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Oktober 1953 23
dringenden Wunsch vorzulegen, das Kabinett klein Es wird zuwenig gesagt von den Pflichten des
zu halten, und daß wir uns ausdrücklich bereit deutschen Volkes, von den Pflichten der deutschen
erklärt haben, uns mit zwei Ministern zu begnügen. Menschen, es wird zuviel versprochen.
Das war unsere Haltung. (Sehr wahr! bei der FDP.)
(Fortgesetzte Unruhe.) Meine Damen und Herren, am Ende besteht ein
Es ist also unrichtig, was auch der Herr Kollege Staat ja nicht aus der Bürokratie und nicht aus
Ollenhauer geäußert hat, als ob wir bei der Re- dem Parlament und nicht aus der Regierung, son-
gierungsbildung irgendwelche politischen Geschäfte dern aus dem, was die deutschen Menschen diesem
Staat geben, nicht nur materiell, sondern auch
hätten machen wollen. seelisch und geistig geben.
Aber ich teile die Meinung des Herrn Kollegen
(Sehr gut! bei der FDP.)
Ollenhauer, daß es nicht sehr erquicklich ist, was
sich teilweise bei der Zugrundelegung der kon- Lag dieser Wille in den letzten Wahlen? Hat das
fessionellen Parität in der Zusammensetzung des deutsche Volk ein Gefühl für die Verpflichtung zu
Kabinetts gezeigt hat. Das rührt auch an Grund- diesem Staat? Nur wenn es dieses Gefühl hat, wird
fragen des Politischen. Es ist keine richtige Auf- unser zweiter Versuch, einen demokratischen Staat
fassung, wenn man glaubt, die Parität — und wie zu schaffen, nicht so verhängnisvoll scheitern wie
viele Kategorien der Parität, der konfessionellen, der der Weimarer Demokratie.
der soziologischen, der geographischen, gibt es? —
müßte sich in den politischen Gremien und am Ich sehe Gefahren für das Staatsgefühl, meine
Ende — Herr Ollenhauer hat durchaus recht — Damen und Herren, von mancherlei Seiten. Surro-
auch im obersten politischen Gremium nieder- gate des Staatsgefühls werden vorgeschoben. Die
schlagen. Ich möchte fast von einem Unheil des Konfessionalisierung des öffentlichen Lebens
scheint mir übertrieben. Wenn am letzten Samstag
Schlagwortes der Parität sprechen. Wenn eine
Partei aus übergeordneten politischen Gesichts- und Sonntag in Regensburg bei der Tagung des
bayrischen Bauernverbandes die bisherige Organi-
punkten ans Werk geht, wenn eine Partei in Wahr- sation der Bauernjugend zerschlagen wurde mit dem
-
heit überkonfessionell ist und über den Klassen Ziele, katholische und protestantische Bauernju-
steht, wenn eine Partei nach Lösungen sucht und gendorganisationen zu schaffen, — ist das ein guter
nur nach Lösungen sucht, die allen nützen, dann ist Weg?
es die unsere.
(Sehr gut! bei der FDP.)
(Beifall bei der FDP. — Zurufe von der
Mitte und links.) Führt dieser Weg zum Staatsbewußtsein, wenn so-
gar im Ständischen das Religiöse vorangestellt
Deswegen haben wir die Vorgänge bei der Kabi- wird, ohne daß ein Erfordernis besteht?
nettsbildung mit Unbehagen verfolgt. (Abg. Höfler: Das ist die Frage!)
Man darf sich über die Bedeutung der Wahlen Auch das europäische Denken — möchte ich ein-
auch nicht täuschen, man darf ihre Wirkung nicht mal sagen — das unserer Jugend so gut eingeht,
dramatisieren. Man muß sie auch messen an der darf nicht zu einem Ersatz des Staatsdenkens wer-
Skala der Aufgaben, die wir uns stellen. den.
(Beifall bei der FDP.)
(Vizepräsident Dr. Jaeger übernimmt
den Vorsitz.) Das Gesetz, nach dem nun nicht nur im 19. Jahr-
hundert, sondern auch in diesem Jahrhundert un-
Darüber sind wir auch verschiedener Meinung .
sere Staaten angetreten sind, ist das Gesetz, daß die
Der Herr Kollege Ollenhauer meint, die Verscheu- Menschen einer Geschichte, eines Volkes, einer ge-
chung der Not sei ein vornehmliches Gesetz; in der meinsamen Sprache und Kultur zu ihrem Staate
Regierungserklärung ist die Wiedervereinigung als wollen. Auch im europäischen Verbinde werden
vordringliche Aufgabe gesehen worden. Nun, ich diese nationalen Staaten die politischen Protago-
bin ein Mann des Staates, ich sehe die wesentliche nisten sein, und es wäre falsch, wenn man unserer
Aufgabe, die wir zu erfüllen haben, darin, einen Jugend als Surrogat eines echten Staatsgefühls den
Staat zu bilden, ein Staat zu werden. Da wäre Gedanken Europa vor Augen stellen wollte.
vieles darüber zu sagen, ob diese Wahlen wirklich Ein Wort zum Föderalismus. An der Stirnwand
ein Bekenntnis zum Staate sind, ob das Staats- unseres Saales hängen nun nicht mehr die Landes-
gefühl, das allein diesen Staat tragen kann, leben- wappen. An ihre Stelle ist der Bundesadler getre-
dig genug ist. Niemand wird sich doch der Er- ten als Symbol unserer Arbeit an Deutschland.
kenntnis verschließen, daß wir nicht ruhigen Zei- Ich meine, der Bund ist das Größere. Dessen m ils
ten entgegengehen. Die gewaltige Erschütterung, sen wir uns bewußt sein. Wir müssen uns auf un-
die seit 40 Jahren durch die Welt geht, ist doch mit seren Dienst an Deutschland besinnen und wissen,
dem Jahre 1945 nicht mit einemmal zu Ende ge- daß die Länder Stufen zu diesem Altar sind. Aber
gangen. Das deutsche Volk, dieses schon in seiner ich nehme auf, was der Kollege von Brentano vor-
staatlichen Einheit zerrissene deutsche Volk, wird hin gesagt hat: Dieses Problem wird um so gerin-
schwersten Belastungen entgegengehen und wird ger, je größer die wirtschaftliche Freiheit ist. Je
ihnen nur gewachsen sein und wird sie nur be- geringer die Abhängigkeit des einzelnen vom
stehen können, wenn ein starkes bewußtes Staats- Staate ist, desto geringer ist auch die Bedeutung
gefühl diesen demokratischen Staat, für den der des Problems, ob dieser Staat als Land oder als
Herr Kollege Ollenhauer so schöne anerkennens- Bund in Erscheinung tritt.
werte Worte fand, trägt. Darauf kommt es an. Ich verfolge auch mit Sorge das Bestreben aller
(Beifall bei der FDP.) möglichen berufsständischen Verbände, sich vor den
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(Dr. Dehler)
Staat zu schieben und Einfluß auf den Staat zu neh- am Ende stand dann dieses Gestrüpp von Gesetzen,
men. Sie wissen, das Wirken der Lobbyisten der ver- in denen sich der Staat, das öffentliche Leben ver-
schiedensten Art drängt bis in diese Gänge. Ein strickte. Hier wurde der Weg zu Lenin und Hitler
trübes Zeichen! Ich meine, es ,darf keine außerpoli- gelegt.
tischen, es darf vor allem keine anonymen Kräfte Das Schlimmste: wenn der Gesetzgeber glaubt,
geben, die auf den Staat Einfluß zu nehmen oder er könne in der Form des Gesetzes alles beschlie-
ihn gar zu beherrschen suchen. Wir, Sie sind allein ßen. Sie erinnern sich, was in diesem Hause ge-
die Repräsentanten des deutschen Volkes. Si e ent-
scheiden und niemand sonst. schah. Das Gesetz, das wegen meines Widerspru-
ches nicht verkündet wurde, über Straffreiheit für
(Beifall bei der FDP.) 40 Journalisten und Beamte — Platowkreis — in
Natürlich spreche ich damit auch das Problem Form einesallgemeinen Straffreiheitsgesetzes ver-
der Gewerkschaften an. stößt gegen Grundsätze der Verfassung, aber auch
gegen Grundsätze des Rechtes, gegen den Grund-
(Zuruf von der SPD: „Natürlich"!) satz der Gleichheit vor dem Rechte. Es ist trotzdem
Wir erkennen die Aufgaben der Gewerkschaften beschlossen worden! Wir haben einen besseren
vorbehaltlos an. Sie können aber nur bestehen und Bundestag gewählt. Ich hoffe, daß er auch diesen
wirken, wenn sie sich entpolitisieren und legali- Sündenfall heilt.
sieren. (Heiterkeit bei der FDP.)
(Sehr gut! rechts.)
Ich erzähle ihn nur, um Ihnen zu sagen, was Recht
Wenn sie glauben, sie könnten Einfluß auf die und was Rechtsstaat ist.
Wirtschaftspolitik nehmen, dann vergessen sie, daß
die Wirtschaftspolitik ein wesentlicher Teil der Das Recht führt doch auch in die Welt und regelt
Staatspolitik ist und niemals ihrer unmittelbaren unsere Beziehungen mit den anderen Völkern. Vie-
Beeinflussung unterliegen darf. les ist hier noch nicht im Gleichgewicht. Ich denke
an die Verstöße gegen die Rechtsordnung, die in
(Beifall bei der FDP und in der Mitte.) der Behandlung des deutschen Auslandsvermögens
Ich leugne aber keinen Augenblick, daß diese Ge- liegen. Ich stelle mit Freuden fest, daß für die
fahr genau so für andere Verbände gilt Kriegsverurteilten, die im Inland einsitzen, jetzt
die Tätigkeit der Gnadenausschüsse begonnen hat.
