eines

Gott und vor den Menschen die Verpflichtung, dem Herrn Staatsrat Seelos sagen: Sie haben in
aus der hier vorhandenen Substanz des Volksver- einem anderen Zusammenhang kürzlich hier ge-
mögens an die Vertriebenen eine Abgabe zu ma- sagt: die Baracken sind etwas Schönes. Wir Ver-
chen. Diese Abgabe muß solcherart erfolgen, daß triebenen kennen diese Baracken seit vielen
jeder Besitz einmalig oder in zeitlicher Ausdehnung Jahren. Wir möchten nicht, daß sich die Span-
zu einer Leistung herangezogen wird, 'die aus- nungen zwischen uns verschärfen. Aber wenn Sie
reichend ist, an den Ausgewiesenen, soweit dies mit in jeder möglichen Weise an das Heimatgefühl der
menschlichen Mitteln überhaupt möglich ist, eine eigenen Landsleute appellieren, dann mögen diese
materielle Wiedergutmachung zu vollziehen. Auf auch daran erinnert werden, daß auch wir eine
dieser Grundlage wird ein Lastenausgleich aufge- Heimat haben und daß es uns im Innern wehtut,
baut, der einerseits diese Abgaben auf einen be- wenn man in dieser Weise angesprochen wird.
stimmten Zeitraum festlegt und revidiert und an- Wir haben uns unser Aufnahmeland nicht ge-
dererseits die Zuwendungen aus den Gesichtspunk- wählt, und wir würden froh sein, wenn wir es
ten der wirtschaftlichen Existenzgründung und der wieder vertauschen könnten. Wir haben uns zu
Lebenssicherung der Heimatvertriebenen verteilt. allen Zeiten als Deutsche gefühlt, weit, weit über
Auf der gleichen Ebene der materiellen Ver- die engen Stammesgrenzen hinweg. Wenn Sie stolz
pflichtungen liegen die moralischen. Die Staats- darauf sind, daß in Bayern beispielsweise der Him-
führung hat die Verpflichtung, den Begriff der mel in Ihren Landesfarben Weiß und Blau er-
Volksgemeinschaft nachdrücklichst zu proklamie- strahlt, dann seien Sie überzeugt: auch bei uns
ren und gesetzgeberisch darauf hinzuwirken, daß daheim hatte der Himmel die gleichen Farben.
eine Verbreiterung der Kluft zwischen Heimatver- Wenn dann der Herr Kollege von der Deutschen
triebenen und Eingesessenen vermieden bleibt. Es Partei sagte: die Flüchtlinge sind eine Heim-
darf keinesfalls die nur zu einem Teil verständliche suchung, und wenn dann von der Bayernpartei in
Reaktion der einheimischen Bevölkerung gestärkt anderer Variation ebenso gesprochen wurde, dann
werden, sondern es muß dieser mit allem Nach- möchte ich sagen: Es schmerzt uns, wenn Sie uns
druck entgegengetreten werden. Es ist dies eine als eine Heimsuchung bezeichnen. Sagen wir lieber:
zwingende Verpflichtung der Bundesregierung und die Flüchtlingsfrage an sich, der verlorene Krieg
nicht zuletzt der politischen Parteien. Flüchtlings- und die Leiden des Krieges sind eine Heimsuchung
feindliche Handlungen, die von der Justiz nicht in für das deutsche Volk überhaupt. Wie wir diese
ausreichender Weise geahndet wurden, sind an der Heimsuchung bestehen, danach wird uns die Ge-
Tagesordnung. Man macht sich auch von seiten man- schichte beurteilen!
cher Behörden die Auffassung zu eigen, daß die Hei- Nun zum Abschluß dieses Themas. Wenn vorhin
matvertriebenen nicht im vollen Besitz ihrer staats- wieder ein Abgeordneter der Bayernpartei, Dr.
bürgerlichen Rechte sind. Es hat uns mit Befremden Etzel, sagte, er bitte die Bundesregierung, nicht zu
erfüllt, daß der Herr Bundeskanzler in seiner pro- vergessen, was hier gesprochen werde, und es auch
grammatischen Rede als die wichtigste Aufgabe zu verwirklichen, dann bitte ich Sie, Herr Dr. Etzel:
auf dem Flüchtlingssektor den sogenannten Flücht- Wirken Sie bei Ihren Parteifreunden dahin, daß
lingsausgleich bezeichnet hat. Es hat uns des- das, was bei Ihnen gesprochen wurde, nicht ver-
halb mit Sorge erfüllt, weil in den Ländern mit wirklicht wird!
großem Flüchtlingsüberhang bereits die Auf-
fassung Platz greift, man könne diesen Flücht- (Sehr wahr! bei der WAV.)
lingsausgleich in eine Strafmaßnahme gegen un- Auch wir Vertriebenen verkennen nicht die Not-
liebsame Kostgänger verwandeln. Wir stark diese wendigkeit eines Flüchtlingsausgleichs innerhalb
Bestrebungen bereits geworden sind, mag eine der Länder der Deutschen Bundesrepublik. Dieser
Veröffentlichung der „Bayrischen Landeszeitung", muß jedoch unter rein wirtschaftlichen Gesichts-
des Mitteilungsblattes der Bayernpartei, beweisen. punkten erfolgen und darf niemals den Charakter
Dort heißt es wörtlich: einer politischen Strafmaßnahme tragen. Der
128 Deutscher Bundestag — 7. Sitzung. Bonn, Freitag, den 23. September 1949
(Götzendorff)
Flüchtlingsausgleich muß auf völlig freiwilliger Ich glaube doch, es ist nicht abwegig, sich hier
Grundlage und ohne Zwang vor sich gehen. Eine auch mit der Planung auf dem Wirtschaftssektor
erzwungene erneute Entwurzelung würden wir als zu beschäftigen. Mag die Planung im Mittelpunkt
zweite Ausweisung betrachten und ablehnen. des Streites stehen, mag man hier geteilter Ansicht
(Sehr wahr! bei der WAV.) sein, ich glaube doch: für den armen Teufel
draußen ist es ein Glück, daß eine Planung besteht,
Am 9. Juli 1947 stellte der Vorsitzende des und selbst die Zwangswirtschaft bei den Lebens-
Zonenbeirats. Minister Blücher, in einem Bericht mitteln, die benötigt werden, um ein kümmerliches
über die Sitzung des Finanzausschusses beim Leben von den Fürsorgeunterstützungen zu fristen,
Zonenrat fest, Umsiedler aus dem Osten hätten ist für diese Menschen ein Segen.
einen ganz klaren Rechtsspruch auf Entschädi-
gung gegenüber dem Staat. Eine Reihe von Rats- Der Herr Bundeskanzler hat erklärt, daß der
Bund Geld für den Wohnungsbau zur Verfügung
mitgliedern wurde beauftragt, Vorschläge hierfür
stellen wolle und daß er darauf dringen werde,
zu unterbreiten. Die Ratsmitglieder konnten dem daß von allen Ländern alle Möglichkeiten ausge-
erteilten Auftrag nicht nachkommen, da ver-
schiedene Voraussetzungen hierfür, wie Erfassung schöpft würden. Damit würde dann endlich auch
des Volksvermögens, Währungsreform und Schaf- der Schande des 20. Jahrhunderts, dem Flüchtlings
fung einer deutschen Zentralinstanz, noch nicht Lagerleben, ein Ende bereitet werden. Wenn dieser
gegeben waren. menschenunwürdige Zustand, bei dem Dutzende
von Menschen in gemeinsamen Räumen zusammen-
Der westdeutsche Bundesstaat ist nunmehr ge- gepfercht leben, nicht sein Ende findet, dürfte der
schaffen, und es hat sich somit eine deutsche Volks- Zündstoff, der sich hier auf der sozialen Ebene an-
gemeinschaft auch rein staatlich manifestiert. Die sammelt, doch einmal zur Entladung kommen!
