Sie sind auf Seite 1von 76

Plenarprotokoll 15/186

Deutscher Bundestag
Stenografischer Bericht

186. Sitzung

Berlin, Mittwoch, den 7. September 2005

Inhalt:

Beileid zu den Folgen der Flutkatastrophe in bilanz als Grundlage einer neuen Poli-
den Vereinigten Staaten von Amerika . . . . . . 17497 A tik für Wachstum, Arbeit und Sicherheit
(Drucksache 15/5956) . . . . . . . . . . . . . . . 17498 B
Begrüßung der neuen Abgeordneten Barbara
Imhof und Dorothea Störr-Ritter . . . . . . . . 17497 C Gerhard Schröder, Bundeskanzler . . . . . . . . . 17498 C
Glückwünsche zum Geburtstag der Abgeord- Dr. Angela Merkel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 17504 D
neten Otto Schily, Dr. Peter Danckert, Franz Müntefering (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 17513 A
Rudolf Bindig, Beatrix Philipp, Dieter
Grasedieck, Gerald Weiß (Groß-Gerau), Dr. Guido Westerwelle (FDP) . . . . . . . . . . . . 17518 C
Dr. Uwe Küster, Herbert Frankenhauser, Otto Schily (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17521 D
Lothar Mark und Ernst-Reinhard Beck
(Reutlingen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17497 D Joseph Fischer, Bundesminister AA . . . . . . . 17522 D
Erweiterung der Tagesordnung . . . . . . . . . . . 17497 D Dr. Edmund Stoiber, Ministerpräsident
(Bayern) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17528 C
Renate Schmidt, Bundesministerin
BMFSFJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17535 A
Tagesordnungspunkt 1:
Petra Pau (fraktionslos) . . . . . . . . . . . . . . . . . 17539 C
a) Abgabe einer Regierungserklärung durch
den Bundeskanzler: Deutschland ist auf Wolfgang Clement, Bundesminister
dem richtigen Weg – Vertrauen in die BMWA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17541 C
Stärken unseres Landes . . . . . . . . . . . . . 17498 A
b) Antrag der Fraktionen der SPD und des Tagesordnungspunkt 2:
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN:
Deutschland auf Wachstumskurs hal- a) – c)
ten, die soziale Erneuerung unseres Beschlussempfehlungen des Petitionsaus-
Landes fortsetzen, standhaft für den schusses: Sammelübersichten 229, 230
Frieden – Für Arbeit, Sicherheit und und 231 zu Petitionen
Menschlichkeit (Drucksachen 15/5981, 15/5982, 15/5983) 17548 B
(Drucksache 15/5979) . . . . . . . . . . . . . . . . 17498 A
c) Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und
der FDP: Sieben Jahre Rot-Grün – Zusatztagesordnungspunkt 1:
Deutschland braucht den Neuanfang a) – d)
(Drucksache 15/5978) . . . . . . . . . . . . . . . . 17498 B
Beschlussempfehlungen des Petitionsaus-
d) Antrag der Abgeordneten Dr. Michael schusses: Sammelübersichten 232, 233,
Meister, Steffen Kampeter, Ilse Aigner, 234 und 235 zu Petitionen
weiterer Abgeordneter und der Fraktion (Drucksachen 15/5984, 15/5985, 15/5986,
der CDU/CSU: Ehrliche Abschluss- 15/5987) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17548 C
II Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 186. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. September 2005

Zusatztagesordnungspunkt 2: Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 17554 C


Beschlussempfehlung des Ausschusses nach Reinhard Grindel (CDU/CSU) . . . . . . . . . 17555 B
Art. 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsaus-
schuss) zu dem Gesetz zur Änderung des Hellmut Königshaus (FDP) . . . . . . . . . . . . . . 17557 A
Abfallverbringungsgesetzes sowie zur Auf- Olaf Scholz (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17558 D
lösung und Abwicklung der Anstalt Soli-
darfonds Abfallrückführung Eckart von Klaeden (CDU/CSU) . . . . . . . 17559 B
(Drucksachen 15/5243, 15/5523, 15/5726, Dr. Hans-Peter Uhl (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 17560 D
15/5916, 15/5976) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17548 D
Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos) . . . . . . . . . 17562 D
Michael Hartmann (Wackernheim) (SPD) . . . 17563 C
Tagesordnungspunkt 3:
a) Beschlussempfehlung und Bericht des Michaela Noll (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 17564 D
2. Untersuchungsausschusses nach Art. 44
des Grundgesetzes
(Drucksache 15/5975) . . . . . . . . . . . . . . . . 17549 A Anlage 1

b) Antrag der Abgeordneten Hellmut Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 17567 A


Königshaus, Dr. Max Stadler, Dr. Werner
Hoyer, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der FDP: Verbesserung der Anlage 2
Praxis der Visavergabe und Schaffung Neuabdruck einer Erklärung nach § 31 GO
gemeinsamer Visastellen der Schengen- der Abgeordeten Dr. Herta Däubler-Gmelin
staaten (SPD) zur Abstimmung über den Antrag des
(Drucksache 15/5977) . . . . . . . . . . . . . . . . 17549 B Bundeskanzlers gemäß Art. 68 des Grundge-
Volker Neumann (Bramsche) (SPD) . . . . . . . 17549 B setzes (185. Sitzung, Tagesordnungspunkt 21) 17567 B
Eckart von Klaeden (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 17550 D
Jelena Hoffmann (Chemnitz) (SPD) . . . . . . . 17553 C Anlage 3
Eckart von Klaeden (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 17554 A Amtliche Mitteilungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17567 C
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 186. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. September 2005 17497

(A) (C)

Redetext

186. Sitzung

Berlin, Mittwoch, den 7. September 2005

Beginn: 9.00 Uhr

Präsident Wolfgang Thierse: Liebe Kolleginnen und Kollegen, vor Eintritt in die
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Tagesordnung noch einige Mitteilungen: Die Kollegen
Sitzung ist eröffnet. Walter Hoffmann und Heinz Seiffert haben auf ihre Mit-
gliedschaft im Deutschen Bundestag verzichtet. Als
Bevor wir mit unserer Arbeit beginnen, darf ich Sie Nachfolgerin von Herrn Hoffmann hat die Abgeordnete
bitten, sich von Ihren Plätzen zu erheben. Barbara Imhof und als Nachfolgerin von Herrn Seiffert
hat die Abgeordnete Dorothea Störr-Ritter die Mit-
(Die Anwesenden erheben sich) gliedschaft im Deutschen Bundestag erworben. Ich be-
Der Deutsche Bundestag und die Bürgerinnen und grüße die neuen Kolleginnen, die wir bereits aus frühe-
Bürger unseres Landes sind erschüttert über die schreck- ren Wahlperioden kennen, sehr herzlich.
lichen Folgen der schweren Naturkatastrophe, die am (Beifall)
29. August 2005 über die Golfküste der Vereinigten
Sodann sind einige Geburtstage zu vermelden: Der
Staaten von Amerika hereingebrochen ist. Das ganze
(B) Kollege Otto Schily hat im Juli seinen 73. Geburtstag (D)
Ausmaß der Verwüstung und die Zahl derer, die ihr Le-
gefeiert. Ich darf ihm dazu im Namen des ganzen Hauses
ben verloren haben, sind bis heute noch nicht absehbar. die besten Wünsche übermitteln.
Der Wirbelsturm „Katrina“ und die nachfolgende (Beifall)
Flutkatastrophe haben nicht nur die Stadt New Orleans
und weite Teile des Mündungsgebiets des Mississippi im Außerdem gratulieren wir nachträglich den Kollegen
Wasser versinken lassen, sondern ganze Städte ausge- Dr. Peter Danckert und Rudolf Bindig zum 65. Ge-
löscht und ein Gebiet mit einer Größe von zwei Dritteln burtstag sowie der Kollegin Beatrix Philipp und den
der Fläche Deutschlands verwüstet. Schon jetzt steht Kollegen Dieter Grasedieck, Gerald Weiß, Dr. Uwe
fest, dass die Vereinigten Staaten von Amerika von einer Küster, Herbert Frankenhauser, Lothar Mark und
der schlimmsten Naturkatastrophen ihrer Geschichte Ernst-Reinhard Beck zum 60. Geburtstag.
heimgesucht wurden. (Beifall)
Unser Mitgefühl und unsere Anteilnahme gilt allen, Liebe Kolleginnen und Kollegen, interfraktionell ist
die bei dieser Katastrophe Familienangehörige, Freunde, vereinbart worden, die verbundene Tagesordnung um
Nachbarn und Kollegen verloren haben, sowie all denen, die in der Zusatzpunktliste aufgeführten Punkte zu er-
deren Heim von den Wasserfluten zerstört oder wegge- weitern:
schwemmt wurde und die sich in einer verzweifelten ZP 1 Weitere abschließende Beratungen ohne Aussprache
Notlage befinden. (Ergänzung zu TOP 2)
a) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses
Wir Deutschen haben selbst die Hilfe der Vereinigten (2. Ausschuss)
Staaten erfahren. Gerade in Berlin bleibt die Unterstüt- Sammelübersicht 232 zu Petitionen
zung Amerikas während der Blockade der Stadt unver-
– Drucksache 15/5984 –
gesslich. Diesmal wollen wir helfen und begrüßen daher
b) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses
die großzügigen Zusagen und Unterstützungsleistungen (2. Ausschuss)
der Bundesregierung. Viele Organisationen und viele
Sammelübersicht 233 zu Petitionen
Bürgerinnen und Bürger unseres Landes beteiligen sich
– Drucksache 15/5985 –
ebenfalls und folgen den vielfältigen Spendenaufrufen.
Sie wollen Not und Leid lindern helfen. c) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses
(2. Ausschuss)
Sie haben sich zu Ehren der Opfer der Flutkatastrophe Sammelübersicht 234 zu Petitionen
von Ihren Plätzen erhoben; ich danke Ihnen. – Drucksache 15/5986 –
17498 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 186. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. September 2005

Präsident Wolfgang Thierse


(A) d) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (C)
(2. Ausschuss) DIE GRÜNEN)
Sammelübersicht 235 zu Petitionen
– Drucksache 15/5987 – Gerhard Schröder, Bundeskanzler:
ZP 2 Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses nach Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Art. 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuss) zu dem
Gesetz zur Änderung des Abfallverbringungsgesetzes so-
Herren! Lassen Sie mich zu Beginn der Aussprache ei-
wie zur Auflösung und Abwicklung der Anstalt Solidar- nige Sätze zu der in der Tat fürchterlichen Naturkata-
fonds Abfallrückführung strophe, die die Vereinigten Staaten von Amerika ge-
– Drucksachen 15/5243, 15/5523, 15/5726, 15/5916, 15/5976 – troffen hat, sagen: Wir haben die schrecklichen Bilder,
Berichterstattung:
denke ich, alle miteinander vor Augen. Das Sterben, das
Abgeordneter Michael Müller (Düsseldorf) Leid der Menschen, die Not haben uns alle beschäftigt
und tief betroffen gemacht. Wir stehen deshalb in diesen
Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll – so- Tagen in wirklicher Solidarität zu unseren amerikani-
weit erforderlich – abgewichen werden. Sind Sie mit den schen Freunden, vor allen Dingen zu den Opfern,
Vereinbarungen einverstanden? – Ich höre keinen Wi-
derspruch. Dann ist so beschlossen. (Beifall im ganzen Hause)
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 1 a bis 1 d auf: und das nicht nur aus Dankbarkeit für das, was wir von
unseren Freunden in Amerika nach dem Zweiten Welt-
1 a) Abgabe einer Regierungserklärung durch den krieg bekommen haben, sondern weil für uns alle, denke
Bundeskanzler ich, diese Solidarität ein selbstverständliches Gebot von
Deutschland ist auf dem richtigen Weg – Ver- Mitmenschlichkeit in solchen Situationen ist.
trauen in die Stärken unseres Landes (Beifall im ganzen Hause)
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Deswegen haben wir unverzüglich unsere Hilfe ange-
DIE GRÜNEN – Lachen bei Abgeordneten boten, und zwar Hilfe, die umfassend sein soll und sein
der CDU/CSU) wird. Die Bundeswehr hat bisher 40 Tonnen Nahrungs-
b) Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD mittel als Notverpflegung dorthin gebracht. Wir haben
und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN dafür gesorgt, dass Equipment, das helfen kann, des
Hochwassers Herr zu werden, dorthin gebracht worden
Deutschland auf Wachstumskurs halten, die ist, und wir haben medizinische Hilfe zugesagt. Wir sind
soziale Erneuerung unseres Landes fortsetzen, in der Lage, mit Notunterkünften zu helfen, sobald und
(B) standhaft für den Frieden – Für Arbeit, Si- sofern wir entsprechende Anforderungen bekommen. (D)
cherheit und Menschlichkeit Wir sind mit den Hilfsorganisationen im Gespräch, wir
– Drucksache 15/5979 – sind bereit, umfassend Hilfe zu leisten, und ich bin froh
darüber, dass in der amerikanischen Gesellschaft – auch
c) Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/ in der amerikanischen Öffentlichkeit – unsere Leistung
CSU und der FDP sehr wohl anerkannt wird.
Sieben Jahre Rot-Grün – Deutschland braucht Meine Damen und Herren, dass wir helfen, ist selbst-
den Neuanfang verständlich; aber es gilt auch, Konsequenzen aus dem
zu ziehen, was wir nicht nur in den Vereinigten Staaten
– Drucksache 15/5978 – von Amerika, sondern weltweit beobachten können. Was
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- ist die richtige Antwort auf die Häufung von Naturkata-
neten der FDP) strophen, die wir dort, aber eben nicht nur dort erleben?
Um Folgen dieser Naturkatastrophen einzudämmen,
d) Beratung des Antrags der Abgeordneten zum Beispiel die Folge eines steigenden Öl- und Gas-
Dr. Michael Meister, Steffen Kampeter, Ilse preises, der die Weltwirtschaft in Gefahr stürzen kann,
Aigner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion ist es möglich, Teile der staatlichen Ölreserven und der
der CDU/CSU Reserven an Ölprodukten freizugeben. Es wäre aber un-
Ehrliche Abschlussbilanz als Grundlage einer möglich gewesen, das im nationalen Alleingang zu ma-
neuen Politik für Wachstum, Arbeit und Si- chen; dafür sind sie nicht geschaffen. Ich denke, das fin-
cherheit det hier im Hohen Hause insgesamt Zustimmung. Aber
als die Vereinigten Staaten von Amerika deutlich ge-
– Drucksache 15/5956 – macht haben, dass und warum die Ölversorgung bei ih-
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) nen physisch gefährdet ist – weil nämlich Raffinerien
ausgefallen sind, weil nämlich Produktion ausgefallen
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für ist –, haben wir nicht gezögert, unsere Zustimmung zu
die Aussprache im Anschluss an die Regierungserklä- einem international abgestimmten Verhalten zu geben,
rung drei Stunden vorgesehen. – Ich höre keinen Wider- um auf diese Weise wenigstens Beruhigung in den Markt
spruch. Dann ist so beschlossen. zu bringen.
Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
der Bundeskanzler, Gerhard Schröder. des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 186. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. September 2005 17499
Bundeskanzler Gerhard Schröder
(A) Das ist schwer genug; aber immerhin scheint etwas Be- In diesem Zusammenhang ist nun wirklich über ge- (C)
ruhigung einzutreten. genwärtige und zukünftige Energiepolitik zu reden.
Diese Regierung, diese Koalition ist es gewesen, die her-
In diesem Zusammenhang sollte man sehr deutlich
gegangen ist und unter großen Mühen durchgesetzt hat,
sagen, dass es weder mit Ethik noch mit Moral in der
dass wir eine Energiepolitik betreiben, die erstens auf
Wirtschaft zu tun hat, wenn Mineralölkonzerne diese
Kohle und Kohleprodukten beruht, zweitens auf Ener-
Situation nutzen, um auf diesen Märkten eine völlig un-
gieeffizienz basiert und drittens massiv auf erneuerbare
verantwortliche Preistreiberei zu praktizieren.
Energien setzt.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN)
In diesem Zusammenhang wird es auch nötig sein,
sich die Frage vorzulegen, ob denn die Bindung des Gas- Viele haben es nicht glauben wollen, als wir gesagt
preises an den Ölpreis unter den Bedingungen, unter de- haben: Das Setzen auf alternative, auf erneuerbare Ener-
nen wir jetzt leben, wirklich gerechtfertigt ist. gien ist bitter notwendig, um vom Öl wegzukommen;
das ist notwendig, um eine Energiepolitik zu kreieren,
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ die der Klimakatastrophe wirklich entgegenwirkt. Ich
DIE GRÜNEN) kenne die Debatten und die Art und Weise, wie über
Die Politik hat relativ wenig Möglichkeiten, in dieses diese Politik der rot-grünen Koalition hergezogen wor-
Marktgeschehen einzugreifen. Dass das Kartellamt in- den ist. Inzwischen wird deutlich, dass sie ohne vernünf-
dessen genau hinschauen muss, ob das, was sich auf die- tige Alternative ist und dass sie deshalb weitergeführt
sen Märkten einzustellen scheint, inhaltlich wirklich ge- werden muss.
rechtfertigt ist, finde ich, ist eine Aufforderung, die (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
gerade in diesem Hohen Hause deutlich geäußert werden DIE GRÜNEN)
sollte.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Um das sehr konkret zu machen: In Ihrer Zeit als Um-
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) weltministerin, Frau Merkel, haben wir erleben können,
dass der Anteil erneuerbarer Energien von 4,3 auf gerade
Was kann man darüber hinaus tun? Wir als Bundesre- 4,7 Prozent gesteigert werden konnte. Das ist die Bilanz
gierung haben von Anfang an im Zusammenhang mit Ihrer Zeit als Umweltministerin. In der Zeit unserer Re-
den G-8-Staaten auf einen Tatbestand hingewiesen, der gierung haben wir diese Zahl mehr als verdoppeln kön-
in dieser Situation besonders interessant und besonders nen. Wir sind inzwischen bei 10 Prozent. Unser klares
(B) gefährlich ist, nämlich die Tatsache, dass der hohe Öl- Ziel ist, bis zum Jahr 2020 auf 20 Prozent zu kommen. (D)
preis nur bedingt mit Produktion und Produktionsausfäl- Das werden wir schaffen, weil wir das schaffen müssen.
len und auch nur sehr bedingt mit Anforderungen an den
Markt, was die Nachfrage angeht, zu tun hat. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN)
In diesem extrem hohen Ölpreis sind 20 bis 30 Dollar
pro Barrel an reiner Spekulation enthalten. Wir als deut- Das, was Sie anstelle dessen anbieten – nämlich eine
sche Bundesregierung haben im Zusammenwirken mit Rolle rückwärts zur Atomenergie –, ist völlig ungeeig-
den G-8-Staaten versucht, wenigstens mehr Transparenz net, die Energieprobleme der Zukunft auch nur im An-
in das Marktgeschehen zu bringen, wenn schon mit na- satz zu lösen. Das ist ein völlig verkehrter Weg.
tionalen Möglichkeiten allein die Preissetzung nicht in-
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
frage gestellt werden kann. In Gleneagles ist das nicht
zuletzt von Großbritannien und den Vereinigten Staaten DIE GRÜNEN)
noch abgelehnt worden. Wir werden an diesem Punkt Das, was Sie da vorhaben, bedeutet, dass die großen
nicht locker lassen und weiter versuchen, über mehr Energieversorger nicht das tun werden, was sie zugesagt
Transparenz in Bezug auf das Marktgeschehen zu einer haben, nämlich 20 Milliarden Euro in die Ertüchtigung
Beruhigung der Preissituation zu kommen, die dringend der Netze und die Verbesserung der Qualität der laufen-
notwendig ist, wenn wir nicht Probleme heraufbeschwö- den Kraftwerke zu investieren. Stattdessen werden sie
ren wollen. durch die Verlängerung der Laufzeiten von Atomkraft-
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten werken Gewinne machen. Das ist eine Strategie, die total
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) zum Scheitern verurteilt ist, die wirtschaftspolitisch
schädlich ist, die umweltpolitisch schädlich ist und die
Entscheidend indessen ist etwas anderes, etwas, was deshalb in Deutschland nicht Wirklichkeit werden darf.
wir mit nationalen Möglichkeiten sehr wohl in den Griff
bekommen können: Wir müssen nach wie vor und noch (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
entschiedener als in der Vergangenheit eine Politik be- DIE GRÜNEN)
treiben, die uns vom Öl und vom Ölverbrauch unabhän-
Die Unterschiede sind sichtbar und sie werden auch
giger macht. Eine Politik des Weg-vom-Öl ist dringende
gesehen: auf der einen Seite eine verantwortliche, an den
Notwendigkeit.
Klimabedingungen orientierte Energiepolitik, auf der an-
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ deren Seite ein Zurück in die Vergangenheit. Das sind
DIE GRÜNEN) die Unterschiede in der Umweltpolitik. Seien Sie sicher:
17500 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 186. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. September 2005

Bundeskanzler Gerhard Schröder


(A) Die Menschen beobachten sehr genau, was wirklich hilf- werden lassen, was wir tun und wo die Unterschiede zu (C)
reich ist und was nur in die Vergangenheit zurückführt. Ihnen liegen.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Ich beginne mit der Gesundheitspolitik. Wir haben
DIE GRÜNEN) – im Übrigen gemeinsam; aber das haben Sie nach au-
ßen nie mehr laut gesagt, weil Sie sich aus Ihrer Verant-
In diesem Zusammenhang komme ich zu der Debatte wortung davongerobbt haben, meine Damen und Her-
um die so genannte Ökosteuer, eine interessante Diskus- ren; aber wir stehen dazu –
sion. Anfangs konnte auf der rechten Seite des Hohen
Hauses keiner schnell genug mit der Abschaffung der (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des
Ökosteuer sein. Inzwischen haben auch Sie gemerkt, BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
dass die Einnahmen, die dadurch entstehen, in der Tat zu mit dem In-Ordnung-Bringen eines Gesundheitssystems
90 Prozent in die Rente fließen, also die Lohnnebenkos- begonnen, das zu den besten in der Welt zählt. Das Prin-
ten senken oder zumindest stabilisieren. Damit wird das zip, das dieses System trägt und hält, heißt: Das medizi-
erreicht, was auch Sie eigentlich wollen. nisch Notwendige bekommt jede und jeder, unabhängig
Sich jene Prozentpunkte, die nicht zur Stabilisierung von seinem persönlichen Einkommen. Das ist gelebte
der Rentenbeiträge verwendet werden, anzuschauen ist Solidarität.
indessen wirklich interessant. Da ziehen Ihre Leute (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des
durch das Land und sagen, sie hätten entdeckt, dass man BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
die Ökosteuer um 3 Cent senken könnte.
Dafür mussten wir die Balance zwischen Eigenverant-
(Zuruf von der SPD) wortung und solidarischer Finanzierung verändern.
– Ich will nicht persönlich werden, liebe Freunde. – Wir haben das getan. Wir haben die Verantwortung gern
alleine übernommen. Sie, meine Damen und Herren von
(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD) der Opposition, sind nun einmal, wie Sie sind.
Das ist deshalb eine Milchmädchenrechnung, weil der (Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Anteil der Ökosteuer am Benzinpreis etwas mehr als
15 Cent beträgt. 10 Prozent fließen in den Haushalt. Das Aber was ist denn jetzt? Aus Schulden der Kranken-
sind 1,5 Cent. kassen sind Überschüsse geworden. Für mehr als
40 Millionen Versicherte konnten die Beiträge gesenkt
Sie sagen gleichzeitig: Sie wollen die Mehrwert- werden. Das ist erfolgreiche Politik. Was haben Sie da-
steuer erhöhen – das haben Sie ja gesagt –, und zwar um gegen anzubieten? Damit wollen wir uns doch einmal ei-
(B) zwei Punkte. Eine Mehrwertsteuererhöhung um zwei nen Moment beschäftigen. Was Sie dagegen anzubieten (D)
Punkte bedeutet bei dem gegenwärtigen Spritpreis eine haben, ist, die Finanzierung dieses hervorragenden Sys-
Verteuerung um zwischen 2,2 und 2,5 Cent. Das heißt, tems der sozialen Sicherheit auf den Kopf zu stellen. Wir
die Autofahrer zahlen bei Ihrer Strategie drauf; sie wer- haben für eine neue Balance zwischen solidarischer
den nicht entlastet. Das ist ein riesiger Betrug, den Sie da Finanzierung und Eigenverantwortung gesorgt. Sie wol-
starten, meine Damen und Herren! len dagegen einen Systembruch. Was Sie wollen, bedeu-
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des tet schlicht, dass der Generaldirektor genauso viel in die
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Gesundheitskasse zahlt wie seine Putzfrau.

Aber keineswegs nur in diesem Punkt wird Unehr- (Widerspruch bei der CDU/CSU)
lichkeit in einer Weise sichtbar, die kaum noch zu über- – Das ist doch nun einmal so. – Das ist Ihre Politik. Wir
bieten ist. werden nicht aufhören, das deutlich zu machen. Sie wis-
(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie der sen doch ganz genau, dass das so ist.
Abg. Krista Sager [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
NEN]) DIE GRÜNEN)
Lassen Sie uns über die Sozialpolitik reden, damit Un- Um das einigermaßen hinzubekommen, gehen Sie her
terschiede zwischen dem, was wir auf diesem Gebiet und wollen eine gewaltige Bürokratie aufbauen, die
machen, und dem, was Sie wollen, deutlich werden. 25 Milliarden Euro umverteilen muss. Ich sage Ihnen:
Lassen Sie das sein! Bleiben Sie bei der solidarischen
Mit der Agenda 2010 haben wir einen Kurs einge-
Finanzierung! Was Sie tun, ist – erstens – in einer Weise
schlagen, der in der Tat Deutschland auf einen guten
ungerecht, die kaum noch zu überbieten ist, und erfor-
Weg gebracht hat. Ich komme zu den Ergebnissen; ich
dert – zweitens – eine Umverteilungsbürokratie, die
werde sie Ihnen vorrechnen.
dem, was Sie ansonsten erzählen – Sie behaupten näm-
Was war denn Inhalt der Agenda? Inhalt der Agenda lich, Sie seien für Bürokratieabbau –, wirklich hohn-
war ein doppelter: Wir mussten und müssen die sozialen spricht.
Sicherungssysteme in Ordnung bringen und wir brau-
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
chen die dadurch erzielten Ressourcen, um sie in wirk-
DIE GRÜNEN)
liche Zukunftsfelder zu investieren – Felder, die im Inte-
resse unseres Volkes und unseres Landes sind. Dazu Nein. Die Alternative, die auf der Finanzierungsseite
wollen wir ein paar Bemerkungen machen und deutlich einzubinden ist, heißt eben nicht Kopfpauschale, son-
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 186. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. September 2005 17501
Bundeskanzler Gerhard Schröder
(A) dern solidarische Versicherung, Bürgerversicherung, da- Diese Regierung, diese Koalition haben auf diesem (C)
mit all diejenigen, die den Nutzen des Systems haben, Felde etwas vorzuweisen. In unserer Zeit ist das tatsäch-
entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit auch in das Sys- liche Renteneintrittsalter von unter 60 Jahren auf über
tem einzahlen. Das ist ein gerechtes Prinzip. 60 Jahre erhöht worden. Das ist die richtige Strategie,
die wir fortführen müssen.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Da von Richtungen und Unterschieden die Rede ist,
sollten wir auch über die Rentenversicherung sprechen. Diese Strategie hilft den Menschen, länger im Produk-
Ihr Professor aus Heidelberg hat tionsprozess zu bleiben, wenn sie es wollen, und sie si-
(Widerspruch bei der CDU/CSU) chert die Finanzierbarkeit dieses Systems.

– Sie können jetzt nicht so tun, als gäbe es den gar nicht; Die Unterschiede sind auch hier deutlich; ich habe sie
er soll ja Finanzminister werden, habe ich gehört – ganz benannt. Genauso werden die Unterschiede bei der Be-
merkwürdige Vorstellungen entwickelt, was die Renten- handlung des gesamten Bereichs der Arbeitswelt deut-
versicherung angeht. Dieser Mann will natürlich auch lich. Da geht es in der Tat um das, was wir – wiederum
dieses System von den Füßen auf den Kopf stellen – das gemeinsam, ohne dass Sie darüber noch reden wollen –
ist nämlich das Ergebnis – und behauptet: Die solida- gemacht haben, nämlich um die Reformen auf dem Ar-
risch finanzierte Rente gehört der Vergangenheit an. Ich, beitsmarkt. Diese Reformen beginnen zu wirken. Sie
Kirchhof, will ein Modell nach dem Muster der Kraft- schreiben auf Ihren Plakaten, dass wir sozialversiche-
fahrzeugversicherung. – Wer ein solches Zeug redet, der rungspflichtige Arbeitsplätze verlieren. Das ist ein gro-
hat keine Ahnung von der Lebenswirklichkeit, der ver- ßer Quatsch: Seit ihrem In-Kraft-Treten am
steht nicht, dass Menschen keine Sachen sind und dass 1. Januar 2005 beginnen diese Reformen zu wirken. Seit
man sie auch nicht so behandeln darf, als wären sie Sa- April dieses Jahres entstehen täglich 1 500 sozialversi-
chen. cherungspflichtige Arbeitsplätze. Das ist die Wirkung ei-
ner vernünftigen Reformpolitik.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN)
Wir haben die gesetzliche Rentenversicherung durch
ein Prinzip ergänzt, das man „Kapitaldeckung“ nennt Wir sind es, die dafür gesorgt haben, dass es für junge
und das im Grunde mehr Eigenverantwortung bedeutet. Leute, die unter 25 Jahre sind, einen Rechtsanspruch
Wir haben mit der Riester-Rente eine zweite Säule un- gibt entweder auf einen Ausbildungsplatz oder auf einen
(B)
ter das Dach der Rentenversicherung gestellt, damit das Arbeitsplatz oder auf eine Beschäftigung, die eine Per- (D)
Dach ordentlich getragen wird. Aber eines ist klar – ich spektive in Bezug auf Qualifizierung in sich trägt. Das
habe gehört, dass viele von Ihnen ebenfalls dieser Auf- ist eine vernünftige Reformpolitik. Das ist eine Politik
fassung sind –: Es ist falsch, das Prinzip aufzugeben, im Interesse der jungen Leute.
dass ein Teil der Sicherung im Alter von Menschen Lassen Sie uns in diesem Zusammenhang offen reden
durch Menschen geschieht, und zu einer reinen Kapital- über Statistiken, die Sie gern fälschen.
deckung überzugehen. Deswegen ist es so notwendig
– vor allem im Interesse der älteren Menschen –, glas- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des
klar festzustellen, dass so etwas jedenfalls in diesem BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Wider-
Haus nicht zu machen ist. Genauso muss klargestellt spruch bei Abgeordneten der CDU/CSU und
werden, dass die Reden, die jener Professor ständig hält, der FDP)
aufhören müssen. Sie verunsichern nämlich die Men- – Natürlich fälschen Sie die Statistiken! Sie schreiben
schen. auf Ihre Plakate, es gebe 5 Millionen Arbeitslose. Sie
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ haben völlig außen vor gelassen, dass Sie selber eine
DIE GRÜNEN) Reform mitbeschlossen haben, durch die zwischen
300 000 und 400 000 Menschen, die vorher in der So-
Das bestehende Rentenversicherungssystem vernünf- zialhilfe waren, obwohl sie arbeitsfähig sind, neu in die
tig weiterzuentwickeln, das ist die Aufgabe, die wir ge- Statistik gekommen sind. Das sind die gleichen Leute;
meinsam haben. Der nächste Schritt, der getan werden nur die Statistik hat sich geändert. Das verraten Sie den
muss, nachdem die Stabilität der gesetzlichen Renten- Menschen in Deutschland aber nicht, weil Sie von dieser
versicherung, ergänzt durch Kapitaldeckung, geleistet Art der Verlogenheit etwas haben wollen.
worden ist, ist nicht die Debatte über die Verlängerung
des nominalen Alters des Eintritts in die gesetzliche (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
Rentenversicherung, sondern eine Debatte über die DIE GRÜNEN)
Frage, wie wir es zustande bringen, dass ältere Men-
Hinter dieser Zahl stehen 180 000 junge Leute unter
schen aus dem Produktionsprozess nicht einfach heraus-
25 Jahren, die bereits Sozialhilfekarrieren vor sich hat-
gedrängt werden und dass das tatsächliche Rentenein-
ten. Wir sind unserer Verantwortung nachgekommen und
trittsalter dem gesetzlichen angepasst wird.
haben sie da herausgeholt, um ihnen endlich eine Per-
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ spektive zu geben. Denn nichts ist schlimmer, als wenn
DIE GRÜNEN) Menschen in diesem Alter bereits Sozialhilfekarrieren
17502 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 186. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. September 2005

Bundeskanzler Gerhard Schröder


(A) vor sich haben und keine Perspektive in Bezug auf Aus- (Dr. Hermann Kues [CDU/CSU]: Das ist doch (C)
bildung, Arbeit oder sonstige Tätigkeit. eine Luftnummer! – Michael Glos [CDU/
CSU]: Michael Schumacher!)
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) und diese Mittel in Bildung, Betreuung sowie Forschung
und Entwicklung stecken.
Im Übrigen will ich mit Ihnen gerne über die Arbeits-
welt reden. Wir haben eine vernünftige Balance zwi- (Dirk Niebel [FDP]: Sie meinen bestimmt
schen der Flexibilität in den Unternehmen und dem 3 Cent!)
Schutz von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern vor – Das ist der Generalsekretär der FDP, einer der schlaus-
willkürlicher Entlassung gefunden. Ich wiederhole: Das ten Generalsekretäre, die Deutschland je gesehen hat.
ist eine vernünftige Balance. Diese Balance trägt wirt-
schaftlich, gibt den Menschen aber auch hinreichend (Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem
Sicherheit. Sie wollen das zerschlagen: Sie wollen Men- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Beifall des
schen, die einen Job haben und die gute Arbeit machen, Abg. Dr. Guido Westerwelle [FDP])
in Unsicherheiten stürzen. Das ist nicht richtig. Es ist üb- Jene Menschen, die diese 3 Prozent zahlen sollen
rigens auch wirtschaftlich nicht vernünftig; – über meinen Beruf kenne ich viele, die in dieser Kate-
gorie sind –, sagen: Okay, wenn ihr das an Bildung und
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
an die Betreuung der Kinder bindet, sind wir bereit, un-
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
ser Scherflein dazu beizutragen. Dies werden wir durch-
denn auch die Stabilität dieser Gesellschaft ist Grund- setzen, meine Damen und Herren. Ich habe damit über-
lage des wirtschaftlichen Erfolges, den wir haben. haupt keine Probleme; damit dies einmal klar ist.

Lassen Sie uns über Steuerpolitik reden; darüber rede (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
ich gern, insbesondere jetzt. Als wir ins Amt kamen DIE GRÜNEN)
– das gehört zu der Bilanz, die Sie gefordert haben –, An einem jedenfalls sollte man festhalten: dass Be-
war der Spitzensteuersatz bei 53 Prozent und der Ein- steuerung in diesem Land entsprechend der Leistungsfä-
gangssteuersatz bei 25,9 Prozent. Das war das Ergebnis higkeit der Menschen erfolgt.
Ihrer Politik. Jetzt ist der Spitzensteuersatz bei 42 Pro-
zent und der Eingangssteuersatz bei 15 Prozent. Das hilft (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
Menschen konkret. DIE GRÜNEN)
Dazu muss ich wieder einmal auf jenen Herrn aus Hei-
(B) Übrigens, die Konsequenz dessen ist, dass die Netto- delberg zu sprechen kommen. Übrigens ist Heidelberg (D)
lohnentwicklung in der Zeit unserer Regierung deutlich eine wunderschöne Stadt; ich war gerade dort.
günstiger ist als zwischen 1992 und 1998.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP)
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) Dieser Herr aus Heidelberg sagt, Leistungsfähigkeit
und Besteuerung gehörten nicht zusammen, er wolle
Das ist Ergebnis unserer Politik, meine Damen und 25 Prozent für alle. Meine sehr verehrten Damen und
Herren. Wir werden diese Politik fortsetzen. Wir haben Herren, dies ist in einer Weise sozial ungerecht, die
angekündigt – wir stehen dazu –, dass wir aufgrund der kaum noch zu überbieten ist. Geben Sie diesen Quatsch
internationalen Wettbewerbsfähigkeit, die sonst infrage auf! Er führt zu nichts.
gestellt würde, den Körperschaftsteuersatz auf 19 Pro-
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
zent herunterbringen werden. Gegenfinanziert werden
DIE GRÜNEN)
soll dies aus dem Aufkommen der Unternehmensbesteu-
erung; da wird wirklich Subventionsabbau betrieben. Ich darf nicht sagen, dass er zu nichts führe. Ich muss
sagen: Er führt zum Beispiel dazu, dass der Staat auf al-
Genauso werden wir es mit der Erbschaftsteuer ma- len Ebenen im ersten Jahr fast 43 Milliarden Euro weni-
chen, hinsichtlich deren ich immer nur gehört habe, man ger in den Kassen hat.
wolle pro Jahr 10 Prozent an sich geschuldeter Erb-
schaftsteuer nicht haben, um, wenn das Unternehmen (Zuruf von der SPD: Was heißt das?)
zehn Jahre lang weitergeführt wird, ganz auf sie zu ver- – Genau. Man muss doch einmal klar aussprechen, was
zichten. Dazu haben wir viel gehört, zum Beispiel aus dies bedeutet: weniger Investitionen in Bildung, weniger
Bayern. Wenn es aber Ernst wird, hat man es alles nicht Investitionen in Betreuung, weniger Investitionen in
so gemeint. Wir werden dies wieder auf die Tagesord- Forschung und Entwicklung, weniger Investitionen in
nung setzen, weil es eine vernünftige Steuerpolitik ist. die innere Sicherheit. Meine Damen und Herren, ein sol-
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ ches Steuerkonzept ist unsinnig. Niemand kann der-
DIE GRÜNEN) artige Experimente verantworten.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
Dann wird erzählt, wir wollten den Menschen, die als
DIE GRÜNEN)
Verheiratete mehr als 500 000 Euro an versteuerbarem
Einkommen – brutto oder netto – haben, 3 Prozent ab- Dann höre ich, dass gesagt wird, man könne das ja
nehmen einmal versuchen; so ernst sei es auch nicht zu nehmen,
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 186. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. September 2005 17503
Bundeskanzler Gerhard Schröder
(A) was Herr Kirchhof da erzählt. So sagte Frau Merkel, sen Haushalt um mehr als 30 Prozent gesteigert haben. (C)
wenn auch nicht direkt zitiert, aber doch sinngemäß. Wir haben erreichen können, dass wir inzwischen unter
den großen europäischen Staaten hinsichtlich des Auf-
(Lachen bei der CDU/CSU)
kommens an Investitionen die Nummer eins sind. Die
– Dass Sie an dieser Stelle lachen, habe ich mir gedacht. Skandinavier sind besser und da müssen wir hin. In die-
Ich lerne doch nicht auswendig, was Ihre Fraktionsvor- ser Dekade müssen wir es schaffen, 3 Prozent des Brut-
sitzende sagt, um es dann zitieren zu können. So weit toinlandsprodukts für Forschung und Entwicklung zu
wollen wir doch wohl nicht gehen. verwenden. Das muss geleistet werden; das ist Kern un-
serer Politik.
(Heiterkeit und Beifall bei der SPD)
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
Aber es ist völlig klar, was dies bedeutete. Wer be-
DIE GRÜNEN)
zahlt denn das, was Herr Kirchhof da vorschlägt? Darauf
wird zurückzukommen sein. Zunächst einmal, meine Genauso klar muss sein, dass wir die über die Neujus-
Damen und Herren, sagen Sie, man solle diesen Vor- tierung der Sozialsysteme frei werdenden Mittel in die
schlag nicht so ernst nehmen, er werde frühestens in der Bildung unserer Kinder investieren, vor allen Dingen
zweiten Legislaturperiode zum Tragen kommen. Unab- in bessere Betreuung. Obwohl formal nicht zuständig,
hängig davon, dass es keine solche geben wird – es gibt sind wir es gewesen, die damit begonnen haben. Wir ha-
ja nicht einmal eine erste –, ben 4 Milliarden Euro in die Hand genommen, um die
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Ganztagsbetreuung in unseren Schulen zu verbessern.
DIE GRÜNEN – Wolfgang Zöller [CDU/ Das beginnt zu wirken, meine Damen und Herren. Bis
CSU]: Wenn ihr mit der PDS regieren wollt!) Ende 2007 werden 10 000 davon profitieren.

sage ich Ihnen: Wer so über Steuerpolitik, über die (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
Grundlagen der Finanzierung unseres Staatswesens re- DIE GRÜNEN)
det, wer meint, er dürfe 82 Millionen Bürgerinnen und Wir sind es gewesen, die im Zusammenhang mit der
Bürger unseres Landes zu Versuchskaninchen von Herrn Zusammenlegung von Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe
Kirchhof erklären, der handelt unverantwortlich. So zum Arbeitslosengeld II dafür gesorgt haben, dass die
kann man das doch nicht machen. Kommunen Mittel freibekommen. Ihnen geht es zurzeit
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ so gut wie selten zuvor.
DIE GRÜNEN) (Beifall des Abg. Wilhelm Schmidt [Salzgit-
Es ist richtig, hier und heute über die Finanzierungs- ter] [SPD] – Lachen bei der CDU/CSU)
(B) (D)
vorschläge zu reden, die gemacht wurden. Die Finanzie- – Lesen Sie doch einmal die Zeitungen! Dass sie
rung dieser merkwürdigen Konzepte soll unter anderem schwarze Zahlen schreiben, können Sie doch in jedem
über die Abschaffung der Steuerfreiheit für Nachtarbei- Wirtschaftsteil lesen, wenn Sie überhaupt je den Wirt-
ter, für Feiertagsarbeiter und für Schichtarbeiter – natür- schaftsteil zur Hand nehmen.
lich auch für Arbeiterinnen – erfolgen. Dies ist im Kern
Ihr Konzept. (Widerspruch bei der CDU/CSU)
Die Menschen, die sich feiertags und nachts für uns – Das können Sie doch lesen, meine Damen und Herren.
alle krumm legen, sollen die Steuerpolitik von Herrn
Kirchhof bezahlen! Meine Damen und Herren, dies kann (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
doch wohl nicht Ihr Ernst sein. Das darf nicht sein und DIE GRÜNEN)
das wird auch nicht sein; ich bin dessen sicher. Wir sind es gewesen, die gesagt haben: Von den er-
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ sparten 2,5 Milliarden Euro werdet ihr 1,5 Milliarden
DIE GRÜNEN) Euro in die Betreuung der unter Dreijährigen investie-
ren. Das ist zukunftsgerichtete Politik; um deren Weiter-
Wer in dieser Weise mit den Rechten derer umgeht, führung ohne Abstriche geht es.
die nun wahrlich zu denjenigen gehören, die für sich
selbst und ihre Familien, vor allen Dingen aber für das (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
Gemeinwesen da sind, der zeigt nur eines: Er hat wirk- DIE GRÜNEN)
lich nicht verstanden, was unsere Gesellschaft im Inners- Wir sind es gewesen, die auf diesem Feld begonnen
ten zusammenhält, nämlich das Maß an Gerechtigkeit, haben, den Familien zu helfen, zuerst mit der Erhöhung
das Menschen möglich ist, und das Maß an Solidarität, des Kindergeldes, dann mit den Betreuungseinrichtun-
auf das ein jeder Anspruch hat. Darum sollte es gehen. gen, über die ich geredet habe.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
An dieser Stelle werden wir weitermachen. Der
DIE GRÜNEN)
nächste Schritt wird ein Elterngeld sein, das diejenigen,
Ich habe deutlich gemacht, dass die Agenda einen die Kinder haben wollen, in den Stand setzt – ob Frau
doppelten Sinn hat: Es geht darum, Ressourcen freizube- oder Mann –, sich ein Jahr lang um diese Kinder zu
kommen, um in wirkliche Zukunftsfelder zu investieren. kümmern, ohne dass sie gravierendste Einbußen an Ma-
Wir haben damit begonnen, in Forschung und Ent- teriellem und an Karrieremöglichkeiten erleiden müssen.
wicklung zu investieren. Wir sind es gewesen, die die- Das ist der Kern einer neuen Familienpolitik, ergänzt
17504 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 186. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. September 2005

Bundeskanzler Gerhard Schröder


(A) durch die Betreuungsangebote, die wir gemacht haben (Zurufe von der CDU/CSU: Wo?) (C)
und weiter machen werden.
längst nicht so viel – wer wollte das bestreiten? –, wie
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ ich mir wünschte. Bei den unter 25-Jährigen sind wir
DIE GRÜNEN) besser als der Durchschnitt der Eurozone. Das wird so
weitergehen; ich bin dessen sicher.
Sie können ja sagen, was Sie stattdessen wollen, und die
Menschen werden entscheiden können. Wenn Sie sich die ökonomischen Daten anschauen,
wenn Sie sich zum Beispiel vor Augen führen, dass
(Zuruf von der CDU/CSU: Sind wir bei einer Deutschland in dieser Phase – sie ist schwierig genug; es
Wahlveranstaltung?) waren drei Jahre der Stagnation, die Gott sei Dank hinter
Das Gleiche gilt in Bezug auf die internationale Poli- uns liegen – als einziges G-7-Land Marktanteile hinzu-
tik. Wir werden morgen im Beisein des russischen Präsi- gewonnen und nicht verloren hat, wenn Sie sich vor Au-
denten gen führen, dass wir im Moment auch sozialversiche-
rungspflichtige Arbeitsplätze gewinnen, wenn Sie sich
(Zurufe von der FDP: Ah!) vor Augen führen, wie das Bestellverhalten bei der Aus-
– was „Ah!“? – rüstungsindustrie ist, wenn Sie sich vor Augen führen,
dass wir 2004 wieder 10 Prozent Exportzuwachs hatten
(Ludwig Stiegler [SPD]: Neidhammel!) – man kann davon ausgehen, dass es sich in diesem Jahr
in einer ganz ähnlichen Größenordnung bewegen wird –,
einen wirklich wegweisenden Schritt erleben, nämlich
dann wird deutlich, dass die Reformpolitik, die wir ein-
den, dass ein russisches Unternehmen auf der einen Seite
geleitet haben, wirklich positive Erfolge bringt und dass
und zwei deutsche auf der anderen Seite vereinbaren
sie deshalb fortgesetzt werden soll.
werden, die Unabhängigkeit der deutschen Energie-
versorgung zu sichern – darum geht es nämlich im Klar- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
text –, DIE GRÜNEN)
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Wir haben deutlich gemacht, was wir in der nahen
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Zukunft wo tun wollen. Wir werden an der Stabilisie-
rung der Einnahmeseite – bei der Krankenkasse, bei der
indem in der Ostsee eine Pipeline gebaut wird, die ihres- Rente – weiterarbeiten. Wir werden weiter daran arbei-
gleichen sucht und die zu dieser Sicherung beiträgt. Ich ten, dass endlich mehr Mittel in die Betreuung unserer
halte das für einen der entscheidenden Schritte, was die Kinder gesteckt werden. Wir werden weiter daran arbei-
Sicherung unserer Energieversorgung gerade in der jet- ten, dass endlich mehr in Forschung und Entwicklung (D)
(B) zigen Zeit angeht.
sowie in Bildung investiert wird. Wir sind da auf dem
Was wir im Verhältnis zwischen Deutschland und richtigen Weg. Dieser Weg der Erneuerung nach innen
Russland, im Verhältnis zwischen Europa und Russland und der außenpolitischen Positionierung des Landes als
eingeleitet haben und was gelegentlich von Außenpoliti- eine Friedensmacht, die die Konflikte dieser Welt mög-
kern Ihrer Seite, wenn ich sie denn so bezeichnen soll, lichst friedlich lösen will, ist gut für Deutschland.
diskreditiert wird, sucht seinesgleichen. Das ist die rich- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
tige Konsequenz aus der historischen Verantwortung und DIE GRÜNEN)
das ist die richtige Konsequenz, wenn es um die Siche-
rung der für unsere Wirtschaft so bedeutsamen Energie- Er ist richtig und – ich bin dessen sicher – er wird fortge-
versorgung geht. Das ist im Mittelpunkt dessen, was setzt werden.
morgen geleistet werden wird.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Anhaltender Beifall bei der SPD und dem
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Die Abgeord-
Das zeigt, dass wir Außenwirtschaftspolitik und neten der SPD sowie Abgeordnete des BÜND-
Außenpolitik interessengerecht, an unseren Interessen NISSES 90/DIE GRÜNEN erheben sich)
orientiert betreiben. Das zeigt im Übrigen, dass wir auf
dem richtigen Weg sind. Diese Regierung – es macht Präsident Wolfgang Thierse:
Sinn, dass das so bleibt – hat Deutschland als eine mitt- Ich eröffne die Aussprache und erteile Kollegin
lere Macht positioniert, die bündnisfähig und bündnisbe- Angela Merkel, Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion,
reit ist, die hilft, wenn Freunde in Not sind, aber die Nein das Wort.
zu sagen in der Lage ist, wenn über einen Krieg ent-
schieden wird, dessen Sinn wir nicht einsehen, die also (Beifall bei der CDU/CSU)
Nein zu sagen in der Lage ist und das auch tut, meine
Damen und Herren. Dr. Angela Merkel (CDU/CSU):
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Bun-
DIE GRÜNEN) deskanzler, wir haben Ihnen aufmerksam zugehört. Ich
kann nur sagen: Es ist Ihnen nicht einmal im Ansatz ge-
Die wirtschaftlichen Erfolge sind sichtbar. Im lungen, ein Konzept für die Zukunft aufzuzeigen, das Ih-
Arbeitsmarkt ist Bewegung, ren Namen und Ihre Parteifarbe trägt.
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 186. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. September 2005 17505
Dr. Angela Merkel
(A) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Fragen. Das ist die Frage: Gibt es heute weniger (C)
neten der FDP) Arbeitslose als vor sieben Jahren, als Rot-Grün begann,
meine Damen und Herren?
Da, wo Sie es versucht haben, hat das Ganze einen Ha-
ken: Da, wo es besonders schöne Wohltaten sind, wo es (Ludwig Stiegler [SPD]: Ja, es gibt weniger!
darum geht, Geld auszugeben, würden sie nie Realität Sie können nur nicht zählen! Plus und Minus
werden, weil es die reale Finanzlage des Bundes über- können Sie nicht unterscheiden!)
haupt nicht zulässt.
Die Antwort heißt: Nein, es gibt nicht weniger Arbeits-
(Widerspruch bei der SPD) lose. Es gibt fast 5 Millionen Arbeitslose. Darüber kom-
Da, wo Sie falsche Konzepte vertreten, wie zum Beispiel men Sie auch nicht hinweg. Das ist einfach so; das wei-
die Bürgerversicherung – gegen den Rat aller Fachleute –, sen Ihre Statistiken aus.
(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Stimmt (Ludwig Stiegler [SPD]: Sie sind eine Fälsche-
doch überhaupt nicht! – Weitere Zurufe von rin!)
der SPD – Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]:
Richtig!) Es gibt 1,3 Millionen Menschen in arbeitsmarktpoliti-
schen Maßnahmen und es gibt, von der Bundesagentur
würden Sie Deutschland nicht nutzen, sondern schaden. vor wenigen Tagen noch einmal verdeutlicht, im Jahres-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zu- durchschnitt des letzten Jahres mehr als 1 000, genau:
rufe von der SPD) 1 100 sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsver-
hältnisse weniger.
Da, wo Sie vielleicht ansatzweise einmal in die richtige
Richtung denken, würden Sie wieder an Ihrer eigenen (Ludwig Stiegler [SPD]: Du sollst kein fal-
Partei scheitern. sches Zeugnis geben, heißt es in der Bibel!
Eine Fälscherin! Falsches Zeugnis!)
(Ludwig Stiegler [SPD]: Herr Stoiber sieht das
anders!) Es gibt keine vernünftige Statistik, die nicht einen Jah-
resvergleich beinhaltet, sondern es gibt nur eine Statis-
Das ist die Realität. tik, die mit einem Jahresvergleich arbeitet, weil die Jah-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) reszeiten Eingang in die Beschäftigungslage finden; das
wissen Sie.
Damit es für die Bürgerinnen und Bürger, die uns zu-
schauen, nicht in Vergessenheit gerät: Genau aus diesem (Ludwig Stiegler [SPD]: Und weil die Ent-
(B) Grunde ist in knapp zwei Wochen Wahl, Herr Bundes- wicklung immer weiter geht!) (D)
kanzler, genau aus diesem Grunde.
Gaukeln Sie den Menschen nichts vor! Es sind auch im
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) letzten Jahr über 1 000 sozialversicherungspflichtige Be-
Sie haben sieben Jahre lang entweder leere Verspre- schäftigungsverhältnisse gewesen, die verloren gegan-
chungen gemacht, die falsche Politik verfolgt oder Sie gen sind, meine Damen und Herren.
konnten sich nicht durchsetzen. Das ist der Dreiklang (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
des rot-grünen Scheiterns. Deshalb kann man nur sagen: Ludwig Stiegler [SPD]: Sie wollen keine Ent-
Alles, was Sie versucht haben, in Ihren Pünktchen zu wicklung zur Kenntnis nehmen!)
vertreten, ist Schall und Rauch. Eigentlich wäre ein Zu-
kunftsprogramm zu dieser Jahreszeit, in dieser Woche Die Frage, die die Menschen interessiert, ist: Gibt es
ein Haushalt gewesen, den Sie hätten vorlegen müssen. weniger Bürokratie? Da ist die Bilanz ganz eindeutig:
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) 700 neue Gesetze und mehr als 1 000 neue Verordnun-
gen. Wer da behauptet, es gebe weniger Bürokratie, und
Das ist die Visitenkarte jedweder Regierung gegenüber darauf verweisen sollte, dass Herr Clement 44 Regel-
dem Parlament. Das haben Sie nicht geschafft. Deshalb werke abgeschafft hat, dem kann ich nur sagen: Gran-
sind Sie Vergangenheit, Herr Bundeskanzler, deshalb dios gescheitert. Alles ist komplizierter geworden. – Das
sind Sie gescheitert. ist die Bilanz von Rot-Grün.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Ziemlich Gernot Erler [SPD]: Jetzt kommt die Kopfpau-
arrogant!) schale!)
Sie sind ein Mann, der seine Chance hatte und die er Gibt es heute mehr Wachstum als vor sieben Jahren?
nicht nutzte, weil er gescheitert ist an seiner Partei, an Nein. Gerade wurden die Wachstumsprognosen wieder
sich selbst und an seiner Wahrnehmung der Realität. nach unten korrigiert: weniger als 1 Prozent. Überein-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Ulla stimmende Meinung aller Forschungsinstitute ist: Es
Burchardt [SPD]: Wovon träumen Sie eigent- gibt kein Zusammengehen der Schere zwischen Ost und
lich nachts?) West. Die Antwort heißt: Nein.
Meine Damen und Herren, das, was die Menschen (Klaus Uwe Benneter [SPD]: Hören Sie auf
draußen im Lande interessiert, sind doch ganz andere mit dem Schlechtreden!)
17506 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 186. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. September 2005

