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Deutscher Bundestag
Stenografischer Bericht1
166. Sitzung
Inhalt:
1)
Der gesamte und damit endgültige Stenografische Bericht der 166. Sitzung wird am 30. April 2024 veröffentlicht.
II Deutscher Bundestag – 20. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. April 2024
Zusatzpunkt 3:
Antrag der Abgeordneten Peter Boehringer, Zusatzpunkt 4:
Albrecht Glaser, Norbert Kleinwächter, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion der AfD: a) Antrag der Abgeordneten Kay Gottschalk,
Euro-Währungsunion kritisch bewerten – Klaus Stöber, Albrecht Glaser, weiterer
Integrationsverantwortung wahrnehmen . . 21324 A Abgeordneter und der Fraktion der AfD:
Abschaffung des Solidaritätszuschlags –
Drucksache 20/11140 Erster Schritt einer umfänglichen Steu-
erreform zur Entlastung des Mittel-
Albrecht Glaser (AfD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21324 A stands, von Unternehmen sowie Arbeit-
nehmern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21341 B
Nezahat Baradari (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21324 D
Drucksache 20/11149
Yannick Bury (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21326 A
Chantal Kopf (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 21326 D
b) Antrag der Abgeordneten Bernd Schattner,
Dr. Thorsten Lieb (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21327 D Stephan Protschka, Peter Felser, weiterer
Albrecht Glaser (AfD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21329 A Abgeordneter und der Fraktion der AfD:
Deutsche Landwirtschaft schützen –
Dr. Thorsten Lieb (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21329 C Zollfreiheiten für ukrainische Getreide-
Peter Boehringer (AfD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21330 A und Ölsaaten beenden . . . . . . . . . . . . . . . . . 21341 C
Metin Hakverdi (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21330 D Drucksache 20/11148
Deutscher Bundestag – 20. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. April 2024 III
Tagesordnungspunkt 27:
Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21366 C
in Verbindung mit
Zusatzpunkt 5: Zusatzpunkt 6:
a) Beschlussempfehlung und Bericht des Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen
Ausschusses für Inneres und Heimat zu SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP:
dem Antrag der Abgeordneten Martin Bedrohung unserer Demokratie – Russ-
Hess, Dr. Bernd Baumann, Dr. Gottfried land, China und die Rolle der AfD . . . . . . . . 21344 A
Curio, weiterer Abgeordneter und der Dirk Wiese (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21344 A
Fraktion der AfD: Antisemitismus durch
Zuwanderung klar benennen und effek- Marc Henrichmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 21345 B
tiv bekämpfen – Unterstützer von anti- Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/
semitischem Terrorismus ausweisen . . . 21343 A DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21346 C
Drucksachen 20/9151, 20/9795 Stefan Keuter (AfD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21347 D
Konstantin Kuhle (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21349 A
b) Antrag der Abgeordneten Dr. Gesine
Lötzsch, Susanne Ferschl, Matthias W. Nancy Faeser, Bundesministerin BMI . . . . . . . . 21350 C
Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Mechthilde Wittmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 21352 A
Gruppe Die Linke: Tag der Befreiung als
gesetzlicher Gedenktag . . . . . . . . . . . . . . . . 21343 A Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/
Drucksache 20/10743 DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21353 C
Dr. André Hahn (Die Linke) . . . . . . . . . . . . . . . . . 21355 A
Gyde Jensen (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21356 B
Tagesordnungspunkt 12: Philipp Amthor (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . 21358 A
Wahlvorschläge der Fraktionen SPD, CDU/ Sebastian Hartmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21359 B
CSU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:
Robert Farle (fraktionslos) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21360 C
Wahl der vom Deutschen Bundestag zu be-
nennenden Mitglieder des Kuratoriums des Dorothee Martin (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21361 C
IV Deutscher Bundestag – 20. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. April 2024
(A) (C)
166. Sitzung
Europa wäre gerade heute ein ganz anderes. Dieser 1. Mai 2004 hat sich aber nicht ins kollektive
Gedächtnis eingeprägt. Es ist keiner dieser Tage, von dem
Vielen Dank. jeder 20 Jahre später noch genau weiß, wo er war oder
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- was sie getan hat. Das schmälert aber keineswegs seine
neten der SPD und der FDP und des Abg. historische und geopolitische Bedeutung, sondern dürfte
Helge Limburg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- daran liegen, dass der Beitritt insgesamt gut zehn Jahre
NEN]) gedauert hat, und vielleicht auch daran, dass wir bereits
im März 2004 den Beitritt zur NATO gefeiert haben.
Jahrelang waren unsere Abendnachrichten durch Öffnun-
Präsidentin Bärbel Bas: gen und Schließungen von Beitrittsverhandlungskapiteln
Als Nächste hat das Wort für die SPD-Fraktion geprägt. Das Gesicht des damaligen EU-Erweiterungs-
Dr. Zanda Martens. kommissars Günter Verheugen erkannten selbst diejeni-
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ gen, die sich sonst überhaupt nicht für Politik interessier-
DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der ten.
FDP) Einer der letzten Schritte zum Ziel war dann das Refe-
rendum im September 2003. Für den Beitritt stimmten
Dr. Zanda Martens (SPD): 67 Prozent, dagegen waren 32 Prozent, bei einer Wahl-
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und beteiligung von stolzen 71,5 Prozent. Diese Zahlen zei-
Kollegen der demokratischen Parteien! Liebe Gäste! gen: Es gab nicht nur Jubel und Euphorie in der lettischen
21282 Deutscher Bundestag – 20. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. April 2024
Robin Wagener
(A) Darum, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind die EU- im Bundestag beschlossen worden war. Wie geht die (C)
Beitrittsprozesse vor 20 Jahren so wichtig gewesen. Da- EU heute mit Serbien um? Mit der Pistole auf der Brust
rum sind die heute anstehenden Prozesse mit den Ländern lädt man den Beitrittskandidaten ein: Akzeptiere das von
des westlichen Balkans, mit der Ukraine, mit Moldau und uns gewollte Brechen der UN-Resolution 1244, akzep-
auch mit Georgien verdammt wichtig. Darum muss es tiere die Abspaltung des Kosovo, folge unserer aggressi-
auch eine europäische Perspektive für Armenien geben ven Linie im Russland-Sanktionskrieg, und gib deine
und für ein demokratisches Belarus, wie wir es hier im Rolle als wertvolle außenpolitische Brücke zwischen
Parlament zum Ausdruck gebracht haben. Ost und West auf.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Während die Obdachlosen aus aller Welt in den Stra-
sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP) ßen von Paris schon den Niedergang der Kern-EU andeu-
Die Europäische Union ist das Beste, was meiner Ge- ten, fantasieren die Monopoly-Geostrategen in Brüssel
neration geschenkt wurde. Noch nie zuvor gab es in so und Washington von einer Großmacht EU. Doch irgend-
vielen Ländern so lange Frieden in Europa. Viele – auch wann wird Erweiterung zur Überdehnung. Wehe aber,
ich – haben lange geglaubt, dass dieser Frieden garantiert wenn der Ballon platzt.
ist. Das ist er aber nicht. Das haben schon die blutigen (Beifall bei Abgeordneten der AfD und des
Balkankriege der 90er-Jahre gezeigt, und das zeigt uns Abg. Robert Farle [fraktionslos] – Dr. Marie-
jeden Tag der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine. Agnes Strack-Zimmermann [FDP]: Ja, der
Liebe Kolleginnen und Kollegen, darum sind 20 Jahre platzt gerade!)
EU-Osterweiterung nicht nur ein Grund, in der Rück- Schon beginnt sich Serbien vom EU-Pfad abzuwen-
schau zu feiern, sondern das ist die Erinnerung an uns den, und Präsident Vučić wird zum BRICS-Gipfel im
alle, zusammen alles dafür zu tun, um die Freiheit zu Oktober nach Kasan reisen. Auch Deutschland wäre gut
verteidigen, den Frieden in Europa wiederherzustellen beraten, sich die Welt offenzuhalten, statt sich von Brüs-
und die EU zu einem noch größeren Demokratieprojekt sel und Washington an die immer kürzere Leine legen zu
zu machen. lassen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall bei der AfD sowie des Abg. Robert
sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP) Farle [fraktionslos])
Die Diktaturen stehen zusammen. Auch wir als Demo- Denken Sie einmal eigenständig darüber nach!
kratinnen und Demokraten, als Europäerinnen und Euro-
Danke schön.
päer müssen für die Freiheit zusammenstehen.
Vielen Dank. (Beifall bei der AfD sowie des Abg. Robert
(B) (D)
Farle [fraktionslos])
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
sowie bei Abgeordneten der SPD, der CDU/
CSU und der FDP) Präsidentin Bärbel Bas:
Als Nächster hat das Wort für die SPD-Fraktion Frank
Schwabe.
Präsidentin Bärbel Bas:
Als Nächster hat das Wort für die AfD-Fraktion (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
Dr. Rainer Rothfuß. des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der
FDP – Christian Petry [SPD]: Jetzt kommt we-
(Beifall bei der AfD) nigstens was Vernünftiges!)
Thomas Hacker
(A) schließlich die NATO eingriff. Spannungen bleiben bis Dynamik, öffnen neue Beitrittsperspektiven. Gleichzeitig (C)
heute. Und doch: Der Fall des Eisernen Vorhangs schuf muss sich die EU selbst auf die nächsten Erweiterungen
ein neues Europa, ein geeintes und freies Europa. vorbereiten. Allen Beitrittsaspiranten muss aber auch klar
sein: Die EU ist mehr als ein Wirtschaftsverein, sie ist ein
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
Wertebündnis. Zum Fundament der EU gehören die Frei-
der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ-
heitsrechte und die Kopenhagener Kriterien, die Achtung
NEN)
der Rechtsstaatlichkeit, die Wahrung von Menschenrech-
Die Gründerväter und -mütter der Europäischen Union ten, der Schutz von Minderheiten. Reformen im Vorfeld
nutzten nach dem Zweiten Weltkrieg die Chance, das des Beitritts müssen unumkehrbar sein.
Fundament zu legen für Freiheit, Demokratie, Rechts- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
staatlichkeit, Selbstbestimmung und Wohlstand. Die der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ-
Menschen in Mittel- und Osteuropa sehnten sich nach NEN)
den gleichen Werten und bekamen sie viele Jahre nicht.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, vor 20 Jahren wurde
Die Aufteilung Europas durch den Molotow-Ribben- die Europäische Union ein Stück größer, ein Stück besser,
trop-Pakt von 1939 und die Konferenz von Jalta 1945 ein Stück vollkommener. Vollkommen wird Europa erst
wirkte nach. In den Staaten des Warschauer Pakts erstick- sein, wenn die Länder des westlichen Balkans, wenn die
ten die Regime jeden Versuch der Freiheit und Selbst- Ukraine, Moldau und perspektivisch Georgien gleichbe-
bestimmung im Keim. Aber 1989 wurde Undenkbares rechtigte Teile des gemeinsamen Europas sind – in Frei-
Realität: Der wirtschaftliche und moralische Zerfall der heit, in Frieden.
Regime war nicht mehr aufzuhalten. Die Freiheit hatte
gesiegt, die Demokratie. Vielen Dank.
Jetzt machten sich die Länder auf, Teil der westlichen (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
Staatengemeinschaft zu werden: in der Sicherheitspolitik, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ-
in der Wirtschaftspolitik. Der Beitritt zur Europäischen NEN)
Union von Estland, Lettland, Litauen, Malta, Polen, der
Slowakei, Slowenien, Tschechien, Ungarn und Zypern Präsidentin Bärbel Bas:
2004, vor 20 Jahren, und von Bulgarien, Rumänien und Als Nächster hat das Wort für die CDU/CSU-Fraktion
Kroatien wenige Jahre später war die logische Kon- Ralph Brinkhaus.
sequenz. Geschichte hat sich vollendet.
(Beifall bei der CDU/CSU)
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
(B) der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- (D)
NEN) Ralph Brinkhaus (CDU/CSU):
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist
Der Beitritt der Staaten war nicht frei von Sorgen, von schön, dass wir heute mal was feiern; denn wir feiern
Vorurteilen der bisherigen Mitglieder. Es gab Übergangs- hier ja eigentlich sehr wenige Erfolgsgeschichten.
fristen; volle Freizügigkeit ließ noch auf sich warten. 20 Jahre EU-Osterweiterung ist aber eine Erfolgs-
Aber: Die EU wurde nicht von billigen Arbeitskräften, geschichte. Der eine oder andere, der hier im Saal sitzt,
Handwerksbetrieben oder Preisdumping überschwemmt. hat daran mitgewirkt, und deswegen ist es gut, dass wir
Das Wohlstandsversprechen für die Neumitglieder war uns heute einfach mal freuen.
kein Märchen. Wirtschaftliche Zusammenarbeit bringt
Wachstum, und Wachstum bringt Arbeitsplätze und (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
Wohlstand. neten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN und der FDP)
(Zuruf des Abg. Norbert Kleinwächter [AfD])
Aber, meine Damen und Herren, nach der Erweiterung
Die Länder haben sich erfolgreich in den EU-Binnen- ist vor der Erweiterung. Es ist schon mehrfach ange-
markt integriert. Ihr Bruttoinlandsprodukt ist deutlich ge- sprochen worden: Es sind nicht nur die Ukraine, die Re-
stiegen, die Arbeitslosenquote gesunken. Sie sind zum publik Moldau, Georgien, sondern auch der Westbalkan,
Ziel ausländischer Direktinvestitionen geworden. die noch vor der Tür stehen. Deswegen gestatten Sie mir
Liebe Kolleginnen und Kollegen, heute können wir mit drei Gedanken.
Stolz sagen: Die Erweiterung der EU um die Länder Der erste Gedanke: In Artikel 2 des Vertrages über die
Mittel- und Osteuropas ist ein Erfolg, ein grandioser Er- Europäische Union geht es um Menschenrechte, Demo-
folg. kratie, Freiheit, Gleichheit und den Schutz von Minder-
heiten. In Artikel 3 steht, was die Europäische Union
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
überhaupt macht. Das ist mit Bedacht gemacht worden,
der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ-
weil die Europäische Union nicht in erster Linie eine
NEN)
Wirtschaftsunion und eine Friedensunion ist, sondern
Nach dem russischen Angriff auf die Ukraine stehen sie ist in erster Linie eine Werteunion, meine Damen
wir wieder vor einer neuen Realität. Wie nach 1989 ist die und Herren. Und die Werte, die dort niedergelegt sind,
Strahlkraft der EU in ihrer Nachbarschaft nicht erloschen. sind die Grundlage und die Leitlinie, die moralische
Die sechs Staaten des Westbalkans, die Republik Moldau, Grundlage für unser politisches Handeln. Deswegen soll-
Georgien und die Ukraine sehen ihre Zukunft in der EU. ten wir ganz klar betonen – auch hier und heute –: Wer
Neue geostrategische Notwendigkeiten bringen eine neue diese Werte teilt, ist in der Europäischen Union herzlich
Deutscher Bundestag – 20. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. April 2024 21289
Ralph Brinkhaus
(A) willkommen. Wer diese Werte nicht oder – auch das sage Und dieses Zusammen-handeln-Können ist manchmal (C)
ich ganz ausdrücklich – nicht mehr teilt, muss sich über- sehr anstrengend und schwer, Stichwort „Ungarn“, Stich-
legen, ob die Europäische Union der richtige Platz ist, wort „Einstimmigkeitsentscheidung“.
meine Damen und Herren. Deswegen müssen wir uns auch fragen: Sind unsere
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Institutionen tatsächlich reif dafür, neue Länder auf-
ordneten der SPD und der FDP) zunehmen? Was müssen wir noch tun? Denn noch etwas
ist wichtig, meine Damen und Herren: Es ist klar, dass wir
Zweiter Gedanke: Im Europaausschuss haben wir sehr auf der einen Seite eine Erweiterung brauchen, aber auf
oft Gäste, insbesondere vom Westbalkan. Die beklagen der anderen Seite sind auch die Handlungsfähigkeit, die
sich dann und sagen: Wir warten jetzt schon so lange Integrität, die Vertiefung der Integration – gerade im Be-
darauf, dass wir Mitglied in der Europäischen Union reich Außen-, Wirtschafts- und Sicherheitspolitik – wich-
werden. – Stimmt auch, Montenegro beispielsweise: tig. Auch das sollten wir bedenken und aus den Erfahrun-
15 Jahre. Bei anderen Ländern dauert der Prozess noch gen von 20 Jahren EU-Osterweiterung lernen.
viel, viel länger. Man muss allerdings immer wieder sa- Danke schön.
gen: Es liegt nicht an uns, sondern der Beitrittsprozess ist
klar definiert; es ist klar definiert, welche Bedingungen (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
ihr zu erfüllen habt. Ob das schneller oder langsamer neten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE
geht, liegt an den Politikerinnen und Politikern in euren GRÜNEN und der FDP)
Ländern. – Kleine Botschaft nach Georgien zum Beispiel.
Deswegen, meine Damen und Herren, ist es, glaube ich,
wichtig, dass wir ein besseres Erwartungsmanagement Präsidentin Bärbel Bas:
machen – gerade bei den neuen Beitrittskandidaten –, Als Nächster hat das Wort für die Fraktion Bündnis 90/
dass wir ganz klar sagen: Wir haben bestimmte Kriterien, Die Grünen Dr. Anton Hofreiter.
die erfüllt werden müssen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
(Boris Mijatović [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)
NEN]: Nordmazedonien!)
An der einen oder anderen Stelle ist es so, dass mir die Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Euphorie, die auch hier im Deutschen Bundestag gehegt Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
wird, manchmal etwas zu groß ist, weil diese Euphorie – Kollegen! Der 1. Mai vor 20 Jahren war ein historisches
so berechtigt sie auch sein mag – immer dazu führt, dass Datum für die Europäische Union. Es ist bereits erwähnt (D)
(B)
Erwartungen geweckt werden, die wir dann nicht erfüllen worden: Die Europäische Union – nicht Europa – ist um
können. Deswegen muss man ganz klar sagen: Der Bei- zehn Länder erweitert worden, und relativ bald darauf
trittsprozess ist hart, er ist aufwendig. Es gibt keinen sind drei weitere Länder gefolgt: Bulgarien, Rumänien
Rabatt, es gibt keine Überholspur, und es liegt an den und als letztes Beitrittsland Kroatien. All diese Länder
Ländern selbst, die Bedingungen zu erfüllen oder nicht waren und sind immer Teil Europas, aber sie sind auch
zu erfüllen. der Europäischen Union beigetreten.
(Beifall bei der CDU/CSU – Boris Mijatović Gestern hatten wir eine sehr gute Veranstaltung im
[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und Nord- Europaausschuss. Von den 13 beigetretenen Ländern wa-
mazedonien?) ren die Vorsitzenden oder stellvertretenden Vorsitzenden
von immerhin 11 Ländern dabei. Diese Veranstaltung hat
Dritter Gedanke. Meine Damen und Herren, es ist aus noch mal deutlich gemacht, wie wichtig es auch für
geopolitischen Gründen und auch, weil die Menschen es Deutschland ist, dass wir mit all diesen Ländern intensiv
verdient haben – das ist an dieser Stelle gesagt worden –, im Dialog sind und genau zuhören, was sie uns zu sagen
sehr, sehr wichtig, dass wir die Erweiterung der Euro- haben. Sie kennen nämlich manche Regionen besser, sie
päischen Union, dass wir Europa vollenden. Das ist über- verstehen manche Dinge besser, und es wäre dringend
haupt keine Frage. Aber wir diskutieren momentan sehr, notwendig, dass wir die Erfahrungen der letzten Jahre
sehr stark anhand der geopolitischen Linien. Ja klar, wir ernst nehmen. Gerade die Länder – es ist schon angespro-
wollen alle die Ukraine an uns binden, um sie zu schüt- chen worden – aus dem Baltikum haben uns schon vor
zen. Ja klar, wir wollen den Westbalkan in Europa haben, vielen Jahren gewarnt: Was ist mit Nord Stream 2? Was
damit dort kein Vakuum geschaffen wird für Chinesen, ist mit dem imperialistischen, wieder aggressiv werden-
für Saudi-Arabien, für die Türkei oder für Russland. den Russland? Und wir haben den Ländern gesagt:
Schaut mal, wir sind Deutschland. Wir sind so groß.
(Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann [FDP]: Wir haben so viele Erfahrungen. Wir haben die ganzen
Aber?) Probleme im Griff. Ihr habt ein Sowjetunion-Trauma.
Das ist die eine Sache, die ist wichtig. Wir wissen es besser. – Und jetzt, spätestens seit dem
24. Februar 2022 kann man klar erkennen, wer es besser
Aber die andere Sache ist auch wichtig: Die Hand- wusste: Die baltischen Staaten wussten es besser; Polen
lungsfähigkeit der Europäischen Union muss erhalten wusste es besser.
bleiben. Wir als Europäer können nur zusammen gegen-
über den großen Polen, China und USA erfolgreich sein. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Aber dafür müssen wir auch zusammen handeln können. sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)
21290 Deutscher Bundestag – 20. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. April 2024
Fabian Funke
(A) Denn auch wenn die meisten von uns hier im Saal nach (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (C)
der polnischen Parlamentswahl im vergangenen Jahr auf- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der
geatmet haben, so dürfen wir nicht den Fehler begehen, FDP)
Deutschland gänzlich aus der Verantwortung für die oft
Deshalb anlässlich der anstehenden Europawahl mein
von gegenseitigem Frust und Misstrauen geprägten
Appell an alle demokratischen Kräfte hier im Haus: Er-
deutsch-polnischen Beziehungen der letzten Jahre zu
teilen wir den Antieuropäern eine klare Absage, auch im
nehmen. Auch Deutschland hat in dieser Beziehung eini-
Europaparlament, auch nach der Europawahl! Lasst uns
ges an Demut wieder zu entdecken.
gemeinsam dem rechtsextremen Rand und ihren Wahn-
So waren es unsere Partner/-innen in Warschau, Prag, vorstellungen eines sogenannten Europas der Vaterländer
Vilnius und Tallinn, die uns allerspätestens seit 2014 entgegentreten!
immer wieder vor den imperialen Ambitionen Russlands
warnten, die eine Neuausrichtung der europäischen Si- (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Lachen
cherheitsarchitektur einforderten, die die Risiken der ein- bei Abgeordneten der AfD – Dr. Götz
seitigen deutschen Abhängigkeit von russischem Öl und Frömming [AfD]: Wie Kohl und Adenauer!
Gas benannten und die mitunter auch klar aussprachen, Was für ein Grünschnabel! Machen Sie mal
dass Deutschland seiner Verantwortung für die Sicherheit Ihr Abitur! O Gott! Ich fasse es nicht! –
der Europäischen Union nicht ausreichend nachkam. Dr. Harald Weyel [AfD]: Einspruch des fran-
zösischen Botschafters! Kinderparlament ist
Wir hätten früher auf sie hören sollen; denn wir müssen das hier! – Zuruf des Abg. Norbert
feststellen: Erst die Erweiterung von 2004 hat die Voraus- Kleinwächter [AfD])
setzungen dafür geschaffen, dass die EU so wirtschaftlich
stark, global einflussreich und geopolitisch relevant ist, In einem Europa in Sinne der AfD, in dem jedes Land
wie sie es heute ist. isoliert und auf sich allein gestellt ist, säßen unsere zen-
tral- und osteuropäischen Partner auf dem Präsentiertel-
(Beifall bei der SPD – Norbert Kleinwächter ler. Russland und China hätten leichtes Spiel. Aber wie
[AfD]: Falsch! Einfach falsch!) die Machenschaften Ihrer Spitzenleute ja gerade zeigen,
Eine Europäische Union ohne ihre Mitgliedstaaten ist vielleicht genau das auch Ihr Plan: Loyalität zu Russ-
Zentral- und Osteuropas land und China, Politik gegen unser Land und unser Eu-
ropa.
(Dr. Michael Kaufmann [AfD]: Lissabon-Stra-
tegie: grandios gescheitert! Schlechtes Wirt- Eine starke Europäische Union ist das beste Mittel
schaftswachstum!) gegen Sie und Ihre Freunde im Kreml und für Europa
(B) und für die Zukunft. (D)
wäre im Jahr 2024 kein politischer und wirtschaftlicher
Vielen Dank.
Akteur von globalem Gewicht, sondern lediglich ein re-
gionaler Interessenverband. Erst die Erweiterung der EU (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE
hat sie zu dem gemacht, was sie heute ist. GRÜNEN und der FDP – Zurufe von der AfD)
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Deshalb ist es umso tragischer, dass seit der Erweite- Präsidentin Bärbel Bas:
rungsrunde von 2007 in 17 Jahren mit Kroatien lediglich Als Nächster hat das Wort für die Gruppe BSW Andrej
ein weiteres Land in die Europäische Union aufgenom- Hunko.
men wurde. Die Erweiterungsdynamik von 2004 wurde (Beifall beim BSW)
in den letzten zwei Jahrzehnten schmerzlich verschleppt.
Den politischen Preis dafür zahlen wir alle heute: in der Andrej Hunko (BSW):
Ukraine, auf dem Westbalkan und auch in der Türkei, mit Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Als vor
Krieg, sicherheitspolitischer Instabilität und einer proeu- 20 Jahren zehn neue Länder der EU beitraten, war die
ropäischen Dynamik, die in zu vielen Gesellschaften und Euphorie groß. In Volksabstimmungen in diesen Ländern
bei zu vielen Menschen angesichts jahrelanger Hinhalte- war eine überwältigende Mehrheit für diese Beitritte. Der
manöver zu Verbitterung geführt hat. EU-Erweiterungsprozess erschien als unhinterfragbare
Der historische Erfolg der Erweiterung von 2004 und historische Erfolgsgeschichte; die Idee von dauerhaftem
die verlorenen Jahrzehnte danach lehren uns: Wir dürfen Frieden, Wohlstand, sozialer Sicherheit und Freiheit
die aktuelle proeuropäische Dynamik der Beitrittskan- schien Wirklichkeit zu werden.
didaten nicht erneut verspielen. Wir müssen es ernst mei- In der Zwischenzeit ist die Jubelstimmung in Ernüch-
nen mit Albanien, Nordmazedonien, Bosnien und Her- terung umgeschlagen. Weniger als 30 Prozent der Men-
zegowina, Serbien, Montenegro, dem Kosovo, schen in Frankreich und Deutschland etwa befürworten
Georgien, Moldau und der Ukraine. noch die Aufnahme neuer Beitrittsländer. Daran ändern
Denn auch vor 2004 gab es Zweifler; auch damals war auch Sonntagsreden nichts.
es schwer, die Erweiterung gegen nationale Befindlich-
(Beifall beim BSW)
keiten und wirtschaftliche Bedenken durchzubringen.
Durch den Brexit hat ein wichtiger Akteur die EU ver-
(Johannes Schraps [SPD]: So ist es!)
lassen. Der Anteil der EU an der Weltwirtschaft und am
Aber der politische Erfolg heute spricht für sich. Welthandel schrumpft. Heute zeigen sich die Grenzen der
Deutscher Bundestag – 20. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. April 2024 21293
Andrej Hunko
(A) politischen Integration. Unter den jetzigen Umständen republik seit den Bonn-Kopenhagener Erklärungen zum (C)
wäre etwa die Aufnahme der Ukraine oder der Türkei Schutz und zur Förderung von Minderheiten einen Mo-
unverantwortlich. dellcharakter.
(Beifall beim BSW) Klar ist aber: Nicht die Grenzziehung von 1920 hat die
Jahrzehnte der Anfeindungen beendet und das Grenzland
Vor allem aber ist Europa von kriegerischen Auseinan- zu dem gemacht, was es heute ist, sondern die kulturelle,
dersetzungen umgeben. Die europäischen Debatten wer- gesellschaftliche und politische Integration unserer Min-
den zunehmend geopolitisch geführt; die Sprache des derheiten.
Krieges herrscht wieder in Europa. Der Irrglaube, nur
hochgerüstete Armeen tragen zur Sicherheit bei, prägt (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/
inzwischen die Debatten. Wir brauchen aber ein souverä- CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
nes Europa, das als vermittelnde Friedensmacht auftritt, und der FDP)
nicht als verlängerter Arm der USA oder der NATO. Und, liebe Kolleginnen und Kollegen, eine gute Minder-
(Beifall beim BSW) heitenpolitik ist ein unerlässlicher Bestandteil der DNA
des europäischen Friedensprojektes und damit der Euro-
Warum wurden etwa im März 2022 die Friedensver- päischen Union.
handlungen zwischen Ukraine und Russland in Istanbul
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/
geführt, während zeitgleich der Europäische Rat in Brüs-
CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
sel das noch nicht mal zum Thema machte? Warum wird
und der FDP – Knut Abraham [CDU/CSU]:
in der Türkei ein Getreideabkommen ausgehandelt, nicht
Sehr richtig!)
etwa in Paris, Rom oder Berlin? Warum gehen diploma-
tische Initiativen von vielen Teilen der Welt aus, sogar Aber es wäre falsch, Minderheitenpolitik auf Kultur-
von afrikanischen Präsidenten, aber nicht von Scholz politik zu reduzieren, und wer das tut, der missversteht
oder Macron? ihre Komplexität und ihre identitätsstiftende Bedeutung.
Auch darüber müssen wir reden, liebe Frau Roth und
(Beifall beim BSW – Dr. Christoph Hoffmann liebe Frau Lührmann.
[FDP]: Das ist doch falsch! Das ist doch ein-
fach falsch!) Gesellschaftlich ist der Dialog mit unseren Minderhei-
ten, ihre Unterstützung und Einbindung ein wertvoller
Wir müssen die Kunst der Diplomatie nach Europa Aspekt der gesellschaftlichen Vielfalt, die unsere libera-
zurückholen. Es braucht einen sofortigen Waffenstill- len Demokratien prägt und sie starkmacht.
stand in der Ukraine und in Gaza.
(B) Vielen Dank. Präsidentin Bärbel Bas: (D)
(Beifall beim BSW sowie des Abg. Robert Kommen Sie bitte zum Schluss.
Farle [fraktionslos] – Dr. Rainer Rothfuß
[AfD]: Ich würde so gerne klatschen!) Stefan Seidler (fraktionslos):
Das tue ich sehr gerne. – Immer wieder sind Minder-
heiten in der europäischen Geschichte, aber auch gerade
Präsidentin Bärbel Bas:
in diesen Tagen Spielball großer Mächte. Eine gute
Als Nächster hat das Wort der fraktionslose Abgeord- Minderheitenpolitik setzt Konflikt und Grausamkeit die
nete Stefan Seidler. Stärke unserer offenen Gesellschaft entgegen. Minder-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN heitenpolitik ist Friedenspolitik.
sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP) Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
Stefan Seidler (fraktionslos): DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Moin, liebe Kollegin- CDU/CSU und der FDP)
nen und Kollegen! Seit der Osterweiterung besteht die
Europäische Union nicht mehr nur aus dem alten West-
europa, sondern reicht von der portugiesischen Atlantik- Präsidentin Bärbel Bas:
küste bis an den Fluss Narva an der Grenze zu Russland. Als Nächster das Wort für die CDU/CSU-Fraktion
Und während 2004 vor allem wirtschaftliche Themen die Alexander Radwan.
Debatte um die Erweiterung der EU dominierten, ist die (Beifall bei der CDU/CSU)
Situation heute eine andere: Der russische Angriffskrieg
macht den historischen Wert der Europäischen Union als Alexander Radwan (CDU/CSU):
Friedensprojekt wieder greifbarer. Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
Das kriegerische Verschieben von Ländergrenzen hat Kolleginnen und Kollegen! 20 Jahre Osterweiterung
über Jahrhunderte Tod und Leid über Europa gebracht, sind ein Anlass, zurückzuschauen und nach vorne zu
und durch gemeinsame Institutionen sollte dem ein Ende schauen. Ich war damals im Europäischen Parlament
bereitet werden. Meine Heimat, das Grenzland zwischen und kann mich noch sehr gut an die Debatten erinnern
Dänemark und Deutschland, ist durch die blutigen Kriege über Freizügigkeit, Wirtschaft, Landwirtschaft. Und
von 1848 bis 1918 tief geprägt. Viele sehen heute in der schon damals haben meine Bauern recht gut gewusst –
Zusammenarbeit zwischen Dänemark und der Bundes- bevor die Agrarkapitel dann in die Umsetzung kamen –,
21294 Deutscher Bundestag – 20. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. April 2024
Alexander Radwan
(A) dass diejenigen, die als Erstes von einem neuen Markt heute ist es China, und morgen ist es möglicherweise (C)
profitieren werden, die bayerischen Bauern sein werden. der Iran; zu diesem pflegen Sie ja auch beste Kontakte,
Wenn man sich heute, nach 20 Jahren, die Situation meine Damen und Herren von der AfD.
anschaut, dann liest man jeden Tag in der Zeitung, dass (Zuruf des Abg. Dr. Rainer Rothfuß [AfD])
Wirtschaftsinstitute darlegen, dass der ökonomische Pro-
fit sowohl auf der Seite der Beitrittsländer von 2004 als Das sind diejenigen, die jetzt antreten für das Europäische
auch auf der der früheren Mitgliedsländer ist. Parlament. Das sind nicht die Vertreter deutscher Interes-
Meine Damen und Herren, das war die Diskussion von sen, meine Damen und Herren.
damals, und die Zeiten haben sich in 20 Jahren leider
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
entsprechend verändert. Es waren überwiegend Länder –
neten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE
das wurde kurz mal angesprochen – des früheren War-
GRÜNEN und der FDP – Dr. Harald Weyel
schauer Paktes, die beigetreten sind.
[AfD]: Sie verkaufen uns an die USA!)
Man muss sich nur mal vorstellen – und das sage ich
gerade an die Besucher gerichtet; denn Sie bekommen ja Die Erweiterung ist geostrategisch geboten, meine Da-
mit, wie hier teilweise extrem argumentiert wird –: Wenn men und Herren. Es geht um die Sicherheit und die Per-
diese Osterweiterung nicht stattgefunden hätte, wenn spektive, aber auch um die Frage: Wie bleibt Europa
diese Länder nicht beigetreten wären, wäre Europa, zukünftig handlungsfähig? Das ist für mich ein Kernele-
wäre Deutschland heute sicherer? Nein, sie wären es ment. Wir brauchen europäische Reformen. Wir müssen
nicht, meine Damen und Herren. schauen, wie in Rat und Kommission entsprechend zu-
sammengearbeitet wird, wie zukünftig das Budget aus-
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- sieht. Das muss alles vorher gemacht werden.
neten der SPD – Norbert Kleinwächter [AfD]: Da möchte ich schon Sie, Frau Lührmann, ansprechen.
Das wissen Sie doch gar nicht!) Sie haben es ja vorhin angedeutet, Sie haben die Proble-
matik schon beschrieben. Aber die Bundesregierung ist
Bei aller Diskussion, die wir intern über Ungarn, über hier äußerst schwach aufgestellt. Der deutsch-französi-
die Slowakei führen, kann ich nur sagen: Ich bin froh, sche Motor ist komplett zum Erliegen gekommen. Es
dass diese Länder in der Europäischen Union sind. Sie wäre hier an Deutschland und Frankreich, gemeinsam
sind am Ratstisch, sie sind im Europäischen Parlament, mit den anderen Staaten voranzuschreiten, gerade in die-
sie sind in der Kommission. Man muss mit ihnen hart sem kleinen Zeitfenster, meine Damen und Herren.
ringen.
(B) Wir alle haben ja gesehen, dass der Status quo nicht so (Beifall bei der CDU/CSU) (D)
bleiben muss: Die Wahlen in Polen haben gezeigt, dass es
auch anders weitergehen kann. Darum ist es wichtig, Wir sind vor einer wichtigen Weichenstellung. Es geht
auch diese Länder dabeizuhaben. darum, welche Rolle Europa zukünftig spielen wird. Und
unser Auftrag ist es, dass das, was wir in den letzten
Europa ist größer, sicherer, stabiler geworden und hat 70 Jahren genießen konnten – in Freiheit und Wohlstand
natürlich auch eine neue Perspektive durch die Osterwei- zu leben –, nicht nur für unsere Generation gilt, sondern
terung und – lassen Sie mich hinzufügen – auch durch die auch für die nächsten Generationen.
Norderweiterung bekommen. Das betrifft insbesondere
Besten Dank.
die Frage, wie friedlich dieser Kontinent ist. Da würde
ich mir schon wünschen, meine Damen und Herren, dass (Beifall bei der CDU/CSU)
die sozialdemokratischen Vertreter hier – Stegner,
Mützenich – nicht nur mit Gerhard Schröder reden, son-
dern hin und wieder auch mal mit den Kollegen sowohl in Präsidentin Bärbel Bas:
den osteuropäischen Ländern als auch in den skandinavi- Vielen Dank. – Ich schließe die Aussprache.
schen Ländern.
(Christian Petry [SPD]: Dummes Zeug!) Ich rufe auf die Tagesordnungspunkte 7a und 7b:
a) Beratung der Beschlussempfehlung und des
Aber noch mehr möchte ich darauf hinweisen: Was Berichts des Auswärtigen Ausschusses
würde es eigentlich bedeuten – um bei dem Bild eines (3. Ausschuss) zu dem Antrag der Fraktion
Schiffes zu bleiben; es wurde vorhin so genannt –, wenn der CDU/CSU
dieses Europa versenkt würde? Wir haben Fraktionen
hier im Deutschen Bundestag, die diese Europäische Das iranische Terrorregime effektiv sank-
Union zerstören wollen. Sie wollen den Austritt aus der tionieren und so die iranische Revolutions-
Europäischen Union, aus der NATO. bewegung aktiv unterstützen
Lamya Kaddor
(A) Unsere Botschaft an das Regime ist unmissverständ- Und sie stellt sich nicht nur in jener Region, sondern sie (C)
lich: Euren schändlichen Einfluss nach innen wie nach stellt sich auch in dem Krieg, den Russland seit dem
außen lassen wir nicht unbeantwortet. Keine Gutgläubig- 24. Februar 2022 gegen die Ukraine führt. In einer
keit mehr bei den Milizen, beim Raketen- oder Atom- schwierigen militärischen Situation für Russland war es
programm, keine Gutgläubigkeit mehr beim „Wandel der Iran, der Russland zur Seite gestanden ist und ins-
durch Handel“. Zugleich aber hat unsere Außenministe- besondere die schrecklichen Drohnensysteme zur Ver-
rin die Zeichen der Zeit erkannt: dass Diplomatie der Weg fügung stellte, die dazu dienen, einen Krieg fortzuführen,
zu Deeskalation sein kann, dass es jetzt darum geht, ein der jetzt die Infrastruktur in der Ukraine kaputtschlägt,
regionales Anti-Iran-Bündnis zu stärken, das nicht nur der Zivilisten bedroht, der gegen jede Humanität verstößt.
dessen destruktiven Einfluss in der Region adressiert, Es ist der Iran!
sondern sich auch bei der Lösung des Nahostkonflikts Es gibt keinen vergleichbaren Staat auf dieser Welt, der
engagiert. Diesen konstruktiven Weg werden wir weiter sich gegen die freiheitliche, regelbasierte Werteordnung,
unterstützen. gegen all das, für das wir einstehen, so klar und schädi-
Vielen Dank. gend richtet wie der Iran, liebe Kolleginnen und Kolle-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gen. Daraus muss Deutschland endlich Konsequenzen
sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP) ziehen. Wir brauchen eine neue Iranpolitik.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Präsidentin Bärbel Bas: Dazu gehört natürlich, Frau Kollegin Kaddor – Sie haben
Als Nächster hat das Wort für die CDU/CSU-Fraktion es erwähnt – der Umgang des Iran mit der eigenen Be-
Dr. Johann David Wadephul. völkerung. Eine der ältesten Kulturnationen der Welt
wird geknechtet und gefoltert. Der kaltblütige Mord an
(Beifall bei der CDU/CSU) Jina Mahsa Amini hat dieses Haus mittlerweile zu meh-
reren Diskussionen zusammengeführt. Und wer, wenn
Dr. Johann David Wadephul (CDU/CSU): nicht diese Außenministerin, wenn sie sich den Frauen-
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! rechten wirklich verpflichtet fühlt – und das tut sie ja –,
Am 7. Oktober des vergangenen Jahres hat ein Massaker wäre aufgerufen, hier einzuschreiten und Konsequenzen
an israelischen Zivilisten stattgefunden, das keine histori- zu ziehen und für die Frauen, für die Mädchen im Iran, im
sche Präzedenz hat. Frauen, Kinder, Alte, Gebrechliche Grunde für alle Menschen im Iran einzutreten und end-
wurden aus dem Schlaf gerissen, überfallen, vergewal- lich eine neue, eine andere Iranpolitik zu machen, liebe
tigt, verschleppt. Durchführender Täter war die Terror- Kolleginnen und Kollegen? Das muss man Ihnen vor-
(B) organisation Hamas – finanziell, materiell, geistig gefüt- halten. (D)
tert vom Iran.
