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Deutscher Bundestag - 10. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29.

September 1949 175

Ausschuß für Kulturpolitik:


Mayer (FDP) 191D
Dr. Besold (BP) 192A
Dr. Laforet (CSU) 192C
Euler (FDP) 192C
Ausschuß zur Förderung von Wissen
schaft und Forschung 192D
Beschlußfassung über die Mitgliederzahl der
Ausschüsse und Verfahren zu ihrer Be-
setzung (Drucksachen Nr. 48 und 64) . 193A
Schoettle (SPD) 193B, 194D, 195A, 196B, 200B
Scharnberg (CDU) 193D
10. Sitzung Dr. Miessner (NR) . . . 193D, 198D, 2014
Dr. Reismann(Z) 194A; 195D, 196A, 197C, 200C
Bonn, Donnerstag, den 29. September 1949. Euler (FDP) 194C, 197A
Dr. von Brentano 195B, 198D
Loritz (WAIT) 197D
Dr. von Merkatz (DP) 199A
Geschäftliche Mitteilungen 175D Renner (KPD) . . . . . . . . 199B
Dr. Seelos (BP) 201C
Fortsetzung der Aussprache über die Erklä-
rung der Bundesregierung: Kinat (SPD) 201C
Dr. Schmid (SPD) 176A Unterbrechung der Sitzung . . 202C
Unterbrechung der Sitzung . . 185D Dr. Schäfer (FDP) (zur Geschäftsord
nung) 202D
Dr. Adenauer, Bundeskanzler . . 186B
Dr. Miessner (NR) 203A, C
Erklärung der Bundesregierung über die Be-
sprechungen mit den drei Hohen Kom- Nächste Sitzung 202D, 203C, D
missaren:
Dr. Adenauer, Bundeskanzler . . . 185D
Die Sitzung wird um 14 Uhr 10 Minuten durch
interfraktioneller Antrag, betreffend Ein- den Präsidenten Dr. Köhler eröffnet.
setzung von Ausschüssen (Drucksache Nr. 45) 188C
Präsident Dr. Köhler: Meine Damen und Herren!
Anträge der Fraktionen auf Bildung von Ich eröffne die 10. Sitzung des Deutschen Bundes-
Ausschüssen (Drucksachen Nr. 51 bis 58) 188D tags.
Ausschuß für innergebietliche Neuord- Die Tagesordnung liegt Ihnen gemäß Abmachung
nung: im Ältestenrat vor. Ich darf gleich hinzufügen, daß
Dr. Falkner (BP) 188D wir gestern abend nach sehr eingehenden Bera-
189B tungen im Ältestenrat übereinstimmend zu der
Dr. Schmid (SPD) Auffassung gelangt sind, diese Tagesordnung heute
Ausschuß für Fragen der öffentlichen zu erledigen, damit wir morgen noch einige wei-
189B tere wichtige Punkte besprechen und morgen gegen
Fürsorge Abend die Sitzungswoche beenden können. Ich darf
Dr. Kleindinst (CSU) 189C alle Damen und Herren des Hauses bitten, sich
Dr. Goetzendorff (WAV) 189C darauf einzustellen.
Ausschuß für Fragen des Gesundheits- Ich habe ferner einige Mitteilungen mehr tech-
wesens 189D nischer Art zu machen, damit über das System des
Abklingelns einmal Klarheit herrscht. Wenn die
Ausschuß für Fragen der Jugendfürsorge: helle Glocke dreimal im Abstand von einigen Mi-
Dr. Besold (BP) 190A nuten ertönt, so bedeutet das Sitzungsbeginn. Wenn
190B die Glocke einmal während der Diskussion ertönt,
Frau Dr. Weber (CDU) so bedeutet das für die Damen und Herren des
Strauß (CSU) 190C Hauses, die sich außerhalb des Plenarsaales auf-
Ausschuß für Fragen der Presse, - des halten, einen Rednerwechsel. Wenn die Glocke mit
Rundfunks und des Films: dunklem Klang ertönt, so bedeutet das eine Ab-
stimmung, und dies schließt natürlich die Notwen-
Dr. Besold (BP) 190D digkeit daß die Damen und Herren außer-
Ausschuß gemäß Artikel 15 des Grund- halb des Saales sich schnellstens hier einfinden.
gesetzes 191B Ich darf dann den Herrn Schriftführer bitten, die
Ausschuß für Bau- und Bodenrecht , 191B heute abwesenden Mitglieder bekanntzugeben.
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Karpf, Schriftführer: In der heutigen Sitzung sind sammenbruchs gewesen sind, und daß sie in der I
beurlaubt wegen Krankheit die Abgeordneten Auflockerung durch den Schock — es gibt auch poli-
Professor Dr. Baur, Kuhlemann und Dr. Schu- tisch eine Schocktherapie — bereiter als sonst sind,
macher, auf Grund von Entschuldigungen die Ab- Konsequenzen zu ziehen. Nach der ersten Erholung
geordneten Dirscherl, Dr. Horlacher, Bauknecht, beruhigt man sich, man atmet auf — „die Dinge
Marx, Dr. Baumgartner, Frühwald, Margulies, sind ja längst nicht so schlimm" —, das Gesetz der
von Aretin; Farke, Walter, Hellwege, Dr. Dresbach, Trägheit wirkt, und man strebt nach dem Ruhebett
Wallner und Nowak. des Gewohnten zurück.
Meine Damen und Herren, ich sagte einleitend,
Präsident Dr. Köhler: Meine Damen und Herren! man hat hier viel von Demokratie und von Freiheit
Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, möchte gesprochen. Aber es ist ganz natürlich, daß jeder
ich noch mitteilen, daß sich der Herr Bundeskanzler von seiner Demokratie und ein wenig von seiner
und einige andere Mitglieder des Kabinetts zur Zeit Freiheit gesprochen hat; und das ist nicht weiter
noch in den bekannten Besprechungen auf dem verwunderlich. Demokratie ist wie jedes geschicht-
Petersberg befinden und bis zur Stunde noch nicht lich gewordene Phänomen ein recht vielgestaltiges
haben eintreffen können. Ding in seiner Erscheinung und in seinen Möglich-
Wir treten nunmehr in die Tagesordnung ein keiten. Aber etwas ist doch unter allen Hüllen blei-
und kommen zum ersten Punkt: bende Substanz: die Trias der Postulate der Demo-
Fortsetzung der Aussprache über die Erklärung kratie, als da sind: Freiheit als Selbstbestimmung,
der Bundesregierung. Gleichheit und die Gründung aller Dinge im Recht.
Man spricht gern über diese Namen, und es ist
Ich erteile dem Herrn Abgeordneten Professor meistens alles ganz richtig, was darüber gesprochen
Dr. Schmid das Wort. zu werden pflegt. Nur wird oft der Fehler be-
gangen, daß man davon spricht, als sei es gleich-
Dr. Schmid '(SPD): Meine Damen und Herren! Es gültig, in welcher Zeit und an welchem Ort man
ist in diesem Raum eine gute Woche lang sehr viel davon spricht. Aber diese Postulate haben die
von Demokratie und fast noch mehr von Freiheit Möglichkeit zur Realisierung immer nur in einem
gesprochen worden. Vielleicht werden die Ge- Hier und Jetzt. Man muß da schon konkret fragen,
schichtsschreiber einst dieses Gebäude noch das welche Freiheit und wessen Freiheit, welche Gleich-
Haus der Freiheit nennen ... Es ist hier insbeson- heit und wessen Gleichheit ist gemeint und was für
dere in sehr beredten Worten das Regierungspro- ein Recht und für wen dieses Recht sein soll: Recht
gramm dem deutschen Volk geradezu als eine Art als ein Ding zum Festhalten von Privilegien oder
von Magna Charta der Freiheit vorgestellt worden. als ein Ding zur Abwehr des Eindringens des je-
Und manchmal erschien mir im Lobpreis gewisser weils dritten Standes in die bisher verwehrten Be-
Redner der Herr Bundeskanzler als eine Art von reiche — oder soll das Recht ein Ding sein zum
Drachentöter, der mit dem neidlichen Schwert sei- Erwerb von Rechten für die, die noch nicht genug
ner Regierungserklärung den Weg in eine blühende davon haben; ein Ding, das ihnen Tore in Bereiche
Zukunft geöffnet hat, einen Weg, der im wesent- öffnen kann, die ihnen bisher verschlossen waren.
lichen von den Sozialdemokraten verstellt zu sein Wie seltsam man vom Recht denken kann, dafür
scheint. Man hat mit sehr bewegten Worten gewisse gibt es kaum ein einleuchtenderes Beispiel als die
Gefahren an die Wand gemalt, die dem deutschen bekannte Rede eines gewissen Junkers Otto von
Volk gerade von diesen Sozialdemokraten drohen: Bismarck aus dem Jahre 1847, wo er als göttlichem
die Gefahren der Planwirtschaft, die man seltsamer- und menschlichem Recht widerstreitend darstellte,
weise in diesem Hause so gern Zwangswirtschaft daß die adligen Grundbesitzer zur gleichen Grund-
nennt, so als könnten sich manche Leute Planung steuer herangezogen werden sollen wie die bürger-
und Ordnung nicht anders denn als Produkt von lichen. Das war durchaus „sittlich" gemeint und
Kommando und Zwang vorstellen. keine Tartufferie.
(Zuruf rechts: Staatliches Kommando!) Meine Damen und Herren, was hier in diesen
Dabei schien gestern noch die Planwirtschaft gar Tagen im Namen der individuellen Freiheit ver-
nicht .so abwegig zu sein! Ich erinnere Sie, meine treten worden ist, das waren zum großen Teil Re-
Damen und Herren auf den Bänken vor mir, an likte des Nationalliberalismus der Wilhelminischen
den Artikel 5 Ihres Ahlener Programms, den der Zeit.
Abgeordnete Blank so beredt und so seltsam aus- (Hört! Hört!)
gelegt hat, wie es ein Geschäftsführer des weiland Es war weitgehend der sehr respektable Honora-
Hansa-Bundes, nicht besser hätte tun können. tioren-Liberalismus von Besitz und Bildung — der
(Beifall bei der SPD.) zu seiner Zeit wohl eine höchst moderne und die
Es ist schade, daß unser Kollege von Brentano Welt reich befruchtende Sache gewesen ist. Aber
nicht da ist; ich hätte ihn daran erinnert, wie freu- leider haben heute in unserem Volk nur wenige
dig er sich seinerzeit zur hessischen Verfassung be- den dafür erforderlichen Besitz, und die Bildung
kannt hat, die nicht nur die Planwirtschaft, sondern, ist leider nicht immer dort, wo solcher Besitz sich
Herr Kollege Euler, ich glaube auch die Soziali- findet.
sierung zum Inhalt des Staatsgrundgesetzes von (Sehr richtig!)
Hessen machte. Sehen' Sie, in solchen Dingen, die Was einigen der Vertreter und Lobpreiser dieses
weit jenseits der Sphäre liegen, wo Güte und Bos- Wesens im Denkbild vorschwebt, das wirkt sich
heit der Menschen etwas zu bewirken vermögen, real aus — nicht gewollt, aber es wirkt sich nun
-
manifestiert sich gelegentlich ein sehr altes Phäno- eben einmal aus als die Freiheit des reichen Man-
men, das den Betrachter der Zeitläufe melancho- nes, der sein Gesinde und seine Klientel ordentlich
lisch stimmen kann — das Phänomen nämlich, daß behandelt.
im ersten Schock eines Zusammenbruchs fast alle
sich auf die immanenten Tendenzen einer Epoche (Abg. Euler: Ein großes Mißverständnis!)
zu besinnen pflegen, daß sie in solchen Zeiten — Ich glaube nicht, Herr Kollege Euler, obwohl
klarer sehen, was die tieferen Ursachen des Zu vielleicht bei Ihnen die Generationenfrage eine Rolle
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(Dr. Schmid)
spielen mag. Jene Gleichheit, an die jene Redner Aerbtisä-ugndlLcoh esaft
dachten, wirkt sich aus — nicht gewollt, aber real durch die Brechung des Monopols der Eigentümer
zur Gleichheit der Chance innerhalb der Koterie der Produktionsmittel bei der Bestimmung der Ar-
auf der einen Seite und zur bunt dekorierten Uni- beitsbedingungen. Und da muß man zuerst die
formität des Sich-Abfindens mit dem sozialen Dua- industrielle Reservearmee demobilisieren, die Sie
lismus auf der andern Seite. Wir Sozialdemokraten von Frankfurt aus mobilisiert haben!
aber möchten auch für die Freiheit des armen (Lebhafter, Beifall bei der SPD.)
Mannes reale Unterbauten schaffen. Und wenn Sie
Das erfordert einige Strukturveränderungen in
in diesem Fall vom Rechte sprechen, Herr Kollege unserer Gesellschaftsverfassung. Es erfordert, daß
Euler, dann denke ich daran, daß Demokratie für
uns nicht schon darin bestehen kann, daß es den man den Betrieben - das heißt dort, wo die Men-
armen Leuten wie den reichen Leuten verboten ist, schen dieses Volkes den größten Teil ihres Lebens
zubringen — eine Verfassung schafft, die minde-
Brot zu stehlen! stens das an Mitbestimmung bringt, was die kon-
Herr Dr. Ewers hat uns ein Idealbild seiner De- stitutionelle Monarchie schon vor hundertfünfzig
mokratie und seiner sozialen Gerechtigkeit entrollt, Jahren im Staate geschaffen hat. Es bedingt wei-
ein Bild, auf dem ich manche Züge entdeckte, die ter, daß die Wirtschaft — mit indirekten Mitteln
mir in meiner — frühen — Jugend die Lektüre natürlich — geplant und gelenkt werden muß, und
von Gustav Freytags „Soll und Haben" so sympa- zwar unter gleichwertiger Beteiligung der Organi-
thisch gemacht haben. Aber so ehrenwert das alles sationen der Arbeiterschaft. Als ich am ersten Tage
ist — und es ist durchaus ehrenwert —, es ist das von da drüben rechts einen Zwischenruf hörte: „Na,
die Sozialphilosophie des weiland Junkers von der da wird was Schönes herauskommen!", da habe ich
Marwitz. Das ist die gute alte Zeit. Es ist die Welt mich ein kleines bißchen geschämt.
des Immermannschen „Oberhof". Aber wo dieser Es bedingt weiter, daß man die Schlüssel- und
Oberhof einst stand, Herr Dr. Bucerius, da stehen Grundstoffindustrien in Gemeineigentum überführt.
heute — Ihnen wohl bekannt — Zechen und Hütten. Denn Demokratie als Bestimmung der Geschicke
Und die Probleme, die dieser Wandel aufwirft, löst eines Volkes durch das Volk selbst gibt es nur dort,
man nicht mit der sozialökonomischen Weisheit wo die Schalthebel der Wirtschaft nicht in Händen
Onkel Bräsigs, daß die Armut von der Powerteh von Gruppen liegen, denen , ihre wirtschaftliche
komme. Macht die Möglichkeit gibt, sich der demokratischen
(Zustimmung und Heiterkeit.) Kontrolle — jedenfalls einer wirksamen demokra-
Letzten Endes läßt sich diese Auffassung von De- tischen Kontrolle — zu entziehen.
mokratie in dem Satz resumieren: Demokratie ist (Sehr richtig! bei der SPD.)
dort, wo die Leute einem glauben, daß sie Ursache
haben, mit ihrem Los zufrieden zu sein; und die Wenn Sie hierbei von Kommandowirtschaft spre-
Feinde der Demokratie — die „subversiven Ele chen und wenn es Ihnen beliebt, Parallelen zur
mente", wie man sie einstmals nannte —, das sind Hitlerschen Zwangs- und Kriegswirtschaft zu zie-
jene, die den armen Leuten Zweifel darüber er- hen, dann frage ich Sie: Gibt es denn als Kontrast
wecken, daß diese Welt der Väter die beste aller zu Gesetzlosigkeit und Planlosigkeit nichts anderes
möglichen Welten sei. als den Kasernenhof? Kann man sich als Kontrast
denn nicht vorstellen, daß an die Stelle eines er
Dagegen steht unsere Auffassung, von Demokra- barmungslosen Mechanismus eine Ordnung tritt, die
tie, die lautet: Demokratie ist nur dort eine leben- der vorsorgende Verstand des Menschen geschaffen
dige Wirklichkeit, wo man bereit ist, im Anruf des hat?
jeweiligen Hier und Jetzt die sozialen und ökono- (Lebhafter Beifall bei der SPD.)
mischen Konsequenzen aus ihren Postulaten zu
ziehen. Es ist seltsam, daß sich sehr warmherzige Men-
(Beifall bei der SPD.) schen, die hier gesprochen haben, so gegen diese
Möglichkeit sträuben. Aber, meine Damen und
Dazu gehört einiges. Dazu gehört, daß man den Herren, Warmherzigkeit konsumiert sich nicht dar-
Menschen herausnimmt aus der bloßen Objekt- in, daß man der Arbeiterschaft versichert, wie leid
situation — nicht nur im formalpolitischen Bereich, einem die Proletarisierung tue, und daß man sich
sondern auch und gerade dort, wo der Schwer- möglichst viele kleine selbständige Existenzen
punkt seines Lebens liegt, nämlich im ökono- wünsche, sondern sie erfüllt sich darin, daß man
mischen und im sozialen Bereich. Es lohnt sich ohne Ressentiment die Konsequenzen daraus zieht,
manchmal, meine Damen und Herren der Rechten, daß die kapitalistische Wirtschaftsordnung in Got-
Karl Marx zu lesen. Wenn Sie die Seiten lesen, tes oder in Teufels Namen die Arbeiterschaft eben
die er über die Selbstentfremdung des Menschen weithin proletarisiert hat
durch die Maschine geschrieben hat, dann werden (Sehr wahr! bei der SPD)
Sie einige der schönsten Seiten gelesen haben, die
je einen Beitrag zu einer humanistischen Konzep- und daß sie bewirkt hat, daß auch die „kleine
tion des Verhältnisses des Menschen zur Welt ge- selbständige Existenz" das Privileg weniger gewor-
geben haben. Wir müssen aber den Menschen aus den ist.
dieser Objektsituation unter den Gegebenheiten Wenn man hier den Versuch gemacht hat, Karl
dieses Jahrhunderts herausnehmen, das — wenn Marx und was sich über ihn hinaus entwickelt hat,
Sie wollens: Gott sei's geklagt — ein Jahrhundert mit Adam Smith zu widerlegen, so darf ich sagen,
der Maschine ist und ein Jahrhundert der Ver- meine Damen und Herren: die Wirtschaftsgeschichte
massung. - des 19. und des halben 20. Jahrhunderts ist doch
Weiter muß man dann den Menschen heraus- ein einziges Zeugnis dafür, daß man gezwungen
nehmen wollen aus dem Verfallensein an die Kri- war, wenigstens etwas von dem zu korrigieren, was
sen, die das notwendige Produkt der zügellosen die Epigonen von Adam Smith über die Mensch-
Wirtschaft sind, die Sie so gerne und so idyllisch heit gebracht haben.
die „freie" nennen. Dazu gehört weiter, daß man Man hat hier den Wagemut des unternehmenden
dem Menschen, der zur Lohnarbeit gezwungen ist, Menschen gelobt, man hat die Zeiten gelobt, die
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(Dr. Schmid)
charakterisiert sind durch Reglementslosigkeit Auch der Marxismus ist nicht ewig!
- gut! —, man hat hier an den Pioniergeist der (Bravorufe und Händeklatschen rechts und in
Neuen Welt appelliert. Aber, meine Damen und der Mitte. — Zurufe von den Sozialdemokraten. —
Herren, alle diese Dinge hatten ihren Preis, und Große Heiterkeit.)
dieser Preis war die Brutalität des Menschen gegen
den Menschen. Der Preis, den man dafür zu zahlen — Ich gönne Ihnen die Freude, meine Damen und
hatte, war das Gesetz des Dschungels! Herren, sich uns turmhoch überlegen fühlen zu kön-
nen. — Diese 'Gesetze sind abhängig von bestimm-
(Sehr gut! bei der SPD.) ten Gegebenheiten, die die Zeit schafft und weg-
Jenen, denen der Pioniergeist so gefällt, nimmt, und darum wandeln sich diese Gegeben-
(Zurufe rechts) heiten in jeder Generation, und so wandeln sich
nöchte ich das Wort der „Pioniere" in Erinnerung auch die Anliegen, in denen sich der Kampf des
rufen: „Nur ein toter Indianer ist ein guter In- Menschen gegen die Tyrannei des Mechanismus der
dianer!" — Die Indianer haben für den Pionier- gesellschaftlichen Gebilde verkörpert. Wer da
geist bezahlt! glaubt, es genüge, sozial im sozialkonservativen
Sinne zu sein, um dem Gebot der Zeit gerecht zu
(Widerspruch und Zurufe rechts.) werden - das kleine Häuschen und der Schreber-
Und wie ist es mit dem Wagemut und mit der Reg- garten für „die Leute" —, der mißversteht die
lementslosigkeit? Meine Damen und Herren, wenn Impulse, die seit hundert Jahren die Arbeiterbe-
Sie nicht wissen sollten, was sich in der klassischen wegung tragen.
Zeit der Herrschaft dieser Theorien ereignet hat: (Sehr wahr! bei der SPD.)
es lohnt sich auch heute noch, die Enqueteberichte
des englischen Unterhauses aus der Mitte des letzten Der Arbeiter will nicht, daß man ihm aus guter
Jahrhunderts zu lesen! Gesinnung etwas schenkt.
Man hat versucht, diese Dinge zu korrigieren, in (Erneute lebhafte Zustimmung bei der SPD
Etappen zu korrigieren, zuerst dadurch, daß man und rechts.)
sozialpolitische Maßnahmen einführte, insbesondere Er will keinen Paternalismus à la Salazar. Ihm ge-
die Sozialveisicherung. Aber ich erinnere mich nügt nicht, daß man „es gut mit ihm meint". Man
— aus der Literatur — daß, als diese Dinge einge-
,
sollte sich sein Bild von der deutschen Arbeiter-
führt wurden, auf den rechten Bänken des Reichs- schaft nicht allzusehr aus den Romanen Rudolf
tags davon gesprochen wurde, daß es unmoralisch Herzogs holen.
sei, die Menschen zwangsweise zu versichern.
(Beifall bei der SPD und rechts. - Zuruf
(Abg. Schütz: Als die Linke dagegengestimmt hat!) des Abg. Dr. von Rechenberg.)
Dann hat man versucht, eine neue Wirtschaftsge
sinnung lebendig zu machen, und es sind hier einige — Da wäre es schon besser, Herr von Rechenberg,
große Dinge geschehen. Ich nenne nur den Bischof wenn man sich das Bild der Unternehmerschaft aus
Ketteler, und ich nenne eine so leuchtende Persön- der „Union der festen Hand" eines gewissen Erik
lichkeit wie Wichern. Ich spreche nicht von denen, Reger holen würde,
die sich plötzlich des Arbeiters erinnerten, weil sie (Sehr richtig! und Händeklatschen bei der SPD)
fahen, daß sie eine Klientel verlieren könnten; ich den Sie jetzt im „Tagesspiegel" lieber lesen, als Sie
spreche von denen, denen es ernst gewesen ist. — ihn vor 15 Jahren gelesen hätten.
Aber auch diesen Menschen hielt man manches
entgegen und sprach von der Sünde der Selbst- (Zuruf rechts.)
erlösung, zu der sie die Versuchung anlegten. — Es ist schade, daß Sie das Buch nicht kennen.
Dann kam die nächste Etappe: der Versuch, das Sie würden sehr viel darin wiederfinden, was Ihnen
Arbeitsrecht zu modernisieren, charakterisiert da- autobiographisch bekannt sein dürfte.
durch, daß an die Stelle der Gesindeordnung der (Heiterkeit links.)
Tarifvertrag getreten ist. Ich habe mich in meiner Meine Damen und Herren, die Arbeiterschaft ist
Dissertation noch damit abquälen müssen, nachzu- nicht mehr „Gesinde", der Kumpel ist - trotz der
weisen, daß der Tarifvertrag nicht gegen die guten schönen Knappentracht eines Kollegen im Hause —
Sitten verstößt. nicht mehr der „Knappe", und der Unternehmer
(Sehr gut! bei der SPD. — Abg. Dr. Wellhausen: ist nicht mehr der „Meister". Die Arbeiterschaft
Das tut kein Mensch mehr!) verlangt, daß man sie als Klasse — und nicht als
- So historisch ist das nicht. Sie haben damals romantischen Berufsstand - in die Lage versetzt,
alle schon gelebt, meine Damen und Herren! in rechtlich geordneter Weise über sich und die
Und nun muß man weitergehen. Wo man still- ökonomischen und politischen Voraussetzungen
steht, geht man zurück. Man muß weitergehen zur ihrer sozialen Existenz zu bestimmen.
strukturellen Wandlung unserer Gesellschafts- und (Sehr richtig! bei der SPD. — Zuruf rechts.)
Sozialverfassung.
