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Deutscher Bundestag — 5. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 20.

September 1949

Meine Damen und Herren, wir kommen damit


zu Punkt 1 der Tagesordnung:
Beschlußfassung über die vorläufige Geschäfts
ordnung.
Ich darf das Wort „vorläufige" dabei unterstrei-
chen.
Ich erteile dem Herrn Abgeordneten Dr. von
Brentano als Berichterstatter das Wort.
- Dr. von Brentano (CDU), Berichterstatter: Meine
Damen und Herren! Der vorläufige Geschäfts-
ordnungsausschuß hat sich mit der Frage beschäf-
tigt, dem Haus möglichst bald die Grundlage einer
sachlichen Arbeit zu schaffen. Es bestand Einmü-
tigkeit darüber, daß wir dem Hohen Haus vor-
schlagen, die Geschäftsordnung des früheren Deut-
schen Reichstags in der Fassung vom 31. Dezem-
ber 1922, die Ihnen ja wohl vorliegt, mit den
Änderungen, die sich aus der Drucksache Nr. 18
ergeben, welche Ihnen ebenfalls vorliegen wird
5. Sitzung. und die ich kurz mündlich erläutern möchte, an-
zunehmen. Ich stelle ausdrücklich fest, daß im
Bonn, Dienstag, den 20. September 1949. Geschäftsordnungsausschuß Einmütigkeit darüber
bestand, daß es sich nur um eine vorläufige Ge-
schäftsordnung handelt, daß also alle Beschlüsse,
Geschäftliche Mitteilungen 19B die im Ausschuß gefaßt und von den Fraktionen
im wesentlichen bestätigt wurden, ohne jede prä-
Beschlußfassung über die vorläufige Geschäfts- judizielle Bedeutung für die endgültige Beratung
ordnung: der Geschäftsordnung sind. Meine Damen und
Dr. von Brentano (CDU), Berichterstatter 19C Herren, sachliche Änderungen sind nur vorgenom-
Bekanntgabe der Bildung der Bundesregierung 20D men worden, soweit das nötig war, um die Ge-
schäftsordnung dem Grundgesetz anzupassen und
Vereidigung des Bundeskanzlers und der soweit gewisse sachliche Änderungen im Ausschuß
Bundesminister 21B beschlossen wurden.
Erklärung der Bundesregierung: Hervorzuheben ist, daß zunächst einmütig be-
Dr. Adenauer, Bundeskanzler . . . 22A schlossen wurde, die Mitgliederzahl für die Frak-
tionsstärke von 15 auf 10 herabzusetzen.
Nächste Sitzung 30D (Zuruf von der DRP: Nicht einmütig!)
— Pardon, es ist richtig; ich muß feststellen, daß
Die Sitzung wird um 14 Uhr 13 Minuten durch von der Deutschen Rechtspartei gebeten wurde, die
den Präsidenten Dr. Köhler eröffnet. Mindeststärke auf 5 festzusetzen. Ich bitte, das zu
entschuldigen.
Präsident Dr. Köhler: Meine Damen und Her-
ren! Ich eröffne die 5. Sitzung des Deutschen Bun- (Zurufe: Drei! — Einen! — Heiterkeit.)
destags. - Der Antrag ist nicht gestellt worden.
Ehe wir in die Tagesordnung eintreten, habe ich Im § 4, den ich zu vergleichen bitte, mußte auf
einige Mitteilungen zu machen. Ich bitte zunächst das Wahlprüfungsverfahren nach Artikel 41 des
Herrn Schriftführer Abgeordneten Dr. Zawadil, Grundgesetzes verwiesen werden, und außerdem
die Namen der abwesenden Mitglieder des Hauses mußte die im Wahlgesetz vom 15. Juni 1949 ge-
bekanntzugeben. troffene Regelung berücksichtigt werden.
In den §§ 26 und 30 haben wir den Ausdruck
Dr. Zawadil, Schriftführer: Beurlaubt sind „ständige Ausschüsse" durch „ordentliche Aus-
wegen Krankheit die Abgeordneten Zühlke, Kuh- schüsse" ersetzt, weil wir der Meinung waren, daß
lemann, Klinge; entschuldigt die Abgeordne- Artikel 45 des Grundgesetzes, der von einem
ten Eugen Huth, Carl Schröter, Hugo Karpf, Hans ständigen Ausschuß spricht, damit diesen Begriff
Schütz, Frau Thiele, Herr Vesper, Herr Wartner, konsumiert hat. Im übrigen bestand Einmütig-
Herr Rademacher. keit im Ausschuß darüber, daß die Zahl der Aus-
(Abg. Dr. Seelos: Wartner ist hier!) schüsse und auch die Besetzung der Ausschüsse
erst demnächst von Fall zu Fall beschlossen wer-
Präsident Dr. Köhler: Dann wird die Fehlmel- den soll daß also der zweite Absatz des § 26 in
,

dung zurückgenommen. Wegfall kommt.


Ich habe weiter das Hohe Haus darauf hinzu- Im § 35 mußte Artikel 76 des Grundgesetzes,
weisen, daß die Beschlüsse des Bundestags Nr. 44 nämlich das unmittelbare Initiativrecht des Bun-
und Nr. 4/2 auf dem Stenographentisch wie üb- desrats, berücksichtigt werden. Im § 36 hat sich
lich zur Einsichtnahme ausliegen. Ich darf ferner die Einfügung eines neuen Absatzes 2 als notwen-
darauf hinweisen, daß sämtlichen Mitgliedern des dig erwiesen. Dadurch wird nun klargestellt, daß
Hauses auf ihre Plätze ein Sammelband der Ge- je eine weitere Beratung, also praktisch eine vierte
setzblätter des Wirtschaftsrats 1947/49 gelegt wor- oder fünfte Lesung, erfolgen muß, wenn entweder
den ist. der nach Artikel 77 des Grundgesetzes vorgesehene
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(Dr. von Brentano)
gemeinsame Ausschuß des Bundestags und des hörigen Titeln des Haushaltsplans und nur dann
Bundesrats einen Abänderungsvorschlag unterbrei- beraten werden durfte, wenn er mit einem Aus-
tet oder wenn der Bundesrat Einspruch einlegt. gleichsantrag zu ihrer Deckung verbunden war.
Wir wollten damit den Auseinandersetzungen vor- Es bestanden im Ausschuß Meinungsverschie-
beugen, die sich in der Weimarer Zeit ergeben ha- denheiten darüber, ob durch diesen § 48 a das im
ben. Damals ist verschiedentlich die Frage strittig Grundgesetz garantierte Initiativrecht in einer un-
geworden, ob in einem solchen Falle etwa drei zulässigen Weise beschränkt oder beeinträchtigt
neue Lesungen erforderlich seien. Wir haben des-
werde. Deswegen war der Ausschuß auch in die-
halb auch ausdrücklich festgestellt, daß § 52 der sem Punkt einmütig der Auffassung, zu dieser -
Geschäftsordnung in diesem Falle keine Anwen- Frage erst in der endgültigen Vorlage Stellung zu
dung findet. nehmen und sie zu klären.
§ 38 bringt insofern eine Änderung, als wir vor- Im übrigen kann ich es mir wohl ersparen, die
geschlagen haben, in Anlehnung an die Praxis anderen Differenzpunkte, die im Ausschuß zutage
des Wirtschaftsrats die Möglichkeit vorzusehen, getreten sind, zu behandeln. Es wird Aufgabe des
daß Anträge und Entwürfe gleichzeitig mehreren endgültigen Geschäftsordnungsausschusses sein,
Ausschüssen zugewiesen werden, wobei allerdings sich mit den Anregungen und Anträgen, die im
jeweils festgelegt werden muß, welchem Ausschuß vorläufigen Geschäftsordnungsausschuß bereits dis-
die Federführung obliegt. kutiert wurden, zu befassen.
Im § 58 war lediglich ein Druckfehler zu berich-
Der Ausschuß schlägt Ihnen vor, entsprechend
tigen. § 75 haben wir gestrichen, da die Regelung
der Behandlung beschleunigter Anträge auch zu- der Drucksache Nr. 18 zu beschließen, wobei ich,
rückgestellt werden soll. um jedes Mißverständnis zu vermeiden, ab-
schließend noch einmal darauf hinweise, daß die
Im § 86 haben wir insofern eine Änderung vor- endgültige Fassung der Geschäftsordnung durch
genommen, als der Grundsatz aufgestellt worden den heutigen Beschluß in keiner Weise präjudi-
ist, daß die Redner nicht vom Platz, sondern ziert werden soli.
von der Rednertribüne aus zu sprechen haben.
Die Überschrift zu Abschnitt 15 mußte auch dem Präsident Dr. Köhler: Ich danke dem Herrn Be-
Grundgesetz angepaßt werden. Im übrigen mußte richterstatter für seine Ausführungen.
Artikel 43 des Grundgesetzes in § 96 berücksich- Ich eröffne die Aussprache. Wird das Wort ge-
tigt werden, nämlich das Recht des jederzeitigen wünscht? — Ich stelle fest: das ist nicht der Fall.
Gehörs für Mitglieder und Beauftragte des Bun- Dann schließe ich die Aussprache.
desrats und der Bundesregierung.
Wir kommen zur Beschlußfassung. Wer für die
§ 98 ist lediglich auf die verschiedenen Formu- Ihnen im Druck vorliegende Geschäftsordnung des
lierungen des Grundgesetzes abgestellt worden, das Reichstags in der Fassung vom 12. Dezember 1922
ja in verschiedenen Fällen von der gesetzlichen einschließlich der Drucksache Nr. 18 mit den Ab-
g) Mitgliederzahl ausgeht. änderungsanträgen ist, den bitte ich, die Hand zu
§ 113 sah vor, daß Gesetzesvorlagen nach der erheben. — Ich danke; das ist zweifelsfrei die
Beschlußfassung dem zuständigen, wie es damals Mehrheit, fast Einstimmigkeit.
hieß, Reichsminister überwiesen werden sollten. Meine Damen und Herren, wir kommen damit
In Konsequenz der dem Bundeskanzler im Grund- zu Punkt 2 der Tagesordnung:
gesetz zugewiesenen besonderen Stellung haben
wir vorgeschlagen, nunmehr die Übersendung an Bekanntgabe der Bildung der Bundesregierung.
ihn und an den Ressortminister vorzuschreiben,
gleichzeitig aber auch mit Rücksicht auf Artikel 77 (Der Präsident erhebt sich.)
des Grundgesetzes an den Bundesrat.
