Sie sind auf Seite 1von 32

Plenarprotokoll 13/53

D eutscher Bundestag
Stenographischer Bericht

53. Sitzung

Bonn, Freitag, den 8. September 1995

Inhalt:

Glückwünsche zum Geburtstag des Abge Ü


Oswald Metzger BÜNDNIS 90/DIE GR
ordneten Wolfgang Weiermann 4471 A NEN 4482 B
Dr. Barbara Höll PDS 4484 B
Tagesordnungspunkt 1 (Fortsetzung): Dankward Buwitt CDU/CSU 4486 B
Dr. Theodor Waigel, Bundesminister BMF 4488 C
a) Erste Beratung des von der Bundes- 4492 B
Ingrid Matthäus-Maier SPD
regierung eingebrachten Entwurfs ei-
nes Gesetzes über die Feststellung des Hans-Peter Repnik CDU/CSU 4493 A
Bundeshaushaltsplans für das Haus-
haltsjahr 1996 (Haushaltsgesetz 1996) Nächste Sitzung 4494 C
(Drucksache 13/2000)
Anlage 1
b) Beratung der Unterrichtung durch die
-
Bundesregierung: Finanzplan des Bun- Liste der entschuldigten Abgeordneten 4495* A
des 1995 bis 1999 (Drucksache 13/2001)
Dr. Erich Riedl (München) CDU/CSU 4471 B
Anlage 2
Karl Diller SPD 4473 D
Dr. Hermann Otto Sohns F.D.P. 4479 D Amtliche Mitteilungen 4495* D
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 53. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. September 1995 4471

53. Sitzung

Bonn, Freitag, den 8. September 1995

Beginn: 9.00 Uhr

Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Guten Morgen, Herr Kollege Wieczorek, ich habe mich in den bis-
liebe Kolleginnen und Kollegen, ich eröffne die Sit- herigen drei Tagen sehr bemüht, schon einmal zu hö-
zung. ren, mit welchen Zielsetzungen die Sozialdemokrati-
sche Partei in die Einzelplanberatungen geht. Es war
Zunächst gratuliere ich herzlich dem Kollegen leider nichts zu hören.
Wolfgang Weiermann, der heute seinen 60. Ge-
burtstag feiert. Ich sage ihm die herzlichsten Glück-
wünsche unseres Hauses. (Beifall bei der CDU/CSU - Karl Di ll er
[SPD]: Laß dich überraschen! - Weiterer Zu
(Beifall) ruf von der SPD: Ohren putzen!)
Wir setzen die Haushaltsberatungen fort:
Der Bundesfinanzminister und die Bundesregie-
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung rung haben einen um die Systemumstellung des Kin-
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über dergeldes bereinigten Bundeshaushalt vorgelegt,
die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für dessen Gesamtausgaben mit rund 452 Milliarden
das Haushaltsjahr 1996 DM um 1,3 % niedriger liegen als die des Vorjahres-
(Haushaltsgesetz 1996) haushalts.

- Drucksache 13/2000 -
(Karl Diller [SPD]: Falsch!)
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuß
- Dies ist, meine sehr verehrten Damen und Herren, in
b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundes- der Finanzgeschichte der Bundesrepublik Deutsch-
regierung land ein außerordentlich bemerkenswe rt er Vorgang.
Herr Bundesfinanzminister, Sie verdienen Respekt
Finanzplan des Bundes 1995 bis 1999 und Anerkennung dafür.
- Drucksache 13/2001 -
Überweisungsvorschlag: (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
Haushaltsausschuß

Ich erinnere daran, daß wir am Dienstag für die Deutschland setzt mit diesem Haushalt nicht nur
heutige Aussprache anderthalb Stunden beschlossen ein deutliches Spar- und Konsolidierungszeichen
haben. nach innen, sondern gibt damit auch ein Beispiel für
die Länder Europas auf dem Weg zur Vollendung der
Das Wo rt hat der Abgeordnete Dr. Riedl. Europäischen Wirtschaftsunion. Die von Deutschland
bisher erfüllten Maastricht-Kriterien beim Staatsde-
Dr. Erich Riedl (München) (CDU/CSU): Frau Präsi- fizit und beim Schuldenstand werden bei konse-
dentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! quenter Fortsetzung dieser Haushaltspolitik weiter
Wir gehen heute in die Schlußrunde dieser ersten Le- und auf Dauer stabilisiert. Dafür wird - davon bin ich
sung des Bundeshaushalts für 1996. Wenn man diese schon heute überzeugt - der Bundeshaushalt für
viertägige erste Beratung unter haushalts- und unter 1996 ein weiterer Meilenstein sein.
finanzpolitischen Aspekten Revue passieren läßt,
dann können jedenfalls die Haushaltspolitiker und Wenn in einigen Wochen dieser Haushaltsentwurf
unter ihnen wiederum vor allem diejenigen, die der in zweiter und dritter Lesung endgültig verabschie-
Koalition angehören, mit klaren Zielsetzungen und det sein wird, dann wird Deutschland für seine Wi rt
Aufgabenstellungen in die nun beginnenden Einzel- -schaftundFizpolkchmnästeJar
planberatungen im Haushaltsausschuß des Deut- wieder Lob und Akzeptanz der großen internationa-
schen Bundestages gehen. len Organisationen wie OECD und IWF finden.
4472 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 53. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. September 1995

Dr. Erich Riedl (München)


Mit dieser Finanzpolitik wird es uns gelingen, der- ger als von ihm veranschlagt. Dies, Herr Minister, ist
zeit noch vorhandene strukturelle finanzielle eine außerordentlich bemerkenswerte Leistung.
Schwachpunkte unserer Volkswirtschaft schrittweise
zu beheben. Der Bundesfinanzminister hat nämlich (Beifall bei der CDU/CSU)
recht, wenn er sagt: Dabei will ich überhaupt nicht bestreiten, daß der
Weg zu den von uns gesteckten finanziellen Zielen
Noch immer sind die Staatsquote, das Budgetde- steinig und vor allem auch wegen des von der SPD
fizit, die Steuer- und Abgabenlast als Folge der majorisierten Bundesrates gefahrenreich ist. Dieser
Einheit zu hoch. Weg könnte aber erfolgreich gegangen werden,
Die Opposition hat sich dazu auch nicht geäußert. nicht nur wenn wir dies alles wollen, sondern wenn
wir auch die entsprechenden Initiativen dazu ergrei-
Sie hat nur generell beklagt, daß strukturelle Ver-
fen. Ich frage heute schon die SPD - und wir werden
schiebungen notwendig sind, aber sie hat mitnichten
dies natürlich auch im Haushaltsausschuß immer
erklären können, wie sie dazu beitragen kann, diese
wieder tun -, ob sie für diesen erfolgversprechenden
strukturellen Unterschiede und Ärgernisse - so kann
Weg mit uns gemeinsam die Verantwortung über-
man sogar schon sagen - systematisch abzubauen.
nehmen möchte.
Wir in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion sind uns Wir von der Koalition sind für diesen Weg gut gerü-
mit dem Bundesfinanzminister darin einig, daß wir in stet. Wir werden im Rahmen unserer Beratungen zu-
gemeinsamen Anstrengungen von Regierung und nächst die 1,6 Milliarden DM auf der Ausgabenseite
Parlament - und hierzu möchte ich auch den Bundes- zu kürzen haben, die als Ergebnis des Vermittlungs-
rat zählen, meine sehr verehrten Damen und Herren - ausschusses zum Jahressteuergesetz 1996 vom Bund
die Staatsquote bis zum Jahre 2000 von jetzt 50,5 % zu verkraften sind und die über die 60-Milliarden-
mindestens auf 46 % zurückführen müssen, DM-Grenze für die Nettokreditaufnahme hinausge-
hen. Als Haushälter hat man es natürlich ungern, daß
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) man nach Vorliegen des Regierungsentwurfes durch
und zwar damit wir Spielräume gewinnen, mit denen zusätzliche Gesetzesmaßnahmen, die unvermeidbar
wir dann zu gleichen Teilen das Staatsdefizit ab- waren, zusätzlich streichen muß. Es wäre uns lieber
bauen und die Steuerlast absenken können. gewesen, wenn diese 1,6 Milliarden DM beim Bund
auf der Ausgabenseite nicht angefallen wären, aber
Im Finanzplan der Bundesregierung ist ein Abbau wir haben diese Aufgabe nun zu bewältigen. Das
der Nettokreditaufnahme auf unter 30 Milliarden wird der erste Schritt sein.
DM vorgesehen. Dies ist für uns eine wichtige finanz- Spielraum für belastende Ausgabenbeschlüsse ist
politische Zielmarke. Ich bin einmal neugierig, ob die deshalb - ich sage es hier ganz deutlich, auch an die,
Redner der Opposition diese Zielmarke auch anstre- die jetzt schon wieder kommen und mehr haben wol-
ben, ob sie sie überhaupt erkennen und wie sie bei len - nicht vorhanden. Wir haben in der Koalitions-
der Bewältigung dieser Aufgabe künftig vorgehen haushaltsgruppe vorweg schon einmal beschlossen,
wollen. Leider hat die Opposition in dieser ersten Le- die sächlichen Verwaltungsausgaben grundsätzlich
sung - ich muß es noch einmal ganz deutlich sagen; auf dem Stand des Vorjahrs zu belassen. Um die Aus-
ich sage es ohne Häme, und ich sage es ohne- gaben- und Defiziteckwerte unbedingt einzuhalten,
Schaum vor dem Mund, aber es muß gesagt werden - müssen Ausgabeerhöhungen und Einnahmeherab-
keine Antwort auf die Frage gegeben, ob und wie setzungen in voller Höhe durch echte Einsparungen
Sie mit diesen haushalts- und finanzpolitischen Her- im jeweiligen Einzelplan gedeckt werden. Dieses so-
ausforderungen - ich sage es noch einmal zum Mit- genannte Moratorium, meine Damen und Herren
schreiben, Herr Kollege Wieczorek -, die Nettokre- auf der Regierungsbank, gilt insonderheit natürlich
ditaufnahme abzusenken und gleichzeitig die Abga- auch für die Bundesregierung selbst.
benbelastung zu verringern, in den nächsten Jahren
fertig werden wollen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU
und der F.D.P.)
(Beifall bei der CDU/CSU)
Dieser Grundsatz bedeutet auch: Aufstockung und
Seit Jahren - auch das ist eine Beobachtung, die Neubewilligung spezifischer Leistungen für die
wehtut; ich weiß es ja - werden von der SPD in der neuen Bundesländer setzen eine vollständige Ge-
ersten Lesung Haushaltsrisiken in unglaublicher genfinanzierung durch entsprechende Absenkungen
Höhe als Schreckgespenster an die Wand gemalt. im Bereich der einigungsbedingten Leistungen vor-
Man kann gar nicht aufzählen, welche zig Milliarden aus. Dabei möchte ich die Notwendigkeit einer De-
Haushaltslöcher in den Reden von Frau Matthäus gression und einer stärkeren Konzentration der Lei-
aier und den anderen über die ganze Jahre aufge- -M stungen für die neuen Länder unterstreichen.
zeigt wurden. Aber es zählt zu der eigentlichen Wirk- Folgendes will ich jetzt in vier ganz knapp gefaß-
lichkeit immer nur ein abgeschlossener Haushalt. Um ten Punkten festhalten:
so erfreulicher war es jedesmal für uns, die Schlußbi-
lanz der abgewickelten Haushalte nachzulesen. Erstens. Auf der Grundlage der aktuellen Arbeits-
Wenn wir richtig nachrechnen, dann lagen die End- markteinschätzung besteht nach Überzeugung der
ergebnisse der vom Bundesfinanzminister Dr. Waigel Haushaltsgruppe der Koalition kein Bedarf für einen
zu verantwortenden Haushalte der Jahre 1990 bis Bundeszuschuß an die Bundesanstalt für Arbeit im
1994 insgesamt um mehr als 50 Milliarden DM niedri Jahre 1996. Für den Fall einer flacheren Arbeits-
Deutscher Bundestag - 13. Wahlpe riode - 53. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. September 1995 4473
Dr. Erich Riedl (München)
marktentwicklung im Herbst dieses Jahres ist mög- und dies, obwohl der Bundeshaushalt - dies ist kein
lichst durch administrative Maßnahmen darauf hin- Fingerzeig, vor allen Dingen kein ärgerlicher, an den
zuwirken, daß bei der Bundesanstalt für Arbeit ins- Bundesrat; aber es ist eine Tatsache - bei aller Aner-
besondere durch Begrenzung der disponiblen und kennung des finanziellen Beitrags der Bundesländer
Ermessensleistungen ein Defizit nicht entsteht. zur Wiedervereinigung die Kosten der Wiederverei-
nigung zu einem überdurchschnittlichen Anteil ge-
(Karl Diller [SPD]: Aha, ihr seid gegen Ar tragen hat. Wir haben heute eine gute Chance, die
beitsmarktpolitik!) finanzpolitischen Eckdaten der Staatsverschuldung
- Sie, Herr Kollege Diller, haben gestern gefragt, und und der Abgabenlast bis zum Jahr 2000 wieder auf
heute bekommen Sie eine Antwort. Schneller geht es den Stand zurückzuführen, den wir vor der Wieder-
doch gar nicht. Sie müssen sich nur daran halten; vereinigung zu verzeichnen hatten. Wenn uns dies in
dann werden wir unser Sparziel erreichen. zehn Jahren gelänge, wäre dies ein zweites deut-
sches Wi rt schaftswunder.
(Karl Diller [SPD]: Ihr seid also gegen eine
aktive Arbeitsmarktpolitik?) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
- Sie sollen nicht so viel reden, Herr Diller, Sie sollen Aber damit wir dieses Ziel erreichen, müssen wir
mitschreiben, damit Sie es sich merken und es nach- den Entwurf zum Haushalt 1996 ordentlich beraten,
lesen können. wobei ich der Öffentlichkeit einmal ein ganz offenes
Wo rt sagen muß. Der Ärger, der sich im Plenum des
(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU
Bundestages oft bei Haushaltsdiskussionen abspielt,
und der F.D.P.)
ist im Haushaltsausschuß eigentlich gar nicht so zu
Zweitens. In der Koalitionsarbeitsgruppe besteht spüren. Die Beratungen im Haushaltsausschuß sind
Einvernehmen, die Arbeitslosenhilfeaufwendungen - ich will dies auch einmal an die Opposition sagen -
durch die vorgesehene Reform der Arbeitslosenhilfe regelmäßig mit ernsten Anstrengungen verbunden,
und die Streichung der originären Arbeitslosenhilfe
um insgesamt 3,4 Milliarden DM im Jahre 1996 zu (Zuruf von der SPD: Und mit hohem Sach
vermindern. verstand!)

Drittens. An den finanziellen Eckpunkten für die zu sparen und den Haushalt korrekt zu verabschie-
BAföG-Strukturreform und an ihrem Wirksamwer- den. Nur, meine Damen und Herren von der Opposi-
den zum Herbst 1996 ist festzuhalten, um Spielraum tion, dann haben Sie auch einmal den Mut, hier in
für andere bildungs- und forschungspolitische Maß- aller Offenheit zu sagen, daß Sie in den vergangenen
nahmen zu schaffen. Jahren mehr als 90 % der Ausgaben im Haushalts-
ausschuß des Bundestages immer selbst mitgetragen
Viertens. Alle Bundesministerien müssen sich nach haben!
Überzeugung der Koalition im Haushaltsausschuß
vor Beginn des Regierungsumzugs nach Berlin einer Wenn Sie dies auch bei der Beratung dieses Haus-
Organisationsstrukturreform unterziehen; vorhan- haltsentwurfs tun, dann könnte man in der zweiten
dene Strukturen müssen an die sich verändernden und dritten Lesung vielleicht sogar sagen: So
Anforderungen angepaßt werden. - schlecht, wie sich die Opposition in dieser ersten Le-
sung der Öffentlichkeit präsentiert hat, war sie im
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Haushaltsausschuß in Wirklichkeit nicht.
Ich bin im übrigen überzeugt: Wenn diese vier
(Heiterkeit bei der CDU/CSU)
Punkte stringent eingehalten werden, wenn vor allen
Dingen auch beim letzteren gründlich gearbeitet Sie haben eine Chance, sich zu verbessern.
wird, werden wir sehen, wie schnell einige Milliar-
den an Einsparungen zusammenkommen. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als nächster
Eine Schlußbemerkung. Angesichts der immensen
spricht der Abgeordnete Karl Diller.
Aufgaben, die auf die deutsche Finanzpolitik seit
der Wiedervereinigung im Jahre 1990 zugekommen
waren, insbesondere auf Grund des erst allmählich Karl Diller (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr ver-
sichtbar gewordenen Desasters der ehemaligen ehrten Damen und Herren! Die Haushaltsdebatte in
DDR, stehen wir heute vor einer bemerkenswerten dieser Woche hat gezeigt: Diese Bundesregierung
Situation. sitzt in der Zinsfalle ihrer eigenen Verschuldungspo-
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) litik.

Fünf Jahre nach der Wiedervereinigung können wir (Beifall bei der SPD)
schon jetzt darangehen, die einigungsbedingt über-
höhten Staatsausgaben, die einigungsbedingt über- Was Sie als Sparhaushalt bezeichnen, Kollege
Erich Riedl, ist in Wahrheit das Eingeständnis der
höhte Staatsverschuldung und die einigungsbedingt
Bundesregierung, einen immer geringeren Beitrag
überhöhte Abgabenlast der Bürger planmäßig zu re-
zur Bewältigung notwendiger Strukturveränderun-
duzieren,
gen in Wi rt schaft und Gesellschaft zu leisten. In wei-
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) ten Bereichen sind die Ausgabenansätze des Bun-
4474 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 53. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. September 1995

Karl Diller
deshaushaltes dadurch bestimmt, gerade noch die zu verniedlichen, so als wäre der Anstieg der Neu-
eingegangenen Verpflichtungen der Vorjahre zu er- verschuldung auf mehr als 60 Milliarden DM halb so
füllen. Für die Gestaltung der Zukunft reicht das schlimm, weil dem Kapitalmarkt gleichzeitig
aber nicht aus. 95 Milliarden DM an Zinsen zufließen. Das ist eine
völlig verdrehte Logik.
(Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]:
Schwarzmalerei!) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne
ten der PDS)
Was ich hier in Händen halte, Kollege Dr. Weng,
zeigt das Ergebnis Ihrer Finanzpolitik. Nach dieser Logik hätte Herr Waigel nämlich sozusa-
gen noch einen Spielraum von 35 Milliarden DM für
(Der Redner hält ein Schaubild hoch -
Dr. Erich Riedl [München] [CDU/CSU]: Das zusätzliche Schulden. Was Sie als für den Kapital-
markt positiv bewe rten, ist in Wahrheit eine skanda-
ist ein leeres Blatt! - Bundesminister
löse Umverteilung von Einkommen.
Dr. Theodor Waigel: So stand der Lafon
taine im Saarland auch da!) (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist doch ba
Es zeigt den Anteil der Zinsausgaben am Bundes- rer Unfug!)
haushalt. Die Steuergroschen der Bezieher kleiner und mittle-
(Dr. Peter Struck [SPD]: Das ist ja furcht rer Einkommen schieben Sie den Kapitalanlegern in
bar!) die Taschen.

