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D eutscher Bundestag

4. Sitzung

Bonn, den 10. November 1965

Inhalt:

Glückwünsche zu den Geburtstagen der


Abg. Dr. Conring und Dr. Wuermeling . . 17 A

Abgabe einer Erklärung der Bundesregie-


rung
Dr. Dr. h. c. Erhard, Bundeskanzler 17 B

Nächste Sitzung 33 D
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 4. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. November 1965 17

4. Sitzung
Bonn, den 10. November 1965

Stenographischer Bericht meinsamkeit nicht Gleichheit, geschweige denn man-


gelnde Opposition verstehe. Als Staatsbürger sind
wir alle Gewinner dieser Bundestagswahl, weil sich
Beginn: 11.01 Uhr
in ihr die deutsche Demokratie als eine stabile Ord-
nung erwiesen hat.
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Die Sitzung
Der 5. Deutsche Bundestag wurde im 20. Jahr nach
ist eröffnet.
dem Ende des 2. Weltkrieges gewählt. 167 seiner
Meine Damen und Herren, vor Eintritt in die 518 Abgeordneten erreichten erst nach 1945 das
Tagesordnung spreche ich die Glückwünsche des Alter der Wählbarkeit. Zwei Drittel unseres Volkes
Hauses dem Herrn Abgeordneten Dr. Conring zum waren im Jahre 1933 Kinder oder noch nicht ge-
71. Geburtstag am 4. November, boren. Für nahezu die Hälfte aller Menschen in un-
(Beifall) serem Lande sind die Jahre 1933 bis 1945 geschicht-
liche Vergangenheit ohne persönliche Erinnerung.
dem Herrn Abgeordneten Dr. Wuermeling zum Für nahezu die Hälfte aller Völker der Erde liegt
65. Geburtstag am 8. November aus. die Stunde Null ihrer nationalstaatlichen Geschichte
(Beifall.) nach dem Jahre 1945. Alle Generationen unseres
Volkes tragen zwar an den Folgen einer im deut-
Ich komme zum einzigen Punkt der Tagesord- schen Namen von 1933 bis 1945 geübten Politik. Die
nung: Bezugspunkte in der Arbeit des 5. Deutschen Bun-
Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung destages und der Politik der Bundesregierung dür-
fen dennoch nicht mehr der Krieg und die Nach-
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler. kriegszeit sein. Sie liegen nicht hinter uns, sondern
vor uns. Die Nachkriegszeit ist zu Ende!
Dr. Dr. h. c. Erhard, Bundeskanzler: Herr Prä- (Beifall bei den Regierungsparteien.)
sident! Meine Damen und Herren! Die Wahlen zum Deutschland ist geteilt, ist zur Hälfte dem Macht-
5. Deutschen Bundestag standen -unter der Forde- anspruch einer Siegernation unterworfen. So wahr-
rung nach Sicherheit und Stabilität unseres wirt- das ist und so schwer wir das empfinden, würden
schaftlichen und sozialen Lebens. Die Wahlentschei- wir uns dennoch irren, wollten wir darauf bauen,
dung selbst bewies, wie eng im Bewußtsein der für die Völker der Erde sei das geteilte Deutschland
Wähler der Zusammenhang zwischen wirtschaft- ein politisches Gebiet, das wegen seiner Teilung
licher Stabilität und politischer Sicherheit geworden ohne weiteres auf Sympathie und Hilfe rechnen
ist. Die Bundesregierung hat ein überzeugendes könne. Die Wiedervereinigung Deutschlands wird
Mandat für eine solche Politik erhalten. Den Wäh- nicht zuletzt von unserer Fähigkeit abhängen, die
lern ist für ihr Vertrauen nicht besser zu danken, als uns freundschaftlich verbundenen und die uns vor-
ihren Auftrag in den kommenden Jahren sehr ernst erst indifferent begegnenden, ja sogar gegnerischen
zu nehmen und die zur Sicherung dieser Ordnung Mächte an dieser Wiedervereinigung politisch und
notwendigen Aufgaben schnell und entschlossen an- wirtschaftlich zu interessieren.
zupacken. Es entsprach dieser Notwendigkeit, daß Dieses Jahr 1965 liegt hinter jener weltpolitischen
die Bundesregierung sogleich nach ihrer Bildung den Phase, die wir als Nachkriegszeit bezeichnen — die
Plan für den Haushaltsausgleich 1966 erarbeitet Nachkriegszeit, in der die Bundesrepublik entstand,
und dem Bundesrat zugeleitet hat. in der sie zunächst als Objekt der Weltpolitik, spä-
Der Wahlkampf hat manche Wunden hinterlassen. ter als aktiv handelnde Macht Gewicht erlangte. Die
Sie zu heilen sollte unser aller Bestreben sein. Nie- Nachkriegszeit war weltpolitisch betrachtet keine
mand in diesem Hohen Hause wird mir widerspre- „Friedenszeit". Sie war Jahre hindurch bestimmt
chen, wenn ich sage, daß die Wahl nicht nur einen durch den Zerfall der im Kriege siegreichen Mächte
Auftrag an die Regierung bedeutet, sondern an alle Koalition in zwei Blöcke. In der Nachkriegszeit war
Parteien des Deutschen Bundestages. Wir alle — der Bundesrepublik die außenpolitische Linie klar
und ich meine damit auch die Opposition -- haben vorgezeichnet: Eine Politik „zwischen den Blöcken"
ein hohes Maß an Verantwortung zu tragen, haben wäre utopisch und am Ende sogar selbstmörderisch
gemeinsam ans Werk zu gehen, wobei ich unter Ge- gewesen.
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Bundeskanzler Dr. Dr. h. c. Erhard


Die Bundesrepublik wurde zu einem festen Teil serer Einsichten und auf Grund eines weit entwik-
der westlichen Welt. Die Freundschaft zwischen un- kelten Instrumentariums in der Lage, Ursachen klar
serem Volk und dem französischen ist ein Unter- zu erkennen und — wenn wir wollen — auch Ab-
pfand der Hoffnung aller Europäer, daß dieser Kon- hilfe zu schaffen. Wir stehen dank der unlösbaren
tinent politische Gestalt finde. Auf dieses Ziel hin weltwirtschaftlichen Verflechtung Schwierigkeiten
sind alle Möglichkeiten des deutsch-französischen dann nicht machtlos gegenüber, wenn der Staat —
Freundschaftsvertrages voll auszuschöpfen. die Bundesregierung und alle öffentlichen Hände —
Viel weniger vorgegeben — im Gegenteil immer- vor allem aber auch Arbeitgeber und Gewerkschaf-
fort hart umkämpft, von innen wie von außen kriti- ten bereit sind, unsere stabile und sozial-verpflich-
siert oder angefeindet waren die Leitlinien unseres tete, freiheitliche Wirtschaftsordnung zu erhalten
wirtschaftlichen Aufstiegs und der sozialen Gesun- und sie gegen jede Aufweichung zu verteidigen. Das
dung unseres Volkes. Inzwischen wurde dieser we- wiederum ist angesichts der verfassungsrechtlichen
sentliche politische Inhalt deutscher Nachkriegszeit und sonstigen Gegebenheiten zwar nur eine Erwar-
über die Parteien hinweg zur allgemeinen Grund- tung, die sich aber erfüllt, wenn alle erkennen und
lage deutscher Innenpolitik. Unser deutsches Modell anerkennen, daß nur eine enge Kooperation den In-
einer modernen Wirtschafts- und Sozialordnung ge- teressen aller Rechnung trägt. Dabei dürfen wir uns
rät aus dem Höhenflug des einstmals als „Wunder" in der Haushaltsgestaltung nicht darauf beschrän-
erschienenen Erfolges in die natürliche Phase alltäg- ken, uns nur innerhalb der von der Währungssta-
licher Bewährung. Es stellt sich uns die Frage, ob bilität gezogenen Grenzen zu bewegen. Wir müssen
wir eingetretene Verkrustungen dieser Ordnung vielmehr bewußter und wirksamer als bisher im
lösen, bislang außerhalb der sozialen Marktwirt- Bundeshaushalt ein Instrument dafür erkennen, die
schaft gebliebene Schutzbereiche in den Fortschritts- Aufgaben der Zukunft zu meistern. Das erfordert
prozeß organisch einbeziehen und damit der immer sowohl die Fixierung politischer Prioritäten als auch
noch anzutreffenden Neigung zu einer sterilen Ver- eine langfristige Haushaltsplanung.
zünftelung sogenannter Besitzstände ein Ende berei- Erfolg werden wir nur haben, wenn wir auf die
ten können. Es geht darum, ob dieses Volk, dieses Dauer und auf allen Gebieten diesem Ziel der Sta-
Parlament, diese Bundesregierung, ob wir n u r in bilität zu dienen bereit sind. Die öffentliche Zustim-
spannungsvoller Nachkriegszeit, in der Zeit des mung ist uns auf lange Sicht gewiß, wenn wir nur
Wiederaufbaus zielstrebig Kraft und Phantasie zu entschlossen handeln. Aber die Regierung wäre ver-
entwickeln imstande waren. pflichtet, auch dann zu handeln, wenn sie dieser
Mochte in der Nachkriegszeit mit einfachen Alter- öffentlichen Zustimmung nicht in jedem Augenblick
nativen von schwarz und weiß, gut und böse, falsch gewiß sein könnte. Denn die Idylle eines trügeri-
und richtig die eine oder die andere innen- oder schen Wohlergehens um den Preis einer inflationä-
außenpolitische Illusion parlamentarischer Einzel ren Entwicklung müßte mit der Zerreißung unserer
gänger noch hingehen; heute indessen muß vor wirtschaftlichen und finanziellen Ordnung enden.
jeder öffentlichen Äußerung die Frage nach der poli- So umstritten oder einseitig es erscheinen könnte,
tischen Verantwortbarkeit derlei individueller Aus- angesichts der vielfältigen Aufgaben außen-, sicher-
sagen stehen. heits- und verteidigungspolitischer Art Walther
(Beifall bei den Regierungsparteien.) Rathenaus Aussage zuzustimmen, daß die Wirt- -
In dem permanenten Spannungsverhältnis zwischen schaft unser Schicksal sei, ist doch nicht zu verken-
dem kurzfristig oft leicht Durchsetzbaren und dem nen, daß die starke wirtschaftliche Stellung der
langfristig Richtigen und Notwendigen werden Bun- Bundesrepublik, ihre Leistungskraft und handels-
destag und Bundesregierung in den kommenden politische Geltung der deutschen Außenpolitik ein
vier Jahren schwere Entscheidungen zu treffen besonders wirksames Instrument an die Hand ge-
ben. Wirtschaftliche Kraft münzt sich um in poli-
haben.
tische Stärke, wie umgekehrt politische Sicherheit
Wenn meine Regierungserklärung von Sorge und der Wirtschaft und Gesellschaft zu gedeihlicher Ent-
Zuversicht zugleich bestimmt ist, so deshalb, weil wicklung verhilft. Jedenfalls würde eine wirtschaft-
sich im Prozeß des deutschen Wiederaufbaus wich- liche Schwächung unseres Landes, neben den
tige wirtschafts-, sozial- und außenpolitische Daten schwerwiegenden innenpolitischen Folgewirkungen,
verändert haben. Dieser neuen Lage gerecht zu wer- unserem außenpolitischen Rang und unserer Hand-
den und aus gewonnenen Einsichten praktische lungsfähigkeit in der Welt schweren Schaden zu-
Nutzanwendungen zu ziehen, das ist die Aufgabe fügen.
der Politik in der vor uns liegenden Legislatur-
periode. Die deutsche Außenpolitik muß sich bei der Ver-
teidigung deutscher Lebensinteressen und der
Im folgenden gebe ich Ihnen eine nüchterne Ana- Durchsetzung der politischen Anliegen unseres ge-
lyse unserer wirtschafts- und finanzpolitischen Si- spaltenen Landes in überzeugender Weise auf ein
tuation und der sich daraus ergebenden notwendi- sozial stabiles und wirtschaftlich lebenskräftiges
gen Maßnahmen. Deutschland stützen können. Die uns gezollte Ach-
Unsere wirtschaftliche Situation und die Lage der tung und Anerkennung der Welt gilt neben der
Staatsfinanzen kann nicht ohne Sorge betrachtet vom deutschen Volk bezeugten demokratischen Hal-
werden. Sie unterscheidet sich aber in einem grund- tung der gesellschaftlichen Ordnung, die wir aus
sätzlich von wirtschaftlichen Vorgängen der zwanzi- dem Chaos schufen, und dem erstaunlich raschen
ger und dreißiger Jahre. Heute sind wir dank bes- und erfolgreichen Wiederaufbau. Auf diese Weise
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Bundeskanzler Dr. Dr. h. c. Erhard
sind wir — ich sage es ohne Überheblichkeit — Interessen nicht notwendig den Konflikt mit anderen
wieder etwas geworden. Das deutsche Kräftepoten- auslösen muß, sondern daß der verständnisvolle
tial hat innerhalb des Bündnisses Gewicht erlangt; Ausgleich ein gutes Mittel demokratischer Politik
dies wird auch im gegnerischen Lager, wenn auch ist.
mit anderen Vorzeichen, registriert. Eine so formierte Gesellschaft setzt eine infor-
Was aber macht das deutsche Kräftepotential aus? mierte Gesellschaft voraus.
Es sind die Menschen, ihr Wille und ihre Fähigkeit (Lachen bei der SPD. — Beifall bei den
zu arbeiten, geistige und wirtschaftliche Leistungen Regierungsparteien.)
zu vollbringen. Dieses Potential erwächst aus der
Dynamik einer freiheitlichen Ordnung. Vor allem Der Bürger kann sich nur richtig verhalten, wenn
aber beruht es auf einem modernen Gesellschafts- er Bescheid weiß.
gefüge, das die Grundlagen bildet für alle in die (Erneutes Lachen bei der SPD und Beifall
Zukunft gerichteten kulturellen, wissenschaftlichen, bei Iden Regierungsparteien.)
wirtschaftlich-technischen und sozialen Anstrengun-
Über Handlungen und Absichten des Staates muß er
gen.
rasch, korrekt und umfassend unterrichtet werden.
Nach den geschichtlichen Erfahrungen unseres Vol-
(Zurufe von der SPD: Korrekt! — Lachen
kes, die das Bewußtsein der Abhängigkeit aller von
bei der SPD.)
allen geweckt und bestärkt haben, hat die deutsche
Gesellschaft den Charakter einer Klassengesellschaft — Das kritisieren Sie ja.
verloren. An ihre Stelle ist eine Leistungsgemein- (Erneute Zurufe von der SPD.)
schaft getreten. Trotzdem dürfen wir nicht ver-
kennen, daß diese noch von innen bedroht ist, näm- Da .die Informationsnotwendigkeit auch in umgekehr-
lich durch allzu viele Versuche, partiellen Interessen ter Richtung für den Staat besteht, ist die Ausnut-
ein Übergewicht zu verschaffen. zung neuester technischer Möglichkeiten sowie die
rasche Auswertung wissenschaftlicher Erkenntnisse
Wollen wir auf dem Weg des bisherigen Erfolges, erforderlich.
des Fortschritts, des politischen und sozialen Frie-
dens bleiben, so muß die deutsche Gesellschaft Bei ihrem Bemühen, der Welt ein Bild Deutsch-
weitere Schritte in jene moderne Ordnung tun, die lands zu zeichnen, das der politischen Realität von
ich als formierte Gesellschaft charakterisiere. heute und der historischen Wahrheit entspricht, ist
die Bundesregierung auf ,die verantwortungsbewußte
(Lachen und Aha-Rufe bei der SPD.) Hilfe der öffentlichen Meinungsträger angewiesen.
Sie wird nicht durch eine Aktion geschaffen, sondern
Die formierte Gesellschaft ist ihrem Wesen nach
entfaltet sich aus einem Prozeß. Sie ist auch nicht
eine friedliche Gesellschaft, die auf der dynamischen
ständestaatlich gegliedert; vielmehr beruht sie auf
Kraft des innen- und außenpolitischen Interessen-
der Überzeugung, daß die Menschen nicht nur durch
ausgleichs beruht. Das eben heißt auch, daß der
Gesetze, sondern aus Einsicht das ihrem eigenen
Selbstdarstellung unseres Staates im Ausland, als
Wohle Dienende zu tun bereit sind.
Hilfsmittel, ja teilweise sogar als Voraussetzung
(Beifall bei der CDU/CSU.) unserer Außenpolitik, große Bedeutung zukommt.
Die formierte Gesellschaft ist jedoch alles andere Alle Aufgaben, die sich auf diesem Feld stellen, ver-
als eine philantropische Vision. Sie geht also nicht dienen vorrangige Lösung. -