in Westdeutschland lebenden Heimatvertriebenen
erwarten nun von diesem neuen Bundesstaat Ich warne auch die Bundesregierung, die ange-
souveräne Maßnahmen zur Besserung ihrer Lage. kündigte Lockerung der Wohnraumbewirtschaftung
Die Heimatvertriebenen schienen von vornherein vorzeitig durchzuführen. Solange das Wohnungs-
dazu geschaffen, wie einerseits befürchtet und elend der Heimatlosen in den Flüchtlingslagern
andererseits erhofft, ein umstürzlerisches Element anhält, hat kein anderer Staatsbürger das Recht,
zu bilden. Das sind sie nicht geworden. Sie haben nur an sein eigenes Ich zu denken.
trotz des Schocks, des Verlustes der Heimat, trotz Die Heimatvertriebenen erwarten neben den
bitterer Enttäuschung und ihrer unbeschreiblichen Maßnahmen zu ihrer Lebenssicherung von ihren
Notlage eine beispiellose Disziplin bewahrt und auf deutschen Brüdern und Schwestern auch, daß
ihre Eingliederung gewartet. Möge man nicht den diese sie mit allen Kräften des Herzens und des
Fehler begehen, daraus etwa zu schließen, die -Verstandes unterstützen in ihrer Forderung nach
Heimatvertriebenen seien eine geduldige und Rückgabe ihres kostbarsten Gutes, der Heimat. Die
willenlose Masse, mit der man machen kann, was Erklärung des Herrn Bundeskanzlers zu den Ab-
man will. Dies wäre eine Herausforderung des kommen von Jalta und Potsdam war uns daher aus
Schicksals. der Seele gesprochen. Es wäre müßig, die Heimat-
(Sehr richtig! bei der WAV:) vertriebenen oder die Deutschen zur Demokratie
erziehen zu wollen, wenn diese Demokratie den
Kein Mensch, der lebt, weiß, ob er sein Leben in Bruch der primitivsten Menschenrechte zuläßt.
Frieden beschließen wird. Es könnte sein, daß sich Jedes Volk, die Engländer, die Amerikaner sind
wieder einmal Wolken zusammenballen über dem stolz darauf, ihre Nation zu lieben. Wohl denn:
deutschen Vaterland, und es könnte sein. daß jene, auch wir Deutsche beanspruchen, unser Vaterland
deren Herzen hart geworden sind wie Stein, ein- zu lieben, und zwar jeden Teil von ihm. Die Ge-
mal die gleiche Straße des Elends gehen, die wir rechtigkeit kann nicht nur für die Zwecke einer
auch gegangen sind mit dem letzten Bündel unserer Nation bestimmt werden. Die Gerechtigkeit ist un-
Habseligkeiten. teilbar, ebenso wie das Leid gemeinsam sein sollte
Die wirtschaftliche Lage der Flüchtlinge ist für alle Völker. Man kann nicht die Achseln
nicht zuletzt deswegen so katastrophal, weil man zucken und wegsehen, nur weil es sich um
ihr Vorhandensein in den Ländern als ein Pro- deutsches Leid handelt.
visorium ansieht und einen Flüchtlingsausgleich (Händeklatschen bei der WAV.)
als Allheilmittel empfindet. Die Bundesregierung
ist zweifelsohne in der Lage, durch Vereinheit- Wir haben mit Scham bekannt, daß es möglich
lichung der Gesetzgebung hier Besserung eintreten war, in dem Konzentrationslager von Auschwitz
zu lassen: die Vereinheitlichung der Pensionen und Tausende von Menschen zum Tode zu bringen. Ich
Renten, die Ansiedlung der vertriebenen Bauern, weiß aber nicht, ob es humaner ist, wenn die
die Durchführung der Bodenreform. Ich warne hier Politik der Siegermächte mit einem Federstrich
vor dem, was der Herr Vorredner empfahl, näm- sich über göttliches und irdisches Recht hinweg-
lich auf die freiwillige Bodenreform zu warten. setzte, Menschen aus ihrer angestammten Heimat
Solche Appelle haben bei dem Leid der Nach- austrieb, um sie unterwegs ermorden und verge-
kriegszeit keinen Erfolg. Die Gleichstellung der waltigen oder im überfüllten Westdeutschland
vertriebenen Beamten mit der einheimischen Be- langsam, aber sicher umkommen zu lassen. Und
völkerung, die Schaffung von Wohnungen, die man möchte, wenn jene Menschen, auch jene über
kostenlose Ausbildung unserer Flüchtlingskinder, dem großen Teich, uns sagen, wir sollten ver-
soweit ihre Fähigkeiten es rechtfertigen, die Sorge zichten und uns mit den Dingen abfinden, diesen
für unsere Alten und Schwachen sind vordring- sagen: Wir Ostdeutsche haben schon lange auf
lichste Aufgaben nicht nur für uns Heimatver- unserer angestammten Erde gesessen, schon längst,
triebene, sondern für das ganze deutsche Volk. bevor Kolumbus den amerikanischen Kontinent
überhaupt entdeckt hatte!
Die Bundesregierung möchte ich ersuchen, jetzt (Sehr richtig! bei der WAV.)
bei der Abwertung der Mark ganz besonders auf
die sozial Schwachen zu achten, auf die Ver- Auch Herr Bevin, der kürzlich sagte, er könne
triebenen und Rentenempfänger. es nicht vergessen, daß seine Heimatstadt von
Deutscher Bundestag — 7. Sitzung. Bonn, Freitag, den 23. September 1949 129
(Götzendorff)
deutschen Bomben getroffen worden sei, möge sich problems jedoch in einer neuerlichen Verpflan-
die Worte Churchills zu Herzen nehmen, der sagte; zung zu sehen, muß entschieden abgelehnt wer-
den Schlachtfeldern wachse schnell wiederüber den. Es ist absurd, die Ostdeutschen nach Austra-
Gras, aber Vergewaltigung der Völker säe den lien oder nach Afrika zu schleppen, während die
Haß für ewig! Gebiete ihrer angestammten Heimat brachliegen.
Die Heimatvertriebenen werden so lange in West-
Wir sagen es daher im Angesicht der Welt: Jalta deutschland bleiben, bis ihnen die Rückkehr in die
und Potsdam waren Verbrechen an der Mensch- Heimat möglich ist. Sowohl die Potsdamer Mächte
heit! Wir werden einen Antrag einbringen, den als auch die Regierung der Deutschen Bundes-
Tag von Potsdam zum nationalen Trauertag des republik haben die Verpflichtung, während dieser
deutschen Volkes zu erklären. Wartezeit alles zu tun, um ihnen den Aufenthalt in
(Lebhafte Zustimmung und Händeklatschen Westdeutschland erträglich zu gestalten.
bei der WAV.) Zum Schluß sei nochmals festgestellt: Es gibt für
Wir fordern von der Welt, daß sie sich der Aus- die Heimatvertriebenen nur zwei unabdingbare
treibung schäme, wie wir uns der Taten jener ge- Forderungen: erstens die Wiedergewinnung ihrer
schämt haben, die Böses getan haben im Namen alten Heimat und zweitens eine Eingliederung in
des deutschen Volkes. Wir fordern aber auch die das wirtschaftliche und soziale Leben Westdeutsch-
Welt auf gutzumachen, soweit diese unerhörten lands während der Zeit des Wartens auf diese
Gewalttaten und Grausamkeiten, die im Zeichen Rückkehr.
angeblicher Humanität begangen wurden, wieder- In diesen Zielsetzungen bitte ich, bitten die Hei-
gutzumachen sind. matvertriebenen Sie, meine Damen und Herren,
Wir haben mit Genugtuung davon Kenntnis ge- aus ganzem Herzen uns zu unterstützen. Möge
nommen, daß sich niemals deutsche verantwort- Hand in Hand mit der Besserung des Schicksals der
liche Politiker, niemals eine deutsche Regierung Vertriebenen der Aufstieg unseres gesamten deut-
bereitfinden werden, die Heimat deutscher Men- schen Vaterlandes gehen, dem wir in Not und
schen zu verraten. Dies gilt für die Heimat aller Glück treu bleiben werden!