(Beifall bei der CDU/CSU)
(Beatrix von Storch [AfD]: Und der UNRWA!)
Deswegen sind das nicht alte Anträge. Vielmehr hat
Seit Jahren wird die Existenz Israels tatsächlich durch die Union, die CDU/CSU-Fraktion, Ihnen schon im Ja-
ein massives Raketenarsenal an der nördlichen Grenze nuar des vergangenen Jahres einen Katalog von Vorschlä-
bedroht. Wie real die Gefahr ist, zeigen die täglichen gen unterbreitet, die die Bundesregierung ergreifen könn-
Raketenanschläge aus dem Libanon. Nahezu 100 000 Is- te. Und nichts davon ist geschehen, nichts davon ist
raelis mussten ihr angestammtes Wohngebiet im Norden geschehen! Nachdem ich Ihre Rede gehört habe, kann
des Landes verlassen und sind vorübergehend IDPs im ich sagen, dass wir Ihre Analyse am Ende sogar weitest-
eigenen Land. Täter ist die Hisbollah – finanziell, mate- gehend teilen, bloß die Folgerungen, die daraus gezogen
riell und geistig gefüttert und ausgerüstet vom Iran. Seit werden, sind wieder nichts. Was ist denn aus Ihrem Plä-
Monaten wird die freie Schifffahrt, der internationale doyer geworden, immer Gesprächskanäle aufrechtzuer-
Handel, aber auch das schiere Leben zahlreicher unschul- halten? Nichts! Der Iran kümmert sich um nichts. Er
diger Menschen in einer der wichtigsten Handelsrouten ändert sich in keiner Weise. Er setzt die Bedrohung Is-
der Welt bedroht, dem Roten Meer. Täter ist die Huthi- raels fort, er unterstützt Russland.
Miliz – finanziell, materiell und geistig gefüttert und aus-
(Zuruf der Abg. Lamya Kaddor [BÜND-
gerüstet vom Iran.
NIS 90/DIE GRÜNEN])
Im Irak, dem Heimatland einer der größten Fluchtgrup-
Sie stecken in einer Sackgasse mit Ihrer Iranpolitik; und
pen in Deutschland und Europa, wird die Staatlichkeit
das müssen Sie endlich erkennen, liebe Kolleginnen und
von innen ausgehöhlt, ein Regime geschaffen, das sich
Kollegen.
nur in Abhängigkeit vom guten Willen des Iran bewegen
kann. Schuld daran sind Milizen wie die Asa’ib Ahl Al- (Beifall bei der CDU/CSU)
Haqq, die Kataib Hisbollah oder die Harakat Al-Nujaba – Warum ist Deutschland immer noch der größte Han-
finanziell, materiell und geistig gefüttert und ausgerüstet delspartner des Iran? Warum ist die Listung der Revolu-
vom Iran. tionsgarden immer noch nicht geschehen? Der Kollege
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wann ist Schmid hat das befürwortet; er wird es hoffentlich gleich
diese Bundesregierung endlich bereit, den wahren Cha- auch wieder machen. Warum ist das Islamische Zentrum
rakter dieses Regimes im Iran zu erkennen und daraus die Hamburg immer noch nicht verboten?
notwendigen Schlüsse zu ziehen? Diese Frage stellt sich. (Beatrix von Storch [AfD]: Weil Sie unseren
(Beifall bei der CDU/CSU) Antrag ablehnen als Union!)
Deutscher Bundestag – 20. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. April 2024 21297
Dr. Johann David Wadephul
(A) Was muss noch geschehen, damit Deutschland eine klare Die Wahrheit ist: Das wäre eine groß angelegte Militär- (C)
Politik macht gegen dieses schreckliche Mullah-Regime aktion. Das sind nicht ein paar Luftschläge, sondern man
in Teheran, liebe Kolleginnen und Kollegen? – Deswegen müsste eine Landinvasion des Irans durchführen, um die
unsere Anträge. Atomanlagen, die tief vergraben sind, im wahrsten Sinne
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. des Wortes auszuheben. Ich habe niemanden gehört, der
dies fordert. Deshalb: Hören Sie auf, hier einen künst-
(Beifall bei der CDU/CSU) lichen Gegensatz zwischen Opposition und Regierung
in dieser Frage heraufzubeschwören! Wir sind uns einig
im Vorgehen gegen den Iran und sollten an dieser Einig-
Präsidentin Bärbel Bas: keit gerade in diesem Parlament festhalten.
Als Nächster hat das Wort für die SPD-Fraktion
Dr. Nils Schmid. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
FDP)
Deshalb unterstützen wir die Bemühungen der Bun-
desregierung, aber vor allem auch die der amerikanischen
Dr. Nils Schmid (SPD): Regierung, über Gespräche das Atomprogramm zu stop-
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und pen. Diese Gespräche gab es bis vor Kurzem, und sie sind
Herren! Zum wiederholten Male fordert die CDU/CSU- immer noch sinnvoll; denn wie gesagt: Was wäre die
Fraktion in ihren Reden und Anträgen wortreich eine Alternative? Diese Gespräche müssen, wie die ersten
neue Iranpolitik. Gespräche, die zum JCPoA geführt haben, selbstver-
ständlich unterlegt werden mit robusten Sanktionsdro-
(Zuruf von der CDU/CSU: Zu Recht!)
hungen, die ja auch vorgesehen sind im UN-System.
Wenn man aber genau hinschaut, dann wird es doch
ziemlich kleinteilig: als wäre die Listung der Revoluti- (Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]: Des-
onsgarden als Terrororganisation durch die EU der große halb beeindrucken sie den Iran ja auch so!)
Durchbruch und der Sargnagel für das Regime,
Der Weg über Gespräche ist ja auch deshalb erfolgver-
(Zuruf von der CDU/CSU: Aber Sie waren sprechend, weil wir die harte Drohung mit entsprechen-
doch dafür, Herr Kollege!) der Wiederinkraftsetzung der Sanktionen zur Verfügung
(B) als würde der Handel mit dem Iran im Umfang von 1 Mil- haben. (D)
liarde Euro quasi die Lifeline für dieses verachtenswerte Selbstverständlich dürfen wir nicht den Fehler be-
Regime darstellen, gehen, der nach Abschluss des JCPoA begangen wurde,
(Beatrix von Storch [AfD]: Dann lieber nichts nämlich das Raketenprogramm und die regionale Rolle
machen, oder was?) des Irans nicht genauso intensiv diplomatisch zu bearbei-
ten. Das ist jetzt die Aufgabe, vor der wir uns sehen,
wohl wissend, dass ein großer Teil dieses Handels mit gerade auch angesichts der Unterstützung des Irans und
Medikamenten und landwirtschaftlichen Gütern zu tun seiner Proxys bei der Bedrohung von Israels Sicherheit.
hat. Das wird ja auch von der Sanktionsgesetzgebung – Aber auch da sollten wir aus den letzten Jahren lernen:
aus meiner Sicht zu Recht – zugelassen; denn es geht ja Der Iran ist nicht aus sich selbst heraus so attraktiv und so
nicht um die Bevölkerung des Irans, sondern es geht um mächtig, dass er in vielen arabischen Ländern Einfluss
das Regime, das wir bekämpfen wollen. gewonnen hat über Hisbollah, Hamas, Huthi-Rebellen
und andere Organisationen oder im Irak über Milizen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Der Iran ist vielmehr überall dort in arabische Länder
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) reingegangen, wo die Staatlichkeit geschwächt worden
Leider verdeckt dieser Aktionismus der CDU/CSU ist durch externe und interne Faktoren.
die große Einigkeit, die wir in diesem Hause haben: Deshalb ist der wichtigste Beitrag zur Eindämmung
dass wir selbstverständlich die Sicherheit Israels vertei- der regionalen Rolle des Irans die Stärkung der Staatlich-
digen wollen, indem wir verhindern, dass der Iran eine keit und guter Regierungsführung in arabischen Staaten.
Atombombe herstellt, indem wir gegen das Raketenpro- Das ist die Aufgabe! Die ist allerdings deutlich komple-
gramm des Irans vorgehen und indem wir gegen die de- xer, als sich alle paar Monate hier im Bundestag hin-
struktive Rolle des Irans in der Region vorgehen. Wir zustellen und zu sagen: Jetzt muss endlich die Terrorlis-
sind uns auch einig, dass zur Verhinderung des Atom- tung der Revolutionsgarden vorgenommen werden. Das
programms Diplomatie nach wie vor das Mittel der ist der große Schlag, und dann haben wir das Iranproblem
Wahl ist. Ich frage Sie alle, die Sie so laut eine andere gelöst.
Iranpolitik fordern und das JCPoA als Irrweg darstellen:
Was wäre denn die Alternative, um die Bombe in den Ich sage Ihnen: Diplomatie ist etwas komplexer. Ich
Händen dieses Terrorregimes tatsächlich zu verhindern? bin der Bundesregierung dankbar, dass sie nicht nur bei
der Unterstützung Israels nach diesem furchtbaren Ter-
(Lamya Kaddor [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- roranschlag, sondern auch in der Iranpolitik mit der not-
NEN]: So ist es! Kein Wort dazu in den An- wendigen Mischung aus Härte und Diplomatie vorgegan-
trägen!) gen ist und dass sie das mit Nachhaltigkeit betreibt.
21298 Deutscher Bundestag – 20. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. April 2024
(Lamya Kaddor [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei der AfD – Alexander Radwan
NEN]: Islamistischer, bitte!) [CDU/CSU]: Da ist doch Ihr Kollege
Beckamp!)
Die Realität: 15 Jahre lang haben Sie unter Merkel nichts
Ihre Schaufensteranträge stehen für Ihrer aller Grund-
gegen die islamische Terrororganisation Hisbollah unter-
problem: Sie fordern die Weltenrettung, die Demokrati-
nommen. Nichts! Dann kam der Juni 2019. Die AfD
sierung, „Regime Change“, Revolutionen in Weltgegen-
fordert das Verbot der Hisbollah als Organisation, und
den Tausende von Kilometern entfernt von uns, wo Sie
dann dauert es noch ein Jahr, bis April 2020, da kommt
nicht den leisesten Einfluss haben.
dann das Betätigungsverbot – viel schwächer – von Herrn
Seehofer. Wieder ein Jahr später, Juni 2021 – es regiert (Zurufe der Abg. Alexander Radwan [CDU/
immer noch die Union –, stellt „Die Zeit“ fest – ich CSU] und Lamya Kaddor [BÜNDNIS 90/DIE
zitiere –: „Betätigungsverbot für Hisbollah … zeigt GRÜNEN])
kaum Wirkung“. Und zwei weitere Jahre später, Novem-
Sie spielen die große Weltpolitik.
ber 2023 – inzwischen regiert die Ampel –, stellt die
„Bild“-Zeitung fest – Zitat –: „Verbot von Terrorgruppe (Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/
‚Hisbollahʼ bleibt folgenlos“. Das ist die Realität. CSU – Lamya Kaddor [BÜNDNIS 90/DIE
Deutscher Bundestag – 20. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. April 2024 21299
Beatrix von Storch
(A) GRÜNEN]: Währenddessen sprechen Sie mit unterstützt Russland militärisch mit Raketen und Droh- (C)
Spionen Russlands und Chinas!) nen. Dadurch ist das Mullah-Regime für Tod und Zer-
Und die Realität? Ich zitiere Zeitungsartikel der letzten störung in der Ukraine mitverantwortlich.
Tage: „Geheim-Treffen von Islamisten in Hamburg“, (Beifall bei Abgeordneten der FDP und des
„Blutige Clan-Fehde in Essen“, Abg. Dr. Nils Schmid [SPD])
(Lamya Kaddor [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Um die Ukraine und Israel besser zu schützen, müssen
NEN: Reden Sie einmal über die Spionage wir unsere Iranpolitik neu ausrichten. Die Ukraine und
Russlands und Chinas! Da sind Sie doch Ex- Israel müssen sich auf Deutschland verlassen können.
perten!) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
und – Zitat – „Kinder konvertieren aus Angst zum Is- der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ-
lam“ – an deutschen Schulen! –, „um in der Schule keine NEN)
Außenseiter mehr zu sein.“ Bereits seit 2011 verhängt die EU immer wieder Sank-
(Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) tionen gegen den Iran: wegen schwerer Menschenrechts-
Wenn Sie jetzt nicht mächtig bei uns aufräumen, verletzungen, wegen Unterstützung von Terror. Sie wur-
den nach der Ermordung von Jina Mahsa Amini im
(Lamya Kaddor [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- September 2022 weiter verschärft. Gegen kaum ein an-
NEN]: Frau von Storch, wir reden über den deres Land wurden mehr Sanktionen verhängt als gegen
Iran!) den Iran. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/
gibt es keine demokratische Revolution im Iran, sondern CSU: Von „Minimalsanktionen“, wie Sie es nennen, kann
eine islamische Revolution in Deutschland. daher nun wirklich keine Rede sein; und das wissen Sie
ganz genau.
(Widerspruch bei der CDU/CSU und dem
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ-
Gott bewahre uns davor! NEN)
(Beifall bei der AfD – Alexander Radwan Das Problem ist, dass der Iran diese Sanktionen um-
[CDU/CSU]: Schämen Sie sich für Ihre Spit- geht und dabei Unterstützung aus anderen Ländern erhält.
zenkandidaten?) Mehr als die Hälfte der iranischen Exporte geht nach
China und in die Türkei.
Präsidentin Bärbel Bas:
(Lamya Kaddor [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
(B) Als Nächster hat jetzt das Wort für die FDP-Fraktion NEN]: Hört! Hört!) (D)
Renata Alt.
60 Prozent der iranischen Importe kommen aus China,
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- (Lamya Kaddor [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN) NEN]: Hört! Hört!)
den Vereinigten Arabischen Emiraten und Brasilien. Das
Renata Alt (FDP): Handelsvolumen mit Deutschland und der EU spielt für
Sehr geehrte Frau Bundestagspräsidentin! Liebe Kol- den Iran kaum noch eine Rolle.
leginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Während die iranische Bevölkerung unter den Sanktio-
Frau von Storch, Sie fordern hier nur und sagen, dass wir nen leidet und immer mehr verarmt, hält sich das Mullah-
nicht liefern. – Ich glaube, gerade das, was Sie und Ihre Regime an der Macht und bereichert sich weiter. Eine
Spione hier in dieser Republik liefern, das müssten Sie wesentliche Rolle spielen dabei die Revolutionsgarden,
analysieren, und damit sollten Sie sich auseinanderset- die wichtige Bereiche der iranischen Wirtschaft dominie-
zen. ren. Sie unterstützen die Hamas im Gazastreifen, die
(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜND- Hisbollah im Libanon und die Huthis im Jemen, und sie
NIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeord- sind nach Ansicht des Oberlandesgerichts Düsseldorf für
neten der CDU/CSU) einen Anschlagsversuch auf eine Synagoge in Bochum
2022 verantwortlich.
Nach dem russischen Angriff auf die Ukraine hat Bun-
deskanzler Scholz von einer Zeitenwende gesprochen. (Dr. Johann David Wadephul [CDU/CSU]:
Auch der Überfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober Genau!)
2023 markiert eine Zeitenwende. Der größte Massen- Das Europaparlament forderte bereits am 19. Januar
mord an Juden seit der Shoah wäre ohne die Unterstüt- 2023, die Revolutionsgarden auf die Terrorliste der EU
zung der Hamas mit Waffen, Ausrüstung und Expertise zu setzen. Es wird höchste Zeit, dass der Rat der Euro-
aus Teheran nicht möglich gewesen. päischen Union die Revolutionsgarden endlich auf die
Vor zwei Wochen hat der Iran Israel erstmals direkt Terrorliste setzt.
angegriffen – mit Raketen, Marschflugkörpern und Droh- (Beifall bei Abgeordneten der FDP)
nen. Jedem muss nun klar geworden sein: Ebenso wie
Russland die Ukraine auslöschen will, so will der Iran Die Bundesregierung muss hier deutlich mehr Druck ma-
Israel vernichten. Zwei Diktaturen bekämpfen zwei De- chen!
mokratien – und zwar gemeinsam und parallel. Der Iran (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
21300 Deutscher Bundestag – 20. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. April 2024
Renata Alt
(A) Außerdem brauchen wir dringend eine neue Iranstra- Unsere Anträge sind im Übrigen vom Frühjahr des (C)
tegie in der gesamten Europäischen Union. Gegen die letzten Jahres.
aggressive Rolle des Irans in der Region und gegen sein
(Lamya Kaddor [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
Raketenprogramm müssen wir gemeinsam stärker vor-
NEN]: Also alte Anträge!)
gehen. Auch die Freilassung von Nahid Taghavi und
Jamshid Sharmahd und weiterer deutscher Staatsbürger, Da gab es noch keinen 7. Oktober 2023 und keinen
die kürzlich festgenommen wurden, nur weil sie als Tou- 14. April 2024. Insofern wäre es vielleicht gut gewesen,
risten in den Iran eingereist sind, muss höchste Priorität die Dinge etwas sorgfältiger zu lesen und auch entspre-
haben. Dafür bedarf es engerer Koordination auf der EU- chend zu handeln.
Ebene. (Beifall bei der CDU/CSU)
Vieles von dem, was in den beiden Anträgen der CDU/
CSU steht, können wir als Freie Demokraten unterstüt- Ich möchte zum Ereignis am 14. April nur eine Anmer-
zen. In einem Punkt widersprechen Sie sich aber deutlich: kung machen: Der Iran hat es erfolgreich geschafft, seine
Einerseits fordern Sie die Ausweisung von iranischen krachende militärische Niederlage bei diesem nächt-
Diplomaten aus Deutschland. Andererseits beklagen Sie lichen Angriff gegen Israel als niedrigkalibrierte, nicht
die langsame Vergabe von Visa an der deutschen Bot- der weiteren Eskalation dienende Aktion zu verkaufen.
schaft in Teheran. – Ihnen muss doch klar sein: Wenn Und es gibt leider viel zu viele, die das hier glauben. Ich
Deutschland iranische Diplomaten ausweist, wird auch sage Ihnen: Wer 130 Marschflugkörper auf ein anderes
der Iran deutsche Diplomaten ausweisen. Dadurch würde Land abschießt, will damit Zehntausende Menschen tö-
sich die Visavergabe an der deutschen Botschaft weiter ten. Selbst wenn man davon ausgeht, dass nur 10 Prozent
verlangsamen. Sie müssen sich also entscheiden, was Sie durchkommen, wären das immer noch Hunderte, wenn
wollen. nicht gar Tausende von Opfern. Dem Iran abzunehmen,
das sei quasi absichtlich und bewusst eine niedrigkali-
In dieser widersprüchlichen Form können wir daher brierte, eine weniger gravierende Maßnahme gewesen,
Ihren Anträgen nicht zustimmen. ist meines Erachtens falsch; und da sollten wir uns auch
Vielen Dank. einig sein.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten (Lamya Kaddor [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- NEN]: Keiner verharmlost hier den Iran!
