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Plenarprotokoll 17/25

Deutscher Bundestag
Stenografischer Bericht

25. Sitzung

Berlin, Freitag, den 26. Februar 2010

Inhalt:

Tagesordnungspunkt 18: Roderich Kiesewetter (CDU/CSU) . . . . . . . . 2196 D


– Beschlussempfehlung und Bericht des Präsident Dr. Norbert Lammert . . . . . . . . . . . 2198 A
Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag
der Bundesregierung: Fortsetzung der
Namentliche Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . 2199 A
Beteiligung bewaffneter deutscher
Streitkräfte an dem Einsatz der Inter-
nationalen Sicherheitsunterstützungs- Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2201 C
truppe in Afghanistan (International
Security Assistance Force, ISAF) unter
Führung der NATO auf Grundlage der Tagesordnungspunkt 19:
Resolutionen 1386 (2001) und folgender
a) Antrag der Fraktion der SPD: 10 Jahre
Resolutionen, zuletzt Resolution 1890
EEG – Auf dem besten Weg zu einer
(2009) des Sicherheitsrates der Verein-
ökologischen und sozialen Ener-
ten Nationen
giewende
(Drucksachen 17/654, 17/816) . . . . . . . . . 2181 B
(Drucksache 17/778) . . . . . . . . . . . . . . . . 2199 B
– Bericht des Haushaltsausschusses gemäß
b) Antrag der Abgeordneten Hans-Josef Fell,
§ 96 der Geschäftsordnung
Bärbel Höhn, Sylvia Kotting-Uhl, weiterer
(Drucksache 17/819) . . . . . . . . . . . . . . . . . 2181 B
Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
Dr. Rainer Stinner (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . 2181 C NIS 90/DIE GRÜNEN: Erneuerbare
Energie ausbauen statt Atomkraft ver-
Dr. Frank-Walter Steinmeier (SPD) . . . . . . . . 2183 A längern
Dr. Andreas Schockenhoff (CDU/CSU) . . . . . 2184 C (Drucksache 17/799) . . . . . . . . . . . . . . . . 2199 C
Christine Buchholz (DIE LINKE) . . . . . . . . . 2186 A Dr. Hermann Scheer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . 2199 C
Renate Künast (BÜNDNIS 90/ Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 2203 B
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2187 B Ulrich Kelber (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2205 D
Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 2206 A
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2189 B
Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/
Präsident Dr. Norbert Lammert . . . . . . . . . . . 2189 D DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2206 A
Elke Hoff (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2190 A Michael Kauch (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2207 C
Christoph Strässer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 2191 B Dr. Hermann Scheer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . 2208 D
Jürgen Hardt (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 2192 C Michael Kauch (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2209 B
Florian Hahn (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 2194 A Dr. Maria Flachsbarth (CDU/CSU) . . . . . . . . 2209 D
Lars Klingbeil (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2195 B Rolf Hempelmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 2212 B
II Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 25. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. Februar 2010

Klaus Breil (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2213 C Gesetzes zur Änderung des Staatsangehö-


rigkeitsrechts
Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/
(Drucksache 17/773) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2230 A
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2214 B
Memet Kilic (BÜNDNIS 90/
Michael Kauch (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . 2215 B DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2230 B
Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 2215 D Ingo Wellenreuther (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 2231 A
Dirk Becker (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2217 C Rüdiger Veit (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2232 C
Horst Meierhofer (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . 2219 A Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP) . . . . . . . . 2234 B
Marie-Luise Dött (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 2220 B Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU) . . . . 2235 D
Memet Kilic (BÜNDNIS 90/
Tagesordnungspunkt 20: DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2236 C
Beschlussempfehlung und Bericht des Vertei-
digungsausschusses zu der Unterrichtung Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2238 D
durch den Wehrbeauftragten: Jahresbericht
2008 (50. Bericht)
(Drucksachen 16/12200, 17/591 Nr. 1.6, 17/713) 2221 D Anlage 1
Reinhold Robbe, Wehrbeauftragter Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 2239 A
des Deutschen Bundestages . . . . . . . . . . . . 2222 A
Anita Schäfer (Saalstadt) (CDU/CSU) . . . . . . 2223 D Anlage 2
Karin Evers-Meyer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 2225 A Erklärung nach § 31 GO zur namentlichen
Christoph Schnurr (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . 2226 B Abstimmung zu dem Antrag: Fortsetzung der
Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte
Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/ an dem Einsatz der Internationalen Sicher-
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2227 D heitsunterstützungstruppe in Afghanistan (In-
Thomas Kossendey, Parl. Staatssekretär ternational Security Assistance Force, ISAF)
BMVg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2228 D unter Führung der NATO auf Grundlage der
Resolutionen 1386 (2001) und folgender Re-
solutionen, zuletzt Resolution 1890 (2009)
Tagesordnungspunkt 21: des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen
(Tagesordnungspunkt 18)
Antrag der Abgeordneten Jan Korte, Klaus
Ernst, Dr. Petra Sitte, weiterer Abgeordneter Ralph Brinkhaus (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 2239 D
und der Fraktion DIE LINKE: Datenschutz Wolfgang Börnsen (Bönstrup)
für Beschäftigte stärken (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2240 A
(Drucksache 17/779) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2229 D
Josip Juratovic (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2240 D
Manfred Kolbe (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 2241 A
Tagesordnungspunkt 22: Dr. h. c. Jürgen Koppelin (FDP) . . . . . . . . . . 2241 C
Erste Beratung des von den Abgeordneten Agnes Krumwiede (BÜNDNIS 90/
Memet Kilic, Josef Philip Winkler, Volker DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2241 D
Beck (Köln), weiteren Abgeordneten und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN einge- Patrick Kurth (Kyffhäuser) (FDP) . . . . . . . . . 2242 D
brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Strei-
Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/
chung des Optionszwangs aus dem Staats-
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2242 D
angehörigkeitsrecht
(Drucksache 17/542) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2230 A Aydan Özoğuz (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2243 C
Mechthild Rawert (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 2243 D
in Verbindung mit

Anlage 3
Zusatztagesordnungspunkt 6:
Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten
Erste Beratung des von den Abgeordneten Hans-Christian Ströbele, Winfried Hermann,
Rüdiger Veit, Dr. Dieter Wiefelspütz, Olaf Memet Kilic, Sylvia Kotting-Uhl, Agnes
Scholz, weiteren Abgeordneten und der Frak- Krumwiede, Monika Lazar, Lisa Paus,
tion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Dorothea Steiner und Dr. Harald Terpe (alle
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 25. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. Februar 2010 III

BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur namentli- unter Führung der NATO auf Grundlage der
chen Abstimmung zu dem Antrag: Fortset- Resolutionen 1386 (2001) und folgender Re-
zung der Beteiligung bewaffneter deutscher solutionen, zuletzt Resolution 1890 (2009)
Streitkräfte an dem Einsatz der Internationa- des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen
len Sicherheitsunterstützungstruppe in Afgha- (Tagesordnungspunkt 18) . . . . . . . . . . . . . . . . 2247 D
nistan (International Security Assistance
Force, ISAF) unter Führung der NATO auf
Grundlage der Resolutionen 1386 (2001) und Anlage 6
folgender Resolutionen, zuletzt Resolution
1890 (2009) des Sicherheitsrates der Verein- Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten
ten Nationen (Tagesordnungspunkt 18) . . . . . 2244 C Ute Koczy und Ingrid Nestle (beide BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN) zur namentlichen Ab-
stimmung zu dem Antrag: Fortsetzung der
Anlage 4 Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte
an dem Einsatz der Internationalen Sicher-
Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten heitsunterstützungstruppe in Afghanistan (In-
Agnes Malczak, Katja Dörner, Uwe Kekeritz, ternational Security Assistance Force, ISAF)
Sven-Christian Kindler, Maria Anna Klein- unter Führung der NATO auf Grundlage der
Schmeink, Beate Müller-Gemmeke und Resolutionen 1386 (2001) und folgender Re-
Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (alle BÜND- solutionen, zuletzt Resolution 1890 (2009)
NIS 90/DIE GRÜNEN) zur namentlichen Ab- des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen
stimmung zu dem Antrag: Fortsetzung der (Tagesordnungspunkt 18) . . . . . . . . . . . . . . . . 2248 B
Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte
an dem Einsatz der Internationalen Sicher-
heitsunterstützungstruppe in Afghanistan (In- Anlage 7
ternational Security Assistance Force, ISAF)
unter Führung der NATO auf Grundlage der Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung
Resolutionen 1386 (2001) und folgender Re- des Antrags: Datenschutz für Beschäftigte
solutionen, zuletzt Resolution 1890 (2009) stärken (Tagesordnungspunkt 21)
des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen Gitta Connemann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 2249 A
(Tagesordnungspunkt 18) . . . . . . . . . . . . . . . . 2245 C
Michael Frieser (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 2249 D

Anlage 5 Josip Juratovic (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2250 D

Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Gisela Piltz (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2252 A


Dr. Bärbel Kofler, Burkhard Lischka und Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/
Sonja Steffen (alle SPD) zur namentlichen DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2252 D
Abstimmung zu dem Antrag: Fortsetzung der
Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte
an dem Einsatz der Internationalen Sicher- Anlage 8
heitsunterstützungstruppe in Afghanistan (In-
ternational Security Assistance Force, ISAF) Amtliche Mitteilungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2253 B
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 25. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. Februar 2010 2181

(A) (C)

Redetext

25. Sitzung

Berlin, Freitag, den 26. Februar 2010

Beginn: 9.00 Uhr

Präsident Dr. Norbert Lammert: stattfinden. Denn die Fraktionen schlagen gemeinsam
Die Sitzung ist eröffnet. vor, für die Aussprache eine Zeit von insgesamt 90 Mi-
nuten vorzusehen. Ich nehme an, dass es dazu Einver-
Guten Morgen liebe Kolleginnen und Kollegen! Neh- nehmen gibt. – Dann ist das so beschlossen.
men Sie bitte Platz.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zu-
Ich rufe Tagesordnungspunkt 18 auf: nächst dem Kollegen Dr. Rainer Stinner für die FDP-
– Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- Fraktion.
richts des Auswärtigen Ausschusses (3. Aus- (Beifall bei der FDP)
schuss) zu dem Antrag der Bundesregierung
Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deut- Dr. Rainer Stinner (FDP):
scher Streitkräfte an dem Einsatz der Interna- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
(B) tionalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Ende Oktober 2001 stimmten 64 Prozent der Deutschen (D)
Afghanistan (International Security Assis- in der Bundesrepublik Deutschland dafür, dass wir uns
tance Force, ISAF) unter Führung der NATO an dem militärischen Einsatz in Afghanistan beteiligen.
auf Grundlage der Resolutionen 1386 (2001) Im März 2002, nach den ersten deutschen Verlusten und
und folgender Resolutionen, zuletzt Resolution Verwundungen von Soldaten, stimmten 66 Prozent der
1890 (2009) des Sicherheitsrates der Vereinten deutschen Bürger dafür, dass sich die Bundeswehr wei-
Nationen terhin am Afghanistan-Mandat beteiligt.
– Drucksachen 17/654, 17/816 – Es ist also nicht so, meine Damen und Herren, dass
sich die Bundesrepublik Deutschland gegen den Willen
Berichterstattung: der deutschen Bevölkerung in Afghanistan engagiert
Abgeordnete Philipp Mißfelder und beteiligt hat. Nein, sie hat sich ausdrücklich mit Un-
Dr. Rolf Mützenich terstützung der Bevölkerung daran beteiligt.
Dr. Rainer Stinner
Jan van Aken (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
Kerstin Müller (Köln) der CDU/CSU)
– Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) Wir wissen alle, dass die Unterstützung der Bevölke-
gemäß § 96 der Geschäftsordnung rung zurückgegangen ist und dass sich die Situation ge-
ändert hat. Das hängt ohne jeden Zweifel auch mit eige-
– Drucksache 17/819 – nen Fehlern der NATO zusammen. Aber was folgern wir
Berichterstattung: daraus? Die Minderheit in diesem Haus folgert daraus,
Abgeordnete Herbert Frankenhauser jetzt überstürzt aus Afghanistan abzuziehen, die Afgha-
Klaus Brandner ninnen und Afghanen allein ihrem Schicksal zu überlas-
Dr. h. c. Jürgen Koppelin sen, einen Flächenbrand zu riskieren und Gefahr für die
Michael Leutert Welt heraufzubeschwören. Das ist falsch. Das lehnen wir
Sven-Christian Kindler ab.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion
der CDU/CSU)
Bündnis 90/Die Grünen vor. Über die Beschlussempfeh-
lung zum Antrag der Bundesregierung werden wir später Die Mehrheit, zu der wir gehören, folgert daraus, dass
namentlich abstimmen. Die namentliche Abstimmung wir aus eigenen Fehlern lernen und besser werden müs-
wird voraussichtlich gegen 10.30 Uhr oder 10.40 Uhr sen. Genau dazu trägt das neue Mandat erheblich bei.
2182 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 25. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. Februar 2010

Dr. Rainer Stinner


(A) (Widerspruch des Abg. Hans-Christian Ströbele ren gefährlichen, schweren Einsatz in Afghanistan (C)
[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) aussprechen.
Leider ist der Öffentlichkeit zu wenig bekannt – offen- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie
sichtlich ist es auch Ihnen nicht bekannt, Herr Ströbele –, bei Abgeordneten der SPD und des BÜND-
welchen grundsätzlichen Neuanfang wir mit diesem NISSES 90/DIE GRÜNEN)
Mandat machen. Ich weiß, dass es eine ganz große Mehrheit der Afgha-
Es war richtig, dass die Bundesregierung den Lon- nen genauso sieht – einige in diesem Hause mögen es
don-Prozess selbst aktiv angestoßen und selbst aktiv be- nicht wahrhaben –: Sie unterstützt den Einsatz der Bun-
trieben hat. Es war richtig, dass wir uns die Zeit dafür deswehr und will sie dahaben.
genommen haben. Denn wir haben erstmals in der (Widerspruch bei Abgeordneten der LINKEN)
NATO ein gemeinsam definiertes klares Ziel für Afgha-
nistan. Wir haben erstmals in all den acht Jahren in der – Die große Mehrheit der Afghanen will das so.
NATO eine gemeinsam definierte Strategie als Weg zum Es geht bei diesem Mandat um vieles; aber um drei
Ziel. Wir haben erstmals das umgesetzt, was wir jahre- Dinge – das möchte ich deutlich herausstellen – geht es
lang vor uns hergetragen haben. Wir haben erstmals in eben nicht:
Deutschland den vernetzten Ansatz umgesetzt.
Erstens. Es geht nicht um die Alternative „Krieg oder
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Frieden“; diese Wahl haben wir in der Weise nicht. Es
der CDU/CSU) geht nur darum, auf welche Art der Konflikt in Afgha-
nistan ausgetragen wird.
Noch niemals zuvor in all den acht Jahren haben die
beteiligten Ministerien unter Führung des Außenministe- (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE
riums so intensiv gemeinsam an dem Afghanistan-Man- GRÜNEN]: Der Krieg!)
dat gearbeitet, gemeinsam analysiert und gemeinsam Zweitens. Wollen wir das Land durch einen soforti-
Maßnahmen definiert. Leider wissen zu wenige in gen Abzug, den manche wollen – Herr Ströbele, Sie of-
Deutschland, auch im Deutschen Bundestag, welche fensichtlich auch –, in unübersehbares Chaos stürzen,
Fortschritte und Ergebnisse unser bisheriges Engage- die Region destabilisieren und unsere Sicherheit gefähr-
ment gebracht hat. den, oder setzen wir uns, Herr Ströbele, für ein verant-
Ich will nur ein Beispiel nennen. Wir haben neulich wortbares Abzugsszenario ein? Das ist die Frage. Es
eine sehr eindrucksvolle Präsentation des Deutschen geht nicht um die Frage: Abziehen oder dableiben? Nie-
mand von uns möchte ad infinitum in Afghanistan blei-
(B) Akademischen Austauschdienstes erlebt, in der darge- (D)
stellt wurde, dass in Afghanistan mit deutscher Hilfe die ben. Nein, es geht nur darum, dass wir einen sinnvollen,
Technische Fakultät der Universität Herat aufgebaut geordneten Weg finden, unser militärisches Engagement
wird, dass dort mittlerweile Tausende von Afghaninnen zu reduzieren.
und Afghanen ausgebildet werden und dass, oh Wunder, (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]:
diese ausgebildeten Studenten nach Abschluss ihres Stu- Plus 850!)
diums in Afghanistan eine Arbeitsstelle bekommen. Von
einer solchen Arbeitsplatzperspektive träumt manch – Frau Enkelmann, dieses Mandat sieht dafür zum ersten
deutscher Student. Mal konkrete Maßnahmen vor: Es beschreibt erstmals
den Weg zu einem realistischen Abzugsszenario.
(Beifall bei der FDP)
Drittens. Es geht auch nicht um die Alternative „Un-
Wir haben dann den Damen und Herren vom DAAD ge- terstützung oder Kampfeinsatz“. Wir wissen und akzep-
sagt: Präsentiert das doch auch der Presse! Das ist doch tieren – das müssen wir auch öffentlich sagen –, dass es
so wichtig! – Sie haben geantwortet: Wenn wir es der in Afghanistan um beides geht: um Unterstützung, Ver-
Presse anbieten, kommt sie nicht; sie hört nicht zu. Of- mittlung und Hilfe, aber auch um Kampf. Das müssen
fensichtlich gilt hier: Bad news are good news; die guten wir der Öffentlichkeit sagen.
Nachrichten werden nicht gehört.
(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Es
Wir müssen weiterhin den zivilen Aufbau in Afgha- geht um Krieg!)
nistan intensiv unterstützen und bestärken. Dafür brau- In Afghanistan gibt es zivile Opfer; das ist wahr. Die
chen wir weiterhin die Bundeswehr: Sie macht die zivile große Mehrheit der zivilen Opfer wird aber durch die Ta-
Entwicklung erst möglich. liban verursacht. Auch heute Morgen wieder: Die Opfer,
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – die wir heute Morgen in Kabul zu beklagen haben, sind
Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: In Opfer der Taliban, nicht der NATO oder der Bundes-
Kunduz!) wehr.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Unsere Soldaten sollen stolz darauf sein, dass auf
Grundlage ihres Einsatzes, ihres Beitrages dieser Weg Ich weiß aber – das sage ich deutlich –: Jawohl, auch die
der Entwicklung erst möglich wird. Ich möchte von die- NATO und die Bundeswehr haben zu zivilen Opfern bei-
sem Platz aus – hoffentlich auch in Ihrem Namen – unse- getragen. Das bedauern wir außerordentlich. Wir müssen
ren Soldaten unsere ausdrückliche Anerkennung für ih- alles tun, damit die Zahl der Opfer minimiert wird.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 25. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. Februar 2010 2183
Dr. Rainer Stinner
(A) Eines ist aber ganz sicher: Die Zahl der zivilen Opfer Gerade weil wir unsere Haltung nicht von Ihren Vor- (C)
in Afghanistan und darüber hinaus, die Qual von Millio- schlägen abhängig machen wollten, haben wir an unse-
nen Bürgerinnen und Bürgern, von Männern, Frauen und ren eigenen Vorstellungen gearbeitet, fußend auf einem
Kindern, in Afghanistan würde unendlich viel größer Zehnpunkteplan vom September des vergangenen Jah-
werden, wenn wir unverantwortlicherweise sofort abzie- res, die im Verlaufe der ersten zwei Monate dieses Jahres
hen würden, wenn wir das Land den Gegnern von Men- mit nationalen und internationalen Experten, mit NGOs,
schenrechten, der Menschenwürde und der Zivilisation mit Kirchen und mit vielen anderen diskutiert wurden.
überlassen würden. Deshalb tun wir das nicht; deshalb Der Weg, den wir danach beschrieben haben, ist klar:
unterstützt die FDP-Fraktion den Ansatz der „Übergabe keine zusätzlichen Kampftruppen, Verdoppelung der fi-
der Verantwortung“. Wir stellen uns dieser Aufgabe. Die nanziellen Mittel für den zivilen Wiederaufbau, deutlich
Fraktion wird heute mit sehr großer Mehrheit dem Man- mehr Anstrengung für die Ausbildung afghanischer Si-
dat zustimmen. cherheitskräfte, Übergabe von beruhigten Regionen an
die afghanische Staatlichkeit und parallel dazu ab 2011
Vielen Dank. Beginn des Abzugs deutscher Soldatinnen und Soldaten
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) aus Afghanistan. Und wir haben hinzugefügt: In einem
Korridor zwischen 2013 und 2015 soll der militärische
Teil dieses Einsatzes, dieses Engagements zu Ende kom-
Präsident Dr. Norbert Lammert: men.
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Frank-Walter
Steinmeier für die SPD-Fraktion. (Zuruf von der LINKEN: Krieg ist kein
Engagement!)
(Beifall bei der SPD)
Wir haben gesehen – das begrüßen wir –, dass viele
dieser Forderungen in dem von der Bundesregierung
Dr. Frank-Walter Steinmeier (SPD): vorgelegten Mandatsantrag enthalten sind. Entscheidend
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und ist für uns, dass der Perspektivenwechsel vom Dauerauf-
Herren! Das ist kein ganz gewöhnlicher Tag für das Par- enthalt deutscher Streitkräfte in Afghanistan hin zur
lament, und das ist keine ganz einfache Entscheidung Beendigung des Militäreinsatzes im Mandatsantrag
auch und gerade für die SPD-Fraktion hier im Deutschen aufgenommen ist. Das sind die entscheidenden Gründe,
Bundestag. Wenn ich gleichwohl meiner Fraktion die weshalb wir nach gründlicher Prüfung diesen Antrag un-
Zustimmung zum Mandat empfohlen habe, dann tue terstützen können. Es bleiben – das will ich nicht ver-
ich dies in der Verantwortung für die Menschen in hehlen – kritische Fragen, viele kritische Fragen. Wir ha-
Afghanistan; wir stimmen zu, weil wir nach acht Jahren ben sie in der Partei und der Fraktion diskutiert, und wir
(B) (D)
des Aufenthalts deutscher Soldatinnen und Soldaten in haben hart gerungen, bevor wir uns abschließend ent-
Afghanistan schieden haben. Wenn es kritische Stimmen gab – auch
das will ich nicht verhehlen –, dann betrafen sie nicht
(Zuruf von der LINKEN: Aufenthalt!) Zweifel an denjenigen, die in Afghanistan unter schwie-
die Weichen für die Beendigung dieses Einsatzes stellen rigen Bedingungen ihren Dienst tun: Polizisten, zivile
müssen und auch weil, meine Damen und Herren von Wiederaufbauhelfer, Soldaten und Diplomaten. An de-
der Linkspartei, die Beendigung eines solchen Einsatzes nen zweifeln wir nicht. Deshalb danken wir ihnen zu-
vorbereitet werden muss, damit – auch das ist eine Frage nächst einmal an dieser Stelle.
der Sicherheit deutscher Soldaten – kein kopfloser Wett- (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der
bewerb der Streitkräfte einsetzt, FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNIS-
SES 90/DIE GRÜNEN)
(Zuruf von der LINKEN: Kopflos sind Sie,
Herr Steinmeier!) Die Kritik und die Zweifel, die es gegeben hat und über
die wir diskutiert haben, haben einen anderen Grund. Es
die gegenwärtig ihren Dienst in Afghanistan tun. sind Zweifel an der Führungsfähigkeit der Bundes-
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der regierung nach einem Dauerstreit, den wir seit 120 Ta-
FDP) gen erleben, auch nach Vorgängen, die hier im Parlament
eine Rolle gespielt haben, Herr zu Guttenberg, bei denen
Es geht heute um einen Perspektivenwechsel. Es es um völlig unterschiedliche Bewertungen über einen
geht einerseits um die Sicherung des Erreichten, ande- Einsatz am Kunduz-Fluss ging, und nach manchem
rerseits um die Ertüchtigung der afghanischen Staatlich- leichtfertigen Gerede, das hier über Krieg oder Nicht-
keit, aber auch – darauf kommt es mir an – um die Vor- krieg in Afghanistan stattgefunden hat.
bereitung der Beendigung unserer militärischen Präsenz
dort. Weil es darum geht, missverstehen Sie, meine Da- Deshalb – ich wiederhole es – ist dies keine leichte
men und Herren von der Regierung, die Haltung der Entscheidung, gerade für uns nicht. Es geht hier nicht
SPD nicht! Das ist kein Vertrauensvorschuss für diese um Leistungen oder Fehlleistungen der Bundesregie-
Regierung. Den haben Sie sich leider in den ersten rung, sondern um die Menschen in Afghanistan und um
120 Tagen Ihrer Amtszeit nicht verdient. unsere Sicherheit. Weil Sie im Kern den Weg einge-
schlagen haben, den wir beschrieben haben und für rich-
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten tig halten, haben Sie in diesem Falle heute unsere Unter-
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) stützung. Aber gleichzeitig ist klar: Das ist kein
2184 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 25. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. Februar 2010

Dr. Frank-Walter Steinmeier


(A) Freibrief. Das ist ein Mandat für zwölf Monate. Wir wer- Dr. Andreas Schockenhoff (CDU/CSU): (C)
den sehr genau verfolgen, ob Sie die heute gemachten Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Zusagen einhalten und im nächsten Jahr, in den nächsten Herren! Das Mandat, das wir heute debattieren, ist das
zwölf Monaten, die Weichen für einen schrittweise erfol- Ergebnis einer umfassenden Überprüfung und Neuaus-
genden Abzug ab 2011 und dann anschließend für eine richtung unserer Anstrengungen in Afghanistan.
Vorbereitung auf die Beendigung des militärischen Ein- Deutschland wird seine Hilfe für den zivilen Aufbau ver-
satzes, wie im Mandat beschrieben, stellen. Diese Ab- doppeln und die Ausbildung der afghanischen Sicher-
zugsperspektive ist für uns entscheidend. heitskräfte erheblich verstärken. Die CDU/CSU-Bun-
destagsfraktion unterstützt dies nachdrücklich; denn nur
(Beifall bei der SPD)
so werden wir – vielleicht schon in diesem Jahr – mit
Wir sind nicht von allem überzeugt. Wir sagen: Die dem Prozess der Übergabe in Verantwortung an die af-
Abzugsperspektive ist das Zentrale; deshalb tragen wir ghanische Regierung beginnen können.
die Erhöhung des Kontingentes mit.
Die Londoner Konferenz vom 28. Januar 2010 hat
(Christine Buchholz [DIE LINKE]: Das ist den richtigen Strategiewechsel gebracht. Dass dies er-
eine Logik! Das kann nur die SPD!) reicht wurde, hat allerdings viel damit zu tun, dass die
Bundeskanzlerin im August letzten Jahres diese Konfe-
– Sie sind eben nicht fähig, sich für Prioritäten zu ent- renz initiiert und das Konzept der Übergabe in Verant-
scheiden. – Wir tragen wegen der Abzugsperspektive die wortung geprägt hat. Dafür danken wir ihr nachdrück-
Erhöhung des Kontingentes mit. Wir sind aber nicht rest- lich.
los überzeugt – das haben Sie in den Gesprächen gespürt –
von der Größenordnung der flexiblen Reserve. Deshalb (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
erwarten wir, dass in den Ausschüssen in jedem Fall ei-
nes Einsatzes aus der Reserve ausführlich dargelegt Jetzt ist der Einstieg in eine schrittweise Übergabe der
wird, dass er zeitlich begrenzt und zu vorübergehenden Verantwortung für Wiederaufbau und Sicherheit in
Zwecken stattfindet und nur unter diesen Voraussetzun- afghanische Hände schon ab diesem Jahr vereinbart. Da-
gen Soldaten in Richtung Afghanistan geschickt werden. für wird die internationale Gemeinschaft die zivile Hilfe
verstärken und den Aufbau der afghanischen Sicher-
Herr zu Guttenberg, Herr Westerwelle, wir werden heitsorgane forcieren. Gemeinsam mit der afghanischen
Sie an Ihren Taten messen, Regierung – das ist das Entscheidende – wurden die
Zielmarken gesetzt. Die Zahl der Soldaten und Polizis-
(Volker Kauder [CDU/CSU]: Sehr gut!)
ten soll von derzeit knapp 200 000 auf über 300 000 an-
wenn wir in zwölf Monaten über eine Verlängerung die- wachsen, damit die afghanische Regierung ihr Ziel errei-
(B) ses Einsatzes zu entscheiden haben. chen kann, bis 2014 selbstständig für Sicherheit in (D)
Afghanistan sorgen zu können. Wir haben in London
(Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Das ist eine also die Grundlage für eine Abzugsperspektive für un-
Karikatur hier!) sere Soldatinnen und Soldaten geschaffen. Ja, der Ein-
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir als Parlamenta- satz dauert länger, und er ist schwieriger, als wir zu Be-
rier sollten es dabei für heute nicht bewenden lassen, ginn, vor gut acht Jahren, gedacht haben. Doch mit der
sondern das, was in diesem Mandat beschrieben ist und Umsetzung der Londoner Strategie haben wir die
sich mit unseren Vorstellungen von der Weiterführung Chance, in einzelnen Distrikten in unserem Verantwor-
und Beendigung unseres Einsatzes dort verbindet, in den tungsbereich in Nordafghanistan mit der Übergabe der
nächsten zwölf Monaten und darüber hinaus gründlich Verantwortung Anfang 2011 zu beginnen und dann nicht
und kritisch unter die Lupe nehmen. mehr benötigte Fähigkeiten zu reduzieren. Das ist die
Perspektive für den Beginn des Abzugs.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Beendet werden kann der ISAF-Einsatz, wenn in
Deshalb ist mein Vorschlag, dass wir aus der Mitte des Afghanistan eine selbsttragende Stabilität und eine
Parlaments den Auftrag erteilen, den Afghanistan-Ein- selbsttragende Sicherheit geschaffen sind, das heißt,
satz einer systematischen und regelmäßigen Untersu- wenn von Afghanistan keine Gefährdung mehr für die
chung zu unterziehen. Wir von der SPD-Fraktion werden internationale Gemeinschaft ausgeht. Wir würden unse-
Ihnen allen dazu einen Vorschlag unterbreiten. Ich würde ren eigenen Anstrengungen, unserer eigenen Sicherheit
mich freuen – das darf ich Ihnen zum Abschluss sagen –, schaden, wenn wir vorzeitig abziehen würden. Afghanis-
wenn wir einen solchen Vorschlag der SPD zu einer Un- tan darf nicht wieder zu einem gescheiterten Staat wer-
tersuchung mit einem gemeinsamen parlamentarischen den, von dem aus Terroristen gegen uns agieren können.
Antrag aller Fraktionen im Deutschen Bundestag unter-
stützen könnten. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Herzlichen Dank Ihnen allen. Doch unser verstärktes Engagement in Afghanistan
kann nur dann erfolgreich sein, wenn auch die afghani-
(Beifall bei der SPD) sche Regierung ihre Hausaufgaben macht. Sie muss die
in London eingegangenen Verpflichtungen zügig und
Präsident Dr. Norbert Lammert: mit Nachdruck umsetzen. Wir erwarten, dass sie konse-
Dr. Andreas Schockenhoff ist der nächste Redner für quenter und nachhaltiger als bisher Defizite hinsichtlich
die CDU/CSU-Fraktion. verantwortungsvoller Regierungsführung, Bekämpfung
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 25. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. Februar 2010 2185
Dr. Andreas Schockenhoff
(A) von Drogen und Korruption sowie Schutz der Men- ken für die Übergabe der Verantwortung, bei deren (C)
schenrechte angeht. Nur so kann sie das Vertrauen der Erreichen ein Reduzierungsschritt erfolgen kann. Eine
afghanischen Bevölkerung in ihre eigene Regierung stär- schrittweise Reduzierung der militärischen Präsenz ist
ken. Die Einrichtung von Antikorruptionsbehörden in zwingend an Fortschritte beim zivilen Aufbau und beim
der Regierung sowie einer Antikorruptionseinheit beim Aufwuchs der afghanischen Sicherheitskräfte gekoppelt.
afghanischen Staatsanwalt sind richtige Maßnahmen. Deshalb investieren wir nicht nur in unsere Ausbildungs-
Doch nun ist auch konkretes Handeln gefragt. Die afgha- bemühungen, sondern verdoppeln auch unsere jährli-
nische Regierung muss ihrer Bevölkerung jetzt bewei- chen Mittel für den zivilen Aufbau in Afghanistan auf
sen, dass ihre eigene Regierung für spürbare Verbesse- 430 Millionen Euro. Zögen wir vorzeitig oder gar über-
rungen in ihrem Leben sorgt. In diesem Kontext ist es stürzt ab, würden wir das bisher Erreichte verspielen.
nicht hinnehmbar, dass der afghanische Präsident den Unsere Soldaten und Entwicklungshelfer haben in den
Vereinten Nationen das Vorschlagsrecht für die Leitung letzten Jahren Großes geleistet und viel erreicht. Ihnen
der Wahlbeschwerdekommission entzogen hat. Die gebührt unser Dank und unsere Anerkennung.
Überparteilichkeit der Wahlbeschwerdekommission
muss sichergestellt werden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, in Afghanistan
herrscht ein bewaffneter Konflikt, auch im deutschen
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Verantwortungsbereich im Norden. Verteidigungsminis-
der FDP) ter zu Guttenberg hat dies frühzeitig benannt, und
Ein wichtiger, ebenfalls in London vereinbarter An- Außenminister Westerwelle hat dies bekräftigt und zur
satz ist das von der afghanischen Regierung eigenverant- Position der Bundesregierung gemacht. Unsere Soldatin-
wortlich durchgeführte Wiedereingliederungspro- nen und Soldaten brauchen Rechtssicherheit und Klar-
gramm, das bereits in der Kritik steht, bevor es heit für ihren Einsatz. Die Neubewertung durch die Bun-
überhaupt erste Ergebnisse zeigen kann. Die Terroristen desregierung hat dafür ein eindeutiges politisches Signal
von al-Qaida und der Taliban sind zweifellos keine irre- gesetzt.
geleiteten Idealisten, die durch Dialog von ihrem Weg (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
abgebracht werden könnten. Sie sind entschlossene Fa-
natiker, die ihre Gewaltherrschaft wiederherstellen wol- Für die Bundesregierung sind für den Einsatz der
len. Es wäre naiv, zu glauben, dass die Extremisten die Bundeswehr in Afghanistan die Regeln des humanitä-
Verfassung, die sie heute bekämpfen, jemals anerkennen ren Völkerrechts maßgebend und nicht das deutsche
werden. Strafrecht. Die einschlägigen Rechtsnormen aus den
Genfer Abkommen und Zusatzprotokollen, etwa zum
Doch darum geht es in diesem Programm nicht. Wir
Waffeneinsatz gegen gegnerische Kämpfer, zum Schutz (D)
(B) wollen die Mitläufer unter den Aufständischen errei-
der Zivilbevölkerung und zur Vermeidung ziviler Opfer,
chen, die aus rein finanziellen und wirtschaftlichen
sind im Einsatz zu beachten. Diesen Anforderungen
Gründen auf der falschen Seite stehen. Ihnen soll die
müssen auch die nationalen militärischen Einsatzregeln,
Chance eröffnet werden, die Waffen niederzulegen, die
Operationspläne und Taschenkarten Rechnung tragen.
Gesetze zu respektieren und am Wiederaufbau mitzuwir-
Damit findet die Realität in Afghanistan Eingang in die
ken. Es muss aber sichergestellt sein, dass der Mittelein-
politische Bewertung. Das ist konsequent und stärkt die
satz wirksam, transparent und nachhaltig ist. Es dürfen
Glaubwürdigkeit der Politik bei den Soldaten im Ein-
keine finanziellen Vorleistungen erfolgen, sondern es
satz.
dürfen mit diesen Geldern nur bezahlte Arbeit und Aus-
bildungen ermöglicht werden. Aus der Neubewertung der Lage in Afghanistan er-
Liebe Kolleginnen und Kollegen, für unseren Verant- gibt sich keine Veränderung der Einsatzgrundlagen der
wortungsbereich im Norden haben wir uns klare Ziele deutschen Polizisten von Bund und Ländern. Die Be-
gesetzt, um eine selbsttragende Sicherheit zu errei- schlüsse der Innenministerkonferenz vom Juni und De-
chen. In den nächsten vier Jahren sollen die Vorausset- zember 2009, wonach der Einsatz von Polizeibeamten in
zungen geschaffen werden, dass unsere militärische Prä- Afghanistan nur in einem militärisch gesicherten Umfeld
senz schrittweise zurückgeführt werden kann. Die möglich ist, haben unverändert Bestand.
Aufstockung auf 1 400 statt bisher 280 deutsche Kräfte Meine Damen und Herren, die CDU/CSU-Fraktion
für die Ausbildung afghanischer Soldaten verdeutlicht wird dem Antrag der Bundesregierung zustimmen, weil
unsere Entschlossenheit dazu. Das gilt auch für die For- er die Übergabe der Verantwortung in afghanische
cierung unserer Ausbildung von afghanischen Polizis- Hände befördert und eine Abzugsperspektive für unsere
ten, von denen wir bis 2012 15 000 einsatzfähig machen Soldatinnen und Soldaten eröffnet.
wollen. Je intensiver wir uns diesen Aufgaben jetzt wid-
men, desto früher können wir mit dem Abzug unserer ei- Wir begrüßen es ausdrücklich, dass die überwiegende
genen Soldaten beginnen. Deshalb stocken wir die Zahl Mehrheit der SPD-Fraktion dem Antrag der Bundesre-
unserer Soldaten in Afghanistan vorübergehend um gierung ebenfalls zustimmen wird.
500 Soldaten auf.
(Zurufe von der LINKEN)
Lieber Herr Kollege Steinmeier, um es noch einmal
deutlich zu sagen: Entscheidender Maßstab für die Re- Wir fordern auch die Fraktion der Grünen auf, ihrer poli-
duzierung unseres Engagements kann jedoch kein kon- tischen Verantwortung nachzukommen und diesem zu-
kretes Abzugsdatum sein, sondern es geht um Wegmar- kunftsfähigen Mandat zuzustimmen, um dem Einsatz
2186 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 25. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. Februar 2010

Dr. Andreas Schockenhoff


(A) unserer Soldatinnen und Soldaten die breite parlamenta- der, Tendenz steigend. Die Bombardierung der Tanklas- (C)
rische Legitimation zu geben, die er verdient. ter bei Kunduz am 4. September wird leider nicht die
letzte dieser Art bleiben, wenn Sie heute das neue Man-
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
dat beschließen. Es ist ein Armutszeugnis, dass Sie nicht
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) bereit sind, diese Realität zur Kenntnis zu nehmen.
(Beifall bei der LINKEN)
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Ich erteile das Wort der Kollegin Christine Buchholz Wir haben uns in Afghanistan mit Opfern des Bom-
für die Fraktion Die Linke. benangriffs vom 4. September getroffen. Das war für
uns eine Selbstverständlichkeit; denn wir wollten wis-
(Beifall bei der LINKEN) sen, was die Bombardierung für sie und ihr Leben be-
deutet.
Christine Buchholz (DIE LINKE):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bun- Da ist Noor Djan, 26 Jahre alt. Er hat drei Kinder,
desregierung will heute noch mehr Soldaten nach Afgha- seine Frau ist hochschwanger, und sie haben kein Geld.
nistan senden, angeblich, um die Sicherheit dort auf- Er hat bis wenige Tage vor der Bombardierung in einer
rechtzuerhalten. Sie meint damit aber die militärische Plastikfabrik im Iran gearbeitet, weil er in Afghanistan
Absicherung der Regierung Karzai. Ich war mit meinem nicht genug Geld verdienen kann. Die Explosion hat sei-
Fraktionskollegen Jan van Aken vor vier Wochen in nen rechten Arm abgerissen. Im Krankenhaus wurde er
Afghanistan. In jedem Gespräch, das wir mit Afghanin- wieder angenäht, aber die Hand ist verloren und der Arm
nen und Afghanen führten, spürten wir die Verachtung nicht mehr zu gebrauchen. Er hat ständig Schmerzen,
für diese Regierung. Das liegt daran, dass sie korrupt ist, kann nicht mehr schlafen, und er kann nicht mehr für
dass in ihr die Warlords der vergangenen Kriege sitzen seine Familie sorgen. Er sagte uns: Jeden Tag wünsche
und dass es nach acht Jahren keine nennenswerten Ver- ich mir, ich wäre getötet worden. – Was glauben Sie, was
besserungen der Lage der Bevölkerung gegeben hat. Noor Djan denkt, wenn Sie sagen, Sie wollen seine Si-
cherheitssituation verbessern?
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)
91 Frauen sind durch den Angriff zu Witwen gewor-
Ohne die Unterstützung der NATO-Staaten wäre diese den. Die meisten von ihnen sind nun von Almosen ab-
Regierung nichts. hängig. Von Almosen lebt auch Leila. Ihre beiden ju-
(Beifall bei der LINKEN) gendlichen Söhne wurden getötet. Der eine hat sich um
das Feld gekümmert, der andere um die Kuh. Nun muss
(B) Die Bundesregierung sagt, sie wolle die Bevölkerung sie sehen, wie sie ihre kleinen Töchter über die Runden (D)
schützen. ISAF-Kommandeur Stanley McChrystal for- bekommt. Was glauben Sie, was diese Frauen davon hal-
dert, zivile Opfer zu vermeiden. Aber der Aufstand ge- ten, wenn hier argumentiert wird, dass man den Frauen
gen die Regierung Karzai und die ausländischen Trup- in Afghanistan helfen möchte?
pen hat eine breite Unterstützung in der afghanischen
Bevölkerung. Die Aufständischen, die Sie bekämpfen, Bulbul konnte ihre drei kleinen Enkel nicht davon ab-
sind Teil der Bevölkerung. Die Aufständischen sind halten, mit den anderen zum Fluss zu laufen. Sie saß mir
auch Zivilisten. Ein Zivilist erscheint den Soldaten als mit Tränen in den Augen gegenüber und meinte, dass sie
potenzieller Aufständischer. im Gegensatz zu vielen anderen wenigstens die Über-
reste ihrer Enkel gebracht bekommen hat, um sie beerdi-
(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: gen zu können.
Richtig!)
Die Begegnung mit den Hinterbliebenen hat mir deut-
Das heißt, militärische Aufstandsbekämpfung und
lich gemacht – ob Sie es wahrhaben wollen oder nicht –:
Schutz der Bevölkerung sind unvereinbar.
Deutschland ist an einem Krieg gegen die einfache Be-
(Beifall bei der LINKEN) völkerung in Afghanistan beteiligt.
Der Leiter der Stability Division im ISAF-Hauptquar- (Beifall bei der LINKEN)
tier erklärte uns, dass das Ziel der Aufstandsbekämp-
fung eine starke zivile Komponente brauche. Er berief Ich spreche jetzt besonders die Kolleginnen und Kol-
sich dabei auf die Forderung von McChrystal, dass legen der SPD und der Grünen an: Wenn Sie die Ent-
40 Prozent der Arbeit von ISAF der Wiederaufbau sein scheidung über das neue Mandat treffen, denken Sie da-
muss. Aber ob die zivile Komponente nun 20, 40 oder ran: Wie auch immer Sie den Krieg rechtfertigen, Sie
60 Prozent beträgt: Solange die zivile Hilfe dem Ziel der entscheiden heute über Leben und Tod.
militärischen Aufstandsbekämpfung untergeordnet ist, (Beifall bei der LINKEN – Die Abgeordneten
wird sie niemals in der Lage sein, die Lebensbedingun- der Fraktion der LINKEN halten Spruchbän-
gen der Afghanen zu verbessern. der hoch)
(Beifall bei der LINKEN)
Der Krieg wird weitergehen. Weitere Menschen wer- Präsident Dr. Norbert Lammert:
den getötet werden. Für das vergangene Jahr zählte die Ich bitte Sie, unverzüglich die Spruchbänder herun-
UNO 2 140 unbewaffnete Todesopfer, darunter 346 Kin- terzunehmen.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 25. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. Februar 2010 2187
Präsident Dr. Norbert Lammert
(A) (Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU], an Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es geht (C)
die Fraktion der LINKEN gewandt: Es ist ei- um die zivile Aufbau- und Abzugsperspektive für die
genartig, wie Sie die Opfer der Taliban, der nächsten Jahre für Afghanistan. Ich sage Ihnen hier:
Selbstmordattentäter vergessen!) Meine Fraktion wird dem Mandat mehrheitlich nicht zu-
stimmen.
Ich schließe alle Kollegen der Fraktion, die dieser Auf-
forderung nicht gefolgt sind, hiermit vom weiteren Ver- (Volker Kauder [CDU/CSU]: Schade!)
lauf der Sitzung aus.
Ich will Ihnen erklären, warum: auf alle Fälle auf-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie grund eines Mangels an Führung, aufgrund eines Man-
bei Abgeordneten der SPD) gels an Systematik. Wir haben als grüne Fraktion hier
Ich bitte Sie nunmehr, den Plenarsaal zu verlassen. wiederholt den Antrag gestellt, den bisherigen Einsatz
zu evaluieren. Ich freue mich, dass der Fraktionsvorsit-
(Jörg van Essen [FDP]: Einschließlich der zende der SPD, Frank Steinmeier, diesen Vorschlag hier
Rednerin! Die war dabei! – Hellmut jetzt auch gemacht hat. Ich glaube, dass man nach sol-
Königshaus [FDP]: Ihr seid des Saals verwie- chen Einsätzen eine Evaluierung, eine von Dritten ge-
sen! – Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Verach- machte Analyse braucht, die folgende Fragen beantwor-
tung von Spielregeln nennt man das!) tet: Was hat funktioniert? Wo sind eigentlich Mängel?
Vielleicht kommen wir jetzt dahin.
Ich fordere Sie jetzt noch einmal auf, den Saal zu ver-
lassen, weil Sie vom weiteren Verlauf dieser Sitzung Zu dem Inhalt der Vorlage, über die wir heute abzu-
ausgeschlossen sind. Ich vermute, dass mindestens die stimmen haben, will ich einige Worte sagen: Wir alle ha-
Parlamentarischen Geschäftsführer eine hinreichende ben darauf gewartet, dass es endlich eine Aufbau- und
Kenntnis der Regelungen unserer Geschäftsordnung ha- Abzugsperspektive gibt. Wir haben durchaus sehnsüch-
ben, zumal das bei vergleichbaren Situationen im Ältes- tig auf die Londoner Konferenz gewartet, wo es lange
tenrat immer als hoffentlich ernst gemeinte Positionie- Zeit eine, ich sage es einmal so, schlechte Vorbereitung
rung vorgetragen worden ist. gab. Wir haben darauf gehofft, dass das, was es an neuer
Strategie seitens der USA mit dem neuen US-Präsiden-
(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ten und an neuer Prioritätensetzung, zumindest verbal, in
NEN]: Tja, Frau Enkelmann!) der Regierungserklärung von Hamid Karzai gab, auch
Ansonsten muss ich auf die weiteren Konsequenzen auf- eine europäische und deutsche Handschrift bekommt.
merksam machen, die sich ergeben, wenn Sie dieser
Ich muss Ihnen allerdings sagen: Die Bewertung des
(B) Aufforderung nicht folgen. (D)
Kurses, den Sie uns hier vorlegen, ist bei uns mindestens
(Die Abgeordneten der Fraktion der LINKEN ambivalent. Ja, es gibt einige positive Entwicklungen
verlassen den Saal) vor Ort. Die positive Entwicklung mag auch sein, dass
die Haushaltsmittel für die zivile Hilfe aufgestockt wer-
Nächste Rednerin ist die Kollegin Renate Künast für den sollen. Aber ich sehe es noch nicht. Ich sehe das Wie
die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. noch nicht. Wir freuen uns, dass es bei vielem Schatten
auch an manchen Stellen Licht gibt, dass es verstärkte
Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Bemühungen um regionale Lösungen geben soll und
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will dass es diese Verständigung auf eine Aufbau- und Ab-
als Erstes sagen: Es hätte mir bedeutend besser gefallen zugsperspektive gibt. Aber die bloßen verbalen Aussa-
– und dies ist keine Kritik am Präsidenten –, wenn wir gen und Zusagen haben faktisch noch nichts verändert.
nicht in dieser Situation gelandet wären, den weiteren Allein das Rezept „mehr Geld“ reicht nicht.
Teil der Debatte ohne eine Fraktion führen zu müssen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Ich glaube, dass es dem Thema angemessen gewesen
sowie des Abg. Christoph Strässer [SPD])
wäre, in dieser Situation nicht zu landen,
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Jetzt wäre entscheidend, zu einer besseren Verwen-
und bei der SPD – Hellmut Königshaus [FDP]: dung der Mittel und einer ordentlichen Koordinierung zu
Selbst verursacht!) kommen. Aber das, was Sie bisher vorlegen, ist an-
spruchslos. Es stellt sich die Frage, wie eine Ausbildung
weil ich eben auch der Fraktion der Linken am Ende mit dem Ziel, auf 134 000 afghanische Polizisten aufzu-
doch zutraue, bei dem Thema mit ihrer Entscheidung zu stocken, überhaupt vonstatten gehen soll. Da ist ein gro-
ringen. ßes Loch. Es gibt auch Fragen zur Selbstverpflichtung
der afghanischen Partner: Wie soll eigentlich der Ver-
(Widerspruch bei der CDU/CSU) söhnungskurs gestaltet werden? Niemand will behaup-
– Solange ich hier bin, werde ich von allen über ten, dass jemand freiwillig aus der Situation der Schwä-
600 MdBs immer denken, dass sich jeder seiner Verant- che verhandelt, aber wo sind eigentlich die roten Linien
wortung bewusst ist. in dieser Verhandlungssituation aufgezeigt? Ich sehe sie
nicht. Wo wurde durch die internationalen Staaten ge-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN genüber der afghanischen Regierung ausreichend klar
und bei der SPD) festgelegt, dass die Geltung der universellen Menschen-
2188 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 25. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. Februar 2010

Renate Künast
(A) rechte, insbesondere der Rechte der Frauen, absolute noch drin? Meine Damen und Herren, Sie schweigen bei (C)
Priorität hat? Das ist nirgendwo festgelegt. der Frage: Kommen noch AWACS-Einsätze und damit
300 weitere Soldaten hinzu? Ich kann Ihnen sagen: Da-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
mit wäre ich mit meinen Fragen noch nicht am Ende.
Wo ist das Konzept für die Aufstockung der finan-
Das Partnering-Konzept zwischen den internationalen
ziellen Mittel auf 430 Millionen Euro? Wo ist eigentlich
Soldaten, also auch den deutschen, und den afghani-
der Inhalt dazu? Solche Mittelsteigerungen verlangen
schen Soldaten erhöht die Gefahr für die deutschen Sol-
doch, dass es strukturelle und personelle Vorsorge gibt,
daten, die vor Ort im Einsatz sind. Sie haben angesichts
damit die Mittel zielgerichtet bei den Menschen ankom-
der gestiegenen Gefahr weder hier noch irgendwo anders
men und es nicht nur mehr Korruption gibt. Wo ist ei-
bisher gesagt, wie dieses Partnering-Konzept eigentlich
gentlich die Sicherstellung, dass es in Zukunft bei der öf-
konkret aussehen soll. Sie erwarten von uns, dass wir
fentlichen Auftragsvergabe korrekt zugeht, dass die
Vertrauen in die Arbeit des Bundeskanzleramtes, des
Soldaten und Polizisten Afghanistans tatsächlich ihren
Auswärtigen Amtes und des Verteidigungsministeriums
Lohn bekommen und dass die Mittel nicht durch Kor-
haben. Aber nach diesen Vorlagen und den Vorfällen am
ruption versickern? Wo ist auch nur der Hauch eines An-
Kunduz-Fluss können wir dieses Vertrauen nicht auf-
satzes, dies systematisch zu bearbeiten? Ich sehe ihn
bringen.
nicht.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Wenn ich auf das Auswärtige Amt und das BMZ
schaue, dann sehe ich, dass von Herrn Niebel viel von Die Aufstockung des Bundeswehrkontingents wird von
vernetzter Sicherheit geredet wird; ich bezeichne es ein- uns mehrheitlich als nicht akzeptabel bezeichnet.
mal so, um nett zu sein. Aber wo ist eigentlich das ver-
Ich sage Ihnen in aller Ruhe: Dieses Mandat zeigt,
netzte Konzept des Bundesministeriums für wirtschaftli-
dass der verantwortliche Außenminister seine Zeit in
che Zusammenarbeit und des Auswärtigen Amtes? Nicht
den letzten Wochen falsch verbracht hat.
einmal das haben Sie hingekriegt. Sie reden über regio-
nale Entwicklung, über landwirtschaftliche Entwick- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
lung. Auf alle Fragen, die wir gestellt haben, wie eine und bei der SPD)
solche Art landwirtschaftlicher Entwicklung eigentlich
funktionieren soll, haben wir null Antwort bekommen. Herr Westerwelle, ich sage Ihnen: Statt für innenpoliti-
Mit welchen internationalen Fachleuten und Organisa- sche Kracher zu sorgen, wäre hier Ihr diplomatisches
Aufgabenfeld gewesen.
tionen haben Sie sich zusammengesetzt, um über den
Zugang zu Land, Wasser, Saatgut, landwirtschaftlicher (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
(B) Ausbildung, Verarbeitung, Lagerung und Hygiene auch und bei der SPD) (D)
nur ansatzweise zu sprechen? Nichts, meine Damen und
Herren. Wenn wir alle überzeugt sind, dass es hier um interna-
tionale Sicherheit geht, dass wir verhindern müssen, dass
Ich komme zur Polizeiausbildung. Sie rühmen sich dieser große Raum wieder zum Ausbildungsfeld für den
einer größeren Ausbildungstätigkeit, und am Ende sind Terrorismus wird, und wenn es uns darum geht, den
es faktisch nur 80 zusätzliche Soldaten. Afghaninnen und Afghanen dabei zu helfen, einen de-
mokratischen Staat aufzubauen, dann sage ich Ihnen:
(Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des
Die letzten Wochen hätten für Sie Zeiten sein müssen, in
Innern: Polizisten!)
denen Sie 80 Stunden in der Woche an diesem Thema ar-
– Entschuldigung, danke. Der Innenminister hört zu. beiten und nicht an anderen Themen.
(Jörg van Essen [FDP]: Nicht nur er!) Ich will Ihnen sagen, was noch fehlt: Es wäre zum
Beispiel Ihre Aufgabe und die Aufgabe der Diplomaten
80 zusätzliche Polizisten.
gewesen, eine regionale Sicherheitsstrategie für den ge-
Herr Westerwelle hat der Kanzlerin versprochen, hier samten großen Raum zu entwickeln. Da ist eine Konfe-
vom bewaffneten Konflikt zu reden, aber wo ist jetzt ei- renz in Istanbul, von anderen initiiert. Wo sind Ihre Akti-
gentlich die Antwort auf die Frage, die die Deutsche vitäten? Wir bräuchten jetzt einen Beschluss des UN-
Polizeigewerkschaft stellt? Sie fragt: Wenn es ein be- Sicherheitsrates, der von Deutschland mit initiiert wer-
waffneter Konflikt ist, was ist an der Stelle eigentlich die den und die deutsche Handschrift tragen müsste, in dem
Rechtsgrundlage für die Tätigkeit von Polizeibeamten? eine quasiöffentliche, offizielle Aufforderung an die
Auch dort ist ein großes Loch. Wo ist Ihre Antwort? Sie afghanische Regierung formuliert würde, in Afghanistan
wollen von uns, dass wir 850 Soldaten mehr, 500 für die mit zu verhandeln, damit klar ist, dass auch die USA,
Ausbildung und 350 in Reserve, nach Afghanistan schi- Russland und andere diese Verhandlungen tragen.
cken, dass wir Ihnen dafür ein Mandat geben. Unsere
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Frage lautet immer noch: Könnte man nicht mehr um-
schichten, zum Beispiel bei den Tornados? Das könnte Wir bräuchten einen Beschluss des Sicherheitsrates,
einiges an Personal bringen. Unsere Frage ist auch: Wa- der erlaubt, Personen von der Terrorliste herunterzuneh-
rum sollen wir Ihnen eigentlich eine Reserve von men; das ist Voraussetzung für solche Verhandlungen
350 Soldaten zugestehen und für was? Hatten wir diese und Gespräche. Wir bräuchten die Erklärung der NATO,
Reserve nicht schon einmal im Mandat für die Durch- Afghanistans und Pakistans, dass man tatsächlich die Si-
führung von Wahlen, und stecken sie da nicht immer cherheit der Demobilisierten, derer, die überlaufen, ga-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 25. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. Februar 2010 2189
Renate Künast
(A) rantiert, während der Verhandlungen und nach mögli- nicht laut, sondern sie hat Schilder hochgehalten, auf de- (C)
cherweise erfolgreichen Verhandlungen. Wir bräuchten nen die Namen der Personen, die dort Opfer gewesen
eine Debatte über eine legale Partei für die Taliban – das sind, zu lesen sind.
heißt ja „Schüler“, nicht „gewalttätig“ –, damit sie am
(Manfred Grund [CDU/CSU]: Lesen Sie mal
politischen Prozess teilnehmen können. Wir bräuchten
in der Geschäftsordnung des Bundestages
die Definition eines neutralen Ortes für die Verhandlun-
nach! Nehmen Sie mal die Geschäftsordnung
gen. Wir bräuchten den Entwurf eines Rückkehrerpro-
zur Hand!)
gramms. Nichts von alledem haben Sie, Herr Außen-
minister, und Sie, Frau Merkel, vorgelegt. Ich selber war mit den Kollegen in Afghanistan. Auch
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ich habe mit den Überlebenden und den Angehörigen
sowie bei Abgeordneten der SPD) der Opfer geredet. Ich stelle mir vor, in Afghanistan wird
sich herumsprechen – das steht dann vielleicht in der
Ich sage an dieser Stelle – mein letzter Satz –: In die- Zeitung –, dass im Deutschen Bundestag Abgeordnete,
sem Mandat finden sich einige schöne Worte. Der zivile die Schilder mit Namen der Personen, die auf deutschen
Teil ist darin aber überhaupt nicht erwähnt. Herr Befehl hin getötet worden sind, hochgehalten haben, aus
Westerwelle hat uns hier einmal erzählt, nach London dem Saal geworfen worden sind.
würde er nicht fahren, wenn dies faktisch nur eine Trup-
penstellerkonferenz ist. Was legen Sie uns heute vor? Ich Ich möchte das nicht.
komme mir hier und heute faktisch wie auf einer Trup- (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/
penstellerkonferenz vor, DIE GRÜNEN)
(Dr. Rainer Stinner [FDP]: Das ist doch Ich finde, es wäre ein völlig falsches Signal nach Afgha-
Quatsch!) nistan und in die Welt, wie wir mit den Opfern von
weil Sie uns heute nur das vorlegen; alles andere, meine Krieg, für den wir, die Abgeordneten und Deutschland,
Damen und Herren, sind Worte. Taten sehen wir noch verantwortlich sind, umgehen.
nicht, weder was die konkrete Umsetzung und die Vor- (Arnold Vaatz [CDU/CSU]: Ungeheuerlich!)
lage des zivilen Teils angeht noch auf der Ebene der Di-
plomatie. Mit Ihrer Vorlage machen Sie es den Mitglie- Deshalb, Herr Präsident, bitte ich Sie, Ihre Entscheidung
dern dieses Hauses extrem schwer, mit Ja zu stimmen. zu überprüfen. Ich möchte anregen, dass sich die Frak-
tionen überlegen, ob wir weiter ohne die Fraktion der
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Linken diskutieren, ob wir diesen Punkt der Diskussion
sowie bei Abgeordneten der SPD) aus unserer Debatte heraushalten wollen, wobei wir da-
(B)
Wir schätzen und respektieren die Arbeit der Ent- von ausgehen, dass das, was sie getan hat, keinerlei (D)
wicklungshelfer, der internationalen Organisationen, der nachhaltige Störung der Parlamentssitzung gewesen ist
Polizisten und der Soldaten; denn die setzen dort ihr Le- und wahrscheinlich dem Willen und dem Wunsch einer
ben ein. Wir haben die Bereitschaft – ich will sie hier er- großen Mehrheit in dieser Bevölkerung sehr nahe-
klären –, ernsthaft an Konzepten zu arbeiten, mit denen kommt.
man das umsetzen kann. Aber diesem Mandat werden (Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: Sie
wir mehrheitlich nicht zustimmen. haben aus der Geschichte nichts gelernt!)
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Herr Präsident, so weiter zu verhandeln, halte ich für un-
würdig.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Der Kollege Ströbele hat um eine Kurzintervention Präsident Dr. Norbert Lammert:
gebeten. Herr Kollege Ströbele, ich hätte diese Wortmeldung
nach den Usancen des Hauses nicht zulassen müssen.
Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE Ich habe sie zugelassen, weil ich die Ernsthaftigkeit Ih-
GRÜNEN): res Motivs anerkenne und ich die Situation natürlich
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! auch alles andere als routinehaft empfinde. Aber ich ma-
Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht. Ich fühle mich in die- che Sie auf drei Dinge aufmerksam.
ser Situation hier und heute und jetzt mehr und mehr un- Erstens. Wir haben unter allen Fraktionen des Hauses
wohl. Wir diskutieren hier ein ernstes Thema, nämlich – unter allen Fraktionen – völliges Einvernehmen in der
die Kriegführung Deutschlands in Afghanistan. Wir wis- Einschätzung der Frage, dass Demonstrationen im Ple-
sen, dass der Deutsche Bundestag eine Entscheidung ge- narsaal mit der Ordnung des Hauses unvereinbar sind.
gen die riesengroße Mehrheit der Bevölkerung fällen
wird. Gegen die ganz große Mehrheit der Bevölkerung (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie
werden wieder Bundeswehrsoldaten für ein Jahr in den bei Abgeordneten der SPD und des BÜND-
Krieg nach Afghanistan geschickt. NISSES 90/DIE GRÜNEN)
Eine Fraktion im Deutschen Bundestag stellt sich Zweitens. Wir haben bei mehreren vergleichbaren
hierhin und hält Schilder hoch, auf denen die Namen der Vorgängen wiederholt die Erklärung der Fraktionsfüh-
Opfer der Bombardierung vom 4. September vergange- rung der Linken im Ältestenrat zu Protokoll genommen,
nen Jahres stehen. Sie hat nicht randaliert, sie war auch dass diese Aktionen von der Fraktionsführung weder ge-
2190 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 25. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. Februar 2010

