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Deutscher Bundestag - 45. Sitzung. Bonn, Freitag, den 3.

März 1950 1507

Interfraktioneller Antrag betr.


Überwei-
sung von Anträgen an die Ausschüsse
(Drucksache Nr. 649) . . . . . . 1554A
Nächste Sitzungen 1554A

Die Sitzung wird um 14 Uhr 10 Minuten durch


den Vizepräsidenten Dr. Schmid eröffnet.
Vizepräsident Dr. Schmid: Meine Damen und
Herren! Ich eröffne die 45. Sitzung des Deutschen
Bundestages.
Ich bitte den Herrn Schriftführer, festzustellen,
wer krank und wer entschuldigt ist.
45. Sitzung Matthes, Schriftführer: Es fehlen wegen Erkran-
kung die Abgeordneten Frau Dr. Göwel, Schütz,
Bonn, Freitag. den 3. März 1950. Kalbfell, Hennig, Bielig, Schönauer, Herrmann,
Dirscherl, Pannenbecker, Nuding, Fisch, Wittmann.
Entschuldigt fehlen die Abgeordneten Dr. Pferd-
menges, Junglas, Nickl, Brandt, Frau Schroe-
der, Jahn, Frau Albrecht, Jacobi, Dr. Freiherr von
Geschäftliche Mitteilungen 1507C Rechenberg, Dr. Zawadil, Langer, Kuhlemann,
Freiherr von Aretin, Dr. Hamacher, Frau Arnold,
Einspruch des Abg. Seuffert gegen seinen Dr. Glasmeyer, Tichi, Reimann, Frau Thiele, Kohl,
Ausschluß in der 41. Sitzung (Druck- Oskar Müller. Außerdem fehlt der Abgeordnete
sache Nr. 644) 1507D Goetzendorff.
Vizepräsident Dr. Schmid: Meine Damen und
Dritte Beratung des Entwurfs eines Ge- Herren! Gemäß einer Vereinbarung im Ältestenrat
setzes zur Ä nderung des Einkommen- ist die Tagesordnung erweitert worden, und zwar
steuergesetzes (Drucksachen Nr. 623, 566 um den Einspruch des Herrn Abgeordneten Seuf-
und 317); Anträge (Drucksachen Nr. 640, fert gegen seinen Ausschluß in der 41. Sitzung.
641) 1508A Dieser Einspruch muß vor Punkt 1 der Tagesord-
Dr. Koch (SPD) 1508A, 1531A, nung behandelt werden. Ebenso ist die Tagesord-
1536C, 1545C nung erweitert worden um einen interfraktionellen
Rische (KPD) 1516A, 1542B Antrag betreffend Überweisung von Anträgen an
die Ausschüsse. Dieser Antrag soll am Schluß der
Loritz (WAV) 1520B, 1549A Sitzung behandelt werden.
Dr. Dr. Höpker-Aschoff (FDP) . . . 1521D Der
Dr. Besold (BP) 1524A Einspruch des Herrn Abgeordneten Seuffert
Seuffert (SPD) 1524D, 1534D, 1536D, gegen seinen Ausschluß in der 41. Sitzung
1537A, B, 1542D, 1543A, 1544D, ist in der Drucksache Nr. 644 enthalten. Über die-
1548A, 1550A sen Einspruch ist ohne Aussprache zu beschließen.
Dr. Bertram (Z) 1527C, 1537A, C, Ich brauche ihn wohl nicht besonders zu verlesen.
. . . . . . . 1543A, 1546A, 1549B Die Damen und Herren haben die Drucksache vor
Neuburger (CDU) 1529C, 1541C, sich liegen.
1545B, 1548B, D Wer für die Berechtigung dieses Einspruchs auf
Pelster (CDU) 1532D, 1541D Drucksache Nr. 644 ist, den bitte ich, die Hand zu
Schäffer, Bundesminister der erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Es ist
Finanzen 1535B, 1539A, 1540B, 1545D nicht festzustellen, welches die Mehrheit ist. Wir
Freudenberg (FDP) 1538A werden das Stimmenverhältnis durch Hammel-
sprung feststellen müssen. Ich bitte, entsprechend
Mertins (SPD) 1538B, .1540D zu verfahren. Die Technik ist uns allmählich ge-
Bazille (SPD) 1539A läufig geworden.
Renner (KPD) . . 1539B, 1544A, 1547B Wer für die Berechtigung des Einspruchs ist, den
Höfler (CDU) . .. . . . . . 1540A bitte ich, nach Verlassen des Saales durch die Tür
Wönner (SPD) 1542B rechts von mir hereinzukommen, wer gegen die Be-
Dr. Greve (SPD) 1543B rechtigung des Einspruchs ist, den bitte ich, durch
die Tür links von mir den Saal zu betreten. Die
Dr. Oellers (FDP) 1545C Damen und Herren, die sich enthalten wollen, bitte
Meyer (Bremen) (SPD) 1546D ich, die Mitteltür zu benutzen.
Dr. Wellhausen (FDP) 1547C (Abg. Loritz: Lauter, Herr Präsident!)
— Ich spreche so laut, wie ich, ohne grob zu wer-
Interpellation der Abgeordneten Dr. Vogel, den, zu sprechen vermag.
Ollenhauer, Mende u. Gen. betr. Kopen- (Heiterkeit.)
hagener Wellenplan (Drucksache Nr. 611) 1550A Ich bitte, sich der Technik des Hammelsprungs
Dr. Vogel (CDU), Interpellant . . . 1550B entsprechend zu verhalten und den Saal zu ver-
Schuberth, Bundesminister für das lassen.
Post- und Fernmeldewesen . . 1552C (Die Abgeordneten verlassen den Saal.)
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(Vizepräsident Dr. Schmid)
Ich bitte, mit der Zählung zu beginnen. weisen müssen, in der er selber folgendes gesagt
(Der Wiedereintritt und die Zählung erfolgen.) hat:
Meine Damen und Herren, ich gebe das Schluß- Das Wesentliche des Steuergesetzentwurfs, der
zeichen. Ihnen vorliegt, ist ja eine Senkung der Tarife,
(Glocke.) die beträchtlich ist, die bis zu 27 Prozent der
— Damit ist die Abstimmung geschlossen. alten Tarife geht, und sind Steuervergünsti-
gungen, die, vermehrt um eine, .. . noch ganz
(Das Ergebnis wird ermittelt.) beträchtliche Steuerausfälle werden erwarten
Meine Damen und Herren! Ich gebe das Ergeb- lassen.
nis der Abstimmung bekannt. Für die Berechti- So die Worte des Herrn Finanzministers!
gung des Einspruchs haben sich ausgesprochen
138 Abgeordnete, gegen die Berechtigung 200 Ab- Meine Damen und Herren! Ich werde gegen-
geordnete, bei zwei Stimmenthaltungen. Der Ein- überstellen müssen die sozialen Zusicherungen
spruch ist albgelehnt. der Regierung und diese unsoziale Tat, wie wir sie
in dieser Steuervorlage erblicken. Bevor ich das
Nunmehr rufe ich den auf der gedruckten Tages- aber alles tue, möchte ich folgendes feststellen, nicht
ordnung unter Ziffer 1 bezeichneten Punkt auf: etwa als eine Unterstellung oder als eine Fiktion.
Dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes Meine Ausführungen haben ebensowenig wie dieses
zur Änderung des Einkommensteuergesetzes Einkommensteuergesetz, ebensowenig wie die An-
(Drucksachen Nr. 623, 566 und 317 ; Anträge sichten der Regierungsparteien zu diesem Gesetz,
Drucksachen Nr. 649, 641. ebensowenig wie alle Abänderungsanträge etwas
Die dritte Beratung beginnt mit der allgemeinen mit dem deutschen Namen und mit der nationalen
Aussprache über die Grundsätze der Vorlage. Das Ehre zu tun.
Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Koch. (Zustimmung bei der SPD.)
Meine Damen und Herren, die Zeiten sollten vor-
Dr. Koch (SPD): Herr Präsident! Meine Damen über sein, als man den deutschen Namen und die
und Herren! Erlauben Sie mir bitte, daß ich zu- nationale Ehre und die ganze vaterländische Ge-
nächst im Namen meiner Fraktion die folgende schichte mit dem Hohenfriedberger und dem Ba-
Erklärung abgebe: denweiler bemühte, wenn man über eine Schorn-
Der Herr Bundestagspräsident hat am Ende der steinfegerverordnung oder über die Schweinepreise
41. Sitzung am 24. Februar etwa um 19 Uhr 30 die diskutierte.
Beschlußunfähigkeit des Hauses festgestellt. Er hat (Beifall bei der SPD.)
daraufhin die Sitzung abgebrochen und eine wei- Man braucht kein Prophet zu sein, um folgendes
tere Sitzung einberufen. Diese weitere Sitzung zu sagen: wir werden auch in diesem Hause gegen
zählt jetzt nach der Niederschrift, wie wir sie ken- unseren Willen und nicht durch unsere Schuld noch
nen, als 42. Sitzung des Deutschen Bundestages, mancher schweren und ernsten Stunde entgegen-
obwohl keineswegs -- jedenfalls nicht an jenem gehen. Dann werden wir uns freuen, wenn die Be-
Abend — klargeworden ist, ob die 41. Sitzung le- griffe nationale Ehre und deutscher Name nicht
diglich unterbrochen oder ob sie geschlossen war. allzusehr abgegriffen sind wie billiges Wechselgeld
Wir bezweifeln aus diesem Grunde auch die ge- und nicht allzusehr strapaziert sind,
schäftsordnungsmäßige Durchführung dieser zwei- (Beifall bei der SPD. — Zuruf von der Mitte:
ten Sitzung am selben Tage. Wir vermissen in der Das soll sich Herr Schumacher mal merken!)
Niederschrift über diese Sitzung, insbesondere bei
der Eröffnung der Sitzung, in den Worten des auch nicht durch die Vertreter der Regierung.
Herrn Präsidenten: „Ich eröffne die soundsovielte Meine Damen und Herren! An den Anfang unse-
Sitzung" das Wörtchen „unterbrochene" oder „un- rer Erörterungen möchten wir die Auswirkungen
unterbrochene", das er ganz zweifellos gebraucht der Tarifreformvorschläge stellen, neben denen alle
hat. Änderungen verblassen oder, man möchte beinahe
Sie werden uns zugeben, meine Damen und sagen, belanglos werden. Die Tarifreform ist das
Herren, daß die Handhabung der Geschäftsordnung Kernstück dieser Reform, und die Tarifsenkungen
in dieser Sitzung und bei Beginn der Sitzung außer- sind, wie der Herr Finanzminister sagt, das We-
ordentlich verschwommen war. Wir behalten uns sentliche des Steuergesetzentwurfs. Auf 900 Millio-
daher vor, die Rechtmäßigkeit dieser Sitzung an- nen bis 1 Milliarde D-Mark schätzt der Herr Finanz-
zuzweifeln. Wir werden uns selbstverständlich an minister den Steuerausfall auf Grund seiner eige-
der heutigen Lesung des Einkommensteuergesetzes nen Vorschläge. Das sind die längst versprochenen
und an der heutigen Beratung beteiligen. Wir be- Steuersenkungen, von denen auch schon in der Re-
trachten diese Beratung wie eine zweite Lesung gierungserklärung des Herrn Bundeskanzlers die
und werden alle unsere Anträge wiederholen, an Rede war. In der Regierungserklärung des Herrn
deren Beratung wir nicht haben teilnehmen Bundeskanzlers war auch davon die Rede, daß die
können. Regierung so sozial wie möglich handeln wolle, und
es war gesagt: „Das Streben nach sozialer Gerech-
(Zustimmung bei der SPD. — Lautes Lachen tigkeit wird der oberste Leitstern bei unserer ge-
und Zurufe bei den Regierungsparteien.) samten Arbeit sein." Und nun kommt diese Steuer-
Meine Damen und Herren! Erlauben Sie mir, be- reform, auf die Millionen von Steuerpflichtigen seit
vor ich zu der Vorlage grundsätzlich Stellung Wochen und Monaten gewartet haben, insbeson-
nehme, eine, ich möchte sagen, persönliche Erklä- dere auch Millionen kleiner Lohnempfänger, klei-
rung. Auch heute werde ich wieder zu sprechen ner Gehaltsempfänger, kleiner Handwerker, klei-
haben über die übermäßigen Steuersenkungen, über ner Landwirte und die Millionen von Flüchtlings-
die ungerechte Verteilung dieser Steuersenkungen existenzen, die bisher aus einem nur kärglichen
auf arm und reich, über Steuerausfälle größten Einkommen schon Steuern zu zahlen hatten. Sie
Ausmaßes. Ich werde jedoch nicht von einem alle, alle diese kleinen Existenzen, alle diese klei-
„leichtfertigen Verschenken" sprechen. Ich werde nen Lohn- und Einkommensteuerpflichtigen werden
in diesem Zusammenhang auf die Worte des Herrn enttäuscht sein, wenn sie die Tarifvorschläge der
Finanzministers zur Begründung des Gesetzes hin- Regierung kennenlernen werden. Der Tarifvor-
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(Dr. Koch) -

schlag — und ich weiß nicht, ob das genügend be- Ich habe bisher von den Lohnsteuerpflichtigen
kannt gewesen ist, als in der letzten Sitzung, in der gesprochen. Lassen Sie mich auch einmal die Ver-
sogenannten zweiten Lesung über diese Fragen ab- anlagten in den Kreis dieser Betrachtungen ziehen.
gestimmt wurde — bringt ganz erhebliche Ermäßi- Nach dem Statistischen Jahrbuch für das Deutsche
gungen für die hohen Einkommen und fast nichts Reich hatten wir 1937 1 600 000 veranlagte Einkom-
für die kleinen Einkommen. mensteuerpflichtige — das sind 53 Prozent der Ein-
Das gilt es zu beweisen. Erlauben Sie mir, daß kommensteuerpflichtigen —, die unter 3000 D-Mark
ich Ihnen dazu einige Ziffern nenne. Bei einem jährlich an Einkommen bezogen — also 53 Prozent
Jahreseinkommen von 1200 D-Mark — ich sage unter 3000 D-Mark —, während ein ganz geringer
Jahreseinkommen, das . heißt also bei einem Mo- Bruchteil, noch nicht einmal 1 Prozent der Steuer-
natseinkommen von 100 M -Mark — beträgt die Er- pflichtigen, Einkommen über 50 000 D-Mark ver-
mäßigung der Steuer auf Grund des Tarifvorschlags diente. Diese wenigen — es sind insgesamt nur
0,75 Prozent des Einkommens, also nicht einmal 25 000 Steuerpflichtige —, haben ein Einkommen
1 Prozent des Einkommens. von über 50 000 D-Mark .gehabt, und diesen weni-
(Abg. Hilbert: Die zahlen doch gar nichts! — gen werden die großen Steuerermäßigungen ge-
Unruhe.) währt, die wir heute in der Tarifvorlage zu be-
schließen haben. Während also Millionen kleiner
— Nach der Tabelle B werden Steuern bezahlt. Da- Einkommensbezieher, die um ihr tägliches Leben
rüber können wir uns unterhalten. Nehmen Sie die kämpfen müssen und noch nicht einmal ihr Exi-
Tabelle B zur Hand und Sie werden sehen, daß stenzminimum gesichert sehen, bei dieser Vorlage
dort die Steuerpflicht bei noch niedrigerem Ein- fast leer ausgehen, überschüttet man einige zehn-
kommen einsetzt. Bei einem Jahreseinkommen von tausend Bezieher „mittlerer" — wie man scham-
2400 D-Mark beträgt die Ermäßigung 1,9 Prozent haft sagt —, hoher und höchster Einkommen mit
des Einkommens, also nicht einmal ganz 2 Prozent, Steuerermäßigungen, die in ihrer Höhe einmalig,
während bei einem Einkommen — und nun bitte ich in ihrer Wirkung aber wahrscheinlich dauernd sein
aufzuachten — von 40 000 D-Mark die Ermäßigung werden.
der Steuer 15 Prozent beträgt.
Gestern hörten wir an dieser Stelle Äußerungen
(Hört! Hört! bei der SPD.) des Herrn Justizministers zu den Lebensfragen des
Das heißt also: derjenige, der ein Einkommen von Richterstandes. Ich habe mir den folgenden Satz
40 000 D-Mark hat, erhält eine Steuerermäßigung gemerkt:
von 6000 D-Mark, das heißt also von 500 D-Mark Ein Richter, der in der Notdurft des Tages er-
im Monat, während bei einem steuerpflichtigen stickt, kann nicht den Blick für die Dinge des
Einkommen von 60 000 D-Mark die Einkommen- Lebens haben.
steuerermäßigung 20 Prozent des Einkommens be-
trägt. Das heißt also: der Steuerpflichtige mit ei- Ich weiß nicht, ob der Herr Justizminister in die-
nem Einkommen von 60 000 D-Mark zahlt dann sem Zusammenhang an die sehr problematische
etwa 11- bis 12 000 D-Mark weniger an Steuern, Richterbesoldung gedacht hat. Aber wir sollten uns
also im Monat 1000 D-Mark weniger. So entwik- doch darüber klar sein, daß auch der größte Teil
kelt sich die Tabelle bis zu etwa 150 000 D-Mark — dieser Richter wie etwa 80 bis 90 Prozent aller Be-
hier beträgt die Steuerermäßigung 15 Prozent des amten und Angestellten nicht zu dem Kreise ge-
Einkommens — oder bis 250 000 D-Mark, wo die hören, auf den der Herr Finanzminister das Füll-
Ermäßigung immer noch 12 Prozent des Einkom- horn seiner Steuerermäßigungen ausschüttet.
mens ausmacht. (Sehr gut! bei der SPD.)
Wir müssen uns bei allen diesen Fragen über- Überlegen Sie sich: zirka 80 bis 90 Prozent aller
legen, wie sich die von dieser Steuer erfaßten Ein- Beamten und Angestellten werden kaum irgend-
kommen auf die Steuerpflichtigen verteilen. Auch wie von diesen Steuerermäßigungen erfaßt, oder
das müßten wir in den Kreis unserer Überlegungen sie erhalten lediglich die Almosen, die in den klei-
einbeziehen; ich weiß nicht, ob Ihnen das alles bei nen Steuerermäßigungen bei den unteren Einkom-
der zweiten Lesung zum Bewußtsein gekommen mensteuergruppen zu verzeichnen sind.
ist. Ich habe eine Statistik aus dem Jahre 1937 vor
mir. Wir können bedauerlicherweise noch nicht Eines unserer Hauptanliegen ist die Steigerung
auf exakte Statistiken aus der Nachkriegszeit zu- der Produktivität in der Wirtschaft. Dann aber
rückgreifen, aber die Verhltnisse werden sich nicht müssen wir dafür sorgen, daß die kleinen Arbeit-
wesentlich verändert haben. Wir hatten 1937 nehmer nicht verelenden; denn dort sind gerade
13 Millionen Lohnsteuerpflichtige. Von diesen 13 diejenigen, die für die Sparkapitalbildung sorgen,
Millionen Lohnsteuerpflichtigen bezogen ungefähr und wir hören in diesem Zusammenhang doch
5 Millionen Lohnsteuerpflichtige ein Einkommen immer wieder das Wort „Kapitalbildung". Das
unter 1500 D-Mark, das heißt also, 37 Prozent der amerikanische Arbeitsministerium hat in einer Ver-
Lohnsteuerpflichtigen hatten damals ein Einkom- öffentlichung bekanntgegeben, daß der Stundenlohn
men von weniger als 1500 D-Mark. Ein Einkommen in Westdeutschland etwa 26 Prozent des amerikani-
von weniger als 3000 D-Mark insgesamt hatten schen Stundenlohns im Durchschnitt beträgt.
11 Millionen Lohnsteuerpflichtige von rund 13 Mil- (Hört! Hört! links)
lionen, also 84 Prozent der Lohnsteuerpflichtigen
bezogen unter 3000 D-Mark Einkommen. Und die während die Lebensmittelpreise in Westdeutschland
Nutzanwendung für unseren Fall? Diesen Lohn- etwa 79 Prozent der Lebensmittelpreise in den Ver-
steuerpflichtigen, diesen Millionen von Steuerzah- einigten Staaten ausmachen.
lern gewährt man in dieser Vorlage kaum irgend- (Hört! Hört! bei der SPD.)
welche Ermäßigungen, während man für einige
wenige Tausende von Beziehern hoher und höch- Unter diesen Umständen sagt der Herr Finanz-
ster Einkommen ganz erhebliche Tarifsenkungen minister in seiner Begründung am 11. Januar an
in dem Umfang, wie ich sie nannte, vorsieht, die diesem Platz:
fast 1 Milliarde D-Mark an Steuerausfällen brin- Dieser Gesetzentwurf
gen werden. — sagt er —
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(Dr. Koch)
ist aus der Erkenntnis geboren, daß die Grund- Haushaltsjahr mit einem erheblichen Defizit
lage aller Finanz-, Wirtschafts- und Sozialpoli- rechnen. Ich weiß nicht, ob es richtig ist, aber ich
tik der einfache Mann im Volk ist — ich sage: habe kürzlich in der Zeitung über eine Rede des
der unbekannte Steuerzahler — und daß wir vor Herrn Bundesarbeitsministers gelesen, in der er
der Gefahr stehen, daß dieser unbekannte Steu- das Defizit für das kommende Haushaltsjahr mit
erzahler als Grundlage unserer Finanz-, Wirt- 5 Milliarden D-Mark beziffert. Ich möchte auch
schafts- und Sozialpolitik, moralisch und lei- den Herrn Bundesfinanzminister an ein Wort er-
stungsmäßig betrachtet, im Zusammenbrechen innern, das er nach dem Parlamentarischen Pres-
begriffen ist. sedienst vor den Vertretern der Presse zu dem
Ich glaube, wir müssen schon ziemlich viele Jahre Lastenausgleich gesagt hat, eine Äußerung, die
zurückdenken, um uns eines ähnlichen Falles zu wesentlich anders klingt als die letzten Äußerun-
erinnern, in dem Worte und Taten so weit ausein- gen, die vor dem Bund der Fliegergeschädigten
anderklaffen. über den Lastenausgleich gemacht wurden, eine
(Sehr wahr! bei der SPD.) Äußerung,. die so lautet, „daß eine Minderung der
Für den unbekannten Steuerzahler wird in dieser Steuereingänge stets zu Lasten der Fürsorge-
Vorlage nichts getan, für die hinlänglich bekann- pflichtigen ginge." Das richtet sich in diesem
ten Steuerzahler mit den hohen Einkommen wird einen Fall einmal gegen den Lastenausgleich. Wa-
alles getan, so viel, daß in Zukunft der Finanzver- rum soll dasselbe nicht für die Einkommensteuer
waltung wahrscheinlich zu tun fast nichts mehr gelten? Ich glaube, man hat nach diesem Gesichts-
übrigbleibt. punkt schon praktiziert, als man alle Anträge
zugunsten der Kriegsopfer, der Ärmsten der Ar-
Meine Damen und Herren, eine Regierung, die men und der Betroffensten der Betroffenen in
erklärt, so sozial wie möglich handeln zu wollen, diesem Hause unter dem Hinweis darauf ab-
und die uns in dieser Tarifvorlage ein so unsozia- lehnte, daß es an den nötigen Mitteln fehle.
les Dokument vorlegt, wie wir es lange nicht in
der Hand gehabt haben, eine Regierung, die also Auch wir sind der Ansicht, daß angesichts der
so reich ist an Widerspruch in Worten und in Ta- großen und wichtigen sozialen Aufgaben, die der
ten, muß ihre besonderen Gründe haben. Diese Bund auch gerade in den kommenden Jahren
Gründe werden uns ja auch genannt, und wir wer- durchzuführen hat, und bei den großen sozialen
den uns im Rahmen unserer heutigen Beratung mit Verpflichtungen gegenüber den Flüchtlingen, den
ihnen beschäftigen müssen. Kranken, den Alten und den Arbeitslosen jede
Steuersenkung an sich schon problematisch ist
Die Regierung spricht einmal davon, es bestehe und sich letzten Endes gegen diese Menschen aus-
in unserer schwer angeschlagenen Wirtschaft die wirken wird. Ich glaube, der Optimismus des
Notwendigkeit der Kapitalbildung. Die Regierung H errn Finanzministers, -daß er diese eine Milliarde
sagt weiter, die Steuermoral müsse gehoben wer- durch eine Hebung der Steuermoral wieder ein-
den, damit die hohen Steuerausfälle ausgeglichen bringen könne, ist durch nichts gerechtfertigt. Ich
werden könnten. Die Regierung bedauert in diesem glaube, es ist kein gutes Zeichen, daß man sich
Zusammenhang ganz außerordentlich, daß sie den durch derartige Steuersenkungen und Steuerer-
Beziehern kleiner Einkommen nichts zugute kom- mäßigungen zugunsten der Defraudanten und zu
men lassen darf, weil ansonsten die gesamte eng- Lasten der Allgemeinheit wieder eine Steuer-
lische Nation wild werden würde. Ich darf Sie an moral erkaufen will, das heißt also zugunsten
die Ausführungen des Herrn Finanzministers Schäf- einiger weniger zehntausend, die ein Einkommen
fer erinnern, der hier mit aller Deutlichkeit ge- von mehr als 20 000 D - Mark haben, und zu Lasten
sagt hat: von Millionen ehrlicher Steuerzahler.
Ich mache das Hohe Haus in allem Ernst darauf (Sehr gut! links.)
aufmerksam, daß — rein äußerlich betrachtet ! -
die Steuerbelastung der Einkommen unter 3000 Wir erkennen an, daß die Belastungen ein fast
Mark in Deutschland heute geringer ist als in unerträgliches Ausmaß angenommen haben. Aber
England unter der Labour Party. Es ist für lassen Sie uns auch erkennen, daß es unter an-
Deutschland schon wegen des äußeren Eindrucks ständigen Staatsbürgern leichter sein sollte, sei-
ganz unmöglich, eine Schichtung der Einkom- nen Steuerverpflichtungen nachzukommen, wenn
mensteuer zu übernehmen, wonach wir unter man das Vielfache des Existenzminimums hat, als
den Ziffern eines Siegerlandes stehen. wenn der Staat, wie es heute noch geschieht,
einen Teil dieses Existenzminimums wegsteuert.
Das ist die Begründung dafür, daß wir für die (Sehr wahr! bei der SPD.)
kleinen Einkommensbezieher und kleinen Lohn-
steuerpflichtigen nicht mehr machen können, als es Denn unsere Steuern gehen sehr oft bis hart an
in dieser Vorlage geschieht. Und schließlich weist die die Grenze des Existenzminimums heran, in Hun-
Regierung — jedenfalls ist es wiederholt in den derttausenden von Fällen in das Existenzmini-
Diskussionen im Finanzausschuß geschehen — da- mum hinein, aber ich glaube, in der Regel wohl
rauf hin, daß die Juni-Tarife, die ja dieser Rege- nicht bei Einkommensbeziehern mit Einkommen
lung zugrunde liegen sollen, mit den Stimmen der von über 20 000 D - Mark, mit denen es die Regie-
SPD angenommen worden seien und für unsere rungsvorlage so ganz besonders gut meint. Wir
heutige Vorlage die Grundlage bildeten. Mit diesen sollten uns das Folgende gesagt sein lassen, und
vier Gründen werden wir uns beschäftigen müssen. das stammt nicht aus dem Munde eines Sozial-
demokraten, sondern eines Justiz- und Kultus-
Aber vorher erlauben Sie mir noch ein Wort ministers, der der CDU angehört. Ich bitte , es
zu den Steuersenkungen selbst und zu der Pro-
zitieren zu dürfen.
blematik dieser Steuersenkungen. Etwa 20 Pro-
zent des Aufkommens an Einkommensteuer wer- In einer Zeit großer allgemeiner Not wie der
den diese Senkungen ausmachen; das sind mehr gegenwärtigen, wo über zwei Drittel der öf-
als 5 Prozent der gesamten öffentlichen Einnah- fentlichen Haushaltsbeträge direkt oder in-
men des Bundesgebietes. Alles das geschieht in direkt Kriegsfolgelasten darstellen, können
einem Augenblick, in dem wir für das kommende die Grenzpunkte des Steuerbedarfs der öf-
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(Dr. Koch)
fentlichen Hand und der Existenzgefährdung Ihnen über die Möglichkeiten einer Kapitalbil
der Steuerpflichtigen nahe beieinanderliegen. dung zu unterhalten, meinetwegen auch über die
Wenn Verwaltung, Polizei, Justiz und Schule §§ 10 a oder 32 a, aber wir sind erst dann dazu
wegen fehlender staatlicher Mittel ihre Tä- bereit, wenn die primitivsten Grundsätze sozialer
tigkeit einstellen müßten, wenn der Staat Gerechtigkeit diesen Gesichtspunkten untergeord-
nicht mehr in der Lage wäre, den Kriegs- net und im Einkommensteuergesetz berücksichtigt
opfern, Rentnern, Kranken, Flüchtlingen und sind.
Arbeitslosen ihre gewiß doch kärgliche Un- (Bravo! bei der SPD.)
terstützung zu zahlen, dann würde das zu
einem völligen Chaos, zur Zerstörung der Das Existenzminimum von Millionen Arbeits-
öffentlichen Ordnung und zur Vernichtung loser, Rentner, Geschädigter, der kleinen Lohn-
des Gemeinwohles führen, und Gehaltsempfänger, der kleinen Gewerbetrei-
benden, der kleinen Landwirte und all der vielen
Soweit die Worte des Herrn Ministers Dr. Beamten und Angestellten, die nicht durch diese
Süsterhenn. Jedenfalls sollten sich diese Worte Vorlage erfaßt werden, liegt uns mehr am Herzen
alle diejenigen gesagt sein lassen, die ihre Steuer- als das Kapitalkonto derer, die mehr als 20 000
defraudationen vor sich und anderen mit der D-Mark verdienen.
Höhe der Steuer entschuldigen. Diese Steuersen- (Zustimmung bei der SPD.)
kungspolitik auf dem Rücken der breiten Masse
bedeutet unseres Erachtens eine Kapitulation der Wir halten den Weg, den die Regierung ein-
Regierung vor den Defraudanten und der Steuer- schlägt, um zur Kapitalbildung zu gelangen, für
unmoral. grundsätzlich falsch. Statt einer Kapitalbildung
(Sehr richtig! bei der SPD.) über die Kapitalsammelbecken, also über die
Banken, Sparkassen und Versicherungen, forciert
Wir befürchten, daß es auch die Bankrotterklä- man noch einmal wieder die Investitionen in der
rung der Regierung in der Sozialpolitik sein wird,
wenn die Mittel eines Tages fehlen werden. Wirtschaft über die völlig unkontrollierbare und
allzu oft fehlgeleitete Selbstfinanzierung. Aber
Gewiß, auch wir sind der Ansicht, daß die das gehört anscheinend zum System der sogenann-
Steuerschraube nicht überdreht werden darf, und ten sozial verpflichteten Marktwirtschaft.
wir sind der Ansicht, daß die Regierung nicht da-
für verantwortlich ist, daß die Besatzungskosten Was hat uns denn diese Marktwirtschaft ge-
bracht? Wir haben auf der einen Seite überhöhte
im Jahr 4,5 Milliarden betragen und die sonstigen
Kriegsfolgelasten etwa 3 Milliarden. Das ver- Unternehmer- und Händlergewinne als Folge des
Fehlens jeglicher Preisbindungen und Preisüber-
danken wir alles unserem Führer! Aber es ist
wachung. Wir haben eine Geldflüssigkeit ohne
jetzt die Frage zu beantworten: Wer soll das alles
tragen? einen entsprechenden Sparwillen. Wir haben
einen aufreizenden, höchst unerwünschten Luxus-
(Zuruf rechts: „Wer soll das bezahlen?", konsum, der unser Ansehen im Ausland schmä-
heißt es.) lert, und wir haben Kapitalbildung durch Fehl-
Die, die vor dem Dritten Reich, während des investitionen. Das auf der einen Seite! Und auf
Dritten Reiches und nach dem Dritten Reich gut der anderen Seite können Millionen von Men-
verdient habe n, oder wieder einmal wie immer schen, die alles verloren haben, trotz des großen
die breiten Massen des Volkes, auf die immer Angebots an Bedarfsgütern sich kaum mit den not-
wieder. die Lasten eines verlorenen Krieges ab- wendigsten Verbrauchsgütern ausstatten. Die
gewälzt werden? Gegensätze, die wir heute sehen, zwischen Luxus-
(Beifall bei der SPD.) konsum und höchster Bedürftigkeit, zwischen
Arm und Reich, das sind die erbarmungslosen
In diesem Zusamenhang werden Sie wahr- Folgen der sogenannten sozialen Marktwirtschaft
scheinlich im Rahmen der Ausführungen über und des Grundsatzes, daß das Geld der einzige
die Steuerunmoral auf die durch die hohen Bezugsschein ist.
Steuern ausgelöste Spesenschinderei hinweisen,
Sie werden mich fragen: warum gehören diese
also auf diese moderne Form, dem Staate das wirtschaftspolitischen Ausführungen in die steuer-
vorzuenthalten, was des Staates ist. Ich frage die politische Problematik hinein? Gerade weil wir
Regierung, sollte es denn keine Möglichkeit geben, - aus dem Munde des Herrn Finanzministers ge-
diesem moralzerstörenden Unfug zu steuern? hört haben, daß eine Steuerpolitik nicht ohne
(Sehr gut! bei der SPD.) entsprechende Wirtschaftspolitik zu denken ist,
Wenn man die Hähe der Repräsentationsaufwen- und weil wir die Gefahr sehen, daß durch die jetzt
dungen nicht mit der Höhe der Löhne und Ge- vorgeschlagene Steuerpolitik auf dem Wege
hälter und mit dem Umsatz und welche Möglich- dieser Wirtschaftspolitik fortgeschritten wird! Wir
keit es sonst noch geben' mag, koppeln kann, so haben doch auf Grund der Schätzungen, die uns
scheint uns das eine Phantasielosigkeit in der von dem Bundesfinanzminister und von den Lei-
Steuergesetzgebung zu sein, mit der wir uns nicht tern der Zentralbanken gegeben worden sind, ge-
einverstanden erklären können. hört, daß seit der Währungsreform 15 bis 18 Mil-
liarden D-Mark bereits wieder — und da lassen
(Sehr richtig! bei der SPD.) wir einmal die nüchternen Zahlen sprechen —
Das Schlimmste aber scheint mir die völlige Ka- in der deutschen Wirtschaft investiert wurden,
pitulation vor diesen Mitbürgern zu sein, die jahr- und davon ein ganz erheblicher Teil durch
aus und jahrein den Staat um die Steuerbeträge Selbstfinanzierung. Lassen Sie mich diesen Zahlen
betrogen haben. einmal eine alte Statistik gegenüberstellen. Im
(Beifall links.) Jahre 1929 betrugen bei der Verausgabung des
Nun zum ersten Grund, den uns die Regierung deutschen Volkseinkommens in Höhe von 80 Mil-
für ihre Vorlage nennt, zur Frage der Kapital- liarden Reichsmark die Gesamtinvestitionen 8,5
bildung. Auch wir anerkennen die Notwendig- Milliarden Reichsmark, also bei einem Verbrauch
keit der Kapitalbildung. Wir sind bereit, uns mit von, wie gesagt, 80 Milliarden, wovon 71,5 Mil-
1512 Deutschter Bundestag — 45. Sitzung. B onn, Freitag, den Z. März 1950
(Dr. Koch)
liarden auf den übrigen Verbrauch entfielen. Und zu geben oder dem Nachbarn, der dieses Geld
das galt für das gesamte Reichsgebiet! Heute wer- nicht erübrigt, es aber durchaus dringend ge-
den in 11/2 Jahren im Bundesgebiet 15 bis 18 braucht.
Milliarden D-Mark unter steuerlicher Billigung Ich bitte, mir zu erlauben, die Worte, die Herr
investiert. Das sind etwa 10 bis 12 Milliarden im Direktor Abs im Ausschuß für Geld und Kredit
Jahr. Noch niemals, so behaupte ich, hat es in am 12. Januar dieses Jahres zu diesem Thema ge-
der deutschen Wirtschaftsgeschichte eine so un- sprochen hat, hier einmal verlesen zu dürfen,
leidige Diskrepanz zwischen der Höhe der Inve- weil sie unmittelbar zum Thema gehören. Herr
stitionen und der Höhe des Volkseinkommens ge- Abs hat folgendes gesagt:
geben. Sie werden mir entgegenhalten, daß wir
heute eine verwüstete Wirtschaft mit einem sehr Man möchte sich fast wünschen, daß manche
hohen Investitionsbedarf haben. von den Investitionen,
(Zuruf rechts: Allerdings!) — die man vorher auf 15 bis 18 Milliarden D-
Mark geschätzt hatte —
Damals, werden Sie sagen, hatten wir eine intakte die in den 18 Monaten vorgenommen sind,
Wirtschaft, vielleicht sogar eine Wirtschaft mit besser einer Planung und Bewilligung unter-
Überkapazität. Das ist richtig. Doch das wird sich worfen gewesen wären. Das heißt. die Ent-
die Verwaltung für Wirtschaft auch gedacht ha- wicklung zu einer freien Kapitalschöpfung, zu
ben, als sie den sogenannten großen Investi- einer Kapitalschaffung und zu eine Inve-
tionsplan für das Vereinigte Wirtschaftsgebiet stierung wird teuer erkauft, indem manche
vorlegte und den Bedarf für Neuinvestitionen für und viele Investitionen vorgenommen wur-
die Jahre 1948/1949 bis 1951/1952 — also für 4 den und die vielleicht auch noch laufend vor-
Jahre — mit 27 Milliarden D-Mark angab. Nun genommen werden, denen man nicht ohne
sind in eineinhalb Jahren nach der Währungs- weiteres weder die erste Stufe der volks-
reform bereits 15 bis 18 Milliarden D-Mark in- wirtschaftlichen Dringlichkeit noch die erste
vestiert worden, Stufe der privatwirtschaftlichen Vernunft zu-
(Hört! Hört! bei der SPD) erkennen kann.
und das sollen wir durch weitere Steuersenkun- Herr Abs fährt dann an späterer Stelle wie folgt
gen zu Lasten der Allgemeinheit unterstützen! fort:
Wir dürfen auch darauf hinweisen, daß die Re- Ich glaube, daß es wünschenswert wäre. da-
gierung bei jeder passenden Gelegenheit darauf hin zu kommen, daß manch einer den Kon-
aufmerksam gemacht hat, daß die Kapitalbil- sum einschränkt, um das ersparte Geld je-
dungsquote in Deutschland mindestens ebenso mand zu geben, der ein volkwirtschaftlich
groß ist wie in England. Sie müssen uns schon dringendes Vorhaben hat. Da denke ich Licht
erlauben, daß wir diesen Gedanken auch in die- so sehr an Lohn- und Gehaltsempfänger,
sem Zusammenhang einmal wiederholen. denn ich wüßte nicht, bis zu welchem Be-
Ich sagte schon, was sich hinter diesen Ziffern trag sie auf einen Teil ihres Einkommens für
verbirgt: Auf der einen Seite ein unerhörter Kon- solche Zwecke verzichten könnten. Ich denke
sumverzicht der breiten Massen, die den überhöhten aber an jene Wirtschaftsteile, die aus Gewinn
Preisen keine entsprechenden Lohnerhöhungen oder Abschreibungen nur den einen Weg,
entgegenstellen können, und auf der anderen Seite nämlich den der Investierung bei sich selbst
eine Anreicherung von Kapital aus überhöhten sehen. weil das naheliegt. Die Berechtigung
Spannen, aus Überpreisen — darüber ist in die- zu dieser Annahme liegt auch in der Erfah-
sem Kreise oft gesprochen worden -- und aus rung der Behandlung von Geld mit einer
Hortungsgewinnen. Auf etwa drei Milliarden Deutlichkeit, die nichts zu wünschen übrig
schätzt man die Investierungen im Wege der läßt. Es ist auch in der Tatsache begründet,
Selbstfinanzierung durch Hortungsgewinne. Wie weil die steuerliche Überabschreibung auf Neu-
oft ist uns Herr Professor Erhard vor der Wäh- investitionen günstiger ist. als wenn er das
rungsreform in den Arm gefallen, wenn sozial- Geld dem Nachbarn zur Verfügung stellt, ob-
demokratische Wirtschaftsminister gegen Hor- wohl dieser andere viel dringendere Vor-
tungsgewinne und Hortungen vorgehen wollten! haben hat.
Wie oft hat uns Herr Professor Erhard vor der Ich glaube, diesen Ausführungen braucht man
Währungsreform versprochen, er wolle nach der kaum mehr etwas hinzuzufügen. Sie zeigen uns
Währungsreform diese Hortungsgewinne, die er den Weg der Kapitalbildung, der heute beschrit-
ja wünschte, zur Steuer heranziehen! Und was ge- ten werden soll Dieser Kapitalbildung wollen
schieht jetzt? Dieselben Kreise, die diese hohen wir nicht dienen. Wir wollen nicht einer Kapital-
Hortungsgewinne gemacht haben, werden jetzt bildung dienen, die zu Fehlinvestitionen führt,
noch durch erhebliche Steuersenkungen belohnt. die die Reichen nur noch reicher macht, die die
(Beifall bei der SPD.) Schaufenster mit überflüssigen Luxuswaren füllt
Meine Damen und Herren! Kein geringerer als und die Gegensätze zwischen Überfluß und Not
das leitende Vorstandsmitglied der Kreditanstalt lediglich noch vergrößert. Wir sollten lieber an
für Wiederaufbau, Herr Abs, hat in den letzten eine Sparkapitalbildung denken, die nicht zu
Wochen wiederholt gesagt, daß es ein großes Ver- neuen ungelenkten Investitionen führt, an eine
säumnis sei, den Fluß der Kapitalbildung in der Sparkapitalbildung durch die Kreise der brei-
vergangenen Zeit nach der Währungsreform nicht ten Massen des Volkes, die bisher im wesentlichen
in die richtigen Kanäle geleitet zu haben. immer noch die Träger der Sparkapitalbildung
gewesen sind. Wir würden es für einen guten
(Hört! Hört! bei der SPD.) Vorschlag gehalten haben. wenn die Regierung
Es wird allzuviel, so sagt er, von Unternehmern in- ihre Steuervorschläge vielleicht mit einer Mög-
vestiert, die sowieso schon hohe Gewinne machen lichkeit verbunden hätte, diese hohen Steuersen-
und die ihr Geld lieber in ihrem eigenen Betrieb kungsbeträge dem Sparen und über das Sparen
anlegen, als das Geld in die Kapitalsammelbecken irgendwelchen bedeutenden Zwecken zuzuführen.
Deutscher Bundestag -- 45. Sitzung. Bonn, Freitag, den 3. März 1950 1513
(Dr. Koch)
Ich darf in diesem Zusammenhang an das Gut- zu zitieren, der am 7. Januar folgendes gesagt
achten des Wissenschaftlichen Beirats der früheren hat:
Verwaltung für Wirtschaft, jetzt wohl des Bun- Deutschland hat nicht mehr lange Zeit, das
deswirtschaftsministeriums, erinnern, der aus- soziale Problem zu lösen. Wenn der gegen-
drücklich darauf aufmerksam macht, daß man wärtige Zustand der Überfülle in den Läden
unter allen Umständen diese Gedankengänge und der sozialen Not und Arbeitslosigkeit
eines bewußten Zwecksparens wieder aufnehmen auf der anderen Seite ein Dauerzustand wird,
sollte. dann hätte die schärfste Kritik an der Markt-
(Hört! Hört! bei der SPD.) wirtschaft recht.
Das ist etwas ganz anderes, meine Damen und Das sagt Herr Bundeswirtschaftsminister Erhard.
Herren, als die Kapitalbildung, wie wir sie durch (Hört! Hört! bei der SPD.)
diese Steuervorlage erreichen werden. Wir wer-
den auf dem falschen Weg der Fehlinvestitionen Er hat es in Neuß gesagt, wahrscheinlich auf
in der Wirtschaft weitergehen. Wir wünschen einer Versammlung, denn es sind ganz andere
eine geordnete und gelenkte Kapitalbildung, die Töne, als wir sie aus den Industrie- und Han-
ausschließlich den großen Zwecken der Nation zu- delskammern kennen.
gute kommt, nämlich dem Wohnungsbau, der bis- (Sehr gut! bei der SPD.)
her viel zu kurz gekommen ist, der Erneuerung Alles dies gehört in den Zusammenhang dieser
des Verkehrswesens — wir wissen, wie die Eisen- Steuerreform, weil die Grundlage des Vorschlags,
bahn nach Geld ruft —, der Energiewirtschaft und wie ich schon sagte, die Frage der Kapitalbildung
der Förderung des Außenhandels, von dem eines ist, und ich sage noch einmal: Selbst wenn wir
Tages unser ganzes Leben abhängen wird. den Juni-Tarifen zustimmten, — die Verhältnisse
Lassen Sie mich diese Ausführungen zur Kapi- haben sich seit jenem Tage vollkommen geändert
talbildung mit einem Gedanken beschließen, den Damals, im Juni, konnten wir noch annehmen,
daß die Chance der Währungsumstellung für das
ich kürzlich las und den ich sehr gern übernehmen
ganze Volk und nicht nur für einen ganz be-
möchte. Es muß aber immer wieder gesagt wer- stimmten kleinen Kreis dieses Volkes ausgenutzt
den: sofern Arbeitskräfte, Produktionskapazitäten
werden würde.
und Einfuhrmöglichkeiten vorhanden sind, ist es
nichts als ein Aberglaube, daß Kapitalmangel ein (Sehr richtig! bei der SPD.)
Hindernis für aktive Wirtschaftspolitik sei. Wenn Schließlich beruft sich der Herr Finanzminister
sich die politischen Instanzen weigern, diese be- auf die Verhältnisse in England. Damit komme
weisbare Behauptung anzuerkennen, so kann man ich zu unseren Anträgen, und ich bitte, mir zu
nur sagen: Welches Glück haben die Politiker, erlauben, diese Anträge zu der Frage der Höhe
wenn die Arbeitslosen nicht wissen, daß Hundert- der Freibeträge hier gleich einzubeziehen. Diese
tausende von ihnen ihr schweres Schicksal nur Berufung auf England ist uns vollkommen un-
den falschen theoretischen Vorstellungen der verständlich, weil sie irreführend ist.
Minister und Bankpräsidenten verdanken! (Sehr richtig! bei der SPD.) O
(Lebhafter Beifall bei der SPD.) Nach der Tabelle B, die Sie, meine Damen und
Und nun zum nächsten Punkt, meine Damen Herren, mitbeschlossen haben, ist ein Lediger in
und Herren! Uns wird immer wieder entgegen- Deutschland bereits mit einem Einkommen von
gehalten, wir hätten ja seinerzeit den Juni-Tarifen 751 Mark im Jahr steuerpflichtig, ein Verheira-
zugestimmt, die die Grundlage dieser Vorlage sein teter mit 2 Kindern bei einem Einkommen von
sollen. Das ist richtig. Inzwischen sind aber zwei 1551 Mark. In England — ich ziehe es nur zum
Jahre „sozial verpflichteter Marktwirtschaft" über Vergleich heran, weil der Herr Finanzminister
unser Volk und über unsere Wirtschaft hinweg- uns mit England verglichen hat — ist ein lediger
gegangen. Steuerpflichtiger erst Steuerschuldner, wenn er
ein Einkommen von 1650 Mark hat,
(Sehr richtig! bei der SPD. — Abg. Dr.
Wuermeling: Gott sei Dank!) (Hört! Hört! bei der SPD)
und der Steuerpflichtige mit 2 Kindern dann,
Wir wissen, daß wir bis zum Tage der wenn er 4500 Mark verdient.
Währungsreform untragbare Verhältnisse hat-
ten. Das lag an dem Geld, das wir selbst (Erneute Rufe von der SPD: Hört! Hört!)
nicht beseitigen konnten,. weil ja nicht wir In England kommt aber noch etwas hinzu, und
den Termin der Währungsreform bestimmen der Herr Finanzminister hat es uns ja auch ge-
konnten. Nach der Währungsreform hat sich man- sagt: Ein Sechstel aller aus Arbeit fließenden Ein-
ches geändert, weil die Millionen von Arbeit- künfte, das sogenannte earned income, ist in Eng-
nehmern anständiges Geld in die Hände bekamen land, , ich glaube, seit 1907 steuerfrei. In England
und weil insbesondere auch die Unternehmer wie- wird weder 'eine Gewerbesteuer noch eine Ver-
der mit anständigem Geld rechnen konnten. Dar- mögensteuer bezahlt. Auch in Deutschland kommt
auf wollen wir die Besserung in unserem Wirt- in einem ganz erheblichen Umfang noch etwas
schaftsleben zurückführen. Es ist bedauerlich, daß hinzu, was gerade zu Lasten dieser kleinen Ein-
der Herr Bundeskanzler an dieser Stelle nicht auf kommensteuerpflichtigen und Lohnsteuerpflich-
diese Zusammenhänge hingewiesen, sondern tigen geht, nämlich die indirekten Steuern, die
immer wieder in der alten falschen und, ich man bei einem durchschnittlichen Lohnempfänger
möchte beinahe sagen, bösen Terminologie er- auf 27 Prozent des Arbeitslohnes schätzt.
klärt hat, daß diese Erfolge mit dem Übergang (Hört! Hört! bei der SPD.)
von der Planwirtschaft zur sozial verpflichteten
Wirtschaft zusammenhängen. Der Herr Bundesfinanzminister hat uns gesagt,
wie hoch die indirekten Steuern im kommenden
(Zuruf rechts: Natürlich!) Jahre sein werden. Er ist auf einen Betrag von
Meine Damen und Herren! Erlauben Sie mir, 8,5 Milliarden Mark gekommen, wobei allein
ein Wort eines sehr bedeutsamen Staatsmannes 4,2 Milliarden Mark auf die Umsatzsteuer ent-
1514 Deutscher Bundestag — 45. Sitzung. Bonn, Freitag, den 3. März 1950
(Dr. Koch)
fallen, also Beträge, die wesentlich über die Ein- eingearbeitet hätte: eine neue Form des steuer
nahmen aus der Einkommensteuer hinausgehen. begünstigten Sparens etwa für den Wohnungsbau,
Es war also kein glücklicher Einfall, als der Herr eine Steuerbegünstigung für Spätheimkehrer
Bundesfinanzminister uns uf England verwies oder für die Kriegsbeschädigten, wie wir sie jetzt
und damit unsere Vorschläge zurückwies, auch vorschlagen, eine Erfassung überhöhter Betriebs-
die kleineren Einkommen- und gerade die Lohn- ausgaben und Werbungskosten, insbesondere im
steuerpflichtigen in dieser Steuerreform zu be- Kampf gegen die. Spesen, und dann, was wir vor-
günstigen. schlagen, eine Aufteilung der Einkommensteuer
in eine Normal- und Zusatzsteuer um der steuer-
(Zuruf von der SPD: So was nennt
man Wahrhaftigkeit!) lichen und sozialen Gerechtigkeit willen und viel-
leicht auch ein Vorschlag für die steuerliche Bes-
Man verweist uns in diesem Zusammenhang serstellung der berufstätigen Frau! Doch damit
auch immer wieder darauf, daß sich die kleinen kommen wir schon zu unseren eigenen Anträgen
Einkommen- und Lohnsteuerpflichtigen in und zu unseren eigenen Vorschlägen.
Deutschland noch nie so gut gestanden hätten wie
gerade jetzt nach dieser Steuerreform. Wir lehnen also den Tarifvorschlag der Regie-
(Lachen bei der SPD.) rung ab. Dazu bedarf es jetzt keines Wortes der
Begründung mehr. Wir lehnen den § 10 a ab über
Man zieht zum Vergleich das Jahr 1926 oder 1929 den nichtentnommenen Gewinn und den § 32 a
heran. Dabei vergißt man zunächst einmal die über weitere Steuerbegünstigungen der buchfüh-
wesentliche Erhöhung der Lebenshaltungskosten, renden Land- und Forstwirte und Gewerbetrei-
(Sehr richtig! bei der SPD) benden. Denn dies alles liegt auf derselben Linie
und vor allem möchte ich noch auf folgendes hin- der fehlgeleiteten Kapitalbildung.
weisen, da wir gerade über den Zusammenhang Wir lehnen weiterhin ab die Tabelle B mit all
mit England sprechen. Das bekannte Jecht-Gut- ihren ungerechten und unsozialen Folgen. In einer
achten verweist darauf, daß nach den Berech- Zeitschrift, die der Herr Professor Erhard mit
nungen der Times vom 15. Juni 1939 — ich zi- herausgibt, lese ich, daß die jetzige Grundtabelle
tiere wörtlich — B allein der Täuschung der Steuerpflichtigen und
die Einkommensteuerbelastung bei den klei- der Öffentlichkeit dient.
neren und mittleren Einkommen vor Aus- (Hört! Hört! bei der SPD.)
bruch des Krieges in Deutschland durch-
schnittlich fünfmal so hoch war wie in Eng- Und so ist es, meine Damen und Herren. Aber die
land. Ausführungen zu diesem Punkt wird mein Par-
teifreund Seuffert übernehmen.
(Hört! Hört! bei der SPD.)
Meine Damen und Herren! Man wird also noch Wir schlagen Ihnen statt dessen in den An-
allerhand tun müssen, um die kleinen Ein- trägen, die Ihnen vorliegen, erhöhte Freibeträge
kommensteuer- und Lohnsteuerpflichtigen auf den für den Familienstand, eine Normal- und Zusatz-
-steuer, wobei die Normalsteuer eine Proportional
Stand zu bringen, mit dem der Herr Finanz-
minister sie unvorsichtigerweise verglichen hat. und die Zusatzsteuer eine progressive Steuer sein
In diesem Fall möchte man vielleicht sagen: O si soll, und die Offenlegung der Steuerlisten vor,
tacuisses! wie es in anderen demokratischen Staaten üblich
ist.
(Sehr gut! und Heiterkeit links. — (Sehr richtig! und Händeklatschen
Zuruf rechts.) bei der SPD.)
— O wenn du doch geschwiegen hättest! Wir schlagen Ihnen weiter vor und möchten das
(Erneute Heiterkeit und Beifall bei der SPD.) hiermit tun, daß nach Annahme unserer Anträge
Meine Damen und Herren! Wir können also die der Tarif so ausgestaltet wird, daß die Steuer-
vonderFiazwltug,vondemHrFi- ausfälle nicht etwa eine Milliarde ausmachen,
nanzminister, von der Regierung vorgebrachten sondern allerhöchstens 350 bis 400 Millionen D
Gründe -- ich habe sie alle vier genannt und Mark. Auf einen derartigen Betrag hat ja der
mich mit ihnen auseinandergesetzt — unter keinen Herr Vorsitzende unseres Finanzausschusses die
Umständen anerkennen, zunächst einmal nicht Auswirkungen unserer -Anträge geschätzt.
aus wirtschaftspolitischen Gründen, weil wir -
völlig falsche Wege der Kapitalbildung gehen, Wir können uns grundsätzlich in diesem Sta-
dium der Verhandlungen nicht auf alle wie auch
und sodann nicht aus sozialpolitischen Gründen,
immer gearteten beruhigenden Erklärungen und
weil es sich um eine Vorlage handelt, die gegen
die breiten Massen des Volkes gemacht worden Hinweise auf die sogenannte große, organische
ist. Was so außerordentlich bedauerlich ist — ich Steuerreform einlassen. Wenn der Herr Dr.
erwähnte das schon in meinen Ausführungen —, Höpker-Aschoff, der Vorsitzende unseres Finanz-
ist der völlige Mangel an schöpferischer Phanta- ausschusses, vor der Presse erklärt hat, die große
sie in dieser Steuergesetzgebung. Wir wollen der Steuerreform erscheine jedoch nach der jetzt vor-
Regierung zugute halten — das ist ja auch im geschlagenen Steuererleichterung für Gewerbe-
Ausschuß wiederholt von allen Seiten gesche- treibende, Land- und Forstwirte nicht mehr so
hen —, daß das Beharrungsvermögen einer guten dringend, dann entschwindet für uns diese so-
Verwaltung, wie es die Finanzverwaltung ja nun genannte organische Steuerreform bei dem Ar-
einmal ist, das Bestreben hat, oft Angewandtes beitstempo, das wir hier kennengelernt haben, in
auch weiterhin anzuwenden. Aber wie wäre es nebelhafte Ferne.
gewesen, wenn man in den Steuervorschlägen, (Sehr gut! bei der SPD.)
die man uns gemacht hat und die ja lediglich auf Hier, am heutigen Tage, müssen wir zu den
eine ziemlich phantasielose Steuersenkung zu- sozialen Forderungen des Tages in diesem Steuer-
gunsten eines ganz kleinen Kreises höchster Ein- gesetz Stellung nehmen. Es darf sich nicht das
kommensbezieher hinauslaufen, wenn man uns gleiche wiederholen, wie wir es bei der Bera-
statt dessen Vorschläge gemacht und in das Gesetz tung des Beamtengesetzes etwa erfahren haben,
Deutscher Bundestag — 45. Sitzung. Bonn, Freitag, den 3. März 1950 1515
(Dr. Koch)
wo man uns auch auf eine ungewisse Zukunft Mir liegt ein Telegramm vor, das an eines un
vertröstete. serer Fraktionsmitglieder vom Bundesvorstand
Man kann uns auch, meine Damen und Herren, .des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Hans Böck-
nicht entgegenhalten. diese Vorschläge könnten so ler, gesandt worden ist und das mit wenigen
Worten die Situation schildert:
schnell nicht durchgeführt werden. Die Finanz-
verwaltung beschäftigt sich seit Jahr und Tag mit Regierungsvorlage über die kleine Steuer-
dieser Steuerreform, die Regierung auch schon reform berücksichtigt in keiner Weise Ge-
seit mehreren Monaten. Unsere Reformvorschläge werkschaftsforderungen. Steuererleichterun-
könnten ebenso schnell durchgeführt werden wie gen für kleine Einkommen völlig unzurei-
die Vorschläge, die uns die Regierung vorlegt. chend. Gewerkschaftsforderungen beabsich-
Und nun zum Schluß, meine Damen und Her- tigen Reallohnerhöhung durch Steuersenkung.
ren, lassen Sie mich noch auf einen ganz be- Steuererleichterungen und Preissenkungen
sonders wichtigen Umstand hinweisen, auf einen müssen Reallohnerhöhung bringen. Sonst
ganz besonders wichtigen Punkt. Ich denke an die Lohnerhöhungen auf ganzer Linie unver-
von Ihnen überhaupt nicht in den Kreis der Er- meidlich,
wägungen gezogene Stellungnahme des Deut- (Hört! Hört! bei der SPD.)
schen Gewerkschaftsbundes zum Gesetzentwurf zumal Lebenshaltungskostenentwicklung un-
der Bundesregierug. befriedigend.
(Sehr richtig! bei der SPD.) Bundesvorstand erwartet dringend, daß Ihr
Diese Stellungnahme, meine Damen und Herren, Euch
ist Ihnen allen zugegangen und ist getragen von — das ist wohl an alle Gewerkschaftler in diesem
dem Verantwortungsbewußtsein für fünf Millio- Hause gerichtet —
nen Arbeitnehmer. die in den Gewerkschaften in Fraktion und Bundestag bei Verabschie-
organisiert sind. Diese Stellungnahme spricht dung dieses Gesetzes für Verwirklichung der
also, wenn wir einmal die Familienangehörigen gewerkschaftlichen Vorschäge einsetzt.
hinzunehmen, für vielleicht zwanzig Millionen
deutscher Menschen. Über diese Stellungnahme (Zuruf: Haben Sie das Telegramm
sind Sie bei der zweiten Lesung zur Tagesord- bekommen?)
nung übergegangen, und ich sehe schon jetzt die — Nein, ich sagte: das hat ein Mitglied meiner
Gefahr, daß Sie die Absicht haben, auch heute Fraktion erhalten,
wieder über diese Stellungnahme des Deutschen (Zuruf von der SPD: Wie andere auch!)
Gewerkschaftsbundes hinwegzugehen. Sie müssen und andere wahrscheinlich auch.
aber die folgenden Sätze zur Kenntnis nehmen: (Zuruf: Und der Herr Bundeskanzler auch!)
Der Deutsche Gewerkschaftsbund hält es
— so heißt es in dieser Stellungnahme — Der Herr Bundeskanzler, meine Damen und
Herren, hat am vergangenen Sonntag Herrn
nicht zuletzt auch im Hinblick auf die Not- Böckler die Wünsche der Regierung überbracht.
wendigkeit der Finanzierung des sozialen Ich glaube, Herr Böckler hätte sich am meisten
Wohnungsbaus über die öffentlichen Haus- gefreut — er und die 20 Millionen Menschen, die
halte nicht für gerechtfertigt, daß die Bundes- er vertritt , wenn man ihm hätte erklären kö n-
regierung mit der Steuersenkung noch er-

