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36. Sitzung
Inhalt:
Nachruf auf den Abg. Jacobi 1741 A Entwurf eines Gesetzes über Straffreiheit
(Straffreiheitsgesetz 1970) (Drucksache
Eintritt der Abg. Welslau und Urbaniak in VI/486) — Erste Beratung — 1764 A
den Bundestag 1741 D
Entwurf eines Gesetzes über technische
Überweisung von Vorlagen an Ausschüsse 1741 D Assistenten in der Medizin (Drucksache
VI/385) — Erste Beratung — . . . . . 1764 A
Amtliche Mitteilungen 1742 A
Entwurf eines Gesetzes über technische
Beratung des Jahresberichts 1969 des Wehr- Assistenten und Gehilfen in der Medizin
beauftragten des Bundestages (Druck- (Abg. Dr. Jungmann, Frau Kalinke und
sache VI/453) Fraktion der CDU/CSU) (Drucksache
VI/445) — Erste Beratung — . . . . . 1764 A
Rasner (CDU/CSU) 1743 A
Hoogen, Wehrbeauftragter . .. . 1743 A Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des
Dr. Klepsch (CDU/CSU) . . . . 1746 C Mineralölsteuergesetzes 1964 (Abg. Dr.
Schmid-Burgk, Dr, Pohle, Porzner, Dr.
Buchstaller (SPD) 1749 A Koch, Frau Funcke, Freiherr von Kühl-
Jung (FDP) . . . . . . . . 1751 C mann-Stumm und Fraktionen der CDU/
CSU, SPD, FDP) (Drucksache VI/389) —
Schmidt, Bundesminister . 1754 A, 1761 D
Erste Beratung — . . . . . . . . . 1764 A,
Berkhan, Parlamentarischer 1838 D
Staatssekretär 1760 C
Dr. Zimmermann (CDU/CSU) . . 1760 D Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des
Kaffeesteuergesetzes und des Teesteuer-
Damm (CDU/CSU) 1762 C
gesetzes (Drucksache VI/396) — Erste Be-
ratung — 1764 A
Wahl des Wehrbeauftragten des Bundes-
tages
Entwurf eines Gesetzes zu dem Abkommen
Dr. Jaeger, Vizepräsident . . . . 1763 B vom 17. September 1968 zwischen der
Bundesrepublik Deutschland und der Ita-
Begrüßung von Senatoren aus Vietnam . . 1763 D lienischen Republik zur Vermeidung der
II Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. März 1970
Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Bericht des Ausschusses für Wirtschaft über
direkten Steuern bei den Unternehmun- die
gen der Luftfahrt (Drucksache VI/397) — Verordnungen über die Erhebung einer
Erste Beratung - 1764 B Ausgleichsabgabe zur Sicherung der
deutschen Landwirtschaft
Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Ergän-
Verordnungen zur Änderung des Deut-
zung des Gesetzes zur Neuordnung der
schen Teil-Zolltarifs (Nr. 19/69 und 2/70
Pensionskasse Deutscher Eisenbahnen
— Angleichungszölle für Verarbeitungs-
und Straßenbahnen (Abg. Dr. Dittrich,
weine griechischer Erzeugung)
Draeger, Seibert u. Gen.) (Drucksache
VI/402) — Erste Beratung — 1764 B Verordnung zur Änderung des Deutschen
Teil-Zolltarifs (Nr. 23/69 — Zollausset-
Antrag der Fraktionen der SPD, FDP betr. zung für Sprotten und Kaviar) (Druck-
Vorlage eines Entwurfs für ein Ver- sachen VI/59, VI/147, VI/173, VI/214, VI/314,
waltungsverfahrensgesetz (Drucksache VI/315, VI/462) 1765 B
VI/409) 1764 B
Bericht des Ausschusses für Wirtschaft über
Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des die
Güterkraftverkehrsgesetzes (Abg. Engels- Achtzehnte Verordnung zur Änderung der
berger, Strauß, Dr. Pohle, Haage [Mün- Außenwirtschaftsverordnung
chen], Schmidt [Kempten], Ollesch u.
Achtunddreißigste Verordnung zur Ände-
Gen. und Fraktion der CDU/CSU) (Druck-
rung der Einfuhrliste Anlage zum
sache VI/428) — Erste Beratung . . . 1764 B
—
—
Außenwirtschaftsgesetz —
Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Zwanzigste Verordnung zur Änderung
Deutschen Teil Zolltarifs (Speiseessig)
-
der Ausfuhrliste — Anlage AL zur
(CDU/CSU, SPD, FDP) (Drucksache VI/429) Außenwirtschaftsverordnung — (Druck-
Erste Beratung
— — 1764 C sachen VI/207, VI/209, VI/210, VI/463) . . 1765 C
Mündlicher Bericht des Ausschusses für Entwurf eines Gesetzes zu dem Zusatzver-
Wahlprüfung, Immunität und Geschäfts- trag vom 7. Februar 1969 zur Durchfüh-
ordnung betr. Genehmigung zur Durch- rung und Ergänzung des Vertrages vom
führung eines Strafverfahrens gegen den 7. Mai 1963 zwischen der Bundesrepublik
Abg. Dr. Müller-Hermann (Drucksache Deutschland und der Republik Osterreich
VI/422) in Verbindung mit über Kriegsopferversorgung und Beschäf-
tigung Schwerbeschädigter (Drucksache
Mündlicher Bericht des Ausschusses für VI/275) ; Schriftlicher Bericht des Aus-
Wahlprüfung, Immunität und Geschäfts- schusses für Arbeit und Sozialordnung
ordnung betr. Genehmigung zur Durch- (Drucksache VI/458) — Zweite Beratung
führung eines Strafverfahrens gegen den und Schlußabstimmung — 1765 D
Abg. Bundesminister Schmidt (Druck-
sache VI/423) und mit Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag
vom 21. Januar 1969 zwischen der Bun-
Mündlicher Bericht des Ausschusses für desrepublik Deutschland und dem König-
Wahlprüfung, Immunität und Geschäfts- reich der Niederlande über die Einzie-
hung und Beitreibung von Beiträgen der
ordnung betr. Genehmigung zur Durch-
führung eines Strafverfahrens gegen den Sozialen Sicherheit (Drucksache VI/277) ;
Abg. Wehner (Drucksache VI/424) . . . 1764 D Schriftlicher Bericht des Ausschusses für
Arbeit und Sozialordnung (Drucksache
VI/459) — Zweite Beratung und Schluß-
Mündlicher Bericht des Haushaltsausschus- abstimmung — 1766 A
ses über die Vorschläge der EG-Kommis-
sion für
Sammelübersicht 2 des Petitionsausschus-
eine Verordnung des Rates zur Verlän- ses über Anträge von Ausschüssen des
gerung der Haushaltsordnung über die Bundestages zu Petitionen und systema-
Aufstellung und Ausführung des Haus- tische Ubersicht über die vom 18. Okto-
haltsplans der Europäischen Gemein- ber 1965 bis 19. Oktober 1969 eingegan-
schaften und über die Verantwortung der genen Petitionen (Drucksache VI/411) . . 1766 B
Anweisungsbefugten und der Rechnungs-
führer für 1970 Entwurf eines Gesetzes über den Wegfall
eine Verordnung des Rates zur Durch- des von Rentnern für ihre Krankenver-
führung der Rechnungslegung und Rech- sicherung zu tragenden Beitrags (Druck-
nungsprüfung (Drucksachen VI/190, sache VI/220) ; Bericht des Haushaltsaus-
VI/451) 1765 B schusses gem. § 96 GO (Drucksache
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. März 1970 III
Fragen des Abg. Dr. Häfele: Fragen des Abg. Peters (Poppenbüll) :
Gegendarstellungen der Opposition zu Kosten des Butterbergs der EWG und
Inseraten der Bundesregierung Kosten einer Schulmilchspeisung in den
Ahlers, Staatssekretär 1773 C, EWG-Ländern
1774 A,C, D, Ertl, Bundesminister . . 1782 C, D,
1775 A, B, C, 1783 A, B, C, D
1776 B, C, D,
1777 A, B, C Peters (Poppenbüll) (FDP) 1782 D, 1783 B
Dr. Häfele (CDU/CSU) 1773 D, 1774 A, C Dr. Rutschke (FDP) 1783 C
Ott (CDU/CSU) . . . . . . . . 1774 D, Niegel (CDU/CSU) 1783 D
1775 A, B, C, D, 1776 A
Dr. Schmid, Vizepräsident . . 1776 B, C, Frage des Abg. Zebisch:
1777 A, C Beratung der Landwirte bezüglich der
Raffert (SPD) . . . . . . . . 1776 B, D Möglichkeiten der Verbundwirtschaft
Dr. Gölter (CDU/CSU) 1776 D Ertl, Bundesminister . . 1783 D, 1784 B
Moersch (FDP) 1777 A, B Zebisch (SPD) . . . . . . . 1784 A, B
Dr. Wörner (CDU/CSU) 1777 B
Frage des Abg. Dr. Hermesdorf (Schlei
den) :
Fragen des Abg. Dr. Klepsch:
Zinsverbilligung von Darlehen zur
Anzeige des Bundespresseamtes in Finanzierung von Maßnahmen länd-
Tageszeitungen betr. Mittel für neue licher Gemeinden zur Wasserversor-
Krankenhäuser gung und Abwässerbeseitigung
Ahlers, Staatssekretär 1777 C, Ertl, Bundesminister 1784 C, D, 1785 A, B
1338 A, B, C, D,
1779 A, B, C, D, Dr. Hermesdorf (Schleiden)
1780 A, B, C (CDU/CSU) . . . . . 1784 D, 1785 A
Dr. Klepsch (CDU/CSU) . . 1778 A, B, C Dr. Klepsch (CDU/CSU) 1785 B
Dr. Schmid, Vizepräsident . . . 1778 D Entwurf eines Gesetzes über den Wegfall
Dr. Schulze-Vorberg (CDU/CSU) . 1778 D, des von Rentnern für ihre Krankenver-
1779 A sicherung zu tragenden Beitrags — Dritte
Maucher (CDU/CSU) 1779 B Beratung —
Dr. Schellenberg (SPD) 1789 D über die Lage der Landwirtschaft gemäß
§ 4 des Landwirtschaftsgesetzes und der
Arendt, Bundesminister 1790 A
Maßnahmen der Bundesregierung gemäß
Landwirtschaftsgesetz und EWG-Anpas-
Beratung des Berichts der Bundesregierung sungsgesetz (Drucksache VI/372) . . . . 1839 C
über die Lage der Landwirtschaft gemäß
-
§ 4 des Landwirtschaftsgesetzes und Maß-
Anlage 3
nahmen der Bundesregierung gemäß
Landwirtschaftsgesetz und EWG-Anpas- Schriftliche Erklärung des Abg. Horst-
sungsgesetz (Drucksache VI/372) in Ver- meier (CDU/CSU) zu Punkt 5 der Tages-
bindung mit ordnung 1840 B
Anlage 13
Anlagen
Schriftliche Erklärung des Abg. Schulhoff
Anlage 1 (CDU/CSU) zu Punkt 6 der Tagesordnung 1852 B
Liste der beurlaubten Abgeordneten . . 1839 A
Anlage 14
Anlage 2 Schriftliche Antwort auf die Zusatzfrage
Entschließungsantrag Umdruck 12 zur Be des Abg. Dr. Häfele zu seiner Mündlichen
ratung des Berichts der Bundesregierung Frage betr. biologischen Landbau . . . 1854 C
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. März 1970 1741
36. Sitzung
Wehrbeauftragter Hoogen
aus Anlaß der Wiederaufrüstung und bei der Be- Doch eines muß ich hervorheben: Wer täglich
ratung des Gesetzes über den Wehrbeauftragten die Meldungen über besondere Vorkommnisse in
expressis verbis diskutiert worden. Es ist damals der Bundeswehr auf den Tisch gelegt bekommt
von der „ambivalenten Natur des Amtes" gespro- und dabei die große Zahl der Unfälle sieht, die
chen worden. Ich bitte alle, die sich für das Ver- sich in der Bundeswehr ereignen, müßte ein Herz
ständnis meines Amtes in diesem Sinne interes- von Stein haben, wenn er auf die Dauer daran vor-
sieren, die Protokolle hierüber nachzulesen. Auch beisähe. Die Zahlen sind in den früheren Berichten
diese, wenn ich sie so nennen darf, Sachwaltertätig- genannt worden. Sie sind für meine Begriffe er-
keit im Interesse der Soldaten hat mit dazu beige- schreckend hoch. Ich kann mir nicht vorstellen, daß
tragen, das anfänglich vorhandene Mißtrauen gegen sich die Bundesregierung und der Deutsche Bundes-
die Institution des Wehrbeauftragten wenn nicht tag auf die Dauer mit diesen hohen Unfallzahlen
ganz zu beseitigen, so doch allmählich abzubauen. — bezeichnenderweise ist die Zahl der Unfälle mit
tödlichem Ausgang außerhalb des Dienstes höher
Bei dem so notwendigen Abbau des Mißtrauens als im Dienst — zufrieden geben werden.
spielten bei mir auch die wenig guten Erfahrungen
in der Zeit meiner eigenen Berufsausbildung in den Das gehört für meinen Begriff zum Bereich der
20er Jahren eine nicht geringe Rolle. Damals hat Inneren Führung; denn zur Inneren Führung gehört
das Mißtrauen zwischen der Armee, sprich: Reichs- auch die Fürsorge für das Wohl der Soldaten. Das
wehr, dem Staat und Teilen der Gesellschaft zu hat der Gesetzgeber des Jahres 1956 im Soldaten-
keinem guten Ende geführt. Als ich Ende 1964 gesetz an drei Stellen — im Beamtenrecht steht
mein Amt übernahm und wiederum ein um sich das nur an einer Stelle — ausdrücklich hervorheben
greifendes Unbehagen feststellen mußte, habe ich zu müssen geglaubt. In § 1 heißt es gleich im zwei-
nach Mitteln und Wegen gesucht, um es zwar nicht ten Satz:
im Keime zu ersticken — denn dazu war es fast Staat und Soldaten sind durch gegenseitige
schon zu spät —, aber um es allmählich abzubauen. Treue miteinander verbunden.
Hierzu drängte mich die staatspolitische Verant-
wortung des Wehrbeauftragten auf Grund der Er- Intensiver konnte man die Verbindung zwischen
fahrungen aus unserer Vergangenheit. dem Staat und seinen Soldaten fast nicht zum Aus-
druck bringen.
Hinzu kommt folgendes. Die serienmäßige Auf-
zählung von negativen Fällen und Vorkommnissen (Beifall bei der CDU/CSU.)
in der Bundeswehr in den Berichten der ersten Nach § 10 ist jeder Vorgesetzte von Gesetzes
Jahre mußte, auch wenn das Gegenteil immer wegen zur Fürsorge für seine Untergebenen ver-
expressis verbis versichert wurde, dazu führen, die pflichtet; er begeht ein Dienstvergehen, wenn er
Soldaten der Bundeswehr in einem negativen Licht diese Pflicht verletzt. Meine Damen und Herren,
erscheinen zu lassen. Das führte auf die Dauer un- nach der Struktur und den Aufgaben der Vorge-
ausbleiblich zu negativen Reaktionen. Hinzu kam, setzten — vom Chef der Kompanie, Batterie und
daß es auch noch falsch war. Denn von nur nega- Staffel angefangen bis oben hinauf — habe ich
tiven Dingen konnte auch in der ersten Zeit der manchmal Bedenken, ob ein Vorgesetzter bei der
Bundeswehr keine Rede sein. Infolgedessen bin ich Fülle seiner Aufgaben und der großen Zahl der
von dieser Art der Berichterstattung allmählich ab- Dienstvorschriften und der gesetzlichen Vorschriften
gekommen und habe in meinem Ihnen vorliegenden diese Pflicht — trotz besten Willens — überhaupt
Bericht auf Seite 26 ausdrücklich von „lobenswerten erfüllen kann.
Taten der Bundeswehr" gesprochen.
Drittens verpflichtet sich der Dienstherr, der Bund,
(Beifall.) in § 31 noch einmal, für das Wohl der Soldaten zu
Dieser Abschnitt ist keineswegs vollständig; so ist sorgen; es ist dort im einzelnen ausgeführt, worin
er auch nicht gedacht. Meine Damen und Herren, er das erblickt.
ich befinde mich in gar keiner einfachen Lage; denn Das, meine Damen und Herren, verpflichtet den
die lobenswerten Dinge teilt mir niemand mit, und Dienstherrn, die Vorgesetzten und, wie ich meine,
auf dem Dienstweg kann ich sie nicht erfahren. auch das Hohe Haus, diese Pflichten zum Wohle der
(Abg. Rasner: Sehr richtig!) Soldaten mit Rücksicht auf ihre Aufgaben sehr, sehr
ernst zu nehmen.
Aber ich habe mir diesen Abschnitt meines Jahres-
berichts als eine Art Merkposten gedacht, damit die (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei
Jahresberichte für die Zukunft ein ausgewogenes Abgeordneten der SPD und FDP.)
Bild von gut und, wie soll ich mich ausdrücken, Ich darf an dieser Stelle eine Ausnahme von
weniger gut enthalten. meinem eingangs verkündeten Grundsatz machen,
Wenn ich heute an dieser Stelle auf die Frage das, was sich im Jahre 1970 ereignet hat, zu über-
der Wehrgerechtigkeit und der Inneren Führung gehen. Ich kann das schwerlich tun, denn die Frage,
nicht näher eingehe, bitte ich Sie, daraus nicht zu wie es sich mit den gedienten Studienbewerbern
schließen, daß ich diesen beiden Problemkreisen verhalten sollte, habe ich in den drei letzten Jahres-
nicht den Vorrang einräumte. Aber in meinem berichten immer wieder angesprochen. Ich habe ge-
heutigen und auch in dem vorjährigen Bericht habe meint, daß diejenigen, die sich zum Wohle der
ich mich so eingehend dazu geäußert, daß weitere Gemeinschaft einem Opfer unterwerfen, sei es frei-
Darlegungen nur eine Wiederholung bedeuten wür- willig, sei es, weil sie es müssen — jedenfalls tun
den. sie es —, beim Eintritt in die Berufsausbildung bei
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. März 1970 1745
Wehrbeauftragter Hoogen
gleichbleibenden Voraussetzungen den Vorzug Bei der Beratung meines Jahresberichts vom ver-
haben. gangenen Jahr am 27. Juni 1969 habe ich darauf
(Beifall bei der CDU/CSU und Abgeordneten bereits hingewiesen. Aus Zeitmangel mußte ich mich
der Regierungsparteien.) damals darauf beschränken, das mit sehr wenigen
Worten zu tun. Es ist mir schwergefallen, im Laufe
Meine Damen und Herren! Ich bin sehr beglückt des letzten halben Jahres, d. h. im zweiten Halbjahr
über eine Meldung in der „Frankfurter Allgemei- 1969, nicht mehr dafür tun zu können. Aber die
nen" vom 10. Februar — auch das habe ich auf dem Truppenbesuche, die ich seither gemacht habe, haben
Dienstwege noch nicht erfahren —, in der es zum mich in meinem Entschluß bestärkt, Ihnen, meine
Eingang heißt: Damen und Herren in diesem Hohen Hause, das
Der Bundesminister für Bildung und Wissen- noch einmal sehr, sehr nachdrücklich vorzutragen.
schaft hat in der vergangenen Woche Daß das Berufsbild des Soldaten nicht geordnet und
in Anlehnung an das Beamtenrecht sehr unvoll-
— also Anfang Februar — kommen geregelt ist, ist nicht dazu angetan, den
nach Billigung durch das Bundeskabinett vier- Soldatenberuf attraktiv zu machen. Ich kann nur das
zehn Thesen veröffentlicht. wiederholen, was ich damals gesagt habe. Ich will
es nicht vorlesen — was ich mir eigentlich vor-
Die These 9, von der ich mit Genehmigung des genommen hatte —, weil die Zeit schon fast abge-
Herrn Präsidenten nur zwei Sätze verlesen darf, laufen ist.
geht auf dieses Anliegen, Gott sei es gedankt, ein.
Es heißt dort: Ich darf zusammenfassend noch sagen, woran es
mir zu fehlen scheint. Wer sich unter den jungen
3. Für die Auswahl unter den Bewerbern sind deutschen Männern für den Soldatenberuf als Berufs-
ausschließlich folgende durch Tests und Inter- oder als Zeitsoldat interessiert, findet kaum eine
views zu objektivierende Kriterien anzuwen- Stelle, die ihm ganz verbindlich — und darauf
den: kommt es an — Zusagen für die in Aussicht genom-
Es folgen einige andere Punkte, Wartezeit infolge mene Dienstzeit und auch für die Zeit nach der Be-
vergeblicher Bewerbung oder Ableistung des Wehr- endigung des Soldatendienstes machen kann, ins-
dienstes, und dann heißt es unter Nr. 4: besondere dann, wenn es sich um Zeitsoldaten mit
acht- oder zwölfjähriger Dienstzeit handelt. Gerade
Auf Grund der in Nr. 3 genannten Kriterien
hierauf kommt es mir an. Die sogenannte Berufs-
wird die für die Zulassung maßgebende Rang-
förderung erfüllt diese Forderung leider nicht. Eine
folge jedes Bewerbers ermittelt (...). Bei glei-
verläßliche Beratung und Information und verbind-
cher Rangfolge haben Bewerber mit einer
liche Zusagen an die interessierten jungen Männer
Wartezeit infolge von Wehrdienst den Vor-
unter Einschaltung ihrer militärischen Vorgesetzten
rang.
sind das A und O der Gewinnung von Nachwuchs.
(Beifall.)
Die Verquickung des Berufsbildes eines Soldaten
Meine Damen und Herren, Sie werden verstehen,
mit dem eines Beamten muß gelöst werden. Jeder,
daß ich über diesen Teilerfolg — es ist in der Tat
der sich für diese Frage interessiert, sollte nicht so
nur ein Teilerfolg — als ersten Anfang sehr glück-
sehr die Vorschriften darüber studieren, sondern sich
lich bin. der Mühe unterziehen, Bundeswehrfachschulen und
Es gibt viele Unbehagen in der Bundeswehr. Eines Bundeswehrverwaltungsschulen zu besuchen und
führe ich darauf zurück, daß wir das große Fehl an dort mit den Schülern — sprich: Familienvätern,
Unteroffiziersdienstgraden — die Zahl 30 000 wird deren Kinder selbst schon Schüler sind — zu spre-
immer rund genannt — und Offiziersdienstgraden chen, um ihre Sorgen und Nöte an Ort und Stelle
haben. Das ist nicht nur ein Ausfall der Zahl nach, kennenzulernen. Ich glaube, .er wird dann genauso
sondern ein Ausfall an Vorgesetzten in der Bundes- erschrocken nach Hause gehen, wie ich im letzten
wehr, der sich auf das ganze Leben der Bundeswehr Jahr auch gegangen bin.
nun schon seit Jahren sehr nachteilig auswirkt. Des- Diese Unvollkommenheiten halten natürlich man-
wegen hat man auch nach Schritten gesucht, dieses chen jungen Mann davon ab — und nirgendwo
Übel zu beseitigen. Es lag nicht nur — im Anfang spricht sich das schneller herum als in der gut orga-
jedenfalls — auf finanziellem Gebiet. Ich persönlich nisierten Bundeswehr —, den Soldatenberuf zu er-
glaube, daß man diesem Mangel dadurch beikom- greifen. Dadurch kommt es zu dem, was ich eingangs
men könnte — und zwar ist das das Ergebnis einer gesagt habe, daß uns immer noch die Soldaten für
fünfjährigen Erfahrung —, daß man das Berufsbild Ausbildungszwecke fehlen, und zu all diesen Dingen,
des Soldaten genauer umreißt, d. h. das Bild, das die eigentlich längst hätten abgestellt sein können.
dem jungen deutschen Mann vorgestellt wird, wenn
er sich entschließt, Berufsoffizier oder Offizier auf Meine Damen und Herren, auf Seite 52 unten am
Zeit oder Unteroffizier auf Zeit zu werden, damit Schluß meines Berichts habe ich einen sehr an-
er weiß, woran er ist. Deswegen, meine ich, sollte spruchsvollen Satz niedergeschrieben, daß nämlich
man, wie man das in der Zeit seit 1949 in diesem der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages
Hohen Hause bei vielen Berufen getan hat, eine auch international eine gewisse Bedeutung erlangt
gesetzliche Berufsordnung schaffen, an die dann die habe. Ich glaube, ich schulde Ihnen dafür eine Auf-
Regierung und insbesondere der Regierungsapparat klärung. Daß der Wehrbeauftragte seine Kollegen
in Bonn und außerhalb Bonns gebunden sind, damit in den skandinavischen Staaten besucht, ist seit lan-
die Soldaten wissen, woran sie sind. gem üblich, denn dorther ist ja die Institution ge-
1746 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode -- 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. März 1970
Wehrbeauftragter Hoogen
kommen. Im vergangenen Jahr war es so, daß der Bericht verhältnismäßig pünktlich — in diesem
Wehrbeauftragte bei einer Großübung den Kom- Jahre jedenfalls — vorzulegen.
mandeur einer Kriegsakademie eines befreundeten
(Beifall.)
NATO-Staates kennenlernte und kurz darauf, d. h.
zu Beginn dieses Jahres, eine Einladung erhielt, vor Meine Damen und Herren, Dank möchte ich aber
den Schülern und dem Lehrpersonal seiner Akade- auch von dieser Stelle aus allen deutschen Soldaten
mie ein Referat mit anschließender Diskussion zu sagen, die mich durch ihr mündlich und schriftlich
halten. Ich habe das nicht mehr übernehmen können, bekundetes Interesse in den Stand gesetzt haben,
sondern muß es meinem Nachfolger im Amte über- das in diesen Bericht hineinzubringen, was Sie in
lassen. ihm vorfinden.
Ich danke Ihnen für Ihre Geduld.
Für die Mitte dieses Jahres ist an einer kana-
dischen Universität eine wissenschaftliche Tagung (Beifall.)
über die Institution der Ombudsmänner in der west-
lichen Welt angesetzt, und zwar als wissenschaft- Vizepräsident Dr. Jaeger: Ich danke dem
liche Tagung von Staatsrechtlern und Lehrern der Herrn Wehrbeauftragten. — Das Wort hat der Ab-
politischen Wissenschaften. Der Wehrbeauftragte ist geordnete Dr. Klepsch.
aufgefordert, an dieser Tagung teilzunehmen und
nach Möglichkeit auch dort auf Grund seiner Erfah-
rungen und der Regelung in der deutschen Verfas- Dr. Klepsch (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine
sung ein Referat vorzutragen. Zu meinem Bedauern Damen und Herren! Abweichend von unserem son-
kann ich das nicht übernehmen, da es an mich als stigen Brauch haben wir heute aus aktuellem Anlaß
Amtsperson gerichtet war. Ich muß es meinem Nach- schon bei .der Einbringung des Berichts des Wehr-
folger überlassen. beauftragten Gelegenheit genommen, eine erste
Stellungnahme dazu vor diesem Hause abzugeben:
Vielleicht ist das die Folge davon, meine Damen Ganz sicher wird uns das nicht von der Verpflich-
und Herren, daß ich meine Jahrsberichte, wenn sie tung entbinden, auch in diesem Jahr dafür Sorge zu
durch das Hohe Haus gebilligt sind, regelmäßig in tragen, daß möglichst bald, nach dem Abschluß der
französischer und englischer Sprache herausgebe und des Verteidigungsausschusses, die De- Beratung
an die Militärattachés der befreundeten NATO- tailberatung vor diesem Hause vorgenommen wird.
Mächte verteile. Daher können wir heute wohl davon absehen, auf
(Sehr gut! bei der CDU/CSU.) die Details einzugehen. Vielmehr wird es unsere
Aufgabe sein, den Jahresbericht in seinen Grund-
Ich glaube, daß das seine Folgen gehabt hat. zügen zu würdigen und daran zu denken, daß wir
heute bei .dem Amt des Wehrbeauftragten wiederum
Meine Damen und Herren, ich lasse mich bei
an einer Zäsur stehen.
allen diesen Fragen einzig und allein von dem Ge-
danken leiten, wie ich mit geringen Kräften und Wie der vorjährige so zeichnet sich auch der dies-
vielleicht in ganz kleinem Bereich den deutschen jährige Bericht dadurch aus, daß er eine klare Glie-
Interessen und den Interessen der deutschen Streit- derung, einen exakten Aufbau und präzise Aussa-
kräfte dienen kann. gen zu allen in Betracht kommenden Problemen bie-
(Sehr gut! bei der CDU/CSU.) tet. Er stellt einen vorzüglichen Querschnitt durch
die Probleme der Bundeswehr dar und gibt infolge
Meine Damen und Herren! Zum Schluß obliegt es der Verschränkung der Bundeswehr mit unserer Ge-
mir, Dank zu sagen, Dank zu sagen insbesondere sellschaft an vielen Stellen ,einen sehr guten Einblick
meinem unmittelbaren Dienstvorgesetzten, dem Prä- in die Problematik unserer Gesamtgesellschaft.
sidenten des Deutschen Bundestages. Ich bin sehr
Zwangsläufig wendet sich der Bericht sowohl den
bedrückt, ,daß ich ihm aus Anlaß des Schicksals-
Problemen der Integration in der Armee als auch
schlages, der seine Familie getroffen hat, den Dank
dem Problem ,der Integration der Armee in unsere
heute nicht an dieser Stelle sagen kann. Dank
Gesellschäft zu. Hoogens Berichte haben sich immer
möchte ich aber auch dem Herrn Bundesminister
dadurch ausgezeichnet, daß sie nicht nur eine Fülle
der Verteidigung und seinen Mitarbeitern sagen,
sorgfältiger Untersuchungen von aktuellen Problemen
insbesonderer dem Generalinspekteur, denn bei ihm
der Bundeswehr enthielten, daß sie nicht nur, man
ressortiert als FüS die Innere Führung mit ihrer
könnte fast sagen: penetrant, aber geduldig, drän-
gesamten Problematik. Ich habe ganz besonderen
gend und immer wieder bohrend - soeben haben
Dank zu sagen für 'die große Loyalität, die die Her-
wir eine Kostprobe davon erhalten — auf die uner-
ren seines Stabes mir in den ganzen Jahren gezeigt
ledigten Fragen hingewiesen haben — auch der heu-
haben.
tige Bericht enthält Merkposten, die als Aufforde-
Dank möchte ich aber auch den Kommandierenden rung an dieses Hohe Haus, Maßnahmen zu treffen,
Generalen des Heeres, der beiden Luftwaffengrup- aufzufassen sind —, sondern daß sie auch — und
pen und dem Befehlshaber der Flotte sagen. Ich das ist eine vorzügliche Eigenschaft dieser Bericht-
möchte auch den Präsidenten der Wehrbereichsver- erstattung, gekrönt durch den letzten, der heute vor
waltungen für ihre sehr kräftige Unterstützung bei uns liegt — zu großen Sachzusammenhängen, zu
der Erledigung meiner Aufgaben Dank sagen. Dank Problemen, die wir im Zusammenhang überdenken
sagen möchte ich auch meinen eigenen Mitarbeitern, sollten, Stellung genommen haben. Der heutige
die mich in den Stand gesetzt haben, Ihnen diesen Bericht stellt zusammen mit dem vorangegangenen
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. März 1970 1747
Dr. Klepsch
eine ausgezeichnete Zusammenfassung des Fragen- verklemmten Scheuklappensituationen des Anti
kreises der Inneren Führung dar, über den in der Denkens zu einer Gesamtlösung zu kommen, die für
Armee und in der Öffentlichkeit in den letzten Jah- uns alle einen gesellschaftlichen Fortschritt ebenso
ren sehr viel diskutiert worden ist. Als Merkposten wie einen Beitrag zur Befriedung der inneren Dis-
wird in .dem Bericht darauf hingewiesen, daß vom kussion in Staat und Gesellschaft bringen mag.
Minister der Verteidigung eine Neuauflage - des
Handbuchs Innere Führung als ein Kompendium, als Ich werde dabei auch nicht mit unserer Meinung
eine Art Lose-Blatt-Sammlung in Aussicht gestellt zurückhalten, daß die Ausführungen, die zur Kriegs-
sei. Man hat schon den letztjährigen Bericht des dienstverweigerung in diesem Bericht gemacht wor-
Wehrbeauftragten in der Öffentlichkeit und in der den sind - gründend auf denen, die schon im Vor-
Truppe als Grundlage für die Behandlung dieses jahresbericht vermerkt wurden —, nur einen Teil-
Fragenkomplexes verwendet, wie das vom Hohen aspekt zur Sachdiskussion beiträgt, der im Zusam-
Haus gewünscht worden ist, und beide Berichte, der menhang mit dem gesehen werden muß, was an
für 1968 und der für 1969, bieten ausgezeichnetes anderer Stelle des Berichts zu Art. 12 a vorgetragen
Material und einen guten Ausgangspunkt für eine wurde, was ich mir beides zusammen als wertvollen
Neuauflage des Handbuchs Innere Führung. Diskussionsbeitrag und wertvolle Anregung zu eigen
machen möchte.
(Beifall bei der CDU/CSU.)
Es wäre gut, wenn neben den Reden von Ministern Wir haben bei dem Fragenkomplex der Wehrge-
zur Definition des Begriffs „Innere Führung" auch rechtigkeit natürlich eine Fülle von Einzelproblemen
diese präzise Sachaussage vom Bundesverteidi- zu sehen. Hier wurde in besonderer Weise auf die
gungsministerium möglichst bald verwendet werden Frage der Studenten hingewiesen. Ich meine, hier
könnte. sollten wir uns das hier auch vom Wehrbeauftragten
immer wieder vorgetragene Prinzip der Verhältnis-
In seinem jetzigen Bericht nimmt der Wehrbeauf- mäßigkeit auch bei der Anwendung in Erlassen und
tragte auch zum Problem des Bildungswesens der Verfügungen des Ministers der Verteidigung vor
Bundeswehr Stellung. Nach Auffassung der CDU/ Augen führen. Wir sollten also unbedingt dafür
CSU geht es dabei um eine Kardinalfrage, um die Sorge tragen, daß es nicht vorkommen kann — wir
Bewältigung einer Fülle von Problemen, sei es der werden uns im Ausschuß mit aktuellen Einzelfällen
Nachwuchsförderung, sei es der Laufbahngestaltung, dazu zu beschäftigen haben —, daß jemand, weil ihm
sei es aber auch der engen Verschränkung zwischen 14 Tage vorzeitige Beurlaubung nicht gewährt wer-
Armee und Gesellschaft. den können, etwa seinen Studienbeginn ein Jahr
Wir sind daher auch der Auffassung, daß man im zurückstellen muß. Wir meinen, hier liegt ein Feld,
Verteidigungsausschuß, ausgehend von dieser Fest- bei dem wegen der Fülle der Problematik die Einzel-
stellung, möglichst bald zu einem Hearing über die- beratung im Ausschuß noch manchen wertvollen
sen Fragenkomplex kommen sollte. Daran sollten Sachbeitrag zusätzlich erbringen mag.
Lehrende und Lernende Anteil haben, damit wir uns Ein anderer Fragenbereich, den wir sorgfältig wei-
gemeinsam überlegen, wie eine weitere Entwicklung ter behandeln müssen, betrifft die Verbesserung der
und ein weiterer Ausbau des Bildungswesens erfol- Sozialstruktur in der Bundeswehr und die Bewälti-
gen kann. gung der gesetzgeberischen Arbeit, um die wir uns
Der Wehrbeauftragte hat neben dem großen Kom- — ich würde eigentlich sagen: interfraktionell, der
plex der Inneren Führung zu Recht den Komplex der Verteidigungsausschuß i n allen seinen Fraktionen
Wehrgerechtigkeit hervorgehoben. Die Aufmerk- und Elementen — gemeinsam bemüht haben. Wir
samkeit, die seine Aussagen, die öffentliche Diskus- setzen diesen Kurs als CDU/CSU-Fraktion ganz be-
sion und unsere Beiträge dazu in der Öffentlichkeit wußt fort; denn das ist etwas, was uns gemeinsam
und der Gesellschaft immer wieder gefunden haben, voll vor Augen steht. Dabei stehen wir vor der Not-
macht deutlich, wie notwendig die endgültige Bewäl- wendigkeit, die Berufsförderung in der Bundeswehr
tigung dieses Fragenkomplexes ist. auf den neuen Stand zu bringen, also an das Arbeits-
förderungsgesetz, das wir geschaffen haben, anzu-
Ich begrüße daher, daß der Herr Wehrbeauftragte
passen, vor allen Dingen im Hinblick auf die Solda-
auf die Problematik hingewiesen hat, die sich aus der
ten auf Zeit. Wir haben hier noch eine Fülle von
durch Art. 12 a des Grundgesetzes geschaffenen
Maßnahmen zu treffen, die keinen langen Aufschub
Gesamtsituation ergibt. Meine Fraktion ist durchaus
dulden. Aber das sind sicher Detailfragen, denen
der Auffassung, daß bei sorgfältigem Durchdenken
wir uns besonders zuwenden müssen.
des Fragenkomplexes der Dienstpflichten ein verbin-
dender und lösender Vorschlag gefunden werden Wenn der Wehrbeauftragte hier die 'breite Palette
kann — wir werden uns bemühen, dazu baldmög- von der Lösung des Wohnungsproblems bis hin zu
lichst einen Beitrag zur Verfügung zu stellen —, der den Fragen , der Unfallversorgung in allen ihren Ele-
auch denjenigen Kriegsdienstverweigerern, von menten wieder dargestellt hat, so ist das für uns alle
denen der Wehrbeauftragte zu Recht als von den Verpflichtung, jenen einzelnen Merkposten — zum
von ihrer inneren Position her klar Überzeugten einen von den Lösungsvorschlägen her, die er hier
sprach, ihre durchaus gleichrangige Position in der gemacht hat, zum anderen von anderen Lösungsvor-
Erfüllung ihrer Dienstpflichten gegenüber Staat und schlägen her — zu untersuchen und so schnell wie
Gesellschaft zuerkannt. Wir sind der Auffassung, möglich einer Bewältigung zuzuführen.
daß uns gerade Art. 12 a des Grundgesetzes eine
Chance bietet, in dieser Frage in Abwendung von (Beifall bei der CDU/CSU.)
1748 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. März 1970
Dr. Klepsch
Der Bundesminister der Verteidigung wird bei all nur durch die Besuche, sondern auch durch die
diesen Fragen mit Sicherheit da die Unterstützung dauernde Wirkung der uns vorgelegten vorzüg-
meiner Fraktion finden, wo es um diese Aufgaben lichen Berichte, die ja bleibenden Wert besitzen —
geht. einen Eindruck von der Leistungsfähigkeit dieses
Ich darf sagen, daß wir in den zurückliegenden Amtes zu schaffen. Das läßt mich auch meinen, daß
Jahren, und zwar in der ganzen Amtszeit des- Wehr- dieses Amt, wie es heute dasteht, auch leistungs-
beauftragten Hoogen, auch die Diskussion um die fähig ist, vielleicht noch einen weiteren Ausbau zu
Institution des Wehrbeauftragten gehabt haben. Sie erfahren, vielleicht noch weitere Funktionen — et-
wissen, daß bei der Schaffung dieser Institution die wa im Zusammenhang mit einem sorgfältigen
Meinungen in meiner Fraktion nicht ganz einheit- Durchdenken der Konsequenzen des Art. 12 a des
lich gewesen sind und daß von nicht wenigen Sol- Grundgesetzes — übernehmen zu können. Das wird
daten in dieser Institution das personifizierte Miß- zu prüfen sein.
trauen gesehen wurde, das ihnen entgegengebracht Ich glaube, man muß sagen, daß dieses Amt heute
werde. Das war durchaus nicht in Übereinstimmung nicht nur innerhalb und außerhalb der Bundeswehr
mit den Intentionen .des Gesetzgebers. hohe Achtung und Ansehen genießt, sondern — und
da stimme ich Ihnen völlig zu, Herr Wehrbeauftrag-
Ich möchte an dieser Stelle in bezug auf diese
ter — daß auch im Ausland die Anerkennung all-
Institution auf das große Verdienst des Wehrbeauf-
gemein ist. Dafür danke ich Ihnen.
tragten Hoogen hinweisen, und zwar darauf, daß
es in seiner Amtszeit gelungen ist, in breitestem (Beifall bei der CDU/CSU.)
Umfang in Öffentlichkeit und Armee — auch wenn Wir haben heute eine Stunde, in der dieses Parla-
diese oder jene Stimme sich erhob — diese Vorstel- ment von einem Wehrbeauftragten am Ende seiner
lung abzubauen und jene andere Vorstellung in vollen Amtszeit — ja, er hat sogar in der Erstattung
Öffentlichkeit und Armee breit zum Durchbruch des Berichts für 1969 unter Wahrnehmung der Mo-
zu bringen, die er 'hier eben wieder vorgetragen nate, die über die eigentliche Amtszeit hinaus zur
hat. Dabei handelt es sich um die Vorstellung von Erfüllung dieses Auftrags noch erforderlich waren,
jener Mittlerstelle — wie er es in einer Passage gewirkt — Abschied zu nehmen hat. Ich möchte für
seines Berichts nannte —, von jener Konflikts- meine Fraktion sagen, daß wir bewegt waren, als
regelungsstelle, aber auch von jener Stelle, wo wir dem seinerzeitigen Vorsitzenden des Rechtsaus-
der gesetzgeberische Auftrag, zum Schutz der Grund- schusses, der so oft an der Rednertribüne dieses
sätze der Inneren Führung als Hilfsorgan des Par- Hauses als Parlamentarier gestanden ist, zuhörten,
laments tätig zu sein, ebenso Erfüllung findet wie ihm dann dieses Amt übertragen haben und daß
die Mittlerfunktion, die darin besteht, uns die Pro- wir glücklich sind, eine so geeignete Lösung gefun-
bleme der Truppe, die Probleme der Integration von den zu haben.
Staat und Gesellschaft, auch die Probleme inner- (Beifall bei der CDU/CSU.)
halb des Verteidigungsbereiches zwischen Verwal-
tung und Truppe, die zu lösen sind — wie es dieser Sie haben aus diesem Amt das soziale und gesell-
Bericht ja wieder andeutet —, darzustellen. schaftliche Gewissen der Bundeswehr gemacht. Für
Sie stand die Innere Führung im Mittelpunkt Ihres
(Beifall bei der CDU/CSU.)
Denkens, und wir wußten sehr wohl, daß das Pro-
Ich glaube, das ist ein ganz großes Verdienst. blem der Integration der Armee in dem demokra-
tischen Staat unlösbar mit diesem Fragenkomplex
Wir haben bezüglich dieser Institution heute verbunden ist. Wir danken Ihnen dafür, daß Sie
— das möchte ich gerade am Ende dieser Amtszeit sich trotz aller Widrigkeiten, die mit der Ausein-
sagen; ich sage das anerkennend für meine ganze andersetzung gerade dieser Position verbunden sein
Fraktion — eine Leistung vor uns, die von einer mußten, entschlossen haben, das zum Zentrum Ihrer
sehr schlechten Ausgangsposition her erbracht wor- Aussagen in Ihren weitreichenden Berichten zu
den ist. Wenn Sie ein paar Jahre zurückdenken und machen.
sich noch einmal vor Augen führen, unter welchen
Bedingungen und mit welchen Belastungen der Wehr- Ich möchte Ihnen und Ihren Bediensteten, Ihren
beauftragte sein Amt angetreten hat, wenn Sie be- Mitarbeitern in Ihrem Amt, an der Spitze Ihrem lei-
denken, welchen Belastungen diese Institution so- tenden Beamten, Herrn Ministerialdirigent Dr.
wohl von ihrer inneren Struktur als auch von ihrem Schellknecht, ausdrücklich den Dank und die An-
äußeren Ansehen her ausgesetzt war, dann wissen erkennung meiner Fraktion sagen und meiner
Sie, welcher Weg in diesen Jahren zurückgelegt Freude darüber Ausdruck geben, daß es unter Ihnen
wurde. Wenn wir die Institution heute betrachten, möglich geworden ist, eine fortgesetzte und ver-
so sehen wir eine geordnete Dienststelle, die ihre trauensvolle Zusammenarbeit zwischen allen für die
Aufgabe nicht nur intern vorzüglich erfüllt, der Bundeswehr und ihre Anliegen im Zusammenhang
heute nicht nur bescheinigt werden kann, daß eine mit diesem Hause relevanten Stellen zu erreichen.
gute Zusammenarbeit zwischen Ministerium und (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeord
Wehrbeauftragtem vorhanden ist, sondern der man neten der FDP.)
auch zuerkennen muß, daß ihre Zusammenarbeit
mit dem Fachaufsichtsgremium Verteidigungsaus- Ich danke Ihnen dafür und darf hoffen, daß wir bei
schuß vorzüglich gewesen ist. Durch die Leistungen den Ausschußberatungen viele der vorzüglichen
dieser Institution ist es auch gelungen, in der Öffent- Lösungsvorschläge, die Sie uns wieder unterbreiten,
lichkeit und weit ausstrahlend in die Truppe — nicht so schnell wie möglich zu einem Ergebnis bringen.
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. März 1970 1749
Dr. Klepsch
Wir werden so energisch wie möglich daran mit- hang mit , der Darlegung der Entscheidungen in den
arbeiten. Anerkennungsverfahren für Kriegsdienstverweige-
(Beifall bei der CDU/CSU.) rer machen Sie die Anmerkung:
Nach Auffassung kompetenter Sachkenner sind
Vizepräsident Dr. Jaeger: Das Wort hat der indes nur höchstens 30 % der Antragsteller als
Abgeordnete Buchstaller. überzeugte Kriegsdienstgegner zu betrachten.
Daraus ergibt sich für mich selbstverständlich die
Buchstaller (SPD) : Herr Präsident! Meine sehr Frage: 1. was sind hier kompetente Sachkenner, und
verehrten Damen und Herren! Mit der heutigen 2. welches Material liegt Ihrer Behauptung zu-
ersten Ausspracherunde zum Jahresbericht 1969 des grunde?
Wehrbeauftragten soll — und das erwähnte auch
Ihr Kollege Dr. Klepsch — der Sacherörterung im Um einen zweiten Punkt zu nennen, darf ich
Verteidigungsausschuß und einer entsprechenden zitieren:
Plenardebatte nicht vorgegriffen werden. Dabei hat Wie mir berichtet wird, nehmen Schulleitungen
die SPD-Bundestagsfraktion — das sei heute schon neuerdings in zunehmendem Maße eine ableh-
vermerkt — den Wunsch, daß die Beratungen im nende Haltung gegenüber den Jugendoffizieren
Verteidigungsausschuß so zügig erfolgen können, ein.
daß die Plenardebatte zu dieser Sache noch vor der
„Wie mir berichtet wird" ! — Wer hat berichtet? In
Sommerpause des Parlaments hier stattfinden kann.
welcher Größenordnung wurde berichtet? Welche
Bei dieser Lage werde ich mich auf einige wenige
Relationen sind dafür als Grundlage anzusehen? Und
allgemein bezogene Feststellungen und Anmerkun-
als letztes die Frage: Könnte diese Nichtbereitschaft
gen zu diesem Jahresbericht beschränken.
auch im Verhalten des einen oder anderen Jugend-
Nach 'den letzten Bemerkungen und dem Dank des offiziers liegen?
Herrn Kollegen Dr. Klepsch an Sie, Herr Wehrbeauf-
tragter, kommt man in die Versuchung, überhaupt Als drittes — um auf ein Steckenpferd zurückzu-
kommen, das wir schon in der Debatte zum Bericht
keine kritische Sonde mehr an den Jahresbericht
1968 geritten haben — eine Bemerkung zu Ihrer
anlegen zu wollen, den Sie uns vorgelegt haben.
Interpretation Ihrer Aufgabe, bei der Sie ja immer
Aber auch der Umstand, daß wir Ihren und Ihres
wieder neue Formulierungen finden. Im Jahresbe-
Amtes Leistungen außerordentlich viel verdanken,
richt 1968 war es die Formulierung: Mittler zwi-
sollte uns nicht davon Abstand nehmen lassen, die-
schen Streitkräften und Parlament. Diesmal haben
sem Jahresbericht auch einige kritische Bemerkun-
Sie eine andere Formulierung gefunden: eine Art
gen anzufügen.
„Institut der Konfliktregelung". Ich meine, daß
Der Jahresbericht des Wehrbeauftragten ist prak- wir bei der sehr einfachen Feststellung, daß der
tisch — so möchte ich ihn bezeichnen — eine stän- Wehrbeauftragte Hilfsorgan des Parlaments ist,
dige Fortschreibung über den Zustand der Bundes- bleiben sollten und nicht allzusehr noch theoretische
wehr und die Sorgen, Nöte und Probleme der Sol- Ergänzungen hinzufügen sollten. Zu Ihrer Formu-
daten. Es ist beinahe beängstigend, ,daß sich kri- lierung „Institut der Konfliktregelung" möchte ich
tische Feststellungen zu entscheidenden und bren- sagen: uns, dem Parlament, kommt es darauf an,
nenden Problemen von Jahr zu Jahr wiederholen, daß Sie uns die Handhabe liefern, nicht Konflikte
ganz einfach deshalb, weil man zu keinen oder nur zu regeln, sondern nach Möglichkeit Konflikte zu
zu halben Lösungen gekommen ist. Ich bin da- lösen.
von überzeugt, daß Verteidigungsminister Helmut Ich darf Ihnen als letzte kritische Bemerkung
Schmidt mit seinen Mitarbeitern bei der Auswertung — dann möchte ich damit aufhören — ganz ehrlich
der allgemeinen Bestandsaufnahme viele Anregun- sagen, Herr Wehrbeuauftrager: Wenn ich mir Ihren
gen des Wehrbeauftragten berücksichtigen und i n Bericht ganz genau durchlese, dazu ist man ja als
das Weißbuch der Verteidigung aufnehmen wird. Abgeordneter und als Berichterstatter verpflichtet,
Bevor ich zu einzelnen maßgebenden Punkten dann habe ich den Eindruck, man könnte ihn,
komme, einige generelle Betrachtungen zum Jahres- summarisch gesehen, so zusammenfassen: „Das
bericht 1969. Ich persönlich habe den Eindruck, daß Parlament hat eine Reihe von Versäumnissen, in
er in vielen Passagen zu wissenschaftlich, zu philo- der Truppe ist alles in bester Ordnung."
sophisch und zu abstrakt formuliert ist. Wir müssen (Zurufe von der CDU/CSU.)
davon ausgehen, daß (auch die Truppe ihn verstehen
Das heißt, man hat den Eindruck, daß der Großteil
soll, daß auch der Soldat ihn verstehen soll. In
all dessen, was hier vermerkt ist, Anmerkungen und
einigen Passagen sind die wissenschaftlich absolut
Anregungen an das Parlament sind, ohne daß zu-
zutreffenden Erkenntnisse aber so formuliert, daß
gleich eine Darstellung der allgemeinen Situation
sie „unten" kaum verstanden werden können.
in der Truppe schlechthin gegeben wird.
Ich darf Ihnen ganz ehrlich auch folgendes sagen,
Lassen Sie mich nun, Herr Wehrbeauftragter, auf
Herr Wehrbeauftragter. Ich bin sehr ,dafür, daß sich
einige der Sachpunkte eingehen.
in Ihren Berichten Tatbestände und Feststellungen
niederschlagen. Ich habe aber wenig Verständnis Sie unterstreichen, und dafür sind wir Ihnen
dafür, daß auch Vermutungen ausgesprochen wer- dankbar, die dominierende Rolle des Schutzes der
den, ohne ,daß sie sachlich untermauert sind. Ich Grundrechte. Wir begrüßen es sehr, daß Sie wie-
möchte Ihnen zwei Beispiele nennen. Im Zusammen- derum ein klares Bekenntnis zu den Grundsätzen
1750 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. März 1970
Buchstaller
der Inneren Führung und den allgemeinen Postu- Meine Damen und Herren, es lohnt sich, sich in
laten dieser Grundsätze ausgesprochen haben. Sie diesem Zusammenhang die Studie des Inspekteurs
unterstreichen Ihre Forderung nach der Lose-Blatt- der Luftwaffe zur Personalführung zu Gemüte zu
Sammlung und Ergänzung des Handbuchs für Innere führen. Eine solche Sicht der Personalplanung hat
Führung, glauben, daß die Unterrichtung der auch ihre Auswirkungen auf die Einberufung der
Bataillonskommandeure, Kompaniechefs und Kom- Wehrpflichtigen. Die Tauglichkeitsmerkmale können
paniefeldwebel in Fragen der Inneren Führung noch sich nicht weiter ausschließlich an der Befähigung
deutlicher und umfänglicher sein muß, und wün- für Gepäckmärsche orientieren. Bei der Einziehung
schen keine Statuseinengung der Schule für Innere von Wehrpflichtigen muß die sachliche und funktio-
Führung. nelle Verwendbarkeit entscheidend sein. Herr Mini-
ster, nur wenn der größte Teil, auch der beschränkt
Ich unterstreiche, Herr Hoogen, daß wir uns sehr Tauglichen, nach diesen Gesichtspunkten zum Wehr-
darüber freuen, daß Sie — im Gegensatz zu an- dienst eingezogen wird, kommen wir der Wehrge-
deren Auffassungen, die teilweise vertreten wor- rechtigkeit entscheidend näher.
den sind — ein ganz klares Ja zur politischen Be-
tätigung der Soldaten ausgesprochen haben, nicht Mit Recht hat der Wehrbeauftragte die Frage der
nur weil sie ein Grundrecht ist, sondern auch des- Wehrgerechtigkeit zu einem dringenden Problem
halb, weil damit ein Teil des Integrationsprozesses erhoben. Ich möchte hier aber doch hinzufügen, daß
in unserer Gesellschaft vollzogen wird. zur Wehrgerechtigkeit auch die allgemeine Gerech-
tigkeit gehört und daß diese Gerechtigkeit auch den
Sie haben bereits 1968 — und wiederholen es Ersatzdienstleistenden zuteil werden muß. Schließ-
hier — auf den kooperativen Führungsstil und auf lich muß man auch einmal erwähnen — ich glaube,
die Notwendigkeit der Anpassung an unsere ge- das ist Rechtens —, daß Kriegsdienstverweigerer,
wandelte Welt hingewiesen. Die ungeheuren tech- die einen schweren Ersatzdienst leisten, einen grö-
nischen und wissenschaftlichen Entwicklungen legen ßeren Beitrag zur Gemeinschaftsleistung aufbringen
uns Konsequenzen auch in den Führungs-, Organi- als Wehrpflichtbekennende, die nie in die Lage ver-
sations- und Personalstrukturen der Streitkräfte auf. setzt wurden, diesen Wehrdienst auch zu leisten.
Herr Wehrbeauftragter, Sie haben deutlich gemacht, Natürlich machen uns allen die steigenden Zahlen
und von uns kann das nur voll und ganz unter- der Kriegsdienstverweigerer Sorgen. Wir müssen
strichen werden, daß zum militärischen Kämpfer uns aber noch viel mehr Sorgen über die 50 %
immer mehr die technischen und Verwaltungsfunk- junger Männer machen, die überhaupt keinen Dienst
tionen kommen. für die Gemeinschaft und für die Gesellschaft zu
Es muß auch vor diesem Hause festgestellt wer- leisten gezwungen sind.
den, daß der Offizier und der Unteroffizier mit all- Herr Hoogen hat noch eine Vielzahl von anderen
umfassender Verwendungsbreite tot ist. Neben der Punkten in seinem Bericht angeschnitten: den Per-
Funktion des Truppenführers müssen gleichwertig sonalmangel bei Offizieren und Unteroffizieren, Pro-
andere Funktionen, z. B. die des Technikers und des bleme der Seelsorge; hier hat er wiederum die Frage
Verwaltungsspezialisten, wahrgenommen werden nach Wert oder Unwert des feierlichen Gelöbnisses
können. Wir von seiten der SPD-Bundestagsfraktion und der Eidesleistung aufgeworfen. Er sprach die
unterstreichen Ihre Forderung, daraus in den Fragen Fragen der Fürsorge und der Versorgung an und
der Laufbahnregelung und der Besoldung Konse- kam zu Recht auf das so brennende Problem der
quenzen zu ziehen. Dazu gehört auch — Herr Dr. Wohnungen, der Unterkünfte und der Mieten für
Klepsch hat ebenfalls darauf hing e wiesen — eine Soldaten sowie auf die Soldatenheime zu sprechen.
spezielle Ausbildung und Weiterbildung in der Bun- Sie dürfen versichert sein, Herr Wehrbeauftragter,
deswehr. Meine verehrten Damen und Herren, dazu .daß die SPD-Bundestagsfraktion sich Ihrer Auffas-
gehört aber auch, daß das Wissen und Fachkönnen sung und nicht der Auffassung des Bundesrechnungs-
und die Ausbildung aus dem Zivilbereich so schnell hofes anschließt. In diesem Zusammenhang möchte
wie möglich auf militärischem Gebiet nutzbar ge- ich unterstreichen, daß d ie Einrichtung von Soldaten-
macht werden. Es ist eine klare Erkenntnis, daß wir heimen entscheidend und am wichtigsten gerade in
nicht nur den Fachoffizier brauchen. Wir brauchen den Einödstandorten ist. Von diesen Einrichtungen
auch Fachleute und Spezialisten im Unteroffiziers- sollten wir uns auch nicht abbringen lassen.
und Mannschaftsbereich.
(Abg. Wehner: Sehr wahr!)
Herr Wehrbeauftragter, ich schließe mich Ihrer
Auffassung an, daß, wenn es gelingt, das zivile Fach- Sie schneiden idas leidige Thema der Wehrübungen
wissen und -können, den Bildungsgrad und die Aus- an, einen Fragenkomplex, mit dem wir uns außer-
bildung aus dem Zivilbereich in der Bundeswehr voll ordentlich stark beschäftigen werden müssen. Sie
gewürdigt und gewertet zu sehen, die Bundeswehr sprechen von dem umfassenden Katalog des Wehr-
auch in der Lage sein wird, die Nachwuchslücke zu disziplinarrechts und von vielem anderem. Es ist
schließen. Diese jungen Menschen haben im Zivil- ein umfangreiches, ein riesiges Paket von Anregun-
leben etwas gelernt, was ihnen letztlich in der Bun- gen an den Verteidigungsminister, an das Verteidi-
deswehr zugute kommen muß. Sie sollen in der Bun- gungsministerium und Stoff genug für den Verteidi-
deswehr Weiteres dazulernen, was ihnen bei der gungsausschuß und dieses Parlament zu einer neuen
Rückkehr in das zivile Berufsleben wiederum von umfangreichen Debatte und Diskussion als Aus-
Nutzen sein sollte. Aus diesem Grunde besitzen Bil- gangspunkt für notwendige Entscheidungen.
dung und Ausbildung einen so ungeheuren Priori- Ich möchte Ihnen sehr dafür 'danken, Herr Wehr-
tätswert. beauftragter, daß Sie in Ihrem letzten Bericht den
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. März 1970 1751
Buchstaller
Punkt „lobenswerte Taten" aufgeführt haben. Selbst- dienst sein, Herr Hoogen. Dafür möchte ich Ihnen
verständlich könnten Sie — so gut kennen wir die danken.
Bundeswehr — einen nicht weniger dicken Katalog (Beifall bei allen Fraktionen.)
lobenswerter Taten zusammenstellen, als es der
Im Namen der SPD-Bundestagsfraktion darf ich
Jahresbictl.UnreSodagbi
Ihnen, Herr Hoogen, und Ihren Mitarbeitern für
Flut- und Hochwasserkatastrophen, bei Waldbrän-
diese großen Leistungen herzlich Dank sagen.
den und anderen Einsätzen, wie Schneekatastrophen,
ihr Bestes, strengen ihre Kälte bis zur Aufopfe- (Erneuter Beifall bei allen Fraktionen.)
rung an und leisten ihren Dienst bis zum Einsatz des Ich darf mich als Berichterstatter und Mitbericht-
Lebens. Dies muß nicht nur erwähnt werden, son-
erstatter des Ausschusses dafür bedanken, daß wir
dern den Soldaten ist dafür zu danken. Wir müssen auch Meinungsverschiedenheiten stets sachlich aus-
ihnen aber auch für den alltäglichen Dienst danken, tragen konnten und daß Sie in den Auseinander-
den sie leisten, damit wir in Sicherheit leben können. setzungen immer versucht haben, einen Grundsatz
(Beifall bei der SPD.) Ihres Berichts in den Vordergrund zu stellen: Wir
müssen zusammen leben, wir müssen zusammen
Diese Anregung, di e Sie, Herr Wehrbeauftragter, in argumentieren, und wir müssen uns gegenseitig
Ihren letzten Bericht einbezogen haben, kann und von der Richtigkeit unserer Argumente überzeugen.
sollte, so meine ich, von Ihrem Amtsnachfolger wei- Das war auch die Grundlage der Zusammenarbeit,
ter ausgebaut werden. die wir mit Ihnen pflegen durften.
Sie, Herr Hoogen, haben heute Ihren letzten Jah- Noch einmal herzlichen Dank und alle guten
Wünsche für Ihr persönliches Wohlergehen!
resbericht dem Parlament zugeleitet und zum ersten-
mal auch ihn mündlich ergänzt und zu ihm Stellung (Beifall bei allen Fraktionen.)
genommen. Als erster der Wehrbeauftragten haben
Sie die fünfjährige Amtsperiode durchgestanden
und ihr sogar noch einige Monate hinzugefügt. Herr Vizepräsident Dr. Jaeger: Das Wort hat der
Dr. Klepsch war so nett, die Amtszeit des Herrn Abgeordnete Jung.
Wehrbeauftragten Hoogen noch einmal kurz Revue
passieren zu lassen. Wir sollten nicht in den Irrtum Jung (FDP) : Herr Präsident! Meine sehr ver-
verfallen, daß in dieser Amtszeit immer nur Sonnen- ehrten Damen und Herren! Der Jahresbericht 1969
schein und kein Ärger vorhanden gewesen wäre. des Herrn Wehrbeauftragten zeigt — wie es im
Sie haben nicht nur manches durchgestanden, Herr übrigen schon der letzte Jahresbericht deutlich ge-
Wehrbeauftragter, sondern manches auch durchgelit- macht hatte — hohes Verantwortungsbewußtsein
ten, glaube ich, und das ist gut so. Es ist gut, daß und die Fähigkeit, die zwangsläufig auftretende Dis-
Sie in all diesen Punkten auch selber einmal die krepanz zwischen militärischen Sachzwängen und
schwiergnNdubüokratischend- den Vorstellungen von einer demokratischen Ge-
rer Hemmnisse durchlaufen mußten bis hin zum Pro- sellschaft richtig zu analysieren. Es ist, wie ich
blem der Menschenführung nicht nur in der Bundes- soeben schon sagte, besonders in den beiden letzten
wehr, sondern auch im Amt des Wehrbeauftragten. Jahren das Verdienst des Wehrbeauftragten ge-
Ich glaube, daß das sehr gut ist. Aber genauso muß wesen, Probleme der Bundeswehr dem Parlament,
festgestellt werden, daß das Amt des Wehrbeauf- und zwar dem ganzen Parlament, nicht nur den
tragten trotz der teilweise sehr leidenschaftlichen Kollegen, die im Verteidigungsausschuß tätig sind,
Diskussion in Ihrer Legislaturperiode wesentlich ge- deutlich zu machen und in anschaulicher Weise vor-
festigt wurde und daß es in der Öffentlichkeit, im zulegen.
Parlament, in der Bundeswehr und bei den Soldaten
Vertrauen genießt. Ich glaube, dieses Amt ist unter Das Parlament und der Ausschuß haben mit die-
Ihrer Führung in den letzten Jahren außerordentlich sem Jahresbericht viel Material zur Diskussion er-
stark in das Bewußtsein der Öffentlichkeit einge- halten. Ich möchte wie meine beiden Kollegen Dr.
drungen und hat sich als ein Element unserer poli- Klepsch und Buchstaller darauf verzichten, heute in
tisch-parlamentarischen Demokratie manifestiert. die Detaildiskussion einzutreten, weil diese Detail-
Dazu bedurfte es manchmal einer sehr zähen Arbeit. diskussion, wie ich glaube, in einer umfassenderen
Verteidigungsdebatte zu führen ist, wenn nämlich
Ich weiß, Herr Hoogen — um etwas von der an- die kritische Bestandsaufnahme abgeschlossen ist
fangs von mir geäußterten Kritik zurückzuneh- und das Weißbuch des Verteidigungsministers vor-
men —, warum Sie jeden Jahresbericht mit dem liegt.