(Lebhafter Beifall bei der SPD. — Zurufe rechts.) Das macht gewisse — bedeutsame - strukturelle
Veränderungen innerhalb unserer Ökonomie und
— Meine Damen und Herren, es gibt manchen, der Soziologie notwendig. Solange diese Dinge nicht in
es nicht merkt, daß er Marxist in seinem Anders- Angriff genommen werden, wird es, fürchte ich,
sein ist. — Der Groschen fällt schon, warten Sie unruhig bleiben in diesem Lande.
mal! Die Arbeiterbewegung ist doch nicht nur eine
(Große Heiterkeit.) - Lohnbewegung, sie ist eine Freiheitsbewegung!
Sie sprechen so gern von den ewigen Gesetzen (Händeklatschen bei der SPD und in der Mitte.)
der Wirtschaft.
(Abg. Dr. Wellhausen: Sagt auch kein Mensch!) Sie ist der Aufbruch derer, die bisher für ihr täg-
liches Brot Fremden zu gehorchen hatten, einer
Die Wirtschaftsgesetze sind nicht ewig, sie sind Welt zu, in der die Gebotstafeln für den Erwerb
historisch. des täglichen Brotes von ihnen selber aufgerichtet
(Zuruf rechts: Warten Sie mal ab!) sein würden. Ich weiß, man sagt in Ihren Reihen
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(Dr. Schmid)
gern: Utopie, ganz schön, Schwarmgeister usw. und jede Verabsolutierung des Staates ist un-
Aber, meine Damen und Herren, haben Sie denn menschlich.
keinen Sinn für die Großartigkeit und für den (Lebhafte Bravorufe und Händeklatschen rechts.)
Realismus dieser Impulse? Diese Impulse sind so — Wie freue ich mich, daß Sie rechts so klatschen!
großartig und so realistisch, wie die Ihrer geistigen (Heiterkeit.)
Väter und Ihrer wirklichen Vorväter 1789 und 1848
einst gewesen sind. Vor Zeiten hat man auf Ihren Bänken vom Staate
gesprochen als dem rocher de bronze!
(Händeklatschen bei der SPD.)
(Lebhafter Beifall bei der SPD und Rufe:
Damals sagte man auch: „Na, was sollen denn diese Sehr gut!)
„Bürger" regieren können! Haben sie ja nicht ge-
lernt!" Wer da glaubt, wir meinten, auf diese Weise Bei Ihnen kultivierte man die Märchen vom Alten
würde auf dieser Erde ein Paradies erblühen, das Fritz!
den Schmerz und das Leid nicht kennt, der täuscht (Zuruf rechts: Sprechen Sie von der Gegenwart!)
sich. Es wird auch dann, wenn wir das, was wir In Ihren Schulbüchern pries man den Vater Fried-
verwirklichen müssen und wollen, verwirklicht richs des Großen mit dem Korporalstock als den
haben werden, noch Raum genug geben für christ- Begründer des „modernen" Staates.
liche Nächstenliebe!
(Lebhafte Zustimmung und Händeklatschen bei
(Sehr richtig! bei der CSU. — Zurufe rechts.) der SPD. — Zurufe rechts.)
- Wenn Sie glauben, mir darauf antworten zu Es ist eine seltsame Sache, meine Damen und
können, alle diese Dinge seien ja leicht in Ordnung Herren: in gewissen Zeiten und bei gewissen Ge-
zu bringen, wenn man die rechte und gute Gesin- legenheiten sind es besonders die reichen Leute, die
nung habe, und wenn Sie den Geist von Caux be- so wenig Staat als möglich haben wollen — die
schwören und anrufen, — meine Damen und Polizei ausgenommen natürlich —, und wenn man
Herren, es gibt leider auf dieser Welt einige harte genau hinsieht, dann erscheint ihnen der Staat
Dinge, wie Angebot und Nachfrage, Verzinsung und offensichtlich dort am scheußlichsten, wo er als
Rendite, die dem guten Willen gelegentlich Schran- Finanzamt in Erscheinung tritt.
ken anlegen. (Sehr richtig! links und Heiterkeit.)
(Sehr wahr! bei der SPD.) Wenn man sich bei Ihnen heute so über die Be-
Ich habe, als ich einige Redner hier hörte, manch- amtenschaft aufregt — nun, vor Tische las man's
mal an Verse einer sehr unheiligen Oper denken da gelegentlich anders. Als man bei Ihnen das Mo-
müssen: „Ein edler Mensch, wer wäre es nicht nopol der Ämterpatronage hatte, meine Damen und
gerne? Doch leider, die Verhältnisse, die sind nicht Herren, da fand man den Staat nur dort richtig ge-
so!" Es ist die Drei-Groschen-Oper, wenn Sie es fügt, wo recht viele Beamte als Säulen der Gesell-
nicht wissen sollten. schaft aufgereiht werden konnten.
(Heiterkeit.) (Zuruf: Sie reden ja, als ob. wir im 19. Jahr
Es ist hier auch vom Klassenkampf gesprochen hundert lebten.)
worden. Manche Ausführungen darüber schienen - Herr Kollege Hilpert, Sie haben offenbar keine
mir fleißige Lektüre weiland Rumpelstilzchens zu Ahnung, wie virulent das 19. Jahrhundert im 20.
verraten. Jahrhundert noch sein kann. — Sehen Sie, meine
(Erneute Heiterkeit.) Damen und Herren, wenn Sie mit Ihren Zwischen-
Meine Damen und Herren, der Klassenkampf ist rufen über die Stellenvermittlungsbüros der Par-
teien kommen, — erinnern Sie sich nicht mehr eines
nicht von den bösen Sozis erfunden worden, den seligen Kösener SCs, erinnern Sie sich nicht mehr
haben sie vorgefunden, und die Arbeiterschaft der Stellenvermittlungsbüros bei den Altherren-
brauchte ihn lediglich aufzunehmen. Hätte sie ihn schaften der Korporationen?
nicht aufgenommen — Herr Kollege Gockeln, Sie
haben mir zugenickt —, stünden die Arbeiter dann (Sehr gut! bei der SPD und KPD.)
heute da, wo sie jetzt stehen? - Ich sehe, daß sich in diesem Augenblick manche
(Abg. Gockeln: Nein!) Anwesende mit viel Intensität in das Studium
— Nein, sie stünden nicht dort. ihrer Akten vertiefen. —
(Zurufe.) (Heiterkeit bei der SPD.)
Und nun will ich Ihnen etwas sagen: im demo- Meine Damen und Herren, wir wollen sowenig
kratisch kontrollierten Staat, in dem das Macht- Staat als möglich, aber soviel Staat als nötig!
monopol übermäßig zusammengeballten wirtschaft- (Beifall bei der SPD.)
lichen Eigentums gebrochen ist, kann ein gutes Man stellt gelegentlich in diesem Zusammenhang
Stück Klassenkampf in seiner elementaren Form auch die Kontroverse Unitarismus — Zentralismus.
überflüssig werden. Meine Damen und Herren, das ist falsch gesehen!
(Lebhafte Rufe rechts: Sehr gut!) Was hier gemeint ist, ist doch, daß ein geballter
Aber dieser Staat wird dann nicht als ein Staat Staat den einzelnen Menschen gerade von der Hin-
konzipiert werden, der in erster Linie als Besitz- wendung zur res publica fernhält, daß er den Men-
schutzmaschine konstruiert wird. schen zum Objekt anonymer bürokratischer oder
anderer Gewalten macht. Das ist richtig. Aber das
(Sehr richtig! bei der SPD.) - ist nicht anders, wenn ein Staat sechs Millionen
Dieser Staat muß dann die res publica sein. Einwohner hat oder sechzig Millionen; von einer
(Zurufe rechts: Jawohl, richtig!) bestimmten Größe ab werden alle weiteren quanti-
tativen Steigerungen gleich null oder gleich unend-
Der aufgeblähte Staat ist scheußlich, lich. Ich erinnere Sie an den bayerischen Etatismus,
(Lebhafter Beifall bei der SPD, in der Mitte Herr Kollege Seelos, Sie kennen ihn gut. Ich er-
und rechts) innere Sie an den bayerischen Zentralismus. Fragen
1 Rn Deutscher Bundestag — 10. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. September 1949
(Dr. Schmid)
wir eimal die Franken in diesem Hause; die wissen Einer von Ihnen hat einmal gesagt, die deutschen
darüber etwas zu sagen. Was hier korrigiert werden Länder müßten im Gänsemarsch in Europa ein-
will und korrigiert werden sollte, das kann man marschieren. Meine Damen und Herren, Europa ist
nach Ihren Rezepten nicht korrigieren; das kann kein Hühnerhof! So wird es nicht kommen.
man nur korrigieren, indem man sehr viel mehr (Zuruf rechts: Wer hat das gesagt?)
staatliche Gewalt auf die Gemeinden verlagert, als
— Einer von Ihnen, nicht gestern, sondern schon
es heute der Fall ist. vor längerer Zeit.
(Beifall.) Nun werde ich noch etwas sagen, und jetzt werde
Dann bringen Sie den einzelnen Menschen nahe, ich sehr ernst. Sie haben auch Ö sterreich ange-
sehr viel näher an die res publica heran. Aber ob sprochen. Ich will Ihnen nicht die Unehre antun,
der Staat fünf Millionen Einwohner oder sechzig zu glauben, als ob Sie etwas wie „Anschluß" nazi-
Millionen Einwohner hat, das spielt im Verhältnis stischer Art gemeint hätten. Das haben Sie nicht
des einzelnen zur „Obrigkeit" keine Rolle mehr. getan. Was aber hier geschehen ist, ist höchst ge-
Man hat uns die Segnungen des Föderalismus in fährlich, denn es klang, etwas an von. dem Mythos
bewegten Worten gepriesen, des „Heiligen Reichs der Deutschen", als Mythos
(Zurufe in der Mitte) großartig, aber als Realität eine bittere und ge-
— ich werde dazu noch etwas sagen, lieber Herr fährliche Sache.
Landsmann —, insbesondere die Sprecher der (Zurufe.)
Bayernpartei. Sie haben den Anspruch erhoben, für Sehen Sie, diese Art von Romantik hat die Eigen-
Bayern zu sprechen, Herr Seelos. Ich weiß nicht, ob schaft, über ihre Begründer hinauszuwachsen. Es
die existentielle Interpretation des Bayerntums, die lohnt sich manchmal, ein bißchen Hegelsche Logik
Sie und Herr Dr. Besold gegeben haben, die richtige zu studieren, Herr Seelos! Sehen Sie, solche Dinge
ist. Ich weiß es nicht. Vielleicht haben die beiden pflegen in der nächsten Generation umzuschlagen.
Herren auch nur Spaß gemacht. Ein Mann wie Constantin Frantz ist auch ein Ver-
(Heiterkeit.) läufer des Nazismus gewesen,
Aber wenn sie so bewegt darüber geklagt haben, (Zurufe)
daß man sie in die Bundesrepublik „hineinverge- nicht nur wegen seines Antisemitismus! Sehen Sie:
waltigt" habe — was meinen Sie denn, Herr Seelos, es hat wenig Dinge zu Beginn des 19. Jahrhunderts
was ein Nürnberger „Föderalist" im Jahre 1803 gegeben, die so großartig und lauter und rein ge-
gegen München gesagt haben mag? Oder ein Augs- wesen wären wie die deutsche Nationalbewegung,
burger? Sehen Sie, die Geschichte geht nun einmal etwa verkörpert in der frühen Burschenschaft.
gelegentlich in Sprüngen voran. Das läßt sich nicht Aber diese Bewegung fand sehr bald ihren
vermeiden, das ist ihre Gefährlichkeit und ihre Treitschke, und damit wurde sie pervertiert: sie
Dignität. — Und dann, Kollege Seelos, Sie sind mir wurde zum Impuls des kleindeutschen Preußen
ein schöner Föderalist! Sie haben in Ihrer Rede ver- Deutschland und machte dieses zur imperialisti-
langt, daß man dem Lande Berlin die Finanzge- schen Macht Kontinental-Europas.
barung kontrolliere, wenn man ihm Bundesmittel (Sehr richtig! rechts.)
gibt. Stellen Sie sich einmal vor, es sagte nun einer:
die Bayern erhalten doch Bundesmittel, also muß Weil ich mir vorstellen muß, daß auch Ihr neuer
man doch kontrollieren, wie sie verwendet wer- romantischer Überschwang einmal seinen Treitschke
den ... finden könnte, deswegen rufe ich Ihnen zu — im
Guten —, meine Herren:
(Beifall und Heiterkeit links. — Abg. Dr. Seelos:
So ein amüsanter Marxist ist doch etwas Groß (Zuruf rechts: Gegen die deutsche Verfassung!)
artiges!) Nehmen Sie diesen Traum von Ihrer Stirn und
— Etwas interessanter — finden Sie nicht auch? — kehren Sie zurück zu einer nüchternen Betrachtung
als ein langweiliger Föderalist! dieser Dinge!
Der Föderalismus scheint es so an sich zu haben, (Zuruf rechts: Nicht Mythos, sondern
Frau Kollegin Kalinke. Sie haben den Antrag ethnologische Wirklichkeit!)
Nr. 40 eingebracht, wo es heißt: bei der Zuwendung Herr Dr. Richter hat hier in einem anderen Ton
von Mitteln des Bundes an Berlin soll die Verwen- von ähnlichen Dingen gesprochen. Das war schon
dung dieser Mittel an die Zustimmung eines von eher alldeutscher Anspruch virulenter Art! Wir
der Bundesregierung zu bestellenden Bundeskom- haben das aber bei Schönerer und Rudolf Jung
missars gebunden sein. Vielleicht ist das sachlich schon besser gelesen, — den beiden Autoren, die
richtig. Aber dann darf man nicht aus kleinen Lieb- das Geschichtsbild eines Linzer Realschülers namens
habereien Adolf Hitler gebildet haben. Und, Herr Kollege
(Abg. Frau Kalinke: Marxistische Versuche!) Richter, durch die Lektüre Mosleys ist es nicht
eine Religion des Absoluten machen wollen. besser geworden.
(Abg. Frau Kalinke: Sie haben mich ganz gut (Heiterkeit und Zurufe.)
verstanden!) Ich glaube, daß Anlaß besteht — und damit erweise
- Sie haben ein ausgesprochenes Talent, sich klar ich Ihnen eine Ehre —, auf diese Dinge genau zu
auszudrücken! achten und rechtzeitig das Paroli zu bieten, das wir
Herr Dr. Etzel hat einen Dithvrambus seinerzeit zu bieten vergessen haben!
- auf das
bündische Prinzip gesungen. Das hat mich gefreut. (Beifall bei der SPD.)
Auch ich bin der Meinung, daß in dem bündischen Sie haben sich, Herr Dr. Richter, darüber be-
Prinzip eine sehr humane und sehr schöpferische klagt, daß in diesem Hause einige dagegen gewesen
Kraft liegt. Aber das bündische Prinzip wollen wir sind, daß „Einigkeit und Recht und Freiheit" ge-
doch heute nicht im Masstabe Krähwinkels aktuali- sungen wurde, und Sie haben gemeint, diesen
sieren, sondern im europäischen Maßstab! Leuten liege offenbar nichts an Einigkeit und Recht
(Lebhafter Beifall.) und Freiheit. So einfach ist es nicht. Wir wollen
Deutscher Bundestag — 10. Sitzung. Bonn, Donnetstag, den 29. September 1949 181
(Dr. Schmid)
kein Lied zur Nationalhymne haben, das dadurch Wenn man sich anschaut, was sich in gewissen
entehrt worden ist, daß dieses Volk es zwölf Jahre in den Staatskanzleien alles an politischer Länder
lang zur ersten Strophe des Horst-Wessel-Liedes Energie und an Politikfreudigkeit zusammengeballt
degradiert hat! hat, dann kann man — konnte man — gelegentlich
(Beifall bei der SPD.) Bilder unbeschreiblicher Komik sehen. Manche
Staatskanzleien trieben nämlich Außenpolitik gegen
Sie haben, Herr Dr. Richter, mit bewegten Wor- andere Staatskanzleien.
ten über das Unrecht geklagt, das nach Abschluß
der Kämpfe den Deutschen im Osten und Westen (Heiterkeit. — Zuruf: Auch in Tübingen!)
zugefügt worden ist. Hierzu ist zu sagen, daß wahr- Es gab da etwas wie eine Doktrin des innerdeut-
lich viel geschehen ist, was sich neben Tatbestände schen Gleichgewichts. — Sie rufen „Tübingen". Ich
stellen kann, für die man in Landsberg Leute ge- will Ihnen gleich etwas sagen. Die Tübinger Staats-
hängt hat. kanzlei bestand zu meiner Zeit aus zwei Beamten,
(Sehr richtig! bei der SPD.) als die Freiburger aus 34 bestand.
Aber das Recht, hier moralisch anzuklagen, haben (Große Heiterkeit. — Abg. Hilbert: Haben wir
doch wohl nur diejenigen, die sich seinerzeit über jetzt noch nicht, dann kennen Sie unsern
Sauckel, über die Austreibung und Ausrottung der Etat schlecht!)
Juden und Polen, über Lidice, über Auschwitz und Vielleicht war das notwendig. Man hat damals Le-
über Oradour wenigstens geschämt haben! gationsräte noch und noch eingestellt, Gott sei
(Stürmischer Beifall bei der SPD und in der Mitte.) Dank, denn jetzt haben wir wenigstens Protokoll-
Wenn hier von einigen Fällen späterwachten chefs zur Verfügung ....
Widerstandsgeistes gesprochen worden ist, dann (Heiterkeit.)
sage ich, meine Damen und Herren: Konversionen Aber abseits dieser Scherze, meine Damen und
nach Stalingrad sind demokratisch uninteressant. Herren: nichts ist heute für dieses Volk notwen-
(Sehr gut! bei der SPD und in der Mitte.) diger als eine ernsthafte und konsequente Außen-
Die Regierung hat ein lautes Bekenntnis zu den politik, und hier muß ich sagen, daß mir die Zu-
föderativen Grundlagen des Grundgesetzes abge- rückhaltung des Herrn Bundeskanzlers, kein Aus-
geben. Herr Dr. Seelos, Sie waren wirklich undank- wärtiges Amt zu errichten, höchst weise erscheint.
bar gegen die Alliierten; denen verdanken wir doch Ob das aus Erkenntnis geschehen ist oder weil die
das meiste davon. Schaffung eines solchen Amtes die Geburtswehen
der Kabinettsbildung verschlimmert hätte, das ist
(Abg. Dr. Seelos: Kennen Sie die Bayern nicht? — gleichgültig; wir freuen uns des Resultats.
Heiterkeit.) (Große Heiterkeit. — Beifall bei der SPD. —
Der Föderalismus, zu dem sich die Regierung be- Abg. Renner: Zudem war es auch verboten!)
kannt hat, regt in mir zwei Fragen an: Meinen Sie
Föderalismus assoziativ oder dissoziativ? Meinen Unser Staat ist noch nicht in der Lage, eine insti-
Sie Föderalismus als Vereinigung dessen, was ge- tutionelle Außenpolitik im klassischen Sinn zu trei-
trennt ist, oder als Trennung von etwas, was ver- ben. Zu einer solchen Politik gehören eine Reihe
eint ist? Wir sagen Ja nur zu der ersten Möglich- von Voraussetzungen, von denen die wichtigste die
keit, Herr Kollege Kiesinger, und da sagen wir Möglichkeit ist, sich seine Partner frei zu wählen.
freudig Ja. Wir hoffen, die Regierung meint es (Sehr gut!),
auch so .... Nun bitte ich— mit allem Respekt —, Die haben wir nicht. Es gehört dazu die Möglich-
mich an die Regierungsbank wenden zu dürfen. keit der Universalität der politischen Beziehungen.
Gewisse Personen dort erwecken bei uns Zweifel. Es gehört dazu die Möglichkeit, dies zu einem
Diese Regierung wird, wenn wir sie ganz richtig System korrespondierender Röhren auszubauen,
bezeichnen wollen, von uns als Regierung Adenauer und es gehört die Möglichkeit dazu, den politischen
Schäffer bezeichnet werden müssen. Entschlüssen einen Zug zum Permanenten hin zu
(Sehr gut! bei der SPD.) geben. Das alles können wir heute, wo wir unter
Fremdherrschaft leben — noch leben —, nicht. Der
Einige der Hüter der Verfassung haben seinerzeit Plafond des Raums für eine deutsche staatliche
gegen dieses Grundgesetz gestimmt, Außenpolitik ist das Besatzungsverhältnis. Das bil-
(Sehr wahr! bei der SPD) det den geometrischen Ort, auf dem sich die staat-
weil es ihnen zu unerträglich zentralistisch erschien. liche politische Aktivität, die wir leisten können,
Da haben wir nun den Verdacht — Sie sollten sich vollzieht. Jeder staatliche Akt, der darüber hinaus-
also über unsere Zweifel nicht wundern, Herr von reichen wollte, würde sich im Prisma der Hohen
Brentano —, daß vielleicht einige dieser Herren Kommission brechen müssen.
denken könnten, jetzt auf organisatorischem Wege Außerdem: wir müssen noch ein wenig warten,
das schaffen zu können, was ihnen in Bonn zu bis gewisse Traditionen der Wilhelmstraße ausge-
schaffen nun einmal nicht gelungen ist. Wir werden storben sind.
darüber wachen, daß Deutschland nicht weiter dis-
soziiert wird (Beifall bei der SPD.)
(Abg. Dr. von Brentano: Ist nicht unsere Absicht!) Es gibt mehr Nadolnys, als die Nadolnys selber
wissen.
und daß damit der Preis, den Sie, Herr Bundes- (Erneuter Beifall.)
kanzler, für den bayerischen Sukkurs - zahlen
mußten, nicht allzusehr auf Kosten der deutschen Wir können und wollen mit einer Tradition, die
Zukunft geht. letztlich nur Ausspielen von Ost und West, „Rück-
versicherungsverträge" usw. kannte, nichts mehr
(Sehr richtig!) anfangen.
Vielleicht werden wir dabei auch Sie zum Bundes- (Sehr richtig!)
genossen erhalten, Herr Bundeskanzler.
Wir können auch nichts anfangen mit einer neue
(Heiterkeit und Beifall bei der SPD.) sten Tradition des Wilhelmstraßenfortsatzes: mit
182 Deutscher Bundestag — 10. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. September 1949
(Dr. Schmid)
den Abendlandrezepten im Sinne einer Option für Politik zu weit in den Hintergrund geschoben
die Politik westlicher Staaten, indem man Deutsch- hätten. Jede Außenpolitik hat ihr „inneres" Sub-
land zum Instrument dieser Politik anbietet. strat. Beide müssen aneinander angepaßt sein; sonst
(Zustimmung bei der SPD.) gibt es einen Bruch. Es ist keine wirksame Außen-
politik möglich ohne das rechte Verhältnis eines
Auch dafür stehen schon Spezialisten in Deutsch- Volkes zu sich selbst. Solange ein Volk mit dem
land an. Man sollte nicht den Fehler machen, im nicht fertig geworden ist, was ihm zu tun obliegt,
freudigen Streben, den Nationalismus früherer um „in Verfassung" zu kommen — nicht im Ver-
Zeiten in den Orkus zu werfen, zu glauben, Anti- stande der Staatsrechtslehrer; ich meine das so,
nationalismus bedinge, daß eine deutsche Politik wie Lassalle das Wort verstanden hat, wenigstens
notwendig Funktion der nationalen Interessenpoli- im Sinne des Durchbruchs zum Entschluß, in Ver-
tik fremder Länder sein müsse, fassung zu kommen —, kann es höchstens eine
(Sehr gut!) fragmentarische oder eine hysterische Außenpolitik
liegen diese Länder nun östlich oder mögen sie oder eine solche der Unterwerfung treiben. Auf
westlich liegen. jeden Fall aber wird es — mag es diese oder jene
(Beifall bei der SPD und rechts.) Außenpolitik treiben — dem Untergang zutreiben.
Heute ist diesem Volke aufgegeben, sich im
Wenn man dabei, wie es gelegentlich geschieht, Kampf um die Verwirklichung einer lebendigen
vor der Gefahr der Selbstisolierung warnt — es Demokratie zu integrieren — Demokratie als die
gibt Zeiten, wo Isolierung das beste Mittel ist, um politische Form des Willens eines Volkes zur Selbst-
sich vor dem Aufgefressenwerden zu schützen. Den- behauptung, zur Selbstbestimmung und zur Selbst-
ken Sie an das unvorsichtige Rotkäppchen! achtung verstanden.
(Heiterkeit.) (Beifall bei der SPD.)