von einem weltfremden idealtypischen Menschenbild Dieser neuzeitlichen Gesellschaftsform erwachsen


aus. Diese moderne Leistungsgesellschaft ist gewiß auf allen politischen Gebieten neue große Aufgaben.
auch nicht frei von Interessengegensätzen. Aber Ihre rationale Klarheit und Überschaubarkeit sollen
diese sind nicht mehr Elemente des Zerfalls ihrer den einzelnen in die Lage versetzen, an den öffent-
Einheit, sondern werden immer mehr Motor eines lichen Dingen teilzuhaben. Diese Gesellschaft wird
permanenten Interessenausgleichs unter dem Ge- die staatliche Autorität so weit stärken, daß not-
sichtspunkt des allgemeinen Wohls. wendige Reformen und die Festsetzung von Prioritä-
Diese neue Ordnung ist die gesellschaftspolitische ten bei der Lösung der Gemeinschaftsaufgaben An-
Konsequenz ,der sozialen Marktwirtschaft. Gerade erkennung finden und dadurch politisch möglich wer-
am Beispiel der sozialen Marktwirtschaft läßt sich den.
aufzeigen, daß die formierte Gesellschaft keine Wir haben uns vielleicht allzu selbstverständlich
Utopie ist. 1948 und in den nachfolgenden Jahren der Täuschung hingegeben, daß in einer expansiven,
wurden mit scheinbar guten Gründen Sorgen vor- dynamischen Volkswirtschaft der Ausweitung des
getragen, die völlige Liberalisierung der deutschen privaten Verbrauchs, der Investitionstätigkeit und
Nachkriegswirtschaft könnte vor allem zu Lasten der der Ausgabensteigerung der öffentlichen Hand über-
sozial schwachen Gruppen gehen. Befürchtungen haupt keine Grenzen mehr gesetzt seien. Unsere
wurden laut, daß die infolge dieser Wirtschaftsform Wirtschaft war in der Vergangenheit, wenn auch
und der technologischen Entwicklung notwendig wer- nicht ohne Preissteigerungen, im ganzen doch in der
denden sozialen Umschichtungen nicht wiedergut Lage, das jeweilige Nachfrage-Mehr durch kurz
zumachende Schäden am Volksganzen verursachen darauffolgende Produktionsausweitungen weitge-
würden oder daß die geringe Produktion zur Ab- hend aufzufangen.
deckung der Kaufkraft nicht ausreichen könnte.
Mittlerweile haben alle Schichten und Gruppen unse- Mit der Erschöpfung der deutschen Arbeitskraft-
res Volkes erfahren, daß die Vertretung der eigenen reserven zeichnet sich aber immer deutlicher eine
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Bundeskanzler Dr. Dr. h. c. Erhard
grundlegende Änderung ab. Diese Wende wurde, 2. Für die Folgezeit sieht sich die deutsche Wirt-
weil sie sich aus einem längeren Prozeß heraus ent- schaft in ihrem Wachstum vor veränderte Bedingun-
wickelte, in ihrer ganzen Tragweite von vielen nicht gen gestellt. In den kommenden Jahren werden er-
rechtzeitig und nicht -voll gewürdigt. Die zuneh- heblich mehr Menschen aus dem Erwerbsleben aus-
mende Beengung des Arbeitsmarktes bot den Ar- scheiden, als neue hinzutreten. Das bringt zugleich
beitnehmern die Möglichkeit, bessere materielle eine Erhöhung der Rentenlast mit sich. Der deutsche
Arbeitsbedingungen durchzusetzen, während die Arbeitsmarkt ist erschöpft. Die Heranziehung von
Arbeitgeber in Ausnutzung ihrer Marktchancen be- noch mehr ausländischen Arbeitskräften stößt auf
reit waren, nicht nur höhere Tariflöhne zu akzep- Grenzen. Nicht zuletzt führt sie zu weiteren Kosten-
tieren, sondern die Effektivlöhne nicht unerheblich steigerungen und zusätzlicher Belastung unserer
über dieses Niveau hinaus anzuheben. Für Anklage Zahlungsbilanz.
und Rechtfertigung ist hier also kein Raum.
Diese zuverlässig voraussehbaren und unabänder-
Lassen wir darum Fakten sprechen! In den letzten lichen Tatsachen haben zur Folge, daß in den Jahren
fünf Jahren, d. h. von 1960 bis einschließlich 1964, bis 1970 in der Bundesrepublik aus der natürlichen
erzielte die Bundesrepublik in ihrer Handelsbilanz Bevölkerungsentwicklung weniger Erwerbstätige
einen jährlichen Überschuß von durchschnittlich zur Verfügung stehen werden als gegenwärtig. Der
51/2 Milliarden DM; er machte noch im Jahre 1964 Schaden würde sich noch potenzieren, wenn dazu
6,1 Milliarden DM aus, während die ersten neun mit einer weiteren Verkürzung der Arbeitszeit ge-
Monate 1965 nur noch ein Ausfuhrplus von 616 Mil- rechnet werden müßte.
lionen DM ausweisen. Besonders beachtenswert ist (Beifall bei den Regierungsparteien.)
der Umstand, daß die Verschlechterung der Handels-
bilanz in weitestem Umfange, ja fast ausschließlich, 3. Ein Volk, das sich vor gewaltige politische
aus verstärkten Exporten ,der EWG-Länder in die Aufgaben gestellt sieht, das um seiner Sicherheit
Bundesrepublik resultiert. willen Opfer bringen muß, das Wiedergutmachung
und andere Hilfe in der Welt zu leisten hat, — ein
Diese Entwicklung ist gewiß nicht nur aus einer Volk, das auf breitester Grundlage den Wohlstand
Ursache heraus zu erklären. Immerhin aber muß es mehren und auch in Arbeitnehmerhand die Vermö-
bedenklich stimmen, wenn in einem freien und gensbildung fördern will, — ein Volk, das neben
offenen Markt, in dem die Zölle nur mehr 20 % dem wirtschaftlichen Wiederaufbau hohe Kriegs-
der ursprünglichen Sätze ausmachen, die deutsche folgelasten zu tragen hat, — ein Volk, das, um auf
handelspolitische Position schwächer geworden ist. dem Weltmarkt wettbewerbsfähig zu bleiben, stän-
Wir dürfen nicht an der Erkenntnis vorübergehen, dig hohe Investitionen vornehmen muß, — ein Volk,
daß diese Verschlechterung wesentlich auf der inne- das die sozialen Leistungen noch immer weiter aus-
ren Über-Nachfrage beruht. Eine weitere fortdau- bauen möchte, obwohl die Bundesrepublik nach
ernde Aufblähung der Einkommen und eine anhal- Aussage des Internationalen Arbeitsamtes in Genf
tende Kostensteigerung müßten unsere Wettbe- von allen Ländern der freien Welt bereits die höch-
werbsfähigkeit ernsthaft gefährden. sten Leistungen tätigt; — ein solches Volk sollte
sich nicht Überlegungen nach Verkürzung der
(Beifall bei der CDU/CSU.)
Arbeitszeit hingeben.
Die Rechnung konnte eben nicht aufgehen, wenn (Beifall bei den Regierungsparteien.)
der Zuwachs des Sozialprodukts wesentlich hinter -

