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Deutscher Bundestag — 9. Sitzung. B onn, Mittwoch, den 28.

September 1940 157

Präsident Dr. Köhler: Bevor wir in die Tages-


ordnung eintreten, möchte der Herr Bundeskanzler
eine
Erklärung zur Frage
der Auswirkung der Pfundabwertung
abgeben. Ich erteile dem Herrn Bundeskanzler das
Wort.

Dr. Adenauer, Bundeskanzler: Ich habe dem


Hohen Hause im Namen der Bundesregierung fol-
gende Mitteilung zu machen. Die Folgen der Pfund-
abwertung für den deutschen Außenhandel sind be-
kannt. Die Bundesregierung hat sich, ihrer Pflicht
entsprechend, mit der Frage beschäftigt, in welchem
Umfang der Verrechnungskurs der Deutschen Mark
zum Dollar — gegenüber der bisherigen Fest-
9. Sitzung setzung auf 30 Cents — geändert werden soll. Nach
gewissenhafter Prüfung aller Verhältnisse ist sie
zu dem Ergebnis gekommen, daß eine Festsetzung
Bonn, Mittwoch, den 28. September 1949. auf 22,5 Dollar-Cents die angemessene sei.
Sie wissen, meine Damen und Herren, daß die
Bundesregierung und die Bundesrepublik Deutsch-
Geschäftliche Mitteilungen 157E, 173D land in diesen Entschlüssen nicht frei sind. Nach
dem Besatzungsstatut haben die Hohen Kommis-
Erklärung der Bundesregierung zur Auswir- sare die Kontrolle des Außenhandels und des De-
kung der Pfundabwertung: visenverkehrs. Die Bundesregierung hat sich daher
unter dem 24. September an die Hohe Kommission
Dr. Adenauer, Bundeskanzler 157C, 168B gewandt, ihr Mitteilung von ihrem Beschluß ge-
macht und sie gebeten, die von einigen Sachver-
Unterbrechung der Sitzung . . . 158B ständigen der Alliierten geäußerten Bedenken
fallen zu lassen. Heute früh habe ich die Antwort
Dr. Schumacher (SPD) 158C der Hohen Kommission bekommen, und ich erlaube
Dr. Bucerius (CDU) 159A mir, sie Ihnen mitzuteilen.
Dr. Höpker-Aschoff (FDP) . . . . 159C Der Rat der Alliierten Hohen Kommission be-
160D schließt wie folgt:
Dr. von Merkatz (DP)
161C 1. Die Alliierte Hohe Kommission erhebt
Dr. Seelos (BP) . . . . . . . . keinerlei Einwände gegen die Festsetzung durch
Rische (KPD) 162B die Regierung der Bundesrepublik Deutschland
Loritz (WAV) 164B eines Umrechnungskurses für die Deutsche Mark
im Verhältnis zum Dollar zum Kurse von 0,238
Dr. Reismann (Z) 166A Dollar für eine D-Mark.
von Thadden (NR) 167C 2. Die Hohe Kommission stellt fest, daß jegliche
etwa existierenden diskriminatorischen Maß-
Fortsetzung der Aussprache über die Erklä nahmen und jegliches Dumping aufzuhören
rung der Bundesregierung 168D haben und Maßnahmen getroffen werden müs-
Agatz (KPD) 169A sen im Hinblick auf die Beseitigung irgend-
welcher direkter oder indirekter Subsidien, die
Dr. Reismann (Z) 172B zur Unterstützung derartiger diskriminatorischer
Maßnahmen und zu Dumpingzwecken gewährt
Nächste Sitzung 173D werden. Dies hat bis zum 1. Januar 1950 zu
geschehen. Die Hohe Kommission ordnet eine
Untersuchung an, die sofort zu unternehmen
ist, um die zur Durchführung obiger Richtlinien
Die Sitzung wird um 14 Uhr 46 Minuten durch notwendigen Maßnahmen zu bestimmen.
den Präsidenten Dr. Köhler eröffnet. 3. In Erwartung des Ergebnisses der durch die
Hohe Kommission angeordneten Untersuchung
Präsident Dr. Köhler: Meine Damen und Herren! bezüglich diskriminatorischer Handelspraktiken
Ich eröffne die 9. Sitzung des Deutschen Bundes- sind binnen sieben Tagen Maßnahmen zu
tags. treffen, die gewährleisten, daß die Interessen
Ich bitte zunächst den Herrn Schriftführer, die von Kohle importierenden Ländern nicht durch
Liste der abwesenden Mitglieder zu verlesen. die gegenwärtige Abwertung der D-Mark ge-
schädigt werden. Dies kann auf folgende Weise
erreicht werden:
von Aretin, Schriftführer: Entschuldigt -
sind wegen Krankheit die Abgeordneten Professor a) Aufrechterhaltung desselben Preises in D-
Dr. Baur, Marx, Kuhlemann, Vesper, Dr. Blank und Mark für Exportkohle wie vor der gegen-
Sander, auf Grund anderweitiger Entschuldigungen wärtigen Abwertung oder
die Abgeordneten Pohle, Dr. Baumgartner, Junglas, b) Angleichung der Export- und internen
Frommhold, Bauknecht, Dr. Horlacher, Walter, Kohlenpreise in der Weise, daß die Differenz
Dirscherl, Frühwald, Dr. Reif, Weinhold, Brandt, zwischen den beiden nicht größer als vor der
Neumann, Wirths. gegenwärtigen Abwertung ist.
158 Deutscher Bundestag — 9. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 28. September 1949
(Bundeskanzler Dr. Adenauer)
Die Regierung der Bundesrepublik Deutsch- Die Sitzung wird um 16 Uhr 26 Minuten durch
land wird der Hohen Kommission Maßnahmen den Präsidenten Dr. Köhler wieder eröffnet.
zur Durchführung vorgehender Bestimmungen Präsident Dr. Köhler: Meine Damen und Herren!
vorzuschlagen haben. Die Sitzung ist wieder eröffnet. Durch die Um-
Im Namen der Bundesregierung habe ich dazu stände hat sich die Pause leider etwas ver-
folgendes zu erklären. Ich habe den Präsidenten längert. Ich spreche darüber mein Bedauern aus.
der Hohen Kommission, den Botschafter François- Ich eröffne nunmehr die Aussprache. Wir werden
Poncet, gebeten, noch heute eine Unterredung die 'Aussprache, wie in diesem Fall üblich — ich
zwischen uns und den Hohen Kommissaren zu nehme das Einverständnis des Hauses damit an —,
ermöglichen. Wir sind der Auffassung, daß dieser nach der Stärke der Fraktionen durchführen. Es
Beschluß des Hohen Rates nicht den berechtigten käme demnach zunächst der Sprecher der CDU/CSU
Interessen der deutschen Wirtschaft gerecht wird. dran. Wer spricht von der CDU/CSU?
(Sehr richtig!) (Zuruf: Herr Dr. Pünder!)
Sie werden aber verstehen, meine Damen und Ist der Redner der CDU/CSU da?
Herren, daß ich mich weiterer Ausführungen ent- (Wird verneint.)
halte, bis diese Unterredung stattgefunden hat.
Ich möchte aber im Namen der Bundesregierung — Dann erteile ich dem Sprecher der nächst
doch jetzt schon folgendes erklären. stärksten Fraktion das Wort. Herr Abgeordneter
Dr. Schumacher, bitte!
Unter Ziffer 3b dieses Beschlusses ist eine An-
gleichung der Export- und internen Kohlenpreise
Dr. Schumacher (SPD): Meine Damen und Herren!
in der Weise vorgeschlagen, daß die Differenz
zwischen den beiden nicht größer als vor der gegen- Die sozialdemokratische Fraktion des Deutschen
wärtigen Abwertung ist. Meine Damen und Herren, Bundestages präzisiert ihren Standpunkt in fol-
das würde bedeuten, daß mit einem Schlag, das gender Erklärung.
heißt innerhalb dieser sieben Tage, der inländische Die sozialdemokratische Fraktion hätte es für bes -
Kohlenpreis um über 25 Prozent heraufgesetzt ser gehalten, wenn die Bundesregierung den Bun-
werden müßte. destag unmittelbar nach Abschluß der Kabinetts-
beratung über die Festsetzung des neuen Wechsel-
(Hört! Hört!) kurses der D-Mark unterrichtet hätte. Die Stel-
Wir sind der Auffassung, daß eine derartige Her- lungnahme des Parlaments hätte die Position des
aufsetzung aus Anlaß der Angleichung des Ver- deutschen Volkes in dieser wichtigen Angelegen-
rechnungskurses der D-Mark an den Dollar heit gestärkt. .

-- nicht der Abwertung der D-Mark - für die Die sozialdemokratische Fraktion hätte es für bes
deutsche Wirtschaft unmöglich und untragbar ist. in einer Frage europäischer Solidarität die Hohe
(Sehr richtig!) Kommission es vorgezogen hat, auf Kosten der
Wir werden diesen Weg unter keinen Umständen wirtschaftlichen Interessen ein es Landes ein
beschreiten. Diktat zugunsten anderer Interessen auszu-
(Lebhafter Beifall.) sprechen.
(Beifall links.)
Ich erkläre das ausdrücklich namens der Bundes- Sie bedauert weiter, daß die erste Anwendung des
regierung, Besatzungsstatuts so wenig Rücksicht auf das An-
(Abg. Reimann: Na! Na!) sehen und die Lebensnotwendigkeiten der deut-
damit jede Beunruhigung im deutschen Volk, die schen Demokratie nimmt.
etwa durch das Bekanntwerden dieses Beschlusses (Sehr gut!)
der Hohen Kommission ausgelöst werden könnte, Die sozialdemokratische Fraktion sieht in den
von vornherein im Keim erstickt wird. von der Hohen Kommission zur Auswahl gestellten
(Abg. Reimann: Vorsichtig, Herr Dr. Adenauer!) Maßnahmen auf dem Gebiete der Kohlenwirtschaft
eine untragbare Erschwerung des deutschen Wirt-
Präsident Dr. Köhler: Meine Damen und Herren! schaftslebens und eine gefährliche Erschütterung
Gemäß einer Vereinbarung im Ältestenrat, die des sozialen Gefüges. Die eine dieser beiden Maß-
wir soeben getroffen haben, soll sich an diese nahmen würde zu einer Erhöhung der innerdeut-
Erklärung des Herrn Bundeskanzlers eine Aus- schen Kohlen- und Kokspreise um 25 Prozent füh-
sprache anschließen. Um den Fraktionen Zeit ren. Dies würde eine endlose Preis-Lohn-Spirale
zur Vorbereitung dieser Aussprache einzuräumen, in Gang setzen und das Ende jeder deutschen
soll die Sitzung unterbrochen werden. Es ist Wirtschaftspolitik bedeuten.
jetzt 5 Minuten vor 3 Uhr. Ich erlaube mir den Die andere Maßnahme würde dazu führen, daß
Vorschlag, daß wir die Sitzung bis 3 Uhr 30 unter- die heute schon gezwungenermaßen unter dem
brechen. Ich werde kurz vor 3 Uhr 30, wenn diese Weltmarktpreis verkaufte Exportkohle künstlich
Zeit den Fraktionen als ausreichend erscheint, noch mehr verbilligt wird und der deutschen Zah-
wieder das Klingelzeichen geben lassen. lungsbilanz weiter unentbehrliche Devisenbeträge
verlorengehen.
(Abg. Renner: Abschrift dieses Schreibens Die sozialdemokratische Fraktion fordert die
an die Fraktionen, die nicht das Glück Bundesregierung auf, in der Verteidigung der wirt-
haben, am Busen des Herrn Dr. Adenauer schaftlichen und sozialen Lebensnotwendigkeiten
zu sein, ist notwendig!) des deutschen Volkes keiner Regelung zuzustimmen,
- die einseitig andere Länder auf Kosten Deutsch-
Die Sitzung ist unterbrochen. lands begünstigt und den arbeitenden Menschen
(Unterbrechung der Sitzung: 14 Uhr 55 Minuten.) unerträgliche Lasten auferlegen müßte.
(Händeklatschen bei der SPD, der FDP und rechts.)
Um den von jeder Herabsetzung des Wechsel-
kurses drohenden Folgen zu begegnen, ersucht die
sozialdemokratische Fraktion die Bundesregierung,
Deutscher Bundestag — 9. Sitzung. noun, Mittwoch, den M. September 1949 159
(Dr. Schumacher)
dem Bundestag umgehend ein detailliertes Pro- Damit schafft man unter Umständen vollendete
gramm von Abwehrmaßnahmen vorzulegen. Die Tatsachen, die dann allerdings nicht mehr beseitigt
Bewilligung der dafür erforderlichen Mittel unter- werden können!
liegt der Zuständigkeit des Deutschen Bundestages. (Sehr richtig! bei der CDU. — Gegenrufe bei
(Bravorufe und Händeklatschen bei der SPD.) der SPD. - Händeklatschen in der Mitte. —
Abg. Dr. Schumacher: Verzeihung, welche
Präsident Dr. Köhler: Als nächster Sprecher hat Verhandlung?)
das Wort Herr Ageordneter Dr. Bucerius.
Präsident Dr. Köhler: Das Wort hat der Herr
Dr. Bucerius (CDU): Meine Damen und Herren! Abgeordnete Dr. Höpker-Aschoff.
Der Erklärung der CDU/CSU-Fraktion habe ich
kurz folgendes vorauszuschicken. Als diejenige Dr. Höpker-Aschoff (FDP): Meine Damen und
Fraktion, die die Politik der Bundesregierung und Herren! Als uns vor einigen Monaten in Frank-
deren Verhandlungen mit den Hohen Kommissaren furt zum ersten Male der Entwurf eines Besatzungs-
vor allem zu stützen hat, ist die Fraktion der CDU/ statuts vorgelegt wurde, wurde uns von den Herren
CSU verpflichtet, den vorliegenden Sachverhalt mit Gouverneuren die Zusicherung gegeben, daß dieses
besonderer Vorsicht und dem in internationalen Besatzungsstatut in loyaler Weise gehandhabt
Verhandlungen erforderlichen Takt und mit der werden würde. Auch die Hohen Kommissare haben
während schwebender Verhandlungen gebotenen diese Zusicherung gegeben, und der Herr Bundes-
Zurückhaltung zu behandeln. Dies vorausgeschickt, kanzler hat, wie wir mit Freude vernommen haben,
habe ich namens der CDU/CSU-Fraktion folgendes hier der Überzeugung Ausdruck gegeben, daß es
zu erklären. auch in dieser Weise gehandhabt werden würde.
Solange die Besprechungen über das Ausmaß und Unsere Erwartung ist jetzt einer gewissen Ent-
die Umstände der Neufestsetzung des U mrech- täuschung gewichen,
nungskurses zwischen den deutschen und alliierten
(Zuruf des Abg. Rische)
Stellen noch nicht zum Abschluß gekommen sind,
haben wir in erster Linie die innerdeutschen Kon- denn nunmehr wird von uns in dem Memorandum
sequenzen des uns von dem Herrn Bundeskanzler der Hohen Kommissare doch nahezu in Form eines
bekanntgegebenen Beschlusses der Hohen Kommis- Diktats verlangt, das wir binnen kurzer Zeit innen-
sare zu bedenken. Wir haben mit Genugtuung ver- wirtschaftliche Maßnahmen durchführen, die nicht
nommen, daß die innerdeutschen Kohlenpreise nur unsere Haushaltspläne über den Haufen werfen
unter keinen Umständen aus Anlaß der Pfundab- würden, sondern auch zu einer schweren Erschütte-
wertung erhöht werden dürfen, weil eine solche rung des Lohn- und Preisgefüges der deutschen
Erhöhung das bestehende deutsche Preis- und Wirtschaft führen müßten.