Vielleicht sollten wir ein wenig an gewisse Maxi- Das bedingt aber, meine Damen und Herren — und
men des letzten Jahrhunderts denken. Ich denke da hier muß ich mich wiederholen —, daß man die
an ein Wort Cavours: Italia fara da sè, Germania sozialen und strukturellen Konsequenzen der Postu-
farà da sè! Deutschland wird sich aus sich selber late der Demokratie, wie sie dieses 20. Jahrhundert
bilden! und nicht das 19. Jahrhundert aufgerichtet hat,
(Abg. Dr. Seelos: Das paßt ja nicht!) zieht. Nur wenn dieses Volk, das Volk der Arbeiter,
— Herr Seelos, Sie haben auf Außenpolitik stu- der Städter und Bauern Deutschlands, weiß: in
diert; ich weiß es. Ich bitte Sie um die Erlaubnis, diesem Lande lebt man richtig, und das heißt: nach
als Dilettant gelegentlich einen Fehler begehen zu dem Gesetz dieser Zeit; und wenn es weiß: in die-
sem Lande lohnt es sich zu leben, wird es möglich
dürfen. sein, eine echte, systematische, eigenständige Außen-
(Heiterkeit.)
politik zu treiben, die gleich weit entfernt ist von
Und, meine Damen und Herren, die Leute, die eine dem Surrogat der Selbstachtung, das Nationalis
solche deutsche Politik in ein System bringen könn- mus heißt, wie von der Flucht in die Unterwerfung.
ten, sind als Team noch nicht vorhanden. Wir soll- Politik heißt: das Notwendige möglich machen.
ten uns daran gewöhnen, in der Geduld nicht nur Das Ziel unserer Politik muß sein, das Notwen-
ein Nichttun zu sehen, sondern eine höchst wirk- dige, nämlich die Wiedergewinnung der deutschen
same Kraft. Freiheit und der deutschen Einheit, möglich zu
(Lebhafter Beifall bei der SPD, in der Mitte machen. Aber man sollte sich vor der Versuchung
und rechts.) hüten, über Schatten zu springen, nicht nur über
Sie würden mich äußerst mißverstehen, wenn Sie den eigenen, sondern auch über die Schatten der
glaubten, daß diese Worte Ausdruck defaitistischer Zeit. Es gibt kein Betrugen gegen die Fakten; es
Gesinnung seien. Auch ohne Auswärtiges Amt und gibt darum auch kein Überspringen von Etappen.
auch ohne Gesandtschaften und Botschaften ist ein Man sollte nie aus dem Sinn lassen, daß man nur
Land wie Deutschland ein Agens der Politik in der machen kann .,la politique de ses moyens", die Poli-
Welt. tik der Mittel, die einem zur Verfügung stehen.
(Sehr richtig!) Aber man sollte heute von den Mitteln, die uns
zur Verfügung stehen, nicht zu gering denken!
Deutschland ist durch sein Dasein, seine Masse, sei- Man sollte nicht vergessen, daß es auf be-
nen Ort und durch seine Zukunft ein außenpoli- stimmten Gebieten und in bestimmten Situatio-
tisches Agens in potentia. nen eine potentielle Überlegenheit des Besieg-
(Sehr gut! in der Mitte.) ten über den Sieger gibt. Wir sollten uns wei-
Dieses immanente Potential gilt es von Fall zu Fall ter davor hüten, uns in Fiktionen abdrängen zu
zu aktualisieren. lassen: man wird uns im Laufe der Zeit eine Reihe
Wir müssen als Volk eine deutsche Politik an- von „Freiheiten" anbieten; aber jede „Freiheit"
legen, das heißt eine Politik, die nicht Funktion engagiert korrespondierende Verantwortungen, das
fremden Willens ist, sondern Produkt des Willens heißt, daß nur dort echte Freiheit ist, wo man
dieses Volkes. Wir müssen es tun, um eine euro- funktionsmäßig in der Lage ist, sie zu realisieren.
päische Politik machen zu können, Manche „Freiheiten" darf man nicht annehmen,
weil man sonst vielleicht die Freiheit schlechthin
(Beifall bei der SPD — Sehr gut! rechts) gefährden könnte. Der praktische und tätige Hin-
das heißt eine Politik, in der begriffen- ist, daß weis darauf, daß jeder, der sich auf die Totalität
alles, was ist, Funktion gesamteuropäischer Ur- eines Sieges und auf gewisse Vorbehaltsbefugnisse
sachen ist und daß alles, was wir zu tun haben, auf in deutschen Angelegenheiten beruft, dafür auch
Europa hinführen muß, sei es unmittelbar, sei es mit erhöhter Verantwortung bezahlen muß, wird
mittelbar im Re fl ex. von uns manchen Verzicht auf halbe Lösungen be-
Man hat vom Primat der Außenpolitik gespro- dingen; es wird aber der einzige Weg sein, um zur
chen. Aber mir will scheinen, als ob einige der ganzen Lösung des Problems zu kommen, und da-
Kollegen, die es taten, damit das „Innere" der mit zur Freiheit und Einheit Deutschlands. Das
Deutscher Bundestag - 10. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. September 1949 183
(Dr. Schmid)
Schädlichste, was es in der Politik gibt, ist, was Wir sind auch der Meinung, daß es besser gewesen
Niccoio Macchiavelli „la via del mezzo" genannt wäre, wenn die Bundesregierung dieses Haus recht-
hat. Er meint nicht den goldenen Mittelweg, son- zeitig von diesen Verhandlungen unterrichtet hätte.
dern die Politik des halben Weges. Ich meine das nicht in dem Sinne, daß man nun
Es ist ganz klar, daß das erste konkrete Ziel der alles, was zur Beratung stand, hier hätte erzählen
Außenpolitik der Regierung die Schaffung eines sollen; aber den Rahmen, in dem sich das Verhan-
rechten Verhältnisses zu den Besatzungsmächten deln bewegt hat, hätte man diesem Hause vielleicht
sein muß. Die äußere Form, in der dieses Verhält- darlegen können.
nis sich allein gestalten kann, ist das Besatzungs- (Zuruf von der KPD: Na, na!)
statut. Man muß das richtig sehen. Das Besatzungs- - Ja, das hätte man gekonnt! Vielleicht hätten wir
statut ist kein Ausführungsgesetz zur Haager Land- dabei dem Herrn Bundeskanzler einige Hilfe leisten
kriegsordnung. können, und sei es nur durch den Hinweis darauf,
(Sehr gut! bei der SPD.)' daß in allen Devisenangelegenheiten der Hohe Kom-
Die heutige Besetzung Deutschlands ist keine missar der Vereinigten Staaten von Amerika gegen-
Sicherheitsbesetzung im Sinne der Haager Land- über seinen beiden Kollegen ein hochqualifiziertes
kriegsordnung, sondern eine interventionistische Stimmrecht hat.
Besetzung, das heißt eine Besetzung zu dem Zweck. (Sehr richtig!)
fremden Mächten in Deutschland die Möglichkeit
zu geben, bestimmte Dinge vorzunehmen, die sonst Es hätte sein können, daß ein amerikanisches
nach dem Gesetz der Souveränität nur von den Presse-Echo auf ein solches Wort in diesem Hause
Deutschen vorgenommen werden könnten. Das ge- dem Hohen Kommissar der Vereinigten Staaten in
schah bisher par ordre de mufti, unkontrollierbar Deutschland ein anderes Verhalten als das, das ihm
und ganz nach dem freien Ermessen der Militär- beliebt hat, hätte nahelegen können.
regierung. Mir hat auch der Ton nicht gefallen, in dem der
(Abg. Renner: Und heute?) Beschluß abgefaßt worden ist.
- Das Besatzungsstatut, Herr Kollege Renner, hat (Zustimmung bei der SPD.)'
in diese Dinge wenigstens den Anfang eines ge- Herr Bundeskanzler! Mir hat auch nicht gefallen,
ordneten Verfahrens gebracht! wie Sie gestern dieses Hohe Haus abgekanzelt
(Abg. Renner: Das haben wir gestern gemerkt!) haben. Man sollte das Parlament nicht nur für
- Ich werde davon noch sprechen, verlassen Sie einen Störenfried halten. Bei allem Respekt, den
sich darauf. - Solange wir keinen Friedensver- wir vor der Regierung haben, sind wir doch auf
trag haben, durch den wir gewisse Dinge als Rech- unseren beschränkten Untertanenverstand recht
tens anerkennen, ist alles, was hierbei geschieht. stolz.
als im Bereich der Faktizität geschehen zu betrach- (Heiterkeit und Beifall.)
ten, und die Regierung sollte beim Anerkennen Ich meine übrigens, daß die Bülowschen Lebens-
bestimmter Situationen vorsichtig sein, sei es im erinnerungen nicht die empfehlenswerteste Lektüre
Sinne direkten Anerkennens oder im Sinne des für einen demokratischen Staatsmann sind.
Anerkennens durch konkludente Handlungen. (Lebhafter Beifall links.)
Das Wesentliche der Interpretation des Be- Es ist ganz klar, daß das Verhältnis zur Hohen
satzungsstatuts wird durch die Praxis der nächsten Kommission so arbeitsergiebig wie möglich gestal-
Wochen geleistet werden müssen. Da wird im Ver- tet werden muß. Aber das gelingt nicht immer da-
kehr zwischen Bundesregierung und Hoher Kom- durch, daß man nur Ja sagt. Oft wird durch ein
mission die genauere Abgrenzung und Detaillierung „Nein" zur rechten Zeit ein besseres Verhältnis ge-
der vorbehaltenen Sachgebiete zu erfolgen haben schaffen als durch zuviel Ja.
da muß über Art und Weise der Geltendmachung
dieser Vorbehaltsrechte eine etwas klarere Vorstel- Die Revision des Besatzungsstatuts ist eine drin-
lung gebildet werden, als sie bisher besteht. Man gende Notwendigkeit. Sie wird nicht ein Geschäft
sollte sich insbesondere davor hüten, bei intern für Juristen, sondern eine Sache der Praxis sein.
alliierten Anordnungen auf Sachgebieten, die die Diese Abänderung wird ausgekämpft werden müs-
Alliierten sich vorbehalten haben, eine deutsche sen. Durch Finassieren werden wir hier nichts er-
Unterschrift vorschalten zu lassen. reichen; denn Politik ist nicht Advokatur. Bei der
(Sehr richtig! links.) Politik handelt es sich nicht darum, recht zu haben,
sondern recht zu behalten,
Man wird auch interpretieren müssen, was denn
eigentlich „Kontrolle" im Sinne des Besatzungs- (Sehr richtig!)
statuts heißt - ob das ein milderes Wort für „An- und es handelt sich darum, Fakten anzuerkennen
weisung" und „Befehl" ist oder, wie man uns in und Fakten anzugehen. Noch besser allerdings ist
Mainz versprochen hat, ein grobes Wort für „Be- es, ein neues Recht zu schaffen, das die Gravamina
ratung" der Regierung durch die Hohen Kommis- gegenstandslos macht. Das wird man hier nur kön-
sare, oder ob es mit dem identisch ist, was wir nen, wenn man auch die Probleme, die die Be-
Einspruch nennen. Das alles wird man ausfechten satzung aufgibt, auf eine andere als die nation al-
müssen. staatliche Ebene hebt, nämlich auf die gesamteuro-
Die Sache mit der Abwertung der D-Mark war päische Ebene.
ein schlechter Start. (Sehr gut!)
(Sehr richtig! bei der SPD.) - Es gibt keine konkretere politische Aufgabe im
Es scheint so, als ob gewisse Einsprüche gegen den Großen, als das für alle Notwendige — nämlich
von der Regierung gewünschten Umrechnungssatz Europa! — auch von Deutschland aus möglich zu
hauptsächlich von der Absicht bestimmt gewesen machen,
wären, gewissen Abnehmern von Ruhrkohle billi- (Bravo!)
gen Ruhrkoks zu sichern. nicht das Europa des Novalis, nicht das Europa der
(Zustimmung bei der SPD.) Heiligen Allianz, auch nicht eine Europa-AG, son-
184 Deutscher Bundestag — 10. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. September 1949
(Dr. Schmid)
dern ein echtes Commonwealth, einen euro- einem Europa, das — ich variiere hier ein Wort
päischen Bundesstaat, an den die europäischen Masaryks — eine höhere Schweiz werden muß!
Staaten von heute wesentliche Teile ihrer Souve- (Beifall bei der SPD.)
ränität abgeben.
(Beifall. — Zuruf: Freiwillig!) Und was den Westen anbetrifft, so kann auch hier
unsere Politik nur europäisch sein. Sie ist belastet
— Ja, freiwillig! — Wir müssen endlich das törichte mit einer Reihe von Hypotheken; aber wir sollten
Dogma vom Monismus der Souveränität in die einsehen, daß diese Hypotheken nicht von unge-
Wolfsschlucht werfen! fähr zu unseren Lasten in das Grundbuch der Ge-
(Sehr gut!) schichte eingetragen sind: Demontagen, Reparatio-
Dieses Europa kann nur Voll-Europa und nicht nen, Besatzungskosten, Grenzkorrekturen, Ruhr-
Klein-Europa sein; denn Klein-Europa wäre nichts statut und die Saar. Wir müssen versuchen, damit
anderes als ein Streifen an den Ufern der sieben fertig zu werden, wir müssen versuchen, damit
Meere, ein amerikanischer Brückenkopf oder eine sauber fertig zu werden und unter Verzicht auf
Verlockung für den Osten Darm ist der Eise rne
Fiktionen. Manches davon wird endgültig nur
Vorhang nicht allein ein deutsches Problem, son- europäisch gelöst werden können; durch falsche
dern er ist ein europäisches Problem. Wir vergessen nationalstaatliche Lösungen könnten wir Europa
zu oft, daß der Eiserne Vorhang nicht von Stettin gefährden.
bis Hof, sondern von Stettin bis Triest reicht! Jeder Redner hat von der Notwendigkeit der Be-
Die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands reinigung unseres bösen Verhältnisses zu Frank-
ist also ein europäisches Anliegen. Wir müssen uns reich gesprochen. Ja, ja und nochmals ja! Das muß
aber klar sein, daß die Voraussetzung dafür, daß geschehen, aber es muß auf soliden Grundlagen
sie geschehen kann, eine Einigung der vier Be- geschehen und darf nicht nur auf Beteuerungen
satzungsmächte über eine gemeinsame Deutsch- und moralische Überforderungen hüben und drü-
landpolitik ist. Was können w i r dabei tun? Als ben gegründet werden. Man sollte von uns nicht
Volk können wir uns dabei so verhalten, daß es verlangen, daß wir ständig im Büßerhemd herum-
den westlichen Besatzungsmächten - bei Gefahr laufen. Darauf läßt sich eine Zukunft nicht auf-
des Verlustes ihrer Ehre — unmöglich wird, sich bauen. Und wir sollten nicht von den Franzosen
einem - vielleicht erwünschten — Diktat des verlangen. schlicht zu vergessen. Nur wenn wir
Ostens zu fügen. Dafür müssen wir aber für be- bereit sind, unsererseits den Beweis zu liefern, daß
stimmte Dinge Beweis antreten: nämlich dafür, daß w i r nicht vergessen, warum alles so gekommen
der Westen entschlossen ist, alles zu tun, um dem ist, werden wir den Franzosen sagen dürfen: Nun
Osten das Leben möglich zu machen! Und, als Re- solltet ihr einiges vergessen!
gierung können wir dabei folgendes leisten: näm- (Beifall bei der SPD.)
lich nichts zu tun, was die Alliierten aus ihrer Ver Um dafür die Grundlagen zu schaffen, ist es nötig,
antwortung entlassen könnte, sei es durch vorzei- klare Tatbestände zu setzen und alle Zwielicht
tige Anerkennung bestimmter Situationen, sei es situationen zu vermeiden, aus denen die giftigen
dadurch, daß man Ausweichtore öffnet. Es werden Fledermäuse des Nationalismus ausschwärmen
da manche Versuchungen im verführerischen Ge- könnten. Endgültig gelöst — gelöst auch in dem
wand der Erweiterung unserer Souveränitätsmarge Sinne, in dem man von der Gelöstheit einer Hal-
an uns herantreten. Wir dürfen diesen Versu- tung spricht — wird das deutschfranzösische Ver-
chungen nicht erliegen! hältnis erst dann sein, wenn wir die Vereinigten
Die Voraussetzung für die Wiedervereinigung des Staaten von Europa unter Dach und Fach ge-
Ostens kann man nicht ohne eine aktive Berlin bracht haben.
-Politkschafen.Esidhergut
Worte über (Beifall bei der SPD.)
die Hilfe — die wirtschaftliche und finanzielle
Hilfe —, die man Berlin bringen muß, gefallen, Manche meinen, das Ruhrstatut sei ein guter Weg
Worte, die ich ernst nehme. Wir müssen aber dazu. Ich glaube es nicht. Ich fürchte, daß , das Ruhr-
mehr tun als das. Wir müssen auch eine aktive statut eher ein Hindernis auf dem Wege nach
Staatspolitik im Hinblick auf Berlin treiben. Europa sein wird als eine offene Tür. Wir werden
darüber in den nächsten Tagen zu diskutieren
(Sehr gut! links.) haben; es liegt ja ein Antrag vor. Die Regierung
Man hält mir hier das alliierte Veto entgegen. Mein wird sich entscheiden müssen — denn wir sind uns
Gott, ja; es wurde ausgesprochen. Aber wir können doch wohl alle einig, daß dieses Ruhrstatut trans-
in diesem Haus — und man kann besonders auf formiert werden muß —, ob sie glaubt, es könne
Ihrer Bank, meine Herren Minister, Berlin so be- besser dadurch transformiert werden, daß man es
handeln, als ob es heute schon das zwölfte ausdrücklich anerkennt und so drei Stimmen in der
Land der Bundesrepublik Deutschland wäre! Ruhrbehörde erhält, oder ob es nicht vielleicht
(Beifall.) sicherer dazu kommen könnte, wenn man das Statut
nicht anerkennt und so eine neue Prüfung des
Man kann sich dabei so verhalten, daß das Plazet Problems veranlaßt.
der Hohen Kommissare dereinst nur noch eine
Formalität sein wird. (Zustimmung bei der SPD.)
Über die Oder-Neiße-Linie ist nichts mehr zu Und was nun die Saar anbetrifft, da habe ich zu
sagen. Nur folgendes möchte ich hier — warnend — meinem Bedauern — — Vielleicht fragen Sie, Herr
sagen: Beziehen wir in diesen Komplex - nicht das Präsident, ob ich noch weiterreden darf?
Sudetenland ein! Bannen wir alle Vorstellungen
vom weiland Großdeutschen Reich! Präsident Dr. Köhler: Ist das Hohe Haus damit
(Zuruf: Hat damit nichts zu tun!) einverstanden, daß der Herr Abgeordnete noch fünf
Minuten spricht?
Die Sudetendeutschen müssen in ihre Heimat zu
rück und müssen dort gleichberechtigt mit den an (Zustimmung.)
deren Völkern Böhmens und Mährens leben in — Danke schön.
Deutscher Bundestag — 10. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. September 1949 185

Dr. Schmid (SPD): Danke! Meine Damen und Herren! Wie wir die Oppo-
Ich habe zu meinem Bedauern feststellen müssen, sition zu führen gedenken, ist hier schon zu zweien
Malen gesagt worden. Ich will dazu noch einige
daß die Bemerkungen, die der Herr Bundeskanzler
ergänzende Worte sagen. Opposition bedeutet für
über das Saargebiet gemacht hat, in der im Bun- uns nicht eine Respektabilitätsbezeichnung für jene,
desanzeiger abgedruckten Regierungserklärung
„die nicht mitmachen dürfen". Wir betrachten uns
nicht enthalten sind, nicht als eine Art „Klub der Mißvergnügten".
(Abg. Renner: Ei, ei!) Opposition ist nicht die Bremse am Wagen der
und es hat mich geschmerzt, daß der Herr Bundes- deutschen Politik! Opposition ist der andere Be-
kanzler davon gesprochen hat, daß Frankreich weger der deutschen Politik.
Interessen im Saargebiet hat — was richtig ist —, (Sehr gut!)
daß aber auch Deutschland „Interessen" im Saar-
gebiet habe. Man spricht nur dort von „Interessen" Regierung und Opposition bilden nur zusammen
eines Staates in einem anderen Gebiet, wo dieses die Gänze der deutschen politischen Kräfte!
Gebiet ein fremdes Gebiet ist. Das Saargebiet aber (Lebhafter Beifall.)
ist ein Stück Deutschland! Meine Damen und Herren, nehmen Sie diese Worte
(Lebhafter Beifall bei der SPD und rechts.) nicht allzusehr irenisch; sie sind kein Bekenntnis
Es gibt keine Saarfrage, wie es einmal — mit zur Sanftmut. Es wird Kampf geben,
Recht — eine elsaß-lothringische Frage gegeben (Zuruf: An ihren Früchten werdet ihr sie
hat. Es gibt eine Realität „Saarkohle" und „lothrin- erkennen!)
gisches Erz", die durch eine politische Grenze ge- das liegt in der Natur der Sache. — Sie kennen
trennt sind, und das Problem ist: wie bringt das Wort von den Kartoffeln, Herr Kollege
man diese Kohle und dieses Erz zusammen, obwohl Hilbert; ich brauche es Ihnen nicht zu sagen. —
eine politische Grenze dazwischen läuft? Diesen Kampf zu vermeiden, ist keine Sache des
(Sehr richtig!) guten Willens allein. Sache des guten Willens aber
Die Methoden von früher, Annexionen usw. sind ist, wi e dieser Kampf geführt wird. Wir wollen
heute nicht mehr möglich. Wir meinen aber, daß ihn fair führen und hoffen von der Regierungs-
die hybride Methode, die man vor einigen Jahren koalition, daß die Art, wie sie ihn führen wird,
in Saarbrücken exerziert hat, unseres Jahrhunderts so sein wird, daß wir nicht ausschließlich ge-
auch nicht würdig ist. In Asien und Afrika baut zwungen sein werden, gegen sie zu kämpfen,
man die Rechtsfigur des Protektorats langsam ab, sondern daß unser Kampf ein Wettstreit um die
und hier im Herzen Europa errichtet man eine Pro- Bürgerkrone, ein Wettkampf um den Ruhm, unse-
tektoratsverfassung! Wenn man sich dabei auf den rem Volke am besten gedient zu haben, werden
Willen des Saarvolks beruft — man wage doch eine kann.
Volksabstimmung im Saargebiet! (Lebhafter Beifall bei der SPD. in der Mitte
(Lebhafter Beifall.) und bei der FDP.)
Es muß hier eine Lösung gefunden werden, die
dieser Zeit und der Atlantik-Charta würdig ist. Präsident Dr. Köhler: Meine Damen und Her-
Am besten wäre es natürlich, wir könnten heute ren! Der Herr Bundeskanzler hat mich gebeten,
schon die europäischen Bodenschätze eurdpäisieren. eine Unterbrechung der Sitzung vorzunehmen und
Das können wir aber leider noch nicht. Nächstdem zunächst einmal den Ältestenrat zusammenzube-
wäre es auch noch eine gute Sache, wenn man das rufen, um ihm die Möglichkeit zu geben, von dem
Potential von Ruhr, Saar und Lothringen — Kohle, Ergebnis — wie ich annehmen darf — der heuti-
Erze, Eisen, Stahl — zu einem wirtschaftlichen gen Besprechung zu berichten, und anschließend
Zweckverband vereinigen könnte. Auch das wird vermutlich im Plenum.
heute noch nicht gehen. Aber schon heute könnte Meine Damen und Herren, damit wir nicht wie-
man eine Vereinbarung zwischen Deutschland und der die Mißverständnisse wie gestern nachmittag
Frankreich treffen, deren Ergebnis ein unbehin- erleben, möchte ich vorschlagen, daß wir auf un-
derter Zugang des Erzes zur Kohle und der Kohle gewisse Zeit unterbrechen. Ich werde etwa zehn
zum Erz sein könnte. Ich denke an etwas -wie den Minuten vor Beendigung der Besprechung im
alten deutschen Zollverein mit seinen legislativen Ältestenrat das Zeichen zum Wiederzusammentritt
und administrativen Befugnissen. Eine solche Lö- geben lassen.
sung würde allen französischen Interessen gerecht Die Sitzung ist unterbrochen.
werden und einen recht giftigen Pfeil aus dem
Körper Europas ziehen. (Unterbrechung der Sitzung 15 Uhr 42 Minuten.)
(Beifall links.)
Die Sitzung wird um 16 Uhr 44 Minuten wieder
Wir werden sehr bald vor der Frage stehen, wie aufgenommen.
wir uns zum Europa-Rat in Straßburg stellen sollen.
