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Stenographischer Bericht
5. Sitzung
Inhalt:
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Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 5. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 30. Januar 1991 67
5. Sitzung
Präsidentin Dr. Süssmuth: Meine Damen und Her- der Wandel auf unserem Kontinent und in anderen
ren, die Sitzung ist eröffnet. Teilen der Welt verhieß.
Bevor ich Tagesordnungspunkt 1 aufrufe, möchte Bei der Gestaltung der Zukunft wollen wir von un-
ich Sie darüber informieren, daß die Aussprache über serer gemeinsamen Freiheit verantwortlichen Ge-
die Regierungserklärung des Bundeskanzlers für mor- brauch machen. Das bedeutet, nicht nur das Wohl
gen und Freitag vorgesehen ist. unseres eigenen Volkes im Blick zu haben. Denn im
Heute sollen nach der Regierungserklärung gegen Leben jedes einzelnen wie auch für das staatliche
12 Uhr die Tagesordnungspunkte 2 und 3 behandelt Handeln gilt: Freiheit und Verantwortung gehören
werden. unauflöslich zusammen.
Interfraktionell ist vereinbart worden, die Tages- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
ordnung um die Beratung des Antrags der Fraktion
der SPD betr. Einsetzung von Ausschüssen auf Druck- Angesichts der aktuellen weltpolitischen Entwick-
sache 12/53 zu ergänzen. lungen wäre es ein verhängnisvoller Fehler, wenn wir
Ich sehe keinen Widerspruch zu dieser Regelung. vor neuen Gefährdungen von Frieden und Freiheit die
Es ist so beschlossen. Augen verschlössen. Ebenso gefährlich wären aber
auch Resignation und Flucht aus der Verantwor-
Herr Kollege Poppe hat fristgemäß eine Erweite-
tung.
rung der Tagesordnung beantragt. Dieser Antrag
wird nach Tagesordnungspunkt 3 aufgerufen. (Zustimmung bei der CDU/CSU)
Die militärischen Auseinandersetzungen am Golf
Ich rufe nun Punkt 1 der Tagesordnung auf: gehen jetzt in die dritte Woche. Kaum jemals zuvor
Abgabe einer Erklärung der Bundesregie- hatte die Völkergemeinschaft ähnliche politische An-
rung strengungen unternommen, um einen bewaffneten
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler. Konflikt abzuwenden. Sie alle scheiterten an der
kategorischen Weigerung des Irak, die Beschlüsse
der Vereinten Nationen — also den Willen der Völker-
Dr. Kohl, Bundeskanzler: Frau Präsidentin! Meine gemeinschaft — zu erfüllen und die gewaltsame
sehr verehrten Damen und Herren! Diese Regierungs- Annexion Kuwaits rückgängig zu machen. Der iraki-
erklärung fällt in eine Zeit, in der sich viele Menschen sche Präsident Saddam Hussein allein hat diesen
weltweit große Sorgen machen: wegen des Krieges Krieg zu verantworten,
am Golf, aber auch wegen der Vorgänge im Balti-
kum. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie
bei einzelnen Abgeordneten der SPD)
(Zuruf von der SPD: Und wegen dieser Re
gierung!) den Krieg, den er am 2. August 1990 durch den bru-
Wer könnte diese Sorgen besser nachvollziehen als talen Überfall auf Kuwait begonnen hat. Er hat es in
wir Deutschen, die wir — aus der Schuld der NS-Dik- der Hand, ihn sofort zu beenden. Er hat Kuwait unver-
tatur — die Schrecken und Leiden des Krieges am züglich und vollständig zu räumen.
eigenen Leib erfahren mußten.
Eine Bereitschaft Saddam Husseins zum Einlenken
Vor diesem geschichtlichen Hintergrund sind wir ist bis jetzt nicht erkennbar. Im Gegenteil: Die barba-
um so dankbarer, daß wir im vergangenen Jahr die rische Vorführung offensichtlich mißhandelter alliier-
gemeinsame Freiheit für alle Deutschen gewinnen ter Kriegsgefangener vor den Medien, die Aufforde-
konnten. Dies nimmt uns besonders in die Pflicht. rung zu weltweitem Terror, die vorsätzliche Verseu-
Die vergangenen Jahre waren eine Zeit der Hoff- chung des Golfs mit einer Ölpest und die jüngste Dro-
nung und der großen Zuversicht. Langgehegte hung mit dem Einsatz atomarer, biologischer und che- -
Träume gingen für uns in Erfüllung, und unser Au- mischer Waffen lassen die klare Absicht erkennen,
genmerk richtet sich vor allem auf die Chancen, die diesen Krieg zu eskalieren.
68 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 5. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 30. Januar 1991
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeord-
bei Abgeordneten der SPD) neten der FDP)
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, an uns
Zugleich, meine Damen und Herren, geht es darum,
Deutsche richten sich hohe Erwartungen. Dies gilt
mit aller Kraft an die zweite große Aufgabe heranzu-
nach der Wiedervereinigung gewiß noch stärker als
gehen, zu der uns das Grundgesetz verpflichtet: das
zuvor. Ob wir diesen Erwartungen genügen und unse-
vereinte Europa zu schaffen, nämlich die politische
rer Verantwortung in der Welt entsprechen können,
Einigung Europas. Unsere Verfassung trägt uns auf,
hängt in besonderer Weise auch von dem wirtschaft-
„als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten
lichen Erfolg unserer Unternehmen — der Arbeitge-
Europa dem Frieden der Welt zu dienen". In der Tat:
ber, der Arbeitnehmer — und aller anderen Gruppen
Wir dienen dem Frieden der Welt am wirkungsvoll-
in unserer Gesellschaft ab.
