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Deutscher Bundestag

41. Sitzung

Bonn, den 12. Oktober 1962

Inhalt:

Aussprache über die Erklärung der Bundes-


regierung
Majonica .(CDU/CSU) . . . . . 1747 A
Wehner (SPD) . . . . 1751 A, 1784 B
Dr. Adenauer, Bundeskanzler . . . 1759 D
Döring (Düsseldorf) (FDP) . . . . 1761 B
Freiherr zu Guttenberg (CDU/CSU) 1763 D
Dr. Schröder, Bundesminister . . 1770 A
Erler (SPD) 1773 B
Dr. Gradl (CDU/CSU) 1780 C
Wacher (CDU/CSU) 1784 B

Zur GO
Schmitt-Vockenhausen (SPD) . . . 1786 C

Antrag der Fraktion der SPD betr. Über-


brückungszulage für die Beamten und Ver-
sorgungsempfänger des Bundes (Druck-
sache IV/509) 1786 C

Nächste Sitzung 1786 D

Anlagen 1787
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. Oktober 1962 1747

41. Sitzung

Bonn, den 12. Oktober 1962

Stenographischer Bericht Ich meine, diese Gemeinsamkeit besteht auch —


ich darf das offiziell anerkennen — in dem Ziele,
ein gemeinsames größeres Europa zu schaffen. Aber
Beginn: 9.02 Uhr
vielleicht, meine Damen und Herren von der sozial-
demokratischen Fraktion, wären wir in der Errei-
Vizepräsident Dr. Jaeger: Die Sitzung ist er- chung dieses Zieles, ein gemeinsames Europa zu
öffnet. schaffen, schon weiter, wenn Sie früher Ihre Oppo-
Folgende amtliche Mitteilung wird ohne Verle- sition gegen diese Europapolitik aufgegeben hätten.
sung in den Stenographischen Bericht aufgenom- (Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Erler:
men: Darf ich eine Zwischenfrage stellen?)
Der Abgeordnete Rehs hat erklärt, er betrachte seine Frage III
aus Drucksache IV/537 als erledigt. Eine Veröffentlichung einer
Antwort zu dieser Frage entfällt. Vizepräsident Dr. Jaeger: Herr Abgeordne-
Meine Damen und Herren, wir fahren iii der ter Majonica, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Tagesordnung der gestrigen Sitzung fort. Ich darf Herrn Abgeordneten Erler?
daran erinnern, daß interfraktionell vereinbart ist,
die Punkte 5 und folgende der Tagesordnung zu Majonica (CDU/CSU) : Ja, ich gestatte sie.
behandeln, falls sich dazu im Laufe der Sitzung
noch die Zeit ergibt. Vorerst fahren wir fort mit der Erler (SPD) : Hat eigentlich die Sozialdemokra-
tische Partei oder Ihr Koalitionspartner, die Freie
Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung.
Demokratische Partei, dem Vertrag über die Euro-
Das Wort hat der Abgeordnete Majonica. päische Wirtschaftsgemeinschaft zugestimmt?
Majonica (CDU/CSU) : Herr Präsident! Meine
Majonica (CDU/CSU) : Aber Herr Kollege Erler,
Damen und Herren! Der Herr Kollege Ollenhauer
in den entscheidenden Jahren, wo wir Europa auf-
hat gestern in seiner Rede in der Aussprache über
bauten, wo es um die Europäische Verteidigungs-
die Erklärung des Herrn Bundeskanzlers die Ge-
gemeinschaft ging, da sind Sie es gewesen, die den
meinsamkeit beschworen, die Gemeinsamkeit in
Sand ins Getriebe gestreut haben!
der Verantwortung und die Sachlichkeit in der Aus-
einandersetzung in der Politik. Ich nehme an, daß (Beifall bei der CDU/CSU.)
der Herr Kollege Wehner, der gleich nach mir Ich meine, daß wir in der Europapolitik sogar
spricht, auch von der Gemeinsamkeit, auch von der schon — wenigstens teilweise — zu einer Gemein-
Sachlichkeit sprechen wird. Aber ich habe leider samkeit hinsichtlich der Methodik gekommen sind.
den Eindruck, daß die Rede des Herrn Kollegen Ich war sehr erstaunt, 'aber auch sehr erfreut, als
Ollenhauer gestern weder der Sachlichkeit noch der der Herr Kollege Wehner vor einiger Zeit in einem
Gemeinsamkeit in der Politik gedient hat.
Rundfunkvortrag, der sich im wesentlichen an die
(Zustimmung bei der CDU/CSU.) Zone richtete, sagte, daß zwischen nationaler deut-
Wir von der Christlich-Demokratischen Union scher Politik und europäischer Politik kein Wider-
und der Christlich-Sozialen Union wollen diese Ge- spruch bestehe, daß wir im Gegenteil nur dann zur
meinsamkeit in außenpolitischen Fragen, und ich Wiedervereinigung kommen würden, wenn das
bin der Meinung, meine Damen und Herren, daß über Europa und über die Partnerschaft mit den
wir auf wesentlichen Gebieten, vor allen Dingen Vereinigten Staaten gehe.
hinsichtlich der Ziele, die wir uns in unserer Au- (Abg. Dr. Barzel: Das hat aber zwölf Jahre
ßenpolitik gesetzt haben, diese Gemeinsamkeit gedauert!)
heute schon erreicht haben. Gemeinsam miteinan-
Ich muß sagen, daß ich mich über diesen Satz sehr
der fordern wir das Selbstbestimmungsrecht des
gefreut habe. Aber ich muß Ihnen gleichzeitig sagen:
deutschen Volkes, fordern wir die Freiheit auch für
das deutsche Volk, und bis wir das erreicht haben, Wie sind wir für diese Konzeption in den vergan-
bis auf Grund der Selbstbestimmung die Wieder- genen Jahren geprügelt worden?!
vereinigung erreicht ist, wollen wir Berlin als ein (Abg. Dr. Barzel: Sehr richtig!)
lebendigen Bestandteil unseres Volkes halten. Wie oft hat man uns vorgeworfen, wir vergäßen
(Beifall bei der CDU/CSU.) Deutschland, wir vergäßen die Einheit Deutschlands
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Majonica
über unsere Europa-Politik. Wir freuen uns nun, sung entmutigen lassen. Selbstverständlich kann
daß auch bei Ihnen die Erkenntnis sich Bahn ge- aber ein solcher Ausgleich mit dem Osten, den wir
brochen hat, daß unsere Europa-Politik in der Ver- anstreben, nicht mit der Aufgabe deutscher Lebens-
gangenheit immer ein Teil unserer aktiven Ostpoli- rechte erkauft werden. Das ist einfach eine Unmög-
tik gewesen ist, daß wir gerade in unserer Europa- lichkeit.
Politik einen Teil unserer aktiven Ostpolitik ge- (Beifall bei der CDU/CSU.)
sehen haben, und ich meine, daß es richtig war, Wir dürfen deshalb feststellen, daß wir in die-
Europa-Politik als Teil der aktiven Ostpolitik zu sem Hohen Hause in wesentlichen Zielen der deut-
sehen. Das zeigt die Reaktion des gesamten Ost- schen Außenpolitik einig sind. Es wäre gut, wenn
blocks auf die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft. wir das auch im Weg, auch in der Methode wären.
Hier ging es von den Schimpfkanonaden zu Anfang, Die Stellung jedes deutschen Unterhändlers bei in-
als man die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft ternationalen Verhandlungen wäre stärker, wenn
durchgesetzt hatte, als sie Realität wurde, bis zu hinter ihm alle lebendigen Kräfte des deutschen
jener Konferenz der 23 kommunistischen Parteien in Volkes stünden.
Moskau, die sich in einer sehr differenzierten Art
und Weise mit der Europäischen Wirtschaftsgemein- Ich bin mit dem Kollegen Ollenhauer der
schaft auseinandergesetzt und damit deutlich gezeigt Meinung, daß eine derartige Gemeinsamkeit keine
haben, daß diese Europäische Wirtschaftsgemein- Verdächtigung verträgt. Herr Kollege Ollenhauer
schaft heute eine Realität für den Ostblock gewor- hat gestern in diesem Hohen Hause erklärt — ich
den ist, mit der er zu rechnen hat. darf das einmal wörtlich zitieren —:

Ich meine aber vor allem auch, daß sich diese Wir sollten aber endlich die Auseinanderset-
aktive Ostpolitik, betrieben durch unsere Europa- zung über solche Meinungsverschiedenheiten
Politik, in der deutsch-französischen Zusammen- nicht immer wieder benutzen, um mit Zweifeln
arbeit, in der deutsch-französischen Freundschaft ge- oder Verdächtigungen über die Klarheit und die
zeigt hat. Frankreich hat eine traditionsgemäß gute Zuverlässigkeit der grundsätzlichen Einstellung
Resonanz in den Ländern und bei den Völkern Mit- zu arbeiten.
tel- und Osteuropas. Der Besuch des französischen Ich darf Ihnen sagen, Herr Kollege Ollenhauer: ich
Staatspräsidenten de Gaulle, sein Auftreten hier in unterschreibe jedes Wort, das Sie hier gesagt haben.
der Bundesrepublik, hat doch gezeigt, daß er dem Aber ich darf Sie fragen: Wie verträgt sich das da-
Zerrbild entgegengewirkt hat, das die kommunisti- mit, daß Sie, Herr Kollege Ollenhauer, wenig spä-
sche Propaganda in den Ostblockstaaten von der ter gerügt haben, daß der Bundeskanzler in seiner
Bundesrepublik gibt, das diese kommunistische Pro- Regierungserklärung kein Wort über die Größe des
paganda uns immer und immer wieder zuschreibt. Risikos gesagt habe, das die Vereinigten Staaten I
Denn es hat sich auch bei den Völkern Mittel- und und die Verbündeten für Berlin, für uns alle ein
Osteuropas herumgesprochen — vor allem auch bei gegangen seien, und darüber, daß die Bundesrepu-
dem polnischen Volke —, daß de Gaulle die Seele blik bereit sei, dieses Risiko mit allen seinen Kon-
des französischen Widerstandes im zweiten Welt- sequenzen zu teilen? Ist das nicht eine Unterstel-
krieg gewesen ist, und wenn dieser Staatspräsident lung, die Sie hier vorgenommen haben? Ist das nicht
so zum deutschen Volke spricht, dann kann dieses eine Verdächtigung, der Bundeskanzler habe etwa
neue Deutschland nicht revanchistisch, militaristisch, absichtlich diese Worte ausgelassen, um uns an die-
faschistisch sein, wie das die Ostpropaganda gerade sem Risiko vorbeizudrücken? Ist das nicht ein Zwei-
in den Satellitenstaaten immer und immer wieder fel in unsere Bündnistreue, der nicht erlaubt ist?
von uns behauptet. Ich meine, daß die offizielle Ist das nicht ein Zweifel in die Bündnistreue der
Reaktion, die wir in Polen erlebt haben, jene harte Bundesregierung und der sie tragenden Mehrheit,
Rede des polnischen Ministerpräsidenten Cyrankie- Zweifel in die Treue zu einem Bündnis, das doch
wicz, ein unmittelbarer Beweis dafür war, wie sehr schließlich wir gegen den erbitterten Widerstand der
die deutsch-französische Aussöhnung gerade bei deutschen Sozialdemokraten geschaffen haben?
dem polnischen Volke gewirkt hat, und ich meine, (Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Dr.
daß wir uns gerade aus der deutsch-französischen Heck: Das wollen sie gerade vergessen
Zusammenarbeit für die Zukunft viel für unsere machen!)
Ostpolitik, für die Resonanz, die auch das deutsche Wir haben die Verträge abgeschlossen, die die
Volk in den mittel- und osteuropäischen Staaten fin- Garantie für Berlin enthalten. Wir haben den Ein-
det, versprechen dürfen. tritt der Bundesrepublik in die NATO durchgesetzt,
In diesem Zusammenhang sollten wir dem Herrn die NATO, die das Instrument ist, um Berlin und
Bundeskanzler Dank sagen. Er ist auf deutscher die Bundesrepublik frei zu erhalten. Es ist selbst-
Seite der Baumeister dieser deutsch-französischen verständlicher Sinn jedes Bündnisses, daß das ge-
Freundschaft gewesen, meinsame Risiko gemeinsam getragen wird. Ich-
(Beifall bei den Regierungsparteien) . möchte Ihnen hier ganz deutlich und ganz nach-
drücklich sagen: Wir stehen für die Freiheit von
einer deutsch-französischen Freundschaft, die uns Washington und San Franzisko, London und Paris,
unmittelbar helfen wird, auch in ein gutes Nach- so wie wir für die Freiheit von Berlin stehen.
barschaftsverhältnis zu unseren östlichen Nachbarn
zu kommen. Dieses gute Nachbarschaftsverhältnis (Beifall bei der CDU/CSU.)
zu unseren östlichen Nachbarn wollen wir errei- Wir begrüßen es, daß sich die SPD zur NATO be-
chen. Wir werden uns dabei durch keine Abwei kennt. Das stärkt dieses Bündnis sicherlich. Aber ich
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Majonica
meine doch, daß es ein schlechter Stil ist, daß Sie selbe, was uns auch in diesen Noten von der So-
uns jetzt die Rolle zudiktieren wollen, die Sie jahre- wjetunion für die deutsche Politik vorgeschlagen
lang in diesem Hause gespielt haben. ist.
(Beifall bei der CDU/CSU.) Ich meine, daß angesichts einer solchen Haltung
der Sowjetunion in der deutschen Frage und in der
Herr Kollege Ollenhauer, Sie haben gestern von
Berlin-Frage durch die Ausweitung der Verhand-
unverantwortlicher Diffamierung durch den Herrn
lungspartner über die deutsche Frage nichts ge-
Bundeskanzler gesprochen, als er Initiativen um ändert wird; dadurch wird die Interessenlage der
der Geschäftigkeit willen ablehnte. Herr Dr. von Großmächte nicht berührt und nicht verändert. Wir
Brentano hat gestern schon zu diesem Punkt Stel- haben doch schließlich Erfahrungen mit der Genfer
lung genommen. Ich darf noch einiges hinzufügen. Abrüstungskonferenz. Auch dort ist man zu einer
Ich meine doch, Herr Kollege Ollenhauer, daß Sie Ausweitung der Teilnehmer dieser Konferenz ge-
im Hinblick auf manche Ihrer Initiativen froh sind, kommen, ohne daß der moralische Druck, der doch
daß wir uns nicht an ihnen beteiligt haben. Meine offensichtlich von den Neutralen ausgehen sollte,
Damen und Herren, Sie hätten doch den Deutsch- irgendwie zu einer Änderung der Politik der So-
landplan nicht so sang- und klanglos beerdigen kön- wjetunion in der Abrüstungsfrage geführt hat.
nen, wenn wir uns damals mit Ihnen geirrt hätten. Durch Prozedurfragen ändert man keine Politik.
(Beifall bei der CDU/CSU.) Prozedurfragen ersetzen vor allen Dingen keine
Politik. Ich muß sagen, ich finde es recht merkwür-
Denn damit wäre damals dieser Deutschlandplan
dig, wenn im Zusammenhang mit einer großen
zu einem Element der deutschen Politik geworden. Friedenskonferenz von fünfzig, sechzig oder wie-
Ich begrüße es sehr, daß der Herr Kollege Ollen- viel Teilnehmern — das weiß man nicht ganz genau
hauer gestern eine Friedenskonferenz über Deutsch- — geäußert wurde, auf einer derartigen Konferenz
land nicht befürwortet hat. Aber er hat sich ein könne ja dann die Sowjetunion überstimmt werden
wenig in der Zeit geirrt, als er sagte, daß das Pro- und ihr damit der deutsche Standpunkt aufgezwun-
jekte des vergangenen Jahres gewesen seien, die gen werden. Nun, ich meine, meine Damen und
keine Aktualität mehr hätten. Nun, meine Damen Herren, daß auf einer solchen Konferenz Mehrheits-
und Herren, Sie erinnern sich sehr gut daran, daß beschlüsse witzlos sind, wenn die Sowjetunion die-
vor wenigen Wochen die Führungsgremien der SPD sen Mehrheitsbeschlüssen nicht zustimmt. Denn daß
in Berlin diese große Friedenskonferenz gefordert diese einfach und — —
haben; und schließlich ist auch der Vorsitzende die- (Abg. Erler: Wer hat denn so kindische Ge-
ser Führungsgremien in Berlin Ihr Kanzlerkandidat danken geäußert von Abstimmungen auf
und Ihr stellvertretender Parteivorsitzender. Ich einer Friedenskonferenz?)
meine, daß damit diese Aktivität nicht so in der
— Lesen Sie bitte einmal das Gespräch, das Herr
Vergangenheit gelegen hat, wie Sie uns das gern
sagen wollten. Dr. Mommer mit Herrn Staatssekretär Carstens vor
dem Deutschen Fernsehen geführt hat; dann wer-
Aber wir sind erfreut, sehr erfreut, daß wir uns den Sie diese merkwürdigen Feststellungen in die-
heute darüber einig sind, daß eine derartige Initia- sem Gespräch finden, Herr Kollege Erler. Man sollte
tive im Augenblick gefährlich wäre, daß sie ge- viel mehr lesen, dann weiß man diese Dinge.
fährlich wäre angesichts einer unveränderten Hal-
tung der sowjetischen Politik, die auf die Vernich- (Beifall und Heiterkeit bei der CDU/CSU.
— Abg. Erler: Vielen Dank, Herr Muster-
tung des freien Berlin gerichtet ist und die Auf-
schüler!)
rechterhaltung der Spaltung unseres Vaterlandes
will. Die Sowjetunion hat übrigens von Anfang an — Danke schön, danke schön; ich komme gleich
auf diese Spaltung gesetzt. Sie war immer nur dann noch auf den Schüler, und ich freue mich schon
bereit, der Wiedervereinigung zuzustimmen, wenn jetzt, wenn ich Zensuren bekomme, Herr Erler.
das die Bolschewisierung ganz Deutschlands bedeu- Ich finde also, daß eine Konferenz nicht die Macht
tet hätte. Ich bin der Meinung, daß daran auch hat, die Sowjetunion zu einer Haltung zu zwingen,
nichts ändern die so oft zitierten und leider so sel- und ich bin daher der Meinung, daß wir von vorn-
ten gelesenen Noten der Jahre 1952 und 1953. In herein mit einem Scheitern dieser Konferenz zu
diesen Noten rechnen haben, aber doch mit der Folge, daß durch
(Zuruf von der SPD) die erneute Teilnahme Pankows auf einer derarti-
gen internationalen Friedenskonferenz Pankow er-
— ich habe sie sorgfältig gelesen, Herr Kollege,
neut aufgewertet worden ist, und vor allen Dingen
Sie können sich darauf verlassen — wurde doch
doch mit der Folge, daß die Viermächteverantwor-
kein anderes Rezept angeboten als das, nach dem
tung auf diese Konferenz übergegangen ist und da-
alle Staaten hinter dem Eisernen Vorhang bolsche-
mit untergegangen ist. Ich bin der Meinung, daß
wisiert worden sind.
wir unter allen Umständen an dieser Viermächte--
(Zustimmung bei der CDU/CSU.) verantwortung für Deutschland festhalten müssen.
Auch dort sollte zunächst eine provisorische Regie- Wir dürfen sie nicht aufgeben, denn durch sie allein
rung gebildet werden unter Beteiligung der Kom- können wir zur Wiedervereinigung unseres Vater-
munisten und der kommunistischen Massenorgani- landes kommen. Wir dürfen vor allen Dingen die
sationen; sie hatte dann die freiheitlichen Kräfte Sowjets nicht mit leichter Hand aus dieser Vier-
zu liquidieren, und am Schluß sollte als reine Farce mächteverantwortung entlassen.
eine sogenannte Wahl stattfinden. Das ist doch das (Zustimmung bei der CDU/CSU.)
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Majonica
Auch wir streben einen Friedensvertrag an, ja Argumente ausbreiten. Ich finde es dann unfair,
wir dürfen sagen, daß ein Friedensvertrag ein we- wenn man diese 'Frage hier im Plenum des Deut-
sentliches Ziel der deutschen Außenpolitik ist, Ein schen Bundestages zur Debatte stellt, obwohl man
Friedensvertrag mit einem Deutschland würde die weiß, daß die Regierung auf diese Frage nicht offen
Wiedervereinigung zur Folge haben, die Mauern in antworten kann.
Berlin und an der Zonengrenze zum Verschwinden
(Beifall bei der CDU/CSU.)
bringen, die unerträglichen Morde hörten auf. Das
streben auch wir an. Aber es muß eben e i n Frie- Herr .Ollenhauer, ,Sie haben gestern davon gespro-
densvertrag mit einem Deutschland sein. chen, daß die deutsche Frage ja sowieso vor 'den
Vereinten Nationen erörtert werde. Nun, ich meine,
(Beifall bei den Regierungsparteien.) es ist ,etwas anderes, ob sie in Diskussionsbeiträgen
Ich stimme der gestern geäußerten Meinung des dort erörtert wird oder ob sie dort ein offizieller
Herrn Kollegen Mende zu, der wiederum die Vier- Tagesordnungspunkt ist.
mächtekonferenz über die deutsche Frage gefordert Ich darf dazu sagen, daß wir selbstverständlich
hat. Daß die Sowjetunion diese Viermächtekonfe- allen jenen Dank sagen, die für den deutschen
renz abgelehnt hat, sollte uns nicht daran hindern, Standpunkt vor den Vereinten Nationen eingetreten
imerund wiseVrmächtkonf- sind. Unser besonderer Dank gilt dem englischen
renz vorzuschlagen. Manchmal sollten wir uns an Außenminister Lord Home, der in ausgezeichneter
der Hartnäckigkeit der Sowjetunion ein Beispiel Weise unseren Standpunkt vertreten hat.
nehmen, zumal wenn es sich -um eine so gute und
gerechte Sache handelt, wie wir sie in der deutschen (Beifall bei den Regierungspartien und bei
Frage vertreten. Abgeordneten der SPD.)

Ich schließe mich dem Dank des Kollegen Ollen- Herr Kollege Ollenhauer, wenn ich mir diese Aus-
einandersetzung mit Ihnen und die Initiativen, die
hauer an, den er gestern dem Kuratorium Unteil-
Sie gefordert und vorgeschlagen haben, ansehe, muß
bares Deutschland ausgesprochen hat. Niemand hat
ich sagen: die von Ihnen vorgeschlagenen Initiati-
behauptet, Herr Kollege Ollenhauer, daß das eine
ven entpuppen sich bei näherem Zusehen so, daß es
Geschäftigkeit, eine Initiative um der Geschäftigkeit
überhaupt keine echten Initiativen sind.
willen gewesen sei. Das ist eine reine Unterstellung.
Wir haben diese Aktion unterstützt, und Herr Kol- Sie haben gestern auch kritisiert, daß der Herr
lege Gradl von meiner Fraktion hat sich an ihr be- Bundeskanzler nicht von der Entwicklungshilfe ge-
teiligt. Wir begrüßen auch, daß die Bundesregierung sprochen habe. Ich habe den Eindruck, die Regierung
ein Weißbuch über den Terror an der Mauer veröf- zieht es auf diesem Gebiet vor zu handeln. Auch die
fentlicht hat. SPD weiß, welch großen Anteil wir zu der Entwick-
lungshilfe der westlichen, der freien Welt beitragen.
Vor allen Dingen begrüßen wir es, daß die Bun-
Sie weiß, was auf dem Gebiet der Entwicklungshilfe
desregierung viele ausländische Besucher an die in der Vergangenheit aufgebaut und geleistet wor-
Mauer geführt hat. Ich bin der Meinung, daß gerade den ist. Sie weiß vor allen Dingen auch, mit welch
das persönliche Erlebnis an der Mauer das Eindring- großer Hingabe sich gerade Bundesminister Scheel
lichste ist, das Nachhaltigste, das am deutlichsten dieser Aufgabe widmet. Ich meine, dann braucht
zeigt, welches Unrecht hier 'Berlin und dem deut- man nicht zu kritisieren, daß eine so offensicht-
schen Volke zugefügt worden ist. Herr Ulbricht hat liche Tatsache in der Regierungserklärung nicht
sich durch diese Mauer ein Denkmal der 'Schande irgendwie berührt worden ist.
gesetzt, und die 'Sowjetunion sollte bedenken, daß
diese Mauer zum Symbol für das ganze kommu- Dann, Herr Kollege Ollenhauer, haben Sie gestern
nistische System geworden ist. Ist es nicht bezeich- — und das hat uns getroffen — in Ihrer Rede zur
nend, meine Damen und Herren, daß das Sowjet- Regierungserklärung davon gesprochen, daß diese
volk heute noch nichts von der Existenz dieser Bundesregierung unter Bundeskanzler Adenauer in-
Mauer 'weiß, daß in allen Verlautbarungen in der aktiv sei und keine echte Aktivität entfaltet habe.
Sowjetunion selbst das Vorhandensein der Mauer Ich muß Sie fragen, Herr Kollege Ollenhauer: Wie
sorgfältig umschrieben wird, damit diese Tatsache reimt sich das damit zusammen, daß Sie so oft Ihre
in der Sowjetunion nicht bekannt wird? Ist das nicht Übereinstimmung mit dem Herrn Bundesaußenmini-
ein deutliches Zeichen des schlechten Gewissens? ster betont haben? Doch nicht mit seiner nicht vor-
handenen Inaktivität?! Ich kann mir das nicht vor-
Nun hat Herr Kollege Ollenhauer gestern in sei- stellen. Wie reimt sich das damit zusammen, daß
ner Rede hier die Forderung erneuert, daß die Frage Sie wesentliche Punkte der Außenpolitik der Bun-
der Menschenrechte vor die Vereinten Nationen ge- desregierung, und zwar gerade jene außenpoliti-
bracht werden soll. Herr Kollege Ollenhauer, Sie schen Punkte, die Schwerpunkte 'der Außenpolitik
wissen, daß wir diese Frage im Auswärtigen Aus- des Bundeskanzlers waren, wie die Sicherheits-
schuß besprochen haben, daß wir diese Frage im politik und die Europapolitik, übernommen haben?
kleinen Kreis mit Vertretern des Auswärtigen Amts Sie haben doch sicherlich in diesen Fragen keine
erörtert haben, und Sie wissen, daß Mitglieder Ihrer Inaktiven übernommen. Die Pädagogen aller Frak-
eigenen Fraktion dieser Argumentation des Aus- tionen, die in diesem Saal versammelt sind, mögen
wärtigen Amts nicht widersprochen haben. Es gibt mir verzeihen — und damit komme ich auf den
hier nun einmal Argumente, die man nicht einfach „Schüler" zurück, Herr Kollege Erler; Sie haben mir
vor der Öffentlichkeit diskutieren kann. Die Regie- das Stichwort gegeben —, daß ich in der Schule in
rung kann nun einmal hier im Plenum nicht alle ihre Mathematik recht schlecht war und bei mancher
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Majonica
mathematischen Klassenarbeit abgeschrieben habe. dieser Gefechte angesehen werden — werden auch
Ich habe aber niemals bei einem Schüler abgeschrie- Sie beachten können, werden auch Sie, nehme ich
ben, der in Mathematik „inaktiv" war, sondern im- sogar an, wenn nicht heute, so morgen, beachten
mer bei einem, der etwas auf diesem Gebiet wußte. müssen. Denn es waren Vorschläge, die der Kom-
pliziertheit vieler Dinge im Bereich der deutschen
(Heiterkeit und Beifall bei den Regierungs
Außenpolitik Rechnung trugen und die helfen
parteien.)
wollen, mit diesen Kompliziertheiten fertig zu wer-
Ich glaube, daß auch Sie bei keinem Inaktiven ab- den.
schreiben wollen. Hier ist noch einmal gesagt worden, worauf deut-
Nun, Herr Kollege Ollenhauer, Sie haben gesagt, sche Außenpolitik hinauswolle und -müsse, — sicher
die Regierungskoalition, die CDU/CSU und die FDP, unbestreitbare Feststellungen hinsichtlich des Stre-
trage die volle Verantwortung für die Regierungs- bens nach dem Selbstbestimmungsrecht für alle
politik. Wir tragen diese Verantwortung, weil wir Deutschen, für das ganze deutsche Volk, ein Selbst-
wissen, daß diese Regierung den nationalpolitischen bestimmungsrecht, das die Freiheit auch für unser
Notwendigkeiten dieser Zeit dadurch gerecht wird, Volk bedeutet. Es dürfte keinerlei Grund geben,
daß sie unbeirrt die Kontinuität der deutschen Poli- hier Einschränkungen zu der Bemerkung zu machen,
tik sichert, daß sie eine illusionslose, vorurteilsfreie daß Berlin als lebendiger Bestandteil unseres Vol-
Politik betreibt, eine Politik, die den Aufbau Euro- kes gehalten, d.h. ja sicher — ich will das interpre-
pas zu ihrer Aufgabe gemacht hat, die ein geeintes tieren; ich nehme an, auch im Sinne dessen, der es
Europa mit den USA zu einer atlantischen Gemein- hier gesagt hat —, daß es nicht vom freien Teil
schaft verbunden sein läßt und die dadurch — da- Deutschlands getrennt werden soll und getrennt
von sind wir fest überzeugt — dem Ziele der deut- werden darf. Es ist ein Bestandteil dieses freien
schen Wiedervereinigung dient. Volkes,
(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten
(Beifall bei der CDU/CSU und bei Abge der CDU/CSU)
ordneten der FDP.)
und das ist eben etwas, in dem wir übereinstimmen.
Vizepräsident Dr. Jaeger: Das Wort hat der Meine Damen und Herren, wenn wir für diese
Abgeordnete Wehner. Debatte nur auf die Regierungserklärung angewie-
sen wären, die der Herr Bundeskanzler vorgetragen
und die er gestern noch einmal in einem Debatte-
Wehner (SPD) : Herr Präsident! Meine Damen beitrag verteidigt hat, dann machte es gewisse
und Herren! In den großen Linien ist der außen- Schwierigkeiten, genau zu erkennen und genau
politische Teil der Regierungserklärung des Herrn festzustellen, welche die außenpolitischen Absich-
Bundeskanzlers von den Sprechern der drei Frak- ten der Bundesregierung — nicht im allgemeinen,
tionen gestern schon behandelt worden. Herr von sondern jetzt im Konkreteren — sind. Aber der
Brentano und Herr Mende haben vom Standpunkt Herr Bundeskanzler hat in seiner Erklärung eine
der Fraktionen der Koalition aus positiv zur Regie- ganze Reihe von Anhaltspunkten gegeben, die auch
rungserklärung Stellung genommen, und der Vor- von uns ganz sachlich gewertet worden sind; das
sitzende der Sozialdemokratischen Partei, Ollen- wird man bei erneutem Vergleich der Ausführungen
hauer, hat die Meinung der Sozialdemokraten zum des Vorsitzenden der sozialdemokratischen Fraktion
Ausdruck gebracht. mit dem, was daraus gemacht werden soll, sehen
Nun hat Herr Majonica eben gesagt, daß die Rede können.
Erich Ollenhauers weder der Sachlichkeit noch der Nun haben wir heute einige Erläuterungen dazu
Gemeinsamkeit gedient habe, daß aber die Parteien gehört, z. B. hinsichtlich des gemeinsamen größeren
und Fraktionen, für die Sie hier sprechen, beides woll- Europas, und die Freude darüber, daß nun auch die
ten. Es wird dann hoffentlich morgen in der „Kölni- SPD dafür sei. Ich will in dieser Frage nicht kleinlich
schen Rundschau" anders stehen, als es heute darin sein. Nur: lesen Sie einmal die Protokolle nach!
steht, daß man nämlich aus der Umarmung heraus Vor mir sitzt der Herr von Brentano, der in dieser
müsse, daß das ganze Gerede von der Gemeinsam- Frage einmal, damals noch im Europarat, für eine
keit usw. lediglich eine Erfindung etwa im Sinne bestimmte Resolution, die dann hier eine Rolle ge-
jener Meinung sei, die ich gestern schon in einem spielt hat — in sehr frühen Zeiten eine Rolle
anderen Zusammenhang apostrophieren mußte; gespielt hat , gesprochen hat, wie auch ich dazu
denn es wird ja gesagt, daß die Gemeinsamkeits- geredet habe. Ich habe mich dort unmißverständlich,
parole nur zur Vernebelung diene. Ich weiß, daß und zwar im Namen der ganzen sozialdemokrati-
der Nebel jetzt vielen zu schaffen macht, die hier schen Bundestagsfraktion, gegen jede Trennung und
leben und arbeiten müssen. Aber es ist eine erfreu- gegen jedes Gegeneinanderstellen der Bemühungen
liche Feststellung, daß Herr Majonica in diesem um den europäischen Zusammenschluß, um die -
Punkte nun doch offenbar eine andere Meinung, die europäische Integration und um die deutsche Ein-
Meinung der CDU-Fraktion, vertritt, als es die um heit gewehrt und habe gesagt: das kann man nicht,
diese Debatte herum geführte Propaganda voraus- das darf man nicht gegeneinanderstellen.
gesagt und vorausgesehen hat. Im übrigen, wenn es
(Beifall bei der SPD.)
um die Sachlichkeit geht: die Vorschläge Ollenhauers
zur Methode der Behandlung der so schwierig ge- Herr Majonica, ich will Ihnen hier nicht die Schau
wordenen Fragen — wenn sie einmal außerhalb des stehlen. Ich weiß, Sie sind in einer anderen Lage,
jetzigen Morgennebels und auch außerhalb der Hitze als wir es sind. Ich habe z. B. in derselben „Kölni-
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Wehner
schen Rundschau" — Sie haben eben gesagt, man zeichnet hatten, waren plötzlich ganz besonders be-

