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Deutscher Bundestag
Stenografischer Bericht
49. Sitzung
Inhalt:
(A) (C)
Redetext
49. Sitzung
Präsident Dr. Norbert Lammert: kutieren oder gar zu empfehlen, deutsche Soldaten Seite
Die Sitzung ist eröffnet. an Seite mit Soldaten anderer europäischer Länder in den
Nahen Osten zu schicken. Frieden zu stiften – diese Auf-
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie alle gabe überließen die Europäer in den zurückliegenden
herzlich. Ich wünsche uns einen guten Tag und für die Jahren den USA. Das historische Bild vom Händedruck
Beratungen in dieser Woche alles Gute. Insbesondere zwischen Jizchak Rabin und Jassir Arafat entstand 1993
wünsche ich, dass wir die Sorgfalt, die der erste Tages- in Washington, das von Menachem Begin und Anwar el
ordnungspunkt verdient, walten lassen. Sadat 1979 in Camp David.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf: Wir dürfen gemeinsam feststellen: Seitdem haben
Beratung des Antrags der Bundesregierung sich die Verhältnisse in der Welt grundlegend verändert
und wir uns mit ihnen. Europa entwickelt sich von einem
Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte Flickenteppich heterogenster nationaler Interessen zu ei-
(B) an der United Nations Interim Force in Leba- ner – ich glaube – gemeinsam handlungsfähigen Kraft. (D)
non (UNIFIL) auf Grundlage der Resolution Das versetzt uns – mit uns meine ich Europa – in die
1701 (2006) des Sicherheitsrates der Vereinten Lage, jetzt auch im Nahen Osten mitzuhelfen, Frieden zu
Nationen vom 11. August 2006 schaffen und zu sichern. Europa wird künftig – davon
bin ich überzeugt – ein Faktor für Frieden, auch im Na-
– Drucksache 16/2572 – hen Osten. Das ist die eigentliche Nachricht; das ist der
Überweisungsvorschlag: eigentliche Einschnitt, den wir uns bewusst machen
Auswärtiger Ausschuss (f) müssen. Ich finde, das ist keine schlechte Nachricht.
Rechtsausschuss
Verteidigungsausschuss (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
GRÜNEN)
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Weil das so ist und weil wir wussten, dass das
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO
Schweigen der Waffen nur durch internationale Präsenz,
Hierzu liegen ein Entschließungsantrag der Fraktio- durch ein internationales Hilfeversprechen erreicht wer-
nen der CDU/CSU und der SPD sowie je ein Entschlie- den konnte, durften und dürfen wir nicht abseits stehen.
ßungsantrag der Fraktion der FDP, der Fraktion Die Wir stehen in einer gemeinsamen Verantwortung. Für
Linke und der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen die Bundesregierung sage ich: Wir sind entschlossen,
vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für uns dieser Verantwortung zu stellen.
die Aussprache 90 Minuten vorgesehen. – Ich höre dazu Es geht beim Libanoneinsatz nämlich nicht um das
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. prinzipienlose Brechen außenpolitischer Tabus, die wir
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zu- uns aus guten Gründen nach der Zeit des Nationalsozia-
nächst dem Bundesminister des Auswärtigen, Herrn lismus selbst auferlegt haben. Nein, es geht um Glaub-
Dr. Steinmeier. würdigkeit und um die Anerkennung von Normalität, die
uns nicht mehr vor Inanspruchnahme schützt. Es geht
schließlich auch um die Respektierung der Tatsache, dass
Dr. Frank-Walter Steinmeier, Bundesminister des
uns nicht nur der Libanon, sondern auch Israel ausdrück-
Auswärtigen:
lich um Beteiligung an diesem Einsatz gebeten haben.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube,
wir alle spüren: Dies ist keine ganz gewöhnliche Debatte (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
im Deutschen Bundestag. Vor zehn Jahren wäre vermut- der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE
lich niemand auf die Idee gekommen, hier darüber zu dis- GRÜNEN)
4800 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 19. September 2006
Emotion sei an einer Stelle in dieser nüchternen De- Was ist der Sinn dieser Sache? Ich finde, die Men-
batte erlaubt, die wir hoffentlich verantwortungsvoll schen im Libanon sollten spüren, dass es für sie und ihre
miteinander führen: Es war ein bewegender Moment für Familien in der nächsten Zeit wieder vorangeht. Das
mich, als Kofi Annan in der Runde der europäischen Au- sollten wir ihnen zeigen, damit keine anderen Flaggen
ßenminister einzeln abfragte, wer bereit sei, an der inter- über den wieder aufgebauten Brücken wehen, sondern
nationalen Hilfe teilzunehmen, um Stabilität an der möglichst europäische.
Grenze zwischen Israel und Libanon zu sichern, und ei-
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie
ner nach dem anderen aus der Runde der Außenminister
bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE
sagte: Wir sind dabei.