Passus eingeleitet haben: „Zum Selbstverständnis
Nur einige große Bereiche möchte ich heraus-
des Amtes des Wehrbeauftragten." Sie haben es ge-
greifen und einige Grundsätze daraus beleuchten.
tan, weil gerade diese Institution so lange im Kreuz-
feuer und im Meinungsstreit gestanden hat. Ich bin Zunächst einmal, Herr Wehrbeauftragter, zum
aber zutiefst davon überzeugt, Herr Hoogen, daß Problem der Kriegsdienstverweigerung. Hier müs-
die kommenden Jahresberichte schon sehr bald auf sen wir im Ausschuß noch eingehend diskutieren,
die einleitende Präambel „Zum Selbstverständnis des denn einige Darlegungen des Berichts über die Kri-
Amtes des Wehrbeauftragten" verzichten können, terien der Berechtigung eines Antrags auf Kriegs-
weil dieses Amt zur Selbstverständlichkeit gewor- dienstverweigerung sind mir etwas zu unklar. Las-
den ist. Das wird dann entscheidend mit Ihr Ver- sen Sie mich das verdeutlichen! Sie schreiben:
1752 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. März 1970
Jung
Die hohe Anerkennungsquote mag damit er- tung. Denn hier wie in anderen Institutionen, die
klärt werden können, daß die Prüfungsgremien Ausdruck einer demokratischen Gesellschaft in
häufig nicht in der Lage sind, zu prüfen und zu einem demokratischen Staatswesen sein wollen, be-
entscheiden, ob die vom Antragsteller vorgetra- steht die Aufgabe darin, dafür zu sorgen, daß sich
genen Gründe zu einer von der Verfassung die Bundeswehr von innen hieraus gegen zersetzende
geforderten ernstlichen Belastung seines -Gewis- Einflüsse wappnen kann. Das bedeutet konkret, daß
sens geführt haben oder ob er nur Umweltein- den Soldaten durch intensivsten staatsbürgerlichen
flüssen mannigfacher Art erlegen ist, die ihn Unterricht .das Rüstzeug gegeben werden muß, sich
zwar intellektuell beschäftigen und seine Auf- intellektuell gegen Angriffe zu wehren und nicht in
fassung zu politischen, militärischen und ethi- emotionale Ausbrüche abzugleiten.
schen Fragen widerspiegeln, jedoch im Bereich In dem Bericht wird darauf hingewiesen, daß sich
seines Gewissens keine Auswirkungen im Hin- Verteidigungsauftrag und Friedensfunktion der
blick auf die von Artikel 4 Abs. 3 GG gefor- Streitkräfte nicht in Präsenz und Einsatzbereitschaft
derte Belastung gezeigt haben. erschöpfen. Sie erfordern vielmehr die geistige Aus-
Herr Wehrbeauftragter, ich persönlich bin der Mei- einandersetzung und das Wissen um die Zusammen-
nung, daß natürlich auch Umwelteinflüsse und poli- hänge und die Abhängigkeit unserer staatlichen, ge-
tische und ethische Vorstellungen durchaus Einfluß sellschaftlichen, wirtschaftlichen und sozialen Ord-
auf das Gewissen haben können. nung von der Erhaltung und Sicherung des Friedens.
Hier sind die Hinweise und die Vorschläge insbe-
Mit Recht weisen Sie auf die Schwierigkeiten hin,
sondere zur Offiziersausbildung außerordentlich
das Gewissen eines Menschen im Wege eines justiz-
positiv. Primär ist also Zersetzungsbestrebungen be-
förmigen Verfahrens beweiskräftig zu erforschen. Ich
stimmter Gruppen sachlich-intellektuell und erst se-
bin mit Ihnen der Meinung, daß wir eine Unter-
kundär formaljuristisch zu begegnen. Das ist z. B.
scheidung zu machen haben zwischen den echten
im Zusammenhang mit der im Bericht vorgeschlage-
Gewissensgründen und der organisierten Manipula-
nen Novellierung des Gesetzes über die Anwendung
tion. Ich habe bereits in der Debatte im vergangenen
des 'unmittelbaren Zwangs zu beachten.
Jahr auf diese Probleme sehr deutlich hingewiesen.
Dies alles 'berührt auch d'en weiten Komplex .der
Erfreulicherweise zeigen Sie hier auf — wir kön-
Integration der Bundeswehr in die Gesellschaft. Die-
nen das auch bei unseren Truppenbesuchen feststel-
ser Zusammenhang wird im Bericht deutlich erkannt.
len —, daß eine rückläufige Tendenz, insbesondere
Zu Recht wird insbesondere der Bereich der Inneren
bei den Kriegsdienstverweigerern zu verzeichnen
Führung herausgegriffen, der im vergangenen Jahr
ist, die bereits in der Truppe sind, wenn auch die
eine besondere Rolle in der öffentlichen Diskussion
absolute Zahl der Kriegsdienstverweigerer ins-
gespielt hat. Hier wird das bestätigt, was wir schon
gesamt leicht ansteigt. Ich glaube, daß unsere ein-
wiederholt sagten, nämlich daß ein verbindliches
dringlichen Forderungen im vergangenen Jahr und
Konzept der Inneren Führung fehlt, daß viel darüber
Ihre im Jahresbericht 1968 erhobene Forderung dazu
diskutiert wurde, ohne daß man das Problem in den
beigetragen haben, daß der Ausbau des Ersatz-
Griff bekam. Aber ich meine, daß die Diskussion
dienstes — eine alte Forderung aller Fraktionen —
nicht vergebens war. Jetzt muß sinnvoll strukturiert
intensiviert wurde und es auch bewirkt hat, daß die
werden, und es müssen reale Konsequenzen gezo-
Zahl der Anträge rückläufig ist. Ich meine, hier muß
gen werden. Ein erster Anfang wäre, daß ein kurzes
noch einmal deutlich gemacht werden, daß ein sinn-
Handbuch, ein verständlicher Leitfaden für Führer
voller Ausbau des zivilen Ersatzdienstes das Pro-
und Unterführer vom Verteidigungsministerium un-
blem der Kriegsdienstverweigerer weitgehend selbst
verzüglich herausgegeben wird. Das Konzept der
regelt. Vielleicht kann dann sogar auch das An-
Inneren Führung muß unter dem Aspekt einer hoch-
erkennungsverfahren, das hier mit Recht etwas in
technisierten Armee gesehen werden.
Frage gestellt wurde, großzügiger gehandhabt
werden. Mit Recht sagt der Bericht, daß alteingewöhnte
In diesem Zusammenhang sind die Ausführungen Institutionen unserer Gesellschaft heute 'eine Krise
des Wehrbeauftragten über die freie Meinungs- der Autorität erleben. Die Forderung nach Mit-
äußerung und Information und über die Notwendig- spracherecht und Mitbestimmung, kritisches Denken
keit der Bildungsarbeit beachtlich. Im Berichtsjahr und verantwortliches Handeln machen naturgemäß
— so sagt der Wehrbeauftragte — hat es zahlrei- auch vor der Bundeswehr nicht halt, und ich meine,
che Aktionen im Rahmen einer Antibundeswehr- das ist gut so; denn damit ist die Gewährleistung
kampagne gegeben. Ich darf nochmals sagen, was für eine Bundeswehr gegeben, die nicht Verlänge-
rung einer Militärtradition, sondern Ausdruck und
ich schon im Vorjahr gesagt hatte: Wir müssen for-
Spiegelbild einer hochindustrialisierten demokrati-
dern, daß Verlautbarungen der außer- und antipar-
schen Gesellschaft ist. Ich möchte hier jeden einzel-
lamentarischen Opposition von den Vorgesetzten 'im
nen Satz eines Interviews des Generalleutnants
staatsbürgerlichen Unterricht und in der aktuellen
Steinhoff — der sich allerdings ausschließlich auf die
Information in sachlicher Weise besprochen werden,
Luftwaffe bezog — unterstreichen. Er macht deut-
um den Soldaten das Rüstzeug zu geben, das sie in
lich, daß die Bundeswehr Teil einer Leistungsgesell-
den Stand setzt, Verdrehungen und Halbwahrheiten
schaft ist und die Maßnahmen in dieser Bundeswehr
zu erkennen und richtig zu bewerten. Insofern sind
darauf abgestellt werden müssen.
die Hinweise des Wehrbeauftragten auf die Notwen-
digkeit der Verstärkung des staatsbürgerlichen Un- Diese Gesellschaft muß sich mit ihren demokra-
terrichts in der Bundeswehr von besonderer Bedeu tischen Ansprüchen eben so weit konsolidieren, daß
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. März 1970 1753
Jung
sie innere Verteidigungsbereitschaft entwickelt und sollten deutlich machen, daß z. B. Überschriften in
die Bundeswehr als angemessenes Instrument hier- der Presse wie „Nur die Dummen leisten Wehr-
für betrachtet. Die Integration der Bundeswehr in dienst" natürlich nicht dazu angetan sind, das An-
die Gesellschaft muß durch Anpassung der Normen sehen der Bundeswehr in der Gesellschaft zu heben.
für die Bundeswehr an die Ansprüche der Gesell- Abschließend, meine Damen und Herren, darf ich
schaft unter Berücksichtigung der sachlich notwen- sagen, daß der Bericht eine Fülle von diskussions-
digen Besonderheiten einer hochtechnisierten Armee würdigem Material und sehr viele brauchbare Vor-
erfolgen. schläge aufweist. Wir Freien Demokraten unterstrei-
Der Bericht unterstreicht auch die Bedeutung der chen das Selbstverständnis des Wehrbeauftragten,
kurzgeschlossenen Dienstwege, die sich als infor- wie es sich in den Worten dokumentiert: „rechtzei-
melle Kommunikationskanäle neben dem formalen tige Offenlegung und Erörterung von Sachverhalten,
System gebildet haben. Wir nehmen das mit beson- von Strömungen und Entwicklungen positiver und
derer Freude zur Kenntnis, denn wir wissen ja alle, negativer Art", „rechtzeitiges Erkennen unterschwel-
wie oft wir uns schon in diesem Hause gerade über liger Tendenzen", um „einer möglichen Aufladung
die Probleme der „Bürokratie in Uniform" gestritten und Verschärfung von Konfliktsituationen entgegen-
haben, wenn ich das einmal so bezeichnen darf. Das zuwirken", „ ,soziales Frühwarnsystem des Parla-
scheint mir auch bei der kritischen Bestandsauf- ments".
nahme -des Verteidigungsministers ein besonderer Das Amt des Wehrbeauftragten ist ein unerläß-
Punkt zu sein, den wir in der großen Verteidigungs- liches Institut zur Lösung sozialer Konflikte in den
debatte zu diskutieren haben. Streitkräften.
Ein weiteres äußerst dringliches Problem, das (Glocke des Präsidenten. — Abg. Rasner:
hier schon wiederholt angesprochen wurde, ist die Er liest ab!)
Zulassung gedienter Bewerber zum Studium. Meine Jedoch dürfen wir dieses Amt nicht zu einer Institu-
Kollegen Klepsch und Buchstaller haben dies auch tion der Bearbeitung von Eingaben verkümmern las-
schon gesagt. Die Zulassung gedienter Studienbe- sen; denn sonst würde es unglaubwürdig werden.
werber wurde vom Wehrbeauftragten mit Recht als Daraus haben wir — der Ausschuß, das Ministerium
ein dringend zu lösendes Problem hingestellt, und insbesondere das Parlament — die Konsequen-
ebenso die Abstimmung der Termine von Entlassun- zen zu ziehen. Im Zusammenhang mit dem Weißbuch
gen aus der Bundeswehr und Semesterbeginn an und der kritischen Bestandsaufnahme werden wir
Hoch- und Fachschulen. Die Dringlichkeit der die grundsätzlichen Probleme im einzelnen zu er-
Lösung dieser Probleme ist unmittelbar einsichtig; örtern haben, um zukunftsweisende Perspektiven
unterbliebe sie, würde die Unruhe in der Truppe für Funktion und Aufgaben der Bundeswehr in einer
weiter verstärkt, und die Attraktivität der Bundes- offenen, mündigen Gesellschaft aufzuzeigen und
wehr nach außen würde beeinträchtigt. durch gesetzgeberische Akte in die Wirklichkeit um-
Außerdem kann man feststellen, daß eine Ver- zusetzen.
zögerung der Ausbildung den Eingliederungsprozeß Herr Wehrbeauftragter, wie meine beiden Kol-
der gedienten Universitätsabsolventen in die Wirt- legen möchte auch ich im Namen der Fraktion der
schaft selbstverständlich beeinträchtigt. Im Bereich Freien Demokratischen Partei unseren Dank an Sie
der Wirtschaft gewinnen auch die im Bericht ge- und Ihre Mitarbeiter für die vorzügliche Leistung,
nannten praktischen Aspekte des Berufsbildes an die Sie mit diesem Bericht erbracht haben, ausspre-
Bedeutung, so der Berufsförderungsdienst, dessen chen.
Ausbau und Verbesserung zur Eingliederung in das (Allseitiger Beifall.)
zivile Berufsleben notwendig sind.
Nach den Ausführungen von Herrn Klepsch und
Ich meine, darüber hinaus müssen wir die Frage Herrn Buchstaller bin ich überzeugt, daß ich im
der Anerkennung aller bei der Bundeswehr erwor- Namen aller Parlamentarier spreche, wenn ich Ihnen
benen Kenntnisse auch im zivilen Bereich behandeln, und Ihren Mitarbeitern gegenüber Respekt und An-
damit die Integration der Bundeswehr in die demo- erkennung des Hauses zum Ausdruck bringe.
kratische Gesellschaft durch eine solche Maßnahme
noch mehr erleichtert wird, als dies bisher der Fall (Erneuter Beifall bei allen Fraktionen.)
war. Es wurde auch deutlich, daß die mittlerweile Sie haben mit Ihren Berichten einen hohen Maßstab
eingeführte Fachoffizierlaufbahn durch die Erkennt- gesetzt. Jeder der Berichte, insbesondere die Be-
nisse, die man in der Zwischenzeit gewonnen hat, richte der beiden letzten Jahre, sind nach meiner
unbedingt notwendig war; dies wird im Bericht aus- Meinung Meilensteine auf dem Wege zum Ziel, die
drücklich bestätigt. Bundeswehr voll in unsere demokratische Gesell-
Ein besonderer Schwerpunkt ist, wie alle Jahre, schaft zu integrieren. Ich meine, daß diese Berichte
die Frage der Herstellung der Wehrgerechtigkeit. Ihrem Nachfolger eine hohe Verpflichtung aufer-
Im Bericht werden die Zahlen genannt: 60 % werden legen. Wir wünschen Ihnen persönlich alles Gute
eingezogen, 30% sind nur eingeschränkt tauglich. und Ihrem Nachfolger viel Glück in der Fortsetzung
Herr Kollege Buchstaller hat vorhin mit Recht ge- des von Ihnen aufgezeigten Weges.
sagt, daß die Funktionen in einer hochtechnisierten (Beifall bei den Regierungsparteien und bei
Armee nicht mehr vergleichbar sind mit den Funk- Abgeordneten der CDU/CSU.)
tionen einer Armee, die an der Notwendigkeit aus-
gerichtet war, pro Tag einige zig Kilometer zu Vizepräsident Dr. Jaeger: Das Wort hat der
Fuß zu marschieren. Ich meine allerdings auch, wir Herr Bundesminister der Verteidigung.
1754 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. März 1970
Schmidt, Bundesminister der Verteidigung: Herr 61 % Fälle aus dem Sozialbereich betreffen. Das
Präsident! Meine Damen und Herren! Hier ist von geht Sie, meine Damen und Herren, in diesem Par-
allen Seiten der Dank an den Wehrbeauftragten lament sehr viel an. Hier ist sehr weitgehend der
ausgesprochen worden. Ich will mich zunächst — Gesetzgeber angesprochen. Der Gesetzgeber sollte
ich sage: zunächst — dem Dank an die Institution nicht meinen, er könne überall über Innere Führung
anschließen, einfach indem ich sage, daß die- Erfah- debattieren, selber aber als eigentlicher Dienstherr
rungen, die wir mit der hier mehrfach zitierten „kri- auf diesem Felde nicht penibel sein zu müssen. Der
tischen Bestandsaufnahme" im Gespräch mit Wehr- Dienstherr hat nämlich gegenüber den Soldaten
pflichtigen und Vorgesetzten in der Truppe gewon- auch Pflichten.
nen haben, zu dem Eindruck geführt haben, daß der (Beifall bei den Regierungsparteien und bei
Verteidigungsminister, wenn es diese Institution Abgeordneten in der Mitte. — Abg. Dr.
nicht gäbe, sie heute beim Parlament beantragen Zimmermann: Dienstherr sind Sie und nicht
müßte. Ich sage das deshalb — und ich bin dankbar , das Parlament!)
dafür, daß das Parlament heute einmal von seiner
Übung abgewichen ist und quasi eine erste Lesung — Den Ausdruck „Dienstherr" benutze ich sehr un-
des Berichts macht —, weil ich mit einer gewissen gern. Er ist Gesetzessprache. Ich halte ihn für ein
Besorgnis festgestellt habe, daß einige unserer schlimmes Relikt aus einem obrigkeitsstaatlichen
schreibenden Kollegen in Organen, die die öffent- Jahrhundert.
liche Meinung beeinflussen, meinten, .das Parlament (Beifall bei den Regierungsparteien.)
oder gar der Verteidigungsminister nehme diese
Institution nicht wichtig genug. Ich kann aus meiner Herr Zimmermann, wenn Sie mir zurufen, ich sei der
— allerdings erst sehr kurzen — Amtserfahrung nur Dienstherr, dann will ich dem in aller Form wider-
sagen, daß ich diese Institution für schlechthin un- sprechen. Ich glaube, das ist eine sehr formale Be-
verzichtbar halte. trachtung. Dieses Parlament ist letztlich der eigent-
liche Dienstherr der deutschen Bundeswehr, dieses
Ich möchte nun aber gegenüber den Kritikern Parlament.
dieser- Institution und gegenüber solchen etwas hin-
(Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg.
zufügen dürfen, die sich bisweilen mit einer gewis-
Rasner: Es ist Ihrer!)
sen hämischen Akribie auf die vielerlei Punkte stür-
zen, die in , den Berichten dieser Einrichtung notge- — Wir stimmen ja darin überein. Es ist eine Armee,
drungenerweise kritisch hervorgehoben werden die sich das Parlament geschaffen hat, zum ersten-
müssen. Ich möchte nämlich sagen, daß es in unserer mal in der deutschen Militärgeschichte.
Gesellschaft wohl kaum einen institutionalisierten (Dr. Stark [Nürtingen] : Das ist keine Parla
Bereich gibt, für den so wie für die Bundeswehr mentsarmee!)
von Staats wegen jedes Jahr eine Statistik der
Beschwerden, der eigenen Fehler, der Führungs- — Aber sehr wohl! Sie sind ein bißchen jung, Herr
fehler und all dergleichen auf den Tisch des Hauses Kollege. Wenn Sie heute vor 15 Jahren in diesem
gelegt wird. Haus gesessen hätten, würden sie wissen — ich
brauche mich nur an die Rolle von Herrn Dr. Jaeger
Ich wiederhole einen Gedanken, den ich vielfach zu erinnern, den ich im Augenblick hier nicht zitie-
ausgesprochen habe. Stellen Sie sich bitte einmal ren will, weil er der Sitzung präsidiert —, in welch
vor, welch enormer Segen an sozialer Frühwarnung entscheidender Rolle das Parlament die Grundlagen
— ich greife Ihren Ausdruck auf, Herr Hoogen, der für die Bundeswehr gelegt hat und nicht irgend je-
wohl aus einem soziologischen Begriffsbereich mand anderes.
stammt — für die deutsche Gesellschaft, auch fürs
Parlament, gegeben gewiesen wäre, wenn wir einen (Beifall bei den Regierungsparteien.)
Beauftragten des Parlaments mit rechtzeitigen Be- Das Parlament hat sich auch diese Einrichtung ge-
richten über die Situation an den deutschen Uni- schaffen, die in der Person von Herrn Hoogen heute
versitäten in , den letzten 15 Jahren gehabt hätten zu Wort kam.
(Beifall auf allen Seiten) Lassen Sie mich zur Einrichtung noch ein Wort
oder wenn wir einen ähnlichen Beauftragten für die sagen, da hier Statistiken zitiert werden. Von die-
deutschen Gymnasien oder die Universitätskliniken ser Einrichtung machten ausweislich des Berichts
gehabt hätten, wo sich heute ja auch einiges zeigt! von Herrn Hoogen im letzten Jahr Gebrauch: 1,3 %
Stellen Sie sich vor, was ein Parlamentsbeauftragter aller Mannschaften, 1,7 % aller Unteroffiziere und
für die Universitätskliniken in solch einen Bericht 1,2 % aller Offiziere. Diese drei Zahlen scheinen
schreiben müßte! Ich sage das nur, damit die mit mir mit das Interessanteste am Bericht zu sein, weil
Recht hervorgehobenen kritischen Punkte des Wehr- man an ihnen nämlich sieht, wie sehr inzwischen
beauftragten im Vergleich zu anderen Institutionen auch die Vorgesetzten die Möglichkeiten ergreifen,
in der richtigen Perspektive gesehen werden. die diese Einrichtung bietet.
Was nun die Kritik gegenüber vorgefundenen Zu- Da ich bei Statistiken bin, möchte ich, Herr Hoo-
ständen oder Vorkommnissen angeht, so finde ich gen, ein Wort zu den Unfallziffern sagen, die Sie
hier hervorhebenswert, daß 2,1 % der Eingaben vorhin in Ihrer Rede genannt haben. Die Bundes-
Verletzungen von Grundrechten, 21 % Verstöße auf wehr hat im letzten Jahr durch tödlich verlaufene
dem Feld der Inneren Führung, 13 % auf dem Feld Unfälle im Dienst 105 Soldaten verloren, davon 26
des Strafrechts- oder des Disziplinarwesens, aber durch Flugunfälle. Sie hat durch tödlich verlaufene
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. März 1970 1755
Bundesminister Schmidt
außerdienstliche Unfälle 435 Soldaten, also viermal einem sechs- oder achtsemestrigen Studium deshalb
so viele, verloren — davon allein drei Viertel durch nicht zuzulassen, weil er sich 14 Tage später — ich
Unfälle mit privaten Kraftfahrzeugen. darf mich einmal so ausdrücken —einschulen las-
Das ist einer der Gründe, die mich, wenn wir mit sen müßte, finde ich 'unerhört.
unseren Arbeiten soweit sind, dafür werden plä- (Beifall auf allen Seiten.)
dieren lassen, daß Sie, meine Damen und Herren,
-
der Wiedereinführung der Militärfahrkarte zustim- Herr Klepsch, ich rede von dem Problem, weil ich
men, die dein wehrpflichtigen Mann eine Familien- es kenne; mir ist es nicht erst bekannt, seit Sie e s
heimfahrt am Wochenende erlaubt, ohne daß er sie heute morgen vorgebracht haben. Auf der anderen
aus seinem relativ schmalen Wehrsold bezahlen Seite glauben Sie mir bitte: die Sonderregelung, die
muß, wieder eingeführt wird, damit das mit dieser Herr von Hassel und später auch Herr Schröder ver-
wilden Fahrerei auf den Autobahnen aufhört. suchsweise von Fall zu Fall ermöglicht haben, hat
sehr viel böses Blut bei denen gemacht, die nicht
(Beifall auf allen Seiten.) unter diese Sonderregelung fielen. Jemand, der wie
Ich möchte auch noch ein Wort zu zwei anderen ich und wie auch Sie die Notwendigkeit zu mehr
Bemerkungen sagen, die Herr Klepsch und Herr Gleichheit. in der Behandlung der jungen Männer
Jung zu den wirklich schrecklichen Kalamitäten zwi- erkennt, muß da ein 'bißchen vorsichtig sein. — Bitte!
schen den Kultusministern und den Universitäten
und Fachschulen hinsichtlich des Semesterbeginns Vizepräsident Dr. Jaeger: Eine Zwischenfrage
gemacht haben. Jeder fängt zu anderen Terminen des 'Abgeordneten Dr. Klepsch.
an, jeder macht's, wie er es will, und nimmt keine
Rücksicht auf den Schwächsten in diesem Zusam-
menhang, nämlich den Wehrpflichtigen, der studie- Dr. Klepsch (CDU/CSU) : Herr Minister, wenn
ren möchte. Sie das Protokoll nachsehen, werden Sie feststellen,
(Beifall auf allen Seiten.) daß ich ausgerechnet di esen Fall, von dem Sie jetzt
sprechen, meine. Ich habe es an dem Prinzip der
Alle Amtsvorgänger haben sich, soweit ich das aus Verhältnismäßigkeit der Mittel, von dem der Wehr-
den Akten sehen kann, große Mühe gegeben, mit beauftragte spricht, aufgehängt.
den Kultusministern zu Lösungen zu kommen. Die
Kultusminister sind ja nun auch nicht Leute, die an-
ordnen können; die Universitäten genießen Auto- Vizepräsident Dr. Jaeger: Ich bitte, eine Frage
nomie und rühmen sich ihrer in diesen Tagen ganz zu stellen!
gewaltig. Sie lassen sich da wenig hineinreden. Ich
kann nur wünschen, daß in Deutschland das wenig- Dr. Klepsch (CDU/CSU) : Die Frage kommt
stens genauso einheitlich geregelt wird wie der gleich. Meine Frage an Sie, Herr Minister, lautet, ob
Schulbeginn bei den allgemeinbildenden Schulen. Sie nicht bereit sind, zu überprüfen, ob man für die-
(Beifall auf allen Seiten.) jenigen, die ein volles Jahr dadurch verlieren, diese
Sonderregelung mit den 14 Tagen vorzeitigen Ur-
Der Verteidigungsminister kann nur hoffen, daß laub nicht beibehalten sollte.
Sie in Ihren Ländern, bei Ihren Landtagskollegen,
ein bißchen Wind in dieser Richtung machen. Der
Bund ist nicht eine Instanz, die hier durch Bundes- Schmidt, Bundesminister der Verteidigung: Herr
tagsbeschluß oder durch Regierungsbeschluß etwas Klepsch, wenn jemand im Ernst ein volles Jahr ver-
ändern könnte. Uns steht nur das Mittel der Über- lieren müßte, würde ich gar keinen Zweifel haben,
redung, der Überzeugung zur Verfügung. dies als eine besondere Härte ansehen zu müssen.
Daran besteht gar kein Zweifel.
Was nun Ihre Rüge angeht, Herr Klepsch: die
Sonderregelungen in den vergangenen zwei Jahren (Beifall. — Abg. Dr. Klepsch: Ihr Haus be
für eine bestimmte Gruppe von Studenten sind — zweifelt das!)
das ist die praktische Erfahrung — dem Bemühen Aber ich wäre dankbar, wenn Sie den Nachdruck,
um Wehrgerechtigkeit nicht dienlich gewesen. den Sie in Iden Beifall gelegt haben, den Sie mir auf
(Abg. Dr. Klepsch: 14 Tage!) diese Antwort geben, viel mehr in e
di Auseinander-
setzung mit den Behörden legten, die für diese Se-
— Die 14 Tage machen bei mindestens sechs Seme- mesterbeginne in Deutschland zuständig sind.
stern Studium den Kohl auch nicht fett. Den Studen-
ten möchte ich mal persönlich sprechen, der behaup- (Beifall auf fallen Seiten.)
tet, wegen 14 Tagen etwa sein Studium nicht richtig Ich kann da auch nichts anderes als bitten und reden.
absolvieren zu können! Wenn Sie das Problem an- Ich habe in den Akten gesehen, was schon mein
ders stellen und sagen, daß er deswegen sein Se- Amtsvorgänger und dessen Amtsvorgänger auf die-
mester überhaupt nicht hat antreten können sem Feld alles gebeten und geredet haben.
(Zurufe von der CDU/CSU)
— Augenblick! —, dann kann ich nur sagen: Soviel Vizepräsident Dr. Jaeger: Gestatten Sie eine
Kurzsichtigkeit der zuständigen Universitätsbehörde Zwischenfrage des Abgeordneten Damm?
macht allerdings eine solche Einrichtung wie einen
Beauftragten des ,Parlaments für den Hochschul- Schmidt, Bundesminister 'der Verteidigung: Aber
bereich 'dringend notwendig! Einen Studenten bei gern.
1756 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. März 1970
Damm (CDU/CSU) : Herr Minister, wenn Sie die des Wehrbeauftragten werden ja bis zu den Kom-
Dinge so betrachten, wie Sie soeben sagen, warum panien verteilt. Natürlich, Herr Hoogen, gibt es
sind ,dann vor vier oder acht Wochen durch Ihr Haus auch Stimmen, die andere Begriffsschöpfungen, an-
Anordnungen ergangen, Anträgen auf vorzeitige Be- dere Begriffszuordnungen, andere Unterscheidungen
urlaubung, und zwar für einen Zeitraum von 14 Ta- für ebenso zweckmäßig oder richtig halten. Ich
gen, nicht stattzugeben, obwohl diese Anträge mit denke, daß mag auf sich beruhen, weil ich im
dem Hinweis gestellt worden sind, daß die Petenten Grunde begrüße, daß über den Komplex der Auf-
bei Ablehnung ihr Studium nicht beginnen könnten gaben überhaupt öffentlich debattiert wird.
und mehr als , ein Jahr verlieren würden und sogar
Gefahr liefen, ein Jahr später für ein Ingenieur- Allerdings scheint mir bei dieser Diskussion
schulstudium gar nichtzugelassen zu werden? zweierlei notwendig: Erstens daß sie nicht im luft-
leeren Raum von Menschen geführt wird, die selber
die Truppe nicht kennen und sich nicht die Mühe
Schmidt, Bundesminister der Verteidigung: Herr
geben, sich in den Alltag der Truppe hineinzuver-
Damm, was Sie da als Erlaß oder Anordnung zitie-
setzen. Die öffentliche Diskussion muß in Berührung
ren, ist, so wie Sie es zitieren, falsch zitiert. Ich
mit der Praxis und unter Auswertung der Erfahrun-
bleibe bei der eben gegebenen Antwort. Wenn in
gen der Praxis geführt werden. Dieses Erfordernis
einem Einzelfall wirklich jemand ein Jahr verlieren
ist nicht bei allen erfüllt, die an ihr teilnehmen, wie
sollte, würde ich das als eine besondere Härte an-
ich feststelle, wenn ich die Zeitung lese. Zweitens
sehen und wollte es auch so behandelt wissen, Herr
müssen bei all dieser Praxisbezogenheit, von der
Damm.
ich eben sprach, sich umgekehrt die Vorgesetzten in
der Bundeswehr selbst immer wieder Mühe geben,
Vizepräsident Dr. Jaeger: Gestatten Sie eine hinter den praktischen Aufgaben, hinter der Praxis
zweite Zwischenfrage ,des Abgeordneten Damm, des Truppenalltags die Frage nach dem Sinn und
Herr Bundesminister? nach den Werten, an denen wir uns orientieren, an
denen sich auch die Praxis der inneren Führung
Damm (CDU/CSU) : Herr Minister, würden Sie orientiert, nicht untergehen zu lassen und die Ant-
die Freundlichkeit haben, die Antworten, die Ihr worten darauf für die Soldaten durchsichtig und
Parlamentarischer Staatssekretär zu diesen Fragen, hörbar zu machen.
und zwar im negativen Sinne, hier in der Frage-
stunde erteilt hat, einzusehen und zu bekennen, daß Ich sagte, ich begrüße, daß darüber debattiert
Ihr Hinweis leider nicht den Tatsachen entspricht? wird. Es ist inzwischen öffentlich wohl bemerkt
worden, daß ich mich weigere — das ist eine Teil-
Schmidt, Bundesminister der Verteidigung: Ich antwort indirekt auch auf die Frage von Herrn
bin gern bereit, auch mit Ihnen persönlich darüber Jung —, Denkschemata oder Denkbahnen auf die-
zu sprechen, Herr Damm. sem Gebiet durch den Minister auf dem Erlaßwege
vorzuschreiben. Das fände ich nicht gut. In der Bun-
Ich wollte, was die Institution des Wehrbeauftrag- deswehr gilt im Prinzip für Erziehungsfragen —
ten angeht, auch im Namen der Soldaten, zu deren zum Beispiel für Erziehungsfragen — dasselbe, was
Sprecher ich mich hier machen muß, dafür Dank in .der Gesamtgesellschaft gilt, nämlich Meinungs-
sagen, daß diese Institution die Respektierung der freiheit für jedermann, für Generale wie für Leut-
Grundrechte der Soldaten und die Innehaltung der nante, für Unteroffiziere wie für Wehrpflichtige. Das
Grundsätze der Inneren Führung gegenüber den möchte ich festhalten.
Soldaten überwacht. Dieser Schutz des Parlaments
für den einzelnen Soldaten in seinem persönlichen (Beifall auf allen Seiten.)
Anliegen, dieser Schutz, den das Parlament ihm Ich bin dagegen, , daß ,die Führung die Praxis allzu
gewährt, macht, dargestellt in der Institution des sehr gängelt.
Wehrbeauftragten und seiner Tätigkeit, für viele
wehrpflichtige Soldaten zugleich die parlamenta- Eine der Erfahrungen aus der kritischen Bestands-
rische Demokratie und den Rechtsstaat zum ersten- aufnahme, .die man bisher als feststehend bezeich-
mal selbst erlebbar. Das merken Sie, wenn Sie mit nen kann, ist die, daß Diskussion unter Soldaten
Wehrpflichtigen in Garnisonen debattieren. Der und Gehorsam sich keineswegs ausschließen — wie
Verteidigungsminister jedenfalls muß für jede Hilfe manche Altkonservative vielleicht denken könn-
dankbar sein, ,die aus dieser Institution kommt. ten —, sondern im Gegenteil sich sehr gut ergänzen.
Ich möchte aber auch der Person ein Wort des Etwas, was vorher durchdebattiert worden ist, ist,
Dankes sagen. Einmal in .dem Sinne, in dem es vorhin wenn es dann später zu einer bestimmten Mei-
der Kollege Buchstaller ausgeführt hat, weil nämlich nungsbildung, zum Entschluß und zum Befehl führt,
Herr Hoogen derjenige war, der diesem Amt — wie sehr viel leichter zu begreifen. Das ist heute eine
es scheint — für längere Zeit Kontur gegeben hat, notwendige Sache in vielen Fällen: die Motivation
und zum anderen, weil er auf vielfältige Weise auch oder den Zweck eines Befehls auch begreiflich zu
zur öffentlichen Diskussion über die Aufgaben und machen, unabhängig davon, daß ihm gehorcht wer-
die Erfahrungen auf dem Feld der Inneren Führung den soll und gehorcht wird. Der Gehorsam fällt
beigetragen hat. Ich denke dabei auch an Ihre be- nämlich etwas leichter, wenn man begreift, weshalb
grifflichen Distinktionen, vor allem im vorjährigen und warum. Zumal jüngeren Leuten fällt der Ge-
Bericht. Mancher Vorgesetzte in der Armee hat dar- horsam leichter, wenn sie begreifen können, wozu
aus intellektuelle Anregungen erfahren. Die Berichte und warum.
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. März 1970 1757
Bundesminister Schmidt
Ich möchte hier ein wenig das Verteidigungs- sind, aus der Inneren Führung eine militärische
ministerium und meine Amtsvorgänger in Schutz Quasi-Theologie zu machen. Dem möchte ich nicht
nehmen gegenüber ein paar unterschwelligen Be- gern auf dem Erlaßwege noch meine Hilfe ange-
merkungen, die ich heute morgen gehört habe: deihen lassen.
gegenüber , dem Vorwurf, es habe an einem Konzept (Abg. Dr. Martin: Sehr gut!)
der Inneren Führung der Bundeswehr gefehlt. Das
Die Innere Führung darf nicht, so möchte ich ein
ist, glaube ich, mindestens eine falsche Formulie-
bißchen zuspitzen, zu einer von Staats wegen ver-
rung, wenn nicht in der Sache eine falsche Vorstel-
bindlichen Ideologie denaturiert werden.
lung. Es fehlt nicht an einem Konzept. Es mag an
einer verbindlichen Darstellung fehlen, leicht faßlich, (Beifall bei der SPD und bei der CDU/CSU.)
für die Hand desjenigen, der nicht allzuviel lesen — Bitte schön, Herr Rommerskirchen!
und begreifen möchte. Das mag so sein. Es gibt
nämlich mehrere solcher leicht faßlichen Darstellun-
Rommerskirchen (CDU/CSU) : Herr Minister, da
gen.
volle Übereinstimmungbesteht: sind Sie nicht der
(Abg. Rommerskirchen: Sagen Sie das mal
Auffassung, daß 2. B. Graf Baudissin , etwas zu viel
Herrn Schultz!)
Kanonisierung und etwas zu viel Ideologisierung
— Ich sage es für jedermann. vornahm und daß es wirklich richtig wäre, , das auf
(Heiterkeit.) erkennbare, griffige Formeln — wenn Sie so wol-
len — zurückzuführen, die dann jedermann ein-
Ich kann mich erinnern, Herr Kollege Rommers- gängig sind und in ,sein Handeln, in verantwortliche
kirchen, daß ein Kollege Ihrer Fraktion nach dem Menschenführung einmünden?
neuen Kompendium, was also notwendig sei, auch
schon gefragt hat. Schmidt, Bundesminister der Verteidigung: Herr
(Abg. Rommerskirchen: Da sind wir alle Rommerskirchen, ich bin da ein bißchen befangen.
einig!) Ich bin mit dem Grafen Baudissin seit 15, 16 Jahren
gut bekannt und in den letzten zehn Jahren bei-
Ich bin gar nicht so sicher, daß das so dringend
nahe, muß ich sagen, befreundet. Ich bin ein bißchen
notwendig sei. Ich bin dagegen, den Soldaten das befangen. Ich glaube, daß der Staat, daß die Gesell-
Denken abzunehmen. Das, was an den Prinzipien schaft, ,daß der Deutsche Bundestag bei allem, was
der Inneren Führung feststeht, das hat der Deutsche sie im einzelnen an den Gedanken, die dieser Mann
Bundestag ins Grundgesetz hineingeschrieben, zu- produziert hat, kritisch betrachten mögen, Grund ha-
mal in die Grundrechtsartikel. Das, was feststeht ben, diesem Mann für seine Leistungen in den fünf-
und unveränderlich sein soll, hat der Deutsche Bun- ziger Jahren innerlich dankbar zu sein,
destag des weiteren ins Soldatengesetz und in eine
Vielzahl von anderen Gesetzen hineingeschrieben. (lebhafter Beifall bei der SPD — Beifall
Es gibt manches andere, was inneres Gefüge aus- bei der FDP)
macht, Herr Rommerskirchen, z. B. Personalwirt- ob sie es nun ,ausdrücken wollen oder nicht. Was er
schaft. Eine miese Personalwirtschaft von oben kann tat, hat damals einige Zivilcourage nicht nur geko-
überhaupt nicht durch noch so viel Idealismus und stet, sondern auch anderen vorgemacht.
Pflichterfüllung von unten wieder wettgemacht
(Zuruf von !der CDU/CSU: Das bestreiten
werden.
wir nicht!)
(Beifall auf allen Seiten.)
Ich teile nicht alle seine Positionen, aber ich teile
Was soll da die Truppe mit dem Handbuch?
den grundsätzlichen Impetus, der von da her kam.
(Abg. Dr. Hammans: Das gilt für andere Übrigens nicht nur von da her; das muß man der
Bereiche der öffentlichen Verwaltung auch!) Gerechtigkeit wegen auch sagen. Es gibt auch an-
dere, die auf diesem Felde große Verdienste haben,
— Diese Lebenserfahrung, die ich hier eben preis-
einige Offiziere, die heute noch im Dienst sind, und
gebe, gilt für alle Bereiche der öffentlichen Ver-
ander,iglchBusnzwe.agchi-
waltung, durchaus. Für die Bundeswehr auch, aber
den sind. Vielleicht darf ich, wenn hier von ausge-
nicht nur.
schiedenen Generalen die Rede ist, z. B. den Namen
(Beifall auf allen Seiten.)
des Grafen Kielmannsegg in diesem Zusammenhang
Ich sagte, Herr Rommerskirchen — wenn ich mich erwähnen. Also es gibt auch ,andere, die auf diesem
noch einmal ein bißchen mit Ihrem Zwischenruf be- Gebiet große Verdienste haben, und wenn ich als
schäftigen darf —, der wesentliche Teil der Darstel- Beispiel diesen zweiten Namen nenne, dann sind
lung dessen, was die Grundprinzipien der Inneren damit auch gewisse Nuancen angedeutet.
Führung ausmacht, steht im Grundgesetz und in den Was aber die Auseinandersetzung über solche
Gesetzen, wo die Rechts- und Pflichtenposition des Meinungen angeht, so habe ich vorhin schon gesagt:
Soldaten festgelegt ist. Wir sollten uns hüten, den Generale, Leutnants, Unteroffiziere und Wehrpflich-
übrigen Teil, der moderne Menschenführung im All- tige haben , das gleiche Recht auf Meinungsfreiheit
tag der Verwaltung oder der Truppenpraxis angeht, in der Bundeswehr. Wir leben in einer plura-
der moderne Führung im Unterricht betrifft, der listischen Gesellschaft. Die Bundeswehr ist eine plu-
Personalführung, Personalwirtschaft angeht, der Aus- ralistische Armee. Es fällt einigen älteren Ange-
bildungsmethoden, der Laufbahngestaltung angeht, hörigen des Offizierskorps schwer, diesen Tatbe-
etwa zu kanonisieren. Es gibt Leute, die in Gefahr stand zu akzeptieren. Wir haben auch ein plura-
1758 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. März 1970
Bundesminister Schmidt
listisches Offizierskorps. Es wird in dieser Gesell auch wissen, daß neben der grundgesetzlichen und
schaft kein homogenes Offizierskorps mehr geben. gesetzlichen Fixierung der Grundlagen der Inneren
Ich bin darüber gar nicht traurig, ich finde das viel- Führung ebenso das, was dem noch vorangeht,
mehr ganz richtig; denn es zeigt den Integrations- grundgesetzlich und gesetzlich fixiert ist, nämlich
grad, der hier besteht, den Grad der gegenseitigen die Existenz der Streitkräfte und ihre Verteidi-
-
Durchdringung mit den Strukturen der Gesamtgesell- gungsaufgabe. Innere Führung würde dann nicht nur
schaft. Aber für manche ist das traurig. Ich ver- in Mißkredit, sondern in große Schwierigkeiten ge-
stehe deren Traurigkeit. Aber es wird so sein, und raten, wenn sie als Mittel verstanden werden sollte
ich denke, es muß so sein, daß wir auch eine plura- oder mißbraucht werden sollte, die Streitkräfte zu
listische Armee haben, was die Gesinnungen und die etwas anderem als dem, was das Grundgesetz mit
Vorstellungen, die Weltanschauungen, die Ideolo- ihnen gewollt hat, umzufunktionieren. Der Beitrag
gien — wie immer Sie wollen — der Soldaten an- der Streitkräfte zur Friedenssicherung liegt in erster
geht. Ich würde mich auch aus diesem Grunde sehr Linie, wie wir alle wissen, in unserem Beitrag zur
hüten, von Staats wegen oder von mir als Ver- Abschreckung im Rahmen des Bündnisses. Diese
teidigungsminister aus eine verbindliche Ideologie Aufgabe haben die anderen Armeen gemeinsam mit
der Inneren Führung oktroyieren zu wollen. uns. Dieser Beitrag und der militärische Schutz
durch das Bündnis sind notwendige Voraussetzun-
Ich will mich kurz fassen und überschlage man- gen für unsere Politik, insbesondere auch für un-
ches, was mir aus den Anregungen der vier Redner sere Entspannungs- und Abrüstungspolitik — nie-
vor mir eigentlich aufnehmenswert erschienen war, mand wünscht sie mehr als ein Soldat.
möchte aber doch in dem Zusammenhang dem, was
ich :auf Herrn Rommerskirchens Zwischenruf extem- Diese kurze Einfügung, die Ihnen als Abschwei-
porierend gesagt habe, eines noch hinzufügen dür- fung erscheinen mag, erscheint mir notwendig, weil
fen. Es gibt draußen im Lande eine ganze Menge gelegentlich in Diskussionen über Fragen der Inne-
Kritiker — es gibt ,auch in der Armeeeinige —, die ren Führung, und zwar häufig von Außenstehenden,
dem gegenwärtig amtierenden Verteidigungsmini- von Leuten außerhalb der Bundeswehr, der Auftrag
ster vorwerfen, daß er nicht schon längst die Dis- gestellt wird, im Rahmen der Diskussion über In-
kussion über die sogenannte Studie des Führungs- nere Führung sei dem Soldaten gefälligst klarzu-
stabes des Heeres oder die Diskussion über die so- machen, daß der Waffengebrauch, den er zu erler-
genannten Leutnantsthesen aus Hamburg „geregelt" nen habe, dem Schutz von Staat und Gesellschaft
oder „eindeutig kanalisiert" oder „beendet" habe. Ich heute in Wirklichkeit nicht mehr dienen könne. Dies
will demgegenüber sagen: Ich habe mit Bewußtsein geht mir nun eindeutig zu weit. Das will ich hier
genau das Gegenteil getan. Ich habe diese Diskus- deutlich sagen.
sion überall gefördert und sie auf vielen Tagungen
mit Soldaten innerhalb der Bundeswehrselbst ge- (Beifall bei den Regierungsparteien und bei
führt, weil eine Unterdrückung der Diskussion über Abgeordneten der CDU/CSU.)
Fragen, die aufgetreten sind, genau das Gegenteil
von richtig verstandenen Grundsätzen der Inneren Wer den Beitrag der Streitkräfte zur gemeinsamen
Führung gewesen wäre. Sicherung in den Gesamtzusammenhang der Politik
dieses Staates nicht einordnen kann und ihn nicht
(Beifall bei den Regierungsparteien und bei von dem Gesamtzusammenhang der Politik her in-
Abgeordneten der CDU/CSU.) terpretiert, überfordert nicht nur die Innere Füh-
Das sage ich auch an die Adresse einiger Anhänger rung und den Soldaten. Er muß es sich gefallen las-
meiner eigenen Partei. Man kann Menschen nicht sen, von mir ein Militarist genannt zu werden,
überzeugen, indem man ihnen von oben einen Be- Militarist in dem Sinne, daß er politische Probleme
fehl mit neuen pädagogischen Grundsätzen auf den militärisch isoliert zu betrachten und zu beurteilen
Schreibtisch packt. Man kann sie nur überzeugen, sucht.
wenn man mit ihnen in einer Diskussion geistig
ringt, die möglicherweise lange dauern muß. Anders Ich würde gerne noch etwas zu Ihren Bemerkun-
ist das nicht denkbar. gen über das Berufsbild, Herr Hoogen, sagen. Sie
(Beifall.) haben von einer — wenn ich es mir richtig notiert
habe — gesetzlichen Berufsordnung für „das Berufs-
Aber es liegt mir doch am Herzen, noch eines zu bild" des Soldaten gesprochen. Erlauben Sie mir,
sagen, wenn das Hohe Haus bereit ist, noch ein daß ich vor dem Hause meine deutlichen Zweifel
paar Minuten an mich zu verwenden. Es liegt mir zum Ausdruck bringe bei aller Hochachtung vor vie-
am Herzen zu sagen, daß die Diskussion dann irre- len Passagen des Berichts im übrigen und insbeson-
führend, ja, sogar gefährlich werden kann, wenn das dere gegenüber Ihrem vorjährigen Bericht, der mich
Gespräch über Fragen der Inneren Führung die ge- damals als Abgeordneten in mancher Weise noch
setzlichen oder gar die grundgesetzlichen Grund- mehr interessiert hat als der gegenwärtige, weil er
lagen verläßt, ohne daß dies klar ausgesprochen eine Fülle von Erfahrungsstoff in Einzelfällen aus-
oder begründet wird. Es gibt hier und da den Ver- breitete. Aber was die gesetzliche Regelung „des
such, Diskussionen über Fragen der Inneren Füh- Berufsbildes" angeht, so ist zunächst einmal der
rung in ganz etwas anderes umzufunktionieren. Ausdruck „Berufsbild" in der Gesetzessprache ein
Diejenigen, die sich aus innerer Neigung oder bereits benutzter Terminus technicus. Das wissen
aus Gewissensüberzeugung besonders diesen Fragen die Arbeitsrechtler. Es gibt bestimmte Vorstellun-
der Inneren Führung zugewandt fühlen, müssen gen, die man damit verbindet. Ich glaube nicht daß
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. März 1970 1759
Bundesminister Schmidt
es in dem Sinne ein Berufsbild des Soldaten im — Sie nehmen mir das Wort von den Lippen. Er
Singular gibt. unterscheidet sich nur darin, daß er schlechter be-
zahlt wird und daß er zusätzlich gegenüber dem
(Abg. Dr. Schmidt [Wuppertal] : Auch nicht
Techniker in der zivilen Luftwerft gewisse Ein-
für den Berufssoldaten?)
schränkungen seiner bürgerlichen Freiheiten als
— Nein, auch nicht für den Berufssoldaten, Her Kol- Soldat hinnehmen muß, wie sie im Soldatengesetz
-
lege Schmidt. Das glaube ich nicht. für ihn vorgeschrieben sind.
Wenn Sie zu irgendeinem Luftwaffengeschwader Damit bin ich jetzt bei der positiven Antwort auf
gehen und sich mit den Flugzeugführern unterhal- die Frage nach dem Berufsbild. Gemeinsam ist den
ten, an die wir alle gerade gestern und heute in Soldaten die Rechte und Pflichtenposition, wie sie
-
einem besonderen Zusammenhang wieder gedacht sich aus ,dem Grundgesetz und .aus dem Soldaten-
haben, gibt es gar keinen Zweifel — für Sie nicht gesetz ergibt. Das ist gemeinsam, aber idas schafft
und für niemanden —, daß es ein ausgeprägt solda- noch nicht ein gemeinsames Berufsbild. Im Gegen-
tischer Beruf ist, den sie ausüben, im Jabo-Geschwa- teil, ich würde wünschen, daß wir alle mehr und
der beispielslweise. Wenn Sie in demselben Ge- mehr dazu kämen — hier ist mit großer Zustimmung
schwader in den nächsten Kasernenblock gehen, Steinhoff zitiert worden, der sich vom Spezialisten
finden Sie dort 200 Leute, die ihr ganzes militäri- tum sehr viel verspricht —, zu begreifen, daß es
sches Leben nichts anderes tun, als sechs-, siebenmal heutzutage sehr viele, sehr verschiedene, sehr ver-
innerhalb von drei Wochen auf Wache zu ziehen schiedenartige soldatische Berufe gibt und daß z. B.
und diesen riesigen Flugplatz zu bewachen. Ihr die Idee von dem Einheitsoffizier wirklich tot und zu
ganzer militärischer Lebensinhalt besteht nur darin. Ende sein muß.
(Beifall bei der SPD.)
(Zurufe von der CDU/CSU: Das sind Wehr
pflichtige!) Ich habe vorhin eine Bemerkung gemacht, mit der
ich, indem ich sie wiederaufnehme, auch schließe.
— Und die Wehrpflichtigen haben Unteroffiziere Ich habe vorhin, glaube ich, folgendes gesagt: Wenn
und Feldwebel zu Vorgesetzten. Es ist doch ein das Parlament über die Innehaltung der Grundsätze
Wachhabender auf der Wache. Dann kann man sich der Inneren Führung in der Truppenpraxis wachen
schon fragen: wie groß ist eigentlich der Unterschied will — es hat dafür sogar eine Institution geschaf-
zur Wach- und Schließgesellschaft? fen, die in hervorragender Weise von Herrn Hoogen
(Zurufe von der CDU/CSU. — Abg. Dr. ausgefüllt worden ist —,
Barzel: Das war nicht so gut, Herr Schmidt!) (Beifall bei der CDU/CSU)
— Bitte sehen Sie sich mal an, Herr Barzel, was das sollte es sich bitte darüber im klaren sein, daß zur
für eine entsetzliche und mit soldatischem Beruf Inneren Führung auch gehört, daß es denjenigen,
wenig zu tun habende Sache ist, jahraus jahrein auf denen man Pflichten auferlegt, denen man Vor-
Wache gehen zu müssen, in einem bestimmten Häus- schriften macht, wie sie mit Menschen umgehen
chen stehen zu müssen, aufzupassen, daß irgend sollen, dann auch als Dienstherr dabei helfen muß
etwas nicht gestohlen wird, was eh nur einmal im — ich sage noch einmal: das Parlament ist letztlich
Jahrhundert vorkommt. der Dienstherr —, ihre Pflichten zu erfüllen. Wenn
(Abg. Dr. Barzel: Aber mit so einem Wort es heute, wie Herr Hoogen vorhin gesagt hat, in
ist dieser Dienst nicht hinlänglich beschrie der Bundeswehr über 30 % unbesetzte Unteroffi-
ben!) ziersstellen gibt — stellen Sie sich einmal vor, in
den deutschen Volksschulen wären 30 % der Lehrer-
— Ich lege mich ja gern mit Ihnen an, Herr Barzel. stellen nicht besetzt — —
Es wird ja auch Zeit, daß das einmal passiert.
(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist doch der
(Abg. Dr. Barzel: Es wird höchste Zeit!) Fall!)
— Legen Sie es nicht so auf die Waagschale. — Nein, nein, das ist nicht der Fall. Bei uns in Ham-
burg ist es nur 1 %. Ich weiß nicht, aus welchem
Ich möchte Ihnen das dritte Beispiel geben: der
Landesteil Sie kommen; ich weiß nicht, für welche
Mann in demselben Jagdbombergeschwader, der die
Provinz Sie sprechen, Herr Kollege.
Starfighter oder vielmehr nur ein bestimmtes klei-
nes Teil aus dem Starfighter, das er beherrscht, (Heiterkeit und Zurufe von der CDU/CSU:
wartet und dessen ganzer Beruf darin besteht, das Hessen! — Berlin!)
immer so akkurat und zuverlässig wie möglich zu Ich sage: unbesetzt, und zwar nicht etwa deshalb,
warten. Er ist nicht Dienstvorgesetzter von 30 oder weil die Leute gerade Urlaub haben oder krank
40 Soldaten, aber er ist Feldwebel und hat diese sind, sondern überhaupt nicht vorhanden. Ange-
Geräte zu warten. Das kann er auch, er ist Meister. sichts dieser Tatsache muß sich das Parlament fra-
Wie unterscheidet der sich eigentlich von dem ande- gen, ob es selber alles Notwendige getan hat, um
ren Meister, der in Hamburg-Fuhlsbüttel auf der In- dieser Not Herr zu werden. Hier führt man vielerlei
standsetzungswerft der Deutschen Lufthansa Flug- rechtliche, disziplinarische und philosophische —
zeuge ähnlicher Kompliziertheit mit ähnlicher Akku- unter welchem Gesichtspunkt Sie es auch immer
ratesse und ähnlicher Verantwortung zu warten hat? sehen wollen — Gründe an. Manche begründete
(Abg. van Delden: Er unterscheidet sich im Rüge richtet sich in Wirklichkeit gegen jemanden,
Geld!) der in der Truppe durch die Aufgaben, die ihm
1760 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. März 1970
Bundesminister Schmidt
gestellt werden, sehr stark überfordert ist, eben Vizepräsident Dr. Jaeger: Das Wort hat der
weil die nötigen jungen Offiziere und Unteroffiziere Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministe-
nicht vorhanden sind und er alles zusammen allein rium der Verteidigung.
machen muß. (Abg. Dr. Barzel: Was ist das denn? Was
Ich habe auf einer Tagung von Leutnanten und sind das denn für Regelungen? Wir haben
Oberleutnanten, die wir im Zusammenhang mit der noch einen Redner gemeldet!)
Bestandsaufnahme durchgeführt haben, ein schlim-
mes Wort gehört. Die jungen Leute machten übri- Berkhan, Parlamentarischer Staatssekretär beim
gens einen vorzüglichen Eindruck und waren in Bundesminister der Verteidigung: Herr Präsident!
zweierlei Weise besonders beeindruckend: einmal Meine Damen und Herren! Ich will Sie nicht über
in der Darstellung ihres Hungers nach mehr Bildung Gebühr in Anspruch nehmen.
und mehr Ausbildung, die sie sich als junge Offi- (Beifall bei der CDU/CSU.)
ziere wünschten, zum anderen hinsichtlich der Akku-
ratesse, mit der sie diskutieren konnten, der Aber der Kollege Damm hat hier meinen Namen
Prägnanz, mit der sie sprachen. Dort wurde aber, genannt, und das gibt den Anlaß, Ihnen mitzuteilen,
wie gesagt, ein schlimmes Wort produziert. Jemand daß es nach den Feststellungen, die ich in der kurzen
sagte nämlich unter Zustimmung seiner Kameraden, Zeit bisher treffen konnte, keinen einzigen Soldaten
gibt, der als Wehrpflichtiger ein Jahr seiner Ausbil-
sie seien inzwischen in die Lage der Notwendigkeit
zum „selektiven Gehorsam" gekommen. Das war dung als Student verloren hat, weil er unzeitgemäß
nicht so gemeint, daß der Mann ungehorsam sein entlassen worden ist.
oder dartun wollte, sie alle seien ungehorsam, son- (Zuruf von der CDU/CSU.)
dern es war so gemeint: Wir sollen so viel gleich- Darüber hinaus will ich Sie davon in Kenntnis
zeitig tun, daß wir uns halt das, was wir wirklich setzen, daß am 23. dieses Monats die Abschlußphase
tun können, aussuchen müssen. Das andere sollen der Verhandlungen zwischen der Kultusministerkon-
wir zwar auch tun, aber das können wir gar nicht ferenz, der Rektorenkonferenz und dem Bundesmini-
gleichzeitig. Wir sollen so viel gleichzeitig tun, daß sterium der Verteidigung beginnt zu dem Zwecke,
wir selektieren müssen. eine Abstimmung zu erreichen, die es ermöglicht,
Wehrpflicht und Studienbeginn miteinander abzu-
Das ist eine schlimme Situation, und das führt
gleichen. Ich bin der Überzeugung, daß uns eine
dann bei Alteren, die nicht mehr ganz so viele see-
Sonderregelung diesen Termin nicht so frühzeitig
lische Widerstandskräfte haben, irgendwann auch
beschert hätte. Die Ablehnung einer neuen Sonder-
in , die Resignation, wie hier und da deutlich zu be- regelung konnte ich aber hier vor dem Hause ver-
obachten ist. Ich meine also, wenn von Fürsorge
treten, weil § 8 Abs. 3 der Soldatenurlaubsverord-
die Rede ist — ich bin Herrn Hoogen sehr dankbar
nung es zuläßt, daß Bataillonskommandeure in
für die Hinweise in seinem Bericht auf das Gebiet
Härtefällen bis zu vierzehn Tagen Urlaub gewähren
der Truppenfürsorge im allgemeinsten Sinne —, daß
und, sofern die vierzehn Tage nicht ausreichen, der
es Sache , des Parlaments sein wird, in Zukunft auf Divisionskommandeur vier Wochen genehmigen
diesem Feld selber auch etwas zu tun.
kann.
Was mich angeht, will ich dazu nur sagen: Hier (Zuruf: Das wissen wir auch!)
ist mehrfach das beabsichtigte Weißbuch angespro- Bataillonskommandeur und Divisionskommandeur
chen worden. Sie werden es so rechtzeitig bekom- sind näher bei den Truppen als beispielsweise der
men, daß hier vor den Sommerferien darüber Bundesminister der Verteidigung.
debattiert werden kann. Ich will abschließend feststellen, daß ich Ver-
(Abg. Dr. Klepsch: Ende Mai!) ständnis dafür habe, daß diese Frage hier immer
wieder eine Rolle spielt. Ich aber bitte darum,
Man wird dann der Plenardebatte des Hauses über dafür Verständns zu haben, daß eine generelle Rege-
dieses Papier entnehmen können, was das Haus lung durch den Bundesminister der Verteidigung
denkt, und es werden die Sommerferien. daraufhin notwendiger und vernünftiger ist, als wenn alle
genutzt werden, um, soweit notwendig, darauf Jahre wieder Ausnahmeregelungen getroffen wer-
basierende Gesetzesvorlagen zu erarbeiten. den.
(Beifall bei den Regierungsparteien.)
Ich habe den Eindruck, meine Damen und Herren,
daß die große Mehrzahl der Soldaten, angefangen Vizepräsident Dr. Jaeger: Dias Wort hat der
von den Wehrpflichtigen über die Unteroffiziere bis Herr Abgeordnete Dr. Zimmermann.
ins Offizierskorps und zu den Generalen, innerlich
nur zu sehr darauf wartet, am allgemeinen Fortschritt
der Gesellschaft teilzunehmen. Manches können die Dr. Zimmermann (CDU/CSU) : Herr Präsident!
Soldaten aus Eigenem tun, manches müssen wir als Sehr verehrte Damen und Herren! Ich habe es von
Legislative oder als Bundesregierung dazu tun. Auch Anfang an bedauert, daß der Ältestenrat für die
das sollte man aus dem Bericht des Herrn Wehr- Aussprache über den Bericht des Wehrbeauftragten
beauftragten erkennen. nur einen Sprecher je Fraktion vorgesehen hat, weil
ich meine, daß gerade dieser Bericht des Wehr-
(Beifall bei den Regierungsparteien und beauftragten Anlaß zu einer größeren und ausfür-
Abgeordneten der CDU/CSU.) licheren Debatte über die Bundeswehr, nicht etwa
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. März 1970 1761
Dr. Zimmermann
über die Verteidigung der Bundesrepublik Deutsch- Fragen betreffen, die mit der Fürsorgepflicht zusam-
land, hätte sein sollen. menhängen, juristische Begriffe so gesehen werden
müssen, wie sie sind, und man nicht mit einer großen
Nun hat der Herr Bundesminister der Verteidi-
Geste die Dienstherrneigenschaft auf das ganze
gung, was ja bei diesem Anlaß sehr nahe lag, das
Haus verlagern sollte. Sie wissen ganz genau, daß
Wort ergriffen und hat einiges gesagt, was in sei-
dieses Haus — nicht nur meine Fraktion, dieses
nem Gehalt weit über den Bericht und über das,- was
Haus — bereit ist, Sie auf dem Wege der Gesetz-
die Sprecher der drei Fraktionen zu diesem Bericht
gebung bei der Lösung sozialer Probleme in. der
anzumerken hatten, hinausgeht. Ich will im Interesse Bundeswehr in jeder Beziehung zu unterstützen.
des Hauses, das ungewöhnlich gut besetzt ist und
das, wie ich bei den Ausführungen des Herrn Mini- (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeord
sters sehen konnte, eine solche Debatte wohl sehr neten der Regierungsparteien.)
gerne gesehen hätte, darauf nicht näher eingehen. Sie wissen ebenso gut, daß vieles dabei von solcher
Ich will den Zeitplan des Hauses nicht stören, die Komplexität ist, daß es sich Initiativen und Anträgen
wichtigen Probleme der Landwirtschaft und andere, aus diesem Hause entzieht, weil die Vorarbeiten
vor allem die Wahl des Nachfolgers des gegenwär- ohne engste Befassung mit Ihrem Haus gar nicht zu
tigen Wehrbeauftragten. Aber einige Bemerkungen machen sind.
zu diesem Eröffnen einer Debatte durch den Herrn
Minister muß ich doch machen, vor allem zu seiner Es gibt aber eine ganze Reihe von Fragen, die Sie
Interpretation des Begriffs „Dienstherr". auch ohne dieses Haus lösen können. Lassen Sie
mich eines von vielem herausgreifen, was neben-
Herr Kollege Schmidt, ganz so einfach dürfen Sie
sächlich erscheinen mag, aber gar nicht so neben-
es sich nicht machen. Sie können nicht einfach sagen,
sächlich ist: Längst gehört z. B. der Erlaß aufgehoben,
Sie liebten dieses Wort nicht. Der Meinung kann
der vor 10 Jahren sicher berechtigt war, daß kein
man sein. Aber es gibt dieses Wort; es ist da. Es ist
Zivilangestellter und kein Soldat der Bundeswehr
in der Verfassungswirklichkeit und im Sprach-
nach Jugoslawien in Urlaub fahren darf. Der ist
gebrauch
obsolet, der ist überflüssig, der ist veraltet. Er ent-
(Abg. Dr. Klepsch: Art. 56!)
behrt heute jeder Grundlage. Er kann jederzeit auf-
täglich in unseren Gesetzen und in unserem Grund- gehoben werden. Das nur als Beispiel dafür, daß es
gesetz anzuwenden. Sie können also nicht einfach viele Dinge auch in diesem Hause gibt, wo Sie Par-
sagen, Sie liebten es nicht, und eigentlich seien Sie lament und Gesetzgeber nicht brauchen, wo Sie
auch nicht der Dienstherr der Bundeswehr, sondern schon vor dem Abschluß Ihrer Bestandsaufnahme
das sei das Parlament, das seien wir alle. Das ist durchaus handeln können; ein großes Feld, ein
eine sehr nette Sache, daß Sie mit uns etwas so weites Spektrum, und nach wie vor, Herr Minister
Wichtiges wie die Dienstherrneigenschaft teilen Schmidt, immer gute Zusammenarbeit, nur mit einer
wollen. Herr Minister, wollen Sie mit uns auch den Trennung der Gewalten, die einfach nicht wegzu-
Oberbefehl teilen? wischen ist.
(Heiterkeit bei der CDU/CSU.) (Beifall bei der CDU/CSU.)
Sehen Sie, das ist nicht ganz voneinander zu
trennen. Sie — und nicht das Parlament — sind Vizepräsident Dr. Jaeger: Das Wort hat der
nun einmal Oberbefehlshaber der Streitkräfte im Herr Bundesminister der Verteidigung.
Frieden und damit auch Dienstherr. Warum? — Der
Begriff „Dienstherr" ist, wie wir heute wissen, ganz Schmidt, Bundesminister der Verteidigung: Das
anders auszulegen als das, was man früher unter muß ja nun kommen, Herr Zimmermann; die fünf
„Dienst" und „Herr" im strengsten und altpreu- Minuten müssen Sie auch noch drangeben.
ßischen Sinne verstanden wissen wollte. Aus der
Dienstherrneigenschaft fließt gerade die Fürsorge- Das Beispiel, das Sie gebraucht haben, akzeptiere
verpflichtung, die nur der Dienstherr hat und die ich. Ich will mich nächste Woche darum kümmern. Es
ihm niemand abnehmen kann. gibt tausend derartige Beispiele; ich könnte auch
sagen: zweitausend. Ich bin sicher, daß ich Ihnen
(Beifall bei der CDU/CSU.)
nach 14 Tagen den Beweis für zweitausend Beispiele
Das eine bedingt das andere. Es ist ganz klar, daß führen könnte. Nur würde ich Ihnen nicht emp-
aus der Ministerverantwortlichkeit, die Sie, Herr fehlen, sie hier alle vorzubringen; denn sie treffen
Kollege Schmidt, als Oberbefehlshaber und als weniger mich als andere.