müsse mehr lesen; ich bemühe mich auch! geisterte und häufig sogar lyrische Europäer.
(Heiterkeit) (Heiterkeit bei der SPD.)
gelesen, die besondere Lage der Christlich-Demo- Dagegen grenzte sich die Sozialdemokratische Partei
kratischen Union sei gperägt von der Tatsache, daß ab. Vielleicht hat sie es mitunter sogar in Verken-
die Kanzlerfrage sich geradezu lähmend auf die nung wirklicher Änderungen auf der innenpoliti-
Partei- und Regierungspolitik auswirken könne, schen Gegenseite getan. Ich bin der Überzeugung,
(Heiterkeit bei der SPD) daß es so ist. Ich habe meine eigenen Gedanken
darüber auch schon wiederholt in meiner Partei zur
und deshalb komme es nun darauf an, ein klares Diskussion gestellt. Das mag hier nur angedeutet
Führungs- und Leistungsprofil zu zeigen, auch in sein; aber so ist das. Der Krieg und die Erfahrungen
der Frage der Nachfolge usw. Ich will nicht in diesen mit zwei Diktaturen sollten allen einiges zu lernen
Teil der Politik eintreten. Ich wollte nur zu ver- gegeben haben; uns haben sie manches gegeben.
stehen geben: wir verstehen, daß Sie in einer ande-
ren Lage sind. Sie müssen zeigen — und es ist gut, Vergessen Sie folgendes nicht, wenn Sie hier
daß Sie es zeigen —, daß Sie einen vielversprechen- auftreten und davon sprechen, daß man Sand in die
den Nachwuchs haben; das ist in Ordnung. Räder der Entwicklung getan habe usw. Die SPD
(Heiterkeit und Beifall bei der SPD.) hatte die schwierige Aufgabe zu erfüllen, als die
Opposition, die wir nun einmal waren — das war
Ich nehme den Faden wieder auf: Deswegen die unser Schicksal, wenn man dieses große Wort, das
sicherlich sehr schwierige Frage, ob es hier Differen- so gern gebraucht wird, einmal darauf anwenden
zen gegeben hat. Es hat zwischen uns sehr viele Dif- darf —, das äußerst Mögliche zu tun, damit dieser
ferenzen gegeben, die nie geleugnet worden sind Start zur Vereinigung Europas — welches ein lan-
und über die noch manches zu sagen wäre, wenn Sie ger Prozeß sein wird — so wenig wie möglich —
es für gut hielten, über die Vergangenheit mehr zu ich möchte vorsichtig sagen — deutscherseits be-
diskutieren als über das, was morgen und übermor- lastet wird durch die ungleichen Startbedingungen,
gen zu bewältigen sein wird. Ich habe den Eindruck die bei uns vorhanden waren auf Grund unserer
— Herr Majonica, Sie müssen dazu nichts sagen —, Rolle als besetztes Land mit noch sehr harten und
daß Sie uns ein wenig z. B. mit Herrn Dehler ver- tiefgreifenden Besatzungsbestimmungen. Das mag
wechselt haben, daß Sie uns und einige andere von verschieden gewertet werden. Wir haben das je-
Ihrer jetzigen Koalition verwechselt haben. Das denfalls damals als unsere Aufgabe betrachtet. Wir
macht aber gar nichts. wollten die Startmöglichkeiten für die Deutschen
(Beifall und Heiterkeit bei der SPD.) und für das neue Europa mit den Deutschen soweit
wie möglich — soweit es an uns, der Opposition,
Sie haben in einem Punkt ungefähr daneben ge- lag — verbessern. Das war sogar eine gewisse
troffen, aber dicht neben das, was wirklich ist. Wahr Hilfe für die Regierung, wenn sie es wollte. Aber
ist, daß die Sozialdemokratische Partei und die Frak- wir hatten immer andere Verhältnisse.
tion in einer Zeit der Entwicklung des europäischen (Lachen und Zurufe von der Mitte.)
Zusammenschlusses eine ganz schwierige Aufgabe
zu erfüllen hatte, wobei ich außerhalb der Debatte — Sie lachen. Nehmen Sie einmal den Ratschlag
lasse — ich würde da immer sagen, daß wir des- Ihres Freundes Majonica an und lesen Sie unvor-
wegen mit uns reden lassen —, daß sie dabei auch eingenommen, was heute und in den nächsten Ta-
nicht völlig fehlerfrei gewesen ist. Welches war gen in der englischen Presse zu dem, was gestern
denn diese schwierige Aufgabe? Mancher von Ihnen hier über England und Europa gesagt worden ist,
wird sie sogar verstehen. Ich verlange gar keine Be- geschrieben werden wird, wie dort Opposition und
stätigung von Ihnen. Regierung, wie dort Gegner des Eintritts Großbri-
Die Sozialdemokratische Partei, Herr Barzel, die tanniens in die EWG und Befürworter die Sache
in einer Zeit, in der sie noch im allgemein obrigkeit- auszunützen versuchen werden, — ich nehme an:
lich geprägten Gerede als die Partei der vaterlands- zum besten.
losen Gesellen bezeichnet worden ist, als erste Par- Hier wurde gestern oder seit einigen Tagen das
tei sich für die Vereinigten Staaten von Europa Wort von den Interessen Großbritanniens bei dieser
erklärt hat — nämlich in ihrem Heidelberger Pro- Eingliederung ganz groß geschrieben. Vielleicht
gramm von 1925 —, sah sich nach dem Kriege einer kann man daraus sogar einiges lernen, wenn man so
ganz eigentümlichen Lage gegenüber. klug ist, wie natürlich Sie es in dieser Frage sind.
(Zuruf von der CDU/CSU.)
Ich möchte festhalten, daß die sozialdemokra-
— Ich wollte gleich dazu kommen. Ich kann nicht so tische Fraktion zu keiner Zeit hier die europäische
schnell denken wie Sie bzw. nicht so schnell spre- Zusammenarbeit, das europäische Zusammenwach-
chen, was ich denke. Es ist ein Unterschied in dem, sen und. die europäische Integration in einen Ge-
was uns auf den Lebensweg mitgegeben worden ist. gensatz zu den Notwendigkeiten der Politik, des
Ich bitte Sie, das zu entschuldigen. Ringens um die Wiedervereinigung gestellt hat und
daß sie solchen Gedanken entgegengetreten ist.
Diese Partei sah sich also einer eigentümlichen
Lage gegenüber. Viele von denen, die früher die (Beifall bei der SPD. — Zurufe von der
Sozialdemokraten als vaterlandslose Gesellen be- Mitte.)
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. Oktober 1962 1.753
Wehner
— Sie können es ja lesen! Ich werde hier nicht Der Bundeskanzler hat hier gestern auf einige
meine alten Reden zitieren, auch nicht die meiner Fragen, die wir gestellt hatten, eine Antwort gege-
Freunde Carlo Schmid und anderer. — Das ist eine ben, nach der die Interessen unserer Wirtschaft un-
Tatsache. Kollegen von Ihnen, die in dieser De- bedingt gewahrt werden müssen. Dabei spielten
batte des Europarats selber gewesen sind, würden verschiedene aktuelle Fragen der EWG, z. B. auch
das, wenn sie Lust dazu verspürten, hier nur be- die Stimmengewichtung, die noch nicht geregelt sei,
stätigen können. Das ist der Sachverhalt. eine Rolle. Ganz klar, das ist in der Ordnung, wenn
der Bundeskanzler die Interessen der deutschen
Im übrigen, meine Damen und Herren — — Wirtschaft gewahrt sehen will und das Seine dazu
(Abg. Dr. Mommer: Wir wollten allerdings tut. Aber ich möchte nur sagen: das widerspricht ja
nie die Saar europäisieren!) auch nicht dem Wesen und dem Ziel des Gemein-
— Ich will die Saarfrage nicht wieder aufreißen; samen Markts der Europäischen Wirtschaftsgemein-
sie hat damals ziemliche Wunden gerissen. schaft. Wenn wir in diesem Punkt auf so große
Klarheit wie möglich drängen, so ist der Grund, daß
Es ist doch so, daß ich noch gestern in den Aus- es dem nicht widerspricht. Deswegen sollte man es,
führungen eines der von mir schon apostrophierten finden wir, auch nicht so machen, wie wir es plötz-
Herren Redner der Koalition, die zum außenpoliti- lich in dem Brief des Bundeskanzlers an den Ham-
schen Teil der Regierungserklärung Stellung genom- burger Bürgermeister gefunden haben: die deut-
men haben, vorsichtige Abstriche in bezug auf die schen Wirtschaftsinteressen — da 'werden drei auf-
Dosierung der Integration gehört habe, oder habe gezählt: der Steinkohlenbergbau, die Landwirtschaft.
ich mich da verhört, Herr Mende, als Sie von nicht und die Textilwirtschaft; sicher ganz beachtliche und
zuviel oder von einer gewissen Integration spra- so, wie die Dinge laufen, auch verwundbare Be-
chen? Das geht nach unserer Meinung ja nicht. Die- reiche —, die deutschen Wirtschaftsinteressen also
ser Prozeß, der begonnen hat, kann weder dadurch, müßten v o r , hat er gesagt, die Interessen der
daß man Sand ins Getriebe wirft — was Sie uns EWG gestellt werden, d. h . man müsse sie vor ihnen
vorwerfen, was wir aber nicht tun und was wir gar wahren. Das ist sicher ein sehr unglückliches Wort.
nicht im Sinne haben —, noch durch ein Herum-
machen an den Gewichten der Integration verhin- Wenn wir in diesem Punkte klarsehen: daß man
dert oder verändert werden. alle diese Interessen dem Wesen und dem Ziel der
Hier ist heute morgen die Rolle des Bundeskanz- Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft entsprechend,
lers bei der deutsch-französischen Verständigung im Zusammenwirken mit ihr, lösen kann, dann be-
gewürdigt worden. Es gibt doch gar keinen Streit in finden wir uns in Übereinstimmung in einer der ent-
) dieser Frage. Ich möchte nur auf das eingehen, was scheidenden Fragen, von denen auch ich meine, sie
hier heute morgen Herr Majonica gesagt hat. Er gehören zu den Grundlagen der deutschen Außen-
wollte uns nämlich allen in Erinnerung rufen, daß politik. Denn bei aller Bedeutung dieser unserer
auf deutscher Seite der Bundeskanzler der Bau- Interessen ist es doch wohl so, daß das weitere Fort-
meister gewesen sei. Er hat „gewesen" gesagt! schreiten der europäischen Vereinigung die Lebens-
frage für die Konsolidierung des Westens ist.
(Lachen bei der SPD. — Abg. Majonica:
Weil die Freundschaft jetzt da ist, heißt Es ist gestern mit Recht darauf hingewiesen und
es „gewesen"! Das ist ein historischer Vor auch heute noch einmal apostrophiert worden, welch
gang!) interessante Beurteilung in letzter Zeit — dazu gibt
es eine ganze Reihe von Ursachen, die also jene
— Das ist ja ganz klar. Wir wollen und möchten
Seite ziemlich bewegt haben — im Osten von sehr,
nichts anderes, als daß weitergebaut wird. Das ist
wenn man so sagen darf, kompetenter Seite dieser
der Gedanke, und das ist vielleicht auch ein Unter-
Entwicklung des europäischen Zusammenschlusses
schied zwischen Ihnen und uns: daß weitergebaut
gewidmet worden ist und gewidmet wird. Aber ich
wird, weil weitergebaut werden muß und auch wei-
möchte da ein wenig Wasser in den Wein gießen.
tergebaut werden kann. Aber das ist ein entschei-
Denn — Sie wissen es wahrscheinlich auch, aber ich
dendes Kapitel der deutschen Politik!
spreche es eben aus — zu den Geschenken, die die
Ich habe vorhin gesagt: Wären wir nur auf die Strategen des psychologischen Krieges des Ostens
Regierungserklärung angewiesen gewesen, dann in dieser Periode bekommen haben und leider im-
hätte es zwar Anhaltspunkte, aber doch auch einige mer noch ausnützen können, gehört, daß sie herum-
Schwierigkeiten beim Herausfinden der klaren Linie reiten können auf der Uneinigkeit des Westens, auf
gegeben. Wir haben aber außerdem eine Art Ergän- dem Hickhack in der Frage der Aufnahme Groß-
zung dieser Regierungserklärung — wenn ich das britanniens in die Europäische Wirtschaftgemein-
so sagen darf, ohne dabei Schwierigkeiten innerhalb schaft. Das können ja auch Sie lesen. Das ist ein
des Kabinetts oder innerhalb der Koalition hervor- kostenloses Geschenk für die östliche Seite, das ihr
zurufen —, nämlich jenen Vortrag, den der Herr bei ihren eigenen inneren Wirtschaftsschwierig- -
Bundesminister des Auswärtigen in Wiesbaden ge- keiten, über die ich mich hier nicht verbreiten will
halten hat und der im Bulletin am 9. Oktober unter — sie sind sehr interessant, weil sie nach soundso
dem Titel „Grundlinien der deutschen Außenpolitik" viel Jahrzehnten sogar im eigenen innerrussischen
— nicht „Richtlinien", sondern „Grundlinien der Bereich so fühlbar geworden sind —, besonders
deutschnAßpolik"—abgedructwnis, willkommen ist. Denn in dieser Situation kann sie
Darin wurde ungefähr skizziert, womit man in die- für ihre psychologische Kriegsführung diese tiefe
ser Zeit bei der Regierung zu rechnen hat. Interessenspaltung ausnutzen, von der ich meine,
1754 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. Oktober 1962
Wehner
sie könnte auf das unvermeidliche Minimum herab- zu halten, wie es jetzt ist. Weder in den Grund-
gesetzt werden, wenn alle Beteiligten sich redlich sätzen der Wirtschaftsgemeinschaft noch in den Er-
darum bemühten. klärungen der Bundesregierung zur europäischen
(Beifall bei der SPD.) Vereinigung gibt es etwas, das Handhabe böte,
diesen Verdacht eines hegemonialen Strebens zu
Daß bei uns in Deutschland dazu besonderes Bedürf- rechtfertigen.
nis besteht und daß wir in dieser Richtung unseren Wirklich beseitigt und ausgeräumt würde der
Beitrag leisten müssen, dürfte nicht 'strittig sein. Verdacht aber erst, wenn das vorläge, was wir
gestern auf unsere Frage hören wollten, auf die ja
Vizepräsident Dr. Jaeger: Herr Abgeordne- der Herr Bundeskanzler, wenn ich ihn nicht falsch
ter Wehner, gestatten Sie eine Zwischenfrage des verstanden habe, auch positiv geantwortet hat, was
Abgeordneten zu G utte nberg? ich dankbar verzeichne: daß wir auch interessiert
sind an einer Termingestaltung — man kann zwar
Wehner (SPD) : bitte! nicht einfach einen Fahrplan festlegen —, durch die
dieser schmerzliche Prozeß, in dem es so vieles gibt,
was sicher am schlechtesten mit dem Ausdruck „Feil-
Freiherr zu Guttenberg (CDU/CSU) : Herr
schen" bezeichnet wird — wenn auch dieser Aus-
Kollege Wehner, sind Sie nicht der Meinung, daß
druck in den einzelnen Sprachen eine verschiedene
Herr Kollege Ollenhauer gestern einen Beitrag zu
jenem Geschenk an den Osten geliefert hat, als er Bedeutung haben mag —, abgekürzt und der Beitritt
dem Herrn Bundeskanzler vorwarf, nicht für den eben möglich gemacht wird. Es hängt an ihm eine
ganze Reihe anderer Probleme.
Beitritt Englands, mindestens nicht so sehr für den
Beitritt Englands zu sein, wie Sie es sind? Unserer Meinung nach ist die Vereinigung Euro-
pas und die Partnerschaft des in der Vereinigung
Wehner (SPD) : Auf diese Frage kann ich Ihnen befindlichen Europas mit den Vereinigten Staaten
nur erwidern, daß ich diese unfaire Fragestellung von Amerika Politik nach vorn, ja ich möchte sagen:
bei einem Mann von Ihrer Intellegenz zurückweise das ist die Politik nach vorn, das ist die Überwin-
und nicht beantworte. Denn Sie können nicht den dung von Kriegsfolgen, die noch nicht überwunden
FühredOpositn lcheBragsb- sind, und auch von Ursachen für Kriege, die ent-
zichtigen, während ich mich mit der Lage befasse stehen könnten, und das wird auch sein die Über-
und, ohne daß ich jemanden apostrophiere, sage, windung von Mauern nicht nur zwischen den Völ-
woraus die Strategen des Ostens Gewinn ziehen. kern und Staaten, sondern das wird vielleicht auch
entscheidend beitragen zur Überwindung der Mauer,
(Lebhafter Beifall bei der SPD. — Zuruf die uns hier in Deutschland trennt, die Berlin so
von der CDU/CSU: Lautstärke überzeugt besonders schmerzlich drückt.
nicht!)
Aus diesem Grunde findet unsere Meinung über
— Ich weiß, was Sie brauchen. Das steht ja in den die Grundlagen der Politik in allen wesentlichen
Leitartikeln Ihrer Blätter und ist Inhalt Ihrer inne- Punkten hinsichtlich des Prozesses des europäischen
ren Sprachregelungen, Ihrer inneren Analysen. Ich Zusammenwachsens Berührungspunkte und Über-
weiß aber auch, daß es für uns eine Ehrensache ist, einstimmungen mit den Ausführungen, wie sie im
daß Sie uns nicht fortgesetzt unsere Reputation „Bulletin" unter dem Titel „Grundlinien der deut-
schädigen. Das kommt nicht in Frage! schen Außenpolitik" vom Bundesminister des Aus-
(Beifall bei der SPD. — Zurufe von der wärtigen wiedergegeben worden sind. Wir sind der
Mitte.) Meinung, daß das für die Lösung auch der schwieri-
gen Probleme des Ost-West-Konfliktes und für das
— Sie werden sich schon noch klären, dann können Realisieren von Abrüstungsmöglichkeiten erforder-
wir ja weiter reden.
lich ist, über die ja zur Zeit unter dem Druck der
Der Bundeskanzler hat außerdem in seinen Be- eigentümlichen Entwicklung in Genf wenig gesagt
merkungen zu der Rede Ollenhauers gestern von werden kann. Wir würden es Ihnen gar nicht zum
der Gewichtung gesprochen, die ich hier schon er- Vorwurf machen, daß in der Regierungserklärung
wähnt habe. Das ist sicher ein wichtiges Problem, wie auch in den Ausführungen des Bundesaußenmini-
das eine Rolle spielt bei den Diskussionen, die es sters so wenig darüber gesagt wird. Entscheidende
auch um den Beitritt Großbritanniens gibt, und bei Veränderungen dieser Situationen wird wahrschein-
den Argumenten auch der Gegner des Beitritts lich der Tatbestand des wirklichen Zusammenwach-
Großbritanniens in Großbritannien selbst. Die sens der europäischen Staaten und der Entwicklung
Frage: wie würde denn dann die Stimmengewich- der europäischen Gemeinschaft bringen. Das ist
tung sein?, spielt eine ganz erhebliche Rolle. Sie nicht nur einfach eine gegenseitige Freundschafts-
spielt diese Rolle wohl überhaupt. Allerdings meine erklärung von Staat zu Staat, sondern das Spezifi-
ich, meine Damen und Herren, wir haben doch sche dieser Gemeinschaft ist, daß sie eben nicht nur
allerlei Ursache, deutlich zu machen, daß es ein fal- eine Handelsgemeinschaft und nicht einfach nur ein
scher Verdacht ist, wenn zum Beispiel unsere klei- multilaterales Abkommen über die Verminderung
neren Partner in der Europäischen Gemeinschaft der Zölle ist, sondern daß sie eine Gemeinschaft ist,
meinen — und manches spricht ja dafür, und man- die schließlich zu einem übereinstimmenden politi-
cher weiß auch, daß es ausgesprochen wird, daß es schen Handeln führen wird, wozu ja genug und
so ist —, es gäbe so eine Art deutsch-französisches Ausführliches gesagt worden ist. Erst wenn dem
Übergewicht oder es werde angestrebt, es dabei Osten klar sein wird, daß der Westen nicht mehr
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. Oktober 1962 1755
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auseinanderdividiert werden kann, wird er sich dar- Sozialdemokraten für die Verteidigung und nicht
auf einstellen. Das ist, werden Sie sagen, eine Bin- gegen die Verteidigung.
senwahrheit, und Sie werden sagen, das hätten Sie (Zurufe und Lachen in der Mitte.)
von Anfang an gesagt und wir hätten es erst. zu
spät begriffen. Bleiben wir erst einmal bei der Das ist also bei allem, was uns sonst getrennt hat
„Binsenwahrheit"! Über die Frage, wie es dazu ge-
kommen ist, kann dann immer noch geredet werden. (Erneute Zurufe von der Mitte.)
Solange aber der Osten glauben kann — und zur
Zeit ist das leider der Fall —, er könne den Westen — Sicher, natürlich! Die Sozialdemokraten waren
auseinanderbringen, sondern, dividieren, so lange noch nie eine Partei gegen die Verteidigung.
wird er sich nicht auf diese Realität des in der Ver- (Zurufe von der Mitte: Dialektik!)
einigung befindlichen Europas einstellen.
— Ihre Reaktion — —
Nun hat Herr Majonica heute morgen hier gesagt, (Fortgesetzte Zurufe von der Mitte.)
es sei uns besonders anzurechnen, daß wir hier
Zweifel in die Treue zu einem Bündnis, das doch — Sie meinen die EVG? Da hat es ja auch andere
gegen den erbitterten Widerstand der SPD von gegeben, auf die Sie heute nicht schimpfen würden,
ihnen geschaffen worden sei, zu säen versucht hät- die damals gegen diese Form gewesen sind. Es ist
ten. Da wäre es vielleicht ganz gut, noch einmal auf eine historische Streitfrage, die einmal interessant
das zurückzukommen, was ich hier nach dem Schei- sein wird, was daran vielleicht besser war oder was
tern der Gipfelkonferenz von Paris am 30. Juni 1960 so schlecht war, wie es die Sozialdemokraten da-
gesagt habe. Haben Sie keine Angst, ich zitiere es mals gemeint haben. Nur diesen Komplex müssen
jetzt hier nicht; aber das werden Sie ja sicher auch Sie loswerden — wir wollen Ihnen gerne dabei hel-
noch einmal prüfen, ob Sie da einen Haken finden, fen —, als hätten Sie es bei den Sozialdemokraten
der gegen uns verwendet werden kann. Ich werde mit einer Partei zu tun, die gegen die Landesver-
froh sein, Sie werden da keinen finden. teidigung, gegen die gemeinsame Verteidigung des
Westens sei oder gewesen sei.
Worum es bei den Auseinandersetzungen über
(Zurufe von der Mitte: Die Komplexe
das Bündnis und die Bündnisverpflichtungen immer
ging, das war, abgesehen von dem, was andere aus waren bei Ihnen!)
der Politik der SPD zu machen versucht haben, dar- Ich weiß, wie schwer das ist, wenn man sich von
unter auch solche, das ist zuzugeben, die der Mei- Gallensteinen trennen muß in einem Prozeß. Hinter-
nung sind, sie könnten da die SPD in eine bestimmte her ist man erleichtert.
Richtung drängen, in die Richtung des „Ohne mich"
(Beifall bei der SPD. — Abg. Majonica:
oder in eine ähnliche Richtung, — —
Jetzt kann ich Ihre Erleichterung verste
(Zurufe von der CDU/CSU.) hen!)
— Haben Sie wieder mal ein Bonbon am frühen Ich glaube, daß es in der Frage des Zusammen-
Morgen bekommen, dachten Sie? Sie werden finden schlusses Europas und wahrscheinlich auch hinsicht-
— und das wird dem Sachverhalt auch ungeachtet lich des, wenn auch verspäteten, Aufgreifens jenes
aller Schwierigkeiten auf diesem Wege wohl ent- großen Angebotes des amerikanischen Präsidenten
sprechen, wenn ich es so sage —, daß es bei diesen vom 4. Juli — Partnerschaft in weitester Beziehung
Auseinandersetzungen in Wirklichkeit um die Rang- — Übereinstimmung geben kann und auch geben
ordnung von Wiedervereinigungsverhandlungen muß, wenn wir weiterkommen wollen.
und den unvermeidlichen militärischen Maßnahmen Aber noch zu einem anderen Komplex, der bei
gegangen ist, die als solche von den Sozialdemokra- dieser Debatte seine Rolle spielt: die Sache mit den
ten nie in Zweifel gesetzt worden sind. Initiativen „um der Geschäftigkeit willen", — wo-
(Zurufe von der Mitte.) bei die einen sagen, damit meinten sie nur be-
stimmte, während andere sagen, damit seien wohl
— Ja, sicher! Es hat ja sogar umgekehrt angefangen alle gemeint. Ich muß sagen, der Bundesminister des
— wenn Sie sich schon für Geschichte interes- Auswärtigen—chbIdalsomitne
sieren —, daß Schumacher dem Bundeskanzler vor- Schußlinie — hat in seinen Ausführungen erklärt —
geworfen hat, daß er in dieser Beziehung, wenn es und es ist auch gedruckt worden, ohne dem Korrek-
so sei,, wie es damals in Verfolg der Korea-Krise er- torstift zum Opfer zu fallen —, daß Phantasie und
klärt wurde, ganz andere Forderungen zu stellen Initiative Teil eines sorgfältig durchdachten Plans
hätte hinsichtlich der Bereitschaft des Westens, sein müssen, daß sie aber nicht Ungeduld und Ner-
Deutschland zu einem Bestandteil seines gesamten vosität zur Ursache haben dürfen. Da gibt es also
Verteidigungssystems zu machen. Er hat sich gegen schon eine gewisse Unterscheidung, und die wird -
ein Angebot von deutscher Seite zur Unzeit ge- ja wahrscheinlich auch gemeint gewesen sein in der
wandt; er hat sich dagegen gewandt, daß wir es, Regierungserklärung. Vielleicht ist das durch Strei-
wenn die Situation so sei, wie sie damals geschil- chungen so mißverständlich geworden.
dert worden ist, gewissermaßen mit einer „kleinen (Heiterkeit bei der SPD.)
Lösung" versuchen. Aber es ging um das wirkliche
Verteidigen, um das Beim-Wort-Nehmen derjeni- Ich möchte nur noch einen kleinen Beitrag dazu
gen, die von einer Krise sprachen, die zu einem geben. Ich bin einverstanden: Geduld und Nervosi-
Krieg führen konnte. In dieser Beziehung waren die tät sind schlechte Quellen. Aber eine andere gibt es
1756 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. Oktober 1962

Wehner
auch noch — überlegen Sie sich die auch einmal —: die Kernbestimmung des Koalitionsabkommens. —
Routine, die bloße Routine. Das sind nicht meine Worte.
(Beifall bei der SPD.) (Heiterkeit bei der SPD.)
Ich will gern sagen — heute geistert ja das Wort
Die liegt ja so in der Eigenart von Ämtern, und die „Burgfrieden" immer so herum; ein dummes Wort,
sollte man auch mit auf diesen Katalog des Ver- ein wirklich nicht sehr gekonntes Wort —, an die-
dammenswerten setzen. Kürzlich fragte mich ein sem Punkt würde ich sagen: halten wir also einmal
Mann, der mir nicht wohl will — er ist einer der still, bis Sie das mit dem Koalitionspartner geklärt
hervorragenden Herausgeber einer der hervor- haben. Es ist nämlich auch für uns peinlich, wenn
ragendsten Zeitschriften für Außenpolitik, in der wir das Gefühl haben: den Sack — uns — schlägt
kürzlich eine ganze Elite in ein und derselben Num- man und den Esel meint man.
mer mit Artikeln zur Geltung kam —: Wie ist es
nun? Wie stellen Sie sich zu den Initiativen? Ich (Beifall und Heiterkeit bei der SPD.)
sagte: Ich persönlich halte es für Unfug, fortgesetzt Ich weiß, was ich mir da zuziehen werde, wenn
von Initiativen zu reden. Ich meine, worauf es an- ich jetzt noch in die Tüte greife und den Freiherrn
kommt, ist, daß wir mit dem Tatbestand, den wir zu Guttenberg zitiere. Ich bin mir dessen voll be-
nach schmerzlichen Kämpfen und nach vielen Din- wußt. In seinem kürzlich veröffentlichten Artikel
gen, die sich inzwischen als andere Art von Realität „Berlin — Tragödie und Krisenherd" hat er gesagt,
eingestellt haben, glücklicherweise nun haben, es genüge nicht, daß sich der Westen darauf be-
wuchern, mit dem Tatbestand nämlich, daß es in den schränke zu reagieren. Nun, ich folge ihm wörtlich:
entscheidenden Grundelementen und Grundfragen der Westen muß eigene Offensive und Dynamik
der deutschen Außenpolitik keine unüberwindlichen entwickeln. Man kann nämlich Berlin nicht halten,
Gegensätze gibt. Ich meine, wenn das so ist — und wenn man es nur halten will. Wenn w i r das Wort
heute morgen sind einige Fragen aufgezählt wor- „Dynamik" in den Mund genommen hätten, wäre
den, in denen es keine Gegensätze gibt —, dann das natürlich ganz anders, zweideutig empfunden
müßten Sie, meine Damen und Herren, z. B. den worden, so als wollten wir damit etwas gegen
Vorschlag von Ollenhauer vom gestrigen Tag einmal Unbeweglichkeit sagen, als wollten wir damit etwas
in aller Ruhe — ein Wochenende kann dazwischen gegen zu große Einfallslosigkeit sagen.
sein — aufmerksamer daraufhin betrachten, ob es
(Heiterkeit bei der SPD.)
nicht etwas für sich hätte, wenn man z. B. Regierung,
Berliner Senat und die drei Fraktionsvorsitzenden Das aber ist hier ja — —
über bestimmte Dinge beraten ließe, über Dinge, die
z. B. noch gar nicht einmal ausschußreif sind — die Vizepräsident Dr. Jaeger: Herr Abgeordne-
gibt es doch auch —, die aber so sind, daß man sich ter Wehner, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
beraten muß. Es wird wohl solche geben. Ich fürchte, Abgeordneten Freiherrn zu Guttenberg?
es wird in den nächsten Monaten eine ganze Reihe
solcher Fragen geben. Sollte man das nicht auf der Wehner (SPD) : Bitte.
Basis der Erkenntnis: es gibt keine unüberwind-
lichen Gegensätze in den Grundfragen der deut-
schen Außenpolitik, versuchen können? Das wäre Freiherr zu Guttenberg (CDU/CSU) : Mit Hin-
ein — ich weiß, das Wort mögen Sie nicht — Ex- blick auf die Vergangenheit Ihrer Partei, von der
periment, das man machen könnte, ohne daß man Sie vorhin gesprochen haben: Sind Sie nicht der
dabei unbedingt hereinfallen müßte. Auffassung, daß es Dynamik nach verschiedenen
Richtungen gibt?
(Heiterkeit und Beifall bei der SPD.)
So schlimm ist das gar nicht mit den Vorschlägen. Wehner (SPD) : Natürlich bin ich dieser Auffas-
sung. Es wäre ja auch ganz dumm, wenn ich sozusa-
Im übrigen weiß ich nie genau — ich kann mir das gen blind wäre und nicht verschiedene Richtungen
auch nicht einmal verkneifen, diesen kleinen Genuß erkennen könnte, und daß es Dynamik nach ver-
müssen Sie mir erlauben —, gegen wen das alles schiedenen Richtungen gibt, — — aber Sie werden
geht. Da haben wir eine Bestandsaufnahme — Ent- dann ja erklären, daß Sie damit eine bestimmte
schuldigung, nicht die, die ich damals gefordert Richtung nicht meinen, die auch in Ihrer Koalition
habe; das Wort hat Ihnen ja allen mißfallen; Sie sitzt. Das ist jedoch nicht meine Sache, sondern Ihre
haben gesagt, das klinge Ihnen zu kaufmännisch; Sache.
das gebe ich zu — (Heiterkeit und Beifall bei der SPD.)
(Heiterkeit bei der SPD) Das ist mir klar. Das ist es eben, was unsere Lage
nicht einfacher macht. Wir sind ohne das Koalitions-
am Vorabend des Bundesparteitages 1962 der papier. Wir haben es nie gesehen. Bei Ihnen gibt es
Freien Demokratischen Partei. Wir haben gestern welche, die sagen, sie hätten es auch nicht gesehen.
in der Rede des Vorsitzenden dieser Freien Demo- Andere wieder wollten es gar nicht einmal sehen.
kratischen Partei eine gewisse Andeutung davon
bekommen. Die Worte sind tatsächlich erwähnt wor- (Heiterkeit bei der SPD.)
den. Nur das, was Sie, Herr Majonica, heute mor- Wieder andere sagen, das sei das Kernstück, dieses
gen so erbittert aufs Korn nahmen, die Sache mit Koalitionspapier, die Sache mit den Friedensver-
Friedensverhandlungen, ist ja nun das, von dem in handlungen. Wenn gestern mein Freund Ollenhauer
dieser Bestandsaufnahme gesagt worden ist, es sei gesagt hat, jetzt mache er diesen Vorschlag nicht,
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. Oktober 1962 1757
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und das heute freudig begrüßt worden ist, so ist werden; wir nicht, natürlich, aber das schadet ja
das eine Erleichterung für Sie, aber doch nicht für nicht. Da gab es also Punkte, von denen uns der
Ihren Koalitionspartner, der das für ein Kernstück damalige Außenminister gesagt hat, sie würden in
der Abmachungen hält. Also da sitzen Sie in der der letzten Phase der Konferenz noch eine Rolle
Bredouille und nicht wir. spielen. Wir hatten gedacht: Das wird ganz gut sein.
Im übrigen: wie ist es damals gewesen? Vor gut — Die Konferenz ist damals ja an einem anderen
einem Jahr hat Willy Brandt in einer Rede in Dort- Punkt auseinandergegangen, als man in Verhand-
mund — es war der 8. September; wer das hört, lungen über Berlin kam. Sie wissen das alle. Aber
weiß sofort: es war noch kurz vor den Wahlen, aber die Punkte sind nie auf den Tisch gelegt worden.
leider nach der schrecklichen Mauer — diese Fragen Wir haben sie auch nie gesehen. Vielleicht ist das
so erörtert: Wenn eine Regierung unter sozialdemo- für Sie, die Sie die Punkte kennen, weniger ein
kratischer Führung gebildet werden würde — was Problem als für uns, die wir sie nicht kennen und
ja nicht zustande gekommen ist — — wissen müssen: Wenn es soweit ist, holen Sie die
Punkte heraus, und dann werden alle staunen —
(Zuruf von der Mitte: Gott sei Dank!) kann ja sein, daß es so ist —, ich würde Sie be-
— Sie sagen „Gott sei Dank" ; nun gut, kommt es neiden, und ich würde zufrieden sein, wenn wir
das nächste Mal, dann kommt es viel schlimmer, dann auch mitstaunen könnten. Nur, diejenigen, die
als wenn es diesmal so gekommen wäre. die Punkte nicht kennen — und das sind wir; wir
(Heiterkeit bei der SPD. — Zuruf von der sind in dieser Beziehung also etwas unterernährt —,
Mitte: Für wen?) wir machen uns auch gern unsere Gedanken, was
man machen könnte, wenn man in solch eine Lage
— Für Sie! Doch nicht für die, die reinkommen, kommt. Das ist — nicht mehr, aber auch nicht weni-
sondern für die, die etwas abgeben müssen. ger —, was wir dazu angebracht haben.
(Beifall bei der SPD.) Diese Darlegungen, Herr Majonica, ,ob man die
Willy Brandt kündigte damals an: Russen überstimmen oder nicht überstimmen kann,
fortgesetzt zu wiederholen, lohnt sich doch nicht.
Im engsten Einvernehmen mit unseren west- Solche Dinge habe ich schon so oft gelesen und .ge-
lichen Verbündeten werden wir die Grundsätze hört. Die sind auch einfach nicht aus der Welt zu
eines Friedensvertrages für ganz Deutschland schaffen. Nur kann das allein doch selbstverständ-
ausarbeiten, der dazu beitragen soll, daß der li ch nicht unsere Haltung zu der Feststellung be-
Westen wieder das Gesetz des politischen und stimmen, daß wir Ursache haben und auch Gelegen-
diplomatischen Handelns in seine Hände be heit nehmen müssen, in der ganzen Welt bei allen
kommt. Diese Grundsätze eines Friedensvertra- befreundeten Regierungen, auch bei solchen, die
ges können später die westliche Verhandlungs-
wir nicht zu den befreundeten rechnen dürfen, son-
grundlage bei einer allgemeinen Friedenskon-
dern die sich als neutral in dem Sinne bezeichnen,
ferenz bilden.
daß sie nicht in den sogenannten Ost-West-Konflikt
Damals gab es noch eine Äußerung des ameri- hineingezogen werden wollen, nicht Partei ergreifen
kanischen Präsidenten vom Juli, die sich inzwischen wollen, deutlich zu machen: Die Bundesrepublik
nicht wiederholt hat, daß man nämlich, wenn der Deutschland will eine Friedensregelung, sie will
andere drüben fortgesetzt mit einer großen Konfe- einen Friedensvertrag; darin ist sie sich einig. Aber
renz der Kriegsgegner drohen zu können glaube, was sie nicht will, ist ein Teilungsdiktat.
ja einmal sagen könne: Wenn du sie machst, dann (Beifall bei der SPD.)
werden sich dort auch alle diejenigen melden, die
Das, was der andere will, ist ein Teilungsdiktat. —
für einen Friedensvertrag mit ,Deutschland und nicht
Bitte, das ist doch eine Grundlage, wenn wir uns
für ein Teilungsdiktat gegen Deutschland sind. —
da einig werden.
Nun, ist das vielleicht schlecht? Das ist doch eine
Sache, über die man reden kann. Im Moment kann (Abg. Majonica: Herr Kollege Wehner, ich
man darüber wieder nicht reden; aber setzen wir habe mir erlaubt, auszuführen, daß wir für
einmal den Fall, wir stünden vor einer solchen Lage. einen Friedensvertrag sind, nur mit einem
Dann müßten wir uns ja verständigen und dürften Deutschland!)
uns nicht einfach nur für gebunden halten. Es gibt — Sicher, da brauchen wir gar keinen Unterschied
ja auch in Ihren Reihen den einen oder anderen zu machen. Mir kommt es hier auf die berühmte
Vorschlag, in dieser Richtung sich etwas weniger Flexibilität an, wie man sich in den Stürmen ver-
Schwierigkeiten zu machen, z. B. hinsichtlich der halten wird, um dazu zu kommen, daß auch die an-
Möglichkeit, mit den Westmächten zusammen deren wissen, daß wir so sind, wie wir selber mei-
Grundlagen oder Grundüberlegungen — das können nen, daß wir sind, und nicht anders.
ja keine Grundlagen sein, also Grundüberlegungen Ich brauche Ihnen ja nicht vorzulesen, was in der
— für einen Friedensvertrag und auch die Prozedur letzten Woche wieder an Scheußlichkeiten über die-
anzustellen. angeblichen Absichten der Bundesregierung und der
Wir sind in einer schwierigeren Lage als Sie — ganzen Bundesrepublik in den offiziellen sowjeti-
lassen Sie uns doch offen miteinander reden —: wir schen Zeitschriften und Zeitungen aller Sprachen
kennen nicht jene Punkte, die z. B. Herr von Bren- veröffentlicht worden ist, tolle Sachen. Das ist
tano noch aus seiner Außenministerzeit und auch einfach für die Leute in den entfernten Erdteilen
mancher von 'Ihnen wahrscheinlich kennt, weil er und in anderen Ländern. Es ist aber gar nicht so
damals für würdig befunden wurde, informiert zu weit entfernt, wo das schon anfängt zu wirken. Das
1758 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. Oktober 1962