Dr. Angela Merkel


(A) Sind unsere sozialen Sicherungssysteme sicherer ge- Mehrheitsverhältnissen arbeitet, Mehrheitsverhältnissen (C)
worden? Die Antwort heißt ganz eindeutig: Nein. Die aus Union und FDP, damit wir nicht in ein Chaos aus
Rente wird auf Pump finanziert. Die Schwankungs- Rot-Grün, vielleicht auch noch mit einem weiteren Rot
reserve ist aufgebraucht. Und die Pflegeversicherung be- dazu, kommen, meine Damen und Herren.
findet sich in einem ganz bemitleidenswerten Zustand.
(Gernot Erler [SPD]: Durchregieren!)
Das sind die Realitäten.
Denn auch das ist doch eine dieser großen Lügen. Sie sa-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
gen jetzt zwar, Sie wollten das nicht, aber andere, wie
Deshalb muss die Frage, ob es unserem Land heute Herr Wowereit in Berlin, tun genau das Gegenteil.
besser geht als vor sieben Jahren, mit einem ganz klaren
(Ludwig Stiegler [SPD]: Jetzt muss noch die
Nein beantwortet werden.
Rote Armee kommen!)
(Ludwig Stiegler [SPD]: Weil Sie Wahrneh-
Sie wären glaubwürdig gewesen, Herr Bundeskanzler,
mungsstörungen haben!)
wenn Sie jemals die Kraft gehabt hätten, Herrn
Wir müssen Sie einfach wieder an Ihre Worte erinnern, Wowereit in Berlin von Rot-Rot abzubringen. Diese
Herr Bundeskanzler – Sie haben damals richtigerweise Kraft hatten Sie nicht. Deshalb glauben wir Ihnen nicht
die Arbeitslosigkeit zum zentralen Maßstab Ihres Er- und die Menschen glauben Ihnen auch nicht.
folgs gemacht –: Wenn es uns nicht gelingt, die Arbeits-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
losigkeit signifikant zu senken, dann sind wir es nicht
wert, wieder gewählt zu werden. – Wo Sie Recht haben, Wir brauchen einen neuen Anfang. Wir brauchen eine
haben Sie Recht; genau das wird passieren. klare Entscheidung für Deutschland. Darum werben wir
bei den Menschen. Wir wollen mit ihnen ein Bündnis in
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
drei Zukunftsfeldern eingehen:
Wenn Sie durchs Land gehen und den Menschen sa-
Erstens. Wir brauchen Vorfahrt für Arbeit.
gen, sieben Jahre Rot-Grün seien gute Jahre für das Land
gewesen, (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das ist
doch eine Plattitüde!)
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Richtig ist: Sozial ist, was Arbeit schafft. Diesen Weg
werden wir konsequent verfolgen.
dann ist das Hohn in den Augen derer, die heute Angst
um ihren Arbeitsplatz haben, die keinen Arbeitsplatz ha- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
(B) ben, die Pleite gehen, die sich mit Bürokratie herum- Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Sie sa- (D)
schlagen. Das ist blanker Hohn! gen aber nicht, wie!)
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Natürlich wollen wir menschenwürdige Arbeit, gut be-
zahlte Arbeit.
Damit kommen wir dann auch zum Kern Ihres eigent-
lichen Scheiterns. Sie werden ein Land nur verändern (Ludwig Stiegler [SPD]: Lohnkürzungen!)
können, wenn Sie die Menschen im Land ernst nehmen.
Sie nehmen die Menschen nicht ernst, sondern Sie spie- Aber wenn wir teurer sind als andere – und wir werden
len mit den Menschen, und das ist der Fehler. teurer sein; wir können den Wettbewerb um die billigs-
ten Arbeitsplätze nicht gewinnen –, dann müssen wir
(Klaus Uwe Benneter [SPD]: Sie lügen sie besser sein.
an!)
(Ludwig Stiegler [SPD]: Wir sind besser! Wir
Sie haben immer wieder Versprechen gebrochen und da- sind Exportweltmeister!)
mit Vertrauen zerstört. Deshalb werden wir anders vor-
gehen. Deshalb werden wir anders regieren. Deshalb ist der Schlüssel zu allem: Innovation, For-
schung, Kreativität und Ideenreichtum unseres Landes.
(Ludwig Stiegler [SPD]: Sie müssen brutto Darauf setzen wir; das ist unser Schwerpunkt.
und netto unterscheiden können!)
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Deshalb werden wir deutlich machen: Wir schließen
Bündnisse mit den Menschen; wir nehmen sie ernst. Das Deshalb werden wir überall dort, wo sich Barrieren
ist die Voraussetzung, um ein Land nach vorn zu bringen auftun – ob das bei einer komplizierten Chemikalien-
und zu reformieren. richtlinie in Brüssel, im Gentechnikgesetz oder bei der
Beschneidung der forschenden pharmazeutischen Indus-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) trie ist –, Bremsen lockern, um Forschung und Innova-
tion in Deutschland möglich zu machen. Ich bin sehr
Genau deshalb brauchen wir eine Politik aus einem
froh, dass Heinrich von Pierer sich bereit erklärt hat, als
Guss,
Berater zur Verfügung zu stehen, um einen Beitrag zur
(Ludwig Stiegler [SPD]: Aus einem Regen- Innovation und zur Verknüpfung mit dem Mittelstand,
guss! Kündigungsschutz weg!) der innovativer werden muss, zu leisten.
eine Politik, die die Richtung für das Land grundlegend (Gernot Erler [SPD]: 60 Jahre Kernkraft-
beschreibt, die kein Zickzackkurs ist, die mit klaren werke! Das ist seine Botschaft!)
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 186. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. September 2005 17507
Dr. Angela Merkel
(A) Er wird hier vernünftige und gute Arbeit leisten. wir den Eingangssteuersatz auf 12 Prozent und den Spit- (C)
zensteuersatz auf 39 Prozent senken und im Gegenzug
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- eine Vielzahl von Ausnahmen abschaffen.
neten der FDP)
(Zurufe von der SPD: Welche? – Gernot Erler
Zweitens. Wir werden natürlich die Exzellenzinitia-
[SPD]: Her mit der Liste!)
tive fortsetzen. Wir haben lange genug darüber verhan-
delt und nur uns ist es zu verdanken, dass es wirklich um – Die stehen alle in unserem Regierungsprogramm und
Leistung geht und nicht um politische Steuerung. sind sehr gut nachlesbar. – Dann wird ein Stück mehr
(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Viel zu Gerechtigkeit in die gesamte Steuerdebatte kommen.
spät kam das von Ihnen!) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Es muss um Leistung gehen, wenn wir in der Forschung Wir werden im Übrigen zum ersten Mal – ich halte
Höchstleistungen erzielen wollen. Wir sind stolz darauf, das für eine ganz qualitative Entscheidung – jedem Bür-
dass wir in den Verhandlungen erreicht haben, dass die ger unseres Landes einen Freibetrag von 8 000 Euro ein-
Leistungsstärksten und nicht die politisch am meisten räumen, egal ob es ein Kind ist oder ein Erwachsener.
Gewollten an der Innovation teilnehmen können und das Damit wird zum ersten Mal deutlich, dass uns in dieser
Geld dafür bekommen. Gesellschaft Kinder genauso viel wert sind wie Erwach-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – sene. Damit geben wir eine Antwort auf die Zukunfts-
Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Wieder probleme unserer Zeit.
ist ein Popanz aufgebaut worden! – Ulla (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Burchardt [SPD]: Das ist eine glatte Lüge!)
Die Art und Weise, wie Sie mit Paul Kirchhof um-
Drittens. Wir werden Bürokratieabbau ganz vorne springen, wie Sie ihn titulieren,
ansetzen. In der jetzigen Situation des Haushaltes gibt es
nur eine Möglichkeit: Wachstum schaffen vor allen Din- (Zuruf von der SPD: Das machen Sie doch sel-
gen durch Maßnahmen, die nichts kosten. Deshalb ist ber!)
Bürokratieabbau ein Schlüsselpunkt in unserem Pro-
gramm. spricht gegen alles, was Deutschland vertragen kann. Ich
glaube, im Ausland fasst man sich an den Kopf, wenn
(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Was man hört, was Sozialdemokraten hier von sich geben.
heißt das denn?)
(Gernot Erler [SPD]: Die kennen den gar
(B) – Das heißt, dass wir uns noch einmal vergegenwärtigen nicht!) (D)
müssen, dass kleine und mittlere Unternehmen heute
4 bis 6 Prozent ihres Umsatzes für Bürokratiekosten aus- Ich kann das eigentlich nur mit permanenten histori-
geben. Da ist es vielleicht einmal einen Gedanken wert, schen Irrtümern erklären. Auch Kurt Schumacher – erin-
zu überlegen: Wie halbieren wir die Bürokratiekosten, nern wir uns – hat im Wahlkampf 1949 immer ganz
um so den Mittelstand mit mehr Eigenkapital auszustat- deutlich von einem Professor aus Nürnberg gesprochen,
ten und es ihm zu ermöglichen, Kredite aufzunehmen der ein Werbeluftballon sei, der ein Agitator sei, der ein
und damit in die Zukunft zu investieren und dann auch Ideologe sei. Meine Damen und Herren, es war Ludwig
wieder mehr junge Leute auszubilden? Meine Damen Erhard, der Vater der sozialen Marktwirtschaft. Sie ha-
und Herren, das ist doch kein Zustand, wie es zurzeit mit ben bis Anfang der 60er-Jahre gebraucht, um zu verste-
den Ausbildungsplätzen ist. hen, was dieser Mann für Deutschland bedeutet hat.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU und der
FDP)
Wir werden auch das Steuerrecht vereinfachen.
Herr Bundeskanzler, Sie sollten sich ab und an mal
(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Ama- über die Beschlüsse des Bundesrates informieren lassen.
teurliga!) Dort ist gegen die Stimmen der sozialdemokratisch re-
Dies ist eine zentrale Frage bei der Gerechtigkeit in un- gierten Länder das Erbschaftsteuerrecht genau in der
serer Gesellschaft. Die Menschen draußen empfinden es von Ihnen beschriebenen Weise beschlossen worden –
doch auch so. gegen die Stimmen der sozialdemokratisch regierten
Länder. Gott sei Dank sind es so wenige, dass wir eine
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – satte Mehrheit hatten. Dann haben wir die Sache hier
Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: 73 Pro- eingebracht und ihr ist eben nicht zugestimmt worden.
zent sind dagegen!) Das ist die Wahrheit. Deshalb: Kümmern Sie sich doch
Die Menschen draußen wissen doch, dass das Problem um die Fakten und erzählen Sie hier nicht solche Dinge!
unseres Steuerrechts heute darin besteht, dass wir zwar (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Steuersätze haben, die gut klingen, dass aber die, die am
meisten verdienen, auch die beste Kenntnis von den Wir werden in der nächsten Legislaturperiode eine
Ausnahmen haben. Deshalb müssen Ausnahmen abge- Unternehmensteuerreform machen, die zu einer rechts-
schafft werden, damit Gerechtigkeit in das Steuergesetz formneutralen Besteuerung aller Unternehmen führt. Das
einzieht. Wir werden ein Programm auflegen, mit dem heißt, dass Körperschaften nicht besser gestellt werden
17508 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 186. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. September 2005

Dr. Angela Merkel


(A) als Personengesellschaften – ein Urpunkt von Gerechtig- Sie können es so oft behaupten, wie Sie es wollen: (C)
keit, dem wir uns nähern müssen. Wir wollen bei niemandem, der heute einen Arbeitsplatz
hat, den Kündigungsschutz ändern.
Ich habe heute kein Wort von Ihnen dazu gehört, was
Sie auf diesem Gebiet vorhaben. Nur Klein-Klein, punk- (Widerspruch bei der SPD)
tuell hier und dort! Das ist vollkommen inakzeptabel.
Aber wir wollen bei denen, die einen Arbeitsplatz su-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) chen,
Selbstverständlich haben Sie natürlich auch nichts zu (Ludwig Stiegler [SPD]: Tagelöhner wollen
den Ausführungen Ihres Finanzministers im heutigen Sie wieder!)
„Tagesspiegel“ gesagt.
darüber nachdenken – das werden wir auch tun –, eine
(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Ja!) Option einzuführen, und zwar entweder den klassischen
Da wird das Chaos nun komplett. Was erwartet uns denn Kündigungsschutz beizubehalten oder bei der Einstel-
in Bezug auf die Mindestbesteuerung? Wie wird die lung eine Abfindung zu vereinbaren,
Mehrwertsteuer verändert? Was hat er vor? Es ist ganz
(Jörg Tauss [SPD]: Unfug!)
interessant: Er bringt alle Beschlüsse von früher wieder
ein. Da wird wohl die Pendlerpauschale wieder auf die damit gerade Mittelständler und kleine Betriebe nicht
Tagesordnung kommen. Rot-Grün hatte vorgeschlagen, Angst haben müssen, vor dem Arbeitsgericht viel Zeit zu
sie auf 15 Cent für alle Entfernungen zu senken. verbringen, sondern damit sie Rechtssicherheit haben.
(Zurufe von der CDU/CSU) Ich bitte Sie: Angesichts von fast 5 Millionen Menschen,
die Arbeit suchen, ist das doch das Mindeste, was man
Wir haben im Vermittlungsausschuss dafür gesorgt, dass einmal versuchen kann.
sie von 36 respektive 40 Cent auf 30 Cent gesenkt wurde
und nicht auf 15 Cent, wie Sie es vorhatten. Ich finde, (Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Sehr richtig!)
die Menschen draußen müssen wissen, was sie erwarten Es ist doch nicht redlich, hier wieder den Untergang des
würde. Abendlandes auszurufen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
Die Menschen draußen können froh sein, dass wir ih- Klaus Uwe Benneter [SPD]: Menschen als
nen vor der Wahl sagen, was wir nach der Wahl machen, Versuchskaninchen!)
damit sie endlich Sicherheit über das haben, worüber sie
Wir brauchen betriebliche Bündnisse für Arbeit, weil
(B) entscheiden. Das werden sie dann am 18. September (D)
in vielen Fällen die kleinen Betriebe – das betrifft nicht
auch tun; davon bin ich völlig überzeugt.
die großen; bei den großen stehen die Kameras vor der
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Tür; da wird eine Regelung gefunden, wie sie der Be-
triebsrat oder die Beschäftigten wollen –
Herr Bundeskanzler, natürlich haben wir Hartz IV ge-
meinsam beschlossen, im Übrigen auch die Teile, deren (Klaus Uwe Benneter [SPD]: Die kleinen ha-
Sie sich jetzt rühmen: dass zum Beispiel für junge Men- ben doch gar keinen Betriebsrat!)
schen ein Angebot gemacht werden soll. Die Wahrheit
ist nur: In den letzten Jahren ist die Jugendarbeitslosig- Probleme haben, nicht schnell genug reagieren zu kön-
keit um 25 Prozent gestiegen. Wir sind längst nicht mehr nen. Es gibt zig Beispiele, bei denen wir später über ei-
Spitze in Europa, sondern liegen irgendwo im Mittelfeld. nen Sozialplan oder ein Insolvenzverfahren geredet ha-
Da muss etwas getan werden, ben, das hätte abgewendet werden können, wenn die
Gewerkschaften zugestimmt hätten.
(Ludwig Stiegler [SPD]: Sie liegen in der Wahr-
nehmung immer um Jahre zurück!) (Zurufe von der SPD)
und zwar nicht nur in Form von 1-Euro-Jobs. Da müssen Ich verkenne nicht – ich habe gestern ausführlich mit
vielmehr Chancen auf dem ersten Arbeitsmarkt entste- dem DGB gesprochen –, dass es inzwischen in einigen
hen. Branchen sehr flexible Tarifverträge gibt. Aber ich stelle
auch fest, dass es andere Branchen gibt, in denen diese
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Flexibilität nicht da ist. Wir brauchen die rechtliche
der FDP) Grundlage für betriebliche Bündnisse für Arbeit, um Ar-
Dazu kann ich nur sagen: Wir müssen versuchen, hier beitsplätze in Deutschland zu erhalten und ihre Abwan-
die richtigen Weichen zu stellen. derung zu verhindern. Das Ziel ist: Vorfahrt für Arbeit!
Ich sage es Ihnen voraus – auch hier wird die Ge- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
schichte uns Recht geben, wenn wir es tun –: Wir müs- Dr. Uwe Küster [SPD]: Vorwärts in die Ver-
sen weitere Flexibilisierungen auf dem Arbeitsmarkt gangenheit!)
durchführen, damit für die Menschen die Barriere ge-
Wir werden die Lohnzusatzkosten senken. Eine Mög-
senkt wird, in den ersten Arbeitsmarkt hineinzukommen.
lichkeit ist die Gesundheitsprämie. Es ist schon aben-
(Ludwig Stiegler [SPD]: Sozialabbau machen teuerlich – auch Sie haben sich mit den Ergebnissen der
Sie!) Rürup-Kommission befasst –, dass Sie immer wieder
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 186. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. September 2005 17509
Dr. Angela Merkel
(A) wahrheitswidrig Dinge behaupten, die nicht richtig sind. satz heran, um zum Kern unserer Maßnahmen vorzu- (C)
Wir schlagen eine solidarische Gesundheitsprämie vor, dringen. Da ist ja bei Ihnen dieser Tage das blanke
Durcheinander ausgebrochen. Ich kann nur sagen: Es er-
(Ludwig Stiegler [SPD]: Solidarisch?) barmt einen, wenn man das sieht. Aber es wird ja keine
wobei zum Zeitpunkt der Umstellung kein einziger Bür- Rolle mehr spielen, weil Sie nicht mehr die Möglichkeit
ger und keine einzige Bürgerin mehr zahlen, als sie vor erhalten, das alles umzusetzen.
der Umstellung gezahlt haben. Dies geschieht im Rah-
men eines automatischen Sozialausgleichs. Das ist die (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
Wahrheit. neten der FDP)

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Nun würde ich auch gern ein Wort – weil es ein
Standortfaktor ist – zu den Energiepreisen, Energiekos-
Meine Damen und Herren, es kommt hinzu, dass wir ten und zur Energiepolitik sagen. Ich darf das Hohe
die Gesundheitskosten für die Kinder aus dem Steuer- Haus vielleicht noch einmal freundlich daran erinnern,
system bezahlen werden. Das bedeutet, dass zum aller- dass das Stromeinspeisungsgesetz von einer von der
ersten Mal auch diejenigen, die über 3 500 Euro verdie- Union und der FDP getragenen Regierung verabschiedet
nen, einen Beitrag dazu leisten werden, dass die worden ist. Es ist weiterentwickelt worden und enthält
Gesundheit der Kinder in Deutschland beitragsfrei gesi- gute Elemente. Aber diese guten Elemente haben heute
chert werden kann. keinerlei Deckelung nach oben. Deshalb stellen wir die
(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Frage, ob man an dieser Stelle vielleicht ein wenig über
Dr. Max Stadler [FDP]) das Ziel hinausschießt. Darüber muss im Detail gespro-
chen werden; denn wir müssen bei der Energiepolitik na-
Sie reden über Reichensteuern und sonstwas, was gar türlich immer drei Dinge gleichzeitig im Auge haben
nichts einbringt. Wir sehen Maßnahmen vor, durch die – das ist im Übrigen auch das Spannungsfeld der nach-
mehr Gerechtigkeit geschaffen wird. Da zeigt sich: Auch haltigen Politik –: Wirtschaftlichkeit, Versorgungssi-
diejenigen, die über 3 500 Euro verdienen, leisten ihren cherheit und Umweltverträglichkeit. Alle drei sind
solidarischen Beitrag. Es ist doch nicht einzusehen, dass gleich viel wert. Nicht das eine gegen das andere aus-
wir alle, die wir hier sitzen und über 3 500 Euro verdie- spielen, sondern eine in sich konsistente Energiepolitik
nen, nicht mehr für die Gesundheit der Kinder zahlen. machen, das ist die Aufgabe, vor der wir stehen.
(Klaus Uwe Benneter [SPD]: Das stimmt doch (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
gar nicht! Ich zahle!)
Ich habe das Kioto-Protokoll verhandelt. Im Nachhi-
(B) Das wird sich ändern. Das ist ein Schritt zu mehr Solida- nein finden Sie es ja besser, als Sie es damals geschrie- (D)
rität in unserer Gesellschaft. Den werden wir ganz offen- ben haben. Wir müssen es umsetzen, im Übrigen auch in
siv verfolgen. Europa. Ich werde mich auch dafür einsetzen, dass die
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vereinigten Staaten von Amerika hier eine Kehrtwende
machen, dass sie einsehen, dass ihre Politik nicht die
Wir werden die Mehrwertsteuer um 2 Prozentpunkte richtige ist.
erhöhen, um zu dem Kern unserer Bemühungen, näm-
lich die Lohnzusatzkosten zu verringern – die Lohn- (Widerspruch bei der SPD)
zusatzkosten in Deutschland sind mit die höchsten in
Europa –, vorzustoßen und die Arbeitslosenversiche- – Ist Ihnen das nicht Recht? Das ist mir, ehrlich gesagt,
rungsbeiträge um 2 Prozentpunkte senken zu können. egal. Wir werden es tun. Wir werden dafür werben. Da-
Das ist dann ein Beitrag dazu, dass Arbeit nicht weiter ran wird kein Weg vorbeigehen.
abwandert. Schauen Sie sich die Lohnzusatzkosten im (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zu-
verarbeitenden Gewerbe in Dänemark und in West- rufe von der SPD)
deutschland an. Während es in Dänemark im Durch-
schnitt 7 Euro sind, sind es in Deutschland mehr als Wahr ist auch, dass Sie, Herr Bundeskanzler, 1998
12 Euro. Das heißt, jeder deutsche Mitarbeiter muss um den Menschen versprochen haben, es gebe nicht mehr
5 Euro pro Stunde besser sein, um das auszugleichen. Da als 6 Pfennig – das sind ungefähr 3 Cent – Mineralöl-
kann ich doch nur sagen: Das wird nicht gelingen. Des- steuererhöhung. Mehr sei mit Ihnen nicht zu machen.
halb ist der einzige Weg, wenn wir den Menschen nicht Das sei das Ende der Fahnenstange, haben Sie hinzuge-
Gehalt wegnehmen wollen – das wollen wir nicht –, die fügt. Dann haben Sie gesagt: Mein Wort gilt. – Gucken
Lohnzusatzkosten zu senken und auf breite Schultern zu Sie sich die „Bild am Sonntag“ an: Mein Wort gilt.
verteilen. Genau das machen wir.
(Unruhe bei der CDU/CSU)
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
neten der FDP) Heute sind wir bei 15 Cent und die Bürgerinnen und
Bürger können sich einen Eindruck davon verschaffen,
Wir gehen im Übrigen nicht an den ermäßigten wie das Wort des Bundeskanzlers gegolten hat: verspro-
Mehrwertsteuersatz heran – das verbietet sich aus so- chen, gebrochen. Alles Schall und Rauch, meine Damen
zialen Gründen –, sondern wir sagen: Hier muss ein und Herren.
Schwerpunkt gesetzt werden. Er muss erhalten bleiben.
Vielmehr gehen wir an den normalen Mehrwertsteuer- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
17510 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 186. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. September 2005

Dr. Angela Merkel


(A) Nur muss ich Ihnen sagen: Ich finde es schon dreist lichen. Wenn die Wirtschaft das will, wird sie von uns (C)
– deshalb habe ich mir die Datensammlung Ihres verehr- die Möglichkeit dazu bekommen. Denn die Abwande-
ten Finanzministers aus dem Jahre 2004 noch einmal rung von energieintensiven Branchen aus Deutschland
kommen lassen, damit wir uns vergewissern können –: – ob das die Aluminiumindustrie oder andere sind – ist
Die Einnahmen aus dem Ökosteuersatz von 1 Cent für einer der Gründe, warum wir gerade im industriellen Be-
Diesel und Benzin machen 650 Millionen Euro aus. Das reich immer weniger Arbeitsplätze aufweisen. Deshalb
heißt, 3 Cent ergeben 1,8 oder 1,9 Milliarden Euro. Das heißt unser Dreieck: Wirtschaftlichkeit, Versorgungssi-
sind genau die 10 Prozent, die Sie benennen; 3 Cent auf cherheit und Ökologie.
Benzin und Diesel machen also genau den Beitrag aus,
(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Richtig!)
den Sie in den Haushalt hineinnehmen. Erkundigen Sie
sich bei Ihrem Finanzminister! Sie wissen es aber auch Wir werden allen drei Zielen gleichermaßen Rechnung
so, Herr Bundeskanzler. Nur um eines Gags willen, nur tragen. Wenn Sie allein auf der Welt wären, dann würden
um uns zu diskreditieren, Sie doch gern mitmachen,
(Ludwig Stiegler [SPD]: Bitte nicht weinen!) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
neten der FDP)
nur um einen Preis herauszubekommen, mit dem Sie sa-
gen können: „Die Mehrwertsteuererhöhung belastet aber Ihnen folgt eben Ihre Truppe nicht. Ich kenne Sie ja
mehr“, belügen Sie hier – ich sage das so hart, weil das, aus sehr vielen derartigen Verhandlungen: Ich bitte Sie,
was Sie sagen, nicht stimmt – es ist doch jämmerlich, dass Sie jetzt auch noch anfan-
gen, die Volkswirtschaft zu bemühen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Wi-
derspruch bei der SPD und dem BÜND- Mir bereitet übrigens die größten Sorgen, dass wir un-
NIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Wolfgang seren Einfluss in der Welt auf die Entwicklung von
Gerhardt [FDP]: Stimmt!) Sicherheitsstandards aufgeben, wenn wir selber keine
Kernkraftwerke mehr betreiben.
die Menschen. Nun fällt das ja nicht mehr auf, weil Sie
den Menschen in Ihrer Regierungserklärung 1998 ver- (Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Kompetenz!)
sprochen haben, dass das Geld nur in die Finanzierung
der Renten fließt und nicht auch in den Haushalt. Später China wird Kernkraftwerke bauen. Dann werden wir
war es so, dass diese Einnahmen eben auch in den Haus- dankbar sein, wenn wir über den nötigen technologi-
halt gegangen sind. schen Sachverstand verfügen. Ich will einmal davon ab-
sehen, dass ich nicht möchte, dass die Aufträge nur an
(Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: So ist es!) Frankreich und Amerika gehen. Ich halte es für eine der
(B) zentralen Aufgaben der Zukunft, dafür zu sorgen, dass (D)
Wissen Sie: Diese gesamte Kette, von 6 Pfennig bis wir bei Kernkraftwerken wirklich vernünftige Sicher-
zu 15 Cent, die hinterher zum Teil in den Haushalt ge- heitsstandards nicht nur in Deutschland, sondern welt-
flossen sind, der heutige Versuch, mit Fakten, die nicht weit haben. Darauf muss Deutschland Einfluss nehmen
stimmen, ein falsches Bild zu erzeugen – das ist es, was können.
die Leute in diesem Lande so unendlich satt haben. Des-
halb sagen sie: So geht es nicht weiter. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und Wir streben ein Bündnis mit den Bürgerinnen und
der FDP) Bürgern erstens mit der Zielsetzung „Vorfahrt für
Arbeit“ und zweitens mit der Zielsetzung „Zukunft für
Deshalb werden wir eine Energiepolitik betreiben, die Familie“ an.
natürlich das Ziel verfolgt, Energie einzusparen, die na-
türlich auf CO2-Minderung setzt, die aber auch darauf (Zuruf von der SPD: Ach, Gott!)
achtet, dass nicht aufgrund des Zertifikathandels un-
Meine Damen und Herren, der demographische
sere Wachstumsmöglichkeiten eingeschränkt werden.
Wandel ist einer der zentralen Punkte. Natürlich müssen
Die Preise für die Zertifikate müssen sich am europäi-
wir alles daransetzen, dass sich Menschen für Kinder
schen Vergleich orientieren. Wir werden eine Energiepo-
entscheiden. Ich habe mit Bedacht zuerst das Thema
litik betreiben, die erneuerbare Energien fördert, mit der
„Vorfahrt für Arbeit“ gewählt, weil ich glaube, dass die
aber vor allem eine Sanierung im Gebäudebereich vo-
Zukunftszuversicht neben allem anderen, was wir tun
rangetrieben werden soll, weil auf diese Weise die Dinge
müssen, bei der Entscheidung für Kinder die zentrale
sehr viel effizienter vorangebracht werden können als
Frage ist.
auf anderen Gebieten.
(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Absolut
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Wi-
richtig! Ja!)
derspruch bei der SPD und dem BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN) Die Zuversicht in die Zukunft ist den Menschen in sie-
ben Jahren Rot-Grün ein ganzes Stück abhanden gekom-
Ferner werden wir in der Tat – das ist volkswirtschaft- men. Das muss sich wieder ändern. Es muss wieder
lich vernünftig – Laufzeiten unserer Kernkraftwerke – Licht am Ende des Tunnels scheinen, damit die Men-
die im internationalen Vergleich die höchste Sicherheit schen verstehen, was Sache ist.
aufweisen – über die Abschalttermine, die Sie aus rein
ideologischen Gründen festgelegt haben, hinaus ermög- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 186. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. September 2005 17511
Dr. Angela Merkel
(A) Ich habe bereits auf den Freibetrag in Höhe von Mit Ihnen wäre daraus überhaupt nichts geworden. Wir (C)
8 000 Euro hingewiesen. Das heißt, dass eine Familie haben damals in den Verhandlungen um Hartz IV darauf
mit zwei Kindern bei einem Einkommen bis 38 200 Euro bestanden, dass die Kommunen besser ausgestattet wer-
– wenn man alle Freibeträge zusammenzählt – in Zu- den, damit sie auch ihre Leistungen erbringen können.
kunft keine Steuern mehr zahlen muss. Das ist ein riesi- Das ist die Wahrheit.
ger solidarischer, sozialer Fortschritt.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zuruf
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- von der SPD: Nein, das ist gelogen!)
neten der FDP – Ludwig Stiegler [SPD]: Das
ist Bluff!) Meine Damen und Herren, es geht um Vorfahrt für
Arbeit, eine bessere Zukunft für Familien
Jetzt komme ich zum Thema Subventionsabbau.
Subventionsabbau ist kein Selbstzweck. Koch und (Zuruf von der SPD: Blabla!)
Steinbrück haben parteiübergreifend herausragende Vor-
und ein Europa der Bürgerinnen und Bürger mit einem
schläge gemacht. Da können Sie also wirklich nicht sa-
starken Deutschland, ein Europa, das auch ein starker
gen, wir hätten uns verweigert. Aber wir haben immer
Partner in der Welt ist. Europa ist in keiner ganz einfa-
gesagt: Die Eigenheimzulage können wir nicht für ir-
chen Situation. Wir haben uns hier glücklicherweise ge-
gendwelche technischen Großgeräte oder für Universi-
tätsbauten ausgeben, sondern wir müssen darauf achten, meinsam für die Verabschiedung des Verfassungsvertra-
ges eingesetzt. Ich bedaure – wie auch andere –, dass der
dass diese Leistung, die heute im Wesentlichen Familien
Verfassungsvertrag in Frankreich und in den Niederlan-
zugute kommt, auch in Zukunft Familien zugute kommt.
Das ist gerechte Politik. den keine Mehrheit gefunden hat.

Deshalb werden wir von diesen Einnahmen den Kin- Die Staats- und Regierungschefs haben sich jetzt eine
derbonus in der Rentenversicherung bezahlen. Meine Denkpause verordnet. Eine Denkpause ist gut, wenn
Damen und Herren, ich finde, einem Punkt gebührt be- man weiß, worüber man nachdenkt.
sondere Beachtung: Zum ersten Mal schaffen wir es, im (Dr. Uwe Küster [SPD]: Ja, das gilt allerdings
Umlageverfahren das durchzusetzen, wovon Familien- auch für alle hier im Saal!)
politiker seit den 50er-Jahren geträumt haben: dass das
Erziehen eigener Kinder, die später einmal Rentenbei- Da sie nun aber schon ein paar Wochen anhält, werde ich
tragszahler sein werden, bei der Rentenbeitragsleistung mich dafür einsetzen, dass man sich in dieser Denkpause
direkt berücksichtigt wird. auch damit befasst, was die Bürgerinnen und Bürger am
derzeitigen Europa stört. Das ist nicht die Europäische
(B) (Ludwig Stiegler [SPD]: Das ist geltendes Union. Das ist nicht das Friedenswerk. Das ist nicht der (D)
Recht, Madame!) Auftrag, eine Gemeinsame Außen- und Sicherheitspoli-
Deshalb werden wir den Eltern jedes ab dem tik zu betreiben. Das ist nicht die gemeinsame Verbre-
1. Januar 2007 neu geborenen Kindes 50 Euro ihres chensbekämpfung. All das finden die Menschen ver-
Rentenbeitrags erlassen. Das heißt, Eltern zahlen weni- nünftig. Was sie aber stört, sind der starke Hang zur
ger, weil sie Kinder erziehen. Das ist ein gerechtes Um- Bürokratisierung und der Umstand, dass man sich von
lageverfahren, in das drei Generationen einbezogen wer- Brüssel aus in Dinge einmischt, die eigentlich besser vor
den. Ort geregelt werden könnten.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
neten der FDP)
Deshalb muss „Vorfahrt für Arbeit“ gelten, das Ziel,
Natürlich werden wir auch die Vereinbarkeit von der dynamischste Kontinent der Welt zu werden. Auch
Beruf und Familie weiterentwickeln. Auch das Pro- bei jeder Verabschiedung einer Richtlinie in Brüssel
gramm der Bundesregierung zur Ganztagsbetreuung, muss erst einmal abgecheckt werden und gefragt wer-
über das mit den Ländern ja lange genug gestritten den: Dient das diesem Ziel? Wenn ich die vielen Richtli-
wurde, wird von einer von mir geführten Bundesregie- nien, die da in der Pipeline sind, sehe – selbst wenn Herr
rung weiterverfolgt. Aber, meine Damen und Herren, Verheugen sie auf 264 oder 254 reduziert hat –, dann
den Schlüssel für bessere Kinderbetreuung hat nicht der muss ich feststellen: Das sind immer noch zu viele, um
Bund. Vielmehr hängt sie von der Leistungsfähigkeit der diesem zentralen Ziel, das sich Europa richtigerweise
Kommunen ab, die auf so sicheren Füßen stehen müs- gesetzt hat, Rechnung zu tragen. Deshalb muss die Aus-
sen, dass ihnen das notwendige Geld zur Verfügung richtung ganz eindeutig heißen: Europa wird nur eine
steht, um die Kinderbetreuung vor Ort realisieren zu Akzeptanz finden, wenn die Menschen in Europa gut le-
können. ben, wenn sie Arbeit haben, wenn sie Wohlstand haben,
wenn sie Zuwachs haben. Das wird natürlich ganz we-
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
sentlich von der Lage in Deutschland abhängen. Das
Deshalb waren wir es, die dafür gesorgt haben, dass heißt, ein Europa der Bürgerinnen und Bürger muss ein
die Kommunen in diesem Jahr 2,3 Milliarden Euro mehr wirtschaftlich starkes, ein unbürokratisches Europa sein.
bekommen. Vor allen Dingen werden wir die Richtlinien, die wir von
Europa bekommen, nur noch eins zu eins umsetzen.
(Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
17512 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 186. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. September 2005

Dr. Angela Merkel


(A) Als erstes wird das Antidiskriminierungsgesetz dran- haben die Aufgabe, die soziale Marktwirtschaft unter (C)
kommen. Dort haben Sie wieder draufgesattelt. Das sind den Bedingungen der Globalisierung für die Menschen
die Leute leid, erlebbar werden zu lassen.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Jörg Tauss [SPD]: Sie wollen sie abschaffen!)
weil sie spüren, dass sie in Europa nicht mehr wettbe- Wir wollen eine Gesellschaft, in der Freiheit, Solidarität
werbsfähig sind; das ist die Wahrheit. und Gerechtigkeit nicht auf dem Papier stehen,
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Unruhe bei Abgeordneten der SPD und des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Wir wissen in der Tat auch, dass die Menschen nach
der letzten, von uns allen gewollten Erweiterungsrunde sondern in der Freiheit, Solidarität und Gerechtigkeit für
Angst haben, dass die Europäische Union ihre Grenzen jeden Einzelnen lebbar sind.
nicht klar definiert.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
(Jörg Tauss [SPD]: Sie schüren die Angst!) neten der FDP)
Ich weiß, dass es ein sensibles Thema ist, aber ich werde Für mich ist eben nicht das Maß an Freiheit erreicht, wie
mich nicht davon abbringen lassen, den Menschen zu sa- ich es mir wünsche, wenn junge Leute keinen Ausbil-
gen – in dem gewohnt ruhigen Tonfall, den ich von An- dungsplatz finden, wenn ältere Menschen arbeitslos
kara bis Berlin, vom Marktplatz meiner Wahlkampf- sind.
kundgebung bis in den Deutschen Bundestag immer an
den Tag lege –, dass ich eine Vollmitgliedschaft der Tür- (Ludwig Stiegler [SPD]: Das ist eine Frage der
Gerechtigkeit!)
kei in der Europäischen Union für falsch halte, dass wir
eine privilegierte Partnerschaft anbieten. Für mich ist eben nicht die Gerechtigkeit erfüllt, wenn
(Unruhe bei der SPD) wir heute in einem unbekannten Ausmaß auf Kosten der
jungen Generation leben, indem wir 40 Milliarden Euro
Wir werden bei den ergebnisoffenen Verhandlungen, die und mehr Schulden machen.
wahrscheinlich beginnen werden – so die Türkei die
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU –
Vorbedingungen erfüllt –, auf genau diesen Punkt weiter
Ludwig Stiegler [SPD]: Die meisten Schulden
hinweisen
haben Sie aufgenommen! 16 Jahre Kohl!)
(Beifall bei der CDU/CSU)
Es geisterte ein Entwurf von Herrn Eichel im Kabinett
(B) und ich sage Ihnen: Dies ist die verantwortungsvollste herum. Es heißt, dass wir nach dem Verkauf des gesam- (D)
Position, die man sich denken kann. Denn die eigentli- ten Tafelsilbers des Bundes 25, 30 Milliarden Euro völ-
che Gefahr – diese schieben Sie weg, weil Sie ja keine lig ungedeckte Leistungen haben. Kein Mensch weiß,
Verantwortung für die Zukunft verspüren – wie das gehen soll. Schon heute zahlen wir in jedem Jahr
fast 40 Milliarden Euro Zinsen; 40 Milliarden Euro ge-
(Zuruf von der SPD: Aber Sie! Verantwortung ben wir mehr aus, als wir einnehmen. Das ist eine Ver-
in der Regierung Kohl!)
sündigung an den Interessen der zukünftigen Genera-
besteht darin, jetzt so zu tun, als ob zehn bis 15 Jahre tionen; das ist die Wahrheit.
eine lange Zeit wären, und dann, wenn es in der Europäi- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
schen Union um die Akzeptanz geht – mit Ländern wie
Frankreich, die in der Verfassung verankert haben, dass Ich möchte, dass Solidarität in dieser Gesellschaft
es Volksabstimmungen geben muss –, vielleicht in eine gelebt werden kann, Solidarität, die davon ausgeht, dass
Lage zu kommen, dass wir die Türkei wirklich vor den diejenigen, die mehr leisten können, ihren Beitrag dazu
Kopf stoßen müssen. Das möchte ich nicht. leisten, dass die Schwächeren Unterstützung bekommen.
(Michael Glos [CDU/CSU]: Richtig!) (Zurufe von der SPD)
Dazu sind die Sicherheitsinteressen zu wichtig, dazu ist Jeder muss seinen Beitrag erbringen, aber nicht alle wer-
die geostrategische Bedeutung zu groß. Deshalb muss den den gleichen Beitrag erbringen können. Deshalb
man in der Politik – ob es Innenpolitik oder Außenpoli- muss den Schwächeren geholfen werden, aber bitte
tik ist – die Kraft haben, am Anfang der Verhandlungen schön nicht auf Pump. Wachstum auf Pump, so wie wir
die Wahrheit und die Klarheit aufzubringen, damit das es bis jetzt hatten, ist doch nicht die Antwort. Eine Poli-
Endergebnis nicht von vornherein falsch ist. tik, die dazu führt, dass die Leistungsträger das Land
verlassen, ist auch nicht die Antwort. Die Antwort heißt
(Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch bei
Gerechtigkeit im Steuersystem, Motivierung der Leis-
Abgeordneten der SPD und des BÜNDNIS- tungsträger und nicht Abschreckung.
SES 90/DIE GRÜNEN – Jörg Tauss [SPD]:
Wir wollen Ihre Liste sehen!) (Widerspruch bei der SPD)
Meine Damen und Herren, Deutschland ist die letzten Ein Land der Ideen, in dem nicht die Bürokratie Trium-
sieben Jahre unter Wert regiert worden. Deutschland phe feiert, sondern die Menschen im Vordergrund ste-
kann mehr, und wenn ich sage „Deutschland kann hen – das wird eine solidarische Gesellschaft. Dafür
mehr“, dann sage ich: Die Menschen können mehr. Wir werden wir uns einsetzen.
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 186. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. September 2005 17513
Dr. Angela Merkel
(A) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (C)
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Dazu bedarf es eines Mentalitätswechsels. Wir dür-
fen nicht immer als Erstes fragen, was alles nicht geht, Die Menschen können bis zum 18. September entschei-
sondern wir müssen als Erstes fragen, was gehen könnte, den, bis zum 18. September steht ihnen alles offen.
was bei anderen geht oder wo wir vielleicht als Erste auf
die Idee kommen, dass es so gehen könnte. Das war über Alle, die heute meinen, sie könnten schon abwinken,
viele Jahrzehnte Deutschlands Stärke, sonst wäre die so- die Sache sei schon entschieden, haben nicht den Re-
ziale Marktwirtschaft nie so zur Entfaltung gekommen. spekt, den man in der Demokratie vor den Wählerinnen
Was uns damals geglückt ist, wird uns auch in Zeiten der und Wählern zu haben hat.
Globalisierung glücken, wenn wir richtig regiert werden. (Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Das werden CDU/CSU und FDP machen. Ich freue mich
darauf. Frau Merkel, Sie haben sich am Sonntag als die große
Vorkämpferin für einen Rechtsanspruch auf einen Kin-
Herzlichen Dank. dergartenplatz gefeiert. Das Protokoll des Bundestages
ist objektiv. Es weist aus, dass Sie sich als zuständige
(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und
Ministerin der Stimme enthalten haben.
der FDP – Die Abgeordneten der CDU/CSU
und der FDP erheben sich) (Zurufe bei der SPD: Oh!)
Für etwas kämpfen stellt man sich ganz anders vor.
Präsident Wolfgang Thierse:
Ich erteile das Wort Kollegen Franz Müntefering, (Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Vorsitzender der Fraktion der SPD. Von ähnlicher Qualität sind Ihre Aussagen zu
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Arbeitsplätzen und zum Wachstum in unserem Land.
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Es gibt täglich mehr, nicht weniger sozialversicherungs-
pflichtige Arbeitsplätze, und zwar 1 500.
Franz Müntefering (SPD): (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Fritz
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Herren! Diese Tage bringen Klarheit in die politische Wir liegen beim Wachstum im ersten Quartal dieses
Lage in Deutschland, Jahres in der Europäischen Union eben nicht hinter, son-
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – dern vor Schweden, Finnland und Großbritannien.
(B) (D)
Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Jawohl! Ge- (Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]:
nau!) Und Timbuktu!)
was die Spitzenposition und die politischen Konzepte Professor Walter, Chefökonom der Deutschen Bank,
angeht: 48 zu 28 Prozent Zustimmung für den Kanzler sagte vorgestern dazu Folgendes:
am Sonntag,
Ehrlich gesagt: Ich möchte jetzt weder Italiener
(Beifall bei der SPD – Lachen bei der CDU/ noch Spanier sein ... . Ich bin optimistisch, dass die
CSU) Investitionen im kommenden Jahr deutlich anzie-
58 zu 16 Prozent bei den Unentschlossenen. Das ist eine hen ... . Die Situation ist besser als für die vorige
klare Botschaft. Die Menschen haben Recht: Deutsch- Generation. Wir sollten uns einfach wieder stärker
land hat einen guten Bundeskanzler und das soll auch so auf unsere Tugenden besinnen.
bleiben. – Alles Aussagen von Montag zur Situation bei uns im
Land.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – (Widerspruch des Abg. Michael Glos [CDU/
Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Warum wählen CSU])
wir dann eigentlich?)
Sie haben mit den Plakaten und dem, was Sie auch
Gerhard Schröder hat den Mut gehabt, Deutschland in hier wieder vorgetragen haben, nichts anderes vor, als
der Erneuerung voranzubringen. Er hat die Kraft, das Land zu diskreditieren und schlechtzureden. Das ist
Deutschland dabei sozial zusammenzuhalten. Er hat für jemanden in Ihrer Position weiß Gott nicht anständig.
auch die nötige Standfestigkeit für eine selbstbewusste
internationale Politik. Wozu dann einen Wechsel und (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie der
dann auch noch ausgerechnet zu Ihnen, Frau Merkel? Abg. Krista Sager [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN])
(Beifall bei der SPD)
Sie haben die Zahlen von 1998 verschwiegen. Da-
Der Hochmut, der eben bei Ihnen wieder durchbrach, mals haben Sie die Arbeitslosenstatistik manipuliert.
als Sie so taten, als ob die Entscheidung schon gefällt Damals um diese Zeit waren 820 000 in ABM, SAM
sei, macht eines deutlich: Ihnen fehlt der Respekt vor und anderen Maßnahmen. Diese Zahl stieg dann im Sep-
den Menschen, die zu entscheiden haben. tember und Oktober auf bis zu 1 Million, zum Teil mit
17514 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 186. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. September 2005