dem privaten Verbrauch, den Ausgaben der öffent- Es muß sich vielmehr ernsthaft, und zwar nicht nur
lichen Hand und den Investitionen zurückblieb. Das theoretisch, die Frage stellen — und ich tue es
heißt, daß im laufenden Jahre 1965 ein Mehr an hier in aller Form —, ob es ihm nicht besser an-
Sozialprodukt von rund 20 Milliarden DM zur Ver- stünde und ob es in seiner Lage nicht zweckmäßiger
fügung steht, während für die obigen Zwecke rund und sinnvoller wäre, die tariflich vereinbarte wö-
40 Milliarden DM verausgabt werden. Dieses Pro- chentliche Arbeitszeit um eine Stunde zu erhöhen.
blem ist auch nicht durch eine Um- oder Anders (Beifall bei der CDU/CSU und bei der FDP
verteilung des Volkseinkommens zu lösen, denn mit — Unruhe bei der SPD.)
solchen Prozeduren läßt sich die kaufkräftige Nach- Dieses Problem kann und darf kein Tabu sein.
frage nicht verringern.
Bundesregierung und Bundestag stehen heute (Anhaltende Unruhe und Zurufe von der SPD.)
nicht vor einem „Soll", sondern vor einem harten Wenn es auch außerordentlich schwer ist, die Aus-
„Muß". In ihrer H and und der von Ländern und wirkungen einer solchen Maßnahme rechnerisch
Gemeinden liegt es, die überaus starke Zunahme exakt zu ermitteln, kann doch kein Zweifel be-
der öffentlichen Ausgaben mindestens auf das noch stehen, daß ein Mehr an geleisteten Arbeitsstunden
vertretbare Maß der Steuereinnahmen zu redu- zu einer zusätzlichen Steigerung des Sozialprodukts,
zieren. zu höherem Warenangebot, zu besserem Markt-
ausgleich und damit sowohl zu einer Preisberuhi-
Daraus folgt: gung als auch zu einem höheren Steueraufkommen
1. Die Bundesregierung ist entschlossen, die Poli- führen würde.
tik der Sozialen Marktwirtschaft konsequent fortzu- (Beifall bei den Regierungsparteien.)
führen und dadurch die ökonomischen Grundlagen
für eine sich in Freiheit und Frieden festigende Ge- Eines steht in jedem Falle fest, die Nutznießer einer
sellschaft sicherzustellen. solchen Neuorientierung werden alle sein. Des-
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halb dürfen wir nicht zögern, die notwendigen Ver- längerfristigen Programms muß das Subventions-
handlungen über diese Frage unverzüglich aufzu- volumen systematisch abgebaut werden.
nehmen. Insbesondere gilt das für die Deutsche Bundes-
bahn, deren Defizit nach Gesetz vom Bund zu decken
4. Eine Forcierung arbeitssparender Investitionen
ist. Wenn dieses Defizit bereits für den Bundes-
kann, selbst wenn sie vom finanziellen Einsatz her
haushalt 1966 mit 3,2 Milliarden DM angemeldet
möglich wäre, die Beengung des Arbeitsmarktes
nicht grundlegend verändern. Die Obergrenze des war, ist leicht einzusehen, daß ohne einschneidende
möglichen Wirtschaftswachstums wird in den näch- Maßnahmen sich der Fehlbetrag von Jahr zu Jahr
sten Jahren unter den heute gegebenen Bedingun- ins Ungemessene erhöhen müßte. Unbeschadet be-
gen keinesfalls höher liegen als bisher. Es gibt stimmter, aber doch auch begrenzter Tariferhöhun-
keinen anderen Ausweg: Wir müssen unsere An- gen wird die Bundesregierung in Kürze einen län-
sprüche zurückstecken oder mehr arbeiten. gerfristigen Plan vorlegen, der durch Rationalisie-
rungsmaßnahmen und Personaleinsparungen zu
(Beifall bei den Regierungsparteien.) einer fortschreitenden finanziellen Gesundung der
Bundesbahn führen wird.
5. Jede Fehlentscheidung in der Wirtschafts-,
Finanz- und Sozialpolitik wiegt unter diesen Um- (Beifall in der Mitte. — Zuruf von der
ständen besonders schwer. Deutlicher als in der SPD: Das klingt so neu!)
zurückliegenden Zeit stürmischen Wirtschaftswachs- Die dafür von der Bundesregierung eingesetzte
tums werden sich die schädlichen Wirkungen aus- Kommission wird noch in diesem Jahr ihre Arbeiten
prägen, wenn wir den Grundsatz höchster Rationali- beenden.
tät in der Wirtschaft mißachten. Großzügigkeit in
der Subventionspolitik, Nachsicht gegenüber protek- 10. Die Bundesregierung konnte bei dieser Sach-
tionistischen Forderungen bedeuten volkswirtschaft- lage im Hinblick auf den Haushaltsausgleich 1966
lichen Luxus, den wir uns nicht leisten können. nicht darauf verzichten, auch Ausgabeverpflichtun-
gen auf Grund bereits bestehender Gesetze in ihr
Das kostbare Gut menschlicher Arbeitskraft darf
Ausgleichsprogramm einzubeziehen. Sie hat das
nicht vergeudet werden. Der Wechsel des Arbeits-
mehrfach vor den Bundestagswahlen vor aller
platzes von strukturell schrumpfenden Bereichen zu
Öffentlichkeit angekündigt.
produktiveren Tätigkeiten gehört daher zu den An-
passungsvorgängen, die von der Bundesregierung (Lachen bei der SPD.)
zu fördern sind, wenn diese zugleich alles tut, um
— Ich kann Ihnen den Nachweis erbringen. Der
soziale Härten zu vermeiden, und den Betroffenen
Haushalt 1966 wird ein Volumen von 69,4 Mil-
sogar zu besserer und sicherer Berufsausübung ver-
liarden DM haben. Das bedeutet eine Erhöhung
hilft.
gegenüber dem Vorjahr um rund 5,5 Milliarden DM.
(Zuruf von der SPD: Späte Erkenntnis!)
Um eine Begrenzung der Ausgaben in dieser Höhe
6. Aus der Sorge um die Erhaltung weiteren Wirt- sicherzustellen, ist der Bundesminister der Finanzen
schaftswachstums unter Wahrung der Stabilität wird beauftragt worden, in den Ressortverhandlungen
die Bundesregierung bei den finanzpolitischen Ent- die Anforderungen um 2,1 Milliarden DM zu kür-
scheidungen strengste Maßstäbe anlegen. Das Pro- zen. Durch Kabinettsentscheidung wurden ferner die
blem des Bundeshaushalts 1966 ist nicht nur eine Ausgabenansätze um weitere 2,2 Milliarden DM
Frage der Finanzierung oder Deckung; es schließt reduziert. Darüber hinaus hat die Bundesregierung
nicht minder das Problem ein, die gesamtwirt- dem Bundesrat den Entwurf eines Haushaltssiche-
schaftlichen Wirkungen zu bedenken, die von Art rungsgesetzes zugeleitet, durch das die dann noch
und Umfang der Bundesfinanzen ausgehen. verbleibende Deckungslücke in Höhe von 2,9 Mil-
liarden DM geschlossen werden soll.
7. Die Entscheidungen dieses Hohen Hauses sowie Die Bundesregierung ist für die Zukunft gewillt,
die Folgerungen, die die Bundesländer in ihrem neue Gesetze, die zu Mehrausgaben oder Einnahme-
Haushaltsgebaren aus dieser finanziellen Situation ausfällen führen, von schwerwiegenden Sonderfäl-
ziehen, werden nicht nur für die Entwicklung des len abgesehen, erst dann einzubringen, wenn sicher-
Jahres 1966 bestimmend sein. Sie müssen für viele gestellt ist, daß die erforderlichen Deckungsmittel
Jahre unsere innere Stabilität und unsere gesell- bereits zum Zeitpunkt des Inkrafttretens neuer Ge-
schaftliche Ordnung gewährleisten. setze auch tatsächlich zur Verfügung stehen.
8. Die für unsere Zukunft entscheidende Investi- (Beifall bei den Regierungsparteien.)
tionstätigkeit müßte schweren Schaden leiden,
wollte der Bund die konsumtive Nachfrage über Ge- Die Bundesregierung bittet das Hohe Haus, diese
bühr anheben. Das hätte zur Folge, daß die außen- Bemühungen zu unterstützen und insbesondere bei
wirtschaftliche Bilanz noch tiefer ins Defizit geraten der Einbringung haushaltswirksamer Anträge die
müßte. Wir würden die hart erarbeiteten Reserven gleiche Zurückhaltung zu üben. Mit großer Genug-
vergeuden. tuung hat die Bundesregierung von Überlegungen
innerhalb des Bundestages Kenntnis genommen,
9. Der von Jahr zu Jahr steigende Subventions- denen zufolge ausgabewirksame Gesetze künftig
aufwand der öffentlichen Hand nimmt bedenkliche nur mehr in Verbindung mit der Verabschiedung
Ausmaße an und ist geeignet, die Durchschlagskraft des Bundeshaushalts bzw. eines Nachtragshaushalts
der Kreditpolitik zu schmälern. Im Rahmen eines beschlossen werden sollen.
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Bundeskanzler Dr. Dr. h. c. Erhard
Die Bundesregierung hat einschneidende Spar- und Ländern bei der gemeinsamen Programmierung
maßnahmen im Bundeshaushalt eingeleitet. Sie er- und Finanzierung von überregionalen Gemein-
wartet, daß sich auch die Länder in ihrer Haushalts- schaftsaufgaben fördern. Insbesondere soll das
politik dein vordringlichen Ziel der Stabilisierung Gemeinschaftswerk mehrjährige Investitionspro-
unterordnen und sich in ihren Ausgaben ebenfalls gramme aufstellen, die im Rahmen einer sachlichen
größte Mäßigung auferlegen. und zeitlichen Dringlichkeitsordnung auch eine
Die Bundesregierung wird ihre schon eingeleiteten Grundlage für eine antizyklische Ausgabenpolitik
Koordinierungsbemühungen zur baldigen Besserung der öffentlichen Hand bilden können. Die Bundes-
der Lage am Kapitalmarkt fortsetzen und auf eine regierung wird ihre Vorschläge alsbald nach Ab-
weitere Abstimmung der Kapitalmarktwünsche der schluß der Arbeiten der Sachverständigenkommis-
öffentlichen Hand drängen. Insbesondere wird sie sion für die Finanzreform mit den Ländern abstim-
sich bei der Aufnahme von Krediten für den Bun- men und vorlegen.
deshaushalt sowie für die Sondervermögen des Bun- Bei seiner Programmierung sollen dem Gemein-
des Zurückhaltung auferlegen und ihre Ansprüche schaftswerk auf längere Sicht, unbeschadet der in
der Leistungsfähigkeit des Marktes anzupassen be- den Haushalten von Bund und Ländern wie bisher
strebt sein. für Gemeinschaftsaufgaben vorgesehenen Mittel, zu-
Die haushaltspolitische Stabilisierungsaufgabe sätzlich und so weit wie möglich diejenigen Steuer-
kann dauerhaft nur dann bewältigt werden, wenn einnahmen des Bundes und der Länder zur Verfü-
die jährlichen Haushalte in eine längerfristige Ziel- gung stehen, die als Folge der Steuerprogression
setzung der Stabilitäts- und Wachstumspolitik ein- über den jeweiligen realen Zuwachs des Brutto-
geordnet werden. Eine an diesem Ziel orientierte sozialprodukts hinausgehen.
Haushalts- und Finanzpolitik hat vor allem Vor- Die Bundesregierung würde es begrüßen, wenn
sorge zu treffen, daß Umfang und Struktur der sich möglichst bald ein Einvernehmen mit den Län-
öffentlichen Einnahmen und Ausgaben jeweils den dern herstellen ließe und die Arbeiten für die
gesamtwirtschaftlichen Erfordernissen angepaßt wer- Finanzreform und die Errichtung des Deutschen Ge-
den. Diese Aufgabe verlangt, daß die haushaltspoli- meinschaftswerkes so beschleunigt werden könnten,
tischen Entscheidungen von den Einjahreszufällig- daß die erforderlichen Verfassungsänderungen und
keiten gelöst und auf der Grundlage mehrjähriger die Ausführungsgesetze im Laufe der Legislatur-
und nach Maßgabe sachlicher und politischer Dring- periode verabschiedet werden können.
lichkeit geordneter Rahmenpläne vollzogen werden. Über die im Rahmen der Finanzreform vorgese-
Eine umfassende Reform des Haushaltsrechts ist
hene Neuordnung hinaus soll das jetzige Umsatz-
auch im Hinblick auf diese Aufgabe vordringlich.
steuersystem durch Einführung einer Netto Umsatz-
-

Ein Schwerpunkt unserer künftigen Arbeit wird steuer auf der Grundlage des bereits in der letzten
die Finanzreform sein. Die im März 1964 eingesetzte Legislaturperiode eingebrachten Gesetzentwurfs um-
Sachverständigenkommission wird noch vor Ende gebaut werden.
dieses Jahres ihre Vorschläge vorlegen. Neben der Das Besteuerungsverfahren soll durch die bereits
Neuabgrenzung der Aufgaben und Ausgaben von eingeleitet Reform der Reichsabgabenordnung mo-
Bund und Ländern und der darauf aufbauenden dernisiert und das Steuerverfahrensrecht neuzeit-
Neuverteilung des Steueraufkommens einschließlich lichen rechtsstaatlichen Erkenntnissen angepaßt wer-
einer Neuordnung der Gemeindefinanzen wird die den.
Kommission für die Finanzreform auch Vorschläge
Der weiteren Förderung des Sparens kommt nach
unterbreiten, die den wirtschaftlichen Zusammen-
wie vor große Bedeutung zu. Die Bundesregierung
hang der öffentlichen Haushalte insgesamt berück-
ist, wie der 4. Deutsche Bundestag zum Ausdruck
sichtigen. Sie wird voraussichtlich auch Regelungen
brachte, der Meinung, daß die gegenwärtigen Spar-
zur Abwehr akuter Gefahren für die Geldwertsta-
förderungsmaßnahmen zu überprüfen und neu zu
bilität sowie Vorstellungen über die gemeinschaft-
ordnen sind. Hierbei soll der Grundsatz der breiten
liche Finanzierung überregionaler Gemeinschafts-
Eigentumsstreuung folgerichtig und auch voraus-
aufgaben durch Bund und Länder zur Debatte stellen.
schauend mit den haushaltsmäßigen Möglichkeiten
In diesem Zusammenhang regt die Bundesregie- in Einklang gebracht werden.
rung an, gemeinsam mit dem Hohen Hause die
Das gleiche Maß an Disziplin, das das deutsche
Frage der Zweckmäßigkeit einer Novellierung des
Volk mit Recht vom Staat verlangt, muß aber auch
Art. i 13 des Grundgesetzes zu prüfen, um auch von
von den Sozialpartnern hinsichtlich der Preis-, Lohn-
daher für eine geordnete Haushaltswirtschaft des
und Arbeitspolitik gefordert werden.
Bundes Vorsorge zu treffen. Es dürfte auch Über-
einstimmung darüber bestehen, daß § 96 der Ge- (Beifall bei Abgeordneten der
schäftsordnung des Hohen Hauses einer Revision Regierungsparteien.)
bedarf. Die Bundesregierung steht auf dem Boden freier
Die Vorschläge der Finanzreform-Kommission zur Unternehmerentscheidung und der Tarifautonomie,
Finanzierung von Gemeinschaftsaufgaben sollen die beide und zusammen unverzichtbare Bestand-
durch die Errichtung eines Deutschen Gemeinschafts- teile unserer freiheitlichen Wirtschafts- und Sozial-
werkes ergänzt werden. Dieses Deutsche Gemein- ordnung sind. Die Sozialpartner verletzen jedoch
schaftswerk soll in voller Wahrung des föderalisti- ihre Pflicht, wenn sie sich auf Kosten der Allgemein-
schen Prinzips die Zusammenarbeit zwischen Bund heit einigen.
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 4. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. November 1965 23
Bundeskanzler Dr. Dr. h. c. Erhard
Aus grundsätzlichen rechtlichen, volkswirtschaft- Ausweitung der internationalen Liquidität darf einer
lichen und politischen Erwägungen kann sich die weltweiten Inflationierung nicht Vorschub leisten.
Bundesregierung zu einer Ausdehnung der Mitbe-
Unserem gesellschaftspolitischen Leitbild ent-
stimmung über den Montanbereich hinaus nicht ver-
spricht eine Ergänzung der Wettbewerbspolitik
stehen.
durch eine aktive Strukturpolitik. Es ist keineswegs
(Beifall bei Abgeordneten der Regierungs deren Ziel, durch dauernde Abschirmung nicht mehr
parteien. — Hört! Hört! bei der SPD.) wettbewerbsfähige Unternehmen oder Branchen
Andererseits wendet sie sich aber gegen Bestrebun- künstlich zu erhalten. Es geht vielmehr darum, die
gen, die dem bewußten und erkennbaren Zweck Anpassung an Strukturveränderungen zu erleich-
einer Aushöhlung der gegenwärtigen qualifizierten tern, um die knappe Arbeitskraft so produktiv wie
Mitbestimmung dienen. nur möglich einzusetzen. Die Bundesregierung wird
aus gesellschaftspolitischen Gründen darum bemüht
Die eingangs dargestellte Wettbewerbssituation sein, die Wettbewerbsfähigkeit der Mittel- und
der deutschen Wirtschaft im Zusammenhang mit der Kleinbetriebe gegenüber den Großunternehmen zu
Tendenz unserer Zahlungsbilanz zwingt uns, alles stärken, um die Begründung selbständiger wirt-
zu tun, um das Vertrauen in die Stabilität unserer schaftlicher Existenzen zu fördern.
wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung zu stär-
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU.)
ken, klare Rechts- und Zuständigkeitsverhältnisse
zu schaffen, wie umgekehrt, alles zu unterlassen, Sie ist bestrebt, dabei die Voraussetzungen für die
was in- und ausländische Kapitalanleger hindern Eigenkapitalausstattung zu verbessern. Es ist nicht
könnte, sich an deutschen Unternehmungen zu be- zu verkennen, daß der wirtschaftliche und tech-
teiligen und Wertpapiere zu erwerben. nische Fortschritt, der europäische Großmarkt und
die weltwirtschaftliche Verflechtung in vielen Be-
(Zurufe von der SPD.)
reichen zunehmende Betriebsgrößen erfordern. Ein
Dieser Gesichtspunkt erlangt um so mehr Bedeu- wirksames Gegengewicht hierzu stellt die zwischen-
tung, als mit der Freizügigkeit des Kapitalflusses in betriebliche Kooperation kleiner und mittlerer Be-
immer größer werdenden Märkten vergleichende triebe dar. Es bleibt das unablässige Bemühen der
Überlegungen hinsichtlich der Qualität und Ge- Wirtschaftspolitik, mißbräuchliche wirtschaftliche
schlossenheit der Unternehmensführung angestellt Machtausnützung zu verhindern.
werden. Das führt heute zu der Feststellung, daß in Die Bundesregierung wird sich auch künftig der
keinem Land eine so weitgehende Mitbestimmung energiewirtschaftlichen Probleme mit Sorgfalt an-
besteht, wie sie dem Modell innerhalb des deut- nehmen. Für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung
schen Montanbereiches entspricht. Im übrigen hat und für die Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit
die Bundesregierung im Betriebsverfassungsgesetz der Wirtschaft ist eine preisgünstige und sichere
eine in der ganzen Welt als vorbildlich anerkannte Versorgung mit Energie von grundlegender Bedeu-
Form der Mitberatung und Mitwirkung der Arbeit- tung. Durch ihre Energiepolitik wird die Bundes-
nehmer am Schicksal des Unternehmens verwirk- regierung dafür sorgen, daß die Vorteile des der-
licht. zeitigen Strukturwandels im Energiebereich der ge-
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU.) samten Wirtschaft optimal nutzbar gemacht werden.
Um die Einsicht in die gesamtwirtschaftlichen Die Bundesregierung ist indessen gewillt, ihre Be- -
Notwendigkeiten und ein entsprechendes Verhalten mühungen um eine Gesundung der Verhältnisse im
zu fördern, wird die Bundesregierung mit den Re- Steinkohlenbergbau fortzusetzen. Vom Steinkohlen-
präsentanten aller wichtigen sozialen Gruppen einen bergbau erwartet sie, daß dieser alle seine Kräfte
regelmäßigen, häufigeren, umfassenden und inten- mobilisiert und alle Möglichkeiten zur Steigerung
siven Dialog einleiten. seiner Leistungskraft wahrnimmt.
(Beifall bei der CDU/CSU.) Die besondere Förderung wirtschaftlich schwach
entwickelter oder einseitig strukturierter Regionen
Die Bundesregierung wird sich im internationalen ist nicht nur eine gesellschaftspolitische Notwendig-
Bereich weiterhin für ein höheres Maß an Koordinie- keit, sondern auch ein wichtiges Instrument der
rung der Osthandelspolitik einsetzen. Die Kredit- Wachstumspolitik. Regionalpolitische Maßnahmen
politik gegenüber den Oststaaten bedarf nach Art, sollen dazu beitragen, die Wirtschafts- und Le-
Umfang und Laufzeit sowohl nach wirtschaftlichen bensbedingungen in den verschiedenen Teilen un-
als auch nach finanziellen Maßstäben einer Über- seres Landes anzugleichen und die wirtschaftlichen
prüfung und besseren gemeinsamen Ausrichtung. Es Vorteile der einzelnen Regionen besser zu nutzen.
erscheint gerechtfertigt, diese Frage als ein gemein- Um diesem Ziele näherzukommen, wird die Bundes-
sames Anliegen friedlicher politischer Strategie an- regierung ihre regionalen Förderungsprogramme
zusehen. ausbauen. Die zusätzlich erforderlichen Mittel kön-
Die zunehmende Verflechtung der nationalen nen allerdings nur durch Einsparung an anderer
Volkswirtschaften untereinander läßt die Koopera- Stelle aufgebracht werden. Der politischen Bedeu-
tion auf konjunktur- und währungspolitischem Ge- tung und der wirtschaftlichen Situation des Zonen-
biet immer dringlicher erscheinen. Die Bundesregie- randgebietes wird die Bundesregierung weiterhin
rung wird auf internationaler Ebene mit Nachdruck Rechnung tragen.
für die Währungsdisziplin und die Sicherung der Die Aufgaben der Sozialpolitik in einer modernen
finanziellen Stabilität eintreten. Die viel diskutierte Gesellschaft müssen in der immer notwendiger wer-
24 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 4. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. November 1965