Deutschen, für unsere Brüder und Schwestern im (Lebhafter Beifall und Händeklatschen in der Mitte
Sudetenland, in Schlesien, in Jugoslawien, in Un- und rechts!)
garn, in Rumänien, in Ostpreußen und in Pom-
mern, für alle Schicksalsgefährten diesseits und Präsident Dr. Köhler: Das Wort hat der Herr
jenseits der deutschen Grenzen. Die Welt möge dies Abgeordnete Ribbeheger.
wissen, damit sie diesen Brandherd löscht, der sich
im Herzen Europas aufgetan hat. Ribbeheger (Z): Meine Damen und Herren! Der
Aus der Schuld der Potsdamer Mächte erwachsen -Herr Bundeskanzler bringt in seiner Regierungs-
diesen gegenüber den Vertriebenen zwei grund- erklärung zum Ausdruck, daß die Regierung die
legende Verpflichtungen: erstens auf der poli- Absicht habe, der Jugend hinsichtlich ihrer Er-
tischen Ebene die Wiederherstellung eines Zu- ziehung und Ausbildung zu Hilfe zu kommen und
standes in Europa, in welchem den Vertriebenen versuchen zu wollen, die Pflicht der jungen Gene-
die Rückkehr in ihre angestammte Heimat möglich ration gegenüber anders zu betrachten, als das bis-
ist und auf dem Boden dieser angestammten Hei- her der Fall gewesen ist, weil die Jugend die Zu-
mat eine materielle Wiedergutmachung erfolgen kunft Deutschlands sei. Es will indessen scheinen,
kann, und zweitens, bis zu dem Zeitpunkt der daß in Anbetracht dieser Bedeutung der Jugend als
Rückkehr in die Heimat den Heimatvertriebenen Lebensquell und staatserhaltender Faktor unseres
während ihres Aufenthaltes in Westdeutschland Volkes und dieser neuen Bundesrepublik konkreter
menschenwürdige Lebensbedingungen zu sichern. hätte angedeutet werden müssen, worin die Regie-
Die Erfüllung der ersten Verpflichtung der Pots- rung praktisch diese Aufgabe verwirklicht sieht.
damer Mächte kann nur auf solche Art erfolgen, Wenn es das Anliegen dieser Regierung ist, nicht
daß vermieden wird, den Heimatvertriebenen bei nur eine formale, sondern eine soziale Demokratie,
der rückläufigen Bewegung erneut Opfer an Blut also Freiheit und Gerechtigkeit, zur Lebensform
und Leben aufzuerlegen. Die zweite Verpflichtung und zum Lebensinhalt unseres Volkes zu gestalten,
ist rein materieller Art. Die Bundesregierung wird sie vor allem Wert darauf legen müssen, die
wolle sich bemühen, aus den ERP-Mitteln möglichst Jugend nicht als Objekt ihrer Politik zu betrachten,
große Beträge der Flüchtlingshilfe zuzuführen. vielmehr den jungen Menschen als verantwort-
Mit besonderer Betonung aber sei festgestellt, lichen und sozial verpflichteten Mitträger in die
daß das Flüchtlingsproblem nicht durch Aus- politische Mitarbeit und Mitverantwortung hinein-
wanderung gelöst werden kann. Im Oktober 1948 zubringen. Diese junge Demokratie braucht Blut
erschien in englischen und deutschen Blättern eine und vor allem junges Blut, damit sie eine lebens-
von der Verwaltung der ERP-Hilfe stammende fähige Demokratie wird und bleibt.
Notiz, die der gerade zu diesem Zeitpunkt tagenden Der Verlauf der Debatten seit Konstituierung
Empire-Konferenz empfahl, sich mit dem euro- des Bundestags in diesem Hohen Hause ist nach
päischen und mit dem deutschen Flüchtlingspro- meinem Empfinden wenig dazu angetan, An-
blem zu befassen. Es wurde angeregt, die Domi- ziehungskraft auf junge Menschen auszustrahlen
nions neu zu bevölkern. Es sollte die Gelegenheit und für die Demokratie die beste Visitenkarte ab-
benutzt werden, deren Bevölkerungszahl durch zugeben. Vergessen Sie, meine Damen und Herren,
eine großzügige Einwanderungspolitik zu erhöhen. nicht, daß diese jungen deutschen Menschen die
Was die dieser Konferenz empfohlene Verpflan- elementare Wucht und das katastrophale Verhäng-
zung der sogenannten Flüchtlinge in die unter- nis eines totalen Krieges bis zum bitteren Ende
bevölkerten britischen Dominions anlangt, so muß durchlebt und durchlitten haben und daß sie -
zur Kenntnis gebracht werden, daß die Flüchtlinge Millionen Gefallener beweisen es — die Härte und
ausnahmslos einzig und allein dorthin gravitieren, Schwere der Folgen eines solchen Krieges am
wohin sie gehören, in ihre angestammte Heimat. eigenen Leibe verspürt haben, Menschen, die durch
Einer individuellen Auswanderung kann nicht ent- dieses Erleben und Leiden an den wirklichen Da-
gegengetreten werden. Die Lösung des Flüchtlings seinsgrund, an die Realität des Lebens näher her-
130 Deutscher Bundestag — 7. Sitzung. Bonn, Freitag, den 23. September 1949
(Ribbeheger)
angekommen sind, als es ihnen ein Jahrzehnt Le- werden. Vor allem aber möchte ich den Gedanken
benserfahrung geben könnte. Die junge Generation der Jugendpflege im Referat der Jugendfürsorge
weiß und begreift durchaus, daß sie noch unter- und Jugendpflege im Ministerium des Innern vor-
wegs ist. Indessen möchte ich aber aussprechen, dergründig verwirklicht wissen. Denn vorbeugen
daß das hier gegebene Beispiel keine Aussicht hat, ist hier besser, als heilen zu müssen.
als Vorbild eines demokratischen Staates zu Besonders erfreulich ist in der Regierungserklä-
gelten. rung zu lesen, daß die Sozialversicherung den
In der Regierungserklärung des Herrn Bundes- Schwerkriegsbeschädigten, den Witwen wie allen
kanzlers ist unklar geblieben, wie sich der Herr Hilfsbedürftigen zugute kommen soll, um sie nicht
Kanzler die Hilfe für die Jugendlichen hinsichtlich zu bloßen Wohlfahrtsempfängern abzustempeln. Die
der Erziehung wohl denken könnte, wenn er sagt, Regierung wird auch in ihren Bemühungen, die
daß die Erziehung durch die Familie und die Kriegsgefangenenfrage zu lösen, volle Unter-
Schule während der Kriegszeit gefehlt hat, und stützung erhalten.
wenn die CDU durch den Herrn Abgeordneten Dr.
von Brentano erklärt hat, diese kulturellen Fragen Die Aufgabe des geforderten Referats wird auch
seien doch Aufgaben der Länder. Mit Rücksicht darin bestehen müssen, die Isolierung der deut-
auf die eminente Bedeutung der Jugend für unser schen Jugend durch die unmittelbare Begegnung
Volk und für unsere junge Bundesrepublik möchte mit der Jugend anderer Völker überwinden zu
ich vorschlagen, im Ministerium des Innern ein helfen und Deutschland und Europa neu zu ge-
besonderes Referat für die Jugendfürsorge und stalten; denn die Jugend soll ihr Deutschtum nicht
für die Jugendpflege einzurichten. Denn eine vor- in der nationalen Isolierung begreifen, sondern in
dringliche Aufgabe der Jugendfürsorge sehe ich einem weltoffenen und weltempfangenden Deutsch
darin, ein neues Jugendschutzgesetz zu schaffen. tum. Gerade der junge deutsche Mensch müßte
Vor allem steht vor uns das Problem der gefähr- doch aus dem gemeinsamen Erleben des furcht-
deten, der heimatlosen, der verwahrlosten und va- baren Krieges, der ganz Europa und die Welt ge-
gabundierenden Jugend. Es bedarf dringend ,der troffen hat, sehr viel mit dazu beitragen, die At-
Lösung. Gefährdet ist und wird unsere Jugend mosphäre einer Verständigung und Versöhnung der
durch die Zerreißung der Familien, durch das Zu- Völker schaffen zu helfen. Der junge deutsche
sammendrängen auf engstem Raum, durch die Mensch wird dann auch zu einer echten Liebe zu
Wohnungsnot, durch die mangelnde Versorgung Deutschland kommen, wenn er seine vaterlän-
mit den alltäglichen Bedarfsgütern, durch den dische Aufgabe mit darin sieht — nicht, wie ich es
Mangel an ausreichenden Arbeits- und Ausbil- im letzten Wahlkampf, besonders im Norden
dungsmöglichkeiten. Es wird in diesem Zusammen- Deutschlands, erlebt habe, Preußenmärsche und
hang notwendig sein, auch für die freie Berufs- nationalistische Wahlpropaganda als Ausdruck des
-Deutschtums zu empfinden —, seinem Volke zu
wahl entsprechend Veranlagung und Fähigkeiten
des jungen Menschen mit aller Deutlichkeit einzu- dienen und zu helfen und im Sinne des Ausgleichs
treten und sie zu fordern. und der Verständigung durch staatsbildende und
staatserhaltende und dem Aufbau dienende Ele-
Weiterhin sehe ich eine Gefährdung des jungen mente die Heimat Deutschland und Europa neu zu
Menschen darin, daß dem jungen Menschen der gestalten in Frieden und Wohlfahrt.