Ich meine, daß wir warten sollten, bis man uns Präsident Dr. Köhler: Meine Damen und Her-
einlädt. Ich meine auch, daß wir nicht als mehr ren! Die Sitzung ist wieder eröffnet.
sollten hineingehen wollen, als wir sind: wir haben
noch keine Möglichkeit einer souveränen Außen- Das Wort hat zunächst der Herr Bundeskanzler
politik; darum kann ich mir einen deutschen Mi- zu einer
nister im Ministerrat des Europa-Rates nicht vor- Erklärung über die Besprechungen mit den drei
stellen. Wir sollten nur als assoziiertes Mitglied Hohen Kommissaren.
nach Straßburg gehen wollen, nicht nur des-
wegen, weil man uns anders nicht einladen wird. Dr. Adenauer. Bundeskanzler: Meine Damen
Ich glaube, wenn wir uns hierbei auf das Mögliche und meine Herren! Heute vormittag hatten einige
beschränken, dann wird uns das früher die Frei- Vertreter der Bundesregierung eine mehrstündige
heit bringen, als fiktive Gleichberechtigungen es Unterhaltung und Beratung mit den Alliierten
könnten! Oberkommissaren. Über den Verlauf dieser Be-
186 Deutscher Bundestag — 10. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. September 1949
(Bundeskanzler Dr. Adenauer)
sprechung geben die Oberkommissare an die Presse Aber sehen Sie, meine Damen und Herren, wenn
eine Mitteilung, die ich Ihnen jetzt verlesen nun der Zufall mir gerade eine Nummer der
möchte: „Zeit" in die Hände spielt, in der ein so ausge-
Der Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutsch- zeichnetes Zitat stand,
land traf sich heute morgen mit den alliierten (Abg. Dr. Schmid: Das ist die Zeitung von Herrn
Hohen Kommissaren, um gewisse allgemeine Bucerius!)
Fragen zu erörtern, die sich auf den gestern von — ja ich komme noch darauf, Herr Schmid —
der Hohen Kommission gefaßten Beschluß über dann heißt es doch viel verlangt, wenn man etwas
die Neufestsetzung des Umrechnungskurses der Derartiges unterdrücken soll. Aber ich darf hinzu-
D-Mark beziehen. Es fand ein Gedankenaustausch
fügen, daß ich gesagt habe, ich nehme nicht an,
in voller Offenheit auf beiden Seiten statt. Die daß ein Mitglied dieses Hauses so gewissenlos wie
Hohen Kommissare erklärten im einzelnen die dieser Reichstagsabgeordnete gewesen ist.
ihrem Beschluß zu Grunde liegenden Motive,
die aus dem Wunsch entspringen, die Inter- Nun, meine Damen und Herren, möchte ich noch
essen Europas im ganzen aufeinander abzustim- etwas weiteres zu den Ausführungen des Herrn
men, die europäische Wirtschaft zu fördern und Kollegen Schmid sagen, und zwar zu den Aus-
Deutschland in die europäische Gemeinschaft ein- stellungen über meine Ausführungen zur Saar-
zugliedern. In diesem Sinne müßten die drei frage. Warum diese Ausführungen nicht in dem
Punkte des Beschlusses der Hohen Kommission „Bundesanzeiger" veröffentlicht sind, weiß ich
verstanden werden. Man kam überein, daß ju- nicht.
ristische Sachverständige der vier Länder zu- (Abg. Renner: Ich weiß es! Schuman!
sammentreten sollen, um die Anwendungen ge- Zuruf: Es ist die einzige Sache, die fehlt!)
wisser Bestimmungen des Besatzungsstatutes und
das Verfahren für die Behandlung ähnlicher Fra- Ich habe keine Zeit dazu, den Regierungsanzeiger
gen in der Zukunft zu prüfen. Es wurde festge- zu lesen, aber schließlich kommt es doch darauf
stellt, daß die endgültige Entscheidung aller dieser an, was hier im Stenogramm steht. Ich darf fol-
Fragen bei der Hohen Kommission verbleiben muß. gendes wiederholen. Ich habe gesagt: die Fran-
Die heutige Sitzung Wird von weiterem Gedanken- zosen haben ein wirtschaftliches Interesse, wir
austausch gefolgt werden. Der Bundesregierung Deutschen haben ein wirtschaftliches u n d ein
bleibt überlassen, neue Vorschläge zur Ausfüh- nationales Interesse.
rung des Paragraphen 3 des Beschlusses der (Zuruf in der Mitte: Sehr richtig!)
Hohen Kommission zu machen. Ich habe weiter gesagt: schließlich haben die Saar-
länder auch ein Lebensinteresse. Ich glaube, wenn
Präsident Dr. Köhler: Meine Damen und Her- man meine Ausführungen im Zusammenhang
ren, ich darf wohl feststellen, daß das Hohe nimmt, dann wird man schlechterdings nicht
Haus diese Erklärung des Herrn Bundeskanzlers sagen können, daß ich die Saarfrage irgendwie
zur Kenntnis genommen hat. als quantité négliable betrachtet hätte. Im Gegen-
Ich erteile nunmehr dem Herrn Bundeskanzler teil, meine Damen und Herren, ich bedauere die
das Wort zur Entwicklung der Saarfrage außerordentlich, ein-
mal aus deutschem Interesse und zweitens aus
Antwort auf die bisherige Aussprache über die europäischem Interesse heraus. Ich glaube aber
Regierungserklärung nach wie vor daran, daß sich doch eines Tages
im europäischen Rahmen eine Regelung der Saar-
Dr. Adenauer, Bundeskanzler: Meine Damen frage finden wird, die unseren berechtigten wirt-
und Herren! Die Diskussion zur Regierungserklä- schaftlichen und nationalen Interessen genügt.
rung hat sich über so viele Tage erstreckt und es
ist so viel dabei angeregt worden, daß Sie ver- (Lebhafter Beifall.)
stehen werden, wenn ich nicht zu allen gemachten Es ist bemängelt worden, daß ich nicht der Ar-
Ausführungen und Ausstellungen im einzelnen beiterwohlfahrt gedankt hätte. Ich glaube, wenn
Stellung nehme. Aber seien Sie überzeugt davon, Sie meine Ausführungen nicht nur im „Bundes-
daß alles sehr sorgfältig geprüft wird, was ge- anzeiger", sondern auch sonst nachlesen würden
sagt worden ist, und daß die Bundesregierung dann würden Sie finden, daß ich nur den Organi-
auch dort, wo es ihr richtig erscheint, die nötigen sationen gedankt habe, die sich besonders um,
Konsequenzen daraus ziehen wird. Ich möchte unsere Kriegsgefangenen bemüht haben. Ich habe
- wenn ich nunmehr auf einzelne Ausführungen in der Zwischenzeit gehört. daß die Arbeiterwohl-
eingehe — anfangen mit dem, was der Herr Kollege fahrt das auch getan hat. Ich stehe nicht an, auch
Schmid gesagt hat, weil mir das am frischesten der Arbeiterwohlfahrt den Dank des gesamten
im Gedächtnis ist. Er hat mich ermahnt, ein Bun-
deskanzler dürfe seine Zeit nicht damit vertun, deutschen Volkes dafür auszusprechen.
die Memoiren oder die Lebenserinnerungen des (Beifall.)
Fürsten Bülow zu lesen. Ich kann dem Herrn Kol-
legen Schmid versichern, erstens daß ich jetzt Es ist ferner gesagt worden, ich hätte nicht von
keine Zeit dazu habe — den Arbeitern gesprochen. Das ist wohl der Fall.
Ich bitte, auch da nachzulesen, was ich gesagt
(Abg. Dr. Schmid: So habe ich es nicht gemeint!) habe.
und zweitens, daß ich es auch früher nicht getan Es ist bemängelt worden, daß ich die Disziplin
habe. und das staatliche Gefühl nicht hervorgehoben
(Abg. Renner: Sie haben Ihre eigene hätte, das die Gewerkschaften in den vergangenen
Geschichte! — Heiterkeit.) Jahren gezeigt hätten. Ich stehe nicht an zu er-
klären, einmal, daß ich die Berechtigung der Ge-
— Der Herr Kollege Renner hat meine Geschichte werkschaften absolut anerkenne, weiter, daß ich
zum Teil miterlebt. ebenfalls durchaus anerkenne, daß die Gewerk-
(Abg. Renner: Daher kenne ich sie auch so gut!) schaften in den Jahren, die hinter uns liegen,
Deutscher Bundestag — 10. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. September 1949 187
(Bundeskanzler Dr. Adenauer)
ihre Verpflichtung gegenüber dem Volksganzen Tagen vorgenommen worden ist. Ich bedauere es
erkannt und erfüllt haben. außerordentlich, daß die Niederländische Regierung
(Bravo!) eine sogenannte Grenzkorrektur — so nennt sie es-
vorgenommen hat, ohne daß irgend jemand sich an
Wenn ich davon nichts gesagt habe und ihnen das Land Nordrhein-Westfalen oder, was richtiger
nicht ausdrücklich gedankt habe, so habe ich es wäre, vorher an die Bundesregierung gewandt hat.
deswegen getan, weil ich noch sehr vielen anderen
dann auch hätte danken müssen. Denn sehen Sie, (Hört! Hört!)
meine Damen und Herren, wenn wir einmal über Meine Damen und Herren! Ein solches Vorgehen
die Zeit seit 1945 rückwärts blicken, dann müssen ist völlig unmöglich und kann von uns in keiner
wir, glaube ich, in allererster Linie unseren Haus- Weise ertragen werden.
frauen danken für das, was sie ertragen und ge- (Beifall des ganzen Hauses mit Ausnahme
leistet haben. der KPD.)
(Lebhafter Beifall.) Das niederländische Volk wünscht mit uns in guten
Man hat weiter vermißt, daß ich nichts zur wirtschaftlichen Beziehungen zu leben. Wirtschaft
Selbstverwaltung gesagt habe. Nun, ich bürge doch liche Beziehungen sind nicht möglich ohne gegen
mit meiner ganzen Person wahrhaftig dafür, daß seitige Achtung. Es ist aber ein Zeichen der Nicht
ich ein Freund der Selbstverwaltung durch und achtung gegenüber der Bundesrepublik Deutsch
durch bin. land und gegenüber der Bundesregierung, wenn
(Heiterkeit. — Abg. Renner: Wie ich es auffasse!) Dinge vorkommen, wie sie jetzt vorgekommen sind.
— Ich bedauere auch, daß im Grundgesetz über die (Sehr richtig!)
Selbstverwaltung etwas wenig gesagt worden ist. Im Verlaufe der Auseinandersetzungen sind
Ich hätte gewünscht, es wäre mehr darüber gesagt — ich bitte die betreffenden Herren, mir den Aus-
worden; denn ich erblicke in der Stärkung der druck nicht übelzunehmen — einige romantische
Selbstverwaltung einen ganz wesentlichen Be- Ausführungen über Böhmen, Mähren, Österreich
standteil des föderalistischen Gedankens. usw. gemacht worden.
Außerordentlich habe ich begrüßt, was die Ver- (Abg. Renner: Nette Romantik!)
treter der Opposition über die Stellung zur Regie- Meine Damen und Herren, ich bitte alle diejenigen,
rung und zur Regierungskoalition gesagt haben. die von diesem Pulte aus sprechen, folgendes zu
Wenn ich sage, die Sprecher der Parteien der Oppo- bedenken: Das Mißtrauen gegenüber uns Deutschen
sition, so drücke ich mich mit Absicht etwas vor- ist im gesamten Ausland nach wie vor außer-
sichtig aus; denn ich weiß noch nicht so recht, wer ordentlich stark, und daher sollte jeder, der öffent-
alles zur Opposition gehört. lich spricht, seine Worte sehr sorgfältig abwägen,
(Heiterkeit.) ob sie nicht zu Mißdeutungen Anlaß geben können,
— Es ist von mehreren Vertretern der Fraktionen, die dieses Mißtrauen gegen uns noch verstärken.
auch der sozialdemokratischen Fraktion durch den (Sehr wahr! in der Mitte.)
Mund des Herrn Schmid, heute zum Ausdruck ge- Es ist mir gesagt worden: „Du hast Österreich
bracht worden, daß man je nach dem Inhalt der nicht erwähnt!" — Nun, meine Damen und Herren:
Gesetzesvorlagen zur positiven Mitarbeit bereit wenn einer ein Freund Österreichs seit vielen,
sei. Deswegen beschränke ich mich jetzt darauf, vielen Jahren ist, dann bin ich es. Aber hat es denn
die Worte zu unterstreichen, und zwar mit Genug- Zweck und ist es überhaupt von Österreich ge-.
tuung zu unterstreichen, die sowohl Herr Dr. Schu- wünscht,
macher wie Herr Ollenhauer wie Herr Professor
Schmid prinzipiell über das Verhältnis von Oppo- (Sehr wahr! bei der CDU)
sition und Regierung gesagt haben. Ich glaube, daß wir hier von Österreich sprechen?
wenn die Opposition in dem Sinne geübt wird, viel-
leicht dann und wann einige Grad mehr — ich (Lebhafte Zustimmung in der Mitte.)
habe nichts dagegen —, In Köln hat eine Versammlung vertriebener Su-
(Heiterkeit) detendeutscher stattgefunden. Meine Damen und
dann ist das für das gesamte demokratische Emp- Herren, jeder von uns wird mit den vertriebenen
finden des deutschen Volkes von größter Bedeu- Sudetendeutschen empfinden und fühlen, und jeder
tung. Ich stehe nicht an zu erklären, daß jede Re- wird mit ihnen übereinstimmen, wenn sie ver-
gierung, insbesondere auch die von mir geführte langen, in ihre Heimat, in ihre freie Heimat zu-
Regierung, von einer klugen Opposition sehr viel rückkehren zu können.
lernen kann und lernen wird. (Bravorufe und Händeklatschen in der
Ich möchte nun noch einige Punkte hervorheben, Mitte und rechts.)
die für uns von Bedeutung sind. Zunächst möchte Aber lassen Sie mich das ausdrücklich betonen: das
ich von den Hemmnissen sprechen, die unserer hat mit Plänen, mit Gedanken und Gedanken-
Schiffahrt auferlegt sind. Wenn das deutsche Volk gängen, wie sie früher bei den Alldeutschen und
bis zum Jahre 1952 in der Lage sein soll, auf ei- später bei den Nationalsozialisten bestanden haben,
genen Füßen zu stehen, dann müssen die Hemm- gar nichts zu tun.
nisse, die jetzt der deutschen Schiffahrt in den Weg (Sehr richtig! in der Mitte.)
gelegt sind, unbedingt beseitigt werden.
- Das ist lediglich ein Ausdruck der Liebe zur heimat-
(Sehr richtig!)
lichen Scholle und weiter nichts.
Ich glaube, wir alle sind uns darin einig, daß Sie
die Bemühungen der Bundesregierung auf diesem Herr Kollege Ollenhauer war so freundlich, mir
Gebiete mit dem Gewicht Ihrer Stimmen unter- am Schlusse seiner Ausführungen nahezulegen,
stützen. ob ich nicht an das Hohe Haus die Frage stellen
wolle, ob es meine Regierungserklärung billige.
Ich möchte ein Wort zu der sogenannten Grenz-
berichtigung im Westen sagen, die in den letzten (Abg. Dr. Schmid: Sie werden es nicht tun!)
188 Deutscher Bundestag — 10. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. September 1949
(Bundeskanzler Dr. Adenauer)
— Ich tue es auch nicht! zuarbeiten und in diesen so außerordentlich
(Große Heiterkeit. — Abg. Dr. Schmid: schweren Zeiten wenigstens etwas weiterzukommen
Das ist verständlich! — Weitere Zurufe im Interesse unseres Volkes!
von der SPD.) (Bravorufe und Händeklatschen bei den
— Sehen Sie, meine Damen und Herren, Herr Regierungsparteien.)
Kollege Schmid kennt mich aus einjähriger Zu-
sammenarbeit ganz genau, Präsident Dr. Köhler: Meine Damen und Her
en,darfichsHougen,bs
(Abg. Dr. Schmid: Ich glaube, ja!) damit den Punkt 1 der Tagesordnung als erledigt
und er wußte auch das; er hätte das gar nicht ansieht?
gefragt. Herr Ollenhauer kennt mich noch nicht so (Zurufe links.)
lange. Oder wird das Wort weiter gewünscht? — Ich
(Erneute Heiterkeit.) stelle fest: das Wort wird nicht gewünscht. Ich
Aber, meine Damen und Herren, ich bitte: sehen schließe damit die Beratung über die Erklärung der
Sie sich das Grundgesetz doch einmal an. Bundesregierung.
(Sehr richtig! in der Mitte.) Wir gehen nunmehr über zu Punkt 2 der Ta-
Dann werden Sie finden, daß derartige Vertrauens- gesordnung:
fragen durch die Fassung des Grundgesetzes ab- Interfraktioneller Antrag betreffend Einset-
sichtlich ausgeschlossen sind. zung von Ausschüssen,
(Widerspruch bei der SPD. — Abg. Dr. und ich bitte Sie, meine Damen und Herren, die
Schmid: Nicht ganz! — Abg. Dr. von Drucksache Nr. 45 zur Hand zu nehmen. Dieser
Brentano: „Ausgeschlossen" nicht! — interfraktionelle Antrag trägt, wenn ich recht sehe,
Zuruf von der SPD: Ich bitte, das Steno die Unterschrift von Vertretern sämtlicher Grup-
gramm zu lesen!) pen des Hauses.
Diese Frage, ob die Frage der Billigung der Re- Ich eröffne die Aussprache über diesen Antrag.
gierungserklärung gestellt werden könne und solle Wird das Wort gewünscht? -- Ich stelle fest: das
oder nicht, oder umgekehrt, ob eine Mißbilligung ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Bera-
oder etwas Derartiges ausgesprochen werden konne tung.
oder nicht, ist im Hauptausschuß des Parlamen- Wer für den interfraktionellen Antrag Druck-
tarischen Rates sehr eingehend diskutiert worden. sache Nr. 45, betreffend Einsetzung von Ausschüs-
Ein so hervorragender, namentlich auch von Ihnen sen, ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. —
anerkannter Jurist wie der Justizminister Katz hat Danke. Ich bitte um die Gegenprobe. — Mit über-
diese Frage mit Entschiedenheit verneint. wältigender Mehrheit angenommen.
(Hört Hört! in der Mitte. — Abg. Dr. Schmid: Meine Damen und Herren, wir kommen damit
Ich glaube nicht, daß das eine getreue Erin ne zu Punkt 3 der Tagesordnung:
rung ist, Herr Bundeskanzler! — Abg. Renner:
Eigene Interpretation!) Anträge der Fraktionen auf Bildung von
Ausschüssen.
— Also dann will ich Ihnen folgendes darauf ant-
worten: Ich war nicht dabei, Auf Grund interfraktioneller Besprechungen
bzw. einer gestern im Ältestenrat getroffenen Ver-
(Abg. Dr. Schmid: Aber ich!) einbarung bleibt es einzelnen Fraktionen noch
aber, verehrter Herr Kollege Schmid, der jetzige vorbehalten, Anträge über die Bildung irgend-
Justizminister Dehler war dabei und hat sich da- welcher Ausschüsse zustellen, die über den Rah-
mals an der Diskussion beteiligt. Der Justizminister men der soeben angenommenen Drucksache Nr. 45
Dehler hat damals die Ansicht vertreten, es sei hinausgehen. Aus technischen Gründen ist es nicht
die Erklärung einer Billigung oder Mißbilligung möglich gewesen, die jeweiligen Anträge sämt-
möglich, hat mir aber erklärt, gerade Herr Katz lichen Mitgliedern des Hauses zuzustellen.. Viel-
habe mit aller Entschiedenheit betont, das sei un- mehr war vorgesehen, diese Anträge jeweils den
möglich, das dürfe nicht mehr vorkommen. Herren Fraktionsvorsitzenden zugehen zu lassen.
(Heiterkeit. — Zurufe von der SPD.) Zur Orientierung des Hauses darf ich aber nun die
in Frage kommenden Anträge zur Verlesung
Meine Damen und Herren, die Hauptsache ist bringen.
ja, daß ich nicht die Absicht habe und daß ich, ver-
ehrter Herr Kollege Ollenhauer, dann wohl Ihnen Ich beginne mit dem Antrag der CDU/CSU-,
überlassen muß, daraus irgendwelche Konse- FDP- und DP-Fraktion. Er lautet:
quenzen zu ziehen. Aber ich glaube kaum, daß Sie Der Bundestag wolle beschließen:
sie ziehen werden. Es wird ein Ausschuß für innergebietliche
(Zurufe.) Neuordnung gemäß Artikel 29 des Grund-
Sie haben lange Tage mit vielen Reden hinter gesetzes in Stärke von 15 Mitgliedern ge-
sich und noch vor sich und Sie werden es deswegen bildet.
sicher als angenehm empfinden, wenn ich mich Wird zu diesem Antrag das Wort gewünscht? —
sehr kurz fasse. Das möchte ich auch tun und Bitte, Herr Abgeordneter Dr. Falkner!
möchte Sie zum Schlusse nur um folgendes bitten.
Ich schließe mich da dem an, was einige-r - Vertreter Dr. Falkner -(BP): Meine Damen und Herren!
von Fraktionen, die nicht zur Regierungskoalition Bitte, betrachten Sie es nicht als eine Anmaßung
gehören, gesagt haben: Bitte, beurteilen Sie die einer kleinen Fraktion, wenn wir uns erlauben,
Bundesregierung nach ihren Taten. Geben Sie der gegen einen Ausschuß Stellung zu nehmen, der von
Bundesregierung Zeit, zu zeigen, ob sie etwas allen anderen Fraktionen gewünscht wird. Dieser
leistet oder ob sie nichts leistet. Ich bitte Sie alle: Ausschuß soll sich mit den Möglichkeiten des Arti-
Bei entscheidenden und für das deutsche Volk wich- kels 29 des Grundgesetzes beschäftigen,
tigen Dingen wollen wir versuchen zusammen (Abg. Dr. von Brentano: Und 118!)
Deutscher Bundestag — 10. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. September 1949 189
(Dr. Falkner)
dieses Artikels 29, der besagt, daß das Bundes- — Dann bitte ich, das zu korrigieren.
gebiet unter Berücksichtigung der landsmann- Ich eröffne die Aussprache über diesen Antrag.
schaftlichen Verbundenheit, der geschichtlichen und Das Wort hat der Herrr Abgeordnete Dr. Klein-
kulturellen Zusammenhänge, der wirtschaftlichen dinst.
Zweckmäßigkeit und des sozialen Gefüges durch
Bundesgesetz neu gegliedert werden könne. Dr. Kleindinst (CSU): Meine Damen und Herren!
Dazu möchte ich bemerken, daß wir es im Sta- Die außerordentliche Notlage weiter Kreise der
dium des Aufbaus eines Staates nicht für richtig Bevölkerung wird uns dazu zwingen, uns fort-
halten, wenn man diesen Aufbau durch interne gesetzt mit der öffentlichen Fürsorge zu befassen.
Fragen stört. Dazu kommt aber, daß in dem Ge- Die Regelung der Fürsorge ist ja in der Fürsorge-
nehmigungsschreiben der Militärgouverneure vom pflichtverordnung erfolgt. Aber diese Fürsorge-
12. Mai 1949 in Ziffer 5 unter den Vorbehalten pflichtverordnung hat viele Änderungen erfahren
folgendes ausgeführt wird: müssen, weil unsere sozialen Verhältnisse ständig
Ein vierter Vorbehalt bezieht sich auf die Artikel fließend gewesen sind und es unter der Belastung
29 und 118 und die allgemeine Frage der Neu- der Gegenwart in erhöhtem Maße sein werden.
regelung der Ländergrenzen. Ausgenommen im Außerdem müssen hier die Verbände der freien
Falle von Württemberg-Baden und -Hohenzollern Fürsorge bei den Aufgaben mitwirken, die den
haben sich unsere Auffassungen Bezirksfürsorgeverbänden gestellt sind.
— „unsere", also die der Militärgouverneure — Aus diesem Grunde halten wir es für notwendig,
in dieser Frage nicht geändert, seitdem wir diese daß ein Ausschuß für die öffentliche Fürsorge ge-
Angelegenheiten mit Ihnen am 2. März be- bildet wird. Der Ausschuß für Verwaltung befaßt
sprochen haben. Falls nicht die Hohen Kommis- sich hauptsächlich mit verwaltungspolitischen Fra-
sare einstimmig dahingehend übereinkommen, gen, während die Aufgaben, die hier zu lösen sind,
diese Auffassung zu ändern, werden die in diesen materiell in erster Linie solche der öffentlichen
Artikeln vorgesehenen Vollmachten nicht aus- Fürsorge sind. Ich bitte aus diesem Grunde, der
geübt werden können, und die Grenzen aller Bildung dieses Ausschusses zuzustimmen; er ist
Länder, ausgenommen Württemberg-Baden und eine unbedingte Notwendigkeit.