GRÜNEN)
Es besteht kein Zweifel: Mit diesem Einsatz, für den
Natürlich wissen wir, dass der Bundeswehreinsatz al-
wir hier im Parlament hoffentlich eine breite Mehrheit
lein dem Nahen Osten keinen dauerhaften Frieden be-
bekommen, betreten wir politisches Neuland. Aber ich
scheren kann. Aber er sorgt zunächst einmal für Stabili-
(B) sage: Auch dieser Einsatz steht in der guten Tradition tät in einer Region, die sich in einer hoch angespannten (D)
deutscher Außenpolitik. Immer dann, wenn der Bundes-
Situation befindet. Wir brauchen diese Stabilität – das ist
tag einen solchen Einsatz zugelassen hat, haben wir dies
meine feste Überzeugung –, um dazu beizutragen, dass
getan, um Frieden zu schaffen, um Friedensverträge zu
die Menschen in der Region überhaupt erst wieder Ver-
sichern oder um Flucht und Vertreibung zu verhindern.
trauen aufbauen und den Mut fassen, über die Gräber
Diesen ehernen Grundsatz gebe ich all denjenigen zu be-
und die Minenfelder hinweg das Gespräch miteinander
denken, die sich Kriterienkataloge erhoffen. Dieser
zu suchen.
eherne Grundsatz gilt auch für diesen Einsatz und für
alle Zukunft. Das, was für unseren außen- und sicherheitspoliti-
schen Ansatz immer gegolten hat, gilt auch hier: Dauer-
Der Verteidigungsminister wird den geplanten Ein-
hafter Friede wird im Nahen Osten nur zu erringen sein,
satz gleich noch intensiver erläutern. Worum bittet die
wenn wir an einem klugen Mix von Maßnahmen festhal-
Bundesregierung den Bundestag? Wir wollen uns mit bis
ten. Dazu gehört auch die militärische Präsenz. Vor allen
zu 2 400 Soldaten an der internationalen Mission der
Dingen aber müssen wir politische Fortschritte erzielen
Vereinten Nationen im Libanon beteiligen. Die Haupt-
und den Menschen ganz konkrete Hilfen anbieten, die
aufgabe dieser internationalen Mission wird darin beste-
ihren Alltag verbessern helfen.
hen, Waffenschmuggel seeseitig an der Grenze zum Li-
banon zu verhindern. Es handelt sich, wie Sie wissen, Der Libanoneinsatz ist für mich nicht der Abschluss
um ein robustes Mandat. Die Soldaten der Bundeswehr eines turbulenten Sommers, sondern ich verstehe ihn als
werden das Recht haben, den Seeverkehr vor der Küste das Startsignal für die eigentliche Arbeit, die jetzt auf
des Libanon zu kontrollieren, verdächtige Schiffe umzu- uns wartet. Ich jedenfalls will mich in den kommenden
leiten, sie zu betreten und zu durchsuchen. Das steht ein- Monaten mit aller Kraft dafür einsetzen, dass es im Na-
deutig in den Einsatzregeln der Vereinten Nationen. Die hen Osten politisch vorangeht.
libanesische Regierung hat diese Einsatzregeln akzep-
tiert. Die gesamte maritime Taskforce unter Beteiligung (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem
anderer europäischer Einsatzkräfte wird unter der Füh- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
rung der deutschen Bundesmarine stehen.
Die Chancen dafür stehen gar nicht so schlecht. Aller-
Wenn wir über Militär reden – darüber ist heute zu dings muss ich zugeben: Nach 60 Jahren des Dauerkon-
entscheiden –, dann muss uns bewusst sein, dass wir uns flikts ist das nicht gerade sehr wahrscheinlich. Aber nach
nicht darauf beschränken dürfen. Deutschland will sich der letzten Eskalation scheint überall die Einsicht ge-
darüber hinaus engagieren. Der Libanon muss seine wachsen zu sein, dass Frieden und Sicherheit die Vo-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 19. September 2006 4801
Bundesminister Dr. Frank-Walter Steinmeier
(A) raussetzungen für ein dauerhaft besseres Leben darstel- Meine Damen und Herren, Sie verstehen meine Be- (C)
len und dies nicht mit Gewalt zu erreichen ist. wertung: Ich glaube, dass die Tür zum Frieden im Nahen
Osten einen Spaltbreit offen steht. Wenn wir diese Tür
In den Prozess, der jetzt ansteht, können wir Europäer aufstoßen wollen, müssen jetzt alle Beteiligten ihre Ver-
unsere Erfahrungen einbringen. Wir brauchten die Zer- antwortung wahrnehmen. Die palästinensische Seite
störung von zwei Weltkriegen, bis wir begriffen haben, muss das Existenzrecht Israels anerkennen und auf die
dass es nur ein tragfähiges Fundament für Frieden, Si- Anwendung von Gewalt verzichten und Israel muss sich
cherheit und Wohlstand in Europa gibt: die Einsicht, bewusst machen, dass es den Frieden auf Dauer nicht
miteinander zu reden, zu arbeiten und Handel zu treiben, militärisch gewinnen kann, sondern auch selbst nach
statt aufeinander zu schießen. Verständigung und Ausgleich mit seinen Nachbarn su-
chen muss.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang ein
Thema ansprechen, das auf der Botschafterkonferenz, (Beifall bei Abgeordneten der SPD)
die Anfang September stattgefunden hat, eine Rolle
spielte: Wer hätte vor 50 Jahren gedacht, dass Deutsche Wir können nicht sämtliche Verantwortung in der Re-
und Franzosen heute in der Lage sind, ein gemeinsames gion lassen. Auch wir stehen als Mitglied der Weltge-
Geschichtsbuch zu schreiben? Dieses Geschichtsbuch ist meinschaft selbstverständlich in einer großen Verant-
vor kurzem erschienen. Es wird in diesen Tagen an die wortung. Wir müssen unsere Kraft im Nahen Osten
ersten Schulen in Deutschland ausgeliefert. Es ist übri- einbringen, solange die eigenen Kräfte dort zum Frieden
gens eines der wenigen, vielleicht das einzige, das in al- noch nicht ausreichen. Das bedeutet in dieser Diskussion
len Bundesländern anerkannt ist. heute und morgen bei der Abstimmung ganz konkret:
Ich bitte um Ihre Zustimmung, ich bitte um die Zustim-
(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem mung des Deutschen Bundestages zu der Beteiligung der
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Bundeswehr am Einsatz im Libanon.