klare Einblick in die wirkliche Lage unseres Volkes Findet die Jugend diesen Weg in die politische
nicht deutlich genug wird und er angesichts der Verantwortung, wird sie Mitträger der Demokratie,
Verarmung unseres Volkes durch den verlorenen ringt sie mit um jene Erkenntnis und um diese
Krieg wenig Sinn dafür finden kann, daß die politischen Ziele, die Deutschland gestalten und er-
Lebenshaltung nicht entsprechend ist. Das Problem neuern müssen, dann ist unser Bundesstaat auf
der heimatlosen Jugend im engeren Sinne besteht gutem Grund gebaut. In diesem Sinne gilt mein
darin, den heimatlos gewordenen jungen Menschen Anliegen an die Regierung, insbesondere zur Ju-
eine neue Heimat zu geben, sei es den Millionen gend das wärmste Vertrauen zu haben und der
Vertriebener, deren Not unvorstellbar ist, oder Jugend in ihrer Bedeutung und ihrem Wollen zu
denen, die durch Bombenschaden in Großstädten helfen, sie zu fördern und zu stützen.
und Gemeinden alles verloren haben und kein Zu-
hause mehr finden können. In diesem Zusammen- (Beifall in der Mitte.)
hang erhoffen wir vom Bundesministerium ins- Präsident Dr. Köhler: Das Wort hat der Herr
besondere für den Wohnungsbau tatkräftige, bal- Abgeordnete Dr. Leuchtgens.
dige und wirksame Hilfe ebenso für die Heimstatt-
bewegung, die es sich zur Aufgabe gesetzt hat, der Dr. Leuchtgens (NR): Meine Damen und Herren!
heimatlos gewordenen Jugend neue Heime und Wir stehen mitten in einem großen Ringen,
neue Arbeitsplätze zu schaffen. mitten in dem Ringen um die Wiederherstellung
Im weiteren Sinne meine ich aber auch damit Deutschlands, des deutschen Namens und der deut-
die politische Heimatlosigkeit unserer Jugend, die schen Ehre, der deutschen Gestaltung. Wir stehen
enttäuscht, verbittert, indifferent oder alles ver- aber auch mitten in einem gewaltigen welthisto-
neinend abseits steht. Es ist eines der ernstesten rischen Ringen, dem Ringen zwischen dem Indivi-
Anliegen, besonders die Kriegsgeneration in die duum und der Staatsmacht. In keiner Zeit sind
politische Verantwortung zu bringen, wenn sie diese beiden Gegensätze, die immer im Wider-
nicht zu einem gefährlichen Explosivstoff der streit des soziologischen Geschehens gestanden
neuen Demokratie werden soll. Die Arbeitslosig- haben, so stark aufeinander geplatzt wie in den
keit sollte vor allem Anlaß geben, nach neuen letzten Jahrzehnten. Wir müssen den Ausgleich
Wegen und Möglichkeiten zu suchen, um junge dieser Gegensätze, dieses Widerstreites, dieser Po-
Menschen in Arbeit zu bringen. So könnte zum larität, wie man es genannt hat, finden. Wir von
Beispiel das Pensionsalter eines Arbeiters herab- der Rechten stehen auf dem Standpunkt des In-
gesetzt werden, um damit jüngeren Menschen dividuums, und die Linke steht im wesentlichen
einen Arbeitsplatz zu geben. Durch den Fortfall auf dem Standpunkt der Staatsmacht. Beide Ge-
der Arbeitslosenunterstüzung könnte dann die re- gensätze können sich so vertiefen und erweitern,
lativ geringe Rente des Arbeiters höher gesetzt daß sie auf der einen Seite zur ungebundenen
Deutscher Bundestag — 7. Sitzung. Bonn, Freitag, den 23. September 1949 131
(Dr. Leuchtgens)
Lebensführung des Individuums führen, und auf Menschen zu finden, das bezweifle ich sehr. Es ist
der anderen Seite kann sich das Ringen um die nicht möglich, wenn man dem Staat die große
Staatsmacht zum Allgewaltstaat steigern, wie wir Macht gibt, den Menschen auf der anderen Seite
das in Rußland heute klassisch sehen. frei zu halten.
Diese Gegensätze müssen zunächst soziologisch Deshalb möchte ich, um nach diesen etwas weit
erfaßt werden. Es will mir scheinen, als ob der ausholenden soziologischen, ethischen oder philo-
Gegensatz zwischen links und rechts heute der sophischen Gedanken wieder zur Praxis zurück-
Gegensatz zwischen der Vertretung der Staats- kehren, mit der wir uns heute zu beschäftigen
macht, des Allgewaltstaates, und des freien Indi- haben, fragen: Wie können wir der Entwicklung
viduums sei. Das freie Individuum, das wir von zum Allgewaltstaat, die stets da ist, entgegen-
der rechten Seite vertreten, hat seine Freiheit nur treten? Denn dieser Widerstreit zwischen Indivi-
darin, daß es sittlich handelt, das heißt. daß es duum und Staatsallgewalt ist ein Ringen, das un-
nicht die Freiheit wovon, sondern die Freiheit wo- der irgendwie politisch getan wird, kommt etwas
zu erfüllt. Die Freiheit ist ein terminus ad quem aufhörlich hin und her geht, und in jedem Schritt,
und nicht ein terminus a quo. Das heißt: die Frei- von dieser Richtung oder von der andern Richtung
heit kann nicht in Willkür ausarten, sondern muß zur Geltung. So ist auch die Regierungserklärung
durch das Sittengesetz geboten sein. Nur der sitt- unter diesem Gesichtspunkt zu sehen.
liche Mensch, der die Gebote der Sittlichkeit in Wir stehen natürlich auf dem Standpunkt, daß
seine Brust aufgenommen hat, ist ein freier wir die Staatsaufgaben vermindern müssen, soweit
Mensch. Um diese Freiheit wird gerungen. Wir von es geht, damit dieser Allgewaltstaat uns nicht mit
rechts stehen auf dem Standpunkt, daß es vor der Vernichtung der persönlichen, sittlichen und
allem gilt, die sittliche Verantwortung des ein- selbstverantwortlichen Freiheit bedroht. Die Staats-
zelnen Menschen in seiner ganzen Bedeutung wie- aufgaben zu vermindern, das ist das große Pro-
derherzustellen. Diese sittliche Verantwortung des blem. Deshalb stimme ich denen nicht zu, die von
einzelnen nvbkeraichstdozl der Regierung immer wieder neue Gesetze ver-
aus erringen, sondern er kann sie nur dadurch er- langen. Je mehr Gesetze die Regierung gibt, um
langen.