-Hohenzollern werden so, wie sie jetzt festgesetzt
sind, bis zum Friedenschluß bleiben. Präsident Dr. Köhler: Wird das Wort zu diesem
Antrag weiter gewünscht? — Das Wort hat der
Nachdem diese Vorbehalte der Besatzungsmächte Herr Abgeordnete Goetzendorff.
noch gelten, ist uns nicht verständlich, was dieser
Ausschuß eigentlich bearbeiten soll. Vielleicht kann Goetzendorff (WAV): Meine Damen und Herren!
aber von den Antragstellern eine Begründung für Auch wir halten die Bildung eines Fürsorge-
die Einrichtung dieses Ausschusses gegeben werden. ausschusses für sehr, sehr notwendig. Ich möchte
Sie aber bitten, von der Bildung eines 15er-
Präsident Dr. Köhler: Wird weiter das Wort Ausschusses abzusehen und aus diesem Ausschuß
gewünscht? - Herr Abgeordneter Dr. Schmid, bitte! einen 21er-Ausschuß zu machen. Ich glaube, die
Fürsorge ist für alle Fraktionen — seien sie groß
Dr. Schmid (SPD): Ich möchte nur eine Auf- oder klein — eine so eminent wichtige Frage, daß
klärung geben. Die Sperrbestimmung der Be- jeder Fraktion Gelegenheit gegeben werden sollte,
satzungsmächte bezüglich der gebietlichen Neu- daran mitzuarbeiten.
gliederung ist nicht so absolut, wie hier gesagt
wurde. Es heißt darin lediglich, daß im Falle eines Ich stelle daher den Antrag, den Fürsorgeaus-
Gesetzes, durch das das Bundesgebiet neu auf- schuß auf 21 Mitglieder zu erweitern.
geteilt wird, alle drei Besatzungsmächte zustimmen
müssen. Präsident Dr. Köhler: Ich stelle also fest, daß
Sie einen Abänderungsantrag zu dem eben von
(Sehr richtig! bei der SPD und in der Mitte.) mir verlesenen Antrag dahingehend stellen: seine
Mehr ist nicht gesagt worden. Und wir sollten doch Stärke soll statt 15 21 Mitglieder betragen.
nicht so sehr an der Weisheit der Besatzungs- Wird das Wort weiter gewünscht? — Ich stelle
mächte zweifeln, meine Damen und Herren! jetzt fest, daß dies nicht der Fall ist. Ich schließe
(Heiterkeit.) die Aussprache und lasse usancegemäß über den
Abänderungsantrag des Herrn Abgeordneten
Präsident Dr. Köhler: Wird das Wort weiter Goetzendorff dahingehend, daß der Fürsorge-
gewünscht? — Ich stelle fest: das ist nicht ausschuß statt aus 15 aus 21 Mitgliedern bestehen
der Fall. Ich schließe die Aussprache. soll, abstimmen. Wer für diesen Abänderungsan-
Dann kommen wir zur Abstimmung über den trag des Herrn Abgeordneten Goetzendorff ist, den
vorhin von mir verlesenen Antrag. Wer dafür ist, bitte ich, die Hand zu erheben. — Ich bitte um
den bitte ich, die Hand zu erheben. — Danke. Ich die Gegenprobe. — Der Antrag ist zweifelsfrei mit
bitte um die Gegenprobe. — Gegen wenige Stimmen Mehrheit abgelehnt.
angenommen. Wer nunmehr für den Antrag in der unveränder-
Der nächste Antrag, ebenfalls ein Antrag der ten Fassung, wie ich sie vorgetragen habe, ist,
CDU/CSU-, FDP- und DP-Fraktion, lautet: den bitte ich, die Hand zu erheben. — Danke. Ich
Der Bundestag wolle beschließen: bitte um die Gegenprobe. — Zweifelsfrei mit Mehr-
Es wird ein Ausschuß für Fragen der - öffent- heit angenommen.
lichen Fürsorge zur Regelung der dem Bund Ich komme zum nächsten Antrag: Antrag der
gemäß Artikel 74 der Grundordnung obliegen- CDU/CSU-, FDP- und DP-Fraktion:
den Möglichkeiten und Notwendigkeiten in Der Bundestag wolle beschließen:
Stärke von 15 Mitgliedern gebildet.
Es wird ein Ausschuß für Fragen des Gesund
— Das muß doch wohl „Grundgesetz" heißen? heitswesens zur Regelung der dem Bund ge
(Zustimmung.) mäß Artikel 74 des Grundgesetzes obliegenden
190 Deutscher Bundestag — 10. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. September 1949
(Präsident Dr. Köhler)
Möglichkeiten und Notwendigkeiten in Stärke Hauptausschuß, ist damals ausdrücklich erklärt
von 21 Mitgliedern gebildet. worden — wer die Debatten mitgemacht hat, der
Ich eröffne die Aussprache zu diesem Antrag. ist im Bilde —, daß unter öffentlicher Fürsorge
Wird das Wort gewünscht? — Das Wort wird nicht nicht nur die Fürsorgepflichtverordnung, die eben
gewünscht. Ich schließe die Aussprache. Wer für genannt wurde, zu verstehen ist, sondern auch die
diesen soeben von mir verlesenen Antrag ist, den Reichsjugendwohlfahrtsgesetzgebung von früher,
bitte ich, die Hand zu erheben. — Danke. Ich bitte also auch die Jugendfürsorge. Wir haben im Ge-
um die Gegenprobe. — Zweifelsfrei mit Mehrheit genteil im Augenblick den Zustand, daß jedes Land
angenommen. hier seine eigenen Reformen macht, und wir müs-
sen auf diesem Gebiet zu einer einheitlichen Ge-
Ich komme zum nächsten Antrag der CDU/CSU-, setzgebung kommen.
FDP- und DP-Fraktion:
Der Bundestag wolle beschließen: Präsident Dr. Köhler: Wird das Wort weiter ge-
Es wird ein Ausschuß für Fragen der Jugend- wünscht? — Das Wort hat der Herr Abgeordnete
fürsorge zur Regelung der dem Bunde gemäß Strauß.
Artikel 74 des Grundgesetzes obliegenden Mög-
lichkeiten und Notwendigkeiten in Stärke von 15 Strauß (CSU): Ich möchte zur Berechtigung
Mitgliedern gebildet. dieses Ausschusses nur ergänzend bemerken: Herr
'Wird das Wort zu diesem Antrag gewünscht? — Abgeordneter Dr. Besold hat von einem Ausschuß
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Besold. für Jugendpflege und Jugendfürsorge gesprochen.
Sein Einspruch gegen den Ausschuß für Jugend-
Dr. Besold (BP): Die Fraktion der Bayern fürsorge im engeren Sinne wäre tatsächlich be-
partei hat gegen die Gründung dieses Ausschusses rechtigt, wenn so beantragt worden wäre. Die Ju-
Einspruch erhoben wie auch gegen die der Aus gendpflege fällt in fast allen deutschen Ländern in
schüsse für Gesundheitswesen, Kulturpolitik, die Zuständigkeit der Kultusministerien. Kultur-
öffentliche Fürsorge, Wissenschaft und Forschung, politische Angelegenheiten sind nach dem Grund-
Presse, Rundfunk und Film. Wir haben deshalb gesetz Angelegenheiten der Länder. Darum kann
Einspruch erhoben, weil wir uns auf das Grund sich dieser Ausschuß mit Jugendpflege im kultur-
gesetz stützen und die Bildung eines Ausschusses politischen Sinne nicht befassen. Darin würde ich
nicht für notwendig erachten können, wofür we mit Ihnen, Herr Dr. Besold, durchaus überein-
der derzeit noch überhaupt eine Rechtsgrundlage stimmen. Allerdings hat die Jugendpflege und
oder ein Bedürfnis gegeben ist. Ein Ausschuß kann Jugendfürsorge heute in einem größeren Maße, als
nur dort einen Zweck und einen Sinn haben, wo es früher der Fall war, Grenzgebiete, die sich über-
gleichzeitig auch irgendwie die Zuständigkeit des schneiden. Jugendpflege ist heute weitestgehend
Bundes begründet ist, sei es in ausschließlicher Ge eine soziale Aufgabe geworden, die durchaus, bis
setzgebungsmöglichkeit oder in konkurrierender zu einem gewissen Grade jedenfalls, in die Zu-
Gesetzgebungsmöglichkeit. Wenn eine derartige ständigkeit des Bundes fällt. Hier möchte ich daran
Möglichkeit im Grundgesetz nicht vorgesehen ist, erinnern, daß ja nach dem Grundgesetz dem Bund
(Zuruf aus der Mitte: Das haben Sie ja nicht die Möglichkeit gegeben ist, Dotationen für Zwecke
anerkannt!) der Wohlfahrtspflege, der Gesundheitspflege und
der kulturellen Förderung zu machen. Wir wollen
dann spricht die Vermutung für die Zuständigkeit so Gott uns helfe, dafür sorgen, daß der Bund das
der Länder. Es ist weder im Artikel 73 noch in dem Seine auf dem Gebiet Jugendfürsorge leistet und
Katalog des Artikels 74 auch nur irgendwie ein im Rahmen der ihm zur Verfügung stehenden Mit-
Anhalt dafür gegeben, daß dem Bund die Zustän- tel auch etwas zur Förderung der Jugendpflege
digkeit für Jugendfürsorge und Jugendwohlfahrt beiträgt.
gegeben ist. Es kann daher auch nicht antizipativ
die Zuständigkeit des Bundes durch Gründung der- (Beifall.)
artiger Ausschüsse vorweggenommen werden. Des- Präsident Dr. Köhler: Wird weiter das Wort ge-
halb ist die Fraktion der Bayernpartei gegen einen wünscht? — Ich stelle fest: das ist nicht der Fa ll .
Ausschuß für Jugendpflege und Jugendwohlfahrt, Ich schließe die Aussprache.
weil dieses Gebiet durchaus von den Ländern be-
wältigt werden kann und muß und auch keine Be- Wir kommen zur Abstimmung über diesen An-
dürfnisfrage irgendwie fundiert ist. trag. Wer für den Antrag ist, den bitte ich, die
Hand zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. —
Darf ich gleich auch zu den anderen Ausschüssen Ich danke. Der Antrag ist eindeutig mit Mehrheit
sprechen? angenommen.
Präsident Dr. Köhler: Nein, wir wollen das ge- Wir kommen zu dem nächsten Antrag; er ist von
trennt behandeln, Herr Abgeordneter. den Abgeordneten Ollenhauer (SPD), Holzapfel
(CDU), Euler (FDP), Klinge (DP), Reismann (Z) und
Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Weber. Tichi (WAV) unterzeichnet und lautet:
Frau Dr. Weber (CDU): Ich möchte dem Herrn Der Bundestag wolle beschließen:
Vorredner sagen, daß er über die Grundlage Es wird ein Ausschuß für Fragen der Presse,
dieser Frage doch nicht im Bilde ist. Der Bund des Rundfunks und des Films gebildet, der 15
wird das Reichsjugendwohlfahrtsgesetz in seinen ordentliche Mitglieder hat.
Abänderungen zur Behandlung bekommen. - Das Ich eröffne die Aussprache über diesen Antrag.
war schon im alten Reich so; es fällt jetzt unter die Wird das Wort gewünscht? — Bitte, Herr Ab-
konkurrierende Gesetzgebung, und es wird ganz geordneter Dr. Besold!
sicher auch eine Angelegenheit der Bundesgesetz-
gebung werden. Dr. Besold (BP): Auch gegen die Bildung die-
(Zuruf.) ses Ausschusses hat die Fraktion der Bayern-
- Die Jugendwohlfahrt ist ein Teil der öffent partei Einspruch erhoben. An und für sich gehören
lichen Fürsorge. Im Parlamentarischen Rat, im Presse, Rundfunk und Film in den Bereich der
Deutscher Bundestag — 10. Sitzung. noun, bonnerstag, den 29. September i949 191
(Dr. Besold)
Kulturpolitik, die zweifelsfrei eine ausschließliche Wird das Wort zu diesem Antrag gewünscht? —
Zuständigkeit der Länder im Grundgesetz recht- Ich stelle fest: das ist nicht der Fall. Ich schließe
fertigt. Dazu muß gesagt werden, daß eine Zustän- die Beratung.
digkeit des Bundes in Angelegenheiten des Rund-
funks überhaupt nicht gegeben oder erwähnt ist, Wer für diesen Antrag betreffend Bildung eines
weder in der ausschließlichen Gesetzgebung noch Ausschusses für Bau- und Bodenrecht ist, den bitte
im Katalog nach Artikel 74. Von Presse und Film ich, die Hand zu erheben. — Ich bitte um die Ge-
ist lediglich im Artikel 75 die Rede, in dem es genprobe. — Das erstere war die Mehrheit. Der
Antrag ist angenommen.
heißt, daß der Bund das Recht hat, unter den Vor-
aussetzungen des Artikels 72 Rahmenvorschriften (Widerspruch in der Mitte.)
zu erlassen. Dann ist unter Ziffer 2 lediglich von — Die zuerst vorgenommene Abstimmung ergab
den allgemeinen Rechtsverhältnissen der Presse die Mehrheit für den Antrag.
und des Films, nicht aber des Rundfunks die Rede.
Es ist nicht von ungefähr, wenn nach Aufgabe des (Erneuter Widerspruch in der Mitte.)
bayerischen Rundfunks durch die Militärregierung — Wird die Abstimmung angezweifelt?
dieser Rundfunk in bayerische Hände als baye- (Zurufe: Jawohl!)
rischer Rundfunk übergeben worden ist. Es gibt
keine irgendwie geartete gesetzliche Grundlage in — Dann wiederholen wir sie. Hier oben waren wir
allerdings anderer Meinung.
dem Grundgesetz, und Sie können mir, meine Da-
men und Herren, keine gesetzliche Fundation aus Ich verlese den Antrag, über den ich noch ein-
dem Grundgesetz anführen, nach welcher der Bund mal abstimmen lassen werde:
die Zuständigkeit auf dem Gebiete des Rundfunks Es wird ein ständiger Ausschuß für Bau- und
irgendwie für sich in Anspruch nehmen könnte. Bodenrecht mit 7 Mitgliedern gebildet.
(Zuruf: Das steht doch im Alten Testament! Wer für diesen Antrag ist, den bitte ich, die Hand
Heiterkeit.) zu erheben. — Ich bitte um Auszählung; wir wol-
Was den Ausschuß für Presse und Film anlangt, len ganz korrekt verfahren. — Ich bitte, die Hand
so habe ich schon erwähnt, daß diese Spezialgebiete recht hoch zu heben, damit den Herren Schrift-
Ausschnitte aus der kulturpolitischen Sphäre führern das schwere Amt des Auszählens nach
überhaupt sind. Hier ist auch nach den Ausfüh- Möglichkeit erleichtert wird. — Danke schön. Ich
rungen des Herrn Bundeskanzlers die Zuständigkeit bitte um die Gegenprobe und wiederum um Aus-
der Länder begründet. Wenn der Bund trotzdem zählung. - Danke schön.
eine Zuständigkeit für sich in Anspruch nehmen Meine Damen und Herren! Das Ergebnis der Ab-
kann, so nur dann, wenn eine Bedürfnisfrage unter stimmung ist folgendes: für den Antrag 191, gegen
den Voraussetzungen des Artikels 72 Absatz 2 ge- den Antrag 155 Stimmen. Damit ist der Antrag
geben ist. Diese Bedürfnisfrage muß aber zuerst angenommen.
entschieden sein, und eine Zuständigkeit des Bun-
des kann nicht dadurch vorweggenommen werden, Wir kommen zum nächsten Antrag: Antrag der
FDP:
daß hier schon Ausschüsse gebildet werden, obwohl
der Bund seine Zuständigkeit noch nicht nach- Der Bundestag wolle beschließen:
gewiesen und auch noch nicht in Anspruch ge- Es wird ein Ausschuß für Kulturpolitik mit 21
nommen hat. Mitgliedern eingesetzt.
(Zuruf li nks: Bedürfnis liegt vor!) Wird das Wort dazu gewünscht? — Bitte, Herr Ab-
geordneter Mayer.
Präsident Dr. Köhler: Wird das Wort weiter ge-
wünscht? — Ich stelle fest: das ist nicht der Fall. Mayer (FDP): Meine Damen und Herren! Wir
Ich schließe die Aussprache. wissen natürlich, was vorhin wiederholt festgestellt
Wer für den von mir verlesenen interfraktio- wurde, daß Kulturpolitik Länderangelegenheit ist.
nellen Antrag ist, den bitte ich, die Hand zu er- Wir beantragen diesen Ausschuß auch nicht, um in
heben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Ich die Rechte der Länder einzubrechen. Wir bean-
danke. Der Antrag ist mit überwältigender Mehr- tragen ihn aus der Sorge, daß das durch die Ruf-
heit angenommen. trennung in drei Zonen eingeleitete Auseinander-
Wir kommen zum nächsten Antrag: Antrag der leben unseres Volkes noch weiter fortschreiten
SPD-Fraktion: könnte. Wir beantragen diesen Ausschuß, weil wir
die Sorge haben, daß mit der Einheitlichkeit im
Der Bundestag wolle beschließen: Kulturellen eine wesentliche Klammer der deut-
Es wird ein Ausschuß gemäß Artikel 15 des schen Einheit verschwinden könnte. Wir wollen
Grundgesetzes eingesetzt. Der Ausschuß soll 27 schon auch die Vielfalt und das Vielfältige im Kul-
ständige Mitglieder haben. turleben, aber wir wollen auch, daß wir in Deutsch-
Wird das Wort zu diesem Antrag gewünscht? — land einmal wieder zu einer Freizügigkeit im Raum
Ich stelle fest: das ist nicht der Fall. Ich schließe des Kulturellen kommen. Wir wollen, daß in
die Aussprache. Deutschland auch die Freizügigkeit des Schulkindes
Wer für diesen soeben von mir verlesenen An- wiederhergestellt wird. Wir wollen schließlich, daß
trag ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Ich sich der Bund um d i e kulturellen Dinge küm-
bitte um die Gegenprobe. — Danke. Das erstere mert, um die er sich kümmern muß, weil sich die
war eindeutig die Mehrheit. Der Antrag ist an- Länder nicht um sie kümmern können.
genommen. Ein Beispiel nur: Wer kümmert sich gegenwärtig
Der nächste Antrag der SPD-Fraktion lautet: um die deutschen wissenschaftlichen Institute im
Ausland? Ein anderes: Wer kümmert sich jetzt
Der Bundestag wolle beschließen: um die Dinge, wenn wir wieder in das kultur-
Es wird ein ständiger Ausschuß für Bau- und politische Gespräch mit dem Ausland kommen?
Bodenrecht mit 7 ordentlichen Mitgliedern ge- Bitte, das ist im Artikel 73 des Grundgesetzes ziem-
bildet. lich klar festgestellt, und nach Artikel 74 gehören
192 Deutscher Bundestag — 10. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. September 1949
(Mayer)
zur konkurrierenden Gesetzgebung der Schutz des Weil bezüglich kultureller Angelegenheiten dem
deutschen Kulturgutes und die Förderung der Bund überhaupt kein Zuständigkeitsbereich ge-
wissenschaftlichen Forschung. geben ist, sind wir also unter allen Umständen
(Abg. Hilbert: Da beantragen wir ja einen gegen diesen kulturpolitischen Ausschuß. Die
Ausschuß!) Fragen, die hier angedeutet worden sind, können
auf anderer Ebene zum Nutzen und zum Frommen
Und noch etwas, was eindeutig in der Zu- Deutschlands erledigt werden.
ständigkeit der Länder liegt, was uns aber wohl
nicht befreit, uns darüber Gedanken zu machen; Präsident Dr. Köhler: Das Wort hat der Herr
das ist, daß wir jetzt in 11 Ländern, in drei ver- Abgeordnete Dr. Laforet.
schiedenen Zonen, eine Schulreformgesetzgebung
erleben, die viel weniger aus deutschem Willen Dr. Laforet (CSU): Meine Damen und Herren!
als aus fremdem Vorbild und fremden Anregungen Die Frage war im Parlamentarischen Rat lange
geboren ist. Gegenstand eingehender Erörterung. Es unter-
(Sehr gut! bei der FDP.) liegt gar keinem Zweifel, daß die gesamte kultu-
Wir möchten hier keine Bevormundung der Län- relle Pflege ausschließlich Sache der Länder ist.
der, aber wir möchten eine Stelle schaffen, die sich (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)
koordinierend, vermittelnd, ausgleichend bemüht, Es sind nur Ausnahmen gegeben, in denen dem
die im Zusammenwirken mit dem Bundesrat das Bund eine Zuständigkeit zukommt. Eine solche ist
schafft, was ich eingangs andeutete, die Sicherstel- allerdings in Artikel 74 Ziffer 13 gegeben. Danach
lung der kulturellen Freizügigkeit in unserem ist die Förderung der wissenschaftlichen Forschung
deutschen Raum. im Inland und im Ausland Aufgabe des Bundes. Es
Aus all diesen Gründen bittet Sie meine Fraktion, ist wohl zweckmäßig, hier einen Ausschuß an die
der Einsetzung dieses Ausschusses zuzustimmen. Seite der Regierung zu stellen. Wir haben deshalb
beantragt, einen solchen Ausschuß zur Förderung
Präsident Dr. Köhler: Wird das Wort weiter ge- der wissenschaftlichen Forschung ins Leben zu
wünscht? — Bitte, Herr Abgeordneter Dr. Besold! rufen. Damit ist die Bundeszuständigkeit erschöpft.
Für den allgemeineren Antrag können wir, aus
Dr. Besold (BP): Wir verstehen durchaus die verfassungsrechtlichen Gründen nicht stimmen.
speziellen Sorgen des Vorredners bezüglich des
deutschen Kulturgutes, das im Ausland liegt. Aber Präsident Dr. Köhler: Wird zu diesem Antrag
dazu ist es nicht notwendig, das Grundgesetz zu
verletzen; denn dieser Schutz deutschen Kultur- weiter das Wort gewünscht? — Bitte, Herr Ab-
gutes im Ausland ist nicht Aufgabe eines kultur- geordneter Euler!
politischen Ausschusses, sondern ist Aufgabe einer Euler (FDP): Meine sehr verehrten Damen
Vertretung, die früher das Außenministerium und Herren! Verfassungsrechtliche Bedenken
hatte und die heute sicher in den besten Händen, dürften einem Ausschuß nicht entgegenstehen, der
nämlich beim Bundeskanzler selbst liegt. unter anderem auch die Aufgabe haben soll.
(Zuruf in der Mitte: Bayern gehört nicht zum Empfehlungen abzugeben, die verhindern sollen,
Ausland!) daß das deutsche Schulwesen einer Zersplitterung
Meine Damen und Herren! Wenn Sie einen kul- verfällt, die später — auch schon in dem heutigen
turpolitischen Ausschuß antizipativ gründen, so Zustand — zu einer schweren Einschränkung der
geben Sie dem Bund eine Zuständigkeit, die wirk- Freizügigkeit innerhalb Deutschlands führen
lich nicht vorgesehen ist. dürfte. Wenn auch ein solcher Ausschuß nur
Empfehlungen abgibt, so glaube ich, daß diese
(Sehr richtig! bei der CDU.) Empfehlungen dazu beitragen werden, den Willen
In Artikel 56 des Grundgesetzes, in dem der zu einer Abstimmung der Schulreformen in den
Schwur auf das Grundgesetz festgelegt ist, heißt verschiedenen Ländern zu stärken. Diese Stärkung
es, daß das Grundgesetz und die Gesetze des Bun- liegt im gesamtdeutschen Interesse.
des zu wahren und zu verteidigen sind. Wenn
durch die Beratungen des Parlamentarischen Rates, Präsident Dr. Köhler: Wird das Wort weiter ge-
die über acht Monate gedauert haben, klipp und wünscht? — Das ist nicht der Fall. Ich schließe
klar festgelegt worden ist, daß kulturelle Angele- die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung.
genheiten ausschließlich Angelegenheiten der Län- Wer für den Antrag ist, einen Ausschuß für
der sind, so hat es auch mit Rücksicht auf Artikel Kulturpolitik mit 21 Mitgliedern zu bilden, den
56 des Grundgesetzes dabei zu verbleiben. bitte ich, die Hand zu erheben. — Ich bitte um die
Ich möchte hier — und zwar bezüglich all der Gegenprobe. — Das erste war die Mehrheit; wir
Ausschüsse, gegen die wir Einspruch erhoben haben es von hier oben einwandfrei festgestellt.
haben — gerade auf die Ausführungen des Herrn Damit ist der Antrag angenommen.
Abgeordneten Dr. Schmid verweisen, der heute ge- Wir kommen zum nächsten Antrag: Antrag der
sagt hat: Sowenig Staat als möglich, soviel Staat CDU/CSU-Fraktion:
als notwendig. Das heißt bezüglich der Ausschüsse:
sowenig Ausschüsse als möglich und soviel Aus- Der Bundestag wolle beschließen:
schüsse als gerade notwendig. Wenn hier auf die Es wird ein Ausschuß zur Förderung von Wissen-
Einflußnahme des Auslandes in kulturellen An- schaft und Forschung — —
gelegenheiten hingewiesen worden ist, so glaube (Abg. Dr. von Brentano: Der Antrag wird
ich, daß diese Gefahr viel mehr abgewendet ist, zurückgezogen.)
wenn in kulturpolitischer Hinsicht nicht eine zen- - Der Antrag wird zurückgezogen. Er ist damit
trale Leitung vorhanden ist, sondern wenn die kul-
turellen Angelegenheiten den Ländern überlassen erledigt.
sind. Denn auf die einzelnen Länder kann vom Meine Damen und Herren, damit ist Punkt 3
Ausland aus nicht dieser globale Einfluß genom- — Anträge der Fraktionen auf Bildung von Aus-
men werden. schössen — erledigt.