Meine Damen und Herren, ich glaube wohl ein-
§ 115 regelt lediglich die Zustellung der Druck- leitend sagen zu dürfen, daß es eine historische
sachen. Wir haben es bei der möglichst einfachen Stunde ist, in der die erste Bundesregierung der
Form der Einlegung in das Fach belassen. § 121 Bundesrepublik Deutschland bekanntgegeben wird.
hat auch insofern eine Änderung erfahren, als
Artikel 49 des Grundgesetzes von den Mitgliedern Ich habe zunächst in Ausführung des Artikels 63
des Präsidiums spricht und insofern eben eine Absatz 2 ein Schreiben des Herrn Bundespräsi-
Änderung vorgenommen werden mußte. denten folgenden Inhalts vorzulesen:
Ich habe § 54 übersehen und darf Sie bitten, Im Namen der Bundesrepublik Deutschland
noch einmal zurückzublättern. § 54 mußte eine ernenne ich auf Grund des Artikels 63 des
Änderung erfahren. Das Grundgesetz kennt ja Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutsch-
nicht mehr den Begriff des Mißtrauensvotums, land vom 8. Mai 1949 Herrn Dr. h. c. Konrad
sondern das, was wir im Parlamentarischen Rat Adenauer zum Bundeskanzler.
als konstruktives Mißtrauensvotum bezeichnet ha- Ich habe Ihnen ferner in Ausführung des Ar-
ben, ist rechtssystematisch eine Neuwahl des Kanz- tikels 64 des Grundgesetzes über die Bildung der
lers. Deshalb mußte § 54 entsprechend gestrichen Bundesregierung folgendes Schreiben des Herrn
werden. Bundespräsidenten bekanntzugeben:
Im übrigen weise ich noch darauf hin, daß sich
der Ausschuß insbesondere mit einem Antrag des Ich beehre mich, Ihnen mitzuteilen, daß ich
Herrn Kollegen Dr. Becker beschäftigt hat, der auf Vorschlag des Bundeskanzlers am 20. Sep-
vorgeschlagen hat, in die Geschäftsordnung tember 1949 die folgenden Persönlichkeiten zu
wieder eine Bestimmung aufzunehmen, wie sie Bundesministern ernannt habe:
durch Beschluß des Reichstags vom 9. Februar 1931 Herrn Franz Blücher zum Bundesminister
als § 48 a eingefügt worden ist, des Inhalts, daß für Angelegenheiten des Marshall-Plans,
ein Antrag, der eine Finanzvorlage darstellt und eine
Ausgabenerhöhung oder Einnahmensenkung zum Herrn Dr. Gustav Heinemann zum Bun-
Gegenstand hat, nur zusammen mit den dazu ge- desminister für Inneres,
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(Präsident Dr. Köhler)
Herrn Dr. Thomas Dehler zum Bundes- Dr. Dehler, Bundesminister für Justiz: Ich schwöre
minister für Justiz, es, so wahr mir Gott helfe.
Herrn Staatsrat Fritz Schäffer zum Bun- Präsident Dr. Köhler: Herr Bundesminister
desminister für Finanzen, Schäffer!
Herrn Professor Dr. Ludwig Erhard zum Schäffer, Bundesminister für Finanzen: Ich
Bundesminister für Wirtschaft, schwöre es, so wahr mir Gott helfe.
Herrn Staatsrat Nicklas zum Bundes- Präsident Dr. Köhler: Herr Bundesminister Dr.
minister für Landwirtschaft und Ernährung, Erhard!
-
Herrn Anton St o r c h zum Bundesminister
für Arbeit, Dr. Erhard, Bundesminister für Wirtschaft: Ich
schwöre es, so wahr mir Gott helfe.
Herrn Dr. Hans Christoph Seebohm zum
Bundesminister für Verkehr, Präsident Dr. Köhler: Herr Bundesminister
Nicklas!
Herrn Hans Schuberth zum Bundes-
minister für Post, Nicklas, Bundesminister für Landwirtschaft und
Ernährung: Ich schwöre es, so wahr mir Gott helfe.
Herrn Eberhard Wildermuth zum Bundes-
minister für Wohnungsbau, Präsident Dr. Köhler: Herr Bundesminister
Storch!
Herrn Dr. Hans Lukaschek zum Bundes-
minister für Angelegenheiten der Vertrie- Storch, Bundesminister für Arbeit: Ich schwöre
benen, es, so wahr mir Gott helfe.
Herrn Jakob Kaiser zum Bundesminister Präsident Dr. Köhler: Herr Bundesminister Dr.
für gesamtdeutsche Fragen, Seebohm!
Herrn Heinrich Hellwege zum Bundes
Dr. Seebohm, Bundesminister für Verkehr: Ich
minister für Angelegenheiten des Bundesrats.
schwöre es, so wahr mir Gott helfe.
Meine Damen und Herren, ich stelle damit fest,
daß im Sinne des Artikels 64 die Bildung der Präsident Dr. Köhler: Herr Bundesminister
Bundesregierung bekanntgegeben worden ist. Schuberth!
Schuberth, Bundesminister für Post: Ich schwöre
Ich habe nunmehr nach Artikel 64 Absatz 2 die es, so wahr mir Gott helfe.
Vereidigung des Bundeskanzlers und der Präsident Dr. Köhler: Herr Bundesminister
Bundesminister Wildermuth! .
vorzunehmen. Wildermuth, Bundesminister für Wohnungsbau:
(Der Bundestag erhebt sich.) Ich schwöre es, so wahr mir Gott helfe.
Ich werde sämtlichen Mitgliedern der Bundes-
Präsident Dr. Köhler: Herr Bundesminister Dr.
regierung den Wortlaut des Eides, wie er in der
Verfassung vorgeschrieben ist, vorlesen: Lukaschek!

Ich schwöre, daß ich meine Kraft dem Wohle Dr. Lukaschek, Bundesminister für Angelegen-
des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen heiten der Vertriebenen: Ich schwöre es, so wahr
mehren, Schaden von ihm wenden, das Grund- mir Gott helfe.
gesetz und die Gesetze des Bundes wahren Präsident Dr. Köhler: Herr Bundesminister
und verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft Kaiser!
erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann
üben werde. Kaiser, Bundesminister für gesamtdeutsche Fra-
Zur Bekräftigung dieses Eides bitte ich die Mit- gen: Ich schwöre es, so wahr mir Gott helfe.
glieder der Bundesregierung, den Herrn Bundes- Präsident Dr. Köhler: Herr Bundesminister
kanzler an der Spitze, sich zu mir zu begeben und Hellwege!
mir die Schwurformel nachzusprechen.
Herr Bundeskanzler Dr. Adenauer! Hellwege, Bundesminister für Angelegenheiten
des Bundesrats: Ich schwöre es, so wahr mir Gott
Dr. Adenauer, Bundeskanzler: Ich schwöre es, helfe.
so wahr mir Gott helfe.
(Die Abgeordneten nehmen ihre Sitze wieder ein.)
Präsident Dr. Köhler: Herr Bundesminister Blü-
Präsident Dr. Köhler: Meine Damen und Her-
cher!
ren! Ich stelle damit fest, daß gemäß Artikel 64
Blücher, Bundesminister für Angelegenheiten Absatz 2 des Grundgesetzes der Bundeskanzler und
des Marshall-Plans: Ich schwöre es, so wahr mir die Bundesminister vor ihrer Amtsübernahme vor
Gott helfe. dem Bundestag den vorgesehenen Eid geschworen
haben.
Präsident Dr. Köhler: Herr Bundesminister Dr. Meine Damen und Herren, wir kommen damit
Heinemann! zu Punkt 4 der Tagesordnung:
Dr. Heinemann, Bundesminister für Inneres: Ich
schwöre es, so wahr mir Gott helfe. Entgegennahme einer Erklärung der Bundes
regierung.
Präsident Dr. Köhler: Herr Bundesminister Dr.
Dehler! Ich erteile dem Herrn Bundeskanzler das Wort.
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Dr. Adenauer, Bundeskanzler: Meine Damen und Regierungsbildung erfolgt wäre, die dem Sinn und
meine Herren! Das Werden des neuen Deutschlands dem Ergebnis dieser Wahl nicht entsprochen hätte.
hat sich nach den langen Verhandlungen im Parla- Es ist darum abwegig und undemokratisch, die-
mentarischen Rat und den Wahlen zum Bundestag jenigen Parteien, die sich hier im Hause zur Bil-
am 14. August mit großer Schnelligkeit vollzogen. dung einer Regierung und zu gemeinsamer Arbeit
Am 7. September haben sich der Bundestag und der zusammengeschlossen haben, deshalb mit irgend-
Bundesrat konstituiert; am 12. September hat der welchen tadelnden Worten zu belegen. Ebenso ab-
Bundestag den Bundespräsidenten gewählt, am wegig ist es, der Sozialdemokratischen Partei Vor-
15. September den Bundeskanzler. Der Bundesprä- würfe zu machen, weil sie sich nicht bereit ge-
sident hat mich daraufhin am gleichen Tage zum funden hat zu einer sogenannten großen Koalition.
Bundeskanzler ernannt. Heute, am 20. September, (Lachen links.)
hat er auf meinen Vorschlag die Bundesminister -
Man konnte weder von der einen noch von der
ernannt. andern Seite verlangen, daß sie, nachdem sie fast
Mit der Konstituierung der Bundesregierung, die zwei Jahre in Frankfurt ihre Prinzipien verfochten
am heutigen Tage erfolgt ist, ist auch das Be- hatten, nachdem die Wähler, zum Schiedsrichter
satzungsstatut in Kraft getreten. Wenn auch die aufgerufen, ihr Urteil gesprochen hatten, nunmehr
Zuständigkeit des Bundestags und der Bundes- alles das mehr oder weniger verleugneten, was sie
regierung durch das Besatzungsstatut beschrankt bisher dem Volk als richtig dargestellt hatten.
ist, so darf uns doch diese Entwicklung, dieses Wer- Ich halte daher aus allgemeinen staatspolitischen
den des deutschen Kernstaates mit Freude erfüllen. Erwägungen heraus diese Entwicklung für richtig.