Dienstherr haben, als der, der allein die Fürsorge-
(Abg. van Delden: Es brauchen nicht alle
pflicht gegenüber seinen ihm Anvertrauten hat —
zweitausend aufgehoben zu werden! — Zu
auf Grund der von diesem Hause erlassenen und
ruf des Abgeordneten Stücklen.)
noch bestehenden Gesetze —, daß also aus dieser
Ministerverantwortlichkeit, die Oberbefehl und — In Zukunft; ich bin noch nicht so lange da. Vor-
Dienstherrneigenschaft bedingen, Ihre ganz per- her waren andere da.
sönliche Verantwortung wächst, eine Verantwor- Daß etwa für die ganze Bundeswehr zentral die
tung, die Ihre Vorgänger in schwierigen Zeiten Papierkörbe nach öffentlicher Ausschreibung in
tragen mußten, getragen haben und aus der sie Koblenz beschafft werden müssen, auch die Papier-
Konsequenzen zu ziehen hatten. körbe für Flensburg und Mittenwald, wäre auch ein
Ich erlaubte mir diese Anfügungen, weil ich meine, Beispiel dieser Art,
daß auch dann, wenn 61 % der Beschwerden soziale (Heiterkeit)
1762 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. März 1970
Bundesminister Schmidt
und zwar mit technischen Lieferbedingungen; da Vizepräsident Dr. Jaeger: Das Wort ?hat der
wird genau beschrieben, wie die Papierkörbe aus- Abgeordnete Damm.
sehen müssen. Lassen wir das.
Ich möchte auf den ernsten Punkt eingehen, der Damm (CDU/CSU) : Herr Präsident! Meine Damen
-
hier, wenn auch kollegialen Tones, vorgebracht und Herren! Dies ist nur eine sporadische Debatte,
wurde, den „Dienstherrn". Ich habe das Wort ge- und ich antworte lediglich auf die Zwischenbemer-
braucht und habe nachher hinzugefügt, ich liebte das kung, die der Kollege Berkhan von diesem Platz aus
Wort nicht sonderlich, und dabei bleibe ich. Ich gemacht hat.
halte es von dem Begriff her für ein Relikt. Meine Damen und Herren, es gibt Beweise
Ich will keineswegs, Herr Zimmerman, die Ver- — einen Fall, Herr Berkhan, haben wir schriftlich
antwortung verwischen zwischen der Bundesregie- miteinander verhandelt —, daß jemand, der Soldat
rung und dem Parlament oder zwischen einzelnen ist und einen Antrag gestellt hatte, 14 Tage vorher
Mitgliedern der Bundesregierung und dem Parla- entlassen zu werden, um sein Studium an der In-
ment. Der Verteidigungsminister, dem im Grund- genieurschule aufzunehmen, von seinem Divisions-
gesetz eine bestimmte Aufgabe zugemessen ist, ist kommandeur einen negativen Bescheid erhalten
in besonderer Weise ein einzelnes Mitglied der Bun- hat — das war vor etwa acht Wochen —, und zwar
desregierung. Keineswegs will ich das verwischen. mit dem Hinweis darauf, daß vom Verteidigungs-
Übrigens, diese besondere Aufgabe hat der Vertei- ministerium eine entsprechende Anweisung ergan-
digungsminister, wie Sie mit Recht zitiert haben, im gen sei, anders als noch vor einem halben Jahr zu
Frieden. Der Vollständigkeit halber hätten Sie dann handeln, weil inzwischen ein Gerichtsurteil vorliege,
die besondere Aufgabe des Bundeskanzlers, die wir daß man in Kauf nehmen müsse, daß es eine zu-
beide auch bejahen, mit zitieren sollen. Es ist manch- mutbare Härte sei, wenn man dadurch mindestens
mal bei Bundeskanzlern so gewesen, daß sie die nie ein Semester verliere. Dieser junge Mann, von dem
im Blick gehabt hatten und dann in gewissen ich hier rede — den Fall kennen Sie genauso wie
Situationen plötzlich erschreckt waren über das, was ich —, hatte in seinem Gesuch zum Ausdruck ge-
sie eigentlich alles hätten wissen müssen. bracht, daß er in Hamburg überhaupt erst wieder
in einem Jahr sein Studium beginnen könne, daß
Nun die Fürsorge! Ich akzeptiere gern, höre gern er also nicht nur ein halbes Jahr, sondern ein ganzes
und quittiere gern, daß die CDU/CSU — ich weiß Jahr verlieren würde und daß noch hinzukäme, daß
nicht genau, ob Sie für die Fraktion oder nur für es zweifelhaft sei, ob er in einem Jahr überhaupt
Ihre eigene Überzeugung gesprochen haben —, daß den Numerus clausus wieder würde durchbrechen
Sie sagen, wir wollen helfen, aus Fürsorgegründen können.
Gesetze zu ändern. Genau das habe ich aber auch
Das war gemeint, Herr Berkhan, als ich hier den
gemeint. Darauf sind die Soldaten angewiesen. Es
Verteidigungsminister auf die seltsame Unflexibili-
ist nicht so, daß die Fürsorge — und das ist der
tät seines Ministeriums in solchen Fällen vor acht
Punkt, den ich zurückweisen muß — ausschließlich
Wochen hinwies. Inzwischen ist durch die Interpel-
Sache des Verteidigungsministers wäre. Der kann
lationen zahlreicher Kollegen dieses Hauses und in
nur im Rahmen der ihn bindenden Gesetze tätig
werden, und an vielen Stellen müssen die Gesetze den mündlichen Antworten in den Fragestunden
noch weiterhin geändert werden, wenn wir uns dar- Ihre Haltung flexibler geworden. Meine Frage an
in einig sind. den Minister war ja auch, warum es erst zu dieser
unflexiblen Haltung und der Verwirrung bei den
Ich habe vor ein paar Tagen eine Plenardebatte Antragstellern hatte kommen müssen.
nachgelesen, als, glaube ich, Herr von Hassel Ver- Meine Damen und Herren, eine zweite kleine Be-
teidigungsminister war — es kann auch schon Herr merkung. Der Verteidigungsminister hat sich hier
Schröder gewesen sein. Da habe ich, als Abgeord- als Propagandist für die Hansestadt Hamburg .betä-
neter sprechend, dies Amt des Verteidigungsmini- tigt und darauf hingewiesen, wir hätten nur einen
sters qualifiziert, was es für den Inhaber des Amtes Lehrermangel von 1 %. Einen Lehrermangel von
an Belastung bedeutet. Machen Sie bitte die Last 1 % halben wir, was die Zahl der unbesetzten Stellen
nicht noch größer, indem Sie mich zum Alleinver- betrifft. Der Schulsenator in Hamburg hat eigens
antwortlichen für die Fürsorge in der Bundeswehr zum Ausdruck gebracht, man könnte und müßte
stempeln. Das bin ich nun wirklich nicht, kann ich viel mehr Lehrer haben, man habe aber gar nicht
auch nicht sein, denn der Verteidigungsminister ist mehr Stellen in den Haushalt eingebracht, weil man
eben an geltende Gesetze gebunden, z. B. was Be- glaube, man könne sie doch nicht besetzen. Der Leh-
soldung angeht, z. B. was Zulagen angeht für be-
rermangel ist also wesentlich größer. Es gibt leinen
stimmte Funktionen, z. B. was Mietzuschüsse für
objektiven Beweis dafür, Herr Kollege Schmidt. Vor
Soldaten angeht, die alle zwei Jahre versetzt wer-
zwei Wochen haben in Hamburg 4000 Lehrer demon-
den und an jedem Standort, an den sie neu hin-
striert, sind auf .die Mönckebergstraße gegangen,
kommen, zunächst einmal eine höhere Miete zahlen
weil sie der Meinung sind, daß die Schulverhältnisse
müssen als die, die sie am vorigen Standort bezahlt
in Hamburg noch nie so schlecht waren, wie sie zur
haben. Das sind alles Dinge, die der Verteidigungs-
Zeit sind. Ich darf hinzufügen, Herr Kollege Schmidt:
minster allein nicht ändern kann, zu denen er aber seit zwölf .Jahren regieren in Hamburg die Sozial
Ihnen gesetzgeberische Vorschläge machen wird.
demokraten.
(Beifall bei den Regierungsparteien.) (Beifall bei der CDU/CSU.)
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. März 1970 1763
Damm
Ein allerletztes Beispiel, auch zum Thema „Dienst- Wahl alle Mitglieder des Hauses, auch die Berliner.
herr". Wir wollen sicherlich die Verantwortung des Eine Aussprache findet nicht statt. Es können des-
Parlaments für die Bundeswehr nicht verkleinern. halb jetzt nur Wahlvorschläge gemacht werden.
Aber es gibt eben nur die Möglichkeit, daß wir Ge- Die Fraktion der Freien Demokratischen Partei
setze beschließen oder generelle Beschlüsse fassen hat mir mit Schreiben vom 9. März 1970 den Ab-
oder das Geld zur Verfügung stellen. Wenn dann geordneten Fritz-Rudolf Schultz benannt. Werden
der Minister nicht das tut, was seine Sache ist, kön- außer ihm noch weitere Vorschläge gemacht? — Das
nen wir uns auf den Kopf stellen: ist nicht der Fall. Ich stelle fest, daß dem Hause
(Abg. Wehner: Ob Ihr Kopf das aushält?) nur der Wahlvorschlag der FDP-Fraktion vorliegt, in
dem .der Bundestagsabgeordnete Fritz-Rudolf Schultz
wir werden immer wieder dieselben Kalamitäten
vorgeschlagen wird. Ich habe festgestellt, daß der
erleben. Ein Beispiel ist die Fachoffizierlaufbahn,
Vorgeschlagene die Voraussetzungen des § , 14 Abs. 1
eine Sache, die wir hier gemeinsam für vernünftig
des Gesetzes über den Wehrbeauftragten erfüllt,
gehalten und beschlossen haben. Ihre Verwirk-
d. h. insbesondere, daß er mindestens ein Jahr
lichung ist leider noch nicht so, daß di e Verwirrung
Wehrdienst geleistet hat.
bei den in Frage kommenden Feldwebeln endlich be-
seitigt wäre. Anstatt dem Wunsch des gesamten Ich darf nunmehr zum Wahlverfahren kommen.
Parlaments und des Verteidigungsausschusses zu Um den zeitraubenden Namensaufruf zu vermeiden,
folgen, alle in Frage kommenden Unteroffiziere per- haben Sie in der Wandelhalle Wahlausweise erhal-
sönlich zu unterrichten, ist jetzt vor wenigen Tagen ten oder können sie dort sofort abholen. Diese Aus-
wieder über den Dienstweg ein Ukas ergangen, der weise bitte ich den Schriftführern vor dem Betreten
darlegt,wimnFchofzredkan;bi der Wahlzelle abzugeben. Die Schriftführer werden
versprochene Information an alle Ober- und Haupt- bei der Abgabe des Wahlausweises eine Stimm-
feldwebel ist nicht ergangen. Was sollen wir ande- karte nebst Umschlag aushändigen. Die Stimmkar-
res tun, als den Verteidigungsminister bitten? Die ten müssen in der Wahlzelle ausgefült und in den
Verwaltungskompetenz, Herr Minister Schmidt, Wahlumschlag gelegt werden. Die Kennzeichnung
haben wir nicht, sondern Sie. Ich meine, wir sollten der Stimmkarte oder das Einlegen in den Wahl-
Ihnen in einem zustimmen: die Erwartungen an Sie, umschlag außerhalb der Wahlzelle führt zur Zu-
Sie wären der „Traum-Minister", sind sicher über- rückweisung des Abstimmenden. Er verliert aller-
spannt. Sie können nicht alles anders machen, als es dings nicht das Recht, seine Stimmabgabe vorschrifts-
vorher gewesen ist. Manches können Sie vielleicht mäßig zu wiederholen.
besser; Ich schlage vor, wie folgt abzustimmen: Wer für
(Beifall bei der SPD) den Vorschlag Fritz-Rudolf Schultz ist, schreibt ja.
aber ,Sie können nicht alle Erwartungen erfüllen. Sollten Sie allerdings den Namen schreiben, so ist
Ohne den Verteidigungsminister und seine volle auch das eine gültige positive Abstimmung; ein-
Verantwortlichkeit als Chef des Ministeriums und facher aber ist es sicherlich, ja zu schreiben. Wer
der Bundeswehr ist nun allerdings auch der Bundes- gegen den Vorschlag ist, schreibe nein. Wer sich der
tag nicht in der Lage, Mißstände bei der Bundeswehr Stimme enthalten will, gebe eine weiße Stimmkarte
zu beseitigen. Sie werden also wahrscheinlich nicht ab. Gewählt werden kann ausschließlich der vorge-
umhinkönnen, das zu tun, was auch Kollegen vor schlagene Kandidat. Stimmkarten, die andere Na-
Ihnen haben tun müssen, nämlich dafür zu sorgen, men tragen oder mit Zusätzen versehen sind, sind
daß in Ihrem eigenen Laden Ordnung herrscht. ungültig. Auch die Verwendung anderer als der amt-
lichen Stimmzettel macht die Stimme ungültig.
(Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Wehner:
Lassen Sie sich in die Bürgerschaft wählen!) Ich bitte nun die Schriftführer, die ihren Dienst an
den Wahlurnen und an den Wahlzellen übernommen
Vizepräsident Dr. Jaeger: Wird weiter das haben, ihre Plätze einzunehmen. Sie, meine Damen
und Herren, bitte ich, sich zu einer der beiden Wahl-
Wort gewünscht?
urnen zu begeben und dort die Stimmkarten einzu-
(Abg. Wehner: Kein Hamburger mehr da! werfen.
— Abg. Rasner: Harburger!)
Ich eröffne die Wahl. —
— Ich bin den Hamburger Kollegen dankbar, daß
Meine Damen und Herren, ich darf die Pause, die
sie nicht alle das Wort ergreifen.
durch die Stimmabgabe entsteht, dazu benutzen, hier
Ich schließe die Aussprache und schlage Ihnen vor, sieben Senatoren aus Vietnam willkommen zu
den Jahresbericht des Wehrbeauftragten an den heißen.
Verteidigungsausschuß zu überweisen. — Wider- (Beifall.)
spruch erfolgt nicht; es ist so 'beschlossen.
Sind noch Damen und Herren im Saal, die ihrer
Ich rufe Punkt 3 der heutigen Tagesordnung auf: Abstimmungspflicht nicht genügt haben? —
Wahl des Wehrbeauftragten des Bundestages Ich schließe die Abstimmung. Die Auszählung be-
ginnt. —
Nach § 13 des Gesetztes über den Wehrbeauftrag-
ten vom 26. Juni 1957 in Verbindung mit §116 a der Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat fahren
Geschäftsordnung wählt der Bundestag den Wehr- wir während der Auszählung mit der Beratung fort.
beauftragten in geheimer Wahl mit der Mehrheit Ich rufe daher die Punkte 8 bis 16 der Tagesordnung
seiner Mitglieder. Stimmberechtigt sind bei dieser auf:
1764 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. März 1970
13. Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Ist das Haus mit den vorgeschlagenen Überwei-
sungen einverstanden? — Ich höre keinen Wider-
Dittrich, Draeger, Seibert und Genossen ein-
spruch; dann ist so beschlossen.
gebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes
zur Ergänzung des Gesetzes zur Neuordnung Ich rufe nunmehr die Punkte 21, 22 und 23 auf:
der Pensionskasse Deutscher Eisenbahnen und
Straßenbahnen 21. Beratung des Mündlichen Berichts des Aus-
schusses für Wahlprüfung, Immunität und Ge-
— Drucksache
- VI/402
schäftsordnung (1. Ausschuß) — Immunitäts-
14. Beratung des Antrags der Fraktionen der angelegenheiten —
SPD, FDP betr. Genehmigung zur Durchführung eines
betr. Vorlage eines Entwurfs für ein Verwal- Strafverfahrens gegen den Abgeord-
tungsverfahrensgesetz neten Dr. Müller-Hermann gemäß
— Drucksache VI/409 — Schreiben des Bundesministers der
Justiz vom 29. September 1969
15. Erste Beratung des von den Abgeordneten — Drucksache VI/422 —
Engelsberger, Strauß, Dr. Pohle, Haage (Mün-
Berichterstatter: Abgeordneter Schulte (Unna)
chen), Schmidt (Kempten), Ollesch und Ge-
nossen und der Fraktion der CDU/CSU einge-
22. Beratung des Mündlichen Berichts des Aus-
brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände-
schusses für Wahlprüfung, Immunität und Ge-
rung des Güterkraftverkehrsgesetzes
schäftsordnung (1. Ausschuß) — Immunitäts-
— Drucksache VI/428 — angelegenheiten —
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. März 1970 1765
Vizepräsident Dr. Jaeger
betr. Genehmigung zur Durchführung eines Verordnungen zur Änderung des Deutschen
Strafverfahrens gegen den Abgeord- Teil-Zolltarifs (Nr. 19/69 und 2/70 — An-
neten Bundesminister Schmidt gemäß gleichungszölle für Verarbeitungsweine grie-
Schreiben des Bundesministers der chischer Erzeugung)
Justiz vom 8. Dezember 1969
Verordnung zur Änderung des Deutschen
— Drucksache VI/423 — - Teil-Zolltarifs (Nr. 23/69 — Zollaussetzung
Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Stark (Nür- für Sprotten und Kaviar)
tingen) — Drucksachen VI/59, VI/147, VI/ 173, VI/214,
VI/314, VI/315, VI/462 —
23. Beratung des Mündlichen Berichts des Aus-
schusses für Wahlprüfung, Immunität und Ge- Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Giulini
schäftsordnung (1. Ausschuß) — Immunitäts
angelegenheiten— 26. Beratung des Berichts des Ausschusses für
Wirtschaft (8. Ausschuß) über die von der
betr. Genehmigung zur Durchführung eines
Bundesregierung erlassene
Strafverfahrens gegen den Abgeord-
neten Wehner gemäß Schreiben des Achtzehnte Verordnung zur Änderung der
Bundesministers der Justiz vom 10. De- Außenwirtschaftsverordnung
zember 1969 Achtunddreißigste Verordnung zur Änderung
— Drucksache VI/424 — der Einfuhrliste — Anlage zum Außenwirt-
schaftsgesetz —
Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Stark
(Nürtingen) Zwanzigste Verordnung zur Änderung der
Ausfuhrliste
Wünscht einer der Herren Berichterstatter das
— Anlage AL zur Außenwirtschaftsverord-
Wort? — Das ist nicht der Fall. Das Haus wünscht
nung —
es auch nicht.
— Drucksachen VI/207, VI/209, VI/210, VI/463 —
Wird das Wort zur Aussprache verlangt? — Das
ist nicht der Fall. Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Giulini
Ist das Haus damit einverstanden, daß wir der Wünscht einer der Berichterstatter das Wort? —
Einfachheit halber, da in allen Fällen der gleiche Das Haus wünscht es auch nicht.
Antrag gestellt ist, gemeinsam abstimmen? — Ich
höre keinen Widerspruch. Wird das Wort zur Aussprache verlangt? — Das
ist nicht der Fall.
Wer den Ausschußanträgen auf den Drucksachen
VI/422, VI/423 und VI/424 zustimmen will, der gebe Ist das Haus damit einverstanden, daß wir der
ein Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Einfachheit halber gemeinsam abstimmen? — Ich
Keine Gegenstimme. Enthaltungen? — Keine Ent- höre keinen Widerspruch.
haltungen. Das ist einmütig so beschlossen. Ich komme zur Abstimmung über die Ausschußan-
träge auf den Drucksachen VI/451, VI/462 und VI/463.
Ich rufe nunmehr die Punkte 24 bis 26 der Tages-
Wer zustimmen will, der gebe ein Handzeichen. —
ordnung auf:
Ich bitte um die Gegenprobe. — Keine Gegenstim-
24. Beratung des Mündlichen Berichts des Haus- men. Enthaltungen? — Keine Enthaltungen. Dann
haltsausschusses (7. Ausschuß) über die von ist einstimmig so beschlossen.
der Bundesregierung zur Unterrichtung vor-
Das sind alles Routinepunkte gewesen. Jeder wei-
gelegten Vorschläge der EG-Kommission für
tere Punkt benötigt, soweit ich sehe, Redner.
eine Verordnung des Rates zur Verlängerung
der Haushaltsordnung über die Aufstellung (Zurufe: 18! — 19! — 20!)
und Ausführung des Haushaltsplans der
Europäischen Gemeinschaften und über die — Die Punkte 18 und 19 sind zweite Beratungen und
Verantwortung der Anweisungsbefugten und Schlußabstimmungen. Aber wir könnten das machen,
der Rechnungsführer für 1970 weil vermutlich keine Wortmeldungen vorliegen.
eine Verordnung des Rates zur Durchführung Ich rufe Punkt 18 der Tagesordnung auf:
der Rechnungslegung und Rechnungsprüfung
Zweite Beratung und Schlußabstimmung zu
— Drucksachen VI/190, VI/451 — dem von der Bundesregierung eingebrachten
Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Althammer Entwurf eines Gesetzes zu dem Zusatzvertrag
vom 7. Februar 1969 zur Durchführung und Er-
25. Beratung des Berichts des Ausschusses für gänzung des Vertrages vom 7. Mai 1963
Wirtschaft (8. Ausschuß) über die von der zwischen der Bundesrepublik Deutschland und
Bundesregierung erlassenen der Republik Österreich über Kriegsopferver-
sorgung und Beschäftigung Schwerbeschä-
Verordnungen über die Erhebung einer Aus-
digter
gleichsabgabe zur Sicherung der deutschen
Landwirtschaft — Drucksache VI/275 —
1766 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. März 1970
Ich danke dem Berichterstatter für seinen Schrift- Geiger (SPD) : Herr Präsident! Meine sehr ver-
lichen Bericht und rufe in zweiter Beratung die ehrten Damen! Geehrte Herren! Zu dem Gesetz über
Art. 1 bis 4, Einleitung und Überschrift auf. — Das den Wegfall des Krankenversicherungsbeitrags der
Wort wird nicht begehrt. Rentner liegt ein umfangreicher Schriftlicher Bericht
Wer den aufgerufenen Artikeln zuzustimmen vor. Diesem Bericht ist vor allen Dingen ein Zahlen-
wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich material angegliedert, an Hand dessen man auch die
bitte um die Gegenprobe. — Es ist so beschlossen. zukünftige finanzielle Entwicklung der Rentenver-
sicherung verfolgen kann.
Ich frage vor der Schlußabstimmung, ob das Wort
gewünscht wird. — Das ist nicht der Fall. Wir kom- Regierung und Ausschuß haben es sich nicht leicht-
men zur Schlußabstimmung. gemacht bei der Behandlung dieses Gesetzentwurfs
und sind sehr gewissenhaft vorgegangen. Im Aus-
Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen schuß gab es Meinungsverschiedenheiten und lange
wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Ich bitte Erörterungen und Diskussionen. Die Opposition hat
um die Gegenprobe. — Es stimmt niemand dagegen. dabei Ausführungen etwa in der Art gemacht, wie
Enthaltungen? — Auch keine Enthaltungen. Einstim- sie bei der ersten Lesung dieses Entwurfs vorgetra-
mig angenommen! gen wurden. Sie hat vor allen Dingen die Frage ge-
stellt, ob es überhaupt zweckmäßig ist, den Rent-
Ich rufe jetzt noch Punkt 20 auf:
nern den 1967 auferlegten Beitrag zurückzugewäh-
Beratung der Sammelübersicht 2 des Petitions- ren. Sie hat den Gedanken erörtert, ob es nicht
ausschusses (2. Ausschuß) über Anträge von zweckmäßiger wäre, diesen Beitrag weiter zu er-
Ausschüssen des Deutschen Bundestages zu heben, etwa zugunsten der Krankenversicherung
Petitionen und systematische Übersicht über oder aber, um einen weiteren finanziellen Spiel-
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. März 1970 1767
Geiger
raum für andere Maßnahmen innerhalb der Renten- 1. Am 12. November behauptet? der sozialpoliti-
versicherung zu haben. Demgegenüber waren die sche Sprecher der CDU/CSU, der von uns allen sehr
Koalitionsparteien der Auffassung, daß die Be- geschätzte Herr Kollege Dr. Götz, in einer Frak-
lastung, die den Rentnern während der Rezession tionsmitteilung: Die Finanzierungsgrundlagen der
zum Ausgleich des Bundeshaushalts zugemutet wor- Rentenversicherung werden durch den Wegfall des
den ist, jetzt in der Hochkonjunktur in Wegfall- kom- Rentnerkrankenversicherungsbeitrags gefährdet.
men und ausgeglichen werden sollte. Das war ein schwerer Vorwurf. Er hinderte die
Eine solche Festlegung war nach Auffassung der CDU/CSU allerdings nicht, am nächsten Tage, näm-
Koalitionsparteien für die Rentenversicherung auch lich am 13. November, unter Berufung auf diese von
finanziell zumutbar. Das hat sich bei der Anhörung der Bundesregierung beabsichtigte Streichung des
der Sachverständigen bestätigt. Die Sachverständi- Rentnerkrankenversicherungsbeitrags auch für
gen haben im übrigen die Vorausberechnungen der Kriegsopfer eine entsprechende Leistungsverbesse-
Bundesregierung als sehr realistisch bezeichnet und rung zu fordern; dies, obwohl in der Kriegsopfer-
in ihren Sachverständigenbeiträgen die Möglichkeit versorgung überhaupt kein Rentnerkrankenversiche-
als durchaus gegeben angesehen, diesen Beitrag rungsbeitrag abgezogen worden war. —
wieder wegfallen zu lassen. 2. Am darauffolgenden Tage, nämlich am 14. No-
Trotz langer Diskussion und gründlicher Erörte- vember, gab es hier im Hause in der Fragestunde
rung der Probleme wurden von der Opposition keine Fragen und Dringlichkeitsfragen der CDU mit rund
Anträge gestellt, so daß zum Schluß ein einstimmiger 30 Zusatzfragen von CDU/CSU-Abgeordneten, die
Beschluß zustande kam, den Rentnern mit Wirkung sich ausnahmslos gegen einen Fortfall des Rentner-
vom 1. Januar dieses Jahres die bisher einbehalte- krankenversicherungsbeitrags richteten.
nen zwei Prozent für den sogenannten Rentner- (Widerspruch bei der CDU/CSU.)
krankenversicherungsbeitrag wiederzugewähren
und die Last, die ihnen bei der Rezession auferlegt Drittens — —
worden war, wieder zu beseitigen. Die Bundespost (Abg. Dr. Götz meidet sich zu einer Zwi
wird aller Voraussicht nach die Nachzahlungen mit schenfrage.)
Wirkung vom 1. Januar diesse Jahres mit der Juni
Rente im Monat Mai zur Auszahlung bringen kön- — Ja, bitte Herr Kollege Dr. Götz.
nen.
(Beifall bei der SPD.) Dr. Götz (CDU/CSU) : Herr Professor, ist Ihnen
nicht in Erinnerung, daß zu jenem Zeitpunkt, als wir
Vizepräsident Dr. Jaeger: Ich danke dem im November aus Sorge um die Sicherstellung der
Herrn Berichterstatter. finanziellen Leistungskraft der Rentenversicherung
Ich komme nunmehr in der zweiten Beratung zu Bedenken im Zusammenhang mit der Streichung des
den Art. 1 und 2 sowie Einleitung und Überschrift. Rentnerkrankenversicherungsbeitrags äußerten —
Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. und es scheint mir ein berechtigtes Anliegen zu
Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen sein, solche Bedenken in einer Frage zu äußern,
wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich wenn es um das Kernstück der sozialen Sicherheit
bitte um die Gegenprobe. — Es ist so beschlossen. geht —,die neuen Vorausberechnungen des Bundes-
arbeitsministeriums, die die Grundlage für unsere
Ich komme zur Entscheidung im Ausschuß 'bildeten, noch nicht vor-
dritten Beratung lagen und daß 'diese Bedenken vor dem Hintergrund
der alten Berechnungen geäußert wurden, die dem
und eröffne die allgemeine Aussprache. — Ich erteile dritten Rentenversicherungsänderungsgesetz zu-
das Wort dem Abgeordneten Dr. Schellenberg. grunde lagen?
Dr. Schellenberg
und haben sechs verschiedene Meinungen vorgetra- klären, im Ausschuß gebe es Alternativanträge; bei
gen. den Ausschußberatungen redet dann der einzelne
(Abg. Härzschel: Das ist ein Märchen!) CDU-Abgeordnete zwar fünf- bis sechsmal, aber es
folgt immer noch kein Änderungsantrag, der dem
— Herr Kollege Härzschel, ich beweise meine Be-
Ausschuß die Möglichkeit gibt, über eine Alterna-
hauptung natürlich.
- tive zu beraten und abzustimmen.
Erster CDU-Einwand: vorrangig sei eine Reform
Bitte schön, Herr Kollege!
der Krankenversicherung; also Gesamtreform der
Krankenversicherung, nicht Fortfall des Rentner-
krankenversicherungsbeitrags. Franke (Osnabrück) (CDU/CSU) : Herr Kollege
Professor Schellenberg, halten Sie denn das für eine
(Abg. Dr. Schmidt [Wuppertal] : Ganz ver
Alternative, daß der Herr Minister in Berlin er-
nünftiger Gedanke!)
klärt, es bliebe noch genügend Spielraum für die
— Mag sein, aber die CDU-Einwände waren Zeichen Einführung flexibler Altersgrenzen, und daß einen
von Konzeptionslosigkeit. Dies und jenes haben Sie Tag später Staatssekretär Auerbach im Ausschuß
bei der 1. Lesung gesagt, Sie hatten aber keine erklärt, für weitere strukturelle Verbesserungen sei
Alternative; .das war und ist ihre Schwäche. kein Geld mehr vorhanden?
(Zuruf von , der CDU/CSU: Sie denken, An (Hört! Hört! bei der CDU/CSU.)
griff ist die beste Verteidigung!)
Der zweite CDU-Einwand: vorrangig sei die Ein- Dr. Schellenberg (SPD) : Herr Kollege Franke,
führung einer Mindestrente. wenn Sie eine Frage an den Minister haben, dann
Dritter CDU-Einwand: vorrangig — alles in der stellen Sie sie in der Fragestunde oder nehmen Sie
ersten Lesung vorgetragen — sei die Erhöhung der nachher das Wort, um den Minister selbst zu fragen.
Witwenrenten. Ich sage Ihnen aber schon heute, daß die von der
Bundesregierung in der Regierungserklärung ange-
Vierter CDU-Einwand, Herr Kollege Härzschel: kündigte Überprüfung der Altersgrenze eine Kon-
vorrangig sei die 'Erhöhung der Ausgaben für die zeption ist, die wir für außerordentlich sinnvoll hal-
Rehabilitation. ten. Ich bin der Auffassung, daß wir diese Konzep-
Fünfter CDU-Einwand: vorrangig sei di e Aktuali- tion des Ministers noch im Laufe dieser Legislatur-
sierung der Bemessungsgrundlage. periode an Hand konkreter Unterlagen der Bundes-
Sechster CDU-Einwand: vorrangig sei die Einfüh- regierung prüfen und — wie ich hoffe — auch zur
rung einer Einkommensgrenze im Zusammenhang Entscheidung bringen werden.
mit dem Krankenversicherungsbeitrag der Rentner. (Beifall bei Abgeordneten der SPD.)
Meine Damen und Herren der CDU/CSU, Sie Sie können sich dann also, Herr Kollege Franke, be-
haben damals in ,der ersten Lesung Alternativen an- züglich solcher Alternative sehr rege betätigen.
gekündigt. Bei den Ausschußberatungen haben Sie Jetzt ist es aber — insofern war der Schritt der Bun-
aber keine Alternativen vorgelegt. Sie haben im desregierung völlig richtig — das Notwendigste,
Ausschuß eine Rede-Filibusterei betrieben, doch es erst einmal die Ungerechtigkeiten, die im Zusam-
ist kein Antrag zur Sache von der CDU gestellt menhang mit der Rezession entstanden waren, zu
worden. Sie hatten nämlich in Wirklichkeit keine beseitigen.
Alternative zur Regierungsvorlage. Das kommt ja
Ich stelle also fest: Die CDU hat im Ausschuß
auch darin zum Ausdruck daß Sie jetzt in der
keine Konzeption in Gestalt einer Alternative ent-
zweiten und dritten Lesung ebenfalls keine Anträge
wickelt.
stellen.
5. Weiter zu den Ausschußberatungen. Wir haben
Vizepräsident Dr. Jaeger: Gestatten Sie eine im Ausschuß sehr gründlich Sachverständige, die
Zwischenfrage Ides Herrn Kollegen Mancher? anerkanntesten Sachverständigen, zu den Finanz-
grundlagen des Regierungsentwurfs gehört. Das war
Dr. Schellenberg (SPD) : Ja, gern. am 29. Januar. Am nächsten Tage hieß es in einer
Mitteilung der CDU/CSU-Fraktion, sie sei von die-
ser Sachverständigenanhörung nicht befriedigt. Sie
Maucher (CDU/CSU) : Herr Kollege Schellenberg, wolle deshalb „zusätzlich noch weitere Sachver-
wenn Sie jetzt beklagen, wir hätten keine Alterna- ständige arbeitskreisintern hören".
tiven: Hätten wir sie gebracht, hätten Sie dann auf
den Einwand verzichtet: „Woher kommt die Dek (Abg. Dr. Götz: Was ist daran schlecht?)
kung?" ? — Herr Kollege Götz, ich bestreite Ihnen das Recht
hierzu nicht; aber es war immerhin ein ungewöhn
liches Verfahren. — Bitte, Herr Kollege Dr. Götz!
Dr. Schellenberg (SPD) : Aber lieber Herr Kol-
lege Maucher, Sie müssen doch erst einmal eine
Alternative beantragen; dann werden wir darüber Dr. Götz (CDU/CSU) : Herr Professor Schellen-
beraten und erklären, ob es eine sinnvolle Alter- berg, sind Sie nicht vielmehr der Meinung, daß es
native ist, für die eine Deckung zu suchen ist. Sie eigentlich ein ungewöhnliches Verfahren des Aus-
können aber nicht bei der 1. Lesung im Plenum schusses war, bei dieser schwierigen Frage nicht z. B.
sechs verschiedene Ansichten vortragen, dabei er- auch, wie von uns beantragt, den Verband der Ren-
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. März 1970 1769
Dr. Götz
tenversicherungsträger und die Bundesanstalt für gegen die Beseitigung des Rentnerkrankenversiche-
Angestelltenversicherung in Berlin zu hören, die rungsbeitrages polemisiert.
ja durch diesen Beschluß nicht unerheblich belastet (Zurufe von der CDU/CSU: Stimmt nicht!)
wird?
(Beifall bei der CDU/CSU.) — Ach, das könnte ich Ihnen vorlesen, wenn Sie
wollen.
-
(Zuruf von der CDU/CSU: Bitte!)
Dr. Schellenberg (SPD) : Herr Kollege Dr. Götz,
Sie irren. Die CDU/CSU-Fraktion hat einen solchen — Er hat gesagt, der Fortfall des Rentnerkranken-
Antrag nicht gestellt, sondern nach gründlicher Dis- versicherungsbeitrages sei ein Eingriff in das Ren-
kussion dieser Frage ausdrücklich darauf verzichtet, tensystem. Na, damit wurden doch wohl die Tat-
diese Sachverständigen zu hören. Das war der Tat- sachen auf den Kopf gestellt, denn der Rentnerkran-
bestand. Es tut mir leid, Ihnen das entgegenhalten kenversicherungsbeitrag, die Kürzung der Rente, ist
zu müssen. — Bitte schön, Herr Kollege Maucher. ein Eingriff in die Rentenversicherung, aber nicht
die Beseitigung dieses Unrechts. Diese eigenartige
Auffassung der CDU bei der Haushaltsdebatte hat
Maucher (CDU/CSU) : Herr Kollege Schellenberg, aber die Kollegen der CDU im Ausschuß — was ich
war der Grund nicht etwa der, daß, wenn wir das dankbar anerkenne — nicht gehindert, trotz anfäng-
nicht getan hätten, uns der Vorwurf gemacht worden licher prinzipieller Polemik gegen den Fortfall des
wäre, wir verzögerten ,die Sache? Rentnerkrankenversicherungsbeitrages eine Woche
später ohne weitere Sachdiskussion für den Fortfall
Dr. Schellenberg (SPD) : Herr Kollege Maucher, des Rentnerkrankenversicherungsbeitrags zu stim-
ich habe vorhin schon von Filibusterei der CDU im men. Heute haben Sie, meine Damen und Herren
Ausschuß gesprochen; aber die Sache kam dann von der CDU/CSU, in der zweiten Lesung dem Re-
trotzdem schließlich noch zum guten Ende. — Herr gierungsentwurf mit den Änderungen ides Ausschus-
Kollege Dr. Götz, bitte! ses zugestimmt. Es freut uns natürlich sehr, wenn
Sie ieiner Regierungsvorlage einmütig zustimmen,
nachdem Sie hart gegen sie polemisiert haben.
Dr. Götz (CDU/CSU) : Es ist richtig, daß wir den
Antrag zwar gestellt, aber dann zurückgezogen ha- (Abg. Dr. Götz: Ich habe den Eindruck, es
ben. Aber ist Ihnen in Erinnerung, Herr Professor, paßt gar nicht in Ihr Konzept, daß wir zuge
daß die knappe Mehrheit des Ausschusses uns sehr stimmt haben! Das ist mal etwas anderes!)
deutlich zu verstehen gegeben hat, sie werde diesen
zusätzlichen Antrag einfach durch Abstimmung ab- — Nein, Herr Kollege Götz, Ihre Zustimmung paßt
lehnen? uns sehr wohl. Aber nachdem Sie vier Monate ge-
gen den Fortfall des Rentnerkrankenversicherungs-
beitrags polemisiert hatten,
Dr. Schellenberg (SPD) : Nein, Herr Kollege
(Abg. Dr. Götz: Das ist einfach falsch!)
Dr. Götz, wir haben uns über die Anhörung der Sach-
verständigen gründlich und freimütig unterhalten. ist es immerhin überraschend, wenn Sie dann zu-
Es kam eine einstimmige Auffassung des Ausschus- stimmen, ohne einen Sachantrag zu stellen.
ses zustande, welche Sachverständigen gehört wer- (Abg. Dr. Stark [Nürtingen] : Herr Schellen
den sollten. Wenn Sie, Herr Kollege Dr. Götz, nach berg, schlicht falsch!)
der Anhörung dieser sehr anerkannten Sachverstän-
digen ,der Auffassung gewesen wären, es müßten Das muß doch vermerkt werden, vor allen Dingen
noch weitere Sachverständige gehört werden, dann deshalb, weil das Hickhack der CDU um den Rent-
wäre es wohl das Nächstliegende gewesen, im Aus- nerkrankenversicherungsbeitrag zu einer Unruhe
schuß einen solchen Antrag zu stellen. Das haben bei den Rentnern geführt und dazu beigetragen hat,
Sie nicht getan; Sie zogen es vor, arbeitskreisintern (Abg. Dr. Stark [Nürtingen] : Das Weih
weitere Sachverständige zu hören. nachtsgeld hat zur Unruhe bei den Rent
nern beigetragen!)
Aber — und das ist für mich politisch das Ent-
scheidende — offensichtlich hat diese ihre außer- daß wir — — Bitte schön, Herr Kollege Franke!
gewöhnliche Anhörung weiterer Sachverständiger
nicht zu dem von Ihnen erhofften Ergebnis geführt;
denn die Öffentlichkeit hat über das Ergebnis dieser Franke (Osnabrück) (CDU/CSU) : Herr Professor
zusätzlichen Anhörung der Sachverständigen, die so Schellenberg, ist die Unruhe bei den Rentnern nicht
großartig angekündigt wurde, nichts mehr gehört. vielmehr dadurch entstanden, daß der Unglücksrabe
Nr. 1 dieser Regierung, Herr Minister Arendt, den
6. Nun zum Höhepunkt der Auseinandersetzung Rentnern erst ein Weihnachtsgeld versprochen
über die Beseitigung des Krankenversicherungs- hatte und dann auf den Ausweg des 2%igen Kran-
beitrages der Rentner. Bei der Haushaltsberatung kenversicherungsbeitrags auswich?
haben nicht weniger als drei Sprecher dier CDU sich
(Beifall bei der CDU/CSU.)
allgemeinpolitisch, unabhängig von dem sozialpoliti-
schen Teil der Aussprache, gegen den Fortfall des
Rentnerkrankenversicherungsbeitrages gewandt. Ihr Dr. Schellenberg (SPD) : Herr Kollege Franke,
Fraktionssprecher, Herr Kollege Wörner, hat in der diese Bemerkung zeigt, daß Sie aus den vier Mona-
allgemeinen Aussprache über den Haushalt heftig ten Diskussion über den Fortfall des Rentnerkran-
1770 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. März 1970
Dr. Schellenberg
kenversicherungsbeitrags immer noch nichts gelernt Vizepräsident Dr. Jaeger: Meine Damen und
haben. Herren, der Redner hat seine Redezeit bereits über-
(Zurufe von der Mitte.) schritten. Ich gebe ihm gern noch fünf Minuten zu,
Wie war die Sache? Die Bundesregierung und der weil er so oft gefragt worden ist. Das bedeuet aber,
neue Bundesarbeitsminister haben gründlich und daß Sie jetzt keine Zwischenfragen mehr stellen
-
sorgfältig überlegt, was Positives für die Rentner können.
geschehen kann. Das war eine gute Überlegung. (Abg. Maucher meldet sich erneut zu einer
Insbesondere hätten Sie dieses Wollen sofort unter Zwischenfrage.)
stützen und fördern und nicht erst vier Monate Un-
ruhe schaffen sollen.
Dr. Schellenberg (SPD) : Der Herr Präsident
Meine Damen und Herren von der CDU/CSU, auf läßt das leider auf Grund der Situation nicht zu.
Grund Ihrer Polemik hat es in der Öffentlichkeit
doch leider wieder eine Auseinandersetzung dar- Herr Präsident, es war mir mitgeteilt worden, ich
über gegeben, ob unsere Renten solide finanziert sind hätte 25 Minuten Redezeit.
oder nicht. Das war das Ergebnis Ihres Hickhacks.
Wenn Sie sich von vornherein zum Fortfall des Vizepräsident Dr. Jaeger: Die sind auch ein-
Rentnerkrankenversicherungsbeitrags bekannt hät- gestellt worden. Ich gebe Ihnen aber noch fünf
ten, hätte ich mich gefreut und gesagt: Wir sind Minuten, weil Sie so oft unterbrochen worden sind.
einstimmig dieser gleichen Meinung, und lassen Sie
uns die Sache schnell annehmen. Aber da Sie erst
prinzipiell für den Rentnerkrankenversicherungs- Dr. Schellenberg (SPD) : Das war die Haltung
beitrag waren und dann vier Monate gegen seinen der CDU.
Fortfall polemisiert haben, muß ich Ihnen heute Jetzt zur Haltung der SPD. Wir haben, seitdem
vorhalten, wie eigenartig Ihr Verhalten in diesen über einen Rentnerkrankenversicherungsbeitrag ge-
vier Monaten war. sprochen wird, diesen immer als nicht sinnvoll be-
zeichnet, und zwar deshalb,
Vizepräsident Dr. Jaeger: Herr Abgeordneter
(Abg. Franke [Osnabrück] : Arthur Killat!)
Dr. Schellenberg, gestatten Sie eine Zwischenfrage
des Abgeordneten Dr. Böhme? weil er die Rente nach den Grundsätzen der Renten-
versicherungsreform von 1957 verschlechtert. Wir
Dr. Böhme (CDU/CSU): Herr Kollege Schellen haben dem Beitrag damals in der Rezession notge-
berg, würden Sie mir zustimmen, wenn ich sage, drungen zugestimmt, um die dynamische Rente zu
daß die SPD, wenn sie in den vier Monaten der retten.
Diskussion die Konjunktur richtig erkannt hätte, (Zuruf von der CDU/CSU: Na also!)
heute diesen Antrag nicht mehr eingebracht hätte? Aber weil wir den Rentnerkrankenversicherungs-
beitrag für eine unerfreuliche Sache halten, haben
Dr. Schellenberg (SPD) : Lieber Herr Kollege wir es außerordentlich begrüßt, daß die Bundes-
Böhme, daß Sie die Frage der Beseitigung des regierung alsbald nach ihrer Konstituierung den
Rentnerkrankenversicherungsbeitrags auf Grund Fortfall des Rentnerkrankenversicherungsbeitrags
einer günstigen Finanzentwicklung der Rentenver- eingeleitet hat, um damit die Kürzung der Renten
sicherung mit der konjunkturpolitischen Ausein- zu beseitigen.
andersetzung in Verbindung bringen, zeigt, daß Sie (Beifall bei der SPD.)
die Grundlagen, für die wir — das darf ich sagen —,
SPD, CDU und FDP, gemeinsam seit 1957 einge- Wir haben aber stets betont und betonen es auch
treten sind, die Renten den Löhnen und Gehältern heute, daß die Beseitigung des Rentnerkrankenver-
anzupassen — unabhängig von der jeweiligen Kon- sicherungsbeitrages auf keinen Fall die langfristige
junkturentwicklung —, leider noch nicht verstanden Finanzierung der Renten gefährden darf. Das ist
haben. Aber ich habe die besten Hoffnungen. Sie für uns schon deshalb eine Selbstverständlichkeit,
sind jetzt neues Mitglied des Sozialpolitischen Aus- weil wir beim Rentenfinanzierungsgesetz auf die
schusses und werden sich bald, wie ich hoffe, zu 15jährige langfristige Vorausberechnung gedrungen
diesen gemeinsamen Grundsätzen bekennen. haben.
Im Hinblick auf die bisherige Einstellung der Meine Damen und Herren, die Annahmen, die
CDU habe ich die Frage — ich wäre sehr dankbar, damals gemacht wurden, beruhten auf Feststellun-
wenn der Sprecher der CDU/CSU darauf einginge —, gen vom Sommer 1968. Im Jahreswirtschaftsbericht
ob Sie nun eigentlich Ihre grundsätzliche Auffas- 1969 wird damals von einer Unsicherheit in der
sung zum Rentnerkrankenversicherungsbeitrag revi- Beurteilung der konjunkturellen Entwicklung ge-
diert haben. 1967 haben Sie ihn bejaht, heute wol- sprochen. Unter diesen Umständen war es damals
len Sie seiner Abschaffung zustimmen —. Bitte gerechtfertigt, äußerst vorsichtig zu kalkulieren.
geben Sie eine klare Auskunft; sonst entsteht näm- Aber wir müssen jetzt sagen: wer auf Dauer zu vor-
lich leicht der Verdacht, Sie ließen sich zum Fortfall sichtig kalkuliert, unrealistisch kalkuliert, der kal-
des Beitrages von taktischen Erwägungen bestim- kuliert auch unsolide. Solche Schätzungen sind un-
men. solide, denn sie führen zu zu niedrigen Renten und
(Abg. Maucher meldet sich zu einer Zwi zu hohen Beiträgen. Deshalb war es richtig, die
schenfrage.) damaligen Vorausberechnungen nach dem gegen-
— Ja, Herr Kollege Maucher! wärtigen Erkenntnisstand zu überprüfen.
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. März 1970 1771
Dr. Schellenberg
Aus den von der Bundesregierung vorgelegten Vizepräsident Dr. Jaeger: Meine Damen und
Vorausberechnungen, die immer noch vorsichtig Herren, ich unterbreche diesen Punkt der Tages-
sind, ergibt sich, wenn es bei dem gegenwärtigen ordnung und kehre zum vorher behandelten zurück,
Rechtsstand bleibt, daß selbst auf dem Höhepunkt der Wahl des Wehrbeauftragten.
des Rentenberges die Rücklagen fast doppelt so Ich kann Ihnen nunmehr das Ergebnis der Wahl
hoch sein werden wie die von dem Gesetzgeber - bekanntgeben. Es wurden insgesamt 449 Stimmkar-
geforderte Mindestrücklage. Bei einer solch günsti- ten abgegeben. Die Zahl der Ja-Karten betrug 268,
gen Finanzentwicklung der Rentenversicherung ist es die Zahl der Nein-Karten 127, die Zahl der ungülti-
nicht zu rechtfertigen, weiterhin an der Kürzung der gen Stimmkarten 4, die Zahl der Stimmenthaltun-
Renten durch den Rentnerkrankenversicherungsbei- gen 50. Mithin sind für Herrn Abgeordneten Schultz
trag festzuhalten. 268 Stimmen abgegeben. Gewählt ist gemäß § 13 des
(Beifall bei der SPD.) Gesetzes über den Wehrbeauftragten des Bundes-
tages, wer die Stimmen der Mehrheit der Mitglie-
Deshalb ist es dringend geboten, wie der Aus-
der des Bundestages erhält. Die Mehrheit der Mit-
schuß entsprechend der Regierungsvorlage beschlos-
glieder des Bundestages einschließlich der Mitglie-
sen hat, den Rentnerkrankenversicherungsbeitrag
der des Landes Berlin beträgt 260. Da auf den Abge-
vom 1. Januar an in Fortfall zu bringen. Das kommt
ordneten Schultz 268 Stimmen entfallen sind, ist er
nicht nur den Rentnern zugute, sondern verbessert
hiermit rechtmäßig zum Wehrbeauftragten gewählt.
auch die Renten von morgen und übermorgen. Das
Gesetz, das wir jetzt verabschieden werden, dient Ich frage Sie, Herr Abgeordneter Schultz: Nehmen
somit langfristig gesehen auch den Interessen der Sie die Wahl an?
Versicherten. Im übrigen wird durch den Fortfall
des Rentnerkrankenversicherungsbeitrags das Ver- Schultz (Gau-Bischofsheim) (FDP) : Ich nehme die
waltungsverfahren außerordentlich erleichtert. Wahl an.
Außerdem wird durch die Beseitigung des Rent-
nerkrankenversicherungsbeitrags bei Millionen von Vizepräsident Dr. Jaeger: Ich stelle fest, daß
Menschen der Unmut darüber ein Ende finden, daß Herr Abgeordneter Schultz die Wahl angenommen
sie wegen des Pauschalverfahrens des Abzugs mei- hat. Da Sie die Wahl angenommen haben, haben Sie
nen, es würde ihnen der Rentnerkrankenversiche- sicherlich die Absicht, Ihr Mandat als Abgeordneter
rungsbeitrag doppelt und dreifach abgezogen, der niederzulegen. Ich darf Sie fragen, ob Sie diesen
in Wirklichkeit überhaupt kein Beitrag der Rentner Verzicht jetzt aussprechen wollen.
zur Krankenversicherung ist, sondern ein Beitrag
zur Sanierung der Rentenversicherung und der Bun- Schultz (Gau-Bischofsheim) (FDP) : Ich lege hier-
desfinanzen. mit mein Mandat als Abgeordneter ,des Deutschen
Meine Fraktion bittet die Bundesregierung, jetzt Bundestages nieder.
nach Abschluß des Gesetzgebungsverfahrens alles
zu tun, damit den Rentnern die abgezogenen Be- Vizepräsident Dr. Jaeger: Das Haus hat dies
träge möglichst bald zurückgezahlt werden. Ange- für sein eigenes Protokoll hiermit zur Kenntnis ge-
sichts der Tatsache, daß die Öffentlichkeit seit No- nommen. Der Mandatsverzicht ist damit rechtskräf-
vember über den Fortfall des Rentnerkrankenver- tig. Ich stelle fest, daß Herr Schultz sein Mandat
sicherungsbeitrags redet, verstehen es unsere Rent- niedergelegt hat und zum Wehrbeauftragten ge-
ner einfach nicht, weshalb ihnen immer noch jeden wählt ist.
Monat die zwei Prozent abgezogen werden.
Der Wehrbeauftragte hat nach § 14 Abs. 4 des
Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluß. Gesetzes über den Wehrbeauftragten ,des Bundes-
Da es im Zusammenhang mit dem Gesetzentwurf tages bei der Amtsübernahme den in Art. 56 des
und im Zusammenhang mit Ihrer zwiespältigen Hal- Grundgesetzes vorgeschriebenen Eid zu leisten. Ich
tung, meine Damen und Herren von der CDU, häu- rufe daher Punkt 4 der Tagesordnung auf:
fig düstere Finanzprognosen hinsichtlich der Ren-
tenversicherung gegeben hat, lassen Sie mich zum Vereidigung des Wehrbeauftragten des Bun-
Abschluß der Beratungen auch eine Prognose stellen. destages.
Die von der Bundesregierung vorgelegten neuen Ich bitte Sie, Herr Schultz, heraufzutreten und den
Vorausberechnungen sind, gemessen an den Erfah- Eid zu leisten.
rungen, die wir in bezug auf die Entwicklung des
(Die Abgeordneten erheben sich.)
Beitragsaufkommens in der Rentenversicherung seit
1957 gewonnen haben, sehr vorsichtig; so vorsich- Herr Schultz, ich darf Ihnen das Grundgesetz vor-
tig, daß dieses Haus — und das ist meine Prognose legen. Vielleicht nehmen Sie es in die linke Hand,
— in nicht zu ferner Zukunft wegen der weit günsti- heben die rechte Hand und sprechen den Eid.
geren tatsächlichen Finanzentwicklung der Renten-
versicherung neue Entscheidungen über Verbesse- Schultz, Wehrbeauftragter des Deutschen Bun-
rungen des Leistungsgefüges unserer Rentenver- destages: Ich schwöre, daß ich meine Kraft dem
sicherung treffen wird. Wohle des Deutschen Volkes widmen, seinen Nut-
(Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. zen ,mehren, Schaden von ihm wenden, das Grund-
Dr. Götz: Hoffentlich haben Sie eine glück gesetz und die Gesetze des Bundeswahren und ver-
lichere Hand als Ihr Kollege Schiller!) teidigen, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und
1772 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. März 1970
Wehrbeauftragter Schultz
Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde. So ihnen Rechtsempfinden schlechthin fehlt. In den
wahr mir Gott helfe. meisten Fällen ist es soldatischer Übereifer, der zu
einer Vernachlässigung der rechtlichen Aspekte
führt. Der Wehrbeauftragte hilft diesen Soldaten,
Vizepräsident Dr. Jaeger: Ich stelle fest, daß
indem er ihnen klarmacht, wie die Gewichtsver-
Herr Schultz , als Wehrbeauftragter vereidigt- ist. —
teilung im Einzelfalle ist oder hätte sein sollen.
Ich darf Ihnen die Glückwünsche des Hauses und
Damit bewahrt er vor allem die Untergebenen vor
meine 'eigenen 'aussprechen. Mögen Sie in Segen in
falschen Befehlen oder Maßnahmen von Vorge-
IhremAtwaln!
setzten.
(Beifall.)
Die Grundsätze der Inneren Führung sind dann
Schultz, Wehrbeauftragter des Deutschen Bun- verwirklicht, wenn jeder Soldat gewiß ist, daß seine
destages : Vielen Dank, Herr Präsident! Vorgesetzten nur das militärisch Notwendige von
ihm verlangen und dabei immer seine Persön-
(Die drei Fraktionsvorsitzenden beglück lichkeit respektieren. Der Wehrbeauftragte verhilft
wünschen den Wehrbeauftragten zu seiner Untergebenen zu ihrem Recht, wenn ihnen Unrecht
Wahl.) geschehen ist. Er sagt ihnen aber auch mit der sach
lichen Autorität, die sein Amt nach dem Willen des
Vizepräsident Dr. Jaeger: Meine Damen und Grundgesetzes hat, wo die Grenzen ihrer Rechte
Herren, nach § 15 Abs. 3 Ziffer 1 des Wehrbeauf- und ihrer Ausübung liegen.
tragtengesetzes endet mit der Ernennung des Nach-
Ohne Befehl und Gehorsam kann keine Armee
folgers das Amt des bisherigen Wehrbeauftragten.
ihren Auftrag erfüllen. Sie kann es aber um so
Damit ist Herr Hoogen, der heute noch in diesem
besser, je richtiger die den Vorgesetzten gegebene
Hause gesprochen hat, aus seinem Amte ausgeschie-
Befehlsgewalt gehandhabt wird. Eine moderne
den.
Armee braucht nicht den gedrillten, nicht den abge-
Sie, Herr Hoogen, haben das Amt des Wehrbeauf- richteten Soldaten, sondern den durch freiwilligen
tragten vor fünf Jahren unter nicht leichten Bedin- Gehorsam gebundenen Mann, der seine Aufgaben
gungen angetreten. Sie hatten, wie jedermann weiß, mitdenkend erfüllt. Moderne Streitkräfte brauchen
gerade in der Anfangszeit Ihrer Tätigkeit schwie- Vorgesetzte, die ihren Untergebenen die Einsicht
rige Probleme zu bewältigen. Nach Abschluß Ihrer in die Notwendigkeit ihres Tuns vermitteln und
Amtszeit kann ich feststellen, daß das Amt des ihnen durch eigene Leistung Vorbild sind. Dann
Wehrbeauftragten in den letzten Jahren seinen Auf- können sie ihre Befehle ebenso mit sachlicher wie
trag zum Nutzen von 'Parlament und Bundeswehr mit menschlicher Autorität geben. Eine moderne
voll erfüllt und an Ansehen gewonnen hat. Armee braucht aber auch den Untergebenen, der
Bevor Sie Wehrbeauftragter wurden, haben Sie, seine Aufgabe innerhalb des Gesamtkörpers der
Herr Hoogen, hier im Parlament an hervorragen- Streitkräfte übernimmt, sich in diesen einordnet
der Stelle an 'dem Ausbau und der Fortentwicklung und sich zum Prinzip von Befehl und Gehorsam be-
unserer rechtsstaatlichen Ordnung mitgewirkt. Sie kennt.
brachten 'damit für Idas Amt des Wehrbeauftragten In dieser Situation soll der Wehrbeauftragte nach
wesentliche Voraussetzungen mit. Es ist ja der Auf- beiden Seiten helfen. Er ist also kein Hindernis
trag des Wehrbeauftragten, daran mitzuwirken, daß für die Schlagkraft der Bundeswehr, sondern dient
die Bundeswehr ihre Aufgaben unter den Bedingun- in zeitgemäßer Weise ihrer Erhaltung und Erstar
gen und Voraussetzungen eines modernen freiheit- kung. Seine Mittel sind Aufklärung und Überzeu-
lichen Rechtsstaates erfüllt. Sie, Herr Hoogen, ha- gung sowohl der Vorgesetzten als auch der Unter-
ben i n Ihrer Amtsführung deutlich gemacht, daß es gebenen. Das geschieht am besten und wirksamsten
zwischen diesen Grundsätzen und der Erfüllung mili- im unmittelbaren menschlichen Kontakt und ohne
tärischer Aufgaben keinen Gegensatz zugeben öffentliches spektakuläres Anprangern von Verfeh-
braucht, daß vielmehr gerade das Bestehen unserer lungen und Mißständen.
freiheitlich-demokratischen Grundordnung und die
Notwendigkeit ihres Schutzes der Bundeswehr ihre Andererseits hat der Bundestag und durch ihn die
Daseinsberechtigung gibt. Die Bundeswehr ist, wie Öffentlichkeit Anspruch darauf, zu erfahren und zu
der Soldateneid besagt, zur Verteidigung des diskutieren, wie es in der Bundeswehr mit der
Rechts und der Freiheit da. Schon deswegen kann Praxis der Inneren Führung und der Einhaltung
die Bundeswehr in ihren eigenen Reihen bei der rechtsstaatlicher Grundsätze aussieht. Es mag manch-
Ausführung ihres Auftrages keine andere Ordnung mal schwer sein, hier das richtige Maß zu finden.
gelten lassen als eine solche, die rechtsstaatlichen Dazu kommt folgendes. Wir stehen heute vor
Anforderungen gerecht wird. neuen und keineswegs leicht zu lösenden Proble-
Wir wissen natürlich alle, daß in der Praxis men. Auf der einen Seite wird die Bundeswehr
immer wieder Spannungen zwischen den Erforder- durch eine kritische junge Generation vor neue
nissen des Rechts und den Anforderungen des mili- Fragen gestellt, Fragen, die wir hören und beant-
tärischen Auftrags auftreten. Einzelne Soldaten — worten müssen. Andererseits aber ist die Bundes-
und es sind oft nicht einmal die schlechtesten — wehr dem Versuch extremer politischer Kräfte aus-
empfinden Rechtsvorschriften bei der Durchführung gesetzt, die den Umsturz der Institutionen unseres
ihrer militärischen Aufgaben bisweilen als hinder- demokratischen Rechtsstaates erzwingen und des-
lich. Das braucht jedoch nicht zu bedeuten, daß halb die Streitkräfte verunsichern und zur Auf-
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. März 1970 1773
Vizepräsident Dr. Jaeger
lösung treiben wollen. Mit dieser Problematik kann Ahlers, Staatssekretär, Bundespressechef: Herr
nur eine Bundeswehr fertig werden, die, gestützt Abgeordneter, nach der Vorbemerkung zu Kap. 04 03
auf Verfassung und Gesetz und damit nicht zuletzt des Haushaltsplanes hat das Presse- und Informa-
auf die Grundsätze der Inneren Führung, sachlich tionsamt die Politik der Bundesregierung gegenüber
angemessen reagiert. Auch hier ist der Wehrbeauf- den Organen des Nachrichtenwesens zu vertreten
tragte angesprochen. - sowie die deutsche Bevölkerung über die politischen
Gerade Sie, Herr Hoogen, haben durch unmittel- Ziele und die Arbeit der Bundesregierung zu unter-
baren Kontakt mit der Bundeswehr Hilfen gegeben richten. Das Bundespresseamt verfügt deshalb über
und zugleich den Bundestag weder beschönigend keine Haushaltsmittel für die Unterrichtung der
noch übertreibend sachlich so unterrichtet, daß hier Öffentlichkeit über die Ziele und die Arbeit der
im Plenum des Hauses und im Verteidigungsaus- Opposition. Bei unserer Auslandsarbeit und auch
schuß notwendige Überlegungen angestellt und im Rahmen der politischen Bildung und bei einigen
akute Probleme der Bundeswehr auf einer guten anderen Projekten werden die Opposition als
Grundlage diskutiert werden konnten. solche und auch ihre Ansichten naturgemäß berück-
sichtigt. Die Möglichkeit einer Finanzierung von Ge-
Ich bin sicher, im Namen des ganzen Hauses genanzeigen in der Öffentlichkeitsarbeit im Innern
zu sprechen, wenn ich Ihnen, Herr Hoogen, für ist aber nicht vorgesehen. Derartige Mittel für die
Ihre Tätigkeit als Wehrbeauftragter in den vergan- Öffentlichkeitsarbeit — z. B. für die Darstellung ge-
genen fünf Jahren den Dank des Deutschen Bundes- meinsamer politischer Ziele und Absichten aller Bun-
tages ausspreche. destagsparteien — müßten, soweit dies rechtlich zu-
(Lebhafter Beifall bei allen Fraktionen.) lässig ist — -und das ist wegen der Problematik der
Parteienfinanzierung ja ein wenig umstritten — ge-
Der Herr Bundespräsident hat Ihre Verdienste sondert ausgewiesen und nach meiner Ansicht even-
dadurch gewürdigt, daß er Ihnen das Große Bun- tuell auch von einer anderen Stelle als dem Bundes-
desverdienstkreuz mit Stern und Schulterband ver- presseamt verwaltet werden.
liehen hat. Wir sprechen unsere Glückwünsche aus.
Ich komme jetzt zu der Frage nach dem Unter-
(Erneuter Beifall.) schied zwischen Information und Propaganda. Wenn
Ich darf Sie nunmehr bitten, Herr Hoogen, hier man vom Sprachgebrauch ausgeht und keine wis-
heraufzukommen und Ihre Entlassungsurkunde ent- senschaftliche Definition versucht, dann stellt die-
gegenzunehmen. Nochmals den Dank des Hauses! ses Problem sich meiner Meinung nach wie folgt
dar: Propaganda ist ein Mittel des politischen
(Beifall.) Kampfes. Sie ist immer gegen jemanden, gegen eine
Meine Damen und Herren, wir stehen am Ende andere politische Gruppe gerichtet. Sie ist aggres-
der vormittäglichen Sitzung. Ich unterbreche bis siv und polemisch und arbeitet sicher auch oft mit
14 Uhr. unwahren Feststellungen. Eine solche Propaganda
verbietet sich für eine Behörde, die mit Steuergel
(Unterbrechung von 12.58 bis 14.02 Uhr.)
dern arbeitet, nach meiner Ansicht von selbst.
Information darf im Unterschied dazu niemals
Vizepräsident Dr. Schmid: Die Sitzung ist wie- gegen eine bestimmte politische Gruppe oder be-
der eröffnet. Wir fahren in der Behandlung der stimmte politische Absichten gerichtet sein und muß
Tagesordnung fort. Ich rufe Punkt 1 der Tagesord- — das möchte ich hier, auch im Hinblick auf die
nung auf: Frage, die gleich kommt, betonen — einen hohen
Wahrheitsgehalt haben.
Fragestunde
Die Anzeigenaktionen der Bundesregierung sind,
— Drucksachen VI/480, VI/488 —
so möchte ich es umschreiben, werbende Informatio-
Als erste Frage rufe ich die Frage 111 des Abge- nen. Sie stellen in dem von mir gemeinten Sinn
ordneten Dr. Häfele auf: keine Propaganda dar und sind nach unseren Erfah-
Ist die Bundesregierung, die nach den Worten von Bundes-
rungen ein wirksames Mittel der Öffentlichkeits-
kanzler Brandt in der Regierungserklärung vom 28. Oktober 1969 arbeit, wie sie als Auftrag für das Bundespresseamt
mit der Demokratie erst richtig anfängt, bereit, der parlamen-
tarischen Opposition die finanzielle Möglichkeit zu bieten, in den Vorbemerkungen zu Kap. 04 03 vorgesehen
jeweils auf Inserate der Bundesregierung, wie in den Zeitungen ist.
vom 28. Februar 1970 „Die Bundesregierung informiert", eine
Gegendarstellung zu geben?
Ahlers, Staatssekretär, Bundespressechef: Darf Vizepräsident Dr. Schmid: Sie haben noch
ich auf diesen Ausdruck zurückzukommen, den Sie zwei Zusatzfragen, weil Sie zwei Fragen gestellt
soeben selber benutzt haben, Herr Abgeordneter: haben.
das ist Sympathiewerbung, aber keine Propaganda.