sten, indem wir die politische Einigung Europas be-
herzt und energisch vorantreiben. Dabei — ich will das klar aussprechen — ist wirt-
schaftlicher Erfolg kein Selbstzweck, und in ökonomi-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) scher Stärke sehen wir kein Ziel an sich. Aber hohe
wirtschaftliche Leistungsfähigkeit ist eine notwen-
Weder das vereinte Deutschland noch das immer dige Voraussetzung für Wohlstand und soziale Sicher-
mehr zusammenwachsende Europa können es sich heit in ganz Deutschland, für den wirksamen Schutz
leisten, den sich auftürmenden Problemen in anderen von Natur und Umwelt und für die Hilfe, die wir au-
Regionen der Welt mit Gleichgültigkeit zu begegnen. ßerhalb unserer Grenzen leisten können und die von
Alle diese Probleme berühren uns unmittelbar. Indem uns erwartet wird. Erst ein solides wirtschaftliches
wir gemeinsam zur Lösung beitragen, erfüllen wir Fundament eröffnet politische, wirtschaftliche und so-
nicht nur eine moralische Pflicht, sondern wir handeln ziale Handlungsspielräume hierzulande und darüber
auch im wohlverstandenen Eigeninteresse. hinaus.
Europa wächst jetzt zusammen auf dem Fundament Meine Damen und Herren, in den kommenden Mo-
jener Werte, die durch Ch ristentum und Aufklärung naten und Jahren hat ein Ziel hohe Priorität — für
geprägt worden sind. Aber für einen selbstgefälligen mich absolute Priorität — : gleiche Lebensverhält-
Eurozentrismus bei uns im Westen besteht heute we- nisse für die Menschen in ganz Deutschland herbei-
niger Berechtigung denn je. Deutlicher denn je zeigt zuführen. Dieses Ziel können wir nur gemeinsam er-
sich in diesen Tagen und Wochen, wie eng unser reichen.
Schicksal mit den Entwicklungen in unserer Nachbar-
schaft verbunden ist — im Osten unseres Kontinents (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie
wie auch im Nahen und Mittleren Osten. bei Abgeordneten der SPD)
Das erfordert Solidarität und gesamtstaatliche Verant-
Deutschland und Europa, meine Damen und Her- wortung von allen Bürgern — von den Verantwortli-
ren, werden nur gedeihen, wenn sie sich weder kul- chen in der Wirtschaft, von den Tarifparteien, vom
turell noch wirtschaftlich nach außen abschotten, son- Bund, von Ländern und Gemeinden. Es ist eine Auf-
dern bereit bleiben, von anderen zu lernen und vor gabe für alle Deutschen.
allem einem friedlichen Wettbewerb nicht aus dem
Wege gehen. Die Schwierigkeit dieser Aufgabe ist für jedermann
erkennbar. Eingehende Prüfungen und Analysen ha-
Nationale Eigensucht während dieser Zeit wäre ben unsere Befürchtungen bestätigt: Die Erblast aus
nicht zuletzt ein Zeugnis groben Undanks gegenüber 40 Jahren Sozialismus und Kommunismus in der bis-
jenen Partnern und Freunden, die jahrzehntelang un- herigen DDR ist zutiefst bedrückend. Fehlende Wett-
sere Freiheit geschützt und uns vor allem auch bei der bewerbsfähigkeit vieler Unternehmen und Produkte,
Wiedervereinigung unseres Vaterlandes tatkräftig hohe Arbeitslosigkeit, vielfache Zerstörung der Um-
geholfen haben. Ich nenne hier insbesondere die Ver- welt, Verfall der Bausubstanz und eine verbrauchte
einigten Staaten von Amerika, Frankreich und Groß- Infrastruktur — dies ist die eine Seite der Bestandsauf-
britannien. nahme.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie Dem stehen auf der anderen Seite der Wille der
bei Abgeordneten der SPD) Menschen zu Neubeginn und Wiederaufbau sowie
die Wirtschaftskraft des Vereinten Deutschlands ge-
Ich würdige an dieser Stelle aber auch ausdrücklich genüber. Ich bin sicher, dies ist ein Fundament, auf
den Beitrag von Präsident Michail Gorbatschow zur dem wir die gewaltigen Anstrengungen unternehmen
deutschen Einheit. können und dabei auch bestehen werden.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie Die Soziale Marktwirtschaft bietet dafür beste Vor-
bei Abgeordneten der SPD und der Gruppe aussetzungen — Voraussetzungen, die wir auch in
Bündnis 90/GRÜNE) den kommenden Jahren bewahren und fortentwik-
keln wollen. Unser Bewußtsein für die Wurzeln von
Viele haben uns in dieser Zeit auf dem Weg zur Freiheit und Wohlstand ist nicht zuletzt durch die
deutschen Einheit ein hohes Maß an Vertrauen entge- historischen Umbrüche in Deutschland und Europa
gengebracht. Dieses Vertrauen zu erhalten, zu stär- gestärkt worden. Überall wo die Menschen wirklich
ken und — das sage ich auch — sich seiner als würdig die Wahl haben, votieren sie mit aller Entschiedenheit
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schaft ist noch lange nicht erfüllt. — Warten Sie doch ab!
(Zuruf von der SPD: Das stimmt!) Die Bundesregierung wird deshalb bis zum Sommer
1992 dem Deutschen Bundestag einen Gesetzentwurf
Gerade Kinder brauchen in besonderem Maße zur Sicherung bei Pflegebedürftigkeit vorlegen.