Der Unterschied zwischen der Belastung 1982 hier (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
und 1991 do rt läßt die Zinsfalle deutlich werden, in DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der
die uns Herr Waigel hineingeführt hat. PDS - Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]:
Nichts als Klassenkampf! Keine Konzepte!
(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Dr. Antje Letztes Jahrhundert!)
Vollmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] -
Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Ludwig Erhard würde bei diesen Zahlen rotieren;
Nehmen Sie einen Zeigestock!) denn der verstand noch etwas von sozialer Symme-
trie. In seinen schlechtesten Zeiten flossen gerade
Innerhalb von nur vier Jahren hat sich der Anteil der einmal 2,4 % der Steuereinnahmen in die Zinsausga-
Zinsen am Bundeshaushalt verdoppelt. ben.
(Zuruf von der CDU/CSU: Und jetzt neh (Der Redner präsentiert ein weiteres Schau
men Sie 1978 bis 1982!) bild)
Die Zinsen für das Schuldenmassiv des Herrn Waigel Das Gebirgsmassiv, das Sie hier sehen, meine Da-
von fast 1 380 Milliarden DM fressen die Steuerein- men und Herren, sind die Zinsen für den Bundes-
nahmen förmlich auf. schuldenberg.
(Zurufe von der SPD: Hört! Hört! - Dr. Peter - (Lachen bei der CDU/CSU - Zuruf von der
Struck [SPD]: Unglaublich! - Ina Albowitz CDU/CSU: Wir sind doch nicht in der
[F.D.P.]: Ach, red' doch nicht so einen Schule, Herr Diller!)
Quatsch! - Bundesminister Dr. Theodor
Waigel: Nach der Rede traue ich mich nicht Zu Ihrer Information: Das hier ist der Schuldenstand
mehr auf den Parteitag! - Heiterkeit bei der des Bundes und seiner Schattenhaushalte des Jahres
CDU/CSU und der F.D.P.) 1982.
- Das kann ich Ihnen nachfühlen, denn, Herr Waigel, (Bundesminister Dr. Theodor Waigel: Keiner
1991 haben Sie 13 % Ihrer Steuereinnahmen für Zin- knipst!)
sen ausgeben müssen. Das ist roundabout jede achte
Steuermark. Heute brauchen Sie schon jede vierte Sie wissen, was ich damit sagen will. Das hier ist das
Steuermark, um die Zinslast zu bedienen - ge- Waigelsche Gebirgsmassiv an Schulden.
schweige denn, daß Sie irgend etwas tilgen können.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD - Zuruf
(Dr. Peter Struck [SPD]: Schlimm!) von der CDU/CSU: Es ist doch Volksver
dummung, was Sie hier machen!)
Unter diesen Bedingungen ist gestaltende Politik fast
unmöglich geworden. Um die Zinsen für den Bundesschuldenberg zu be-
zahlen, muß im Durchschnitt jeder, vom Säugling bis
(Ingri d Matthäus-Maier [SPD]: Leider!)
zum Greis, wenn man es auf die Einwohner umrech-
Herr Bundesfinanzminister, Sie versuchen, diese net, 1 150 DM pro Jahr nur an den Bund Steuern zah-
bedrohliche Zinsfalle mit einer absurden Aufrech- len, also mehr als 4 500 DM von einer vierköpfigen
nung der Zinsen gegen die Nettokreditaufnahme - Familie. Herr Waigel, uns allen würde es heute sehr
Sie haben am Dienstag den Kollegen Roth zitiert - viel besser gehen, wenn Sie die Bürger weniger ge-
schröpft hätten oder wenn Sie den Bürgern die über-
(Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ höhten Steuern zumindest in Form von Arbeitsplät-
CSU]: Der war gut!) zen, einem besseren Verkehrssystem, besseren Aus-
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 53. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. September 1995 4475
Karl Diller
bildungen oder mehr Wohnungen in den neuen Län- 1999 wird der Betrag auf 13,2 Milliarden DM sogar
dern zurückgegeben hätten. steigen. Verfälschen Sie, Herr Waigel, mit solchen
Buchungstricks nicht den wahren Anstieg der Bun-
(Zuruf von der CDU/CSU: Fragen Sie ein desausgaben!
mal die Bürger in den neuen Bundeslän
dern, wie es ihnen geht!) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne
Die Formel Ihrer Finanzpolitik lautet seit Jahren: ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Steuern und Abgaben herauf, staatliche Leistungen
herunter! Was daran symmet risch sein soll, bleibt Ihr Herr Waigel, Sie haben am Dienstag behauptet,
Geheimnis. beim Lean management, neudeutsche Vokabel für
Personalabbau, könne sich der Bund im Dreijahres-
Mit „symmetrischer Politik" wollen Sie jetzt die vergleich 1992 bis 1995 sehen lassen. Sie haben so-
Staatsquote bis zum Jahr 2000 auf 46 % senken. Kol- gar den Vergleich zum Personalabbau bei Daimler
lege Riedl sprach davon. Ich halte das für ein finanz- enz gezogen. Im Gegensatz zu Daimler-Benz aller-
politisches Märchen; denn das hieße doch nach Ihrer dings kommen Sie nie aus den roten Zahlen heraus.
Rechnung, daß Sie über einen finanzpolitischen
Handlungsspielraum von 140 Milliarden DM verfü- Zutreffend ist: Die Personalstellen des Bundes sol-
gen müßten, 70 Milliarden davon zur Senkung des len von 1992 bis 1995 - das ist Ihr Zeitraum - von
Defizits und über 70 Milliarden DM für zusätzliche 380 000 auf 325 000 zurückgeführt werden. Von die-
Steuerentlastungen. Wenn diese Zahlenspielerei sem Rückgang aber entfallen allein 45 000 Stellen,
auch nur etwas mit der Wirklichkeit zu tun hätte, also 82 %,
dann schreiben Sie das doch in Ihre Finanzplanung
hinein, Herr Waigel. (Zuruf von der CDU/CSU: Roundabout!)
(Dr. Peter Struck [SPD]: Ja!) auf die Truppenreduzierung der Bundeswehr. Soll
Dann machen Sie doch Schluß mit dem koalitionsin- das etwa die Modernisierung der Verwaltung sein?
ternen Hickhack um den Abbau des Solidaritäts-
zuschlags. Dann sagen Sie ohne Wenn und Aber: (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne
Der Bundesfinanzminister wird spätestens 1998 ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
39 Milliarden DM Solidaritätszuschlag den Bürgern und der PDS)
zurückgeben. Dafür bräuchten Sie doch gerade ein-
mal die Hälfte Ihres angeblichen Steuersenkungs- Geradezu peinlich wird es bei den Ministe rien. Da
spielraums. Sie wissen, daß dies ein Märchen ist. wachsen die Personalstellen in dem von Ihnen ge-
Deshalb unterlassen Sie das. nannten Zeitraum, von 1992 bis 1995, trotz aller an-
geblichen Kürzungen sogar noch um 511 auf 21 570.
(Beifall bei der SPD)
(Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Das
Herr Bundesfinanzminister, Sie haben gesagt: sind Waigeleien!)
Auch die Politik muß ehrlich arbeiten. Wir sagen:
Dann halten Sie sich endlich einmal daran! Vielleicht verstehen Sie in der Koalition unter Lean
--B
(Beifall bei der SPD) management ja etwas ganz anderes. Beispielsweise
die Frühpensionierung eines Botschafters, der im Al-
Denn daran hat es in Ihrer Finanzpolitik seit der ter von 59 Jahren anschließend wieder fit genug ist,
deutschen Einheit gefehlt. zu seiner Pension eine gutbezahlte Nebentätigkeit
Mit Ihrer Behauptung, 1996 würden die Ausgaben bei einem deutschen Konzern zu übernehmen.
des Bundes sogar sinken, ist Ihnen ein medienwirk-
(Ina Albowitz [F.D.P.]: Das ist wirklich klein
samer Gag gelungen. Das müssen wir zugestehen.
kariert!)
Aber ehrlich, Herr Waigel, ist das doch nicht, denn
die Bundesausgaben steigen um 0,4 % gegenüber
Oder Sie verstehen darunter das Ausscheiden eines
dem Vorjahr. Das ist nicht viel. Aber sie steigen. Weil
Staatssekretärs aus dem Innenministerium, liebe Kol-
es ihm nur um das Plus und Minus ging, konnte er es
legin Albowitz, der im Alter von 46 Jahren gegangen
sich wieder nicht verkneifen zu mogeln.
wurde - bei voller Pension. Der Mann hatte ein
(Zuruf von der CDU/CSU: Wer hat denn das Dienstvergehen begangen. Da wäre ein Disziplinar-
Nullwachstum erfunden?) verfahren mit drastisch verkürzten Bezügen ange-
bracht gewesen. Statt dessen hat der Mann heute ei-
Denn während Sie die Bundesausgaben um die Sy- nen neuen Job. Zusätzlich zur Pension verdient er
stemumstellung beim Familienleistungsausgleich be- noch als Vorstandsvorsitzender einer Krankenkasse.
reinigen, verschweigen Sie die zur gleichen Zeit
stattfindende Systemumstellung des schienengebun- (Zuruf von der SPD: Ist ja unglaublich!)
denen Nahverkehrs von der Ausgabenseite auf die
Einnahmeseite; Herr Bundesfinanzminister, Ihre Frage nach dem
(Dr. Peter Struck [SPD]: Sehr wahr!) Konzept der SPD für eine moderne Politik, für eine
wirkliche Alternative - -
eine Bilanzverkürzung genauso wie beim Kinder
geld. Auf der Einnahmeseite werden dafür (Bundesminister Dr. Theodor Waigel ent
8,7 Milliarden DM im nächsten Jahr abgesetzt. Bis fernt sich von seinem Platz)
4476 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 53. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. September 1995

Karl Diller
- Herr Waigel? Sie wollten das Existenzminimum auf höchstens
12 000 DM begrenzen.
(Bundesminister Dr. Theodor Waigel: Ich
komme wieder! - Dr. Wolfgang Weng [Ger (Dr. Peter Struck [SPD]: Herr Riedl, was sa
lingen] [F.D.P.]: Bei der Rede kann man ver gen Sie dazu?)
stehen, daß er wegläuft!)
Wir, die SPD, haben erreicht, daß das Existenzmini-
- Herr Waigel! mum bis 1999 auf 13 000 DM angehoben wird. Damit
helfen wir erneut den Beziehern kleiner und mittle-
(Zuruf von der SPD: Wo ist er denn jetzt? - rer Einkommen.
Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Er wai-
gelt wieder! - Bundesminister Dr. Theodor (Beifall bei der SPD)
Waigel: Es wird mir doch noch erlaubt sein,
daß ich mich von meinem Platz entferne!) Sie wollten die ungerechte Familienförderung fo rt
-setzn.Wir,dSPDhabfüsJr196ein
- Herr Waigel, ich gönne Ihnen die Unterhaltung mit Verbesserung des Kindergeldes für das erste und
dieser Kollegin natürlich, das ist völlig klar. zweite Kind auf 200 DM, für 1997 auf 220 DM, für
das dritte und vierte Kind sogar auf 300 DM bzw.
(Bundesminister Dr. Theodor Waigel: Neid!) 350 DM durchgesetzt. Es ist das Verdienst der Sozial-
Das ist bestimmt angenehmer, als sich unsere Vorhal- demokratie, daß ab 1996 für 95 % aller Kinder in die-
tungen anzuhören. sem Land ein einheitliches, vom Einkommen der El-
tern unabhängiges, gleiches Kindergeld gezahlt
(Heiterkeit und Beifall bei der SPD sowie wird.
bei Abgeordneten der PDS)
(Beifall bei der SPD)
Herr Waigel, Ihre Frage nach dem Konzept der
SPD für eine moderne Politik, für eine wirkliche Al- Sie haben eine Steuervereinfachung immer wieder
ternative, diese Frage, die Sie am Dienstag gestellt angekündigt, aber nie in Ang riff genommen.
haben, ist an Scheinheiligkeit nicht mehr zu überbie- (Dr. Peter St ruck [SPD]: Leider wahr!)
ten;
Wir, die SPD, haben jetzt erreicht, daß die ersten
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne Steuervereinfachungen in Kraft treten. Dabei ist es
ten der PDS) ein steuerpolitisches Signal für mehr Ehrlichkeit und
denn es ist doch die Koalition, die auf Grund ihrer ei- Gerechtigkeit im Steuerrecht - das sage ich vor allem
genen Handlungs- und Reformunfähigkeit gezwun- an die Verweigerer in der F.D.P. -, daß wir endlich
gen ist, Stück um Stück sozialdemokratische Alter- die Abzugsfähigkeit von Bestechungs- und Schmier-
nativen zu übernehmen. geldern abgeschafft haben.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne
ten der PDS)
Erstes Beispiel. Es war doch die Koalition, der nach
den Urteilen zur Verfassungswidrigkeit beim Fami- -
Das ist ein wichtiger Beitrag zur Bekämpfung der
lienleistungsausgleich sowie beim steuerfreien Exi- Korruption, gegen den sich die Koalition und insbe-
stenzminimum 1991, 1992, 1993, 1994 nichts einfiel, sondere die F.D.P. jahrelang mit Händen und Füßen
die nichts vorlegte. gewehrt haben.

(Dr. Peter Struck [SPD]: Wie immer!) Ein zweites Beispiel: Sie wollten jahrelang von ei-
ner gerechten Neuregelung der steuerlichen Wohn-
Erst auf den letzten Drücker legten Sie einen Gesetz- eigentumsförderung nichts wissen. Wir Sozialdemo-
entwurf vor, der erneut verfassungswidrig war und kraten haben immer wieder gefordert, die bisherige
von der Fachwelt in der Luft zerrissen wurde. progressionsabhängige Förderung in einen für alle
Bürger gleich hohen Förderbetrag umzuwandeln.
(Beifall bei der SPD)
Ihr Gesetzentwurf vom 8. August greift unsere For-
Die mit dem Jahressteuergesetz 1996 erreichten derungen auf, ist aber noch unzureichend und muß
Verbesserungen für Normalverdiener und Familien, in mehreren Punkten nachgebessert werden, z. B.
der Einstieg in die Korruptionsbekämpfung und in bei der von uns geforderten Zusammenlegung der
den Abbau ungerechter Steuersubventionen sind dem einzelnen Ehegatten zustehenden Förderung
doch der Erfolg der SPD. Deshalb erinnere ich noch- auf eine gemeinsame Wohnung. Sonst greift diese
mals an unsere Alternativen. Reform zu kurz.
Herr Riedl hat vorhin gemeint, man solle sich das Was jetzt geschieht, ist nach der Sozialdemokrati-
eine oder andere aufschreiben. Lieber Kollege Riedl, sierung der Steuerpolitik die Sozialdemokratisierung
deshalb zum Notieren: Sie hatten einen unausgego- der Wohnungspolitik.
renen Gesetzentwurf mit dem häßlichen Buckeltarif
vorgelegt. Wir, die SPD, haben erreicht, daß sich die (Beifall bei der SPD)
Steuerentlastung nun auf die kleinen und mittleren
Einkommen konzentriert. Wir Sozialdemokraten haben Sie mit unserem Kon-
zept in der Steuer- und Wohnungspolitik gezwun-
(Beifall bei der SPD) gen, Stück um Stück unseren Kurs zu übernehmen.
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 53. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. September 1995 4477
Karl Diller
Drittes Beispiel: Bei der ökologischen Steuerre- Sonst kommen wir von den immensen Kosten der Ar-
form wird es Ihnen nicht besser ergehen. Weil Sie beitslosigkeit von 140 Milliarden DM im Jahr nie her-
noch keine eigene Konzeption vorstellen können, unter, und die Konsolidierung des Staatshaushaltes
versuchen Sie, unsere Konzeption als ideologische rückt in weite Ferne.
Träumerei abzutun. Das sind wir gewohnt. Ich wette,
Sie werden sich auch hier auf Dauer unserer zu- Wir haben mit unserem Arbeitsmarkt- und Struk-
kunftsweisenden Konzeption nicht entziehen kön- turförderungsgesetz einen konzeptionell neuen An-
nen. satz vorgelegt. Wir fordern Sie im Interesse von Mil-
lionen arbeitslosen Mitbürgerinnen und Mitbürgern
(Beifall bei der SPD) zwischen Stralsund und Trier, zwischen Flensburg
Wir Sozialdemokraten wollen die ökologische Er- und Garmisch auf: Verweigern Sie sich nicht weiter
neuerung und die wirtschaftliche Modernisierung dieser Aufgabe! Beschreiten Sie mit uns die neuen
miteinander verknüpfen. Unser Ziel ist, die Verbes- Wege zu einer Arbeitsmarktpolitik, die zu mehr Be-
serung der Leistungskraft unserer Volkswirtschaft schäftigung führt!
und der Wettbewerbschancen der Unternehmen in
Ost- wie in Westdeutschland mit dem Schutz von (Beifall bei der SPD)
Umwelt und Gesundheit sowie der Schaffung neuer
Arbeitsplätze zu verbinden. Herr Minister, Sie sprechen von „zukunftsweisen-
den Schwerpunkten und Akzenten" Ihres Haushalts-
(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Alles Phra entwurfs. Schauen wir sie uns an. Ihrem Umweltetat
sen!) haftet nach wie vor Alibicharakter an. Dieses Mi-
Unverzichtbarer Bestandteil dieser Strategie ist nisterium - die Älteren erinnern sich - wurde nach
eine Steuerreform, die zwei Ziele miteinander ver- der Tschernobyl-Katastrophe gegründet, nur um
knüpft: Die Preise für Energie müssen langfristig die einen politischen Gag hervorzuzaubern und eine
Kosten der Umweltbelastung durch Energieerzeu- Landtagswahl gewinnen zu können. Heute ist der
gung und Energieverbrauch widerspiegeln. Dieses Umweltetat zum Steinbruch Waigelscher Finanzpoli-
Ziel verbinden wir mit einem steuerlichen Konzept, tik geworden. Ein Beispiel: Die Investitionen zur Ver-
das die notwendigen Kostenentlastungen für Unter- minderung von Umweltbelastungen betrugen 1992
nehmen wie für Arbeitnehmer durch eine Senkung noch über 200 Millionen DM. Im nächsten Jahr sollen
der Lohnnebenkosten kombiniert. es nur noch 58 Millionen DM sein. Dies ist ein beson-
ders trauriges Beispiel für Ihr Versagen in der Um-
Dieses Konzept ist komplett aufkommensneutral, weltpolitik.
beim Staat wird keine müde Mark verbleiben. Alles
wird zurückgegeben. Eine Mehrbelastung von Bür- (Beifall bei der SPD)
gern und Wi rt schaft findet nicht statt.
Das ist ein anspruchsvolles, ein ehrgeiziges Kon- Sie haben sich als unfähig erwiesen, den Heraus-
zept, ein Vorschlag, mit dem die Politik den Bürgern forderungen der Industriegesellschaft gerecht zu
wieder eine Reformperspektive bietet und von dem werden. Sie sind noch nicht einmal in der Lage, die
wir deshalb überzeugt sind, daß er irgendwann eine- von Ihnen eingegangene Selbstverpflichtung bezüg-
Mehrheit finden wird. lich des CO2-Gehalts in Politik umzusetzen. Sie be-
treiben ökologischen und ökonomischen Unfug,
(Beifall bei der SPD) wenn Sie den Kohlepfennig durch eine Haushaltsfi-
Ihre Politik dagegen wird durch fortwährende An- nanzierung ersetzen, die in Milliardenhöhe der Bun-
griffe gegen Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, ge- desanstalt für Arbeit Mittel für aktive Arbeitsmarkt-
gen Tarifautonomie und Mitbestimmungsrechte, ge- politik im Gegenzug streicht. Hier haben sich CDU
gen paritätische Finanzierung der Krankenversiche- und CSU wohl gegen bessere Einsicht von der F.D.P.
rung, gegen Arbeitslosen- und Sozialhilfe, gegen Ar- parteipolitisch mißbrauchen lassen.
beitszeitverordnungen usw. geprägt.
(Beifall bei der SPD)
Wer Kostensenkungen zur Steigerung der Wettbe-
werbsfähigkeit nur auf der Personalseite und nur Ihre falsche Weichenstellung setzt sich in der
durch Entlassungen sucht, gibt einen entscheiden- Struktur des Verkehrshaushalts fort . Sie konnten
den Standortvorteil Deutschlands auf: unser Kapital Ihre politische Entscheidung von 1994, die zweite
an hervorragend ausgebildeten Wissenschaftlern, In- Stufe der Bahnreform durch Einnahmen aus dem
genieuren und Arbeitnehmern im Osten wie im We- Verkehrsbereich zu finanzieren, politisch nicht einlö-
sten. Wer wie Sie der Entwertung menschlicher Ar- sen, weil Sie sich in dem Gestrüpp von Finanzie-
beit zum reinen Kostenfaktor Vorschub leistet, fällt rungsvorschlägen - Mineralölsteuererhöhung, CO2-
hinter Ludwig Erhard zurück und schwächt die Inno- Abgabe, Straßenbenutzungsgebühren, Vignettenlö-
vationsfähigkeit unserer Wi rt schaft, statt sie zu stär- sung und und und - verstrickten. Herausgekommen
ken. ist nun die schlechteste aller denkbaren Lösungen.
Das Finanzierungsloch bei der Bahnreform in Höhe
(Beifall bei der SPD)
von 6 Milliarden DM wollen Sie durch eine drasti-
Ziel unserer Politik ist, die Voraussetzung dafür zu sche Kürzung der Verkehrsinvestitionen stopfen. Ein
schaffen, daß mit innovativen Produkten Arbeits- Musterbeispiel für falsche Prioritätensetzung! Jeder-
plätze ebenso schnell aufgebaut werden können, wie mann ist klar, daß der tägliche Verkehrsinfarkt auf
sie bei den traditionellen Industrien wegbrechen. unseren Straßen nur durch eine Verlagerung auf die
4478 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 53. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. September 1995