Der Fortschritt gegenüber den Verhältnissen, die Ich bin nicht der Auffassung, daß es den Interessen
seit 1945 bei uns bestanden, auch gegenüber den Zu- der Gesamtbevölkerung, den Interessen Deutsch-
ständen des nationalsozialistischen Reichs, ist groß. lands besser gedient hätte, wenn man etwa eine
Zwar müssen wir uns immer bewußt sein, daß Koalition zwischen CDU/CSU und der Sozial-
Deutschland und das deutsche Volk noch nicht frei demokratischen Partei eingegangen wäre. Ich bin
sind, daß es noch nicht gleichberechtigt neben den der Auffassung, daß die Opposition eine Staats-
anderen Völkern steht, daß es — und das ist be- notwendigkeit ist, daß sie eine staatspolitische
sonders schmerzlich — in zwei Teile zerrissen ist. Aufgabe zu erfüllen hat, daß nur dadurch, daß
Aber wir erfreuen uns doch einer wenigstens Regierungsmehrheit und Opposition einander
relativen staatlichen Freiheit. Unsere Wirtschaft gegenüberstehen, ein wirklicher Fortschritt und
ist im Aufstieg. Wir haben vor allem aber wieder eine Gewöhnung an demokratisches Denken zu
den Schutz der Persönlichkeitsrechte. Niemand erzielen ist. Ich bin weiter der Auffassung: bei
kann bei uns, wie das im nationalsozialistischen den labilen Verhältnissen, wie sie in Deutschland
Reich der Fall war und wie es jetzt noch in weiten herrschen, ist es viel richtiger, wenn die immer
Teilen Deutschlands, in der Ostzone, zu unserem vorhandene Opposition sich klar im Parlament
Bedauern der Fall ist, durch Geheime Staatspolizei selbst zeigt, als wenn sie, da infolge einer großen
oder ähnliche Einrichtungen der Freiheit und des Koalition im Parlament keine wesentliche Oppo-
Lebens beraubt werden. Diese Güter: Rechtsschutz, sition hätte ausgeübt werden können, außerhalb
Schutz der persönlichen Freiheit, die wir lange des Parlaments in nicht kontrollierbarer Weise um
Jahre nicht besaßen, sind so kostbar, daß wir trotz sich greift.
allem, was uns noch fehlt, uns darüber freuen (Sehr richtig! in der Mitte.)
müssen, daß wir diese Persönlichkeitsrechte Ich habe dem Herrn Bundespräsidenten die Er-
wieder besitzen. nennung von 13 Bundesministern vorgeschlagen.
Meine Wahl zum Bundeskanzler, meine Damen Ich bin mir bewußt, daß manchem diese Zahl auf
und Herren, und die Regierungsbildung sind eine den ersten Blick groß erscheinen wird.
logische Konsequenz der politischen Verhältnisse, (Heiterkeit und Zuruf links: Auch dem Volke!)
wie sie sich in der Bizone infolge der Politik des Demgegenüber weise ich darauf hin, daß in unsern
Frankfurter Wirtschaftsrats herausgebildet hatten. Zeiten Aufgaben, die der staatlichen Arbeit be-
Die Politik des Frankfurter Wirtschaftsrats, die dürfen, entweder ganz neu entstanden sind — ich
Frage „Soziale Marktwirtschaft" oder „Planwirt- weise hier auf die Frage der Vertriebenen hin —
schaft" hat so stark unsere ganzen Verhältnisse oder daß staatliche Aufgaben einen solchen Umfang
beherrscht, daß eine Abkehr von dem Programm angenommen haben, daß sie den Rahmen der üb-
der Mehrheit des Frankfurter Wirtschaftsrats un- lichen Ministerien sprengen würden.
möglich war. Die Frage: „Planwirtschaft" oder
„Soziale Marktwirtschaft" hat im Wahlkampf eine (Zuruf link: Vor Tisch las man's anders!)
überragende Rolle gespielt. Das deutsche Volk Ich nenne hier die Frage der Wohnungswirtschaft
hat sich mit großer Mehrheit gegen die Planwirt- und des Wohnungsbaus. So sind mehrere der
schaft ausgesprochen. Bundesministerien zeitbedingt, das heißt: wenn
(Unruhe links.) sie ihre Aufgabe erfüllt oder aber wenn ihre Auf
gaben wieder einen normalen Umfang angenom
Eine Koalition zwischen den Parteien, die die men haben, werden sie wieder verschwinden,
Planwirtschaft verworfen, und denjenigen, die sie während die sogenannten klassischen Ministerien,
bejaht haben, würde dem Willen der Mehrheit der wie das Ministerium des Innern, der Finanzen, der
Wähler geradezu entgegengerichtet gewesen sein. Justiz, der Arbeit usw., ständig bleiben werden.
(Sehr richtig! in der Mitte.) Wenn man die Zahl der Bundesministerien unter
Der Wähler hätte mit Recht im Falle einer Koa- Würdigung dieser Gesichtspunkte betrachtet, wird
lition zwischen diesen Parteien gefragt, ob denn man berechtigterweise nicht die Behauptung auf-
dann Wahlen überhaupt nötig gewesen wären. stellen können, daß ihre Zahl zu groß sei. Die
Der demokratische Gedanke, die Überzeugung von Hauptsache ist, daß der ministerielle Apparat im
der Notwendigkeit der parlamentarischen Demo- ganzen möglichst klein gehalten wird, daß die
kratie, hätte in den weitesten Kreisen der Wähler, Ministerien von all den Verwaltungsaufgaben be-
namentlich auch der Wähler der jüngeren Gene- freit bleiben, die nicht in die ministerielle Instanz
ration, schwersten Schaden gelitten, wenn eine gehören. Dadurch werden die nötige Übersicht,
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(Bundeskanzler Dr. Adenauer)
die Arbeitsfähigkeit der Ministerien gewährleistet, den schließlich die Gesetze erlassen werden
Verwaltungskosten gespart, und die Bundes- müssen, deren Erlaß das Grundgesetz vorsieht; es
wichtgsen minister werden vor allem Zeit haben, ihre werden die Gesetze, die der Wirtschaftsrat nicht
Aufgaben, die Koordinierung der ver- mehr völlig erledigt hat, verabschiedet werden
schiedenen von ihnen wahrzunehmenden Inter- müssen. Diese Arbeit, die namentlich auch des-
essen und die Wahrung der großen politischen halb schwierig und umfangreich ist, weil bisher
Linien zu erfüllen. bei Erlaß von Gesetzen infolge der Eilbedürftig-
Unter den Bundesministerien befindet sich ein keit der Angelegenheiten oft nicht mit besonderer
Ministerium, das die besondere Aufgabe hat, für Genauigkeit gearbeitet worden ist, darf nicht
die Wahrung der engen Verbindung mit dem übereilt werden, damit wir endlich wieder zu dem
Bundesrat Sorge zu tragen. Ich bitte, in der Er- - kommen, was uns sowohl in der nationalsozialisti-
richtung dieses Ministeriums den ernsten Willen schen Zeit wie später verlorengegangen ist: zur
der Bundesregierung zu sehen, den föderativen Klarheit, zur Sicherheit und zur Einheit des
Charakter des Grundgesetzes sicherzustellen, die Rechts.
Rechte der Länder zu wahren und die Arbeit des Es wartet aber eine weitere sehr große Zahl von
Bundesrats so mit der Tätigkeit des Bundestags Aufgaben der Inangriffnahme durch den Bund.
und der Bundesregierung in Einklang zu bringen, Eines darf ich hier mit allem Nachdruck an die
daß ein harmonisches Zusammenarbeiten gewähr- Spitze meiner Ausführungen stellen: die Koali-
leistet ist. tionspartner sind sich völlig einig darin, daß sie
Unter den Bundesministerien fehlt ein Außen- sich bei ihrer ganzen Arbeit von dem Bestreben
ministerium. Ich habe auch nicht den an mich leiten lassen werden, so sozial im wahrsten und
herangetragenen Wünschen stattgegeben, ein Mi- besten Sinne des Wortes zu handeln wie irgend
nisterium für zwischenstaatliche Beziehungen ein- möglich.
zurichten. Ich habe das deshalb nicht getan, weil (Bravo !in der Mitte und rechts .)
nach dem Besatzungsstatut die auswärtigen An- Das Streben nach Linderung der Not, nach sozialer
gelegenheiten unter Einschluß internationaler Ab- Gerechtigkeit, wird der oberste Leitstern bei
kommen, die von Deutschland oder im Namen unserer gesamten Arbeit sein.
Deutschlands abgeschlossen werden, Sache der (Erneuter lebhafter Beifall in der Mitte
Alliierten Hohen Kommission für die drei Zonen und rechts. — Abg. Renner: Frankfurt
sind. Wenn wir demnach auch kein Ministerium als Beispiel!)
des Auswärtigen haben, so bedeutet das keines- Aus der Fülle der Aufgaben, die des Bundes
wegs, daß wir damit auf jede Betätigung auf die- harren, lassen Sie mich einige besonders dringende
sem Gebiete Verzicht leisten. Das Paradoxe unse- und große hervorheben.
rer Lage ist ja, daß, obgleich die auswärtigen An-
gelegenheiten Deutschlands von der Hohen Allier- Die Vertriebenen werden gleichmäßiger als bis-
ten Kommission wahrgenommen werden, jede her auf die verschiedenen Länder verteilt werden
Tätigkeit der Bundesregierung oder des Bundes- müssen. Das liegt sowohl im Interesse der jetzt
parlaments auch in inneren Angelegenheiten besonders stark belasteten Länder, vor allem aber
Deutschlands irgendwie eine ausländische Be- auch im Interesse der Vertriebenen selbst.
ziehung in sich schließt. Deutschland ist infolge Die Verhältnisse auf dem Wohnungsgebiet, die
Besatzung, Ruhrstatut, Marshall-Plan usw. enger die soziale und ethische Gesundung und auch die
mit dem Ausland verflochten als jemals zuvor. politische Gesundung des deutschen Volkes un-
möglich und die auch das Leben der Vertriebenen
(Abg. Renner: „Verflochten" ist gut!) und Ausgebombten so unendlich schwer machen,
Diese Angelegenheiten werden in einem im werden von uns mit ganzer Kraft einer Besserung
Bundeskanzleramt zu errichtenden Staatssekre- entgegengeführt werden.
tariat zusammengefaßt werden. Davon abgesehen (Bravorufe in der Mitte und rechts.)