Ich räume gerne ein — ich habe das hier schon Dr. Häfele (CDU/CSU) : Herr Staatssekretär,
-
öfters getan —, daß Information dieser Art natürlich nachdem Sie zum Ausdruck gebracht haben, daß Sie
einen werbenden Charakter hat. Aber ich halte das dem Gedanken nahe stehen, eventuell auch für die
nicht nur für zulässig, sondern ich halte das auch parlamentarische Opposition diese Möglichkeit zu
für notwendig. Denn man muß sich doch immer vor schaffen, frage ich: Würden Sie sich dafür einsetzen,
Augen halten, daß selbst eine werbende Informa- daß die Bundesregierung, natürlich im Einverneh-
tion für die Bundesregierung einen allgemeinen in- men mit dem Deutschen Bundestag, weil es ja
formationsmäßigen Charakter hat, der zugleich der letztlich haushaltsmäßig Mittel des Deutschen Bun-
Gesamtpolitik eines Staates zugute kommt. destages sein müßten, für diesen Zweck einen Titel
einstellt?
Vizepräsident Dr. Schmid: Noch eine Zusatz- (Abg. Wienand: Für alle Parteien!)
frage, Herr Abgeordneter Häfele.
Ahlers, Staatssekretär, Bundespressechef : Ich
Dr. Häfele (CDU/CSU) : Wenn Sie das für zuläs- wäre auf jeden Fall gern bereit, diese Frage mit
sig halten — ich will nicht bestreiten, daß man es dem Präsidium des Bundestages und vor allem mit
für zulässig halten kann —, sind Sie dann nicht der dem Zentrum für Öffentlichkeitsarbeit, das ja hier
Meinung, Herr Staatssekretär, daß man aus Grün- demnächst eingerichtet wird, einmal ausgiebig zu
den der Waffengleichheit, damit das parlamentari- diskutieren.
sche System, der parlamentarische Staat funktio-
niert, auch die Möglichkeit schaffen müßte — sie ist
heute nicht gegeben, wie Sie mit Recht ausgeführt Vizepräsident Dr. Schmid: Letzte Zusatzfrage!
haben —, daß für die parlamentarische Opposition
— nicht für eine Partei, sondern für die parlamen- Dr. Häfele (CDU/CSU) : Herr Staatssekretär,
tarische Opposition als Institution — ähnliche finan- räumen Sie ein, daß es hierbei nicht um das Pro-
zielle Mittel zur Verfügung stehen? blem der Parteienfinanzierung, zu der das Bundes-
verfassungsgericht in der berühmten Entscheidung
Ahlers, Staatssekretär, Bundespressechef: Herr seine Meinung geäußert hat, sondern um die Frage
Abgeordneter, das ist ein Gedankengang, dem ich der Waffengleichheit zwischen den Möglichkeiten
persönlich sehr nahe stehe. Außer in Schleswig der Bundesregierung und der Institution der parla-
Holstein haben wir allerdings in keinem Bundes- mentarischen Opposition geht?
land und auch nicht im Bund bereits jene Verfas-
(Abg. Wienand: Nach 20 Jahren!)
sungslage erreicht, in der ganz klar zwischen Re-
gierung und einer, sagen wir einmal, von der Ver-
fassung her sanktionierten Opposition getrennt Ahlers, Staatssekretär, Bundespressechef : Ich
wird. Sie verstehen, was ich meine. Es ist ein Pro- räume auf jeden Fall ein, daß das Thema der Waf-
blem unseres Verfassungsrechts und nicht nur der fengleichheit berührt ist. Nach meinen, wie ich gern
Verfassungswirklichkeit. Dennoch bin ich der Auf- zugebe, unvollkommenen verfassungsrechtlichen
fassung, daß man sich durchaus überlegen sollte, Kenntnissen kann ich nicht einräumen, daß die
ob man nicht Wege zu diesem Ziel beschreiten Frage des Verfassungsrechts nicht berührt ist. Denn
könnte. Das würde sich sicherlich auch in der einen wenn Sie sich die entsprechenden Urteile, insbeson-
oder anderen Form auf die Öffentlichkeitsarbeit aus- dere das Haupturteil des Verfassungsgerichts zu
wirken müssen. diesem Thema, ansehen, also das Urteil, auf Grund
dessen die Parteienfinanzierung beschlossen wurde,
Ich habe gestern abend zufällig eine Begegnung
werden Sie feststellen, daß das Bundesverfassungs-
mit einer Reihe von Abgeordneten gehabt. Da ha- gericht in der Tat einen genauen Unterschied zwi-
ben wir auch dieses Thema besprochen. Ich weiß
schen den Möglichkeiten macht, die der Regierung,
natürlich, daß es auch berechtigte Elemente der Kri- und denen, die den Oppositionsparteien oder der
tik an diesen Anzeigenaktionen geben kann. Ich
Oppositionspartei zur Verfügung stehen. Sie kennen
überlege mir z. B., ob man nicht die Anzeigenaktio-
das berühmte Wort eines großen Verfassungsrecht-
nen zeitlich so placieren sollte, daß sie mehr im Zu-
lers, daß es eine „Prämie des Machtbesitzes" gibt.
sammenhang mit den Beratungen des Bundestages
über entsprechende Projekte der Bundesregierung
erscheinen als in dem Augenblick, in dem meinet- Vizepräsident Dr. Schmid: Herr Abgeordneter
wegen das Kabinett diese Dinge verabschiedet. Ich Ott, eine Zusatzfrage.
gabe zu, das ist nur ein Teilproblem des Gesamtpro-
blems, das Sie angeschnitten haben. Eine reine Re-
gierungsstelle wie das Bundespresseamt kann Fra- Ott (CDU/CSU) : Herr Staatssekretär, würden Sie
gen wie die Darstellung der Finanzierung der Ziele mir beipflichten, wenn ich behaupte, daß die Oppo-
und Absichten der Opposition im Rahmen einer sition in einem demokratischen Rechtsstaat der
Öffentlichkeitsarbeit natürlich nicht allein lösen. Das Regierungskoalition gleichwertig ist.
müßte dann einmal im Haushaltsausschuß bespro- (Abg. Wehner: Seitdem die CDU/CSU
chen werden. Opposition ist!!)
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. März 1970 1775
Ott
und daß aus dieser Gleichwertigkeit — — Ja, ja, Vizepräsident Dr. Schmid: Im übrigen ist es
auch wenn Sie mit dem Kopf schütteln, mein Herr Aufgabe dieser vatikanischen Kongregation, um die
da hinten auf der Regierungsbank. Verbreitung des rechten Glaubens besorgt zu sein.
(Lachen bei der SPD. — Abg. Wehner: Sie (Heiterkeit.)
dürfen auch mit dem Kopf schütteln!)
Sie haben noch eine Zusatzfrage, Herr Abgeord-
Das steht Ihnen überhaupt nicht zu. Aber wenn Sie neter.
mit dem Kopf schütteln, muß ich Ihnen sagen: Sie
scheinen sehr wenig vom demokratischen Rechts-
staat zu wissen. Denn ohne Opposition gibt es kei- Ott (CDU/CSU) : Herr Staatssekretär, ich bin hier
nen demokratischen Rechtsstaat; das nebenbei. für die Propaganda des Vatikans nicht zuständig.
Das wollte ich unterstreichen, damit Sie nicht falsche
(Zuruf von der SPD: Die Opposition redet Vergleiche ziehen.
nickend!)
Mich interessiert Ihre Propanganda. Sind Sie, da
feststeht, daß Sie in den letzten Monaten verschie-
Ahlers, Staatssekretär, Bundespressechef : Ich dentlich Anzeigen gebracht haben, die sich nachher
habe doch gar nicht mit dem Kopf geschüttelt! mindestens als nicht zeitgerecht richtig erwiesen
haben, nicht dennoch mit mir der Meinung, daß das
eigentlich Propaganda war, weil zum Zeitpunkt des
Ott (CDU/CSU): Sie nicht, aber jemand hinter Erscheinens bestimmte Dinge bereits überholt waren
Ihnen auf der Regierungsbank. Das steht diesem und nicht mehr der Information gegolten haben?
Herrn gar nicht zu. Er soll sich dann lieber zu Wort
melden; aber das darf er hier ja nicht.
Ahlers, Staatssekretär, Bundespressechef: Herr
Abgeordneter, ich glaube nicht, daß die Dinge über-
Vizepräsident Dr. Schmid: Herr Abgeordneter holt waren. Unsere Aktionen waren vielleicht etwas
Ott, stellen Sie bitte Fr a g e n! vorfristig. Ich würde das nicht als Propaganda be-
(Abg. Dr. Apel: Das finde ich auch! Sehr zeichnen. Die Grenze wäre bei mir erreicht, wenn
richtig!) man auf diese Weise Informationen verbreitete, die
sich nachher als nicht zutreffend herausstellen. Das
Halten Sie keine Plädoyers! wäre auch eine Grenze, die ich, soweit man das je-
denfalls in der eigenen Verantwortlichkeit verhin-
dern kann, niemals überschreiten würde.
Ott (CDU/CSU) : Ich fahre fort. Würden Sie mir
angesichts der von Ihnen vorhin getroffenen fein- Ich stimme Ihnen darin zu, daß Anzeigenaktionen,
sinnigen Unterscheidung zwischen Propaganda und die gewissermaßen auch nur Elemente für berech-
Aufklärung zustimmen, wenn ich sage, daß die Be- tigte Kritik enthalten, eigentlich vermieden werden
urteilung dessen, was Propaganda und was Aufklä- sollten und eine Behörde wie die meine dafür sor-
rung ist, vollkommen subjektiv ist und die Regie- gen müßte, daß eine solche Kritik nicht möglich ist.
rung daher die Verpflichtung hätte, entweder Auf dieses Thema kommen wir sicher gleich. Inso-
„Volksaufklärung" oder „Propaganda" über die In- weit stimme ich Ihnen natürlich zu. Nur, ich würde,
serate zu schreiben? wenn solche Fehler mal passieren sollten — bisher,
glaube ich, sind sie noch nicht pasiert —, nicht
Ahlers, Staatssekretär, Bundespressechef: Herr sagen, das sei dann Propaganda; das war dann eben
Abgeordneter, ich kann Ihnen schon deshalb nicht einfach ein Fehler.
zustimmen, weil ich das in der Vergangenheit durch
das Dritte Reich belastete Wort „Aufklärung" über- Ott (CDU/CSU) : Meine letzte Frage, Herr Präsi-
haupt nicht benutzt habe. dent — —
(Abg. Ott: Trotzdem ist es geschehen!)
(Abg. Dr. Apel: Nur eine Zusatzfrage!
Wir haben über den Unterschied zwischen Propa- Das ist jetzt schon die dritte!)
ganda und Information gesprochen. Ich bedanke
— Sie dürfen mitunter auch mehr fragen.
mich für das Kompliment, daß diese Unterscheidung
„feinsinnig" gewesen sei. Dennoch glaube ich, daß
es uns einfach schon die Lebensgewohnheiten oder Vizepräsident Dr. Schmid: Es sind zwei Fra-
die Lebenspraxis, in der wir uns bewegen, jeder- gen gestellt, Also gibt e s der Übung dieses Hauses
zeit ermöglichen, eine Trennung zwischen Propa- nach vier Zusatzfragen, obwohl ich der Meinung bin
ganda und Information vorzunehmen, selbst wenn — .aber ich wollte nicht entgegen der Übung han-
das gewissermaßen im dialektischen oder wissen- deln —, daß die Verdoppelung der jedem zustehen-
schaftlichen Sinne nicht ohne weiteres möglich ist. den zwei Zusatzfragen bei einer gespaltenen Frage
Wir wissen z. B., daß auch eine bedeutende Abtei- nur dem Fragesteller zusteht, während Dritte, die
lung des Vatikans „Propaganda Fidei" heißt, und sich an Zusatzfragen wagen wollen, ein Recht auf
damit ist sicher eine andere Form der Propaganda die üblichen zwei haben. Aber ich will noch einmal,
gemeint als diejenige, die wir von Goebbels und
aus der kommunistischen Lehre kennen. (Abg. Ott: Gnade vor Recht ergehen lassen!)
1776 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. März 1970
Vizepräsident Dr. Schmid: Ich glaube, daß wir Vizepräsident Dr. Schmid: Dann rufe ich die
nicht die Aufgabe und nicht die Möglichkeit haben, Fragen 1 und 2 des Herrn Albgeordneten Dr. Klepsch
zu definieren — gewissermaßen urbi et orbi —, was auf Drucksache 111/488 ,auf:
alles Wahrheit bedeuten kann. Wir kämen sonst in Trifft es zu, daß die Bundesregierung im Haushaltsplan 1970
die Versuchung, Anekdoten erzählen zu wollen, in „auch mehr Geld .. . für neue Krankenhäuser" bereitstellt, wie
eine Anzeige des Bundespresseamtes mitteilt, die am Samstag,
denen von den verschiedenen Möglichkeiten gehan- dem 28. Februar 1970, in zahlreichen großen Tageszeitungen,
delt wird, darzulegen, was alles unter Wahrheit wie der Mainzer Allgemeinen Zeitung, erschien?
verstanden werden kann. Also lieber nicht! Wenn nicht, ist die Bundesregierung bereit, den richtigen
Tatbestand durch eine gleiche Annoncenaktion den Lesern dieser
Zeitungen mitzuteilen?
Herr Abgeordneter Moersch!
Dr. Klepsch (CDU/CSU): Habe ich nur noch eine, Dr. Schulze Vorberg (CDU/CSU) : Herr Staats-
-
Herr Präsident? sekretär, halbe ich Sie richtig verstanden, daß diese
Anzeige im Prinzip gute Absichten für künftige
Vizepräsident Dr. Schmid: Ich meine das Wort Jahre verkündet hat, jedenfalls soweit es die Kran-
„eine" nicht arithmetisch, sondern als unbestimmten kenhäuser betrifft, daß aber die Behauptung „Jahr
Artikel. für Jahr mehr Geld" tatsächlich für das Jahr 1970,
also für dieses Jahr falsch ist, auch für den gründ-
Dr. Klepsch (CDU/CSU) : Soll ich Ihrer letzten lichen Leser? Das möchte ich im Gegensatz zu Ihrer
Antwort entnehmen, daß Sie sich mit der Frage seit Auffassung von eben feststellen.
Ihrer Rückkehr nicht beschäftigen konnten? (Zuruf des Abg. Moersch.)
Dr. Czaja (CDU/CSU) : Herr Ahlers, da Sie zu- Ahlers, Staatssekretär, Bundespressechef: Herr
geben, daß es für den normalen Leser mißverständ- Abgeordneter, meine Bemerkung von vorhin war
lich ist, frage ich Sie: Wollen Sie nicht doch wagen, allgemeinerer Natur und bezog sich nicht speziell
den gleichen finanziellen Aufwand für die Aufklä- auf diese Anzeige. Ich habe in der Antwort auf die
rung des Mißverständnisses bereitzustellen wie für Fragen von Herrn Dr. Häfele gesagt, daß nach mei-
die irrige Meldung selbst? ner wirklichen Überzeugung informationspolitische
Maßnahmen zugleich der Hebung des Informations-
Ahlers, Staatssekretär, Bundespressechef: Nein, niveaus und auch des politischen Engagements der
Herr Abgeordneter, das wäre auch schon nach dem Bürger am Gesamtstaat dienen, ob sie nun von der
1780 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. März 1970
Staatssekretär Ahlers
Regierung, von Verbänden oder auch von der zusammenfassender Form, wie das in einer solchen
Opposition erfolgen. Ich bin deshalb der Auffassung, Anzeige versucht wird, Über alle Maßnahmen der
daß Öffentlichkeitsarbeit, wenn sie wirksam betrie- Bundesregierung und — darauf hatte ich vorhin
ben wird, in jeder Beziehung auch eine gesamtpoli- schon hingewiesen — über alle Maßnahmen, die
tische Bedeutung hat. letztlich das Gesamtergebnis der Bundestagsarbeit,
Was nun diese spezielle Anzeige angeht, glaube der Arbeit der gesetzgebenden Körperschaften über-
ich doch davon ausgehen zu können, Herr Abgeord- haupt, zusammenlaufen, unterrichtet.
neter, daß der Krankenhausbau in der Bundesrepu- Deshalb ist es, glaube ich, richtig, daß parallel zu
blik — wobei jeder von uns weiß, daß das Schwer- der Arbeit, die zur Information der Gesamtbevölke-
gewicht der finanziellen Aufwendungen dafür natür- rung über die normalen Mediengeleistet wird, auch
lich bei den Ländern liegt — auch in den kommen- eine gezielte Information der Institution erfolgt, in
den Jahren zunehmen wird und daß es legitim und dem Fall also insbesondere auch der Bundesregie-
richtig ist, wenn der Bürger, sei es auch nur in einer rung.
Anzeige der Bundesregierung, auf diesen Sachver-
halt hingewiesen wird, von dessen Richtigkeit er Vizepräsident Dr. Schmid: Sie können keine
sich ja in den nächsten Monaten und Jahren über- Zusatzfrage mehr stellen, Herr Ott! — Herr Moersch,
zeugen kann. auch nur eine Zusatzfrage!
Vizepräsident Dr. Schmid: Noch eine Zusatz- Moersch (FDP) : Herr Staatssekretär, sind Sie mit
frage! Aber ich gebe Ihnen keine weitere mehr. mir der Meinung, daß es die Effektivität der Aus-
gabe .von Haushaltsmitteln für Anzeigen erfreu-
Damm (CDU/CSU) : Herr Staatssekretär, Sie wür- licherweise sehr erhöht, wenn diese Anzeigen in
den also in bezug auf diese Anzeige nur wenig der Fragestunde durch die Opposition zur Sprache
sehen, was dem Anspruch, sie käme dem ganzen gebracht werden, .wodurch der Aufmerksamkeitswert
Staatswesen zugute, tatsächlich entspräche? erhöht wird?
Bundesminister Ertl
bauregelung ermöglicht. Ich verhehle nicht, daß Scheuern einfahren konnte als in den vergangenen
diesbezüglich in Italien große Schwierigkeiten sind. Jahren, unrichtig ist?
Aber der Europäische Gerichtshof hat inzwischen
bezüglich des Weinbaukatasters zuungunsten Ita- Ertl, Bundesminister für Ernährung, Landwirt-
liens entschieden. Ich glaube auch, daß dieser Ge- schaft und Forsten: Herr Kollege Susset, ich bin
richtsentscheid nicht ohne Auswirkung auf die end- nicht in der Lage, zu einem Artikel Stellung zu
gültige Beratung der Weinmarktordnung sein wird. nehmen, den ich noch nicht gelesen habe, und will
es auch gar nicht tun.
Vizepräsident Dr. Schmid: Eine Zusatzfrage.
Vizepräsident Dr. Schmid: Keine Zusatzfrage
mehr.
Dr. Gölter (CDU/CSU) : Herr Bundesminister, ist
die Bundesregierung bereit, gerade in diesem Fra- Ich rufe die Frage 61 des Abgeordneten Peters
genkomplex besondere Sorgfalt auch gegenüber den (Poppenbüll) auf:
italienischen Verhandlungspartnern walten zu las-
Ist der Bundesregierung bekannt, was der sogenannte Butter-
sen, wenn ich vor allen Dingen darauf hinweise, berg der EWG jährlich kostet?
daß die Anlage des Weinbaukatasters für Italien Bitte, Herr Bundesminister.
1961 für verbindlich erklärt worden ist, 1966 durch-
geführt sein sollte, während aber die italienische
Regierung sich bis heute noch nicht einmal zum Ertl, Bundesminister für Ernährung, Landwirt-
schaft und Forsten: Herr Kollege Peters, der Bun-
Erlaß einer Durchführungsverordnung entschlossen
desregierung sind die Kosten, die der EWG durch
hat?
die Intervention auf dem Buttermarkt entstanden
sind, bekannt. Nach einer Aufstellung der Kommis-
Ertl, Bundesminister für Ernährung, Landwirt- sion der Europäischen Gemeinschaft vom 16. Februar
schaft und Forsten: Herr Kollege Gölter, ich kann 1970 haben die Lagerung der Butter im Jahre 1969
Ihre Frage mit einem klaren Ja beantworten. Viel- und der verbilligte Absatz in der Gemeinschaft Ge-
leicht beruhigt es Sie, wenn ich Ihnen erkläre, daß samtkosten in Höhe von rund 1,3 Milliarden DM
sich die italienische Regierung über meine harte — gleich 355 Millionen Rechnungseinheiten — ver-
Haltung in dieser Frage beschwert hat. Vielleicht ursacht.
mag Sie das zufriedenstellen.
Vizepräsident Dr. Schmid: Eine Zusatzfrage.
Vizepräsident Dr. Schmid: Eine Zusatzfrage,
Herr Schulze-Vorberg. Peters (Poppenbüll) (FDP) : Herr Minister, sind
in dieser Zahl ebenfalls die Verbilligungen für
Dr. Schulze Vorberg (CDU/CSU) : Herr Bundes-
- Ausfuhr und die Verbilligungen für den Absatz
minister, im Anschluß an Ihre erste Antwort, daß an sozial Schwache mit enthalten?
man sich vielleicht nicht ganz festlegen könne oder
solle: Könnte man nicht umgekehrt folgern, daß nach Ertl, Bundesminister für Ernährung, Landwirt-
einer Feststellung von Ihnen hier und heute, daß schaft und Forsten: Jawohl, soweit ich informiert
für die Bundesregierung eine Anbauregelung für die bin, sind die Gesamtkosten für Maßnahmen auf
Weinmarktordnung entscheidend ist, eine Festigung dem Sektor Intervention hier beinhaltet.
Ihrer eigenen Position, der Bundesregierung und
damit unserer Winzer erfolgen würde?
Vizepräsident Dr. Schmid: Eine weitere Zu-
satzfrage.
Ertl, Bundesminister für Ernährung, Landwirt-
schaft und Forsten: Herr Schulze-Vorberg, ich Peters (Poppenbüll) (FDP) : Herr Minister, worauf
glaube, Ihre Frage ist schon beantwortet. Ich habe führen Sie es zurück, daß in der Öffentlichkeit, vor
erklärt, daß ich selbst der Entschließung — mehr allen Dingen in der Wirtschaftspresse durchweg
ist bisher nicht verabschiedet — nur unter dem viel höhere Zahlen genannt worden sind?
Vorbehalt — er ist im Protokoll vermerkt — zuge-
stimmt habe, bei der endgültigen Präzisierung der
Weinmarktordnung auf die Anbauregelung zurück- Ertl, Bundesminister für Ernährung, Landwirt-
schaft und Forsten: Herr Kollege Peters, diese Frage
zukommen. Dabei bleibt es. Ich sehe mich außer-
bringt mich beinahe in einen Konflikt. Denn ich
stande, im jetzigen Zeitpunkt darüber hinaus zu-
habe inzwischen feststellen können, daß niemand
sätzliche Erklärungen abzugeben.
über bestehende Vorräte in der EWG absolut prä-
zise Zahlen nennen kann, und zwar auf keinem
Vizepräsident Dr. Schmid: Eine Zusatzfrage. Sektor. Schätzungen der Kommission beispielsweise
lauteten, daß wir Ende letzten Jahres einen Butter-
Susset (CDU/CSU) : Herr Minister, Sie haben vorrat von nun schätzungsweise 450 000 t haben
gerade erklärt, daß Italien über Ihre so starre Hal- sollten und haben müßten. In der Tat war er bei
tung beunruhigt sei. Sind Sie dann der Meinung, knapp 300 000 t gelegen. Schätzungen sind sicher-
daß der heute in den VWD-Pressemitteilungen ab- lich notwendig und nützlich. — Wir benutzen sie
gedruckte Artikel, in dem festgestellt wird, daß ja auch bei unserem Grünen Bericht. Man kann aber
Italien in den letzten Verhandlungen mehr in seine Produktion und Absatz nicht immer auf den Pro-
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode - 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. März 1970 1783
Bundesminister Ertl
zentsatz genau berechnen. Dementsprechend erge- Allerdings will ich nicht verhehlen: wir haben bei
ben sich natürlich Veränderungen. uns in der Bundesrepublik bis jetzt relativ negative
Daher benutze ich gern die Gelegenheit Ihrer Erfahrungen gemacht, und zwar aus zwei Gründen.
Frage, zu sagen, daß allein die Butterproduktion Erstens ist die Handelsspanne für Hausmeister bei
zwischen 1968 und 1969 um 50 000 t zurückgegangen anderen Getränken viel größer; daher werden an-
ist, umgekehrt der Konsum um 50 000 t zugenommen dere Getränke bevorzugt. Zweitens haben wir nicht
hat. Das ergibt eine Differenz von 100 000 t, die man immer oder noch nicht die richtigen Automaten, die
vielleicht eben statistisch nicht vorhersehen kann. sich entsprechend bedienen lassen. Aber wir sind
Im allgemeinen kann ich feststellen, daß der Fett- dabei, solche Automaten zu entwickeln. In diesem
verbrauch in der Bundesrepublik nach wie vor an- Jahr werden Testversuche unternommen, erneut in
steigend ist. Schulen, und zwar insbesondere in einigen groß-
städtischen Gebieten. Ich habe erst gestern in einem
Gespräch mit der CEMA darüber verhandelt und
Vizepräsident Dr. Schmid: Frage 62 des Abge-
sie gebeten, man möge auch den Versuch machen,
ordneten Peters (Poppenbüll) :
insbesondere in Kasernen durch Milchautomaten für
Um wieviel etwa würde der Butterberg abgetragen, wenn in
allen Ländern der EWG eine kostenlose Schulmilchspeisung ge- Frischmilchabsatz zu sorgen.
reicht würde, und wie teuer würde eine solche Aktion der EWG
zu stehen kommen?
Vizepräsident Dr. Schmid: Eine Zusatzfrage.
Bitte, Herr Minister.
Peters (Poppenbüll) (FDP) : Herr Minister, halten Ertl, Bundesminister für Ernährung, Landwirt-
Sie es für möglich, daß in der EWG eine Regelung schaft und Forsten: Herr Kollege, zunächst: in
erreicht wird, bei der sich zusätzlich zu den Mitteln Bayern ist man — mit Recht erbaut — sehr auf das
zum Agrarfonds eine Beteiligung von der EWG und föderalistische System bedacht, und die Schulmilch-
den Ländern — ich meine hier: den Partnerländern speisung ist in der Tat eine Länderaufgabe. Nachdem
— herbeiführen ließe? ich in Übereinstimmung mit meinem Finanzminister
andererseits feststellen muß, daß die Länderkasse
Ertl, Bundesminister für Ernährung, Landwirt- zur Zeit voller ist als die Bundeskasse,
schaft und Forsten: Ich halte ,dies im jetzigen Zeit- (Hört! Hört!)
punkt für unwahrscheinlich. Ich bin aber gerne be-
reit, die Frage erneut in Brüssel zur Sprache zu könnte ich mir vorstellen, daß e s eine nützliche
bringen. Ich habe schon das letzte Mal im Minister- Konjunkturbremse wäre, wenn man Länderhaus-
rat die Gelegenheit benutzt, zu sagen, daß die Vor- haltsmittel in Form von Schulmilchspeisung nütz-
schläge der Kommission zur Lösung des Butterpro- lichen Zwecken zuführt.
blems mir reichlich phantasielos erschienen. Sie ha-
ben nämlich nur das eine Ziel, den Butterinterven- Vizepräsident Dr. Schmid: Frage 63 des Abge-
tionspreis zu senken und Magermilchpulver zu stüt- ordneten Zebisch:
zen. Ich könnte mir durchaus vorstellen, daß man Welche Maßnahmen unternimmt die Bundesregierung, um die
sowohl für die Frischmilch wie auch auf dem Butter- Landwirte von den Möglichkeiten und Formen der Verbundwirt-
schaft und der damit verbundenen Förderung zu unterrichten
Käse-Sektor für Frischmilchprodukte mit mehr sowie Zusammenschlußwillige zu beraten und zu betreuen?
Phantasie größere Absatzmöglichkeiten erschließen
könnte. Vielleicht könnte man dabei manche Steuer- Ertl, Bundesminister für Ernährung, Landwirt-
gelder einsparen. Das erschiene mir notwendig. Da- schaft und Forsten: Die Frage der zweckmäßigsten
zu gehört sicherlich auch die Schulmilchspeisung. Formen überbetrieblicher Kooperation ist noch in
1784 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. März 1970
Bundesminister Ertl
der Klärung begriffen. Das Bundesministerium für Vizepräsident Dr. Schmid: Keine Zusatzfrage
Landwirtschaft hat über die obersten Landesbehörden mehr. Frage 64 ,des Abgeordneten Dr. Hermesdorf
eine Bestandsaufnahme der bereits vorhandenen Be- (Sehleiden):
triebszusammenschlüsse vorgenommen, um aus den Ist die Bundesregierung bereit, den Rechtsnachfolgern aller
bishergnEfauowhlScüseaufdi im Rahmen der kommunalen Neugliederung zusammengeschlosse-
nen bisher ländlichen Gemeinden die Zinsverbilligung von Dar-
bestmöglichen Kooperationsformen als auch auf lehen zur Finanzierung von Maßnahmen der Wasserversorgung
eventuell erforderliche Änderungen des Steuer- und und Abwässerbeseitigung gemäß den Richtlinien des Bundes-
ministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten vom
Gesellschaftsrechts ziehen zu können. Das Material 7. Juli 1967 nicht nur für eine Übergangszeit von fünf Jahren
zu belassen, sondern die Zinsverbilligungszuschüsse für die Zeit
wird zur Zeit noch vorn Bundesamt für Ernährung zu gewähren, für die sie den früher selbständigen ländlichen
und Forstwirtschaft ausgewertet. Erst wenn das Er- Gemeinden zugesagt worden sind?
gebnis vorliegt, kann an entsprechende Initiativen
und an , eine Unterrichtung der Öffentlichkeit gedacht
Ertl, Bundesminister für Ernährung, Landwirt-
werden.
schaft und Forsten: Herr Kollege Dr. Hermesdorf,
Die Beratung und Betreuung von einzelnen Zu- soweit sich bisher selbständige ländliche Gemeinden
sammenschlußwilligen ist nicht Aufgabe der Bun- zu einer neuen einheitlichen Gemeinde zusammen-
desregierung, die über einen entsprechenden Behör- schließen, die keinen überwiegend städtischen oder
denunterbau nicht verfügt. Das Bundesministerium gewerblichen Charakter hat, kann unabhängig von
für Ernährung fördert aber 'bereits jetzt mit Bundes- der Einwohnerzahl die ursprünglich Iden einzelnen
mitteln — Zinszuschüssen — solche Landwirte, die ländlichen Gemeinden für Darlehen zur Finanzierung
eine Beteiligung an überbetrieblichen Zusammen- von Anlagen zur Wasserversorgung und Abwasser-
schlüssen, gleichgültig welcher Rechtsform, mit beseitigung zugesagte Zinsverbilligung in vollem
Fremdgeld finanzieren müssen. Voraussetzung ist, Umfange belassen 'bleiben. Findet 'dagegen ein An-
daß ein regionaler Gutachterausschuß das Vorhaben schluß an eine 'Gemeinde mit überwiegend städti-
auf Grund eines Betriebsentwicklungsplans als sinn- schem oder g'ewerbl'ichem Charakter statt, z. B. die
voll und nützlich befunden hat. Eingemeindung in eine größere Stadt, so können
die bereits bewilligten Zinszuschüsse für die vor-
Vizepräsident Dr. Schmid: Eine Zusatzfrage. genannten Maßnahmen den Rechtsnachfolgern nur
noch für 'eine Übergangszeit von fünf Jahren weiter
Zebisch (SPD) : Herr Bundesminister, sind der gezahlt werden. Eine längere Verbilligungsdauer
Bundesregierung zu meinem Fragenkomplex Modell- ist für 'diesen Kreis von Begünstigten infolge dessen
fälle bekannt, die in anderen Staaten im EWG- wesentlich verbesserter Wirtschaftskraft mit Mitteln,
Bereich bereits durchgeführt werden? die der Landwirtschaft unmittelbar zugute kommen
sollten, nicht zu vertreten.
Ertl, Bundesminister für Ernährung, Landwirt-
schaft und Forsten: Herr Kollege Zebisch, ich bin Vizepräsident Dr. Schmid: Zusatzfrage.
zurZeitnchdLag,IieFrkont
zu beantworten. Ich werde sie in meinem Hause
prüfen lassen und Ihnen schriftliche Antwort zu- Dr. Hermesdorf (Sehleiden) (CDU/CSU) : Herr
kommen lassen. Minister, teilen Sie meine Meinung, daß auch bei
dem zuletzt von Ihnen angesprochenen Zusammen-
Vizepräsident Dr. Schmid: Eine weitere Zu- schluß die infrastrukturellen Probleme des bisher
satzfrage. ländlichen Raumes und auch die finanziellen
Schwierigkeiten unverändert fortbestehen, so daß
die von Ihnen hier vorgesehene Regelung den Be-
Zebisch (SPD) : Herr Bundesminister, haben Sie langen des bisher ländlichen Raumes nicht gerecht
bei 'den Ländern in der Bundesrepublik Deutschland wird, da sinnvolle kommunale Zusammenschlüsse,
selbst nachgefragt, ob hier bereits ein Modellfall die oft auf freiwilliger Basis zustande gekommen
vorliegt, z. B. in Niedersachsen oder Hessen? sind, mit einer Verschlechterung der finanziellen
Ausstattung „honoriert" werden?
Ertl, Bundesminister für Ernährung, Landwirt-
schaft und Forsten: Herr Kollege Zebisch, durch die
zweite Frage ist meine Erinnerung wi e der ein biß- Ertl, Bundesminister für Ernährung, Landwirt-
chen gestärkt worden. Mir ist ein Projekt in Hessen schaft und Forsten: Nein, ich kann diese Ihre Mei-
sehr wohl bekannt, ich nehme an, daß Sie dasselbe nung nicht teilen, wie 'ich Ihnen bereits in meiner
Projekt meinen wie ich. Dazu kann ich Ihnen sagen, ersten Antwort mitgeteilt habe. Bei einem An-
daß wir der Kommission vorgeschlagen haben, daß schluß einer Gemeinde an eine überwiegend städ-
auch wir es fördern wollen und daß wir diese Förde- tische Gemeinde ist Idie Wirtschaftskraft in der Tat
rungsmaßnahmen bzw. die Entwicklung dieses Pro- größer als bei einem Zusammenschluß rein länd-
jekts idann wissenschaftlich auswerten wollen. Im licher Gemeinden. Schon aus der Verantwortung
übrigen habe ich Ihnen bereits in meiner Antwort meines Ressorts heraus kann ich es nicht vertreten,
auf Ihre Frage mitgeteilt, daß wir gerade dabei sind, daß Mittel für die Landwirtschaft vorwiegend
mit den Ländern die nötigen Erfahrungen zu sam- städtischen Zwecken zugeführt werden. Das würde
meln, um daraus dann die Schlüsse zuziehen, sei nämlich zu einer weiteren Verzerrung meines Haus-
es auf Idem rechtlichen, sei es auf 'dem Förderungs- halts führen, der sowieso nicht immer in einer sehr
sektor. glücklichen Optik dasteht.
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode -- 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. März 1970 1785
Vizepräsident Dr. Schmid: Noch eine Zusatz- Rentnern für ihre Krankenversicherung zu tragen.
frage. den Beitrags.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Härzschel.
Dr. Hermesdorf (Sehleiden) (CDU/CSU) : Herr
Minister, glauben Sie, 'daß durch die Angliederung
- bis-
früher ländlicher Gemeinden an eine Stadt der Härzschel (CDU/CSU) : Herr Präsident! Meine
her ländliche Raum zu einem städtischen wird? Ist sehr verehrten Damen und Herren! Wir hatten ur
Ihnen bekannt, daß die Auswirkungen dieses Ihres sprünglich vor, eine kurze Erklärung zu der dritter.
Erlasses vom 4. August 1969 auf die Gebühren- Lesung abzugeben. Aber die Ausführungen von
haushalte unerträglich sind und daß vor allem noch Herrn Professor Schellenberg zwingen mich, einige
die Schwierigkeiten hinzukommen werden, die auf Worte zu diesen Vorwürfen zu sagen, die so ein-
Grund der Mehrbelastung durch den Schuldendienst fach nicht im Raum stehenbleiben können.
aus notwendigen zukünftigen Projekten mit Sicher- (Sehr wahr! bei der CDU/CSU.)
heit erwachsen werden?
Meine Damen und Herren, hier stand nicht so-
sehr die Sachfrage im Vordergrund, sondern es
Ertl, Bundesminister für Ernährung, Landwirt- wurdeiTnzschtba,deCDU/Sinf
schaft und Forsten: Herr Kollege Dr. Hermesdorf, als unsozial und rentnerfeindlich abzustempeln. Da-
das ist wieder ein sehr differenziertes Problem. Er- gegen wehren wir uns mit aller Entschiedenheit.
stens kann man das nicht global entscheiden, son-
dern man kann immer nur von Fall zu Fall entschei- (Beifall bei der CDU/CSU.)
den. Zweitens bin ich nach wie vor der Meinung,
daß dann, wenn eine ländliche Gemeinde in einen Vizepräsident Dr. Schmid: Herr Abgeordne-
städtischen Bereich eingegliedert wird, eine weit- ter, darf ich Sie kurz unterbrechen. Mir wird soeben
gehende Integration mit der Stadt erfolgt. Das kann mitgeteilt, daß der Verteidigungsminister morgen
ich Ihnen aus eigener Erfahrung sagen. Ich stamme doch da sein wird. Die ihm geltenden Fragen wer-
aus einer Vorstadtgemeinde im Raum München den also morgen beantwortet werden können.
und konnte diesen Eingliederungsprozeß mit eige- Ich bitte um Entschuldigung für die Unterbrechung.
nen Augen verfolgen.
Härzschel
versprochen haben, was Sie hinterher nicht halten Wir standen mit unseren Bedenken ja nicht allein,
konnten. Von daher hat die ganze Entwicklung erst sondern sie sind auch vom Sozialbeirat geteilt wor-
den Anfang genommen. den. Lesen Sie doch einmal nach, was der Sozial-
(Beifall bei der CDU/CSU.) beirat im einzelnen gesagt hat, vor allen Dingen
auch das, was er zu der Eile erklärt hat, mit der Sie
- den Entwurf eingebracht haben. Sie sollten also
Vizepräsident Dr. Schmid: Gestatten Sie eine
Zwischenfrage? —
nicht so tun, als sei nur die CDU daran schuld, daß
alles so langsam gehe und die Dinge nicht schon
längst erledigt worden seien. Jedermann kennt doch
Geiger (SPD) : Herr Kollege Härzschel, ist Ihnen die Zusammenhänge. Unsere Fragen waren berech-
denn nicht klar, daß schon seit Einführung des Rent- tigt, wie die Fragestunde gezeigt hat. Denn es
nerkrankenversicherungsbeitrages Unruhe besteht, wurde deutlich — Sie brauchen nicht zu lächeln,
weil in der Rezession gerade die Rentner belastet
Herr Professor Schellenberg —,
worden sind, und später, weil die Rentner erwarten
konnten, daß diese Maßnahme in der Hochkonjunk- (Abg. Wehner: Das darf er doch wohl!)
tur zurückgenommen wird? daß die Probleme vorher nicht mit der Bundesbank
abgestimmt worden waren. Das ist eine Tatsache,
Härzschel (CDU/CSU) : Herr Kollege Geiger, es und .das mußten Sie doch zugeben, als der Entwurf
ist nur verwunderlich, daß Sie das nicht früher auf- eingebracht wurde. Wir sind der Meinung, daß dies
gegriffen haben. Das steht weder in Ihrem Pro- alles — davon zeugt auch Ihr Entwurf — in einer
gramm noch sonstwo. Es war auch in der Regie- Hast vorgelegt worden ist, die dem Anliegen an
rungserklärung nicht erwähnt, obwohl es doch nach sich nicht gerecht wird. Schließlich mußte Ihnen der
ihrer Meinung s o wichtig war. Bundesrat nachweisen, daß Sie einige beachtliche
(Beifall bei der CDU/CSU.) Regelungen vergessen hatten. Das beweist doch, daß
Sie ihn nicht richtig durchdacht haben.
Vizepräsident Dr. Schmid: Eine weitere Zwi- (Abg. Geiger: Was denn? Es ist doch gar
schenfrage? — Bitte! nichts geändert worden!)
— Die Übergangsvorschriften!
Dr. Stark (Nürtingen) (CDU/CSU) : Herr Kollege
Härzschel, ist es nicht 'so, daß die Abschaffung des (Abg. Dr. Schellenberg: Na ja!)
zweiprozentigen Rentnerbeitrages zur Krankenver-
sicherung weder in 'der Regierungserklärung noch — Immerhin! Das zeigt doch, daß Sie daran nicht
sonst irgendwo vorgesehen war und daß sie ledig- gedacht haben.
lich die Alternative dazu war, daß man das nicht (Abg. Dr. Klepsch: Sehr gut!)
durchführen konnte, was man den Rentnern nach der
Wahl versprochen hatte, nämlich zunächst 100 DM Etwas anderes. Sie werfen uns vor, wir verträten
Weihnachtsgeld, dann 50 DM, dann gar nichts? in fünf Sprachen sechs verschiedene Meinungen. Das
ist auch eine Unwahrheit. Wir haben lediglich die-
(Beifall bei der CDU/CSU.)
jenigen Probleme, die neben dem 2%igen Kranken-
versicherungsbeitrag anstehen, angesprochen, und
Härzschel (CDU/CSU) : Genauso war es. Bei das sind eine ganze Menge. Wir sind der Meinung,
unseren kritischen Fragen stand die finanzielle Soli- daß diese Anliegen in einer Gesamtkonzeption hät-
dität im Vordergrund, Herr Kollege Schellenberg. ten dargestellt werden sollen. Diese Gesamtkon-
Wir waren 'der Meinung, daß die Vorausschätzung zeption haben wir ganz einfach vermißt.
langfristig gesichert sein muß. Wir haben uns noch
vor sechs Monaten darum bemüht, die Finanzierung (Abg. Dr. Schellenberg: Haben Sie einen
langfristig zu ordnen. Sechs Monate später sind Antrag gestellt?)
plötzlich auf lange Sicht 29 Milliarden DM mehr in
Es bedeutet doch nicht, daß man sechs verschiedene
der Kasse. Zumindest muß man sorgfältig die Fakten
Meinungen hat, wenn man sagt: Hier und da und
prüfen, ob sie stimmen. Das darf uns hier nicht als
dort ist noch ein Problem, das nicht gelöst ist. Das
unsoziales Verhalten ausgelegt werden. Wir wollen
hat doch mit der gesamten Materie etwas zu tun.
nicht eventuell morgen wieder vor der Tatsache
stehen, daß wir den Rentnern etwas gegeben haben, (Abg. Dr. Klepsch: Sehr gut!)
was wir ihnen dann vielleicht wieder nehmen müs-
sen. Sie selber haben in Ihrer Begründung des Ent-
(Abg. Wehner: Wir haben ihnen vorher wurfs und auch in der ersten Lesung deutlich ge-
etwas genommen, und jetzt geben wir es macht, daß e s andere Probleme gibt. Ich erinnere
ihnen!) nur daran, daß Sie das niedrige Rentenniveau be-
klagen. Herr Killat hat das auch getan. Selbstver-
— Sie waren doch dabei und haben zugestimmt! ständlich tun wir das alle. Aber wir fragen uns,
(Abg. Wehner: Natürlich, sicher!) wenn ein Rentner mit einer Rente von 300 DM
Gerade aus diesem Grund, Herr Kollege Wehner, jetzt 6 DM mehr bekommt, ob das seine Existenz
wollten wir dafür sorgen, daß diese Dinge auch lang entscheidend verbessert oder ob nicht zusätzlich
fristig gesichert sind, wenn wir jetzt etwas ändern. etwas getan werden müßte.
(Abg. Dr. Klepsch: Sehr gut!) (Abg. Dr. Klepsch: Sehr richtig!)
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. März 1970 1787
Härzschel
Das ist doch die Frage. In der Rentenversicherung muß und daß die Bundesregierung im Bundeshaus-
stehen eine ganze Menge anderer Probleme an, über halt dazu nichts beiträgt.
die wir gern im Zusammenhang damit gesprochen (Zustimmung bei der CDU/CSU.)
hätten.
(Sehr richtig bei der CDU/CSU.) Ich habe vorhin schon gesagt: wir stimmen der
- den Abschaffung dieses Beitrags zu,
Ich bedauere auch, daß Sie in Ihrer Rede
Bundeszuschuß überhaupt nicht erwähnt haben. Der (Abg. Dr. Schellenberg: Na also!)
Sozialbeirat und alle Sachverständigen haben sehr
deutlich zum Ausdruck gebracht, daß dieser Bundes- und wir begrüßen es, daß dadurch die Lage der
Rentner verbessert wird, besonders auch deshalb,
zuschuß in einem engen Zusammenhang mit der Ein-
weil die Situation der Rentner durch die inzwischen
führung des 2%igen Beitrags stand und gleichzeitig
eingetretenen anhaltenden Preissteigerungen we-
mit dem Wegfall dieses Beitrags auch wieder voll
sentlich verschlechtert worden ist, und das trifft in
ausgewiesen werden müßte. Das alles haben Sie
erster Linie gerade die niedrigen Einkommen.
nicht erwähnt. Ich erinnere mich noch, wie gerade
Sie früher beklagt haben, daß der Bundeszuschuß (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)
prozentual sinken würde. Rechnen Sie einmal nach,
wie es damit heute unter Ihrer Regierungsverant- Auch das ist ein sozialer Aspekt: Sie geben hier auf
wortung steht. der einen Seite etwas, was Sie auf der anderen wie-
der nehmen.
(Sehr richtig bei der CDU/CSU.) (Beifall bei der CDU/CSU.)
Auch die Frage, inwieweit eine Prognose für die Die Statistiken zeigen eindeutig, daß die Rentner am
Zukunft möglich ist, muß sehr sorgfältig geprüft stärksten von diesen Preissteigerungen betroffen
werden. Wir glauben, daß die gegenwärtige Ent- sind. Diese Frage muß man auch einmal von dem
wicklung nicht isoliert gesehen werden kann, son- Gesichtspunkt her sehen, nicht nur immer allein
dern nur eine langfristige Sicherung zu vernünftigen vom sozialpolitischen Standort. Die Zusammenhänge
Ergebnissen führen wird. zwischen Sozial- und Wirtschaftspolitik sind hier
(Abg. Dr. Klepsch: Das ist es!) besonders deutlich. Deshalb erwarten wir auch von
der Bundesregierung, daß sie hinsichtlich der Bun-
Sie haben so getan, als sei in der Kasse eigentlich deszuschüsse bei der Fortschreibung ihrer mittel-
noch eine Reserve. Dazu ist zu sagen, daß das fristigen Finanzplanung die notwendigen Erhöhun-
offenbar nicht stimmt. Denn es muß doch festgehal- gen eventuell auch über das jetzt im Gesetz vorge-
ten werden, daß die neuen Vorausberechnungen sehene Ausmaß hinaus, rechtzeitig einplant. Die
auch nach den Aussagen der Sachverständigen und finanzielle Basis der Rentenversicherung muß auf
des Staatssekretärs keinerlei 'Reserven mehr enthal- jeden Fall gestärkt werden, damit Beitragserhöhun-
ten. Ein Spielraum für weitere wichtige Vorhaben, gen in der Zukunft vermieden werden und damit
beispielsweise für die Beseitigung von Härten in gleichzeitig ein Spielraum
der Rentenversicherung oder für Leistungsverbesse-
rungen, ist nicht vorhanden. Es wäre auch notwen- (Abg. Dr. Schellenberg: Sie machen schon
dig, im Interesse der Öffentlichkeit einmal die wieder mies!)
unterschiedliche Auffassung zwischen Herrn Mini- für die Weiterentwicklung des Rentenrechts bleibt.
ster Arendt und Herrn Staatssekretär Auerbach in — Herr Professor Schellenberg, wir haben im Aus-
dieser Frage klarzustellen. schuß wiederholt Fragen gestellt, die uns nicht be-
(Sehr richtig bei der CDU/CSU.) antwortet worden sind. Eine dieser Fragen war die
nach den 18 Prozent. Sie haben nicht eindeutig
Der eine sagt, es sei kein Spielraum vorhanden, der erklärt, ob Sie über diese 18 Prozent Beitrag hin-
andere redet draußen von möglichen weiteren Ver- ausgehen wollen oder nicht. Das scheint mir aber
besserungen. eine wesentliche Frage zu sein. — Bitte!
(Zuruf von der CDU/CSU: Je nachdem, wo
man redet!) Dr. Schellenberg (SPD) : Herr Kollege Härz-
Das alles sind Dinge, die uns natürlich beunruhigen schel, ist Ihnen nicht bekannt, daß wir bei den Vor-
und über die wir Klarheit haben möchten. ausberechnungen von den Beitragssätzen ausgegan-
gen sind, die im letzten Jahr gesetzlich festgelegt
Ich möchte im übrigen auch davor warnen, künf- wurden?
tig in die Berechnungsgrundlage etwa eine größere
Inflationsrate einzubauen; denn das wäre sicher
nicht im Interesse der Rentner. Härzschel (CDU/CSU) : Ich frage mich dann nur,
warum Sie nicht ganz offen erklären: Wir werden
(Beifall bei der CDU/CSU.) über die 18 Prozent nicht hinausgehen.
Eines muß noch erwähnt werden: Sie stellen die (Zurufe von der CDU/CSU: Sehr gut! Er
Sache so dar, als wäre das ein großartiges Geschenk klären Sie es doch jetzt! — Abg. Dr. Schel
der Regierung. Sie müssen doch zugeben, daß das in lenberg: Wissen Sie nicht, daß es für uns
erster Linie von den Versicherten der Arbeiterren- selbstverständlich ist, daß wir uns an die
tenversicherung und der Angestelltenversicherung Berechnungsgrundlagen und Beitragssätze
— von denen im besonderen — aufgebracht werden halten?)
1788 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. März 1970
Härzschel
— Wenn das so selbstverständlich wäre, hätten Bauchweh hatten, als sie es aus Koalitionsgründen
Sie sich nicht so oft danach fragen lassen, ohne eine mit beschließen mußten.
Antwort zu geben. (Lachen bei der CDU/CSU. — Abg. Franke
(Beifall bei der CDU/CSU. — Zurufe von [Osnabrück] : Aber zugestimmt haben die
der SPD: Unverschämtheit!) Brüder!)
-
So sind die Dinge nun einmal. Bitte, meine Damen
Vizepräsident Dr. Schmid: Gestatten Sie eine und Herren, lesen Sie die Protokolle von damals
Zwischenfrage? nach! Es wurde damals von den sozialdemokrati-
schen Kollegen eindeutig erklärt: Sobald wir kön-
nen, sobald wir die Dinge wieder im Griff haben,
Müller (Berlin) (CDU/CSU) : Herr Kollege Härz-
werden wir uns dafür einsetzen, das wieder abzu-
schel, würden Sie nicht Herrn Schellenberg einmal
schaffen.
fragen, ob mit der Einführung des Rentnerkranken-
versicherungsbeitrages und zur Sicherung der Ren- Wir haben damals — auch das möchte ich hier
ten für die Zukunft auch der Beitrag ab 1973 auf ganz eindeutig sagen — von Anfang an von dieser
18 % erhöht werden muß und ob man nicht genau Manipulation nichts gehalten. — Bitte schön, Herr
dieselbe Frage hätte stellen müssen, nämlich inwie- Kollege.
weit der Beitrag dann, nachdem ein höheres Bei-
tragsaufkommen zu verzeichnen ist, wieder gesenkt Vizepräsident Dr. Schmid: Zunächst hat Herr
werden kann? Kollege Müller das Wort zu einer Zwischenfrage.
(Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Geiger:
Fragen Sie auch gleich, warum im Bundes Müller (Berlin) (CDU/CSU) : Herr Kollege
haushalt im Jahre 1967 so wenig eingesetzt Schmidt, war es denn nicht auch ein Unrecht, daß
worden ist!) man seinerzeit mit der Einführung des Rentenkran-
kenversicherungsbeitrags auf Vorschlag des Herrn
Abgeordneten Schellenberg den Beginn der Rente
Härzschel (CDU/CSU) : Ichglaube, es ist deut- einen Monat zurückgesetzt hat und die Anrechnung
lich geworden, daß das, was hier an Vorwürfen des Arbeitslosengeldes auf den Rentenbezug ein-
erhoben wird, in keiner Weise gerechtfertigt ist und geführt hat? Warum hat man das nicht beseitigt?
stimmt.
(Beifall bei der CDU/CSU.)
Schmidt (Kempten) (FDP) : Herr Kollege Müller,
Ich muß zum Schluß noch einmal mit allem Nach- es ist, glaube ich, nicht meine Aufgabe, die damals
druck darauf hinweisen, daß wir uns dagegen weh- zwischen der Großen Koalition geführten Gespräche
ren, hier als unsozial dargestellt zu werden. Denn zu analysieren. Vielleicht waren Sie damals dabei;
wir haben in der Geschichte der Bundesrepublik in dann wissen Sie's ja. Sie mußten sich in einigen
verantwortlicher Regierungsarbeit einen Sozialstaat Fragen zusammenraufen; nun schön. Aber ich weiß
geschaffen, der sich in Europa und in der Welt jedenfalls eines noch sehr deutlich — ich habe es
sehen lassen kann. noch im Ohr —, nämlich daß die Sprecher der SPD
(Beifall bei der CDU/CSU.) damals sagten: Uns gefällt dieser Rentnerkranken-
Trotz der Mängel der Regierungsvorlage hinsicht- versicherungsbeitrag nicht, wir werden bemüht sein,
lich der Finanzierung und des offensichtlichen Feh- ihn bald wieder abzuschaffen. Das war auch unsere
lens einer Gesamtkonzeption über weitere Reform- Meinung. Deshalb haben wir damals gleich nein ge-
maßnahmen stimmen wir im Interesse und zum sagt, weil — —
Wohl der Rentner diesem Gesetz zu. Bitte schön, Herr Kollege. — Aber ich darf dann
(Beifall bei der CDU/CSU.) eventuell um Zeitverlängerung bitte, Herr Präsi-
dent.
Vizepräsident Dr. Schmid: Das Wort hat der Franke (Osnabrück) (CDU/CSU) : Herr Kollege
AbgeordntSchmi(Kpe). Schmidt, ich räume Ihnen ein, daß Sie damals dage
gengestimmt haben. Darf ich Sie bitten, zur Kennt-
Schmidt (Kempten) (FDP) : Herr Präsident! Meine nis zu nehmen, daß wir damals gemeinsam mit den
sehr geehrten Damen und Herren! Wenn jemand Sozialdemokraten ebenfalls Bauchweh hatten. Zwei-
erst um 15 Uhr den Saal betreten haben sollte oder tens darf ich die Frage stellen: Ist Ihnen bekannt, daß
vielleicht auf die Zuschauertribüne gekommen ist, ein prominenter Kollege der Sozialdemokraten, den
müßte er den Eindruck haben, daß es sich hier um ich hier schon einmal zitiert habe, schwarz auf
eine Debatte um die Zukunft der Rentenversiche- weiß von sich gegeben hat, daß er diesen zwei-
rung oder der Krankenversicherung oder sonst prozentigen Krankenversicherungsbeitrag für die
etwas handelt, während es doch in Wirklichkeit, Rentner eindeutig begrüßt?
meine Damen und Herren — wollen wir doch ein-
mal die Dinge wieder auf den Teppich bringen! —, Schmidt (Kempten) (FDP) : Ich habe schon einmal
darum geht, ein Unrecht zu beseitigen, das vor festgestellt, daß ich die Bauchwehkrankheiten der
zwei Jahren in diesem Hause beschlossen wurde Großen Koalition zur damaligen Zeit hier nicht ana-
und bei dem - das darf ich offen sagen — die Kol- lysieren möchte. Auch Sie haben sicher, im Unter-
legen der sozialdemokratischen Fraktion sehr viel bewußtsein zumindest, Bauchweh gehabt. Denn Sie
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. März 1970 1789
Schmidt (Kempten)
haben das Ding „Rentnerkrankenversicherungsbei- ren, aber wir können sie gern gemeinsam nach-
trag" genannt, also einen Beitrag zur Krankenver- lesen.
sicherung, während es in Wirklichkeit dazu diente, (Abg. Härzschel: Wer hat dagegen gespro
die Rente zu finanzieren, und eine Rentenkürzung chen?)
mit einem Eingriff in das System war. Machen wir
— Ich habe ja soeben festgestellt: die drei Strömun-
uns da gar nichts vor. - gen, die auftauchten, die auch im Ausschuß vor-
handen waren. Und ich kann mich an das „Jein" im
Vizepräsident Dr. Schmid: Herr Kollege, Herr Ausschuß vom ersten Tag der Beratungen an erin-
Ott möchte auch noch eine Frage stellen. nern. Ich kann mich sehr gut an den Kollegen Ruf
als ersten Ausschußsprecher Ihrer Fraktion erin-
nern, der zunächst einmal sagte: Wir werden dem
Schmidt (Kempten) (FDP) : Bitte schön, Herr Kol- Gesetz zustimmen, aber, aber, aber ...! Dann kam
lege Ott. eine lange Litanei mit allen möglichen Vorstellungen,
inwieweit die Rentenversicherungen in Schwierig-
keiten kommen könnten und, und, und ...! Heute
Ott (CDU/CSU) : Herr Kollege Schmidt, würden
sind wir doch dabei — und darauf kommt es meines
Sie mir widersprechen, wenn ich behaupte, daß das
Erachtens an—, dafür zu sorgen, daß endlich — das
gemeinsame Bauchweh daher gekommen ist, daß
war unser Ziel — dieser zweiprozentige Renten-
der zu Ihrer Fraktion gehörende Bundesfinanz-
abzug - ich will es mal so nennen — in Zukunft
minister uns die Kasse in dieser Situation überlas-
verschwindet und ab 1. Januar zurückgezahlt wird.
sen hat?
Das, meine Damen und Herren, begrüßen wir Freien
(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU.) Demokraten. Wir hoffen, daß man bei all den neuen
und notwendigen Überlegungen, die wir weiter an-
stellen werden im Bereich der Rentenversicherung
Schmidt (Kempten) (FDP) : Herr Kollege Ott, ich
-- ich denke an die Frage der flexiblen Alters-
kann Ihnen persönlich nicht sehr gut widersprechen,
grenze —, und auch bei den Überlegungen, die wir
weil Sie diesem Hause noch nicht angehörten,
in Richtung auf eine Krankenversicherungsreform
(Zurufe von der CDU/CSU) in diesem Hohen Hause anstellen müssen, nie wie-
der auf den Gedanken kommt, mit manipulierten
als der unserer Fraktion zugehörige Finanzminister Sachen zu arbeiten, sondern dann offen und ehrlich
bereits sehr eindeutig in einem Brief an den da- sagt: Dieses oder jenes muß aus den oder jenen
maligen Bundeskanzler — vor der Bundestagswahl Gründen geschehen, und nicht sagt: Wir nehmen
1965 — auf diese Probleme hingewiesen hat. Den dir einen Krankenversicherungsbeitrag weg, um
Brief kennen Sie aber auch. Nur kann ich Ihnen deine Rente praktisch zu verkürzen bzw. sie wieder
nicht widersprechen, weil. Sie damals noch nicht im mit zu finanzieren — was im Endeffekt durch die
Hause waren. Zahlenentwicklung aus dem Wege geräumt ist.
Nun aber wieder zur Sache. Ich habe soeben Ich glaube, über diese Frage ist wirklich schon oft
schon gesagt: das Bauchweh war berechtigt. Man diskutiert worden. Lassen Sie mich daher abschlie-
sprach von Krankenversicherungsbeitrag, und es ßend noch einmal sagen: Wir Freien Demokraten
ging in die Rentenkassen. Wie das draußen be- freuen uns, daß unsere damalige Vorstellung heute
urteilt worden ist, hat ja der uns bzw. der Regie- die Mehrheit des Hauses gefunden hat. Wir freuen
rung sicher nicht besonders nahestehende „Münch- uns, daß die Sozialdemokraten, von denen ich, wie
ner Merkur" unter dem 23. Januar 1970 in der gesagt, weiß, daß sie diesen Schritt damals nicht
Überschrift mit „Bonner Notlüge" bezeichnete. Es sehr gern taten, der gleichen Meinung waren, so
war auch nichts anderes als eine Manipulation, es daß diese Bundesregierung auf Grund dessen einen
war nichts anderes als ein Vertuschen der Tatsache, entsprechenden Vorschlag vorgelegt hat. Wir sind
daß man die Renten etwas kürzen wollte, aber Ihnen dankbar, meine Damen und Herren von der
einen Aufhänger dafür brauchte. Das hat mein Kol- CDU/CSU, daß Sie — trotz neuem Bauchweh, das
lege Spitzmüller damals sehr eindeutig diesem mag ja sein — doch die Zustimmung gegeben
Hohen Hause vorgetragen. Daran werden Sie sich haben.
alle erinnern können. Wir haben damals darauf (Beifall bei den Regierungsparteien.)
hingewiesen, daß wir von unserer Seite alles tun
werden, daß diese Frage wieder vom Tisch kommt Vizepräsident Dr. Schmid: Das Wort hat der
und daß hier eine Korrektur erfolgt. Deshalb Abgeordnete Schellenberg.
freuen wir Freien Demokraten uns, daß es gelungen
ist, jetzt trotz allem Hin und Her, trotz der Tatsache, Dr. Schellenberg (SPD) : Herr Präsident! Meine
daß man sehr, sehr unterschiedliche Meinungen ge- Damen und' Herren! Nur zwei kurze Bemerkungen.
hört hat, einstimmig diese Korrektur vorzunehmen.
Erstens. Die Bundeszuschüsse werden sich nach
Ich glaube, es wäre gar nicht notwendig gewesen
dem von der Bundesregierung vorgelegten Finanz-
— es hat auch nicht ganz den Tatsachen entspro-
plan folgendermaßen entwickeln: 1969 = 10,4 Mil-
chen —, daß Sie, Herr Kollege Härzschel, sagen, die
Vorwürfe, die der Kollege Schellenberg erhoben liarden DM Bundeszuschüsse, ansteigend bis 1973
auf 14,9 Milliarden DM Bundeszuschüsse. Das ist
hat, stimmten nicht. Ich kann mich noch an die erste
eine gewaltige Erhöhung.
Lesung erinnern, an die drei Strömungen, die hier
auftauchten. Ich will sie nicht noch einmal analysie (Abg. Härzschel: Gemessen am Haushalt!)
1790 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. März 1970
Dr. Schellenberg
Zweitens, Herr Kollege Härzschel, es ist eine Wenn Sie davon 'sprechen, daß wir darüber rede-
böswillige Unterstellung, wenn Sie behaupten, wir ten, eine flexible Altersgrenze einzuführen, dann
hätten keine klare Aussage zu der Höhe der Bei- müssen Sie den vollen Text meiner Rede lesen
tragssätze gemacht. Die Beitragssätze sind durch und nicht das, was verkürzt in der Zeitung steht.
das Dritte Rentenversicherungs-Änderungsgesetz Ich habe gestern in Frankfurt vor dem Verband der
festgelegt: ab 1. Januar 1970 17 %, ab 1. Januar Deutschen Rentenversicherungsträger gesagt, daß
1973 18 % und es bleibt bis 1985, bis zur vollen wir verschiedene Möglichkeiten prüfen und ganz
Überwindung des Rentenberges mit bruttolohndy- sicher am Ende dieses Jahres in der Lage sind, kon-
namischer Rente bei diesem Beitragssatz von 18 %. krete Vorschläge zu machen und diese Vorschläge
Das war die gemeinsame Auffassung des Hauses bei unter ,dem Gesichtspunkt der größeren sozialen Ge-
Verabschiedung des Dritten Rentenversicherungs- rechtigkeit zur Diskussion zu stellen.
Änderungsgesetzes, und zu dieser Auffassung steht (Beifall bei der SPD.)
selbstverständlich die Sozialdemokratische Partei.
Lassen Sie mich zu diesem Gesetz sagen: Es fügt
(Beifall bei der SPD. — Abg. Härzschel: sich nahtlos in das Konzept der größeren sozialen
Warum haben Sie , das nicht gleich gesagt!) Gerechtigkeit ein. Nicht nur ein roter Faden, son-
dern ein dickes rotes Tau läuft durch d i e s e Maß-
nahmen hindurch.
Vizepräsident Dr. Schmid: Das Wort hat der
Bundesarbeitsminister. Wenn Sie davon sprechen, daß wir keinen Spiel-
raum mehr haben, dann ist, glaube ich, sowohl in
den Ausschußberatungen als auch bei der Anhö-
Arendt, Bundesminister für Arbeit und Sozial- rung der Sachverständigen, aber auch bei dem Ab-
ordnung: Herr Präsident! Meine sehr verehrten stimmungskreis, deutlich geworden, daß durch die
Damen und Herren! Ich hatte nicht die Absicht, die finanzielle Entwicklung bei den Rentenversiche-
Diskussion neu in Gang zu setzen, sondern ich rungsträgern bei keinem Rentner draußen im Lande
wollte nur ein paar Bemerkungen machen, Bemer- die Sorge aufkommen muß, daß er keine Sicherheit
kungen des Dankes an die Mitglieder des Aus- in der Rentenzahlung hat. Das ist sichergestellt!
schusses, die das Gesetz s o schnell und zügig bera-
ten haben, so daß wir heute schon die zweite und (Beifall bei der SPD.)
dritte Lesung in diesem Hohen Hause vornehmen Darauf wird diese Regierung wie dieses Hohe Haus,
können. so nehme ich an, achten: daß keine Gefährdung - der
finanziellen Grundlagen eintritt.
Erlauben Sie mir aber dennoch einige Bemerkun-
gen zur Sache selbst. Diese Regierung ist unter der
Devise der größeren sozialen Gerechtigkeit ange- Vizepräsident Dr. Schmid: Gestatten Sie eine
treten. Zwischenfrage des Abgeordneten Götz?
(Abg. Härzschel: Größere!?)