(Sehr richtig! bei der FDP) Wir hoffen auf großzügige Erledigung. Wir müssen
-
und daß für diese Verbände diese Warnung in glei- aber auch an jene denken, die außerhalb Deutsch-
cher Weise gilt. lands noch einsitzen, die jetzt achteinhalb Jahre
Untersuchungshaft verbüßt haben. Wir müssen be-
(Sehr richtig! links und in der Mitte.) denken, was das an Seelenqual, was diese Un-
Wenn der Herr Kollege Ollenhauer vorhin festge- sicherheit bedeutet, und wir möchten meinen, daß
stellt hat, daß die Gewerkschaften nur an die Wil- hier Sühne genug geleistet ist und daß die allge
lensentschließung ihrer Mitglieder gebunden sind, meinen Grundsätze der Humanität und des Rechtes
möchte ich ihm sagen, daß sie auch an die recht- Platz greifen sollten.
liche Ordnung unseres Staates gebunden sind. (Beifall bei den Regierungsparteien und
(Beifall bei der FDP und in der Mitte.) bei einzelnen Abgeordneten der SPD.)
Nun komme ich zu einem besonderen Kummer. Dabei drängt sich einem auch das Bild des Straß-
Die Regierungserklärung hat kein Wort vom Recht, burger Oberbürgermeisters Ernst vor Augen, der
sie hat kein Wort von der Justiz enthalten. Ich ein ähnliches Los zu tragen hat.
hoffe nicht, daß das mit einer Mißstimmung gegen Unser Schicksal ist die Außenpolitik, meine Da-
mich zusammenhängt. men und Herren; sie steht im Vordergrund aller
(Heiterkeit. — Zurufe links.) Erwägungen. Die Politik der Bundesregierung, die
Politik des Bundeskanzlers, der mit vollem Recht
Ich habe ein tiefe Beziehung zum Recht. Vielleicht bis zum Abschluß der Politik, die er eingeleitet
sehe ich seine Bedeutung stärker als andere. Ich hat, das Außenministerium und damit die Entschei-
sehe die Krisis des Rechtes als eine der Ursachen dung der Dinge in seiner Hand behalten hat, wird
der Erschütterung unserer Zeit. von uns unbedingt bejaht. Ich glaube nicht, daß
die Ausführungen der Opposition Anlaß geben, hier
(Sehr richtig! links.) etwas zu ändern. Wir sind vorbehaltlos zur euro-
Fin weites Gebiet; ich kann es nicht erschöpfend päischen Kooperation bereit, weil wir nur in ihr
behandeln. Aber das Unheil für unseren Erdteil die Möglichkeit der Sicherung des Restes sehen,
b egann, als das Rechtsideal erschlaffte, als der der von Europa geblieben ist. Wir wollen dieses
Glaube der Menschen an die Unverbrüchlichkeit Zusammenwirken mit gleichen Rechten und mit
des Rechtes schwand. Man könnte sagen, daß darin gleichen Pflichten. Ich möchte nach dem, was ge-
die Tragik der deutschen Geschichte liegt. Kaum schehen ist, die Pflichten unterstreichen. Wir wer-
hatte sich dieses Rechtsstaatsideal im ersten Drittel den mit dem Herrn Bundeskanzler gehen, wenn
des 19. Jahrhunderts durchgesetzt, da begannen er eine entschlossene Europapolitik treibt, die die
sehr bald wieder die Gegenkräfte lebendig zu wer- Sicherheit für uns schafft. Wir sind bereit, alles
den, gerade der Glaube sozialreformerischer Den- zu tun, um die politische europäische Gemeinschaft
ker, man könne dem Staat die Aufgabe überbür- mit Mut anzugehen und voranzutreiben. Ich möchte
den. die Ungleichheiten, die in der Welt sind — sagen: wir bitten den Herrn Bundeskanzler, hier
die Ungleichheiten der Anlagen und der Umstände seine ganze Kraft einzusetzen. Ihm ist diese Auf-
— vom Staate her auszugleichen. Da begann der gabe gestellt; ich möchte meinen, daß ihm die Ge-
Schwund des Rechtes: denn da hat man dem schichte den Lorbeer flicht, wenn er sie erfüllt.
Staate die Pflicht auferlegt, diese Ungleichheiten Dann hat er Europa und damit das Abendland
durch Eingriffe vom Staate her zu egalisieren. Da- aus einer großen Gefahr gerettet.
mit schwand die bindende Kraft des Rechtes, und (Beifall bei den Regierungsparteien.)
2. Deutscher Bundestag — 4. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 28. Oktober 1953 55
(Dr. Dehler)
Es muß daher jeder irgendwie mögliche Fort- Unsere Stellung zur Saar: Wir sind bereit, die
schritt auf dem Wege zur politischen, zur wirt- von uns erstrebte Europäisierung der Wirtschaft
schaftlichen, währungs- und finanzpolitischen In- vorwegzunehmen. Wir sind auch gewillt, bestimmte
tegration Europas von uns wahrgenommen wer- wirtschaftliche Interessen Frankreichs an der Saar-
den; ich meine: mit dem guten Gewissen, daß wir wirtschaft anzuerkennen, auch Vereinbarungen
den anderen damit noch mehr nützen als uns. Herr über die Beteiligung Frankreichs an Kohlengruben
Ollenhauer beklagt, daß nicht alle sich an- zu treffen. Wir bieten Frankreich ferner die Mög-
schließen. Wir stimmen seiner Klage zu. Der Um- lichkeit an, während einer Übergangszeit bis zur
stand kann uns nicht hindern, das Mögliche zu tun. europäischen Wirtschaftsintegration saarländische
Ich möchte auch meinen, man sollte nicht allzuviel Erzeugnisse ohne Transferschwierigkeiten und
Rücksicht auf die oft kurzsichtige und kleinliche ohne mengenmäßige Beschränkungen zu beziehen.
Einstellung einiger Partner in der Montan-Union Eine politische Europäisierung der Saar lehnen
und vielleicht auch in der künftigen Europäischen wir ab.
Verteidigungsgemeinschaft nehmen.
(Beifall bei den Regierungsparteien.)
Wir haben den Wunsch, daß das Verhältnis zu
Frankreich befriedet wird, daß die jahrhunderte- Wir bestreiten die Kompetenz eines saarländischen
langen Spannungen und Zwistigkeiten zwischen Parlaments, auch der saarländischen Bevölkerung,
Deutschland und Frankreich in einer echten und über den politischen Status des Saargebiets, d. h.
ehrlichen Gemeinschaft überwunden werden. Die also doch in Wirklichkeit: über den Bestand
Verwirklichung der Europäischen Verteidigungs- Deutschlands, zu entscheiden. Auch die Landtags-
gemeinschaft ist das dringende Erfordernis. Der wahlen an der Saar können nicht den Anspruch
Kontinent ist ohne die Beteiligung der Bundes- erheben, als Entscheidung über das Schicksal des
republik nicht zu verteidigen. Saargebiets zu gelten.
Der Herr Kollege Ollenhauer hat Betrachtungen (Beifall bei den Regierungsparteien und
darüber angestellt, ob man den Russen den Glau- bei der SPD.)
ben zumuten kann, daß die Europäische Verteidi- Meine Damen und Herren, es geht um mehr als
gungsgemeinschaft wirklich defensiven Charakter um die Sicherung des Deutschtums an der Saar. Es
trägt. Sie kann nach dem Willen und der Technik genügt also nicht etwa die Teilnahme der Saar-
keinen anderen Effekt erzielen. Ich glaube, von brückener Regierung an der deutschem Kultus-
dieser Stelle sollte man sehr klar und bestimmt
- ministerkonferenz, nein, es geht um die Wieder-
ausdrücken, daß sich das deutsche Volk nie und vereinigung des deutschen Gebietes. Wir wollen
nimmer in irgendeine aggressive Kriegspolitik ein- nicht vergessen, daß zu diesem Gebiet auch Trierer
lassen wird. und Pfälzer Land gehören.
(Beifall bei den Regierungsparteien.) Ein Wort zu Berlin. Herr Kollege Ollenhauer hat
Daß der militärische Beitrag Deutschlands in unse- gesagt, wir müßten Berlin als einen Teil der Bun-
rem und im europäischen Interesse am besten im desrepublik anerkennen. Ich gehe weiter: Daß Ber-
Rahmen einer europäischen Armee geleistet wird, lin besteht und lebt, ist für uns das Unterpfand
kann ernstlich nicht bestritten werden. Wir freuen dafür, daß Deutschland wiederersteht.
uns, daß auch jede Möglichkeit eines deutschen mi- (Bravo! bei der FDP.)
litärischen Abenteuers ausgeschlossen ist. Ich halte
die Befürchtungen Frankreichs, die jetzt wieder Deswegen, meine Damen und Herren, kann für
auftauchen und die von den Russen genährt wer- Berlin gar nicht genug getan werden.
den, für unbegründet. Daß die Europäische Vertei- (Abg. Meitmann: Wie bei der Regierungs
digungsgemeinschaft enge Fühlung mit Großbri- bildung!)
tannien wird suchen müssen, hat der Kollege Ollen- Das wirtschaftliche Ziel muß sein, daß Berlin an
hauer mit Recht unterstrichen. die Bundesrepublik so viel liefern kann, wie es aus
Aus den Äußerungen des Herrn Kollegen Ollen- der Bundesrepublik bezieht. Die vordringliche
hauer klang so ein bißchen Schadenfreude über Sorge gilt den Arbeitslosen, die in Berlin niemals
die Schwierigkeiten, in die unser Vertragswerk ge- Arbeit finden können, weil Berlin die Funktion der
raten ist. Ich weiß nicht, ob diese Schadenfreude Hauptstadt jetzt nicht mehr hat: dem Heer der
ganz berechtigt ist. Herr Ollenhauer, Sie und Ihre Büroangestellten. Ich meine, es müßte ein Weg ge-
Freunde habe unmittelbar und in der Rückwirkung funden werden, sie in der Bundesrepublik in Arbeit
Ihres Verhaltens manches dazu getan, daß diese zu bringen.
Verträge nicht unter Dach und Fach sind. Ich habe Herr Kollege Mellies hat eben auf die Regie-
es nie verstanden, daß man über das Schicksal des rungsbildung in Berlin hingewiesen.
deutschen Volkes Prozesse führt.
(Zurufe: Ollenhauer!)
(Lebhafter Beifall bei den Regierungs
parteien.) — Nein, ich glaube, Herr Mellies hat es gemacht.