Präsident Dr. Norbert Lammert


(A) plant noch in Kenntnis der Fraktionsführung durchge- ten der Bundeswehr in einen Auslandseinsatz diskutiert (C)
führt worden seien. und dieses Mandat verabschiedet, eine Aufgabe wahr-
nimmt, die ihm das Parlamentsbeteiligungsgesetz zuge-
Drittens. Ich habe mit Zustimmung aller Mitglieder
wiesen hat. Wir tun zurzeit mit der Umsteuerung in
des Ältestenrates bei einem dieser letzten Vorgänge an-
diesem Mandat nichts anderes, als die falschen Wei-
gekündigt, dass ich im Wiederholungsfall die entspre-
chenstellungen seinerzeit auf der Petersberg-Konferenz
chenden Kollegen von der Sitzung ausschließen werde.
– auch von Außenminister Fischer unterstützt – zu korri-
Das Vorgehen ist unter Berücksichtigung unserer Ge-
gieren.
schäftsordnung und der Übereinkunft aller Fraktionen
des Hauses alternativlos. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Sie verstehen nun gar nichts!)
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie
bei Abgeordneten der SPD und des BÜND- Wenn Sie den Text des Mandates genau lesen, insbe-
NISSES 90/DIE GRÜNEN) sondere die Erläuterung, müssten Sie doch froh darüber
Nächste Rednerin ist die Kollegin Elke Hoff für die sein, dass wesentliche Dinge, die in der Vergangenheit
FDP-Fraktion. anders waren, heute in die richtige Richtung laufen: Ver-
doppelung der Anstrengungen für den zivilen Wieder-
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten aufbau, Ausbildung der afghanischen Sicherheitskräfte,
der CDU/CSU) eine Perspektive für den Abzug der Bundeswehr.
Herr Kollege Steinmeier, ich möchte Ihnen und Ihrer
Elke Hoff (FDP): Fraktion an dieser Stelle dafür danken, dass Sie dieses
Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen Mandat mittragen und damit zeigen, dass innerhalb die-
und Kollegen! Herr Kollege Ströbele, ich glaube, dass ses Parlamentes ein breiter Konsens besteht. Vieles, was
niemand angesichts der Ereignisse ein besonders gutes Sie zu dieser Debatte beigetragen haben, findet sich in
Gefühl hat. dem Mandat. Sie beweisen dadurch – auch für Ihre Par-
Ich hätte mir an dieser Stelle von den Kollegen der tei –, dass Sie dabei sind, wenn es darum geht, dass der
Fraktion Die Linke dann aber auch gewünscht, dass sie Deutsche Bundestag unseren Soldatinnen und Soldaten
auch auf die zahlreichen Todesopfer hingewiesen hätten, für ihren gefährlichen Einsatz breite Rückendeckung
die Selbstmordanschläge der Taliban auf belebten Basa- gibt.
ren, auf Marktplätzen, in Schulen, in Hotels und auf den (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Straßen gefordert haben.
Diese Rückendeckung ist genau das, was die Soldatin-
(B) (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie nen und Soldaten, aber auch ihre Familien erwarten kön- (D)
bei Abgeordneten der SPD und des BÜND- nen.
NISSES 90/DIE GRÜNEN – Hans-Christian
Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Wir schicken unsere Soldatinnen und Soldaten in ei-
sind aber nicht auf deutschen Befehl umge- nen sehr gefährlichen Einsatz. Der Bundesverteidi-
bracht worden!) gungsminister hat zu Recht in der Öffentlichkeit darauf
hingewiesen, dass die Situation für unsere Soldatinnen
Ich empfinde es als einen unsäglichen Vorgang, wenn, und Soldaten gefährlich wird. Deswegen kommt es da-
obwohl alle rechtsstaatlichen Instrumente – inklusive der rauf an, wie die Führung der Bundeswehr, wie der Gene-
parlamentarischen Instrumente – zur Aufklärung der ralinspekteur die Feinplanung für den Einsatz vornimmt.
Vorgänge am Kunduz-Fluss in Angriff genommen wor-
den sind, hier versucht wird, den Eindruck zu erwecken, Auch bin ich froh, meine Damen und Herren, dass wir
als würden deutsche Soldatinnen und Soldaten vor Ort hier keinen über ein gesundes Maß hinausgehenden Auf-
mal eben Zivilisten umbringen, weil sie nichts anderes wuchs der deutschen Truppen auf den Weg bringen. Wir
zu tun hätten. haben versucht, innerhalb des bestehenden Kontingentes
durch vernünftige Umschichtungen dazu beizutragen,
Ich muss sagen: Die verantwortungsvolle Arbeit der
dass die Bundeswehr ihren Auftrag bei der Ausbildung
Soldatinnen und Soldaten in den Einsätzen, in die wir sie
der afghanischen Sicherheitskräfte erfüllen kann. Sie
hineinschicken, kann ich an dieser Stelle nur mit Bewun-
wird ihn erfüllen, wenn wir ihr die Rückendeckung nicht
derung, mit Respekt und mit Hochachtung zur Kenntnis
verweigern. Dazu gehört, dass die Bundeswehr das rich-
nehmen. Ich würde mir wünschen, dass dies durch sol-
tige Material, die richtige Ausrüstung bekommt. Unsere
che Aktionen nicht ständig konterkariert wird.
Soldatinnen und Soldaten brauchen Aufklärung vor Ort.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie Eines ist besonders wichtig – das ist der Appell meiner
bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Omid Fraktion an die Bundesregierung –: dass wir hier im Par-
Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) lament über die Fortschritte beim Aufbau der Strukturen
in den Ministerien und in der Regierung unterrichtet
Frau Kollegin Künast, eigentlich sollte man nach acht werden.
Jahren Debatte über die Mandatierung von Auslandsein-
sätzen voraussetzen können, dass klar ist, dass im Deut- Die afghanische Armee wird ein Wehrpflichtmodell
schen Bundestag keine Truppenstellerkonferenz stattfin- einführen. Sie wird entsprechende Ausrüstung brauchen.
det, sondern dass der Deutsche Bundestag, wenn er über Die Soldaten müssen entsprechend untergebracht wer-
ein Mandat zur Entsendung von Soldatinnen und Solda- den. All das sind Punkte, die wir abarbeiten müssen. In-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 25. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. Februar 2010 2191
Elke Hoff
(A) sofern ist es richtig, auch hier im Parlament die Frage zu Opfernamen zu sehen. Eines ist doch ganz klar: Nie- (C)
stellen: Was haben wir erreicht? Ich bin dem Bundes- mand von uns will solche Bilder wie nach dem Kunduz-
minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent- Vorfall sehen. Es ist gut und richtig, dass wir darüber in
wicklung dankbar dafür, dass er die von uns in der Ver- diesem Hohen Hause in einer Aktuellen Stunde vernünf-
gangenheit immer geforderte signifikante Erhöhung der tig und sachlich diskutiert haben; daran kann es keinen
Entwicklungsmittel umgesetzt hat, damit in Afghanistan Zweifel geben. Wenn dort Fehler gemacht worden sind
erfolgreiche Projekte fortgesetzt werden können. und unschuldige Zivilisten getötet worden sind, ist das
nicht hinnehmbar. Das ist völlig klar.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU) (Beifall bei der SPD)
Tun wir doch nicht so, als wäre vor Ort nichts pas- Lassen Sie mich noch einen anderen Punkt erwähnen.
siert. Frau Künast, Sie haben die Frage nach landwirt- Wir wollen nicht nur diese Bilder nicht mehr sehen. Ent-
schaftlichen Projekten gestellt. Wenn Sie nach Jalalabad schuldigung, Herr Kollege Ströbele; mir ist es von mei-
fahren, werden Sie hören, wie begeistert die Afghanin- nem Menschenbild her letztendlich egal, wer die Opfer
nen und Afghanen von dem Projekt sind, das die Deut- getötet hat. Für mich ist jedes Opfer einer solchen Aus-
sche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit im einandersetzung eines zu viel. Ich persönlich – das gilt
Forstbereich auf den Weg gebracht hat. Wir haben diese sicherlich für uns alle – möchte auch keine Bilder mehr
Fähigkeiten und die entsprechenden Kapazitäten. Es ist von vollgepfropften Stadien mit vergewaltigten und ge-
unsere Aufgabe, die notwendigen Mittel bereitzustellen. steinigten Frauen sehen. Wir wollen auch keine Bilder
Das haben wir getan. Insofern bin ich sehr froh, dass mit mehr von Taliban sehen, die auf den Straßen ihre politi-
der Vorlage dieses Antrags ein Richtungswechsel bei schen Gegner aufhängen. Das wollen wir auch nicht
dem Mandat stattgefunden hat, dass wir eine Abzugsper- mehr sehen!
spektive haben und dass die afghanische Regierung sehr
wohl weiß, dass sie auch ihren Beitrag leisten muss. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP
und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Ich wünsche den Soldatinnen und Soldaten, den Poli-
zisten und den Entwicklungshelfern viel Glück sowie Deshalb plädiere ich dafür – wir haben es uns an dieser
eine gesunde und vor allen Dingen glückliche Heimkehr. Stelle nicht leicht gemacht –, genau hinzuschauen, was
in dem Antrag steht, und zu prüfen, wie wir letztendlich
Ganz herzlichen Dank. damit umgehen.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Wir haben in der Tat Fortschritte zu verzeichnen. Des-
halb finde ich die Debatte etwas müßig, die in der Ge-
(B) Präsident Dr. Norbert Lammert: sellschaft geführt wird, nach dem Motto: Warum be- (D)
Das Wort erhält nun der Kollege Christoph Strässer schließt ihr eigentlich schon wieder ein neues Mandat? –
für die SPD-Fraktion. Wir haben im Dezember 2009 mit großer Mehrheit ein
Mandat beschlossen. Kaum drei Monate später wollen
(Beifall bei der SPD) wir schon wieder ein neues Mandat beschließen. Ich
glaube, dass der Grund, warum wir das tun, auf zwei
Christoph Strässer (SPD): Ebenen gut, richtig und nachvollziehbar ist. Man kann
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Na- nicht so tun, als hätte es die Afghanistan-Konferenz in
türlich ist man in dieser Situation etwas ratlos, wie es London nicht gegeben. Sie hat stattgefunden. Deutsch-
jetzt weitergehen soll. Ich hatte mich ein Stück weit da- land ist nach wie vor Bestandteil der internationalen
rauf vorbereitet, auch mit den Kolleginnen und Kollegen Staatengemeinschaft, die sich dort massiv engagiert.
darüber zu diskutieren, die aus Gründen dieser Debatte Deshalb ist es vernünftig, aufgrund der Ergebnisse der
fernbleiben, die für mich falsch sind. Ich war und bin Londoner Konferenz hier erneut über dieses Mandat zu
sehr froh darüber, dass diese Debatte nun mit der Gesell- diskutieren.
schaft geführt wird und sich nicht immer nur von den
Etwas anderes finde ich genauso wichtig; auch da-
Themen der Mandatierung des Bundeswehreinsatzes ab-
rüber sollten wir uns im Klaren sein. Ich finde es auch
leitet. Meines Erachtens waren wir dort auf einem guten
wichtig, dass es in unserer Gesellschaft eine neue und in-
Weg, auch in unserer Partei.
tensive Diskussion über Sinn und Zweck unseres Enga-
Frau Kollegin Hoff, dass wir uns mehrheitlich dazu gements in Afghanistan gibt. Ich will hier ganz aus-
entschieden haben, diesem Mandat zuzustimmen, hat na- drücklich – ich tue das, obwohl ich weiß, dass das jetzt
türlich etwas damit zu tun, dass vieles von dem, was der vielleicht nicht mehr ganz angemessen ist – den Beitrag
frühere Außenminister und der jetzige Fraktionsvorsit- der ehemaligen Ratsvorsitzenden der EKD, Frau
zende der SPD in den letzten Monaten entwickelt hat, Käßmann, erwähnen, weil ich finde, dass sie damit die
aufgenommen worden ist. Das macht es uns leichter. Diskussion über unser Engagement in Afghanistan und
Deshalb können wir diesem Mandat letztendlich guten darüber hinaus in die richtige Richtung gelenkt hat. Ich
Gewissens zustimmen. sage Danke dafür, dass das so geschehen ist.
(Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD)
Ich möchte einen weiteren Punkt ansprechen. Mir ist Es wird aber auch der Versuch unternommen, be-
es nahegegangen, in diesem Raum die Schilder mit den stimmte Gruppen dieser Gesellschaft – seien es die Kir-
2192 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 25. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. Februar 2010

Christoph Strässer
(A) chen, seien es Gruppen aus der Nichtregierungsszene Ich komme zum Schluss. Herr Riedke, den ich zitiert (C)
und der Entwicklungshilfeszene – als Kronzeugen zu habe, sagt – das können Sie nachlesen; mir liegt das Zitat
missbrauchen. Das war eigentlich das, was ich den Kol- vor –:
leginnen und Kollegen von der Linkspartei auf den Weg
Ein sofortiger Abzug aller internationalen Militärs
geben wollte. Man muss genau lesen und sich die hätte aber ein absolutes Chaos und das Zurückfallen
Grundlagen anschauen, beispielsweise die Denkschrift in den Bürgerkrieg zur Folge.
der Evangelischen Kirche „Aus Gottes Frieden leben –
für gerechten Frieden sorgen“. Wenn man sich das genau Das wollen wir nicht. Wir unterstützen dieses Mandat,
anschaut, dann erkennt man, dass die Evangelische Kir- weil damit eine Ausstiegsperspektive verbunden ist.
che – Frau Käßmann und andere – den Einsatz militäri- Herr Außenminister, ich wünschte mir, dass Sie sich
scher Mittel nicht grundsätzlich ablehnt, wenn es darum dieser Verantwortung stellten – wir werden das überprü-
geht, Freiheitsrechte, Grundrechte und andere Dinge fen – und sich mehr um Ihr Amt kümmerten, damit wir
durchzusetzen. diese Perspektive Wirklichkeit werden lassen, statt viele
und, wie ich finde, unzutreffende Äußerungen zur Innen-
(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Sehr richtig!)
politik zu machen.
Ich sage ganz klar und deutlich: Der von Ihnen beschrie- Herzlichen Dank.
bene Ansatz ist nicht der derjenigen, die hier permanent
als Kronzeugen für einen sofortigen Abzug der Bundes- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
wehr aus Afghanistan missbraucht werden. der CDU/CSU)

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Präsident Dr. Norbert Lammert:
der CDU/CSU und der FDP) Jürgen Hardt ist der nächste Redner für die CDU/
Ich möchte noch eine andere Entwicklung darstellen. CSU-Fraktion.
Sie wurde noch nicht angesprochen, aber das wäre wahr- (Beifall bei der CDU/CSU)
scheinlich noch geschehen. Die Organisationen, die vor
Ort in Afghanistan aktiv sind und in Deutschland unter Jürgen Hardt (CDU/CSU):
dem Dach von VENRO zusammengefasst werden, ha- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
ben sich Ende letzten Jahres zusammengesetzt – der möchte vorab kurz auf das eingehen, was eben passiert
stellvertretende Vorsitzende, Herr Lieser, war auch auf ist. Ich fand es persönlich sehr schmerzhaft, in welcher
unserer Parteikonferenz – und haben sich dazu geäußert, Art und Weise hier die zivilen Opfer des Afghanistan-
(B) was in Afghanistan nötig ist. Sie haben eben nicht den Einsatzes, die wir alle beklagen, von der Kollegin (D)
sofortigen Abzug der Bundeswehr gefordert, sondern sie Buchholz und der Linken in der innenpolitischen De-
haben gesagt: Wir brauchen eine Exit-Strategie und ei- batte instrumentalisiert worden sind.
nen Strategiewechsel hin zu mehr zivilem Wiederaufbau
und zu einem stärkeren Aufbau staatlicher Institutionen. – (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
Genau das versuchen wir mit der Unterstützung dieses neten der FDP – Dr. Hermann Ott [BÜND-
Antrages auf den Weg zu bringen. NIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie instrumentalisie-
ren das hier!)
(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE Ich finde es sehr gut, dass wir einen Bundestagspräsi-
GRÜNEN]: Sie schicken mehr Soldaten!) denten haben, der sich konsequent an die Geschäftsord-
An dieser Stelle zitiere ich Theo Riedke. Ich weiß nung des Deutschen Bundestages hält, auch wenn es ihm
nicht, ob Sie ihn kennen. Er ist ein Mitarbeiter der Welt- sichtlich unangenehm gewesen ist. Dafür herzlichen
hungerhilfe, der seit Mitte der 90er-Jahre in Afghanistan Dank.
arbeitet. Er sagt – Sie können das auf seiner Website (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
nachlesen –: Wir wissen, dass der internationale Einsatz,
auch der militärische, im Moment notwendig ist. Er sagt In der Regierungserklärung vom 27. Januar hat die
Bundeskanzlerin für die Afghanistan-Konferenz in
auch – damit möchte ich auch Minister Niebel anspre-
London die Entwicklung einer Strategie zur Übergabe in
chen –: Wir als Nichtregierungsorganisation, die wir an
Verantwortung als deutsches Ziel benannt. Die Konfe-
dieser Stelle Erfahrungen haben, verzichten auf militäri-
renz hat dies als Leitidee übernommen, und der heute
sche Begleitung; wir wollen sie nicht. Herr Niebel, was zur Abstimmung stehende Antrag der Bundesregierung
mir auch Probleme bereitet, ist Ihre Festlegung – das auf Fortführung des deutschen ISAF-Mandats in verän-
habe ich wörtlich gehört –, dass vom BMZ in Zukunft derter Form folgt genau dem Konzept „Übergabe in Ver-
nur noch solche Nichtregierungsorganisationen bedacht antwortung“.
werden, die sich zu einer Kooperation mit der Bundes-
wehr bereit erklären. Das ist aus meiner Sicht eine Ver- Ziel ist, dass die afghanische Regierung innerhalb der
kennung der Aufgabe dieser Organisationen. Das wird nächsten fünf Jahre mit ihren nationalen Sicherheitskräf-
mit uns nicht zu machen sein. ten in der Lage ist, schrittweise Verantwortung im
gesamten Land zu übernehmen. Damit bieten die
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Beschlüsse von London eine große Chance für Afgha-
DIE GRÜNEN) nistan. Sie nehmen auch die Regierung Karzai voll in die
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 25. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. Februar 2010 2193
Jürgen Hardt
(A) Pflicht, ihre eigenen Anstrengungen zu erhöhen und zu (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE (C)
selbsttragenden Strukturen zu kommen. Der Aufbau von GRÜNEN]: Das ist Unsinn!)
loyalen Streitkräften und Polizeikräften, aber auch einer
Der deutsche Beitrag im Norden des Landes wird au-
verlässlichen Verwaltung und von durchgängig rechts-
ßerdem noch effizienter. Das ist nur möglich, weil die
staatlichen Strukturen ist eine große Herausforderung.
Vereinigten Staaten von Amerika bereit sind, uns ent-
(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE sprechend stark zu unterstützen. Durch die Bereitstel-
GRÜNEN]: Das sagen Sie seit acht Jahren!) lung von Lufttransportkapazitäten wird die Mobilität in
der Fläche entscheidend verbessert. Die Sicherheit unse-
Die Bekämpfung von Korruption und Drogenhandel ist rer Soldatinnen und Soldaten wird durch die Bereitstel-
eine Herkulesaufgabe. Das alles geht nur mit massiver, lung von MedEvac-Hubschraubern nochmals deutlich
intensiver internationaler Hilfe. Die Londoner Konfe- erhöht. Es ist zukünftig besser möglich, gemeinsam mit
renz hat genau diese Hilfe auf den Weg gebracht. der Afghan National Army in Gebieten, in denen man
Deutschland wird dazu seinen unverzichtbaren Beitrag vorübergehend eine Befriedung erreicht hat, dauerhaft
leisten. Frieden herzustellen, weil man in der Fläche besser ope-
Am Erfolg in Afghanistan haben wir alle größtes Inte- rieren kann. Bei den militärischen Operationen muss der
resse. Von der Befriedung des Landes hängt viel ab, auch Schutz der Zivilbevölkerung an oberster Stelle stehen;
der Frieden in der gesamten Region und darüber hinaus denn wir können die Herzen der afghanischen Menschen
ebenso der Frieden in der gesamten Welt. Meines Erach- nur gewinnen, wenn wir zivile Opfer vermeiden.
tens muss man dies auch klipp und klar so sagen, damit (Beifall bei der CDU/CSU – Hans-Christian
die Menschen in Deutschland vielleicht wieder einen Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jede
besseren Zugang zur Unterstützung dieses Einsatzes fin- Woche gibt es neue!)
den; denn es geht hier wirklich um die Zukunft des Welt-
friedens. Der Afghanistan-Einsatz zeigt, dass die Amerikaner
auch im 21. Jahrhundert den größten und verlässlichsten
Die Neufassung des Mandats wird den deutschen Bei- Beitrag zur Sicherung von Frieden und Freiheit leisten.
trag zielorientierter, ziviler und effizienter machen. Das Kommando in der Nordregion bleibt aber bei einem
„Übergabe in Verantwortung“ bedeutet, dass die afgha- deutschen General. Ich sehe das auch als Zeichen der
nische Regierung mit ihren Kräften in fünf Jahren die Anerkennung bisher erbrachter guter deutscher Leistun-
volle Verantwortung tragen kann. Ich merke aber auch gen im Rahmen des ISAF-Mandats in Afghanistan.
an: Das bedeutet nicht automatisch, dass zivile oder mi-
litärische Unterstützung in jedweder Form zu diesem Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich freue mich, dass
das Mandat heute eine Zustimmung erfahren wird, die
(B) Zeitpunkt endet. Aber das muss man dann entscheiden, (D)
wenn es so weit ist. weit über die Grenzen der Regierungskoalition hinaus-
geht. Das ist für die Soldatinnen und Soldaten, die einen
Zur Zielorientierung des Mandats: In London ist fest- schweren Job machen – vielleicht den schwierigsten,
gelegt worden, dass die afghanische Regierung den wir Staatsdienern in Deutschland zumuten –, und für
306 000 Polizei- und militärische Sicherheitskräfte die zivilen Bediensteten im Einsatz eine gute Rücken-
braucht. Ich hielte es für gut, wenn die deutsche Regie- deckung.
rung in naher Zukunft Meilensteine festlegte, an denen
wir überprüfen können, ob das, was wir zukünftig bei Es gibt breiten Konsens über die Unvermeidbarkeit
der Ausbildung leisten, trägt. Ich fände es schön, wenn des deutschen Engagements in Afghanistan. Ein soforti-
der Afghanistan-Einsatz im Blick auf das Ziel ger Abzug der deutschen und alliierten Truppen aus
306 000 ausgebildeter afghanischer Sicherheitskräfte ein Afghanistan würde das Land mit einem Schlag in Terror
Stück weit überprüfbar wäre und wir prüfen könnten, ob und Anarchie zurückwerfen. Es wäre eine gewissen- und
wir möglicherweise auf dem Weg dorthin Korrekturen verantwortungslose Haltung, jetzt aus Afghanistan he-
vornehmen müssen, und wenn wir die Qualität unserer rauszugehen.
Arbeit mit der anderer Nationen vergleichen könnten. Der Entschließungsantrag der Grünen kann, obwohl
Der deutsche Beitrag wird ziviler, nicht nur durch er sich sehr differenziert und verantwortungsvoll mit der
die Verdopplung der Mittel für die Entwicklungshilfe, in Rede stehenden Frage auseinandersetzt, die Zustim-
sondern auch durch den neuen, klaren Schwerpunkt auf mung der CDU/CSU-Fraktion leider nicht finden. Ich
Ausbildung und Schutz. nenne nur wenige Punkte. Zum einen sind wir der Mei-
nung, dass es ohne eine maßvolle Erhöhung der Man-
(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE datsobergrenze nicht geht. Zum anderen vertreten wir
GRÜNEN]: Der Krieg wird verstärkt!) die Auffassung, dass insbesondere die Aufklärungstor-
nados, die wir bereitstellen, einen wichtigen Beitrag der
1 400 deutsche Soldatinnen und Soldaten, 1 100 mehr
Deutschen für andere alliierte Partner zur Erstellung ei-
als bisher, werden vornehmlich mit Ausbildungs- und
nes gemeinsamen Lagebildes darstellen. Es wäre genau
Schutzaufgaben betraut. Die vorgesehene Anpassung der
der falsche Weg, an dieser Stelle zurückzugehen. Des-
Mandatsobergrenze um 850 auf 5 350 deutsche Soldaten
wegen werden wir dem Antrag der Grünen nicht zustim-
bedeutet also, dass sich das Gewicht stark in Richtung
men.
Ausbildung verlagert. Von einer weiteren „Martialisie-
rung“ unseres Einsatzes in Afghanistan kann also keine Das hier präsentierte neu gefasste Afghanistan-Man-
Rede sein. dat ist ein konsistenter Beitrag Deutschlands im Rahmen
2194 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 25. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. Februar 2010

Jürgen Hardt
(A) der Neuorientierung in der internationalen Afghanis- Im Gegensatz zur gelegentlichen öffentlichen Wahr- (C)
tan-Politik. Militärische und zivile Komponenten greifen nehmung hat die Aufbauhilfe bisher durchaus gute
klug ineinander. Es gibt eine bessere Möglichkeit der Er- Früchte getragen. Diese Fortschritte sind für viele Afgha-
folgsmessung und eine größere Chance auf Erfolg. nen spürbar. So hat die Bundesregierung über das natio-
nale Bildungsprogramm zum Bau von rund 2 000 Schulen
Wir wünschen allen Beteiligten in der Bundeswehr beigetragen. Dadurch sind circa 11 000 neue Unter-
und den zivilen Unterstützern in Afghanistan alles Gute, richtsräume für rund 25 000 Lehrkräfte und etwa
eine glückliche Hand und eine glückliche Heimkehr. 500 000 Schüler entstanden. Landesweit gehen aktuell
Danke schön. 6,5 Millionen Kinder zur Schule. Davon sind 35 Prozent
Mädchen, fünfmal mehr als zu Zeiten der Taliban.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
der FDP)
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Seit 2006 konnten über 750 000 Patienten, darunter be-
Das Wort erhält nun der Kollege Florian Hahn für die sonders viele Mütter und Säuglinge, behandelt werden.
CDU/CSU-Fraktion. Allein mit deutscher Hilfe wurden im Norden Afghanis-
(Beifall bei der CDU/CSU) tans über 600 Kilometer Straße und zahlreiche Brücken
gebaut.
Florian Hahn (CDU/CSU): Über 70 Prozent der Bevölkerung in Afghanistan sind
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und daher aktuell der Meinung, dass sich ihre Lebensverhält-
Kollegen! Im Dezember letzten Jahres haben wir zum nisse in den letzten zwölf Monaten enorm verbessert ha-
letzten Mal über die Verlängerung des ISAF-Mandats in ben. Ein großer Teil ihrer Hoffnung richtet sich weiter-
Afghanistan abgestimmt. Wir waren uns damals über die hin auf die Unterstützung aus Deutschland. Dennoch
Regierungsfraktionen hinweg mehrheitlich einig, dass müssen wir uns bewusst machen, dass die erzielten Fort-
die Schaffung selbsttragender Sicherheit und funktions- schritte für eine Übergabe in Verantwortung noch lange
tüchtiger Strukturen in Afghanistan nur durch einen ver- nicht ausreichen. Wir haben uns daher zum Ziel gesetzt,
netzten Ansatz von sicherheitspolitischen, diplomati- dass im Norden Afghanistans bis 2014 60 Prozent aller
schen und – das ist ganz entscheidend – auch Kinder eine Schule besuchen sollen und 50 Prozent der
entwicklungspolitischen Maßnahmen zu erzielen ist. Menschen Zugang zu Trinkwasser haben. Außerdem
Von daher begrüße ich es außerordentlich, dass es der wollen wir weitere 700 Kilometer Straßen bauen.
christlich-liberalen Bundesregierung gelungen ist, dieses Durch den ambitionierten Aufwuchs von afghanischen (D)
(B) Konzept maßgeblich bei der Konferenz in London ein-
Sicherheitskräften und eine dauerhaft erhöhte Präsenz in
fließen zu lassen. Dem werden wir heute mit dieser De- der Fläche kann die Rückkehr der Aufständischen lang-
batte und dem zu fassenden Beschluss gerecht. fristig verhindert werden, und der Bevölkerung wird
spürbar das Gefühl von Sicherheit vermittelt. Durch die
Acht Jahre nach dem Sturz der Taliban ist der afgha-
Aufstockung der Zahl der polizeilichen Ausbilder um
nische Staat derzeit noch nicht in der Lage, selbst für die
mehr als 60 Prozent bis Mitte 2010 wird dies flankiert.
Sicherheit seiner Bürger zu sorgen. Der Prozess der
Jährlich sollen nun 5 000 Polizisten sowie 500 afghani-
Staatswerdung geht nicht von heute auf morgen. Gerade
sche Polizeilehrer bis 2012 ausgebildet werden.
angesichts der afghanischen Geschichte wird hierfür ein
langer Atem benötigt. Der Beginn des Engagements am Bei dieser neuen Ausrichtung dürfen wir die bevor-
Hindukusch war im Jahre 2001. Die Londoner Afghanis- stehenden Parlamentswahlen nicht aus den Augen ver-
tan-Konferenz am 28. Januar dieses Jahres stellt eine lieren, die voraussichtlich im September dieses Jahres
Fortführung und zugleich einen neuen Ansatz unter dem stattfinden werden. Es ist wichtig, dass diese Wahlen ei-
Leitgedanken „Übergabe in Verantwortung“ dar. Die nen Mindeststandard an Demokratie erfüllen. Wir erin-
Neuausrichtung des militärischen Beitrags, aber vor al- nern uns: Bei den Parlamentswahlen 2005 wurden gra-
lem die Erhöhung der Zahl der zivilen Einsatzkräfte sind vierende Fehler gemacht. Damals haben sich ganze
hierfür die Basis. Stammesgruppen um das tatsächliche Wahlergebnis be-
trogen gefühlt, zum Beispiel in der Region Wardak. Das
Die militärische Neuausrichtung steht zwar häufig führte letztlich dazu, dass bestimmte Gruppen für die Ta-
im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses, ist jedoch nur liban wieder empfänglich wurden. Die nächsten Wahlen
ein unterstützendes Element. Vielmehr liegt der neuen stellen deshalb ein Risiko, aber auch eine große Chance
Strategie die Erkenntnis zugrunde – hier zitiere ich den für uns dar, unserem Ziel der Übergabe in Verantwor-
neuen Generalinspekteur Wieker –, tung merklich näher zu kommen. Dass Afghanistan zum
dass dauerhafte, selbsttragende Stabilität nur mit ei- Zeitpunkt der Übergabe keine Westminster-Demokratie
nem „vernetzten Ansatz“ ziviler und – wo nötig – sein wird, ist uns allen klar. Jedoch wollen wir zumin-
militärischer Mittel erreicht werden kann. dest ein Mindestmaß an Demokratie erreichen. Unser
Ziel muss insgesamt sein, den Menschen in Afghanistan
Von daher ist es absolut unabdingbar, dass für den zivi- etwas zu hinterlassen, das so wertvoll ist, dass sie es er-
len Aufbau im Etat des BMZ mit nun 430 Millionen halten und darauf aufbauen wollen. Dabei wollen wir
Euro pro Jahr fast doppelt so viele Mittel eingesetzt wer- auch in unserem Interesse helfen. „Wer abzieht, holt die
den wie bisher. Taliban heran“, wie Joschka Fischer im Dezember letz-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 25. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. Februar 2010 2195
Florian Hahn
(A) ten Jahres in der Süddeutschen Zeitung zu Recht ge- das ist unsere Aufgabe, der wir hier im Parlament nach- (C)
schrieben hat. zugehen haben.
Auch ich fühle mich aufgrund der Ereignisse am Be- (Beifall bei der SPD und der FDP sowie bei
ginn dieser Debatte nicht wohl. Was die Linke heute hier Abgeordneten der CDU/CSU)
aufgeführt hat, ist erstens ein unerträglicher parteipoliti-
scher Missbrauch der Opfer vom 4. September Ich werde dem Mandat heute zustimmen. Ich tue das
in der Überzeugung, dass wir in Afghanistan Verantwor-
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- tung tragen. Ich tue das aber auch in dem Wissen, dass
neten der FDP) wir in unserem bisherigen Engagement Fehler gemacht
haben. Vor allem tue ich das verbunden mit der Auffor-
und verhöhnt zweitens die Opfer von Terrorismus und derung an alle Fraktionen hier im Bundestag: Lassen Sie
Unterdrückung sowie die Opfer derer, die sich wie un- uns endlich anfangen, eine breite, öffentliche Debatte
sere Bundeswehr für die Freiheit und Menschenrechte über unser Engagement in Afghanistan zu führen! Das
der Menschen in Afghanistan einsetzen. ist unsere Aufgabe als Abgeordnete.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
der FDP) der CDU/CSU und der FDP)
Der Einsatz unserer Bundeswehr, der Polizei, Diplo- Es gibt Gründe, die dafür sprechen, diesem Mandat
maten und Entwicklungshelfer ist weiterhin notwendig. zuzustimmen. Gleichwohl weiß ich aber auch: Es gibt
Ich möchte all denen danken und wünsche ihnen und den Gründe, die gegen dieses Mandat sprechen. Ich glaube,
Völkern in Afghanistan alles Gute, Gesundheit und Got- niemand macht sich hier die Entscheidung leicht. Es ist
tes Segen. aber am schlimmsten, wenn wir eine Entscheidung tref-
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- fen, ohne dass wir eine gesellschaftliche Diskussion ge-
neten der FDP) führt haben. Wenn wir uns wegducken, taktieren, andere
Meinungen ausschließen und nicht den Mut haben, end-
lich den Menschen die Gründe für den Einsatz zu erklä-
Präsident Dr. Norbert Lammert: ren, dann werden wir dieses Mandat auf eine parlamen-
Ich habe vorhin versäumt, dem Kollegen Jürgen tarische Mehrheit stellen können, aber niemals auf eine
Hardt zu seiner ersten Rede im Deutschen Bundestag zu gesellschaftliche. Genau darum muss es uns aber gehen:
gratulieren. Ich hole das besonders gerne nach, zumal eine gesellschaftliche Mehrheit. Es ist vor allem Auf-
ihm das nicht häufig zu erlebende Kunststück gelungen gabe der Regierung, den Menschen zu erklären, warum
(B) ist, bei seiner ersten Rede mit der knapp bemessenen wir in Afghanistan sind und welches der künftige Weg (D)
Zeit nicht nur auszukommen, sondern sie zu unterbieten. ist. Bei allem Respekt: In dieser Hinsicht hat die Regie-
Daraus leite ich ohne Rechtsanspruch eine virtuelle Gut- rung ihre Verantwortung nicht wahrgenommen. Wenn es
schrift für eine spätere Debatte her. notwendig war, klare und ehrliche Worte zu sprechen,
haben Sie sich weggeduckt. Als es darum ging, den
(Beifall – Heiterkeit bei Abgeordneten der Menschen zu erklären, wie die neue Afghanistan-Strate-
CDU/CSU) gie aussieht, waren Sie von der Regierung nicht bemerk-
Jetzt hat das Wort der Kollege Lars Klingbeil für die bar. Da hätte ich mir etwas anderes gewünscht.
SPD-Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der SPD)
(Beifall bei der SPD) Die Erfolge in Afghanistan, egal ob in der Bildung, in
der medizinischen Versorgung, beim Aufbau von Infra-
Lars Klingbeil (SPD): struktur oder in der wirtschaftlichen Entwicklung, sind
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen heute schon vielfach angesprochen worden. In vielen
und Herren! In der vergangenen Woche habe ich in Bereichen ist das Land vorangekommen. Wir sollten
Munster, meiner Heimatstadt, einem der größten Bun- diese Entwicklung nicht kleinreden. Zugleich warne ich
deswehrstandorte in Deutschland, ein bewegendes Ge- aber davor, Fehlentwicklungen auszublenden. Zur Wahr-
spräch mit einer jungen Mutter geführt. Wir Abgeord- heit gehört auch: Wir müssen zugeben, dass wir in den
nete waren es, die ihren Mann Anfang des Jahres in den letzten Jahren so manche Gegebenheit in Afghanistan
Einsatz nach Afghanistan geschickt haben. Ich habe na- unterschätzt haben. Die verschlechterte Sicherheitslage
türlich gespürt, dass es ihr am liebsten wäre, wenn ihr stellt uns vor neue Herausforderungen. Die Heterogeni-
Mann zu Hause bei der Familie wäre; aber diesen An- tät des Landes muss uns dazu bringen, differenzierte An-
spruch hat sie gar nicht formuliert. Sie hat mir etwas an- sätze für die Region zu finden. Auch müssen wir die
deres mit auf den Weg gegeben. Sie sagte deutlich, dass Afghanen viel stärker in unser Engagement einbeziehen
sie von uns Politikern erwartet, dass wir keine parteipoli- und ihre Anliegen auf Augenhöhe ernst nehmen. Wenn
tischen Spiele auf dem Rücken der Soldaten austragen. wir das machen, dann kommen wir in Afghanistan auf
Sie hat mir deutlich gemacht, dass sie von uns mehr Of- einen vernünftigen Weg.
fenheit und Klarheit erwartet. Vor allem hat sie mir auf (Beifall bei der SPD)
den Weg mitgegeben, dass sie sich von uns endlich den
Mut wünscht, in der Öffentlichkeit für eine breite Zu- Ja, es gibt Probleme und Fehlentwicklungen. Deswe-
stimmung zum Afghanistan-Mandat zu sorgen. Genau gen gab es und gibt es in meiner Fraktion Bedenken. Ge-
2196 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 25. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. Februar 2010

Lars Klingbeil
(A) nau deswegen haben wir in den vergangenen Wochen waren es, die gesagt haben: Wir wollen den Charakter (C)
und Monaten nach Lösungen für diese Probleme gesucht des Einsatzes nicht verändern, und wir wollen keine zu-
und höchst ernsthaft über die richtigen Antworten disku- sätzlichen Offensivkräfte im Mandat. – Sie als Regie-
tiert. Dann lese ich in einer offiziellen Pressemitteilung rung sind gefolgt. Wir waren es, die gesagt haben: Wir
der CDU/CSU-Bundestagsfraktion vom 22. Januar die- wollen die Mittel für zivile Aufgaben verdoppeln. – Sie
ses Jahres unter der Überschrift „Afghanistan – SPD als Regierung sind gefolgt. Wir waren es, die gesagt ha-
schlägt sich in die Büsche“: ben: Wir wollen eine Verstärkung bei der Ausbildung
afghanischer Sicherheitskräfte. – Sie sind gefolgt. Wir
Mit Überschallgeschwindigkeit wirft die SPD ihre waren es, die gesagt haben: Wir wollen den Beginn des
staatspolitische Verantwortung über Bord. Gestern Abzugs. – Sie sind gefolgt. Dieses Mandat trägt nicht die
noch hat die SPD Deutschland am Hindukusch ver- Handschrift der Regierung. Wenn es eine Handschrift
teidigt – heute kann es mit dem Abzug gar nicht trägt, dann die der SPD.
schnell genug gehen.
(Beifall bei der SPD)
(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das ist billig!)
Weil maßgebliche Forderungen meiner Regierung – Ent-
Liebe Kollegen von der CDU, einmal davon abgese- schuldigung –, meiner Partei
hen, dass ich solche Pressemitteilungen höchst peinlich
finde, (Heiterkeit)
(Beifall bei der SPD) – ich bin immer schon ein paar Jahre weiter –
frage ich mich: Was für einen Verantwortungsbegriff ha- (Heiterkeit und Beifall bei der SPD)
ben Sie eigentlich? Verantwortung heißt doch nicht, ei- aufgegriffen wurden, werde ich zustimmen, werden
ner überforderten Regierung hinterherzulaufen. Verant- große Teile meiner Fraktion zustimmen. Wir Sozial-
wortung heißt, die richtigen Fragen zu stellen und die demokraten wollen den Weg weiter prägen. Wir werden
richtigen Lösungen zu suchen. Das ist die Verantwor- zustimmen, aber ich sage Ihnen deutlich: Nicht wegen
tung, die wir Sozialdemokraten in den letzten Monaten Westerwelle und Merkel, sondern trotz Westerwelle und
wahrgenommen haben. Merkel werden wir zustimmen.
(Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD)
Ich frage: Herr Westerwelle, Frau Merkel, wo waren Sie Einer Sache können Sie sich sicher sein: Die Debatte
eigentlich in den letzten Monaten, als in diesem Land über Afghanistan ist heute nicht zu Ende. Sie fängt heute
über Afghanistan diskutiert wurde? Wo sind Sie eigent- erst richtig an.
(B) lich jetzt, da dieses Hohe Haus über Afghanistan disku- (D)
tiert? Es war die SPD, die in den letzten Monaten Ver- Vielen Dank für das Zuhören.
antwortung übernommen hat, während Sie versucht
(Beifall bei der SPD)
haben, Ihre innenpolitischen Probleme zu lösen.
(Beifall bei der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert:
Die Regierung hat versucht, die Mandatsverlängerung in Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der
Hinterzimmern durchzudrücken. Unmittelbar vor der Kollege Roderich Kiesewetter für die CDU/CSU-Frak-
Afghanistan-Konferenz wird uns ein Papier vorgelegt. tion.
Unmittelbar nach der Afghanistan-Konferenz wird im (Beifall bei der CDU/CSU)
Eiltempo ein neues Mandat hier durch das Parlament ge-
jagt. Öffentliche Debatte? Fehlanzeige. Überzeugungs-
Roderich Kiesewetter (CDU/CSU):
arbeit in der Gesellschaft? Fehlanzeige. So sieht verant-
wortungsvolles Handeln einer Regierung nicht aus. Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen
und Kollegen! Liebe Damen und Herren! Herr Kollege
(Beifall bei der SPD) Klingbeil, aller Abschied ist schwer. Die Presseerklä-
rung vom 22. Januar hat bestimmt dazu beigetragen,
Ich bin stolz darauf, dass sich meine Partei in den
dass Sie von der Überschallgeschwindigkeit, mit der Sie
letzten Wochen dieser Debatte gestellt hat. Wir haben
sich von der bisherigen Politik verabschieden wollten,
unsere Mitglieder befragt, wir haben Experten angehört
die Kurve zur Rückkehr zu einer vernünftigen Afghanis-
und auf Veranstaltungen mit Bürgern diskutiert. Wir ha-
tan-Politik gefunden haben.
ben viel Zuspruch dafür bekommen, dass wir die Dis-
kussion angestoßen haben. Ich weiß von vielen meiner (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Kolleginnen und Kollegen aus der Fraktion, dass sie es
sich heute nicht leicht machen. Wir hätten das Mandat Heute haben wir intensiv über den ISAF-Einsatz de-
einfach ablehnen können. Stattdessen ducken wir uns battiert. Heute jährt sich aber auch der erste islamistische
nicht weg. Wir stellen uns den kritischen Fragen, und Terroranschlag auf die Vereinigten Staaten von Ame-
wir nehmen die Sorgen und Ängste der Menschen ernst. rika. Sechs Menschen starben, über 1 000 Menschen
wurden verletzt. Das war der Bombenanschlag auf das
Sie, die Regierung, setzen, statt eine ehrliche Bilanz World Trade Center vom 26. Februar 1993. Weitere An-
zu ziehen und statt neue Strategien für Afghanistan zu schläge haben in London, in Madrid und in New York
diskutieren, auf Copy and Paste. Wir Sozialdemokraten stattgefunden. Der 11. September 2001 ist die Zäsur, die
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 25. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. Februar 2010 2197
Roderich Kiesewetter
(A) auch uns nach Afghanistan gebracht hat. Deshalb ver- armee“ glaubwürdig um. Das sind wir auch unseren Sol- (C)
langt die heutige Entscheidung erhebliche Ernsthaftig- daten schuldig.
keit. Ziel ist doch, dass wir einen dauerhaften Frieden in
Afghanistan und Sicherheit für das afghanische Volk er- Wie können wir – das ist die Kernfrage – die Nach-
reichen. „Friede ist niemals durch Koexistenz, sondern barn Afghanistans nachhaltig in eine solche Strategie
nur in Kooperation“, sagte Karl Jaspers, unser deutscher einbeziehen? Hier geht es besonders um unsere außen-
Philosoph. Diese Kooperation brauchen wir zwischen und sicherheitspolitische Verantwortung. Das sind die
Soldaten, Polizisten, zivilen Wiederaufbauhelfern und wahren strategischen Fragen, Frau Künast. Was würde
der afghanischen Bevölkerung. Diese Kooperation brau- denn passieren, wenn wir unseren Einsatz, unseren
chen wir im Bündnis mit den über 40 Mitgliedstaaten Schwung abschwächen würden?
und Nationen, die sich am Afghanistan-Einsatz beteili- Wir alle sind heute in diesem Haus Zeugen eines be-
gen. Ich sage an dieser Stelle ganz deutlich: Insbeson- dauerlichen Erlebens. Wir tragen die Last und nicht die
dere die Vereinigten Staaten von Amerika befähigen uns Lust der Verantwortung. Schon gar nicht leisten wir uns
im Norden von Afghanistan zu unserem Strategiewech- den Luxus, wie dies eine Fraktion tut, uns aus der Ver-
sel. Ich erinnere nur an die Unterstützung in der Polizei- antwortung zu ziehen. Das möchte ich hier ganz beson-
ausbildung und – das ist ganz wichtig – bei den Hub- ders betonen.
schraubern.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Zur strategischen Perspektive. Es ist wichtig, dass
Kooperation ist genauso wichtig innerhalb Afghanis- wir in Afghanistan und darum herum strategische Part-
tans. Es geht um die Volksstämme, um die Gruppierun- ner aufbauen. Wir müssen Übergabe in Verantwortung
gen, um die ehemaligen Warlords und um kooperations- auch in der Region leisten. Wer sind – das müssen wir
bereite Taliban. Die Kernfrage ist doch: Wo sehen wir klären – mögliche verantwortungsbewusste Partner?
als Parlament in den nächsten fünf Jahren Afghanistan? Wie können diese Partner wirksam unterstützt werden?
Wie sehen wir die Entwicklung der weiteren Region? Es geht um die politische, wirtschaftliche, soziale, aber
Wir müssen den Blick auch auf Zentralasien, auf Pakis- auch militärische Stabilität in dieser Region. Der afgha-
tan und Indien und deren schwieriges Verhältnis, auf nische Islam zeichnete sich früher durch sprichwörtliche
Iran, China und Russland richten. Dies ist die größte si- Toleranz aus. Wir brauchen den verstärkten Dialog der
cherheitspolitische Herausforderung unserer Zeit. Dazu Religionsgemeinschaften. Wir müssen auch die ver-
brauchen wir ein verantwortungsbewusstes Krisenma- ständlichen afghanischen Befindlichkeiten in Sachen
nagement; denn wir werden nicht nur aus Afghanistan, russischer Beteiligung ernst nehmen, gleichwohl wir
(B) sondern auch aus anderen Krisenregionen unserer Welt wissen und schätzen, wie sehr die Russen unseren Ein- (D)
sehr genau beobachtet. Es wird betrachtet, wie wir diese satz im Hintergrund unterstützen.
Verantwortung wahrnehmen. Mit unserer heutigen Ent-
scheidung stellen wir in Afghanistan die Weichen für die Über die heutige Entscheidung hinaus treffen wir in
Glaubwürdigkeit unserer westlichen Wertegemeinschaft. voller Absicht und bewusst eine Weichenstellung für un-
sere westliche Gemeinschaft. Denn es geht um die
Ich teile einen Ansatz der Grünen: All das, was wir in Frage: Wie gehen wir künftig mit Konflikten und Kri-
Afghanistan anbieten – auch mein Vorredner, Herr senregionen um? Unsere Entscheidung wird daran ge-
Klingbeil, hat das angesprochen; das ist auch die Posi- messen werden.
tion der Union –, muss dem landestypischen afghani-
schen Charakter entsprechen. Wir müssen die Eigen- Es heißt jetzt also Partner suchen, Afghanistan selbst-
ständigkeit stärken; auch Frau Hoff hat dies vorhin ständig machen und so rasch wie möglich Verantwor-
angesprochen. tung übertragen. Das mag Kosten, Aufwendungen verur-
sachen; aber die Stabilisierung der Region muss uns
Unser heutiges Mandat stellt damit die Weichen in die teuer sein. Der Nutzen wird auf lange Sicht größer, und
richtige Richtung. Wir stehen mit unserer Verantwortung der Preis wird es wert sein.
an der Seite der gewählten afghanischen Regierung. Wir
wollen die Übergabe in Verantwortung. Aber dazu müs- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
sen wir als Parlament auch die Region betrachten. Wir
müssen Brisanz durch Kooperation ersetzen, ganz im Die Herausforderungen werden wir mit strategischem
Jaspers’schen Sinne. Weitblick bewältigen. Dazu brauchen wir als Parlament
auch regelmäßige Informationen. Wir sind uns sicher,
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- dass die Bundesregierung sie uns regelmäßig gibt.
neten der FDP)
Lassen Sie uns mit unserer Zustimmung zum Afgha-
Dazu brauchen wir eine klare Perspektive. Nur so blei- nistan-Mandat über die Parteigrenzen hinweg ein deutli-
ben wir glaubwürdig. Das darf sich nicht auf den detail- ches Zeichen der Verbundenheit mit unseren Soldatinnen
lierten Einsatz – Tornado hier, OMLT, das Operational und Soldaten, den Polizisten und den zivilen Wiederauf-
Mentoring and Liaison Team, da – beschränken. Wir bauhelferinnen und -helfern setzen. Lassen Sie uns aber
müssen deutlich machen, dass wir vor einer strategi- auch Gedanken machen über ein deutlich sichtbares Zei-
schen Herausforderung stehen. Von uns als Parlament chen dieser Verbundenheit. Darüber könnten wir in der
wird eine strategische Leistung erwartet. Nur so setzen nächsten Zeit diskutieren. Lassen Sie uns heute ein kla-
wir unseren Anspruch „Bundeswehr gleich Parlaments- res Zeichen für entschiedenes Handeln und ein Zeichen
2198 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 25. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. Februar 2010

Roderich Kiesewetter
(A) der Geschlossenheit unseres hohen und verantwortungs- Konsens darüber gegeben, dass die Regeln dieses Hau- (C)
bewussten Hauses geben. ses ausnahmslos für alle gelten.
Ich danke Ihnen. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der
FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNIS-
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
SES 90/DIE GRÜNEN)
neten der FDP)
Wir haben die Unverzichtbarkeit der strikten Einhaltung
Präsident Dr. Norbert Lammert: dieser Regeln auch im Bewusstsein der historischen Er-
Ich schließe die Aussprache. fahrung für unabdingbar gehalten,