Schutz, Hilfe und Zuwendung.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP —
(Frau Dr. Wegner [SPD]: Auch von Vätern!)
Dr. Struck [SPD]: Hätte aber auch eher sein
Das gilt vor allem für die schwächste Form menschli- können, Herr Bundeskanzler!)
chen Lebens: für das ungeborene Kind.
— Meine Damen und Herren, das Problem ist nicht
(Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeord neu. Sie haben von 1969 bis 1982 Zeit gehabt, und Sie
neten der FDP) haben nichts getan.
Wir werden hier im Deutschen Bundestag darüber zu (Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Vogel
beraten haben — ich hoffe, die Diskussion wird in [SPD]: Und Sie haben von 1949 bis 1969 auch
einer dem Ernst des Themas angemessenen Weise nichts getan!)
geführt werden — , wie das unterschiedliche Recht in -
Deutschland möglichst bald durch eine einheitliche — Aber, Herr Kollege Vogel, Sie werden doch nicht
Neuregelung ersetzt werden kann. Es gilt, eine ge bestreiten, daß die demographische Situation der
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Bundeskanzler Dr. Kohl
Bundesrepublik Deutschland zwischen 1949 und 1969 tensport, eine große gesellschaftliche wie gesundheit-
eine andere war als die zwischen 1969 und 1982. liche Aufgabe. Ich nehme gern die Gelegenheit wahr,
den Sportverbänden und vor allem denen, die im
(Dr. Vogel [SPD]: Die ging schon genau in
Ehrenamt dort tätig sind, unseren herzlichen Dank zu
die Richtung!)
sagen.
Die Daten waren damals bekannt. Sie haben nichts
getan. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie
bei Abgeordneten der SPD)
(Dr. Vogel [SPD]: Was habt ihr denn ge
tan?) Wir werden auch in Zukunft den Sportverbänden
ein verläßlicher Partner sein. Ich will namens der Bun-
Und Ihre Zwischenrufe sollen nur davon ablenken, desregierung erklären: Wir unterstützen nachdrück-
daß Sie auf diesem Gebiet versagt haben. lich die erklärte Absicht der Sportverbände, entschie-
(Beifall bei der CDU/CSU) den gegen Dopingpraktiken vorzugehen. Der Sport
muß menschenwürdig bleiben.
Da die Menschen schnell vergessen, will ich Sie,
auch im Blick auf Ihre Unruhe vorhin beim Thema (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Gesundheitsreform, doch daran erinnern, daß der
erste wichtige Schritt zur Hilfe im Bereich der Pflege Die Förderung des Spitzensports in den neuen
Bundesländern wollen wir erhalten und in das be-
mit der Gesundheitsreform gemacht worden ist.
währte Fördersystem der Bundesrepublik einfügen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Wir unterstützen die Bewerbung Berlins um die
Im übrigen, meine Damen und Herren — lassen Sie Ausrichtung der Olympischen Spiele im Jahre 2000.
mich das jetzt ungeachtet unseres kleinen Geplänkels
noch anmerken — , ist die Sicherung bei Pflegebe- (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der
dürftigkeit ein Thema, bei dem ich uns alle einladen SPD sowie bei Abgeordneten der PDS/Linke
möchte, den Versuch zu unternehmen, zu einem Kon- Liste)
sens zu kommen. — Meine Damen und Herren, ich stelle mit Genug-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — tuung fest, daß wenigstens das ein Punkt ist, wo ich
Conradi [SPD]: Da drüben! Reden Sie doch den Beifall des ganzen Hauses habe.
mal zur FDP, Herr Bundeskanzler!) Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, wir
— Ich weiß nicht, warum Sie immer dazwischenrufen, werden alles daransetzen, um die Chancen junger
Sie haben noch gar nicht gehört, was ich sage. Menschen in ganz Deutschland weiter zu verbessern.
Im Westen Deutschlands hat die Zahl der jugendli-
(Weisskirchen [Wiesloch] [SPD]: Bisher ha- chen Arbeitslosen den niedrigsten Stand seit 14 Jah-
ben Sie noch nichts gesagt!) ren erreicht. Ein vergleichbares Ergebnis muß uns
Wir haben ja auch bei dem schwierigen Thema der bald auch in den neuen Ländern gelingen. Ich habe
Rentenreform nach langen und schwierigen Debatten auch hier einen Dank abzustatten: Es waren Hand-
einen Konsens gefunden. Ich könnte mir vorstellen, werk und Industrie und ihre Kammern, die sehr früh
daß dies bei dem Thema Pflegebedürftigkeit, wo es damit begonnen haben, für die Aufnahme und Ausbil-
vor allem um die ältere Generation geht, ebenfalls dung der Lehrlinge zu sorgen.
sehr gut wäre. Lassen Sie uns das doch einmal versu-
chen, bevor wir jetzt erneut Mauern des Kalten Krie- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
ges im Parlament errichten. Wir wollen alles tun, daß dies so weiter geht.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Wir werden die Bereitschaft junger Leute fördern,
Dr. Struck [SPD]: Das geht aber auch an die sich für die Allgemeinheit einzusetzen und sich sozial
FDP, Herr Bundeskanzler!) zu engagieren. So werden wir in dieser Legislaturpe-
Meine Damen und Herren, die Integration von be- riode einen Gesetzentwurf über die freiwilligen so-
hinderten Mitmenschen in unserer Gesellschaft ist zialen Dienste einbringen, in dem auch ein Freiwilli-
eine ständige Herausforderung — nicht nur an die ges Ökologisches Jahr vorgesehen ist.