nen, daß diese Stellungnahme der Gewerkschaften


heblich weitergehen will, als es seinerzeit zumindest bei dieser Steuervorlage berücksichtigt
mit dem sogenannten Junitarif geplant war. worden wäre.
Hierbei läßt die Bundesregierung die Steuer-
senkungen in einer so einseitigen Weise den (Sehr gut! bei der SPD.)
Beziehern von Einkommen über 10 000 Mark Wir wollen der Regierung immer noch . die Mög-
zugute kommen, daß nach Auffassung des lichkeit geben, die in dieser Stellungnahme ent-
Deutschen Gewerkschaftsbundes damit erheb- haltenen Gedanken mit in den Gesetzentwurf ein-
lich von den elementaren Grundsätzen einer zuarbeiten. Damit die Gewerkschaften wissen,
gerechten Besteuerung abgewichen wird. Die wer sich für ihre Stellungnahme eingesetzt hat,
unteren Einkommensstufen werden in den behalten wir uns vor, gerade zu diesen wesent-
neuen Steuertarifen geradezu stiefmütterlich - lichen Punkten der Vorlage namentliche Abstim-
behandelt, mung zu beantragen.
-- sagt der Gewerkschaftsbund. (Lebhafter Beifall bei der SPD. — Zu
Er sagt weiter über die Erhöhung der steuer- ruf rechts: Dann müßte auch die Stellung
freien Pauschalbeträge: nahme der Bauernverbände genau so be
Bei der dringend notwendigen Neufestsetzung rücksichtigt werden!)
des steuerlichen Existenzminimums muß auch - Vollkommen richtig! -- Bei der Abstimmung
die Tatsache berücksichtigt werden, daß die über diese unsere Anträge wird sich erweisen,
Arbeitnehmerhaushalte eine bisher ständig wieviel Vertrauen das deutsche Volk seiner Re-
gewachsene Verbrauchssteuerlast zu tragen gierung, den Regierungsparteien und der Regie-
haben. rungserklärung des Bundeskanzlers entgegen-
Dann ist auch die Rede von der Steuertabelle B, bringen kann, in der es heißt: „Das Streben nach
von der ich sprach und die wir ablehnen. sozialer Gerechtigkeit wird der oberste Leitstern
bei unserer gesamten Arbeit sein." Bei der Dis-
Eine solche Tarifgestaltung, kussion über die Wirtschaftspolitik, über die In-
- heißt es in der Stellungnahme des Gewerk- vestitionen, über die Arbeitslosigkeit und ü ber die
schaftsbundes — Monopolgesetzgebung konnten sich die Regie-
die eine Benachteiligung gerade der kleinsten rungsparteien und die Regierung mehr oder we-
Einkommensempfänger bedeutet, ist durch niger in theoretische Erörterungen flüchten, die
nichts gerechtfertigt und verstößt geradezu all den vielen Millionen Bedrängter Steine statt
gegen Treu und Glauben. Brot gaben. An den Steuertabellen aber -- und
151e Deutscher Bundestag — 45. Sitzung. Bonn, Freitag, den 3. März 1950
(Dr. Koch)
damit lassen Sie mich schließen, meine Damen — nach dem Willen der Mehrheit des Bundes-
und Herren —, an den Steuertabellen wird jeder- tages, muß man wohl hinzufügen --i ein Dank-
mann eines Tages Ihre soziale Einstellung und geschenk von rund einer Milliarde.
Ihre soziale Verantwortung ablesen können. In diesem Zusammenhang, meine Damen und
(Langanhaltender lebhafter Beifall Herren, möchte ich zugleich auf eine andere Ver-
bei der SPD.) pflichtung dieser Regierung hinweisen, die sie in
den Tagen der Wahl zu diesem Bundestag ein-
Vizepräsident Dr. Schmid: Das Wort hat der Ab- gegangen ist, nämlich zu dem Zeitpunkt, als die
geordnete Rische. westdeutsche Schwerindustrie den jetzigen Regie-
rungsparteien ein Wahlgeschenk von 10 Millionen
Rische (KPD): Meine Damen und Herren! Die D-Mark machte. Dieses Wahlgeschenk von da-
Adenauer-Regierung hat bei ihrer Amtsüber- mals hat hundertfache Früchte gezeitigt, wie die
nahme eine Reihe von Versprechungen abgegeben. gegenwärtige Steuervorlage eindringlichst be-
Wir wissen aber aus ihrer Praxis in den letzten weist.
fünf Monaten, daß sie kein Versprechen so ernst (Sehr richtig! bei der KPD.)
genommen hat wie ihr Versprechen an die
Schwerindustrie, Steuersenkungen zu gewähren. Dabei muß man berücksichtigen, daß im gegen-
wärtigen Moment drüben in Düsseldorf, Köln
(Sehr gut! bei der KPD.) und Essen schon wieder die Fäden gesponnen
Die gegenwärtige Vorlage ist der beste Beweis werden, um bei den kommenden Landtagswahlen
dafür. Die Steuerpolitik zeigt uns aber auch in in Nordrhein-Westfalen den Mehrheitsparteien des
aller Deutlichkeit, nach welchen Grundsätzen die Bundestages erneut Subsidien zur Führung des
Adenauer-Regierung und die reaktionäre Mehr- Wahlkampfes zu gewähren.
heit dieses Hauses ihre Wirtschafts- und Sozial- (Zurufe in der Mitte und rechts.)
politik betreiben; denn von den Steuereinnahmen
und den Ergebnissen der Steuerpolitik hängt es Der Herr Wirtschaftsminister hat während der
ab, ob man bereit sein kann, eine „sozial verpflich- großen wirtschaftspolitischen Debatten in diesem
teGszgbun"wirklchdzfüen. Hause von den 17 Milliarden D-Mark berichtet,
Dieser Regierung geht es in Wirklichkeit um die die die Schwerindustrie an Rhein und Ruhr im
Begünstigung und Zusammenballung wirtschaft- zweiten Jahr der Währungsreform investieren
licher Macht in den Händen der Mitstreiter, der konnte. Ich aber stelle die Frage: was haben die
Herren Pferdmenges, Zangen und Roelen. Ihre Ausgebombten und die Flüchtlinge, die Arbeiter
ganze Wirtschafts- und Steuergesetzgebung ist und Angestellten, die Kleingewerbetreibenden
darauf ausgerichtet, diesen Herren die Zusammen- und Kleinfabrikanten tun können, um die Schä-
ballung wirtschaftlicher Macht faktisch zu er- den des Krieges auszugleichen? Kann irgendein
möglichen. Abgeordneter des Hauses hier auftreten und sa-
gen, daß auch diese Kreise in der Lage waren,
Dies. meine Damen und Herren, geschieht durch in der Zeit nach der Währungsreform Substanzen
die privilegierte Bildung von Eigenkapital, durch für den Ausgleich ihrer Schäden zu bilden?
überhöhte Abschreibung nach dem D-Mark
Bilanzgesetz, durch die Gewährung steuerfreier Darum, meine Damen und Herren. ist es die
Rücklagen, durch Schachtelprivilegien usw. Es Politik gerade dieser Regierung, die Kriegslasten
geht dieser Regierung darum, und zwar nach dem von den Kapitalisten zu nehmen und diese Lasten
Willen der Herren Zangen, Pferdmenges und den werktätigen Menschen unseres Volkes auf-
Roelen, daß die Zwingherren von Rhein und zubürden, wie das auch in der Benzinsteuer-
Ruhr über die Kapitalbildung ihre alten Unter- gesetzgebung dieser Regierung drastisch zum
nehmungen weiter aufbauen, während zu gleicher Ausdruck kam. Und dabei hörten wir von diesem
Zeit die werktätigen Massen in Westdeutschland Platze hier oft so schöne Reden von den Abge-
die schwersten Entbehrungen als Folgen dieser ordneten der gegenwärtigen Regierungsmehrheit.
Politik auf sich nehmen müssen. Man hat uns erklärt: wir alle haben den Krieg
verloren, wir alle müssen die Folgen des Krieges
Herr Kollege Koch von der SPD sprach mit sehr gemeinsam tragen. Die Praxis sieht so aus, daß
bewegten Worten von der von dieser Regierung die Lasten des Krieges und der Währungsreform
vorgesehenen Kapitalbegünstigung auf dem - einzig und allein vom werktätigen Volk getragen
Wege über die Steuerpolitik zum Zwecke der werden,
Kapitalbildung. Er betonte allerdings, daß auch (Sehr richtig! bei der KPD)
seine Fraktion eine derartige Kapitalbildung,
wenn auch unter Beachtung gewisser Grundsätze, und zwar geschieht dies nach dem Motto: Die
mehr oder weniger begünstige. Ich möchte aber Reichen werden für die Armen alles tun, nur
den Kollegen von der SPD dabei zu bedenken nicht von deren Rücken heruntersteigen!
geben, daß unter den gegenwärtigen Verhält- (Sehr gut! bei der KPD.)
nissen in Westdeutschland jede Kapitalbildung Die Politik der Regierung ist somit eindeutig ge-
einzig und allein den Feinden des Volkes zugute gen das Volk, gegen die Werktätigen, die Ange-
kommt. stellten, Kleingewerbetreibenden und Kleinfabri-
(Sehr richtig! bei der KPD. — kanten gerichtet.
Zuruf rechts: Na, na!) Dies äußert sich auch in der Senkung der Ein-
Dieser von der Regierung beabsichtigten Kapi- kommensteuer bei starkem Anwachsen der in-
talbildung bei den Großverdienern von Rhein direkten Steuer, der Verbrauchssteuer. Ich habe
und Ruhr stehen steuerliche Benachteiligungen eine auf offiziellen Angaben beruhende Aufstel-
der Lohn- und Gehaltsempfänger und steht eine lung über die Entwicklung der einzelnen Steuer-
ungerechtfertigte Gleichbehandlung der ver- arten vor mir. Das Aufkommen der Steuer ver-
schiedenen Einkommensteuerarten in der heutigen lagert sich demnach eindeutig von der Einkom
Vorlage gegenüber. Die Bezieher mittlerer und men- auf die Verbrauchssteuern. Folgende Ent-
höherer Einkommen erhalten mit dieser Vorlage wicklung ist nach dem Bericht der Bank deutscher