ringen, daß er sich in Verbindung mit der höchsten so mehr gerät sie in Versuchung, die persönliche
Macht, mit Gott, setzt. Gott hat in irgendeiner und sittliche Freiheit zu gefährden. Sie soll wenige
Form die Sittlichkeit offenbart und trägt sie. Die Gesetze geben, aber diese wenigen Gesetze auch
Zehn Gebote Gottes sind noch immer die Grundlage mit allem Nachdruck durchführen. Nur so kommen
der Sittlichkeit, und die Freiheit des Individuums wir dazu, die Staatsaufgaben in der Praxis des
muß von diesen religiös eingestellten Mächten und Lebens zu vermindern.
von dem Glauben an die Verbindung zwischen Wenn wir nun etwas näher zusehen, so müssen
Sittlichkeit und Religiosität getragen sein. So wir vor allem immer hervorheben, daß der Staat
offenbart sich uns die wahre Freiheit. Wenn wir von allen Aufgaben, die nicht unbedingt zum
heute die Freiheit des Individuums fordern, so Wesen des Staates gehören — eben zu jener Ob-
können wir sie nur auf der Grundlage dieser sitt- jektivation der Sittlichkeit —, soweit wie möglich
lich-religiös gebundenen Freiheit fordern. entlastet werden muß. Ich bin der Meinung, daß
Hegel hat einmal den Staat die Objektivation der Staat nur zwei große Aufgaben hat, nämlich
der Sittlichkeit genannt, eine der tiefsten Auf- die Aufgaben, Ordnung, Ruhe und Sicherheit in
fassungen, die der Staat jemals gefunden hat. Diese der Staatsgemeinschaft zu gewähren. Eine weitere
Objektivation der Sittlichkeit kann aber nur dann Aufgabe hat der Staat überhaupt nicht.
gefunden werden, wenn der Staat seine Macht (Abg. Dr. Schmid: Und die Schule?)
nicht übersteigert. So stehen wir heute in dem — Die Schule, die Kultursache kann ja anderen
gewaltigen Kampf um die wahre Freiheit des Men- Stellen überlassen bleiben.
schen auf der einen Seite und um die Staatsall-
gewalt auf der andern Seite. (Abg. Dr. Schmid: Die Schule auch?)
Ich bekenne mich zu der Staatsauffassung eines — Die Schule auch! Man kann die Schule ja auch
Wilhelm von Humboldt, die er vor nahezu 150 kleineren Selbstverwaltungskörpern übereignen;
Jahren in dem Schriftchen „Über die Grenzen der ich werde nachher darauf noch einmal zu sprechen
Staatsgewalt" niedergelegt hat. Die große Gefahr, kommen.
die uns heute gerade von der linken Seite droht, (Abg. Dr. Schmid: Um Gottes willen! - Heiter'
ist die, daß der Allgewaltstaat in irgendeiner Form
über den einzelnen Herr wird. Wenn die Staats- — Meine Damen und Herren, täuschen Sie ich
macht so wie in Rußland etwa in der Verwirk- nicht darüber, daß gerade in der Bemerkung in
lichung des Marxismus gesteigert wird, dann ist dem Ausdruck des Herrn Schmid auch etwas vo n
eine ungeheure Gefahr für das Individuum, für den Sozialismus, Kultursozialismus widerklingt. Ver-
freien sittlichen Menschen gegeben; denn der gessen Sie nicht, daß der Kultursozialismus auch
Staat unterdrückt dann die Entwicklung des freien ein Stück Sozialismus ist und daß er nur dann
Menschen und untergräbt damit das Fundament verhindert werden kann, wenn andere Kräfte
seines Bestandes überhaupt. außer der Staatsmacht sich dieser kulturellen An-
Um diese Dinge wird aber nicht nur theoretisch gelegenheit annehmen. Vielleicht begreift man das
gerungen und nicht nur zwischen Staatsallgewalt, näher, wenn man den Gedanken einmal durch-
zwischen dem totalitarian state und dem freien denkt.
demokratischen Staat, sondern in dem gewaltigen Das Prinzipielle bleibt also, die Staatsmacht so-
Ringen, in dem wir mitten drinstehen und über viel wie möglich von ihren Aufgaben zu entlasten.
das wir uns die beiden Tage hier von hüben und Diese Aufgabenentlastung kann auf verschiedenen
drüben unterhalten haben, drängt sich immer wie- Wegen geschehen, in erster Linie dadurch, daß
der der totalitäre Staatsgedanke, die Staatsall- man die Selbstverwaltung wieder einschaltet. Die
gewalt hervor. Ob es jemals gelingen wird, wie es Selbstverwaltung der Gemeinden, der Kreise, der
etwa die Labour Party tut und wie es auch die Berufsstände und anderer Stellen ist ja doch auch
Sozialdemokratie bei uns im Sinne hat, eine Syn- ein Stück Staatswirklichkeit. Der Staat ist doch
these zwischen der Staatsallgewalt und dem freien nicht allein da, sondern die Familie und die ver-
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(Dr. Leuchtgens)
schiedenen Organisationen, die sich auf ihr auf- des Wortes wirtschaftlich zu beeinflussen. Er muß
bauen, die Nachbarschaftsgemeinde, alle diese so- sie ja immer wieder durch Beamte und Angestellte
zialen Beziehungen der Menschen untereinander beeinflussen lassen. Und wir sind uns doch darüber
sind doch auch da, und sie müssen doch nicht alle im klaren, daß ein Beamter, der sein eigenes Ver-
in den Staat ausmünden. Es ist beinahe eine Blind- mögen und seine ganze Existenz nicht einzusetzen
heit, mit der Menschen von heute geschlagen sind, braucht, sondern gegen Gehalt und Lohn arbeitet,
daß wir immer nur den Staat sehen und die anderen die Wirtschaft nicht lenken und leiten kann. Es ist
sozialen und gesellschaftlichen Gewalten überhaupt also mit allem Nachdruck darauf aufmerksam zu
nicht beachten. Es dreht sich darum, die anderen machen, daß der Staat die Finger von der Wirt-
gesellschaftlichen Beziehungen, zum Beispiel die schaft lassen soll. Die gelenkte und geleitete Wirt-
Kirche, die Familie und die Gemeinde, auch in das schaft ist doch nur ein Ausfluß der Staatsallgewalt.
Getriebe des öffentlichen Lebens einzuschalten. Die gelenkte und geleitete Wirtschaft mag während
Aus diesem Grunde müssen wir sehen, daß der des Krieges und in den Notlagen durchaus berech-
Staat nicht zuviel Gewalt in seine Hand bekommt. tigt sein. Sie ist aber nicht berechtigt, wenn wir
Zunächst dreht es sich weiter darum, daß der wieder in die Bahnen der Friedenswirtschaft ein-
Staat natürlich die Pflichten, die er hat, unbedingt dringen. Denn dort wird jede gelenkte und ge-
erfüllen muß. Diese Pflichten liegen zum Teil auf leitete Wirtschaft — ich bitte, das nun einmal ganz
materiellem, aber auch auf ideellem Gebiet. Der genau zu nehmen — der Totengräber der selbstän-
Staat in seiner abstrakten Form ist für den Krieg digen Unternehmungen sein. Mit der gelenkten
verantwortlich. Deshalb muß der Staat auch all und geleiteten Wirtschaft gräbt sich der Staat
die Fürsorgemaßnahmen ergreifen. die der Krieg selber das Grab, indem er den Wagemut, die
erforderlich gemacht hat, die Fürsorge für die Unternehmungslust und den Wettbewerb in jeder
Kriegshinterbliebenen, für die Kriegsversehrten, Weise hemmt und lähmt.
für die Bombengeschädigten, für die Gefangenen, Meine Damen und Herren, dazu gehört ein
kurzum: alles das, was der Staat an Leid, Trübsal Weiteres. Wir müssen auch auf anderen Gebieten
und Armut verursacht hat, muß er in erster Linie dafür sorgen, daß die Staatsgewalt irgendwie zu-
auch wiedergutmachen. rückgedrängt wird. Ich denke zunächst daran, daß
Dazu gehört weiterhin die Fürsorge für die Be- auf dem Gebiet der Sozialpolitik ein ganz anderer
amten, die man infolge der Entnazifizierung viel- Weg eingeschlagen werden muß. Die Sozialpolitik
fach aus ihren Ämtern herausgeschleudert und wird heute als eine Aufgabe des Staates angesehen.
auf ganz geringe Bezüge gesetzt hat. Man muß sie Das halte ich grundsätzlich für verkehrt.
entweder wiedereinstellen oder voll pensionieren. (Lachen links.)