NEN) Niemand verharmlost das! – Ulrich Lechte
[FDP]: Das tut doch auch niemand!)
– Ich habe im Übrigen gar nicht Sie angesprochen, son-
(B) Präsidentin Bärbel Bas: dern ich spreche die Öffentlichkeit an, die doch tatsäch- (D)
Als Nächster hat das Wort für die CDU/CSU-Fraktion lich der Meinung ist, auch der Iran hätte von vornherein
Jürgen Hardt. deeskalierend gewirkt. Das bestreite ich klipp und klar.
(Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU –
Ulrich Lechte [FDP]: Ah! Danke für die Klä-
Jürgen Hardt (CDU/CSU):
rung! – Lamya Kaddor [BÜNDNIS 90/DIE
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! GRÜNEN]: Okay, dann ist gut! Da gebe ich
Liebe Kollegin Alt, Sie haben aber schon ziemlich lange Ihnen recht! – Zuruf der Abg. Dr. Irene Mihalic
und tief in unseren Anträgen suchen müssen, um ein [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
kleines Pünktchen zu finden, mit dem Sie hier formal Bezüglich der Maßnahmen, die wir in den Papieren
Ihre Nichtzustimmung begründen. vorschlagen, möchte ich noch mal ganz konkret sagen:
Es gibt für die Bundesregierung jetzt viel zu tun. Ich
(Beifall des Abg. Paul Lehrieder [CDU/CSU] – glaube, es gibt eine Mehrheit im Haus, die Bundesregie-
Lamya Kaddor [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- rung da auch zu stärken. Wir brauchen ein dichteres
NEN]: Das war leicht! – Renata Alt [FDP]: Sanktionsregime gegen Technologien, die in den Iran
Ich hätte noch mehr!) gehen. Deutschland ist der größte europäische Handels-
An die Adresse von Nils Schmid möchte ich sagen: Ich partner des Iran.
glaube, das, was Kollegin Kaddor ebenso wie Frau Alt (Lamya Kaddor [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
gesagt hat, nämlich dass wir einen Kurswechsel in der NEN]: 1,4 Milliarden!)
Iranpolitik brauchen, ist auch Mehrheitsmeinung in der
Koalition. Ich habe Sie, ich habe dich auch richtig ver- Und es geht dabei nicht nur um Pistazien, die vom Iran an
standen, wenn ich feststelle, dass du dich in den letzten uns geliefert werden, sondern es gibt Dinge, die in den
Tagen bei dem Thema „Listung der Revolutionsgarden“ Iran gehen und sich anschließend in Drohnen wiederfin-
den, die auf die Ukraine oder auf Israel abgefeuert wer-
(Dr. Nils Schmid [SPD]: Es reicht halt nicht!) den. Deswegen sage ich: Wir brauchen ein dichteres
in den Medien offensiver geäußert hast, als du das heute europäisches Sanktionsregime bei Technologie, Wissen-
hier vom Pult getan hast. Deswegen glaube ich: Wir schaftstransfer und Wissenstransfer Richtung Iran.
haben für eine verschärfte Iran-Politik Deutschlands Wir brauchen auch mehr und wirksamere Personen-
und Europas eine Mehrheit in diesem Haus, und die sanktionen. Ich finde, immer dann, wenn der Iran etwas
muss auch zum Ausdruck kommen. tut, was gegen das Völkerrecht oder massiv gegen Men-
Deutscher Bundestag – 20. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. April 2024 21301
Jürgen Hardt
(A) schenrechte verstößt, zum Beispiel die Hinrichtung von (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (C)
politisch Gefangenen, so wie das bei über 800 Personen sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)
allein im Jahr 2023 und Anfang dieses Jahres auch schon
wieder bei einigen Dutzend war, muss für den Iran klar
sein, dass bestimmte Produktgruppen auf eine Sanktions- Max Lucks (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
liste kommen, dass bestimmte Personen sanktioniert wer- Danke schön. – Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
den, und Herren! Liebe Union, ich möchte an dieser Stelle mal
eine Sache lobend erwähnen: Sie haben ganz offensicht-
(Lamya Kaddor [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- lich einen Kurswechsel in Ihrer Iranpolitik vollzogen.
NEN]: Das ist doch schon lange so!) Wenn ich daran denke, dass die CDU/CSU-geführte Bun-
damit der Iran genau sieht: Wir reagieren nicht nur mit desregierung alleine zwischen 2016 und 2018 noch 8 000
Protesten, sondern wir reagieren mit konkreten Maßnah- Überwachungskameras an dieses Regime geliefert hat,
men. (Lamya Kaddor [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
Bei der Listung der Revolutionsgarden geht es darum, NEN]: Hört! Hört!)
dass wir die Möglichkeiten, gegen deren Aktivitäten in
Europa vorzugehen, erleichtern. Es geht aber meines Er- bin ich wirklich froh darüber, dass Sie erkannt haben,
achtens auch darum, dass wir ein Signal an die jungen dass das ein Fehler war. Deshalb möchte ich jetzt auch
Männer im Iran senden: Wenn ihr euch diesen Revoluti- nicht zu sehr auf die Vergangenheit Ihrer Iranpolitik
onsgarden anschließt, weil ihr vielleicht aus Naivität oder schauen, sondern auf die Gegenwart.
Opportunismus dort euren Wehrdienst, würde man bei (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
uns sagen, leisten wollt, dann seid ihr bei einer Terror- sowie bei Abgeordneten der FDP – Enrico
organisation. Und euer großer Traum, den 100 Prozent Komning [AfD]: Da freut sich die Union aber!)
aller jungen Iraner haben, nämlich mal im Westen, in
Europa zu studieren, zu leben, Urlaub zu machen, viel- Außenministerin Baerbock hat einen festen Dokumen-
leicht sogar zu arbeiten, ist gefährdet, wenn ihr zu dieser tationsmechanismus beim UN-Menschenrechtsrat ver-
Terrororganisation gehört. sprochen und durchgesetzt – zweimal gegen erhebliche
(Beifall bei der CDU/CSU) Widerstände.
Außenministerin Baerbock hat empfindliche Sanktio-
Deswegen haben wir die Chance, die Revolutionsgarden
nen gegen das Regime versprochen und durchgesetzt –
ein Stück weit auszutrocknen, wenn wir den jungen Men-
zehnmal in der Europäischen Union gegen Widerstände
schen das Signal geben: Macht dort nicht mit! Denn das
und erst jetzt bei den G 7.
(B) Regime ist ja komplett überaltert. (D)
(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
sowie bei Abgeordneten der FDP)
Wir brauchen klare Antworten der Regierung auf die
Kleine Anfrage der CDU/CSU-Fraktion zu transnationa- Außenministerin Baerbock hat versprochen, dass die
ler Repression. Ich persönlich kenne einen Fall, den ich Revolutionsgarden nach den Richtlinien gegen Massen-
hier jetzt nicht ausbreiten kann – einige Kollegen waren vernichtungswaffen gelistet werden, und hat es in Europa
dabei –, wie eine Person in Deutschland mit dem Tode gegen Widerstände durchgesetzt.
bedroht wird, nur weil sie mit Bundestagsabgeordneten Und was macht Kommissionspräsidentin von der
über ihr Schicksal gesprochen hat. Das sind keine Free- Leyen, Ihr Parteimitglied?
lancer, das sind lange Arme des iranischen Regimes in
Deutschland. Genau wie Russland im Kleinen Tiergarten (Lamya Kaddor [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
Leute umbringen lässt, macht der Iran das in unserem NEN]: Nix!)
Land auch. Da muss energisch dagegengehalten werden.
Sie verspricht die Listung der Revolutionsgarden als Ter-
(Beifall bei der CDU/CSU) rororganisation und setzt es dann am Ende nicht durch.
Iran verdient viel Geld mit dem Handel der Droge Und war es Frau von der Leyen, die nach dem Anschlag
Captagon, dieser Aufputschdroge für Terroristen, der Revolutionsgarden auf die Synagoge in meinem
Wagner-Söldner und russische Soldaten in der Ukraine. Bochumer Wahlkreis das Urteil des OLG Düsseldorf
Auch dagegen müssen wir vorgehen. Die Proxys der mit eindringlichem Hinweis an den Juristischen Dienst
Iraner wie die Hisbollah müssen härter angegangen wer- des Europäischen Rates gegeben hat, damit die Grund-
den. Und die Kleine Anfrage unserer Finanzpolitiker zur lagen für die Listung der Revolutionsgarden als Terror-
Geldwäsche muss nicht nur beantwortet werden, sondern organisation geschaffen werden? Nein, Frau von der
auch zu Änderungen der deutschen Politik in diesem Be- Leyen hat nach dem Anschlag auf die Synagoge in mei-
reich führen. Daran sind wir gerne bereit mitzuwirken. nem Bochumer Wahlkreis und nach dem Urteil aus Düs-
seldorf keinen Finger krumm gemacht. Das haben Frau
Herzlichen Dank. Baerbock und das Auswärtige Amt gemacht. Deshalb
(Beifall bei der CDU/CSU) machen wir bei Ihrem Schauspiel an dieser Stelle auch
nicht mit.
Präsidentin Bärbel Bas: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Als Nächster hat das Wort für die Fraktion Bündnis 90/ und bei der FDP sowie bei Abgeordneten der
Die Grünen Max Lucks. SPD)
21302 Deutscher Bundestag – 20. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. April 2024
Max Lucks
(A) Wenn die Lage im Iran nicht so bestürzend wäre, dann Dieses Todesurteil zeigt, dass das Mullah-Regime des (C)
wäre das Verhalten, das wir hier von der Union erleben, Irans nicht nur einen Krieg nach außen führt. Es führt
fast amüsant. Aber die Lage ist ernst, und deshalb lade ich auch einen Krieg im Inland. Es führt im Inland einen
Sie aufrichtig dazu ein, gemeinsam gegen die vielen Wi- Krieg gegen die eigene Bevölkerung. Und diese Bevöl-
derstände, die wir in der Welt haben, in Europa haben – kerung verdient, dass wir hier unsere parteipolitischen
zum Beispiel bei Mitgliedsländern der Europäischen Uni- Spiele beiseitelegen und entschieden an ihrer Seite ste-
on, deren Handelsvolumen mit dem Iran steigt und nicht hen.
wie unseres sinkt –, für eine andere Iranpolitik in Europa
zu kämpfen. Denn diese werden wir nur gemeinsam (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
schaffen. Dazu brauchen wir auch Ihre Rückendeckung sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)
für die Vorreiterrolle, die wir übernommen haben: bei den Dafür braucht unsere Außenministerin, dafür braucht die
Vereinten Nationen, in der EU und bei den G 7. Bundesregierung Ihre Unterstützung und nicht dieses
Die Menschen im Iran verdienen selbstverständlich parteipolitische Spiel.
eine Listung der Revolutionsgarden als Terrororganisati- Danke.
on. Sie verdienen, dass wir mit global vereinten Kräften,
anderthalb Jahre nach dem Tod von Jina Mahsa Amini (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
und angesichts eines Regimes, das nicht aufhört, zu mor- bei der SPD und der FDP – Beatrix von Storch
den, weiter und noch entschiedener an ihrer Seite stehen. [AfD]: Laber Rhabarber!)
Derya Türk-Nachbaur
(A) Warum also sollte ein Regime, das seine eigenen Bür- Vizepräsidentin Aydan Özoğuz: (C)
ger/-innen terrorisiert, davor zurückschrecken, andere Kommen Sie bitte zum Schluss.
Länder zu terrorisieren? All das macht ein Staat, der als
Mitglied der Vereinten Nationen die Allgemeine Erklä- Derya Türk-Nachbaur (SPD):
rung der Menschenrechte anerkennt und den Internatio- Gern. – Den Regime Change können nur die Iraner/-
nalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte ratifi- innen herbeiführen. Bis dahin ist es unsere Aufgabe, die
ziert hat. Man kann es kaum glauben. Die iranische demokratischen Kräfte und die aktive Zivilgesellschaft
Verfassung enthält sogar einen umfassenden Grund- zu schützen und zu stützen. Das bedeutet auch, Abschie-
rechtskatalog. Dass das nicht mehr als nur Lippenbe- bungen in den Iran auszusetzen.
kenntnisse sind, wissen wir nicht erst seit dem 16. Sep-
tember 2022. Vielen Dank.
Wir haben zu lange weggeschaut. Auch wir haben zu- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
gelassen, dass jahrzehntelang Folter und Missbrauch, DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der
Willkür und Korruption dieses Land geprägt haben. Nicht FDP)
nur wir, alle Mitgliedstaaten Europas müssen sich posi-
tionieren. Sich positionieren, heißt in diesem Fall auch Vizepräsidentin Aydan Özoğuz:
sanktionieren. Gut, dass auf europäischer Ebene weitere Die nächste Rednerin ist Clara Bünger für die Gruppe
Verschärfungen der Sanktionen beschlossen wurden, Die Linke.
auch auf unser Betreiben hin.
(Beifall bei der Linken – Peter Beyer [CDU/
Nach dem Angriff Teherans auf Israel vor wenigen CSU]: Klatschen können sie ja!)
Tagen, bei dem mehr als 300 Geschosse von verschiede-
nen Seiten auf Israel abgefeuert wurden, war diese Aus-
weitung des Sanktionspakets mehr als überfällig. Was ich Clara Bünger (Die Linke):
leider nicht nachvollziehen kann, ist, dass sich die euro- Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
päischen Außenminister nicht darauf einigen konnten, Kollegen! Liebe Gäste auf den Tribünen! Die Frauen,
die islamischen Revolutionsgarden als terroristische Or- die Kurdinnen, die im Iran auf die Straße gehen, das
ganisation einzustufen. Gemeinsam mit den Revolutions- sind die Mutigen, die häufig im Schatten kämpfen. Viele
garden möchte ich persönlich die Abgeordneten, die für von ihnen sind inhaftiert. Dabei denke ich an die Worte
die Hinrichtung von Protestierenden gestimmt haben, die der Friedensnobelpreisträgerin Narges Mohammadi, die
Richter und die Henker auf diesen Terrorlisten sehen. Ich kürzlich aus dem Evin-Gefängnis dazu aufrief, sich ge-
möchte diese sogenannte Sittenpolizei, die junge Frauen gen den groß angelegten Krieg gegen die Frauen im Iran
(B) auf offener Straße bis zur Bewusstlosigkeit prügelt, auf zu wehren. Narges und viele andere Oppositionelle ris- (D)
diesen Terrorlisten sehen. kieren ihr Leben für die Rechte der Frauen. Narges, wir
hören dich! Wir müssen so lange solidarisch sein, wie die
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, dem Menschen im Iran für ihre Freiheit kämpfen.
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP) (Beifall bei der Linken sowie bei Abgeord-
Das ist das, was Europa tun kann. neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/
DIE GRÜNEN und des Abg. Ulrich Lechte
Schauen wir auf das, was wir tun können: Ja, das IZH [FDP])
schließen. Die Vorbereitung des Vereinsverbots dieser
islamistischen Vereinigung, des Islamischen Zentrums Herr Hardt, es ist schön, dass Sie Ihre Solidarität mit
Hamburg, als verlängerter Arm Irans in Deutschland, der Revolution im Iran entdeckt haben. Allerdings frage
läuft auf Hochtouren. Sie haben es mitbekommen. ich mich, wie ernst Sie diese Unterstützung meinen, wenn
Sie gleichzeitig in einem anderen Antrag, den ich hier
(Beatrix von Storch [AfD]: Haben wir 2017 hochhalte, mehr Abschiebungen in den Iran fordern.
schon beantragt! Vor sieben Jahren! Alles nicht Konkret fordern Sie ein Rückübernahmeabkommen mit
überraschend! – Gegenruf der Abg. Lamya dem Iran. Auf der einen Seite fordern Sie eine härtere
Kaddor [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gangart, und auf der anderen Seite wollen Sie ein Ab-
Knopf im Ohr!) schiebeabkommen mit dem Iran machen.
Es gab Großrazzien in den letzten Wochen und Monaten, (Lamya Kaddor [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
Ermittlungen gegen das IZH und fünf weitere Vereini- NEN]: Ja! Wie immer!)
gungen. Zum Glück wissen wir: Die Tage des IZH sind Finden Sie das nicht ein bisschen heuchlerisch?
gezählt. Tatsächlich hat man sie viel zu lang gewähren
lassen, und ich bin sehr froh, dass Nancy Faeser jetzt (Beifall bei der Linken sowie bei Abgeord-
durchgreift. neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
und der Abg. Ye-One Rhie [SPD])
Was wir noch tun können, ist, die iranischstämmigen
Mitbürger/-innen, die sich bei uns in Deutschland an den Sie müssen sich schon entscheiden, auf welcher Seite Sie
Protesten gegen das Mullah-Regime beteiligen, besser zu stehen wollen.
schützen. Ja, es braucht einen Regime Change im Iran, Aus unserer Sicht war das Auslaufen des Abschiebe-
damit die vielfältige iranische Gesellschaft in Frieden stopps in den Iran fatal – für das übrigens die CDU/CSU-
und Freiheit leben kann, damit es Frieden und Freiheit regierten Länder maßgeblich mitverantwortlich sind.
auch im Nahen Osten gibt. Ethnische und religiöse Minderheiten wie Kurdinnen so-
Deutscher Bundestag – 20. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. April 2024 21305
Clara Bünger
(A) wie Regimekritiker/-innen leben dort in ständiger Gefahr. Das Mullah-Regime unterstützt Terroristen, Diktato- (C)
Viele Tausende Menschen wurden letztes Jahr wegen ren und Despoten, unterdrückt die Menschen im eigenen
ihres Engagements festgenommen, und politische Gefan- Land und verfolgt Dissidenten auf der ganzen Welt. Ver-
gene werden täglich hingerichtet. Jetzt droht auch dem folgung, Leid und Folter – nichts, aber auch gar nichts
Musiker Toomaj Salehi seine Hinrichtung. Das zeigt Gutes geht von den Mullahs in Teheran aus.
doch: Niemand darf in dieses Land zurückgeschickt wer- (Beifall bei der FDP und der SPD sowie bei
den. Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE
(Beifall bei der Linken sowie bei Abgeord- GRÜNEN)
neten der SPD und des Abg. Max Lucks In der Nacht vom 13. auf den 14. April hat Iran nun
[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Israel direkt mit Drohnen, Raketen und Marschflugkör-
pern angegriffen, nicht mehr nur als Strippenzieher im
Wir als Linke fordern einen Abschiebestopp in den Iran. Hintergrund. Das war ein beispielloser Schritt, und wir
Doch nicht nur im Iran, auch hier in Deutschland sind waren völlig zu Recht besorgt, dass dadurch eine Eskala-
Exiliraner/-innen in Gefahr. Über 160 Personen, die der tionsspirale in Gang gesetzt wird. Aber durch entschlos-
Revolutionsgarde zugerechnet werden, befinden sich in senes Handeln der internationalen Gemeinschaft an der
Deutschland und bedrohen hier Menschen. Wo bleiben Seite Israels konnte das verhindert werden. Mehr als
hier die Sicherheit und Unterstützung für diejenigen, die 99 Prozent der Raketen und Drohnen konnten abgefan-
vor dem Regime fliehen mussten? gen werden. Was durchgekommen ist, hat Gott sei Dank
nur geringe Schäden verursacht. Zehntausende von Men-
(Beifall bei der Linken) schen hätten in dieser Nacht sterben können. Das ist die
Realität. Zu diesem Verteidigungserfolg gratulieren wir
Die Bundesregierung kritisiert das iranische Regime, unseren israelischen Freunden, und wir danken vor allem
während Deutschland gleichzeitig der größte Handels- ihren Verbündeten für ihre Hilfe dabei.
partner für den Iran in der EU ist. Immer noch sitzen
deutsche Staatsangehörige wie Nahid Taghavi als politi- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
sche Häftlinge in iranischen Gefängnissen. Die Bundes- der SPD und der CDU/CSU)
regierung war bisher keine Hilfe. Danken möchte ich auch den Soldatinnen und Soldaten
Es ist die mutige Arbeiterbewegung im Iran, die trotz auf der Fregatte „Hessen“ für ihren Einsatz zum Schutz
Repressionen und Einschüchterungen seit Monaten auf der Schifffahrt im Roten Meer vor Angriffen der Huthi-
die Straße geht und Generalstreiks durchführt. Milizen, die quasi durch Teheran autorisiert sind. Im
Rahmen der EU-Mission Aspides haben sie dort 27 Han-
(B) (Beifall bei der Linken) delsschiffe eskortiert und dabei viermal Angriffe aus dem (D)
Jemen erfolgreich abgewehrt. Vielen Dank und gute
Diesen Mut der Menschen vor Ort müssen wir unterstüt- Heimfahrt, liebe Soldatinnen und Soldaten!
zen und mit ihnen solidarisch sein. Sie stehen nämlich für
ihre Rechte ein, während die Revolutionsgarde massive (Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜND-
Einschüchterung und Gewalt ausübt. Das muss endlich NIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeord-
ein Ende haben. neten der CDU/CSU)
Vielen Dank. Meine Damen und Herren, seit dem Tod von Jina
Mahsa Amini und den anschließenden Protesten im Iran
(Beifall bei der Linken sowie der Abg. Ye-One versuchen wir im Bundestag und in der Bundesregierung
Rhie [SPD]) unser Möglichstes, um die Protestierenden zu unterstüt-
zen. Im November 2022 haben wir als Ampelkoalition
einen Antrag eingebracht mit dem Titel „Protestbewe-
Vizepräsidentin Aydan Özoğuz: gung im Iran unterstützen – Druck auf das Regime in
Der nächste Redner ist Uli Lechte für die FDP-Frak- Teheran erhöhen“. Dieser Antrag wurde vom Bundestag
tion. beschlossen, leider damals gegen die Stimmen der CDU/
CSU. Seitdem hat die Bundesregierung vieles zur Umset-
(Beifall bei der FDP und der SPD sowie bei zung dieses Antrags gemacht.
Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE
Nun legt uns die CDU/CSU zwei ältere Anträge zum
GRÜNEN)
Iran vor, in denen Sie behaupten, wir würden viel zu
wenig tun. Aber es dürfte ja offensichtlich sein, dass
Ulrich Lechte (FDP): wir einiges tun; unsere Bundeswehreinsätze im Rahmen
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und von Aspides und Inherent Resolve hatte ich gerade schon
Kollegen! Der abscheuliche Terroranschlag der Hamas erwähnt.
auf Israel, die gefährlichen Raketenangriffe der Hisbollah Dann fordern Sie noch umfassende Sanktionen gegen
auf den Norden Israels und die hinterhältigen Angriffe den Iran. Na, da habe ich gute Nachrichten für Sie: Iran ist
der Huthi-Milizen auf die Schifffahrt im gesamten Roten bereits eines der am umfassendsten sanktionierten Länder
Meer: Hinter all diesen radikalislamistischen Gruppen – der Welt, ganz dicht hinter Russland und Nordkorea. Be-
Hamas, Hisbollah und Huthis – steht das Mullah-Regime sonders wichtig ist Ihnen die Sanktionierung der Revolu-
in Teheran – Iran als Unterstützer – und trägt somit eine tionsgarden. Auch da habe ich gute Nachrichten für Sie:
große Mitschuld. Sowohl die Revolutionsgarden als Organisation wie auch
21306 Deutscher Bundestag – 20. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. April 2024
Ulrich Lechte
(A) zahlreiche Angehörige der Revolutionsgarden sind sank- Tarnfirmen des Regimes gelingt es offensichtlich immer (C)
tioniert, darunter auch die Kommandeure Hossein Salami noch, über Firmengeflechte auch in Deutschland zu ar-
und Mohammad Pakpour. Zusammen mit unseren Part- beiten und die Sanktionen zu umgehen. Der Iran agiert
nern sind wir bereits dabei, die Verantwortlichen für die vor unseren Augen perfide und berechnend von der Uran-
Menschenrechtsverletzungen des Iran zu sanktionieren. anreicherung über die Drohnenlieferungen an Russland
Ihres Antrags bedarf es dafür nicht. bis zur Unterstützung der Anti-Israel-Achse von der His-
bollah über die Huthis bis zur Hamas.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der
SPD und der Abg. Sara Nanni [BÜND- Seit anderthalb Jahren fordern wir als Union einen
NIS 90/DIE GRÜNEN]) konsequenten Kurswechsel in der Iranpolitik. Passiert
ist seit dem Tod von Jina Mahsa Amini aber tatsächlich
Aber für eine andere Sache möchte ich Ihnen danken: viel zu wenig. Das Agieren des Iran zeigt uns das jeden
Als es bei der Innenministerkonferenz um die Ausset- Tag.
zung der Abschiebungen in den Iran ging, haben auch
die Innenminister von CDU und CSU zugestimmt. Das (Beifall bei der CDU/CSU)
ist Ihnen in Ihren Anträgen leider keine Erwähnung wert. Deshalb herzlichen Dank, Frau Türk-Nachbaur, für
Aber für diese konstruktive Mitwirkung danke ich Ihnen Ihre Rede in dieser Debatte, die sich aus meiner Sicht
im Namen der Ampelkoalition. wohltuend abgehoben hat von der Ihres Kollegen
Schmid. Denn während die vollmundigen Solidaritäts-
(Beifall bei Abgeordneten der FDP, der SPD bekundungen mit den iranischen Frauen inzwischen ver-
und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) hallt sind, werden täglich Unschuldige im Iran weiter
Mein Appell an Teheran: Beenden Sie die ausufernden zum Tode verurteilt und hingerichtet.
Hinrichtungen von vor allem jungen Menschen in Ihrem Für die wertegeleitete feministische Außenpolitik der
Land, Hinrichtungen für Nichtigkeiten, die bei uns durch Bundesregierung bleibt es aber quasi weiter ohne Kon-
Grundrechte jedem zustehen, vor allem die freie Mei- sequenzen. Sie betreibt weiter allenfalls Schadensbegren-
nungsäußerung, Demonstrationsfreiheit, Freiheit von zungspolitik.
Kunst und Kultur. Sie bilden die Basis für jede Demokra-
tie. Diese gab und gibt es im Iran nicht. Der Iran ist ein (Lamya Kaddor [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
Feind unserer Freiheit und Demokratie, weltweit, Tag für NEN]: Das ist Unsinn!)
Tag. Dafür wird Deutschland ja auch zu Recht nicht nur von
Frauenorganisationen und Aktivistinnen im Iran, sondern
(Beifall bei der FDP und der SPD sowie bei auch von Expertinnen für feministische Außenpolitik und
(B) Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE Iranexperten massiv kritisiert. (D)
GRÜNEN)
Bei aller Bedeutung – die stellen wir nicht infrage – der
Fact-Finding Mission: Das kann nicht das Einzige sein,
Vizepräsidentin Aydan Özoğuz: was diesem fundamentalistischen Terrorregime und sei-
Die nächste Rednerin ist Annette Widmann-Mauz für nen systematischen Menschenrechtsverletzungen ent-
die CDU/CSU-Fraktion. gegengesetzt wird. Warum findet zum Beispiel kein
strukturierter Austausch mit der Frauenrechtsbewegung
(Beifall bei der CDU/CSU) der iranischen Diaspora statt? Warum tun wir nicht mehr,
um Satelliteninternet flächendeckend verfügbar zu ma-
Annette Widmann-Mauz (CDU/CSU): chen und die Menschen bei der Umgehung der Internet-
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und zensur zu unterstützen? Warum gibt es keine belastbaren
Kollegen! Dass Telefondiplomatie, die Einbestellung des Finanzkanäle für die Diaspora, um etwa juristischen Bei-
Botschafters und eine scharfe Rhetorik der Superlative, stand für Gefangene engagieren zu können?
wenn es um die Verurteilung des Angriffs auf Israel durch Natürlich sind das immer wieder schwierige Abwä-
den Iran geht, nicht mehr ausreichen, das haben wir alle gungsprozesse, ja. Aber den Freiheitskampf der Irane-
hier spätestens seit einer Woche einmal mehr vergegen- rinnen und Iraner tatsächlich und sichtbar zu unterstüt-
wärtigt. zen, bedeutet doch nicht gleichzeitig, dass wir unsere
Sicherheitsinteressen ignorieren. Im Gegenteil: Die re-
(Zuruf der Abg. Lamya Kaddor [BÜND- gionale Einhegung des Iran, der Schutz Israels, die Ver-
NIS 90/DIE GRÜNEN]) hinderung des iranischen Atom-, Raketen- und Drohnen-
Viel zu lange hat sich die Bundesregierung an die programms sind für unsere Sicherheit maßgeblich. Wir
Illusion geklammert, Teheran am Verhandlungstisch ein- dürfen doch nicht zulassen, dass der Iran Anschläge auf
hegen zu können. Ständig werden wechselnde Argu- Synagogen in Deutschland planen kann und Exil-Iraner
mente angeführt, warum die Revolutionsgarden immer selbst bei uns nicht sicher sein können.
noch nicht auf der Terrorliste stehen, das Islamische (Beifall bei der CDU/CSU)
Zentrum Hamburg immer noch nicht geschlossen ist,
Deutschland immer noch der größte Handelspartner in Wir erwarten von dieser Bundesregierung endlich sub-
der EU mit dem Iran ist. stanzielle Maßnahmen statt vollmundiger Lippen-
bekenntnisse. Auf dem Tisch liegen heute 50 konkrete
(Zuruf der Abg. Lamya Kaddor [BÜND- Maßnahmen zur Abstimmung. Ich habe kein ernstzuneh-
NIS 90/DIE GRÜNEN]) mendes Argument gegen auch nur eine dieser Forderun-
Deutscher Bundestag – 20. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. April 2024 21307
Annette Widmann-Mauz
(A) gen gehört. Stimmen Sie unseren Anträgen zu. Das dan- (Beifall beim BSW) (C)
ken Ihnen die Iranerinnen und Iraner nicht nur im Iran,
sondern auch hier bei uns in Deutschland. Vizepräsidentin Aydan Özoğuz:
(Beifall bei der CDU/CSU) Die nächste Rednerin ist für die SPD-Fraktion Ye-One
Rhie.
Vizepräsidentin Aydan Özoğuz: (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
Das Wort erhält Sevim Dağdelen für die Gruppe BSW. des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der
FDP)
(Beifall beim BSW)
Ye-One Rhie (SPD):
Sevim Dağdelen (BSW):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Uns lie-
Kollegen! Die iranische Revolution ist eine Geschichte
gen hier heute zwei Anträge der Union zum Iran vor, die
von Stärke und Schwäche – von der Schwäche eines
zum Glück im Ausschuss von allen anderen Abgeord-
Regimes, das sich vor seinen eigenen Bürgerinnen und
neten abgelehnt worden sind. Bürgern fürchtet, so sehr, dass es zu Gewalt und Terror
(Beifall beim BSW) greift, und von der Stärke der Iraner/-innen, die gegen
Denn mit ihren Anträgen will die Union offenbar zeigen, ihre jahrzehntelange Unterdrückung protestieren und
dass sie noch stärker auf Eskalation im Nahen Osten wissen, dass sie im Zweifel dafür mit dem Leben bezah-
setzen will, als es diese Bundesregierung mit ihren fort- len, von der Stärke, für die Freiheit aller die eigene Frei-
gesetzten Waffenlieferungen an Israel schon tut trotz der heit aufzugeben.
Kriegsverbrechen und der katastrophalen Lage in Gaza. Diese Stärke hat viele Gesichter. Eines davon ist
Toomaj Salehi. Toomaj ist 33. Er ist Musiker, eine laute
(Max Lucks [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
Stimme für Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität. Die
O mein Gott!)
Iraner/-innen lieben ihn. Er ist ein Löwe, der Sohn der
Eigentlich müssten auch Sie bei der Union wissen, Nation. Er ist einer von ihnen, der Worte findet für den
dass Wirtschaftssanktionen bei autoritären Systemen – gemeinsamen Wunsch nach Freiheit, nach einem Land, in
ich zitiere – „regimekonsolidierend wirken“ und „be- dem Menschen keine Angst haben, nach Hoffnung. Dafür
trächtliche negative, ja kontraproduktive Auswirkungen soll Toomaj Salehi sterben.
... auf die Menschenrechtslage, auf Armut und Ungleich- Toomaj wusste, was ihm droht, als er nach dem Tod
heit, die öffentliche Gesundheit, die Lebenserwartung von Jina Mahsa Amini auf die Straße ging. Er wusste es (D)
(B) und die Kindersterblichkeit, den Grad an Repression“
und protestierte trotzdem. Er rappte weiter kritische Tex-
haben. Zitat Ende. – So heißt es in einer aktuellen Studie te. Das ist Stärke, wie wir sie uns kaum vorstellen kön-
der Stiftung Wissenschaft und Politik von heute zur Wir- nen.
kung und Wirksamkeit von Sanktionen. Ich kann Ihnen
nur empfehlen, sich das mal anzuschauen. Im Oktober 2022 wurde er festgenommen, körperlich
und seelisch gefoltert. Das Regime wollte zeigen, dass
(Beifall beim BSW) man jede Stärke brechen kann – vergeblich. Toomaj blieb
Wenn man sich die Union heute anschaut, ist bei ihr ein im Gefängnis ohne medizinische Versorgung, lange ohne
Kanzler Kohl offenkundig ganz vergessen. Heute sind bei selbst gewählten Anwalt. Über 250 Tage saß er in Iso-
der Union Leute am Ruder, die wie Herr Merz als Gerne- lationshaft, ohne Kontakt zur Außenwelt, eine unvorstell-
groß Weltpolitik simulieren. bare Folter.
(Alexander Hoffmann [CDU/CSU]: Ja! Ja!) Vorgeworfen wurden ihm „Korruption auf Erden“ und
„Krieg gegen Gott“, beides Anklagepunkte, die alles und
Aber ist das, was Herr Merz und andere uns hier präsen- nichts heißen und die mit dem Tode bestraft werden kön-
tieren, im Interesse der deutschen Bevölkerung? Wird nen. Dass einer dieser Punkte fallen gelassen wurde, ist
diese Politik der Eskalation dem Friedensgebot des ein kleiner Erfolg. Auch das Urteil im letzten Jahr, sechs
Grundgesetzes gerecht? Mitnichten, meine Damen und Jahre Haft, war ein kleiner Funken Hoffnung. Dieser eine
Herren. Satz, liebe Kolleginnen und Kollegen, zeigt doch die
(Beifall beim BSW) ganze Absurdität dieses Prozesses. Sechs Jahre Haft für
einen unschuldigen Menschen! Wie kann das Hoffnung
Wir als Bündnis Sahra Wagenknecht setzen uns für
sein? Es ist Hoffnung in einem Regime, das Willkür statt
einen sofortigen und bedingungslosen Waffenstillstand
Rechtsstaatlichkeit übt.
im Nahen Osten und einen Waffenstopp ein. Das Morden
muss nämlich ein Ende haben. Und Willkür ist das, was Toomaj weiter passierte. Vor
einigen Monaten wurde er auf Kaution freigelassen, ohne
(Jürgen Hardt [CDU/CSU]: Das Bündnis des weitere Begründung. Kaum war er frei, machte er ein
Phantoms Sahra Wagenknecht! Wo ist die ei- Video. Er sprach über seine Zeit im Gefängnis, über die
gentlich?) Folter, über seine Verletzungen am Auge, an der Hand,
Diejenigen von der Union, die offenbar ihre alleinige am Bein. Seine Ärzte sagten ihm: Ohne Behandlung wird
Aufgabe darin sehen, Benzinkanister ins Feuer weltwei- es bleibende Schäden geben. – Bevor er operiert werden
ter Konflikte zu werfen, zünden am Ende nur das eigene konnte, nahm ihn das Regime erneut fest – wegen des
Land an – nicht mit uns, meine Damen und Herren. Videos, wegen der „Ermutigung zu Gewalttaten“ und
21308 Deutscher Bundestag – 20. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. April 2024
Ye-One Rhie
(A) der „Veröffentlichung von Lügen in Medien“. Beide An- sicher durchsetzen können? Ist Stärke nicht vielmehr, mit (C)
klagepunkte wurden fallen gelassen. Selbst dem Regime einer klaren Haltung voranzugehen, auf der richtigen
waren sie anscheinend zu schwach. Übrig blieb der ur- Seite der Geschichte zu stehen, starken Menschen Hoff-
sprüngliche Vorwurf „Korruption auf Erden“, für den er, nung zu geben, starken Menschen wie Toomaj, wie
wie gesagt, im vergangenen Jahr bereits verurteilt wurde, Mariam und Nahid, wie Zaman und Narges, wie so vielen
für den er sechs Jahre Haft bekommen hat. Gestern ent- Menschen im Iran, deren Namen und Gesichter wir nicht
schied das Gericht bei derselben Aktenlage auf Hinrich- kennen?
tung. Toomaj Salehi soll sterben, weil er einem schwa- Vielen Dank.
chen Regime immer wieder seine eigene Stärke zeigt.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE
Als Toomajs politische Patin will und kann ich das
GRÜNEN und der FDP sowie bei Abgeord-
nicht einfach so hinnehmen. Liebe Kolleginnen und Kol-
neten der CDU/CSU und der Linken)
legen, ich bin froh, dass ich mit dieser Einstellung nicht
allein bin. Fraktionsübergreifend haben Hunderte Bun-
destagsabgeordnete politische Patenschaften im Iran Vizepräsidentin Aydan Özoğuz:
übernommen, weil wir etwas tun wollen, weil wir die Nächster Redner ist der fraktionslose Abgeordnete
Stärke der Menschen im Iran sehen und weil wir uns Robert Farle.