Politik. Sie geht uns alle an. Besonders wichtig ist es, Mehr als bei früheren Generationen beeinflussen
Vorurteile abzubauen und Verständnis zu schaffen. heute internationale Erfahrungen und Begegnungen
Die Eingliederung Behinderter in Beruf und Gesell- den Alltag der jungen Generation. Hierzu trägt vor
schaft ist um so erfolgreicher, je besser die Leistungen allem der Jugendaustausch bei. Das Deutsch-Franzö-
der medizinischen, der beruflichen und der sozialen sische Jugendwerk hat sich große Verdienste erwor-
Rehabilitation aufeinander abgestimmt sind. Wir wol- ben. Es soll nach unserer Meinung auch als Modell
len es den behinderten Menschen erleichtern, ihre dienen, wenn wir jetzt Begegnungen zwischen jun-
Rechte in Anspruch zu nehmen. Deshalb werden wir gen Deutschen und jungen Polen fördern. Die junge
in dieser Legislaturperiode das Rehabilitationsrecht Generation ist aufgerufen, Brücken zu schlagen und
und das Schwerbehindertenrecht in übersichtlicher Vorurteile abzubauen.
Form zusammenfassen und in das Sozialgesetzbuch Meine Damen und Herren, Deutschland ist unser
einordnen. Vaterland, Europa unsere Zukunft. Kern und Funda-
Meine Damen und Herren, unsere besondere Aner- ment der Einigung Europas bildet für uns die Euro- -
kennung, ja Bewunderung gilt den Behindertensport- päische Gemeinschaft, die wir bald zur Europäischen
lern. Für uns alle hat der Sport, insbesondere der Brei Union ausbauen wollen.
84 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 5. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 30. Januar 1991
Die Rolle und die Verantwortung der USA und Ka- In der „Gemeinsamen Erklärung der 22 Staaten" vom
nadas in und für Europa bleiben für den Frieden und November 1990 haben sich die Mitglieder von NATO
die Sicherheit unseres Kontinents und vor allem auch und Warschauer Pakt die Hand zur Freundschaft und
für das geeinte Deutschland in seiner Mitte von exi- Zusammenarbeit gereicht. Wir haben dies aus der
stentieller Bedeutung. Hoffnung und Überzeugung heraus getan, daß die
Konflikte von gestern endgültig der Vergangenheit
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) angehören.
Die Transatlantischen Erklärungen zwischen den Dies kann und darf aber nicht bedeuten, daß wir auf
Staaten der Europäischen Gemeinschaft und den USA die Fähigkeit verzichten, Frieden und Freiheit auch
und Kanada sind von uns, von der Bundesregierung, künftig vor Bedrohung von außen wirksam zu schüt-
initiiert worden. Wir haben das getan, um diesen zen. Dies bleibt der Auftrag der Bundeswehr an der
Kerngedanken zu bekräftigen — als ein Element der Seite unserer amerikanischen und europäischen Ver-
Kontinuität in einer Zeit großen Wandels. Freund- bündeten.
schaft und Partnerschaft mit den USA sind auch für In einer Demokratie hängt gesicherte Verteidi-
das geeinte Deutschland lebenswichtig. gungsfähigkeit nicht zuletzt vom staatsbürgerlichen
Unverzichtbarer Sicherheitsverbund zwischen Eu- Verantwortungsbewußtsein eines jeden einzelnen ab.
ropa und Nordamerika ist und bleibt die Nordatlani- Deshalb wollen wir auch bei den Bundeswehrangehö-
sche Allianz. Zwar hat der politische Wandel in Eu- ri gen aus den neuen Bundesländern das Leitbild vom
ropa die Konfrontation zwischen Ost und West abge- Staatsbürger in Uniform in überzeugender Weise ver-
baut, und die Sicherheitslage auf unserem Kontinent wirklichen. Deshalb halten wir auch entschieden fest
hat sich trotz verbleibender Risiken spürbar verbes- an der allgemeinen Wehrpflicht.
sert; gleichwohl ist das Bündnis, dem gerade wir, die (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Deutschen, so viel verdanken, in keiner Weise über-
flüssig geworden. Sie verbürgt die volle Integration der Streitkräfte in
unsere Gesellschaft. Dies setzt zugleich ein wichtiges
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Zeichen des Vertrauens nach außen.
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 5. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 30. Januar 1991 87
Bundeskanzler Dr. Kohl
Aber auch umgekehrt gilt es, in unserer Gesell- Mit dem in Paris unterzeichneten „Vertrag über die
schaft das Bewußtsein dafür wachzuhalten, daß der konventionellen Streitkräfte in Europa" ist das Funda-
Schutz unserer freiheitlichen Demokratie jeden an- ment einer neuen, ganz Europa umfassenden Sicher-
geht und daß es um des Friedens und der Freiheit heitsarchitektur gelegt. Dieser Vertrag muß zügig ra-
willen auch Lasten in Kauf genommen werden müs- tifiziert und nach Buchstaben und Geist umgesetzt
sen. werden, und zwar überall. Wir haben zum Abschluß
Deshalb ist es wichtig, daß wir bei jeder Gelegen- dieses Vertrags maßgeblich beigetragen.
heit — ich tue dies heute besonders gern — den Sol- Nach unserer Zusage, die Streitkräfte des vereinten
daten unserer Bundeswehr für den Dienst am Frieden Deutschlands auf 370 000 Mann zu vermindern, er-
danken. warten wir, daß in den weiterlaufenden Verhandlun-
gen die anderen Partner mit Maßnahmen zur Begren-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie
zung ihres Streitkräftepersonals auf nationale Höchst-
bei Abgeordneten der SDP)
stärken folgen.