Bevor wir zur Abstimmung kommen, möchte ich (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP
noch einige Hinweise zur Abstimmungslage machen und und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Sie um Zustimmung zu einem Vorschlag zur Abwei- dass ein deutsches Parlament an dem leichtfertigen Um-
chung von der Geschäftsordnung bitten. Vielleicht kön- gang mit den selbstgesetzten Regeln bereits einmal ge-
nen Sie dafür noch einen Augenblick Platz nehmen. scheitert ist.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will, vor allem Nun muss ich Sie auf Folgendes aufmerksam ma-
zur Verdeutlichung der geschäftsordnungsrechtlichen chen: Die Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages
Zusammenhänge für die interessierte Öffentlichkeit, lässt keine Differenzierung zwischen dem Ausschluss
noch einmal auf die einschlägigen Bestimmungen unse- von der Sitzung und dem Ausschluss von Abstimmun-
rer Geschäftsordnung hinweisen: Nach § 38 der Ge- gen zu. Gleichwohl möchte ich Ihnen das aus, wie Sie
schäftsordnung des Deutschen Bundestages kann der hoffentlich nachvollziehen können, naheliegenden Grün-
Präsident wegen gröblicher Verletzung der Ordnung ein den empfehlen, was nach § 126 der gleichen Geschäfts-
Mitglied des Bundestages, auch ohne dass ein Ord- ordnung möglich ist, wenn es der Deutsche Bundestag
nungsruf ergangen ist, für die Dauer der Sitzung aus dem mit Zweidrittelmehrheit beschließt. Nach § 126 unserer
Saal verweisen. Ein Mitglied des Bundestages kann bis Geschäftsordnung sind
zu 30 Sitzungstage ausgeschlossen werden. Davon habe
ich vorhin Gebrauch gemacht. Abweichungen von den Vorschriften dieser Ge-
schäftsordnung … im einzelnen Fall mit Zweidrit-
Ich weise noch einmal auf das Protokoll der von mir telmehrheit der anwesenden Mitglieder des Bun-
vorhin ohne Datum zitierten Sitzung des Ältestenrates destages [möglich], wenn die Bestimmungen des
vom 26. März 2009 hin, in der es um einen sehr ver- Grundgesetzes dem nicht entgegenstehen.
gleichbaren Vorgang ging und wo wir uns über die ge-
(B)
meinsame Handhabung solcher Situationen verständigt Ich empfehle Ihnen auch nach Rücksprache mit den (D)
haben. Ich habe da ausdrücklich auf die Geschäftsord- Fraktionsführungen aller im Bundestag jetzt anwesenden
nungslage verwiesen und mich vergewissern wollen, ob Fraktionen, dass wir von dieser Möglichkeit Gebrauch
es eine gemeinsame Auffassung im Ältestenrat über die machen, die Sitzung für zehn Minuten unterbrechen und
Interpretation dieser Bestimmungen gebe. Nach dem anschließend eine Abstimmung zu diesem Tagesord-
Protokoll – ich zitiere – nungspunkt durchführen, an der auch die von der heuti-
gen Sitzung ausgeschlossenen Mitglieder teilnehmen
… vergewissert sich der Präsident abschließend, ob können.
der Ältestenrat seine Auffassung teile, dass Vor-
gänge wie der heutige einen groben Verstoß gegen Ich darf Sie fragen, ob Sie mit diesem Vorschlag ein-
die parlamentarischen Sitten darstellen. Im Ältes- verstanden sind. Wer dem zustimmt, den bitte ich um das
tenrat besteht diesbezüglich Einvernehmen. Dem Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
stimmt auf Nachfrage des Präsidenten auch die Par- sich? – Damit ist das mit überwältigender Mehrheit be-
lamentarische Geschäftsführerin der Fraktion Die schlossen.
Linke zu.
Ich unterbreche die Sitzung für zehn Minuten und
Ich entnehme einer Agenturmeldung vor wenigen rufe dann die Abstimmung auf.
Minuten mit Blick auf die Situation, die hier gerade im
Plenum stattgefunden hat: Mit der Aktion habe die Linke (Unterbrechung von 10.46 bis 10.57 Uhr)
dagegen protestieren wollen, dass es bislang vonseiten
der Bundesregierung keine offizielle Entschuldigung bei Präsident Dr. Norbert Lammert:
den Angehörigen der Opfer des Luftschlages gebe, sagte Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Dagmar Enkelmann, Parlamentarische Geschäftsführe-
Wir kommen nun zur Abstimmung über die Be-
rin der Linksfraktion. „Den Genossen sei bewusst gewe-
schlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf
sen, dass sie mit der Aktion gegen die Geschäftsordnung
Drucksache 17/816 zu dem Antrag der Bundesregierung
des Bundestages verstoßen würden. ‚Aber manchmal
zur Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher
muss man auch solche Wege gehen‘, sagte Enkelmann.
Streitkräfte an dem Einsatz der Internationalen Sicher-
Den Verweis durch Lammert halte sie für ‚überzogen‘.“
heitsunterstützungstruppe in Afghanistan unter Führung
Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Deutschen Bun- der NATO. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Be-
destag hat es in allen Legislaturperioden – völlig unab- schlussempfehlung, den Antrag auf Drucksache 17/654
hängig von den Mehrheitsverhältnissen – immer einen anzunehmen.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 25. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. Februar 2010 2199
Präsident Dr. Norbert Lammert
(A) Mir liegt zu diesem Antrag eine ganze Reihe von na- Überweisungsvorschlag: (C)
mentlichen Erklärungen nach § 31 unserer Geschäfts- Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f)
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
ordnung vor, die wir wie üblich dem Protokoll beifü- Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
gen.1) Verbraucherschutz
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Bevor ich die namentliche Abstimmung, die dazu be-
antragt ist, eröffne, weise ich darauf hin, dass im An- b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Hans-
schluss an die namentliche Abstimmung noch über den Josef Fell, Bärbel Höhn, Sylvia Kotting-Uhl, wei-
Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grü- terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
nen auf Drucksache 17/818 abzustimmen ist und nach NIS 90/DIE GRÜNEN
der vorhin vom Plenum getroffenen Geschäftsordnungs- Erneuerbare Energie ausbauen statt Atom-
entscheidung an diesen beiden Abstimmungen alle Kol- kraft verlängern
leginnen und Kollegen des Hauses teilnehmen können.
Um möglichen Missverständnissen vorzubeugen, weise – Drucksache 17/799 –
ich noch einmal ausdrücklich darauf hin, dass für die Überweisungsvorschlag:
dann folgenden Tagesordnungspunkte die an der Aktion Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f)
beteiligten Mitglieder ausgeschlossen sind. Es gibt nicht Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
einen Ausschluss einer Fraktion, sondern beteiligter Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
Kolleginnen und Kollegen. die Aussprache anderthalb Stunden vorgesehen. Gibt es
Ich darf die Schriftführerinnen und Schriftführer bit- Widerspruch? – Das ist nicht der Fall. Dann ist das so
ten, die vorgesehenen Plätze an den Abstimmungsurnen beschlossen.
einzunehmen und mir ein Signal zu geben, wann wir mit Ich eröffne die Aussprache. Das Wort als erster Red-
der Abstimmung beginnen können. ner hat der Kollege Hermann Scheer von der SPD-Frak-
Hier vorne links vor dem Präsidium fehlt noch ein tion. – Bitte schön, Herr Scheer.
Schriftführer. – Sind die Plätze an den Urnen jetzt alle (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
besetzt? – Es fehlt immer noch ein Schriftführer aus den des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Reihen der Opposition vorne links vom Präsidium.
Alle Urnen sind jetzt ordnungsgemäß mit Schriftfüh- Dr. Hermann Scheer (SPD):
rerinnen und Schriftführern von Mehrheit und Minder- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor zehn
heit des Hauses besetzt. Jahren hat der Deutsche Bundestag mit den Stimmen der
(B) SPD, der Fraktionen der Grünen und der PDS sowie mit (D)
Ich eröffne damit die Abstimmung.
einigen Stimmen aus der CDU/CSU-Fraktion das Erneu-
Ist noch ein Kollege im Saal anwesend, der seine erbare-Energien-Gesetz verabschiedet. Dieses Gesetz ist
Stimmkarte nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der in der Tat das erfolgreichste Gesetz zur Mobilisierung
Fall. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die erneuerbarer Energien in der ganzen Welt geworden.
Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszäh- Über 45 Länder haben dieses Gesetz inzwischen über-
lung zu beginnen. Wir geben das Ergebnis der Auszäh- nommen, weil sie sehen: Es ist der schnellste Weg zur
lung später, während des nächsten Tagesordnungspunk- Mobilisierung erneuerbarer Energien, der denkbar ist,
tes, bekannt.2) und allen anderen Politikansätzen überlegen; daran
kommt niemand mehr vorbei. Das hat uns in eine feder-
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Ent- führende Position gebracht, nicht nur bei der Einfüh-
schließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen rung, sondern auch bei der Entwicklung und der indus-
auf Drucksache 17/818. Wer stimmt für diesen Ent- triellen Produktion erneuerbarer Energietechniken.
schließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Damit ist der Entschließungsantrag mit der Dieses Gesetz muss weitergeführt werden. Es muss
Mehrheit des Hauses abgelehnt. nahtlos weitergeführt werden können. Es hat eine unse-
lige Entwicklung überwunden, die hier und andernorts
lange Zeit vorherrschte. Es gab pausenlos Stop-and-go-
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Programme, die es unmöglich gemacht haben, dass auf
Ich bitte um Entschuldigung für die kurze Unterbre- diesem Gebiet eine industrielle Entwicklung stattfinden
chung und setze die Sitzung fort. konnte.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 19 a und 19 b auf: Dieses Gesetz wurde aber immer infrage gestellt – es
a) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD wird auch heute noch infrage gestellt –, weil es den her-
kömmlichen energiewirtschaftlichen Strukturen und den
10 Jahre EEG – Auf dem besten Weg zu einer dahinterstehenden Interessen widerspricht. Es ist die
ökologischen und sozialen Energiewende Einleitung eines Strukturwandels, der unabdingbar ist
und der selbstverständlich kein Win-win-Konzept dar-
– Drucksache 17/778 – stellen kann. Wir machen uns etwas vor, wenn das be-
hauptet wird; denn der Strukturwandel in der Energie-
1) Anlagen 2 bis 6 versorgung, der historisch ansteht, ist zwangsläufig ein
2) Ergebnis Seite 2201 C Strukturwandel von einer überwiegend zentralisierten
2200 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 25. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. Februar 2010

Dr. Hermann Scheer


(A) Energieversorgung, vor allem im Strombereich, um den Weg zur tatsächlichen Schaffung von Energiemarktbe- (C)
es hier geht, hin zu einer dezentralen Energiebereit- dingungen in der Gesellschaft. Das ist ein ganz wesentli-
stellung. Das hängt mit der Natur der Energiequellen zu- cher Punkt, der in der Debatte nicht vergessen werden
sammen. Es ist ein Strukturwandel weg von einem darf.
Brennstoffmarkt hin zu einem Technologiemarkt; denn
bei erneuerbaren Energien, außer bei der Bioenergie, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
werden alle Brennstoffe kostenlos von der Natur bereit- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
gestellt.
Deswegen ist es falsch, im Zusammenhang mit der
Es ist klar, dass das Ziel, den Ausbau der erneuerba- Einspeisevergütung das Wort „Subvention“ in den
ren Energien bis hin zur Vollversorgung zu ermögli- Mund zu nehmen. Dieses Wort kommt manchem allzu
chen, bedeutet, dass der Brennstoffmarkt allmählich ver- schnell über die Lippen. In einigen Fällen wird es leicht-
schwinden und irgendwann nicht mehr vorhanden sein fertig verwendet; in der Regel ist es vorwurfsvoll ge-
wird. Ansonsten brauchte man mit der Förderung der er- dacht.
neuerbaren Energien gar nicht erst anzufangen, wenn es
gleichzeitig darum ginge, das Öl-, Gas-, Kohle- oder Die Einspeisevergütungen, die das Erneuerbare-Ener-
Urangeschäft in der Weltwirtschaft aufrechtzuerhalten. gien-Gesetz garantiert, sind aber keine Subvention.
Das ist das Prinzip. Wenn Sie das Urteil des Europäischen Gerichtshofes
vom März 2001 zum deutschen Erneuerbare-Energien-
Woher kommen die Infragestellungen? Worüber wird Gesetz lesen, erkennen Sie, dass der Europäische Ge-
heute und wahrscheinlich auch in den nächsten Wochen richtshof den Faden aufgenommen hat, der bei der Be-
debattiert? Die Frage ist: Entspricht dieses Vorgehen gründung, Erstellung und Abfassung des Erneuerbare-
Marktprinzipien oder nicht? Es gibt bestimmte, sehr Energien-Gesetzes im Vordergrund stand. Zunächst trifft
oberflächliche Marktvorstellungen, die dem Erneuer- der Subventionsbegriff der EU auf das Erneuerbare-
bare-Energien-Gesetz immer wieder entgegengestellt Energien-Gesetz nicht zu. Unter einer Subvention im
werden, die aber einer näheren Betrachtung nicht stand- EU-Sinne wird nämlich direkte oder indirekte staatliche
halten. Marktprinzip heißt, an allererster Stelle Markt- Hilfe verstanden. Die gibt es bei der Einspeisevergütung
gleichheit zu ermöglichen. Marktgleichheit kann nicht des EEG nicht; denn die öffentlichen Kassen sind gar
bestehen, wenn es über viele Jahrzehnte hinweg durch nicht involviert.
gesetzliche Privilegien wie durch viele Milliarden an
Subventionen zu einer hochkonzentrierten, herkömmli- Es gibt aber noch einen anderen Grund, der viel tiefer
chen Energiewirtschaft gekommen ist und wenn dann im geht: Bei der garantierten Einspeisevergütung handelt es
(B) Zuge der Liberalisierung gesagt wird: Jetzt können die sich um eine Kaufpflicht, die – mit gewissen Ausnah- (D)
hochgepäppelten Energieunternehmen in ihrer erworbe- men bei Großverbrauchern – alle Stromkunden betrifft.
nen und über Jahrzehnte hinweg politisch gestützten Eine Kaufpflicht kann nur begründet werden, wenn ein
Stellung so weitermachen wie bisher; gleichzeitig sollen zwingendes öffentliches Interesse erkennbar ist. Keiner
neue Energietechnologien dagegen antreten. Das heißt, bestreitet mehr, dass es ein öffentliches Interesse an ei-
es gab und gibt noch immer nicht die Situation von ner Umstellung der Energieversorgung auf erneuerbare
Marktgleichheit. Energien gibt. Das öffentliche Interesse ist also eindeutig
gegeben. Dieses öffentliche Interesse wird durch die
Wenn es aber aus zwingenden ökologischen und wei- Kaufpflicht umgesetzt. Wenn in Deutschland heute
teren gesellschaftlichen Überlegungen politisches Ziel 16 Prozent des Strombedarfs aus erneuerbaren Energien
ist, auf die erneuerbaren Energien umzusteigen, dann gedeckt werden, heißt das, dass schon heute praktisch je-
muss ein Ausgleich gegenüber der hochkonzentrierten der einzelne Stromkunde in Deutschland zu 16 Prozent
und hochprivilegierten Situation herkömmlicher Ener- Ökostrom bezieht; das ist eine automatische Folge der
gieversorgung geschaffen werden. Dann bedarf es zur Kaufpflicht.
Herstellung von Marktgleichheit einer gesonderten Pri-
vilegierung erneuerbarer Energien. Das drückt das Ge- Kaufpflichten im öffentlichen Interesse gibt es zu-
setz aus. hauf: Denken Sie nur an die Haftpflichtversicherung, die
abschließen muss, wer Auto fahren will. Niemand darf
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ ohne Haftpflichtversicherung Auto fahren. Niemand
DIE GRÜNEN) käme auf die Idee, das eine Subventionierung der Haft-
pflichtversicherer zu nennen. Es gibt ein öffentliches In-
Das Gesetz heißt nicht zufällig „Gesetz für den Vor- teresse daran, dass jeder eine Haftpflichtversicherung
rang Erneuerbarer Energien“. Das ist der eigentliche hat: dass sich niemand seiner Verantwortung für Schä-
Sinn des Gesetzes. Es ist nicht marktwidrig, sondern es den, die er verursacht hat, entzieht. Dasselbe gilt für
schafft überhaupt erst die Voraussetzungen, dass künftig Hausversicherungen und viele andere Sachen.
tatsächlich von einem Energiemarkt geredet werden
kann. Es wird auch dazu führen, dass es statt weniger (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des
Anbieter sehr viele Produzenten und Anbieter geben BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
wird. Markt heißt nicht wenige Anbieter oder gar nur ein
Monopolist mit Millionen Kunden, sondern Markt heißt
möglichst viele Anbieter. Deswegen ist das Erneuerbare- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Energien-Gesetz mit all dem, was es bewirkt hat, ein Herr Kollege, denken Sie bitte an die Zeit!
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 25. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. Februar 2010 2201

(A) Dr. Hermann Scheer (SPD): (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (C)
Vor dem Hintergrund der Philosophie dieses Gesetzes DIE GRÜNEN)
und seiner Wirkungen, die historisch genannt werden
dürfen, bitte ich darum, diese Debatte mit den richtigen
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Begriffen und mit den richtigen Inhalten zu führen, vor
allem wenn es darum geht, dieses lernende Gesetz, das Bevor ich den nächsten Redner aufrufe, darf ich Ihnen
ständig weiterentwickelt wird und werden muss, so zu das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermit-
gestalten, dass der Erfolg dieses Gesetzes nicht gefähr- telte Ergebnis der namentlichen Abstimmung bekannt
det wird. Letztlich geht es darum, dass Deutschland sei- geben: abgegebene Stimmen 586. Mit Ja haben gestimmt
nen Energiebedarf so schnell wie möglich vollständig 429, mit Nein haben gestimmt 111, Enthaltungen 46. Die
aus erneuerbaren Energien deckt. Beschlussempfehlung ist damit angenommen.

Endgültiges Ergebnis Dr. Hans-Peter Friedrich Alois Karl Dr. Gerd Müller
Abgegebene Stimmen: 586; (Hof) Bernhard Kaster Stefan Müller (Erlangen)
davon Michael Frieser Volker Kauder Nadine Müller (St. Wendel)
Erich G. Fritz Siegfried Kauder (Villingen- Dr. Philipp Murmann
ja: 429 Dr. Michael Fuchs Schwenningen) Bernd Neumann (Bremen)
nein: 111 Hans-Joachim Fuchtel Dr. Stefan Kaufmann Michaela Noll
enthalten: 46 Alexander Funk Roderich Kiesewetter Dr. Georg Nüßlein
Ingo Gädechens Eckart von Klaeden Franz Obermeier
Dr. Thomas Gebhart Volkmar Klein Eduard Oswald
Ja Norbert Geis Jürgen Klimke Henning Otte
Alois Gerig Julia Klöckner Dr. Michael Paul
CDU/CSU
Eberhard Gienger Axel Knoerig Rita Pawelski
Peter Altmaier Michael Glos Jens Koeppen Ulrich Petzold
Peter Aumer Josef Göppel Dr. Rolf Koschorrek Dr. Joachim Pfeiffer
Dorothee Bär Peter Götz Hartmut Koschyk Sibylle Pfeiffer
Thomas Bareiß Dr. Wolfgang Götzer Thomas Kossendey Beatrix Philipp
Norbert Barthle Ute Granold Michael Kretschmer Ronald Pofalla
Günter Baumann Reinhard Grindel Gunther Krichbaum Christoph Poland
(B) Ernst-Reinhard Beck Hermann Gröhe Dr. Günter Krings Ruprecht Polenz (D)
(Reutlingen) Michael Grosse-Brömer Dr. Martina Krogmann Eckhard Pols
Manfred Behrens (Börde) Astrid Grotelüschen Rüdiger Kruse Lucia Puttrich
Veronika Bellmann Markus Grübel Bettina Kudla Daniela Raab
Dr. Christoph Bergner Manfred Grund Dr. Hermann Kues Thomas Rachel
Peter Beyer Monika Grütters Günter Lach Dr. Peter Ramsauer
Steffen Bilger Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Dr. Karl A. Lamers Eckhardt Rehberg
Clemens Binninger Guttenberg (Heidelberg) Katherina Reiche (Potsdam)
Peter Bleser Olav Gutting Andreas G. Lämmel Lothar Riebsamen
Wolfgang Bosbach Florian Hahn Dr. Norbert Lammert Josef Rief
Norbert Brackmann Dr. Stephan Harbarth Katharina Landgraf Klaus Riegert
Jürgen Hardt Ulrich Lange Dr. Heinz Riesenhuber
Klaus Brähmig
Gerda Hasselfeldt Dr. Max Lehmer Johannes Röring
Michael Brand
Dr. Matthias Heider Paul Lehrieder Dr. Christian Ruck
Dr. Reinhard Brandl
Mechthild Heil Dr. Ursula von der Leyen Erwin Rüddel
Helmut Brandt
Ursula Heinen-Esser Ingbert Liebing Albert Rupprecht (Weiden)
Dr. Ralf Brauksiepe Frank Heinrich Matthias Lietz Anita Schäfer (Saalstadt)
Dr. Helge Braun Rudolf Henke Dr. Carsten Linnemann Dr. Annette Schavan
Heike Brehmer Michael Hennrich Patricia Lips Dr. Andreas Scheuer
Ralph Brinkhaus Jürgen Herrmann Dr. Jan-Marco Luczak Karl Schiewerling
Gitta Connemann Ansgar Heveling Dr. Michael Luther Tankred Schipanski
Leo Dautzenberg Ernst Hinsken Karin Maag Georg Schirmbeck
Alexander Dobrindt Peter Hintze Dr. Thomas de Maizière Christian Schmidt (Fürth)
Thomas Dörflinger Christian Hirte Hans-Georg von der Marwitz Patrick Schnieder
Marie-Luise Dött Robert Hochbaum Andreas Mattfeldt Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Thomas Feist Karl Holmeier Stephan Mayer (Altötting) Dr. Kristina Schröder
Enak Ferlemann Franz-Josef Holzenkamp Dr. Michael Meister (Wiesbaden)
Ingrid Fischbach Joachim Hörster Dr. Angela Merkel Dr. Ole Schröder
Hartwig Fischer (Göttingen) Anette Hübinger Maria Michalk Bernhard Schulte-Drüggelte
Dirk Fischer (Hamburg) Thomas Jarzombek Dr. h. c. Hans Michelbach Uwe Schummer
Axel E. Fischer (Karlsruhe- Dr. Dieter Jasper Dr. Mathias Middelberg Armin Schuster (Weil am
Land) Dr. Franz Josef Jung Philipp Mißfelder Rhein)
Dr. Maria Flachsbarth Andreas Jung (Konstanz) Dietrich Monstadt Detlef Seif
Klaus-Peter Flosbach Dr. Egon Jüttner Marlene Mortler Johannes Selle
2202 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 25. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. Februar 2010

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms


(A) Reinhold Sendker Peter Friedrich Ulla Schmidt (Aachen) Harald Leibrecht (C)
Dr. Patrick Sensburg Sigmar Gabriel Carsten Schneider (Erfurt) Lars Lindemann
Thomas Silberhorn Michael Gerdes Olaf Scholz Christian Lindner
Jens Spahn Martin Gerster Ewald Schurer Dr. Martin Lindner (Berlin)
Carola Stauche Iris Gleicke Frank Schwabe Michael Link (Heilbronn)
Dr. Frank Steffel Günter Gloser Dr. Angelica Schwall-Düren Dr. Erwin Lotter
Erika Steinbach Ulrike Gottschalck Rolf Schwanitz Oliver Luksic
Christian Freiherr von Stetten Angelika Graf (Rosenheim) Stefan Schwartze Horst Meierhofer
Dieter Stier Hans-Joachim Hacker Peer Steinbrück Patrick Meinhardt
Gero Storjohann Bettina Hagedorn Dr. Frank-Walter Steinmeier Gabriele Molitor
Stephan Stracke Klaus Hagemann Christoph Strässer Petra Müller (Aachen)
Max Straubinger Michael Hartmann Kerstin Tack Burkhardt Müller-Sönksen
Karin Strenz (Wackernheim) Dr. h. c. Wolfgang Thierse Dr. Martin Neumann
Thomas Strobl (Heilbronn) Hubertus Heil (Peine) Franz Thönnes (Lausitz)
Lena Strothmann Rolf Hempelmann Wolfgang Tiefensee Dirk Niebel
Michael Stübgen Dr. Barbara Hendricks Ute Vogt Hans-Joachim Otto
Dr. Peter Tauber Gustav Herzog Andrea Wicklein (Frankfurt)
Antje Tillmann Frank Hofmann (Volkach) Heidemarie Wieczorek-Zeul Cornelia Pieper
Dr. Hans-Peter Uhl Dr. Eva Högl Dr. Dieter Wiefelspütz Gisela Piltz
Arnold Vaatz Christel Humme Uta Zapf Dr. Birgit Reinemund
Volkmar Vogel (Kleinsaara) Oliver Kaczmarek Dagmar Ziegler Dr. Peter Röhlinger
Stefanie Vogelsang Johannes Kahrs Manfred Zöllmer Dr. Stefan Ruppert
Andrea Astrid Voßhoff Dr. h. c. Susanne Kastner Brigitte Zypries Björn Sänger
Dr. Johann Wadephul Ulrich Kelber Frank Schäffler
Marco Wanderwitz Lars Klingbeil FDP Christoph Schnurr
Kai Wegner Hans-Ulrich Klose Jimmy Schulz
Jens Ackermann Dr. Erik Schweickert
Marcus Weinberg (Hamburg) Anette Kramme Christian Ahrendt Werner Simmling
Peter Weiß (Emmendingen) Nicolette Kressl Christine Aschenberg- Judith Skudelny
Sabine Weiss (Wesel I) Angelika Krüger-Leißner Dugnus Dr. Hermann Otto Solms
Ingo Wellenreuther Ute Kumpf Daniel Bahr (Münster) Joachim Spatz
Karl-Georg Wellmann Christine Lambrecht Florian Bernschneider Dr. Max Stadler
Peter Wichtel Christian Lange (Backnang) Sebastian Blumenthal Torsten Heiko Staffeldt
Annette Widmann-Mauz Dr. Karl Lauterbach Claudia Bögel Dr. Rainer Stinner
Klaus-Peter Willsch Steffen-Claudio Lemme Nicole Bracht-Bendt Carl-Ludwig Thiele
Elisabeth Winkelmeier- Gabriele Lösekrug-Möller
(B) Becker
Klaus Breil Stephan Thomae (D)
Kirsten Lühmann Angelika Brunkhorst
Dagmar Wöhrl Florian Toncar
Caren Marks Ernst Burgbacher
Dr. Matthias Zimmer Serkan Tören
Katja Mast Marco Buschmann
Wolfgang Zöller Johannes Vogel
Hilde Mattheis Sylvia Canel
Willi Zylajew (Lüdenscheid)
Petra Merkel (Berlin) Helga Daub Dr. Guido Westerwelle
Ullrich Meßmer Dr. Bijan Djir-Sarai Dr. Volker Wissing
SPD Dr. Matthias Miersch Patrick Döring Hartfrid Wolff (Rems-Murr)
Rainer Arnold Franz Müntefering Mechthild Dyckmans
Heinz-Joachim Barchmann Dr. Rolf Mützenich Rainer Erdel BÜNDNIS 90/
Dr. Hans-Peter Bartels Andrea Nahles Jörg van Essen DIE GRÜNEN
Sören Bartol Dietmar Nietan Ulrike Flach
Sabine Bätzing Manfred Nink Otto Fricke Marieluise Beck (Bremen)
Dirk Becker Thomas Oppermann Paul K. Friedhoff Cornelia Behm
Lothar Binding (Heidelberg) Holger Ortel Dr. Wolfgang Gerhardt Hans-Josef Fell
Gerd Bollmann Aydan Özoğuz Hans-Michael Goldmann Priska Hinz (Herborn)
Klaus Brandner Heinz Paula Heinz Golombeck Tom Koenigs
Bernhard Brinkmann Joachim Poß Miriam Gruß Omid Nouripour
(Hildesheim) Florian Pronold Dr. Christel Happach-Kasan Krista Sager
Edelgard Bulmahn Dr. Sascha Raabe Manuel Höferlin Manuel Sarrazin
Ulla Burchardt Mechthild Rawert Elke Hoff
Martin Burkert Dr. Carola Reimann Birgit Homburger Nein
Petra Crone René Röspel Dr. Werner Hoyer
Martin Dörmann Dr. Ernst Dieter Rossmann Heiner Kamp CDU/CSU
Elvira Drobinski-Weiß Karin Roth (Esslingen) Michael Kauch
Michael Roth (Heringen) Wolfgang Börnsen
Garrelt Duin Dr. Lutz Knopek
Marlene Rupprecht (Bönstrup)
Sebastian Edathy Pascal Kober
(Tuchenbach) Manfred Kolbe
Dr. h. c. Gernot Erler Dr. Heinrich L. Kolb
Petra Ernstberger Anton Schaaf Hellmut Königshaus
SPD
Karin Evers-Meyer Axel Schäfer (Bochum) Gudrun Kopp
Elke Ferner Bernd Scheelen Sebastian Körber Ingrid Arndt-Brauer
Gabriele Fograscher Marianne Schieder Patrick Kurth (Kyffhäuser) Klaus Barthel
Dr. Edgar Franke (Schwandorf) Heinz Lanfermann Dr. Peter Danckert
Dagmar Freitag Silvia Schmidt (Eisleben) Sibylle Laurischk Michael Groß
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 25. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. Februar 2010 2203
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
(A) Wolfgang Gunkel Inge Höger Harald Weinberg FDP (C)
Gabriele Hiller-Ohm Dr. Barbara Höll Katrin Werner
Dr. Edmund Peter Geisen
Petra Hinz (Essen) Andrej Konstantin Hunko Jörn Wunderlich
Joachim Günther (Plauen)
Josip Juratovic Ulla Jelpke Sabine Zimmermann Heinz-Peter Haustein
Daniela Kolbe (Leipzig) Dr. Lukrezia Jochimsen
Dr. Wilhelm Priesmeier Katja Kipping BÜNDNIS 90/ BÜNDNIS 90/
Sönke Rix Harald Koch DIE GRÜNEN DIE GRÜNEN
Werner Schieder (Weiden) Jan Korte
Dr. Carsten Sieling Jutta Krellmann Katja Dörner Kerstin Andreae
Rüdiger Veit Katrin Kunert Bettina Herlitzius Volker Beck (Köln)
Dr. Marlies Volkmer Caren Lay Winfried Hermann Birgitt Bender
Waltraud Wolff Sabine Leidig Dr. Anton Hofreiter Alexander Bonde
(Wolmirstedt) Ralph Lenkert Uwe Kekeritz Viola von Cramon-Taubadel
Michael Leutert Memet Kilic Dr. Thomas Gambke
FDP Stefan Liebich Sven-Christian Kindler Kai Gehring
Ulla Lötzer Maria Anna Klein-Schmeink Britta Haßelmann
Dr. h. c. Jürgen Koppelin Ute Koczy
Dr. Gesine Lötzsch Ulrike Höfken
Thomas Lutze Sylvia Kotting-Uhl Bärbel Höhn
DIE LINKE Agnes Krumwiede
Ulrich Maurer Ingrid Hönlinger
Jan van Aken Dorothée Menzner Monika Lazar Thilo Hoppe
Agnes Alpers Cornelia Möhring Agnes Malczak Katja Keul
Dr. Dietmar Bartsch Kornelia Möller Beate Müller-Gemmeke Oliver Krischer
Herbert Behrens Niema Movassat Ingrid Nestle Fritz Kuhn
Karin Binder Wolfgang Nešković Dr. Hermann Ott Stephan Kühn
Matthias W. Birkwald Jens Petermann Lisa Paus Renate Künast
Heidrun Bluhm Richard Pitterle Dorothea Steiner Markus Kurth
Steffen Bockhahn Yvonne Ploetz Dr. Wolfgang Strengmann- Undine Kurth (Quedlinburg)
Christine Buchholz Ingrid Remmers Kuhn Nicole Maisch
Eva Bulling-Schröter Paul Schäfer (Köln) Hans-Christian Ströbele Jerzy Montag
Dr. Martina Bunge Michael Schlecht Dr. Harald Terpe Kerstin Müller (Köln)
Roland Claus Dr. Ilja Seifert Dr. Konstantin von Notz
Sevim Dağdelen Raju Sharma Enthaltung Friedrich Ostendorff
Dr. Diether Dehm Dr. Petra Sitte Brigitte Pothmer
Heidrun Dittrich Kersten Steinke SPD Tabea Rößner
Werner Dreibus Sabine Stüber Claudia Roth (Augsburg)
(B) Dr. Dagmar Enkelmann Alexander Süßmair Bärbel Bas Christine Scheel (D)
Klaus Ernst Dr. Kirsten Tackmann Dr. Bärbel Kofler Dr. Gerhard Schick
Wolfgang Gehrcke Frank Tempel Burkhard Lischka Dr. Frithjof Schmidt
Nicole Gohlke Dr. Axel Troost Gerold Reichenbach Markus Tressel
Diana Golze Alexander Ulrich Dr. Hermann Scheer Daniela Wagner
Annette Groth Kathrin Vogler Ottmar Schreiner Wolfgang Wieland
Heike Hänsel Sahra Wagenknecht Swen Schulz (Spandau) Dr. Valerie Wilms
Dr. Rosemarie Hein Halina Wawzyniak Sonja Steffen Josef Philip Winkler

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und derung war. Die Förderung der Solarwirtschaft mag
der FDP) von einigen befürwortet werden. Richtig ist sie aber
nicht. Wenn die Unternehmen in Deutschland dafür auf-
Als nächster Redner hat nun der Kollege Dr. Michael
kommen müssen, kommt das auch beim Verbraucher,
Fuchs von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.
bei den Bürgerinnen und Bürgern, an.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
der FDP) Als Präsident von EUROSOLAR sind Sie, Herr
Scheer, der größte Lobbyist der Solarwirtschaft. Wenn
man Herrn Kelbers Website betrachtet, erfährt man, dass
Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU): er in den letzten drei Jahren 90 000 Euro aus der Solar-
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! wirtschaft für die SPD in Bonn eingeworben hat. Das ist
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lieber Herr in Ordnung, und man kann es verstehen. Darauf muss
Kollege Scheer, es ist schon sehr mutig, eine Strom- man in diesem Hohen Haus aber gelegentlich hinweisen
einspeisevergütung mit einer Haftpflichtversicherung zu dürfen.
vergleichen. Das ist eigenartig und passt nicht zusam-
men. Ich bin froh, dass wir mittlerweile in erneuerbare
Energien eingestiegen sind. Diese Aussage wird Sie bei
Sie wissen genau, dass jeder Arbeitsplatz in der Solar- mir verwundern. Ich halte es aber für richtig.
wirtschaft mittlerweile mit rund 153 000 Euro gefördert
wird; diese Förderung ist ungefähr doppelt so hoch, wie (Christian Lange [Backnang] [SPD]: Das hat
die Förderung bei den Arbeitsplätzen in der Kohlenför- aber auch lange gedauert!)
2204 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 25. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. Februar 2010

Dr. Michael Fuchs


(A) Ich bin auch froh, dass wir beim Stromverbrauch mitt- deutet: Wir brauchen sichere Energie für den Fall, dass (C)
lerweile einen Anteil erneuerbarer Energien von die Erneuerbaren aufgrund der physikalischen Bedin-
16,1 Prozent erreicht haben. Die einzelnen Anteile für gungen nicht zur Verfügung stehen können. Für diese
das Jahr 2008 sehen so aus: Windenergie 6,6 Prozent, Fälle gibt es nur die gerade erwähnten Alternativen.
Wasserkraft 3,5 Prozent, Fotovoltaik – darin liegt meiner
Deswegen bin ich der Meinung, dass wir es uns nicht
Meinung nach der Knick, weil die Subventionen, die wir
leisten können, gute, sichere, funktionsfähige Kern-
dafür aufwenden, zu hoch sind – 0,7 Prozent, Biogas
kraftwerke abzuschalten,
1,3 Prozent, Klärgas 0,2 Prozent und Deponiegas eben-
falls 0,2 Prozent. (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
Aha!)
Es ist aber nun einmal leider so, dass der Wind nicht
immer bläst und die Sonne nicht immer scheint. weil wir nämlich nur daraus CO2-neutral Energie gewin-
nen können. Frau Höhn, CO2-neutral; das ist mir wich-
(Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
tig. Wir wollen nämlich unsere ehrgeizigen Klimaziele
DIE GRÜNEN)
erreichen. Auch darüber sollten Sie einmal nachdenken.
Die Grünen können so viel Wind machen, wie sie wollen –
(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
sie bewegen damit keine einzige Windmühle.
Risikobehaftet!)
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
Wenn wir Kernkraftwerke voreilig abschalten wür-
neten der FDP)
den, bedeutete das doch nichts anderes, als dass wir dann
Wir haben den 26. Dezember letzten Jahres und den Steinkohle, Braunkohle oder andere fossile Energieträ-
6. Januar dieses Jahres erlebt. Diese zwei Tage will ich ger verwenden müssten, um die Grundlast abzusichern.
Ihnen einmal schildern. Am 6. Januar dieses Jahres hat- Das muss doch eigentlich sehr einleuchtend sein.
ten wir eine sogenannte inversive Wetterlage. Daher sind
(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
von den 25 000 Megawatt, die zur Verfügung stehen, nur
Das ist Ihre Denke!)
ganze 300 Megawatt aus den Windanlagen herausge-
kommen, also nur 1,2 Prozent. Wir hatten an diesem – Gut; wir wollen das gerne im Parlament weiter disku-
Tage aber einen Strombedarf von über 70 000 Megawatt. tieren.
Herr Solarpräsident, an diesem Tag kam so gut wie keine
Deswegen brauchen wir einen vernünftigen und dy-
Sonne auf der Erde an. Es hat nämlich fast den gesamten
namischen Energiemix, der sich aus diesen gesamten
Tag über geschneit. Auch mit geringen Physikkenntnis-
Energieträgern zusammensetzt. In dem Moment, in dem
sen weiß man, dass die Solarzellen dann nicht allzu viel
uns andere CO2-freie Energieträger zur Verfügung ste- (D)
(B) Strom liefern.
hen, die die Grundlast sichern, kann man mit mir selbst-
(Zurufe von der SPD: 80er-Jahre! – Keine Ah- verständlich auch über das Abschalten von Kernkraft-
nung! – Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE werken sprechen.
GRÜNEN]: Sie sind ja unbelehrbar!)
Bis dahin hat die Kernenergie aber eine Brückenfunk-
Das zeigt, dass wir neben der erneuerbaren Energie tion; denn in dem Moment, in dem sie länger läuft, gene-
zusätzlich weitere Energien brauchen, um die Ausfälle riert sie Geld. Dieses Geld können wir in Speichertech-
an solchen Tagen zu kompensieren. Das Ganze nennt nologien stecken, die wir dringend benötigen.
man Grundlast. Die Sicherung der Grundlast erfolgt
Daneben brauchen wir auch Übertragungsleitungen.
zum Großteil aus zwei Energiebereichen: erstens aus der
Beispielsweise sind für die Gewinnung von Strom in
Kernenergie, die zu 46 Prozent zur Grundlast beiträgt,
Offshorewindparks in der Nordsee vernünftige Übertra-
und zweitens aus fossilen Energien, also Steinkohle,
gungsleitungen erforderlich. Es darf nicht sein, dass je-
Braunkohle etc., mit 44 Prozent. Eine geringe Rolle
des Planfeststellungsverfahren für eine Hochspannungs-
spielt mit 10 Prozent noch das Laufwasser, dessen Nut-
leitung von Nord nach Süd zehn Jahre dauert; denn wenn
zung in Deutschland aufgrund der geografischen Situa-
wir es so handhaben, nutzen wir die Chance, die uns Off-
tion aber leider nicht wesentlich ausbaubar ist, auch
shorewindparks bieten, nicht oder zumindest nicht in ge-
wenn wir das gern machen würden.
nügender Weise.
(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
Eines kann jedenfalls nicht funktionieren: Wir dürfen
Was für ein fossiles Denken! – Weitere Zurufe
in Deutschland die Energie nicht so verteuern, dass wir
vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
am Ende des Tages Industrien vertreiben. Ich möchte
– Es wäre sehr sinnvoll, wenn Sie zuhörten. Sie könnten nach wie vor, dass Deutschland ein Industrieland
sogar noch etwas lernen. Das ist bei Grünen allerdings bleibt.
schwierig.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – La- neten der FDP)
chen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE
Ich möchte hier weiterhin die Aluminiumindustrie ha-
GRÜNEN)
ben, ich möchte hier die Zinkfabrikation haben, und ich
Wir wissen, dass wir diese Grundlast nach wie vor be- möchte hier die Papierindustrie, die Stahlproduktion etc.
nötigen. Daher müssen wir uns darüber Gedanken ma- haben. Das alles gehört zum Industriestandort Deutsch-
chen, wie wir denn vorangehen wollen. Grundlast be- land. Diejenigen, die mir sagen: „Das alles ist egal, und
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 25. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. Februar 2010 2205
Dr. Michael Fuchs
(A) wenn die Preise steigen, dann ist das gut so“, haben da- Erstens möchte ich, dass Sie sich aufregen; das ist mir (C)
bei völlig übersehen, dass das zu einer Deindustrialisie- gelungen.
rung unseres Standortes führt. Das ist nicht mein
Deutschland, und das ist auch nicht mein Deutschland- Zweitens möchte ich, dass Sie erkennen, dass wir
bild. ohne eine vernünftige Brückentechnologie keine Chance
haben, in die Situation zu kommen, in die wir kommen
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und müssen, damit wir in Deutschland verlässlich preisgüns-
der FDP – Zuruf der Abg. Bärbel Höhn tigen Strom für die Verbraucher, für die Bürgerinnen und
[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Bürger, zur Verfügung haben und damit die Unterneh-
men bezahlbaren Strom erhalten, um ihre Produktion
Es kann nicht funktionieren, dass dieselben Demon- aufrechtzuerhalten und den Industriestand Deutschland
stranten, die gegen die Kernkraft auftreten, natürlich insgesamt erhalten zu können.
auch gegen die Endlagerung demonstrieren. Nebenbei:
Das ist auch ein Bereich, den ich mit den Windfall Pro- Vielen Dank.
fits finanzieren möchte, den die Energiebetreiber durch (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
die Kernkraft erzielen. Dr. Hermann Ott [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: NEN]: Die Brücke ist hier!)
Davon höre ich nichts!)
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
– Liebe Frau Höhn, in diesem Fall hat gerade Ihre Frak-
Das Wort hat jetzt der Kollege Hans-Josef Fell vom
tion, die den Umweltminister bzw. die Umweltministerin
Bündnis 90/Die Grünen.
viele Jahre lang gestellt hat, völlig versagt. Sie – rote
und grüne Minister – haben sich elf Jahre lang nicht ein (Christian Lange [Backnang] [SPD]: Wir hat-
einziges Mal darum gekümmert, eine vernünftige Endla- ten um eine Kurzintervention gebeten!)
gerung sicherzustellen. Es ist doch Ihre Schuld, dass wir
bis heute noch keine Lösung gefunden haben. – Entschuldigung, Herr Fell, ich habe übersehen, dass
das Wort zu einer Kurzintervention gewünscht wird. Sie
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – sprechen dann danach.
Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
Wir waren sieben Jahre lang in der Regie- Ich gebe Ulrich Kelber von der SPD-Fraktion das
rung!) Wort zu einer Kurzintervention.

Was haben Sie denn in den elf Jahren gemacht, in denen Ulrich Kelber (SPD):
(B) Sie dieses Ministeramt innehatten? (D)
Herr Kollege Fuchs, für diese Mischung in Ihrem Re-
Es kann nicht sein, dass Sie gegen die Kernkraft de- debeitrag aus Uninformiertheit und Vorurteilen hätten
monstrieren, gleichzeitig aber auch gegen die Endlage- Sie viele Antworten verdient. Ich beschränke mich im
rung sind. Auch sagen die Grünen: Wir sind selbstver- Sinne der Geschäftsordnung aber natürlich auf den
ständlich gegen neue, moderne Kohlekraftwerke Punkt, mit dem Sie mich angesprochen haben.
– Stichwort Ensdorf, Stichwort Mainz –, und wir sind Ich möchte mich ausdrücklich dafür bedanken, dass
natürlich auch gegen CCS. Carbon Capture and Storage Sie hier erneut bestätigt haben, dass ich im Gegensatz zu
darf es schon gar nicht geben, weil das niemand in sei- allen 239 anwesenden oder nicht anwesenden Abgeord-
nem Land unter seinen Füßen liegen haben will. Wir neten der CDU/CSU meinen SPD-Kreisverband dazu
wollen das nicht in den Boden verpressen. Wir sind auch verpflichtet habe, weit über jedes gesetzliche Maß hi-
gegen Übertragungsleitungen von Nord nach Süd. Eine naus jegliche Wahlkampfspende an die Partei sofort,
Hochspannungsgleichstromübertragungsleitung darf ohne Höhenbeschränkung, mit voller Namensnennung
also nicht gebaut werden – Stichwort: Elektrosmog usw. und mit Zweckbindung zu veröffentlichen. Das tut kein
Ihre Grünen stehen da und sagen: Das kommt über- Einziger Ihrer Abgeordneten.
haupt nicht infrage. Ja, was wollen Sie denn? Wenn Sie (Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Oh!)
das alles nicht wollen, dann muss mir irgendwann ein-
mal jemand erzählen, was Sie wollen. – Herr Kollege Fuchs, passen Sie jetzt auf. – Das tut vor
allem auch Ihr wirtschaftspolitischer Sprecher und frü-
(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: herer Koordinator für Energiepolitik nicht, der ein Ener-
Erneuerbare!) gieberatungsunternehmen hat und bis heute nicht veröf-
fentlichen will, mit wem er Beratungsverträge zu
– Ja, aber ich sage Ihnen doch gerade: Sie können die er- welchen Konditionen abgeschlossen hat. Das ist der ent-
neuerbare Energie nicht ins Land bringen. scheidende Unterschied zwischen Ihnen und mir.
(Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Vielen Dank.
NEN]: Natürlich, Sie aber vertreiben sie ja aus
dem Land!) (Beifall bei der SPD)
Es nützt uns doch nichts, wenn sie nicht im Land ist.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Ich möchte Folgendes erreichen: Zur Erwiderung Kollege Fuchs.
2206 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 25. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. Februar 2010

(A) Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU): Ein neues Kapitel der industriellen Weltgeschichte ist (C)
Herr Kollege Kelber, ich kann jetzt nicht beurteilen, vor zehn Jahren in diesem Hohen Hause aufgeschlagen
welches Energieberatungsunternehmen der Kollege worden. Damals, weitgehend unbeachtet von der Öffent-
Pfeiffer hat. lichkeit und auch von den Medien, wurde das Solarzeit-
alter hier eingeläutet. Mit einem mutigen Beschluss hat
(Ulrich Kelber [SPD]: Schauen Sie im Kürsch- die rot-grüne Bundestagsmehrheit das Erneuerbare-
ner nach, da steht es drin!) Energien-Gesetz auf den Weg gebracht, übrigens ohne
Ich kann Ihnen nur eines sagen: Es ist für mich selbst- Regierungsentwurf. Auch dies war ein Höhepunkt in der
verständlich, dass ich das, was ich tue, auch klar und deutschen Parlamentsgeschichte; denn nach dem Grund-
deutlich mache, und ich erwarte das von Ihnen genauso. gesetz ist das Parlament für die Gesetze verantwortlich,
Wenn das bei Ihnen vorbildlich geschieht, dann gratu- nicht die Regierung.
liere ich Ihnen dazu. Damit liegen wir auf der gleichen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Wellenlänge. und bei der SPD)
Auf der anderen Seite sollten Sie aber auch wissen: Diese Geburtsurkunde der erneuerbaren Energien wurde
Wes Brot ich ess, des Lied ich sing. – Sie singen das gegen massive Widerstände aus den Energiekonzernen
Lied der Solarindustrie. und gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP in die-
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und sem Hause ausgestellt.
der FDP – Ulrich Kelber [SPD]: Ihr Lied ha- Das EEG hat trotz massiver Anfeindungen ein grünes
ben wir gehört, Herr Fuchs! – Bärbel Höhn Wirtschaftswunder entfacht, welches weder Wirt-
[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und Sie sin- schaftsanalysten und Energiekonzerne noch Union oder
gen das der großen Energiekonzerne!) Liberale je für möglich gehalten hatten. 30 000 Jobs gab
es 1998 in dieser Branche; bis heute ist ihre Zahl auf
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: 300 000 gestiegen. Keine andere Wirtschaftsbranche hat
Jetzt hat der Kollege Hans-Josef Fell vom Bünd- eine solche Erfolgsgeschichte in den letzten zehn Jahren
nis 90/Die Grünen das Wort. zu verzeichnen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): und bei der SPD)
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Unser Ziel, den Anteil erneuerbarer Energien bis
Herren! Herr Fuchs, lassen Sie mich ganz kurz auf Ihre 2010 auf 12,5 Prozent verdoppeln zu wollen, wurde da-
(B) Einlassungen eingehen. Wenn Sie die Argumente von mals auch von Ihnen als völlig unrealistisch abgetan. (D)
Herrn Scheer nicht verstehen, so ist mir das klar: Wer Ende 2009 wurden aber schon über 16 Prozent erreicht.
nur in den Denkstrukturen der großen alten Atom- und Damit, Herr Röttgen, ist klar der Beweis erbracht: Er-
Energiekonzerne denkt, kann das nicht verstehen. Sie neuerbare Energien können viel schneller wachsen, als
vertreten deren Interessen. von Ihnen selbst und von der Allgemeinheit angenom-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN men wird.
und bei der SPD) Für Klimaschutz und Energiesicherheit bringen die
Wenn Sie deren Plattitüden noch weiter treiben, in einem erneuerbaren Energien ebenfalls die entscheidende Lö-
zukünftigen Energiesystem mit erneuerbaren Energien sung: Mit über 50 Millionen Tonnen jährlicher CO2-Ein-
brauche man Grundlast, so müssen Sie endlich einmal sparung hat das EEG wie keine andere politische Maß-
lernen, zum Beispiel von Herrn Rohrig, an den der hier nahme den Klimaschutz befördert. Die Vermeidung von
in Deutschland höchstdotierte Umweltpreis vergeben Kosten in Höhe von über 5 Milliarden Euro – Herr
wurde und der den Nachweis erbracht hat, dass vollstän- Fuchs, hören Sie sich das genau an – für den Zukauf von
dige, hundertprozentige Vollversorgung mit erneuerba- fossilen und atomaren Brennstoffen überwiegt bei wei-
ren Energien und Speichertechnologien möglich ist – tem die Mehrkosten der erneuerbaren Energien, die den
ohne Grundlast. Stromkunden mit weniger als 5 Prozent der Strompreise
belasten. Wo ist da das ökonomische Problem?
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN –
Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Zu welchen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Kosten?) sowie bei Abgeordneten der SPD)

Wenn Sie das immer noch nicht hören wollen, dann Gerade die Fotovoltaik zeigt doch die Effektivität des
stelle ich nur noch fest: Sie beleidigen die deutschen In- Gesetzes auf: Von 14 Megawatt im Jahre 1999 stieg die
genieure, die die Lösungen längst auf den Weg gebracht neu installierte Leistung auf 3 000 Megawatt im letzten
und realisiert haben. Diese Kraftwerke, die Vollversor- Jahr, und das bei halbierten Kosten. Welche andere In-
gung rund um die Uhr gewährleisten, gibt es bereits. dustriegeschichte dieser Art können Sie vorzeigen?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Aber das EEG ist auch eine internationale Erfolgs-
geschichte. Etwa 50 Länder haben ähnliche Gesetze ver-
Aber ich will gar nicht so sehr auf Ihre Falschbehauptun- abschiedet. Fast alle europäischen Länder gehören dazu;
gen eingehen; das raubt mir die Zeit, denn es gibt viel Indien, Südafrika, Brasilien, mit Ontario die stärkste ka-
Wichtigeres zu sagen. nadische Wirtschaftsregion und auch Vermont in den
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 25. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. Februar 2010 2207
Hans-Josef Fell
(A) USA haben ein EEG eingeführt. Sie alle haben die Diese Denkweise und dieses Vorgehen entsprächen der (C)
Chancen erkannt, die das EEG für Klimaschutz, für wirt- damaligen mutigen Aktion der rot-grünen Bundestags-
schaftliche und technologische Entwicklung, für die Si- abgeordneten in diesem Parlament.
cherung der Energieversorgung, für lokalen Umwelt-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
schutz, für Beschäftigung und für Armutsbekämpfung
und bei der SPD)
bietet.
Erfreulich ist, dass nach dieser internationalen Er- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
folgsgeschichte dann endlich auch Union und FDP nicht Das Wort hat der Kollege Michael Kauch von der
mehr an den grandiosen Erfolgen und Chancen des EEG FDP-Fraktion.
vorbeikommen. Neun Jahre nach dessen Verabschiedung
hat die FDP endlich die Kurve zur Unterstützung ge- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
schafft, die Union immerhin drei Jahre früher. der CDU/CSU)

Herr Umweltminister Röttgen – er ist leider nicht da –, Michael Kauch (FDP):


die erneuerbaren Energien und das EEG in den Mittel- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben
punkt der Agenda zu rücken, wie Sie dies tun, ist völlig jetzt eine gute Viertelstunde Debatte zu diesem Thema
richtig und okay. Aber vor zehn Jahren haben Sie per- hinter uns, und ich habe gedacht, ich bin im falschen
sönlich im Bundestag das EEG abgelehnt. Von Weitblick Film; denn wir führen hier die Debatten der 90er-Jahre.
zeugt das nicht; Ihr damaliges Abstimmungsverhalten ist
eher eine grandiose Fehleinschätzung, und dieser unter- (Beifall bei der FDP – Beifall bei Abgeordne-
liegen Sie heute weiterhin. ten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN – Ulrich Kelber [SPD]: Ihr Koali-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) tionspartner!)