Bundeskanzler Dr. Dr. h. c. Erhard


denden Unterscheidung zwischen ihren klassischen gespannten Politik der Ausbildungs- und Weiter-
Prinzipien und dem Bereich gesehen werden, den bildungsförderung in die Wege geleitet, und zwar
wir heute viel zutreffender Gesellschaftspolitik nen- sowohl institutionell wie individuell. Sie wird die
nen. Die Bedeutung der Sozialpolitik liegt im Grund- Methoden dieser Förderung zügig und zielbewußt
sätzlichen aber auch darin, daß sie in starkem Maße weiterentwickeln und auch das Berufsausbildungs-
den Stil der gesamten inneren Politik bestimmt. recht auf eine bessere und klarere Basis als bisher
Deshalb darf die Sozialpolitik nicht einfach zu einer stellen.
Politik der Befriedigung sozialer Interessengruppen Regionale Wirtschaftspolitik, Raumordnung und
werden. Sie muß sich an objektiven Maßstäben und Städtebau, Verkehrspolitik und Förderung des Bil-
gesamtgesellschaftlichen Zielen orientieren. dungswesens, alle diese Maßnahmen müssen neben
Eine der Kernfragen der modernen Sozialpolitik ihrer speziellen Bedeutung nicht zuletzt als Sozial-
lautet dahin, ob sich die klassischen Prinzipien der investitionen großen Ausmaßes gelten. Von der
Sozialpolitik zu einem allgemeinen, allumfassenden Fruchtbarmachung dieser Investitionen wird die
gesellschaftlichen Versicherungsprinzip verdichten Leistungsfähigkeit unseres Volkes abhängen, nicht
sollen. Die Bundesregierung lehnt die Einführung von einer Steigerung des bloßen Sozialkonsums.
eines derartigen staatlichen Totalversicherungs- Wir sind stolz darauf, daß die Bundesrepublik in
systems aus grundsätzlichen Erwägungen ab. Sie ihren sozialen Leistungen an der Spitze der west-
lichen Industrienationen steht. Aber wir haben auch
erblickt in einer Totalversicherung den Ansatz zu
einer sich selbst nährenden inflationistischen Ent- Grund zur Sorge, daß sich hinter diesen Leistungen
zum Teil lediglich Zahlungen und Subventionen ver-
wicklung.
bergen, die auf längere Sicht unsere Leistungsfähig-
(Beifall bei den Regierungsparteien.) keit und damit unsere soziale Sicherheit nicht för-
Sie möchte aber auch ein ungewolltes Hineingleiten dern, sondern schwächen.
des einzelnen in die immer stärkere Abhängigkeit (Beifall bei den Regierungsparteien.)
vom Staat vermeiden.
Gerade deshalb wird die Bundesregierung alles
Eine moderne Sozialpolitik hat vielmehr danach tun, um zu verhindern, daß durch eine opportuni-
zu trachten, daß jedermann sich als freier selbst- stische Befriedigung von Gruppeninteressen die
verantwortlicher Staatsbürger in der Gemeinschaft Sozialpolitik zu einer Hypothek für die Leistungs-
bewegen kann. Dieser Grundsatz findet in der be- und Konkurrenzfähigkeit unserer Wirtschaft wird.
stehenden Rentenversicherung durch die Bemessung
der Renten nach der individuellen Lebensleistung (Unruhe bei der SPD.)
Anerkennung. Eine Politik, wie sie die Bundesregierung im Auge
Deshalb ist es das Ziel der deutschen Sozialpoli- hat, fordert angesichts der hohen Kosten aller die-
tik, alle sozialen Gruppen vor einer Entwicklung zu ser Maßnahmen, daß Prioritäten, Rangfolgen und
bewahren, in der sie zunehmend bloß Objekte staat- Schwerpunkte der einzelnen Maßnahmen länger-
licher Fürsorge sind. Die Bundesregierung verkennt fristig festgelegt werden. Die Bundesregierung wird
dabei nicht die Notwendigkeit, eine Politik umfas- dem Bundestag dazu entsprechende Vorschläge
sender Daseinsvorsorge für unsere gesamte Gesell- machen.
schaft zu treiben. Aber dieses Ziel läßt sich nur Allein von hier aus, d. h. von einer solchen weit -
durch eine weitsichtige Strukturpolitik der Gesell- gespannten gesellschaftlichen Strukturpolitik aus,
schaft erreichen, nicht durch eine strukturlose Expan- läßt sich eine Verbesserung unserer Sozialpolitik im
sion sozialer Subventionen. engeren Sinne entwickeln. Die Bundesregierung er-
Zu einer solchen Strukturpolitik gehört heute in wartet sehr bald den Bericht über die Sozialenquete.
erster Linie die zielbewußte Förderung des beruf- Sie erwartet davon auch einen nützlichen Beitrag für
lichen Ausbildungswesens, das einen immer enge- die Reform der sozialen Krankenversicherung sowie
ren Zusammenhang mit dem allgemeinen Bildungs- für die mit der Lohnfortzahlung zusammenhängenden
wesen gewonnen hat. Soziale, berufliche und allge- Probleme. Der Arbeiter soll in der gleichen Weise
meine Bildung sind heute bereits zu einer Ganzheit wie der Angestellte wirtschaftlich gesichert sein.
zusammengewachsen, deren Bedeutung für unsere Weitere bereits laufende Untersuchungen sollen die
Gesellschaft, für ihre Leistungsfähigkeit, für ihre Situation der alten Menschen und die Stellung der
soziale Sicherheit, für ihre zukünftige Lebensform Frau in Beruf und Familie erhellen. Die Bundesre-
erst in den Anfängen sichtbar geworden ist. gierung wird prüfen, welche Konsequenzen aus die-
sen Untersuchungen gezogen werden können, damit
Angesichts der außerordentlichen Differenzierung, die Lebensbedingungen von alten Menschen, aber
die die verschiedenen Stufen des beruflichen Ausbil- auch vieler Frauen verbessert werden können.
dungswesens in Deutschland charakterisiert — und
diese Differenzierung ist kein chaotischer Wild- Es ist für die Bundesregierung ,selbstverständlich,
wuchs, sondern spiegelt die Anforderungen einer dafür zu sorgen, daß die neun Millionen Rentner
modernen arbeitsteiligen Wirtschaft —, wäre es ver- weiterhin am Fortschritt unserer wirtschaftlichen
fehlt, einer Reform dieser beruflichen Ausbildung im Leistungsfähigkeit teilnehmen. Ebenso hat sie Ver-
Sinne einer bloßen Vereinfachung das Wort zu ständnis dafür, daß auch Gruppen von Selbständigen
reden. Wir müssen diese Ausbildung vielmehr in zur Sicherung ihrer Altersversorgung die Mitglied-
ihrer ganzen Mannigfaltigkeit verbessern, d. h. schaft in der gesetzlichen Rentenversicherung an-
weiterentwickeln und überschaubarer machen. Die streben. Diese Frage erfordert jedoch neben einer
Bundesregierung hat die Verbesserung einer weit gesellschaftspolitischen Bewertung nicht zuletzt auch
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 4. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. November 1965 25
Bundeskanzler Dr. Dr. h. c. Erhard
eine verantwortungsbewußte finanzpolitische Über- Institute, durch die Ärzteschaft und den Bundes-
prüfung. gesundheitsrat bemühen.
Ähnliches gilt für die Kriegsopfer, vor allem für Einige Aufgaben dürften besonders geeignet sein,
diejenigen, die in ihrer beruflichen Leistungsfähig- im Rahmen eines Deutschen Gemeinschaftswerks
keit empfindlich und dauernd geschwächt sind. Die verwirklicht zu werden. Ich denke dabei an die
Bundesregierung steht zu ihrer Zusage, daß die Modernisierung von Krankenhäusern, an die Förde-
Kriegsopferrenten unter Berücksichtigung der wirt- rung der Aus- und Fortbildung von Angehörigen der
schaftlichen Leistungsfähigkeit und des realen Zu- Heil- und Hilfsberufe und die Aufklärung der Bevöl-
wachses der Volkswirtschaft periodisch überprüft kerung in gesundheitlichen Fragen durch eine eigene
werden. Bundeszentrale.
Zu einer dynamischen Sozialpolitik gehört die Andere Aufgaben stehen in so engem Zusammen-
weitere Förderung der Eigentums- und Vermögens- hang mit der Gesetzgebung, daß die Frage berechtigt
bildung in breiten Schichten unseres Volkes, weil sie ist, ob die derzeitigen Gesetzgebungskompetenzen
mehr als alles andere dazu geeignet ist, die Freiheit, des Bundes auf dem Gebiete des Gesundheitswesens,
Selbständigkeit und Verantwortlichkeit des einzel- wie sie von der Mehrheit der Länder ausgelegt wer-
nen in der modernen Gesellschaft zu stützen. den, den neuzeitlichen Anforderungen noch entspre-
Der Bericht über die Lage der Jugend hat uns be- chen. Wichtige Gesetzesvorhaben aus der Mitte des
stätigt, vor welch gewichtigen Aufgaben im Bereich Bundestages sind bekanntlich in der vergangenen
Legislaturperiode an ,dieser Auslegung gescheitert.
der Jugendpolitik wir auch in dieser Legislatur-
periode stehen. (Abg. Dr. Barzel: Sehr wahr!)
Die außerschulische Bildung und Erziehung unse- Es ist meine Absicht, hierüber bald mit den Regie-
rer Jugend erlangt von Jahr zu Jahr größere Be- rungschefs der Länder freimütig zu sprechen.
deutung. Auf ihre Einbeziehung in die gesamte Bil- (Beifall bei den Regierungsparteien.)
dungsplanung kann nicht mehr verzichtet werden.
Die Bundesregierung erblickt hier eine wichtige Auf- Die bisher getroffenen Maßnahmen zum Schutz
gabe des neuen Bildungsrates. Sie hält eine sinn- der Gewässer, zur Reinhaltung der Luft und zur
volle, sachgerechte Koordinierung für unerläßlich Bekämpfung des Lärms haben bereits einen großen
und strebt daher an, den Bundesjugendplan weiter- Teil von dem aufgeholt, was in Jahrzehnten ver-
zuentwickeln. säumt worden war.
(Beifall in der Mitte.) Die großen gesellschaftspolitischen Ziele, die
Die Bundesregierung wird ihren Teil dazu bei- diese Regierung sich gestellt hat, können nur er-
tragen, daß alle bildungswilligen und bildungsfähi- reicht werden, wenn die Frauen nicht nur in der
gen jungen Menschen in unserem Volke unabhängig Familie, sondern auch im Beruf und im öffentlichen
von wirtschaftlichen Voraussetzungen die Ausbil- Leben alle Möglichkeiten haben, voll mitzuarbeiten
dung erhalten, die ihrer Begabung und Neigung ent- und echte Mitverantwortung zu übernehmen.
spricht. (Beifall in der Mitte.)
(Beifall in der Mitte.)
Die von der Bundesregierung in Auftrag gegebene
Es gehört ferner zu den Aufgaben der kommen- Enquete über die Stellung der Frau wird uns wert-
den Jahre, die Familienpolitik fortzuentwickeln. Das volle Hilfe geben.
gilt auch für den Familienlastenausgleich. Die Fami-
lienpolitik darf sich aber nicht nur in materiellen Die Förderung von Turnen und Sport, gleichviel
Leistungen erschöpfen. Deshalb begrüßt die Bundes- ob in den Schulen, in Vereinen oder auf andere
regierung den Beschluß des 4. Deutschen Bundes- Weise betrieben, ist in unserer Gesellschaft auch
tages, daß alle zwei Jahre ein Bericht über die Lage eine öffentliche Aufgabe. Die Bundesregierung wird
der Familie vorzulegen ist. mit den Ländern und Organisationen des Sports
diese Frage eingehend erörtern.
Die Bundesregierung ist sich bewußt, daß sie auf
diesem Gebiet allein nicht alles Erforderliche und Die Bundesregierung stellt daneben mit Genug-
Wünschenswerte tun kann. Dies ergibt sich schon tuung fest, daß die Eingliederung der Vertriebenen
aus der immer größeren Differenzierung unserer und Flüchtlinge als Gemeinschaftsleistung unseres
Lebensverhältnisse. Sie hält deshalb eine engere Volkes große Fortschritte gemacht hat. Gleichwohl
Zusammenarbeit mit den Ländern und Kommunen bedarf es noch weiterer Maßnahmen. Neben einer
für unerläßlich mit dem Ziel, die familienpolitischen 19. Novelle zum Lastenausgleich nach Maßgabe
Vorstellungen und Leistungen aufeinander abzu- vorhandener und liquide zu machender Reserven
stimmen und ihnen gezielt die größtmögliche Wirk- wird ein Gesetz zum Währungsausgleich für Deut-
samkeit zu geben. sche aus der SBZ als Weiterführung gleichstellender
Maßnahmen möglichst bald in Angriff zu nehmen
Die Bedeutung der Gesundheitspolitik für die mo- sein. Die Bundesregierung läßt sich auch in Zukunft
derne Industriegesellschaft brauche ich nicht eigens die Eingliederung vertriebener und geflüchteter
zu unterstreichen. Auf den klassischen Gebieten der Bauern angelegen sein. Im Rahmen der finanziellen
Medizin, im Bereich des Lebensmittelwesens sowie Möglichkeiten werden wir uns um einen Abschluß
der Umwelt- und Sozialhygiene ist bereits Wesent- der Kriegsfolgengesetzgebung bemühen.
liches geleistet worden. Die Bundesregierung wird
ihre bisherige Politik fortsetzen und sich um eine Sowohl die durch den Krieg verursachten Verän-
noch intensivere Beratung durch Hochschulen und derungen wie auch die Fortentwicklung der Indu-
26 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 4. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. November 1965