Ich schließe ausdrücklich in diesen Dank auch jene Wir wollen auch den Wiener Verhandlungen über
ein, die aus ihrer persönlichen Gewissensentschei- vertrauens- und sicherheitsbildende Maßnahmen
dung heraus Zivildienst leisten und anderen helfen. neue Impulse geben, insbesondere bei der Vertrau-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie ensbildung unter Nachbarstaaten.
vereinzelt bei Abgeordneten der SPD) Wir treten weiterhin für die möglichst baldige Auf-
Meine Damen und Herren, die Bundeswehr wird — nahme von amerikanisch-sowjetischen Verhandlun-
der neuen Sicherheitslage in Europa entsprechend — gen über die nuklearen Kurzstreckensysteme ein. Die
grundlegend reformiert. Aber ihr Auftrag ist klar, und veränderte sicherheitspolitische Lage auf unserem
er bleibt: Er heißt Verteidigung. Kontinent erlaubt jetzt die Beseitigung der landge-
stützten nuklearen Kurzstreckenraketen sowie der
Wir werden die Zahl der Verbände und Großver-
nuklearen Artilleriemunition in ganz Europa.
bände verringern. Wir werden aber auch weiterhin
gut ausgebildete und zweckmäßig ausgerüstete Ein- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
heiten haben. Die Verringerung und die Umgestal- Wir setzen bei den Genfer Verhandlungen über
tung der Bundeswehr werden notwendigerweise START und über chemische Waffen sowie beim
auch zu Änderungen in den Standorten führen. Jeder Atomteststopp auf den längst überfälligen Durch-
von uns weiß aus dem Wahlkreis und aus täglichen bruch. Die Fortsetzung der Gipfeldiplomatie zwischen
Erfahrungen, daß dies eine schwierige Sache ist. den USA und der Sowjetunion hat hierbei Schlüssel-
(Zuruf von der FDP: Wie wahr!) bedeutung.
Wir werden versuchen, bei den hier zu treffenden Ent- Unser großes Ziel bleibt eine dauerhafte und ge-
scheidungen auch im Gespräch mit Landesregierun- rechte europäische Friedensordnung, gegründet auf
gen und kommunalen Behörden nach Möglichkeit die Achtung der Menschenrechte, auf freiheitliche
strukturpolitische Belange der betroffenen Länder Demokratie und Soziale Marktwirtschaft.
und Gemeinden in unsere Überlegungen einzubezie- Die „Charta für ein neues Europa", von den Staats-
hen. und Regierungschefs der KSZE im November 1990 in
Meine Damen und Herren, ein Eckstein der Außen- Paris unterzeichnet, setzt hier klare Maßstäbe. Sie
und Sicherheitspolitik des vereinten Deutschlands weist neue Wege und schafft neue gesamteuropäische
bleibt das in meiner Regierungserklärung vom Okto- Institutionen. Aber weder Dokumente noch bürokrati-
ber 1982 vorgegebene Ziel: Frieden schaffen mit we- sche Einrichtungen allein garantieren wirklichen
niger Waffen. Fortschritt in der Sache. Wir werden daher weiterhin
sorgfältig darauf zu achten haben, daß das, was in der
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — „Charta von Paris" niedergelegt ist, auch mit Leben
Frau Köppe [Bündnis 90/GRÜNE]: Ohne!) erfüllt und umgesetzt wird.
Verehrte Frau Kollegin, es mag ja sein, daß Sie in den Dem ersten Treffen der KSZE-Außenminister im
letzten acht Jahren nicht in Deutschland gelebt ha- Juni 1991 in Berlin kommt dabei große Bedeutung zu:
ben; sonst würden Sie einen solchen Zwischenruf Denn dort werden die Weichen für die nächste KSZE-
nicht machen. Gipfelkonferenz in Helsinki 1992 gestellt werden.
(Zustimmung bei der CDU/CSU) Wir wollen auch den Weg zur Konstituierung einer
Meine Damen und Herren, Frieden schaffen mit Parlamentarischen Versammlung der KSZE ebnen.
weniger Waffen — wir haben Wort gehalten. Wir ha- Wir werden ferner auf neue Impulse für die gesamt-
ben auf diesem Weg große Fortschritte erreicht, und europäische Rechtsentwicklung und die marktwirt-
dieser Grundsatz muß für alle Partner des Prozesses schaftliche Kooperation, für grenzüberschreitenden
der Rüstungskontrolle gelten. Und jeder muß wissen, Umweltschutz sowie für Kulturaustausch drängen.
daß Versuche, geschlossene Verträge auf die eine Für das vereinte Deutschland ist der umfassende
oder andere Weise zu umgehen, diesen Prozeß verzö-
Schutz nationaler Minderheiten eine besondere Auf-
gern.
gabe. Wir werden uns mit Nachdruck in den Gremien
Die Bundesregierung wird mit Nachdruck dafür der KSZE, aber auch im Europarat dafür einsetzen.
eintreten, daß Rüstungskontrolle und Abrüstung trotz Der Europarat hat mit der Konvention zum Schutz der
des schwieriger gewordenen Umfeldes vorankom- Menschenrechte und Grundfreiheiten von 1950 sehr
men. früh zukunftsweisende Maßstäbe gesetzt.