Fritz Kuhn
(A) – Aus der Rednerliste geht hervor, dass er nicht reden (Zuruf von der FDP: Das ist doch lächerlich! – (C)
will. Ich finde aber, er sollte sich der Diskussion wirk- Zurufe von der LINKEN)
lich mit präziser Argumentation stellen.
– Denken Sie doch über die Rede Gysis nach. Da hätten
Ich will noch einmal das Beispiel Kongo in Erinne- Sie genug zum Nachdenken.
rung rufen. Bislang, nach dem ersten Wahlgang – wir
alle in diesem Hause hoffen, dass das so bleibt –, ist es (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS-
so, dass der Einsatz, den auch wir hier unterstützt haben, SES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)
dazu geführt hat, dass die früheren Bürgerkriegsparteien Die FDP schwankt ja bei ihren Begründungen syste-
nicht übereinander hergefallen sind. Sie, Herr matisch. Herr Hoyer hat vorhin das UNIFIL-Mandat als
Westerwelle, haben noch letzte Woche gesagt, dass die sinnvolles Mandat bezeichnet,
Schwierigkeiten, die es in der Hauptstadt des Kongo
gab, ein Beleg dafür sind, wie richtig es war, sich wie Sie (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
dem Einsatz zu verweigern. NEN]: Jetzt plötzlich nicht mehr!)
(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- während Herr Westerwelle am Freitag in der „Bild“-Zei-
NEN]: Richtig!) tung das schiere Gegenteil behauptete. Ich darf einmal
Herrn Westerwelle aus der „Bild“-Zeitung zitieren:
Ich finde, dass man dann, wenn man den Maßstab zur
Beurteilung verloren hat, wann Einsätze der Vereinten (Zuruf von der LINKEN: Keine Antwort! –
Nationen bzw. von den VN mandatierte Einsätze erfolg- Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
reich sind, auch fehlgeht bei der Beurteilung der Pro- NEN], an Abg. Dirk Niebel [FDP] gewandt:
bleme, über die wir hier reden. Stehen bleiben! – Gegenruf des Abg. Dirk
Niebel [FDP]: Er antwortet nicht auf meine
(Beifall bei Abgeordneten der SPD) Frage!)
Präsident Dr. Norbert Lammert: Doch in Nahost fehlt das überzeugende politische
Herr Kollege Kuhn, gestatten Sie eine Zwischenfrage Konzept. Der Einsatz soll einen brüchigen Waffen-
des Kollegen Niebel? stillstand sichern. Dazu braucht es Friedenswillen
auf beiden Seiten. Besteht der wirklich?
Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Westerwelle ignoriert völlig, dass beide Seiten darum
Ja, gerne. gebeten haben, dass dieser Einsatz stattfindet, und dass
beide Seiten darin auch eine Chance auf Frieden sehen.
(B) Dirk Niebel (FDP): Deshalb wäre es verheerend, wenn wir den Weg be- (D)
Vielen Dank, Herr Kuhn. – Könnten Sie mir die Frage schreiten würden, den Sie hier vorschlagen.
beantworten, ob das hier zu diskutierende Mandat Ihrer (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Ansicht nach ein neutrales Mandat zur Sicherung des und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der
Waffenstillstandes oder ein Unterstützungsmandat zu- CDU/CSU)
gunsten einer der beiden Konfliktparteien ist? Was folgt,
wenn Sie der Ansicht sind, es sei ein neutrales Mandat Ich habe einen anderen Verdacht, Herr Westerwelle;
zur Sicherung des Waffenstillstandes, daraus für Waffen- aus dem kann ich Sie nicht entlassen. Ich vermute näm-
stillstandsverletzungen, die von irgendeiner Seite began- lich, dass für die Haltung, die Sie eingenommen haben,
gen werden? Müsste man dann nicht dagegen vorgehen? taktische Fragen der deutschen Innenpolitik im Vorder-
Denken wir das einmal etwas weiter: Müsste man dann grund stehen. Angesichts dessen sollten Sie sich nicht so
nicht, wenn die Vereinten Nationen als Auftraggeber verdrücken, wie Sie es heute tun.
dieses Mandats im Rahmen ihrer Deutungshoheit zu (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
dem Schluss kämen, dass Israel einen Waffenstillstands- und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der
bruch begangen hätte, beispielsweise im Zuge einer Be- CDU/CSU)
freiungsaktion für entführte Soldaten, die ich im Übrigen
sehr gut verstehen könnte, gegen entsprechende Kom- Der Einsatz, liebe Kolleginnen und Kollegen, über
mandos vorgehen? Wollen Sie das unseren deutschen den wir reden, ist dennoch nicht einfach. Wir werden es
Soldaten wirklich zumuten? erleben, dass dieser Einsatz dauernd, zum Beispiel auf-
grund innenpolitischer Auseinandersetzungen im Liba-
(Beifall bei der FDP und der LINKEN) non, in schwierige Phasen eintritt, aber er wird dadurch
nicht in seiner Gänze falsch. Wir sagen, Herr Außen-
Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): minister: Nur wenn es in einem wahrscheinlich nicht
Lieber Herr Niebel, wir haben uns in der Fraktion sehr lange geöffneten Fenster gelingt, rasch zu einer
– das hat auch zu unserer Haltung geführt – sehr präzise Friedenslösung für die ganze Region zu kommen, haben
gefragt, ob deutsche Soldaten bei dem Einsatz in die wir die Chance, dass aus diesem Einsatz wirklich ein
Lage kommen könnten, auf Israelis schießen zu müssen. Beitrag zu mehr Frieden resultiert. Deswegen haben wir
Sowohl die Rules of Engagement als auch die Situation, einen Antrag vorgelegt, der klar sagt, was wir erwarten.