Bundeskanzler Dr. Dr. h. c. Erhard


strialisierung haben zu einem tiefgreifenden Wandel wirtschaft angesichts der besonderen und erschwer-
der räumlichen Struktur Deutschlands geführt und ten Bedingungen im Gemeinsamen Markt für die
regionale Struktur- und Raumordnungspolitik zu Erzeugung und den Absatz ihrer Produkte auch
einer Aufgabe ersten Ranges werden lassen. Die noch in Zukunft der Hilfestellung des Staates.
Bundesregierung wird ihre Raumordnungspolitik im
Rahmen des neugeschaffenen Raumordnungsgesetzes Seit Ende des vorigen Jahrhunderts genoß die Ge-
fortführen. Neben der Abstimmung raumwirksamer treidewirtschaft eine bevorzugte Stellung. Die
Planungen und Maßnahmen des Bundes ist dazu, wie Agrarpolitik der EWG brachte eine entscheidende
in zahlreichen anderen Bereichen, eine enge Zusam- Wende. Außerdem erfordern veränderte Konsum-
menarbeit von Bund, Ländern und Gemeinden uner- gewohnheiten und erhöhte Qualitätsansprüche so-
läßlich. Die Bundesregierung erstrebt deshalb ein wie neue Absatzformen große Anstrengungen der
Verwaltungsabkommen mit den Ländern. Sie wirkt Landwirtschaft, die jahrzehntelang fast nur auf Men-
auf die Aufstellung von Regionalplänen unter Mit- genproduktion eingestellt war. Die Bundesregierung
wirkung der Gemeinden und Gemeindeverbände hin. wird ihr dabei durch Investitionshilfen für die Ratio-
nalisierung der Betriebe sowie durch Maßnahmen
Die Grundsätze der Raumordnung müssen auch bei zur Verbesserung der Marktstruktur zur Seite
der Neuverteilung der Einnahmen und Ausgaben stehen. Wir können mit Genugtuung feststellen, daß
von Bund, Ländern und Gemeinden berücksichtigt sich die bäuerliche Bevölkerung der modernen Ent-
werden. . wicklung gegenüber durchaus aufgeschlossen ge-
(Abg. Dr. Barzel: Sehr wahr!) zeigt hat. Die deutsche Landwirtschaft nimmt auch
Ebenso ist die baldige Verabschiedung des Städte- nach internationalen Maßstäben einen geachteten
bauförderungsgesetzes geboten. Außer der notwen- Platz ein.
digen Gesundung und Erneuerung unserer Städte Die Landwirtschaft weiter Teile Deutschlands lei-
und Dörfer wird es immer dringlicher, zum Zwecke det aber noch immer unter Flurzersplitterung, unzu-
regionaler Strukturverbesserung kleine und mittlere reichenden Betriebsgrößen und beengter Dorflage.
Orte zu größeren Gemeinwesen zu entwickeln. Die Verbesserung der Agrarstruktur bleibt deshalb
eine wichtige Aufgabe.
Der soziale Wohnungsbau wird als Gemein-
schaftsaufgabe von Bund, Ländern und Gemeinden Unser Ziel ist bei alledem, die Vollerwerbsbe-
im gesamt en Bundesgebiet fortgeführt. Die Bil- triebe — insbesondere die bäuerlichen Familien-
dung von Wohnungseigentum für breite Schichten betriebe — im internationalen Wettbewerb zu stär-
des Volkes behält aber ihren Vorrang. Die Bundes- ken. Betriebe mit einer nicht ausreichenden Exi-
regierung ist sich überdies bewußt, daß die Förde stenzgrundlage können nur durch Aufstockung oder
rung des sozialen Wohnungsbaues zugunsten kin- Intensivierung wirtschaftlich gesunden. Finanzielle
derreicher Familien, alter Menschen und junger Anreize zur Landabgabe sollen die Aufstockung
Ehepaare ihre Bedeutung behält. wirksam beschleunigen. Soweit erwerbsfähige Per-
sonen aus einer hauptberuflichen landwirtschaft-
(Beifall bei der CDU/CSU.)
lichen Tätigkeit ausscheiden, ist ihnen die Umstel-
Die unter großem Einsatz von öffentlichen Mitteln lung zu erleichtern. Neue gewerblich-industrielle
geschaffenen 3 1/2 Millionen Sozialwohnungen sol- Arbeitsplätze auf dem Lande, verbunden mit der
len auch in Zukunft dem gesetzlich bestimmten Per- Erhaltung des Wohneigentums und von Neben-
sonenkreis erhalten bleiben. erwerbsstellen, sollen einer Abwanderung in die -
Ballungsräume entgegenwirken. Ich brauche nicht
Zum Zwecke verstärkter Eigentumsbildung müs-
besonders zu betonen, daß alle Maßnahmen zur Ver-
sen die Gemeinden in die Lage versetzt werden,
besserung der Agrarstruktur im Einklang stehen
das Angebot an baureifen Grundstücken zu erhö-
müssen mit den Bestrebungen zur Erneuerung der
hen und neues Bauland zu erschließen.
Dörfer und ländlichen Regionen unter den Gesichts-
(Lachen bei der SPD.) punkten der Raumordnung.
Die Verwirklichung der vor uns liegenden gro- Die Bundesregierung wird die Interessen der
ßen Aufgaben im Bereich der Raumordnung, des deutschen Landwirtschaft in der Europäischen Wirt-
Städtebaues und des Wohnungswesens bedarf auch schaftsgemeinschaft und bei internationalen Ver-
der Mithilfe der unternehmerischen Wohnungs- handlungen stets verteidigen. Das Zusammenwach-
wirtschaft. Deren Rechte aber müssen in Überein- sen der sechs Landwirtschaften des Gemeinsamen
stimmung mit den heutigen gesellschaftspolitischen Marktes mag wohl vorübergehend Schwierigkeiten
Zielen in einem Wohnungswirtschaftsgesetz neu ge- mit sich bringen. Die Bundesregierung wird jedoch
ordnet werden. Dabei gilt es insbesondere, das besorgt bleiben, daß bei dem Anpassungsprozeß
Recht der gemeinnützigen Wohnungsunternehmen der Landwirtschaft Härten, soweit nur immer mög-
mit der Bemühung der Bundesregierung um die lich, vermieden werden. Über den Augenblick hin-
Schaffung von privatem Eigentum an der Wohnung aus ist jedoch entscheidend, durch die Wohlstands-
in Einklang zu bringen. entwicklung im großen gemeinsamen Markt einen
(Beifall bei den Regierungsparteien.) vermehrten Absatz von qualitativ hochwertigen
landwirtschaftlichen Erzeugnissen zu angemessenen
Nun zur deutschen Landwirtschaft. Sie hat — ge- Preisen zu erzielen. Künftig wird es also mehr als
fördert durch die Grünen Pläne — ein Produktivität bisher darauf ankommen, die Marktbedingungen
erzielt, die noch vor wenigen Jahren nicht für er- vor allem auch für Veredelungsprodukte so zu ver-
reichbar gehalten wurde. Trotzdem bedarf die Land- bessern, daß der deutschen Landwirtschaft ein an-
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 4. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. November 1965 27
Bundeskanzler Dr. Dr. h. c. Erhard
gemessener Anteil an der Marktversorgung mit Rang einnehmen wie die soziale Frage für das
Ernährungsgütern gesichert bleibt. Ziel der gemein- 19. Jahrhundert. Die verfassungsmäßige Kompetenz
samen Agrarpolitik bleibt es, die landwirtschaft- des Bundes ist auf diesem Gebiet begrenzt; es ist
liche Bevölkerung zu der Leistung zu befähigen, die jedoch in den letzten Jahren die Erkenntnis der
ihr auf die Dauer einen gesicherten Platz in unserer Notwendigkeit einer engen, vertrauensvollen Zu-
modernen Industriegesellschaft gibt. sammenarbeit von Bund und Ländern weiter ge-
wachsen. Die großen Fragen der Förderung der Wis-
Schwerpunkt der Verkehrspolitik in den kommen-
senschaft, für die der Bund ein hohes Maß Mitver-
den Jahren wird der umfassende Ausbau der Ver-
antwortung trägt, können nur im Gesamtzusammen-
kehrswege und Verkehrsanlagen aller Verkehrsträ- hang der Bildungsdiskussion und der Bildungspolitik
ger im Rahmen langfristiger Planungen sein. Die richtig verstanden und gelöst werden. Deshalb be-
Verwirklichung dieser aufeinander abgestimmten grüße ich es besonders, daß nach den früheren Ver-
Vorhaben ist unerläßlich, wenn die weitere gedeih- einbarungen über die Zusammenarbeit im Wissen-
liche Entwicklung unserer Gesellschaft verbürgt schaftsrat, die Finanzierung des Ausbaues der Hoch-
sein soll. Den Investitionen kommt innerhalb dieses schulen und der großen Forschungsorganisationen
Sektors eine hohe Priorität zu. und der Studienförderung am 15. Juli 1965 ein
Besonders stellt die unvermindert stark anwach- grundsätzliches Einvernehmen auch über die Errich-
sende Motorisierung die Verantwortlichen vor große tung des Bildungsrates erzielt wurde.
und dringliche Aufgaben. Die bisherigen außer- Mit vielen gewichtigen Stimmen der Wissenschaft,
ordentlichen Anstrengungen des Bundes für den Aus- Wirtschaft und Publizistik weiß sich die Bundes-
bau des Fernstraßennetzes werden fortgesetzt wer- regierung darin einig, daß die schnelle Entwicklung
den. Der gleiche Rang kommt aber nicht minder der von Forschung und Technik erheblicher zusätzlicher
Verbesserung der Verkehrsverhältnisse in den Ge- Anstrengungen bedarf. Nur so kann die Bundesrepu-
meinden zu. Gestützt auf die von der sogenannten blik ihre Stellung als eine der führenden Industrie-
Enquete-Kommission ausgesprochenen Empfehlun- nationen behaupten. Man hat mit Recht gesagt, daß
gen hat die 'Bundesregierung die Initiative ergriffen, die Forschung von heute der Wohlstand von morgen
um in enger Zusammenarbeit mit den Ländern rasche ist.
und wirksame Hilfe zu leisten.
Wir werden diesen Vorrang der Aufwendungen
Über die besondere Lage und Problematik der für Wissenschaft, Bildung und Ausbildung und für
Deutschen Bundesbahn habe ich bereits an früherer andere bedeutsame Sozialinvestitionen freilich nicht
Stelle gesprochen. Es muß durch ein koordiniertes in einem Wettlauf von Forderungen und Verspre-
Vorgehen mit allen beteiligten Stellen ehestens eine chungen sicherstellen, sondern das Ziel nur errei-
optimale Lösung im Sinne einer volkswirtschaftlich chen, wenn wir auch den Mut zur Begrenzung ande-
und technisch rationellen Aufgabenteilung im Ver- rer Wünsche haben.
kehr gefunden werden. Das Auflaufen immer höhe-
rer Defizite kann einfach nicht hingenommen wer- (Beifall bei den Regierungsparteien.).
den. Der Bund wird die seit 1960 mit ständig steigen-
Die Bundesregierung wird es sich angelegen sein den Beträgen unterstützte Förderung des Ausbaues
lassen, die mittelständischen Unternehmen des der wissenschaftlichen Hochschulen auf der Grund-
Güterkraftverkehrs und der Binnenschiffahrt durch lage der Empfehlungen des Wissenschaftsrates wei-
geeignete Maßnahmen in die Lage zu versetzen, in terführen. Dort, wo die moderne Forschung und Ent-
dem sich verstärkenden nationalen und europäischen wicklung ernste Gefahrenquellen für Mensch und
Wettbewerb im wesentlichen aus eigener Kraft zu Umwelt mit sich bringen, wird die Bundesregierung
bestehen. Auch wird sie im Rahmen des Möglichen auch in Zukunft für wirksame Schutzmaßnahmen
ihre Politik auf dem Gebiet der Luftfahrt konsequent Sorge tragen, wie das bereits erfolgreich auf dem
fortführen und die Entwicklung der deutschen See- Gebiet der friedlichen Nutzung der Atomkern-
schiffahrt weiterhin fördern. energie geschehen ist. Die Förderung der allgemei-
nen wissenschaftlichen Forschung, insbesondere der
Das Post und Fernmeldewesen ist für jede ent-
-
Grundlagenforschung, und die Förderung der tech-
wickelte Volkswirtschaft ein unentbehrlicher Fak- nischen Entwicklungen, die auch in anderen Staaten
tor. Unser hochindustrialisiertes Land muß, um sich von der Wirtschaft noch nicht allein vorgenommen
in der Weltwirtschaft frei entfalten zu können, über werden kann, müssen in einem ausgewogenen Ver-
moderne und leistungsfähige Nachrichtenmittel und hältnis zueinander stehen.
Transportmöglichkeiten verfügen. Die Deutsche Bun-
despost muß daher ihre Anlagen technisch und Den Grundfragen des Rechts und der Rechtspolitik
betrieblich den Anforderungen ihrer Nutzer ent- kommt in unserem Rechtsstaat große Bedeutung zu.
sprechend weiter ausbauen und vervollkommnen. Die Bundesregierung wird bemüht bleiben, unser
Nach Vorlage des Gutachtens der vor Jahresfrist Gesetzesrecht so zu gestalten, daß es, von der all-
berufenen Sachverständigenkommission wird die gemeinen Rechtsüberzeugung getragen und auf
Bundesregierung prüfen, welche Maßnahmen zur klaren, zeitgemäßen rechtspolitischen Grundsätzen
Verbesserung der wirtschaftlichen Lage der Bun- aufgebaut, übersichtlich und allgemein verständlich
despost geeignet und finanziell möglich sind. ist. Es gilt vor allem, die Reform des Strafgesetz-
buches zu vollenden und die Reformen des Straf-
In meiner Regierungserklärung vom 18. Oktober verfahrens und des Strafvollzugs tatkräftig zu för-
1963 habe ich ausgeführt, daß die Aufgaben der Bil- dern. Die Überlegungen und Arbeiten, die bereits
dung und Forschung für unsere Zeit den gleichen in der vergangenen Legislaturperiode zur Reform
28 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 4. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. November 1965
Bundeskanzler Dr. Dr. h. c. Erhard
der Zivilgerichtsbarkeit eingeleitet worden sind, deutschen demokratischen Staates — verhelfen
werden mit Nachdruck fortgesetzt. werden.
Besonders wichtig erscheint mir auch die Fest- (Abg. Dr. Barzel: Hört! Hört!)
stellung, daß die Bundesregierung jede Anstren- Diese Hoffnung hat sich nicht erfüllt. Das lag
gung unternehmen wird, um vor Beendigung der weder an mangelndem Willen noch an Trägheit oder
Verjährungsfrist die weitere Untersuchung und an doktrinärer Unbeweglichkeit der deutschen Poli-
strafrechtliche Verfolgung der nationalsozialisti- tik, sondern allein an der Tatsache, daß die Sowjet-
schen Gewaltverbrechen sicherzustellen. Die Bun- union die Wiedervereinigung des deutschen Volkes
desregierung richtet in diesem Zusammenhang er- in Freiheit bisher nicht gewollt hat und noch immer
neut den Appell an die Welt, sie bei diesem Bestre- nicht will.
ben zu unterstützen und ihr insbesondere vorhan- (Zustimmung bei der CDU/CSU.)
denes Beweismaterial zur Verfügung zu stellen.
Noch vor zehn Jahren, in der Direktive der Regie-
Ich komme nunmehr zur Außenpolitik. rungschefs der Vier Mächte vom 23. Juli 1955, hatte
(Zuruf von der SPD: Hoffentlich etwas Kon die Sowjetunion, wie es wörtlich hieß, einer Lösung
kretes!) der Frage der „Wiedervereinigung Deutschlands
durch freie Wahlen im Einklang mit den nationalen
Vor zehn Jahren, am 5. Mai 1955, hat die Bundes- Interessen des deutschen Volkes sowie im Interesse
republik Deutschland ihre Souveränität erlangt; der europäischen Sicherheit" zugestimmt. Auch die-
gleichzeitig trat sie dem nordatlantischen Bündnis ses Versprechen wurde nicht eingelöst.
bei.
Sie hat im Gegenteil im Herbst 1958 mit einem
Damals standen sich in der Welt zwei große massiven Druck auf Berlin begonnen und ihre Ab-
Machtblöcke gegenüber. Der Graben, der sie
sicht bekundet, diese Stadt von uns zu trennen, d. h.
trennte, schien unüberbrückbar zu sein. Die Völker
sie zunächst zu einem dritten, selbständigen Teil
lebten in der Furcht, der „Kalte Krieg" könne zu
Deutschlands zu machen mit dem Ziel, Berlin in die
einer großen atomaren Auseinandersetzung führen.
SBZ einzugliedern. Das ist dank der Standhaftigkeit
Im Spannungszentrum aber stand das geteilte
unserer Verbündeten, unserem festen Willen, aber
Deutschland.
vor allem dank der tapferen Haltung der Berliner
Inzwischen hat sich die weltpolitische Lage in nicht gelungen.
mancher Hinsicht verändert. Eine große Zahl junger
Nationen ist zur Selbständigkeit gelangt. Der in- (Beifall bei den Regierungsparteien.)
nere Zusammenhalt der beiden großen Machtblöcke Die Zukunft Berlins wird auch künftig auf folgen-
hat sich sowohl in Ost wie in West gelockert. Ins- den Grundsätzen und Grundforderungen beruhen,
besondere ist das kommunistische China als selb- die wir verteidigen: auf der Anwesenheit der drei
ständiger politischer Faktor in Erscheinung getre- Verbündeten in Berlin, dem uneingeschränkten
ten. freien Zugang nach Berlin, der Zugehörigkeit Berlins