— Größere, natürlich! Dr. Götz (CDU/CSU) : Herr Bundesarbeitsmini-
ster, Sie sprachen von der Frage, ob noch ein Spiel-
Wenn Sie einmal die Vorhaben, die in den ver-
raum vorhanden ist oder nicht. Ist Ihnen nicht be-
gangenen 19 Wochen eingeleitet, kannt, daß auch der Sozialbeirat in seiner Stellung-
(Zuruf von der CDU/CSU: Abgebrochen!) nahme erklärt hat, daß nach den jetzigen Voraus-
berechnungen, die Ihr Haus im Zusammenhang mit
durchgeführt und realisiert worden sind, — —
dem Abstimmungskreis angestellt hat, trotz der als
(Zuruf von der CDU/CSU: Realisiert noch günstiger angenommenen Einnahmeentwicklung —
gar nicht!) so der Sozialbeirat — kein solcher Spielraum mehr
— doch, das sage ich Ihnen jetzt. Die Kriegsopfer- für strukturelle Verbesserungen vorhanden ist, und
versorgung ist beispielsweise schon verabschiedet daß dies auch Ihr Staatssekretär im Ausschuß er-
worden. klärt hat?
(Beifall bei der SPD. — Abg. Härzschel: Die
hat der Bundestag verabschiedet!) Arendt, Bundesminister für Arbeit und Sozial-
ordnung: Mir ist auch bekannt, Herr Kollege, daß
— Natürlich hat das der' Bundestag gemacht. Aber der Sozialbeirat und der Abstimmungskreis unsere
das brauchen Sie mir nicht zu erzählen, das weiß finanziellen Berechnungen als realistisch bezeichnet
ich auch, und das wissen Sie, daß der Bundestag hat. Mir ist noch eines bekannt — wenn Sie mich
das macht. schon fragen —: Als 1967 dieser Krankenversiche-
(Zurufe von der CDU/CSU.) rungsbeitrag der Rentner eingeführt wurde, war
von Gesamtkonzeption überhaupt nicht die Rede; da
— Lassen Sie mich das einmal aufzählen. Zweitens: gab es noch nicht einmal eine Vorausschau für zwei
Wir haben die Unterhaltsbeihilfen für Umschüler Jahre, geschweige denn für 15 Jahre. Das muß auch
erhöht und dynamisiert. Drittens: Die Regierung einmal gesagt werden.
— das hat der Bundestag noch nicht gemacht; das
macht erst der Bundesrat und dann kommt es erst (Beifall bei der SPD.)
in den Bundestag — hat eine Novelle zum Zweiten
Vermögensbildungsgesetz vorgelegt, die eine grö- Vizepräsident Dr. Schmid: Gestatten Sie eine
ßere soziale Gerechtigkeit beinhaltet. Zwischenfrage?
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. März 1970 1791
Dr. Schellenberg (SPD) : Herr Minister, würden Ich rufe nunmehr Punkt 5 der Tagesordnung auf:
Sie dem Hause mitteilen können, daß schon jetzt a) Beratung des Berichts der Bundesregierung
die tatsächlichen Einnahmen der Rentenversiche- über die Lage der Landwirtschaft gemäß § 4
rung für Ende 1969 und Anfang 1970 um über 1 Mil- des Landwirtschaftsgesetzes und Maßnahmen
liarde DM günstiger sind als die Zahlen, die heute der Bundesregierung gemäß Landwirtschafts
der Beratung zugrunde liegen? • - gesetz und EWG-Anpassungsgesetz
— Drucksache VI/372 —
Arendt, Bundesminister für Arbeit und Sozial- b) Erste Beratung des von der Fraktion der
ordnung: Herr Kollege Schellenberg, da Sie es ge- CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Ge-
rade gesagt haben, brauche ich es nicht mehr zu setzes zur Nachversicherung landwirtschaft
sagen; es ist so, wie Sie sagen. Deshalb würde ich licher Unternehmer in der gesetzlichen Ren-
sagen: Diese finanzielle Grundlage, an der wir doch tenversicherung
alle ein Interesse haben, wird auch in der nächsten
—Drucksache VI/438 —
Zeit und in die nächste Zukunft hinein solide und
ausreichend fundiert sein und bleiben. Aber das Das Wort 'hat der Abgeordnete Dr. Ritz. Seine
entbindet uns nicht von der Verpflichtung, das zu Fraktion hat gebeten, seine Redezeit auf 45 Minuten
tun, was unter dem Stichwort der größeren sozialen festzusetzen; dies geschieht hiermit.
Sicherheit und Gerechtigkeit zu verstehen ist. Hin-
sichtlich dieses Gesetzes ist zu sagen — das wissen
auch Sie —, die 9,5 Millionen Rentner haben einen Dr. Ritz (CDU/CSU) : Herr Präsident! Meine sehr
unverhältnismäßig hohen Beitrag dazu geleistet, daß verehrten Damen und Herren! Zum 15. Mal ist uns
die Staatsfinanzen im Jahre 1967 wieder in Ordnung der Grüne Bericht der Bundesregierung vorgelegt
gebracht wurden; das ist gar keine Frage. worden, und zum 15. Mal haben wir damit Gelegen-
heit, wieder einmal agrarpolitische Bilanz zu ziehen
(Beifall bei der SPD.) und in diesem Haus auch über die agrarpolitische
Zukunft zu diskutieren.
Wenn heute die Voraussetzungen geschaffen sind,
daß wir durch den Wegfall des Rentnerkrankenver- Lassen Sie mich zuvor ein Wort des Dankes sagen
sicherungsbeitrags den alten Zustand wiederherstel- — noch nicht an den Herrn Minister, denn er ist
len, dann ist das auch unter dem Gesichtspunkt der noch gar nicht da. Mein Dank gilt den zahlreichen
größeren sozialen Gerechtigkeit zu verstehen. landwirtschaftlichen Testbetrieben, die seit vielen
Jahren mit zusätzlichem Zeitaufwand die Ergebnisse
Ich habe den Mitgliedern des Ausschusses für ihres Betriebes exakt erstellen. Mein Dank gilt auch
Arbeit und Sozialordnung für die zügige Behandlung den Beamten und Angestellten im BML, die seit
dieses Gesetzentwurfs zu danken. Ich kann meiner- Jahren diese Ergebnisse zu einem, wie ich meine,
seits für die Regierung versprechen, daß wir nach weit über die Grenzen unseres Landes hinaus be-
der Verabschiedung durch dieses Hohe Haus und achteten agrarpolitischen Zahlen- und Kommentar-
den Bundesrat alles daransetzen werden, die Aus- werk zusammengestellt haben. Ich meine, daß es
zahlung der Beträge an die Rentner recht schnell angebracht ist, an dieser Stelle herzlich Dank zu
vorzunehmen, damit diese Maßnahme auch in der sagen.
Praxis ihren Niederschlag findet und die Rentner (Beifall bei der CDU/CSU.)
in der Bundesrepublik Deutschland erkennen kön-
nen, daß für sie in dieser Zeit Maßnahmen einge- Die Agrarpolitik setzt noch stärker als die Wirt-
leitet werden, die der größeren sozialen Sicherheit schaftspolitik für (den allgemeinen Bereich der Wirt-
dienen. schaft ökonomische, soziale und gesellschaftliche
(Beifall bei der SPD.) Daten, die tief hineinreichen in den Entscheidungs-
bereich des einzelnen Betriebes. Der einzelne Land-
wirt richtet sich in seinen agrarpolitischen Entschei-
Vizepräsident Dr. Schmid: Weitere Wortmel- dungen sehr stark nach den agrarpolitischen Daten;
dungen liegen nicht vor. Wir kommen zur Abstim- diese Entscheidungen reichen von der Planung einer
mung in der dritten Beratung. Die Ausschußvor- Investition :bis hin zur Aufgabe des Betriebes oder
lage, wie sie in der zweiten Lesung behandelt wor- gar des Berufes.
den ist, ist in der dritten Lesung nicht verändert
Gerade deshalb, meine Damen und Herren, ist es
worden. Wir kommen daher sofort zur Gesamtab-
besonders notwendig, .daß sich die Agrarpolitik
stimmung. durch ein hohes Maß an Glaubwürdigkeit und poli-
Wer in dritter Beratung idem Entwurf eines Ge- tischer Standfestigkeit auszeichnet, damit diese Da-
setzes über den Wegfall des von den Rentnern für ten für den Landwirt dann auch zur Orientierungs-
ihre Krankenversicherung zu tragenden Beitrags zu- hilfe werden können. Wie wichtig für die Wirt-
stimmen will, möge sich erheben. — Gegenprobe! schaftspartner die ökonomischen Daten sind, wie
— Enthaltungen? — Ich stelle einstimmige Annahme sehr aber auch ein ständiges Hin und Her im Be-
fest. reich von Maßnahmen, Prognosen und Voraussagen
Wir haben nun noch abzustimmen über Ziffer 2 die Wirtschaftspartner verunsichern kann, haben
des Ausschußantrages, nach dem die zu dem Ge- wir leider alle hinlänglich in den letzten Wochen
setzentwurf eingegangenen Eingaben und Petitionen und Monaten erfahren müssen.
für erledigt erklärt werden sollen. Ich sehe keinen Gerade weil die Agrarpolitik, im wesentlichen
Widerspruch; es ist so beschlossen. geprägt durch die CDU/CSU und getragen von Mi-
1792 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. März 1970
Dr. Ritz
nistern der CDU und CSU, von Glaubwürdigkeit bungen dieser Art hat es Igegeben und gibt es noch,
und politischer Standfestigkeit getragen war, konnte wie wir alle wissen.
sich ein Strukturwandel in der Landwirtschaft voll-
Nun zur Würdigung der viereinhalb- bzw. fast
ziehen, und zwar geräuschlos, der sicher seinesglei-
fünfmonatigen Amtszeit unseres Bundeslandwirt-
chen sucht. Die von Höcherl konzipierte Agrarpoli-
- Daten schaftsministers Ertl. Herr Minister, wenn ich die
tik war richtig und erfolgreich. Ich glaube, die
Würdigung Ihrer Arbeit in einem Satz zusammen-
des Grünen Berichts weisen dies aus, und zwar so-
fassen sollte, so würde ich sagen: Sie bemühen sich,
wohl für die nationale als auch für die europäische
Agrarpolitik. das Agrarprogramm Ihres Amtsvorgängers fortzu-
führen und haben .das vor allem auch mit Ihrer Ein-
(Beifall bei der CDU/CSU. — Widerspruch bringungsrede getan, haben aber durch Worte und
bei der SPD.) Taten die geradlinige Fortentwicklung gebremst
Die Ergebnisse des Grünen Berichts 1970 spre- und gehemmt. Was zu 'beweisen ist!
chen ihre eigene Sprache. Man wird sich nicht mehr Herr Minister, Sie sind zwar nicht allein verant-
hinter Vorwürfen an frühere Regierungen verstek- wortlich für die Aufwertung, wohl aber für die Fol-
ken können, um den eigenen, i n der Regel doch gen, die der Landwirtschaft aus der Aufwertung
sehr dürftigen Einstand zu verbergen, wenn es dar- entstehen und entstanden sind.
um geht, über Agrarpolitik zu diskutieren.
(Zuruf von der FDP: Das ist aber gelogen!)
(Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Baron
von Wrangel: Sehr gut!) Wenn man berücksichtigt, daß Sie auch als Oppo-
sitionssprecher mit Ihren politischen Freunden drau-
Da ist dann von „Erbmasse" und von „Konkursver- ßen im Lande die Notwendigkeit der Aufwertung
waltung" die Rede. Nun, wer die Ergebnisse, die in auch für die Landwirtschaft als richtig und die nega-
diesem umfangreichen Zahlenwerk zusammenge- tiven Folgen als leicht abwendbar apostrophiert
stellt sind, sorgfältig studiert, wird diese Vorwürfe haben, dann kann man sich des Eindrucks nicht er-
nicht mehr aufrechterhalten können. wehren, daß Sie geradezu leichtfertig in Schwierig-
Meine Damen und Herren, Worte allein, viele keiten hineingeschlittert sind.
auch schöne Worte, j a, auch Besuche des Bauern- (Beifall bei der CDU/CSU.)
verbandes beim Bundeskanzler ersetzen nicht auf
Meine Damen und Herren, es kann doch gar kein
Dauer Politik.
Zweifel sein, daß heute die deutsche Agrarpolitik
(Sehr richtig! bei der CDU/CSU.) innerhalb der EWG, innerhalb des Ministerrats an
Diese Erkenntnis hat inzwischen auch in einer ent- die Wand gedrückt worden ist. Nehmen Sie doch
täuschenden Stellungnahme des Deutschen Bauern- nur anstehende Preisdebatten und Preisbeschlüsse.
verbandes .am 18. Februar ihren Niederschlag ge- Jeder Vorschlag in Richtung einer Preissenkung
funden. kann natürlich von den Franzosen sehr viel leichter
akzeptiert und aufgefangen werden als von uns,
Die Ergebnisse des Grünen Berichts machen für die wir durch die Aufwertung ohnehin um. 8,5 %
uns aber auch die ersten Erfolge des von Hermann zurückgeworfen sind.
Höcherl konzipierten Agrarprogramms sichtbar und
der daraus entwickelten Komponente der regionalen Das Zweite; auch darüber ist in der Vergangen-
Wirtschaftspolitik. heit hier noch gar nicht gesprochen worden. Ohne
(Zuruf von der SPD.) die Konsequenzen voll werten zu können, muß doch
gesagt werden: Was wird eigentlich nach der Über-
Trotz verbesserter Preis-Kosten-Relation — und gangszeit, nach dem Wegfall der Ausgleichsmaß-
dieses Ergebnis scheint mir bemerkenswert zu nahmen? Zumindest im nominalen Preisniveau hän-
sein — ist die Zahl der ausgeschiedenen Betriebe gen wir dann um rund 20 % gegenüber den Fran-
im Wirtschaftsjahr 1968/69 nicht etwa kleiner ge- zosen zurück. Ich glaube, e s ist an der Zeit, sich
worden, sondern gegenüber dem Vorjahr sogar ge- über diese Fragen Gedanken zu machen. Denn es
wachsen, ein Beweis für die unmittelbar notwendige ist offensichtlich abzusehen, daß die Währungs- und
Koordination und Verzahnung von Agrarstruktur Wirtschaftsunion nicht in den nächsten vier Jahren
und regionaler Wirtschaftspolitik, aber auch ein Wirklichkeit wird, sondern noch acht oder zehn
Beweis dafür, daß auch relativ gute Preise keines- Jahre auf sich warten lassen wird.
wegs den Strukturwandel hemmen, sondern eben-
falls ihn sich kontinuierlich fortentwickeln lassen, Aber, Herr Minister, wir haben auch Fragen an
worauf ich noch einzugehen habe. Sie zu den Ausgleichsmodalitäten selbst. Am
9. Februar ist in diesem Haus ein Entschließungs-
Meine Damen und Herren, wir sind auch der Mei- antrag der Fraktionen der SPD und der FDP ange-
nung, daß die Agrarpolitik unseres Freundes Hö- nommen worden — übrigens mit den Stimmen auch
cherl auch auf europäischem Parkett erfolgreich war. der Opposition —, in 'dem die Bundesregierung er-
Ich möchte in diesem Zusammenhang nur daran er- sucht wird, zu prüfen, ob bestimmten Betriebs- und
innern, daß es ihm mit seiner zähen und cleveren Unternehmensformen der Landwirtschaft, vor allem
Verhandlungskunst in den letzten Jahren gelungen solchen mit einer relativ starken Veredelungswirt-
ist, die Futtergetreidepreise entsprechend vielen schaft, nicht Nachteile aus diesem Gesetz entstehen.
wissenschaftlichen Erwägungen und Untersuchungen Es geht ,dabei vor allem um die Frage der Abgren-
an den Weichweizenpreis heranzuziehen und nicht zung im Bewertungsgesetz zwischen landwirtschaft-
eine gegenteilige Entwicklung einzuleiten. Bestre lichen und gewerblichen Betrieben und hier wieder
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. März 1970 1793
Dr. Ritz
vor allem um leistungsfähige mittelbäuerliche Be- Herr Ministér, ein weiteres Wort zur Frage des
triebe, die durch ein hohes Maß an innerer Auf- Verlustausgleichs. Sie haben am 19. Februar 1970
stockung — entsprechend vieler Empfehlungen übri- hier von diesem Platz aus gesagt — ich zitiere,
gens — nun doch eine Grenze gesetzt bekommen Herr Präsident —:
haben, die im Hinblick auf die 3 %-Regelung über Ich möchte sie
die Mehrwertsteuer für sie von allergrößter Bedeu-
tung ist. Wir haben bis heute, Herr Minister, von — die 920 Millionen DM —
Ihnen noch keine Antwort auf diesen Entschlie- aus vielerlei Gründen ... gern im Einzelplan 10
ßungsantrag gehört. behalten, weil ich damit ein echtes Instrument
meiner Agrarpolitik habe.
Der Herr Kollege Dr. Schmidt hat damals in der
Debatte gesagt, damit kämen die Dinge nun in Sie weisen dann auf den Verlustausgleichscharak-
Ordnung. Wo bleibt die Antwort, wo bleibt die ter dieser Mittel hin und fahren wörtlich fort:
Stellungnahme der Regierung? Sie
(Zuruf von der CDU/CSU: Er darf nicht!) - die Bundesregierung —
versteht sie
Oder, Herr Minister Ertl, sollte möglicherweise Ihre
Stellungnahme, Ihre Antwort blockiert sein durch — die 920 Millionen —
ein Versprechen, das Sie der niederländischen Regie aber auch als einen Teil einer möglichen Va-
rung gegeben haben sollen — ich betone: sollen —, riante in der Agrarpolitik.
wonach eine Änderung in der Abgrenzung zwischen (Hört! Hört! bei der CDU/CSU.)
landwirtschaftlichen und gewerblichen Betrieben
nicht vorgenommen werden darf für den Bereich Herr Minister, ich glaube, dieser Satz muß hier
dieser 3 %-Regelung? Herr Minister — ich sage noch heute interpretiert werden.
einmal „wenn das so wäre", ich will es nicht unter- (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)
stellen, aber ich muß hier fragen —, wenn das so
Uns scheint er nicht vereinbar mit Intention und
wäre, würden Sie damit nicht geradezu einen we-
Wortlaut des Gesetzes.
sentlichen Fortschritt in der Landwirtschaft auf vier
Jahre verhindern, gerade in jenen Betriebsgrößen (Beifall bei der CDU/CSU.)
und Typen, die mit Sicherheit auch morgen lei- Denn was anders könnte er andeuten, als daß man
stungsfähige Vollerwerbsbetriebe sein werden? diese Mittel möglicherweise für andere Maßnahmen
Hierauf brauchen wir heute eine Antwort. Wir müs- abzweigen wolle? Hierauf muß heute hier Antwort
sen alles verhindern, was einen Zustand zementiert, gegeben werden.
der viele Betriebe vom technisch-betriebswissen-
schaftlichen Fortschritt ausschließen würde. Meine Damen und Herren, ein Wort zur Agrar-
finanzierung. Sie, aber auch die Minister Möller und
Ein Wort zur Verteilung der 920 Millionen! Bis Schiller, haben wiederholt den Versuch gemacht,
heute liegt zwar kein Gesetz vor, aber noch früh die Regelung über die europäische Agrarfinanzie-
genug, nämlich gestern, ist uns immerhin bekannt- rung als einen großen Erfolg der Bundesregierung
geworden, daß nun die Kabinettsvorlage fertig ist. hinzustellen. Niemand von uns zweifelt daran, daß
Sie haben ja auch in Ihrer Einbringungsrede darauf wir einen angemessenen Beitrag zu leisten haben.
verwiesen, daß mit der Auszahlung der Gelder bis Aber ich glaube, unser Kollege Wagner hat mit
zur Mitte des Jahres zu rechnen ist. Nun, Herr Recht darauf hingewiesen, daß ein Ergebnis ab 1975
Minister, die Frage ist natürlich auch, wieweit die von 36 bis 38 % wirklich nicht dazu angetan ist, auf
vorgesehenen 1,7 Milliarden überhaupt dem hohen Erfolgseuphorie zu machen,
Anspruch noch gerecht werden, der Landwirtschaft (Sehr gut! bei der CDU/CSU)
einen Verlustausgleich zu gewähren, ob überhaupt
noch alle Grundlagen dieser Berechnung des Aus- sondern daß es uns sehr schwerfällt, zu den sich
gleichs stimmen. Ich denke hier z. B. an die Kosten- abzeichnenden Belastungen unser Jawort zu geben.
entwicklung, die ja sicher nicht den erhofften Ver- Aber auf diese Dinge müssen wir im 'einzelnen noch
lauf — den von Ihnen und uns erhofften Verlauf — zu sprechen kommen; diese Regelung bedarf ja der
genommen hat. Sie haben auch in den vergangenen Zustimmung dieses Hauses.
Wochen häufiger — zumindest erinnere ich mich, Herr Minister, Sie stehen zur Zeit vor schwierigen
es zweimal gelesen zu haben — auf die Möglichkeit preispolitischen Verhandlungen in Brüssel. Im Ge-
hingewiesen, daß den Betrieben, die auf Grund von gensatz zu FDP-Oppositionszeiten wollen wir Sie
Buchführungsergebnissen einen höheren Verlust heute nicht auf einen hundertstel Pfennig bei der
nachweisen, auch dieser Verlust entsprechend aus- Preisfestsetzung festlegen. Wir wollen Sie auch nicht
geglichen werden solle. Nun lesen wir heute — wir zu einer Politik ,des leeren Stuhls ermuntern, wenn
müssen uns auf Zeitungslektüre beschränken —, Ihre Vorstellungen nicht voll durchsetzbar sind.
daß davon Abstand genommen wird wegen ver- Aber wir können uns des Eindrucks doch nicht er-
waltungstechnischer Schwierigkeiten. Ich muß Ihnen wehren, daß in dieser Frage zur Zeit in dieser
sagen: verwaltungstechnische Schwierigkeiten sehe Regierung ein Spiel mit gezinkten Karten statt-
ich keine, möglicherweise aber natürlich finanztech- findet.
nische. Denn i n der Tat würde eine solche Regelung (Beifall bei der CDU/CSU. — Zuruf von der
möglicherweise den Ansatz wesentlich sprengen. SPD: Pfui!)
1794 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. März 1970
Dr. Ritz
— Meine Damen und Herren, wie anders wollen — Das war nun nicht meine Formulierung, Herr Kol-
Sie es denn erklären, daß der Herr Bundesminister lege Schäfer, sondern das stammt von Herrn Kolle-
immer wieder mit Nachdruck darauf verweist, daß gen Ertl und ist in diesem Hause in einer Sitzung am
es für die Deutschen nicht zumutbar ist, mit den 16. März 1967, in einer Debatte zum gleichen Thema
Preisen, etwa bei Weichweizen, herunterzugehen, wie heute gefallen.
- Bun-
während fast gleichzeitig der Staatssekretär im Es gibt nur einen entscheidenden Unterschied. Da-
deswirtschaftsministerium in der Tagesschau am mals mögen die Richtlinien spät gekommen sein,
7. März aber sie kamen. Damals war vor allem Geld da, näm-
(Zuruf des Abg. Wienand) lich 110 Millionen DM. In diesem Jahr sind aber
im Zusammenhang mit den Ergebnissen des Außen- weder Richtlinien noch Geld da. Man muß sich na-
ministerrates, im Zusammenhang mit den Beitritts- türlich fragen, ob es notwendig ist, für die 10 Mil-
verhandlungen sagt: „Wir hoffen, daß das Preis- lionen DM im Rahmen der Aktion 70 und die 20
niveau bis dahin niedriger sein wird, Millionen DM Verpflichtungsermächtigungen noch
Superminirichtlinien zu schaffen.
(Abg. Wienand: Wer hofft das nicht?)
woran wir ja jetzt arbeiten." — Ach, Sie hoffen das Herr Minister Ertl, die Länge der entsprechenden
Passage in Ihrer Einbringungsrede bezüglich Inve-
auch, Herr Kollege Wienand? Aha!
stitionshilfe und einzelbetrieblicher Förderung steht
(Zurufe von der SPD.) nun in der Tat in umgekehrtem Verhältnis zu dem
— Nein, nein, es ging um das Erzeugerpreisniveau, Mittelansatz.
Herr Kollege Wienand, daran ist in diesem Zusam- (Abg. Dr. Stark [Nürtingen] : Wie ist es mit
menhang gar kein Zweifel. der Regierungserklärung? Da wurde doch
(Dr. Stark [Nürtingen] : Das eine ist für die mehr versprochen!)
Bauern, und das andere ist für die Öffent — Darauf kommen wir noch.
lichkeit!)
(Abg. Wienand: Wieso umgekehrt?)
Meine Damen und Herren, das geht eben nicht. Man
kann in der Frage des Erzeugerpreisniveaus nicht — Lieber Herr Wienand, ich will es Ihnen gerne
vor Landwirten immer sagen: „Wir sind für hohe erklären. Die Erklärung war sehr lang, aber die Mit-
Preise" und dann, wenn man bei anderen Gruppen tel sind, wenn Sie so wollen, sehr kurz. Ich denke
ist, sagen: „Wir sind für niedrige Preise." vor allem an die Positionen vor dem Komma.
(Beifall bei der CDU/CSU. — Zuruf von (Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Dr.
der SPD.) Stark [Nürtingen] : Große Worte, kleine
Das ist doch der Punkt, und dazu muß hier und Taten!)
heute klipp und klar etwas gesagt werden. Ich bin Herr Bundesminister, Sie haben in Ihrer Ein-
der Meinung, hier sind so gravierende Wider- bringungsrede vor allem die Bedeutung der Zins-
sprüche in den Aussagen, verbilligung herausgestellt. Auch wir messen der
(Zuruf von der SPD: Nein!) Zinsverbilligung eine hohe Bedeutung zu, fragen uns
allerdings, ob es sinnvoll ist, etwa auf die Investi-
daß wir vom Bundeskanzler auch erwarten, daß er tionshilfe zu verzichten, wenn wir gleichzeitig sehen,
ein klärendes Wort in seiner Regierung spricht daß sich z. B. die Investitionsförderung im Rahmen
und für Klarheit sorgt. der regionalen Wirtschaftsförderung — bis zu 25 %
(Beifall bei der CDU/CSU. — Zuruf von der Investitionssumme — hervorragend bewährt,
der CDU/CSU: Kann er nicht!) und wenn wir gleichzeitig sehen, daß natürlich bei
Das ist nämlich das, was viele Landwirte draußen einem Wegfall dieser Investitionshilfen die kredit-
unsicher macht, unsicher bis in ihre betrieblichen mäßige Belastung der Betriebe in einem ungeheuren
Planungen und Entscheidungen hinein. Deshalb muß Maße strapaziert würde.
diese Ungewißheit beseitigt werden. Herr Minister, ein Blick auf die Förderungsmittel
Herr Minister Ertl, hier in diesem Hause ist zwar insgesamt zerstört die Legende von einem optimalen
schon der Haushalt Ihres Ressorts kurz debattiert Haushaltsvolumen. Ich nenne einige Zahlen: Ver-
worden. Aber da gerade im Einzelplan 10 am deut- besserung der Agrarstruktur minus 65 Millio-
lichsten wird, wie die geradlinige Fortentwicklung nen DM,
der Agrarpolitik gebremst wird, scheint es mir un- (Hört! Hört! bei der CDU/CSU.)
bedingt notwendig, auch an dieser Stelle ein Wort Modernisierung der betrieblichen Ausstattung minus
zu sagen; und zwar gebremst nicht nur im Hinblick 71 Millionen DM,
auf einzelne Titel, sondern gebremst im Hinblick auf
die gesamte Konzeption. (Hört! Hört! bei der CDU/CSU)
Einzelne Punkte möchte ich hier herausgreifen. landwirtschaftliche Sozialpolitik minus 48 Millio-
Ich bin neugierig, wann die Landwirtschaftsämter nen DM,
diesmal die Richtlinien für Investitionsförderung be- (Hört! Hört! bei der CDU/CSU)
kommen. Wahrscheinlich, wenn das Haushaltsjahr Rationalisierung der Vermarktung minus 77 Millio-
zu Ende geht! Aber es wird wieder regiert, und nen DM, Verbesserung der Einkommenslage der
zwar kraftvoll! landwirtschaftlichen Bevölkerung minus 172 Mil-
(Zuruf des Abg. Dr. Schäfer [Tübingen].) lionen DM. Darunter nun, meine Damen und Herren,
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. März 1970 1795
Dr. Ritz
findet sich ein Plus von 920 Millionen DM für den daß es ohne wesentliche Erhöhung der öffentlichen
Aufwertungsausgleich. Mittel keine Ergebnisse geben kann.
(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist der rote (Abg. Struve: Sehr richtig!)
Faden!) Man kann der Landwirtschaft nicht ständig empfeh-
Verehrter Herr Minister, wir meinen nach wie
- vor, len, sich den strukturellen Veränderungen anzupas-
daß die 920 Millionen DM in den Einzelplan 60 ein- sen — so steht es im Agrarprogramm —, und gleich-
gestellt werden sollten. Sie sind ja anderer Mei- zeitig die notwendigen, auch sozialpolitischen, Kon-
nung; es ist aber geradezu eine Irreführung der sequenzen daraus nicht ziehen wollen. Auf dem Ge-
Öffentlichkeit, wenn man sie unter der Position biete der Sozialpolitik kann man nicht husten wol-
„Verbesserung der Einkommenslage" etatisiert. len und gleichzeitig das Mehl im Mund behalten.
Das ist einfach unvereinbar. Hier muß man unter
(Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Rawe: Umständen klotzen, weil es anders nicht geht.
Das sind so die schönen Tricks!)
Herr Minister, noch ein Wort zum Haushalt. Sie
Herr Minister, das ist Augenauswischerei und Ihrer feiern die angeblich zusätzlichen 389 Millionen DM
doch immer auf Wahrheit und Klarheit angelegten als Erfolg Ihrer Politik. Dabei wird oft der Eindruck
politischen Konzeption nicht würdig. Das muß weg zu erwecken versucht — ich will nicht gerade sagen,
aus dieser Position. nur von Ihnen, aber z. B. auch in dem grünen Blätt-
(Abg. Saxowski: EWG-Anpassungsgesetz chen „Agrarpolitischer Rundbrief der Freien Demo-
kratischen Partei" ; ich kann mich nur wundern, wer
und Getreidepreisausgleich! — Weiterer
noch glaubt, was darin steht —, als handle es sich
Zuruf von der SPD: Dazu kann er nichts
bei diesen 389 Millionen DM um eine Summe, die
sagen, da weiß er nichts! — Zuruf von der
CDU/CSU: Das nach dieser Regierungser zusätzlich zum Haushalt 1969 gegeben wird. Davon
kann natürlich keine Rede sein. Es handelt sich
klärung!)
lediglich um eine Aufstockung der in der alten
— Stellen Sie Zwischenfragen; ich werde mich gar mittelfristigen Finanzplanung für 1970 vorgesehe-
nicht schwer tun, Kollege Saxowski, Ihnen dann eine nen Mittel. Wir wissen doch alle — das sollte auch
Antwort zu geben. Aber ich lasse mich nicht aus dem in den anderen Fraktionen respektiert werden —,
Konzept bringen. daß sowohl der damalige Bundesfinanzminister wie
(Zuruf von der SPD.) der damalige Landwirtschaftsminister wie der dama-
— Natürlich kommt das alles noch, Kollege Schmidt. lige Bundeskanzler, Herr Strauß, Herr Höcherl und
Herr Kiesinger, übereinstimmend davon ausgegan-
Meine Damen und Herren, auch wir halten eine gen sind, daß bei der Fortschreibung der mittel-
bessere Koordinierung von Agrarstruktur, Infra- frisitgen Finanzplanung sowohl im Hinblick auf die
struktur und regionaler Wirtschaftsförde ru ng für EWG-Finanzierung wie auch im Hinblick auf die
notwendig. Der Herr Minister hat diese Notwendig- nationale Agrarpolitik eine wesentliche Anhebung
keit in der Einbringungsrede unterstrichen. Wir der Mittelansätze erforderlich ist. Es war die Rede
stimmen dem zu. Herr Minister, allerdings verliert von 500 Millionen DM. Der amtierende Bundes-
diese Aussage natürlich in hohem Maße an Glaub- finanzminister, Herr Möller, hat hier noch während
würdigkeit, wenn gleichzeitig die Mittelansätze für der Aussprache zur Regierungserklärung keinen
jene Programme, die sich seit mehr als zehn Jahren Zweifel daran gelassen, daß er sogar die Einstellung
bemühen, genau dieses Ziel zu erreichen, entspre- von zusätzlichen 530 Millionen DM für absolut er-
chend gekürzt werden. Ich denke an die Regional- forderlich hält. Hier kann man also wohl nicht von
programme Nord, Emsland, aber auch an die Pro- einem großen Erfolg sprechen.
gramme für die von der Natur benachteiligten Ge- Meine Damen und Herren, ich weiß natürlich sehr
biete. gut, daß wir alle in diesem Haus, Regierung und
(Beifall bei der CDU/CSU.) Parlament, Koalition und Opposition, gleichermaßen
vor dem Zwang stehen, einen konjunkturgerechten
(Vorsitz : Vizepräsident Frau Funcke.)
Haushalt zu erstellen. Das Konjunkturbild in Regio-
Also in der Tendenz, in Ihrem Wollen haben Sie nen und Sektoren weicht natürlich wesentlich von
unsere Unterstützung; das muß man dann aller- den Globalwerten der Konjunktur ab. Es kann gar
dings auch finanziell entsprechend zum Ausdruck kein Zweifel sein, daß strukturverbessernde Maß-
bringen. nahmen in regional schwachen Räumen nicht die
Konjunktur stimulieren, sondern sie eher positiv
Sie haben in der Einbringungsrede der Sozial- ausbalancieren. Diesen Haushalt haben wir auch
politik im landwirtschaftlichen Bereich einen hohen unter dieser Perspektive der gesamtkonjunkturellen
Rang eingeräumt. Auch hier können wir nur zu- Entwicklung unter besonderer Berücksichtigung ein-
stimmen. Das gilt sowohl für jene, die auch in zelner Regionen und Sektoren zu würdigen, und
Zukunft Vollerwerbslandwirte sein werden, wie für da kommen wir zu dem Ergebnis, daß der Einzel-
jene, die im Zuge des Strukturwandels nicht mehr plan 10 trotz des Zwanges, beim Haushalt konjunk-
in der Landwirtschaft tätig sein werden. Dieser turgerecht zu verfahren, nicht den Anforderungen
Priorität allerdings wird weder der Haushalt 1970 gerecht wird. Wann wollen wir denn Strukturpoli-
noch die mittelfristige Finanzplanung gerecht. Ge- tik — jetzt im weitesten Sinne: Agrarstruktur- und
rade im sozialpolitischen Bereich müssen wir uns regionale Wirtschaftsstrukturpolitik — treiben,
endlich daran gewöhnen, meine Damen und Herren, wenn nicht im Zeichen der Hochkonjunktur? Im Zei-
1796 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. März 1970
Dr. Ritz
chen der Rezession ist natürlich kein Geld da. Wir Ziel unserer Politik, und es sollte auch in Zukunft
müssen also in der Hochkonjunktur für eine sinn- das Ziel unserer Politik bleiben.
volle Ausbalancierung des Gesamtkonjunkturbildes (Abg. Dr. Schmidt [Gellersen] : Im letzten
Sorge tragen. Jahr! — Weitere Zurufe von der SPD und
Damit bin ich schon bei dem Strukturwandel, Gegenrufe von der CDU/CSU.)
-
meine Damen und Herren. Der Agrarpolitik der Ver- Meine Damen und Herren, in diesem Zusammen-
gangenheit wird häufig der Vorwurf gemacht — hang und oft von den gleichen Personen und Per-
nicht von Ihnen, Herr Minister, aber etwa im Jah- sonengruppen wird immer wieder der Vorschlag
resgutachten der Sachverständigen zur Begutach- gemacht, man solle doch endlich durch eine dra-
tung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, leider stische Preissenkungspolitik den Strukturwandel be-
aber auch vom Herrn Kollegen Schonhofen in die- schleunigen und kanalisieren. Nur aus falscher
sem Hause am 26. Februar 1970 —, sie sei nur kon- Rücksichtnahme habe die offizielle Politik von die-
servierend und auf die Erhaltung überkommener ser Möglichkeit keinen Gebrauch gemacht. Wir
Strukturen ausgerichtet gewesen. sind diesen Weg nicht gegangen, weil wir keinen
Mut gehabt hätten, auch nicht nur, weil wir diesen
(Abg. Saxowski: Stimmt ja auch!)
Weg sozial und ökonomisch nicht für zumutbar
Meine Damen und Herren, wir weisen diesen Vor- gehalten hätten, sondern weil wir ihn struktur-
wurf auch hier und heute noch einmal in aller politisch für falsch gehalten haben. Sehr viele Wis-
Schärfe zurück. senschaftler im In- und Ausland kommen zu dem
Ergebnis, daß gerade im Hinblick auf den ge-
(Beifall bei der CDU/CSU. — Zurufe von wünschten Strukturwandel auch der Preispolitik —
der SPD: Das stimmt doch! — Ihr habt doch darüber besteht kein Zweifel — eine wichtige Be-
nichts gemacht!) deutung zuerkannt werden muß. Ich möchte mich
auf ein Zitat der Professoren Weinschenk und Mein
Nehmen Sie bitte alle selbst die Grünen Berichte hold beschränken. Diese haben gesagt:
zur Hand! Studieren Sie die Zahlen über die Ver-
minderung der Betriebe! Studieren Sie die Zahlen Aus der Sicht der Strukturpolitik gibt es eine
über die gewandelten Existenzformen der Betriebe obere und eine untere Preisgrenze, deren Be-
zueinander! achtung Voraussetzung für die Fortsetzung des
(Zurufe von der SPD.) Strukturwandels ist. Die obere Grenze wird
durch die Notwendigkeit bestimmt, einen Ab-
Studieren Sie die Zahlen über die Abwanderung der wanderungsanreiz für kleinere Größenklassen
landwirtschaftlichen Arbeitskräfte! Hierbei handelt aufrechtzuerhalten, die untere Grenze ist da-
es sich um eine Bewegung von mehr als zwei Millio- durch gegeben, daß in den mittleren und grö-
nen Menschen in einem Zeitraum von nicht einmal ßeren Betrieben eine hinreichende Liquidität
20 Jahren. zur Finanzierung der im Strukturwandel uner-
läßlichen Investitionen erhalten bleiben muß.
(Abg. Saxowski: Was haben Sie vorher In der Bundesrepublik ist die untere Preis-
dafür getan? — Weitere anhaltende Zu grenze bereits erreicht oder gar unterschritten.
rufe von der SPD.)
Dieses Buch wurde im Jahre 1968/69 verlegt.
Diese Zahlen, meine Damen und Herren, sprechen Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir
eine deutliche Sprache und werden keineswegs dem haben sehr dankbar registriert, daß gerade Herr
Vorwurf gerecht, daß der Strukturwandel nicht ge- Minister Ertl preispolitischen Vorstellungen, wie sie
fördert, sondern die Strukturen nur einseitig ver- auch im Jahresgutachten enthalten sind, hier eine
festigt worden seien. klare Absage erteilt hat und auch überall dort er-
Der Landwirtschaft ist in den letzten 15 Jahren teilt, wo er über Agrarpolitik spricht. Wir hätten
ein die Grenzen des sozial Tragbaren vielfach über- allerdings erwartet, daß die Dinge auch im Jahres-
schreitendes Maß an Anpassung abverlangt worden, wirtschaftsbericht, auf den ich gleich noch zu spre-
das von ihr auch geleistet wurde. chen komme, anders dargestellt worden wären.
Die strukturpolitisch negative Folge einer solchen
(Beifall bei der CDU/CSU.)
Politik des massiven Preisdrucks wäre zweifelsohne
Dafür gebührt vor allem den Betroffenen Dank, zu- die, daß gerade die leistungsfähigen, auf Rentabili-
mal wenn man bedenkt, daß sich dieser Struktur- tät angewiesenen Betriebe aus der Produktion her-
wandel vor einer breiten Öffentlichkeit lautlos voll- aus müßten, während in den Kleinst- und Neben-
zogen hat. Wir werten diese Entwicklung aber auch erwerbsbetrieben, wo Rentabilitätsgesichtspunkte
als Zeichen einer guten Politik. Auch wir wissen, eine untergeordnete Rolle spielen, die Produktion
daß sich der Strukturwandel fortsetzt und fortsetzen möglicherweise nicht nur stagnieren, sondern sogar
muß. Aber — und dabei bleiben wir trotz aller noch angereizt würde. Wir würden also struktur-
Prognosen, trotz aller Pläne —: Er wird sich nur politisch genau den negativen Effekt durch eine
dann ökonomisch und sozial verantwortbar fort- solche Politik erzielen.
setzen können, wenn es uns in gleichem Maße ge- In diesem Zusammenhang — meine Damen und
lingt,, im ländlichen Raum, in der gewerblich-indu- Herren, ich meine, das gehört in eine solche Debatte
striellen Struktur und in der Infrastruktur hinrei- hinein — müssen wir uns auch mit dem Vorwurf
chend Alternativen bereitzustellen. Das war das auseinandersetzen — das ist jetzt alles nicht an den
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. März 1970 1797
Dr. Ritz
Bundesminister gerichtet, aber doch an die Diskus- Zur Durchsetzung höherer Erzeugerpreise er-
sion in der breiten Öffentlichkeit —, daß die wartet die FDP eine härtere Verhandlungs-
Agrarpreispolitik in den letzten Jahren auf dem führung der Bundesregierung im Ministerrat
Rücken der Verbraucher ausgetragen worden sei. der EWG.
Meine Damen und Herren, diesen Vorwurf wird (Beifall bei der CDU/CSU.)
und kann nur der erheben, der etwa das Agrar- Ich kann nur sagen: à la bonne heure! Landgraf,
preisniveau innerhalb der EWG mit dem Weltmarkt- werde hart! Das ist heute an Sie selbst gerichtet.
preisniveau vergleicht. Wer aber weiß, daß der
Weltagrarmarkt schon lange zu einem Dschungel (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU.)
der Manipulation, der versteckten und offenen Inter- Das ist nicht leicht. Wir wollen hier keineswegs die
ventionen geworden ist, wird uns sicher recht ge- Schwierigkeiten verniedlichen.
ben, wenn wir feststellen, daß diese Vergleiche ein-
fach nicht möglich sind. Vergleicht man hingegen (Abg. Peters [Poppenbüll] : Sie denken wohl
die Ausgaben privater Haushalte für Nahrungs- an Ihre eigene Erfahrung!)
mittel im Verlauf des letzten Jahrzehnts, so haben — Ach was, Herr Peters, machen Sie sich nur keine
wir ein völlig anderes Bild. Dann stellen wir näm- Sorgen!
lich fest, daß trotz qualitativ wesentlich besserer
In den entsprechenden Passagen des Jahreswirt-
Ernährung die Ausgaben für Nahrungs- und Genuß-
schaftsberichts, Herr Minister — das soll hier noch
mittel des privaten Haushalts von 43 % im Jahre
kurz gesagt werden —, haben offensichtlich nicht Sie
1952 auf 34 % im Jahre 68/69 gesunken sind. Wenn
Sie die Genußmittelpreise wegnehmen, kommen Sie die Feder geführt, auch nicht Ihr Haus, sondern das
Wirtschaftsministerium. Wie anders wäre sonst
auf einen Satz von 28 bis 29 %.
wohl ein Satz entstanden wie dieser — und ich
Meine Damen und Herren! In dem Zusammen- möchte Sie fragen, Herr Minister, ob Sie diesem
hang spielen allerdings auch eine wesentliche Rolle Satz zustimmen —:
die Anteile des Erzeugerpreises im Verbraucher-
preis. Wir wissen doch seit langem, daß im Durch- Für den Landwirt dürfte es zweitrangig sein, ob
schnitt nur noch 50 % des Erzeugerpreises im Ver- sich das wirtschafts- und sozialpolitisch notwen-
braucherpreis enthalten sind. Wir wissen, daß z. B. dige Einkommen aus überhöhten Preisen auf
bei den Mehlprodukten dieser Anteil nur 25 % Kosten des Verbrauchers oder aus niedrigen
beträgt und daß damit natürlich Senkungen auf der Preisen zu Lasten des öffentlichen Haushalts
Erzeugerpreisstufe nicht entsprechend auf die Ver- herleitet.
braucherpreisstufe durchschlagen. Wir alle hier (Abg. Dr. Stark [Nürtingen]: Staatsrentner!)
haben das sehr leidvoll in den vergangenen Wochen
im Zuge der Aufwertung erfahren müssen. Ich Die Anpassung der Preispolitik an die Ange-
glaube, hier haben sich sonst auch ' wirtschafts- bots- und Nachfrageverhältnisse auf den einzel-
politisch sehr kluge Leute doch sehr geirrt. Ich darf nen Märkten kann nur behutsam erfolgen und
nur daran erinnern, daß auch Herr Schiller dem muß von Maßnahmen der Struktur- und Sozial-
Irrglauben erlegen war, daß nicht zuletzt die Auf- politik begleitet sein.
wertung zu einem wesentlichen Sinken der Nah- Ich habe bewußt so lang zitiert, damit man mir nicht
rungsmittelpreise führen würde. den Vorwurf macht, ich hätte das Zitat aus dem Zu-
Herr Bundesminister Ertl hat gestern sehr zu sammenhang gerissen.
Recht, glaube ich, dargestellt, daß die Erzeuger- Immerhin bleibt zu fragen: Herr Minister, glauben
preise von Dezember auf Januar um 3,5 % gefallen auch Sie, daß es dem Landwirt zweitrangig oder egal
sind, während die Verbraucherpreise um 1,4 oder ist, ob er sein Einkommen über den Markt oder über
1,5 % gestiegen sind. Das Böse daran ist nur, daß
öffentliche Mittel erwirtschaftet, gerade dem tüch-
sowohl die Bauern wie die Hausfrauen die Gelack-
tigen, durch ständige Leistungsverbesserung die Zu-
meierten dieses Schillerschen Irrglaubens geworden
kunft gewinnenden Landwirt? Glauben Sie wirklich,
sind. daß die derzeitigen Preise zu Lasten des Verbrau-
(Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Kiep:
chers überhöht sind? Auch darauf sollten Sie hier
Wie so viele andere!)
und heute eine deutliche Antwort geben, weil das
Herr Minister, wir hätten allerdings von Ihnen er- für die agrarpolitische Diskussion und für die ge-
wartet, daß Sie klar, begründet und entschieden die samte Bewußtseinsbildung und Willensbildung der
entsprechenden Vorstellung im Jahreswirtschafts- bäuerlichen Bevölkerung von größter Bedeutung ist.
bericht zurückgewiesen hätten. Von Ihnen, dem Land-
wirtschaftsminister der FDP, durften wir das um so Sie haben, Herr Minister — auch das muß ich in
mehr erhoffen, als wahrscheinlich ja auch Sie ver- diesem Zusammenhang sagen — teilweise in der
antwortlich zeichnen für das Zehn-Punkte-Agrar- Öffentlichkeit den Eindruck erweckt, einmal auch im
programm der FDP, in dem es z. B. unter Punkt 3 Ausschuß — nicht konkret, aber doch immerhin an-
heißt: deutungsweise —, daß man sich vorstellen könne,
Eine auf die Kostendeckung ausgerichtete ak- daß das englische Agrarsystem, das englische Stüt-
tive Erzeugerpreispolitik ist nach wie vor das zungssystem auch auf die EWG übertragen werden
Kernstück landwirtschaftlicher Einkommens- könne. Herr Minister, wir würden hier zumindest zu
politik. mehr Vorsicht raten. Der Selbstversorgungsgrad der
(Abg. Baron von Wrangel: Das ist der grüne EWG, und zwar mit oder ohne Großbritannien, ist
Klecks in der roten Landschaft!) so hoch, daß damit Finanzprobleme auf uns zukom-
1798 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode - 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. März 1970
Dr. Ritz
men, die im Vergleich zu dem, was wir jetzt haben, Kräften, die in der landwirtschaftlichen Unterneh-
noch größere Belastungen, noch größere Schwierig- mensinitiative liegen, vollen Spielraum lassen. Daß
keiten auf uns alle zubringen würden. in dieser Entwicklung verschiedene Formen der
Auch wir wissen, Herr Minister, wie eng der Spiel- überbetrieblichen Zusammenarbeit eine entschei-
raum für Sie ist, bei den Überschußprodukten eine dende Rolle spielen, wissen wir alle. Sie entspre-
preispolitische Linie zu vertreten, die der in unserem chend zu fördern, auch die entsprechenden gesetz-
Antrag niedergelegten entspricht. Doch meinen wir, geberischen Konsequenzen zu ziehen, ist notwendig.
daß nicht zuletzt die Folgen der Aufwertung uns da- Wir werden Sie hierbei unterstützen.
zu zwingen, Sie zu bitten, dafür zu sorgen, daß alles Meine Damen und Herren, lassen Sie mich schlie-
unterbleibt, was zu einer auch nur geringfügigen ßen. Der Grüne Bericht 1970 ist ein Dokument, das
Senkung des deutschen Erzeugerpreisniveaus führen sichtbar macht, daß der jetzigen Bundesregierung
könnte. ein im ganzen positives Erbe hinterlassen worden
(Beifall bei der CDU/CSU.) ist. Durch Fakten und Signale in den letzten vierein-
Hier sind die Landwirte ohnehin hinlänglich ge- halb Monaten stehen wir allerdings in der Gefahr,
troffen. positive Entwicklungen der letzten Jahre zu hem-
men. Die CDU/CSU-Fraktion wird stets bereit sein,
Ich muß noch einen Satz aus dem Jahreswirt- an der Lösung schwerwiegender wichtiger Aufgaben
schaftsbericht zitieren, der mir für die Zukunfts- im Bereich der Landwirtschaft mitzuhelfen, wenn sie
entwicklung nicht unwichtig zu sein scheint. Dort davon überzeugt ist, daß die Dinge, die Sie uns vor-
steht folgender Satz, den wir für bedenklich halten: schlagen, richtig und notwendig sind. Wenn Sie mit
Der Anteil der Drittlandlieferungen am Ver- Ihren Initiativen zeitlich zu lange in Verzug blei-
brauch in der Gemeinschaft sollte aufrecht- ben, werden wir von uns aus die notwendigen par-
erhalten bleiben. lamentarischen Initiativen entwickeln, um auch aus
unserer Verantwortung als Opposition das zu tun,
Meine Damen und Herren, dieser Satz, so hingestellt, was wir dem Wohle unserer Landwirtschaft, dem
könnte natürlich den Eindruck erwecken, als käme Wohle unserer Gesellschaft schuldig sind.
es jetzt darauf an, die expandierenden Kräfte der
(Beifall bei der CDU/CSU.)
Agrarwirtschaft in Europa zu drosseln zugunsten
anderer Agrarwirtschaften in anderen Bereichen der
Welt. Wir wollen gar nicht die Problematik ver- Vizepräsident Frau Funcke: Das Wort hat der
kennen, die mit den ganzen Handelsströmen ver- Abgeordnete Helms.
bunden ist. Nur, eine so einseitige Willenserklärung
der Bundesregierung scheint uns doch in hohem Helms (FDP) : Frau Präsidentin! Meine sehr ver-
Grade bedenklich zu sein. Denn hier liegen Pro- ehrten Damen und Herren! Wenn ich die Worte
bleme, die nur durch weltweite Verhandlungen über- meines Herrn Vorredners recht wäge — und ich tue
haupt angepackt und eines Tages gelöst werden das als Neuling in diesem Hohen Hause —, dann
können. meine ich doch über lange Zeit sehr viele Mängel
Meine Damen und Herren, ein Wort zur Markt- in dieser Agrarpolitik gefunden zu haben. Die Ver-
politik. Wir freuen uns, daß Sie das Marktstruktur- antwortlichen in dieser Zeit sind doch nicht bei der
und Absatzfondsgesetz als moderne Instrumentarien jetzigen Regierung zu suchen, und es ist eigentlich
der Marktpolitik begrüßen. nicht möglich, diese Dinge in einem halben Jahr
weiterzuentwickeln oder zu reparieren.
(Abg. Marquardt: Das haben Sie lange
genug verzögert!) (Abg. Baron von Wrangel: Was soll denn
da repariert werden?)
Wir freuen uns, daß Sie diese Erkenntnis gewonnen Ich habe eigentlich keine echten Vorschläge gehört,
haben. Denn wir erinnern uns, daß Sie mit Ihren sondern nur Kritik. Man sollte hier aber auch echte
Freunden dem Fondsgesetz damals Ihre Zustimmung Vorschläge bringen.
glaubten verweigern zu müssen. Auch wir meinen,
daß es nun darauf ankommt, diese Instrumente zu Ich meine, daß in der Agrarpolitik der letzten
nutzen, sowohl über die CEMA als auch über die Jahre nicht alles in Ordnung war. Wir sollten an-
Erzeugergemeinschaften im Hinblick auf die Pro- dere Schwerpunkte, andere Tendenzen setzen und
duktionsorganisation innerhalb der Landwirtschaft. müssen dabei auch die Vergangenheit — gerade die
jüngste Vergangenheit — mit berücksichtigen. Die
(Abg. Dr. Schmidt [Gellersen] : Große Opposition kann sicher ein Lied von der Agrarpoli-
Einigkeit!) tik und von den Verhandlungen in der EWG singen.
— Ich bedanke mich.
Meine Damen und Herren, der Grüne Bericht der
Ein Wort zu den Betriebs und Unternehmens-
- Bundesregierung über die Lage der Landwirtschaft,
formen. Wir freuen uns, daß Sie in der Interpreta- den Herr Minister Ertl vor 14 Tagen dem Hohen
tion Ihrer Modellberechnung nicht irgendwelchen Hause vorgelegt hat, findet in der agrarpolitisch in-
Schrumpfungseuphorien erlegen sind. Es gibt eben teressierten Öffentlichkeit aus mehreren Gründen
nicht d a s Modell, das es gilt, in Zukunft betriebs- besondere Beachtung, wie überhaupt die agrarpoli-
wirtschaftlich anzustreben. Die Praxis hat schon tischen Fragen während der kurzen Amtszeit dieser
heute vielgestaltige Betriebs- und Unternehmens- Bundesregierung einen ganz besonderen Rang ge-
formen entwickelt, so daß jedes Optieren für eine habt haben. Wir Freien Demokraten meinen, daß
Form sicher falsch wäre. Wir müssen hier den freien dies seine Berechtigung hat, nicht nur weil dieser
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. März 1970 1799
Helms
15. Grüne Bericht an der Schwelle der vielberufenen erstens ein voller Aufwertungsverlustausgleich er-
70er Jahre erfolgt und in Verbindung mit der pro- reicht worden ist,
grammatischen Einbringungsrede von Herrn Mini- (Zuruf von der CDU/CSU: Wie lange?)
ster Ertl eine Grundlage für das agrarpolitische
Konzept des nächsten Jahrzehnts darstellt, sondern daß zweitens eine Korrektur der katastrophalen An-
weil damit zum erstenmal eine grundsätzliche- agrar- sätze in der mittelfristigen Finanzplanung der alten
politische Aussage einer sozialliberalen Regierung Regierung erfolgt ist und daß drittens die haus-
erfolgt. haltsmäßige Globalhaftung aufgehoben worden ist.
(Beifall bei den Regierungsparteien.) Ich will mich jetzt nur darauf beschränken, Herrn
Minister Ertl und +den anderen Herren des Kabinetts
Das ist nach unserer Auffassung ein Markstein, der für ihren couragierten Einsatz in Brüssel namens
auch von der Opposition — daran zweifle ich nicht meiner Fraktion herzlichsten Dank zu sagen.
— als solcher empfunden werden dürfte. Die Ein-
bringungsrede des Herrn Ministers hat einen Ten- (Beifall bei den Regierungsparteien.)
denzwandel deutlich gemacht und erkennen lassen. Ich will mich nun einigen Aspekten des Grünen
Allen Unkenrufen aus interessierten Kreisen zum Berichts und der gemeinsamen Agrarpolitik zu-
Trotz hat mit der Regierungsübernahme durch die wenden.
sozial-liberale Koalition der prophezeite Interessen
ausverkauf der deutschen Landwirtschaft nicht statt- Wir nehmen erfreut zur Kenntnis, daß anders als
gefunden. im vorjährigen Grünen Bericht bei , der Darstellung
(Zuruf von der SPD: Im Gegenteil!) der sogenannten äußeren Disparität in der Ver-
gleichsrechnung nach § 4 des Landwirtschaftsgeset-
Alle, die das trotz langer Erfahrung mit den land- zes der Abstand zwischen dem erzielten Betriebs-
wirtschaftsfreundlichen Auswirkungen der FDP-Be- einkommen und der Summe der Vergleichsansätze
teiligung in früheren Regierungen jemals ernsthaft wieder in Prozentzahlen ausgedrückt ist. Eine Ver-
geglaubt haben sollten, dürften durch die unmißver- besserung sehen wir i n der Einteilung des Bundes-
ständliche Regierungserklärung des Herrn Bundes- gebietes nach drei Größenklassen. Durch diese Neu-
kanzlers Brandt eines anderen und Besseren belehrt erung wird i n die sogenannte innere Disparität
worden sein. mehr Transparenz gebracht und den Landwirten und
(Beifall bei den Regierungsparteien.) der Öffentlichkeit der enge Zusammenhang von Bo-
dennutzungssystem, Betriebsorganisation, Betriebs-
Es heißt dort u. a.: größen und Einkommenssituation vor Augen geführt.
Wir halten es ... für unausweichlich, der Land- Der Herr Bundeskanzler hat in der zitierten Pas-
wirtschaft bei der Überwindung ihrer Schwie- sage der Regierungserklärung von den Schwierig-
rigkeiten zu helfen. Sie soll sich zu einem keiten gesprochen, von denen die deutsche Land-
gleichrangigen Teil unserer modernen Volks- wirtschaft durch die vorzeitige Verwirklichung des
wirtschaft entwickeln, der an der allgemeinen gemeinsamen Agrarmarktes betroffen ist. Ich erin-
Einkommens- und Wohlstandsentwicklung in nere daran, daß der EWG-Vertrag 1957 auch aus
vollem Umfang teilnimmt. Sorge um die nachteiligen Folgen für die bundes-
Das ist ein deutliches und gutes Wort, das nicht nur deutsche Landwirtschaft nicht die Zustimmung der
bei den Bauern draußen wie ein warmer Landregen FDP gefunden hat. Es ist inzwischen wohl klarge-
nach den Zeiten der Trockenheit der Großen Koali- worden, wie berechtigt diese Vorbehalte gewesen
toin gewirkt hat. sind. Nun müssen wir von den geschaffenen und
vorgefundenen Tatsachen ausgehen und mit ihnen
Sie erinnern sich, meine Damen und Herren, daß fertig werden und versuchen, dort auszubessern und
der Bundeskanzler der Großen Koalition, der ja be- zu entwickeln, wo das möglich ist. Der Agrarbereich
kanntlich der Fraktion der CDU/CSU angehört, in steht heute einsam an der Spitze der EWG-Integra-
seiner Regierungserklärung der Landwirtschaft kein tion und gilt als markanter Faktor und Katalysator
einziges Wort gewidmet hat. Der Standpunkt der für den Fortgang der europäischen Einigung. Er be-
jetzigen Bundesregierung dürfte auch bei den darf — das sage ich nach den Erfahrungen insbeson-
Agrarpolitikern der CDU/CSU seine Wirkung sicher dere des letzten Jahres mit aller Deutlichkeit — der
nicht verfehlt haben. fundamentalen Absicherung durch Fortschritte bei
Wie Sie wissen, ist diese Bundesregierung inzwi- 'der Koordinierung der Wirtschafts und Währungs-
-
schaft in die Notwendigkeiten und die Bedingungen wie ich in diesem Hause wären, wüßten Sie, daß wir
einer modernen Agrarpolitik ist nicht zuletzt ein in diesem Hause seit 1949 unzählige Entschließungen
Ergebnis vermehrter und verbesserter Information gefaßt und Anträge gestellt haben, die Ihre Regie-
durch die Grünen Berichte. In Anbetracht eines sich rung in vier Jahren niemals beantwortet hat.
fortsetzenden Strukturveränderungsprozesses, der (Beifall bei der SPD.)
an Schnelligkeit offenbar nicht verliert, ist das kate-
gorische Gebot heute mehr denn je: illusionslose Sie können sicher sein — nehmen Sie mich beim
Sicht der Lage und nüchterne Einschätzung der Ent- Wort —, den einen Teil dieser Entschließung wer-
wicklungsmöglichkeiten. Der Bauer hat ein Recht den wir mit Ihrer Unterstützung bald in Ordnung
auf nachhaltige Aufklärung über die Situation von bringen. Über den anderen Teil, die Steuern, die
heute und die zu erwartende von morgen. Ihm ist Belastungen usw., werden wir im Laufe dieses Jah-
nicht mit Schönfärberei gedient. Er soll aber wissen, res sicher noch reden können.
daß die Agrarpolitik dieser Koalition darauf zuge-
Meine Damen und Herren, ich hatte an sich die
schnitten ist, dem entwicklungsfähigen Vollerwerbs
Absicht — und ich will sie auch verwirklichen —,
betrieb Zukunftschancen zu sichern und dessen
einige grundsätzliche Ausführungen insbesondere
volkswirtschaftliche Leistung auch in einer wachsen-
darüber zu machen, wie sich die Landwirtschaft in
den Wirtschaft angemessen zu honorieren. Neben
den nächsten Jahren entwickeln wird. Ich hatte vor,
den dazu notwendigen wirksamen Hilfen zum Zu-
Ihnen zu sagen, was wir jetzt und in der nächsten
rechtfinden unter veränderten Verhältnissen ver-
dient er unseren Schutz vor falschen Freunden, die Zeit tun müssen.
ihren Freundschaftsbeweis damit glauben erbringen Meine Damen und Herren, wir begrüßen die Er-
zu sollen, daß sie den Bauern Wahrheiten vorent- klärung des Bundesministers in seiner Einbringungs-
halten. Dazu wollen wir Freien Demokraten nicht rede. Wir sehen den Bericht des Ministers als eine
gehören. sachliche Fortsetzung der Berichte aus den Jahren
(Beifall bei den Regierungsparteien.) 1968 und 1969 an. Diese Entwicklung erfüllt uns mit
großer Genugtuung. Nach vielen Jahren — ich habe
Vizepräsident Frau Funcke: Meine Damen es schon angedeutet — weltanschaulicher, ja dog-
und Herren, Herr Kollege Helms hat seine Jungfern- matischer Irrungen und des Verharrens in den Er-
rede gehalten. Das Haus gratuliert ihm dazu. kenntnissen der 50er Jahre, Herr Kollege Ritz, haben
wir uns anscheinend jetzt in diesem Hause gefun-
(Beifall.)
den rund sind bereit, eine Neuorientierung der
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Schmidt Agrarpolitik in Angriff zu nehmen. Nur mit einer
(Gellersen). Neuorientierung werden wir die Landwirtschaft aus
dem Getto befreien und vom Rande der heutigen
Dr. Schmidt (Gellersen) (SPD) : Meine sehr ver- Gesellschaftsordnung wegführen. Das Bild der Land-
ehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich eingangs wirtschaft hat sich in den letzten zwei, drei Jahren
einige Bemerkungen zu den Ausführungen des Kol- schon geändert. Wir müssen dazu aber noch einiges
legen Ritz machen. Ich hatte den Eindruck, Herr Kol mehr tun.
1804 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. März 1970
In der Neuorientierung der Landwirtschaftspolitik Die neue Orientierung der Agrarpolitik ist natür-
fangen wir nicht von vorne an. Wir setzen das fort lich an der Zukunft zu messen, und wir dürfen es
und bauen auf dem weiter, was in den letzten zwei dabei — ich sagte es schon — an Quantifizierungen
Jahren in diesem Hause als Agrarprogramm entwik- nicht fehlen lassen und solchen Quantifizierungen
kelt worden ist. Ich will nicht von der schwierigen nicht aus dem Wege gehen. Einfältige Fragestellun-
Geburt des Papiers reden, Herr 'Kollege Höcherl, gen, die z. B. von Futurologen ständig wiederholt
wobei Sie die große Last hatten, Ihre Freunde für werden, nämlich ob die Landwirtschaft im Jahre 2000
diese Neuorientierung zu gewinnen. Sie haben es Industriebetrieb oder nur Nebenerwerb sein wird,
— das räume ich ein — geschafft trotz Widerstän- vernebeln doch die Gehirne. Sie führen nicht weiter
den, die weit 'und breit zu finden waren. und verhindern vor allen Dingen das Nachdenken.
(Zustimmung bei der CDU/CSU.)
In dem ersten Teilabschnitt der Neuorientierung
ging es um eine Integration der Wirtschafts- und der Mir persönlich reicht es, wenn ich in der Lage
Agrarpolitik. Damit ist begonnen worden, insbeson- bin, das kommende Jahrzehnt zu überschauen. Im
dere durch die regionale Strukturpolitik des Wirt- Dschungel der Meinungen der Kompetenten und der
schaftsministers Schiller im Herbst des Jahres 1968. Inkompetenten scheint mir ein klärendes Wort der
Damals wurde die Zusage gegeben, jährlich 20 000 politischen Seite vonnöten, Herr Kollege Ritz.
neue, zusätzliche gewerbliche Arbeitsplätze in den (Beifall bei der CDU/CSU.)
u schaffen. In dem gu- ländicheProbmgtz
ten Konjunkturjahr 1969 wurde diese Zahl mit der Über die Ausgangsposition herrscht heute unter
Schaffung von 40 000 zusätzlichen Arbeitsplätzen so- ernsthaften Leuten wohl kein Streit mehr. Seit min-
gar glatt verdoppelt, eine ganz hervorragende Lei- destens einem Jahrzehnt liegt das Kernproblem offen
stung. Hier ist idas Angebot, die echte Alternative zutage. Es besteht einfach darin, daß es der tech-
für die Landwirte, die eine neue Existenzgrundlage nische und wissenschaftliche Fortschritt möglich
suchen. Ich meine, die ersten Schritte in dieser macht, immer mehr Nahrungsmittel mit immer weni-
Richtung sollten fortgeführt werden. Wir können ger Arbeitskräften zu erzeugen. Unhaltbar ist die
nur ,die Erwartung aussprechen, daß alle Uneben- These, daß die Politik — weder in Ost noch in
heiten, die es da noch gibt, beseitigt werden und West — in der Lage sein könnte, daran etwas zu
daß wir diese Aufgabe in harmonischer Zusammen- ändern oder diesen Prozeß aufzuhalten, Herr Kol-
arbeit mit den Ländern weiterentwickeln. Aus den lege Ritz, es sei denn um den Preis des Fortschritts.