Karl Diller
Schiene gebremst werden kann. Dennoch kürzen Sie Aber Sie müssen uns und den Bürgern begründen,
die Bahninvestitionen um 2,3 Milliarden DM. Sie weshalb die Verteidigungsausgaben um eine halbe
schnüren der neuen Bahn die Luft ab, bevor sie über- Milliarde DM steigen können, während für Wohn-
haupt die Chance hat, sich zu bewähren. geld kein Geld da ist.
(Beifall bei der SPD und der PDS) Wir haben allen Grund zu der Annahme, daß im
In Ihrer Verkehrspolitik stimmt gar nichts mehr. Da Verteidigungshaushalt nicht sparsam genug mit dem
lehnen Sie bei den Haushaltsberatungen für dieses Geld des Steuerzahlers umgegangen wird. Denn Sie
Jahr den SPD-Vorschlag, 250 Millionen DM beim Au- können den Verteidigungsminister auf die Schnelle
tobahnneubau zugunsten von Lärmschutzmaßnah- anweisen, Hunderte von Millionen DM für den Bos-
men an Straßen- und Schienenwegen umzuschich- nien-Einsatz in seinem Haushalt zusammenzusu-
ten, rundweg ab. Was macht diese Koalition für chen.
1996? Sie greifen diesen Vorschlag auf, aber nicht, (Dr. Konstanze Wegner [SPD]: Ähnlich
um die Lebenssituation der Bürgerinnen und Bürger schnell ging es beim Golfkrieg!)
zu verbessern, sondern um Haushaltslöcher zu stop-
fen. Sie kürzen die Investitionsmittel für die Bundes- Wenn ich Ihnen ein ganz aktuelles Beispiel nennen
straßen um sage und schreibe 22 %, um mehr als ein darf: Auf der Hardthöhe realisie rt man jetzt ur-
Fünftel. Das bedeutet, daß dringend notwendige sprünglich nicht geplante Beschaffungsvorhaben -
Ortsumgehungen zur Verkehrsentlastung der inner- 20 Millionen DM für neue Tarnanzüge -, für die es im
städtischen Verhältnisse nicht in Ang riff genommen Dezember letzten Jahres bei Ihnen noch hieß: 1995
werden können. Ich verstehe den Zorn der Bürgerin- kein neuer Bedarf, da ausreichend Vorräte vorhan-
nen und Bürger sehr gut, die diesen krassen Fehlgriff den. Bei so viel Luft unseren Antrag, für 1995 eine
von Waigel als Anschlag auf ihre Gesundheit empfin- Wehrsolderhöhung vorzusehen, abzulehnen zeigt
den müssen. Ihre wahre Einstellung.
(Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD)
Wenn Sie angesichts eines Fehlbestands von zwei Sie bezeichnen es als einen weiteren Akzent Ihres
Millionen bezahlbarer Wohnungen die investiven Mit- Haushaltsentwurfs, daß die Aufwendungen für For-
tel für den sozialen Wohnungsbau um 600 Millionen schung und Technologie um 270 Millionen DM oder
DM zusammenstreichen, dann setzen Sie in der Woh- 2,9 % steigen. Auch das ist nur die halbe Wahrheit.
nungspolitik einfach die falschen Akzente. Forschung und Bildung gehören nämlich zusammen.
(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Jetzt kommt Die Ausgaben für diesen vielbeschworenen Zu-
der Warenhauskatalog!) kunftsetat des Ministers, der bei dieser Regierung
nicht in der ersten, sondern in der letzten Reihe der
Neubestimmung der Prioritäten heißt für Kanzler Regierungsbank sitzt, steigen um klägliche 0,6 %.
Kohl, daß er von seiner Zusage in der Regierungser- Damit wird nicht einmal die Preissteigerung wettge-
klärung nichts mehr wissen will, das Wohngeld ein- macht. Bis 1999 sollen die Ausgaben praktisch bei
kommens- und mietengerecht anzupassen. Mit kei- 15,5 Milliarden DM stagnieren. Das heißt, die Lei-
nem Satz bietet die mittelfristige Finanzplanung ir-- stungen gehen wegen der Preisentwicklung real
gendeine Perspektive. Das heißt, zwischen 1990 und deutlich zurück. Das ist keine Innovationsoffensive;
1999 soll nach Ihrem Willen in Sachen Wohngeld das ist ein Armutszeugnis.
überhaupt nichts passieren. In dieser Zeit wird sich
die durchschnittliche Mietbelastung, gemessen am (Beifall bei der SPD und der PDS sowie bei
verfügbaren Einkommen, mehr als verdoppelt ha- Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE
ben. GRÜNEN)
Daß der Herr Töpfer, jetzt fachlich zuständig, als Herr Bundesfinanzminister, Sie haben der von Ih-
Umweltminister nur ein Ankündigungsminister war, nen beabsichtigten Umstellung der BAföG-Finanzie-
wissen wir alle. Das beweist sich auch hier; denn er rung Modellcharakter für andere Reformen zuge-
hat für 1996 eine Wohngelderhöhung angekündigt. sprochen. Tatsächlich wäre die BAföG-Umstellung
Aber ich mache darauf aufmerksam: Hier handelt es zum ersten ein Musterbeispiel für Ihre verfehlte
sich um eine Regierungserklärung. Hier ist der Bun- Sachpolitik. Die geplante Umstellung der staatlichen
deskanzler persönlich im Wort. Förderung auf Bankdarlehen - hochverzinslich -
spricht dem Ziel bildungspolitischer Chancengleich-
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne
heit hohn. Ihre Pläne führen zu einer Verdopplung
ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
des zurückzuzahlenden Darlehensbetrages bei Voll-
Ihr Akzent im Verteidigungshaushalt ist der Aus- förderung von rund 35 000 auf 72 000 DM.
gabenanstieg. Herr Bundesfinanzminister, Sie haben
unsere kritische Wertung des Verteidigungshaushal- Wenn zwei Absolventen einer Hochschule heira-
tes am Dienstag mit haltlosen Bemerkungen garniert. ten, haben sie zu gewärtigen, daß sie zusammen
Der Verteidigungshaushalt ist für uns kein Stein- 140 000 DM Schulden haben. Eine absurde Förde-
bruch der Haushaltspolitik; das sage ich, damit das rung für junge Familien! In den Lebensjahren, in de-
klar ist. nen andere für ihr Häuschen sparen, sollen die Rütt-
gers-Studenten ihren Ausbildungskredit abstottern.
(Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Ihre Pläne, junge Menschen mit einer solchen Hypo-
Das ist ja etwas ganz Neues!) thek in das Erwerbsleben zu schicken, lehnen wir ab.
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 53. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. September 1995 4479
Karl Diller
Jeder weiß, daß heutzutage hohe Qualifikation keine Diese erfahren nämlich im Osten wie im Westen tag
Einkommensgarantie mehr darstellt. Sie befreit auch täglich am eigenen Leib, daß diese Bundesregierung
keineswegs von dem persönlichen Arbeitsplatzrisiko keine Strategie für mehr Arbeitsplätze, keine Strate-
oder dem Risiko einer unterwertigen Beschäftigung. gie für eine moderne und umweltgerechte Wi rt
-schaftpolik,enSrgfübdasech-
Ihre Pläne sind das Gegenteil der angekündigten tes Ausbildungssystem und auch keine Strategie für
Qualifizierungs- und Innovationsoffensive. Sie wol- die Schaffung ausreichenden, bezahlbaren Wohn-
len fähige junge Leute aus einfachen Verhältnissen raums hat.
vom Studium abhalten.
Die meisten Bürgerinnen und Bürger leben mit der
(Beifall bei der SPD und der PDS sowie bei bitteren Erfahrung, wegen einer erdrückenden
Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE
Steuer- und Abgabenlast jede Mark zweimal umdre-
GRÜNEN) hen zu müssen. Der Einzelhandel kann in diesen Ta-
Wir brauchen aber keine bildungspolitische Ab- gen ein Lied davon singen.
schreckungsstrategie, sondern eine Strategie zur
(Beifall bei der SPD)
Ausschöpfung unserer Bildungspotentiale.
Zum zweiten wäre die BAföG-Umstellung ein Mu- Die meisten Bürgerinnen und Bürger leben mit der
sterbeispiel für Ihre unsolide Finanzpolitik. Diese bitteren Erfahrung, daß die Regierung Kohl/Kinkel
Pläne sind finanzpolitisch unsolide, weil der Bundes- Stück um Stück aus dem Sozialhaushalt bricht.
haushalt nur vorübergehend Spielraum für Umschich- Ihre Finanzpolitik verstärkt die Fehlentwicklungen
tungen bekäme. Die Bankenlösung ist nichts anderes der Vergangenheit und stellt die Weichen für die Zu-
als ein neuer Schattenhaushalt. Die Auslagerung der kunft unseres Landes in die falsche Richtung. Das
Darlehen auf das Bankensystem führt in der Zeit staat- Motto Ihrer Politik, Herr Waigel, ist in Wahrheit nicht
licher Zwischenfinanzierung übrigens zu kumulativen „Sparen und Gestalten", sondern „Verschieben und
Zinsausgaben und wird spätestens nach zehn Jahren Spalten" und wird deshalb von uns entschieden be-
den Haushalt von Bund und Ländern teurer als das be- kämpft.
stehende System kommen. Deshalb lehnen die Bun-
desländer zu Recht Ihren Vorschlag völlig ab. (Anhaltender Beifall bei der SPD - Beifall
bei der PDS sowie bei Abgeordneten des
Zum dritten wäre die BAföG-Umstellung ein Mu- BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
sterbeispiel für Ihre Art der Lastenverschiebung auf
die Länder. Sie versuchen, dieses Angebot den Län-
dern mit einer Paketlösung schmackhaft zu machen: Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Es spricht jetzt der
Da habt Ihr 80 Millionen DM mehr für den Hoch- Fraktionsvorsitzende der F.D.P., Dr. Solms.
schulbau. Damit lösen Sie zum einen nicht die struk-
turellen Probleme im Hochschulbau, und zum ande- Dr. Hermann Otto Solms (F.D.P.): Frau Präsidentin!
ren versteckt sich hinter diesem Angebot eine mas- Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich
sive Umverteilung der Kosten auf die Länder. Das möchte zum Abschluß dieser Haushaltsdebatte nur
nämlich, was Sie als Reform der Hochschulfinanzie- einige Stichworte aufgreifen.
rung vorgestellt haben, z. B. die Anhebung der Baga- -
tellgrenze oder die geplante Reduzierung des Medi- Ihnen, Herr Kollege Diller, will ich sagen: Ihren
zinanteils, würde im Ergebnis für die Länder zusätz- Mut und Ihre Bemühungen in Ehren, gegen die mi-
liche Mehrbelastungen in Höhe von 1 000 Millionen serable Presse für die Opposition anzureden - allein,
DM pro Jahr bedeuten. Ihre rückwärtsgewandte Bil- es wird nichts fruchten, insbesondere nicht mit den
dungspolitik wird deshalb zu Recht nahezu einhellig Buchhalterargumenten, mit denen Sie uns hier zu
von den Ländern, dem Wissenschaftsrat, den Hoch- unterhalten versucht haben.
schulen und selbst den Ihnen nahestehenden Stu- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)
dentenverbänden abgelehnt.
Aber zuerst, liebe Kolleginnen und Kollegen,
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne
möchte ich dem Bundesfinanzminister gratulieren.
ten der PDS)
Wer mit seiner Politik zu Hause so wenig überzeu- (Lachen bei der SPD)
gen kann, dem fällt ein Stein vom Herzen, wenn er Einen besseren Haushalt und eine schönere Haus-
einmal vom Ausland gelobt wird, in Ihrem Falle von haltswoche hat er in seinem Berufsleben, glaube ich,
der OECD. Wir fragen uns aber, was die 3 Millionen noch nicht erlebt.
Arbeitslosen in Ost- und Westdeutschland damit an-
fangen sollen. Glauben Sie ja nicht, daß die Arbeits- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)
losen sagen: Prima, eine solche Note von der OECD Nun ist es leider so: Der Sieg von heute könnte
ist es uns wert, daß die Bundesregierung die Arbeits- eine Niederlage von morgen bedeuten; das ist wie
marktpolitik um 12 Milliarden DM zusammen- beim Ring des Polykrates. Wir werden jedoch ha rt
streicht! darnbeit,ßsrfolgchenHauts-
Mit Maastricht-Kriterien allein können Sie die woche eine Reihe noch erfolgreicherer folgen wer-
Bürgerinnen und Bürger nicht überzeugen, Herr den. Das ist unser Bemühen.
Waigel. (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne
(Beifall bei Abgeordneten der SPD) ten der CDU/CSU)
4480 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 53. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. September 1995