Lohngefüge stark erschüttern würde. Die CDU/ Diese Forderungen mögen den Sinn haben, unsere
CSU-Fraktion bittet die Bundesregierung, an die- Wirtschaft einer größeren Freiheit zuzuführen; aber
sem Standpunkte bei den Verhandlungen unter es ist vielleicht nicht unangebracht, an dieser Stelle
allen Umständen festzuhalten. darauf hinzuweisen, daß bisher die Bemühungen
(Bravo! bei der CDU.) der Frankfurter Wirtschaftsverwaltung und des
Ferner ist die CDU/CSU-Fraktion der Auff as Frankfurter Wirtschaftsrats, eine Auflockerung in-
sung, daß der Umrechnungskurs von 0,238 Dollar nerhalb der deutschen Wirtschaft herbeizuführen,
den berechtigten Interessen der deutschen Export- immer auf den Widerstand gerade der Besatzungs-
wirtschaft nicht entspricht, mächte gestoßen sind.
(Sehr richtig! bei der CDU) (Sehr richtig! bei der FDP.)
nachdem das englische Pfund um 30 vom Hundert Meine Damen und Herren! Wenn von uns die
abgewertet worden ist und dem zahlreiche andere Beseitigung aller Suventionen gefordert wird, so
Währungen gefolgt sind. scheint man nicht mit gleichem Maß zu messen,
Aus dieser Stellungnahme ergeben sich für die denn solche Subventionen werden ja nicht nur in
Verhandlungen, welche die Bundesregierung nach Deutschland, sondern auch in anderen Ländern
Auffassung der CDU/CSU-Fraktion mit den Hohen gegeben,
Kommissaren zu führen hat, wichtige Konsequen- (Sehr richtig! bei der FDP)
zen. Wir erwarten, daß das schwierige Problem
durch eine gegenseitige Aussprache — ich wieder- und wir haben auch noch nichts davon gehört, daß
hole: durch eine gegenseitige Aussprache! — zwi- nunmehr auch von den anderen Ländern im Zu-
schen der Bundesregierung und den Hohen Kom- sammenhang mit der von ihnen durchgeführten
missaren einer befriedigenden Lösung zugeführt Devalvation eine Beseitigung solcher Subventionen
wird. gefordert würde.
Dies, meine Damen und Herren, ist die Erklärung (Abg. Renner: Dafür sind wir auch eine Kolonie!)
der CDU/CSU-Fraktion. Ich habe Ihnen ferner zu Die Bedeutung der Devalvation schätze ich nicht
sagen, daß nach meiner Auffassung die Bundes- gering ein, und ich bin persönlich geneigt, in dieser
regierung in ihrer Bekanntgabe und Stellungnahme ganzen Devalvation auch eine positive Seite zu
sowie bei der Mitteilung 'derjenigen Beschlüsse, sehen, weil sie ja im Einvernehmen mit den Ver-
die im Kabinett gefaßt worden sind, durchaus die einigten Staaten durchgeführt ist und schließlich
notwendige Form und das notwendige Maß inne- doch den Sinn haben soll, uns auf die Dauer zu
gehalten hat. einer freieren Gestaltung des Weltwirtschaftsver-
(Sehr richtig! bei der CDU.) - kehrs zu führen.
Es gibt Dinge, Wie ist die heutige Lage? Ein dauernder Export-
überschuß der Vereinigten Staaten, Dollarknapp-
(Zuruf des Abg. Renner) heit in allen anderen Ländern, bilaterale Handels-
die nicht sofort auf den Tisch des Hauses gelegt verträge, Blöcke, Pfundblöcke und andere Wäh-
werden müssen, besonders solange noch Verhand- rungsblöcke, also eine völlige Auflösung des von
lungen schweben und die Dinge noch offen sind. uns für notwendig gehaltenen allgemeinen multila-
(Erneute Zustimmung bei der CDU.) teralen Handelsverkehrs. Wäre es und gelungen, im
160 Deutscher Bundestag - 9. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 28. September 1949
(Dr. Höpker Aschoff)
-

Zuge einer vernünftigen Devalvation zur Herstel- Wenn die Kohle einführenden Länder devalvieren,
lung vernünftiger Kaufkraftparitäten zwischen den um ihre Exportmöglichkeiten zu verbessern, so
Währungen zu kommen, so wäre damit ein großes müssen sie dabei auch die Verteuerung der Importe
Hindernis für eine solche Gestaltung eines freieren mit in Kauf nehmen.
zwischenstaatlichen Handelsverkehrs aus dem Wege (Sehr richtig! bei der FDP.)
geräumt worden. Die segensreichen Folgen, die eine
solche Aktion hätte haben können, werden aber Ebenso unbillig erscheint mir die alternative For-
offenbar voll und ganz beseitigt, wenn nun mit derung unter 3b, denn sie bedeutet, daß wir ge-
dieser Devalvation Forderungen verknüpft werden, zwungen werden sollen, durch Erhöhung der in-
die das, was erstrebt wird, wieder aufheben ländischen Kohlenpreise die Produktionskosten der
müssen. gesamten deutschen Wirtschaft zu erhöhen und da-
Über das Maß der Devalvation mag man verschie- durch jeglichen Vorteil, den auch wir von einer
dener Meinung sein. Aber bedenken Sie, daß nach Devalvation durch den Export haben wollen, wie
maßgebender deutscher Auffassung auch ein Ver- alle anderen, wieder zunichte zu machen.
rechnungskurs von 30 Cents, wie wir ihn heute (Sehr richtig! in der Mitte und rechts.)
haben, der deutschen Wirtschaftslage nicht gerecht Auch das ist eine unmögliche Forderung.
wird und daß beispielsweise das Harmssensche Gut- Aber betrachten Sie nun die Dinge einmal vom
achten, auch ganz abgesehen von einer solchen Standpunkt der Kohle einführenden Länder! Den-
Devalvation, bereits eine Herabsetzung dieses Ver- ken Sie meinetwegen an Frankreich, das eine De-
rechnungskurses gefordert hat. Hätten wir bei dem valvation im Ausmaß von 27 Prozent durchführt!
heutigen Verrechnungskurs von 30 Cents in der Was bedeuten die Dinge vom Standpunkt der Fran-
gleichen Weise abgewertet wie die Engländer, so zosen aus? Daß sie devalvieren, um größere Export-
würden wir auf einen Verrechnungskurs von 21 möglichkeiten zu haben, 'daß aber auch sie den
Cents kommen. Uns wird nunmehr in dem Memo- biternTopf,dVugerKohlnim-
randum der Besatzungsmächte die Genehmigung porte, in ihrer heimischen Währung gerechnet,
gegeben, bis auf 23,8 Cents herunterzugehen. Ich nicht hinnehmen wollen! Auch das scheint mir eine
bin mit meinen Freunden der Meinung, daß der ungerechte Lösung zu sein.
Beschluß der Bundesregierung, den Verrechnungs-
kurs auf 22,5 Prozent herabzusetzen, das allermin- Meine Damen und Herren, das ist das Wesent-
deste ist, wenn die Exportmöglichkeiten der deut- liche, was ich im Namen meiner Fraktion hier
schen Wirtschaft aufrechterhalten werden sollen. auszuführen habe. Abschließend dazu möchte ich
Und nun gestatten Sie mir, noch ein paar kurze nur noch sagen, daß die Zusammenarbeit mit der
Bemerkungen über den Sinn einer Devalvation Hohen Kommission einen schlechten Start gehabt
überhaupt zu machen, weil ich daraus mit Rück- hat,
sicht auf die Forderungen des Memorandums unter (Sehr richtig! bei der FDP)
3a und 3b hernach gewisse Folgerungen zu ziehen und zwar nach meinem Dafürhalten deshalb, weil
beabsichtige. Jede Devalvation muß zu einer Ver- hier sachliche Verhandlungen, die die Bundes-
teuerung der, Einfuhr führen. Wir könnten die regierung mit der Hohen Kommission hätte führen
Folgen einer solchen Verteuerung, insbesondere auf können, verknüpft werden mit wirtschaftlichen
dem Gebiete der Lebensmittelpreise, entweder Forderungen zu Lasten der deutschen Wirtschaft.
durch Subventionen oder aber durch die Erhöhung (Sehr richtig! in der Mitte und rechts.)
der Lebensmittelpreise mit entsprechenden Folge- Das geht nicht an.
rungen für den Ausgleich der Löhne und Gehälter Wir bedauern auch diese Verquickung mit der
abwenden. Aber es wäre uns lieb gewesen, wenn großen amerikanischen Konzeption. Denn, meine
man es uns, unserer Entscheidung überlassen hätte, Damen und Herren, ich erblicke in dieser Deval-
welche Konsequenzen wir aus einer solchen Deval- vation, die ja im Einvernehmen mit den Ameri-
vation ziehen wollen, ob wir den einen oder den kanern durchgeführt wird, aus den vorhin ange-
anderen Weg gehen wollen; denn auch den anderen gebenen Gründen nach dem Marshallplan den
Völkern, die jetzt zu einer Devalvation schreiten, zweiten Schritt, Ordnung in das Chaos der Welt-
überläßt man ja diese Freiheit der Entschließung. wirtschaft zu bringen und wieder einen allgemei-
(Sehr richtig bei der FDP.) nen Güteraustausch lebendig zu machen auf der
Auf der anderen Seite hat die Devalvation den Grundlage von Währungen, die der Kaufpreis-
Sinn, der Exportindustrie höhere Erlöse zu geben, parität der einzelnen Länder entsprechen. Ich be-
in heimischer Währung gerechnet, und ihr dadurch dauere, daß diese große Konzeption hier durch
die Möglichkeit zu verschaffen, billiger zu expor- solche Forderungen Schaden erleiden muß.
tieren und einen Export in größerem Umfange (Sehr richtig! rechts.)
durchzuführen. Die Bundesregierung möge versichert sein, daß sie
Betrachten Sie nun, meine Damen und Herren, die volle Unterstützung meiner Fraktion findet,
das Memorandum der Besatzungsmächte und die wenn sie hier mit Hartnäckigkeit die deutschen
Forderungen, die unter 3a und 3b an uns gerichtet Interessen wahrzunehmen weiß.
werden! Sie sind alternativ gestellt. Die Forderung (Beifall rechts und in der Mitte.)
unter 3a enthält das nach meiner Auffassung un-
billige Verlangen, ein wertvolles Exportgut, die Präsident Dr. Köhler: Das Wort hat der Herr
Kohle, unter dem Weltmarktpreis zu verkaufen, Abgeordnete Dr. von Merkatz.
um die Kohle einführenden Länder vor der Er-
höhung der Kohlenpreise, in ihrer Währung ge- Dr. von Merkatz (DP): Herr Präsident! Meine
rechnet, die ja eine Folge der Devalvation sein Damen und Herren! Die Fraktion der Deutschen
muß, zu bewahren. Meine Damen und Herren, so
geht es nicht! Partei bedauert es lebhaft, daß hier über die
Erklärung des Herrn Bundeskanzlers zum Ver-
(Beifall bei der FDP.) langen der Hohen Alliierten Kommission hin-
Wer den guten Tropfen haben will, muß auch den sichtlich der Angleichung der D-Mark und einer
bitteren Tropfen schlucken. vorgeschlagenen Erhöhung der Kohlenpreise in
(Sehr richtig! in der Mitte und rechts.) diesem Stadium der Verhandlungen in der Form
Deutscher Bundestag — 9. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 28. September 1949 161
(Dr. von Merkatz)
mehrerer Parteierklärungen gewissermaßen eine Die Fraktion der Deutschen Partei begrüßt es
Diskussion hervorgerufen wird. Sie hätte es lieber wärmstens, wenn die Bundesregierung in dieser
gesehen, wenn die Einmütigkeit der deutschen Hal- Frage fest bleibt.
tung dadurch zum Ausdruck gekommen wäre, daß (Beifall rechts.)
auf Grund einer Vereinbarung im Ältestenrat eine
gemeinsame Erklärung aller Fraktionen des Bun- Präsident Dr. Köhler: Das Wort hat der Herr
destages zustande gekommen wäre. Abgeordnete Dr. Seelos.
(Zuruf links: Gestern haben Sie den Antrag
nicht gestellt!) Dr. Seelos (BP): Herr Präsident! Meine Damen
Die Fraktion der Deutschen Partei begrüßt die und Herren! Namens der Bayernpartei möchte
aus den Ausführungen des Herrn Bundeskanzlers ich zu der Angelegenheit folgendes erklären. Wir
hervorgehende klare und eindeutige Stellungnahme bedauern es, daß schon acht Tage nach Inkrafttre-
der Bundesregierung. Hierbei ist es erforderlich, ten des Besatzungsstatuts dieses Statut durch die
daß auch die deutsche Öffentlichkeit mit genügen- Alliierte Kommission eine Auslegung erfahren hat,
dem Verständnis die Ziele der Bundesregierung der wir nicht folgen können. In Ziffer 2. Buch
unterstützt und wirtschaftliche Beunruhigungen im -stabe g ist nur von der Überwachung des Außen-
innerdeutschen Gefüge vermieden werden. Die Frak- handels und des Devisenverkehrs die Rede, im
tion der Deutschen Partei ist der Auffassung, daß Englischen control. Also mehr eine beobachtende
es sich bei dieser Frage um einen hervorstechenden und nachträgliche Maßnahme; keineswegs aber
Fall seit Inkrafttreten des Besatzungsstatuts han- Maßnahmen, die bereits eine detaillierte Anord-
delt, bei dem die deutsche Öffentlichkeit Ge- nung vorwegnehmen. Wir haben doch in den letz-
legenheit hat, ihr nationales Bewußtsein hinsicht- ten Jahren von seiten der Militärregierungen,
lich der Wirtschaft und des sozialen Lebens durch wenn sie freundlich waren, oft ihre Befehle in
ein hohes Maß von Selbstdisziplin zu betätigen. Die der Form von Wünschen entgegengenommen. Man
Fraktion de r Deutschen Partei kann allerdin gs hat gewünscht, aber wir wußten: es war ein Be
nicht umhin festzustellen, daß das in dem Schrei- -fehl, wir haben es zu tun. Denn nach den Waf-
ben der Hohen Alliierten Kommission an die Bun- fenstillstandsbedingungen hatten wir keine andere
desregierung zum Ausdruck gekommene Verlangen, Möglichkeit. Dieser Zustand sollte mit dem Erlaß
die Kohlenpreise in einer wirtschaftlich nicht zu des Besatzungsstatuts endgültig beseitigt werden.
vertretenden Weise zu manipulieren, weit den Rah- Wir sollten wieder im Verkehr mit den Besat-
men der Befugnisse einengt, die der deutschen zungsmächten eine Rechtsbasis haben. Nach un-
Bundesregierung auf Grund des Besatzungsstatuts serer Auffassung ist diese Rechtsbasis von der
verblieben sind. Es ist der Fraktion der Deutschen Alliierten Kommission verlassen worden.
Partei in höchstem Maße zweifelhaft, ob das Kon-
trollrecht über den Außenhandel und den Devisen- (Sehr richtig! rechts.)
verkehr gemäß Vorbehalt g des Artikels 2 des Be- Nicht nur das: sondern auch den nächsten Buch-
satzungsstatuts eine Maßnahme deckt dahingehend, staben h bitte ich zu beachten, wo es heißt:
daß die Hohe Alliierte Kommission der deutschen „die Überwachung innerer Maßnahmen nur in dem
Bundesregierung den Prozentsatz der Angleichung Mindestumfang, der erforderlich ist, um die Ver-
der deutschen Währung vorschreibt. Auf keinen wendung von Geldmitteln, Lebensmitteln und son-
Fall kann sie es aber unwidersprochen lassen, daß stigen Bedarfsgütern in der Weise sicherzustel-
gemäß dem Schreiben der Hohen Alliierten Kom- len, daß Deutschlands Bedarf an äußerer Unter-
mission die Heraufsetzung der Kohlenpreise binnen stützung auf ein Mindestmaß herabgesetzt wird."
sieben Tagen verlangt wird. Wenn das Besatzungs- Es widerspricht dieser eigenen Anordnung der Al-
statut überhaupt einen Sinn haben soll, so ist es
erforderlich, daß sich auch die Hohe Alliierte Kom- liierten.
mission an seine Bestimmungen mit genau dersel- Es ist, kurz gesagt, ein Befehl, dem wir nach-
ben Loyalität hält, wie sie von der deutschen kommen sollen, nicht die Anwendung des Rechts.