Wehner
ist so, als ob hier sozusagen Hitler redivivus sei. Der Bundeskanzler hat einige Zeit vorher in der
Das ist eine unglaubliche Art, in der man die Bun- vorhin von mir genannten berühmten Zeitschrift
desrepublik in solch einen Giftnebel einhüllen und „Foreign Affairs" geschrieben:
damit isolieren zu können glaubt. Es bedarf doch
Das Berlin-Problem ist, wie das Deutschland-
einer Anstrengung, die wir gemeinsam machen
müssen, um das wegzukriegen. Das können Sie doch Problem überhaupt, letztlich eine menschliche
Frage. Deshalb liegt hier auch der Ansatzpunkt
nicht bestreiten!
für eine Lösung. Wenn unseren Landsleuten in
(Allseitiger Beifall.) der sowjetisch besetzten Zone ein menschen-
würdiges Dasein, wenigstens ein gewisses Maß
Ich habe auch bei aller Bitterkeit, die hier aufge-
an Freiheit und Selbstbestimmung gewährt
kommen ist, den Eindruck, daß es — jedenfalls in
wird, werden wir über vieles mit uns reden
bezug auf das, was da, wenn nicht heute, so über-
lassen können.
morgen, von uns endlich gemacht werden muß
— drei Sätze in der Regierungserklärung gibt, die Ich weiß es nicht, und es steht mir nicht an, jetzt
von uns aufgegriffen und umgekehrt auch zu ent- hier den Bundeskanzler zu fragen, worüber er dann
sprechenden Fragen an die Regierung positiv ver- mit sich reden lassen wolle; das wäre unziemlich.
wendet werden können. Ich meine die Sätze: Nur muß ich andererseits sagen: wenn der Bundes-
Die kommunistische Berlin- und Deutschland- kanzler es für richtig hält und für wahrscheinlich
Politik basiert auf der Hoffnung, daß die Deut- auch nützlich hält, jetzt schon zu wiederholten Malen
schen infolge der ständigen Bedrohungen eines öffentlich erkennen zu lassen, daß wir „über vieles
Tages resignieren. mit uns reden lassen würden, wenn ... ", dann wird
er ja wohl auch die Konsequenz bedacht haben, daß
Das ist sicher so. andere fragen: „Ja, worüber wird er denn wohl mit
Wir haben dafür zu sorgen, sich reden lassen?"; und dann wird er wohl auch die
andere Konsequenz bedacht haben oder, wenn
— erklärt der Bundeskanzler weiter in seiner Re- nicht, noch bedenken, daß dann diejenigen, an deren
gierungserklärung — Adresse das vielleicht gerichtet ist, nämlich die im
daß sich diese Hoffnung nicht erfüllt. Osten, die unsere Landsleute in der Gewalt haben,
ihrerseits wissen möchten, worüber er oder wir mit
Das ist genau das, was wir tatsächlich vor allem zu uns reden lassen würden. Wenn man das sehr lange
tun haben. — Dann wird gesagt: macht, kann das, was darin an Positivem liegt, leicht
Hierin erblickt die Bundesregierung ihren wich- in ein beinahe Gegenteil umschlagen. Ich sage nicht,
tigsten Auftrag, und sie rechnet dabei fest auf daß man es nicht machen soll; ich meine nur, man
Ihre Unterstützung. muß sich auch der Konsequenzen bewußt sein, die
sich daraus ergeben: „Was ist dann, und was kann
Damit sind die Abgeordneten, ist der Bundestag damit gemeint sein?" Ich meine das durchaus
gemeint. Wenn wir damit einverstanden sind und positiv.
wenn wir die Leute sind, mit deren Unterstützung
die Bundesregierung rechnet, müssen wir auch — Daß wir nicht an der Forderung: „Selbstbestim-
und wollen wir auch — die Regierung, was wir mung für alle Deutschen" rütteln lassen wollen und
auch sonst von ihr denken, in diesem Punkte unter- können, weil das die Selbstaufgabe wäre, und daß
stützen, wenn sie das als ihren wichtigsten Auftrag es in Wirklichkeit unser Beitrag zur Erringung der
bezeichnet. — Nun, da bitte ich Sie noch einmal: Freiheit derer, die in der Unfreiheit leben müssen,
sehen Sie sich die Vorschläge meines Freundes Erich ist, daß wir sagen: „Deutschland wiedervereinigen
Ollenhauer zur Methode an, und Sie werden finden: auf der Basis des Rechtes der Selbstbestimmung für
das gibt einige — nicht Notausgangstüren für un- alle Deutschen, so wie man es anderen Völkern auch
sere Lage, sondern das gibt einige Türen, wo man gewährt", das ist auch klar. Man kann nicht das,
zu gewissen Beratungen über Schritte kommen kann was man also vielleicht unter Weglassung der For-
auf der vorhandenen Basis; und das wäre schon der mel „Wiedervereinigung" glaubt leichter anbringen
Mühe wert, das zu versuchen. zu können, in Wirklichkeit damit erreichen; denn
das wäre dann ein Messer nicht nur ohne Heft, son-
Der Bundeskanzler hat erklärt, und das hat in- dern auch ohne Klinge; und Sie wissen, was das
zwischen auch seine Wellen geschlagen, die Leute dann für ein Messer ist. Es ist ja nicht nur ein
schreiben darüber und reden darüber — „Was ist Rechtstitel, den wir in Anspruch nehmen, wenn wir
gemeint? So oder so?"; überwiegend sagt man, es von der Wiedervereinigung in gesicherter Freiheit
sei ganz positiv zu werten —, und zwar, wie er sprechen; und da sind wir uns einig. Wenn wir aber
sagt, erneut erklärt, daß die Bundesregierung be- — und ich billige das, ich finde, das ist ein guter
reit sei, über vieles mit sich reden zu lassen, wenn Gedanke ,nur muß man genau seine Grenzen ken-
unsere Brüder in der Zone ihr Leben so einrichten nen — sagen, wir wären bereit, über vieles mit uns
könnten, wie sie es wollen; menschliche Überlegun- reden zu lassen, dann muß man wahrscheinlich all-
gen spielten hier für uns eine noch größere Rolle mählich sogar auf die Weise, die von der Bundes-
als nationale. Ich habe schon ehrenwerte Kollegen regierung für richtig gehalten wird — da kann man
gehört, die hinsichtlich der Wortwahl bestimmte ihr nicht hineinreden — erkennbar machen, wor-
Skepsis ausdrückten; aber ich nehme das alles in über man bereit wäre, mit sich reden zu lassen; an-
allem und sage: was damit gemeint ist, das wird deutungsweise. Wenn man das überhaupt nicht tut,
wohl jeder versuchen zu unterstützen. meine Damen und Herren, werden andere fort-
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode -- 41. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. Oktober 1962 1759
Wehner
gesetzt bestimmen, worüber wir eigentlich mit uns Wirklichkeit auch Fragen an Sie selbst, da sind
reden lassen sollten; Fragen an uns alle, Fragen, für deren Erörterung in
(Beifall bei der SPD) einem Stadium, wo die Erörterungen noch nicht aus-
gereift sein können, es vielleicht engerer, intimerer
und dann ginge es Ihnen so wie uns mit dem Möglichkeiten bedurfte, um weiterzukommen. Ich
Deutschlandplan — worüber Sie sich gefreut haben; bin froh, daß in der Ergänzung, als die ich, ohne
wir würden uns nicht freuen —; da würden andere damit etwas ironisieren zu wollen, die Ausführun-
bestimmen, was sie aus einer solchen Formel gen des Herrn Bundesministers des Auswärtigen
machen. zur Regierungserklärung bezeichnet habe, so oft
(Abg. Majonica: Wer hat gesagt, daß wir und so positiv das deutsche Memorandum vom
uns damals über den Deutschlandplan ge 21. Februar dieses Jahres erwähnt worden ist, jene
freut haben? Wir waren damals entsetzt! Antwort auf das sowjetische vom 27. Dezember. Das
Dieser Plan' hätte Ulbricht zur zentralen macht mir Hoffnung, daß dieses Memorandum jetzt
Figur in Deutschland gemacht!) vielleicht nutzbar gemacht wird für politische Über-
— Halten Sie auf! Fangen Sie damit nicht wieder legungen; denn es war ja eine gute Arbeit. Nur ist
an! Der Ulbricht hat genau gesagt, was er davon es damals so schnell „überkrollt" worden.
hält: das sei der Plan, die Macht der westdeutschen (Heiterkeit.)
imperialistischen Monopole auch auf die DDR zu
Ich will Sie nicht piesacken in dieser Frage und
erstrecken. So war Ulbrichts erste, 14 Tage lange
nicht etwas sagen, was sich mir manchmal etwas zu
Reaktion, bis er versucht hat, damit Diversions-
verallgemeinernd auf die Zunge drängt — an ihren
arbeit zu machen. Das hatte gar nichts mit dem Plan
Botschaftern sollt ihr sie erkennen —, weil das un-
zu tun, sondern nur mit dem Versuch, wie ich es
gerecht gegen die anderen Botschafter und auch un-
damals sagte, den Sozialdemokraten so lange ge-
gerecht gegen die Bundesregierung wäre. Da haben
wisse Steine in die Schuhe zu drücken, bis sie der
Sie recht. Aber Sie sehen doch, was es da für Luft,
Schuh drückt.
für Löcher gibt. Das ist wie mit einem Gummisack:
(Heiterkeit.)
auf einmal pfeift's an irgendeiner Stelle heraus.
Darum ging es.
Die ganze Frage, von der der Bundeskanzler (Heiterkeit links.)
sagte: sie ist letztlich eine menschliche Frage, ein So auch hier, und das ganze Memorandum war weg.
menschliches Problem, hat der Regierende Bürger- Es war also überpudert. Jetzt ist es wieder heraus-
meister von Berlin in einem Vortrag, den er jetzt geholt worden. Der Herr Bundesminister des Aus-
vor der Harvard-Universität gehalten hat, so aus- wärtigen hat es jetzt wieder zu etwas gemacht, mit
gedrückt — und ich finde, da berührt sich etwas, dem man rechnen kann, und ich habe es mir auch
nur muß man versuchen, es Gestalt gewinnen zu gleich noch einmal genau angeguckt. Darin sind
lassen —, daß er erklärte, für ihn sei das entschei- schöne Möglichkeiten, aber auch harte Verpflichtun-
dende Ergebnis des letzten Jahres gewesen: gen, auch in der Frage der Initiative, sich für weitere
Wir haben in Berlin zwar objektiv einen Sieg Entwicklungen in der Diskussion über den Friedens-
errungen, vertrag zu wappnen, was ja wohl gar nicht so ein-
— womit er meinte: weil Chruschtschow nicht den fach ist.
Zusammenbruch und die Panik der Bevölkerung Das alles, glaube ich, ist bei allen Schwierig-
Westberlins mit dieser schrecklichen Tat erzielt keiten unserer Situation etwas, was positiv gewertet
hat. — werden kann. Es wird von Ihnen wohl auch positiv
Den Preis aber müssen jene bezahlen, die un- gewertet werden, daß ich damit zunächst schließe
sere besten Freunde sind und denen wir jahre- und die weiteren Runden der Debatte anderen
lang geholfen haben: die Menschen jenseits der überlasse. Wir werden uns ja vielleicht noch einmal
Mauer oder richtiger: die auseinandergerisse- sprechen können. Ich danke Ihnen für Ihre Geduld.
nen Familien auf beiden Seiten der Mauer. (Beifall bei der SPD.)
— Die müssen ihn bezahlen! —
Es war ein kostspieliger Sieg für uns und eine Vizepräsident Dr. Jaeger: Das Wort hat der
Niederlage der Sowjets, über die wir nicht froh Herr Bundeskanzler.
werden können. Mit der Mauer in Berlin kann
sich der Westen auf die Dauer nicht abfinden. Dr. Adenauer, Bundeskanzler: Herr Präsident!
Die Lösung der deutschen Frage auf dem Meine Damen und meine Herren! Herr Kollege Deist
Boden des Selbstbestimmungsrechts muß auf hat in seiner gestrigen Rede davon gesprochen,
der Tagesordnung bleiben. Aber sie bleibt ein- welche Bedeutung die Gewerkschaften hätten, und
gebettet in den allgemeinen Ost-West-Konflikt; er hat sich darüber beschwert, daß das Klima, das
darum ist ihre Lösung nicht von heute auf mor- zwischen den Gewerkschaften und uns bestehe, nicht-
gen zu erwarten. Ein Modus vivendi in der richtig sei. Ich erkenne die Bedeutung der Gewerk-
Berlin-Frage bleibt erstrebenswert, ohne den schaften vollkommen an. Meine Damen und Herren,
Zusamenhang mit den umfassenderen Proble- lassen Sie mich vom „Kleinen Knaur", den wir
men aus dem Auge zu verlieren. eben gehört haben, auf sachliche Dinge zurückkom-
Herr von Brentano, Sie haben kürzlich Fragen an men.
Willy Brandt gestellt. Machen Sie es sich bitte nicht (Unruhe bei der SPD. — Abg. Erler: Armer
leichter, als es in Wirklichkeit ist. Da sind ja in Konrad! — Weitere Zurufe.)
1760 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. Oktober 1962
Bundeskanzler Dr. Adenauer
Meine Damen und Herren, ich möchte gerade bei Herr Ollenhauer, den ich doch als einen Politiker
Beginn einer neuen Periode unserer wirtschaftlichen kenne, der maßzuhalten versteht,
Entwicklung mit den Gewerkschaften konform
(Lachen bei der SPD)
gehen. Deswegen habe ich im Laufe des Juli und
August vier Besprechungen mit den verschiedenen glaubte eine solche Frage stellen zu müssen, —
Gewerkschaften in ganz kleinem Kreise abgehalten. sehen Sie, meine Damen und Herren, das ist ja doch
Ich habe ihnen auseinandergesetzt, wie sich die die Unterstützung des Denkens des Herrn Chru-
wirtschaftliche Lage voraussichtlich gestalten wird, schtschow,
und habe sie um ihre Mithilfe dabei gebeten. Ich (lebhafter Widerspruch bei der SPD —
bin von einigen der Organisationen, mit denen ich wiederholte Pfui-Rufe — Glocke des Präsi-
gesprochen habe, enttäuscht gewesen, von anderen denten — Zuruf von der SPD: Das kann
nicht. Nun, meine Damen und Herren, wir werden man doch nicht ernst nehmen!)
jetzt abwarten müssen, wie sich die Dinge weiter von der Herr Wehner eben in anderem Zusammen-
entwickeln; aber ich bitte Sie und die ganze Öffent- hang gesprochen hat.
lichkeit sehr, den Willen der Bundesregierung, wie
er in der Regierungserklärung niedergelegt ist, nicht (Beifall bei der CDU/CSU.)
leicht zu nehmen. Nach unserer Überzeugung han- Denn gerade Herr Wehner hat doch eben — sehr
delt es sich um den Anfang einer neuen Epoche in mit Recht, nach meiner Meinung — ausgeführt, daß
der wirtschaftlichen Entwicklung. Davon müssen wir die sowjetrussische Politik, insbesondere die Politik
Kenntnis nehmen, und wir müssen unser Handeln Chruschtschows, davon lebe, daß sie die Hoffnung
dementsprechend einrichten. habe, der Westen werde nicht einig sein.
Meine Damen und Herren, gestern hat Herr Kol- (Beifall bei der CDU/CSU.)
lege Ollenhauer folgendes gesagt:
Darum glaube ich, jede Partei in diesem Saale,
Aber warum haben Sie, Herr Bundeskanzler, gleichgültig ob sie der Regierungskoalition ange-
nicht hinzugefügt, daß wir die Größe des hört oder ob sie der Opposition angehört, muß mit
Risikos kennen, das die Vereinigten Staaten uns darin übereinstimmen, daß wir sehr vorsichtig
und ihre Verbündeten eingegangen sind, und sind in allem, was wir sagen,
daß wir, die Bundesrepublik, bereit sind, dieses (lebhafte Zustimmung bei der SPD und Bei-
Risiko mit allen Konsequenzen zu teilen? fall bei der CDU/CSU)
Meine Damen und Herren, wenn ich hier bei einer damit nicht der Russe, damit nicht Sowjetrußland
Gelegenheit, wie sie diese Diskussion darstellt, von weiter die von der Hoffnung getragene Politik
dem Leiter der Opposition eine solche Frage gestellt treibt, daß der Westen schließlich nicht zusammen-
bekomme, dann liegt dem doch wohl zugrunde, halten werde.
daß er der Auffassung ist, daß wir nicht bereit
seien, dieses Risiko in vollem Umfange zu teilen. Meine Damen und Herren, Herr Kollege We h
Und das hat mich aufrichtig empört, -nerhatvosielmgsprochen,daßm icht
auf alles eingehen kann. Ich beabsichtige es auch
(Zustimmung bei der CDU/CSU) nicht zu tun, zumal der Bundesaußenminister zurück
daß dem Bundeskanzler als Sprecher dieser Bundes- ist und auch noch sprechen wird.
regierung — der Bundesregierung, die die ganzen (Hört! Hört! bei der SPD. — Heiterkeit.)
Beziehungen zu den Vereinigten Staaten, zu den
NATO-Partnern, zu allen geknüpft hat — hier im Aber eines möchte ich doch noch sagen. Ich habe es
Bundestag öffentlich eine solche Frage gestellt wird, nicht für richtig gehalten, daß Herr Wehner von
in der dieser Zweifel steckt. dem Gedanken eines deutsch-französischen Über-
gewichts gesprochen hat. Das ist auch eine Wen-
(Beifall bei der CDU/CSU.) dung, die nicht gut ist. Es gibt kein deutsch-fran-
Ich glaube, jeder, der diese Dinge objektiv betrach- zösisches Übergewicht.
tet und der die Entwicklung der vergangenen Jahre (Abg. Dr. Schmid [Frankfurt] : Genau das
kennt — Herr Majonica hat eben darauf hingewie- hat er gesagt! — Weitere Zurufe von der
sen —, der wird mit mir fühlen. SPD.)
Meine Damen und Herren, Sie wissen, daß vor - Bitte, lesen Sie genau nach, und dann werden Sie
einigen Monaten zwischen der Administration der finden, verehrter Herr Präsident, daß man, wie bei
Vereinigten Staaten und uns eine gewisse Wolke der ganzen Rede Herrn Wehners, sowohl so als
vorhanden war. Aber es handelte sich dabei nie- auch so daraus Schlüsse ziehen kann.
mals darum, daß wir nicht bereit seien, das ganze
Risiko auf uns zu nehmen. (Große Heiterkeit und Beifall bei der CDU/
CSU. — Lachen und Zurufe von der SPD.
(Beifall bei der CDU/CSU.) — Unruhe.)
Ich möchte Ihnen hier sagen, daß ich bei meiner Als Herr Kollege Wehner eben gesprochen hat, da
letzten Anwesenheit in den Vereinigten Staaten habe ich mir gedacht: Gott sei Dank, daß du nicht
Herrn Präsidenten Kennedy das in einem Gespräch Journalist bist und nun deiner Zeitung angeben
wörtlich erklärt habe. mußt, was er gesagt hat.
Meine Damen und Herren, was mich gestern (Erneute Heiterkeit bei der CDU/CSU. —
wirklich entsetzt hat, als der Vorsitzende der Oppo- Lachen und Zurufe von der SPD. — Abg.
sition, gerade — ich habe das eingangs gesagt — Wehner: Bei Ihnen ist das auch einfacher!)
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. Oktober 1962 1761
Bundeskanzler Dr. Adenauer
Ich komme noch einmal zurück auf das angebliche sen Pikanterie, daß der Herr Kollege Wehner heute
französisch-deutsche Übergewicht. Ich möchte Ihnen die Haltung der Freien Demokraten gegenüber der
und allen Deutschen draußen und auch allen Nicht- EWG vor Jahren in einen Vergleich zur Haltung
deutschen draußen nur das eine sagen: Wie sähe es der Sozialdemokratischen Partei stellt und 'den
dann mit der Politik des freien Westens, wie sähe Freien Demokraten iihre Zurückhaltung in dieser
es mit der europäischen Politik aus, wenn der Ge- Gründungszeit der EWG vorwirft. Nun, wir geben
gensatz zwischen Frankreich und Deutschland wei- auch heute noch 'freimütig zu, daß 'wir in dieser Zeit
terbestanden hätte? Bedenken dahingehend 'gehabt haben, daß die vor-
(Beifall bei den Regierungsparteien. — gesehene Konstruktion vielleicht eine endgültige
Abg. Matzner: Das ist doch eine Binsen- Fixierung sein könnte. Wir geben zu, daß wir Be-
wahrheit! - Weitere Zurufe von der SPD.). fürchtungen hatten, diese Konstruktion würde viel-
leicht keine Ausweitung in einem Sinne erfahren,
— Ich freue mich, daß Sie das bejahen. wie Sie ihn bejaht haben und sehr leidenschaftlich
(Erneute Zurufe von der SPD. — Abg. — wie ich heute morgen festgestellt habe — wieder
Wehner: Das ist doch klar! Wir können bejahen. Aber wir gestehen ein: wir hatten Sorgen.
Ihnen doch auch mal eine 'Freude machen!) Herr Kollege Wehner, wenn Sie zum Ausdruck brin-
gen wollen, daß die sozialdemokratische Fraktion
Ich weiß, daß gerade Herr Kollege Carlo Schmid diese Sorgen niemals geteilt habe, dann können Sie
neulich in einer Rede sehr nachdrücklich 'denselben das, glaube ich, vor Ihrer eigenen Fraktion nicht mit
Gedanken ausgesprochen hat. ganz gutem Gewissen aussprechen.
(Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Dr. (Zustimmung 'bei der FDP.)
Schmid ,(Frankfurt) : Sicher! Mein ganzes
Leben lang!) Nun, meine Damen und Herren, lassen Sie mich
etwas sagen, was mich bei den Darlegungen aller
Aber hier handelt e s sich um den Bundestag. Debattenredner gestern und heute sehr bewegt hat.
(Sehr .gut! in der Mitte.) Ich habe empfunden, daß sich durch die Reden aller
Hier handelt es sich nicht darum, was man in der Sprecher wie ein roter Faden eine tiefe Besorgnis
Öffentlichkeit — mögen Sie es sein, mag ich es sein über die Verschärfung der Spannungen in der Welt
— sagt, sondern hier handelt es sich darum, was der gezogen hat, eine tiefe Besorgnis über die Entwick-
Chef der Regierung namens der Bundesregierung lung in Berlin, eine tiefe Besorgnis über das Schick-
sagt, was die Koalitionsparteien dazu sagen und was sal unseres Volkes und unserer Nachbarvölker. In
die Opposition dazu sagt. Das sind sehr offizielle diesem Hause sitzen eine ganze Reihe Kollegen, die
Dinge, bei denen in der außerordentlich gespannten vieleicht mehr wissen als die Masse von uns, wie
außenpolitischen Lage, in der wir uns befinden, groß die 'gleichen Sorgen auch bei unseren Verbün-
jedes Wort genau überlegt sein muß, deten sind. Ich 'glaube, die Kollegen Dehler, Gradl
(Zustimmung bei der SPD) und Mattick haben etwas davon gespürt, als sie
das man ausspricht. unlängst gemeinsam mit einem Vertreter des Kura-
toriums Unteilbares Deutschland in Washington
(Lebhafter Beifall bei den Regierungspar waren. Der Regierende Bürgermeister von Berlin
teien. — Zurufe von der SPD.) und noch mehr der Bundesaußenminister mögen
von diesen Sorgen noch mehr wissen.
Vizepräsident Dr. Jaeger: Das Wort hat der
Abgeordnete Döring. Bei aller Liebe zur Debatte und bei aller Not-
wendigkeit des Herausschälens von gegensätzlichen
Auffassungen sollte man doch eines nicht verken-
Döring (Düsseldorf) (FDP) : Herr Präsident! nen: daß uns alle eine tiefe Enttäuschung erfaßt
Meine Damen und Herren! Herr Kollege Wehner, hat, weil sich Hoffnungen, die wir — vielleicht gra-
ich muß doch noch einmal auf den „kleinen Knaur" duell unterschiedlich — gehegt haben, Hoffnungen
zurückkommen. auf Entspannung in Europa und in der Welt nicht
(Abg. Wehner: Wohl um Tribut zu leisten!) erfüllt haben.
Ich tue das allerdings in der Hoffnung, daß ich dann (Sehr richtig! bei der FDP.)
das Podium nicht als „kleiner Brockhaus" verlassen Deswegen ist es durchaus begreiflich, wenn sich
werde. einzelne Kollegen unter uns, wenn sich Gruppen,
Herr Kollege Wehner, Sie 'sind manchmal in Ihren Fraktionen oder Parteien Gedanken machen, wenn
Schlußfolgerungen ein bißchen 'voreilig. Mein Kol- sie nach Möglichkeiten suchen, Vorschläge anzubie-
lege Mende hat gestern den Standpunkt der Freien ten, die vielleicht zu einem Erfolg führen könnten.
Demokratischen Partei 'zu den außenpolitischen In diesen zwei Tagen sind scharfe Worte über
Problemen dargelegt; er hat auch den Standpunkt Initiativvorschläge oder Initiativen gefallen. Ich bin
-
unserer Fraktion zu den Problemen der Europa- aus einem nicht ganz klug geworden. Wenn ich den
politik vorgetragen. Ich wäre heute morgen auf Kollegen Ollenhauer gestern richtig verstanden
diese spezielle Frage nicht mehr zurückgekommen, habe, dann hat er sich gegen eine generelle Abwer-
wenn nicht der Herr Kollege Wehner, der an sich tung von Überlegungen zu wenden versucht, die zu
keinen Ausflug in die Vergangenheit machen wollte, Initiativen führen sollen. Aber den Kollegen Weh-
im Zusammenhang mit diesen Fragen und im Blick ner habe ich heute morgen wieder so verstanden,
auf die FDP doch einen Ausflug in die Vergangen- er halte das Gerede von Initiativen für Unfug. Mir
heit gemacht hätte. Es entbehrt nicht einer gewis- ist also nicht ganz klar, welche Auffassung die
1762 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. Oktober 1962