dass wir auf See und nicht zu Lande agieren, schließen Wir erwarten von dem Nahostquartett und von der inter-
aus, dass so etwas passieren könnte, wie in Ihrer Frage nationalen Völkergemeinschaft ein rasches Eintreten für
angedacht. eine politische Lösung, zum Beispiel durch Einberu-
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Fritz Kuhn
(A) fung einer Sicherheitskonferenz. Hier muss sowohl das – Herr Niebel, Sie haben in der Diskussion nicht über- (C)
Verhältnis zwischen Israel, Syrien und dem Libanon, zeugen können. Ihr Geschrei macht Ihre Argumente aber
zum Beispiel bezüglich der Scheeba-Farmen, als auch auch nicht besser.
die Frage der Zweistaatlichkeit zwischen Israel und Pa-
(Dirk Niebel [FDP]: Sind wir neutral oder sind
lästina erörtert werden.
wir Partei?)
Frau Merkel, ich will es noch einmal sagen: Es gibt Reden Sie nachher von dieser Stelle aus oder sagen Sie
einen Punkt, bei dem ganz speziell Sie in der Verantwor- Westerwelle, dass er dies tun soll.
tung stehen. Ein Hindernis für Friedenslösungen in den
letzten Jahren war, dass die US-amerikanische Regie- (Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Mein Name ist
rung, insbesondere der dortige Präsident, eigentlich je- Guido Westerwelle! Oder sagen Sie Herr
des Problem in der Region auf die Fragestellung herun- Westerwelle! Sie können auch Dr. Westerwelle
tergebrochen hat, dass es um einen Kampf gegen den sagen!)
al-Qaida-Terrorismus gehe. Wenn Sie die Probleme zwi- Aber mit einem solchen Geschrei können Sie nicht über-
schen Palästina und Israel und die Rolle der Hisbollah zeugen.
im Libanon ausschließlich unter dieser Fragestellung se-
hen, dann sind Sie nicht mehr in der Lage, ein klares po- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
litisches Konzept für die Gesamtregion im Sinne der Zum Abschluss möchte ich betonen, dass wir zustim-
Roadmap und deren Fortentwicklung auf den Weg zu men werden. Wir legen aber Wert auf den politischen
bringen. Rahmen; denn nur mit ihm wird der Einsatz sinnvoll.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir fordern Sie auf, dafür das Nötige zu tun.
Ich fordere Sie deshalb an dieser Stelle auf, alles Ih- Ich sage noch einmal: Konstruktive Opposition heißt
nen Mögliche zu tun, dass auch die Amerikaner an die- für uns nicht, immer nur einfach Nein zu sagen, wenn et-
ser entscheidenden Stelle in den politischen Friedens- was auf dem Tisch liegt, sondern konsequent zu prüfen,
prozess eintreten und dass sie nicht ausschließlich auf was aufgrund der Sachlage notwendig ist. Wir haben es
der israelischen Seite stehen. Dies ist der entscheidende uns nicht leicht gemacht, haben wochenlang diskutiert
Punkt, um im Rahmen dieses Mandats voranzukommen. (Zurufe von der LINKEN: Oh!)
Ich weiß, wie schwierig es ist, meine Forderung zu erfül-
len. Aber ich spüre, dass Sie, Frau Bundeskanzlerin, dies und sind dann zu dieser Entscheidung gekommen. – Es
inzwischen auch so sehen. hätte auch Ihnen gut getan, ein bisschen differenzierter
zu argumentieren;
(B) Ich möchte kurz noch etwas zu der Rede von Herrn (D)
(Zurufe von der LINKEN: Oh! – Dr. Guido
Jung sagen. Herr Jung, in den vergangenen Wochen ha-
Westerwelle [FDP]: So wie Sie?)
ben Sie sich nicht mit Ruhm bekleckert.
denn der Besinnungsaufsatz von Herrn Gysi hat kein be-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) sonderes Niveau in die Debatte gebracht.
Denn wer bei einer Unterrichtung im Kanzleramt erklärt, Ich danke Ihnen.
man könne im Rahmen humanitärer Aktionen auch Fre-
gatten in die Region schicken und brauche keinen Parla- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
mentsbeschluss, der ist schlecht über die Rechtslage un- sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und
terrichtet. der SPD)
Ich habe in diesem Zusammenhang eine Bitte. Nutzen Präsident Dr. Norbert Lammert:
Sie die Zustimmung in diesem Hause bitte nicht für eine Nächste Rednerin ist die Bundesministerin für wirt-
pauschale Erhöhung Ihres Budgets, das immerhin schaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung,