Beides ist nicht geschehen, Infolge der Entnazifi- — Warten Sie nur erst einmal ab, ehe Sie lachen!
zierung ist ein ungeheurer Jammer in die Mensch- Warten Sie einmal ab, was ich für Gedanken ent-
heit hineingebracht worden. Die Regierung hat die wickle! Dieses Entgegenkommen kann ich doch von
Pflicht, hier einzugreifen. jedem Hörer billigerweise erwarten. wenn Sie
Die Regierung hat ebenso die Pflicht, für die nachher auch nicht damit übereinstimmen. Das ist
alten Wehrmachtangehörigen einzutreten. Auch Ihre Sache. Wir leben im demokratischen Staat,
hier ist unendlich viel Not und Elend vorhanden. wo jeder seine eigene Ansicht haben kann, und wir
Viel Selbstmord, viel Leid ist hier verursacht sitzen hier im Bundestag, wo sich jeder aussprechen
worden. Der Staat muß hier seine Pflicht tun. soll. Wir wollen uns nicht belehren. Ich weiß, daß
Wenn der Staat Schuldner ist, muß er sich auch Sie sich von mir nicht belehren lassen wollen. Viel-
gegenüber seinen Gläubigern seiner Verpflichtungen leicht lasse ich mich von Ihnen auch nicht be-
entledigen. Der Staat kann sich nicht hinter seiner lehren. Aber im übrigen besteht das Wesen j eder
Armut verschanzen, wenn er seinen Verpflichtungen Diskussion doch darin, daß man die Gründe des
nicht nachkommt. Der Staat ist als Schuldner ver- anderen anhört. Wir wissen alle, daß durch die
pflichtet, seine Schulden vollständig zu zahlen. Da- dialektische Methode, durch die Diskutiermethode
zu gehören die wohlerworbenen Rechte der Beam- bei aufmerksamen und ehrlichen Menschen hinten-
ten und der Wehrmachtangestellten sowie die nach immer noch etwas herauskommt. Vielleicht
wohlerworbenen Rechte der Kriegsteilnehmer, der sind die Herren, nachdem sie vom Rathaus ge-
Kriegsversehrten, der Kriegsbeschädigten, der kommen sind, doch ein bißchen klüger als vorher.
Bombengeschädigten, kurzum all der Leute, die Es gibt natürlich Menschen, denen auch da nicht
durch den Krieg zu Schaden gekommen sind. zu helfen ist. Die glauben an sich wie an den Herr-
gott und halten sich für unfehlbar. Mit diesen
Auf der andern Seite aber soll der Staat sich Leuten braucht man nicht zu diskutieren. Ich ge-
möglichst aus der Wirtschaft fernhalten. Der höre jedenfalls nicht zu diesen Menschen. Ich stehe
Staat hat mit der Wirtschaft überhaupt nichts zu schon jahrzehntelang im öffentlichen Leben, ab-
tun. gesehen von der Zeit, als Hitler das Zepter
(Abg. Dr. von Brentano: Na, ein bißchen!) schwang. Dabei habe ich doch das eine gelernt, daß
Der Staat soll Ruhe und Ordnung schaffen. Er soll man in der Diskussion mit anderen über viele
die Wirtschaft nur insoweit beeinflussen, als er Dinge ins klare kommt, in denen man vorher nicht
Gesetze gibt. Er soll keine Subventionen geben. im klaren war.
Eine wirklich gute Wirtschaftspolitik rechnet über- Gestatten Sie mir nun einmal, daß ich die Sozial-
haupt nicht mit Subventionen. Sie überläßt es politik mit einem für Sie kühnen Gedanken auf
der Wirtschaft, für sich selber zu sorgen. Ich ge- einen anderen Boden stellen will. Die Sozialpolitik
höre zu den Leuten, die die unbedingte Selbstän- sollte nach meiner Auffassung auch auf den Be-
digkeit des wirtschaftenden Menschen fordern. rufsständen aufgebaut werden. Wir haben sieben
Der Einzelmensch ist Wirtschaftler. Bei den Zu- Berufsstände — gestatten Sie mir als Soziologen
sammenschlüssen, den Vereinigungen usw., die auch diese ganz genaue Beschreibung —: den
der Einzelmensch schafft, liegt die Wirtschaft. Der Arbeiter, den Bauern, den Handwerker, den Händ-
Staat soll die Finger von der Wirtschaft lassen, ler, den Industriellen, den Künstler und Wissen-
schon aus dem einfachen Grund, weil er gar keine schaftler und den Angestellten und Beamten.
Möglichkeit hat, die Wirtschaft im wahren Sinne (Zuruf von der KPD: Und der Politiker?)
Deutscher Bundestag — 7. Sitzung. Bonn, Freitag, den 23. September 1949 133
(Dr. Leuchtgens)
- Es ist Ihnen vorbehalten, die Einordnung vor- — Herr Präsident, würden Sie mir gestatten,
zunehmen. Wenn Sie ein kluger Politiker sind, meine Gedanken noch zu Ende zu führen, weil ich
dann gehören Sie zu den Künstlern und Wissen- jetzt mehr in die Praxis hineinkomme.
schaftlern, (Heiterkeit.)
(Heiterkeit) Ich muß leider manches übergehen; ich hätte gern
und wenn Sie das nicht sind, überlasse ich es Ihnen, etwas mehr Zeit gehabt.
wohin Sie gehören. Nun komme ich zu dem, was die Regierung im
(Erneute Heiterkeit.) einzelnen angeht. Da möchte ich vor allem einmal
Es ist vor allem festzuhalten, daß diese sieben Be- als Finanzpolitiker ein paar Worte sagen. Vielleicht
rufsstände in ihrer Geschlossenheit — und sie ist der Herr Finanzminister da.
schließen sich zusammen — auch etwas bedeuten. (Zuruf: Ja, er ist da!)
Und nun schlage ich vor, daß wir diese Berufs- — Es freut mich, daß er es von mir hören kann.
stände zu Kammern zusammenordnen: Arbeiter-
kammern, Bauernkammern, Handwerkerkammern (Heiterkeit.)
usw., und zwar zunächst über die Landesebene hin Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn
und dann auch über die Bundes- und Reichsebene wir in unserer Finanzpolitik wirklich zu Rande
hin, und daß diese Kammern die Grundlage der kommen wollen und wenn die Regierung Adenauer
ganzen Sozialpolitik sind. wirklich eine gute Finanzpolitik machen will, dann
Ich möchte diesen Kammern ein paar große Auf- muß sie mit einer Aufgabe beginnen, von der sie
gaben zuweisen. Die erste Aufgabe ist diejenige, bis jetzt noch nicht geredet hat, nämlich mit einer
daß sie für die Ausbildung und Weiterbildung so- Neueinteilung der Länder. Wenn Sie die Länder
wie die Vorbildung ihrer Berufsangehörigen sor- in ihrer jetzigen Größe und Zerfahrenheit be-
gen. Niemand kann besser diese Arbeit erledigen stehen lassen, dann werden Sie nie eine geordnete
als die Berufsstände selbst. Das zweite, was ihnen Finanzpolitik in dem neuen Deutschen Bund her-
zugewiesen werden sollte, ist, daß sie Träger der beiführen. Wir müssen vor allen Dingen von der
gesamten Sozialpolitik werden, des gesamten Ver- Zahl 11 der Länder in Westdeutschland herunter
sicherungswesens, der Unfallversicherung, der auf die Zahl 5, und wenn ich die Regierung zu
Krankenversicherung, der Altersversicherung. Was bilden gehabt hätte, — —
sie für Versicherungen nun schaffen wollen, das (Heiterkeit und lebhafte Zurufe.)