glaube ich, daß die Hohen Kommissare infolge der
großen Verantwortung, die sie tragen, keine wich- Wir wollen mit allen Mitteln den Wohnungsbau
tige Entscheidung in deutschen ausländischen An- energisch fördern,
gelegenheiten treffen werden, ohne mit der (erneuter lebhafter Beifall in der Mitte
Bundesregierung vorher Fühlung genommen zu und rechts)
haben. Die Erfahrung, die ich in den wenigen nicht indem der Bund selbst baut, sondern indem
Tagen meiner Amtstätigkeit gemacht habe, berech- er Mittel zur Verfügung stellt und darauf dringt,
tigt mich durchaus zu dieser Annahme. daß von den Ländern alle Möglichkeiten auf dem
Auf die Bundesregierung und den Bundestag, Gebiete des Wohnungsbaus erschöpft werden.
meine Damen und Herren, wartet eine außer- Wir werden weiterhin dazu übergehen, durch
ordentlich große und umfangreiche gesetz- entsprechende, in vorsichtiger und nicht überstürz-
geberische Arbeit. Auf dem Zuständigkeitsgebiet ter Weise durchgeführte Lockerungsvorschriften
des Bundes müssen die in den elf Ländern er- der Raumbewirtschaftung und der Mietfestsetzung
gangenen Gesetze daraufhin nachgeprüft werden,
ob in ihnen gleiches Recht auf diesen Gebieten (Zurufe links: Aha! und: Hört! Hört!)
besteht. Weiter werden Gesetze und Verordnun- das Privatkapital für den Bau von Wohnungen
gen, die bisher nur in der Bizone galten, auf die wieder zu interessieren.
bisherige französische Zone ausgedehnt werden (Lebhafter Beifall in der Mitte und rechts.)
müssen; es werden weiter die bisher von seiten Wenn es nicht gelingt, das Privatkapital für den
der verschiedenen Militärregierungen ergangenen Wohnungsbau zu interessieren, ist eine Lösung des
Gesetze und Verordnungen auf den Gebieten, die Wohnungsproblems unmöglich.
jetzt der Zuständigkeit des Bundes unterstehen,
überprüft und eventuell mit Zustimmung der (Lebhafte Zustimmung in der Mitte und rechts.)
Hohen Kommission den heutigen staatlichen Zu- Die Bedeutung, die wir gerade diesen Fragen bei
ständen, wie sie sich aus Grundgesetz und Be- legen, zeigt sich auch darin, daß wir ein besonderes
satzungsstatut ergeben, angepaßt werden. Es wer Ministerium für sie geschaffen haben, dessen enge
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(Bundeskanzler Dr. Adenauer)
Koordinierung mit dem Wirtschaftsministerium Wettbewerbes ausgegeben werden, sind ungeheuer
gesichert ist. Wir werden durch diese energische groß.
Förderung der Bautätigkeit auch eine allgemeine (Abg. Renner: Auch für die Atombomben!)
Belebung des Arbeitsmarktes herbeiführen.
Die Bundesregierung wird, soweit ihre finanziellen
Auf dem Gebiete der Wirtschaftspolitik werden Kräfte es erlauben, dafür eintreten, daß die
wir die in Frankfurt so erfolgreich eingeschlagene wissenschaftliche Forschung in Deutschland geför-
Richtung weiter verfolgen. dert wird.
(Lachen links. — Abg. Renner: Über 3 Millio (Beifall.)
nen Arbeitslose!)
Sie wird auch die deutsche Wirtschaft dazu ver-
Ich darf in diesem Zusammenhang den leitenden anlassen, das gleiche zu tun. Nur wenn es uns
Herren der bizonalen Wirtschaftsverwaltung -wie gelingt, uns durch Leistungen auf dem Weltmarkt
allen Beamten und Angestellten, insbesondere aber auszuzeichnen, wird es uns möglich sein, auf ihm
auch den Direktoren der einzelnen Ämter den zu bestehen. Denn ein schwaches Volk. ein politisch
Dank der Bundesregierung für die geleistete Ar- schwaches Volk läuft immer Gefahr, im wirtschaft-
beit aussprechen. lichen Wettbewerb mit andern Völkern hintange-
(Bravo! in der Mitte und rechts. — setzt zu werden, wenn es nicht etwas Besonderes
Abg. Renner: Wie ist es mit Pünder?) leistet.
Mein besonderer Dank gilt den leitenden Persön- (Zurufe von der KPD.)
lichkeiten, die zur Zeit bei dem Aufbau der Bun- Der Pflege und der Freiheit des Außenhandels
desregierung nicht haben eingegliedert werden gilt unsere besondere Aufmerksamkeit. Lassen Sie
können. mich in diesem Zusammenhang einige Ausführun-
gen über die Herabsetzung des Umrechnungskurses
(Zurufe links: Aha! Schade!) des englischen Pfundes und die Folgen machen,
Bei der Durchführung des Prinzips der sozialen die dadurch für uns eintreten. Die Änderung des
Marktwirtschaft Pfundwertes wird voraussichtlich auch eine Ände
(Lachen links) rung des Umrechnungskurses der D-Mark gegen-
wird man sich selbstverständlich wie auch bisher über dem Dollar mit sich bringen. Wir bedauern
davor hüten müssen, einem starren Doktrinaris- diese uns durch die internationalen Ereignise auf-
mus zu verfallen. Man wird sich, auch wie bisher, gezwungene Maßnahme um so mehr, als die innere
den jeweils sich ändernden Verhältnissen anpassen Stabilität der D-Mark zu irgendwelchen Manipu-
müssen. Die Zwangswirtschaft werden wir überall lationen dieser Art keinerlei Anlaß bieten konnte.
dort, wo wir es irgendwie verantworten können, Die Wirtschafts- und die Geldpolitik der letzten
beseitigen. 15 Monate haben unsere Währung auch im An-
(Bravorufe und Händeklatschen in der Mitte sehen und in der Wertung des Auslands von Tag
und rechts. — Zuruf von der KPD: Neue zu Tag mehr gefestigt, so daß die jetzt notwendig
Preiserhöhungen werden folgen!) werdende Anpassung — genau wie das in anderen
europäischen Ländern der Fall sein wird — ledig-
Es ist in Aussicht genommen, vom 1. Januar 1950 lich eine Folgewirkung der englischen Maßnahme
an die Brennstoffbewirtschaftung aufzuheben ist. Ohne eine derartig gleichgerichtete Maßnahme
(Abg. Rische: Wenn kein Kohlenabsatz würde die deutsche Exportwirtschaft ihre Wett-
mehr da ist!) bewerbsfähigkeit auf den Weltmärkten verlieren
und die Zuteilung von Hausbrand für das vierte und damit unserem wirtschaftlichen und sozialen
Vierteljahr 1949, die ersten Wintermonate, zu Leben die Grundlage entzogen werden. Die Bun-
erhöhen. desregierung ist entschlossen, mit den für das
deutsche Geldwesen verantwortlichen Stellen bei
Wir werden auf dem Gebiete der Wirtschaft den zu treffenden Maßnahmen die wirtschaftlichen
durch die Mittel des Wettbewerbs und durch die und sozialen Folgewirkungen zu einem gerechten
immer stärkere Einordnung der deutschen Wirt- organischen Ausgleich zu bringen.
schaft in die Weltwirtschaft
Die allenthalben angestellten Mutmaßungen über
(Zuruf von der KPD: Marshall-Plan!) die möglichen Auswirkungen der bevorstehenden
systematisch die durch 15 Jahre Zwangswirtschaft geldpolitischer Maßnahmen gehen weit über das
und Kriegswirtschaft entstandenen Strukturfehler sachlich berechtigte Maß hinaus. Es besteht keiner-
der deutschen Wirtschaft beseitigen. lei Grund zur Beunruhigung, da die zu erwarten-
(Sehr gut! in der Mitte und rechts.) den Veränderungen auf dem Gebiete von Preisen
Unser ganzes Bestreben wird sein, möglichst und Löhnen im ganzen nur zu relativ gering-
wenig Hände und Köpfe in der Verteilung und der fügigen Verschiebungen führen werden.
Verwertung der wirtschaftlichen Produktion und (Hört! Hört! bei der KPD.— Abg. Renner:
möglichst viele Hände und Köpfe in der güter- Nur „geringfügigen"!)
erzeugenden Sphäre zu beschäftigen. Gerade in dieser Beziehung aber wird es die Re-
(Beifall rechts. — Zuruf von der KPD: Deshalb gierung als vornehmste Pflicht ansehen, soziale
auch so viele Minister!) Ungerechtigkeiten und Spannungen zu verhüten
Der Mangel an fachlicher Ausbildung, wie er und spekulativen Einflüssen keinen Raum zu
durch die nationalsozialistische Zeit und die geben.
Kriegszeit verursacht worden ist, wird dadurch Die Frage der Demontage unserer industriellen
ausgeglichen werden müssen, daß Gelegenheit ge- Anlagen bewegt das gesamte deutsche Volk. Es
boten wird, die fachliche Ausbildung zu verbessern. gibt wohl kaum jemanden in Deutschland, der sich
Die deutsche Wirtschaft ist in der Vergangenheit gegen die Demontage wirklich kriegswichtiger
groß und stark geworden durch ihre Facharbeiter Industrien irgendwie wendet. Aber die Vernich-
und nicht zuletzt durch angewandte Wissenschaft. tung großer wirtschaftlicher Werte ist eine Ange-
Die Summen, die zur Zeit in Amerika und auch legenheit, die man im Ausland nicht damit abtun
in England für wissenschaftliche Zwecke zum sollte, daß es einmal so beschlossen ist.
Nutzen der wirtschaftlichen Produktion und des (Sehr gut! in der Mitte.)