ärgern, wie schwach die EU gegenüber diesem Regime
auftritt. Denn schwach ist, wenn man Terror sieht, Terror
erkennt, aber keinen Mut hat, diesen so zu benennen. Robert Farle (fraktionslos):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
(Beifall der Abg. Luiza Licina-Bode [SPD]) und Herren! Mit Ihren Anträgen für Sanktionen gegen
immer mehr Länder – in diesem Fall trifft es den Iran –
Schwach ist, wenn man sich erpressen lässt, wenn man zeigt die CDU/CSU exemplarisch, was in der deutschen
verspricht, keine schärferen Sanktionen mitzutragen, Außenpolitik ständig falsch läuft, und das nicht erst seit
wenn man mutmaßliche Terroristen freilässt, wenn man Annalena Baerbock. Wer in seiner Innenpolitik nicht das
Gelder freigibt, die eingefroren waren, um eigene Staats- tut, was unseren westlichen Standards entspricht und was
bürger/-innen aus dem Iran freizubekommen. Diese wir fordern, der muss eben sanktioniert werden – ganz
Schwäche sieht das Regime im Iran. Es sieht, dass seine egal, ob dabei etwas herauskommt für die Menschen. Es
„Geiseldiplomatie“ wirkt. Diese Schwäche führt nicht kommt etwas heraus, nämlich eine Verschlechterung der
dazu, dass sogenannte Doppelstaatler/-innen sicherer Lebenssituation der einfachen Menschen im Iran; ganz
sind – ganz im Gegenteil. einfach. Sie treffen die Falschen. Sie treffen nicht dieje-
(B) Glaubt wirklich irgendjemand, dass das Regime das nigen, die für das verantwortlich sind, was dort schief- (D)
freigegebene Geld – rund 6 Milliarden Dollar im ver- läuft bei Menschenrechten, Frauenrechten usw.
gangenen Sommer – für seine Bürger/-innen ausgibt, In ihrer Überschrift fordert die Union – ich zitiere –,
für Bildung, für Infrastruktur? Nein! Dieses Geld finan- die iranische Revolutionsbewegung aktiv zu unterstüt-
ziert den Terror im eigenen Land, den Terror im Nahen zen. Wunderbar! Wollen Sie von der CDU Leute da hin-
Osten, den Terror der Hisbollah, den Terror der Hamas. schicken? Soll Frau Baerbock vorneweg
Es finanziert Waffen, die gegen die Ukraine, die gegen
Israel eingesetzt werden. Deshalb ist es gut, dass die (Zuruf der Abg. Dr. Marie-Agnes Strack-
Bundesregierung mehr Stärke zeigt als einige unserer Zimmermann [FDP])
Partner. Wir zeigen Stärke, auch wenn es wehtut. – und vielleicht auch Frau Strack-Zimmermann, die sich
Viele von uns im Parlament kennen Mariam Claren, vielleicht dafür am besten eignet –, an der Front kämpfen
die das politische Patenschaftsprogramm mitaufgebaut für den Sturz, für die iranische Revolution, wie Sie hier
hat, die immer wieder über den sichtbaren und unsicht- fordern? Ist Ihnen eigentlich klar, was Sie anrichten? Sie
baren Terror des Regimes im Iran aufklärt, und das, wäh- machen uns international völlig unglaubwürdig,
rend ihre eigene Mutter Nahid Taghavi im Evin-Gefäng- (Dr. Till Steffen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
nis sitzt – als deutsche Staatsbürgerin, unschuldig, mit NEN]: Hat Ihnen das Putin in der Sauna ge-
angeschlagener Gesundheit. Natürlich kämpft Mariam sagt, oder was?)
um die Freiheit ihrer Mutter. Aber sie weiß wie kaum
eine andere, dass die Freiheit Nahids nichts wert ist, weil Sie Dinge fordern, die keiner einlösen kann. Wir
wenn dafür bei anderen Verbrechen weggesehen werden sind nicht das Land, das außerhalb von Deutschland an-
muss. deren Ländern vorzuschreiben hat,
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die iranische Revo- (Dr. Till Steffen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
lution ist eine Geschichte von unfassbarer Stärke und NEN]: Deswegen lassen Sie sich gleich von
grausamer Schwäche. Vor diesem Hintergrund ist es nur Putin die Rede schreiben! Das ist folgerichtig!)
richtig, dass wir uns selbst die Frage stellen: Was macht
was sie zu tun oder zu lassen haben. Mit Sanktionen
uns stark oder schwach? Macht es uns wirklich schwach,
erreichen Sie nur eines: Sie isolieren unser Land weltweit
wenn wir Terror klar benennen, wenn wir mehr und här-
und sorgen dafür, dass wir Konflikte nach Deutschland
tere Sanktionen verhängen, wenn wir uns auf die richtige
holen,
Seite stellen – gegen das Regime, für die Menschen –, nur
weil wir damit vielleicht allein dastehen? Sind wir wirk- (Dr. Till Steffen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
lich politisch stark, wenn wir nur das fordern, was wir NEN]: Nee! Sie holen die Konflikte!)
Deutscher Bundestag – 20. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. April 2024 21309
Robert Farle
(A) die wir hier nicht brauchen können, wenn wir in Frieden, Ich sage „Frustration“ deshalb, weil diese Bundes- (C)
in Sicherheit – regierung in ihrem Handeln offensichtlich unbeeindruckt
von dieser Entwicklung bleibt. Steigende Repressionen:
Konsequenzen? Fehlanzeige! Die Hamas und die Hisbol-
Vizepräsidentin Aydan Özoğuz:
lah bedrohen die Existenz Israels in einer ganz neuen
Sie müssen jetzt bitte zum Schluss kommen. Dimension. Konsequenzen? Fehlanzeige! Die Huthi-Re-
bellen im Jemen attackieren unsere Handelswege. Die
Robert Farle (fraktionslos): Wahrheit ist doch: konkrete Konsequenzen gegen den
– und Wohlstand leben wollen. Iran? Fehlanzeige! Ein direkter Angriff auf Israel mit
Hunderten Drohnen und Raketen und damit eine neue
Ebene der Konfrontation startend: tatsächliche Kon-
Vizepräsidentin Aydan Özoğuz: sequenzen? Bisher Fehlanzeige!
Herr Abgeordneter.
Was muss eigentlich passieren, liebe Kolleginnen und
Kollegen, dass diese Regierung ihre Politik, ihr tatsäch-
Robert Farle (fraktionslos): liches Handeln ändert? Ich habe hier in der Debatte bei-
Und ich persönlich will das. des gehört. Die einen sagen: Wir müssen nichts ändern.
Vielen Dank für Ihre geschätzte Aufmerksamkeit. Wir sind doch richtig unterwegs. – Aber es gab gerade
auch aus der Ampelkoalition Beiträge, in denen gesagt
(Alexander Radwan [CDU/CSU]: Die Erde ist wurde: Wir müssen konsequenter handeln. Wir müssen
eine Scheibe! – Lamya Kaddor [BÜNDNIS 90/ unseren Weg ändern. Es kann doch nicht die Haltung
DIE GRÜNEN]: Der Knopf im Ohr! Batterie sein, dass wir so weitermachen wie bisher, dass wir pro-
ist leer!) testieren und uns danach zum netten Plausch mit den
Iranern zusammensetzen.
Vizepräsidentin Aydan Özoğuz: (Beifall bei der CDU/CSU)
Der letzte Redner in dieser Debatte ist Thomas Erndl
für die CDU/CSU-Fraktion. Das ist nicht das notwendige Signal, das ist nicht das
Signal, das hier erforderlich ist.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Deshalb frage ich mich: Was muss denn passieren, dass
nicht Exporte steigen, sondern dass endlich wirksame
Thomas Erndl (CDU/CSU): Sanktionen vor allem gegen die Güter in den Blick ge-
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und nommen werden, die die Iraner für die Drohnenproduk-
(B) Kollegen! Vor mehr als eineinhalb Jahren ist Jina Mahsa tion einsetzen? (D)
Amini an den Folgen grausamer Misshandlung gestor-
ben. Ihr Tod steht sinnbildlich für die ganze Grausamkeit (Lamya Kaddor [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
dieses Regimes. Seitdem haben uns Hunderttausende auf NEN]: Sagen Sie das auch Frau von der Ley-
den Straßen Irans gezeigt: Dieses Regime ist nicht der en! – Max Lucks [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
Iran. Dieses Regime steht nicht für die Menschen im Iran. NEN]: Da muss sich die
Kommissionspräsidentin endlich bewegen!)
Das Mullah-Regime unterdrückt seine Bevölkerung
mit einer unvergleichlichen Brutalität und traktiert die, Was muss denn passieren, dass die Revolutionsgarden
die sich für Freiheit einsetzen, wie die vielen politischen endlich auf die EU-Terrorliste kommen? Was muss
Gefangenen, die vielen Hinrichtungen und die vielen denn passieren, dass der Snapback-Mechanismus beim
willkürlichen Todesurteile zeigen und wie wir leider Atomabkommen gezogen wird? Wir machen uns doch
auch gestern sehen mussten. Das Urteil gegen den Rapper unglaubwürdig, wenn wir immer und immer wieder wei-
Toomaj Salehi ist eine Farce. Er und alle anderen politi- ter Gespräche führen, die keine Wirkung haben, und wir
schen Gefangenen müssen sofort freigelassen werden. keine konsequenten Signale an den Iran senden. Was
muss eigentlich passieren, dass die unendliche Ge-
(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem schichte das Islamische Zentrum in Hamburg betreffend
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP endlich zu einem Abschluss gebracht wird?
sowie der Abg. Clara Bünger [Die Linke])
Es ist unbestreitbar: Diese Regierung ist bisher im
Ich bewundere den Mut aller Iraner, die trotz dieser Schlafwagen unterwegs.
Repressionen weiter gegen diese Diktatur kämpfen, und
ich glaube, dass diese Menschen stärkere Signale gegen (Marianne Schieder [SPD]: Ui, ui, ui! – Zuruf
dieses Regime von uns erwartet hätten – Signale, die, des Abg. Ulrich Lechte [FDP])
wenn überhaupt, nur mit angezogener Handbremse er- Wir haben in unseren Anträgen konkrete Maßnahmen
folgt sind. Auch die Menschen in unserem Land hatten definiert; denn es gilt: Ein Terrorregime versteht nur die
diese Erwartung – die Menschen in unserem Land, die Sprache der Stärke und konsequentes Handeln. Das habe
unermüdlich auf diese Situation aufmerksam machen. Ich ich heute hier auch in Beiträgen aus der Ampelkoalition
möchte an dieser Stelle wirklich allen danken, die mit gehört.
großer Energie politische Patenschaften für Gefangene
organisieren, die uns in unserem Alltag immer wieder
auf die grausame Situation aufmerksam machen, und Vizepräsidentin Aydan Özoğuz:
dies intensiv, trotz aller Frustration. Kommen Sie bitte zum Schluss.
21310 Deutscher Bundestag – 20. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. April 2024
Johannes Arlt
(A) bedingten Erkrankung Schutz und Hilfe erhalten. Des Eigenlob stinkt bekanntlich, insbesondere wenn man sich (C)
Weiteren möchten wir ermöglichen, dass eine leichte An- vor Augen führt, dass wir uns als Politik im Umgang mit
sprechbarkeit für Geschädigte bundesweit verfügbar ist. unserer Bundeswehr und ihren Veteranen nicht immer
Soldaten sollen in Zukunft auch dann Versorgung erfah- mit Ruhm bekleckert haben.
ren, wenn aufgrund von mangelnder und fehlender Do- Der Bundestag spiegelt bekanntlich unsere Gesell-
kumentation einsatzbedingter Schädigungen der Nach- schaft wider. Somit ist es wenig verwunderlich, dass so
weis nicht gerichtsfest erbracht werden kann. mancher in diesem Haus der Bundeswehr lange mit
(Beifall der Abg. Marianne Schieder [SPD] freundlichem Desinteresse gegenüberstand. Das ist we-
und Frank Müller-Rosentritt [FDP]) nig verwunderlich, aber dennoch befremdlich angesichts
Wir wollen eine maximale Verfahrensdauer von der An- dessen, dass die Bundeswehr eine Parlamentsarmee ist
tragstellung bis zum ersten Bescheid von sechs Monaten und wir als Mitglieder des Bundestages nicht nur über
einführen, und das, ohne dass sich die Position der An- die Höhe des Verteidigungshaushaltes oder die Aus-
tragsteller verschlechtert. Auch die Einrichtung einer gestaltung des Soldatengesetzes entscheiden, sondern
speziellen Rehaklinik werden wir prüfen. eben auch darüber, ob wir Soldaten in Auslandseinsätze
schicken, wo ihre Sicherheit und körperliche Unversehrt-
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kol- heit nicht garantiert werden kann. Das ist jedem Soldaten
legen, ich danke der Arbeitsgruppe Veteranenpolitik, also bewusst. Sie unterschreiben eine Art Blankoscheck in
Kerstin Vieregge, Merle Spellerberg, Christian Sauter, dem Vertrauen, dass wir als Parlamentarier diese Ent-
Kristian Klinck und Falko Droßmann, die diesen sehr scheidungen gewissenhaft und sorgfältig abwägen. Wir
aufregenden Prozess mit begleitet haben. Es liegt viel sind es, die diese Entscheidungen treffen, und wir sind es,
Arbeit vor uns, Arbeit, die wir jetzt gemeinsam als Re- die gegenüber unseren Männern und Frauen in Uniform
gierungsfraktionen mit der Union angehen und abarbei- in der Bringschuld sind. Wer zum Wohle unserer Sicher-
ten werden. Veteranenpolitik – die Versorgung unserer heit, unserer Freiheit und unserer Demokratie bereit ist,
geschädigten Soldatinnen und Soldaten – darf nicht da- Dienst zu leisten, dem sind wir nicht nur zu Dankbarkeit
von abhängen, wer die Regierung führt. Darum machen und Wertschätzung verpflichtet, sondern ihm gegenüber
wir das zusammen. haben wir auch eine besondere Fürsorgepflicht, die auch
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, dem in der Vergangenheit im Rahmen diverser Gesetz-
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP) gebungsprozesse definiert, quantifiziert und ausgestaltet
wurde.
Sehr geehrte Veteranen, liebe Kolleginnen und Kolle-
gen, heute ist ein Tag großer Freude über das Erreichte, Zum Glück kann man sagen: Ja, wir haben uns in die
über diesen riesigen Schritt in Richtung von mehr gesell- richtige Richtung bewegt. Das Einsatzversorgungs-Ver-
(B) besserungsgesetz und das Einsatz-Weiterverwendungs- (D)
schaftlicher Wertschätzung. Morgen aber geht es wieder
an die Arbeit. Allen Kameraden rufe ich zu: Semper talis gesetz waren bedeutende Schritte. Aber zu oft hören wir
und danke für euren Einsatz. noch von Wehrdienstbeschädigungsverfahren, die meh-
rere Jahre dauern, von bürokratischen Hürden und Pro-
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, dem zessen, die PTBS-Erkrankte noch kranker machen. Man-
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP) cher spricht sogar vom Krieg nach dem Krieg und von
Veteranen, die sich gezwungen sehen, gerichtlich gegen
Vizepräsidentin Aydan Özoğuz: ihren ehemaligen Dienstherrn vorzugehen, weil dieser
Die nächste Rednerin ist Kerstin Vieregge für die den legitimen Ansprüchen sonst nicht stattgibt. Das
CDU/CSU-Fraktion. sind Geschichten, die zeigen, wie eng die Ausgestaltung
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- der Fürsorge gerade bei Einsatzveteranen mit Wertschät-
neten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE zung zusammenhängt. Kein verwundeter oder traumati-
GRÜNEN und der FDP) sierter Soldat, der seit vier Jahren auf die Anerkennung
seines Schädigungsgrades wartet, fühlt sich wert-
geschätzt.
Kerstin Vieregge (CDU/CSU):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Mi- Und ja, Gesetze erzeugen Bürokratie. Bürokratie be-
nister! Sehr geehrte Frau Wehrbeauftragte! Geschätzte nötigt Verwaltung, und Verwaltung braucht Prozesse.
Kolleginnen und Kollegen! Wenn Opposition und Regie- Doch dürfen wir nie vergessen, wofür wir diese Gesetze
rungsfraktionen gemeinsam einen Antrag ins Parlament gemacht haben: Sie wurden verabschiedet, um das Leben
einbringen, dann geht es um ein Thema, welches von derer zu verbessern, die wir in den Einsatz geschickt
herausragender Bedeutung ist: die Einführung eines na- haben. Der Soldat, der Veteran, der Mensch muss immer
tionalen Veteranentages und Verbesserung in der Versor- im Mittelpunkt unseres Fürsorgegedankens stehen.
gung von einsatzgeschädigten Veteranen. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
neten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE Die Art des Umgangs ist entscheidend. Wertschätzung
GRÜNEN und der FDP) darf nicht nur in Worten ausgedrückt werden, sondern
Schon isoliert betrachtet – unabhängig vom Inhalt des sie muss sich auch in konkreten, greifbaren Maßnahmen
Antrages – ist dies ein starkes Zeichen unserer Wertschät- und Verbesserungen widerspiegeln, und natürlich auch
zung für jene, die ihr Leben und ihre Gesundheit für im Engagement für die Themen, welche diejenigen be-
unsere Freiheit und Demokratie eingesetzt haben. Aber wegen, die bereit waren, alles für unser Land und unsere
Deutscher Bundestag – 20. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. April 2024 21313
Kerstin Vieregge
(A) Demokratie zu geben. Zudem braucht Wertschätzung ei- kratischen Grundordnung, der Bundesrepublik Deutsch- (C)
nen Rahmen. Die Einführung eines nationalen Veteranen- land, der deutschen Bevölkerung und Einstehen für Frie-
tages am 15. Juni halten wir für einen wichtigen Schritt, den und Sicherheit in der Welt. Soldatin oder Soldat zu
der schon lange überfällig ist. sein, heißt auch: Diese Erfahrungen bleiben für immer,
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- die guten und die schlechten, auch wenn man längst im
ordneten der FDP) zivilen Leben angekommen ist, sich jeden Tag mit ganz
anderen Dingen beschäftigt, der Auftrag gar nicht mehr
Der Weg bis zur heutigen Debatte und Abstimmung der eigene ist – es bleibt.
war nicht immer leicht. Dennoch möchte ich gerne an
Die Uniformen in der Deutschen Bahn, die neue si-
dieser Stelle meinen Kollegen Johannes Arlt, Merle
cherheitspolitische Lage, das alles hat Soldatinnen und
Spellerberg und Christian Sauter für das stets kollegiale
Soldaten und ihren Auftrag sichtbarer gemacht, in der
Miteinander und die konstruktive Arbeit danken.
deutschen Gesellschaft, in der Berichterstattung, im All-
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie tag. Aber Veteraninnen und Veteranen sind immer noch
bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE unsichtbar. Das wollen wir mit diesem Antrag ändern.
GRÜNEN und der FDP)
Uns ist aber auch allen bewusst, dass die wahre Arbeit (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
noch kommen wird; denn dieser Tag muss mit Leben bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeord-
gefüllt und von gesellschaftlichem Engagement getragen neten der CDU/CSU)
werden und darf nicht zu einer symbolischen Geste ver-
kommen. Und da, liebe Kollegen, werden wir Ihre Unter- Sichtbar machen heißt auch, erst mal selber genauer
stützung brauchen. Jeder von Ihnen hat im Wahlkreis hinschauen, auch wenn jemand keine Uniform mehr
Veteranen und Soldaten. Daher meine eindringliche Bit- trägt. Vielleicht sprichst du gerade mit jemandem, der
te: Setzen Sie sich für die Veteranen ein. Helfen Sie mit, diesem Land gedient hat, der zum Äußersten bereit war
dass der Veteranentag deutschlandweit in die Breite der oder es immer noch ist. Es lohnt sich, nachzufragen und
Gesellschaft wirkt und dass unsere Veteranen und ihre zuzuhören. Da ist der Fahrer, der Kommandosoldat war,
Angehörigen sichtbarer werden. aus dem die Erinnerungen nur so heraussprudeln, die
vielen negativen und die wenigen guten, der sich am
(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem Ende bedankt, weil es schön ist, dass da jemand zuhört.
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP) Da ist der ältere Herr im Zug, der neugierig auf meine
Ich denke, wir können uns der Schützenhilfe der deut- Mappe im Flecktarnmuster schaut. Er hatte keine enge
schen Veteranenbewegung gewiss sein. Eure professio- Bindung zu seinen Töchtern, als sie klein waren, weil
(B) nelle Arbeit, euer Herzblut für die Sache und eure kame- der Beruf so viel von der Familie verlangt: ständig um- (D)
radschaftliche Fürsorge verdienen unsere Dankbarkeit, ziehen, alles für den Dienst. Jetzt will er es bei den Enkeln
Anerkennung und Wertschätzung – aber auch unseren anders machen und fragt sich, wie. Oder da ist der Hand-
Applaus. werker, der Zeitsoldat war und der gerade vom Auswärts-
spiel mit seinem Fanklub unterwegs zurück nach Hause
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- ist, der dabei war, als ein Kamerad bei einer Übung ums
neten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE Leben kam, und sich an jedes Detail erinnert, obwohl es
GRÜNEN und der FDP) ein halbes Leben her ist.