mögen die Berufsstände unter sich machen. Sie — Meine Damen und Herren, warten Sie nur erst
müssen natürlich zusammenarbeiten. Und dann einmal ab, bis ich das gesagt habe; vielleicht kom-
gibt es auch keinen Streit mehr zwischen den Ge- men wir zu anderer Zeit auch noch einmal auf
werkschaften und anderen Stellen; denn die Ge- diese Dinge zurück. Mit dem Artikel 29, an dem
werkschaften sind dann ja die berufsständischen Sie, Herr Kollege Schmid, ja mitgewirkt haben, hat
Vertreter entweder der Arbeiter oder der An- die Regierung die Pflicht auferlegt bekommen,
gestellten und Beamten oder der Bauern usw. Jeder diese Neueinteilung vorzunehmen, und der Herr
dieser sieben Berufsstände hat dann seine Gewerk- Bundeskanzler hätte viel klüger getan, mit diesen
schaft, und wenn diese Gewerkschaften zusammen- Dingen anzufangen. Er kann doch unmöglich diese
arbeiten, kommt schon etwas Gutes heraus. Dinge so lassen, das kleine Schleswig-Holstein und
(Abg. Dr. Schmid: Und wenn sie nicht zusammen-das große Rheinland-Westfalen und wie die Staa-
arbeiten?) ten sonst alle heißen. Auch Hessen ist doch zu klein
— Dann werden sie gesetzlich gezwungen, das zu und zu arm, um überhaupt als selbständiger Staat
tun. leben zu können.
(Lachen bei der SPD.) (Sehr richtig! bei der NR.)
Nun müssen Sie natürlich an irgendeiner Stelle, Deshalb ist das, was der Herr Bundeskanzler
wenn Sie etwas schaffen wollen, etwas anordnen. als erstes hätte tun müssen, diese Zahl von elf
Wir vom Bundestag haben ja die Staatsmacht in Staaten auf fünf zu vermindern. Vielleicht kann er
Minden; wir personifizieren ja die Macht. es nachholen.
(Zuruf von der SPD: Aha! Aber dann (Zuruf: Also nachholen! — Heiterkeit.)
macht der Staat die Sozialpolitik!) Ich weiß, daß das eine Sisyphusarbeit ist; aber auch
diese Sisyphusarbeit muß getan werden.
— Nein, der macht keine Sozialpolitik; der gibt
nur die vernünftigen Gesetze und bekämpft die (Abg. Dr. Schmid: Wie wäre es mit sechs? —
Verbrecher, die sich nicht danach richten. Ja, meine Heiterkeit.)
Herren, wenn Sie sich einmal mit diesen Gedanken — Ich lasse im allgemeinen nicht mit mir handeln;
beschäftigen, dann wird doch nicht bloß ein (Heiterkeit — Glocke des Präsidenten)
Lachen, sondern etwas mehr übrigbleiben. Ich aber wenn der Herr Kollege Schmid gern handelt,
kann Ihnen nur eines sagen: dieser Gedanke — wird es ja schließlich auf einen nicht ankommen.
das geht gerade die Herren von der CDU und CSU (Allgemeine Heiterkeit.)
an — ist grundsätzlich seinerzeit von Papst Leo ΧIII.
in seinen beiden großen Enzykliken „Quadrage- Das Entscheidende bleibt also, daß wir fünf Bun-
simo anno" und „Novarum rerum" desstaaten bekommen, die etwa gleich groß sind.
(Abg. Dr. Schmid: Sechs!)
(Abg. Dr. von Brentano: „Rerum novarum"!)
— Wenn Sie absolut sechs haben wollen, behalten
ausdrücklich behandelt worden. Glauben Sie nicht, Sie sechs!
daß ich diese Gedanken dort geholt habe; aber ich (Heiterkeit.)
möchte ausdrücklich sagen, daß sie dort auch Es kommt darauf an, daß diese fünf oder, wie Sie
wurzeln. glauben, sechs Staaten gleich groß sind, die gleiche
Ich darf dann weiter darauf aufmerksam machen, -Bevölkerung haben und die gleiche Wirtschafts
daß es auch noch andere Dinge gibt, — — und Steuerkraft besitzen.
(Glocke des Präsidenten.) (Glocke des Präsidenten.)
134 Deutscher Bundestag — 7. Sitzung. Bonn, Freitag, den 23. September 1949

Präsident Dr. Köhler: Herr Abgeordneter, ich Im übrigen bin ich der Meinung, daß der Kampf
bitte Sie, mit Ihren Ausführungen zum Schluß zu zwischen der Individualauffassung und der Auf-
kommen. fassung von der Allgewalt des Staats, der Kampf
der Auffassungen zwischen rechts und links —
Dr. Leuchtgens (NR): Ich muß mich ja nun leider denn etwas anderes kenne ich nicht — —
ganz kurz fassen, nachdem mir der Herr Präsident (Abg. Dr. Schmid: Der Antisemitismus ist
nicht gestattet, noch weiter zu reden. Ich möchte auch noch ein Unterschied!)
nur noch hervorheben, daß die Kräfte, die hinter
— Oh, Antisemitismus ist für mich nie ein Problem
dem Kabinett Adenauer stehen, bis jetzt noch nicht gewesen!
den Beweis dafür erbracht haben, daß sie eine
sparsame Wirtschaft treiben. (Große Heiterkeit.)
War das jemals ein Problem für Sie?
(Zurufe.) (Zurufe: Nein! Nein!)
Meine Damen und Herren, sehen Sie sich doch Also was wollen Sie denn? Ich habe jedenfalls mit
bitte einmal diesen Parlamentspalast an ! dem Antisemitismus nur das eine zu tun, daß ich
(Abg. Dr. Schmid: Sehr richtig!) sehr vielen Juden in der Zeit von 1933 bis 1939 ge-
holfen habe.
Sehen Sie sich draußen die Speisehalle an, und
sehen Sie sich überhaupt den ganzen Luxus und (Abg. Strauß: Wohin?)
den Prunk hier an! Ich schäme mich in der Seele, — Mein Herr, vielleicht sind Sie noch etwas zu
wenn ich jetzt zu meinen Wählern im Vogelsberg jugendlich in Ihren Einwürfen!
komme, denen es so blutig schlecht geht, daß sie (Abg. Strauß: Gott sei Dank!)
nicht wissen, wie sie durchkommen sollen, die keine Ich bin der Gründer einer Bank — —
Wohnungen haben, die sich mit ihren Ackern
herumschlagen müssen, um überhaupt das für den (Abg. Strauß: Lebt sie noch?)
Lebensunterhalt Notwendige zu schaffen. Und so — Die lebt noch; Gott sei Dank! Diese Bank hat in
geht es mir, wenn ich an die vielen Flüchtlinge und einer Reihe von Jahren den Beinamen „Juden-
an die Ausgebombten und an das Elend und den bank" bekommen. Nun können Sie sich im übrigen
Jammer draußen denke. Und hier stellt man so Ihren Vers darauf machen, wie ich zum Antisemi-
etwas wie diesen Luxuspalast hin! Ich will nicht tismus stehe.
sagen, wer dafür verantwortlich ist. Das wissen die (Abg. Dr. von Brentano: Und früher?)
Herren ja selber besser. Schließlich haben sie aber — Und früher genau so!
die Verantwortung so verschachtelt, daß man nie- (Abg. Dr. von Brentano: Ach!)
mand mehr herausgreifen kann. Sie sind aber
schließlich alle daran schuld, die seither mit- -- Dichten Sie mir nicht etwas an, was nicht da ist.
gearbeitet haben, ob das . im Parlamentarischen (Abg. Dr. Schmid: Nein! Nein!)
Rat oder bei den Ministerpräsidenten oder sonstwo — Bleiben Sie bei der Wahrheit! Das ist nämlich
gewesen ist. die Grundkonzeption, die Auffassung der Rechten,
(Zurufe.) (Zuruf: Wie weit geht die Rechte?)
Meine Damen und Herren, wenn Sie das dem Volk Politik als ethische Handlungsweise durchzuführen.
zeigen, wenn Sie die Wähler hierherführen, dann Wir bemühen uns, das zu tun. Bemühen Sie sich,
werden sie mit dem Gefühl wieder fortgehen, daß das auch zu tun!
da Hopfen und Malz verloren ist. (Beifall.)