Döring (Düsseldorf)
soz i aldemokratische Fraktion zur Methodik in die- jeweilige Gegner könne und wolle angesichts ato-
sem Zusammenhang überhaupt hat. marer Waffenwirkungen letztlich einen Krieg ja
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch doch nicht führen. Dieser beiderseitige Glaube
etwas sagen. Ich will gar nicht verschweigen, daß birgt die große Gefahr in sich, daß man, wenn ich
sich auch die Freien Demokraten angesprochen ge- so sagen darf, in dem großen politischen Pokerspiel
fühlt haben. Selbst wenn ich bei einem Vorschlag einmal überreizt und daß das Prestige des einen
oder einer Idee, die einer unserer Kollegen oder oder anderen so berührt wird, daß ein militä-
eine der Fraktionen entwickelt oder die Regierung rischer Konflikt eine zwangsläufige Folge ist.
vertritt — auch wenn sie mir persönlich nicht ge- Heute morgen ist — direkt oder indirekt — die
fällt —, selbst wenn ich bei mancher Initiative, die Frage gestellt worden, welche Vorstellungen denn
in den vergangenen Jahren empfohlen worden ist, die Regierung bzw. die Fraktionen bewegen, die
den subjektiven Eindruck habe, daß ihre Verwirk- diese Regierung tragen. Kollege Ollenhauer hat
lichung gefahrvoll wäre, selbst dann würde ich den gestern in seiner Rede speziell im Blick auf diese
Initiatoren immer unterstellen, daß sie bei ihren Frage festgestellt, die Regierung zeige ein hohes
Überlegungen von den gleichen Motiven getragen Maß an Uneinigkeit oder die Koalition zeige dieses
sind wie denen, die mich bei meinen Überlegungen Maß an Uneinigkeit; Ich glaube, über die Ziele, die
bewegen, nämlich von dem Wunsch, einen gedank- man erreichen möchte, kann es gar keine Uneinig-
lichen Beitrag zur Lösung der schwierigen, gefahr- keit geben, weder zwischen den Koalitionspartnern
vollen nationalen und weltpolitischen Probleme zu noch in der Regierung. Ich möchte auch sagen: es
leisten. Wenn ich jemandem in diesem Hause ein kann im Blick auf die Ziele auch keine Uneinigkeit
anderes als ein derart ehrenhaftes Motiv unter- mit der Opposition geben.
stellte, müßte ich gleichzeitig aussprechen, daß der Selbstverständlich wollen wir alle den Frieden
Betreffende nicht in dieses Haus gehört. erhalten; selbstverständlich wollen wir Freiheit be-
Initiativen aus Geschäftigkeit mag es geben und wahren und Freiheit schaffen; selbstverständlich
mag es gegeben haben. Aber ich glaube, derartige haben wir alle gemeinsam als Ziel die Einheit un-
Initiativen sind mit der meist deutlich erkennbaren seres Volkes. Aber ich glaube, die Gemeinsamkeit
Mentalität ihrer Verfechter gerichtet oder erledigen in den Zielen ist letztlich noch nicht das allein Ent-
sich von selbst. scheidende. Sehr viel schwieriger wird es, wenn
Aus der Besorgnis um die Erhaltung des Friedens, man sich darüber unterhalten und einigen muß,
die aus den Beiträgen aller Sprecher geklungen ist, welche Wege eingeschlagen und welche Methoden
ergeben sich Konsequenzen für die Politik der Bun- gewählt werden sollen, um die gemeinsamen Ziele
desregierung. Eine selbstverständliche Konsequenz zu erreichen. Über Wege und Methoden gibt es
ist zunächst einmal, daß die Bundesregierung keine wohl nicht nur innerhalb von Regierungskoalitio-
Politik treiben kann und wird, die etwa eine Ver- nen, sondern auch innerhalb jeder Partei unter-
schärfung der ohnehin vorhandenen Spannungen schiedliche, vielleicht manchmal sogar sehr unter-
bewirkt. Es ergibt sich die klare Konsequenz, daß schiedliche Vorstellungen. Hier kann ich nur sagen,
die Bundesregierung in Zusammenarbeit mit unse- Herr Kollege Ollenhauer: wenn es an die Frage
ren Verbündeten nur eine Politik der Entspannung geht, auf welchen Wegen, mit welchen Methoden
begünstigen kann. Eine Politik, die der Entspan- man die gesetzten Ziele verfolgen soll, kann auch
nung dienen soll — man muß das, um nicht miß- die Sozialdemokratische Partei ein Lied davon sin-
verstanden zu werden, immer hinzufügen —, ist gen, wie heftig man über solche Probleme streiten
nicht etwa gleichzusetzen mit einer Politik der mili- und verschiedener Meinung sein kann. Ich glaube,
tärischen Sorglosigkeit. Es ist angesichts der poli- Herr Kollege Ollenhauer, diese Situation wäre nicht
tischen Praxis der Sowjetunion und angesichts der anders, wenn die Sozaldemokratische Partei in einer
brutalen aggressiven Maßnahmen des Ulbrichts- Regierungskoalition mit der CDU säße; sie wäre
Regimes besonders notwendig, sich keiner militä- auch nicht anders, wenn die Sozialdemokratische
rischen Sorglosigkeit hinzugeben. Wenn wir uns Partei in einer Koalition mit der FDP wäre. Ent-
trotz allem und — ich möchte noch einmal auf das scheidend ist doch, daß man in einer Koalition —
zurückkommen, was der Kollege Wehner heute mor- und das ist bewiesen — den Willen zu einer gemein-
gen sagte — trotz der Diffamierungen durch den So- samen Formel für die Methoden und auch für die
wjetblock, denen wir ständig ausgesetzt sind, um Wege zur Erreichung der gesteckten Ziele hat. Viel-
politische Konsequenzen mit dem Ziel, der Ent- leicht wird das nur von Etappe zu Etappe möglich
spannung zu dienen, bemühen, dann ist das ange- sein.
sichts der Hetzkampagne eben mehr als eine bloße Es sind Wege zu den gesetzten Zielen aufgezeigt,
Demonstration des guten Willens. nicht nur von der Regierungskoalition; der Bundes-
Es wäre aber ein verhängnisvoller Irrtum in den tag selbst hat — in einigen Fällen sogar einstim-
Reihen des Sowjetblocks, wenn man unsere Be- mig — gewisse Wege zur Erreichung der Ziele auf-
mühungen oder wenn man Beiträge der Bundes- gezeigt. Die Koalition bejaht nicht grundsätzlich
regierung zu einer Politik .der Entspannung als ein etwa ein ein rezeptives Verhalten gegenüber der
Zeichen der Furcht oder Schwäche auslegen wollte. sowjetischen Politik und wird sich selbstverständ-
Gestatten Sie mir eine Bemerkung zu einem Pro- lich bemühen, die Initiative für die Deutschlandpoli-
blem, das ich in diesem Zusammenhang erwähnen tik gemeinsam mit ihren Verbündeten zu gewinnen.
möchte und das mich gerade in den letzten Wochen Die Frage wird immer sein, wo und zu welchem
sehr bewegt hat. Ich glaube, daß das psychologisch Zeitpunkt sich Ansatzmöglichkeiten für eine Ge-
Gefahrvollste der Glaube in Ost und West ist, der winnung der Initiative bieten.
Deutscher Bundestag —j 4. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. Oktober 1962 1763
Döring (Düsseldorf)
Ein Weg ist vom Plenum dieses Hauses in der (Vorsitz: Vizepräsident Dr. Dehler)
Berlin-Entschließung vom 1. Oktober 1958, die
Ich glaube, auch die Oppositionsfraktion wird das
gestern erwähnt wurde, aufgezeigt. In ihr ist der
ernsthafte Bemühen des Bundesaußenministers nicht
Wille des Bundestages zum Ausdruck gebracht —
in Frage stellen können, das sich schon sehr deut-
an dem selbstverständlich auch die Regierung ihre lich wieder zeigen wird, wenn er die Auffassung der
Politik orientieren wird und muß —, alle Bestrebun- Bundesregierung in den nächsten Tagen in Washing-
gen zu unterstützen, die zu einer Entspannung füh- ton vertreten wird.
ren können, die uns auf dem Wege zur Lösung un-
serer nationalen Probleme helfen können. In dieser Debatte ist auch das Wort von der Ge-
meinsamkeit gefallen. Gemeinsamkeit in der Be-
Eine Auffassung des Bundestages zu einem an- handlung außenpolitischer Fragen ist oft gefordert
deren Problem ist in der Empfehlung vom 14. Juni worden, auch von der Fraktion der Freien Demo-
1961 aufgezeigt, die sich mit der Konsolidierung des kratischen Partei. Ich habe immer Zweifel gehabt, ob
Verhältnisses der Bundesrepublik zu den osteuro- es eine absolute Gemeinsamkeit in diesen außen-
päischen Staaten befaßt. Wenn sich Erfolge auf die- politischen Fragen jemals geben kann. Aber eine
sem Gebiet erzielen lassen, werden sie ein wesent- Gemeinsamkeit kann es immer geben: die Gemein-
licher Schritt auf dem Wege zur Entspannung. sein. samkeit des guten Willens, trotz unterschiedlicher
Ich erwähne weiter die Erklärung des Herrn und gegensätzlicher Auffassung über Wege und
Bundestagspräsidenten vom 30. Juni 1961, die hier Methoden in der Außenpolitik uns gegenseitig auf
ja oft genug zitiert worden ist, daß es nämlich unser jeden Fall die gemeinsamen Motive zu unterstellen,
aller Ziel sein müsse, in Zusammenarbeit mit un- die uns alle bewegen, das Bestreben, den Frieden
seren Verbündeten Klarheit über den politischen zu erhalten, der Wille, einen politischen Beitrag zur
und militärischen Status eines Gesamtdeutschland Erringung der Freiheit aller in Unfreiheit Lebenden
zu schaffen. Ich habe oft den Eindruck gehabt, daß zu leisten, der Wille zur Einheit unserer Nation und
sich der eine oder der andere diese Erklärung des letztlich die gemeinsame Liebe zu unserem Volk.
Bundestagspräsidenten nicht mehr so gern in die (Beifall bei der FDP.)
Erinnerung zurückgerufen hat, und zwar aus einem
Grunde, der nach meiner Überzeugung gar nicht
Vizepräsident Dr. Dehler: Ich unterbreche die
stichhaltig ist, weil er vielleicht glaubte, daß diese
Sitzung auf Antrag der CDU/CSU-Fraktion. Sie wird
Formel als eine Neutralisierungsformel ausgelegt
um 11.15 Uhr wiederaufgenommen.
werden könnte. Nun, meine Damen und Herren, in
keiner Fraktion dieses Hauses wird jemand daran (Abg. Rasner: Wir haben Fraktionssitzung!)
glauben, daß eine Neutralisierung Deutschlands — Die CDU/CSU und die FDP bitten zu Fraktions-
zwischen zwei ideologisch fest umrissenen kontro- sitzungen.
versen Blöcken möglich wäre. Jeder weiß, daß sich
ein militärischer und politischer Status Gesamt- (Unterbrechung der Sitzung von 11.02 bis
deutschlands nur in einem größeren Rahmen finden 11.22 Uhr.)
lassen kann, nämlich im Rahmen einer Veränderung
der politischen und militärischen Verhältnisse in Vizepräsident Dr. Dehler: Die Sitzung wird
Europa. Eine Veränderung dieser politischen und fortgesetzt.
militärischen Verhältnisse in Europa ist aber unlös- Im Augenblick kommt der Wunsch von der CDU/
lich an eine weltweite politische Entspannung ge- CSU-Fraktion, daß wir noch weitere zehn Minuten
bunden. warten.
Das heißt nicht, daß man sich etwa darauf be- (Zurufe von der SPD.)
schränken könnte, auf besseres politisches Wetter
— Wir müssen diesem Wunsch entsprechen. Um
zu warten. Wir haben zu jeder Zeit einen Beitrag
Schwierigkeiten aus dem Wege zu gehen, schlage
zur, Lösung dieser Probleme zu leisten, und wenn
ich vor, daß wir um 11.45 Uhr wieder beginnen.
es nur ein gedanklicher Beitrag ist. Der erste, den
wir aber hier im einzelnen zweckmäßigerweise nicht (Unterbrechung der Sitzung von 11.23 bis
diskutieren sollten — das haben alle Fraktionen so 11.45 Uhr.)
gesehen —, betrifft die Verbesserung unseres Ver-
hältnisses zu unseren östlichen Nachbarn. Es Vizepräsident Dr. Dehler: Die Sitzung wird
wird vielleicht im Verlaufe dieser Debatte noch fortgesetzt.
deutlicher zum Ausdruck kommen, daß es auch der
Das Wort hat Herr Abgeordneter zu Guttenberg.
Auffassung der Koalition entspricht, wenn wir da-
durch einen Beitrag zur Entspannung zu leisten
suchen, daß wir nach Konsultationen mit unseren Freiherr zu Guttenberg (CDU/CSU) : Herr Prä-
Verbündeten die Diskussion über die deutsche sident! Meine Damen und Herren! Wie schon ein-
Frage zwischen den Großmächten wieder in Gang mal ist mir die Aufgabe zugefallen, auf eine Rede
bringen mit dem Ziel, zu einer ständigen Beratung zu antworten, die der Herr Kollege Wehner hier
des deutschen Problems zu gelangen, das das Ber- gehalten hat. Herr Kollege Wehner hat diese Rede
liner Problem einschließt. Selbstverständlich ver- zweigeteilt. Er hat sowohl vom heutigen Kurs als
folgen wir das Ziel, an das Ende einer ständigen auch vom Gestern seiner Partei gesprochen.
Deutschland-Konferenz einen wahren Frieden zu Meine Antwort auf das, was er vom Heute der
setzen, der nur dann gesichert sein wird, wenn uns SPD gesagt hat, ist ganz einfach die: Herr Kollege
Freiheit und Einheit gewährt sind. Wehner, wir freuen uns, daß der Prinzipienstreit,
1764 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. Oktober 1962
Freiherr zu Guttenberg
der jahrelang dieses Haus und die Öffentlichkeit in Jahren immer wieder_ festzustellen hatten. Wenn
unserem Lande beschäftigt hat, zu Ende ist. Jahre- wir damals nämlich sagten: „Sie irren!" Dann müs-
lang gab es jene, die da sagten, daß sie für die sen wir doch heute sagen: Jawohl, Sie haben sich
NATO, für das westliche Bündnis, für Europa seien, geirrt!
und es gab die anderen, die von der Bündnisfreiheit
(Abg. Frau Dr. Hubert: Leider nicht!)
und von der Neutralität gesprochen haben. Ich wie-
derhole, wir freuen uns, daß dieser Prinzipienstreit Es ist schwer erträglich, zuzuhören, wenn man die
zu Ende ist. Die schwerste Hürde scheint genommen Rechtfertigungen hört, die in der Rede des Herrn
zu sein, um die Gefahr zu beseitigen, die für unsere Wehner vorgebracht wurden. Sie haben doch gesagt,
Existenz durch all diese Jahre bestanden hat, so- Herr Wehner, die deutschen Sozialdemokraten seien
lange unsere Gegner eine Chance und unsere nicht gegen die Verteidigung an sich gewesen, sie
Freunde ein höchstes Risiko darin erblicken mußten, hätten sich nur — das waren Ihre Worte — eine an-
daß nur ein Teil der politischen Repräsentanz der dere Rangordnung vorgestellt. Eine Rangordnung,
Deutschen uneingeschränkt für das Bündnis mit dem in der politische Ziele — so habe ich Sie verstan-
Westen war. den — vor den militärischen Zielen rangierten.
Ein zweites. Als einem Mitglied der CDU/CSU Wirklich, Herr Wehner? Ist das die ganze Wahr-
wird man mir wohl nicht verdenken, daß ich sage: heit? Gab es denn nicht Plakate, die wir von der
wir freuen uns auch darüber, daß wir die letzte, die CDU gesehen, die Sie von der SPD gedruckt und
wirklich nicht mehr zu überbietende Bestätigung für aufgehängt haben, auf denen zu lesen stand: „Woh-
die Richtigkeit unserer Politik erhalten haben, nungen statt Kasernen"? War es denn nicht so, daß
wir, die CDU, allerorten, wohin wir kamen, auf die
(Beifall bei der CDU/CSU)
Parole trafen: „Ohne mich"? Wer hat diese Parole
jene Bestätigung nämlich, daß die Prinzipien un- denn ins Volk gebracht? Wir alle wissen, wie das
serer Politik von unserem schärfsten Widersacher war.
übernommen wurden. Wir wissen auch, wie es um die Europapolitik der
Nun aber zu dem, Herr Kollege Wehner, was Sie Sozialdemokraten damals stand. Gewiß, das weiß
zum Gestern Ihrer Partei gesagt haben. Herr Weh- ich auch, keiner aus der SPD 'hat je etwa gesagt,
ner, es ist doch ganz einfach wahr, daß Sie unsere daß er gegen Europa sei und nichts von einer euro-
schärfsten Gegner waren. Es gab doch keinen Wahl- päischen Einigung wissen wolle. Aber eben dies war
kampf in unserem Lande, der nicht um die Fragen es ja. Wir haben viele schöne Theorien gehört und
unserer Außen- und Verteidigungspolitik geführt vieles, was im Grunde aber unverbindlich blieb.
wurde; und man soll uns doch heute nicht glauben Wenn es auf das Feld des Konkreten ging, dann sah
machen wollen, daß wir es seien, die zu einer neuen es anders aus. Herr Ollenhauer hat doch hier an
Politik gegriffen hätten, und daß Sie die Ihre fort: dieser Stelle damals, als es um die Europäische Ver-
gesetzt hätten. teidigungsgemeinschaft ging, am 5. Dezember 1952
wörtlich erklärt: die unvermeidliche Folge der Ein-
(Beifall bei der CDU/CSU.) beziehung der Bundesrepublik in diese europäische
Ich gebe zu, Herr Kollege Wehner, daß Ihre Dar- Gemeinschaft sei die Vertiefung der Spaltung
stellung der Vergangenheit Ihrer Partei gut gemacht Deutschlands. Mit diesem Satze hat er klar gesagt,
war. Und ich räume auch gern ein, Verständnis für was Ihre Partei, was Ihre Politik durch Jahre hin-
ihre Lage zu haben. Es ist gewiß nicht leicht, einen durch in diesem Punkte ausgezeichnet hat, nämlich
eklatanten Wandel zu vollziehen und gleichzeitig die Annahme, es gebe eine Alternative zwischen
von Kontinuität zu reden. der Einbeziehung der Bundesrepublik in diese west-
lichen Gemeinschaften einerseits und der Wieder-
(Heiterkeit bei der CDU/CSU. — Abg. Mat- herstellung der deutschen Freiheit und Einheit an-
tick: Ist denn Ihre Politik durch die Mauer dererseits, es gebe also eine Wahlmöglichkeit zwi-
bestätigt worden?) schen der Einigung Europas und der Einigung
— Ich glaube, Herr Mattick, Sie wissen so gut wie Deutschlands. Sie waren es doch, die von der Bünd-
ich, daß die Mauer nicht durch unsere Politik her- nisfreiheit gesprochen haben. Sie waren es doch,
beigeführt worden ist, die von der Neutralität gesprochen haben. Herr
Professor Carlo Schmid hat doch selbst auf das
(Beifall bei der CDU/CSU) österreichische und schwedische Beispiel hingewie-
und ich verwahre mich gegen die Unterstellung, als sen.
hätte es hier einen anderen als einen möglicher- (Abg. Dr. Schmid [Frankfurt] : Für ein wie-
weise kriegerischen Weg gegeben, diese Mauer zu dervereinigtes Deutschland!)
verhindern.
Wie kann man da heute so tun, als gäbe es diese
(Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Metzger: Geschichte nicht? Herr Kollege Wehner, bei allem-
Wir müssen die Sünden Ihrer Politik aus Verständnis für die von Ihnen geschilderte damalige
baden!) Lage Ihrer Partei muß ich Ihnen sagen: ich bin ganz
Herr Kollege Wehner, wir erwarten auch gar einfach nicht in der Lage, genügend Verständnis für
nicht das Eingeständnis Ihrer Partei, daß Sie hier Ihre heutige Lage aufzubringen, um zuzustimmen,
etwa sagten, Sie hätten sich geirrt. Aber bitte ver- daß die Geschichte dieses Hauses in allen diesen
wehren Sie es auch nicht uns, wenn wir heute wie- Punkten neu geschrieben werden sollte.
derholen, was wir in all den hinter uns liegenden (Sehr gut! bei der CDU/CSU.)
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. Oktober 1962 1765
Freiherr zu Guttenberg
Meine Damen und Herren, aber nun zu dem, was sem Hause bei jedem, der da redet ; der Mut zur
wir in dieser Debatte zum Heute unserer deutschen ganzen Wahrheit herrschen, der Mut, unserem
Situation zu sagen haben. Auch in dieser Debatte Volke zu sagen, daß die Chance, unsere Frei-
gibt es, wie ich meine, kein einziges Thema, das heit und den Frieden zu bewahren, im Grunde ganz
ohne Zusammenhang wäre mit Berlin. Damit ist allein darin besteht, dem Gegner klarzumachen, daß
keineswegs nur die selbstverständliche Sorge dieses es in diesem Hause keinen gibt, dem irgendein Ri-
Hauses um das Wohlergehen und die Sicherheit der siko größer erscheinen könnte als jenes, unsere Frei-
Westberliner gemeint. Vielmehr halte ich dafür, daß heit zu verlieren.
alle unsere Entscheidungen auf allen Gebieten un- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP.)
sere Politik an jenem Maßstab zu messen sind, den
uns die unablässigen sowjetischen Drohungen ge- Meine Damen und Herren, lassen Sie mich weiter
gen unsere Stadt Berlin auferlegen, an dem Maßstab sagen, daß die Krise um Berlin auch deshalb mehr
eines tiefen und letzten Ernstes, der alleine unserer ist als ihr Name, weil der Streit um die Freiheit
Lage angemessen ist. der Berliner gleichzeitig eine Prüfung der inneren
Wahrheit, der inneren Wahrhaftigkeit unserer
In Berlin wird, wie wir alle wissen, nicht nur um Allianz bedeutet, die doch nur dieses Prin-
Berlin gerungen. Zwar will Moskau auch Berlin, zip der Freiheit zusammengeführt hat. Mit dem so-
aber es will nicht nur Berlin. Berlin ist lediglich die wjetischen Anschlag gegen Berlin, mit dieser ersten,
Stelle, an der sich der Charakter des Konflikts am direkten und ungeschminkten Herausforderung des
deutlichsten erweist, der die ganze Welt erschüttert. ganzen westlichen Bündnisses und seiner Vormacht
Was da die Krise um Berlin genannt wird, das ist hat vor vier Jahren eine neue Phase des Ost West-
-

in Wahrheit nur ein Name, der in diesen Tagen und Konflikts begonnen, jene Phase, in der die Sowjet-
vielleicht für lange Zeit stellvertretend für die Krise union versucht, an der entscheidenden Front ihres
steht, die die ganze Erde in Atem hält. Kalten Krieges den entscheidenden Durchbruch zu
Wir würden uns deshalb selbst, wir würden un- erzwingen.
ser Volk und wir würden unsere Freunde täuschen, Mit Dankbarkeit gegen unsere Freunde und —
wollten wir der Hoffnung Nahrung geben, daß ein mit Verlaub zu sagen — mit Genugtuung über die
Modus für Berlin gefunden werden könne, der dort Bestätigung der Richtigkeit unserer Politik können
zu einer dauerhaften Ordnung führt, während wir nach vier Jahren unablässiger sowjetischer Dro-
Moskau gleichzeitig daran festhält, seine Politik hungen die Feststellung treffen, daß dem Gegner
des Kalten Krieges auf allen anderen Fronten fort- dieser erstrebte Durchbruch nicht gelungen ist. Ja,
zusetzen. Es mag möglich sein, Atempausen zu ge ich meine, es besteht aller Anlaß zu der Zuversicht,
winnen. Aber wir würden uns nur selbst belügen, daß sich dieser Gegner angesichts der unzweideuti-
wenn wir etwa glaubten, daß es einen leichteren gen Garantien unserer Partner auch in Zukunft
Weg, einen Ausweg also aus dieser Krise um Ber- hüten wird, Aktionen gegen Westberlin in Gang
lin gäbe, der es uns ersparen könnte, fest zu blei- zu setzen, die einen Brand entstehen lassen könn-
ben, auf unseren Rechten zu beharren und der Dro- ten, der auch die Sowjetunion ergreifen müßte.
hung die Stirn zu bieten. Allerdings — und diese Anmerkung ist nötig —
Auch ich komme zurück auf das, was der Herr hängt diese unsere Zuversicht entscheidend davon
Bundeskanzler gestern gesagt hat, als er vor den ab, daß man in Moskau keinen Augenblick an der
Entschlossenheit des Westens zweifelt, Berlin, wenn
Initiativen gewarnt hat, die der Geschäftigkeit ent-
springen. Herr Kollege Ollenhauer hat den Herrn nötig, mit dem letzten Einsatz zu verteidigen. Wir
zweifeln hieran keinen Augenblick, und ich glaube,
Bundeskanzler dafür kritisiert und hat sich im Ton
dies im Namen aller hier im Hause sagen zu kön-
der moralischen Entrüstung zum Anwalt derer auf-
nen. Aber eben deshalb muß ich mich dagegen wen-
geschwungen, die sich — wie er sagte — ernsthaft
den, daß der frühere Kollege Helmut Schmidt im
Sorgen um Berlin und um die Zukunft unseres Vol-
Namen der SPD Äußerungen gemacht hat, die nach
kes machen. Herr Ollenhauer, glauben Sie denn
meiner Meinung geeignet sind, in Moskau eben
wirklich, daß nur jene sich den Kopf zerbrechen, die diesen Zweifel zu erregen.
da fortgesetzt nach Initiativen rufen? Ist es denn
nicht so, daß dieser permanente Ruf nach Initiativen (Abg. Majonica: Sehr richtig!)
meist nur die Suche nach einem Ausweg aus einer Denn der Senator Schmidt hat öffentlich erklärt,
beängstigenden Wirklichkeit ist? Auch Herr Weh- es gebe eine neue Strategie, die von den USA ver-
ner scheint mir dieser Meinung zu sein, wenn er da- treten, von ihm gebilligt und von unserem Vertei-
von gesprochen hat, daß es Unfug sei, dauernd Ini- digungsminister verworfen werde. Diese neue Stra-
tiativen zu erwarten. Und ist diese deutsche Wirk- tegie, so hat er es geschrieben, bestehe darin, daß
lichkeit denn nicht die, daß sich hier Fronten gegen- zur Verteidigung Europas und damit auch zur Ver-
überstehen, die nun einmal unvereinbar sind? Wo teidigung Berlins nukleare Waffen nur dann Ver-
ist denn dieser Ausweg? Wo ist denn diese Initia- wendung finden sollten, wenn zuvor der Gegner
tive, die das Dilemma auflöst, wenn Herr Chru- von seinem nuklearen Arsenal Gebrauch gemacht-
schtschow uns da sagt, er will Berlin, und wenn wir haben sollte. Die Konsequenz aus diesen Worten
ihm zu sagen haben, daß dies Berlin unser bleibt? des früheren Kollegen Helmut Schmidt ist klar:
sollte Moskau daran glauben, daß eine solche
Man entgeht nicht dadurch der Gefahr, daß man NATO Strategie bereits beschlossen sei, dann wäre
-

ihr den Rücken kehrt, weil man ihren Anblick nicht Moskau von dem atomaren Risiko befreit und
erträgt. Noch keiner hat die Freiheit je auf leich- gleichzeitig in den Stand gesetzt, seine Übermacht
tem Weg gewonnen. Daher, meine ich, sollte in die- konventioneller Truppen einzusetzen.
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Freiherr zu Guttenberg
Der Senator Helmut Schmidt kennt diesen Sach- Die Besorgnis ist völlig gerechtfertigt, Amerika
verhalt der konventionellen Überlegenheit der So- werde in der Pattsituation auf begrenzte kon-
wjetunion so gut wie ich. Er meint jedoch, es werde ventionelle Aggression nicht mehr nuklear rea-
möglich sein, auf dem Felde konventioneller Stärke gieren wollen.
dem Gegner, wie er sagt, adäquat zu werden. Ge-
Und Herr Schmidt hat dann deutlich gemacht, wann
wiß, es wäre wünschenswert, wenn es dem Westen,
er diese Pattsituation als gegeben ansehen möchte:
wenn es auch Europa gelänge, auf allen Stufen der
dann nämlich, wenn beide Weltmächte in der Lage
Verteidigung ein Maximum der Stärke zu erreichen.
seien, sich gegenseitig nuklear zu zerstören. Nun
Wir meinen nur, daß auch in Zukunft keine Mög-
gut, Herr Helmut Schmidt hat mündlich erklärt, daß
lichkeit besteht, das theoretisch Wünschenswerte
auf diesem Feld der herkömmlichen Bewaffnung es diese Situation der gegenseitigen völligen Zer-
auch wirklich praktisch durchzusetzen. Es ist näm- störungsmöglichkeit heute noch nicht gebe. Aber
lich nicht damit getan — wie Herr Helmut Schmidt wenn er sagt, daß diese Situation noch nicht ge-
es tut —, summarisch einfach zu vergleichen, welche geben sei, warum schreibt er dann das Gegen-
Wirtschaftskraft und welche Bevölkerungszahlen in teil? Hier sind seine Worte, ich zitiere wieder wört-
lich:
Ost und West sich gegenüberstehen. Denn in der
Diktatur ist vieles möglich, was einen freien Staat Insgesamt kann die sowjetische Führung ziem-
erschüttern müßte. Und wir — ich darf das sagen — lich sicher sein, im Falle der Gefahr nicht jener
denken nicht daran, zur Verteidigung der Freiheit katastrophalen Alternative anheim zu fallen,
etwa die Freiheit in unserem Lande selbst aufs die zur Zeit
Spiel zu setzen. — also heute —
(Beifall bei der CDU/CSU.) den Westen zwingt, zwischen Unterwerfung
Hingegen sind wir daran interessiert, von Ihrer unter die Aggression und atomarer Zerstörung
Seite, meine Herren von der Opposition, einmal zu zu wählen.
hören, wie Sie sich diese Sache denken, die Ihr
Ich meine, allein wegen dieses einen Satzes wäre
Sprecher vorgeschlagen hat, als er von der adä-
es schon nötig gewesen, darauf hinzuweisen, daß
quaten konventionellen Rüstung des Westens
es der Sicherheit Berlins nicht dienlich sein kann —
sprach. Denn eines, was Herr Helmut Schmidt hier- um mich zurückhaltend und milde auszudrücken —
zu gesagt und geschrieben hat, ist auf jeden Fall
,

wenn ein Sprecher der zweitgrößten deutschen Par-


ungenügend: daß er nämlich nach dem Motto
tei in der Öffentlichkeit und im Auftrage dieser
„Jockele, geh du voran!" kurzerhand Großbritan- Partei,
nien die Wehrpflicht wieder verordnet hat. Ich
denke, diese wilhelminischen Posen des Praeceptor (Zurufe von der SPD: Der größten Partei!
Britanniae — sollten auch auf Ihrer Seite nicht wie- — Gegenruf von der CDU/CSU: Um so
derholt werden. schlimmer!)
(Beifall bei der CDU/CSU. — Lebhafte Zu — Sie hören die Wahrheit nicht gern, insoweit
rufe und Lachen bei der SPD. — Abg. haben Sie sich nicht gewandelt, das ist richtig —
Wehner: Sie brauchen nur dazustehen, (Beifall und Heiterkeit bei der CDU/CSU
dann sieht man die Pose!) — Zurufe von der SPD)
— Wenn nur einer von Ihnen reden würde, würde wenn ein Sprecher der deutschen SPD erklärt, in
ich diesem gern antworten. — Herr Schmitt, lassen einer solchen Situation und also in der von Ihnen
Sie doch die Kirche in Vockenhausen! als schon heute bestehend angesehenen/Lage würden
(Heiterkeit bei der CDU/CSU.) beide Weltmächte — beide, also auch die USA —
sich hüten, die gegenüberstehende Weltmacht nu-
Gewiß, der Senator Schmidt hat dann etwas Wein klear zu treffen
in sein Wasser gegossen; ich sage nicht: Wasser in Ich sprach von der Zuversicht, die wir für die
seinen Wein, denn das wäre ein falsches Bild. Er Erhaltung der Freiheit Berlins hegen dürfen, wenn
hat nämlich dann erklärt, nicht das Heute, sondern die Verantwortlichen in der Sowjetunion von der
jene Situation gemeint zu haben, die sich erst im Entschossenheit des Westens überzeugt bleiben, für
Laufe der Jahre einmal zeigen werde. Nun, Herr Berlin mit allen Mitteln einzutreten. Ich sage: von
Schmidt mußte das wohl sagen, denn der amerika- der Entschlossenheit des Westens; denn — und das
nische Präsident Kennedy hat selbst in aller Öffent- ist selbstverständlich — nichts wäre gefährlicher
lichkeit — und offenbar nicht ohne Anlaß — jede als irgendein Gefälle in der Risikobereitschaft
Vermutung, daß es eine solche neue Strategie geben derer, die für die Freiheit Berlins verantwortlich
könne, als - wörtlich — „völlig unrichtig und sind.
gänzlich falsch" bezeichnet und damit unseren Ver-
teidigungsminister bestätigt, der der Kontinuität der Es war heute schon davon die Rede, daß Herr
geltenden Verteidigungsdoktrin das Wort geredet Ollenhauer gestern eine Erklärung des Herrn Bun--
hat. deskanzlers vermißt habe, daß auch die Bundes-
regierung bereit sei, das Risiko zu teilen, das un-
(Beifall bei der CDU/CSU. — Zurufe von
sere Freunde auf sich nehmen. Ich brauchte eigent-
der SPD. — Abg. Majonica: Der hatte Hel
lich nicht zu wiederholen, was der Herr Bundes-
mut Schmidt noch nicht gelesen!)
kanzler und was mein Freund Majonica hierzu
Aber noch ein Weiteres! Der Senator Schmidt hat gesagt haben. Aber ich tue Ihnen gern den Gefal-
auch folgendes wörtlich geschrieben — ich zitiere —: len, auch meinerseits das nur Selbstverständliche
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. Oktober 1962 1767
Freiherr zu Guttenberg
zu wiederholen: Es gibt den inneren Kreis der den, oder soll ihr Anerkennung verweigert werden?
SchutzmäeWsbrlin; hted Es gibt auf diese Frage eine Antwort aus dem Be-
ganze NATO, die Bürgschaft für die Freiheit der reich der Moral, jene Antwort, daß es das Recht und
Berliner leistet. Vor allem aber — das ist ganz ein- nicht die Macht sein soll, das uns den Maßstab setzt.
fach selbstverständlich und natürlich — steht da
Aber die Welt, in der wir leben, ist wohl weniger
die Bundesrepublik, deren Grundgesetz und deren
an dieser Frage als daran interessiert, von uns zu
Verträge — um nur dies zu sagen — sie verpflich-
hören, ob es eine gute Politik oder eine schlechte
ten, die Sache Berlins als ihre eigene zu vertreten.
Politik ist, die wir vorschlagen, die wir treiben,
(Beifall bei den Regierungsparteien.) wenn wir uns weigern, die Teilung unseres Landes
hinzunehmen. Lassen Sie mich sagen: es ist ganz
Noch ein Weiteres ist zu sagen. Der sowjetische
Druck richtet sich keineswegs nur gegen die Frei- einfach gute, richtige Politik, unablässig und stand-
heit des Zugangs nach Berlin, gegen die Anwesen- haft auf der Wiederherstellung der Freiheit und
heit der alliierten Truppen in Berlin und gegen die Einheit unseres Deutschlands zu bestehen, während
es umgedreht schlechte, ja, in höchstem Maße
Lebensfähigkeit Westberlins. Diese Westberlin sel-
lebensgefährliche Politik wäre, wollte sich irgend-
ber betreffenden Positionen hat der amerikanische
Präsident — und wir danken ihm dafür — als essen- einer bereit finden, diese Spaltung hinzunehmen.
tiell, als vital bezeichnet, und er hat sie damit nach Dies aus zwei Gründen, einmal aus einem deut-
menschlichem Ermessen dem Zugriff Moskaus ent- schen Grund. Meine Damen und Herren, wir sind
zogen. den westlichen Bündnissen und den Gemeinschaften
Der sowjetische Anschlag gegen Berlin ist aber beigetreten, weil erstens die Sicherheit des freien
auch und zugleich eine neue und bedrohliche Etappe Deutschlands anders nicht zu gewährleisten war
in der sowjetischen Deutschlandpolitik, jener sowje- und ist, weil wir zweitens die Verpflichtung fühlten
tischen Deutschlandpolitik also, die nach meiner und fühlen, daß auch wir unseren Teil zur gemein-
und meiner Freunde Ansicht vom Ende des Krieges samen Verteidigung des gemeinsamen Gutes der
bis heute von Moskau unbeirrt fortgeführt wurde Freiheit zu leisten haben, und weil wir drittens
und darin bestand, den eroberten Teil Deutschlands erkannten und erkennen, daß unsere Freiheit, daß
sich zu unterwerfen und gleichzeitig den Versuch zu unsere Einheit nur durch die Anstrengung der
unternehmen, Einfluß auch auf den anderen Teil ganzen freien Welt erreicht werden kann, die
Deutschlands zu gewinnen. Sowjetunion in einem mühseligen und langwierigen
Prozeß von ihren revolutionären Zielen abzubrin-
Ich kann mir hier den Nachweis ersparen, daß gen.
und in welcher Weise Moskau hofft, durch den Aber, meine Damen und Herren, die geschicht-
Druck auf Berlin dieses sein altes Deutschland- liche Wahrheit ist die: unabdingbare Voraussetzung
Konzept vorwärtszutreiben. Jeder in diesem Hause für unseren Beitritt zu diesen Bündnissen war die
kennt das Begehren der sowjetischen Politik, dem Bereitschaft unserer Partner zu einer formellen Ver-
sogenannten zweiten deutschen Staat und sei- pflichtung, für die Wiederherstellung des ungeteil-
nen sogenannten Grenzen internationale Anerken- ten freien Deutschlands einzutreten. Jede direkte
nung zu verschaffen. Jeder, meine Damen und Her- oder indirekte, mittelbare oder unmittelbare Aner-
ren, in diesem Hause hat auch ein Bild davon, mit kennung oder Hinnahme der Teilung Deutschlands
welchen Mitteln Moskau eines Tages versuchen in zwei getrennte Staaten widerspräche dieser Ver-
könnte, sich an dieses Ziel der Anerkennung heran- pflichtung.
zutasten. Worauf es ankommt, ist, zu wissen, daß
die Anerkennung eines zweiten deutschen Staates Wohlgemerkt, ich rede hier nicht von jenem
von Moskau nicht so sehr gewünscht wird, um die- Extrem, der Zone etwa durch formellen Rechtsakt
sem Zerrbild eines Staates Stabilität zu geben, als Souveränität und Staatscharakter zu bescheinigen.
vielmehr deshalb, um der Bundesrepublik, dem wah- Ich warne vielmehr vor jedem möglichen Schritt,
ren deutschen Staat, die Stabilität zu nehmen, die der in unserem Land und außerhalb unseres Landes
sie hat. so verstanden, so bewertet, so gedeutet werden
(Beifall bei der CDU/CSU.) müßte, als rücke der Westen ab vom gemeinsamen
Ziel der Freiheit und Einheit aller Deutschen. Ich
Meine Damen und Herren, jene Strecke, die auf warne deshalb vor solchen Schritten, weil sie den
deutschem Boden den Kontinent Europa teilt, war Boden bereiten müßten für den vergiftenden Vor-
und ist und bleibt jener Teil der ganzen Teilungs- wurf, der Westen habe die Deutschen getäuscht
linie, der zugleich die größte Chance und das höch- und irregeführt. Und ich setze hinzu, daß Herr
ste Risiko enthält. Wenn sich auch mancher mit der Chruschtschow mit Sicherheit auf eben diese Stunde
Vorstellung zufrieden geben mag, die westlichen wartet, ja, ich möchte sogar sagen, daß Chru-
Grenzen etwa Ungarns oder der Tschechoslowakei schtschows Aktion gegen Berlin vorzüglich dem Ziel
trennten auch heute noch wie seit eh und je ledig- dienen mag, diese Stunde herbeizuführen.
lich Staaten und Völker voneinander, — Ulbrichts
Todesstreifen und die Mauer in Berlin lassen solche Auch ich — wie Herr Wehner — bin mit dem
Ausflucht, oder besser: solche Heuchelei, nicht zu. Herrn Bundeskanzler der Meinung, daß wir gut be-
raten sind, wenn wir die deutsche Frage in erster
An der deutschen Teilung wird die ganze Wahrheit Linie unter menschlichen und erst in zweiter unter
offenbar. Wer vor dieser Teilung steht, ist ange- nationalen Aspekten schildern und sehen. Eine
rufen, sich zu entscheiden, zu antworten, nämlich solche Ordnung entspricht dem Rang der beiden
auf die Frage: Soll solche Teilung anerkannt wer- Werte und entspricht gleichzeitig der Erkenntnis,
1768 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. Oktober 1962