Bundesregierung und jedem deutschen Staatsbür- Es ist besonders bedauerlich, daß in den ersten
ger verlangt werden muß. Das im Schreiben der Tagen der Existenz der Bundesregierung solch eine
Hohen Alliierten Kommission niedergelegte Ver- Maßnahme getroffen wird. Was will man denn
langen hinsichtlich der Kohlenpreise könnte doch von seiten der Alliierten? Dieser Bundesregierung
nur auf den Vorbehalt h des Artikels 2 des Be- vom ersten Tage an Schwierigkeiten machen? Will
satzungsstatuts gestützt werden, der aber seinem man denn dieser Bundesregierung, die die un-
Sinn und seinem Wortlaut nach dafür auch nicht erhört wichtigen Maßnahmen des Wiederaufbaus,
die geringste Handhabe bietet. Das Besatzungs- des Wohnungsbaus, der Eingliederung der Flücht-
statut läßt diese Eingriffsmöglichkeit in das in- linge zu regeln hat, vom ersten Tage an jede Auto-
nere Gefüge der deutschen Wirtschaft nur in einem rität nehmen? Wir müssen uns dagegen ver-
Mindestmaß, und zwar nur zu dem Zwecke zu, wahren, daß wir, die wir um unsere Existenz rin-
eine Vergeudung der durch auswärtige Hilfe nach gen, schon in den ersten Tagen mit solchen Schwie-
Deutschland eingeführten Güter zu verhindern. rigkeiten zu rechnen haben. Als ob dieses West-
Um einen solchen Fall handelt es sich hier aber deutschland jetzt nicht auf seine eigenen Füße
hinsichtlich der Kohlenpreise nicht. Wir sind als gestellt worden wäre und als ob wir nicht ein Be-
deutsche Vertreter gehalten, vor der Öffentlichkeit satzungsstatut hätten!
mit dem ganzen Ernst unserer Verpflichtung da- (Zustimmung.)
gegen zu protestieren, daß durch eine solche um-
stürzende Maßnahme, wie sie von der Hohen Al- Weitere sachliche Ausführungen im einzelnen
liierten Kommission verlangt wird, unüberseh- möchte ich nicht machen; sie sind schon von meinen
barer Schaden angerichtet wird. Die Fraktion der Vorrednern weitgehend gemacht worden. Ich
Deutschen Partei ist davon überzeugt, daß die glaube auch nicht, daß es letztlich so entscheidend
Tragweite dieses Verlangens die Hohe Alliierte ist, ob der D-Mark-Kurs auf 22 oder 23 Cents
Kommission bewegen sollte, dem sehr ernsten Hin- festgelegt wird. Viel entscheidender ist, ob der
weis der deutschen Bundesregierung stattzugeben. deutsche Arbeiter und jeder andere deutsche Ver-
162 Deutscher Bundestag — 9. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 28. September 1949
(Dr. Seelos)
braucher für das Pfund Brot 5 oder 10 Pfennig nicht vom Ruhrstatut gesprochen. Es wäre sicher-
mehr oder weniger zu zahlen hat. lich notwendiger gewesen, dem Hohen Hause und
(Sehr gut! rechts.) unserem Volke in diesem Zusammenhang einmal
klar und deutlich zu sagen, nach welchen Me-
Ich glaube deshalb, daß gerade diese internen thoden
Maßnahmen nicht von seiten der Alliierten gere- (Zuruf rechts: Rußland!)
gelt werden sollten.
Der Erlaß der Militärregierung enthält auch und nach welchen Paragraphen in Westdeutsch-
verschiedene Widersprüche. Es heißt zum Beispiel land regiert wird. Nun kennen wir die Methoden
in Artikel 2, daß diese Maßnahmen bis zum 1. Ja- des Regierens in Westdeutschland, und zwar aus
nuar 1950 durchzuführen sind. Man nimmt also auf dem Munde des Herrn Bundeskanzlers selbst. Sie
alliierter Seite an, daß diese Maßnahmen ein ge- sprachen hier, meine Herren Vorredner, von der
wisses Zeitmaß der Anpassung benötigen. Anderer- Brüchigkeit, ja vom Zusammenbruch der großen
seits steht nun aber in Artikel 3, und zwar in be- amerikanischen Konzeption; Sie sprachen von
fehlsmäßigen Worten: diese Maßnahmen sind bin- einer „Unterminierung des Marshallplans". Meine
nen 7 Tagen zu treffen. Wenn man nun aber bin- Damen und Herren, Sie sprechen in der Regel nur
nen 7 Tagen so Hals über Kopf Maßnahmen tref- von den Äußerlichkeiten und von den Auswirkun-
fen soll — obwohl in Artikel 2 steht, daß man gen, aber Sie haben noch nicht von der eigent-
eigentlich doch einige Monate braucht —, so ist das lichen Ursache der Abwertung und der Lage in
eine starke Präjudizierung dieser Maßnahmen nach Westdeutschland gesprochen. Die eigentliche Ur-
Artikel 2, wenn man andererseits in Artikel 3 sache dieser Lage ist gerade der Marshallplan. Die
schon Sofortmaßnahmen verlangt. Abwertung in den kapitalistischen Ländern zeigt
mit aller Deutlichkeit die Krise des kapitalisti-
Ferner bin ich der Auffassung: wenn man auf schen Systems und insbesondere die Krise des
deutscher Seite die Abschaffung des Dumping ver- Marshallplans.
langt — eine Forderung, der wir grundsätzlich (Zuruf rechts: Nein, die sozialistische Krise!)
ohne weiteres zustimmen können —, so sollte das
nur unter der Voraussetzung geschehen, daß auch Sie zeigt den großen Rutsch in der Welt des
die anderen Staaten ihre Dumping-Maßnahmen ab- Kapitalismus.
schaffen und nicht etwa ihren Export subventionie- (Zuruf rechts.)
ren wollen durch indirekte deutsche Subventionen,
die sie bei uns verbieten. Der Herr Bundeskanzler hat zwar versucht, alle
Schuld den Hohen Kommissaren zuzuschieben.
(Sehr richtig!) Ich wage jedoch an dem Wert der heutigen Er-
Ich glaube mit meinem Vorredner, daß es ge- klärung des Herrn Bundeskanzlers zu zweifeln, die
radezu eine Unterminierung der Idee des Mar- Regierung werde der Anordnung der Hohen Kom-
shallplans ist, wenn man jetzt mit diesen Befehls- missare nicht zustimmen. Hat der Herr Bundes-
bestimmungen wieder künstliche Wirtschaftsbezie kanzler immer noch nicht die Bedeutung des Be-
hungen unter den europäischen Völkern erzwingt, satzungsstatuts und des Ruhrstatuts erkannt? Man
über die wir doch endlich zu einer natürlichen möchte fast glauben, hier wird mit deutschen Inter-
Verbindung der Wirtschaften kommen sollten. essen gespielt. Nach dem Besatzungsstatut er-
Ich bitte deshalb im Namen meiner Fraktion, daß zwingt sich jeweils diejenige Macht eine Ent-
die Bundesregierung der Hohen Kommission das scheidung, die wirtschaftlich 'am stärksten inter-
Bedauern über diese Anwendung der Bestimmun- essiert ist oder, wie es heißt, die am meisten Hilfe
gen des Besatzungsstatuts ausspricht, die schwe- leistet. Hier konnte man so anklingen hören,
re Folgen für die deutsche Wirtschaft haben kön- als ob es bei diesem Beschluß zu irgendwelchen
nen und besonders für den psychologischen Aufbau Meinungsverschiedenheiten unter den Herren Ko
unseres Volkes einen schweren Rückschlag be- missaren gekommen sei. Dann möchte ich die
deuten. Frage stellen: Warum hat Herr McCloy nicht an-
ders entschieden? Warum hat er seine Unterschrift
(Bravo! rechts und in der Mitte.) gegeben? Eben wegen der großen amerikanischen
Konzeption!
Präsident Dr. Köhler: Das Wort hat der Herr
Abgeordnete Rische. (Sehr gut! bei der KPD.)
Nun zeigt sich, wie recht wir Kommunisten hat-
Rische (KPD): Meine Damen und Herren! Seit ten, als wir unser Volk vor dem Marshallplan
einigen Tagen wird in diesem Hohen Hause über warnten, warnten vor seinen zwangsläufigen Fol-
die Regierungserklärung des Kabinetts Adenauer gen. Dieser Marshallplan bedeutet für unser Volk
gesprochen. Die wahre Regierungserklärung ist und für alle daran beteiligten Länder Unfreiheit
jedoch der Beschluß der Alliierten Hohen Kom- und Wirtschaftsdiktat, bedeutet gegen unser Volk,
mission bezüglich der Festsetzung eines neuen gegen unsere Wirtschaft die Anwendung einer
D Mark Kurses. Der Ton dieser Erklärung ist wie
- - Waffe der amerikanischen Wirtschafts- und Außen-
Sturmläuten! Mir der Erklärung zur D-Mark politik.
Abwertung hat der Herr Bundeskanzler nun selbst (Abg. Dr. Würmeling: Sie haben lieber KZs!)
zugegeben, wer in Westdeutschland regiert. Konnte
uns deutlicher bewiesen werden, wie abhängig die — Marshallplan, westdeutscher Staat, D-Mark
westdeutsche Separat-Regierung vom Willen der Rutsch, das ist der Weg der Verzweiflung und
Hohen Kommissare ist? Der Herr Bundeskanzler der Weg des Niedergangs für unser Volk.
sagte zwar in seiner Regierungserklärung, die - m- (Zuruf rechts: Auf nach Moskau!)
Hohen Kommissare würden ohne vorherige Rück- Keine wirtschaftliche Freizügigkeit, keine wirt-
sprache mit der westdeutschen Regierung nichts schaftliche Freiheit, sondern Abhängigkeit und
tun. Knechtschaft bedeutet der Marshallplan, wie die
(Zuruf rechts: Das hat er so nicht gesagt!) heutige Debatte in aller Deutlichkeit beweist.
— Er hat es gesagt. Er hat in diesem Zusammen (Unruhe. — Zuruf von der CDU: Davon
hang allerdings nicht vom Besatzungsstatut und leben Sie ja!)
Deutscher Bundestag - 9. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 28. September 1949 163
(Rische)
Unter Ziffer 2 des Beschlusses der Hohen Kom- bekannt sein: Not und Verzweiflung werden
mission wird das Wort vom Dumping ausgespro- von nun ab Westdeutschland regieren. Und
chen. Es heißt dort: die Auswirkungen? Ich warne, ich warne die
Die Hohe Kommission stellt fest, daß jegliche Regierung sehr eindringlich. Die Arbeiterschaft
etwa existierenden diskriminatorischen Maß- in Westdeutschland hat sich lange Zeit geduldig
nahmen und jegliches Dumping aufzuhören genug erwiesen. Sie ist in diesen Tagen hellhörig
haben und Maßnahmen getroffen werden müs Arbeiterschaft in Westdeutschland, gewordn.Di
sen im Hinblick auf die Beseitigung irgend- die kommunistischen, sozialdemokratischen und die
welcher direkter oder indirekter Subsidien, christlichen Gewerkschaftler, sie alle werden sich
die zur Unterstützung derartiger diskrimina- Kommission und gendiMaßhmrHoen
torischer Maßnahmen und zu Dumpingzwek- der Regierung Adenauers geschlossen zur Wehr
ken gewährt werden. setzen.
Mit der Erklärung, so kann man in diesem Zusam- (Zurufe von der CDU: Aber nicht unter
menhang wohl sagen, werden die deutschen Inter- Ihrer Führung! Bleiben Sie nur unter sich!)
essen mißachtet. Warum sprechen mit einem Male Sie werden sehen, was diese Maßnahmen für Fol-
die Herren Hohen Kommissare so offen mit uns? gen haben werden. Die Arbeiter werden lernen,
Bisher war Deutschland der Kohlenlieferant für daß man sich auch gegen derartige Befehle zur
alle westeuropäischen Staaten. Wir lieferten nicht Wehr setzen kann.
freiwillig; uns wurde der Zwangsexport diktiert. Herr Bundeskanzler, Sie gaben uns eine Re
Wir haben die Kohle zu Zeiten exportiert, als es gierungserklärung, wonach Preiserhöhungen in Zu
in der deutschen Wirtschaft an allen Ecken und sammenhang mit der Abwertung nicht erfolgen
Kanten fehlte, als wir verhindert waren, unseren solen.SthiczudesrEkläng,H
eigenen Aufbau zügig zu forcieren. Die anderen Bundeskanzler? Herr Bundeskanzler, Sie sprachen
Länder konnten während dieser Zeit mit der vom von einer „blühenden Wirtschaft". Stehen Sie
deutschen Bergmann i m Ruhrgebiet geförderten noch zu Ihrem Wort, He rr Bundeskanzler? Tat
Kohle ihre Wirtschaft aufbauen, und zu gleicher -sachen und Befehle sind jedenfalls stärker als
Zeit unterbanden damit diese am Marshallplan alle Worte und Erklärungen westdeutscher Politi-
teilnehmenden Länder den Aufbau der deutschen ker. Das hat die Geschichte der letzten Jahre be-
Friedenswirtschaft. Und nun reden uns diese mar- wiesen.
shallisierten Regierungen vom Dumping. Nun
sprechen ausgerechnet die Regierungen dieser Län- (Beifall bei der KPD. — Zuruf von der CDU.)
der von diskriminierenden Maßnahmen, die wir Die englische Regierung sprach bereits von Preis-
etwa ergreifen könnten. Wer von diskriminieren- erhöhungen. Nun, Herr Bundeskanzler, haben Sie
den Maßnahmen zu sprechen hat, das dürfte doch das Wort. Legen Sie nun Ihre Karten ebenfalls
wohl im Zusammenhang mit diesem Beschluß der offen auf den Tisch, Herr Bundeskanzler!
Hohen Kommission ganz klar sein. Mit der Fest- Wir sind überzeugt: was wir jetzt erleben, ist
legung des Abwertungssatzes und den Bestimmun- erst der Anfang. Es wird noch lustiger zugehen
gen der Hohen Kommission sind diskriminierende (Zuruf von der FDP: Das freut euch!)
Maßnahmen gegen die deutsche Wirtschaft be-
schlossen worden. im Reich der Hohen Kommissare und der aus-
Meine Damen und Herren, es wird sicherlich ländischen Monopo listen, die nun den „heißen"
nicht mehr lange dauern, dann wird in Auswir- Krieg gegen die deutsche Wirtschaft eröffnet
kung der Abwertung englische Kohle mit deutscher haben.
Kohle in Konkurrenz stehen, und zwar in (Sehr gut! bei der KPD.)
Deutschland. Uns war es jedenfalls immer klar: westdeutscher
(Zustimmung bei der KPD.) Staat — das konnte keinen wirtschaftlichen Aufstieg
Ich erinnere nur an die Lage im Jahre 1926. bedeuten. Das war für uns niemals eine Garantie
dafür, daß es nun mit unserem Volke wirtschaftlich
(Sehr gut! bei der KPD.) aufwärts gehen werde.