Verzeihung! — Ich glaube, Sie geben den Ereig-
Vieles wäre zu sagen; aber meine Zeit ist be- nissen dort einen falschen Akzent.
grenzt. Ich komme zur Frage der Wiedervereini-
(Zuruf von der SPD: Nein, gar nicht!)
gung. Wir stellen die Wiedervereinigung und den
Grundsatz der Wahrung des deutschen Besitzstan- Auch in Berlin gibt es Demokratie und gibt es
des auf allen Seiten über alles. Wir erheben den souveräne Entscheidungen. Daß sich Parteien zu-
Anspruch auf die deutschen Ostgebiete und auf die sammenschließen und einen Führungsanspruch er-
Saar heben, verstößt wirklich nicht gegen demokratische
(Beifall rechts) Grundsätze. Es tut dem Andenken des auch von
und können uns dabei auf die Charta der UNO mir hochverehrten Herrn Oberbürgermeisters
und die dort festgelegten gültigen Grundsätze Reuter wirklich keinen Abbruch, daß auf seinem
berufen. Stuhl jetzt ein Mann anderer politischer Haltung
56 2. Deutscher Bundestag — 4. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 28. Oktober 1953
(Dr. Dehler)
sitzt. Berlin — damit müssen sie sich abfinden — Er züchtet Jugendfunktionäre, die aus ihrer Jugend
ist nicht mehr sozialistisch, sowenig wie die Bun- einen Beruf machen wollen.
desrepublik sozialistisch ist.
(Beifall bei den Regierungsparteien.)
(Lebhafter Beifall bei den Regierungs
parteien.) Er muß insgesamt neu geordnet werden. Auch hier
ist die Mitwirkung verantwortungsbewußter Parla-
Auch hier eine schöne Gemeinschaft und Einheit. mentarier notwendig — wir haben ja Gott sei Dank
Weiter ein Wort zu dem Raum an der Zonen- viele junge Kollegen im Hause —, damit diese
grenze. Ich meine, das ausgezeichnete Programm, Dinge rasch heilsam gebessert werden.
das mein Parteifreund Henn noch am Schluß des Die Wirtschaft! Nun, da möchte ich gern in ein
ersten Bundestages als Ergebnis sorgfältigster Fest- Streitgespräch mit Herrn Kollegen Ollenhauer
stellungen hier verkündet hat, müßte schleunigst kommen.
verwirklicht werden.
(Heiterkeit und Hört! Hört! in der Mitte.)
Einige Feststellungen innerpolitischer Art. Die
Dienststelle Blank macht einem, soweit ihr span- Ich denke an Diskussionen, die ich mit dem frühe-
ren bayerischen Wirtschaftsminister Dr. Zorn im
nungsreiches Innenleben nach außen dringt, etwas
Sorge. bayerischen Landtag hatte. Heute war mir genau so
(Heiterkeit links.) zu Mute. Ich habe ihn einmal provoziert, im Land-
tag seine wirtschaftspolitischen Grundsätze darzu-
Es wäre betrüblich, wenn hier nicht wirklich eine legen, mit der Folge, daß meine Freunde und ich
stabile und solide Grundlage für den in der Zu- ihm mit frenetischem Beifall zustimmten und daß
kunft auf ihr lastenden Überbau geschaffen würde. die Sozialdemokraten mit betretenen Gesichtern
Ich meine, der Rat erfahrener, politisch denkender dabeisaßen.
Parlamentarier sollte häufig erholt werden. (Heiterkeit rechts.)
Wir haben Anlaß, meine Damen und Herren, den Ich glaube, heute könnte es so ähnlich sein. Der
Beamten des Bundes für die hingebungsvolle Ar- Herr Professor Schiller wird mit dem Herrn Kolle-
beit, ihre Leistungen während der letzten vier gen Ollenhauer restlos einig sein.
Jahre zu danken. Nur der, der drinsteckte, weiß,
wie gearbeitet wurde, mit welchem heiligem Eifer (Zurufe von der SPD.)
- — Ich bin überzeugt!
geschafft wurde, daß dieser Staat entstand.
(Beifall bei den Regierungsparteien.) (Abg. Dr. Gülich: Auch andere! — Abg.
Dr. Schmid [Tübingen]: Ja, auch andere!)
Wir, meine Parteifreunde und ich, bekennen uns
nach wie vor zu den bewährten Grundsätzen des — Sie sind ja ein zu den Sozialdemokraten verirr-
Berufsbeamtentums. Wir verwahren uns gegen die ter Liberaler, Herr Kollege Schmid!
Bestrebungen, das Beamtenrecht mit arbeitsrecht- (Große Heiterkeit und Beifall bei den
lichen Kategorien zu versetzen. Die Verabschiedung Regierungsparteien.)
des Personalvertretungsgesetzes und die Verein-
heitlichung des Beamtenrechts des Bundes und der Ein guter Liberaler!
Länder durch ein Rahmengesetz nach dem Grund- (Abg. Dr. Schmid [Tübingen]: I c h habe
gesetz, dann die Überprüfung der Grundsätze der den Liberalismus zu Ende gedacht, Herr
Besoldungsordnung sind dem zweiten Bundestag Kollege!)
als dringende Aufgaben gestellt.
— Herr Kollege Schmid, ich glaube es gern. Aber
Mit gutem Gewissen kann gerade ich die Forde- ich denke auch an Herrn Kollegen Kreyssig! Er hat
rung des Herrn Kollegen Ollenhauer aufnehmen, schon mit etwas süßsaurer Miene, glaube ich, die
daß entsprechend dem Gebote des Grundgesetzes Festlegungen seines Kollegen Ollenhauer verfolgt.
jeder ohne Rücksicht auf Glaube und Religion und Und mit dem schönen Geständnis allein ist es nicht
politische Überzeugung Anspruch auf Tätigkeit im getan. Es ist zu wenig, wenn m an sagt, Wettbewerb
Staate hat. Nun, ich glaube, ich habe im Bundes- und Planung seien keine echten Antithesen. Zu-
justizministerium ein vorbildliches Beispiel dafür nächst, meine Damen und Herren, muß man
gegeben, wie man diese Aufgabe erfüllen kann. wissen: es gibt nur eine richtige Wirtschaft, es
Wir sind besorgt, daß die Aufstockung des Bun-
gibt nur eine Wirtschaft, und das ist unsere, 'das
ist die liberale Wirtschaft, die man auch soziale
desgrenzschutzes auf 20 000 Mann, wahrlich eine Marktwirtschaft nennen kann.
dringliche Forderung, trotz der vorbildlichen Be-
mühungen meines verehrten Herrn Kollegen Lehr (Beifall bei der FDP.)
und unter Mißachtung des klar geäußerten Willens Es gibt nur das echte Wirtschaften, die Wirtschaft,
des Bundestages aus finanziellen Gründen verzö- die sich gründet auf den Wettbewerb, auf die Lei-
gert worden ist. Ich möchte meinen, das Geld wäre stung des einzelnen, auf die Vertragsfreiheit, auf
hier besser als anderswo angewandt. ein weitgestreutes und gesichertes Eigentum, die
(Sehr gut! bei der FDP.) sich auch gründet auf den Glauben an die Möglich-
keit des wirtschaftlichen und sozialen Ausgleichs
Die Neuordnung des Rundfunks und des Fern- im freien Staat, die sich darauf gründet, daß die
sehens in der Gesetzgebungszuständigkeit des Bun- Stände nur miteinander, nicht gegeneinander wirt-
des und die Beseitigung des Besatzungsrechts im schaften können.
nordwestdeutschen Raum sind ein dringendes
Gebot. (Abg. Dr. Schmid [Tübingen] : Was sind
denn Stände? — Heiterkeit bei der SPD.)
Ein etwas bitteres Wort über den Bundesjugend-
plan. Er droht der Jugend mehr zu schaden als zu — Nun Gott, das ist jetzt ein Hilfswort für eine
nützen. Arbeitshypothese.
(Abg. Albers: Sehr richtig!) (Zurufe von der SPD.)
2. Deutscher Bundestag — 4. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 28. Oktober 1953 57
(Dr. Dehler)
Aber einem patentierten Marxisten dürfte ja diese nur für die Grundstoffindustrie, nicht nur für
klassenmäßige Scheidung nicht schwerfallen. Kohle und Eisen, sondern nun auch eine Auswei-
(Heiterkeit und Beifall rechts.) tung des Betriebsverfassungsgesetzes.
(Abg. Ollenhauer: Richtig!)
Ich höre es nicht gern, wenn Herr Ollenhauer
sagt, er lehne den Gegensatz zwischen Marktwirt- Er ist sich nicht bewußt, daß mit dem wirtschaft-
schaft und Planwirtschaft ab — darüber ist nicht lichen Mitbestimmungsrecht die Unternehmerinitia-
zu diskutieren —, aber dann sofort wieder unter- tive nicht vereinbar ist, daß sie ein Widerspruch
stellt, es gebe eben weite Bereiche der Wirtschaft, dagegen ist.
in denen die Marktwirtschaft nicht funktioniere. (Lachen bei der SPD. — Abg. Albers: Nein!
Hier ist jetzt der springende Punkt. Meine Damen — Abg. Dr. Schmid [Tübingen]:: Das ist ge
und Herren! Es ist ja schade, daß der Herr Kollege nau so, als wenn man sagen würde, daß
Schoettle jetzt gerade beim Mittagessen ist, sonst mit dem Mitbestimmungsrecht des Parla
würde ich ihm gern einmal vorhalten, was er so ments die Regierungsinitiative untergehen
im Laufe der Jahre über diese Reservatgebiete, die müsse!)
angeblich für die Marktwirtschaft nicht zugänglich
sein sollen, gesagt hat. — Nein, das ist ein Fehlschluß, Herr Kollege
Schmid.
(Zuruf von der SPD: Verkehr!)
(Abg. Dr. Schmid [Tübingen]: Das ist genau
Es waren früher einmal die Textilien, die Schuhe, das Gegenstück! — Gegenruf rechts: Das ist
große Teile der Konsumgüterindustrie. etwas ganz anderes!)
(Erneuter Zuruf von der SPD: Verkehr! — — Sie brauchen sich nur den Herrn Bundeskanzler
Abg. Euler: Im Frankfurter Wirtschaftsrat!) anzuschauen, um zu wissen, was politische Mit-
Na, und das ist heute bei Ihnen noch — das ist ja bestimmung ist!
ganz deutlich geworden; Herr Ollenhauer hat es ja (Anhaltende große Heiterkeit im ganzen
gesagt — das Gebiet der Energieversorgung, das Hause!)