88 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 5. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 30. Januar 1991
Mit großer Befriedigung stelle ich fest, daß gerade Wir, die Industrieländer und vor allem auch die
in den letzten Jahren der Handel mit Indien und die Bundesrepublik Deutschland als zweitgrößtes Export-
Investitionen dort stark zugenommen haben. land der Welt, haben ein ureigenes Interesse und na-
türlich auch die besondere Verpflichtung, einen freien
Die Volksrepublik China spielt eine verantwor- und weltoffenen Handel zu sichern.
tungsvolle, stabilisierende Rolle in der internationalen
Politik. Wir hoffen alle, daß dieses bevölkerungsreich- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
ste Land der Welt neue Anstrengungen auf dem Weg In diesem Sinne werden wir in der Europäischen
der Reformen nach innen und der Öffnung nach au- Gemeinschaft in den kommenden Wochen alles dar-
ßen unternimmt. ansetzen, die Uruguay-Runde im GATT zu einem er-
(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der folgreichen Abschluß zu führen. Gerade in der jetzi-
SPD) gen weltwirtschaftlichen Situation benötigen wir für
alle klare und verbindliche Regeln im Welthandel.
Im Rahmen unserer traditionell engen Partnerschaft
werden wir den Staaten Afrikas auch in Zukunft hel- Meine Damen und Herren, die 90er Jahre werden
fen, ihre wachsenden wirtschaftlichen Probleme, das Jahrzehnt des weltweiten Umweltschutzes. Wir
Hungersnöte, Flüchtlingselend und Epidemien zu lin- wissen: Die Erdatmosphäre zu schützen und Klima-
dern und möglichst auf Dauer zu überwinden. schäden zu vermeiden, muß eine weltweite Gemein-
schaftsleistung von Industrie- und Entwicklungslän-
Die Bundesregierung wird zusammen mit ihren eu- dern sein. Wir sind bereit, die Entwicklungsländer bei
ropäischen Partnern die Republik Südafrika auch ihren Bemühungen um eine umweltgerechte Ent-
künftig auf dem schwierigen Weg der inneren Er- wicklung solidarisch zu unterstützen. Dies schließt die
neuerung und Befriedung ermutigen. Ich appelliere Koppelung von Schuldenerleichterungen mit beson-
heute von dieser Stelle aus an alle politisch Verant- deren Maßnahmen zum Schutz der Umwelt ein.
wortlichen, die Apartheid endgültig zu beseitigen und
das Werk der inneren und äußeren Versöhnung zu Der Schutz der tropischen Regenwälder wird dabei
vollenden. ein Schwerpunktthema sein. Die unter maßgeblicher
Beteiligung der Bundesregierung ergriffenen interna-
(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der tionalen Initiativen müssen nun so schnell wie mög-
SPD) lich — ehe es zu spät ist — konsequent weiterentwik-
Mit Lateinamerika wollen wir durch Dialog, durch kelt und umgesetzt werden. Die Empfehlungen der
Kooperation und auch durch Öffnung unserer Märkte Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages
— bilateral und im EG-Rahmen — zur Stabilisierung sind dabei eine wichtige Orientierungshilfe.
der Demokratie und der Marktwirtschaft beitragen. Meine Damen und Herren, die verantwortliche Ge-
Dialog und Ausgleich zwischen Nord und Süd wer- staltung der Zukunft zwischen Ost und West, Nord
den die großen Herausforderungen in den neunziger und Süd ist nicht nur eine Aufgabe und Verantwor-
Jahren bleiben. Wir, die Bundesrepublik Deutsch- tung des Staates, sondern eine Verpflichtung aller
land, stehen zu unserer Verantwortung für die Men- Bürger. Ich danke an dieser Stelle ausdrücklich den
schen in der Dritten Welt. Das heißt konkret: Wir wer- Kirchen und den gesellschaftlichen und humanitären
den als vereintes Deutschland unsere Entwicklungs- Organisationen für ihr Engagement.
hilfe auch in Zukunft steigern.
(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP sowie bei
Unsere Hilfe kann aber nur dann erfolgreich sein, Abgeordneten der SPD und des Bündnis-
wenn in den Empfängerländern die entscheidenden ses 90/GRÜNE)
Rahmenbedingungen stimmen: die Achtung der
Menschenrechte und der Menschenwürde, demokra- Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, zu Be-
tische und rechtsstaatliche Regierungsformen sowie ginn dieser Erklärung habe ich von der neuen, der
wirtschaftliche Entwicklung statt Anhäufung von Rü- größeren Verantwortung gesprochen, die uns Deut-
stungspotentialen. schen jetzt zuwächst. Dieser Verantwortung werden
wir uns — ob es uns immer genehm ist oder nicht —
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) stellen müssen.
90 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 5. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 30. Januar 1991
Poppe
Da dieser Antrag nicht als Drucksache ausgeliefert allerdings nicht so ganz klar. Sie haben mehr zu Ihrem
wurde, muß ich die Gelegenheit haben, wenigstens Antrag in der Sache gesprochen und begründet, wes-
die Begründung zu beenden. halb Sie einen Untersuchungsausschuß an sich für
erforderlich hielten. Darüber wird man sicherlich
Präsidentin Dr. Süssmuth: Ich muß Ihnen sagen: streiten können, auch unterschiedlicher Meinung sein
Die Redezeit beträgt fünf Minuten. Sie haben jetzt können. Aber die Begründung, warum heute die ver-
sechs Minuten in Anspruch genommen. Kommen Sie einbarte Tagesordnung um diesen Punkt erweitert
jetzt bitte zum Abschluß. werden soll, haben Sie nicht geliefert. Weil Sie sie
nicht lieferten, konnten Sie uns auch nicht überzeu-
Poppe (Bündnis 90/GRÜNE) : Ich frage auch da- gen.