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daß es keine Einheit geben kann, wenn nicht vorher tungen und Kommentare, die uns Illusionäre schel-
die Freiheit wiederhergestellt ist. Was jedoch nicht ten, weil wir es unternehmen, Ulbricht und den
geschehen dürfte, wäre dies: Weder sollte irgend- zweiten deutschen Staat zu ignorieren, wie sie
einer glauben, daß man die Freiheit zugunsten der sagen. Und sollten wir hier nicht auch sagen, daß
Einheit, noch aber auch, daß man die Einheit zu- zu jenem Kreis der sogenannten Realisten nicht zu-
gunsten der Freiheit diskutierbar machen könne. letzt auch die gehören, deren ganze sogenannte
(Sehr gut! bei der CDU/CSU.) Wirklichkeit sich im Grunde nur um ihre eigenen
höchstpersönlichen Sorgen und Wünsche dreht.
Aber noch eine andere Überlegung läßt es einfach
als schlechte Politik erscheinen, wenn man die Deut- Gewiß, meine Damen und Herren, die Motive,
schen auffordern wollte, sich mit der Teilung ihres dieser sogenannten Realisten sind verschieden. Aber
Landes abzufinden, eine Überlegung, die dem Be- meist ist solcher Realismus nur ein Trick, ein from-
reich der Erfahrung zugehört, die die Welt mit tota- mer Selbstbetrug, der dazu dienen soll, sich aus der
litären Diktatoren gemacht hat. Es gehört doch zum Wirklichkeit davonzustehlen — heimlich; denn ge-
Einmaleins des Umgangs mit einem solchen Gegner, tarnt mit diesem schönen Mantel des Realisten will
daß Konzessionen und Verzicht auf Rechte seinen da mancher der deutschen Wirklichkeit und der Last
Appetit nicht stillen, sondern steigern. Moskaus der Verantwortung entgehen, der deutschen Wirk-
Aggressivität wird dann wachsen, wenn sie zu Er- lichkeit der Narretei des Kommunismus, der auf
folgen führt. Unsere Hoffnung ist, daß sie eines deutschem Boden die Absurdität gewagt hat, die
Tages schwindet, wenn ihr der Erfolg versagt bleibt. Verzweiflung einzumauern, statt sie aufzuheben.
(Beifall bei der CDU/CSU.) Was deshalb nötig ist, ist einfach schonungslose
Offenheit, ist die Offensive einer klaren Haltung.
Wer deshalb glauben sollte, die Lage in Europa
D a s ist die Offensive, von der ich schrieb, Herr
dadurch stabilisieren und den Kalten Krieg auf un-
Wehner, ist die Aggressivität der Wahrheit und
serem Kontinent dadurch beendigen zu können, daß
der Wahrhaftigkeit, ist jener Realismus, der Recht
er den Status quo der Teilung hinnimmt, akzeptiert,
und Freiheit Wirklichkeit verschaffen will.
der wäre auf dem besten Wege, auch das noch zu
gefährden, was bis jetzt gesichert ist. Aus diesem (Beifall bei der CDU/CSU.)
Grunde wage ich den Satz: es ist in einem letzten Der Sowjetoberst Tulpanow hat eine erstaunliche
Sinn nicht wahr, daß die ungelöste deutsche Frage Ehrlichkeit besessen. Er hat nämlich geschrieben,
für das Bündnis und für unsere Partner nur ein die Mauer in Berlin sei die Grundlage der fried-
Risiko, nur eine Last bedeutete. In dieser unge- lichen Koexistenz. Er nennt es also Frieden; wir sa-
lösten deutschen Frage steckt zugleich die Chance, gen dazu Mord, Verzweiflung, Sklaverei. Ich frage
daß dieses Bündnis insgesamt das Schicksal derer mich, ob vor diesem Friedensangebot, vor dem An-
nicht vergißt, die in der Sklaverei versunken sind. gebot solcher „friedlichen Koexistenz" nicht doch
Denn nicht nur auf dem Felde der Strategie ist das jene althergebrachten Kategorien der Flexibilität,
Gleichgewicht der Kräfte zu erhalten; auch auf dem der intellektuellen Wendigkeit versagen, ob man
Felde der Politik wird jener unterlegen sein, der nicht ganz einfach sagen muß: vor diesem soge-
dieses Gleichgewichtsgebot mißachten sollte. nannten Angebot tut nichts mehr not als Selbst-
Westberlin ist nicht zu sichern, indem es nur ver- behauptung, Standvermögen, Festigkeit und Selbst-
teidigt werden soll, und die Bundesrepublik gefähr- vertrauen. Was wir in diesem Zusammenhang am
det der, der das deutsche Lebensrecht auf sie be- wenigsten ertragen können, ist Unklarheit und
Zweifel über unsere eigene Haltung.
schränken möchte.
(Beifall bei der CDU/CSU.) Das gilt zum Beispiel dort, wo einer sagt — und
es_ ist nicht nur einer —, es sei nun nachgerade
Für beide braucht man aber nicht zu fürchten, wenn Zeit, die sogenannte Hallstein Doktrin zu revidie-
-

dem widerrechtlichen Verlangen der Sowjets, in Ber- ren; denn — so wird das meist begründet — diese
lin und später dann in Deutschland vorzudringen, alte Hallstein-These stehe uns doch nur im Wege,
mit dem legitimen Recht und Anspruch unseres Vol- unsere Politik nach Osten hin zu aktivieren. Davon,
kes begegnet wird, seine ganze Freiheit wiederzu- daß es mit Hilfe dieses Instruments bis auf den
erlangen. , gelungen ist, dem sogenannten zwei- heutignTa
Sie mögen mich fragen, aus welchem Anlaß ich ten deutschen Staat den Weg zur Anerkennung
diese Rede führe. Diese Frage müßte leider zu der außerhalb des Sowjetblocks zu versperren, ist sehr
Antwort führen, daß es mehr als einen ernsten An- viel weniger die Rede. Ich sehe jedenfalls keinen
laß hierzu gibt. Ich meine hier vor allem die Hal- Vorteil, keinen einzigen, der uns Anlaß bieten
tung eines sogenannten Realismus, die mehr und könnte, in diesem Punkte auch nur einen Schritt
mehr zur Mode werden könnte. zurückzugehen und damit jenen Riegel zu gefähr-
den, der Ulbrichts Mauerbauer bisher daran ge-
Lassen Sie mich als Beispiel hierzu sagen, daß hindert hat, im Auftrag eines deutschen Staates
ich erst kürzlich einen ganzen großen Saal deutscher deutsche Schande in die Welt zu tragen.
Studenten einem deutschen Professor, einem deut-
schen Historiker, dem Sohn eines recht berühmten (Sehr gut! bei der CDU/CSU.)
Mannes, Beifall spenden sah, als er der deutschen Noch sehr viel weniger verständlich scheinen mir
Politik empfahl, sich nicht länger der Teilung unseres allerdings gewisse Äußerungen des Herrn Regie-
Landes zu widersetzen. Und wer in diesem Hause, renden Bürgermeisters Brandt, die er letzthin
meine Damen und Herren, kennt nicht jene Zei- über seine Haltung zur Zone und über seine Hal-
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. Oktober 1962 1769
Freiherr zu Guttenberg
tung zur gemeinsamen westlichen Deutschlandpoli- daß wahrscheinlich auch Sie diese Äußerung des
tik gemacht hat. Meine Damen und Herren, um al- Herrn Brandt für falsch gehalten haben.
len Mißverständnissen vorzubeugen: ich ,will Herrn (Abg. Wehner: Es kommt ja aber darauf an,
Brandt nichts unterstellen; ich will ihm nicht unter- ob es eine Äußerung ,des Herrn Brandt
stellen, daß er wirklich meinte, was er sagte, als war.)
er einer schwedischen Zeitung erklärte, die Frage
der Anerkennung der Zone sei nicht sein Problem, — Herrn Brandt sollte wissen
sondern das Problem Bonns. Herr Wehner hat heute (Zurufe von der SPD: Das ist aber noch
gesagt, dies sei eine Frage gewesen, vor der wir immer keine Antwort!)
alle stünden. Er hat in einem tiefen Sinne recht.
Aber, meine Damen und Herren, Herr Brandt hat — Sie kriegen die Anwort gleich —, daß Äußerun-
keine Frage gestellt, Herr Brandt hat auf eine Frage gen dieser Art vielleicht nicht nach seiner Absicht,
geantwortet und hat gesagt, dies sei nicht sein gewiß nicht nach seiner Absicht, aber ganz einfach
Problem. Ich möchte wissen, wessen Problem es in ihrer Konsequenz geeignet sind, Zweifel zu er-
dann ist, wenn nicht das des Regierenden Bürger- regen, geeignet sind, die Haltung einer großen deut-
meisters. schen Partei ins Zwielicht zu tauchen.
(Beifall in der Mitte.) (Beifall in der Mitte. — Zurufe von der
SPD.)
Vizepräsident Dr. Dehler: Gestatten Sie eine Herr Brandt ist aus ähnlichen Gründen der Öffent-
Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wehner? lichkeit noch eine Erklärung schuldig, die Erklärung
nämlich, was er mit einem anderen Satze meinte,
als er am 8. Oktober, eben frisch aus Amerika zu-
Freiherr zu Guttenberg (CDU/CSU) : Ja. rück, auf 'seiner Pressekonferenz wörtlich sagte —
ich zitiere —, daß die Verträge des Jahres 1955 in
Vizepräsident Dr. Dehler: Bitte, Herr Abge- einem Punkt als politisch überholt gelten müssen.
ordneter Wehner. Er hat auch deutlich klargemacht, welchen Punkt er
damit meinte; denn er fuhr fort: In jenen Verträ-
Wehner (SPD) : Herr Abgeordneter, Sie haben gen — des Jahres 1955 — hätten sich die drei
hier so kenntnisreich über Ausführungen gespro- Mächte ihre Rechte in bezug auf ganz Deutschland
chen, die, wenn ich Sie richtig verstanden habe, und Berlin vorbehalten.
zunächst nichts mit dem Regierenden Bürgermeister Meine Damen und Herren, wenn es einen gibt,
zu tun haben, und sind jetzt übergegangen zu Aus- der es wissen muß, dann ist es Herr Brandt, daß mit
führungen des Herrn Regierenden Bürgermeisters, diesen Verträgen sowohl die Verpflichtung der
wenn ich es richtig verstanden habe. Würden Sie Westmächte für die Wiederherstellung des ganzen
sagen, ob Sie dessen Feststellung zu dem, was Sie freien Deutschlands als auch — in der Form dieses
ein Interview nennen und woraus Sie jetzt Fragen Vorbehalts — die Verantwortung der Westmächte
quotieren, kennen bzw. ob Sie bereit wären, sie für eben 'dieses Ziel festgelegt sind.
kennenzulernen, bevor Sie hier Ihre Schlüsse vor-
(Abg. Dr. von Brentano: Sehr richtig!)
tragen?
Noch einmal, meine Damen und Herren von der
Freiherr zu Guttenberg (CDU/CSU) : Wenn SPD: ich zitiere diese Dinge nicht, um Herrn Brandt
Sie mir damit, Herr Wehner, unterstellen möchten, etwas zu 'unterstellen; ich halte es aber ganz einfach
daß ich irgend etwas sage, über dessen Richtigkeit für unerträglich, gerade ads seinem Munde Sätze zu
ich nicht vorher versucht habe, mich zu vergewis- hören, die in entscheidenden Dingen Unklarheit
sern, dann möchte ich diese Unterstellung zurück- schaffen und die Konturen verschwimmen lassen.
weisen, Worum es mir im wesentlichen ging
(Beifall in der Mitte) (Abg. Wehner: Das merkt man, worum es
ohne allerdings, Herr Wehner, das Wort „unfair" Ihnen im wesentlichen ging!)
zu gebrauchen, das Sie vorhin mir gegenüber ge- — wenn Sie es gemerkt haben, habe ich mein Ziel
braucht haben. erreicht, Herr Wehner —,
(Heiterkeit und Beifall in der Mitte — Abg.
Wehner (SPD) : Schönen Dank. Aber die andere Wehner: Das kann ich mir denken!)
Frage beantworten Sie damit nicht?
war der Versuch, zu zeigen, daß unsere Mühen sich
nicht ausschließlich darauf konzentrieren dürfen,
Freiherr zu Guttenberg (CDU/CSU) : Welche Westberlin vor ,dem Zugriff der Sowjets zu schüt-
war diese? zen. Was ich sagen wollte, ist dies: es ist für die
ganze Allianz nicht weniger lebenswichtig, daß auch
Wehner (SPD) : Die Feststellung, die von Herrn die vereinbarte gemeinsame Deutschlandpolitik des
Brandt nun seinerseits zu dieser jetzt von Ihnen Westens fortgesetzt wird. Das war das Wesent-
aufgestellten Behauptung längst öffentlich getroffen lichste, und ich hoffe, daß auch Herr Wehner mir zu-
worden ist. stimmt. Ich weiß, daß er es tut. Es sollte an Hand
von deutlichen Argumenten, von nüchternen Über-
Freiherr zu Guttenberg (CDU/CSU) : Herr legungen klargestellt werden, daß es nicht, wie hier
Wehner, ich bin gerne bereit, Ihnen zu attestieren, und da zu hören, deutsche Träumerei, Romantik, ja
1770 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. Oktober 1962

Freiherr zu Guttenberg
sogar, wie in den letzten Tagen zu lesen, Zwangs- fer herauszuarbeiten, was es eigentlich zu entschei-
vorstellungen seien, die uns bewegen. Denn unsere den gilt und was ein ganzes Volk bei den Wahlen
Sorge ist, daß eine falsche Politik Herrn Chru- zu entscheiden hat.
schtschow eines Tages die Chance geben könnte,
den Hebel an der Teilung Deutschlands anzusetzen, Herr Kollege Wehner hat ein paar Worte darüber
gesagt, wie z. B. in Großbritannien bei den Erörte-
der das Gefüge ganz Westeuropas aus den Angeln
heben könnte. Deshalb ist es richtig, daß man von rungen der nächsten Tage das aussehen würde, was
gestern — ich habe es leider hier nicht gehört —
den Deutschen Geduld erwarten kann und .soll; aber
niemand soll von uns verlangen, daß wir verzichten. hinsichtlich der britischen Frage ausgeführt worden
ist. Nun, meine Damen und Herren, im Blick auf
(Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU.) Großbritannien wird man natürlich immer leicht in
der Gefahr sein, ein bißchen neidisch zu werden. Dort
Vizepräsident Dr. Dehler: Das Wort hat der gibt es ein so unzerstörtes nationales Gefühl, dort
Herr Bundesminister des Auswärtigen. gibt es ein so unzerstörtes nationales Gefüge, daß
sich dort bei aller Kontroverse viele Dinge eben
Dr. Schröder, Bundesminister des Auswärtigen: leichter tun als bei uns. Ich bin allerdings nicht der
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe Meinung, daß wir hier sozusagen ein Spiel mit ver-
leider an der gestrigen Debatte nicht teilnehmen teilten Rollen aufführen könnten. Ich habe dieses
können, weil ich zur Eröffnung des Zweiten Vatika- Spiel mit verteilten Rollen immer als einen schlech-
nischen Konzils in Rom war. Aber ich darf sagen, ten Ausdruck empfunden. Aber das, was wir haben
daß ich der Debatte heute morgen nicht nur mit ge- können und haben sollten in ein paar wesentlichen
spanntem Interesse, sondern teilweise mit großer Dingen, ist eben ein gutes Zusammenspiel, und um
Bewegung zugehört habe. Sie werden das um so dieses Zusammenspiel werden wir uns immer wie-
mehr verstehen, als Sie wissen, daß ich morgen in der bemühen müssen.
die Vereinigten Staaten fliegen werde, um sowohl
mit dem Präsidenten der Vereinigten Staaten wie Der Herr Bundeskanzler hat in der Regierungs-
erklärung am vergangenen Dienstag die Richtlinien
mit dem amerikanischen Außenminister Unterhal-
der Politik dargelegt, die für unser weiteres Tun
tungen zu haben, die sich um das Thema drehen,
und Handeln gelten sollen. Bei diesen Richtlinien
das uns jedenfalls hier heute morgen am stärksten
ist zwischen zwei großen Komplexen zu unterschei-
am Herzen gelegen hat.
den: einmal der Wirtschafts-, Sozial-, Finanz- und
Lassen Sie mich zunächst in aller Offenheit ein Steuerpolitik und zum anderen eben jenem Bereich
paar Worte über die Frage der Gemeinsamkeit der auswärtigen Politik. Wenn man noch einmal
sagen. Hier handelt es sich doch' offenbar um die sorgfältig die Regierungserklärung und jede Einzel-
Frage der Gemeinsamkeit zwischen Regierungs- heit, die hier in der Debatte geäußert worden ist,
koalition und Opposition in den Fragen der aus- durchgeht — und man muß das einmal tun —, so
wärtigen Politik. Meine Damen und Herren, ich muß man wahrscheinlich sagen, daß diese Richt-
würde es trotz vieler an sich sicherlich sehr positi- linien der Politik in der Tat weithin Zustimmung auf
ven Bemerkungen, die heute gemacht worden sind, allen Seiten des Hohen Hauses gefunden haben. So
für vermessen halten, zu sagen, daß wir etwa eine sind sie im Bereich der auswärtigen Politik nach der
Gemeinsamkeit in allen außenpolitischen Fragen ausdrücklichen Aussage des Herrn Bundeskanzlers
und Betrachtungen hätten. Das wäre, wie ich glaube, gedacht gewesen, und alles, was wir dabei an Zu-
eine übertriebene Aussage. Aber es gibt eine Aus- stimmung bekommen, werden wir nur dankbar
sage, die eben niemand bestreiten kann und die werten.
niemand bestreiten sollte. Das ist diese Aussage:
daß wir auf diesem Feld ganz anders als in den Be- Ich brauche jetzt keine dieser Linien im einzelnen
reichen der Finanz-, der Wirtschafts- und der Sozial- noch einmal nachzuziehen. Das Problem, das für
politik eine Gemeinsamkeit des Schicksals gehabt uns sozusagen nach der diplomatischen Intensität
haben, eine Gemeinsamkeit des Schicksals haben der nächsten Zeit stark im Vordergrund steht, ist
und morgen eine Gemeinsamkeit des Schicksals natürlich jenes große Problem des Beitritts Groß-
haben werden. Das verpflichtet uns, mit größter britanniens zum Gemeinsamen Markt. Darüber gibt
Sorgfalt und mit größter Bemühung immer wieder es hier, soweit ich sehe, gar keine Kontroverse. Es
zu untersuchen, ob es nicht ein paar Aussagen der muß völlig klar sein, daß wir genauso gewissenhafte
deutschen Politik gibt, die für uns alle einen ge- Verhandlungspartner — ich gebrauche ungern den
meinsam tragenden Grund darstellen und darstellen Ausdruck „harte Verhandlungspartner", weil das
können. Soviel zu diesem Problem. Wort „hart" das nicht richtig aussagt,— auf unserer
Seite und auf der Seite der Sechs sein werden, wie
Ich bin nicht etwa — und ich brauche das nicht das derjenige, der beitreten will, für sich aussagt
erst zu sagen — für eine Gemeinsamkeit um jeden und natürlich auch für seine Commonwealth-Interes-
Preis. Ich bin auch nicht etwa nur deswegen für eine sen und die Interessen des Commonwealth auszu-
Gemeinsamkeit, weil es nicht schön wäre und weil sagen hat. Aber in der Sache selbst gibt es hier
es nicht zu den Aufgaben des Parlaments gehörte, keine wirkliche Kontroverse mehr, und ich begrüße
eine kontroverse Diskussion zu haben. Die Essenz das aus folgendem Grunde.
des Parlaments besteht für mich immer — und ich
gehöre diesem Haus nun schließlich seit 1949 an — Wir sind alle allzu leicht geneigt, in der Bewer-
darin, daß eben mit großer Leidenschaft unter Um- tung von neuen Entwicklungen zurückzugreifen in
ständen sehr kontrovers diskutiert wird, nicht um ein Stück Geschichte, das eben jüngst hinter uns
sich gegenseitig wehe zu tun, sondern um so schär- liegt oder vielleicht auch einige Jahrzehnte weiter
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. Oktober 1962 1771
Bundesaußenminister Dr. Schröder
hinter uns liegt, um aus den dort gewonnenen Er- Europa 'soll nach unserem Willen so ausehen, daß
fahrungen Schlüsse zu ziehen für das, was es jetzt es einen kräftigen Pfeiler einer Art von atlantischer
zu tun gilt. Das ist eine ganz notwendige und es Brücke darstellt.
ist eine ganz menschliche Methode, die natürlich Meine Damen und Herren, das sind die Größen-
jeder anwenden wird. Aber man darf eines nicht ordnungen, in denen zu denken wir uns angewöh-
aus dem Blick verlieren. Man darf nicht verlieren nen müssen. Deswegen ist dieser Vorgang, von dem
den Blick dafür, daß es in der Welt plötzlich, schnel- ich gerade spreche, eine der wichtigsten unserer Be-
ler als erwartet, Entwicklungen gibt, die man eben mühungen in 'den kommenden Wochen und Mona-
nicht nur so langsam hat heranreifen sehen, sondern ten, ohne daß ich damit eine 'falsche Prioritätenliste
die sich aus intensiven Veränderungen der Welt eröffnen möchte.
plötzlich ergeben, schneller ergeben, als es vielleicht
Dazu möchte ich noch .zwei weitere Worte sagen.
vorausgesagt worden wäre.
Daraus, daß der Akzent hei 'dem, was ich gerade
Die Völker der Welt befinden sich in einem ge- gesagt habe, auf 'Großbritannien liegt, mag bitte
waltigen Umwandlungsprozeß. Sie brauchen nur niemand schließen, daß 'ich etwa weniger Akzent
einen Blick nach New York zu werfen, wo gerade auf Frankreich lege. Es soll bitte auch niemand dar-
das 109. Mitglied in die UNO aufgenommen worden aus schließen, daß ich weniger -Akzent auch auf
ist, um das zu sehen, was hier in den jüngeren Italien und die kleineren Länder, die Benelux-Staa-
Zeiten vor sich gegangen ist und unter unseren ten 'lege, die mit uns 'zusammen in unserer Sechser-
Augen weiter vor sich geht. Gemeinschaft sind. Man muß es sehr hoch bewerten
Ich möchte das einmal an einem anderen Bild zei- — und es wird gut sein, sich -das sozusagen für den
gen: Die Menschheit 'hat ein paar tausend Jahre an Geschichtsunterricht immer wieder 'vorzuhalten —,
Bemühungen darauf verwandt, ein bißchen fliegen daß es eine ganz große und ganz bedeutende Lei-
zu können, und das hat sie so um die Wende dieses stung der Sechs gewesen ist, über deren Fortsetzung
Jahrhunderts herum in einigen primitiven Anfängen wir nun sprechen. Das waren große Entschlüsse, her-
schließlich fertigbekommen. Nach ein paar Jahr- vorgegangen aus einer Annäherung Frankreich —
tausenden! Heute, 60 Jahre später, beschäftigen Deutschland, positiv aufgenommen von Italien, posi-
wir uns mit jenen Problemen der Kosmonauten, wie tiv aufgenommen von den 'Benelux-Staaten. Des-
sie die Sowjets getauft haben, also mit Dingen, die wegen müssen wir ganz deutlich machen, daß wir,
doch in ungeheures Beschleunigungstempo dieser selbst wenn wir in unserer Diskussion aus aktuel-
Entwicklung darstellen. Wir haben die Aufgabe — lem Anlaß das eine oder andere vielleicht einmal
ob uns das gefällt oder nicht —, uns vor diesen ein bißchen stärker akzentuieren, in keinem Augen-
Problemen zurechtzufinden und hier dabeizubleiben, blick den Blick für das verlieren, 'was diese Sechs
nicht nur dabeizubleiben auf den Gebieten der Wis- geleistet haben. Dies zu sagen liegt mir besonders
senschaft und Wirtschaft, die natürlich ,ganz ent- nahe, da ich gestern in -Rom ,gewesen bin und weil
scheidende Gebiete sind, das Gebiet der Wissen- ich nicht gern den Eindruck aufkommen ließe, daß
schaft vielleicht sogar entscheidender als alles wir hier in irgendeiner Weise diskriminierend vor-
andere. Wir haben aber auch in unserer politischen gehen wollten. Nein, wir wissen, daß man Freunde,
Praxis dabei zu bleiben. Wo würde das stärker gel- die man gewonnen hat, unter allen Umständen zu
ten als auf dem Feld der auswärtigen Beziehungen? halten versuchen sollte. Wir in unserem Vaterland
Deswegen hat es keinen Zweck mehr, Großbritan- sind in einer Lage, in der wir nicht etwa bereitwillig
nien und dieses Problem seines Beitritts zur EWG bisherige Freunde wegschenken könnten. Wir haben
heute noch an vielleicht früheren ungünstigen Er- sie vielmehr mit großer Sorgfalt zu pflegen.
fahrungen messen 2u wollen. Es muß vielmehr an (Allseitiger Beifall.)
der Aufgabenstellung gemessen werden, vor der wir
uns heute befinden. Die Aufgabenstellung, vor der Nun noch ganz wenige Worte über die Vereinig-
wir uns befinden, ist im Grunde sehr einfach. Wenn ten Staaten. Sie werden verstehen, daß ich mich da
jemand sagt: Großbritannien ist eigentlich noch nie etwas zurückhaltend ausdrücke, weil ich nicht Un-
so richtig auf dem Kontinent gewesen, dann kann terhaltungen der nächsten Tage und späteren Aus-
ich darauf nur sagen: Die Russen sind auch noch sagen in diesem Hohen Hause über solche Unter-
nicht vor Lübeck und Hamburg gewesen, wie sie das haltungen vorgreifen möchte. Aber eines ist ganz
heute sind. Das sind Veränderungen unserer Welt, sicher, und diese Sicherheit sollte man intensiver
mit denen wir irgendwie fertig werden müssen. herausstellen — in jeder Weise, nicht nur immer
wieder durch feierliche Regierungsdeklarationen —,
Das 'Große, was 'hier heranreift, was heranreifen als das dann und wann geschieht: daß die Vereinig-
kann und heranreifen muß, das ist ein Europa nach ten Staaten — und das gilt für den Präsidenten, das
dem Beitritt Großbritanniens, das über mehr als 220 gilt für die Administration, das gilt aber auch ganz
Millionen Menschen verfügen wird, ein Europa, des- weithin für das amerikanische Volk und für die
sen politische Gestaltung uns dann 'hoffentlich ge- amerikanische Öffentlichkeit — diese ihr Schicksal
lingen "wird — hier gibt es Fragen, die ich keines- mit unserem Schicksal verbindenden Zusagen über
wegs bagatellisiere —, ein Europa, in seiner wirt- Berlin wirklich mit vollem Ernst und voller Ent-
schaftlichen und in seiner Menschenkraft größer als schlossenheit gegeben haben. Daran sollte man nicht
die Sowjetunion, weit größer als die Vereinigten die Spur eines Zweifels aufkommen lassen. Sicher
'Staaten. Das sage ich nicht, um dieses Europa so zu ist der Zweifel etwas, was im Anblick von großen
malen, als wenn es in irgendeine besondere Rolle Gefahren in die Herzen der Menschen schleicht.
einer dritten Kraft geraten sollte. Nein, dieses Aber, meine Damen und Herren, wen hat man auf
1772 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. Oktober 1962

Bundesaußenminister Dr. Schröder


der anderen Seite? Auf der anderen Seite hat man allein wir dieses Problem behandeln können, jeden-
es mit den Sowjets zu tun. Wenn Herr Chruscht- falls in seiner Essenz behandeln werden.
schow seinen westlichen Besuchern in den letzten Und nun mit ein paar Worten zu Vorschlägen, die
Tagen und Wochen immer wieder gesagt hat: „Ach, hier gemacht worden sind, die ich gestern leider
ihr werdet ja nicht kämpfen! Ihr seid viel zu liberal, nicht mitgehört habe und die ich mir jetzt eigent-
um hier zu kämpfen! Außerdem kennen wir alle lich nur durch das Nachlesen vermitteln kann.
eure Pläne. Eure Pläne imponieren uns gar nicht"
— meine Damen und Herren, warum sagt er das? Da ich gerade bei Berlin bin: es ist, offenbar von
Er sagt das natürlich, weil auch diese Unterhaltun- dem Kollegen Ollenhauer, angeregt worden, zu über-
gen für ihn ein Stück Kriegführung sind. Das ist ein legen, ob man nicht ein Gremium bilden könnte, das
Stück psychologische Kriegführung, um dadurch Re- wohl aus Vertretern der Bundesregierung, Vertretern
aktionen der Verzagtheit auszulösen und um sich des Berliner Senats und Vertretern der politischen
seinerseits in die Rolle zu bringen, in der er sich Parteien bestehen sollte. Herr Kollege Ollenhauer,
so gern fühlt, trotz gewisser Umstände, die ihn dort ich möchte da in voller Offenheit sagen, daß ich ein
zögernder machen könnten: in die Rolle dessen, mit solches Gremium nicht bilden würde; und. ich will
dem schließlich die Weltgeschichte und der Lauf der Ihnen auch gleich hier in voller Offenheit erklären,
Ereignisse in diesen unseren Jahren sind. warum nicht. Man muß meiner Meinung nach aus-
einanderhalten die Dinge, die man unter Umständen
Meine Damen und Herren, es ist vorhin schon in gemischten Gremien gemeinsam tun kann, und
mit ein paar Worten — ich glaube, von Kollegen jene Dinge, die man eher in der Behandlung und der
Wehner — über die neueren Betrachtungen, die die Verantwortung der Regierung sein lassen muß. Und
Sowjets z. B. über die Europäische Wirtschaftsge- hier gilt im Verhältnis zwischen Bundesregierung
meinschaft anstellen, gesprochen worden. Wenn man und Berliner Senat — den sehe ich jetzt einmal,
sich das ein bißchen ansieht und weiterspinnt, dann obwohl das mißverstanden werden könnte, eben als
weiß man, daß die Sowjets keineswegs mehr so da- eine Regierung an; ich gehe hier nicht weiter auf
von überzeugt sind oder überzeugt sein können, die verfassungsrechtlichen Punkte ein —, daß diese
daß die Geschichte nun einfach mit ihnen und mit Art von Zusammenarbeit gut und eng und intensiv
der roten Fahne an der Spitze weiter über uns alle sein muß, weil nämlich für die an der Zusammenar-
hinwegrollen würde. Ich glaube, Chruschtschow beit Beteiligten mehr oder weniger immer die glei-
selbst hat hier eine ganze Menge Zweifel im eige- chen Amtspflichten gelten. Es gibt also, bei aller
nen Herzen sitzen. Diese Zweifel sollten wir bei ihm Verschiedenheit, immer auch eine gewisse Gemein-
intensiv verstärken durch unser Handeln, meine samkeit von Regierungen, und die besteht darin,
Damen und Herren. Denn das Schicksal Berlins hängt daß Regierungen untereinander unter Umständen
eben in der Tat daran — das muß man einmal mit doch noch besser und intensiver sprechen, als wenn
aller Nüchternheit und Entschlossenheit ausspre- sie mit anderen Beteiligten zusammen sind. Aber
chen — daß sich Chruschtschow in Berlin mit dem
,
damit sage ich ja nichts Neues.
vollen Risiko konfrontiert sieht. Daran hängt das
Schicksal Berlins, meine Damen und Herren. Aber wenn ich meine, daß diese Dinge zwischen
Bundesregierung und Senat von Berlin eng behan-
(Beifall bei allen Parteien.)
delt werden und weiter behandelt werden sollten,
Deswegen darf man auch nicht etwa den Gedan- so bin ich ebensosehr damit einverstanden, daß die
ken aufkommen lassen, den die sowjetischen Diplo- Essenz dessen, was dort gedanklich traktiert wird,
maten gern unter die Leute bringen, vor allen Din- natürlich auch in anderen geeigneten Gremien be-
gen unter die Amerikaner bringen. Sie bringen den sprochen wird. Dazu gehört in erster Linie der
Gedanken: „Mit euch würden wir ja schon irgend- Auswärtige Ausschuß. Ich glaube, Sie werden selbst
wie einig werden; es ist nur der böse Bundeskanz- zugeben müssen, daß das ein Gremium ist, in dem
ler Adenauer, der euch, die Amerikaner, hindert, das weitgehend geschehen kann. Es steht auch gar
einzugehen auf das, worauf ihr sonst etwa würdet nichts im Wege, daß wir unter Umständen bestimmte
eingehen können." Meine Damen und Herren, man Fragen noch einmal wieder in entsprechenden klei-
muß klarmachen, daß das nicht nur der böse Bun- neren Kreisen erörtern. Aber vom Institutionellen
deskanzler Adenauer ist; man muß ganz klarmachen, her möchte ich nicht für die Einsetzung eines Gre-
daß die Amerikaner selbst genauso entschlossen miums sein, weil dies dazu führen könnte, sowohl
sind wie — verzeihen Sie den Ausdruck, Herr Bun- die Verantwortung ein bißchen zu verwischen als
deskanzler — der böse Bundeskanzler Adenauer; auch diese oder jene andere Schwierigkeit zu ver-
das ist also eine sowjetische Darstellung, die aber ursachen.
in Ihren Ohren, Herr Bundeskanzler, sicherlich eine Ich möchte zu, dem Problem Friedensvertrag usw.
Ehrenerklärung höchsten Ranges sein wird. nicht allzuviel sagen. Die Debatte ist darüber ja
Meine Damen und Herren, ich werde über dieses auch nur zum Teil gegangen. Ich will etwas wieder-
Thema jetzt nicht mehr sagen, als daß ich eine Aus- holen, was ich dazu gelegentlich gesagt habe. Natür-
sage wiederhole, die ich in Berlin gemacht habe. lich muß ein verantwortlicher Politiker die Umrisse
Ich habe in Berlin gesagt — dabei habe ich darauf eines möglichen Friedensvertrages im Kopf haben.
hingewiesen, daß das nicht die Spur mit Pathos zu Aber, meine Damen und Herren, es wäre ein ge-
tun hat, sondern daß das eine ganz klare Willens- radezu tödliches Unterfangen — bitte, glauben Sie
aussage ist — und wiederhole das hier: „Dies ist mir das! —, wenn wir in irgendwelchen Gremien zu
unsere Stadt, dies bleibt unsere Stadt." Meine noch so vorsichtigen schriftlichen Fixierungen kom-
Damen und Herren, das ist die Haltung, mit der men sollten. Ich habe überhaupt noch nicht, wirklich
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. Oktober 1962 1773
Bundesaußenminister Dr. Schröder
überhaupt noch nicht erlebt, daß die Essenz einer den, möchte ich noch kurz auf die Intervention des
solchen Sache geheim bleiben könnte. Das ist aus- Herrn Bundeskanzler zur Frage seines Verhältnisses
geschlossen. Das hat nichts mit der Verläßlichkeit zu den Gewerkschaften in unserem Lande eingehen.
der daran Beteiligten zu tun, sondern das hängt Er hat dargelegt, welch große Bemühungen er per-
einfach damit zusammen, daß direkt und indirekt sönlich unternommen habe, um die Mitwirkung der
solche Gedankengänge ihren Ausdruck an anderer Arbeitnehmerorganisationen in bestimmten entschei-
Stelle finden. Meine Damen und Herren, wenn Sie denden wirtschaftspolitischen Fragen zu gewinnen.
einmal in den Kategorien der gegenseitigen Gene- Ich bin davon überzeugt, daß es hier nicht nur eines
ralstäbe denken: Was können Sie dem sowjetischen gelegentlichen Gesprächs, sondern eines möglichst
politischen Generalstab für einen größeren Gefallen häufigen Kontaktes der großen Arbeitnehmerorgani-
tun, als wenn Sie auch noch so vertraulich unter sationen mit den Führern der deutschen Politik be-
verantwortlichen Männern wohlgemerkt — unter darf. Aber wenn schon derartige Gespräche statt-
unverantwortlichen Leuten zu diskutieren ist kein finden, dann sollten sie auch dazu führen, daß man
Problem — diskutieren wollten: Das und das kön- allgemein in unserem Lande zu einem Klima kommt,
nen wir sozusagen notfalls tun! Meine Damen und in dem — wie gestern, glaube ich, gesagt worden
Herren, das ist tödlich und das ist etwas, wozu wir ist — die Gewerkschaften nicht das Gefühl haben,
uns unter gar keinen Umständen hergeben können, ständig in die Rolle des Beschuldigten gedrängt zu
so gut es von denjenigen gemeint ist, die es an- werden.
regen. Das gehört — ich sage es noch einmal —
derzeit nicht auf Papier, sondern in den Kopf; denn Ich möchte hier einen konkreten Einzelfall erwäh-
es wäre unvermeidlich, daß alle jene Fragen wie nen — er ist leider sehr aktuell —, der mir nicht
die Grenzen, wie die Bündnisse, wie die Verteidi- davon zu zeugen scheint, daß der Herr Bundes-
gung dann in einer Weise erörtert würden, die kanzler wirklich alles tut, um das Verhältnis zu den
natürlich ein hervorragendes Spielmaterial für jenen Gewerkschaften in dem hier geschilderten günstigen
Gegner wäre, mit dem wir uns eines Tages aus- Sinne zu gestalten. Die Fraktionen haben heute ein
einanderzusetzen haben. Telegramm des Deutschen Gewerkschaftsbundes be-
kommen, das sich mit der Besetzung einer sehr wich-
Im übrigen kennt dieser Gegner sehr genau die tigen europäischen Funktion in der Montanunion
Grundideen über eine Friedensregelung, wie sie in beschäftigt. Ich darf mit Erlaubnis des Präsidenten
den Köpfen der Deutschen sind. Das ist eine Frie- aus diesem Telegramm einen wichtigen Abschnitt
densregelung, die eben überhaupt nur ein Prinzip hier vorlesen:
als ein tragendes und gestaltendes Prinzip enthal-
ten kann, nämlich das Prinzip der Selbstbestimmung. Bei der Gründung der Montanunion hatte die
Solange auch nicht nur von weitem zu sehen ist, daß Bundesregierung den Grundsatz gebilligt, von
sich — ich habe gerade gesagt: Gegner —, sagen den zwei deutschen Vertretern einen zu benen-
wir einmal: jener gedachte künftige Vertragspart- nen, der vom Deutschen Gewerkschaftsbund
ner bereit ist darauf einzulassen, wäre alles andere vorgeschlagen wurde. So wurde Dr. Heinz Pott-
höchst gefährlich. hoff auf Vorschlag des DGB zum Mitglied der
Meine Damen und Herren, wir werden ja in den Hohen Behörde der Montanunion benannt.
nächsten Wochen vielleicht Gelegenheit haben, im Durch den Rücktritt von Dr. Heinz Potthoff
Auswärtigen Ausschuß weiter über diese Dinge zu wurde es notwendig, diese Position neu zu beset-
sprechen. Deswegen will ich nur noch zwei Aussagen zen. Der Bundeskanzler hat in Gesprächen mit
zum Schluß machen. Ich sage es noch einmal wieder, den Vertretern des DGB ausdrücklich erklärt, daß
weil ich glaube, daß es für die Berliner notwendig auch bei dieser Neubesetzung Vorschläge des
ist, dies zu wissen, nicht weil wir das für pathetisch DGB berücksichtigt würden. Der DGB hat recht-
gut hielten, sondern damit sie es kennen als eine zeitig schriftlich und in direktem Gespräch mit
Aussage unseres gemeinsamen Willens: Dies ist dem Bundeskanzler einen Kandidaten vorge-
unsere Stadt, dies bleibt unsere Stadt und — schlagen, der sowohl in fachlicher und persön-
ich gehe nun über zu uns im ganzen — dies i s t licher Hinsicht den an den Vertreter der Bun-
ein freies Land, dies bleibt ein freies Land. Nun desrepublik in der Hohen Behörde gestellten
gibt es den einen oder anderen, meine Damen und Anforderungen voll entspricht und der durch
Herren, der sagen würde: Diese Aussage geht nicht langjährige Tätigkeit mit den in der Montan-
weit genug. Ich will sie daher ganz klar und bewußt union zu behandelnden Problemen der betrof-
erweitern und sagen: Dieses freie Land arbeitet dem fenen Wirtschaftszweige bestens vertraut ist.
Tag entgegen, an dem ganz Deutschland wieder frei
Auf diese Vorstellung wurde ein hinhaltender
sein wird.
Bescheid gegeben, bis dann das Bundeskabinett
(Beifall bei den Regierungsparteien und bei unter Dr. Adenauer am 10. 10. 1962 ohne vor-
Abgeordneten der SPD.) herige Rücksprache oder Unterrichtung des DGB
den Beschluß faßte, Herrn Staatssekretär Dr.
Vizepräsident Dr. Dehler: Das Wort hat der Hettlage vom Bundesfinanzministerium als Ver-
Abgeordnete Erler. treter der Bundesrepublik bei der Hohen Be-
hörde für Kohle und Stahl anstelle von Herrn
Dr. Potthoff zu benennen.
Erler (SPD) : Herr Präsident! Meine sehr ver-
ehrten Damen und Herren! Bevor wir uns dem heu- (Zurufe von der SPD: Hört! Hört! —
tigen außenpolitischen Abschnitt der Debatte zuwen- Unglaublich!)
1774 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. Oktober 1962