Deutscher Bundestag -- 45. Sitzung. Bonn, Freitag, den 3. März 1950 1517
(Rische)
Länder vom Dezember festzustellen: Im Monat eine gesetzliche Rücklage von 8,84 Millionen D
April /Mai hatten wir ein Gesamtsteuerauf- -Mark gebildet, während das Anlagevermögen mit
kommen von 1255.3 Millionen D-Mark. Davon 59,4 Millionen D-Mark gegenüber 33,4 Millionen
entfallen auf die Einkommensteuer 45,8 Prozent Reichsmark im letzten Reichsmarkabschluß be-
und auf die Verbrauchssteuern 49,8 Prozent. Aber wertet wird. Als aufgewiesener Reingewinn ist
im Juli/ August sank das Einkommensteuerauf- der Betrag von 3,7 Millionen angegeben, aus dem
kommen auf 42,4 Prozent, während das Ver- eine dreiprozentige Dividende für das zweite
brauchssteueraufkommen auf 51,9 Prozent stieg. Halbjahr 1948 für die Aktionäre ausgeschüttet
Im Oktober /November 1949 betrug der Hundert- wurde.
teil der Steuer vom Einkommen nur noch 39.7
und der der Verbrauchssteuern 54,7. Hier zeigt sich Auch im Warenhaushandel, zum Beispiel bei
ganz eindeutig die Abwälzung der Steuern auf die dem Karstadt-Konzern, wurden große Gewinne
SchulterndbiMas. erzielt.
Besonders aufschlußreich sind aber die letzten
Das wird noch deutlicher, wenn man die Ein- Bilanzen der großen Stahlwerke in Nordrhein-
kommensteuer nach der Lohnsteuer und der ver- Westfalen. Als typisch ist der Geschäftsbericht
anlagten Einkommensteuer aufgliedert. In den von Mannesmann zu betrachten. Zangen. Vor-
Vergleichsmonaten Juli und Oktober hat sich die sitzender des Aufsichtsrats bei den Mannesmann
Lohnsteuer auf 104,1 Prozent erhöht, während die werken, erklärte auf der am 26. Oktober 1949
veranlagte Einkommensteuer auf 96,1 Prozent ge- abgehaltenen Generalversammlung, daß un-
sunken ist. Die Bank deutscher Länder behauptet geachtet der . erheblichen Verluste das Aktien-
in ihrem November -Bericht, die Lohn- und Ge- kapital durch die verbliebene Vermögenssubstanz
haltssumme sei im Wachsen begriffen, und daraus voll gedeckt ist. Die Zeitschrift Professor Er-
sei das höhere Aufkommen aus der Lohnsteuer hards Der Volkswirt" geht auf diese Lage ein
zu erklären. Die geringfügigen Lohnerhöhungen und bemerkt in Nr. 44 des Jahrganges 1949 dazu
gehen in Westdeutschland aber auf Grund. des folgendes:
Lohnsteuergesetzes sofort in die höhere Abzugs-
kategorie, so daß der höhere Anfall an Lohn- Im Falle Mannesmann lagen die Dinge so,
steuer darauf zurückzuführen ist. Obwohl die daß die Bilanz zum 31. Dezember 1944 eine
veranlagte Einkommensteuer während dieser Zeit bedeutende innere Stärkung auf Grund der
in ihrem Ertrag gesunken ist, sind, wie die Bank immerhin beträchtlichen Gewinnchancen der
deutscher Länder in demselben Bericht bemerkt, Vorkriegs- und Kriegsjahre aufwies. Mannes-
die Unternehmergewinne eher gestiegen als ge- mann hat in dieser Zeit sichtbar und zweifel-
sunken. los auch unsichtbar akkumuliert.
Trotz der großen Verluste durch Krieg, Demon-
Nun, meine Damen und Herren, das ist die
tage und Restitutionsansprüchen verfügt der
Praxis: eine Begünstigung der Einkommensteuer
Konzern über ein Vermögen, das den Nominal-
und eine Verlagerung der Steuer auf die Ver-
wert des Aktienkapitals von 156 Millionen D-
brauchssteuern, somit also eine Verlagerung der
Mark voll deckt. Das ist auch ein Erfolg der be-
Steuer auf den Konsum der Masse. Dieser Gegen- rüh mten Erhardschen sozial verpflichteten
satz wird durch die gegenwärtige Steuervorlage Wirtschaftspolitik.
noch weiter verschärft. Wie recht hatten darum
die Kommunisten, wenn sie diese Regierung als (Sehr richtig! bei der KPD.)
die Sachwalterin der Millionäre bezeichneten! Herr Pferdmenges vom Stahlverein erklärte
(Sehr wahr! bei der KPD.) sich ebenfalls auf der Hauptversammlung des
Darüber geben auch die D-Mark-Bilanzen der Stahlvereins, die am 31. Dezember 1949 in Düssel-
Konzerne Auskunft. Das Aktienkapital der 22 Ge- dorf stattfand, äußerst befriedigt mit der Finanz-
sellschaften, die bis zu dieser Stunde berichtet lage dieser mächtigen Monopolorganisation in
haben, konnte im wesentlichen im Verhältnis 1 zu Westdeutschland. Er erklärte, die Finanzlage des
1. umgestellt werden. Das ist eine sehr bedeut- Stahlvereins gebe zu Bedenken keinen Anlaß.
same Entwicklung in Westdeutschland, die zeigt, So könnte ich nun, meine Damen und Herren,
daß die großen Konzerne an Rhein und Ruhr in die Geschäftsberichte, die bisher von den großen
der Kriegszeit und in der Zeit vor und nach der -Konzernen an Rhein und Ruhr vorliegen, her-
Währungsreform keinerlei Verluste erlitten unterzitieren, und immer wieder würden Sie doch
haben. das gleiche Ergebnis hören: die Finanzlage ist
(Zuruf rechts.) gesund, die Verluste sind gedeckt, den Aktionären
-- Eine Reihe von Geschäftsberichten, werter geht es wieder gut.
Kollege, geben dieser Tatsache sehr beredten (Zuruf von der KPD.)
Ausdruck. Meine Damen und Herren! Es ist darum auch
Während sich in den Arbeiterhaushalten eine kein Wunder, daß die Konzerne und Großbanken
beträchtliche Spanne zwischen dem durchschnitt- ihr Vertrauen in diese Regierung setzen, in eine
lichen Nettolohn und dem durchschnittlichen volks- Regierung, die ja nichts anderes ist als die poli-
wirtschaftlich möglichen Konsum bemerkbar tische Repräsentantin dieser Herren von Rhein
macht, sind heute bereits wieder viele Unter- und Ruhr.
nehmen der Großindustrie in Westdeutschland Die unerhörten Kursgewinne an den Börsen
dividendenreif. Am deutlichsten zeigt sich diese sind ein weiteres Barometer des Vertrauens der
Dividendenpolitik in den D-Mark-Bilanzen einer Reichen, der Besitzenden, der Aktienbesitzer zu
Reihe Großbetriebe, und wiederum charakte- dieser Regierung. Vor mir habe ich den Bericht
ristisch ist dabei die Bilanz der Continental eines der wichtigsten Bankinstitute in West-
Gummiwerke AG, Hannover. Dieser größte deut- deutschland. Der „Bankverein Westdeutschland",
sche Gummikonzern hat sein Aktienkapital von früher Commerzbank, hat eine Broschüre heraus-
88,4 Millionen unverändert aus der Reichsmark- gegeben, die den Titel trägt „Rund um die Börse
zeit in die D-Markzeit übernommen, außerdem 1949". Der wirtschaftlich interessierte Mensch fin-
1518 Deutscher Bundestag -- 45. Sitzung. Bonn, Freitag, den 3. März 1950
(Rische)
det eine Unmasse von Materialien gerade in dieser zugeben hätten, deren Vermögen oder son
kleinen, knappen Schrift dieses großen Bankinsti- stiges Besitztum der Krieg verschlungen hat.
tuts. Hier wird in aller Deutlichkeit aufgezählt, Es ist zwar längst Allgemeingut geworden,
wie es heute den Reichen in Westdeutschland daß sich eine so gewaltige Vermögensabgabe
geht. nie in einem so kurzen Zeitraum mobilisieren
Aber wie schon in früheren Jahren beschäftigt läßt, sondern daß sie unter vernünftigen
sich diese Bank nicht nur mit ihren Bilanzen, mit Maßstäben auf lange Jahre verteilt werden
ihrem Vermögen, sondern diese Bank beschäftigt muß. Je tiefer man allmählich in diese Ma-
sich wie seit jeher auch mit den Grundlagen der terie eindrang, um so mehr wurden die vor-
gegenwärtigen Politik. Über diese Politik hat her übertriebenen Gedankengänge auf ein
auch die ehemalige Commerzbank in ihrem Maß zurückgeführt, das dem nüchternen All-
kleinen Heftchen recht ausführlich — und ich tag standhält.
möchte sagen recht deutlich — folgendes ge- Meine Damen und Herren! Dies ist wohl der
schrieben: beste Kommentar, den ich jemals zur Regierungs-
Noch im ersten Jahresviertel wurde bekannt- erklärung des Herrn Bundeskanzlers gelesen
lich die Möglichkeit einer Sozialisierung des habe.
Ruhrbergbaues und der Versorgungsunter- (Sehr richtig! bei der KPD.)
nehmungen in manchen Kreisen erörtert. Meine Damen und Herren! Ich habe mit Ab-
Verstaatlichungsgerüchte sind aber nie eine sicht gerade zu der gegenwärtigen Steuervorlage
günstige Grundlage für die Börsenentwick- auch über diese Fragen gesprochen. Denn man
lung gewesen. sie gaben auch diesmal Anlaß kann nicht zur gegenwärtigen Steuervorlage
zu verstärkter Zurückhaltung gegenüber sprechen, ohne ganz allgemein auch die Finanz-
Dividendenwerten und gegenüber den Aktien und Wirtschaftspolitik dieser Regierung gebüh-
von so gefährdeten Unternehmungen. Mit den rend zu brandmarken. Eine andere Möglichkeit
Wahlen zum Bundestag und der Bildung gbit es für unser Volk nicht mehr.
einer westdeutschen Regierung, die Soziali- Diese Regierung hat einige Aufträge der Kon-
sierungstendenzen abhold ist und für frei e zernherren übernommen. Sie hat erstens die Auf-
Wirtschaft eintritt, änderte sich dieses wenig gabe übernommen, die volle Restaurierung der
freundliche Bild schlagartig. Dieser Umstand alten Konzerne und großen Gesellschaften in Po-
dürfte für den inzwischen eingetretenen litik und Wirtschaft vorzunehmen. Sie hat ferner
Stimmungswechsel ausschlaggebend gewesen noch die Verpflichtung übernommen, dafür Sorge
sein. zu tragen, daß den Monopolherren von Rhein und
Man meint nämlich den Stimmungswechsel an Ruhr ständig Gewinnanreize zur Verfügung ste-
den Börsen. Man meint das Hochschnellen der hen, damit die großen Konzerne an Rhein und
Börsenkurse. Und es heißt weiter: Ruhr ihre alten Machtpositionen in der Wirt-
Der Besitz und der Erwerb von Aktien und schaft wieder begründen können. Diese Regie-
sonstigen Wertpapieren war wieder zu einer rung hat ferner gerade von diesen Kreisen den
Angelegenheit geworden, die unter mehr Auftrag erhalten alle Lasten des Krieges, alle
kaufmännischen Gesichtspunkten beurteilt Lasten der Währungsregelung und alle Lasten
wurde und die politische Ressentiments all- auch der Kolonialpolitik der ausländischen Macht-
mählich abstreifen konnte. herren in Westdeutschland aufs Volk abzuwälzen.
Und dann kommt wieder etwas, worauf die Men- Die Politik dieser Regierung ist ein einziger Be-
schen in Westdeutschland achten müssen: weis dafür, daß sie diesen ihren Auftrag getreu-
lich bis zum letzten Komma erfüllt. Diese Regie-
Der Aktionär hatte seine Salonfähigkeit rung hat bis heute noch nicht, obwohl es im
wiedergewonnen. Währungsgesetz vorgeschrieben war, ein Lasten-
(Hört! Hört! bei der KPD.) ausgleichsgesetz verabschiedet. ' Diese Regierung
Meine Damen und Herren! Dieses kleine Heftchen hat bis zur Stunde immer noch nicht eine wahr-
wird noch deutlicher. Es heißt dann weiter: haft echte Flüchtlingshilfe beschlossen, um den
Dazu gesellte sich die wachsende Überzeu- Millionen Flüchtlingen in Westdeutschland end-
gung, daß es der neuen Bundesregierung mit lich ein menschenwürdiges Dasein zu verschaf-
ihren Plänen zur Steuersenkung ernst sei. - fen. Diese Regierung weigert sich konstant unter
Hinweis auf ihre finanziellen Verpflichtungen,
Das haben wir ja, wenn wir die gegenwärtige den Opfern des Krieges und den Opfern des
Vorlage betrachten, zur Genüge mittlerweile er- Bombenterrors. den Ausgebombten, angemessene
fahren. Hilfe zu gewähren, damit sie sich wieder ein ge-
(Zuruf von der KPD: Da liegt der sundes und ein frohes Leben aufbauen können.
Hase im Pfeffer!) Dagegen aber ist die Regierung bereit, Erfüllungs-
Aber auch noch folgende Probleme, die uns in politik zu betreiben, sich Woche um Woche den
Westdeutschland so sehr bedrücken, werden in Befehlen der Hohen Kommissare zu beugen und
dieser Schrift der ehemaligen Commerzbank mit eine Politik der ständigen Unterordnung unter
der gleichen rücksichtslosen Offenheit aus- die Beschlüsse der Hohen Kommission zu be-
gesprochen, nämlich die Politik des Lastenaus- treiben. Sie trägt gerade mit dieser ihrer Politik
gleichs. Über diese Frage berichten die Verfasser dazu bei, daß das deutsche Volk einer weiteren
der Schrift folgendermaßen: Verelendung entgegensieht.
Auch die Durchführung des Lastenausgleichs- Im Zusammenhang gerade mit dieser ihrer Po-
wurde mit mehr nüchternen Augen be litik muß man auch das Problem der Besatzungs-
hatten sich-trache.MancheTortike kosten sehen. Von dem Volkseinkommen in Höhe
diesen in der primitiven Form vorgestellt, von 60 Milliarden nehmen die Besatzungsmächte
daß diejenigen, die noch etwas besaßen, hier- 7,5 vom Hundert für ihre Zwecke in Anspruch.
von einen bestimmten Teil - man dachte Dies entspricht der Leistung von 1,6 Millionen
zeitweise an die Hälfte — an diejenigen ab- Erwerbstätigen im Bundesgebiet. Diese Gelder
Deutscher Bundestag — 45. Sitzung. Bonn, Freitag, den 3. März 1950 1519
(Rische)
des deutschen Volkes können nur deswegen in Wir haben ferner vorgeschlagen, in Artikel I
Anspruch genommen werden, weil die Regierung Ziffer 8 im § 7 e Absatz b (1) hinter „Gewerbe-
sich konstant weigert, sich dafür einzusetzen, daß treibende" einzufügen: „die bis zu 50 Lohn- und
endlich einmal ein Friedensvertrag abgeschlossen Gehaltsempfänger beschäftigen." Wir sind für
wird, daß endlich einmal eine gesamtdeutsche diese Begrenzung, weil wir nicht wollen, daß
Regierung zustande kommt und daß endlich ein- diejenigen, die auch unter den gegenwärtigen
mal die Unabhängigkeit des deutschen Volkes Verhältnissen in der Lage sind, Kapital anzu-
wiederhergestellt werden kann. Die Steuern und sammeln, durch dieses Gesetz Vergünstigungen
Besatzungskosten zeigen darum den werktätigen erhalten. Wir sind aber für den vollen Schutz
Massen in Westdeutschland die materiellen und sind auch für steuerliche Vergünstigungen
Lasten, die dank der Politik dieser Regierung und bei jenen Kleingewerbetreibenden, die heute
dank der Besatzungspolitik den westdeutschen schon unter den Auswirkungen der Krise und des
Werktätigen aufgebürdet werden. Marshall-Planes schwer zu leiden haben.
Die Steuern, die durch diese Vorlage der Mehr- Wir haben dann noch im Interesse der Flücht-
heit des Bundestags erzwungen werden sollen, linge, politisch Verfolgten, Kriegsopfer und So-
sind darum ein Tribut, den die Werktätigen, die zialberechtigten vorgeschlagen, in Artikel I Zif-
Mittelständler und die kleinen Unternehmer an fer 18 dem § 33 a Absatz 1 folgende Fassung zu
eine Regierung entrichten, die alles für die Mil- geben:
lionäre tut, aber nichts für das Volk. Diese Bei politisch Verfolgten, bei Kriegsopfern
Steuern stärken die Position einer Regierung, die und Sozialberechtigten, bei Flüchtlingen sowie
für die koloniale Unterdrückung und Belastung bei Personen, die den Hausrat und die Klei-
des deutschen Volkes, der deutschen Wirtschaft dung infolge Kriegsschadens verloren haben
die Hauptverantwortung trägt. Jeder Pfennig, der und die dafür höchstens eine Entschädigung
dieser Regierung zufließt, richtet sich somit ge- von 50 vom Hundert erhalten haben, wird
gen die ureigensten Interessen des deutschen auf Antrag ein Freibetrag in der vollen
Volkes. Höhe der tatsächlich getätigten Neuanschaf-
Sie können von uns Kommunisten nicht erwar- fungen gewährt.
ten, daß wir dieser reaktionären Steuervorlage Diese Kreise haben in den meisten Fällen kei-
die Zustimmung geben. Aber wir haben dennoch nerlei Einkommen. Sie sind so hart betroffen,
eine Reihe von Abänderungsvorschlägen auch zu daß sie nicht in der Lage sind, ihre durch Kriegs-
dieser Steuervorlage der Regierung gemacht, um einwirkung verlorengegangenen Einrichtungen
zum mindesten die berechtigten Interessen der und Gegenstände zu ersetzen. Vielfach sind auch
Währungsgeschädigten, der Flüchtlinge, der Aus- gerade diese Bevölkerungskreise von der Arbeits-
gebombten und der politisch Verfolgten dennoch losigkeit und von der Kurzarbeit besonders hart
zu sichern. Dabei wissen wir ganz genau, daß betroffen. Wir treten dafür ein, daß in dieser
die Mehrheit in diesem Hause nicht bereit sein Steuergesetzgebung keinerlei Begrenzungen ge-
wird, unseren Anträgen ihre Zustimmung zu genüber diesen Bevölkerungskreisen enthalten
sind.
geben.
Schließlich haben wir Kommunisten uns die
Wir haben in unseren Abänderungsanträgen Vorschläge des Deutschen Gewerkschaftsbundes zu
gemäß Drucksache Nr. 616 ganz klar und ein- eigen gemacht, eine höhere Steuerfreigrenze für
deutig verlangt, daß in Artikel I Ziffer 3 der §3 die Werktätigen auch in diesem Gesetz zu er-
Ziffer 4 eine Fassung erhält, nach der die Renten zwingen. Wir schlagen vor:
aus der gesetzlichen Rentenversicherung der Ar- Für die Steuerklassen II und III wird der
beiter und Angestellten, die Renten aus der Steuersatz der Ziffer 1 der Grundtabelle A
Knappschaftsversicherung und die Renten, die mit den folgenden Maßgaben angewendet:
auf Grund eines Versicherungsvertrages oder aus
Unterstützungskassen gezahlt werden, in voller a) 1500 D-Mark Jahresarbeitseinkommen des
Höhe steuerfrei bleiben, wenn kein sonstiges Steuerpflichtigen der Steuerklassen II und
Einkommen vorhanden ist. Meine Damen und III bleiben steuerfrei.
Herren! Warum haben wir Kommunisten diesen (Glocke des Präsidenten.)
Antrag gestellt? Weil wir der Auffassung sind -
und uns tagtäglich in der Praxis des Lebens be- Präsident Dr. Köhler: Herr Abgeordneter! Darf
wiesen wird, daß gerade diese Kreise des west- ich Sie einmal einen Moment unterbrechen.
deutschen Volkes in ihren Renten praktisch ihr (Abg. Rische: Ich begründe gleich, um das
einziges Einkommen haben. Wenn sie tatsäch- nachher nicht mehr zu sagen zu brauchen!)
lich noch sonstige Bezüge haben, sind diese nur Dann wäre das also damit als erledigt zu be-
ein geringer Ersatz für die Schäden, die gerade trachten?
diese Menschen haben hinnehmen müssen. (Abg. Rische: Jawohl!)
Ein weiterer Antrag der KPD beschäftigt sich Sehr schön!
damit, daß die Weihnachtsgratifikationen und Ju-
biläumsgeschenke bis zum Betrage von 300 D- Rische (KPD): Ich darf also fortfahren:
Mark steuerfrei bleiben sollen. Ich weise darauf b) für die Ehefrau und jedes Kind, für das
hin, daß diese Regierung es ablehnte, den ein- dem Steuerpflichtigen gemäß § 32 des Ein
stimmigen Beschluß des Hauses über die Steuer- kommensteuergesetzes eine Ermäßigung
freiheit dieser Beträge an den Bundesrat weiter- zusteht oder auf Antrag gewährt wird,
zuleiten. Dieses Nichtweiterleiten muß man als bleiben weitere 1000 D-Mark steuerfrei.
eine Sabotage der Beschlüsse dieses Hohen Hauses
bezeichnen, Dieser unser Antrag basiert auf den Vorschlä-
(Sehr wahr! bei der KPD) gen des Deutschen Gewerkschaftsbundes. Nun
kann die Mehrheit dieses Hauses beweisen, wie
muß man auch als einen Verfassungsbruch brand- sie zu den Vorschlägen der mächtigen Organisa-
marken. tion der Werktätigen in Westdeutschland steht.
1520 Deutscher Bundestag — 43. Sitzung. Bonn, Freitag, den 3. März 1950
(Rische)
Anläßlich der Regierungserklärung hörten wir und dafür die wirklich großen Einkommensträ
keinerlei Worte vom Bundeskanzler Adenauer ger um so stärker heranziehen. Dieser Grund-
zugunsten der gewerkschaftlich organisierten gedanke ist mit diesem Gesetz unter keinen Um-
Massen. Um so mehr aber sprach er von den ständen verwirklicht. Das bißchen, was Sie an
Interessen der Großkapitalisten und Monopolher- sogenannten Verbesserungen gebracht haben,
ren an Rhein und Ruhr. Nun muß diese Regie- stellt sich bei näherem Zusehen als eine Augen-
rung und nun muß die Mehrheit im Bundestag auswischerei dar, wie man österreichisch so un-
Farbe bekennen, wie sie zu den Forderungen der nachahmlich sagt. Wir sind überhaupt der Auf-
fünf Millionen Gewerkschaftler in Westdeutsch- fassung, daß man die kleinen und kleinsten Ein-
land steht. Die Regierung und die Parlaments- kommen steuerfrei lassen muß. Sie haben hier
mehrheit haben mehr als einmal die Forderungen in dem Entwurf nur ein Einkommen bis zu 750
der Gewerkschaften in der Gesetzgebung des D-Mark pro Jahr steuerfrei gelassen. Die Ab-
Bundestages mißachtet. Man soll aber nicht glau- schreibungen, die sonst noch möglich sind, will
ben, daß die fünf Millionen Werktätigen im ich nicht 'hinzurechnen. Sie treten keineswegs in
Deutschen Gewerkschaftsbund immer so geduldig allen Fällen ein. Das sind ja dann auch tat-
bleiben, wie sie es bisher noch geblieben sind. sächlich berechtigte Abschreibungen, wir können
Eines Tages, meine Damen und Herren, müssen sie außer acht lassen. Aber nehmen Sie doch
Sie damit rechnen, daß die Werktätigen im Deut- ruhig noch 100 oder ein paar hundert Mark zu den
schen Gewerkschaftsbund auch gegen den Willen 750 D-Mark Jahreseinkommen hinzu, dann kom-
solcher Gewerkschaftsführer, die mit dieser Re- men Sie immer noch auf Sätze, die so lächerlich
gierung oft gemeinsame Sache machten, aufste- gering sind, daß sie unter gar keinen Umstän-
hen und für ihre berechtigten Forderungen kämp- den verantwortet werden können. Die schreien
fen werden.
(Ironische Bravorufe rechts.)
e
nach einer Ausd hnung nach oben.
Wir werden Ihnen andere Vorschläge machen,
Die von uns vorgeschlagenen Abänderungsan- wie hier vorgegangen werden muß. Wir werden
träge betreffen somit den Schutz der Werktätigen
gegen eine Regierung, die, wie ich schon aus- Ihnen Vorschläge machen, nach denen der Staat
führte, einzig -und allein darauf bedacht ist, die trotzdem nicht schlechter fährt. Der Staat soll
Interessen der Monopolherren von Rhein und endlich einmal dort zufassen, wo wirklich die
Großeinkommen sind. Es ist ein geradezu skan-
Ruhr zu verteidigen, die das in der Regierungs-
erklärung gegebene Versprechen, eine Politik der dalöser Zustand, wenn man weiß, was sich in
sozialen Verpflichtung zu führen, nicht eingehal- dem letzten Jahr seit der Währungsreform er-
ten hat und die auch niemals daran denken eignet hat. Wir haben ein Ansteigen der Ge-
wird, ihre Versprechen gegenüber ihren eigenen winne aus dem Großaktienbesitz in der unerhör-
Wählern ernsthaft einzuhalten. Diese Re- testen Form. Aktien, die vor einem Jahr auf 15
gierung ist eine . Regierung, die sich zum Ziel ge- standen, stehen heute auf 70 und noch mehr. So
setzt hat, das Volk alle Lasten des Krieges tra- geht es durchschnittlich durch den ganzen Aktien-
gen zu lassen. Es ist eine Regierung, die nur plafond an den verschiedenen deutschen Börsen
daran denkt, volksfeindliche Gesetze zu erlas- hindurch. Wir haben Riesengewinne, die durch
sen. Mit dieser Regierung haben die Werktäti- zwei Währungsreformen gemacht worden sind.
gen in Westdeutschland nichts gemein; sie -wer- Alle diese Gewinne werden nur höchst unzurei-
den sie eines Tages hinwegfegen! chend erfaßt.
(Beifall bei der KPD. — Lachen und Zu- Der Staat aber sucht ganz woandersher Geld zu
rufe bei den Regierungsparteien.) bekommen. Dem armen Teufel, dem einheimi-
schen Ausgebombten und dem Heimatvertriebe-
nen hat man jetzt in § 33 a die Sätze zu kürzen
Präsident Dr. Köhler: Das Wort hat der Herr versucht. Wir von der WAV verlangen — die
Abgeordnete Loritz. Anträge werden Sie auch noch schriftlich be-
Loritz (WAV): Meine sehr verehrten Damen und
,
kommen — daß die ursprüngliche Form des
§ 10 f wiederhergestellt wird, daß also die neue
Herren! Wer geglaubt hat, daß zwischen der Form des § 33 a in Wegfall kommt. Wir glau-
ersten Lesung dieses Entwurfs und der jetzigen ben, daß der Verbesserungsantrag, den die CDU
Lesung im Ausschuß aus diesem Gesetz etwas - das letzte Mal während unserer Abwesenheit
werden könnte, was wenigstens einigermaßen beschlossen hat, noch keineswegs den Erforder-
Hand und Fuß hätte, der ist leider bitter nissen der Heimatvertriebenen und der einheimi-
enttäuscht. Als Überschrift über diesen neuen schen Ausgebombten und der politisch Verfolgten
Entwurf, wie er uns vorliegt, könnte man, weiß entspricht. Diese Verdoppelung ist immerhin noch
Gott, das berühmte Gedicht von Heine setzen: eine bedeutende Verschlechterung gegenüber dem
Hast du viel, so wirst du bald bisher geltenden Zustand. Ich wiederhole es:
Noch viel mehr dazu bekommen. wir verlangen die Aufrechterhaltung des alten
Hast du wenig, wird dir auch § 10 Buchstabe f in der Fassung vom 10. August
Dieses noch hinweggenommen. 1949. Wenn die CDU wenigstens eine Verdrei-
Dieser Gesetzentwurf bringt nichts anderes als fachung dieser Sätze statt einer Verdoppelung
eine unerhörte und unerträgliche Erhöhung des beantragt und beschlossen hätte! Aber nicht ein-
Nettoeinkommens für die großen Vermögen, da- mal das hat sie getan.
gegen für die kleinen Leute so gut wie nichts. Wir verlangen vor allem einen ganz anderen
Das ist die Quintessenz dieser Dutzende von Pa- Aufbau der Einkommensteuer. Ich werde Ihnen
ragraphen, die Ihnen vorliegen. Wir von der unsere Sätze hierzu vorlesen. Wir verlangen
WAV denken uns eine Steuerreform anders, als zunächst eine Streichung der Tabelle B. Bezüg-
sie hier zu sehen ist. Wir wollen endlich ein- lich der Grundtabelle A verlangen wir, die Sätze
mal die kleinen Einkommen möglichst wenig be- dahin abzuändern, daß die Einkommensteuer bis
steuert wissen zu einem Jahresbetrag von 1800 D-Mark Einkom
(Sehr richtig! bei der WAV) men in Wegfall kommt, weil es sich hier wirklich
Deutscher Bundestag - 45. Sitzung. Bonn, Freitag, den 3 . Mara 1950 1521
(Loritz)
um die Bettelpfennige der Ärmsten in unserem die kleinen Einkommen wirklich in einer Art
Volk han delt, der Leute, die höchstens 150 D und Weise heranzuziehen, daß den Leuten noch
Mark im Monat verdienen. Sie wissen alle sel- ein bißchen bleibt und daß nicht Sätze von 20
ber, was das bei den heutigen Preisen bedeutet; und 25 Prozent bereits bei kleinem Einkommen
das Ist kaum mehr zum Leben genügend. Für zu zahlen sind. Das ist unmoralisch, das kann
Einkommen von 4800 bis 3600 D-Mark wollen nicht mehr gerechtfertigt werden. Suchen Sie
wir einen anderen Satz als bisher haben. Wir diese Summen, die Ihnen hier verlorengehen,
wollen für den 1800 D-Mark übersteigenden Be- bei den Großaktionären, bei den Währungs-
trag einen Steuersatz von 10 Prozent haben. Wir reformgewinnlern, dann werden Sie nicht schlecht
wollen ferner eine Gruppe von 3600 bis 4800 D fahren, dann werden diese Summen für Sie die
Mark schaffen und für diese Gruppe 15 Prozent beste Anlage sein, die jemals von seiten der
des 3600 D-Mark übersteigenden Betrages fest- Finanzbehörden gemacht worden ist.
gesetzt wissen. Wir wollen eine letzte Gruppe Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich
von 4800 bis 7200 D-Mark und einen Satz von bitte Sie abschließend nochmals: machen Sie doch
20 Prozent des 4800 D-Mark übersteigenden Be- endlich Schluß mit dieser vollkommen verfehl-
trages haben. Die Sätze, die ich Ihnen soeben ten Steuerpolitik, immer wieder bei den klei-
genannt habe, betreffen alle die Kategorien der nen und kleinsten Einkommen die Hauptsteuer
Arbeiter, der einfachen wie der gehobenen Ar- träger zu suchen. Denken Sie an andere Länder,
beiter, und des kleinen Mittelstandes. Hier müs- in denen das Einkommen des Staates zum aller-
sen Sie nur solche Steuern erheben, die wirklich größten Teil auf Vermögensteuern und auf Be-
verantwortet werden können. In der Bibel heißt steuerung der hohen Einkommen gerichtet ist.
es: den Zehnten sollt ihr nehmen und nicht mehr. Denken Sie daran, dann werden Sie vielleicht
Alles andere ist schon im Alten Testament als auch den Antrag der WAV in Berücksichtigung
unsittlich erachtet worden. Die Herren von der ziehen. Wir sind der Auffassung, daß nur eine
CDU werden die betreffenden Stellen in der Bibel Steuerreform, die wirklich diesen Namen ver-
kennen. dient, die dieses Unrecht gegenüber den kleinen
(Heiterkeit.) Einkommen wiedergutmacht, überhaupt einen
Heute wären wir froh, wenn es nur beim Zehn- Zweck hat. Das, was uns die Regierung vorlegt,
ten bleiben würde. Heute wird gerade den ar- wird zu gar nichts anderem als zu einem Rück-
men Teufeln ein Betrag weggenommen, der nach gang der Steuereinkünfte und zu einer Begün-
der Bibel bereits als unsittlich bezeichnet wer- stigung der Großverdiener führen. Das hat die
den muß. WAV zu diesem Punkte zu sagen.
(Beifall bei der WAV.) Wir können der Regierungsvorlage aus den
Wir wollen von wo ganz anders Beträge herein- Gründen, die ich Ihnen eben nannte, unsere Zu-
bekommen. Wir möchten nämlich die Grund- stimmung nicht geben. Wir bitten sie, doch endlich
tabelle A so erhöht wissen, daß die Steuer für einmal eine vernünftige und wirtschaftsfreundliche
Einkommen von 20- bis 30 000 D-Mark statt auf Steuergesetzgebung zu machen, statt gerade die
50 Prozent des Betrages, der 20 000 D-Mark über- breiten Schichten des Volkes immer wieder in
steigt, auf 60 Prozent, bei Einkommen von 30- bis schlimmster Art und Weise zu benachteiligen und
40 000 D-Mark statt 55 auf 65 Prozent, dann bei zu belasten.
40- bis 60 000 D-Mark auf 70 Prozent, von 60 000 (Beifall bei der WAV.)
D-Mark ab auf 90 Prozent des 60 000 D-Mark über-
steigenden Betrages und von über 100 000 D-Mark Präsident Dr. Köhler: Das Wort hat der Herr
auf 95 Prozent des 100 000 D-Mark übersteigenden Abgeordnete Dr. Höpker-Aschoff.
Betrags festgesetzt wird. Das sind die Summen,
die man vor seinem Gewissen und vor un- Dr. Dr. Höpker -Aschoff (FDP): Meine Damen
serem Volk verantworten kann. Aber lassen und Herren! Von dem Herrn Kollegen Koch ist vor-
Sie bitte endlich einmal die Finger vom Arbei- hin die Rechtmäßigkeit der zweiten Lesung dieser
tereinkommen und vom Einkommen des kleinen Vorlage mit Rücksicht darauf angezweifelt worden,
Mittelstandes weg, weil Sie nämlich sonst die daß damals die Beschlußunfähigkeit des Hauses
ganze Volkswirtschaft kaputtmachen. Denn festgestellt und alsdann eine neue Sitzung anbe-
daran haben wir ja schon vor 1933 gekrankt, und -raumt wurde. Herr Kollege Koch, ich verstehe Ihre
ich wage zu behaupten: es war mit der Grund Einwendungen nicht. Nach dem klaren Wortlaut
der Katastrophe, die über uns hereingebrochen von § 100 der Geschäftsordnung hat der Präsident bei
ist, daß man den kleinen Mittelstand so wenig Beschlußunfähigkeit die Sitzung sofort aufzuheben
gekannt hat und daß man ihn gegenüber den und Zeit und Tagesordnung der nächsten Sitzung
Rieseneinkommen steuerlich viel zu wenig be- zu verkünden. Nach dieser Bestimmung ist verfah-
rücksichtigt hat. Und doch liegt gerade beim ren worden. Als sich die Beschlußunfähigkeit erge-
Mittelstand in Stadt und Land, bei den Bauern ben hatte, hat der Herr Präsident eine neue Sit-
wie bei den städtischen Gewerbetreibenden und zung, ich glaube, mit einem Zwischenraum von ei-
bei den Arbeitern, gerade bei diesen Schichten ner Viertelstunde, anberaumt, und dann haben wir
das Wohl der Nation verankert! dieselbe Tagesordnung wie zuvor zugrunde gelegt.
In ähnlicher Weise ist schon öfters hier im Hause
Das sind die Anträge, die die WAV heute ein- verfahren worden, und zwar auch in Fällen, in de-
zureichen hat. Wir wissen, was diesen Anträgen nen die Beschlußfähigkeit nicht von Ihrer Fraktion
blüht. Wir wissen, daß leider Sie, meine Herren angezweifelt worden war, sondern von anderer
von der Rechten, Ihre Zustimmung höchstwahr- Seite, ohne daß von Ihnen die geringste Einwen-
scheinlich nicht geben werden. Denn Sie haben dung erhoben worden wäre. Ich glaube also nicht,
hier einen Gesetzentwurf geschaffen, der nichts daß die Rechtmäßigkeit der zweiten Lesung be-
anderes als eine Bevorteilung und Begünstigung zweifelt werden kann. Das hindert Sie natürlich
der Rieseneinkommen ist; und da können wir nicht, auch in der dritten Lesung noch Abände-
nicht mitmachen. Helfen Sie doch endlich einmal rungsanträge zu stellen, auch zu den einzelnen Pa-
dazu, meine sehr verehrten Damen und Herren, ragraphen; das ist ja in der Geschäftsordnung aus-
1522 Deutscher Bundestag - 45. Sitzung. Bonn, Freitag, den 3. März 1950
(Dr. Dr. Höpker-Aschoff)
drücklich vorgesehen. Aber, meine Damen und gar nicht entfernt. Wenn Sie einmal die Tabelle B
Herren, um das klarzustellen: für uns ist diese Le- der Regierungsvorlage aufschlagen und ein Ein-
sung. die dritte Lesung, und daraus muß sich der kommen von 5 000 Mark nehmen, so sind Sie bei
weitere Gang der Beratungen ergeben. einem Verheirateten mit einem Kind bei einem
Nun zu der Sache selbst. Der Herr Kollege Koch Steuersatz von 500 Mark; das würde also genau
hat nochmals darauf hingewiesen — wir haben dem biblischen Zehnten entsprechen. Daß wir in
diese Ausführungen ja schon im Ausschuß gehört —,
den höheren Steuergruppen mehr zu erheben haben
daß diese Steuervorlage zu wenig für die kleinen -- das hängt mit den veränderten Verhältnissen
Einkommen und zu viel für die großen Einkommen und den sozialen Lasten zusammen, die wir zu tra-
gebe. Ähnliche Einwendungen sind ja auch von den gen haben, und den Folgen eines schrecklichen,
beiden Vorrednern, dem Herrn Kollegen Rische verlorenen Krieges. In den Einkommenstufen un-
und dem Herrn Kollegen Loritz, gemacht worden. ter 5 000 Mark aber erheben wir viel weniger als
den biblischen Zehnten.
Um die Einwendungen des Herrn Kollegen Rische Nun aber einiges zu den Ausführungen, die der
gleich vorwegzunehmen -- er hat ja über seine Herr Kollege Koch hier gemacht hat. Er hat zuge-
Einwendungen hinaus noch eine Fülle von Anträ-
geben, daß sich der heutige Tarif auf dem Juni
gen zur Verbesserung unseres Steuersystems ge- Tarif aufbaut; er hat auch zugegeben, daß dieser
stellt, die auch im wesentlichen den kleinen Steuer-
zahlern zugute kommen sollen. Man müßte nach Juni-Tarif vom Jahre 1948 von dem damaligen
diesen Ausführungen meinen, daß er das Vorbild Wirtschaftsrat einmütig — auch mit Zustimmung
für seine Vorschläge in der russischen Zone gefun- der Sozialdemokratischen Partei — beschlossen
war, aber er meint, seither seien doch sehr starke
den hat und daß dort die kleinen Leute in einem
Steuerparadies leben. Ich weiß nicht, Herr Kollege Veränderungen eingetreten, die Lebenshaltungs-
kosten seien stark gestiegen. Nun, es ist richtig,
Rische, ob Sie den Steuertarif der Einkommensteuer die Lebenshaltungskosten sind nach der Währungs-
kennen, der heute in der russischen Zone maßge- reform gestiegen; sie sind dann aber nicht unerheb-
bend ist. Ich will nur ein paar Zahlen aus diesem
Steuertarif hier einmal anführen und sie den Zah- lich wieder gesunken, und sie liegen heute gar
len gegenüberstellen, die sich aus unserer Regie- nicht mehr soviel über den Lebenshaltungskosten
zur Zeit der Währungsreform.
rungsvorlage jetzt ergeben. Nach diesem Tarif in
der russischen Zone beträgt die Steuer für einen (Sehr richtig! in der Mitte.)
Ledigen mit einem Einkommen von 1 500 Mark 129 Auf der anderen Seite sind aber auch die Einkom-
Mark, bei uns nach der Regierungsvorlage 82 Mark; men seit der Währungsreform nicht unerheblich
(Hört! Hört! bei den Regierungsparteien) gestiegen.
(Sehr wahr! in der Mitte.)
für einen Ledigen mit 3 000 Mark drüben 450 Mark,
bei uns 335 Mark; Nach den statistischen Unterlagen ist das Einkom-
men eines Arbeiters seit der Währungsreform im
(Hört! Hört! bei den Regierungsparteien und Durchschnitt um 20 Prozent gestiegen.
Zuruf in der Mitte: Peinlich!)
(Zuruf von der KPD.)
für einen Ledigen mit 6 000 Mark drüben 1 373
Mark, bei uns 1 125 Mark. Also die Steigerung der Einkommen beträgt sicher-
lich mehr als die Erhöhung der Lebenshaltungs-
(Hört! Hört! in der Mitte und rechts.) kosten. Man kann daher gegen das, was damals
Nun nehmen Sie die Verheirateten ohne Kinder: der Wirtschaftsrat einmütig beschlossen hat, heute
drüben bei 1 500 Mark 129 Mark, bei uns 45 Mark; nicht einwenden, die Lebenshaltungskosten seien
drüben bei 3 000 Mark 458 Mark, bei uns 217 Mark; stärker gestiegen als die Einkommen. Denn das
drüben bei 6 000 Mark 1 373 Mark, bei uns 945 Mark. entspricht in keiner Weise den Tatsachen.
Also, wenn irgendeiner sich die Maßnahmen eines Dann habe ich, Herr Kollege Koch, Ihre Berech-
anderen zum Vorbild nehmen könnte, so wäre es nungen offen gesagt nicht verstanden. Sie haben
in diesem Falle die russische Zone, die hier wirk- uns ausgerechnet, daß bei einem Einkommen von
lich noch etwas von uns lernen könnte. 1200 Mark und 2 400 Mark die Vorlage so gut wie
Aber es kommt noch etwas ganz anderes dazu. gar keine Ermäßigung bringe. Ich bitte Sie, doch
Das sind die Bestimmungen der russischen Zone einmal die Einkommensteuertabelle B, wie sie bis-
über die Ermäßigungen für die Ehefrau. Auch das - her gültig war, und die Einkommensteuertabelle
ist ganz interessant. Es gibt auch dort einen Frei- B, wie sie jetzt der Regierungsvorlage zugrunde
betrag von 720 Mark, also etwas geringer als bei liegt, miteinander zu vergleichen. Nehmen Sie dann
uns; wir haben 750 Mark. Es gibt aber auch einen ein' Einkommen von 1200 Mark, so finden Sie, daß
Freibetrag für die Ehefrau von 600 Mark. Aber nach der bisherigen Tabelle die Steuerpflichtigen in
diese Freibeträge kommen der Ehefrau in der Sow- dieser Gruppe haben zahlen müssen 50 Mark der
jetzone nür dann zustatten, wenn sie a) mindestens Ledige und 30 Mark in der Steuerklasse II; nach
vier Monate vor Ablauf des Steuerjahres das 50. der neuen Tabelle 41 und 25. Wenn Sie dann ein
Lebensjahr erreicht hat oder b), wenn aus der Ehe Einkommen von 2 400 Mark nehmen, dann haben
Kinder hervorgegangen sind, die bis zum Schluß Sie nach der bisherigen Tabelle 261 Mark für den
des Steuerjahres das 8. Lebensjahr noch nicht er- Ledigen, 153 Mark in der Steuerklasse II, dagegen
reicht haben, oder c) wenn sie selber zu über 50 nach der Tabelle der Regierungsvorlage 217 und
Prozent erwerbsunfähig ist. Also ich glaube, man 127. Es handelt sich hier also nicht um Ermäßigun-
kann auch hier feststellen, daß das, was die Regie- gen von 0,75 oder 1,9 Prozent, sondern es handelt
rungsvorlage in dieser Hinsicht vorschlägt, weit sich hier, wie es in der Begründung der Regie-
über das hinausgeht, was heute in der russischen rungsvorlage vorgesehen ist, bei den unteren Steu-
Zone rechtens ist. erklassen in der Tat um Ermäßigungen um ein
Dann auch noch ein Wort zu den Ausführungen Sechstel bis ein Fünftel.
des Herrn Kollegen Loritz. Er ist ein bibelfester (Abg. Dr. Koch: Ich habe es auf das Einkom
Mann und hat gemeint, der Staat solle nicht mehr men bezogen!)
als den Zehnten nehmen. Nun, Herr Kollege Loritz, Aber, meine Damen und Herren, es wäre ja doch
so weit sind wir von dieser biblischen Regelung außerordentlich lehrreich, wenn die Tabellen über
Deutscher Bundestag -- 45. Sitzung. Bonn, Freitag, den 3. März 1950 1 523
(Dr. Dr. Höpker-Aschoff)
die Steuerkurven, die uns von dem Herrn Bundes- England miteinander verglichen. Herr Kollege
finanzminister im Ausschuß zugänglich gemacht Koch, wenn wir von Kapitalbildung reden, können
sind, mehr bekannt wären und auch einmal in die wir nie die Bruttoinvestitionen zugrunde legen,
Öffentlichkeit kommen würden. sondern nur die Nettoinvestitionen, und diese Net-
(Zustimmung links und in der Mitte.) toinvestitionen werden heute bei uns bei einem
Wenn man sich auf dieser Steuertabelle die Steuer- Volkseinkommen, gleich Sozialprodukt, von meinet-
kurven ansieht — die Steuerkurve von 1925, 1938 wegen 70 Milliarden etwa 8 oder 9 oder 10 Milli-
und 1943 und die Steuerkurve der heutigen Regie- arden betragen. Wir haben heute viele statistischen
rungsvorlage —, so ergibt sich doch die bemer- Ämter und viele Meldungen, und überall weichen
kenswerte Tatsache, daß die Steuerkurve der heu- die Berechnungen immer etwas voneinander ab. Ich
tigen Regierungsvorlage die Steuerkurve des Jah- frage Sie eines, Herr Koch, wenn im Verhältnis
res 1925 erst bei einem Einkommen von 4 800 Mark zu diesem Einkommen die Investitionsquote ver-
schneidet, daß sie die Steuerkurve des Jahres 1938, hältnismäßig groß erscheint und dann natürlich
die, wenigstens für die kleineren Einkommen, noch auf Kosten der Konsumquote geht, wie wollen Sie
maßvoller war als die Steuerkurve des Jahres das Volkseinkommen, das Realeinkommen, das So-
1925, erst bei etwa 4 500 schneidet, mit anderen zialprodukt auf die Dauer "in die Höhe treiben,
Worten: die kleinen Einkommen bis zu 5 000 Mark (Sehr richtig! rechts)
sind in Deutschland nie so günstig versteuert wor- wenn Sie in einer Wirtschaft, wie wir sie haben,
den wie durch die Regierungsvorlage. mit den furchtbaren Zerstörungen, nicht soviel In-
(Hört! Hört! rechts.) vestitionen machen wie nur eben möglich?
Die Tarife, die wir 1925 und im Jahre 1938 gehabt (Sehr richtig! und Bravo! rechts.)
haben, lagen für diese Einkommen höher als der Denn Investitionen sind kein. Selbstzweck, sondern
heutige Tarif.
alle Investitionen dienen dazu, einmal den laufen-
Wenn Sie dann aber weitergehen und auch ein- den Verbrauchsgüterstrom zu verstärken. Das ist
mal nach den höheren Einkommen hinschauen — der Sinn der Investitionen. Eine zerstörte Wirt-
das möchte ich insbesondere auch dem Kollegen schaft wie die deutsche braucht natürlich viel stär-
Loritz sagen —, so haben Sie das umgekehrte Bild. kere Investitionen als die englische,
Während bei den unteren Einkommen die Steuer- (Zuruf links: Aber keine Fehlinvestitionen!)
kurve des Regierungstarifs noch unter den niedrig-
sten Kurven bleibt, die wir jemals gehabt haben, und wenn sie wirklich die gleiche Investitionsquote
geht es dann schon bei den mittleren und höheren wie die englische Wirtschaft erreicht, dann sollten
Einkommen auch nach dem, was heute die Regie- wir darüber nicht klagen, sondern uns darüber
rungsvorlage vorschlägt, weit über diese Kurven freuen, denn je größer die Investitionsquote ist,
hinaus. desto schneller werden wir zu dem Zeitpunkt kom-
men, in dem auch ein größerer Konsumgüterstrom
Meine Damen und Herren! Denken Sie einmal an die gesamte Masse des deutschen Volkes verteilt
an den harten Tarif, den wir während des Krie- werden kann.
ges hatten. Dieser Tarif lief mit einem Höchststeu-
ersatz von 58 Prozent aus. Unser heutiger Tarif Nun zur zweiten Frage, Herr Kollege Koch, oder
nach der Regierungsvorlage läuft nach der Ermäßi- richtiger, zur Unterfrage. Ihnen gefällt es nicht,
gung mit 89 Prozent aus, und zwar in den Durch- daß die Unternehmer darüber entscheiden, was und
schnittssätzen und nicht nur in den Steuersätzen wie investiert werden soll. Sie sprechen viel von
für die Spitze gerechnet. Man kann also beim besten Fehlinvestitionen und sind der Meinung, daß es
Willen nicht sagen, daß, verglichen mit früheren gescheiter sei, wenn von Staats wegen ein Plan für
Zugriffen des Steuergesetzgebers, hier nicht eine die Investitionen ausgearbeitet würde. Herr Kol-
gewisse Gerechtigkeit auch in der Abstufung der lege Koch, ich gebe Ihnen ohne weiteres zu, daß
verschiedenen Einkommensteuerklassen walte. Daß bei den Investitionen Irrtümer möglich sind, und
unser Tarif, soweit die kleineren Einkommen in auch die Unternehmer werden bei ihren Investitio-
Frage kommen, hinter dem englischen Tarif zu- nen irren können. Aber niemand hat mir bisher ge-
rückbleibt, daß der englische Tarif größere Frei- sagt, aus welchen Gründen nun staatliche Kommis-
beträge gewährt und auch geringere Steuersätze sionen vor solchen Irrtümern bewahrt bleiben sol-
für kleinere Einkommen und besonders für die Ar- - len.
beitseinkommen, kann leider nicht bestritten (Sehr richtig! rechts und in Mitte. — Lachen
werden. Es handelt sich doch aber auch darum, links.)
einmal das Einkommen und zum anderen die Pro- Ich bin der Auffassung, daß der Unternehmer, der
duktionskapazitäten dieser beiden Länder mitein- auf sein eigenes Risiko handelt und vor der Ge-
ander zu vergleichen. Wir hätten alle den Wunsch fahr großer Verluste steht, wenn er Fehlinvestitio-
gehabt — ich glaube, das kann ich für alle Abge- nen vornimmt, sorgfältiger prüft, welche Investi-
ordneten in diesem Hause sagen —, die Steuersätze tionen vorgenommen werden sollen, als die öffent-
für die niedrigeren Einkommen noch weiter zu er liche staatliche Planungskommission, die keine Ver-
mäßigen, wenn wir hier nicht vor dem unerbitt antwortung zu tragen hat
lichen Muß gestanden hätten, auch das Gleichge-
wicht der Einnahmen und Ausgaben des Haushalts (Sehr richtig! rechts)
in Rechnung zu stellen. und nicht an ihrem Beutel merkt, ob Fehlinvesti-
Herr Kollege Koch, noch ein anderes; ich will tionen vorgenommen worden sind oder nicht. Und
mich im allgemeinen kurz fassen und nur auf we- sehen Sie, Herr Kollege Koch, noch ein anderes:
sentliche Punkte hinweisen. Sie sind der Meinung, Wenn einmal ein Unternehmer eine Fehlinvesti-
daß die Begünstigungen, die den höheren Einkom- tion macht, dann muß er es bezahlen; er scheidet
dann aus,
men zugute kommen, nicht nur durch den Steuer-
tarif, sondern auch durch die Bestimmungen der (Zurufe links: Das bezahlt der Staat! —Arbeitslose!)
Paragraphen 10a und 32a über die Förderung der — Auch das Volk muß mit bezahlen; denn es wurde
Kapitalbildung, zu Fehlinvestitionen führen. Sie ja volkswirtschaftliches Kapital vergeudet. Immer
haben das Maß der Investitionen bei uns und in lun werden sich solche Irrtümer in gewissen Gren-
1524 Deutscher Bundestag — 45. Sitzung. Bonn, Freitag, den 3. März 1950
(Dr. Dr. Höpker-Aschoff)
zen halten. Werden aber von der staatlichen Korn- rechnen, ist die Fraktion der Bayernpartei bereit,
mission bei ihren Planungen, die sich auf die ganze diesen Gesetzentwurf nicht abzulehnen.
Wirtschaft ausdehnen, Fehler gemacht, so wachsen Die Fraktion der Bayernpartei wird aber ver-
die Verluste ins Riesenhafte. Aber hier handelt es schiedenen Abänderungsanträgen zustimmen, die
sich vielleicht um eine grundsätzliche Einstellung. eine steuerliche Erleichterung gerade der schwa-
Sie als Sozialist sind der Meinung, daß die staat- chen und schwächeren Einkommen betreffen. Wir
liche Planung der Weisheit letzter Schluß ist. Wir werden einem Abänderungsantrag zu § 10 a zustim-
von unserem Standpunkt aus sind der Meinung, men, wonach die Steuerbegünstigung des nicht ent-
daß in einer freien Wirtschaft auch die Entschei- nommenen Gewinns auf diejenigen erstreckt wird,
dung darüber, was und wie investiert werden soll, die nach der Verordnung über die Buchführung
dem verantwortungsbewußten Unternehmer über- der Handwerker, Kleingewerbetreibenden und
lassen werden soll. freien Berufe vom 5. 9. 1949 ermittelt werden. Wir
(Abg. Rische: Reden Sie doch nicht von Ver werden einer Erhöhung des Pauschbetrags für
antwortungsbewußtsein! Sind Ihnen die Ar Werbungskosten zustimmen; wir werden der Er-
beitslosen kein Beweis?) weiterung des § 33 a — nämlich der Erstreckung
— Herr Rische, Sie möchte ich ganz gewiß nicht der Freibeträge auch auf die Spätheimkehrer —
als Arbeitgeber haben; darauf können Sie sich ver- zustimmen und wir werden einer Erhöhung des
steuerfreien Betrags auf 1000 D-Mark zustimmen.
lassen!
(Beifall bei den Regierungsparteien.) Auch wir halten das für richtig, was Herr Höp-
Ich glaube, daß unsere deutschen Unternehmer das ker-Aschoff gesagt hat, daß insbesondere . in den
besser machen würden als Sie. unteren Steuereinkommen die Kurve, die uns im
Ausschuß vorgelegt worden ist, bei dieser Regie-
Meine Damen und Herren, damit will ich meine rungsvorlage am günstigsten ist. Aber diese for-
kurzen Ausführungen abschließen. Aber ich frage melle Richtigkeit, die ich nicht bestreite, hat doch
alle Mitglieder des Hauses: wartet nicht draußen auch eine materielle Unrichtigkeit in sich; denn
im deutschen Volkes alles, ohne Unterschied der die Lebenshaltungskosten sind jetzt erheblich höher
Klassen, auf diese Steuerreform? Wir haben die und schwieriger als in früheren Zeitläuften, nach-
Pflicht, diese Steuerreform so schnell wie möglich dem fast jede Familie durch die Kriegsverhältnisse,
zu verabschieden, und wenn wir das tun, dann wird Bombenschäden und so fort völlig ausgelaugt ist.
das von allen Klassen im deutschen Volke begrüßt Infolgedessen kann eine rein schematische Statistik
werden. nicht das richtige Bild geben. Wir sind daher der
(Beifall bei den Regierungsparteien.) Überzeugung, daß den schwächeren Einkommen
in dieser Vorlage ebenfalls eine weitergehende Be-
Präsident Dr. Köhler: Das Wort hat Herr Abge- rücksichtigung zuteil werden muß, und zwar ge-
ordneter Dr. Besold. rade aus einem Gedanken, den der Herr Bundes
finanzminister vor ganz kurzer Zeit von dieser
Dr. Besold (BP) : Herr Präsident! Meine Damen Stelle ausgesprochen hat. Ich denke an seine Aus-
und Herren! Der Sachverhalt verträgt nicht mehr führungen, als er von einer inneren Lastenvertei
viele Worte, und ich will ganz kurz den Standpunkt lung in einer Beamtenfrage gesprochen und auf den
der Bayernpartei vortragen. Gedanken der Schicksalsgemeinschaft hingewie-
Der vorliegende Gesetzentwurf kann nicht bean- sen hat. Die Schicksalsgemeinschaft, wenn sie echt
spruchen, die notwendige Neugestaltung der Be- sein will, darf aber nicht nur dort gefordert wer-
steuerung des Einkommens zielbewußt in Angriff den, wo es um die Lasten geht, sondern auch da,
genommen zu haben. Die Wirtschaft, das Unter- wo es sich um die schrittweise Verminderung der
nehmertum und die Arbeitnehmer stehen unter der Lasten handelt. Auch hier muß der Gedanke der
lähmenden Last des konfiskatorischen Charakters Schicksalsgemeinschaft berücksichtigt werden.
des herrschenden Steuersystems. Es besteht ein Er- Wenn ich weiterhin an sehr weise Worte des Bun-
fordernis nach Steuerentlastung, welche den Zu- deskanzlers denke, der hier gesagt hat, daß auch
stand beseitigen soll, daß Unternehmungen vor- auf die psychologische Wirkung eines Gesetzes
nehmlich unter steuerlichen Gesichtspunkten ge- Rücksicht zu nehmen ist, dann ist es fehl am Platze,
führt und Ausgaben unter steuerlichen Gesichts- daß das Bundesfinanzministerium den ganzen Ver-
punkten gemacht werden müssen, und welche die - handlungen über Erleichterungen für die unteren
unteren Einkommensstufen die hohen Lebenshal- Einkommen so starr gegenübergestanden hat.
tungskosten leichter ertragen läßt. Wir stimmen daher den Erleichterungen, die ich
. Es muß gesagt werden, daß auch dieser Gesetz- erwähnt habe, zu. Bei der Nichtablehnung des Ge-
entwurf mit diesen altbekannten Mängeln behaftet setzes geht die Fraktion der Bayernpartei von der
ist. Ein Grund hierzu ist sicher die Starrheit und sicheren Erwartung aus, daß das Bundesfinanzmi-
Engherzigkeit, mit der das Bundesfinanzministe- nisterium im Einvernehmen mit den Finanzmini-
rium bei den Verhandlungen in den Ausschüssen stern der Länder ungesäumt an die Vorbereitung
an dem Regierungsentwurf festhielt. Die Vorlage einer echten Steuerreform herangeht, wie sie auch
kann nur als ein bescheidener Voraus auf eine in der Regierungserklärung versprochen worden ist.
wirkliche Steuerreform bezeichnet werden. Unter (Lebhafter Beifall bei der Bayernpartei.)
der Sicht einer wirklichen Steuerreform müßte der
Gesetzentwurf abgelehnt werden. Da aber der Ge- Präsident Dr. Köhler: Das Wort hat der Herr
setzentwurf immerhin in einer Reihe von Einzel- Abgeordnete Seuffert.
punkten und Beziehungen Verbesserungen bringt
und verwirklicht, da weiter bei der derzeitigen Seuffert (SPD) : Herr Präsident! Meine Damen
Lage unserer Wirtschaft jede Erleiichterung in der und Herren! Wir stellen mit einer gewissen Be-
steuerlichen Belastung eine Hilfe bedeutet und da friedigung fest, daß diese 'Vorlage immerhin auf
endlich alle beteiligten oder besser gesagt betrof- dem Wege von der Regierung über den Ausschuß
fenen Kreise der Bevölkerung auf Grund der ge bis heute wieder ins Plenum gewisse kleine Ver-
machten Ankündigungen und Versprechungen mit besserungen erfahren hat, und zwar im wesent-
einer unverzüglichen Verabschiedung des Gesetzes lichen auf Grund sozialdemokratischer Anträge,
Deutscher Bundestag — 45. Sitzung. Bonn, Freitag, den 3. März 1950 1525
(Seuffert)
wenn diese Tatsache auch in der Berichterstattung Aber ich frage vom Standpunkt des Grundge-
und in der bisherigen Debatte nicht so zum Aus- setzes aus: Sind die Mittel der L ander dazu da,
druck gekommen ist. Aber daß diese Vorlage um die Wahlverpflichtungen derjenigen Koali-
noch außerordentlich viel zu wünschen übrig läßt, tion zu erfüllen, die im Bund gerade die Mehr-
ersehen Sie aus den Ihnen vorliegenden An- heit hat?
trägen. Es kann sein, daß Sie heute bei der (Erneute Zustimmung bei der SPD. — Zu
Abstimmung über unsere Anträge und die An- rufe rechts: Oh!)
regungen der Gewerkschaften in derselben Weise Diese Vorlage hat in der Tat mit Staatsfinanzie
hinweggehen, wie das im Ausschuß geschehen ist, rung weniger zu tun als mit Wahlfinanzierung.
und daß Sie Ihre Mehrheit im selben Sinne
gebrauchen. Aber. das macht es um so mehr not- (Zurufe von den Regierungsparteien: Nanu!
wendig, daß der grundsätzliche Standpunkt, der Unglaublich! — Beifall bei der SPD. —
uns bei dem Widerspruch gegen diese Vorlage be- Weitere Zurufe von den Regierungspar
seelt, klar dargelegt wird. Denn da die Regie- teien: Fangen Sie schon wieder an? Er
rung nur eine Steuersenkung vorgeschlagen hat, kann es nicht lassen!)
wir aber eine Steuerreform oder wenigstens den Wir haben Bedenken gegen das Ausmaß dieser
Anfang einer solchen haben wollen, sind in Wirk- Steuersenkung, und wir haben Bedenken gegen
lichkeit wir hier die Antragsteller, und so mag die Verteilung dieser Steuersenkung. Auch hier
es auch richtig sein, wenn eine Art Schlußwort ist eine Reihe von Zahlen richtigzustellen. Es
oder ein Zwischenwort nach den bisherigen Aus- ist bereits nicht nur von uns, sondern auch von
führungen von unserer Seite gesprochen wird. Herrn Kollegen Dr. Höpker-Aschoff richtigge-
Unsere grundsätzlichen Bedenken -- ich will stellt worden, daß die Behauptung nicht auf-
sie nur noch einmal zusammenstellen -- gehen rechterhalten werden kann, die Besteuerung der
erstens dahin, daß wir eine Steuersenkung in unteren, der Arbeitereinkommen sei heute in
dem Ausmaß, wie es von der Regierung vorge- Deutschland geringer als in England. Es ist
schlagen ist, nicht wollen, weil wir sie uns einfach ebenso unrichtig, und es wird durch Wiederho-
nicht leisten können. lung nicht richtiger, wenn man Vergleiche mit
(Zuruf rechts: Sie ist dringend nötig!) der Belastung von 1936 oder 1938 anstellt und die
gänzlich verschiedene Kaufkraft außer acht läßt.
Ich möchte mit allem Nachdruck sagen: Es sind
phantastische Zahlen darüber verbreitet worden, (Zuruf rechts: Die Löhne sind doch auch
was die Anträge der Opposition zusätzlich zu den anders!)
Vorlagen der Regierung oder über diese hinaus — Eben, die Löhne sind anders. Ich glaube, es
kosten würden. Nichts dergleichen ist richtig. ist gering gerechnet, wenn Sie ein Einkommen
Aus den Ihnen vorliegenden Anträgen — und von 2000 Mark im Jahre 1938 mit einem Einkom-
dieselben Anträge haben dem Ausschuß vorge- men von 3000 Mark heute gleichsetzen Diese
legen — ersehen Sie, was sich jedermann auf Einkommen unterliegen aber heute genau dem
Grund der Unterlagen, die dem Ausschuß und gleichen Steuersatz wie 1938. Denken Sie, meine
Ihnen zur Verfügung stehen, ausrechnen kann, Damen und Herren, einmal daran, daß nach
daß wir höchstens die Hälfte oder ein Drittel der Industrieberichterstattung der niedrigste
derjenigen Steuersenkung wollen, die die Regie- männliche Tariflohn 2400 Mark und das Durch-
rung riskieren zu können glaubt. schnittseinkommen eines Industriearbeiters 2600
Meine Damen und Herren, Sie sind heute schon Mark beträgt.
einmal daran erinnert worden, wie vor wenigen , (Hört! Hört! bei der SPD.)
Wochen hier eine einstimmige Bewilligung für Es ist ebenso falsch, wenn gesagt worden ist,
die Kriegsbeschädigten von der Regierungsmehr- den unteren Einkommen seien Ermäßigungen zu-
heit im Plenum wieder aufgegeben worden ist, gute gekommen, die den oberen Einkommen nicht
weil, wie uns damals gesagt worden ist, die harte zugute gekommen seien. Es sind Tabellen vorge-
Realität dazu zwinge, legt worden, die Vergleiche mit dem Kontroll-
(Sehr richtig! bei der ' SPD) ratsgesetz Nr. 12 gezogen haben. Diese Tabellen
und es ist Ihnen heute wieder gesagt worden, sind aufgestellt worden für veranlagte Steuer-
es sei ein unerbittliches Muß, daß man andere - pflichtige mit zwei Kindern. Diese Tabellen haben
Steuersenkungen als die hier vorgesehenen nicht außer acht gelassen, daß nach diesem Kontroll-
gebe. Waren das „unerbittliche Muß", die „har- ratsgesetz für Arbeitnehmer und für freie Be-
ten Realitäten" die Verpflichtungen, die die Re- rufe ein Freibetrag von 10 Prozent des Einkom-
gierung in der Regierungserklärung übernommen mens bis 1000 Mark galt und daß in Wirklichkeit
hat, und die Gründe, warum sie diese Ver- ein verheirateter Arbeiter mit zwei Kindern mit
pflichtungen übernommen hat? . Sie sind, einem Einkommen von meinetwegen 2000 Mark
meine Damen und Herren, zu Beginn der nicht 62 Mark, sondern 44 Mark, also nicht, wie
Debatte in der vorigen Woche in beweg- in der Tabelle ausgeführt, 62 Mark, sondern in
licher und recht eindringlicher Weise vom Wirklichkeit 44 Mark zahlte. Die Prozentzahlen,
Herrn Bundesfinanzminister darauf hingewiesen die in dieser Tabelle berechnet sind, sind des-
worden, daß es sich ja um Mittel der Länder wegen falsch.
handelt, und zwar um ihre wesentlichsten Mit- Und nun zum Schluß noch ein Wort zu dem
tel, über die man hier beschließt, und es ist ganz Junitarif, an dessen Beratung ich schließlich da-
richtig, daß man diese Dinge einmal vom Stand- mals beteiligt war. Der Junitarif war kein deut-
punkt des Grundgesetzes aus betrachtet. Im scher Gesetzesbeschluß, meine Damen und Her-
Munde des Herrn Bundesfinanzministers klang ren, — nichts, bei dem man mit Abänderungs-
diese Erinnerung allerdings wie eine Warnung, anträgen hin und her und mit Gesamtbeschlüssen
aus diesen Mitteln nur ja niemand anders etwas letzten Endes irgendeine bestimmte Fassung er-
zukommen zu lassen als dem, dem die Regierung reichen konnte, sondern der Junitarif war ein
etwas geben wolle. iVorschlag
l an die Militärregierung zu einem M
(Sehr richtig! bei der SPD.) tärregierungsgesetz in einer Materie, in der wir
1526 Deutscher Bundestag -- 45. Sitzung. Bonn, Freitag, den 3. März 1950
(Seuffert)
keine Zuständigkeit hatten. Bei dem Junitarif be- daran denken, daß die Investitionen, die gemacht
stand deswegen von vornherein die Notwendig- worden sind, zum allergrößten Teil eine gewaltige
keit, daß es ein einstimmiger Vorschlag sein Kapitaleinlage der Festbesoldeten, eine gewaltige
mußte, und er ist auch einstimmig gewesen oder Kapitaleinlage der Verbraucher und der kleinen
praktisch einstimmig. Ich glaube, sogar die kom- Einkommensbesitzer bedeuten! Denn wer hat
munistische Fraktion hat ihm damals zugestimmt. schließlich die Überprise bezahlt, aus denen diese
Es war also von vornherein nicht ein Gesetz, um Investitionen gemacht worden sind?
dessen Bestimmungen man kämpfte, sondern ein
notwendiger Kompromiß, die Aufzeichnung einer tern Wir denken weiter daran, daß auf den Schul-
Linie, bei der man äußerstenfalls zum Kompro- gerade der Arbeitenden heute ungeheure,
miß kommen konnte. verhältnismäßig ungeheure Soziallasten liegen,
mit denen sie die Renten der Alten aus den
(Sehr wahr! bei der SPD.) früheren Jahrzehnten noch durchhalten, die in
Das war der Junitarif. der Währungsreform zugrunde gegangen sind.
Wir denken daran, was dazu alles noch auf diese
Erstens wissen Sie ganz genau, daß der Juni- kleinEom t.Wirdenka,
tarif in dieser Regierungsvorlage einige sehr daß, wie niemand, der sich damit beschäftigt hat,
merkwürdige Beulen bekommen hat, und zwar leugnen kann, die große Gefahr besteht, daß wir
in der Gegend von 50 000, 60 000 Mark Jahres- das heutige System der Lebensmittelsubventio-
einkommen. Und zweitens wissen Sie ganz genau, nen in dieser Weise nicht werden aufrechterhal-
daß inzwischen neben den geltenden Tarif im ten können. Wir sehen hier eine weitere große
vorigen Jahr ein ganzes System von Steuerer- Last für diese Einkommen entstehen. Wir
mäßigungen getreten ist, das die Rückkehr zum sehen, daß die sogenannte Kapitalkrise bereits
Junitarif ersetzen wollte. Und nun wollen Sie zu einer Absatzkrise zu werden droht, wenn nicht
die Rückkehr zum Junitarif und ihn über ihn schon geworden ist. Wenn ich in den Zeitungen
hinaus noch neben dieses System stellen. Das oder auch in Berichten des Ausschusses für Er-
vertragen wir nicht. Das vertragen unsere öffent- nahrung, Landwirtschaft und Forsten lese, daß
lichen Finanzen nicht. heute die Nahrungsmittelindustrie, die Konser-
Meine Damen und Herren, ich muß hier auch venindustrie usw. um Zuschüsse aus öffentlichen
diesen Punkt wiederholen, wenn man soviel von Mitteln bitten, um liquide zu bleiben — wegen
Steuerlast spricht: Besteht denn die Steuerlast der Vorräte, die bei ihnen festgefroren sind —,
nur in der Einkommensteuer? Was ist denn mit dann sehe ich darin die Folgen einer falsch ge-
den Verbrauchssteuern? Was ist denn mit diesem leiteten Kapitalbildung, eben weil die Konsum-
Posten, der einen ganz ungesunden und ständig kraft nicht entsprechend größer geworden ist —,
wachsenden Anteil am deutschen Steueraufkom- nebenbei eine hübsche Ergänzung zu dem Kapi-
men hat? Wir kennen eine ganze Menge dieser tel Fehlfinanzierungen und Verantwortlichkeit
Verbrauchssteuern, die längst schlachtreif sind: für die eigenen Investitionen, das Herr Kollege
die Biersteuer, die Zigarrensteuer. Es gibt noch Höpker-Aschoff soeben angeschnitten hat.
andere zu nennen. Was geschieht denn hier? —
Das ist eine Steuerlast, die, wie wir wohl wissen, Daran, daß die Gewerkschaften eindeutig ge-
auf den unteren Einkommen zusätzlich ruht. Ich sprochen haben, brauche ich Sie nicht noch ein-
bin gern bereit, dem Herrn Bundesfinanzminister Bundesregierung,Dieses
mal zu erinnern. Telegramm ist an die
an den Herrn Bundeskanzler
die Zahlen zugänglich zu machen, die ihm an und an alle, die es angeht, gegangen. Die Ge-
sich schon bekannt sein müßten, über das Ver-
hältnis der Steuerbelastung zwischen unteren und sam werkschaften haben sie deutlich darauf aufmerk-
gemacht, daß bei Durchgehen dieser Regie-
höheren Einkommen unter Berücksichtigung der rungsvorlage Lohnerhöhungen nach gewerk-
Verbrauchssteuern etwa zwischen England, Ame- schaftlicher Ansicht unvermeidlich sind.
rika und der Bundesrepublik; Zahlen, die be-
weisen, daß unser heutiges Steuersystem in dieser Über das Thema Kapitalbildung will ich mich
Beziehung ungefähr das rückständigste ist, was nicht weiter verbreiten; ich will mich auf zwei Sätze
man sich denken kann. beschränken. „Eine wesentliche Stärkung der
(Hört! Hört! bei der SPD.) Kapitalbildung könnte sich ergeben, wenn die
- Einkommensteuersenkung von Maßnahmen be-
Wir möchten endlich einmal in dieser Frage der gleitet würde, die die Steuerpflichtigen dazu
Verbrauchssteuern Maßnahmen sehen, ordentliche zwingen, das zusätzliche Einkommen aus der
gesetzliche Vorlagen. Wir hören da und dort von Steuerermäßigung zur Anlage zu bringen. Es
vorläufigen Steuerstundungen durch Verwal- würde natürlich noch vorteilhafter sein, wenn
tungsmaßnahmen oder Ähnliches. Wir hören, daß die Steuersenkung an Bestimmungen geknüpft
mit Interessenten um Gesetzesvorlagen gefeilscht .würde, nach denen ein Teil des zusätzlichen freien
wird. Wir möchten, daß etwas geschieht. Einkommens in bestimmte Anlagen zugunsten ge-
Das sind unsere Bedenken gegen das Ausmaß fährdeter Teile der Wirtschaft gelenkt würde.
und die Verteilung dieser Steuersenkung. Trotz- Bestimmungen über Begünstigung der Kapital
dem — und das sehen Sie aus unseren Anträgen -- bildung beider Art waren in .der Steuersenkungs-
halten wir Steuersenkungen für die unteren Ein- aktion des Jahres 1949 enthalten. Eine so um-
kommen für notwendig. Warum halten wir sie fangreiche Steuersenkung, wie sie jetzt geplant
für notwendig? Wir halten sie für notwendig, ist, muß jedoch mit wirksameren Maßnahmen als
weil wir daran denken, daß die Lebenshaltungs- den bisherigen verbunden werden, damit Mittel
kosten gestiegen sind — das kann niemand leug- auf die Kapitalmärkte geleitet werden." Diese
nen, der von der Währungsreform vom 20. Juni Sätze, meine Damen und Herren, wären ebenso
aus rechnet; wenn Sie allerdings von den turbu- richtig, wenn sie nicht in der Stellungnahme der
lenten Preisen ausgehen, die bereits vier Wochen amerikanischen ECA-Mission zum Memorandum
später galten, so mögen Sie zu anderen, aber der Bundesregierung stünden. Dort stehen sie
nicht richtigeren Ziffern kommen —, weil wir nämlich!
Deutscher Bundestag -- 45. Sitzung. Bonn, Freitag, den 3. März 1950 1527
(Seuffert)
Welche Folgerungen haben wir nun mit unse- ten, daß diese Anträge sich mit dem Willen der
ren Anträgen aus diesem allem gezogen? Damit Gewerkschaften decken, und Sie wissen, welche
möchte ich insbesondere unsere Anträge zu § 32 Folgen die Gewerkschaften selber bei einer Nicht-
des Gesetzes kurz erläutern und begründen. berücksichtigung in Aussicht gestellt haben. Ich
bin weit davon entfernt, meine Damen und Her-
Präsident Dr. Köhler: Herr Abgeordneter, dann ren, Ihnen irgendwelche guten Ratschläge geben
werden Sie also nachher auf Einzelbegründung zu wollen. Ich nehme an, daß Sie sich der Trag-
verzichten? weite Ihrer Entscheidung bewußt sind!
(Lebhafter Beifall bei der SPD.)
Seuffert (SPD): Zu diesen Anträgen ja.
Wir ziehen die Folgerung, daß ein gesunder Präsident Dr. Köhler: Das Wort hat Herr Abge-
Steuertarif auf einem der Realität entsprechen- ordneter Dr. Bertram.
den Existenzminimum aufgebaut werden muß,
und fordern deswegen das steuerfreie Existenz- Dr. Bertram (Z): Meine Damen und Herren!
minimum von 1500 D-Mark jährlich und die dem- Wenn man die heutige Diskussion hier hört,
entsprechenden Familienfreibeträge. Mit dieser glaubt man zwei festgefügte Fronten zu haben,
Forderung wollen wir gleichzeitig wenigstens auf der einen Seite die unerschütterte Front der
einigermaßen eine internationale Vergleichbarkeit Regierungsparteien und auf der anderen Seite die
des Tarifs ermöglichen, damit solche Fehlver- Front der Oppositionsparteien: Bayernpartei,
gleiche, wie sie in dieser Debatte geboten worden WAV, SPD, KPD und letzten Endes auch wir.
sind, nicht mehr vorkommen können. So war es aber tatsächlich gar nicht. Diese Ein-
Sie sehen weiter aus unserem Antrag — nun- heitsfront hat sich im Ausschuß erst nach einigen
mehr Drucksache Nr. 640 —, daß wir für die schwierigen Verhandlungen ergeben. In Wirklich-
Einkommen bis 1500 Mark Steuerfreiheit, für die keit war es doch so, daß auch seitens der Regie-
Einkommen von 1500 bis 3000 Mark, und zwar rungsparteien einige der heute hier vorgetrage-
diejenigen, die nach Abzug der Freibeträge ver- nen Gedankengänge ernsthaft erwogen wurden
bleiben, eine Steuersenkung von 40 Prozent statt und daß auch einige Ausschußmitglieder der Re-
16 Prozent nach der Regierungsvorlage, für die gierungsparteien diesen Gedankengängen durch-
Einkommen von 3000 bis 6000 Mark eine Steuer- aus ihr Ohr geliehen haben.
senkung von 30 Prozent statt 16 Prozent der Re- (Abg. Dr. Dr. Höpker-Aschoff: Wir haben
gierungsvorlage, für die Einkommen von 6- bis alles, was Sie uns gesagt haben, ernsthaft
8000 Mark von 16 Prozent, wie auch die Regie- erwogen!)
rungsvorlage, für die Einkommen von 8- bis
12 000 Mark eine Steuersenkung von 10 Prozent — Davon bin ich überzeugt. Ich will aber noch
für notwendig halten. einmal erzählen, wie es dann kam, daß diese
Wir fordern ferner die Aufteilung der Steuer Neigung einiger Mitglieder des Finanzausschus-
in eine Normalsteuer und eine Zusatzsteuer, mit ses sich plötzlich änderte. Es kam nämlich ein
der Maßgabe, daß Steuerermäßigungen aller Art denkwürdiger Tag, der Tag, an dem der Herr
bei der Normalsteuer, nicht aber bei der Zusatz- Finanzminister erklärte, die Argumente, die von
steuer angerechnet werden. Da wir nach unserem unserer Seite vorgetragen würden, seien zwar
Steuersystem immer genötigt sind, Steuerermäßi- wahr, aber sie stellten nur die halbe Wahrheit
gungen durch Abzüge vom Einkommen sich aus- dar, und die halbe Wahrheit zu sagen sei die
wirken zu lassen, hat das bekanntlich zur Folge, gefährlichste Form der Lüge.
daß je nach der Höhe des Steuersatzes, das heißt (Lebhafte Rufe links: Hört! Hört! — Abg.
je nach der Höhe des Einkommens, die Begün- Hilbert: Bertrams Erzählungen! — Heiter
stigung für einen ganz bestimmten Zweck sehr keit.)
viel höher ist, je höher der Steuersatz mit dem — Nein, nicht „Bertrams Erzählungen"! Wenn
Einkommen gestiegen ist. Es kommt darauf Sie wollen, können Sie es ja nachlesen! — Dann
hinaus, daß der Steuerpflichtige mit einem Ein- haben Verhandlungen hinter den Kulissen statt-
kommen von 100 000 D-Mark nicht nur für ein - gefunden, und es sind uns alle möglichen Dinge
Kind, sondern auch für 100 D-Mark, die er er- bekanntgeworden, aus denen sich schließlich er-
spart hat, das Viel-Vielfache von dem bekommt, gab, daß diejenigen Abgeordneten, die bis dahin
was der Steuerpflichtige mit einem Einkommen unseren Standpunkt voll geteilt hatten, sich nun
von 3- oder 5000 D-Mark bekommt. Diese Dinge nicht mehr in der Lage sahen, ihn zu vertreten.
sollen endlich einmal beseitigt werden durch die Meine Damen und Herren! Es ist doch wichtig
Aufteilung in Normal- und Zusatzsteuer, das zu wissen, daß hier gar nicht grundsätzlich ver-
heißt durch das System, wie es in den angelsäch- schiedene wirtschaftspolitische Anschauungen auf-
sischen Ländern, in den Vereinigten Staaten und einanderprallen, wie es Herr Kollege Höpker-
in England, seit Jahren sich bewährt hat und in Aschoff eben darstellte, sondern daß in der Tat
Anwendung ist. verschiedene der hier vorgetragenen Gedanken-
Wir fordern weiter die Aufhebung der Tabelle gänge unbedingte Berücksichtigung verlangen
B. Die Tabelle B bedeutet nichts anderes, als daß und daß -- ich kann mir nicht anders helfen —
die Bürgersteuer — auch wenn dies der Offent- lediglich durch ein zu starres Festhalten an dem
lichkeit nicht bekannt ist -- für Einkommen bis im Juni 1948 einmal erdachten Tarif diese neue-
5000 D-Mark und nur für diese Einkommen bis- ren Gedanken leider nicht mehr berücksichtigt
her weiter erhoben wird. Diesem Zustand ein werden konnten.
Ende zu machen ist nun endlich an der Zeit. Bitte, denken Sie doch einmal an folgendes
Das ist der Sinn unserer Anträge. Ich glaube, Beispiel: Bei einem Durchschnittseinkommen von
Sie wissen recht gut, daß sie von grundsätz- 1163 Mark wird die Steuer gegenüber dem Tarif
licher Bedeutung sind. Sie wissen auch recht gut, von 1925 von 46 auf 25 Mark ermäßigt. Das be-
wer mit seinen Forderungen hinter ihnen steht. deutet also: eine Familie, die 1925 ein Durch-
Sie wissen aus den Darlegungen der Gewerkschaf- schnittseinkommen von 1163 Mark gehabt hätte,
1528 Deutsche Bundestag — 45. Sitzung. Bonn, Freitag, den 3. März 1950
(Dr. Bertram)
.hätte 55 . Mark Steuern bezahlt, also 1108 Mark worten, dieser Familie jetzt noch Steuern abzu
übriggehabt. Für 1108 Mark konnte sie aber 1925 knöpfen?
soviel Waren kaufen, wie sie heute erst für etwa (Abg. Hilbert: Eine Familie mit einem
1600 Mark bekommt. Heute muß sie aber, wenn Jahreseinkommen von 1163 Mark zahlt doch
sie für 1600 Mark die gleiche Warenmenge kau- keine Steuern!)
fen will, nicht, wie uns die Regierung durch ihre
Prozentrechnung glauben machen will, weniger, — Eine Familie mit einem Jahreseinkommen von
1163 Mark zahlt nach dem jetzigen Tarif, Tabelle
sondern ganz erheblich mehr Steuern zahlen. B, 25 Mark Steuern.
Heute muß sie nämlich für die 1600 Mark, für
die sie einkaufen will, 55 Mark Steuern zahlen (Zurufe von der CDU: Nein! Stimmt nicht!)
gegenüber 46 Mark 1925. Sie muß also, um die — Bitte, Sie haben die Tabelle ja vor sich liegen,
gleiche Warenmenge zu kaufen, effektiv 9 Mark sehen Sie doch einmal nach!
Steuern mehr bezahlen, und darauf kommt es
doch an. Man kann, wenn man ein Rechenkunst- Wenn Sie diesen Gesichtspunkt in den Vorder-
stück aufmachen will, mit Prozentrechnungen grund stellen, daß das Existenzminimum nicht an-
natürlich alles machen. Aber denken Sie einmal gegriffen werden darf, dann wird man sich auch
daran, daß bei einem Jahreseinkommen von 751 dazu durchringen, die Ausweichmöglichkeiten, die
Mark die Steuer nach der Tabelle B sich von 8 die Staatsfinanzen haben müssen, an anderer
auf 6 Mark ermäßigt; das ist eine Senkung von Stelle zu suchen, nicht da, wo sie am allerbe-
25 Prozent gleich 2 Mark. Sie können doch nicht quemsten zu haben sind. Dann wird man bei-
im Ernst behaupten, daß das eine effektive spielsweise unserem Vorschlag folgen können, die
Steuersenkung ist! Körperschaftsteuer auf die nichtausgeschütteten
Gewinne entsprechend stärker zu erhöhen und
Eine richtige Beurteilung der steuerlichen Not- dadurch den Ausfall, der bei diesen Einkommen-
wendigkeiten gewinnen Sie erst dann, wenn Sie steuergruppen entsteht, wieder wettzumachen.
den Betrag, der dem einzelnen Steuerpflichtigen
oder der einzelnen steuerpflichtigen Familie nach Ein zweiter Gesichtspunkt ist schon eben in
Abzug der Steuer noch verbleibt. zu den Kosten der Debatte angeklungen: die Bedeutung des
für die Deckung der Lebensbedürfnisse in Be- Junitarifs. Der Junitarif ist durch die im April
ziehung setzen. Dieser Gedankengang, daß die 1949 vorgenommenen Steuervergünstigungen ja
Deckung der Lebensbedürfnisse nach dem jetzi- völlig überholt. Die Vergünstigungen des April
gen Tarif wenigstens in eben dem Maße wie nach 1949 sollten gerade die nicht mögliche Herabsetzung
dem Tarif von 1925 gewährleistet sein müßte, ist des alten Tarifs auf die vorgeschlagene Höhe
in der Regierungsvorlage — davon bin ich über- wieder wettmachen. Wenn Sie das Einkommen-
zeugt — einfach vergessen worden. Wenn der steueraufkommen vergleichen, dann hat auch die
gesamte Lebensstandard soviel teurer geworden Einführung der Vergünstigungen neben der un-
ist, dann muß der Arbeiterfamilie oder der Fami- zweifelhaft eingetretenen starken Komplizierung
lie mit nur geringem Einkommen ein entspre- des Steuerrechts zumindest wieder einen ganz be
chender Nettobetrag übrigbleiben. Mehr wollen trächtlichen Rückgang der effektiven Einkommen-
wir ja gar nicht. Das ist der Sinn unserer For- steuer nach sich gezogen. Es ist doch nicht so, als
derung, die Freibeträge zu erhöhen. Der Netto- wenn nun nach dem alten Tarif tatsächlich be-
betrag, der übrigbleiben soll, muß entsprechend zahlt worden wäre, sondern die zahlreichen Ver-
erhöht werden. günstigungen — §§ 7 a ff. usw. haben ein ganz
schlagartiges Zurückgehen der Einkommensteuer-
Das war der Gedanke, der eben auch bei ver- einnahmen des Staates herbeigeführt. Man hat
schiedenen Angehörigen der Regierungskoalition also an den Einkommensteuerausfällen gesehen,
volles Verständnis gefunden hatte: Erst das per- 'daß tatsächlich eine erhebliche Steuersenkung
sönliche Eingreifen des Herrn Finanzministers hat vorgenommen worden ist.
dieses Verständnis plötzlich wie Schnee vor der
Sonne verschwinden lassen, und zwar von einem Nun wird behauptet, die jetzt vorgesehenen
Tag zum andern. Steuersenkungen sollten der Kapitalbildung die-
nen. Wenn man sich einmal diese Argumentation
(Hört! Hört! links.) - durchdenkt, so kommt man doch zu der Vermu-
Es ist gar nicht so, daß sich hier verhärtete Fron- tung, daß der Gedankengang nicht zu Ende ge-
ten gegenüberstünden; das scheint nur so. Wenn dacht ist. Was wird denn ermäßigt? Es werden
man diesen Tarif wirklich ernsthaft bearbeiten doch gerade nicht die Steuern für diejenigen Be-
und ernsthaft durchdenken würde, müßte sich auf träge ermäßigt, die in dem Betrieb verbleiben.
dieser Basis ein Kompromiß in der Angleichung Alles, was in dem Betrieb verbleibt, wird — sei
der jetzigen Steuern an die effektive Warenver- es über die Körperschaftsteuer bei den Körper-
sorgung im Jahre 1925 ohne weiteres . finden schaften oder über die §§ 10 a, 32 a, 7 ff. — ja
lassen. schon durch die zahlreichen Vergünstigungsbe-
Ein Einwand, der in diesem Zusammenhang stimmungen erfaßt. Die jetzige Steuersenkung für
von Bedeutung ist, ist der, daß die finanzielle die hohen Einkommen kann also nur diejenigen Be-
Belastung für den Staat dann unerträglich würde, träge betreffen, die der Betreffende aus seinem
weil die Steuerausfälle zu groß seien. Hierzu ist Betrieb herausnimmt. Die übrigen werden ja
nur folgendes zu sagen. Es ist sicher richtig, daß, schon durch die Vergünstigungen viel besser be-
wenn wir die Steuern entsprechend dem Tarif von vorzugt. Das bedeutet also, daß m an gerade das
1925 den gestiegenen Lebenshaltungskosten an- tut, was man nicht tun wollte, nämlich die ent-
gleichen würden, Ausfälle entstünden. Aber, nommenen Geldbeträge steuerlich außerordentlich
meine Damen und Herren, überlegen Sie sich zu begünstigen. Diese Beträge können deshalb
einmal, was eine Familie mit einem Jahresein- auch in erheblichem Maße zum Fehlkonsum ver-
kommen von 1163 Mark denn überhaupt machen wendet werden. Und daß diese Beträge zum Fehl-
kann! Ist es überhaupt gerechtfertigt, kann man konsum verwendet werden, darüber belehrt uns
es als Abgeordneter vor seinem Gewissen verant- ja ein Blick in unser tägliches Leben,
Deutscher Bundestag -- 43. Sitzung. Bonn, Freitag, den 3. März 1950 1529
(Dr. Bertram)
Es kommt aber ein weiteres Argument hinzu. direkten Steuern, der Einkommensteuer — und
Der Herr Finanzminister hat uns erklärt, er das ist das Entscheidende --, keinerlei echte
wolle endlich Schluß machen mit dem System Steuerausfälle aus einem anderen Gesichtspunkt
der Selbsteinschätzung — sehr gut und sehr herbeiführen wird. Eine Senkung der Einkommen-
wohl! — und deshalb würden sich auch keine steuer vor allem in den unteren und mittleren
Steuerausfälle ergeben. Wenn dieses System der Einkommenstufen wird das herbeiführen, was
Selbsteinschätzung -- das heißt, daß die Finanz- heute in weiten Teilen der Wirtschaft fehlt, näm-
ämter die Erklärungen der Steuerpflichtigen aus lich einen glatten Absatz.
Zeitmangel nicht nachprüfen können — jetzt tat- Es ist doch festzustellen, daß durch die bis-
sächlich beseitigt werden soll, dann wird es nach herige überstarke Selbstfinanzierung und durch
der Meinung des Herrn Finanzministers effektiv die überstarke und ungemein komplizierte Steuer-
keine Kapitaleinsparungen in der Wirtschaft ge- erhebung der glatte Warenabfluß aus den Fabri-
ben. Dann kann ja diese Tarifsenkung auch kei- ken in erhebliche Stockung geraten ist. Die Ein-
nen Vorteil für die gesamte Kapitalbildung bie- zelheiten hier auszuführen, würde zu weit führen.
ten. Eines von diesen Argumenten ist falsch. Wir sind aber sicher, daß, wenn wir in dieser
Wenn die Steuersenkung tatsächlich der Kapital- Form die unteren und mittleren Einkommensteuer-
bildung dienen soll, dann können auf der ande- stufen begünstigen würden, damit diesen Stufen die
ren Seite nicht durch eine verschärfte Steuer- Möglichkeit gegeben wird, ihre echten Lebens-
prüfung diese Beträge für die Kapitalbildung bedürfnisse zu decken, diese Stockung in der ge-
wieder fortgenommen werden. Also das eine oder samten Wirtschaft, unter der wir leiden, eben-
das andere Argument stimmt jedenfalls nicht. falls wesentlich günstiger beeinflußt werden
Wenn ferner darauf hingewiesen worden ist, könnte als bei einem System, bei dem nur be-
daß die Investitionen doch von uns allen begrüßt stimmte konsumtive Zwecke begünstigt würden.
werden müssen, so ist das vollkommen richtig. ich bin deshalb der Ansicht, daß die Vorlage der
Je größer der Anteil des Konsumverzichts ist, Regierung an dem grundlegenden Fehler der In-
den wir Deutsche uns jetzt freiwillig auferlegen, konsequenz einerseits und zweitens an dem Feh-
desto schneller werden wir wieder aus der Pat- ler einer falschen Beurteilung der volkswirtschaft
sche herauskommen. Darüber, glaube ich, sind lichen Daten krankt.
sich alle in diesem Hause einig. Die Frage ist (Beifall im Zentrum und bei der SPD.)
nur: werden wir mit dem hier vorgeschlagenen
Weg überhaupt Konsumverzicht erreichen? Das Präsident Dr. Köhler: Das Wor t hat der Herr
Gegenteil ist meines Erachtens der Fall. Nur Abgeordnete Neuburger.
durch die Steuersenkungen in den unteren Stufen
werden die traditionellen Kapitalsammelbecken Neuburger (CDU): Herr Präsident! Meine Da-
wieder in die Lage versetzt, die Kapitalien zu men und Herren! Ich habe nicht die Absicht, auf
sammeln, die sie für die volkswirtschaftlich not- all das, was hier im einzelnen vorgetragen wurde,
wendigsten Zwecke dann zur Verfügung stellen nun auch einzugehen, obwohl ich meines Er-
können. Ob die Lenkung der Kapitalien nun durch achtens sehr leicht in der Lage wäre, es in der
ein . zentrales Organ geschehen soll oder durch Gesamtheit zu widerlegen oder doch zum min-
die traditionellen Institute, Realkreditinstitute, desten , die einzelnen Gesichtspunkte in die rich-
Sparkassen usw., das mag in dem jetzigen Augen- tige Relation zu stellen.
blick dahingestellt bleiben. Aber eines ist doch (Zurufe bei der SPD:Na na! —
,