Im Jahre 1926 konnten die deutschen Unterneh- Wir haben einige Forderungen an die Regierung
mer in Ruhrort, in Duisburg englische Kohle billi- zu stellen. Die erste Forderung ist: im Zusammen-
ger kaufen als deutsche Kohle. Erinnern Sie sich hang mit dem Beschluß der Alliierten Hohen Kom-
an die Folgen dieser Dumpingpolitik: Massen- mission dürfen unter keinen Umständen Preis-
arheitslosigkeit, Betriebsstillegungen usw. erhöhungen folgen, nicht im Kohlensektor, nicht
Darf ich auch noch an eine andere gegenwärtige im Lebensmittelsektor, noch sonst irgendwo. Wir
Tatsache erinnern, an die Übersättigung des euro- warnen vor solchen Preiserhöhungen; denn sie
päischen Kohlenmarktes. In Belgien lagern zur würden das ganze wirtschaftliche Gefüge mit einem
Stunde 3 Millionen Tonnen Kohle auf den Hal- Mal auseinanderreißen. Sie wissen, was das ganz
den. Die Franzosen sperren schon die Einfuhr be- zwangsläufig bedeuten würde.
stimmter Sorten von Ruhrkohle. Ich erinnere
weiter an die unermüdlichen Bemühungen Eng- Wir fordern nun unser Volk auf, einig und ge-
lands, endlich in Westeuropa Kohlenabsatz zu fin- schlossen zu stehen und von den uns umgehenden
den, und dann spricht man vom Kohlendumping. Mächten die Freiheit des Handelns, die Freiheit des
Exports und Imports zu fordern.
Die Hohen Kommissare fordern binnen 7 Tagen
Erhöhung des Kohlenpreises um 25 Prozent. ein (Zuruf von der CDU: Genau wie im Osten! —
Das ist ein Befehl! Wir kennen die Folgen. Die - Abg. Renner: Auch mit dem Osten!)
Folgen sind, daß nun wie nach der Währungs- Wir fordern von der Hohen Kommission die Frei-
reform und wahrscheinlich noch schlimmer eine heit, Lebensmittel dort einzukaufen, wo sie uns
gewaltige Preislawine einsetzt, die alles das, was am billigsten angeboten werden und wo man be-
deutscher Fleiß und was die Arbeiter seit 1945 reit ist, uns Rohstoffe und Lebensmittel zu lie-
aufbauten — natürlich nicht, indem sie davon Pro- fern, wenn wir dafür deutsche Fertigerzeugnisse
fite erzielten, sondern indem sie opferten —, hin- liefern.
wegfegen wird. Die Folgen dürften somit jedem (Abg. Dr. Seelos: Wie in Rußland!)
164 Deutscher Bundestag — 9. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 28. September 1949
(Rische)
Wir fordern daher aus der Erkenntnis, daß es Alles andere ist Unsinn, sehr verehrte Herren
durch den Marshallplan mit der deutschen Wirt- Kollegen, vollkommen barer volkswirtschaftlicher
schaft nur bergab gehen kann, die Freiheit der Nonsens.
deutschen Entscheidung in allen Fragen der Übrigens fragt niemand danach, woher die Re-
Wirtschaft und die Forcierung des Ost-West gierung diese Mittel, diese Millionen- und Mil-
Handels. liardenbeträge nehmen sollte, um solche Stützungen
(Abg. Renner: Sehr gut!) auch nur in einem nennenswerten Umfange durch-
führen zu können. Wir hören von Stützungen für
Alle Tatsachen beweisen, daß die anderen Völ- Getreide und Fett. Wir haben gehört, daß die
ker aus ihrer wirtschaftlichen Lage längst eine Preise für die Inlandskohle nicht höher Sein
Schlußfolgerung gezogen haben. Sie verlassen sich dürften. Wir werden demnächst weitere solche
nicht mehr allein auf die immer enger werdenden Erklärungen hören und hören müssen. Wer glaubt
Märkte der kapitalistischen Weltwirtschaft, son- denn von uns noch, daß so etwas möglich ist?
dern sie bemühen sich darum — ich möchte bei- Diese Gelder müssen ja irgendwoher kommen. Aus
nahe sagen, wie nüchterne Realisten oder, wenn den Steuereinnahmen vielleicht? Die werden so-
Sie wollen, wie Opportunisten —, mit ihren östlichen wieso schon für ganz andere Dinge absorbiert, für
Nachbarn Handelsverträge abzuschließen. Sie sind Staatsausgaben aller Art. So bliebe nur noch eines:
uns dabei, meine Herren von der Industrie, mehr die Steuern wahnsinnig zu erhöhen, und das wird
als nur eine Nasenlänge voraus. nicht mehr gehen.
(Sehr gut! bei der KPD.) Ich sage Ihnen, meine sehr verehrten Damen
und Herren, eines: Sie werden erleben, daß in
Sie scheuen sich nicht, mit den Russen, mit den kürzester Zeit das gesamte Preisgefüge ins Rut-
Polen und mit den Tschechoslowaken Handelsver- schen gekommen ist, genau so wie wir es vor
träge abzuschließen. Sie sind sogar bereit, nach wenigen Tagen in der Erklärung der WAV zur
Moskau zu gehen und in Moskau zu verhandeln, Regierungsdeklaration gesagt haben. Ganz egal, ob
weil sie wissen, Ost-West-Handel bedeutet unter die alliierten Kommissare uns die Weisung ge-
den gegenwärtigen krisenhaften Erscheinungen geben haben, den Kohlenpreis zu erhöhen oder
der Weltwirtschaft so eine Art Rettungsanker. Es nicht, die Wirkung wäre die gleiche gewesen. Der
wird höchste Zeit, daß unsere Regierung sich ent- Unterschied ist nur, daß der Patient jetzt durch
schließt, Maßnahmen zum Abschluß eines Ost-West eine solche Maßnahme, auf Grund deren der Koh-
Handelsvertrages zu ergreifen. Noch immer nicht lenpreis sofort angeglichen werden muß, einen
hat man es in Frankfurt fertiggebracht, den Ver- Blutsturz bekommen hat, während sonst, wenn
trag zwischen der sowjetischen Besatzungszone und diese Maßnahme nicht erfolgt wäre, der Patient
den Westzonen über den Austausch von Waren in einigen Monaten an Lungenschwindsucht ge-
und Gütern unter Dach und Fach zu bringen. Im- storben wäre.
mer noch fehlen die Unterschriften. (Zustimmung bei der WAV.)
(Zurufe von der FDP: Warum? — Zuruf Die Auspendelung der Preise hätte im letzteren
rechts: Zur Sache!) Fall einige Monate länger gedauert, bis sich alles
an die veränderte Basis nach oben angeglichen
Wir fordern darum eine unabhängige deutsche hätte. So aber wird nun der Todesprozeß noch viel
Wirtschaft, die einen gleichberechtigten Anteil am kürzer sein, und so werden Sie sehen, daß sich
Welthandel hat. Wir sind jedoch illusionslos. schon in wenigen Tagen die Preise für die wich-
(Lachen in der Mitte und rechts.) tigsten Güter an die Abwertung angleichen.
Wir wissen, daß die Regierung Adenauer auf Ge- Meine Damen und Herren, wohin wird das
deih und Verderb mit der amerikanischen Konzep- führen? Denken Sie daran, daß unser Volk vor
tion verbunden ist; und sie wird mit der amerika- dem Winter steht und Kohle einkaufen soll. Kön-
nischen Konzeption untergehen. nen das aber vielleicht die Unterstützungsempfänger
(Beifall bei der KPD.) mit ihren 19 Mark — soviel haben sie bei uns in
Bayern pro Kopf und Monat —, oder können es
Präsident Dr. Köhler: Das Wort hat der Herr vielleicht die kleinen Mittelständler und die Ar-
Abgeordnete Loritz. beiter? Und wie wird es mit dem ganzen Preis-
gefüge der Industrie sein? Die Bundesbahnen
Loritz (WAV): Meine sehr verehrten Damen und werden ihre Preise heraufsetzen, und so wird es
Herren! Ich glaube, wir alle in diesem Hause ohne weitergehen.
Rücksicht auf Parteischattierung stehen unter dem Das Grundübel war, daß überhaupt mit dem
erschütternden Eindruck der Ereignisse der letzten Gedanken an eine Abwertung gespielt wurde.
48 Stunden. Das Ganze ist eine Katastrophe für (Sehr richtig! bei der WAV.)
unsere deutsche Wirtschaft. Lassen Sie mich das Man könnte fast das Dichterwort zitieren: „Beim
bitte mit aller Deutlichkeit sagen. Jedes andere ersten sind wir frei, beim zweiten sind wir
Wort wäre eine Verschleierung der wahren Tat- Knechte!" Meine Damen und Herren, jeder, der die
sachen. Es i s t eine Katastrophe für unsere ganze Dinge überblickt, mußte damit rechnen, daß auf
Wirtschaft. Denn kein Mensch glaubt es, wenn es, eine Abwertung der D-Mark hin mit Sicherheit
sei es von der Regierungsbank her, sei es von solche Maßnahmen von seiten der Alliierten ein-
irgendwelchen Sprechern dieses Hauses, so hinge- setzen würden. Wir bedauern weiß Gott diese
stellt wird, als sei es möglich, durch Manipula- Maßnahmen, mit denen die alliierten Kommissare
tionen irgendwelcher Art, durch Preisstützungen- in das innerdeutsche Preisgefüge eingegriffen
oder durch sonstige Dinge zu verhindern, das alle haben oder eingreifen wollen, aufs tiefste und f üh-
Waren- und alle Lebensmittelpreise ins Rutschen len uns da mit sämtlichen Fraktionen dieses Hau-
kommen und sich in kürzester Zeit auf den abge- ses einig. Wir mußten aber leider damit rechnen,
werteten Wert unseres Geldes einstellen und ein- und es mußte Aufgabe der deutschen Staats-
spielen werden. lenkung sein, diese Reaktion, die mit größter
(Zuruf von der CDU: Das muß man oft Sicherheit von seiten der alliierten Kommissare zu
genug sagen!) erwarten war, im voraus schon einzukalkulieren.
Deutscher Bundestag — 9. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 28. September 1949 165 '

(Loritz)
In dem Schreiben der alliierten Kommissare, das Preisniveaus erreicht hätte, durch die unsere In-
der Herr Bundeskanzler uns heute vorgelesen hat, dustrie im Zusammenhang mit der Abwertung des
heißt es, daß die Hohen Kommissare gegen die Pfundkurses nicht so stark geschädigt worden
Neufestsetzung des D-Mark-Kurses keinerlei Ein- wäre, ganz abgesehen davon, daß noch zur Zeit
wände erheben. Eine merkwürdige Formulierung! und auf lange Sicht hinaus unsere Importe be-
Ich bitte namens der Fraktion der WAV den Herrn deutend höhere Summen ausmachen als die Ex-
Bundeskanzler und die Bundesregierung, vor aller porte. England hat durch die Abwertung sehr viel
Öffentlichkeit, vor dem gesamten deutschen Volke verdient. England hat nämlich seine gesamten
klipp und klar zu sagen, inwieweit die Anregung Staatsschulden und Schulden der öffentlichen Hand
zur Abwertung von deutscher Seite oder inwie- letztlich um30 Prozent verringert. W i r haben an
weit sie von alliierter Seite gekommen ist. Das dieser Abwertung gar nichts zu verdienen; denn
wird notwendig sein, damit die Verantwortlich- es gibt praktisch keine Staatsschulden mehr, we-
keiten vor der deutschen Geschichte nicht bloß nigstens nicht in nennenswertem Umfange. weil
heute, sondern auch auf längere Zeit hinaus fest- ja anläßlich des Währungsschnitts die Schulden
gestellt werden können. Meine Damen und Herren, der öffentlichen Hand liquidiert und gestrichen
ich weiß nicht ganz — aber ich lasse mich von worden sind. Wir haben durch diese Abwertung
Regierungsseite gern darüber belehren, wenn es nur zu verlieren.
anders sein sollte —, ob es nur so war, daß der Was wird die Folge der Abwertung sein, und
Gedanke zur Abwertung von alliierter Seite aus- zwar auf die Maßnahme der Hohen Kommissare
gegangen ist. Ich weiß es nicht! Wir wünschen hin doppelt so rasch die Folge sein? Die Folge
darüber Aufklärung. Wir wissen nur eines: daß wird sein, daß in kürzester Zeit die Preise auf die
einige Hunderttausend in diesem Lande, nament- Goldmarkbasis, umgerechnet auf Dollarwertbasis,
lich Leute in der Großindustrie und auch sonstwo, hinaufspringen, und unser ganzes Volk mit Aus-
die zur Zeit Riesenwarenlager haben und mit Ab- nahme von hunderttausend Großindustriellen und
satzschwierigkeiten zu kämpfen haben, weil sie Warenbesitzern wird der leidtragende Teil sein.
nämlich nicht gewillt waren, die Preise rechtzeitig Das konnen wir nicht verantworten. Ich bitte, an
so herabzusetzen, daß die Verdienstspannen auf Sie alle appellieren zu dürfen, daß wir dieses
ein vernünftiges Maß reduziert wurden, heute Problem hier rechtzeitig erkennen und rechtzeitig
- und ich habe solche Stimmen mit eigenen Ohren dazu Stellung nehmen. Vielleicht wird es heute
gehört — hinsichtlich der D-Mark-Abwertung mit schon zu spät sein; aber immerhin, es ist noch
Begeisterung erfüllt sind, weil sie nämlich wissen, nicht ganz so weit, denn heute abend findet ja
daß sie jetzt ihre Warenlager loswerden können. noch eine Besprechung der Bundesregierung mit
Die Preise werden nicht nur um 25 Prozent, son- derdenalirtKoms a.Wirvn
dern vielleicht noch mehr heraufrutschen; denn WAV rufen der Bundesregierung zu: „Landgraf,
wenn sie einmal im Rutschen sind, rutschen sie werde hart!", tut hier nicht das, was zwar aus-
immer weiter herauf, als man es ursprünglich wärtigen und auch manchen inländischen Kreisen
meint, und kein Kuckuck wird sich mehr darum angehmsik,odrnetaiI-
kümmern, ob die Verdienstspannen hier übersetzt essen der breiten Massen unseres Volkes und
sind oder nicht, sondern alles wird nach diesen widersetzt euch jeder Abwertung, noch dazu, nach-
Waren schnappen, und die Herren werden dabei dem ihr, meine Herren von der Bundesregierung.
Riesengewinne erzielen; denn die geförderte Kohle jetzt seht, daß diese Abwertung durch die Fixie-
oder die Industrieprodukte, die sie jetzt viel teu- rung des Kohlenpreises und andere Maßnahmen
rer verkaufen, sind in Arbeitslöhnen in der alten gar keinen Gewinn für unsere gesamte Volks-
D-Mark-Währung bezahlt worden, so daß die Ge- wirtschaft bedeutet, sondern nur noch eine
winne um 25 oder vielleicht sogar 30 Prozent und Katastrophe bringt.
noch mehr steigen werden.