Deutscher Bundestag — 5. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 20. September 1949 25
(Bundeskanzler Dr. Adenauer)
Die letzte Änderung der Liste der zu demontieren- deutsche Wirtschaft ist, muß möglichst rasch wie-
den Werke war zwar, rein äußerlich betrachtet, der zu normalen Wirtschaftsverhältnissen zurück-
ein großes Entgegenkommen gegenüber den deut- geführt werden. Es ist für schnellste Aufforstung
schen Wünschen; sachlich, der Produktionskapazität der Kahlflächen und Förderung der Holzerzeugung
und dem Werte nach gesehen, sind aber die deut- in bäuerlichen Betrieben zu sorgen.
schen Wünsche nur zu etwa 10% erfüllt worden. Die Finanzpolitik muß einen Teil der allgemei-
(Hört! Hört! rechts.) nen Staatspolitik, insbesondere der Wirtschafts-
Die Demontagefrage ist auch eine Frage von großer politik bilden. Die Förderung der Kapitalbildung,
psychologischer Bedeutung. Man versteht in den und zwar sowohl der Bildung von Sparkapital wie
weitesten Kreisen des deutschen Volkes nicht, daß von Betriebskapital, wird unser vordringlichstes
man mit der einen Hand ihm wirtschaftliche Hilfe Ziel sein. Nur wenn wir nach Kräften die inner-
gibt und mit der anderen Hand wirtschaftliche deutsche Kapitalbildung steigern, können wir er-
Werte zerstört. warten, daß durch Freigabe von Gegenwertfonds
und auf andere Weise das dringend benötigte aus-
(Sehr richtig! in der Mitte und rechts.) ländische Kapital zum Wiederaufbau unserer
Man glaubt im deutschen Volke, daß damit die Wirtschaft zur Verfügung steht.
auch von ausländischen Staatsmännern wiederholt Der Wiederaufbau unserer Wirtschaft ist die
abgegebene Erklärung schwer zu vereinbaren ist, vornehmste, ja einzige Grundlage für jede Sozial-
daß Deutschland zum Wiederaufbau Europas not- politik und für die Eingliederung der Vertriebenen.
wendig ist. Zur Zeit sind die maßgebenden Staats- Nur eine blühende Wirtschaft kann die Belastun-
männer der Vereinigten Staaten, Englands und gen aus dem Lastenausgleich auf die Dauer tragen.
Frankreichs in Washington versammelt. Das deut- Nur sie kann auf die Dauer das Steueraufkommen
sche Volk würde sich herzlich freuen, wenn diese bringen, das die Haushalte des Bundes, der Länder
Zusammenkunft dazu benützt würde, um das deut- und der Gemeinden. die immer aus der Gesamt-
sche Demontageproblem einer Nachprüfung im schau heraus betrachtet werden müssen, zur Er-
Sinne einer Berücksichtigung der deutschen Wün- füllung ihrer Aufgaben benötigen.
sche zu unterziehen. Ich glaube, wenn auch mit
aller Vorsicht, sagen zu können, daß man die Hoff- Eine verstärkte Kapitalbildung hängt von der
nung hegen darf, daß dies in Washington geschieht. Erfüllung zweier Voraussetzungen ab: von einer
Herabsetzung der Steuertarife und der Wieder-
(Bravo! in der Mitte und rechts.) gewinnung des Vertrauens der Sparer.
Die Bundesregierung wird es sich besonders am Eine Herabsetzung der Einkommensteuersätze
Herzen liegen lassen, den Mittelstand in allen sei- wird nach unserer Überzeugung das Gesamtauf-
nen Erscheinungsformen zu festigen und ihm zu kommen nicht vermindern. Die jetzigen überhöhten
helfen. Steuersätze führen in der Wirtschaft zu unwirt-
(Bravo! in der Mitte.) schaftlichem Verhalten;
Wir sind durchdrungen von der Überzeugung, daß (Zuruf links: unmoralischem!)
dasjenige Volk das sicherste, ruhigste und beste sie hindern die Rationalisierung der Betriebe und
Leben führen wird, das möglichst viele mittlere damit die Preissenkung für die erzeugten Waren.
und kleinere unabhängige Existenzen in sich birgt. Eine Senkung der Einkommensteuersätze ist nicht
(Sehr richtig! in der Mitte und rechts.) nur steuerpolitisch, sondern auch wirtschaftspoli-
Die Aufgaben des Ministeriums für Landwirt- tisch absolut notwendig, und zwar mindestens auf
schaft und Ernährung werden in Zukunft einen die im Juni 1948 vom Wirtschaftsrat fast einstim-
andern Charakter tragen müssen als bisher. In mig und vom Länderrat einstimmig angenomme-
stärkerem Maße, als es bisher möglich war, wird nen Steuersätze. Wir sind sicher, daß schon nach
die landwirtschaftliche Produktion zu verbessern wenigen Übergangsmonaten das Steueraufkommen
und zu veredeln sein. Wir führen noch immer 50% die frühere Höhe, ja sogar eine noch größere Höhe
der benötigten Lebensmittel ein. Wenn die deut- erreichen wird. Diese Maßnahmen sollten bereits
sche Wirtschaft bis zum Jahre 1952 eine ausge- zum 1. Januar 1950 in Kraft gesetzt werden. Im
glichene Handelsbilanz erreicht haben soll, ist es Laufe des Jahres 1950 muß dann eine umfassende
notwendig, die landwirtschaftliche Produktion sehr Steuerreform in die Wege geleitet werden.
erheblich zu steigern, um den Verbrauch von De- Wenn durch diese Steuersenkung die Möglichkeit
visen für die Ernährung soweit als möglich einzu- einer größeren Kapitalbildung geschaffen wird. so
schränken. Voraussetzung für eine rasche und muß ein Anreiz dafür gegeben werden, daß nicht
anhaltende Steigerung der landwirtschaftlichen der Konsum in unnötiger Weise gesteigert, sondern
Erzeugung ist ein weiterer Abbau der staatlichen wirklich Kapital gebildet wird. Dazu ist notwendig,
Zwangswirtschaft den Altsparern das Vertrauen zur staatlichen Ge-
(Sehr gut! in der Mitte) setzgebung wiederzugeben.
und Schaffung gesicherter und ausgeglichener Pro- (Sehr richtig! in der Mitte.)
duktions- und Absatzverhältnisse für landwirt- Das scheint mir eine staatspolitische Forderung
schaftliche Erzeugnisse zu Preisen, die die Produk- ersten Ranges zu sein. Die von den Alliierten er-
tionskosten gut arbeitender Durchschnittsbetriebe lassene Währungsreform enthält vermeidbare
decken und gleichzeitig auch den Minderbemittelten soziale Härten, insbesondere in der Behandlung
den Kauf dieser Produkte gestatten. Eine Um- der Altsparer aller Art. Die Frage, in welchem
stellung der Landwirtschaft zum Zwecke der Ein- Umfange diese Mängel beseitigt werden können,
sparung von Devisen wird. wie ich eben ausführte. bedarf einer beschleunigten Prüfung und Er-
eine absohite NotwendickPit für uns Sein. Um sie ledigung.
herbeizuführen. ist Aufklärung und Belehrung der Um das Vertrauen auch des ausländischen Ka-
landwirtschaftlichen Bevölkerung dringend erfor- pitals wiederzugewinnen, sollte die Blockierung des
derlich. ausländischen Vermögens in Deutschland bald auf-
Die Forstwirtschaft, meine Damen und Herren, gehoben werden. Wir werden bereit sein, alles in
die eine der wichtigsten Rohstofflieferanten für die unseren Kräften Stehende zu tun, um mit den seit
26 Deutscher Bundestag — 5. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 20. September 1949
(Bundeskanzler Dr. Adenauer)
langer Zeit schwer geschädigten ausländischen Hilfsmaßnahmen für Berlin, und zwar nicht aus-
Gläubigern ein beiderseitig tragbares Einverneh- schließlich durch Gewährung von finanziellen Zu-
men zu finden. schüssen, zu beraten und zu beschließen.
Wir hoffen, meine Damen und Herren, daß die
zugesagte Herabsetzung der Besatzungskosten er- (Zuruf rechts: Mit Verwendungskontrolle!)
heblich sein wird. Diese Herabsetzung würde vom Ich habe schon vorher erwähnt, daß diejenigen
gesamten deutschen Volk dankbar begrüßt werden. Fraktionen, die sich hier zu gemeinsamer Re-
Sie wird die Grundlage geben, den Wohnungsbau gierungsbildung und Arbeit zusammengefunden
und die Eingliederung der Vertriebenen tatkräftig haben, es als ihre vornehmste Pflicht betrachten,
vorwärtszutreiben, und so die politische, soziale auf allen Gebieten sozial zu handeln. Auf dem
und wirtschaftliche Konsolidierung Deutschlands engeren Gebiet der Sozialpolitik gilt das im be-
sichern. sonderen Maße. Die Bundesregierung wird sich
Wir werden bemüht sein, den endgültigen bemühen, ihre Sozialpolitik den jetzigen Zeitver-
Lastenausgleich baldigst zu verabschieden, um die hältnissen entsprechend umzugestalten und auszu-
Ungewißheit zu beseitigen, die seit so langer Zeit gestalten. Wenn auch, wie ich ausgeführt habe, die
sowohl auf den Geschädigten wie auf der zu be- beste Sozialpolitik eine gesunde Wirtschaftspolitik
lastenden Wirtschaft liegt. Die gesetzliche Regelung ist, die möglichst vielen Arbeit und Brot gibt, so
muß sich in die allgemeine Steuer- und Finanz- wird es doch nach diesem Kriege und dieser.. Not
reform sinnvoll einordnen. Die Kleinst- und Klein- in Deutschland immer einen sehr großen Prozent-
geschädigten müssen dabei besonders pfleglich be- satz von Menschen geben, denen anders und beson-
handelt werden. ders geholfen werden muß. Das gilt insbesondere
Es wird notwendig sein, sobald wie möglich auch auch von den Schwerkriegsbeschädigten. Das Ge-
die Frage der Pensionen der vertriebenen Beamten setz über ihre Unterbringung ist den jetzigen
und der ehemaligen Militärpersonen durch Bundes- Verhältnissen entsprechend abzuändern. Den er-
gesetz zu regeln. werbsunfähigen Kriegsbeschädigten und den
(Sehr richtig! in der Mitte und rechts.) Kriegshinterbliebenen ist ein ausreichender Unter-
halt zu gewähren. Die Schaffung einer einheit-
Diese Regelung kann zwar an den namentlich in lichen Versorgungsgesetzgebung für das gesamte
der Kriegszeit ungewöhnlich rasch erfolgten Beför- Bundesgebiet ist nötig.
derungen der Militärpersonen nicht achtlos vorbei-
gehen, sie wird aber doch die Wehrmachtbeamten Die Rechtsbeziehungen zwischen Arbeitnehmern
und Militärpersonen so behandeln müssen, wie es und Arbeitgebern müssen zeitgemäß neu geordnet
recht und billig ist. werden. Die Selbstverwaltung der Sozialpartner
muß an die Stelle der staatlichen Bevormundung
(Abg. Rische: Für die neue Wehrmacht!) treten.
— Wir sind doch nicht in der Ostzone! (Sehr richtig! rechts.)