sicher richtig, daß diese Institute es besser ver- Wir warten darauf!)
stehen, als es bei dem jetzigen Zustand der Ich will mich damit begnügen, noch einige grund-
Selbstfinanzierung der Fall ist, der — darüber sätzliche Bemerkungen zu machen. Sinn und
sind sich sämtliche Beteiligte doch wohl einig — Zweck eines Gesetzes lassen sich nicht trennen
zu ganz erheblichen Fehlinvestitionen auch pri- von dem Inhalt und der Abgrenzung der einzelnen
vatwirtschaftlicher Art führt und führen muß. Bestimmungen. Das heißt, ich muß unter Um-
Ich meine, die Ausführungen, die Herr Direktor ständen auch auf Erweiterungen oder Sonder-
Abs gemacht hat, sprechen doch Bände. Er wird wünsche verzichten, wenn eben diese Wünsche
sicherlich aus der besten Kenntnis dieser Materie
die entsprechenden Ausführungen gemacht haben. - nicht mehr mit der Grundkonzeption des Gesetzes
übereinstimmen. Über die steuerpolitische und
Dann ist der weitere Gesichtspunkt auch noch wirtschaftliche Konzeption haben wir sowohl von
nicht in der gebührenden Bedeutung hervor- der Regierungsseite wie auch von diesem Hohen
gehoben worden, nämlich die Tatsache, daß die ause genug gehört. Wir wissen, daß die wirt- H

indirekten Steuern eine ständige Tendenz zum schaftspolitische Zweckbestimmung dieses Gesetzes
Wachsen haben. Nach dem OEEC -Bericht soll ist, die gesamte Produktion, insbesondere die Pro-
im nächsten Jahr die indirekte Steuerbelastung duktionsgüterindustrie zu beleben, um damit neue
von insgesamt 9 Milliarden D-Mark auf insgesamt Arbeitsplätze zu schaffen und damit die Arbeits-
11,5 Milliarden D-Mark ansteigen. Eine ent- losigkeit zu bekämpfen. Durch die Bereitstellung
sprechende symptomatische Maßnahme ist jetzt von privaten Mitteln für den Wohnungsbau soll
die Ablehnung der Treibstoffpreissenkung durch der Wohnungsbau entscheidend beeinflußt wer-
den Herrn Finanzminister bzw. die von uns ver- den. Der Sparwille und die Spartätigkeit sollen
langte Zustimmung zu der Erhöhung der Treib- geweckt werden. Damit soll der Impuls gegeben
stoffpreise. Das ist doch auch nichts anderes als werden für die Kapitalbildung, das Schicksal un-
eine jetzt vorgenommene indirekte Erhöhung der serer Volkswirtschaft. Es soll ferner eine neue
indirekten Steuern, die wieder die breite Masse Grundlage für eine echte Steuermoral geschaffen
trifft und die im gleichen Augenblick mit schärf- werden, und es soll ferner den verschwenderischen
sten Worten von uns verlangt wird, indem wir Spesenausgaben entgegengewirkt werden. Das sind
hier einer solchen Maßnahme, die ganz einseitig zusammengefaßt die Ziele, die sich diese Gesetzes-
ausgerichtet ist, zustimmen sollen. Wir im Zen- vorlage gesteckt hat. Wir bejahen diese Ziele,
trum sind der Ansicht, daß eine Senkung der weil wir sie in allen ihren Einzelpunkten für not-
1 530 Deutscher Bundestag — 45. Sitzung. Bonn, Freitag, den 3. März 1950
(Neuburger)
wendig halten. Die Mittel hierfür sind einmal — Einen Augenblick! Ich will jetzt nur fest-
eine entsprechende Tarifgestaltung und zum an- stellen, wo die Belastungen liegen, weil Sie ge-
deren ein entsprechendes System der Steuerver- sagt haben, die gesamte Steuerpolitik bedeute
günstigungen. eine Abwälzung der Lasten auf die Schultern der
Über den Tarif oder richtiger über die Tarife breiten Massen. Da kann ich nur sagen, daß ge-
der letzten Jahre haben Sie vieles gehört. Ich genüber der Besteuerung der Zeit vor dem Kriege
weiß nicht, ob Sie das alles in sich aufnehmen alle Einkommenbezieher unter 3600 Mark eine ge-
konnten, um so mehr als ich selber noch einmal ringere Steuer zahlen als vor der Katastrophe.
eine Relation nach dieser Richtung gebe, nicht (Zuruf von der SPD: Die Rede von Abs
deshalb, weil ich der Auffassung wäre, daß sich haben Sie anscheinend nicht gehört!)
mit Zahlen trefflich streiten läßt. Ich will viel- — Die habe ich wohl gehört. — Darüber hinaus
mehr unter dem Gesichtspunkt darauf eingehen, ist es so, daß die höheren Einkommen zusätzlich
den Sie, Herr Kollege Koch. hier vorgetragen progressiv mit dem Eineinhalbfachen. dem Zwei-
haben, unter dem Motto: Kriegslasten, Kriegs- fachen und dem Zweieinhalbfachen belastet wer-
schulden, Bombenzerstörungen, Flüchtlingsschäden den. Während früher der Steuertarif mit 39
— wer soll das bezahlen? Komma soundso viel Prozent aufgehört hat. hört
(Heiterkeit.) er jetzt mit 92.5 Prozent auf. Ich kann also in
Auf wessen Schultern wird das abgewälzt? Das keiner Weise verstehen. wie hier behauptet wer-
ist doch die Kernfrage des Ganzen. den kann, die breiten Massen hätten auf Grund
So muß ich zur zunächst einmal von dem Steuer- dieser Steuerreform die Lasten des Krieges zu
system ausgehen, das wir hatten, ehe all diese tragen.
Schäden dawaren. Darn muß ich mir sagen: Wie (Abg. Rische: Wer bezahlt denn
ist das nun heute gegenüber der Zeit von 1939? nun eigentlich?)
Und hierzu ist doch ganz eindeutig folgendes zu Ich komme zu folgendem Ergebnis. Vor dem
sagen. Die Einkommen sind heute bei einem Le- Kriege hatten wir den Steuertarif von 1934. Im
digen mit 1530 D-Mark vollkommen einkommen- Kriege ist er dann um 50 Prozent durchgehend
steuerfrei, bei einem Verheirateten mit einem erhöht worden. Das Kontrollratsgesetz Nr. 12 hat
Kind bis 2100 D-Mark. Aber das ist zunächst we- eine weitere Erhöhung um 25 Prozent bei allen
niger von Bedeutung als das folgende. Die steuer- Lohnempfängern, Gehaltsempfängern und bei den
liche Belastung der Einkommen bis etwa 2000 D- freien Berufen mit einem Abzug der 1000 M vor-
Mark betr ä gt gegenüber der steuerlichen Belastung genommen. eine Erhöhung um 35 Prozent bei allen
vor Katastrophe etwa ein Drittel bis einhalb. übrigen Steuerpflichtigen. Dann kam der Abbau.
Das läßt sich in keiner Weise wegdeuteln. Das ist Dieser Abbau ist heute bei dieser Stufe angelangt,
also eine Steuersenkung gegenüber vor dem mit dem Frgebnis — ich betone das nochmals
Kriege von 100 Prozent auf 40 und 50 Prozent.
--,