Dr. Hermann Otto Solms


Meine Damen und Herren, es führt kein Weg In diesem Zusammenhang dauert mich Herr Schar-
daran vorbei: Wir müssen Ausgaben einsparen, um ping schon; denn es ist schwer, eine geradlinige Poli-
Gestaltungsspielräume zur Erneuerung unserer ge- tik gestalten zu wollen, wenn die Truppen nicht ste-
sellschaftspolitischen Verhältnisse zu erreichen. hen, wenn die Partei auf eine Linie gebracht werden
soll, aber die Funktionäre auf den Parteitagen das
(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. sowie
anders sehen, wenn die Fraktion gegen den Bundes-
des Abg. Eduard Oswald [CDU/CSUJ)
rat kämpft, wenn innerhalb der Fraktion und zwi-
Dieser Haushalt ist ein Beweisstück dafür, daß die schen den Ministerpräsidenten Schaukämpfe ausge-
Ausgaben trotz der Notwendigkeit, den Einnahme- tragen werden. Trotzdem: Denkblockaden müssen,
ausfall durch den Wegfall des Kohlepfennigs auszu- was ideologische Positionen anbetrifft, aufgehoben
gleichen - dies zeigt die große Anstrengung, die da - werden.
hintersteht -, seit 40 Jahren zum erstenmal tatsäch-
Wenn ich mir die Debattenbeiträge ansehe, die ge-
lich absolut gesenkt werden.
stern beispielsweise Herr Schreiner oder Herr Dreß-
Ich bin auch heute der Meinung, daß es richtig ler oder am Dienstag Frau Matthäus-Maier hier ab-
war, dies so zu machen - es hat sich gezeigt, daß das geliefert haben, dann kann ich keine Verbesserun-
machbar ist -, weil nur dadurch der Druck erhalten gen erkennen.
bleibt, nicht mehr notwendige Subventionen tatsäch-
(Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: In
lich abzubauen. Ohne den Druck der leeren Kassen
haltlich völlig erstarrt!)
geht das eben nicht.
Es wird mit Wortgewalt und großer rednerischer Be-
Meine Damen und Herren, jetzt geht es darum,
gabung etwas getan, was die SPD in ihren Positionen
weiter an der Auflösung der Verkrustungen zu arbei-
geradezu blockiert und den Befreiungsschlag, der
ten und mehr Handlungsspielraum, insbesondere
notwendig wäre, nicht möglich macht.
mehr Beschäftigungsmöglichkeiten im Standort Bun-
desrepublik Deutschland zu erreichen. Der Weg, den (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)
wir eingeschlagen haben, ist der richtige; allerdings
ist er noch lange nicht zu Ende. Aber, meine Damen und Herren, es geht ja jetzt
darum, weitere Fortschritte zu erzielen. Wir müssen
Dabei braucht man eine Opposition, die treibt, die die Steuerbelastung, die Bürger und Unternehmen
anregt, die kritisiert, die hilft. so sehr in ihrer Leistung hemmt und ihnen die Lei-
(Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: stungsbereitschaft erschwert, dringend senken.
Die auch eigene Vorschläge bringt!) (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne
Ich kann die SPD nur auffordern, diese Aufgabe zu ten der CDU/CSU)
übernehmen. Allein, die SPD scheint gegenwärtig so Wenn Sie allerdings, Frau Matthäus-Maier, erklä-
sehr mit sich selbst beschäftigt zu sein, daß sie manö- ren, die Steuerpolitik, die wir mit dem Jahressteuer-
vrierunfähig ist wie das Schiff von Frau Wieczorek gesetz machen, sei eigentlich SPD-Politik, dann ist
eul in den Weiten des Südpazifiks. Ein Kollege aus das eher peinlich; denn die gravierenden Unter-
der sozialdemokratischen Fraktion hat mir beiläufig --Z schiede gerade beim Familienlastenausgleich über-
gesagt, es wäre gar nicht schlecht, wenn das Schiff decken Sie. Sie haben 250 DM Kindergeld für alle
mit seiner Fracht noch lange dort liegenbliebe. vorgeschlagen - gleichmacherisch - und dabei ver-
(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Inter schwiegen, daß dies ein verfassungwidriger Vor-
essant, welche Aussagen Sie heute morgen schlag ist. Wir haben einen Vorschlag gemacht, der
zu machen haben!) verfassungskonform ist und den Kinderfreibetrag um
über 50 % anhebt, aber eine gestaffelte Kindergeldlö-
- Aber, bitte, ich berichte das nur; das ist nicht meine sung bringt, die bei Familien mit mehreren Kindern
Meinung. sogar zu Leistungen führt, die deutlich höher sind,
als die, die Sie angeboten haben. Sie sollten also die
Meine Damen und Herren, der bekannte langjäh- Vaterschaft dort belassen, wo sie hingehö rt .
rige Fraktionsvorsitzende der SPD in Nordrhein
Westfalen, Friedhelm Farthmann, hat in einem sehr (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)
lesenswerten Inte rview in der „Wirtschaftswoche"
von gestern auf die Frage „Ist die Krise des Interven- Wir müssen bei der Steuerentlastung aber weiter
tionismus nicht die Krise der Sozialdemokratie?" ge- vorangehen. Sie wissen, daß wir uns darüber strei-
sagt: ten, wann der Solidaritätszuschlag abgebaut werden
soll und kann - wir meinen: so bald wie irgend mög-
Wir lich; er darf 1998 nicht überleben -, allerdings nicht
zu Lasten der Fördermaßnahmen in den neuen Bun-
- nämlich die SPD - desländern. Das ist machbar. Der Solidaritätszu-
mißtrauen noch immer den Marktkräften und er- schlag belastet die Arbeitnehmer und Unternehmen
warten statt dessen das Heil von staatlichen Re- im Osten genauso wie die im Westen. Deswegen ist
gelungen. Das gilt zwar nicht für die ganze Partei, es auch für diese notwendig, daß er abgebaut wird.
hat aber die Entwicklung seit Beginn der siebzi- Allerdings müssen die Fördermaßnahmen da, wo
ger Jahre stark geprägt. notwendig, insbesondere beim produzierenden Ge-
werbe, über einen längeren Zeitraum erhalten wer-
So ist es. den,
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 53. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. September 1995 4481
Dr. Hermann Otto Solms
Meine Damen und Herren, es geht jetzt um die Un- Dies ist mein Appell an Herrn Dreßler: Bemühen
ternehmensteuerreform. Ich stelle mit Freude fest, Sie sich, nicht nur über den zweiten Arbeitsmarkt zu
daß hier ein Lerneffekt auf seiten der Opposition ein- reden, der seine Berechtigung hat, der aber das Pro-
getreten ist. Man erkennt, daß die Gewerbekapital- blem nicht lösen kann, sondern lassen Sie uns über
steuer eine ausgesprochen beschäftigungswidrige den ersten Arbeitsmarkt diskutieren und schauen,
Abgabeform ist, weil sie die Substanz der Unterneh- wo wir helfen können!
men belastet und sozusagen die Kosten erhöht.
Eines ist doch klar: Die erste Verantwortung in die-
Das gleiche gilt in weitem Maße, Frau Matthäus sem Punkt haben die Tarifvertragsparteien. Wenn Sie
aier, für die Vermögensteuer. Es hat doch keinen nicht wollen, daß weiterhin Arbeitsplätze verlorenge-
Sinn, sofort, nur weil das Wort Vermögen ausgespro- hen und daß die Einkünfte der Arbeitnehmer sinken,
chen und damit assoziiert wird, es könne sich nur um dann müssen Sie zumindest mehr Flexibilität bei den
die ganz Reichen handeln, eine sachgerechte Diskus- Arbeitszeitgestaltungsregelungen oder auch bei den
sion zu verhindern. Wie sieht es bei der Vermögen- Tarifen möglich machen.
steuer aus? Im letzten Jahr betrug das Aufkommen
(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne
6,6 Milliarden DM; davon stammen etwa 60 % aus
ten der CDU/CSU)
der betrieblichen Vermögensteuer.
Sonst können wir dem nicht begegnen.
Für die betriebliche Vermögensteuer gilt genau
das gleiche wie für die Gewerbekapitalsteuer. Sie Der jetzige Kampf bei Volkswagen ist ein typisches
belasten die Substanz der Unternehmen. Sie werden Beispiel dafür. Bei BMW hat man den Samstag als
in anderen Industrieländern nicht erhoben und müs- Regelarbeitstag schon seit langen Jahren. Kein
sen dringend verschwinden. Mensch regt sich auf, auch nicht die IG Metall. Bei
Volkswagen soll das Ganze nicht zugelassen werden.
(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne Das Ergebnis kann doch nur sein, - -
ten der CDU/CSU)
(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Len
ken Sie doch nicht immer ab! Die Tarifver
Was bleibt dann übrig? Es bleibt eine Vermögen-
handlungen sind noch nicht zu Ende!)
steuer mit einem Volumen von 2 bis 3 Milliarden DM
übrig, die sehr aufwendig zu erheben ist. Schauen - Entschuldigung, ich hätte von Ihnen erwartet, daß
Sie sich das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes auch Sie dazu einen Beitrag leisten und sagen: Kin-
an! Wenn Sie dieses Urteil verwirklichen - das hat der, wenn wir die Lohnhöhe sichern wollen, dann
beispielsweise der „Spiegel" sehr gut analysiert -, müssen wir an anderer Stelle dazu beitragen, daß die
dann wird die private Vermögensteuer, die verbleibt, Lohnkosten für die Unternehmen sinken, damit sie
von den Besitzern mittlerer Vermögen - von den wettbewerbsfähig bleiben.
Kleinen ohnehin nicht, da sie kein Geld haben - be-
zahlt werden müssen. Für die Großen gelten die Frei- (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Wir äu
stellungskriterien aus dem Urteil, so daß sie gar nicht ßern uns nicht zu Tarifverhandlungen,
mehr zum Zuge kommen. wenn sie noch laufen! Das ist doch Unsinn!
--M
Herr Solms, Sie kapieren es immer noch
Vor diesem Hintergrund lohnt es sich, darüber zu nicht!)
diskutieren, ob wir diese Steuerart nicht abschaffen,
eine erhebliche Vereinfachung erzielen und eine Das gleiche gilt natürlich auch für die Soziallei-
Verrechnung mit anderen Steuerarten vornehmen stungen und die Lohnzusatzkosten. Wir sind uns dar-
können. Dann können wir über die Verteilungswir- über doch gar nicht uneinig, daß die Lohnzusatzko-
kung diskutieren. Damit habe ich gar kein Problem. sten gesenkt werden müssen. Laßt uns doch darüber
streiten, wie wir es machen!
(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne
Lassen Sie mich zum Schluß ein Argument aufgrei-
ten der CDU/CSU)
fen, das Frau Kollegin Fuchs gestern angesprochen
hat und bei dem es ein kleines Mißverständnis zwi-
Mein Appell dient nur dazu, daß man nicht vorder- schen ihr und mir gab. Das Mißverständnis lag darin,
gründige Argumentationen aufbaut, die die sachge- daß ich von dem, was sie sagte, vielleicht etwas
rechte Behandlung der Probleme verhindern. falsch verstanden habe oder sie sich mißverständlich
geäußert hat. Wenn das Gesamtmanöver aufkom-
Das gleiche gilt für die Frage der Arbeitsplätze. Es mensneutral vonstatten gehen soll, hat sie meine
ist die zentrale Problemfrage in unserer Gesellschaft. volle Zustimmung. Das ist gar keine Frage. Ich bin
Wie können wir erreichen, daß in Deutschland im er- der SPD dankbar, daß sie sich nicht von den Grünen
sten Arbeitsmarkt wieder Arbeitsplätze entstehen hat verführen lassen, in diesem Bereich einen fal-
und geschaffen werden können? Wie können die schen Weg zu gehen.
Wettbewerbsverhältnisse verbessert werden? Man
muß doch erst einmal eine schonungslose Analyse Die Vorschläge der Grünen, was die Einführung
vornehmen, bevor man die Argumente der anderen von Öko-Steuern betrifft, bedeuten - wenn man ein-
niederknüppelt. mal nachzurechnen versucht -, daß die Belastung der
Steuerpflichtigen von 21 Milliarden DM Minimum
(Beifall bei der F.D.P.) am Anfang bis auf etwa 70 Milliarden DM steigt. Das
4482 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 53. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. September 1995

Dr. Hermann Otto Solms


kann in einer Zeit der zu hohen Steuern und Abga- ste große Entlastungsaktion für den Steuerzahler",
ben wirklich nicht das richtige Instrument sein. das paßt mit der tatsächlichen Entwicklung nicht zu-
sammen. Denn die Entlastung, die Sie für das näch-
(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) ste Jahr versprechen, finanzieren sie auf Pump.
Deswegen halte ich die Vorschläge der SPD, die Sie reden hier immer von symmetrischer Finanzpo-
ich zwischenzeitlich genau gelesen habe, für eine litik, von der Senkung der Steuer- und Abgaben-
sehr gute Anregung zu einer sachgerechten Diskus- quote und gleichzeitiger Absenkung der Verschul-
sion. Man muß ja auch einmal loben, wenn etwas lo- dung. Doch man muß klar sagen: Im nächsten Jahr
benswert ist, auch wenn es von der Opposition müssen Sie nach dem Haushalt 1996 10 Milliarden
kommt. DM Schulden machen, um die Entlastung für den
(Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Steuerzahler zu finanzieren. Zum anderen drücken
Das ist leider selten!) Sie mit einer politischen Luftbuchung 3,4 Milliarden
DM auf die kommunale Seite ab, und zwar durch die
Auf diese Vorschläge gehen wir gerne ein. Über die Senkung der Arbeitslosenhilfe, die Sie politisch nie
Einzelheiten wird man reden müssen. und nimmer durchbekommen.
Aber die Linie, das aufkommensneutral zu gestal- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
ten, ist richtig. Auch darf bei der Einführung ökologi- sowie bei Abgeordneten der SPD und der
scher Elemente ins Steuersystem die Arbeitsplatzsi- PDS)
tuation nicht beschädigt werden. Das ist eine der
zwingenden Voraussetzungen dafür, daß bei der Dis- Der Kollege Riedl hat heute früh in seiner Auftakt-
kussion ein vernünftiges Ergebnis herauskommt. rede gesagt, die Opposition operiere nur mit Horror-
zahlen. Dazu sage ich: Im März dieses Jahres habe
(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU so ich selber in der Abschlußdebatte prophezeit, daß
wie bei Abgeordneten der SPD) dem Kollegen Roth das Drücken der Neuverschul-
Das wollte ich etwas differenzierend darstellen, dung im 95er Haushalt auf knapp unter 50 Milliarden
meine Damen und Herren. DM wie ein Bumerang um die Ohren fliegen werde,
daß im nächsten Jahr eine Neuverschuldung von 13
Es geht jetzt darum, daß wir uns über die prakti- bis 15 Milliarden DM realistisch sei. - Wenn das eine
schen, aber notwendigen Fragen einigen und daß Horrorzahl sein soll und wenn Sie die Opposition hier
wir nicht von vornherein die Diskussion mit Tot- so undifferenzie rt darstellen, dann weiß ich nicht, wo
schlagsargumenten tottreten, so daß sie sich gar wir stehen.
nicht erst entwickeln kann. Wenn es uns gelingt,
diese Diskussion so zu führen, werden wir, auch was Wenn Sie sich die jetzigen Zahlen im Haushalts-
die Arbeitsplätze anbetrifft, wieder größere Erfolge plan Waigels angucken, die schon genannten
erzielen. 10 Milliarden DM, das Risiko der Arbeitslosenhilfe
mit 3,4 Milliarden DM - wie gesagt, eine politische
Vielen Dank. Luftbuchung -, keine Zahlungen an die Bundesan-
stalt für Arbeit, was auf Grund der Arbeitsmarktda-
(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) ten absehbar nicht einzuhalten ist, dann wissen Sie
- genau, daß die Neuverschuldung realistischerweise
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als nächster eher über 13 bis 15 Milliarden DM als darunter lie-
spricht jetzt der Kollege Oswald Metzger. gen wird. Außerdem müssen Sie noch 1,6 Milliarden
DM für die sich aus dem Jahressteuergesetz erge-
benden Mehrkosten aufbringen, die aus der Lasten-
Oswald Metzger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): verschiebung zwischen Ländern und Bund resultie-
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Theo ren. Das sind herkulische Aufgaben, auch in der
Waigels Milchbubenrechnung hat sich in den letzten kurzfristigen Finanzpolitik.
Tagen bereits in erstaunlicher Dramatik bestätigt. Er
stellt sich am Dienstag hier hin und sagt: Das ist ein Wie die herkulische Aufgabe der deutschen Wie-
Sparhaushalt par excellence. - Die Opposition - ob- dervereinigung geschultert wurde, ist in dieser Wo-
wohl zugegebenermaßen nicht in bester Form - er- che bereits ausführlich diskutiert worden, nämlich
wähnt die Haushaltsrisiken. Dann kamen gestern zum größeren Teil auf den Schultern der Beitragszah-
die Arbeitsmarktdaten, die die FAZ, die „Frankfurter ler der Renten- und Sozialversicherungen, nicht aber
Allgemeine Zeitung", heute als Hiobsbotschaft für durch die Steuerzahler. Wenn andere Kostenträger
den Finanzminister bezeichnet. Und heute früh ka- das zahlen, kann man sich hier natürlich breitschult-
men vom Statistischen Bundesamt die neuen Lei- rig hinstellen und sagen: Wir machen eine solide Fi-
stungs- und Handelsbilanzdaten, die ganz klar bele- nanzpolitik, wir senken die Kreditfinanzierung des
gen, daß es im Juni dieses Jahres im Vergleich zum Haushalts. So spielt die Musik nicht!
letzten Jahr einen Abwärtstrend von im Saldo über
4 Milliarden DM gibt. Auch das zeigt, wie die Kon- Es gibt eine weitere Begriffsverirrung hier im Gre-
junktur tatsächlich verläuft. mium: Wo ist denn die Senkung der Staatsquote im
nächsten Jahr? Wie aussagekräftig ist denn die omi-
Sich dann als Finanzminister hier hinzustellen und nöse Staatsquote, die in der mittelfristigen Finanzpla-
zu sagen: „Bei diesem Haushalt kommen wir mit ei- nung von Theo Waigel bis zum Jahr 1999 auf 46 %
ner Neuverschuldung von knapp 60 Milliarden DM zurückgeführt werden soll? Im nächsten Jahr sinkt
hin; dieser Haushalt repräsentiert seit langem die er durch die Veränderung in der Systematik der Kinder-
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 53. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. September 1995 4483
Oswald Metzger
geldzahlung, die zu einer Einnahmeverschlechte- blick auf die Ministe rien und den eigenen Verwal-
rung beim Bund führt, die Staatsquote um etwa tungsapparat eine Organisationsanalyse zu erstellen.
0,7 Prozentpunkte. Das ändert aber nichts an den Die Baumaßnahmen und auch das Raumprogramm
Nettoeinkommen der Bevölkerung. Die Staatsquote muß man dann auf eine neue Organisationsstruktur
ist wirt schaftspolitisch gesehen sowieso weniger aus- abstimmen. Dabei haben Sie von uns, zumindest von
sagekräftig, als Sie immer behaupten. Wesentlich der politischen Ausgangsbotschaft her, Zustimmung.
aussagekräftiger ist die Steuer- und Abgabenquote. Jeder Betrieb, der eine solche Betriebsstättenverlage-
Sie wird auch im nächsten Jahr trotz des Jahressteu- rung plant, würde zunächst eine Organisationsana-
ergesetzes bei etwa 44 % liegen. Sie stagniert prak- lyse erstellen und erst dann die konkrete Investiti-
tisch. onsentscheidung treffen. Das ist auch nur vernünftig.
Wenn von der Regierungskoalition solche Vernunft
Das ist die Realität. Damit sollten Sie sich einmal gezeigt wird, dann kann man dem auch als Oppositi-
wirtschafts- und finanzpolitisch seriös auseinander- onspolitiker nach einer solchen Haushaltswoche nur
setzen. zustimmen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Der Aussage, daß wir die Ausgaben senken müs- sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
sen, stimme ich voll zu. Die Verteilung der Ausga- Wir brauchen in der Finanzpolitik eine redliche
benlasten ist in diesem Bundeshaushalt viel zu stark Auseinandersetzung. Gestern gab es ein Gespräch
dominiert durch die Finanzierung und auch die Sub- unserer Fraktion mit der BDI-Spitze. Im BDI wird in-
ventionierung ökologisch falscher Industriemuster zwischen bereits befürchtet, daß die Finanzpolitiker
und gleichzeitig durch einen außerordentlich un- der Regierungskoalition und auch die Haushaltspoli-
glücklichen Denkansatz in der Sozialpolitik. Wir tiker der Regierungskoalition auf grüne Versuchun-
müssen angesichts der Vorbelastung durch eine Rie- gen in Sachen Ökosteuer hereinfallen und die Öko-
senverschuldung auch als Grüne akzeptieren, daß steuer unter dem Ökolabel nur als zusätzliches Mittel
mit sozialpolitischen Lösungsansätzen keine Finanz- zur Deckung der Löcher im Haushalt ansehen. Ich
politik des Staates mehr zu betreiben ist. glaube, diese Befürchtung ist nicht unberechtigt;
(Zuruf von der CDU/CSU: Bravo!) denn in der Vergangenheit hat die Bundesregierung,
auch der Finanzminister, eine durchaus politisch
Wohin diese Situation führt, können wir diskutie- ideologische, pharisäerhafte Haltung eingenommen,
ren, wenn wir den Bereich Ökosteuer ansprechen. als es um die Mineralölsteuererhöhung ging. Man
Hier, so muß ich Ihnen, Herr Kollege Solms, attestie- sprach immer von einer ökologischen Infrastruktur-
ren, lesen Sie die grüne Programmatik zu kurz. Für förderung, während man mehr oder weniger klamm-
uns ist klar - das möchte ich zum wiederholten Male heimlich billigend in Kauf genommen hat, daß die
hier festhalten; das sagen alle unsere Redner in Ple- Mehreinnahmen durch die Mineralölsteuererhöhung
nardebatten, die Wirtschafts- wie die Finanzpolitiker, zur Deckung von Haushaltslöchern verwendet wur-
auch die Haushaltspolitiker -: Wir wollen die Steuer- den. So war es doch.
und Abgabenquote in dieser Republik nicht erhö-
hen. (Bundesminister Dr. Theodor Waigel: Von
- der Bahnreform haben Sie nichts gehört?)
(Dr. Hermann Otto Solms [F.D.P.]: Aber Sie
haben es beschlossen!) - Die Bahnreform, Herr Finanzminister, sieht doch so
aus, daß Sie die Bahninvestitionen im Haushalt für
- Wir wollen sie nicht erhöhen. Wir wollen eine an- das nächste Jahr herunterfahren. Auch das ist ein
dere finanzielle Herangehensweise an sozialpoliti- ökologisch falsches Signal.
sche Lösungsansätze, ob beim BAföG oder bei der
Sozialhilfe. Wir wollen Arbeitsplätze in dieser Gesell- (Bundesminister Dr. Theodor Waigel: Erste
schaft schaffen, weil es für die Gesellschaft viel billi- Stufe!)
ger ist, Arbeitsplätze zu schaffen, als Arbeitslosigkeit
Im Straßenbau wird nur geringfügig gekürzt - der
zu finanzieren. Kollege Diller hat es schon gesagt -, bei der Bundes-
Wir wollen vor allen Dingen durch das Einziehen bahn dagegen sind es im investiven Bereich über
einer neuen Säule in das Finanzsystem dieser Repu- 2,3 Milliarden DM. Dennoch hat der zuständige
blik, nämlich der Ökosteuer, Ressourcen besteuern Finanzminister am Dienstag gesagt: Wir möchten
und auf der anderen Seite die Faktoren Einkommen ökologische Elemente in die Steuerpolitik einführen.
und Arbeit entlasten. Ich weiß natürlich, was die For- - Das ist die Glaubwürdigkeitslücke in der konkre-
derung bedeutet, Ökosteuern einzuführen, und zwar ten Politik.
möglichst kostenneutral - insbesondere wenn man in Gestern hatten wir die Landwirtschaftsdebatte. Ein
das Bundestagswahlprogramm unserer Partei schaut
kleiner Einschub zum Thema Ermüdungserschei-
und sich die programmatische Fortentwicklung der
nung dieses Parlaments angesichts zweier Haus-
konkreten Modelle durch unsere Fraktion ansieht -:
haltsdebatten in diesem Jahr: Im März waren bei der
Dies bedeutet, daß wir im konsumtiven Bereich die
Schlußdebatte über den Landwirtschaftshaushalt, die
Staatsausgaben reduzieren müssen. damals nachts um halb zwei stattfand, nicht weniger
Ich habe am Dienstag hier gesagt - Kollege Riedl als 140 Kolleginnen und Kollegen da. Gestern abend
hat es heute früh für die Koalitionsfraktionen auch bei der ersten Runde zu diesem Einzelplan, zu einer
angesprochen -, daß das Unternehmen Bundesrepu- viel besseren Zeit, nämlich zwischen 19 und 20 Uhr,
blik den Umzug nach Berlin nutzen muß, um im Hin saßen sage und schreibe 50 Kolleginnen und Kolle-
4484 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 53. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. September 1995