Schließlich war es euer unermüdlicher Einsatz über Jahre Im Untersuchungsausschuss Afghanistan haben wir
hinweg, der den Weg zur heutigen Abstimmung ebnete. aktive Soldaten befragt, die weit über ihre physischen
Und nicht zuletzt, zumindest meiner Meinung nach, ge- und psychischen Belastungsgrenzen hinausgegangen
schätzte Kollegen, verdient dieser Antrag unser aller Zu- sind. Die Hingabe für den Auftrag, die Verantwortung,
stimmung. Lassen Sie uns hier und heute gemeinsam ein die sie gespürt haben, der Druck und teilweise auch die
ganz starkes Zeichen setzen. Wut über die Umstände lässt einem die Tränen in die
(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem Augen schießen und ehrfürchtig werden.
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP) Das alles sind Menschen, die diesem Land, die dem
Frieden in der Welt gedient haben, ihm vielleicht immer
Vizepräsidentin Aydan Özoğuz: noch dienen und die zum Äußersten bereit waren und
Als Nächste erhält das Wort Sara Nanni für Bünd- sind, Menschen, die stolz sein können, diesen Mut zu
nis 90/Die Grünen. haben, so eine Pflicht anzunehmen, Menschen, die es
verdient haben, von unserer Gesellschaft gesehen zu wer-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN den:
sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
Sara Nanni (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)
Sehr geehrte Präsidentin! Sehr geehrte Wehrbeauftrag-
te! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Veteraninnen ihren Mut, ihre Größe, ihre Sorgen, ihre Ängste, ihren
und Veteranen! Meine Damen und Herren! Soldatin oder Stolz und ihren Auftrag in all seinen Dimensionen und
Soldat zu sein, das heißt im Äußersten auch, das eigene auch den Mut, die Größe, die Sorgen, die Ängste, den
Leben zu gefährden, um einen Auftrag zu erfüllen. Der Stolz und den Auftrag in all seinen Dimensionen, ihre
Auftrag heißt heute Verteidigung der freiheitlich-demo- Familien und Freunde.
21314 Deutscher Bundestag – 20. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. April 2024
Sara Nanni
(A) Es gibt noch viel für die Veteraninnen und Veteranen in Afghanistan gestorben, ein Stabsunteroffizier aus der (C)
unserem Land zu tun. Das bleibt so, auch wenn wir diesen ABC-Abwehrtruppe, der sich wenige Tage, bevor er
Antrag gleich mit sehr breiter Mehrheit – ich möchte nach Deutschland zurückkehren sollte, selbst das Leben
mich noch einmal bei den Kolleginnen und Kollegen nahm. – Es ist an der Zeit, unsere Soldaten mit einem
bedanken, dass wir das so hinbekommen haben in diesen Veteranentag zu ehren und sie in die Mitte der Gesell-
doch sehr polarisierten Zeiten – annehmen werden. Las- schaft zu rücken.
sen Sie es uns als Anfang, ja, vielleicht als Neuanfang Als Politiker muss ich diesen Antrag jedoch auch im
begreifen: Neuanfang im Verhältnis Bundestag und Vete- politischen Kontext bewerten. Die mangelhafte Ausstat-
raninnen und Veteranen, aber auch im Verhältnis Gesell- tung unserer Bundeswehr, wie im Wehrbericht dokumen-
schaft und Veteraninnen und Veteranen. So ein Neu- tiert, wirft ein paar Fragen besonders angesichts des Zeit-
anfang ist nötig. Ich freue mich, ein Teil davon zu sein, punktes dieses Vorschlages auf.
und lade Sie herzlich ein, auch ein Teil davon zu werden.
Das Steadfast-Defender-Manöver geht im Mai in seine
Danke schön. letzte Phase. Wir sehen dann das größte NATO-Manöver
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, seit Ende des Kalten Krieges. Aus dem gesamten NATO-
bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeord- Westen inklusive Nordamerikas werden 90 000 Soldaten
neten der CDU/CSU) samt Gefechtsfahrzeugen, Kampfflugzeugen und Ma-
rineeinheiten an die Ostflanke verlegt. Von Norwegen
über Litauen und Polen bis Rumänien soll das Übungs-
Vizepräsidentin Aydan Özoğuz:
gebiet reichen. Die Bundeswehr beteiligt sich mit ins-
Vielen Dank. – Auch ich möchte es nicht versäumen, gesamt 12 000 Soldaten und 3 000 Gefechtsfahrzeugen
unsere Wehrbeauftragte zu dieser wichtigen und sensi- an zehn Teilübungen. Es wird die größte deutsche Übung
blen Debatte zu begrüßen. Ich glaube, es ist sehr wichtig, seit Jahren.
dass Sie heute wieder dabei sind. Vielen Dank.
Es gehe jetzt darum, Schnelligkeit und Fähigkeit zu
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE zeigen, um glaubhafte Abschreckung zu demonstrieren.
GRÜNEN und der FDP sowie bei Abgeord- Deutschland sei dabei als Drehscheibe besonders wichtig
neten der CDU/CSU) und ist deshalb besonders engagiert. Der Generalinspek-
Ich gebe das Wort an Hannes Gnauck für die AfD- teur der Bundeswehr, General Carsten Breuer, erklärte
Fraktion. dazu, dass die Bundeswehr bei diesen NATO-Plänen jetzt
„all in“ gehe. Nicht länger würden kleine Kontingente,
(Beifall bei der AfD)
die man für das internationale Krisenmanagement abge-
(B) stellt hat, benötigt werden, jetzt müsse man für den (D)
Hannes Gnauck (AfD): Kriegsfall üben. Das sind Worte, die mich sehr nachdenk-
Frau Präsidentin! Frau Wehrbeauftragte! Sehr geehrte lich machen. Man wolle zu Ernstfallvorbereitungen an
Gäste auf den Tribünen! Meine Damen und Herren! der NATO-Ostflanke all diese NATO-Teiltruppen als
Ich stehe heute nicht nur als Abgeordneter meiner Frak- schlagkräftige militärische Verbände zusammenführen.
tion vor Ihnen, sondern auch als ehemaliger Soldat und In diesem Unterfangen könne er deutliche Schritte in
Afghanistan-Veteran. Dementsprechend ist es für mich Richtung Krieg – und da korrigiert sich General Breuer
ebenfalls ein Herzensanliegen, an dieser Stelle für die direkt –, Richtung Kriegstüchtigkeit ausmachen.
Leistung der Truppe einzutreten und sie ehrenvoll zu
würdigen. Es ist selbstverständlich korrekt, dass der militärische
Angriff Russlands im Februar 2022 zu verurteilen ist.
In den Auslandseinsätzen der Bundeswehr kamen ins- Aber es sollte sich langsam jedem normal denkenden
gesamt 116 Kameraden ums Leben; allein in Afghanistan Menschen eröffnet haben, dass das Sterben ein Ende
fielen 59 deutsche Soldaten, 59 Männer und Frauen, die finden muss und dass man in dieser Lage nun mal in
ihr Leben nicht mehr fortführen können, die vielleicht Verhandlungen auf Moskau zugehen muss, egal wie ei-
keine Chance hatten, eine eigene Familie zu gründen, nem das missfällt.
oder diese nun in ihrer Trauer zurücklassen mussten,
59 Familien, die einen geliebten Sohn oder eine geliebte (Beifall bei der AfD – Alexander Hoffmann
Tochter, eine Mutter oder einen Papa haben, der oder die [CDU/CSU]: Das ist der Kreml-Sprechzettel!)
nicht mehr nach Hause kam, Zehntausende, die seelisch
und körperlich verwundet zurückkehrten, aber doch nie
Mit jedem Tag – da sollten sich alle in diesem Haus ehr-
wieder wirklich nach Hause kamen. Für sie alle und ihre
lich machen – wird ein Sieg der Ukraine unrealistischer.
Familien war die Welt auf einmal eine andere. Als ver-
Es ist eigentlich längst Illusion, von einem militärischen
antwortliches Parlament ist es unsere Verpflichtung, nun
Sieg der Ukraine auszugehen.
auch für die Kameraden, die unser Land unter Einsatz
ihres Lebens beschützten, einzustehen und auch den Hin-
terbliebenen die Möglichkeit eines ehrenden Gedenkens (Zuruf der Abg. Dr. Marie-Agnes Strack-
zu schaffen. Zimmermann [FDP])
(Beifall bei der AfD) Der einzige Weg, noch einen militärischen Sieg über
Das Schicksal eines Kameraden aus dem Kontingent, Russland zu erreichen, wäre eine Beteiligung anderer
mit dem ich im Einsatz war, lässt mich bis heute nicht los. Armeen auf der Seite der Ukraine. Dazu hat sich Herr
Am 3. Oktober 2019 ist der letzte deutsche Soldat in Macron bereits mehr als deutlich geäußert.
Deutscher Bundestag – 20. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. April 2024 21315
Hannes Gnauck
(A) (Florian Hahn [CDU/CSU]: Das ist doch Blöd- Ich bedanke mich. (C)
sinn! – Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann (Beifall bei der AfD)
[FDP]: Ist Herr Macron deutscher Veteran?)
Auch der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bun- Vizepräsidentin Aydan Özoğuz:
destages hat ein Szenario entworfen, wie NATO-Staaten Der nächste Redner ist Christian Sauter für die FDP-
auf ukrainischem Boden gegen russische Soldaten kämp- Fraktion.
fen könnten, ohne den Bündnisfall auszulösen.
(Beifall bei der FDP, der SPD und dem
Ich will auf diese Aspekte im Detail gar nicht weiter BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
eingehen. Ich will an dieser Stelle nur an Sie alle appel-
lieren. Ich bitte Sie nicht als Abgeordneter der AfD oder
als Mitglied des Verteidigungsausschusses, sondern als Christian Sauter (FDP):
Hannes Gnauck, Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau
Wehrbeauftragte! Verehrte Veteranen und Gäste! Meine
(Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann [FDP]: Kolleginnen und Kollegen! Heute ist ein wichtiger Tag.
Schlimm genug!) Wir wollen einen Weg für eine umfassende Wertschät-
Oberfeldwebel des Panzergrenadierbataillons 411 und zung der Veteranen in Deutschland beschreiten und einen
Afghanistan-Veteran des 15. Kontingentes Resolute Sup- Veteranentag beschließen. Dies ist lange erwartet worden
port, CS Coy in Masar-i Scharif, Kundus und Maimana: und wird heute sicher viel beachtet werden. Viele sind
Verhindern Sie die größte Katastrophe des 21. Jahrhun- auch persönlich auf der Tribüne: Veteranen und diejeni-
derts! Überwinden Sie Ihren Stolz, und setzen Sie sich an gen, die sich langjährig auf unterschiedlichsten Ebenen
den Verhandlungstisch! Kein einziger deutscher oder dafür eingebracht haben. Sie haben die Weichen mit ge-
auch europäischer Soldat soll wieder an der Ostfront stellt. Dafür danken wir Ihnen ausdrücklich.
fallen. (Beifall bei der FDP, der SPD, der CDU/CSU
(Beifall bei der AfD – Zuruf der Abg. und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann [FDP]) Ein nationaler Veteranentag und Maßnahmen für eine
verbesserte Versorgung von Veteranen und deren Fami-
Sorgen Sie stattdessen dafür, dass unsere Veteranen gut lien sollen heute aus der Mitte des Hauses beschlossen
versorgt werden und dass sich die Anzahl der im Einsatz werden. Hier geht es um Respekt, um die Anerkennung,
versehrten Kameraden nicht erhöht! Ich fordere daher die angemessene Würdigung und die Wertschätzung des
auch eine Überarbeitung der Versorgungsstrukturen, ins- Dienstes der Veteranen in der deutschen Bundeswehr.
besondere um die Unterschiede zwischen Berufs- und Das stand lange nicht in ausreichendem Maße so im (D)
(B) Zeitsoldaten zu korrigieren. Derzeit erhalten Zeitsoldaten
Mittelpunkt, wie es aus heutiger Sicht hätte sein müssen.
oft geringere Versorgungsleistungen als ihre Kameraden, Nunmehr sind es vier Fraktionen aus der Mitte des Hau-
die als Berufssoldaten dienen, selbst wenn beide in ses, die die vorliegende Einigung eingebracht haben. Das
denselben Einsätzen kämpfen und verwundet werden. ist ein gutes Zeichen, und ich bin dankbar dafür.
Dies ist eine offensichtliche Ungerechtigkeit, die korri-
giert werden muss. Die Bundeswehr und der Berufsför- (Beifall bei der FDP, der SPD, der CDU/CSU
derungsdienst bieten zwar eine Reihe von Maßnahmen und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
zur Karriereförderung und zur Wiedereingliederung in Die Bundeswehr ist Parlamentsarmee. Das ist eine
das zivile Berufsleben an, doch sollten die Unterstüt- vielzitierte Feststellung. Aber was folgt daraus? Dieses
zungsleistungen während und nach dem Dienst für alle Haus trägt eine besondere Verantwortung für die Sol-
gleichermaßen zugänglich sein. daten im Dienst der Bundeswehr, und es trägt ebenso
Unsere Truppe verdient Anerkennung nicht nur durch Verantwortung für diejenigen, die ihren Dienst treu ge-
Worte, sondern auch durch Taten. Ich appelliere an Sie: leistet haben. Über 10 Millionen Veteranen in Deutsch-
Lassen Sie uns die Bedingungen für all unsere Soldaten land verdienen unsere Anerkennung. Der nationale Vete-
verbessern und sicherstellen, dass kein Soldat wegen bü- ranentag soll das deutlich machen. Er soll ein fester
rokratischer Unterscheidungen zwischen Dienstverhält- Bestandteil des Kalenders werden und damit unsere Ve-
nissen benachteiligt wird. Ich begrüße die überfällige teranen und ihre Leistungen sichtbar und respektvoll wür-
Anerkennung der Leistungen unserer Veteranen. Aber digen.
ich verurteile Ihren leichtsinnigen Umgang mit der Tap- (Beifall bei der FDP, der SPD, der CDU/CSU
ferkeit unserer Soldaten und ihrem Schicksal, und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
(Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann [FDP]: Vor allem soll der Tag in der Mitte der Gesellschaft statt-
Das sagt der Richtige!) finden, Veteranen und ihre Familien in das Zentrum stel-
über das Sie mit Ihren Handlungen entscheiden. Unzäh- len.
lige tapfere Männer und Frauen, die für Deutschland Bereits vor über zehn Jahren gab es Vorschläge im
ihren Kopf hingehalten haben und mit seelischen und parlamentarischen Raum, viele Diskussionen, aber letzt-
körperlichen Wunden den Rest ihres Lebens verbringen endlich ist heute der Tag, um ans Ziel zu kommen. Wie
müssen, sollten uns alle mahnen. Für ihre herausragenden groß das Interesse daran ist, haben die vergangenen Mo-
Leistungen haben unsere Soldaten den größten Respekt, nate gezeigt. Das Datum 15. Juni und damit verbunden
Dank und Hilfe verdient, die unsere Gesellschaft nur die jeweiligen Wochenenden, wie vorgeschlagen, ist an
leisten kann. dieser Stelle sicherlich oft diskutiert worden. Es gab viele
21316 Deutscher Bundestag – 20. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. April 2024
Christian Sauter
(A) gute Argumente dafür, aber auch kritische Stimmen. Am Vizepräsidentin Aydan Özoğuz: (C)
Ende ist es eine Entscheidung, die die vielen Wünsche Nächster Redner ist Florian Hahn für die CDU/CSU-
mit eingebunden hat, die wir heute gemeinsam vertreten. Fraktion.
Wir wollen den Veteranentag in ganz Deutschland be- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge-
gehen, so wie im letzten Jahr die Invictus Games, ein ordneten der SPD)
großartiges Ereignis. Wir wollen diese Dynamik und
diese Stimmung weitertragen. Der Veteranentag soll ne- Florian Hahn (CDU/CSU):
ben der geplanten zentralen Veranstaltung in Parlaments- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin-
nähe in Berlin auch in der Fläche Deutschlands, in den nen und Kollegen! Sehr geehrte Soldatinnen und Sol-
Ländern und Kommunen, stattfinden. Dies ist ein wich- daten! Liebe Veteranen! Frau Wehrbeauftragte! Lassen
tiges Element, um gemeinsam mit bürgerschaftlichem Sie mich einen kleinen Einschub machen, bevor ich
Engagement auch vor Ort weitergetragen zu werden. mich diesem wichtigen Thema widme. Ich möchte Ihnen,
Dies kann nur aus sich heraus entstehen und wachsen. Herr Kollege Gnauck, nur sagen: Sie tun in diesem Ho-
Der Veteranentag ist ein sichtbarer Schritt für eine hen Hause oft so, als wären Sie der Sprecher der Sol-
andere, eine neue Veteranenkultur in Deutschland. Er ist daten. Ich kann Ihnen nur sagen: Sie sind maximal der
aber eben auch Teil einer umfassenden Wertschätzung. Sprecher der Soldaten mit Uniformtrageverbot. Dafür
Der ebenso wichtige andere Teil der Initiative ist die Ver- sollten Sie sich wirklich schämen, Herr Kollege.
besserung der Nachsorge, insbesondere für die Vetera- (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem
nen, die aus Einsätzen mit Verletzungen an Leib und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Seele zurückgekehrt sind. Untrennbar damit verbunden
sind auch ihre Familien. Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, in den letzten
15 Jahren war es mir als Mitglied des Verteidigungsaus-
Zweifelsohne sind in den vergangenen Jahren Verbes-
schusses vergönnt, regelmäßig unsere Soldatinnen und
serungen und Erleichterungen der Situation der im Ein-
Soldaten an den heimischen Standorten, aber auch in
satz geschädigten Soldaten erreicht worden. Allerdings
den Einsatzgebieten des internationalen Krisenmanage-
sind auch hier weitere Verbesserungen zu erzielen. Dies
ments zu besuchen. Ob in Afghanistan oder erst kürzlich
haben die zahlreichen Gespräche mit Betroffenen immer
im Kosovo: Mich begeistern jedes Mal wieder die Pro-
wieder gezeigt. Aber auch die Aufarbeitung in der En-
fessionalität, die Leistungsfähigkeit und vor allem auch
quete-Kommission Afghanistan zeigte auf, dass hier
die Leistungsbereitschaft unserer Truppe. Ich will des-
noch viel zu tun ist. Wir gedenken an dieser Stelle der
halb hier einmal mehr festhalten: Unsere Bundeswehr
Verluste in diesem und in anderen Einsätzen.
kann richtig was. Darauf können wir, darauf kann
(B) Eine grundsätzliche und einheitliche Verbesserung der Deutschland wirklich stolz sein. (D)
Nachsorge von im Dienst, besonders im Auslandseinsatz
(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem
erlittenen Schäden steht auch im Mittelpunkt dieser Ini-
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
tiative. Eine barrierefreie Beratung von Veteranen wollen
wir bundesweit ermöglichen, Beteiligungspflichten, bü- Bei diesen Besuchen ist es mir immer ein wichtiges
rokratische Hürden sowie die Verfahrensdauer für die Anliegen, mit den Soldaten und auch mit den Vertrauens-
Bearbeitung von Anfragen reduzieren. Weitere Schritte personen in offene Gespräche zu kommen. Dabei erfährt
umfassen Bereiche des Einsatz-Weiterverwendungs- man, wo tatsächlich der Schuh drückt. Über die Jahre
gesetzes, Evaluation und Prüfung der derzeitigen Maß- haben sich viele Dinge Gott sei Dank zum Guten geän-
nahmen, Therapieeinrichtungen und Dokumentations- dert. Ich erinnere nur an die Diskussion über geschützte
pflichten. Das sind Punkte, die ganz wichtige Bausteine Fahrzeuge im Einsatz oder die Nutzung des Internets für
dieser Initiative sind. die Kommunikation mit den Lieben zu Hause. Vieles hat
sich deutlich verbessert; aber vieles ist auch noch zu tun.