(Zurufe.)
Präsident Dr. Köhler: Meine Damen und Herren,
Wir wollen uns diese Dinge weiter durch den Kopf
gehen lassen. So können wir keine Zukunft ge- die Rednerliste, wie sie für heute vorgesehen ist,
stalten! Ich denke daran, daß zum Beispiel die Eng- ist jetzt erschöpft, weil Herr Abgeordneter Dr. Ott,
länder einen Parlamentsraum haben, in dem noch der noch einige Worte sprechen wollte, dies erst
nicht einmal Bänke sind, in dem die Abgeordneten am nächsten Dienstag tun will.
sich nicht einmal setzen können, sondern stehen. Das Wort hat jetzt lediglich noch zu einer persön-
lichen Bemerkung im Sinne des § 84 der Ge-
(Zurufe und Lachen.) schäftsordnung der Herr Abgeordnete Euler.
Meine Damen und Herren, wir hätten unsere
Sitzung mit derselben Lebhaftigkeit führen können, Euler (FDP): Meine sehr geehrten Damen und
wenn wir sie in einer Turnhalle oder in einem Herren! Während ich vorhin in einer interfraktio-
anderen verschwiegenen Raum abgehalten hätten. nellen Sitzung saß, hat der Abgeordnete Fisch ge-
sagt: „Es gibt in diesem Hause einen Mann, der als
(Schallende Heiterkeit. — Abg. Dr. von Brentano: Syndikus der IG-Farbenindustrie an der Zwangs-
Das führt zu weit! — Glocke des Präsidenten.) verpflichtung Tausender tschechischer Arbeiter mit-
Meine Damen und Herren, das sind doch Dinge, gewirkt hat, die dann nach Auschwitz gebracht
an denen wir nicht vorübergehen können. Das sind worden sind."
nun praktische Forderungen. Es tut mir leid, daß Ich wußte schon aus Zeitungsartikeln, die in der
ich nicht weiter reden kann; aber es wird sich ja kommunistischen Presse erschienen sind, daß dieser
noch mehr Gelegenheit zum Sprechen bieten. Wir Vorwurf gegen mich von der KP erhoben wurde.
sprechen ja heute nicht zum letztenmal. Ich habe ihn bereits mit einer DENA-Erklärung
(Heiterkeit und Zurufe.) richtiggestellt und möchte in aller Kürze hierzu
folgendes sagen.
Es wird sich schon noch Gelegenheit bieten, auch Nachdem ich im Jahre 1936 das große Staats-
über diese Frage sehr eingehend zu reden. Viel- examen gemacht hatte, konnte ich weder Anwalt
leicht ist dann der Herr Kollege Schmid auch wie- noch Anwaltsassessor werden, weil ich als Staats-
der so freundlich und sekundiert mir so, wie er mir feind bekannt war. Ich habe drei Jahre lang An-
heute sekundiert hat. wälte und Notare vertreten, bis ich im Sommer
(Zuruf des Abg. Dr. Schmid.) 1939 als Vertragsjurist bei der IG Farben angestellt
Deutscher Bundestag — 7. Sitzung. Bonn, Freitag, den 23. September 1949 135
(Euler)
wurde. Die Anstellung bekam ich auf eine Anzeige, Jahre lang im Wirtschaftsrat tätig gewesen und bin
die die IG in der Frankfurter Zeitung aufgegeben bei der Übernahme all dieser Tätigkeiten gründ-
hatte. Ich habe dann bis zum Sommer 1942 bei der lich überprüft worden. Ich hatte nichts zu verheim-
IG als Vertragsjurist gedient und hatte während lichen, und das ist auch heute nicht der Fall.
dieser Zeit mit Arbeiterverpflichtungen überhaupt Die Anschuldigungen, Vorwürfe oder Diffamie-
nichts zu tun. Ich habe lediglich in Fragen der Kon- rungen in den kommunistischen Zeitungen tauchen
zernjustiz, in Fragen der Aktien- und GmbH- jetzt plötzlich unter der Überschrift „FDP-Euler —
Organisation gearbeitet. Im Sommer 1946, Mitte Sklavenhändler" auf. Diese Verlautbarungen der
Juni, wurde ich dann zum Generalbevollmächtigten Publikationen sind nicht ernst zu nehmen. Ich bin
für Sonderfragen der chemischen Erzeugung dienst- ihnen mit einer über DENA verbreiteten Erklä-
verpflichtet. rung entgegengetreten. Die nichtkommunistische
(Abg. Dr. von Brentano: Nein, Sommer 1942; Presse hat aber diese Erklärung im allgemeinen
Sie sagten Sommer 1946!) nicht gebracht, weil sie auch der Veröffentlichung
der KPD keine Bedeutung beigemessen hatte. An-
Ja, im Sommer 1942 wurde ich zum General- geblich beruhen diese Artikel der KPD auf Infor-
bevollmächtigten für Sonderfragen der chemischen mationen aus Prag. Jedenfalls berufen sich die
Erzeugung kriegsdienstverpflichtet und habe dort zwei Artikel, die mir zu Gesicht gekommen sind,
als Jurist Verträge bearbeitet, die den Firmen- auf Prager Informationen.
einsatz zum Gegenstand hatten. Diese Verträge
wurden als völlig freie Verträge mit ausländischen (Zuruf: Sehr bezeichnend!)
Firmen abgeschlossen. Diese ausländischen Firmen Das ist eine knappe sachliche, wahrheitsgemäße
verpflichteten sich, bestimmte Bauaufgaben auf Darstellung. In Anbetracht dessen, daß politische
Großbaustellen des chemischen Erzeugungsplans zu Gegner an mir sehr großes Interesse hatten, und in
übernehmen bzw. Betriebsaufgaben in laufenden Anbetracht dessen, daß auch die Besatzungsmächte
Betrieben a uszu führen Mit Arbeitergestellung und seit 1945 in derartigen Fragen eine scharfe Nach-
Arbeiterverpflichtung hatten wir überhaupt nichts prüfung walten ließen, glaube ich sagen zu können,
zu tun. Das war Sache der Firmen, die freiwillige daß keinerlei gerechtfertigte Anhaltspunkte für
Verpflichtungen eingegangen waren, und diese Fir- derartige Anschuldigungen bestehen. Nachdem ich
men fanden ihre Arbeiter, die sie zum Einsatz in diese Erklärung hier abgegeben habe, werde ich
Deutschland brachten, lediglich im Wege der frei- jedes Mitglied des Hauses, das ähnliche Vor-
willigen vertraglichen Verpflichtung. Nach meiner würfe wiederholt, wie sie heute Herr Fisch hier
politischen Einstellung, die während der ganzen ausgesprochen hat, wegen übler Nachrede und Ver-
nationalsozialistischen Zeit unverändert geblieben leumdung belangen.
ist, hätte ich zu einer anderen Tätigkeit, auch (Zuruf: Leider nicht möglich!)
im Wege der Kriegsdienstverpflichtung, meine — Doch, das ist möglich.
Hand nicht gereicht. Ich wäre lieber ins Feld ge-
gangen, in das ich noch im Herbst 1944 einzog. Das (Zuruf: Im Grundgesetz ausgeschlossen!)
ist eine wahrheitsgemäße Darstellung.
Präsident Dr. Köhler: Wir sind am Ende unserer
Ich stehe jetzt seit 1945 im öffentlichen Leben. Da- heutigen Tagesordnung. Ich schließe die 7. Sitzung
mals wurde ich kommissarischer Landrat des Kreises des Deutschen Bundestags und berufe die 8. Sitzung
Hersfeld. Ich bin dann im Sommer 1946 in die ver- ein auf Dienstag, den 27. September, 15 Uhr.
fassungberatende Landesversammlung Hessens ge-
wählt worden, wo ich Fraktionsvorsitzender der Die Sitzung ist geschlossen.
LDP war. Ich war danach Fraktionsvorsitzender
der LDP im Hessischen Landtag, bin dann zwei (Schluß der Sitzung: 20 Uhr 6 Minuten.)

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