(Heiterkeit und Händeklatschen in der Mitte Die Bundesregierung steht auf dem Boden der
und rechts. — Abg. Rische: Da fehlt der Koalitionsfreiheit. Sie wird es den Verbänden
Kriegsminister!) überlassen, alles das in freier Selbstverwaltung zu
- Ich sehe Sie ja schon in schöner Uniform. tun, was den wirtschaftlichen und sozialen In-
teressen förderlich ist und was einer weiteren Ver-
(Heiterkeit und Beifall in der Mitte und rechts. ständigung zwischen Arbeitgebern und Arbeitneh-
— Abg. Renner: Dann sind Sie aber amerika- mern dient. Ein verständiger Ausgleich sozialer
nischer General!) Gegensätze ist eine unumgängliche Voraussetzung
— Dann stehen Sie stramm vor mir! für den Aufstieg unseres Volks. Dieser Ausgleich
muß durch die Sozialpartner selbst herbeigeführt
(Heiterkeit und Beifall in der Mitte und rechts.) werden. Die sozial- und gesellschaftspolitische
Nach den freundlichen Unterbrechungen fahre Anerkennung der Arbeitnehmerschaft macht eine
ich nun fort. Neuordnung der Besitzverhältnisse in den Grund-
Die Gefahren einer Deflation sind ebensogroß industrien notwendig.
wie die einer Inflation. Im jetzigen Stadium unse- (Bravo! in der Mitte.)
rer Wirtschaftsentwicklung ist eine aktive Kon- Es scheint mir aber auch eine der wesentlichsten
junkturpolitik nötig, die sich, ohne damit irgendwie Grundbedingungen einer verständigen Sozialpoli-
die Währung zu gefährden, des Instrumentes der tik zu sein, dem Fleißigen und Tüchtigen jede Auf-
Vorfinanzierung solcher Aufgaben bedient, deren stiegsmöglichkeit zu geben.
Finanzierung, sei es aus inländischen Quellen, sei
es aus Gegenwert-Fonds in absehbarer Zeit ge- (Sehr richtig! in der Mitte.)
sichert ist. Auf die Betonung dieser Aufstiegsmöglichkeiten
legen wir den größten Wert.
Unsere besondere Fürsorge auf wirtschaftlichem
Gebiet gilt der Stadt Berlin. Seit der Währungs- (Bravo! rechts.)
reform sind bis zum 10. September 1949, also in Der als Folge des Krieges und der Verschlep-
rund 15 Monaten, aus dem Haushalt des Vereinig- pung von Männern eingetretene Frauenüberschuß
ten Wirtschaftsgebiets 414 Millionen DM an den ist ein Problem, das unsere besondere Beachtung
Magistrat der Stadt Berlin geflossen. verdient.
(Zuruf von der KPD: Für den kalten Krieg!) (Zuruf von der KPD: Gab es denn keinen
Dazu hat Berlin aus dem GARIOA-Fonds bis zum Krieg?)
13. September 1949 688 Millionen DM erhalten. Es bedarf wohl keiner Versicherung, daß wir fest
Die im Haushalt der bizonalen Verwaltung 1949 und entschieden gegenüber allen entgegengesetzten
für die Zeit bis zum 31. Dezember 1949 eingesetzten Tendenzen auf dem Boden des Artikels 6 des
Mittel werden schon im Oktober erschöpft sein. Grundgesetzes stehen, in dem es heißt: „Ehe und
Es ist unbedingt notwendig, da wir unter keinen Familie stehen unter dem besonderen Schutz der
Umständen Berlin im Stiche lassen dürfen, be- staatlichen Ordnung."
schleunigt über den Fortgang und Umfang der (Bravo!)
Deutscher Bundestag — 5. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 20. September 1949 27
(Bundeskanzler Dr. Adenauer)
Das Problem des Frauenüberschusses erschöpft sich nötigen Lehren gegenüber allen denjenigen zu
aber nicht in der Frage der notgedrungenen Ehe- ziehen, die an der Existenz unseres Staates rütteln,
losigkeit eines großen Teiles der Frauen; es ist (Bravo! und Sehr gut!)
umfassender und weitreichender. Wir müssen den mögen sie nun zum Rechtsradikalismus oder zum
Frauen neue Berufe und Ausbildungsmöglichkei- Linksradikalismus zu rechnen sein.
ten zu erschließen versuchen. Es wird — wenn es
vielleicht zunächst auch nicht so wichtig aussieht — (Lachen und Zuruf von der KPD.)
auch beim Wohnungsbau darauf geachtet werden — Ach, Sie sind ja gar nicht so radikal.
müssen, daß den unverheiratet gebliebenen Frauen (Heiterkeit. — Abg. Renner: Sie sind auch
wenigstens in etwa ein Ersatz für die fehlende nicht so sozial, wie Sie sich hier gebärden!)
häusliche Behaglichkeit geboten wird. - Die Befürchtungen, meine Damen und Herren,
(Bravo!) die namentlich in der ausländischen Presse über
Wir werden alle diese Fragen, deren Wichtigkeit rechtsradikale Umtriebe in Deutschland laut ge-
ich unterstreichen möchte, durch ein einer Frau worden sind, sind ganz bestimmt weit übertrieben.
anzuvertrauendes Referat im Ministerium des In- (Sehr richtig! rechts.)
nern einer möglichst guten Lösung zuzuführen
versuchen. Ich bedaure außerordentlich, daß durch Berichte
(Bravo! rechts.) deutscher und ausländischer Zeitungen Persönlich-
keiten, indem man ihre ungezogenen Reden ver-
Den Jugendlichen, namentlich denjenigen, denen breitet hat, eine Bedeutung beigelegt worden ist,
die Erziehung durch Familie und Schule während die sie in Deutschland niemals gehabt haben.
der Kriegszeit und der wirren Zeit nach dem
Kriege und eine gute Ausbildung gefehlt hat, wer- (Beifall in der Mitte und rechts.)
den wir zu Hilfe kommen müssen. Wir werden Aber, meine Damen und Herren, ich betone noch
überhaupt versuchen, unsere Pflicht gegenüber der mals: wenn wir auch glauben, daß diese Berichte
jungeGratiodszubechn,al übertrieben sind, so sind wir uns völlig darüber
früher geschehen ist. einig, daß wir dem Auftreten rechts- und links-
(Sehr gut! in der Mitte und rechts.) radikaler, den Staat gefährdender Bestrebungen
unsere vollste Aufmerksamkeit widmen müssen;
Die junge Generation, dessen wollen wir uns im- und ich wiederhole nochmals: wir werden nötigen-
mer bewußt bleiben, trägt die Zukunft Deutsch- falls von den Rechten, die die Gesetze uns geben,
lands in ihren Händen. entschlossen Gebrauch machen.
Wir werden das Beamtenrecht neu ordnen müs- (Beifall in der Mitte und rechts. — Zuruf
sen. Wir stehen grundsätzlich und entschlossen auf von der KPD: Kennen wir!)
dem Boden des Berufsbeamtentums. Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich in
(Beifall in der Mitte und rechts.) diesem Zusammenhang ein Wort zu hier und da
Durch die Denazifizierung ist viel Unglück und anscheinend hervorgetretenen antisemitischen Be-
viel Unheil angerichtet worden. strebungen sagen. Wir verurteilen diese Bestre-
(Sehr richtig! in der Mitte und rechts.) bungen auf das schärfste. Wir halten es für un-
würdig und für an sich unglaublich, daß nach all
Die wirklich Schuldigen an den Verbrechen, die dem, was sich in nationalsozialistischer Zeit be-
in der nationalsozialistischen Zeit und im Kriege geben hat, in Deutschland noch Leute sein sollten,
begangen worden sind, sollen mit aller Strenge die Juden deswegen verfolgen oder verachten, weil
bestraft werden. sie Juden sind.
(Zurufe von der KPD.) (Zuruf von der KPD.
Aber im übrigen dürften wir nicht mehr zwei Meine Damen und Herren! Ich komme zu einem
Klassen von Menschen in Deutschland unter- besonders ernsten und wichtigen Kapitel. Deutsch-
scheiden: land wird nunmehr durch seine staatliche Neu-
(Zustimmung rechts) gestaltung in die Lage versetzt, sich der Frage der
die politisch Einwandfreien und die Nichteinwand- deutschen Kriegsgefangenen und Verschleppten
freien. Diese Unterscheidung muß baldigst ver- mit größerer Stärke anzunehmen als bisher. In
schwinden. Rußland werden noch Millionen von Kriegsgefan-
(Erneute Zustimmung.) genen zurückgehalten.
Der Krieg und auch die Wirren der Nachkriegs- (Zuruf rechts: Herr Renner, hören Sie!)
zeit haben eine so harte Prüfung für viele gebracht Wir wissen nicht, wohin die 1,5 bis 2 Millionen
und solche Versuchungen, daß man für manche deutscher Kriegsgefangener gekommen sind,
Verfehlungen und Vergehen Verständnis aufbrin- (Abg. Renner: Fragen Sie Hitler! —
gen muß. Es wird daher die Frage einer Amnestie
vonderBusgi püftwerdn, Lachen und Zurufe rechts)
(Bravo!) die aus den russischen Heeresberichten über die
jetzt von Rußland angegebene Zahl der Kriegs-
und es wird weiter die Frage geprüft werden, auch gefangenen hinaus errechnet werden konnten.
bei den Hohen Kommissaren dahin vorstellig zu
werden, daß entsprechend für von alliierten Mili- (Zuruf des Abg. Renner.)
tärgerichten verhängte Strafen Amnestie gewährt Das gleiche gilt in ähnlicher Weise für Jugo-
wird. slawien.
(Beifall rechts und in der Mitte.) (Zuruf von der KPD: Und Indochina! —
Wenn die Bundesregierung so entschlossen ist, Zuruf rechts: Tschechei!)
dort, wo es ihr vertretbar erscheint, Vergangenes Das Geschick dieser Millionen Deutscher, die jetzt
vergangen sein zu lassen, in der Überzeugung, daß schon seit Jahren das bittere Los der Gefangen-
viele für subjektiv nicht schwerwiegende Schuld schaft getragen haben, ist so schwer, das Leid
gebüßt haben, so ist sie andererseits doch unbe- ihrer Angehörigen in Deutschland so groß, daß
dingt entschlossen, aus der Vergangenheit die alle Völker mithelfen müssen, diese Gefangenen
28 Deutscher Bundestag — 5. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 20. September 1949
(Bundeskanzler Dr. Adenauer)
und Verschleppten endlich ihrer Heimat und ihrer mit der damals gegebenen Begründung, man müsse
Familie zurückzugeben. erst die Bundesregierung abwarten.