Franz Müntefering
(A) Kurzfristmaßnahmen von bis zu sechs Wochen. Heute und heute so ein Zeug erzählt, der ist vielleicht für eine (C)
sind 280 000 in vergleichbaren Maßnahmen. Funktion in Absurdistan geeignet, aber sicherlich nicht
für das Kanzleramt in der Bundesrepublik Deutschland.
Die hohe Arbeitslosigkeit in diesem Land ist am
schmerzlichsten. Aber hinsichtlich der Bekämpfung der (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des
Arbeitslosigkeit – eine Aufgabe, die von uns zu erfüllen BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
ist – müssen wir uns, wenn man beides nebeneinander
legt – die Zahlen, die 1998 vorlagen, bzw. das, was Sie Frau Merkel, Sie können es nicht und Sie wissen das
1998 in der Statistik manipuliert haben, und das, was Sie auch. Sonst hätten Sie ja einem zweiten Duell mit dem
jetzt mit uns beschlossen haben, nämlich 300 000 oder Bundeskanzler nicht ausweichen müssen. Das wäre noch
400 000 aus der Sackgasse der Sozialhilfe herauszuho- einmal eine schöne Möglichkeit gewesen.
len –, nicht verstecken; dann ist Ihr Hochmut völlig fehl (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
am Platze. DIE GRÜNEN)
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Diese Unzulänglichkeit gilt in gleicher Weise für Ihr
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) politisches Konzept. Der politische Konservatismus in
Das gilt übrigens auch für das, was Sie zum Benzin- Deutschland wird mit Ihnen substanzlos. Soziale Ge-
preis gesagt haben. Es ist interessant, was in den letzten rechtigkeit kommt in Ihrem Programm nicht einmal vor.
Tagen dazu diskutiert wurde. Stichwort Ökosteuer: Die Eine werteorientierte Gesellschaftspolitik fehlt. Das Sys-
10 Prozent, die nicht für die Alterssicherung gebraucht tem der organisierten Solidarität des Staates wird zusam-
werden, sondern in die Bundeskasse fließen, werden für mengestrichen. Bildung kommt nur als Anspruch für
energetische Gebäudesanierung, das 100 000-Dächer- Eliten, aber nicht für alle vor. In Ihrem Programm gibt es
Programm, Biodiesel und Erdgas eingesetzt. nur wenige Passagen zur Gleichstellung, zu dem An-
spruch der heutigen Generation von Frauen auf Verein-
(Zurufe von der SPD: Hört! Hört!) barkeit von Familie und Beruf. Frau Merkel, es reicht
nicht, als Frau für das Amt des Bundeskanzlers zu kandi-
Wenn Sie dies abschaffen wollen, dann müssen Sie sa- dieren. Vielmehr muss man auch etwas für die Gleich-
gen, was Sie sonst wollen. Das ist ein seltsamer Kontrast stellung, für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf
zu dem Programm zur Förderung der erneuerbaren Ener- tun.
gien.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)
DIE GRÜNEN – Dr. Norbert Röttgen [CDU/
(B) CSU]: Das ist wieder gelogen!) Frau Merkel, Sie führen den politischen Konservatis- (D)
mus, die CDU, in die Westerwelle-Ecke.
Aber die Sache ist noch schöner. Wer darüber stöhnt,
dass die Benzinpreise so hoch sind, aber gleichzeitig die (Zuruf von der SPD: Pfui!)
Erhöhung der Mehrwertsteuer und die Kürzung der
Pendlerpauschale ankündigt, der hat die Interessenlage Herr Kirchhof ist dabei das Bindeglied. Dass Sie mit
der Menschen nicht im Blick. Das ist unehrlich und geht seiner Nominierung für Ihr Schattenteam und mit der zu
an der Realität dieses Landes und an dem, was in diesem erwartenden Berufung von Herrn Westerwelle oder
Land für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu Herrn Gerhardt als Außenminister in Ihrem Schattenka-
tun ist, vorbei. binett Herrn Stoiber geschickt ausmanövriert haben, ist
wahr. Das können Sie; das haben Sie schon öfter bewie-
(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Josef sen. Dass Sie Herrn Kirchhof zum Visionär erklären,
Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- muss die Sozialen in der Wählerschaft der Union aller-
NEN]) dings abschrecken.
Frau Merkel, Sie haben vor einigen Wochen Ihr Pro- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
gramm vorgestellt mit den Worten – ich zitiere –: des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Deutschland ging es noch nie so schlecht wie heute. Ich
lese es immer noch lieber ab, weil man eigentlich gar Katholische Soziallehre und Kirchhofs Kopfsteuer, wie
nicht glaubt, dass jemand so etwas gesagt haben könnte. soll das zusammengehen?
Sie haben das dann am 10. August auch noch weiter ver- (Beifall bei Abgeordneten der SPD)
tieft:
Die Menschen sehen in diesen Tagen noch einmal ge-
Kurz nach dem Zweiten Weltkrieg lag dieses Land nauer hin, vor allem diejenigen, die noch unentschieden
in Schutt und Asche. Und da hat es Menschen gege- sind oder sogar auf dem Weg weg von uns waren und die
ben, die haben gesagt, wir wollen dieses Land auf- unter den Ansprüchen gestöhnt haben, die wir mit der
bauen. Und heute im Jahr 2005 stehen wir wieder Agenda 2010 gestellt haben. Das war und ist nicht ein-
vor einer solchen Weichenstellung. fach. Das haben wir nie verschwiegen. Aber die Men-
(Lachen bei Abgeordneten der SPD) schen fragen sich mehr und mehr, welche Alternative sie
zu erwarten haben, welche Bedeutung eine Regierungs-
Ich bin alt genug, aber das gilt auch für die, die jünger übernahme durch CDU/CSU und FDP hat. Weshalb soll-
sind: Wer 1945 und 1949, die 50er-, 60er- und 70er- ten die Menschen in diesem Land am 18. September eine
Jahre der alten Bundesrepublik und die DDR erlebt hat Gruppe, eine Kombination wählen, die die Mehrwert-
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 186. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. September 2005 17515
Franz Müntefering
(A) steuer erhöhen und den Spitzensteuersatz senken will, EU-Vorgabe übrigens eins zu eins umgesetzt werden; (C)
die die Pendlerpauschale kürzen will, die Nacht-, Feier- mehr geschieht nicht, Frau Merkel –,
tags- und Sonntagszuschläge besteuern will, die Arbeit-
(Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Stimmt
nehmerrechte zusammenstreichen will, die zurück zur
auch wieder nicht!)
Atomkraft will und die erneuerbare Energien nicht ernst
nimmt, die eine Kopfpauschale und eine Kopfsteuer dass körperlich und geistig schwerbehinderte Menschen
will, Gaststätten und Lokalitäten betreten dürfen, auch wenn
deren Inhaber es eigentlich nicht möchten. Dazu sagen
(Jürgen Koppelin [FDP]: Die Kinder frisst!) wir: Das muss in diesem Land doch klargestellt werden
die das Antidiskriminierungsgesetz ablehnt, können. Wir verstecken uns nicht, wenn es um diese
Dinge geht.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
die die Zahldauer des Arbeitslosengeldes I nicht verlän- DIE GRÜNEN – Widerspruch des Abg. Ernst
gern will, die das Arbeitslosengeld II im Osten Deutsch- Hinsken (CDU/CSU)
lands nicht auf Westniveau anheben will, die aktive Ar- – Regen Sie sich nicht auf, Herr Hinsken! Bei den Ver-
beitsmarktmöglichkeiten nicht will, wie beispielsweise handlungen im Vermittlungsausschuss Anfang der Wo-
die erleichterte Einstellung von älteren Arbeitnehmern, che haben Sie genau dieses Gesetz verhindert. Sie ver-
die Mieterhöhungen erleichtern will, die das BAföG in- hindern das Antidiskriminierungsgesetz in diesem Land.
frage stellt und die Einführung von Studiengebühren for- Das ist so. In diesem Sinne haben Sie doch gerade ent-
cieren will? Das fragen sich die Menschen zunehmend, schieden. Was war das denn sonst?
und zwar auch diejenigen, die eigentlich bei Ihnen zu
Hause sind. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN)
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN – Manfred Grund [CDU/ Das gilt auch für die Arbeitnehmerrechte und für die
CSU]: Um euch loszuwerden!) Tarifautonomie. Auch wenn Sie es noch so schön um-
schreiben: „Bündnis für Arbeit im Betrieb“ ist eine Ku-
Es gibt in der Tradition der Union durchaus eine so- schelformel, mit der man die Sache verharmlosen
ziale Komponente. Das werde ich als Vorsitzender der möchte. Die Wahrheit ist: Wenn das umgesetzt wird, was
SPD bestimmt nicht bestreiten. Aber das, was nun in der Sie wollen, ist die Möglichkeit der Arbeitgeber und der
politischen Landschaft dieses Landes geschieht, regis- Arbeitnehmer, gemeinsam Verträge abzuschließen, die
trieren die Menschen sehr wohl. Frau Merkel, Sie treiben für eine ganze Branche oder für ein bestimmtes Gebiet
(B) Ihre Partei in die rechte Ecke, zur FDP. Sie machen die gelten, nicht mehr gegeben. (D)
Ökonomisierung des Denkens und des Handelns zum In etwa 20 Prozent der Betriebe weicht man von be-
Hauptgegenstand der Politik in diesem Lande. Sie wol- stehenden Tarifverträgen ab. Das geschieht aber immer
len die Absicherung der privaten Lebensrisiken bis zum in Abstimmung zwischen den Gewerkschaften und den
Gehtnichtmehr privatisieren. Da bleibt vom Sozialen Arbeitgebern, also zwischen den Tarifparteien. Was Sie
nichts übrig. Ich spreche insbesondere die Menschen an, wollen, ist ganz klar – es wird von der FDP noch deutli-
die sich noch nicht zwischen unseren Parteien entschie- cher als von Ihnen ausgesprochen –: Sie wollen die Ta-
den haben. Schaut euch genau an, was die Union mit rifautonomie zerschlagen. Sie wollen, dass in jedem ein-
Frau Merkel tatsächlich will! Sie hat die Zustimmung zelnen Betrieb – entgegen allem, was vereinbart ist –
und das Vertrauen der Menschen in diesem Land sicher- entschieden werden kann. Das bedeutet im Grunde, dass
lich nicht verdient. man den Gewerkschaften das Rückgrat bricht.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Bei allem, was wir mit den Gewerkschaften in
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Deutschland auszutragen haben, halten wir ganz klar da-
gegen: Wir wollen, dass sich die Arbeitnehmerinnen und
Ich möchte noch eine Anmerkung zum Antidiskrimi- Arbeitnehmer in Deutschland auch in Zukunft frei orga-
nierungsgesetz machen, weil eben auf der rechten Seite nisieren können, dass sie ihre Interessen bündeln kön-
kurz geklatscht wurde, als ich auf die Ablehnung dieses nen, dass sie sie erstreiten und, wenn es nötig ist – hof-
Gesetzes durch die Union zu sprechen kam. Es stimmt, fentlich ganz selten –, auch erstreiken können. Dieses
wir sind stolz darauf, dass wir in den sieben Jahren Rot- Stück Demokratie darf in Deutschland nicht kaputtge-
Grün dieses Land ein Stück liberaler, offener und men- hen. Dafür haben wir in den vergangenen Jahrzehnten
schenfreundlicher gemacht haben. und Jahrhunderten lange genug gekämpft.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) DIE GRÜNEN)
Wir haben Gesetze zur Stärkung der Rechte von nicht In diesen Tagen kommt auch auf den Tisch, was sich
ehelichen Kindern und von Lebenspartnerschaften ge- die PDS vorstellt. Sie begreift nicht, dass dauerhafte so-
macht. All das gab es vorher nicht. Das trifft nicht alle, ziale Gerechtigkeit auf hohem Wohlstandsniveau außer
aber manche und es ist wichtig. Wir wollen in einem Verteilungsgerechtigkeit auch Chancengerechtigkeit er-
Land leben, in dem niemand diskriminiert wird. Im Anti- fordert. Generationengerechtigkeit und die Wettbe-
diskriminierungsgesetz steht – auf Betriebsebene soll die werbsfähigkeit unserer Wirtschaft müssen ebenfalls
17516 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 186. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. September 2005

Franz Müntefering
(A) gegeben sein, wenn man soziale Gerechtigkeit auf ho- Jahr investieren, sollen bis zu 600 Euro über die Steuer (C)
hem Niveau will. Deshalb sagen wir all denen, die an zurückbekommen. Wir wollen, dass nicht nur haushalts-
dieser Stelle nachdenken: Wer sozialdemokratische Poli- nahe Dienstleistungen für die Kleinen, sondern auch sol-
tik will, der muss SPD wählen. Wir sind das Original. che in Haushalten mit älteren Menschen besser als bisher
Wir haben in unserer langen Geschichte immer dazu bei- gefördert werden und damit auch stärker eingesetzt wer-
getragen, dass Deutschland nicht in Kriege geführt wird. den können. Wir wollen zusätzlich 2 Milliarden Euro für
Wir haben den Nazis entgegengestanden, als es um das Straße und Schiene ausgeben, die allen Regionen zugute
Ermächtigungsgesetz ging. Wir haben nie eine Mauer kommen. Wir wollen die energetische Gebäudesanie-
gebaut und wir müssen unseren Namen nie ändern, we- rung stärker als bisher fördern und dafür sorgen, dass der
der jetzt noch in Zukunft. Darauf sind wir alle miteinan- Gebäudebestand in Deutschland vernünftiger als bisher
der stolz. energetisch ausgestattet ist.
(Beifall bei der SPD) (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Hartmut
Schauerte [CDU/CSU]: Warum haben Sie kei-
Unser Konzept zielt auf Arbeit, auf Sicherheit und auf
nen Haushalt vorgelegt?)
Menschlichkeit. Deshalb sind wir in Sachen Bildung für
die Kleinen und Angebote zur Betreuung von Kindern Wir wollen, dass es Beschäftigungspakete für die er-
im Krippen- und im Grundschulalter initiativ. Die leichterte Einstellung von Älteren gibt. Darum ging es
4 Milliarden Euro, die der Bund dafür zur Verfügung ge- beim SGB III, was vorgestern Abend ebenfalls geknickt
stellt hat, sind angesprochen worden. Das Land Hessen wurde: ob man aktive Arbeitsmarktmaßnahmen wie Ich-
hatte im letzten Jahr 70 Millionen Euro zur Verfügung; AGs, die erleichterte Einstellung Älterer oder auch die
davon hat es 2,8 Millionen genutzt. Das sind 4 Prozent. verlängerte Zahlung des Arbeitslosengeldes akzeptieren
will oder nicht. Dies alles wurde von CDU/CSU und
Was bedeutet das? Es gibt Länder, die die Chancen
FDP verhindert. Zum Weitersagen!
zum Nutzen der Kinder, die wir ihnen geben, nicht wahr-
nehmen. Das Ganze ging noch weiter – Herr Stoiber So viel zu der Politik, die sich diese Koalition zu ma-
kann sich sicherlich noch gut erinnern –: In der Födera- chen vorgenommen hat. Dies kann und muss man den
lismuskommission haben die Länder gefordert, dass im Menschen sehr wohl vermitteln.
Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland steht, dass
der Bund den Kommunen nie mehr Geld für solche (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
Maßnahmen geben darf. Das ist die Wahrheit darüber, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
wie CDU und CSU mit Bildungsangeboten für die Klei- Wir stehen dafür, dass der Aufbau in Ostdeutschland
nen umgehen. Das muss auch Gegenstand dieses Wahl- weitergeht und es keine Abstriche beim Solidarpakt gibt.
(B) kampfes sein. Weil es vor einigen Wochen Anmerkungen von Herrn (D)
Stoiber zum Frust in den neuen Ländern gegeben hat,
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
will ich eines dazu sagen: Herr Stoiber, wir sind beide alt
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
genug, dass wir die Situation nach dem Krieg erlebt ha-
Hier war die Rede von dem Ziel, dass wir ab dem ben. Bayern war damals und schon immer ein sehr schö-
Jahre 2010 jährlich 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts nes Land. Die Alpen gab es übrigens schon, bevor Sie
für Forschung und Entwicklung ausgeben, auch im Ministerpräsident wurden; sie sind nicht Ihr Verdienst.
Sinne der entsprechenden Prozesse in Europa. Wir haben
(Heiterkeit bei der SPD und dem BÜND-
immer damit gerechnet, dass die durch den Abbau der
NIS 90/DIE GRÜNEN – Ludwig Stiegler
Eigenheimzulage frei werdenden Mittel dort investiert
[SPD]: Das weiß der aber nicht!)
werden. Vorgestern, in der Sitzung des Vermittlungsaus-
schusses, wurde eine entsprechende Entscheidung zum Dieses Land war ein Agrarland. Wir haben in Nord-
achten Mal nicht getroffen, sondern wieder einmal ver- rhein-Westfalen Kohle aus dem Berg geholt und sie nach
schoben. Nun fehlen für die nächsten Jahre Milliarden. Bayern geschickt, damit sie dort etwas zu stochern hat-
Dies kann und muss man Ihnen vorwerfen: Sie begreifen ten. Das war in Ordnung. Sie haben dann aus der ge-
nicht, dass man heute säen muss, wenn man morgen ern- meinsamen Kasse aller Länder Geld bekommen. 36 Jahre
ten will. Sie sind nicht in der Lage und nicht bereit, in lang, von 1950 bis 1986, hat Bayern Geld bekommen
die Zukunftsfähigkeit unseres Landes wirklich zu inves- und immer hat Nordrhein-Westfalen – Hamburg und Ba-
tieren. Wir haben den Etat der zuständigen Ministerin den-Württemberg auch, glaube ich – gezahlt. Sie haben
um 37,5 Prozent erhöht. Das war nachzuholen, weil in mit dem Geld Gutes gemacht; das ist völlig unbestritten.
der Zeit von Kohl, Merkel und Rüttgers – in den 90er- Aber wer 36 Jahre lang von der Gemeinschaft aller lebte,
Jahren – diese Forschungsmittel dramatisch gesenkt der sollte die Backen nicht so dick aufblasen, wenn jetzt
worden sind. manche Länder in Deutschland noch nicht so weit sind,
wie Bayern heute ist. Darum geht es doch eigentlich in
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
einer solchen Debatte.
DIE GRÜNEN)
(Lebhafter Beifall bei der SPD – Beifall beim
Wir werden in den nächsten Jahren dafür sorgen, dass
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
es am Binnenmarkt sehr bald zusätzliche Impulse gibt.
Wir wollen Erneuerungs- und Modernisierungsmaßnah- Wir wollen gerechte Löhne, wir werden das Entsen-
men an Wohnungen, Häusern und Grundstücken steuer- degesetz voranbringen und wir werden dort, wo es nicht
lich begünstigen. Diejenigen, die bis zu 3 000 Euro im ausreicht, einen gesetzlichen Mindestlohn suchen. Wir
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 186. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. September 2005 17517
Franz Müntefering
(A) werden versuchen, dies mit den Gewerkschaften und den die Kontinente sucht – wir wissen, wo sie sind –, sondern (C)
Tarifparteien insgesamt einvernehmlich hinzubekom- wir müssen dafür sorgen, dass die Menschen dort etwas
men. Aber eines muss in Deutschland klar sein: Die zu essen haben und vernünftig leben können. Dazu ge-
Sorge, die viele Menschen haben – der Deckel oben hört dieser energiepolitische Aspekt.
drauf und der freie Fall nach unten möglich –, müssen
wir ihnen nehmen. Wer in Deutschland ordentlich seiner Ihre Aussage hinsichtlich der Atomkraft, dass si-
Arbeit nachgeht, muss auch so viel verdienen, dass er chere Kraftwerke auf der Welt gebaut werden sollen,
sich und seine Familie davon ernähren kann. Dies muss dass dieses Flugzeug starten soll, für das noch keine
das Ziel aller Wirtschafts- und Tarifpolitik sein. Dafür Landebahn gebaut ist, weil es keine vernünftigen Zwi-
stehen wir miteinander. schenlager und Endlager gibt, Ihre Einladung an die
Menschheit, an die 9 Milliarden Menschen, ihre Ener-
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ gieprobleme auf diese Art und Weise zu lösen, ist doch
DIE GRÜNEN) wirklich spektakulär unvernünftig. Glauben Sie denn,
dass das auf Dauer auf der Welt gut geht?
Ein Wort zur Energiepolitik, über die schon einiges
gesagt worden ist: Diese Frage geht nicht nur unser Land (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
an, sondern hier geht es um eine Entscheidung von histo- DIE GRÜNEN)
rischer Bedeutung für den ganzen Planeten. Heute gibt
Meine Damen und Herren, ein letztes Wort
es auf der Erde nicht mehr 2,5 Milliarden wie im Jahre
1950, sondern 6,3 Milliarden Menschen. Im Jahre 2040 (Beifall des Abg. Wolfgang Zöller [CDU/
oder 2050 werden es 9 Milliarden Menschen sein, die CSU])
Nahrung, Wohnung und Kleidung und damit Energie
brauchen. Die Frage, wie die wachsende Menschheit zu der Politik für die älter werdenden Menschen. Un-
ihre Energieprobleme löst, ist eine Frage von histori- sere Gesellschaft ist dabei, insgesamt älter zu werden.
scher Bedeutung. Das ist gut; wir klopfen auf Holz und hoffen, mit dabei
zu sein. Die meisten, die alt werden, werden recht ge-
Wenn uns heute jemand fragt, ob wir noch Visionen sund alt. Von denjenigen, die 85 Jahre oder älter sind,
haben, dann sage ich: Wer beispielsweise will, dass die brauchen nur 7 Prozent wirklich dauerhafte Unterstüt-
Menschen nicht verhungern und dass sie etwas zu trin- zung. Aber diese Gesellschaft hat zu wenig Kinder. Wir
ken haben, dass auf der Welt Frieden herrscht und müssen darüber nachdenken, wie wir diese unterschied-
Kriege um Öl vermieden werden können, der muss jetzt lichen Generationen auch in den nächsten Jahrzehnten in
dafür sorgen, dass eine vernünftige Energiepolitik ge- einer vernünftigen Entsprechung zueinander halten.
macht wird. Wir als das Energieland müssen der Welt
(B) zeigen, was man mit Energieeffizienz, mit erneuerbaren (Zurufe von der CDU/CSU: Oh!) (D)
Energien, mit sauberen Kraftwerken machen kann. Das Deshalb müssen wir uns darüber Gedanken machen,
ist doch der Weg, den wir zeigen müssen. wie in den Städten und Gemeinden an der Schaffung von
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ alten- und behindertengerechten Wohnungen gearbeitet
DIE GRÜNEN) wird; damit fängt das Ganze an: Was können wir dafür
tun, dass es in dieser Gesellschaft soziale Netzwerke
Wir waren immer auch Internationalisten; davor laufe gibt? Daran wollen wir arbeiten, damit die älter werden-
ich nicht weg. Wer vernünftige Entwicklungszusam- den Menschen nicht einsam sind, sondern in der Gesell-
menarbeit auf dieser Welt organisieren will, der muss schaft insgesamt aufgenommen sind.
an dieser Stelle entscheidend punkten, und zwar nicht
Was können wir tun, um eine Pflegeversicherung
nur, weil es dadurch bei uns Arbeitsplätze gibt. Im Be-
weiterzuentwickeln, an der – so wie bei der Bürgerversi-
reich der erneuerbaren Energien – und das ist gut – gibt
cherung auch – alle beteiligt sind und die im Kern für
es 180 000 bis 200 000 Arbeitsplätze.
eine gehörige Förderung auch im ambulanten Bereich
Es gibt Länder und ganze Kontinente, in denen die sorgt und dafür sorgt, dass vor allen Dingen die Demenz-
Sonne noch öfter als in Berlin scheint; sie können mit kranken bessere Unterstützung als bisher bekommen?
Sonne richtig etwas machen. Ihnen müssen wir zeigen, Dieses klare Ziel haben wir für die Pflegeversicherung.
wie das geht. Deshalb muss derjenige, der weg vom Öl
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
und Kriege um Öl verhindern will, die es auch schon ge-
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
geben hat – tiefer gehend wollen wir darüber hier gar
nicht spekulieren –, jetzt einen Weg gehen, der ganz ein- Frau Merkel, Sie haben – damit will ich abschließen –
deutig folgendem Motto folgt, Frau Merkel: Nicht zu-
rück zur Atomkraft, sondern mehr Tempo für erneuer- (Zuruf von der CDU/CSU: Gut!)
bare Energien und für saubere Kraftwerke. Das ist die mit Ihrer eigentümlichen Logik an einer Stelle – dabei
Linie, die wir jetzt nicht nur für uns, sondern weit über ging es um die Kopfpauschale für die Kinder – beson-
Deutschland hinaus wollen. ders treffend formuliert: Die Kopfpauschale für die Er-
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ wachsenen soll, wie ich gelernt habe, 109 Euro ausma-
DIE GRÜNEN) chen, wobei es eine Mitversicherung in der Familie nicht
mehr gibt. Für die Kinder – so haben Sie in den letzten
An dieser Stelle sind wir wirklich gut bei uns im Land. Wochen zwei-, dreimal gesagt – müssten das nicht die
Wir müssen nicht mehr den Kolumbus losschicken, der Eltern zahlen, sondern die Spitzenverdiener. Ihre wirk-
17518 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 186. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. September 2005

Franz Müntefering
(A) lich verwegene Argumentation lautet so: Der Spitzen- Dr. Guido Westerwelle (FDP): (C)
steuersatz liegt bei 42 Prozent. Frau Merkel will ihn auf Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-
36 Prozent senken. ren! Wir haben hier heute Morgen eine bemerkenswerte
Debatte erlebt, und zwar regelrecht verkehrte Welt.
(Michael Glos [CDU/CSU]: 39 Prozent!)
(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Ja!)
– Sie will ihn auf 36 Prozent senken; später hat sie ge-
sagt, sie senke ihn doch nicht auf 36 Prozent, sondern Eingeladen worden waren wir zur Regierungserklärung
auf 39 Prozent. Die Differenz zwischen 36 und 39 Pro- des Bundeskanzlers. Gehört haben wir eine Regierungs-
zent, die durch die geringere Absenkung verbleibe, sei erklärung von Angela Merkel und eine Abschiedsrede
der Anteil, den die Spitzenverdiener für die Kopfpau- von Gerhard Schröder.
schale der Kinder zahlten. Dazu kann ich nur sagen: Wer (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Frau Merkel hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen.
So etwas sollten Sie nun wirklich nicht auf den Tisch le- Bemerkenswert ist auch, was wir von dem Kollegen
gen. Müntefering gehört haben. Das war eine Rede, die nur
noch nach innen gerichtet war, eine Rede mit sehr viel
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Nostalgie. Sie, Herr Müntefering, haben die große Ge-
DIE GRÜNEN – Zurufe von der CDU/CSU) schichte der Sozialdemokratischen Partei beschrieben.
Niemand in diesem Hause bestreitet diese große
– Ja, das ist so. – Dabei sind die 25 Prozent von Herrn Geschichte der Sozialdemokratie. Herr Kollege
Kirchhof noch gar nicht berücksichtigt. Müntefering, Sie haben eine große Geschichte, aber so,
Wir haben uns vorgenommen, in den kommenden wie Sie hier reden, haben Sie keine Zukunft mit Ihren
vier Jahren eine Politik zu machen, möglichst in dieser Programmen. Das ist der feine Unterschied.
Koalition, die das, was wir angefangen haben, weiter- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
führt und die dafür sorgt, dass die soziale Demokratie in
Deutschland die entscheidende politische Dimension Ich möchte an dieser Stelle einmal auf etwas aufmerk-
bleibt. Weder die Exzentriker auf der rechten Seite, die sam machen. Wir haben vom Bundeskanzler gehört, wie
die Ökonomisierung der Gesellschaft und die Privatisie- er sich in fast einer Stunde an der Opposition wirklich
rung der Absicherung der Lebensrisiken wollen, noch abgearbeitet hat. Das ist etwas, was das gute Recht des
die Phantasten auf der anderen Seite sind solche, die die- Bundeskanzlers ist. Er weiß auch selber: Für ihn ist das
ses Land vernünftig regieren können. heute die letzte Rede als Regierungschef im Deutschen
Bundestag gewesen.
(B) (Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Konkreter!) (D)
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Wir brauchen eine Politik der politischen Vernunft, eine
Politik, die mit Leidenschaft, aber auch mit Augenmaß Wir wollen den Bürgerinnen und Bürgern, die uns heute
bei der Sache ist und die die Verantwortung für das zuschauen, noch einmal sagen, was der Bundeskanzler
ganze Land im Blick hat. in seiner letzten Rede, nämlich der, die er am 1. Juli hier
gehalten hat – das war die Rede zur Vertrauensdebatte,
Ich sage Ihnen gegen alle Diskussionen dieser Woche: die wir hier geführt haben –,
Es gibt in dieser Gesellschaft eine breite Schneise für (Michael Glos [CDU/CSU]: Die vorletzte
eine originär sozialdemokratische Politik. Die werden Rede also!)
wir machen.
wörtlich gesagt hat.
(Beifall bei der SPD)
(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Interessant!)
Wir werden die Menschen auch bei uns haben, weil die
in diesen Tagen lernen, dass Sie den falschen Weg ge- Da hat der Bundeskanzler gesagt – das haben wir auch
hen. Wir – das sage ich Ihnen voraus – werden gewin- gesehen; bemerkenswert; stehende Ovationen für den
nen. Bundeskanzler: Die ersten drei Reihen der Grünen stan-
den auf, der Rest blieb sitzen;
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Es war um-
(Anhaltender Beifall bei der SPD – Beifall gekehrt!)
beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe das ist das geschlossene Vertrauen für den Bundeskanz-
von der SPD: Bravo!) ler –:
Hierfür ist die Bundesregierung auf die Geschlos-
Präsident Wolfgang Thierse:
senheit der Koalitionsfraktionen angewiesen. Auch
Ich erteile Kollegen Guido Westerwelle, FDP-Frak- hier sind vermehrt abweichende, jedenfalls die
tion, das Wort. Mehrheit gefährdende Stimmen laut geworden …
(Beifall des Abg. Dr. Wolfgang Gerhardt Ebenso klar muss auch sein, dass dort, wo Ver-
[FDP] und des Abg. Eckart von Klaeden trauen nicht mehr vorhanden ist, öffentlich nicht so
[CDU/CSU]) getan werden darf, als gäbe es dieses Vertrauen.
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 186. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. September 2005 17519
Dr. Guido Westerwelle
(A) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten (Jörg Tauss [SPD]: Sehr gut!) (C)
der CDU/CSU)
damit die Privatisierungen über mehrere Jahre ge-
Herr Bundeskanzler, Sie haben hier heute gesprochen. streckt werden können.
(Vorsitz: Vizepräsident Dr. Norbert Lammert) (Jörg Tauss [SPD]: Sehr gut!)
Sie haben in der Tat ein paar Pünktchen dazu genannt, Darauf fragt der „Tagesspiegel“:
warum Sie der Überzeugung sind, dass Sie vielleicht
doch nicht abgewählt werden sollten. Auch das ist Ihr Sie wollen in diesem Herbst wieder ein Steuerver-
gutes Recht. Aber eines wollen wir hier noch einmal klar günstigungsabbaugesetz vorlegen?
sagen: Sie haben in der vorvergangenen Woche vom Antwort:
höchsten deutschen Gericht nicht bestätigt bekommen,
dass Sie an der Opposition oder am Bundesrat geschei- Bei den Einzelmaßnahmen bin ich nicht festgelegt.
tert sind, sondern Sie haben bestätigt bekommen, dass
Das ist eben der große Unterschied, meine Damen
Sie am mangelnden Vertrauen der eigenen Leute hier im und Herren: Bei uns – mit Verlaub gesagt: gerade bei
Deutschen Bundestag gescheitert sind. Das empfiehlt den Freien Demokraten – kann der Bürger ganz konkret
Sie nicht für einen neuen Regierungsauftrag.
nachlesen, was ihn persönlich nach der Bundestagswahl
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) erwartet.
Wir hingegen werden unseren Weg gehen. Wir (Rudolf Bindig [SPD]: Sie fallen doch
– Union und FDP – werden gemeinsam eine neue Regie- sowieso um!)
rung ins Amt bringen und wir werden vor allen Dingen
dafür sorgen, dass es einen wirklichen Neuanfang der Ich sage Ihnen: Sie sollten, wenn Professor Kirchhof als
deutschen Politik gibt. Und das sind die entscheidenden Quereinsteiger in die Politik kommt, nicht so hochnäsig
Herausforderungen, die wir haben: über ihn herziehen. Ihr Lehrer aus Kassel ist gescheitert.
Der Professor aus Heidelberg wird es in jedem Fall bes-
Wir müssen in Deutschland ein international wettbe- ser machen als der Lehrer aus Kassel, meine sehr geehr-
werbsfähiges Steuersystem bekommen. Wenn wir die- ten Damen und Herren.
ses international wettbewerbsfähige Steuersystem nicht
bekommen, das niedriger, einfacher und gerechter sein (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
muss, werden wir erleben, dass unsere Nachbarländer Deswegen haben wir mit unserem Solms-Tarif ein
weiter beim Wirtschaftswachstum zulegen und wir nicht. Steuerkonzept von 15, von 25 und von 35 Prozent vorge-
Die anderen Länder in Europa haben im Durchschnitt legt. Das ist das, was wir in Koalitionsverhandlungen (D)
(B)
weniger Arbeitslosigkeit und mehr Wirtschaftswachs- einbringen werden. Denn wir alle sind doch in einem
tum als wir in Deutschland. Wenn von 25 Mitgliedstaa- Punkt längst zu der Erkenntnis gekommen: Wir brau-
ten der EU 24 beim Wirtschaftswachstum besser als wir chen niedrigere Steuersätze, die dann tatsächlich von al-
Deutsche dastehen, dann hat das zuallererst etwas damit len bezahlt werden, statt eines Wettbewerbs darum, wie
zu tun, dass dieses Land schlecht regiert wird. Das ist man die hohen Steuersätze am besten vermeidet.
das, was wir ändern wollen.
(Zuruf von der SPD: Wie war es 1998?)
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
So haben Sie übrigens in Ihrer Agenda 2010 selber noch
Nun haben Sie sich heute redlich Mühe gegeben, über gesprochen. Herr Bundeskanzler, Sie selber haben im-
den „Professor aus Heidelberg“ zu reden. Ich rede jetzt mer vorgetragen, dass das notwendig ist. Jetzt, im Wahl-
einmal nicht über den Professor aus Heidelberg, sondern kampf, wollen Sie sich daran nicht mehr erinnern, weil
über den Lehrer aus Kassel. Sie glauben, dass Sie so noch ein bisschen Munition ha-
(Heiterkeit und Beifall bei der FDP und der ben, um im Wahlkampf ein paar Ihrer nostalgischen An-
CDU/CSU – Ulrich Heinrich [FDP]: Der ist hänger zu begeistern.
aber nicht da! – Zuruf von der CDU/CSU: Stu- Meine sehr geehrten Damen und Herren, das ist zu
dienrat!) wenig, um einen wirklichen Neuanfang in Deutschland
Der Lehrer aus Kassel hat, wie heute nachzulesen ist, zu wagen. Deswegen sind auch die Reden, die Sie hal-
dem „Tagesspiegel“ ein interessantes Interview gegeben. ten, nur noch rückwärts gewandt, an die Eigenen gerich-
Das empfehle ich all denjenigen, die hier und vor allen tet, aber nicht mehr an die Bürgerinnen und Bürger: Was
Dingen zu Hause zuschauen, der Aufmerksamkeit. Da ist passiert, was schaffen wir? Was ist in Deutschland
sagt der Lehrer aus Kassel allen Ernstes: wirklich möglich?
2007 wird es keine nennenswerten Privatisierungs- (Klaus Uwe Benneter [SPD]: Sie hätten besser
erlöse mehr geben, um dieses Defizit anteilig zu de- zuhören müssen!)
cken, weil wir die Erlöse bei der Aufstellung des
Wir haben vorgerechnet, dass wir das bezahlen kön-
Etats 2006 benötigen.
nen – der Kollege Solms als unser Finanzexperte hat das
Und dann: hier mehrfach eingebracht –:
Der einzige Weg ist also, schon im nächsten Jahr (Klaus Uwe Benneter [SPD]: Mit dem Geld
spürbar beim Subventionsabbau weiterzukommen, der Kleinen!)
17520 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 186. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. September 2005

Dr. Guido Westerwelle


(A) Wir wollen, dass die Steuersätze gesenkt werden und gleichzeitig knapp 1 000 neue Lehrkräfte eingestellt (C)
sich eine Entlastung für die Bürgerinnen und Bürger von worden sind, um gegen den Unterrichtsausfall vorzuge-
17 bis 19 Milliarden Euro ergibt. hen. Sie wollen das Geld weiter im Boden vergraben;
wir sagen, es muss in die klugen Köpfe investiert wer-
(Klaus Uwe Benneter [SPD]: Mit dem Geld den. Das ist der Unterschied zwischen Vergangenheit
der Normalverdiener!) und Zukunft.
Wir haben konkret vorgerechnet, wie das gegenfinan-
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
ziert wird: durch Subventionsabbau, durch das Vermei-
den der steuerlichen Ausnahmetatbestände und durch Wenn Sie von der Zukunft sprechen, erzählen Sie re-
Bürokratieabbau, mit einem Volumen von 35 Milliarden gelmäßig, die Situation der Staatsfinanzen sei früher
Euro. viel schlimmer gewesen. Sie regieren jedoch seit sieben
Jahren und können sich nicht mehr damit herausreden,
Wir fangen bei den Kindern und bei den Familien an.
Rot-Grün habe eine schwere Kindheit gehabt. Nach sie-
Deswegen sagen wir: Künftig hat nicht nur jeder Er-
ben Jahren müssen Sie schon eine eigene Leistung vor-
wachsene, sondern auch jedes Kind einen fairen steuerli-
weisen können. Tatsache ist, dass Sie – wenn man die
chen Grundfreibetrag, und zwar von 7 700 Euro. Wenn
UMTS-Erlöse nicht einbezieht – in Wahrheit die Schul-
man dann auch noch für das eigene Alter vorsorgt, zahlt
denmacher der Nation sind.
eine vierköpfige Familie nach unserem Steuermodell
erst ab 38 800 Euro Steuern. Etwas Sozialeres und Fami- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU –
lienfreundlicheres ist von den Regierungsparteien nicht Rudolf Bindig [SPD]: Unwahrheit!)
ein einziges Mal in diesem Bundestag vorgelegt worden,
meine Damen und Herren. Noch niemals hat eine Regierung pro Jahr so viel neue
Schulden gemacht wie Sie. Das ist gegenüber der jungen
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Generation unverantwortlich. Herr Müntefering und
der CDU/CSU) Frau Schmidt von der Regierung sprechen von den Fa-
Wir müssen diesen Weg gehen, weil die Ausreden, milien, aber Sie legen den jungen Leuten die Halskrause
die Sie vortragen, in Wahrheit natürlich längst immer an und sagen ihnen: Seht zu, wie ihr mit den Schulden
dieselben sind. Das Problem ist aber, dass die Lage un- später fertig werdet!
verändert bleibt. Sie sagen, wir seien Exportweltmeister. Deswegen setzen wir auf Wachstum, wir setzen auf
(Jörg Tauss [SPD]: Sind wir auch!) Steuersenkung, wir setzen auf die die Rückführung der
Lohnzusatzkosten, wir setzen auf die Reform der sozia-
Das bringen Sie mittlerweile als wichtigsten Punkt an. len Sicherungssysteme und wir setzen auf den Bürokra-
(B) Dabei verschweigen Sie allerdings: Wir sind Export- tieabbau. Ohne Wachstum schaffen wir keine Arbeits- (D)
weltmeister, weil im Ausland mit Wertschöpfung herge- plätze und ohne Arbeitsplätze bekommen wir die
stellt wird, was in Deutschland zusammengebaut und Staatsfinanzen nicht in den Griff. Deswegen sagen wir:
dann in Länder exportiert wird, die wenigstens noch eine Vorfahrt für Arbeit! Sie mögen sich am Dosenpfand ab-
anständige Binnenkonjunktur haben – anders als wir arbeiten; wir sagen: Arbeit hat Vorfahrt und nicht Spe-
Deutsche. renzchen, meine sehr geehrten Damen und Herren.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP – Wider- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
spruch bei der SPD) der CDU/CSU)
Das ist im ökonomischen Zusammenhang an dieser Jetzt vernehmen wir hier – das ist bemerkenswert –
Stelle das eigentliche Thema. von den Kolleginnen und Kollegen von Rot-Grün die
große Sorge, in Deutschland sei, wenn die derzeitige Op-
Wir haben bei der letzten Regierung, die wir zusam-
position gewählt werde, der innere Frieden in Gefahr.
men gebildet haben, nämlich in Nordrhein-Westfalen,
Das hat uns der deutsche Bundeskanzler auf dem Partei-
gezeigt, dass wir es mit dem Subventionsabbau ernst
tag erzählt und das hat er in mehreren Interviews gesagt.
meinen und dass wir die Mittel, die wir dadurch erwirt-
Diese Regierung ist allen Ernstes der Meinung, wenn die
schaften, in die Zukunft investieren.
Opposition nach einem demokratischen Wechsel an die
(Jörg Tauss [SPD]: Wo denn?) Regierung komme, dann sei der soziale Frieden in Ge-
fahr. Wir sagen Ihnen, was den sozialen Frieden in
Die jetzige Landesregierung in Nordrhein-Westfalen ist Deutschland gefährdet: Massenarbeitslosigkeit, Pleite-
nach den Wahlen am 22. Mai dieses Jahres gebildet wor- welle im Mittelstand, ein Bildungssystem im Abstieg,
den. Der Anlass für Ihre Vertrauensfrage im Deutschen eine unsichere Rente, eine schlechte und nicht mehr sta-
Bundestag war ja, dass die letzte rot-grüne Regierung bile Gesundheitsversorgung. Das riskiert den sozialen
abgewählt worden ist. Wir haben vor der Wahl angekün- Frieden in Deutschland, aber nicht ein demokratischer
digt, die Subventionen zu kürzen, ausdrücklich auch bei Regierungswechsel zugunsten von Union und FDP!
der Steinkohle, weil wir das Geld brauchen, um in For-
schung, Infrastruktur, Bildung und Wissenschaft zu in- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU –
vestieren. Deswegen haben diejenigen, die in Nordrhein- Lothar Mark [SPD]: Das glauben Sie doch
Westfalen leben, zum Schuljahresbeginn erlebt, dass die selbst nicht, was Sie da erzählen! – Rudolf
Subventionen gekürzt worden sind – so ist es zwischen Bindig [SPD]: Sagen Sie doch mal einen
den Koalitionsparteien, Union und FDP, vereinbart – und Punkt, der stimmt!)
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 186. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. September 2005 17521
Dr. Guido Westerwelle
(A) Wir werden natürlich auch ein klares Bekenntnis zu Meine sehr geehrten Damen und Herren, dass sich ein (C)
neuen Technologien und zur Forschung abgeben. In die- Außenminister so über die Bedürfnisse der Dritten Welt
sem Bereich zeigt sich, dass es an einer wachstumsorien- hinwegsetzt und die Chancen der Agrargentechnik nicht
tierten Wirtschaftspolitik gefehlt hat. erkennt,
(Zuruf des Abg. Jörg Tauss [SPD] – Gegenruf (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: So
des Abg. Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Tauss ein Quatsch!)
raus!)
um den Welthunger besser in den Griff zu bekommen
– Nun lasst ihn doch reden, das ist doch nett. Ich höre oder beispielsweise modernste Medikamente zu entwi-
den Herrn Tauss gerne. Ich habe ihm schon einmal ge- ckeln, ist aus unserer Sicht wirklich verheerend.
sagt – Sie beweisen das heute wieder, Herr Tauss –:
Einer ist in jedem Saal der Dümmste. Sie müssen sich Vizepräsident Dr. Norbert Lammert:
aber nicht in jeder Sitzung freiwillig melden, Herr Kol- Herr Kollege Westerwelle, gestatten Sie eine Zwi-
lege. schenfrage des Kollegen Schily?
(Heiterkeit und Beifall bei der FDP und der
CDU/CSU) Dr. Guido Westerwelle (FDP):
Ja, wo ist denn der Kollege Schily?
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich wollte
etwas darüber sagen, was wir bei den neuen Technolo-
gien anders machen werden. Wenn Sie die gemeinsame Vizepräsident Dr. Norbert Lammert:
Erklärung der drei Parteivorsitzenden – Frau Merkel, Er hat in den Reihen der deutschen Sozialdemokratie
Herr Kollege Stoiber und meiner Person – gelesen ha- Platz genommen.
ben, dann wissen Sie, dass wir in dieser gemeinsamen
Erklärung das, was ich Ihnen bisher vorgetragen habe, Dr. Guido Westerwelle (FDP):
einschließlich eines niedrigeren, einfacheren und ge- Entschuldigen Sie bitte vielmals! Ich hatte geschaut,
rechteren Steuersystems, vereinbart haben, und zwar ob er auf der Regierungsbank sitzt; da saß er nicht.
präziser, als Sie glauben.
(Rudolf Bindig [SPD]: Da darf er auch nicht
(Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Jetzt ha- fragen! – Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Er
ben Sie sich aber gemeldet!) übt schon!)
Wir haben darüber hinaus ein klares Bekenntnis zu – Das ist ja auch völlig richtig. Ich bin auch der Auffas-
(B) neuen Technologien abgegeben, insbesondere auch zur sung, dass sich jeder an seine neue Rolle so langsam he- (D)
Forschung. Ja, wir sind der Überzeugung, dass das grüne ranführen sollte.
Gentechnikgesetz – das Gesetz, das Frau Künast Anfang
des Jahres durchgesetzt hat –, zu Recht von allen For- (Heiterkeit und Beifall bei der FDP und der
schern in Deutschland kritisiert wird. Der Präsident der CDU/CSU)
Deutschen Forschungsgemeinschaft, Herr Professor Bitte sehr, Herr Kollege Schily.
Winnacker, sagt darüber: Damit wickeln wir eine der
modernsten und wichtigsten Technologien in Deutsch- (Rudolf Bindig [SPD]: Hochmut kommt vor
land praktisch ab. dem Fall!)

Was ist es denn, um das es hier in Wahrheit geht? Otto Schily (SPD):
Als ich in der letzten Woche gesagt habe, wir wollen Herr Kollege Westerwelle, Sie wollen ja auch eine
Gen- und Biotechnologie fördern, gerade im Agrarbe- neue Rolle einnehmen. Wie ich den Agenturmeldungen
reich, damit auch die pharmazeutische Industrie besser heute entnehme, haben Sie den Wunsch geäußert, Frau
entstehen kann, die die mondernsten Medikamente ent- Kollegin Zypries abzulösen als Justizminister. Es ist sehr
wickelt, hörte ich von Herrn Kollegen Fischer den be- ehrenvoll, sich das zuzutrauen. In einer weiteren Agen-
merkenswerten Satz – das alles in einer Fernsehsendung, turmeldung sagt Herr Kollege Beckstein: Von der inne-
mir gegenüber sitzend –, er wolle selbst entscheiden, ren Sicherheit versteht Herr Westerwelle nichts. – Meine
was er isst. Frage ist: Halten Sie es für verantwortbar, einen Justiz-
minister in Deutschland zu haben, der nichts von der in-
(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Das kann neren Sicherheit versteht?
er ja!)
(Beifall bei der SPD – Lachen bei Abgeordne-
Ich möchte hiermit in dem Hohen Hause ausdrücklich ten der FDP)
sagen: Herr Kollege Fischer, was Sie essen, auch wie
viel Sie essen, ist ausdrücklich Ihrer eigenen Verantwor-
Dr. Guido Westerwelle (FDP):
tung übertragen. Es gibt aber eine Menge Menschen auf
der Welt, die eben nicht so lapidar darüber hinweg ga- Ich will Ihnen darauf wie folgt antworten, Herr Kol-
loppieren können, wenn es um die Chancen geht, den lege Schily, da wir ja in den letzten Jahren gelegentlich
Welthunger in den Griff zu bekommen. auch über das Thema Rechtsstaat und Bürgerrechte und
über das richtige Verhältnis von Bürgerfreiheit und Bür-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) gersicherheit verhandeln durften: Anstrengender als mit
17522 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 186. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. September 2005

Dr. Guido Westerwelle


(A) Ihnen kann es auch mit dem Kollegen Beckstein für Li- (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der (C)
berale nicht werden. CDU/CSU)
(Heiterkeit und Beifall bei der FDP und der So etwas ist nur gut gemeint.
CDU/CSU) Wir sagen Ihnen: Gerade beim Thema der inneren Li-
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich war ei- beralität schadet es nicht, wenn man auch den Verstand
gentlich bei einem ganz anderen Thema; das ist das einschaltet. Wir als Liberale sind ein Garant dafür,
ganze Thema der Forschung und der Gentechnologie. (Widerspruch bei der SPD)
Ich möchte Ihnen, verehrte Anwesende, einmal etwas
über die Chancen der grünen Gentechnik vortragen: Es dass das Klima der Toleranz, die innere Liberalität und
gibt beispielsweise eine so genannte transgene Reissorte, die Zukunft einer aufgeklärten Gesellschaft erhalten
die Goldener Reis heißt. Das ist eine vitaminangerei- bleiben. Dafür stehen meine Partei und ich ganz persön-
cherte Reissorte, die eine Mangelerscheinung gerade bei lich.
Kindern in der Dritten Welt bekämpft. Diese Mangel- Deswegen sage ich: Wir werden in Deutschland einen
erscheinung führt zur Erblindung. 45 Millionen Men- wirtschaftlichen Aufschwung bekommen. Wir schaffen
schen sind weltweit davon betroffen. Jetzt möchte ich mehr Chancen für Bildung und Wissenschaft und für die
Ihnen vorlesen – das ist besonders interessant für die junge Generation. Wir schaffen sicherere Sicherungssys-
Grünen –, was Patrick Moore, der Mitbegründer von teme bei der Rente und der Gesundheit. Wir erhalten die
Greenpeace und langjährige Direktor von Greenpeace innere Liberalität dieses Landes. Dafür stehen wir,
International, zu diesem Vorhaben, die Gentechnik ein- Union und FDP, gemeinsam. Deswegen werden wir die
zusetzen, um Lebensmittel besser herzustellen und Welt- nächste Regierung sein – und Sie die nächste Opposi-
mangelernährung bekämpfen zu können, sagt. tion.
Er sagt wörtlich: (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU –
Rudolf Bindig [SPD]: Nur die Hinterbänkler
In der Abwägung ist klar: Die realen Vorteile von unterstützen Sie!)
genetischer Modifikation überwiegen bei weitem
die hypothetischen Risiken, die von den Gegnern
Vizepräsident Dr. Norbert Lammert:
vorgebracht werden.
Nächster Redner ist der Bundesminister des Auswär-
Um nichts anderes geht es uns Liberalen. Sie hängen tigen, Joschka Fischer.
zwar Plakate mit der Überschrift „Gentechnikfreie (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
(B) Zone“ auf; aber wenn Sie selbst krank würden, würden sowie bei Abgeordneten der SPD) (D)
Sie nach dem besten Medikament aus dem Ausland ver-
langen. Wir wollen, dass die besten Medikamente in
Joseph Fischer, Bundesminister des Auswärtigen:
Deutschland hergestellt werden und nicht in fünf Jahren
importiert werden müssen. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn man
heute Morgen Frau Merkel und ganz besonders Herrn
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Westerwelle sorgfältig zugehört hat, hat man erfahren,
dass die Opposition schon gewonnen hat.
Ich möchte noch etwas zum Thema der inneren Libe-
ralität sagen; dies ist wichtig. Um auf den Punkt zu kom- (Michael Glos [CDU/CSU]: Diesmal hat der
men: Herr Kollege Müntefering, hören Sie doch auf, den Fischer Recht!)
Eindruck zu erwecken, als ob dann, wenn Schwarz-Gelb Hier sitzt der bayerische Ministerpräsident, der immer
an die Regierung komme, plötzlich das Frauenbild und noch tief traumatisiert ist. Sie dürfen nicht vergessen,
das Familienbild der 50er-Jahre wieder auf der Tages- dass er noch heute versucht, eine Flasche Champagner
ordnung seien. Ich möchte darauf aufmerksam machen, zu öffnen.
dass diejenige, die die nächste Kanzlerin wird, eine Frau
ist. Das sollte man einmal kurz zur Kenntnis nehmen. (Zuruf von der CDU/CSU: Sie haben Sorgen!)
– Ich habe überhaupt keine Sorgen, sondern will Ihnen
Jetzt möchte ich ganz persönlich etwas zum Thema
nur sagen: Das werden die Wählerinnen und Wähler am
Antidiskriminierungsgesetz und dazu sagen, wie Sie
18. September entscheiden.
damit durch die Lande ziehen. Ihr Antidiskriminierungs-
gesetz, welches Sie sich als wirklich wichtiges Ziel auf (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
die Fahnen geschrieben haben, hilft denjenigen, die ge- und bei der SPD)
schützt werden sollen, nicht. Wenn Sie das so überbüro-
Manche sind schon vorher Wahlsieger gewesen und ha-
kratisch umsetzen, wie Sie es vorhaben – dies müssten
ben um Mitternacht immer noch in die Kamera gewun-
Sie gar nicht, weil die Europäische Union viel weniger
ken, obwohl sie da schon verloren hatten.
will –, wird das lediglich dazu führen, dass die Minder-
heiten, die wir alle gemeinsam gegen Diskriminierung Schauen wir uns die gegenwärtige internationale
schützen wollen, gar nicht mehr zu einem Vorstellungs- Lage an: Wir haben es mit explodierenden Benzin- und
gespräch eingeladen werden, weil die Arbeitgeber fürch- Energiepreisen zu tun. Amerika erleidet eine furchtbare
ten: Anschließend gibt es eine Klagewelle, weil eine Tragödie. Wir bekommen mit, dass sich ganz offensicht-
Diskriminierungsabsicht unterstellt wird. lich global eine Veränderung vollzieht, die tief ein-
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 186. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. September 2005 17523
Bundesminister Joseph Fischer
(A) schneidet – auch in die Zukunft der Arbeitsplätze und in heit auf solche Herausforderungen reagiert. Es wird dort (C)
die Positionierung des Wirtschaftsstandortes Deutsch- sicher Konsequenzen in der Energie- bzw. Klimaschutz-
land. Nur, der Vorredner hatte dazu nichts zu sagen. politik geben. Das hat sich vorher schon abgezeichnet.
Die Explosion der Benzinkosten in den USA hat schon
Frau Merkel, wer ist denn in Ihrem Kompetenzteam vorher zu einer Diskussion über den Verbrauch bei den
dafür zuständig? Automobilen geführt. Wer die politische Szene in den
(Jörg Tauss [SPD]: Frau Hasselfeldt!) USA kennt, weiß, dass das dort extrem ungewöhnlich
ist.
– Frau Hasselfeldt! – Das kommt ja nicht von ungefähr.
Sie wollen nicht Vorfahrt für diesen Punkt – das wissen Wenn die USA ein neues „Manhattan-Projekt“ aufle-
Sie ganz genau –, sondern für Sie ist da der Rückwärts- gen, dann werden wir mit Merkel und Westerwelle un-
gang angesagt. sere Spitzenposition garantiert sehr schnell einbüßen.
Dann brauchen wir, weil wir dann Arbeitsplätze verlie-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ren, über einen Kampf gegen die Arbeitslosigkeit selbst
und bei der SPD) mit Ihren fantastischen Steuervisionen überhaupt nicht
Die Kanzlerkandidatin spricht davon – das war das mehr zu diskutieren; dann werden wir weit zurückfallen.
Erste, was Sie erklärt haben, Frau Merkel –, dass die Zu- Wir müssen die Zeichen der Zeit erkennen. Das heißt,
kunft ihre Zukunft ist. Dann wollen wir diese Zukunft dass wir uns hier mehr anstrengen müssen und nicht den
einmal betrachten. Ich meine, entscheidend für die Zu- Rückwärtsgang einlegen dürfen.
kunft der Arbeitsplätze wird die Energiefrage sein. Wir (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
sind da sehr gut positioniert. Ich war jüngst an der Tech- und bei der SPD – Zuruf von der CDU/CSU:
nischen Hochschule in Aachen. Dort werden Motoren Genau, mehr anstrengen!)
für den weltweiten Einsatz entwickelt, unter anderem
der Hybridmotor. Wenn ich dann aber mitbekomme, Wir müssen alles tun – das werden und wollen wir
dass Volkswagen in diesen Tagen ein neues Modell vor- tun –, um eine Verbrauchsreduzierung zu erreichen. Au-
stellen will – einen Dinosaurier aus dem oberen Preisse- tos mit Hybridmotor – also mit einem Elektromotor und
gment mit 25 Litern Verbrauch –, während der Hybrid- mit einem konventionellen Ottomotor – dürfen doch
motor, der an dem Institut in Aachen entwickelt wurde, nicht nur von Toyota exportiert werden. Toyota expor-
von Toyota umgesetzt wird, ist das für mich eine Ent- tiert in die USA so viele Autos mit Hybridmotor – ver-
wicklung, die wir so nicht zulassen dürfen. Wenn sich brauchsarm, schadstoffarm! –, wie Audi dorthin Autos
hier andere auf den Weg machen, wird uns das Arbeits- mit konventionellen Antrieben liefert. Dieser Drittmarkt
plätze kosten. ist für die Arbeitsplätze entscheidend. Ich kann nur sa-
(B) gen: Da müssen wir Acht geben. (D)
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
und bei der SPD) Darüber hinaus müssen wir jetzt in die Biotreibstoffe
hinein. Ich dachte, ich höre nicht richtig, als ich in der
Da kann Herr Westerwelle Steuersenkungen rauf und „Tagesschau“ vor dem formidablen Duell, das Frau
runter durchdeklinieren. Das sind die entscheidenden Merkel ja, wie ich überall gelesen habe, gewonnen hat
Zukunftsfragen. – man merkt es nur nicht –, vom Präsidenten des Ver-
Schauen wir uns doch einmal die Realität an: Ich war bands der Automobilindustrie, Professor Gottschalk, ei-
jüngst in Ostwestfalen, in einer Kommune, die einen nem in der Wolle gefärbten Grünen, erfahre: Wir brau-
Bürgermeister von der Christlich Demokratischen Union chen mehr Biotreibstoffe. – Recht hat er. Wir werden die
hat. Dort wurde ein Zentrum für erneuerbare Energien Weichen dafür stellen. Die grüne Zapfsäule muss an jede
eingeweiht. Der verantwortliche Unternehmer sagte mir, Tankstelle.
in Nordrhein-Westfalen gebe es faktisch eine Totalblo- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
ckade bei den erneuerbaren Energien. Da kann ich nur und bei der SPD)
sagen: Wir haben mit dem Erneuerbare-Energien-Ge-
setz, mit Jürgen Trittin, zur Weltspitze, zu Japan, aufge- Es kann doch nicht sein, dass die in Brasilien weiter sind
schlossen. Wenn diese Zukunftstechnologie aber jetzt, als wir. Weg vom Öl ist die entscheidende Zukunftsfrage
wie in Nordrhein-Westfalen, aus ideologischen Gründen für den Automobilstandort Deutschland.
nicht umgesetzt wird – angesichts explodierender Ener-
giekosten wird sie sich schneller rentieren, als selbst wir Das sind die Fragen, die Arbeitsplätze bringen wer-
es angenommen haben; wir waren weiß Gott Optimisten –, den. Wir haben 30 000 Arbeitsplätze allein bei der
dann wird die Vergangenheit die Zukunft definieren. Das Windenergie geschaffen. Die stellen Sie infrage. Jetzt
ist das Letzte, was unser Land brauchen kann. kommen Sie und sagen, Sie wollen eine Kappung. Ver-
gleichen Sie einmal die Situation dort, wo es eine Kap-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN pung gibt – in Italien und Großbritannien –, mit unserem
und bei der SPD) System, dann werden Sie sehen, was Investitionen mobi-
lisiert.
Sie wollen Kanzlerin werden, Frau Merkel. Dafür ist
entscheidend, dass Sie die strategischen Linien definie- Sie wissen genau: Die Windenergieförderung ist de-
ren. Nach der großen Tragödie in den USA ist noch nicht gressiv, sie wird abgebaut werden. Das heißt, die Wind-
absehbar, was die Konsequenzen sind. Aber dieses Land energie muss sich rentieren. Ich glaube, dass angesichts
hat immer mit sehr viel Pragmatismus und Entschlossen- der Entwicklung der Energiepreise die Förderung
17524 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 186. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. September 2005

Bundesminister Joseph Fischer


(A) schneller abgebaut werden kann, als alle angenommen Ist es denn dann ein Akt der Bürokratisierung, wenn wir (C)
haben. die Kennzeichnungspflicht haben? Als Verbraucher sage
ich Ihnen schlicht und ergreifend: Ich kaufe das nicht.
Nur, man muss den Menschen auch sagen: Zwar ge- Damit ich diese Entscheidung überhaupt treffen kann,
hen in die Energiepreise auch spekulative Bestandteile muss aber auf der Packung draufstehen, was drin ist. Ich
ein, aber noch viel wichtiger ist das Folgende – ich als bin dafür, dass wir das klar kennzeichnen. Das hat nichts
Außenminister bekomme das mit –: Seit ungefähr zwei, mit Bürokratie zu tun.
drei Jahren trifft man chinesische oder indische Delega-
tionen bzw. Unternehmen auch dort an, wo sie vorher (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
nicht gewesen sind. Das hat nicht nur Auswirkungen auf und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der
die Energiepreise. Schauen Sie sich etwa die Entwick- CDU/CSU)
lung des Kupferpreises an. Chile hat Jahrzehnte unter ei-
nem sich abwärts entwickelnden Kupferpreis gelitten; – Sehen Sie, Herr Westerwelle: Selbst die Kanzlerin
nun haben wir eine völlige Umkehrung erlebt. Diese klatscht; selbst die CDU/CSU ist überzeugt und hat Bei-
Entwicklung schließt die Jutepreise, überhaupt alle Roh- fall geklatscht.
stoffpreise ein. Reden Sie mit Vertretern des Mittelstan- (Michael Glos [CDU/CSU]: „Kanzlerin“ war
des, dann werden Sie merken, dass der Druck der Roh- richtig! Einmal was Richtiges! – Dr. Guido
stoffpreise für unsere Wirtschaft eine enorme Bedeutung Westerwelle [FDP]: „Die Kanzlerin klatscht“
hat! hat mir gefallen!)
Das zeigt, dass Globalisierung eben nicht nur bedeu- – Ja, selbst die Kanzlerin klatscht.
tet: Wir produzieren und exportieren und bekommen so-
mit das Geld, das wir für Rohstoffe aufgewendet haben, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
zurück; wir reisen in exotische Länder. Vielmehr bedeu- der FDP)
tet Globalisierung, dass sich große Nationen auf den – Das sind Helden der Ironie; ihr seht es.
Weg gemacht haben. Das wird zu einem dauerhaften An-
stieg der Rohstoff- und Energiepreise führen. Was hat (Michael Glos [CDU/CSU]: Sagen Sie das
Frau Merkel heute zu dieser entscheidenden Zukunfts- noch mal! – Dr. Guido Westerwelle [FDP]:
frage zu sagen gehabt? Das war super!)
(Rudolf Bindig [SPD]: Sie hat keine Ahnung – Ich stelle fest: Bei euch darf man Ironie nicht einset-
davon!) zen. Ich lasse es.