Oswald Metzger
gen hier im Raum. Entweder hat man diese Debatten glaube, da ist ihm leider sehr viel gelungen: Die Ge-
praktisch satt, oder das bekannte Spiel, daß man im sellschaft ist spürbar kälter geworden. Über Armut,
Parlament viel zuwenig differenziert politisch argu- Obdachlosigkeit und Massenarbeitslosigkeit wird
mentiert, treibt die Leute buchstäblich aus dem kühl hinweggegangen. Die Grenzen wurden dicht-
Haus. gemacht, und deutsche Soldaten sind mit Schießbe-
fehl im Einsatz.
(Adolf Roth [Gießen] [CDU/CSU]: Die De
batte gestern abend war gut besucht! Ich Stellt man die abgelaufene Haushaltsdebatte in
habe mehr gezählt! - Dr. Wolfgang Weng diesen Kontext, so muß man nüchtern konstatieren,
[Gerlingen] [F.D.P.]: Am besten fangen Sie daß Herr Kohl seinem Lebensziel tatsächlich ein
bei sich selber an!) Stück nähergekommen ist - mit der dankbar ange-
- Es freut mich, wenn Sie alle mitzählen und behaup- nommenen Schützenhilfe der SPD.
ten, Sie seien hier gewesen. Ich könnte Ihnen sogar Da ich mich im zweiten Teil auf die Regierungs-
fraktionsweise genau sagen, wie viele Kolleginnen koalition konzentrieren möchte, kurz einige Bemer-
und Kollegen da waren. kungen zu den Parteien, wobei es sich kaum noch
(Eduard Oswald [CDU/CSU]: Zählen Sie lohnt, zur F.D.P., dem Gernegroß-Juniorpartner der
einmal die eigenen Leute auf! Zuerst auf CDU/CSU, etwas zu sagen.
die eigenen Leute schauen, bevor man sol
Der Bundeswirtschaftsminister empfahl einmal
che Dinge sagt!)
mehr Flexibilisierung, Deregulierung und Privatisie-
- Ihre Aufregung ehrt mich. rung. Der Subventionsabbau bleibt leeres Gerede.
Aber kann man von einer Partei etwas anderes er-
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Ich glaube, daß es warten, deren Vorsitzender im Plenum erklärt, wie
uns im Augenblick wenig hilft, die 50 gegen die 140 blind er durch das Land geht? Ich muß sagen: Nein,
zu stellen. Wir sind mitten in der Parlamentsreform Herr Gerhardt, unser Land ist nicht auf einem Weg in
und wissen, daß wir da noch Arbeit zu leisten haben. die Armut, in die Umweltzerstörung und in Aben-
teuer, wie Sie sagten. Unser Land ist da schon voll
(Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: drin. Denn viele, viele Menschen in Ost und West
Bei den Grünen sind 6 von 48 da!) müssen mit Sozialhilfe auskommen. Sie sind obdach-
los und sind bereits an den Rand der Gesellschaft ge-
Oswald Metzger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): drängt. Der Einsatz deutscher Truppen in Bosnien ist
Frau Präsidentin, mir ging es nicht darum, unser mehr als ein Abenteuer, er ist bitterer Ernst.
Haus vorzuführen. Ich weiß auch, daß wir gestern bei
Und die SPD? Herr Scharping stellte sich hier hin
dieser Debatte nur zu viert da waren; bei Ihnen wa- und fragte völlig unbefangen die Koalition:
ren es 22. Ich bin da reell. Ich wollte nur sagen: Wenn
im März nachts um halb zwei im Gegensatz zu dies- Heute muß man den Eindruck haben: Sie wollen
mal so viele da waren, ist das außerordentlich er- die Lebensrisiken der Menschen vollständig pri-
staunlich. Aber die Debatten sind häufig auch relativ vatisieren und die unternehmerischen Risiken
dröge. Das muß man wirklich sagen. immer stärker sozialisieren. Soll das wirklich so
-
Den Haushältern schließlich steht in den nächsten weitergehen?
Wochen im Haushaltsausschuß ein Marathonlauf be- Zugegebenermaßen kenne ich mich nicht so gut in
vor. Ich hoffe, daß da wirklich konstruktive Debatten der Geographie der alten Bundesländer aus, aber ist
laufen und daß man sich über die Dollpunkte und Rheinland-Pfalz tatsächlich so weit von Bonn ent-
Schwachstellen, die ich anzusprechen versucht habe, fernt, daß es an Herrn Scharping vorbeigegangen
über die nicht vorhandenen Knautschzonen in die- sein könnte, daß wir mitten in diesem Prozeß sind?
sem Haushalt in politisch seriösen Debatten zwi-
schen Koalition und Opposition auseinandersetzt. Die Herausnahme der Asylbewerber und -bewer-
Wir werden sehen, wenn am 8. oder 9. November in berinnen aus der Obhutspflicht des Bundessozialhil-
diesem Hause die Schlußdebatte läuft, ob sich nicht fegesetzes in ein besonderes Leistungsgesetz - von
durch die Kraft der objektiven Fakten eher die Oppo- der SPD gefeiert - eröffnete doch erst die Möglich-
sition bestätigt sehen wird als der Finanzminister. keit zu umfangreichen Kürzungen. Die Einführung
Vielen Dank. der Budgetierung im Gesundheitswesen, d. h. die
Aufgabe des Bedarfsdeckungsprinzips, die pauscha-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN lierte Leistungsvergütung in der Pflegeversicherung
sowie bei Abgeordneten der SPD) - das waren und sind Meilensteine auf dem Wege
der Zerschlagung des Sozialstaates. Die SPD hat all-
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als nächste spricht dem zugestimmt, genau wie den Militäreinsätzen.
die Abgeordnete Barbara Höll. Brav ihre Kompromißfähigkeit beteuernd, folgt die
SPD der Regierungskoalition unter dem Verdikt der
Dr. Barbara Höll (PDS): Frau Präsidentin! Meine angeblichen Modernisierung des Sozialstaates und
Damen und Herren! Als vor 13 Jahren der Bundes- beteiligt sich dadurch leider auch an dessen Demon-
kanzler sein Amt antrat, tat er dies mit dem erklärten tage. Sie jagen die Regierungskoalition nicht, was
strategischen Ziel, eine „geistig-moralische Wende" auch durch den Bundesrat möglich wäre; vielmehr
in der Bundesrepublik Deutschland einzuleiten. Ich zwingt diese Sie, hinter ihr herzuhecheln. Auch ist
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 53. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. September 1995 4485
Dr. Barbara Höll
man im Plenum Zeuge von allgemeinen Beteuerun- nicht automatisch, daß der Staat viele Schulden hat.
gen, Einladungen zu Diskussionen, der Hervorhe- Ein Staat jedoch, der wie die Bundesrepublik
bung der eigenen Offenheit und eines oberflächli- Deutschland - dank Ihrer chaotischen Finanzpolitik -
chen Streites über Urheberschaften von politisch un- so hohe Schulden hat, muß natürlich die Zinsen be-
zulänglichen Lösungen. dienen. Jede vierte Steuermark wird darauf verwen-
det.
Nehmen wir das Beispiel des ab 1996 steuerfrei zu
stellenden Existenzminimums und des Kindergeldes, Es geht doch darum, mit der Staatsquote über den
was sich im Haushalt niederschlägt. Alle Ihre An- Inhalt zu diskutieren: An welchen Stellen ist der
sätze blieben weit unter dem tatsächlich Notwendi- Staat tatsächlich in der Pflicht, Aufgaben zu zentrali-
gen. Alle haben bewußt verschwiegen, daß, egal, ob sieren und entsprechend zu agieren? Es geht um die
man ein Kindergeld von 200 oder 250 DM zahlt, die Umstrukturierung der Wirtschaft in eine ökologische
Fami li en, in denen 1 Million Kinder und Jugendliche Richtung. Es geht um die Aufhebung der Massenar-
von Sozialhilfe leben, von dieser Änderung ab Ja- beitslosigkeit, den Abbau der Lehrstellenmisere usw.
nuar nicht eine müde Mark mehr haben; denn das Der Markt hat in den letzten Jahren bewiesen, daß er
Kindergeld wird bei der Sozialhilfe gegengerechnet. nicht dazu in der Lage ist, das zu regeln. In den Kate-
Dasselbe geschah auch in der Frage der Wer- gorien von Angebot und Nachfrage kann er nur auf
bungskosten im Rahmen der Haushaltsführung oder Gegenwartserfordernisse reagieren, aber keine Zu-
z. B. des Arbeitszimmers. Das ist wahrlich keine Sub- kunft gestalten.
ventionierung. In einem Betrieb würde es als Be- Wie sehen die Haushalte aus? Im Umweltbereich
triebskosten und nicht als Subvention bezeichnet gibt es eine Senkung um 3 %, im Verkehrsbereich
und daher auch nicht unter den Subventionsabbau um 4,4 % und im Wirtschaftsbereich, rechnet man
fallen. Ich hoffe, daß wir gemeinsam mit dem BÜND- den Kohlepfennig heraus, um sage und schreibe
NIS 90/DIE GRÜNEN in den Beratungen doch eini- 15 %. Das heißt: Für die Wirtschaft stehen - pro Kopf
ges voranbringen können. der Bevölkerung - 1996 135 DM zur Verfügung, für
Herr Waigel, der sich in den letzten Jahren und die Umwelt ganze 16 DM, für Gesundheit 10 DM,
insbesondere mit diesem Haushalt als „Robin Hood aber für den Verteidigungshaushalt 605 DM. Aber
des ,Thatcherismus', der den Armen nimmt und den das ist noch nicht die wirklich richtige Zahl; denn ein
Reichen gibt", wie ihn die „Frankfurter Rundschau" großer Teil der notwendigen Finanzleistungen ist in
bezeichnete, profilierte, setzt jetzt zur offenen und ra- anderen Haushalten versteckt, so die Pflichtbeiträge
dikalen Demontage des Sozialstaates an. Die Argu- zu WEU und NATO im Auswärtigen Amt, ebenso wie
mentation wird geringfügig geändert: Während es in die Militärhilfe, die vom Kanzler an die Türkei ver-
den vergangenen vier Jahren der angeblich desolate sprochen wurde, die MEKO-Fregatten. Und aus dem
Zustand der DDR war - dabei hantierten Sie mit Haushalt „Allgemeine Finanzverwaltung" soll in die-
Schattenhaushalten, nannten bei den Transferlei- sem Jahr mindestens hälftig der Einsatz in Bosnien
stungen nur Bruttozahlen und nicht die realen Netto- finanziert werden.
zahlen -, sind Sie jetzt dazu übergegangen, die Der Verteidigungshaushalt steigt um 1,2 %, d. h.
Staatsquote als neue zu bekämpfende Hauptursache um 500 Millionen DM. Und dann wird behauptet, der
der Probleme darzustellen. - Sozialstaat sei nicht mehr zu finanzieren.
Hier muß ich fragen: Was soll das?
Ich muß einmal fragen: Wer finanziert denn den
(Zuruf von der CDU/CSU: Das muß man bei Sozialstaat? Nimmt man den Zeitraum von 1984 bis
Ihrer Rede schon fragen!) 1994, so wird eine deutliche Verschiebung erkenn-
bar. Die Staatseinnahmen aus Steuern und Sozialbei-
Herr Thiele hat als Vorsitzender des Finanzausschus- trägen sind deutlich stärker als die Staatseinnahmen
ses dem Ganzen am 2. Juni dieses Jahres sogar eine insgesamt gewachsen. Betrachtet man dann die Ent-
ideologische Weihe gegeben, wicklung der einzelnen Steuerarten, so fällt auf, daß
(Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: die Zuwächse aus der Erhöhung der Lohnsteuer
Bei Liberalen gibt es keine Ideologie!) um 95,4 vom Hundert, d. h. von 136,4 auf
266,5 Milliarden DM, und der Umsatzsteuer um
indem er sagte, wegen der zu hohen Staatsquote sei 113,5 vom Hunde rt , d. h. von 110,5 auf
„die Freiheit der Bürger unseres Landes durch den 235,7 Milliarden DM, total aus dem Rahmen fallen.
auswuchernden Staat ernsthaft bedroht". Die breite Allgemeinheit der kleinen und mittleren
In der Geschichte der Bundesrepublik unterlag die Verdiener finanziert also diesen Sozialstaat. Und den
Staatsquote tatsächlich beachtlichen Schwankun- Menschen aus diesen Schichten machen Sie Vor-
gen, und sie hat derzeit einen sehr hohen Stand er- würfe, wenn sie berechtigterweise Ansprüche anmel-
reicht. den, die ihnen zustehen. Dagegen sind die Steuern
aus den Schichten der Vermögenden sogar überpro-
(Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Ei portional gesunken. Hier geht es also wirklich nicht
nen zu hohen!) mehr um Kleinigkeiten.
Wenn aber Herr Waigel die Staatsquote senken will, Der Kanzler hat sich hier am Mittwoch hingestellt
d. h. sparen, um gestalten zu können, und behauptet, und gesagt:
dies führe über die Stärkung der Marktmechanismen
gleichzeitig zu mehr Wachstum, so ist dies eine Es war der Stil unserer Republik in diesen Jahren,
Scheindiskussion. Eine hohe Staatsquote bedeutet ja zu lange zu glauben es gehe automatisch so wei-
4486 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode -- 53. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. September 1995

Dr. Barbara Höll


ter und wir würden immer besser leben können Herr Diller, es ist nicht mein Thema, aber wenn Sie
und immer weniger leisten müssen. bereit sind, dies hier vorzulesen, bin ich willens, Ih-
nen eine Liste von Personen zusammenzustellen, die
Damit wirft er der Masse der Bevölkerung de facto nicht aus gesundheitlichen, sondern aus politischen
eine Hängemattenmentalität vor. Gründen in SPD-regierten Ländern kostenträchtig in
Es geht hier um das Grundgesetz. Hat es noch Gül- den Ruhestand geschickt wurden. Dann müßten Sie
tigkeit? Es geht um Art. 20 GG, um die Sozialstaats- sich allerdings auf eine sehr lange Redezeit einrichten.
pflichtigkeit, die Sie mit Ihrem Haushaltsentwurf Bei Ihrer finanzpolitischen Betrachtungsweise
endgültig aushebeln wollen. Sie ist ein eigenständi- müßten Sie eigentlich größte Verachtung für die
ger Wert und nicht nach ökonomischen Marktmecha- Jahre 1975 bis 1981 empfinden; denn so schlecht
nismen zu messen. Und es geht um Art . 14 GG. Es wurde es Gott sei Dank nie wieder in der Bundesre-
geht darum, ob Eigentum tatsächlich verpflichtet, ob publik Deutschland, nicht einmal unter den schwieri-
sein Gebrauch dem Wohle der Allgemeinheit dienen gen Verhältnissen der Wiedervereinigung. Eines
soll. muß doch eigentlich zu klären sein: Sind die Aussa-
gen von Herrn Spöri falsch, oder sind diejenigen von
An dieser Stelle sind wir dann auch da, wo wir fra-
Herrn Diller falsch? Ist es wirklich wahr - das ver-
gen müssen: Warum wird in diesem Hause ständig
sucht die SPD uns hier darzustellen -, daß der Inbe-
nur über die Ausgabenseite diskutiert? Es wird nicht
griff von Instabilität niedrige Zinsen und niedrige
ausreichen, nur über Umschichtungen innerhalb der
Preissteigerungsraten sind? - Verhält es sich nicht
Haushalte zu diskutieren, sondern es geht darum,
vielmehr so, daß zwar diejenigen, die von Kapitaler
tatsächlich neue Finanzierungsquellen zu eröffnen.
trägen leben, nicht von den niedrigen Zinsen begün-
Der Kanzler hat hier am Mittwoch bemerkt, es sei stigt werden, daß aber diejenigen, die von ihrem Er-
ein Ladenhüter, zu sagen, den Reichen gehe es zu sparten leben müssen, durch niedrige Preissteige-
gut. Ich meine, es ging ihnen noch nie so gut wie in rungsraten mit Sicherheit bessergestellt werden?
der Bundesrepublik der 90er Jahre. Ich glaube, nach (Beifall bei der CDU/CSU)
diesen Umschichtungen von unten nach oben ist es
tatsächlich an der Zeit, auch diejenigen, die an der Ich denke, niedrige Preissteigerungsraten sind flä-
Einheit unwahrscheinlich verdient haben, zur Kasse chendeckend die beste Sozialpolitik, die wir über-
zu bitten und bei ihnen neue Finanzierungsquellen haupt machen können.
zu erschließen.
Nun haben Sie uns, Herr Diller, dera rtig interes-
Ich bedanke mich. sante Graphiken gezeigt, daß man Ihnen fast wün-
schen kann, daß Sie möglichst lange im Bundestag
(Beifall bei der PDS - Brigitte Baumeister bleiben - nicht nur, weil Sie ein so netter Kollege
(CDU/CSU): Reden Sie doch keinen sind, sondern weil Sie ansonsten wieder auf die Kin-
Quatsch!) der in Ihrem Lande losgelassen würden.
(Heiterkeit bei der CDU/CSU)
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Ich erteile jetzt das
Wort dem Kollegen Dankward Buwitt. - Sie haben wirklich nette Graphiken gezeigt. Aber
eine Graphik fehlte nach meiner Meinung. Es war
die Graphik über die Mehrausgaben, die die SPD
Dankward Buwitt (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Jahr für Jahr hier fordert, ohne daß sie einen Finan-
Meine Damen und Herren! Frau Höll, Sie mögen es zierungsvorschlag macht.
bedauern, daß der Bundeskanzler seinem Lebensziel
einen Schritt - wie ich meine, einen sehr großen (Beifall bei der CDU/CSU)
Schritt - nähergekommen ist, und zwar durch die
Herr Diller, ich unterstelle Ihnen dabei keine böse
Wiedervereinigung. Das mag nicht Ihre Zustimmung
Absicht; ich nehme an, ein so großes Stück Papier ha-
finden, aber Sie wissen, daß ein Großteil des Hauses
ben Sie nicht auftreiben können, um das darzustel-
anders denkt.
len.
Wir wollen das Schicksal der arbeitslosen Men-
Die Debatte in dieser Woche sollte der Öffent-
schen nicht verharmlosen. Wir wissen, daß das bit-
lichkeit nicht nur die guten Vorschläge der Regie-
tere menschliche Schicksale sind. Aber wahr ist
rung präsentieren, sondern sie sollte auch über die
auch, daß trotz der Arbeitslosigkeit die Menschen in
Positionen der Fraktionen informieren. Sie, meine
der ehemaligen DDR wenigstens in wirtschaftlicher
Damen und Herren von der Opposition, scheinen
Hinsicht oft besser leben als diejenigen, die damals
dieses aber anders verstanden zu haben. Sie haben
keine Beziehung zum DDR-Regime hatten.
ein Elends- und Schuldenszenario ausgemalt; Sie in-
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU formieren nicht, Sie verbreiten Falschmeldungen
und der F.D.P.) und verunsichern die Menschen draußen mit Ihren
Horrorprognosen. Das ist nach meiner Meinung
Sie lernen heute eine medizinische Versorgung ken- höchst unverantwortlich. Sie schüren die Sorgen der
nen, die sie in der DDR-Zeit überhaupt nicht für mög- Menschen und ziehen aus diesen Sorgen dann noch
lich gehalten haben, ganz zu schweigen von dem Zu- Ihren Profit. Letztendlich müssen Sie Jahr für Jahr
stand der Altenheime, der Kindertagesstätten usw., überrascht sein, daß sich alle Ihre bösartigen Voraus-
wie er 1990 dort vorzufinden war. sagen in den Resultaten dieser Jahre, und zwar in
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 53. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. September 1995 4487
Dankward Buwitt
den Ist-Rechnungen, nicht wiederfinden und daß wir Das von uns ursprünglich angestrebte Steuersen-
Jahr für Jahr besser abgeschnitten haben, als es die kungsvolumen von rund 22,5 Milliarden DM wurde
Annahmen, die den eingebrachten Haushalten zu- im Zuge des Kompromisses auf jetzt 19 Milliarden
grunde lagen, erwarten ließen. DM gesenkt. Richtig ist, Sie haben uns 3,5 Milliarden
DM weniger Entlastung abgezwungen. Aber das
(Zuruf von der CDU/CSU: So war das, ja!) sind immer noch 7 bis 9 Milliarden DM mehr, als Sie
Nun kann man sicher nicht erwarten, daß sich die den Bürgern ursprünglich zugestehen wollten. Au-
Opposition hier hinstellt und die Bundesregierung ßerdem konnte die Koalition im Vermittlungsaus-
lobt, selbst da nicht, wo es unumgänglich wäre. Auch schuß die von Ihnen geforderten Steuererhöhungen
wir sind letztendlich nicht mit allem einverstanden. einschließlich der neuen Ökosteuern verhindern. Die
Wahr ist doch aber - das ist in dieser Woche oft ge- positiven Erfolge, vor allem die erheblichen Entla-
nug gesagt worden -, daß neben Luxemburg stungen für die Familien und Bürger mit kleinem und
Deutschland das einzige Land ist, das die strengen mittlerem Einkommen, können sich mit Sicherheit
Kriterien erfüllt, die im Vertrag von Maastricht be- vor den Bürgern sehen lassen.
züglich Staatsverschuldung und Haushaltsdefizit für Ein Wort zur Debatte über die Verlängerung des
die Währungsunion aufgestellt worden sind. Sicher, Solidaritätszuschlags. Dieser Solidaritätszuschlag
die Schulden der anderen machen die eigenen Defi- war und ist als befristeter Beitrag gedacht. Wer ihn
zite nicht besser. Natürlich wären auch für uns gerin- über Jahrzehnte ausdehnen will, der muß deutlich
gere Schulden wünschenswert. Aber das aus den sagen, was er will,
Reihen der SPD beschworene Existenzrisiko für un-
ser Land entbehrt nun wirklich jeder realen Grund- (Bundesminister Dr. Theodor Waigel: So ist
lage. es!)