daß alle Einkommen unter 3600 D-Mark einer ge-


Die steuerliche Belastung der Einkommen -- ich ringeren Steuer unterliegen als vor dem Kriege.
will jetzt auf die Steuerklassen im einzelnen dagegen alle Einkommen darüber in progressiver
keine Rücksicht nehmen zwischen 2000 und Höhe einer steigenden Abgabe. So ,sieht die
3000 D-Mark beträgt gegenüber der Belastung vor Steuerreform aus. die wir hier vorlegen, die wir
dieser Katastrophe etwa drei Viertel, also etwa zu verantworten haben und auch verantworten.
75 Prozent. Und erst bei einem Satz zwischen
3600 und 4000 D-Mark haben wir zahlenmäßig die (Lebhafte Zustimmung bei den Regierungs
gleiche steuerliche Belastung wie 1939. Sie wissen, parteien. — Zuruf von der KPD: Wer daran
daß während des Krieges die gesamten Steuern glaubt, wird selig! — Gegenrufe von den
erhöht wurden, und zwar generell einfach um 50 Regierungsparteien.)
Prozent. Die Grenze gegenüber dieser Kriegs- Dazu kommt, daß darüber hinaus das System
belastung liegt bei etwa F000 D-Mark. Alles, was der Sonderausgaben eingebaut wurde, und zwar
darüber ist, sind zusätzliche Belastungen auf in einem Umfange, das weiter geht als vor dem
Grund der Katastrophe, die wir durchgemacht Kriege, so daß um nur ein Beispiel anzu-
haben. Diese Belastungen sind dann so. daß sie führen -- ein Familienvater mit drei Kindern,
bei 10- bis 15 000 D-Mark etwa das Eineinhalb- wenn er die Möglichkeiten der Sonderausgaben
fache hetragen und bei Einkommen über 20 000 - ausnützt, bei einem Einkommen von 5000 D-Mark
bis rund 50 000 dps Zweifache gegenüber der Zeit 35 D-Mark Steuer im Jahr nach dem neuen Tarif
vor dem Kriege. Darüber ist die Belastung dann zu zahlen hat. Das sind noch nicht einmal 3 D-
das Zweieinhalbfache. Die steuerliche Belastung Mark pro Monat.
unter dem Gesichtspunkt: „Wer soll das be- (Hört! Hört! bei den Regierungsparteien.)
zahlen?" sieht also so aus, daß die Einkommen
bis zu 3000 D-Mark von unten mit etwa 40 Pro- In diesem Zusammenhang muß ich auf das zu
zent. 50 Prozent und 100 Prozent bei 3500 bis sprechen kommen, was Herr Dr. Bertram gesagt
40 D-Markbegin ,uderstidarübe- hat, der meinte, es müßte ein System der Spar-
liegenden Einkommen haben eine zusätzliche Be- tätigkeit für die unteren Schichten gegeben sein.
lastung, und zwar eine zusätzliche Belastung in Ja, dieses System ist über die Sonderausgaben
steigender Progression. hundertprozentig gegeben, wie gesagt, in einer
Weise, daß die Einkommen bis zu 3000 und 4000
Wenn ich nun weiter hinzufüge, daß die Ein- D-Mark, wenn die Möglichkeiten der Sonderaus-
kommenbezieher, insbesondere die Lohnempfän- gaben voll oder wenigstens teilweise ausgenutzt
ger unter der Gruppe von 3600 D-Mark nach einer werden — in vollem Umfange kann man sie nur
Statistik über 70 Prozent ausmachen — — mit Opfern des Verzichts ausnützen, obwohl ich
(Zuruf von der SPD: Auch des Aufkommens?) Familien kenne, die sie ausnützen —, durchaus die
- Nein, ich meine: wer zahlenmäßig darunter Möglichkeit bieten zu sparen, weil eben auf dem
liegt. Gebiete der Sparmöglichkeit jede Chance gegeben
(Zuruf von der SPD: Es kommt auf ist, sowohl für den niedrigen wie für den mitt-
das Aufkommen an!) leren Einkommenbezieher.
Deutscher Bundestag -- 45. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. März 1950 1531
(Neuburger)
Zu dem System der Steuervergünstigungen Steuerbelastung nicht in der Form miteinander 0
brauche ich im einzelnen nichts zu sagen; denn vergleichen, wie es hier geschehen ist. Dabei
wir haben jeden Passus bereits erörtert. möchte ich nur noch auf das eine hinweisen, wor-
Abschließend nur noch folgendes! Gesetze zu auf ich schon vorhin hingewiesen habe, daß nach
verantworten ist immer schwer. Steuergesetze zu dem bekannten Jecht -Gutachten die kleinen Ein-
verantworten ist besonders schwer. Aber wir kommen- und Lohnempfänger in Deutschland
wissen, daß die wirtschaftspolitische Konzeption fünfmal soviel Steuern schon vor dem Kriege zu
gerade dieser Steuernovelle entscheidend für un-. zahlen hatten wie in England.
sere gesamte Wirtschaftspolitik ist. Die Wirt- (Zuruf von der CDU: Dann müssen
schaftspolitik findet darin einen entscheidenden Sie Engländer werden!)
Eckpfeiler. Daher bejahen wir sowohl die Not- Der Herr Kollege Dr. Höpker-Aschoff hat dann
wendigkeit wie die Dringlichkeit dieser Steuer- gesagt, Investitionen seien kein Selbstzweck. Das
reform und sind bereit, diese Steuerreform auch ist ein sehr großes und gutes Wort. Investitionen
vor jedermann zu verantworten. sollen kein Selbstzweck sein. Wir haben aber ge-
(Lebhafter Beifall bei den Regierungs rade bei dieser Regierungsvorlage das Gefühl. als
parteien.) ob hier aus den Investitionen und aus der Selbst
finanzierung ein Selbstzweck gemacht würde.
Vizepräsident Dr. Schäfer: Das Wort hat Herr (Sehr richtig! bei der SPD.)
Abgeordneter Dr. Koch. Wir können unter keinen Umständen dem zu-
stimmen, daß neben den erheblichen Tarifsenkun-
Dr. Koch (SPD): Herr Präsident! Meine Damen gen, die Sie beschließen wollen, noch die §§ 10 a
und Herren! Sorgen Sie sich bitte nicht, daß ich und 32 a bestehen bleiben; denn das würde eine
etwa Teile von dem, was ich vorhin gesagt habe, Kumulierung der Steuervergünsti gungen bedeu-
in Erwiderung auf das, was meine Herren Vor- ten, die weit fiber das erträgliche Maß hinausgeht.
redner ausgeführt haben, wiederholen wollte. Ich Der Herr Bundesfinanzminister bezieht sich so
möchte nur auf einige ganz wenige Punkte dessen gern auf die Ausführungen der Länderfinanz-
eingehen, was von meinen Herren Vorrednern minister jedenfalls bei der Beratung dieses Ge-
vorgetragen wurde. setzes. Ich bitte. mir zu erlauben. einmal die Aus-
Der Herr Kollege Dr. Höpker-Aschoff hat mich führungen des Herrn Finanzministers von Hessen,
zu der ersten Erklärung, die ich abgegeben habe, nämlich des Herrn Dr. Hilpert, hier bekanntzu-
auf den § 100 der Geschäftsordnung hingewiesen. geben, der bei der Beratung im Bundesrat fol-
Wir haben nicht bezweifelt, daß die zweite Sit- gendes gesagt hat:
zung am vergangenen Freitag ordnungmäßig ein- Nun ist es natürlich sowohl vom Standpunkt
berufen worden ist. Sie ist aber keineswegs ord- der Veranlagung wie aber auch vom finan-
nungsmäßig eröffnet worden, und wir hatten das ziellen Standpunkte aus gesehen unmöglich,
Gefühl, als ob der Herr Präsident selbst nicht auf der einen Seite das ganze Maß der Be-
einmal genau wußte, ob es sich um eine unter- wertungsfeinheiten und Ausweichmöglich-
brochene Sitzung oder um eine ganz neue Sitzung keiten des gut beratenen Steuerpflichtigen
handelte. aufrechtzuerhalten
(Zustimmung links.)
— § 10a und §32a--
Außerdem ist in dieser Sitzung unser Sprecher und auf der anderen Seite noch den Tarif zu
so häufig an der Geltendmachung der Anzweif- senken
lung der Beschlußfähigkeit gehindert worden,
(Lachen und Zurufe bei den Das ist genau dasselbe, nur mit etwas anderen
Regierungsparteien) Worten, was der Herr Kollege Seuffert 7u den
Tarifsenkungen im Verhältnis 7U den §§ 10 a und
daß man schon aus diesem Grunde von einer ord- 32 a gesagt hat. Aus diesem Grunde lehnen wir
nungsmäßigen Durchführung dieser Sitzung nicht unsere Zustimmung zu den §§ 10 a und 32 a ab.
sprechen kann.
Der Herr Kollege Dr. Höpker-Aschoff -- man Ich verweise noch einmal auf das. was der Herr
hat richtig bemerken können, mit welcher inneren Direktor Abs zur Kapitalbildung und zur
- Selbstfinanzierung gesagt hat. Der Herr Kollege
Befriedigung er unseren Tarif mit dem Tarif der
russischen Zone verglich -- hat auf den Tarif der Höpker-Aschoff hat mich hier zum zweiten Mal
russischen Zone hingewiesen. Wir haben daran mißverstanden. Ich habe das Wort Unternehmer
nichts auszusetzen. Aber ich erinnere mich einer überhaupt nicht gebraucht, genau so wenig, wie
Zeit, in der auch den Regierenden nichts anderes ich es seinerzeit im Ausschuß gebraucht habe. Ich
übrigblieb, als immer wieder Vergleiche mit habe größte Hochachtung vor jedem unternehme-
Rußland anzustellen. Über diese Zeit sollten wir rischen Menschen und suche diesen unternehme-
doch hinaus sein. Wir haben uns insbesondere auf rischen Menschen in allen Kreisen der Bevölke-
den Vergleich mit den englischen Verhältnissen rung ohne Rücksicht auf Einkommen und Steuer-
beschränkt, und da brauche ich den Zahlen. die pflicht. Aber, Herr Kollege Höpker-Aschoff, wir
ich vorhin genannt habe, . nichts hinzuzufügen. haben eine solche Hochachtung vor Ihrem Denken,
Ich möchte auch meinen Ausführungen nichts daß wir uns gar nicht vorstellen können, daß Sie
hinzufügen, die sich mit dem beschäftigten, womit so primitiv denken, daß es außer der freien Wirt-
nachher der Herr Kollege Neuburger hier sich schaft nur noch die Zwangs- und Staatswirtschaft
noch einmal auseinandersetzte. Ich möchte nur gibt.
sagen: wir können nicht Nominallöhne mit Nomi (Sehr gut! bei der SPD.)
nallöhnen vergleichen. Wir denken, wenn wir von einer gelenkten oder
(Sehr richtig! bei der SPD.) einer geplanten Investition sprechen, nicht an all
Wir können nicht Nominallöhne aus 1926 oder die Reminiszenzen aus der Zeit der Zwangswirt-
1937 zum Vergleich mit den Nominallöhnen im schaft. Wir denken nicht an eine absolute staat-
Jahre 1950 heranziehen. Wir können auch die liche Zwangslenkung. Wir suchen einen gesunden
1532 Deutscher Bundestag -- 45. Sitzurig. Bonn, Freitag, den 3. März 1950
(Dr. Koch)
Mittelweg. Ich darf in diesem Zusammenhang auf Der Herr Kollege Neuburger hat sich mit un
das verweisen, was unser Kollege Professor seren Argumenten nicht so sehr auseinander
Schmid in seinen Ausführungen zur Regierungs- gesetzt.
erklärung gerade über diesen Punkt gesagt hat. (Abg. Neuburger: Er hat es auch nicht
Sie haben das Risiko erwähnt, das die Unter- gewollt!)
nehmer haben, die ihr Geld anlegen und verlieren — Er hat es auch nicht gewollt. Er ist lediglich
und so eine höhere Verantwortung tragen als von der Grundkonzeption dieses Gesetzes aus-
andere. Ich meine, wir sollten doch daran denken, gegangen -- wie er sagte —, um zu erklären, daß
daß dem Unternehmer, wenn er sein Geld ver- alle unsere Abänderungsanträge mit dieser
loren hat, in aller Regel noch so viel übrigbleibt, Grundkonzeption nicht in Einklang zu bringen
daß er davon leben kann. Das sagte neulich ein seien. Aber gerade diese Grundkonzeption ist es
Unternehmer aus meinem Wahlkreis, als er um ja, die wir anfechten und die wir für absolut
ein Darlehn einkam. Er brachte diesen Gedanken, falsch halten. Auch wir, Herr Kollege Neuburger,
indem er sagte: Es handelt sich ja nicht um mich, sind gegen die verschwenderischen Spesenaus-
es handelt sich um meine Arbeitnehmer; wenn gaben, wie wir schon gesagt haben. Aber wir
ich dieses hohe Darlehn nicht bekomme, muß ich wollen diesen Ausgaben nicht dadurch zu Leibe
einen Großteil dieser Arbeitnehmer entlassen; ich gehen, daß wir die Steuern senken, sondern da-
habe immer noch so viel, daß ich sehr anständig durch, daß wir nach anderen Wegen suchen. Wir
davon leben kann, aber was machen dann diese haben dem Herrn Finanzminister dazu die ver-
armen Menschen? schiedensten Vorschläge gemacht.
Wir sollten auch nicht vergessen, daß die Fehl- Mit keinem Wort ist der Herr Kollege Neu-
investitionen, wenn sie auf dem Wege über diese burger auf die sozialen Notwendigkeiten ein-
Kapitallenkung erfolgen, wie die Regierungsvor- gegangen, von denen wir gesprochen haben.
lage sie will, nicht nur dem Unternehmer ver- (Abg. Neuburger: Das ergibt sich ja aus
lorengehen, sondern daß damit wieder eine ganze der Gegenüberstellung!)
Menge Arbeitskräfte freigesetzt werden. Wir haben nach seinen Ausführungen beinahe das
Der Herr Kollege Höpker-Aschoff hat noch Gefühl, als ob es Schäden tatsächlich nur in der
einmal die ganze Klaviatur der freien Wirtschaft Wirtschaft gäbe und als ob es nicht Millionen von
durchgespielt, ohne daran zu denken, daß wir ja Kriegsbeschädigten und anderen gäbe, die in
auch hier in der Regierungspolitik nicht mehr von diesem Krieg alles verloren haben. In diesen
freier Wirtschaft sprechen, sondern von einer so- Tagen weilt hier in dieser Stadt ein Mann, dessen
genannten sozialverpflichteten Marktwirtschaft. Name wir alle immer mit der höchsten Hochach-
Ich glaube aber nicht, daß es angebracht wäre, tung und der größten Dankbarkeit nennen sollten:
sich jetzt noch einmal mit dieser neuen Wirt- Victor Gollancz. Gollancz hat sich nach einer Mit-
schaftsform auseinanderzusetzen. teilung der „Neuen Zeitung" zu den großen
sozialen Niveauunterschieden in Deutschland ge
Der Herr Kollege Höpker-Aschoff hat meine äußert, die durch dieses Gesetz noch vertieft wer-
Zahlen angezweifelt. Das hat mich natürlich am den. Darüber wird berichtet:
meisten bekümmert. Ich habe davon gesprochen, Der britische Publizist und Verleger Victor
daß bei einem Jahreseinkommen von 1200 Mark
die Steuerermäßigung 0,75 Prozent — und nun Gollancz erklärte bei seinem Besuch in Nürn-
berg, die Lebenslage der Kriegsbeschädigten
bitte ich aufzupassen -- des Einkommens betrage.
Ich habe versucht, Ihnen das noch klarzumachen, habe sich zwar seit seinem letzten Besuch
überraschend verbessert, —
Herr Höpker-Aschoff, während Sie Ihre Ausfüh-
rungen machten — aber auf diesen Zwischenruf (Zuruf von der CDU: Na also!)
sind Sie nicht eingegangen --, damit Ihnen die die Lage der notleidenden deutschen Bevölke
Möglichkeit bliebe, das Weitere auszuführen. Ich rung sei jedoch ungleich schlechter als die der
nenne diese Zahlen noch einmal; denn sie sind für gleichen Kreise in England. Dagegen hat er
diese Regierungsvorlage grundlegend. Bei einem — so meint Gollancz
Einkommen von 1200 D-Mark im Jahr beträgt die schon in den wenigen Stunden seiner An-
Steuerermäßigung noch nicht einmal 1 Prozent - wesenheit feststellen können,
vom Einkommen.
— nun kommt das Wesentliche —
(Abg. Neuburger: Nein! Bei 1200 D-Mark daß der Lebensstandard der sogenannten
ist Steuerfreiheit gegeben!) oberen Schichten in Deutschland wesentlich
Herr Kollege, ich erinnere Sie an die Tabelle besser sei als in seiner Heimat.
B, wie ich es schon vorhin getan habe. Bei einem (Hört! Hört! bei der SPD.)
Einkommen von 2 400 D-Mark beträgt die Steuer- Darin sehe er eine nicht zu unterschätzende
ermäßigung noch nicht einmal 2 Prozent vom innerpolitische _Gefahr.
Einkommen, während sie bei einem Einkommen
von 60 000 D-Mark 20 Prozent beträgt. Auf diese großen sozialen Unterschiede kommt es
an. Um dieser großen sozialen Unterschiede wil-
(Hört! Hört! rechts.) len haben die Gewerkschaften in ihrer Stellung-
In diesem Zusammenhang ist schon einmal ein nahme ihre Stimme erhoben, und ich betone noch
Sprichwort gebraucht worden. Ich möchte dieses einmal: der Tarif wird der Maßstab sein, an dem
Sprichwort um ein weiteres ergänzen, das auf Ihre Handlungen gemessen werden.
diese ganze Vorlage zutrifft: „Wer da hat, dem (Beifall bei der SPD.)
wird gegeben!" Oder lassen Sie es mich in meiner
plattdeutschen Heimatsprache — und damit bleibe Vizepräsident Dr. Schäfer: Das Wort hat der
ich noch parlamentarisch — so ausdrücken: „De Herr Abgeordnete Pelster.
Düwel schitt up den hohen Barg", womit ich nicht
gesagt haben möchte, daß der Finanzminister Pelster (CDU): Herr Präsident! Meine sehr
dieser Düwel ist. verehrten Damen und Herren! Um das Zu-
Deutscher- Bundestag -- 45. Sitzung. Bonn, Freitag, den 3. März 1950 1533
(Pelster)
standekommen dieses Gesetzes haben wir uns seit Ferner ergibt sich bei den weiteren Freigrenzen
Wochen bemüht und in ernster Arbeit von mor- bei einem Einkommen von 4000 D-Mark nach den
gens früh bis spät abends, bis in die Nachtstunden Vorschlägen der Gewerkschaften nur eine Be-
hinein verhandelt. Wir haben versucht, auch Füh- lastung von 23. Millionen, während nach den Er-
lung mit den Herren des. Bundesrats zu nehmen. gebnissen der Ausschußberatungen 27 Millionen D
Diese Arbeit wird nun in einer Weise herab- Mark in Frage kommen. Soweit sind wir also
gewürdigt, als wenn sie nichts und wiederum gar nicht auseinander. Wenn wir das nehmen, was
nichts wäre. Ich möchte dem Herrn Kollegen herausgearbeitet worden ist, dann sind wir uns
Loritz nur sagen, wenn wir den Zehnten auch bei doch im ganzen Haus darüber klar, daß das A
den unteren Einkommen erhöben, dann hätten und O die Versorgung unserer Wirtschaft mit Ka-
wir verdient, von diesen unteren Einkommens- pital ist. Wir müssen auch zu unserem Teil tun,
schichten gesteinigt zu werden. was wir tun können, um Kapital zu bilden. Fest
(Sehr richtig! bei der CDU.) steht — das wird auch im ganzen Haus nicht be-
Die haben wir gerade von der Belastung weithin stritten —, daß uns der Juni-Tarif eine zwanzig-
freigestellt. Ich möchte weiter sagen, daß wir prozentige Senkung der Lohnsteuern gebracht
bisher eine Freigrenze von 1374 D-Mark hatten, hat, während die höheren und mittleren Einkom-
die wir auf 1530 D-Mark erhöht haben. Ich men nicht daran teilhatten. Tatsache ist, daß
möchte weiter sagen, daß wir die kleineren Ein- jetzt die Steuerlasten roh gerechnet in den un-
kommen nicht mit 20 bis 25 Prozent, sondern daß teren Einkommenstufen 16 Prozent gesenkt wer-
wir die Einkommen bis zu 600 D-Mark im Mo- den, steigend bis zu 25 Prozent und dann wie-
nat mit 2,5 — ich komme gleich darauf zurück — der abfallend, so daß in den höchsten Stufen es
bis 3,6, bis 5,2 Prozent bloß belasten. Wenn Ein- bei den alten Steuersätzen bleibt. Tatsache ist,
kommen darüber hinausgehen, dann bin ich daß wir den Betrag der Sonderausgaben von
schon der Meinung, daß angesichts der gewalti- 26 D-Mark auf 39 D-Mark erhöht haben; und es
gen Not, in der wir stecken, angesichts der ge- ist mir doch aus Ihren Reihen gesagt worden:
waltigen Lasten, die wir, wie der Herr Kollege wir sind eigentlich dagegen.
Koch sagte, für Kriegsgeschädigte usw. tragen (Hört! Hört! in der Mitte:)
müssen, auch diese Schichten in etwa zur Auf- Ja, das beträgt bloß die Kleinigkeit von 60 bis
bringung dieser Lasten mit herangezogen werden 70 Millionen D-Mark, die den Arbeitnehmern
müssen. durch die Erhöhung von 26 auf 39 an Steuer-
Ich möchte dann auch noch des weiteren sa- minderung zufließen. Das ist doch auch schon
gen, daß diese Steuer eine Ländersteuer ist; die etwas.
Länder haben diese Steuer zu bekommen und Es ist weiter von uns durchgesetzt worden, daß
müssen mit diesen Steuern zum allergrößten Teil der Arbeitnehmer, der das Unglück hat, daß
soziale Verpflichtungen erfüllen. seine Frau verstirbt, jetzt, sobald er das 50. Le-
(Sehr richtig!) bensjahr erreicht hat — und das ist das Alter,
wo gewöhnlich seine Kinder nicht mehr steuer
Nur zum geringsten Teil können sie verwertet begünstigt sind —, trotzdem in Steuerklasse II
werden, um kulturelle Aufgaben zu erfüllen. Die bleibt, während er sonst wieder als Lediger nach
Länder sind verpflichtet, 80 Prozent der Wohl- Steuerklasse I besteuert wurde. Das ist ein we-
fahrtslasten, der Fürsorgelasten, die in den Ge- sentlicher Vorteil. Es wurde besonders in den
meinden entstehen, aus ihren Mitteln wieder an Arbeitnehmerschichten bitter empfunden, daß zu
die Gemeinden zurückzuerstatten. Wenn wir
dem großen Unglück des Verlustes der Ehefrau
diesen Ländern die Steuerquellen allzu stark be- auch noch die Bestrafung kam, daß er dann in
schneiden, — — Klasse I hinein sollte. Auch das muß ein klein
(Zuruf von der SPD: Das tun Sie ja!) wenig berücksichtigt werden.
— Meine Herren, Sie nennen sich doch Demo- (Sehr gut! bei der CDU.)
kraten, Sozialdemokraten; Wir haben weiter bei dem ledigen Arbeitneh-
(Abg. Arnholz: Wir sind es sogar!) mer die bisherige Grenze des 65. Lebensjahres
dann möchte ich Sie doch bitten, mich ausreden — das ist die Grenze des Rentneralters. wo er
- also Invalidenrente beziehen kann, im Falle der
zu lassen und still anzuhören, wie auch wir Ihre
Redner angehört haben. Weiterarbeit erst von Klasse I in Klasse II
kommt — auf das 60. Lebensjahr heruntergesetzt.
(Beifall bei der CDU. — Zurufe links.)
Wir haben weiter eingefügt, daß Heiratsbei-
Von dem Herrn Kollegen Bertram sind die Ta- hilfen bis zu 500 D-Mark steuerfrei bleiben; daß
bellen angezogen worden; da wäre es auch rich- hei Geburtsbeihilfen, soweit sie gewährt werden,
tig gewesen, sie richtig zu lesen! bis zu 300 D-Mark steuerfrei bleiben; daß Son-
(Sehr gut! bei der CDU.) derzahlungen aus irgendeinem Anlaß — Jubi-
Wenn er bei Einkommen bis 1500 D-Mark 46 D läumszahlungen oder Zahlungen aus sonstigen
Mark im Gegensatz zu 25 D-Mark setzt, dann besonderen Anlässen — auf Grund einer Rechts-
mag er die Überschrift dieser Tabelle lesen, sie verordnung ganz oder teilweise steuerfrei blei-
heißt: „je Steuerfall". Also alle Steuerfälle ben sollen.
durcheinander gerechnet, dann könnte es so sein! Sie haben gesagt: wir wollen den Ä rmsten der
Wenn wir aber diese Fälle auch wieder je Steuer- Armen helfen. Wir haben den Pauschalbetrag
fall nehmen, dann kann ich Ihnen sagen, daß in § 33 a eingebaut mit 40 D-Mark für den Le-
Einkommen bis zu 3000 D-Mark 1925 25,9 Mil- digen pro Monat — 480 im Jahr — 50 D-Mark
lionen aufgebracht haben und nach dem Vor- für den Verheirateten pro Monat — 600 im
schlag der Regierung, der noch verbessert wor- Jahr —, darüber hinausgehend mit 60 D-Mark
den ist — nur nach dem Vorschlag der Regie- pro Monat — 720 D-Mark im Jahr —, darüber
rung vor Beginn der Abänderungen —, bloß 17 hinausgehend vom dritten Kinde an jährlich 60
Millionen D-Mark. D-Mark und für jedes weitere Kind ebenfalls
1 34 Deutscher Bundestag -- 45. Sitzung. Bonn, Freitag, den 3. März 1950
(Pelster)
GO D-Mark; dazu soll dann -- darüber haben wir und daß dann eine zu viel oder überbezahlte
ja zu befinden — im übersteigenden Fall ebenfalls Einkommen- und Lohnsteuer zurückerstattet
noch Entgegenkommen gezeigt werden wird.
Meine sehr Verehrten, das ist im großen und Ich möchte weiter sagen: diese Steuerreform
ganzen doch immerhin schon etwas. ist schon notwendig. Wir alle, wie wir hier im
Nun möchte ich Ihnen sagen, wie die Be- Hause sitzen, sind uns, wenn wir uns in der
lastung ist. Nach dem Kriege hatten wir Brutto- Wandelhalle darüber unterhalten, darin ohne
einkommen des Lohnempfängers bis 2200 Mark große Differenzen einig, daß sie unter allen Um-
mit 183,30 Mark, das heißt mit 1,7 Prozent be- ständen kommen muß. Im Zentralbankrat wa-
lastet, jetzt noch mit 0,4 Prozent des Ein- ren es ja Vertreter Ihrer Partei, die ganz offen
kommens. zum Ausdruck gebracht haben, wie uns von Mi-
(Hört! Hört! in der Mitte.) nisterseite gesagt worden ist, daß, wenn die
Steuerreform nicht durchgehe, dann alle Arbeits-
Wir hatten 3200 Mark mit 4,6 Prozent belastet, beschaffungsnrogramme nichts nutzten; dann sind
jetzt haben wir 2,7 Prozent. Wir hatten bei sie nur ein Stoß in die Luft hinein.
4200 Mark 10,4 Prozent Belastung. jetzt belasten (Hört! Hört! und Zustimmung in der Mitte.)
wir es noch nach unserem Vorschlag, ohne daß
die Feinheiten, die ich eben vorgetragen habe. Ich will auf andere Einzelheiten nicht weiter
berücksichtigt sind, mit 3.6 Prozent. Und wenn eingehen, sondern nur noch einmal darauf hin-
Sie 5200 Mark nehmen, dann wurde dieses Ein- weisen, daß wochenlang in ernster Arbeit ver-
kommen — das sind 433 Mark im Monat — handelt worden ist und daß sich alle darüber
1946 mit 16,1 Prozent Einkommensteuer bela- Gedanken gemacht haben. Das ist ja auch unsere
stet, heute noch mit 6,8 Prozent. Das sind also Pflicht, nicht nur dafür zu sorgen, wie wir dem
wesentliche Verbesserungen, die dort eingetreten Volk draußen Erleichterung verschaffen können,
sind. Wenn wir dann die Einkommen mit 7200 sondern es ist auch unsere Pflicht, dafür zu sor-
Mark jährlich — 600 Mark monatlich -- neh- gen, daß der Staat in die Lage versetzt wird, die
men, dann hatten wir 1946 25 Prozent und heute Lasten. die er im Interesse des ganzen Volkes in-
noch 12 1/2 Prozent Steuern zu zahlen. Darüber folge der Verhältnisse, in die wir durch diesen
hinaus steigen die Beträge an , besonders wenn Krieg hineingekommen sind, zu tragen hat, auch
die Vorkriegsbelastung von 1925 dazu genommen tragen kann. Dieser Verantwortung müssen wir
wird; das ist eine Selbstverständlichkeit. Da- uns bei diesen Dingen auch bewußt sein. Ich
gegen sind die höheren Einkommen wesentlich bin bereit und in der Lage, vor jedem, vor jeder
stärker erfaßt worden, was ja unbedingt not- Berufsschicht das zu vertreten, was hier erarbei-
wendig ist. tet worden ist. Daß es nicht vollkommen ist. das
ist mir klar, darüber streite ich mich mit Ihnen
Wenn Sie aber sagen. wir hätten die Ge- nicht, da bin ich mit Ihnen einig. Es bleiben
.