(B) Wir haben die besten Ingenieure, die besten Facharbei- Ich komme jetzt wieder zurück zur Gentechnik und (D)
ter, hervorragende Universitäten und das nötige Kapital. zur Freisetzung bzw. unserer gesetzlichen Regelung.
Ich sage Ihnen: Wenn Sie die Weichen so stellen, dass es Wenn Saatgutfirmen so überzeugt davon sind, dass es
in Richtung rückwärts geht, dann werden wir auch rück- notwendig ist, gentechnisch manipuliertes Saatgut frei-
wärts fahren und werden Arbeitsplätze in großer Zahl zusetzen, und wenn Sie so überzeugt davon sind, dass es
verlieren. Genau das darf es nicht geben und deswegen sicher ist: Wieso wollen Sie dann die Staatshaftung ein-
müssen wir die ökologische und soziale Erneuerung vor- führen? Ich bin der Meinung, dass diese Firmen sich auf
antreiben. dem Versicherungsmarkt die Deckung besorgen sollten.
Dann könnten wir auch feststellen, für wie sicher sie das
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ganze wirklich halten.
und bei der SPD)
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS-
Zur Gentechnik, zu Guido Westerwelle und der Gen- SES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)
technik.
Frau Merkel, ich darf Sie ja jetzt nicht mehr Kanzlerin
(Zuruf von der SPD: Die Windmaschine!) nennen, sonst flippen die wieder aus.
Er meint, es sei für mich ein Problem, was und wie viel (Michael Glos [CDU/CSU]: Wer flippt aus? –
ich esse. – Ja, das ist mein Problem. Aber wenn ich Ih- Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Einmal fängt
nen zuhöre, ist ebenfalls mein Problem, was Sie reden. alles an!)
Das ist nicht immer klug, Herr Westerwelle; das muss
ich Ihnen ganz ehrlich sagen. – Ich darf Sie so nennen; also gut. Ich bin gespannt da-
rauf, ob Sie auch noch am Abend des 18. September so
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- genannt werden. Ich glaube es nicht.
SES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)
(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Er hat den
Ich rede jetzt von gentechnisch manipulierten Bestand- Fehler doch gemacht!)
teilen von Nahrung. Lassen Sie da doch den Markt ent-
scheiden! Sie sind doch der Apostel der freien Markt- Meine Damen und Herren, Sie haben eine Politik der
wirtschaft. Sie reden doch immer davon, dass der Ehrlichkeit versprochen. Die Politik der Ehrlichkeit
Konsument mehr Freiheit braucht. müsste so aussehen, dass Sie und Herr Kirchhof sagen
müssten, was Sie wirklich wollen. Da kann ich Ihnen nur
(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Wer verbie- sagen: Ich finde, Ihr Hinweis auf Reagan lässt tiefer bli-
tet das denn?) cken, als es auf den ersten Blick der Fall zu sein scheint.
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 186. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. September 2005 17525
Bundesminister Joseph Fischer
(A) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN teuer und für eine die Wettbewerbsfähigkeit Deutsch- (C)
und bei der SPD) lands schädigende Einrichtung halten.
Wenn man es ernst nehmen soll, dass Sie Professor (Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Kirchhof als den neuen Ludwig Erhard der CDU be-
zeichnen, Frau Merkel, dann müssen Sie auch die Kon- Aber das sagen Sie nicht, sondern Sie lassen es Kirchhof
sequenzen vor den Wahlen offen aussprechen. Da will sagen. Sie selbst deuten es nur an. Es ist eine gesell-
ich Ihnen sagen: Das wird eine Grundsatzentscheidung. schaftspolitische Grundsatzentscheidung.
Ich weiß nicht, wie weit Ihre Partei den Leipziger Partei- (Beifall des Abg. Franz Müntefering [SPD])
tag tatsächlich ernst genommen hat.
Diese neokonservative Wende der Union soll am
Dann kam Ihre Kirchhof-Entscheidung und nun Ihr 18. September eine Mehrheit bekommen. Dazu sage ich
Reagan-Zitat, das scheinbar bedeutet: Mir selbst fällt Ihnen: Das darf nicht sein.
nichts ein, also muss ich eine Anleihe machen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
(Widerspruch bei der CDU/CSU) und bei der SPD)
– Nein, es geht nicht um dieses Zitat. Es geht um eine Nun zur Gesundheitsreform. Da bin ich ideologisch
gesellschaftspolitische Grundsatzentscheidung. Dazu überhaupt nicht festgelegt.
will ich Ihnen etwas vom bayerischen Finanzminister
Kurt Faltlhauser vorlesen. Er hat am 29. April 2004 hier (Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Nein,
im Deutschen Bundestag gesagt: überhaupt nicht!)
Es gibt hier aber eine Differenz zu dem, was der im- Ich hatte gedacht, dass ein Prinzip auch für die Union
mer wieder zitierte Professor Kirchhof vorgelegt gilt – für die FDP allerdings nicht; denn die FDP möchte
hat. Dieser hat eine Flat Tax von 25 Prozent vorge- eine Vollprivatisierung; das heißt, am Ende bleibt eine
schlagen. Basisversicherung, die privaten Versicherungen müssen
dann jeden akzeptieren; das wäre eine Armenversiche-
Jetzt kommt es: rung und würde, wenn man das zu Ende denkt, die Über-
Ich erkläre für mich ausdrücklich, dass ich in der nahme der Sozialhilfe in das Gesundheitssystem bedeu-
sozialen Marktwirtschaft der Bundesrepublik ten,
Deutschland eine Flat Tax für nicht vertretbar halte.
(Peter Dreßen [SPD]: So ist es! Genau!)
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
(B) das ist völlig klar – und dass dieses auch in Zukunft gel- (D)
und bei der SPD)
ten sollte: das Prinzip der Belastung nach der Leistungs-
Und weiter: fähigkeit, dass sich also Beiträge und Besteuerung an der
Leistungsfähigkeit orientieren und dass stärkere Schul-
Für mich ist die Progression der Einkommensteuer tern stärker herangezogen werden. Ich möchte, dass die-
ein Kernpunkt unseres Sozialstaatsprinzips. ses Kernprinzip des Sozialstaats auch in Zukunft gilt.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU –
und bei der SPD) Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Das machen
Ich muss Ihnen sagen: Das ist die gesellschaftspolitische wir!)
Grundsatzentscheidung. Das müssen die Menschen – Nein, das macht ihr nicht.
draußen wissen.
(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Dummes
Der Bundeskanzler hat völlig Recht, wenn er sagt,
Zeug!)
dass wir den Sozialstaat erneuern müssen und dass die
sozialen Sicherungssysteme auf unsere immer älter wer- – Ich will euch etwas sagen: Ich bin aus Überzeugung
dende Gesellschaft und auf die neue Wettbewerbssitua- freiwillig gesetzlich versichert und zahle gegenwärtig ei-
tion ausgerichtet werden müssen. Ich möchte in keiner nen Krankenkassenbeitrag von etwa 500 Euro. Nach
Gesellschaft leben, in der wir den Individualismus sozu- dem merkelschen Modell würde ich um knapp 400 Euro
sagen zum obersten Prinzip erklären und in der sich die entlastet.
starken von den schwachen Schultern verabschieden.
Für mich war der Kern der Sozialstaatsorientierung der (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Das stimmt ja
Union seit Adenauer immer das Festhalten an diesem gar nicht!)
Prinzip. Angesichts dessen, was Sie wollen, sage ich Ih- – Natürlich.
nen – ich habe Ihnen sehr sorgfältig zugehört –: Sie sind
das Gegenteil von neuer Ehrlichkeit. (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Nein!)
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Aber selbstverständlich! – Da kann ich nur sagen,
und bei der SPD) meine Damen und Herren: Das wird die Wirtschaft an-
kurbeln! Da wird der Fischer investieren, dass es kracht!
Wenn Sie wirklich den Mut hätten, zu sagen, was Sie
wollen und was Sie für notwendig halten, dann würden (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Sie sagen, dass Sie den Sozialstaat für überholt, für zu und bei der SPD)
17526 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 186. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. September 2005

Bundesminister Joseph Fischer


(A) Nein, es ist überhaupt nicht einzusehen, warum mein Wozu brauchen wir die Kassenärztlichen Vereinigun- (C)
Fahrer, der genauso alt ist wie ich, belastet wird und ich gen? Das bezahlen alles die Versicherten. Das wart alles
entlastet werde. Das macht überhaupt keinen Sinn. ihr! An diesem Punkt bin ich sehr dafür, die Konsequen-
zen daraus zu ziehen: mehr Wettbewerb im System und
Nun zur Kinderversicherung. Der Spitzensteuersatz nochmals eine Überprüfung, auch dessen, was den Phar-
soll weiter gesenkt werden, aus Gründen, die ich nicht maunternehmen wirklich garantiert wird. Ich meine, die
kenne. Das wird unsere Wettbewerbsfähigkeit überhaupt sind da zu gut weggekommen.
nicht verbessern. Sie wollten ihn auf 36 Prozent senken
und haben das alles sauber berechnet, allerdings in der Aber der entscheidende Punkt ist doch ein anderer:
Luft und nicht in der Realität. Jetzt kommt die Begrün- Wenn es richtig ist, dass wir immer älter werden und
dung, dass die Reichen für die Kinderversicherung he- gleichzeitig die Erwerbsbiografien immer prekärer wer-
rangezogen werden sollen. Das kann dann aber nicht nur den, dann dürfen wir doch die Solidarität mit den Behin-
für die gesetzliche Versicherung gelten; denn damit wer- derten, mit den Chronikerinnen und Chronikern, mit den
den Sie in Karlsruhe scheitern. Selbstverständlich wer- Kinderreichen, mit den Alten und Armen nicht bei den
den Sie dann alle Kinder entsprechend zu finanzieren ha- gesetzlich Versicherten abladen, sondern müssen sie auf
ben; das ist doch völlig klar. Dafür fehlen Ihnen alle Schultern verteilen. Das ist für mich ein Schritt nach
16 Milliarden Euro, Frau Merkel. Da kann ich Ihnen nur vorne und deswegen ist die Bürgerversicherung die rich-
sagen: Angesichts dieser fehlenden 16 Milliarden Euro tige Antwort.
werden Sie wieder auf die Mehrwertsteuererhöhung zu-
rückkommen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
und bei der SPD – Hartmut Schauerte [CDU/
Ich frage mich, welchen Sinn das macht. Wenn wir CSU]: Wozu zahlen wir Steuern?)
der Meinung sind, wir sollten eine steuerliche Zuführung
vornehmen, dann bin ich jederzeit bereit, darüber zu dis- Frau Merkel, Ihre Amtszeit wird sich durch Wunder
kutieren. So, wie wir es bei der Rentenversicherung ge- auszeichnen. Wenn ich mir anschaue: Mehrwertsteuerer-
tan haben, könnten wir auch hier unvoreingenommen höhung um 2 Prozentpunkte, das wird die Konjunktur
über die Frage einer steuerlichen Zuführung diskutieren. richtig brummen lassen! Daraus wollen Sie die Senkung
der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung finanzieren.
(Dr. Angela Merkel [CDU/CSU]: Das ist ja Die Ministerpräsidenten der CDU/CSU hauen sich jetzt
schon mal etwas!) schon wie die Kesselflicker, wie viel sie zum Stopfen der
Warum Sie aber das Prinzip, dass sich die Höhe der Bei- Haushaltslöcher bekommen. Zweiter Punkt also: Sanie-
träge nach der Leistungsfähigkeit richtet, aufgeben wol- rung der Länderhaushalte. Dritter Punkt: steuerfinan-
zierte Kinderversicherung; 16 Milliarden Euro. Jetzt
(B) len, verstehe ich nicht. Das Tollste ist der Sozialaus- sind Sie schon im Bereich des Wunders angekommen. (D)
gleich! Da kann ich Ihnen nur sagen: Fahren Sie doch in
die Schweiz und schauen Sie sich doch einmal die Reali- Das werden Sie aus den 2 Prozentpunkten niemals her-
tät an! Und da kommen die Meister der Entbürokratisie- ausbekommen! Schließlich der vierte Punkt: Senkung
rung und sind dabei, einen Dinosaurier der Bürokratisie- der Ökosteuer.
rung zu schaffen: Da kann ich nur sagen: Solche Versprechungen hat
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nicht einmal der Papst bei seinem Besuch hier in
und bei der SPD) Deutschland gemacht; das hat er sich nicht zugetraut.

30 Millionen Versicherungspflichtige, die heute in der (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD)
gesetzlichen Krankenversicherung sind – das müssen die Da stellt man doch fest: Das ist doch hinten und vorne
Versicherten wissen –, werden dann Anträge schreiben, ideologiegetrieben!
sie werden Sozialleistungsbezieher werden.
(Zuruf von der CDU/CSU: Bei Ihnen!)
Liebe Freundinnen und Freunde, meine Damen und
Herren von der Union, ich kann nur sagen, das hat alles Das wissen Sie auch. Das ist doch völlig klar: Der kirch-
keinen Sinn! Das wird eines der besten Gesundheitssys- hofsche Einheitssteuersatz oder Ihre Absenkung des
teme, eines der solidarischsten Gesundheitssysteme ge- Spitzensteuersatzes auf 39 Prozent – was ökonomisch
fährden und letztendlich ruinieren. keinen Sinn macht –, das wird letztendlich zulasten der
kleinen Leute finanziert. 40 Milliarden Defizit im ersten
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Jahr, das haben wir in Amerika erlebt, das haben wir in
Wir dagegen halten an ihm fest. Bei einer immer älter England erlebt: Erst heißt es: „Runter mit den Steuern!“,
werdenden Gesellschaft brauchen wir eine gewisse Ab- und dann heißt es: „Defizite müssen weg!“ Und die
kopplung der Finanzierung des Gesundheitssystems von kommen weg: vor allen Dingen in den Sozialetats, bei
den Arbeitskosten; das haben wir mit unserer Reform Bildung und Ausbildung, bei den kleinen Leuten. Da
schon gemacht. Da bin ich sehr dafür. Da ist ein Wachs- kann ich Ihnen nur sagen: Das, was Sie wollen, ist eine
tumsmarkt, da hätte ich mir gewünscht, dass die FDP Gesellschaft des kalten Herzens. Das ist das Gegenteil
und auch Sie Ihren Widerstand gegen die Aufhebung des von dem, was wir wollen.
Mehrfachbesitzverbotes bei Apotheken aufgeben.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Widerspruch bei der CDU/
und bei der SPD) CSU)
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 186. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. September 2005 17527
Bundesminister Joseph Fischer
(A) Vorfahrt für Kinder! Ich würde mir wirklich wün- (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- (C)
schen, Sie würden wirklich Politik für junge Frauen in SES 90/DIE GRÜNEN und der SPD –
unserem Land machen. Renate Schmidt und wir haben Michael Glos [CDU/CSU]: Heuchelei!)
das gemacht.
– Das hat überhaupt nichts mit Heuchelei zu tun. Viel-
(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Das sieht mehr werde ich Sie gleich an Ihre früheren Positionen
man!) erinnern, Verehrtester.
Mit dem Ganztagsschulprogramm haben wir Diese Region steht heute vor großen Herausforderun-
4 Milliarden Euro in die Hände genommen. Hoffentlich gen. Ich bin froh, dass die mutige Entscheidung der isra-
– Herr Ministerpräsident – geben Sie das alles an die elischen Regierung, sich aus Gaza zurückzuziehen, dazu
Kommunen weiter und nutzen es nicht zur Sanierung der führen kann und hoffentlich dazu führen wird, dass wei-
Länderhaushalte. tere politische Verhandlungsschritte folgen, sodass die-
ser lange tragische Konflikt zwischen zwei Nachbarvöl-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN kern beigelegt wird und es zu einem dauerhaften Ende
und bei der SPD) von Terror und Gewalt kommt und Israel und Palästina
Der entscheidende Punkt bei der Entlastung bei der So- friedlich Seite an Seite leben.
zialhilfe ist, dass investiert wird, vor allen Dingen in die (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Betreuung der unter 3-Jährigen. Aber ich sage hier auch und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der
ganz offen – bei allem, was es auch an vernünftigen Vor- CDU/CSU)
stellungen von Elterngeld und Ähnlichem gibt; –: Wir
müssen doch nur über den Rhein schauen! Frankreich ist Aber der entscheidende Punkt ist für mich ein ande-
doch nicht wesentlich reicher als wir. Aber dort ist seit rer. Wir haben in dieser Region eine Kumulation von
vielen Jahren ein Anspruch auf Kinderbetreuung ab dem großen Gefahren. Ich darf Sie nur daran erinnern, dass
ersten Lebensjahr selbstverständlich. Wir wollen nie- die Entwicklung im Irak alles andere als gut verläuft. Ich
manden diskriminieren. Wenn sich jemand entscheidet, mache mir da große Sorgen, obwohl wir nicht für den
zu Hause zu bleiben, dann ist das eine Entscheidung, die Krieg waren. Aber die negativen Konsequenzen werden
voll zu akzeptieren und zu unterstützen ist. Aber es muss Kriegsbefürworter und Kriegsgegner gleichermaßen zu
aufhören, dass letztendlich den jungen Eltern und den tragen haben. Keiner denke, die Terrorgefahr wäre für
jungen Frauen – dazu haben Sie nichts gesagt – die Ver- uns keine Gefahr.
einbarkeit von Familie und Beruf ins Kreuz gehängt Große Teile der Bevölkerung in der arabischen Welt
wird. Wie viele Alleinerziehende sind in die Sozialhilfe sind unter 18 Jahren. Dort herrscht eine Modernisie-
gedrückt worden, nur weil die Betreuung nicht funktio- rungsblockade. Wir haben Entwicklungen auf der arabi- (D)
(B) niert hat? Das darf es in unserem Land nicht geben.
schen Halbinsel und auch im Irak. Das iranische Nukle-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN arprogramm, das keinerlei Sinn macht, darf ebenfalls
und bei der SPD) nicht vergessen werden. Wir wissen nicht, wie sich die
USA in den kommenden Monaten orientieren werden. In
Deswegen sage ich den jungen Eltern: Am 18. Septem- dieser Situation wird es entscheidend sein, dass wir un-
ber steht eine Entscheidung an über eine der, wie ich sere Sicherheitsinteressen und nicht innenpolitische
denke, wichtigsten Zukunftsreformen: nämlich den ge- Wahlinteressen an die erste Stelle stellen. Von einer, die
setzlichen Anspruch auf Kinderbetreuung ab dem ersten Kanzlerin werden will, erwarte ich das.
Lebensjahr. Ohne diesen wird es nicht wirklich funktio-
nieren. Deswegen bin ich unbedingt dafür, dass wir das (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
machen. Wenn das eine Minderheitenposition ist, dann bedeu-
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- tet Führung, wenn man diese Position für richtig hält,
SES 90/DIE GRÜNEN und der SPD – daraus eine Mehrheitsposition zu machen. An diesem
Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Irgendwie Punkt lautet die entscheidende Frage: Gelingt es, dass
läuft es nicht!) ein großes muslimisches Land den Weg von Demokratie,
Frauen- und Menschenrechten, Rechtsstaat, unabhängi-
Ich kann nur sagen: Neben dieser sozialpolitischen gen Medien, einer modernen offenen Gesellschaft und
Entscheidung mache ich mir am meisten über die Wirtschaft erfolgreich geht?
Außen- und Sicherheitspolitik Sorgen.
Seit 43 Jahren machen wir der Türkei Versprechun-
(Zurufe von der CDU/CSU und der FDP: Oh!) gen, von Adenauer und Strauß, bis 1997 Glos unter der
– Ja, ja. – Schauen wir uns die Entwicklung an. Ich habe Regierung Kohl/Waigel in einer Presseerklärung das-
vorhin gesagt: Wir wissen nicht, wie dieses große, für selbe Versprechen gemacht hat. Jetzt soll der Türkei in
uns so bedeutende Land USA reagieren wird. Wird es dieser Situation, in der wir kein Risiko eingehen – es
sich nach innen orientieren? Was wird das dann für Frie- mag zehn, 15, 20 Jahre dauern, das weiß ich nicht –, die
den und Stabilität in unserer Nachbarregion bedeuten? Tür vor der Nase zugeschlagen werden,
So wie während des Kalten Krieges für den Westen Ber- (Michael Glos [CDU/CSU]: Das tut doch nie-
lin Zentrum von Freiheit und Sicherheit war, so ist jetzt mand!)
die Stabilität des Mittelmeerraums die entscheidende
Frage für unsere Sicherheit, nämlich ob wir ein Mehr der weil Herr Stoiber kulturelle Einwände hat oder weil Frau
Kooperation oder der Konfrontation bekommen. Merkel meint, das sei weniger wichtig. Dann kann ich
17528 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 186. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. September 2005

Bundesminister Joseph Fischer


(A) Ihnen nur sagen: Herr Glos, Ihre – wie heißt das? – privi- Dr. Edmund Stoiber, Ministerpräsident (Bayern): (C)
legierte Partnerschaft, so sagte mir der Herr Schäuble, Lassen Sie mich trotz der polemischen Ausfälle, Herr
wollen Sie gemeinsam mit den Türken entwickeln. Das Fischer, gegenüber der CDU/CSU und der Kanzlerkan-
gibt es gar nicht respektive ist schon längst Realität. didatin – darauf werde ich noch zurückkommen – mit ei-
nem Dank an Sie, Herr Schröder und Herr Fischer, be-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
ginnen.
und bei der SPD)
Herr Bundeskanzler, Sie haben am 22. Mai den Men-
Mit Ihrer Türkeipolitik – das sage ich Ihnen mit mei-
schen und unserem Vaterland ein Jahr Rot-Grün erspart.
ner ganzen Erfahrung aus sieben Jahren –, Frau Merkel,
versündigen Sie sich an den Sicherheitsinteressen Euro- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
pas und Deutschlands. neten der FDP)
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Jeder Tag ohne Rot-Grün ist ein guter Tag für Deutsch-
und bei der SPD – Widerspruch bei der CDU/ land.
CSU)
(Gerhard Schröder, Bundeskanzler: Ist das
– Jawohl, jedes Wort genau so. – Meine Damen und Her- jetzt ernst gemeint?)
ren, Sie lagen bei der Irakpolitik falsch. Ich werde den
Artikel in der „Washington Post“ nie vergessen: Bundes- Herr Bundeskanzler, Sie haben sieben Jahre – sieben
kanzler Schröder spricht nicht für alle Deutschen. Dieser lange Jahre – eine bessere Zukunft versprochen. Ich
Artikel ist sehr nachlesenswert. Sie wollen Kanzlerin habe viele Erklärungen, Reden und Regierungserklärun-
werden. Aber Sie haben nicht den kühlen Kopf und die gen von Ihnen gelesen und auch selber mitgehört.
Fähigkeit zur Analyse, die man in solchen Situationen (Zuruf von der SPD: Aber nicht verstanden!)
braucht.
Die Menschen warten bis heute darauf, dass es ihnen
(Lachen bei der CDU/CSU und der FDP – besser geht. Fast 5 Millionen Menschen sind arbeitslos.
Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Ausgerech- Das ist – bei aller Problematik in vielen anderen Berei-
net Sie!) chen – das zentrale Problem unseres Landes. Wenn wir
Im Falle des Irakkriegs haben Sie eine falsche Position das nicht lösen, dann werden wir auch die anderen Pro-
bezogen. Was Sie jetzt in der Türkeipolitik machen, bleme, die heute angesprochen werden und angespro-
halte ich für noch gefährlicher. chen worden sind, nicht lösen können.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
(B) SES 90/DIE GRÜNEN und der SPD) der FDP) (D)
Heute haben Sie sich über die Mehrheit gefreut. Ent- An dieser Aufgabe ist Ihre Regierung objektiv ge-
scheidend wird es darauf ankommen, dass Sie am scheitert. Das ist auch der Grund, warum Sie Neuwahlen
18. September die Mehrheit nicht bekommen. Wir wer- ausgeschrieben haben. Das ist auch der Grund, dass wir
den klar machen: Ökologische und soziale Erneuerung jetzt hier stehen und zum Abschied dieser Regierung dis-
ist die Alternative zu einer Politik der kalten Herzen und kutieren können, was gut für Deutschland ist.
der Systemveränderung von rechts. Zigtausende junge Menschen finden keinen Einstieg
Ich danke Ihnen. in das Berufsleben. Millionen Rentner haben das Ver-
trauen in die Rentenkasse verloren. Was sagen Sie diesen
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Menschen?
und bei der SPD – Die Abgeordneten von
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD er- (Gerhard Schröder, Bundeskanzler: Kirchhof!)
heben sich) Nur zu sagen, das seien sieben gute Jahre gewesen
– so argumentieren Sie nämlich –, ist für mich zynisch,
Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: realitätsfern und gegenüber diesen Menschen blanker
Auch wegen der überschaubar begrenzten Möglich- Hohn.
keiten, in dieser Legislaturperiode im Deutschen Bun-
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
destag noch das Wort zu ergreifen, geht das Präsidium
der FDP)
mit den Redezeiten sehr großzügig um.
Darüber können Sie nicht hinwegtäuschen: Es gibt
(Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Das hätte ich
fast 5 Millionen registrierte Arbeitslose, 7 Millionen
wissen müssen!)
Menschen, die in diesem Lande arbeiten wollen, aber
Es wäre dennoch schön, wenn die Redner in der Nähe keine Arbeit finden.
der gemeldeten Redezeiten bleiben könnten.
(Ludwig Stiegler [SPD]: 1998 waren es
Nun erteile ich dem Ministerpräsidenten des Freistaa- 9 Millionen!)
tes Bayern, Edmund Stoiber, das Wort.
80 Prozent der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in
(Beifall bei der CDU/CSU – Gert diesem Lande haben Angst um ihren Arbeitsplatz. Es
Weisskirchen [Wiesloch] [SPD]: Wo ist der gibt kein Land auf dieser Welt – weder in Europa noch
Herr Faltlhauser, Herr Stoiber?) außerhalb Europas –, in dem die Menschen so viel Angst
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 186. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. September 2005 17529
Ministerpräsident Dr. Edmund Stoiber (Bayern)
(A) haben, den Arbeitsplatz zu verlieren oder keine Arbeit heit in Ihrer Partei haben. Das ist die Situation, mit der (C)
zu bekommen. Das ist eines der entscheidenden The- wir in den letzten Jahren leben mussten.
men.
Herr Bundeskanzler, neben dem Versagen auf dem
Ich wiederhole: Wenn wir die Mentalität nicht verän- Arbeitsmarkt ist die rot-grüne Bundesregierung auf wei-
dern – sie ändert sich nur dann, wenn die Menschen Ar- teren zentralen Politikfeldern gescheitert. Sie haben da-
beitsplätze bekommen –, dann müssen Sie die Politik än- mit den Interessen unseres Landes und seiner Menschen
dern. Das Ergebnis Ihrer Politik der letzten sieben Jahre geschadet. Ihr Ziel war, im Jahre 2006 einen ausge-
ist jetzt zu besichtigen. Auch noch so schöne Worte kön- glichenen Bundeshaushalt vorzulegen. Ich zitiere aus
nen nicht darüber hinwegtäuschen, weil die Bilanz vor- Ihrer Regierungserklärung vom 29. Oktober 2002:
liegt.
Wir dürfen heute also nicht das konsumieren, was
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- wir unseren Kindern und Enkeln als Zukunftschan-
neten der FDP – Rudolf Bindig [SPD]: Die cen eröffnen wollen. … Die Bundesregierung hält
Eingangsbilanz nicht vergessen! Die Ein- an dem Ziel fest, bis 2006 einen ausgeglichenen
gangsbilanz gehört dazu!) Bundeshaushalt zu erreichen.

Deswegen gibt es auch diese Wechselstimmung. Sie versprachen: Keine neuen Schulden mehr ab dem
Deswegen – wegen Ihrer Politik – haben Sie elf Wahlen Jahre 2006! Aber auch hier ist das Problem: Reden und
hintereinander verloren. Deshalb werden wir, die CDU/ Handeln passen nicht zusammen, sondern klaffen weit
CSU, mit Angela Merkel an der Spitze den Wechsel in auseinander.
Deutschland herbeiführen. Lassen Sie endlich die Art (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
und Weise, in der Sie der Spitzenkandidatin oder wer neten der FDP)
auch immer Spitzenkandidat war immer wieder unter-
stellen, sie wären persönlich nicht in der Lage, dieses Schauen wir uns das einmal genauer an! Sie haben dazu
schwierige Amt zu führen! Glauben Sie, dass Sie bei der in Ihrer heutigen Regierungserklärung fast gar nichts ge-
Bilanz, die Sie vorzuweisen haben, die Berechtigung ha- sagt. 2002 wurden 32 Milliarden Euro neue Schulden
ben, der Oppositionsführerin überhaupt einen solchen gemacht. 2003 waren es 38 Milliarden Euro neue Schul-
Vorwurf zu machen? den.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Ludwig Stiegler [SPD]: Immer noch weniger
als unter Theo Waigel!)
Auch heute sprechen Sie von einer deutlichen Trend-
(B) wende auf dem Arbeitsmarkt. Ich glaube, das habe ich 2004 waren es 39 Milliarden Euro neue Schulden. (D)
in den letzten sieben Jahren 15-mal gehört. Das ist die (Ludwig Stiegler [SPD]: Immer noch weniger
alte Schröder-Masche. 1998 haben Sie – das ist hier als unter Theo Waigel!)
schon gesagt worden – eine „signifikante Senkung der
Arbeitslosigkeit“ versprochen. Ich erinnere mich noch 2005 werden es voraussichtlich 40 Milliarden Euro neue
gut daran, wie Sie zusammen mit Peter Hartz – ihn wol- Schulden sein.
len Sie heute möglicherweise gar nicht mehr so genau
kennen – am 15. August 2002 im Französischen Dom (Rudolf Bindig [SPD]: Mit Ihrer Blockade im
eine Halbierung der Arbeitslosigkeit zelebriert haben. Bundesrat!)
Die Menschen haben zum Teil daran geglaubt. Aber Dazu kann ich nur sagen: Versprochen, gebrochen! Jahr
heute sind es nicht wie damals 4 Millionen, sondern 4,7 für Jahr steigen die Schulden. Jahr für Jahr für 40 Mil-
bzw. 4,8 Millionen Arbeitslose. Wie oft haben wir inzwi- liarden Euro Zinsen! Jahr für Jahr – viermal hintereinan-
schen gehört – genauso wie heute –: Die Talsohle ist der – Bruch des europäischen Stabilitätspaktes! Jahr
durchschritten! Licht am Ende des Tunnels! Es geht für Jahr Bruch der Verfassung im Hinblick auf die Haus-
bergauf! Der Aufschwung kommt! – Ich sage: Das alles haltsdisziplin! Was, glauben Sie denn, können Sie dem
war eine Täuschung. Die Menschen sind diese Täu- deutschen Volk noch zumuten? Es darf nicht mehr so
schungen satt und wollen deswegen einen Wechsel. Wir weitergehen, wenn wir eine Zukunft haben wollen.
wollen alles dafür tun, dass es diesen Wechsel gibt.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) neten der FDP)
Bleiben wir doch einmal bei den Fakten. Nach den Die rot-grüne Bundesregierung hat mit ihrer verhäng-
letzten statistischen Daten sind binnen Jahresfrist, von nisvollen Schuldenpolitik die Zukunft der jüngeren Ge-
Juni 2004 bis Juni 2005, 410 000 sozialversicherungs- neration immer wieder belastet. Wie oft haben die Grü-
pflichtige Arbeitsplätze in Deutschland verloren gegan- nen das Wort von der Nachhaltigkeit verwendet! Das
gen. Das ist Ihre Bilanz. Ihre Masche, ständig zu sagen: Prinzip der Nachhaltigkeit ist von Ihnen verbal hochge-
„Morgen wird es besser“, ohne die Politik substanziell halten worden. Im Umweltschutz ist das in der Tat ein
zu verändern, glauben Ihnen die Leute nicht mehr. Wir außerordentlich wichtiges Kriterium, aber nicht nur dort,
wollen deutlich machen: Sie verändern Ihre Politik sondern in der gesamten Politik. Wenn Sie aber das, was
nicht, damit mehr Arbeitsplätze geschaffen werden, son- Sie sagen und in Ihren Programmen festgelegt haben,
dern klagen nur und schlagen falsche Rezepte vor, die ernst genommen hätten, dann hätten Sie niemals der
Sie erst gar nicht umsetzen, weil Sie dafür keine Mehr- Haushaltspolitik der letzten Jahre zustimmen dürfen, die
17530 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 186. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. September 2005

Ministerpräsident Dr. Edmund Stoiber (Bayern)


(A) im Prinzip die finanzielle Situation unseres Landes zu- Ihnen: Das ist doch ein Hammer. Auf der einen Seite (C)
tiefst zerrüttet. machen Sie den Deutschen in Ihren Wahlprogrammen
Versprechungen in der Größenordnung von 18 Milliar-
Zur Tilgung von Schulden müssen im Bundeshaushalt
den Euro.
jährlich 40 Milliarden Euro bereitgestellt werden. Die
Bundesschuld ist damit der zweitgrößte Posten im Bun- (Klaus Uwe Benneter [SPD]: Das ist doch
deshaushalt. Das ist eine unmögliche Situation; denn da- nicht wahr!)
durch sind zahlreiche Investitionen nicht möglich. Ihre
Gleichzeitig weist Ihr Haushalt ein strukturelles Defizit
Bilanz ruft einfach zu Ihrer Abwahl auf.
von 50 Milliarden Euro bis 60 Milliarden Euro auf und
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Ihr Bundesfinanzminister sagt: Im Jahr 2007 habe ich
neten der FDP) nichts mehr zu versilbern; stellt euch darauf ein, dass ich
ein strukturelles Defizit von 25 Milliarden Euro über-
Am Ende Ihrer Amtszeit hinterlassen Sie riesige
haupt nicht mehr ausgleichen kann. Es ist für mich un-
Schuldenberge
möglich, auf der einen Seite so viele Schulden zu verant-
(Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Wie viel worten und auf der anderen Seite den Leuten weiterhin
haben Sie davon blockiert?) Versprechungen in Milliardenhöhe zu machen. – Eine
solche Politik darf nicht fortgeführt werden.
und die größte Zinslast der Geschichte, und das, obwohl
Sie in sieben Jahren über 52 Milliarden Euro Privatisie- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
rungserlöse – die UMTS-Milliarden sind da gar nicht neten der FDP – Klaus Uwe Benneter [SPD]:
eingerechnet – erzielt und zusätzlich in den Haushalt ge- Das mit dem Elterngeld wird Frau Schmidt
buttert haben. Wenn Sie diese Privatisierungserlöse für gleich erklären!)
Investitionen verwendet hätten, dann hätten Sie zu-
Ihre gebetsmühlenartig vorgebrachte Polemik, die
kunftsorientiert gehandelt. Die Privatisierungserlöse
Union habe den Subventionsabbau und damit die Haus-
– sie sind sozusagen das, was die Deutschen in den 50er-
haltssanierung blockiert,
und 60er-Jahren erarbeitet haben – haben Sie immer
wieder in Haushaltslöcher gesteckt, ohne Konsequenzen (Zustimmung bei der SPD)
daraus zu ziehen, dass Sie auf die Dauer nicht mehr aus-
geben können, als Sie einnehmen. ist eine pure Legende. Durch die Initiative der Bundes-
länder haben wir im Rahmen des Koch/Steinbrück-
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Konzepts im Jahr bundesweit 5 Milliarden Euro einge-
neten der FDP) spart. So viel Verantwortung hat eine Opposition noch
nie bewiesen. Ich erinnere an das, was Sie, Herr Bundes- (D)
(B) Tatsache ist: Der Bundeshaushalt 2005 ist völlig aus
kanzler, mit Herrn Lafontaine damals, 1996, 1997 und
dem Ruder gelaufen. Sie sagen: Wir nehmen im Jahr
1998, im Bundesrat alles angestellt haben, um Refor-
Steuern in Höhe von präterpropter 190 Milliarden Euro
men, die vielleicht zu spät eingeleitet worden sind
ein und wir geben im Jahr präterpropter 250 Milliarden
– möglicherweise sind wir deshalb damals abgewählt
Euro aus. Damit bekommt man auf die Dauer ein struk-
worden –, zu verhindern.
turelles Defizit von 50 Milliarden Euro bis 60 Milliarden
Euro. Das verschweigen Sie. Sie ziehen daraus keine Heute stellen Sie sich hin und sagen zum Beispiel:
Konsequenzen und daher verschuldet sich der Staat im- Wir haben den Eingangssteuersatz von 25,9 Prozent
mer mehr. auf 15 Prozent und den Spitzensteuersatz von
53 Prozent auf 42 Prozent gesenkt. Sie verschweigen,
Ich ziehe einen internationalen Vergleich: Wir haben
dass die Regierung Kohl bereits 1996 das Petersberger
es in der Zwischenzeit geschafft, uns in der Europaliga
Konzept mit einem Eingangssteuersatz von 12 Prozent
auf den drittletzten Platz vorzuarbeiten; nur noch Italien
und einem Spitzensteuersatz von 39 Prozent vorgelegt
und Belgien haben eine höhere Staatsverschuldung als
hat. Wäre dieses Konzept bereits in den Jahren 1996,
wir. Ich erinnere daran, dass die Stabilität in den 60er-,
1997 und 1998 umgesetzt worden, stünden wir heute an-
70er- und 80er-Jahren Deutschlands Markenzeichen ge-
ders da, als wir es tun. Man muss feststellen: Sie haben
wesen ist. Ihr Versagen auf diesem Gebiet gehört auch
das verhindert.
zur Bilanz Ihrer Politik, die einfach geändert werden
muss. Sie können sie nicht ändern; Frau Merkel wird (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
diese Politik ändern. neten der FDP – Rudolf Bindig [SPD]: Dann
wären wir noch mehr verschuldet! – Klaus
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
Uwe Benneter [SPD]: In sieben Jahren ist nie
neten der FDP)
die Mehrwertsteuer erhöht worden!)
In Ihrer Regierungserklärung haben Sie über dieses
Sie haben immer wieder angesprochen – dies hat un-
Thema überhaupt nicht gesprochen.
ter anderem auch Ihr Parteivorsitzender gesagt –, dass
Sie haben hier angekündigt, was Sie alles machen die Vertrauensfrage habe gestellt werden müssen, um
wollen, zum Beispiel Elterngeld einführen. Das ist eine durch eine Neuwahl des Bundestages das Verhältnis von
interessante Angelegenheit. Darüber kann man diskutie- Bundesrat und Bundestag anders zu justieren. Dies er-
ren, gar keine Frage. Sie haben eine ganze Reihe von an- schließt sich mir nicht, weil auch die Ministerpräsiden-
deren Vorschlägen gemacht, die Sie umsetzen wollen, ten durch Wahlen in ihr Amt gekommen sind. Sie wer-
wenn die SPD wieder die Regierung stellt. Dazu sage ich den natürlich auch weiterhin nach ihren Vorstellungen
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 186. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. September 2005 17531
Ministerpräsident Dr. Edmund Stoiber (Bayern)
(A) entscheiden. Darauf haben die Bundestagswahlen keinen (Krista Sager [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: (C)
substanziellen Einfluss. So ein Unsinn!)
Aber eines ist in diesem Zusammenhang deutlich zu Nach dem Regierungswechsel ist es eine der wichtigsten
machen: Wir haben in dieser Legislaturperiode 80-mal Maßnahmen des neuen Ministerpräsidenten Rüttgers, ei-
den Vermittlungsausschuss angerufen; es ist aber nur nen ausgeglichenen Haushalt zu erreichen. Er sagt: Wir
eine Handvoll Gesetze gescheitert. In dieser Woche müssen von den Schulden herunter und können die Poli-
– Herr Müntefering, Sie haben es angesprochen – haben tik der Milliardenschulden nicht mehr fortsetzen.
wir in der Tat das rot-grüne Antidiskriminierungsgesetz
gestoppt. Es ist richtig gewesen, dass wir das gestoppt (Ludwig Stiegler [SPD]: Mehrwertsteuer-
haben, meine sehr verehrten Damen und Herren. erhöhung!)

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dort, wo die Union regiert, haben wir also eine bessere
Klaus Uwe Benneter [SPD]: Und die Bezugs- Stabilitätskultur, und dort, wo CDU-Politiker ins Amt
dauer von Arbeitslosengeld haben Sie in dieser gekommen sind, wird sich diese Stabilitätskultur entwi-
Woche gestoppt!) ckeln, weil es notwendig ist, meine sehr verehrten Da-
men und Herren. Dies können wir auch im Bund schaf-
Dieses Gesetz hätte den Mittelstand und die Wirtschaft fen.
mit Bürokratie überzogen und wäre ein weiterer rot-grü-
ner Jobkiller geworden. Dies zu verhindern ist keine (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
Blokkade. Ludwig Stiegler [SPD]: Sie müssen die Mehr-
wertsteuer erhöhen, um den bayerischen Haus-
(Ludwig Stiegler [SPD]: Sie sagen doch die halt auszugleichen!)
Unwahrheit!)
Wenn Sie kritisieren, dass wir in unser Programm hi-
Ihrem Zuwanderungsgesetz nicht zuzustimmen und neingeschrieben haben, dass wir die Maastricht-Krite-
es zu verändern, ist eine absolute Notwendigkeit gewe- rien in dieser Legislaturperiode erfüllen wollen, dann ist
sen. Wir haben jetzt ein besseres Gesetz erreicht, das Sie diese Kritik für eine Regierung, die Maastricht viermal
niemals erreicht hätten. Ihr Gesetz hätte zu einer außer- gebrochen hat, unredlich und absolut nicht zu akzeptie-
ordentlich schwierigen Situation in Deutschland geführt. ren.
Wenn Sie schon über Blockade sprechen, dann müss-
(Klaus Uwe Benneter [SPD]: Sie haben die
ten Sie auch deutlich machen, dass wir niemals wie Sie
Mehrwertsteuer dreimal erhöht!)
Ende der 80er-, Anfang der 90er-Jahre
(B)
(Jörg Tauss [SPD]: Falsch!) Wir werden auf Ihren Haushalten aufbauen müssen (D)
und werden uns bemühen, so schnell wie möglich die
die Dinge so blockiert haben, wie Sie es uns immer wie- Maastricht-Kriterien zu erfüllen. Aufgrund Ihrer Finanz-
der unterstellen. politik wird dies mit Sicherheit leider noch nicht im
Jahre 2006 möglich sein. Mir wäre es recht, wenn es
(Ludwig Stiegler [SPD]: Ein schlechter Vertei- ginge. Aber wir werden erst einmal mit den Europäern
diger! Ein schlechtes Gewissen! Man hört das reden und ihnen deutlich machen müssen, welches Erbe
schlechte Gewissen!) wir hier übernommen haben
Dies zeigen die Zahlen. Wenn man aus insgesamt (Zurufe von der SPD: Oh, oh!)
80 Vermittlungsverfahren mit einer Handvoll Ablehnun-
gen herauskommt, wird die konstruktive Haltung des und dass wir nicht von heute auf morgen alles so machen
Vermittlungsausschusses und der Länder mehr als deut- können, wie wir es könnten, wenn wir die ganze Zeit
lich. über regiert hätten.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
Klaus Uwe Benneter [SPD]: 26 Prozent aller Horst Kubatschka [SPD]: Sie übernehmen gar
Gesetze haben Sie blockiert! – Wilhelm nichts! – Ludwig Stiegler [SPD]: Er bleibt
Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Der größte Blo- frustriert in München!)
ckierer ist Herr Huber gewesen!)
Wir müssen in Deutschland umkehren, weil es nicht
Dort, wo die Union regiert – auch dies will ich noch nur um das Heute, sondern auch um das Morgen geht,
einmal ins Gedächtnis rufen –, geht es den Menschen um die Zukunft unserer Kinder und Enkel. Wir müssen
besser. in Deutschland umkehren, weil wir auf Dauer mit weni-
(Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Mit der FDP! – ger Schulden und weniger Zinsen wieder mehr Spiel-
Ludwig Stiegler [SPD]: Oberpfalz!) raum für mehr Investitionen in Bildung und Hochschu-
len, für Kinderbetreuung, für Innovationen sowie für
Dort gibt es weniger Arbeitslose, mehr Wachstum, mehr Infrastrukturmaßnahmen im Bereich von Straße und
Investitionen und eine bessere Bildungspolitik. Dort gibt Schiene bekommen. Wir müssen in Deutschland umkeh-
es auch eine neue Stabilitätskultur. Schauen Sie sich an, ren, weil immer mehr Lasten auf den Schultern der
welche Stabilitätskultur sich in Sachsen entwickelt hat, nächsten Generation eine unverantwortliche und unmo-
welche sich in Niedersachsen und in Hessen entwickelt. ralische Politik darstellen.
17532 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 186. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. September 2005

Ministerpräsident Dr. Edmund Stoiber (Bayern)