Noch immer haben Sie nicht verstanden, wie schnell er- Die deutsche Bevölkerung will aber keine historische
neuerbare Energien wachsen können. Sie sind mit Ihrer Betrachtung, sondern sie will eindeutig die Frage geklärt
Fraktion, wie Herr Fuchs gerade aufgezeigt hat, Licht- wissen, wie es mit den erneuerbaren Energien weiter-
jahre von der Weitsicht der damaligen Koalition entfernt. geht. Darüber will ich reden. Die Frage ist nicht, ob wir
erneuerbare Energien fördern, sondern sie lautet, wie wir
(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Aber bezahlbar sie fördern. Darüber müssen wir diskutieren.
müssen sie sein!) (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU –
(B) Ich komme zur Bezahlbarkeit. Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: (D)
Reden Sie mal mit Ihrem Koalitionspartner
Sie kritisieren Millionengewinne der Solarbranche. Fuchs darüber! – Dr. Hermann Ott [BÜND-
Das ist für Sie die Begründung, die Erfolgsgeschichte NIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie machen sie ka-
der deutschen Solarbranche jetzt zu beenden. Aber Mil- putt!)
liardengewinne der Atom- und Kohlekonzerne interes- Ich möchte auf das verweisen, was diese Koalition im
sieren Sie nicht.
Koalitionsvertrag vereinbart hat. Wir haben vereinbart,
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN dass wir den Weg in das regenerative Zeitalter beschrei-
und bei der SPD) ten wollen. Wir haben vereinbart, dass die fossilen Ener-
gien Schritt für Schritt durch alternative Energien ersetzt
Der Bund der Energieverbraucher hat gerade aufgezeigt, werden sollen, bis wir irgendwann tatsächlich zu einer
dass die großen Stromkonzerne in den letzten drei Jahren vollständig CO2-neutralen Energieversorgung kommen.
durch unentwegte Strompreiserhöhungen jährlich Das ist die Leitlinie unserer Politik. In diesem Sinne ha-
6 Milliarden Euro Zusatzgewinne gescheffelt haben. Das ben wir vereinbart – das ist wichtig für die künftige
ist wesentlich mehr als die Umlage auf den Strompreis Energieversorgung, für das Energiekonzept –, den Ein-
durch den Einsatz erneuerbarer Energien. Aber Sie von speisevorrang erneuerbarer Energien unbegrenzt und
Union und FDP kümmern sich nicht um diese Milliar- ungedeckelt fortzuführen. Deshalb entbehrt das Gezetere
dengewinne der Konzerne, über die Politik dieser Koalition, beispielsweise darüber,
dass Laufzeiten von Kernkraftwerken verlängert und
(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Stimmt doch Kohlekraftwerke nicht verboten, sondern in einem intel-
nicht!) ligenten Energiemix gehalten werden, jeder Grundlage.
die mit Atommüll und Klimazerstörung die Gesellschaft (Beifall bei der FDP – Hans-Josef Fell
in immer größere Probleme stürzen, und regen sich nur [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn Sie die
über Millionengewinne von Solarunternehmen auf. Laufzeiten verlängern, gibt es kein Volumen
für Erneuerbare! Es ist eine Bremse, wenn Sie
Es wäre an der Zeit, dass Sie endlich eine Energiever- die Laufzeiten verlängern!)
sorgung zu 100 Prozent aus erneuerbaren Energien bis
2030 in den Mittelpunkt Ihrer Politik stellen. Wenn die erneuerbaren Energien den vollständigen Ein-
speisevorrang haben, dann können die anderen Energien
(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Warum nicht das Netz nicht verstopfen. Wenn die erneuerbaren Ener-
120 Prozent?) gien in das Netz hineindrängen, dann werden die ande-
2208 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 25. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. Februar 2010

Michael Kauch
(A) ren Stück für Stück hinausgedrängt. Das ist auch für die nie dieser Reform, und es wird die Leitlinie der Reform (C)
Energieversorger klar. Daran werden wir auch dann sein, die wir mit einer großen Novellierung des Erneuer-
nicht rütteln, wenn aus wirtschaftlichen Gründen mögli- bare-Energien-Gesetzes im Jahr 2012 weiterverfolgen
cherweise einmal ein Kohlekraftwerk abgeschaltet wer- werden.
den muss, weil die Erneuerbaren in das Netz hineinkom-
Ich sage Ihnen auch ganz deutlich: Wir werden das
men. Das ist die klare Leitlinie unserer Politik.
EEG an manchen Stellen ökologischer machen.
Wir glauben, dass es wichtig ist, das Vertrauen in das
(Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Erneuerbare-Energien-Gesetz zu stärken. Deshalb haben
und bei der SPD)
wir als erste Maßnahme im Umweltbereich des Wachs-
tumsbeschleunigungsgesetzes die rückwirkenden Ein- Denn es gibt auch in der Subventionierung der erneuer-
griffe, die die alte Regierung unter Minister Gabriel bei baren Energien ökologische Fehlsteuerungen. Bei-
den Biogasanlagen vorgenommen hat, zurückgenom- spielsweise macht es keinen Sinn, wenn wir die Nutzung
men. Denn das war nicht nur eine Maßnahme für die ent- nachwachsender Rohstoffe bei der Biomasseverstro-
sprechenden Anlagen. Vielmehr hat Ihre Politik der mung besser stellen als die Nutzung von Abfällen. Wir
rückwirkenden Eingriffe dazu geführt, dass die erneuer- wollen, dass vorrangig Abfälle und erst dann nachwach-
baren Energien schlechtere Finanzierungsbedingungen sende Rohstoffe genutzt werden; denn diese brauchen
hatten, weil die Banken nicht mehr geglaubt haben, dass wir auch für andere Verwendungen als für die Verstro-
das EEG Vertrauensschutz gewährt. Die FDP und diese mung.
Koalition werden dafür sorgen, dass Vertrauensschutz im
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
EEG Vorrang vor allen weiteren Überlegungen hat.
der CDU/CSU)
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
Diese Koalition hat darüber hinaus auch klargemacht:
der CDU/CSU – Hans-Josef Fell [BÜND-
Wenn wir Blockheizkraftwerke beispielsweise mit
NIS 90/DIE GRÜNEN]: Da sind wir ge-
Palmöl betreiben, wie es viele Stadtwerke tun, dann wol-
spannt!)
len wir, dass dieses Palmöl nachhaltig angebaut worden
Zudem haben wir bei der Reform der Solarförderung ist. Deshalb werden wir die Zertifizierungen des Anbaus
sichergestellt, dass nicht rückwirkend in Investitionen dieser Biomasse stärker und klarer reglementieren, da-
eingegriffen wird. Deshalb haben wir in der Koalition mit für unseren Ökostrom nicht die Regenwälder abge-
Übergangsbestimmungen vereinbart. Diese Verlässlich- holzt werden.
keit war unser Kernanliegen in der weiteren Beratung.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
Wir als FDP und als Koalition sagen aber auch: Es der CDU/CSU)
(B) (D)
kann nicht sein, dass wir mit dem EEG Traumrenditen
Meine Damen und Herren, wir werden das Erneuer-
für Anleger garantieren.
bare-Energien-Gesetz weiterentwickeln. Wir wollen da-
(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: mit die Förderung erneuerbarer Energien im Inland vor-
Welche Traumrenditen haben denn die Ener- anbringen, aber wir werden auch über die Grenze
giekonzerne?) hinausschauen. Denn Solarstrom beispielsweise kann
nicht nur durch Fotovoltaik auf deutschen Dächern pro-
Deshalb ist es richtig, Frau Höhn, dass wir, wenn die duziert werden, sondern auch auf dem Weg, dass wir in
Preise für Solaranlagen fallen, die Rendite an die Ver- Kooperation beispielsweise mit den nordafrikanischen
braucherinnen und Verbraucher weitergeben. Denn Staaten große solarthermische Kraftwerke bauen. Diese
die Stromkunden – das sind auch die Familien mit vielen Kraftwerke werden notwendig sein, um Solarkraft in
Kindern – zahlen die Renditen für die Anleger. Deshalb großen Mengen in unseren Energiemix einzubringen.
ist es richtig, dass die Solarförderung zurückgeführt
wird. Wir als FDP wollen das voranbringen. Ich freue mich,
dass wir in der Koalition genau diesen Weg gehen wer-
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten den.
der CDU/CSU – Widerspruch der Abg. Bärbel
Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Vielen Dank.
Wir glauben, dass dieser Schritt die Solarförderung (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
langfristig gesellschaftlich akzeptabel hält und deshalb der CDU/CSU)
ein Beitrag dazu ist, dass die Fotovoltaik in Deutschland
langfristig noch größere Chancen hat als heute. Deshalb Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
haben wir vereinbart, den Ausbaukorridor zu erweitern, Zu einer Kurzintervention erteile ich dem Kollegen
und wir werden beispielsweise auch den Eigenverbrauch Dr. Hermann Scheer das Wort.
von dezentral verbrauchtem Strom durch Solaranlagen
besser fördern als bisher.
Dr. Hermann Scheer (SPD):
Insofern sage ich Ihnen ganz klar: Wir wollen die Ver- Herr Kollege Kauch, Sie haben eben wieder den Be-
braucherinnen und Verbraucher entlasten. Wir wollen griff „Subventionierung“ benutzt. Ich muss nicht von
Überförderungen zurückführen. Aber wir wollen auch Ihnen erwarten, dass Sie alles sofort verstehen, was ich
die Solarbranche und die anderen erneuerbaren Energien gesagt habe. Aber wie kommen Sie eigentlich dazu, die-
in Deutschland dynamisch ausbauen. Das ist die Leitli- sen Begriff permanent in diesem Zusammenhang zu ver-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 25. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. Februar 2010 2209
Dr. Hermann Scheer
(A) wenden, und das auch noch im Namen der Verbraucher? (Dr. Hermann Ott [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (C)
Wenn die Verbraucher – also alle Bürger; es gibt keinen NEN]: Weil Sie uns das aufzwingen!)
Unterschied zwischen Bürgern und Verbrauchern – et-
was subventionieren, dann ist es die herkömmliche Dieses Haus ist geschlossen für das EEG; das ist klar.
Energieversorgung, die ihre tatsächlichen Umwelt- bzw. Diese Koalition hat sich im Koalitionsvertrag dazu be-
Sozialschäden nicht bezahlen muss. Das muss dann die kannt. Sie müssen nicht ständig erklären, warum das so
Gesellschaft auf ihre Schultern nehmen. Das ist Subven- wichtig ist. Wir müssen vielmehr Folgendes tun:
tionierung, nichts anderes. Erstens. Wir wollen die erneuerbaren Energien zur
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Regelversorgung in diesem Land machen. Die erneuer-
DIE GRÜNEN) baren Energien sollen unsere Energieversorgung dauer-
haft absichern.
Wenn wir schon Subventionen abschaffen wollen und
Sie das Thema so oft in den Mund nehmen, dann müssen Zweitens. Wir brauchen Übergangsszenarien, die dazu
wir doch erwarten, dass Sie es jetzt auch angehen, die beitragen, dass wir unsere Klimaschutzziele – Reduzie-
immer noch laufende Subventionierung der Atomener- rung der CO2-Emissionen bis 2020 um 40 Prozent – errei-
gie in Form der Steuerbefreiung und steuerfreien Rück- chen.
stellungen, die über 30 Milliarden Euro ausmachen, zu Drittens. Es kann uns nicht egal sein, was die Bürge-
beenden. rinnen und Bürger dafür bezahlen.
(Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Die sind (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
nicht steuerbefreit! Das ist doch Unsinn! – Ge-
der CDU/CSU)
genruf des Abg. Hans-Josef Fell [BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN]: Natürlich werden die Wir stehen dafür ein, dass sie nur so viel bezahlen, wie
subventioniert!) es notwendig ist, um diese Ziele zu erreichen. Wenn Ih-
nen das Geld der Bürgerinnen und Bürger egal ist,
Die werden dort angesammelt; damit wird systematisch
monopolisiert. Damit werden andere Unternehmen auf- (Widerspruch bei der SPD)
gekauft, und dann soll die öffentliche Hand 4 Milliarden
Euro zahlen, um den ganzen Atomdreck wieder aus Asse dann ist das nicht unsere Politik.
herauszuholen. Das ist Subventionierung. (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Bezie-
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ hen Sie das mal auf den Atomstrom!)
DIE GRÜNEN) Es kommt für die Leute nicht darauf an, ob das Geld
(B)
Wir müssen in dieser Debatte einmal die Stühle zurecht- über den Bundeshaushalt oder über die Stromrechnung (D)
rücken, damit wir endlich klar durch den Nebel sehen, hereinkommt; denn am Schluss müssen sie – das sind
worauf es wirklich ankommt und wer hier zulasten der die Verbraucherinnen und Verbraucher – es aus ihrer Ta-
Gesellschaft welche Energieform betreibt. sche bezahlen. Ob Sie das nun „Subvention“ nennen
oder nicht: Wir stehen zu dieser Subvention; wir stehen
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ dazu, dass diese Energien gefördert werden. Das kann
DIE GRÜNEN – Dr. Michael Fuchs [CDU/ aber nicht um jeden Preis geschehen. Auch hier müssen
CSU]: Wo gibt es da denn eine Steuerbefrei- Maß und Effizienz die Regel für die weitere Förderung
ung? Das ist doch Unsinn!) sein.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
Zur Erwiderung Kollege Kauch. der CDU/CSU – Hans-Josef Fell [BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann fangen Sie
doch mal mit der Kohlesubvention an!)
Michael Kauch (FDP):
Lieber Kollege Scheer, Sie sind oft im Ausland unter-
wegs und haben deshalb vielleicht nicht so ganz mitbe- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
kommen, was diese Koalition in ihrem Koalitionsvertrag Das Wort hat die Kollegin Dr. Maria Flachsbarth von
beschlossen hat. der CDU/CSU-Fraktion.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP – Wider- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
spruch bei Abgeordneten der SPD und des neten der FDP)
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Diese Koalition hat nämlich beispielsweise beschlossen, Dr. Maria Flachsbarth (CDU/CSU):
die Energieversorger an den Kosten im Zusammenhang Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
mit der Asse zu beteiligen. Das ist im Koalitionsvertrag führen eine hochemotionale Debatte zu einer Thematik,
längst festgehalten; dafür brauchen wir überhaupt nicht bei der in diesem Haus eigentlich große Einigkeit be-
Ihren Antrieb. steht.
Ansonsten habe ich den Eindruck – das muss ich (Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
deutlich sagen –, dass Sie penetrant versuchen, die De- NEN]: Das haben wir gesehen, was das für
batten von vor zehn Jahren zu wiederholen. eine Einigkeit ist!)
2210 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 25. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. Februar 2010

Dr. Maria Flachsbarth


(A) – Lieber Kollege Fell, jedenfalls habe ich unsere Debat- und wir werden es an der einen oder anderen Stelle nach- (C)
ten über das EEG in der letzten Legislaturperiode so in justieren.
Erinnerung.
Wenn wir auf das wichtigste Instrument im Bereich
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Meseberger Beschlüsse, des IKEP, schauen, nämlich
der FDP) auf das Erneuerbare-Energien-Gesetz, dessen Ge-
burtstag wir heute feiern, dann sehen wir, dass auch die-
Wenn man schaut, was eigentlich im Koalitionsver- ses Gesetz nicht vom Himmel gefallen ist, sondern dass
trag festgeschrieben ist, dann erkennt man, dass man es eine Vorgängerregelung gab, nämlich das Stromein-
dies als gemeinsame Grundlage für unsere weiteren Dis- speisungsgesetz.
kussionen in diesem Haus nutzen kann: 2-Grad-Ziel,
Vorreiterrolle Deutschlands beim Klimaschutz, Reduk- (Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
tion der Treibhausgasemissionen bis 2020 um 40 Pro- Warum haben Sie es denn abgelehnt?)
zent, Weg in das regenerative Zeitalter, was bedeutet, – Das Stromeinspeisungsgesetz haben wir nie abgelehnt.
dass Deutschland seinen Wohlstand weiter in diesem Zu- Das ist auf unserem Mist gewachsen, lieber Herr Fell.
kunftsfeld erarbeiten will, der dann hier, insbesondere
im Bereich der Sozialsysteme, zu verteilen ist. Im Koali- (Beifall bei der CDU/CSU – Ernst Hinsken
tionsvertrag führen wir weiter aus: [CDU/CSU], an Abg. Hans-Josef Fell [BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN] gewandt: Da waren
Ziel ist es, dass die erneuerbaren Energien den Sie noch gar nicht dabei! Das haben wir be-
Hauptanteil an der Energieversorgung übernehmen. schlossen! – Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/
Auf diesem Weg werden in einem dynamischen DIE GRÜNEN]: Aber das EEG haben Sie ab-
Energiemix die konventionellen Energieträger kon- gelehnt!)
tinuierlich durch alternative Energien ersetzt.
Dieses hat zum ersten Mal die Abnahme- und Vergü-
Auch das ist Konsens. tungspflicht von Strom aus erneuerbaren Energien vor-
gesehen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
(Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
All das muss unter Beachtung des Zieldreiecks aus NEN]: Warum haben Sie es damals abge-
Versorgungssicherheit, Wirtschaftlichkeit und Umwelt- lehnt?)
verträglichkeit verfolgt werden.
– Ich will Sie doch gerade loben. Nun hören Sie doch
Wenn man die Versorgungssicherheit betrachtet, kann zu!
(B) man die Augen nicht davor verschließen, dass wir in ho- (D)
hem Maße importabhängig sind. Das Erneuerbare-Energien-Gesetz von 2000 hat dann
feste Vergütungssätze, einen Mindestvergütungszeit-
(Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- raum von 20 Jahren und den Einspeisungsvorrang vorge-
NEN]: Sonne, Wasser und Wind muss man sehen. An dem Einspeisungsvorrang haben alle Nachfol-
nicht importieren!) geregierungen festgehalten. Daher stimmt das, was Herr
Kauch eben zu den Verstopfungsproblemen, die es allge-
Man kann die Augen nicht davor verschließen, dass mein geben soll, gesagt hat. Solange wir den Einspei-
viele unserer energetischen Ressourcen aus Ländern sungsvorrang für erneuerbare Energien haben, ist das
kommen, in denen keine politische Sicherheit besteht, Problem nicht, ob Strom aus Kohle, Kernenergie oder
und dass natürliche Ressourcen endlich sind. anderen Ressourcen gewonnen wird, sondern ob wir es
Man muss einfach sehen, dass die Frage der Wirt- schaffen, die Netze quantitativ und qualitativ auszu-
schaftlichkeit mit Standortfaktoren für die Industrie zu bauen.
tun hat, sich aber auch mehr und mehr zu einer sozialen (Beifall des Abg. Michael Kauch [FDP])
Frage für die Verbraucher entwickelt. Wir werden das er-
leben, wenn wir die Wärmekostenabrechnung für diesen Diesen Netzausbau werden wir nur mit dem Einver-
Winter erhalten. Wenn die Preise heute auf dem Niveau ständnis der Bürgerinnen und Bürger vor Ort erreichen.
von 2008 wären, dann wäre das ein großes Problem. Wir (Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
müssen deshalb erkennen, dass eine Fortschreibung des NEN]: Dann lassen Sie Erdkabel zu!)
Status quo unseres Energiemixes mitnichten die Pro-
bleme lösen kann, die wir angehen müssen, und zwar mit Ich bitte zur Lösung dieses Problems um die Unterstüt-
aller Kraft. zung der Opposition.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Die Novelle von 2004 hat das EEG weiterentwickelt.
Ulrich Kelber [SPD]: CDU-interne Debatten Es hat als wichtiges Element der Innovation die Degres-
sind spannend!) sion für die Vergütungssätze eingeführt, sodass Jahr für
Jahr immer etwas weniger für erneuerbare Energien ge-
Bezüglich des Klimaschutzes und bezüglich der Um- zahlt wird, die auf der gleichen Technologie beruhen.
weltverträglichkeit hat die Vorgängerregierung mit den Das hat einen unglaublichen Innovationsdruck ausge-
Meseberger Beschlüssen und dem IKEP-Programm löst, was ausgesprochen gut war. Darüber hinaus haben
wichtige Schritte in die richtige Richtung getan. Dieses wir eine Härtefallregelung für die energieintensive In-
Programm werden wir in dieser Legislatur überprüfen, dustrie eingeführt, was ganz wichtig ist, um den Indus-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 25. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. Februar 2010 2211
Dr. Maria Flachsbarth
(A) triestandort Deutschland weiter wettbewerbsfähig zu er- chen des Klimaschutzes unverträgliche Maßnahmen eta- (C)
halten. blieren.
Mit der Novelle von 2009 haben wir Wert auf das Re- Der Ausgleichsmechanismus ist wichtig. Dies haben
powering, auf die Offshore-Windkraft und die Verbesse- wir gemeinsam in der letzten Legislatur geregelt, indem
rung der Netzintegration gelegt. Wir haben also den wir gesagt haben: Es darf keine physische Wälzung, son-
Gedanken der Nutzung erneuerbarer Energien konti- dern nur noch eine finanzielle Wälzung geben. Dies
nuierlich weiterentwickelt, was durch eine breite Mehr- führt jetzt aber dazu, dass nur die großen Energieversor-
heit des ganzen Hauses mitgetragen wurde. Dieser Hin- ger Grünen Strom an den Börsen vertreiben dürfen und
weis hilft vielleicht, die Schärfe aus der Diskussion zu wir dadurch nur Grauen Strom im Angebot haben.
nehmen. Ich möchte gemeinsam mit meiner Fraktion – das
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) steht nicht im Koalitionsvertrag – eine Initiative zum
Beispiel für die Einführung einer Marktprämie ergreifen,
Inzwischen beträgt der Anteil der erneuerbaren Energien die optional sein soll. Anlagenbetreiber sollen sich im
am Endenergieverbrauch 10 Prozent. Davon sind – es ist Rahmen von mittelständischen Strukturen zusammen-
wichtig, auch das einmal festzustellen – 70 Prozent Bio- schließen dürfen und Hilfen bekommen, damit es wirt-
energie, also nachwachsende Rohstoffe. Die nachwach- schaftlich sein wird, zum Beispiel an der Börse in Leip-
senden Rohstoffe sind, um es so auszudrücken, von den zig Grünen Strom direkt zu vermarkten. Diese Idee soll
unendlichen Energieträgern die endlichsten. Deshalb dazu führen, dass die Betreiber der Erneuerbaren stärker
müssen wir uns auch auf andere Ressourcen konzentrie- an den Markt herangeführt und mehr und mehr von der
ren. Das ist ein Grund dafür, warum wir bei der Novelle Förderung entwöhnt werden, die sie im Rahmen des
des Erneuerbare-Energien-Gesetzes 2009 den Wind, Re- EEG noch benötigen.
powering und Offshore-Windkraft, so sehr in den Vor- (Beifall bei der CDU/CSU)
dergrund gestellt haben. Der Anteil am Stromverbrauch
– Kollege Fuchs hat es eben gesagt – beträgt 16 Prozent, Auf das Wachstumsbeschleunigungsgesetz hat Kol-
davon beträgt der Strom aus Windkraft ungefähr 44 Pro- lege Kauch bereits hingewiesen.
zent, jeweils ein Viertel kommt aus Wasser und Bio-
Wichtig ist es, Sicherheit für private Investitionen zu
masse.
gewährleisten; denn die privaten Investoren sind es, die
In diesem Zusammenhang ist es nicht unwichtig, die den Ausbau der Erneuerbaren maßgeblich vorantreiben.
Branchen zu nennen. Ich darf darauf hinweisen, dass in- Von daher brauchen wir ganz besonders in diesem Be-
zwischen 280 000 Arbeitsplätze an den erneuerbaren reich Investitionssicherheit.
(B) Energien hängen, insbesondere in strukturschwachen (D)
Die Weiterentwicklung des EEG im Bereich der Foto-
Regionen Norddeutschlands; ich darf das als Nieder- voltaik haben wir jetzt in Angriff genommen. Ich finde,
sächsin sagen. Das ist sicherlich ein wichtiger Wirt- der Vorschlag, den das Bundeskabinett wohl in der
schaftsfaktor. nächsten Woche verabschieden wird, ist sehr ausgewo-
Man muss sich natürlich ansehen, was das alles kos- gen. Wir haben einen Zielkorridor festgelegt, der ver-
tet. Es kostet den Privatverbraucher im laufenden Jahr doppelt wurde. Ein Zubau von 3 Gigawatt pro Jahr ist
circa 2 Cent pro Kilowattstunde und damit 0,9 Cent vorgesehen. Wir wollen besonders den Eigenverbrauch
mehr als im Jahr 2009. Das sind ungefähr 6 Prozent der fördern. Planungssicherheit ist durch entsprechende
Kosten für eine Kilowattstunde. Für einen Musterhaus- Übergangsfristen gewährleistet.
halt, der 3 500 Kilowattstunden pro Jahr verbraucht, sind Insgesamt müssen wir die Akzeptanz für die Erneuer-
das circa 3,25 Euro pro Monat. Wenn man das zusam- baren erhalten. Wir können auf Dauer nicht erklären,
menrechnet, dann kommt man auf mehrere Milliarden warum für 5 Prozent des durch Erneuerbare im Bereich
Euro in einem bestimmten Zeitraum, aber letztendlich Fotovoltaik erzeugten Stroms 50 Prozent der Umlage
wird der Verbraucher mit dieser Summe belastet. bezahlt werden. Deshalb müssen wir im Rahmen der
Förderbedingungen vernünftige Maßnahmen ergreifen.
Auf internationaler Ebene ist das EEG ein Erfolgspro- Wir können auch nicht erklären, warum auf besten
jekt. In fast über 50 Staaten wird es kopiert. Ackerbauböden riesige Freiflächen-Solaranlagen entste-
Wir haben gerade im Ausschuss über die IRENA dis- hen sollen. Dafür gibt es andere Standorte. Konversions-
kutiert, eine internationale Organisation, die auf Initia- flächen und Brachflächen sollten wir dazu nutzen.
tive Deutschlands gegründet wurde und die helfen soll, (Beifall bei der CDU/CSU)
die Idee der erneuerbaren Energien weltweit durchzuset-
zen. Das IRENA-Sekretariat wird in Abu Dhabi einge- Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Weg in das
richtet, das Innovationszentrum in Bonn. Die EU wird regenerative Zeitalter wird nur gelingen, wenn wir uns
jetzt als weiterer wichtiger Partner beitreten. Das Ganze gemeinsam den qualitativen und quantitativen Ausbau
wird zur Stärkung der Idee der Erneuerbaren auch inter- der Netze auf die Fahnen schreiben und die Weiterent-
national beitragen. wicklung der Speichertechnologien ganz oben auf unse-
rer Agenda steht. Das heißt, wir brauchen Innovationen
Das Umfeld des EEG ist zu betrachten. Herr Kauch im Bereich der E-Mobilität. Wir brauchen eine Weiter-
hat die Nachhaltigkeitsverordnung genannt, die natürlich entwicklung der Batterietechnologie, aber auch eine
sehr notwendig ist, damit wir nicht unter dem Mäntel- Weiterentwicklung der Speicherkraftwerke.
2212 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 25. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. Februar 2010

Dr. Maria Flachsbarth


(A) Herr Kollege Fell, Sie haben eben gesagt: Wir können Zehn Jahre EEG. Warum war das EEG so erfolgreich? (C)
die Erneuerbaren verstetigen. Es war deswegen erfolgreich, weil wir drei Dinge ge-
macht haben: Erstens. Wir haben für den Einspeisevor-
(Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- rang gesorgt. Offenbar sind sich heute alle einig, dass
NEN]: Es ist schon realisiert!) das notwendig war. Damals war das sehr umstritten.
Jawohl, das können wir machen. Aber wir dürfen nicht Zweitens. Wir haben für feste Vergütungssätze gesorgt,
vergessen, dass zum Beispiel ein Pumpspeicherkraft- was eine entsprechende Planbarkeit für die Akteure
werk wie das in Goldisthal nach heutigen Maßgaben und brachte und den Boom letztlich auch ausgelöst hat. Drit-
nach im Bereich des Naturschutzes geltenden Gesetzen tens. Wir haben von Anfang an für klar definierte De-
sehr schwierig – um nicht zu sagen: fast überhaupt nicht – gressionssätze, also für Minderungen der Vergütungen,
zu realisieren ist. gesorgt, sodass ein Anreiz für Effizienzsteigerung und
für Innovation gesetzt war.
(Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Es gibt genug andere Lösungen!) Das Ganze ging einher mit angekündigten Überprü-
fungen. Nach entsprechenden Abständen gab es da, wo
Es gibt genauso wie beim Ausbau der Netze immer wie- es möglich war, weitere Absenkungen von Vergütungen.
der Widerstände in der Bevölkerung vor Ort. Wenn wir
den Weg in das regenerative Zeitalter gehen wollen, Was jetzt passiert, ist, jedenfalls nach unserem Ein-
dann muss es unser gemeinsames Anliegen sein, vor Ort druck, eher das Verlassen dieses verlässlichen Pfades.
für unser Ziel zu werben und die technologischen Vo- Was im Zusammenhang mit der Fotovoltaik angekündigt
raussetzungen für dieses gemeinsame Ziel zu schaffen. worden ist – von vornherein werden Größenordnungen
für Absenkungen genannt –, ist äußerst problematisch.
Herzlichen Dank. Wir versperren uns nicht der Diskussion. Wir versperren
uns nicht möglichen Absenkungen – wir haben das auch
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – deutlich gesagt –; aber wir wollen, dass das auf der Basis
Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- einer klaren Analyse und sehr verantwortlich passiert.
NEN]: Machen wir Erdkabel! Dann kriegen Wir wollen nämlich, dass der Prozess der Effizienzstei-
wir es hin!) gerung weitergeht, und wir wollen keinen Bruch, der
nach unserer Einschätzung jetzt drohen könnte und den
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: es zu vermeiden gilt.
Das Wort hat jetzt der Kollege Rolf Hempelmann von (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
der SPD-Fraktion. DIE GRÜNEN)
(B) (D)
Rolf Hempelmann (SPD):
Es gibt einen weiteren Punkt, der in etwa zeitgleich
mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz entschieden
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! wurde und der ebenfalls erheblichen Einfluss hatte auf
Übrigens, ich heiße nicht Wolf Hempelmann – so hab den Erfolg der erneuerbaren Energien: den Kernenergie-
ich Sie verstanden, Herr Präsident –, sondern Rolf ausstieg. Der Ausstieg aus der Kernenergie und damit
Hempelmann. Aber als Wolf macht es mir besonderen die klare Perspektive, dass bestimmte Strommengen aus
Spaß, auf den Fuchs loszugehen. – Ich sehe, der Kollege dem Markt und auch aus den Netzen verschwinden, hat
Fuchs hat es gemerkt. den Erneuerbaren eine Perspektive gegeben, die zukünf-
Herr Fuchs, wir haben von Ihnen in der Tat – Sie ha- tige Wettbewerbsfähigkeit überhaupt erst denkbar ge-
ben es gesagt – eine Menge gelernt, insbesondere, dass macht hat. Dass jetzt über den Ausstieg aus dem Aus-
der Wind nicht immer bläst. Ich möchte darauf aufmerk- stieg geredet wird, hat nicht nur die Vertreter der
sam machen – man stellt das fest, wenn man genauer erneuerbaren Energien auf den Plan gebracht, sondern
hinschaut, etwa in Richtung Frankreich –, dass auch dort auch viele andere, insbesondere neue, kleinere oder mit-
die Kernkraftwerke nicht immer laufen, vor allen Din- telgroße Akteure, die sagen: Das hat erhebliche Konse-
gen nicht immer auf Volllast. Im Sommer wurde ihre quenzen, insbesondere für den Wettbewerb.
Leistung einmal bis auf 20 Prozent heruntergefahren. Warum ist das wichtig? Wenn es Konsequenzen für
Auch im Winter musste sie deutlich gedrosselt werden. den Wettbewerb gibt, wenn erneuerbare Energien gegen
Strom wurde importiert, insbesondere aus Deutschland. abgeschriebene Kernkraftwerke also kaum ankommen
Durch Windenergie erzeugter Strom hatte daran einen können, dann ist der Weg, von dem Maria Flachsbarth zu
großen Anteil. Recht gesagt hat, dass wir ihn in Zukunft gehen müssen
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ – ein Stück Loslösung vom EEG, ein Stück hin zur
DIE GRÜNEN) Direktvermarktung –, natürlich erheblich erschwert. Wir
bitten Sie, darüber noch einmal nachzudenken. Das sind
Insofern sollte man hier tatsächlich etwas differenzierter keine Einwände, die ausschließlich von den Vertretern
vortragen. Mein Dank gilt ausdrücklich Maria der Erneuerbaren, also rein interessegeleitet, gemacht
Flachsbarth, auch wenn ich ihr nicht in jedem Punkt zu- werden; vielmehr werden sie sehr viel breiter vorgetra-
stimme. Sie hat hier eine sehr differenzierte Darstellung gen. Sie sollten das ernst nehmen.
des Sachverhalts gegeben.
Es gab einen weiteren Punkt, der für den Erfolg des
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Erneuerbare-Energien-Gesetzes bzw. der erneuerbaren
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 25. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. Februar 2010 2213
Rolf Hempelmann
(A) Energien sehr wichtig war: die sogenannte Exportinitia- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (C)
tive Erneuerbare Energien. Wir haben damals gesagt: des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Wir wollen die Unternehmen frühzeitig instand setzen
und motivieren, ihre Erfolgschancen nicht nur auf dem Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
deutschen Markt, sondern auch außerhalb zu suchen. Das Wort hat der Kollege Klaus Breil von der FDP-
Mittlerweile ist es so, dass ein großer Anteil der Erneu- Fraktion.
erbaren, die in diesem Lande produziert werden, in den
Export gehen. Das bindet hier Wertschöpfung und Ar- (Beifall bei der FDP)
beitsplätze und tut damit dem Standort Deutschland ins-
gesamt sehr gut. Klaus Breil (FDP):
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kolle-
der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE gen! Zehn Jahre EEG – wir erinnern uns aber heute auch
GRÜNEN) an das Stromeinspeisungsgesetz, das unser liberaler Bun-
deswirtschaftsminister Dr. Helmut Haussmann schon
Diese Exporterfolgsgeschichte hatte auch etwas damit zehn Jahre zuvor unterschrieben hatte und das zuerst die
zu tun, dass wir nicht nur Technologie exportiert haben, Abnahme und die Vergütung von erneuerbaren Energien
sondern auch – das ist ja heute hier schon angeklungen – festlegte.
das Gesetz selbst. Über 40 Länder haben es in mehr oder
weniger identischer Form übernommen. Erst das hat (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
dazu geführt, dass die entsprechenden Märkte entstan- der CDU/CSU – Marie-Luise Dött [CDU/
den und der Technologieexport möglich wurde. CSU]: 1990!)
Wenn wir jetzt hier in Deutschland den Pfad der Ver- Allerdings rechneten wir 1990 mit Mehrkosten von
lässlichkeit bei der Organisation eines Effizienzprozes- rund 50 Millionen DM pro Jahr, also mit keinem wesent-
ses verlassen, wenn wir jetzt Brüche riskieren, dann lichen Einfluss auf die Strompreise. Seit Inkrafttreten
führt das natürlich auch dazu, dass wir die Exportchan- des EEG sind inzwischen aber Vergütungen in Höhe von
cen für erneuerbare Energien gefährden; denn wir kön- insgesamt über 48 Milliarden Euro ausgezahlt worden.
nen nicht ausschließen, dass das auch Einfluss auf die Gleichwohl hat sich die FDP auf ihrem Parteitag 2009 in
Gesetzgebung in anderen Märkten hat. Auch darüber Hannover klar zum EEG bekannt. Und der FDP sind die
sollten Sie einmal nachdenken. Ich jedenfalls bin der Weiterentwicklung des Maschinen- und Anlagenbaus im
festen Überzeugung, dass diese Zusammenhänge auch Bereich der erneuerbaren Energien und die Realisierung
Ihnen einleuchten müssten. der sich daraus ergebenden Exportpotenziale sehr wich-
(B) tig. (D)
Ein letzter Punkt: Sie stellen sich auch heute wieder
ein wenig als Robin Hood dar, als Rächer der Enterbten, (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
also der Verbraucher und der Mieter, die insbesondere der CDU/CSU)
die erneuerbaren Energien über höhere, im Strompreis In ihrem Antrag fordert die SPD den Zuschnitt des
versteckte Vergütungssätze bezahlen müssen. Die Bun- EEG als langfristig angelegtes Instrument der Technolo-
desagentur hat Ihnen eigentlich den richtigen Pfad ge- gieförderung. Die Grünen wiederum wollen das EEG
wiesen. Sie hat vor wenigen Tagen deutlich gemacht, kosteneffizient gestalten und zugleich Innovationskraft,
dass die Preissteigerungen, etwa die Anfang dieses Jah- Investitionssicherheit und Vertrauensschutz erhalten.
res um durchschnittlich 6,2 Prozent – das entspricht ei- Genau das sind auch unsere Zielauffassungen.
ner Größenordnung von 1,2 bis 1,3 Cent pro Kilowatt-
stunde –, mitnichten mit dem Aufwuchs bei den (Zuruf des Abg. Ulrich Kelber [SPD])
erneuerbaren Energien zu begründen sind, wie es die
Bestes Beispiel dafür ist die jetzt neu konzipierte Eigen-
Konzerne gemacht haben.
verbrauchsförderung. Damit wird zielgenauer Innova-
(Dr. Maria Flachsbarth [CDU/CSU]: Das ist tionsdruck aufgebaut, um geeignete Energiespeicher zu
richtig!) entwickeln. So können auch die Netze entlastet werden.
Durch den Aufwuchs ließe sich nur etwa eine Erhöhung (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
um 0,2 Cent rechtfertigen. Deswegen sind das Argu- der CDU/CSU)
ment, für mehr Wettbewerb zu sorgen, und das Argu-
Schon in diesem Jahr werden wir für sämtliche erneu-
ment, Vorsicht bei der Verlängerung der Laufzeiten für
erbare Energien Vergütungskosten von insgesamt rund
Kernkraftwerke walten zu lassen, so wichtig. Sie können
12,3 Milliarden Euro haben. Für den Verbraucher bedeu-
sehr viel mehr für die Verbraucher tun, wenn Sie für
tet das Kosten in Höhe von über 8,2 Milliarden Euro.
mehr Wettbewerb sorgen, wenn Sie nicht, wie Sie es der-
Das sind durchschnittlich 100 Euro pro Kopf der Bevöl-
zeit vorhaben, die bisherigen Strukturen durch eine Ver-
kerung, das entspricht 400 Euro für eine vierköpfige Fa-
längerung der Laufzeiten der Kernkraftwerke zementie-
milie pro Jahr. Im nächsten Jahr dürften die Gesamtkos-
ren.
ten auf über 10 Milliarden Euro steigen. Allein für den
Wenn Sie also Ihren Ankündigungen gerecht werden Solarstrom, der nur etwa 1 Prozent der primären Strom-
wollen, dann überlegen Sie sich, was Sie bei der Foto- versorgung ausmachen wird, muss der Verbraucher mit
voltaik und bei der Kernenergie tun wollen. Im Augen- etwa 3,4 Milliarden Euro mehr als 40 Prozent der EEG-
blick sind Sie bei beiden Themen auf dem falschen Pfad. Gesamtkosten aus eigener Tasche auf den Tisch legen.
2214 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 25. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. Februar 2010

Klaus Breil
(A) Diese von mir aufgeführten Kosten bedeuten allerdings die Vergangenheit erinnern möchte; denn wer aus der (C)
keinesfalls, dass die FDP das EEG infrage stellt. Viel- Vergangenheit nicht lernt, wird in der Zukunft falsche
mehr will ich gezielt darauf hinweisen, wie enorm wich- Entscheidungen treffen. Deshalb sage ich: Sie haben da-
tig es ist, die notwendige Förderung für den Verbraucher mals falsch entschieden.
so kostengünstig wie nur irgend möglich zu gestalten.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten DIE GRÜNEN und der SPD)
der CDU/CSU)
Die Neinsager standen auf der falschen Seite der Ge-
Zusammenfassend müssen wir uns über folgende Tat- schichte.
sache im Klaren sein: Das Fördern von erneuerbarer
Energie hin zur Marktreife ist – wenn man es richtig do- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
siert – sinnvoll, ein Durchfüttern durch Überförderung und bei der SPD)
ist es aber nicht.
Nun stehen die Neinsager von damals davor, wieder
(Beifall des Abg. Burkhardt Müller-Sönksen einen historischen Fehler zu machen, wie sie ihn damals
[FDP]) mit ihrem Nein begangen haben; denn jetzt stehen sie
vor der Entscheidung, wie sie mit der Atomkraft umge-
Ein Zuviel macht den deutschen Markt träge und ver- hen. Ich sage Ihnen: Die Neinsager von damals setzen
schwendet das Geld der Verbraucher. heute auf die Laufzeitverlängerung von Atomkraftwer-
Letzten Endes wird sich am Beispiel der EEG-Förde- ken. Das ist ebenso ein historischer Fehler, wie damals
rung die Ernsthaftigkeit unserer Zielsetzung messen las- gegen das EEG zu stimmen.
sen. Wenn zum Beispiel Windstrom nur noch so viel
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
kostet wie fossiler Strom, dann hat sich die Einspeise-
und bei der SPD)
vergütung durch das EEG erledigt. Dann braucht man
nur noch den Einspeisevorrang der erneuerbaren Ener- Warum? Die Laufzeitenverlängerungen werden den
gien im oligopolisierten Markt wettbewerbsfähig zu hal- Ausbau der erneuerbaren Energien massiv behindern.
ten. Das, was Sie entscheiden, ist keine Brücke; denn Sie ent-
Vielen Dank. scheiden sich dafür, eine Mauer aufzurichten, gegen die
die erneuerbaren Energien fahren werden. Sie entschei-
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten den sich gegen eine Brücke und für den Stopp des Aus-
der CDU/CSU) baus der erneuerbaren Energien.
(B) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (D)
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: sowie bei Abgeordneten der SPD)
Das Wort hat jetzt die Kollegin Bärbel Höhn von
Bündnis 90/Die Grünen. Im Gegensatz zu Herrn Fuchs hat der Bundesumwelt-
minister das verstanden. Die entscheidende Antwort auf
Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): die Ausführungen von Herrn Fuchs ist ein Zitat des Bun-
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir desumweltministers, der in der Frankfurter Rundschau
reden heute über zehn Jahre EEG. Zu Beginn muss man vom 19. Februar – es ist also noch nicht lange her – ge-
eines feststellen: Die Verabschiedung des Erneuerbare- sagt hat: „Viel Atomstrom und viel Ökostrom“ passen
Energien-Gesetzes war eine Sternstunde für den Bundes- „als ökonomische Konzepte nicht zusammen“. Er führt
tag und für die Energiepolitik in Deutschland. weiter aus:

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Windkraft und Solarenergie müssen durch flexible
und bei der SPD sowie der Abg. Marie-Luise und schnell regelbare … Kraftwerke ergänzt wer-
Dött [CDU/CSU]) den, nicht durch große Kernkraft-Blöcke.

Sie war nämlich der Ausgangspunkt für einen unglaubli- Recht hat der Bundesumweltminister mit dieser Aus-
chen Boom. In Deutschland wird mittlerweile dreimal so sage.
viel Ökostrom hergestellt wie vor zehn Jahren. Mittler- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
weile haben wir in diesem Bereich fast 300 000 Arbeits- sowie bei Abgeordneten der SPD)
plätze. Der Anteil des Stroms aus erneuerbaren Energien
liegt inzwischen bei 16 Prozent. Das sind hervorragende Ich frage mich nur, warum der Bundesumweltminis-
Zahlen. An diese gute Entwicklung muss immer wieder ter und die Bundesregierung, wenn sie die Zusammen-
erinnert werden. hänge denn verstanden haben, daraus nicht auch
Konsequenzen ziehen. Ich frage mich, warum der Bun-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
desumweltminister trotzdem für Laufzeitverlängerungen
sowie bei Abgeordneten der SPD)
von großen, unflexiblen Kraftwerksblöcken ist, nämlich
Diese Erfolgsgeschichte ist von Sozialdemokraten von Atomkraftwerken. Ich sage: Wer zu dieser Erkennt-
und Grünen auf den Weg gebracht worden. Laut Proto- nis gekommen ist, muss auch die Konsequenz daraus
koll gab es damals bei der Abstimmung 217 Neinstim- ziehen und darf nicht für Laufzeitverlängerungen von
men: von der CDU, von der CSU und von der FDP. Herr großen, unflexiblen und daher nicht mit Ökostrom zu-
Kauch, ich sage das insbesondere deshalb, weil ich an sammenpassenden Atomkraftwerken sein.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 25. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. Februar 2010 2215
Bärbel Höhn
(A) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – nicht durchsetzbar. Deshalb musste die damalige Bun- (C)
Marie-Luise Dött [CDU/CSU]: Das Kriterium desregierung so handeln.
ist Sicherheit!)
(Dr. Maria Flachsbarth [CDU/CSU]: Aha!)
Es geht aber auch noch um etwas völlig anderes. Herr
Fuchs und Herr Kauch, Sie sagen, dass die Preise für die Im Nachhinein sehen Sie, wie falsch das war. Anders
Verbraucher bezahlbar sein müssen. Ich sage Ihnen: Ge- als Sie haben wir daraus gelernt und sofort gesagt: Wir
rade dadurch, dass wir keinen Wettbewerb auf den Ener- wollen die Auktionierung der CO2-Zertifikate. Anders
giemärkten haben, dadurch, dass die vier großen Anbie- als Sie haben wir aus der Geschichte gelernt. Sie lernen
ter quasi ein Monopol haben, werden die Preise nach nicht aus der Geschichte. Sie haben damals gegen das
oben getrieben. Allein dadurch, dass die CO2-Zertifikate EEG gestimmt und bauen mit der Laufzeitverlängerung
eingepreist wurden, haben die Unternehmen einen zu- für Atomkraftwerke jetzt eine Mauer für die erneuerba-
sätzlichen Gewinn von 5 Milliarden Euro pro Jahr ma- ren Energien auf. Das ist der Unterschied, Herr Kauch.
chen können. Das ging zulasten der Verbraucher. Wer (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
die Preise für Verbraucher reduzieren will, muss mehr und bei der SPD – Ulrich Kelber [SPD]: Die
Wettbewerb in den Markt bringen und deshalb für mehr EU hat die Auktionierung gar nicht erlaubt!)
Strom aus erneuerbaren Energien eintreten. Das ist der
Punkt. – Ja. Sie wäre trotzdem richtig gewesen. Inhaltlich wäre
das richtig gewesen. Das ist gar keine Frage.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
und bei der SPD) (Ulrich Kelber [SPD]: Ja, natürlich! Aber wir durf-
ten es nicht! EU-Recht hat es verboten!)
Ihre Pläne – mit Atomkraft – bedeuten mehr Atom-
müll, mehr Unfallrisiken und mehr Gewinne für die Ich sage noch eines – darüber ist hier bisher nicht dis-
Großunternehmer und sind deshalb schlecht, und zwar kutiert worden –: Der entscheidende Punkt ist, dass wir
auch für die Verbraucher. damals mit dem Atomkonsens einen schweren Konflikt
innerhalb der Gesellschaft endlich beendet haben. Die
schwarz-gelbe Koalition reißt diese Gräben wieder auf.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Ich sage Ihnen: Sie verunsichern damit auch die Investo-
Frau Kollegin Höhn, erlauben Sie eine Zwischenfrage ren. Eines müssen Sie wissen: Wenn Sie jetzt Laufzeit-
des Kollegen Kauch? verlängerungen beschließen und realisieren, dann wer-
den wir das wieder ändern, sobald wir die Möglichkeit
Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): dazu haben.
(B) Sicher. (D)
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS-
SES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Michael Fuchs
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: [CDU/CSU]: Das dauert noch!)
Bitte schön, Herr Kauch.
Das heißt: Es gibt keinerlei Planungssicherheit für die
Michael Kauch (FDP): Investoren. Das müssen Sie wissen.
Liebe Frau Höhn, Sie legen Wert darauf, dass wir hier Das heißt: An dem Punkt Laufzeitverlängerung wer-
über die historische Wahrheit sprechen. den wir Widerstand leisten. Sobald wir können, werden
(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: wir das wieder ändern. Der Energiemarkt verträgt keine
Genau!) Unsicherheit. Durch Ihre Entscheidung sorgen Sie aber
genau dafür. Deshalb sage ich: Keine Laufzeitverlänge-
Sie haben darauf hingewiesen, dass die Energiekonzerne rung für Atomkraftwerke, sondern Ausbau der erneuer-
Windfall-Profits, also Mitnahmeeffekte durch den Emis- baren Energien und Ausbau der Energieeffizienz. Das ist
sionshandel erzielt haben. Stimmen Sie mir zu, dass das der richtige Weg und nicht die Laufzeitverlängerung für
Gesetz, auf dem diese Mitnahmeeffekte beruhen, durch Atomkraftwerke.
Umweltminister Trittin von den Grünen und die rot-
grüne Bundesregierung auf den Weg gebracht wurde? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
und bei der SPD)
(Burkhardt Müller-Sönksen [FDP]: Die Wahr-
heit! Historisch gesprochen!) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Georg Nüßlein von
Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): der CDU/CSU-Fraktion.
Lieber Herr Kauch, ich habe eben gesagt: Wenn man
heute die richtigen Entscheidungen fällen will, muss (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
man sehen, was man in der Vergangenheit falsch ge-
macht hat. Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
(Beifall des Abg. Burkhardt Müller-Sönksen
Liebe Frau Höhn, ich hätte mir gewünscht, dass wir hier
[FDP])
gemeinsam über die Frage diskutieren, wie man die er-
Ich fand schon damals, dass man sofort auf Auktionie- neuerbaren Energien auf ihrem positiven Weg begleiten
rung hätte setzen können. Das war gesellschaftlich aber kann, und weniger eine Art Vaterschaftsprozess in Gang
2216 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 25. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. Februar 2010

Dr. Georg Nüßlein


(A) setzen, bei dem es darum geht, zu entscheiden, wer nun polmarkt, der zudem noch von natürlichen Monopolen (C)
der Vater der Förderung ist. in Form der Netze geprägt ist, keine Chance haben, in
den Markt zu kommen. Deshalb werden wir das EEG als
(Michael Kauch [FDP]: Die Mutter!) Mittelstandsschutzgesetz erhalten und verteidigen.
Insofern bin ich der SPD ausgesprochen dankbar dafür, (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
dass sie in ihrem Antrag immerhin ausgeführt hat, dass
das Stromeinspeisungsgesetz Basis des EEG war. In dem Es ist – auch das ist angesprochen worden – ein zen-
Zuge muss man deutlich sagen, dass es überhaupt keine trales Technologiefördergesetz. Daher – da gebe ich dem
Chance gibt, die CDU/CSU mit denjenigen in eine Ecke Kollegen Scheer ausdrücklich recht – handelt es sich
zu stellen, die das Thema erneuerbare Energien nicht vo- nicht um Subventionen, auch nicht der Definition nach.
ranbringen wollen.
(Beifall der Abg. Dirk Becker [SPD] und
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
Zuruf des Abg. Ulrich Kelber [SPD]) NEN])
Das können Sie historisch bis zurück in das Jahr 1983 Ich sage Ihnen auch: Wir werden das noch schmerzlich
fundieren, als die Regierung Kohl die ersten Versuche merken. An der Tatsache, dass die Solarbranche in China
zur Nutzung der Windkraft unterstützt hat. Sie können im klassischen Sinne subventioniert wird, können wir
das weiterverfolgen über das Stromeinspeisungsgesetz nichts ändern. Wir können mit dem EEG an der Stelle
bis hin zu dem, was wir gemeinsam in der Großen Koali- auch nicht gegensteuern. Denn letztendlich ist das etwas,
tion gemacht haben. Das Marktanreizprogramm, liebe was marktlich gelöst werden muss. Das EEG wird uns
Kollegin Höhn, ist in der Großen Koalition ganz anders nicht davor bewahren, dass uns die asiatische Konkur-
mit Mitteln ausgestattet gewesen als in der Zeit, als die renz hier massiv ins Kontor schlagen wird und dass un-
Grünen an der Regierung waren: Im Jahr 2005 waren es sere Unternehmen in der Solarbranche mit einer solchen
rund 130 Millionen Euro, im Jahr 2009 waren es rund unfair geförderten Konkurrenz zu kämpfen haben wer-
500 Millionen Euro, also fast das Vierfache. Ich bitte, den.
zur Kenntnis zu nehmen, dass nicht nur Sie allein Um- (Zuruf von der SPD: Das ist wohl wahr!)
weltpolitik und die Förderung erneuerbarer Energie kön-
nen. Dieses Problem werden auch höhere Fördersätze nicht
lösen, weil die Renditen dann an anderer Stelle abge-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – schöpft werden. Auch das muss man in dieser Deutlich-
Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- keit sagen.
NEN]: Wir können es erfolgreicher!)
(B) Jetzt trage ich Ihnen etwas zum Thema Fotovoltaik (D)
Wir setzen das konsequent fort. Wir haben in unserem vor. Es geht darum:
Koalitionsvertrag ganz präzise formuliert, dass wir einen
dynamischen Energiemix wollen, bei dem die erneuerba- … die Degression bei der Fotovoltaik so weiter zu
ren Energien gefördert aufwachsen und die konventio- entwickeln, dass einerseits Anreize für noch stär-
nellen sukzessive ersetzen. Es geht um die Frage: Was kere Kostensenkungen entstehen und andererseits
ersetzt wann, wo und zu welchem Zeitpunkt? Ich sage die Wirtschaftlichkeit beim Betrieb von Solaranla-
Ihnen ganz offen: Sie argumentieren zu Recht, wenn es gen weiter gewährleistet wird …
um die Bedeutung der erneuerbaren Energien für den
Ein verstärkter Ausbau der PV führe über Skaleneffekte
Strompreis geht, mit dem Merit-Order-Effekt. Aber
und die Einführung neuer Technologien zu Kostensen-
wenn man sich dies dann genauer anschaut, dann muss
kungen, die an den Markt weitergegeben werden können
klar sein, dass bei Aufwachsen der erneuerbaren Ener-
und damit die Kosten je erzeugter Kilowattstunde Solar-
gien und unter der Voraussetzung einer Laufzeitverlän-
strom absenken können. – Das ist nicht von mir, sondern
gerung für Kernkraftwerke natürlich zunächst die Kohle
– Kollege Fell wird es wissen – aus Ihrem Antrag. Ge-
herausfällt. Das ist unter dem Gesichtspunkt des Klima-
nau das tun wir. Wir passen die Dinge einer marktlichen
schutzes wünschenswert; sonst werden wir – das kann
Entwicklung an.
ich hier deutlich sagen – unsere Klimaziele nicht errei-
chen. (Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Sie passen nicht an!)
(Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Warum wollen Sie dann neue Kohle- Wir tun das, Kollege Hempelmann, wohlüberlegt und
kraftwerke?) abgewogen.
Nun will ich auf die Diskussion, die wir jetzt über die Ich kann die Branche nur auffordern, das, was wir in
Kernenergie hatten, nicht zu ausführlich eingehen, son- diesem Bereich tun, weiterhin positiv zu begleiten, so
dern zunächst einmal möchte ich deutlich sagen, worin wie sie es auch am Anfang der Diskussion getan hat, und
wir die Bedeutung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes zu sagen: Jawohl, wir sind auf einem guten Weg, es gibt
sehen. Wir halten es für ein wichtiges und zentrales Mit- Kostensenkungspotenziale, und die angekündigte Netz-
telstandsfördergesetz. Denn ohne die Vorschriften im parität, die dazu führen wird, dass der Strom vom Dach
EEG, ohne den Anspruch, einspeisen zu dürfen und eine einmal genauso viel kostet wie der Strom aus der Steck-
Vergütung zu bekommen, würden der Mittelstand und dose, ist ein erreichbares Etappenziel. – Ich hoffe, dass
auch die kommunalen Energieversorger in dem Oligo- die Branche diesen Prozess weiterhin positiv begleiten
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 25. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. Februar 2010 2217
Dr. Georg Nüßlein
(A) und sagen wird: Wir wollen etwas tun, damit dieses dieser Republik und darüber hinaus auch das internatio- (C)
Thema nicht sozusagen dauerhaft am Tropf hängt. Wir nal wachsende Energieproblem lösen.
wollen als erstes Etappenziel zumindest dafür sorgen,
Vielen herzlichen Dank.
dass sich der Eigenverbrauch rechnet.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
neten der FDP)
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Erstens. Wir müssen zusichern, dass wir maximalen Das Wort hat jetzt der Kollege Dirk Becker von der
Vertrauensschutz gewähren. Wir müssen denjenigen, die SPD-Fraktion.
im Vertrauen auf das Inkrafttreten des Gesetzes zum
1. Januar 2009 Geld in die Hand genommen und inves- (Beifall bei der SPD)
tiert haben, zusichern, dass sie ihre Arbeit unter den da-
mals geltenden Konditionen beenden können. Dirk Becker (SPD):
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-
ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will eines vor-
Zweitens. Rot-Grün hat seinerzeit auch das Ackerland wegschicken: Als die SPD die Überlegung angestellt
in das EEG aufgenommen. Weil Rot-Grün damals vor hat, zum zehnjährigen EEG-Jubiläum eine Veranstaltung
dem Naturschutz Angst hatte, hat man gesagt: Lasst uns durchzuführen, waren wir noch in der Großen Koalition;
die besten Ackerlandflächen verwenden. So können wir es gab also einen entsprechenden Vorlauf. Wir hätten da-
eine Debatte mit dem Naturschutz vermeiden. – Wenn mals nicht erahnen können, dass hier und heute über die
wir diese Entscheidung – auch wohlüberlegt und mit Verlängerung der Laufzeiten und das Abschmelzen der
Blick auf die Akzeptanz – heute korrigieren, dann kön- Vergütungssätze für Fotovoltaik diskutiert wird. Wir
nen wir auch geeignete Alternativen präsentieren. Wir sind der festen Überzeugung: Beides – das gilt besonders
meinen, dass man auf sinnvolle Art und Weise Foto- für die Kombination von beidem – wird dem Ausbau er-
voltaikanlagen bauen kann, die die nötige Akzeptanz neuerbarer Energien schaden.
finden; auch das halte ich für sehr wichtig.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) DIE GRÜNEN)
Drittens. Das Ziel, den Eigenverbrauch auszubauen, Dass ich diese Feststellung gerade am heutigen Tag tref-
ist entscheidend; einen entsprechenden Vorschlag haben fen muss, ist sehr bedauerlich.
wir von der CSU schon im Januar dieses Jahres gemacht.
Ich muss sagen: Ich habe in unserer gemeinsamen Re-
Ich glaube, dass das ein Weg ist, um Verwerfungen in
(B) gierungszeit, die Herr Nüßlein und Frau Dr. Flachsbarth (D)
der Branche auszugleichen.
angesprochen haben, durchaus den Eindruck gehabt,
Ich möchte klarstellen: Die Union ist beim Ausbau dass die Union die Kurve gekriegt hat.
der erneuerbaren Energien kein Hemmnis. Außerdem
(Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Richtig!
möchte ich betonen: Die Kernenergie ist es auch nicht.
Haben wir auch!)
Sie ist es deshalb nicht, weil es einen Einspeisevorrang
gibt, an dem wir nicht rütteln werden und der klipp und Da Sie sich darüber wundern, welche Diskussionen
klar geregelt ist. Die Kernenergie ist kein Hemmnis, weil heute aufgegriffen werden, will ich Ihnen sagen, was
wir die Kostenersparnis, die die Laufzeitverlängerungen mich verwundert: Sie können doch nicht einen Jubeltag
zur Folge haben werden – das ist unstrittig –, verwenden zum Ausbau der erneuerbaren Energien damit beginnen,
werden, um den Ausbau der erneuerbaren Energien ge- indem Sie hier Herrn Fuchs eine derartige Rede halten
genzufinanzieren. Insbesondere ist die Kernenergie auch lassen. Dann brauchen Sie sich nicht zu wundern, dass
deshalb kein Hemmnis, weil wir bereit sind, die Zusatz- Ihnen der Wind derartig ins Gesicht bläst.
gewinne abzuschöpfen und sie dafür zu verwenden, bei
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
der Entwicklung der erneuerbaren Energien, ganz beson-
DIE GRÜNEN – Dr. Michael Fuchs [CDU/
ders mit Blick auf die Forschung, einen Schub auszulö-
CSU]: Das entscheide ich immer noch selber,
sen.
was ich hier sage!)
(Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
– Das sollen Sie auch. Ich bin Ihnen für Ihre Rede dank-
NEN]: Sägen Sie deswegen die Fotovoltaik ab,
bar; denn endlich wird deutlich, wie die Stimmungslage
ja?)
in der Union ist. Es gibt zwar einige Feigenblätter, Herr
Ich bitte Sie, noch einmal ernsthaft zu überlegen, ob Nüßlein und Frau Flachsbarth, aber Sie haben gesagt,
der Energiemix, den wir vorschlagen, nicht doch sinn- wohin die Reise im Endeffekt gehen soll.
voll ist. Wir haben formuliert: Die Kernenergie ist eine
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
Brücke in einen neuen Energiemix. Ich möchte hinzufü-
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
gen: eine Brücke in einen Energiemix, den wir heute
vermutlich noch gar nicht kennen. Ich bin nach wie vor Eine weitere Feststellung. Ich komme zurück zum ei-
guter Dinge, dass es zusätzlich zu dem, was wir heute im gentlichen Ereignis: zehn Jahre EEG. Ich spare mir die
Energiebereich tun, in Zukunft noch die eine oder andere ganzen Zahlen. Jeder kann anhand der Zahlen den Erfolg
Erfindung und Entwicklung geben wird, die uns deutlich des EEG erkennen. Ich möchte vorweg meinen Dank
voranbringen. Nur so können wir das Energieproblem äußern. Wenn man ein Jubiläum von zehn Jahren zu fei-
2218 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 25. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. Februar 2010