24 Milliarden Euro ausmacht. Heidemarie Wieczorek-Zeul.
(Lachen bei der FDP)
Heidemarie Wieczorek-Zeul, Bundesministerin für
Denn wir wissen erstens, dass wir von der UN einen ge- wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung:
wissen Betrag für diesen Einsatz zurückbekommen. Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
Zweitens kennen wir eine ganze Reihe von Möglichkei- alle haben in den letzten Wochen mit Schmerzen der mi-
ten in Ihrem Hause, in Milliardenhöhe einzusparen. Des- litärischen Auseinandersetzung zusehen müssen. Wir ha-
wegen wirkt es wohlfeil, wenn Sie sagen, wir schieben ben aber die Hoffnung, dass es die Chance auf eine
aufgrund des Einsatzes frisches Geld hinterher. nachhaltige Friedensregelung gibt. Es kann niemanden
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) von uns gleichgültig lassen, dass in einem Teil der Welt,
der uns räumlich und menschlich so nahe ist, Menschen
Ich glaube nicht, dass dies ein vernünftiger Weg ist, den nicht in Frieden und Sicherheit leben können. Wir haben
wir beschreiten sollten. alle gespürt: Es gibt auf Dauer nur politische Lösungen
für diese Region. Krieg ist keine Lösung.
(Dirk Niebel [FDP]: Wir können die Sekt-
steuer erhöhen! Die ist doch für die Flotte ge- Ich habe in meinen Gesprächen in Beirut, den Gesprä-
dacht!) chen mit Jugendlichen der israelischen Stadt Kfar Saba
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Der Einsatz der Bundeswehr in diesem Rahmen ist Ich möchte Ihnen aber auch sagen: Wir akzeptieren,
ein Zwischenschritt. Er kann ein Zwischenschritt auf (Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Sie haben
dem Weg zu einem dauerhaften Frieden in der Region sich verrannt und jetzt kommen Sie da nicht
sein. Er ist Teil eines politischen Gesamtkonzeptes mit mehr raus!)
langfristigen Perspektiven, mit Perspektiven für einen
wirtschaftlichen Wiederaufbau und für Sicherheit. Ich dass Sie aufgrund Ihres Abwägungsprozess zu dem Er-
bitte Sie: Lassen Sie uns diesen Schritt gemeinsam ma- gebnis gekommen sind, dass Sie die Bundeswehr in die-
chen, auch um der Jugendlichen willen aus dieser Re- ser Region einsetzen wollen. Wir erwarten aber, dass Sie
gion, aus Israel und Palästina, die vor einer Woche bei den Kolleginnen und Kollegen meiner Fraktion, die nach
uns waren. Sie stehen in schwierigen Situationen zusam- einem schwierigen Abwägungsprozess zu einem ande-
men, obwohl sie im Konflikt leben, und sie setzen ihre ren Ergebnis kommen, denselben Respekt entgegenbrin-
Hoffnungen auf uns. Ich bitte Sie, dem Mandat mit brei- gen.
ter Mehrheit zuzustimmen.
(Beifall bei der FDP)
Ich danke Ihnen.
Herr Minister Jung hat völlig zu Recht gesagt, der
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie Waffenstillstand sei eine Voraussetzung für die politi-
bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE sche Lösung. Deswegen sagen auch wir: Ja, wir finden
GRÜNEN) diese UNIFIL-Mission wichtig. Die Frage, die beant-
wortet werden muss, lautet aber: Ist die deutsche Beteili-
Präsident Dr. Norbert Lammert: gung an einer maritimen Komponente zwingend, um
Ich erteile der Kollegin Birgit Homburger, FDP-Frak- diese Operation tatsächlich durchzuführen?
(B) tion, das Wort. (Zuruf von der CDU/CSU: Ja!) (D)
(Beifall bei der FDP) Wir kommen zu dem Ergebnis, dass sie nicht zwingend
ist, weil es in diesem Bereich eine Vielzahl von Angebo-
Birgit Homburger (FDP): ten anderer Länder gab. Deutsche Soldaten müssen
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich nicht unbedingt überall präsent sein. Das gilt vor allem,
möchte zunächst eine Bemerkung zu Ihrer Rede machen, wenn wir andere Fähigkeiten besitzen, die wir sinnvoll
Herr Kuhn. Ich bin der Meinung, dass die Reaktion, die einsetzen können. Diese Fähigkeiten sollten wir aus
Sie hier gezeigt haben, völlig unangemessen war. Gründen politischer Klugheit einsetzen und nicht riskie-
ren.
(Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN) (Beifall bei der FDP)
Wer in dieser Frage die endgültige Wahrheit zu wissen Herr Kollege Kuhn, Sie können nicht komplett aus-
glaubt, der agiert schlicht anmaßend, Herr Kuhn. schließen, dass es zu einer Konfrontation zwischen Isra-
elis und deutschen Soldaten kommt.
(Beifall bei der FDP und der LINKEN)
(Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
Sie nehmen für sich einen Abwägungsprozess in An- Selbstverständlich!)
spruch und sprechen dies gleichzeitig anderen ab.