Gebiet des Verkehrs, das Gebiet des Wohnungs-
baues. — Aber, meine Damen und Herren, jetzt habe ich
aus der Schule geplaudert! Das hätte ich nicht tun
Meine Damen und Herren! Das habe ich langsam dürfen!
erkannt: in der Politik ist noch wichtiger- als die
richtige Einsicht der Mut, (Erneute Heiterkeit. — Abg. Dr. Schmid
[Tübingen]:: Es hat sich herumgesprochen!)
(Beifall in der Mitte und rechts — Lachen
bei der SPD)
Vizepräsident Dr. Jaeger: Meine Damen und
der den Herren Sozialdemokraten heute fehlt. Be- Herren! Nach dieser Ovation für den Herrn Bun-
grüßen wir es doch: sie sind auf dem rechten Weg, deskanzler bitte ich, den Redner fortfahren zu
(Heiterkeit und Beifall bei den Regierungs- lassen.
parteien)
Dr. Dehler (FDP): Beim wirtschaftlichen Mit-
aber sie haben noch nicht den Mut,
bestimmungsrecht handelt es sich um eine ganz
(Abg. Dr. Schmid [Tübingen]:: Andere andere Problemstellung, Herr Kollege Schmid;
lernen die Einsicht nie!) denn da geht es darum, zu entscheiden, ob in den
die letzten Hürden zu nehmen. Gewöhnlich strau- Betrieb nun, sagen wir, ein Fließband eingeführt
cheln sie immer noch bei jeder Hürde. Schauen Sie oder ob ein anderer Betriebszweig angegliedert
einmal rückwärts, was Sie an Hürden umgeworfen werden soll. Das soll der Sachunkundige mitbe-
haben! stimmen, der Sachunkundige, der gar nicht die Er-
(Große Heiterkeit.) fahrung haben kann und der vor allem nicht durch
eines geleitet wird, durch die Verantwortung?
Deswegen haben Sie jetzt ja auch so eine schlechte Wenn der wirtschaftlich Entscheidende selbst Un-
Zeit im politischen Wettlauf. ternehmer ist, nun, dann geht es um sein Hab
(Erneute Heiterkeit in der Mitte und und Gut, und wenn er Manager ist, so geht es um
rechts. — Abg. Ollenhauer: Das sind seine Position.
unsere Sorgen!) (Abg. Dr. Menzel: Für den Arbeiter geht
Nein, meine Damen und Herren, wir müssen es um seine Arbeitsstelle!)
dann schon das Gespräch vertiefen. Also wenn Sie Das Handeln aus Verantwortung zwingt zur besten
sagen „Marktwirtschaft", wenn Sie sagen „Unter- wirtschaftlichen Leistung. Wer glaubt, man könne
nehmerinitiative" — ja, wie können Sie dann diese Mitbestimmung mit Unternehmerwirtschaft, mit
Punkte ausklammern? Warum soll auf dem Gebiet Marktwirtschaft vereinbaren, hat die Dinge nicht
des Verkehrs, durchdacht.
(Abg. Dr. Schmid [Tübingen]:: Der Eisen Ich möchte hoffen, Herr Kollege Ollenhauer, Sie
bahn zum Beispiel!) haben sich von dem Ziel der Vollbeschäftigung
der Energieversorgung, des Wohnungsbaues etwas distanziert. Denn wer Vollbeschäftigung vom
anderes gelten? Wir haben ja — Sie und ich, Herr Staate her will, der will natürlich die Leitung der
Kollege Schmid — in das Grundgesetz geschrieben, Wirtschaft zentral vom Staate her,
daß diese Bundeseisenbahn nach privatwirtschaft- (Abg. Baur [Augsburg] : Das ist Ihre
lichen Grundsätzen verwaltet werden soll! Phantasie!)
(Heiterkeit in der Mitte und rechts.) mit der zwangsläufigen Folge des Einsatzes öffent-
Dann müßte ich, meine Damen und Herren, jetzt licher Mittel, Herr Kollege Baur, des Einsatzes von
die Herren Sozialdemokraten weiter fragen: Herr Steuermitteln, um die Vollbeschäftigung durch-
Ollenhauer fordert Mitbestimmungsrecht — nicht zuführen.
58 2. Deutscher Bundestag — 4. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 28. Oktober 1953
(Dr. Dehler)
Es ist auch sehr interessant, wenn Herr Kollege Daß soziale Härten vermieden werden müssen, ist
Ollenhauer von einer bewußten Investitionspolitik klar.
für die Grundstoffindustrie spricht. Was heißt (Abg. Albers: Aber wie?)
denn das? Wem ist denn die Richtigkeit der In- Aber auch hier ist die Politik, das politische Han-
vestitionspolitik bei der Grundstoffindustrie „be- deln eine Sache des Mutes.
wußt"? Wem denn? Doch nicht den Verantwort-
lichen, sondern Unverantwortlichen, Bürokraten, (Abg. Frau Dr. Weber [Essen] : Jetzt ist er
Verwaltungsstellen. wieder beim Mut!)
(Abg. Dr. Schmidt [Tübingen]: Syndicis!) Aktive Konjunkturpolitik! Auch hier könnte ich
auf Äußerungen des Herrn Kollegen Ollenhauer
Woher beziehen sie denn ihre Weisheit? eingehen. Auch sie gibt es nur mit marktgerechten
Mein Herr Kollege Ollenhauer, nun, wir disku- Mitteln. Sie ist notwendig. Wir wollen doch kein
tieren hoffentlich weiter, und ich freue mich durch- plumpes Laissez-aller, Laissez-passer; wenngleich
aus, daß Sie die Disskussion begonnen haben. Sie wir immer der Meinung sind, daß im Zweifel der
sind noch kein Paulus, Eingriff des Staates in die Wirtschaft mehr schadet
(Heiterkeit) als nützt. Die wesentliche Aufgabe, die man stellen
muß, ist, daß die Wirtschaft in die Lage versetzt
aber Sie sind auf dem besten Wege dazu. wird, Reserven zu bilden. Nicht der Wirtschaft we-
(Beifall bei der FDP.) gen, sondern der Arbeiter wegen, damit sie, wenn
Rückschläge, wenn Krisen kommen, durchgehalten
Ich glaube, gerade diese Aussprache kann uns mit werden können.
der Hoffnung erfüllen — nun, daß dieser Bundes-
tag gut werden kann! Ich gehe mit dem Herrn Kollegen Ollenhauer
wiederum einig, wenn er verlangt, daß eine echte
(Heiterkeit.) Wettbewerbsordnung geschaffen wird — auch eine
Ich meine gerade das Gegenteil von dem, was gute Erkenntnis des Wesens der Marktwirt-
Herr Kollege Ollenhauer gefordert hat. Wir müs- schaft! —; denn sie ist die Grundlage der Wirt-
sen die zwangswirtschaftlichen Reste, die wir noch schaft. Der Entwurf des Gesetzes gegen die Wett-
haben, abbauen, diese Reste der staatlich gelenk- bewerbsbeschränkungen ist von dem Kollegen Er-
ten Wirtschaft auf dem Gebiete des Außenhandels, hard und mir ausgearbeitet worden. Ich halte ihn
der Devisenwirtschaft, des Kapitalmarktes, der für richtig. Die Wirtschaft muß wissen, daß es
Wohnungszwangswirtschaft. Ich werde ein Wort keine Pfründen in der Wirtschaft gibt, sondern nur
im einzelnen dazu sagen: für mich sind diese Reste den Erfolg ehrlicher Leistung für den Verbraucher.
ein Scandalum nicht nur gegen die wirtschaftliche Ich bin der Meinung, das Kartellgesetz muß mög-
Vernunft, sondern vor allem gegen das Recht. lichst rasch behandelt werden. Es muß ergänzt
werden durch eine Erweiterung und Verfeinerung
Kapitalmarkt! Wir wissen doch, daß unsere Zins- des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb,
politik grundsätzlich falsch war, daß sie uns ge- durch eine Berufsordnung für den Handel und
hindert hat, den Wertpapiermarkt aufzubauen und durch ein Gesetz zur regelung der Konsum-
zu einer gesunden Kreditpolitik zu kommen. Der genossenschaften.
typische Fehlschluß, zu glauben, dadurch, daß man
einen Zwangspreis, einen Zwangszins bestimme, Staatskapitalismus! Sehr schön, Herr Ollenhauer;
könne man regulieren. Man hat gerade dadurch wir liegen uns fast in den Armen!
die Gesundung der Wirtschaft verhindert. Denn
(Heiterkeit.)
der Kredit ist doch das Blut des Wirtschaftskörpers,
und dadurch, daß man die Wirkungen des Zinses Ich bin seiner Meinung. Das heißt, im Eigentlichen
als des Anzeichens, des Barometers für den rich- nicht. Sie sind ja im Ergebnis anderer Meinung,
tigen Lauf, für das richtige Verhalten ausgeschal- Verzeihung, es stimmt also nicht. Ich halte den
tet hat, hat man der ganzen Wirtschaft geschadet. Staatskapitalismus für ein Unglück, und ich hätte
Gerade die Investitionen durch die öffentliche Hand gern ,aus dem Munde des Herrn Bundeskanzlers
sind ein grotesker Verstoß gegen die marktwirt- gehört, daß diese Wirtschaft der öffentlichen Hand,
schaftlichen Grundsätze. die in den letzten Jahren entstanden ist, verurteilt
wird und daß sie korrigiert werden muß. Die Be-
Wohnungsmarkt! Ja, wer glaubt wirklich noch, tätigung des öffentlichen Eigentums in der werben-
unsere Wohnungswirtschaft sei sozial! Mein Freund den Wirtschaft steht in unlösbarem Widerspruch
Preusker hat völlig recht. Es gibt doch nur eines:
dieses Ministerium beseitigen dadurch, daß man mit den Grundsätzen der freien Wirtschaft. Es ist
den Wohnungsmarkt und den Wohnungsbau ge- ein gefährlicher Weg, wenn der Staat mit Steuer-
sundet, nämlich mit marktwirtschaftlichen Gesetzen mitteln Wirtschaft treibt und gegen die Steuer-
erfüllt. Wie kann man eine Wohnungszwangswirt- zahler konkurriert.