Die Gefahr eines atomaren Krieges ist nicht ge- zum freien Teil Deutschlands, dem Verlangen, daß
bannt, wenngleich auch unsere Gegner anschei- jede Vereinbarung über Berlin den eindeutigen
nend vermeiden wollen, zur Durchsetzung ihrer Willen der Berliner zu respektieren hat.
Ziele die Welt an den Rand einer Katastrophe zu (Beifall bei den Regierungsparteien.) -
treiben. Hier und da hat sich die Erstarrung im Ver-
hältnis der beiden großen Machtblöcke zueinander Nachdem die Sowjetunion mit ihren ultimativen
etwas gelöst; die begrenzten Fortschritte reichen Drohungen nicht zum Ziel ihrer Deutschlandpolitik
jedoch nicht hin, um bereits von einer echten Ent- kam, versucht sie nunmehr, den gegenwärtigen Sta-
spannung sprechen zu können. tus zunächst einmal sanktionieren zu lassen, indem
sie mit dem Begriff der friedlichen Koexistenz ope-
(Abg. Dr. Barzel: Sehr wahr!) riert. Sie arbeitet gleichwohl offensiv auf die Zer-
Eine Frage aber ist von dieser Entwicklung unbe- störung des westlichen Sicherheitssystems hin. Sie
rührt geblieben: das Problem des geteilten deut- versucht, die Anerkennung der Sowjetzone in der
schen Volkes. Welt durchzusetzen und West-Berlin als besondere
politische Einheit hinzustellen. Sie unternimmt große
(Abg. Dr. Barzel: Sehr wahr!) Anstrengungen, den Eindruck zu erwecken, als störe
Als im September vor zehn Jahren die Bundes- der Wunsch des deutschen Volkes nach Wiederver-
regierung und die sowjetische Regierung überein- einigung die Entspannung in der Weltpolitik. Sie
gekommen waren, diplomatische Beziehungen auf- bezeichnet die Wiedervereinigung als Sache der,
zunehmen, erklärten sie in einem Kommuniqué: wie sie behauptet, „beiden deutschen Staaten" und
möchte sich selbst willkürlich aus der Vier- Mächte-
Beide Seiten gehen davon aus, daß die Her- Verpflichtung lösen.
stellung und Entwicklung normaler Beziehun-
Die Bundesregierung besteht darauf, daß das
gen zwischen der Bundesrepublik Deutschland
ganze deutsche Volk in Selbstbestimmung über sein
und der Sowjetunion zur Lösung der ungeklär-
Schicksal entscheiden kann und daß die vier Mächte
ten Fragen, die das ganze Deutschland betref-
ihre Verpflichtung einlösen.
fen, beitragen und damit auch zur Lösung des
nationalen Hauptproblems des gesamten deut- (Beifall bei den Regierungsparteien und
schen Volkes — der Wiederherstellung eines bei Abgeordneten der SPD.)
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 4. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. November 1965 29
Bundeskanzler Dr. Dr. h. c. Erhard
Die Bundesregierung hat ebenso wie ihre Verbün- Wir werden in unseren Anstrengungen, eine solche
deten immer wieder die Lösung der Deutschland- Entwicklung zu verhindern, nicht nachlassen, selbst
frage auf der Grundlage dieser beiden Prinzipien auf die Gefahr hin, da oder dort als Störenfried zu
gefordert. Um unserem Volke und der Weltöffent- gelten.
lichkeit die Intensität dieser Bemühungen erneut vor (Beifall an der Mitte.)
Augen zu führen, wird die Bundesregierung darüber Wie würden andere Nationen handeln, wenn sie in
ein Weißbuch veröffentlichen. unserer Lage wären? Ich bin gewiß, kein Volk von
Der Sowjetunion gegenüber hat sich die Bundes- geschichtlichem Anspruch wäre ,bereit, seine Einheit
regierung mehrfach bereit erklärt, falls eine Eini- und sein Recht preiszugeben.
gung über das wichtigste zwischen uns und der So- (Anhaltender Beifall bei den Regierungs
wjetunion bestehende Problem, nämlich die Wieder- parteien.)
vereinigung, nicht sofort möglich sei, doch Schritte
zur Verbesserung des gegenseitigen Verhältnisses Die sowjetische Propaganda wirft uns vor, daß
zu unternehmen. Sie hat zu erkennen gegeben, daß unser Wunsch, die Sowjetunion möge unseren
sie über vieles mit sich reden lasse, darunter auch Landsleuten das Recht auf Selbstbestimmung ge-
— wie ich hier am 15. Oktober 1964 erklärt habe — währen, ein Element der Spannung in die Weltpoli-
über Sicherheitsgarantien für den Fall der Wieder- tik trage. Diese Agitation stellt die Tatsachen auf
vereinigung. Ich habe das unmittelbare Gespräch mit den Kopf. Würde nämlich die Sowjetunion den
den sowjetischen Führern gesucht, und es war auch Deutschen in der Zone das Selbstbestimmungsrecht
erreicht, daß der frühere Ministerpräsident Chru- gewähren und damit die Wiedervereinigung unse-
schtschow Bonn zu besuchen bereit war. Die sowjeti- res Volkes ermöglichen, so würde sie vielmehr ein
sche Regierung aber beharrt in ihrem Irrtum, daß es entscheidendes Hindernis für eine dauernde Ent-
der Sowjetunion mehr diene, wenn Deutschland ge- spannung zwischen Ost und West beseitigen.
teilt, als wenn es wiedervereinigt sei. Sie soll indes- (Beifall in der Mitte.)
sen wissen — und wir haben auch das erklärt: Das
deutsche Volk und jede gesamtdeutsche Regierung Wir wünschen nicht weniger Entspannung, wir wün-
werden bereit sein, dafür Garantien zu geben, daß schen mehr Entspannung.
Rußland und unseren östlichen Nachbarn aus der Dieser Weg mag weit sein. Er wird von uns auch
Wiedervereinigung Deutschlands keine Gefahr er- Entbehrungen und Opfer fordern. Wir werden ihn
wächst. dennoch gehen. An seinem Ende wird ein Friedens-
Die Bundesregierung wird alles tun, um den inne- vertrag stehen, verhandelt und geschlossen von
ren Zusammenhalt zwischen den beiden Teilen unse- einer frei gewählten gesamtdeutschen Regierung.
res getrennten Volkes zu festigen, aber sie wird, um Nur mit und in diesem Vertrag können und müssen
der Klarheit vor aller Welt willen, keinen politi- die endgültigen Grenzen Deutschlands festgestellt
schen Preis dafür zahlen. Insbesondere werden wir werden, das nach gültiger Rechtsauffassung in
uns zu keinen Maßnahmen bereit finden, die geeignet seinen Grenzen vom 31. Dezember 1937 fortbesteht,
sind, die Bedingungen für eine Wiedervereinigung solange nicht eine frei gewählte gesamtdeutsche
in Freiheit zu verschlechtern. Denn wir haben auch Regierung andere Grenzen anerkennt.
für unsere Landsleute in der Zone einzustehen und (Beifall bei den Regierungsparteien.)
für deren große Hoffnung, eines Tages endlich wie-
der unter einer freiheitlichen und demokratischen Die Wiedervereinigung Deutschlands ist der Friede -
Ordnung in einem wiedervereinigten Deutschland Europas.
leben zu dürfen. Der Deutsche Bundestag hat die Bundesregierung
(Beifall bei den Regierungsparteien.) am 14. Juni 1961 in einer einstimmig angenom-
Den Leistungen, die unsere deutschen Landsleute menen Entschließung aufgefordert,
unter schwersten Bedingungen beim Wiederaufbau eine Ostpolitik zu führen, deren Ziel die
in der Zone vollbringen, zollen wir um so mehr Be- Wiederherstellung eines freien Gesamtdeutsch-
wunderung, als sie in einem unwürdigen und un- lands ist, das auch mit der Sowjetunion und
fruchtbaren Gesellschaftssystem erzielt werden. allen osteuropäischen Staaten friedliche und
(Beifall in .der Mitte.) gedeihliche Beziehungen unterhält. Zu diesem
Ziel soll die Bundesregierung jede sich bietende
Ein Regime, das aus Angst um seine Existenz dazu Möglichkeit ergreifen, um ohne Preisgabe
greift, in der geteilten Hauptstadt Berlin eine Mauer lebenswichtiger deutscher Interessen zu einer
zu errichten und sich mit Stacheldraht und Wachttür- Normalisierung der Beziehungen zwischen der
men zu umgeben, verurteilt sich selbst und kann nur Bundesrepublik und den osteuropäischen Staa-
Ablehnung und Verachtung finden. ten zu gelangen.
(Beifall bei den Regierungsparteien.) Wir sind uns darüber klar, daß wir erst am Anfang
Die Bundesregierung hält seit ihrem Bestehen an einer solchen Politik stehen und daß sie fortgesetzt
ihrem Alleinvertretungsrecht für alle Deutschen fest. werden muß.
Das heißt, daß wir in einer Anerkennung oder einer Die Bundesregierung wird auch in Zukunft be-
internationalen Aufwertung der Zone einen un- strebt sein, die Beziehungen zu den Staaten in Ost-
freundlichen Akt erblicken würden, der sich gegen und Südosteuropa weiterzuentwickeln, den Handel
die Wiederherstellung der deutschen Einheit richtet. zu fördern, die kulturellen Kontakte zu verstärken
(Beifall in der Mitte.) und gegenseitiges Verständnis zu wecken.
30 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 4. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. November 1965
Bundeskanzler Dr. Dr. h. c. Erhard
Es besteht Übereinstimmung darüber, daß Wie- Entspannungs- oder Sicherheitsmaßnahmen auf der
dervereinigungspolitik, Sicherheitspolitik und Au- Konzeption eines geteilten Deutschlands errichtet
ßenpolitik eine Einheit bilden. Das bedeutet, daß wird und dadurch die Spaltung unseres Landes noch
eine erfolgreiche deutsche Außenpolitik um die mehr vertieft wird.
Gewährleistung unserer äußeren Sicherheit besorgt (Beifall bei den Regierungsparteien.)
sein muß. Die deutsche Sicherheitspolitik ist auf
den friedlichen Ausgleich der Interessen gerichtet. Ich möchte an dieser Stelle nochmals in Erinne-
Sie will niemandem ihren Willen aufzwingen, aber rung rufen, daß die Bundesrepublik Deutschland im
auch nicht der Willkür anderer unterworfen sein. Jahre 1954 ihren Verbündeten gegenüber freiwillig
Gerade in Europa kann es keinen Frieden und keine darauf verzichtet hat, ABC-Waffen auf ihrem Gebiet
Sicherheit geben, wenn nicht die Ursache der herr- herzustellen. Wir würden es begrüßen, wenn mög-
schenden Spannungen beseitigt wird: das aber ist lichst viele andere Staaten diesem deutschen Bei-
die unselige Teilung Europas durch Stacheldraht, spiel folgten.
Minenfelder und Mauern, das ist das Unrecht, das (Sehr gut! bei den Regierungsparteien.)
ist die Unmenschlichkeit. Nur die Freiheit kann den
Frieden geben, nur die Sicherheit gibt uns Freiheit. Mit dieser Verpflichtung haben wir das wesentliche
Element eines Vertrages über die Nichtweitergabe
(Beifall bei den Regierungsparteien.) von Atomwaffen vor bereits elf Jahren erfüllt.
Deutschland kann sich nicht allein verteidigen, (Beifall bei den Regierungsparteien.)
aber ohne Deutschland kann auch Europa nicht ver-
teidigt werden. Europa kann seine Freiheit nicht Das nordatlantische Bündnis hat sich bewährt. Die
ohne Amerika bewahren, aber auch Amerikas Frei- große militärische Macht unserer Allianz hat West-
heit ist im letzten von der Verteidigung Europas europa geschützt und schützt es weiterhin. Die
abhängig. NATO bildet die Grundlage unserer Verteidigungs-
politik.
Die Bundesregierung hat die allgemeine kon-
trollierte Abrüstung seit jeher als eines ihrer Haupt- Sie ist außerdem seit langem ein wichtiges poli-
ziele betrachtet. Wir bekennen uns erneut dazu und tisches Konsultationsorgan der Verbündeten. In
erklären uns bereit, alle jene internationalen Be- Knisenzeiten hat uns die NATO auch politisch
mühungen zu unterstützen, die die Welt diesem Ziel geholfen. Ihre Mitglieder haben sich stets für die
näherbringt. Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit einge-
setzt.
Aber täuschen wir uns nicht; Abrüstung allein ist
kein Allheilmittel gegen die Unruhe der Völker, Angesichts der waffentechnischen Entwicklungen
gegen Spannungen und Konflikte, die die Welt er- kann die NATO ihre Aufgabe jedoch nur erfüllen,
schüttern. Solange Unterdrückung und Aggression wenn sie bereits im Frieden so organisiert ist, daß
in ihren verschiedensten Ausprägungen, wie vor sie jeden Gegner davon abhält, einen Angriff zu
allem auch die Anwendung von Gewalt, nicht aus wagen oder Erpressungen zu versuchen. Die Funk-
dieser Welt getilgt sind, müssen die freiheitlich ge- tion der Waffen als Mittel der Politik hat sich in
sinnten Staaten imstande sein, sich wirksam zu ver- unseren Vorstellungen gewandelt. Sie sind für uns
teidigen. Darum muß eine Abrüstungspolitik, wie und alle friedliebenden Völker nicht mehr dazu be-
die Bundesregierung sie versteht, Hand in Hand stimmt, einen Krieg zu führen, sondern dazu, ihn
-
gehen mit einer Politik, die — ich wiederhole es — durch ihre Abschreckungskraft zu verhindern. Im-
darauf gerichtet ist, die Spannungs- und Unruhe- mer mehr werden sie ein Instrument politischer
herde zu überwinden. Das eigentliche Ziel, nämlich Strategie, die auf friedlichen Ausgleich gerichtet ist.
größere Sicherheit für all e, würde sonst nicht er- Die Bundesregierung glaubt, daß eine Anpassung
reichbar sein. der NATO an neue politische und militärische Sach-
Ein allgemeines Abrüstungsprogramm muß auch verhalte notwendig ist. Insbesondere müssen jene
umfassend sein, umfassend in dreifachem Sinne: Es Probleme gelöst werden, die sich aus der Tatsache
muß die nukleare wie die konventionelle Rüstung ergeben, daß nunmehr einige Mitglieder der Allianz
einschließen, es muß alle Staaten verpflichten, auf über eigene Kernwaffen verfügen, andere aber nicht.
die es ankommt, und es darf kein Land diskriminie- An der nuklearen Verteidigung müssen indessen
ren. die Bundesgenossen nach dem Grad ihrer Bedro-
hung und dem Grad ihrer Leistungen beteiligt wer-
Eine zweite grundsätzliche Forderung, die im Ein- den.
klang mit uns viele andere Regierungen erheben,
(Zustimmung in der Mitte.)
geht dahin, daß die Abrüstungsmaßnahmen 'das
Kräftegleichgewicht weder global noch regional ein- Wir denken dabei an Formen einer gemeinsamen
seitig verschieben dürfen. nuklearen Organisation und beteiligen uns an Be-
ratungen mit den verbündeten Mächten. Wir haben
Und drittens: Es muß sich um ein Gesamtpro-
wiederholt bekundet, daß wir keine nationale Kon-
gramm handeln, auch wenn dieses nur stufenweise trolle über Kernwaffen anstreben. Wir sollten aber
verwirklicht werden kann. nicht von jeder nuklearen Beteiligung deshalb fern-
Die Bundesregierung ist bereit, alle Vorschläge gehalten werden, weil wir ein geteiltes Land sind.
daraufhin zu überprüfen, ob sie von politischen Fort- DieSpaltungschdieUnrt.Dmaf
schritten begleitet werden oder solche Fortschritte nicht ein zweites dadurch hinzugefügt werden, daß
selbst herbeiführen können. Wir werden nachhaltig man uns, die wir Wesentliches für das westliche
darauf hinwirken, daß kein System von Abrüstung-, Bündnis tun, die Verteidigung gegen die offene Be-
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 4. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. November 1965 31
Bundeskanzler Dr. Dr. h. c. Erhard
drohung aus dem Osten erschwert. Solche Ansichten dabei nicht dogmatisch vorgehen, aber wir werden
schwächen die Allianz, gleichzeitig bestärken sie andererseits auch sorgsam die Gefahren bedenken,
die Sowjets, auf der Spaltung unseres Kontinents zu die dem schon weit gediehenen Werk drohen, falls
beharren. die Grundlagen der geschlossenen und gültigen Ver-
träge in Frage gestellt würden. Wir sind bereit, un-
Wir haben besondere Beziehungen zu den Ver-
einigten Staaten, Großbritannien und Frankreich. seren wirtschaftlichen Beitrag zur Einigung Europas
auch weiterhin zu leisten. Dabei erwarten wir aller-
Sie finden ihre Erklärung nicht bloß in völkerrecht-
dings, daß sich der Fortschritt in den wesentlichen
lichen, politischen, wirtschaftlichen und militärischen
Gegebenheiten. Sie sind vielmehr im Laufe der Teilbereichen des Gemeinsamen Marktes gleichzei-
Jahre in einem Prozeß, auf den wir gemeinsam stolz tig vollzieht. Hierzu gehört vor allem ein ausgewo-