(A) Wenn Sie hier zu Recht die allgemeine demographi- (Ludwig Stiegler [SPD]: Der Exportwelt- (C)
sche Situation beklagen, dann ist Schuldenmachen noch meister!)
unmoralischer, als es im Prinzip schon ist, weil starke
In unserem Programm – ich möchte darauf noch ein-
Generationen mit ihren Problemen nicht fertig werden
mal hinweisen – steht ganz bewusst am Anfang, dass wir
und die Begleichung dieser Schulden immer kleiner wer-
in der Globalisierung die soziale Marktwirtschaft erhal-
denden nachfolgenden Generationen übertragen.
ten, sichern und ausbauen werden.
(Erika Lotz [SPD]: 18 Prozent Mehrwert- (Ludwig Stiegler [SPD]: Der Abbau des Kün-
steuer!) digungsschutzes steht an Ihrem Anfang! Die
Das ist absolut unmöglich. Deshalb ist es auch aus Grün- Arbeitnehmerrechte zu schleifen, steht an Ih-
den der Generationengerechtigkeit nötig, dass die Schul- rem Anfang!)
denpolitik abgebaut wird. Das ist und bleibt unser Maßstab.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Meine Damen, meine Herren, die soziale Bilanz von Deswegen sollte man sich diese Passage unseres Regie-
sieben Jahren Rot-Grün ist bitter für die Menschen in un- rungsprogramms, mit dessen Umsetzung wir beginnen
serem Land: Es gibt über 1,6 Millionen weniger sozial- wollen, sehr genau vergegenwärtigen.
versicherungspflichtige Arbeitsplätze als 1998. Das ist
(Beifall bei der CDU/CSU)
Ihre Bilanz.
Deutschland hat alle Chancen, zu den Gewinnern der
(Ludwig Stiegler [SPD]: Aber 3 Millionen Globalisierung zu gehören. Wir haben die besten Fach-
mehr Erwerbstätige! Mehr Selbstständigkeit! arbeiter, wir bringen exzellente Leistungen in Wissen-
39 Millionen Erwerbstätige statt 36 Millionen schaft und Forschung. Wir haben große und kleine Un-
bei Ihnen!) ternehmen, die weltweit Marktführer sind.
Das ist sozial ungerecht. 1 Million Menschen mehr als (Ludwig Stiegler [SPD]: Das ist der Mehltau!
1998 lebt in Armut; das sagt Ihr Armenbericht selber Nicht einmal Logik herrscht hier!)
aus. Das ist sozial ungerecht.
Ohne SPD und Grüne schaffen wir es,
(Ludwig Stiegler [SPD]: Es gibt doch gar
keinen Armenbericht!) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
dass aus diesem riesigen Potenzial Deutschlands endlich
(B) Seit 1998 wurden fast 200 Milliarden Euro neue Schul- wieder Arbeitsplätze für die Menschen werden. (D)
den auf die Schultern unserer Kinder gepackt. Das ist so-
zial ungerecht. Nicht Lippenbekenntnisse, sondern ein- (Beifall bei der CDU/CSU – Ludwig Stiegler
zig und allein messbare Erfolge für die Menschen [SPD]: Gar nichts schaffen Sie! Denken Sie an
machen unser Land sozial. 2002!)
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir schaf-
neten der FDP – Ludwig Stiegler [SPD]: fen Arbeit mit Innovationen, neuen Ideen und neuen
Buchhalterökonom!) Produkten. Standortwettbewerb ist heute Innovations-
wettbewerb. Das haben Sie nie begriffen. Diese Bundes-
Deutschland braucht eben mehr Wachstum, mehr Ar- regierung hat sehr viel über Risiken diskutiert,
beitsplätze und mehr Zukunft.
(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Sie sind
Meine Damen, meine Herren, ich betone es: CDU ignorant, Herr Stoiber! Das ist unglaublich!)
und CSU sind Garanten der sozialen Marktwirtschaft
in Deutschland. aber viele Chancen vertan: in der Pharmazie, in der
Chemie, in der Biotechnologie, in der Kernenergietech-
(Ludwig Stiegler [SPD]: So, wie der Wolf die nik und in vielen anderen Bereichen.
Schafe hütet, so sind Sie Garanten!) (Jörg Tauss [SPD]: Wie war das bei der Ge-
Das, was Sie hier immer wieder in Form von bösen Un- nomforschung? Das haben Sie doch nicht ge-
terstellungen angesprochen haben, muss ich strikt zu- macht! – Ludwig Stiegler [SPD]: Exportwelt-
rückweisen. Sie kamen gerade von denen, die am An- meister! Das sind die Chancen!)
fang mit der sozialen Marktwirtschaft auf Kriegsfuß Auf einem politischen Feld allerdings – das muss ich
gestanden haben. Aber ich sage Ihnen auch: Schauen Sie zugeben – war diese Bundesregierung äußerst „erfolg-
einmal, in welcher Situation wir uns befinden. reich“. Hier haben Sie Ihre erklärten Ziele tatsächlich
(Horst Kubatschka [SPD]: Sie haben erreicht. So hat Deutschland heute mit die höchsten
Kirchhof!) Energiepreise in Europa.
(Ludwig Stiegler [SPD]: Der schlaue Bayer!
Wir haben eine großartige soziale Marktwirtschaft. Sie
So ein Schmarren!)
muss sich allerdings im Wettbewerb gegenüber anderen
Wirtschaftsordnungen, in der Globalisierung durchset- In allen anderen Ländern in Europa wirkt die gleiche
zen. Das ist nicht ganz einfach. Lage auf dem Weltenergiemarkt. Sie, Herr Bundeskanz-
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 186. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. September 2005 17533
Ministerpräsident Dr. Edmund Stoiber (Bayern)
(A) ler, haben heute gesagt, mit nationalen Maßnahmen sei (Klaus Uwe Benneter [SPD]: Die hat Kohl mit (C)
die Preissetzung nicht möglich. Das ist nicht richtig; das dem Monopol auf den Weg gebracht!)
ist falsch. Sie haben ohne Rücksicht auf Arbeitsplätze
für die Sie, Herr Bundeskanzler, Sie, Herr Fischer, und
und Wirtschaft die Energie in Deutschland im nationalen
Herr Trittin die Verantwortung tragen. Das kostet Wett-
Alleingang massiv verteuert und damit unsere Wettbe-
bewerbsfähigkeit.
werbsfähigkeit drastisch verschlechtert.
(Ludwig Stiegler [SPD]: Wir haben mit den
(Ludwig Stiegler [SPD]: Unsinn!)
Durchleitungsrechten den Wettbewerb ge-
Daran gibt es überhaupt keinen Zweifel. schaffen!)
(Beifall bei der CDU/CSU) Das vernichtet zigtausend Arbeitsplätze im Transportge-
werbe, in energieintensiven Branchen, bei den Tankstel-
Energie teurer zu machen, das war und ist ein zentra- len im Grenzland und in anderen Bereichen. Wir müssen
les rot-grünes Projekt. befürchten, dass diese hohen Benzinpreise jetzt langsam
(Ludwig Stiegler [SPD]: Die bayerischen Bau- auch unsere Paradedisziplin im Export, nämlich die Au-
ern leben von den alternativen Energien!) tomobilindustrie, ganz entscheidend beeinträchtigen und
schwächen.
Entlarvend ist doch ein berühmter Parteitagsbeschluss
der Grünen aus Magdeburg. Damals wurde es noch als (Klaus Uwe Benneter [SPD]: Und dann noch
Hirngespinst angesehen, für 1 Liter Benzin 5 DM zu die Mehrwertsteuer draufschlagen!)
zahlen, aber dahin kommen Sie allmählich. Stehen Sie Deswegen müssen Sie politisch alles tun, was Sie tun
doch zu Ihrer Politik seit 1998: Ja, wir von der rot-grü- können, um hier jedenfalls die Steuern langfristig zu
nen Tankstelle wollen die Energie noch viel teurer ma- senken, wenn Sie bei den Energiepreisen überhaupt noch
chen als in den anderen Ländern. – Das ist Ihre Absicht eine Chance haben wollen, im europäischen Umfeld
gewesen und diese Absicht haben Sie verwirklicht. wettbewerbsfähig zu sein.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (Beifall bei der CDU/CSU – Wilhelm Schmidt
neten der FDP – Klaus Uwe Benneter [SPD]: [Salzgitter] [SPD]: Haben Sie etwas zur Finan-
3 Cent Mehrwertsteuererhöhung schrauben die zierung zu bieten?)
Benzinpreise höher!)
Sie haben immer wieder versucht, auch heute, die
Der Benzinpreis lag in Deutschland beim Antritt der 3 Cent, die in den Haushalt und in die erneuerbaren
Regierung Schröder, 1998, noch im europäischen Mittel- Energien fließen,
(B) feld. Heute hat Deutschland mit die höchsten Benzin- (Ludwig Stiegler [SPD]: Hören Sie auf zu (D)
preise in Europa.
rechnen! Das können Sie nicht!)
(Klaus Uwe Benneter [SPD]: Weil die Spekulanten
auf 1,5 Cent zurückzuführen. Lassen Sie mich noch ein-
dabei sind! Sie unterstützen die noch!)
mal Folgendes sagen: 1,9 Milliarden Euro aus der Öko-
Sie sind nach oben gegangen. Wir haben da viele Länder steuer, die wir insgesamt für falsch halten und die wir
hinter uns gelassen. langfristig abbauen müssen
Noch gravierender hat sich die Situation beim Diesel (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
verschlechtert. der FDP – Jörg Tauss [SPD]: Hey! – Klaus Uwe
Benneter [SPD]: Noch ein Haushaltsloch!)
(Rudolf Bindig [SPD]: Von Ölen und Schmie-
ren verstehen die Bayern mehr!) – gar keine Frage! –, fließen in den Haushalt und in die
erneuerbaren Energien. Die Frage ist aber: Darf der Staat
Heute hat Deutschland mit die höchsten Dieselpreise in Steuermehreinnahmen, die jetzt aus der Ölpreisexplo-
Europa. Das war 1998 völlig anders. sion entstehen, einstecken oder muss er sie zurückge-
Strom
Derdie
für Betriebe ist nach einem Vergleich ben? Dazu sage ich Ihnen ganz offen: Wir müssen das
der Europäischen Kommission nur noch in Italien und in machen wie die Franzosen, die beschlossen haben, das
Irland teurer als in Deutschland. Heute hat Deutschland wieder zurückzugeben.
mit die höchsten Strompreise in Europa, was bedeutet, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
dass die stromintensiven Betriebe von der Zementindus-
trie bis zur Aluminiumindustrie Wir prüfen das. Ich hoffe, dass wir das, wenn wir die Re-
gierung stellen können, sehr schnell zurückgeben können.
(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Papier!)
(Beifall bei der CDU/CSU – Ludwig Stiegler
Arbeitsplätze in das Ausland verlagern. Das ist die Folge [SPD]: Und dafür erhöhen Sie die Mehrwert-
einer falschen Politik. Diese Politik muss geändert wer- steuer! – Jörg Tauss [SPD]: Noch ein Haus-
den. haltsloch!)
(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Ich kenne natürlich den Einwand der Mehrwert-
Joachim Günther [Plauen] [FDP]) steuer.
Das ist eine verheerende Preisentwicklung, die Rot- (Ludwig Stiegler [SPD]: Der Tanz der Vam-
Grün bewusst herbeigeführt hat und pire ist das!)
17534 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 186. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. September 2005

Ministerpräsident Dr. Edmund Stoiber (Bayern)


(A) Sie müssen einfach begreifen, dass Sie hier vor einer Al- (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE (C)
ternative stehen: Wollen Sie die Lohnzusatzkosten, die GRÜNEN]: Nun sagen Sie einmal, wieso mit
über 42 Prozent betragen, senken oder wollen Sie sie der Türkei keine gemeinsamen Werte zu haben
nicht senken? sind!)
(Zurufe von der SPD und vom BÜNDNIS 90/ ein Land aufzunehmen, das 80 bis 90 Millionen Einwoh-
DIE GRÜNEN) ner hat und das einen ganz anderen kulturellen und wirt-
schaftlichen Hintergrund hat, meine sehr verehrten Da-
Sie haben immer darüber geredet, dass Sie die Lohnzu- men und Herren.
satzkosten senken wollen, haben aber nie etwas dafür
getan. Wir wollen die Lohnzusatzkosten zum 1. Januar (Beifall bei der CDU/CSU)
des nächsten Jahres auf einen Schlag um 2 Prozent-
punkte senken. Die Mehrwertsteuererhöhung wird dafür Vizepräsident Dr. Norbert Lammert:
gebraucht. Dieser Betrag fließt letzten Endes 30 Millio- Herr Ministerpräsident, ich darf auch Sie bitten, gele-
nen Menschen sozusagen über eine Lohnsteigerung di- gentlich einmal einen Blick auf die Redezeit zu werfen.
rekt wieder zu.
(Ludwig Stiegler [SPD]: Er soll weiterma-
(Beifall bei der CDU/CSU – Wilhelm Schmidt chen! Das ist gut für uns! Jede Minute tut uns
[Salzgitter] [SPD]: Rechte Tasche, linke Ta- gut! – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Er
sche! – Ludwig Stiegler [SPD]: Sie wollen soll das wiederholen!)
Beute machen! – Volker Beck [Köln] [BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann kann man Dr. Edmund Stoiber, Ministerpräsident (Bayern):
gleich 30 Prozent Mehrwertsteuer machen!)
Deswegen sage ich Ihnen: Achten Sie bitte auch da-
Herr Bundesaußenminister, lassen Sie mich noch eine rauf, was die Bevölkerung in Deutschland, aber auch in
Anmerkung zu einer Frage machen, in der wir – das wis- anderen Teilen Europas will. Sie werden Schiffbruch er-
sen Sie – eine ganz unterschiedliche Auffassung haben. leiden.
Die Frage lautet: Ist Europa in der Lage, in fünf oder in (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE
zehn Jahren die Türkei als Vollmitglied aufzunehmen? GRÜNEN]: Manchmal muss Politik auch um
Ich halte Ihre Argumentation – Sicherheitsgründe – für Zustimmung werben und darf nicht dem Popu-
falsch. Die Türkei ist in der NATO. Wir sind in der lismus hinterherlaufen!)
NATO mit diesem mit uns seit Jahrzehnten oder Jahr-
hunderten befreundeten Volk eng verbunden; gar keine Deswegen ist es dringend notwendig, dass die Regierung
(B) Frage. wechselt. Natürlich halten wir uns an die Abmachungen, (D)
die Sie getroffen haben. Aber wir werden alles tun, dass
(Unruhe) die Verhandlungen nicht nur ergebnisoffen, sondern
Sie führen immer an, die Union habe dem Ganzen früher auch zieloffen geführt werden –
einmal zugestimmt. Das war in der Zeit der Europäi- (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE
schen Wirtschaftsgemeinschaft. GRÜNEN]: Sie wollen, dass das Ziel nicht er-
(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- reicht wird!)
NEN]: Sie können außenpolitisch einfach zieloffen mit dem Ziel einer privilegierten Partnerschaft.
nicht über die Alpen hinausgucken!)
(Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch bei
Das war in der Zeit der Europäischen Gemeinschaft. der SPD)
(Klaus Uwe Benneter [SPD]: 1998! Das ist Meine Damen, meine Herren, heute hat die SPD – da
noch nicht so lange her!) können Sie schreien, so viel Sie wollen – sehr vieles im
politischen Angebot: Sie haben Rot-Grün,
Heute haben wir aber das Projekt der europäischen poli-
tischen Union mit der Absicht, dieser politischen Union (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE
auch immer mehr außenpolitische und innenpolitische GRÜNEN]: Sie haben gar nichts! – Ludwig
Kompetenzen zu übertragen. Das ist nun der Kern unse- Stiegler [SPD]: Sie haben 2002 die Wahl ver-
rer Bemühungen. loren! Sie sind nicht Kanzler geworden, armer
Kerl!)
Wenn Sie diese europäische politische Union haben
wollen, brauchen Sie auch eine gewisse Gemeinsamkeit, Sie haben die Ampel, Sie haben die große Koalition und
eine Wertebasis, einen gemeinsamen Kanon. Sie haben ein Linksbündnis. Alles, was ich hier anführe,
wird in Ihrer Partei, der SPD, vertreten. Die einen wollen
(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE eine große Koalition. Die anderen wollen natürlich eine
GRÜNEN]: Gemeinsame Werte sind mit den rot-grüne Koalition. Die Nächsten sind bereit, mit Gysi
Muslimen nicht zu haben, oder wie?) und Lafontaine zusammenzuarbeiten. Andere denken
sogar an eine Ampel, so irreal das auch ist.
Ich sage Ihnen voraus, dass die Europäische Union mit
25 oder 27 – wenn Bulgarien oder Rumänien dabei sein (Klaus Uwe Benneter [SPD]: Bloß Stoiber will
sollten – nicht in der Lage ist, keiner!)
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 186. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. September 2005 17535
Ministerpräsident Dr. Edmund Stoiber (Bayern)
(A) Meine sehr verehrten Damen und Herren, wer am (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (C)
Sonntag in acht Tagen CDU, CSU und FDP wählt, der
nach Frau Merkel und nach Herrn Westerwelle nur der
weiß natürlich: Es gibt nur eine Alternative zu Rot-Grün
drittwichtigste Politiker in der Bundesrepublik Deutsch-
und all dem Durcheinander, nämlich Schwarz-Gelb.
land zu sein. Seien Sie sicher: Vor diese Entscheidung
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) werden Sie nicht gestellt werden.
Deshalb hoffe ich, dass wir am Sonntag in acht Tagen (Beifall bei der SPD)
bei Ihnen lange Gesichter sehen und bei uns fröhliche. Meine sehr geehrten Herren, meine sehr geehrten Da-
In dem Sinne: Herzlichen Dank. men, es ist wichtig und richtig, dass wir bisher intensiv
über Arbeitsmarkt-, Steuer- und Wirtschaftspolitik dis-
(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU – Bei- kutiert haben. Wir werden das natürlich auch weiter tun.
fall bei der FDP – Rudolf Bindig [SPD]: Auf- Wolfgang Clement wird Ihre tendenziösen statistischen
stehen! – Klaus Uwe Benneter [SPD]: Los, Interpretationen zurechtrücken, angefangen bei den
aufstehen! – Ludwig Stiegler [SPD]: Das ist Schulden, die wir übernommen haben, über die Arbeits-
aber schwach! Herr Präsident, Dacapo! Wo losenzahlen, die wir übernommen haben, über die Wir-
bleiben die Ovationen?) kung einer Mehrwertsteuererhöhung, die nicht nur die
Energiepreise steigen lässt, sondern vor allen Dingen
Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: Rentner, Arbeitslose und Familien besonders belastet,
Das Wort hat nun die Bundesministerin für Familie, (Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Senioren, Frauen und Jugend, Renate Schmidt.
bis hin zu den Lohnnebenkosten, die wir das erste Mal
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten gesenkt haben, während sie in Ihrer Regierungszeit deut-
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) lich erhöht worden sind.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
Renate Schmidt, Bundesministerin für Familie,
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Senioren, Frauen und Jugend:
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kollegen! Liebe Aber so wichtig das alles ist: Unsere gesellschaftliche
Kolleginnen! Sehr verehrter lieber Herr Stoiber, wir ken- Entwicklung darf nicht auf ökonomische Fragen redu-
nen uns jetzt schon so lange. Ich kann erkennen, dass aus ziert werden.
all Ihren Sätzen, aus jedem Ihrer Worte der Frust gespro- (Beifall bei Abgeordneten der SPD)
chen hat, heute hier nicht als Kanzlerkandidat stehen zu
(B) dürfen, Dies entspricht nicht den Wünschen der Menschen. Sie (D)
haben nicht nur Sehnsucht nach Werten, sondern sie le-
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten ben diese Werte in ihren Familien. Ihre Familien, ihre
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Kinder, ihre Eltern sind den Menschen das Wichtigste.
Michael Glos [CDU/CSU]: So ein Schmar- Mit der Familie verbinden sie Geborgenheit, Zuversicht
ren!) und Hoffnungen. Ihr gilt unsere Sorge.
dass Sie sich heute gewünscht hätten, dass das ganze Ich stehe hier für eine Familienpolitik, die nicht nur
deutsche Volk erkennt, dass hier der kenntnisreichere, gut gemeint ist, sondern wirkt.
der detailversessenere, der zahlenbewusstere, der rich-
tige Kanzlerkandidat für die Bundesrepublik Deutsch- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
land steht. des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
(Ludwig Stiegler [SPD]: Der große Cäsar!) Diese Bundesregierung hat es geschafft, dass die Familie
kein Randthema der Politik mehr ist, sondern endlich in
Wie sehr hätten Sie sich heute gewünscht, dass Ihre die Mitte der Gesellschaft gerückt worden ist, wo sie
Fraktion hier im Deutschen Bundestag Ihnen auch ste- auch hingehört.
hend Beifall geklatscht hätte. Nichts davon ist eingetre-
ten. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
(Beifall bei der SPD – Rudolf Bindig [SPD]:
Selbst Glos ist sitzen geblieben! – Zuruf von Wir stehen für eine moderne, an der Vielfalt der Lebens-
der CDU/CSU: Wir sind doch nicht beim Par- entwürfe ausgerichtete Familienpolitik und auch für eine
teitag!) ebensolche Frauenpolitik.

Deshalb sage ich Ihnen, was Ihre persönliche Zukunft Eine solche Politik trägt dazu bei, dass sich vorhan-
angeht: Sie werden nicht nach Berlin gehen, dene Kinderwünsche erfüllen. Sie verschafft Kindern
die gleichen Chancen; denn die größte Ungerechtigkeit
(Zuruf von der FDP: Das werden nicht Sie ent- in unserem Land ist, dass die Herkunft eines Kindes so
scheiden!) sehr über seine Bildungschancen entscheidet wie nir-
gendwo anders in Europa.
weil Sie sich mit Ihren unerträglichen Äußerungen ge-
genüber den Ostdeutschen selbst ausmanövriert haben (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des
und weil Sie es nicht ertragen, BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
17536 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 186. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. September 2005

Bundesministerin Renate Schmidt


(A) Da, sehr verehrter Herr Ministerpräsident von Bayern, Wir brauchen die Aktivitäten des Bundes, auch bei (C)
bekleckert sich gerade Bayern nicht eben mit Ruhm; der Einführung eines Rechtsanspruchs auf einen Kin-
denn dort hat ein Arbeiterkind eine sechsmal schlechtere dergartenplatz, der übrigens von einer fraktionsüber-
Chance, einen höheren Bildungsabschluss zu erreichen, greifenden Parlamentarierinnengruppe initiiert und for-
als das Kind eines Akademikers. muliert worden ist.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des
DIE GRÜNEN) BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Eine solche Politik, wie wir sie machen, reduziert Frauen Ich war dabei. Es war eben nicht eine Initiative von Frau
nicht aufs Muttersein und schreibt Müttern und Vätern Merkel, nicht ihre Leistung, auf die sie stolz sein könnte.
nicht vor, ob und in welchem Umfang sie erwerbstätig Sie musste von SPD, FDP, Grünen und einigen Parla-
sein können. mentarierinnen der Union mühsam gegen die Union und
gegen Ihre Unentschiedenheit, Frau Merkel, durchge-
Um eine effektive, nachhaltige Politik für Kinder, Fa-
setzt werden.
milien und Frauen zu betreiben, brauchen wir eine Kom-
bination aus einer guten Infrastruktur, Zeit und effizien- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
ten Geldleistungen. Bei den materiellen Leistungen DIE GRÜNEN)
liegen wir im europäischen Vergleich allerdings mit an
Es ist deshalb gut, dass der Ausbau der Betreuungs-, Bil-
der Spitze.
dungs- und Erziehungseinrichtungen für die Kleinsten
Wir haben uns deshalb an die Arbeit gemacht und die zu einer Pflichtaufgabe der Kommunen geworden ist.
heutigen Bedürfnisse junger Menschen aufgegriffen, in-
Unsere Regierung hat noch viel vor. Bis 2010 wollen
dem wir 4 Milliarden Euro in Ganztagsschulen inves-
wir den Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz
tieren, obwohl dies Aufgabe der Länder wäre. Die Fami-
mindestens für die ab Zweijährigen realisiert haben und
lien in Deutschland haben aber das Gerede über
schrittweise, ein Jahr ums andere, wollen wir die Ge-
Zuständigkeiten satt. Sie wollen, dass sich die Bildung
bührenfreiheit der Kindertagesstätten erreichen.
ihrer Kinder und die Möglichkeit, Beruf und Familie zu
vereinbaren, endlich verbessern. (Beifall bei der SPD)
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Dabei müssen, wollen und werden wir den Kommunen
DIE GRÜNEN) helfen, genauso wie wir es mit den 2,5 Milliarden Euro
verbindlicher Entlastungen der Kommunen beim Zu-
Durch das Gesetz zum Ausbau der Tagesbetreuung
sammenlegen von Arbeitslosen- und Sozialhilfe getan
bis 2010 werden wir 230 000 neue Plätze für die unter
(B) haben. Es wäre nur wunderbar, wenn die Länder – insbe- (D)
Dreijährigen schaffen und dort Qualitätsstandards für die
sondere auch der Freistaat Bayern – ihre Zusage aus dem
frühe Förderung verankern. Frau von der Leyen will die-
Vermittlungsausschuss einhalten würden, diese Einspa-
ses Gesetz nicht fortführen, was immer das heißen mag.
rungen an die Kommunen weiterzugeben. Das ist leider
(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Es ist falsch, Gottes nicht überall der Fall.
was Sie sagen!)
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
Der Ausbau der Betreuung wird in Ihrem Wahlpro- DIE GRÜNEN)
gramm allein den Ländern überlassen. Der Bund soll
Meine sehr geehrten Herren, meine sehr geehrten Da-
sich auf eine Zuschauerrolle beschränken. Da warten wir
men, wir sorgen für mehr Zeit für Familien, indem wir
dann allerdings bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag. Von
die Wirtschaft und die Gewerkschaften in die Famili-
1994 bis zum Jahr 2002, also innerhalb von acht Jahren
enpolitik einbinden; denn Arbeitsbedingungen, die bei
– das ist der letzte statistisch erfasste Zeitraum –, wurde
aller notwendigen Mobilität und Flexibilität keine Rück-
die Zahl der Plätze für die unter Dreijährigen um gerade
sicht auf familiäre Pflichten nehmen, die jungen Men-
einmal 1,5 Prozent erhöht, einschließlich der Tagesmut-
schen nur noch befristete Arbeitsverhältnisse bieten, ver-
terstellen.
kennen, dass Familien ohne ein Mindestmaß an
(Klaus Uwe Benneter [SPD]: Hört! Hört!) Stabilität und Sicherheit nicht gedeihen können.
Bei einem solchen Schneckentempo bräuchten wir (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
120 Jahre, bis wir französische, 160 Jahre, bis wir ost- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
deutsche, und 304 Jahre, bis wir dänische Verhältnisse
Sie, Frau Merkel, haben gesagt, Sie wollten auf die
erreicht hätten.
Wirtschaft in dieser Frage zugehen. Ich kann Ihnen nur
(Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Das ist doch lä- sagen: Längst geschehen! Sie kündigen an, wir machen
cherlich, Frau Schmidt! Seit Sie regieren, gibt es schon.
es keine Kinder mehr!)
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
Ich möchte nicht, dass erst meine Ururenkelinnen Beruf DIE GRÜNEN)
und Familie ohne Stress in Deutschland vereinbaren
Wir haben mit Repräsentanten der Spitzenverbände
können.
der deutschen Wirtschaft und den Gewerkschaften unter
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ der Schirmherrschaft der Bertelsmann-Stiftung und mei-
DIE GRÜNEN) nes Ministeriums eine Allianz für die Familie gegrün-
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 186. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. September 2005 17537
Bundesministerin Renate Schmidt
(A) det. Ich bedanke mich an dieser Stelle ausdrücklich bei Der einheitliche Schutz von Ehe und Familie muss (C)
meinen Mistreiterinnen und Mitstreitern: insbesondere insbesondere zwei Entwicklungslinien unserer Ge-
bei Liz Mohn, Ludwig Georg Braun, Michael Endres, sellschaft mäßigen, die eine Bereitschaft zum Kind
Dieter Hundt, Hubertus Schmoldt, Michael Sommer und und damit die Zukunft von Staat und Gesellschaft
bei den vielen anderen. Wir haben zusammen schon viel bedrohen: den ausgeprägten Hang zum Erwerbs-
erreicht und werden noch viel erreichen. streben, der die jungen Menschen in die Berufstä-
tigkeit drängt und ihnen kaum noch Zeit lässt, sich
(Beifall bei der SPD) in Ehe und Familie zu entfalten; zudem den miss-
Wir haben deutlich gemacht, dass sich Investitionen verstandenen Gleichberechtigungsanspruch, der die
in Frauen- und Familienfreundlichkeit auch betriebswirt- berufliche Gleichheit überbetont und damit den
schaftlich in den Unternehmen rechnen. Wir haben uns Schutz von Kind und Mutter trotz ihrer besonderen
mit den Lokalen Bündnissen für Familie einen Unterbau Schutzbedürftigkeit schwächt. Auch im Steuerrecht
geschaffen. 198 solche Bündnisse gibt es schon; über brauchen wir deshalb eher eine Gleichberechtigung
24 Millionen Menschen werden von ihnen erreicht. Über der Mütter als eine Gleichberechtigung der Frauen.
1 200 Unternehmen und mehr als die Hälfte aller Indus- Paul Kirchhof, 2004, „Der sanfte Weg zur Freiheit“,
trie- und Handelskammern arbeiten dort nicht nur mit Seite 119.
schönen Worten, sondern mit ganz konkreten Taten mit.
Das finden Frau Böhmer und Frau Schavan auch noch
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ gut. Man kann sich nur noch an den Kopf fassen.
DIE GRÜNEN)
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
Weitere 200 Bündnisse sind in Vorbereitung. Wir werden DIE GRÜNEN)
unser Ziel, 1 000 solcher Lokalen Bündnisse für Familie
bis zum Jahr 2010, erreichen. Mein sehr geehrten Herren, meine sehr geehrten Damen
von der Union, ich darf Ihnen etwas versichern: Auf
Nein, Frau Merkel, Sie müssen sich nicht mehr bemü- Kinder, Küche, Kirchhof haben die gut ausgebildeten
hen, auf die Wirtschaft zuzugehen. Es ist längst durch jungen Frauen genauso wenig Lust wie die Männer. Des-
meine Aktivitäten das Nötige eingeleitet. halb ist das, was Sie hier machen, verkehrt.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) DIE GRÜNEN)
Wir haben uns noch mehr vorgenommen. Die Allianz So ist auch Ihr frauenpolitischer Programmteil eine
(B) für die Familie wird sich um das Verstärken betriebsna- absolute Nullnummer. Frauenpolitik auf die Themen (D)
her Betreuung und familienfreundliche Arbeitsbedin- „Verbot der Zwangsheirat“ und „Bestrafen von Freiern
gungen in Betriebsvereinbarungen und Tarifverträgen von Zwangsprostituierten“ – zwei von mir geteilte Vor-
genauso kümmern wie um die erleichterte Rückkehr haben – zu reduzieren ist wohl nicht so ganz auf der
nach der Elternzeit in den Beruf. Das ist besonders im Höhe der Zeit. Eine Kanzlerkandidatin bedeutet eben
Interesse der überwiegenden Zahl der Mütter; denn noch keinen frauenpolitischen Sommer.
86 Prozent der Mütter wollen ganz oder teilweise er-
werbstätig sein. Gerade einmal 14 Prozent möchten über (Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Hören Sie doch
längere Zeit ausschließlich Hausfrau und Mutter sein. mit diesem Zeug auf!)
Ich sage hier ausdrücklich: Beide Lebensmodelle haben Frau zu sein ersetzt nun einmal keine Frauenpolitik.
dieselbe Berechtigung und verdienen jeden Respekt.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
Aber, frage ich,wofür stehen Sie eigentlich mit Ihrem DIE GRÜNEN)
Wahlprogramm? Was hat das eigentlich vorzuweisen?
Dass das beileibe nicht nur meine Meinung ist, son-
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten dern eine, die von vielen geteilt wird, zeigt die Position
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) von renommierten und engagierten Unionsfrauen wie
Es ist, um es in aller Deutlichkeit zu sagen, eine famili- Ursula Männle, Irmgard Karwatzki oder Rita Süssmuth.
enpolitische Nullnummer. Die gekonnte Präsentation Ih- Ich zitiere Letztere:
rer zuständigen Kompetenzfrau mit einer eigenen großen Gerade darum ist die vollständige Abwesenheit der
Familie ersetzt eben kein konkretes familienpolitisches Frauen im CDU/CSU-Programm unverständlich.
Programm. Das müssen Sie sich einmal ins Stammbuch Schlimmer noch: Es wird einer rückwärts gewand-
schreiben lassen. ten Politik das Wort geredet.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Sie hat absolut Recht.
DIE GRÜNEN)
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
Zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf einige unver- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
bindliche Sätze, keine Aktivitäten, keine Instrumente auf
der Bundesebene. Die rot-grüne Bundesregierung hat, angefangen bei
einem wirksamen Gewaltschutz über ein modernes
Ihr heimlicher oder besser unheimlicher Familien- Gleichstellungsgesetz für den öffentlichen Dienst und
minister wird da schon deutlicher. Er sagt – ich zitiere –: die Reform des Betriebsverfassungsgesetzes mit dem
17538 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 186. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. September 2005

Bundesministerin Renate Schmidt


(A) Auftrag, in den Betrieben für Gleichstellung zu sorgen, 90 000 solcher Anträge sind schon beschieden. Dieses (C)
bis zur Erweiterung des Berufswahlspektrums, viel er- Instrument werden wir im nächsten Jahr ausbauen, damit
reicht. Wir haben für die nächste Legislaturperiode noch wir mehr Kinder und ihre Familien erreichen. Deshalb
viel vor: insbesondere die Karrierechancen von Frauen haben wir uns um einen steuerlichen Entlastungs-
zu steigern, im Rahmen der Antidiskriminierungsrichtli- betrag für Alleinerziehende gekümmert, nachdem Herr
nien der EU eine nationale Stelle einzurichten, die sich Kirchhof in seiner Eigenschaft als Bundesverfassungs-
auch um Gleichstellungsfragen kümmert, und für ar- richter den Haushaltsfreibetrag für Alleinerziehende für
beitslose Frauen Weiterbildung und Vermittlung sicher- verfassungswidrig erklärt hat. Das ist nämlich seine
zustellen; um nur einiges Wenige zu nennen. Politik.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Maria DIE GRÜNEN – Zurufe von der SPD: Hört!
Eichhorn [CDU/CSU]: Bla, bla, bla!) Hört!)
Eines haben wir aber garantiert nicht vor: in der Fa- Deshalb werden wir, wenn der Ausbau der Betreuung
milienpolitik die drei Jahrzehnte währende falsche Wei- für die unter Dreijährigen fortgeschritten ist, ein Eltern-
chenstellung fortzusetzen, wie Sie es beabsichtigen, in- geld mit Lohnersatzfunktion einführen. Das wird glei-
dem Sie wieder einmal auf ineffiziente, noch dazu chermaßen unterstützt von Gewerkschaften und Arbeit-
ungerechte und darüber hinaus unfinanzierbare Geldleis- gebern, von Familienorganisationen, wie der EAF und
tungen setzen.
dem Verband der Alleinerziehenden, sowie von namhaf-
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten ten Einzelpersonen, von Hubertus Schmoldt über Rita
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Süssmuth, Frank Bsirske, Gesine Schwan bis zu Kamilla
Bühring vom Bundesvorstand der Frauenunion, über de-
Ihr einziger familienpolitischer Programmpunkt ist ein ren – ich zitiere – volle Unterstützung ich mich freuen
Rentenbonus – ich habe diesen Ruf noch nie wie Don- darf.
nerhall gehört; keiner schreit danach – von 50 Euro, der
teuer und nicht finanzierbar ist, weil er bis zu (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
4 Milliarden Euro kosten wird. Die Fachwelt lehnt diese DIE GRÜNEN)
familienpolitische Schnapsidee unisono ab.
Also werden wir ab dem Jahr 2008 das Elterngeld
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ einführen, wie es im Übrigen der 7. Familienbericht
DIE GRÜNEN – Dr. Gerd Müller [CDU/ ebenso vorschlägt wie der Kinder- und Jugendbericht.
(B) CSU]: Das habt ihr nicht verstanden!) Das Prinzip: Nach skandinavischem Vorbild sollen El- (D)
tern künftig ein Jahr lang zwei Drittel ihres letzten Ein-
Sie setzen zudem auf eine Steuerreform, die gut ver-
kommens als Elterngeld, gedeckelt bei der Beitragsbe-
dienenden Familien einiges, durchschnittlich verdienen-
messungsgrenze der Arbeitslosenversicherung, erhalten.
den wenig und gering verdienenden nichts bringt. Al-
Wer vorher nichts oder wenig verdient hat, bekommt ei-
leinerziehende werden überwiegend draufzahlen, weil
der von uns geschaffene Entlastungsbetrag für Alleiner- nen Sockelbetrag von 750 Euro. Damit bleiben junge
ziehende zu den 418 Ausnahmetatbeständen des Herrn Frauen als Mütter ökonomisch selbstständig, statt wie
Kirchhof gehören wird. bisher nach der Geburt eines Kindes vom Partner oder
vom Staat abhängig zu sein.
Im Übrigen kann ich bei dieser Steuerreform keinen
großen Fortschritt erkennen. Geplant ist, richtig gerech- (Beifall bei der SPD – Dr. Gerd Müller [CDU/
net, ein steuerfreies Jahreseinkommen von 38 200 Euro. CSU]: Und Oma Schmidt bezahlt es, oder?)
Die heutige Steuerfreiheit beträgt 37 500 Euro ein-
– Ich sage es Ihnen gleich, keine Sorge. – Die dreijährige
schließlich des Kindergeldes. Auch Herr Kirchhof rech-
Elternzeit bleibt. Niemand wird schlechter dastehen, die
net das Kindergeld ein. Wo da eine deutliche Verbesse-
allermeisten viel besser. Ziel ist es, die Entscheidung
rung sein soll, muss man mir erst einmal erklären.
für ein Kind zu erleichtern und Einkommenseinbrüche
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ nach dessen Geburt zu vermeiden.
DIE GRÜNEN)
Aber es geht mir auch um die Väter. Zwei Drittel des
Natürlich brauchen Familien auch effiziente finan- Einkommens bieten den meist besserverdienenden Män-
zielle Leistungen. Die Betonung liegt hier aber auf „effi- nern zum ersten Mal die reale Chance, ihre zunehmen-
zient“. Deshalb haben wir nicht nur das Kindergeld den Wünsche nach aktiver Vaterschaft zu verwirkli-
erhöht, sondern ab diesem Jahr erstmals auch ein Instru- chen. Ein Monat Elterngeld wird für die Väter reserviert,
ment zur Bekämpfung von Kinder- und Familienarmut damit die Männer diese Chance nicht verpassen. Auch
eingeführt. Geringverdiener können einen Kinderzu- das ist ein Element der Gleichstellungspolitik.
schlag von bis zu 140 Euro erhalten. 150 000 Kinder und
ihre Familien werden damit in diesem Jahr vom Arbeits- (Beifall bei der SPD)
losengeld II unabhängig.
Das bedeutet: mehr Väter und mehr Kinder sowie
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten mehr zufriedene Mütter und Familien mit guten Rah-
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) menbedingungen.
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 186. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. September 2005 17539
Bundesministerin Renate Schmidt
(A) (Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Das glauben Was sollen die denn machen, einmal so herum und ein- (C)
auch nur Sie, dass Sie mit Geld Kinder kaufen mal so herum?
können!)
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
Das Elterngeld ist mit 1,3 Milliarden Euro Mehrkosten DIE GRÜNEN)
gegenüber dem Erziehungsgeld dreimal besser finanzier-
bar als zum Beispiel Ihr Rentenbonus, der bereits im Damit würde Familienpolitik wieder in der Versen-
Jahre 2009 mehr kosten wird als dieses Elterngeld. kung verschwinden. Das darf nicht geschehen. Allein
deshalb wollen wir weiter regieren. Wir wollen dafür
(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. Gerd sorgen, dass Kinder als das begriffen werden, was sie
Müller [CDU/CSU]: Oma Schmidt, das ist sind: Glück, Lebensfreude, Lebenslust und die Zuver-
Märchenstunde!) sicht, dass etwas von uns bleibt. Weil uns das so wichtig
Das Elterngeld ist sehr viel eher finanzierbar als zum ist und weil Sie hier nichts zu bieten haben, werden wir
Beispiel Ihre Gesundheitsreform, bei der Sie mit nach dem 18. September weitermachen mit einer moder-
1,4 Milliarden Euro die Krankenkassenbeiträge für Kin- nen Politik für Kinder, Frauen und Männer in unserem
der von gut verdienenden Privatversicherten finanzieren Land.
wollen. Ich frage mich, warum immer wir auf jeden Euro (Lebhafter Beifall bei der SPD und dem
genau erzählen müssen, was wir tun, während Sie ver- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von
schweigen, wie Sie Ihre Geschenke an gut Verdienende der SPD: Bravo! – Zuruf des Abg. Dr. Gerd
in dieser Gesellschaft finanzieren wollen. Müller [CDU/CSU])
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN – Dr. Gerd Müller [CDU/ Vizepräsident Dr. Norbert Lammert:
CSU]: Das ist Märchenstunde, Oma Schmidt!) Ich erteile der Kollegin Petra Pau das Wort.
Familienpolitik ist mehr als die Diskussion über Steu-
erfreibeträge, Kindergeld und Betreuungseinrichtungen; Petra Pau (fraktionslos):
denn es geht um das Wichtigste überhaupt, um unsere Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es
Kinder, um ihre bestmögliche Erziehung und Bildung in ist die Stunde der Bilanz. Der Herr Bundeskanzler hat
den Familien und außerhalb der Familien. seine gezogen, die CDU/CSU die ihrige und ich werde
unsere ziehen, also aus Sicht der linken Opposition, der
Für die Erziehung eines Kindes braucht man ein gan- PDS im Bundestag. Die CDU/CSU fordert mit ihrem
zes Dorf, sagt ein wunderschönes afrikanisches Sprich- Antrag sogar eine „ehrliche Abschlussbilanz“; daran
wort. Ein Dorf in dem Sinne haben wir heute nicht mehr. möchte ich gern anknüpfen. Denn, genau betrachtet, bi- (D)
(B)
Deshalb müssen wir für ein modernes neues sorgen. lanzieren wir heute nicht sieben Jahre Rot-Grün; wir zie-
Deshalb habe ich mit Kirchen und Wohlfahrtsorganisati- hen vielmehr einen Strich unter 15 dunkle Jahre Regie-
onen die Initiative „Verantwortung und Erziehung“ rungspolitik.
gegründet. Deshalb werden wir, unterstützt vom DIHK,
in der nächsten Legislaturperiode Eltern-Kinder-Zen- (Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch
tren initiieren, auch um die Erziehungskompetenz von [fraktionslos])
Eltern zu stärken. Erinnern Sie sich: 1998 war Bundeskanzler Schröder
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ mit dem bemerkenswerten Satz angetreten, er werde
DIE GRÜNEN) nicht alles anders, sondern vieles besser machen, besser
als die CDU/CSU. Ich finde, der erste Halbsatz ist einge-
Bei uns ist Familienpolitik Chefsache. löst; die Einlösung des zweiten allerdings ging ganz
(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU) gründlich daneben. Wir haben heute die höchste
Arbeitslosigkeit, die größte Armut und die brisanteste
Wir haben erkannt, dass Familien- und Frauenpolitik die Verschuldung in der Geschichte der Bundesrepublik.
wichtigsten gesellschaftspolitischen Themen des nächs- Die soziale Schieflage wurde noch schiefer und der
ten Jahrzehnts sind und dass unsere Zukunft davon ge- Osten kippte tatsächlich. Deshalb finde ich es übrigens
nauso abhängt wie von wirksamen Arbeitsmarkt- und zynisch, wenn der Bundeskanzler in seiner Rede zur
Sozialreformen. In Ihrem Wahlprogramm ist Familien- Vertrauensfrage sagte: Die zurückliegenden Jahre
und Frauenpolitik eine versteckte Marginalie. Ich bin
überzeugt davon, dass Sie die feste Absicht haben, die sind – ich bin stolz darauf – gute Jahre für unser
Familienpolitik als Anhängsel im Ressort Gesundheit Land ...
und Soziales anzugliedern, Das sehen Millionen Menschen in unserem Land aus ei-
(Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Üble Unter- gener Erfahrung ganz anders und wir auch.
stellung!)
(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch
weil kein Minister, keine Ministerin mit diesem bisschen [fraktionslos])
Wahlprogramm eine Legislaturperiode lang ausgelastet
Ich finde es auch verlogen, wenn die CDU/CSU
wäre.
meint, mit ihr wäre es anders gekommen. Bereits unter
(Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Aber wir spre- Kanzler Kohl galt als Zauberformel: Die Löhne runter
chen nicht von „Gedöns“ wie der Kanzler!) und die Arbeitszeit hoch; Steuern runter und die Lasten
17540 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 186. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. September 2005

Petra Pau
(A) von oben nach unten und die Gewinne von unten nach land hat sich dem aktiven Krieg gegen den Irak verwei- (C)
oben umverteilen. Dem ist dann auch Rot-Grün gefolgt. gert; das war gut, zumal CDU und CSU anderes im
Das Ergebnis: Nichts wurde besser, aber vieles noch Schilde führten. Aber in der vergangenen Woche hat das
schlimmer. Sie predigen weiter den Beschäftigen Ver- Bundesverwaltungsgericht klargestellt: Der Feldzug ge-
zicht und versprechen, das würde dann Arbeitsplätze gen den Irak war und ist völkerrechtswidrig. Und:
schaffen. Das Gegenteil ist der Fall. Die Kaufkraft sank, Deutschland hat die Einsatzkräfte der USA und Großbri-
der Binnenmarkt bekam Schwindsucht und noch mehr tanniens unterstützt und ist damit Kriegsteilnehmer. Das
Unternehmen gingen Pleite. Heute gibt es also nicht we- sagt das Gericht.
niger, sondern mehr Arbeitslose und vor allen Dingen
(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [frak-
mehr arme Arbeitslose. Das festzustellen hätte zu einer
tionslos])
ehrlichen Bilanz heute gehört.
Auch die deutschen Rüstungsexporte – auch solche
Sie haben Steuerreformen beschlossen, immer mit
in Krisenregionen – haben wieder zugenommen. Hier
demselben Ergebnis: Der Sozialstaat wurde geschwächt
sehen wir leider ebenfalls eine Kontinuität zwischen der
und viele Kommunen, selbst Großstädte wie München,
Kohl-Ära und der Bilanz von Bundeskanzler Schröder.
sind de facto pleite. Sie fallen also als Investoren aus und
sie sind kaum noch in der Lage, die soziale und kultu- (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Was
relle Infrastruktur zu sichern. Allein die letzte Steuer- natürlich völliger Quatsch ist!)
reform kostete meine Heimatstadt, das Land Berlin,
Seitdem ich im Bundestag bin und Rot-Grün regiert, war
1 Milliarde Euro Einnahmen jährlich; das ist dreimal so
ich 40 Mal gezwungen, über Auslandseinsätze und
viel, wie die Berliner Steuerzahler für den unsäglichen
Kriegseinsätze der Bundeswehr abzustimmen. Die
Bankenskandal aufwenden müssen, der maßgeblich
PDS im Bundestag hat verlässlich mit Nein gestimmt,
durch die CDU verursacht wurde.
während die CDU/CSU immer Ja und Amen gesagt hat.
(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch Sie können sich sicher sein: Auch die neue Fraktion der
[fraktionslos]) Linkspartei wird dabei bleiben, dass Krieg kein Mittel
der Politik sein darf, schon gar kein Alltagsmittel. Dage-
Der Paritätische Wohlfahrtsverband hat erst dieser gen haben Millionen demonstriert – wie ich finde: völlig
Tage vorgerechnet: Allein durch Hartz IV hat die Kin- zu Recht.
derarmut noch einmal deutlich zugenommen, und das in
einem der reichsten Länder der Welt. Das ist kein statis- Nun komme ich zum Thema „Bürgerrechte und De-
tischer Unfall, sondern das Resultat von falscher Politik. mokratie“. Die Bürgerrechte sind unter Rot-Grün
Eine ehrliche Bilanz von Rot-Grün müsste zu dem schwer unter Beschuss geraten. Das lag – jeder weiß das –
(B) Schluss kommen: Wer wirklich etwas besser machen an der privilegierten Partnerschaft zwischen Otto Schily (D)
will, muss in der Tat vieles anders machen, natürlich von der SPD und Herrn Beckstein von der CSU.
auch anders als das, was CDU und CSU in ihrem Wahl- (Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [frak-
programm ankündigen; denn Ihr Angebot, Frau Merkel, tionslos])
ist nur alter Wein in neuen Schläuchen und stößt ganz
bitter auf. Selbst dann, wenn es bei Rot-Grün gute Ansätze gab
– zum Beispiel beim Zuwanderungsgesetz oder beim
(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [frak- Antidiskriminierungsgesetz –, wurden sie bis zum Wi-
tionslos]) derruf geknebelt.
Deshalb bleibe ich dabei: Am Wahlabend geht es (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE
nicht um die Frage „Merkel oder Schröder?“. Die Alter- GRÜNEN]: Da haben Sie doch gerade einen
native heißt: weiter Sozialabbau oder endlich soziale Ge- Positionswechsel vollzogen!)
rechtigkeit. Die Linkspartei will das Zweite.
So kam es, wenn es um Bürger- und Menschenrechte
(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [frak- ging, häufig zu einer ganz eigenartigen Allianz: Ausge-
tionslos]) rechnet die FDP und die PDS im Bundestag kämpften
Wir fordern deshalb einen gesetzlichen Mindestlohn; gemeinsam gegen den Rest des Hohen Hauses. Die Grü-
nen waren leider ein Totalausfall, wenn es um Bürger-
(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Aber ihr rechte ging.
wisst nicht so richtig, in welcher Höhe, oder?)
(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [frak-
denn wir meinen: Von Arbeit muss man leben können. tionslos] sowie des Abg. Dr. Guido
Wir wollen eine bedarfsorientierte soziale Grundsiche- Westerwelle [FDP] – Dr. Guido Westerwelle
rung für alle; denn nur so kann Armut vermieden und [FDP]: Das sage ich auch immer! Wo sie
Würde gestärkt werden. Wir wollen nicht, dass die Risi- Recht hat, hat sie Recht!)
ken des Lebens immer weiter privatisiert werden. Des-
halb fordern wir eine solidarische Bürgerversiche- Dabei nehme ich der SPD und den Grünen eines be-
rung. sonders übel: Wir hatten gemeinsam die Chance, endlich
auch auf Bundesebene mehr Demokratie durchzusetzen.
Nun noch zu einem anderen Thema. Auf den SPD- Rund um die EU-Verfassung hätten SPD, Grüne, FDP
Großflächenplakaten auf den Straßen lesen wir: „Wer und PDS den gesellschaftlichen Druck, der für die
Frieden will, muss standhaft sein.“ Das stimmt. Deutsch- Durchführung einer Volksabstimmung notwendig ge-
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 186. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. September 2005 17541
Petra Pau
(A) wesen wäre, so verstärken können, dass die Bremsklötze Nun hat das Wort der Bundesminister für Wirtschaft (C)
in CDU und CSU hätten klein beigeben müssen. Aber und Arbeit, Wolfgang Clement.
auch diese historische Chance hat Rot-Grün leichtfertig
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
verspielt. So bleibt die Bundesrepublik in Sachen direkte
Demokratie auch weiterhin ein EU-Entwicklungsland.
Wolfgang Clement, Bundesminister für Wirtschaft
(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [frak- und Arbeit:
tionslos]) Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her-
ren! Wir haben heute viel gehört über die Lage in
Auch das gehört zur Bilanz der Regierungspolitik der
Deutschland, auch viele Beschreibungen der wirtschaft-
letzten 15 Jahre und auch das muss sich nun endlich än-
lichen Lage in Deutschland, die nach meiner Meinung
dern.
mit der Realität unseres Landes nichts mehr zu tun haben.
Zum Schluss: Am Abend der Wahl in Nordrhein- Das sage ich ganz besonders an Ihre Adresse, Herr Kol-
Westfalen hat sich der Bundeskanzler die Neuwahl des lege Stoiber. Weil das so ist, habe ich mir einmal he-
Bundestages gewünscht. Er hat sie bekommen. Sie ist raussuchen lassen – auch zum dem, was Sie gesagt haben,
zwar rechtlich fragwürdig, aber politisch vernünftig. Al- Herr Kollege Westerwelle –, was es heute an Meldungen
lerdings ist das auch ein Treppenwitz: Derselbe Kanzler, über die wirtschaftliche Lage in Deutschland gibt. Da
der vehement gegen Volksabstimmungen gekämpft hat, steht erstens in fast jeder Zeitung – und wird morgen wei-
terhin stehen –: „Auftragsflut für Industrie – Industrie
(Klaus Uwe Benneter [SPD]: Wann?) überrascht mit Auftragsplus“. Deutschlands Industrie-
unternehmen, schreibt die „Frankfurter Rundschau“,
sagte plötzlich, er wolle eine Volksabstimmung über sei-
nen politischen Kurs, über die Agenda 2010 und über (Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Wem gehört
Hartz IV. die noch mal?)
(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Na bitte! können sich derzeit schwerlich über einen Mangel an
Nun seien Sie doch endlich zufrieden!) Aufträgen beschweren. „Made in Germany“ ist gefragt.
Das Volumen der Bestellungen deutscher Industriegüter
Ich finde trotzdem, dass wir dieses Angebot nicht aus- ist von Juni bis Juli um 3,7 Prozent gestiegen. Das ist die
schlagen sollten. Wer die Gesundheitsreform und Auftragssituation in der Industrie in Deutschland.
Hartz IV gut findet, der hat die Qual der Wahl. Er muss
nämlich zwischen CDU/CSU, FDP, SPD und Grünen Diese Nachricht wird ergänzt durch die heutige Mel-
wählen. Wer das alles aber grundsätzlich falsch findet, dung des Statistischen Bundesamtes: Die Produktion im
(B) der hat nur eine gute Wahl: die Linkspartei. produzierenden Gewerbe ist auch im Juli weiter ange- (D)
stiegen, nämlich um 1,2 Prozent. Im Zweimonatsver-
(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [frak- gleich Juni/Juli lagen wir um 2 Prozent höher als im
tionslos] – Zuruf von der SPD: Oskar April/Mai. Innerhalb der Industrie hat der Produktions-
Lafontaine! – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] anstieg insbesondere im Investitionsgüterbereich eine
[SPD]: Damit verschwindet die Wählerstimme starke Rolle gespielt: plus 3 Prozent. Selbst die Herstel-
allerdings im Müll!) ler von Konsumgütern melden einen Anstieg um
1 Prozent.
Ganz zum Schluss, liebe Kolleginnen und Kollegen,
ein persönliches Wort an den Bundestagspräsidenten, (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des
Herrn Thierse, und an die Spitzen von der CSU bis zu BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
den Grünen: Sie haben eine vorzügliche PR-Arbeit zu- Das „Handelsblatt“ – das ist die dritte Meldung des
gunsten der PDS im Bundestag geleistet, natürlich durch heutigen Tages; das alles sind Meldungen vom heutigen
Ihre Politik, die wir abgelehnt haben, aber auch, liebe Tage – meldet, die Kommunen schreiben wieder
Kolleginnen und Kollegen, durch Ihre Großmut und Ih- schwarze Zahlen.
ren Humor: Ich erinnere nur an den ulkigen Streit über
unsere Tische; ohne ihn wären Gesine Lötzsch und ich (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: So ist
nie so oft und so breit in die Medien gekommen. Also es!)
vielen Dank! Wir werden uns mit einer starken Links- Die Kommunen werden nach Einschätzung des Deut-
fraktion dafür revanchieren. schen Instituts für Wirtschaftsforschung 2005 zum ers-
(Beifall der Abg. Gesine Lötzsch [fraktions- ten Mal seit vier Jahren wieder schwarze Zahlen schrei-
los] – Ulrich Kelber [SPD]: Mit Ihrem Lieb- ben. Verantwortlich dafür seien die stark gestiegenen
ling Oskar!) Einnahmen aus der Gewerbesteuer. Für dieses Jahr rech-
net das DIW mit einem Haushaltsplus der Städte und
Gemeinden von 600 Millionen Euro, für das nächste mit
Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: einem Überschuss von 2 Milliarden Euro. Und da reden
Immerhin hat die gerade liebevoll gewürdigte Groß- Sie von einer Katastrophe der Städte und Gemeinden in
mut auch in diesem Falle wieder zu einer großzügig be- Deutschland!
messenen Redezeit geführt.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Ludwig
(Dr. Guido Westerwelle [FDP]: So soll es auch Stiegler [SPD]: Herr Stoiber, Sie haben eine
sein!) beschlagene Brille!)
17542 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 186. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. September 2005

Bundesminister Wolfgang Clement


(A) Die nächste Meldung von heute – gerade von ddp einge- res Landes, in CDU-regierten, CSU-regierten, SPD-re- (C)
gangen – lautet: Der Deutsche Aktienindex ist am Mitt- gierten, von FDP-regierten kann man nicht sprechen,
wochvormittag zum ersten Mal seit mehr als drei Jahren von den Grünen mitregierten –, finde ich so manchen
über die Marke von 5 000 Punkten gestiegen; er lag Finger, der auf die Regierung, auf die Verantwortlichen,
heute Morgen bei 5 004. beispielsweise auf mich, zeigt, ein bisschen heuchle-
risch, obwohl ich gerne Verantwortung trage.
(Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Das war
nach der Rede von Frau Merkel! – Heiterkeit (Beifall bei Abgeordneten der SPD)
des Abg. Dr. Guido Westerwelle [FDP])
An dem, was ist, tragen wir alle Mitverantwortung.
– Herr Kollege, weil Sie mich ja für einen unverbesserli- Wenn ich über Zahlen spreche, dann habe ich auch vor
chen Optimisten halten – das will ich selbst für mich gar Augen, was Arbeitslosigkeit und was Jugendarbeitslo-
nicht in Anspruch nehmen, auch wenn ich zugebe, es sigkeit wirklich bedeutet. Wir müssen uns einmal klar
könnten in Deutschland durchaus mehr von meiner Sorte machen, dass wir nicht nur über Zahlen sprechen. Wir
sein –, müssen das Thema genauer beleuchten. Daher möchte
ich darauf hinweisen, dass unter den über 600 000 ar-
(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des
beitslosen Jugendlichen unter 25 Jahren in Deutschland
Abg. Dr. Guido Westerwelle [FDP])
– als wir noch mit der Statistik aus Ihrer Zeit arbeiteten,
will ich hinweisen auf den Frühindikator des „Handels- waren es unter 500 000 – 27 Prozent ohne irgendeinen
blattes“. Der verantwortliche Ökonom Ulrich van Schulabschluss und 67 Prozent ohne irgendeine abge-
Suntum sagt, zum ersten Mal gebe es nun klare Signale schlossene Berufsausbildung sind. Das ist die Realität.
für eine Konjunkturwende. Diese Realität, Herr Kollege Stoiber – das sage ich an
Ihre Adresse und die der CDU/CSU –, werden Sie nicht
(Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Die Leute mit Steuersenkungen oder sonstigen Maßnahmen än-
freuen sich auf Schwarz-Gelb!) dern, sondern nur mit einer aktiven und konkreten
Das ist das, was heute jeder Bürger, jede Bürgerin in den Arbeitsmarktpolitik. Deshalb ist das, was Sie vorlegen
Zeitungen lesen kann. Vor dem Hintergrund dessen, was und worauf ich noch eingehen werde, unzureichend.
Sie hier aufführen, sage ich: Sie brauchen die Krise, Sie
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
brauchen das Krisengerede: für den Wahlkampf.
DIE GRÜNEN – Dr. Hans-Peter Friedrich
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten [Hof] [CDU/CSU]: Sie verantworten
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) 40 000 Pleiten!)