Erler
In dem Telegramm heißt es weiter: mal mit allen Gedanken geschehen, wenn der Träger
Der DGB erblickt in der Art der Behandlung dieser Gedanken plötzlich stirbt und damit alles,
dieser Frage eine bewußte Brüskierung der Ge- was er angehäuft hat an Kenntnissen und Erfahrun-
werkschaften, auf deren sachliche Mitarbeit die gen, verloren geht?
Bundesregierung gerade in den Institutionen (Unruhe bei der SPD. — Abg. Wehner: Wer
der Europäischen Gemeinschaften weitgehend Gedanken trägt, stirbt nicht! Die anderen
angewiesen ist. machen es nur aus Geschäftigkeit!)
Die Gewerkschaften müssen in diesem Verhal- So geht es doch nicht. Aber ich verstehe die Be-
ten einen zusätzlichen Beweis dafür sehen, in denken des Herrn Außenministers. Ich teile sie nicht.
welcher Weise die Bundesregierung offensicht- Denn ich weiß, daß es eine Reihe anderer, genauso
lich über die anderswo selbstverständlichen diffiziler außen- und verteidigungspolitischer Pro-
Regeln politischen Verhaltens sich hinweg- bleme gibt, bei denen immer die Gefahr besteht,
setzen zu können glaubt, daß der Gegner unter Umständen zur Unzeit mit-
(Sehr richtig! bei der SPD) hört. Das wissen wir. Das entbindet uns nicht von
der Verpflichtung, hier bei uns zu prüfen und zu
und wie sie nicht versäumt, das Verhältnis zwi- überlegen, wie wir im Verein mit unseren west-
schen Gewerkschaften und Bundesregierung zu lichen Freunden jener sowjetischen Diffamierungs-
verschlechtern. kampagne wirksam entgegentreten können, die da-
(Zuruf von der SPD: Traurig!) hin zielt, daß die Sowjetunion, die doch in Wahrheit
mit ihrem Spaltungsdiktat die Spannungen ver-
Meine Damen und Herren, ich habe volles Ver- schärft, angeblich einen Frieden wolle und wir in
ständnis dafür, daß die Bundesregierung Über- der Bundesrepublik Deutschland das nicht wollten.
legungen angestellt hat, wie sie Herrn Bundesfinanz-
Wir wollen uns hier nicht über die Einzelheiten
minister Starke dabei helfen kann, zu einem anderen
der Prozedur streiten. Wir haben ein paar Vor-
Staatssekretär zu gelangen.
schläge gemacht, wie wir uns auch diesem Problem
(Heiterkeit bei der SPD.) so zuwenden können, daß der deutschen Sache kein
Aber daß man dieses Problem so löst, daß man es Nachteil geschieht. Ich bin überzeugt, daß, wenn der
mit einer Herausforderung der Gewerkschaften ver- Herr Bundesaußenminister noch einmal Gelegenheit
knüpft und damit gegen die bisher bewährte gute nimmt, sich die entsprechenden Papiere und Reden
Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften in der dazu sorgfältiger anzusehen, vielleicht doch — ohne
Montanunion verstößt, dafür fehlt meinen politi- daß eine verfassungsrechtlich neuartige Institution
sehen Freunden jedes Verständnis. geschaffen werden sollte; das wollen wir gar nicht
— eine feste Gesprächsform hergestellt werden
(Beifall bei der SPD.) kann, die dazu führt, daß diejenigen, die man zu
Nun zu den heute erörterten außenpolitischen einer breiten Grundlage für die Herstellung politi-
Fragen. Der Herr Bundesaußenminister hat einen schen Handelns der Umwelt gegenüber braucht, in
Überblick über eine Reihe von in der Welt sich einer geeigneten Weise an der Beratung und Vor-
vollziehenden schnellen Umwälzungen gegeben. Er bereitung solchen politischen Handelns auch betei-
hat uns daran gemahnt, daß wir in dieser schnell- ligt werden.
lebigen Zeit immer nahe bei den Problemen bleiben Das ist doch das Thema, um das es geht. Gerade
müssen. Ich glaube, es ist auch wohl dieser Gedanke weil wir die Sorge wegen eines unzeitigen Zer-
gewesen, der den Herrn Bundesaußenminister dazu redens haben, deshalb haben wir ganz bewußt einen
geführt hat, vor einiger Zeit schon Gedanken zu er- Vorschlag gemacht, der — nach bitteren Erfahrun-
wägen, wie man auch in unserem Lande im Aus- gen in der Vergangenheit — den Kreis der Beteilig-
wärtigen Amt eine Art politischen Planungsstab ten nicht allzu groß werden läßt. Das ist doch wohl
einrichten könne. Mit anderen Worten: das Voraus- des Nachdenkens wert.
denken und gelegentlich sogar das schriftliche
Fixieren bestimmter möglicher Entwicklungen und Die Rede des Herrn Bundesaußenministers hat
sich im übrigen sehr wohltuend von manchen Dis-
Positionen gehört zum Handwerkszeug moderner
Außenpolitik. Deshalb habe ich es nicht ganz ver- kussionsbeiträgen unterschieden, die doch wohl ein
standen, daß in der für uns außerordentlich wichti- bißchen darauf angelegt waren — lassen Sie es
mich ehrlich sagen —, Händel zu suchen. Ich frage
gen Frage der gemeinsamen westlichen Vorstellun-
gen über eine Friedensregelung für ganz Deutsch- mich, ob bei aller Notwendigkeit der Profilierung
land der Herr Außenminister dieses Vorausdenken des Gesichts von Parteien die gegenwärtige außen-
für zu gefährlich erklärt hat. politische Lage unseres Volkes und unserer Haupt-
stadt den heutigen Tag dafür besonders geeignet
(Abg. Freiherr zu Guttenberg: Das Voraus macht.
schreiben hat er für gefährlich erklärt!) (Beifall bei der SPD.) -
— Aber wenn es nur in den Köpfen bleibt, ist es Deshalb lassen Sie mich einiges zur Methode
morgen unter Umständen wieder vergessen; das außenpolitischer Erörterungen in dieser sehr gefähr-
wissen Sie doch auch. Große Gedanken müssen von lichen Zeit sagen. Natürlich kann und darf der Deut-
Zeit zu Zeit auch einmal im Gespräch und in der sche Bundestag zu den Lebensfragen der Nation
Diskussion und in der Niederschrift in einem ent- nicht einfach schweigen. Das Volk erwartet, daß die
sprechend engen Kreise — jawohl! — diskutiert Regierung und dieses Haus — und das ist geschehen
und geklärt und geprüft werden. Denn was soll ein - in einigen wichtigen Fragen unmißverständlich
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. Oktober 1962 1775
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klarmachen, wo sie stehen. Das Volk will wissen, ob Nach reiflicher Prüfung haben wir dieses und jenes
und wie wir uns des Ernstes der Lage auch bewußt vorgeschlagen, und wir fordern das Hohe Haus auf,
sind und wie breit die Grundlage ist, die geschaffen sich hinten anzuschließen. Dann muß man vielmehr
werden kann, um mit gemeinsamen Kräften die mit denen, die nicht in der Regierung sitzen, auch
Lage so gut es geht zu meistern. über dieses gemeinsame Handeln sprechen und
Wir wissen — darin trennt uns nichts —, daß es ihnen das Gefühl des Mitwirkens an den zu unter-
heute vor allem auf die Abwehr des sowjetischen nehmenden politischen Schritten geben. Dann wird
Vorstoßes gegen die Freiheit Berlins ankommt, des die Grundlage breiter sein.
sowjetischen Versuchs, die Spaltung unseres Lan- Wir sind in diesem Hause trotz der Kontroversen,
des zu zementieren und damit gleichzeitig unseren die hier heute aus einem bestimmten Teilaspekt,
Landsleuten in Mitteldeutschland jede Hoffnung auf auf den ich noch kommen werde, wieder aufgeklun-
eine spätere Änderung ihres schrecklichen Loses gen sind, doch in vielen Fragen auch unseres außen-
unter kommunistischer Gewaltherrschaft zu neh- politischen Verhaltens nicht erst in den letzten Jah-
men. Die Abwehr dieser Versuche gebietet größte ren seit dem sowjetischen Ultimatum gegen Berlin
Geschlossenheit. ein gutes Stück Weges gemeinsam gegangen. Das
Dennoch leugnet niemand — das wäre geradezu fing doch mit jenem Akt des außenpolitischen Be-
kindlich —, daß man auch bei dieser notwendigen kenntnisses der Bundesrepublik an, der uns seiner-
Geschlossenheit in den Prinzipien, auf die es an- zeit viel Vertrauenskapital erworben und manche
kommt, Einzelfragen verschieden beurteilen kann. Hemmnisse gegen uns Deutsche abgebaut hat, als
Hier geht es doch wohl auch um eine Grundhaltung, wir in diesem Hause den Wiedergutmachungsver-
ob man gewissermaßen abwarten soll, bis die So- trag mit Israel beschlossen. Das war ein wichtiges
wjetunion den nächsten Schritt zu unserem Nachteil Stück außenpolitischen Handelns.
tut, und ob man sich lediglich darauf verlassen
(Sehr richtig! in der Mitte.)
kann, solche Abwehrmaßnahmen in der Hand zu
haben, daß dieser Schritt vielleicht nicht erfolgt, Wer einmal in die Vereinigten Staaten von Amerika
oder ob man statt dessen im Verein mit unseren gereist ist, der weiß, welche Bedeutung diesem Ver-
Freunden sich überlegt, ob es nicht einen Weg gibt, tragswerk auch und gerade für die Gestaltung der
sich das Gesetz des politischen Handelns nicht nur deutsch-amerikanischen Beziehungen zugekommen
vom Gegner und seinen angedrohten oder tatsäch- ist.
lich durchgeführten Schritten vorschreiben zu lassen. Wie war es denn damals mit der Mitwirkung der
Ich teile Ihre Überzeugung, Herr Kollege Gutten- Opposition? War die Mitwirkung eigentlich genauso
berg, daß es hier auf eine klare und entschlossene ungeteilt auf allen anderen Seiten des Hauses?
Haltung ankommt. Aber die Haltung, die sicher not- (Beifall bei der SPD.)
wendig ist, um die eigene Position mit aller Ent-
schlossenheit zu verteidigen, muß, glaube ich, bei Meine Damen und Herren, ich habe vorhin durch
einem Gegner wie der Sowjetunion genau auch das einen Zwischenruf klargemacht, daß eine solche
aufweisen, wovon Sie an anderer Stelle geschrieben Gemeinsamkeit in breiten Teilen dieses Hauses auch
und heute auch gesprochen haben, nämlich ein Stück bei dem sehr wichtigen, vorwärtsweisenden Be-
Dynamik. Wer — lassen Sie mich das kurz noch schluß der Bundesrepublik Deutschland bestand, der
einmal sagen — angesichts der sowjetischen Ver- Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Euro-
suche, den Status quo in Mitteleuropa und Berlin päischen Atomgemeinschaft beizutreten. Wir haben
zu unserem Nachteil zu verändern, sich lediglich uns weiter darum bemüht, diese europäischen Ge-
darauf beschränkt, die Entschlossenheit, den Status meinschaftseinrichtungen, die ja mehr sind als ledig-
quo zu verteidigen, zu verkünden und sonst nichts, lich Einrichtungen der freundschaftlichen Zusammen-
wer nur den anderen gegen den Status quo drücken arbeit von Regierungen, fortzuentwickeln. In den
läßt, der riskiert, daß dieser Status quo zum Vorteil letzten Jahren — das sagte ich schon — hat uns die
des anderen und zum eigenen Nachteil verändert Lage dann alle dazu gebracht, uns um unsere be-
wird. drohte Hauptstadt zu scharen und miteinander das
Ich will hier aus guten Gründen, die Sie genauso Notwendige zu tun, um unsere und unserer Haupt-
gut kennen wie ich, nicht in die Einzelheiten gehen stadt Freiheit zu schützen.
und nicht untersuchen, was angesichts der sehr Ich bringe das in Erinnerung, weil gerade dieser
engen Marge deutscher Handelsmöglichkeiten auf Rückblick zeigt, wie gefährlich es wäre, das abzu-
diesem Feld getan werden kann. Ich meine nur, es werten mit Worten wie dem, es handle sich da um
lohnt sich, sorgfältig miteinander auch über dieses nichts anderes als um den faulen Zauber der Ge-
Erfordernis zu sprechen, und dazu haben wir, meinsamkeit. Wehe unserem Volke, wenn in der
glaube ich, einen förderlichen Weg vorgeschlagen. jetzigen Lage eine Partei glaubt, ihr Profil nur da-
Dabei kommt es' darauf an, abzustecken, wie breit durch zurückgewinnen zu können, daß sie auf dem
- und zwar möglichst breit — die Grundlage für Feld der Außenpolitik . geradezu künstlich Händel
gemeinsames Handeln geschaffen werden kann. Die sucht!
Regierung ist stärker, wenn sie sich bei politischem (Beifall bei der SPD.)
Handeln auf eine möglichst breite Zustimmung in
diesem Hause und in der Öffentlichkeit stützen Deshalb fand ich einen Teil der heutigen Debatte
kann. Ich wiederhole, was wir in früheren Debatten so gespenstisch. Nehmen wir einmal das europäische
schon gesagt haben. Das kann aber dann nicht ein- Kapitel heraus.
fach so gehen, daß die Regierung von sich aus sagt: (Abg. Dr. Barzel: Und Helmut Schmidt?!)
1776 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode -- 41. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. Oktober 1962

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—Helmut Schmidt hat nicht in diesem Hause debat- eingliedern und von dieser Position aus dann mit
tiert, sondern sich in der Literatur genauso an einer Wiederver-vermintlchAusüberdi
Diskussion beteiligt wie andere auch. Und wenn Sie einigung Deutschlands verhandeln sollte oder ob
sich z. B. einmal den Beitrag von Herrn Schmückle man die andere Ausgangslage von damals, wie wir
ansähen, dann würden Sie erkennen, woher der grö- meinten, noch nutzen und zunächst nach einer an-
ßere Schaden für die deutsch-amerikanischen Be- deren Sicherheitsordnung i n Europa unter militä-
ziehungen gekommen ist. rischer Beteiligung der Deutschen — das „Ohne-
Mich" spielte in diesen Debatten keine Rolle —
(Beifall bei der SPD.)
streben sollte, die, so hofften wir, mit der Wieder-
Damit meine ich nicht, daß Helmut Schmidt einen vereinigung Deutschlands verbunden wäre.
Schaden angerichtet hat. Das ist ein anderer Punkt.
Sie können sich heute gut hinstellen und sagen:
Aber darauf komme ich noch.
Das sind alles Illusionen gewesen. Es ist ja nicht
(Abg. Freiherr zu Guttenberg: Herr Kollege versucht worden!
Erler, Sie können doch nicht von uns sagen,
(Beifall bei der SPD.)
daß wir Händel suchten, während es bei
Ihnen Diskussion ist! — Heiterkeit bei der Aber eines wollen wir doch ganz nüchtern festhal-
CDU/CSU.) ten: dieser Streit, den die Historiker von mir aus
noch dreißig Jahre fortsetzen können, hat zunächst
— Darauf komme ich noch.
einmal damit ein Ende gefunden, daß neue Tatsa-
Ich darf daran erinnern, daß es der Bundeskanz- chen geschaffen worden sind, daß wir die Ereignisse
ler selbst und der Kollege Majonica gewesen sind, des Jahres 1952 nicht wiederholen können, etwa
die ihrerseits die Töne für eine bestimmte, notwen- weil uns die letzten zehn Jahre nicht gefallen, und
dig gewordene Replik gestimmt haben, und das daß in diesen zehn Jahren leider Gottes nicht die
wollte ich hier in aller Nüchternheit registrieren. Hoffnungen der Regierungsparteien, man würde da-
durch bessere Voraussetzungen für die Wiederver-
(Abg. Rasner: Ich dachte, es sei Herr Ollen
einigung schaffen, sich erfüllt haben, sondern die
hauer gewesen!)
Spaltung unseres Landes verhärtet worden ist —,
— Entschuldigen Sie, lesen Sie sich doch einmal die wozu natürlich auch noch eine ganze Reihe entschei-
sehr sanften Vorschläge des Herrn Ollenhauer zum dender anderer Faktoren hinzukommen. Diesen
Verfahren durch! Daß es in diesem Hause bei aller Sachverhalt wollen wir doch nicht einfach auf den
Übereinstimmung in den Grundfragen der Außen- Kopf stellen!
politik doch auch erlaubt sein wird, die Bundes- (Beifall bei der SPD.)
regierung zu bitten, bestimmte Punkte ihrer Re-
gierungserklärung zu präzisieren, wie es inzwischen
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Gestatten Sie
erfreulicherweise auch noch einmal durch den Mini- eine Zwischenfrage?
ster geschehen ist, dürfte wohl nicht bestritten wer-
den. Erler (SPD) : Bitte!
(Beifall bei der SPD. — Abg. Rasner: Er hat
etwas ganz anderes gesagt! — Weitere Freiherr zu Guttenberg (CDU/CSU) : Herr Kol-
Zurufe von der CDU/CSU.) lege Erler, Sie haben soeben gesagt, daß zu der
Mir ging es um heiklere Fragen, bei denen ver- Verhärtung der deutschen Spaltung auch noch an-
sucht worden ist, Gegensätze, die in diesem Hause dere Faktoren beigetragen hätten. Soll ich daraus
oft zu stürmischen Debatten geführt haben, beinahe entnehmen, daß auch unsere Politik zu dieser Ver-
wie die Gespensterschlacht auf den Katalaunischen härtung beigetragen haben soll?
Feldern wieder heraufzubeschwören. (Unruhe bei der SPD.)
Deswegen dazu nur ein paar Sätze. Meine Damen
und Herren, wir wären ja nicht alle Zeugen dieser Erler (SPD) : Mindestens hat sie bisher nicht das
Debatte geworden und hätten nicht wie ich daran Ergebnis gehabt, die Spaltung Deutschlands über-
teilgenommen, wenn wir so täten, als hätte sie nicht winden zu helfen. Wollen wir es mal so lassen!
stattgefunden; das wäre nicht wahr. Wir haben -
und Herbert Wehner hat mit Recht daran erinnert — Freiherr zu Guttenberg (CDU/CSU) : Wollen
in den Fragen der europäischen Föderation hier in Sie mir zustimmen, daß der Beifall, der soeben von
diesem Hause im Jahre 1950 einmütig quer durch Ihrer Partei kam, offenbar zeigt, daß es bei Ihnen
die Parteien hindurch das Bekenntnis zu einem euro- immer noch Leute gibt, die der Auffassung sind,
unsere Politik habe, wie Herr Ollenhauer gesagt
päischen Bundespakt, zu den Vereinigten Staaten
hat, die Vertiefung der Spaltung Deutschlands be-
von Europa abgelegt.
deutet? -
Die Diskussionen, die sich dann um die Europa-
politik entwickelt haben, gingen doch im wesent- Erler (SPD) : Sicher, Herr von Guttenberg, haben
lichen — von dem Sonderfall Montanunion abge- Sie das nicht gewollt.
sehen; zu dem werde ich auch noch einige Worte
(Zuruf von CDU/CSU: Das entschuldigt doch
sagen — um die Verknüpfung der europäischen Zu-
Moskau!)
sammenarbeit mit dem damals heiß umstrittenen
Thema, ob man erst die Bundesrepublik Deutschland — Entschuldigen Sie, hier geht es doch nur darum,
aufrüsten, in den Verband der westlichen Allianz ob wir damals in diesem Hause redlich auch noch
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. Oktober 1962 1777

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nach einem anderen Wege zur Wiederherstellung Meine Damen und Herren, ich meine, .daß wir
der Einheit Deutschlands suchen durften oder nicht. uns, wenn wir jetzt an die Fragen der Zukunft her-
Inzwischen ist es geradezu gespenstisch, sich darüber angehen und uns dabei Gedanken machen nicht nur
zu unterhalten, weil wir inzwischen andere ge- über Berlin — so wichtig diese sind, so vorrangig
schichtliche Tatbestände haben, von denen her wir diese sind —, sondern auch über die deutsche Frage
nicht versuchen sollten, die politischen Kräfte von im ganzen, sicher irgendwann einmal, und zwar nach
heute, die gemeinsam unser Schicksal meistern wol- meinem Eindruck sehr bald, vor der Frage unserer
len, wieder auseinanderzujagen. Vielmehr kommt westlichen Partner stehen werden: Wenn ihr sagt,
es jetzt darauf an, ohne Rücksicht auf die unter- ihr seid — wie es hier im Bundestag geheißen hat —
schiedliche Beurteilung der Vergangenheit zusam- für einen Friedensvertrag, der auf einem wiederver-
menzustehen. Hier führt Rechthaberei auch bei einigten Deutschland beruht — das ist unsere ge-
Ihnen nicht weiter, meine Damen und Herren! meinsame Auffassung —, habt ihr dann auch An-
regungen dafür zu geben, da dieser Friedensvertrag
(Lebhafter Beifall bei der SPD und bei Ab
doch vermutlich nicht vom Himmel fällt? Es ist heute
geordneten der FDP.)
nicht die Zeit — darüber hat Herr Ollenhauer ge-
Damit möchte ich jenes Kapitel der vergangenen sprochen —, uns ,jetzt Gedanken zu machen über
Auseinandersetzungen verlassen. ein Problem, das noch gar nicht auf der weltpoli-
tischen Tagesordnung steht, nämlich eine Friedens-
Nur noch ein Wort zu dem Sonderfall Montan- konferenz über einen solchen Vertrag einzuberufen.
union. Da gestehe ich ganz offen ein: in einem Punkt Wir haben es hier mit der Abwehr sowjetischer
haben wir uns damals in der Richtung geirrt. Die Initiativen, mit dem Spaltungsdiktat zu tun. Aber
Montanunion enthielt im Ansatz nach unserer Mei- ich finde doch, Herr Außenminister, ein bißchen
nung noch eine ganze Reihe von Möglichkeiten, ein mehr des Vordenkens in den eigenen Reihen —
Stück Besatzungspraxis, wie sie sich in der Ruhrbe- wobei Sie die Zahl der Köpfe von mir aus getrost
hörde niedergeschlagen hatte, zum Nachteil unserer beschränken können — ist erforderlich, um auch
Wirtschaft und zum Vorteil anderer auf die deutsche unseren Partnern , das Gefühl zugeben: die Bundes-
Montanindustrie auszudehnen. Diese Befürchtungen republik Deutschland läßt sich nicht einfach in eine
sind weitgehend — nicht zu hundert Prozent, aber solche Diskussion hineintreiben, ohne daß sie selbst
weitgehend — inzwischen überwunden worden. hinreichend klare Vorstellungen darüber hätte, was
Aber etwas anderes, was auch damals bei den De- aus einer solchen Diskussion füglich herauskommen
batten eine Rolle gespielt hat, hat durch die von uns soll. Das ist der Punkt, um den es hier ging. Das ist
mitbefürwortete und getroffene Entscheidung sein keine Frage, bei der wir hier in parteipolitischer
gutes Ende gefunden. Es hat sich doch von Anfang Hitze übereinander herzufallen brauchen. Das ist
an gezeigt, wie schwierig es ist, aus einer Volks- eine Frage, die man in dem entsprechenden Kreise
wirtschaft zwei Tranchen, Kohle und Stahl, heraus- verantwortlich miteinander ganz nüchtern überprü-
zuschneiden und diese aus sechs verschiedenen Län- fen sollte.
dern zu einem Kuchen zusammenzubacken und den Meine Damen und Herren, jetzt schließt sich not-
Rest der Wirtschaft draußen zu lassen. Das konnte wendigerweise eine Betrachtung dessen an, was wir
auf die Dauer nur zu schwersten Spannungen führen, denn zu manchen Dingen sagen und tun, die sich
wenn man sich nicht .entschloß, aus dieser Lage her- zur Zeit um Berlin abspielen. Auch dazu haben wir
aus den Sprung nach vorn zu tun und es nicht bei nicht mehr gemacht als einen ganz einfachen Proze-
der Integrierung von Kohle und Stahl bewenden zu durvorschlag. Wir möchten gerade vermeiden, daß
lassen, sondern nunmehr die gesamten Wirtschaften bestimmte, die Zukunft Berlins berührende heikle
zusammenzufügen. Fragen durch ein Auseinanderfallen ,der Kräfte von
(Zustimmung in 'der Mitte.) Bundesregierung, Senat, Bundestag und Parteien
hier durch Erörterung auf dem öffentlichen Markte
Meine Damen und Herren, ich glaube, damit ist so behandelt werden, ,daß Berlin dabei Schaden lei-
also auch 'das Kapitel Montanunion hoffentlich ge- den kann. Das ist der Grund für unseren Vorschlag.
klärt, so daß wir da nicht noch einmal Gespenster- Nach dieser Begründung hoffe ich, daß Sie es sich
schlachten aufzuführen brauchen. doch noch einmal überlegen, ob man nicht auf die-
sen Vorschlag zurückkommen sollte.
Herr Professor Erhard hat in einer eindrucksvol-
len Rede die Notwendigkeit gemeinsamen Handelns Wenn Sie da meinen, das berühre auch den Re-
in den wirtschaftspolitischen Fragen dargelegt. Er gierenden Bürgermeister von Berlin: natürlich, das
hat dabei sogar das vielleicht der sich beruhigenden berührt uns alle, meine Damen und Herren, uns lane.
Ichmöteir,nudak'Mßverstäni
Situation nicht ganz angemessene dramatische Wort
übrigbleiben, zu einem Punkte kurz etwas sagen,
gebraucht, es sei gewissermaßen fünf Minuten vor
der in der Debatte eine Rolle gespielt hat, nämlich-
zwölf. Meine 'Damen und Herren, wer dies auf dem
zu dem Überholtsein eines bestimmten Gedankens
Gebiete der Wirtschaftspolitik erstrebt, der sollte
der Verträge von 1955.
von daher auch Verständnis dafür haben, was uns
bewegt hat, als wir am 30. Juni 1960 in den Lebens- Gesprochen war dabei von ,den Vorbehaltsrechten.
fragen der Nation hier ein engeres Zusammenrücken Gemeint ist keinesfalls, daß die Substanz der Vor-
der politischen Kräfte gefordert und das unbeirrt behaltsrechte für die Bewahrung der Freiheit Ber-
durchgehalten haben, obwohl das Echo der ersten lins und für die Verantwortung der Vier Mächte;
Zeit vielfach nur Hohn und Spott gewesen ist. also der drei Westmächte und der Sowjetunion, für
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die .deutsche Frage im geringsten angetastet werden und hat volles Verständnis für den Regierenden
dürfte. Es dreht sich um einen ganz anderen Sachver- Bürgermeister von Berlin. Ich danke ihm.
halt. Es geht darum, daß nunmehr nach einer sieben- (Heiterkeit und Beifall bei der SPD.)
jährigen Entwicklung (die Vorbehaltsrechte — von
uns her — von niemandem so behandelt werden Meine Damen und Herren, wir haben dann hier
dürften, als ergäbe sich aus diesen Vorbehaltsrech- eine Kontroverse gehabt, die gar nicht nötig wäre,
ten der Alliierten für uns (die Möglichkeit zu sagen, nämlich beinahe sinngemäß in Fortführung des Ge-
das gehe in erster Linie zunächst einmal nur die dankens, daß wir Berlin zu unserem Schicksal ge-
Alliierten an, und wir seien ,gewissermaßen aus der macht haben, die Anmerkungen des Herrn Bundes-
Mitverantwortung heraus. kanzlers zu Herrn Ollenhauers Wunsch, es sollte in
Juristisch und machtpolitisch ist Berlin durch die der Regierungserklärung eigentlich auch ein Satz
auf den originären Besatzungsrechten beruhende darüber gestanden haben, daß wir das Risiko mit
Anwesenheit der Alliierten geschützt, jawohl; aber unseren Verbündeten in der Berlin Frage teilen.
-