Sie können diesen Fall in einem militärischen Szenario
Ich möchte sehr deutlich sagen, dass nicht die FDP ei- wie diesem schlicht nicht ausschließen. Deswegen sagen
nen außenpolitischen Konsens verlassen hat. Sie haben wir Ihnen: Wenn es zu einer solchen Situation käme,
Ihre Position verändert, die Bundesregierung hat ihre gäbe es Diskussionen. Diese Diskussionen wären mit Si-
Position verändert. Die FDP ist bereit, gerade für diese cherheit schwierig und würden nicht zu einer Stabilisie-
für uns so wichtige Region im Nahen Osten Verantwor- rung von UNIFIL beitragen. Wir sollten deutsche Solda-
tung zu übernehmen; das haben wir vielfach zum Aus- ten nicht in eine solche Situation bringen.
druck gebracht. Deswegen hätten wir uns im Sommer
ein klares Wort der Bundeskanzlerin gewünscht. Wir Deswegen ist das Ergebnis unseres Abwägungspro-
hätten uns ein Angebot einer diplomatischen und huma- zesses, dass wir unsere Vermittlerposition, die in der Re-
nitären Unterstützung, einer Hilfe beim Wiederaufbau gion akzeptiert ist, durch eine militärische Teilnahme an
und bei der Ausbildung von Polizei- und Militärkräften UNIFIL riskieren. Diese Vermittlerposition ist für eine
gewünscht, weil das wichtig ist. Gesamtlösung aber von großer Bedeutung. Deswegen ist
4812 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 19. September 2006
Birgit Homburger
(A) es eine Frage politischer Klugheit, keine Soldaten in die- einmal die „Bild“-Zeitung! – Abg. Marieluise (C)
sen Einsatz zu schicken. Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN] meldet sich zu einer weiteren Zwischen-
(Beifall bei der FDP)
frage)
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Frau Kollegin Homburger, gestatten Sie eine Zwi- Präsident Dr. Norbert Lammert:
schenfrage der Kollegin Beck? Darf die Kollegin Beck noch einmal nachfragen?
Walter Kolbow
(A) Staatlichkeit des Libanon zu stärken. Nur im Frieden (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der (C)
wird Palästina aufgebaut werden können und wird es zu CDU/CSU)
einer gesicherten Zwei-Staaten-Lösung zwischen Israel
und Palästina kommen können. Dazu ist diese Mission Ich komme zum Schluss. Einige haben sich – das ist
auch da und sie ist unabdingbar. bei jedem Einsatz nachvollziehbar – Sorgen um unsere
Soldatinnen und Soldaten gemacht. Das ist in Ord-
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der nung. Wir alle hoffen, dass die Soldatinnen und Soldaten
CDU/CSU) auch nach diesem zehnten Einsatz im Auftrag des Parla-
ments, wenn er denn zustande kommt, heil und gesund
Selbst wenn der Waffenstillstand bräche, müssten wir
zurückkehren und diesen Einsatz unbeschadet überste-
die humanitäre Hilfe fortsetzen, die von unserer Minis-
hen werden.
terin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick-
lung sowie unserem Außenminister in bewährter Weise (Beifall bei Abgeordneten der SPD)
vorangetrieben wurde und die die Bundesregierung
– entschlussfreudig wie sie ist – im Krisengebiet unver- Aber wer wüsste besser als der Fraktionsvorsitzende
züglich geleistet hat. der SPD, der amtierende Verteidigungsminister sowie
alle anderen, die Verantwortung für unsere Soldatinnen
(Beifall bei Abgeordneten der SPD) und Soldaten tragen, wie etwa der Generalinspekteur,
Zivilgesellschaftliche Strukturen können nur im Frie- dass unsere Soldatinnen und Soldaten vorbereitet, moti-
den gefördert werden. Die daraus zu entwickelnden Ab- viert, ausgebildet und ausgerüstet sind? Sie haben nach
rüstungsinitiativen gelten nicht nur für den Nahen und neun Einsätzen nachgewiesenermaßen ein Gefühl für die
Mittleren Osten, sondern tragen darüber hinaus zur Stär- Situation gewonnen. Unsere Soldatinnen und Soldaten
kung der Vereinten Nationen in der Welt bei. sind befähigt, diesen Einsatz durchzuführen. Deswegen
muss die Politik – das hat sie heute überzeugend darge-
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der legt – auch sie befähigen, diesen Einsatz durchzuführen.
CDU/CSU) Dem entsprechen dieses Mandat und auch die Vorberei-
Weil sich die neun Fraktionsvorsitzenden der Knes- tung durch die Bundesregierung. Deswegen meinen wir,
set, verehrter Herr Präsident, an Sie gewandt haben, um hier guten Gewissens Ja sagen zu können.
auf das Schicksal der gekidnappten und gefangen gehal- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der
tenen israelischen Soldaten hinzuweisen, will ich hier CDU/CSU)
sagen: Es ist unabdingbar – das will ich der Weltöffent-
lichkeit von diesem Platz aus zurufen –, dass diese Ge-
Präsident Dr. Norbert Lammert:
fangenen freigelassen werden.
(B) Als letzter Redner in der heutigen Debatte erhält der (D)
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Kollege Freiherr zu Guttenberg für die CDU/CSU-Frak-
der CDU/CSU, der FDP und der LINKEN) tion das Wort.
Das gilt ebenso für die gefangenen Parlamentarier und (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Regierungsmitglieder der gewählten palästinensischen
Vertretung. Beides gehört zusammen und wäre auch ein
Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg (CDU/
Beitrag zur Stärkung von UNIFIL.