Deutscher Bundestag — 10. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. September 1949 193
(Präsident Dr. Köhler)
Wir kommen nunmehr zu Punkt 4 der Tages- im Plenum, weil mancher Gesichtspunkt bereits
ordnung: in den Ausschüssen zur Sprache gebracht werden
Beschlußfassung über die Mitgliederzahl kann, und ich glaube, wir sollten im Interesse der
der Ausschüsse und Verfahren zu ihrer parlamentarischen Atmosphäre den kleinen Frak-
Besetzung. tionen tatsächlich ein solches Entgegenkommen
zeigen.
Wir haben uns interfraktionell darüber verstän-
digt. daß dieser Abstimmung letzten Endes die (Zuruf von der CDU: Machen Sie es in
Drucksache 48 zugrunde gelegt wird, vorher aber, Schleswig-Holstein auch so?)
um die Drucksache 48 wirksam werden zu lassen, — Ich habe es hier nicht mit Schleswig-Holstein zu
über zwei Anträge abstimmen zu lassen, die näm- tun, sondern mit dem Bundesparlament, das einen
lich das Verfahren zur Besetzung regeln. Da liegt neuen Anfang zu machen hat, und ich hoffe, daß
zunächst vor — ich darf ihn verlesen — ein Antrag wir alle darin einig sind.
der SPD-Fraktion: Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch
Der Bundestag wolle beschließen: ein Wort hinzufügen, das an sich mit dieser Frage
nichts zu tun hat, wohl aber mit der Stellung, die
Die Ausschüsse des Bundestags werden nach fol- die Berliner Vertreter in diesem Hause gegen-
gendem Schlüssel durch die Fraktionen besetzt: über den Ausschüssen haben sollen. Ich möchte
27er-Ausschuß: CDU/CSU 9, SPD 9, FDP 4, DP namens meiner Fraktion hier den Wunsch aus-
1, BP 1, KPD 1, WAV 1, Zentrum 1; sprechen, daß die Berliner Vertreter in den Aus-
21er-Ausschuß: schüssen, in denen ihre jeweilige Fraktion Wert
— in derselben Reihenfolge der Fraktionen, mit darauf legt, daß sie sich an der Arbeit beteiligen,
AusnahmedZtr— ebenfalls mit beratender Stimme teilnehmen kön
7, 7, 33, 1, 1, 1, 1; -ne.DasbtriflFkone,dVrtaus
15er-Ausschuß: 5, 5, 2, 1, 1, 1 Berlin in ihren Reihen haben, und man sollte den
— aufhörend bei der KP einschließlich —; Damen und Herren aus Berlin ebenfalls die Mög-
7er-Ausschuß: 3, 3, 1. lichkeit der sachlichen Mitarbeit geben, ohne daß
Den nach diesem Schlüssel in einem Ausschuß sie rechtlich diskriminiert sind.
nicht vertretenen Fraktionen steht das Recht zu, (Beifall bei der SPD. — Zuruf von der CDU:
sich durch einen Abgeordneten mit beratender Das ist gar nicht entschieden!)
Stimme vertreten zu lassen, soweit nicht der
Bundestag für einzelne Ausschüsse eine ab- Präsident Dr. Köhler: Herr Abgeordneter
weichende Regelung beschließt. Schoettle, ist das ein ergänzender Antrag, oder soll
Ich eröffne die Aussprache über diesen Antrag. er als besonderer Antrag gelten?
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schoettle.
Schoettle (SPD) : Herr Präsident, ich glaube,
Schoettle (SPD): Herr Präsident, meine Damen wenn das ganze Haus in diesem Wunsche einig ist,
und Herren! Für die politische Zusammensetzung kann das einer Absprache der Fraktionen über-
der Ausschüsse des Bundestages gibt es mehrere lassen bleiben.
Möglichkeiten, die in einer kleinen vom
Ältestenrat eingesetzten Kommission auch lange Präsident Dr. Köhler: Das Wort hat der Herr
erörtert worden sind. Es hat sich, um zunächst die AbgeordntScha.
hervorstechendste Methode zu erwähnen, einmal
das d'Hondtsche System angeboten, das nach dem Scharnberg (CDU): Meine Damen und Herren!
strengen Höchstzahlenverfahren die Ausschußsitze DerAntagdsozilmkrchenFato
zuteilt und das praktisch dazu führt, daß man widerspricht der klaren Bestimmung des § 9 der
außer den eigentlichen großen Fraktionen und, Geschäftsordnung. Dieser besagt:
sagen wir, den Fraktionen bis zu etwa 20 oder 17 Im Verhältnis zu ihrer Mitgliederzahl erhalten
Mitgliedern alle anderen ausschließt. Wir haben die Fraktionen Anteil an den Stellen des Al-
demgegenüber den Vorschlag gemacht, davon aus- testenrats, des Vorstandes, der Ausschüsse, der
zugehen, daß in den wichtigeren Ausschüssen, das Ausschußvorsitzenden und ihrer Stellvertreter.
heißt in den großen Ausschüssen, alle Fraktionen
mindestens mit einem Mitglied vertreten sein sol- Demnach können wir diesen Antrag nicht an-
len, daß man von hier aus aufbauen und daß sich nehmen, und wir schlagen vor. daß die Sitze in
daraus das Verhältnis der einzelnen Vertretungen demVrhältnisvwde,achrG-
in den Ausschüssen ergeben soll. Diesem Gesichts- schäftsordnung vorgeschrieben ist, und zwar in der
punkt will unser Vorschlag dienen, den der Herr Weise, daß bei den 27er-Ausschüssen die CDU 10,
Präsident soeben verlesen hat. die SPD 10, die FDP 4 Sitze. die Deutsche Partei 1,
Auch dann bleiben selbstverständlich bei den die Bayernpartei 1 und die KPD 1 Sitz erhält, bei
kleineren Ausschüssen einige Fraktionen aus- den 21 er-Ausschüssen die CDU 8, die SPD 8, die
geschlossen. Da wir die Fraktionsstärke in der Ge- FDP 3 Sitze, die Deutsche Partei 1 und die Bayern-
schäftsordnung auf 10 Abgeordnete festgesetzt partei 1 Sitz, bei den 15er-Ausschüssen die CDU 7,
haben, trifft das — mit Abstufungen — die Frak- die SPD 6 und die FDP 2, bei den 7er-Ausschüssen
tionen vom Zentrum bis zur KP und, ich glaube, dieCDU3,SPundieFD1tzrhäl.
auch bis zur Bayernpartei und zur DP. 13m hier Ich bitte Sie, den Antrag in dieser Aufschlüsselung
auszuweichen, schlagen wir vor, daß die Fraktionen, anzunehmen.
die durch den Schlüssel nicht erfaßt sind, in den
Ausschüssen durch ein Mitglied mit beratender Präsident Dr. Köhler: Das Wort hat der Herr
Stimme vertreten sein sollen. Ich glaube. das ist im Abgeordnete Dr. Miessner.
Interesse des parlamentarischen Betriebs absolut
notwendig. Wir ersparen uns durch diese Art der Dr. Miessner (NR): Die Gruppe „Nationale
Vertretung, die den kleinen Fraktionen auch Rechte", die 6 Mann stark ist, hatte die Herren
tatsächlich eine Beteiligung an den Ausschußar- Vorsitzenden der anderen Fraktionen gebeten, bei
beiten ermöglicht, eine Menge unnötiger Debatten derBstzungAchüeitdanzukor-
194 Deutscher Bundestag - 10. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. September 1949
(Dr. Miessner)
men, daß wir als die einzige Gruppe im Hause, die Präsident Dr. Köhler: Das Wort hat der Her!
nun einmal nicht die Fraktionsstärke von 10 Mann AbgeordntEul.
hat, von der eigentlichen parlamentarischen Arbeit
in den Ausschüssen völlig ausgeschlossen sind. Euler (FDP): Meine sehr verehrten Damen und
Ich glaube, daß es nicht sehr demokratisch ist Herren! Es bestünde, wie ich glaube, eine Möglich-
und keinen besonders guten Start für die in den keit, das Prinzip der Verhältniswahl nach dem
nächsten vier Jahren zu leistende Arbeit bedeutet, d'Hondtschen System gemäß § 9 der Geschäftsord-
wenn man in dieser Weise eine Gruppe von Wäh- nung zu verbinden mit der notwendigen Wahrung
lern von der Arbeit völlig ausschließt und ge- der Interessen der kleinen Fraktionen, an der Aus-
wissermaßen in eine hoffnungslose Opposition schußarbeit beratend teilzunehmen und über die
drängt. Wir bitten daher, den Antrag der SPD- Ausschußarbeit so unterrichtet zu sein, daß nachher
Fraktion dahin zu ergänzen, daß es heißt: im Plenum etwa aus ungenügender Orientierung
heraus keine Störungen erwachsen. Deswegen
Den nach diesem Schlüssel in einem Ausschuß schlage ich vor, daß über den SPD-Antrag getrennt
nicht vertretenen Fraktionen oder Gruppen steht abgestimmt wird, das heißt, daß die Abstimmung
das Recht zu, sich mit beratender Stimme zu be- über den Verteilungsschlüssel von der Abstimmung
teiligen.
über den Nachsatz getrennt wird: ..Den nach die-
Wir wissen sehr wohl, daß wir nicht die Forde- sem Schlüssel in einem Ausschuß nicht vertretenen
rung erheben können, als stimmberechtigte Mit- Fraktionen und der Gruppe Nationale Rechte steht
glieder in den Ausschüssen zu erscheinen, weil dann das Recht zu, sich durch einen Abgeordneten mit
infolge der Mehrheitsverhältnisse, die ja für die beratender Stimme vertreten zu lassen." Wir haben
Regierungsparteien auch in den Ausschüssen dann eine klare Bildung der Ausschüsse gemäß § 9
irgendwie gewahrt sein müssen, die Zahl technisch der Geschäftsordnung, und zugleich sind die Ge-
zu groß würde. Wenn man hier aber überhaupt fahren ausgeschlossen, die sich ergeben würden,
diese Funktion der beratenden Mitgliedschaft wenn die kleinen Fraktionen nicht wenigstens mit
vorsieht, vermögen wir nicht einzusehen, warum beratender Stimme aktiv an der Ausschußarbeit
man dann diese Art beratender Mitgliedschaft teilnehmen könnten.
nicht auch auf uns als die einzige Gruppe unter
10 Mann ausdehnen könnte. Präsident Dr. Köhler: Wird das Wort weiter ge-
wünscht? — Das Wort hat der Herr Abgeordnete
Präsident Dr. Köhler: Das Wort hat der Herr Schoettle.
Abgeordnete Dr. Reismann.
Schoettle (SPD) : Meine Damen und Herren!
Dr. Reismann (Z): Meine sehr verehrten Damen Gestatten Sie mir nur zwei Sätze! Ich glaube, daß
der Einwand nicht richtig ist, daß die Geschäfts-
und Herren! Als der Vertreter der CDU das
Wort ergriff, habe ich gedacht, er würde ein Ver ordnung das d'Hondtsche Verfahren vorschreibt.
Sie schreibt lediglich vor, daß die Fraktionen in
fahren vorschlagen, das etwa der Sitzverteilung im den Ausschüssen im Verhältnis ihrer Stärke in
Kabinett entsprechen würde; denn die Sitzvertei- der Vollversammlung vertreten sind. Ich möchte
lung in den Ausschüssen käme doch vergleichs- darauf aufmerksam machen, daß nach unserem
weise der Verteilung der Kabinettssitze nahe. Vorschlag die Regierungsparteien in allen Aus-
(Zurufe.) schüssen eine Mehrheit haben, eine so schwache
Ich war deswegen einigermaßen verwundert, von Mehrheit, wie sie sie hier im Hause auch haben.
ihm zu hören, daß er glaubt, Demokratie könne Mehr können sie von keinem Verfahren erwarten.
man nur nach dem d'Hondtschen Verfahren exer-
zieren. Es ist doch so, daß nach der Geschäftsord- Präsident Dr. Köhler: Wird das Wort weiter ge-
nung gar kein Verfahren vorgeschrieben ist. In wünscht? — Das ist nicht der Fall. Meine Damen
der Geschäftsordnung ist nur bestimmt, daß die und Herren, dann stelle ich fest, daß die Aus-
Parteien in den Ausschüssen in der Relation ver- sprache geschlossen ist.
treten sein sollen, wie es ihrer Zusammensetzung Es liegen mehrere Abänderungsanträge vor. Ich
im Plenum entspricht. Der Zusammensetzung im stelle zunächst fest, daß der Antrag der SPD-
Plenum entspricht durchaus auch der Vorschlag des Fraktion gegenüber dem Antrag der CDU/CSU-
Kollegen Schoettle, das heißt der Vorschlag der Fraktion, den der Herr Abgeordnete Scharnberg
SPD. Überlegen wir uns doch einmal, wie es denn verlesen hat, der Sache nach der weitergehende
gehen soll, wenn man anders verfährt! Dann be ist. Darüber ist schon vorhin interfraktionell eine
ruht das Ergebnis der Ausschußarbeit auf einer Zu- Verständigung erzielt worden.
sammensetzung im Ausschuß, die durchaus nicht
dem Bild des Plenums entspricht. Zu dem Antrag der SPD-Fraktion liegen nun
zwei Abänderungsanträge vor, und zwar zunächst
(Lachen in der Mitte.) der Abänderungsantrag 1, im zweiten Absatz den
Wenn Sie dem Plenum einen Bericht eines Aus- Worten „Den nach diesem Schlüssel in einem Aus-
schusses vorlegen, der nach dem d'Hondtschen Ver- schuß nicht vertretenen Fraktionen" hinzuzufügen:
fahren zusammengesetzt ist, können Sie damit „oder Gruppen". Das ist der Antrag des Herrn
rechnen, daß die Beschlüsse des Plenums völlig Abgeordneten Dr. Miessner, den der Herr Abge-
anders aussehen, ganz abgesehen von den sich dann ordnete Euler gleichzeitig aufgenommen hat.
ergebenden uferlosen Debatten. Es hat also prak- Zweitens liegt der Abänderungsantrag des Herrn
-
tisch gar keinen Zweck, so zu verfahren. Mir Abgeordneten Euler vor, eine getrennte Abstim-
scheint im übrigen, daß dieses Verfahren nur exer- mung durchzuführen, nämlich erstens über die
ziert wird, um hier einer bestimmten Partei Ge- Schlüsselung und zweitens über den zweiten Ab-
legenheit zu geben, ihre Machtposition nach außen satz. Besteht Einverständnis darüber, daß wir ge-
hin in die Erscheinung treten zu lassen, die sich trennt abstimmen, oder wird Einspruch erhoben?
bei der Regierungskoalition ja nur auf eine ganze
Person erstreckt. Schoettle (SPD): Herr Präsident, kann ich vom
(Beifall beim Zentrum.) Platz aus sprechen? — Meine Fraktion ersucht
Deutscher Bundestag - 10. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. September 1949 195
(Schoettle)
darum, daß über den vom Herrn Abgeordneten Präsident Dr. Köhler: Wir stimmen zunächst über
Euler beantragten Zusatz „und Gruppen" getrennt den ersten Teil des SPD-Antrags ab, der folgenden
abgestimmt wird. Wir wären sonst nicht in der Wortlaut hat:
Lage, für diesen ganzen Abschnitt zu stimmen. Die Ausschüsse des Bundestags werden nach
folgendem Schlüssel durch die Fraktionen be-
Präsident Dr. Köhler: Sie sind damit ein- setzt:
verstanden, daß getrennt abgestimmt wird, ob 27er-Ausschuß: CDU/CSU 9, SPD 9, FDP 4,
diese beiden Worte hinzugefügt werden können. DP 1, BP 1, KP 1, WAV 1, Zentrum 1;
Das war ja meine Absicht. denn ich muß über
21er-Ausschuß: CDU/CSU 7, SPD 7, FDP 3,
jeden Abänderungsantrag vorher gesondert ab- DP1, BP1, KP1, WAV1;
stimmen lassen. Wer also dafür ist — ich komme
auf den Antrag Euler zurück im Zusammenhang 15er-Ausschuß: CDU/CSU 5, SPD 5, FDP 2,
mit dem Antrag Miessner —. daß über den Ab- DP, BP und KP je 1
satz 2 des SPD-Antrags getrennt abgestimmt wird. — ich hoffe, daß diese Zusammenfassung gestat-
den bitte ich. die Hand zu erheben. — Es war die tet ist —;
Minderheit; dann ist der Antrag abgelehnt. 7er-Ausschuß: CDU/CSU 3, SPD 3, FDP 1.
(Widerspruch und Zurufe.) Das ist der erste Absatz des SPD-Antrags. Wer
— Herr Kollege Schoettle. Sie haben doch. wenn für das, was ich soeben verlesen habe, ist, den bitte
ich Sie richtig verstanden habe. beantragt. daß über- ich, die Hand zu erheben. — Meine Damen und
haupt erst über den Antrag Euler auf getrennte Herren, ich bitte um die Gegenprobe. — Ich glaube
Abstimmung des Absatzes 2 abgestimmt werden fast, daß es nicht notwendig ist, auszuzählen. Es
soll? ist gerade umgekehrt wie vorhin, es haben sich für
den Antrag 155 Stimmen erhoben, und vorhin hat-
Schoettle (SPD): Ich habe etwas ganz anderes ten wir — —
gewollt! Ich habe mich sinngemäß dagegen ge- (Zurufe: Auszählen!)
wehrt, daß unser Antrag durch den Zusatz Legt das Haus Wert auf Auszählung? — Dann
von zwei Worten in etwas verwandelt wird. was —
wir nicht wollen, und deshalb wollte ich von Ihnen, lasse ich sie durchführen.
Herr Präsident, daß Sie darüber abstimmen las- Meine Damen und Herren, das Abstimmungser-
sen, ob der Abschnitt 2 unseres Antrages in der gebnis ist folgendes: für den Antrag 155 Stimmen,
Weise abgeändert wird, wie der Kollege Euler es gegen den Antrag 190 Stimmen. Damit gilt der
gewollt hat. Antrag als abgelehnt.
(Zuruf von der SPD. — Abg. Renner: Ich
Präsident Dr. Köhler: Das ist etwas anderes; bezweifle die Abstimmung! — Abg. Dr. Reis
der Herr Abgeordnete Euler hatte getrennte-mann: Ab-Ich habe das Wort zur Abstimmung! —
stimmung beantragt. Es liegt der Sache nach nur Große Unruhe und Widerspruch. — Abg. Dr.
ein Abänderungsantrag vor. der Abänderungsan- Reismann: Herr Präsident. habe ich das Wort
trag Dr. Miessner und Euler dahingehend, hinter oder nicht?)
das Wort .,Fraktion" auch das Wort ..Gruppe" alias
..Nationale Rechte" zu setzen. Präsident Dr. Köhler: Darf ich einmal fragen,
Wer für diese Abänderung des SPD-Antrags ist, in welchem Sinne Sie zur Abstimmung sprechen
den bitte ich, die Hand zu erheben. — Darf ich um wollen? Die Abstimmung ist doch beendet.
die Gegenprobe bitten. — Der Antrag ist mit
zweifelsfreier Mehrheit abgelehnt. Dr. Reismann (Z): Der Antrag Schoettle ist ab-
gelehnt; dann ist das Verfahren von d'Hondt ge-
Dann kommen wir zur Abstimmung über den nehmigt worden.
gesamten Antrag.
(Zurufe: Wieso?)
(Abg. Dr. von Brentano: Nein, getrennt
nach Absatz 1 und 2 hat Euler beantragt!) Präsident Dr. Köhler: Entschuldigen Sie, ich
— Dem widersprechen Sie nicht, Herr Abgeord- glaube, hier liegt ein Mißverständnis vor.
neter Schoettle? (Abg. Renner: Ich habe die Abstimmung ange
(Abg. Schoettle: Nein!) zweifelt. Das geht doch allen Reden zur Ab
stimmung vor! — Zurufe des Abg. Dr. Reismann.)
— Meine Damen und Herren, dann lasse ich ab- — Ich muß die Unterhaltung mit Herrn Kollegen
stimmen, muß aber der Vorsicht halber noch ein- Dr. Reismann beenden. Der Antrag der SPD ist
mal im ganzen verlesen: abgelehnt. Für den Antrag waren 155 Stimmen,
Der erste Absatz des SPD-Antrags umfaßt: gegen den Antrag 190 Stimmen. Damit ist der An-
Die Ausschüsse des Bundestags werden nach trag Schoettle abgelehnt.
folgendem Schlüssel durch die Fraktionen be- (Abg. Renner: Nach der Geschäftsordnung muß
setzt: eine Nachprüfung vorgenommen werden! —
-Es kommen die Schlüssel für 27er-, 21er-, 15er Abg. Dr. Reismann: Ich habe aber folgendes
und 7er-Ausschüsse. Die Schlüssel selbst brauche mitzuteilen!)
ich wohl im einzelnen nicht zu verlesen. — Jetzt muß ich erst einmal dem Abgeordneten
- Renner das Wort geben, der die Abstimmung ange-
Wer für diesen ersten Teil des Antrags ist, — —
zweifelt hat. Sie wollten :la zur Sache sprechen,
Dr. von Brentano (CDU): Zur Abstimmung! Ich Herr Abgeordneter Dr. Reismann.
glaube, wenn Sie den Antrag halb verlesen, müssen
Sie ihn auch ganz verlesen, weil sonst kein Mensch Dr. Reismann (Z): Nein, Herr Präsident, ich
erkennen kann, daß dieser Antrag in seinem Ab- bitte, mich anzuhören! Wie wollen Sie sonst fest-
stellen, wozu ich sprechen will.
satz 1 im Gegensatz zu dem von der CDU/CSU
gestellten Antrag steht. (Lebhafter Widerspruch. — Anhaltende Unruhe.)
196 Deutscher Bundestag — 10. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. September 1949

Präsident Dr. Köhler: Meine Damen und Her- Zweifel über das Ergebnis. Zählung der
ren! Lassen Sie uns das doch bitte in aller Freund- Stimmen.
schaft und Kollegialität machen. Wenn der Herr
Abgeordnete Dr. Reismann kurz erläutern will, Ist der Sitzungsvorstand über das Ergebnis
was er sagen will, kann ich erst danach entschei- der Abstimmung nicht einig, so wird die
den, wozu er das Wort haben will. Das ist doch Gegenprobe gemacht. Bleibt er auch nach ihr
eine Selbstverständlichkeit. uneinig, so werden die Stimmen gezählt.
Ich darf vielleicht einmal feststellen: wir hier
Dr. Reismann (Z): Es ist bisher nur beschlos- oben sind einig gewesen.
sen worden, daß das d'Hondtsche System gilt. Be- (Zurufe: Erledigt!)
vor die Durchführung festgelegt wird, möchte ich
die Erklärung abgeben, daß das Zentrum und die Die beiden Schriftführer haben in den Ergebnissen
WAV sich zu einer interfraktionellen Arbeitsge- ihrer Auszählung übereingestimmt.
meinschaft nach § 7 der Geschäftsordnung zusam- Richtig ist allerdings eins — das räume ich ohne
menfinden, damit das berücksichtigt werden kann, weiteres ein —: es ist hier im Drange der Geschäfte
wenn die Verteilung der Sitze in den Ausschüssen — aber von Anbeginn der Abstimmung an, das
festgelegt wird; denn noch ist das nicht geschehen. möchte ich der Objektivität wegen feststellen —
Das ist eine Sache, die ich vor der Abstimmung nicht geklingelt worden. Auf der andern Seite ist
mitteilen muß. Ps aber doch so: wir sind jetzt ungefähr eine volle
(Zurufe: Schluß! Schluß!) Stunde in der Abstimmung, und nach unseren
Beobachtungen hier oben sind alle Mitglieder im
Präsident Dr. Köhler: Wir sind in der Ab- Hause gewesen.
stimmung über die vorliegenden Anträge begriffen. (Zurufe.)
Abänderungsanträge können immer gestellt wer- Außerdem mache ich in tatsächlicher Beziehung
den, wie das bei wiederholten Abstimmungen der auf folgendes aufmerksam. Wir haben vorhin bei
Fall gewesen ist. Sie wollen uns die Mitteilung der Abstimmung über einen anderen Antrag das
machen, daß Sie als Zentrum mit der WAV eine umgekehrte Abstimmungsergebnis gehabt, nämlich
Arbeitsgemeinschaft bilden. bei dem Antrag der SPD zu dem Ausschuß Bau-
(Abg. Dr. Reismann: Nach § 7 der Geschäfts und Bodenrecht. Da waren für den Antrag 191. da-
ordnung!) gegen 155. Sie werden zugeben, meine Damen und
Herren: das Auszählungsergebnis, wie es jetzt hier
Das hat mit dem vorliegenden Gegenstand, mit mit 155 dafür und 190 dagegen herausgekommen
der Sache gar nichts zu tun. ist. ist — im umgekehrten Sinne — genau dasselbe,
(Abg. Dr. Reismann: Doch!) unbeschadet der Frage, ob geschellt worden ist oder
— Entschuldigen Sie, ich kann diese Debatte jetzt nicht.
nicht weiterführen. Ihnen gegenüber, Herr Kollege Schoettle. ver-
weise ich aber noch einmal auf § 104. Danach gibt
(Abg. Dr. Reismann. Ich will nur erklären: es es keine Anzweiflung der Abstimmung aus dem
hat insofern damit zu tun, als die Ausschuß Hause mit irgendwelchen rechtlichen Konsequen-
Sitzverteilung geändert wird!) zen, wenn der Vorstand sich über das Abstim-
Das Wort hat der Abgeordnete Schoettle zur Ge- mungsergebnis einig ist. Darf ich bitten, davon
schäftsordnung. Kenntnis zu nehmen.