moralisch und politisch lebt Berlin — auch mit den Inzwischen hat der Herr Bundesaußenminister
westlichen Vorbehalten — davon, daß wir hier alle noch einmal klargemacht, daß Chruschtschow wissen
das Schicksal unserer Hauptstadt zu unserem eige- müsse, daß er in Berlin mit dem vollen Risiko kon-
nen Schicksal 'gemacht haben und auch in Zukunft frontiert sei. Dieses volle Risiko kann nicht nur ein
machen werden, meine Damen und Herren! amerikanisches Risiko sein, und deswegen ist es
(Beifall bei der SPD.) nicht nur, sondern auch das Risiko, daß sowjetische
Einzelvorstöße — Salami-Taktik und ähnliches —
Genau dies ist gemeint, daß wir uns da nicht hinter in einen Konflikt hineintreiben mit der Gefahr eines
den Vorbehaltsrechten der Alliierten verstecken Weltbrandes, mit der Gefahr eines atomaren Kon-
dürfen. Dann hat es den richtigen Sinn, und ich flikts. Das gebe ich unbedingt zu, daß auch diese
glaube, so wird auch wohl jeder damit einverstan- Wahrscheinlichkeit und Möglichkeit Teil der ab-
den sein. schreckenden Wirkung der sowjetischen Politik ge-
(Abg. Freiherr zu Guttenberg: Es klang genüber ist.
aber anders, Herr Erler!) Aber, meine Damen und Herren, hat uns nicht die
— Ja, nun komme ich dazu: Wie benutzt man Äuße- Mauer, hat uns nicht die Zurücksendung des bri-
rungen, deren Sinn einem zunächst dunkel ist? Ist tischen Militärfahrzeugs in Berlin gezeigt, daß es
es unsere Aufgabe, aus parteiegoistischen Gründen bestimmte einzelne Aktionen gibt, bei denen die
zunächst öffentlich der Äußerung die möglicherweise Drohung nur mit dem Einsatz von Atomwaffen un-
abträglichste Deutung zu geben? Oder haben wir glaubwürdig ist, daß es infolgedessen durchaus so-
nicht im nationalen Interesse die Verpflichtung, zu- wjetische Pressions- und Einwirkungsmöglichkeiten
nächst einmal zu versuchen, zu ergründen, ob nicht in Berlin gibt, bei denen man imstande sein muß,
der Kern dieser Äußerung in Wahrheit genau das sich auch auf andere Weise seiner Haut zu wehren?
ist, was ich eben gemeint habe, nämlich etwas, was Dies ist ja doch u. a. Sinn all der Überlegungen, die
für unsere Nation eine gemeinsame Verpflichtung im Verbande mit den drei Westmächten angestellt
ist? Das ist eine Frage der Methode. werden, um auf die Verschiedenartigkeit möglicher
sowjetischer Schritte in Berlin auch auf angemes-
(Beifall bei der SPD.)
sene, verschiedenartige Weise antworten zu kön-
nen.
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Gestatten Sie Meine Damen und Herren, nicht wir Sozialdemo-
eine Zwischenfrage des Abgeordneten Guttenberg? kraten waren es, die im Ringen um Berlin in der
deutschen Öffentlichkeit und in manchen politischen
Erler (SPD) : Bitte schön. Kreisen Zweifel in die Standfestigkeit des ameri-
kanischen Verbündeten gesät haben. Jedem, der dar-
auf einmal in den Vereinigten Staaten von Amerika
Freiherr zu Guttenberg (CDU/CSU) : Herr Kol- angesprochen worden ist, ist klar, daß es gerade
lege Erler, Sie haben uns Vorschläge gemacht, wie wegen unseres Verhältnisses zu den Vereinigten
man Äußerungen, deren Sinn dunkel ist, verwenden Staaten durchaus richtig und notwendig war, im
sollte. Darf ich Sie fragen, wie Sie glauben verhin- Zusammenhang mit der Regierungserklärung ein
dern zu können, daß solche dunklen Äußerungen klärendes Wort auch über unsere eigenen Verpflich-
gemacht werden? tungen auf diesem Gebiete zu sagen.
Hier ist nun, obwohl man natürlich den ameri-
Erler (SPD) : Entschuldigen Sie, die Frage können kanischen Überlegungen Unrecht antun würde,
Sie in manchen Punkten genauso gut an Herrn Bun- wenn man sie auf den spezifischen Fall Berlin allein
deskanzler Dr. Adenauer richten; dann werden Sie exemplifizierte, einiges über die Äußerungen mei-
eine reichhaltige Skala von Antworten bekommen. nes Freundes Helmut Schmidt zu der neuen Stra-
tegie dargelegt worden, wie sie sich im Laufe von
(Beifall bei der SPD. — Lachen bei der
Monaten und Jahren in den Vereinigten Staaten
CDU. — Abg. Rasner: Sie waren schon von Amerika allmählich ausgebildet hat. Es ist die
besser!) Ablösung der Strategie der massiven Vergeltung —
— Regierungschefs haben es nicht immer leicht in seit Jahren im Gange — durch eine Strategie der
Pressekonferenzen. Der Bundeskanzler nickt mir zu abgestuften Abschreckung. Hier ist gesagt worden,
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. Oktober 1962 1779
Erler
das sei drüben gar nichts Neues. Ich habe vor mir hen damit erworben haben, so zu trätieren, wie
den „Amerika-Dienst" vom 25. Juni dieses Jahres; Sie es beliebten.
da wird über neue Konzeptionen des strategischen
Rasch noch zu zwei Punkten, die hier in der De-
Denkens berichtet. Ich gebe zu, so schrecklich neu
batte eine Rolle gespielt haben und wohl doch noch
sind sie nicht, weil sie zu einem großen Teil —
ein Wort zum Schluß verdienen.
entgegen einem weitverbreiteten Gerücht in unse-
rem Land — mitentwickelt worden sind vom bis- Einmal: der Herr Bundeskanzler hat, wie
herigen Oberbefehlshaber auf dem europäischen ich glaube, meinen Freund Herbert Wehner völ-
Schauplatz, General Norstad. Manches, was bei lig mißverstanden, wenn er in seine Ausführungen
öffentlicher Erörterung daran mitunter schief wirken hineingelesen haben sollte, daß Herbert Wehner
kann — die Gedanken von Pause, Schwelle und der Bundesregierung ein Streben nach einem
Ähnlichem —, findet sich in Äußerungen von Nor- deutsch französischen Übergewicht unterschiebe. Im
-

stad, die ich hier vor mir habe, vom 11. April 1961, Gegenteil. Wenn Sie das Protokoll nachlesen, wer-
2. März 1960. Manches andere, was über die Not- den Sie feststellen, daß er ausdrücklich bekundet
wendigkeit etwa einer politischen Kontrolle, ins- hat, daß es ein solches Streben nach einem deutsch-
besondere des Kernwaffeneinsatzes — damit dort französischen Übergewicht nicht gebe und daß es
keine Selbstzündung stattfindet —, vom ameri- unsere gemeinsame Aufgabe sei, auch wegen des
kanischen Präsidenten und seinen Beratern entwik- Verhältnisses zu den anderen Partnern innerhalb
kelt worden ist, findet sich auch schon andeutungs- der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und den
weise bei Norstad oder etwa — im November 1961 Hinzukommenden, diese irrigen Vorstellungen gar
— beim Generalsekretär der NATO, Herrn Stikker. nicht erst aufkommen zu lassen, mit vereinten
Kräften. Er hat also hier der Bundesregierung kei-
Deshalb war es wirklich für die Beziehungen zu nen Tadel erteilt, sondern im Gegenteil, wenn sie
unserem großen Verbündeten nicht gerade gut, daß sich in dieser Richtung bemüht, unsere Unterstüt-
alle jene Überlegungen, von denen . ich hier soeben zung dabei angeboten.
gesprochen habe, in dem berühmten Aufsatz nach
einem Hin und Her von Pressemeldung, Dementi Lassen Sie mich aber noch einen Satz zum
und erneuter Meldung des Oberst Schmückle, der deutsch-französischen und zum deutsch-britischen
nun — ja, nein, ja, doch — nächstes Jahr vielleicht Verhältnis sagen. Ich bin in meiner Jugend in einer
in die Vereinigten Staaten entsandt werden soll, politischen Umgebung aufgewachsen, in der es
abqualifiziert worden sind mit dem Satz: „Sie jong- selbstverständlich war, daß die Aussöhnung zwi-
lieren in der Öffentlichkeit mit Begriffen wie ... schen dem deutschen und dem französischen Volk
„Pause" und „Schwelle" und zerreden damit die endlich einmal geschaffen werden müßte, um die
Abschreckung solange, bis sie einer Null ziemlich Zeit der deutsch-französischen bewaffneten Ausein-
ähnlich sieht." andersetzungen ein für allemal in die Vergangen-
An einer anderen Stelle heißt es: heit zu verbannen. Leider haben sich die Bemühun-
gen derer, die damals so dachten — wir in der
Unterstützt werden diese Philosophen von Sozialdemokratischen Partei und in der sozialisti-
Militärs, die die Aufgabe der Heere im Atom- schen Jugendbewegung —, nicht durchgesetzt. Lei-
zeitalter mit aller Gewalt nicht begreifen kön- der sind wir noch einmal durch ein Meer von Blut
nen ... gewatet. Daraus haben wir hoffentlich für alle Zei-
Dort wird also gegen diese Überlegungen sehr hef- ten gelernt. So stehen wir nicht an, den herzlichen
tig polemisiert. Ich bringe das nur in Erinnerung, Empfang, den der französische Staatspräsident de
damit wir sehen, daß es nichtgerade die Sozial- Gaulle in unserem Volke gefunden hat, zu begrü-
demokraten gewesen sind, die hier Zweifel in die ßen als ein Zeichen des deutschen Volkes, daß es
Glaubwürdigkeit der amerikanischen Entschlossen- mit allen Kräften dafür wirken will, daß die ge-
heit, ihre Kraft auch für Europa einzusetzen, ge- meinsame deutsch-französische Zukunft nicht mehr
sät haben. In dieser Diskussion über die neue Stra- angetastet werden kann.
tegie, die dann von einigen Militär-Kommentatoren (Allseitiger Beifall.)
fortgeführt worden ist mit dem Drängen: da man
sich auf die Amerikaner nicht mehr fest verlassen Aber lassen Sie mich eines hinzufügen. Wir, die
könne, müßten eben die Europäer eine eigene Ab- wir wissen, was deutsch-französische Zerwürfnisse
schreckungsmacht haben. Da kam es dann zu dem an Blut gekostet haben, was sie überhaupt Europa
großartigen Kurzschluß einer deutschen Zeitung, in seiner Stellung in der Welt gekostet haben, wir
wo ganz simpel zu lesen war — schön belehrend —: wissen auch, was Entfremdung zwischen Deutsch-
Die atomaren Sprengköpfe in deutschen Händen land und Britannien uns und Europa gekostet hat.
schrecken ab, und in amerikanischen nicht oder Deswegen sind wir uns bei voller Bejahung der
nicht immer. deutsch-französischen Zusammenarbeit, des engen
Ich rufe das einfach nur in Erinnerung zurück, Zusammenrückens, des Lebens in einer Familie doch
damit wir, verehrter Herr Kollege zu Guttenberg, wohl einig darüber, daß das kein Ausschließlich-
uns klar darüber werden, daß es wirklich nicht keitsbund ist, sondern daß wir bei engster Bewah-
gut wäre, jetzt bei dieser Diskussion ausgerechnet rung der deutsch-französischen Freundschaft diese
in der Position des Praeceptor Germaniae — jetzt beiden Völker als gleiche und nicht als Sonder-
möchte ich es einmal umdrehen — Helmut Schmidt, bündler in die größere Gemeinschaft der freien Völ-
der auf dem Gebiet einer der wenigen ist, die sich ker Europas hineinbringen sollten.
reiflich Gedanken machen und ein ziemliches Anse- (Beifall bei der SPD.)
1780 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. Oktober 1962

Erler
Deswegen hat es mir etwas leid getan, daß die eine-delnuichtrfüposeDklamtin
Verhandlungen mit Großbritannien, wo es sicher möglichst breite Grundlage in diesem Hause gibt.
auch um harte materielle Interessen geht, so etwas (Beifall bei der SPD.)
abschätzig mit dem Begriff „Feilschen" bezeichnet
worden sind. Ich bin nicht dafür, daß man bei
schwierigen wirtschaftlichen und politischen Ver- Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Das Wort hat
handlungen die Interessen des eigenen Volkes den der Herr Abgeordnete Dr. Gradl.
Interessen anderer Völker unterordnet. Wir sind
uns alle darüber einig, daß man versuchen muß, die Dr. Grads (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine
Interessen des eigenen Volkes in das Gesamt- Damen und Herren! Es ist nie eine angenehme Auf-
interesse der werdenden Gemeinschaft richtig einzu- gabe, in der Mittagsstunde sozusagen ein Schluß-
bauen. Aber dann muß man auch ein Stück . dieses licht der Debatte zu sein.
Gemeinschaftsgeistes dazu mitbringen, wenn es (Abg. Wehner: Woher wissen Sie?)
darum geht, die Gemeinschaft nicht nur zu gründen,
sondern sie zu vergrößern. Wenn wir unter rein — Na, es scheint nach der Rednerliste so, Herr
kommerziellen Gesichtspunkten und gewissermaßen Wehner. — Ich will mich aber bemühen, Ihre Ge-
feilschend die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft duld nicht zu lange zu strapazieren. Ich hätte es
gegründet und nicht den politischen Willen dahinter vielleicht überhaupt nicht zu tun brauchen, wenn es
gestellt hätten, auch die ökonomischen Schwierig- nicht in jüngster Zeit in der Öffentlichkeit, nicht nur
keiten zu überwinden, wäre die Europäische Wirt- in der deutschen, einige Kontroversen gegeben
schaftsgemeinschaft nie eine Realität geworden. hätte, die es notwendig machen, daß dazu hier ein
klärendes Wort von unserer Seite gesagt wird.
(Beifall bei der SPD.)
Herr Kollege Erler hat einen Teil seiner Aus-
Deshalb sollte sich der Bundestag einig sein, daß führungen benutzt, um, wie er sich ausdrückte,
wir trotz mancher kühler Erklärungen, die wir mög- Mißverständnisse zu beseitigen und Kontroversen
lichst rasch vergessen sollten, mit dem gleichen auszuräumen. Nun, ich werde dasselbe versuchen
Geiste des politischen Willens und des Verständ- mit Kontroversen, die nicht wir verursacht haben,
nisses für die Sorgen und Probleme anderer, von und ich hoffe, daß wir dann am Schluß so weit
denen wir ja auch verlangen, daß sie Verständnis einig sind, daß man über diese Dinge jedenfalls in
für unsere Sorgen und Probleme haben, für die Ver- Zukunft nicht wieder kontrovers zu werden braucht.
größerung der Gemeinschaft um Großbritannien und Ich möchte betonen: wir werden diese Klarstellung
jene demokratischen Länder Europas eintreten soll- nicht polemisch vornehmen. Ich werde nicht pole-
ten, die sich um die Mitgliedschaft bzw., in locke- misieren. Ich weiß wie Sie, daß die Parole für
rerer Form, um die Assoziierung bemüht haben. Berlin heißt: Nicht auseinander, sondern zueinander!
Ich komme zum Schluß. Wir vermissen in den Aber die Klarstellungen sind notwendig, weil die
Stellungnahmen der Sprecher der Regierungspar- Diskussion — die nach unserer Auffassung unnö-
teien ein Eingehen auf die von uns gegebenen kon- tige Diskussion — ja nicht einmal nur auf die
kreten Anregungen. Ich habe erfahren, daß anschei- deutsche Presse beschränkt worden ist, sondern auf
die internationale Presse übergegriffen hat; und
nend eine Entschließung, deren vervielfältigter Text
mir noch nicht vorliegt, in diesem Hause von den wenn man jetzt sieht, welche Fülle von Gedanken
Vertretern der Koalitionsparteien vorbereitet wor- — oder besser sagt man vielleicht: Gedankensplitter
den ist. Wir sind, als wir an die Vorbereitung der — über mögliche Konstruktionen für • die Regelung
Debatte gingen, dahin unterrichtet worden, daß es der Berlin-Frage über uns ausgeschüttet werden,
um eine Aussprache gehe, die nicht das Ziel habe, dann ist das auch ein Grund, vielleicht den einen
oder anderen Punkt klar darzustellen.
bestimmte Positionen, auf Papier geronnen, davon-
zutragen. Wenn man es anders gewollt hätte, wären Lassen Sie micht aber noch ein oder zwei Dinge
wir selbstverständlich zu einer Beratung eines Tex- kurz vorausschicken. Es könnte — und das wäre
tes, den wir mit verantworten können, bereit ge- gefährlich — insbesondere jenseits des Branden-
wesen. Ich kann mich zu einem noch nicht verbrei- burger Tors aus der Buntheit und der Widersprüch-
teten Text hier nicht äußern. Ich meine nur; ein lichkeit dieser Diskussionen in unserem Lande, die
gutes Verfahren ist es nicht, hier plötzlich einen nichts anderes ist als die Folge der Meinungs- und
Text vorzulegen, der wirklich nicht ernsthaft mit Pressefreiheit, ein falscher Eindruck entstehen, der
allen beraten werden konnte, die ihn zu verant- Eindruck nämlich, als ob bei uns nicht mehr diese
worten haben. harte und gemeinsame Entschlossenheit in und für
(Sehr wahr! bei der SPD.) Berlin bestände, die tatsächlich vorhanden ist. Des-
wegen schicke ich voraus — und das bezieht sich
Ich werde mich deswegen jetzt nicht zu der Ent- nicht nur auf diese Debatte, und es richtet sich nicht-
schließung äußern; dazu müssen wir sie erst einmal an jemanden hier in diesem Hause, sondern an die
kennenlernen. Aber ich meine, daß — unbeschadet jenseits des Brandenburger Tores insbesondere —:
ihres Textes — Sie bei Durchsicht unserer Vorstel- sie sollen sich bei aller Buntheit und Widersprüch-
lungen hoffentlich noch einmal darauf zurückkom- lichkeit unserer Diskussionen niemals dem Trug-
men werden — auch der Herr Außenminister —, daß schluß hingeben, daß nicht alle politischen Kräfte
es bei uns einer Form bedarf, in der gemeinsame hier im Hause, drüben in Berlin, überhaupt in un-
Verantwortung durch gemeinsame Beratung so ge- serem Lande in der Entschlossenheit eins wären und
schaffen werden kann, daß es für politisches Han eins blieben, Berlin als Ort der Freiheit und als
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. Oktober 1962 1781
Dr. Gradl
Ausgangspunkt für die Wiederherstellung der deut- daraus ist, daß der Sowjetunion nicht ein Hauch
schen Einheit zu bewahren. mehr Zuständigkeit in Westberlin zukommen darf,
Gerade weil ich — ohne zu polemisieren — auch als sie umgekehrt den Westmächten im Ostsektor
Berlins einräumt.
die eine oder andere Bemerkung in bezug auf
Äußerungen des Regierenden Bürgermeisters machen (Zustimmung.)
werde, lassen Sie mich das noch sagen: die poli- So selbstverständlich aber dieses Prinzip klingt und
tische Arbeit ist für die Verantwortlichen in Berlin so selbstverständlich es ist, so wissen wir doch, daß
schwer, sehr schwer. Sie ist schwer für alle Verant- es aus der Vergangenheit, aus dem alliierten Ver-
wortlichen, für Herrn Brandt, für Herrn Amrehn trauen der ersten Nachkriegsjahre einige in dieser
oder wer sonst dort steht, gleichgültig ob er Ihrer Hinsicht kritische Punkte in Westberlin gibt; das
Partei, der SPD, oder unserer Partei, der CDU, an- Stichwort „S-Bahn" wird als Andeutung genügen.
gehört, und beide Parteien tragen politisch die Stadt. Das sind Dinge, deren öffentliche Erörterung im
Deshalb sage ich hier für meine Freunde: wir wer- einzelnen unzweckmäßig ist. Aber das wollen wir
den alles tun, was möglich und sinnvoll ist, um sagen: meine Freunde haben Verständnis für die
allen Verantwortlichen in Berlin jetzt und in Zu- Bemühungen des Senats und bejahen sie, in allen
kunft ihre Bürde zu erleichtern. Keiner von uns Dingen mit den drei Westmächten zu einer Regelung
weiß, wie schwer die Zukunft wird. Wir wissen zu kommen, die dem erwähnten Prinzip — nicht
zwar, wie sie werden könnte, wir wissen aber nicht, mehr hier als umgekehrt drüben — und der Sicher-
wie sie wird. Aber wie auch immer sie werden mag, heit innerhalb Westberlins genügt.
die Verantwortlichen in Berlin sollen wissen — und
meine Freunde sagen ihnen das über alle Kontro- Lassen Sie mich auch noch folgendes sagen. Zwar
versen hinweg —: wir werden ihnen helfen, so sind die Berliner nicht mit jeder Reaktion der west-
gut wir können, in Berlin ihre schwere Bürde zu lichen Schutzmächte auf östliche Aktionen zufrieden.
tragen. Manchmal sind sie nicht zufrieden mit dem Tempo
der Reaktion, manchmal nicht mit der Art, und es
Aber nun die Kontroversen! Niemand kann der wäre sicher gut, wenn die drei Mächte den prak-
Presse oder dem Funk verwehren, Fragen zu stel- tischen Vollzug ihrer Zuständigkeit in Berlin noch
len und zu erörtern. Aber es muß nicht sein. Es enger und straffer gestalten könnten. Aber diese
mußte bestimmt nicht immer sein, daß durch be- und andere Wünsche können nicht jene große Tat-
stimmte, oder man müßte fast sagen: mehr durch sache schmälern, daß die Berliner auf die drei Schutz-
unbestimmte Äußerungen des Regierenden Bürger- mächte voll vertrauen und daß sie sich darauf ver-
meisters auch solche Fragen in streithafte Erörte- lassen, daß das Notwendige in der rechten Weise
rungen gekommen sind, über die nicht gestritten geschieht, wenn es wirklich ernst darauf ankommt.
zu werden brauchte. Dazu werde ich namens meiner Es ist menschlich hitter, Tag für Tag unmittelbarer
Freunde jetzt einige Feststellungen treffen, unseren
Zeuge der Brutalität der Mauer und des Schießbe-
Standpunkt positiv, nicht polemisch formulieren, und
fehls sein zu müssen. Es hat in der Stadt das eine
ich werde mich, der Stunde folgend, auf einige, wie
oder andere Mal — auch diesseits der Mauer —
mir scheint, wichtige Punkte dabei konzentrieren.
kritische Momente gegeben. Die Berliner müßten
Der Viermächtestatus ist nach unserer Auffassung ja wie die Mauer aus Stein sein, wenn sie nicht
nach wie vor ein Fundament der westlichen Position zuweilen Zorn überkäme. Sie wollen auch nicht die
in Berlin. Dieser Status legitimiert völkerrechtlich Welt draußen und die Landsleute auf der anderen
nicht nur die Anwesenheit der Westmächte in Ber- Seite auf den Gedanken kommen lassen, vor der
lin, sondern er legitimiert völkerrechtlich auch den Mauer werde resigniert. Aber wer das Denken der
Anspruch auf freien Zugang von und nach Berlin Berliner kennt —.und ich glaube, in diesem Punkte
durch die sowjetische Besatzungszone. Das ist für wird mir jeder Berliner Kollege hier in diesem Hause
die Auseinandersetzung in der kommenden Zeit vor zustimmen —, der weiß trotz mancher leichter und
der internationalen Politik und Öffentlichkeit von verständlicher Kritik: in den Berlinern ist nicht nur
eminenter Bedeutung. So meinen wir: solange nicht vom Verstand, sondern auch vom Herzen her ein
eine bessere Lösung gefunden ist und, was nicht tiefes Gefühl des Dankes lebendig, des Dankes und
weniger wichtig ist, solange ihre Realisierung nicht der Verbundenheit zu den drei Schutzmächten und
gesichert ist, ist es falsch, auch nur mit Worten den insbesondere auch zu ihren ,Soldaten in Westberlin.
Viermächtestatus in seiner Bedeutung in Frage zu
stellen. Die einzigen, die ein Interesse daran haben, Heute vormittag hat dieses Thema, das ich jetzt
den Viermächtestatus als zerstört, als ganz über- nur kurz 'berühre, verschiedentlich eine Rolle ge-
holtes Paragraphenwerk, als unwirklich und als auf- spielt. Unbeschadet der Tatsache, daß die drei West-
gelöst darzustellen, sind Moskau und Pankow. Die- mächte die Verantwortung 'für Westberlin in der
sen Gefallen sollen und wollen wir ihnen wenig- vordersten Linie tragen, ist und bleibt Berlin im ent-
stens in Zukunft nicht mehr durch abwertende oder schiedensten Sinne des Wortes eine ,Sache der Bun-
problematische Erörterungen tun oder tun lassen. desrepublik. Das ist — ich weiß nicht, wer darauf
hingewiesen hat, ich unterstreiche es — im übrigen,
Das andere, was auch in die Diskussion gekom- wenn es nichts anderes gäbe, schon eine Verpflich-
men ist: es war nie zweifelhaft, daß — so wie die tung, die das Grundgesetz uns auferlegt.
Dinge sich durch die sowjetischen Rechtsbrüche und
durch die einseitigen Akte entwickelt haben — die Ein Ausdruck dieser natürlichen deutschen Ver-
Verantwortung auch für Westberlin bei den drei pflichtung für Berlin ist z. B. die umfangreiche finan-
Westmächten konzentriert ist. Die praktische Folge zielle und wirtschaftliche Hilfe. Herr Kollege Ollen-
1782 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. Oktober 1962

Dr. Gradl
hauer, genauso wie Sie gestern, sage ich heute für Kreise herbeiführen. Dort könnte man, was viel-
meine Freunde: wir haben es nicht anderes erwartet, leicht im Augenblick 'das Wichtigste ist, aus der
aber wir stellen doch mit Dank und Genugtuung Fülle der Gedanken und Vorschläge — guten oder
fest,daßnchWoresBudkanzli schlechten — in bezug auf Berlin jenen Meinungs-
Aufwendungen für Berlin durch die Enge und die austausch herbeiführen, in dem Pro und Kontra , ge-
Anspannung des Haushalts nicht beeinträchtigt wer- genübergestellt, die Auffassungen dazu gesagt und
den. abgestimmt wenden, so daß vielleicht eine gemein-
Aber die Bundesregierung trägt für Berlin die same Auffassung vertreten wind, die wir dann alle
politische und zumal auch die außenpolitische Ver- in der rechten Weise — ich greife auf, was Herr
Erler vorhin gesagt hat —, jeder auf seinen Wegen,
antwortung. Das, so meinen wir, muß auch in Berlin
draußen gegenüber all den Undurchsichtigkeiten, die
immer wieder bedacht werden. Es ist nicht gut,
über diesen Dingen liegen, vertreten können. Das
wenn — wie in allerjüngster Zeit — der 'Eindruck
wäre ein Versuch, Iden wir machen können. Man
entsteht, als ob es von Berlin aus zwei außenpoli-
sollte sehen, welche Erfahrungen damit gesammelt
tische Geleise in die Welt gebe: ein direktes, sozu-
werden. Wir hatten es in .der Vergangenheit, wie
sagen eigenständiges, und ein indirektes über Bonn. Sie wissen, gelegentlich so gemacht, und es hat sich
Damit kein Mißverständnis entsteht: damit ist nichts eigentlich nicht schlecht rentiert.
gesagt gegen politische Gespräche des Regierenden
Bürgermeisters und anderer verantwortlicher Män- Nun noch etwas zu den Einzelfragen! Das Thema:
ner in der Welt draußen mit Staatsmännern und Volksabstimmung in Westberlin ist erörtert worden.
Politikern, wie sie es wollen. Aber was wir meinen, Ich möchte dazu unseren Standpunkt vortragen.
ist: Zweifellos ist die Volksabstimmung eines der
(Zuruf des Abg. Wehner) brauchbaren Mittel, durch die der Wille der Bevöl-
— Herr Wehner, Sie hören es gleich — wenn dabei kerung in besonders eindringlicher Weise kundge-
ernste und umfassende Fragen, vielleicht sogar unter tan werden kann, wenn .das sein muß zur Unter-
neuen Perspektiven aufkommen, dann sollte dar- stützung des westlichen oder zur Abwehr des öst-
über insoweit vor der Öffentlichkeit zumindest nicht lichen Standpunktes oder in beider Richtung. Es sind
vor, sondern nach dem Meinungsaustausch mit der durchaus Situationen denkbar, in denen das sehr
Bundesrgi pochwerdn.Dasitg- zweckmäßig und sogar sehr dringlich sein kann.
meint, Herr Wehner. Darüber gab es bisher keine Meinungsverschieden-
heiten. Meinungsverschiedenheiten sollten aber
(Zustimmung bei der CDU/CSU.) auch nicht darüber bestehen, daß man Volks-
Es sollte — das gilt für beide Seiten, für Berlin und abstimmungen nicht beliebig wiederholen kann.
Bonn — immer versucht werden, in stiller Arbeit ein Der Wert dieses Instruments für Westberlin liegt
Höchstmaß an Übereinstimmung herbeizuführen. in seiner Außerordentlichkeit d. h. praktisch in sei-
ner Einmaligkeit. Vielleicht muß es einmal ganz
Nun eine Bemerkung zu Ihnen, Herr Kollege plötzlich eingesetzt werden, und wenn ich mich nicht
Erler. Sie haben beklagt, 'daß wir zu einigen Anre- irre — ich glaube das zu wissen —, ist man in Ber-
gungen, Vorschlägen, die von Ihrer Seite gemacht lin darauf technisch auch vorbereitet. Aber Zeit-
worden sind, uns hier nicht oder ungenügend geäu- punkt, Anlaß und Fragestellung einer solchen
ßert haben. Eine darf ich jetzt noch einmal aufgrei- Volksabstimmung sollten Sache der innersten Ent-
fen. Ich denke, Herr Ollenhauer, .an Ihre gestrige scheidung der Verantwortlichen bleiben und nicht
Anregung, einen ständigen Kreis für Berlinfragen vorzeitig zur öffentlichen Erörterung kommen; denn
aus Vertretern der Bundesregierung, des Senats und sonst wind dieses Instrument unter Umständen noch
der Fraktionen zu schaffen. Der Herr Außenminister abgewertet.
hat dazu schon Kritisches gesagt. Ich glaube mit
ihm, daß es für eine solche Erörterung einer neuen Eine andere und letzte Einzelfrage; sie kurz an-
festgefugten Institution nicht bedarf. Im Grunde ha- zusprechen ist durch die Diskussion in der letzten
ben wir für diese Fühlungnahmen bereits Institutio- Zeit notwendig geworden. Es handelt sich um die
nen genug. Aber richtig scheint mir und meinen Frage der Fühlungnahmen mit Dienststellen jen-
Freunden an 'dem, was Ihnen vorschwebt, dieses: seits des Brandenburger Tores. Solche technischen
daß insbesondere die beiden zuständigen Aus- Kontakte gibt es seit langem, auch wegen des In-
schüsse des Hohen Hauses, der Auswärtige Aus- terzonenhandels und anderer Fragen des Verkehrs.
schuß und der Gesamtdeutsche Ausschuß, für den Wir haben nichts gegen Kontakte in der bisherigen
intensiven Gedankenaustausch über diese schwieri- Weise, soweit sie einen praktischen Wert haben
gen Fragen, an die Sie denken und die zweifellos oder versprechen. Natürlich haben wir auch nichts
sehr wichtig und schwierig sind, bei voller Beset- gegen humanitäre Kontakte etwa auf der Ebene
zung des Ausschusses etwas, sagen wir, unhandlich des Roten Kreuzes. Wir werden immer bemüht und
sind. So sollten wir — meine Freunde sind dazu behilflich sein, etwas Menschlichkeit an die Mauer
bereit — es so versuchen zu bringen, obwohl das fast paradox klingt, und
die schreckliche Trennung durch die Mauer und den
(Abg. Wehner: „Sollten wir"!)
Todesstreifen zu mildern und zu tun, was sonst
— ja, Herr Wehner, „sollten wir" sage ich, denn möglich ist. Eines nur — auch das möchte ich für
wir brauchen auch Ihre Zustimmung dazu —, daß meine Freunde mit aller Entschiedenheit sagen —
die Vorsitzenden der beiden Ausschüsse im Beneh- wird nicht geschehen: Wir werden uns durch das
men mit Regierung und Senat von Fall zu Fall Aus- Zonenregime nicht zu seiner Anerkennung als zwei-
sprachen in einem zu vereinbarenden kleineren ten deutschen Staat erpressen lassen.
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. Oktober 1962 1783
Dr. Gradl
Nun, meine Damen und Herren, lassen Sie mich Mauer und dem Todesstreifen hören und lesen zu
eine allgemeine Bemerkung machen und dann viel- müssen, soll uns das nicht irre machen darin, immer
leicht noch auf zwei, drei Punkte eingehen, die wieder darauf hinzuweisen. Schon allein unseren
Herr Kollege Erler erwähnt hat. Landsleuten in der Zone mit ihrem lautlosen, zähen
Wir sind uns darüber im klaren — wir genauso Widerstehen sind wir es schuldig, immer wieder
wie Sie —, daß die Auseinandersetzung mit der auf diese Dinge hinzuweisen.
Sowetunion um Berlin nicht nur in bezug auf Ich weiß, daß man sagt: Dann kommt die Gegen-
Berlin selbst und nicht nur auf dem engen Felde seite schnell mit dem Vorwurf des Kalten Krieges.
Berlin geführt werden kann. Notwendig ist — und Kalter Krieg ist nicht die Anprangerung der Un-
da werden wir uns alle gemeinsam anzustrengen taten, Kalter Krieg sind die Untaten selber. Der be-
haben —, daneben und darüber hinaus eine breite geht ihn, der die Untaten begeht, nicht wir.
politische und moralische Offensive gegen die Aus-
gangsstellung der Sowjetunion zu führen. Ich Dieses Hohes Haus hat Ende der vorigen Legis-
glaube, Herr Kollege Wehner hat davon vorhin laturperiode einmütig eine Entschließung gefaßt, in
gesprochen: Frieden, Friedensvertrag, Friedenskon- der es seinen Wunsch nach guter nachbarlicher Be-
ferenz, Liquidation des zweiten Weltkrieges und ziehung auch zum Osten Europas ausgesprochen
all das. Das sind die Parolen von drüben, mit de- hat. Das ist nach wie vor unser Wunsch. Wir wollen
nen die aggressiven Absichten getarnt werden. Sie auch mit der Sowjetunion ein gedeihliches, ein gutes
haben recht, Herr Wehner, und wir stimmen Ihnen Verhältnis. Was steht dem denn im Wege? Nichts
in diesem Punkte zu: das Friedensmotiv mit all sei- steht im Wege als jenes Regime, das es in 17 Jah-
nen Variationen, so wie es insbesondere auch aus ren nicht fertigbekommen hat, die Menschen für sich
den Hetzsendungen und den Hetzschriften Moskaus zu überzeugen. 17 Jahre lang hat die Sowjetunion
zu uns herüberkommt, dürfen wir ihnen nicht über- diesem Regime ihren Schutz, ihre Macht, ihr Pre-
lassen. Wir wissen, der wirkliche Friede wäre stige geliehen. Und was ist das Ergebnis? Das ban-
längst möglich, wenn die Sowjetunion auf der Basis krotteste Regime dieser Jahre, ein Regime, das am
des Selbstbestimmungsrechts eine Verständigung Ende Mauern bauen mußte, um das Volk am Da-
mit den Westmächten und dem deutschen Volk vonlaufen zu hindern. Das sollte man sich im Kreml
suchte. Darauf ist sie seit 1945, seit der Mitüber- vor Augen halten und sich dann fragen, ob es nicht
nahme der Verantwortung für Deutschland als
auch vom sowjetischen Standpunkt aus besser wäre,
Ganzes, verpflichtet, und darauf hat sie sich 1955
den Weg der Menschlichkeit und der Selbstbestim-
auf der Gipfelkonferenz in Genf durch ihre Unter-
mung auch für den von ihr besetzten Teil Deutsch-
schrift noch einmal verpflichtet. Auf diese Verpflich-
lands zu gehen.
tung und auf das Selbstbestimmungsrecht muß sie
immer wieder und jetzt erneut aufmerksam ge- In diesem Sinne mache ich mir das kühne Wort
macht werden. Das, Herr Erler, so meinen wir, ge- des Bundeskanzlers zu eigen, daß die Bundesregie-
hört dazu, um es nicht nur den anderen zu über- rung bereit ist — und ich füge hinzu: daß sicher wir
lassen, auf eine Veränderung, d. h. für uns Ver- alle und all unsere westlichen Freunde bereit
schlechterung des Status quo hinzuarbeiten, sondern sind —, über vieles mit sich reden zu lassen. Herr
um ihnen entgegenzutreten und von unserer Seite Kollege Wehner, Sie haben heute morgen gesagt —
aus den Status quo in unserem Sinne zu verändern. ich gebe es in meinen Worten, aber doch wohl dem
Wenn wir von der anderen Seite hundertmal ein Sinne nach richtig wieder —, dieses Wort „über
Nein, hundertmal eine Ablehnung hören, dann vieles mit uns reden lassen" könne ungute Gedan-
macht das unser Recht nicht schlecht und macht ken aufkommen lassen. Man könnte natürlich auf
unsere Begründungen nicht schlecht, dann werden den Gedanken kommen, zu fragen: Worüber denn
wir sie zum hundertundeinten Mal wieder vor diese laßt ihr mit euch reden? Natürlich werden diese
Frage stellen müssen: Wie haltet ihr es mit der Fragen kommen. Aber hier möchte ich unterstrei-
Verantwortung, die ihr von der ganzen Welt über- chen, was der Herr Außenminister gesagt hat: In
nommen habt, und wie haltet ihr es mit der Selbst- dieser Phase, in der die Gegenseite nicht eine Spur
bestimmung und den Grundrechten für die Deut- von Bereitschaft erkennen läßt, daß sie zumindest
schen? zu vernünftigen Verhandlungen und Entwicklungen
(Beifall bei den Regierungsparteien.) bereit ist, kann man von uns aus nicht mehr tun,
Auf dieser Basis, so meinen wir — das werden als die Bereitschaft zu zeigen, und die Bereitschaft
Sie in dem Entschließungsantrag gefunden haben—, liegt in diesen Worten: die Bereitschaft, vernünftig
soll die Sowjetunion aufgefordert werden, in einer zu sein und einsichtig zu sein, wenn die andere
ständigen Vier-Mächte-Beratung gemeinsam die Seite auch einmal vernünftig und einsichtig wird.
Voraussetzung für eine politsche und militärische Wenn man am Tisch sitzt, dann kann man Kon-
Entspannung und damit für eine Friedensordnung zessionen gegen Konzessionen aushandeln. Sie vor-
zu schaffen, der alle zustimmen können, auch das her zu nennen, das wäre eine schlechte Sache. Das
deutsche Volk. wird draußen nicht immer verstanden.