Noch eine Bitte — nur so am Rande — hätten
Ich kann mir sehr wohl denken, daß von dieser wir an die Bundesregierung. Wir sind froh
interessierten deutschen Seite her alles getan wor- darüber, wenn die Presse sehr rasch über alle
den ist, um eine Abwertung in Gang zu bringen Maßnahmen der Bundesregierung informiert wird;
und damit die Entscheidung hinauszuzögern, vor aber wir bitten darum, daß gleichzeitig mit der
der sich diese Herren angeblichen Volkswirtschaft- Informierung der Presse eine Informierung der
ler sehen, nämlich endlich einmal von dem über- einzelnen Fraktionen dieses Hauses erfolgt. Und
setzten Preisniveau herunterzugehen und nicht wenn das Plenum nicht beisammen ist, dann bitten
etwa schon an einigen tausend Tonnen Stahl oder wir die Regierung, in Zukunft wenigstens durch
sonstigen Industrieerzeugnissen auf Kosten un- einen Telephonanruf bei den Sekretariaten der
serer deutschen Bevölkerung zu Millionären wer- einzelnen Fraktionen den Abgeordneten, die dort
den zu wollen. Diese Entscheidung ist durch die versammelt sind, die Nachricht davon, was die
D-Mark-Abwertung hinausgezögert worden. und Bundesregierung beabsichtigt und tut, ebenso rasch
das ist schlecht genug für unser gesamtdeutsches mitteilen zu lassen, wie das gegenüber der Presse
Interesse. geschehen ist. Wir wissen genau. Herr Bundes-
War es wirklich notwendig, daß den alliierten kanzler, daß Sie dadurch, daß die Nachricht in
Kommissaren vorgeschlagen wurde — falls, wie Paris schon verbreitet wurde, in eine gewisse
ich eigens betone, dieser Vorschlg erfolgte —, zu Zwangslage versetzt worden sind. Wir bitten Sie
einer Abwertung zu schreiten? In meiner letzten also,inZukftgechzmidTlpon-
Rede habe ich schon dazu Stellung genommen. anruf an die Presse auch einen Telephonanruf an
Ich möchte mich nicht wiederholen. Wir von der - die Fraktionssekretariate gehen zu lassen, damit
WAV glauben, daß das nicht notwendig war, son- wenigstens diejenigen Volksvertreter, die gerade
dern daß hier von seiten des Staates mit anderen anwesend sind, unterrichtet sind und nicht erst
Maßnahmen eingeschritten werden mußte, daß auf dem Umweg über die Presse darüber infor-
man durch Senkungen der Steuern und durch miert werden, was die Bundesregierung beab
verschiedene andere Maßnahmen, auf die ich hier, sichtigt.
weil die Redezeit nur 15 Minuten beträgt, nicht Meine Damen und Herren, ich komme zum
im einzelnen eingehen kann, eine Senkung des Schluß, indem ich die Bundesregierung bitte,
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(Loritz)
keine Abwertung vorzunehmen, wenn es nur anders ausgefallen — ein ganz anderes Relief und
irgendwie noch möglich ist, weil diese Abwertung eine ganz andere Plattform gegeben hätte als
einSchlagsWrudeilchnSag jetzt, da er für sich und seine Regierung allein
gegen die Interessen des größten Teils unserer verhandelt hat, deren Mehrheit nicht allzugroß
deutschen Bevölkerung sein wird. ist. Es wäre so gesehen besser gewesen, wenn er
(Beifall bei der WAV.) von vornherein die Volksvertretung eingeschaltet
hätte, und außerdem wäre er dann nicht i n die
Präsident Dr. Köhler: Das Wort hat der Herr Verlegenheit gekommen, zunächst die Presse und
Abgeordnete Dr. Reismann. dann erst den Bundestag zu unterrichten. Wir
empfinden es als einen zumindest unerfreulichen,
Dr. Reismann (2): Meine sehr verehrten ,Damen wenn nicht, um m ichnoch schärfer au szudrücken
und Herren! Im Namen der Zertrumsfraktion unwürdigen Zustand, daß die im Hause versamt
habt ich folgende Erklärung abzugeben. melten Abgeordneten des deutschen Volkes erst
Wir alle im Hause haben gehofft, daß im Be durch Pressevertreter erfahren, was in dieser für
ttazungs ut nicht bloß eine neue Rechts-, son das Leben des ganzen Volkes lebenswichtigen
dern auch eine Vertrauensbasis für die Zusammen Frage von äußerst einschneidender Bedeutung
drwmeObükoits.nge von seiten der Bundesregierung vor sich gegangen
In diese Frühlingsnacht der Hoffnung fiel ein ist. Bei rechtzeitiger Orientierung und Stellung-
Reif. Die erste Praxis des Besatzungsstatuts zeigt nahme hätte übrigens Möglicherweise - jeden -

drastisch die schwache unserer internationalen falls hätte die .Möglichkeit nahegelegen — sich eine
Position zwischen Krieg und Frieden und unter- weitgehende Übereinstimmung der Auffassungen
streicht aufs neue die Forderung, die wir in un innerhalb der Volksvertretung herbeiführen lassen,
erStlungahmzReirskläung denn diese Frage wird offensichtlich von den Ab-
erhoben haben, auf endgültigen Abschluß eines geordneten aller Parteien des Bundestags nur
Friedensvertrages. Dieses Diktat ist kein guter nach nationalen, nicht nach parteipolitischen Ge-
Start und erst recht auch kein Zeichen für sichtspunkten gesehen und beurteilt.
eine großzügige Handhabung des Besatzungs- Zusammenfassend ist also zu diesem Vorgang,
statuts, auf welche das deutsche Volk gehofft und zu der Art des Prozedierens festzustellen, daß die
gerechnet hatte. Regierung, daß dieses Kabinett in der ersten, sehr
Die Zentrumsfraktion des Bundestags hat schon wichtigen und entscheidenden Maßnahme mit
gestern zum Ausdruck gebracht, daß es höchst einer Kette von verpaßten Gelegenheiten beginnt,
bedauerlich ist, daß die bisherigen deutschen und zwar von Gelegenheiten, die auch in der Sache
Schritte anläßlich der Pfundabwertung ohne jede selbst von entscheidender Bedeutung gewesen
Orientierung des Bundestags vor sich gegangen sein könnten, die zumindest dieser Demokratie ein
sind. Es ist schon die Frage offen, die soeben vom besseres Ansehen verleihen würden.
HernKolgLitzaufewrnd:ligt Eine Folge davon ist nun, daß die Bundesregie-
hier eigentlich ein Zwang zur Abwertung vor, rung jetzt in eine gewisse Zwangslage hinein-
oder hat hier die Bundesregierung auf eigene Ver- operiert worden ist, oder besser gesagt, daß sie
anlassung gehandelt? Jetzt wird der Bundestag sich selbst hineinoperiert hat. Und nun wird das
vomHernBudskazleirStungahm Parlament zu einer Stellungnahme aufgerufen, zu
in einer Frage aufgefordert, über die er es unter- welcher die notwendigen Voraussetzungen noch
lassen hat das Parlament auf dem laufenden zu nicht mitgeteilt sind. Es ergibt sich aus der Ver-
halten. ba noch keine Ausschüsse vorhanden sind, lesung der Erklärung, daß, wenn entgegen den
so Wäre es immerhin möglich gewesen, den Versprechungen der Regierung abgewertet wird,
ÄltesnraiVobpchugenzrit, die Lebenshaltungskosten um den abgewerteten
der dafür das zuständige Gremium gewesen wäre. Betrag auf dem Weg über die Import- und die
Und es erhebt sich die Frage, warum nicht eher als Kohlenpreissteigerung ansteigen werden; oder aber,
jetzt die Bundesregierung von ihrem Schritt und daß bei der anderen Möglichkeit, der Beibehaltung
ihren Überlegungen der Parlamentsvertretung des alten Kohlenpreises, der Erfolg der Abwertung
indirekt Kenntnis gegeben hat und warum sie von vornherein in Frage gestellt ist, nein, sogar daß
nicht vorher Rat gegeben und die Volksvertretung er fast sicher fällt, so daß man danach überhaupt
informiert hat. Wir können es nicht als einen besser bei der alten Währungsrelation bleibt.
nuten Start der Bundesregierung betrachten, daß Mangels Orientierung kann man jetzt nicht sagen,
die Bundesregierung auf diese Weise das Be- ob dieser Vorschlag der Oberkommissare vermeid-
streben deutlich werden läßt, Autorität zu zeigen. bar oder unvermeidbar war. Angesichts der im
Wiederholungen solcher Art müssen zu einer Bundestag laut gewordenen Stimmen, daß die Ab-
Schmälerung des Einflusses des Bundestags und wertung keinesfalls höher sein dürfe als das unbe-
zu einer Schmälerung seines Ansehens führen. dingt notwendige Maß, wäre es vielleicht möglich
Wir erheben nachdrücklichst Protest gegen diese gewesen, bei größerer Selbstbeschränkung diese
Verfahrensart und sind der Ansicht, daß das, zu- Auflagen der Oberkommissare zu vermeiden. Wenn
mindest optisch betrachtet, außerordentlich unvor- der Herr Bundeskanzler mir darauf erwidert: das
sichtig ist. ist nicht der Fall, so muß ich ihn darauf hinweisen,
Im gegenwärtigen Stadium, da die Dinge schon daß es unmöglich ist, anders zu dieser Frage Stel-
so weit bzw. zu weit vorangetrieben sind, wendet lung zu nehmen, solange der Bundestag über sein
sich jetzt der Herr Bundeskanzler an das Parla- Vorgehen, über Einzelheiten und Gründe über-
ment. Er scheint sich erst jetzt daran zu erinnern, --s-a haupt nicht unterrichtet wird.
daß es für seine Verhandlungen mit den Ober- Im übrigen muß ich, und zwar im Anschluß an
kommissaren doch mindestens zweckmäßig, in die Worte unserer Erklärung zur Regierungs-
Wirklichkeit von größter Bedeutung gewesen erklärung ausdrücklich nochmals darauf hinweisen
wäre, auf eine möglichst einheitliche Stellung- und darauf aufmerksam machen, daß es nicht bloß
nahme der Volksvertretung hinweisen zu können, gilt, exportfähig zu bleiben, sondern daß wir auch
und daß dies seiner Stellungnahme — gleichviel an die Importe denken müssen, die zum größten
wie sie ausgefallen wäre, sie wäre vielleicht ganz Teil aus den Hartwährungsländern kommen. Der
Deutscher Bundestag — 9. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 28. September 1949 167
(Dr. Reibmann)
Herr Bundeskanzler hat zwar erklärt, die bewirt- eine Belastung der Konsumenten umschlagen und
schafteten Lebensmittel würden im Preise nicht inerBlastugdVbcherinEsug
steigen. Man muß aber in Verbindung damit seine treten muß; oder aber man muß den von der Re-
weitere Erklärung berücksichtigen, daß die Bewirt- gierung als besonders vordringlich bezeichneten
schaftung Schritt für Schritt weiter abgebaut wer- Wohnungsbau oder andere wichtige soziale Auf-
den soll. Und außerdem gibt es neben bewirt- gaben um die Beträge kürzen, die man an Sub-
schafteten Lebensmitteln auch noch freie Lebens- ventionen jetzt zusätzlich ausgeben muß.
mittel und daneben noch den übrigen Lebensunter- Nach alledem erscheint uns das Verfahren, nach
halt und seine Kosten, die Kosten für Kleidung, dem man hier prozediert hat, sowohl wie der Er-
Hausrat und vor allen Dingen die Kosten für die folg, kurz die ganze Abwertungsangelegenheit sehr
Produktionsmittel, die auf die Dauer in weit größe- problematisch.
rem Maß als die verhältnismäßig wenigen bewirt-
schafteten Lebensmittel das Preisgefüge bestimmen (Beifall beim Zentrum.)
und das Preisniveau erhöhen werden. Jedenfalls Präsident Dr. Köhler: Das Wort hat der Herr
wird jetzt vermutlich das Absinken der Preise ein Abgeordnete von Thadden.
Ende haben, das eingeleitet war und vielerorts Be-
friedigung ausgelöst hatte. Es erhebt sich jetzt die von Thadden, (NR): Herr Präsident! Meine Da-
Frage, ob bei den weitgehenden Abwertungsanre- men und Herren! Abgesehen von dem einen
gungen dieser Wunsch, die Preissenkungen mögen Redner, der hier in diesem Hohen Hause die Mei-
ein Ende haben, nicht vielleicht der Vater des nung Moskaus vertrat,
Vorschlags gewesen ist.
(Widerspruch bei der KPD)
Unsere Gedanken wenden sich bei dieser Über-
legung zu den Millionenmassen der Sozialrentner, haben sich doch alle anderen in sehr erfreulicher
der Kurzarbeiter, der Arbeitslosen, der Kriegs- Art und Weise geschlossen auf eine Linie gestellt.
opfer, der Ostvertriebenen, dei Bombengeschädig- Alle haben herauszuarbeiten versucht, was für
einen schweren Schlag die Alliierten uns mit
ten, der Währungsgeschädigten, der Kinderreichen diesem Diktat zugefügt haben, das zweifelsohne
und auch der Sparer, der neuen Sparer in D-Mark, kein guter Anfang für die junge, neue deutsche
überhaupt aller wirtschaftlich schwachen Kreise, Demokratie ist. Ich glaube auch sagen zu können,
deren bescheidene Lebensführung nicht mehr die daß der Vorschlag, den uns die Bundesregierung
geringste Verteuerung verträgt. Die Folge der hier vorgetragen hat, den sie der alliierten Kom-
jetzigen Vorgänge wird natürlich nicht nur eine mission überreicht hat mit der Bitte, einen Kurs
Beunruhigung des Preisgefüges, sondern auch eine von 22,5 Cents festzusetzen, so vernünftig ist, daß
Erschütterung des Lohngefüges sein, ganz abge- wir ihm ohne weiteres zustimmen können. Und es
sehen davon, daß infolgedessen auch das Vertrauen wäre zwecklos gewesen, über dieses Thema hier
in die D-Mark, das sich gerade erst gebildet hatte, nun vorher eine stundenlange fruchtlose Debatte
eine Erschütterung erfährt, die man durch schöne zu führen. Wir wollen, daß unsere Regierung in
Worte über die Förderung des Sparwillens allein diesen Dingen durchaus Handlungsfreiheit hat und
nicht wieder gutmachen kann. Die Bevölkerung nicht eine Puppe in unserer Hand ist. Wir werden
wartet auf die Taten zur Erfüllung dieser Ver- sie schon rechtzeitig korrigieren, wenn es notwen-
sprechungen; sie ist hellhörig geworden durch die dig ist.
Äußerung der besonders interessierten Wirtschafts-
kreise, die die Abwertung schon so vorlaut propa- (Abg. Renner: Sie werden noch Staatssekretär
gieren und die erklären, man müsse sie jetzt ganz bei der weiteren Entwicklung!)
gründlich machen, weil man sie nicht am laufenden Wir wissen, daß der bisherige Kurs von 30 Cents
Band machen könne. Mit der Senkung des Real- zu hoch war, daß unser Export unter ihm litt, daß
einkommens sinkt natürlich auch die Kaufkraft sich dieses Nichtexportierenkönnen am allermeisten
der Bevölkerung, und die weitere Folge davon gegen die deutsche Arbeiterschaft
wird sein, daß unsere Wirtschaft nicht bloß durch und gegen die Flüchtlinge richtet, denen
den steigenden Export im Falle einer Abwertung wir dadurch nicht die entsprechenden Industrien
vielleicht einen vorübergehenden Auftrieb erlebt, aufbauen konnten, die wir brauchen, die wir haben
sondern daß sie daneben auch wegen des absinken- müssen, um sie ernähren zu können. Gegen diese
den inneren Umsatzes einen Rückschlag erfährt, richtet es sich! Wir müssen mit unserem D-Mark
ganz abgesehen davon, daß sie einen Rückschlag Kurs heruntergehen, nachdem es in England zur
erfährt durch die Verteuerung der Importe. Pleite des dortigen Systems gekommen ist und wir
Endlich erhebt sich die Frage, aus welchen Mit- jetzt, ob wir wollen oder nicht, ob es uns paßt oder
nicht paßt, in unserem eigenen Interesse nachfolgen
teln die Subventionen kommen sollen. die die müssen.