Schoettle (SPD): Herr Präsident. meine Da- (Unruhe.)
men und Herren! Ich möchte im Namen meiner Meine Damen und Herren, wir wollen aber jetzt
Fraktion die Abstimmung anzweifeln. noch ein Übriges tun.
(Zurufe von der CDU: Warum?) (Widerspruch in der Mitte.)
Es ist erstens kein Klingelzeichen gegeben worden, — Bitte sehr: bei Fortsetzung der Aussprache lasse
wie das der Herr Präsident heute mittag mitgeteilt ich jetzt noch einmal klingeln. Ich glaube aber
hat. Zweitens glauben wir, daß die Auszählung nicht, daß sich etwas ändert.
nicht einwandfrei vor sich gegangen ist. Ich möchte
nicht etwa behaupten, daß die Herren Schriftführer Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über den
absichtlich schlecht ausgezählt haben, beileibe nicht; zweiten Absatz des Antrags der SPD-Fraktion, der
ich möchte nur, daß bei einer so zweifelhaften nach der Ablehnung des vorhin gestellten abgeän-
Abstimmung lieber der Versuch gemacht wird, sie derten Antrags wie folgt lautet:
zu wiederholen, um zu einer Klarstellung zu gelan- Den nach diesem Schlüssel in einem Aus-
gen. schuß nicht vertretenen Fraktionen steht das
Recht zu, sich durch einen Abgeordneten mit
(Widerspruch in der Mitte und Zuruf: 45 Stimmen beratender Stimme vertreten zu lassen, so-
Differenz!) weit nicht der Bundestag für einzelne Aus-
schüsse eine abweichende Regelung be-
Präsident Dr. Köhler: Meine Damen und Her- schließt.
ren! Sie haben den Antrag des Abgeordneten
Schoettle gehört. Er ist der Sache nach der gleiche Immerhin darf ich die Herren Antragsteller fragen,
wie der des Abgeordneten Renner, er bezweifelt ob sie, nachdem der entscheidende Teil ihres An-
nämlich die Abstimmung. Es taucht nun - die Ge- trags abgelehnt worden ist, noch Wert darauf legen,
schäftsordnungsfrage auf, ob die Abstimmung wie- daß über den zweiten Teil besonders abgestimmt
derholt werden muß. wird, weil ja vermutlich das gleiche Ergebnis
herauskommen wird.
Meine Damen und Herren, darf ich auf folgendes
aufmerksam machen. Die alte Bestimmung der Ge- (Widerspruch.)
schäftsordnung des Reichstags im § 104 — der be- — Meinen Sie nicht?
rühmte Hammelsprung, der ja in solchen Fällen Bitte, Herr Abgeordneter Euler zur Geschäftsord-
durchgeführt wurde — ist gestrichen und durch nung!
folgende Fassung ersetzt worden: (Große Unruhe.)
Deutscher Bundestag — 10. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. September 1949 197
(Präsident Dr. Köhler)
— Meine Damen und Herren, es war doch in den Dr. Reismann (Z): Der CDU-Antrag nach dem
letzten Tagen so nett und gemütlich. Verfahren d'Hondt ist hinfällig. Ich habe mitzutei-
(Große Heiterkeit und Zurufe.) len — was ich eben schon erwähnt habe —, daß
die WAV und das Zentrum gemäß § 7 Absatz 2
Halten wir uns doch weiter an diese Praxis! der Geschäftsordnung eine Arbeitsgemeinschatt
bilden,
Euler (FDP): Mir scheint, die Ablehnung des (Lachen und Zurufe)
SPD-Antrags bedeutet noch nicht ohne weiteres eine Arbeitsgemeinschaft, wie sie in der zitier-
die Annahme des CDU-Antrags auf Verteilung ten Bestimmung ausdrücklich vorgesehen ist. Dort
nach dem d'Hondtschen System. Zugleich würde in heißt es:
der Abstimmung über diesen Gegenantrag — Ver-
teilung nach dem d'Hondtschen System — die wirk- Für die Bemessung des Stellenanteils kön-
samste Kontrolle der Richtigkeit der ersten Ab- nen sich Fraktionen zusammentun und frak-
stimmung liegen. Es muß Klarheit geschaffen wer- tionslose Mitglieder sich einer Fraktion an-
den, nach welchem Prinzip sich die Ausschuß schließen.
sitze verteilen, weil ja der Absatz 2 des SPD-An- Damit haben diese beiden Fraktionen bezüglich
trags, über den dann die Abstimmung noch er- der Stellenbesetzung eine Stärke, die größer ist
folgt, die Festlegung eines Verteilungsprinzips vor- als die der Bayernpartei und der Deutschen Partei.
aussetzt. (Zuruf links: Ich wünsche Ihnen viel Glück
zu dieser Ehe!)
Präsident Dr. Köhler: Wird diesen Ausführungen
widersprochen? — Das ist nicht der Fall. — Besten Dank für den freundlichen Glückwunsch!
Dann stimmen wir jetzt ab über den vorhin Ich erwarte gegebenenfalls auch den Glückwunsch
von mir verlesenen und wohl nicht noch einmal zu von der Bayernpartei und der Deutschen Partei.
verlesenden zweiten Absatz des Antrags der SPD- (Zuruf rechts.)
Fraktion.
— Schade, vielleicht kommt er noch von da!
(Lebhafte Zurufe: Nein! CDU-Antrag!)
— Ich verstehe gar nicht: Sie haben sich doch (Beifall und Heiterkeit.)
eben dafür ausgesprochen? Jedenfalls ist die Situation jetzt so, daß, wenn
(Abg. Euler: Nein, Herr Präsident! Ich habe die Partei, die den Antrag gestellt hat, nur eini-
mich dafür ausgesprochen, daß jetzt der germaßen nach Recht und Billigkeit verfahren
CDU-Antrag auf Verteilung nach dem will, sie diesen Antrag in der jetzt vorliegenden
d'Hondtschen System zur Abstimmung ge Form nicht mehr aufrechterhalten kann.
stellt wird!) (Zurufe: Doch!)
— Also, meine Damen und Herren, ich glaube, wir — Das machen Sie? Da habe ich doch Ihrem Ge-
sind uns jetzt nach einigen Zwiegesprächen einig. rechtigkeitssinn, ich hätte fast gesagt, sogar zuge-
Wir stimmen letzt ab ber den Antrag der traut, daß Sie es anders gemacht hätten.
CDU/CSU-Fraktion als dem Pendant oder Gegen-
SPD-stück zu dem abgelehnten ersten Teil des (Zuruf von der CDU: Ist das eine anständige
Antrags und kommen dann wahrscheinlich zur Ehe oder eine Scheinehe?)
Abstimmung über den zweiten Teil des SPD-An- — Ach, lieber Herr Kollege, geben Sie Ihrer Ent-
trags. täuschung doch nicht auf diese Art und Weise
(Zuruf: Zur Abstimmung! — Große Unruhe.) Raum! Ich weiß ja, daß Sie ganz gern nachgegeben
hätten, als soeben die Zählung beanstandet wurde.
— Meine Damen und Herren, bitte machen Sie mir Sie hätten hinterher gern anders gestimmt, das
das Sprechen doch nicht so schwer; es ist sowieso will ich Ihnen gern glauben, aber das spielt ja
ungewöhnlich, daß der Präsident Anträge verliest. keine Rolle.
Der Antrag lautet:
(Lachen und Zurufe rechts.)
Der Bundestag wolle beschließen:
Jedenfalls haben wir nach der Geschäftsordnung
Die Sitze in den Ausschüssen werden wie Anspruch darauf, daß das berücksichtigt wird. Der
folgt verteilt: CDU-Antrag kann deshalb in dieser Form nicht
27er-Ausschüsse: 10 CDU, 10 SPD, 4 FDP, mehr aufrechterhalten werden.
1 DP, 1 BP, 1 KPD. Ich beantrage, die Sitzung jetzt zu unterbrechen,
(Abg. Loritz: Zur Abstimmung!) damit dieses Schema geändert wird und die Par-
— Ich bin mitten im Verlesen des Antrags, Herr teien entsprechend der nunmehr veränderten Kon-
Abgeordneter Loritz, und bitte, mich darin nicht stellation zum Zuge kommen. Das ist der erste
unterbrechen zu wollen! Antrag. Für den Fall, daß er abgelehnt werden
21er-Ausschüsse: 8 CDU, 8 SPD, 3 FDP, sollte, beantrage ich, das Haus wolle beschließen,
1 DP, 1 BP; daß an sich das d'Hondtsche System in Anwendung
kommt und daß die Ausrechnung später erfolgt.
15er-Ausschüsse: 7 CDU, 6 SPD, 2 FDP.
7er-Ausschüsse: 3 CDU, 3 SPD, 1 FDP. Präsident Dr. Köhler: Ich darf zunächst einmal
Da nach meiner Auffassung eine formgerechte feststellen, daß es für einen Antrag auf Unter-
Aussprache über diesen Antrag noch nicht stattge- brechung der Sitzung der Zustimmung von 30
funden hat, sondern, soweit ich mich- erinnere, Mitgliedern des Hauses bedarf.
nur der Herr Abgeordnete Scharnberg bei seiner Jetzt hat der Herr Abgeordnete Loritz das Wort,
Stellungnahme zum Antrag der SPD darauf hinge- anschließend der Herr Abgeordnete Dr. von Bren-
wiesen hat, frage ich, wer das Wort zu diesem tano.
Antrag wünscht.
Zunächst hat Herr Abgeordneter Dr. Reismann Loritz (WAV): Meine sehr verehrten Damen
das Wort. Danach erhält es Herr Abgeordneter ,,und Herren! Wollen wir doch nicht in die ganzen
Loritz. Debatten Unruhe bringen, nachdem, wie der Herr
198 Deutscher Bundestag - 10. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. September 1949
(Loritz)
Präsident mit Recht gesagt hat, es jetzt die ganze — Nein, sie trägt den Namen genau nach der de-
Zeit so gut und schön gegangen ist. mokratischen Spielregel: „Wirtschaftliche Aufbau-
vereinigung — Zentrum".
(Heiterkeit.)
(Abg. Strauß: „Loritz — Helene"!)
Wir dienen damit nämlich nicht der Demokratie. — Herr Kollege Strauß, wollen wir doch die De-
Ich weiß nicht, warum hier soviel Aufregung und batten dieses Hauses auf dem hohen Niveau las-
soviel des Gelächters ist, wenn wir von einem sen, das sie in den letzten Tagen gehabt haben!
demokratischen Recht Gebrauch machen. Denn Wollen wir doch die parlamentarische Arbeit hier
heute gilt immer noch der alte Juristensatz: Qui nicht ins Lächerliche ziehen!
sou jure utitur, neminem laedit! Wer von seinem
Recht Gebrauch macht, tut keinem Menschen weh! (Lebhafte Zustimmung bei der WAV, dem
Wir haben jetzt nur einen Gegenzug gemacht Zentrum und der SPD.)
gegenüber dem, wie hier eine ganz kleine Mehr- Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich
heit glaubte mit uns umspringen zu können, und habe, als ich vor wenigen Tagen die Ehre hatte,
das ist unser gutes Recht! Erschweren Sie uns namens der WAV-Fraktion zu sprechen, Ihnen,
das doch bitte nicht! Wir wollen genau wie Sie meine Damen und Herren von der Rechten, doch
in aller Sachlichkeit auch an das. Problem der ganz klar und deutlich gesagt, und der Herr Bun-
Besetzung der Ausschüsse herangehen. Wir haben deskanzler hat das heute auch aufgegriffen: Wir
nun einmal in der Geschäftsordnung eine solche sind keine Opposition nur um der Opposition wil-
Bestimmung. Ich lese im allgemeinen nicht vom len, wir wollen konstruktiv mitarbeiten, soweit
Blatt ab, es in unseren schwachen Kräften steht.
(Heiterkeit) Erschweren Sie uns doch nicht die Mitarbeit,
erschweren Sie es uns doch nicht, uns in entspre-
aber in diesem Fall lese ich es Ihnen jetzt noch- chendem Verhältnis einzusetzen für das Wohl und
mals vor. In dem § 7 Absatz 2 haben wir die Wehe unseres Vaterlandes, wie es nun einmal
ausdrückliche Bestimmung: eindeutig durch das Wahlergebnis und damit durch
Bei Berechnung der Fraktionsstärke zäh- den Willen des deutschen Volkes feststeht. Danach
len die Gäste mit. Für die Bemessung des wollen wir und haben wir uns zu richten. So bitte
Stellenanteils (§ 9) können sich Fraktionen ich jetzt ebenfalls namens der Fraktion der WAV,
zusammentun und fraktionslose Mitglieder hier kurz auszusetzen. Die 30 Unterschriften sind
sich einer Fraktion anschließen. vorhanden. Wenn das aber aus irgendeinem
Grunde abgelehnt werden würde, dann bitte ich
Von dieser Bestimmung haben wir Gebrauch ge- jedenfalls, eine ganz kurze Pause anzusetzen, in
macht, und jetzt stellt sich zur Enttäuschung vieler, der Sie hier einen neuen Verteilungsschlüssel aus-
die zuerst gegen uns abgestimmt haben, heraus, arbeiten müssen. Denn der alte Schlüssel stimmt
daß man sich vorher um de- Kaisers Bart gestritten doch nicht mehr. Das möchte ich hiermit namens
hat, und der Bart ist nun davongeschwommen! der WAV-Fraktion und namens der Arbeitsgemein-
schaft WAV-Zentrum zum Ausdruck gebracht
(Lebhafter Beifall und Heiterkeit bei der haben.
WAV, dem Zentrum und der SPD.) (Beifall bei der WAV.)
Und jetzt wird sich nach dem d'Hondtschen Sy-
stem sogar ergeben, daß die kleine Mehrheit hier. Präsident Dr. Köhler: Meine Damen und Her-
auf der Rechten des Hauses viel schlechter dran ren, das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. von
sein wird, als sie es nach dem Vorschlag von Brentano.
Herrn Kollegen Schoettle gewesen wäre. Der Herr
Kollege Schoettle hatte klar und in ausgezeich- Dr. von Brentano (CDU): Meine Damen und
neter Weise betont, daß der Regierungskoalition die Herren! Ich glaube, das gesamte Haus hat mit
kleine Mehrheit, die sie tatsächlich nur hat, durch Interesse von der Gründung der Arbeitsgemein-
seinen Vorschlag in Wirklichkeit gesichert war. schaft Wirtschaftliche Aufbauvereinigung — Zen-
Nun aber werden sich einige Ueberraschungen trum Kenntnis genommen.
herausstellen! (Sehr gut! in der Mitte.)
Ich gebe namens der gesamten Fraktion der Ich möchte folgendes feststellen: Die zahlenmäßige
WAV ebenfalls die Erklärung ab, daß wir gemäß Verteilung in dem Antrag der CDU/CSU hat sien
§ 7 Absatz 2 der Geschäftsordnung zusammen naturgemäß durch diese Neugründung geändert.
mit dem Zentrum eine Arbeitsgemeinschaft bilden. (Aha! bei der WAV.)
(Heiterkeit und Zurufe.) Ich werde den Antrag dahin abändern, daß ent-
Damit wird die gesamte Besetzung der Ausschüsse sprechend den Vorschriften der §§ 7 und 9 der
ein völlig anderes Gesicht bekommen, und Sie müs- Geschäftsordnung die Ausschüsse nach dem
sen jetzt eine völlig andere Aufstellung machen, d'Hondtschen System von den Fraktionen, Gruppen
meine sehr verehrten Damen und Herren! und Arbeitsgemeinschaften besetzt werden.
(Heiterkeit und Händeklatschen bei der
WAV, dem Zentrum und der SPD.) Präsident Dr. Köhler: Das Wort hat der Herr
Ich kann es Ihnen nicht ersparen, meine Damen Abgeordnete Dr. Miessner.
und Herren!
Dr. Miessner (NR): Die Gruppe „Nationale
Präsident Dr. Köhler: Darf ich Sie einmal Rechte" unterstützt die Anträge des Zentrums und
fragen: Welchen Namen soll denn diese Arbeits- der WAV auf Unterbrechung der Sitzung und stellt
gemeinschaft offiziell tragen? ebenfalls den Antrag — —
(Zuruf von der CDU: Ich sei, gewährt mir
Loritz (WAV): Diese Arbeitsgemeinschaft trägt die Bitte, in eurem Bunde der Dritte!)
den Namen „WAV-Zentrum"! — Unterbrechen Sie mich doch nicht in dieser Art;
(Zuruf rechts.) wir müssen doch nun einmal weiterkommen. Wir
Deutscher Bundestag — 10. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. September 1949 199
(D r. Miessner)
stellen den Antrag, zunächst nur über das d'Hondt- zuschlagen. Was erleben wir hier? Der Antrag
sche System als solches abzustimmen und dann der SPD, der einer wirklich demokratischen Rege-
die Sitzung zu unterbrechen, damit auch wir die lung der Frage gerecht geworden wäre, ist ab-
Möglichkeit haben, in irgendeiner Weise noch zum gelehnt worden. Der Erfolg ist der, daß wir mei-
Zuge zu kommen. ner Meinung nach jetzt nur noch über den An-
(Unruhe.) trag von Brentano abzustimmen haben.
Aber gestatten Sie mir, noch ein Wort zur Sache
Präsident Dr. Köhler: Meine Damen und. Her- selbst. Wenn wir Toleranz der Regierungsparteien
ren! Ich mache darauf aufmerksam, daß nach in der Zukunft so vorexerziert bekommen, dann
§ 78 der Geschäftsordnung vor Erledigung der Ta- darf man von uns nicht erwarten, daß wir nicht
gesordnung nur vertagt werden kann: entweder mit derselben Methode zurückschlagen und uns
auf Vorschlag des Präsidenten oder auf Antrag von nicht wehren. Sie. Herr Dr. Konrad Adenauer,
30 anwesenden Mitgliedern. 30 anwesende Mit- haben heute durch Ihre Fraktion mit Hilfe der
glieder würden nominell in Frage kommen. Die FDP den Beweis dafür geliefert, was wir von Ihrer
Fraktion der WAV mit 12 und das Zentrum mit 10, Toleranz und Ihrer Demokratie — —
das sind 22, die Nationale Rechte mit 6, das sind 28. (Zurufe aus der Mitte.)
(Zuruf: Anwesende!) — Ja, Sie sind heruntergegangen ins Plenum; Sie
— Das sage ich ja. Es muß also den Herren An- hatten es nicht nötig, sich an der Abstimmung zu
tragstellern überlassen bleiben, den Nachweis zu beteiligen, wenn Sie sich als toleranter Bundes-
erbringen, daß sie über 30 Stimmen verfügen. kanzler erweisen wollten. Sie sind aber in die
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. von Kampfbahn heruntergestiegen und haben damit be-
Merkatz. wiesen, daß es Ihnen nicht darauf ankommt, tole-
rant zu sein.
Dr. von Merkatz (DP): Namens der Fraktion Aber was geschieht mit dem Vorschlag Bren-
der Deutschen Partei stelle ich den Antrag auf tano? Mit dem Vorschlag Brentano wird erreicht,
Vertagung. Unterstützung ist gegeben durch die daß die kleinen Fraktionen praktisch nur in einem
Fraktionen der Deutschen Partei und der Bayern- einzigen 27er-Ausschuß vertreten sind. Schon
partei. in dem zweiten Ausschuß ist neben der
(Beifall rechts.) Koalitionspartei, neben der FDP, nur noch
die DP vertreten. Einig war man sich bis-
Präsident Dr. Köhler: Meine Damen und Her- her auch in den Reihen der CDU, daß das ein
ren, nach diesem Antrag des Herrn Abgeordne- Manko ist. Dieses Manko sollte dadurch repariert
ten Dr. von Merkatz müssen wir zunächst einmal werden, daß von der CDU — ausgehend von Herrn
die Sitzung unterbrechen. Holzapfel — der Vorschlag gekommen ist, die
(Zurufe: Nein! Abstimmen!) Lücke, die dadurch entsteht. daß man die kleinen
Entschuldigen Sie, die vorschriftsmäßige Zahl Fraktionen nicht berücksichtigt, auszugleichen da-
von 30 Mitgliedern ist für den Antrag auf Unter- durch, daß man den kleinen Fraktionen wenigstens
brechung durch die eben abgegebene Erklärung über den FDP-Antrag die Möglichkeit einer Mit-
vorhanden. arbeit, zumindest in diesen Ausschüssen, verschafft.
(Zurufe: Klingeln!) (Zurufe.)
Ich mache darauf aufmerksam, daß noch eine Sie haben sich auch bis heute nicht darüber aus-
Wortmeldung des Herrn Abgeordneten Renner vor- gesprochen, ob Sie wenigstens diesem Antrag zu-
liegt. Der Antrag auf Unterbrechung geht aber stimmen wollen. Sie haben hier wirklich demon-
vor. Ich nehme Ihr Einverständnis an. — Danke. striert, daß Sie Ihr Machtverhältnis gnadenlos ge-
Wer für den von Herrn Abgeordneten Dr. von gen die kleinen Fraktionen ausnutzen wollen. Das
Merkatz soeben mit der nötigen Unterstützung ist Ihnen, Herr Brentano, gelungen.
gestellten Antrag auf Unterbrechung ist, den (Zuruf des Abg. Dr. Müller.)
bitte ich. die Hand zu erheben. — Der An-
trag hat keine Mehrheit gefunden. — Ich bitte — Herr Dr. Müller, mischen Sie sich nicht hinein;
um die Gegenprobe. — Angesichts der zahl der von Demokratie haben Sie meines Erachtens noch
Stimmenthaltungen kann kein Zweifel darüber nie etwas verstanden. — Ich appelliere an die
Sein, daß der Antrag — nach unserer Feststellung CDU, ob sie wenigstens bereit ist, dieses Zuge-
hier oben — mit großer Mehrheit abgelehnt wor- ständnis zu machen.
den ist. Darf ich das feststellen! — Ich höre kei-
nen Widerspruch. Präsident Dr. Köhler: Meine Damen und Her-
ren! Der Antrag des Herrn Abgeordneten
Das Wort hat zunächst der Herr Abgeordnete von Brentano, der mündlich gestellt worden ist,
Renner. ist mir inzwischen schriftlich vorgelegt worden.
Ich verlese ihn:
Renner (KPD): Meine Damen und Herren!
In stundenlangen Auseinandersetzungen waren die Der Bundestag möge beschließen:
Fraktionen in interfraktionellen Besprechungen be- Die Sitze in den Ausschüssen werden nach dem
müht, diese Frage, die man normalerweise in allen d'Hondtschen System im Sinne der §§ 7 und
Parlamenten nach Gentlemen-agreement-Methoden 9 der Geschäftsordnung verteilt.
regelt, zu behandeln. Was wir heute hier erlebt ha-
ben, ist ein praktischer Schulungsunterricht der Dadurch würde der von Ihnen — darf ich einmal
Regierungskoalitionsparteien und Minister über To- die führenden Herren der CDU/CSU bitten, mir
leranz und Demokratie. Die FDP ist heute mittag zuzuhören? - vorhin gestellte und von mir ver-
umgebogen worden. Der Vertreter der CDU, lesene Antrag hinfällig werden. Es würde nur
Herr Kollege Holzapfel, hat schriftlich einen Alter- über das Prinzip im Sinne des eben verlesenen
nativantrag gestellt, der darauf hinauslief, dem Antrags abgestimmt werden.
Hause die Schaffung von 27er-Ausschüssen vor- (Zustimmung.)
200 Deutscher Bundestag — 10. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. September 1949
(Präsident Dr. Köhler)
Wird das Wort zu diesem Antrage gewünscht? — Präsident Dr. Köhler: Wird das Wort zu diesem
Ich stelle fest: das ist nicht der Fall. ergänzenden Antrag gewünscht? — Bitte, Herr
(Zurufe: Klingeln!) Abgeordneter Dr. Reismann! Darf ich fragen:
— Es ist geklingelt. — Dann lasse ich über den Sprechen Sie für die Arbeitsgemeinschaft WAV-
Antrag abstimmen. Zentrum oder nur für das Zentrum?
(Erneute Zurufe: Klingeln!) (Aba. Dr. Reismann: Ich spreche für die
- Wir können ja dauernd klingeln. Arbeitsgemeinschaft WAV-Zentrum.)