sein können, zu freundschaftlichen Beziehungen zwi- genes Verhältnis der wirtschaftlichen Weiterent-
wicklung der Gemeinschaften auf allen Gebieten.
schen den Regierungen u n d den Völkern entwik-
Es wird langwieriger, schwieriger Verhandlungen
kelt worden.
bedürfen, um eine Übereinstimmung der Interessen
Die Vereinigten Staaten tragen die Hauptverteidi- der europäischen Völker herbeizuführen.
gungslast der NATO. Sie besitzen ein Arsenal von
Die Bundesrepublik hat einer Politik der europä-
Kernwaffen, das dem der Sowjets überlegen ist. Sie
ischen Solidarität bewußt den Vorzug gegenüber
unterhalten darüber hinaus voll einsetzbare Trup-
einer Politik des nationalen Egoismus gegeben. Sie
pen in Stärke von 240 000 Soldaten in Deutschland,
wird konsequent auf diesem Weg bleiben. Das war
die einen unverzichtbaren Bestandteil der gemein-
auch der gute Sinn meiner bisherigen Bemühungen,
samen Verteidigung ausmachen. Sie haben entschei-
eine Plattform für politische Gespräche unter den
dend dazu beigetragen, die Freiheit West-Berlins
Sechs auf höchster Ebene zu finden.
und die Verbindung zu dieser Stadt zu erhalten.
Unser Lebensinteresse gebietet uns, mit den USA Ziel muß bleiben, die europäische Einigung nicht
politisch und militärisch eng zusammenzuarbeiten. auf die EWG-Staaten zu beschränken, sondern recht-
zeitig das ganze freie Europa einzuschließen.
(Beifall bei den Regierungsparteien und bei
Abgeordneten der SPD.) Wir hoffen daher, daß sich dieser Einigung wei-
tere Länder anschließen werden. Es ist naheliegend,
Lassen Sie mich aber im besonderen von Europa dabei in erster Linie an Großbritannien zu denken;
sprechen: Der große Plan eines europäischen Zu- darüber hinaus aber sind auch die nordischen Staa-
sammenschlusses war, ist und bleibt Ziel unserer ten und letztlich alle, die ein Europa der Freien
Politik. und Gleichen wollen, unmittelbar angesprochen. Wir
(Beifall bei den Regierungsparteien.) sollten diesen Gedanken gerade auch in der gegen-
Der Gedanke und der Glaube an ein geeintes wärtigen Situation nicht aus dem Auge verlieren.
Europa haben unseren politischen Willen geprägt
Der Bundesregierung ist an einer friedlichen Zu-
und uns Hoffnung gegeben. Die alte, die überlie-
sammenarbeit mit allen Staaten dieser Erde ge-
ferte europäische Ordnung genügt nicht mehr dem
legen. Der Friede in Europa ist für die Völker Afri-
Geist und den Erfordernissen unseres Jahrhunderts.
kas, Asiens und Lateinamerikas von genauso gro-
Mit Allianzen, Verträgen und Einzelabsprachen al-
ßer Bedeutung, wie uns jede Störung des Friedens
ten Stils ist es nicht mehr getan. Ein neues, ein ver-
in diesen Erdteilen unmittelbar berührt.
eintes und großes Europa muß neben den Vereinig-
ten Staaten und der Sowjetunion jene Geltung er- Zu einem dauerhaften Frieden in Europa gehört
langen, die der geschichtlichen, geistigen und kultu- die gerechte Lösung der sogenannten deutschen
rellen Leistung seiner Völker entspricht. Europa Frage. Unsere Beziehungen zu fremden Völkern wer-
muß sich politisch, wirtschaftlich und militärisch den davon beeinflußt, wie sie sich in dieser Frage
formieren. verhalten. Das gilt nicht zuletzt auch für die Ent-
(Heiterkeit bei der SPD.) wicklungshilfe.
Die Entwicklung in den letzten beiden Jahrzehn- Wir haben die Entwicklungshilfe grundsätzlich
ten hat uns in der Erkenntnis bestärkt, daß hierin ohne politische Bedingungen gegeben. Die Zusam-
die einzige Chance liegt, unserem alten Kontinent menarbeit zwischen uns und den Entwicklungslän-
auf fester und dauerhafter Grundlage weltpoliti- dern setzt aber Verständnis für die wechselseitigen
schen Rang zu sichern. Interessen voraus. Wenn wir das Streben dieser
Länder nach Stabilität und Unabhängigkeit aner-
Die Politik der europäischen Einigung, die sich kennen, dürfen und müssen wir erwarten, daß sie
zunächst auf die Kooperation der Volkswirtschaften auch unseren Wunsch respektieren, die Teilung
erstreckte, ist in eine Krise geraten. Wir müssen unseres Landes durch freie Selbstbestimmung des
konstatieren, daß das Zusammengehörigkeitsgefühl gesamten deutschen Volkes zu überwinden, und uns
der europäischen Völker derzeit politisch noch nicht in ihrer Haltung dabei unterstützen.
organisierbar zu sein scheint. Trotzdem darf und
wird die deutsche Politik in ihrem Streben nach der (Beifall bei den Regierungsparteien.)
Einigung Europas nicht nachlassen. Unser Ziel bleibt Wir verlangen damit nicht mehr als die Achtung
unverändert.
und Anerkennung eines Grundsatzes, auf dem die
Wir werden insbesondere alles tun, um zu erhal- Existenz der meisten dieser jungen Staaten beruht.
ten und zu bewahren, was die drei europäischen Diese Form der wirtschaftlichen Zusammenarbeit
Gemeinschaften bereits erreicht haben. Wir wollen mit Nationen, deren industrielle Entwicklung erst
32 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 4. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. November 1965
Bundeskanzler Dr. Dr. h. c. Erhard
beginnt, dient auf lange Sicht auch unserem eigenen dazu nur Mittel und politische Unterstützung sowie
Nutzen. Nur Volkswirtschaften, die über eigene, Instrumente und Administration stellen kann. Im
d. h. selbsterarbeitete Kaufkraft verfügen, sind eigentlichen und letzten hängen sie ab von der Kraft
ernsthafte Handelspartner. und Vitalität, der Originalität und Faszination der
Nicht zuletzt aber auch aus humanitären Gründen Ausprägung unseres kulturellen Lebens.
bekennen wir uns zu einer Politik, die hilft, soziale Die Bundesregierung erkennt mit Dankbarkeit und
Spannungen in der Welt zu beseitigen und das Ge- Stolz an, daß diese eigentliche, erste Voraussetzung
fälle zwischen industrialisierten und unterentwik- auswärtiger Kulturpolitik erfüllt ist. Nicht nur die
kelten Ländern zu verringern. Das weist sie als eine darstellenden Künste, nicht nur Wissenschaft und
Politik des Friedens aus. Wir werden auch in Zu- Technik — die Literatur, die bildende Kunst, die
kunft den Einsatz unserer Entwicklungshilfe danach moderne Musik haben in unserem Land in den letz-
bemessen, ob sie für das Empfängerland sinnvoll ten Jahren Leistungen hervorgebracht, die die Auf-
ist und ob das Hilfe empfangende Land auch für merksamkeit der Welt verdienen und unserer eige-
Deutschland die Prinzipien der Selbstbestimmung nen kulturellen Vergangenheit würdig sind.
und der nationalen Einheit anerkennt, die es für
sich selbst in Anspruch nimmt. Die Bundesrepublik erklärt, daß sie ihre Anstren-
gungen für die auswärtige Kulturpolitik steigern
(Beifall bei den Regierungsparteien.) wird. Wir werden mehr Mittel bereitstellen müssen,
In diesem Zusammenhang ein Wort über den um Auslandsschulen und deutsche kulturelle Einrich-
Stand unserer Beziehungen zu den arabischen Staa- tungen im Ausland auszubauen; wir werden der
ten. Wir verstehen das Streben der arabischen Völ- deutschen Sprache im internationalen Verkehr die
ker nach Einheit und ihren Wunsch nach wirtschaft- Geltung zu verschaffen suchen, auf die sie nach Ver-
lichem und sozialem Fortschritt. Wir haben beides breitung und Bedeutung Anspruch hat; wir wollen
unterstützt. Wir sind bereit, diese Unterstützung das Bild Deutschlands, das als H andels- und Indu-
auch in Zukunft zu gewähren. Voraussetzung ist strienation der Welt geläufig ist, durch jene Züge
allerdings, daß die arabischen Staaten Verständnis ergänzen, die zum Bild Deutschlands gehören: die
zeigen für die Lage, in der sich Deutschland auf Züge des Geistes und der menschlichen Gesittung.
Grund der gewaltsamen Teilung befindet. (Beifall bei den Regierungsparteien.)
(Beifall.)
Die Bundeswehr wird während der kommenden
Voraussetzung ist ferner, daß die arabischen Völker Legislaturperiode ihr inneres Gefüge weiter zu festi-
Verständnis dafür aufbringen, wie sehr uns Deut gen und ihre Kampfkraft so zu erhöhen haben, daß
schen daran gelegen sein muß, normale Beziehun- sie in der Lage ist, auf der dann erreichten geistigen,
gen zu Israel zu unterhalten. Wir wollen den ara- personellen und materiellen Grundlage den mili-
bischen Regierungen, die in diesem Frühjahr den tärischen Erfordernissen voll gerecht zu werden.
bedauerlichen Schritt des Abbruchs diplomatischer
Beziehungen zu uns getan haben, den Weg zur Die Bundesregierung wird den Entwurf eines Orga-
Wiederaufnahme solcher Beziehungen offenhalten. nisationsgesetzes vorlegen und geeignete Maßnah-
Lassen Sie mich darum an dieser Stelle ein Wort men ergreifen, die der Überwindung des Personal-
des Dankes für die besonnene und ausgewogene engpasses dienen. Die dienstrechtliche, wirtschaft-
Politik an die Regierungen jener arabischen Staaten liche und soziale Stellung des Soldaten soll so aus--
richten, die sich jenem Schritt nicht angeschlossen gestaltet werden, daß den berechtigten Erwartungen
haben. auf eine angemessene Laufbahn Rechnung getragen
(Beifall bei den Regierungsparteien.) wird.
In der Rüstung wird das Ziel verfolgt, die Bewaff-
Der Botschafteraustausch mit Israel, 20 Jahre nach
dem Ende des NS-Staates, ist ein entscheidender nung zu modernisieren und damit Feuerkraft und
Beitrag zu einem Neubeginn. Er eröffnet Möglich- Beweglichkeit zu erhöhen. Ferner sollen die logisti-
keiten einer friedlichen Zusammenarbeit mit einer sche Unterstützung der Streitkräfte vervollständigt
aufstrebenden Nation und der Fortsetzung eines und alle Möglichkeiten zur Standardisierung von
fruchtbaren geistigen Dialogs mit einem alten Kul- Waffen und Gerät ausgeschöpft werden.
turvolk. Besondere Aufmerksamkeit wird auch dem Auf-
(Beifall.) bau der Territorialverteidigung zu widmen sein.
Die Bedeutung der auswärtigen Kulturpolitik Alle diese Vorhaben bedürfen der tatkräftigen
kann kaum hoch genug veranschlagt werden. Sie Unterstützung des Bundestages und der wachsenden
ist, unabhängig von den Veränderungen der jeweils Anteilnahme unseres Volkes an den Aufgaben und
aktuellen Lage, in hohem Maße berufen, den wech- Anliegen unserer Soldaten.
selnden Konstellationen der Interessen die dauer-
Die militärische Verteidigung bliebe ohne den
haften Grundlagen zu geben, auf denen unsere Be-
großen Bereich dessen, was wir „zivile Verteidi-
ziehungen zu fremden Völkern ruhen. Unsere aus-
gung" nennen, nur ein Torso. In ihrem Aufbau sieht
wärtige Kulturpolitik fördert das Verständnis für
die Bundesregierung auch einen finanziell wichtigen
Deutschland, indem sie von den Leistungen unserer
Beitrag zur NATO wie zur WEU.
Zivilisation, der Größe ihrer Tradition, der Leben-
digkeit ihrer Gegenwart Kunde gibt. Die Chancen Zur zivilen Verteidigung gehört auch das Problem
der auswärtigen Kulturpolitik sind freilich nicht der Verfassungsergänzung für den Notstandsfall.
allein von der Bundesrepublik bestimmbar, die Mit dieser Frage hat sich der letzte Bundestag in
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 4. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. November 1965 33
Bundeskanzler Dr. Dr. h. c. Erhard
zwei Lesungen und vielen Ausschußberatungen ein- der Versuchung der Selbstzufriedenheit bewahrt hat,
gehend befaßt, aber die vorgesehene Ergänzung des die aber auch oft genug die Identifikation der Deut-
Grundgesetzes kam nicht mehr zustande. Die neue schen mit ihrem Staat und mit ihrer Leistung nach
Bundesregierung wird in erneuten Verhandlungen dem Kriege erschwerte. Ich möchte darum sagen,
mit der parlamentarischen Opposition ehestens zu daß die Politik eines großen Landes nicht ohne poli-
klären haben, ob es in der neuen Legislaturperiode tisches Selbstbewußtsein gestaltet werden kann und
gelingen wird, unsere Verfassung durch eine Rege- daß gerade ein Volk, das geteilt ist wie das deutsche,
lung zu ergänzen, die rechtsstaatlich den Notwendig- die Überzeugung an das eigene Recht, die eigene
keiten der inneren und äußeren Sicherheit im Ernst- Aufgabe braucht, den Glauben an die Legitimität
fall gerecht zu werden vermag, aber dazu auch prak- seiner Politik und seiner Interessen.
tikabel ist. (Beifall bei den Regierungsparteien.)
Die immer noch fortbestehenden Vorbehaltsrechte Diesen Tatbestand sollte auch die politische Kritik
der Drei Mächte beziehen sich nicht nur auf das respektieren; sie mag im übrigen meine Regierung
Gebiet der Notstandsverfassung, sondern sie ge- und mich angreifen, wie es ihr Gesinnung, Anlässe
statten den Drei Mächten auch jederzeit Beschrän- und Pflichtbewußtsein gebieten.
kungen des Post- und Fernmeldegeheimnisses. Die Ich habe vor dem Deutschen Bundestag als der
Bundesregierung wird alles daransetzen, daß in die- Vertretung des deutschen Volkes das Programm
ser Legislaturperiode die zahlreichen in diesem Zu- der Bundesregierung vorgetragen. Es ist ein Pro-
sammenhang auftretenden schwierigen Probleme gramm ohne Überschwang und ohne Selbsttäu-
bewältigt und insbesondere die Vorbehaltsrechte schung. Die Bundesregierung erkennt nüchtern die
auch auf diesem Gebiet endlich durch ein deutsches Grenzen ihrer Möglichkeiten. Aber sie ist entschlos-
Gesetz abgelöst werden. sen, diese Möglichkeiten ihres Handelns zu nutzen
(Beifall bei den Regierungsparteien.) — gemäß dem Auftrag des Wählers und dem Geheiß
der Verfassung. Sie geht nun ans Werk — im guten
Die innere Sicherheit unseres Staates ruht auf Glauben an die Sache Deutschlands, in der Erwar-
einer breiten und festen Grundlage. Dies zeigt nicht tung, daß das deutsche Volk sie unterstützt. Sie als
zuletzt die deutliche Absage, die unser Volk allen die Abgeordneten des deutschen Volkes ruft die
rechts- und linksextremen Gruppen bei den letzten Bundesregierung auf: Lassen Sie uns prüfen, was
Wahlen erteilt hat. Es darf aber nicht vergessen zu tun ist; lassen Sie uns streiten, wo noch Zweifel
werden, daß der Kommunismus seine Zerstörungs- herrscht, über das Richtige; lassen Sie uns gemein-
arbeit unvermindert fortsetzt. Unsere Wachsamkeit sam handeln, wo Gewißheit besteht; lassen Sie uns
darf nicht erlahmen. Ein Gleiches gilt hinsichtlich einstehen für das Recht, die Freiheit und die Ein-
aller Erscheinungsformen des in sich zerstrittenen heit des Landes, dem wir dienen.
Rechtsradikalismus. (Anhaltender lebhafter Beifall bei den
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bun- Regierungsparteien.)
desregierung weiß, daß das Ende der Nachkriegs-
zeit die Bundesrepublik Deutschland im Innern und Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Meine Damen
nach außen vor neue Aufgaben stellt, zu neuen und Herren! Sie haben die Erklärung der Bundes-
Pflichten ruft, daß eine neue Lage mit neuen Mit- regierung gehört. Die Aussprache findet am Mitt-
teln gemeistert werden muß, daß eine Periode nüch- woch, dem 24. November, 9.00 Uhr, statt. Ich berufe
terner Besinnung vor uns liegt. dazu die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages
ein.
Der Aufstieg der Bundesrepublik, die Wandlung
Deutschlands und der Deutschen, die sich darin Die Sitzung ist geschlossen.
manifestiert, ist ständig von einer kritischen öffent-
lichen Meinung begleitet gewesen, die uns wohl vor (Schluß der Sitzung 13.04 Uhr.)
Deutscher Bundestag - 5. Wahlperiode - 4. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. November 1965 35