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) nämlich eine Steuererhöhung und keinen Zuschlag.
Ich stimme dem Finanzminister ausdrücklich zu -
Es ist bereits gesagt worden, daß laut dem in der Bundeskanzler Kohl hat in seiner Rede ja die Krite-
letzten Woche vorgestellten Bericht der OECD das rien genannt -: Der Solidaritätszuschlag muß so
Haushaltsdefizit 1994 in Deutschland erheblich ge- schnell, wie dies möglich ist, gesenkt und dann er-
schrumpft und mit einem Anteil von 2,5 % am deut- satzlos gestrichen werden. Im Zuge der deutschen
schen Bruttoinlandsprodukt auf das niedrigste Ni- Wiedervereinigung haben wir den Menschen viel ab-
veau seit der Wiedervereinigung gefallen ist. Die gefordert. Die Menschen können sich darauf verlas-
OECD hat der Bundesregierung beeindruckende Er- sen, daß wir jeden sich bietenden Spielraum nutzen,
folge bei der Konsolidierung des Haushalts beschei- um die Steuerbelastung zu reduzieren.
nigt. Sie sehen, der eingeschlagene Weg wird auch
von Dritten als richtig erachtet. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Natürlich, meine Damen und Herren, ist Sparen Der Abbau von Steuern und die Senkung von Ab-
gaben ist doch das beste, was wir für die Zukunft des
noch keine Politik. Wir schaffen damit die Grundlage
Standortes Deutschland tun können.
für gestaltende Politik, für Fortschritte im wirtschaft-
lichen und sozialen Bereich. Ziel unseres Sparens ist - (Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Sehr wahr!)
die Absenkung der Staatsquote auf das Maß vor der
deutschen Einheit. Auch dies ist selbstverständlich Unsere größte Sorge ist und bleibt nun einmal die Ar-
kein Selbstzweck, wie dies die Opposition darzustel- beitslosigkeit vieler Menschen in unserem Land. Um
len versucht, sondern ein wichtiger Eckwert für die hier wirkungsvoll helfen zu können, brauchen wir
Schaffung von neuen Arbeitsplätzen in der Bundes- gute Standortvoraussetzungen, damit neue Arbeits-
republik. plätze geschaffen werden können und die vorhande-
nen bei uns bleiben und nicht an günstige Standorte
Es ist unbestreitbar - Sie haben es angesprochen, exportiert werden. Ein guter Standort Deutschland -
Herr Metzger -, daß die steuerliche Belastung unse- das ist das einzige auf Dauer wirksame Rezept ge-
rer Arbeitnehmer und Unternehmer an einer absolu- gen das schwerwiegendste innenpolitische Problem,
ten Höchstgrenze angelangt ist. Diese Belastung zu- nämlich die Arbeitslosigkeit.
rückzuführen ist fester Bestandteil unserer Arbeit in
den nächsten zwei Jahren. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge Während der letzten vier Tage haben wir darüber
gesprochen, daß wir zur Verbesserung des Stand-
ordneten der F.D.P.)
ortes Deutschland viele Veränderungen brauchen.
Mit dem Jahressteuergesetz 1996 sind wir diesem Wir müssen die Verkrustungen in Wi rtschaft und
Ziel nur ein Stück nähergekommen. Verwaltung aufbrechen, die Verwaltung reduzieren
und auf ihre ursprünglichen Aufgaben zurückführen,
Meine Damen und Herren von der SPD, mehrfach Arbeitsbedingungen und Arbeitszeiten flexibler ge-
habe ich in dieser Debatte gehört, Sie hätten uns zu stalten und vieles andere mehr. Dies ist Politik für
den vorgesehenen Entlastungen gezwungen, und sie mehr und für sichere Arbeitsplätze.
seien Ihr Erfolg aus den Beratungen des Vermitt-
lungsausschusses. Ich finde das ungeheuerlich. Seit Beginn dieses Jahres sind die neuen Länder
und Berlin gleichberechtigt im Finanzausgleich ein-
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge gebunden. Gleichzeitig ist jedoch die Bundeshilfe für
ordneten der F.D.P.) Berlin in diesem Jahr ausgelaufen. Dies zu kompen-
4488 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 53. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. September 1995

Dankward Buwitt
sieren fiel angesichts der enormen Probleme schwer. dies eine Koalition aus CDU/CSU und F.D.P. An den
Durch einen strikten Abbau von Administration, Taten ist dies abzulesen, und nach meiner Meinung
durch eine klare Prioritätensetzung bei den Aufga- ist es auch für die Bürger erkennbar gemacht wor-
ben, durch konsequente Privatisierung und eine Ver- den.
dreifachung der Steuerkraft seit 1990 hat Berlin die
prognostizierte Deckungslücke von 15 Milliarden Recht herzlichen Dank.
DM auf 6 Milliarden DM begrenzen können und eine (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
Haushaltsnotlage wie in Bremen und im Saarland ab-
gewandt.
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Zum Abschluß die-
Neben der endgültigen Überwindung der Teilung ser Debatte spricht der Bundesfinanzminster
müssen wir Berlin jetzt fitmachen als Hauptstadt Dr. Theodor Waigel.
Deutschlands. Dabei geht es nicht um eine Zentrali-
sierung, sondern darum, eine leistungsfähige Haupt- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
stadt aller als Symbol unseres gemeinsamen födera-
len Staates zu entwickeln. Dr. Theodor Waigel, Bundesminister der Finanzen:
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge Herren! Ich darf mich bei Ihnen allen für eine sehr
ordneten der F.D.P.) erfolgreiche und auch schöne Haushaltswoche be-
In der Zeit des Dritten Überleitungsgesetzes für danken. Mein erster Dank gilt der Koalition, allen
Berlin hatte es sich eingebürgert, eine Vielzahl von Rednern, allen, die anwesend waren. Aber mein
Aufgaben aus dem Berliner Landeshaushalt zu finan- herzlicher Dank gilt auch Ihnen von der Opposition,
zieren, auch wenn es sich dabei weder um kommu- denn Sie haben uns doch zu einer, wie ich meine, er-
nale noch um Landesaufgaben handelt. Dies war an- folgreichen und guten Woche verholfen,
gesichts einer über 50 %igen Mitfinanzierung des (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
Berliner Haushalts durch den Bund natürlich auch
vertretbar. Mit dem Wegfall der Bundeshilfe ist es die jedem im Land klargemacht hat, wo finanzpoliti-
jetzt richtig und wichtig, wenn der Bund die Aufga- sche Kompetenz ist und wo regierungspolitische Un-
ben übernimmt, die im gesamtstaatlichen Interesse fähigkeit herrscht, von der sich die Opposition auch
wahrgenommen werden und der gesamtstaatlichen ein Dreivierteljahr nach der, verlorenen Wahl nicht
Repräsentation dienen. erholt hat.

Es ist mehrmals angesprochen worden: Zur Haupt- Schade, daß der Kollege Struck jetzt nicht da ist.
stadtfunktion gehört natürlich auch der Umzug von Ich hätte sonst noch einmal über das Jagen gespro-
Regierung und Parlament. Wir müssen diesen Um- chen. Wie schnell man vom gewollten Jäger zum Ge-
zug dazu nutzen, die Bundesministerien zu moderni- jagten werden kann, kann ich als Nichtjäger nicht
sieren. Verkrustete, veraltete und ineffektive Struk- beurteilen. Aber es ist schon ganz schön beschä-
turen dürfen nicht einfach eingepackt und dann in mend.
Berlin wieder ausgepackt werden. Herr Metzger hat (Zuruf von der SPD: Was soll denn das?)
es angesprochen: Der Umzug von Parlament und Re- -
gierung eröffnet die Möglichkeit, eine noch lei- Herr Kollege Diller, Sie hätten auch noch die Ta-
stungsfähigere Administration zu schaffen, die Vor- bellendarstellung von einem Troikaner aus dem
bild für moderne, multimediale und schlanke Ver- Saarland holen können. Dieser stand auch einmal so
waltung auf Landes- und kommunaler Ebene sein ähnlich wie Sie dort und hat genausowenig wirksam
kann. mit Lichtbildern und ähnlichem etwas vorgeführt.

Wie wir unsere Verwaltung leistungsfähiger ma- Sie regen sich über das Existenzminimum auf. Von
chen können, wo eingespart, wo angepaßt werden Ihnen ist nicht ein einziger Vorschlag gekommen.
muß, wer weiß dies besser als die Mitarbeiter selbst? Von Ihnen ist nicht eine einzige Alternative gekom-
Im Einzelplan 60 über die allgemeine Finanzverwal- men.
tung wird in jedem Jahr ein Betrag von 1,2 Millionen (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
DM für die Förderung des Vorschlagswesens in den
Bundesverwaltungen eingestellt. Sie haben zur Gegenfinanzierung aus der Giftliste
nichts vorgeschlagen.
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Buwitt, kom- Was nun die BAföG Reform und Ihre Krokodilsträ-
-

men Sie zum Schluß. Ihre Redezeit ist beendet. nen anbelangt: Wie ist das eigentlich mit einer sozial-
demokratischen Politik vereinbar, die im Interesse
des Arbeitnehmers liegen soll, der auch selbständig
Dankward Buwitt (CDU/CSU): Leider wird dieser werden und die Chance haben möchte, durch einen
Betrag nie voll ausgeschöpft. Deshalb würde ich die Leistungsausgleich auch zwischen den Akademikern
Mitarbeiter ermuntern, Ihre Vorschläge zur Verbes- und den Nichtakademikern seinen Weg zu gehen?
serung der Verwaltung zu machen. Das ist die eigentliche Chancengleichheit, wie Sie sie
einmal gefordert haben und wir sie jetzt verwirkli-
Lassen Sie mich nur noch sagen: Herr Dreßler hat chen, auch im Bildungsbereich.
gestern die Frage gestellt, wer in der Bundesrepublik
die letzten 13 Jahre regiert hat. Gott sei Dank war (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 53. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. September 1995 4489
Bundesminister Dr. Theodor Waigel
Der Schluß Ihrer Rede geriet zu einem großen Me- Meine Damen und Herren, die Debatte zeigt: An
lodrama, das Sie hier vorgeführt haben. Bei mir kam der richtigen und erfolgreichen Finanzpolitik der
Angst auf, daß Sie mich am Schluß noch zum Rück- Bundesregierung können Sie allenfalls kleinkarierte
tritt auffordern; oder polemische Kritik üben. Aus den Troikanern
sind längst Trojaner geworden, die in alle Winde zer-
(Heiterkeit bei der CDU/CSU und der streut worden sind.
F.D.P.)
(Zuruf von der SPD: Das ist doch schon alt!)
dann hätte ich mich auf dem CSU-Parteitag heute
nachmittag nicht mehr sehen lassen können. Ich bin Sie können uns nicht immer wieder zumuten, jedes
Ihnen unendlich dankbar, daß ich jetzt also doch re- Jahr erneut eine Bank zu füllen und die Leute dann
lativ gelassen meine Zelte abbrechen und in Mün- wieder abzuschieben. Irgendwann hätten wir ganz
chen noch etwas schärfer über Sie herfallen kann, als gern ein Stück Verläßlichkeit. Wenn wir uns in den
mir das die Präsidentin des Deutschen Bundestages nächsten vier Jahren voll auf Sie verlassen können,
erlaubt. daß Sie in der Bank bleiben, wäre uns das sehr recht.
Es wäre uns sehr recht, wenn Sie nicht immer nur
(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU aus den Ländern pa rt ielle Hilfe holten; wir fürchten
und der F.D.P.) uns aber auch vor denen nicht.

Zuvor müssen aber noch einige Dinge richtigge- (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Wir sitzen
stellt werden. Es ist falsch, die Übertragung des hier immer!)
Schienenpersonennahverkehrs auf die Länder den
Bundesausgaben hinzuzurechnen, wie Sie das eben - Ich weiß, Ihnen, Frau Kollegin Matthäus-Maier, ist
vorgeführt haben. Sie haben berechnet, daß die Bun- es lieber, daß die Kameraden verschwunden sind.
desausgaben dadurch um 0,4 % steigen würden. (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten
Richtig ist: Beim Bund entfallen die Aufwendungen der CDU/CSU und der F.D.P.)
für den Schienenpersonennahverkehr in Höhe von
7,7 Milliarden DM ab 1996. Wir übernehmen ab 1996 Darauf wollen wir im einzelnen jetzt nicht eingehen.
zusätzlich aber einen weiteren Zuschuß zum Bundes-
Nach dieser Einleitung und bevor ich auf die Fi-
eisenbahnvermögen mit über 8 Milliarden DM und
nanzpolitik zu sprechen komme, sei mir ein Wort als
beenden gleichzeitig Ende 1995 die eigene Kredit-
frei gewähltem Abgeordnetem und als CSU-Vorsit-
aufnahme des Bundeseisenbahnvermögens. Wir ha-
ben die Eckwerte des Haushalts 1996 also selbstver- zendem erlaubt. Ich bitte um Verständnis dafür. Ich
ständlich korrekt dargestellt. bin in der Debatte von Herrn Fischer und auch von
Ihnen, von der SPD - von Ihnen allerdings sachlich,
Herr Kollege Metzger, wie man hinsichtlich der von Herrn Fischer nicht - mehrfach auf das Kruzifix
Konjunktur von einer Abwärtsbewegung sprechen Urteil angesprochen worden. Ich nehme mir die Frei-
kann, bleibt mir ziemlich unerfindlich. Ob die Kon- heit, dazu jetzt kurz Stellung zu nehmen. Es ist in-
junktur um 3 %, 2,9 % oder 2,8 % zunimmt: Es ist fam, was Redner der Grünen in dieser Debatte zur
immer noch ein Konjunkturaufschwung und kein öffentlichen Diskussion über das Kruzifix-Urteil des
-abschwung. - Bundesverfassungsgerichts zum besten gegeben ha-
ben.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge
ordneten der F.D.P.) (Beifall bei der CDU/CSU)
Den Gipfel der Heuchelei und politischen Gemein-
In den Überschriften der Zeitungen und bei den Be-
heit habe ich durch Herrn Fischer erlebt. Von ihm
obachtern ist sehr wohl deutlich geworden, daß die
habe ich aber auch nichts anderes erwartet.
Konjunktur in ruhigerem Fahrwasser verläuft, aber
auf gar keinen Fall von einem Abschwung geredet Ich habe bisher jedes Bundesverfassungsgerichts-
werden kann. urteil respektiert, auch wenn ich manchmal anderer
Meinung war. Das Bundesverfassungsgericht hat
Wenn Sie die Erhöhung der Nettokreditaufnahme durch seine verantwortungsvolle Arbeit wesentlich
um 10 Milliarden DM beklagen, dann hätten Sie zu- zur Stabilität und Fortentwicklung des Rechtsstaats
nächst sagen müssen, daß wir in den letzten beiden beigetragen. Aber der Beschluß zum Kruzifix wird
Jahren 40 Milliarden DM weniger Schulden gemacht den christlichen und kulturellen Traditionen und den
haben, als im Finanzplan vorgesehen. Sie machen da ethischen Grundlagen unserer Demokratie nicht ge-
eine Milchmädchenrechnung auf. recht.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge (Beifall bei der CDU/CSU)
ordneten der F.D.P.)
Er dient nicht der Toleranz, es problematisiert den
Wären wir bei den alten Zahlen des Finanzplans ge- Rechtsfrieden. Freiheit und kulturelle Traditionen
blieben, dann hätten wir eine Reduktion. Sie wissen können keine Gegensätze sein. Auch der freiheitli-
sehr wohl, womit das zusammenhängt, nämlich mit che Staat hat eine kulturelle und ethische Basis. Das
35 Milliarden DM Zusatzbelastung, vor allen Dingen ist unsere 2 000jährige Verankerung in christlicher
mit Steuer- und Abgabenentlastungen, die für den Kultur und in christlichen Grundwerten. Das Grund-
Bund zwischen 20 Milliarden und 30 Milliarden DM gesetz und die bayerische Verfassung bekennen sich
ausmachen. zur Verantwortung vor Gott.
4490 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 53. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. September 1995