schaft als sozial bezeichnen, wenn man den Haus- (Beifall bei der FDP und rechts.)
besitzer unter ein Ausnahmerecht stellt? Es ist
auch eine Fiktion, der Hausbesitzer sei gewisser- Unser besonders kluger Herr Kollege Dr. Dresbach
maßen ein reicher Mann. Der Hausbesitz ist zum hat das schon vor Jahren sehr interessant und sehr
größten Teil in der Hand kleiner Leute. Ihnen überzeugend in seinem Artikel „Bundesschatz-
nimmt man ihr Recht. Wem nützt denn das? — ministerium" dargelegt. Jedes Wort kann man un-
Mein Freund Preusker wird, wenn er zu Worte terstreichen. Ich möchte fast meinen, hier könnte
kommt, Klügeres sagen können als ich. Er wird man einem unserer Minister für Sonderaufgaben
sagen können, daß die Dinge natürlich systematisch eine besondere Aufgabe zuweisen.
entwickelt werden müssen. Das Ziel ist klar. Woh- (Erneuter Beifall bei der FDP.)
nungsnot wird erst beseitigt, wenn die Ware Woh- Aber der Glaube, Herr Kollege Ollenhauer, man
nung ihren gerechten Preis hat. könne durch idas Wirken der öffentlichen Hand in
(Abg. Tenhagen: Quadratmeter drei Mark!) der Wirtschaft das wirtschaftliche Leben befruchten
2. Deutscher Bundestag — 4. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 28. Oktober 1953 59
(Dr. Dehler)
und günstig beeinflussen, ist eine Ill usion, die Ihnen diese Leistung ist durch eine Verschuldung er
noch aus Ihrer sozialistischen Vergangenheit übrig- reicht, die mehr als 5 Milliarden DM ausmacht.
geblieben ist. Die Ziele, die wir uns hier setzen, sind klar. Die
(Lachen und Zurufe von der SPD. — landwirtschaftliche Rentabilität muß weiterhin ge-
Heiterkeit in der Mitte und rechts.) fördert werden. Die Preisschere muß durch gleiche
Bewertung der landwirtschaftlichen Arbeit und
Verkehr! — Herr Präsident, habe ich noch genü- der gewerblichen, der industriellen Arbeit ge-
gend Redezeit? schlossen werden. Das Ziel der Parität von Löhnen
und Preisen mit denen anderer Wirtschaftsgruppen
Vizepräsident Dr. Jaeger: Sie sind in Ihrer muß durch wirtschaftliche Maßnahmen — nicht
Redezeit auf Beschluß des Ältestenrats unbegrenzt. durch planwirtschaftliche Maßnahmen — erstrebt
werden. In der Landwirtschaft muß das preis-
Dr. Dehler (FDP): Wenn ich das gewußt hätte!
gebundene Denken beseitigt werden. Es läßt sich,
Welch gute Gedanken habe ich schon unter den glaube ich, erreichen, daß die landwirtschaftlichen
Tisch fallenlassen! Bedarfsgüter verbilligt werden. Meine Partei steht
zu dem, was der Herr Bundeskanzler in seiner
(Lachen bei der SPD. — Abg. Dr. Becker bekannten Zusammenkunft mit den Spitzen der
[Hersfeld]: Weil wir für die Redezeit deutschen Landwirtschaft in Rhöndorf am 17. Fe-
Zwangswirtschaft haben! — Heiterkeit.) bruar 1951 erklärt hat. Wir sind der Überzeugung,
Ich glaube, auch der Vorwurf des Herrn Kolle- daß es möglich ist, seine Versprechungen einzu-
gen Ollenhauer, wir hätten für den Verkehr nichts lösen. Wir unterstützen daher alle Maßnahmen,
getan, ist nicht berechtigt. Es ist viel getan worden, welche geeignet sind, besonders die Leistungs-
fähigkeit der klein- und mittelbäuerlichen Betriebe
(Zuruf von der SPD: Was?) zu steigern. Wir wünschen eine großzügige Agrar-
auch für die Straßen ist viel getan worden, natür- politik mit dem Ziele der Vermehrung und auch
lich angesichts der unglaublichen Beschädigung der Verbesserung der landwirtschaftlichen Er-
und angesichts der Not mancher Länder, die ihren zeugnisse.
Verpflichtungen nicht nachkommen konnten, nicht Die Flurbereinigung darf nicht erst in einem
genug. Wir sind der Meinung, daß die Probleme Menschenalter durchgeführt werden. Wir müssen
des Verkehrs sorgfältigste Beachtung verdienen; uns das Ziel setzen, sie in einem kürzeren Zeit-
-
wir lehnen aber alle Monopole und alle sozialisti- raum, in fünf bis acht Jahren Wirklichkeit werden
schen Bestrebungen auch auf dem Gebiete des zu lassen und sie mit der Sicherung gegen weitere
Verkehrs ab. Vielmehr müssen private und staat- Realteilung des Grundbesitzes zu verbinden. Wir
liche Verkehrsträger die gleichen Rechte haben. erwägen die Errichtung von Landkauffonds, aus
Organisatorisch hat der erste Bundestag durch denen besonders Kleinbauern gespeist werden kön-
seine Gesetzgebung, durch das Bundesbahngesetz, nen, die doch überwiegend aus Berufung und aus
durch das Güterkraftverkehrsgesetz, schon die Neigung Bauern sind. Diese sollte man in den
richtige Ausgangsstellung geschaffen. Es gilt nun, Stand setzen, ihre Betriebe aufzustocken und von
zu einer Ordnung der Beziehungen zwischen den den technischen Möglichkeiten unserer Zeit Ge-
Verkehrsträgern zu kommen. Diese Ordnung muß brauch zu machen.
wirtschaftlich bestimmt sein. Darum halte ich es
für notwendig, daß die Bundesregierung die Ver- Wir wollen einen besonderen Schutz gerade den
kehrsträger veranlaßt, sich zunächst einmal zu- kleinen und mittleren Betrieben — es sind ja in
sammenzusetzen und zu einer Verständigung zu Deutschland über eineinhalb Millionen — zuwen-
kommen. Das kann man von ihnen verlangen. Erst den. Dazu gehören die Obst-, die Gemüse-, die
wenn diese Versuche mißglücken, kann man den Garten- und die Weinbauern. In ihnen steckt ein
Gesetzgeber angehen. wertvoller Teil unserer Volkssubstanz. Man muß
auch einmal die Leistungen dieser Leute anerken-
Mit Recht hat Herr Kollege Ollenhauer auf die
nen, die es durch einen Arbeitseinsatz, der stärker
Bedeutung der Bundesbahn hingewiesen. Sie ist ja
nicht nur ein Sondervermögen des Bundes, sondern ist als der jeder anderen Berufsgruppe, erreichen,
die größte Auftraggeberin der deutschen Wirt- daß sie ihre Produkte zu den gleichen Preisen wie
schaft. Sie droht in die Gefahr zu kommen, Kost- Großbetriebe auf den Markt bringen und dadurch
gängerin des Bundes zu werden. Die Bundesbahn mitwirken, daß die Lebensmittelpreise für unser
muß ihr Bemühen, durch eigene Maßnahmen, wie Volk erträglich sind. Das geschieht fast durch einen
Rationalisierung, ihre Wirtschaftlichkeit herzu- Raubbau an der Arbeitskraft des Bauern und sei-
stellen, fortsetzen. Aber die Übergangsschwierig- ner Familienangehörigen, nicht zuletzt der Bauers-
keiten, in denen sie durch besondere Verhältnisse, frau.
durch die Kriegsfolgen steht, rechtfertigen den (Beifall bei der FDP und in der Mitte.)
Wunsch, daß sie in die Lage versetzt wird, ihre Wir schlagen ein Bundessiedlungsgesetz mit einer
Anlagen und Fahrzeuge in gutem Zustande zu er- positiven Agrarreform an Stelle der so unheilvoll
halten und nach den Bedürfnissen des Verkehrs ausgeschlagenen negativen sogenannten Boden-
und dem Stande der Technik zu erneuern. reform vor. Wir schlagen die Reorganisation der
Ein kurzes Wort zur Landwirtschaft. Die Land- Einfuhr- und Vorratsstellen mit dem Ziele vor,
wirtschaft hat in den letzten fünf Jahren Erstaun- ausgeglichene Preise und ausgeglichene Versor-
liches geleistet; sie hat ebenso wie die industrielle gungsverhältnisse zu erzielen. Wir übernehmen
Wirtschaft ihre Produktion mehr als verdoppelt. auch das von dem Herrn Bundeskanzler aufgestellte
Trotz des Rückschlages der beiden Weltkriege, Ziel des gemeinschaftlichen europäischen Marktes
trotz der ungünstigen Verhältnisse in der Struktur, für die Landwirtschaft und teilen nicht die Be-
trotz der klimatischen Hemmungen, trotz der fehlen- denken, die Herr Kollege Ollenhauer erhoben hat.
den Bodengüte steht die deutsche Landwirtschaft Notwendig ist nur, daß die Startbedingungen fair
mit ihrer Leistung in der fortschrittlichen euro- sind. Das ist eine 'schwierige Frage. Das Klima
päischen Landwirtschaft an vierter Stelle. Aber kann man nicht ändern; aber man kann verhin-
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(Dr. Dehler)
dern, daß ein Dumping in den öffentlichen Lasten, bessern, die Qualität des Facharbeitertums heben.
die auf der deutschen Landwirtschaft liegen, be- Wir müssen auch denken an die Gefahr, daß die
steht. Schlüsselkräfte des Arbeitsprozesses überaltert
Die Finanzfrage. Wir stimmen dem Herrn Bun- sind, daß ihre Leistungsfähigkeit durch die Über-
deskanzler in den Zielen der Währungssicherung anstrengung der beiden Kriege beeinträchtigt ist.