Stüzungderai Lbnsmtel-F (Zurufe links.)
preise erfordert. Man spricht davon, daß gewisse
Lebensmittelpreise festgehalten werden sollen; Aber der Kurs von 22,5 Cents, den die Regierung
aber es ist schon die Ansicht ganz allgemein vorgeschlagen hat, erscheint uns angemessen. Wenn
- und das soll auf eine Äußerung aus dem Kreise die Alliierten diesen Kurs höher setzen, auf
des früheren Verwaltungsamtes für Ernährung 23,8 Cents, und dann noch von „diskriminierenden
zurückzuführen sein —, daß etwa in Zukunft eine Handelspraktiken" sprechen, so können wir hier
Milliarde D-Mark an Subventionen für die bewirt- schlechterdings nicht mehr folgen. Wir sehen keine
schafteten Lebensmittel notwendig seien, während diskriminierenden Handelspraktiken, sondern wie-
es sich bisher um Summen von gut 300 Mil- - der nur einen neuerlichen Versuch, unseren Export,
lionen gehandelt haben soll. Wir sind nicht in der ohne den wir nicht leben können, herunterzu-
Lage, diese Zahlen zu kontrollieren. Es wäre drücken, im Sinne der eigenen Unternehmerschaft,
Aufgabe der Regierung gewesen, auch hierüber die uns nicht hochkommen lassen will.
das Parlament in etwa zu unterrichten und Ge- (Sehr richtig! bei der CDU.)
legenheit zu einer solchen Fragestellung zu geben, Die Kohlenpreis-Erhöhung, deren Durchführung
wie groß im einzelnen das auch sei. Es ist jeden- man ganz diktatorisch von uns innerhalb von
falls eine Tatsache, daß indirekt das wieder in sieben Tagen verlangt, bedeutet eine Verminderung
168 Deutscher Bundestag - 9. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 28. September 1949
(von Thadden)
des Gesamtrealeinkommens des Volkes um min- Ich darf weiter noch folgendes bemerken: Die
destens 20 Prozent. Dadurch wird, wie schon Verhandlungen mit der Hohen Kommission sind
mehrere meiner Vorredner sagten,, nur die be- noch im Gange.
rühmte Lohn-Preis-Spirale in Bewegung gesetzt. (Abg. Dr. Schmid: Verhandlungen?)
Wir können nur sagen, daß diese Maßnahme sich — Verhandlungen! — Wenn es mir möglich gewesen
über kurz oder lang gegen die Urheber selbst wäre, die Veröffentlichung in Frankreich hintanzu-
wenden wird; denn durch eine solche Praktik, halten, würde ich selbstverständlich auch hier der
mit der man nichts anderes anderes tut, als die Presse keine Mitteilung gegeben haben; denn ich
deutsche Volkswirtschaft zu vernichten, die mit halte es für eine außerordentliche Gefährdung
Hilfe des Marshallplanes langsam wieder anfängt solcher Verhandlungen und damit der Interessen
gesund zu werden, baut man unserem Dafür- des deutschen Volkes, wenn während schwebender
halten nach nicht das neue Europa auf, von dem Verhandlungen eine entweder unangebrachte oder
die Zeitungen der Welt immer so viel reden. zum mindesten doch verletzende Kritik geübt wird.
(Beifall rechts.) Man sollte meines Erachtens damit zurückhalten,
Durch diese Praktik wird - man nicht das gesunde bis die Verhandlungen abgeschlossen sind.
Herz Europas schaffen, das man braucht, damit (Lebhafte Zustimmung in der Mitte.)
Europa überhaupt lebensfähig ist. Das ist es, Nun, meine Damen und Herren, bitte ich doch
was wir den Alliierten in aller Eindringlichkeit im Interesse der deutschen Öffentlichkeit — ich
nur zurufen können. sage das namentlich gegenüber dem, was der
Namens meiner Fraktion habe ich zu diesem Herr Abgeordnete Dr. Reismann gesagt hat —,
Problem der Abwertung folgendes zu erklären: daran festzuhalten, daß bisher überhaupt noch
nichts vorgeschrieben und auch noch nichts irgend-
Die uns soeben durch den Herrn Bundes- wie zugesagt ist. Ich darf gegenüber Herrn Dr.
kanzler bekanntgegebene Erhöhung des Reismann feststellen, daß ich hier ausdrücklich
Kohlenexportpreises mit der Kursfestsetzung erklärt habe, die Bundesregierung sei einmütig
der D-Mark bedeutet unserer Meinung nach entschlossen, den Vorschlag der Hohen Kom-
einen solchen Schlag gegen die deutsche missare auf eine Erhöhung der inländischen
Wirtschaft, daß die Regierung dem unmög- Kohlenpreise nicht anzunehmen. Das bitte ich doch
lich zustimmen kann. festzuhalten und nicht durch Ausführungen, wie sie
Das ist genau so wie in den Reichmarkzeiten, der Vertreter einer angesehenen Partei hier eben
meine Damen und Herren, wenn Sie sich erinnern, gemacht hat, Beunruhigung im deutschen Volke
als die Gemüsefrau die Abgabe eines Blumenkohl- hervorzurufen.
kopfes mit der Abnahme irgendeines Bündels (Sehr gut! und Händeklatschen in der Mitte.)
vertrockneter Petersilie verkoppelte! Daß die Verhandlungen im Flusse sind, geht auch
Wenn es der Regierung nicht gelingen daraus hervor, daß meinem Ersuchen um eine
sollte, die Hohen Kommissare im Wege der mündliche Verhandlung mit den Hohen Kom-
Verhandlung von dieser Verkopplung abzu- missaren stattgegeben worden ist. Die Verhandlung
bringen, fordern wir sie auf, sich außerstande wird stattfinden.
zu erklären, die Regierungsgeschäfte weiter- (Abg. Renner: Über das Prozedere!)
zuführen. Ich bitte, diesen Beschluß der Hohen Kommissare
(Bravo! rechts.) einmal in Ruhe durchzulesen; Sie werden dann
finden, daß in dem Wortlaut dieses Beschlusses
Präsident Dr. Köhler: Meine Damen und Herren, selbst Möglichkeiten zu Verhandlungen aufgezeigt
die Rednerliste ist erschöpft. sind.
Zum Wort hat sich noch einmal der Herr Sobald die Verhandlungen abgeschlossen sind,
Bundeskanzler gemeldet. Ich erteile dem Herrn wird das Ergebnis dem Hohen Hause selbstver-
Bundeskanzler das Wort. ständlich mitgeteilt werden. Aber ich glaube, die
heutigen Verhandlungen waren ein Schulbeispiel
Dr. Adenauer, Bundeskanzler: Meine Damen und dafür, daß man während schwebender Verhand-
Herren! In einer im September erschienenen lungen nicht darüber sprechen soll.
Nummer der Zeitung „Die Zeit", die ich zufällig (Lebhafter Beifall in der Mitte. — Zuruf
zur Hand habe, befindet sich die Wiedergabe der links: Rede eines Schulmeisters! —
folgenden Bemerkung, die ein Reichstagsabgeord- Abg. Renner: Der Präzeptor Westgermaniens!)
neter an den früheren Kanzler von Bülow ge-
richtet hat: Präsident Dr. Köhler: Meine Damen und Herren!
Darf ich annehmen, daß nach dieser Erklärung des
Meine Aufgabe als Volksvertreter ist es, den Herrn Bundeskanzlers die Aussprache vom Hause
Gefühlen des deutschen Volkes Ausdruck zu als abgeschlossen angesehen wird?
geben. Ihre Aufgabe als Minister des Äußern (Abg. Renner: Er hat die Aussprache selber
wird es sein, den hieraus entstehenden Schaden gewünscht!)
wiedergutzumachen.
Ich höre keinen Widerspruch und stelle fest, daß
(Große Heiterkeit und Händeklatschen bei den die Aussprache zu der eingangs abgegebenen Er-
Regierungsparteien. — Zuruf des Abg. Renner.) klärung des Herrn Bundeskanzlers als beendet
Meine Damen und Herren! Ich bin selbstver- angesehen wird.
ständlich davon überzeugt, daß keiner der Herren Wir fahren nunmehr in unserer eigentlichen
Vorredner so verantwortungslos gedacht hat wie Tagesordnung fort:
dieser Reichstagsabgeordnete, aber ich möchte mir Fortsetzung der Aussprache
doch erlauben, darauf hinzuweisen, daß jeder von über die Erklärung der Bundesregierung.
uns, der von diesem Pult aus spricht, gegenüber Nach der seinerzeit im Ältestenrat festgelegten
dem deutschen Volke eine Verantwortung trägt! Reihenfolge der Redner hat nunmehr Herr Abge-
(Sehr wahr! in der Mitte.) ordneter Agatz das Wort.
Deutscher Bundestag — 9. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 28. September 1949 169
(Präsident Dr. Köhler)
Ich darf noch einmal darauf aufmerksam machen, muß, daß es Pflicht eines jeden Deutschen ist,
daß die Herren von der KPD und vom Zentrum dafür zu sorgen, daß den Flüchtlingen geholfen
je eine halbe Stunde Redezeit haben. wird und daß die Regierung sich dieses Problems
annehmen und es einer gerechten Lösung zuführen
Agatz (KPD): Meine Damen und Herren! Der muß. Die deutsche Kraft muß ausreichen, um diese
Herr Bundeskanzler hat uns in seiner Regierungs- Not zu beseitigen.
erklärung kundgetan, daß er auf dem Gebiete der (Zuruf: Jawohl, den Flüchtlingen muß geholfen
Wirtschaftspolitik die in Frankfurt „so erfolgreich werden, aber auch das an ihnen begangene
eingeschlagene Richtung" weiterverfolgen werde. Verbrechen muß angeprangert werden!)
Wir haben das zur Kenntnis genommen, obwohl
es angesichts erstens des Marshallplans, zweitens Was sollen die Millionen Arbeiter und Angestellten
des Ruhr- und Besatzungsstatuts und drittens der sagen, deren Löhne und Gehälter durch die
Tatsache, daß der Herr Bundeskanzler Adenauer Frankfurter Wirtschaftspolitik gestoppt wurden,
und der Herr Wirtschaftsminister Professor Erhard während gleichzeitig die Preise in Bewegung ge-
hießen, für uns eine Selbstverständlichkeit war. setzt wurden?
Aber wenn der Herr Bundeskanzler erklärt, diese Und jetzt möchte ich einmal als Bergarbeiter
Wirtschaftspolitik sei so erfolgreich gewesen, so sprechn.WaoldiBrgbetzus
muß das, meine ich, doch den Widerspruch weiter „erfolgreichen" Wirtschaftspolitik sagen? Ist sich
Teile unseres Volkes herausfordern. Wir sind der die Regierung, sind sich die Herren Abgeordneten
Meinung, daß vor allem das schaffende Volk, daß darüber im klaren, daß mit der Arbeitskraft der
die Arbeiter und Angestellten darüber anderer Bergarbeiter jetzt schon wieder schmählich Miß-
Auffassung sind als der Herr Bundeskanzler. brauch getrieben wird, daß dieses wertvollste Gut
Was sind denn das für „Erfolge"? Würde der unseres Volkes jetzt schon wieder über alle Maßen
Herr Bundeskanzler nach dem, was jetzt mit ausgenutzt und ausgebeutet wird, daß unsere Berg-
un serer D-Mark passiert ist, unhdaicenr arbeiter an der geforderten Leistung und der ge-
geführtnDiskuoachvn„Erflge" währten Entlohnung krank werden müssen und
sprechen? Ich finde, wir sollten klar sehen. Worauf krank werden? Was sollen sie denn dazu sagen,
waren denn diese Erfolge zurückzuführen? Auf wenn hier von „Erfolgen" gesprochen wird? Sie
unsere deutsche Kraft? Nein! Sind nicht die Schau- sollten mit ihren Löhnen und mit ihrem sozialen
fenster da draußen mit gepumpten Milliarden ge- Schutz an der Spitze aller übrigen Industrie-
füllt worden? arbeiter stehen. Aber was haben sie, an welcher
Stelle liegen sie? Weit, weit darunter! Und das
(Zuruf: Wie war es denn in England?) zu einer Zeit, in der Unternehmer große Ge-
Das ist doch nicht zu bestreiten. Wir sollten uns winne einstecken konnten. Diese Herren konnten
nicht mit fremden Federn schmücken. Solange das von „Erfolg" reden. Der Herr Bundeskanzler mag
deutsche Volk nicht aus eigenem Vermögen, aus die Frage beantworten, ab 'er sich mit seinem
eigener Kraft sich einen festen Boden unter die Ausspruch zu dieser Seite unseres Volkes be-
Füße schafft, so lange sollte man mit dem Wort kennen wollte.
,,Erfolg" sehr vorsichtig sein. Nach unserer Auf- Nach unwidersprochenen Meldungen hat zum
fassung ist unserem Volke mit dieser Frankfurter Beispiel die Firma Opel in drei Monaten einen
Wirtschaftspolitik eine sehr böse Mahlzeit ser- Reingewinn von 11 Millionen DM erzielt. Wir
viert worden. Nach dem, was wir vorhin gehört könnten Beispiele über Beispiele dafür bringen,
haben, können wir getrost sagen, daß diese Mahl- wie hoch die Gewinne der Unternehmer infolge
zeit mit sehr gefährlichen Keimen infiziert ist, der Frankfurter Wirtschaftspolitik waren.
mit den Keimen des niederbrechenden, verfaulen-
den Kapitalismus. Unser Volk wird sehr auf- (Abg. Rische: Der amerikanischen!)
passen müssen, daß es dabei überhaupt noch er- — Hinzu kommt selbstverständlich das, was die
halten bleibt. amerikanischen und anderen Unternehmer dabei
Ich möchte den Herrn Bundeskanzler fragen, verdient haben.
wieso er von „Erfolgen" reden kann, wo es doch Der Vorsitzende des DGB, Herr Kollege Böckler,
eine weitbekannte Tatsache ist, daß 50, ja 60 Pro- erklärte auf einer Gewerkschaftsveranstaltung,
zent unseres Volkes unter dem Existenzminimum daß in der Wirtschaft nach der Währungs-
leben. reform mindestens 2,5 Milliarden D-Mark in-
(Sehr gut! bei der KPD.) vestiert worden seien, die zu Unrecht ent-
Ich möchte ihn fragen, wie man von „Erfolgen" zogenen Lohn darstellten. Das ist der Erfolg.
reden kann, wenn man 1,3 Millionen Arbeitslose, Die Arbeiter, die Angestellten haben dafür bluten
ebenso viele Kurzarbeiter hat und wenn diese müssen, daß aufs neue eine kapitalistische Wirt-
Arbeitslosenzahlen wachsen, wenn jetzt zum Bei- schaft hier restauriert werden konnte, daß aufs
spiel wieder 20 000 Eisenbahner entlassen wer- neue der schnöde Eigennutz der Menschen, die
den müssen. Geht denn diese Arbeitslosigkeit auf Profitgier zur Triebfeder des Wirtschaftens ge-
konjunkturelle oder auf strukturelle Ursachen macht ,werden konnte. Die Werktätigen messen
zurück? Alle Sachkenner wissen: es liegt an der Erfolg oder Mißerfolg mit den Maßstäben ihrer
Wirtschaftsstruktur, es liegt an der Frankfurter eigenen Not. Aus dieser Not wurden große For-
Wirtschaftspolitik, eben an dieser, wie der Herr derungen geboren. Wir als Gewerkschaftler haben
Bundeskanzler sagte, „so erfolgreich einge- uns für die Sozialisierung eingesetzt. Wir können
schlagenen Richtung". heute erklären: auf Grund der Frankfurter Wirt-
Was sollen unsere Millionen Alten, die zu ver- schaftspolitik ist die Sozialisierung hintertrieben
sorgenden Kranken, unsere Kriegsbeschädigten worden; wir können heute sagen, daß damit das
sagen? Es ist immer wieder festgestellt worden, beste, was unsere Menschen wollten, unter den
in welch großer Not sie leben. Wie kann man da Stiefel getreten worden ist.
von „Erfolgen" reden? Und was sollen die Flücht- Da ist die Frage des Mitbestimmungsrechts. Wir
linge sagen? Hier wurde wiederum mit den haben darüber sehr viel gehört. Wir haben zum
Flüchtlingen gespielt. Wir sind der Meinung, daß Beispiel erfahren müssen, daß die katholischen
den Flüchtlingen hier bei uns geholfen werden Arbeiter auf dem Katholikentag dieses Mitbestim-
170 Deutscher Bundestag — 9. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 28. September 1949
(Agatz)
mungsrecht in einer Entschließung forderten, die die dann zu Mieten führen, die auch für den klei-
ziemliches Aufsehen erregt hat. Wir sind der Mei- nen Mann tragbar sind?