Dirk Becker
(A) ern hat, dann kann man auch Danke sagen. Danke zu- Herzlichen Glückwunsch, dass Sie dafür bereit sind, die (C)
nächst denen, die hier im Parlament dieses Parlaments- Existenz einer ganzen Branche aufs Spiel zu setzen.
gesetz gemacht haben: Hermann Scheer und Dietmar
Schütz aufseiten der SPD, Hans-Josef Fell und die Kol- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des
legin Hustedt, die diesem Haus jetzt nicht mehr ange- BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
hört, aufseiten der Grünen, aber auch durchaus wackere Wir haben im Gegenzug – Rolf Hempelmann hat es
Leute aus den Reihen der CSU, die es schon damals gab, gesagt, und auch ich erkläre es noch einmal – nie gesagt:
nämlich Josef Göppel, der den Mut hatte, zu sagen: Ja, Wir sind gegen eine Absenkung. Wir haben gesagt: Es
ich stimme diesem Gesetz zu. Ein Mann mit Weitblick! gibt ein Potenzial in diesem Markt. Wir wollen, dass die-
Ich hoffe, dass er heute nicht wieder genauso in der Min- ses Potenzial für alle plausibel und nachvollziehbar er-
derheit ist wie damals. mittelt wird. Von daher sage ich noch einmal deutlich:
Wir werden darauf beharren, dass die entsprechenden
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Sachverständigen zusammenkommen und uns vorrech-
DIE GRÜNEN) nen, welche Absenkung vertretbar ist, ohne dass die
Branche größeren Schaden nimmt, als sie ohnehin neh-
Der Dank gilt aber vor allen Dingen auch den Men- men wird. Dass es eine Marktbereinigung geben wird,
schen, die den gesetzlichen Rahmen – mehr konnte der darüber sind wir uns völlig einig. Aber helfen Sie doch
Bundestag nicht setzen – angenommen haben, die inves- bitte schön mit, 50 000 Menschen, die in diesem Land
tiert und geforscht haben, die als Unternehmer Geld in im Bereich der Fotovoltaik oder einem ähnlichen Hand-
die Hand genommen und gesagt haben: „Ja, das ist ein werk arbeiten, eine Chance zu geben, sich den neuen Ge-
Markt der Zukunft“, die Arbeitsplätze geschaffen haben, gebenheiten anzupassen.
aber auch denen, die gesagt haben: Ich möchte erneuer-
bare Energie bei mir zu Hause erzeugen, auf meinem Das sage nicht nur ich, sondern das sagt auch das
Hof oder wo auch immer. Sie alle haben diese Erfolgsge- BMWi. Wir stehen sicherlich nicht im Verdacht, dass wir
schichte mitgeschrieben. Ich möchte natürlich auch de- das BMWi in irgendeiner Art und Weise beeinflusst ha-
nen danken – das muss man auch sagen –, die durch ihre ben.
EEG-Umlage über den Strompreis die Finanzierung der
Sie wollen doch auch, dass die heimische PV-Indus-
Vergütungssätze möglich machen: die Bürgerinnen und trie ihren technologischen Vorsprung sichert und damit
Bürger, die Verbraucher. wettbewerbsfähig bleibt. Dafür muss man ihr aber einen
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten gewissen Zeitraum gewähren. Man kann die Förderung
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Jens nicht binnen eines Jahres um 35 Prozent kürzen. Ich bitte
Koeppen [CDU/CSU]: Das Handwerk!) Sie: Helfen Sie, den Beginn zu verschieben und die vor-
(B) gesehenen Zeiträume zu verlängern! Das würde die Fol- (D)
– Ich danke natürlich auch dem Handwerk. gen abmildern. Lassen Sie uns gemeinsam und nachvoll-
ziehbar einen Satz festlegen, den die Branche verkraften
(Jens Koeppen [CDU/CSU]: Die haben Sie kann. Wir sollten ein gemeinsames Interesse daran ha-
vergessen!) ben, den Arbeitsplatzaspekt zu bedenken.
– Aber nicht absichtlich, lieber Jens Koeppen. Unser Antrag anlässlich zehn Jahre EEG hat heute
leider keine Rolle gespielt. Deswegen will ich zum
Es wird immer über den Strompreis diskutiert. Forsa Schluss sagen: Wir haben den Anlass zehn Jahre EEG
hat im Dezember 2009 eine Umfrage gemacht: 95 Pro- genutzt, festzustellen: Viel Gutes ist erreicht, und wir
zent der Deutschen unterstützen den verstärkten Ausbau sind auf einem guten Weg. Entscheidend ist aber, dass
der erneuerbaren Energien. Dann kam die spannende wir die Erfolge, die das EEG im Strombereich gebracht
Frage: Soll die Förderung gekürzt werden oder nicht, hat, zum Ansporn nehmen, jetzt auch in den anderen
ist es uns das wert? Sie werden es nicht glauben: Selbst Sektoren, in denen wir von den Zielen weit entfernt sind,
aufseiten der FDP haben 71 Prozent der Befragten ge- ähnlich engagiert und erfolgreich zu arbeiten.
sagt: Nein, wir sind uns dieser besonderen Verantwor-
Ich will an dieser Stelle die Bedeutung des Wärme-
tung bewusst. Es ist unsere Auffassung, die Förderung
bereiches herausstellen: Über 50 Prozent des Energie-
soll nicht gekürzt werden. Bei der Union war die Zu- verbrauchs entfallen auf den Wärmebereich. Die ange-
stimmung mit 73 Prozent sogar noch etwas höher. peilten Ziele im Wärmebereich, liebe Kolleginnen und
An dieser Stelle sollten Sie ein bisschen stärker auf Ihre Kollegen aller Fraktionen, werden wir mit den vorhan-
Wählerinnen und Wähler hören. Es würde der Branche denen Instrumenten nicht erreichen; wir werden diese
wirklich helfen. Sie sagen immer – ich wollte gar nicht so Potenziale nicht heben. Ich bitte, den Schwerpunkt der
viel über Solarenergie sprechen, das werden wir sicherlich Diskussion – abseits der Diskussion über Kernenergie
in der nächsten oder übernächsten Sitzungswoche ohne- versus PV – auf Wärme und Energieeffizienz zu legen.
hin noch tun –, Sie wollen für den Verbraucher den Strom- Wir brauchen für den Wärmebereich schnellstmöglich
preis senken. Das BMU hat eine Berechnung vorgelegt, eine ambitionierte Gesetzgebung; ansonsten werden wir
wie sich denn die vorgesehenen Kürzungsschritte auf ei- unsere Ziele bei weitem nicht erreichen.
nen Privathaushalt auswirken. Dabei kommt es im Jahr Herzlichen Dank.
2030 – das ist das Langfristszenario, das Sie ansetzen –
bei einem durchschnittlichen Haushalt zu einer sensatio- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
nellen Strompreisreduzierung um 29 Cent im Monat. DIE GRÜNEN)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 25. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. Februar 2010 2219

(A) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: gen wird. Dieser Gedanke ist in den letzten Jahren in den (C)
Das Wort hat jetzt der Kollege Horst Meierhofer von Hintergrund getreten.
der FDP-Fraktion.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Hans-Josef Fell [BÜND-
der CDU/CSU) NIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Umfragen sagen
das Gegenteil!)
Horst Meierhofer (FDP): In dem Antrag der Grünen habe ich ein paar Punkte
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! gefunden, die mir nicht logisch erscheinen. Einen
Wenn man sieht, wie die älteren Kolleginnen und Kolle- möchte ich gleich ansprechen: Frau Höhn hat gesagt,
gen aus der guten alten Zeit erzählen, bekommt man das dass große Grundlastkraftwerke und dezentrale Lö-
Gefühl, man sieht eine History-Sendung von Guido sungen für die Gewinnung erneuerbarer Energien
Knopp. nicht zusammenpassten.
(Heiterkeit) (Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
Natürlich kann man an Sternstunden erinnern, und NEN]: So ist es!)
wir sind uns einig, dass das EEG gute Effekte hatte. Die Die Netze verstopften. Wir verhinderten den Ausbau der
FDP hat sich dem auf meine Anregung hin angeschlos- Nutzung der erneuerbaren Energien, wenn deren Ein-
sen. Das EEG hatte aber auch negative Effekte. Auch auf speisung nicht flexibel genug geregelt werden könne.
diese sollten wir eingehen. Wir dürfen, wenn wir überle-
gen, wie wir uns die Zukunft vorstellen, nicht verklären, Herr Kauch hat darauf hingewiesen, dass sich das Er-
was in der Vergangenheit passiert ist; das halte ich für neuerbare-Energien-Gesetz auf den Einspeisevorgang
das Entscheidende. bezieht. So ist es. Alles andere müssen die Energiever-
sorger entscheiden. Es ist doch nicht unsere Aufgabe,
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten dafür zu sorgen, dass mit jedem Energieträger an jeder
der CDU/CSU – Zuruf von der FDP: Zu- Stelle zu jedem Zeitpunkt effizient Energie erzeugt wer-
kunft!) den kann. Zu entscheiden, wo wann wie Energie erzeugt
Es hat mir gut gefallen, Herrn Scheer heute einmal zu wird, ist Aufgabe der Energieversorger. Es gibt genü-
hören. Er ist ja, wie man regelmäßig hört, einer der Väter gend Ideen – übrigens auch für Kohle und Kernkraft –,
des EEG. Ich habe ihn in der täglichen Arbeit des Um- wie man sich schneller und flexibler der Last anpassen
weltausschusses in den letzten vier Jahren lediglich ein- kann.
(B) mal – bei einer Sitzung zu IRENA – zu dieser Thematik (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten (D)
reden hören. Ich fände es wichtig, dass sich diejenigen, der CDU/CSU – Hans-Josef Fell [BÜND-
die hier anklagen oder versuchen, Zwietracht zwischen NIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Die haben in
den Parteien zu säen, auch an der Arbeit beteiligen. der Vergangenheit bewiesen, dass sie das nicht
Dann kann man über das, was man will, reden. können!)
(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der Wenn Sie gegen Großkraftwerke sind, dann müssen Sie
CDU/CSU) gegen Offshore-Windparks sein, und dann müssen Sie
Der Koalition geht es darum, das EEG weiterzuent- gegen große zentrale Anlagen wie Desertec sein. Bei
wickeln. Der Vorwurf, wir machten die Branche kaputt, solchen Anlagen sind Sie mindestens so unflexibel, wie
ist absurd. Das Gegenteil ist der Fall: Nur dadurch, dass Sie es uns zu sein vorwerfen. Aber das eine sind eben
wir helfen, effizienter zu werden, können wir diese Wind und Fotovoltaik, während das andere Kohle und
Technologien nach vorne bringen, können wir dafür sor- Kernkraft sind. Pauschal das eine für gut, das andere
gen, dass die Innovationen vorangetrieben werden. Inno- aber für schlecht zu halten, ist inhaltlich bestimmt nicht
vationen entstehen nicht, wenn die Firmen weiter ohne fundiert.
Anstrengungen mit zweistelligen Renditen rechnen kön- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
nen. Das kann im Übrigen nicht der Sinn der Förderung der CDU/CSU)
erneuerbarer Energien sein.
Sie sprechen von Rechtssicherheit und weisen darauf
(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der hin, dass wir den Menschen hier Vertrauensschutz geben
CDU/CSU) müssen. Ja, das müssen wir. Vertrauensschutz bedeutet
Ich sage Ihnen auch, warum. Es ist nicht so, dass ich aber doch nicht, dass man überfördert. Wir dürfen nicht
denen, die in diesen Bereich investieren, die Rendite überfördern, weil wir damit auch die Akzeptanz in der
nicht gönnen würde. Es ist vielmehr so, dass man fest- Bevölkerung – das ist mein zentraler Punkt – aufs Spiel
stellen muss, dass es Menschen gibt, die den erneuerba- setzen.
ren Energien kritischer gegenüberstehen als noch vor Wir müssen bei der Windkraft in Zukunft das Re-
zwei oder drei Jahren. Das kann nicht unser Ziel sein. powering verstärken.
Unser Ziel muss sein, dass die Nutzung der erneuerbaren
Energien maximal ausgebaut wird. Dies wird dann er- (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
reicht, wenn die Verbraucherinnen und Verbraucher das Sagen Sie das einmal der FDP in Nordrhein-
Gefühl haben, dass mit ihrem Geld vernünftig umgegan- Westfalen!)
2220 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 25. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. Februar 2010

Horst Meierhofer
(A) Wir müssen Kleinigkeiten verbessern und beispielsweise Die Erfolge des EEG können sich sehen lassen. Der (C)
darauf hinwirken, im Rahmen der Befeuerungspflicht Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromerzeu-
Transponder einzusetzen. Diese kleinen Verbesserungen gung beträgt heute bereits 16 Prozent. Mit den erneuer-
können zu mehr Akzeptanz in der Bevölkerung führen. baren Energien haben wir allein im Jahr 2007 – dafür lie-
gen gesicherte Zahlen vor – rund 100 Millionen Tonnen
Wir müssen dazu kommen, dass wir zum Beispiel den Treibhausgase in CO2-Äquivalenten eingespart. Anlagen
Anteil der Fotovoltaik am Gewerbesteueraufkommen und Technologien zur Erzeugung von Strom aus erneu-
genauso vor Ort verteilen können, wie es auch bei der erbaren Energien sind ein deutscher Exportschlager. Im
Windkraft der Fall ist. Diejenigen, die den Nachteil er- Bereich der erneuerbaren Energien sind auch Tausende
leiden, sollen auch die Vorteile haben. Arbeitsplätze entstanden.
(Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Insoweit sind zehn Jahre Erneuerbare-Energien-Ge-
Das haben wir schon immer verlangt!) setz in der Tat ein Anlass, diese Erfolge noch einmal
Dies muss bei der nächsten großen Novelle gesche- deutlich zu machen. Es sollte aber nicht unerwähnt blei-
hen. Das muss das EEG in Zukunft leisten. Es geht nicht ben, dass das EEG zwar seit zehn Jahren unter diesem
darum, darzustellen, was man in den letzten Jahren Tol- Namen existiert, dass allerdings die Union und die FDP
les geleistet hat, sondern darum, in der Zukunft Erfolge mit dem Stromeinspeisegesetz den gleichen Ansatz zur
zu erreichen. Förderung der erneuerbaren Energien bereits im Jahr
1990 eingeführt haben.
Auch bei der Geothermie müssen wir aktiv werden.
Ist es nicht so, dass es beispielsweise in Wiesbaden Pro- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
bleme gibt, weil die Menschen Angst haben, infolge der Meine Damen und Herren, nichts ist so gut, als dass
Nutzung von Geothermie könnten Mauern einstürzen? man es nicht noch verbessern könnte. Das trifft auch auf
Dort müssen wir aufklären. Wir müssen einen Geother- das EEG zu. Ein Erfolgskriterium für politische Steue-
mie-Atlas erarbeiten, entsprechende geologische Unter- rungsinstrumente ist sicher die Effektivität. Ein noch
suchungen durchführen und beispielsweise die Konkur- wichtigeres ist allerdings die Effizienz. Bei der Effi-
renzen mit CCS auflösen. zienz, also dem Erreichen der Ziele mit möglichst gerin-
gem finanziellen Aufwand, gibt es Defizite, die wir be-
(Ulrich Kelber [SPD]: Wollen Sie unter Wies- seitigen müssen.
baden CCS realisieren?)
Das Hauptproblem im EEG lässt sich sehr einfach
Diese Aufgabe ist von uns zu lösen. Das müssen wir in darstellen. Die Verbraucher zahlen für die Entwicklung
der Zukunft leisten. Man darf nicht versuchen, die ande- der Fotovoltaik derzeit unnötig viel Geld. Genau des-
(B) ren zu diskreditieren und zu erklären, wie toll man in der halb haben wir bereits im Koalitionsvertrag vereinbart, (D)
Vergangenheit war. Damit kommen Sie bestimmt nicht in diesem Bereich der erneuerbaren Energien kurzfristig
weiter. Dadurch wird nur die Akzeptanz verkleinert. Anpassungen der Förderung vorzunehmen. Bei dieser
Vielen Dank. Anpassung gibt es zwei zentrale Vorgaben: erstens die
Entlastung der Bürger von unnötig hoher Einspeisever-
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten gütung und zweitens die Sicherung der Entwicklungsbe-
der CDU/CSU) dingungen für die Branche. Beiden Vorgaben gleichzei-
tig zu entsprechen, ist nicht einfach. Wir sind hier aber
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: auf einem guten Weg.
Als letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt Meine Damen und Herren, allen, die sich in der Dis-
hat nun die Kollegin Marie-Luise Dött von der CDU/ kussion gern schnell auf die Seite der Anlagenhersteller
CSU-Fraktion das Wort. schlagen und meinen, mit möglichst großzügiger Vergü-
tung würde viel erreicht, will ich ganz deutlich sagen:
Marie-Luise Dött (CDU/CSU): Die hohe Förderung der Fotovoltaik in Deutschland hat
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich freue dazu geführt, dass im Jahre 2009 die Hälfte der hier in-
mich, heute als letzte Rednerin den Sack zumachen zu stallierten Module importiert war. Der Umfang der Pro-
können; denn wir sind hier, um das EEG zu würdigen. duktion von Modulen im Inland ist im gleichen Jahr
Deutlicher, als wir es im Koalitionsvertrag getan haben, kaum noch gewachsen. Die hohe Einspeisevergütung hat
kann man das EEG gar nicht würdigen. Es bleibt für uns also dazu geführt, dass die Innovationsdynamik der Her-
das Schlüsselinstrument für den erfolgreichen weiteren steller in Deutschland deutlich nachgelassen hat. Aus-
Ausbau der erneuerbaren Energien. ländische Anbieter, zum Beispiel aus China, können
wachsende Marktanteile für ihre billigeren Solarpaneele
(Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- verbuchen.
NEN]: Haben Sie das mit Herrn Fuchs schon
so abgesprochen?) Wir wollen dem Bereich erneuerbare Energien Ent-
wicklungschancen geben. Wir sind dazu bereit, die
Damit ist und bleibt es auch das Schlüsselinstrument für Marktdurchdringung zu unterstützen. Ungerechtfertigt
die Erreichung unserer zentralen Klimaziele und zum hohe Dauersubventionen – Herr Scheer, ob sie nun Sub-
Umstieg von der CO2-basierten Energieversorgung in ventionen heißen oder nicht, ist egal; Kosten für die Bür-
das Zeitalter der erneuerbaren Energien. ger sind das allemal – helfen aber niemandem.
(Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 25. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. Februar 2010 2221
Marie-Luise Dött
(A) Wer dem Bereich Fotovoltaik wirklich helfen will, keit. Das sind unsere Maßstäbe für die Energieversor- (C)
wer die notwendigen Innovationen anstoßen will, wer gung. Anhand dieser Maßstäbe wird zu entscheiden sein,
die internationale Wettbewerbsfähigkeit unserer Paneel- welcher Energieträger welche Rolle im Energiemix
hersteller sichern will, wer Arbeitsplätze in diesem Be- Deutschlands haben muss. Ich sage Ihnen schon heute:
reich erhalten und schaffen will und wer das EEG auch Es wird nur gemeinsam mit der Kohle und nur mit der
weiterhin als Steuerungsinstrument für die Entwicklung Kernenergie funktionieren.
der erneuerbaren Energien behalten will, der muss die
Meine Damen und Herren von der SPD und den Grü-
Einspeisevergütung so ausgestalten, dass eine wirt-
nen, Ihre Anträge sind weniger ein Beitrag für die Ent-
schaftliche Motivation für Effizienzsteigerungen bewirkt
wicklung der erneuerbaren Energien, Ihr wahres Ziel ist
wird, und der muss mit notwendigen Änderungen
vielmehr der Angriff auf andere Energieträger. Genau
gleichzeitig dafür sorgen, dass die Akzeptanz des EEG
deshalb lehnen wir die Anträge ab.
insgesamt und auch die Akzeptanz der erneuerbaren
Energien insgesamt bei den Verbrauchern erhalten blei- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
ben. Nur derjenige, der sich verändert und auf Entwick- neten der FDP – Hans-Josef Fell [BÜND-
lungen reagiert, wird erfolgreich bleiben. Das gilt auch NIS 90/DIE GRÜNEN]: Es gibt gute Gründe,
hinsichtlich des EEG. die Atomenergie abzulehnen!)
Nicht nur ein effizientes EEG ist eine Voraussetzung Wer einmal mehr Ideologie vor Sachverstand setzt,
für den Ausbau erneuerbarer Energien. Um die Erneuer- der vernichtet wirtschaftliches Vermögen, gefährdet den
baren wie geplant zu einer entscheidenden Säule der Wirtschaftsstandort und damit Arbeitsplätze,
Energieversorgung zu entwickeln, muss eine Integra-
(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
tion in das Stromversorgungssystem erfolgen. Versor-
Ach Gott! Kommen Sie endlich einmal weg
gungssicherheit und Preiswürdigkeit der Energiebereit-
von dem alten Denken!)
stellung für Bürger und Unternehmen bleiben dafür
Grundsätze. macht Deutschland zu einem politisch erpressbaren
Energieimporteur und gefährdet den sozialen Frieden,
Genau aufgrund dieser beiden Grundsätze ist es erfor- weil die daraus resultierenden Kostensteigerungen letzt-
derlich, dass wir den heutigen Energiemix so ent- lich durch die Bürger getragen werden müssen. Der Um-
wickeln, dass bestehende Vorteile von Energieträgern bau der Energieversorgung, die Veränderung des Energie-
wie Kohle, Kernenergie und Gas für die Integration der mix, muss ein evolutionärer Prozess sein. Genau diese
Erneuerbaren genutzt werden. Diese Vorteile sind: ver- evolutionäre Entwicklung wird durch das in Arbeit be-
gleichsweise günstige Preise, Grundlastfähigkeit und die findliche Energiekonzept der Bundesregierung erreicht.
(B) Möglichkeit zur Bereitstellung von Regelenergie. (D)
Vielen Dank.
Insoweit unterstützen wir die Entwicklung der erneu-
erbaren Energien mit unserem aktuellen Energiemix. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Diese Unterstützung der erneuerbaren Energien ist auch
bis auf Weiteres noch erforderlich, zumindest so lange, Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
bis es für die erneuerbaren Energien ein angemessenes Ich schließe die Aussprache.
Preisniveau gibt und bis durch Speichertechnologien, die
eine Speicherung in ausreichendem Umfang sicherstel- Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
len, ein dauerhaft verlässliches Stromangebot aus Erneu- den Drucksachen 17/778 und 17/799 an die in der Tages-
erbaren ermöglicht wird. Das richte ich ganz besonders ordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind
an die Adresse von Herrn Fell. Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die
Überweisung so beschlossen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt 20 auf:
NEN]: Schauen Sie sich einmal die Zahlen Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
an!) richts des Verteidigungsausschusses (12. Aus-
schuss) zu der Unterrichtung durch den Wehrbe-
Insoweit ist das Ausspielen von Kohlestrom und
auftragten
Kernenergie gegen die Erneuerbaren nicht nur sachlich
falsch, sondern auch ein durchsichtiges ideologisch mo- Jahresbericht 2008 (50. Bericht)
tiviertes Manöver, um bis auf Weiteres wichtige Energie-
träger in Deutschland zu diskreditieren. Durch den Ver- – Drucksachen 16/12200, 17/591 Nr. 1.6, 17/713 –
such, Kernenergie und Kohle gegen die erneuerbaren Berichterstattung:
Energien auszuspielen, wird der Entwicklung der erneu- Abgeordnete Anita Schäfer (Saalstadt)
erbaren Energien nicht geholfen, sondern geschadet. Karin Evers-Meyer
Man gibt den erneuerbaren Energien damit eine Rolle in Christoph Schnurr
der Energieversorgung, die bis heute noch nicht ausge- Paul Schäfer (Köln)
füllt werden kann. Man kann „leider“ dahinter sagen, Omid Nouripour
aber es funktioniert halt noch nicht.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
In unserer Verantwortung liegen Klimaschutzver- Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die
träglichkeit, Versorgungssicherheit, Preiswürdig- Redezeit des Wehrbeauftragten nicht einbezogen ist.
2222 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 25. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. Februar 2010

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms


(A) Gibt es Widerspruch dagegen? – Das ist nicht der Fall. die gesamte Bundeswehr einem Generalverdacht auszu- (C)
Dann ist das so beschlossen. setzen. Dafür besteht überhaupt kein Grund. Unsere Sol-
datinnen und Soldaten in allen Teilstreitkräften bewäh-
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem ren sich im Truppenalltag und im Einsatzland. Ich sage
Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages Reinhold das besonders vor dem Hintergrund der heutigen Debatte
Robbe. über den ISAF-Einsatz in Afghanistan. Unsere Soldaten
müssen sich auch im internationalen Vergleich nicht ver-
Reinhold Robbe, Wehrbeauftragter des Deutschen stecken. Gerade deshalb ist es wichtig, die Vorkomm-
Bundestages: nisse so schnell und gründlich wie möglich aufzuklären
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten und danach die richtigen Schlüsse daraus zu ziehen.
Damen und Herren! Bevor ich gleich zu dem eigent-
lichen Tagesordnungspunkt kommen werde, nämlich Eines gebe ich allerdings zu bedenken: Die in einer
zum Jahresbericht für das Jahr 2008, gestatten Sie mir sogenannten Zentralen Dienstvorschrift ausführlich be-
bitte einige wenige Bemerkungen zu einem aktuellen schriebenen Grundsätze der Inneren Führung dürfen
Thema, das insbesondere in dieser Woche den Verteidi- nicht nur auf dem Papier stehen. Die Soldaten müssen
gungsausschuss, aber auch die gesamte Öffentlichkeit auch danach leben und vor allen Dingen handeln. Es be-
unseres Landes beschäftigt hat. Ich meine damit die darf dringender als je zuvor der Prüfung, ob neben allen
Schilderungen eines ehemaligen Rekruten aus der Bun- sach- und funktionsbezogenen Ausbildungsgebieten
deswehr – genauer gesagt, aus dem Bundeswehrstandort noch genügend Raum für jene für das Vertrauen und den
Mittenwald – über, wie ich es bewerte, geschmacklose inneren Zustand so wichtigen Fragen bleibt, die ich unter
Rituale, die nicht nur gegen das Prinzip der Inneren Füh- folgenden Stichworten zusammenfassen möchte: Sozia-
rung verstoßen, sondern auch straf- und dienstrechtliche lisierung, fürsorgliche Dienstaufsicht, Kommunikation
Auswirkungen haben können. untereinander und Fragen der Menschenführung. Auch
in diesem Jahr deuten die Eingaben, die Erkenntnisse an-
Nach dieser Eingabe des ehemaligen Obergefreiten, lässlich der Bearbeitung und die Äußerungen in vielen
der heute gar nicht mehr in der Bundeswehr ist, der aus- Begegnungen mit unseren Soldatinnen und Soldaten auf
geschieden ist, haben sich weitere ehemalige und aktive erheblichen Handlungsbedarf in diesem Bereich hin.
Soldaten an mich gewandt. Bis zum heutigen Tage, bis
dato, liegen mir insgesamt 93 Zuschriften zu diesem Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie
Themenbereich vor. Dabei handelt es sich vorrangig um mich vor dem Hintergrund der beschränkten Zeit noch
Meinungsäußerungen und Schilderungen eigener Erleb- einige ganz wenige Aspekte meines Jahresberichtes
nisse in früheren Jahren und – zum Teil sehr weit zu- 2008 im Lichte der Stellungnahme des Verteidigungsmi-
(B) rückgehend – auch aus früheren Jahrzehnten. nisteriums näher beleuchten. (D)

Als Zwischenergebnis, meine sehr verehrten Damen Stichwort Auslandseinsätze: Das Ministerium wider-
und Herren, kann ich heute an dieser Stelle Folgendes spricht nach meiner Einschätzung in keinem wesentli-
feststellen: Die zuständigen Disziplinarvorgesetzten ha- chen Punkte den von mir beschriebenen Defiziten. Es
ben, insbesondere auf der Bataillons- und auf der Briga- fehlen jedoch beim Zulauf geschützter Fahrzeuge – ein
deebene, unmittelbar gehandelt, nachdem ich beim sehr wichtiger Punkt –, bei der Vorausbildung, insbeson-
Gebirgsjägerbataillon 233 in Mittenwald um Prüfung der dere der Fahrerausbildung sowie der Sprachausbildung,
Vorgänge gebeten hatte. Für ein Resümee oder für konkrete Zusagen in Bezug auf eine zügige Abhilfe. Da
grundsätzliche Aussagen ist es allerdings heute noch zu muss nachgebessert werden, damit gerade mit Blick auf
früh, weil diese Überprüfungen noch nicht abgeschlos- das, was im Moment an Strukturveränderungen bezüg-
sen sind. Sie gestalten sich zum Teil auch sehr schwierig, lich des Einsatzes in Afghanistan stattfindet, alles getan
insbesondere wenn die Vorfälle Jahre oder sogar Jahr- wird, was auch für den Schutz der Soldatinnen und Sol-
zehnte zurückliegen. Es wird auch nur teilweise gelin- daten absolut notwendig ist. Dies gilt insbesondere für
gen, die in den Zuschriften beschriebenen Vorkomm- meine Kritik bezüglich der Telekommunikationseinrich-
nisse ähnlicher und anderer Art ganz aufzuklären. Je tungen, die ich Jahr für Jahr in meine Berichte aufneh-
länger sie zurückliegen, desto schwieriger wird es sein, men musste. Die in Aussicht genommene Ausschrei-
Sachverhalte und beteiligte Personen zu ermitteln. bung mit dem Ziel einer Verbesserung für Soldatinnen
Mit Sorge nehme ich allerdings zur Kenntnis, dass und Soldaten kommt einfach nicht voran. Auch hier
sich die beschriebenen Rituale offensichtlich im Laufe wäre ich sehr dankbar, wenn pragmatisch entschieden
von etlichen Jahren abseits von öffentlicher Wahrneh- würde, wohin man will und wer das in Zukunft verant-
mung entwickelt haben und erst heute eher zufällig, wortlich machen soll.
durch die Zuschrift eines einzelnen Soldaten, bekannt
wurden. Äußerst bedenklich erscheint mir die Tatsache, Stichwort Führung und Ausbildung: Nach meiner
dass Vorgesetzte von den Ritualen wussten und die ge- Auffassung ist meine Kritik an Unzulänglichkeiten der
fährlichen Geschmacklosigkeiten entweder duldeten Ausstattung ebenso wie die Kritik am hohen Administra-
oder einfach darüber hinwegsahen. Beides wäre aus mei- tionsaufwand in der Stellungnahme des Ministeriums
ner Sicht zumindest inakzeptabel. nicht widerlegt. Damit die Vorgesetzten sich wirklich der
Führungsaufgabe widmen können, bedarf es einer Ana-
Trotz der beschriebenen Vorkommnisse wäre es jetzt lyse der bürokratischen Aufgaben nach Nutzen und Auf-
aber vollkommen falsch – ich betone dies ausdrücklich –, wand. Das muss ganz klar durchdekliniert werden.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 25. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. Februar 2010 2223
Wehrbeauftragter Reinhold Robbe
(A) Stichwort Auswirkungen des demografischen Wan- dige. Hier muss vernünftig zusammengewirkt werden, (C)
dels auf die Bundeswehr: Ich bin dankbar, dass das damit wir insgesamt weiterkommen.
Ministerium ausdrücklich meine Einschätzung der Be-
Ich könnte noch viel mehr sagen, auch zum Thema
deutung des demografischen Wandels und der damit ver-
Pendlerunterkünfte, und viele andere Stichpunkte nen-
bundenen weiteren Verschärfung des Wettbewerbs um
nen. Ich bitte um Nachsicht, dass das aus Zeitgründen an
qualifiziertes Personal teilt. Hierzu sind Konzepte ent-
dieser Stelle nicht möglich ist.
wickelt worden, die jetzt allerdings mit Leben erfüllt
werden müssen. Lassen Sie mich aber abschließend eines sagen: Ich
will an dieser Stelle allen Soldatinnen und Soldaten – ei-
Stichwort Vereinbarkeit von Familie und Dienst: Es nige sind heute als Zuhörer anwesend – ganz herzlich für
genügt nicht, die Bedeutung der Thematik in Absichtser- ihren schweren und, wie ich finde, auch sehr anspruchs-
klärungen verbal hervorzuheben. Das Thema ist zu vollen und gefahrvollen Dienst danken.
wichtig, als dass es nur in Konzepten und Papieren ge-
priesen werden kann. In Sachen Kinderbetreuung ist (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP
ebenso mehr zu veranlassen wie bei Teilzeit und bei Te- und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
learbeitsplätzen.
Meine guten Wünsche begleiten alle im Einsatz ver-
Stichwort Wehrpflicht: Ich denke, dass meine Aus- wundeten Soldaten. Mein ganz besonderes Mitgefühl
führungen unter dem Stichwort „Sinnvolle Dienstgestal- gehört den Familien und Kameraden der gefallenen Sol-
tung“ und die aktive Inangriffnahme des Problems Gam- daten sowie der verunglückten oder auf andere Weise
meldienst entgegen der Stellungnahme durchaus einen ums Leben gekommenen Soldaten und Bundeswehran-
hohen Stellenwert haben und bei der bevorstehenden gehörigen.
Debatte über die Verkürzung des Wehrdienstes eine noch Dank sage ich zu guter Letzt auch allen Mitgliedern
größere Bedeutung erfahren sollten. des Verteidigungsausschusses und dem Bundesminister
Stichwort Sanitätsdienst: Der Sanitätsdienst kann mit der Verteidigung, der militärischen und politischen Bun-
Fug und Recht als das, wie ich finde, größte Sorgenkind deswehrführung für das vertrauensvolle Zusammenwir-
angesehen werden, sowohl was die truppenärztliche Ver- ken. Nicht zuletzt will ich auch meinen Mitarbeiterinnen
sorgung als auch was die Bundeswehrkrankenhäuser be- und Mitarbeitern ganz herzlich für die ausgezeichnete
trifft. Erste Maßnahmen sind ergriffen, um dem Ärzte- Unterstützung danken.
mangel zu begegnen, was aber zugleich auch zu großem Ich darf mich ganz besonders beim Präsidenten dafür
Unmut bei den Sanitätsoffizieren insgesamt geführt hat. bedanken, dass er mir gestattet hat, eine Minute länger
(B) Hinsichtlich der Bundeswehrkrankenhäuser bestätigt zu reden, als ich eigentlich durfte. (D)
das Ministerium die Engpässe, die zu Einschränkungen Herzlichen Dank.
in der Leistungserbringung führen. Das Ministerium be-
stätigt auch, dass die zunehmend problematische Beset- (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP
zungslage die regionalen Sanitätseinrichtungen vor sehr und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
harte Belastungsproben stellt.
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Sehr kritisch sehe ich nach wie vor die Behandlung Das war gar nicht meine Absicht, aber ich denke, es
der PTBS-Erkrankten, also posttraumatischen Belas- ist trotzdem in Ordnung.
tungsstörungen ausgesetzten Soldaten, und hier im Be-
sonderen die Umsetzung der Forderung des Bundestages Das Wort hat nun Kollegin Anita Schäfer für die
nach Schaffung eines Traumazentrums, das seinen Na- CDU/CSU-Fraktion.
men wirklich verdient. Zu nennen sind hier zudem die (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
personellen Vakanzen bei den Fachärzten für Psychia-
trie, die nach meiner Einschätzung nicht durch die Zu-
sammenarbeit mit zivilen Behandlungseinrichtungen Anita Schäfer (Saalstadt) (CDU/CSU):
ausreichend kompensiert werden können. Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kollegen! Sehr
geehrter Herr Wehrbeauftragter! Meldungen über Vor-
Lassen Sie mich ganz aktuell dazu sagen, ohne dass kommnisse wie in Mittenwald verdecken in der öffent-
ich öffentlich Geheimnisse preisgebe, dass sich der Ver- lichen Wahrnehmung leider etwas den Blick auf die
teidigungsausschuss in seiner jüngsten Sitzung sehr aus- wichtige Alltagsarbeit des Wehrbeauftragten, obwohl
führlich mit der optimalen Versorgung der PTBS-er- letztere viel mehr Soldaten betrifft. Auch 2008 machten
krankten Soldaten beschäftigt hat. Nach meiner Probleme des dienstlichen Umgangs und Personalange-
unmaßgeblichen Einschätzung sind wir hier auf einem legenheiten erneut einen großen Teil der Eingaben aus,
guten Weg. Ich darf mich ganz herzlich für die diesbe- ohne dass die Einzelfälle ein großes mediales Echo er-
zügliche Unterstützung bedanken. fuhren. Dies hat sich über die bisher 50 Berichte hinweg
wenig geändert.
Letztes Stichwort Infrastruktur: Es sind zweifellos
Fortschritte bei der Sanierung gemacht worden, aber Es geht in diesen Berichten daher zumeist um Dinge,
– das bestätigt auch das Ministerium – die Verfahrensab- die nicht primär materieller Natur sind. Die Klagen über
läufe, namentlich die personellen Knappheiten bei den die materielle Ausstattung der Truppe fallen nach mei-
Landesbaubehörden, verhindern das wirklich Notwen- nem Eindruck gerade in den letzten Jahresberichten ge-
2224 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 25. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. Februar 2010

Anita Schäfer (Saalstadt)


(A) ringer aus. Es lassen sich also durchaus positive Trends Auf der Strukturseite streben wir eine Zentralisierung (C)
ablesen. Teilweise haben hier bereits die in der letzten der Führung der Bundeswehrkrankenhäuser an. Vorhan-
Legislaturperiode eingeleiteten Maßnahmen gegriffen. dene Ressourcen müssen effektiv genutzt werden. Das
Es besteht aber noch kein Anlass, sich zurückzulehnen. betrifft übrigens nicht nur den Sanitätsdienst. Wir müs-
sen einmal überprüfen, wie sich die Balance zwischen
Beispielsweise ist der Mangel an geschützten Fahr- Kopf und Gliedern in der gesamten Bundeswehr in den
zeugen in Afghanistan geringer geworden. Derzeit sind letzten zehn oder zwölf Jahren entwickelt hat. Deswegen
dort fast 1 000 geschützte Fahrzeuge im Einsatz. Wenn wollen wir schnellstmöglich die im Koalitionsvertrag
wir jetzt aber die neue Afghanistan-Strategie der Bun- vereinbarte Strukturkommission einsetzen, damit bereits
desregierung umsetzen, wenn mehr Soldaten häufiger bis Ende dieses Jahres Eckpunkte einer neuen Organisa-
außerhalb der Feldlager eingesetzt werden, dann muss tionsstruktur vorliegen. Wir erwarten mit Interesse die
auch die Ausstattung daran angepasst werden. Wir von Empfehlungen, die die Kommission hierzu aussprechen
der Koalition werden die notwendigen Maßnahmen wei- wird.
terführen und vollständig umsetzen, sowohl in den ent-
sprechenden Ausschüssen als auch – da bin ich mir ganz Der Wehrbeauftragte hat eben auf die erneute Steige-
sicher – in den Ministerien. Allein in diesem Jahr wer- rung der Zahl der Fälle von Posttraumatischer Belas-
den rund 180 neue geschützte Fahrzeuge zulaufen, na- tungsstörung wie auch von anderen einsatzbedingten
türlich auch, um Ausfälle zu ersetzen. psychischen Erkrankungen hingewiesen. Im Jahr 2009
hat sich die Zahl der Fälle von PTBS – Posttraumatischer
Es nützt übrigens nichts, wenn Löcher gestopft wer- Belastungsstörung – gegenüber dem Berichtsjahr 2008
den und sich dadurch das nächste auftut. Ein Beispiel nochmals erhöht, von 226 auf 418. Dies ist natürlich
dafür sind die im Bericht monierten Defizite bei den zum Teil auf den sensibleren Umgang mit der Problema-
Übungen mit Handwaffen. Mittlerweile ist gerade die tik in der Truppe zurückzuführen, aber auch auf die bes-
Schießausbildung den Einsatzerfordernissen angepasst sere Aufklärung der Soldaten und ihre erhöhte Behand-
worden. Das heißt dann allerdings auch, dass man für lungsbereitschaft.
ausreichend Munition sorgen muss. Ich bin sicher, dass
die Bundesregierung unserem gerade beschlossenen An- Die Bedeutung von angemessenen Möglichkeiten der
trag nachkommen wird, eine angemessene Bevorratung Diagnose und Behandlung wurde erkannt. Allerdings
mit Munition und anderen Verbrauchsgütern sicherzu- befinden sich die entsprechenden Kapazitäten noch im
stellen. Aufwuchs, sowohl innerhalb der Bundeswehr als auch
im Rahmen des Psychosozialen Netzwerkes. Wir brau-
Das vielleicht am eindringlichsten beschriebene Pro- chen insbesondere eine Institution, in der die Kompetenz
blemfeld im Jahresbericht 2008 betrifft den Sanitäts- zur Behandlung von PTBS auf nationaler Ebene gebün- (D)
(B) dienst. Die dortige schwierige Situation haben bereits
delt wird. Die Einrichtung eines solchen Traumazen-
die vorhergehenden Berichte immer wieder hervorgeho- trums hat für die Koalition höchste Priorität. Auch dafür
ben. Dabei geht es einerseits um die Personallage und muss es natürlich die notwendigen Mittel geben. Ich be-
andererseits um die strukturellen Bedingungen dieser grüße es ausdrücklich, dass wir alle gemeinsam am Mitt-
Truppengattung, die mit am stärksten durch Einsätze be- woch im Verteidigungsausschuss dieses Vorhaben frak-
lastet ist. Beide Bereiche sind natürlich miteinander ver- tionsübergreifend unterstützt haben. Herzlichen Dank
bunden. Ziel muss sein, den Sanitätsdienst attraktiver dafür.
und zugleich effektiver zu gestalten.
(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
neten der FDP)
Demnächst schon steht die Veröffentlichung des Be-
Es freut mich, dass diese Aufgabe mittlerweile zielge- richts für 2009 an. Ich sehe ihm mit Interesse, aber auch
richtet angegangen wurde. Wir haben bereits einige mit etwas größerer Sorge als sonst entgegen. Dabei
Maßnahmen eingeleitet. Dazu gehören die Verstärkung denke ich besonders an einen Punkt, den ich schon in der
der Personalwerbung, die Aufstockung der Zahl der Me- ersten Beratung hervorgehoben habe, nämlich den
dizinstudienplätze für die Bundeswehr, eine bessere kli- Wunsch der Soldaten nach mehr Ansehen und Unterstüt-
nische Ausbildung durch ein Tutoren- und Mentorensys- zung in der Gesellschaft.
tem, die frühere Weiterbildung zum Facharzt und eine
größere Flexibilität bei der Stellenbesetzung, wenn El- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
ternzeit in Anspruch genommen wird. Diese größere neten der FDP)
Flexibilität gilt ebenso für die Gewinnung von Zeitar-
beitspersonal und künftig auch für die Teilzeitbeschäfti- Nicht, dass an der Bundeswehr und ihren Soldaten keine
gung. Kritik geübt werden dürfte – das will keiner; damit be-
schäftigen schließlich auch wir uns jedes Mal, wenn wir
Wichtig ist zudem die Verbesserung der materiellen den Bericht des Wehrbeauftragten behandeln –, aber
Attraktivität im Vergleich zum zivilen Arbeitsmarkt. Die bitte auf der Grundlage von Fakten und nicht wegen der
monatliche Stellenzulage von 600 Euro für Fach- und Auflage oder aus politischem Kalkül. Bei vielen Solda-
Rettungsmediziner konnte da nur erste Hilfe sein. Wir ten entsteht aber genau dieser Eindruck. Das ist mir in
wollen eine dauerhafte Besserstellung bei den Einkünf- Gesprächen in der letzten Zeit immer wieder deutlich ge-
ten, auch für Bereitschaftsdienste und Privatbehandlun- worden. Das kann für die Stimmung in der Truppe nicht
gen. gut sein. Deswegen hoffe ich, dass sich der öffentliche
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 25. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. Februar 2010 2225
Anita Schäfer (Saalstadt)
(A) Umgang mit den Leistungen unserer Soldaten im Einsatz Als Auftraggeber der Bundeswehr macht sich nie- (C)
zum Positiven entwickelt. mand von uns die Entscheidung über die gefährlichen
und anspruchsvollen Einsätze der Bundeswehr im Aus-
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- land leicht. Umso mehr müssen uns auch die im Jahres-
neten der FDP) bericht 2008 geäußerten Beschwerden aus der Truppe
Ich wünsche mir, dass der Bericht des Wehrbeauftragten bedenklich stimmen; denn diese Beschwerden beziehen
für das nächste Jahr dieses feststellen kann und dass die sich zu einem großen Teil auf Defizite bei der Planung
Soldaten mit der Wertschätzung zufrieden sind, die sie und Durchführung der Einsätze. Im Bericht findet man
dann erfahren. Das wäre eine wirklich gute Nachricht. zahlreiche Darstellungen von Soldatinnen und Soldaten,
die monieren, dass sie zu spät oder nur unzureichend
Vielen Dank. über ihre anstehenden Auslandseinsätze informiert wor-
den sind. Man liest dort auch von kurios anmutenden
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Anordnungen im Einsatz selbst wie dem „Obergrenzen-
neten der FDP) urlaub“ beim ISAF-Kontingent. Soldatinnen und Solda-
ten haben einen Anspruch darauf, planbar und verläss-
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: lich über ihre Einsatzverwendung informiert und
Das Wort hat nun Karin Evers-Meyer für die SPD- während der Einsätze gut betreut zu werden. Es ist gut,
Fraktion. dass der Wehrbeauftragte dieses berechtigte Anliegen in
seinen Bericht aufnimmt. Wir fordern das Verteidigungs-
ministerium nachdrücklich auf, diese oftmals vermeid-
Karin Evers-Meyer (SPD): baren Missstände bei Einsätzen im Ausland abzustellen.
Herr Präsident! Herr Wehrbeauftragter! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Die Bundeswehr hat sich Die Betreuung darf am Ende des Einsatzes natürlich
zu einer Einsatzarmee entwickelt, und diese Entwick- nicht aufhören. Ich glaube, dass Deutschland – ich weiß
lung spiegelt sich im 50. Jahresbericht des Wehrbeauf- das auch aus meiner Arbeit in der letzten Legislatur-
tragten wider. Ich danke Reinhold Robbe, dass er mit periode – nach wie vor nicht ausreichend auf die Versor-
großer Sorgfalt und sehr anschaulich dargestellt hat, vor gung von vor allem psychisch verletzten Soldatinnen
welchen Herausforderungen die Truppe derzeit steht. und Soldaten eingerichtet ist, deren Zahl spürbar gestie-
Das Jahr 2008, auf das sich dieser Bericht bezieht, war gen ist. Der Wehrbeauftragte bemängelt in seinem Be-
für die Bundeswehr von drei großen Herausforderungen richt, dass es immer noch viel zu wenige Anlaufstellen
geprägt. Da ist zum einen die Transformation der Streit- für die Betroffenen gibt. Damit das ganz klar ist: Wir
kräfte im Inland, die nach wie vor viel Einsatz und Fin- werden es nicht zulassen, dass hier irgendetwas wegge-
(B) gerspitzengefühl erfordert. Zum anderen steigen die An- deckelt oder gar stigmatisiert wird, was vielleicht nicht (D)
forderungen an die Bundeswehr als Arbeitgeber. Mehr zum Bild des unverletzlichen Soldaten passt. Die Bun-
und mehr sieht sich die Bundeswehr gefordert, als at- deswehr benötigt mehr Fachpersonal, um psychische Er-
traktiver Arbeitgeber um geeignetes Personal zu werben. krankungen besser behandeln zu können. Darüber hi-
Schließlich, drittens, war 2008 ein Berichtsjahr, in dem naus muss in der Truppe offensiv über psychische
die Zahl und die Intensität der Auslandseinsätze noch- Störungen infolge von Einsätzen aufgeklärt werden. Das
mals ausgeweitet wurden. erwarte ich von einer Armee, die transparent sein will
und sich dem Leitbild der Inneren Führung verpflichtet
Insgesamt waren es 6 600 Soldatinnen und Soldaten, sieht.
die der Bundestag 2008 in Auslandseinsätze entsandt
hat. Dazu zählten neben den großen Kontingenten wie Noch ein Wort zur Transformation und zur Attraktivi-
dem ISAF-Einsatz in Afghanistan mit rund 4 500 Sol- tät der Bundeswehr. Die Transformation der Bundes-
datinnen und Soldaten auch kleinere Missionen, die wir wehr war im Berichtsjahr Anlass zu vielen Beschwer-
manchmal ein wenig aus unserem Bewusstsein verdrän- den. Bemängelt wurde eine deutlich schlechtere
gen, etwa im Kosovo oder in Bosnien-Herzegowina. Es Betreuung von Soldatinnen und Soldaten, vor allem bei
gab 2008 noch ein Novum, als sich die Bundeswehr im der sanitätsdienstlichen Versorgung in den Heimatstand-
Rahmen von „Atalanta“ mit bis zu 1 400 Soldatinnen orten. Hinzu kommen für viele Beschäftigte der Bundes-
und Soldaten an einer rein EU-geführten Operation be- wehr Unannehmlichkeiten wie sehr lange Anfahrtswege
teiligte. aufgrund heimatferner Verwendung und eine unzurei-
chende Infrastruktur. Was ich da gesehen habe, möchte
Wenn man die Truppe im Einsatz besucht, so wie es keiner von uns erleben. Wer in seinem Wahlkreis Kaser-
auch der Wehrbeauftragte regelmäßig macht, dann lernt nen hat und diese kennt, der kann sicherlich in diesem
man die große Einsatzbereitschaft der Soldatinnen und Punkt nicht widersprechen. Gerade viele westdeutsche
Soldaten kennen. Man spürt aber auch den Druck und Kasernen entsprechen nicht mehr dem heutigen Stan-
die ständige Anspannung, denen diese Frauen und Män- dard.
ner tagtäglich ausgesetzt sind. Wir, die Mitglieder des
Deutschen Bundestages, können auf die Arbeit unserer Das verstärkt die Frustration bei vielen Soldatinnen
Parlamentsarmee stolz sein. Das sollten wir auch in der und Soldaten, die sich dadurch von ihrem Dienstherrn
Öffentlichkeit noch deutlicher machen. nicht ausreichend gewürdigt sehen. Das wirkt natürlich
auch demotivierend auf Soldatinnen und Soldaten und
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- hat eine unmittelbare Wirkung nach außen. Wer glaubt,
neten der SPD und der FDP) dass unter solchen Bedingungen dringend benötigte
2226 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 25. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. Februar 2010