(Bravo! in der Mitte und rechts. — Die Bundesregierung wird sich auch um die
Abg. Renner: Das erreicht man aber 300 000 freien Arbeiter bemühen müssen, die, um
nicht durch die verlogene Hetze!) aus der Kriegsgefangenschaft herauszukommen, in
Frankreich, Belgien und England Verträge als
Präsident Dr. Köhler: Wen meinen Sie damit, freie Arbeiter geschlossen haben. Endlich werden
Herr Abgeordneter Renner? wir die Forderung erheben müssen, daß gegen die-
(Abg. Renner: Die deutschen Parteien, die jenigen Deutschen, die in den alliierten Ländern
diese Hetze betreiben!) wegen behaupteter Kriegsverbrechen zurückgehal-
— Ich rufe Sie zur Ordnung. Während dieser -Er ten werden, die Gerichtsverhandlungen unter Wah-
klärung des Herrn Bundeskanzlers derartige Be rung aller rechtlichen Formen schnell zu Ende ge-
merkungen zu machen, stört die Würde des Hauses. führt werden.
Bitte, Herr Bundeskanzler, fahren Sie fort! (Abg. Dr. Richter: Man soll einmal inter
nationale Gerichte gegen die Kriegsver
(Zuruf von der KPD: Aber Hetze ist brecher auf der anderen Seite einsetzen! —
erlaubt!) Gegenruf links: Sind wir schon wieder so
Dr. Adenauer, Bundeskanzler: Meine Damen und weit?)
Herren! Es ist mir eine liebe Pflicht, für die weit- Das Los der Vertriebenen, meine Damen und
reichende Hilfe, die unseren Kriegsgefangenen zu- Herren, ist besonders hart. Die Frage ihres zu-
teil geworden ist, zu danken, in erster Linie dem künftigen Schicksals kann nicht von Deutschland
Internationalen Komitee vom Roten Kreuz in Genf, allein gelöst werden.
(Bravo-Rufe und Händeklatschen in der (Sehr richtig! rechts.)
Mitte und rechts) Es handelt sich um eine Frage, die nur auf inter-
das unseren deutschen Kriegsgefangenen unendlich nationalem Wege ihrer Lösung nähergebracht wer-
viel Gutes getan hat. Wir danken auch dem Vati- den kann. Man muß sie aber lösen, wenn man nicht
kan und dem gegenwärtigen Papst, der nach dem Westdeutschland für lange Zeit hinaus zu einem
Kriege der erste war, der den Ruf nach baldiger Herd politischer und wirtschaftlicher Unruhe wer-
Entlassung der deutschen Kriegsgefangenen erhob den lassen will.
(lebhafter Beifall in der Mitte und rechts) Lassen Sie mich nun zu Fragen übergehen, die
und der das Schicksal der deutschen Gefangenen uns in Deutschland außerordentlich am Herzen
durch großzügige Schenkungen und Gaben, zu liegen und die für unser gesamtes Volk Lebensfra-
denen er die Welt veranlaßte, zu mildern ver- gen sind. Es handelt sich um die Abkommen von
suchte. Der Arbeit der Ökumene in Genf danken Jalta und Potsdam und die Oder-Neiße-Linie. Im
wir in gleicher Weise von ganzem Herzen. Potsdamer Abkommen heißt es ausdrücklich:
(Erneuter lebhafter Beifall in der Mitte Die Chefs der drei Regierungen
und rechts.) — das sind die Vereinigten Staaten, England und
Sie hat insbesondere in der angelsächsischen Welt Sowjetrußland —
die Kräfte der Liebe evangelischen Glaubens mo- haben ihre Ansicht bekräftigt, daß die end-
bilisiert. Ich hebe auch die internationale Organi- gültige Bestimmung der polnischen West-
sation der Christlichen Vereine junger Männer grenze bis zur Friedenskonferenz vertagt wer-
hervor, die durch ihren hervorragenden Gefange- den muß.
nendienst unsern Brüdern in allen Ländern große (Hört! Hört! rechts.)
Hilfe gewährt haben. Wir können uns daher unter keinen Umständen
(Bravo! und Händeklatschen in der Mitte mit einer von Sowjetrußland und Polen später ein-
und rechts.) seitig vorgenommenen Abtrennung dieser, Gebiete
Auch dem Evangelischen Hilfswerk unter der Füh- abfinden.
rung von Dr. Gerstenmaier und der Caritas-Kriegs- (Sehr richtig! und lebhafter Beifall rechts,
gefangenenhilfe unter der Leitung des verstorbe- in der Mitte und bei der SPD.)
nen Prälaten Kreutz danken wir herzlichst. Diese Abtrennung widerspricht nicht nur dem
Die Arbeit der Bundesregierung wird weiter den Potsdamer Abkommen, sie widerspricht auch der
etwa 200 000 Deutschen gelten müssen, die sich in Atlantik-Charta vom Jahre 1941, der sich die
dem ehemaligen Ostpreußen und Schlesien sowie Sowjet-Union ausdrücklich angeschlossen hat.
in der Tschechoslowakei befinden, die als Fach- (Erneute Zustimmung in der Mitte und
arbeiter oder als politisch mehr oder minder Be- rechts.)
lastete zurückgehalten werden. Darunter befinden
sich viele Frauen, die in der ersten Schockwirkung Die Bestimmungen der Atlantik-Charta sind ganz
der Niederlage und in der Hoffnung auf Rückkehr eindeutig und klar. Die Generalversammlung der
ihrer noch in Gefangenschaft befindlichen Männer Vereinten Nationen hat durch Beschluß vom 3. No-
für Polen optiert haben, deren Männer aber in der vember 1948 die Großmächte aufgefordert, nach
Zwischenzeit nach Westdeutschland entlassen wor- diesen Prinzipien baldmöglichst Friedensverträge
den sind. Das Internationale Rote Kreuz hat es abzuschließen. Wir werden nicht aufhören, in
übernommen, mit den Westalliierten einerseits und einem geordneten Rechtsgang unsere Ansprüche
mit Warschau und Prag andererseits über die Um- auf diese Gebiete weiter zu verfolgen.
siedlung dieser bedeutenden Restbevölkerung zu (Lebhafter Beifall in der Mitte und
verhandeln. Die Verhandlungen sind später über- rechts. — Abg. Dr. Richter: Bitte auch
raschend — soviel den deutschen Stellen bekannt- das Sudetenland dabei nicht vergessen,
geworden ist, durch die britische Militärregierung Herr Bundeskanzler!)
— abgebrochen worden Ich weise darauf hin, daß die Austreibung der Ver-
(Hört! Hört! in der Mitte und rechts) triebenen in vollem Gegensatz zu den Bestimmun-
Deutscher Bundestag — 5. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 20. September 1949 29
(Bundeskanzler Dr. Adenauer)
gen des Potsdamer Abkommens vorgenommen den zu leben. Wir haben den dringendsten Wunsch,
worden ist. daß die gegenwärtig bestehenden Spannungen
(Sehr richtig! rechts.) zwischen Sowjet-Rußland und den Westalliierten
In diesem Potsdamer Abkommen ist nur von einer ihre Lösung im Laufe der Zeit auf friedlichem
Umsiedlung der in Polen, der Tschechoslowakei Wege finden. Aber wenn ich ausspreche, daß wir
und Ungarn verbliebenen deutschen Bevölkerung den Wunsch haben, in Frieden mit Sowjet-Ruß-
die Rede, und es war vereinbart worden, daß jede land zu leben, so gehen wir davon aus, daß auch
stattfindende Umsiedlung auf organisierte und hu- Sowjet-Rußland und Polen uns unser Recht las-
mane Weise vorgenommen werden sollte. Es fällt sen und unsere deutschen Landsleute auch in der
mir sehr schwer, meine Damen und Herren, wenn Ostzone und in dem ihnen unterstehenden Teil
ich an das Schicksal der Vertriebenen denke, die - von Berlin das Leben in Freiheit führen lassen,
zu Millionen umgekommen sind, das deutschem Herkommen, deutscher Erziehung
(Zuruf in der Mitte: 5 Millionen!) und deutscher Überzeugung entspricht.
(Lebhafter Beifall in der Mitte und rechts.)
mit der notwendigen leidenschaftslosen Zurück-
haltung zu sprechen. Ich darf aber darauf hinwei- Ich habe an einer anderen Stelle schon ausge-
sen, daß kein Geringerer als Winston Churchill führt, daß das Besatzungsstatut zwar ein Fort-
bereits im August 1945 im britischen Unterhaus schritt, sogar ein erheblicher Fortschritt gegenüber
öffentlich und feierlich nicht nur gegen das Aus- dem bisherigen Zustand ist. Es wird aber ganz
maß der von Polen angestrebten Gebietserweite- darauf ankommen, ob es in dem Geist gehandhabt
rung, sondern auch gegen die Praxis der Massen- wird, der aus dem Begleitschreiben der Außen-
austreibung Protest eingelegt hat. minister von England, Frankreich und den Ver-
einigten Staaten vom April dieses Jahres an den
(Abg. Dr. Schmid:Er hat mit unterschrieben!) Präsidenten des Parlamentarischen Rats sprach.