werkschaftsforderungen völlig in den Wind ge Wünsche offen, Wünsche für den Arbeitnehmer,
schlagen. dann trifft auch das nicht zu. Auch die ich auch angemeldet habe. Wenn Herr Kol
mir sind sie zugegangen, da ich nun auch seit lege Bertram meint, unsere Zustimmung sei wie
meinem 15. Lebensjahr in der deutschen Ge- Schnee vor der Sonne, der vom einen zum a n-
werkschaftsbewegung gestanden habe und ihr deren Tag absackt, auch aufgegeben worden,
treu und ehrlich von 1919 bis 1933 in amtlicher dann darf ich sagen, daß dies in der Form nicht
Stellung dienen durfte. Auch ich habe, wenn ich zutrifft, wenn ich ihn auch nach der Seite unter-
auch heute nicht mehr drinstehe, ein Herz für stützt habe. Ich bin mir aber darüber klar, daß
das. was mit der Gewerkschaft zusammenhängt. Es ich die Interessen des gesamten Volkes und der
wird gefordert, Heirats- und Geburtsbeihilfen zu gesamtnWirchflAbgeodntrism
gewähren. Wir habensie gewährt, sie sind ein- Hohen Hause zu vertreten habe. Obwohl nach
geführt. Es wird die Steuervergünstigung für der einen Seite Wünsche nach dem § 32 a und
Ersatzbeschaffungen gefordert. Wir haben sie § 10 a bleiben und Wünsche für die Landwirt-
durchgesetzt. Es wird weiter gefordert, daß vor schaft, für das Handwerk, überhaupt nach allen
allen Dingen die Selbsteinschätzung wegfällt, und Seiten offen bleiben. kommt es uns darauf an, daß
daß die Veranlagung kommt. Wir haben sie im - heute endlich zur Tat werden muß, worauf das
Gesetzentwurf drin. Es wird weiter gefordert, ganze Volk ohne Unterschied des Berufs und
daß die Steuervergünstigung für Mehrarbeitszu- Standes wartet.
schläge erhalten bleibt. Wir haben sie erhalten. (Beifall rechts.)
wenn wir auch die Grenze von 48 Stunden dafür Wenn das Volk dadurch enttäuscht werden sollte,
eingebaut haben. So sehen die Dinge nach der daß wir diese Reform heute nicht durchsetzen,
anderen Seite aus. dann, glaube ich, könnte das auch für unser An-
(Abg. Neuburger: Die Erhöhung der sehen gefährlich werden. Sorgen wir dafür, daß
Sonderausgaben!) die Dinge, nachdem sie bis ins letzte ausgefeilt
worden sind, jetzt endlich Tat werden, und da
-- Die Sonderausgaben sind bis 39 D-Mark möchte ich an das Verantwortungsbewußtsein
steuerfrei und die darüber hinausgehenden Be- eines jeden Mitgliedes dieses Hohen Hauses ap-
träge — — pellieren.
(Abg. Neuburger: Auch entsprechend der (Anhaltender lebhafter Beifall bei den
Gewerkschaftsforderung!) Regierungsparteien.)
-- Die Sonderausgaben haben auch die Gewerk-
schaften gefordert, und diese Forderung ist von Vizepräsident Dr. Schäfer: Das Wort hat Herr
uns mit durchgesetzt worden. Ich möchte sa- Abgeordneter Seuffert.
gen, daß aber für Beträge, die über 39 D-Mark
monatlich im Lohnsteuerjahresausgleich hinaus- Seuffert (SPD): Herr Präsident! Meine Damen
gehen — wenn das Ganze überschritten wird —, und Herren! Nur kurz einige Richtigstellungen.
wiederum Steuerfreiheit beantragt werden kann Herr Abgeordneter Pelster sagte, es sei in die-
Deutscher Bundestag --- 45. Sitzung. Bonn, Freitag, den 3. März 1950 1535
(Seuffert)
sem Hause unbestritten, daß die Arbeitnehmer Bitte an mich und mit der Erklärung verhaftet,
mit den unteren Einkommen im Jahre 1948 daß grundsätzlich an dem Vorschlag nichts
20 Prozent Steuerermäßigung bekommen hätten, geändert werden dürfe. Er dürfe insbesondere
die die oberen Einkommen nicht bekommen ha- nicht mit weiteren Wünschen so belastet werden,
ben. Das ist keinesfalls unbestritten. Ich glaube, daß tatsächliche Ausfälle, die steuerlich nicht zu
meine Ausführungen waren vorhin in dieser Hin- tragen seien, einträten. Der Bundesrat hat in
sicht eindeutig. Ich wollte das nur feststellen, den Beratungen, die gemeinsam zwischen den
ohne auf die Streitfrage selbst weiter einzu- Finanzausschüssen erfolgten, ein weitgehendes
gehen. Ich habe vorhin schon gesagt, daß wir Entgegenkommen bewiesen.
es mit Befriedigung begrüßen, daß einige Anträge Ich muß aber den Föderalisten im Hause sagen:
von uns Verbesserungen in die Regierungsvor- Die Länder haben im Finanzausschuß des Bun-
lage gebracht haben. Herr Kollege Pelster hat desrats ausdrücklich erklärt, sie könnten nicht
einige dieser Fälle aufgezählt, wofür ich ihm mehr weiter gehen. Es ist ihr Geld, ihr Haus-
dankbar bin. Ich möchte nur etwas richtigstel- halt, worüber wir hier befinden. In dieser Stunde
len: Herr Kollege Pelster, es ist nicht richtig, kann und darf ein Föderalist im Deutschen Bun-
daß die Erhöhung der Sonderausgaben-Pausch- destag, wenn der Bundesrat und die Länder er-
beträge für die Arbeitnehmer irgendwann einmal klärt haben, nicht mehr weiter gehen zu können,
sozialdemokratischen Widerspruch gefunden hat. die Länder nicht zu Ausfällen zwingen, die mit
Im Gegenteil. Das ist ein sozialdemokratischer Hunderten von Millionen Mark den Haushalt
Antrag gewesen, der zunächst vom Ausschuß aller Länder, auch den des Landes Bayern, um-
abgelehnt worden war werfen müssen. Deshalb möchte ich Sie drin-
(Hört! Hört! bei der SPD) gend bitten: stimmen Sie weiteren Abänderungs-
und dann unter gütiger Mitwirkung des Herrn anträgen nicht mehr zu. Die Grenze der Be-
Kollegen Pelster, wie ich ihm gerne bestätige, lastung des für die Länder Möglichen ist er-
durchgegangen ist. Ebenso ist die Herabsetzung reicht. Freuen wir uns, wenn das Werk als ein
der Altersgrenze der Steuergruppe I auf 60 Jahre einigendes Werk nicht nur zwischen Bund und
auf einen sozialdemokratischen Antrag zurückzu- Ländern, sondern auch zwischen allen verantwor-
führen, der auch zunächst abgelehnt worden ist tungsbewußten Kräften dieses Hauses zustande
und dann mit Hilfe von Herrn Pelster, wie ich kommt.
ihm wiederum gerne bestätige, durchgegangen ist. (Beifall bei den Regierungsparteien.)
Ebenso wurden die zusätzlichen Freibeträge für
die Kinder bei den Flüchtlingsfreibeträgen von Vizepräsident Dr. Schäfer: Meine Damen und
der sozialdemokratischen Fraktion beantragt. Dies Herren! Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
nur zur Richtigstellung unter ausdrücklicher Er- Damit ist die allgemeine Besprechung der Vorlage
wähnung des Dankes, den wir in dieser Be- geschlossen. Wir treten nunmehr in die Einzelbe-
ziehung dem Herrn Kollegen Pelster und eini ratung ein.
gen anderen Kollegen schulden. Ich möchte nur Ich rufe Artikel I, Ziffer 1, auf. Abänderungsan-
bitten und hoffen, daß Herr Kollege Pelster den träge liegen dazu nicht vor. Ich darf Ziffer 1 wohl
eindeutigen Standpunkt, den er im Ausschuß be- für angenommen erklären. — Es erfolgt kein
züglich der Abschaffung der Tabelle B eingenom- Widerspruch.
men hat, auch hier im Plenum beibehält. Herr Zu Ziffer 2 liegt ein Abänderungsantrag Neu-
Kollege Pelster hat sich genau so wie wir für burger, Dr. Wellhausen auf Drucksache Nr. 604, Zif-
die Abschaffung der Tabelle B ausgesprochen, fer 1, vor. Ich bitte diejenigen, die für den Abän-
und wir sind gern bereit, einen speziellen An- derungsantrag sind, die Hand zu erheben. -- Ich
trag, über den einzeln abgestimmt werden kann, bitte um die Gegenprobe. — Das erste war zweifel-
hier im Hause zu stellen, damit er diese Mei- los die Mehrheit. Der Abänderungsantrag ist also
nung auch hier bestätigen kann. angenommen
(Beifall bei der SPD.) Ich bitte nunmehr diejenigen, die für Ziffer 2
mit der eben angenommenen Abänderung sind, die
Vizepräsident Dr. Schäfer: Das Wort hat der Hand zu erheben. — Das ist die Mehrheit. Es ist so
Herr Bundesfinanzminister. beschlossen.
- Ich rufe nun Ziffer 3 auf. Dazu liegen Abände-
Schäffer, Bundesminister der Finanzen: Meine rungsanträge vor: Drucksache Nr. 616, Ziffer 1,
Damen und Herren! Ich kann mich nach den Drucksache Nr. 641, Ziffer 1 und Drucksache Nr.
Ausführungen des Herrn Abgeordneten Pelster 616, Ziffer 2. Wir stimmen zuerst über Drucksache
auf einige ganz wenige Sätze beschränken. Ich Nr. 616, Ziffer 1, ab. Wer für diesen Abänderungs-
darf lediglich davon ausgehen, was ich bei der antrag ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. -
Einführungsrede anläßlich der ersten Lesung des Ich bitte um die Gegenprobe. -- Zweifellos war
Gesetzentwurfes betont habe und was ich in der das erste die Minderheit. Der Antrag ist abgelehnt.
Gesamtsituation nicht zu vergessen bitte: Der Jetzt stimmen wir über Drucksache Nr. 641, Zif-
Bund hat die Gesetzgebung über die Einkom- fer 1, ab. Wer für diesen Abänderungsantrag ist,
mensteuer, aber der Bund hat damit die Gesetz- den bitte ich, die Hand zu erheben. Ich bitte um
gebung über fremdes Geld. Es ist infolgedessen die Gegenprobe. — Das letztere ist zweifellos die
selbstverständlich, daß loyalerweise alle Verhand- Mehrheit. Damit ist der Abänderungsantrag Druck-
lungen zwischen dem Gesetzgeber einerseits und sache Nr. 641, Ziffer 1, abgelehnt.
denen, denen die Steuer zufließt, also den Län- Wir stimmen nun über Drucksache Nr. 616, Zif-
dern andererseits geführt werden müssen. Ich fer 2, ab. Wer für diesen Abänderungsantrag ist,
habe damals betont, daß dieser Gesetzentwurf in den bitte ich, die Hand zu erheben. — Es ist zwei-
der Zusammenarbeit aller 11 Länder mit dem fellos die Minderheit. Damit ist der Abänderungs-
Bundesfinanzministerium entstanden ist. Er antrag abgelehnt.
wurde auf Grund eines einstimmigen Votums des (Abg. Renner: Lassen Sie schon richtig abstim
Deutschen Bundesrats eingereicht, aber .mit der men! Lassen Sie die Gegenprobe machen!)
1536 Deutscher Bundestag — 45. Sitzung. Bonn, Freitag, den 3. März 1950
(Vizepräsident Dr. Schäfer)
— Es waren nur ganz wenige Stimmen dafür. Damit darf ich wohl feststellen, daß Ziffer 10
(Abg. Renner: Die anderen können sich ja der mit der letztbeschlossenen Abänderung angenom-
Stimme enthalten haben!) men ist.
— Schön! Ich bitte um die Gegenprobe. — Ich weiß Wir kommen nun zu Ziffer 11. Hierzu hat Herr
nicht, Herr Renner, ob das notwendig war. Abgeordneter Dr. Koch das Wort.
(Abg. Renner: Doch, es war notwendig, sonst
hätten wir es nicht beantragt!) Dr. Koch (SPD) : Meine Damen und Herren! Ich
bitte, über die Ziffer 11, das heißt über § 10a,
Damit bleibt Ziffer 3, nach Ablehnung der Abän- ebenso wie über § 32 a abzustimmen, wenn wir
derungsanträge, unverändert. Wer für die unver- über- die Anlage, also über den Tarif, abgestimmt
änderte Ziffer 3 ist, den bitte ich, die Hand zu er- haben. Ich glaube, das gehört logisch, dem Inhalt
heben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das erste nach zusammen. Wir sollten daher die Abstimmung
war zweifellos die Mehrheit. Ziffer 3 ist damit an- über § 10a ebenso wie über § 32a aussetzen. Ich
genommen. beantrage das hiermit.
Ich rufe Ziffer 4 auf. Es liegen keine Abände-
rungsanträge hierzu vor. Ich darf die Ziffer wohl Vizepräsident Dr. Schäfer: Meine Damen und
für angenommen erklären. — Es wird nicht wider- Herren! Sie haben den Antrag gehört. Es ist bean-
sprochen. tragt, § 10a bis zur Abstimmung über § 32a zu-
Zu Ziffer 5 liegt ein Abänderungsantrag des Zen- rückzustellen.
trums Drucksache Nr. 608, Ziffer 1, vor. Wer für . (Abg. Dr. Koch: Bis zur Abstimmung über die
diesen Abänderungsantrag ist, den bitte ich, die Anlage, über den Tarif!)
Hand zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Also bis zur Abstimmung über den Tarif zu-
— Das letztere ist zweifellos die Mehrheit. Der An-
rückzustellen. Ich höre keinen Widerspruch; ich
trag ist also abgelehnt. Dann darf ich, da kein Ab- nehme also das allseitige Einverständnis mit dieser
änderungsantrag angenommen ist, Ziffer 5 wohl Regelung an.
als angenommen ansehen. — Es wird nicht wider-
sprochen. (Zuruf: Es ist widersprochen ' worden! —
Widerspruch. — Weitere Zurufe.)
Für die Ziffern 6 und 7 gilt dasselbe. Abände-
rungsanträge liegen nicht vor. Ich darf die Ziffern — Es wird über § 10 a jetzt nicht abgestimmt, son-
6 und 7 als angenommen ansehen. dern darüber wird nach dem Beschluß des Hauses
zusammen mit dem Tarif abgestimmt werden.
Ich rufe Ziffer 8 auf. Da liegt ein Antrag der (Zuruf von der SPD: Nach dem Tarif!)
KPD Drucksache Nr. 616, Ziffer 3, und des Zen-
trums Drucksache Nr. 608, Ziffer 2, vor. Ich lasse — Ja, nach dem Tarif.
über die beiden Abänderungsanträge abstimmen. Wir kommen nun zu Ziffer 12. Es liegt kein Ab-
Zuerst über den Antrag Drucksache Nr. 616 Ziffer änderungsantrag vor. Ich kann die Ziffer für an-
3. Wer für diesen Antrag ist, den bitte ich, die genommen erklären. Das gleiche gilt für Ziffer 13
Hand zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. und Ziffer 14.
— Der Antrag ist zweifellos abgelehnt. Zu Ziffer 15 liegt ein Abänderungsantrag der
Wir kommen zu Drucksache Nr. 608, Ziffer 2. SPD, Drucksache Nr. 641, Ziffer 3, vor.
Wer für den Antrag ist, den bitte ich, die Hand zu Herr Seuffert!
erheben. Ich bitte um die Gegenprobe. —Das letz-
tere ist zweifellos die Mehrheit. Es ist so beschlos-
sen. Damit darf ich, da die Abänderungsanträge Seuffert (SPD): Zu Ziffer 15 bitte ich um nament-
abgelehnt worden sind, Ziffer 8 als angenommen liche Abstimmung.
erklären. Ebenso Ziffer 9.
Zu Ziffer 10 liegen Abänderungsanträge vor: Vizepräsident Dr. Schäfer: Sie wünschen nament-
ein Antrag des Zentrums Drucksache Nr. 608, Zif- liche Abstimmung zu der gesamten Ziffer 15?
fer 3, der Antrag Neuburger Drucksache Nr. 654,
Ziffer 2, und der Antrag Loritz Drucksache Nr. 664, Seuffert (SPD): Jawohl!
Ziffer 1. Die Anträge sind verteilt worden. Wir
stimmen zunächst über den Antrag des Zentrums Vizepräsident Dr. Schafer: Im Augenblick steht
Drucksache Nr. 608, Ziffer 3, und den Bleichlau- - der Abänderungsantrag Drucksache Nr. 641, Zif-
tenden Antrag Loritz Drucksache Nr. 664 ab. fer 3, zur Abstimmung.
(Abg. Dr. Bertram: Die Anträge sind nicht (Abg. Seuffert: Dazu bitten wir um nament
gleichlautend!) liche Abstimmung!)
— Dann werde ich getrennt abstimmen lassen. Wir — Wird der Antrag auf namentliche Abstimmung
kommen also zunächst zur Abstimmung über den unterstützt? Ich bitte, die Hand zu erheben. —
Antrag des Zentrums Drucksache Nr. 608, Ziffer 3. Meine Damen und Herren! Es ist der Antrag auf
Wer für den Antrag ist, den bitte ich, die Hand zu namentliche Abstimmung gestellt. Ich bitte diejeni-
erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das gen, die für die namentliche Abstimmung sind, die
letztere ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt. Hand zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe.
Dann kommt der Antrag Loritz auf Drucksache — Das letztere ist die Mehrheit. Damit ist der An-
Nr. 664 Ziffer 1. Wer für diesen Antrag ist, den trag auf namentliche Abstimmung abgelehnt.
bitte ich, die Hand zu erheben. — Ich bitte um die Wir stimmen nunmehr in einfacher Abstimmung
Gegenprobe. — Das letztere ist die Mehrheit; der über den Antrag Drucksache Nr. 641, Ziffer 3, ab.
Abänderungsantrag ist abgelehnt. Wer für diesen Antrag ist, den bitte ich, die Hand
Es folgt der Antrag auf Drucksache Nr. 654, Zif- zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. —
fer 2. Ich bitte diejenigen, die für diesen Abände- Das letztere ist die Mehrheit; damit ist der Antrag
rungsantrag sind, die Hand zu erheben. — Ich bitte abgelehnt.
um die Gegenprobe. — Im übrigen Enthaltungen. (Abg. Seuffert: Ich bitte, die Enthaltungen
Damit ist der Antrag angenommen. festzustellen!)
Deutscher Bundestag -- 45. Sitzung. Bonn, Freitag, den 3. März 1950 1537
(Vizepräsident Dr. Schäfer)
) — Bitte die Enthaltungen zu dem letzten Antrag! Wir kommen nunmehr zu Ziffer 11 zurück.
-- Es liegen 2 Enthaltungen vor. Damit darf ich (Zurufe: Tabelle!)
nach Ablehnung des Abänderungsantrages Ziffer 15 Wir stimmen jetzt über Ziffer 11 ab. Wird das
wohl für angenommen erklären. Wort dazu gewünscht? — Das Wort hat der Herr
Zu Ziffer 16 liegt vor — -- Abgeordnete Dr. Bertram.
(Abg. Neuburger: Jetzt kommt Ziffer 11! —
Abg. Dr. Koch: Zurückstellen! — Weitere Dr. Bertram (Z) : Der Unterausschuß des Wirt-
Zurufe.) schaftsausschusses des Bundesrates hat vorgeschla-
— Es ist gewünscht worden, die Abstimmung über gen, an der jetzt behandelten Gesetzesstelle einzu-
Ziffer 16 bis nach der Abstimmung über den Ta- fügen: ,,oder nach der Verordnung über die Buch-
rif zurückzustellen. Liegt Einverständnis vor? führung der Handwerker, Kleingewerbetreiben-
Herr Seuffert! den und freien Berufe vom 5. 9. 1949". Die Begrün-
dung, die der Bundesrat in diesem Falle gegeben
Seuffert (SPD): Herr Präsident, es dürfte zweck- hat, deckt sich völlig mit der unserigen:
mäßig sein, an dieser Stelle über unsern Antrag Die geltende Fassung beschränkt die steuerliche
Drucksache Nr. 640 abzustimmen. Erst dann ist Begünstigung der Kapitalbildung nach 10 a auf
wohl die Tariffrage geklärt, und dann kann über Vollkaufleute. Dieselbe Möglichkeit muß mit
die §§ 10a und 32a abgestimmt werden. Rücksicht auf die Bedeutung des Handwerks
und des Kleingewerbes sowie die Gleichmäßig-
Vizepräsident Dr. Schafer: Meine Damen und keit der Besteuerung auch den vorgenannten
Herren! Es ist also gewünscht worden, an dieser Berufsständen eröffnet werden. Der Unteraus-
Stelle die Abstimmung über den Antrag der SPD schuß des Bundesrats ist überzeugt, daß die er-
auf Drucksache Nr. 640 einzuschalten. Ich habe wähnte Verordnung über Buchführung der
keinen Widerspruch gehört; ich nehme das Einver Handwerker usw. der Finanzverwaltung grund-
ständnis des Hauses an. — Wir stimmen also über sätzlich ausreichende Möglichkeiten gibt, den
diesen Abänderungsantrag ab. Umfang der Entnahmen festzustellen und damit
Herr Dr. Bertram! eine eventuelle Nachversteuerung zu sichern.
Wir bitten, diesem absolut zutreffenden Gedanken
Dr. Bertram (Z): Ich bitte, über Absatz 2 des Ab- über die Steuergerechtigkeit und Gleichmäßigkeit
änderungsantrages auf Drucksache Nr. 640 geson- der Besteuerung Rechnung zu tragen, indem unser
dert abzustimmen. Antrag angenommen wird.
(Abg. Dr. Wuermeling: Die Sondertabelle!) (Beifall beim Zentrum.)
Vizepräsident Dr. Schäfer: Also, Herr Abgeord- Vizepräsident Dr. Schiffer: Meine Damen und
neter Dr. Bertram, Sie wünschen abschnittsweise Herren! Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
Abstimmung? Die Einzelberatung über diesen Punkt ist damit
(Abg. Dr. Bertram: Jawohl! — Zurufe: geschlossen. Wir kommen zur Abstimmung. Es'
Absatzweise!) liegt zunächst der Antrag der SPD auf Druck-
Wird diesem Antrage zugestimmt? — Ich nehme sache Nr. 641 vor, und zwar Ziffer 2. Wer für
es an. diesen Antrag ist, den bitte ich, die Hand zu
(Zurufe bei der CDU: Nein!) erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das
letztere ist die Mehrheit. Der Antrag ist ab-
Dann muß ich darüber abstimmen lassen, ob ab- gelehnt.
satzweise abgestimmt werden soll.
Wir kommen dann zum Antrag der Zentrums-
(Zuruf des Abgeordneten Seuffert.) fraktion auf Drucksache Nr. 608 Ziffer 4. Wer
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Seuffert. für diesen Antrag ist, den bitte ich, die Hand
zu erheben. Ich bitte um die Gegenprobe.
Seuffert (SPD): Herr Präsident, ich glaube, eine (Zurufe: Auszählen!)
Zustimmung zur absatzweisen Abstimmung, wenn
dieselbe gewünscht wird, kommt nur für die An- — Ja, meine Damen und Herren, da ist die Abstim-
tragsteller in Frage. Die Antragsteller sind damit mung unsicher. Wir müssen da wohl den Ham-
einverstanden. - melsprung durchführen. Ich bitte noch um einen
Augenblick Ruhe zur Klarstellung. Ich bitte die-
Vizepräsident Dr. Schäfer: . Meine Damen und jenigen, die für den Antrag sind, durch die Ja-Tür
Herren! Wir stimmen unter diesen Umständen ab- zu gehen, diejenigen, die gegen den Antrag sind,
satzweise ab. Es geht um den Antrag Druck- durch die Nein-Tür und diejenigen, die sich der
sache Nr. 640. Wir stimmen zunächst über Absatz 1 Stimme enthalten, durch die Mitteltür.
ab. Wer für Absatz 1 ist, den bitte ich, die Hand Ich bitte diejenigen, die nach der Abstimmung
zu erheben. — Der Absatz geht bis zu den Wor- im Saal sind, nicht den Versuch zu machen, wie-
ten „gesenkt wird". — Ich bitte um die Gegen- der zurückzugehen, weil sonst Störungen in der
probe. --- Das letztere ist die Mehrheit. Damit ist Abstimmung stattfinden.
der Antrag abgelehnt. Ich bitte die Damen und Herren Schriftführer,
Wir stimmen über Absatz 2 der Drucksache Nr. die Zählung an den Türen aufzunehmen.
640 ab. Ich bitte diejenigen, die dafür sind, die (Die Abgeordneten verlassen den Saal.)
Hand zu erheben. --- Ich bitte um die Gegenprobe.
— Das letztere ist die Mehrheit. Der Antrag ist Die Türen des Saales mit Ausnahme der Ab
abgelehnt. stimmungstüren sind zu schließen.
Wir stimmen über den Absatz 3 der Drucksache (Geschieht.)
Nr. 640 ab. Ich bitte diejenigen, die dafür sind, die Die Abstimmung beginnt. Ich bitte, mit der
Hand zu erheben. -- Ich bitte um die Gegenprobe. Zählung zu beginnen.
— Das letztere ist die Mehrheit. Auch der Ab- (Der Wiedereintritt der Abgeordneten und
satz 3 ist abgelehnt. die Zählung erfolgen.)
1538 Deutscher Bundestag — 45. Sitzung. Bonn, Freitag, den 3. März 1950
(Vizepräsident Dr. Schäfer)
Meine Damen und Herren, die Abstimmung handelt, die selbst bei Ihnen, meine sehr ver
ist beendet. ehrten Damen und Herren von der Rechten, viel-
(Pause.) leicht soviel, sagen wir einmal, Entgegenkommen
Das Ergebnis der Auszählung ist: Mit Ja ha- finden werden, daß Sie sich vielleicht doch über-
ben gestimmt 164, mit Nein 179 Abgeordnete; winden können, diesem Antrag Ihre Zustim-
10 Abgeordnete haben sich der Stimme enthal- mung zu geben.
ten. Der Antrag Drucksache Nr. 608 Ziffer 4 (Abg. Dr. Wuermeling: Wollen wir die
ist damit abgelehnt. Wahlreden nicht draußen halten?)
(Abg. Arnholz: Regierungskoalition gegen -- Sie haben ganz andere Wahlreden gehalten
Handwerk und Gewerbe!) und halten das heute nicht, was Sie damals ver-
Da andere Abänderungsanträge nicht vorliegen, sprochen haben, meine Herren!
kann ich wohl die Ziffer 11 als angenommen (Lebhafter Beifall bei der SPD.)
erklären. Es handelt sich um unseren Antrag zu Ar
Ziffer 12 war schon erledigt. tikel I Ziffer 18 des vorliegenden Gesetzentwurfs,
Wir kommen jetzt zu Ziffer 16. Dazu liegt der der Ihnen in der Drucksache Nr. 641 unter Zif-
Abänderungsantrag der Fraktion der SPD Druck- fer 5 vorliegt. Der Sinn dieses Antrages ist, die
sache Nr. 641 Ziffer 4 vor. Spätheimkehrer mit den Vertriebenen und po-
litisch Verfolgten in bezug auf Freibeträge für
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Freu- besondere Fälle gleichzustellen. Nach unserem
denberg.
Antrag würde dann der § 33 a Absatz 1 des Ein-
Freudenberg (FDP): Meine Damen und Herren! kommensteuergesetzes folgendermaßen lauten:
Der Herr Finanzminister hat bei der ersten Le- Bei Flüchtlingen, Vertriebenen und politisch
sung dieses Gesetzes als Begründung für § 32 a Verfolgten, Personen, die nach dem 1. Ja-
angeführt, mit § 32 a solle erreicht werden, daß nuar 1949 aus Kriegsgefangenschaft heimge-
die Flucht in das anonyme Kapital aufhöre. Ich kehrt sind (Spätheimkehrer), sowie bei Per-
bestreite nicht, daß die uns jetzt vorliegende Fas- sonen, die den Hausrat und die Kleidung in-
sung einen Schritt in der richtigen Richtung be- folge Kriegseinwirkung verloren haben,
deutet, aber eben auch nur einen Schritt. Die
vorliegende Fassung enthebt uns nicht der Not- und so weiter.
wendigkeit — wenn man dem Spiel der Ände- Meine Damen und Herren! Wir sind der An-
rung der Betriebsform je nach dem Stand der sicht, daß diese Heimkehrer ein Recht auf Wie-
Steuergesetzgebung ein Ende machen will —, diese dergutmachung haben. Sie sind gegen alles Völ-
Frage in Zukunft noch einmal ernsthaft zu über- kerrecht und sogar entgegen der klaren Verein-
prüfen, damit endlich auch in Deutschland Per- barung der Alliierten unter sich zurückgehalten
sonalgesellschaften und Kapitalgesellschaften
und zum großen Teil sogar ausgebeutet worden.
steuerlich gleichgestellt werden. Nach ihrer Rückkehr in das Vaterland sind sie
(Lebhaf te Zustimmung.) besonders benachteiligt, da vielfach ihr Arbeits-
platz noch besetzt ist und sie längere Zeit auf
Vizepräsident Dr. Schäfer: Weitere Wortmeldun- Arbeit warten mußten oder noch müssen. Sie
gen liegen nicht vor. Wir kommen zur Abstim- haben zum Teil gesundheitliche Schäden erlitten,
mung über Ziffer 4 des Abänderungsantrages der die sie hindern, ihre volle Arbeitskraft in den
SPD Drucksache Nr. 641. Wer dafür ist, den Wettbewerb einzusetzen, und sie haben auch viel-
bitte ich, die Hand zu erheben. — Ich bitte um fach einen sehr großen Nachholbedarf an Klei-
die Gegenprobe. — Das letztere war die Mehr- dung und Hausrat, weil sie oft ein ganzes Jahr-
heit; der Antrag ist also abgelehnt. Da weitere zehnt in der Gefangenschaft bzw. im Kriege waren.
Abänderungsanträge nicht vorliegen, darf ich
Meine Fraktion hat schon am 14. Oktober 1949
wohl Ziffer 16 für angenommen erklären. durch die Einbringung eines Antrages unter
Zu Ziffer 17 liegt der Antrag Neuburger, Dr. Drucksache Nr. 118 betreffend einheitliche Rege-
Wellhausen, Drucksache Nr. 604 Ziffer 3 vor. gelung der Heimkehrerbetreuung dieser Menschen
Ich bitte diejenigen, die für diesen Abänderungs- gedacht. Dort heißt es in Ziffer 9:
antrag sind, die Hand zu erheben. — Ich bitte -
um die Gegenprobe. — Der Antrag ist angenom- Im Rahmen der Steuergesetzgebung sind den
men. Mit dieser Abänderung kann ich die Zif- Heimkehrern Vergünstigungen zu gewähren,
fer 17 für angenommen erklären. die ihnen die Eingliederung in das wirt-
schaftliche Leben erleichtern.
Zu Ziffer 18 hat sich zum Wort gemeldet Herr
Abgeordneter Mertins. Diesem Antrag haben Sie, meine Damen und Her-
ren, damals zugestimmt, und ich wüßte nicht, was
Mertins (SPD): Herr Präsident! Meine Damen Sie heute hindern sollte, unserem jetzigen Antrag
und Herren! Bei der einmütigen Haltung der auch zuzustimmen. Der Antrag, den wir da-
Mehrheit dieses Hauses gegen jede soziale Ver- mals stellten, ist weitergehend als der heutige,
besserung des vorliegenden Gesetzes da er alle Heimkehrer erfaßt und da die Ver-
(lebhafter Widerspruch in der Mitte und günstigungen in ihm auch weitergehend sind.
rechts. — Zurufe: N a! Na! — Abg. Dr. Wenn wir uns heute auf diesen Ihnen vorliegen-
Wuermeling: Die haben wir schon vorher den Antrag beschränken, dann nur deshalb, weil
gemacht!) wir im Ausschuß gesehen haben, wie kaltblütig
scheint es mir außerordentlich schwierig zu sein, der Herr Finanzminister und auch die Mehrheit,
diesen Antrag der sozialdemokratischen Fraktion die hinter ihm steht, alle derartigen Anträge ab-
zu begründen. Wenn ich den Mut dazu finde, gelehnt haben. Wir wollen retten, was noch zu
dann nur aus dem einfachen Grund, weil ich retten ist. Geben Sie diesen Ärmsten der Ar-
glaube, daß es sich bei diesem Teil der Bevölke- men Gerechtigkeit!
rung, der hier angesprochen wird, um Menschen (Beifall bei der SPD.)
Deutscher Bundestag — 45. Sitzung. Bonn. Freitag, den 3 März 1950 1530

Vizepräsident Dr. Schäfer: Das Wort hat der' ist, gehen Sie solange ins Restaurant! Da gibt
Herr Abgeordnete Bazille. es zwar keine Schlagsahne mehr, aber immerhin
noch etwas Eßbares.
Bazille (SPD): Herr Präsident! Meine Damen (Zurufe in der Mitte und rechts.)
und Herren! Steuervergünstigungen für Kriegs- — Ich weiß gar nicht, warum Sie sich so auf-
beschädigte und -hinterbliebene haben von jeher regen. Wir haben einen Antrag eingebracht,
ein wichtiges Äquivalent der Kriegsopferversor- und ich habe das Recht, zu dem Antrag etwas zu
gung gebildet. Die früher geltenden Sonderver- sagen. Oder nicht?
günstigungen sind in den letzten Jahren unter
dem Druck des Kontrollrats abgebaut worden. (Abg. Dr. Oellers: Das bestreitet ja kein
Es ist nicht meine Absicht, mich mit der sattsam Mensch!)
bekannten These auseinanderzusetzen, daß durch -- Na also, dann meckern Sie nicht!
eine bewußte Diffamierung der Kriegsopfer eine Namens meiner Fraktion möchte ich zu dem
Ächtung des Krieges bei der deutschen Bevölke- sozialdemokratischen Antrag sagen, daß wir dem
rung bezweckt würde. Meiner Auffassung nach Antrag zustimmen.
gehört diese These in die Rumpelkammer der (Zuruf in der Mitte: Na also!)
Geschichte. Ich möchte aber auch zu unserem eigenen Antrag,
(Sehr richtig! rechts.) den wir zu derselben Materie gestellt haben,
Die Fraktion der SPD ist der Meinung, daß diese etwas sagen. Unser Antrag fordert die Steuer-
Sondervergünstigung der Kriegsbeschädigten und begünstigung für Kriegsopfer, Sozialberechtigte,
-hinterbliebenen im alten Umfang wiederher- für Flüchtlinge sowie für alle übrigen in Betracht
gestellt werden muß und daß sie in das Gesetz kommenden Personenkreise. Der Unterschied
hineingehört und nicht wie seither in die Durch- zwischen unserem Antrag und der Regierungs-
führungsverordnung oder in die Richtlinien. Die- vorlage bzw. dem. Gesetzentwurf und dem Antrag
sem Zweck dient der Antrag meiner Fraktion, der Sozialdemokratie besteht darin, daß wir das
und ich bitte Sie, ihm zuzustimmen. Wort „Totalschaden" als Voraussetzung für die
Gewährung dieser Vergünstigung gestrichen ha-
Vizepräsident Dr. Schäfer: Das Wort hat der ben. Auf diese Tatsache hinzuweisen, war mei-
Herr Bundesfinanzminister. nes Erachtens notwendig. Ich bitte, bei der Ab-
stimmung über unseren Antrag als den wei-
Schäffer, Bundesminister der Finanzen: Meine testgehenden zuerst abzustimmen.
Damen und Herren! Ich bitte nicht anzunehmen, Nun ein Wort an die Regierung! Wenn Sie
daß es eines Appells an die Bundesregierung und uns hier sagten, daß der § 33 an und für sich
die Länderfinanzminister bedurft hätte und be- schon den Landesfinanzministern Gelegenheit
dürfen würde, der Spätheimkehrer unter unse- biete, diesen Personenkreis zu berücksichtigen, so
ren Kriegsgefangenen zu gedenken; sie haben darf doch wohl zur Steuer der Wahrheit hier
ihrer gedacht. Aber die Dinge liegen hier so: gesagt werden, daß diese Vergünstigungsmöglich-
Es bedarf keiner besonderen Bestimmung, da keit nicht generell denen zugute kommt, die in
denjenigen, die wirk li ch in wirtschaftlicher Not einem Lohn- und Arbeitsverhältnis stehen;
sind — Steuergesetze können sich nur auf wirt- (Widerspruch rechts)
schaftliche Tatbestande beschränken —, ohnehin generell kommt sie nur denen zugute, die diese
auf dem Umweg über § 33 des Einkommensteuer- Sondervergünstigungen als Unternehmer genießen.
gesetzes vollkommen geholfen werden kann. Eine Wenn ich mich irren sollte, kann mich der Herr
einheitliche Kategorie neu zu schaffen und nach Finanzminister ja korrigieren. Außerdem sind
einem Stichtag eine wirtschaftliche Not bei allen wir der Meinung, daß dieses Entgegenkommen
anzunehmen, die aus der Kriegsgefangenschaft zu- ohne weiteres — auch ohne Antrag — gewährt
rückkehren, widerspricht den Tatsachen. Es kön- werden sollte, da der hier umrissene Personen-
nen Söhne reicher Eltern sein, die aus der Kriegs- kreis auf Grund seiner erbärmlichen Einkom-
gefangenschaft gesund zurückkehren. Denjeni- mensverhältnisse bzw. Rentenbezüge kaum in der
gen, ,die in Not sind, können wir heute helfen. Lage ist, für den Ersatz von Kleidung und Haus-
Und die Bundesregierung und die Länderfinanz- rat, der durch Kriegseinwirkungen zerstört wor-
minister werden helfen, indem sie den Tatbestand - den ist, nennenswerte Beträge aufzubringen, die
des § 33 des Einkommensteuergesetzes zur An- über die Mindestbeträge, die Sie ja zu konze-
wendung bringen. dieren bereit sind, hinausgehen können. Also,
(Beifall bei den Regierungsparteien.) wir verstehen einfach Ihren Widerstand diesem
Personenkreis gegenüber nicht. Und wir kön-
Vizepräsident Dr. Schäfer: Weitere Wortmeldun- nen hinter diesem Ihrem Widerstand nichts an-
gen liegen nicht vor. Die Einzelberatung zu Zif- deres erblicken, als Ihre Unlust, diesem Perso-
fer 18 ist geschlossen. nenkreis die verdiente Sonderstellung in dieser
Frage einzuräumen.
(Abg. Renner: Ich hatte ums Wort gebeten!) Noch ein letztes Wort. Ich hätte die Bemer
— Ich habe Ihre Wortmeldung nicht bekommen. kung des Begründers des Antrags der SPD gern
(Schlußrufe in der Mitte und rechts.) überhört. Wenn man sich schon rückschauend
— Meine Damen und Herren, wenn einmal ein mit dem Kreis der Kriegsgefangenen befaßt,
Irrtum vorkommt, dann wollen wir nicht so dann sollte man doch ihrer auch gelegentlich
kleinlich sein. Also das Wort hat Herr Abge- einmal gedenken, wenn sie bei uns schon ge-
ordneter Renner. landet sind. Dann sollte man sich der Tatsache
erinnern, daß Sie ihnen 50 D-Mark Heimkehrer-
Renner (KPD): Meine Damen und Herren! Wir geld geben und im Falle der Bedürftigkeit bis
haben einen Antrag zu diesem Thema gestellt. Ich zu 300 D-Mark, im letzteren Falle mit der Ver-
muß doch das Recht ha ben, zu diesem Antrag pflichtung der Rückzahlung. So liegen doch die
etwas sagen zu dürfen. Wenn Ihnen das zuviel Dinge. Man sollte sich solche Begründungen bei
1540 Deutscher Bundestag -- 45. Sitzung. Sonn, Freitag, den S. März 1950
(Renner)
derartigen Anlässen ersparen. Dasselbe gilt für Der Antrag auf Drucksache Nr. 616 Ziffer 4
den Herrn Minister, der hier so lobend erwähnt der KPD ist der weitestgehende. Wir stimmen
hat. daß die Regierung bereits in ausreichendem zuerst über ihn ab. Wer für diesen Antrag ist,
Maße dieser Heimkehrer gedacht hat. den bitte ich, die Hand zu erheben. -- Ich bitte
Ich bitte, über diesen unseren Antrag zuerst um die Gegenprobe. — Enthaltungen? -- Die
abstimmen zu lassen, weil er der weitestgehende Mehrheit hat gegen den Antrag gestimmt. Der
ist. Antrag ist also abgelehnt.
(Zurufe.) Dann kommen wir jetzt zu dem Antrag auf
Drucksache Nr. 641 Ziffer 5. Das ist der An-
Vizepräsident Dr. Schäfer: Eigentlich darf ich trag der SPD. Wer für diesen Antrag ist, den
das Wort nicht mehr erteilen. Die Debatte war bitte ich, die Hand zu erheben. — Ich bitte um
geschlossen. die Gegenprobe. — Das ist zweifellos die Mehr-
(Erneute Zurufe.) heit; der Antrag ist abgelehnt.
— Es ist unmöglich, auf Winkzeichen hin hier (Zuruf und Widerspruch.)
eine Übersicht darüber zu bekommen, wer sich Wer enthält sich? — Meine Damen und Herren!
zum Wort gemeldet hat oder nicht. Ich bitte doch Ich muß die Abstimmung wiederholen. Unter
um schriftliche Wortmeldungen bei den Schrift- den Umständen erscheint sie mir zweifelhaft.
führern. Es ist sonst einfach nicht möglich, die
Debatte zu übersehen. Ich lasse also noch einmal abstimmen über den
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Höfler. Antrag auf Drucksache Nr. 641 Ziffer 5. Wer
für diesen Antrag Ist, den bitte ich, die Hand
Höfler (CDU): Die Fraktion der CDU/CSU zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. —
schlägt zwecks Vermittlung vor, zu Artikel I Ich bitte um die Enthaltungen. — Die Abstim-
Ziffer 18 bei § 33 a Absatz 1 einzufügen: „Per- mung ist zweifelhaft. Meine Damen und Her- .

sonen, die nach dem 1. Januar 1949 aus Kriegs- ren! Wir kommen um einen Hammelsprung nicht
gefangenschaft heimgekehrt sind und sich in Not- herum. Ich bitte diejenigen Damen und Herren,
lage befinden". Damit wäre den Interessen, die die mit Ja stimmen wollen, durch die Tür auf
hier auf dem Spiele stehen, wohl Rechnung ge- der rechten Seite von mir aus gesehen den
tragen. Sitzungssaal wieder zu betreten, die Damen und
Herren, die mit Nein stimmen wollen, durch die
(Abg. Renner: Aha, aha! Das ist ein Witz! Tür links von mir, diejenigen, die sich enthalten
Die Notlage ist abhängig von dem Vorhan wollen, durch die Tür in der Mitte. Ich bitte die
densein der Wohlfahrtsvoraussetzungen!) Damen und Herren Schriftführer, sich an die
Türen zu begeben.
Vizepräsident Dr. Schäfer: Das Wort hat der
Herr Bundesfinanzminister. (Die Abgeordneten verlassen den Saal.)
Die Auszählung beginnt.
9 Schäffer, Bundesminister der Finanzen: Meine (Der Wiedereintritt der Abgeordneten und
Herren! Ich möchte nur eine sachliche Feststel- die Zählung erfolgen.)
lung treffen. Meine Damen und Herren, die Abstimmung
(Abg. Schoettle: Es gibt auch Damen im ist beendet. Ich bitte, die Türen wieder zu
Hause!) schließen. Es folgt nunmehr die Abstimmung des
Der Herr Kollege Renner irrt, wenn er meint e Sitzungsvorstandes.
daßieVortls§3nubeirVa- Meine Damen und Herren! Das Ergebnis der
lagung zur Einkommensteuer gewährt werden Abstimmung ist folgendes. 178 Abgeordnete ha-
könnten. Der Tatbestand des § 33 kann durch ben mit Ja, 163 Abgeordnete mit Nein gestimmt;
Eintragung eines entsprechend höheren Freibe- 7 Abgeordnete haben sich der Stimme enthalten.
trags auf der Lohnsteuerkarte genau so berück- Damit ist der Antrag auf Drucksache Nr. 641 Zif-
sichtigt werden und wird in jedem einzelnen fer 5 angenommen.
Falle berücksichtigt. Also dem Personenkreis, (Beifall links.)
wenn er in Not ist, kann nach den bestehenden Infolgedessen erledigt sich der soeben eingereichte
Bestimmungen bereits geholfen werden. Der - Antrag Höfler, Dr. von Brentano, weil er in-
Antrag, um den es sich hier handelt, rennt in- haltlich durch den weitergehenden Antrag mit
folgedessen offene Türen ein. erfaßt ist.
(Abg. Renner: Das tut er leider nicht! Wir Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über
wollen aus Ihren Kann-Bestimmungen den Antrag Neuburger, Dr. Wellhausen auf
heraus! Wir wollen die nicht mehr Bettler Drucksache Nr. 658. Wer für diesen Antrag ist,
spielen lassen!) den bitte ich, die H an d zu erheben. — Ich bitte
um die Gegenprobe. — Der Antrag ist ange-
Vizepräsident Dr. Schäfer: Weitere Wortmeldun- nommen.
gen liegen nicht vor. Damit ist die Aussprache
zu Ziffer 18 geschlossen. Es folgt der Antrag der SPD auf Drucksache
Nr. 652. Wer für diesen Antrag ist, den bitte
Wir kommen zur Abstimmung. Ich zähle noch ich, die Hand zu erheben. — Ich bitte um die
einmal die vorliegenden Anträge auf: Druck- Gegenprobe. — Enthaltungen! — Die Mehrheit ist
sachen Nr. 616 Ziffer 4, Nr. 641 Ziffer 5, Nr. 658, für Ablehnung; der Antrag ist also abgelehnt
Nr. 652 und dann der eben vorgelegte Antrag und Ziffer 18 mit den beschlossenen Abänderun-
zu Artikel I Ziffer 18, der folgendermaßen gen angenommen.
lautet:
Wir kommen zu Ziffer 19. Das Wort hat der
Im § 33 a Absatz 1 soll eingefügt werden: Herr Abgeordnete Mertins.
Personen, die nach dem 1. Januar 1949 aus
Kriegsgefangenschaft heimgekehrt sind und Mertins (SPD): Meine Damen und Herren! Auch
sich in Notlage befinden. dieser Antrag meiner Fraktion hat eine soziale,
Deutscher Bundestag - 45. Sitzung. Bonn, Freitag, den 3. März 1950 1541
(Mertins)
darüber hinaus aber auch noch eine volks- -- Wenn Sie es nicht begriffen haben, kann ich
wirtschaftliche Bedeutung. Es handelt sich Ihnen nicht helfen.
darum, aus dem § 34 a Absatz 1 in der neuen Außerdem ist die Gefahr des Mißbrauchs dieses
Fassung die Worte „mindestens jedoch über 48 Artikels sehr gering, weil ja die Arbeitgeber
Stunden in der Woche hinaus" 711 streichen. Un- -- von denen Sie verlangen, daß sie laut einem
ser Antrag bezweckt also die Wiederherstellung Ehrenkodex viel ehrlicher werden, als sie vor-
des Wortlauts des Zweiten Gesetzes zur vorläufi- her gewesen sind — und die Arbeitnehmer sich
genNuordvStenm20.April194 erstens gemeinsam dieses Mißbrauchs schuldig
Die jetzige Verschlechterung ist in die s es Gesetz machen müßten, und zweitens, weil der Begriff
hineingekommen durch . die Einschaltung des „gesetzlich und tariflich festgelegte Arbeitszeit"
S atzes ..mindestens jedoch über 48 Stunden in vollkommen ausreichend ist, um den Tatbestand
der Woche hinaus", und zwar auf Veranlassung zu klären. Ich empfehle Ihnen daher im Namen
des Bundesrats und mit der Sanktion durch die meiner Fraktion aus Gründen der Gerechtigkeit
Mehrheit dieses Hauses. Als Begründung ist an- und im Endeffekt auch aus volkswirtschaftlichen
gegeben worden, daß das Fehlen einer so'chen Gründen die Annahme dieses Antrags.
Einfügung zu arbeitsmarktpolitischen Bedenken (Beifall bei der SPD.)
führen würde. Diese Begründung ist keineswegs
stichhaltig. Vizepräsident Dr. Schäfer: Das Wort hat der
(Widerspruch bei den Regierungsparteien.) Herr Abgeordnete Neuburger.
Auch uns sind vereinzelte Mißbräuche, die mit Neuburger (CDU): Wir haben uns im Aus-
diesem Paragraphen getrieben worden sind, be- schuß auch eingehend hierüber unterhalten. Ich
kannt geworden. Auch wir wissen, daß ein- darf daran erinnern, daß der Bundesrat seinerzeit
zelne Kreise. auch aus der Arbeitnehmerschaft, den beantragt hat, den § 34 a aus arbeitsmarktpoliti-
Satz geprägt haben: „Lieber Mehrarbeit als neue schen Gründen überhaupt zu streichen. Wir ha-
Arbeitsplätze". Aber es wäre ein Trugschluß, ben uns dann dieser Auffassung in diesem Aus-
von diesen vereinzelten Tatsachen auf eine man- maße nicht angeschlossen, sondern wir haben ge-
gelhafte Solidarität der Arbeiterschaft allgemein zu glaubt, daß wir doch, um mißbräuchliche Be-
schließen. Wenn Mißbräuche auf diesem Gebiet vor- nutzung auszuschließen, hier eine Grenze in der
gekommen sind, dann ist das die Schuld Ihrer Form setzen müssen, wie es jetzt geschehen
verfehlten Wirtschaftspolitik, die den Reallohn ist. Die Bestimmung, wie sie jetzt lautet, wird
immer weiter absinken ließ, was manchen ehr- einerseits den arbeitsmarktpolitischen Gründen
lichen und aufrechten Arbeiter in dieser Bezie- gerecht, andererseits verhindert sie den Miß-
hung auch zu einem Gegner sogar seines Arbeits- brauch. Daher sind meine Parteifreunde dafür,
kameraden gemacht hat. diesen Paragraphen in der jetzigen Form an-
(Widerspruch bei den Regierungsparteien.) zunehmen.
Ich persönlich und meine Fraktion hegen eine
ausgesprochen tiefe Bewunderung für das bei- Vizepräsident Dr. Schäfer: Das Wort hat der
spielhafte volkswirtschaftliche Verständnis und Herr Abgeordnete Pelster.
die Anständigkeit der deutschen Arbeiterschaft,
die sie in diesen Jahren nach der Kapitulation be- Pelster (CDU): Herr Präsident! Meine Damen
wiesen haben. Ich erinnere Sie an die Worte, die und Herren! Ich möchte darauf aufmerksam ma-
vor wenigen Wochen von dieser Stelle aus mein chen, daß uns diese Frage eingehend beschäftigt
Kollege Jahn gesprochen hat. Er verkündete hat, und es war Herr Kollege Wolkersdorf von
damals den Beschluß der Eisenbahner, zur den Gewerkschaften, der dem Gedanken zuneigte
45-Stunden-Woche überzugehen, um dadurch die und ihn vertrat, den § 34 a fallenzulassen, um
Möglichkeit zu schaffen, Entlassungen zu ver- endlich dem Heer der Arbeitslosen in etwa beizu-
meiden und unter Umständen 20 000 neue Ar- kommen. Das mag vielleicht dem einen oder an-
beitsplätze zu schaffen. Diese Eisenbahner haben dern lächerlich erscheinen. Wer weit im Lande
aus Solidarität auf 6 Prozent ihres Einkommens herumkommt und wer auch beruflich mit diesen
verzichtet, und es ist nicht ausgeschlossen, daß Dingen zu tun hatte, der stellt manchmal interes-
bei der augenblicklichen Lage auf dem Arbeits- sante Erscheinungen fest.
markt, bei den über 2 Millionen Erwerbslosen, Vor kurzem kommt ein Kollege des Landtags,
eine Ausweitung dieses Vorgehens vorgenommen der dem Zentrum angehört, zu mir. Er kommt
wird. Wir würden die Menschen, die ein solch aus der Arbeiterschaft und ist heute Betriebs-
hohes Maß von volkswirtschaftlichem Verständnis leiter eines Werkes. Er sagt: „Ich war diese ge-
und Solidarität aufbringen, bestrafen, wenn wir waltigen Überstunden leid und habe eine Ma-
die Vergünstigung erst bei einer Mehrarbeit über schine angeschafft, um dadurch die Leute in Dop-
48 Stunden eintreten lassen würden. Sie müßten pelschicht zu halten. Und jetzt kommen meine
dann die 46., 47. und 48. Stunde erst ohne steuer- Leute zu mir und sagen: du mußt die Hälfte ent-
liche Vergünstigung leisten, ehe sie in die Steuer- lassen, damit wir die alten Überstunden weiter-
vergünstigung hineinkämen. Die Gewerkschaf- machen können!" — Das wollen wir nicht! Wir
ten, von denen wir diesen Antrag übernommen wollen nicht, wie uns nachgewiesen wurde, daß
haben, sind mit uns der Überzeugung, daß das die Arbeitszeit, die normal und gesetzlich 48
eine Ungerechtigkeit wäre, die keineswegs etwa Stunden beträgt, auf 42 Stunden herabgesetzt
die Arbeitslosigkeit beseitigen könnte. Dazu ist wird und dann doch 48 Stunden gearbeitet wird,
nur das Programm der Vollbeschäftigung im- und diese Mehrstunden als Überstunden in An-
stande, das wir Ihnen ja vorgelegt haben. spruch genommen werden. Das wollen wir nicht,
(Abg. Dr. Wellhausen: Haben wir noch sondern wir wollen, daß da, wo mehr Arbeit ist,
nicht gesehen! — Abg. Euler: Da warten möglichst dann auch Leute eingestellt werden,
wir noch drauf! — Weiterer Widerspruch und wenn es nur für kurze Zeit ist: Mir sagte ein
bei der FDP.) Kollege dieses Hauses, der einen Betrieb von zirka
1542 Deutscher Bundestag — 45. Sitzung. Bonn, Freitag. den 3. März 1950
(Pelster)
250 Menschen hat: „Ich kann im Augenblick 50 leisten. Ganz im Gegenteil. Ich darf insbesondere
bis 60 Menschen einstellen, allerdings weiß ich dem Herrn, der vor dem Vertreter der kommu-
nicht, ob ich sie ganz durchhalten kann, aber für nistischen Partei eben gesprochen hat, sagen: Es
ein halbes Jahr würde es gehen. Glauben Sie, sind ja die Herren Arbeitgeber, die es prinzipiell
Herr Kollege", sagte er zu mir, „daß ich es fertig- in der Hand haben, Überstunden in ihrem Be-
bringe, diese Leute hereinzukriegen? Ich stoße trieb zu korrigieren. Wir bleiben bei der grund-
auf stärksten Widerstand." — Sehen Sie, da wäre sätzlichen Auffassung, die wir den Überstunden
doch ein fest begrenzter Arbeitsvertrag von einem gegenüber — und hier spreche ich als Gewerk-
halben Jahr gut, um diese 50, 60 Menschen in schaftler — immer vertreten haben: Überstunden
Arbeit zu nehmen, daß sie den Glauben an die sind nur in Ausnahmefällen, aber nicht grund-
Gerechtigkeit und den Glauben an sich selbst sätzlich und generell zu leisten. Wenn wir so die
nicht verlieren und zum Teil wieder etwas zu Dinge betrachten, daß also Überstunden als Aus-
Blut kommen; das wollen wir erreichen. nahme von der Regel angesehen werden, dann
Weiter haben wir dann auch daran gedacht, daß werden wir nicht umhin können, den berechtigten
derjenige Arbeitgeber, der vorübergehend einmal Anspruch der Arbeitnehmer anzuerkennen, daß
einige Überstunden für 8 Tage oder was weiß ich sie für die erste Überstunde, die sie über die
notwendig hat, schwerlich Überstunden von sei- normale Arbeitszeit hinaus geleistet haben, von
nen Arbeitnehmern erwarten kann, wenn der der Steuervergünstigung Gebrauch machen kön-
§ 34 a fortfällt, weil dann die Arbeitnehmer am nen. Sie sollten sich darüber klar sein — ob das
Ende der Überstunden . weniger verdient haben für Deutschland gegenwärtig allgemein anwend-
als am Ende der normalen Arbeitszeit. Das woll- bar ist oder nicht, sei im Augenblick nicht unter-
ten wir ebenfalls verhindern. Deshalb haben wir sucht —, daß die generelle Tendenz überall in
in der Regierungsvorlage, welche die Streichung den Industrieländern zur 40- und nicht zur 45
vorsah, diesen Paragraphen wieder eingebaut, Stundenwoche geht; und angesichts der 2 Millio
allerdings mit der Begrenzung, daß 48 Stunden, -nen Arbeitslosen, die wir in Deutschland haben,
die normale gesetzliche Arbeitszeit, die Grenze sollten wir uns glücklich schätzen g daß es eine so
sein sollten und die für die darüber hinaus- große Zahl von Arbeitnehmern in Deutschland
gehende Zeit gewährte Überstundenvergütung gibt, die zugunsten ihrer Arbeitskameraden ein
dann steuerbegünstigt werden sollte. Es ist nicht Opfer in dieser Richtung zu bringen bereit sind.
etwa etwas Unsoziales, sondern lediglich von dem Wenn Sie diese Opfer anzuerkennen nicht bereit
Gedanken getragen, möglichst viel Arbeitskräfte wären, dann würden Sie damit in irgendeiner
wieder in Arbeit hineinzubringen. Deshalb haben Form zum Ausdruck bringen, daß Ihnen dieses
wir diese Bestimmungen getroffen. solidarische Verhalten der Arbeiterschaft nicht
angenehm erscheint, weil dadurch die Arbeits-
Vizepräsident Dr. Schiffer: Das Wort hat der losenzahl vermindert werden könnte. Das ist die
Herr Abgeordnete Rische. Quintessenz, die daraus abzuleiten wäre.
Rische (KPD): Meine Damen und Herren! In Meine Damen und Herren, ich darf mir noch
dieser Frage gibt es eine Reihe von Irrtümern. mals erlauben, zu sagen: Sie als Arbeitgeber, so-
Der Herr Vorredner hat zwar die Wirklichkeit weit Sie solche sind, haben durchaus die Mög-
heangezogen, aber er hat uns doch nicht ge- lichkeit, auch korrigierend in die Dinge einzugrei-
nauestens gesagt, wie es unten in Wirklichkeit fen und sich nicht etwa an denen zu orientieren,
aussieht. die auf Grund irgendwelcher Vorstellungen, die
sie höchstens aus Ihrer Ideologie empfangen könn-
(Zuruf in der Mitte: Propaganda!) ten, meinen, Überstunden seien zu Lasten der
Tatsache ist, daß es heute eine Reihe von Be- übrigen Arbeitskollegen zu leisten.
rufs-, Industriegruppen gibt, die schon Tarifver-
träge abgeschlossen haben, die auf einer Arbeits-
zeit unter der gesetzlichen Zeit von 48 Stunden Vizepräsident Dr Schäfer: Weitere Wortmel-
basieren. Man kann nicht daran vorbeisehen, daß dungen liegen nicht vor. Die Aussprache ist ge-
diese Leute heute, wenn sie 41, 42 oder 44 Stun- schlossen. Wir kommen zur Abstimmung zunächst
den in der Woche arbeiten, dann darüber hinaus über den Abänderungsantrag der SPD, Druck-
auch einen Anspruch — darum handelt es sich - sache Nr. 641, Ziffer 6. Ich bitte diejenigen, die
doch — auf die steuerliche Vergünstigung ihrer für die Abänderung sind, die Hand zu erheben.
Mehrarbeit haben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltun-
gen? — Der Antrag ist abgelehnt.
Wir Kommunisten unterstützen den sozialdemo-
kratischen Antrag, wenn wir auch nicht dieser Dann darf ich also die Ziffer 19 in der Fassung
Begründung zustimmen. Denn wir sind nicht der der zweiten Lesung für angenommen erklären.
Meinung, daß die Arbeiterschaft auf ihre gesetz- (Zuruf in der Mitte: Dritte Lesung! Sie haben
liche Arbeitszeit freiwillig verzichten soll; wir zweite Lesung gesagt!)
sind nicht der Meinung, daß die Arbeiterschaft
herkommen und dieser Regierung und diesem — Es war absolut richtig, was ich gesagt habe!
System etwas opfern soll. Ich rufe nunmehr Ziffer 20 auf. Es liegt der
(Abg. Hilbert: Aha!) Antrag des Zentrums und der SPD Drucksache
Nr. 614 Ziffer 1 vor. Wortmeldungen liegen nicht
Vizepräsident Dr. Schäfer: Das Wert hat der vor. Wir kommen zur Abstimmung.
Herr Abgeordnete Wönner.
Seuffert (SPD): Verzeihung, Herr Präsident, zur
Wönner (SPD): Meine Damen und Herren! Sie Abstimmung! Nannten Sie eben die Drucksache
sollten doch wohl auch in dieser Frage bemüht Nr. 614? Die Drucksache 614 wird zur dritten
bleiben, den wirklichen Tatsachen gerecht zu wer- Lesung nicht wiederholt. Es handelt sich jetzt um
den. Es handelt sich nicht darum, etwa grund- die Drucksache Nr. 645, worüber nicht an dieser
sätzlich der Überstundenleistung Vorschub zu Stelle abzustimmen ist.
Deutscher Bundestag -- 45. Sitzung. Bonn, Freitag, den 3. März 1950 1543