nach, ob Bürgschaften, die noch 1990 mit Zustimmung
Von unserer Seite ist folgendes zu sagen. Dieses
des Bundesfinanzministers und des Ministers für wirt-
Thema ist vom Bundeskanzler in der Regierungser-
schaftliche Zusammenarbeit im Zusammenhang mit
klärung angesprochen worden und ist damit auch
dem Raketenumbauprojekt 144 der Iraki von der Bun-
Thema der Aussprache, die morgen und übermorgen
desregierung übernommen wurden, nicht ebenfalls
stattfindet. Auch in den Ausschüssen des Deutschen
mit dem Export deutscher Waffen gleichzusetzen
Bundestages ist in der letzten Woche dazu gesprochen
sind. Es ist die Frage zu stellen, was die Bundesregie-
worden. Ohne Zweifel werden weitere Berichte erfor-
rung unternommen hat — —
derlich sein. Es wird auch zu prüfen sein — das ist hier
Präsidentin Dr. Süssmuth: Herr Poppe, es sind im- angekündigt worden — , inwieweit sich gesetzgeberi-
mer neue Fragen. Ich bitte Sie, jetzt zu beenden. sche Notwendigkeiten ergeben.
(Dr. Ullmann [Bündnis 90/GRÜNE] meldet
Poppe (Bündnis 90/GRÜNE) : Unser Antrag — — sich zu einer Zwischenfrage)
(Zurufe von der CDU/CSU) — Herr Ullmann, in einer Geschäftsordnungsdebatte
sind Zwischenfragen nicht möglich.
Präsidentin Dr. Süssmuth: Herr Poppe, Ihre Rede-
zeit ist zu Ende. Das alles ist selbstverständlich. Darüber wird in die-
sem Hause und in den Gremien zu beraten sein. Nicht
Poppe (Bündnis 90/GRÜNE) : Unser Antrag enthält dargetan ist, weshalb wir dafür einen Untersuchungs-
natürlich eine ganze Reihe solcher Fragen. Ich werde ausschuß brauchen. Ich sagte eben schon, darüber
Sie mit den einzelnen Fragen aber nicht belasten. könne man unterschiedlicher Meinung sein. Ich ma-
Ich möchte Sie bitten, eine angemessene Aufdek- che darauf aufmerksam: Nach den Erfahrungen, die
kung und Analyse der deutschen Verstrickung in den wir in der vergangenen Legislaturperiode im Hinblick
Golfkrieg zuzulassen und dazu einen kompetenten auf die Drittwirkung der Untersuchungsausschüsse
Untersuchungsausschuß einzusetzen, in dem alle gemacht haben, ist es sehr zweckmäßig, sich den
Fraktionen bzw. Gruppen vertreten sind. Wortlaut des Einsetzungsbeschlusses sehr genau an-
zuschauen und ihn zu prüfen, damit wir auch vor
Präsidentin Dr. Süssmuth: Punkt, Herr Poppe. Gerichten bestehen können.
Das führt mich im übrigen dazu, zu empfehlen, den
Poppe (Bündnis 90/GRÜNE): Ich ersuche Sie, der Antrag noch einmal sehr genau durchzugehen.
Bildung eines derartigen Ausschusses Ihre Zustim-
mung zu geben. Im übrigen ist kein Anlaß, jetzt und heute diesen
Ausschuß einzusetzen, auch nicht, darüber zu bera-
Schönen Dank, meine Damen und Herren. ten. Das kann zu einem späteren Zeitpunkt gerne
(Beifall beim Bündnis 90/GRÜNE und bei geschehen — aber dann auch nach der notwendigen
der Gruppe der PDS/Linke Liste sowie bei Vorbereitungszeit.
Abgeordneten der SPD)
Dies alles führt mich dazu, ohne jede Aufgeregtheit
Präsidentin Dr. Süssmuth: Das Wort hat der Abge- dem Hohen Haus für meine Fraktion zu empfehlen,
ordnete Herr Bohl. den Punkt heute nicht auf die Tagesordnung zu neh-
men.
Bohl (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr ver- Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
ehrten Damen und Herren! Vielleicht sollten wir den
Vorgang insofern ein wenig verständlicher machen, (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
als wir noch einmal darauf hinweisen, daß es im Mo-
ment nur um eine Geschäftsordnungsdebatte geht. Es
gibt einen Antrag vom Bündnis 90, der vorsieht, daß Präsidentin Dr. Süssmuth: Das Wort hat der Abge-
ein Untersuchungsausschuß zu dem hier genannten ordnete Herr Struck.
Themenkomplex eingesetzt werden soll. Dieser An-
trag hat nicht die Zahl Unterschriften, die nach unse-
rem Grundgesetz notwendig ist, um einen Untersu-
chungsausschuß einzusetzen, weil das Bündnis 90 Dr. Struck (SPD) : Frau Präsidentin! Meine Damen
nicht so viele Mitglieder in diesem Hause hat, daß und Herren! Um Mißverständnisse gleich von vorne-
damit ein Untersuchungsausschuß eingesetzt werden herein auszuräumen: Es geht nicht darum, daß wir
kann. nicht bereit wären, in diesem Hause die skandalösen
Nun will das Bündnis 90, daß dieser Punkt heute Vorgänge, die wir insbesondere seit gestern abend
hier behandelt wird. Die Begründung dafür war mir zur Kenntnis nehmen müssen, nämlich daß deutsche
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 5. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 30. Januar 1991 93
Dr. Struck
Firmen an der Modernisierung von Scud-Raketen be- die Tagesordnung des Deutschen Bundestages än-
teiligt gewesen sein sollen, rückhaltlos aufzuklären. dern — das zu einem Zeitpunkt, wo die Gremien des
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Deutschen Bundestages noch nicht einmal die Gele-
der CDU/CSU und der PDS/Linke Liste) genheit gehabt haben, ihre Arbeit aufzunehmen, die
entsprechenden Berichte der Bundesregierung zu
Es geht auch darum, meine sehr verehrten Damen diesen Fragen entgegenzunehmen, sich die Kennt-
und Herren — das nehme ich für unsere Fraktion mit
nisse zu verschaffen, wie man gegebenenfalls einen
Recht in Anspruch — , noch einmal klar darauf hinzu- Untersuchungsauftrag sinnvollerwei se formuliert
weisen, daß wir bereits im Mai 1989 einen Antrag usw.