(B) Damit ist langsam, aber sicher Schluss: Die Situation Übrigens möchte ich noch etwas zu den sozialversi- (D)
bessert sich und die Bürgerinnen und Bürger nehmen of- cherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen sa-
fensichtlich wahr, dass sie sich verändert. gen. Jawohl, es ist so, wie der Bundeskanzler gesagt hat:
Seit April dieses Jahres steigt die Zahl der sozialversi-
Niemand kennt die Situation besser als ich. Ich muss cherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse. Jawohl,
nicht belehrt werden über die Situation der Arbeitslosig- das hat etwas mit der Saison zu tun. Aber von April auf
keit in Deutschland. Mai haben wir zum ersten Mal seit Jahren bei den sozial-
(Dirk Niebel [FDP]: Wer hat denn die Vertrau- versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen
ensfrage gestellt?) auch saisonbereinigt einen Anstieg. Das spricht dafür,
dass wir mit dem, was wir im Januar mit den Arbeits-
Aber ich denke schon, dass viele Menschen in Deutsch- marktreformen und dem eingeleitet haben, was die
land – Betroffene und nicht Betroffene; jedenfalls dieje- Hartz-IV-Gesetze ausmachen, in der Tat die Wende er-
nigen, die unvoreingenommen sind – sehr klar vor Au- reicht haben. Nach acht Monaten haben wir mehr er-
gen haben, dass es eine wirklich tief greifende Reform reicht, als in vergleichbaren Volkswirtschaften um diese
war. Herr Kollege Stoiber, ich bin entsetzt, wenn Sie sa- Zeit mit solchen Anstrengungen erreicht werden konnte.
gen, es habe keine Veränderung gegeben in den letzten
Jahren, in diesen Jahren der Regierungskoalition – da (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
müsste ja eine Wahrnehmungsbremse bei Ihnen gewesen des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
sein! Das ist die tiefgreifendste Reform, die je am deut-
Wir stehen zu dem, was in den vergangenen sieben
schen Arbeitsmarkt vollzogen worden ist.
Jahren geschehen ist. Sie, das heißt Schwarz-Gelb, stre-
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten ben jetzt die Regierungsverantwortung an. Das ist für
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) mich kein Grund zur Entschuldigung. Aber wer die Re-
gierungsverantwortung anstrebt, der muss sich an dem
Ich sage Ihnen allen: Ich bin stolz darauf, dass wir fast messen lassen, was er in den 16 Jahren seiner Regierung
1 Million Menschen aus der Sozialhilfe herausgeholt bis zu dem Zeitpunkt erreicht und bewirkt hat, als er die
und jetzt mit in den Mittelpunkt der Arbeitsvermittlung Regierungsverantwortung abgab.
gestellt haben. Darauf bin ich stolz und ich bin über-
zeugt, dass wir damit helfen können, das Schicksal die- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
ser Menschen zum Besseren zu wenden. des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Da darunter fast 200 000 junge Leute unter 25 Jahren Es ist so – das sagen die Menschen, das sagt jeder von
waren – übrigens in allen Städten und Gemeinden unse- uns zu Recht –: Jeder muss sich an seinen Worten und an
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 186. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. September 2005 17543
Bundesminister Wolfgang Clement
(A) seinen Taten, vor dem Hintergrund seiner Taten messen rungsverantwortung abgaben, lag die Staatsquote bei (C)
lassen. Als wir die Regierungsverantwortung übernah- 48,8 Prozent – das war damals die Realität – und das
men und Sie abgewählt wurden, war die Arbeitslosigkeit Wachstumspotenzial unserer Volkswirtschaft war rück-
in Deutschland über nahezu zwei Jahrzehnte, über läufig. Das haben Sie uns übergeben und das war die Si-
16 Jahre, aufgetürmt, verfestigt, der Arbeitsmarkt war tuation, in der diejenigen, die uns in der ganzen Welt be-
erstarrt. Über 800 000 Menschen waren in AB-Maßnah- obachten, vom „kranken Mann Europas“ gesprochen
men. Heute sind nicht einmal die Hälfte davon in Zu- haben. Das haben wir vorgefunden und in den vergange-
satzjobs oder 1-Euro-Jobs, wie immer Sie das nennen nen sieben Jahren umgebaut.
wollen, oder sonstigen öffentlichen Maßnahmen. Wäh-
rend Ihrer Regierungszeit waren über 800 000 in diesen Weil das die Ergebnisse Ihrer Arbeit vor 1998 waren
Maßnahmen. und weil diese Ergebnisse vor aller Augen sichtbar sein
sollten, ist es sehr wichtig – deswegen bin ich sehr froh
In den 90er-Jahren haben Sie die Lohnnebenkosten über diese Debatte –, in aller Klarheit, die seit Sonntag
von unter 35 Prozent auf über 42 Prozent erhöht. Das hergestellt ist – Sie alle spüren den Stimmungsum-
waren diejenigen, die heute über die Notwendigkeit der schwung, der seither eingetreten ist –, zu fragen, was Sie
Senkung der Lohnnebenkosten reden! Sie haben sie von heute anbieten und was vor allen Dingen von denjeni-
unter 35 auf fast 43 Prozent hochgetrieben. gen, die die Regierung führen wollen, angeboten wird.
In diesem Zusammenhang möchte ich kurz auf einige
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Punkte eingehen.
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Es ist niemandem beizubringen, dass eine Mehrwert-
Sie haben die sozialen Sicherungssysteme mit versi-
steuererhöhung in einer Größenordnung von zwei Pro-
cherungsfremden Leistungen förmlich überfrachtet.
zentpunkten zum jetzigen Zeitpunkt ökonomisch ver-
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des nünftig wäre. In dieser konjunkturellen Situation ist dies
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) niemandem auf der Welt beizubringen.
Damit haben wir noch heute zu tun, während Sie Steuer- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
erhöhungen fordern, um das wieder ins Lot zu bringen. des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Genau das haben Sie während Ihrer Regierungszeit ge-
tan. Die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland wissen,
dass eine Mehrwertsteuererhöhung sozial problematisch
Bei den Zukunftsinvestitionen in Forschung und Ent- ist. Daher hilft auch eine Senkung der Beiträge zur Ar-
wicklung war Deutschland deutlich zurückgefallen. beitslosenversicherung nicht, jedenfalls nicht in der ge-
1998 – das ist der Merkposten, an dem Sie sich orientie- genwärtigen Situation, in der Rentnerinnen und Rentner,
(B) ren müssen und an dem sich Europa orientiert – sind Studentinnen und Studenten und diejenigen, die keine (D)
diese Ausgaben auf 2,24 Prozent des Bruttosozialpro- Arbeit haben, belastet werden. Dass ihnen von dieser
dukts zurückgefallen. Das waren Ihnen Forschung und Belastung nichts genommen wird, ist in der derzeitigen
Entwicklung wert. Wir liegen heute bei 2,6 Prozent. Wir Lage der Ökonomie sozial nicht zu verantworten.
werden 3 Prozent erreichen. Wir wissen nämlich, was
notwendig ist, um die Zukunft in Deutschland zu gewin- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
nen. Das sind Investitionen in Bildung, Wissenschaft des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
und Forschung.
Jeder Ökonom, den Sie fragen – im Handel, im Hand-
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des werk oder wo auch immer Sie sich umhören; es tut mir
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) nur Leid, dass der Handwerkspräsident dann, wenn es
auf Wahlen zugeht, diese Einsicht etwas zu verdrängen
Zum Steuersystem: Weder in der Einkommensbe- scheint – und der zu Objektivität fähig ist, wird Ihnen
steuerung noch in der Unternehmensbesteuerung waren antworten, dass die vorgesehene Mehrwertsteuererhö-
wir, als Sie die Regierungsverantwortung abgeben muss- hung um zwei Prozentpunkte vom Handel und vom
ten, international wettbewerbsfähig. Um das klar zu sa- Handwerk nicht weitergegeben werden könnte. Diese
gen: Die damaligen Einkommensteuersätze zwischen Steuererhöhung träfe genau die beiden Sektoren, die zu
25,9 Prozent und 53 Prozent waren absolut leistungs- den gegenwärtig schwächsten der deutschen Volkswirt-
feindlich. Das waren diejenigen, die uns heute über die schaft gehören, nämlich Handel und Handwerk. Deshalb
Gerechtigkeit im Steuersystem belehren wollen! Sie ha- ist sie nicht geeignet, zur Schaffung von Arbeitsplätzen
ben uns ein Steuersystem mit Steuersätzen zwischen beizutragen. Sie wird Arbeitsplätze vernichten und den
25,9 und 53 Prozent übergeben. Handel und das Handwerk in Bedrängnis bringen. Des-
(Vorsitz: Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne halb ist sie falsch.
Kastner) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
Wir haben das Steuersystem für die Leistungsfähigen des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
wieder leistungsfähig gemacht und es für die Schwachen Herr Kollege Stoiber, ich wäre Ihnen dankbar, wenn
geöffnet. ich Sie in diesem Zusammenhang ansprechen dürfte. Ich
(Beifall bei der SPD) gehe davon aus, dass Sie zuhören.
Ich komme zu einem anderen Punkt, weil der eben- (Ludwig Stiegler [SPD]: Nein, er hat doch
falls zu Ihren Spezialthemen gehört. Als Sie die Regie- Stöpsel im Ohr!)
17544 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 186. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. September 2005

Bundesminister Wolfgang Clement


(A) Deshalb – Frau Merkel ist ja gerade nicht anwesend – (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (C)
will ich, was Begriffe wie „neue Ehrlichkeit“ und DIE GRÜNEN)
„Wahrhaftigkeit“ angeht, eines anmerken: Ich war vor
zwei Tagen in einer Sendung, in der noch einmal Sie, der Weil ich gerade dabei bin, richtig zu stellen, möchte
Herr Kollege Koch und vor allen Dingen auch Frau ich dem Kollegen Meister antworten, der Hans Eichel
Merkel gezeigt wurden, als Sie erklärt haben – Sie 2002 unterstellt hat, er wolle die Nahrungsmittel des tägli-
und Frau Merkel vor der nordrhein-westfälischen Land- chen Bedarfs aus dem niedrigen Mehrwertsteuersatz he-
tagswahl vor wenigen Monaten –, eine Mehrwertsteuer- rausnehmen. Das ist das genaue Gegenteil dessen, was
erhöhung komme nicht in Betracht. Ich halte mir vor der Kollege Eichel im gleichen Interview mit dem „Ta-
Augen, Herr Stoiber, mit welcher Beredsamkeit Sie 2002 gesspiegel“ gesagt hat:
begründet haben, dass eine Mehrwertsteuererhöhung Dazu gehört, ab 2006 die soziale und kulturelle
falsch wäre. Wenn Sie heute mit der gleichen Beredsam- Komponente des ermäßigten Mehrwertsteuersatzes
keit das genaue Gegenteil vertreten, wieder in den Vordergrund zu stellen …
(Zuruf von der CDU/CSU: Sie haben es nicht
Das hat Hans Eichel gesagt und nicht das Gegenteil. Bei
begriffen! Das ist das Problem!)
aller Hitzigkeit des Streites muss es zumindest möglich
dann hat sich entweder die Ökonomie völlig verändert sein, mit der Wahrheit so umzugehen, dass man andere
oder aber Sie müssen sich fragen, ob Begriffe wie neue dabei nicht verletzt.
Ehrlichkeit, Wahrhaftigkeit und anderes gegenüber an-
deren angebracht sind. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN)
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Herr Kollege Stoiber, Sie haben gesagt, man müsse
Ludwig Stiegler [SPD]: Neue Ehrlichkeit heißt die Lohnnebenkosten weiter senken. Wir haben die
Lüge!) Lohnnebenkosten bereits von knapp 43 Prozent auf
40,9 Prozent gesenkt. Ich will Ihnen sagen, wie man sie
Ich sage das noch deutlicher an die Adresse von Frau noch weiter senken kann: durch Reformen. Ich sage ins-
Merkel gewandt: Das geht nicht an. Als diese Diskus- besondere an die Adresse der FDP, Herr Kollege
sion vor wenigen Monaten im nordrhein-westfälischen Westerwelle, aber auch an die Adresse der CDU/CSU:
Landtagswahlkampf anstand, war keine Mehrwertsteue- Wenn Sie bereit gewesen wären, im Gesundheitssystem
rerhöhung vorgesehen und heute liegt eine anders lau- wirklichen Wettbewerb zuzulassen, beispielsweise bei
tende Erklärung von Ihnen vor, die Sie als ehrlich be- den Apotheken, den Ärzten, den Kassenärztlichen Verei-
zeichnen. Das sollen Ihnen die Bürgerinnen und Bürger nigungen und den Krankenkassen, dann wären die Lohn- (D)
(B)
abnehmen? Sie sollen Ihnen abnehmen, dass damit das nebenkosten, Herr Kollege Stoiber, schon heute deutlich
Ende der Fahnenstange erreicht ist? niedriger. Dann wären wir bereits jetzt nicht nur bei den
Weil unter dem Stichwort „neue Ehrlichkeit“ so man- Unternehmen unter der 40-Prozent-Marke, sondern auch
ches verbreitet wird, würde ich – auch jetzt wieder an bei den Bürgerinnen und Bürgern. Wir sollten nicht dis-
Frau Merkel gerichtet – gerne für meinen Kollegen kutieren, wer für oder gegen eine Senkung der Lohnne-
Eichel feststellen: Es ist falsch, wenn sie den Eindruck benkosten ist, sondern darüber, wer das Können und die
zu erwecken versucht, dass Herr Kollege Eichel etwa da- Fähigkeit hat, die Situation zu verbessern. Dabei ist das,
für einträte, die Pendlerpauschale oder Sonn-, Feier- was meine Partei – insbesondere im Gegensatz zu dem
tags- und Nachtzuschläge abzubauen. In der gegenwär- Bild, das vom SPD-Wahlmanifest entworfen wird – vor-
tigen Phase, in der auch noch die Energiepreise förmlich gelegt hat, realistisch und machbar. Es sollte so schnell
explodieren, die Mehrwertsteuer erhöhen und dann auch wie möglich umgesetzt werden, damit wir in Deutsch-
noch die Pendlerpauschale streichen zu wollen, ist an land weiterkommen.
Widersinn und unsozialem Verhalten nicht zu übertref- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
fen. DIE GRÜNEN)
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich setze darauf, dass sich die Politik verändert. Sie
sagen, die Ministerpräsidenten seien bereit. Ich gehe
Herr Kollege Eichel hat auf die Frage nach den Sonn- ebenfalls davon aus – ich weiß ja, was diese Aufgabe be-
und Feiertagszuschlägen sowie der Pendlerpauschale ge- deutet –, dass die Ministerpräsidenten im Interesse ihres
sagt – ich zitiere aus der heutigen Ausgabe des „Tages- Landes handeln. Aber Sie werden nicht noch einmal da-
spiegel“ –: für sorgen können – das hat es noch nie in der Ge-
schichte der Bundesrepublik Deutschland gegeben –,
Allerdings da, wo es den unteren Einkommens-
dass die Mehrheit im Bundesrat sagt: Auf die Eigen-
schichten wehtut, wie zum Beispiel bei den Sonn-,
heimzulage verzichten wir nicht, weil wir später eine
Feiertags- und Nachtzuschlägen und der Pendler-
große Steuerreform machen wollen. Wenn Sie eine
pauschale. Damit soll dann die Steuerentlastung für
große Steuerreform machen wollen, dann ist die Eigen-
Reiche finanziert werden. Das ist nicht meine Poli-
heimzulage, die Sie noch vor wenigen Monaten mit
tik und geht im Übrigen völlig an dem vorbei, was
Händen und Füßen verteidigt haben, auf einmal nichts
finanzpolitisch nötig wäre.
mehr wert. Das ist wirklich keine ehrliche Politik. Ich
Er hat auch hier Recht. gehe davon aus, dass Sie das nicht fortsetzen können.
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 186. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. September 2005 17545
Bundesminister Wolfgang Clement
(A) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Tax geht eine drastische Begünstigung der Besserverdie- (C)
DIE GRÜNEN) nenden einher.
Zu Ihrer geplanten Steuerreform: Wenn Frau Merkel (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
wirklich das meint, was sie hier sagt, und eine Unterneh- DIE GRÜNEN)
mensteuerreform machen will, die eine steuerliche
Gleichbehandlung von Kapital- und Personengesell- Ich lese bei Ihnen immer, dass Sie es für einen großen
schaften zum Ziel hat, genauso wie es die Sachverständi- Reformerfolg halten, wenn Personen mit einem Jahres-
gen in ihrem von uns in Auftrag gegebenen Gutachten einkommen bis 38 000 Euro keine Steuern mehr zahlen.
empfehlen, dann gibt sie das letzte Argument für eine Schon jetzt ist es so, dass eine Familie mit zwei Kindern
Senkung des Spitzensteuersatzes aus der Hand. Der und einem Jahreseinkommen bis knapp 38 000 Euro, das
Grund für eine Senkung des Spitzensteuersatzes auf Kindergeld eingerechnet, keine Steuern zahlt. Es geht
42 Prozent war nie – jedenfalls nicht für mich – eine um diejenigen, deren Jahreseinkommen darüber liegt:
Besserstellung derjenigen, die besonders gut dotierte Ihnen sollen sowohl die Pendlerpauschale als auch die
Posten in Deutschland bekleiden. Der einzige Grund für Steuerfreiheit von Sonn- und Feiertagszuschlägen und
die Notwendigkeit einer Senkung des Spitzensteuersat- Weiterem gestrichen werden. Sie sollen im Verhältnis zu
zes auf 42 Prozent war vielmehr die Entlastung des Mit- denjenigen, die in Deutschland gut verdienen, krass un-
telstandes. Wir haben ihn gleichzeitig durch etwas be- gerecht behandelt werden. Das wird nicht durchführbar
günstigt, wovon er nur geträumt hat und was er von sein. In jeder Diskussion, an der ich teilnehme, versuche
Ihnen nie bekommen hat, nämlich die Anrechnung der ich, das in aller Klarheit aufzuzeigen. Das Positive an
Gewerbesteuer auf die Einkommensteuer. der jetzt erreichten Situation ist, dass die Unterschiede
beider Positionen eindeutig sind.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
Die FDP beruft sich gern auf Ludwig Erhard. Auch
DIE GRÜNEN)
ich tue das gern. Allerdings gehe ich etwas weiter zurück
Ihr Bild – das werden Sie sicherlich noch zumindest und berufe mich auf Walter Eucken, also auf den wissen-
bis zum Ende meiner Tage entwerfen –, dass der Mittel- schaftlichen Lehrer von Ludwig Erhard. Walter Eucken
stand in Deutschland steuerrechtlich benachteiligt sei, ist hat gesagt – fast präzise zitiert –:
falsch. Wenn Sie die reale Besteuerung der Kapitalge-
(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Was heißt
sellschaften mit der der Personengesellschaften sauber
denn „fast präzise“? Wie wäre es mit einem
vergleichen, dann werden Sie sehr rasch zu dem Ergeb-
präzisen Zitat?)
nis kommen, dass dies nicht richtig ist. Wenn es zu einer
Zusammenlegung der beiden Steuersysteme kommt, Die Progression im Steuerrecht hat einen sozialen Sinn:
(B) dann werden wir sogar für die Mittelständler, die nun Sie soll die Verteilungswirkungen im Rahmen des Wett- (D)
deutlich weniger zahlen – das ist die große Mehrheit –, bewerbs korrigieren. – Deshalb sind Ihre Vorschläge
eine Regelung machen, damit kein negativer Effekt ein- – auch derjenige, der etwas sanfter ist – schlecht. Sie
tritt und sie nicht zusätzlich belastet werden. sind geeignet, in Deutschland eine Umverteilung herbei-
zuführen, wie wir sie noch nicht gehabt haben. Daher
Was die Pläne von Herrn Kirchhof für eine Steuerre-
muss diese Entwicklung gestoppt werden. Das heißt, sie
form angeht, ist das Notwendige ausgeführt. Man kann
darf erst gar nicht in Gang kommen.
nicht sagen: Wir haben eine Vision; aber wir nehmen sie
nicht ernst. – Ich nehme das ernst: Sie haben eine Vision, (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
die darin besteht, eine Flat Tax zu erreichen. Was Sie DIE GRÜNEN)
vorhaben, hat drei Konsequenzen:
Ökonomisch falsch und ungerecht sind auch die
Erstens – das wurde mehrfach beschrieben; Herr Kol- betrieblichen Bündnisse. Was wollen Sie an Flexibilität
lege Stoiber, das haben alle Finanzministerien in der in den deutschen Betrieben eigentlich noch herstellen?
Bundesrepublik Deutschland festgestellt –: im ersten Es gibt kein Land, das mit uns vergleichbar ist: In keiner
Jahr minus 42 Milliarden Euro in der Kasse, im zweiten Industrienation ist die Flexibilität der Arbeitnehmerin-
Jahr minus gut 30 Milliarden Euro in der Kasse, im vier- nen und Arbeitnehmer höher als zurzeit bei uns.
ten Jahr minus gut 20 Milliarden Euro in der Kasse und
im fünften Jahr minus 11 Milliarden Euro in der Kasse. (Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Sie müssen auf irgendeine Weise die Frage beantworten, Noch nicht einmal mehr 50 Prozent der deutschen Ar-
wie Sie diese Einnahmeausfälle ausgleichen wollen. beitnehmerinnen und Arbeitnehmer arbeiten mit festen
Zweitens. Es ist einfach unwahr, dass die Steuerge- Arbeitszeiten. 50 Prozent von ihnen arbeiten mit Rege-
rechtigkeit in Deutschland durch eine so genannte Flat lungen wie Arbeitszeitkonten und Ähnlichem. Das ist
Tax gefördert wird. die Realität bei uns.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD) Ich möchte noch einmal einen unseren Vorväter zitie-
ren – wir alle berufen uns gern auf ihn, und zwar zu
Niemand in Deutschland, der einigermaßen Vernunft be- Recht –, nämlich Karl Schiller. Er war nach meinem Ver-
sitzt, kann bestreiten – darüber kann keine Gerechtig- ständnis nun wirklich ein sozial-liberaler Wirtschaftspo-
keitsdiskussion hinwegtäuschen –, dass diejenigen, die litiker. Karl Schiller ist der Begründer der Konzertierten
höhere Einkommen haben, heute im Durchschnitt mehr Aktion. Er wusste, worauf es ankommt, nämlich darauf,
als 25 Prozent Einkommensteuer zahlen. Mit der Flat dass diejenigen, die in Deutschland Verantwortung für
17546 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 186. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. September 2005

Bundesminister Wolfgang Clement


(A) die Wirtschaftspolitik tragen, zusammenwirken, also ge- Wir alle wissen doch, dass die ökonomische Situa- (C)
meinsam handeln, und darauf, dass die Arbeitnehmerin- tion, mit der wir im Moment zu tun haben, auch darauf
nen und Arbeitnehmer und die Gewerkschaften von den zurückzuführen ist, dass viel zu viele Menschen bei uns
Entscheidungen über die wirtschaftspolitische Entwick- Unsicherheit empfinden. In einer solchen Situation wol-
lung nicht ausgegrenzt werden. len Sie durch das Ausgrenzen der Gewerkschaften zu-
sätzliche Unsicherheit und Streit in die Betriebe tragen
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ und durch eine Probezeit von zwei Jahren und durch eine
DIE GRÜNEN) Verschlechterung des Kündigungsschutzes dafür sorgen,
Ausgrenzen, das ist das, was Sie tun. In den Kernpunk- dass in einer überschaubaren Zeit – nach spätestens vier
ten Ihrer Politik ist nichts von dem zu erkennen, was bis fünf Jahren – bei 27 Millionen Vollzeitbeschäftigten
Ludwig Erhard und Karl Schiller begründet haben. Ich niemand mehr in Deutschland über einen geregelten
glaube, dass wir gut beraten sind, uns an ihnen zu orien- Kündigungsschutz verfügen wird. Dies wäre das Ergeb-
tieren. nis, wenn sich das durchsetzen sollte, was hier von der
Union vorgelegt wird.
Das gilt auch für den Kündigungsschutz. Es gibt kei-
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
nen Grund, den Kündigungsschutz weiter zu lockern.
DIE GRÜNEN)
Gestern Abend habe ich mit einer sehr jungen Unterneh-
mensgründerin, mit einer Modeschöpferin, die inzwi- Ein weiterer Punkt, den ich ansprechen möchte, ist
schen international einen hervorragenden Ruf hat, ge- das Chaos in den sozialen Sicherungssystemen, das Sie
sprochen. Ich habe ihr gesagt: Da Sie Ihr Unternehmen mit Ihren Vorschlägen der Öffentlichkeit präsentieren.
gerade gegründet haben, ist eine Änderung des Kündi-
gungsschutzes nicht in Ihrem Interesse; Sie können eine (Maria Eichhorn [CDU/CSU]: Das Sie herbei-
geführt haben!)
Arbeitnehmerin oder einen Arbeitnehmer bis zu vier
Jahre befristet beschäftigen. Sie wollen allen Ernstes die Mehrwertsteuer um 2 Pro-
zentpunkte erhöhen, um die Beiträge zur Arbeitslosen-
Alle großen Unternehmen kann ich nur auf das Bei- versicherung zu senken. Dazu haben die Ministerpräsi-
spiel von Sixt und BMW verweisen. Weil wir bei den äl- denten der CDU/CSU mehr oder weniger deutlich gesagt,
teren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern eine der dass sie von der Mehrwertsteuererhöhung einen mehr
schlechtesten Erwerbsquoten in Europa haben, haben oder weniger hohen Anteil haben wollen. Sie werden also
wir unbegrenzt befristete Beschäftigungsverhältnisse auf keinen Fall 15 Milliarden Euro auf Bundesebene ein-
für die über 50-Jährigen zugelassen. Sixt hat daraus zu nehmen, die Sie aber brauchen, um die Arbeitslosenver-
Recht den Schluss gezogen, nur noch über 50-Jährige sicherungsbeiträge um 2 Prozentpunkte zu senken.
(B) einzustellen. Wer die Flexibilität haben will, soll über (D)
50-Jährige beschäftigen; wir sind darauf angewiesen. (Zuruf des Abg. Dirk Niebel [FDP])
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ – Sie nicht, sondern die Union; Sie sind ja auch gar nicht
DIE GRÜNEN) so wichtig, Herr Kollege Niebel.

Die Erklärung, dass eine Lockerung des Kündigungs- Im selben Atemzug sagt Frau Merkel in einem Inter-
schutzes zu mehr Arbeitsplätzen führe, lässt sich auch view des „Stern“, sie wolle gleichzeitig 6 bis 8 Milliar-
durch wissenschaftliche Vergleiche nicht beweisen. Im den Euro aus der Arbeitslosenversicherung nehmen, um
Übrigen brauchen wir eine solche Lockerung des Kündi- die im Gesundheitssystem schätzungsweise fehlenden
gungsschutzes nicht, weil wir über alle Instrumente ver- 20 Milliarden Euro zu ersetzen. Was Sie hier vorlegen,
fügen, die geeignet sind, Flexibilität in den Unternehmen ist ein unbeschreibliches Tohuwabohu.
herzustellen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN)
Was ich aber an Ihrem Vorschlag für noch gravieren-
der halte, will ich Ihnen ebenfalls sagen: Die Union sieht Ich habe versucht, dem Kollegen Müller diese Wider-
eine zweijährige Probezeit für alle neu begründeten Ar- sprüchlichkeiten, die Sie in den sozialen Sicherungssys-
beitsverhältnisse vor. Damit tragen Sie genauso wie mit temen anrichten wollen, zu erklären. Ich sage insbeson-
der gesetzlichen Regelung der betrieblichen Bündnisse dere den Menschen in Ostdeutschland und den anderen
Konflikte und Unsicherheiten in die Unternehmen. strukturell besonders belasteten Gebieten in Deutschland
in aller Deutlichkeit: Wer 6 bis 8 Milliarden Euro aus der
(Beifall bei der SPD) Arbeitslosenversicherung oder aus der sozialen Grund-
Welcher Arbeitnehmer, welche Arbeitnehmerin wechselt sicherung herausnehmen will, der beendet jede aktive
dann noch den Arbeitsplatz? Darauf sind wir ja angewie- Arbeitsmarktpolitik. Dann gibt es nichts mehr an Bil-
sen. Im Schnitt wechseln in Deutschland Jahr für Jahr dung, an Weiterbildung, an Ich-AGs und an sonstigen
5 Millionen Menschen ihren Arbeitsplatz. Wer riskiert Eingliederungsmaßnahmen, dann ist damit Schluss. Dies
dies noch, wenn er sich darauf einstellen muss, dass er muss jeder wissen, der sich damit auseinander setzt.
demnächst befristet bzw. mit einer Probezeit beschäftigt (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
werden kann? Das ist der falsche Weg. DIE GRÜNEN)
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Was die von Ihnen propagierte Kopfpauschale an-
DIE GRÜNEN) geht – Herr Kollege Fischer hat es völlig richtig darge-
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 186. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. September 2005 17547
Bundesminister Wolfgang Clement
(A) stellt –, kann man nur den Kopf schütteln. Sie verfolgen (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (C)
mich ja buchstäblich, indem Sie sagen, Clement habe DIE GRÜNEN)
beim Bürokratieabbau nichts bewirkt. Ich ertrage das al-
les; in meinem Alter ist das nicht mehr so dramatisch. Das müssen wir mit einzelnen Schritten unterstützen,
beispielsweise indem wir gegen die Saisonarbeitslosig-
(Zuruf von der CDU/CSU) keit vorgehen. Ich bin sehr froh darüber, dass es gelun-
gen ist, mit dem Baugewerbe und der Gewerkschaft
– Was Ihre und meine Zukunft angeht, so treffen wir uns BAU eine Verständigung zu finden, die uns die Möglich-
ja noch einmal. Dann werde ich die Rede zu Ihrem Ab- keit gibt, ab dem nächsten Jahr die Saisonarbeitslosig-
schied halten. keit am Bau zu beenden. Wir müssen aus dem Ritual he-
Wir brauchen nur in die Schweiz zu schauen. Jeder rauskommen, dass wir die im Winter jeweils hohe
dritte Schweizer Bürger, jede dritte Schweizer Bürgerin Arbeitslosigkeit hinnehmen. Wir können dazu Wege ge-
muss inzwischen mit dem Bescheid seines bzw. ihres hen, die wir gehen müssen.
Unternehmens zur Sozialbehörde gehen und nachwei- Meine Damen und Herren, Frau Präsidentin, meine
sen, dass er bzw. sie mit seinem bzw. ihrem Einkommen Redezeit ist abgelaufen.
nicht oberhalb der Grenze angesiedelt ist – die Sie bei
7 Prozent vorsehen –, ab der der Staat mit irgendeiner (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Ihre Zeit ist
steuerlichen Vergünstigung helfen soll. Unsere Experten abgelaufen!)
können Ihnen vorrechnen, dass dann, wenn sich Ihr Mo-
dell durchsetzte, in Zukunft jeder dritte deutsche Bürger – Beruhigen Sie sich! Sie werden mit mir noch genug zu
mit seinem Einkommensnachweis zur Sozialbehörde ge- tun haben. Machen Sie sich da keine falschen Hoffnun-
hen müsste, um errechnen zu lassen, ob er Ansprüche hat gen!
oder nicht. Wenn man aus den 7 Prozent herauswächst, (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Für Sie gibt
weil man vielleicht einen besseren Arbeitsvertrag hat, es noch nicht einmal eine Ich-AG!)
oder in die 7 Prozent hineinwächst, dann läuft man jedes
Mal zur Behörde. Das ist der Bürokratieabbau, den Sie – Die Redezeit ist abgelaufen; deshalb sind mir weitere
wollen. Zu dem, was Sie dort vorhaben, sage ich Ihnen Ausführungen nicht möglich.
ehrlich: Daran will ich wirklich nicht beteiligt sein. Das
Wir werden in Deutschland in die Bereiche investie-
ist ein bürokratisches Monstrum.
ren müssen, die die Zukunft betreffen, um die Probleme,
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ die in der Vergangenheit nicht ausreichend gelöst wor-
DIE GRÜNEN – Zuruf von der CDU/CSU: den sind, abzuarbeiten. Damit haben wir begonnen; wir
(B) Sie begreifen es nicht!) haben in Schulen sowie in Wissenschaft und Forschung (D)
investiert, und zwar mehr als jede andere Regierung zu-
Deshalb lassen Sie mich noch ganz schnell Folgendes vor, teilweise sogar ohne dazu aufgrund der Zuständig-
zu den Arbeitsmarktreformen sagen, die mir auf der keiten in Deutschland verpflichtet zu sein.
Seele brennen: Wir werden das gesamte Problem nicht
mit Pauschalsprüchen, mit ein bisschen Absenkung von (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
Lohnnebenkosten lösen. Vielmehr geht es darum, der des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Jugendarbeitslosigkeit zu Leibe zu rücken und uns um
Das, was wir getan haben, ist der Beginn des Weges,
jeden einzelnen jungen Menschen unter 25 Jahren zu
den wir fortsetzen müssen. Dabei helfen keine Steuerer-
kümmern. Es geht darum, Ausbildungsplätze in ausrei-
höhungen, sondern dabei hilft eine konsequente Reform-
chender Zahl zur Verfügung zu stellen und unseren Aus-
politik, die wir begonnen haben. Diese Politik wollen
bildungspakt möglichst zu einem Fachkräftepakt zu ent-
wir fortsetzen; dazu bitten wir um Vertrauen.
wickeln.
Ich bin ganz sicher: Wenn die Bürgerinnen und Bür-
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
ger Bundeskanzler Gerhard Schröder das Vertrauen
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
schenken, dann werden die Ministerpräsidenten der Län-
Es geht darum, sich um die älteren Arbeitnehmerin- der im Bundesrat nicht mehr an ihrer Blockadehaltung
nen und Arbeitnehmer zu kümmern. Morgen werden wir festhalten, sondern diese Blockadepolitik hinter sich las-
50 Beschäftigungspakte auszeichnen und mit jeweils bis sen, die die Bundesrepublik Deutschland ein Stück auf-
zu 5 Millionen Euro ausstatten, Beschäftigungspakte, gehalten hat. Wir müssen wieder an Fahrt gewinnen. Die
mit denen sich die Regionen entschieden haben, mit be- Wählerinnen und Wähler können jetzt das Zeichen ge-
sonderer Tatkraft gegen die Langzeitarbeitslosigkeit der ben, dass dies möglich ist.
Älteren vorzugehen.
Ich danke Ihnen sehr.
Es geht darum, die neue Selbstständigkeit zu fördern,
(Anhaltender Beifall bei der SPD und dem
nicht darum, die Ich-AGs abzuschaffen. Zum ersten Mal
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Reinhard
haben wir einen Weg gefunden, um Arbeitslosen einen
Grindel [CDU/CSU]: Sie haben doch den
Weg aus der Arbeitslosigkeit zu weisen. Das ist für nicht
Rückwärtsgang immer noch drin!)
wenige von ihnen ein gangbarer Weg, wie die Erfahrung
zeigt. Das müssen wir mit Risikokapital, mit Mikrokapi-
tal und Kreditfabriken unterstützen. Diesen Prozess dür- Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
fen wir nicht beenden, so wie Sie es wollen. Ich schließe die Aussprache.
17548 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 186. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. September 2005

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner


(A) Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Tagesordnungspunkt 2 c: (C)
Fraktionen von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
auf Drucksache 15/5979 mit dem Titel „Deutschland auf
ausschusses (2. Ausschuss)
Wachstumskurs halten, die soziale Erneuerung unseres
Landes fortsetzen, standhaft für den Frieden – Für mehr Sammelübersicht 231 zu Petitionen
Arbeit, Sicherheit und Menschlichkeit“.
– Drucksache 15/5983 –
(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Wo ist
Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
Frau Merkel? Wo ist Herr Stoiber?) tungen? – Auch Sammelübersicht 231 ist mit den Stim-
Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – men des ganzen Hauses angenommen.
Enthaltungen? – Der Antrag ist mit den Stimmen von Zusatzpunkt 1 a:
SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bei Gegenstim-
men der CDU/CSU, der FDP und der beiden PDS-Abge- Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ordneten angenommen. ausschusses (2. Ausschuss)

Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der Sammelübersicht 232 zu Petitionen
CDU/CSU und der FDP auf Drucksache 15/5978 mit – Drucksache 15/5984 –
dem Titel „Sieben Jahre Rot-Grün – Deutschland
braucht den Neuanfang“. Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Antrag ist tungen? – Sammelübersicht 232 ist mit den Stimmen des
mit den Stimmen von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ganzen Hauses angenommen.
NEN bei Gegenstimmen von CDU/CSU und FDP sowie Zusatzpunkt 1 b:
der beiden PDS-Abgeordneten abgelehnt.
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
Abstimmung über den Antrag der Fraktion der CDU/ ausschusses (2. Ausschuss)
CSU auf Drucksache 15/5956 mit dem Titel „Ehrliche
Sammelübersicht 233 zu Petitionen
Abschlussbilanz als Grundlage einer neuen Politik für
Wachstum, Arbeit und Sicherheit“. Wer stimmt für die- – Drucksache 15/5985 –
sen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? –
Der Antrag ist mit den Stimmen der SPD, des BÜND- Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
NISSES 90/DIE GRÜNEN und der beiden PDS-Abge- tungen? – Sammelübersicht 233 ist mit den Stimmen
(B) ordneten bei Gegenstimmen der CDU/CSU und der FDP von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bei Gegen- (D)
stimmen von CDU/CSU und FDP angenommen.
abgelehnt.
Zusatzpunkt 1 c:
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 2 a bis 2 c sowie
die Zusatzpunkte 1 a bis 1 d auf. Es handelt sich um Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses, zu ausschusses (2. Ausschuss)
denen keine Aussprache vorgesehen ist.
Sammelübersicht 234 zu Petitionen
Tagesordnungspunkt 2 a: – Drucksache 15/5986 –
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions- Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
ausschusses (2. Ausschuss) tungen? – Sammelübersicht 234 ist mit den Stimmen des
ganzen Hauses angenommen.
Sammelübersicht 229 zu Petitionen
Zusatzpunkt 1 d:
– Drucksache 15/5981 –
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal- ausschusses (2. Ausschuss)
tungen? – Sammelübersicht 229 ist mit den Stimmen des
Sammelübersicht 235 zu Petitionen
ganzen Hauses angenommen.
– Drucksache 15/5987 –
Tagesordnungspunkt 2 b:
Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions- tungen? – Sammelübersicht 235 ist mit Stimmen von
ausschusses (2. Ausschuss) SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und CDU/CSU bei
Gegenstimmen der FDP angenommen.
Sammelübersicht 230 zu Petitionen
Ich rufe den Zusatzpunkt 2 auf:
– Drucksache 15/5982 –
Beratung der Beschlussempfehlung des Aus-
Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal- schusses nach Art. 77 des Grundgesetzes (Ver-
tungen? – Sammelübersicht 230 ist ebenfalls mit den mittlungsausschuss) zu dem Gesetz zur Ände-
Stimmen des ganzen Hauses angenommen. rung des Abfallverbringungsgesetzes sowie
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 186. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. September 2005 17549
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
(A) zur Auflösung und Abwicklung der Anstalt Mein Bedarf an Untersuchungsausschüssen war ei- (C)
Solidarfonds Abfallrückführung gentlich gedeckt; ich hatte zuvor vier. Dennoch habe ich
es als Mitglied des Auswärtigen Ausschusses als Ver-
– Drucksachen 15/5243, 15/5523, 15/5726, pflichtung angesehen, an diesem Ausschuss teilzuneh-
15/5916, 15/5976 – men. Mit vier Ausschüssen hat man etwas Erfahrung
Berichterstattung: gesammelt: In der 12. Wahlperiode gab es den so ge-
Abgeordneter Michael Müller (Düsseldorf) nannten Schalck-Ausschuss, dann – auch in der
12. Wahlperiode – den Treuhand-Ausschuss. Nach Be-
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? – endigung solcher Untersuchungsausschüsse werden oft
Das ist nicht der Fall. die Ergebnisse von Gerichtsverfahren, die durch diese
Wir kommen dann zur Abstimmung. Der Vermitt- Untersuchungsausschüsse ins Rollen kommen, dem
lungsausschuss hat gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 seiner Ge- Bundestag, der eigentlich der Auftraggeber ist, gar nicht
schäftsordnung beschlossen, dass im Deutschen Bundes- mehr mitgeteilt.
tag über die Änderungen gemeinsam abzustimmen ist. Ich will zwei Beispiele nennen, damit sie auch Ihnen
Wer stimmt für die Beschlussempfehlung des Vermitt- zur Kenntnis kommen und hier im Protokoll stehen.
lungsausschusses auf Drucksache 15/5976? – Gegen-
probe! – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist In der 13. Wahlperiode hat sich der Untersuchungs-
mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen. ausschuss DDR-Vermögen bemüht, beiseite geschaff-
tes Vermögen der Stasi, der Außenhandelsbetriebe, der
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 3 a und 3 b auf:
SED oder auch veruntreutes Vermögen bei Treuhandfir-
a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- men festzustellen.
richts des 2. Untersuchungsausschusses nach
Art. 44 des Grundgesetzes (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Das ist eine
Abschiedsrede! Sie sollen zum Untersu-
– Drucksache 15/5975 – chungsausschuss sprechen!)
Berichterstattung: Interessant ist dabei, dass dieser Ausschuss im Jahr 1997
Abgeordnete Michael Hartmann (Wackernheim) Ordnungsgelder gegen Dr. Gysi, gegen André Brie und
Michaela Noll Bisky verhängt hat. Im Jahr 2004 sind diese Ordnungs-
Jerzy Montag gelder als rechtmäßig bestätigt worden. Die Zeugen ha-
Hellmut Königshaus ben die Frage, ob sie etwas über das Auslandsvermögen
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Hellmut der SED wissen, verneint. Diese Verweigerung der Aus-
(B)
Königshaus, Dr. Max Stadler, Dr. Werner Hoyer, sage hat zu den Ordnungsgeldern geführt. Es wäre (D)
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP schön, wenn die Herren der PDS heute ihre Kenntnisse
über das Auslandsvermögen der SED mitteilten.
Verbesserung der Praxis der Visavergabe und
Schaffung gemeinsamer Visastellen der Schen- In der letzten Wahlperiode gab es im Parteispenden-
genstaaten Untersuchungsausschuss wieder ein Ordnungsgeldver-
fahren. Sie erinnern sich an den Ausschuss, in dem es
– Drucksache 15/5977 – um die schwarzen Kassen der CDU ging. Der ehemalige
Überweisungsvorschlag: Herr Bundeskanzler verweigert ja bis heute eine Aus-
Auswärtiger Ausschuss (f) sage zu der Frage, woher die Millionen kamen, die seine
Innenausschuss Macht festigten.
Rechtsausschuss

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die (Hellmut Königshaus [FDP]: Ist das im Visa-
Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich höre keinen Ausschuss besprochen worden? – Eckart von
Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Klaeden [CDU/CSU]: Jetzt mal zur Sache!)