Karin Evers-Meyer
(A) Fachkräfte für die Bundeswehr gewonnen werden kön- teresse am Amt des Wehrbeauftragten ist groß. Wenn (C)
nen, irrt ganz gewaltig. selbst ausländische Delegationen Ihnen einen Besuch
abstatten, ist das ein Zeichen für die Wertschätzung die-
Zur Attraktivität. Die Bundeswehr steht im Wettbe-
ses Amtes und sicherlich auch Ihrer Person. In diesem
werb um gutes und motiviertes Personal. Der demografi-
Interesse spiegelt sich auch die Qualität wider. National
sche Wandel – das wissen wir alle – wird diese Situation
wird der Dank durch die Soldaten bekundet, deren Ein-
verschärfen. Deswegen ist es für die Einsatzfähigkeit der
gaben sich Herr Robbe in den letzten knapp fünf Jahren
Armee essenziell, als attraktiver und verlässlicher Ar-
verpflichtet hat. Soldatinnen und Soldaten der Bundes-
beitgeber wahrgenommen zu werden. Zu Recht weist
wehr im In- und im Ausland fanden stets ein offenes
der Wehrbeauftragte in seinem Bericht für das Jahr 2008
Ohr. Ihnen, Herr Robbe, und Ihren Mitarbeitern sei an
auf einige besonders problematische Punkte hin. Ich
dieser Stelle seitens der FDP-Fraktion noch einmal aus-
greife hier nur die Gestaltung der Wehrpflicht heraus.
drücklich Dank ausgesprochen.
Dem Bericht können wir entnehmen, dass der Wehr-
dienst von vielen jungen Männern immer noch als sinn- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
los und langweilig empfunden wird. Natürlich soll die der CDU/CSU)
Wehrdienstzeit nicht ein ständiges Abenteuer bieten. Die
Sie haben dafür gesorgt, dass der Bundestag der Für-
Bundeswehr muss sich aber mehr als bisher bemühen,
sorgepflicht gegenüber seinen Soldatinnen und Soldaten
diesen Pflichteinsatz junger Menschen so zu gestalten,
besser nachkommen kann. In einigen Tagen werden Sie
dass die Zeit bei der Armee nicht als Verschwendung,
den 51. Bericht vorlegen. Er wird in diesem Hause, im
sondern als Bereicherung der persönlichen Laufbahn
Bundesministerium der Verteidigung, aber auch in der
empfunden wird. Das ist der Weg, um motiviertes Perso-
breiten Öffentlichkeit bereits mit Spannung erwartet. Ich
nal zu gewinnen.
gehe davon aus, dass einige Punkte im 51. Bericht be-
Um dieses Personal zu halten, darf natürlich später reits bekannte Probleme sind. Gerade diese Mängel müs-
nicht nachgelassen werden. Es ist besorgniserregend, zu sen mit besonderem Engagement abgestellt werden. Ich
lesen, dass allein 2008 rund 100 Ärzte die Bundeswehr bin mir sehr sicher, dass das Ministerium unter Minister
verlassen haben. Gut qualifizierte Mediziner werden zu Guttenberg alles in seiner Macht Stehende tun wird,
zurzeit überall in der Republik dringend gesucht und ent- um die Situation in den Streitkräften zum Wohle der Sol-
sprechend gut bezahlt. Wenn die Bundeswehr schon bei datinnen und Soldaten zu verbessern.
der Bezahlung nicht mithalten kann, dann dürfen aber
nicht noch mangelnde Planungssicherheit und geringe (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
persönliche Entwicklungsmöglichkeiten hinzukommen. der CDU/CSU)
Wehrdienst und Sanitätsdienst, das sind nur zwei Bei- Doch auch wir, sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen,
(B) spiele für das, was auf die Bundeswehr und natürlich (D)
sind aufgerufen, uns als Parlamentarier mit all unserer
auch auf die Politik zukommt. Die Bundeswehr muss Kraft für die Soldaten einzusetzen; denn sie sind es, die
sich dem Wettbewerb ums Personal stellen. Erfolg wird von uns, dem Parlament, den Auftrag erhalten, die Si-
sie nur haben, wenn sie ein attraktiver und vor allen Din- cherheit Deutschlands zu gewährleisten.
gen verlässlicher Arbeitgeber sein will.
Ein Thema zieht sich durch den Bericht wie ein roter
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich danke Faden: Die Berufsunzufriedenheit innerhalb der Truppe
dem Wehrbeauftragten Reinhold Robbe und seinem ist zu hoch. In persönlichen Gesprächen mit unseren Sol-
Team noch einmal sehr herzlich für seinen Bericht und daten musste ich in erschreckender Weise feststellen,
die gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit mit dem dass viele – meiner Einschätzung nach zu viele – Solda-
Parlament. Wir akzeptieren, dass Sie für das Verteidi- ten ihren eigenen Kindern davon abraten würden, zur
gungsministerium und natürlich auch für uns Parlamen- Bundeswehr zu gehen. In diesem Zusammenhang ver-
tarier ein ums andere Mal ein unbequemer Mahner sind. weise ich auf die Mitgliederbefragung des Deutschen
Deshalb sind Sie in der Truppe ein zu Recht sehr respek- Bundeswehr-Verbandes zur Berufszufriedenheit. Insbe-
tierter Ansprechpartner, auf dessen gewissenhafte Arbeit sondere die Gruppe der Ärzte und Piloten wird uns in
sich die Soldatinnen und Soldaten verlassen können. Zukunft beschäftigen. Auch wenn das Ministerium be-
Vielen Dank. reits den Handlungsbedarf erkannt hat und erste Verbes-
serungsmaßnahmen eingeleitet wurden, bedarf es weite-
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem rer Anstrengungen.
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab-
geordneten der FDP) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU)
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Die Bundeswehr muss als attraktiver Arbeitgeber
Das Wort hat nun Christoph Schnurr für die FDP- wahrgenommen werden. Das Beförderungs- und Besol-
Fraktion. dungssystem bedarf einer Überprüfung. Die Vereinbar-
keit von Beruf und Familie muss vorangetrieben werden.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP) Hierbei sind insbesondere weitere Kinderbetreuungs-
möglichkeiten zu schaffen, und die Versetzungshäufig-
Christoph Schnurr (FDP): keiten sind zu reduzieren. Zudem müssen sich Arbeits-
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und und Unterkunftsbedingungen in den Kasernen weiter
Kollegen! Lieber Herr Wehrbeauftragter Robbe! Das In- verbessern. Ich bin mir sicher, dass wir auch das in Zu-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 25. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. Februar 2010 2227
Christoph Schnurr
(A) kunft vorantreiben werden. Die ersten Anträge dazu sind mir notwendig, in aller Kürze zwei Dinge herauszustel- (C)
schon verfasst worden. len:
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich über den Erstens. In unserer vom Leitbild der Inneren Führung
Bereich der Ausrüstung sprechen. Mit großer Erleichte- geprägten Bundeswehr haben entwürdigende Rituale
rung habe ich festgestellt, dass unseren Soldaten im Ein- und Mutproben keinen Platz. Diese Vorfälle müssen na-
satz endlich einheitlich eine überarbeitete Sanitätsaus- türlich aufgeklärt werden, und es muss alles daran ge-
stattung zugeführt wurde. Diese wird den Umständen setzt werden, solche künftig zu vermeiden.
gerecht und ist auf einem hohen Stand der Entwicklung. (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und dem
Genauso verhält es sich mit der Einführung neuer Ein- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab-
satzfahrzeuge. Die Bundeswehr braucht und verdient die geordneten der SPD)
beste Ausrüstung, um unserem Auftrag gerecht zu wer-
den. Zweitens. Die Vorkommnisse in Mittenwald sind be-
dauerlich. Aber an dieser Stelle muss auch zur Sprache
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten gebracht werden, dass diese Vorfälle nicht repräsentativ
der CDU/CSU) für die gesamte Bundeswehr sind und nicht den Alltag in
Es müssen aber auch nicht immer Millionen Euro in- den Streitkräften widerspiegeln.
vestiert werden, um die Zufriedenheit innerhalb der Werte Kolleginnen und Kollegen, ich bedanke mich
Truppe zu steigern. Oft, meine sehr geehrten Kollegin- für Ihre Aufmerksamkeit, bedanke mich bei allen akti-
nen und Kollegen, reicht eine ehrliche Beurteilung der ven Soldatinnen und Soldaten sowie den Angehörigen
Lage. Außenminister Guido Westerwelle hat mit seiner der Reserve für ihren Dienst und bitte um Annahme der
Einschätzung, dass es sich in Afghanistan um einen Beschlussempfehlung.
nichtinternationalen bewaffneten Konflikt handelt, das
richtige Zeichen gesetzt. Hierfür bedanke ich mich bei Vielen Dank.
der Bundesregierung ausdrücklich. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Es geht also auch um Kommunikation. Kommunikation
Kollege Schnurr, dies war Ihre erste Rede im Deut-
ist das, was ankommt. Die Ziele müssen von der Regie-
schen Bundestag. Herzliche Gratulation und alle guten
rung über das Ministerium bis hin zu jedem einzelnen
Wünsche!
Soldaten so dargestellt werden, dass sie nachvollziehbar
sind. Selbiges gilt selbstverständlich auch für unsere (Beifall)
(B) Bürgerinnen und Bürger. (D)
Das Wort hat nun Omid Nouripour für die Fraktion
Meine Damen und Herren, unsere Fürsorgepflicht gilt Bündnis 90/Die Grünen.
unseren Soldaten nicht nur vor und während der Aus-
landseinsätze, sondern auch danach. Die gestiegene An- Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
zahl von traumatisierten Soldaten macht die Notwendig- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Erlauben
keit zur Errichtung eines Traumazentrums deutlich. Es Sie mir zuallererst, nicht nur den Soldatinnen und Solda-
ist ausdrücklich zu begrüßen und sehr erfreulich, dass ten, sondern in dieser aktuellen Debatte gerade Ihnen,
dieses Vorhaben auf parteiübergreifende Zustimmung in Herr Wehrbeauftragter, und Ihren Mitarbeiterinnen und
diesem Hause trifft. Dies dient der Sache und ist ein Zei- Mitarbeitern für die gründliche und umfassende Arbeit
chen in die Truppe hinein, aber sicherlich auch ein Zei- zu danken, die Sie auch in diesem Jahr geleistet haben.
chen Richtung Bundesregierung. Wir bitten Sie, dies Herr Robbe, mit dem Bericht, den Sie vorgelegt haben,
auch entsprechend umzusetzen. und mit der Qualität und Tiefe Ihrer Arbeit erfüllen Sie
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) von Jahr zu Jahr immer wieder den Begriff der Parla-
mentsarmee mit Leben. Dafür einen herzlichen Dank.
Ein klares Signal stellt auch der heute mit großer
Mehrheit gefasste Beschluss zum ISAF-Mandat dar. Der Ich teile deshalb die weitsichtige und, wie ich finde,
Einsatz in Afghanistan steht im Fokus der Öffentlich- auch weise Einschätzung des Kollegen Polenz, CDU/
keit. Dabei dürfen wir jedoch nicht vergessen, dass un- CSU, dass Sie, Herr Robbe, eine weitere Amtszeit ver-
sere Soldaten auch auf dem Balkan, am Horn von Afrika dient haben, und zwar nicht nur, weil Sie dieses Amt so
und anderswo ihren Dienst verrichten. Diese Einsätze gut ausfüllen, sondern auch aufgrund Ihrer Persönlich-
sind genauso wichtig und ebenso von uns, dem Bundes- keit. Es gibt keinen Zweifel daran, dass Sie in diesem
tag, verabschiedet worden. Auch die dort eingesetzten Hause über Lagergrenzen hinweg großen Respekt genie-
Soldaten benötigen unsere Unterstützung, die breite Zu- ßen. Es gibt aus meiner Sicht keinen Grund, warum Sie
stimmung im Parlament und auch in der Bevölkerung. diese Arbeit beenden sollten. Deshalb möchte ich an die
Kolleginnen und Kollegen der FDP appellieren, gerade
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) in diesen für die Bundeswehr so unruhigen Zeiten auf
Kontinuität und Kompetenz zu setzen und nicht auf ein
Herr Präsident, ich komme zum Ende, möchte jedoch
Parteibuch.
an dieser Stelle noch etwas zu einem Punkt sagen, der
bereits angesprochen worden ist. Angesichts der Diskus- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
sionen in den vergangenen Tagen und Wochen scheint es und bei der SPD)
2228 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 25. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. Februar 2010

Omid Nouripour
(A) Verehrter Herr Robbe, Sie haben es in der Vergangen- die Dienstaufsicht so wichtig. Genau deswegen ist es (C)
heit immer wieder geschafft, Probleme anzureißen, und wichtig, dass Kommandeure gewährleisten können, dass
zwar auf eine Art und Weise, dass auch über Lösungen jede einzelne Soldatin, jeder einzelne Soldat vor solchen
nachgedacht worden ist. Ich will in diesem Zusammen- Ausuferungen, wie wir sie kennen, geschützt wird. Vor
hang auch eine Anregung geben. Es macht vielleicht allem muss es innerhalb der Verbände Räume geben – es
Sinn, weil sich die Gesellschaft und auch die Bundes- muss nicht so weit kommen, dass man sich an den Wehr-
wehr so verändert haben, darüber nachzudenken, ob man beauftragten wendet –, in denen man sich mit einem sol-
nicht in den Bericht ein Unterkapitel zu dem Thema chem Fehlverhalten auseinandersetzen kann. Wir dürfen
„Mitglieder der Truppe mit Migrationshintergrund“ auf- nicht vergessen: Die Bundeswehr ist ein Spiegelbild un-
nimmt. Hier könnte man die Probleme aufzeigen, die das serer Gesellschaft. Aber ein ausgebildeter Infanterist hat
mit sich bringt, und auch die Probleme, mit denen sie natürlich einen anderen Aktionsradius. Er stellt bei Fehl-
während ihrer Dienstzeit konfrontiert werden. Es wäre verhalten eine ganz andere Gefahr dar als ein Zivilist.
möglicherweise eine Bereicherung für Ihren Bericht und Das ist im Übrigen auch der Grund, warum die Gesell-
eine Vertiefung der Erkenntnisse. schaft so sensibel auf dieses Thema reagiert.
Es gibt eine Reihe von Stichpunkten, zu denen Sie Es sind strukturelle Herausforderungen, mit denen
eine Debatte angestoßen haben, zum Beispiel zum wir uns als Parlament auseinandersetzen müssen. Dafür
Thema Familie und Beruf. Es ist schon viel passiert, haben Sie sehr viele herausragende Anregungen gege-
auch wenn man festhalten muss, dass wir noch lange ben, Herr Beauftragter. Möge das so weitergehen. Denn
nicht am Ende der Fahnenstange sind. Auch die Behe- ein Staatsbürger in Uniform ist ein Staatsbürger mit
bung der Mängel bei der Ausrüstung beim IdZ ist Ihr Pflichten, mit Rechten, aber auch mit Würde.
Verdienst.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Natürlich müssen wir auch über das Thema Fahr-
zeuge sprechen. Herr Staatssekretär, in diesem Zusam- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
menhang würde mich interessieren, wie Sie es – wenn es sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und
wirklich so kommt, wie wir alle befürchten – der Truppe der SPD)
erklären wollen, dass bei der Ausbildung Dingos, vor al-
lem Dingos II, fehlen, während gleichzeitig in einem Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Haushalt, der nicht größer wird, für einen A400M Mil-
liarden ausgegeben werden können. Ich bin gespannt, Das Wort hat nun der Parlamentarische Staatssekretär
wie Sie dieses Problem aus dem Weg räumen wollen. Thomas Kossendey.

(B) Stichwort Innere Führung – damit befinden wir uns in (D)


Thomas Kossendey, Parl. Staatssekretär beim Bun-
der aktuellen Debatte –: Ich will unterstreichen, wenn
desminister der Verteidigung:
wir uns die Vorfälle vor Augen führen, dann muss klar
sein, dass wir uns nicht mit dem Zustand der gesamten Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der
Bundeswehr befassen. Davon kann keine Rede sein. Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages hat dem
Aber gerade wenn wir wollen, dass nicht über die ge- Parlament am 26. März 2009 seinen Jahresbericht 2008
samte Truppe öffentlich der Stab gebrochen wird, müs- – über ihn sprechen wir heute – vorgelegt. Sie haben alle
sen wir jeden Einzelfall konsequent verfolgen und ihm übereinstimmend festgestellt, dass es sich dabei um ei-
nachgehen. nen Mängelbericht und nicht um einen Zustandsbericht
der Bundeswehr handelt. Er zeigt individuelles Fehlver-
Rituale gibt es nicht nur in der Bundeswehr, sondern halten bei Vorgesetzten auf, und er zeigt auch andere De-
auch im zivilen Leben. Einführungsrituale gibt es auch fizite bei der Bundeswehr auf.
außerhalb der Truppe, das ist keine Frage. Und natürlich
ist die Bundeswehr ein Spiegel der Gesellschaft. Des- Lieber Reinhold Robbe, wir danken für diesen Be-
halb sind die Forderungen, man müsse der gesamten richt. Sie haben durch die Wahrnehmung Ihrer Aufgaben
Truppe den Alkoholgenuss verbieten, Quatsch. Das nach § 1 des Wehrbeauftragtengesetzes als Hilfsorgan
macht überhaupt keinen Sinn. Wenn man aber diese Vor- des Deutschen Bundestages uns bei der Ausübung der
fälle ernst nehmen will, dann hilft es auch nicht, wenn parlamentarischen Kontrolle der Bundeswehr erneut ei-
Herr Kollege van Essen darauf hinweist, das seien halt nen guten Dienst erwiesen. Der von Ihnen vorgelegte
alte militärische Traditionen. Das ist nicht die Art und Bericht ist für unsere Arbeit – die Arbeit des Parlamen-
Weise, wie man mit diesen Vorfällen umgehen sollte. Ich tes, aber auch des Ministeriums – wertvoll.
will im Übrigen darauf hinweisen, dass alte militärische
Lassen Sie mich eines sagen: Ihre Erkenntnisse de-
Rituale nicht immer nur positive Assoziationen in unse-
cken sich im Wesentlichen mit dem vielschichtigen Bild,
rer Gesellschaft hervorrufen. Keine Frage: Es gibt Berei-
das die Leitung des Bundesministeriums von der Bun-
che, bei deren Bewertung es um Geschmacksfragen
deswehr hat. Trotz der unbestreitbar vorhandenen Män-
geht. Aber wenn ein Exalkoholiker dazu genötigt wird,
gel möchte ich aber festhalten, dass unsere Bundeswehr
Alkohol zu trinken, dann ist das keine Geschmacklosig-
in der Lage ist, die Aufträge, die ihr die Regierung und
keit, sondern Körperverletzung. Damit muss man ent-
das Parlament geben, voll und ganz zu erfüllen. Das ist
sprechend umgehen.
das Verdienst all der Frauen und Männer, die in der Bun-
Unsere Bundeswehr ist eine besondere Institution. Sie deswehr ihren Dienst tun. Dafür sollten wir ihnen Dank
ist inhärent hierarchisch aufgebaut. Genau deswegen ist und Anerkennung zollen.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 25. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. Februar 2010 2229
Parl. Staatssekretär Thomas Kossendey
(A) Der Jahresbericht des Wehrbeauftragten ist, glaube Ich habe volles Vertrauen in die Vorgesetzten und in die (C)
ich, aber auch Anlass, um – über die Einzelereignisse hi- Kommandeure vor Ort. Sie werden das aufklären, und
naus – Ursachen, Anlässe und Tendenzen zu betrachten sie werden das abstellen.
und zu bewerten und daraus gegebenenfalls Konsequen-
zen zu ziehen. In einem relativ hohen Anteil der Einga- Wir dürfen aber auch nicht vergessen – das ist ange-
ben wird Kritik an der geltenden Rechts- und Verord- sprochen worden –, dass die Bundeswehr ein Teil unse-
nungslage geübt und nicht etwa an der mangelnden rer Gesellschaft ist. Unsere Wehrpflichtigen und unsere
Einhaltung der Prinzipien der Inneren Führung oder ei- Zeitsoldaten werden in dieser Gesellschaft sozialisiert.
ner mangelnden Beachtung der Grundrechte durch mili- Sie kommen mit vielfältigen Erfahrungen zu uns. Des-
tärische Vorgesetzte. Mich stimmt bedenklich, dass sich halb ist die Bundeswehr von gesellschaftlichen Entwick-
nicht mehr alle Soldatinnen und Soldaten bei Problemen lungen natürlich nicht ausgenommen. Dazu gehören die
oder Missständen an ihre eigenen Vorgesetzten wenden, Fernsehshows, die wir jeden Tag sehen dürfen und die
um durch Meldung oder Wehrbeschwerde eine Ände- Geschmacklosigkeiten geradezu salonfähig machen,
rung zu erreichen. aber auch ein bisweilen unter Jugendlichen exzessiver
Alkoholkonsum, über den im Fernsehen manchmal in
(Beifall bei der CDU/CSU – Omid Nouripour ekelerregender Weise berichtet wird. All das geht an der
[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau so ist Bundeswehr natürlich nicht spurlos vorüber.
es! Das ist der Punkt!)
(Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
Das kennen wir alle. Vielfach erreichen die Abgeord- NEN]: So ist es!)
neten Briefe von Soldaten. Vielfach erreichen mich auch Das darf uns aber nicht als Entschuldigung dienen, wenn
direkt Briefe aus der Truppe. Ich denke, wir sollten da- es darum geht, diese Dinge in der Bundeswehr zur
rauf achten, dass wir da gegensteuern. Ich glaube, das Kenntnis zu nehmen und abzustellen.
offensichtlich nicht überall vorhandene Vertrauen zwi-
schen Vorgesetzten und Untergebenen muss wiederher- Lassen Sie mich zum Schluss sagen: Das Amt des
gestellt werden. Möglicherweise ist dieser Aspekt auch Wehrbeauftragten genießt das Vertrauen der Soldatinnen
durch das Selbstverständnis des Wehrbeauftragten, der und Soldaten. Es hat maßgeblich zu der mehr als 50-jäh-
sich mitunter als Kummerkasten für die Soldatinnen und rigen Erfolgsgeschichte der Bundeswehr beigetragen.
Soldaten darstellt, befördert worden. Für das Parlament ist und bleibt es ein unverzichtbares
Hilfsorgan zur Kontrolle unserer Streitkräfte, gerade
Auf zwei Aspekte des vorgelegten Berichtes möchte wenn es darum geht, die Grundrechte und die Prinzipien
ich näher eingehen – sie betreffen die Bundeswehr als der Inneren Führung in der Bundeswehr einzuhalten.
Armee im Einsatz –: Das Bundesministerium der Verteidigung wird viele An- (D)
(B)
Zum einen geht es um das Verhältnis zwischen Bun- regungen des Berichtes 2008 aufgreifen und in seine
deswehr und Gesellschaft. Gerade wir Politiker müssen weitere Arbeit einbeziehen.
sehr viel sensibler in die Gesellschaft hineinwirken. Des- Ich bedanke mich.
wegen danke ich Frau Schäfer und Frau Evers-Meyer
dafür, dass sie das hier so deutlich für uns eingefordert (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
haben. neten der FDP)

Zum anderen sollten wir, lieber Kollege Nouripour,


Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
nicht immer nur auf die Ausrüstung der Bundeswehr
achten, zumindest wenn wir über den Bericht des Wehr- Ich schließe die Aussprache.
beauftragten sprechen. Das sind Dinge, die wir im Aus- Wir kommen zu der Beschlussempfehlung des Vertei-
schuss zu behandeln haben. Dort sollten wir das auch digungsausschusses zu dem Jahresbericht 2008 des
tun. Wehrbeauftragten, Drucksachen 16/12200 und 17/713.
Der Ausschuss empfiehlt, in Kenntnis der Unterrichtung
Die im Jahresbericht 2008 des Wehrbeauftragten an-
eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese
gesprochenen Verstöße gegen die Innere Führung wer-
Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Ent-
den im Augenblick unter dem Stichwort „Mittenwald“
haltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stim-
diskutiert. Wir sollten das tun, selbstverständlich, ohne
men von CDU/CSU, SPD und FDP bei Stimmenthaltung
Beschönigung und ohne Übertreibung. Es gilt das Wort
der Grünen angenommen.
des Ministers: Wir wollen aufklären, abstellen und Kon-
sequenzen ziehen. Jeder Vorfall in dieser Richtung ist ei- Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 auf:
ner zu viel. Ich bin Herrn Robbe ausgesprochen dankbar
dafür, dass er deutlich gemacht hat, dass die Bundeswehr Beratung des Antrags der Abgeordneten Jan
deswegen nicht unter Generalverdacht steht. Ich glaube, Korte, Klaus Ernst, Dr. Petra Sitte, weiterer Ab-
es wäre sehr schwierig, das so in der Öffentlichkeit dar- geordneter und der Fraktion DIE LINKE
zustellen, und würde den Soldaten auch sehr wehtun. Datenschutz für Beschäftigte stärken
Wir müssen darauf setzen, den Soldatinnen und Sol- – Drucksache 17/779 –
daten in ihrer Ausbildung das ethische, aber auch das Überweisungsvorschlag:
moralische Rüstzeug zu vermitteln, das notwendig ist, Innenausschuss (f)
dass solche Auswüchse bereits im Keim erstickt werden. Ausschuss für Arbeit und Soziales
2230 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 25. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. Februar 2010

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse


(A) Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die gehörigkeit. Danach erhalten Einwandererkinder unter (C)
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Die Abgeord- bestimmten Voraussetzungen per Geburt die deutsche
neten sind übereingekommen, ihre Reden zu Protokoll Staatsbürgerschaft, damit sie in ihrem Geburtsland nicht
zu geben. Es handelt sich um die Reden der Kollegen als Ausländer, sondern als Staatsbürgerinnen und Staats-
Michael Frieser, Josip Juratovic, Gisela Piltz, Beate bürger aufwachsen. Die Grünen waren bei dieser No-
Müller-Gemmeke und Gitta Connemann.1) velle, bei dieser Jahrhundertreform Vorreiter.
Damit kann ich die Aussprache schließen. Heute stimmen wir glücklicherweise alle darin über-
ein, dass der Erhalt der Staatsangehörigkeit und die da-
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf mit verbundenen Rechte und Pflichten Voraussetzung
Drucksache 17/779 an die in der Tagesordnung aufge- für eine erfolgreiche Integration von Immigranten ist.
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein- Die heute geltende Bestimmung sieht vor, dass sich
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung diese Kinder im Alter von 18 bis 23 Jahren für eine ihrer
so beschlossen. Staatsangehörigkeiten entscheiden müssen. Von dieser
Regelung sind aktuell die 18- und 19-Jährigen betroffen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 22 sowie Zusatzpunkt 6
Diesen jungen Menschen wird die Staatsbürgerschaft
auf:
also nur unter Vorbehalt gewährt, und sie wird ihnen un-
22 Erste Beratung des von den Abgeordneten Memet ter Umständen wieder vollends entzogen. Damit werden
Kilic, Josef Philip Winkler, Volker Beck (Köln), sie zu Bürgerinnen und Bürgern minderen Rechts. Die
weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜND- jungen Menschen, die wie viele andere Jugendliche auch
NIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs mit zwei Staatsangehörigkeiten aufgewachsen sind, wer-
eines Gesetzes zur Streichung des Options- den in die schwierige Lage gebracht, sich zwischen ihren
zwangs aus dem Staatsangehörigkeitsrecht beiden Staatsangehörigkeiten zu entscheiden.
– Drucksache 17/542 – Die Optionsregelung ist willkürlich und wird im
Laufe der Zeit immer willkürlicher, weil neben Jugendli-
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f) chen aus binationalen Familien auch die Jugendlichen
Rechtsausschuss aus der Europäischen Union und aus der Schweiz prak-
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend tisch von dem Optionszwang ausgenommen sind. Wäh-
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe rend EU-Bürger seit dem 28. August 2007 unter Hin-
ZP 6 Erste Beratung des von den Abgeordneten Rüdiger nahme der Mehrstaatigkeit eingebürgert werden, sind die
Veit, Dr. Dieter Wiefelspütz, Olaf Scholz, weiteren Optionskinder zur Aufgabe einer ihrer Staatsangehörig-
Abgeordneten und der Fraktion der SPD einge- keiten gezwungen. Diese Ungleichbehandlung wider-
(B) spricht dem gesunden Menschenverstand und ist für nie- (D)
brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung
manden nachvollziehbar.
des Staatsangehörigkeitsrechts
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
– Drucksache 17/773 – und bei der SPD – Reinhard Grindel [CDU/
Überweisungsvorschlag: CSU]: Nur wenn sie keine Integrationsleistung
Innenausschuss (f)
Rechtsausschuss
nachweisen!)

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die In unserer globalen Gesellschaft ist die Mehrstaatig-
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre keit in absehbarer Zeit keine Ausnahme mehr, sondern
die Regel. Für die meisten europäischen Staaten stellt
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
die Mehrstaatigkeit überhaupt kein Problem dar. Diese
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen rechtliche Diskriminierung verletzt das Interesse der Be-
Memet Kilic von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen troffenen. Sie verletzt auch das Interesse unseres Landes;
das Wort. denn sie widerspricht dem Integrationsgedanken.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
und bei der SPD)
Memet Kilic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Es spricht viel dafür, dass der Optionszwang vor dem
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Bundesverfassungsgericht rechtlich unhaltbar ist. Des-
Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! wegen appelliere ich an alle meine Kolleginnen und Kol-
Das Bundesverfassungsgericht hat in seinen Entschei- legen: Lasst uns diesen Optionszwang aufheben! Er ist
dungen zum kommunalen Wahlrecht für Ausländer die weder verhältnismäßig noch effektiv, sondern Unsinn.
Politik aufgefordert, möglichst viele dauerhaft in
Vielen Dank.
Deutschland lebende Bürger in das Wahlrecht einzube-
ziehen. Daraus ergibt sich, dass der Erwerb der deut- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
schen Staatsangehörigkeit erleichtert werden muss. und bei der SPD)
Der Bundestag hat im Jahr 1999 das Staatsangehörig-
keitsgesetz novelliert. Die wesentliche Novellierung des Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Staatsangehörigkeitsgesetzes betraf die Kinderstaatsan- Das Wort hat nun Ingo Wellenreuther für die CDU/
CSU-Fraktion.
1) Anlage 7 (Beifall bei der CDU/CSU)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 25. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. Februar 2010 2231

(A) Ingo Wellenreuther (CDU/CSU): schmücken! – Rüdiger Veit [SPD]: Ausnahms- (C)
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kollegin- weise mal lobenswertes Verhalten!)
nen und Kollegen! Wir debattieren heute über zwei Ge-
– Eben, Herr Veit; vielen Dank. – Die Beherrschung der
setzentwürfe, einen der Grünen und einen der SPD, zur
deutschen Sprache ist Grundvoraussetzung für eine er-
Änderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes durch Strei-
folgreiche Bildung, für eine erfolgreiche Ausbildung, für
chung der sogenannten Optionspflicht.
das Erreichen einer Lehrstelle und das Ergreifen eines
Die Optionspflicht beinhaltet – das wurde angespro- Berufes.
chen –, dass sich ein Kind mit Eintritt der Volljährigkeit
bis zum 23. Lebensjahr entscheiden muss, ob es die (Beifall des Abg. Olav Gutting [CDU/CSU])
deutsche Staatsangehörigkeit, die es seit der Änderung Außerdem haben wir uns mit Programmen des Fami-
des Staatsangehörigkeitsrechts im Jahre 1999 durch Ge- lienministeriums speziell um Schulverweigerer geküm-
burt in Deutschland erworben hat, oder die ausländische mert. Wir haben Initiativen gestartet, die zusätzliche
Staatsbürgerschaft eines seiner Elternteile, die es durch Ausbildungsplätze für Jugendliche mit Migrationshinter-
Abstammung erworben hat, behalten will. Falls es sich grund schaffen. Wir haben eine verbesserte Anerken-
in diesen fünf Jahren nicht entscheidet, geht die deutsche nung ausländischer Bildungsabschlüsse auf den Weg ge-
Staatsbürgerschaft automatisch verloren. bracht. All das waren Maßnahmen, die wir seit dem
Die Grünen wollten diese Optionspflicht schon da- Regierungswechsel 2005 intensiv betrieben haben.
mals nicht. Die SPD will sie erst neuerdings nicht (Rüdiger Veit [SPD]: Learning by doing! –
(Rüdiger Veit [SPD]: Nein! Wir wollten sie auch Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE
damals schon nicht! Lesen Sie es nach!) GRÜNEN]: Jetzt zur Sache zurück!)

und bestätigt damit eindrucksvoll die Berechtigung des Das Thema Integration hat für uns eine ganz entschei-
Vorwurfs, Herr Veit, sie habe die Bevölkerung 1999 ge- dende Rolle gespielt. Das hat sich auch daran gezeigt,
täuscht, den Grundsatz der Vermeidung der Mehrstaat- dass die Bundeskanzlerin extra das Amt einer Integra-
lichkeit im deutschen Staatsangehörigkeitsrecht schon tionsbeauftragten im Kanzleramt geschaffen hat, um
damals brechen und die Doppelstaatlichkeit durch die dem Thema Integration höchsten Stellenwert zu verlei-
Hintertür einführen wollen. hen.

(Rüdiger Veit [SPD]: Das war nicht die Hinter- (Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE
tür! Das war die Vordertür!) GRÜNEN]: Das Amt gab es schon! Es hat nur
den Standort gewechselt!)
(B) Die Union hat damals gegen die Änderung des Staats- (D)
angehörigkeitsgesetzes gestimmt, mit der die Möglich- Wir haben im Jahre 2007 einen Integrationsplan ge-
keit eingeführt wurde, außer durch Abstammung und schaffen, mit dem wir in einem Gesamtkonzept auf eine
Einbürgerung auch durch Geburt in Deutschland die echte Partnerschaft mit den Migranten gesetzt haben.
deutsche Staatsbürgerschaft zu erhalten, falls sich zu- Und der damalige Innenminister Schäuble hat 2006 die
mindest ein ausländischer Elternteil als Inhaber eines un- Deutsche Islam-Konferenz ins Leben gerufen und den
befristeten Aufenthaltsrechts seit mindestens acht Jahren direkten Dialog mit den Muslimen begonnen.
rechtmäßig in Deutschland aufhält. (Beifall des Abg. Reinhard Grindel [CDU/
Für uns war damals und schon immer klar, dass Inte- CSU] – Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/
gration allein durch die Verleihung eines deutschen Pas- DIE GRÜNEN]: Jetzt bitte mal was zum Dop-
ses, wie die Antragsteller meinen, nicht gefördert oder pelpass! Zum Thema!)
bewirkt werden kann. Nach unserer Auffassung gehört – Ich komme zum Thema.
zu einer erfolgreichen Integration nämlich viel mehr. In-
tegration findet im Kindergarten, in der Schule, in Verei- (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
nen, in der Wohnungsumgebung und mit Freunden statt; NEN]: Aber wann?)
hier entscheidet sich der Erfolg der Integration. Dazu ge-
hört auch das Vertrautmachen mit den zentralen Werten Das zeigt: Integration entscheidet sich im konkreten
und Normen unserer freiheitlich-demokratischen Grund- Zusammenleben und nicht formal durch eine doppelte
ordnung. Staatsangehörigkeit.

Wir haben bei diesem gesellschaftspolitisch so wich- (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: So ist es!)
tigen Thema seit dem Regierungswechsel 2005 unserer- Für uns steht der Erwerb der deutschen Staatsangehörig-
seits die richtigen Weichenstellungen vorgenommen. keit am Ende eines erfolgreichen Integrationsprozesses
Wir haben seit 2005 Integrationskurse, Sprachlehrgänge und nicht am Anfang.
und Orientierungs- und Alphabetisierungskurse für Mi-
granten intensiviert, weil wir erkannt haben, dass (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
Sprachförderung an erster Stelle stehen muss. NEN]: Unbelehrbar, die CDU!)
(Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE – Nein, Herr Wieland. Integration ist eine Sache des
GRÜNEN]: Wir haben das aber eingeführt! Kopfes und des Herzens und darf nicht nur auf dem Pa-
Sie sollten sich nicht mit fremden Federn pier stehen.
2232 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 25. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. Februar 2010

Ingo Wellenreuther
(A) (Beifall bei der CDU/CSU – Rüdiger Veit Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: (C)
[SPD]: Unbestritten!) Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Nouripour?
Von dem seit dem Jahre 2000 geltenden neuen Staats-
angehörigkeitsgesetz sind Kinder erfasst, die nach dem
Ingo Wellenreuther (CDU/CSU):
1. Januar 2000 geboren wurden, und Kinder, die am
Nein, ich bin gleich am Schluss, Herr Präsident.
1. Januar 2000 noch nicht zehn Jahre alt waren, aber von
der Möglichkeit Gebrauch machten, auf Antrag die deut- (Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE
sche Staatsangehörigkeit zu erwerben. GRÜNEN]: Das ist gut!)
Für die ersten dieser insgesamt 50 000 Kinder – es Auch wenn es in der Praxis zahlreiche Ausnahmen im
sind ungefähr 3 300 – begann mit ihrer Volljährigkeit ab Staatsangehörigkeitsrecht aufgrund von gesetzlichen Re-
dem Jahre 2008 die Optionspflicht. Deshalb kommen die gelungen bzw. Härtefällen gibt, bleibt das Festhalten am
heute zur Debatte stehenden Gesetzentwürfe zur Unzeit, Grundsatz der Vermeidung von Mehrstaatlichkeit aus
nämlich viel zu früh, den genannten Gründen richtig. Deshalb lehnen wir von
der Union die Anträge der SPD und der Bündnisgrünen
(Rüdiger Veit [SPD]: Nein! Gerade noch ab.
rechtzeitig!) Danke schön.
weil noch viel zu wenige Erfahrungen mit der prakti- (Beifall bei der CDU/CSU)
schen Anwendung der Optionspflicht vorliegen. Derzeit
– das wissen auch Sie – werden erste Erfahrungen mit
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
dem Optionsverfahren gesammelt. Gemäß dem Koali-
Das Wort hat nun Rüdiger Veit für die SPD-Fraktion.
tionsvertrag wird von der Bundesregierung geprüft, ob
in verfahrensrechtlicher, aber auch in materiell-rechtli-
cher Hinsicht Verbesserungsbedarf besteht. Rüdiger Veit (SPD):
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
(Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE Herren Kollegen! Fast könnte man Sie hier alle nament-
GRÜNEN]: Sie prüfen laut Koalitionsvertrag lich begrüßen, so wie die Reihen gerade nicht besetzt
ja über 80 verschiedene Sachen! Wie machen sind. Trotzdem vielen Dank für das Interesse.
Sie das überhaupt? Wie lange prüfen Sie das
(Serkan Tören [FDP]: Das stimmt! Bei der
alles denn?)
SPD müsste man das!)
(B) (D)
Wenn diese Erkenntnisse vorliegen, werden wir uns ge- – Auch an sie hat sich meine Kritik gerichtet, keine
meinsam noch einmal Gedanken über das Staatsangehö- Frage. – Herr Kollege Wellenreuther, zunächst einmal
rigkeitsrecht insgesamt machen müssen. haben Sie natürlich recht, dass sich die CDU/CSU-Frak-
tion nach dem Motto „Learning by doing“ – dafür bin
Eines steht aber fest, unabhängig von diesen Ergeb- ich nach wie vor dankbar; das sage ich ohne jeden zyni-
nissen: Die Optionspflicht isoliert abzuschaffen, kommt schen Unterton – in Zeiten der Großen Koalition zu ganz
für uns nicht infrage. wesentlichen Teilen in der Tat zur Integrationspolitik be-
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – kannt hat und einiges Richtige und Gute, insbesondere
Rüdiger Veit [SPD]: Dann können Sie ja unse- auf dem Gebiet des Aufenthaltsrechtes, mitgemacht hat.
rem Antrag zustimmen! Dem SPD-Antrag!) Das sollte so bleiben. Deswegen laden wir Sie heute
ein, unseren Vorstellungen zu folgen, wenn es um die ge-
SPD und Grüne haben aber ausgesprochen, worauf es ih- nerelle Abschaffung des Verbots doppelter Staatsbürger-
nen wirklich ankommt: Sie wollen das Prinzip der gene- schaft in unserem Staatsangehörigkeitsrecht geht. Unser
rellen unbegrenzten Doppelstaatlichkeit. Das ist mit uns Antrag ist umfassender als der der Grünen. Während
nicht zu machen. Es sollte zur Identität und zur Persön- sich die Grünen nur isoliert der Frage der Optionspflicht
lichkeit eines Menschen gehören, dass er sich einem zuwenden, wollen wir dieses Problem in unserem Staats-
Land, seiner Kultur und seiner Werteordnung zugehörig bürgerschaftsrecht insgesamt regeln.
fühlt. Natürlich kann man aus verschiedenen Gründen
Verbindungen zu unterschiedlichen Ländern haben. Das, Herr Kollege Wellenreuther – jetzt kommt aller-
Aber in staatsbürgerlicher Hinsicht sollte es die Zugehö- dings der entschiedene Widerspruch –, wollen wir nicht
rigkeit nur zu einem Land geben. erst seit heute, sondern das wollten wir bereits 1998/99.
Sie können die Protokolle von damals nachlesen.
(Aydan Özoğuz [SPD]: Das ist doch (Ingo Wellenreuther [CDU/CSU]: Die habe
lächerlich!) ich gelesen!)
– Nein, das ist nicht lächerlich, sondern das Bundesver- Ich verweise auch gerne auf meine Rede vom Juli 2009,
fassungsgericht hat erklärt, dass Pflichtenkollisionen in der ich diese historischen Zusammenhänge noch ein-
und Loyalitätskonflikte gegen Mehrstaatlichkeit spre- mal dargelegt habe. Wir wollen diese Abschaffung des
chen. Genau diese Gründe hat das Bundesverfassungs- Verbots nicht erst heute. Im Gegenteil: Wir wollten sie
gericht ausdrücklich herausgestellt. immer. Wir mussten damals diesen Kompromiss ma-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 25. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. Februar 2010 2233
Rüdiger Veit
(A) chen. Wir haben ihn immer als einen nicht guten Kom- ratifiziert –, mit dem klargestellt wurde: Wer seine (C)
promiss angesehen, sondern als einen ersten Schritt auf Wehrpflicht in einem der betroffenen Staaten abgeleistet
dem Weg in die richtige Richtung aufgefasst. hat, hat seiner Wehrpflicht damit genügt. Ein Loyalitäts-
konflikt kann also nicht mehr entstehen.
(Beifall der Abg. Aydan Özoğuz [SPD])
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
So bleibt das. In der Konsequenz dessen stehe ich heute DIE GRÜNEN)
vor Ihnen und sage: Wir haben einen umfassenden Ge-
setzentwurf gemacht, der sich mit dem Problem befasst. Vor diesem Hintergrund gibt es keinen Grund mehr, ge-
gen die doppelte Staatsangehörigkeit zu sein.
Zur Frage der Optionspflicht hat der Kollege Kilic
schon einiges Richtige gesagt. Er hat – das möchte ich Es gibt hingegen sehr viele Gründe, dafür zu sein.
ausdrücklich hervorheben – erklärt: Es muss auch unter Schauen wir uns die Zahl der Einbürgerungen an: Wir
integrationspolitischen Gesichtspunkten ein Interesse hatten im Jahr 2000 mit über 180 000 Einbürgerungen
daran bestehen, dass die Wohnbevölkerung möglichst einen Gipfel. Mittlerweile sind wir wieder bei rund
identisch mit den insgesamt in Deutschland lebenden 80 000 Einbürgerungen im Jahr angelangt. Es ist nicht
Bürgern mit Wahlrecht ist. Das kann ich nur unterstrei- erstrebenswert, dass das so bleibt. Von daher muss unser
chen. Insofern ist der Erwerb der deutschen Staatsbür- aller Interesse sein, dass die Zahl wieder steigt.
gerschaft nicht erst ein Abschluss der Integration, son-
dern ein wichtiger Zwischenschritt einer vollständigen Wir müssen den betroffenen Migrantinnen und Mi-
Integration. granten, die sich in Deutschland dauerhaft aufhalten
wollen bzw. aufhalten, ein entsprechendes Angebot ma-
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten chen. Dem trägt unser Gesetzentwurf Rechnung, indem
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) wir sagen: Eine doppelte Staatsbürgerschaft bzw. Mehr-
fachstaatsbürgerschaft kann generell hingenommen wer-
Wenn Sie generell Probleme mit der Frage der dop- den. Sie wird es übrigens schon bei der bestehenden
pelten Staatsbürgerschaft haben, dann ist es manchmal Rechtslage in 53 Prozent der Fälle.
nicht ganz schlecht, einen Blick zurück in die Ge-
schichte zu werfen. Diesen kleinen Exkurs kann ich mir Wir wollen die Anspruchsvoraussetzungen für den
nicht verkneifen. Das Abstammungsprinzip in unserem Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit senken. Es
Staatsangehörigkeitsrecht geht nicht nur auf die Fassung soll in Zukunft ausreichen, wenn sich die Betreffenden
des Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetzes von 1913 sieben Jahre in Deutschland aufgehalten haben. Unter be-
zurück, sondern es geht schon auf das Jahr 1842 zurück. stimmten Voraussetzungen der Privilegierung – ich nenne
Schon damals waren die Preußen etwas großzügiger und beispielhaft: Hochschulabschluss, Abschluss einer
(B) keineswegs ethnisch geprägt, sodass auch preußische Lehre, Erwerb der Hochschulreife in Deutschland – soll (D)
Polen oder Juden generell Staatsbürger werden konnten. die Frist auf sechs Jahre verkürzt werden können. Nach
diesem Zeitraum sollen die Betreffenden Anspruch auf
(Ingo Wellenreuther [CDU/CSU]: Die haben den Erwerb der deutschen Staatsbürgerschaft haben,
Soldaten gebraucht!) ohne dass sie die andere Staatsbürgerschaft aufgeben
1913 hat man dieses Recht, durchaus ohne ethnischen müssten. Ich halte diesen Ansatz für gut und richtig.
Beigeschmack, übernommen. Die ethnische – ich füge (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
hinzu: rassistische – Aufladung des Staatsbürgerschafts- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
rechtes war dem Dritten Reich vorbehalten. Daran muss
man einmal erinnern, meine sehr verehrten Damen und Wir sollten bei dieser Gelegenheit noch an ein paar
Herren. anderen Ecken Feinschliff anbringen. Das betrifft zum
Beispiel die Anrechnung von Duldungs- und Gestat-
Dass man das beibehalten hat, hatte einen aus der da- tungszeiten bei der Dauer des rechtmäßigen Aufenthalts,
maligen Betrachtungsweise durchaus nachvollziehbaren die Voraussetzung für den Erwerb der deutschen Staats-
Grund: Man wollte sowohl die ostdeutsche Bevölkerung bürgerschaft ist.
als auch die Spätaussiedler nicht ausgrenzen.
Wir sollten großzügige Härtefallregelungen vorsehen
Spätestens seit 1989/90 liegen die Dinge anders. Vor für Kinder und Jugendliche sowie für Personen über
diesem Hintergrund gibt es keinen vernünftigen Grund 60 Jahre, die vielleicht nicht mehr ohne Weiteres in der
mehr, sich generell gegen die Hinnahme der doppelten Lage sind, entsprechende Sprachkenntnisse zu erwerben.
Staatsbürgerschaft auszusprechen.
Wir wollen übrigens die Ausnahmeregelung, die bis
Es gab einen einzigen Grund – das will ich hier sagen –, 2007 gegolten hat, wieder einführen, wonach die Einbür-
der vielleicht zu früheren Zeiten dafür gesprochen haben gerung von Jugendlichen und Heranwachsenden eben
könnte, die alte Rechtslage beizubehalten: die Möglich- nicht davon abhängig gemacht wird, dass sie ihren Le-
keit, dass im Zusammenhang mit der Ableistung von bensunterhalt selbst verdienen.
Wehrpflicht ein Loyalitätskonflikt entsteht. Aber auch
hier, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist diese Betrach- Kurzum – ich wiederhole das gerne noch einmal –: Es
tungsweise längst überholt. Ich empfehle einen Blick in gibt nach meiner Überzeugung – übrigens nach unverän-
die Unterlagen – das bildet –: 1997 wurde ein europäi- derter Überzeugung der gesamten SPD-Fraktion, und
sches Abkommen zum Staatsangehörigkeitsrecht abge- das seit 1998, Herr Kollege Wellenreuther – nur Gründe,
schlossen – es wurde in Deutschland allerdings erst 2004 die dafür sprechen, die doppelte Staatsbürgerschaft oder
2234 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 25. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. Februar 2010

Rüdiger Veit
(A) Mehrfachstaatsbürgerschaft zuzulassen. Wir wollen die (Aydan Özoğuz [SPD]: Machen Sie es doch (C)
Voraussetzungen verbessern und günstige Regelungen einfach mal!)
treffen, damit diejenigen, die sich als Staatsbürger auf
Wir bleiben dabei: Wir Liberalen haben dieses Modell
Dauer an unserem Staatswesen beteiligen wollen, das
seinerzeit vorgeschlagen, um den Unionsparteien den
auch können. Wir richten die Aufforderung, unserem
Weg zu einer Öffnung des deutschen Staatsangehörig-
Gesetzentwurf zuzustimmen, an alle hier im Haus ver-
keitsrechts in Richtung auf das Jus Soli zu ermöglichen.
tretenen Fraktionen und Parteien.
Die ideologische Sturheit auf beiden Seiten aufzubre-
Ich darf zum Schluss darauf aufmerksam machen, chen, war damals der entscheidende Erfolg der FDP, ins-
dass wir mit diesem Gesetzentwurf auch ein sehr ärgerli- besondere von Dr. Max Stadler, der damals für uns die
ches Problem, das Problem des § 25 Staatsangehörig- Verhandlungen führte.
keitsgesetz, bei dieser Gelegenheit mit erledigen können.
(Beifall bei der FDP – Wolfgang Wieland
Sie wissen, dass es früher üblich war – ich habe das auch
[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber doch
im Juli letzten Jahres gesagt –, dass jeder türkische
nicht für alle Ewigkeit!)
Staatsbürger, der die deutsche Staatsangehörigkeit er-
werben wollte, zum Konsulat ging. Dort sagte man ihm: Nach wie vor hat es keinen Sinn, ein Gesetz zu än-
Komm wieder, wenn du die deutsche Staatsangehörigkeit dern, über dessen Wirkung es praktisch noch keine ver-
hast; dann bekommst du auch die türkische zurück. – Dies wertbaren Daten gibt.
funktionierte nach dem § 25 des neuen Rechts nicht
(Aydan Özoğuz [SPD]: Was?)
mehr. Das gab viel Ärger und führte zu Rechtsunsicher-
heit, etwa zu der Frage, ob die Betroffenen als deutsche Es ist sinnvoll, erst einmal Erfahrungsberichte darüber
Staatsbürger noch wählen dürfen oder nicht. Das kann abzuwarten, wie sich diese Regelung auswirkt,
man bei dieser Gelegenheit ebenfalls korrigieren. Dafür
gibt es in der Zukunft keinen vernünftigen Hinderungs- (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
grund mehr. NEN]: Das haben Sie schon nach 100 Tagen
gesagt!)
Wir sollten uns also hier gemeinsam auf den Weg ma-
chen. Der Wegfall des Optionsmodells ist die zwangs- und danach die rechtlichen Anpassungsmöglichkeiten zu
läufige Voraussetzung. Daher ist unser Anliegen umfas- prüfen. So ist es übrigens auch im Koalitionsvertrag vor-
sender und konsequenter. Wir bitten Sie alle, natürlich gesehen. Für diese Opposition spielen Sachfragen aber
auch die Antragsteller von Bündnis 90/Die Grünen, sehr offensichtlich keine Rolle.
herzlich um Zustimmung. (Memet Kilic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Doch!)
(B) (D)
NEN]: Wir prüfen das wohlwollend!) Für in Deutschland aufgewachsene junge Menschen
Vielen Dank. ist es nach Auffassung der Grünen nicht zumutbar, sich
bei Volljährigkeit für die deutsche Staatsangehörigkeit
(Beifall bei der SPD) zu entscheiden. Die Grünen nennen dies auch konse-
quent Optionszwang.
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: (Rüdiger Veit [SPD]: Richtig so!)
Das Wort hat nun Hartfrid Wolff für die FDP-Frak-
tion. Als linke Partei tun sich die Grünen mit der Wahlfrei-
heit, also der Kompetenz des Individuums, sich entschei-
(Beifall bei der FDP) den zu dürfen,
(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE
Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP):
GRÜNEN]: Müssen!)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Grü-
nen fordern einmal mehr die Abschaffung des Options- offenbar schwer.
modells.
(Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)
NEN]: Das war ja mal Ihre Erfindung! Es war
Die Grünen machen nun bezeichnenderweise nicht den
eine FDP-Erfindung!)
Vorschlag, dass alle, die bislang die Wahlfreiheit haben,
Erst vor kurzem haben wir wieder entsprechende An- zukünftig ausschließlich die deutsche Staatsangehörig-
träge von Linken und Grünen im Bundestag beraten. keit haben sollen und die ihres Herkunftslandes aufge-
Durch ständige Neuaufgüsse wird kalter Kaffee auch ben müssen – nein.
nicht wärmer.
(Memet Kilic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
(Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE Die sollen die Freiheit haben!)
GRÜNEN]: Kein Applaus!)
Anders als Kinder deutscher Eltern sollen die Betreffen-
Freilich ermöglicht dieses Vorgehen einer offenbar ratlo- den durch Doppelstaatsangehörigkeit privilegiert wer-
sen Opposition, dass ich hier die Kontinuität der FDP- den. Die Grünen frohlocken über die Abschaffung des
Position auch beim Rollenwechsel in die Regierung dar- Abstammungsprinzips bei der Staatsangehörigkeit, wol-
legen kann. len es aber gleichzeitig bei Zugewanderten beibehalten.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 25. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. Februar 2010 2235
Hartfrid Wolff (Rems-Murr)
(A) Ihnen sollen neben der deutschen Staatsangehörigkeit (Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE (C)
noch weitere Staatsangehörigkeiten offenstehen. Das ist GRÜNEN]: Warum prüft ihr denn überhaupt,
aus meiner Sicht inkonsequent. wenn alles in Ordnung ist?)
(Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE Kulturelle Vielfalt ist ein Gewinn, das Beherrschen der
GRÜNEN]: Das will doch gar keiner abschaf- deutschen Sprache und die Einhaltung der Werte des
fen! Das tritt hinzu!) Grundgesetzes ein Muss. Mit diesen Werten wollen wir
für die deutsche Staatsangehörigkeit werben und sie
Integration in die deutsche Gesellschaft kann unter nicht abwerten.
anderem dadurch gelingen, dass man sich zu gleichen
Rechten und Pflichten wie die anderen Staatsbürger in Dass die SPD nach ihrer Abwahl aus der Regierung
die deutsche Gesellschaft integriert und dazu steht. Dop- dabei mitmacht und sich von eigenen Ergebnissen wäh-
pelstaatsangehörigkeit erschwert – jedenfalls in Teilen – rend ihrer Regierungszeit in geradezu rasanter Eile ab-
die Integration, nämlich dann, wenn Migranten mit Dop- wendet, haben wir in den letzten Wochen zu oft erlebt,
pelstaatsangehörigkeit dem Irrtum verfallen, man könne um noch wirklich erstaunt zu sein.
politisch, aber auch rechtlich zwei Staaten gleichzeitig (Aydan Özoğuz [SPD]: Wie ist das denn bei
angehören. Migrantenschicksale zeigen oft, dass genau Ihnen? Sie haben auch schon einmal anders
dies eben nicht möglich ist. Wer weder ganz hier sein geredet! – Rüdiger Veit [SPD]: Da fällt mir das
noch ganz dort bleiben will, ist nirgendwo als gleichbe- mit dem Glashaus ein, mein Lieber!)
rechtigter Mitbürger in unserer Gesellschaft akzeptiert,
ganz unabhängig vom formalrechtlichen Status. Die deutsche Sozialdemokratie hat ihren inneren Kom-
pass völlig verloren; die FDP hält dagegen Kurs, auch in
Die Grünen tun so, als ob Migration allein eine geo- der Regierungsverantwortung. Wir stellen uns der He-
grafische Standortveränderung wäre – und damit basta! rausforderung eines Neuanfangs in der Integrationspoli-
Das ist gefährlicher Unfug. tik und wollen eine neue Kultur des Willkommens, aber
auf der Basis von Gleichberechtigung und fairem Mit-
(Aydan Özoğuz [SPD]: Und was ist bei Ihnen? – einander.
Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Was wollen denn die Liberalen? Was (Beifall bei der FDP – Wolfgang Wieland
wollen Sie? – Memet Kilic [BÜNDNIS 90/ [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wende ohne
DIE GRÜNEN]: Was heißt denn Migration jeden Kompass! – Josef Philip Winkler
übersetzt: Stillstand, oder was?) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn das die
geistig-politische Wende ist, dann Danke
(B) Jeder, der sich mit Migration auseinandersetzt, weiß, schön!) (D)
dass dazu mehr gehört, als sich einfach nur von A nach
B zu bewegen.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Das Wort hat nun Stephan Mayer für die CDU/CSU-
NEN]: Was wollen Sie denn ganz unideolo- Fraktion.
gisch, Herr Wolff? Sagen Sie es uns! Was for-
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
dern Sie denn?)
Gerade im Hinblick auf individuelle Freiheitsrechte Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU):
– lieber Herr Wieland, hören Sie einmal zu – wie die ne- Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten
gative Religionsfreiheit, Emanzipation, Frauenrechte Kolleginnen! Sehr geehrte Kollegen! Der Gesetzent-
oder demokratische Kultur würde ich mir wünschen, wurf, den wir heute in erster Lesung beraten, ist in zwei-
dass die Grünen hier ihre sonst so demonstrativ zur erlei Hinsicht ein Paradoxon: Zum einen ist der Titel des
Schau gestellte Fortschrittlichkeit auch zur Unterstüt- Gesetzentwurfs paradox, da dort die Rede vom Options-
zung der Integration nachdrücklich einforderten. zwang ist. Einer Option wohnt schon vom Grundsatz her
die Möglichkeit inne, aus verschiedenen Alternativen
(Abg. Memet Kilic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- auszuwählen.
NEN] meldet sich zu einer Zwischenfrage)
(Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE
– Machen Sie sich keine Gedanken. Ich rede jetzt zu GRÜNEN]: Aber man ist gezwungen, zu op-
Ende. tieren!)
(Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deswegen muss die Option immer ein Privileg für Per-
sonen sein, das anderen Personen, die diese Wahlmög-
Eine Einbürgerungsregelung, die von weiten Teilen lichkeit nicht haben, nicht zusteht. Zum anderen ist die-
der Bevölkerung nicht akzeptiert wird, stärkt keinesfalls ser Gesetzentwurf paradox, weil das Gesetz – darauf ist
die Akzeptanz von Migranten. Das ist kontraproduktiv, schon hingewiesen worden – gerade von den Fraktionen
sowohl für den Erfolg der Integration als auch für etwa- verabschiedet wurde, die jetzt die Aufhebung des Op-
ige weitere Anpassungen des Staatsangehörigkeitsrechts. tionszwangs fordern,
Wir brauchen eine vernünftige, zusammenhängende und
klare Steuerung von Zuwanderung und Offenheit von (Rüdiger Veit [SPD]: Sie wissen doch,
beiden Seiten. warum!)
2236 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 25. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. Februar 2010

Stephan Mayer (Altötting)


(A) nämlich von der roten und der grünen Bundestagsfrak- (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE (C)
tion. GRÜNEN]: Was ist denn mit den Deutsch-
Amerikanern und den Deutsch-Franzosen?)
(Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN]: Sie haben das Plenarprotokoll Dieses Loyalitätsband – so möchte ich es nennen – kann
nicht gelesen!) vom Grundsatz her nun einmal nur zu einem Staat beste-
hen.
1999 ist das Staatsangehörigkeitsrecht mit Mehrheit von
Rot-Grün hier im Bundestag geändert worden. Jetzt for-
dern Sie genau das Gegenteil dessen, was Sie hier 1999 Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
noch vollen Herzens befürwortet und unterstützt haben, Kollege Mayer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
nämlich die Aufhebung des Optionsmodells. Kollegen Kilic?
(Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN]: Das ist ja erst drei Wahlperioden Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU):
später!) Selbstverständlich, sehr gerne.
Natürlich gibt es Aspekte, die für das Optionsmodell (Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE
sprechen, und es gibt Aspekte, die dagegen sprechen. GRÜNEN]: Was ist denn mit den ganzen Dop-
pelstaatern, die es in Deutschland gibt? Sind
(Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE sie alle illoyal? – Reinhard Grindel [CDU/
GRÜNEN]: Das müssen Sie Herrn Wolff er- CSU], an Abg. Josef Philip Winkler [BÜND-
klären!) NIS 90/DIE GRÜNEN] gewandt: Sie sind
Die christlich-liberale Koalition ist aus mehreren Grün- Beispiele für Integration, die gelungen ist!)
den von der Wirksamkeit des jetzigen Optionsmodells
nicht überzeugt. Deshalb haben wir uns im Koalitions- Memet Kilic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
vertrag darauf verständigt, das Optionsmodell einer Vielen Dank, Herr Kollege. – Stimmen Sie mir zu,
Überprüfung zu unterziehen und es zu evaluieren. Da- dass alle EU-Bürgerinnen und EU-Bürger sowie die
raus jetzt aber die Schlussfolgerung zu ziehen, dass wir Schweizer seit dem 28. August 2007 unter Beibehaltung
das Optionsmodell zugunsten einer dauerhaften doppel- ihrer bisherigen Staatsangehörigkeit als Doppelstaatler
ten Staatsangehörigkeit abschaffen werden, ist schlicht- eingebürgert werden können?
weg falsch und unzutreffend.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU):
(B)
Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE Ich stimme Ihnen zu, dass es diese Regelung gibt. Sie (D)
GRÜNEN]: Was wird denn dann geprüft?) haben aber richtigerweise darauf hingewiesen – so ehr-
lich waren Sie –, dass diese Regelung die Gegenseitig-
Wir halten am Grundsatz fest, dass die Mehrstaatigkeit keit beinhaltet. Diese Regelung gilt also nur dann für in
grundsätzlich abzulehnen ist. Deutschland lebende EU-Ausländer, wenn das entspre-
(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- chende EU-Land es auch Deutschen erlaubt, neben der
NEN]: „Zurück zu Kaiser Wilhelm“ ist Ihre deutschen Staatsangehörigkeit die Staatsangehörigkeit
Parole! Da war die Welt noch in Ordnung!) dieses Landes zu erhalten. Dies ändert aber nichts daran,
dass der Grundsatz der Mehrstaatigkeit immer die abso-
Abgesehen von den Fällen, dass jemand aufgrund des lute Ausnahme darstellen muss.
Jus Sanguinis bereits bei der Geburt zwei oder mehrere
Staatsangehörigkeiten erhält, darf Mehrstaatigkeit im- (Ingo Wellenreuther [CDU/CSU]: Ja! – Rüdiger
mer nur die absolute Ausnahme sein. Veit [SPD]: Bei 53 Prozent?)
Um eines klarzumachen: Es geht hier nicht um Es kann nicht sein, dass man im Bereich des Staats-
Deutschtümelei und auch nicht darum, die deutsche angehörigkeitsrechts Rosinenpickerei betreibt. Es kann
Staatsangehörigkeit über die Staatsangehörigkeiten an- nicht sein, dass ich das Erbrecht des einen Staates und
derer Länder zu stellen. das Wehrrecht des anderen Staates – vielleicht weil es
dort günstiger ist – und am besten, wenn es um das
(Aydan Özoğuz [SPD]: Sind Sie sich sicher?) Wahlrecht geht, sogar beide Staatsangehörigkeiten in
Es geht einzig und allein darum, klarzumachen, dass Anspruch nehme.
eine Staatsangehörigkeit nicht nur Rechte, sondern na- (Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE
türlich genauso Pflichten beinhaltet. GRÜNEN]: Wer tut das denn?)
(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: So ist es! –
Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
GRÜNEN]: Wer bestreitet das denn?) Herr Kollege, gestatten Sie eine Nachfrage des Kolle-
gen Kilic?
Eine dieser Obliegenheiten ist nun einmal, dass sie
Loyalität und ein grundsätzliches Bekenntnis gegenüber
dem betreffenden Staat sowie auch gegenüber dem be- Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU):
treffenden Staatsvolk bedeutet. Selbstverständlich, sehr gerne.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 25. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. Februar 2010 2237