Vizepräsident Dr. Schäfer: Mir wird mitgeteilt, — Haben Sie eine Ahnung von Sozialismus! t
Herr Dr. Bertram . , es läge hier eine Nachricht vor, Einkommen zu erwerben, dies vor der Offentlich-
daß der Antrag von Ihnen wiederholt wäre. keit offenzulegen hat. Niemand, der auf ehrliche
und sozial verantwortliche Weise Einkommen er-
Dr. Bertram (Z): Der Antrag Drucksache Nr. 614 wirbt, braucht sich der Höhe dieses Einkommens
ist in der zweiten Lesung abgelehnt worden; er zu schämen.
ist nicht als gemeinschaftlicher Antrag des Zen- (Beifall bei der SPD. — Zurufe rechts.)
trums und der SPD wiederholt, sondern es ist ein Aber er muß für das ehrlich und sozial verant
anderer Antrag in Drucksache Nr. 645 gestellt wortlich erworbene Einkommen Steuern zahlen.
worden.
(Zuruf rechts: Da hört sich alles auf! —
Vizepräsident Dr. Schiffer: Diese Abstimmung Weitere Zurufe.)
kommt erst später. Damit ist also dieser Antrag Es geht nicht an, daß ein wesentlicher Teil des
zurückgezogen. Dann kann ich demnach anneh- Einkommens steuerlich nur deswegen nicht erfaßt
men, daß Ziffer 20 angenommen ist. — Ebenso wird, weil der Steuerpflichtige sich im Schutze
Ziffer 21. — des Dunkels sehr wohl fühlt. Man möge mir nicht
Zu Ziffer 22 liegt eine Wortmeldung vor. — sagen, daß man mit dem Buch- und Betriebsprü-
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Seuffert. fungswesen und mit der Steuerfahndung das er
reicht, was hier erreicht werden soll. Das sind
Seuffert (SPD): Es liegt auch die Drucksache keine genügenden Mittel, um die Steuerhinter
Nr. 665, der Abänderungsantrag der Abgeordne- ziehung herabzumindern oder gar zu verhindern.
ten Neuburger, Dr. Dr. Hoepker-Aschoff, Dr. von Das wissen wir alle insbesondere aus den Erfah-
Campe, Dr. Bertram und Genossen vor. Wir wer- rungen der letzten Jahre. Durch die Pflicht zur
den veranlaßt sein, zu diesem Antrag eine Ab- Offenlegung der Zahlen soll jeder an seinem Ge-
änderung vorzulegen und dabei zu beantragen, wissen und an dem, was er noch an Steuermoral
das Thema, um das es sich handelt, in § 41 ein- in sich hat, gepackt werden, und er soll der Kon-
zufügen. Ich bitte deswegen, die Abstimmung trolle durch das Auge des Volkes unterworfen
über Ziffer 22 bis zur Abstimmung über Artikel werden.
II Ziffer 2 zurückzustellen, damit die Anträge (Beifall bei der SPD. — Unruhe und lebhafte
zusammen behandelt werden können. Zurufe rechts.)
— Herr Kollege Baumgartner, ich glaube, Sie
Vizepräsident Dr. Schiffer: Sie haben den An- würden Wunder erleben, wenn Sie den Weg mit
trag des Abgeordneten Seuffert gehört. Was er uns gehen würden.
vorschlägt, halte auch ich für zweckmäßig. Ich (Weitere Zurufe.)
nehme Ihr Einverständnis an, daß wir bei der
Abstimmung zu Artikel II Ziffer 2 die Ziffer 22 Vizepräsident Dr. Schäfer: Mit weniger Stimm-
miterledigen. aufwand und Stimmenvielseitigkeit geht es
Wir kommen zu den Ziffern 23, 24 und 25. — schneller!
Ich darf sie wohl als angenommen bezeichnen.
Dr. Greve (SPD): Unser Antrag richtet sich ge-
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Greve. gen niemand anders als gegen diejenigen, die
Dr. Greve (SPD): Meine Damen und Herren! Zu noch nicht begriffen haben, daß es oberste Pflicht
dem Änderungsantrag der Drucksache Nr. 641 Zif- eines jeden Staatsbürgers ist, dem Staate das zu
fer 7 habe ich zunächst einen weiteren Änderungs- geben, was er zur Erfüllung seiner Aufgaben
antrag zu stellen, und zwar betrifft er zunächst eine braucht. Und dazu ist der Antrag, den wir Ihnen
redaktionelle Änderung und dann eine Ergän- vorgelegt haben, ein Weg. Die Zeit, in der man
zung. Der von uns in Drucksache Nr. 641 ge- nur auf Kosten des ehrlichen Steuerzahlers leben
stellte Abänderungsantrag Ziffer 7 soll nun- kann, die soll und muß ein für allemal vorbei
mehr folgenden Wortlaut erhalten: sein.
(Zustimmung bei der SPD.)
Für die veranlagte Einkommensteuer sind Was in England, in den Vereinigten Staaten von
bei jedem Finanzamt Listen zu führen, aus Amerika und in sehr vielen anderen Ländern
denen ersichtlich sind: Name und Wohnung - möglich und üblich ist und sich dort bewährt hat,
der Steuerpflichtigen, das für das Jahr er- daß muß auch endlich einmal bei uns zur Anwen-
klärte und veranlagte Einkommen und die dung kommen, insbesondere deswegen, weil, wie
im einzelnen zu zahlenden Steuerbeträge. ich glaube, wir sehr viel mehr die Pflicht haben,
Diese Listen sind zur Einsicht für jedermann auf den letzten Steuergroschen zu sehen, als das
öffentlich zugänglich zu machen. in anderen Ländern heute der Fall sein mag.
Zur Begründung des Antrags meiner Fraktion (Erneute Zustimmung bei der SPD.)
habe ich auszuführen, daß wir mit diesem Antrag Es geht auch nicht an, einem Teil des Volkes,
dem Recht eines jeden Staatsbürgers entgegen- nämlich den Lohn- und Gehaltsempfängern, über-
kommen, zu erfahren, wer Steuern aus Einkom- haupt allen Festbesoldeten den letzten Steuer-
men zahlt und in welcher Höhe Steuern aus Ein- groschen, an den man herankann, wegzunehmen,
kommen gezahlt werden. Ich weiß ganz genau, einfach weil sie keine Möglichkeit haben, sich
daß gegen die Offenlegung der Steuerlisten in ihrer Verpflichtung aus dem Gesetz zu entziehen,
diesem Hause weithin Bedenken geltend gemacht während man einem anderen Teil die Möglich-
werden. Es besteht aber ein dringendes öffent- keit gibt, eben unter Ausnützung der Steuerano-
liches Interesse daran, daß jeder, der die Gemein- nymität dem Staate gegenüber sich so zu verhal
schaft aller Staatsbürger in Anspruch nimmt und ten, daß in anderen Fällen die Beurteilung als
dem die Gemeinschaft aller Staatsbürger die strafbare Handlung in Frage käme, die von den
Möglichkeit gibt, Organen des Staates verfolgt würde. Wenn wir
(Zurufe rechts: Das ist Sozialismus! Das ist wollen, daß alle Steuerpflichtigen gleich behan-
Bolschewismus!) delt werden, dann ist unser Vorschlag ein Mittel
1541 Deutscher Bundestag -- 45. Sitzung. Bonn, Freitag, den 3. März 1950
(Dr. Greve)
und ein Weg zugleich. Sie nehmen damit dem trag als solchen beziehen soll und nicht auf den
Steuerpflichtigen die Versuchung, sich anders zu Abänderungsantrag zum Abänderungsantrag.
verhalten, als er gegenüber seinen Mitbürgern (Heiterkeit.)
verpflichtet ist. Aus diesem Grunde bitte ich, un- Denn dieser Abänderungsantrag zum Abände-
serem Antrage zuzustimmen, und ich beantrage rungsantrag enthält gegenüber dem Abänderungs-
namentliche Abstimmung über ihn. antrag nur folgende,
(Beifall bei der SPD. — Lachen und (Erneute große Heiterkeit)
Zurufe rechts.)
im Abänderungsantrag selbst noch nicht enthaltene
Vizepräsident Dr. Schmid: Das Wort hat Herr Worte: „die im einzelnen zu zahlenden Steuer-
Abgeordneter Renner. beträge". Wollen Sie auch darüber namentliche Ab-
stimmung haber? Wohl kaum. Ich lasse also zuerst
(Zuruf rechts: Sie haben eine Konkurrenz, im einfachen Abstimmungsverfahren über diesen
Herr Renner!) Abänderungsantrag zum Abänderungsantrag —
anders kann ich es nicht bezeichnen — abstim-
Renner (KPD): Eines der Ziele, das die Regie- men. Er liegt hier handschriftlich vor. Ich will
rung, die Koalitionsparteien hier angeblich mit ihn noch einmal verlesen, damit kein Zweifel
diesem Steuerverg ünstigungsgesetz für die besteht, um was es sich handelt:
Schwerreichen verfolgen, ist die Hebung der Für die veranlagte Einkommensteuer sind bei
So habe ich es hier mehrfach gehört. Steurmoal. jedem Finanzamt Listen zu führen. aus denen
Die Steuermoral soll gehoben werden. ersichtlich sind: Name und Wohnung des
(Zuruf bei der KPD: In der Dunkelkammer!) Steuerpflichtigen, das für das Jahr erklärte
und veranlagte Einkommen und
Was wir aber eben in dem Zuruf „Das ist ja -- nun kommt das Zusätzliche —
reiner Bolschewismus!" gehört haben, das war die im einzelnen zu zahlenden Steuerbeträge.
das Aufstöhnen der gequälten Seele des vollen, Der zweite Absatz ist wie der zweite Absatz des
satten Bürgers, Abänderungsantrages.
(Große Heiterkeit. — Beifall links) (Abg. Neuburger: Das ist ia der weiter
der vor Schrecken erblaßt, wenn ihm zugemutet gehende Antrag!)
wird, seine Steuern ehrlich zu zahlen. Ich möchte — Nein, es ist praktisch ein Ergänzungsantrag
mir einen Hinweis erlauben, um damit schließen zum Abänderungsantrag. Ich lasse abstimmen.
zu können: Ich bitte den Herrn Präsidenten. doch Wer für den Antrag ist, den bitte ich, die Hand
dafür Sorge zu tragen, daß der Name des Herrn, zu erheben. —
der da so schreckvoll aufgestöhnt hat, der Nach- (Abg. Renner: Aha! Die Steuermoralisten!)
welt erhalten bleibt. Ich bitte um die Gegenprobe.
(Lachen bei der KPD.) (Zuruf von der KPD: Hände hoch!)
Nun ein letztes Wort. Wie eigenartig sprung- — Das ist die Mehrheit.
haft Sie denken! Da ist der Arbeiter, da ist der
Angestellte; was der an Steuern zu leisten hat, Nun lasse ich über den Abänderungsantrag
das steht fein säuberlich auf der Steuerkarte und Drucksache Nr. 641 Ziffer 7 abstimmen. Hier ist
wird obendrein noch auf der Lohntüte schriftlich namentliche Abstimmung verlangt. Wird das un-
quittiert. So liegen doch die Dinge. Ist das auch terstützt? — Die erforderliche Unterstützung liegt
Bolschewismus? Nein, werden Sie antworten. vor. Wer für namentliche Abstimmung ist, den
bitter ich. die Fan 7U erheben. — Gegenprobe.
(Zuruf von der KPD: Wahrscheinlich!) — Das ist zweifelsfrei die Mehrheit.
Die leere Lohntüte ist Ausbeutung durch das (Zuruf von der KPD: So anonym wie ihre
Unternehmertum. Das möchte ich festgestellt ha- Steuererklärung!)
ben. Wir stimmen für den sozialdemokratischen Der Antrag auf namentliche Abstimmung ist ab-
Antrag und nehmen an, daß die Herren, die es gelehnt.
so ehrlich mit der Hebung der Steuermoral mei- Ich lasse über den Antrag Drucksache Nr. 641 .

nen, wie zum Beispiel Herr Dr. Konrad Adenauer


und Herr Pferdmenges, - Ziffer 7 abstimmen. Wer dafür ist, den bitte ich,
die Hand zu erheben. — Gegenprobe. — Ich bitte
(Heiterkeit) um die Stimmenthaltungen.
sich diesem sozialdemokratischen Antrag begei- (Abg. Renner: Da schlägt e i n Gewissen!)
stert anschließen werden. — Das war wohl zweifelsfrei die Mehrheit.
(Große Heiterkeit. - Beifall bei der KPD.) (Abg. Renner: Es lebe die Moral!)
— Faule Köppe, auch wenns ans Steuerzahlen Der Antrag ist abgelehnt.
geht! Wir kommen zu Artikel II Ziffer 1. Hier liegt
kein Abänderungsantrag vor. Der Antrag ist an-
Vizepräsident Dr. Schmid: Weitere Wortmeldun-
genommen.
gen liegen nicht vor. Ich lasse abstimmen. (Abg. Seuffert: Herr Präsident, es liegt ein
Antrag zur Anlage Ziffer 25 Artikel I vor.
(Abg. Renner: Es ist namentliche Abstimmung Ich glaube, es wäre an der Zeit, über Ziffer
beantragt!) 25 abzustimmen!)
.

-- Ich bitte, mich nicht am Reden zu hindern, Ich rufe Ziffer 2 auf. Hierzu liegen die Abän-
Herr Kollege Renner. Es ist abzustimmen erstens derungsanträge Drucksachen Nr. 665 und 645 vor.
über einen Abänderungsantrag zum Abänderungs- Das Wort hat Herr Abgeordneter Seuffert zur
antrag. Zweitens ist über diesen Abänderungsan- Begründung des Antrags Drucksache Nr. 645.
trag selbst abzustimmen. Es ist namentliche Ab-
stimmung verlangt. Ich glaube, daß sich die na- Seuffert (SPD): Meine Damen und Herren! Der
mentliche Abstimmung auf den Abänderungsan- Antrag Drucksache 665 beruht auf einem Gedan-
Deutscher Bundestag — 45. Sitzung. Bonn, Freitag, den 3. März 1950 1545
(Seuffert)
danken, über den wir uns interfraktionell geeinigt danke ist von den Mitgliedern des Ausschusses
haben, weil wir ihn für logisch und notwendig erst im Laufe dieser Woche aufgenommen wor-
befunden haben, um gewisse Auswirkungen der den. Er wurde gestern zusammen mit den Finanz-
Erhöhung des Pauschbetrags für die Sonderaus- ministern besprochen. Man hat ihn in seinem
gaben bei den Arbeitnehmern abzuwehren. Wir Grundsatz bejaht, und wir haben dann die For-
freuen uns feststellen zu können, daß wir von mulierung gefunden, die sich aus Drucksache Nr.
den Landesfinanzministern gehört haben, daß sie 665 ergibt.
diesem Gedanken keinen Widerstand entgegen-
setzen werden. Meine Fraktion möchte denselben Vizepräsident Dr. Schmid: Das Wort hat der
Gedanken jedoch in anderer Form verwirklichen. Herr Abgeordnete Oellers.
Unser Antrag, den ich verlesen möchte, lautet Dr. Oellers (FDP): Meine Damen und Herren!
hierzu: Ich kann zwar einen Sinn darin erkennen, daß
In § 41 Absatz 1 Ziffer 3 des Einkommen- man diese ganze Materie in eine Ermächtigung
steuergesetzes für die Regierung kleiden will, weil man die Kon-
— das gehört also zu Artikel I Ziffer 22 — sequenzen im Augenblick nicht im vollen Um-
soll nach „Buchstabe c) und d)" im Text eingefügt fange zu übersehen in der Lage ist. Ich kann aber
werden: „sowie als besonders steuerbegünstigt an- mit dem besten Willen keinen Sinn darin sehen,
erkannte Beiträge zu Versicherungen auf den diese Regelung auf nach dem 1. April 1950 neu
Lebens- oder Todesfall und zu Witwen- und abgeschlossene Versicherungen zu begrenzen.
Waisen-, Versorgungs- und Sterbekassen". Wenn wir nämlich damit gerade erreichen wollen,
In Artikel II unseres Gesetzes wäre in Ziffer 2 daß alte Versicherungen aufgelöst werden, dann
Buchstabe f anzufügen: müssen wir so verfahren.
(Sehr richtig! rechts und bei der SPD:)
und besonders steuerbegünstigter Versiche-
rungsbeiträge. Vizepräsident Dr. Schmid: Zu Drucksache Nr.
In § 41 ist für gewisse Kapitalansammlungsver- 645 hat Herr Abgeordneter Dr. Koch das Wort.
träge vorgesehen, daß sie außerhalb des Pausch- Dr. Koch (SPD): Meine Damen und Herren! Ich
betrages für Arbeitnehmer bei der Lohnsteuer be- spreche zu Antrag Drucksache Nr. 645, also zu
rücksichtigt werden. Dasselbe soll nun nach unserm dem gemeinsamen Änderungsantrag der Fraktion
Antrag für diese Lebensversicherungen gelten. des Zentrums und meiner Fraktion. Wir nehmen
Denselben Gedanken bringt die Druck- damit den Änderungsantrag Drucksache Nr. 614
sache Nr. 665 in einer Ermächtigung, die Ziffer 3 wieder auf, der schon in der zweiten Le-
als Buchstabe h in Artikel II Ziffer sung vorgelegen hat. Diesem Antrage liegt eine
eingefügt wird. Der Unterschied zwischen einmütige Entschließung des Wohnungsbauaus-
unserem Antrag und dem Antrag der anderen schusses zugrunde. Wir haben über diese Ent-
Fraktionen ist der, daß wir erstens nach den ge- schließung eingehend in einer gemeinsamen Sit-
machten Erfahrungen etwas Derartiges lieber im zung des Wohnungsbauausschusses und des Aus
Gesetz verankern, statt es nur in eine Ermäch- schusses für Finanz- und Steuerfragen diskutiert
tigung zu stellen, und daß wir zweitens im Au- und waren uns darüber einig, daß der Grundgedanke
genblick nicht übersehen können, ob die Be- der diesem Antrage zugrunde liegt, unter allen
schränkung der Drucksache Nr. 665 auf Neuab- Umständen gefördert werden sollte. Das war die
schlüsse der Versicherungen und andere Be- einmütige Auffassung dieser beiden Ausschüsse.
schränkungen, die darin enthalten sind, wirklich Die Notwendigkeit dieses Antrages liegt recht
denjenigen Anregungen entsprechen, denen nach- eigentlich in dem unglücklichen und unsozialen
zugeben wir alle gewillt waren. Es ist durchaus Aufbau unseres Steuertarifes begründet, der doch
möglich, daß man auf so etwas oder etwas Ähn- dazu führt, daß bei einem kleinen Einkommen
liches in der Rechtsverordnung, die auch wir für — lassen Sie mich einmal ein Beispiel bilden —,
notwendig halten, hinauskommt. Wir vermögen bei dem 500 D-Mark gespart werden, der Staat
aber die Tragweite dieser Abgrenzung im Augen- vielleicht 20 D-Mark Steuererleichterung gewährt,
blick nicht zu übersehen und bitten deshalb, eine während, wenn bei einem großen Einkommen
allgemeinere Form zu wählen. derselbe Betrag gespart wird, vielleicht eine
- Steuererleichterung von 450 D-Mark eintritt. Das
Vizepräsident Dr. Schmid: Das Wort zur Druck- ist keine steuerliche Gerechtigkeit, und mit der
sache Nr. 665 hat der Herr Abgeordnete Neu- kleinen Steuererleichterung können wir nicht die
burger. Beträge für den Wohnungsbau freisetzen, die wir
gern freisetzen wollten. Wir möchten also durch
Neuburger (CDU): Meine sehr verehrten Damen diesen Antrag erreichen, daß den kleinen Ein-
und Herren! Gerade weil wir die Abgrenzung kommensbeziehern und den kleinen Lohnsteuer-
dieser Bestimmungen im Rahmen des Gesamt- pflichtigen für die Beträge, die sie für den Woh-
gesetzes nicht übersehen können, haben wir uns nungsbau sparen, mindestens 25 Prozent von der
entschlossen. diesen Gedanken in Artikel II Zif- Steuer abgesetzt werden. Ober die Notwendigkeit
fer 2 einzufügen, so wie er sich aus der Druck- des Wohnungsbaues brauche ich hier kein Wort
sache Nr. 665 ergibt. Die Regierung soll also mit zu verlieren; das hieße Eulen nach Athen tragen.
Zustimmung des Bundesrates die Ermächtigung Ich bitte, unsern Antrag anzunehmen.
erhalten, die Kleinlebensversicherungen insoweit
zu begünstigen. Wir haben diesen Gedanken be- Vizepräsident Dr. Schmid: Das Wort hat der
wußt auf Neuversicherungen ab 1. April be- Herr Bundesfinanzminister.
schränkt, weil die Regelung als solche einen zu-
sätzlichen Anreiz zur Eingehung von Klein- Schäffer, Bundesminister der Finanzen: Meine
lebensversicherungen geben soll. Der Einbau in Damen und Herren! Ich möchte vor Anträgen, die
das Gesetz würde wie gesagt unter Umständen zu so rasch aus dem Gemüt heraus gestellt werden,
Weiterungen führen, die augenblicklich gesetzes- dringendst warnen.
technisch noch nicht zu übersehen sind. Der Ge- (Sehr gut! bei den Regierungsparteien.)
1546 Deutscher Bundestag — 45. Sitzung. Bonn, Freitag, den 3. März 1950
(Bundesfinanzminister Schiffer)
Es handelt sich hier, wenn ich die Altverträge Dr. Bertram (Z): Dazu wollte ich jetzt sprechen.
einbeziehe, um ungefähr 10 Millionen Fälle. Es Der Antrag auf Drucksache Nr. 645 hat ebenfalls
ist ganz unmöglich, das verwaltungstechnisch zu das Ziel, einen Konsumverzicht dadurch herbei-
bewältigen. Der Ausfall, der hier dann zu er- zuführen, daß den Steuerpflichtigen der unteren
warten wäre, beliefe sich auf etwa 50 bis 60 Mil- Einkommensstufen die Möglichkeit gegeben wird,
lionen D-Mark jährlich. Diese Anträge müssen entsprechende Sparbeträge auf die Steuer anzu-
also überlegt werden. Ich habe heute schon be- rechnen. Da aber nur 25 Prozent angerechnet wer-
tont, daß der Bundesrat bis an die Grenze dessen den, muß der Betreffende ja das Dreifache, das
gegangen ist, was er noch für zulässig hält. Wenn Vierfache dem Kapitalmarkt zur Verfügung stel-
nun in dieser Sitzung immer wieder neue An- len. Das heißt also, wenn wir jetzt sowieso ent-
träge angenommen werden, deren finanzielle sprechende Beträge für den sozialen Wohnungsbau
Wirkung nicht überlegt wird, kann das Gesetz ge- aus den öffentlichen Etats herausnehmen, so wer-
fährdet sein. den wir auf diese Art und Weise keinerlei Steuer-
ausfall erleiden, das heißt wir werden zwar einen
Vizepräsident Dr. Schmid: Das Wort hat der Steuerausfall erleiden, werden ihn aber auf der
Herr Abgeordnete Dr. Bertram. anderen Seite vielfältig wieder hereinbekommen,
weil dieselben Beträge über die Kapitalsammler
Dr. Bertram (Z): Meine Damen und Herren! Die dem Kapitalmarkt und damit dem sozialen Woh-
Gefahren, die der Herr Bundesfinanzminister nungsbau zugeführt werden können.
sieht, sind, wenn wir den Weg der Ermächtigung Ich bitte deshalb, auch diesen Antrag mit
gehen, ja gar nicht vorhanden. Es ist doch so, daß der Ermächtigung jetzt schon anzunehmen. Die
die Regierung eine Ermächtigung bekommt. Und Regierung ist dann in der Lage, rechtzeitig bis
wenn sie diese Ermächtigung bekommt, dann kann zum 1. April diese Verordnung zu erlassen. Wir
sie davon Gebrauch machen, sie muß es aber haben deshalb in der Drucksache Nr. 651 einen
nicht. Wenn Sie also die Gefahren, die der Herr entsprechenden Beschluß des Bundestages vor-
Bundesfinanzminister sieht, vermeiden wollen, bereitet. In der Drucksache Nr. 651 heißt es: ,,Die
dann können wir der Regierung eine entspre- Rechtsverordnung so rechtzeitig zu erlassen, daß
chende Ermächtigung geben, ohne daß weitere Vergünstigung spätestens ab 1. April 1950 den
Gefahren entstehen. Steuerpflichtigen gewährt wird". Ich bitte des-
Diese Ermächtigung hat noch einen weiteren halb, auch diesen Antrag anzunehmen.
Vorteil. Es scheint mir ein grundsätzlicher und rich-
(Bundesminister Schäffer: Das ist ja 665!) tiger Gedanke in beiden Anträgen darin 711 liegen,
— Ich spreche zu den Anträgen Drucksachen Nr. daß der Konsumverzicht hier auf dem Wege über
665 und 645. Wenn wir die Bestimmung des die Anrechnung des Kapitalanteils, auf den ver-
Antrags Nr. 665 aber auf die Verträge nach dem zichtet wird, auf die Steuer angerechnet werden
1. April beschränken, dann sollen wir uns doch kann.
wohl darüber klar sein. daß die Versicherungs-
gesellschaften auf allerschnellstem Wege formu- Vizepräsident Dr. Schmid: Das Wort hat der
larmäßig die bisherigen Verträge auflösen, kapi- Herr Abgeordnete Meyer (Bremen).
talisieren und neue Verträge abschließen. Man
kann sich nicht gut vorstellen. daß die Versiche- Meyer (Bremen) (SPD): Herr Präsident! Meine
rungsgesellschaften diesen Weg nicht ohne wei- Damen und Herren! Der Herr Bundesfinanz-
teres gehen würden. Wir rufen nur unnötige minister hat gegenüber dem Antrag des Zentrums
Schreibarbeit hervor. und meiner Fraktion auf Drucksache Nr. 645 hier
Aber ein Gesichtspunkt scheint mir noch wichtig leider wieder die gleichen Ausführunge n. machen
zu sein. Wenn wir diese Verträge begünstigen, zu müssen geglaubt. wie er sie bereits im Aus-
dann wollen wir ja — und das war die einmültige schuß gemacht hat und wie wir sie ihm über-
Meinung auch im Ausschuß — von den Versiche- zeugend widerlegt haben. '

rungsgesellschaften noch etwas haben. nämlich die (Hört! Hört! hei der SPD. — Na! Na!
Zusicherung, daß sie ein entsprechendes Viel- bei den Regierungsparteien.)
faches der gesparten Kleinlebensversicherungs- Es ist bereits in der Generaldebatte zur dritten
beträge und Kapitalsummen, für den sozialen Lesung hinreichend zum Ausdruck gekommen daß
Wohnungsbau zu Verfügung stellen. Diese Zu- die ganze Vorlage sehr erheblich unter der Phan-
sicherung kann erst i m. Wege der Verhandlung, tasielosigkeit leidet. die im Bundesfinanzministe-
bevor die Rechtsverordnung erlassen wird, von rium bei ihrer Gestaltung zweifellos geherrscht
seiten der Regierung erzielt werden. Es ist deshalb hat.
erforderlich. daß der Antrag Drucksache Nr. 665,
der eine Ermächtigung vorsieht, angenommen (Widerspruch bei den Regierungsparteien. —

wird. Sehr gut! bei der SPD.)


Aber ich würde bitten und stelle das hiermit In den gemeinsamen Beratungen, die noch in
als Abänderungsantrag, daß die Worte „nach dem der Vorwoche im Finanzausschuß und im Wieder-
1. April 1950" aus der Ermächtigung heraus- aufbau- und Wohnungsausschuß stattgefunden
gestrichen werden. haben, ist sowohl von dem Herrn Kollegen Dr.
Bertram wie auch von dem Herrn Kollegen Kla-
Vizepräsident Dr. Schmid: Wie lautet Ihr An- bunde und mir eine Reihe von Vorschlägen unter-
trag genau? breitet worden, wie man. ohne diese unheilvolle
Systematik des Lohnsteuersvstems zu durch-
Dr. Bertram (Z) : Aus dem Antrag Drucksache brechen, dem kleinen Sparer wenigstens einen be-
Nr. 665 zu streichen „ab 1. April 1950 neu ab- scheidenen Teil der Steuervergünstigungen zu-
geschlossenen". wenden könnte. die in so reichem Maß den übri-
gen veranlagungspflichtigen Steuerpflichtigen zu-
Vizepräsident Dr. Schmid: Und was ist mit teil werden sollen. Es ist insonderheit von dem
Ihrem Antrag Drucksache Nr. 645? Abgeordneten Klabunde in einer eingehenden
Deutscher Bundestag — 45. Sitzung. Bonn, Freitag, den 3. März 1950 154 7
(Meyer, Bremen)
Rechnung, die ich hier nicht wiederholen will, könnte man die Dinge in etwa noch so erklären, daß
weil sie im einzelnen den Beteiligten genügend man damit einen sozialen Zweck verfolge. Aber
bekanntgeworden ist, dargelegt, daß bei dieser das ist ja nicht der Fall. Hier wird unbegrenzt
Steuervergünstigung, wenn man sehr weit gehen demjenigen, der Geld hat, über den Weg des Ab-
will und damit rechnen müßte, daß etwa 200 Mil- schlusses einer derartigen Versicherung die Mög-
lionen D-Mark aus den Einkommen der kleinen lichkeit eröffnet, zu Steuervergünstigungen zu
Einkommensträger steuerbegünstigt würden, im kommen. Das steckt dahinter! Dieser Antrag
höchsten Falle 38 Millionen D-Mark an Lohn- kommt also nicht etwa aus einem Bemühen der
steuern ausfallen könnten. Da ja aber mit den Herren, die ihn unterschrieben haben — der Herr
200 Millionen D-Mark irgendetwas angefangen Versicherungssachverständige von der FDP hat
wird und sie weder in den Rhein noch sonst uns gleich klargemacht, was damit beabsichtigt
irgendwie weggeworfen werden, müßten sie dazu ist —, besonders sozial zu verfahren, sondern
dienen, neue steuerpflichtige Vorgänge zu schaf- hier wird ein klar umrissener und klar erkenn-
fen, die neue Einkommen bilden und die neuer barer Zweck verfolgt.
Veranlagung zugänglich wären. (Zuruf des Abgeordneten Dr. Oellers.)
Ich glaube, daß nicht nur das Prinzip der — Ja, ich meine Sie, Herr Kollege! Gegen diesen
steuerlichen Gerechtigkeit hier die letzte Möglich- Zweck muß man sich wenden, weil das, was in
keit bietet, bei breiten Schichten der Bevölkerung diesem Antrage verlangt wird, nur eine Sonder-
den Eindruck wenigstens zu erwecken, daß man vergünstigung für Reiche ist, nicht für Arme, die
an dieser Stelle denen, die ein besonderes Opfer sowieso nicht in der Lage sind, derartige Versiche-
bringen wollen, indem sie Beträge für bestimmte rungsverträge abzuschließen.
Zwecke ersparen, ein wenig entgegenkommen
will. Ich bitte Sie deshalb, dem Antrag Nr. 645 Vizepräsident Dr. Schmid: Das Wort hat der
zuzustimmen. Wir glauben, daß all die Gründe, Herr Abgeordnete Dr. Wellhausen.
die in bezug auf die Systematik und von der
steuerorganisatorischen Seite vorgebracht werden, Dr. Wellhausen (FDP): Meine Damen und Her-
keineswegs durchschlagen, daß vielmehr die Büro- ren, die Diskussion wird über zwei Angelegen-
kratie uns dann. wenn der Antrag angenommen heiten geführt, die nichts miteinander zu tun
wird, sehr schnell beweisen wird, wie man ihn am haben.
besten durchführen kann.
Ich spreche zunächst zu dem Antrag Druck-
(Beifall bei der SPD.) sache Nr. 645. Er bezieht sich auf eine Frage, die
den Wohnungsbau angeht. Wir haben in der
Vizepräsident Dr. Schmid: Das Wort hat der zweiten Lesung beschlossen, daß diese Angelegen-
Abgeordnete Renner. heit als ein Sonderantrag aufgenommen werden
solle. Damit war der damalige Antragsteller Dr.
Renner (KPD): Herr Präsident! Meine Damen Bertram einverstanden. Der Antrag ist dem Fi-
und Herren! Ich spreche zu dem Antrag Druck- nanzausschuß überwiesen worden und wird dort
sache Nr. 665. Dieser Antrag läuft unserer Über- bereits behandelt. Er wird erscheinen — oder
zeugung nach auf folgendes hinaus: den Personen, auch nicht erscheinen, je nachdem, ob er an-
die heute noch in der Lage sind. eine Versiche- genommen, abgelehnt oder verändert wird — im
rung auf den Erlebens- oder Todesfall oder an- Wohnungsbaugesetz oder in einer Novelle zum
dere Versicherungen abzuschließen, eine zusätz- Einkommensteuergesetz, die gleichzeitig mit dem
liche weitere steuerliche Sondervergünstigung zu Wohnungsbaugesetz erlassen wird. Nach Ansicht
gewähren. Wenn man sich an die Erfahrungen er- meiner Freunde ist damit jede Gewähr dafür ge-
innert, die die Versicherten bei der Währungs- boten. daß der Grundgedanke, der in diesem An-
reform gemacht haben, wird einem der Zweck trag niedergelegt ist und von der Mehrheit, ich
dieses Antrages absolut klar. Wie war es damals? glaube, von einer großen Mehrheit dieses Hauses
Die alten Versicherungsverträge sind hinfällig gebilligt wird. im Wohnungsbaugesetz oder in
geworden. Die Vertreter der privaten Versiche- einer gleichzeitig zu erlassenden Nove ll e zum
rungsgesellschaften kamen und fragten, ob man Einkommensteuergesetz seine Verwirklichung
bereit sei, auf neuen Vertrag hin eine neue Ver- findet. Meine Freunde sehen daher für einen An-
sicherung einzugehen. Dann kam eine gewisse trag wie den in Drucksache Nr. 645 zur Zeit
Aufwertung. und dann wurden die Inhaber dieser keinen Raum.
alten Versicherungspolicen mit einem Apfel und Ich komme zu Drucksache Nr. 665. Durch die
einem Ei abgefunden. oder sie standen vor der Äußerungen meines Fraktionsfreundes Oellers ist
Frage, ob sie die erhöhten Prämien in neuer Wäh- eine Frage aufgeworfen, die in diesem Augen-
rung bezahlen wollten. Dazu waren sie in der blick in diesem Hause nicht geklärt werden kann.
Regel nicht in der Lage, so daß also diese alten Dadurch gewinnt die Frage, ob wir eine Gesetzes-
Versicherungsverträge zum größten Teil zum änderung vornehmen oder über Artikel II der Re-
Schaden der kleinen Versicherten aufgelöst wor- gierung eine Ermächtigung geben wollen, eine
den sind. verstärkte Bedeutung. Infolgedessen sind meine
Nun dieser neue Antrag. Er gibt demjenigen, Freunde dafür, bei dieser Art der Behandlung
der Geld hat. uneingeschränkt die Möglichkeit, dieses Gegenstandes zu verbleiben, das heißt,
neue steuerbegünstigte Versicherungsverträge ab- nicht das Gesetz zu ändern, sondern der Regie-
zuschließen. Es ist Tatsache, daß heute die Ar- rung eine Ermächtigung zu geben. Sie sind aber
beiter, die Angestellten und Beamten, von ver- auf Grund der Frage meines Parteifreundes Oel-
schwindenden Ausnahmen abgesehen, überhaupt lers der Meinung, daß es nicht richtig wäre, die
nicht mehr in der Lane sind, derartige neue Le- Regierung nun auf das Datum des 1. April 1950
bensversicherungsverträge einzugehen, weil ihnen als den Stichtag der abgeschlossenen Verträge
das Geld fehlt, die Prämien zu zahlen. Stände in festzulegen. Ob die Regierung letzten Endes dar-
diesem Antrag noch ein Höchstbetrag, wäre an- auf abkommt, können wir heute nicht beurteilen
gegeben, bis zu welcher Höchstgrenze diese Ver- und werden wir ja dann noch zu beraten haben.
günstigungen eingeräumt werden können, dann Um aber der Regierung volle Freiheit zu geben,
1548 Deutscher Bu ndestag — 45. Sitzung. Bonn, Freitag, den 3. März 1950
(Dr. Wellhausen)
ihre Verordnung im Einvernehmen mit dem Bun- diese Sitzung erst nach der Schlußabstimmung
desrat so oder so zu erlassen, steile ich für meine abgestimmt werden soll. Das ist im übrigen nach
Freunde den Antrag, in Drucksache Nr. 665 die der Geschäftsordnung so auch notwendig.
Worte „ab 1. April 1950 neu abgeschlossenen" zu Ich lasse also abstimmen über den Streichungs-
streichen. antrag zu Drucksache Nr. 665. Die Worte „ab 1.
(Abg. Renner: Und der Höchstbetrag?) April 1950 neu abgeschlossenen" sollen nach dem
Antrag Dr. Bertram, Dr. Wellhausen gestrichen
Vizepräsident Dr. Schmid: Das Wort hat der werden. Wer für die Streichung ist, den bitte ich,
Herr Abgeordnete Seuffert. die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Die
Streichung ist beschlossen.
Seuffert (SPD): Meine Damen und Herren!
Nachdem die Antragsteller zu Drucksache Nr. 665 Nun lasse ich abstimmen über den Antrag
den Abänderungsantrag des Zentrums akzeptiert Drucksache Nr. 665 in der durch die eben er-
haben und damit der Hauptpunkt, auf den es uns folgte Abstimmung festgestellten Fassung. Wer
dafür ist. den bitte ich, die Hand zu erheben. —
ankam, erledigt ist, ziehen wir den von mir vor- Gegenprobe! — Angenommen. Mit dieser Ände
hin verlesenen Antrag zu Artikel I Ziffer 22 zu- rung ist die Ziffer 2 angenommen.
gunsten des Antrags Drucksache Nr. 665 in der
abgeänderten Form zurück. Ziffer 3! Kein Abänderungsantrag. — An-
genommen.
Vizepräsident Dr. Schmid: Verzeihung! Des An- Ziffer 22 des Artikel I war zurückgestellt wor-
trags vom 3. März, Drucksache Nr. 665? den. Ich rufe diese Ziffer auf. — Wortmeldungen
liegen nicht vor, Abänderungsanträge auch nicht;
Seuffert (SPD): Jawohl, zugunsten der Druck- dann ist auch diese Ziffer angenommen.
sache Nr. 665 in der abgeänderten Form.
Artikel III, Ziffer 1! Kein Antrag. — An-
Zur Drucksache Nr. 645! Meine Damen und genommen.
Herren, wir haben uns außerordentlich gefreut,
bestätigt zu erhalten, daß die Grundsätze, die hier Ziffer 2! Kein Antrag. — Angenommen.
niedergelegt worden sind, eine breite Mehrheit Zu Ziffer 3 ist mir soeben ein Antrag Neu-
im Hause finden werden. Wir Antragsteller legen burger und Fraktion überreicht worden, der lautet
allerdings auf die Drucksache Nr. 651 insofern —ichofe,daßslnk—:
Wert, als wir es nach gemachten Erfahrungen und In Ziffer 3 erhält der letzte Halbsatz des
im Hinblick auf die nahe Bausaison für notwen- Satzes 2 folgende Fassung:
dig halten, einen Termin festzulegen. Ob die An- entsprechend dem Verhältnis der gesamten im
gelegenheit nun hier oder durch eine Rechtsver- Wirtschaftsjahr erzielten und auf das jewei-
ordnung oder im Wohnungsbaugesetz geregelt wird, lige Kalenderjahr entfallenden Umsätze auf-
ist weniger wichtig. Wenn die breite Mehrheit, auf zuteilen.
die Herr Kollege Dr. Wellhausen soeben Bezug
genommen hat, auch hierin mit uns einig ist, gebe Das Wort zur Begründung des Antrags hat
ich anheim, einen Abänderungsantrag zu Druck- Herr Abgeordneter Neuburger.
sache Nr. 651 in der Form zu stellen. daß eine
Vergünstigung im Sinne des Antrags Drucksache Neuburger (CDU): Wir haben die gleiche .