„Rüstungsexporte deutscher Unternehmen in den
Irak" eingebracht haben. Leider, meine Damen und (Beifall bei der FDP)
Herren, hat ihn die damalige Regierungsmehrheit ab- Aus diesem Grunde empfehle ich den Kolleginnen
gelehnt. Wir werden auf diesen Antrag wieder zu- und Kollegen vom Bündnis 90, diesen Antrag mögli-
rückkommen und ihn weiter verfolgen. cherweise doch noch im letzten Moment zurückzuzie-
(Beifall bei der SPD und der PDS/Linke hen. Ansonsten müßten wir den Antrag auf Änderung
Liste) der Tagesordnung heute zurückweisen.
Die SPD-Bundestagsfraktion wird heute einen wei- (Beifall bei der FDP)
teren Antrag einbringen, der sich mit Rüstungsexpor-
ten deutscher Unternehmen in den Irak beschäftigt.
Nach den vollmundigen Ankündigungen insbeson- Präsidentin Dr. Süssmuth: Das Wort hat abschlie-
dere des neuen Wirtschaftsministers, die allerdings, ßend der Abgeordnete Herr Kollege Briefs.
muß ich sagen, im starken Gegensatz zu seinem bis-
herigen Verhalten stehen,
(Beifall bei der SPD) Briefs (PDS/Linke Liste) : Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Ich erkläre hiermit die volle Zu-
gehe ich davon aus, daß die Berichte, die wir über die
stimmung der Fraktion der PDS zum Antrag der Frak-
Lieferungen von Rüstungsgütern in den Irak anfor-
tion Bündnis 90/GRÜNE.
dern, von der Bundesregierung unverzüglich erarbei-
tet, vorgelegt und zum Gegenstand der Debatte im Damit wir es klar sagen: Die deutsche Rüstungsin-
Deutschen Bundestag gemacht werden. Deshalb wer- dustrie ist ein Sumpf, und dieser Sumpf muß endlich
den wir der Aufsetzung auf die Tagesordnung heute, einmal trockengelegt werden. Profitmacherei der
Herr Kollege Poppe, nicht zustimmen. Das bedeutet deutschen Rüstungsindustrie mit Mitteln des Völker-
natürlich nicht, daß wir uns dem Anliegen nicht ge- mordes darf dieses Parlament nicht zulassen. Ein Un-
nauso verpflichtet fühlten wie Sie. tersuchungsausschuß des Bundestages ist dazu ein
geeignetes Mittel: Er ist geeignet, die ordentlichen,
Aber ich möchte Ihnen auch den Hinweis geben,
daß man mit dem schärfsten Argument, das ein Parla- die kriminellen und auch die halbkriminellen Prakti-
ken der deutschen Rüstungsindustrie transparent zu
ment hat, um die Regierung zu überwachen, dem
machen, und das ist angesichts der Erfahrungen im
Untersuchungsausschuß, sorgfältig umgehen muß.
Golfkrieg überfällig.
Bevor man nicht genügend abgesicherte Fakten hat,
Herr Kollege Poppe, würde die Einsetzung des Instru- (Zurufe von der CDU/CSU)
ments Untersuchungsausschuß eher kontraproduktiv Deshalb meinen wir auch, daß es überfällig ist, heute
als produktiv wirken. Deshalb empfehle ich Ihnen, die die Tagesordnung entsprechend zu erweitern. Des-
Angelegenheit noch einmal genau zu prüfen. halb nochmals: Wir stimmen dem voll und ganz zu.
Wir werden ab morgen das Thema Rüstungsexporte (Beifall bei der PDS/Linke Liste)
in den Irak sehr eingehend hier diskutieren.
(Beifall bei der SPD)
Präsidentin Dr. Süssmuth: Meine Damen und Her-
Präsidentin Dr. Süssmuth: Das Wort hat der Abge-
ren, wir kommen zur Abstimmung. Wer stimmt für
ordnete Herr Hoyer. diesen Aufsetzungsantrag? — Wer stimmt dagegen?
— Enthaltungen? — Damit ist der Aufsetzungsantrag
gegen die Stimmen des Bündnisses 90/GRÜNE und
Hoyer (FDP): Frau Präsidentin! Meine Damen und der PDS bei einer Enthaltung abgelehnt.
Herren! Es ist überhaupt keine Frage, daß die skan- Wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tages-
dalösen Vorgänge, die es im Zusammenhang mit Rü- ordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deut-
stungsexporten offensichtlich oder möglicherweise schen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den
gibt, dringend der rückhaltlosen Aufklärung bedür- 31. Januar 1991, 9 Uhr ein.
fen. Hier geht es nur um die Frage der Zweckmäßig-
keit, ob wir um der Beratung eines Antrages auf Ein- Die Sitzung ist geschlossen.
setzung eines Untersuchungsausschusses willen jetzt (Schluß der Sitzung: 12.57 Uhr)
94* Deutscher Bundestag - 12. Wahlperiode - 5. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 30. Januar 1991