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. März 1970 1805
Dr. Schmidt (Gellersen)
Eine solche Politik wäre auch praktisch zum Schei- ren Beruf zu geben und sich selber beruflich um-
tern verurteilt. zustellen.
Aufgabe einer ganz modernen Agrarpolitik kann (Abg. Bewerunge: Das sind doch Grimms
es doch nur sein, bei diesem beinahe technischen Märchen!)
Ablauf wirtschaftliche und soziale Fehlentwicklun- Man hat diese Landwirte und den Staat zu Fehl-
gen und Krisen zu verhindern. Unsere Politik- muß
investitionen veranlaßt und die organische Entwick-
daher den Entwicklungsprozeß der Anpassung in lung abgebremst.
vernünftiger Weise zu steuern versuchen.
(Zustimmung bei der SPD.)
(Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)
Ein Beispiel dafür — das muß ich ausdrücklich
Das, meine Damen und Herren, haben viele von sagen — war auch der Versuch, mit der hektischen
Ihnen in den letzten Jahren zu verhindern versucht. Verketzerung des sogenannten Mansholt-Plans von
den eigenen Schwächen abzulenken. Meine Fraktion,
(Widerspruch bei der CDU/CSU.) die SPD, hat hier in diesem Hause kühl und sachlich
— Sie haben die Dinge geschehen lassen, haben diesen Plan wegen .der ungeheuren finanziellen
aber nicht den nötigen Beitrag geleistet. Reden Sie Belastung für undurchführbar und in einigen Detail-
einmal mit Ihrem früheren Minister Höcherl! Er weiß vorschlägen für unrealistisch gehalten. Doch das,
es ganz genau und er kennt die Schwierigkeiten. Sie was sich selbst hier in diesem Hause damals abge-
haben zwar nichts gegen seine Maßnahmen unter- spielt hat, stand dem nicht nach, was wir vor weni-
nommen; aber Sie haben auch nicht die Hilfestellung gen Wochen in einer norddeutschen Landeshaupt-
gegeben, die Sie schon seit Jahren hätten geben stadt erlebt haben. Inzwischen scheinen aber auch
können. die in der Landwirtschaft Verantwortlichen beson-
nener geworden zu sein. Bestimmte personelle
(Abg. Dr. Stoltenberg: Was passiert denn
Wechsel haben da hilfreich gewirkt.
jetzt? — Weitere Zurufe von der CDU/CSU:
Was haben Sie denn getan?) Ich erkläre noch einmal: Das Memorandum war
und ist ein Diskussionspapier, und die Kommission
Meine Damen und Herren, wir sind durch solche
Projektionen nicht empfindlich geworden. Wir soll- wird nunmehr nach den Diskussionen ein neues
ten ihnen durchaus vernünftig entgegensehen und Papier vorlegen. Ich will dabei allerdings die Erwar-
sie nicht beiseite schieben, als wären sie nur eine tung aussprechen, daß das neue Konzept aber auch
Randerscheinung des Grünen Berichts. nahtlos mit dem EWG-Memorandum über die mittel-
fristige Wirtschaftspolitik bis zum Jahre 1975 har-
Empfindlich geworden ist die Öffentlichkeit auch monisieren wird.
gegenüber kleinkarierten Taktiken unter dem Ausgangsbasis, meine Damen und Herren, für
Motto: Die Bauern dürfen nicht beunruhigt werden. eine Projektion müssen dabei die allgemeine Ein-
Ich glaube, diese Taktik ist völlig verkehrt. Die kann kommensentwicklung und die Möglichkeiten der
man vielleicht in unseren südlichen Landesteilen Produktivitätssteigerung sein. Das muß sowohl im
noch ein wenig verfolgen; im Norden wäre das ganz Hinblick auf die Arbeits- als auch im Hinblick auf
unmöglich. Ich halte genau das Gegenteil für richtig. die Kapitalproduktivität gesehen werden. Man muß
Wir brauchen den harten Dialog, denn nur dadurch sch darauf einstellen — ich glaube, ich habe es vor
lassen sich der Lernprozeß fördern und die entspre- zwei Jahren hier schon einmal gesagt, ich will es
chenden Verkrustungen verhindern. Wenn wir dem wiederholen — daß bereits bei dem heutigen Stand
harten Dialog ausweichen, meine Herren, wenn etwa der Technik und der Wissenschaft ein Anteil von
die Politik wider besseres Wissen Sicherheiten ver- 5 % in der Landwirtschaft Tätiger an der Gesamt-
spricht, wo es angebrachter wäre, von Risiken zu zahl der Erwerbstätigen ausreicht — 5 % gegenüber
sprechen und auf sie hinzuweisen, spätestens dann 9 %, die wir heute haben —, um die Bevölkerung
kommt es zum Konflikt. Dann wird es sehr gefähr- der EWG-Länder mit allen Nahrungsmitteln zu ver-
lich. Diesen Anforderungen ist die vergangene sorgen, die in diesem Raum produziert werden kön-
Politik — das will ich noch einmal feststellen — nen. Die Trendprognose des vorliegenden Grünen
natürlich nur unzureichend gerecht geworden. Berichts ist deshalb richtig. Es heißt dort wörtlich,
daß ein sehr tiefgreifender Strukturwandel noch
Meine Damen und Herren! Die Pflicht zu einer
bevorsteht. Das möchte ich für meine Freunde aus-
informativen Agrarpolitik hätte es erfordert, die
drücklich unterstreichen.
Voraussetzung für die Existenzfähigkeit zu bestim-
men. Aber immer dann, wenn auch nur der Versuch Meine Damen und Herren, der Ernährungsaus-
unternommen wurde — beispielsweise in den bereits schuß — und ich hoffe auch auf die Zustimmung der
genannten Vorschlägen des Wirtschaftsministers im Opposition — sollte sich selbst ein Urteil über den
Jahre 1968 —, reagierten die konservativen Scharf- Entwicklungstrend dadurch zu bilden versuchen, daß
macher mit geradezu hysterischer Polemik. Das hat er nach sorgfältiger Vorbereitung eine Anhörung im
gerade Unheil genug angerichtet, und in diesem frühen Herbst dieses Jahres abhält. Wir alle, ganz
Hause haben wir ja einiges davon erlebt. Indem gleich, wo wir sitzen, haben Entscheidungshilfen ver-
man nämlich die rechtzeitige Aufklärung über die dammt nötig, um aus diesen Ad-hoc-Lösungen und
Zukunft der Landwirtschaft unterdrückte, hat man aus ,dem Reparieren im nachhinein herauszukom-
Tausende von Bauern davon abgehalten, ihren Kin- men. Schon im Interesse einer verantwortlichen Ver-
dern eine solide Ausbildung in einem zukunftssiche wendung der öffentlichen Mittel und im Hinblick
1806 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. März 1970
Vorhin ist von dem Kollegen Ritz angesprochen Wenn die Verhandlungen mit Großbritannien
worden, daß Herr Bundesminister Ertl in seinem in eine entscheidende Phase treten, dann dürfte
Programm vor der Bundestagswahl 10 Punkte auf- auch dem letzten Vertreter der Grünen Front
gestellt hat, wie die FDP die Agrarpreise stabil klar werden, daß eine aktive Preispolitik völlig
halten will. Herr Bundesminister, ich glaube, wir illusorisch ist. Vielmehr wird man sich überall
können gemeinsam sagen: wir haben beim Zucker- mehr als bisher darüber unterhalten müssen,
rübenpreis einen schweren Kampf gekämpft, um wie man vielleicht eine Trennungsfront von
ihn damals auf 7,25 DM zu bringen. Der EWG-Preis Preis- und Einkommenspolitik durchführen
beträgt zur Zeit 6,80 DM; über die Aufwertungsver- kann.
luste sind es 6,35 DM. Das, was die Rübenbauern Das hat die SPD in ihrem Parteiorgan geschrieben.
schon allein bei der Quotenkürzung zu zahlen hät Meine verehrten Kollegen von der linken Seite, ich
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. März 1970 1811
Ehnes
habe letzthin von dieser Stelle aus einmal meine sorgung mit Erzeugnissen von höchster Qualität ge-
Befürchtung zum Ausdruck gebracht, der Landwirt boten wird.
werde durch diese Lenkung zum Staatsrentner. Ich (Zurufe von der SPD.)
möchte diese Bedenken hier wiederholen, solange
Das Verursachungsprinzip ist der Agrarfinanzierung,
nicht das Parteiorgan das, was hier geschrieben ist,
wenn man bis auf 38 % geht und die Berechnung
zurücknimmt und eine andere Erklärung heraus-
- über das Sozialprodukt erfolgt, bei Gott nicht z u-
gibt. grunde gelegt worden. Ich habe das Gefühl, Herr
(Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Dr. Minister Ertl, daß Ihr ehrliches Wollen von anderen
Stark [Nürtingen]: Steht ja auch im Jahres Regierungsmitgliedern schon unterminiert worden
wirtschaftsbericht!) ist, bevor die deutsche Verhandlungsdelegation nach
Auf das Konzept Ihrer 'Partei, Herr Bundesmini- Den Haag gefahren ist. Französische Zeitungen ha-
ster Ertl, möchte ich nicht weiter eingehen. Ich ben darüber berichtet.
möchte Ihnen aber sagen: Sie haben in der DLG- Meine verehrten Damen und Herren, wenn die
Zeitung vom 12. Februar dieses Jahres einen Be- Landbevölkerung in Zukunft an dem, was nach der
richt mit der Überschrift geschrieben, nicht nur Nach- Regierungserklärung angestrebt werden soll, teil-
teile der Aufwertung zu sehen, sondern auch Vor- haben soll, dann muß eine Reihe von Voraussetzun-
teile, nämlich Einkommensverbesserungen durch die gen erfüllt sein. Die erste Voraussetzung ist das
Aufwertung, weil die Düngemittel, der Treibstoff Nebeneinander von Voll , Neben und Zuerwerbs-
- -
und vor allen Dingen Futtermittel billiger würden. betrieben. Diese Betriebe müssen in Deutschland
Ich habe mich vergeblich bemüht, über meine Wa- Bestand haben und können in dein Lagen, die ich ge-
renlieferanten eine günstigere Preisangebotsliste zu nannt habe, absolut nebeneinander bestehen. Wenn
erhalten. Das ist allerdings nicht gelungen, denn der einzelne seinen Betrieb aufgeben will, ist es
alle Futtermittel sind aus den bekannten Gründen seine Sache. Die !Politik hat das nicht zu bestimmen
teurer geworden. Ich kenne keine Futtermittel, die oder vorzuschreiben. Das ist vielmehr in die Ent-
billiger geworden sind. Wenn Sie das in bezug auf scheidung ides einzelnen gestellt.
die Stickstoffpreise anführen, Herr Minister, ist
Die Zielsetzung unserer Fraktion in der Agrar-
diese Aussage mit !Sicherheit nicht zutreffend, denn
politik orientiert sich auch an wirtschaftspolitischen
Sie persönlich und wir alle in diesem Hohen Haus
Daten. Wenn es in allen anderen Bereichen nach
wissen genau, daß die Stickstoffindustrie unter Kon-
oben geht, muß eben die Preis und Marktpolitik an
kurrenzdruck steht, und nur die Konkurrenz ist ein
-
Ehnes
turpolitische Seite von selbst; denn dann hat der begraben, und der Sog in die Ballungsräume geht
Landwirt eine unzureichende Kapitalausstattung und weiter.
ist deswegen nicht bereit aufzustocken. Hier müs Sie planen selbst die Änderung des § 35 des Bun-
sen wir über die Zupachtung neue Wege eröffnen, desbaugesetzes. Ich beantrage hier offiziell, daß
weil der Zukauf zu teuer ist und weil wir in einem diese Vorschrift im Bundesbaugesetz verändert wird.
flächenarmen Land wohnen, wo die erwünschten - Denn gerade das ländliche Bauen erfüllt dieses Land
Betriebseinheiten nicht ohne weiteres erreicht wer- mit Leben und bindet die Menschen dort, damit sie
den können. nicht in .die Ballungsräume abwandern. Auch dazu
Aus diesem Grunde müssen wir die Vorschläge werden meine Kollegen noch etwas sagen. Ich er-
von Herrn Mansholt mit Entschiedenheit und Härte wähne nur das Problem der nachgeborenen Bauern-
zurückweisen. Wir wollen ihnen ein eigenes Pro- kinder.
gramm entgegensetzen. Ich wäre deshalb dankbar, Zum Schluß habe ich an Sie, Herr Minister, noch
wenn auch Sie, Herr Bundesminister, ein Wort einige Fragen. Es gibt im Lande draußen zur Zeit
darüber sagten, wie Sie die Planungen und das sehr viele Leute, die sagen, Sie hätten in Brüssel
Vorhaben des bayerischen Landwirtschaftsministers — das ist auch eine persönliche Frage von mir —
Dr. Eisenmann bewerten, der in einer vorbildlichen der Hopfenmarktordnung nicht die Aufmerksamkeit
Weise jetzt im Gesetzgebungsgang versucht, einen geschenkt oder schenken können, die notwendig ge-
Alternativvorschlag zu dem Mansholt-Plan zu brin- wesen wäre; denn dort wäre man bereit gewesen,
gen. Wir wissen, daß dieser Plan in Brüssel ohne eine gewisse Gegenleistung zu erbringen und einer
Alternativen nicht vom Tisch zu wischen ist. Hopfenmarktordnung zugunsten der deutschen Bau-
Da die Franzosen bei zweieinhalbfacher Produk- ern zuzustimmen. Wir brauchen diese Hopfen-
tionsgröße der Bundesrepublik keine Überschuß- marktordnung, Herr Minister. Ich frage Sie deshalb:
probleme zu verzeichnen haben, sollten wir nicht Wann rechnen Sie mit dem Inkrafttreten einer sol-
ganz so großzügig auf Vorschläge eingehen, die nur chen Ordnung? Oder stimmen die Vermutungen,
Teilbereiche betreffen und das agrarpolitische daß Ihre Verhandlungsdelegation nicht alles berück-
Moment nicht lösen. sichtigt hat, was bei .der Vorbereitung auf die Aus-
einandersetzung dringend hätte berücksichtigt wer-
Herr Bundesminister, der FDP-Pressedienst den müssen?
schreibt heute, daß der Abgeordnete Ehnes gegen
seinen Minister Höcherl etwas hat, weil er etwas Ich frage Sie weiter: Wird das, was im deutschen
gegen die Abschlachtprämie gesagt hat. Ich darf Weingesetz steht, bei der europäischen Ordnung
Ihnen versichern, daß ich das meinem Freund — ich möchte nicht sagen: Marktordnung — für
Höcherl schon vor Ihnen gesagt habe, weil ich Wein berücksichtigt, wenn nachgewiesen wird, daß
glaube, daß die Abschlachtprämie nicht das All- das deutsche Weingesetz eine Marktordnung für
heilmittel für die Agrarpolitik ist, sondern eine Wein schon deshalb ausschließt, weil hier bereits
Begleitmaßnahme, die da und dort sinnvoll sein alles fest verankert ist? Ich frage Sie weiter nach
kann. Die Agrarpolitik sehe ich mit meinen politi- einer anderen Sonderkultur, der Sonderkultur Ta-
schen Freunden in erster Linie in der Preis- und bak. Und, Herr Bundesminister, sind Sie zusammen
Marktpolitik, in der Struktur- und Sozialpolitik. mit Herrn Finanzminister Möller in der Lage, für
Dazu werden meine politischen Freunde noch eine die in den von der Natur benachteiligten Gegenden
Aussage machen. liegenden Betriebe auf Sandböden weitere Kontin-
gente für die Kartoffelspriterzeugung bereitzustel-
Im Haushalt sind von den Mitteln für von der len?
Natur benachteiligte Gebiete 15 Millionen DM ge- (Beifall bei der CDU/CSU.)
strichen worden. Diese Kürzung der Mittel bei der
Strukturpolitik ist ein Widerspruch zur Regierungs- Wir haben in den letzten Jahren in den Gebieten,
erklärung, weil dann die notwendigen flankieren- in denen man auf den Kartoffelanbau in dünnen
den Maßnahmen nicht durchgeführt werden können. Bodenlagen angewiesen ist, hervorragende Fort-
Deshalb halte ich diese Streichung für unmöglich. schritte erzielt, und es wäre ein schöner Dienst, den
dienuRgr Baenwisköt,
Herr Bundesminister, Sie haben durch einen Erlaß wenn die Empfehlung, die ich hier gebe, bald aufge-
Ihres Hauses die Althofsanierung rückwirkend zum griffen würde, und zwar in .der Form, daß sie uns
1. Juni storniert, wenn der Antrag sich auch auf sagt: Wir haben weitere 100 000 DM pro Betrieb als
ein Wohnhaus erstreckte. Wenn dieser Erlaß nicht Zuschuß zur Verfügung gestellt und auf der anderen
zurückgenommen wird und die gestellten Anträge Seite die Kontingenterhöhung durchgeführt.
nicht verwirklicht werden müssen, tragen Sie dazu
bei, daß draußen in der Landwirtschaft wieder Miß-
trauen aufkommt und daß das Mißtrauen, das viele
Vizepräsident Dr. Schmid: Kommen Sie bitte
zum Schluß! Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Leute haben, verstärkt seine Berechtigung hat. Denn
damit ist nicht nur der Landwirt in eine schwierige
Lage gebracht durch die Kosten, die ihm bei der Ehnes (CDU/CSU) : Meine Damen und Herren,
Baumaterialbeschaffung, bei den Planunterlagen, bei meine Redezeit ,ist beendet. Ich hoffe, daß Sie, Herr
der Statik und beim Bau bereits entstanden sind Minister, mir diese Fragen beantworten werden. Zu
und die er heute mit 12 bis 13 % verzinsen muß, den speziellen Bereichen, auf die ich in der Kürze
sondern damit ist das ländliche Bauen im ganzen der Zeit nicht eingehen konnte, werden meine poli-
Lande, dort, wo die Problemgebiete sind, endgültig tischen Freunde aus 'der Fraktion noch - gesondert
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. März 1970 1813
Ehnes
Stellung nehmen und Ausführungen zum Grünen reichen ergeben wird. Die Modellrechnung zeigt,
Bericht machen. (daß auch bei gleichbleibenden landwirtschaftlichen
(Beifall bei der CDU/CSU.) Erzeugerpreisen durch die Sogwirkung eine recht
starke Abwanderung aus der Landwirtschaft in die
anderen Wirtschaftsbereiche stattfinden wird. Wenn
Vizepräsident Dr. Schmid: Das Wort hat
- der wir diese Entwicklung in sachlich vernünftigen
Abgeordnete Peters. Bahnen verlaufen lassen wollen, dann bedeutet das,
daß sich (die Bundesregierung bei den Verhandlun-
Peters (Poppenbüll) (FDP) : Herr Präsident! Meine gen in der EWG um eine Steigerung der landwirt-
Damen und Herren! Lassen Sie mich zunächst von schaftlichen Erzeugerpreise bemühen muß. Diese
einigen wichtigen Daten des Grünen Berichts aus- Verhandlungen haben begonnen. Sie werden sehr
gehen. Der Vergleichslohn ist ebenso wie früher wahrscheinlich längere Zeit dauern, bis man hin-
auch in diesem Berichtsjahr nicht erreicht worden. sichtlich der Produkte, bei denen das Marktgleich-
Allerdings hat sich ,die Ertragslage wesentlich ge- gewicht wiederhergestellt werden soll, zu Entschlüs-
bessert. Der Differenzbetrag zwischen .den Ver- sen gekommen sein wird.
kaufserlösen und ,den Betriebsausgaben ist gestie-
gen, und zwar im Berichtsjahr um 1,5 Milliarden Herr Ehnes, Sie haben hier .die Vorstellungen der
DM. Im nächsten Jahr wird er vermutlich um 750 Kommission dargelegt. Sie haben es ungefähr so
Millionen DM steigen. Die Zahl der in der Land- dargestellt, als ob die deutsche Bundesregierung
wirtschaft Tätigen ist auf 8,8 % zurückgegangen. diese Vorschläge schon akzeptiert hätte. Das ist in
Das ist eine Verminderung um 120 000 im Berichts- keiner Weise der Fall. Wir gehen vielmehr von
jahr. dem aus, was bisher in der Bundesregierung be-
schlossen ist. Wir gehen von der Zielsetzung aus,
Das entscheidende Datum dieses Berichts ist nach mit der unsere Verhandlungskommission nach
meiner Meinung die Tatsache, daß die Arbeitspro- Brüssel gegangen ist. Die Zielsetzung bei diesen
duktivität in der Landwirtschaft von 1960 bis 1969 Verhandlungen ist eben, keine Preissenkung hinzu-
um 60 % zugenommen hat, während sie in der ge- nehmen, weder bei Interventionspunkten noch bei
werblichen Wirtschaft im gleichen Zeitraum nur um Interventionspreisen. Daß wir bei den Produkten,
40 % zunahm. In diesem Datum steckt die gewaltige bei denen Überschüsse bestehen, also vordringlich
Leistung der Landwirtschaft, der landwirtschaftlichen bei der Milch, nach unserer Meinung zu Mengen-
Betriebsleiter und der Betriebswirtschaft; ebenso regelungen, zu Kontingenten kommen müssen, ha-
stecken darin die Ergebnisse der landwirtschaftlichen ben wir nicht erst heute verlangt. Das haben wir
Forschung bei Tier und Pflanze. schon vor einigen Jahren deklariert. Ich will hier
Die langfristige Entwicklungstendenz in der Land- gar nicht darüber streiten, ob die CDU diesen Ge-
wirtschaft ist nicht so günstig wie diese Ergebnisse danken zuerst gehabt hat, ob wir ihn zuerst gehabt
aus ,dem vergangenen und dem jetzigen Berichtsjahr, haben oder ob die Idee vom Bauernverband gekom-
über das im Grunde schon ein Urteil gefällt werden men ist. Nach unserer Meinung ist dieser Bereich
kann. Im Grünen Bericht ist dazu eine Modellauf- nur in den Griff zu bekommen, wenn, wie es jetzt
stellung gemacht worden. Dabei geht man davon Minister Ertl vorgeschlagen hat, ein Kontingent von
aus, daß der Abstand der Einkommen in der Land- 95 % gegeben wird, die Übermengen dann 5 %
wirtschaft zu ,den Einkommen in der übrigen Wirt- niedriger bezahlt werden und die Landwirtschaft an
schaft gleichbleibt, die Einkommen in gleichem der Beseitigung ,der Überschüsse mit einem Pfennig
Maße steigen wie in den vergangenen Jahren. Nun beteiligt wird.
gibt es zwei verschiedene Modelle. Im ersten Modell Wenn dieser Vorschlag in der EWG durchkommt,
steigt das Agrarpreisniveau mit dem übrigen Preis- erreichen wir im Bereich der Milch eine Regelung,
niveau im Durchschnitt der Jahre um 2 %. Im zwei- mit ,der die deutsche Landwirtschaft voll zufrieden
ten Modell bleiben die Agrarpreise nominell gleich, sein kann. Sehr wahrscheinlich wird es dann auch
weder steigen sie, noch fallen sie. Nach dem ersten zur Beseitigung .der Überschüsse kommen, die in
Modell würden von den heute noch in der Land- keiner Weise eine so große Menge erreicht haben,
wirtschaft tätigen 2,3 Millionen Menschen in zehn wie das noch vor einem halben Jahr von der EWG-
Jahren nur noch 1,4 Millionen Menschen in der Kommission dargestellt worden ist.
Landwirtschaft den gleichen Verdienst finden wie
heute, nach dem zweiten Modell, also bei nominell Die weitere Folgerung aus dieser Modellrechnung
gleichen Preisen, sogar nur noch 1 Million Men- ist, daß die Strukturpolitik in Deutschland fortge-
schen. setzt werden muß, daß sie auch in den nächsten
Jahren, wenn der Haushalt es erlaubt, mit ver-
Meine Damen und Herren! Aus dieser Modell- stärkten Mitteln fortgesetzt werden muß, und daß
aufstellung, .die keine Zielprojektion ist — das ist die Agrarsozialpolitik erheblich ausgeweitet wer-
ausdrücklich bei der Einbringung des Grünen Be- den muß.
richts gesagt worden —, müssen wir Schlüsse ziehen
für die Zukunft. Diese Schlüsse können nur wie folgt Nun einige Worte zu dem, was Herr Dr. Ritz zur
aussehen. Erstens darf die Agrarpolitik nicht davon Aufwertung gesagt hat. Meine Damen und Herren,
ausgehen, daß, wie es der Sachverständigenrat vor- wir hätten dieses Thema heute nicht wieder ge-
geschlagen hat, in der EWG über einen Preisdruck bracht.
die Überschüsse beseitigt werden und sich dadurch (Abg. Dr. Ritz: Das kann ich mir vor
eine verstärkte Strukturänderung in den Agrarbe stellen!)
1814 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. März 1970
Peters (Poppenbüll)
Wir haben es als abgeschlossen betrachtet. Aber es Ich will auch noch auf den Kostenbereich kom-
wird von Ihnen immer wieder gebracht, Herr Dr. men. Wir sehen es alle nicht gerne, daß wir eine
Ritz, beachtliche Kostensteigerung haben, aber wenn die
(Abg. Dr. Ritz: Weil es noch nicht abge Aufwertung nicht gewesen wäre, wäre die Kosten-
schlossen ist!) steigerung stärker gewesen
-
und ich glaube, nicht zu Ihrem Vorteil. Es ist unbe- (Zuruf des Abg. Leicht)
stritten, daß die jetzige Bundesregierung der Land- — nach der Meinung der Bundesbank und der Wis-
wirtschaft für diese Legislaturperiode den vollen senschaft, Herr Leicht —, und wenn die Aufwertung
Ausgleich für die Währungsverluste gibt. Niemand ein Jahr oder ein Dreivierteljahr früher gekommen
hat gesagt, daß der Währungsverlust höher sei als wäre, hätten wir diese Kostensteigerungen vermut-
1,7 Milliarden DM. lich in diesem Maße nicht gehabt. — Bitte schön!
(Zuruf von der CDU/CSU: Professor Nie-
haus! Waren Sie nicht bei dem Hearing?) Dr. Ritz (CDU/CSU) : Herr Kollege Peters, ohne
Kapital aus einer Sache schlagen zu wollen: Erin-
— Ich komme gleich darauf. — Die Unterhaltung im
nern Sie sich daran, daß es mir in meinen Bemer-
Hearing und die weitere Diskussion hat dazu ge-
kungen zur Aufwertung auch darum ging, auf die
führt, daß jetzt von der Regierung der differenzierte
Folgen hinzuweisen, die sich etwa aus der Verhand-
Flächenschlüssel vorgeschlagen wird, eine nach mei-
lungsposition der Bundesregierung im Hinblick auf
ner Meinung verhältnismäßig einfache Art, das
die Preisverhandlungen in Brüssel ergeben und im
Verfahren in der Verwaltung durchzuziehen. Ich
Hinblick auf die Frage, was nun nach einer entspre-
glaube auch, daß dieser Schlüssel für die Landwirt-
chenden Übergangsregelung passiert?
schaft gerecht ist.
Ein weiteres Faktum. Wir haben die Mehrwert- Peters (Poppenbüll) (FDP) : Herr Dr. Ritz, ich
steuerregelung seit dem 1. Januar, und man kann glaube, wir können heute, _nachdem die Aufwer-
heute unbestritten feststellen, daß die 3 % bei der tung, die Folgemaßnahmen und alles, was eingelei-
Landwirtschaft ankommen. Es ist oft bezweifelt tet worden ist, zu übersehen ist, sagen, daß der
worden — und zwar von Ihrer Seite bezweifelt deutschen Landwirtschaft zumindest der durch die
worden —, daß bei den Veredelungsprodukten die Aufwertung bedingte volle Ausgleich zuteil wird.
Mehrwertsteuer ankommen würde. Sie haben ge- Zweitens — und das ist sehr wahrscheinlich auch für
glaubt, daß ein stärkerer Preisbruch entstehen Sie interessant, es hier noch einmal festzustellen —
würde. Ich. habe mir eine Aufstellung über die hat unsere Verhandlungsdelegation damals in
Preise im Dezember 1967, 1968 und 1969 und im Luxemburg und in Brüssel unter Minister Schiller
Vergleich dazu die Preise vom Januar 1968, 1969 und Minister Ertl über diese Fragen verhandelt. Sie
und 1970 machen lassen. Da ergibt sich folgendes sind mit dem vollen Ausgleich und nicht mit einer
Bild. Bei Schweinen hatten wir im Dezember 1967 Degression nach Hause gekommen. Sie haben das,
einen Durchschnittspreis von 250 DM, der auf 246 was wir erreichen wollten, erreicht. Wenn Sie jetzt
DM im Januar 1968 zurückging; ein leichter Rück- die Frage stellen: „Was wird nach vier Jahren
gang. Im Dezember 1968 hatten wir einen Durch- sein?", dann bin ich fest der Meinung, daß der Aus-
schnitt von 283 DM, im Januar 1969 294 DM. Nun gleich, wenn sich die Fakten nicht ändern, in irgend-
wird es interessant, Herr Dr. Ritz: Im Dezember einer Weise weitergehen wird. Davon gehe ich aus,
1969 hatten wir einen Preis von 319 DM, und der daß Ihre Einstellung so ist und daß auch unsere Ein-
ging auf 311 DM zurück. Bei Rindern haben wir das stellung so ist.
gleiche Bild. Wir haben eine saisonale Entwicklung, (Abg. Dr. Ritz: Wenn man Sie so hört,
die in allen drei Jahren gleich war — das sind dann verdienen die 'Bauern noch an der
übrigens die Zahlen einschließlich Mehrwert- Aufwertung!)
steuer —, und es ist kein Preisbruch festzustellen,
der rechnerisch 5 1/2 % betragen müßte. — Einen Schaden haben sie zumindest nicht ge-
habt, Herr Ritz. Je mehr Sie darüber reden, desto
(Abg. Dr. Ritz: Aber dann müssen Sie mehr wird nachgeprüft werden.
natürlich auch andere Preise nehmen!)
(Abg. Dr. Ritz: Natürlich, darum reden wir
— Herr Dr. Ritz, wir könnten diesen Vergleich in auch darüber!)
späteren Monaten, wenn wir die Februar- und die Nun kommt ein weiterer Punkt, zu dem Sie ge-
März-Zahlen haben, fortsetzen. Aber es zeigt sich sprochen haben, der für die Bundesregierung mit
heute ganz eindeutig, daß der Verlust der Landwirt- Sicherheit schwieriger zu verteidigen ist, das ist
schaft nicht zu niedrig eingeschätzt worden ist; ich die Haushaltslage. Meine Damen und Herren, Sie
will mich ganz vorsichtig ausdrücken. Sie sollten
wissen doch genau, daß in der mittelfristigen Finanz-
deshalb auf diesem Thema, aus dem Sie weiß Gott
planung der früheren Regierung 530 Millionen DM
kein Kapital mehr schlagen können, nicht weiter
für die nationale Agrarpolitik gestrichen worden
herumreiten.
sind. Das wissen Sie. Es ist nie anders von uns be-
Es kommt hinzu — ich möchte noch mit einem hauptet worden, als daß es Minister Ertl nun ge-
Satz fortfahren —, daß das Unterlaufen der deut- lungen ist, davon 389 Millionen DM wieder anzu-
schen Preise vor der Aufwertung beseitigt ist, durch werben. Es ist ein Fehl von 140 Millionen DM ent-
das der Landwirtschaft ein Schaden von Hunderten standen. Das wird nicht bestritten. Entscheidend ist
von Millionen DM entstanden ist. aber, daß es i n Zukunft nach dem Haushaltsgesetz
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. März 1970 1815
Peters (Poppenbüll)
nicht mehr so ist, daß fehlende Mittel für die Markt- dem Grünen Bericht gesprochen. Man kann seine
ordnung aus dem Titel 10 02 — nationale Agrar- Rede unter dem Motto zusammenfassen: Wie sag
politik — gedeckt werden müssen. Das ist ein gro- ich's meinem Kinde, ohne gleichzeitig zu bekennen,
ßer Vorteil. Im Gegenteil, es ist jetzt umgekehrt, daß dieser Grüne Bericht von einer sozialdemokra-
daß überflüssige Mittel i n Titel 10 03 für die natio- tisch geführten Regierung verfaßt worden ist?
nale Agrarpolitik zur Verfügung stehen. Wenn wir (Lachen und Zurufe von der CDU/CSU.)
die Erfahrungssätze früherer Jahre aus diesem Haus-
halt nehmen, dann dürften da einige, vielleicht Ich muß dazu sagen: Warum ist ein solcher Grüner
200 Millionen DM für die nationale Agrarpolitik Bericht, der hier das Prädikat — ich glaube richtig
durch diese Verfügung flüssig werden. mitstenographiert zu haben — „wertvoll" bekom-
men hat, in den letzten 18 Jahren nicht auch von der
(Zuruf des Abg. Leicht.) CDU/CSU vorgelegt worden? Sie hatten doch hin-
— Herr Leicht, Sie kennen genauso wie ich den reichend Zeit dazu.
Haushalt. Sie wissen, daß das stimmt, was ich eben (Lachen bei der CDU/CSU. — Zurufe von
gesagt habe. der CDU/CSU: Abtreten! Jungfernrede!)
(Abg. Leicht: Die Ansätze sind zu eng!) Nun, der Kollege Dr. Ritz hat einmal kritisiert,
die Politik könne nicht dadurch auf Dauer gemacht
Vizepräsident Dr. Schmid: Herr Abgeordne- werden, daß der Deutsche Bauernverband beim
ter, kommen Sie bitte zum Schluß. Bundeskanzler Besuche mache. Darin stimmen wir
überein; denn wir sind der Überzeugung, daß der
Peters (Poppenbüll) (FDP) : Herr Präsident, für Bundeskanzler hin und wieder auch etwas anderes
mich war eine halbe Stunde angemeldet. zu tun hat, als sich nur mit dem Deutschen Bauern-
verband zu unterhalten. Aber dieser Deutsche Bau-
Vizepräsident Dr. Schmid: Gut, dann gebe ich ernverband hat nach dem Besuch beim Bundeskanz-
Ihnen die halbe Stunde. ler erklärt, daß dieses Gespräch positiv gewesen sei,
(Zurufe von der CDU/CSU: Ja, ja! — Abg.
Peters (Poppenbüll) (FDP) : Ich bin auch bald am Dr. Ritz: Ja, ja, zwei Stunden nachher!)
Ende. — Die Einzelpositionen sind in diesem Haus- und dieser Deutsche Bauernverband hat nach der
halt um diese 140 Millionen 'DM niedriger. Das wird Vorlage des Grünen Berichts erklärt, daß dieser
nicht bestritten. Nun werden sehr wahrscheinlich, Grüne Bericht positiv sei.
wie ich eben sagte, im Laufe 'des Jahres über diese
(Abg. Stücklen: Für welche Zeit?)
Haushaltsverfügung Mittel frei werden. Dazu muß
man die mittelfristige Finanzplanung sehen, die
auch nur dann richtig erkannt wird, wenn man Vizepräsident Dr. Schmid: Gestatten Sie eine
weiß, daß im Haushalt 1970 400 Millionen DM für Zwischenfrage? — Bitte.
den Preisbruch, also für die Intervention B, enthal-
ten sind, die im Jahre 1971 wegfallen, daß der Ge- Bewerunge (CDU/CSU) : Herr Kollege, ist Ihnen
treidepreisausgleich von 190 Milliarden DM dieses bekannt, daß der Grüne Bericht das Wirtschaftsjahr
Jahr zum letztenmal enthalten ist und daß die EWG 1968/69 abhandelt und daß das eigentlich das letzte
uns im Jahre 1971 zum erstenmal von den 20 Mil- goldene Jahr unter Höcherl gewesen ist?
lionen DM 330 Millionen DM abnimmt. Wenn man (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU.)
'das zusammenzählt, ergibt sich, daß 920 Millionen
DM mehr zur Verfügung stehen, so daß, wenn man
Dr. Weber (Köln) (SPD) : Sicher ist mir das be-
in der mittelfristigen Finanzplanung in der Zahlen-
kannt; nur sagt der Grüne Bericht — und das ist das
reihe einen Vergleich zieht, Jahr für Jahr — vor-
Entscheidende in seiner Aussage — etwas, was auf
sichtig ausgedrückt — 200 bis 300 Millionen DM
die Zukunft ausgerichtet ist.
mehr zur Verfügung stehen. Diese Mittel werden
wir für Strukturpolitik und vordringlich für die (Abg. Bewerunge: Ach so!)
Sozialpolitik einsetzen. Wir sind der Meinung, daß
wir in der Sozialpolitik zunächst den Krankenver- Vizepräsident Dr. Schmid: Gestatten Sie eine
sicherungsschutz finanzieren sollten, weil 'diese Zwischenfrage? — Bitte!
Maßnahmen die wichtigste sozialpolitische Maß-
nahme ist, die in der Agrarsozialpolitik zu treffen Saxowski (SPD) : Herr Kollege Weber, würden
ist. Aber nur das Zusammenwirken einer vernünf- Sie bitte mal den Herrn Bewerunge fragen, wer
tigen Preispolitik, Strukturpolitik und Agrarsozial- denn 1968/69 die Politik der Bundesregierung kon-
politik wird der Landwirtschaft in dieser schwieri- zipiert und durchgeführt hat und ob nicht die SPD
gen Lage helfen. zu sehr großen Teilen an der positiven Landwirt-
(Beifall bei den Regierungsparteien.) schaftspolitik mitgearbeitet hat.
(Lachen bei der CDU/CSU. — Abg. Dr. Ritz:
Vizepräsident Dr. Schmid: Das Wort hat Herr Nach dem Motto: „je nachdem"!)
Dr. Weber.
Dr. Weber (Köln) (SPD) : Herr Saxowski, das
Dr. Weber (Köln) (SPD) : Herr Präsident! Meine wollte ich zu Punkt 2 sagen; darauf ist nämlich auch
Damen und Herren! Herr Dr. Ritz hat lobend von der Kollege Ritz gekommen.
1816 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. März 1970
Vizepräsident Dr. Schmid: Eine Zwischen- Jahren geschehen sei, und sagten, daß bis heute
frage! keine Richtlinien dafür geschaffen worden seien.
(Abg. Dr. Ritz: Ach, habe ich doch!)
Dr. Stark (Nürtingen) (CDU/CSU) : Herr Kollege,
— Aber sicherlich! Dann lassen Sie mich umgekehrt
würden Sie zur Kenntnis nehmen, daß wir nicht die
-
guten Aussagen der Regierung, auch der Regie-
die Frage stellen — diese Vorlage ist im Finanz-
ausschuß beraten worden —: Welches Ihrer Frak-
rungserklärung bezweifeln, sondern die mangeln-
tionsmitglieder hat im Finanzausschuß auch nur
den Taten in den letzten vier Monaten?
einmal einen positiven Beitrag zur Lösung der
(Anhaltende Zurufe von der CDU/CSU.) Frage geleistet, welche andere Möglichkeiten denn
zur Beseitigung von Aufwertungsfolgen gegeben
Dr. Weber (Köln) (SPD) : Wir haben auch hierzu seien?
etwas zu sagen. Sie dürfen mir glauben, daß wir (Abg. Dr. Ritz: Herr Kollege, es tut mir
dann, wenn Ihr erster Sprecher in diesem Hause leid!SwrfnaDgeduchir!
etwas zu Fragen der Landwirtschaftspolitik sagt, zu- Es lohnt nicht mehr zu fragen!)
hören. Deswegen habe ich Ihre Frage z. B. zu diesem
Punkt für überflüssig gehalten, weil nämlich auch Vizepräsident Dr. Schmid: Gestatten Sie noch
das, was Herr Ritz hier gesagt hat, von mir behan- eine Zwischenfrage?
delt werden wird.
Herr Ritz beschwert sich zweitens darüber, daß Dr. Weber (Köln) (SPD) : Herr Präsident, ich
die Folgen der Aufwertung für die deutsche Land- komme hier wahrscheinlich in äußerst starke zeit-
wirtschaft nicht hinreichend bedacht worden seien. liche Schwierigkeiten. Wenn Sie mir diese Zeit
Er sagt dann, die deutsche Landwirtschaft sei um nicht anrechnen, gestatte ich die Zwischenfrage gern.
8,5 % zurückgeworfen worden, und daher könnten
Preisermäßigungen von den Ausländern — sprich: Vizepräsident Dr. Schmid: Sie wird nicht an-
von den anderen EWG-Partnern — eher verdaut gerechnet.
werden. Nun, Herr Kollege Ritz, das ist doch glatter
Unsinn;
Ehnes (CDU/CSU) : Herr Kollege Weber, stimmen
(Abg. Dr. Ritz: Verzeihung! Jetzt haben Sie Sie mir zu, ,daß das zuständige Ressort der Bundes-
unsinnig zitiert! Jetzt muß ich eine Zwi regierung in den abgelaufenen drei Monaten den
schenfrage stellen! — Weitere lebhafte Gesetzentwurf hätte vorlegen müssen, insbesondere
Zurufe von der CDU/CSU.) deshalb, weil Herr Minister Ertl zwei Staatssekre-
denn erstens bekommt die deutsche Landwirtschaft täre hat, die keiner seiner Vorgänger — das ist also
gerade 1,7 Milliarden DM als Ausgleich dafür, und erstmalig — aufweisen konnte?
zweitens war doch gerade die Aufwertung notwen-
dig, um das Währungsungleichgewicht wieder in Dr. Weber (Köln) (SPD) : Erstens hat in der Zwi-
ein Gleichgewicht zu verwandeln. schenzeit ein Hearing stattgefunden, in dem von
Sachverständigen unterschiedlich dargelegt worden
Vizepräsident Dr. Schmid: Gestatten Sie eine ist, wie sie über die Verteilung der Mittel denken.
Zwischenfrage? Zweitens ist es sicherlich nicht Herrn Ertl anzula-
sten, daß er im Ministerium wahrscheinlich so viel
unerledigte Arbeiten vorgefunden hat, daß er sie
Dr. Weber (Köln) (SPD): Bitte! erst einmal aufarbeiten muß, um an neue Sachen
heranzugehen.
Dr. Ritz (CDU/CSU) : Herr Kollege Weber, sollte Zum dritten meint Herr Kollege Ritz, die Aussa-
Ihnen wirklich entgangen sein, , daß ich bezüglich gen über die Vorhaben der Bundesregierung in der
'dieser Ihrer Passage lediglich festgestellt habe, daß Regionalstruktur verlören an Glaubwürdigkeit, weil
natürlich jetzt im Hinblick auf gemeinsame Preisver- die Mittel gekürzt worden seien. Herr Dr. Ritz hat
handlungen des Ministerrats innerhalb der EWG die hierzu Zahlen zusammengestellt. Er hat dabei aber
Bundesregierung in diner schwierigen Position etwa vergessen, auch einmal die Zahlen bekanntzugeben,
gegenüber den Franzosen ist, 'die durch die Folgen die auf Seite 144 des Grünen Berichts 'dargestellt
der Abwertung hier wesentlich elastischer sind? Das sind. Dort sagt nämlich Ihr früherer Finanzminister
war meine Feststellung. Wie Sie das mit dem Prä- zu den Mitteln, die für das Jahr 1970 für die Land-
dikat „unsinnig" belegen können, ist mir schleier- wirtschaft hätten bereitgestellt werden 'sollen, etwas
haft. ganz anderes. Wenn Sie diese Zahlen vergleichen
— und das sollte man der Wahrhaftigkeit wegen
auch in diesem Hause tun —,
Dr. Weber (Köln) (SPD) : Ich bleibe trotzdem
(Abg. Kiep: Au ch in diesem Hause?)
dabei.
(Lachen bei 'der CDU/CSU. — Abg. Bewe dann sehen Sie, daß die Agrarstruktur eine Ver-
runge: Ich bin dagegen, auch ohne Gründe!) besserung von 838,1 Millionen DM, geplant von
Zweitens kritisieren Sie, Herr Kollege Ritz, daß Herrn Strauß, auf 1 097,4 Millionen DM erfährt.
die Aufwertung dem 'deutschen Landwirt keinen (Abg. Dr. Ritz: Darüber haben wir doch
Vorteil gebracht hat. Sie fragten, was nach vier schon gesprochen!)
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. März 1970 1817
Dr. Weber (Köln)
Bei der Modernisierung der betrieblichen Ausstat- liche Lehre, die Sie offenbar in der Opposition ge-
tung, bei der landwirtschaftlichen Sozialpolitik sind zogen haben.
die Ansätze übernommen worden, bei der Rationa- Was soll man mit einem Antrag anfangen, der so
lisierung der Vermarktung mit einer Erhöhung, und global Maßnahmen zusammenfaßt? So wird z. B. auf
das gilt letztlich bei dem großen Posten der anderen der einen Seite gesagt, die öffentliche Hand müsse
Förderungsmaßnahmen. In allen Fällen ist der - Re- vorübergehend Grundbesitz erwerben. Wer ist die
gierungsentwurf ein ganzes Stück weitergegangen, öffentliche Hand? Ist das die Kommune? Ist das das
als Sie es für 1970 durch Ihren damaligen Finanz- Land? Ist das der Bund? Wen wollen Sie damit ver-
minister geplant haben. pflichten?
(Abg. Dr. Stark [Nürtingen] : Die 500 Mil (Abg. Dr. Stark [Nürtingen] : Als Jurist soll
lionen lassen Sie weg!) ten Sie wissen, wer die öffentliche Hand ist!)
Nun meinen Sie, Herr Kollege Ritz, in den letzten — Eben die Tatsache, daß ich es weiß, unterscheidet
15 Jahren habe die CDU/CSU bereits den ganzen mich merklich von dem, der hier diesen Antrag ver-
Strukturwandel, der sich heute im Grünen Bericht faßt hat.
zeige, geplant und begrüßt. Sie haben leider in der Sie sagen auf der einen Seite, klassische Agrar-
letzten Debatte, die auf dem Landwirtschaftssektor strukturmaßnahmen müßten einbezogen werden; auf
geführt worden ist, nichts gesagt. Aber dafür hat der anderen Seite begründen Sie heute hier: Wir
Ihr Kollege Struve etwas gesagt, was ich einmal müssen alles verhindern, was den wirtschaftlich
wörtlich vorlesen darf. technischen Fortschritt zementiert. Unter Ziffer 3
(Abg. Dr. Ritz: Da sehen Sie mal, wieviel fordern Sie, daß öffentliche Mittel in verstärktem
Leute wir haben! — Abg. Dr. Stark [Nür Maße durch verbilligte Abgabe für den Verbraucher
tingen] : Die davon etwas verstehen!) abzubauen seien. Mit einem solchen Globalantrag,
der unbestimmt ist, kann man doch wirklich nichts
Er sagte: anfangen. Wir meinen, daß dieser Antrag nichts
Nach den Vorschlägen müssen dagegen Hun- anderes als ein Spectaculum für diese heutige Sit-
derttausende von Bauern ihre auf dem Privat- zung ist; er ist ohne jeglichen materiellen Inhalt.
eigentum beruhende Selbständigkeit und Eigen-
Herr Ehnes meint, die Aufwertung sei einseitig
verantwortung aufgeben. Das aber, meine Da-
auf dem Rücken der Landwirtschaft ausgetragen
men und Herren, ist das Ende des bäuerlichen worden. Nun, wir haben doch den Betrag von 1,7
Betriebes. Milliarden DM auf Grund genauer Berechnungen,
(Zurufe von der CDU/CSU: Na und? — mit denen Sie einig gingen, eingesetzt.
Abg. Bewerunge: Ist das Aufgeben nicht (Abg. Dr. Ritz: Gewisse Prämissen!)
Ende?)
Da gibt es doch nur die zwei Möglichkeiten: ent-
Sodann meinen Sie, Herr Kollege Ritz, die frühere weder sind die Preise auf Grund des Preisniveaus,
Regierung habe ein positives Erbe hinterlassen. Sie das am Tage der Aufwertung galt, zum Verbraucher
meinen damit selbstverständlich immer nur Herrn durchgeschlagen — dann bekommt der Landwirt sei-
Höcherl. Nach dieser Laudatio auf Herrn Höcherl nen vollen Schaden ersetzt —, oder die Preise sind
hätte an sich damit gerechnet werden müssen, nicht bis zum Verbraucher durchgeschlagen — dann
(Zuruf von der CDU/CSU: Herr Höcherl ist hat der Landwirt entweder einen Gewinn —, oder,
doch kein Erbe!) was Sie als drittes Argument erwähnen, die Erzeu-
gerpreise sind sogar gesunken; dann hat der Land-
daß Sie fast einen Heiligsprechungsprozeß einleiten
wirt wieder einen Gewinn,
wollten.
(Abg. Leicht.: Sagen Sie das mal diem Landwirt!)
(Abg. Leicht: Davon verstehen Sie nichts!
Hören Sie auf!) denn der Verlust, der Wertausgleich basiert ja auf
den Indexzahlen, die am Tage der Aufwertung hier
Dieser Bericht unterscheidet sich von den früheren in diesem Hause festgestellt worden sind.
Berichten in einem Punkt wesentlich. Heute wird ge-
(Widerspruch bei der CDU/CSU. — Abg.
sagt, die Preise müßten gehalten werden; früher
Bewerunge: Laienhafter kann man nicht
haben Sie gesagt, die Preise würden gehalten, ob-
mehr reden!)
wohl zu diesem Zeitpunkt Herr Schmücker als dama-
liger Wirtschaftsminister bei den EWG-Verhandlun- Dann erwähnen Sie, daß alle diese Maßnahmen von
gen in Brüssel längst die Hosen heruntergezogen einer untätigen Bundesregierung erbracht worden
hatte und andere Preisvorstellungen mit nach hier seien. Wir wollen keine Preisdebatte führen, aber
zurückgebracht hat. ich meine, gerade der von dieser Regierung einge-
brachte Haushalt beweist, daß Maßnahmen ergrif-
Nun, meine Damen und Herren, zu Ihrer Ent-
fen worden sind,
schließung, die Sie hier heute auf den Tisch gelegt
haben. Diese Entschließung unterscheidet sich er- (Zuruf von der CDU/CSU: Wo?)
freulicherweise von früheren Entschließungen, die und darüber hinaus haben Bundesminister erfreu-
Sie zu den Zeiten gebraucht haben, als Sie den Er- licherweise auch bei den Maßnahmen der Bundes-
nährungsminister stellten. Damals haben Sie nämlich bank mitgewirkt.
noch gefordert, daß mindestens das alte Getreide- (Lachen bei der CDU/CSU. — Abg. Kiep:
preisniveau erreicht werden müsse. Heute sind Sie Beim Diskontsatz! — Abg. Leicht: Dabei
ein ganzes Stück vorsichtiger; das ist eine erfreu haben sie nicht mitzuwirken!)
1818 Deutscher Bundestag .— 6. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. März 1970
Bundesminister Ertl
sagen, warum, und was die Alternative gewesen Ein weiteres Problem ist die Frage der gewerb-
wäre. lichen Veredelung. Wir haben das Einkommensaus-
gleichsgesetz beraten und einen Schlüssel gefunden.
Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:
-
Ich glaube, die Mehrheit war dafür, bei dem Mehr-
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des wertschlüssel in seiner augenblicklichen Form zu
- bleiben, und zwar auch deshalb, um eine gewisse
Kollegen Peters? —
Bundesminister Ertl
darf man jetzt nicht Anlaß geben, daß Kritiker da- bei Ihren guten Beziehungen zur bayerischen Staats-
durch Recht bekommen, daß man zugibt, durch die regierung sehr leicht möglich sein, eine intensivere
Intervention werde der Marktfluß möglicherweise und auch frurchtbare Mitarbeit bei der Gestaltung
nicht befriedigend gelöst. der Regionalpläne zu erwirken.
Ansonsten kann ich Ihnen sagen, daß bei der bis- Berührt wurden auch die hohen Zinsen. Ich be-
herigen Diskussion über Getreide in der Tat erheb- tone, daß das 'selbstverständlich niemandem in die-
lich mehr Interventionspunkte herausgekommen ser Bundesregierung Freude macht. Aber ich frage
sind, als von der Kommission vorgeschlagen wurden, mich, ob es jemandem Freude gemacht hätte, wenn
als auch durch Beschluß des EWG-Parlaments — ich wir die Steuern erhöht hätten; das ist nämlich die
möchte betonen, daß es ein Mehrheitsbeschluß war, mögliche Alternative gewesen. Es stellt sich heraus
damit hier keine Mißverständnisse auftauchen — — ich glaube, darüber sind wir uns im klaren, und
akzeptiert wurde. Wir sind uns immerhin darüber der Kollege Arndt wird dazu nachher selber noch
einig, ,daß der Interventionszeitraum mindestens elf etwas sagen —: Unser Stabilitätsgesetz ist bezüg-
Monate betragen muß. Das zu dieser Frage. lich des Spritzens effektiver als bezüglich des Brem-
sens, wie es überhaupt leichter ist, zu spritzen als
Bei Zuckerrüben hat die Bundesregierung einer zu bremsen. Denn beim Bremsen — das ist eine
Quotenlösung zugestimmt. Italien hat sich hier ent- physikalische Erklärung — gibt es eben Reibungs-
schieden geweigert. Ich habe umgekehrt erklärt, verluste, gibt es Hitze, und die Betroffenen spüren
eine Senkung des Weizeninterventionspreises das. Das ist eine Frage, die nicht unbedingt ange-
könne ich aus politischen Gründen nicht verantwor- nehm zu lösen ist. Das Wesen der Demokratie ist
ten. Ich bin allerdings — auch das möchte ich hier nun einmal, daß man auf solche Dinge Rücksicht
sagen — mit dieser meiner Auffassung völlig iso- nehmen muß.
liert; alle anderen fünf sind anderer Meinung. Ich
brauche Ihnen nicht zu sagen, daß diese Position (Abg. Niegel: In der Regierung sind lauter
nicht unbedingt angenehm ist. Das nur 'zur Beleuch- Spritzer und keine Bremser!)
tung der Situation. — Ach, wissen Sie, Herr Niegel, sehr geistig spritz-
Bei Milch habe ich nach reiflichen Überlegungen voll war das, was Sie jetzt gesagt haben, nicht.
selbst einen Vorschlag auf den Tisch gebracht; Sie (Abg. Niegel: Das war eine Antwort auf
kennen ihn. Er beinhaltet ein 95%iges Kontingent Sie!)
gegenüber der letztjährigen Ablieferung und 5 % zu
— Das müssen Sie erst einmal beweisen.
einem niedrigeren Preis, gegebenenfalls auch Rück-
nahme. Ich bin der Meinung, daß das eine Möglich- Zum Verursachungsprinzip möchte ich folgendes
keit wäre, um zu einer befriedigenden Lösung zu sagen. Ich betone: mein Milchvorschlag ist ein ab-
kommen. soluter Vorschlag zum Verursachungsprinzip. Sie
Ich möchte aber hier die Gelegenheit nutzen, noch sehen, daß ich nicht alles vergessen habe, was ich
einmal meine Meinung vorzutragen, daß es noch früher einmal gesagt habe. Ich habe mir deshalb
genug Möglichkeiten gibt, sowohl den Frischmilch- bewußt die Mühe gemacht, das so zu tun.
absatz wie auch den Butterabsatz besser zu fördern. Ein weiteres. Ich wäre Ihnen sehr dankbar, Herr
Eine Möglichkeit habe ich aufgegriffen, indem ich Kollege Ehnes, wenn ich Ihre französischen Zeitun-
vorgeschlagen habe, die Hotelration von 20 auf 30 g gen bekommen könnte, die Sie zitiert haben in
zu erhöhen. Ich glaube auch, daß die Erhöhung des bezug auf die Verhandlungsweise und ähnliches.
Anteils von Milchfett bei der normalen Milch auf Ich würde die sehr gern lesen. Ich nehme an, daß
3,5% sicherlich ein Schritt dazu ist. Ich bin des wei- Sie sie mir zum gegebenen Zeitpunkt schicken.
teren überzeugt, daß , die Kuhabschlachtungsprämie
(Abg. Ehnes: Und die italienischen!)
die Butterproduktion eindämmt, sicherlich nicht in
dem Ausmaß, wie wir es ursprünglich dachten und — Sie haben auch von französischen gesprochen;
man es theoretisch errechnen könnte, aber sie wir sprechen jetzt nicht von den italienischen Zei-
bremst. tungen. Ich habe mir das genau aufgeschrieben.
Im übrigen ist in diesem Zusammenhang folgen- Mich würde das sehr interessieren.
des interessant. Es wird sicherlich an der Zeit sein, Es wurde dann noch von § 35 des Bundesbau-
diesen langen Winter mit seinen Auswirkungen ins gesetzes gesprochen. Ich würde mich sehr freuen,
Kalkül zu ziehen. Allein in Frankreich sind wenn sie einen Gesetzentwurf dahin gehend ein-
300 000 ha weniger Getreide als im Vorjahr bestellt brächten, § 35 des Bundesbaugesetzes abzuschaffen.
worden. Das wird sich sicherlich auch in der Ge- Nur müssen Sie sich dann die Konsequenzen über-
treidebilanz und vielleicht sogar auch in der Butter- legen: eine totale Abschaffung des § 35 des Bundes-
bilanz auswirken. baugesetzes kann natürlich in gewissen Gebieten
dem willkürlichen Bauen Tür und Tor öffnen. Ich
Herr Kollege Ehnes, Sie haben mit Recht auf die
glaube, es ist besser, meinem Vorschlag zu folgen,
unterschiedlichen Behandlungen der regionalen Räu-
nämlich eine Änderung dahin gehend durchzuführen,
me hingewiesen. Sie haben gesagt, daß die regiona-
daß Einheimische — nachgeborene Bauernkinder —
len Räume auch nicht immer gleichwertig behandelt
generell die Ausnahmegenehmigung bekommen.
werden. Ich muß Sie darauf aufmerksam machen,
daß dies nicht nur in der Kompetenz des Bundes Nun komme ich zur Hopfenmarktordnung. Ich
liegt, sondern daß da auch eine Kompetenz des Lan- stimme zu, daß es so gewesen ist, daß eine andere
des vorhanden ist. Wie ich annehme, wird es Ihnen Delegation und viele andere Delegationen einen
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. März 1970 1827
Bundesminister Ertl
ganzen Rattenschwanz von neuen Marktordnungen Der Vertreter des Gesundheitsministeriums hat be-
gefordert haben — die letzte Marktordnung betraf stätigt, daß das im Bereich der Fehlergrenze liegt;
die Seidenraupenzucht —, alles mit der Absicht, das deshalb habe ich auf diesem Sektor nichts unter-
mit vielen Millionen, natürlich aus der gemein- nommen. Schwerwiegender war die Festlegung der
samen Kasse, zu finanzieren. Ich stimme zu, daß wir Grenze bei Rotwein. Sie lag in der Entschließung
den Standpunkt vertreten haben: Erstens. Solange bei 4,0 %, im deutschen Weingesetz bei 4,5 %. Sie
die bisherigen Marktordnungen nicht funktionsge- ist der endgültigen Entschließung der EWG auf 5,0 %
recht gestaltet sind und funktionieren, sollte man festgelegt worden; man ist sogar um 0,5 % über
nicht zusätzliche neue Marktordnungen machen. Ich das deutsche Weingesetz hinausgegangen. In einer
halte das für sehr vernünftig. Man muß einmal mit persönlichen Rücksprache hat mir Vizepräsident
dem Stau fertig werden, den wir zunächst einmal Mansholt dann noch gesagt, daß eine Katastrophen-
haben. Zweitens haben wir ab Herbst Beitrittsver- klausel für die berühmten Jahre hineinkommt.
handlungen. Drittens haben wir erklärt: Wir sind Im übrigen habe ich inzwischen alle Unterlagen
nicht mehr für neue Marktordnungen, sind dann aller- dem Ernährungsausschuß, dem Gesundheitsausschuß
dings aber auch bereit, auf unsere Marktordnungs- und dem Haushaltsausschuß zugeschickt; denn mir
wünsche zu verzichten. Sollten allerdings andere liegt sehr daran, daß dieses Parlament die Gewißheit
Marktordnungen kommen, würden wir auch darauf hat, daß der Minister das Parlament laufend über
bestehen, daß die Hopfenmarktordnung weiter be- den Stand der Probleme informieren wird.
handelt wird.
Ich möchte hier eines feststellen. Ich halte es nicht
Zusätzlich habe ich inzwischen ein Gespräch mit für gewöhnlich, daß ein Ministerialdirigent eines
dem Hopfenpflanzerverband gehabt, der mir sehr Landesministeriums mit nicht ganz korrekten Be-
zugestimmt hat. Ich habe gesagt: Ich bin gern bereit hauptungen auf einem CDU-Agrarkongreß die Stim-
— der Herr Kollege Schmidt wird mir sicherlich zu- mung anheizt. Das halte ich nicht für gewöhnlich.
stimmen, daß wir gegebenenfalls auch über CEMA Das ist dort geschehen. Diese Sache haben sich dann
und Absatzfonds für Hopfenexporte sprechen kön- einige Weinkellereien zu eigen gemacht, nicht der
nen —, einige Millionen aus nationalen Mitteln für gesamte Verband der Weinkellereien, wie ich in-
den deutschen Hopfenexport, für dessen Absatz- zwischen weiß, sondern es waren nur 4 oder 5, und
sicherung und Preissteigerung, bereitzustellen, weil die haben dann feste Stimmung gemacht. Ich habe
mich das viel billiger kommt, als wenn ich die Sei- allerdings die Gelegenheit benutzt — und dafür bin
denraupenzucht, Hanf und was weiß der Teufel alles ich sehr dankbar —, jedem einen Brief zu schicken;
über einen Umweg auch mitfinanziere. Der Hopfen- sie haben mir nämlich alle Protestkarten geschickt.
bau hat dafür volles Verständnis gehabt; ich bin ihm Seitdem habe ich die Gelegenheit sachlicher Auf-
dafür sehr dankbar. Das ist mein Angebot an den klärung durch Briefe benutzt. Damit ist die Stim-
deutschen Hopfenbau. mung ruhiger geworden.
Nun komme ich noch zum Weingesetz, das auch Ich möchte hier noch einmal betonen: ich glaube,
noch angeschnitten wurde. — Herr Präsident, ich so kann man auf die Dauer keine befriedigenden
bitte um Entschuldigung, ich komme schon zum Ergebnisse erzielen. Ich habe nichts gegen Kritik,
Schluß. aber die Kritik muß dann so fundiert sein, daß sie
einigermaßen im Raum stehenbleiben kann. Aber
Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:
-
wenn meine Experten in meinem Hause sagen: in
Herr Minister, im Agrarbereich haben wir die Ge- schlechten Jahren sind höchstens 10 % der Winzer
fahr der Überproduktion. Wenn ich mir die Liste der betroffen, und andere sagen: 30 %, dann muß das
Wortmeldungen ansehe, fürchte ich, daß wir im zur Verwirrung führen. So geht es nicht, und ich
Laufe des Abends noch vor gewissen Bergen an halte das auch für keine gute Art, wie man lang-
rhetorischen Leistungen stehen werden. Es sind noch fristig unsere Position macht.
eine Reihe von Kollegen im Hause, von denen sich Davon ganz abgesehen, es gibt ja in Europa auch
einige noch nicht in die Rednerliste eingetragen immer noch Nachbarn. Der Kollege Büchler aus
haben. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie diesen Luxemburg, der ja in der oberen Mosel Nachbar
Umstand berücksichtigen könnten. ist, hat gesagt, er verstehe gar nicht, was hier in
Deutschland betrieben werde; denn er müsse mit
Ertl, Bundesminister für Ernährung, Landwirt- sehr vielen Moselwinzern — er ist auch Mosel-
schaft und Forsten: Ich will einige Bemerkungen winzer — feststellen, für sie sei der Rahmen in der
zum Weingesetz bzw. zur Weinmarktordnung Entschließung voll befriedigend. Ich weiß allerdings,
machen. Es ist eine - Entschließung verabschiedet daß die mehr Südhänge haben — wir haben mehr
worden. Bevor ich dieser Entschließung zugestimmt Nordhänge —, und ähnliches mehr. Ich glaube, es ist
habe, habe ich ein Hearing mit Kollegen aus dem bei dieser Debatte doch darauf hinzuweisen, daß die
Gesundheits- und dem Ernährungsausschuß veran- Frage kommt: Kann die Bundesregierung das deut-
staltet, und ich selbst habe diesen Verhandlungen sche Weingesetz vollauf durchsetzen? Das bezweifle
nahezu drei Stunden zugehört. ich.
Ich war auf Grund dieser Diskussion der Mei- Im übrigen haben mir meine Leute gesagt, daß
nung — das muß ich ganz offen sagen —, daß es man bei der Behandlung des Weingesetzes — und
einige Punkte gibt, die man noch sehr schwerge- ich schneide das hier gern an — davon ausgegangen
wichtig behandeln muß. Ich nenne den Prozentgehalt ist — ähnlich wie man es bei Zuckerrüben gemacht
bei Weißwein. Da ging es darum, ob 3,5 oder 3,7%. hat; der Kollege Ehnes hat mit Recht darauf hinge-
1828 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, ,den 11. März 1970
Bundesminister Ertl
wiesen —, daß man erst einen sehr guten Rahmen Als nächsten Redner darf ich Herrn Staatssekretär
finden muß, damit man dieses Gesetz dann weit- Arndt das Wort geben.
gehend in die EWG einbringen kann. Wenn ich
natürlich fordere „nur mein Weingesetz", dann kann Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim
ich den anderen nicht verwehren, wenn sie sagen Bundesminister für Wirtschaft: Herr Präsident!