nung, daß sich in dieser Bekundung der katho- Es heißt in den Gewerkschaftsforderungen, daß
lischen Arbeiter eine tiefe Sehnsucht nach wirt- die Vollbeschäftigung dauernd gesichert werden
schaftlicher Sicherheit und nach sozialem Fort- müsse. Die Politik der Vollbeschäftigung muß als
schritt offenbarte. Wir müssen allerdings fest- oberster Grundsatz der Staatspolitik anerkannt
stellen, daß diese dort gemachten Bekundungen werden, fordern die Gewerkschaften. Wir haben
zum Mitbestimmungsrecht mächtigen Kreisen in auch davon in der Regierungserklärung nichts ge-
Westdeutschland offenbar arg mißfallen haben. hört. Wir haben überhaupt den Eindruck, daß die
Denn in den letzten Tagen erst hat es der Herr Tatsache der Erwerbslosigkeit sehr, sehr leicht ge-
Kardinal Frings für richtig gehalten, Essig in den nommen wird. Wir haben erfahren können, daß
Wein zu gießen, indem er darauf hingewiesen hat, der Herr Professor Erhard gelegentlich sogar er-
daß die Betriebsleitung weiterhin unabhängig sein klärt hat: „Erwerbslose, echte Erwerbslose, nun,
und die Befehlsgewalt im Betriebe haben müsse, die haben wir nur sehr wenig; das sind meistens
daß noch sehr viel Zeit notwendig sei, um das Schwarzhändler oder sonstige lichtscheue Ge-
Prinzip des Mitbestimmungsrechts einem Ende zu- sellen, die da arbeitslos sind, die da irgendwie auf-
zuführen, daß es also nicht eine Sache von heute getaucht sind und ihre Ansprüche stellen".
auf morgen sei, dieses Mitbestimmungsrecht zu (Zuruf rechts: Das hat er nicht erklärt! —
realisieren; das heißt also, daß die Politik der Re- Gegenruf links: Das hat er doch erklärt!)
gierung, wie vom Herrn Bundeskanzler aus-
geführt worden ist, auf die Wiederherstellung des Ich möchte sagen: Gerade die Politik der Voll-
freien Spiels der Kräfte, also auf die Wiederher- beschäftigung ist das entscheidende Kriterium für
stellung der alleinigen Macht der Unternehmer in den wirtschafts- und sozialpolitischen Kurs der
ihren Betrieben hinstrebt. Regierung Adenauer. Aber eine solche Politik hat
zur Voraussetzung, daß vom Prinzip der sozialen
Der Herr Bundeskanzler sagt, er wolle eine Po- Marktwirtschaft abgegangen wird. Das wird die
litik machen, die so sozial wie möglich sein sollte. Regierung nicht tun; darum wird notwendiger-
Ich muß schon sagen, was heißt „so sozial wie weise die Zahl der Erwerbslosen ansteigen, not-
möglich"? Nach dem, was wir sonst in dieser Re- wendigerweise werden sich damit auch die so-
gierungserklärung finden, scheinen die Möglich- zialen Spannungen verschärfen, und notwendiger-
keiten zu einer Sozialpolitik der Regierung sehr, weise wird daraus Widerstand erwachsen, der der
sehr eng zu sein. Wir meinen, daß die sozial- Regierung Adenauer eines Tages zeigen wird, was
politik einer Regierung so sozial wie notwendig die Gewerkschaften wollen.
sein müsse; und was notwendig ist, meine Damen
und Herren, das haben vor allen Dingen die Ge- In den gewerkschaftlichen Forderungen steht vor
werkschaften erklärt. allem die Demokratisierung der Wirtschaft. Dabei
heißt es sehr richtig, daß die Erfahrungen der
Ich werde mir gestatten, hier zu den Forde- Jahre 1918 bis 1933 gezeigt haben, daß die formale
rungen der Gewerkschaften, die zur Wahl dieses politische Demokratie nicht ausreicht, eine echte
Bundestags erhoben worden sind, einige Bemer- demokratische Gesellschaftsordnung zu verwirk-
kungen zu machen. Die Gewerkschaften fordern lichen. Die Demokratisierung des politischen
erstens eine Politik der Vollbeschäftigung; sie Lebens muß deshalb durch die Demokratisierung
sagen, die Erfahrungen seit der Währungsreform der Wirtschaft ergänzt werden.
beweisen deutlich, daß auf den von der amtlichen Was aber erleben wir heute? Die Unternehmer
Wirtschaftspolitik eingeschlagenen Wegen dieses fühlen sich jetzt schon wieder stark. In allen Be-
Ziel nicht erreicht werden kann; sie sagen, daß trieben versuchen sie jetzt schon wieder die Mit-
die unausgesetzte Nichtausnutzung der produk- bestimmungsposition der Arbeitnehmer einzu-
tiven Kräfte in einem aufreizenden Gegensatz zur schränken. Sie versuchen jetzt schon wieder
Unterversorgung des deutschen Volkes stehe. Was systematisch und hartnäckig, den alten Herr-im-
sagt die Regierung zu dieser Forderung? Sie sagt Hause-Standpunkt durchzusetzen. Nach der Re-
lediglich, daß sie die „erfolgreiche" Politik der gierungserklärung werden sie nicht geneigt sein,
sozialen Marktwirtschaft fortzusetzen gedenke. von diesem ihrem Kurs auch nur das mindeste
Für sie gibt es anscheinend keine Arbeitslosen, abzulassen.
für sie gibt es das Problem der Vollbeschäftigung Weiter wird gefordert, daß entscheidende Wirt-
nicht, für sie gibt es diese Schande nicht, daß schaftszweige in Gemeinwirtschaft übergeführt wer-
dort Millionen Hände ruhen müssen zu einer Zeit, den müssen. Damit kommen wir zu der Frage der
wo unser Volk größte Not an Bedarfsgütern, an Entmachtung des Monopolkapitals. Seien wir uns
Wohnungen in seinem Leben leidet. doch darüber klar, daß diese Forderung, die in der
Es kommt zweitens die Frage eines umfassenden Sozialisierungsforderung der Gewerkschaften und
Wohnungsbauprogramms, welches die Gewerk- der Werktätigen ihren Ausdruck fand, eine ge-
schaften gefordert haben. Der Herr Bundes- schichtlich notwendige Maßnahme darstellt. An
kanzler erklärt: „Wir werden durch Lockerungs- dieser Forderung gibt es kein Vorbeikommen. Es
vorschriften der Raumbewirtschaftung und der kann nicht zum Segen des deutschen Volkes ge-
Mietfestsetzung das Privatkapital für den Bau reichen, wenn hier in Westdeutschland der Versuch
von Wohnungen interessieren". Also Wohnungen gemacht wird, eine neue Unternehmerwirtschaft,
sollen nur dann gebaut werden, darf ich wohl einen neuen Monopolkapitalismus zu installieren.
feststellen, wenn sich der Bau von Wohnungen Das muß im Widerspruch zu den entscheidenden
profitabel macht. Der Wohnungsbau soll also zur Lebensfragen unseres gesamten Volkes stehen,
Sache der Geldmänner gemacht werden, die an und daher kommt dieser Forderung erhöhtes Ge-
der Wohnungsnot unseres Volkes zu verdienen wicht zu.
gedenken. Das ist das Ende des so viel beredeten Die Regierung spricht in ihrer Regierungserklä-
sozialen Wohnungsbaus. Wie sollen denn Woh- rung davon, daß die Besitzverhältnisse geändert
nungen errichtet werden, wenn nicht gewaltige werden müßten; sie sagt aber gleichzeitig, daß man
öffentliche Mittel zur Verfügung gestellt werden, das Vertrauen des ausländischen Kapitals wieder-
Deutscher Bundestag — 9. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 28. September 1949 171
(Agatz)
gewinnen müßte. Ich mache darauf aufmerksam, sie zum Beispiel für diesen Winter zu tun? Es
daß jetzt bei der auf Grund der von der Be- könnte ein harter Winter über uns kommen. Was
satzungsmacht aufdiktierten Neuordnung nach dem gedenkt sie zu tun, damit unsere armen Menschen
Gesetz Nr. 75 zum Beispiel die Unternehmungen nicht hungern und frieren müssen? Was gedenkt
in unserem Bergbau, die in ausländischem Besitz sie zu tun, um die deutsche Arbeiterschaft vor der
sind, herausgenommen wurden, bei dieser Neuord- durch Marshallplan, Ruhrstatut und Besatzungs-
nung also eine Vorzugsbehandlung genossen. Daß statut, wie wir es heute erst wieder bestätigt er-
ihnen nicht nur dieser eine Vorteil zuteil werden halten haben, doppelten Ausbeutung zu schützen?
wird, dessen dürfen wir ganz gewiß sein. Hinzu Was gedenkt sie zu tun, daß die Arbeiter zu ge-
kommt, daß jetzt viel davon die Rede ist, auslän- rechten Löhnen kommen? Wir meinen, die Re-
disches Kapital müsse auch in den Bergbau hinein. gierung kann nicht aus der Verantwortung entlas-
Ich frage: will die Regierung ihre Hand mit sen werden. Wenn sie die Politik des Marshall
dazu hergeben, daß unser Bergbau in ausländischen plans, des Ruhrstatuts und des Besatzungsstatuts
Besitz übergeht? Gerade weil die Fragen so ernst bejaht, dann trägt sie die Verantwortung für alle
sind, muß die Forderung der Gewerkschaften auf Folgen.
Überführung entscheidender Wirtschaftszweige in Man muß sich die Lage — ich muß darauf noch
Gemeinwirtschaft energischer gestellt und auch einmal zu sprechen kommen — der Bergarbeiter
erfüllt werden. vorsteln.IhL ictmerand
Unter Punkt 7 der gewerkschaftlichen For- Spitze. Ihre Leistungen für das Volk sind unge-
derungen heißt es, daß ein einheitliches Arbeits- heuer. Gezwungen aus Not, gehen jetzt die Berg-
recht und eine fortschrittliche Sozialpolitik gefor- arbeiter dazu über und verfahren Überschichten.
dert werden müßten. Damit kommen wir in einem Sie tun sich damit schwersten gesundheitlichen
sehr interessanten Punkt der Regierungserklärung. Schaden an. Ich appelliere an die Minister, beson-
Die Gewerkschaften fordern ein einheitliches Ar- ders an den Herrn Arbeitsminister Storch, diesem
beitsrecht. Der Herr Bundeskanzler sagt: ,,Die Überschichtenunwesen der Bergarbeiter ein Ende
Rechtsbeziehungen .zwischen Arbeitnehmern und zu setzen. Aber dazu ist nötig, daß die Löhne der
Arbeitgebern müssen zeitgemäßer geordnet wer- Bergarbeiter erhöht werden.
den. Die Selbstverwaltung der Sozialpartner muß (Sehr gut! bei der KPD.)
an die Stelle der staatlichen Bevormundung tre- Es geht nicht an, daß die Bergarbeiter so schlecht
ten". Was meint der Herr Bundeskanzler mit entlohnt werden, daß sie gezwungen sind, Über-
diesem Ausdruck „staatliche Bevormundung" im schichten zu machen. Man stelle sich vor, da gibt
Arbeitsrecht? Wer hat sich bevormundet gefühlt? es Schichtlöhner im Bergbau bei den Übertage-
Der Herr Bundeskanzler will auch hier dem freien arbeitern, die einen solch niedrigen Lohn haben,
Spiel der Kräfte Geltung verschaffen. Denn die daß, wenn sie krankfeiern müssen, die Wohl-
Unternehmer als die wirtschaftlich Stärkeren konn- fahrtsunterstützungssätze höher liegen als ihr
ten sich bevormundet nur dann fühlen, wenn sie Krankengeld.
durch die staatliche Einwirkung gezwungen wur-
den, die Arbeitsgesetzgebung zu beachten, wenn Ich muß darauf aufmerksam machen, daß die
sie gezwungen wurden, die Tariflöhne, die der Gier nach gesteigerter Leistung, nach erhöhter
Tarifvertrag vorsah, zu zahlen, wenn sie gezwun- Kohlenförderung die Grubensicherheit gefährdet,
gen wurden, den Urlaub zu gewähren und den daß dadurch schwerste Unglücke über uns kommen
Arbeitern jenen Schutz zuzugestehen, der im Inter- können. Was gedenkt die Regierung zu tun, um
esse der Arbeiter auf dem Gesetzeswege geschaf- die Grubensicherheit für die Bergarbeiter zu ver-
fen worden ist, der freilich den Unternehmern un- stärken? Es macht sich bei vielen verantwortlichen
liebsam war und gegen den sie aufbegehrt haben. Stellen eine gefährliche Lockerung der Auffas-
Weil der Staat zugunsten der Arbeiter eingriff, sungen über die Grubensicherheit, über die An-
haben sie sich bevormundet gefühlt. Und nun soll wendung der bergpolizeilichen Vorschriften be-
diese Bevormundung, dieser staatliche Schutz des merkbar.
wirtschaftlich Schwächeren aufgehoben werden. (Sehr gut! bei der KPD.)
Wir meinen, daß damit sehr deutliche Worte ge- Das kann zu Katastrophen schrecklichen Aus-
sagt worden sind und daß es für die Arbeiter und maßes führen. Wir wollen nicht, daß das geschehe.
Angestellten Zeit ist aufzuhorchen, um das Pro- Darum fordern wir von der Regierung, daß sie
gramm dieser Regierung früh genug erkennen und gerade auf diesem Gebiete dafür sorgt, daß die
entsprechende Abwehrmaßnahmen durchführen zu Sicherheit der Bergarbeiter garantiert wird. Ich
können. muß darauf hinweisen, daß zigtausende Bergarbei-
In der Frage der Sozialpolitik sagt der Herr ter von der Silikose angefressen sind, daß sie
Bundeskanzler: „Es scheint mir aber auch eine der damit einem frühen und schrecklichen Ende ihres
wesentlichen Grundbedingungen einer verständi- Lebens entgegengehen. Für den Kampf gegen die
gen Sozialpolitik zu sein, dem Fleißigen und Tüch- Silikose müssen große Mittel bereitgestellt werden.
tigen jede Aufstiegsmöglichkeit zu verschaffen". Das Ich möchte im Namen der Bergarbeiter fordern,
hört sich wunderbar an. Wer die Dinge aber in daß die Regierung diese Mittel bereitstellt, damit
den Betrieben kennt, der weiß, wie gerade das die Bergarbeiter vor der Silikose geschützt wer-
kollektive Arbeitsrecht, der kollektive Tarifver- den können.
trag einen Sicherheitsschutz für die arbeitenden Und unsere alten, unsere kranken Bergarbei-
Menschen bilden. Man muß sehr, sehr aufmerken, ter! Ihr ganzes Leben haben sie geopfert, damit
wenn solche Worte gesprochen werden. Wir mei- - das deutsche Volk Kohle hatte, damit es wirt-
nen, daß damit Gefahren signalisiert werden, die schaften und sich wärmen konnte. Werden sie
die Arbeiter veranlassen müssen, auf der Hut zu entlassen, weil sie krank und siech sind, dann
sein. stehen sie mit einer kargen Rente da, und dann
Wir fragen die Regierung: Was gedenkt sie zur sind sie auf die Gnade ihrer Söhne oder Schwieger-
Linderung der großen sozialen No t zu tun? Da- söhne angewiesen, bei denen sie wohnen. Wir
von haben wir in der Regierungserklärung des müssen sagen, daß das ein beschämender Zustand
Herrn Bundeskanzlers wenig gehört. Was gedenkt ist und daß es höchste Zeit ist, die Renten der Al-
172 Deutscher Bundestag - 9. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 28. September 1949
(Agatz)
ten, der Kranken und der Invaliden zu erhöhen. zweimal erwähnt, das eine Mal aber nur inso-
Gerade gegenüber der Wohnungsnot bei den Berg- weit, als er gesagt hat, daß ihrem Wohnungselend
arbeitern erwächst der Regierung eine ganz beson- ebenso gesteuert werden müsse, wie den aus ihrer
dere Aufgabe. Bekommen wir nicht bald in ge- Heimat Vertriebenen ein neues Obdach gegeben
nügendem Umfang Bergarbeiterwohnungen, dann werden müsse. Dann sprach er in ganz unbe-
werden die Zehntausende neuer Bergleute, die zur stimmten Wendungen von der Notwendigkeit eines
Ruhr gekommen sind, nicht zu halten sein. Es Lastenausgleichs und versprach, daß die Regie-
geht nicht, daß diese Leute nach wie vor in Ba- rung dieses Problem, bisher ein heißes Eisen, nun
racken, in Zechenheimen in unwürdigen Unter- endlich angreifen werde.