Zu dieser Offensive gehört natürlich auch, daß Ich glaube aber, über dieses Wort, das der Herr
wir vor der Welt immer wieder die politische Un- Bundeskanzler gesprochen hat, kann man in der
moral darstellen, die sich in Berlin an der Mauer Phase, in der wir heute stehen, nicht hinausgehen.
und quer durch Deutschland an den Todesstreifen Der Phantasie sind natürlich keine Grenzen gesetzt,
tagtäglich präsentiert. Wenn es für manche Leute und damit sie angeregt wird, will ich zum Schluß
langweilig ist, immer wieder das Wort von der ein Beispiel nennen.
1784 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. Oktober 1962

Dr. Gradl
Heute vormittag ist hier das Memorandum, die daß angesichts dessen, was hier zum Viermächte-
Antwort der Bundesregierung an Moskau vom statut gesagt worden ist, nicht der Eindruck zu-
Februar dieses Jahres zitiert worden. Wir alle rückbleiben dürfte, es gäbe in dieser Frage eine
waren der Meinung, das war eine gute Antwort. Meinungsverschiedenheit. Ich hoffe, es gibt keine.
Nun, diesem Memorandum ging ja ein Memoran-
dum der Sowjetunion voraus. In diesem Memo- Unser Standpunkt — wir haben ihn, wie manche
randum der Sowjetunion vom Dezember vorigen von Ihnen wissen, denn Sie bekommen ja hinten-
Jahres war sehr viel die Rede von wirtschaftlichen herum immer ganz gute Nachrichten, auch bei Dis-
Dingen. Meine Damen und Herren, überlegen wir kussionen mit sonst gar nicht so einfach zu nehmen-
einen Augenblick, wie es in der Welt aussähe — den westlichen Staatsmännern vertreten — ist
sagen Sie nicht, ich sei ein Träumer; Politiker müs- folgender: Verhandlungen um Berlin sollten von
sen manchmal auch phantasieren —, wenn die westlicher Seite immer mit dem Anspruch auf den
Sowjetunion hier ja sagen würde zu einer echten Viermächtestatus für ganz Berlin begonnen und auch
Entspannung, wenn sie ja sagen würde zu einer durchgehalten werden. Das ist unser Standpunkt.
Lösung der deutschen Frage, die für uns erträglich Es gibt keinen Grund, daran zu zweifeln. Ich hoffe,
ist, auf der Basis des Selbstbestimmungsrechts. daß wir, wenn wir in diesem Punkt einer Meinung
Welch eine ungeheure Entspannung! Wieviel wäre sind, auch darüber einer Meinung sind, daß der Be-
dann nicht mehr notwendig, was heute an militä- griff des Viermächtestatus nicht mißbraucht werden
rischer, wirtschaftlicher und auch politischer Last darf für den Versuch der Russen, jetzt in Westber-
mitgeschleppt werden muß. Da zum Beispiel liegen lin mitmischen zu wollen.
Möglichkeiten, vieles zu tun und über vieles mit (Beifall bei der SPD.)
sich reden zu lassen. Aber das alles ist erst mög-
lich, wenn wir durch unsere Standfestigkeit, durch Denn wir möchten nicht, daß sowjetisches Ehrenmal
unsere Selbstbehauptung und durch das Vertrauen, und Spandauer Gefängnis schließlich zu einer Art
das wir in unsere eigene Sache demonstrieren, die von Zitadellen für das Mitmischen der Russen in
Sowjetunion zu dieser Einsicht gebracht haben. Westberlin werden. Viermächtestatut für ganz Ber-
lin! Und wenn wir eine bessere „Großwetterlage"
(Beifall bei den Regierungsparteien.)
haben und sie darauf zurückkommen, ja; aber in der
Zeit dazwischen sollen sie nicht einfach durch alle
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Das Wort hat möglichen, von ihnen selbst bestimmten Türen in
der Herr Abgeordnete Wacher. Westberlin hereinkommen und dort bestimmen kön-
nen. Das ist doch einfach das, was zu der ganzen
Wacher (CDU/CSU) : Herr Präsident! Meine Da- Sache eigentlich zu sagen ist.
men und Herren! Ich habe den Auftrag und die
Ehre, namens der Koalitionsfraktionen den Ent- Was sich nun inzwischen an Diskussionen über
schließungsantrag auf Umdruck 144 * vorzulegen. Er Berlin-Land usw. anbahnt, das können wir, meine
faßt unserer Auffassung nach den in der Debatte ich, jetzt zu so später Stunde wahrscheinlich gar
dieser zwei Tage zum Ausdruck gekommenen poli- nicht mehr auf die Hörner nehmen. Ich hoffe, daß
tischen Willen zusammen. Der Bedeutung nach sich das ein wenig beruhigt. Da gibt es ja auch
müßte er ausführlich begründet werden. Ich versage Standpunkte; die kann man durch die Jahre ver-
mir dies mit einem Blick auf die Uhr folgen. Zu dem eingebrachten Vertrag hat — ich
habe es mir angesehen — der damalige Abgeord-
(Zustimmung) nete Brandt gesagt, was die Meinung der Berliner
und in der Überzeugung, daß diese Entschließung Sozialdemokraten zu dieser Rolle Berlins als eines
von den anwesenden Kollegen gründlich zur Kennt- Landes der Bundesrepublik sei. Und bei uns hat es
nis genommen wurde. hier ja auch schon Definitionen gegeben. Wenn wir
von gewissen Schlußfolgerungen absehen, nämlich
Ich darf noch, mit der Bitte um Korrektur, auf
der Frage einer Stimmberechtigung der Berliner
einen Schreibfehler aufmerksam machen. In der
Abgeordneten hier, wo wir anderer Meinung waren
Überschrift muß es heißen: „Erklärung der Bundes-
als Sie, weil Sie sagten, das würde die Vorbehalte
regierung vom 9. Oktober", nicht „vom 10. Oktober".
der Alliierten in dieser Frage Bewegung bringen,
Ich darf das Hohe Haus um Annahme bitten. Ich
so hat es hinsichtlich des Charakters als Land eigent-
hoffe auch, daß die so kurze Begründung Sie dazu
besonders veranlassen kann. lich keinen Streit gegeben, abgesehen davon, daß
es ein Land unter bestimmten Bedingungen ist, die
(Beifall bei den Regierungsparteien.) sich wieder wohl aus dem Viermächtestatus für ganz
Berlin ergeben, auch wenn zur Zeit — ich weiß nicht
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Das Wort hat und keiner weiß, wie lange — die Russen zuge-
der Herr Abgeordnete Wehner. lassen haben, daß der Spitzbart den Ostsektor an-
nektiert, einmauert und auch hält. Klar ist aber,
daß sie nun nicht auch noch — keiner will ihnen
Wehner (SPD) : Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Obwohl mir der verehrte Herr das Recht geben — unter Mißbrauch des Wortes
Vorredner die Entschließung zum Studieren auf dem „Viermächtestatus" und unter Mißbrauch des Wor-
Platz gelassen hat, muß ich vorher doch noch einige tes „Berlin" — wir machen ja auch den Fehler,
Bemerkungen an Herrn Dr. Gradl richten. Ich glaube, daß wir von „Berlin" reden und nun in diesem
Falle sogar mit Recht nur Westberlin meinen, wir
Siehe Anlage 4 sollten uns da gegenseitig zu helfen versuchen —
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. Oktober 1962 1785
Wehner
plötzlich mittendrin in Westberlin sitzen. Das wäre bereit, über manches mit uns reden zu lassen. Für
also eine Sache, zu der niemand ja sagen würde. mich war das gar nichts anderes — das werden
Sie nachlesen können; ohne jeden Hintergedanken
Im übrigen, sehr verehrter Kollege Dr. Gradl, ich
— als ein Hinweis darauf, daß, wenn man das einige
habe, weil ich den Eindruck hatte, daß man sich bei
Male sagt, es andere geben wird, die versuchen
gewissen Gelegenheiten, wenn so etwas in der Luft
werden, zu definieren, über, was alles wir mit uns
liegt, immer zuerst an den Berliner Sozialdemokra-
würden reden lassen müssen. Gar nichts anderes!
ten oder den Vertretern reibt, nochmal nachgeguckt:
Und im übrigen: natürlich, es kommt einfach darauf
Wie war das? Zum Beispiel nach der Genfer Kon-
an, diese Gelegenheiten für andere so einzuschrän-
ferenz und als die Gipfelkonferenz scheiterte, gab
ken, daß das, was damit gemeint ist, nicht unterge-
es hier auch so ziemlich hoch bewertete Vorstel-
buttert werden kann.
lungen. Wer hat sich eigentlich in Berlin für die Her-
absetzung der westlichen Truppen eingesetzt? Wer Nun zu der Entschließung! Meine Damen und
hat dort für bestimmte Dinge gesprochen? Damals Herren, die Entschließung, die uns hier gegen Mit-
habe ich — Sie wissen das, Sie lächeln ja auch — tag sozusagen fertig vorgelegt worden ist, enthält
mir hier erlaubt, ohne Namensnennung zu zitieren; in verschiedenen Teilen Punkte und auch Gesichts-
es war derselbe verehrte Kollege, der Bürgermeister punkte, denen die Fraktion der Sozialdemokraten
Amrehn, den ich auch sehr schätze, der gesagt hat: durchaus zuzustimmen in der Lage und bereit wäre,
Es gibt in Berlin keinen verantwortlichen Po- obwohl auf unsere konkreteren Vorschläge dort, wo
litiker, der jemals dazu geraten hat, die Zahl der es solche gab, nicht eingegangen worden ist. Ande-
westlichen Truppen in Berlin zu verringern oder rerseits enthält dieser Entwurf Festlegungen, an
das Recht auf freie Meinungsäußerung einzu- denen wir uns nicht zu beteiligen wünschen, z. B. die
schränken... Das geschah ohne unsere Beteili- mit dem uns noch gar nicht vorgelegten Haushalts-
gung und gegen unsere Auffassung. Es hat auch plan verbundenen Punkte. Wir wiederholen, daß
keinen verantwortlichen Politiker in Berlin ge- wir helfen wollen, diese Fragen bei der Beratung
geben, der jemals dafür eingetreten wäre, die des Haushaltsplanes zu klären und zu entscheiden,
Rechtsgrundlagen der Anwesenheit westlicher aber nicht durch eine Vorfestlegung.
Truppen in Berlin zu verändern oder sich auf Wir bedauern, möchte ich weiter sagen, daß es
eine Befristung dieser Rechte durch Interims- uns unmöglich gemacht wird, an einem Appell des
abkommen einzulassen. Wir hatten nicht die Deutschen Bundestages, oder als welcher diese Ent-
Absicht, uns stückweise der sowjetischen Herr- schließung gedacht ist, an die Tarifpartner teilzu-
schaft auszuliefern. nehmen, abgesehen davon, daß an dieser Stelle
Das sagte er von Berlin. Ich habe das nicht auf mich nichts von der Verantwortung der Bundesregierung
bezogen. — — Wirtschaftspolitik usw. — steht. Wir bedauern
es. Wir können daran nicht teilnehmen, unmittelbar
Niemand ist berechtigt, sich für die in Genf ge- nachdem das Kabinett den Deutschen Gewerkschafts-
machten Vorschläge oder für spätere Schub- bund in einer - mein Freund Erler hat es 'hier zu
ladenpläne ähnlicher Art auf Berlin, auf den sagen versucht — unbeschreiblichen Art und Weise
Senat von Berlin oder einzelne seiner Mitglie- hintergangen und bei der Entscheidung über die
der zu berufen. Die Berliner sind nicht stärker als Nachfolge des allseitig anerkannten Mitglieds der
ihre Schutzmacht. Aber die erklärte Berliner Hohen Behörde der Europäischen Gemeinschaft für
Haltung hat niemals Anlaß zur Nachgiebigkeit Kohle und Stahl, des Herrn Potthoff, ausgeschaltet
gegeben, sondern in der Bedrängnis und im
hat. Da liegt ein offensichtlicher Bruch, ein offen-
Wagnis stets die integrale Wahrung der west-
sichtlich auch beabsichtigter Bruch alter, 'bei der
lichen Position gefordert. Wir wären froh, wenn
Gründung der Gemeinschaft getroffener Abmachun-
auch schon früher überall die gleichen Auffas-
gen vor.
sungen geherrscht hätten. Niemand weiß besser
als die Berliner selbst um das notwendige Maß (Abg. Memmel: Aber kein Rechtsanspruch!)
an Härte zu ihrer eigenen Verteidigung.
— Nein, das haben wir nie gesagt. Das sind Ver-
Ich bitte um Entschuldigung für dieses lange Zitat trauensfragen. Das ist ein sehr zartes Gewebe. Ich
eines Kollegen von Ihrer Fakultät, den ich aber auch kenne die Innereien der Behörde so: Monnet hat
sehr verehre und der in Berlin notwendig ist. Es uns damals gesagt, wie es mit der Kooptation des
wäre gut, wenn bei der bewährten Zusammenarbeit Neunten ist. Das wissen Sie vielleicht nicht. Es han-
dort das, was Sie, Herr Dr. Gradl, heute zu so einer delt 'sich um den Mann, der nicht von den Ländern
unglücklichen Stunde angemeldet haben, geklärt gestellt wurde. Das war auch kein Rechtsanspruch.
würde und wenn man dann nach einiger Zeit wieder Wir haben es immer gewußt. Aber man hat gesagt:
übereinstimmend feststellen könnte, daß in Berlin Es ist ein Versuch in einer gewissen Richtung. Und
niemand dazu oder dazu oder dazu geraten hätte. so ist es auch hier, in diesem Fall der deutschen Mit-
Dann wäre hier niemand froher als wir, wenn das glieder. Wenn man so sagen darf, ohne mißverstan-
endlich beigelegt wäre. Denn in der Sache Berlin den zu werden: Vertrauen gegen Vertrauen!
gibt es ja wohl keinen Grund, nach einem Abrücken
(Beifall bei der SPD.)
von dem zu suchen, was man Gemeinsamkeit, ge-
meinsames Handeln nennt. Nichts anderes!
Noch ein Wort zu dieser Bemerkung, die ich mir Hier will ich Ihnen nur eines sagen. Wenn diese
hinsichtlich dieser Sätze erlaubt hatte: Wir wären Ernennung nun vollzogen wird — bitte nehmen Sie
1786 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. Oktober 1962

Wehner
das so, wie es ist! —, sind von deutscher Seite ein Herr Abgeordneter Schmitt-Vockenhausen, Sie
Vertreter des Industrieinstituts der deutschen Unter- haben das Wort zur Geschäftsordnung gewünscht!
nehmer, der Herr Hellwig, und ein hoher Staatsbe-
amter Mitglied der Hohen Behörde. Sehen Sie da Schmitt-Vockenhausen (SPD) : Herr Präsident!
den Wechsel und glauben Sie nicht, daß das für das, Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir
was wir mit dem Gespräch mit 'den Gewerkschaften bitten, unseren Antrag auf Zahlung eines Über-
gemeint haben, eine sehr schlechte Begleitmusik ist? brückungsgeldes für die Beamten und Versorgungs-
Das ist die Sachlage. Nehmen Sie sie so, wie wir empfänger — Punkt 8 der heutigen Tagesordnung —
sie sehen müssen! Nehmen Sie sie so, wie sie all an den Innenausschuß und an den Haushaltsaus-
die Leute in der Bergbauindustrie, in der Eisen und schuß — mitberatend — zu überweisen, damit die
Stahl erzeugenden Industrie sehen müssen, nur s o Beratungen in Gang kommen können, nachdem hier
und nicht anders! Dann brauchen wir gar nicht wei- soviel Zeit verlorengegangen ist.
ter darner zu sprechen. Wir würden, wenn wir das
Wir werden noch eine schriftliche Erklärung zu
in einem solchen Moment versuchten, mit einer Art Protokoll geben. *)
von mehr oder weniger einseitigen Appellen an die
Tarifpartner sozusagen mitziehen. Das wäre nicht zu
rechtfertigen. Das wäre direkt so, als sei es gar Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Vereinbart
nichts, wenn die Regierung Bäumchen-verwechsle- ist, daß die Sitzung um 14 Uhr bzw. nach Beendi-
dich spielt. gung der Aussprache geschlossen wird. Wenn das
Haus einverstanden ist, können wir jedoch den
Wir bedauern, daß die Berührungspunkte, die be- Punkt noch erledigen. —
sonders infolge der Ausführungen des Herrn Bun-
deswirtschaftsministers in dieser Debatte zutage ge- Ich rufe auf Punkt 8 der Tagesordnung:
treten sind, durch die Schuld der Bundesregierung Beratung des Antrags der Fraktion der SPD
nicht unmittelbar weiterentwickelt und nutzbar ge- betr. Ü berbrückungszulage für die Beamten
macht werden können. und Versorgungsempfänger des Bundes
Einige Bemerkungen zum außenpolitischen Teil (Drucksache IV/509).
des Antrags. Die Fraktion der Sozialdemokraten Es ist beantragt, den Antrag der Fraktion der SPD
sieht sich nicht imstande, diesem Teil zuzustimmen, an den Ausschuß für Inneres und gemäß § 96 der
weil die Vorschläge der Sozialdemokraten in keiner Geschäftsordnung an den Haushaltsausschuß zu
Weise berücksichtigt worden sind. Die Fraktion der überweisen. Ist das Haus damit einverstanden?
SPD wird sich der Stimme enthalten und gibt Ihnen,
meine Damen und Herren, damit die Gelegenheit, (Abg. Niederalt: Nein: Mitberatend, nicht
die Vorschläge der SPD noch aufzugreifen und zu gemäß § 96 der Geschäftsordnung!)
bedenken. Sie können nicht erwarten, daß eine so — Gemäß § 96 der Geschäftsordnung an den Haus-
große Fraktion wie die der Sozialdemokraten sich haltsausschuß! Das muß ich doch machen, Herr Kol-
hier im Deutschen Bundestag als Anhängsel für Ihre lege Niederalt. Der Antrag hat doch finanzielle Kon-
Koalition gebrauchen läßt. sequenzen.
(Sehr gut! bei der SPD.) (Zuruf von der Mitte: Mitberatend!)
Wir möchten nicht das Mißverständnis fördern, eine — Was heißt denn „mitberatend" ? Gemäß § 96 der
Außenpolitik, die in den Grundlagen und in den Geschäftsordnung kommt der Haushaltsausschuß
Grundlinien von allen demokratischen Parteien er- ganz automatisch zum Zuge, und da braucht das
arbeitet und unterstützt werden kann, sei zu er- Haus gar nicht zu beschließen, ob federführend oder
setzen durch gelegentliche Akklamationen, auf die mitberatend. — Kein Widerspruch gegen die Über-
es Ihnen leider offensichtlich noch immer ankommt. weisung? — Es ist so beschlossen.
(Beifall bei der SPD.) Meine Damen und Herren, ich berufe die nächste
Sitzung ein auf Mittwoch, den 24. Oktober 1962,
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Weitere Wort- 9 Uhr.
meldungen liegen nicht vor.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie- Ich schließe die heutige Sitzung.
ßungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der
FDP. Wer zustimmen will, den bitte ich um ein (Schluß der Sitzung: 14.38 Uhr.)
Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? —
Bei zahlreichen Enthaltungen angenommen. *) Siehe Anlage 2
Deutscher Bundestag - 4. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. Oktober 1962 1787

Anlagen zum Stenographischen Bericht

Anlage 1 Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich


Dr. Mälzig 12. 10.
Liste der beurlaubten Abgeordneten Frau Dr. Maxsein 12. 10.
Dr. h. C. Menne (Frankfurt) 12. 10.
Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Metzger 12. 10.
Frau Albertz 3. 11. Michels 12. 10.
Arndgen 12. 10. Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller 12. 10.
Dr. Arndt (Berlin) 12. 10. Dr. Morgenstern 12. 10.
Dr. Aschoff 12. 10. Müller (Nordenham) 12. 10.
Dr. Atzenroth 12. 10. Müller (Worms) 12. 10.
Bading 12. 10. Murr 12. 10.
Baier (Mosbach) 12. 10. Oetzel 31. 10.
Bauer (Wasserburg) 26. 10. Rademacher 31. 10.
Bausch 20. 10. Ramms 12. 10.
Benda 12. 10. Sander 12. 10.
Biermann 12. 10. Dr. Schäfer 12. 10.
Dr. Birrenbach 16. 10. Spitzmüller 12. 10.
12. 10. Steinhoff 13. 10.
Dr. h. c. Brauer
12. 10. Stooß 12. 10.
Brese
Storch 12. 10.
Burckardt 12. 10.
Striebeck 12. 10.
Dr. Burgbacher 12. 10.
Dr. Freiherr
Dr. Czaja 12. 10.
von Vittinghoff-Schell 12. 10.
Dopatka 12. 10.
Dr. Wahl 15. 11.
Engelbrecht-Greve 12. 10.
Walter 12. 10.
Figgen 13. 10.
Wehking 3. 11.
Frau Dr. Flitz (Wilhelmshaven) 12. 10. 12. 10.
Weigl
Dr. Frey (Bonn) 12. 10. Werner 12. 10.
Dr. Dr. h. c. Friedensburg 28. 11. Dr. Winter 12. 10.
Geiger 12. 10. Wittmer-Eigenbrodt 31. 10.
Gerns 12. 10.
Gewandt 12. 10.
Dr. Gleissner 12. 10.
Dr. Götz 12. 10.
Günther 12. 10. Anlage 2
Dr. Hamm (Kaiserslautern) 12. 10.
Dr. Harm (Hamburg) 1. 11.
Schriftliche Erklärung
Harnischfeger 12. 10.
Heiland 12. 10. des Abgeordneten Schmitt-Vockenhausen zu dem
Dr. Dr. Heinemann 12. 10. Antrag der SPD-Fraktion betr. Überbrückungszu-
Hellenbrock 12. 10. lage für die Beamten und Versorgungsempfänger
Dr. Hesberg 12. 10. des Bundes (Drucksache IV/509).
Hirsch 12. 10. Dreieinhalb Monate nach der Erklärung des Vor-
Jacobi (Köln) 12. 10. sitzenden der CDU/CSU-Fraktion, Dr. von Bren-
Jacobs 12. 10. tano, vom 27. 6. 1962, als die Koalitionsparteien die
Junghans 12. 10. Beratung des SPD-Antrages auf Zahlung einer
Dr. Jungmann 12. 10. Überbrückungszulage für die Beamten und Versor-
Killat 12. 10. gungsempfänger des Bundes im Jahre 1962 ab-
Dr. Kliesing (Honnef) 12. 10. lehnten, liegt immer noch kein entsprechender Vor-
Dr. Koch 12. 1 0. schlag der Koalitionsparteien vor. Vielmehr hat die
Kraus 12. 10. Bundesregierung mehrfach alle Vorschläge auf Zah-
Dr. Kreyssig 12. 10. lung einer Überbrückungszulage abgelehnt. Diese
Kriedemann 12. 10. ablehnende Haltung der Bundesregierung und Un-
Freiherr von Kühlmann-Stumm 12. 10. tätigkeit der Koalition hat verständlicherweise bei
Kühn (Bonn) 31. 12. der Beamtenschaft starke Verärgerung hervorgeru-
Kuntscher 31. 10. fen, die in dieser Haltung berechtigterweise eine
Kurlbaum 12. 10. Verletzung der Fürsorgepflicht der Bundesregie-
Lange (Essen) 12. 10. rung sieht. Es wäre zu bedauern, wenn durch die
Leber 20. 10. mangelnde Fürsorgepflicht der Bundesregierung
Lenz (Bremerhaven) 12. 10. gegenüber den Bundesbeamten eine Berufs- und
Lenze (Attendorn) 12. 10. Staatsverdrossenheit der Beamtenschaft einträten,
Dr. Löbe 12. 10. deren Leistungen der Herr Bundeskanzler erst in
Dr. Lähr 12. 10. seiner Regierungserklärung gewürdigt hat. Es
Lünenstraß 12. 10. kommt nun darauf an, daß nach den vielen Reden
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und zahlreichen zustimmenden Erklärungen gegen- Hinblick auf die Einsparung von sonst wahrschein-
über der Beamtenschaft auch tatsächlich etwas ge- lich erheblich höheren Bundesmitteln sowie in An-
schieht. Wir glauben, hier mit Recht auf die Aus- betracht einer erheblichen Arbeitsentlastung bei der
führungen eines stellvertretenden Fraktionsvorsit- Einfuhr- und Vorratsstelle und den beteiligten
zenden der CDU hinweisen zu müssen, der erklärt Bundesressorts. Die durch die Vielzahl der Prozesse
hat, daß das gute Prinzip des Maßhaltens für die verursachte Mehrbelastung für die Beamten der
Verbrämung eines schlichten Unrechts herhalten Bundesressorts und die Dienstangehörigen der Ein-
würde, wenn man einem Postschaffner oder Zoll- fuhr- und Vorratsstelle hätte ohne Anstellung von
assistenten unter Hinweis auf eine sparsame Wirt- zusätzlichen Kräften weiterhin nicht mehr verant-
schaftsführung das verweigern würde, was ein wortet werden können.
Staatssekretär in Düsseldorf bekommen habe. Die
SPD-Fraktion ist der gleichen Auffassung und bit- Eine Durchschrift dieses Schreibens habe ich noch
tet um schnelle Beratung des Antrages im Aus- Herrn Abgeordneten Provinzialdirektor i. R. Ritzel
schuß, damit die Beamtenschaft noch im Oktober mit der Bitte um Kenntnisnahme übersandt, weil
mit einer positiven Entscheidung rechnen kann. auch Herr Ritzel über den Ausgang der gegen die
Einfuhr- und Vorratsstelle geführten Rechtsstreitig-
keiten und die damit verbundenen Kosten für den
Bund unterrichtet sein wollte.

Anlage 3

Schriftliche Antwort Anlage 4 Umdruck 144


des Herrn Bundesministers Schwarz auf die Zusatz-
frage zu der Mündlichen Anfrage des Abgeordneten Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/
Dr. Schmidt (Gellersen) (Fragestunde der 34. Sitzung CSU, FDP zur Erklärung der Bundesregierung vom
vom 14. Juni 1962, Drucksache IV/453, Frage X/2: *) 9. Oktober 1962
Die Kosten des Gesamtvergleichs lassen sich zur Der Bundestag wolle beschließen:
Zeit noch nicht genau feststellen, da es sich um den I
Abschluß eines Rahmenvergleichs handelt und die
Gesamtsumme der einzelnen Forderungen, die sich
aus den erhobenen Klagen und den fristgemäß 1. Der Deutsche Bundestag ist bereit, die in der Re-
eingelegten Widersprüchen ergeben, der Einfuhr- gierungserklärung aufgezeigten Maßnahmen zur
und Vorratsstelle noch nicht vorliegen; als letzter Stabilisierung der wirtschaftlichen Verhältnisse
Anmeldetermin für die spezifizierte Einreichung der nachhaltig zu unterstützen. Insbesondere begrüßt
Forderungen bei der Einfuhr- und Vorratsstelle ist der Deutsche Bundestag eine sparsame Haus-
der 31. Dezember 1962 vereinbart worden. haltspolitik, die der Offentlichen Hand die not-
wendige Zurückhaltung nicht zuletzt auf dem
Eine Schätzung der Gesamtforderungen hat einen Baumarkt auferlegt hat.
Höchstbetrag von ca. 50 Mill. DM ergeben.
14. Der Deutsche Bundestag erwartet, daß Länder
Bei diesen Forderungen handelt es sich, worauf und Gemeinden sich diesen Bemühungen der
ich besonders hinweisen möchte, um zuviel erho- Bundesregierung anschließen.
bene Abschöpfungsbeträge (so die Rechtsprechung
15. Der Deutsche Bundestag appelliert eindringlich
der Verwaltungsgerichte, insbesondere die des
an die Tarifpartner, durch eine maßvolle und der
Bundesverwaltungsgerichts in den Jahren 1960 und
1961). Diese Beträge brauchen jedoch nach dem Ver- wirtschaftlichen Situation entsprechenden Hal-
tung bei der Gestaltung von Preisen, Löhnen
gleich nur teilweise zurückgezahlt zu werden. Ein
und Arbeitszeit die Bemühungen der Bundes-
Schaden ist deshalb dem Bund durch den Abschluß
regierung und des Deutschen Bundestages zu
des Gesamtvergleichs nicht entstanden, zumal die
unterstützen.
Kläger auf die Zahlung von Zinsen verzichtet haben.
Außerdem ist zwischen den Parteien vereinbart II
worden, daß von der Einfuhr- und Vorratsstelle
Gerichtskosten und Anwaltskosten nur in solchen 1. Der Bundestag erklärt seine Befriedigung über
Fällen voll übernommen werden, in denen ein den Verlauf der Besuche des Bundespräsidenten
höchstrichterliches Urteil gegen sie ergangen ist, und des Bundeskanzlers in Frankreich sowie des
während in allen anderen Vergleichsfällen die An- Präsidenten der Französischen Republik in
waltskosten von jeder Partei selbst und die Ge- Deutschland. Er betrachtet die Freundschaft und
richtskosten von jeder Partei zur Hälfte getragen enge Zusammenarbeit zwischen Frankreich und
werden sollen. Deutschland als endgültigen und unverrückbaren
Bestandteil. der deutschen Außenpolitik und als
Unter diesen Umständen erschien der Abschluß wesentlichen Beitrag für ein geeintes Europa.
des Gesamtvergleichs, der zwischen den beteiligten
Bundesressorts eingehend vorbereitet worden ist, 2. Der Bundestag ist der Überzeugung, daß die noch
aus Sparsamkeitsgründen nach den Bestimmungen offenen Probleme bei den Verhandlungen über
der Reichshaushaltsordnung geboten, und zwar im den Eintritt Großbritanniens in die EWG in einer
für alle Beteiligten tragbaren Weise gelöst wer-
*) Siehe 34. Sitzung Seite 1430 B den können. Er fordert die Bundesregierung auf,
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. Oktober 1962 1789

alles in ihren Kräften stehende zu tun, um dieses erklärt das im Bewußtsein der Verpflichtung des
Ziel zu erreichen. Die politische Mitwirkung Grundgesetzes, sich für alle Deutschen verant-
Großbritanniens bei der Schaffung eines geeinten wortlich zu wissen, gleichgültig in welchem Teil
und weltoffenen Europas wird vom Bundestag Deutschlands sie leben. Den Landsleuten hinter
sehr begrüßt. der Mauer und den Todesstreifen versichert der
Bundestag, daß alle Energie eingesetzt werden
3. Der Bundestag hält es für erforderlich, daß nach
dem Eintritt Großbritanniens in die EWG von wird, um endlich auch für sie Menschlichkeit und
Selbstbestimmung und für das ganze deutsche
ihren Gremien das Gespräch mit den Vereinig-
Volk Einheit in Frieden und Freiheit zu verwirk-
ten Staaten über die von Präsident Kennedy vor-
lichen.
geschlagene atlantische Partnerschaft und Inter-
dependenz aufgenommen wird. 6. Der Bundestag bedauert, daß die sowjetische Po-
litik die Erreichung dieses gerechten Zieles nicht
4. Der Fortschritt der Menschheit, von der ein gro-
ßer Teil noch von Hunger und Elend geplagt ist, nur erschwert, sondern darüber hinaus eine Ver-
hat als erste und unerläßliche Voraussetzung die schärfung der internationalen Lage bewirkt hat.
Erhaltung des Weltfriedens. Angesichts dieser Lage erwartet der Bundestag
von der Bundesregierung, daß sie alle die Maß-
Der Bundestag ist der Auffassung, daß, nachdem nahmen ergreift, die für die Sicherheit und Frei-
in Westeuropa eine dauerhafte Friedensordnung heit unseres Volkes erforderlich sind.
gefunden worden ist, erneut versucht werden
muß, auch mit Deutschlands östlichen Nachbarn 7. Der Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
zu einem wahren Frieden zu gelangen. mit ihren Verbündeten in Konsultationen einzu-
treten mit dem Ziel, seitens des Westens der
Das Recht auf Selbstbestimmung, auf nationale Sowjetunion den Vorschlag zu machen, entspre-
Einheit und Freiheit muß dabei für das deutsche chend der Verantwortung der Vier Mächte eine
Volk ebenso respektiert werden wie für alle an- gemeinsame ständige Konferenz zur Lösung der
deren Völker. deutschen Frage als Voraussetzung eines dauer-
5. Der Bundestag erklärt seine Entschlossenheit, haften Friedens herbeizuführen.
alles zu unterstützen und alles zu tun, um die
Freiheit in Berlin zu wahren. Die Bevölkerung
Westberlins darf gewiß sein, daß sie sich auf Bonn, den 12. Oktober 1962
die Bundesrepublik verlassen kann. Gemeinsam
mit den drei westlichen Schutzmächten und mit
allen Partnern des westlichen Bündnisses wird Dr. von Brentano und Fraktion
die Freiheit in Berlin mit allen Mitteln vertei-
digt werden, die notwendig sind. Der Bundestag Dr. Mende und Fraktion.

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