und des Haushaltsausgleichs zu. Es genügt aber Verstärkte Berufsberatung ist ein Gebot, Verbesse-
nach unserer Meinung nicht, lediglich die bisherige rung der Arbeitsbedingungen selbstverständliche
Steuer- und Finanzpolitik „fortzuführen". Wir müs- Pflicht. Es darf den unsozialen Unternehmer nicht
sen uns viel entschlossener von den konfiskatori- mehr geben, er muß der öffentlichen Diffamierung
schen Steuergesetzen des Kontrollrats weiter weg verfallen,
entwickeln. Auch Finanzen und Steuern müssen (Hört! Hört! links — Beifall bei der FDP,
von den Gesetzen der Wirtschaft, der Marktwirt- in der Mitte und bei Abgeordneten der
schaft beherrscht werden. Die Eigentumsbildung SPD)
muß für alle steuerlich erleichtert werden, und echte
Leistung muß steuerlich begünstigt werden. Der er wird auch Seltenheitswert bekommen. Ich glaube
Steuerdruck ist immer noch unwirtschaftlich hoch, an die Möglichkeit gewaltiger Leistungen, gewal-
insbesondere bei der Einkommen- und bei der tiger Steigerung der Leistungsfähigkeit unserer
Körperschaftsteuer. Die Sätze der Körperschaft- Wirtschaft auch in sozialer Hinsicht. Vielleicht mag
steuer sind bei der sogenannten kleinen Steuer- es Ihnen in meinem Munde etwas kühn klingen,
reform ja nicht geändert worden. wenn ich sage: in absehbarer Zeit kann, wenn wir
gut wirtschaften, die 40-Stunden-Woche Tatsache
Die Steuerreform sollte durchgeführt werden, sein.
auch bevor eine neue Verteilung der Steuern auf (Bravo!)
Bund und Länder durchführbar ist. — Ich hatte auf Ihren (zur SPD) frenetischen Bei-
(Abg. Dr. Gülich: Und Gemeinden!) fall gehofft.
(Große Heiterkeit.)
Wir müssen die große Steuerreform anstreben und
versuchen, ein einfaches und übersichtliches Steuer- Aber ich erkenne langsam, Wahrheiten werden
system zu schaffen. Wir müssen die Doppelbe- hier nur anerkannt, wenn sie aus dem eigenen
-
steuerung für die Kapitalerträge, die wirtschafts- Gemüte erwachsen.
feindlich ist, beseitigen und müssen überhaupt
aufhören, Steuern, die eigentumsfeindlich wirken, (Abg. Dr. Schmid [Tübingen]: Wir haben
zu erheben. Wir sind auch der Meinung, daß die doch oft geklatscht, wir waren doch
Umsatzsteuer, insbesondere im Hinblick auf die freundlich! Immer kann man doch nicht
außenpolitischen Notwendigkeiten, die sich aus klatschen!)
GATT und Montan-Union ergeben, grundlegend — Sie waren immer liebenswürdig. Ich habe mich
gewandelt werden muß. Das sind schwierige Fra- in Ihrer Huld gesonnt
gen. Wir wissen, daß ein Abbau der Steuern nur
möglich ist, wenn ein Abbau der Aufgaben des (Zurufe)
Staates und damit ein Abbau des aufwendigen
Staatsapparats möglich ist. — doch, doch, meistens —, ich habe auf eine tief
gegründete Freundschaft gepocht, wofür der Herr
(Sehr gut! rechts.) Bundeskanzler kein Verständnis hat.
Die Sozialpolitik. Ich bin mit Herrn Kollegen (Erneute Heiterkeit. — Abg. Dr. Schmid
Ollenhauer über die Bedeutung des sozialen Wir- [Tübingen]: Ultra posse nemo obligatur!)
kens durchaus einig. Hauptziel der richtigen Wirt
schaftspolitik ist die Sozialpolitik. Vor allem ist es Ich wollte noch einmal sagen: Die echte soziale
notwendig, den richtigen Menschen an den rich- Leistung liegt in der Ausweitung und Vertiefung
tigen Arbeitsplatz zu bringen und die Bedürfnisse der richtigen Wirtschaftsordnung, die zu schaffen
des einzelnen zum Vorteil der Gesamtwirtschaft wir begonnen haben. Nur aus den Überschüssen
zu befriedigen. des Volkseinkommens sind soziale Leistungen
möglich, eben nur durch die erhöhte Produktion. Sie
Es ist sehr schön, daß Herr Kollege Ollenhauer zu steigern, das ist nicht nur wirtschaftspolitische,
das Gespenst der ständig zunehmenden Arbeits- sondern auch sozialpolitische Forderung. Ich darf
losigkeit nicht mehr an die Wand zu malen auf unsere Ziele — sie sind Ihnen bekannt — ver-
brauchte. Wenn ich an die erste Stellungnahme der weisen: Kapital und Eigentum auf breiter Basis
Sozialdemokratie zur Regierungserklärung und zu verteilen, Besitz für alle zu schaffen. Das Ziel
viele folgende Erklärungen denke, — nun, das der Partnerschaft in den Betrieben, des Mit-
war ja die Fuchtel, die man über der Bundes- eigentums der Arbeiter an den Betrieben ist durch-
regierung schwang. Die Arbeitslosigkeit ist kein aus fruchtbar, es soll gefördert werden.
Schreckgespenst mehr; praktisch herrscht Voll-
beschäftigung. Echte Arbeitslosigkeit beschränkt Über die Ideen des wirtschaftlichen Mitbestim-
sich auf durchschnittlich eine halbe Million; der mungsrechts oder der sogenannten Wirtschafts-
Rest ist nicht mehr einsatzfähig oder gerade im demokratie habe ich mich schon geäußert. Ich halte
Arbeitsplatzwechsel begriffen. Wenn wir an den sie für wirtschaftswidrig. Wir sind der Meinung,
Bedarf an Menschen in den kommenden Jahren daß die nicht auf restlos korrekte Art zustande
denken, wenn wir an den deutschen Beitrag zur gekommene Regelung des Mitbestimmungsrechts
Europäischen Verteidigungsgemeinschaft denken, in den Grundstoffindustrien auf dem Gebiet von
dann wissen wir, daß wir vor einem Mangel an Kohle -und Eisen den Bestimmungen des Betriebs-
Arbeitskräften, insbesondere an Fachkräften, ste- verfassungsgesetzes angepaßt werden muß. Ich
hen. Wir müssen alles tun, um hier abzuhelfen, stimme nicht mit dem überein, was Herr Kol-
Lehrlingsstellen schaffen, ihre Ausbildung ver- lege Dr. von Brentano über das überbetriebliche
2. Deutscher Bundestag — 4. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 28. Oktober 1953 61
(Dr. Dehler)
Mitbestimmungsrecht, über die Frage des Bundes- und Kapitalansammlungsverträge gegen Lebens
wirtschaftsrats gesagt hat, wenn er meint, hier schicksalsschläge zu sichern versucht. Jeder, dem
könnte man alle Schichten, alle Stände, Herr die eigene Gestaltung seines Schicksals zuzumuten
Kollege Schmid, des Volkes zusammenfassen und ist, soll auch tatsächlich sein Schicksal selbst in die
zu wirtschaftspolitischen Erkenntnissen führen und Hand nehmen und nicht die Gemeinschaft in An-
hier in diesem Hause könnte sich dann die Aus- spruch nehmen. Wir werden deshalb jeder Er-
sprache erübrigen. Schon diese Vorstellung: Sie höhung der Versicherungspflichtgrenzen wider-
sollen entscheiden, und andere sollen gedacht sprechen.
haben, — schon diese Erwägung beweist die Un- Vielleicht darf ich unsere sozialen Ziele, unsere
möglichkeit. Der vorläufige Reichswirtschaftsrat konkreten sozialen Ziele, noch in Schlagworten auf-
hat versagt, und auch der Gedanke eines Bundes- führen: klare Trennung zwischen Versicherung
wirtschaftsrats wird eine Fehlleistung sein. und Fürsorge, Vielgestaltigkeit unserer Versiche-
(Beifall bei der FDP und bei Abgeord rungsträger in der Sozialversicherung, Anwart-
neten der Mitte.) schaftsdeckung in der Rentenversicherung, die An-
rechnungsfreigrenzen bei Erwerbstätigkeit der
Man wird debattieren, und wer debattiert, ohne Kriegsopfer und der Sozialrentner erhöhen, Alt-
die Fähigkeit zur Entscheidung zu haben, der tut sparerentschädigung bessern, die Gläubiger von
sich leicht; denn er trägt keine Verantwortung. Anleihen aus öffentlicher Hand in gewissem Um-
Die Verantwortung der Entscheidung kann man fang entschädigen. Dazu gehört auch der Vollzug
und soll man dem Parlament nicht abnehmen. des Heimkehrerentschädigungsgesetzes, das noch
der Promulgation durch das Kabinett bedarf. In
Die soziale Lage des Mittelstandes ist uns eine gleicher Linie liegt der Schutz der alten Angestell-
große Sorge. Ich halte für charakteristisch für den ten. Ich darf vielleicht von dieser Stelle aus einen
Mittelstand eine bestimmte Lebenshaltung, die auf Appell an die Wirtschaft, besonders an die großen
Selbstverantwortung, auf Eigenständigkeit und auf Betriebe, richten, hier in der Sicherung der alten
Eigentum gerichtet ist. Dieser Mittelständler ist Angestellten eine eigene echte soziale Verpflich-
der beste Typus unseres Volkes, ist der eigentliche tung zu sehen.
Garant der Demokratie. Der Arbeiter, der seinen
Sohn in die Lehre schickt, der kleine Beamte, der (Beifall bei der FDP und in der Mitte.)
seinen Sohn auf die hohe Schule schickt, beweist Meine Damen und Herren, ich darf abschließen.
eine bessere Haltung als der Mittelständler, -dessen Wir Freien Demokraten, wir sind hochmütige
Lebensziel und -wunsch sich in einem Luxusauto Leute.
erschöpft. (Abg. Schoettle: Das glaube ich nicht ganz!)
(Sehr gut! bei der FDP.)