Anlage Abgeordnete (r) beurlaubt bis einschließlich

Metzger 10. 11.


Liste der beurlaubten Abgeordneten
Riedel (Frankfurt) 10. 11.
Frau Schimschok 10. 11.
Abgeordnete (r) beurlaubt bis einschließlid
Schwabe 11. 11.
Frau Seppi 10. 11.
a) Beurlaubungen
Spitzmüller 10. 11.
Dr. Adenauer 30. 11. Frau Strobel 15. 11.
Dr. Adolf Arndt (Berlin /Köln) 10. 11. Wilhelm 10. 11.
Dr. Arnold 10. 11. Dr. Wilhelmi 10. 11.
Dr.-Ing. Dr. h. c. Balke 10. 11. Zerbe 10. 11.
Dr. Birrenbach 10. 11.
Blachstein 10. 11. b) Urlaubsanträge

Collet 10. 11. Bauer (Wasserburg) 20. 11.


Dr. Dr. Heinemann 11. 11. Hirsch 23. 11.
Josten 10. 11. Lenz (Trossingen) 20. 11.
Dr. Kempfler 11. 11. Dr. Siemer 30. 11.
Koenen (Lippstadt) 20. 11. Wieninger 24. 11.
Lücker (München)* 10. 11.
*) Für die Teilnahme an einer Ausschußsitzung des Euro-
Mengelkamp 20. 11. päischen Parlaments

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