CSU):
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der FDP Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
und der LINKEN) Herren! Es ist tatsächlich keine gewöhnliche Debatte,
Wie wichtig es ist, die regionalen Mächte einzube- Herr Bundesaußenminister, und sie ringt uns die Ver-
ziehen, wird durch die operative und strategische Politik pflichtung ab, ein Ja, aber auch ein Nein entsprechend
der Frau Bundeskanzlerin und des Bundesaußenminis- tief gehend zu begründen. Begründungsarbeit bedeutet
ters unter Beweis gestellt. Diese Politik muss weiterhin allerdings auch, mit redlichen Argumenten vorzugehen,
aktiv betrieben werden. Ich rechne weiterhin mit der Un- Herr Gysi, statt nur subtil mit Ängsten zu arbeiten.
terstützung des Parlaments. Deswegen sind die Reisen (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
von Parlamentarierinnen und Parlamentariern in das Kri-
sengebiet unabdingbar und notwendig, um hier gemein- Ihr Vorgehen – das klang auch vorhin wieder durch – ist
sam voranzukommen. deswegen so bedauernswert, weil es keine intellektuelle
Abwägung erkennen lässt, sondern lediglich den Gefal-
Inzwischen sind weitere Voraussetzungen für die len am – zugegebenermaßen sehr elegant formulierten –
deutsche Beteiligung an UNIFIL erfüllt. Der entschei- Populismus.
dende Punkt ist, dass die israelische und die libanesische
Seite einen militärischen Beitrag Deutschlands auf See (Widerspruch bei der LINKEN)
nicht nur begrüßen, sondern auch gefordert haben. Das Auch konturloser und gewisperter Populismus ist
stärkt in der Tat die deutsche Vermittlerrolle. Das stärkt letztlich Populismus. Davon sollten wir uns nicht einwi-
aber auch das Gewaltmonopol der Vereinten Nationen, ckeln lassen.
in deren Auftrag und auf deren Bitte wir tätig sind. Da-
mit müssen sich all diejenigen auseinander setzen, die (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
der Meinung sind, dies sei ausschließlich militarisierte der SPD – Zuruf von der LINKEN: Das ist auf
Außenpolitik. Nein, dies ist aktive Friedenspolitik. Stammtischniveau!)
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 19. September 2006 4817
Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg
(A) – Das Stammtischniveau scheint dann auf, Herr Kollege, gen zu leisten als in den letzten Jahrzehnten. Stichworte (C)
wenn beispielsweise Herr Gysi darauf hinweist, dass wie die Revitalisierung des Quartetts, der Road Map, die
ihm unsere Soldaten Leid tun. Unsere Soldaten tun mir Einbindung der Nachbarstaaten, vielleicht auch die Aus-
dann Leid, wenn sie mit solchen Begründungsmustern arbeitung im weiteren Kontext und die Verknüpfung mit
konfrontiert werden. der so genannten neuen Ostpolitik wurden bereits ge-
nannt.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Sie haben Fragen aufgeworfen, Herr Hoyer, die auch
Es ist viel von einem historischen Einsatz die Rede. für uns bedenkenswert sind. Die Frage, ob man in die-
Man kann vielleicht auch anders herangehen und fragen: sem Konflikt neutral sein kann, hat auch Herr Gysi ange-
Sind wir Zeugen eines außenpolitischen Paradigmen- sprochen. Ich persönlich sage: mit Sicherheit nicht. Al-
wechsels? Vielleicht sollten wir darauf ohne Schüchtern- lerdings muss man aufpassen; denn der Begriff dient
heit mit Ja antworten. Allerdings handelt es sich um ei- mittlerweile der gezielten Irreführung. Man wird sich
nen Paradigmenwechsel, der nach 1989/1990 eingeleitet entscheiden müssen, aber nicht nur zwischen zwei Sei-
wurde – und zwar verantwortungsvoll –, mittlerweile ten. Denn es gibt in diesem Fall noch eine dritte Seite,
über Jahre andauert und auch – zugegebenermaßen ge- nämlich das internationale Recht. Dabei liegen Sie dann
legentlich etwas kurvenreich – fortgeführt wird. Diese plötzlich richtig. Auf der Seite des internationalen
Kurven zu begradigen, ist eine der vordringlichen Auf- Rechts fühle ich mich gottlob nicht neutral. In diesem
gaben des Parlamentes und einer Bundesregierung. Sinne ist das Vorbringen des Neutralitätsarguments
Dafür sind Einsatzkriterien und frühzeitig definierte In- eher verwegen. Was ist denn die genannte Alternative
teressen wie auch Ausschlusskriterien und Ausstiegssze- bzw. die Konsequenz einer postulierten Neutralität von
narien zu nennen. Hierzu hat die Bundesregierung in den Ihrer Seite? Sollen wir beiseite stehen? Den Eindruck
letzten Wochen und Monaten einen substanziellen und hatte ich nicht, als ich Ihre Ausführungen verfolgt habe.
guten Beitrag geleistet. Allerdings Anerkennung durch de facto Wirkungslosig-
Ja, es handelt sich um einen der kompliziertesten keit, eine gewisse Ideenlosigkeit und Impulslosigkeit,
Konfliktherde der Erde. Wer jedoch so durchschaubar, das ist eine Haltung, die zumindest Ihrem eigenen
so uninspiriert und letztlich so banal argumentiert, wie außenpolitischen Verantwortungsbewusstsein, das ich
das vorhin der Fall war, erweckt den hoffentlich falschen über Jahre bei Ihnen feststellen durfte, nicht entspricht.
Eindruck, dass ihm weniger an der Lösung dieses (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Schlüsselkonflikts als an innenpolitisch motivierten
Schlagworten gelegen ist. Internationales Recht ist eine Grundlage, die uns in der
Form nicht neutral macht. Über Neutralität zwischen den
(B) Insbesondere bei denen, liebe Kolleginnen und Kolle- beiden Seiten kann man lang sprechen. Wenn wir aber (D)
gen von der FDP, die noch vor einigen Jahren zu Recht die Neutralitätsfrage auf das internationale Recht über-
über Goslar geklagt haben, ist das ein bemerkenswerter tragen, dann sind wir auf dem Irrweg.