„auch mein Weingesetz". Das ist das Problem. Die- Meine Damen und Herren! Die Kollegen Dr. Ritz
sen Vorschlag habe ich auch gemacht. Aber solche und Ehnes, die Sprecher der Opposition in dieser
Vorschläge können Sie nur machen, solange es nicht Debatte, haben darauf hingewiesen, daß die neue
eine gemeinsame Weinmarktordnung gibt. Leider und jetzige Bundesregierung eine gute Erbschaft
gibt es zwei Ministerratsbeschlüsse über eine ge- auf dem Gebiet der landwirtschaftlichen Verhält-
meinsame Weinmarktordnung. nisse übernommen hat. Ich will das unterstreichen.
Sie müssen diesen Komplex einmal sehen. So ein- Auch mir liegt nichts daran, die Leistungen der
fach kann man sich das nicht machen. Vor dieser Großen Koalition herabzusetzen. Auch ich mag nicht,
Schwierigkeit stehe ich. Ich bin auf jeden Fall der daß man das schlecht macht, was dort in mehreren
Meinung, wenn es bei all dem gelingt, eine Lösung Jahren für die Landwirtschaft, aber auch für andere
zu finden, die in der Tat die Möglichkeit schafft, daß geschaffen worden ist.
für die meisten unserer Winzer keine besorgnis- Nur wenn Hermann Höcherl, der Kollege und frü-
erregenden Auswirkungen eintreten, dann muß man here Landwirtschaftsminister zu Recht erwähnt wird,
prüfen, ob man da nicht zustimmt oder die Agrar- denke ich auch an den früheren und jetzigen Wirt-
finanzregelung in Frage stellt. schaftsminister Professor Schiller; ich denke bei den
Die andere Frage ist folgende. Ich bin hier kein Schwierigkeiten, die der frühere Landwirtschafts-
Fachmann. Ich würde wirklich die Kollegen, die minister in der parlamentarischen Behandlung sei-
Fachleute sind, bitten, hier einmal ihre Meinung zu ner durchaus wegweisenden Agrarpolitik gehabt
sagen; es muß auch nicht hier sein, es kann im Aus- hat, ferner an meinen Kollegen Schmidt (Gellersen).
schuß sein. Mir ist gesagt worden, daß es einige Das alles hat schließlich dazu geführt, daß z. B. im
Rebsorten gibt, die wirklich nicht das bringen, was jetzigen Grünen Bericht für das Landwirtschaftsjahr
man als Qualitätswein für lange Zeit wünscht. Dann 1968/69 ein Differenzbetrag von 9 Milliarden DM
ist es besser, wir setzen uns mit diesen Bauern an zwischen Verkaufserlösen und Betriebsausgaben
einen Tisch und versuchen ein Programm zu ent- ausgewiesen werden konnte, während wir 1967/68
wickeln, das ihnen mit Beihilfen die Umpflanzung noch 7,5 Milliarden DM, in der Talsohle gar 7,1 und
ermöglicht. Das halte ich langfristig für ehrlicher 7,5 hatten.
und bezüglich der Winzer für zielsicherer als die Zwei Komponenten müssen zusammenkommen,
jetzige Form, wo man so tut, als ob sie jede Rebsorte damit der große Prozeß der Umstrukturierung gelin-
behalten könnten. Ich kann das nicht alles be- gen kann: eine Agrarpolitik, die nicht versucht, um
urteilen. Aber ich habe mich ein wenig informiert, jeden Preis jeden Landwirt an der Scholle festzu-
ich glaube, mich sogar sehr gründlich informiert. halten, und eine Wirtschaftspolitik, die es auf der
Ich wollte von diesen meinen Kenntnissen Ihnen ein anderen Seite denen, die hinausgehen wollen —
klein wenig mitteilen. und zwar am besten schon als junge Menschen
Soweit habe ich nun, glaube ich, die wesentlichen hinausgehen wollen —, ermöglicht, an Ort und
Punkte behandelt. Im übrigen darf ich mich für alle Stelle in ihrer Region gewerbliche Arbeitsplätze
Diskussionsredner — — zu finden.
(Abg. Stücklen: Hopfen aber unbefriedigend!) Es wurde vorhin nach den Preiseffekten der
Aufwertung gefragt, ja sogar nach etwas Ähnlichem
— Ich habe nie erwartet, daß ich von Stücklen eine
gute Qualifikation bekomme. Aber „unbefriedigend" wie Aufwertungsverlusten der Landwirtschaft. Nun
haben wir heute glücklicherweise die ersten land-
istmerhncowa.
wirtschaftlichen Erzeugerpreise für Januar 1970, dem
(Weitere Zurufe von der CDU/CSU: Hopfen Monat, in dem der Grenzausgleich aufgehoben
unbefriedigend!) wurde und in dem die Senkung der Interventions-
— Ich bin ja froh, daß der Hopfenpflanzer zustimmt. preise voll wirksam geworden ist, bekommen. Wir
Das ist mir viel wichtiger als wie der Herr Stücklen. sehen, daß dieser Januar gegenüber dem Dezember
eine Preisermäßigung für die landwirtschaftlichen
(Lachen bei der CDU/CSU.) Erzeugerpreise insgesamt von 3,1 % aufweist.
Das soll meine Sorge sein, wie wir dieses Problem Einige Abweichungen von den erwarteten oder viel-
befriedigend lösen. Ich darf mich auf jeden Fall für leicht zu erwartenden minus 8,5 % sind auf gewisse
die Beiträge aller Diskussionsredner sehr herzlich saisonale Produkte wie Gemüse, Südfrüchte usw. zu
bedanken. beziehen.
(Beifall bei den Regierungsparteien.) Aber wir haben auch Punkte, wo man tatsächlich
fragen muß — und das frage ich jetzt von der Wirt-
Vizepräsident Dr. Schmitt - Vockenhausen: schaftspolitik aus für die Durchsetzung der Inter-
Ich bin dem Herrn Bundeslandwirtschaftsminister ventionspreise bis hin zum privaten Verbraucher —,
sehr dankbar, daß er seine letzte Aufforderung an warum bei Getreide und Vieh die prozentualen
das Haus, in Fragen der Weinmarktordnung noch Senkungen hinter der Entwicklung der Interven-
zusätzliche Diskussionsbeiträge zu geben, zugunsten tionspreise zurückgeblieben sind. Dazu sind zweier-
der Ausschußsitzungen zurückgezogen hat. lei Dinge zu sagen:
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. März 1970 1829
Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Arndt
Erstens. Wenn die deutschen Landwirte für die Lebenshaltungskosten um 3,6 % gehabt, oder wäre
Aufwertungsverluste in Höhe von 8,5 % — dem es nicht mehr gewesen? Diese Frage muß gestellt
Satz der Senkung der Interventionspreise — voll werden, wenn man sich überlegt, welche Wirkung
entschädigt werden und diese Senkung findet aus die Aufwertung und andere politische Maßnahmen
irgendwelchen Gründen nicht oder erst später statt, auf , die Landwirtschaft und auf die Volkswirtschaft
dann ist die deutsche Landwirtschaft nicht auf der insgesamt gehabt haben.
Seite irgendwelcher Aufwertungsverlierer, sondern
Auf das Problem der Strukturpolitik ist Minister
auf der Seite der Aufwertungsgewinner: sie be-
kommt nämlich den Ausgleich und hat dennoch nicht Ertl schon so ausführlich eingegangen, daß ich es
die Preissenkungen zu tragen. mir ersparen kann, Weiteres dazu zu sagen. Die
Bundesregierung hat die Strukturmittel in den An-
Zweitens. Wir haben festgestellt, daß z. B. der sätzen nicht gekürzt, weil sie weiß, daß die Chancen
Weichweizen jetzt recht knapp geworden ist. Die der Hochkonjunktur für diejenigen, die sich verän-
Interventionspreise sind zwar zurückgegangen, die dern wollen — nicht, wie häufig gesagt wird: die
Marktpreise sind aber im Gegenteil hier und da sich verändern sollen —, in vollem Maße erhalten
höher als Mitte 1969, zur Zeit der höheren Inter- bleiben sollen. Immerhin, in dem von Ihnen zitier-
ventionspreise und zur Zeit des Unterlaufens die- ten damaligen Papier des Bundeswirtschaftsmini-
ser Interventionspreise durch den Handel mit dem sters zur regionalen Strukturpolitik hat man ge-
Termin-Franc, also in der Zeit des großen Wirr- schätzt, daß jährlich 14 000 Arbeitsplätze in den
warrs vor der Aufwertung. Deshalb kam es auch ländlichen Regionen geschaffen werden. Das ist mit
nicht zur Senkung der entsprechenden Mehlpreise, Recht bezweifelt worden. Aber wir haben es 1969
weil sich nämlich die Weizenpreise am Markt für - auch das ist ein Erfolg, den man der alten Regie-
die Mühlen nicht im gleichen Maße verändert rung nicht ableugnen sollte — auf 40 000 gebracht.
haben. Ich habe keinen Grund daran zu zweifeln, daß die
neue Bundesregierung — nach wie vor Minister
Ein weiterer interessanter Faktor bei den Ver-
Schiller, aber nun auch Minister Ertl statt Minister
braucherpreisen ist z. B. .die Milch. Die Interven-
Höcherl — das gleiche im Jahre 1970 bewirken wird.
tionspreise bei Milcherzeugnissen haben nachgege-
ben, aber ,die Verbraucherpreise kaum. Das liegt (Beifall bei der SPD.)
u. a. daran, daß sich die Bundesregierung dafür ent-
schieden hat, nicht die Trinkmilchpreise zu senken, In diesen neuen Grünen Bericht — ich darf mir
sondern den Qualitätsgehalt der Milch, d. h. den als Helfer in wirtschaftspolitischen Fragen vielleicht
Fettgehalt zu erhöhen. Das wird in den Preisindizes erlauben, das zu sagen — ist ein Projektionsmodell
aber nicht als Qualitätsverbesserung gewertet, son- für 1980 aufgenommen worden, das auch mit den
Größenordnungen übereinstimmt, die damals in dem
dern von der amtlichen Statistik als qualitätsneutral
behandelt. strukturpolitischen Papier des Bundeswirtschafts-
ministeriums niedergelegt waren. Es enthält Annah-
Die unterschiedlichen Schätzungen der Verbrau- men über die voraussichtliche Nachfrageentwick-
cherpreise, die alle Forschungsinstitute, der Sach- lung, über die Produktionsentwicklung und über
verständigenrat, danach die Bundesregierung in die Preisentwicklung. Soweit ich gesehen habe, sind
ihrem Jahreswirtschaftsbericht und ich am 7. Januar beide Annahmen über die Preisentwicklung, näm-
gegeben haben, nämlich daß die Verbraucherpreise lich die mit annähernd konstanten und mit sinken-
im Januar und Februar nicht nur um 3 %, wie im den Preisen, weitaus pessimistischer als das, was
vorigen Jahr, sondern um 3,5 % gestiegen sind, er- der eine oder andere nach wie vor im Lande der
klären sich aus diesen Tatsachen. Diese Abweichung, Bauernschaft einredet.
die gemessen an dem, was im Ausland um uns her- Herr Ehnes, Sie sagten, der Schwerpunkt solle auf
um vorgeht, vielleicht geringfügig ist, entspricht Preis und Marktpolitik liegen. Wie soll aber, unter
-
nicht unseren Zielsetzungen und Erwartungen. Sie dieser selbst von Ihnen nicht bestrittenen günstige-
beruht auf einer falschen Einschätzung des Sinkens ren Annahme, über die Preispolitik in der EWG,
der landwirtschaftlichen Erzeugerpreise generell. insbesondere bei den derzeitigen Überschüssen, das
Aber das ist kein Schaden für die Landwirtschaft, Einkommen der Bauern in den kommenden fünf bis
das ist eher ein Vorteil, da sie an beiden Dingen zehn Jahren gesteigert werden? Es muß gesteigert
gewinnt, an der Aufwertungsentschädigung und an werden, darüber sind sich alle, nicht nur die Bun-
der nicht in entsprechendem Umfang erfolgten Sen- desregierung, im klaren.
kung der effektiven Marktpreise.
Wenn man dann 'überlegt — dies ist der Aus-
Man muß noch eine weitere Frage stellen: Was gangspunkt des Interviews, das Herr Staatssekretär
wäre geschehen, wenn diese Bundesregierung im Dr. Rohwedder gegeben hat —, daß in der Euro-
Einvernehmen mit dem Hohen Hause auf die Be- päischen Wirtschaftsgemeinschaft Bemühungen im
seitigung ides Grenzausgleichs am 1. Januar ver- Gange sind, die Überschußproduktion zu senken,
zichtet hätte? Das ist ja eine Alternative, die hier und zwar durch Mengenregulierungen, aber auch
in der Diskussion war und die wirtschaftspolitisch durch Preisänderungen, wenn es nicht anders geht,
abgelehnt wurde. Hätten wir bei den landwirtschaft- dann ist es doch wohl recht und billig, daß er in
lichen Erzeugerpreisen dann auch nur die Preis- Übereinstimmung mit der Bundesregierung und dem
entwicklung von minus 0,2 % gegenüber dem De- Jahreswirtschaftsbericht die Einkommenspolitik für
zember 1969 gehabt? Hätten wir idann ebenfalls nur die Bauern in den Vordergrund stellt und sagt:
eine Steigerung der Nahrungsmittelposition in den Kommt das Einkommen nicht über den Preis, dann
1830 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. März 1970
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dann, wenn schwache Stellen der Regierung ver- Das wirklich Entscheidende ist ja nicht das Vor-
teidigt werden müssen, kommt natürlich der chief dergründige, von dem fortgesetzt geredet wird. Das
whip, der Zuchtmeister Wehner und bringt das in wirklich Entscheidende, meine Damen und Herren,
Ordnung. ist, 'daß wir, in nationalen Preisen ausgedrückt, die
(Heiterkeit. — Zuruf von der SPD: Er schafft landwirtschaftlichen Erzeugerpreise senken müssen.
es sogar!) Frankreich muß sie anheben und wird sie anheben.
Das heißt: entscheidend ist der nationale Preis für
Nun, Herr Kollege Ertl, darf ich mich zunächst den Anreiz, für die Entscheidung des Produzenten,
Ihren Ausführungen zuwenden. Leider haben Sie so daß auf diese Weise ein Druck auf die ganze
vorhin wieder das alte Spiel um die Aufwertung deutsche Landwirtschaft ausgeübt wird, unabhängig
aufgeführt. Es geht nicht um die Aufwertung — sie von dem Ausgleich. Der Ausgleich selbst hat näm-
ist vollzogen, sie ist eine Tatsache —, sondern es lich auch nicht diese psychologische Wirkung. Er
geht um ihre Folgen und um sonst nichts. hat eine ökonomische Wirkung. Die psychologische
(Beifall bei der CDU/CSU.) Wirkung aber hat der effektive Preis, den er er-
zielt. Der französische Bauer, der sowieso sehr viel
Ich sage freimütig: Es gibt in der Frage der Aufwer- erzeugt — unter vielbesseren Bedingungen — ,
tung kein dogmatisches Ja und kein dogmatisches nimmt höhere Frankenpreise, und auf diese Weise
Nein, sondern das ist ein Instrument, eine technische gibt es einen Druck, ganz in der Richtung von Vor-
Lösung, die vielleicht einmal notwendig ist, viel- stellungen, die ich jetzt nicht mit einem Namen
leicht aber auch nicht. Es geht um ihre Folgen, und verbinden will; er ist schon öfter hier genannt wor-
diese Folgen sind nicht zweckentsprechend vorbe- den. Das ist der Kern und das Entscheidende. Das
reitet worden. Gewisse Auswirkungen verzögern ist etwas Fundamentales, meine Damen und Herren.
sich zeitlich — was übrigens das Getreide betrifft, Herr Bundesernährungsminister, ich darf Sie bitten,
so kann ich mich sehr gut daran erinnern, daß durch Ihren Teil dazu beizutragen, daß dieser Ausgleich
die Intervention B, die wir der Regierung noch als zustande kommt.
Morgengabe überreicht haben, nichts passiert ist —;
(Zuruf von der FDP: Hat er schon getan!)
aber der breite Werkmilchsektor, der Veredelungs-
sektor, zieht natürlich je nach Marktverhältnissen — Na gut. Es hat lange genug gedauert.
mit. Wann das kommen wird? Auf jeden Fall Was nun die Frage der Finanzierung der ge-
früher als in dem Sommer, in dem Sie auszahlen werblichen Veredelung betrifft, die Sie noch ange-
wollen. Wir haben noch keinen Entwurf. Sie hätten sprochen haben: Meine Damen und Herren, es kann
diese Dinge im November und Dezember in Ord- einfach gar keinen Zweifel geben, daß hier bei der
nung bringen sollen. Finanzierung .sehr splendid und sehr kavaliers-
Sie berufen sich auf das Hearing. Das ist eine mäßig vorgegangen worden ist. Die Steigerung bis
sehr nette und gute Methode, dieses Hearing, sehr zu 38 % ist ein immenser Vorgang. Ich kann nur
aufschlußreich; es ist auch eine schöne Empfehlung hoffen, daß beim Beitritt Englands diese Frage neu
für den Parlamentarismus. In der Geschäftsordnung zur Debatte steht und daß man etwas sorgfältiger
steht, daß diese Kreise zu hören sind. Das ist also vorgeht, wenn man schon großzügig ist. Ich habe
ganz und gar nichts Neues. Das ist auch kein be- Verständnis dafür und bin bereit, für Europa viel
sonderes Verdienst, sondern nur die Ausführung zu tun; aber ich mache es gern mit Gegengeschäf-
einer Geschäftsordnungsvorschrift. Das haben Sie ten. Ich 'habe keines gesehen. Das muß gesagt wer-
gemacht. Das hätte aber auch sehr viel kürzer ge- den.
schehen können. (Beifall bei der CDU/CSU.)
Die Ausstattung des Haushalts: Dieser Haushalt,
Wir hätten nicht einmal etwas dagegen gehabt,
meine Damen und Herren, ist trotz seiner großarti-
wenn Sie eine eigene Erfindung für den Ausgleich
gen Abschlußziffer — wobei ja 920 Millionen DM
auf den Tisch gelegt hätten. Aber gut muß sie sein.
ganz woanders hingehören; das ist schon gesagt
Es geht nur nach der Qualität. Wir werden ja
warden — ein Diäthaushalt bezüglich der Struktur-
sehen, wenn wir den Gesetzentwurf haben. Daß
politik, in der es keine Unterbrechung geben darf.
aber der Landwirt der Kreditgeber und Gläubiger
Nehmen Sie nur die Preisanhebungen im gesamten
bleibt bis zur Mitte des Jahres, das ist nicht in
Strukturbereich, im Küstenbereich usw., Dinge, die
Ordnung. Infolgedessen hoffe ich, daß hier die
sowieso auf das Volumen drücken! Wenn im Struk-
Dinge zu beschleunigen sind. Ich meine, daß hier
turbereich und, wie Sie sagen, i n der Investitions-
(etwas vorliegt, was nicht ganz mit der eigenen
hilfe ein absoluter Stopp eintreten soll, wie Sie das
Beurteilung der bisherigen viermonatigen Leistun-
über die Richtlinien manipulieren wollen, dann muß
gen übereinstimmt. Man ist hier sehr großzügig. Das
ich Ihnen sagen: Es gibt dann nicht nur eine schwere
ist das eine.
Enttäuschung, sondern einen Rückschlag, weil die
Das zweite ist folgendes — ich wiederhole e s noch laufende Modernisierung ja die einzige Voraus-
einmal —: Bei der Aufwertung hätte man meines setzung ist, in dem immer schärfer wendenden Wett-
Erachtens versuchen müssen, Holland und Belgien, bewerb seinen Platz behaupten zu können.
die i n einer ähnlichen Situation sind, mitzuziehen;
(Beifall bei der CDU/CSU.)
dann wäre es gelungen — auch nach einer Aussage
d er Kommission —, den Grünen Dollar zu senken Ich sage Ihnen noch eines, Herr Kollege Ertl:
und auf diese Weise all diese Schwierigkeiten zu Ich hätte von Ihnen erwartet, daß Sie gerade in der
vermeiden. Hochkonjunktur Strukturmittel für den nicht über-
1832 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. März 1970
Höcherl
hitzten ländlichen Raum bekommen und die Mittel wenn meine Informationen, Herr Wehner, die :spär-
dort abziehen, wo sie wirklich anheizend wirken, lichen und sparsamen, richtig sind.
damit sie jetzt eine Aufgabe erfüllen, so wie wir es (Beifall bei der CDU/CSU.)
auch früher schon einmal gemacht haben. Hier ist
eigentlich. immer noch eine Leistung fällig. Sie Sie haben das Wort „bremsen" gebraucht. Das
könnte heute noch erbracht werden. Wir sind - be- Bremsen fällt schwer, das weiß ich, vor allem wenn
reit, Ihnen auf diesem Weg zu helfen, und dürfen fünf Landtagswahlen oder gar sechs vor uns liegen.
Sie herzlich einladen. Wir werden Sie an der Hand üDann ist es natürlich schwer, der Pflicht zu gen
führen. gen und Unangenehmes medizinisch zu verordnen,
(Beifall bei der CDU/CSU.) vielleicht sogar einen operativen Eingriff zu machen.
Das verstehe ich. Aber Sie haben nun einmal diese
Sie haben in etwas merkwürdiger Form den Vor- Rolle gewählt. Sie haben keine starke Mehrheit.
schlag des Europäischen Parlaments gebracht und Da verstehe ich, daß Sie das bedrückt und Ihnen
das mit dem Namen Lücker in Verbindung gebracht Schwierigkeiten macht. Selbst der Herr Bundes-
und natürlich mit der CSU, um zu sagen: Jetzt bin kanzler war schon einmal auf dem Sprung und hat
ich aus dem Schneider, das hat Lücker vorgeschla- von § 26 gesprochen. Das sind doch diese heißen
gen; die CSU sowieso, der schwierigste Partner im Dinge. Aber er hat sie wieder fallen gelassen wie
Oppositionsbereich; schon wegen unserer gemeinsa- eine heiße Kartoffel.
men Heimat ist .das so. Nein, meine Damen und
Herren, 'das war eine Entscheidung des Parlaments, (Heiterkeit bei der CDU/CSU.)
und Lücker war Berichterstatter. Wir haben ein in- Jetzt haben Sie meinen wirklich guten Kollegen
formatives Blatt für unsere Mitglieder und unsere Schiller in einer Art und Weise behandelt, —
Freunde. Denen vermitteln wir solche Ergebnisse, ich habe gehört, er sei in der Fraktion herunterge-
damit sie sich orientieren können. Wir adoptieren macht worden. Das hat der Mann nicht verdient. Er
dieses etwas schief gewachsene Kind nicht. Wir be- wollte auf dem richtigen Wege gehen.
kennen uns auch nicht als Vater, sondern sagen: In (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU.)
parlamentarischer Freiheit und Option ist dieser
Beschluß dort zustande gekommen. Sie müssen als Ich habe kürzlich vor Unternehmern in Nürnberg
Minister ja oder nein sagen. Ich hoffe, daß Sie nein gesagt, ich werde Schiller und Möller gegen Weh-
sagen, daß Sie Ihre alten Vorstellungen von kosten- ner und die übrige SPD unterstützen auf dem Weg
deckenden Preisen dort endlich verwirklichen. von guten Vorsätzen; natürlich müssen wir uns die
ansehen. Aber Sie haben ihn damals schon ent-
(Beifall hei der CDU/CSU.) täuscht, jetzt wieder enttäuscht. Das hat er nicht
Ich war zu schwach. Ich habe es nicht geschafft. verdient. Er hat sich ja oft geirrt. Aber wir dürfen
Aber Sie werden es jetzt mit der Macht und Wucht niemanden die Möglichkeit der Besserung versagen.
dieser Minikoalition schaffen. Der Gerechte fällt siebenmal am Tag, und wenn er
wieder aufsteht, hat er unsere hilfreiche Hand. Aber .
(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU.) Sielasnhct;ruig!
Meine Damen und Herren, bei der Weinmarkt- (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU.)
ordnung bin ich etwas überrascht. Ich pflichte Ihnen Herr Bundesernährungsminister, das Verursa-
in dem einen oder anderen Punkt weitgehend bei. chungsprinzip war ganz anders gedacht, das war ein
Wir haben ein ganz kleines Rinnsal von Informa- nationales Verursachungsprinzip. Natürlich, Sie ma-
tionen. Wir müssen das alles dürftig aus allen Zei-
chen das unmittelbare, auf den Bauern bezogene,
tungen, ausländischen Zeitungen zusammenlesen.
sein Einkommen mindernde Verursachungsprinzip.
Deswegen müssen Sie ,auch Verständnis für uns
Das ist das Eigentliche. Der Verband will etwas ganz
haben, wenn gelegentlich eine Darstellung auftaucht,
anderes, der will ein nationales Verursachungs-
die sich wegen Ihrer fehlenden Informationen nicht
prinzip.
ganz hundertprozentig mit der Wirklichkeit deckt.
Herr Kollege Arndt, ich darf mich Ihren Aus-
(Abg. Wehner: Charmant gesagt! — Heiter führungen zuwenden. Ich danke Ihnen herzlich für
keit.) die noble Art, die gute Erbschaft hier zu bestätigen.
Dem Herrn Möller ging es bei dieser Sache schlecht.
Bei der Weinmarktordnung handelt es sich um
die Erbschaft mit Worten ausgeschlagen, noch Erhat
folgendes. Ich sehe, daß sich die kompetente Wein-
bevor er ein Inventar angelegt hatte. Jede Erbschaft
wirtschaft beklagt, und zwar über die technischen
muß erst inventarisiert werden. Dann stellte sich
Details. Aber was noch schwieriger ist, list etwas
heraus, daß die ganze Kriegskasse von Strauß bis
anderes. Sie haben Grundsätzen zugestimmt — das
obenhin voll übergeben worden ist. Das haben Sie
war 'ein etwas euphorischer Vorgang —, und jetzt
auf einmal geht es in die Details. Das ist genau wie besser gemacht, Sie haben gesagt, es war eine gute
bei der Haager Konferenz: 'ein großartiges Gemälde, Erbschaft, nachdem Sie auch den Bericht geschrieben
wirklich eindrucksvoll. Ich bestreite es gar nicht. haben und der Bericht erfreulicherweise auch günstig
Aber dann kommen die Details, — aus. Sie haben war. Hoffentlich bleibt er so. Damit ist eine Marke
Grundsätzen zugestimmt, und die Details, die jetzt gesetzt. Wenn es schlechter wird, Herr Kollege Ertl,
notwendig sind, stimmen nicht ganz mit den Grund- kommen Sie von diesem Vorbild nicht mehr her-
sätzen überein. Sie werden mit Italien und Frank- unter. Das ist nun einmal so.
reich Schwierigkeiten kriegen. Das ist der Kern, — (Beifall und Heiterkeit der CDU/CSU.)
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. März 1970 1833
Höcherl
Ich mag auch nicht, daß man Leistung und Ver- Meine Damen und Herren, ich vermisse etwas.
dienste von anderen Ressorts, ganz gleich, wie die Wir kratzen an der Oberfläche der Dinge. Eine
politische Konstellation ist, irgendwie minimalisiert. solche Debatte bekommt dann mehr Interesse und
Nein, Herr Kollege Schiller hat seinen Anteil an auch öffentliche Aufmerksamkeit, wenn einige ganz
dieser Strukturpolitik, ,die es im übrigen auch schon entscheidende Probleme angeschnitten werden, was
früher gegeben hat. Das ganze Land ist über die ich von Ihnen, Herr Kollege Ertl, erwartet hätte:
Strukturpolitik durchsetzt mit Ausbauorten, Zentral- Ihre Haltung, was den Beitritt Englands im agrar-
orten usw., aber es ist hier konzentriert worden, es politischen Sektor betrifft, die Frage der Struktur-
ist mehr Nachdruck gebraucht und es sind auch mehr politik und überhaupt die Frage: wie soll die Land-
Mittel eingesetzt worden: eine gute Geschichte. Ich wirtschaft, deren Entscheidungsbefugnisse immer
will hoffen, daß die Dinge nachdrücklich fortgesetzt mehr nach Brüssel verlagert werden, wie soll die
werden. Landwirtschaft, die ständig mit Karikaturen und
falscher Prosa in ihrer Leistung und ihrer Lage her-
Nun zur Frage der Aufwertung und der Preisent- abgesetzt wird, weiterbestehen? Hier hätten Sie ein
wicklung. Ich will Ihnen etwas sagen, es sind Ihnen Plädoyer dafür halten müssen, daß die wirklich
einige starke Fehler unterlaufen. Die Aufwertung europäische Leistung, die Klammer, die heute noch
war doch keineswegs so klar; selbst der Herr Präsi- hält, die Geschäftsgrundlage der EWG — und Sie
dent Klasen, der heutige Präsident der Bundesbank, werden es bei der Ratifizierung der Agrarfinanzie-
warimLgedAuftnsr.beich rung merken —, von der deutschen Landwirtschaft
mehr von diesem Streit. Ich glaube, davon haben und von der Landwirtschaft der sechs Länder er-
wir alle genug genossen. Sie haben aber Fehler ge- bracht worden ist.
macht. Die Bundesbank hat die Mindestreserven
freigegeben, es wurde zum Haushaltsultimo No- Es wird von Überschüssen gesprochen. Wir haben
vember/Dezember zuviel Geld zu flott ausgegeben, sie geheiratet, bewußt. Die Franzosen, die Holländer
und dann hat es an den flankierenden Maßnahmen und auf einigen Gebieten auch die Italiener haben
gefehlt. Das war das Entscheidende. sie bewußt geheiratet. Dazu die Modernisierung!
(Beifall bei der CDU/CSU.) Und jetzt stellt man sich hin und meint, das sei eine
Überraschung, ein Wunder sei geschehen. Das war
Nehmen Sie die französische Aufwertung: erstens keine Überraschung, sondern das war die verein-
klammheimlich, leise, wie sich das gehört. Bei uns barte Präferenz der Überschußländer. Aber das Er-
war es in aller Öffentlichkeit. Schiller durfte sich gebnis war, daß sich alle sechs Landwirtschaften und
daran nicht beteiligen. Zweitens hat man in Frank- alle sechs Industrien entwickelt, modernisiert und
reich sofort ein binnenwirtschaftliches Ergänzungs- auch in ihrem Ausstoß verstärkt haben, so daß die
programm eingeführt. Sie haben heute noch keines, Geschäftsgrundlage nicht mehr in dieser Form vor-
aber Sie haben sich eines von der Bundesbank ver- handen ist. Kein Mensch sagt mehr etwas von ame-
ordnen lassen müssen, weil Sie Angst wegen der rikanischen Überschüssen, spricht von dem größten
Landtagswahlen haben, und haben das Stabilitäts- Industriestaat oder dem größten Agrarstaat, sagt,
gesetz nicht strapaziert. die einen seien gut und die anderen seien schlecht.
Als eine ganz große Leistung wird immer die Nein, es sind alle gleich gut oder gleich schlecht.
Beteiligung an der Konzertierten Aktion zitiert. Wir sind den Weg gegangen, daß die deutsche
Meine Damen und Herren, was ist die Konzertierte Wirtschaft über diesen Zusammenschluß ihre Lei-
Aktion? Das ist ein runder Tisch, den es früher auch stungskraft wirklich steigern konnte. Die größten
schon gegeben hat und an dem die Verbände sitzen. Kunden sitzen in der EWG. Wir exportieren 40 % in
Das wurde nun als Konzertierte Aktion hochge- die EWG. Das Sozialprodukt der Volkswirtschaft der
stapelt. Einige Male waren die Melodien ganz er- sechs Länder ist jetzt vielleicht bei 1800 Milliarden
träglich; die letzten waren wie von den Bremer angelangt. Jetzt ist die breite Schicht der Käufer
Stadtmusikanten. ihr Partner in der Landwirtschaft. Er ist gestärkt
und hat Aussichten, seine Kaufkraft noch mehr zu
(Heiterkeit bei der CDU/CSU.) stärken. Jetzt ist es an der Zeit, daß man sich an
Und die Erlaubnis, sich mit hinsetzen zu dürfen und diese Dinge erinnert, sie nicht vergißt und die Kraft
sich die Widersprüche anhören zu dürfen, das soll aufbringt, Strukturmittel und entsprechende Anreize
eine agrarpolitische Leistung sein? Warum haben zu schaffen. Dazu müssen wir in der Lage sein; denn
Sie .die nicht früher mitmachen lassen, warum auf wir haben den richtigen Weg eingeschlagen.
einmal nachher? Die Zeitrechnung haben Sie in der
Großen Koalition auf Dezember 1966 angesetzt. (Beifall bei der CDU/CSU.)
Alles andere existierte nicht, war schlecht und mise-
rabel. Jetzt 'beginnt die neue Zeitrechnung mit dem Herr Kollege Ertl, im Interesse der deutschen
28. September 1969. So werden wir die Geschichte Landwirtschaft wird diese Regierung — ich darf wie-
nicht umschreiben! derholen, was der Kollege Ritz gesagt hat, wie wir
überhaupt meinen, eine Opposition der Vernunft
Ich bin in , der Frage der Drittländer durchaus Ihrer machen zu müssen — immer eine Unterstützung
Meinung, Herr Staatssekretär Arndt. Wir müssen haben, wenn sie vernünftige Vorschläge auf den
einen Kompromiß finden. Wir sind in einer gebun- Tisch legt, weil uns das Schicksal dieser Menschen
denen Welt und haben viele Rücksichten zu nehmen. mit ihren verkannten Leistungen so am Herzen liegt.
Aber das ist wohl eine Frage der Überschußländer
überhaupt in der EWG. (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU.)
1834 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. März 1970
daß ich in dieser Hinsicht alle seine Bedenken zer- Die Debatte im Deutschen Bundestag kann sich
streuen kann; denn im Grünen Bericht selbst steht, also nur um die Frage drehen: Was wird aus
daß es sich hier um einen ersten Orientierungsver- den Bauern? Das heißt, es kann nicht mehr wie
such handelt, der ständig überprüft und verbessert in den früheren Jahren darum gehen, ob der
werden muß. Das kann keine Richtlinie werden. unaufhaltsame Schrumpfungsprozeß abgefangen
werden kann, sondern einzig und allein darum,
Zum Projektionsmodell möchte ich mich jetzt im
wie den verbleibenden Bauern eine erträgliche
einzelnen nicht weiter äußern. Aber sicher ist — das
Existenz gesichert werden kann und wie die
wurde heute von allen Rednern nicht bestritten —,
aus der Landwirtschaft abwandernden Kräfte
daß im Laufe der nächsten zehn Jahre noch Men-
reibungslos in andere Tätigkeiten überführt
schen aus der landwirtschaftlichen Erwerbstätigkeit
werden können.
ausscheiden müssen. Das muß nicht unbedingt und
zwangsläufig bedeuten, daß sie ihr Dorf verlassen Ich glaube, daß wir dieser Erwartung heute in un-
und alte Bindungen aufgeben müssen. Man mag je- serer Debatte noch nicht ganz entsprochen haben.
doch diese Entwicklung bedauern oder nicht, die zur
Zeit absehbaren Tatsachen sprechen dafür, und wir Der Deutsche Landfunk sagt:
müssen uns mit diesen Tatsachen auseinandersetzen Die bisherige, rein auf die Bauern bezogene
und unsere politischen Entscheidungen an diesen ab- Agrarpolitik muß ersetzt werden durch eine ge-
sehbaren Tatsachen weitgehend orientieren. schlossene Politik der Umgestaltung des länd-
lichen Raums. Gebraucht wird ein Grüner Plan
Der Herr Kollege Ritz hat vor einigen Wochen in
1980. Dazu aber bedarf es nicht nur eines Teiles,
einer Stellungnahme zu dem agrarwirtschaftlichen
sondern aller Kräfte des Parlaments.
Teil des wirtschaftlichen Gutachtens des Sachver-
ständigenrats die großen Opfer erwähnt, die die Ich darf mir die etwas boshafte Meinung erlauben:
Landbevölkerung bei der Anpassung an die neuen Daß es sich um „alle" Kräfte des Parlaments han-
wirtschaftlichen, technischen und politischen Ge- delt, haben wir ja heute in dieser Debatte durch die
gebenheiten gebracht hat. Diese großen Opfer seien Anwesenheit der Parlamentarier ganz eindeutig
hier ausdrücklich anerkannt. Ich frage mich nur: Wer dokumentiert. Wie ich feststelle, sind die Agrarier
hat jedoch diese großen Opfer der Landwirtschaft wieder einmal unter sich.
politisch zu verantworten? Dazu hat Herr Dr. Ritz (Widerspruch bei der CDU/CSU.)
gesagt — ich zitiere —: „Die CDU hat die richtige
Politik betrieben". Ich glaube nicht, daß irgendeiner — Es melden sich einige Herren, die also offensicht-
hier in diesem Hause der Meinung ist, es sei eine lich keine Agrarier sind. Ich nehme meine Behaup-
richtige Politik, wenn man einer Gruppe innerhalb tung dann also mit Bedauern zurück, darf aber zu-
unseres Volkes, innerhalb unserer Gesellschaft mindest die Feststellung treffen, daß der größte Teil
Opfer auferlegen wolle, um damit die Bedingungen der hier Anwesenden agrarpolitisch tätige und agra
für alle anderen angemessener und besser gestalten politisch interessierte Bundestagabgeordnete sind.
zu können. Ich darf folgende Erwägung anknüpfen.
Insofern habe ich es als dankenswert verzeichnet,
Vielleicht wäre manches, was heute als Opfer be- daß Herr Minister Ertl in seiner Einbringungsrede
zeichnet werden muß, zu vermeiden gewesen, wenn auf die große Bedeutung der Bildungspolitik in den
man rechtzeitig Maßnahmen getroffen hätte, um die ländlichen Räumen hingewiesen hat. Er hat auch in
Landbevölkerung auf den stürmischen Wandel in seiner heutigen Rede noch einmal betont, daß er
ihrem Bereich vorzubereiten. Bildungs- und Sozialpolitik als eine Säule der deut-
(Zustimmung bei der SPD.) schen Landwirtschaftspolitik betrachtet. Ich habe das
Ziel einer verantwortlichen Landwirtschaftspolitik Empfinden, daß wir uns mit dieser Säule am heuti-
muß es daher sein, die Bedingungen, unter denen gen Abend bisher etwas zuwenig beschäftigt haben.
sich der notwendige Wandel zu vollziehen hat, an- Deshalb darf ich Sie bitten, mir in dieser Hinsicht
nehmbar, erträglich und, wenn es möglich sein einige Minuten Zeit zu gewähren.
sollte — ich betone das ausdrücklich —, vielleicht Als Herr Dr. Ritz in seiner Rede von denjenigen
sogar attraktiv zu gestalten. Wichtige Vorausset Maßnahmen sprach, die die Agrarstrukturmaßnah-
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 36, Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. März 1970 1835
Löffler
men begleiten, ergänzen und unterstützen sollten, gebracht wurden, wurden doch noch — entschuldi-
war ich ein wenig überrascht, als er bei der Sozial- gen Sie, wenn ich das ein wenig hart sage — aus
politik aufhörte und nicht die Bildungspolitik er- einer überholten Bauerntumsideologie bezogen, die
wähnte, obwohl der Minister, wie gesagt, in seiner nicht mehr unserer Wirklichkeit entspricht und auch
Einbringungsrede die Bildungspolitik stark heraus- nie — das nebenbei gesagt — der ländlichen Wirk-
gestrichen und im Grünen Bericht die Vorlage - eines lichkeit so entsprochen hat, wie ihre Vertreter es
umfassenden Bildungsprogramms für die Bevölke- vorgegeben haben. — Herr Bewerunge nickt zwar
rung in den ländlichen Räumen angekündigt hat. Ich nur sehr andeutungsweise; ich werte das aber den-
weiß nicht, weshalb Herr Dr. Ritz — — noch als Bestätigung.
(Abg. Bewerunge: Es kommen noch zwei Ich darf hoffen, daß die Debatte über das Bil-
Redner zu diesem Problem!) dungsprogramm hier in diesem Hause von solchen
— Herr Bewerunge, dann nehme ich das zurück. Ich Argumenten nicht belastet wird, nämlich von sol-
darf aber schon jetzt, wenn Sie gestatten, da ich chen Argumenten, die tatsächlich, wenn man so will,
nach den beiden Rednern nicht mehr sprechen kann, von vorgestern stammen und im Grunde genommen
die etwas polemische Frage stellen, ob dann in die- auf das eine hinauslaufen, nämlich die künstliche
sem Zusammenhang von Ihnen auch noch der Satz Trennung von Stadt und Land aufrechtzuerhalten,
aufrechterhalten wird: Die CDU hat die richtige obwohl sie heute nicht mehr aufrechtzuerhalten ist,
Politik betrieben. in einem Zeitalter, in dem durch immer perfektere
Kommunikation die Erdteile eng aneinanderrücken
Gerade das Bildungswesen auf dem Lande ist und die Probleme hautnah aufeinanderkommen.
lange Zeit vernachlässigt worden, was die Bewälti-
gung vieler Aufgaben zusätzlich erschwert. Dieser In dieser Situation ist es nicht mehr möglich, so
Satz stammt nun nicht, wie man zunächst unterstel- etwas wie eine „dorfeigene", „heimatbezogene"
len könnte, von einem Bildungspolitiker der FDP Schule aufrechtzuerhalten. Allein schon die Berufs-
oder der SPD, sondern aus einem Vorwort, das der struktur auf dem Lande beweist, daß das unhaltbar
ehemalige Präsident des Deutschen Bauernverban- ist. Eine Untersuchung der Berufsstruktur in hes-
des, Herr Rehwinkel, für eine Broschüre über Bil- sischen Landgemeinden hat ergeben, daß z. B der
dungspolitik geschrieben hat. Anteil der hauptberuflichen Landwirte und der da-
zugehörigen Altenteiler erst an dritter Stelle liegt,
Diese Feststellung ist übrigens nicht neu. Sie ist
hinter den Facharbeitern, Angestellten und Beam-
in diesem Jahrhundert schon häufig getroffen wor-
ten. Bei dieser Situation konnte mit Recht ein um die
den, ohne daß die für das ländliche Bildungswesen
Landschulpädagogik verdienter Mann darauf hin-
Verantwortlichen die nötigen Konsequenzen daraus
weisen, daß Stadt und Dorf nicht mehr Gebilde mit
gezogen haben. Ich will jetzt einfach einmal fragen:
auffallend grundsätzlicher und gegensätzlicher
Es besteht sicherlich kein Bedürfnis dafür, daß ich
Struktur sind.
jetzt anführe, in welchen Ländern der Bundesre-
publik das ländliche Schulwesen besonders zurück- Das heißt, bei den Bildungschancen und Bildungs-
geblieben ist? Das können Sie, nebenbei gesagt, inhalten kann nicht mehr nach Stadt und Land un-
auch selbst an einschlägigen Statistiken ablesen. terschieden werden. In der von mir bereits vorhin
Ich bin aber gern bereit, Ihnen das zu sagen. erwähnten Broschüre des Deutschen Bauernverban-
des zur Bildungspolitik wird das auch ganz klar
Das hervorstechende Merkmal des ländlichen Bil- und realistisch ausgedrückt, anders als bei den
dungswesens ist die wenig gegliederte Schule; das Apologeten einer romantisierenden Betrachtung des
hat sich ja praktisch in 150 Jahren so gut wie nicht ländlichen Lebens.
gewandelt. Das bedeutet allerdings auch, daß dieses
Bildungswesen nicht in der Lage gewesen ist — da- In der Broschüre heißt es nämlich:
mit wird es hochaktuell, hochaktuell für uns alle,
Jeder Mensch hat das Recht auf volle Entfaltung
egal, welcher Partei wir angehören —, sich den
seiner Anlagen und Fähigkeiten durch Erzie-
veränderten Verhältnissen in Gesellschaft, Wirt- hung und Bildung. Die Erfüllung dieser Rechte
schaft und Technik anzupassen. Nun kann man
und Pflichten erfordert ein vielfältiges Ange-
glücklicherweise sagen, daß sei kurzer Zeit — ich
bot an Bildungsmöglichkeiten für alle Alters-
möchte sagen; seit ganz kurzer Zeit — auf diesem stufen und Menschen in Stadt und Land.
Gebiet eine gewisse Aufweichung ideologischer Ver-
härtungen festzustellen ist. Die Bereitschaft ist im Der Herr Bundeskanzler hat in seiner Regie-
Wachsen, diejenigen Fakten zur Kenntnis zu neh- rungserklärung gesagt: „Wir dürfen keine Gesell-
men, die empirisch ermittelt und statistisch ausdrück- schaft der verkümmerten Talente werden; jeder muß
bar sind. seine Fähigkeiten entwickeln können, die betroffe-
Das ist tatsächlich ein großer Fortschritt, insbe- nen Menschen dürfen nicht einfach ihrem Schicksal
sondere dann, wenn man diese Fakten auch zur überlassen werden". Ich glaube, daß dieser Satz
Grundlage seiner eigenen politischen Entscheidung insbesondere für die jungen Menschen, die in länd-
macht. Das bedeutet aber noch nicht — um hier lichen Regionen leben, gilt.
gleich ein wenig vorzubeugen —, daß die Ausein- Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes sind
andersetzung über die zweckmäßige Gestaltung der es mehr als die Hälfte der Kinder bis zum 15. Le-
Schule auf dem Lande, über die zweckmäßige Ge- bensjahr, die in Dörfern und Kleinstädten leben. Das
staltung des ländlichen Bildungswesens, abgeschlos- sind die Kinder, die in erster Linie von dem Rück-
sen ist. Viele Argumente, die in dieser Debatte vor stand bei den Bildungseinrichtungen betroffen sind.
1836 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. März 1970
Löffler
In diesem Zusammenhang ist auch eine Untersu- Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen:
chung bedeutsam, die aussagt, daß von den Bil- Meine Damen und Herren, der nächste Redner in
dungseinrichtungen auf dem Lande außerordentlich der Liste ist der Herr Kollege Lotze.
stark Gebrauch gemacht wird, wenn sie in annehm-
barer Entfernung und wenn sie in ausreichender Lotze (SPD) : Aus dem gleichen Grund gebe ich
Anzahl vorhanden sind. Es ist nur zu begrüßen, meine Ausführungen zu Protokoll *).
wenn auch die Bundesregierung ihren Beitrag zum
Ausbau des ländlichen Schulwesens leisten will. Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen:
Dabei muß wohl darauf geachtet werden, daß beson- Meine Damen und Herren, ich rufe nunmehr Frau
ders auf dem Lande diejenigen Schulen errichtet Kollegin Griesinger auf.
werden, die das gesamte Bildungsangebot der deut-
schen Schule und alle Bildungsmöglichkeiten und
Bildungswege unter einem Dach vereinen. Mit ande- Frau Griesinger (CDU/CSU) : Herr Präsident!
ren Worten, damit ich nicht mißverstanden werde: Meine Damen und Herren! Aus Kollegialität gebe
Auch und gerade das Landkind braucht die Gesamt- ich meine Ausführungen ebenfalls zu Protokoll **).
schule, wenn es in der modernen Leistungsgesell- Ich möchte 'aber meinen Ausführungen noch die
schaft bestehen will, auch um die vorhandenen herzliche Bitte an Herrn Bundesminister Ertl an-
Milieu-Unterschiede von den Bildungsinstitutionen schließen, daß er sie gründlich lesen und vor allem
her überwinden zu können. Ich bin sicher, daß mit zu Herzen nehmen möge, daß er der Maßnahme zur
diesem Bildungsprogramm der Bundesregierung ein Sanierung der bäuerlichen Wohnhäuser, dem soge-
wertvoller Beitrag zur Lösung der Probleme in der nannten Bäuerinnen-Programm, auch weiterhin
Landwirtschaft geleistet wird, indem den Menschen seine Sympathie erhalten und garantieren möge,
auf dem Lande mehr Möglichkeiten der Lebensfüh- daß sie im alten Umfang fortgeführt werde.
rung und Lebensbewältigung zur Wahl gestellt wer- (Beifall bei der CDU/CSU.)
den, als das im Augenblick 'der Fall ist.
(Unruhe.) Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen:
Danke schön, Frau Kollegin.
Insofern, glaube ich, 'ist Bildungspolitik auch ein
Stück Strukturpolitik, ist Bildungspolitik, wenn Sie Als nächsten Redner rufe ich den Kollegen Sander
auf.
so wollen, eine der flankierenden Maßnahmen zu
den übrigen strukturpolitischen Maßnahmen, die
unbedingt notwendig sind. Insofern gebührt dem Sander (SPD) : Herr Präsident! Meine Damen und
Minister für diese Anregung, Bildungspolitik als ein Herren! In Anbetracht der vorgeschrittenen Zeit
Stück Strukturpolitik auf dem Lande zu sehen, unser gebe ich meine Rede ebenfalls zu Protokoll. *)
Dank, und ich spreche die Hoffnung aus, daß seine
Bemühungen nach einer eingehenden, sachlichen Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen:
Debatte eine breite Unterstützung in diesem Hause Meine Damen und Herren, der nächste Redner ist
finden mögen. der Kollege Kiechle.
(Anhaltende Unruhe.)
Ich darf zum Schluß noch als „Jungfer" eine kleine Kiechle (CDU/CSU) : Herr Präsident! Meine
Bemerkung machen. Es 'ist sicherlich nicht allzu Damen und Herren! Im Rahmen dieser Debatte hatte
schwierig, zu sprechen; wenn vor einem geredet ich die Absicht, speziell zu Problemen des Grünlan-
wird, wenn hinter einem auch geredet wird, kommt des und der deutschen Milchwirtschaft zu sprechen.
man in eine schwierige Situation. Ich danke, daß Sie Angesichts der fortgeschrittenen Zeit habe ich mich
mir zugehört haben. aber dazu entschlossen, Sie zu bitten, damit einver-
(Beifall.) standen zu sein, daß der Herr Präsident die Rede
zu Protokoll nimmt. **)
(Gellersen), der vorhin mehr oder weniger deutlich Meine Damen und Herren! Der Herr Kollege
den Mansholt-Plan herausgestellt und vor einer Tobaben hat mir ebenfalls einen Beitrag mit der
Nebenerwerbsideologie gewarnt hat. Ich fordere Bitte um Einfügung in das Protokoll **) gegeben.
Herrn Schmidt (Gellersen) auf, das genau zu präzi- Weiterhin hat der Herr Kollege Zander verzichtet.
sieren — das wird er heute aus Zeitmangel nicht Der Herr Minister hat ebenfalls auf eine weitere
mehr können —; sonst bleibt sehr viel Unausge- Wortmeldung verzichtet.
sprochenes im Raum.
(Zuruf von der CDU/CSU: Nach der langen
Insbesondere, Herr Kollege Dr. Schmidt (Geller- Rede! — Weitere Zurufe von der Mitte.)
sen), ist bei uns in Süddeutschland — und das geht
in bezug auf Struktur ziemlich weit herauf — die — Meine Damen und Herren, noblesse oblige. Nach-
Nebenerwerbslandwirtschaft sehr beachtlich, und dem der Herr Minister vorhin eine verhältnismäßig
künftighin wird — wahrscheinlich bei Ihnen in Nord- lange Redezeit in Anspruch genommen hat, war er
deutschland auch — die Nebenerwerbslandwirtschaft so freundlich, nunmehr auf den sonst üblichen De-
eine große Rolle spielen. Ich glaube, Herr Dr. battenschluß zu verzichten. Ich darf ihm dafür dan-
Schmidt (Gellersen), daß man, wenn man die zu- ken.
künftige Agrarpolitik ausrichtet, an der Neben- Damit stehen wir am Ende des Tagesordnungs-
erwerbslandwirtschaft nicht vorbeigehen kann. Ins- punktes 5 a). — Sie wollen noch 211 Punkt 5 a) spre-
besondere sollte man das Instrumentarium der über- chen? - Bitte !
betrieblichen Zusammenarbeit, der überbetrieblichen
Partnerschaft, nämlich des Maschinenrings und aller
Möglichkeiten, die es hier gibt, fördern.
Bewerunge (CDU/CSU) : Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Es geht um Umdruck 12 zu
Ich meine, Herr Dr. Schmidt (Gellersen), daß wir Punkt 5 a) ***). Ich werde mir erlauben, die Begrün-
uns, ohne in Ideologie zu machen, einigen könnten. dung im Ernährungsausschuß zu geben. Ich bitte um
Denn Ihre Parteifreunde in Bayern — ich meine Überweisung an den Ernähungsausschuß.
Herrn Kronawitter und Genossen — sind mehr unse-
rer als Ihrer Auffassung. Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:
-
Ich will noch ein Wort zum Herrn Minister Ertl Meine Damen und Herren! Ich habe jetzt noch eine
sagen: Wortmeldung der Frau Kollegin Klee, die aber
(Zurufe von der SPD.) bereit ist, ihre Ausführungen zu Protokoll zu ge-
Er hat bei der Einbringungsrede zum Grünen Be- ben ****). Damit sind wir am Ende der Beratung des
richt erklärt, das Städtebauförderungsgesetz der Tagesordnungspunktes 5 a.
Koalition, so wie es jetzt sei, könne er akzeptieren.
Ich glaube, daß sich die deutsche Landwirtschaft *) Siehe Anlage 10
— der Deutsche Bauernverband hat sich kürzlich **) Siehe Anlage 11
***) Siehe Anlage 2
**) Siehe Anlage 9 ****) Siehe Anlage 12
1838 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. März 1970
(Abg. Rösing: Umdruck 12 nicht an den Meine Damen und Herren, ich muß Ihnen noch
eine zusätzliche Ausschußüberweisung vorschlagen.
Haushaltsausschuß zur Mitberatung, son
Bei dem interfraktionellen Gesetzentwurf zur Ände-
dern an Iden Finanzausschuß zur Mitbera
rung des Mineralölsteuergesetzes 1964 Druck-
tung!)
—
3. landwirtschaftlich genutzte Flächen, die nicht der mittleren und der jungen Generation. Während
für die Aufstockung aufgenommen werden, bei der älteren Generation die sozialpolitischen
von der öffentlichen Hand vorübergehend Hilfen im Vordergrund stehen müssen, wie die
erworben werden; Altershilfe oder die Betriebsaufgabenrente, müs-
sen bei der mittleren Generation neben der Ver-
4. die Investitionsbeihilfen, wie sie bis zum
besserung der sozialen Lage vor allem die Möglich-
31. 12. 1969 gewährt worden sind, fortzu-
keiten zur Umschulung in krisenfeste gewerbliche
führen;
Berufe möglichst auf dem Lande geschaffen werden.
5. das Programm der Investitionszuschüsse Gerade im Übergangs- oder Anpassungsprozeß in
durch ein Zinsverbilligungsprogramm auf dieser mittleren Generation trägt der von der CDU/
der Basis eines 3%igen Hofkredits unter an- CSU-Fraktion dieser Tage unterbreitete Gesetzent-
gemessener Berücksichtigung der steigenden wurf der Möglichkeit einer Nachversicherung für
Zinssätze am Kreditmarkt zu ergänzen; Landwirte bei der Abwanderung in andere Berufe
6. durch die Erweiterung der Richtlinien Mit- Rechnung.
tel für Aufgaben der sozialökonomischen Eine der entscheidendsten Aufgaben ist jedoch für
Beratung bereitzustellen. Dabei sollten die mich die Verbesserung der Allgemeinbildung und
berufsständischen Organisationen angemes- der Fachausbildung auf dem Lande. Wenn es nicht
sen beteiligt werden. gelingt, sozusagen den agrarpolitischen Hebel im
Rahmen des Strukturwandels bei der Jugend anzu-
III. 1. die überbetriebliche Zusammenarbeit und setzen, wird die Öffentlichkeit mit ihren agrarpoli-
Partnerschaft der Voll-, Zu- und Nebener- tischen Sanierungsbemühungen ständig hinter der
werbsbetriebe in Produktion und Vermark- Entwicklung herhinken, weil die Probleme immer
tung weiterhin gefördert wird. Soweit steu- wieder nachwachsen und größer werden. Ich glaube
erliche Vorschriften diese Zusammenarbeit durchaus behaupten zu können, daß die Lösung die-
hemmen, sollten sie beseitigt werden. ses Problems eine der agrarpolitischen Kernfragen
schlechthin ist.
2. bei AuFgabe des landwirtschaftlichen Be-
triebes zur Verbesserung der Agrarstruktur Voraussetzung für die Lösung der mit dem dyna-
steuerliche Vorschriften, ,die diesen Vorgang mischen, sich immer mehr beschleunigenden Struk-
behindern, aufgehoben werden; in Härtefäl- turwandel anfallenden Probleme sind 1. geistige
len müßte die Veräußerung von beweg- Aufgeschlossenheit, 2. eine breite und gute Allge-
lichem Inventar einkommensteuerfrei gestellt meinbildung und 3. eine hervorragende Berufsaus-
werden. bildung. Das Bildungswesen auf dem Lande sowohl
3. für Altenteiler in der Landwirtschaft bei der für die Jugendlichen als auch für die Erwachsenen
Einkommensteuer ein Freibetrag von 25 % muß daher wesentlich erweitert und intensiviert
der Bezüge bis zu einem Höchstbetrag ein- werden. Ein leistungsfähiges Erziehungs- und Bil-
geführt wird. dungswesen muß das Recht auf Bildung des einzel-
nen so verwirklichen, daß er seine Persönlichkeit
nach Begabung und Leistung voll entfalten kann
Bonn, den 11. März 1970
und den Anforderungen der Gesellschaft gewachsen
ist. Diese Bildungspolitik muß daher gerade auf
Dr. Barzel, Stücklen und Fraktion dem Lande vorausschauend geplant und wenn mög-
lich, bundeseinheitlich gestaltet werden.
Die fachliche Ausbildung sowie das landwirt-
schaftliche Berufs- und Fachschulwesen müssen den
Anlage 3 ständig wachsenden Ansprüchen an den künftigen
Betriebsleiter angepaßt werden.
Schriftliche Erklärung
Aber auch die Erwachsenenbildung auf dem
des Abgeordneten Horstmeier (CDU/CSU) zu Lande muß in diesen Problemkreis mit einbezogen
Punkt 5 der Tagesordnung werden. Hier kommt den ländlichen Heimvolkshoch-
schulen eine besondere Bedeutung zu. Ich bin der
Ich möchte kurz zu Fragen der Sozial- und Bil-
Meinung, daß durch ein umfangreiches Kultur- und
dungspolitik für die Menschen in der Landwirtschaft
Bildungsangebot die gewerblichen Betriebe und
Stellung nehmen. Dabei möchte ich nicht detalliert
ihre Führungskräfte mit ihren Familien eher bereit
auf die jüngsten sozialpolitischen Initiativen der
sein werden, sich im ländlichen Raum anzusiedeln.
CDU/CSU-Fraktion eingehen, zumal sie bekannt
sind und der Kollege Berberich sie vor wenigen Fest steht, daß gerade bei einer Intensivierung
Tagen gut und ausführlich begründet hat. der Bildungspolitik im ländlichen Raum in wenigen
Jahren die agrarpolitische Landschaft im Bundes-
Lassen Sie mich vorausschickend einige grund-
gebiet wesentlich günstiger aussehen würde. Ich
sätzliche Bemerkungen machen.
möchte hier daran erinnern, daß wir in der vergan-
Wir müssen die ganzen Übergangs und Anpas- genen Legislaturperiode im Rahmen des sogenann-
sungsbewegungen der Landwirtschaft im Rahmen ten Höcherl-Planes auf dem Gebiet der Ausbildung
des Strukturwandels im Zusammenhang mit den drei und Berufsförderung sehr zukunftsorientierte Ge-
Generationsstufen sehen, nämlich mit der älteren, setze verabschiedet haben: 1. das Arbeitsförderungs-
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. März 1970 1841
Besetz, 2. das Ausbildungsförderungsgesetz, 3. das Außenminister Scheel sowie Ihre Kollegen Misch-
Berufsbildungsgesetz. Diese Gesetze enthalten die nick, Dr. Starke, Moersch, Logemann und Peters
geeigneten Instrumente, die Bildungsreserven auf (Poppenbüll) am 12. September 1969 — also prak-
dem Lande zu mobilisieren. Sie haben darüber hin- tisch zwei Wochen vor der Bundestagswahl — in
aus einen gesellschaftspolitischen Wert ersten Stuttgart versichert: (Ich darf mit Ihrer Genehmi-
Ranges. - gung, Herr Präsident, zitieren)
Es muß hier jedoch bemerkt werden, daß die Richt- Eine wirksame Erhöhung des Haushaltsansatzes
linien des Arbeitsförderungsgesetzes für Förde- für nationale Förderungsmaßnahmen muß in den
rungsmaßnahmen bei der Ausbildung, Weiterbildung Jahren ab 1970 unabhängig von den Zahlungen
und Umschulung auf dem Lande großzügiger ge- an den EWG-Agrarfonds erfolgen, denn die Lö-
handhabt werden müssen, um den differenzierten sung der Anpassungs- und Umstellungsschwie-
Gegebenheiten besser gerecht zu werden. rigkeiten der Landwirtschaft ist nur möglich,
Mit Inkrafttreten des Ausbildungsförderungs- wenn man bereit ist, die notwendigen Mittel für
gesetzes am 1. Juli dieses Jahres erhofft sich das Marktordnungsaufgaben und strukturelle und
Land Ausbildungsbeihilfen für Personengruppen und soziale Umstellungszwecke bereitzustellen.
Schularten, die bisher nicht gefördert werden konn-
ten. Vor allem wird erwartet, daß die Richtlinien Weiter hieß es:
für die Beihilfen aus allen Förderungsprogrammen In der Sozialpolitik ist in der nächsten Legis-
eine einkommensgerechte Bewertung des landwirt- laturperiode eine Erhöhung des Altersgeldes
schaftlichen Betriebsvermögens gewährleisten. Da auf 200 DM je Monat ohne Beitragserhöhung
die Wirtschaftskraft eines mittleren landwirtschaft- und die Wiedereinführung der Defizithaftung
lichen Betriebes heute nicht mehr ausreicht, die Aus- des Bundes erforderlich. In der landwirtschaft-
bildungskosten zu tragen. lichen Unfallversicherung sind die notwendigen
In diesem Zusammenhang muß auch die indivi- Zuschüsse bereitzustellen und zusätzlich zu ver-
duelle sozialökonomische Beratung finanziell und ankern.
personell durch gut geschulte Fachkräfte stärker ge- Herr Minister Ertl, nachdem Sie jetzt auf der
fördert werden.
Sonnenseite sitzen, hätten Sie doch zunächst Ge-
Bei der Einbringung des Grünen Berichtes hat der legenheit gehabt, Ihre eigenen Vorstellungen und
Bundesernährungsminister Ertl eine wohlklingende Zusagen verwirklichen zu können. Sie hätten dabei
Rede zur Bewältigung des Strukturwandels ohne den vollen Rückenwind der Opposition gehabt. —
soziale Härten gehalten. Eine ganze Reihe der darin Was hat Sie eigentlich daran gehindert? Haben Sie
aufgeführten sozialpolitischen Grundsätze kann ich Gegenwind von Ihrem Koalitionspartner bekom-
voll und ganz unterstützen. Leider fehlt den wohl men? — Oder — was ich nicht annehme — haben
gemeinten Ausführungen des Bundesernährungs- Sie selbst Ihre Zusagen in den Wind geschlagen?
ministers in weiten Bereichen die Basis, nämlich das
Geld, um sie zu realisieren. Kritisieren muß man an der Agrarpolitik der
Koalition auch, daß der Schwerpunkt der struk-
Die konkreten Zahlen im Agrarhaushalt sagen turellen und sozialen Förderung im Agrarhaushalt
mehr als wohlgemeinte Worte. Wenn man den Etat 1970 in starkem Maße auf Abwanderung und Aus-
nämlich genau und kritisch unter die Lupe nimmt, so scheiden verlagert wurde. Ich befürworte diese Hil-
muß man feststellen, daß 1970 für struktur- und so- fen in vollem Umfang. Man darf aber nicht außer
zialpolitische Maßnahmen 250 Millionen DM weni- acht lassen, daß eine große Zahl von Menschen in
ger bereitstehen als 1969, davon 48 Millionen DM der Landwirtschaft verbleibt. Sie muß in gleichem
weniger für soziale Hilfe. Maße in die Lage versetzt werden, ihr Einkommen
So sind 1970 die Mittel für die landwirtschaftliche und ihren sozialen Status zu verbessern. Dieser Not-
Unfallversicherung von 190 Millionen DM auf 160 wendigkeit trägt der neue Agraretat in nicht aus-
Millionen DM herabgesetzt worden. Nach präzisen reichendem Maße Rechnung.
Berechnungen des Bundesverbandes der' Landwirt-
Wenn man in diesem Zusammenhang unterstellen
schaftlichen Berufsgenossenschaften beträgt der Be-
muß, daß die Kosten der EWG-Agrarfinanzierung
darf jedoch 242 Millionen DM. Hier muß unbedingt
aller Voraussicht nach noch weiter steigen, besteht
eine Korrektur erfolgen.
die Gefahr, daß in den nächsten Jahren noch weniger
Eine Verbesserung des Altersgeldes — wie sie Mittel für soziale und strukturpolitische Maßnahmen
von der Landwirtschaft mit Recht gefordert und sie zur Verfügung stehen. Dazu kommt, daß auch in der
jetzt von der CDU/CSU in einem Gesetzentwurf vor- Fortschreibung der mittelfristigen Finanzplanung die
geschlagen worden ist — ist im Etat unberücksich- Ansätze des Etats gekürzt werden sollen.
tigt geblieben. Lediglich die Betriebsabgaberente
Wenn man das alles im Blickfeld hat, muß man
wird im Agrarhaushalt mit 28 Millionen DM um 16
Millionen DM höher als 1969 berücksichtigt. fragen, Herr Minister, wie Sie denn Ihr angekündig-
tes sozialpolitisches Ergänzungsprogramm verwirk-
Herr Bundesminister Ertl, diese Sparsamkeit am lichen wollen? Ich spreche Ihnen den guten Willen
falschen Platz hat mich sehr erstaunt. Noch vor nicht ab, sehe aber bei dieser finanzpolitischen Kon-
knapp fünf Monaten hatte die FDP in einem Spitzen- zeption keine Basis für eine progressive Sozial-
gespräch mit dem Präsidium des Deutschen Bauern- politik, schon gar nicht für ein groß angelegtes
verbandes an dem Sie, Ihr Bundesvorsitzender sozialpolitisches Ergänzungsprogramm. Ich fürchte,
1842 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. März 1970
daß zum Schaden der Landwirtschaft letztlich nur herausgelesen werden. Ich stelle deshalb fest: Die
noch ein „Miniprogramm" übrig bleibt. SPD-Bundestagsfraktion steht nach wie vor zu dem
-Grundsatz, daß die Altershilfe ein wichtiges sozial
Berücksichtigen muß man in diesem Zusammen-
und strukturpolitisches Instrument ist und bleiben
hang noch die von der Bundesregierung erstellte
muß.