künften dahinvegetieren müssen. Sie brauchen
dringend eine Wohnung, soll nicht dem Bergbau Damit ist es aber nicht getan. Wir hätten ge-
die wertvolle Arbeitskraft verlorengehen. Im dacht und gewünscht, daß nun endlich eine Regie-
Mittelpunkt der Wirtschaft soll der Mensch stehen, rung, die es sich zum Ziel setzt, die Verhältnisse
so wird immer ausgeführt. Schauen wir uns die in Deutschland zu stabilisieren, etwas konkretere
Verhältnisse im Bergbau an, so stellen wir fest: Vorschläge hierüber gewußt und gemacht hätte.
im Mittelpunkt steht nicht der Mensch, da steht die Bisher ist für die Kreise der Kriegsbeschädigten,
Kohlenförderung, die Summe der Kohlen, die der Bombengeschädigten, der Ausgebombten prak-
durch den Schweiß der Bergarbeiter herausgeholt tisch so gut wie gar nichts geschehen. Das Aller-
werden. mindeste, was m an hätte erwarten können, ist doch,
daß man der besonderen Vorbelastung, mit der sie
Wir sagen: die Verantwortung der Regierung in den wirtschaftlichen Kampf gehen, Rechnung
gerade für die sozialen Probleme unseres Volkes getragen hätte. Es wäre das Allermindeste, daß
muß klar herausgestellt werden. Wir sagen wei- man ihnen die Konkurrenz in dem wirtschaftlichen
ter, daß die Werktätigen auf die Politik dieser Wettbewerb zu den gleichen Bedingungen wie den
Regierung eine richtige Antwort finden müssen, anderen ermöglicht. Statt dessen werden sie auch
daß die Werktätigen sehen müssen, daß diese Re- noch in der Besteuerung mit einem zusätzlichen
gierung ihrer ganzen Herkunft und Zusammen- Handicap versehen. Es ist jetzt so, daß bei dem
setzung nach eine ihnen entgegenstehende Politik, Soforthilfegesetz gerade diejenigen, die selber
eben eine Politik zur Restaurierung des Monopol- schwer betroffen sind, ebenso mit herangezogen
kapitalismus machen wird, daß sie Marshallplan werden wie diejenigen, die mit Gewinnen aus dem
und Ruhrstatut ausführen, daß sie die Werktätigen Krieg hervorgegangen sind. Die durch den Bom-
einer doppelten Ausbeutung ausliefern wird. Wir benkrieg selber schwer Betroffenen leiden durch
sagen darum: gegen diese Regierung muß der die Substanzverluste. Sie leiden dadurch, daß sie
Kampf aufgenommen werden. sie noch immer nicht einholen konnten. Sie
Wir appellieren an die Werktätigen, sich ihrer leiden jetzt zusätzlich dadurch, daß man von ihnen
eigenen Kraft und ihrer eigenen Verantwortung verlangt, noch Aufwendungen zusätzlicher Art zu
bewußt zu werden, den gemeinsamen Feind, den machen. Wir hätten erwartet, daß eine einiger-
Monopolkapitalismus, zu erkennen und sich zum maßen großzügige Lösung ins Auge gefaßt worden
Kampfe gegen diesen gemeinsamen Feind zusam- wäre. Da der Herr Bundeskanzler ohnehin davon
menzuschließen. Wir sagen den Gewerkschaft- sprach, daß in großzügigem Maße gebaut werden
lern: wir haben unser Programm, dieses Programm müsse, und da es eine Tatsache ist, an der wir
ist nötig und richtig, es ist gegen die Politik nicht vorbeikommen, daß im Laufe der Zeit viele
der Regierung. Auf dem Boden dieses Programms Milliarden für die Wiederherstellung der Woh-
muß eine Politik gemacht werden, den Inter nungen aufgebracht werden müssen, um das deut-
Werktätigen müs-
essen unseres Volkes dient. Die Werktätigen sche Volk überhaupt wieder unter Dach und Fach
sen in den Gewerkschaften den Kampf zur Durch- zu bringen, hätte es nahegelegen, daß er sich Ge-
setzung dieses Programms organisieren. Sie müs- danken darüber gemacht und uns mitgeteilt hätte,
sen erreichen, daß diese Politik der sozialen Markt- wie man diese beiden Probleme miteinander ver-
wirtschaft geändert wird, daß es zu einer plan- binden will. Es ist durchaus möglich — und un-
mäßig gelenkten und geleiteten Wirtschaft kommt. ser Vorschlag geht dahin —, daß man die Zuwen-
Zu diesem gemeinsamen Handeln rufen wir Kom- dungen für den Wiederaufbau in erster Linie den-
munisten auf. jenigen zuwendet, die die Verluste gehabt haben.
Das Geld, das die Regierung zur Verfügung stel-
Wir sagen eins: für diese Regierung kann es sei- len wird, darf also nicht in Kanäle geleitet wer-
tens der Arbeiter, seitens der sozial Bedrängten, den, die mit den Kriegsverlusten nichts zu tun
seitens der Notleidenden kein Ja geben. Für haben.
diese Regierung kann es nur eins geben: hinweg
mit ihr so schnell wie möglich! Wir Kommunisten Es ist weiter daran zu denken, daß der Bund
werden das Unsere dazu tun. und die Länder jetzt von einer inneren Verschul-
dung fast völlig frei geworden sind. Man kann
(Beifall bei den Kommunisten. — Lachen rechts.) die Lasten dieses Krieges und die Kriegsfolge
kosten nicht auf einmal in den nächsten Jahren
Vizepräsident Dr. Schäfer: Das Wort hat der aus den laufenden Mitteln aufbringen. Es wäre
Herr Abgeordnete Dr. Reismann. ein durchaus zumutbares und selbstverständliches
Vorhaben, diese Lasten mit auf die Schultern der
Dr. Reismann (Z): Meine sehr verehrten Damen Zukunft zu legen.
und Herren! Der Herr Bundeskanzler hat in
seiner Regierungserklärung an die Nöte mancher- Wir fordern deswegen, daß die Regierung sich
Volksschichten und mancher Kreise gedacht. Er in dieser Hinsicht zunächst zu ihren Verpflichtun-
hat vieler mit warmen Worten gedacht. Aber einen gen bekennt, daß sie Entschädigungen in Form von
Kreis hat er kaum in Betracht gezogen, er hat ihm Schuldverschreibungen ausgibt, mit denen die so
kaum irgendwelche Worte gewidmet. Er hat von Bedachten etwas anfangen können, und daß sie
dem großen Kreis der Kriegssachgeschädigten, der ihnen auf diese Art und Weise auch eine Art Ka-
Fliegergeschädigten, der Bombengeschädigten so pital zur Verfügung stellt, mit dem man den Wie-
gut wie überhaupt nicht gesprochen. Er hat sie deraufbau fördern kann. Damit fördert man zu-
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(Dr. Reismann)
gleich die private Initiative. Wir müssen uns nicht ganz frei, daß zur Zeit die öffentliche Hand
darüber klar sein, daß die Millionen von Ausge- bestrebt ist, das, was durch die Währungsreform
bombten nicht in Häusern gewohnt haben, die von und auf andere Weise in einer konfiskatorischen
der öffentlichen Hand gebaut worden sind. Diese Art gerade den kleinen Sparern wegenommen
Häuser sind vielmehr von der privaten Initiative worden ist, auf alle Fälle als erworbenen Besitz zu
gebaut worden. Wir können nicht auf die private hüten, und daß man sich weigert, irgend etwas
Initiative derjenigen verzichten, die bisher die gro- davon denen, die das Kapital aufgebracht oder er-
ßen Verluste gehabt haben. Das gleiche gilt für spart haben, wieder zukommen zu lassen. Es
die Wiedereinrichtung von all den vielen Millio- ist eine dringende Forderung, daß man sich hierum
nen Haushaltungen, die um ihren gesamten Haus- kümmert.
rat gekommen sind und die sich noch jetzt, ein Eine weitere Angelegenheit, die ich im Zuge
Jahr nach der Währungsreform, mit kümmerlichen unserer Erwiderung auf die Regierungserklärung
Behlfndurcsagmüe.Ohnisolc noch besprechen wollte, ist jetzt zu einem großen
Hilfe verkommen - darauf sei auch einmal hin- Teil erledigt, weil wir über die Frage der Wäh-
gewiesen — Milliardenwerte, die noch in den rungsabwertung schon gesprochen haben. Ich will
Resten der bombenzerstörten Häuser vorhanden aber in diesem Zusammenhang betonen — der
sind. Herr Kanzler scheint mich da mißverstanden zu
haben —, daß unsere Forderung gar nicht dahin
Bisher verfallen von Monat zu Monat, von Tag ging, das alles vor der Öffentlichkeit dieses Hau-
zu Tag Millionen und aber Millionen an Werten ses zu erörtern. Das war sein eigener Wunsch.
deswegen, weil die Verfügungsberechtigten nicht Wenn die Diskussion nicht so gelaufen ist, wie er
die Mittel haben, sie auszuwerten und mit ihrer es haben wollte, kann er nicht die Verantwortung
Hilfe in verbilligter Art und Weise wiederaufzu- auf die Parteien abschieben.
bauen, so daß, je länger wir warten, um so mehr
ein totaler Wiederaufbau erforderlich ist. Statt (Sehr richtig! beim Zentrum.)
ihnen zu helfn,vrstickmazuegd Wir haben nur verlangt, daß das Haus durch den
diese Geschädigten, gerade diese Kreise, die un- zuständigen Ältestenrat in Kenntnis gesetzt, daß
endlich viel zu der Wiederherstellung verhältnis- es meinetwegen in aller Vertraulichkeit darüber
mäßig billiger, zumindest verbilligter Wohnräume unterrichtet worden wäre. Diese Forderung hätte
beitragen könnten, in eine Menge von Vorschrif- ich gestern schon gestellt, wenn es mir möglich
ten und einen bürokratischen Apparat, der sie, gewesen wäre, hierzu zu sprechen. Aber es ist
selbst wenn sie in der Lage sind, an den Wieder- ja das auch schon bekannt geworden. Es geht
aufbau zu gehen, auf viele Monate hinaus hindert, jetzt nicht darum, mit irgendeinem Effekt dem
ihren Willen in die Tat umzusetzen und ihr Ka- Herrn Kanzler zu einem mehr oder minder großen
pital und ihre Arbeitskraft einzusetzen. Hier eine parlamentarischen Sieg in seiner Erklärung zu
verwaltungsmäßig und finanziell großzügige Lö- verhelfen, sondern es geht vielmehr darum, für
sung in die Wege zu leiten, ist eine der vordring- die Zukunft festzustellen, daß das Parlament nicht
lichsten Aufgaben, die die Bundesregierung auf wünscht, sich auf solche Art und Weise übergehen
dem Gebiete des Wiederaufbaues vor sich hat, aber zu lassen und stillschweigend sich beiseite ge-
auch eine Forderung der primitivsten Gerechtig- stellt zu sehen, wie das bisher der Fall war.
keit, eine Forderung d e r Gerechtigkeit, für die (Sehr wahr! beim Zentrum.)
sich einzusetzen die Bundesregierung versprochen
hat. Im übrigen bitte ich den Herrn Kanzler, das Ste-
nogramm meiner Rede nachzusehen. Ich habe
(Sehr richtig! beim Zentrum.) keineswegs behauptet, daß die Abwertung nach
Die gleiche Sorge muß die Bundesregierung aber den Maßnahmen und Bedingungen erfolgen würde,
auch den Sparern angedeihen lassen, wenn sie die er abgelehnt hat. Ich habe nur gesagt, daß
mit ihrer Aufforderung und mit ihren Bemühun- sie den Erfolg, den man sich auf seiten derer, die
gen, den Sparwillen im deutschen Volke wieder sie vertreten, wünscht, nicht haben könnte, wenn
zu fördern, Erfolg haben will. Wenn man, ohne man nach diesen Bedingungen verfahren würde,
irgendwelche Konsequenzen aus früheren Ver- die die Oberkommissare stellen. Ich bedauere, daß
sprechungen zu ziehen, es bei allgemeinen Redens- sich der Herr Kanzler um den genauen Text mei-
arten bewenden läßt, und bei allen Spare rn , ob sie ner Rede nicht kümmern konnte, weil er die
sich nun im Laufe eines langen Lebens ein kleines Stenogramm-Übertragung noch nicht zur Hand ha-
Häuschen erspart haben oder ob sie - nicht mit ben konnte, da ich gerade erst gesprochen hatte. Es
Schiebergewinnen in der letzten Zeit vor der Wäh- ist ihm offenbar bei aller Aufmerksamkeit ent-
rungsreform zusammengerafft, sondern in langen gangen, was ich gesagt hatte. Der Kern unserer
Jahren mit Mühe und Schweiß erworben — ein Beanstandung bei dem Vorgehen bleibt jedenfalls
kleines Kapital auf der Sparkasse hatten, durch nicht anzutasten, daß es nämlich besser gewesen
alles einfach einen Strich macht und wenn dann die wäre, das Haus durch den zuständigen Ausschuß
Länder und der Bund von den Hypotheken 90 rechtzeitig zu unterrichten. Das ist der Wunsch,
Prozent für sich verlangen, obwohl doch klar ist, den wir auch für die Zukunft an die Bundes-
wem das Kapital an sich zukommt, obwohl damit regierung haben. Das ist mir mehr wert, als mich
also klar ist, daß man der Ansicht ist, daß die im Augenblick weiter über diese Frage auszulassen.
Wirtschaft dieses Kapital aufbringen, auf die Dauer (Beifall beim Zentrum.)
verzinsen und amortisieren kann —, wenn man auf
solche Art und Weise mit den Sparern umgeht, Präsident Dr. Köhler: Meine Damen und Herren,
dann wird es schwer halten, den Sparwillen im damit ist die Rednerliste erschöpft.
deutschen Volke wieder zu erwecken. Es ist des- Ich möchte noch folgendes Geschäftliches mittei-
wegen eine notwendige Forderung, die wir er- len. Die nächste Sitzung, das ist die zehnte, wird
heben, daß man zumindest dem Problem der Schat- voraussichtlich morgen mittag bereits um 14 Uhr
tenquote bei den Altsparern ganz intensiv nachgeht beginnen. Über den endgültigen Zeitpunkt wer-
und sich in bester Absicht bemüht, herauszuholen, den wir uns noch heute abend im Ältestenrat ver-
was man kann. Man kommt von dem Gedanken ständigen.
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(Präsident Dr. Köhler)
Was die Tagesordnung der nächsten Sitzung an- sich mit dieser an sich geschäftsordnungswidrigen
langt, so wird sie in ihrem ersten Teil zunächst Handhabung in diesem Fall freundlicherweise be-
die Fortsetzung bzw. Beendigung der Aussprache gnügen zu wollen.
über die Regierungserklärung bringen. Die sich Ich berufe den Ältestenrat auf 20 Uhr 15 ein.
daran anschließenden Punkte der Tagesordnung Meine Damen und Herren, damit stehen wir
kann ich entgegen der einschlägigen Bestimmung am Ende der Sitzung. Ich schließe die neunte
der Geschäftsordnung im Augenblick noch nicht Sitzung des Deutschen Bundestags.
mitteilen, weil darüber erst heute abend im
Ältestenrat Beschluß gefaßt wird. Ich bitte, (Schluß der Sitzung: 18 Uhr 37 Minuten.)

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