Bundesminister Dr. Theodor Waigel


Das Kreuz ist das Zeichen des Friedens, der Tole- Nur am Rande: Die Kapitalmarktbelastung ist 1996
ranz, der Versöhnung und der Hoffnung. Das Kreuz um ein Drittel niedriger als 1994. Das sind Zahlen
ist nicht Ausdruck aggressiver Missionierung, son- und Signale für die Finanzmärkte im In- und Aus-
dern unser Bekenntnis zur christlich-abendländi- land, über die Sie reden sollten.
schen Kultur,
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge
ordneten der F.D.P.) Wenn die D-Mark so stark ist, dann ist das doch auch
Ausdruck des Vertrauens und der Verläßlichkeit, die
auf der die Wertordnung unserer Verfassung und un- nicht nur unsere Haushaltspolitik 1995 und 1996,
seres Staates beruht. Diese Wurzeln unserer Tradi- sondern auch den Kurs darüber hinaus prägen. Dafür
tion werden wir auch in Zukunft verteidigen. sprechen auch die niedrigen Zinsen und die Leitzins-
entscheidung der Bundesbank.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg.
Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]) Ich habe gemeinsam mit meinen Kollegen auch die
Risiken genannt. Wir sehen natürlich die Risiken.
Ich bin Ihnen auf allen Seiten dankbar, daß Sie mir Dennoch werden wir die Obergrenze einhalten, und
die Möglichkeit zu dieser auch persönlichen Erklä- wenn Risiken hinzutreten, muß an anderer Stelle ge-
rung gegeben haben. Ich hätte sie nicht abgegeben, spart werden, so hart das auch ist.
wenn ich nicht am Dienstag in dieser Form auf das
Thema angesprochen worden wäre. Ich möchte noch ein Wo rt zu den Investitionen sa-
gen. Die SPD weiß genau: Der 1995 besonders hohe
Ich komme jetzt auf die Finanzpolitik zurück. Betrag für Investitionen von über 72 Milliarden DM
ergibt sich aus zwei Regelungen im Föderalen Kon-
(Zuruf von der SPD: Jetzt können Sie wie solidierungsprogramm, denen die SPD zugestimmt
der polemisieren!) hat: den erstmals aus dem Bundeshaushalt den
Jetzt sagen Sie: Nun können Sie wieder polemisie- neuen Ländern zu gewährenden zweckgebundenen
ren. Es kam das Uraltargument von der Schulden- Finanzhilfen für investive Ausgaben in Höhe von
und Zinsfalle zur Sprache. Meine Damen und Her- 6,6 Milliarden DM jährlich nach dem Investitionsför-
ren, auch ständige Wiederholungen machen dieses derungsgesetz Aufbau Ost und den ebenfalls erst-
Argument nicht richtig. mals unmittelbar aus dem Bundeshaushalt zu finan-
zierenden Ausgaben für die Nachfolgeorganisation
Es ist doch so: Die hohen Zinslasten beruhen - das der Treuhandanstalt, die 1996 mit rund 3,8 Milliarden
wissen Sie doch alle ganz genau - auf den Erblasten DM zu Buche schlagen.
der ehemaligen DDR und den früher übernommenen
Schulden. Es ist schon ein starkes Stück, wenn Sie Im Durchschnitt der Jahre 1991 bis 1994 betrugen
behaupten, Sie hätten das anders finanziert. Sie hät- die Investitionen des Bundes rund 63,5 Milliarden
ten doch nie die Kraft gehabt, zwei Drittel der Ko- DM jährlich. 1996 werden die Investitionen des Bun-
sten, die dadurch entstanden sind, durch Umschich- des mit 66,7 Milliarden DM um über 5 Milliarden DM
tungen und Einsparungen zu finanzieren. Das haben über dem Ergebnis des Jahres 1994 und um über
wir erreicht. - 3 Milliarden DM über dem Durchschnitt der Jahre
1991 bis 1994 liegen.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge
ordneten der F.D.P.) 1989 betrugen die Investitionen des Bundes
39,2 Milliarden DM. Wenn ich für die neuen Länder,
Eines ist übrigens auch richtig: Je mehr wir sparen, deren Bevölkerungsanteil bei etwa einem Fünftel
desto größer wird zwangsläufig der Anteil der Zinsen liegt, ein Drittel dieses Betrages drauflege, komme
am Budget, bei denen wir wie auch bei anderen ich auf rund 52 Milliarden DM. Wenn der Bund 1999,
Rechtsverpflichtungen nicht sparen können. also neun Jahre nach der Wiedervereinigung,
61 Milliarden DM für Investitionen ausgibt, dann be-
Ein Teil dessen, was Sie heute mit Ihrer Kritik be- deutet das: Für Investitionsausgaben stehen jährlich
klagen, hat vor gar nicht so langer Zeit noch Ihre aus- 9 Milliarden DM zusätzlich zur Verfügung.
drückliche Zustimmung gefunden. Mit Ihrem vollen
Einverständnis zahlt der Bund die Zinsen für den Eine Milchmädchenrechnung ist das, was Sie zum
Fonds Deutsche Einheit in Höhe von 7 Milliarden Umweltetat gesagt haben. Richtig ist, der Ansatz des
DM und für den Erblastentilgungsfond in Höhe von Umweltetats fällt 1996 40 Millionen DM niedriger
25 Milliarden DM. aus als 1995. Aber Sie wissen doch, daß es da Durch-
laufposten gibt und Sonderfaktoren im Volumen von
Ein Wort zur Nettokreditaufnahme: Ich habe klar 53 Millionen DM die Rechnung beeinflussen. Wenn
erläutert, warum sie 1996 etwas steigt, auch wenn sie Sie das mit einbeziehen, stehen für die regelmäßigen
noch voll im gegenwärtig gültigen Finanzplan liegt. Umweltausgaben des Bundes 13 Millionen DM bzw.
Woran liegt es, wenn Deutschland heute die niedrig- 1 % mehr zur Verfügung. Das ist nicht viel, aber im-
sten Zinsen in Europa hat? Es liegt doch auch daran, merhin. Wenn insgesamt gekürzt wird, wenn neun
daß wir in den letzten Jahren die Inanspruchnahme Etats mit weniger auskommen müssen, dann zeigt
des Kapitalmarktes rasch und deutlich zurückgeführt dies, daß dieser Etat jedenfalls besser als normal be-
haben. Es liegt auch an der niedrigeren Nettokredit- handelt wurde.
aufnahme und der Übernahme der Sondervermögen
in den Bundeshaushalt. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 53. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. September 1995 4491
Bundesminister Dr. Theodor Waigel
Ein Wort noch zu den Verteidigungsausgaben. Sie Südostasiens liegen vor uns. Darum besteht dringen-
beliefen sich für das alte Bundesgebiet 1989 auf rund der Handlungsbedarf. Darum sollten Sie, Herr Poß,
52,5 Milliarden DM. Das waren seinerzeit 18,1 % der nicht mehr hinter das, was jedenfalls Kollegen von
Gesamtausgaben. 1996 werden wir 48,4 Milliarden Ihnen schon andeuten, zurückfallen.
DM für die militärische Verteidigung aufwenden.
Das sind nur noch 10,7 % der Gesamtausgaben und Meine Damen und Herren, wir betreiben eine Poli-
mehr als 4 Milliarden DM weniger als 1989. Wenn tik der Wachstumsvorsorge. Wir stärken den Mittel-
man dann noch berücksichtigt, daß seitdem auch die stand und die gewerbliche Wi rt schaft. Wir handeln
Militärausgaben der ehemaligen DDR vollständig für die Sicherheit und für neue Arbeitsplätze. Natür-
entfallen sind, dann dürfte es kaum ein Land in lich hat die Leitlinie der Bundesregierung „niedrige
West- und Mitteleuropa geben, dessen Aufwendun- Steuersätze bei breiterer Bemessungsgrundlage"
gen für militärische Verteidigung einen so deutlichen nach wie vor Gültigkeit. Uns trifft der Vorwurf, wir
Rückgang verzeichnen. Dann ist es ein Popanz, hätten uns gegen Subventionsabbau im Steuerbe-
wenn Sie jetzt einen gewissen Aufwuchs polemisch reich gewandt, nicht. Seit 1990 sind 41,5 Milliarden
gegen uns verwenden wollen. DM an Steuersubventionen abgebaut worden, um
damit eine Verbreiterung der Bemessungsgrundlage
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) zu schaffen und anderes im Steuerbereich finanzie-
ren zu können.
Meine Damen und Herren, ein Wo rt noch zu den
Einsparungen bei der Arbeitslosenhilfe. Ich habe be- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
reits am Dienstag ausgeführt, Mehrbelastungen für
Länder und Kommunen sind insgesamt nicht zu er- Es wundert mich schon, Frau Kollegin Matthäus
warten. Im gleichen Artikelgesetz wird es zu einer Maier, daß Sie bei Ihrem Sachverstand wieder mit
Entlastung der Länder und Kommunen um rund dem Dauerbrenner „Kappung des Ehegattensplit-
1,3 Milliarden DM im Rahmen der Novelle zum Asyl- tings" kommen. Sie wissen ganz genau: Das Ehegat-
bewerberleistungsgesetz kommen. tensplitting ist keine beliebig veränderbare Steuer-
vergünstigung, sondern eine an dem Schutzgebot
Ein Wo rt noch zur Steuerpolitik. Sie beklagen des A rt . 6 Abs. 1 des Grundgesetzes und der wirt-
mangelnde Aufwendungen im Zusammenhang mit schaftlichen Leistungsfähigkeit der Ehepaare orien-
dem Existenzminimum. Sie haben den Kinderfreibe- tierte sachgerechte Besteuerung.
trag abgeschafft. Wir haben ihn erst wieder einge-
führt und auf diese Höhe gebracht, so daß Leistun- Wenn Sie die beiden Beschlüsse zur Vermögen-
gen für Kinder von Steuern freigestellt werden. steuer und zur Erbschaftsteuer lesen und genau
nachlesen, was dort zu dem Thema „Ehe und Fami-
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) lie" und dessen Berücksichtigung im Steuerrecht ge-
Meine Damen und Herren, wenn seit 1982 die Aus- sagt wird, dann müssen Sie zu dem Ergebnis kom-
gaben für Familienpolitik insgesamt von rund men, daß der von Ihnen im Vermittlungsausschuß
27,5 Milliarden DM auf knapp 60 Milliarden DM ge- und zuvor nur halbherzig gemachte Vorschlag, den
steigert worden sind, dann ist das nicht die normale auch Teile der SPD - jedenfalls in den Ländern -
Steigerung von 3, 4 oder 5 % pro Jahr, sondern dann - nicht mittragen, nämlich das Ehegattensplitting zu
ist dies eine erhebliche Steigerung, die Sie nie zu- kappen, schlichtweg verfassungswidrig wäre und
wege gebracht haben. Wenn wir jetzt 7 Milliarden keine Chance hätte, verwirklicht zu werden.
DM mehr ausgeben als ein Jahr zuvor, dann ist dies (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
mehr, als wir im Wahlkampf versprochen haben.
Zum Thema Ökosteuern und Lohnnebenkosten.
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Wir wollen die Gewährleistung des Lenkungseffek-
Sie haben damit wenig zu tun, denn Sie haben das tes. Es ist für uns entscheidend, etwas Effizientes für
nicht durch die Finanzpolitik erarbeitet, sondern nur die Umwelt zu tun. Wir wissen ganz genau - Kollege
über Versprechungen, die Sie nie hätten einhalten Repnik und Kollege Schäuble haben das gesagt -:
können. Damit darf keine Gefährdung des Standorts Deutsch-
land verbunden sein. Niemand würde es begreifen,
Meine Damen und Herren, die den deutschen Ar- wenn wenige Kilometer jenseits der bayerischen
beitgebern sicherlich nicht nahestehende OECD oder der baden-württembergischen Grenze in ande-
schreibt in ihrem Deutschland-Bericht ganz eindeu- ren Ländern Arbeitsplätze entstünden, weil Deutsch-
tig, die Besteuerung des Vermögens stellt eine hem- land nicht mehr wettbewerbsfähig wäre.
mende Doppelbesteuerung dar. Im gleichen Atem-
zug wird übrigens die Gewerbekapitalsteuer ge- Zu unseren Prinzipien gehört: keine Steigerung
nannt. Ich bleibe dabei: Die Vermögensteuer gehört der Steuer- und Staatsquote. Auch muß die Finanzie-
eigentlich abgeschafft. rungsfunktion des Steuersystems erhalten bleiben.
Sozial gerechte Auswirkungen müssen bedacht wer-
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) den. Darum werden wir vernünftig und pragmatisch
an eine zielgerichtete Fortentwicklung dieser Dinge
Nach einer jetzt veröffentlichten, vom Schweizer herangehen.
Weltwirtschaftsforum durchgeführten Untersuchung
liegt Deutschland zwar noch an sechster Stelle der Man muß sich über eines im klaren sein: Wenn
weltweiten Wettbewerbsfähigkeit, aber wir haben man nämlich mit Ökosteuern Soziallasten, Sozialver-
uns nicht mehr verbessert. Die USA und die Länder sicherungssysteme oder was auch immer bezahlen
4492 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 53. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. September 1995

Bundesminister Dr. Theodor Waigel


will, dann muß man dann, wenn die Ökosteuern zu- Erste Bemerkung. Sie sprachen erneut die Erhö-
rückgehen, entweder immer stärker an der Steuer- hung des Kindergeldes an. Wir sind stolz auf diese
schraube drehen oder die Sozialleistungen kürzen. Erhöhung. Da wir uns darüber streiten, wie Kollege
Das wäre die ganz logische Konsequenz. Repnik es getan hat, von wem der Vorschlag des ein-
heitlichen Kindergeldes kam, darf ich nur daran erin-
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) nern - auch die Menschen an den Fernsehern -, wer
Ich bitte Sie, darüber noch einmal sehr entschieden im Wahlkampf 1994 250 DM gefordert hat und immer
nachzudenken. dafür eingetreten ist.
(Beifall bei der SPD)
Meine Damen und Herren, übrigens trägt der
Bund auch bei dem Thema „versicherungsfremde Wenn wir jetzt zusammen 200 DM und in 1997
Leistungen" ganz erheblich zur Finanzierung der 220 DM realisieren, dann muß man feststellen, daß
Sozialversicherung bei. Die Bundesausgaben stie- das ein Fortschritt ist. Aber ich bleibe dabei: Wir
gen hier von 49 Milliarden DM in 1989 auf 93 Mil- brauchen auch in Zukunft eine stärkere Entlastung
liarden DM in 1995. Der Bundeszuschuß zur Renten- der Familien mit Kindern. Das Bisherige reicht nicht
versicherung der Arbeiter und Angestellten beträgt aus.
20 % der gesamten Rentenausgaben. Wer die Lohn-
nebenkosten senken will, muß auch in Zukunft bei Wenn Sie sagen, unser Finanzierungsvorschlag sei
den Leistungen, den Kosten und der Effizienz der So- verfassungswidrig, dann weise ich das zurück. Denn
zialversicherungen ansetzen. wir wollen eine Steuersubvention nicht beliebig än-
dern, sondern sachgerecht aus dem Splitting etwas
Anfang Oktober beginnt in Washington die zu Familien mit Kindern herüberholen. Was wir jetzt
Herbsttagung des Internationalen Währungsfonds gemacht haben, ist ein erster Schritt. Aber es bleibt
und der Weltbank. Auch die Finanzpolitik wird wie- dabei: Es darf nicht sein, daß Kinder Armutsrisiken
der im Mittelpunkt stehen. Wir stehen vor dem glo- für Familien werden.
balen Problem der Kapitalknappheit. Dazu wird eine
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne
Studie der G-10-Gruppe vorgelegt und diskutiert
ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
werden. Wir müssen alles daran setzen, daß genü-
und der PDS)
gend Kapital für Investitionen zu akzeptablen Prei-
sen bereitsteht. Darum ist Sparen unverzichtbar. Zweite Bemerkung. Wir sind in einer Zinsfalle.
Darum ist auch die zusätzliche Förderung des Spa- Übrigens, wenn wir jetzt regierten, steckten wir So-
rens bei uns sehr wichtig. Damit kann ein Beispiel für zialdemokraten genauso in der Zinsfalle.
andere gegeben werden, die Ersparnisbildung zu er-
höhen. (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Dann hätten
wir schon Konkurs anmelden müssen!)
Deutschland wird hier, ohne daß wir damit ange-
Wir werfen Ihnen vor, daß Sie uns ohne Not mit maß-
ben, Vorbild sein. Unser Rat ist gefragt. Viele andere
loser Verschuldung do rt hineingetrieben haben.
Industrieländer haben noch einen langen und steini-
Aber, Herr Waigel, gerade wenn wir fast keinen fi-
gen Weg vor sich, die öffentlichen Haushalte zu kon-
nanziellen Handlungsspielraum haben, müssen die
solidieren und das p rivate Sparen anzuregen. Wir-
Schwerpunkte richtig gesetzt werden. Dazu sage ich
werden unseren Weg weitergehen: heute die Pro-
nur - Herr Kollege Diller hat das ausgeführt -: Um-
bleme angehen, die richtige Richtung einschlagen,
welthaushalt runter, Etat für Arbeit und Arbeitsmarkt
langfristig denken und zukunftsorientierte Lösungen
-runter, Bahn- und Schieneninvestitionen runter, BA
umsetzen. So können wir Deutschland für die Pro-
föG runter
bleme des nächsten Jahrhunderts rüsten.
(Zurufe von der CDU/CSU)
Ich danke Ihnen.
und gleichzeitig Kernenergie und Verteidigungs-
(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und haushalt massiv hoch, das sind falsche Schwer-
der F.D.P.) punkte, und das müssen wir ändern.
(Beifall bei der SPD - Zurufe von der CDU/CSU)
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Um das Wort für
eine Kurzintervention hat die Kollegin Ing ri d Mat- Dritte und letzte Bemerkung. Gerade weil der
thäus-Maier gebeten. Handlungsspielraum so gering ist, müssen wir alle
miteinander umschichten. Sie müssen umschichten,
wir müssen umschichten. Deswegen begrüße ich es,
Ingrid Matthäus-Maier (SPD): Sehr geehrte Frau daß Herr Solms heute morgen gesagt hat, er halte un-
Präsidentin! Sehr geehrter Herr Finanzminister, wir seren Vorschlag für eine Ökosteuerreform für über-
erleben hier zum zweitenmal innerhalb eines Jahres legenswert. Verbohren Sie sich nicht in ein Nein!
etwas, was mich überrascht: daß Sie im Laufe der De- Wer auch immer regiert, wird die Kosten der Arbeit
batte nicht auf meine Rede eingehen, sondern die al- in diesem Lande senken müssen.
lerletzte Rede am Freitag dazu benutzen, zu argu-
mentieren und zu polemisieren. Darauf kann man (Anhaltende Zurufe von der CDU/CSU)
nicht mehr antworten. Deswegen habe ich im Rah- Deswegen: Runter mit den Arbeitlosenversiche-
men der Kurzintervention jetzt nur zwei Minuten, um rungsbeiträgen und gleichzeitig Investitionen
drei Bemerkungen zu machen. Wir werden das in
Zukunft ändern müssen. (Unruhe bei der CDU/CSU)
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 53. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. September 1995 4493
Ingrid Matthäus-Maier
- warum regen Sie sich eigentlich so auf? - im Um- um Gleichmacherei, sondern um eine den Verhält-
weltschutz und im Energieeinsparbereich rauf! Ma- nissen angepaßte Regelung.
chen Sie mit uns mit! Lassen Sie uns gemeinsam in
den nächsten Wochen beim Bundeshaushalt Um- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. -
schichtungen in Richtung Familienfreundlichkeit, Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Das ist Fami
mehr Arbeitsplätze und mehr Umweltschutz vorneh- lienpolitik!)
men. Zu dem, was der Kollege Diller hier vorgetragen
hat - das war schon starker Tobak -, möchte ich noch
Ich danke Ihnen. einmal folgendes festhalten.
(Beifall bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/ Erstens. In den ersten sechs Jahren dieser Regie-
DIE GRÜNEN) rung Helmut Kohl, also ab dem Oktober 1982 mit
dem damaligen Finanzminister Stoltenberg, war es
diese Koalition, die den Schuldenberg abgetragen
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Das Wo rt zu einer und die Staatsquote abgebaut hat. Sie hatten die
weiteren Kurzintervention hat der Kollege Repnik. Staatsquote auf über 50 % hinaufgeschraubt; wir ha-
ben sie in einem schwierigen Akt auf 46 % hinunter-
(Zurufe von der SPD) gefahren.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Hans-Peter Repnik (CDU/CSU): Es muß sein, daß Zweitens. Woher nehmen Sie eigentlich den unge-
ich nach diesem Beitrag noch etwas sage. Liebe Frau heuren Mut, angesichts der Verhältnisse in den
Kollegin Matthäus-Maier, ich hätte so kurz vor einem neuen Bundesländern und der ungeheuren Aufbau-
schönen, runden Geburtstag, den Sie morgen feiern, leistungen dieser Koalition und Deutschlands insge-
Ihnen freundlicher entgegnen wollen; aber sie geben samt auf Grund der Zinssituation den Eindruck zu
mir dazu wirklich keine Chance. erwecken, es liege an dem Finanzminister? Theo
Zunächst stelle ich noch einmal fest: Sie können im Waigel hat mit der Vorlage dieses Haushalts gezeigt,
Zusammenhang mit dem Familienleistungsaus- daß er spart. Er hat auf die internationale Situation,
gleich so oft behaupten, wie sie wollen, daß es Ihr Er- auf die Bonität Deutschlands hingewiesen.
folg sei. Gerade angesichts laufender Kameras gilt (Joseph Fischer [Frankfu rt ] [BÜNDNIS 90/
es, folgendes festzuhalten. DIE GRÜNEN]: Das sind jetzt mittlerweile
bald zehn Minuten!)
Erstens. Die SPD hatte ein einheitliches Kindergeld
von 250 DM vorgeschlagen, und dieser Vorschlag - Sie hat das Recht in Anspruch genommen zu inter-
war eindeutig verfassungswidrig. venieren; ich antworte ihr.