Nr. 645 bis 1. April 1950 sichergestellt werden Bestimmung in das Einkommensteuergesetz auf-
muß, und zwar in der einen oder anderen Form. genommen. Im Interesse der Angleichung des
Je nachdem würden wir bereit sein, einem solchen Körperschaftssteuergesetzes müssen wir diese Be-
Antrag zuzustimmen. stimmung hinzufügen. Es handelt sich also im
wesentlichen um eine gesetzestechnische Ergän-
Vizepräsident Dr. Schmid: Weitere Wortmel- zung.
dungen liegen nicht vor. Zur Abstimmung stehen
noch zwei Abänderungs- bzw. Zusatzanträge zu Vizepräsident Dr. Schmid: Weitere Wortmel-
den Drucksachen Nr. 645 und 665. Am weitesten dungen liegen nicht vor. Ich lasse über diesen
geht von diesen Grundanträgen der Antrag Antrag abstimmen. Wer dafür ist, den bitte ich,
Drucksache Nr. 645. Ich lasse über diesen Antrag die Hand zu erheben. — Ich bitte um die Gegen-
zuerst abstimmen. Zuvor noch ein kurzer Hin- - probe. — Der Antrag ist angenommen. Ziffer 3
weis: es liegt in dieser Drucksache ein Schreib- ist mit diesem Zusatz angenommen.
fehler vor. Die Zeile nach b) „sofern die folgen- Zu Ziffer 4 liegt kein Antrag vor. — An-
den Voraussetzungen gegeben sind" muß nach genommen.
links ausgerückt werden. Sofern das nicht ge- Zu Ziffer 5 liegt ein weiterer Antrag Neuburger
schieht, ist der Text sinnstörend. — Wer für den vor: In Ziffer 5 Buchstabe a erhält der vorletzte
Antrag Drucksache Nr. 645 ist, den bitte ich, die Halbsatz folgende Fassung:
Handzuerhb.—Ggpo!Letzrsi
die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt. der sich aus den im Kalenderjahr getätigten
Aufwendungen für Löhne und Gehälter und
. Dann lasse ich abstimmen über den Abände- dem steuerbaren Umsatz zusammensetzt.
rungsantrag zu Drucksache Nr. 665, nämlich die
Worte „ab 1. April 1950 — — Das Wort hat der Herr Abgeordnete Neuburger
zur Begründung.
(Abg. Neuburger: Zur Geschäftsordnung!)
— Das Wort zur Geschäftsordnung hat Herr Ab- Neuburger (CDU): Es handelt sich gleichfalls
geordneter Neuburger. nur um eine gesetzestechnische Ergänzung.
Neuburger (CDU): Ich möchte bitten, jetzt über
den Antrag Drucksache Nr. 651 abzustimmen, Vizepräsident Dr. Schmid: Wer für diesen Ab-
weil 651 zu 645 gehört. änderungsantrag ist, den bitte ich, die Hand zu
erheben. — Gegenprobe. — Angenommen. Ziffer
Vizepräsident Dr. Schmid: Das ist eine Ent- 5 ist in dieser Fassung litera a und litera b ohne
schließung, über die nach dem Programm für weitere Anträge angenommen.
Deutscher Bundestag — 45. Sitzung. Bonn, Freitag, den 3. März 1950 1549
(Vizepräsident Dr. Schmid)
) Ziffer 6 keine Anträge. — Angenommen. und Werbungskosten, die mit 26 D-Mark monat-
lich im Jahre 1938 festgesetzt worden waren, ent-
Ziffer 7 keine Anträge. — Angenommen. sprechend dem gestiegenen Preisniveau auf 39 D-
Ziffer 8 keine Anträge. — Angenommen. Mark monatlich erhöht werden sollen, und zwar
Artikel IV im ganzen keine Anträge. — An die Sonderausgaben sowohl wie die Werbungs-
genommen. kosten. Der Ausschuß hat nach langem Kampf und
Artikel V keine Anträge. — Angenommen. nachlgeBrtudiEhöngfüre
Zur Anlage ist Antrag Drucksache Nr. 640 Sonderausgaben von 26 D-Mark auf 39 D-Mark
schon erledigt. Wird das Wort zur Begründung anerkannt. Die gleichen Gründe sprechen aber
des Antrages Drucksache Nr. 664 Ziffer 2 a ge- auch für die Werbungskosten.
wünscht? — Herr Abgeordneter Loritz, es wird Ich bitte Sie deshalb, dem Antrag Drucksache
mir mitgeteilt, Sie hätten den Antrag schon be- Nr. 608 Ziffer 5 zuzustimmen.
gründet. Es besteht also keine zwingende Not- Vizepräsident Dr. Schmid: Weitere Wortmel
wendigkeit. Bitte, Herr Abgeordneter Loritz. dungen liegen nicht mehr vor. Ich schließe die
Loritz (WAV): Ich möchte zur Begründung Aussprache.
noch kurz folgendes sagen: Ich habe heute Ich lasse abstimmen. Von diesen beiden An-
eingangs bereits erwähnt, daß wir hier die trägen geht der Antrag der KPD-Fraktion,
Sätze der Grundtabelle unter allen Umständen Drucksache Nr. 616 Ziffer 5. am weitesten. Ich
gegenüber den ursprünglich in dem Entwurf vor- lasse dann zunächst über diesen Antrag abstim-
gesehenen Sätzen ermäßigen müssen, und ich men. Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand zu
halte meinen Antrag auch nach den Ausführungen erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das
der Gegenredner zu dem ganzen Entwurf auf- ist die Mehrheit. Der Antrag ist abgelehnt.
recht. Ich bitte Sie dringend, sich für diesen An- Dann lasse ich abstimmen über den Antrag
trag erwärmen zu wollen und auf diese Art und Drucksache Nr. 608 Ziffer 5, und zwar mit Aus-
Weise dafür zu sorgen, daß für die Mittelstands- nahme der beiden letzten Zeilen, die zu Ziffer 4
schichten und die arbeitenden Schichten eine weit- gehören. Der Antrag, über den jetzt abgestimmt
gehende Ermäßigung der Steuersätze eintreten wird, schließt mit den Worten: „Steuerklassen II
kann. und III bleiben steuerfrei". Wer dafür ist, den
Vizepräsident Dr. Schmid: Keine weiteren Wort- bitte ich, die Hand zu erheben. — Ich bitte um die
Gegenprobe. Das ist zweifelsfrei die Mehrheit.
meldungen. Der Antrag ist abgelehnt. Damit ist Ziffer 2 nach
(Zuruf des Abg. Dr. Bertram.) der Vorlage angenommen.
— Das kommt zu Ziffer 2; aufgerufen- ist die Ziffer 3. Kein Änderungsantrag; angenommen.
Ziffer 1. Zu Ziffer 4 liegt ein Abänderungsantrag vor
Wer für den Antrag Drucksache Nr. 664 Ziffer auf Drucksache Nr. 608 Ziffer 5:
2 a ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Ich In Ziffer 4 wird der Betrag von ..780.— D-
o bitte um die Gegenprobe. — Das ist die Mehrheit. Mark" gestrichen und dafür der Betrag von
Der Antrag ist abgelehnt; Ziffer 1 der Grund- „936,— D-Mark" eingesetzt.
tabelle A ist angenommen. Wer für diesen Abänderungsantrag ist. den bitte
Ziffer 2: Hier sind Drucksache Nr. 616 Ziffer 5 ich, die Hand zu erheben. — Ich bitte um die
und Drucksache Nr. 608 Ziffer 5 zu berücksich- Gegenprobe. — Das ist die Mehrheit; der Antrag
tigen. Wird zur Begründung das Wort gewünscht? ist abgelehnt. Damit ist Ziffer 4 in der Fassung der
(Abg. Renner: Ist schon begründet!) Vorlage angenommen.
- Ist schon begründet! Wir kommen zur Ab Tabelle B. Hierzu liegt ein Abänderungsantrag
stimmung, zunächst über Drucksache Nr. 616 Zif- auf Drucksache Nr. 664 Ziffer 2 b vor. Herr Ab-
fer 5. geordneter Loritz, wollen Sie diesen Antrag be-
(Abg. Dr. Bertram: Zur Geschäftsordnung!) gründen?
— Wir sind in der Abstimmung. (Abg. Loritz: Er ist schon begründet!)
(Abg. Dr. Bertram: Ich hatte mich — Ich danke schön.
schon vorhin gemeldet!) Wer für den Abänderungsantrag auf Druck-
— Ach ja, Herr Abgeordneter Dr. Bertram wurde - sache Nr. 664 Ziffer 2 b ist, den bitte ich, die Hand
von mir vertröstet. Ich habe ihn beim zweiten zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. —
Mal übersehen. Das Wort hat Herr Abgeordneter Das letzte ist die Mehrheit; der Antrag ist ab-
Dr. Bertram. gelehnt. Dann ist die Tabelle B ohne weitere An-
träge angenommen.
Dr. Bertram (Z) Meine Damen und Herren! Ich lasse nunmehr abstimmen fiber Einleitung
Ich kann mich kurz fassen. Aber es ist ein und Überschrift. Wer dafür ist. den bitte ich. die
so wichtiger Punkt, daß ich an Sie doch Hand zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe.
kurz appellieren möchte. Wir haben heute nach- — Angenommen.
mittag in der ersten Phase unserer allgemeinen Wir kommen nunmehr zur Schlußabstimmung.
Beratung über die Frage des Freibetrages prinzi- Wer für die Annahme des Gesetzes in der be-
piell ja schon gesprochen. Hier handelt es sich schlossenen Fassung ist. den bitte ich, die Hand
darum, daß der Freibetrag wenigstens von 750 auf uzerhbn.—IcitumdeGgnprob.
1000 D-Mark erhöht werden soll. Das würde eine Das erste war die Mehrheit. Das Gesetz ist be-
ganz wesentliche Verbesserung in dem Sinne sein, schlossen.
in dem ich heute nachmittag bereits zu Ihnen
sprechen durfte. Ferner haben wir beantragt (Bravo! rechts und in der Mitte.)
— und ich möchte damit gleichzeitig zum zweiten Nunmehr kommen wir zur Entschließung auf
Punkt sprechen —, daß in Ziffer 4 der Betrag Drucksache Nr. 651. Ich brauche sie wohl nicht
von 624 D-Mark — das ist ein Druckfehler; es zu verlesen.
muß 780 D-Mark heißen — auf 936 D-Mark er- (Zuruf.)
höht wird. Das bedeutet, daß die Sonderausgaben - Das Wort hat Herr Abgeordneter Seuffert.
1550 Deutscher Bundestag — 45. Sitzung. Bonn. Freitag, den 3. März 1950

Seuffert (SPD): Nachdem der hier zitierte Buch- wurden im Jahre 1932 in Madrid und zuletzt im I
stabe h im Artikel II nicht angenommen worden Jahre 1938 in Kairo abgeschlossen. Nun haben
ist, fällt die Entschließung weg. nach dem Zusammenbruch und nach der Kapitu-
lation 1945 erneute Zusammenkünfte aller Re-
Vizepräsident Dr. Schmid: Dann ziehen Sie den gierungen, die an der Weltnachrichtenkonferenz
Antrag zurück? beteiligt sind, stattgefunden. Es kam 1947 in
(Abg. Seuffert: Ja!) Atlantik-City zu der Weltnachrichtenkonferenz,
— Sie haben den Antrag zurückgezogen, Herr die auch für unser Geschick mitbestimmend war.
Abgeordneter Seuffert? Außer diesen großen Weltnachrichtenkonferen-
(Abg. Seuffert: Jawohl!) zen, an denen a 11e Regierungen der Welt mit
Nunmehr haben wir abzustimmen über Druck- beteiligt sind, gibt es noch regionale Konferen-
sache Nr. 566 Ziffer 2 bis 4 auf Seite 1 der Druck- zen, bei denen die einzelnen Regionen sich zu-
sache. Es handelt sich um den Mündlichen Be- sammenfinden. Eine solche regionale Konferenz,
richt des Ausschusses. Über Ziffer 1 haben wir die vor allen Dingen für Europa entscheidend ist,
abgestimmt. Über 2, 3 und 4 haben wir jetzt hat 1948 in Kopenhagen stattgefunden. Auf dieser
noch abzustimmen. Ich glaube, wir können hier- Kopenhagener Wellenkonferenz ist es nun zu Be-
über en bloc abstimmen. Ich brauche also nicht schlüssen gekommen, die tief einschneidend für
ziffernweise abstimmen zu lassen. — Wer für jeden Deutschen sind, der Radio hört, der einen
diese Anträge auf Drucksache Nr. 566 unter 2, 3 Radioapparat besitzt und der mit teilnimmt an
und 4 ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — dem großen Geschehen, das ihm jeden Tag durch
Ich bitte um die Gegenprobe. — Das erstere war den Äther vermittelt wird. Auf der Kopenhagener
die Mehrheit. Konferenz haben grundlegende Verschiebungen
Damit ist dieser Punkt der Tagesordnung er- stattgefunden. Es ist hier zu einem Vorgang ge-
ledigt. kommen, der mit Recht in der deutschen Ö ffent-
lichkeit als eine „Demontage der deutschen
Ich rufe auf Ziffer 2 der Tagesordnung: Wellen" bezeichnet worden ist.
Interpellation der Abgeordneten Dr. Vogel, (Sehr richtig!)
Olenhaur,MdGosenbtr. Wir haben von den 18 Wellen, die wir vorher
Kopenhagener-Wellenplan (Drucksache Nr. hatten, insgesamt nur 8 Wellen in allen 4 Zonen
611). behalten.
Das Wort zur Begründung hat der Herr Abgeord- (Hört! Hört!)
nete Dr. Vogel. Davon entfallen nun 6 Wellen auf die 3 West-
zonen. Nebenbei bemerkt sind gerade die besten
Dr. Vogel (CDU), Interpellant: Herr Präsident! Wellen demontiert worden, und man hat uns nur
Meine Damen und Herren! Das Thema, zu dem Wellen zugewiesen, die zum allergrößten Teil
ich hier zu sprechen habe. ist ein Thema, das das nicht uns allein gehören, sondern auf denen wir
ganze deutsche Volk angeht und das wohl bean- mit anderen gleichzeitig senden müssen, das heißt
spruchen darf, die Aufmerksamkeit des ganzen also Wellen, die keineswegs vor Störungen sicher
Hauses auf sich zu lenken. sein werden.
(Unruhe. — Glocke des Präsidenten.)
(Abg: Rische: Da können wir ja gleich
die Stimme Amerikas hören!)
Vizepräsident Dr. Schmid: Meine Damen und
Herren! Ich bitte. Platz zu nehmen und womög- Ich darf Ihnen hier gleich noch eine kurze Sta-
lich den Saal nicht zu verlassen. Fs handelt sich tistik vorlesen, die das noch näher erläutert. Wir
um eine Angelegenheit von erheblicher Bedeu- haben als Ergebnis der Konferenz von Kopen-
tung. hagen die Tatsache zu verzeichnen, daß England
über 14 Kurz-, Mittel- und lange Wellen, Frank-
Dr. Vogel (CDU), Interpellant: Es gibt kaum reich sogar über 19 Wellen, Italien über 11, West-
eine deutsche Familie, die nicht einen Radio- deutschland aber nur über insgesamt 6 bei un-
apparat besitzt und die nicht dem 15. März als gefähr gleicher Bevölkerungsziffer verfügen
dem Tage des Inkrafttretens des Kopenhagener - werden.
Wellenplans mit großer Spannung und mit ebenso (Hört! Hört!)
großer Besorgnis entgegensieht. Eine Fülle von Insgesamt ist es heute so, daß die Weststaaten
Gerüchten über das Zustandekommen dieses über 98 Wellen und die Sowjetunion, der Ostblock
Planes und über sein Inkrafttreten ist inzwischen und die sowjetische Besatzungszone insgesamt
auf das deutsche Volk herniedergeprasselt. Wir über 91 Wellen verfügen werden. Es hat also hier
haben in den letzten Monaten wiederholt von eine sehr, sehr große Verschiebung innerhalb des
autoritativer Seite einmal gehört, daß der Plan Rundfunks stattgefunden, die bei der Macht, die
in Kraft treten solle. und das andere Mal wieder nun einmal mit Radiosendungen verknüpft sein
daß er nicht in Kraft treten solle. Es ist infolge- kann, von ausschlaggebender Bedeutung auch für
dessen an uns, an die Regierung die Anfrage zu uns in der Zukunft sein wird.
richten, ob sie in der Lage ist, diese Unsicherheit Nun erhebt sich naturgemäß für uns die Frage:
zu beseitigen oder nicht.
War Deutschland überhaupt auf dieser Kopen-
Worum geht es nun beim Kopenhagener Wel- hagener Konferenz vertreten? Damit komme ich
lenplan und was ist eigentlich das Anliegen dieser auf ein außerordentlich schwieriges außenpoli-
Interpellation? Der erste Funktelegrafenvertrag tisches Kapitel zu sprechen.
wurde 1906 in Berlin; nachdem die Erfindung der
Funkentelegrafie sich die Welt erobert hatte, ab- (Abg. Schoettle: Wo ist denn eigentlich die
geschlossen. Es fanden weitere Vertragsabschlüsse Regierung bei dieser wichtigen Frage? Es
im Jahre 1912 in London und schließlich im - Jahre ist höchst bedauerlich, daß auch der letzte
1927 in Washington statt. Die letzten derartigen Minister weggegangen ist! — Glocke des
Verträge, an denen Deutschland beteiligt war, Präsidenten.)
Deutscher Bundestag — 45. Sitzung. Bonn, Freitag, den 3. März 1950 1551

Vizepräsident Dr. Schmid: Herr Abgeordneter Ich glaube, daß dies durchaus zutreffend ist. Wir
Schoettle, Sie können sich ja zur Geschäftsord- stehen heute vor der Tatsache, daß zwar der Sen-
nung melden. der Leipzig in der ganzen Westzone hörbar ist,
(Abg. Schoettle: Das sollte nur ein Zwischen daß aber umgekehrt keine deutsche Station in den
ruf sein! — Abg. Renner: Sie hören die Westzonen die Möglichkeit hat, in nennenswerter
Stimme Amerikas. Das genügt ja vollkommen! Weise in die Ostzone auszustrahlen. Wir stehen
— Zuruf: Zwei oder drei sind ja da!) ferner vor der Tatsache, daß eine ganze Zahl von
Kreisen längs der Ostzone heute keine Sender der
Dr. Vogel (CDU/CSU): Meine sehr geehrten Westzone hören können, sondern lediglich Mel-
Damen und Herren! Der größte Teil der Autori- dungen und Nachrichten aus der Ostzone erhalten.
täten auf dem Gebiete des internationalen Rechts
und vor allen Dingen die Majorität auch der deut- (Zustimmung.)
schen Rechtswissenschaftler sind der Überzeugung, Wir können also nicht davon sprechen, daß dem
daß die Alliierten nach der Kapitulation Deutsch- berechtigten Anspruch dieser Kreise auf Rund-
lands gegenüber Deutschland die Pflichten eines funkversorgung aus den Sendern der Westzone
Vormundes gegenüber seinem Mündel übernom- irgendwie Genüge getan worden ist. Wir haben
men haben. auch keine Sendemöglichkeiten nach der Ostzone
(Abg. Rische: Das wollen sie ja jetzt erhalten.
endgültig machen!) Nun sind uns als Ausweg zwei Vorschläge ge-
Wenn infolgedessen nach der russischen These macht worden. Es wird gesprochen von den Ver-
nur der Kontrollrat als die Vereinigung dieser wendungsmöglichkeiten der Ultra-Kurzwelle und
vier Mächte und als der eigentliche Souverän zweitens von der Möglichkeit des Drahtfunks. Ich
Deutschlands zuständig war und der Kontrollrat möchte mich nicht mit dem Drahtfunk befassen,
als solcher sich an der Kopenhagener Konferenz weil seine Verwendungsmöglichkeit ziemlich
nicht beteiligte, dann war es zum mindesten die beschränkt, vielleicht sogar ausgeschlossen er-
Pflicht jeder einzelnen Besatzungsmacht, auf die- scheint. Ich möchte mich mit den Möglichkeiten
ser Konferenz für eine entsprechende Vertretung der Ultra-Kurzwelle befassen und zunächst fol-
der ihrer Souveränität unterstellten Zone Sorge gendes bemerken. Wenn es zum Inkrafttreten des
zu tragen. Kopenhagener Wellenplans käme und wir infolge-
.War dies nun der Fall oder nicht? Wir müssen dessen in weiten Teilen vor allen Dingen des
an Hand der Dokumente, die uns über die Kopen- Südens von Deutschland, um störungsfreie Sen-
hagener Konferenz nicht direkt übermittelt wor- dungen zu erhalten, dazu übergehen müßten, die
den sind, sondern die wir nur durch freundliche Ultra-Kurzwelle zu benutzen, dann würde das be-
Vermittlung einzelner Besatzungsmächte über- deuten, daß wir eine ganz große Anzahl von
haupt einsehen konnten, feststellen, daß keine der neuen Ultra-Kurzwellensendern errichten müß-
vier Besatzungsmächte auf der Kopenhagener ten. In Württemberg-Baden zum Beispiel brauch-
Konferenz vertreten war. ten wir allein 18 derartige neue Sender, und jeder
(Hört! Hört!) dieser Sender würde ungefähr 250 000 D-Mark
kosten. Insgesamt würden wir einen Bedarf von
Das heißt also, daß die Pflichten des Vormundes über 28 Millionen allein für neue Sendestationen
gegenüber dem Mündel Deutschland nicht erfüllt haben, und zum Empfang der Ultra-Kurzwelle
worden sind. würde der größte Teil der deutschen Empfangs-
(Erneute Rufe: Hört! Hört!) geräte-Besitzer neue Vorsatzgeräte brauchen, die
Denn wir stehen doch wohl alle gemeinsam auf heute zwischen 60 und 140 D-Mark kosten. Dar-
dem Standpunkt, daß ein Vormund nicht nur aus ergeben sich ganz enorme Summen, die von
Rechte, sondern auch Pflichten gegenüber seinem Fachleuten auf 300 bis 400 Millionen D -Mark ge-
Mündel hat. schätzt werden.
(Sehr richtig!) (Hört! Hört!)
Es ist also dazu gekommen, daß sich überhaupt Ich habe gerade in den letzten Tagen von einer
-
keine Stimme zu Gunsten dieses 66-Millionen außerordentlichen, und zwar bösen Überraschung
Volkes erheben konnte und daß infolgedessen dort gerade auf dem Gebiete der Ultra-Kurzwelle
über- das immer noch stärkste Volk Mitteleuropas - Kenntnis erhalten. Von Fachleuten ist mir ver-
Beschlüsse gefaßt worden sind, ohne daß diesem sichert worden, daß die bisherige Annahme, man
besiegten Volk die Möglichkeit einer Äußerung könne mit Ultra-Kurzwelle so weit senden, wie
gegeben wurde. Es braucht uns infolgedessen auch man von einem Sender aus sehen könne, das
nicht zu wundern, wenn das Ergebnis dieser Ko- heißt, wenn er auf einem Berg gebaut ist, un-
penhagener Konferenz entsprechend ausgefallen gefähr 40 bis 60 km, sich als unhaltbar erwiesen
ist. hat und daß Probesendungen vom Sender Feld-
In der Zwischenzeit haben lediglich die Ver- berg aus und auch andere Probesendungen er-
einigten Staaten von sich aus erklärt, daß sie das geben haben, daß diese Wellen in bestimmten
Ergebnis von Kopenhagen nicht anerkennen, wäh- Intervallen wiederkehren und sie bis 1000 km
rend England und vor allen Dingen Frankreich ausstrahlen können. Damit scheinen die bisherige
eine solche Äußerung noch nicht getan haben. These und die daran geknüpften technischen Er-
Welches sind nun die unmittelbaren Folgen der wartungen hinfällig geworden. Es ergäbe sich dar-
Kopenhagener Konferenz? Ich habe bereits ge- aus auch die Unmöglichkeit, ganz Deutschland mit
schildert, daß hier eine ganz einseitige Verlage- -
einem solchen kleinen neuen Ultra-Kurzwellen
rung der Sendemöglichkeiten zugunsten des Sendenetz zu überziehen und auf diese Weise die
Ostens vorgenommen worden ist. Eine bekannte Rundfunkversorgung sicherzustellen.
deutsche Zeitung hat nicht zu Unrecht diesen Vor- Wenn das der Fall ist, müssen wir mit doppel-
gang in Kopenhagen als „eine verlorene Schlacht ter Energie darauf bestehen, daß die Mittelwellen
des Westens im Kalten Krieg" gekennzeichnet. zunächst solange erhalten bleiben, bis die For-
(Zustimmung bei den Regierungsparteien.) schung auf dem Gebiete der Ultrakurzwelle so-.
1552 Deutscher Bundestag — 45. Sitzung. Bonn, Freitag, den 3. März 1950
(Dr. Vogel)
viele neue Möglichkeiten erschlossen hat, daß mit erweisen. Ich glaube, daß das ganze deutsche Volk
einer sicheren Radioversorgung gerechnet werden ein Anrecht darauf hat, recht bald von der Re-
kann. gierung zu hören, was sie in dieser Beziehung zu
Welche Folgerungen ergeben sich nun für uns tun gedenkt. Sie sind wohl alle mit uns der Über-
aus den eben geschilderten Tatsachen? Ich glaube, zeugung, daß die Interpellation, die hier fast alle
die erste Forderung muß folgende sein. Wenn Parteien des Hauses gemeinschaftlich eingebracht
schon nicht durch deutsches Verschulden, sondern haben, mit Recht das allerstärkste Interesse nicht
durch das offensichtliche Verschulden der Besat- nur der deutschen, sondern auch der internatio-
zungsmächte das deutsche Volk auf einem Gebiet, nalen Öffentlichkeit beanspruchen darf.
das nicht das Geringste mit Rüstung oder mit (Beifall.)
einer Bedrohung der Sicherheit der Alliierten zu tun
hat, in eine solche Notlage geraten ist, so müssen Vizepräsident Dr. Schmid: Das Wort zur Beant-
wir, glaube ich, alle darauf bestehen, daß zu- wortung der Interpellation hat Herr Minister
mindest uns Deutschen überlassen wird, mit die- Schuberth.
ser Notlage auch innerhalb Deutschlands fertig
zu werden. Das heißt, wir müssen die Forderung Schuberth, Bundesminister für das Post- und
erheben, daß die Funkhoheit für diese Wellen Fernmeldewesen: Herr Präsident! Meine Damen
wieder in deutsche Hand übergeht. Denn gegen- und Herren! Ich muß Sie in etwa enttäuschen,
wärtig haben wir den Rechtszustand, daß die weil mein lieber Freund Dr. Vogel die Antwort
Oberkommission sich laut Artikel 3 des ent- auf die Interpellation für seinen Teil schon vor-
sprechenden Rundfunk- und Pressegesetzes fol- weggenommen hat. Ich bin leider gezwungen, ihn
gendes vorbehalten hat. in einigen Dingen zu wiederholen, aber auch ihn
Erstens: Ohne die Genehmigung der Alliierten zu berichtigen.
Hohen Kommission dürfen neue Rundfunk-, Fern- Die erste Frage der Interpellation heißt: Tritt
seh- oder Drahtfunksender nicht eingerichtet, noch der Kopenhagener Wellenplan am 15. März 1950
Anlagen dieser Art einer anderen Verfügungs- in Kraft? Die Antwort heißt wie folgt. Nach dem
gewalt unterstellt werden. Der deutsche Funk- europäischen Rundfunkvertrag, der auf der euro-
sendebetrieb muß in Übereinstimmung mit der päischen Rundfunkkonferenz in Kopenhagen 1948
von der Alliierten Hohen Kommission fest- vereinbart worden ist, sollen vom 15. März 1950
gesetzten Zuteilung von Frequenz- und Sende- an für die deutschen Rundfunksender im Bundes-
leistung durchgeführt werden. gebiet nur noch sechs Mittelwellen und eine inter-
Zweitens: Internationale Übertragungen, Sen- nationale Gemeinschaftswelle zur Verfügung
dungen in fremder Sprache, Verhandlungen mit stehen. Auf der Konferenz war Deutschland nicht
dem Ausland über Rundfunksendungen bedürfen vertreten. Nach den Mitteilungen, die das Gene-
der vorherigen Zustimmung der Alliierten Hohen ralsekretariat des Internationalen Fernmelde-
Kommission. vereins in Genf an das Bundesministerium für das
Post- und Fernmeldewesen gegeben hat, ist tat-
Die deutsche Postfernmeldeverwaltung darf also sächlich nunmehr damit. zu rechnen, daß der Ko-
weder Rundfunksendestationen selbst betreiben, penhagener Wellenplan in den Vertragsländern
noch kann sie ehe Verleihung für das Errichten zu dem vorgesehenen Zeitpunkt, nämlich am 15.
und den Betrieb von Rundfunksendestationen 3. 1950, in Kraft tritt. Für das Bundesgebiet tritt
innerhalb des Bundesgebiets aussprechen. Ich der Plan aber erst in Kraft, wenn die Alliierte
glaube, Sie sind alle mit mir der Überzeugung, Hohe Kommission eine entsprechende Anweisung
daß eine solche Bestimmung einfach unhaltbar gibt, da sie sich durch das Gesetz Nr. 5 vom 21.
geworden ist, wenn der Kopenhagener Plan in September 1949 die Zuteilung der Rundfunk-
Erfüllung geht und auf Deutschland angewandt wellen und die Festlegung der Sendestärken der
wird. Rundfunksender im Bundesgebiet vorbehalten
Die zweite Notwendigkeit, die sich aus dem hat. Eine solche Anweisung der Hohen Kommis-
eben Gesagten ergeben würde, ist die, daß man es sion ist bisher noch nicht ergangen.
uns Deutschen überläßt, innerhalb des Bundes- Die zweite Frage lautet: Trifft es zu, daß sich
gebiets eine Einigung über die Verteilung der uns aus dem Inkrafttreten dieses Plans Nachteile für
noch gebliebenen sechs Wellen zu erreichen. Sie die Rundfunkversorgung des Bundesgebiets er-
wissen alle, daß dabei vor allen Dingen die ame- geben? Hierauf ist folgende Antwort zu geben.
rikanische Zone in eine überaus schwierige Lage Wenn der Kopenhagener Wellenplan in Kraft
gerät, weil wir dort vier Sendegesellschaften ha- tritt, ergeben sich für das Bundesgebiet zwei
ben, aber nur zwei Wellen zugeteilt erhielten. Möglichkeiten. Wenn die Alliierte Hohe Kommis-
Hier muß eine innerdeutsche Einigung erfolgen, sion bis zum 15. 3. 1950 keine Anweisung gibt
wenn es auf diesem Gebiet nicht zu einem Chaos — das ist möglich —, nämlich die für das Bundes-
kommen soll. gebiet zugeteilten Wellen zu benutzen, dann
Wir werden ferner eine bundesgesetzliche Rege- brauchen die Sender des Bundesgebiets nicht um-
lung brauchen, um nach den eben geschilderten gestellt zu werden, sondern bleiben auf ihren bis-
Erfahrungen mit der Ultrakurzwelle ein Chaos herigen Wellen. Die Folge wird sein, daß der
auf innerdeutschem Gebiet zu verhindern. Wir Rundfunkempfang im Bundesgebiet teilweise
werden ferner die Regierung bitten müssen, bei durch starke ausländische Rundfunksender, die
der Hohen Kommission vorstellig zu werden mit auf den gleichen oder benachbarten Wellen ar-
dem Ziel, daß die Bundesrepublik auf den dem- beiten, gestört wird. Daneben ist zu erwarten, daß
nächst bevorstehenden neuen Konferenzen auf auch ausländische Rundfunksender von deutschen
dem Gebiet des Fernmeldewesens beteiligt wird, Sendern gestört werden. Das wird zu großen
wenn nicht als ordentliches Mitglied, dann doch Schwierigkeiten auf internationaler Ebene führen.
zumindest als außerordentliches Mitglied. Zweite Möglichkeit: Werden dagegen die Sender
Ob die hier aufgezeigten Entwicklungen nicht des Bundesgebiets entsprechend dem Kopenhagener
die Notwendigkeit eines Rundfunkgesetzes her- Wellenplan auf die neuen Wellen umgestellt, dann
aufbeschwören, wird bereits die allernächste Zeit wird sich die Rundfunkversorgung im Bundes.
Deutscher Bundestag — 45. Sitzung. Bonn, Freitag, den 3. März 1950 1553
(Bundesminister Schuberth)
gebiet wesentlich verschlechtern, weil einmal, wie hört, die Bundesregierung ist in ihrer Handlungs-
Herr Dr. Vogel schon sagte, die Zahl. der Wellen freiheit auf dem Gebiet des Rundfunkwesens be-
zu gering ist — wir haben ja nur noch zwei schränkt, weil sich die Alliierte Hohe Kommission
Wellen je Zone —, und zum andern, weil einige eben die Zuständigkeit auf dem Gebiet der Wel-
der in Kopenhagen für das Bundesgebiet vor- lenzuteilung für die Rundfunksender vorbehalten
gesehenen Wellen hinsichtlich der Ausbreitung hat. Es war auch der Bundesregierung nicht mög-
außerordentlich ungünstig sind; drittens weil die lich, gegenüber der Alliierten Hohen Kommission
Stärke der deutschen Sender durch die Alliierte irgendwelche Schritte zu unternehmen,
Hohe Kommission auf 70 Kilowatt beschränkt (Abg. Rische: Hört! Hört!)
und daher geringer ist als die vieler Sender in — es ist gar nicht so schlimm, Herr Rische! —
den Nachbarländern, die auf Grund des Kopen- weil der technische und organisatorische Aufbau
hagener Wellenplans mit Leistungen bis zu 150 des Rundfunks nach dem Zusammenbruch aus-
Kilowatt arbeiten; viertens, weil ein großer Teil schließlich auf Länderebene durchgeführt worden
der vorhandenen Empfangsgeräte auch in diesem ist. Die Bundesregierung kann daher von sich aus
Mittelwellenbereich nicht alle neu zugeteilten keine Maßnahmen treffen, die die Schwierigkeiten
Wellen in entsprechend günstiger Form empfan- der Rundfunkversorgung sofort beheben. Ich lege
gen kann. Für die amerikanische Besatzungszone Betonung auf das Wort sofort. Wenn man dagegen
ergeben sich dabei besondere Schwierigkeiten da- die Rundfunkversorgung im Bundesgebiet auf
durch, daß für diese Zone tatsächlich nur zwei Bundesebene nach rein technischen Gesichts-
Wellen zur Verfügung stehen, aber einschließlich punkten durchführen würde, könnte man voraus-
der Enklave Bremen vier Rundfunkanstalten mit sichtlich noch einigermaßen erträgliche Verhält-
eigenem Sender vorhanden sind. Dadurch würde nisse mit den sechs Mittelwellen erzielen, die dem
der Zwang entstehen, den Rundfunk in der ame- Bundesgebiet in Kopenhagen zugeteilt worden
rikanischen Zone völlig neu zu organisieren. sind. Man würde so die Belastung der Rundfunk-
Die Rundfunkanstalten glauben nun, die hörer mit den Ausgaben für die Beschaffung der
Schwierigkeiten des Kopenhagener Wellenplans Ultrakurzwellenempfänger vermeiden. Eine nach
durch die Einführung des sogenannten Ultrakurz- technischen Gesichtspunkten durchgeführte Rund-
wellenrundfunks umgehen zu können. Die Rund- funkversorgung müßte aber zweifellos schließlich
funkanstalten haben auch bereits mit der Errich- zu einer Umorganisation des Rundfunks bezüglich
tung von Ultrakurzwellensendern begonnen. Die der Technik führen — ich betone wieder aus-
Fertigung von entsprechenden Empfangsgeräten drücklich technisch, es liegt uns nichts an der
ist von der Industrie in Angriff genommen wor- Programmseite —, das heißt in erster Linie, daß
den. Der Ultrakurzwellenrundfunk kann die die Sender in anderer Weise über das Bundes-
Schwierigkeiten zu einem Teil beseitigen; die Be- gebiet verteilt werden als bisher. Dies ist aber
fürchtungen des Herrn Dr. Vogel sind, glaube ich, niemals auf Länderebene, sondern nur auf Bun-
nicht angebracht. Allerdings dürfte der Ausbau desebene möglich. Die Bundesregierung ist aber
o des Ultrakurzwellensendernetzes wegen der damit — obwohl, ich betone das noch einmal, die tech-
verbundenen sehr hohen Kosten einige Jahre in nischen Möglichkeiten im Mittelwellenbereich vor-
Anspruch nehmen. Ich darf auch hier Herrn Dr. handen sind — zur Zeit rechtlich nicht in der
Vogel berichtigen: zum Ausbau dieses Ultrakurz- Lage, in dieser Richtung technische oder orga-
wellenrundfunks bedarf es nicht nur der Sender, nisatorische Maßnahmen einzuleiten, da, wie schon
sondern eines sehr ausgedehnten und sehr kost- angedeutet, die von den Ländern erlassenen
spieligen Kabelnetzes, weil m an nicht zu jedem Rundfunkgesetze in der amerikanischen Zone, die
dieser kleinen Sender ein entsprechendes Studio Verordnungen der britischen und französischen
hinstellen kann. Man muß also diese Sender durch Militärregierungen hinsichtlich des Rundfunks in
Kabel miteinander verbinden oder vom sogenann- der britischen und französischen Zone und das Ge-
ten „Ballempfang" Gebrauch machen. Man könnte setz Nr. 5 der Alliierten Hohen Kommission ent-
sich vorstellen, daß man auf die Zugspitze einen gegenstehen. Es bedarf also wahrscheinlich eines
Ultrakurzwellensender stellt und von dort aus die Bundesgesetzes, um die Organisation einheitlich
kleineren Sender speist. Das kostet natürlich alles durchführen zu können.
ungeheuer viel Geld. Es bleibt noch zu erwähnen, daß die Deutsche
Dazu kommt nun noch, daß die Rundfunkhörer, Post sich seit mehr als Jahresfrist um die Wie-
wie eben schon betont, natürlich im Besitz von deraufnahme als vollberechtigtes Mitglied in die
Ultrakurzweilenempfangsgeräten sein müssen. internationalen Gremien bemüht. Auf seiten der
Bei einer Hörerzahl von rund 7 Millionen und Alliierten besteht durchaus Bereitwilligkeit, uns
einem niedrig geschätzten Preis für ein Ultrakurz- da zu helfen. Vorläufig scheitert das noch an
wellenzusatzgerät von etwa 50 D-Mark — nicht gewissen formalen Dingen. Sie wissen ja, daß
140 — wären dafür immerhin 350 Millionen D- alle diese Beschlüsse auf Viermächte-Basis be-
Mark von den Rundfunkhörern aufzubringen. schlossen worden sind.
Legt man den voraussichtlichen Preis für einen (Beifall.)
kompletten neuen Sender mit Ultrakurzwellenteil
zugrunde, so wären 2,8 Millarden D-Mark von Vizepräsident Dr. Schmid: Wird eine Bespre-
den Rundfunkhörern des Bundesgebiets für die chung der Beantwortung der Interpellation ge-
neuen Empfangsgeräte aufzubringen. Ich nenne wünscht? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die-
Ihnen diese Grenzzahlen, damit Sie sehen, daß ser Punkt erledigt.
an der Lösung des Problems über den Weg des
Ultrakurzwellenrundfunks eine Reihe höchst be- Meine Damen und Herren, es ist bei mir an-
deutsamer volkswirtschaftlicher Fragen hängen. geregt worden, die Sitzung zu schließen und die
Punkte 3 und 4 der Tagesordnung zu vertagen.
Nun komme ich zu Punkt 3. Wenn diese Schä- Ich nehme an, daß das Haus damit einverstanden
den eintreten, was gedenkt dann die Bundes- sein wird. Ich schlage Ihnen aber vor, um die
regierung zu tun, um diese Nachteile abzuwenden? Tätigkeit der Ausschüsse nicht zu stören, noch
Meine Damen und Herren, Sie haben ja schon ge- rasch den Beschluß zu Punkt 5 zu fassen;
1554 Deutscher Bundestag — 45. Sitzung. Bonn, Freitag, den 3. März 1950
(Vizepräsident Dr. Schmid)
Interfraktioneller Antrag betreffend Ober- den 17. März, 14 Uhr 30 Minuten.
weisung von Anträgen an die Ausschüsse
Ich habe aber dem Hohen Hause mitzuteilen,
(Drucksache Nr. 649). daß unter Umständen damit gerechnet werden
Ich nehme an, daß das Haus mit dieser Über- muß, daß nächste Woche eine Sondersitzung die-
weisung einverstanden sein wird. ses Hauses einberufen wird.
(Zustimmung.) Ich schließe die 45. Sitzung des Deutschen Bun-
Dann berufe ich ein: die nächste Sitzung — die destags.
46. Sitzung — auf Donnerstag, den 16. März,
14 Uhr 30 Minuten; die 47. Sitzung auf Freitag, (Schluß der Sitzung: 20 Uhr 39 Minuten.)

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