(A) Memet Kilic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE (C)
Stimmen Sie mir zu, Herr Kollege, dass seit dem GRÜNEN]: Nachdem Sie es vorher jahrelang
Jahre 2008 52 Prozent aller Einbürgerungen unter Hin- bekämpft haben! Das ist doch lächerlich! Das
nahme der Mehrstaatigkeit erfolgt sind? haben wir alles gegen Sie durchgekämpft!
Selbst die Sprachkurse haben Sie abgelehnt!)
(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Das macht die
Sache nicht besser, Herr Kilic!) Es ist viel passiert. Das Amt eines Integrationsbeauftrag-
ten der Bundesregierung ist geschaffen worden. Ein In-
– Nein, es ist aber Fakt, dass die Mehrstaatigkeit zur Re-
tegrationsplan ist erstellt worden. Mehrere Integrations-
gel wird, nicht zur Ausnahme. So ist die Welt. Im inter-
gipfel haben stattgefunden. Endlich sind finanzielle
nationalen Privatrecht zum Beispiel geht man damit seit
Mittel zur Verfügung gestellt worden, um Sprachange-
Jahrhunderten wunderbar um. Das ist kein Problem.
bote bzw. Sprachkurse tatsächlich stattfinden zu lassen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
In diesem Zusammenhang muss uns allen eines klar
und bei der SPD)
sein: Nur das Ausgeben eines Personalausweises bedeu-
tet noch nicht, dass jemand ordentlich und gut in die
Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU): deutsche Gesellschaft integriert ist.
Ich bin Ihnen sehr dankbar, Herr Kollege, dass Sie auf
diesen Punkt hinweisen. Das erspart mir, diese Zahlen (Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE
während meiner Redezeit darzulegen. GRÜNEN]: Das haben wir durchgesetzt!)
Wir hatten in den letzten zehn Jahren in Deutschland Erst dann, wenn er über profunde Deutschkenntnisse
jedes Jahr zwischen 94 000 und 186 000 Einbürgerun- verfügt, hat er die Voraussetzungen, sich erfolgreich in
gen zu verzeichnen. der deutschen Gesellschaft zu etablieren, sowohl beruf-
lich als auch privat.
(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Sie haben eben noch erklärt, dass das (Beifall des Abg. Reinhard Grindel [CDU/
die absolute Ausnahme bleiben muss!) CSU])
Ungefähr 55 Prozent davon sind so erfolgt, dass die alte Wir haben in den letzten vier Jahren tatsächlich etwas
Staatsangehörigkeit beibehalten werden konnte. für Integration gemacht. Sie wollen diese erfolgreichen
Bemühungen mit Ihrem Gesetzentwurf lediglich ver-
(Rüdiger Veit [SPD]: Das meint er doch gar schleiern, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kolle-
nicht!) gen.
(B) Diese Zahlen sind für mich ein ganz klarer Beleg dafür, (Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE (D)
dass es uns nicht darum geht, die deutsche Staatsangehö- GRÜNEN]: Mensch, was sind wir raffiniert!
rigkeit nur einigen wenigen zuzugestehen. Vielmehr Das glaubt kein Mensch!)
geht es darum, unter bestimmten Voraussetzungen die
deutsche Staatsangehörigkeit zu erteilen. Um es klarzumachen: Wir lassen uns von Ihrem Ge-
setzentwurf nicht von unserem Weg abbringen. Wir wer-
Sie sprechen jetzt von Einbürgerungen. Der Gesetz- den weiterhin daran festhalten: Integration ist ein ganz
entwurf befasst sich aber im Unterschied dazu mit der entscheidendes innenpolitisches Thema unserer Zeit.
Abschaffung des Optionsmodells, also mit der Erteilung
der deutschen Staatsangehörigkeit von Geburt an. Ich (Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE
stimme Ihnen durchaus zu, dass die Erteilung der deut- GRÜNEN]: Es ist eigentlich eher ein sozial-
schen Staatsangehörigkeit am Ende eines erfolgreichen politisches Thema!)
Integrationsprozesses vielleicht sogar angebracht sein
Es geht um tatsächliche Integration. Es geht darum, die
kann.
Vereine und Verbände vor Ort zu unterstützen und zu
(Ingo Wellenreuther [CDU/CSU]: fördern, damit sie Personen mit Migrationshintergrund
Wünschenswert!) Angebote unterbreiten. Es geht darum, die notwendigen
finanziellen Mittel zur Verfügung zu stellen, damit sich
Sehr geehrter Kollege, ich bin aber nicht Ihrer Auffas-
jemand, der nach Deutschland kommt und noch nicht
sung, dass die Erteilung der Staatsangehörigkeit der
über ausreichende Deutschkenntnisse verfügt, die deut-
erste Schritt hin zu einer guten Integration ist. Die Ertei-
sche Sprache aneignen kann. Es geht auch darum, in der
lung der Staatsangehörigkeit kann immer nur am Ende
Schule erfolgreiche Integration stattfinden zu lassen. Wir
eines erfolgreichen Integrationsprozesses stehen.
wollen dafür mehr tun und nicht plakativ der Abschaf-
Auf Folgendes ist schon hingewiesen worden: In der fung des sogenannten Optionszwangs das Wort reden.
rot-grünen Bundesregierung ist viel von Integration ge-
(Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE
redet worden. Tatsächlich gehandelt worden ist bei der
GRÜNEN]: Dann machen Sie doch was! Wo
Integration in den letzten vier Jahren, unter Regierungs-
legen Sie das denn vor? Kein Antrag, kein Ge-
beteiligung der CDU/CSU.
setz, nichts!)
(Beifall bei der CDU/CSU)
Abgesehen davon ist es für Ihren Gesetzentwurf, den Sie
Wir haben das Thema Integration auf die Tagesordnung heute in der ersten Lesung einbringen, viel zu früh. Die-
gebracht. ser Gesetzentwurf kommt zur absoluten Unzeit, schon
2238 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 25. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. Februar 2010

Stephan Mayer (Altötting)


(A) deshalb, weil es überhaupt keine verlässlichen, keine informieren, welche Pflichten und Rechte mit einer (C)
profunden Erfahrungen mit dem Optionsmodell gibt. Staatsangehörigkeit verbunden sind. Dies wäre gerade
im Bereich der Bildungsarbeit ein lohnenswerter und
(Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE wertvoller Ansatz.
GRÜNEN]: Wann liegen die denn vor?)
In diesem Sinne ist dem Gesetzentwurf, der heute in
Die ersten jungen Leute sind im Jahr 2008 ange- erster Lesung beraten wurde, mit vollem Herzen eine
schrieben worden, als sie das 18. Lebensjahr erreicht ha- Absage zu erteilen.
ben. Ihnen steht jetzt eine fünfjährige Bedenkzeit zu. Ich
glaube, ein Zeitraum von fünf Jahren ist ausreichend, um Herzlichen Dank.
sich darüber klar zu werden, zu welchem Staat und auch (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
– das sage ich ganz offen – zu welcher Kulturgemein- Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE
schaft und Wertegemeinschaft man die engeren inneren GRÜNEN]: Das lässt ja hoffen für die Aus-
Bindungen hat, und sich bis spätestens zum Erreichen schussberatungen!)
des 23. Lebensjahres für eine der beiden Staatsangehö-
rigkeiten verlässlich zu entscheiden.
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
(Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE Ich schließe die Aussprache.
GRÜNEN]: Prüfen Sie jetzt fünf Jahre, oder
Interfraktionell wird die Überweisung der Gesetzent-
wie lange?)
würfe auf den Drucksachen 17/542 und 17/773 an die in
Ich habe mir das Schreiben, das den Personen zugeht, der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla-
die von dieser Option Gebrauch machen können, genau gen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist
angesehen. Dieses Schreiben umfasst zwei Seiten. Es ist nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so be-
plausibel und sehr verständlich formuliert. Es wird ein schlossen.
Beratungstermin angeboten. Ich glaube, dass die richti- Bevor ich die heutige Sitzung schließe, weise ich auf
gen Voraussetzungen geboten werden, um dem Options- Folgendes hin: Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat
modell zum Durchbruch zu verhelfen. Ich sage aber auch bezüglich ihrer Abstimmung über die Entschließung zur
ganz offen – darauf habe ich eingangs hingewiesen –: Es Beschlussempfehlung des Verteidigungsausschusses zum
gibt Defizite und gewisse Nachteile im Optionsmodell. Jahresbericht des Wehrbeauftragten eine Korrektur vor-
Wir wollen das Optionsmodell nüchtern und verlässlich genommen. Sie stimmt dieser Entschließung zu. Das
evaluieren, uns dafür so viel Zeit nehmen, wie notwen- will ich hiermit zu Protokoll gegeben haben.
dig ist,
(B) Damit sind wir nun wirklich am Schluss unserer heu- (D)
(Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE tigen Tagesordnung.
GRÜNEN]: Wie lange?)
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
und dann die Defizite abschaffen. destages auf Mittwoch, den 3. März 2010, 13 Uhr, ein.
Zuallerletzt sage ich: Ein ganz wichtiger Punkt wäre Die Sitzung ist geschlossen.
meines Erachtens, dass man gerade im Bereich der
Ich wünsche Ihnen ein freundliches Wochenende.
Schule noch mehr Aufklärungsarbeit und Informations-
arbeit leistet, um die jungen Leute profund darüber zu (Schluss: 14.17 Uhr)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 25. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. Februar 2010 2239

(A) Anlagen zum Stenografischen Bericht (C)

Anlage 1
Liste der entschuldigten Abgeordneten

entschuldigt bis entschuldigt bis


Abgeordnete(r) einschließlich Abgeordnete(r) einschließlich

Aigner, Ilse CDU/CSU 26.02.2010 Trittin, Jürgen BÜNDNIS 90/ 26.02.2010


DIE GRÜNEN
Barnett, Doris SPD 26.02.2010
Dr. Volk, Daniel FDP 26.02.2010
Beckmeyer, Uwe SPD 26.02.2010

Brase, Willi SPD 26.02.2010 Anlage 2

Brüderle, Rainer FDP 26.02.2010 Erklärung nach § 31 GO


zur namentlichen Abstimmung zu dem Antrag:
Bülow, Marco SPD 26.02.2010 Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deut-
scher Streitkräfte an dem Einsatz der Interna-
Deligöz, Ekin BÜNDNIS 90/ 26.02.2010 tionalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Af-
DIE GRÜNEN ghanistan (International Security Assistance
Force, ISAF) unter Führung der NATO auf
Deutschmann, Reiner FDP 26.02.2010 Grundlage der Resolutionen 1386 (2001) und
folgender Resolutionen, zuletzt Resolution 1890
Ehrmann, Siegmund SPD 26.02.2010 (2009) des Sicherheitsrates der Vereinten Natio-
nen (Tagesordnungspunkt 18)
Dr. Gauweiler, Peter CDU/CSU 26.02.2010
Ralph Brinkhaus (CDU/CSU): Am 3. Dezember
(B) Göring-Eckardt, Katrin BÜNDNIS 90/ 26.02.2010 (D)
DIE GRÜNEN 2009 habe ich der weiteren Beteiligung der Bundeswehr
an der International Security Assistance Force, ISAF, in
Groschek, Michael SPD 26.02.2010 Afghanistan nur zugestimmt, weil ein Rückzug ein Va-
kuum hinterlassen hätte, das nicht zu verantworten gewe-
Dr. Gysi, Gregor DIE LINKE 26.02.2010 sen wäre. Das trifft auch heute noch zu. In einer persön-
lichen Erklärung habe ich damals aber auch gefordert,
Kampeter, Steffen CDU/CSU 26.02.2010 dass die Afghanistan-Strategie evaluiert, auf ihre Wirk-
samkeit überprüft und angepasst wird sowie klar defi-
Leutheusser- FDP 26.02.2010 nierte und messbare Fortschrittskriterien und Ziele entwi-
Schnarrenberger, ckelt werden, anhand derer eine stufenweise Übergabe
Sabine der Verantwortung an die Menschen in Afghanistan erfol-
gen kann. Eine signifikante Stärkung der zivilen Kompo-
Mücke, Jan FDP 26.02.2010 nente unseres Engagements hielt ich darüber hinaus für
unverzichtbar, um das Land zu stabilisieren.
Pau, Petra DIE LINKE 26.02.2010 Auf der Strategiekonferenz in London wurde zwi-
schenzeitlich der Einstieg in eine schrittweise Übergabe
Pflug, Johannes SPD 26.02.2010
der Verantwortung ab 2010 vereinbart. Ich finde es rich-
tig, dass zu diesem Zweck vor allem die Ausbildung der
Dr. Röttgen, Norbert CDU/CSU 26.02.2010
afghanischen Sicherheitskräfte verstärkt werden soll,
obwohl dies die Entsendung zusätzlicher Soldaten der
Dr. Schäuble, Wolfgang CDU/CSU 26.02.2010
Bundeswehr erforderlich macht. Denn so wird es uns
hoffentlich möglich sein, unsere militärische Präsenz
Scharfenberg, Elisabeth BÜNDNIS 90/ 26.02.2010
mittel- bis langfristig zu verringern. Ich halte es auch für
DIE GRÜNEN
richtig, dass Regierungsfähigkeit und Entwicklung nun-
mehr einen zentralen Bestandteil der Strategie bilden,
Schuster, Marina FDP 26.02.2010
auch wenn diese Entwicklungsoffensive für die Bundes-
Dr. Schwanholz, Martin SPD 26.02.2010 republik eine Verdoppelung der jährlichen Mittel für den
zivilen Aufbau zur Folge hat. Denn erst wenn es den
Senger-Schäfer, Kathrin DIE LINKE 26.02.2010 Menschen in Afghanistan bessergeht, gewinnt das Land
an Stabilität. Terroristen werden es dann schwerer ha-
2240 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 25. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. Februar 2010

(A) ben, dort einen Rückzugsraum zu finden. Und ich be- Aufgaben im Land, wie etwa der Korruptionsbekämp- (C)
grüße, dass nunmehr messbare Ziele vereinbart worden fung, entschieden zu stellen. Die Macht der sogenannten
sind, die den Erfolg der Strategie und den Status unseres Drogenbarone hat sich in den vergangenen Jahren hinge-
Engagements in Afghanistan transparent und nachvoll- gen weiter stabilisiert. Die jährlichen Einnahmen der Ta-
ziehbar machen. Im Verlauf des weiteren Engagements liban belaufen sich nach UN-Angaben auf über 150 Mil-
wird es von besonderer Bedeutung sein, den Schutz der lionen Dollar, vor zehn Jahren lagen sie noch zwischen
Zivilbevölkerung zu gewährleisten. Die jüngsten Ereig- 75 bis 100 Millionen Dollar. Allein in den NATO-Län-
nisse im Süden Afghanistans, wo wieder zahlreiche Zi- dern sterben pro Jahr 10 000 Menschen an afghanischen
vilisten bei einem Luftangriff der ISAF getötet wurden, Drogen; in Russland sind es 30 000.
zeigen, dass dies noch nicht in ausreichendem Maße
erfolgt. Ich erwarte, dass in diesem Punkt zeitnah Ver- Meiner Überzeugung nach trägt die deutsche Militär-
besserungen eintreten; denn ohne das Vertrauen der Be- präsenz am Hindukusch auch nicht zu einer Verbesse-
völkerung in die ISAF wird der Einsatz keine Erfolge rung der Sicherheitslage in Deutschland bei. Vielmehr
zeigen. ist das Gegenteil der Fall. Deutschland ist nicht trotz,
sondern gerade wegen seines militärischen Engagements
Vor dem Hintergrund der überarbeiteten Strategie in Afghanistan Zielscheibe terroristischer Aktivitäten.
stimme ich der Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter Zudem sollte in der Debatte nicht übersehen werden,
deutscher Streitkräfte an der ISAF heute zu. Ich stehe dass eine ganz überwiegende Mehrheit der Deutschen
dem deutschen Engagement in Afghanistan jedoch auch dem Einsatz in Afghanistan ablehnend gegenübersteht.
weiterhin sehr kritisch gegenüber. Sollten sich trotz ge-
Auch der Beschluss der internationalen Staatengemein-
änderter Strategie keine Entschärfung der militärischen
schaft vom 28. Januar 2010, mit „Übergabe in Verantwor-
Auseinandersetzungen, keine Fortschritte bei der politi-
tung“ einen Neunansatz für Afghanistan herbeizuführen,
schen Entwicklung und keine Verbesserungen der Si-
ändert an meiner Ablehnung des Mandats nichts. Nach
cherheitslage einstellen, muss meines Erachtens das ge-
wie vor mangelt es an erkennbaren politischen Perspekti-
samte Mandat grundsätzlich hinterfragt werden.
ven für das Land am Hindukusch und damit an einer über-
zeugenden Rechtfertigung für den lebensgefährlichen
Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (CDU/CSU): Ich Einsatz der Soldaten.
stimme dem Antrag nicht zu. Ich halte ihn verfassungs-
rechtlich für fragwürdig, ethisch und moralisch für nicht Sofern der Antrag einen schrittweisen Abzug der in-
gerechtfertigt und politisch für falsch. Meines Erachtens ternationalen Militärpräsenz in Aussicht stellt, begrüße
berücksichtigt darüber hinaus der Einsatz Tausender ich diesen Ansatz. Er ist ein notwendiger Schritt in Rich-
deutscher Soldaten am Hindukusch auch nicht hinrei- tung einer von mir seit Beginn des Einsatzes geforderten
(B)
chend die besondere historische Verantwortung Deutsch- Ausstiegsstrategie. Insbesondere angesichts der vorüber- (D)
lands in der Welt. Diese Auffassung vertrete ich seit gehenden Erhöhung des Kontingents um bis zu 850 wei-
knapp neun Jahren, seitdem die rot-grüne Bundesregie- tere Soldaten kann ich dem Antrag allerdings auch unter
rung unter Kanzler Gerhard Schröder den Bundestag um Berücksichtigung dieser neuen Strategie und angekün-
Zustimmung zum Auslandseinsatz der Bundeswehr auf- digten Schwerpunktverschiebung des deutschen Engage-
forderte. ments in Afghanistan nicht zustimmen.
Ich kann es mit meinem christlichen Menschenbild,
Meine ablehnende Haltung gegenüber dem Bundes-
meinem Glauben und der Geschichtsverantwortung mei-
wehreinsatz sehe ich durch die aktuelle Entwicklung der
nes Landes nicht vereinbaren, ein Mandat zu beschlie-
letzten Jahre und Monate in Afghanistan bestätigt. Die
ßen, das über Leben und Tod entscheidet. Aus diesen
Sicherheitslage für unsere Soldaten und Zivilkräfte hat
Gründen lehne ich den Antrag ab.
sich weiter dramatisch verschlechtert. Mehr als 30 Bun-
deswehrangehörige bezahlten bereits ihren Einsatz mit
ihrem Leben; viele weitere wurden – teilweise schwer – Josip Juratovic (SPD): Es fällt niemandem im
verletzt. Dieses traurige Schicksal teilen sie mit eben- Deutschen Bundestag leicht, zwischen internationaler
falls Betroffenen in den Armeen der verbündeten Staa- Verantwortung und der Sicherheit unserer Bürger in Uni-
ten. Demgegenüber fällt die Bilanz unserer militärischen form zu wählen. Ich habe bisher immer für die Verlänge-
Mission mit über 5 Milliarden Euro Ausgaben problema- rung des ISAF-Mandats gestimmt, weil ich mir unserer
tisch aus. Der jahrelange, mittlerweile über die Dauer internationalen Verantwortung bewusst bin und weiß,
des Zweiten Weltkrieges hinausgehende Militäreinsatz dass ein sofortiger Rückzug zu einer humanitären Ka-
führte nicht zur gewünschten Stabilität des geschunde- tastrophe vor Ort für alle Seiten führen würde.
nen Landes. Fast täglich erreichen uns Nachrichten von Bei der heutigen Abstimmung geht es aber nicht vor-
neuen Anschlägen oder Anschlagsversuchen gegen die dergründig um eine Mandatsverlängerung, denn diese
internationale Schutztruppe. Die radikalen Taliban befin- wurde bereits im Dezember 2009 beschlossen, sondern
den sich wieder im Vormarsch, sie gewinnen neuen Ein- es geht um eine Truppenaufstockung, also um zusätzli-
fluss in Pakistan und erkämpfen sich alte Gebiete. che Menschen, die der Gefahr ausgesetzt werden, das
Gleichzeitig schwinden die nötige Akzeptanz und der er- Leben zu verlieren.
forderliche Rückhalt der Regierung Karzai in der afghani-
schen Bevölkerung. Den vielfachen öffentlichen Ankün- Ich bin nicht grundsätzlich gegen eine Kontingent-
digungen und Beteuerungen zum Trotz ist die Regierung erhöhung, schon gar nicht, wenn es eine Chance auf Er-
nach wie vor nicht in der Lage, sich den drängenden folg gibt. Erfolg bedeutet für mich aber eine Strategie,
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 25. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. Februar 2010 2241

(A) nach der wir am Ende geordnete Verhältnisse hinterlas- lichkeit die Tötung von Zivilisten als Kollateralschaden (C)
sen und keine unnötigen und sinnlosen Verluste hinneh- billigend in Kauf nimmt, züchtet als Reaktion ständig
men müssen. neue Terroristen. Den in Afghanistan kämpfenden Sol-
daten können hier keine Vorwürfe gemacht werden, viel-
Ich muss jedoch feststellen, dass die Soldaten keinen mehr verdient ihr Einsatz Anerkennung. Sehr wohl hat
Rückhalt von der schwarz-gelben Regierung erfahren. aber der Deutsche Bundestag diese Gesichtspunkte bei
Sie erhalten keinen klaren Auftrag, und sie haben einen der heutigen Entscheidung zu berücksichtigen.
völlig unklaren rechtlichen Rückhalt. Sie bekommen als
Botschaft mit, dass sie noch bis 2015 irgendwie durch-
halten müssen und dann das Land den blumigen Verspre- Dr. h. c. Jürgen Koppelin (FDP): Der Fortsetzung
chen Karzais überlassen. Ich werde das Gefühl nicht los, des Einsatzes der Bundeswehr in Afghanistan werde ich
dass die Bundesregierung hier wie bei anderen Themen nicht zustimmen.
auch versucht, sich irgendwie durchzumogeln. Hinzu Die Bemühungen der neuen Bundesregierung, end-
kommen Showeffekte sowohl des Verteidigungsminis- lich Perspektiven für einen Abzug der Bundeswehr zu
ters als auch des Außenministers, beispielsweise bei der schaffen, erkenne ich durchaus an. Ich kann hier positive
Kunduz-Affäre. Die schwarz-gelbe Bundesregierung Ansätze erkennen, und ich begrüße die Fortschritte, die
handelt verantwortungslos, indem sie die Sicherheit un- in Afghanistan insbesondere beim Aufbau der Zivilge-
serer Bürger in Uniform gefährdet. Das kann ich nicht sellschaft gemacht werden.
unterstützen.
Nach wie vor bleibt aber meine Kritik bestehen, dass
Deswegen lehne ich den Antrag der Bundesregierung den Angehörigen der Bundeswehr die notwendige politi-
zur Fortsetzung des ISAF-Mandats ab. sche wie auch materielle Unterstützung versagt wird.
Seit Jahren wird die Bundeswehr mit diesem Einsatz
Manfred Kolbe (CDU/CSU): Dem heutigen Antrag überfordert. Die Soldaten wurden zu keinem Zeitpunkt
und insbesondere der Erhöhung der militärischen Kräfte für einen solchen Einsatz ausgebildet und ausgerüstet.
kann ich aus den folgenden Gründen nicht zustimmen: Wir haben in Afghanistan Aufgaben übernommen, die
wir nicht erfüllen können. Die dringend notwendige Be-
Erstens. Der Afghanistan-Krieg ist nicht zu gewinnen. treuung der aus Afghanistan zurückkehrenden Soldaten
Alle bisherigen ausländischen Militärinterventionen sind und insbesondere auch ihrer Familien muss verbessert
am Hindukusch gescheitert, angefangen bei Alexander werden. Dies sind wir den Soldaten schuldig.
dem Großen, über das Britische Empire bis zur Sowjet-
Zwar räume ich ein, dass ein sofortiger Abzug der
union. Auch für den Westen verschlechtert sich die Lage
Bundeswehr aus Afghanistan nicht möglich ist. Einer
(B) von Jahr zu Jahr, und eine Truppenaufstockung 2010 bei Verlängerung werde ich aus den genannten Gründen (D)
gleichzeitig angekündigtem Rückzugsbeginn ab 2011 er-
dennoch nicht zustimmen.
gibt wenig Sinn.
Zweitens. Der Afghanistan-Krieg hat seine Legitima- Agnes Krumwiede (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
tion verloren. Die war nach den Terroranschlägen vom Mehr als acht Jahre nach dem Sturz der Taliban wird die
11. September 2001 auf New York sicherlich gegeben, Lage in Afghanistan immer dramatischer. Die Taliban
aber seit 2002 operiert al-Qaida kaum noch von Afgha- sind in vielen Regionen auf dem Vormarsch, die Regie-
nistan aus. Um zu verhindern, dass Afghanistan wieder rung Karzai gilt Vielen als korrupt und hat durch die
Ausgangsbasis von Terroristen wird, ist ein Krieg dieses massiven Wahlmanipulationen weiter an Vertrauen ein-
Umfangs nicht erforderlich; abgesehen davon, dass der gebüßt. Militäreinsätze der westlichen Truppen haben
Westen konsequenterweise dann auch gegen andere den Rückhalt für ISAF in Teilen der afghanischen Be-
Ausgangsbasen vorgehen müsste. Das weitere Ziel, in völkerung erschüttert. In keinem Jahr dieses Krieges
Afghanistan einen demokratischen Rechtsstaat aufzu- wurden bisher so viele Menschen getötet oder verletzt
bauen, wurde mittlerweile aufgegeben und war ohnehin wie 2009. Gleichzeitig sind Erfolge im Bereich des bis-
bereits durch die Zustände in Afghanistan – Wahlfäl- herigen zivilen Aufbaus unverkennbar.
schungen usw. – ad absurdum geführt. So bedauerlich es
sein mag, aber wir werden uns als rückschrittlich er- Der von der US-Administration Obama vorgenom-
scheinende, jahrhundertealte Traditionen eines völlig an- mene Kurswechsel in der Afghanistan-Strategie der
deren Kulturkreises nicht durch Bomben verändern. USA war vor diesem Hintergrund ein wichtiger Schritt.
Am 28. Januar 2010 fand unter Federführung der afgha-
Drittens. Der Afghanistan-Krieg zerstört die Glaub- nischen Regierung eine eintägige internationale Konfe-
würdigkeit der Werte des Westens. Seit 2001 wurden in renz in London statt, die im Wesentlichen den von der
Afghanistan die vielfache Anzahl unschuldiger Zivilis- US-Administration eingeleiteten Strategiewechsel sowie
ten getötet wie bei den New Yorker Terroranschlägen. eine neue Prioritätensetzung der afghanischen Regierung
Die Verhältnismäßigkeit ist völlig verloren gegangen. Ir- nachvollzogen hat. Die Bundesregierung legt dem Bun-
gendwelche Angaben zur Anzahl der getöteten Zivilisten destag nun ein an die neue Afghanistan-Strategie ange-
werden von der Bundesregierung nicht gegeben. Auch passtes Mandat vor. Aufgabe des Bundeswehreinsatzes
über 100 Menschen – seien es auch Taliban gewesen – bleibt weiterhin, die Regierung Afghanistans bei der
ohne direkte Feindberührung zu „vernichten“, ist meines Aufrechterhaltung der Sicherheit und insbesondere bei
Erachtens nicht vom Mandat gedeckt gewesen. Wer Wo- Aufbau und Ausbildung afghanischer Sicherheitskräfte
che für Woche vor den Augen der gesamten Weltöffent- zu unterstützen.
2242 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 25. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. Februar 2010

(A) Im abzustimmenden Mandat sind einige von Bünd- Angesichts der zu befürchtenden eskalierend vorange- (C)
nis 90/Die Grünen seit Jahren geforderte Punkte enthal- triebenen Offensivstrategie ist zudem fraglich, wie das
ten, darunter die erhebliche Aufstockung der Mittel im Vorhaben der Regierung, „Aufständischen die Rückkehr
Bereich des zivilen Aufbaus – von vorher 220 Millionen in die afghanische Gesellschaft zu ermöglichen“, gelin-
Euro auf nunmehr 430 Millionen Euro pro Jahr – sowie gen soll. Nötig sind vielmehr ernsthafte Verhandlungen
die Erhöhung der Polizeikräfte im Bereich der Polizei- im Sinne der „Regionalstrategie“ der USA mit allen um-
ausbildung in Afghanistan. Auch die angekündigte ver- liegenden Ländern und explizit auch mit den Aufständi-
änderte Schwerpunktsetzung hin zu verstärkten Ausbil- schen. Letzteres geht nicht eindeutig aus dem Antrag der
dungsanstrengungen im Sicherheitsbereich durch die Regierung hervor. Die Formulierung, „Aufständischen
Bundeswehr sowie die Einführung eines Reintegrations- die Rückkehr in die afghanische Gesellschaft zu ermögli-
programms sind zu begrüßen. chen“ innerhalb eines „Reintegrationsfonds“, lässt die
Frage offen, ob Gespräche und Verhandlungen mit Auf-
Allerdings sehe ich viele unklare Punkte und Wider- ständischen vorgesehen sind.
sprüche in dem Mandat, die mich an dem tatsächlichen
Charakter des künftigen Bundeswehreinsatzes zweifeln Die offensiven Kampfhandlungen müssen eingestellt
lassen: werden, damit Gespräche mit dem Ziel einer politischen
Lösung geführt werden können. Derartige Gespräche
Im Mittelpunkt des neuen Mandats steht die Erhö- müssen auf neutralem Boden stattfinden. Den Afghanen
hung der deutschen Truppenstärke um fast 20 Prozent. ist dabei die Entscheidung zu überlassen, mit wem sie
Die Kontingentaufstockung begründet die Bundesregie- sprechen wollen und mit wem nicht.
rung unter anderem mit dem Ziel, statt bisher 280 circa
1 400 Soldatinnen und Soldaten für die Ausbildung der Die afghanische Bevölkerung darf nicht durch einen
afghanischen Armee einzusetzen. Allerdings begrün- übereilten Abzug im Stich gelassen werden. Die Fort-
dete die Bundesregierung bereits 2008 die Erhöhung der schritte in Afghanistan nach mehr als acht Jahren sind
Mandatsobergrenze mit der Ausbildungsunterstützung nicht zu leugnen. Um Afghanistan zu mehr Eigenstän-
für die afghanische Armee, was im Rückblick zu keiner digkeit und friedlichen Aufbauperspektiven zu verhelfen,
entsprechenden Verstärkung in diesem Bereich geführt müssen der Polizeiapparat verstärkt und die Mittel zu-
hat. Es ist zu befürchten, dass so auch in diesem Fall ver- gunsten des zivilen Aufbaus verschoben werden. Die
fahren wird. Gerade auch vor dem Hintergrund der un- neuen Vorschläge der Bundesregierung schaffen jedoch
beantworteten Frage, warum die verstärkte Ausbildung keine Transparenz über das weitere Vorgehen der Bun-
der afghanischen Armee nicht durch ein größeres Um- deswehr. Eine Intensivierung der offensiven Aufstands-
schichten innerhalb des bestehenden Mandats realisiert bekämpfung ist zu befürchten, und die Aussagen der
Bundesregierung, die Bundeswehr verfolge in Zukunft
(B) wird – beispielsweise durch einen Verzicht auf die über- (D)
flüssigen und kostspieligen RECCE-Tornados –, lehne einen defensiveren Ansatz, sind massiv zu bezweifeln.
ich eine Aufstockung der Truppen ab. Aus diesen Gründen kann ich der Verlängerung des Man-
dats in der vorliegenden Form nicht zustimmen und
Die zusätzliche Aufstockung definiert die Bundesre- lehne es ab.
gierung als Teil einer Schwerpunktverlagerung weg von
einem „offensiven“ hin zu einem „defensiven“ Vorgehen Patrick Kurth (Kyffhäuser) (FDP): Die Entschei-
innerhalb des Engagements der Bundeswehr in Afghanis- dung über die weitere Beteiligung der Bundeswehr an
tan. Die vorliegende Formulierung, „alle erforderlichen der Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe,
Maßnahmen einschließlich der Anwendung militärischer ISAF, in Afghanistan fällt mir sehr schwer. Ich ent-
Gewalt zu ergreifen“, lässt mir zu viel Interpretations- scheide mit meiner Stimmabgabe schließlich auch über
spielraum, zumal mit dem Einsatz von 5 000 zusätzlichen das Menschenleben von Deutschen, aber auch über das
US-Soldaten im Norden die Strategie des Counter Insur- Leben von Afghanen.
gery einschließlich gezielter Tötung dominieren wird.
Eine Intensivierung der offensiven Aufstandsbekämp- Dem Einsatz in Afghanistan stehe ich grundsätzlich
fung ist zu befürchten, und die Aussagen der Bundesre- sehr zurückhaltend und skeptisch gegenüber. Ich be-
gierung, die Bundeswehr verfolge in Zukunft einen de- grüße allerdings ausdrücklich die nun vorgelegte neue
fensiveren Ansatz, sind massiv zu bezweifeln. Strategie, um den Einsatz auf ein zeitnahes und absehba-
res Ende hinzuführen.
Spätestens seit der Bombardierung der Tanklastzüge
vom 4. September 2009 nahe Kunduz ist klar, dass das Deswegen bin ich nach Abwägung aller vorliegenden
ISAF-Mandat in der Realität nicht mehr eindeutig defen- Erkenntnisse und im Interesse einer geordneten Beendi-
siv umgesetzt wird. Eine gezielte Tötung von Menschen, gung des Einsatzes bereit, das Engagement der Bundes-
selbst wenn es sich dabei um Taliban handeln sollte, wehr im Rahmen dieses Mandates befristet mitzutragen.
sieht das ISAF-Mandat jedoch nicht vor. Die Verschleie-
rungstaktiken der Regierung um die Bombardierung der Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Tanklastzüge sowie das Ausbleiben einer Zusicherung Der Einsatz in Afghanistan, über den wir mit dem neuen
vonseiten der Regierung, dass derartige Einsätze in Zu- Mandat befinden, ist in der Grundsache nach wie vor
kunft definitiv ausgeschlossen werden können, stärken richtig und wichtig. Trotz der eklatanten Mängel in der
weder mein Vertrauen in die Regierung noch ermögli- Afghanistan-Politik der Bundesregierung gilt nach wie
chen diese Einwände mir eine Zustimmung zum Antrag vor, dass eine sofortige Beendigung des ISAF-Einsatzes
der Regierung. das Land in einen blutigen Bürgerkrieg stürzen und die
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 25. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. Februar 2010 2243

(A) unabweisbare Aufbauleistung der vergangenen acht Meine Fraktion und ich werden auf der Grundlage (C)
Jahre zunichte machen würde. dieser Erwägungen die Entwicklung der Lage in Afgha-
nistan genau beobachten, der Bundesregierung ihre Ver-
Dem vorliegenden Mandat stimme ich aus Gewis- säumnisse vorhalten und konstruktiv eigene Ansätze ent-
sensgründen daher zu. Die Verantwortung für die Sicher- wickeln.
heit Afghanistans, die Deutschland übernommen hat,
wiegt schwerer als die Bedenken. Bündnis 90/Die Grü-
nen begleitet den Einsatz seit seinem Beginn kritisch, Aydan Özoğuz (SPD): Die Entscheidung, einer
aber verantwortungsbewusst. Aus dieser Position heraus Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher
sehen wir die Entwicklung der Sicherheitslage im Land Streitkräfte in Afghanistan zuzustimmen, fällt mir äu-
und die Politik der Bundesregierung mit Sorge. ßerst schwer. Ich habe große Zweifel am Erfolg der mili-
tärischen Kampfhandlungen in Afghanistan und be-
Das betrifft einmal die geplante Truppenaufstockung, fürchte, dass wir von einem großen Teil der Bevölkerung
die für einen erfolgreichen Einsatz in Afghanistan kei- nicht als Freunde oder gar Befreier gesehen werden, so
nesfalls nötig ist. Die Bundesregierung ist bislang eine wie wir das in Deutschland gerne hätten. Ganz im Ge-
schlüssige Begründung dafür schuldig geblieben. Bereits genteil setzen wir mit dem, was bisher geschah, auch ein
bei der letzten Aufstockung wurde mit den gleichen Ar- deutliches Zeichen dafür, dass wir eine Regierung unter-
gumenten gearbeitet: Man brauche einen Spielraum für stützen, die nicht unsere Werte transportiert. Ebenso
Zeiten des Kontingentwechsels, für die Absicherung der habe ich erhebliche Zweifel an dem propagierten „Stra-
Wahlen und für die erhöhten Anforderungen an die Aus- tegiewechsel“ – zumindest was unsere Partner betrifft.
bildung afghanischer Soldaten. Die gleichen Effekte Ich befürchte, dass sie weiterhin in ähnlicher Weise mili-
ließen sich jedoch auch mit einer Umschichtung der tärisch aktiv sein werden und dass neben vielen Soldaten
Truppen und dem Verzicht auf den ineffizienten und kos- auch weiterhin unschuldige Zivilisten bei diesen Einsät-
tenträchtigen Einsatz der RECCE-Tornados erreichen. zen ums Leben kommen werden. Auch dafür tragen wir
Zudem geschieht die Aufstockung in einer intransparen- Abgeordnete des Deutschen Bundestages die Verantwor-
ten Weise. Zu den 500 offiziell benannten zusätzlichen tung.
Soldaten kommen 350 in einer Reserve, über die nur im
Verteidigungsausschuss beraten werden soll, und ver- Mir ist jedoch bewusst, dass wir diesen begonnenen
mutlich weitere 300, wenn der Einsatz der AWACS-Auf- Einsatz nicht Hals über Kopf beenden können. Ein plötz-
klärer tatsächlich beginnt. licher Abzug aller Streitkräfte ist keine Lösung, vielmehr
muss eine verantwortbare Abzugsperspektive eröffnet
Dies lässt nur den Schluss zu, dass Alternativen zur werden. Ich gehe davon aus, dass mit diesem neuen Man-
Aufstockung offensichtlich nicht ernsthaft geprüft wur- dat ein erster Schritt in die richtige Richtung gemacht
(B) den und die Informationspolitik hinsichtlich ihres tat- wird. Ich begrüße ausdrücklich, dass keine neuen Kampf- (D)
sächlichen Umfangs weiter in der Tradition der Intrans- truppen vorgesehen sind, ein Schwerpunkt auf die Aus-
parenz und Vertuschung steht. bildung von afghanischen Sicherheitskräften gelegt und
tatsächlich eine klare Abzugperspektive aufzeigt wird.
Auch weitere strategische Elemente des Mandats sind Ich setze bei unserem Mandat große Hoffnungen in die
unausgereift. Die Bundesregierung ist eine Erklärung Wiederaufbauhilfe und begrüße eine Erhöhung der zivi-
über die genaue Ausgestaltung der sogenannten Part- len Mittel und der Ausbilder. Hier liegt für mich die tat-
nering-Missionen in der Ausbildung von Sicherheits- sächliche Chance der Hilfe für Afghanistan, und deshalb
kräften ebenso schuldig geblieben wie über die Auflö- stimme ich letztlich der Verlängerung des Mandats trotz
sung der Quick Reaction Forces, QRF. Es ist nicht klar, großer Bedenken zu.
warum die QRF, die bislang stets als Bestandteil einer
defensiven Strategie dargestellt wurden, genau zu dem
Zeitpunkt aufgelöst werden, da ein defensives Vorgehen Mechthild Rawert (SPD): Seit den Terroranschlägen
und der Schutz der Zivilbevölkerung zu den obersten 2001 wurde in Afghanistan unter Beteiligung der deut-
Maximen der ganzen ISAF-Mission ernannt werden. schen Bundeswehr militärisch versucht, den internationa-
len Terrorismus zu bekämpfen und al-Qaida eine Rück-
Die wirklich entscheidenden Elemente für eine Er- zugsbasis zu entziehen. Mit militärisch-zivilem Einsatz
folgsperspektive in Afghanistan fehlen auch dem neuen sollte das Land befriedet, nach westlichen Maßstäben de-
Mandat. Weder werden eine unabhängige Evaluation des mokratisiert und der wirtschaftliche und soziale Wieder-
bisherigen Einsatzes, noch klare Prüfsteine für eine Ab- aufbau nach mehr als 30 Jahren Bürgerkrieg gefördert
zugsstrategie vorgelegt. Zwar lässt die Regierung immer werden. Von besonderer Bedeutung war von Anfang an
wieder mögliche Abzugsdaten verlautbaren, sie benennt der Aufbau und die Stärkung afghanischer Regierungsin-
aber nie klare Ziele und Zwischenschritte, die einen ver- stitutionen, vor allem Polizei und Armee. Nach mehr als
antwortlichen Abzugsplan ermöglichen würden. acht Jahren Präsenz sind die militärischen und politischen
Ziele nicht annähernd erreicht.
Bei der zentralen Aufgabe der Polizeiausbildung ver-
sagt die Bundesregierung weiterhin. Zwar kündigt sie Deutsche Soldaten sind ebenso gestorben wie zahlrei-
an, die Zahl der Ausbilder auf 200 zu erhöhen. Selbst che afghanische Kinder, Frauen und Männer. Durch ein
wenn ihr dies gelingen sollte, sind diese aber absolut un- in deutscher Verantwortung erfolgtes Bombardement auf
zureichend. Um in absehbarer Zeit eine selbstständige zwei entführte, in einem Flussbett feststeckende Lastwa-
afghanische Polizei zu etablieren, wären insgesamt etwa gen bei Kunduz sind viele Zivilisten ums Leben gekom-
2 000 Ausbilder vonnöten, davon 500 aus Deutschland. men. Drängende Fragen und Zweifel haben sich ver-
2244 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 25. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. Februar 2010

(A) stärkt – nach der Anwesenheit von KSK-Soldaten Anlage 3 (C)


ebenso wie nach dem weiteren Sinn der Anwesenheit der
deutschen Bundeswehr in Afghanistan. Erklärung nach § 31 GO

Ich stimme heute dem bis zum 28. Februar 2011 be- der Abgeordneten Hans-Christian Ströbele,
fristeten Mandat dennoch zu, weil es der SPD gelungen Winfried Hermann, Memet Kilic, Sylvia
ist, endlich eine breite gesellschaftliche Debatte unter Kotting-Uhl, Agnes Krumwiede, Monika Lazar,
Einbeziehung vieler Bürgerinnen und Bürger zum Aus- Lisa Paus, Dorothea Steiner und Dr. Harald
landseinsatz der Bundeswehr in Afghanistan zu führen, Terpe (alle BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur
und vor allem, weil auf nachdrücklichen Druck der SPD- namentlichen Abstimmung zu dem Antrag:
Bundestagsfraktion die Bundesregierung einem Strate- Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deut-
giewechsel für Afghanistan zugestimmt hat. scher Streitkräfte an dem Einsatz der Interna-
tionalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Af-
Auf Druck der SPD-Bundestagsfraktion hat die Bun- ghanistan (International Security Assistance
desregierung in London dazu beigetragen, dass die inter- Force, ISAF) unter Führung der NATO auf
nationale Staatengemeinschaft den Neuansatz „Über- Grundlage der Resolutionen 1386 (2001) und
gabe in Verantwortung“ beschlossen hat, wird mit dem folgender Resolutionen, zuletzt Resolution 1890
Abzug der Bundeswehr nun 2011 begonnen, werden (2009) des Sicherheitsrates der Vereinten Natio-
nicht noch mehr „robuste“ Kampftruppen nach Afgha- nen (Tagesordnungspunkt 18)
nistan entsandt, werden die Hilfen zum Wiederaufbau
und zum zivilen Engagement verdoppelt, erfolgt eine Das neue Mandat für den Einsatz der Bundeswehr in
wesentliche Umschichtung innerhalb des – allerdings Afghanistan ist trotz gegenteiliger Ankündigung der
um 500 Soldatinnen und Soldaten aufgestockten – Kon- Bundesregierung weitgehend das alte, das wir im De-
tingents zugunsten von mehr Ausbilderinnen und Aus- zember 2009 abgelehnt haben, allerdings mit einer Trup-
bildern für Polizei und Armee, sollen mehr zivile Poli- penaufstockung von fast 20 Prozent.
zeiausbilderinnen und -ausbilder entsandt werden, sollen Seit mehr als acht Jahren sind die deutschen Soldaten
auch mehr gender- und kulturgerechte Entwicklungsini- mit diesem Mandat in Afghanistan.
tiativen auf allen zivilen und politischen Ebenen erbracht
werden. Aber trotz der ständigen Erhöhung der Truppenstärke
ist die Sicherheitslage in den letzten Jahren nicht besser,
Die meisten Afghanen wünschen sich vor allem weni- sondern dramatisch schlechter geworden. Die Zahl der
ger Gewalt und Kriminalität, weniger Not und weniger deutschen Soldaten mit ISAF-Mandat wurde inzwischen
Unfreiheit. Dazu bedarf es insbesondere des Aufbaus ei- fast verzehnfacht. Trotzdem können die Soldaten etwa
(B) ner öffentlichen Infrastruktur, bedarf es eines funktionie- das Feldlager Kunduz nicht oder nur in Konvois mit ge- (D)
renden staatlichen Rechtssystems. Erst eine für jeden er- panzerten Fahrzeugen verlassen. Ein normaler Kontakt
lebbare Rechtssicherheit und Gerechtigkeit stärkt den zur Bevölkerung ist kaum möglich. In keinem Jahr zuvor
Glauben in den Staat. wurden so viele Menschen in diesem Krieg getötet oder
Ich kündige an, dass ich 2011 mit Nein stimmen verletzt wie 2009, vor allem immer mehr Zivilisten.
werde, wenn die Bundesregierung nicht nachweislich da- Die Antwort von NATO und Bundesregierung auf die
für steht, dass der Schutz der zivilen afghanischen Bevöl- desolate Sicherheitslage ist: mehr Soldaten, mehr Offen-
kerung im Mittelpunkt jeglichen zivilen und militäri- siveinsätze, mehr Krieg. Wie nie zuvor seit Kriegsbe-
schen Engagements steht, eine Initiative – diplomatisch, ginn wird die Gesamtzahl der Soldaten um fast 40 000,
wirtschaftlich – zur stärkeren Einbindung und zur Über- und die der deutschen um 850, erhöht. Gleichzeitig be-
nahme von mehr regionaler Verantwortung für eine sta- ginnt die größte Militäroffensive seit 2001 im Süden des
bile und friedliche Entwicklung der gesamten Region un- Landes. Der militärische Konflikt wird verschärft, nicht
ter aktiver Einbeziehung der Anrainerstaaten erfolgt, zur beendet, die Offensivstrategie erweitert, nicht gestoppt
Ausbildung und Ausstattung der afghanischen Sicher- und die Anzahl der getöteten Menschen droht weiter an-
heitskräfte die Zahl der Polizeiausbilderinnen und -ausbil- zusteigen. In diesem Jahr wurden schon wieder mehr als
der mindestens verdoppelt wird, mit dem Abzug tatsäch- 600 Zivilpersonen durch Bombardierungen der NATO
lich 2011 begonnen wird und nachhaltige Vorbereitungen getötet.
dafür laufen, dass die afghanische Regierung bis zum
Jahr 2015 die volle Sicherheitsverantwortung für ihr ei- Ursprünglich sollte das deutsche ISAF-Mandat, an-
genes Land übernimmt, Hilfen beim zivilen Aufbau nicht ders als das für OEF, auf Eigensicherung und Schutz der
auf die Zeit des militärischen Einsatzes begrenzt werden, Bevölkerung beschränkt sein. Spätestens seit der Bom-
eine umfassende aktive Armutsbekämpfung erfolgt, zu bardierung der Tanklastwagen und Menschenmenge auf
der unter anderem insbesondere eine Förderung der land- deutschen Befehl am 4. September 2009 nahe Kunduz
wirtschaftlichen Entwicklung, Capacity Building, die wissen wir, dass die Bundeswehr an Offensiveinsätzen
Schaffung von Arbeitsplätzen nicht nur in den Städten, und der tödlichen Jagd auf Aufständische beteiligt ist.
sondern auch auf dem Lande gehören, Schutz und Rechte Sehenden Auges wurden über 100 Menschen getötet, da-
insbesondere von Frauen und Kindern gestärkt werden. runter viele Zivilpersonen und Kinder. Das defensive
Mandat gibt es faktisch nicht mehr.
Auch die Taskforce Afghanistan-Pakistan der SPD-
Bundestagsfraktion hat umfassend darauf hingewiesen: OEF- und ISAF-Mandat sind in der Praxis nicht zu
Frieden ist mehr als die Abwesenheit von Krieg. unterscheiden. Derselbe General ist der Kommandeur
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 25. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. Februar 2010 2245

(A) für beide. Ohne Rücksicht auf das jeweilige Mandat 70 Prozent Analphabeten bei den Polizeibewerbern rei- (C)
werden die Soldaten eingesetzt, auch die der Bundes- chen acht Wochen Ausbildungszeit nicht aus.
wehr. Aber die gezielte Vernichtung von Menschen,
selbst dann, wenn sie für Aufständische gehalten wer- Eine verantwortbare Exit-Strategie heißt nicht, Af-
den, sieht das ISAF-Mandat nicht vor. Es berechtigt zum ghanistan im Stich zu lassen. Sicherheit für die Bevölke-
Einsatz von militärischer Gewalt nur in Notsituationen rung und ziviler Aufbau kann aber nachhaltig nicht er-
zur Nothilfe oder Notwehr. Die Bundesregierung wei- reicht werden mit mehr NATO-Soldaten und einer
gert sich aber bis heute, verbindlich zu erklären, dass sie Strategie zur Vernichtung des Feindes. Bemühungen um
die Bombardierung vom 4. September 2009 und über- ernsthafte Verhandlungen mit allen unter Einbeziehung
haupt Einsätze mit dem Ziel der Vernichtung von Men- sämtlicher Nachbarstaaten sowie um Versöhnung sind
schen ohne Notsituation vom ISAF-Mandat als nicht ge- der richtige Weg. Die Tür dafür scheint einen Spalt of-
deckt ansieht. Sie stellt gegenüber der Truppe nichts fen. Dieser Weg einer politischen Lösung muss gegan-
klar. Weitere solche Einsätze will die Bundesregierung gen werden. Alles, was dem im Weg steht und diese Be-
also offensichtlich nicht ausschließen. mühungen konterkariert, muss unterbleiben.
Daher fordern wir den Stopp der offensiven Kampf-
In der Begründung des Antrages verspricht die Bun- handlungen und Bombenangriffe. Das Mandat, das mit
desregierung, das zivile Engagement nahezu zu verdop- mehr Soldaten die Eskalation des Krieges fördert, Ver-
peln. Sie schließt sich den Plänen der US-Regierung handlungen erschwert und einer Abzugsperspektive ent-
ohne eigenes Friedens- und Ausstiegskonzept an, eine gegensteht, lehnen wir ab.
Übergabe der Verantwortung an die afghanische Regie-
rung ab 2011 einzuleiten.
Pläne einer Abzugsstrategie sowie Bekenntnisse zu Anlage 4
Versöhnung, Ausstiegsprogrammen und Verhandlungen Erklärung nach § 31 GO
mit den Aufständischen sind richtig, aber unglaubwür-
dig, weil gleichzeitig die verhängnisvolle Offensivstrate- der Abgeordneten Agnes Malczak, Katja Dörner,
gie mit viel mehr Soldaten unversöhnlich fortgesetzt und Uwe Kekeritz, Sven-Christian Kindler, Maria
intensiviert wird. Wie will man die, die man jagt, um sie Anna Klein-Schmeink, Beate Müller-Gemmeke
auszuschalten, davon überzeugen, an den Verhandlungs- und Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (alle
tisch zu kommen? Das passt nicht zusammen. Der Krieg BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur namentlichen
wird verschärft, anstatt ihn zu beenden oder zumindest Abstimmung zu dem Antrag: Fortsetzung der
für einige Zeit auszusetzen, um den Verhandlungen eine Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte
Chance zu geben. an dem Einsatz der Internationalen Sicherheits-
(B) unterstützungstruppe in Afghanistan (Interna- (D)
Jedes weitere Jahr werden Tausende Menschen in tional Security Assistance Force, ISAF) unter
diesem Krieg getötet und verletzt. Nach UN-Angaben Führung der NATO auf Grundlage der Resolu-
wurden 2009 über 600 Zivilisten Opfer von NATO-Luft- tionen 1386 (2001) und folgender Resolutionen,
schlägen, und mindestens 1 600 wurden durch Aufstän- zuletzt Resolution 1890 (2009) des Sicherheits-
dische getötet. Das angeblich oberste Ziel der Vermei- rates der Vereinten Nationen (Tagesordnungs-
dung von zivilen Opfern wird immer wieder verfehlt. punkt 18)
Seit Beginn der „Operation Muschtarak“ steigt deren Die Entscheidung über Auslandseinsätze der Bundes-
Zahl wieder rapide. Neuer Hass wird geschürt und die wehr gehört zu den schwierigsten Entscheidungen, die
Gewaltspirale dreht sich weiter. Abgeordnete des Deutschen Bundestages zu treffen ha-
Gerade auch im Norden, also im Verantwortungsbe- ben, und fordert wie kaum eine andere das Gewissen und
reich der Bundeswehr, werden US-Kampftruppen in ei- Herz der Parlamentarierinnen und Parlamentarier. Dem
ner Stärke eingesetzt, die erheblich größer ist als die der Engagement der in Afghanistan eingesetzten zivilen
Bundeswehrsoldaten (circa 5 000). Mit den zusätzlichen Helferinnen und Helfer, Soldatinnen und Soldaten sowie
US-Soldaten wird die US-Einsatzstrategie des „Counter ihren Familienangehörigen gilt unsere große Wertschät-
Insurgency“ einschließlich gezielter Tötungen in allen zung und zutiefst empfundener Dank.
Provinzen die militärischen Operationen dominieren. Da die Sicherheitslage in Afghanistan acht Jahre nach
Damit würde auch eine andere „deutsche Strategie“ kon- Beginn der OEF und des ISAF-Einsatzes sehr kritisch ist
terkariert. und sich in jüngster Zeit dramatisch zugespitzt hat, voll-
zog die US-Administration einen grundlegenden Strate-
Der zivile Aufbau wurde jahrelang vernachlässigt. giewechsel und gewann hierfür die Unterstützung der
Trotzdem gibt es Erfolge bei der Strom-, Wasser- und afghanischen Regierung und der internationalen Ge-
Gesundheitsversorgung, beim Straßenbau, bei der Er- meinschaft. In diesem Zusammenhang passte auch die
richtung von Schulen und anderen Bildungseinrichtun- Bundesregierung ihren Ansatz an und legt dem Bundes-
gen. Es bleibt aber viel zu tun. Die Zivilgesellschaft tag ein neues Mandat für den Einsatz der Bundeswehr in
muss mehr einbezogen werden, damit die internationa- Afghanistan vor, das sich deutlich vom letzten unter-
len Hilfsgelder bei der Bevölkerung ankommen und scheidet.
Korruption zurückgedrängt wird. Der Aufbau einer zivi-
len Polizei für Friedenszeiten ist unzureichend. Es fehlt Für eine gewissenhafte Abstimmung ist daher eine
an Ausbildern aus Europa und Deutschland und an differenzierte Bewertung dieser Unterschiede unabding-
einem geeigneten Konzept. Angesichts der Zahl von lich. Einerseits greift das neue Mandat mit der Verständi-
2246 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 25. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. Februar 2010