Wir sind selbstbewußt. Daran können die Wahl-
Die Lage der freien Berufe, die Lage der gei- ergebnisse und können die Wahlrechte — mögen
stigen Berufe ist schwierig; sie zu bessern, selbst- sie gestaltet werden, wie sie wollen — nichts än-
verständliche Pflicht. Herr Kollege Dr. von Bren- dern. Wir wissen: es gibt nur unseren , den
tano hat Zutreffendes darüber gesagt. liberalen Staat, es gibt nur unser, das liberale
Recht, es gibt nur unsere, die liberale Wirt-
Es wäre merkwürdig, wenn ich über soziale schaft, und nur in unserem, im liberalen Geiste
Fragen redete und nicht etwas zu den Renten sagte. wird sich Europa und wird sich die Welt ordnen
(Abg. Dr. Menzel: Kriegsopfer!) lassen. In dieser Haltung nehmen wir teil an der
Arbeit der Bundesregierung, die unser Vertrauen
Meine Damen und Herren, es gibt eine sehr pri- besitzt.
mitive Auffassung von der Reform der Sozialpoli- (Lebhafter Beifall bei der FDP.)
tik und damit auch von der Reform des Renten-
wesens, die ungefähr so aussieht: Man nehme dem Vizepräsident Dr. Jaeger: Das Wort hat der
einbeinigen Leierkastenmann die Drehorgel weg
und fülle seine Mütze statt mit Almosen am näch- Abgeordnete Dr. Eckhardt.
sten Postschalter mit Silbermünzen. — Eine anti- Dr. Eckhardt (GB/ BHE): Herr Präsident! Meine
quierte, eine gefährliche Vorstellung! Die Dreh- Damen und Herren! Die politische Aufgabe be-
orgel muß durch ein Produktionsmittel, durch ein steht nicht eigentlich in einer Rückschau auf Er-
Werkzeug ersetzt werden, das dem Geschädigten folge oder auch Mißerfolge, sondern sie besteht für
nicht nur die Existenz sichert, sondern ihm auch uns darin, die Deutschen der Bundesrepublik und
das Gefühl wiedergibt, daß er ein wirkender, daß darüber hinaus das gesamte deutsche Volk auf
er ein freier, daß er ein auf eigene Verantwortung seinem Wege zum Frieden, zu der Sicherung seiner
gestellter Mensch ist. Rechte — der Sicherung der Rechte des gesamten
(Beifall bei der FDP.) Volkes nach außen und innen — und zu der Stei-
gerung der sozialen Wohlfahrt fortzuführen. Es
Was vor allem not tut, ist der Auftrag zur beruf- versteht sich, daß uns die Probleme und Belange
lichen Umschulung in viel stärkerem Maße, als das der Opfer dieses Krieges insonderheit der Heimat-
bisher geschehen ist. Die nicht zu entbehrenden vertriebenen, die Frage etwa der Möglichkeit einer
Renten sollen eine ausreichende Höhe haben. Un- technischen und materiellen Verbesserung des
nötige Rentenzahlungen — natürlich nicht die An- Lastenausgleichs und auch eine Entbürokratisie-
sprüche der staatlichen Rentenversicherung — rung aller dieser Dinge am Herzen liegen und daß
sollten wegfallen, und die dadurch eingesparten Be- uns weiter die Frage der Außenpolitik in beson-
träge sollten dem echten Rentner, dem bedürftigen derem Maße am Herzen liegt. Gerade aus diesem
Rentner als ausreichender Lebensunterhalt zukom- Grunde werden meine Freunde in der morgigen
men. Das Bedürfnis nach der Daseinssicherung — Debatte auf diese Fragen ausführlicher zu sprechen
wir wollen es nicht ironisieren —, die durch die kommen.
staatliche Sozialversicherung erstrebt wird, ist
ebenso berechtigt wie das Bedürfnis des an- Wir sehen unsere Aufgabe darin, klare Funda-
deren Personenkreises, der sich durch Versicherung mente für das Recht auf die Heimat und für das
62 2. Deutscher Bundestag — 4. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 28. Oktober 1953
(Dr. Eckhardt)
Selbstbestimmungsrecht zu errichten. In der prak- Arbeitsplätze für Kriegsversehrte dringend gesorgt
tischen Politik muß es darum gehen, auf fried- wird. Das ist eine Ehrenpflicht für uns und unser
lichem Wege die Möglichkeiten zu schaffen, daß Volk.
diese Rechte auch verwirklicht, daß sie in Anspruch Bezüglich der Probleme, die sich für die künf-
genommen werden können. Eine europäische Neu- tigen Maßnahmen auf dem Gebiet der Wohnungs-
ordnung wird nur möglich sein, wenn das Unrecht
wirtschaft ergeben, möchten wir die Meinung aus-
der Vertreibung wiedergutgemacht und wenn Vor- sprechen, daß man bei aller Anerkennung der
sorge dafür getroffen wird, daß neuerliche Ver- Grundsätze der freien Wirtschaft und bei aller An-
treibungen nicht mehr stattfinden können. In der erkennung ihrer Erfolge auf diesem Gebiet doch
Einengung, in der Verdrängung nationalstaatlichen sehr vorsichtig wird vorgehen müssen. Wir glauben
Denkens bei den Bemühungen um die Neuordnung auch, daß der Herr Bundeskanzler in seiner Regie-
Europas sehen auch wir die Voraussetzung für ein rungserklärung selbst zur Vorsicht auf diesem
gesundes künftiges Zusammenleben der Völker. Wege gemahnt hat. Wir dürfen jedenfalls die
Mir selber liegt es heute ob, zu dem Komplex Grundsätze der freien Wirtschaft auf diesem Gebiet
von Fragen Stellung zu nehmen, die der Herr Bun- nicht in schematisierender Weise zur Anwendung
deskanzler in seiner Regierungserklärung als die bringen.
Einheit von Sozial- und Wirtschafts- und Finanz- Eine andere Frage, die bisher nicht berührt wor-
politik mit Recht zusammengefaßt hat. Es geht hier den ist, die aber gerade im Rahmen der gesell-
eigentlich nicht nur um fachliche Fragen, nicht nur schaftlichen Neuordnung unseres Volkes von größ-
um die Belange eines besonderen Fachgebiets, son- ter, von umfassender Bedeutung ist, ist die des
dern es geht um eine rechte und gerechte Ord- Familienlastenausgleichs. Daß danach ein soziales,
nung des gesellschaftlichen Lebens unseres Volkes. wirtschaftliches, ein ganz allgemeines Bedürfnis
Das bedeutet zunächst einmal eine stärkere Kon- besteht, scheint uns auf der Hand zu liegen, und
kretisierung und eine bessere Realisierung der wir meinen, daß die Methoden, mit deren Hilfe
Grundrechte, die in unserer Verfassung, im Bonner dieser Familienlastenausgleich durchgeführt wer-
Grundgesetz, niedergelegt sind. Auch Herr von den könnte, erst in zweiter Linie zur Debatte
Brentano hat an diese Grundrechte appelliert. Wir stehen. Vielleicht kann man, anstatt eine neue
meinen, daß im Rahmen der Sozialpolitik, die wir Apparatur aufzubauen, diesen Familienlastenaus-
zu treiben haben, das Naturrecht auf Arbeit, das gleich zugleich mit einer Vereinfachung unseres
den Angehörigen einer Schicksalsgemeinschaft wie steuerlichen Tarifwesens verbinden.
unseres deutschen Volkes zusteht, besser und voll-
kommener verwirklicht werden muß. Von allergrößter und umfassender Bedeutung,
gerade im Hinblick auf die Zahl der Betroffenen,
Ich möchte Ihnen dafür einige konkrete Beispiele ist die Ordnung der Renten, insbesondere der
geben. Die Opfer dieses Krieges, insbesondere die Grundrenten im Rahmen des uns gegebenen Preis-
Heimatvertriebenen, sind bei weitem noch nicht gefüges. Wir stellen uns vor, daß eine befriedigen-
in dem Maße eingegliedert, in dem sie dies nicht dere Anpassung der Renten aneinander, insbeson-
nur selbst wünschen, sondern in dem dies im all- dere in der Frage der Anrechnung der Renten, not-
gemeinen Interesse unseres Volkes und auch un- wendig ist und im Volk als Bedürfnis empfunden
serer Wirtschaft gelegen ist. Ich möchte Sie nur wird.
darauf hinweisen, daß sich die soziale Struktur
etwa der Heimatvertriebenen im Verhältnis zu Schließlich möchten wir gerade im Rahmen
früher wesentlich geändert hat und daß sich heute dieser sozialen und gesellschaftlichen Forderungen
unter diesen Millionen nicht mehr 27 % selbstän- auf eine Notwendigkeit hinweisen, die uns vom
dige Existenzen befinden, sondern nur noch 8 % wirtschaftlichen und sozialen; aber gleichermaßen
Das ist sehr bedenklich; denn ich sehe- — wahr- auch vom Gesichtspunkt des Rechts und der Rechts-
scheinlich mit einem großen Teil von Ihnen — in idee bedeutsam erscheint; das ist die Notwendig-
der Förderung dieser selbständigen Existenzen ge- keit einer grundlegenden und umfassenden Reform
radezu eine Grundbedingung für einen gerechten unserer Sozialgesetzgebung, durch deren Gestrüpp
sozialen Aufbau und für die notwendige Erhöhung sich kein gewöhnlicher Mensch, kaum ein Experte
unseres Sozialproduktes. Von diesen Existenzen noch durchzufinden vermag.