Modellrechnung für das Jahr 1980, worin eine große
Abwanderung in den 70iger Jahren vorausgesagt Nach unserer Auffassung müßten deshalb auch so
wird, die ich nicht einmal angreifen möchte, da die schnell wie möglich die Voraussetzungen dafür ge-
Entwicklung unaufhaltsam weiter geht. Aber meine schaffen werden, daß auch die Altershilfe für Land-
Frage lautet, wie denn dieser rapide Strukturwandel wirte dynamisiert werden kann, sowie dies in der
in Anbetracht der deutlichen Kürzung der Mittel gesetzlichen Rentenversicherung schon seit Jahren
ohne soziale Härten bewältigt und die notwendigen der Fall ist und nunmehr auch endlich in der Kriegs-
Alternativen geschaffen werden sollen. Hierzu, Herr opferversorgung durchgesetzt werden konnte. Das
Minister, müßten Sie uns eine Antwort geben. wäre im übrigen auch deshalb gut und nützlich, weil
die Altershilfe dann nicht mehr bei jeder Landtags-
Ich möchte zusammenfassend sagen: Wenn schon
und Bundestagswahl zum Wahlkampfthema gemacht
der Strukturwandel auf Grund der wirtschaftspoliti-
und mißbraucht werden könnte.
schen Entwicklung. unvermeidbar ist, so müssen je-
doch sozialpolitische Härten vermieden werden. Da- Jede Leistungserhöhung, gleich ob sie in regel-
für zu sorgen, ist die Pflicht des Staates und der mäßigen oder unregelmäßigen Abschnitten vorge-
Regierung. Die Sozialpolitik muß ein gewisses nommen wird, muß finanziell gedeckt und abge-
Schwergewicht in den agrarpolitischen Überlegungen sichert werden. Bei dem jetzigen System der Finan-
bilden. Die Konturen, die sich jetzt abzeichnen, deu- zierung bedeutet eine Anhebung der Altershilfe für
ten eher auf ein Federgewicht. Damit können und Landwirte, so wie sie von der Opposition gefordert
wollen wir uns nicht abfinden. wird, auch zwangsläufig eine Erhöhung der Bei-
träge und eine Erhöhung des Bundeszuschusses.
Dies weiß auch die Opposition. Es ist deshalb
merkwürdig und unverständlich zugleich, daß sie die
Bundesregierung unter Hinweis auf die Konjunk-
Anlage 4 turlage laufend auffordert, die Ausgaben zu dros-
Schriftliche Erklärung seln, den Umfang der Haushaltssperren zu über-
prüfen — so Herr Kollege Stoltenberg noch am
des Abgeordneten Lotze (SPD) zu Punkt 5 der Tages- 9. März vor der Presse —, gleichzeitig aber An-
ordnung. träge in diesem Haus einbringt, die höhere Bundes-
ausgaben erforderlich machen als die Regierung
Mein Beitrag zum Grünen Bericht ist in der hier selbst vorgesehen hat.
gebotenen Kürze auf zwei Probleme der Agrar-
sozialpolitik konzentriert: Dieses widersprüchliche Verhalten läßt den Ver-
dacht aufkommen, daß derartige Anträge möglicher-
1. auf die Altershilfe für Landwirte und weise doch mit den anstehenden Landtagswahlen
2. auf die landwirtschaftliche Unfallversicherung. im Zusammenhang stehen. Doch lassen wir das
Zur Altershilfe folgendes. Sie wissen, daß die jetzt einmal beiseite.
Koalitionsfraktionen am 26. Februar dieses Jahres In der Sache geht es darum, folgendes Problem
einen Antrag eingebracht haben, in dem die Bun- zu lösen: Die Altershilfe muß zu gegebener Zeit aus
desregierung ersucht wird, das System der sozialen sozial- und strukturpolitischen Gründen weiter er-
Sicherung für die Landwirte und ihre Angehörigen höht werden und dies bei Abnahme der Beitrags-
auszubauen und zu verbessern. Dazu sind Maßnah- zahler und Zunahme der Leistungsempfänger.
men, unter anderem in Bereichen der Kranken-
und Rentenversicherung, der Landabgaberente und Aus dieser Entwicklung ergibt sich die Konse-
Verpachtungsprämie, vorgeschlagen worden, die quenz, daß eine ständige Erhöhung der Altershilfe
darüber hinaus geeignet sind, die Sozial- und Struk- nur dann möglich sein wird,, wenn auch die Beiträge
turpolitik in der Weise zu kombinieren, daß sowohl und Bundeszuschüsse ständig, und zwar ständig stär-
das Ausscheiden aus der Landwirtschaft als auch der ker, aufgestockt werden.
strukturelle Anpassungsprozeß erleichtert werden. Mit dieser Feststellung komme ich zu Punkt 2,
Da nun dieser Antrag der Regierungsparteien der landwirtschaftlichen Unfallversicherung. Dazu
nichts über die Altershilfe aussagt, die Opposition kann ich mich kurz fassen, weil wir es fast mit der
aber gleichzeitig einen Antrag auf Verbesserung gleichen Situation zu tun haben. Auch hier nimmt
dieser Altershilfe eingebracht hat, ist draußen im die Zahl der Beitragszahler laufend ab, während die
Lande die Meinung aufgekommen — oder gemacht Leistungen der landwirtschaftlichen Unfallversiche-
worden — die Regierungsparteien seien an der rung an die der übrigen Berufsgenossenschaften an-
Weiterentwicklung der Altershilfe nicht mehr son- geglichen werden sollen und müssen, und die liegen
derlich interessiert. höher.
Diese Meinung ist falsch! Sie kann weder aus der Wie bei der Altershilfe heißt das auch in diesem
Rede des Herrn Bundesministers Ertl vom 26. Fe- Bereich: ständig steigende Bundeszuschüsse, wobei
bruar 1970 noch aus der Antragsbegründung meines auch Beitragserhöhungen der landwirtschaftlichen
Fraktionskollegen Schonhofen vom gleichen Tage Berufsgenossenschaften nicht ausgeschlossen werden
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. März 1970 1843
können. Wie Herr Minister Ertl und mein Fraktions- fung in der Landwirtschaft wenig eingegangen wird,
kollege Dr. Martin Schmidt (Gellersen) schon ange- obwohl bekannt ist, daß 35 % ides betrieblichen Auf-
deutet haben, kann diese ständig zunehmende Be- wandes an Arbeit von weiblichen Arbeitskräften
lastung auf die Dauer weder dem Beitragszahler erledigt wird.
noch dem Staat zugemutet werden.
Hält man Umschau in der landwirtschaftlichen
Deshalb regen wir an, daß die zuständigen Ressorts
- Praxis, möchte man annehmen, daß der Anteil der
und Institutionen den ernsthaften Versuch unter- Arbeitsleistung der Frau im landwirtschaftlichen
nehmen sollten, noch in dieser Legislaturperiode ein Betrieb höher ist als statistisch erfaßt. Verfolgt man
für alle Beteiligten vertretbares und tragbares Finan- die agrarpolitischen Diskussionen, so entsteht der
zierungssystem zu entwickeln, und dies sowohl für Eindruck, daß man die Frau als mithelfende Arbeits-
die landwirtschaftliche Altershilfe als auch die land- kraft nicht mehr in das Kalkül einbezieht. Ich be-
wirtschaftliche Unfallversicherung. zweifle, ob das möglich ist.
Zum Schluß noch einmal kurz zu Ihnen, meine Zieht man einmal den Vergleich von der Land-
Damen und Herren von der CDU/CSU. Seit Sie in wirtschaft zu den übrigen Wirtschaftsbereichen, so
der Opposition sind, werden Forderungen von Ihnen stellt man fest, daß die Erwerbstätigkeit der Frau
aufgestellt, auch im Bereich der Agrarpolitik, von hier und dort — insbesondere auch der verheirate-
denen Sie in Ihrer langjährigen Regierungstätig- ten Frau— zunimmt. Die Wirtschaft bietet Anreize
keit schon eine Anzahl selbst hätten erfüllen kön- dafür; gleichzeitig veranlassen die gehobenen Kon-
nen. Sie treiben ein schlechtes Spiel, wenn Sie für sumwünsche der Bevölkerung die Erwerbstätigkeit
diese Versäumnisse die jetzige Bundesregierung der Frau. Ginge man davon aus, daß in Zukunft in
und die sie tragenden Parteien verantwortlich den übrigen Wirtschaftsbereichen die Frauen nicht
machen wollten. Das kommt draußen nicht mehr an. mehr erwerbstätig sind, bedeutete das für die Volks-
wirtschaft hohe finanzielle Anstrengungen, da Be-
Die Menschen auf dem Lande haben längst er-
kannterweise Arbeitskraft nur über Kapitalinvesti-
kannt, daß Agrarpolitik und Agrarsozialpolitik alles
tionen ersetzt werden kann. Gleichzeitig müßten die
andere, nur keine Erbhöfe der CDU/CSU sind. Auch
daran mußten Sie bei dieser Gelegenheit wieder Einkommen der im Erwerbsprozeß verbleibenden
einmal erinnert werden. Personen erheblich steigen mit der Konsequenz, daß
in allen arbeitsintensiven Bereichen, wie z. B. in den
Dienstleistungsbereichen, erhebliche Verteuerungen
entstehen. Ich glaube, u. a. würden die Krankenver-
sicherungen in finanzielle Schwierigkeiten geraten,
Anlage 5 wenn das weibliche Pflegepersonal durch männliches
Pflegepersonal mit Familien ersetzt würde, oder die
Schriftliche Erklärung Industrie und die Verwaltung würden sich wundern,
der Abgeordneten Frau Griesinger (CDU/CSU) zu wenn anstelle der Sekretärinnen verheiratete Sekre-
Punkt 5 der Tagesordnung täre mit Familien den Dienst verrichten würden.
Vor einigen Tagen hat Herr Mansholt in einem
Im Mittelpunkt Ihrer agrarpolitischen Bemühun-
Interview gesagt, daß Betriebe, die heute ein berei-
gen, Herr Minister, steht der Mensch auf dem
nigtes Betriebseinkommen je Arbeitskraft in Höhe
Lande, wie Sie in Ihrer Einbringungsrede zum
von 13 000 DM haben, nur noch eine Entwicklungs-
„Grünen Bericht" gesagt haben. Für Ihren Vorgän-
chance hätten, wenn sie bis zum Jahre 1980 über
ger, Herr Minister Höcherl, galt die agrarpolitische
26 000 DM Betriebseinkommen je Arbeitskraft ver-
Zielsetzung: die Verbesserung der Einkommens-
fügen können. Mich würde interessieren, an Hand
situation und des Sozialstatus der in der Landwirt- welcher Daten Herr Mansholt zu dieser Aussage
schaft Beschäftigten. Sie vertreten damit beide die kommt. Mit welchen nichtlandwirtschaftlichen Ein-
gleichen Ziele. kommensschichten wird hier verglichen? Wirft man
Was bedeutet das Wort „Sozialstatus" ? Nach mei- einen Blick auf die Einkommensstruktur bei den
ner Auffassung wird der Sozialstatus von drei we- Lohn- und Gehaltsempfängern, so kann man feststel-
sentlichen Komponenten bestimmt: len, daß nur ein Drittel der Lohnempfänger ein Jah-
reseinkommen von 13 000 DM und mehr hat und daß
1. von .der Höhe der Einkommen, es bei den Gehaltsempfängern ca. 40 % sind.
2. von dem Umfang .der sozialen Sicherung, Viele unserer landwirtschaftlichen Betriebe haben
3. von der Art der Einkommensverwendung, bereits ein Einkommen erzielt, das bei ca. 13 000 DM
und zwar für Betriebseinkommen je Arbeitskraft liegt. Aber die
a) Befriedigung der Primärbedürfnisse (Ernähren, Betriebe haben nicht mehr die Chance, ihr Ein-
Kleiden, Wohnen) kommen zu steigern, weil die ökonomischen Reser-
ven erschöpft sind. Für ,diese Fälle kommt die Um-
b) Befriedigung der Sekundärbedürfnisse (Bildung, schulung in Frage, wenn der Betriebsleiter sich noch
Freizeit und Erholung) in einem umschulungsfähigen Alter 'befindet. Die
c) den Umfang der Vermögensbildung. umgeschltnLadwirf etchns
und handwerklichen Berufen durchaus nicht überall
In Ihrem „Grünen Bericht" ist mir aufgefallen, daß einen Arbeitsplatz, der ihnen die gleichen Verdienst-
auf die Beteiligung der Frauen an der Wertschöp chancen, wie sie im Augenblick 'im Betrieb gegeben
1844 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. März 1970
sind, anbietet. In der Regel haben diese Landwirte durchgeführt werden muß, weil es gut und nötig
zunächst Einkommensverluste, die sich nur über ist und nun mitzuhelfen, daß es kontinuierlich wei-
Lohnerhöhungen auf die Dauer beheben lassen. In tergeht ohne empfindliche Kürzung! 400 000 Wohn-
dieser Situation müssen viele Landwirte ihren land- häuser bedürfen noch ,der Sanierung. Im Verhältnis
wirtschaftlichen Betrieb als Nebenerwerbsbetrieb zu der Eigenleistung ist der Staatszuschuß sehr ge-
aufrecht erhalten, wenn sie Einkommensverluste ring. Ich darf hierbei auf meine Ausführungen der
vermeiden wollen. Wer aber, führt den Erwerbs- vergangenen Jahre verweisen.
betrieb? Die Frauen.
Mit ebenso großer Sorge stelle ich fest, daß die
Damit erhebt sich für mich das Anliegen, ein- ländlich-hauswirtschaftliche Beratung, die einen er-
mal kritisch die soziale Sicherung der Frauen in der heblichen Anteil an der Verbesserung des Sozial-
Landwirtschaft zu beleuchten. Die Frauen nehmen status der bäuerlichen Bevölkerung hat, und glei-
Teil an der Altershilfe sowie an der Unfallversiche- chermaßen wie die Wirtschaftsberatung ein Bestand-
rung in ihrer Eigenschaft als mithelfende Familien- teil der sozialökonomischen Beratung ist, in Frage
angehörige teil. Die Krankenversicherung steht in gestellt wird. Dies ist mir unverständlich in Anbe-
der Diskussion, und hier möchte ich gleich einhaken. tracht einer agrarpolitischen Zielsetzung, die das
Auf Grund ihrer Tätigkeit im landwirtschaftlichen Wohl der Menschen in den Mittelpunkt der Über-
Betrieb ist die Frau gleichermaßen zu versichern legungen stellt. —
wie ,der Mann. Ihre Versicherung muß aber so ab-
geschlossen sein, daß auch sie Anspruch auf Kran- Dies trifft gleichermaßen auch für .den Komplex
kengeld bzw. Ersatzgeld hat. Dieser Anspruch wurde der Erwachsenenbildung zu, der mit großem Erfolg
ihr bisher verwehrt, wenn sie in .der Krankenver- von der ländlich-hauswirtschaftlichen Beratung be-
sicherung ihres Mannes in ihrer Eigenschaft als trieben wird. In diesem Zusammenhang möchte ich
Ehefrau mitversichert wird. Der geringe soziale noch einmal darauf hinweisen, daß es in keinem
Schutz der Hausfrauen ist ein warnendes Beispiel. Fall zuträglich ist, die Bundesforschungsanstalt für
Hauswirtschaft aus dem Bereich des Bundes in den
Ein Wort zur Nachversicherung. Ich bin mit Ihnen, der Universität Hohenheim zu überführen. Gerade
Herr Bundesminister, völlig einig, daß Landwirten in dieser Zeit, wo es darauf ankommt, der landwirt-
und mithelfenden Familienangehörigen eine Nach- schaftlichen Bevölkerung jede nur mögliche Hilfe zu
versicherung gewährt wird. Ich sehe aber ein Faß gewähren, um ihren Sozialstatus zu verbessern, ist
ohne Boden auf uns zukommen, wenn nicht von es nicht angängig, Einrichtungen, die mit dazu bei-
vornherein, und zwar ,ab sofort, gesetzlich geregelt tragen, abzugeben.
wird, daß zwischen Betriebsleiter und mithelfenden
Familienangehörigen Arbeitsverträge geschlossen Herr Bundesminister, meine kritische Stellung-
werden, die den Betriebsleiter verpflichten, für die nahme hätte sich sicherlich erübrigt, wenn in Ihrem
soziale Sicherung der mithelfenden Familienange- „Grünen Bericht" auch ein Kapitel über die Situation
hörigen die entsprechende finanzielle Vorsorge der Frauen in der Landwirtschaft, über die Lebens-
durch Einzahlung in die allgemeinen Versicherungs- und Wohnverhältnisse der landwirtschaftlichen Be-
einrichtungen zu treffen. Ich halte es für notwendig, völkerung enthalten wäre. Ich möchte Sie bitten,
diese Forderung zu erheben, da die in der Landwirt- sich dieser Fragen um der Menschen willen mit aller
schaft tätigen Kräfte nicht wissen, ob sie ein Leben Energie anzunehmen, um derentwillen wir heute in
lang in der Landwirtschaft verbleiben können. — diesmHohnauzegkomnsid
der Familien auf dem Lande.
Nun zur Frage der Einkommensverwendung in
der Landwirtschaft. Ich wiederhole noch einmal,
ebenso wie die Einkommenserzielung ist die Ein-
kommensverwendung ein Kriterium des Sozialsta-
tus. Wir wissen aus Statistiken und Erhebungen, Anlage 6
daß das Gefälle im Sozialstatus nicht nur durch die
Schriftliche Erklärung
Einkommen, sondern auch durch die Lebensverhält-
nisse 'bedingt wird, in denen die bäuerlichen Men- des Abgeordneten Sander (SPD) zu Punkt 5 der
schen leben. Die mangelhafte Infrastruktur in rein Tagesordnung
ländicheGbtka dneizl'bäur-
Bei allen Fachdiskussionen um eine zeitgemäße
lichen Familien angelastet werden, sondern ist ein
Agrarpolitik spielt die Strukturpolitik eine beson-
Versäumnis der Gesamtwirtschaft. Infolgedessen ist
dere Rolle. Wir können feststellen, daß auch im Be-
es durchaus gerechtfertigt, wenn der Staat Hilfen
wußtsein der Öffentlichkeit die Bedeutung der
einleitet, die Wohnbedingungen der Menschen auf
Agrarstrukturpolitik zunehmend erkannt wird. Viele
dem Lande zu verbessern, wie er dies auch bei allen
halten sie für den Schlüssel zur Lösung der Agrar-
anderen Bevölkerungsgruppen getan hat. Ich habe
frage überhaupt.
daher mit Befremden festgestellt, daß Sie, Herr
Bundesminister, die Förderungsmaßnahme zur Ver- Es gab noch keine Debatte über den Grünen Plan
besserung landwirtschaftlicher Wohngebäude im in diesem Hohen Hause, die sich nicht ebenfalls die-
Rahmen der Althofsanierung .einstellen wollten und sem bedeutenden Teilstück der Agrarpolitik zuge-
das sogenannte „Bäuerinnenprogramm" finanziell wandt hätte. Diese Tatsache kann nicht über-
stark gekürzt haben. Ich möchte Sie herzlich bitten, raschen, wenn wir uns vergegenwärtigen, daß z. B.
sichanIregAuindverga im Jahre 1950 noch über 5 Millionen Menschen in
Jahren zu erinnern, daß dieses Programm weiter der Landwirtschaft tätig waren und daß diese Zahl
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. März 1970 1845
— nach dem uns heute vorliegenden Grünen Be- Grenzen gesetzt. Wenn wir eine moderne Agrar-
richt — inzwischen auf 2,35 Millionen zurückgegan- strukturpolitik wollen, dann müssen wir auch be-
gen ist. In einem Zeitraum von 20 Jahren sind also reit sein, das dazu notwendige Instrumentarium
weit mehr als die Hälfte der ursprünglich in der zu schaffen und zu erweitern. Meine Fraktion for-
LandwirtschfTägeandBrufübge- dert darum die Bundesregierung auf, dem Parlament
wechselt. Die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe so bald wie möglich geeignete Vorschläge zu unter-
hat sich im gleichen Zeitraum um rund 600 000 oder breiten. Daßdabei der notwendige Zusammenhang
31 % verringert. Die deutsche Landwirtschaft hat zwischen der Wirtschaftspolitik im allgemeinen und
also seit zwei Jahrzehnten laufend Kräfte, und zwar der Agrarpolitik im speziellen beachtet und immer
in einem beträchtlichen Umfang, an die übrige Wirt- wieder hergestellt werden muß, ist selbstverständ-
schaft abgegeben. Ohne diesen ständigen Kräfte- lich. Wir brauchen eine lückenlose Verzahnung zwi-
zustrom wären die Leistungen unserer Volkswirt- schen Wirtschafts-, Sozial- und Agrarpolitik.
schaft nicht erzielt worden. Die von mir genannten
Zahlen verdeutlichen zugleich den ungeheuren Es kann nicht mein Anliegen sein, die Aufgabe
Strukturwandel, in dem sich die Landwirtschaft be- der Agrarpolitik in einer Industriegesellschaft wis-
findet. Er hat sich in der Vergangenheit zumeist senschaftlich exakt und umfassend zu definieren.
lautlos vollzogen, was aber nicht darüber hinweg- Ich möchte für meine Betrachtungen schlicht davon
täuschen darf, daß er sehr oft mit sozialen Härten ausgehen, daß sie zwei Aufgaben hat:
verbunden gewesen ist. erstens, die Versorgung der Bevölkerung mit
Wir alle wissen, daß dieser Prozeß des Struktur- Nahrungsmitteln zu angemessenen Preisen
wandels noch nicht abgeschlossen ist, er wird sich sicherzustellen,
in den nächsten Jahren fortsetzen. Ja, er wird sich zweitens, die Teilnahme der in der Landwirt-
fortsetzen müssen. Ich darf ebenfalls in diesem Zu- schaft Beschäftigten am wirtschaftlichen und so-
sammenhang Bezug nehmen auf das erstmalig in zialen Fortschritt zu ermöglichen.
einem Grünen Bericht enthaltene Projektionsmodell.
Diese Projektion über die Zukunftsaussichten der Der Agrarstrukturpolitik als integralem Bestand-
deutschen Landwirtschaft ist angelehnt an ähnliche, teil jeder Agrarpolitik stellt sich hierbei eine drei-
zuvor stark umstrittene Vorschläge zur Struktur- fache Aufgabe:
änderung aus der EWG-Kommission — ich meine erstens die der optimalen Gesamtentwicklung
den Mansholt-Plan — und an Berechnungen des ländlicher Räume, einschließlich der Verbesse-
Bundeswirtschaftsministeriums, die der Wirtschafts- rung der kommunalen Infrastruktur,
und insbesondere der Agrarpolitik Entscheidungs-
zweitens die der Schaffung lebensfähiger Be-
unterlagen liefern sollten. Daß die im Modell ge-
triebe durch Entwicklung sinnvoller, an be-
nannnten Daten einer möglichen Entwicklung bis
triebs und volkswirtschaftlichen Erkenntnissen
zum Jahre 1980, in welchem nur noch 1,4 oder gar
orientierter Produktions- und Betriebsstruk-
nur 1 Millionen Arbeitskräfte ein ausreichendes Ein-
turen,
kommen aus landwirtschaftlicher Beschäftigung ha-
ben werden — gegenüber 2,35 Mio. heute — ohne drittens die der Erleichterung des Übergangs
größere Proteste der Landwirtschaft zur Kenntnis zu einer außerlandwirtschaftlichen Tätigkeit
genommen wurden, hat seine Gründe wahrschein- bzw. des Ausscheidens älterer Landwirte.
lich in der Strukturentwicklung der letzten Jahre
und der daraus abzuleitenden realistischeren Be- Lassen Sie mich zum ersten Punkt folgendes
trachtungsweise. sagen:
Es wird die Aufgabe der Agrarpolitik sein, diesen Aus der richtigen Erkenntnis, daß Agrarstruktur-
Anpassungsprozeß zu humanisieren und in eine politik und regionale Wirtschaftspolitik nicht iso-
Richtung zu lenken, die zukunftsträchtige Entwick- liert gesehen werden können, ist vom Bundeswirt-
lungen ermöglicht. Das Letztere stellt sich insbeson- schaftsminister das Programm „zur Intensivierung
dere der Agrarstruktur als Aufgabe. und Koordinierung der regionalen Wirtschaftspoli-
tik" entwickelt worden. Die Zielsetzung des Pro-
Es hat in diesem Hohen Hause vielfältige Be- gramms brauche ich Ihnen nicht zu erläutern, sie ist
mühungen und Ansätze für eine moderne Agrar- hinreichend bekannt. U. a. sollen mit staatlicher
strukturpolitik gegeben, und ich darf hoffen, daß es Hilfe in ländlichen Entwicklungsschwerpunkten jähr-
sie weitergeben wird. Erinnern möchte ich an das lich 20 000 außerlandwirtschaftliche Arbeitsplätze
von meiner Fraktion eingebrachte Agrarstruktur- geschaffen werden. Diese Zielsetzung ist zunächst
gesetz, an das Absatzfondsgesetz, an das Weinge- belächelt, dann später skeptisch beurteilt worden.
setz, an die Förderungsprogramme für ländliche Heute wissen wir, daß allein im Jahre 1969 durch
Räume und andere Regelungen. Sie alle verfolgten den Einsatz von 2 Milliarden DM Förderungsmittel
und verfolgen das Ziel, die Situation der Landwirt- des Bundes, der Länder und der Gemeinden über
schaft und der in ihr tätigen Menschen auf Dauer 40 000 neue Arbeitsplätze geschaffen worden sind.
zu verbessern.
'Es genügt aber nicht die Schaffung von Arbeits-
Unsere gemeinsame Aufgabe wird es sein, die plätzen. Wir müssen auch die Menschen, die diese
bereits vorhandenen Möglichkeiten zu nutzen und Arbeitsplätze einnehmen sollen, durch berufliche
neue Möglichkeiten durch gesetzliche Maßnahmen Umschulungs- und Fortbildungsmaßnahmen auf ihre
zu eröffnen. Der Phantasie sind hier weiß Gott keine neue Tätigkeit entsprechend vorbereiten.
1846 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. März 1970
Wir wissen, daß die regionale Strukturpolitik der ergeben sich auch für die Bestimmung der Betriebs-
Bundesregierung gerade im letzten Jahr zu einem struktur mannigfache Konsequenzen.
Integrationsfaktor der Entwicklung ländlicher Räume
In diesen Betrachtungskreis gehören auch die
geworden ist. .Trotzdem dürften auch hier noch zahl-
Auswirkungen einer verstärkten und verbesserten
reiche Möglichkeiten für eine bessere Effizienz vor-
Kooperation. In diesem Zusammenhang möchte ich
handen sein. Die Koordinierung der einzelnen Pläne
eines mit aller Deutlichkeit klarstellen: Aus der
und Programme könnte sicherlich ebenfalls noch
Praktizierung von Zusammenarbeit dürfen den Be-
verbessert werden.
troffenen keine rechtlichen und materiellen Nach-
In 12 Regionen sind inzwischen Regionalpro- teile erwachsen. Auf diesem Felde erwarten wir
gramme angelaufen. Mit Genugtuung können wir schon sehr bald die entsprechenden Vorschläge der
feststellen, daß die Bundesregierung entschlossen Regierung. Juristische Hemmnisse dürfen poli-
ist, die Förderung wirtschaftsschwacher, ländlicher tisches Wollen nicht ad absurdum führen.
Räume auch in Zukunft fortzuführen. Dafür stehen
Ich will diesen Fragenkreis nicht weiter aus-
im Jahre 1970 unter anderem zur Verfügung:
dehnen. Daß zu ihm auch die Flurbereinigung, der
Steuerfreie Investitionszulagen, deren Inanspruch- freiwillige Landtausch, die freiwillige Landabgabe,
nahme auf vorläufig jährlich 270 Millionen DM ge- die Aufstockung landwirtschaftlicher Betriebe und
schätzt wird, dergleichen mehr gehört, versteht sich von selbst.
Investitionszuschüsse des Regionalen Förderungs- Für diese Maßnahmen hat die Bundesregierung 1970
programms; für das Jahr 1970 sind Haushaltsmittel nahezu 500 Millionen DM bereitgestellt.
in Höhe von rund 360 Millionen DM vorgesehen. Zum dritten Punkt der angesprochenen Aufgaben-
Diese Hilfen werden wie bisher durch zinsgünstige stellung möchte ich nur feststellen, daß die land-
Kredite des ERP-Vermögens und der Bundesanstalt wirtschaftliche Sozialpolitik in einem hohen Maße
für Arbeit in Nürnberg ergänzt. zugleich landwirtschaftliche Strukturpolitik ist. Die
strukturpolitischen Effekte sind unübersehbar, ob
Die Zusammenarbeit in der regionalen Wirt- es sich um die Altershilfe, die Landabgaberente oder
schaftsförderung zwischen Bund und Ländern wird um die demnächst zu schaffende Möglichkeit der
1970 weiter verbessert. Nach Inkrafttreten des Ge- Nachversicherung handelt. Mit all diesen Hilfen
setzes über die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesse- wird der landwirtschaftliche Strukturwandel geför-
rung der regionalen Wirtschaftsstruktur" am 1. Ja- dert und abgesichert. Die Bundesregierung hat allein
nuar 1970 wird sich nunmehr der Planungsausschuß für diesen Bereich 827 Millionen DM bereitgestellt.
unter dem Vorsitz des Bundeswirtschaftsministers Für die Zukunft wird es darauf ankommen, die
konstituieren und die Voraussetzungen für einen ge- strukturpolitischen Effekte der landwirtschaftlichen
meinsamen Rahmenplan schaffen, der ab 1971 bzw. Sozialpolitik noch zu vermehren.
1972 Grundlage aller Maßnahmen sein wird. Bis
dahin wird die Bundesregierung ihre regionale Ich habe deutlich zu machen versucht, daß die
Wirtschaftsförderung im Rahmen regionaler Ak- Agrarstrukturpolitik auch zukünftig ein Kernstück
tionsprogramme fortsetzen. unserer nationalen Agrarpolitik sein muß und daß
sie nicht losgelöst von den Zusammenhängen und
Lassen Sie mich diesen Punkt abschließen mit der Notwendigkeiten unseres gesellschaftlichen Lebens
Feststellung, daß es das Ziel aller -Bemühungen sein gesehen werden kann. Sie muß eingebettet sein in
muß, die Attraktivität der ländlichen Räume zu er- die große Politik. Die Bundesregierung hat dieser
höhen und die soziale Sicherheit und die Lebens- Erkenntnis dadurch Rechnung getragen, daß sie im
chancen der dort wohnenden Menschen zu ver- Gegensatz zur früheren mehrjährigen Finanzpla-
größern. nung die Mittel für die nationale Agrarstruktur-
Zum zweiten Punkt der agrarstrukturellen Auf- politik zusätzlich um 389 Millionen DM aufgestockt
gabenstellung möchte ich folgendes bemerken: hat. Die Finanzierung der für notwendig erachteten
agrarstrukturellen Maßnahmen dürfte damit ge-
Niemand kann heute mit absoluter Richtigkeit
sichert sein. Weiter muß festgestellt werden, daß
sagen, an welchen Kriterien sich eine optimale Pro-
die Bundesregierung nach wie vor an dem Grund-
duktions- bzw. Betriebsstruktur orientieren sollte.
satz festhält, daß die Agrarstrukturpolitik weit-
Der rasche Wandel läßt die Bestimmung unwandel-
gehend im nationalen Verantwortungsbereich ver-
barer Normen nicht zu. Ich erinnere Sie an das
bleiben muß. Damit sind die Verantwortlichkeiten
Schicksal der von Mansholt entwickelten Produk-
klar abgesteckt. Die sozialdemokratische Bundes-
tionseinheiten und modernen landwirtschaftlichen
tagsfraktion unterstreicht, daß sie die Auffassung
Unternehmen. Mansholt selbst hat bereits eine Mo-
der Bundesregierung in dieser Frage teilt.
difizierung angekündigt. Selbst eine betriebswirt-
schaftlich richtig gewählte Betriebsstruktur kann
sich noch im Widerspruch befinden zu volkswirt-
schaftlichen Gegebenheiten und Notwendigkeiten. Anlage 7
Die Abnahme der Zahl der Vollerwerbsbetriebe Schriftliche Erklärung
und die Zunahme der Nebenerwerbsbetriebe schei-
des Abgeordneten Kiechla (CDU/CSU) zu Punkt 5
nen einen Funktionswandel anzudeuten. In einer
der Tagesordnung
sich durch immer mehr Freizeit auszeichnenden Ge-
sellschaft dürften die Neben- und Zuerwerbs- Im Mittelpunkt agrarpolitischer Überlegungen und
betriebe eine immer größere Rolle spielen. Daraus Auseinandersetzungen steht unter den sogenann-
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. März 1970 1847
ten Überschußprodukten die Milch. Prognosen des Hinter all dem steht die dauernde Drohung mit
EWG-Ministerrates, die bereits von nicht mehr un- Preissenkungen, die in ihren unmittelbaren Folge-
terzubringenden Bergen sprechen — übrigens fleißig rungen weder sozial zu rechtfertigen noch wirtschaft-
sekundiert von gewissen Politikern und auch Presse- lich zu vertreten noch gesellschaftspolitisch zu wün-
organen dieses Landes —, haben sich allerdings schen noch landschaftspflegerisch zu verantworten
nicht erfüllt. Statt prophezeiten 450 000 t gibt es zur sind. Wer also dauernd davon spricht — und seine
Zeit 250 000 t oder auch knappe 300 000 t. Politik auch danach ausrichtet —, daß noch mehr als
bisher aus Drittländern eingeführt werden muß —
Die europäischen Bauern und hier besonders die so der Bundesaußenminister laut Bulletin vom 2. 12.
deutschen haben also sehr wohl marktgerecht ver- 1969 — wer von „überhöhten" Preisen redet, wie
sucht zu handeln. Ein wenig mehr Unterstützung im der Jahreswirtschaftsbericht der Bundesregierung,
Hinblick auf Verbrauchsförderung würde diese so Mansholt und alle seine Sekundanten es tun, wer
oft zitierten Berge noch schneller verschwinden las- bewußt oder unbewußt zum Maßstab seiner Ver-
sen. gleiche den unzutreffenden und teils verlogenen
Trotzdem nehmen die Belastungen für die deut- Weltmarktpreis macht, der kann sich nicht gleich-
schen Milcherzeuger laufend zu. Ich setze als be- zeitig als Freund jener Menschen bezeichnen, die in
kannt voraus, daß gerade die kleinen und mittel- Deutschland schließlich nichts anderes tun als
großen Betriebe Milchproduzenten sind. In vielen Lebensmittel herstellen, unsere Landschaft kostenlos
Gebieten Deutschlands — Mittelgebirgslagen, pflegen, die damit auch Naturkatastrophen verhin-
Küstenländer und Voralpengebiet — sind andere dern helfen und den Wasserhaushalt mit in Ordnung
Produktionszweige unmöglich. In diesen reinen halten. Dies gilt in besonderem Maße für Deutsch-
Grünlandgebieten müssen bei eventuellen Kon- lands schönste Gegenden, in denen meistens die
tingentierungen Präferenzen gewährt werden. Grönlandgürtel liegen.
Diese Landwirte entziehen sich einem Struktur- Die Antwort auf die seit der — ich zitiere —
wandel keineswegs. Viele haben schon aufgestockt, „Machtübernahme" der neuen Regierung sichtbaren
investiert, modernisiert und viele stehen unmittel- Tendenzen in einer „neuen" Agrarpolitik werden
bar zwangsläufig davor. Dies sind im Regelfall die nicht die derzeitigen deutschen Bauern geben — die
modernen, risikobereiten Betriebsleiter. Gerade sie sind ihrem Beruf zu sehr verhaftet —, sondern sie
stehen nun vor folgender Situation: wird von der Jugend kommen. Jene, denen der so-
genannte Strukturwandel ausschließlich Abwande-
Jener Teil des Kapitalbedarfs, der auf dem freien rung aus der Landwirtschaft bedeutet, denen diese
Markt beschafft wurde — in vielen Fällen erhebliche Entwicklung gar nicht schnell genug gehen kann,
Teile —, versteuert sich erheblich wegen der hohen werden diese dann gegebene Antwort eines Tages
Zinsbelastungen. bereuen.
Die bei der Kostenkalkulation zugrunde gelegten Alle, die diese sichtbare Entwicklung in ver-
erzielbaren Betriebserlöse sind aufgebaut worden nünftige Bahnen zu lenken bereit sind, sind unsere
auf dem Milchrichtpreis von 39 Pfennig oder wenig Freunde und Verbündete.
darunter. Er wird aber seit geraumer Zeit nicht mehr
erreicht.
Durch die Aufwertung hat sich die Situation noch
verschärft, besonders da für umsatzstarke intensive
Grönlandgebiete der vorgesehene Flächenschlüssel Anlage 8
ungenügend ist. Schriftliche Erklärung
Die auf dem Betriebsmittelsektor eingetretenen
und laufend eintretenden Preissteigerungen treffen des Abgeordneten Dr. Fischer (SPD) zu Punkt 5 der
ganz allgemein die Landwirtschaft hart, im beson- Tagesordnung.
deren Umfang aber wieder alle intensiven Betriebs- Wenn man die Diskussion der letzten Wochen
zweige, zu denen die Milchproduktion zweifellos über die EWG-Weinmarktordnung verfolgt hat,
gehört. Die allgemeinen Kostensteigerungen bei den kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, daß
Lebenshaltungskosten sind dabei auch für die hierbei nicht allein die Existenz des deutschen Wein-
Bauern genauso wirksam wie für alle übrigen Mit- baues und das Interesse ,der Verbraucher primär
bürger. im Mittelpunkt der Argumentation gestanden haben.
Durch Streichungen im Etat bei der Unfallver-
Bei aller Schärfe der Auseinandersetzung müssen
sicherung erwartet die Landwirte eine Beitrags-
wir jedoch darauf achten, meine Damen und Herren,
erhöhung erheblicher Größenordnung dieses Jahr.
daß unsere Position für die weiteren Verhandlungen
Die starke Reduktion der Strukturmittel beim In- im EWG-Ministerrat nicht geschwächt wird. Denn
vestitionssektor ist für reine Grönlandgebiete zu- 'dadurch würden wir 'unserer Weinwirtschaft mehr
sätzlich erschwerend, da diese Bauern keine Be- schaden als nützen. Und darüber besteht doch kein
triebsaufstockungen vornehmen können, ohne eine Zweifel: Bei den derzeitigen Verhandlungen in
Erweiterung ihrer Betriebsgebäude und damit In- Brüssel wird weitgehend über die Zukunftschancen
vestitionen zu tätigen. Damit sind sie ausgeschlossen unseres deutschen Weinbaues entschieden und über
aus den Entwicklungen hin zum größeren Betrieb die Menschen, die in der Weinwirtschaft ihre
einer rationalisierten Einheit. Existenz haben und behalten wollen.
1848 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. März 1970
Neben dieser Feststellung muß ich aber auch — gen aufzuteilen, einerseits in solche, die für die
um nicht mißverstanden zu werden — eindeutig her- Durchsetzung wünschenswert sind, und anderer-
vorheben, daß sich gegenüber der hier und dort seits in solche, die für uns hinsichtlich der Existenz
hochgekommenen Polemik die beiden Entschließun- weiter Teile 'unserer Winzerschaft unverzichtbar
gen des .deutschen Weinbauverbandes positiv ab- sind.
heben. Sie sind hart — sehr hart — und eindeutig
- Als wünschenswert erscheint mir die Aufnahme
in der Sachargumentation, aber fair und unpolemisch aller deutschen Weinbaugebiete in die Zone A, um
abgefaßt. Sie dienen der Zukunft des deutschen sicherzustellen, daß eine Aufsplitterung der deut-
Weinbaues und der Existenz des Berufsstandes der schen Weinbaugebiete verhindert wird. Des weite-
Winzer und dem Interesse der Verbraucher. Dies ren halte ich für wünschenswert eine Verbesserung
ist das legitime Recht des deutschen Weinbau- der Vorschriften über den Verschnitt mit dem Ziel,
verbandes. dies nur mit Weinen ,ausschließlich innerhalb dier
Diese Argumente und diese Zielsetzungen, einge- einzelnen Weinbauzonen zu gestatten.
schlossen in 'dem großen Ziel, die Einigung Europas Für unverzichtbar halten wir Sozialdemokraten
zu vollenden, vertreten auch wir grundsätzlich. Da- vier Forderungen, die in Brüssel mit aller Härte
bei dürfen wir nicht die Weinmarktordnung los vertreten und durchgesetzt werden müssen.
gelöst von den Fragen der EWG-Finanzierung und
der Erweiterung der EWG um die beitrittswilligen 1. Die klare Trennung der Rechtsgrundlagen für
Länder sehen. Dies kann nur als Ganzes betrachtet, Marktordnungs- unid Weinrechtsfragen ist unbe-
beurteilt und 'durchgeführt werden. dingt erforderlich. Dabei sind Marktordnungsfragen
gemäß Artikel 43 des :EWG-Vertrages festzulegen.
Die kurzfristige Einigung über die Weinmarkt- Alle Weinrechtsfragen dürfen nur auf Artikel 100
ordnung wird ,deshalb erforderlich, weil der Rat des EWG-Vertrages gestützt werden. Sie sind dem-
bereits 1962 beschlossen hat — in der Verordnung nach durch leine EWG-Richtlinie zu regeln.
Nr. 24 und in der Ratsentschließung von 1966 —,
eine Marktorganisation zu schaffen, und die Über- 2. Marktregelung, Weinrechtsrichtlinie, Tafel-
gangszeit am 1. Januar 1970 abgelaufen war. wein- und Qualitätsweinregelung können nur als
Ganzes behandelt und beschlossen werden. Es muß
Dies ist die Zwangsjacke, in der sich die Regie- verhindert werden, daß durch getrennte Entschlie-
rung und auch ,dieses Hohe Haus befinden, in der ßungen Nachteile, z. B . für die Qualitätsweine, prä-
sich aber auch schon vorige Regierungen befunden judiziert werden.
haben, was in diesem Zusammenhang nicht ganz 3. Sofern die Mindestwerte für den natürlichen
unerwähnt bleiben darf. Jedenfalls hat die jetzige Alkoholgehalt beibehalten bleiben, muß sicherge-
Regierung die schwierige Aufgabe, diesen Leit- stellt werden, daß neben -den von der Kommission
linien-Konfektionsanzug von damals nunmehr in vorgeschlagenen Verwertungsmögllichkeiten diese
einen Maßanzug — sprich EWG-Marktordnung — Erzeugnisse als Grundlagenweine für die Herstel-
zuzuschneidern, wobei ich nicht unbedingt hervor- lung von Schaumwein zugelassen .werden.
heben möchte, daß die früheren Regierungen dazu
viele Jahre Zeit gehabt hätten. 4. Unter Berücksichtigung der 'klimatischen Be-
dingungen einiger unserer Weinbaugebiete halten
Im Gegensatz dazu hat die jetzige Bundesregie-
wir es für eine unabdingbare Forderung, daß .für
rung im Rahmen der Entschließung des Minister-
Schlechtwetterjahre leine Schutzklausel in die Wein-
rates vom 6. Februar bereits einen großen Teil der
rechtsrichtlinie aufgenommen wird, die bezüglich der
deutschen Anliegen durchsetzen können. Hierzu
Werte der Anreicherung ,den Bestimmungen des
zählt insbesondere , die Anerkennung der unter-
Paragraphen 87 unseres Deutschen Weingesetzes
schiedlichen Weinbereitungsmethoden, die durch die
entspricht. Die Feststellung über die Auslösung die-
verschiedenen Naturgegebenheiten den einzelnen
ser 'Bestimmung kann nach unserer Auffassung nicht
Weinbaugebieten gegeben sind. Dazu gehören auch
gemäß Artikel 6 der Verordnung Nr. 24 in Verbin-
die Verbesserung der Einteilung der Weinbauzonen,
dung mit dem Kommissionsentwurf dem Verwal-
die verbesserte Anreicherungsgrenze für Rotwein,
tungsausschuß für Wein übertragen werden, son-
das Verbot des Verschnitts von EWG-Wein mit
dern muß ausschließlich Sache der einzelnen Mit-
Drittlandswein sowie des Verschnitts von Dritt-
gliedstaaten sein.
landsweinen untereinander im Bereich ,der EWG.
Meine Damen und Herren, verkennen wir nicht,
Natürlich unterliegt es keinem Zweifel, daß der daß die Durchsetzung dieser wünschenswerten und
Anfang Februar vorgelegte Kommissionsentwurf unverzichtbaren Forderungen sehr schwierig sein
viele Bestimmungen enthält, die für die deutsche wird und einer harten Verhandlungsführung be-
Weinwirtschaft unannehmbar sind. Hierbei dürfen darf. Zu dieser harten Verhandlungsführung brau-
wir jedoch nicht in den Fehler verfallen, Forderun- chen wir diese Bundesregierung nicht besonders auf-
gen zu erheben, die im Rahmen der Beratungen in zufordern. Diese Bundesregierung hat in der Mini-
Brüselaboutnichdzse.Vilmhr sterratssitzung am 2. und 3. März dieses Jahres dem
müssen 'wir gemeinsam versuchen, Verbesserungs- vorliegenden Kommissionsentwurf ihre Zustimmung
vorschläge zu erarbeiten, die Aussicht haben, bei versagt, und der Herr Landwirtschaftsminister hat
den schwierigen Verhandlungen mit unseren Part- ja deutlich genug zu erkennen gegeben, daß er bei
nerländern durchzudringen. den weiteren Verhandlungen die existenzwichtigen
Im Hinblick auf die schwierige Situation halte ich Interessen der deutschen Weinwirtschaft mit allen
es für angebracht, den Katalog unserer Forderun ihm zu Gebote stehenden Mitteln wahrnimmt.
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. März 1970 1849
der Milch stammt in der Bundesrepublik aus Werk sind. Dazu kommt als eine besondere Erschwerung,
milchbetrieben, in denen eine solche Beteiligung zu daß, in der Hoffnung auf den deutschen Markt, be-
zusätzlichen Einkommensminderungen führt. Diese sonders in den Partnerländern der EWG eine erheb-
trifft wiederum in existenzgefährdender Weise vor liche Ausweitung im Obstanbau vollzogen wurde.
allem die Betriebe in den Grönlandgebieten, die Die stark gestiegenen Erträge streben jetzt auf den
keine Alternative zur Milcherzeugung haben. - Ein Markt und führen zu einem harten Verdrängungs-
solches Vorgehen ist für die deutsche Landwirt- wettbewerb. In dieser Situation muß der deutsche
schaft, aber insbesondere auch gegenüber den fran- Obstbauer erwarten, daß ihm die gleiche Wettbe-
zösischen Bauern ungerecht, die infolge der Franc werbsvoraussetzungen eingeräumt wird wie in den
Abwertung eine wesentliche Preisaufbesserung er- Partnerländern.
fahren.
Wir fordern in einem Antrag, daß der heute weit
Zur Bewältigung des Milchproblems in der EWG überhöhte Einheitswert im Obstbau um 50 % ge-
hat die deutsche Landwirtschaft mit ihren Vorschlä- senkt wird. Man kann es den Obtsbauern nicht mehr
gen zur Einführung handelsfähiger Milchlieferrechte zumuten, auf den Einheitswerten beruhende Steuern
sehr konkrete Vorstellungen entwickelt. Ich halte aus der Substanz zu bezahlen.
diese Maßnahme im Zusammenwirken mit den wei-
teren Vorschlägen zur Absatzförderung und zur Ver- Der Obstbau ist besonders lohnintensiv. Die Löhne
änderung der Preisrelationen, insbesondere durch sind überdurchschnittlich gestiegen, ebenso die So-
stufenweise Anhebung des Rinderorientierungsprei- zialleistungen und die anderen Aufwendungen. Da-
ses, für durchaus geeignet, das Milchproblem in den bei sind die Erzeugerpreise gefallen, für Tafeläpfel
Grifzubekomn.Ich i,daßHerMn- bis zu 50 %. Daß sich die neuerlichen Zinserhöhun-
ster Ertl diese Vorschläge in Brüssel auf den Tisch gen in dieser Situation gravierend auswirken, bedarf
gelegt hat. Meine Freunde und ich erwarten, daß er kaum einer Erwähnung. Die zur Zeit doppelt so
in dieser Frage im Ministerrat eine ebenso feste hohen Lagerbestände bei Tafeläpfeln wie im Vor-
Haltung einnimmt, wie er idas bei den Verhandlun- jahr erfordern darum eine sofortige Ausnutzung
gen um die Europäische Weinmarktordnung getan aller Möglichkeiten, die uns im Rahmen der EWG
hat. Hier geht es um Entscheidungen, die zu weit gegeben sind. Jede Apfeleinfuhr aus Drittländern
in die Gemeinschaft sollte nach der V.O. 2513 EWG
größeren Auswirkungen für die deutsche Landwirt-
verhindert werden. Auch eine Intervention in der
schaft führen.
Bundesrepublik nach Verordnung 2515/69 EWG
Meine Freunde und ich fordern den Herrn Mini- sollte sofort in Erwägung gezogen werden.
ster auf, im Sinne dieser Vorschläge im Ministerrat
sehr energisch für die Interessen der deutschen In den Obstanbaugebieten gilt es der zunehmen-
Landwirtschaft einzutreten, die bisher für das euro- den Hoffnungslosigkeit zu begegnen. Eine Umwand-
päische Einigungswerk immer nur der gebende Teil lung der kurzfristigen Kredite in tragbare länger-
gewesen ist. fristige Verpflichtungen scheint mir dabei unerläß-
lich zu sein.
Sollte er erneut Kompromissen zustimmen, die
Lasten der deutschen Landwirtschaft er- einstgzu Im größten zusammenhängenden Obstbaugebiet
folgen, dann begibt er sich in einen krassen Wider- an der Niederelbe kommt durch die Wasserhypothek
spruch zu den ihr gegenüber in der Regierungserklä- noch eine weitere Belastung hinzu, die die Wett-
rung gemachten Zusagen. bewerbsfähigkeit erheblich erschwert. In den üb-
rigen Bereichen der Landwirtschaft haben wir im
Küstenplan durch die Übernahme der Abgaben für
den Lastenausgleich auf den Staat wenigstens einen
gewissen Ausgleich zu schaffen versucht. Wegen der
Anlage 11 damals günstigeren Lage auf diesem Sektor wurde
Schriftliche Erklärung der Obstbau dabei ausgenommen. Was damals
durchaus verständlich war, ist heute unter ganz ver-
des Abgeordneten Tobaben (CDU/CSU) zu Punkt 5 änderten Verhältnissen nicht mehr zu verantworten.
der Tagesordnung. Wir sollten im Ausschuß prüfen, ob nicht auch der
Obstbau in diesem Gebiet den übrigen Zweigen der
Ich habe nicht ums Wort gebeten, um hier einmal Landwirtschaft gleichgestellt werden kann.
wieder reden zu können. Ich möchte aber trotzdem
noch ganz kurz auf die besonders prekäre Lage im
deutschen Obstbau aufmerksam machen, weil hier
die Schwierigkeiten eine schnelle Hilfe erfordern!
Es gibt kaum einen Wirtschaftszweig in unserem Anlage 12
Berufsstand, in dem sich die Abwertung des Franc Schriftliche Erklärung
und die Aufwertung der DM so hart ausgewirkt hat
wie im Obstbau. der Abgeordneten Frau Klee (CDU/CSU) zu Punkt 5
Die zum Ausgleich des Verlustes in der Zeit des der Tagesordnung.
flexibleren Wechselkurses zugesagten 19 Millionen Die Beratende Versammlung des Europarates hat
DM stehen meines Wissens immer noch nicht zur in ihrer letzten Sitzungswoche in Straßburg am
Auszahlung zur Verfügung, weil verwaltungsmäßige 22. Januar den Entwurf des Statuts des europäischen
und EWG-Schwierigkeiten noch nicht überwunden Landwirts einstimmig verabschiedet.
1852 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. März 1970 ,
Als Mitglied der Beratenden Versammlung geht das müsse man im Rahmen der Steuerreform er-
nun meine Bitte dahin, Herr Minister, daß Sie sich ledigen. Zwar wurde bekanntlich im Rahmen der
doch im Ministerkomitee des Europarates mit aller Gemeindesteuerreform eine Neuverteilung ,der Ge-
Entschiedenheit dafür verwenden, damit auch dort werbesteuer vorgenommen, .aber die Nullstufe bzw.
dies so wichtige Dokument verabschiedet wird. Wie die Zwischenstufen blieben auf ihrem Stand un-
Sie wissen, messen die zuständigen Kreise der Land- verrückt stehen.
wirtschaft selber dieser Charta allergrößte Bedeu-
In der Zwischenzeit, und zwar ,am Ende der
tung bei und haben jahrelang Vorarbeit dafür ge-
vorigen Legislaturperiode, wurden von allen Par-
leistet. Sie ist in der Tat ein bedeutsames Dokument,
teien Anträge eingebracht, die zum Ziele hatten, den
das auf einer ausgezeichneten Analyse der jetzigen
Freibetrag zu 'erhöhen oder, wie die SPD, zumindest
Situation beruht und zurecht darauf hinweist, daß
die kleinen Steuerzahler, also die mit geringem
diese erste Charta für Freie und Selbständige not-
Einkommen, zu entlasten. All diese Anträge sind,
wendig ist, weil sie aus eigener Kraft nicht mehr
wie Sie wissen, nicht mehr zur Entscheidung ge-
mit den unerhörten Anforderungen fertig werden
kommen.
können, die die Entwicklung an ihren Berufsstand
stellt. Als ich nun Anfang dieses Jahres hörte, daß Herr
Durch den Strukturwandel allein wird die Land- Finanzminister Möller die Gewerbesteuerreform im
wirtschaft in Europa nicht am sozialen Fortschritt Rahmen einer Finanzreform ,an letzter Stelle behan-
beteiligt. Zusätzliche Maßnahmen sind notwendig. deln wollte, habe ich zusammen mit Kollegen d i e-
Hier sind sie in übersichtlicher, knapper und doch sen Ihnen vorliegenden Antrag am 20. Januar ein-
erschöpfender Weise zusammengestellt worden. Es gebracht, und gleichzeitig hat dann tatsächlich der
geht nicht nur um Fragen der sozialen Sicherung wie Papier vorgelegt, aus dem her- Finazmster
z. B. bei Krankheit, Unfall, Invalidität oder Alter, vorgeht, daß die Gewerbesteuerreform etwa im
sondern auch um Maßnahmen der Selbsthilfe, um die Jahre 1974, wie man so sagt, über die Bühne gehen
Chancengleichheit in Bildung und Ausbildung, Fort- soll.
bildung und Umschulung. Mancher von Ihnen wird natürlich jetzt wieder
Natürlich begrüße ich sehr, daß in einem beson- sagen oder denken: der Antrag kommt nicht zum
deren Artikel auf die Probleme der Landfrau einge- richtigen Zeitpunkt; denn jetzt haben wir nine heiße
gangen wird. Gerade sie ist vom Strukturwandel Konjunktur, einen unerhörten Preisanstieg, und
in der Landwirtschaft besonders betroffen und muß eben deshalb ist der Antrag nicht konjunkturgerecht.
sich, gerade wenn der Betrieb vollmechanisiert ist, Nun, meine Kollegen, wann soll man eigentlich
häufig noch größeren Anforderungen stellen. einen solchen steuermindernden Antrag einbringen,
wenn nicht zu einer Zeit, in 'der die Steuereinnah-
Diese Charta soll richtungweisend sein und Hilfe men, insbesondere die Steuereinnahmen aus dem
geben. Deshalb möchte ich Sie, Herr Minister, noch Gewerbeertrag geradezu übersprudeln?
einmal eindringlich darum bitten, für eine baldige
Verabschiedung durch das Ministerkomitee des Ich entnehme dem Statistischen Wochendienst,
Europarates Sorge zu tragen. Heft 9 vom 6. März 1970, folgendes Zahlenspiel:
Gemeindesteueraufkommen 1969 = 18,8 Mrd.
DM (+ 4,0 Mrd. DM oder 27,2 % gegenüber
1968) ;
Anlage 13 Gewerbesteueraufkommen 1969 = 14,2 Mrd.
Schriftliche Erklärung DM (+ 3,7 Mrd. DM oder 34,9 %. gegenüber
1968) ;
des Abgeordneten Schulhoff (CDU/CSU) zu Punkt 6
der Tagesordnung. Gewerbeertragssteueraufkommen 1969 = 12,07
Mrd. DM;
Seit mehr als vier Jahren schleppe ich den Ge-
danken an Änderung des Gewerbesteuergesetzes Gemeindesteueraufkommen 4. Quartal 1969 =
bzw. der Anpassung dieses Gesetzes an die wirt- 6,7 Mrd. DM (+ 2,9 Mrd. DM oder 76,4 % ge-
schaftlichen Verhältnisse mit mir herum. Immer genüber 4. Quartal 1968) ;
wurde mir bedeutet, wenn ich den Gesetzantrag Gewerbesteueraufkommen 4. Quartal 1969 —
betreffend der Nullstufe einbringen wollte, daß 5,5 Mrd. DM (+ 2,8 Mrd. DM oder 102,2 %
jetzt gerade in dem Moment nicht der richtige Zeit- gegenüber 4. Quartal 1968).
punkt wäre. Alle, die ich ansprach, auch die Kolle-
gen anderer Parteien, haben mir in der Sache recht Außerdem wird dieses Gesetz sicherlich nach An-
gegeben, nur 'sagten sie eben: nicht jetzt, sondern nahme — und ich hoffe, daß Sie mir am Ende alle
später. 1966 verwies man mich auf die damalige Ihr Placet geben — zu einem 'Zeitpunkt verabschie-
schlechte Finanzlage der Gemeinden. 1967 auf die det, an dem die Konjunktur sich wieder in nor-
kommende Finanz- bzw. Gemeindefinanzreform, und malen Bahnen bewegt. Jedenfalls soll das Gesetz
als ich während der Behandlung der Gemeinde- nicht rückwirkend in Kraft gesetzt werden. Man
finanzreform im Finanzausschuß die Erhöhung des kann doch wohl annehmen, meine Damen und
Freibetrages verlangte, da wurde mir gesagt — Herren, daß es dem Genie des Herrn Wirtschafts-
Sie können es selbst im Protokoll nachlesen —, ministers mit Unterstützung des Finanzministers
das sei eine durchaus berechtigte Forderung, aber gelingen wird, in den nächsten Monaten die Preis-
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. März 1970 1853
entwicklung in den Griff zu bekommen. Oder den- Durch die Annahme des Gesetzes werden 345 000
ken Sie anders? Übrigens — ich lehne mich da an Betriebe entlastet, und nur noch 41 % aller ge-
den eben genannten Wirtschaftsminister Schiller —: werbesteuerpflichtigen Betriebe werden Gewerbe-
Es ist doch durchaus möglich, daß eine gewisse steuer zahlen. Das bringt auch eine erhebliche Ein-
Steuererleichterung auch in die heutige konjunk- sparung an Verwaltungskosten. Im übrigen wissen
turelle Landschaft paßt. Prof. Schiller hatte doch
- vor, Sie ja, daß der Löwenanteil der Gewerbesteuer von
zum Zwecke der Preisstabilisierung eine Senkung großen Gesellschaften, von Kapitalgesellschaften,
der Mehrwertsteuer um 1 % herbeizuführen. Das aufgebracht wird, und die werden von diesem An-
hätte übrigens zu einem Steuerausfall von über trag überhaupt nicht berührt, da Kapitalgesellschaf-
3 Milliarden DM geführt. Daß dieses Vorhaben von ten bekanntlich keinen Freibetrag in Anspruch neh-
Herrn Schiller nicht zum Ziele geführt hat, lag be- men können.
kanntlich nicht an ihm. Nur am Rande darf ich darauf hinweisen, daß es
Leute gibt, die behaupten, daß die Anheizung der
Entscheidend für die Beurteilung dieses Antrages Konjunktur hauptsächlich in den Gemeinden statt-
aus konjunkturpolitischer Sicht ist doch die Frage, finde und daß eine kleine steuerliche Bremswirkung
an welcher Stelle im Wirtschaftskreislauf die Mehr- der Volkswirtschaft sicherlich keinen Schaden zu-
oder Mindereinnahmen anfallen. Für den einzelnen fügen werde.
Gewerbetreibenden bedeutet die Gesetzesänderung
eine Ersparnis von maximal 915 DM, wenn man Meine Damen und Herren, 1961 wurde die Null
einen Hebesatz von 300 % zugrunde legt. Dieses Stufe auf 7 200 DM erhöht. Seither ist sie unver-
Mehreinkommen wird nicht etwa, wie das wahr- ändert geblieben. Der Weg von 1961 bis heute ist
scheinlich bei einem Unselbständigen der Fall ist, nicht nur mit guten Vorsätzen, sondern auch mit
dazu benutzt, durch zusätzlichen Konsum die Nach- Beteuerungen aller Parteien gepflastert, diesen Frei-
frage anzuheizen. Vielmehr wird der kleine Ge- betrag den wirtschaftlichen Gegebenheiten anzupas-
werbetreibende, wie z. B. der Handwerker oder un- sen. Es ist noch gar nicht lange her, daß in diesem
ser Einzelhändler an der Ecke, dem im Konkurrenz- Hause der Abgeordnete Kurlbaum von der SPD
kampf gegen die Industrie oder die Supermärkte sagte — ich zitiere mit Erlaubnis des Herrn Präsi-
das Wasser bis zum Halse steht, den ersparten Be- denten aus dem Protokoll der sogenannten Mittel-
trag dazu benutzen, längst überfällige Investitionen standsdebatte vom 3. Juli 1969 —:
zu verwirklichen. Außerdem, und das ist gerade in Die derzeitige Gewerbeertragssteuer hat fol-
der jetzigen konjunkturellen Situation von Bedeu- gende entscheidende Nachteile, die die Reform
tung, gibt ihm die sinkende Belastung durch eine geradezu herausfordern. Die Besteuerung ist,
Kostensteuer viel eher die Möglichkeit, die Preise abgesehen von unzureichenden Freibeträgen
stabil zu halten, und das ist ihm wohl in den letz- und abgesehen von einer Steigerung der Sätze
ten Wochen durch die Kosten der Lohnfortzahlung im Rahmen eines noch relativ kleinen Einkom-
und durch die Schwierigkeit der vollen Überwäl- mens, nicht progressiv, sondern wendet einen
zung der Mehrwertsteuer schwierig genug ge- festen Steuersatz an. Sie widerspricht also in
worden. ihrer Grundkonzeption den modernen Vorstel-
lungen einer Besteuerung nach der Leistungs-
Der Steuerausfall beträgt, wenn Sie dieses Ge- fähigkeit.
setz annehmen, nach den mir gemachten Angaben
eines Ministeriums brutto 650 Millionen DM. Durch In diesem Zusammenhang weise ich auch auf eine
die inzwischen erfolgte Gemeindefinanzreform parti- Rede der Kollegin Funcke in der gleichen Debatte
zipieren an diesem Ausfall Bund und Länder. Außer- hin, in der sie ebenfalls von der Unzulänglichkeit
dem erhöht sich die Einkommensteuer entsprechend, des derzeitigen Freibetrages sprach.
da ja bekanntlich die gezahlte Gewerbesteuer vom Wenn Sie davon ausgehen, daß der Unternehmer-
Einkommen abzugsfähig ist. Per Saldo kommt auf lohn die Verzerrungen, die durch die unterschied-
die Gemeinden ein Ausfall von 358 Millionen DM. liche Behandlung der Geschäftsführergehälter bei
Das sind in etwa nach dem heutigen Stand 2 1/2 % Personengesellschaften bzw. Einzelunternehmern
der Einnahmen aus Gewerbesteuerertrag. gegenüber Kapitalgesellschaften entstehen, we-
nigstens ein wenig ausgleichen soll, dann sollten
Es ist mir bekannt — ich war selbst 12 Jahre Sie sich einmal das Gehalt eines Geschäftsführers
Stadtverordneter in Düsseldorf —, daß Gesetze, die vor Augen führen. Keiner in diesem Haus wird der
die Finanzen der Kommunen betreffen, immer ein Ansicht sein, daß ein Angestellter in dieser Po-
heißes Eisen waren und noch sind. Jeder von uns sition bereit ist, für 7200 DM pro Jahr zu arbeiten.
kommt ja aus einer Stadt oder einem Landkreis Nehmen Sie als Vergleichsmaßstab nur die Gehälter
und weiß, was für Vorwürfe ihn zu Hause erwar- eines gewerblichen Angestellten der Leistungs-
ten, wenn er hier einer Einnahmensenkung der gruppe II, der im Jahre 1961 ca. 950 DM verdiente!
Kommunen seine Zustimmung gibt. Das sollte uns Dann stellen Sie fest, daß dessen Einkommen von
aber nicht daran hindern, etwas in die Tat umzu- 1961 bis 1968 um rund 50 % gestiegen ist. Wir
setzen, was wir als gerecht und notwendig ansehen. schreiben das Jahr 1970; in der Zwischenzeit dürfte
sich das Gehalt noch weiter erhöht haben. Um zu
Schließlich bleibt, und das kann dann im Finanz- einer realistischen Größenordnung zu kommen,
ausschuß ja überlegt werden, die Möglichkeit, im müßten Sie das Gehalt eines solchen Angestellten
Rahmen des vertikalen Finanzausgleichs den Ein- um mindestens 25 % erhöhen, wenn Sie die höhere
nahmeverlust ausgleichen. Verantwortung, die größere zeitliche Belastung und
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