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Es wurde auch ein Ordnungsgeld verhängt gegen den
Volker Neumann, SPD-Fraktion. hessischen Ministerpräsidenten Koch wegen Verweige-
rung des Eides auf die Richtigkeit und die Vollständig-
keit seiner Aussage. In dieser Wahlperiode hat das Ver-
Volker Neumann (Bramsche) (SPD): waltungsgericht festgestellt, dass das Ordnungsgeld
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! rechtmäßig verhängt worden ist. Herr Koch hat bezahlt;
Dieser Untersuchungsausschuss hat so begonnen, wie den Eid hat er nicht geleistet.
viele Untersuchungsausschüsse beginnen: mit einer
Reihe von parlamentarischen Anfragen bis hin zu einer Aus diesem Untersuchungsausschuss gab es zwei
Großen Anfrage, die alle beantwortet sind. Daneben ha- weitere Neuerungen, die auch in diesem Untersuchungs-
ben sich der Auswärtige Ausschuss und der Innenaus- ausschuss eine Rolle gespielt haben. Wir haben im
schuss mit den Fragen der Visaerteilung befasst. Auch Parteispenden-Untersuchungsausschuss für mehr
dort schien alles geklärt zu sein. Es gab einen neuen Er- Transparenz gesorgt, indem die Protokolle nach Ab-
lass. Dennoch haben Sie einen Untersuchungsausschuss schluss des Untersuchungsausschusses für jeden zugäng-
verlangt, der dann eingesetzt worden ist, um die Visa- lich gemacht worden sind. Das haben wir bei zwei wei-
praxis insbesondere in Kiew zu untersuchen. teren Ausschüssen ebenso gemacht. Ich bin sehr dankbar
17550 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 186. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. September 2005

Volker Neumann (Bramsche)


(A) dafür; denn dies führt dazu, dass nicht mehr aus der Er- (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des (C)
innerung zitiert wird, sondern dass das Protokoll gilt. Abg. Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN])
Die zweite Neuerung, die ich lange angeregt habe, hat
dieser Ausschuss eingeführt, nämlich die Live-Übertra- Denn in der Zeit, in der der nach ihm benannte Erlass im
gung von Zeugenvernehmungen unter bestimmten Vo- Auswärtigen Amt gefertigt worden ist, war er wegen
raussetzungen. Im Parteispenden-Untersuchungsaus- Krankheit mehrere Monate gar nicht im Dienst. Er hat
schuss war das zwar rechtlich möglich, aber die Zeugen ihn nur später vorgestellt. Bundesaußenminister Fischer
wollten nicht – bis auf einen: Franz Müntefering. Aber hat – jeder hat es sehen können – die politische Verant-
da wollte die CDU nicht mehr. Also kam es nicht zur wortung für die missverständlichen Erlasse, die Fehlin-
Live-Übertragung. terpretationen und die späte Behebung der Mängel in
Kiew übernommen.
Diese Diskussion hat aber zu einem Gesetz geführt,
Ich hatte zunächst große Bedenken, dass die Vermi-
das die Möglichkeit geschaffen hat, Live-Übertragungen
schung von Politik und „sex and crime“ letztlich de-
vorzunehmen. So haben die Zeugen Dr. Volmer, Bundes-
nen Argumente liefern würde, die mit einer latenten
minister Fischer, Herr Pleuger und Bundesminister
Fremdenfeindlichkeit bestimmte Stammtische erobern
Schily die Möglichkeit gehabt, ihre Aussagen den Bür-
wollen. Die anfängliche pauschalierende Verunglimp-
gern öffentlich mitzuteilen. Die Medien haben positiv
fung von Ukrainern, Kosovaren und Albanern ist dann
darüber berichtet. Auch bei den Bürgern ist das nach
Gott sei Dank gestoppt worden. Vielleicht ist das auch
meinem Eindruck positiv aufgenommen worden.
unser Verdienst.
Die Live-Übertragung hat zu mehr Transparenz ge- (Beifall des Abg. Markus Meckel [SPD])
führt. Die Öffentlichkeit kann sich nun selbst ein Bild
von den Aussagen machen, und zwar im wahrsten Sinne Der mögliche Schaden einer solchermaßen geschürten
des Wortes, und ist nicht auf die parteilichen Stellung- Fremdenfeindlichkeit für unsere exportorientierte Wirt-
nahmen der Obleute nach den Sitzungen angewiesen. Im schaft und unser Land liegt auf der Hand: Wir verspielen
Übrigen kann sie die Aussagen mit den Presseberichten unseren Ruf von Weltoffenheit und Toleranz, den wir
in den Medien vergleichen und wird feststellen, dass das mühsam erworben haben.
nicht immer übereinstimmt. Sie hatten gesagt, das sei vielleicht meine letzte Rede.
Das kann sein; möglicherweise werde ich nicht mehr ge-
Eine Anmerkung dazu: Diese Erfahrung haben wir wählt. Deshalb möchte ich mich ganz persönlich bei de-
auch am Sonntag gemacht; denn die Umfrage erbrachte nen bedanken, mit denen ich in den letzten 20 Jahren
bei den Bürgern ganz andere Ergebnisse als bei den an- über Parteigrenzen hinweg zusammengearbeitet habe: (D)
(B)
wesenden Medienvertretern. Man musste also feststel- im Auswärtigen Ausschuss, im Menschenrechtsaus-
len, dass die Authentizität des Bildes besser ist, als wenn schuss, im Parlamentarischen Kontrollgremium der
man mittelbar etwas erfährt. Vielleicht war es für man- Nachrichtendienste, in der Deutsch-Chinesischen Parla-
che Berichterstatter ganz heilsam, sich diese Differenz mentariergruppe und im Tibet-Gesprächskreis.
anzusehen.
(Siegfried Kauder [Villingen-Schwenningen]
Für mich und meine Kollegen haben diese Live-Über- [CDU/CSU]: Schon wieder eine Abschieds-
tragungen übrigens auch zur Nachdenklichkeit geführt; rede!)
denn in diesen Live-Übertragungen wurden auch wir be-
achtet, die Art, wie wir gefragt haben. Manchmal wur- Ich war ganz gern Abgeordneter und die Arbeit hat mich
den Statements abgegeben und manchmal wurden Be- befriedigt.
weiserhebung und Beweiswürdigung durcheinander Das gilt übrigens auch für den „Untersuchungsaus-
gebracht. schuss der langen Nächte“. Als ich meiner Frau nach
Vernehmungen, die teilweise bis 2 oder 3 Uhr nachts
Untersuchungsausschüsse haben immer eine be- dauerten, erzählte, dass wir am 12. Mai von 13.37 Uhr
stimmte Zielrichtung. In der Vergangenheit war es bis 6 Uhr morgens getagt hatten, meinte sie: Manchmal
meist Konsens, einen bestimmten Fall aufzuklären. spinnt ihr. – Ich finde, da hatte sie Recht.
Manchmal war es auch einfach nur eine so genannte
Skandal-Enquete, indem man einen Auftrag gab – wie in (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
diesem Fall –, in dem die Vorurteile schon im Antrag DIE GRÜNEN sowie des Abg. Harald
standen, und diejenigen, die den Antrag gestellt haben – Leibrecht [FDP])
in diesem Fall die Opposition –, sich selbst den Auftrag
erteilt haben, möglichst viele Vorurteile zu bestätigen. Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Die Skandalisierung der Vorgänge an der Botschaft in Das Wort hat der Kollege Eckart von Klaeden, CDU/
Kiew diente nicht dazu, die Mängel dort zu beseitigen CSU-Fraktion.
– denn nach übereinstimmender Meinung waren diese
Mängel schon beseitigt, als der Ausschuss eingesetzt (Beifall bei der CDU/CSU)
worden ist –, sondern es ging darum, das Ansehen des
Bundesaußenministers zu schädigen. Man hatte sich zu- Eckart von Klaeden (CDU/CSU):
nächst auf Dr. Volmer eingeschossen, dem man meiner Meine Damen und Herren! Wir sprechen heute über
Ansicht nach Unrecht getan hat. den Sachstandsbericht des Untersuchungsausschusses
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 186. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. September 2005 17551
Eckart von Klaeden
(A) „Visa“. Rot-Grün wird damit Lügen gestraft; denn es die Machenschaften dieser Kriminellen so sehr erleich- (C)
war durchaus möglich, diesen Sachstandsbericht vorzu- tert haben. Die Zitate sind allgemein bekannt; ich will
legen. Er hat über 800 Seiten. Er ist umfassend und gibt sie hier nicht wiederholen. Es wäre schön, wenn Sie die
die Ergebnisse der Arbeit wieder. Sie haben versucht, Gelegenheit nutzen würden, Ihre immer wieder subkutan
auf verfassungswidrige Weise die Beweisaufnahme ab- unterstellte Verschwörung der deutschen Landgerichte
zubrechen, mit der Begründung, dieser Sachstandsbe- gegen Rot-Grün zurückzunehmen.
richt müsse gefertigt werden. Dass Sie mit Ihrem Anlie-
gen falsch gelegen haben, hat sich nicht nur daran (Beifall bei der CDU/CSU)
gezeigt, dass der Abbruch der Beweisaufnahme vom Es gibt auch andere, die diese Erlasse als rechtswidrig
Verfassungsgericht wegen der offensichtlichen Verfas- bezeichnet und ihre Rücknahme begrüßt haben, zum
sungswidrigkeit, also aus rechtlichen Gründen, aufgeho- Beispiel der ehemalige Innenminister Nordrhein-Westfa-
ben worden ist, sondern auch daran, dass nun ein um- lens Dr. Fritz Behrens, der im Landtag gesagt hat – ich
fangreicher Sachstandsbericht vorliegt. Ich darf mich zitiere –:
schon hier im Namen meiner Fraktion ganz herzlich für
die Arbeit des Sekretariats bedanken. Ich finde es richtig – daran will ich keinen Zweifel
lassen –, dass der so genannte Volmer-Erlass im
(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Oktober letzten Jahres endgültig aufgehoben wor-
Hellmut Königshaus [FDP]) den ist. Nach den Warnungen der Sicherheitsbehör-
den war das nur konsequent, und es war höchste
Was sind die Ergebnisse des Untersuchungsaus- Zeit.
schusses? Die der Visaerteilung zugrunde liegenden Er-
lasse und insbesondere der Erlass vom 3. März 2000, der Der Volmer- oder Fischer-Erlass – je nachdem, wie
so genannte Fischer-Erlass, waren rechtswidrig. Sie wi- Sie ihn nennen wollen – ist auch mit dem europäischen
dersprachen dem Schengen-Abkommen und dem deut- Recht nicht vereinbar. Bemerkenswert ist aber, wie
schen Ausländerrecht. Diese Erlasse haben die Krimina- lange Rot-Grün geleugnet hat, dass diese Erlasse mit
lität gefördert und sogar eine neue Form verursacht, dem europäischen Recht nicht vereinbar sind.
nämlich die so genannte legendierte Schleusung. Diese
legendierte Schleusung hat zu einem Anstieg der (Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
Schwarzarbeit, einer Gefährdung der inneren Sicherheit NEN]: Wir meinen das immer noch!)
und zu Zwangsprostitution geführt. Rot-Grün hat ver- Selbst als die Europäische Kommission dies festgestellt
sucht, die Beweisaufnahme so weit wie möglich zu hat, ist es öffentlich weiter geleugnet worden.
verhindern. Herr Neumann hat ja eben selber davon ge-
Ich will dazu auf ein Interview verweisen, das Bun-
(B) sprochen, wie die Beweisaufnahme durch Mehrheitsbe- desaußenminister Fischer am 15. Mai im Deutschland- (D)
schlüsse in die Nacht gedrängt worden ist. Auf diese
Weise hat man versucht, den Medien die Möglichkeit zu funk gegeben hat. Dort ist er nach der Feststellung durch
nehmen, über den Untersuchungsausschuss zu berichten. die EU-Kommission, dass der so genannte Fischer-Er-
Schließlich hat es den Versuch gegeben, die Beweisauf- lass vom 3. März mit dem EU-Recht nicht vereinbar ist
nahme auf verfassungswidrige Weise abzubrechen, weil – es hat fünf Tage vorher eine öffentliche Anhörung des
ein Parteivorsitzender im Fernsehen angekündigt hatte, Innenausschusses des Europäischen Parlamentes gege-
dass die SPD Neuwahlen anstrebe. ben, in der Justizkommissar Frattini dies festgestellt
hatte –, gefragt worden. Daraufhin hat Herr Fischer ge-
Um das nachzuweisen, werde ich mich jetzt zur Fest- antwortet:
stellung der einzelnen Punkte allein auf Zitate konzen-
trieren, die entweder von unabhängigen Gerichten, von … Sie müssen schon präzise sein. Wenn ich richtig
der Bundesregierung oder von Personen vonseiten der informiert bin, bezog er sich auf die beiden Bezugs-
SPD und der Grünen stammen. erlasse, die im Volmer-Erlass drin waren, die ich
selbst kritisiert habe vor dem Ausschuss. Insofern
Zunächst zur Frage der Rechtswidrigkeit der frage ich da: Wo ist die Neuigkeit?
Erlasse. Es gibt eine ganze Reihe von Landgerichten,
die gegen Schleuser aufgrund der Erlasslage des Aus- Ich will Ihnen sagen, wo die Neuigkeit ist: Die Neuig-
wärtigen Amtes Strafmilderung haben aussprechen müs- keit ist, dass Herr Fischer hier präzise gelogen hat.
sen. Es ist nicht allein das von Ihnen so gescholtene (Zuruf von der SPD: Na, na, na!)
Landgericht Köln, sondern es sind das Landgericht
Münster, das Landgericht Offenburg, das Landgericht Denn Herrn Fischer ist zu diesem Zeitpunkt bereits be-
Dresden, das Landgericht Chemnitz, das Landgericht kannt gewesen, dass in der Sitzung des Innenausschus-
Berlin, das Landgericht Köln, das Oberlandesgericht ses des Europäischen Parlamentes festgestellt worden
Köln, das Landgericht Memmingen und das Landgericht ist, dass dieser Erlass mit dem Europäischen Recht nicht
Baden-Baden, um nur einige zu nennen, vereinbar ist. Das, was die Europäische Union festge-
stellt hat, liest sich wirklich wie eine schallende Ohr-
(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- feige für das Auswärtige Amt. Ich zitiere den EU-Kom-
NEN]: Dagegen Landgericht Hof!) missar Frattini aus dem offiziellen Bericht der EU-
Kommission:
die in mehreren Verfahren immer wieder für die Köpfe
von Schleuserbanden Strafmilderung haben ausspre- Die von den Dienststellen der Kommission durch-
chen müssen, weil die Erlasse des Auswärtigen Amtes geführte Prüfung führt zu der Schlussfolgerung,
17552 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 186. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. September 2005

Eckart von Klaeden


(A) dass der ‚Grundsatzrunderlass‘ vom 3. März 2000 Frau Schwarzer, die ja nun nicht im Verdacht steht, der (C)
sowie diverse ‚thematische‘ Teilrunderlasse …, die Union nahe zu stehen – Zitat –:
an die Auslandsvertretungen insbesondere im Zeit-
raum 1999-2002 gerichtet waren, im Gegensatz zur (Widerspruch bei der SPD)
GKI stehen. Davon müssen wir ausgehen. Nicht zuletzt dank der
Weiter heißt es dort: leichtfertigen Visapraxis von Rot-Grün ist der Frau-
enhandel zum risikoärmsten Geschäft der Organi-
Die auf Grundlage dieser Erlasse durchzuführenden sierten Kriminalität geworden. Die Menschenhänd-
Kontrollen entsprechen nicht den hohen Anforde- ler mussten ihre Opfer nicht mehr illegal nach
rungen, die die GKI den Auslandsvertretungen mit Deutschland schmuggeln, sondern sie konnten die
dem Ziel, insbesondere die illegale Immigration ef- Ware Frau legal verschachern.
fizient zu bekämpfen, auferlegen. Daraus resul-
tierte, dass die Auslandsvertretungen in Anwen- (Zurufe von der CDU/CSU: Unglaublich! –
dung der ihnen gegebenen Anweisungen der Unerhört!)
Verpflichtung der GKI, Dokumente zu verlangen, Meine Damen und Herren, es hat auch andere Punkte
die den Zweck der Reise, die Transportmittel sowie gegeben, die von Rot-Grün immer wieder bestritten wor-
die Rückkehr, die Mittel zur Bestreitung des Le- den sind, zum Beispiel die Zunahme der illegalen
bensunterhaltes und die Beherbergungsbedingun- Beschäftigung. Dazu schreibt der ehemalige Justiz-
gen belegen, in unterschiedlichem Ausmaß nicht minister von Niedersachsen, SPD, Herr Professor
nachgekommen sind. Pfeiffer:
Es ist hinterher von der Beeinträchtigung des Prinzips Es ist unbestritten, dass der Visa-Erlass des Außen-
die Rede, gemeinsam durch das Einhalten der GKI und ministeriums insbesondere in den Jahren 2001 und
des Schengen-Abkommens dafür zu sorgen, dass illegale 2002 zu einem starken Zustrom von Menschen aus
Immigration verhindert wird, und davon, dass durch den der Ukraine geführt hat. Angesichts des großen
Volmer-Erlass und durch die anderen Erlasse von Rot- Einkommensgefälles, das zwischen beiden Ländern
Grün gegen dieses Prinzip verstoßen worden ist. besteht, erscheint es sehr unwahrscheinlich, dass
Kommen wir zum zweiten Punkt, der neuen Krimina- die große Mehrheit der eingereisten Ukrainer
litätsform. Unter anderem im Wostok-Bericht ist davon Deutschland als Touristen besucht hat.
die Rede, dass es eine neue Form der Kriminalität, die Das BKA und auch andere offizielle Stellen haben
legendierte Schleusung, gegeben hat. Aus den Feststel- festgestellt, dass insgesamt 40 000 Ukrainer in Portugal
lungen des BKA ist eindeutig zu ersehen, dass diese als Schwarzarbeiter tätig waren. Wir wissen, dass von (D)
(B)
neue Form der Kriminalität verursacht worden ist durch diesen 40 000, die dort offiziell überprüft worden sind,
den durch die Erlasse reduzierten Maßstab. Im Wostok- 30 000 mit Visa der Deutschen Botschaft in Kiew einge-
Bericht heißt es, dass diese neue Form der Kriminalität, reist sind. Diese Gruppe, die mittlerweile die größte na-
die legendierte Schleusung, dazu führt, dass Menschen tionale Minderheit in Portugal darstellt, wird von den
unter anderem in den Schengen-Raum geschleust wor- Portugiesen als „die Deutschen“ bezeichnet – aber nicht
den sind, um sie hier unerlaubten und unterbezahlten Ar- deswegen, weil sie deutsch sprechen, sondern deswegen,
beitsverhältnissen oder zwangsweise der Prostitution zu- weil sie ihre Visa von der Deutschen Botschaft erhalten
zuführen. haben.
Als Rot-Grün immerhin so weit war, diesen Zusam- Innenminister Schily hat versucht, Portugal für den
menhang, der vom BKA und anderen immer wieder her- Visamissbrauch verantwortlich zu machen, und hat von
gestellt worden ist, nicht zu leugnen, hat Frau Höhn, die dem so genannten Pull-Faktor gesprochen, den die Poli-
frühere Ministerin für Umwelt und Naturschutz in Nord- tik der Regierung in Portugal ausgeübt habe. Besteht bei
rhein-Westfalen, versucht, diese Verhältnisse zu recht- Rot-Grün ein Widerspruch? Die Vorsitzende der Grünen,
fertigen, und hat wörtlich gesagt: Claudia Roth, setzt sich insbesondere für diesen Pull-
Frauen, insbesondere Prostituierte, befinden sich Faktor ein. Sie hat in der „Frankfurter Rundschau“ ge-
häufig in einer viel schlimmeren Situation, wenn sagt:
sie illegal hier sind, als wenn sie ein gültiges Visum Solche Legalisierungsregelungen sind positive inte-
besitzen. grationspolitische Signale, die Schwarzarbeit und
Ich will Alice Schwarzer auf dieses Zitat antworten ausbeuterische Arbeitsverhältnisse eindämmen.
lassen. Sie hat gesagt: Was Spanien praktiziert, ist Ausdruck einer Reali-
tätstüchtigkeit, die ich mir auch bei uns wünschen
In welcher Welt leben Politikerinnen, die so argu- würde.
mentieren? Die Menschenhändler nehmen den hilf-
losen, oft sprachlosen Frauen fast immer die Pässe Das ist entweder ein deutlicher Widerspruch zu dem,
ab, foltern sie, halten sie gefangen. Die meisten was Ihr Innenminister vor dem Ausschuss gesagt hat,
wissen gar nicht, ob sie mit einem Visum nach oder eine Realitätsblindheit, wie wir sie uns in unserem
Deutschland gekommen sind. Land nicht mehr leisten können.
Auf die Frage, ob die rot-grüne Visapolitik für Ost- Es gibt weitere Nachweise, mit denen wir uns im Un-
europa die Zwangsprostitution befördert habe, sagte tersuchungsausschuss beschäftigt haben und die bele-
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 186. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. September 2005 17553
Eckart von Klaeden
(A) gen, dass die innere Sicherheit durch diese neue Form Jelena Hoffmann (Chemnitz) (SPD): (C)
der Visapolitik und durch diese neue Form der Krimina- Herr von Klaeden, ich möchte auf Ihre Aussage ein-
lität gefährdet worden ist. Ich habe den Wostok-Bericht gehen, dass es einen unheimlich großen Zuwachs bei der
zitiert, in dem von dieser neuen Form der Kriminalität Prostitution und der illegalen Schleusung von Schwarz-
gesprochen wurde. Der Vizepräsident des BKA hat ge- arbeitern, insbesondere aus der Ukraine, gegeben hat.
sagt – Zitat –:
(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Jetzt will hier
Im BKA entstand eine Informationslage, wonach jeder noch eine Abschiedsrede halten!)
mithilfe erschlichener deutscher Visa geschleuste
Personen – in der Mehrzahl Ukrainer – Deutschland Sie können sich sicherlich vorstellen, dass ich als ein
und deutsche konsularische Vertretungen sozusagen Mensch, der aus der früheren Sowjetunion stammt, eine
als Tor zum Schengen-Land genutzt hatten, um in entsprechende Beziehung zu diesen Dingen habe. Ich
diese Länder weiterzureisen, wo sie dann auch kann nur eines sagen: Seinerzeit war das Wort „Reise-
nicht selten polizeilich auffällig wurden. freiheit“ in den Ländern der Sowjetunion ein fast verbo-
tenes Wort. Auch um in das sozialistische Ausland reisen
In mehreren Leitungsvorlagen an Bundesminister zu dürfen, brauchte man die Bürgschaft von einem Par-
Schily ist davon die Rede, dass in der letzten Zeit eine teisekretär. Können Sie sich vorstellen, mit welcher
Zunahme von Unregelmäßigkeiten in der Visumertei- Freude, vielleicht auch mit welcher Euphorie die Reise-
lungspraxis des AA zu verzeichnen ist, die Gefahren für freiheit gerade in den postkommunistischen Ländern
die innere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland entgegengenommen worden ist, wie die Leute sich ge-
bergen. Es ist die Rede davon, dass auch im Jahr 2004 freut haben, herauskommen zu dürfen, westliche Demo-
über deutsche Visastellen Terrorverdächtige in den kratien schnuppern zu können, zu gucken, wie es da aus-
Schengen-Raum eingereist sind. sieht? Sie waren eingesperrt.
Der ehemalige Staatsminister Volmer hat noch im Un- Ich sage nicht, dass es da nicht auch Übertretungen
tersuchungsausschuss versucht, das alles als eine Abkehr gegeben hätte, dass die Situation nicht ausgenutzt wor-
von der menschenunwürdigen Abschottungspolitik den wäre. Damit musste man sich auseinander setzen.
der schwarz-gelben Koalition bis 1998 zu verteidigen.
Herr Fischer hat dann versucht, eine andere Form der (Siegfried Kauder [Villingen-Schwenningen]
Verteidigung zu finden. [CDU/CSU]: Gab es jetzt Menschenhändler
oder nicht?)
(Zuruf von der CDU/CSU: Wo ist der Fischer
eigentlich?) Aber zu unterstellen, dass vor allem aus der Ukraine
(B) – Sie wissen, dass ich die letzten drei Jahre mit der (D)
Er hat schlichtweg geleugnet, dass es eine Änderung der Ukraine sehr eng verbunden war – so viele Schwarz-
Politik gegeben habe, und hat vor dem Untersuchungs- arbeiter gekommen sind, dass sie sogar die deutsche
ausschuss gesagt: Wirtschaft unterwandert haben, dass es in Hamburg auf
Ich finde das richtig; ich finde die ganze Zuwande- der Reeperbahn Zustände gegeben hat, die zu was weiß
rungspolitik Kohl/Genscher/Kinkel, die damals ge- ich wozu geführt haben, ist, glaube ich, dem Land ge-
macht wurde, richtig. genüber nicht ehrlich; damit wird man dem Land nicht
gerecht.
Ich frage mich, warum er die Erlasse geändert hat und
warum man, wie Gerichte, das BKA und andere festge- Sie haben viele Zitate gebracht. Aber Sie haben ein
stellt haben, die Kontrollmechanismen so sehr reduziert Zitat verheimlicht – Sie haben immer nur Zitate ge-
hat, dass sie zu dieser neuen Form der Kriminalität, der bracht, die in eine Richtung gingen –, nämlich dass es
legendierten Schleusung, geführt haben. ohne diese Reisefreiheit nicht zu der orangenen Revo-
lution gekommen wäre. Ich verheimliche nicht, dass
Rot-Grün ist vor sieben Jahren mit dem Anspruch an- nicht der eine oder andere in der westlichen Welt arbei-
getreten, eine Epoche zu begründen. Herausgekommen ten wollte; denn die Situation ist gerade in der Ukraine
ist eine Episode. Wir haben Herrn Fischer am 25. April nicht rosig und die Leute haben zum Teil gehungert. Das
vor dem Untersuchungsausschuss erlebt. 3 Zentner Ge- ist in einer solchen Umbruchphase eben so.
schichte konnten wir nicht betrachten. Aber für zweiein-
halb Zentner Selbstgefälligkeit hat es wohl gereicht. Aber ich glaube, dass das, was Sie dem Land mit die-
sem Untersuchungsausschuss angetan haben, nicht so
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) schnell aus der Welt zu räumen ist. Ich war Anfang März
anlässlich des Parteitages von Juschtschenko in der
Ukraine. Viele Leute haben mich angesprochen und ha-
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
ben gesagt: Frau Hoffmann, wir sind doch keine Verbre-
Das Wort zu einer Kurzintervention gebe ich der Kol- cher. Wir sind doch nicht die Nation der Verbrecher.
legin Jelena Hoffmann.
(Siegfried Kauder [Villingen-Schwenningen]
(Zuruf von der CDU/CSU: Wo ist denn der [CDU/CSU]: Dann hätten Sie das auch klar-
Herr Fischer? – Gegenruf der Staatsministerin stellen müssen!)
Kerstin Müller: Das wäre zu viel der Ehre für
Sie!) – Ja.
17554 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 186. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. September 2005

(A) Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (C)
Frau Kollegin, ich muss Sie an Ihre Redezeit erin- Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!
nern. Die drei Minuten sind um. 32 Sitzungen, 150 Stunden, einige Sitzungen bis in die
Nacht und den frühen Morgen. Wir haben 58 Zeugen
und Sachverständige vernommen, davon die meisten auf
Jelena Hoffmann (Chemnitz) (SPD): Antrag der Opposition. Allein die Protokolle dieser Ver-
Ich möchte abschließend nur sagen: Herr von nehmungen umfassen über 2 100 Seiten. Wir haben von
Klaeden, man muss bestimmte Vorgänge klären. Aber verschiedenen Dienststellen und Gerichten über
auf diese Art und Weise vor allem dem Land zu schaden, 1 600 Leitz-Ordner beigezogen und durchgearbeitet. In
das war, glaube ich, übertrieben. so kurzer Zeit hat kein Untersuchungsausschuss des
Deutschen Bundestages ein derartiges Arbeitspensum
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ bewältigt. Das wäre ohne die ganz hervorragende Vor-
DIE GRÜNEN) und Zuarbeit des Sekretariats nicht möglich gewesen
und dafür will ich mich ganz besonders bedanken.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
(Beifall im ganzen Hause)
Herr Kollege Klaeden, Sie haben das Wort.
Ich will mich auch für die fast immer sachliche und
kollegiale Arbeit der Mitglieder des Untersuchungsaus-
Eckart von Klaeden (CDU/CSU): schusses bedanken. Die Einigkeit der Berichterstatter
Frau Hoffmann, Sie haben jetzt genau das getan, was gipfelte darin, dass wir gemeinsam eine Sachverhalts-
es zu vermeiden gilt und worum wir uns die ganze Zeit darstellung erarbeitet haben. Es bleibt eine etwas komi-
bemüht haben. Sie haben nämlich Reisefreiheit und sche Fußnote dieses Untersuchungsausschusses, dass die
Missbrauch der Reisefreiheit gleichgesetzt. Berichterstatterin Noll von der CDU/CSU und der Be-
richterstatter Königshaus von der FDP dem Bericht, dem
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Gert sie als Berichterstatter zugestimmt haben, im Untersu-
Weisskirchen [Wiesloch] [SPD]: Herr von chungsausschuss dann die Stimme verweigert haben.
Klaeden, Sie haben das doch gemacht!)
Wir hätten uns einen objektiveren, sachlicheren und
Sie haben Schleuserkriminalität mit den Ländern identi- weniger polemischen Vorsitzenden gewünscht.
fiziert, die sich um Demokratie bemühen. Das genau ist
der Fehler, der nicht gemacht werden darf. Der Untersu- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
chungsausschuss – deswegen habe ich ja nur deutsche und bei der SPD – Dr. Cornelie Sonntag-
(B) Behörden oder Politiker aus dem rot-grünen Lager Wolgast [SPD]: Allerdings!) (D)
zitiert – hat sich ausschließlich mit dem Versagen deut- Die Erfahrung für den nächsten Untersuchungsausschuss
scher Behörden beschäftigt. Wenn Herr Fischer im kann nur lauten: Selbst ernannte Chefankläger und Vor-
Nachhinein behauptet, dass die Visapolitik der schwarz- sitzende Richter in einer Person – das kann nicht gut ge-
gelben Koalition unter Helmut Kohl und Bundesaußen- hen.
minister Klaus Kinkel richtig gewesen ist, dann frage ich
doch: Warum haben Sie möglicherweise daran mitge- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
wirkt, dass diese Visapolitik geändert worden ist? sowie bei Abgeordneten der SPD)
Wir sind weiterhin dafür, dass es Reisefreiheit gibt, Wir haben es zum allerersten Mal mit Live-Fernseh-
Reisefreiheit für Menschen, die zu uns kommen sollen übertragungen von Zeugenvernehmungen zu tun ge-
und zu uns kommen wollen, nämlich Touristen, Wissen- habt. Bei Übertragungen ins Wohnzimmer ist die Gefahr
schaftler, Studenten usw. Aber wir möchten nicht, dass groß, dass Wirkung vor Inhalt geht. Die Vernehmungen
die Reisefreiheit von Kriminellen und Schleuserorgani- der Minister und Botschafter haben diese Befürchtungen
sationen missbraucht wird. nicht bestätigt. Aber trotzdem raten wir zur Zurückhal-
tung bei künftigen Untersuchungsausschüssen.
(Widerspruch bei der SPD und dem BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN) (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Wer hat es
denn verlangt?)
Dadurch, dass Sie beides in einen Topf werfen, dass Sie
die Gefahr bei der Bekämpfung der Schleuserkriminali- Von Anfang an war klar: Die CDU/CSU hat 2004
tät darin sehen, dass der Ruf der Ukraine oder anderer lange Zeit nach einem Thema gesucht, das ihr vermeint-
Länder Schaden erleiden könne, fördern Sie genau das, lich Munition für den Wahlkampf 2006 hätte liefern
was Sie vorgeben, verhindern zu wollen. Das ist un- sollen.
glaubwürdig und es ist auch scheinheilig. (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Die haben wir
ja auch gefunden!)
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Das Kriterium dafür bei Ihnen war klar: größtmögliches
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Skandalisierungspotenzial.
Das Wort hat der Kollege Jerzy Montag, Bündnis 90/ (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Das war ja
Die Grünen. auch da!)
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 186. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. September 2005 17555
Jerzy Montag
(A) Lange Zeit war der Kollege Dr. Uhl, der es sich zur weil uns ja auch Menschen am Fernseher zuschauen, so (C)
Lebensaufgabe gemacht hat, uns Grüne und unsere der fair zuzugeben, dass wir uns bei diesen Einschätzungen
Humanität und Weltoffenheit verpflichtete Ausländer- auf die Bewertung von Botschafter Stüdemann stützen
politik aufs Korn zu nehmen, können?
(Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Aus guten (Beifall bei der CDU/CSU)
Gründen!)
mit seinem Visaskandalgerede eine Nervensäge in seiner Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
eigenen Fraktion. Ich zitiere mit Ihrer Erlaubnis, Herr Herr Kollege Grindel, ich muss mit großem Bedauern
Kollege Dr. Uhl: „Ich wurde als lästig empfunden.“ So sagen, dass genau das, was Sie behaupten und von dem
haben Sie das selber im „Münchner Merkur“ am Sie verlangen, dass ich es Ihnen bestätige, in unserer Ar-
31. März offenbart. Dann aber haben Ihre Strategen zwi- beit im Untersuchungsausschuss überhaupt nicht hervor-
schen Visa und Maut zu wählen gehabt und sie haben gebracht worden ist.
sich entschieden, dass der Angriff auf grüne Ausländer- (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Das steht
politik, generell auf Ausländer, die nach Deutschland doch in den Akten!)
wollen, und insbesondere auf den Bundesaußenminister
lohnender ist als einer auf den Verkehrsminister. Deshalb Genau das ist nicht hervorgebracht worden.
– nicht um der Aufklärung willen – haben Sie die Einset-
(Dr. Hans-Peter Uhl [CDU/CSU]: Doch!
zung des Untersuchungsausschusses zur Visapolitik be-
Genau das steht in den Akten!)
trieben.
Wir wissen, dass es vielfachen Visamissbrauch gege-
(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Das hat ja
ben hat. Aber ob die Mehrheit der 295 000 Visaanträge,
auch geklappt!)
die im Jahre 2001 in der Botschaft Kiew gestellt wurden
Es gibt jährlich 2 Millionen Besucher mit Besucher-
(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Es geht um
visa. Denen hat Herr Dr. Uhl am 3. März 2004 von die-
die Aussage von Herrn Stüdemann!)
sem Platz aus Folgendes gesagt – Zitat –:
– Herr Kollege Grindel, jetzt bin ich dran –, mit
In Wahrheit kommt 1 Million
Schwarzarbeit oder mehr zu tun hatte und ob viele An-
– da haben Sie sich getäuscht – tragsteller Kriminelle waren, haben wir nicht herausge-
funden. Das war auch nicht herauszufinden. Ich wage
nach Deutschland. Die Mehrzahl von ihnen … sind die Prognose, dass die Mehrheit dieser Menschen ganz
bestenfalls Schwarzarbeiter und viele sind Krimi- brave Besucher waren. Natürlich gibt es unter Millionen (D)
(B) nelle. Besuchern immer auch solche, die unlautere Absichten
Meine Damen und Herren, was ist dieser Satz anderes haben. Das haben wir aber schon gewusst, bevor wir die-
als das Schüren von Ängsten gegenüber ausländischen sen Untersuchungsausschuss eingesetzt haben.
Gästen und Besuchern und als ein pauschales Abstem- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
peln von Fremden zu Gesetzesbrechern? Wer die niede- sowie bei Abgeordneten der SPD)
ren Instinkte bedienen will, der weiß: „Crime and Sex“
kommt immer gut. Deshalb hat es die Union nie unter- Meine Damen und Herren, aus diesem Gebräu von
lassen, uns auf wirklich infame Weise mit der Förderung Fremdenphobie und Ausländerabneigung resultiert der
von Zwangsprostitution in Verbindung zu bringen. Untersuchungsauftrag, in dessen Rahmen der Bundes-
regierung rechtswidriges Handeln und Rechtsbruch vor-
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: geworfen wurden.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des (Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Die EU-
Kollegen Grindel? Kommission!)
Da die Arbeit des Untersuchungsausschusses nun abge-
Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): schlossen ist, sage ich Ihnen: Nichts davon hat sich im
Ja. Verlauf der Untersuchung des Ausschusses als Wahrheit
herausgestellt.
Reinhard Grindel (CDU/CSU):
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Herr Kollege Montag, wären Sie so fair, der Öffent- und bei der SPD – Dr. Hans-Peter Uhl [CDU/
lichkeit mitzuteilen, dass die Aussage, dass die Mehrheit CSU]: Die EU-Kommission! – Clemens
derjenigen, die in der Botschaft in Kiew einen Visuman- Binninger [CDU/CSU]: Das ist grüne Selbst-
trag gestellt haben, offensichtlich nicht die Absichten, hypnose!)
die sie im Antragsverfahren angegeben hat, verfolgt hat,
sondern dass die Mehrheit tatsächlich eine Arbeitsauf- Von Anfang an stand der Runderlass vom 3. März
nahme angestrebt hat und darunter auch viele so ge- 2000 im Mittelpunkt Ihrer Kritik. Diese Kritik lautete,
nannte schwarze Schafe waren? Das war kein Zitat des der Erlass sei rechtswidrig. Sein Inhalt seien, so Kollege
Kollegen Uhl, sondern, wie sich aus den Akten ergibt, Gehb am 2. Dezember hier im Bundestag, „grüne Multi-
die Einschätzung unseres Botschafters Stüdemann, der kultiträume … gegen Recht und Gesetz“ gewesen. Wa-
noch immer Botschafter in Kiew ist. Wären Sie bitte, rum solch wütende Attacken dagegen? Weil dieser
17556 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 186. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. September 2005

Jerzy Montag
(A) Erlass die Ausübung des Ermessens regelte und ihm zu- (Siegfried Kauder [Villingen-Schwenningen] (C)
folge nach Abfragen beim Zentralregister und den [CDU/CSU]: Und wer es erleichtert?)
Schengener Informationssystemen und nach Prüfung al-
Er steht damit aber auch im Widerspruch zur Charta
ler Versagungsgründe – wenn dann nicht alle Zweifel
von Paris für eine neues Europa aus dem Jahre 1990, in
restlos beseitigt waren – gesagt wurde: im Zweifel für
der Ihr ehemaliger Bundeskanzler Kohl für die Bundes-
die Reisefreiheit.
republik erklärt hat:
Meine Damen und Herren, wir haben uns die Unterla- Wir betonen … daß Freizügigkeit und freie Kon-
gen des Auswärtigen Amtes genau angeschaut. Auch vor takte zwischen unseren Bürgern … ausschlagge-
dem 3. März 2000 hat das Auswärtige Amt einmal ge- bend sind für den Fortbestand und die Entwicklung
schrieben – Zitat –: „Das Ermessen ist positiv zugunsten freier Gesellschaften und lebendiger Kulturen. Wir
der Antragsteller auszuüben.“ Das war der Leitfaden der begrüßen die Zunahme von Tourismus und Besu-
Visapraxis aus dem Jahre 1993, von Schwarz-Gelb ver- chen zwischen unseren Ländern.
fasst. Wir haben pikanterweise auch ein Schreiben des
Auswärtigen Amtes an die Botschaft in Kiew gefunden, Das, meine Damen und Herren, war 1990. Im gleichen
in dem es heißt – Zitat –: „Bei der Prüfung von Besuchs- Jahr, 1990, stellte die Deutsche Botschaft in Warschau
visa soll der Grundsatz gelten: im Zweifel für den An- 1,5 Millionen Besuchsvisa aus. Vergleich Ukraine 2001:
tragsteller.“ Meine Damen und Herren von der Opposi- 295 000. Die Ablehnungsquote in Warschau lag bei
tion, das war ein Schreiben des Auswärtigen Amtes vom 0,8 Prozent, niedriger als je in der Ukraine. Das Auswär-
2. Mai 1994, also unter Ihrer Regierung. Wir sind froh, tige Amt wechselte damals, 1990, mit dem Bundesin-
dass wir den Untersuchungsauftrag auf den Zeitraum vor nenministerium Briefe, die dem Schreiben des Bundes-
1998 ausgedehnt haben, weil wir nur auf diese Art und innenministers Schily an den Bundesaußenminister
Weise die Unstimmigkeiten Ihrer Vorwürfe überhaupt Fischer aus dem Jahr 2000 zum Verwechseln ähnlich
haben zur Sprache bringen können. waren. Auch damals warnten die Sicherheitsbehörden
vor Schwarzarbeit, vor unberechtigten Asylanträgen und
Der Volmer-Erlass war nach unserer Auffassung vor Kriminalität. Was passierte? Am 16. Oktober 1990
rechtlich einwandfrei. Dies sage ich in Kenntnis der beschloss Schwarz-Gelb, die Visumpflicht für Polen ab-
Auseinandersetzung. Um die Frage, ob das stimmt oder zuschaffen, und im Frühjahr 1991 war es dann so weit.
nicht, wurde in der Vergangenheit gefochten und wird Heute ist Polen Mitglied der Europäischen Union und
auch in Zukunft gefochten werden. Der Erlass versuchte, die Probleme, die wir damals hatten, sind lange vorbei.
was politisch richtig gewesen ist: die Kontinuität der
Auffassungen des Auswärtigen Amtes, dass in Zweifels- Meine Damen und Herren, Visapolitik ist nicht nur
Sicherheitspolitik,
(B) fällen reisefreundlich zu verfahren ist, zu verbinden mit (D)
einer Durchsetzung dieser Auffassung gegen ein Sicher- (Siegfried Kauder [Villingen-Schwenningen]
heitsdenken, das bei jedem Zweifel immer gegen den [CDU/CSU]: Aber auch!)
Besuch in Deutschland entscheiden will. Wozu eine sol-
che Entscheidung im Einzelfall führt, haben wir anläss- Visapolitik ist auch Außenpolitik¸ Wirtschaftspolitik, sie
lich des katholischen Weltjugendtags in Köln erlebt. berührt den Kultur-, Wissenschafts- und Jugendaus-
Selbst Ihr CDU-Landesjugendminister hat in einer schö- tausch, ja sie dient einfach auch der Reisefreiheit, und
nen Anleihe an den Volmer-Erlass gefordert, es müsse sie sollte unsere Werte der Demokratie, der Offenheit,
„im Zweifel für die Pilger“ entschieden werden. der Achtung der Menschenrechte ins Ausland transpor-
tieren helfen. Was werfen wir Ihnen, meine Damen und
(Dr. Hans-Peter Uhl [CDU/CSU]: Die wollen Herren von der Opposition, nach Abschluss der Arbeit
nicht schwarzarbeiten!) des Visa-Untersuchungsausschusses deshalb vor? Nicht
dass Sie auf die Visaerschleichungen im großen Maßstab
Meine Damen und Herren, es kann doch nicht sein, an der Botschaft in Kiew hingewiesen haben. Was wir
dass junge Menschen, nur weil sie nicht in das Raster der Ihnen vorwerfen, ist, was Sie den Menschen aus dem
FDP von reichen Geschäftsleuten oder in das Raster der Osten Europas pauschal unterstellen:
CDU/CSU von gesetzten, im Fünfsternehotel residieren-
den Pauschaltouristen passen, sondern mit Rucksack und (Siegfried Kauder [Villingen-Schwenningen]
wenig Geld in der Tasche nach Deutschland reisen wol- [CDU/CSU]: Das stimmt doch gar nicht! Das
len, von verängstigten Visabeamten abgewiesen werden. ist Unsinn!)
In Deutschland war in dem vom Untersuchungsaus- dass Sie sie pauschal verleumden und kriminalisieren
schuss untersuchten Zeitraum weder ein mit dem Visa- und dass Sie damit auch unserem Land schweren Scha-
aufkommen korrespondierender Zuwachs an Schwarz- den zugefügt haben.
arbeit noch an Opfern der Zwangsprostitution und
Kriminalität zu verzeichnen, auch nicht mit Blick auf die Meine Damen und Herren, mit dieser Debatte gehen
Herkunftsländer. wir endgültig in die Schlussetappe des Wahlkampfs. Die
Wählerinnen und Wähler müssen jetzt entscheiden, ob
Natürlich bedeuten 2 Millionen Besuchsvisa pro Jahr sie ein weltoffenes, liberales, humanes Deutschland wol-
auch, dass es darunter Menschen gibt, die mit unlauteren len, das sich seinen Nachbarn öffnen kann und ihnen auf
Absichten kommen oder Opfer von Straftaten werden. dem Weg in die Demokratie hilft. Dazu sind Sie nicht
Wer dies ausschließen will, meine Damen und Herren, willens und nicht in der Lage. Das ist es, was der Unter-
der muss Visa abschaffen und die Grenzen zumachen. suchungsausschuss politisch zutage gefördert hat.
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 186. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. September 2005 17557
Jerzy Montag
(A) (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- Der Kollege Montag hat eben angesprochen, es sei (C)
SES 90/DIE GRÜNEN und der SPD) kurios, dass wir, nachdem wir uns bei der Sachverhalts-
darstellung auf einen Kompromiss verständigt hatten,
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: diesem im Ergebnis nicht zustimmen konnten. Das mag
Herr Kollege, Sie müssen zum Ende kommen. hier zwar keinen interessieren, aber Sie wollten auch
dort wieder tricksen, indem Sie nämlich in der Replik
auf genau diesen Punkt Bezug nehmen wollten. Aber Sie
Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): nehmen das ganze Thema offenbar gar nicht ernst. Wo
Ich bin beim letzten Satz. – Diese Klarheit kurz vor ist denn der Minister – Ihr politisches Schwergewicht –,
der Bundestagswahl, die wir in Form des umfangreichen um den es hier geht? Hier wird über das Ergebnis eines
Sachstandsberichts dem Bundestag und der Öffentlich- Untersuchungsausschusses debattiert.
keit übergeben, hat die viele Arbeit und jede Auseinan-
dersetzung mit Ihnen wahrlich gelohnt. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Jerzy
Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr
Danke schön. Kollege Königshaus, ich bin da! Das genügt!)
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Herr Montag, Sie und auch die Staatsministerin sind
und bei der SPD – Siegfried Kauder [Villin- uns herzlich willkommen. Aber Sie beide haben – das
gen-Schwenningen] [CDU/CSU]: Und wofür meine ich politisch – natürlich nicht das Gewicht, das
hat Herr Fischer die Schuld übernommen?) der zuständige Minister hat. Er und auch der Innenminis-
ter hätten hier sein müssen.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Nächster Redner ist der Kollege Hellmut Königshaus,
FDP-Fraktion. Es wäre für die Beteiligten wichtig gewesen, hier zu
sein; denn in der Sache selbst haben sich unsere und ver-
mutlich auch Ihre schlimmsten Befürchtungen bestätigt.
Hellmut Königshaus (FDP): Es gab nämlich im Auswärtigen Amt schlimme Erlasse.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bevor Diese hatten fatale Folgen. Tausende, Zehntausende
ich es vergesse: Auch ich möchte natürlich für die FDP- – wir sagen nicht, alle – wurden eingeschleust. Viele da-
Fraktion meinen Dank an das Sekretariat zum Ausdruck von wurden von den Schleusern über die wahren Hinter-
bringen. gründe getäuscht. Nicht selten – wir waren nicht in allen
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Fällen dabei – wurden sie, und zwar nicht nur Frauen,
der SPD) auf die übelste Weise missbraucht.
(B) (D)
Das Sekretariat hat es grandios geschafft, die Behaup- (Sebastian Edathy [SPD]: Wann waren Sie
tung von Rot-Grün, man müsse vorzeitig die Beweisauf- denn dabei, Herr Kollege?)
nahme abbrechen, andernfalls könne es keinen Sach- Der Außenminister selbst war gewarnt, aber er nahm
standsbericht geben, zu widerlegen. Ein wirklich dicker das alles nicht zur Kenntnis. Er hat gesagt, er habe das
Packen Papier ist zustande gekommen! nicht auf dem Radarschirm gehabt. Heute wissen wir:
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Der Mann hatte gar keinen Radarschirm, weil ihn das
der SPD) Thema einfach nicht interessiert hat. Er ließ die Dinge
einfach treiben; das hat er doch selbst eingeräumt.
Der Kollege Montag will uns offenbar wieder einmal
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
glauben machen, es sei eigentlich überhaupt nichts pas-
siert: keine schwerwiegenden Fehler, keine schlimmen Mehr als zwei Jahre hat er nichts getan, obwohl er per-
Folgen, ein paar Pannen eben; das kann ja einmal passie- manent informiert wurde und die Brandbriefe in seinem
ren. Ich glaube, wir sind wieder dort, wo wir angefangen Ministerium anbrandeten. Fischer hat zum Schluss we-
haben; Sie erinnern sich. Sie wollen wohl so verstanden nigstens das eingeräumt, was Sie heute schon wieder be-
werden, dass dies alles nur eine politische Kampagne streiten. Er hat ins Protokoll diktiert: „Schreiben Sie hier
sei, wahrscheinlich vom Kollegen Dr. Uhl. Ich habe den rein: Fischer ist schuld.“ So ist es.
Eindruck, der Gedächtnisschwund, den wir bei den lei-
Wenn er heute herumläuft und uns erzählt, er mache
tenden Mitarbeitern im Auswärtigen Amt festgestellt ha-
sich über die zukünftige Außenpolitik Sorgen, dann
ben, hat sich ein bisschen auf Sie ausgewirkt; denn der
muss ich Ihnen sagen: Ein Außenminister, der in seinem
Ausschuss hat schließlich Erkenntnisse zutage gefördert,
eigenen Haus nicht für Ordnung sorgen kann und sich
die durch Fakten belegt sind. Es ist Ihnen, obwohl Sie
dort nicht durchsetzen kann, ist selbst ein Grund zur
sich mit Tricks, Obstruktionen und Filibustern redlich
Sorge über die Außenpolitik. Es genügt eben nicht, mit
darum bemüht haben, nicht gelungen, das zu verhindern.
sorgenvoller Stirn durch die Welt zu reisen. Man muss
Das Bundesverfassungsgericht, Kollege, hat diese Ver-
auch dafür sorgen, dass das eigene Haus in Ordnung ist.
suche mit einer für Sie schmerzhaften juristischen Ohr-
feige beantwortet. Das war richtig. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Aus diesem Grund hat auch der Innenminister mas-
Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Acht zu siv versagt. Er konnte sich gegen Fischer nicht durchset-
null, das kann man ruhig einmal sagen!) zen und schrieb die uns allen bekannten Brandbriefe.
17558 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 186. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. September 2005

Hellmut Königshaus
(A) Seine drastischen Briefe wurden aber von Fischer nicht hört, damit Synergieeffekte erzielt werden und wir in (C)
einmal einer Antwort für würdig befunden. Das ist das Zukunft dem Missbrauch durch die Mehrfachbeantra-
Thema, mit dem wir uns befassen mussten. In seinem gung wirksam begegnen können.
Ministerium gab es Kompetenzüberschreitungen und
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
Fehlbeurteilungen, aber die Meinung des Ministers inte-
der CDU/CSU)
ressierte dort niemanden.
Ich komme zum Ende, Frau Präsidentin. Als Antwort
(Sebastian Edathy [SPD]: Was?)
auf alle von uns festgestellten Missstände wollen wir
Das hat er uns doch selbst bestätigt. aber – das wurde eben schon angesprochen – auch keine
Abschottung. Dass die Erteilung von Visa für die Teil-
Der Einfluss des Innenministers reichte, obwohl er nehmer des Weltjugendtages behindert wurde, muss
sonst in Sicherheitsfragen immer den starken Otto gibt, – das haben wir festgestellt – eine Art Trotzreaktion des
nicht einmal bis zur Arbeitsebene seines eigenen Hau- Auswärtigen Amtes gewesen sein. Das wollte keiner.
ses. Wenn er, wie vorhin, meint, unserem Bundesvorsit-
zenden Guido Westerwelle vorwerfen zu müssen, er sei (Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Wir auch
möglicherweise ein Sicherheitsrisiko, dann ist ihm ent- nicht!)
gegenzuhalten: Andersherum wird ein Schuh daraus. Er Wir wollen keine Abschottung. Soweit ich weiß, will das
ist das Sicherheitsrisiko, wenn er sein Haus so führt. auch die Union nicht.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten (Sebastian Edathy [SPD]: Was?)
der CDU/CSU — Jerzy Montag [BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt überheben Sie Wer war denn dafür verantwortlich, wenn es dort
sich nicht!) Schwierigkeiten gab? Regieren wir schon oder regieren
Sie noch?
Bemerkenswert ist auch das Organisationsversagen,
das wir festgestellt haben. Im Auswärtigen Amt wurden (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
Ministerbesprechungen abgehalten, von denen weder der CDU/CSU)
Teilnehmerlisten noch Protokolle oder wenigstens Er-
gebnisvermerke existieren. Kein Wunder, dass dort jeder Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
das gemacht hat, was ihm in den Kram passte. Wozu un- Herr Kollege, Sie müssen jetzt aber wirklich zum
terhält dieses Land eine ordentliche Ministerialverwal- Ende kommen.
tung, wenn sie so geführt wird, als wäre sie irgendeine
kleine Klitsche?
(B) Hellmut Königshaus (FDP): (D)
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Es war entweder Bosheit oder Unfähigkeit. Das will
der CDU/CSU) ich nicht entscheiden. Was auch immer es war, es ist je-
denfalls auch ein Grund, Sie abzuwählen und eine neue
Wozu unterhält dieses Land mit großem Aufwand Nach- Regierung zu bilden.
richtendienste, wenn die Berichte, wie wir festgestellt
haben, von den zuständigen Stellen nicht gelesen, son- Ich danke Ihnen.
dern als nicht archivierungswürdig, wie es hieß, sofort
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
weggeworfen werden?
Die Liste dieses Versagens ließe sich unbegrenzt ver- Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
längern. Alle diese Fehler werden wir nach der Wahl Das Wort hat der Kollege Olaf Scholz, SPD-Fraktion.
systematisch ausmerzen. Übrigens haben wir die Diszi-
plinlosigkeit, die wir im Verlaufe unserer Beratungen (Beifall bei Abgeordneten der SPD)
festgestellt haben, auch heute wieder bei dieser Bundes-
regierung erlebt, nämlich in der Frage, ob Sie Ihre Rede- Olaf Scholz (SPD):
zeit einhalten. Es ist unglaublich. Sie haben, was diese Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich
Frage angeht, offenbar keinen Zeitrahmen. glaube, dass die etwas langatmigen Reden, die wir teil-
weise bisher hören konnten,
Ein weiterer Aspekt, den wir ansprechen müssen,
weil er in die Zukunft reicht, betrifft die stärkere Ver- (Clemens Binninger [CDU/CSU]: Vor allem
zahnung zwischen dem Innen- und dem Außenres- die erste heute! – Reinhard Grindel [CDU/
sort, die wir in Zukunft brauchen. Das versteht sich von CSU]: Fünf Stunden achtzehn sind zu
selbst. Wir brauchen aber auch eine engere Zusammen- schlagen! – Gegenruf des Parl. Staatssekretärs
arbeit mit den übrigen Schengen-Partnern; das ist völlig Fritz Rudolf Körper: Das schaffen Sie aber
klar. Diese Zusammenarbeit haben Sie komplett ver- nicht!)
nachlässigt. Sie haben im Übrigen auch die Partner
falsch informiert. Das wissen wir jetzt und das hat auch auch Ausdruck der Tatsache sind, dass die von einer Zei-
Kommissar Frattini gerade festgestellt. tung getroffene Feststellung „Schlamperei, aber kein
Skandal“ richtig ist. Deshalb haben Sie, glaube ich, mit
Wir schlagen deshalb vor, die Visastellen der Schen- diesen Beiträgen, die etwas zum Gähnen waren, die rich-
genstaaten in Zukunft zusammenzulegen, damit das tige Form gefunden, weil sie letztendlich deutlich ma-
Visa-Hopping – also die Vielfachantragstellung – auf- chen, dass es für all die Aufregung, das Engagement und
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 186. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. September 2005 17559
Olaf Scholz
(A) die Hysterie, die Sie zu erzeugen versucht haben, keinen nicht verwendet haben und dass das die wirkliche Ursa- (C)
wirklichen Anlass gab. Das ist das eigentliche Ergebnis che ist, warum es bisher hier so langweilig zugeht.
der Arbeit des Untersuchungsausschusses.
Ich denke, es gibt eine wichtige Erkenntnis: Es hat gar
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ keine wirkliche Veränderung der Visapraxis der Bun-
DIE GRÜNEN) desrepublik Deutschland gegeben, seitdem der Eiserne
Das Ergebnis der Arbeit des Untersuchungsausschus- Vorhang hochgezogen worden ist. Die Probleme waren
ses ist so beeindruckend, dass Sie in Ihrer Zusammenfas- seit Anfang der 90er-Jahre die gleichen, genauso wie die
sung und Ihren politischen Stellungnahmen gar keinen bürokratischen Schwierigkeiten. Die zuständigen Beam-
Bezug darauf nehmen. Da produzieren wir nun ten waren weitgehend ebenfalls die gleichen. Diese ha-
1 000 Seiten ben in bestimmten Bereichen – das mussten wir feststel-
len – sehr eigenständig Politik gemacht, egal wer gerade
(Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/ Minister war, ob er nun Genscher, Kinkel oder Fischer
DIE GRÜNEN]: 2 000!) hieß. Das hat ein Problem ergeben, mit dem wir uns auf
mit sorgfältigen Analysen und allen möglichen Erkennt- irgendeine Weise auseinander setzen müssen. Aber das
nissen, die dann für das, was Sie den Bürgerinnen und ist für die aufgeregten Feststellungen, die Sie gerne tref-
Bürgern in der öffentlichen Debatte über den Untersu- fen wollten, keine gute Basis; denn tatsächlich ist die
chungsausschuss mitteilen wollen, ohne Belang sind. Kontinuität das eigentlich Neue, was wir in der Aus-
Der Verdacht, dass die Ursache darin liegt, dass Sie Ihre schussarbeit kennen gelernt haben.
übertriebenen Schlussfolgerungen aufgrund der Erkennt- (Beifall bei Abgeordneten der SPD)
nisse nicht rechtfertigen können, liegt jedenfalls sehr
nahe. Ich schlage vor, dass die Bürgerinnen und Bürger Es hat schon vor 1998 eine ganze Reihe von Miss-
das ebenfalls so bewerten. brauchsproblematiken an verschiedenen Botschaften
und Konsulaten gegeben. Das Beispiel der Botschaft in
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Polen ist schon erläutert worden. Aber auch in der
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Ukraine ist die Bearbeitungspraxis über die Jahre ei-
Kollegen von Klaeden? gentlich besser geworden. Der richtige Schub zu einer
Verbesserung hat sogar erst nach 1998 eingesetzt.
Deshalb kann ich Ihnen die Aussagen des Herrn von
Olaf Scholz (SPD):
Schoepff im Untersuchungsausschuss nicht ersparen. Er
Ja. hat gesagt: Natürlich ist in dieser Zeit ganz klar Miss-
(B) brauch und Visaerschleichung festzustellen. Dann hat er (D)
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: noch etwas über die räumliche Ausstattung gesagt – ich
Bitte, Herr von Klaeden. darf zitieren –:
Der erste Grund ist die völlig unzureichende räum-
Eckart von Klaeden (CDU/CSU):
liche Ausstattung des damaligen Konsulates zu-
Herr Kollege Scholz, ich weiß ja nicht, ob Sie den nächst im Bereich Visa. Da saßen die Sachbearbei-
Sachstandsbericht gelesen haben. Aber sind Sie bereit, ter, Bürosachbearbeiter, Ortskräfte in zwei Räumen.
zur Kenntnis zu nehmen, dass sich alle Zitate, die ich Der eine Raum war 19 Quadratmeter, der andere
verwendet habe, im Sachstandsbericht wiederfinden? circa 15 Quadratmeter groß. Die Spitzenzahl an
Mitarbeitern in diesem Bereich, die ich im Visabe-
Olaf Scholz (SPD): reich betreut habe, war 1996 25. Dazu kamen vier
Ich bin bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass Sie zwar Ortskräfte, die als Sicherheitsleute draußen zum
ein paar politische Bewertungen zusammengefasst, und Einsatz kamen, die sich im Winter natürlich auf-
zwar Äußerungen von Politikern, wärmen mussten, die Weisungen entgegennehmen
mussten. Die mussten auch eine Möglichkeit haben,
(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Es waren
sich hinzusetzen. Das heißt, dass in dem einen zen-
nur Zitate!)
tralen Raum von 19 Quadratmetern zehn bis zwölf
und aus Zeitungen zitiert haben, Arbeitsplätze waren. Das heißt, pro Person standen
nicht ganz 2 Quadratmeter zur Verfügung.
(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Ich habe
keine einzige Zeitung zitiert!) Er hat uns noch die Situation bei den Kontingent-
dass Sie aber keinerlei Erkenntnisse des Untersuchungs- flüchtlingen sehr sorgfältig beschrieben. Dort ist in ei-
ausschusses vermittelt haben. Ich jedenfalls habe keine nem Container ohne Heizung gearbeitet worden. Er hat
Erkenntnis aus dem Untersuchungsausschussbericht in dann auf die Situation der Außenstelle hingewiesen, die
Ihrer Rede gehört. dort für Aussiedler zuständig war, und zitiert, was ihm
andere gesagt haben:
(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Sie haben
keine gehört! Das glaube ich!) Die Außenstelle der Botschaft war nur über eine
mit Exkrementen übersäte Treppe zu erreichen.
Ich wiederhole deshalb, dass Sie hier völlig frei ge-
schöpft haben, dass Sie die Ergebnisse und Erkenntnisse (Hellmut Königshaus [FDP]: Mäusekot!)
17560 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 186. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. September 2005