Wandel, der eher Anlass zum Nachdenken gibt. Es gab
nämlich auch Politiker aus Ihrer Fraktion, die einst vor Herr Hoyer, das führt uns zur nächsten Frage: Werden
deutschen Sonderwegen gewarnt haben. Zwar ist jeder wir zur Konfliktpartei? Im Rahmen des internationalen
Vergleich verwegen und die Situationen unterscheiden Rechts werden wir nicht zur Konfliktpartei – darauf ha-
sich gänzlich, ben schon andere hingewiesen – oder – anders gespro-
chen – wenn überhaupt, wird die gesamte internationale
(Jörg van Essen [FDP]: Sehr richtig!) Gemeinschaft zur Konfliktpartei. Das ist ein interessan-
aber Sie haben damals auf eines gepocht: auf europäi- tes Argument. Womit stärkt man aber letztlich die inter-
sche Verantwortung. nationale Gemeinschaft – das ist ein Interesse, das wir
alle teilen –, insbesondere die von vielen fast tränen-
(Zuruf von der SPD: Richtig!) blind-nostalgisch gesehenen Vereinten Nationen? Mit
Bei diesem Mandat haben Sie einen Beschluss des Sicherheit nicht durch ein derartiges Verhalten! So wer-
den Sie keine Stärkung erreichen, ganz zu schweigen
Europäischen Rates, wonach die EU eine führende Rolle
spielen soll. Zudem war die Führungsstruktur innerhalb von der Überzeugungskraft und der Durchsetzbarkeit
der Vereinten Nationen nie europäischer als jetzt. Defi- unserer Interessen, wenn es um die Reform der Institu-
tionen innerhalb der Vereinten Nationen geht.
niert sich Verantwortung derartig schnell neu? Ich
meine, wenn man über europäische Verantwortung redet, Herr Niebel, Sie haben ständig darauf hingewiesen,
sollte man solche Gesichtspunkte entsprechend in die die Bundesrepublik könne ihren Ruf als anerkannter Ver-
Argumentation mit einfließen lassen. handlungspartner im Nahen Osten verlieren. Ein poten-
zieller Verhandlungspartner, der sich der internationalen
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
Gemeinschaft mit fahrigen Gründen entzieht, wird es al-
neten der SPD – Dr. Werner Hoyer [FDP]: Wo
lerdings schwer haben, das Attribut „Anerkennung“ auf-
ist denn Großbritannien? Völliger Blödsinn!)
rechtzuerhalten. Das wird kaum gelingen.
Die politische Komponente, die genannt wurde, ist
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
ohne Frage essenziell und darf sich auch nicht in Lippen-
der SPD)
bekenntnissen erschöpfen. Wahrscheinlich ist in der Re-
gion auch ein exponentiell höherer Grad an Kreativität, Die letzte Fragestellung betrifft die historische Dimen-
Konsultationen, Gesprächen und ähnlichen Anstrengun- sion. Das ist wahrscheinlich die schwierigste, aber eine,
4818 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 19. September 2006
(B) (D)
Berichtigungen
48. Sitzung, Seite II und Seite 4473; die Anlage 3 ist
wie folgt zu lesen: „Zu Protokoll gegebene Rede zur Be-
ratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Reform des Per-
sonenstandsrechts (Personenstandsrechtsreformgesetz –
PStRG) (Tagesordnungspunkt 37 a)“
48. Sitzung, Seite 4798 (C), 1. Absatz, die vorletzte
Zeile ist wie folgt zu lesen: „Drucksache 16/993 Nr. 2.9“
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 19. September 2006 4819
Anlage
Liste der entschuldigten Abgeordneten
Andreae, Kerstin BÜNDNIS 90/ 19.09.2006 Müller (Gera), Bernward CDU/CSU 19.09.2006
DIE GRÜNEN
Nešković, Wolfgang DIE LINKE 19.09.2006
Bär, Dorothee CDU/CSU 19.09.2006
Nitzsche, Henry CDU/CSU 19.09.2006
Bellmann, Veronika CDU/CSU 19.09.2006
Polenz, Ruprecht CDU/CSU 19.09.2006
Dr. Bergner, Christoph CDU/CSU 19.09.2006
Rupprecht SPD 19.09.2006
Bluhm, Heidrun DIE LINKE 19.09.2006 (Tuchenbach),
Marlene
Dautzenberg, Leo CDU/CSU 19.09.2006
Dr. Schick, Gerhard BÜNDNIS 90/ 19.09.2006
Eichel, Hans SPD 19.09.2006 DIE GRÜNEN
Dr. Eid, Uschi BÜNDNIS 90/ 19.09.2006 Schily, Otto SPD 19.09.2006
DIE GRÜNEN
Schwabe, Frank SPD 19.09.2006
Hilsberg, Stephan SPD 19.09.2006
Dr. Staffelt, Ditmar SPD 19.09.2006
Hintze, Peter CDU/CSU 19.09.2006
(B) Dr. Tabillion, Rainer SPD 19.09.2006 (D)
Hübner, Klaas SPD 19.09.2006
Thiele, Carl-Ludwig FDP 19.09.2006
Dr. Krüger, Hans-Ulrich SPD 19.09.2006
Waitz, Christoph FDP 19.09.2006
Dr. Meister, Michael CDU/CSU 19.09.2006
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ISSN 0722-7980