(Bundesminister Dr. Theodor Waigel: So ist Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Trotzdem ist Ihre
es!) Redezeit jetzt beendet.
Dieser Vorschlag war nicht umzusetzen. -
Hans-Peter Repnik (CDU/CSU): Nur noch einen
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Satz, Frau Präsidentin!

Zweitens. Dieser Vorschlag wurde im Bundesrat Wir haben staatliche Transferleistungen zum Auf-
von der Mehrzahl der SPD-Ministerpräsidenten man- bau in den neuen Ländern und zur Anpassung der
gels Masse abgelehnt. Er war nicht zu realisieren. Lebensverhältnisse von über 1 000 Milliarden DM.
Wir haben im Haushalt 1996 weit über 100 Milliarden
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - DM Transferleistungen, denen 60 Milliarden DM
Bundesminister Dr. Theodor Waigel: Ja Neuverschuldung gegenüberstehen. Dies sind doch
wohl!) die Fakten. Nehmen Sie sie zur Kenntnis. Es ist eine
solide, eine seriöse Finanzpolitik.
Drittens in diesem Zusammenhang: Wir haben ge-
sagt, daß wir diese alte sozialistische Gleichmacherei (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
nicht mitmachen, sondern versuchen, den persönli-
chen, familiären Bedürfnissen Rechnung zu tragen. Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Jetzt haben wir die
Deshalb haben wir differenzie rt . Redezeiten zwischen beiden Kurzinterventionen ge-
recht verteilt. Ich schließe damit die Debatte.
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
(Abg. Karl Diller [SPD] meldet sich zu Wo rt)
Wir haben uns heute gemeinsam für 200 DM ab dem
- Noch eine Kurzintervention? - Ich kündige jetzt an,
1. Januar 1996 für das erste und zweite Kind ent-
daß das die letzte Kurzintervention ist, weil unsere
schieden, und wir werden das Kindergeld in einer
Kollegen auf eine bestimmte Zeit eingestellt sind.
Stufenfolge auf 220 DM aufbessern. Wir haben für
Danach muß Schluß sein.
das dritte Kind 300 DM und darüber hinaus 350 DM
für jedes weitere Kind durchgesetzt - das ist unser (Dr. Hermann Otto Solms [F.D.P.]: Wieso
Vorschlag -, weil wir damit der speziellen familiären denn? Dann müssen andere auch wieder
Situation Rechnung tragen wollen. Uns geht es nicht können!)
4494 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 53. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. September 1995

Karl Diller [SPD]: Frau Präsidentin! Ich habe mich Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Der Finanzminister
zu Wo rt gemeldet, weil der Kollege Repnik eben verzichtet auf sein Recht zu antworten. Es liegen mir
wahrheitswidrig behauptet hat, die Koalition habe in keine weiteren Wortmeldungen vor.
den 80er Jahren den Schuldenberg abgebaut. Wahr-
heit ist: Bundeshaushalt und Schattenhaushalte be- Das Haushaltsgesetz 1996 und der Finanzplan
trugen 1982, im letzten Regierungsjahr der SPD, 1995 bis 1999 sollen nach § 95 der Geschäftsordnung
349 Milliarden DM. Im Jahre 1986 - um ein mittleres dem Haushaltsausschuß überwiesen werden. Sind
Jahr zu nehmen - waren sie nicht abgebaut, sondern Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann
auf 457 Milliarden DM gewachsen. sind die Überweisungen so beschlossen.

(Zurufe von der CDU/CSU: Woher haben Wir sind damit am Schluß unserer Tagesordnung.
Sie denn das? Sie machen sich Ihre Zahlen
wohl selber?) Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf Mittwoch, 20. September 1995, 13 Uhr
Im letzten Jahr der alten Republik, im Jahre 1989, ein.
sind die Ausgaben gar auf 542 Milliarden DM ge-
wachsen. Es ist wahrheitswidrig, zu behaupten, Sie Ich wünsche Ihnen ein gutes Wochenende im
hätten in den 80er Jahren den Schuldenberg abge- Wahlkreis.
baut.
Die Sitzung ist geschlossen.
(Beifall bei der SPD - Zuruf von der CDU/
CSU: Es ging um die Staatsquote!) (Schluß der Sitzung: 11.11 Uhr)
Deutscher Bundestag - 13. Wahlpe riode - 53. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. September 1995 4495'

Anlagen zum Stenographischen Bericht

Anlage 1
Abgeordnete(r) entschuldigt bis
Liste der entschuldigten Abgeordneten einschließlich
Schewe-Gerigk, BÜNDNIS 8.9.95
Abgeordnete(r)
entschuldigt bis Irmingard 90/DIE
einschließlich GRÜNEN
Schlee, Dietmar CDU/CSU 8. 9. 95
Adler, Brigitte SPD 8. 9. 95
Schmidt (Aachen), Ursula SPD 8. 9. 95
Beck (Bremen), BÜNDNIS 8. 9. 95
Marieluise 90/DIE Schmidt-Zadel, Regina SPD 8. 9. 95
GRÜNEN Schmitt (Langenfeld), BÜNDNIS 8. 9. 95
Büttner (Ingolstadt), SPD 8. 9. 95 Wolfgang 90/DIE
Hans GRÜNEN
Feilcke, Jochen CDU/CSU 8. 9. 95 Schönberger, Ursula BÜNDNIS 8. 9. 95
90/DIE
Fischer (Unna), Leni CDU/CSU 8. 9. 95 GRÜNEN
Frick, Gisela F.D.P. 8. 9. 95 Schultz (Everswinkel), SPD 8. 9. 95
Graf (Friesoythe), SPD 8. 9.95 Reinhard
Günter Dr. Schwaetzer, Irmgard F.D.P. 8. 9. 95
Grießhaber, Rita BÜNDNIS 8. 9. 95 Simm, Erika SPD 8. 9. 95
90/DIE
GRÜNEN Späte, Margarete CDU/CSU 8. 9.95
Hempelmann, Rolf SPD 8. 9. 95 Dr. Stadtler, Max F.D.P. 8. 9. 95
Heym, Stefan PDS 8. 9. 95 Stübgen, Michael CDU/CSU 8. 9. 95
Hörsken, Heinz-Adolf CDU/CSU 8. 9. 95 Thiele, Carl-Ludwig F.D.P. 8. 9. 95
Hoffmann (Chemnitz), SPD 8. 9. 95 Tröscher, Adelheid SPD 8. 9. 95
Jelena Vosen, Josef SPD 8. 9. 95
Dr. Jobst, Dionys CDU/CSU 8. 9. 95 Wettig-Danielmeier, Inge SPD 8. 9. 95
Dr. Jork, Rainer CDU/CSU 8. 9. 95 Wieczorek-Zeul, SPD 8.9.95
Dr. Knake-Werner, Heidi PDS 8. 9. 95 Heidemarie
Dr. Köster-Loßack, BÜNDNIS 8. 9. 95
Angelika 90/DIE
Anlage 2
GRÜNEN
Dr. Kohl, Helmut CDU/CSU 8. 9. 95 - Amtliche Mitteilungen
Leidinger, Robert SPD 8. 9. 95 Der Bundesrat hat in seiner 687. Sitzung am 14. Juli 1995
beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zuzustimmen bzw.
Lemke, Steffi BÜNDNIS 8. 9. 95 einen Antrag gemäß § 77 Abs. 2 GG nicht zu stellen:
90/DIE - Siebzehntes Gesetz zur Änderung des Bundesausbildungs-
GRÜNEN förderungsgesetzes (17. BAföGÄndG)
Lengsfeld, Vera BÜNDNIS 8. 9. 95 - Zweites Gesetz zur Änderung des Tierseuchengesetzes
90/DIE - Gesetz zur Anpassung arbeitsrechtlicher Bestimmungen an
GRÜNEN das EG-Recht
Lohmann (Witten), SPD 8. 9. 95 - Gesetz zu dem Abkommen vom 14. Juli 1994 zwischen der
Klaus Bundesrepublik Deutschland und der Islamischen Republik
Pakistan zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem
Lotz, Erika SPD 8. 9. 95 Gebiet der Steuern vom Einkommen
Lüth, Heidemarie PDS 8. 9. 95 - Gesetz zu dem Abkommen vom 22. August 1994 zwischen
der Bundesrepublik Deutschland und der Mongolei zur
Mattischeck, Heide SPD 8. 9. 95 Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der
Möllemann, Jürgen W F.D.P. 8. 9. 95 Steuern vom Einkommen und vom Vermögen
Neuhäuser, Rosel PDS 8. 9. 95 - Gesetz zu dem Protokoll Nr. 11 vom 11. Mai 1994 zur Kon-
vention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfrei-
Neumann (Berlin), Kurt SPD 8. 9. 95 heiten
Dr. Protzner, Bernd CDU/CSU 8. 9. 95 - Schwangeren- und Familienhilfeänderungsgesetz (SFHÄndG)
Saibold, Halo BÜNDNIS 8. 9. 95 - Gesetz zur Änderung wehrpflichtrechtlicher, soldatenrecht-
90/DIE licher, beamtenrechtlicher und anderer Vorschriften
GRÜNEN - Erstes Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die elektro
magnetische Verträglichkeit von Geräten (1. EMVGÄndG)
Schätzle, Ortrun CDU/CSU 8. 9. 95
- Gesetz über die humanitäre Hilfe für durch Blutprodukte
Schaich-Walch, Gudrun SPD 8. 9. 95 HIV-infizierte Personen (HIV-Hilfegesetz - HIVHG)
Schenk, Christa PDS 8. 9. 95 - Gesetz zur Änderung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes
4496* Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 53. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. September 1995

Zu den beiden letztgenannten Gesetzen hat der Bundesrat - Werden weitere Maßnahmen (z. B. Emissionsbegren-
die folgenden Entschließungen gefaßt: zungen im Anlagenbereich von Industrie und Gewer-
Zum Gesetz über die humanitäre Hilfe für durch Blutpro- be, Minderung der Lösemittelemissionen durch Pro-
dukte HIV-infizierte Personen (HIV-Hilfegesetz - HIVHG): dukte, weitere Emissionsbegrenzungen an Kraftfahr-
zeugen) für erforderlich gehalten, um die Emissionen
Der Bundesrat forde rt die Bundesregierung auf, kurzfri- der Ozonvorläufersubstanzen weiter zu senken?
stig einen Gesetzentwurf zur Verbesserung der Haftung
nach dem Arzneimittelgesetz auf der Grundlage des Be- Die Bundesregierung wird gebeten, durch jährliche Zwi-
richtes des 3. Untersuchungsausschusses des 12. Bundes- schenberichte bis jeweils zum 31. Dezember über die ak-
tages vorzulegen. Dabei sind folgende Eckpunkte zu be- tuellen Erkenntnisse aus diesem Begleitprogramm zu in-
rücksichtigen: formieren.
- Einbeziehung der sekundär, aber „unmittelbar" an ei- Begründung:
genen Rechtsgütern Geschädigten in § 84 Satz 1 AMG, Mit der Befristung des Ozongesetzes bis zum 31. De-
- Erleichterung der Beweisführung und/oder der Be- zember 1999 wird der Versuchscharakter dieses Gesetzes
weislast für die Kausalität der Rechtsgutverletzung dokumentiert. Um die Regelungen dieses Gesetzes ggf.
durch Arzneimittel in § 84 Satz 1 AMG, zu ergänzen oder fortzuschreiben, ist es erforderlich,
durch ein wissenschaftliches Begleitprogramm die einge-
- Einführung einer Entschädigungsregelung („Fonds- leiteten Maßnahmen zu untersuchen und zu bewe rten.
lösung") in Fällen ungeklärter Kausalität bei der Ein- Eine hohe Vergleichbarkeit der Erkenntnisse aus den
nahme mehrerer Arzneimittel und beim Fehlen einer einzelnen Ozonepisoden in den Ländern kann nur durch
Arzneimittelzulassung und/oder Deckungsvorsorge, ein bundeseinheitlich und zentral durchgeführtes Be-
- Erleichterung des Kausalitätsnachweises bzw. Ent- gleitprogramm erreicht werden.
schädigungsregelung („Fondslösung") bei Langzeit- Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitge-
schäden von Arzneimitteln, teilt, daß der Ausschuß die nachstehenden EU-Vorlagen bzw.
- Umkehr der Beweislast für die „Unvertretbarkeit" der Unterrichtungen durch das Europäische Parlament zur Kennt-
schädlichen Arzneimittelwirkungen zugunsten des nis genommen oder von einer Beratung abgesehen hat:
Verletzten, Auswärtiger Ausschuß
- Erhöhung der Höchstbeträge in § 88 AMG, Drucksache 13/44
- Erweiterung der Schadenshaftung auf immaterielle Innenausschuß
Schäden (Schmerzensgeld) in § 86 bzw. § 87 AMG.
Drucksache 13/765, Nr. 1.1
Ein besserer Schadensausgleich für Arzneimittelgeschä-
digte ist humanitären Hilfelösungen mit überwiegend Finanzausschuß
staatlicher Kostentragung vorzuziehen. Drucksache 13/1234, Nr. 1.9
Zum Gesetz zur Änderung des Bundes-Immissionsschutzge- Drucksache 13/1234, Nr. 1.12
setzes:
Drucksache 13/1234, Nr. 1.19
Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, in Ergänzung
zu diesem Gesetz die Anstrengungen zur Umsetzung Haushaltsausschuß
langfristig wirksamer Ozonminderungsmaßnahmen auf Drucksache 13/1338, Nr. 2.8
nationaler und internationaler Ebene zu forcieren.
Ausschuß für Wirtschaft
Weiterhin bittet der Bundesrat die Bundesregierung, un-
ter Einbeziehung bereits existierender Erkenntnisse Drucksache 13/725, Nr. 83
(z. B. Ozonversuch Heilbronn/Neckarsulm, Aktionspro- Drucksache 13/725, Nr. 84
gramm und Maßnahmenplan Ozon) eine zentrale Stelle
zu beauftragen, ein wissenschaftliches Begleitprogramm Drucksache 13/725, Nr. 86
zur Untersuchung der mit den temporären und langfristi- Drucksache 13/725, Nr. 87
gen Maßnahmen erreichten Ozonminderungserfolge Drucksache 13/725, Nr. 88
durchzuführen und daraus den Bedarf weiterer Regelun-
gen abzuleiten. Drucksache 13/725, Nr. 89
Insbesondere sollten folgende Fragestellungen beant- Drucksache 13/725, Nr. 101
wortet werden: Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
- Haben sich die Regelungen des Ozongesetzes in der Drucksache 13/218, Nr. 88
Praxis bewährt und durch welche Regelungen sollte
das Gesetz ggf. ergänzt bzw. fortgeschrieben werden, Drucksache 13/614, Nr. 3.1
um bis zum Greifen der langfristigen Maßnahmen die Drucksache 13/725, Nr. 138
Ozonspitzenkonzentrationen zu senken?
Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Tech-
- Welche Emissionsminderungen bei den Vorläufersub- nologie und Technikfolgenabschätzung
stanzen wurden während einzelner Ozonepisoden
durch die eingeleiteten temporären Maßnahmen er- Drucksache 13/1799, Nr. 2.9
zielt und welche Immissionsminderungen bei Ozon re- Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen
sultierten daraus? Union
- In welchem Umfang wurden Ausnahmeregelungen für Drucksache 13/1338, Nr. 1.7
nicht schadstoffarme Kraftfahrzeuge in Anspruch ge-
nommen und welche Probleme gab es dabei? Drucksache 13/478, Nr. 1.3
- Welche Resonanz fanden die Appelle zur Nichtbenut- Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
zung von Kraftfahrzeugen? Drucksache 13/343, Nr. 2.3
-- Welche Akzeptanz fanden die ausgesprochenen Ver- Drucksache 13/343, Nr. 2.5
kehrsverbote bei der Bevölkerung?
Drucksache 13/343, Nr. 2.7
Darüber hinaus wird die Beanwortung folgender Fragen
für erforderlich gehalten: Drucksache 13/343, Nr. 2.10

- Welche Emissionsminderungen bei den Vorläufersub- Drucksache 13/343, Nr. 2.13


stanzen und welche Immissionsminderungen bei Ozon Drucksache 13/343, Nr. 2.24
resultieren aus den eingeleiteten langfristigen Maß-
Drucksache 13/765, Nr. 1.8
nahmen und wie sind diese im Vergleich zu den tempo-
rären Maßnahmen zu bewe rten? Drucksache 13/765, Nr. 1.10
Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode -- 53. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. September 1995 4497*

Drucksache 13/765, Nr. 1.11 bis 1.15


Drucksache 13/765, Nr. 1.18
Drucksache 13/765, Nr. 1.19
Drucksache 13/1096, Nr. 2.2
Drucksache 13/1096, Nr. 2.13
Drucksache 13/1096, Nr. 2.14
Drucksache 13/1096, Nr. 2.18
Drucksache 13/1234, Nr. 1.4
Drucksache 13/1234, Nr. 1.5
Drucksache 13/1234, Nr. 1.13
Drucksache 13/1338, Nr. 2.5
Drucksache 13/1338, Nr. 2.7
Drucksache 13/1338, Nr. 2.10
Drucksache 13/1338, Nr. 2.11
Drucksache 13/1338, Nr. 2.14
Drucksache 13/1338, Nr. 2.16
Drucksache 13/1442, Nr. 1.1
Drucksache 13/725, Nr. 45
Drucksache 13/725, Nr. 105 bis 131
Drucksache 13/614, Nr. 2.1 bis 2.6
Drucksache 13/614, Nr. 2.9
Drucksache 13/614, Nr. 2.12 bis 2.14
4498* Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 53. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. September 1995

Das könnte Ihnen auch gefallen