Olaf Scholz
(A) Das sind all die Feststellungen, die wir dort für die wicklungen sind korrigiert worden. Die ganze Aufre- (C)
Zeit Anfang der 90er-Jahre getroffen haben. Es ist gung, die sich um diesen Untersuchungsausschuss abge-
ebenfalls festgestellt worden, dass dort, als dieser Mitar- spielt hat, war nicht berechtigt. Durch unsere gute Arbeit
beiter 1993 eintraf, für die Visavergabe des damals war es möglich, herauszufinden, dass es sich um etwas
zweitgrößten Konsulats der Welt nur ein Beamter des „auf viel kleinerer Flamme“ handelt und dass es viel we-
mittleren Dienstes zuständig war, der sieben ukrainische niger Hitze und Wallung verdient, als einige hier mei-
Ortskräfte führen sollte. Dort sind zunächst 100 000 Visa nen.
ausgegeben worden. Diese Ortskräfte sind von der
Diplomatenbetreuungsagentur gestellt worden. Er hat Schlussbemerkung: Für die sozialdemokratische Par-
uns sehr sorgfältig die Verdächtigungen – diese haben tei bedanke auch ich mich bei den Mitarbeiterinnen und
dann auch zu Entlassungen geführt – erläutert, dass es Mitarbeitern des Ausschusssekretariats und auch bei un-
sich zu der Zeit auch um Mitarbeiter der nationalen seren eigenen Mitarbeitern, die in vielen Überstunden
Sicherheitsdienste der Ukraine gehandelt haben könnte. und nächtlichen Sitzungen mitgeholfen haben, diesen
Das hat ebenfalls zu vielen Problemen geführt. Er hat Bericht zu erstellen. Ich hoffe, dass die vielen Seiten, die
gesagt: Tatsächlich sind dort etwa 20 000 Visen im Mo- wir miteinander verfasst haben, von irgendjemandem ge-
nat erteilt worden; das hat viele Schwierigkeiten nach lesen werden. Das wäre jedenfalls schön und hilfreich.
sich gezogen. Diese Schwierigkeiten beschreibt er alle (Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Fangen Sie
miteinander. mal an!)
Ich will Ihnen seine zusammenfassende Feststellung Ich glaube, dass die Lektüre zu so sachlichen und seriö-
in Bezug auf die Situation Anfang und Mitte der sen Schlussfolgerungen führt wie die, die ich hier habe
90er-Jahre in der Ukraine nicht ersparen: vortragen dürfen.
Das sind beschämende Vorgänge. Dass eine bürger- Schönen Dank.
liche Regierung für solche Zustände zuständig ist
– das muss ich Ihnen so offen sagen; das sage ich (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
Ihnen als CSU-Mitglied –, ist für mich eine einzige DIE GRÜNEN – Lachen bei Abgeordneten
Schande. Eine einzige Schande! der CDU/CSU und der FDP)
(Sebastian Edathy [SPD]: Hört! Hört!)
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Vor dem Hintergrund dieser Erkenntnisse – wir könnten Das Wort hat der Kollege Dr. Hans-Peter Uhl, CDU/
viele hinzufügen – ist es jedenfalls richtig, etwas leisere CSU-Fraktion.
Töne anzuschlagen,
(B) (Beifall bei der CDU/CSU) (D)
(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Nein! 25 Zeugen
dagegen! Das war der einzige!)
Dr. Hans-Peter Uhl (CDU/CSU):
sich zusammenzureißen und zuzugeben – das ergibt sich Frau Präsidentin! Meine verehrten Kolleginnen und
wirklich aus der Ausschussarbeit –: Die Kontinuität hat Kollegen! Auch ich möchte mich parteiübergreifend be-
überwogen und es hat weniger Veränderungen gegeben, danken: bei sämtlichen Kollegen, die sich im Rahmen
als einige gedacht haben. dieses Untersuchungsausschusses unendlich viel Mühe
(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Einen einzi- gegeben haben, bei den Mitarbeitern der Kollegen, bei
gen Zeugen haben Sie dafür! Nicht mehr und den Mitarbeitern der Fraktionen und auch bei den Mitar-
nicht weniger!) beitern der Ministerien; einige sitzen hinten in diesem
Saal. Man ist fast zu einer Schicksalsgemeinschaft zu-
Nun gibt es natürlich auch etwas zu den verschiede- sammengewachsen.
nen Erlassen zu sagen, die der Ansatz für unsere Arbeit
gewesen sind. Wenn die Erlasse dazu gedacht gewesen Heute liegt der Abschlussbericht vor. Es ist ein Be-
sein sollten, eine Praxisänderung durchzusetzen, dann richt des Parlaments für das Parlament. In diesem Be-
waren sie dazu – das haben wir herausgefunden – un- richt wird das Fehlverhalten der Regierung,
tauglich. Selbst wenn nicht sämtliche Absichten gut ge- (Sebastian Edathy [SPD]: Welcher?)
wesen sein sollten: Sie haben jedenfalls keine Änderung
bewirkt. Die eigentliche Erkenntnis ist: Es gab Kontinui- das im Untersuchungsausschuss aufgedeckt wurde, dar-
tät. Hinzu kommt die Tatsache, dass das große Ausmaß gestellt. Der zuständige Minister ist nicht da. Lassen Sie
an Missbrauch, das hier geschildert worden ist, nicht mich das in aller Ernsthaftigkeit ansprechen: Für mich
festgestellt werden konnte. ist das eine Missachtung des Parlaments.
Mittlerweile sind all die Missstände in der bürokra- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
tischen Abwicklung, von denen wir gehört haben, ange- Wenn der Außenminister seit Tagen auf einer Auslands-
sichts der Veränderungen abgestellt. Auch das ist eine reise wäre, würde ich nichts sagen. Dieser Außenminis-
gute Botschaft, die der Untersuchungsausschuss den ter, der hier vor nur wenigen Stunden eine Wahlkampf-
Menschen, die uns zuhören, mitteilen sollte. Ich glaube, rede gehalten hat,
es war richtig, dass wir diesen Untersuchungsausschuss
hatten. Er hat deutlich gemacht: Es hat keinen Skandal (Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
gegeben, lediglich Fehlentwicklungen. Diese Fehlent- NEN]: Er ist im Wahlkampf!)
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 186. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. September 2005 17561
Dr. Hans-Peter Uhl
(A) ist abgehauen, um bei der Diskussion über den Ab- Jeder weiß, dass das gewaltige Wohlstandsgefälle den (C)
schlussbericht physisch nicht anwesend zu sein. Das ist Migrationsdruck ständig erhöht. Die vorhersehbare
eine grobe Missachtung, übrigens nicht nur der Opposi- zwingende Folge einer laxen Visavergabe ist die anstei-
tion. Herr Scholz, es ist eine Frage der Selbstachtung gende illegale Immigration von Schwarzarbeitern.
– auch seitens der SPD und der Grünen, Herr Montag –, Über 5 Millionen Visa wurden an Menschen vergeben,
sich so etwas von seinem Minister gefallen zu lassen. die im Durchschnitt 50 oder vielleicht 100 Euro im Mo-
nat verdienen. Sollten sie alle Urlaubsreisende gewesen
(Hellmut Königshaus [FDP]: Selbst Tauss ist sein? Das ist doch eine völlig absurde Behauptung, Herr
gekommen!) Montag.
Ich möchte Fischers Verhalten als Vorsitzender des Un- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
tersuchungsausschusses hier in aller Form rügen.
In Deutschland wird von den dafür zuständigen Zoll-
(Beifall bei der CDU/CSU und der beamten eine Vielzahl von Razzien insbesondere auf
FDP – Sebastian Edathy [SPD]: Das ist nicht Baustellen durchgeführt. Doch ist es diesen Beamten,
Ihre Aufgabe!) die dort eine explosionsartige Zunahme von Schwarz-
Der Untersuchungsausschuss hat sich gelohnt, weil er arbeit feststellen, verboten, in ihren Meldungen für die
aufgedeckt hat, dass durch die fehlerhafte Visavergabe Statistik nach oben mitzuteilen, welcher Nationalität die
massenhaft illegale Zuwanderung mit Wissen und Wol- ausländischen Schwarzarbeiter sind.
len der rot-grünen Bundesregierung stattfand. (Sebastian Edathy [SPD]: Wer hat das ein-
Diese Grenzöffnungspolitik wurde als eine Politik der geführt, Herr Dr. Uhl?)
Weltoffenheit verbrämt. Sie hat – Sie wissen es – ihren Sie aber beklagten im Untersuchungsausschuss und be-
ideologischen Ursprung letztlich in der Zielvorstellung klagen heute hier wieder, es gebe keine Statistik über
von einer multikulturellen Gesellschaft, in der Zuwande- ausländische Schwarzarbeiter. Hier beginnt der eigentli-
rung pauschal als Bereicherung empfunden wird. che Skandal: Einerseits verbieten Sie, Statistiken anferti-
(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- gen zu lassen, und andererseits beklagen Sie, dass es
NEN]: Ich habe es gewusst!) keine Statistiken gibt. Das ist die blanke Heuchelei, Herr
Montag.
Die Grünen wussten, dass sie für diese Politik einer
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
grenzenlosen Zuwanderung nicht in diesem Parlament
und schon gar nicht in der deutschen Bevölkerung eine Die Bundesregierung hat zu verantworten, dass es in
(B) Mehrheit bekommen. Deshalb war es nur konsequent Deutschland mehr als 5 Millionen Arbeitslose gibt. (D)
und in sich schlüssig, dass sie dort gehandelt haben, wo Zugleich nimmt die Schwarzarbeit dramatisch zu. Die
sie Macht haben, nämlich durch den Außenminister, und legendierte Schleusung wurde unter Rot-Grün zur
die Praxis hinsichtlich des Vollzugs der Visagesetze ge- Hauptform der Schleuserkriminalität.
ändert haben.
(Horst Kubatschka [SPD]: Die bayerische Jus-
(Jörg Tauss [SPD]: Wie Kinkel damals!) tiz hat versagt!)
Der Außenminister wies seine Beamten an, die Gren- Das kriminelle Treiben der organisierten Schleuserban-
zen für Zuwanderer zu öffnen. Im Ausschuss brüstete er den wird durch die Visapolitik der Bundesregierung we-
sich sogar damit, einen Beitrag zur orangefarbenen sentlich verursacht und gefördert.
Revolution in der Ukraine geleistet zu haben.
(Sebastian Edathy [SPD]: Verursacht?)
(Clemens Binninger [CDU/CSU]: Selbst-
überschätzung!) Mit Recht wollen die Menschen wissen, wie groß der
Anteil an ausländischen Schwarzarbeitern und Billiglöh-
Durch die Ausreichung von möglichst vielen Visa an nern aus Osteuropa auf unseren Baustellen in Deutsch-
ukrainische Schwarzarbeiter hätten die Grünen dafür ge- land ist.
sorgt, meinte er, dass die orangefarbene Revolution in
(Jörg Tauss [SPD]: Ein schlechter
Kiew möglich wurde. In seiner Vision ging er sogar
Vorsitzender!)
noch einen Schritt weiter und sagte allen Ernstes, man
müsse dies wohl in Weißrussland wiederholen. Er ging Es ist ein Skandal, dass die Bundesregierung diese Zah-
allerdings noch nicht soweit, quasi einen dritten Schritt len wie ein Staatsgeheimnis allen vorenthält. Wir werden
für 145 Millionen Russen anzukündigen. nach der Wahl dafür sorgen, dass diese Zahlen bekannt
werden.
(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Und dann für die Chinesen! – Sebastian (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Edathy [SPD]: Sie versteigen sich aber zu
abenteuerlichen Ausführungen!) Meine Damen und Herren, die Förderung der
Zwangsprostitution ist für mich vielleicht die empö-
Dies wäre ja auch nicht möglich, weil er bald nicht mehr rendste Folge der rot-grünen Visapolitik.
Außenminister sein wird.
(Jörg Tauss [SPD]: Da sind eure Vorstands-
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) mitglieder Fachleute!)
17562 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 186. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. September 2005

Dr. Hans-Peter Uhl


(A) Der Kollege von Klaeden hat Alice Schwarzer zitiert; Frauenhandel ist die sich am schnellsten entwi- (C)
man kann dieses Zitat nicht oft genug vortragen. Sie hat ckelnde Form von organisiertem Verbrechen mit
den kausalen Zusammenhang zwischen der laxen Visa- der höchsten Wachstumsrate.
vergabe, dem Menschenhandel und dem schändlichen
Die Grünen müssen wissen – Sie sind einmal als Par-
Umgang mit diesen Frauen auf den Punkt gebracht.
tei der Frauenförderung angetreten –, dass sie mit dieser
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Jörg Visapolitik – –
Tauss [SPD]: Und ihren Kunden!)
(Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/
Auch hier kamen Sie mit dem billigen und durchsich- DIE GRÜNEN]: Das war schon vorher so!)
tigen Argument, es gebe keine Statistiken über Zwangs-
prostituierte. Meine Damen und Herren, es kann gar Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
keine Statistiken über Zwangsprostituierte geben; denn Herr Kollege Uhl, ich muss Sie jetzt wirklich mah-
durch Ihr Prostitutionsgesetz wurden ja gerade die Raz- nen, zum Ende zu kommen.
zien abgeschafft. Daher liegen bundesweit gar keine
Kenntnisse vor, die man zusammenfassen könnte. Jetzt
Dr. Hans-Peter Uhl (CDU/CSU):
zu argumentieren, weil es keine statistischen Erkennt-
Ja. – Wenn Frauen – –
nisse gebe, gebe es auch den Tatbestand nicht, ist doch
dümmlich.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Es geht nicht, dass jeder in der letzten Debatte so
Sebastian Edathy [SPD]: Das ist zwar umge- lange redet, wie er möchte. Das geht nicht, Herr Kollege
kehrt, aber egal!) Uhl.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Herr Kollege, denken Sie bitte an Ihre Redezeit.
Dr. Hans-Peter Uhl (CDU/CSU):
Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin. – Der Un-
Dr. Hans-Peter Uhl (CDU/CSU):
tersuchungsausschuss hat es ans Licht gebracht: Am An-
Mir fiel auf, Frau Präsidentin, dass Sie die anderen fang stand der erklärte politische Wille, eine neue Visa-
Kollegen zwei, drei, vier Minuten länger reden ließen. politik einzuleiten. Die Wende in der Visapolitik erfolgte
durch eine Weisung des Ministers. Dies alles als eine
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Schlamperei der kleinen Beamten und als Nachlässigkeit
(B) Nein, Herr Dr. Uhl, darzustellen, ist unkorrekt. Im Gegenteil, die kleinen (D)
Visabeamten haben protestiert,
(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Natürlich!
Selbstverständlich!) (Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Es ist Zeit, zu Ende zu kommen!)
das habe ich nicht gemacht. Sie haben jeweils nur eine
knappe Minute überzogen. Ich habe sie alle nach einer die kleinen Polizeibeamten, die kleinen Grenzbeamten
halben Minute an ihre Redezeit erinnert. haben gegen das protestiert, was – –

Dr. Hans-Peter Uhl (CDU/CSU): Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:


Ich will mich gern kurz fassen und bald zum Ende Herr Kollege Uhl, Sie reden jetzt auf Kosten Ihrer
kommen, Frau Präsidentin. Kollegin.
(Beifall des Abg. Jörg Tauss [SPD]) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
Aber nehmen Sie, Herr Montag, vielleicht noch mit, Überzieher!)
was die Landesvorsitzende der bayerischen Grünen,
Frau Theresa Schopper, gesagt hat. – Frau Künast, kön- Das Wort hat die Kollegin Dr. Gesine Lötzsch.
nen Sie bitte Herrn Montag die Möglichkeit geben, mir (Siegfried Kauder [Villingen-Schwenningen]
zuzuhören? [CDU/CSU]: Die war gar nicht dabei!)
(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:
Jawohl, Herr Oberlehrer!) Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos):
Frau Theresa Schopper sagt: Meine sehr geehrten Damen und Herren! Diese Bun-
desregierung ist sicherlich nicht arm an Skandalen. Es
Rund 500 000 Frauen und Mädchen unter 25 Jahren hätte für eine ganze Reihe von Untersuchungsausschüs-
sollen in Europa im Jahr 2002 von Zuhälterbanden sen gereicht.
in die Prostitution gezwungen worden sein.
(Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
(Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/DIE DIE GRÜNEN)
GRÜNEN]: Die Zahlen von der EU!)
Doch der Visaaffären-Ausschuss war der wohl ergebnis-
Die bayerische Landesvorsitzende der Grünen sagt wei- loseste und sinnloseste Ausschuss in der Geschichte des
ter: Bundestages. Jawohl, er war ergebnislos und sinnlos.
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 186. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. September 2005 17563
Dr. Gesine Lötzsch
(A) (Beifall der Abg. Petra Pau [fraktionslos]) Diese Fragen werden leider in keinem TV-Duell ge- (C)
stellt. Wenn man sie stellte, stieße man auf ein Kartell
Die konservative Opposition hat in den letzten drei des Schweigens.
Jahren komplett versagt. Sie wollte nicht Opposition
sein; sie war es auch nicht. Wir mussten stattdessen erle- Frau Pau und ich hatten leider nicht die Möglichkeit,
ben, dass alle Reformen und alle Bundeswehreinsätze das Einsetzen eines Untersuchungsausschusses zu bean-
von einer großen Koalition der Unvernunft getragen tragen. Doch das wird sich nach der Bundestagswahl si-
wurden. Es gab noch nie so wenig Opposition wie in den cher ändern;
letzten drei Jahren im Deutschen Bundestag. Diese Ar-
(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
beit wurde Frau Pau und mir von der PDS komplett
NEN]: Ganz sicher nicht!)
überlassen.
denn dann wird es eine starke linke Opposition geben,
(Beifall der Abg. Petra Pau [fraktionslos]) die sich nicht auf Nebenkriegsschauplätze verschieben
Der Visa-Ausschuss hatte nur eine einzige Aufgabe: lässt. Die Wählerinnen und Wähler können mit der
Er sollte von den skandalösen Hartz-IV-Gesetzen, der Linkspartei eine starke Opposition in den Bundestag
skandalösen Gesundheitsreform und den völkerrechts- wählen, die die wirklichen Skandale aufklären wird. Ich
widrigen Bundeswehreinsätzen ablenken. Doch das hat freue mich darauf.
er nicht geschafft. Die Menschen haben erkannt, dass die Vielen Dank.
Gefahren nicht in erster Linie von ukrainischen Prostitu-
ierten ausgehen. Nein, die Gefahren gehen von einer fal- (Beifall der Abg. Petra Pau [fraktionslos] –
schen Wirtschafts- und Sozialpolitik dieser Regierung Zuruf von der SPD: Sie wollen Kriegsschau-
und dieser konservativen Scheinopposition aus. plätze! – Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]:
Warum haben Sie heute nicht gesagt, welcher
Ich gehe auf nur drei Skandale ein, die es wert wären, Partei Sie angehören?)
in einem Untersuchungsausschuss behandelt zu werden:
Erstens kann ich mir vorstellen, dass viele Bürger Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
wissen wollen, warum die Strompreise in Deutschland Das Wort hat der Kollege Michael Hartmann, SPD-
schneller steigen als in anderen europäischen Ländern. Fraktion.
(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Die werden nicht von der Regierung Michael Hartmann (Wackernheim) (SPD):
festgelegt!) Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
(B) Herren! Ich komme zur Debatte über den Visa-Untersu- (D)
Es wäre eine lohnende Aufgabe für einen Untersu- chungsausschuss zurück.
chungsausschuss, herauszufinden, welche Rolle der ehe-
malige Wirtschaftsminister Müller bei der Konstruktion (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
eines Stromkartells gespielt hat, das heute den Verbrau- DIE GRÜNEN)
chern die Preise diktiert. Dieser Ausschuss findet heute nach achtmonatiger
(Beifall der Abg. Petra Pau [fraktionslos]) Beratung sein Ende; „Gott sei Dank“ füge ich hinzu.
Zweitens wäre es für viele Patienten interessant, zu (Clemens Binninger [CDU/CSU]: Für euch
erfahren, warum sie die Hauptlast der Gesundheits- ja!)
reform tragen müssen, während gleichzeitig die großen Wir haben rund 1 600 Aktenordner mit 450 000 Blatt
Pharmaunternehmen die Preise für Medikamente nach wälzen dürfen. Wir haben in 155 Stunden 55 Zeugen und
oben schrauben und die Chefs der Kassenärztlichen Ver- drei Sachverständige gehört.
einigungen exorbitante Gehälter einstreichen können.
Jetzt geht es darum, das Ergebnis zu debattieren. Ich
(Beifall der Abg. Petra Pau [fraktionslos]) möchte nicht der Versuchung erliegen, hier einen Ersatz-
Drittens wäre es sicherlich auch interessant für die wahlkampf zu starten. Dafür eignet sich das Thema
Bürgerinnen und Bürger, zu erfahren, warum die Bun- nicht. Dafür eignet sich auch das nicht, was wir in die-
desregierung einen völkerrechtswidrigen Krieg in Ju- sem Ausschuss in großen Teilen gemeinschaftlich fest-
goslawien geführt und einen ebensolchen im Irak unter- gestellt haben.
stützt hat. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Es macht viel mehr Sinn, finde ich, zu fragen: Wo ist
Position der Linkspartei bekräftigt; meine Kollegin Petra etwas schief gelaufen? Was konnte verbessert werden?
Pau ist heute Morgen schon darauf eingegangen. Ich zi- Wo muss noch etwas verbessert werden? Wir waren uns
tiere aus dem Urteil: natürlich in der Erkenntnis einig, dass manches nicht so
Eine Beihilfe zu einem völkerrechtswidrigen Delikt gelaufen ist, wie wir es uns gemeinschaftlich gewünscht
ist selbst ein völkerrechtswidriges Delikt. hätten. Das wurde allerdings auch eingeräumt und das
wurde ausgeräumt. Im Übrigen bewegen wir uns – der
Es wäre für viele Menschen wichtig, zu erfahren, nach Kollege Scholz hat es dargestellt – seit der Regierung
welchen Drehbüchern diese Kriege vorbereitet wurden, Kohl mit dem Minister Kinkel und dem anderen Herrn,
um bei den nächsten Kriegsvorbereitungen gewappnet der sich vor einem Strafgericht verantworten durfte, in
zu sein. einer bemerkenswerten Kontinuität.
17564 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 186. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. September 2005

Michael Hartmann (Wackernheim)


(A) Ich finde es schade, dass es in diesem Ausschuss ei- das Schleusertum, diese schlimme Form von Kriminali- (C)
gentlich nur darum ging – Herr Kollege Dr. Uhl, das hat tät, zu unterbinden. Wären Sie eine Opposition, die re-
auch Ihre Rede eben leider bewiesen –, ein Vorurteil be- gierungsfähig ist, würden Sie das auch anerkennen.
stätigt zu finden.
(Jörg Tauss [SPD]: Die hatten keine Idee dazu!
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Keine!)
DIE GRÜNEN)
Insofern: Der Ausschuss könnte mit seiner Arbeit zu-
Wir haben bei unserem fleißigen Aktenstudium sowie frieden sein, wäre da nicht von Anfang an der teils skur-
bei der fleißigen und ausführlichen Zeugenvernehmung ril vorgetragene und immer maßlos überzogene Versuch
auch große Schnittmengen festgestellt. Wir waren uns der Opposition gewesen, eine Hatz auf den Bundes-
darin einig, dass das Problem mit dem Fall des Eisernen außenminister zu starten. Dieses blinde Jagdfieber hat
Vorhangs entstanden ist. Wir sind uns auch darüber ei- jede Sachlichkeit verhindert. Das ist schade.
nig, dass die Freiheitsrechte, die die Menschen errungen
haben, positiv sind. Wir sind uns hoffentlich auch darin (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
einig, dass eine Kontinuität mindestens insoweit besteht, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
als es in dem Erlass vom Mai 1994 – nicht wir haben da- Wenn wir hier zu Recht den Dank an das Sekretariat so-
mals regiert – hieß: so viel Reisefreiheit wie möglich, so wie an unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ausspre-
viel Kontrolle wie nötig. – Dieser Grundsatz wurde zu chen, muss ich sagen: Das wird auch der Arbeit der
keiner Zeit aufgekündigt, auch nicht und gerade nicht Menschen im Auswärtigen Dienst und bei unseren Si-
durch Rot-Grün. cherheitsorganen nicht gerecht;
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Beifall bei Abgeordneten der SPD)
DIE GRÜNEN)
denn sie brauchen angesichts des schwierigen Bereichs,
Missstände, die es gab, resultierten aus dem hohen in dem sie tätig sind, Unterstützung und nicht haltlose
Migrationsdruck, den wir nach dem Fall des Eisernen Kritik von außen.
Vorhangs erlebten. Das überforderte die Auslandsver-
tretung in Kiew. Es gab außerdem – das räume ich gern (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
ein – eine Reihe von missbrauchsanfälligen Instrumen- DIE GRÜNEN)
ten. Vielleicht gehen Sie noch einmal in sich und bessern
Wir haben darauf reagiert und werden weiter darauf sich. Im Übrigen freue ich mich, mit Ihnen im nächsten
reagieren. Zum Beispiel wurde das Reisebüroverfahren Deutschen Bundestag weiter zu debattieren.
(B) beendet. Zum Beispiel werden die Reiseschutzpässe (Beifall bei der SPD – Horst Kubatschka (D)
nicht mehr anerkannt. [SPD]: Als Opposition!)
(Clemens Binninger [CDU/CSU]: Aber zu
spät!) Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Zum Beispiel wurde die Botschaft in Kiew personell Das Wort hat die Kollegin Michaela Noll, CDU/CSU-
verstärkt. Fraktion.

(Clemens Binninger [CDU/CSU]: Zu spät!) (Beifall bei der CDU/CSU)

Zum Beispiel werden Reisezweck und Rückkehrbereit- Michaela Noll (CDU/CSU):


schaft gründlich geprüft. Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Heute
(Clemens Binninger [CDU/CSU]: Zu spät!) habe ich als letzte Rednerin der Debatte das Wort.
Zum Beispiel werden bereits seit 2002/2003 verstärkt Frau Lötzsch, wenige Worte zu Ihnen. In unserem
Dokumentenberater und Verbindungsbeamte eingesetzt. 800 Seiten langen Bericht steht nicht ein Wort zum Irak
und nicht ein Wort zum Strom. Sie haben ihn anschei-
(Clemens Binninger [CDU/CSU]: Drei Jahre nend gar nicht gelesen.
zu spät!)
(Beifall bei der CDU/CSU)
Zum Beispiel wird auf europäischer Ebene durch Bun-
desinnenminister Schily die Einrichtung einer Einlader- Sehr geehrter Herr Kollege Montag, unterschätzen
datei forciert. Sie bitte nicht die Bürgerinnen und Bürger; denn die
treffen am 18. September die Entscheidung zwischen ei-
(Clemens Binninger [CDU/CSU]: Zu spät!) ner Visapolitik, die die Sicherheitsinteressen unseres
– Übrigens macht sie nur dort Sinn; darüber waren wir Landes in den Vordergrund stellt, oder Ihrer, die nach-
uns einmal einig, Herr Kollege. Zum Beispiel hat das weislich dem Visamissbrauch Tür und Tor geöffnet hat.
Auswärtige Amt ein Frühwarnsystem eingeführt. Zum
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Wi-
Beispiel gibt es das Gemeinsame Analyse- und Strate-
derspruch bei der SPD)
giezentrum Schleusungskriminalität beim BKA. Zum
Beispiel arbeiten Auswärtiges Amt und Bundesinnenmi- Unser Ergebnis steht fest: Die rot-grüne Visapolitik
nisterium in einer Taskforce enger denn je zusammen. hat den massenhaften Visamissbrauch erst möglich ge-
Damit ist alles getan, was derzeit getan werden kann, um macht. Wir wissen das und die Bürger wissen das auch.
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 186. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. September 2005 17565
Michaela Noll
(A) (Sebastian Edathy [SPD]: Vor 98 hat es keinen Der Glaube alleine reicht bei Terroristen aber nicht. Das (C)
Missbrauch gegeben?) nenne ich Verkennen der Tatsachen auf höchstem
Niveau.
Der Außenminister selber hat am 25. April eingeräumt,
es habe Erlasse mit fatalen Folgen gegeben. Seine Worte Bei einem weiteren Punkt sind Sie voll auf dem Holz-
waren – deshalb zitiere ich ihn noch einmal zum weg. Sie behaupten, es habe überhaupt keine Anhalts-
Mitschreiben –: punkte dafür gegeben, dass die Visaerteilungspraxis zu
einem erkennbaren Anstieg der Kriminalität geführt
Schreiben Sie hier rein: Fischer ist schuld.
habe.
Millionen Menschen haben das am Fernseher gesehen,
sie haben es im Radio gehört und sie konnten es nachle- (Jörg Tauss [SPD]: Das ist wahr!)
sen. Dazu führen Sie die polizeiliche Kriminalstatistik an.
(Sebastian Edathy [SPD]: Die meisten haben (Jörg Tauss [SPD]: Ja!)
es verstanden! Nur Sie haben es nicht verstan-
den!) Das ist schlichtweg falsch und schöngeredet. Ich erkläre
Ihnen auch, warum. Viele Bürger glauben wahrschein-
Außenminister Fischer hat völlig Recht. Aber er steht lich, dass alle Straftaten in diese Kriminalstatistik ein-
damit nicht ganz alleine da. Es gibt nämlich weitere Ver- fließen. Weit gefehlt! Diese enthält keine Delikte, die au-
antwortliche. Unter anderem ist das der Innenminister. ßerhalb der Bundesrepublik Deutschland begangen
Er wusste alles. Er ist trotz Warnbriefen von ihm aus den wurden.
Jahren 2000, 2001 und 2004 untätig geblieben. Er hat
immer wieder darauf hingewiesen, dass schengenweit (Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
ausgeschriebene Terrorverdächtige eingereist sind. Diese NEN]: Zum Glück! Sollen darin alle weltweit
Schreiben sind an Deutlichkeit hinsichtlich der Kritik begangenen Straftaten geführt werden?)
nicht zu überbieten. Ich zitiere: Das heißt, Visaerschleichungen an deutschen Botschaf-
Es ist nicht hinnehmbar, dass ... eine von der EU als ten tauchen dort gar nicht erst auf.
mutmaßlicher Terrorist gelistete Person nach (Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
Deutschland mit einem gültigen Visum einreist. ... NEN]: Oh Gott!)
Visumserteilung unter Missachtung sicherheitspoli-
tischer Bedenken ist angesichts der Ihnen bekann- Noch ein Punkt. Bei Schwarzarbeit, Menschenhandel
ten Bedrohung durch den internationalen Terroris- und Zwangsprostitution handelt es sich um so genannte
mus unverantwortlich und nicht entschuldbar. Kontrolldelikte. Das heißt, sie schlagen in der Statistik
(B) erst dann zu Buche, wenn sie von der Polizei entdeckt (D)
Daraufhin habe ich den Bundesinnenminister im Aus- werden.
schuss gefragt, wo denn die Schwachstellen sind und
was er getan hat, um sie zu beheben. Er hat geantwortet (Lachen bei Abgeordneten der SPD)
– ich zitiere –:
Hier gibt es oftmals leider nur Zufallstreffer. Die Betrof-
Ich habe natürlich darauf vertraut, dass das Aus- fenen selber, die Zwangsprostituierten, werden wohl
wärtige Amt das auch tut. kaum Anzeige erstatten. Dazu als Beispiel nur kurz zwei
wichtige Fälle: Beim Wiesenrand-Verfahren der Staats-
Aber was ist denn passiert? – Ich sage: Es ist gar
anwaltschaft Münster ging es um 16 500 Geschleuste,
nichts passiert.
von denen 300 in die Statistik eingeflossen sind. Das
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Gleiche gilt für das Verfahren der Staatsanwaltschaft
Memmingen, bei dem es um 3 000 Geschleuste ging und
Deshalb ist das Ergebnis, zu dem Sie gekommen sind,
sich kein einziger Fall in der Statistik findet.
abwegig und befremdend. Denn Ihr Fazit lautet:
Ich sage Ihnen: Es ist schlichtweg dreist, zu behaup-
Eine Gefährdung der Sicherheit der Bundesrepublik
ten, es gebe keine Anhaltspunkte für einen Anstieg der
Deutschland hat es zu keinem Zeitpunkt gegeben.
Schwarzarbeit und des Menschenhandels. Dieses Be-
(Beifall des Abg. Olaf Scholz [SPD] sowie des schönigen der Realität nimmt Ihnen wirklich niemand
Abg. Sebastian Edathy [SPD]) mehr ab.
Das behaupten Sie, obwohl noch nicht einmal eindeu- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
tig geklärt ist, wer wann ausgereist ist und ob die vier
Terroristen überhaupt wieder ausgereist sind. Denn in Die Öffentlichkeit hat ihr eigenes Bild von der Visaaf-
unserem überbürokratisierten Deutschland wird die Aus- färe. Mit dem Beschönigen ist in elf Tagen Schluss; denn
reise der mit Visum gekommenen Ausländer bis heute Ihre Zeit ist definitiv abgelaufen.
nicht kontrolliert. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Als ich den Bundesinnenminister dazu befragt habe,
antwortete er: Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Ich schließe die Aussprache.
In einem Fall ist die betreffende Person, glaube ich,
zurückgekehrt in ihr Heimatland, also wieder aus- Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
gereist. empfehlung des 2. Untersuchungsausschusses auf
17566 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 186. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. September 2005

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner


(A) Drucksache 15/5975, Tagesordnungspunkt 3 a. Der Aus- Vizepräsidentin Dr. Vollmer als Mitglied des Präsidiums, (C)
schuss empfiehlt, den Bericht zur Kenntnis zu nehmen. Mitglieder des Ältestenrates, Ausschussvorsitzende, Re-
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegen- gierungsmitglieder und Parlamentarische Staatssekre-
probe! – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist täre. Ich will allen ausscheidenden Kolleginnen und Kol-
mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen. legen Dank sagen und ihnen unsere besten Wünsche für
ihren weiteren Lebensweg mit auf den Weg geben.
Tagesordnungspunkt 3 b: Interfraktionell wird Über-
weisung der Vorlage auf Drucksache 15/5977 an die in (Beifall)
der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla-
gen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Mein Dank gilt aber auch den Schriftführerinnen und
Dann ist die Überweisung so beschlossen. Schriftführern und nicht zuletzt den vielen Mitarbeiterin-
nen und Mitarbeitern, die vor und hinter den Kulissen ih-
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages- ren Dienst tun. Ohne sie könnten wir unsere parlamenta-
ordnung und somit am Ende der voraussichtlich letzten rische Arbeit nicht leisten.
Sitzung der 15. Wahlperiode des Deutschen Bundesta-
ges. Hinter uns liegen drei arbeitsreiche Jahre. Wir ha- (Beifall)
ben oft kontrovers debattiert, oft aber auch einen Kon- Wir werden unsere parlamentarische Arbeit nach der
sens über Fraktionsgrenzen hinweg in wichtigen Fragen vorgezogenen Neuwahl in der 16. Wahlperiode fortset-
gefunden. Ich möchte die in den zurückliegenden drei zen. Allen, die dabei sein werden, wünsche ich eine
Jahren geleistete Arbeit zum Anlass nehmen, Ihnen allen glückliche Hand zum Wohle unseres Volkes.
für Ihr Engagement und Ihren Einsatz zu danken. Mein
besonderer Dank gilt den Kolleginnen und Kollegen, die (Beifall)
dem 16. Deutschen Bundestag nicht mehr angehören Die Sitzung ist geschlossen.
werden. Viele von ihnen haben im Parlament an heraus-
gehobener Stelle über viele Jahre hinweg gewirkt: Frau (Schluss: 14.52 Uhr)

(B) (D)
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 186. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. September 2005 17567

(A) Anlagen zum Stenografischen Bericht (C)

Anlage 1 Anlage 3
Liste der entschuldigten Abgeordneten Amtliche Mitteilungen
Der Bundesrat hat in seiner 813. Sitzung am 8. Juli
entschuldigt bis
2005 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zuzu-
Abgeordnete(r) einschließlich stimmen, einen Antrag gemäß Artikel 77 Abs. 2 des
Grundgesetzes nicht zu stellen bzw. einen Einspruch ge-
mäß Artikel 77 Abs. 3 nicht einzulegen:
Dr. Addicks, Karl FDP 07.09.2005
– Gesetz über das Zweckvermögen des Bundes bei
Caesar, Cajus Julius CDU/CSU 07.09.2005 der Landwirtschaftlichen Rentenbank und zur
Änderung des Gesetzes über die Landwirtschaft-
Hettlich, Peter BÜNDNIS 90/ 07.09.2005 liche Rentenbank
DIE GRÜNEN
– Gesetz zur Änderung des Grundstückverkehrsge-
Hofbauer, Klaus CDU/CSU 07.09.2005 setzes und des Landpachtverkehrsgesetzes
Kampeter, Steffen CDU/CSU 07.09.2005 – Gesetz zur Neufassung der Freibetragsregelungen für
erwerbsfähige Hilfebedürftige (Freibetragsneurege-
Lehn, Waltraud SPD 07.09.2005 lungsgesetz)
Lenke, Ina FDP 07.09.2005 – Gesetz zur Änderung des Vierten und Sechsten
Buches Sozialgesetzbuch
Marhold, Tobias SPD 07.09.2005 – Gesetz zur Änderung des Siebten Buches Sozial-
Nitzsche, Henry CDU/CSU 07.09.2005 gesetzbuch
– Gesetz zur Weiterentwicklung der Kinder- und Ju-
Scharping, Rudolf SPD 07.09.2005 gendhilfe (Kinder- und Jugendhilfeweiterentwick-
Strothmann, Lena CDU/CSU 07.09.2005 lungsgesetz – KICK)
– Siebtes Gesetz zur Änderung des Versicherungs-
Tillmann, Antje CDU/CSU 07.09.2005 aufsichtsgesetzes
(B) (D)
Dr. Vollmer, Antje BÜNDNIS 90/ 07.09.2005 – Gesetz zur Änderung des Gemeindefinanzreform-
DIE GRÜNEN gesetzes und anderer Gesetze
Wächter, Gerhard CDU/CSU 07.09.2005 – Gesetz zur Ergänzung des NS-Verfolgtenentschädi-
gungsgesetzes (Zweites Entschädigungsrechtser-
Wellenreuther, Ingo CDU/CSU 07.09.2005 gänzungsgesetz – 2. EntschRErgG)
– Gesetz zur Reorganisation der Bundesanstalt für
Post- und Telekommunkation Deutsche Bundes-
Anlage 2 post und zur Änderung anderer Gesetze
Neuabdruck einer Erklärung nach § 31 GO – Vierzehntes Gesetz zur Änderung des Arzneimit-
telgesetzes
der Abgeordneten Herta Däubler-Gmelin (SPD)
zur Abstimmung über den Antrag des Bundes- – Gesetz zur Regelung des Zugangs zu Informationen
kanzlers gemäß Art. 68 des Grundgesetzes des Bundes (Informationsfreiheitsgesetz – IFG)
– Sechsundzwanzigstes Gesetz zur Änderung des
Ich nehme heute an der Abstimmung über die Ver- Abgeordnetengesetzes – … Strafrechtsänderungs-
trauensfrage nach Art. 68 des Grundgesetzes nicht teil. gesetz – §§ 303, 304 StGB – (… StrÄndG)
Zwar verstehe ich den Wunsch und die Begründung – Gesetz zur Änderung des Strafrechtlichen Reha-
für vorgezogene Neuwahlen, die sich aus der Übermacht bilitierungsgesetzes
der CDU/CSU im Bundesrat und im Vermittlungsaus- – Gesetz zur Unternehmensintegrität und Moderni-
schuss ergibt, halte aber den eingeschlagenen Weg über sierung des Anfechtungsrechts (UMAG)
Art. 68 des Grundgesetzes für verfassungsrechtlich pro-
blematisch. – Gesetz zur Einführung von Kapitalanleger-Mus-
terverfahren
Schon im Herbst 1982 habe ich meine Bedenken ge- – Gesetz über die Offenlegung der Vorstandsvergütun-
gen das Vorgehen des damaligen CDU/CSU-Bundes- gen (Vorstandsvergütungs-Offenlegungsgesetz –
kanzlers Kohl deutlich geäußert und das tolerierende Ur- VorstOG)
teil des Bundesverfassungsgerichts für problematisch
gehalten. Diese Skepsis halte ich auch gegenüber dem – Gesetz zur Novellierung der forensischen DNA-
aktuellen Verfahren aufrecht. Analyse
17568 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 186. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. September 2005

(A) – … Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches – Unterrichtung durch die Delegation der Bundesrepublik (C)
(… StrÄndG) Deutschland in der Parlamentarischen Verammlung des
Europarates
– Gesetz zur Kontrolle hochradioaktiver Strahlen- Tagung der Parlamentarischen Versammlung des Euro-
quellen parates vom 24. bis 28. Januar 2005 in Straßburg
– Drucksachen 15/5298, 15/5510 Nr. 1 –
– Gesetz zur Einführung der projektbezogenen Me-
chanismen nach dem Protokoll von Kyoto zum – Unterrichtung durch die Bundesregierung
Rahmenübereinkommen der Vereinten Nationen Bericht der Bundesregierung über die Ergebnisse ihrer
über Klimaänderungen vom 11. Dezember 1997, Bemühungen um die Weiterentwicklung der politischen
zur Umsetzung der Richtlinie 2004/101/EG und und ökonomischen Gesamtstrategie für die Balkanstaa-
zur Änderung des Kraft-Wärme-Kopplungsgeset- ten und ganz Südosteuropa für das Jahr 2004
zes – Drucksache 15/4813 –
– Gesetz zur Straffung der Umweltstatistik – Unterrichtung durch die deutsche Delegation in der Ver-
sammlung der Westeuropäischen Union/interparlamentari-
– Gesetz zur Änderung des Straßenverkehrsgeset- sche Europäische Versammlung für Sicherheit und Vertei-
zes und anderer straßenverkehrsrechtlicher Vor- digung (WEU/iEVSV)
schriften Tagung der Versammlung vom 29. November bis
– Erstes Gesetz zur Änderung des Binnenschiff- 1. Dezember 2004 in Paris
fahrtsaufgabengesetzes – Drucksachen 15/5067, 15/5387 –

– Viertes Gesetz zur Änderung eisenbahnrechtli-


cher Vorschriften Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
– Zweites Gesetz zur Änderung des Energieeinspa-
rungsgesetzes – Unterrichtung durch die Bundesregierung
Sechzehnter Bericht nach § 35 des Bundesausbildungs-
– Gesetz zu dem Abkommen vom 31. Juli 2002 zwi- förderungsgesetzes zur Überprüfung der Bedarfssätze,
schen der Regierung der Bundesrepublik Freibeträge sowie Vomhundertsätze und Höchstbeträge
Deutschland und dem Obersten Rat der Europäi- nach § 21 Abs. 2
schen Schulen über die Europäische Schule in – Drucksache 15/4995 –
Frankfurt am Main
– Unterrichtung durch die Bundesregierung
– Gesetz zu dem Vertrag vom 10. November und Bericht zur Realisierung der Ziele des Bologna-Prozes-
19. Dezember 2003 zwischen der Bundesrepublik ses
(B) Deutschland und der Republik Österreich über (D)
– Drucksache 15/5286 –
die grenzüberschreitende Zusammenarbeit zur
polizeilichen Gefahrenabwehr und in strafrechtli-
chen Angelegenheiten Haushaltsausschuss

– Gesetz zu dem Übereinkommen der Vereinten – Unterrichtung durch die Bundesregierung


Nationen vom 15. November 2000 gegen die Haushalts- und Wirtschaftsführung 2005
grenzüberschreitende organisierte Kriminalität Überplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 16 01 Titel 712 03
sowie zu den Zusatzprotokollen gegen den Men- – Sanierung des ehemaligen Abgeordnetenhochhauses
schenhandel und gegen die Schleusung von Mi- in Bonn –
granten – Drucksachen 15/5534, 15/5634 Nr. 1.5 –
– Gesetz zur Neuorganisation der Bundesfinanzver-
waltung und zur Schaffung eines Refinanzie- Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
rungsregisters Landwirtschaft
– Gesetz zur Beschleunigung der Umsetzung von – Unterrichtung durch die Bundesregierung
Öffentlich Privaten Partnerschaften und zur Ver- Agrarpolitischer Bericht 2005 der Bundesregierung
besserung gesetzlicher Rahmenbedingungen für
– Drucksache 15/4801 –
Öffentlich Private Partnerschaften

Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen


Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben Union
mitgeteilt, dass der Ausschuss gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2
der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu der – Unterrichtung durch die Bundesregierung
nachstehenden Vorlage absieht: Bericht der Bundesregierung über ihre Bemühungen
zur Stärkung der gesetzgeberischen Befugnisse des
Europäischen Parlaments 2004
Auswärtiger Ausschuss – Drucksachen 15/4817, 15/4966 –
– Unterrichtung durch die Bundesregierung
Aktionsplan zur zivilen Krisenprävention, Konfliktlö- Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben
sung und Friedenskonsolidierung mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden EU-
– Drucksachen 15/5438, 15/5761 Nr. 1.1 – Vorlagen bzw. Unterrichtungen durch das Europäische
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 186. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 7. September 2005 17569

(A) Parlament zur Kenntnis genommen oder von einer Bera- Drucksache 15/3779 Nr. 1.28 (C)
tung abgesehen hat. Drucksache 15/4458 Nr. 2.19
Drucksache 15/5636 Nr. 1.3
Drucksache 15/5636 Nr. 1.9
Drucksache 15/5636 Nr. 1.19
Auswärtiger Ausschuss
Drucksache 15/5636 Nr. 1.23
Drucksache 15/5513 Nr. 1.4 Drucksache 15/5636 Nr. 1.24
Drucksache 15/5785 Nr. 1.8 Drucksache 15/5636 Nr. 1.25
Drucksache 15/5785 Nr. 1.9 Drucksache 15/5636 Nr. 1.26
Drucksache 15/5785 Nr. 1.10 Drucksache 15/5636 Nr. 1.27
Drucksache 15/5785 Nr. 1.12 Drucksache 15/5636 Nr. 1.28
Drucksache 15/5785 Nr. 2.2 Drucksache 15/5636 Nr. 1.29
Drucksache 15/5785 Nr. 2.3 Drucksache 15/5636 Nr. 1.30
Drucksache 15/5785 Nr. 2.13 Drucksache 15/5636 Nr. 1.31
Drucksache 15/5785 Nr. 2.26 Drucksache 15/5636 Nr. 1.40
Drucksache 15/5785 Nr. 2.4
Drucksache 15/5785 Nr. 2.5
Innenausschuss Drucksache 15/5785 Nr. 2.12
Drucksache 15/4911 Nr. 1.4 Drucksache 15/5785 Nr. 2.14
Drucksache 15/4911 Nr. 2.25 Drucksache 15/5785 Nr. 2.16
Drucksache 15/4911 Nr. 2.28 Drucksache 15/5785 Nr. 2.29
Drucksache 15/4969 Nr. 1.5 Drucksache 15/5785 Nr. 2.31
Drucksache 15/4969 Nr. 1.6
Drucksache 15/5636 Nr. 1.10
Drucksache 15/5636 Nr. 1.13 Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Drucksache 15/5636 Nr. 1.20 Drucksache 15/5297 Nr. 2.26
Drucksache 15/5636 Nr. 1.34

Ausschuss für Verkehr, Bau und Wohnungswesen


Rechtsausschuss
Drucksache 15/5636 Nr. 1.16
Drucksache 15/3876 Nr. 1.15 Drucksache 15/5636 Nr. 1.32
Drucksache 15/5172 Nr. 1.9
Drucksache 15/5297 Nr. 2.18
Drucksache 15/5297 Nr. 2.19
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und
Drucksache 15/5396 Nr. 2.1
Reaktorsicherheit
Drucksache 15/5396 Nr. 2.8
Drucksache 15/5785 Nr. 1.1

(B) Finanzausschuss (D)


Drucksache 15/5636 Nr. 1.1 Ausschuss für Bildung, Forschung und
Drucksache 15/5636 Nr. 1.2 Technikfolgenabschätzung
Drucksache 15/5636 Nr. 1.39 Drucksache 15/5172 Nr. 1.6
Drucksache 15/5785 Nr. 2.23 Drucksache 15/5636 Nr. 1.14
Drucksache 15/5785 Nr. 2.10

Haushaltsausschuss
Drucksache 15/5513 Nr. 2.10 Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Drucksache 15/5636 Nr. 1.17 Entwicklung
Drucksache 15/5396 Nr. 2.7
Drucksache 15/5396 Nr. 1.14
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit Drucksache 15/5513 Nr. 2.19
Drucksache 15/5636 Nr. 1.5 Drucksache 15/5513 Nr. 2.20
Drucksache 15/5636 Nr. 1.15 Drucksache 15/5513 Nr. 2.21
Drucksache 15/5636 Nr. 1.18 Drucksache 15/5636 Nr. 1.37
Drucksache 15/5636 Nr. 1.22 Drucksache 15/5785 Nr. 1.2
Drucksache 15/5636 Nr. 1.35 Drucksache 15/5785 Nr. 2.18
Drucksache 15/5785 Nr. 2.1 Drucksache 15/5785 Nr. 2.21
Drucksache 15/5785 Nr. 2.6
Drucksache 15/5785 Nr. 2.9
Drucksache 15/5785 Nr. 2.11 Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Drucksache 15/5785 Nr. 2.15 Union
Drucksache 15/5785 Nr. 2.17
Drucksache 15/2793 Nr. 2.43
Drucksache 15/5785 Nr. 2.19
Drucksache 15/3403 Nr. 2.85
Drucksache 15/5785 Nr. 2.20
Drucksache 15/3779 Nr. 1.6
Drucksache 15/5785 Nr. 2.22
Drucksache 15/4458 Nr. 1.1
Drucksache 15/5785 Nr. 2.27
Drucksache 15/4567 Nr. 1.6
Drucksache 15/5785 Nr. 2.30
Drucksache 15/4969 Nr. 1.12
Drucksache 15/4969 Nr. 1.22
Drucksache 15/5172 Nr. 1.8
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Drucksache 15/5297 Nr. 2.11
Landwirtschaft Drucksache 15/5396 Nr. 1.15
Drucksache 15/1613 Nr. 1.17 Drucksache 15/5396 Nr. 2.4
Drucksache 15/1613 Nr. 1.33 Drucksache 15/5636 Nr. 1.8
Drucksache 15/1613 Nr. 1.42 Drucksache 15/5636 Nr. 1.38
Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co., Buch- und Offsetdruckerei, Bessemerstraße 83–91, 12103 Berlin
Vertrieb: Bundesanzeiger Verlagsgesellschaft mbH, Amsterdamer Str. 192, 50735 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Telefax (02 21) 97 66 83 44
ISSN 0722-7980

Das könnte Ihnen auch gefallen