(Heiterkeit.)
Dr. Reismann (Z): Wir sind für diesen An-
Es kommt doch niemand mehr herein. trag, meine sehr verehrten Damen und Herren,
Wer für den Antrag des Herrn Abgeordneten und zwar sind wir deswegen dafür, weil wir die
Dr. von Brentano ist, den ich eben verlesen habe, Machtpositionen, wenn wir sie in Händen haben,
den bitte ich, die Hand zu erheben. — Meine nicht so mißbrauchen wollen wie die Parteien,
Damen und Herren! Ich glaube, wir brauchen denen wir sie aus den Händen winden mußten,
nicht auszuzählen. Das ist die Mehrheit. — Ich weil sie uns dazu gezwungen haben.
bitte um die Gegenprobe.
(Beifall.)
(Abg. Schoettle: Bitte noch einmal auszählen!)
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich
— Schön, dann lassen wir die Stimmen der Gegen- finde es bedauerlich, daß man uns in dieser
probe auszählen. — tumultuarischen Art und Weise daran hindern
Meine Damen und Herren, ich höre eben folgen- wollte, auch nur bekanntzugeben, was geschehen
des: die Herren Schriftführer kommen nicht zu war. Eine Partei, die sich christlich und demo-
einem einheitlichen Ergebnis. Also beginnen wir kratisch nennt, sollte soviel an Demokratie und
die Abstimmung noch einmal von vorn. Wer für Verständnis dafür aufbringen, daß man die kleinen
den Antrag des Herrn Abgeordneten Dr. von Parteien in dem Rahmen dessen auch berück-
Brentano ist — ich glaube, ich brauche ihn nicht sichtigen muß, was billig und angemessen ist.
noch einmal zu verlesen —,
(Zuruf von der CDU: Unmoralisch!)
(Zuruf rechts: Von den Sitzen erheben!)
— Meine Herren, weil Sie hereingefallen sind, be-
den bitte ich, sich von den Plätzen zu erheben. — zeichnen Sie es als unmora lisch!
Ich möchte feststellen, daß nach unserem Eindruck
hier oben eindeutig eine Mehrheit — auch unter (Zuruf von der CDU: Das werden Sie gleich
Berücksichtigung der hintersten Bänke dieses sehen, wie wir hereingefallen sind!)
Hauses — vorhanden ist. — Meine sehr verehrten Damen und Herren, so
geht es wirklich nicht. Ich meine, wenn man mit-
(Zuruf von der WAV: Zur Geschäftsordnung! einander arbeiten will und hat als Regierungs-
Man versteht von dem, was dort vorn gesagt koalition eine so starke Mehrheit wie eine Stimme,
wird, hier hinten nichts!) dann muß man sich schon einiges gefallen lassen
— Wir sind mitten in der Abstimmung. Ich werde und Rücksicht auf die anderen Parteien nehmen,
mich bemühen, ein Höchstmaß an Klangstärke mei- die auch noch da sind.
nes Organs herauszuholen. (Beifall beim Zentrum, bei der WAV und links.)
Ich habe soeben in Übereinstimmung mit den Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn
beiden Schriftführern festgestellt, daß hier Sie hier solche Krawallszenen veranstalten — —
zweifelsfrei eine Mehrheit vorliegt. Wenn diese (Große Unruhe und Zurufe. — Glocke des
Mehrheit nicht angezweifelt wird, darf ich fest- Präsidenten.)
stellen, daß der Antrag Dr. von Brentano ange-
nommen ist. Präsident Dr. Köhler: Welchen Ausdruck haben
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schoettle. Sie eben gebraucht, Herr Abgeordneter?
Schoettle (SPD): Haben Sie keine Sorge, meine
Damen und Herren, ich werde diese Abstimmung Dr. Reismann (Z): Ich habe „Krawallszenen"
nicht anzweifeln; aber ich nehme den zweiten gesagt.
Teil des sozialdemokratischen Antrags nun wie-
der auf und beantrage, nach der von uns vorge- Präsident Dr. Köhler: Herr Abgeordneter, hier
legten Fassung den soeben angenommenen Antrag finden keine Krawallszenen statt. Wenn solche
der CDU/CSU zu ergänzen. Ich bitte den Herrn stattfinden, ist es meine Sache, das festzustellen
Präsidenten, den zweiten Teil unseres Antrages und daraus die Konsequenzen zu ziehen.
noch einmal zu verlesen. (Sehr richtig!)
Ich bitte Sie fortzufahren.
Präsident Dr. Köhler: Herr Kollege Schoettle,
Sie hätten ihn eigentlich einmal selbst vorlesen Dr. Reismann (Z): Also wenn solche Szenen hier
können. im Hause veranstaltet werden anläßlich eines
(Abg. Schoettle: Ich bin gern bereit!) so sachlichen und nüchternen Ereignisses, wie es
Ich habe schon soviel vorlesen müssen. eine Abstimmung über die Beteiligung an den
Der Herr Abgeordnete Schoettle stellt folgenden Ausschüssen ist, dann fällt das äußere Bild, das
ergänzenden Antrag, den er selbst verlesen wird. kein gutes ist, zu Ihren Lasten aus und nicht zu
Lasten derer, die Sie überfahren wollten und die
Schoettle (SPD): „Den nach diesem Schlüs- Ihre Versuche konterkariert haben. Wir hatten in
sel" — in diesem Falle dem d'Hondtschen — „in loyaler Art und Weise in allen Beratungen dieses
einem Ausschuß nicht vertretenen Fraktionen steht besonderen Ausschusses zusammengearbeitet und
das Recht zu, sich durch einen Abgeordneten mit waren zu dem Ergebnis gekommen, das Sie jetzt
beratender Stimme vertreten zu lassen, soweit vereitelt haben. Wenn Sie nun den Nachteil davon
nicht der Bundestag für einzelne Ausschüsse eine haben, ist das Ihre Schuld.
abweichende Regelung beschließt." (Beifall im Zentrum und bei der WAV.)
Deutscher Bundestag — 10. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. September 1949 201

Präsident Dr. Köhler: Das Wort hat noch zur Die Herren, die diesen Antrag unterschrieben
gleichen Sache der Herr Abgeordnete Dr. Miessner, haben, haben mich darauf hingewiesen, daß wir ab-
das heißt zu dem Ergänzungsantrag, damit wir satzweise darüber abzustimmen haben. Ich darf
jetzt klar bei der Sache bleiben. annehmen, daß alle Mitglieder des Hauses die
Drucksache Nr. 48 vor sich liegen haben. Wird das
Dr. Miessner (NR): Meine Damen und Herren! Wort dazu gewünscht? — Bitte, Herr Abgeordneter
Es geht doch hier um nichts anderes als um die Dr. Seelos!
Mitarbeit der kleinen Parteien. Wir betrachten es
wirklich als beschämend, daß man uns in dieser Dr. Seelos (BP): Meine Damen und Herren! Die
Weise gewissermaßen den Hals zudrehen will. Wir Einteilung der Ausschüsse in 27er-, 21er-, 15er- und
stellen daher den Antrag, auch zu dem d'Hondt- 7er-Ausschüsse ist unter den gegebenen Frak-
schen Verfahren den Zusatz aufzunehmen, daß tionsverhältnissen und Fraktionsstärken erfolgt.
nicht nur für die Fraktionen, sondern auch G r up- Nachdem wir noch nicht einmal wissen, wie sich
pen unter Fraktionsstärke Teilnahme mit be- die Neuberechnung infolge der Fraktionsneubil-
ratender Stimme zulässig ist. dung auswirken wird, bin ich der Auffassung, daß
man zunächst einmal die Grundlage schaffen und
Präsident Dr. Köhler: Herr Abgeordneter Miess- die Sache nach dem d'Hondtschen Verfahren neu
ner, darf ich Sie darauf aufmerksam machen, berechnen muß. Erst dann können wir eine Neu-
daß wir über diese Ergänzung des Ergänzungs- einteilung der Ausschüsse vornehmen. Jetzt bin ich
antrags der SPD, hinter „Fraktionen" noch dasselbe dazu nicht in der Lage und bitte daher um Ver-
einzufügen, also „Gruppen", bereits mit negativem tagung der Angelegenheit.
Ergebnis abgestimmt haben, so daß ich eigentlich (Zurufe und Unruhe.)
annehmen möchte, daß eine nochmalige Abstim-
mung kaum zu einem anderen Ergebnis führen Präsident Dr. Köhler: Wird das Wort weiter
dürfte. Ich halte mich zum mindesten für ver- gewünscht? — Das Wort hat der Herr Abgeordnete
pflichtet, Sie darauf hinzuweisen. Kinat.
Dr. Miessner (NR): Herr Präsident! Mir ist das Kinat (SPD): Meine Damen und Herren! Hier
bekannt. In vollem Bewußtsein dieser Tatsache liegt ein Antrag vor, bei welchem zu entscheiden
stelle ich den Antrag noch einmal, damit man ganz ist. ob wir den Ausschuß für die Heimatvertrie-
klar sieht, wer hier im Hause die kleinen Par- benen mit 27 oder mit 21 Mitgliedern besetzen. Ich
teien unterdrücken will. bedaure es — weil es draußen Verwunderung,
wenn nicht gar Befremden erregen würde — daß ,

Präsident Dr. Köhler: Ich muß Sie dann aller- man sich in dem Gremium, das uns diese Vorlage
dings auf die Geschäftsordnung aufmerksam unterbreitet, nicht darüber schlüssig geworden ist,
machen, wonach in derselben Sitzung der gleiche daß ein so wichtiger Ausschuß mindestens zu den
Antrag nicht zweimal gestellt werden kann. Es tut großen Ausschüssen zu rechnen ist und damit die
mir leid. Mitgliederzahl von 27 notwendig ist.
Wenn weiterhin das Wort nicht gewünscht wird (Zustimmung rechts.)
— und das darf ich jetzt wohl annehmen —, dann Meine Damen und Herren! Ich möchte das Hohe
kommen wir zur Abstimmung über den Ergän- Haus überhaupt bitten, bei allen Anliegen und Vor-
zungsantrag des Abgeordneten Schoettle in der be- gängen, die die Heimatvertriebenen betreffen,
kannten, von ihm verlesenen Fassung, als Ergän- keinerlei Unterbewertung Platz greifen zu lassen.
zung zu dem vorhin beschlossenen Antrag Dr. von Wir verlangen, daß man die Bedeutung des Flücht-
Brentano und Genossen. Wer für den Ergänzungs- lingsproblems so sieht, wie sie in Wirklichkeit ist.
antrag Schoettle ,ist, den bitte ich, die Hand zu er- Daher bitte ich, daß der Ausschuß für die Heimat-
heben. — Meine Damen und Herren, das ist zwei- vertriebenen mit 27 Mitgliedern besetzt wird.
felsfrei die Mehrheit. Ich erkläre damit den Er- (Beifall.)
gänzungsantrag für angenommen.
Präsident Dr. Köhler: Wird das Wort weiter ge-
Ich habe nunmehr einen weiteren Antrag zur Ab- wünscht? — Ich stelle fest, daß das nicht der Fall
stimmung zu bringen, glaube aber, daß sich die ist.
Abstimmung hier erübrigen wird. Es handelt sich
um die Anregung des Herrn Abgeordneten Dann kommen wir zunächst zur Abstimmung
Schöttle, daß die Berliner Abgeordneten mit be- über Ziffer I des Antrags Drucksache Nr. 48:
ratender Stimme an sämtlichen Ausschüssen be- Die vom Bundestag eingesetzten Ausschüsse wer-
teiligt sind. Ich glaube, es bedarf wohl darüber den in folgender Stärke gebildet.
keiner ausdrücklichen Abstimmung. Erhebt sich Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand zu erheben.
Widerspruch im Hause? — Das ist nicht der Fall. (Abg. Dr. Seelos: Zunächst war über den
Dann stelle ich fest, daß die Berliner Vertreter mit Vertagungsantrag abzustimmen!)
beratender Stimme an sämtlichen Ausschüssen be-
teiligt sind. - Ich habe keinen Vertagungsantrag gehört. Haben
Sie einen Vertagungsantrag gestellt?
(Beifall. — Abg. Dr. Adenauer: Doch nicht alle! — (Abg. Dr. Seelos: Ich habe beantragt, die
Abg. Renner: Wir erheben Widerspruch!) Abstimmung jetzt nicht vorzunehmen!)
— Gegen den Widerspruch der KPD! — Herr Abgeordneter Dr. Seelos, dieser Antrag be-
Meine Damen und Herren! Wir kommen- nunmehr darf der Unterstützung von 30 Stimmen.
wieder auf die interfraktionelle Basis zurück, was (Abg. Dr. Seelos: Der Antrag hat die Unter
zweifellos die Durchführung des Verfahrens er- stützung der Bayernpartei und der FDP!)
leichtern dürfte. Wir kommen nämlich nunmehr — Verzeihung, ich war doch soeben schon in der
zu dem Antrag Drucksache Nr. 48: Abstimmung.
Interfraktioneller Antrag betreffend Stärke der (Widerspruch. — Zuruf rechts: Der Antrag
Ausschüsse. war schon vorher gestellt!)
202 Deutscher Bundestag - 10. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. September 1940
(Präsident Dr. Köhler)
— Warum müssen wir denn alle mit so großem Damit wir jetzt nicht allzusehr wieder in un-
Stimmaufwand sprechen! Man kann sich doch bei serem Geschäftsplan gestört werden, möchte ich
Ruhe im Saal sehr gemütlich unterhalten. Sie doch zunächst alle Beteiligten fragen, welche Zeit
haben einen Vertagungsantrag gestellt? sie für die Beseitigung der aufgetretenen Diffe-
(Abg. Dr. Seelos: Jawohl!) renzen zu benötigen glauben. Darf ich einmal um
- Das habe ich in dieser Form nicht gehört. Sonst Äußerungen der hauptbeteiligten Fraktionen bitten?
wäre ich nicht zur Abstimmung geschritten. (Zurufe: Eine Stunde!)
Meine Damen und Herren, ich mache auf folgen-
Jetzt muß ich feststellen, ob der Vertagungs- des aufmerksam. Wir haben die Absicht, auch den
antrag die nötige Unterstützung findet. übrigen Teil der Tagesordnung heute noch zu er-
(Zurufe: Jawohl!) ledigen.
- Meine Damen und Herren, ich darf jetzt einen (Zustimmung.)
praktischen Vorschlag machen. Sie wollen doch Ich muß infolgedessen dringend darum bitten, daß
keinen Antrag auf Vertagung, sondern höchstens die Unterbrechung nicht lange ausgedehnt wird.
einen Antrag auf Unterbrechung stellen. Wir wol Es handelt sich doch nur um eine Sache des
len doch heute mit diesen Dingen fertig werden, Rechenstifts. Ist das nicht in einer halben Stunde
weil wir sonst nicht zur Abwicklung unserer übri zu machen?
gen Tagesordnung für heute und morgen und zum (Abg. Gengler: Höchstens eine halbe Stunde!)
Beginn der Ausschußarbeiten in der nächsten Meine Damen und Herren, ich darf dann folgen-
Woche kommen. Ich erlaube mir den Vorschlag, des feststellen. Es ist jetzt 19 Uhr. Ich werde um
daß -wir jetzt die Abstimmung über die Druck 19 Uhr 30 wieder klingeln lassen und dann ohne
sache Nr. 48 aussetzen und daß die beteiligten Rücksicht auf die Zahl der Anwesenden in der
Herren, die schon die Drucksache Nr. 48 ausge Sitzung fortfahren.
arbeitet haben, sich inzwischen noch einmal zu
sammensetzen. In der Zwischenzeit können wir Die Sitzung ist unterbrochen.
unsere Beratungen hier fortführen. Dadurch würde
unsere Arbeit erleichtert und gefördert werden. (Unterbrechung der Sitzung: 19 Uhr 2 Minuten.)
(Zurufe und Unruhe.)
— Herr Abgeordneter Dr. Seelos, ist denn das un- Die Sitzung wird um 19 Uhr 15 Minuten wieder
bedingt nötig? Sie haben ja die Unterstützung. aufgenommen.
(Abg. Dr. Seelos: Ich bin mit der Unterbrechung
einverstanden.) Präsident Dr. Köhler: Meine Damen und Herren,
die Sitzung ist wieder eröffnet. Darf ich mir zu-
Muß dadurch das ganze Haus betroffen werden? nächst die Frage erlauben, ob die Unterbrechung zu
Ich wollte die weitere Arbeit hier ermöglichen. dem beabsichtigten Ergebnis geführt hat.
(Abg. Dr. Seelos: Ich mußte einen Antrag (Abg. Dr. Schäfer: Ich bitte ums Wort zur
auf Vertagung stellen; sonst hätten Sie die Geschäftsordnung.)
Abstimmung vorgenommen.) Zur Geschäftsordnung hat das Wort der Herr
— Dann bitte ich, mir jetzt zu sagen, ob Sie für Abgeordnete Dr. Schäfer.
den Antrag auf Unterbrechung eine Unterstützung
von 30 Mitgliedern haben. Dr. Schäfer (FDP): Meine Damen und Herren!
(Zuruf: Bayernpartei und DP!) Namens meiner Fraktion beantrage ich, den Punkt
— Ich lasse über den Antrag auf Unterbrechung der Tagesordnung, bei dem vorhin die Sitzung
abstimmen. unterbrochen worden ist, abzusetzen und morgen
zu Beginn der Sitzung mit diesem Tagesordnungs-
(Zuruf in der Mitte: Wir sind in der Abstimmung!) punkt fortzufahren. Durch die inzwischen mitge-
— Verzeihung! Ich muß anerkennen, ich habe den teilte Bildung einer Arbeitsgemeinschaft WAV-
Vertagungsantrag des Herrn Abgeordneten Dr. Zentrum sind Voraussetzungen, die für die Bemes-
Seelos überhört. Ich habe ihn nicht in dieser Form sung der Mitgliederzahl in den Ausschüssen be-
aufgefaßt. Infolgedessen muß ich ihm Rechnung stimmend gewesen sind, hinfällig geworden. Es ist
tragen. Es hat sich herausgestellt, daß dieser An- notwendig, über die Grundlagen der Ausschuß-
trag von mehr als 30 Mitgliedern des Hauses unter- bildung neue Klarheit zu schaffen. Es erscheint uns
stützt wird. Wer dafür ist, daß die Sitzung gemäß deswegen notwendig, jetzt eine Vertagung vorzu-
diesem Antrag unterbrochen wird, den bitte ich, die nehmen.
Hand zu erheben. — Ich bitte auszuzählen.
(Zurufe: Das ist die Mehrheit!) Präsident Dr. Köhler: Wird das Wort zu
— Nein. Überlassen Sie es bitte mir, das von hier diesem Antrag gewünscht? — Herr Antragsteller,
die Mehrheit ist. Sie sehen nicht nach hinten; ich wollen Sie auch gleich einen Zeitpunkt beantragen?
sehe alles. (Abg. Dr. Schäfer: 11 Uhr vormittags!)
(Abg. Frau Dr. Weber: Das ist doch die Mehrheit!) — Wird das Wort zu diesem Antrag gewünscht? —
— Nein. Ueberlassen Sie es bitte mir, das von hier Sie hatten sich noch zur Geschäftsordnung gemel-
aus zu beurteilen. Dazu sitze ich doch da. — det; ist das erledigt?
Ich bitte nun um die Gegenprobe; aber ich mache (Zuruf.)
gleich darauf aufmerksam, daß sich 186 Stimmen Wenn das Wort nicht mehr gewünscht wird, lasse
für den Antrag entschieden haben. Wollen wir ich über den Antrag Dr. Schäfer abstimmen, den
noch auszählen lassen? Ich glaube, es ist- die Mehr- Punkt 4 heute abend abzusetzen und morgen früh
heit. als ersten, bei einem Sitzungsanfang um 11 Uhr,
(Zurufe.) vorzunehmen. Wer dafür ist, den bitte ich, die
Hand zu erheben. — Meine Damen und Herren,
Wird es anerkannt oder wollen wir auszählen? das ist zweifelsfrei die Mehrheit.
(Zurufe.) Dann hat noch das Wort zur Geschäftsordnung
- Es ist in Ordnung. der Herr Abgeordnete Dr. Miessner.
Deutscher Bundestag — 10. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. September 1949 203

Dr. Miessner (NR): Meine Damen und Herren, Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Miessner.
ich erhebe Protest dagegen, daß der vorhin von
mir gestellte Zusatzantrag von dem Herrn Präsi- Dr. Miessner (NR): Herr Präsident! Sie haben
denten mit dem Hinweis abgelehnt worden ist, den Hinweis ausgesprochen und mir empfohlen,
daß bereits ein solcher Antrag gestellt sei. Der den Antrag — —
Herr Präsident hat es nicht zur Abstimmung über (Zuruf in der Mitte: Lauter! Es ist nichts
meinen Antrag kommen lassen. zu verstehen!)
Ich darf das kurz begründen. Die Gruppe „Natio-
nale Rechte" hatte einen Zusatzantrag zu dem An- — Der Herr Präsident hat, wie ich mich genau er-
trag, der von der SPD-Fraktion eingebracht wor- innere, mir empfohlen, den Antrag zurückzuziehen
den ist, gestellt. Darüber ist abgestimmt, und er unter Hinweis darauf, daß ein ähnlicher Antrag,
ist abgelehnt. Ich habe dann einen Antrag zu dem das heißt ein ähnlicher Zusatzantrag zu dem vor-
zweiten Antrag gestellt, der, glaube ich, von der hergehenden SPD-Antrag abgelehnt worden ist.
CDU war, nämlich grundsätzlich das d'Hondtsche Das ist richtig.
Verfahren zugrunde zu legen. Dazu habe ich fol- (Zuruf aus der Mitte: Sie sind im Parlament
genden Zusatzantrag eingebracht: und nicht im Kindergarten!)
Den nach diesem Schlüssel in einem Ausschuß Ich habe dann erklärt, daß ich meinen Antrag nicht
nicht vertretenen Fraktionen und der Gruppe zurückziehe, sondern daß ich auf Abstimmung des
„Nationale Rechte" steht das Recht zu, sich Zusatzantrages zu dem d'Hondtschen Verfahren be-
durch einen Abgeordneten mit einer beratenden stehe. Ich bitte, darüber abzustimmen.
Stimme vertreten zu lassen, soweit nicht der
Bundestag für einzelne Ausschüsse eine ab-
Präsident Dr. Köhler: Das kann heute nicht
weichende Regelung beschließt.
mehr sein, Herr Abgeordneter, nachdem die
[ch kann mich nicht erinnern, daß dieser Antrag auf morgen 11 Uhr vertagt ist. Ich darf
als Zusatzantrag zu dem Antrag, das d'Hondtsche ganze Angelegenheit, wie Sie miterlebt haben,
Verfahren zugrunde zu legen, von mir vorher in anheimstellen, diesen Antrag morgen früh noch
der Sitzung schon gestellt ist. Ich bitte deshalb, einmal zu wiederholen. Sonst würden wir wieder
darüber abzustimmen. in eine Beratung der Materie eintreten, die wir
eben — fast einstimmig — auf morgen früh ver-
Präsident Dr. Köhler: Zu der geschäftsordnungs- schoben haben. Das bitte ich zu berücksichtigen.
mäßigen Bemerkung des Herrn Abgeordneten
Dr. Miessner darf ich folgendes feststellen: Herr (Zuruf: Es sind 10 Unterschriften zu geben!)
Abgeordneter Dr. Miessner hatte beantragt, daß
die Bezeichnung NR, Nationale Rechte, unter Dr. Miessner (NR): Ich bin damit einverstanden,
den Fraktionen in dem Ergänzungsantrag wieder wenn mir Gelegenheit gegeben wird, den Antrag
aufgenommen wird. Das war der erstmalige An- morgen noch einmal zu stellen.
trag, der abgelehnt wurde. Dann hatten Sie die-
sen Antrag zum zweitenmal wieder aufgenommen. Präsident Dr. Köhler: Wird sonst noch das
Ich weiß im Moment nicht, ob dieses in Verbin- Wort gewünscht? — Ich stelle fest: das ist nicht
dung mit dem d'Hondtschen System der Fall war. der Fall.
Ich habe aber die Abstimmung über diesen Antrag Die nächste Plenarsitzung ist morgen früh 11 Uhr.
nicht verweigert, sondern mir nur den Hinweis
darauf erlaubt — nachdem vorher das Abstim- Die CDU-Fraktion tritt um 9 Uhr zusammen.
mungsergebnis negativ gewesen war, ich kann Haben die anderen Fraktionen Wünsche? — Das
meine Worte hier nicht wiederholen —, ob es ist nicht der Fall.
zweckmäßig sei, den Antrag noch einmal zu stellen.
Dann ist allerdings in der Aussprache die weitere Die Sitzung ist geschlossen.
Behandlung des Antrags untergegangen. Von einer
Absicht meinerseits kann nicht die Rede sein. (Schluß der Sitzung: 19 Uhr 56 Minuten.)

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