(A) gung auf eine Abzugsperspektive, der Akzentuierung tung des Afghanistan-Einsatzes als „nicht internationaler (C)
auf Ausbildung von Sicherheitskräften, der signifikanten bewaffneter Konflikt“ auf den Einsatz von deutschen Po-
Aufstockung der Mittel für den zivilen Aufbau und der lizeikräften in Afghanistan hat.
Unterstützung einer Lösung durch Verhandlungen mit
den Taliban zentrale grüne Forderungen auf und erweckt Innerhalb der neuen Afghanistan-Strategie der Bun-
somit den Eindruck eines Kurswechsels in die richtige desregierung rückt der zivile Aufbau verstärkt in den Vor-
Richtung. Andererseits gibt die beabsichtigte Umset- dergrund. So sollen die Ausgaben für die Entwicklungs-
zung dieser Ziele, insbesondere die geplante Ausgestal- zusammenarbeit bis 2013 auf jährlich rund 430 Mil-
tung der Ausbildung von Sicherheitskräften im Rahmen lionen Euro (Zuwachs von circa 210 Millionen Euro)
des Partnering-Konzeptes, Grund zur Sorge. Am proble- gesteigert werden. Das ist im Vergleich zu den vergange-
matischsten ist jedoch die Einbettung dieser Komponen- nen Jahren deutlich mehr, im Verhältnis zu den ebenso
ten in eine Gesamtstrategie, die in einem ersten Schritt steigenden Ausgaben für die militärische Komponente
auf militärische Offensive und Truppenaufstockung setzt (Zuwachs von circa 275 Millionen Euro) jedoch immer
und somit die große Gefahr einer zunehmenden Eskala- noch geringer. Die Konzentration auf militärische Kapa-
tion mit zahlreichen Opfern und Toten heraufbeschwört, zitäten zeigt sich auch an der chronischen Vernachlässi-
sowohl unter den Soldatinnen und Soldaten als auch un- gung der im politischen Auftrag stehenden UN-Mission
ter der Zivilbevölkerung. UNAMA in Afghanistan, die im Vergleich zur NATO-
Mission völlig unterfinanziert ist.
Die klare Formulierung einer Abzugsperspektive
stellt eine grundlegende Verbesserung zum früheren Der zunehmende Rückzug von Hilfsorganisationen
Mandat dar. Der Abzug der Bundeswehr soll 2011 einge- aus Afghanistan und die Schwierigkeiten beim Mittelab-
leitet werden und in fünf Jahren mit der Übergabe der fluss machen außerdem deutlich, dass eine Fokussierung
Verantwortung für die innere und äußere Sicherheit des auf die Erhöhung der Mittel zu kurz gedacht ist. Es muss
Landes an die afghanische Regierung abgeschlossen vor allem die Wirksamkeit der Mittel sichergestellt wer-
sein. Allerdings ist unklar, nach welchen überprüfbaren den. Hierzu bedarf es einer verbesserten Koordination
Kriterien sich die einzelnen Etappen des Abzugs richten des zivilen Aufbaus, der Bekämpfung der massiven Kor-
sollen und welche Handlungsoptionen für den Fall vor- ruption als eines der Haupthindernisse für den wirksa-
gesehen sind, dass diese Ziele nicht erreicht werden. Es men Einsatz der Mittel, einer verstärkten Einbeziehung
sollte außerdem gewährleistet sein, dass auch für die der afghanischen Bevölkerung sowie einer sinnvollen
Zeit nach der Übergabe und dem Abzug der Bundeswehr Schwerpunktsetzung. Die Bundesregierung hat keine
die zivile Hilfe fortgesetzt wird. plausiblen Vorschläge, wie diese Effektivitätslücken ge-
schlossen werden können. Ihr fehlt auch ein Konzept für
Das neue Ausbildungskonzept des Partnerings orien- die Wirtschaftsentwicklung Afghanistans. Ein solches ist (D)
(B) tiert sich am amerikanischen Vorbild und sieht den ge-
aber als Rahmen für einen erfolgreichen zivilen Aufbau
meinsamen Einsatz von deutschen Ausbildern (überwie- dringend notwendig und müsste den von der Bundesre-
gend Feldjäger) und afghanischen Sicherheitskräften in gierung vernachlässigten, jedoch für die afghanische
der Fläche vor. Das konkrete Konzept des deutschen Wirtschaft zentralen landwirtschaftlichen Sektor beson-
Partnerings konnte von der Bundesregierung trotz mehr- ders berücksichtigen.
facher Erkundigungen nicht ausreichend dargestellt wer-
den. Da es hierbei auch um die Rückgewinnung der Der Erfolg der Entwicklungszusammenarbeit in Afgha-
Kontrolle in von Taliban beherrschten Gebieten im Nor- nistan ebenso wie der Aufbau des Sicherheitssektors
den geht, besteht die Gefahr, dass Kampfeinsätze unver- setzt funktionierende Governance-Strukturen voraus. Es
meidbar werden. Es ist daher damit zu rechnen, dass der gibt jedoch keine Auskunft über den zur Verbesserung
Wechsel zum Ausbildungskonzept des Partnerings mit bzw. Schaffung solcher Strukturen benötigten deutschen
einer Zunahme offensiver Kampfeinsätze im Rahmen Beitrag. Statt diese Mängel zu beheben, verzichtet das
gemeinsamer Operationen mit den afghanischen Sicher- Mandat sogar völlig auf eine nähere Beschreibung des
heitskräften einhergeht. Vor diesem Hintergrund kann zivilen Engagements Deutschlands in Afghanistan. Es
die verstärkte Gewichtung der Ausbildung innerhalb des spiegelt daher keine umfassende Strategie wider und
Mandates nicht als defensives Element gewertet werden, bleibt militärfixiert – die grüne Forderung zur Vorlage
sondern unterstreicht im Gegenteil dessen offensiven eines Gesamtmandates, das die zivile und militärische
Charakter. Komponente umfasst, wird nicht umgesetzt.
Bei der Unterstützung des Aufbaus eines funktionie- Die Unterstützung der afghanischen Regierung um
renden afghanischen Sicherheitsapparates kommt der Po- eine politische Verhandlungslösung unter Einbeziehung
lizeiaufbau viel zu kurz. Die Polizeiausbildung müsste der Taliban ist zweifellos richtig und notwendig. Das
viel deutlicher verstärkt und die Zahl der europäischen Modell des Reintegrationsfonds, der von der Bundesre-
Ausbilder den Aufwuchszielen der ANP entsprechend gierung mit 50 Millionen Euro mitfinanziert wird, muss
auf 2 000 erhöht werden. Hierzu wären 500 deutsche Po- jedoch kritisch betrachtet werden. Für die Durchführung
lizisten notwendig. Die angekündigte Erhöhung der Poli- des Taliban-Aussteigerprogramms ist allein die afghani-
zeikräfte für das bilaterale Polizeiprojekt auf 200 sowie sche Regierung verantwortlich. Dabei ist unklar, wie si-
die geplante Aufstockung des Beitrages zur Europäischen chergestellt werden soll, dass die zur Verfügung gestell-
Polizeimission EUPOL auf 60 Polizistinnen und Polizis- ten Mittel zweckmäßig eingesetzt werden und der
ten reichen nicht aus. Es bestehen außerdem Unklarheiten Missbrauch für machtpolitische Partikularinteressen so-
darüber, welche Konsequenzen eine rechtliche Bewer- wie durch Korruption ausgeschlossen ist. Außerdem
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 25. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. Februar 2010 2247

(A) stellt sich die Frage, wie bei der Umsetzung zwischen im Regionalbereich Nord, von denen viele in bestimm- (C)
moderaten und radikalen Taliban unterschieden und die ten Gebieten zum Zweck der Aufstandsbekämpfung ein-
Erfüllung der Bedingungen für die Teilnahme am Tali- gesetzt werden, noch viel weniger der Fall sein. Dass die
ban-Aussteigerprogramm (Verzicht auf Gewalt und Ter- amerikanischen Streitkräfte im Norden bei diesem Ver-
ror, Abbruch aller Kontakte zu al-Qaida, Anerkennung hältnis dem deutschen Regionalkommandeur General
der afghanischen Verfassung) wirksam überprüft werden Leidenberger unterstehen, ist trotz offizieller Verlautba-
soll. Die Belohnung von Taliban-Führern, die für Men- rungen mehr als fraglich.
schenrechtsverletzungen und die Tötung zahlreicher un-
beteiligter Zivilisten verantwortlich sind, erzeugt außer- Auch die mangelnde und fehlerhafte Informations-
dem ein gravierendes Gerechtigkeitsproblem, das sich politik der Bundesregierung im Zusammenhang mit den
negativ auf die Unterstützung derer, die bisher mit den Vorfällen am Kunduz-Fluss begründen erhebliche Zwei-
internationalen Kräften kooperiert haben, auswirken fel am künftigen Charakter des Bundeswehreinsatzes in
kann und somit eine nachhaltige Versöhnung gefährdet. Afghanistan. Dabei wirft insbesondere die Rolle der
Schließlich steht der Versöhnungscharakter und somit Task Force 47 und der darin integrierten KSK-Kräfte
der Erfolg des Taliban-Aussteigerprogramms aufgrund entscheidende Fragen auf, deren Beantwortung noch
der parallelen Ausweitung der Offensive insgesamt in- aussteht.
frage. Das neue Mandat unterstützt durch die Truppenerhö-
hung die Einsatzstrategie der von den Amerikanern be-
Die im Rahmen der neuen amerikanischen Afghanis- triebenen militärisch offensiven Aufstandsbekämpfung
tan-Politik von der Bundesregierung mitgetragene mili- und entfernt sich somit vom ursprünglichen ISAF-Rah-
tärische Eskalationsstrategie und die damit zusammen- men des Stabilisierungseinsatzes. Diese falsche Ausrich-
hängende Truppenaufstockung zur Bekämpfung der tung des militärischen Engagements überwiegt die ge-
Taliban sind der Hauptgrund dafür, dass wir dieses Man- nannten Verbesserungen im zivilen Bereich gegenüber
dat ablehnen. Wir halten den unsachlichen Umgang der dem letzten Mandat.
Bundesregierung mit der Frage der Truppenerhöhung für
völlig verantwortungslos. Der Kompromiss zwischen Unsere Nein-Stimme richtet sich gegen eine Strate-
Außenminister Westerwelle und Verteidigungsminister gie, die als defensiv verkauft wird, jedoch eindeutig
zu Guttenberg erfolgte nicht auf Grundlage einer sachli- offensiv ist und bei der viele Fragen bleiben. Unsere Ab-
chen Prüfung, sondern einer Logik des Kuhhandels und lehnung des Mandates ist nicht gleichzusetzen mit der
der Vermeidung von Gesichtsverlust. Dieses narzissti- Forderung nach einem Sofortabzug, den wir ausdrück-
sche Vorgehen wird dem Ernst des Einsatzes in Af- lich zurückweisen, würde er doch die Situation in Af-
ghanistan nicht gerecht. Heraus kam eine Kontingent- ghanistan noch weiter destabilisieren. Unser Votum rich-
(B) aufstockung der Bundeswehr um 850 auf insgesamt tet sich auch nicht gegen die in Afghanistan eingesetzten (D)
5 350 Soldatinnen und Soldaten, von denen 350 als so- Soldatinnen und Soldaten, sondern gegen die falsche
genannte flexible Reserve verwendet werden sollen. Afghanistan-Politik der Bundesregierung. Als Mitglie-
Dies wird von der Bundesregierung insbesondere mit der der des Bundestages fühlen wir uns unseren Soldatinnen
Erhöhung der Zahl der ausbildenden Soldaten von 280 und Soldaten und ihren Familien gegenüber dazu ver-
auf 1 400 begründet. Sowohl der Einsatz der Reserve als pflichtet, einen Einsatz, der auf Eskalation setzt und so-
auch das tatsächliche Kontingent der ausbildenden Sol- mit die afghanische Zivilbevölkerung ebenso wie die
daten bleiben zweifelhaft vor dem Hintergrund, dass die deutschen Einsatzkräfte auf unverantwortliche Weise
letzte Erhöhung der Mandatsobergrenze von 3 500 auf einer größeren Gefahr aussetzt, strikt abzulehnen.
4 500 Soldaten im Jahr 2008 ebenfalls mit der Ausbil-
dungsunterstützung für die afghanische Armee begrün-
det wurde, jedoch bis heute nur ein Bruchteil davon in Anlage 5
der Ausbildung eingesetzt wird. Die Bundesregierung
bleibt eine Antwort darauf schuldig, warum eine ver- Erklärung nach § 31 GO
stärkte Ausbildung der afghanischen Armee nicht auch der Abgeordneten Dr. Bärbel Kofler, Burkhard
durch ein größeres Umschichten innerhalb des bestehen- Lischka und Sonja Steffen (alle SPD) zur na-
den Mandates erreicht werden kann. Auch der Verzicht mentlichen Abstimmung zu dem Antrag: Fort-
auf die ineffizienten und teuren RECCE-Tornados wurde setzung der Beteiligung bewaffneter deutscher
hierzu nicht in Erwägung gezogen. Streitkräfte an dem Einsatz der Internationalen
Die am 15. Februar 2010 gestartete „Muschtarak“-Of- Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan
fensive in Helmand fordert fast täglich zivile Opfer. Es (International Security Assistance Force, ISAF)
ist davon auszugehen, dass auch der Einsatz der Bundes- unter Führung der NATO auf Grundlage der
wehr aufgrund der Eskalationsdynamik und im Rahmen Resolutionen 1386 (2001) und folgender Resolu-
von Kampfeinsätzen zur Rückeroberung der von Taliban tionen, zuletzt Resolution 1890 (2009) des Si-
beherrschten Gebiete die Zivilbevölkerung trifft. Bereits cherheitsrates der Vereinten Nationen (Tages-
die tödlichen Luftangriffe auf die beiden Tanklastzüge ordnungspunkt 18)
am 4. September 2009 haben gezeigt, dass in der Umset-
zung des Mandates das Primat des Schutzes der Zivilbe- Wir unterstützen ausdrücklich das bisherige und ge-
völkerung nicht gewährleistet ist. Dies wird mit der Sta- genwärtige Engagement Deutschlands für die Stabilisie-
tionierung von rund 5 000 US-Soldatinnen und Soldaten rung Afghanistans und begrüßen ebenfalls ausdrücklich
2248 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 25. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. Februar 2010

(A) den mit dem Beschluss beabsichtigten Strategiewechsel wir entschieden widersprechen. Das ist nicht unsere (C)
Deutschlands, stärker in den zivilen Aufbau des Landes Position.
und in die Ausbildung der afghanischen Sicherheits-
kräfte zu investieren und 2011 mit einem Abzug der Aber unsere Position findet sich auch nicht mehr in
deutschen Soldatinnen und Soldaten zu beginnen. einer Enthaltung wieder. Wir hätten bei der letzten Ent-
scheidung über das ISAF-Mandat im Dezember 2009
Mit der beabsichtigten Truppenaufstockung von mit Nein gestimmt, wenn wir gewusst hätten, was einige
500 Einsatzkräften und 350 Reservisten sind wir jedoch Tage später über den Vorfall am Kunduz-Fluss, aber
nicht einverstanden. Der Antrag der Bundesregierung auch über die Mechanismen im Verteidigungsministe-
enthält diesbezüglich keinerlei nachprüfbare Angaben rium bekannt geworden ist. Mit unserer Enthaltung hat-
darüber, warum nicht die vorgenannten Ziele auch im ten wir der neuen Bundesregierung einen Vertrauens-
Rahmen des bestehenden Truppenkontingents erreicht vorschuss gegeben, der sich als nicht gerechtfertigt
werden können. Insbesondere im Hinblick auf die „stille herausgestellt hat.
Reserve“ von 350 Einsatzkräften erscheint es uns nicht
akzeptabel, eine Truppenaufstockung lediglich mit dem Jetzt liegt uns ein verändertes Mandat mit einem
unklaren Begriff einer „besonderen Situation“ zu defi- neuen Ansatz zur Entscheidung vor. Als Entwicklungs-
nieren und zu begründen. Dies ist im Hinblick auf die politikerinnen können wir positiv festhalten, dass sich
Tragweite des Mandates weder angemessen noch verant- mit der Aufstockung der Gelder für den zivilen Aufbau
wortbar. auf jährlich 430 Millionen Euro etwas bewegt hat. Aber
zu der Umsetzung der Gelder haben wir so viele unbe-
Die deutschen Soldaten, die sich künftig der Ausbil- antwortete Fragen, dass wir eine grundsätzliche Verbes-
dung afghanischer Sicherheitskräfte widmen, sollen serung der Lage nicht erkennen bzw. uns eine Bewer-
nach dem Antrag der Bundesregierung einen neuen An- tung nicht erlauben können. Hier wäre eine Enthaltung
satz verfolgen. Damit ist gemeint, dass die Soldaten die auch wegen zahlreicher Veränderungen und positiver
Feldlager öfter verlassen und die afghanischen Sicher- Entwicklungen in einigen Städten und Kommunen für
heitskräfte auf ihren Patrouillen begleiten. uns möglich gewesen. Wir wollen ganz klar festhalten,
dass es auch Fortschritte gibt, die viel zu wenig bekannt
Wir befürchten dadurch, gerade angesichts der beab- sind und in unserer Debatte immer nur am Rande stehen.
sichtigten Aufstockung der Streitkräfte, eine Fortsetzung
und Intensivierung der kriegerischen Auseinanderset- Unser ausdrücklicher Dank geht daher an die in
zungen und weitere zivile und militärische Opfer. Seit Afghanistan eingesetzten zivilen Helferinnen und Hel-
Oktober vergangenen Jahres hat der Einsatz der Bundes- fer, an die Soldatinnen und Soldaten sowie ihre Fami-
(B) wehr nicht mehr Sicherheit für die Bevölkerung ge- lienangehörigen, die diese Fortschritte erst möglich ma- (D)
bracht, sondern die Sicherheitslage hat sich seitdem zu- chen.
nehmend verschlechtert, und damit auch die Sicherheit
für unsere Soldaten. Aber das von der Bundesregierung vorgestellte ISAF-
Mandat ist kein ziviles Mandat, sondern es begleitet die
Deshalb werden wir dem Antrag zur Fortsetzung der US-amerikanische Strategie auf militärischem Weg –
Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem und dies, ohne eine eigene Strategie zu definieren. Es ist
Einsatz der ISAF heute nicht zustimmen. nicht klar, was aus Sicht der Bundesregierung das
Hauptziel in Afghanistan ist. Unsere stetige Forderung
nach einer Gesamtbilanz und der Möglichkeit, darüber
Anlage 6 öffentlich und breit zu diskutieren, wird auch unter die-
ser Bundesregierung nicht erfüllt. Es findet sich im Man-
Erklärung nach § 31 GO dat nur ein neuer Ansatz, aber keine neue Strategie.
Hinzu lassen sich im Mandat miteinander konkurrie-
der Abgeordneten Ute Koczy und Ingrid Nestle rende Ziele nachweisen. Unsere Zweifel daran, dass es
(beide BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur na- sich mit diesem Mandat um einen „defensiveren“ Ansatz
mentlichen Abstimmung zu dem Antrag: Fort- handelt, konnten nicht ausgeräumt werden.
setzung der Beteiligung bewaffneter deutscher
Streitkräfte an dem Einsatz der Internationalen Die militärische Eskalation lehnen wir ab, die Trup-
Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanis- penaufstockung daher ebenso. Wir teilen daher die Ar-
tan (International Security Assistance Force, gumente unserer Kollegin Agnieszka Malczak, die sie
ISAF) unter Führung der NATO auf Grundlage und andere in ihrer persönlichen Erklärung vorgelegt ha-
der Resolutionen 1386 (2001) und folgender Re- ben. Schwer wiegt aus unserer Sicht auch, dass es immer
solutionen, zuletzt Resolution 1890 (2009) des noch nicht gelungen ist, die Polizeiausbildung so zu in-
Sicherheitsrates der Vereinten Nationen (Tages- tensivieren, dass sie ein Erfolg sein kann. Es ist ein
ordnungspunkt 18) Skandal, dass Deutschland und Europa ihre Versprechen
in diesem entscheidenden Bereich nicht einhalten kön-
Die Entscheidung ist uns nicht leichtgefallen. Das nen, was unserer Meinung nach das Ziel einer „Über-
liegt daran, dass ein Nein, selbst wenn es sehr gut be- gabe in Verantwortung“ nicht möglich macht.
gründet ist, doch auch von denen instrumentalisiert wer-
den kann, die glauben, ein Abzug der Truppen sei jetzt Dies sind in aller Kürze die wesentlichen Überlegun-
das Beste für Afghanistan. Dieser Auffassung müssen gen, warum wir diesmal mit Nein stimmen.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 25. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. Februar 2010 2249

(A) Anlage 7 Schutzwürdig sind aus Ihrer Sicht nur die Daten von (C)
Arbeitnehmern. Aber es gibt eben auch Daten des Ar-
Zu Protokoll gegebene Reden beitgebers wie Geschäftsgeheimnisse, die Schutz verdie-
zur Beratung des Antrags: Datenschutz für Be- nen. Diese Unausgewogenheit kennzeichnet auch den
schäftigte stärken (Tagesordnungspunkt 21) Antrag der SPD-Fraktion, den wir im Dezember 2009
diskutiert haben, woraus die Linke offensichtlich sehr
viel gespickt hat, leider nur die Forderungen, für die Fol-
Gitta Connemann (CDU/CSU): Früher ging man-
gendes gilt: unausgewogen, lebensfremd, widersprüch-
ches gemächlicher – aber manches auch sicherer. Wer
lich, bürokratisch.
ein Arbeitsverhältnis begann, der unterschrieb einen
Vertrag. Er füllte einen Personalbogen aus. Der wurde in Ich möchte dies nur an einem Beispiel deutlich ma-
einer Akte verwaltet, verwahrt zwischen zwei Pappde- chen. Nach dem Willen der Linken soll in jedem Betrieb
ckeln, verräumt in einem Stahlschrank. Es gab weder mit mehr als fünf Arbeitnehmern ein Beschäftigungsda-
E-Mails noch GPS-Ortung, weder genetische Analysen tenschutzbeauftragter bestellt werden. Dies gilt für den
noch Chipkarten. Blumenladen um die Ecke ebenso wie für die Tischlerei
Nun wünscht sich heute niemand mehr Pappdeckel in der Nachbarschaft. Noch absurder wird es in den Be-
und Stahlschrank zurück. Das Beispiel zeigt aber, wie ra- trieben, die schon einen betrieblichen Datenschutzbeauf-
sant sich unsere Welt entwickelt hat. Die Möglichkeit, tragten haben. Dieser soll allein nicht reichen. Auch dort
persönliche Daten zu erheben, ist inzwischen scheinbar soll es dann noch einen Beschäftigungsdatenschutzbe-
unbegrenzt. Der gläserne Mensch macht uns Angst. Zu auftragten geben. Der soll dann tun, was der betriebliche
Recht. Denn die Gefahr der Ausspähung besteht, wie ak- Datenschutzbeauftragte heute schon tut. Und die Reihe
tuell durch Google Earth oder aber durch Konzerne wie dieser Absurditäten ließe sich fortsetzen. Deshalb wer-
die Bahn, Discounter und andere. den wir uns alleine der Aufgabe eines verbesserten
Rechtes stellen müssen. Dafür gelten folgende Leitli-
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben ein nien:
Recht, vor Ausspähung geschützt zu werden. Daten-
schutz ist ein Grundrecht – und in einem Abhängigkeits- Es darf kein eigenes Beschäftigtendatenschutzgesetz
verhältnis von besonderer Bedeutung. geben, das neben dem Bundesdatenschutzgesetz steht.
Die Folge wären Dopplungen, Widersprüche und mehr
Deutschland verfügt über ein im internationalen Ver- Rechtsunsicherheit.
gleich sehr hohes Datenschutzniveau. Dennoch haben
die Datenschutzskandale in Großunternehmen Arbeitge- Das Bundesdatenschutzgesetz darf nicht als „Ersatz-
(B) ber wie Arbeitnehmer verunsichert. Diese fragen sich: arbeitsgesetzbuch“ missbraucht werden. Es besteht kein (D)
Welche Maßnahmen sind dem Arbeitgeber erlaubt? Wo Grund, dort eine neue Regelung zu Vorstellungskosten
beginnt der Arbeitnehmerdatenschutz? Deshalb haben zu treffen, die es im BGB schon gibt.
wir im letzten Jahr gehandelt. Wir haben eine neue Re-
gelung speziell für den Schutz von Arbeitnehmerdaten Das neue Recht sollte keine Konkurrenz zu bestehen-
geschaffen. § 32 Bundesdatenschutzgesetz bestimmt den Gesetzen wie dem AGG, dem Betriebsverfassungs-
jetzt, zu welchen Zwecken, unter welchen Voraussetzun- gesetz oder dem Gendiagnostikgesetz darstellen. In die-
gen personenbezogene Daten vor, im und nach dem Be- sen Gesetzen sind Themen wie das Fragerecht bei
schäftigungsverhältnis erhoben, verarbeitet und genutzt Einstellungen, das Einsichtsrecht in Personalakten oder
werden dürfen. Dabei wurden auch die Rechte des be- die Rechtmäßigkeit gesundheitlicher Untersuchungen
trieblichen Datenschutzbeauftragten gestärkt. geregelt.
Es zeigt sich aber in der Praxis, dass nach wie vor Begrifflichkeiten wie zum Beispiel „des/der Beschäf-
Rechtsunsicherheit besteht. Deshalb haben Union und tigten“ müssen mit Definitionen in anderen Gesetzen
FDP vereinbart, den Arbeitnehmerdatenschutz besser zu wie im Steuer- oder Sozialrecht übereinstimmen.
regeln als bisher. Wir wollen mehr Klarheit, für Arbeit-
nehmer und für Arbeitgeber. Dies sind nur einige der Aufgaben, die wir lösen müs-
sen. Aber wir werden uns diesen stellen. Wir werden
Ihr Antrag, meine Damen und Herren von der Linken, rechtliche Grauzonen beseitigen. Wir werden ein ausge-
hilft dabei überhaupt nicht. Ihr Antrag ist vieles, nur ei- wogenes Verhältnis herstellen zwischen dem berechtig-
nes ist er nicht: ausgewogen. Wegen Ihrer pauschalen ten Schutzbedürfnis des Arbeitnehmers und dem legiti-
Vorurteile gegen Arbeitgeber sehen Sie offenbar nur men Kontrollinteresse des Arbeitgebers.
noch rot, aber nicht mehr klar. Sie zeichnen ein verzerr-
tes Bild. Bei Ihnen steht jeder Arbeitgeber unter Gene-
ralverdacht. Aber im Mittelstand wird in der Regel das Michael Frieser (CDU/CSU): Um der Nachhaltig-
Miteinander gelebt – kein Gegeneinander. Der Bäcker keit der Debatte willen möchte ich im Wesentlichen auf
vor Ort ist nicht Lidl. Chef und Geselle stehen nebenein- das von mir schon einmal Gesagte verweisen: Der Da-
ander in der Backstube, in der Werkstatt oder auf der tenschutz wird zunehmend zum bestimmenden Thema
Baustelle. Diese Wirklichkeit in unseren kleinen und der parlamentarischen Arbeit. Beim Umgang mit Daten
mittelständischen Betrieben ignorieren Sie. Deshalb ist quält uns fast alle ein zunehmendes Unsicherheitsgefühl,
Ihr Antrag auch einseitig. Dies zeigt sich schon an seiner in erster Linie die Arbeitnehmer, aber auch die Arbeitge-
Ausrichtung. ber.
2250 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 25. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. Februar 2010

(A) Dass wir hier eine Regelung finden müssen, das ist, kann, um Doppelbegrifflichkeiten zu vermeiden und die (C)
glaube ich, eine einheitliche Haltung in diesem Haus. Da Einheitlichkeit von Definitionen herzustellen. Das ist ei-
eint uns der Konsens. Gerade deshalb geht der Koali- nes der großen Probleme des von Ihnen hier eingebrach-
tionsvertrag genau dieses Problem, wie ich meine, sogar ten Gesetzentwurfes – er ist in weiten Teilen hinreichend
sehr detailliert an. Um dieses Thema etwas grundsätzli- unkonkret, redundant und schwammig. Ich will nicht
cher zu fassen, muss man auf die Aussage verweisen: alle fachlichen Mängel aufzählen; einige habe ich schon
Ohne Sicherheit ist keine Freiheit. Das ist der alte Hum- genannt. Zweitens sollte eine gründliche Abstimmung
boldtsche Satz. Er ist auch die Grundlage für das Regie- mit den Tarifparteien stattfinden, mit den Arbeitnehmer-
rungshandeln in dieser Frage. Denn es geht genau da- vertretern und den Arbeitgebern.
rum, dass der Umgang mit den persönlichen, mit den
eigenen Daten auch die Grundlage für eine persönliche Was Sie heute vorlegen, ist hingegen ein unabge-
Freiheit ist und bleiben kann. Deshalb bedarf es der Re- stimmter Entwurf. Deshalb ist er abzulehnen. Wir kön-
gelung. nen an dieser Stelle so nicht weitermachen. Man muss
dem Parlament die Chance geben, auf einen Entwurf der
Es ist klar – davon geht der Koalitionsvertrag eben Regierung zu reagieren und zu versuchen, die selber für
genau aus –, dass es keine Bespitzelung am Arbeitsplatz notwendig gehaltene Abstimmung gemeinsam mit den
geben darf, dass der Arbeitnehmer davor geschützt wer- politischen Meinungsträgern herbeizuführen. Letztend-
den muss. Deshalb ist auch klar, dass nur Daten verar- lich muss sogar angezweifelt werden, dass der jetzt vor-
beitet werden können, die für das Arbeitsverhältnis auch gelegte Entwurf mit der EG-Datenschutzrichtlinie in
wirklich erforderlich sind. Wir können in der Koalition weiten Zügen zu vereinbaren ist. Da kann ich nur sagen,
jedenfalls von einem ausgehen: dass der Koalitionsver- werte Kollegen: Auch in der Opposition muss man prä-
trag in der Opposition angekommen ist. Er wird dort zise formulieren und arbeiten. Es reicht nicht, auf die
– zwar mit Verspätung – gelesen. Es ist nicht das erste, Schnelle einen Entwurf vorzulegen.
nicht das einzige Thema, welches von der Opposition
auf diesem Wege gefunden und dann ins Parlament hi- Doch möchte ich die Frage des Beauftragten für den
neingejagt wird. Das wird uns vermehrt passieren. In der Beschäftigtendatenschutz ansprechen. Dieser soll Ihrem
Opposition wird man schauen, dass man mit heraushän- Antrag zufolge eine herausgehobene Stellung erhalten
gender Zunge möglichst der Erste ist, der dieses Thema und bereits bei Kleinunternehmern von fünf Mitarbeitern
draußen noch irgendwie besetzen kann. Aber ich kann aufwärts eingesetzt werden. Sie wissen, dass Sie mit Ih-
nur sagen: Mit solcherlei Flickwerk, mit solcherlei Un- rem Antrag der SPD-Fraktion und den Grünen hinterher-
zulänglichkeit lässt sich auch in dieser Frage kein Staat hecheln. Bei den Grünen ist diese Forderung dann je-
machen. doch über Nacht verschwunden. Sie halten daran fest.
(B) Durch diese Forderung machen Sie Arbeit teurer und (D)
Es wird Sie nicht wundern, dass wir von der CDU/ vernichten Beschäftigungsverhältnisse.
CSU-Fraktion und auch die Kolleginnen und Kollegen
von der FDP diesen Entwurf ablehnen. Das gilt aber na- Der Duktus der Sprache des Entwurfes – auch das
türlich nur für den Inhalt des Entwurfs. Es gilt ausge- will ich einmal deutlich sagen – geht mit einer Vorverur-
sprochen nicht für das Thema des Arbeitnehmerdaten- teilung des Arbeitgebers einher. Die meisten Arbeitgeber
schutzes. Es ist in der Tat so: Wir haben immer wieder verhalten sich nicht nur gesetzestreu, sondern auch im
skandalträchtige Vorkommnisse. Es geht um pauschale Sinne ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Eine Vor-
Videobeobachtungen, es geht um Nötigungen mittels verurteilung und ein An-den-Pranger-Stellen durch den
Privatdetektive, und es geht darum, dass erhobene Daten Sprachduktus halte ich nicht für angebracht. Es geht
am Arbeitsplatz tatsächlich auch ein Handlungsprofil ei- auch darum, die Frage eines fehlenden Schutzinteresses
nes Arbeitnehmers erahnen oder nachverfolgen lassen. des Mitarbeiters in Einklang mit den Verpflichtungen ei-
Das sind alles Zustände, die wir in der Tat regeln müs- nes Unternehmens zu bringen. Dabei geht es um die Fra-
sen. Ich bin auch fest davon überzeugt, dass wir das gen der Korruptionsbekämpfung und der Datenerhe-
Ganze zügig regeln müssen. bung, die auch etwas mit der wirtschaftlichen Tätigkeit
zu tun haben. Beides müssen wir aufeinander abstim-
Dieser Handlungsdruck sollte uns jedoch nicht daran men, auch gemeinsam mit den entscheidenden Verbän-
hindern, dass wir diese Frage genau und präzise bearbei- den. Das fehlt schon im Denkansatz bei Ihrem Forde-
ten müssen. Vor allem können wir bei dem Thema nicht rungskatalog. Auch deshalb ist er abzulehnen.
mit den Ungenauigkeiten arbeiten, die der Gesetzent-
wurf der Linksfraktion beinhaltet. Wir dürfen den wohl- Abschließend kann ich nur sagen, dass es eines Ar-
gesetzten, abwägenden Prozess an dieser Stelle nicht un- beitsauftrages nicht bedurfte. Das Innenministerium ar-
terbrechen. Ich kann nicht ganz verstehen, warum dieser beitet bereits daran. Das Ergebnis wird in den nächsten
Gesetzentwurf jetzt aus Ihrer Schublade herauskommt. Wochen vorgelegt. Ich kann Sie nur auffordern, liebe
Aber er hätte besser ein Ladenhüter bleiben sollen. Kolleginnen und Kollegen: Lehnen Sie mit uns den An-
trag der Linksfraktion ab.
Sie wissen, dass dieses Thema erstmals am 16. Fe-
bruar des letzten Jahres im Bundesinnenministerium un-
ter der Verantwortung des damaligen Bundesinnenminis- Josip Juratovic (SPD): Noch nicht einmal drei Mo-
ters Schäuble besprochen wurde. Dort wurden zwei nate ist es her, dass wir hier über den Arbeitnehmerda-
Dinge vereinbart: Erstens die Tatsache, dass man dieses tenschutz gesprochen haben. Ich freue mich, dass das
Thema innerhalb des Bundesdatenschutzgesetzes regeln Thema heute wieder auf der Tagesordnung steht. Dies
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 25. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. Februar 2010 2251

(A) zeigt die Wichtigkeit einer schnellen und umfassenden Wenn eine private Nutzung erlaubt wird, muss klar sein, (C)
Regelung des Arbeitnehmerdatenschutzes. dass der Arbeitgeber nicht mitliest.
Wie Sie sicher aus meiner letzten Rede wissen, kenne Fünftens. Videoüberwachung und sonstige Formen
ich den Arbeitnehmerdatenschutz aus der betrieblichen der Überwachung müssen gesetzlich beschränkt werden.
Realität. Als Bandarbeiter und Betriebsrat habe ich mit- Eine heimliche Videoüberwachung ist unzulässig. Dies
erlebt, wie sich die Datenverarbeitung von einer Kartei- ist derzeit nirgends gesetzlich geregelt.
karte hin zu elektronischen Programmen verändert hat.
Sechstens. Wir wollen Beauftragte für den Arbeitneh-
Der Bundestag hat diese Veränderung aktiv begleitet. merdatenschutz in Betrieben ab fünf Personen schaffen.
In der 16. Legislaturperiode gab es zwei gemeinsame Damit soll auch die Sensibilität der Beschäftigten für
Beschlussempfehlungen aller Fraktionen, mit denen die den Umgang mit ihren Daten gestärkt werden.
Bundesregierung aufgefordert wurde, ein Arbeitnehmer-
datenschutzgesetz zu erarbeiten. Siebtens. Wir müssen klare Kontrollrechte für die Be-
schäftigten schaffen. Sie müssen benachrichtigt werden,
Auch heute soll die Bundesregierung aufgefordert wenn Daten von ihnen gespeichert werden. Sie müssen
werden, einen Gesetzentwurf zum Arbeitnehmerdaten- ein Recht auf Einsicht und auf Auskunft bekommen.
schutz vorzulegen. Das haben wir als Parlament in den
letzten Jahren schon oft getan. Nur passiert ist fast Achtens. Wir müssen klare Regeln für Schadenersatz
nichts. definieren. Was bekommen Beschäftigte für den materi-
ellen oder immateriellen Schaden, den sie erleiden, wenn
In der Großen Koalition war immer wieder umstrit- ihre Daten missbraucht werden? Auch müssen wir Sank-
ten, ob denn nun das Innenministerium oder das Arbeits- tionen für Missbrauch festlegen.
ministerium zuständig ist. Herr Schäuble hat einen Ge-
setzentwurf aber nach Kräften verhindert. Nachdem von Das sind wichtige Themen für ein Arbeitnehmerda-
Schäuble nichts kam, hat Olaf Scholz im Arbeitsministe- tenschutzgesetz. Diese Themen sind zu wichtig, als dass
rium gehandelt. sie „verwurschtelt“ werden und in zahlreiche bisher be-
stehende Gesetze eingearbeitet werden können. Wir
Meine Damen und Herren von der FDP, fassen Sie brauchen ein Gesetz aus einem Guss.
das als Ratschlag auf: Wir Sozialdemokraten mussten
immer wieder feststellen, dass die Union sich nach Kräf- Immer wieder reden wir von Bürokratieabbau. Fakt
ten gegen einen effektiven Arbeitnehmerdatenschutz ist, dass sowohl Arbeitnehmer als auch Arbeitgeber auf
wehrt. Sie stellt die Wirtschaftsinteressen und deren Rechtsberater angewiesen sind, um die derzeit unüber-
Lobbyarbeit über die Interessen der Arbeitnehmer. Seien sichtliche Lage im Arbeitnehmerdatenschutz überhaupt
(B) Sie also darauf gefasst, dass die Union auch die Verwirk- zu verstehen. (D)
lichung Ihrer Pläne, die Sie machmal in den Reden hier Meine Kollegen von der Unionsfraktion, wer wirklich
im Plenum vortragen, auf die lange Bank schieben wird. Bürokratie abbauen will, muss mit klaren und verständli-
Lassen Sie mich kurz darauf eingehen, warum eine chen Gesetzen anfangen. Dazu brauchen wir ein eigenes
Neuregelung des Arbeitnehmerdatenschutzes dringlich Arbeitnehmerdatenschutzgesetz. Wir als SPD-Fraktion
ist, und dies nicht nur wegen der zahlreichen uns be- haben in der Debatte am 3. Dezember einen umfassen-
kannten Skandale: den Gesetzentwurf eingebracht, in dem all diese Punkte
behandelt werden.
Erstens. Arbeitnehmerdatenschutz soll derzeit haupt-
sächlich über betriebliche Vereinbarungen zwischen Be- Meine Kolleginnen und Kollegen von der Linken,
triebsrat und Unternehmen geregelt werden. Was pas- hier möchte ich auf Ihren Antrag zu sprechen kommen.
siert aber in Betrieben, in denen gar kein Betriebsrat Auch Sie behandeln viele der Punkte, die ich gerade an-
existiert? Das sind rechtsfreie Räume im Bereich des Ar- gesprochen habe. Aber das meiste haben wir auch schon
beitnehmerdatenschutzes. Diese müssen wir durch ein in der vergangenen Debatte besprochen. Daher empfehle
einheitliches Gesetz schließen und Arbeitnehmerdaten- ich Ihnen, sich noch einmal unseren Gesetzentwurf an-
schutz für alle Beschäftigten gewährleisten. zuschauen.

Zweitens. Wir müssen festlegen, welche Daten in Be- Wie ich Ihnen bereits dargelegt habe, wird mit der
werbungsverfahren abgefragt werden dürfen. Diese Union nichts passieren. Der Lobbydruck auf diese Partei
müssen in einem Verhältnis zur Beschäftigung stehen. ist zu groß, als dass die Union wirklich die Arbeitneh-
Hier brauchen wir klare Regeln, damit die Arbeitnehmer merinteressen für mehr Datenschutz in den Mittelpunkt
ihre Rechte kennen und Arbeitgeber wissen, was sie ver- stellt. Ein Gesetzentwurf der Bundesregierung wird hier
langen dürfen und wo die Grenzen sind. so schnell nicht auftauchen.

Drittens. Wir müssen regeln, wann gesundheitliche Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken, von
Überprüfungen zulässig sind und was dabei untersucht den Grünen – Sie haben ja auch bereits einen Antrag zu
werden darf. Gesundheitliche Tests dürfen nur dann zu- diesem Thema gestellt – und liebe Kolleginnen und Kol-
gelassen werden, wenn sie direkt mit dem Arbeitsplatz legen der FDP: Sie sind gut beraten, nicht auf die Minis-
zusammenhängen. terien der Union zu warten. Nutzen Sie die Chance, an
unserem soliden Gesetzentwurf, der nun federführend
Viertens. Wir müssen klären, wann eine private Tele- beim Innenausschuss liegt, mitzuarbeiten. Es gibt in die-
fon- und Internetnutzung am Arbeitsplatz zulässig ist. sem Hause eine Mehrheit für einen besseren Arbeitneh-
2252 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 25. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. Februar 2010

(A) merdatenschutz! Nur gemeinsam können wir etwas im geht an den Anforderungen der Praxis genauso vorbei (C)
Sinne der Arbeitnehmer und gegen die Lobbyinteressen wie der von Ihnen an vielen Stellen propagierte Gleich-
der Wirtschaft erreichen. lauf der Mitbestimmungsrechte von betrieblichen Daten-
schutzbeauftragten auf der einen und Betriebsrat auf der
Ich freue mich auf unsere Zusammenarbeit. anderen Seite. Viele Ihrer Forderungen würden den Ab-
lauf in den Betrieben in kürzester Zeit lahmlegen.
Gisela Piltz (FDP): Arbeitnehmerdatenschutz be-
Der dringend nötige verbesserte Schutz von Arbeit-
schäftigt den Deutschen Bundestag, und es beschäftigt nehmerdaten darf doch aber nicht dazu führen, dass den
diese christlich-liberale Koalition. Die Notwendigkeit Unternehmen bürokratische Hürden auferlegt werden,
zur Schaffung klarer Strukturen liegt für diesen Bereich die selbst bei bestem Willen nicht zu meistern sind. Al-
klar auf der Hand. Gerade während eines Beschäfti- lein die von Ihnen geforderten Informationspflichten wä-
gungsverhältnisses sammeln sich umfangreiche perso- ren für viele Unternehmen schlicht nicht leistbar.
nenbezogene Daten der Mitarbeiterinnen und Mitarbei-
ter an, deren Handhabung sich oft in Grauzonen bewegt. Neue Regelungen zum Schutz von Arbeitnehmerda-
Auch wenn sich in der betrieblichen Praxis mit der Zeit ten werden nur dann erfolgreich sein, wenn zugleich die
bestimmte Standards im Umgang mit personenbezoge- Interessen der Unternehmen nicht vernachlässigt wer-
nen Daten herauskristallisiert haben, entbindet das den den. Compliance und Revision sind Tagesgeschäft in
Gesetzgeber nicht von der Vorgabe eindeutiger Rahmen- den Unternehmen. Gerade deshalb haben auch die Un-
bedingungen, und auch wenn das Bundesdatenschutzge- ternehmen ein großes Interesse an und einen Anspruch
setz schon in seiner aktuellen Fassung für die Arbeits- auf Rechtsklarheit und Rechtssicherheit. Letztlich liegt
welt gilt, sind die hier normierten Abwägungsgrundsätze die Bekämpfung von Mobbing, Spionage oder Korrup-
für den Einzelfall, gerade solche Einzelfälle am Arbeits- tion im Interesse aller, das heißt auch im Interesse der
platz, in den meisten Fällen ungeeignet. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer selbst.

Es war die FDP-Bundestagsfraktion, die gemeinsam Die Bundesregierung bekennt sich klar zur Notwen-
mit den Grünen und der Linken in der zurückliegenden digkeit neuer gesetzlicher Regelungen im Bereich des
Legislaturperiode Vorschläge zur Verbesserung des Da- Arbeitnehmerdatenschutzes. Sie können sich sicher sein
tenschutzes am Arbeitsplatz eingebracht hat, und es wa- – und das sage ich vor allem an die Adresse der Kolle-
ren die Anträge eben jener drei Fraktionen, die im Mai ginnen und Kollegen der SPD –: Diese neue Bundesre-
des vergangenen Jahres Grundlage der öffentlichen An- gierung nimmt die datenschutzrechtlichen Belange der
hörung im Ausschuss für Arbeit und Soziales waren. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ernst. Die Ab-
stimmung zwischen den beteiligten Ressorts und den
(B) Vergebens hatten wir stets auf einen Antrag des seiner- Koalitionsfraktionen ist in vollem Gange. Parallel hierzu (D)
zeit zuständigen SPD-geführten Arbeitsministeriums ge-
wartet. Mit diesem eklatanten gesetzgeberischen Versa- muss auch von den Unternehmen selbst ein Umdenken
gen ist in dieser Legislatur endlich Schluss. Wir werden eingefordert werden. Der Schutz und die Achtung von
als christlich-liberale Koalition hier endlich Fakten Arbeitnehmerdaten müssen ein Teil der Kultur des Un-
schaffen. ternehmens sein. Die Persönlichkeitsrechte des Einzel-
nen enden nun einmal nicht am Werkstor. So wenig der
Der Antrag, über den wir heute debattieren, ist zum Staat einen Anspruch auf den gläsernen Bürger hat, so
überwiegenden Teil eine Kopie Ihres Antrages aus der wenig steht dem Unternehmer ein allumfassendes Profil
16. Wahlperiode, meine Damen und Herren von der Lin- seiner Belegschaft zu. Für die Rahmenbedingungen wer-
ken. Ich gebe gerne zu, dass Ihr Antrag an einigen Stel- den wir in diesem Jahr endlich sorgen.
len durchaus eine gewisse Schnittmenge mit dem Antrag
der FDP aus der zurückliegenden Legislatur aufweist. Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
Geht man jedoch ins Detail, findet sich leider aber auch NEN): Jetzt hat auch die Linke einen Vorschlag zum Be-
viel Unbrauchbares, findet sich zum Teil bereits gesetz- schäftigtendatenschutz vorgelegt. Es zeigt sich: Die Op-
lich Geregeltes, finden sich Forderungen, die an der be- position denkt bei diesem Thema ähnlich. Das ist eine
trieblichen Praxis weit vorbeigehen. gute Grundlage für eine weitere Zusammenarbeit.
So halte ich ihre Forderung nach einem gesonderten Vor allem aber würde ich mich freuen, wenn es beim
Arbeitnehmerdatenschutzrecht nach wie vor für falsch. Beschäftigtendatenschutz eine fraktionsübergreifende Zu-
Nach meiner festen Überzeugung tut der Gesetzgeber sammenarbeit geben würde, also auch mit der CDU/CSU
gut daran, das Datenschutzrecht nicht durch immer neue und mit der FDP. Es wäre gut, wenn wir Parlamentarier
bereichsspezifische Regelungen weiter aufzufächern. den Bürgerinnen und Bürgern einmal zeigen würden,
Rechtszersplitterung hat noch nie zu einer verbesserten dass wir auch fraktionsübergreifend zusammenarbeiten
Handhabung des Rechts beigetragen. Gerade eine ver- können. Insbesondere mit der FDP, die sich die Bürger-
besserte Lesbarkeit des Rechts und damit eine bessere rechte auf die Fahnen geschrieben hat, könnte ich mir
Anwendbarkeit des Rechts müssen aber die Leitlinie ge- bei diesem Thema auch einmal eine Zusammenarbeit
setzgeberischen Handelns in der Zukunft sein. vorstellen. Zumindest wenn ich die Äußerungen der
FDP-Justizministerin lese, glaube ich, dass es auch mit
Einzelne Forderungen aus Ihrem Antrag sind daneben Teilen der FDP eine grundsätzliche Einigkeit gibt. Denn
geradezu weltfremd. Die Datenverarbeitung aufgrund ei- Beschäftigte sind auch Bürgerinnen und Bürger, die ei-
ner Einwilligung des Betroffenen völlig zu verbieten, nen besonderen Schutz ihrer Privatsphäre brauchen.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 25. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. Februar 2010 2253

(A) Die Datenschutzskandale in zahlreichen Unternehmen Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben (C)
– bei der Bahn, bei der Telekom, bei Lidl oder bei Daim- mitgeteilt, dass der Ausschuss gemäß § 80 Absatz 3 Satz 2
ler – stehen im Raum, und ich bin mir sicher, dass noch der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu der
einige folgen werden. Wir müssen also die rechtlichen nachstehenden Vorlage absieht:
Grauzonen beseitigen und brauchen baldmöglichst eine
sichere Rechtsgrundlage für alle Beteiligten. Deswegen
Auswärtiger Ausschuss
appelliere ich an die Regierungsfraktionen: Schaffen Sie
endlich Klarheit. Bringen Sie ein eigenständiges Arbeit- – Unterrichtung durch die deutsche Delegation in der Parla-
nehmerdatenschutzgesetz auf den Weg, das die Persön- mentarischen Versammlung der OSZE
lichkeitsrechte der Beschäftigten stärkt, Datenklau am 18. Jahrestagung der Parlamentarischen Versammlung
Arbeitsplatz verhindert und den berechtigten Interessen der OSZE vom 29. Juni bis 3. Juli 2009 in Wilna, Li-
der Arbeitgeber Rechnung trägt. So kann die Politik zu tauen
einer guten Unternehmenskultur und zu einem vertrau- – Drucksachen 17/7, 17/85 Nr. 1.1 –
ensvollen Miteinander im Betrieb beitragen. [Berichtigung: Die in der Amtlichen Mitteilung vom 22. Ja-
nuar 2010 für den Ausschuss für die Ange-
Die grüne Fraktion bleibt dabei: Wir wollen ein ei- legenheiten der Europäischen Union mitge-
genständiges Gesetz, und dafür gibt es gute Gründe: teilte Kenntnisnahme der Drucksache 17/7
ist hinfällig.]
Erstens wird der Beschäftigtendatenschutz bisher
durch verschiedene Gesetze geregelt, zum Beispiel
durch das Betriebsverfassungsgesetz, das Bundesdaten- Haushaltsausschuss
schutzgesetz, das Telemediengesetz und individuelle Be-
– Unterrichtung durch die Bundesregierung
triebs- oder Dienstvereinbarungen. Durch die Zersplitte-
Haushaltsführung 2009
rung der Rechtsgrundlage entstehen Gesetzeslücken.
Chaos, Verwirrung und Missbrauch werden gefördert. Mitteilung gemäß § 37 Absatz 4 der Bundeshaushalts-
ordnung über die Einwilligung in eine überplanmäßige
Zweitens kritisieren Datenschützer, dass die derzeiti- Ausgabe bei Kapitel 12 03 Titel 811 31 – Erwerb von
gen Gesetze die komplexen Abläufe der Arbeitswelt Fahrzeugen – bis zur Höhe von 26,459 Mio. Euro
nicht mehr ausreichend berücksichtigen. – Drucksachen 16/14114, 17/591 Nr. 1.31 –

Drittens fordert auch der Bundesdatenschutzbeauf- – Unterrichtung durch die Bundesregierung


tragte ein eigenständiges Gesetz, da die allgemeinen Re- Haushaltsführung 2009
geln des Bundesdatenschutzgesetzes für den Schutz der Mitteilung gemäß § 37 Absatz 4 der Bundeshaushalts-
Beschäftigtendaten nicht ausreichen. Personenbezogene ordnung über die Einwilligung in eine überplanmäßige
(B) Daten können erhoben, verarbeitet und genutzt werden, Ausgabe bei Kapitel 17 02 Titel 684 22 – Förderung von (D)
Modellprojekten zur Einrichtung von Mehrgeneratio-
wenn die Betroffenen einwilligen. An dieser Stelle ist nenhäusern – bis zur Höhe von 8,838 Mio. Euro
das problematisch, da ein Arbeitsverhältnis auch immer
– Drucksachen 16/14155, 17/591 Nr. 1.41 –
ein Abhängigkeitsverhältnis ist. Bitte nehmen Sie den
Bundesdatenschutzbeauftragten endlich ernst. – Unterrichtung durch die Bundesregierung
Wichtig ist uns Grünen aber auch, dass die Daten der Haushaltsführung 2009
Arbeitsuchenden, die von der Bundesagentur für Arbeit Mitteilung gemäß § 37 Absatz 4 der Bundeshaushalts-
betreut werden, besser geschützt werden. Wir wollen hö- ordnung über die Einwilligung in eine überplanmäßige
Ausgabe bei Kapitel 11 10 Titel 681 01 – Versorgungsbe-
here Strafen bei Datenmissbrauch; Datenklau ist nun züge für Beschädigte – bis zur Höhe von 8 Mio. Euro
einmal kein Kavaliersdelikt. Zudem wollen wir ein Kla- – Drucksachen 17/299, 17/503 Nr. 1.1 –
gerecht für Betriebsräte und für Gewerkschaften, damit
auch Beschäftigte – ohne eine betriebliche Interessen- – Unterrichtung durch die Bundesregierung
vertretung – zu ihrem Recht kommen können. Haushaltsführung 2009
lch sage es nochmal: Ich hoffe, dass alle Fraktionen Mitteilung gemäß § 37 Absatz 4 der Bundeshaushalts-
ordnung über die Einwilligung in eine überplanmäßige
über ihren Schatten springen und bei diesem wichtigen, Ausgabe bei Kapitel 08 04 Titel 688 04 – Zahlungen an
mit wenig Ideologie beladenen Thema zusammenarbei- die EU für abzuführende Zölle, soweit diese nicht einge-
ten – im Interesse der Beschäftigten. Lassen Sie uns eine nommen worden sind, einschließlich Zinsen gemäß Ar-
Reform des Beschäftigtendatenschutzes gemeinsam an- tikel 11 der Verordnung Nr. 1150/2000 – bis zur Höhe
packen. von 4,901 Mio. Euro
– Drucksachen 17/353, 17/503 Nr. 1.3 –

Anlage 8 Ausschuss für Arbeit und Soziales


Amtliche Mitteilungen – Unterrichtung durch die Bundesregierung
Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat mit- Bericht der Bundesregierung über die gesetzliche Ren-
geteilt, dass sie den Entwurf eines Gesetzes zur Aufhe- tenversicherung, insbesondere über die Entwicklung
der Einnahmen und Ausgaben, der Nachhaltigkeits-
bung des Beschlusses des Deutschen Bundestages rücklage sowie des jeweils erforderlichen Beitragssatzes
vom 18. Juni 2009 über das Gesetz zur Bekämpfung in den künftigen 15 Kalenderjahren (Rentenversiche-
der Kinderpornografie in Kommunikationsnetzen rungsbericht 2009)
auf Drucksache 17/661 zurückzieht. – Drucksachen 17/52, 17/317 Nr. 1 –
2254 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 25. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. Februar 2010

(A) – Unterrichtung durch die Bundesregierung Drucksache 17/136 Nr. A.64 (C)
Lagebericht der Bundesregierung über die Alterssiche- Ratsdokument 11948/09
rung der Landwirte 2009
– Drucksachen 17/55, 17/317 Nr. 2 – Ausschuss für Gesundheit
Drucksache 17/178 Nr. A.29
Ratsdokument 15243/09
Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben Drucksache 17/178 Nr. A.30
mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden Unions- Ratsdokument 15450/09
dokumente zur Kenntnis genommen oder von einer Bera-
tung abgesehen hat.
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Drucksache 17/178 Nr. A.31
Auswärtiger Ausschuss
Ratsdokument 15469/09
Drucksache 17/178 Nr. A.1
Ratsdokument 14610/2/09 REV 2
Drucksache 17/178 Nr. A.2 Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit
Ratsdokument 15872/09 und Entwicklung
Drucksache 17/136 Nr. A.104
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Ratsdokument 11863/09
Verbraucherschutz
Drucksache 17/136 Nr. A.61
Ratsdokument 10769/09

(B) (D)
Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co., Buch- und Offsetdruckerei, Bessemerstraße 83–91, 12103 Berlin, www.heenemann-druck.de
Vertrieb: Bundesanzeiger Verlagsgesellschaft mbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de
ISSN 0722-7980

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