gehen die Impulse dazu aus, und hier liegt eine Mit einer solchen grundlegenden Vereinfachung
echte Verpflichtung für uns vor. könnten wir auch einen Beitrag zur Belebung der
Wirtschaft leisten. Eine solche kann durch Verein-
Herr Dr. Dehler hat mit Recht schon darauf fachung, durch Beseitigung toter Kosten und der-
hingewiesen, daß für die älteren Angestellten und
Arbeitnehmer gesorgt werden müsse. Ich fürchte nur, gleichen mehr erreicht werden. Wir könnten damit
zu jener Belebung der Wirtschaft beitragen, die
daß das nicht allein mit einem Appell an Organisa- in einer Erhöhung des Sozialprodukts gipfelt und
tionen, Verbände und Unternehmen geschehen von der wir allein die Verwirklichung solcher so-
kann,
zialen und gesellschaftlichen Forderungen erhoffen
(Sehr richtig! beim BHE) können. Es kommt aber nicht allein auf die Er-
sondern daß wir hier in Parlament und Regierung höhung des Sozialprodukts an sich an. Auch die
auch für diese Dinge werden sorgen müssen. Schichtung des Volkseinkommens ist für unsere
Wirtschaft wesentlich. Wir meinen, daß beide Ziele
Es scheint uns weiter wesentlich, die Frage der — eine gerechte Schichtung und eine Erhöhung des
Berufsnot der Jugend zu behandeln, insbesondere Sozialprodukts — durchaus erreicht werden kön-
den jugendlichen Arbeitslosen durch berufsbildende nen. Aber nicht durch Verstaatlichung! Auf
Maßnahmen an Arbeit und Beruf heranzuführen. keinem Gebiet wird die Verstaatlichung zu einer
Erhöhung des Volkseinkommens, zu einer Erweite-
Wir halten es weiter — um ein anderes kon- rung des Wirtschaftsvolumens und einer Verbes-
kretes Beispiel zu geben — für wichtig, daß für serung der sozialen Wohlfahrt beitragen. Wir sind
eine bessere und vollkommenere Gestaltung der vielmehr der Meinung, daß hier eine wirkliche
2. Deutscher Bundestag -- 4. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 28. Oktober 1953 63
(Dr. Eckhardt)
Reprivatisierung des öffentlichen Erwerbsver- sagen, die erste Forderung einer solchen Reform —
mögens Wesentliches zur Belebung und Auflocke- auf eine grundlegende Vereinfachung, eine Verein-
rung tun könnte und daß eine solche Reprivatisie- fachung, die hier wie auf dem Gebiet des Lasten-
rung im Zuge der Zeit überhaupt unerläßlich ist. ausgleichs und auf anderen Gebieten auch zu einer
Entbürokratisierung führen muß.
Wir meinen weiter, daß auch die Möglichkeiten des
Kreditmarkts in besserem Maße ausgeschöpft wer- Das Steuerrecht ist heute ein ähnliches Gestrüpp
den müssen. In erster Linie müssen wohl den Be- wie das Recht der sozialen 'Gesetzgebung. Hier
trieben des Mittelstandes bessere Kreditmöglich- kommt die Rechtsidee, von der Herr Dr. Dehler so
keiten gegeben werden. Wir stimmen Dr. Dehler zu, lebendig gesprochen hat, nach unserer Meinung
der den Mittelstand besonders hoch gestellt hat. nicht mehr zur Geltung. Rudolf von Ihering, der
Dabei meinen wir mit dem Herrn Bundeskanzler, große Göttinger Jurist, hat sich vor mehr als hun-
daß wir keineswegs von dem alten Begriff des dert Jahren einmal dahin ausgesprochen, daß der
Mittelstandes auszugehen haben, sondern daß der moralische Wert der Gesetze in dem Maße herab-
heutige Mittelstand nicht nur die gewerblichen Be- sinke, wie ihre Zahl erhöht werde. Allein die Zahl
rufe umfaßt, sondern sich auf zahlreiche Berufs- der Gesetze auf diesem Gebiet ist unerträglich.
gruppen erstreckt, angefangen beim qualifizierten Eine wesentliche Vereinfachung wäre sicherlich
Arbeiter, beim Facharbeiter über den Angestellten nicht nur am Platze, sondern 'auch möglich. Wir
und Gewerbetreibenden bis hin zu den Angehörigen dienen mit einer solchen Vereinfachung nicht nur
der freien Berufe und der Wissenschaft. Dieser Mit- der Wirtschaft, wir dienen ganz allgemein dem
telstand hat, wie man vielleicht sagen kann, die Recht. Ein Gesetz muß echtes Recht enthalten und
Funktion des sozialen Ausgleichs und überdies die darf sich nicht mit einer Vielfalt von technischen
historisch feststellbare Neigung zur Stetigkeit in Regelungen begnügen. So wie nach einer uralten
der wirtschaftlichen, politischen und menschlichen Meinung — erlauben Sie mir, das einmal zu sagen
Haltung überhaupt. Gerade darin sehen wir seine — das Schöne dadurch zur Geltung kommt, daß es
besondere staatspolitische Bedeutung. Wir halten als das geistige Element durch die Materie hin-
eine ausgesprochene Förderung des Mittelstandes durchleuchtet, so muß im einzelnen Gesetz die
für notwendig und werden entsprechende Vor- Kraft der Rechtsidee zum Ausdruck kommen und
schläge auf dem Gebiet der Wirtschaft und der ihm dadurch moralische Kraft verleihen.
Steuerpolitik machen. - (Beifall beim GB/ BHE und in der Mitte.)
Weiter glauben wir, daß die Erhöhung und ge-
rechte Schichtung des Volkseinkommens auch durch Wir sind aber weiter der Überzeugung, daß selbst
Maßnahmen der Vorfinanzierung von Lastenaus- ein so umfassendes Gesetzgebungswerk wie die ge-
gleichsansprüchen einerseits, aber auch von Alt- plante Steuerreform für sich allein nicht genügt.
spareransprüchen aus der Altsparerregelung auf Sie bedarf, das wissen wir alle, der Verbindung mit
der anderen Seite erreicht werden können. Eine einer Reform des Finanzausgleichs, d. h. der Neu-
solche Vorfinanzierung wirkte wirtschaftsbelebend ordnung des Verhältnisses von Bund und Ländern.
und läge keineswegs nur im Interesse der davon Bereits hier stecken erhebliche politische Gefahren-
betroffenen Gruppen, sondern im allgemeinen momente. Aber darüber hinaus ist ja eine solche
volkswirtschaftlichen Interesse. Ü berhaupt glaube Steuerreform nur wirksam, wenn sie zugleich eine
ich sagen zu können, daß die echte Eingliederung Finanzreform und außerdem eine Verwaltungs-
der vom Kriege besonders betroffenen Betriebe, reform darstellt, eine Verwaltungsreform, die dar-
also in vorderster Linie der Heimatvertriebenen- auf 'abzielt, nicht Bürokraten und Techniker zur
Unternehmungen, eine volkswirtschaftliche Not- Durchführung von Gesetzen zu schaffen, sondern
wendigkeit ist. Dazu bedarf es nicht zuletzt einer den guten Beamten zu fördern, in jenem guten und
besseren finanziellen Untermauerung der Betriebe, traditionsreichen Sinne, den wir gerade in Deutsch-
heimatvertriebener Unternehmer, die bei weitem land alle vor Augen haben und kennen.
nicht die Kapitalausstattung haben, die sie nötig Und noch etwas mehr. Diese Reform, die wir als
hätten, um auch nur einigermaßen krisenfest be- grundlegend betrachten für die Belebung, die Neu-
stehen zu können. Das gilt nicht nur für die ordnung unserer Wirtschaft und die Erhöhung des
Heimatvertriebenen-Unternehmungen, es gilt dar- Volkseinkommens kann auch nicht an der Frage
über hinaus für alle die Betriebe und Unterneh- der Grundrechte und nicht an der Frage einer Er-
mungen, die neue Arbeitsplätze in der Wirtschaft gänzung unseres Verfassungsrechts vorübergehen.
schaffen. Diese Maßnahmen an sich genügen nicht. Wir brauchen Finanzgrundrechte, die dem Staats
Ich habe nur ein paar konkrete Hinweise geben burger das Gefühl geben, daß er sich zum Staat in
können. einem Verhältnis befindet, das den Regeln der
Wir sind uns klar, daß darüber hinaus ganz um- Moral und der Verfassung unterliegt. Denn — und
fassende Maßnahmen als Aufgaben vor diesem Par- damit lassen Sie mich diese letzten Ausführungen
lament stehen. Dazu gehört vielleicht mit in vor- zusammenfassen — der Staatsbürger wünscht sich
derster Linie die sogenannte große oder organische seinen Staat nicht als ein anonymes Gebilde, nicht
Steuerreform. Wir stellen uns vor, daß sie drei als ein Kolletiv, sondern er wünscht sich — wenn
Aufgaben zu erfüllen haben würde. Einmal müßte ich hier einen alten Ausspruch aus der Zeit des
sie durch eine Tarifsenkung, und zwar auch durch deutschen Idealismus gebrauchen darf — seinen
die Art die Tarifsenkung, auf der einen Seite zu Staat als eine moralische Anstalt, die dazu berufen
einer Belebung der Wirtschaft, zur Erhöhung des ist, den Frieden, in erster Linie den sozialen Frie-
Sozialprodukts, auf der andern Seite aber auch zu den, zu sichern und das Recht zu wahren.
einer Steigerung der Masseneinkommen und ihrer
Kaufkraft führen. Sie würde die weitere Aufgabe (Beifall bei den Regierungsparteien.)
haben, die Steuern in organischer Weise an die Be-
dürfnisse der ges amten Volkswirtschaft anzu- Vizepräsident Dr. Jaeger: Meine Damen und
passen. Das ist heute bei weitem nicht der Fall. Heren! Nach den im Ältestenrat getroffenen Ver-
Damit verbindet sich die Forderung — ich möchte einbarungen darf ich Ihren Willen unterstellen, daß
2. Deutscher Bundestag — 4. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 28. Oktober 1953
(Vizepräsident Dr. Jaeger)
wir an dieser Stelle die Aussprache über die Regie- Repräsentantenhauses im deutschen Parlament
rungserklärung unterbrechen und morgen weiter- weilt. Ich möchte Sie auf die Wichtigkeit dieser An-
fahren. gelegenheit hinweisen und bitten, Ihre Dispositio-
nen entsprechend zu treffen.
Ich möchte Sie jedoch noch einen Augenblick um
Ihre Aufmerksamkeit bitten. Zu Beginn der mor- Meine Damen und Herren, ich berufe die nächste
gigen Sitzung wird der Sprecher des amerika- die 5. Sitzung des Deutschen Bundestages auf mor-
nischen Repräsentantenhauses unser Gast sein und gen, Donnerstag, den 29. Oktober, 9 Uhr 30. Ich
einige Worte an uns richten. Das dürfte das erste schließe , die 4. Sitzung des Deutschen Bundestages.
Mal in der Geschichte des deutschen Parlamentaris-
mus sein, daß der Sprecher des amerikanischen (Schluß der Sitzung: 14 Uhr 57 Minuten.)