Die Massenaustreibung nannte Churchill eine „Die Außenminister betonen", so heißt es in der
„Tragödie unvorstellbaren Ausmaßes", und er Note, „daß es das höchste Ziel der drei Alliierten
deutete an, daß eine unerhört große Zahl von die- Regierungen ist, den festen Einbau des deutschen
sen Vertriebenen einfach verschwunden sei. Am Volkes in , einem demokratischen Bundesstaat in
10. Oktober 1945 stellte der britische Außen- den Rahmen eines europäischen Zusammenschlus-
minister Bevin fest, daß Großbritannien in keiner ses zum beiderseitigen Besten zu ermutigen und
Weise verpflichtet sei, die Ansprüche Polens auf zu fördern." Wir sind überzeugt davon, daß, wenn
die Oder-Neiße-Linie zu unterstützen. Die gleiche das Besatzungsstatut in diesem Sinne gehandhabt
Feststellung traf der frühere amerikanische Außen- wird. es uns ein eigenes starkes Leben und wei-
minister Byrnes am 6. September 1946 in seiner tere Fortschritte ermöglichen wird.
bekannten Rede in Stuttgart. Die Bundesregierung (Abg. Renner: Sie nannten es einmal
wird allen diesen Fragen die größte Aufmerksam- Kolonialstatut!)
keit widmen und sich dafür einsetzen, daß auch Ich bin überzeugt: wenn, wie es in dem Besat-
das uns zustehende Recht geachtet wird. zungsstatut vorgesehen ist, nach 12 Monaten und
(Lebhafte Zustimmung in der Mitte und auf jeden Fall innerhalb von 18 Monaten nach
rechts.) Inkrafttreten des Statuts die Besatzungsmächte
Sie wird das ganze Rechts- und Tatsachenmaterial seine Bestimmungen im Lichte der Erfahrungen
in einer Denkschrift, die veröffentlicht und den prüfen. . die sie inzwischen gemacht haben, werden
alliierten Regierungen überreicht werden wird, die Mächte sicher zu dem Ergebnis kommen, daß
zusammenfassen. es möglich sein wird, die Zuständigkeit der deut-
schen Behörden auf den Gebieten der Legislative,
Meine Damen und Herren! Wenn ich eingangs der Exekutive und der Justiz weiter auszudehnen.
gesagt habe, daß unsere auswärtigen Beziehungen
vondeHhKmisarnwgeo - Und nun, meine Damen und Herren, lassen Sie
den, so habe ich doch gleichzeitig festgestellt, daß mich ein Wort über unsere Stellung zum Be-
wir zu allen uns umgebenden Staaten in engen satzungsstatut sagen! Das Besatzungsstatut ist
Zusammenhängen — seien es gute, seien es weni- alles andere als ein Ideal. Es ist ein Fortschritt
ger gute — stehen. Ich würde daher eine Lücke gegenüber dem rechtlosen Zustand, in dem wir bis
in dieser Regierungserklärung lassen, wenn ich zum Inkrafttreten des Besatzungsstatuts gelebt ha-
nicht auf unser Verhältnis zu diesen Ländern ein- ben. Es gibt aber keinen andern Weg für das deut
ginge. sche Volk, wieder zur Freiheit und Gleichberech
tigung zu kommen,
(Abg. Renner: Vergessen Sie aber das
Saargebiet nicht!) (Abg. Renner: Friedensvertrag!)
— Lassen Sie mich zunächst SowjetRußland nicht als indem es dafür sorgt, daß wir nach dem völ-
vergessen! ligen Zusammenbruch, den uns der Nationalsozia-
(Heiterkeit in der Mitte und rechts. — lismus beschert hat, mit den Alliierten zusammen
Zurufe links.) wieder den Weg in die Höhe gehen. Der einzige
Weg zur Freiheit ist der, daß wir im Einverneh-
— Und deswegen werde ich mit Sowjet-Rußland men mit der Hohen Alliierten Kommission unsere
beginnen.
Freiheiten und unsere Zuständigkeiten Stück für
(Abg. Renner: Diesen Teil Ihrer Rede hat Stück zu erweitern versuchen.
Ihnen ein Fachmann aufgesetzt!) (Sehr richtig!)
— Sie sind ein neidischer Mann, Herr Renner! Es besteht für uns kein Zweifel, daß wir nach
(Heiterkeit. — Abg. Renner: Die Frage- unserer Herkunft und nach unserer Gesinnung zur
bogen von den Leuten müßte man westeuropäischen Welt gehören. Wir wollen zu
kennen!) allen Ländern gute Beziehungen, auch solche per-
Meine Damen und Herren! Wir sind durchaus sönlicher Art, unterhalten, insbesondere aber zu
bereit, mit unsern östlichen Nachbarn, insbeson- unsern Nachbarländern, den Benelux-Staaten,
dere mit SowjetRußland und mit Polen, in Frie- Frankreich, Italien, England und den nordischen
30 Deutscher Bundestag — 5. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 20. September 1949
(Bundeskanzler Dr. Adenauer)
Staaten. Der deutsch-französische Gegensatz, der werden vorübergehen. Wir hoffen, daß dann der
Hunderte von Jahren die europäische Politik be- und WiedrvngumtseBrüdn
herrscht und zu so manchen Kriegen, zu Zerstö- Schwestern in der Ostzone und in Berlin nichts
rungen und Blutvergießen Anlaß gegeben hat, muß mehr im Wege steht.
endgültig aus der Welt geschafft werden. (Abg. Dr. Richter: Auch mit den Sudeten-
(Lebhafter Beifall.) deutschen!)
Ich hoffe, ja ich sage: ich glaube, daß das Saar- Die Vertreter Groß-Berlins nehmen einstweilen
gebiet nicht zu einem Hindernis auf diesem Weg nur mit beratender Stimme an den Arbeiten dieses
werden wird. Hauses und des Bundesrats teil. Ihre Stimmen
(Aha! und Hört! Hört!) haben aber deswegen nicht weniger Gewicht, weil
Am Saargebiet hat Frankreich — das ist ohne wei- - sie kein Stimmrecht haben. Wenn auch der Eiserne
teres anzuerkennen — wirtschaftliche Interessen. Vorhang, der quer durch Deutschland geht, noch
Deutschland hat dort wirtschaftliche und nationale so dicht ist, — er kann nichts an der geistigen Ver-
Interessen. bundenheit zwischen den deutschen Menschen dies-
seits und jenseits des Eisernen Vorhangs ändern.
(Sehr richtig! — Zuruf: Sind das nur
Interessen?) (Lebhafter Beifall rechts, in der Mitte und
bei der SPD.)
Schließlich aber haben die Saarbewohner selbst Lassen Sie mich, meine Damen und Herren, in
den begründeten Wunsch, daß ihre eigenen wirt- dieser Stunde mit besonderem Dank der Vereinig-
schaftlichen und nationalen Interessen berücksich- ten Staaten von Nordamerika gedenken.
tigt werden.
(Bravo!)
(Zuruf von der KPD: Vielleicht sagen Sie
auch etwas über die Ausweisungen aus Ich glaube nicht, daß jemals in der Geschichte ein
dem Saargebiet!) siegreiches Land es versucht hat, dem besiegten
Land in der Weise zu helfen und zu seinem Wieder-
Alle diese Interessen sollen in eine Ordnung und aufbau und seiner Erholung beizutragen, wie das
Übereinstimmung gebracht werden, die sich im die Vereinigten Staaten gegenüber Deutschland
Rahmen der Europäischen Union, deren Mitglied getan haben und tun.
wir möglichst bald zu werden wünschen, finden (Bravo! rechts, in der Mitte und bei Teilen
lassen wird. der SPD.)
Mit aufrichtiger Genugtuung und Freude, meine Wir glauben, meine Damen und Herren, daß eine
Damen und Herren, denke ich daran, daß Außen- spätere Geschichtsschreibung dieses Verhalten der
minister Bevin mir in einer persönlichen Unter- Vereinigten Staaten als eine größere Tat bezeich-
redung im Sommer dieses Jahres erklärt hat: der nen wird als seine Anstrengungen im Kriege.
Krieg zwischen unseren- beiden Völkern ist zu (Sehr richtig! — Lachen bei der KPD.)
Ende, unsere beiden Völker müssen Freunde sein. Ich weiß, daß unzählige Amerikaner aus echter,
Ich habe eben gesagt, wir wünschen möglichst persönlicher Teilnahme und Nächstenliebe uns
bald in die Europäische Union aufgenommen zu Deutschen in unserer schwersten Not, als hier
werden. Wir werden gerne und freudig an dem Hunger und Mangel herrschten, in rührender Weise
großen Ziel dieser Union mitarbeiten. Ich weise geholfen haben. Das deutsche Volk wird das dem
darauf hin, daß wir in unserer Bonner Verfassung amerikanischen Volk niemals vergessen dürfen,
im Artikel 24 für den Bund die Möglichkeit vor- und es wird das auch nicht vergessen.
gesehen haben, Hoheitsrechte auf zwischenstaat- (Lebhafter Beifall rechts, in der Mitte und
liche Einrichtungen zu übertragen und sich zur bei der SPD.)
Wahrung des Friedens im System gegenseitiger Meine Damen und Herren! Die kulturellen An-
kollektiver Sicherheit einzuordnen. Es heißt dann gelegenheiten gehören nach dem Grundgesetz zu
in diesem Artikel weiter: der Zuständigkeit der Länder. Aber im Namen der
Der Bund wird hierbei in die Beschränkungen ' gesamten Bundesregierung kann ich folgendes
seiner Hoheitsrechte einwilligen, die eine sagen: unsere ganze Arbeit wird getragen sein
friedliche und dauerhafte Ordnung in Europa von dem Geist christlich-abendländischer Kultur
und zwischen den Völkern der Welt herbei- und von der Achtung vor dem Recht und vor der
führen und sichern. Würde des Menschen.
Ich glaube, daß unser Grundgesetz damit die fort- (Bravo!)
schrittlichste aller Verfassungen ist. Wir hoffen — das ist unser Ziel —, daß es uns
(Sehr richtig!) mit Gottes Hilfe gelingen wird, das deutsche Volk
Wir sind entschlossen, alles zu tun, was in unserer aufwärtszuführen und beizutragen zum Frieden
Kraft steht, um den in diesem Artikel vorgezeich- in Europa und in der Welt.
neten Weg zur Sicherung des Friedens in Europ a . (Anhaltender lebhafter Beifall.)
und in der Welt zu gehen.
Präsident Dr. Köhler: Meine Damen und Herren!
Wenn ich vom Frieden in der Welt und in Europa Das Hohe Haus hat die Regierungserklärung des
spreche, dann, meine Damen und Herren, muß ich Herrn Bundeskanzlers entgegengenommen.
auf die Teilung Deutschlands zurückkommen. Die Damit sind wir am Ende der Tagesordnung an-
Teilung Deutschlands wird eines Tages — das ist gelangt. Gemäß interfraktioneller Vereinbarung
unsere feste Überzeugung — wieder verschwinden. gestern im Ältestenrat habe ich mitzuteilen, daß die
(Lebhafter Beifall.) nächste Sitzung hiermit auf Mittwoch, den 21. Sep
Ich fürchte, daß, wenn sie nicht verschwindet, in tember, berufen wird. Beginn: 14 Uhr 15. Einziger
Europa keine Ruhe eintreten wird. Punkt der Tagesordnung: Aussprache über die
(Sehr richtig!) Regierungserklärung.
Diese Teilung Deutschlands ist durch Spannungen Ich schließe hiermit die 5. Sitzung des Deut-
herbeigeführt worden, die zwischen den Sieger schen Bundestags.
mächten entstanden sind. Auch diese Spannungen (Schluß der Sitzung: 15 Uhr 53 Minuten.)

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