(Beifall bei der FDP, der SPD, der CDU/CSU Eines kommt in diesen Gesprächen seit 15 Jahren bis
und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) heute immer wieder: Unsere Soldatinnen und Soldaten
wünschen sich mehr Aufmerksamkeit, Respekt und Wert-
Diese beiden Seiten der Initiative zeigen, dass neben schätzung unserer Gesellschaft. Und ich finde, den haben
Wertschätzung auch Für- und Nachsorge wichtig sind. sie angesichts ihrer Bereitschaft, für unsere Freiheit und
Ich komme zum Schluss meiner Ausführungen. Ich Sicherheit im Zweifel ihr Leben zu geben, mehr als ver-
danke den Berichterstatterkollegen Johannes Arlt, Merle dient.
Spellerberg und Kerstin Vieregge für die sehr gute und Mehr Sichtbarkeit und damit mehr Aufmerksamkeit
vertrauensvolle Zusammenarbeit. Dies ist heute ein Bei- konnten wir beispielsweise durch die kostenfreie Bahn-
trag zu Dank und Wertschätzung für den geleisteten fahrt für Soldaten in Uniform erreichen – eine Initiative,
Dienst der Veteranen. Der Veteranentag wird dafür ein die wir als CDU/CSU-Fraktion in der letzten Legislatur
sichtbares Zeichen sein. Ihnen allen für Ihren Dienst un- erfolgreich auf den Weg gebracht haben. Ebenso richtig
seren herzlichen Dank! Lassen Sie uns gemeinsam wei- und wichtig war in diesem Zusammenhang, dass die Mi-
terarbeiten, und stimmen Sie dem Antrag zu! nisterinnen von der Leyen und Kramp-Karrenbauer sich
Vielen Dank. erfolgreich dafür eingesetzt haben, die Invictus Games
2023 nach Deutschland zu holen.
(Beifall bei der FDP, der SPD, der CDU/CSU (Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann [FDP]:
und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ach, jetzt kommt das wieder!)
Deutscher Bundestag – 20. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. April 2024 21317
Florian Hahn
(A) – Ja, Frau Strack-Zimmermann, schön, dass Sie zustim- Liebe Kolleginnen und Kollegen, jetzt liegt es an uns. (C)
men. Es war sehr schön in Ihrer Heimat, in Düsseldorf, Es liegt an uns, die Versorgung und Nachversorgung für
vollkommen richtig. unsere Veteraninnen und Veteranen weiter zu optimieren.
Es liegt an uns, aber auch an den Ländern und den Kom-
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten munen, den Veteranentag mit Leben zu füllen, damit wir
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) für unsere Parlamentsarmee, für alle aktiven und ehema-
Die Invictus Games waren ein großer Erfolg und haben ligen Angehörigen der Bundeswehr verdientermaßen
die Beteiligten nicht nur zu großartigen Leistungen ermu- mehr Aufmerksamkeit, mehr Respekt und mehr Wert-
tigt, sondern auch öffentlich für mehr Verständnis und schätzung in unserer Gesellschaft erreichen.
Anerkennung für im Einsatz versehrte Soldatinnen und Herzlichen Dank.
Soldaten gesorgt. Insofern war es für uns als Unionsfrak-
tion nur folgerichtig, das Momentum dieser Games zu (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem
nutzen, um im September letzten Jahres im Bundestag BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
einen Antrag der CDU/CSU-Fraktion zur Einführung ei-
nes jährlichen Veteranentages auf den Weg zu bringen. Vizepräsidentin Aydan Özoğuz:
Unser Kernanliegen war und ist es, mit diesem Vetera- Jetzt erhält das Wort der Bundesminister der Verteidi-
nentag die Leistungen und Opfer aller Soldatinnen und gung, Boris Pistorius.
Soldaten der Bundeswehr angemessen und öffentlich zu
würdigen. (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN und der FDP)
Dass diese Initiative heute mit der offiziellen Einfüh-
rung eines Veteranentages erfolgreich abgeschlossen
wird, macht mich persönlich sehr glücklich. Ich möchte Boris Pistorius, Bundesminister der Verteidigung:
mich ausdrücklich bedanken, dass die Ampelfraktionen Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten
sehr schnell bereit waren, mit uns gemeinsam diesen Weg Damen und Herren Abgeordneten! Sehr geehrte Frau
zu gehen. Vielen Dank an unsere Obfrau, aber auch an die Wehrbeauftragte, liebe Eva Högl! Heute geht es hier im
Berichterstatter von Rot, von Grün und von der FDP, dass Bundestag, der Herzkammer der Demokratie, um viel. Es
Sie sich diese Arbeit gemacht haben, die tatsächlich den geht um Wichtiges. Es geht um viel Wichtiges für viele.
Schweiß der Edlen wert war. Es geht um 10 Millionen Frauen und Männer, meine sehr
geehrten Veteranen auf der Besuchertribüne, die als ak-
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- tive oder ehemalige Soldatinnen oder Soldaten in der
neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE Bundeswehr dienen oder gedient haben. Es geht um
(B) GRÜNEN) 10 Millionen Veteraninnen und Veteranen, und es geht (D)
Gemeinsam haben wir daran gearbeitet, den Antrag nach- um ihre Familien.
zuschärfen und zu einem ausgezeichneten Beschluss für Der überparteiliche Antrag zur Einrichtung eines na-
unsere Soldatinnen und Soldaten zu machen. Diese große tionalen Veteranentages und zur Verbesserung der Ver-
Unterstützung, über die Regierungsmehrheit hinaus, ist sorgung von Veteraninnen und Veteranen sowie ihrer Fa-
nicht nur ein weiterer Beweis für die durch uns wahr- milien ist ein starkes, ein wichtiges und, ja, auch ein
genommene besondere Fürsorgepflicht gegenüber unse- überfälliges Zeichen der Anerkennung und Wertschät-
rer Parlamentsarmee, sondern wird auch dafür sorgen, zung; Wertschätzung für diejenigen, die sich mit ihrem
dass der Veteranentag auf eine große Akzeptanz stoßen Leben im parlamentarischen Auftrag für das Recht und
wird. Deshalb noch mal ein ganz herzliches Dankeschön, die Freiheit unseres Landes einsetzen oder eingesetzt ha-
liebe Kolleginnen und Kollegen der Ampelfraktionen! ben, ob in Afghanistan, in Mali oder im Roten Meer;
Der Veteranentag soll zukünftig an jedem 15. Juni die Wertschätzung für die, die im Fall der Fälle unsere Staats-
Leistungen aller ehemaligen und aktiven Soldatinnen und bürgerinnen und -bürger aus den Krisengebieten dieser
Soldaten der Bundeswehr würdigen, die im Dienst unse- Welt evakuieren, sei es in Kabul oder aus dem Südsudan;
res Landes standen und stehen – eine öffentliche Würdi- Wertschätzung für die, die rund um die Uhr für die Si-
gung, die sie mehr als verdient haben und die in dieser cherheit unserer Bürgerinnen und Bürger bereitstehen, sei
Form überfällig ist. Dabei geht es auch um Leistungen, es in den vielen Operationszentralen der Alarmrotte für
die beispielsweise ganz aktuell die Marinesoldaten bei unseren Luftraum oder auf der Ostsee; Wertschätzung für
der erfolgreichen Teilnahme an der EU-Mission Aspides all diejenigen, die helfen, wenn die zivilen Rettungskräfte
erbracht haben. Die Fregatte „Hessen“ hat diesen gefähr- am Ende sind, sei es bei einem Lawinenunglück, einem
lichsten Einsatz der Deutschen Marine erfolgreich ge- Waldbrand oder einer Pandemie. Vielen Dank!
meistert und läuft in den nächsten Tagen in ihrem Hei- (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, dem
mathafen Wilhelmshaven ein. Die Besatzung der Fregatte BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
hat unter wirklich herausfordernden Bedingungen Groß-
artiges geleistet. Herzlichen Glückwunsch dazu! Wir sind Eine parteiübergreifende Annahme des heutigen An-
aber vor allem auch froh und erleichtert, dass sie alle trags verleiht dem nationalen Veteranentag eine besonde-
gesund und heil zurückgekommen sind. Danke für Ihren re, eben eine nationale und eine sehr emotionale Strahl-
Einsatz! kraft. Dafür danke ich von Herzen. Ich möchte einer
Person dieses Hohen Hauses besonders danken, dem Ab-
(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem geordneten Johannes Arlt, der sehr früh mit dieser Idee
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP) auf mich und viele andere zukam und gefragt hat: Haben
21318 Deutscher Bundestag – 20. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. April 2024
(A) Yannick Bury (CDU/CSU): schen Union. Der tagt immer freitagmorgens um 8 Uhr. (C)
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Die Uhrzeit ist vielleicht auch der Grund, warum die Ver-
Kollegen! Wir haben, glaube ich, alle in den vergangenen treter der AfD an diesen Sitzungen in der Regel nicht
Jahren noch mal eindrücklich gelernt, wie wichtig, wie teilnehmen und da ihrer Integrationsverantwortung über-
entscheidend es ist, dass Europa im globalen Wettbewerb haupt nicht nachkommen.
souverän ist, souveräner wird. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
Genau deshalb ist der Euro, ist die Europäische Wirt- neten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE
schafts- und Währungsunion bei allen Problemen, bei GRÜNEN und der FDP)
allen Schwierigkeiten, die wir hin und wieder mal fiskal-
Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, unsere Verant-
und geldpolitisch haben, ein Erfolgsmodell, weil diese
wortung für die Stabilität der Währungsunion äußert sich
Europäische Union eines der Beispiele ist, bei denen es
auch dadurch, dass es unsere Aufgabe ist, den Kern der
uns als Europäern gemeinsam gelungen ist, global sou-
institutionellen Architektur, nämlich die Unabhängigkeit
verän zu werden und im internationalen Wettbewerb mit
der europäischen Notenbanken, sicherzustellen: einmal
den anderen großen Volkswirtschaften einen eigenen,
indem man auf ungerechtfertigte Kritik und Anwürfe
global wirksamen Währungsraum zu etablieren.
gegen die Geldpolitik verzichtet, aber vor allem auch
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- dadurch, dass wir national eine Fiskalpolitik betreiben,
neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN die die Unabhängigkeit der Notenbanken schützt und
und der FDP und des Abg. Johannes Schraps nicht infrage stellt. Denn die EZB ist zur Erfüllung ihres
[SPD]) Mandats der Preisstabilität ganz zwingend darauf ange-
Deswegen, meine Damen und Herren, ist es auch nicht wiesen, dass die Fiskalpolitik sie darin unterstützt und ihr
wirklich ein Wunder, dass gerade am heutigen Tag, wo nicht zusätzliche Aufgaben auflädt.
Frankreichs Präsident Macron seine Vorstellungen für (Beifall bei der CDU/CSU)
europäische Souveränität ausbuchstabiert, die AfD hier
Dafür ist es entscheidend, dass in Europa eine solide, eine
einen Antrag stellt, mit dem sie genau dieses Beispiel
stabilitätsorientierte Fiskalpolitik betrieben wird.
der europäischen Souveränität zu torpedieren versucht.
Es ist wenig überraschend, dass das hier im Haus aus- Deswegen, lieber Herr Minister Lindner, ist es mit
gerechnet die Partei tut, die ganz offensichtlich von chi- Blick auf die europäische Stabilität und auf die Wäh-
nesischem und von russischem Einfluss gesteuert ist. rungsstabilität mindestens bedauerlich, dass die Bundes-
regierung der Aufweichung der europäischen Fiskalregel
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
am Ende zugestimmt hat. Das droht die Währungsstabi-
neten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE
(B) lität zu gefährden. Deswegen wird es jetzt in der Folge (D)
GRÜNEN und der FDP)
umso entscheidender darauf ankommen, dass Sie im wei-
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Euro ist gleich- teren Prozess in Brüssel sicherstellen, dass es bei der
zeitig auch ein Beispiel dafür, dass Deutschland von Frage, wie die Europäische Kommission die Tragfähig-
europäischer Souveränität profitiert, weil eben keine keitsanalysen ausgestaltet, nicht zu noch weiteren, nicht
Volkswirtschaft im Euroraum so stark von der gemein- zu noch größeren Schlupflöchern kommt, als ohnehin
samen Währung profitiert wie die exportorientierte deut- jetzt schon im Regelwerk vereinbart worden sind, und
sche Wirtschaft – sowohl mit Blick auf den europäischen dass es gleichzeitig zumindest mal zu einer zügigen und
Binnenmarkt als auch im globalen Wettbewerb, wo uns lückenlosen Anwendung dieses neuen Regelwerkes
die gemeinsame Währung nützt. kommt.
Die politischen Angriffe, aber auch die ökonomische (Beifall bei der CDU/CSU)
Lage zeigen, dass es nicht selbstverständlich ist, dass wir
Auch das ist – Stand heute – nicht selbstverständlich.
eine stabile, eine erfolgreiche Währungsunion haben und
diese auch erhalten können. Daraus erwächst für uns die Daran, lieber Herr Minister, werden wir Sie, werden
politische Verantwortung, die Stabilität der Wirtschafts- wir die Bundesregierung messen. Den Antrag der AfD
und Währungsunion sicherzustellen, lehnen wir ab.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Vielen Dank.
Johannes Schraps [SPD] und Philipp Hartewig (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge-
[FDP] – Albrecht Glaser [AfD]: Darum geht ordneten der SPD und der FDP)
es!)
indem wir die europäische Währungspolitik und ihre Vizepräsidentin Petra Pau:
Auswirkungen auf die nationale Politik hier im Bundes-
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun die
tag eng begleiten.
Kollegin Chantal Kopf das Wort.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das tun wir aber
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
auch. Das tun wir einmal im Format des geldpolitischen
sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)
Dialoges,
(Johannes Schraps [SPD]: Sehr richtig!) Chantal Kopf (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
der gerade gestern wieder stattgefunden hat. Das tun wir Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
aber auch im Bereich der Haushaltspolitik, beispiels- Kollegen! Die AfD-Vertreter im Bundestag oder im Eu-
weise auch im Unterausschuss zu Fragen der Europäi- ropaparlament lassen sich vielleicht gerne in Rubel oder
Deutscher Bundestag – 20. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. April 2024 21327
Chantal Kopf
(A) Renminbi bezahlen. Wir haben hier in Deutschland aber Komisch nur, dass genau dieses Bundesverfassungs- (C)
den Euro, und das ist auch gut so. gericht, von dem Sie hier sprechen, die Klagen der
AfD-Bundestagsfraktion gegen NextGenerationEU
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN mehrfach abgeschmettert hat.
sowie bei Abgeordneten der SPD und der (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS-
FDP – Enrico Komning [AfD]: Das war ein SES 90/DIE GRÜNEN – Peter Boehringer
Kalauer!) [AfD]: Die Klage läuft noch!)
Wechselkursschwankungen sind im Euroraum ein Pro- Im Dezember 2022 wurde geurteilt, dass die deutsche
blem der Vergangenheit. Der Wegfall dieser Schwankun- Beteiligung am Wiederaufbauprogramm rechtmäßig ist.
gen spart schlicht Geld und sorgt für Erwartungssicher- Im Herbst 2023 hat das Gericht seine Rechtsprechung
heit bei Investitionen. Transparenz beim Vergleichen von noch mal bekräftigt. Sie als AfD liegen juristisch falsch,
Preisen bringt offensichtliche Vorteile für Unternehmen und Sie liegen vor allem auch politisch und ökonomisch
und Bürgerinnen und Bürger mit sich. Und es ist kein falsch.
Geheimnis, dass durch eine stabile gemeinsame Währung (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
insbesondere Deutschland als Exportnation profitiert. sowie bei Abgeordneten der SPD und der
FDP – Johannes Schraps [SPD]: Sehr richtig!)
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS-
SES 90/DIE GRÜNEN) Enrico Lettas Bericht hat noch mal überdeutlich unter-
strichen: Wirtschaftliche Stabilität und wirtschaftliche
Der Euro ist insgesamt eine große Erfolgsgeschichte, die Sicherheit, gerade auch für Deutschland, erreichen wir
uns in Europa auch noch näher zusammengebracht hat. nur durch ein noch engeres Zusammenwachsen im Bin-
Oder wie Jacques Rueff schon 1950 sagte: „Europa wird nenmarkt, durch mehr gemeinsame Anstrengungen für
über die Währung geschaffen, oder es wird nicht geschaf- öffentliche und private Investitionen. Verteidigung, Er-
fen.“ weiterung, Infrastruktur, Wettbewerbsfähigkeit, Klima-
jobs: All das braucht jetzt die nötigen Investitionen. Las-
Zur Vollendung der Wirtschafts- und Währungsunion sen Sie uns über die Instrumente diskutieren, die dafür
liegen aber noch große Aufgaben vor uns. Wir müssen die notwendig sind. Dazu sind alle Fraktionen eingeladen,
Kapitalmarktunion konkret vorantreiben, um mithalten die nicht die Interessen unserer autokratischen Systemri-
zu können, zum Beispiel mit den USA bei der Mobilisie- valen vertreten, sondern die ein echtes Interesse an einem
rung von privatem Kapital für Zukunftsindustrien. Das erfolgreichen Deutschland und Europa haben.
fordert auch Enrico Letta, mit dem wir gestern im EU-
(B) Ausschuss gesprochen haben, in seinem Bericht, den er Vielen Dank. (D)
kürzlich vorgelegt hat. Er macht darin konkrete Vor- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
schläge für die nächsten Schritte für die Kapitalmarkt- sowie bei Abgeordneten der SPD und der
union. Diese müssen von der nächsten Kommission und FDP und der Abg. Dr. Ingeborg Gräßle
von den Mitgliedstaaten auch aufgegriffen werden. [CDU/CSU])
Metin Hakverdi
(A) Ihre Version vom Dexit und einem europäischen Ich sage es Ihnen. Dieser Antrag steht ja nicht im luft- (C)
Kampf „Jeder gegen jeden“ ist brandgefährlich. leeren Raum; es gibt Auslegungshilfen, nämlich Ihr Eu-
(Angelika Glöckner [SPD]: Ja!) ropawahlprogramm. Gucken wir doch mal in das Pro-
gramm rein.
Machen Sie einen einzigen Vorschlag, um Europa voran-
zubringen. Bis zum 9. Juni hätten Sie übrigens noch Zeit. (Ulrike Schielke-Ziesing [AfD]: Schön, dass
Machen Sie doch mal einen einzigen Vorschlag, wie wir Sie das alle lesen! – Gegenruf der Abg.
die Kapitalmarktunion umsetzen können. Das würde uns Angelika Glöckner [SPD])
in Deutschland und ganz Europa wirtschaftlich enorm In Kapitel 5 finden wir eine unmissverständliche Über-
helfen. Machen Sie doch mal einen einzigen Vorschlag, schrift eines Unterkapitels – und auch das zitiere ich –:
um etwas Gutes zu erreichen, und spielen Sie nicht nur „Wohlstand und sozialer Frieden in Europa durch Wie-
die Menschen gegeneinander aus. Wenn Sie das nicht dereinführung nationaler Währungen“.
können, wenn Ihre einzige Antwort auf jede Frage Na-
tionalismus ist, (Johannes Schraps [SPD]: Das muss man sich
auf der Zunge zergehen lassen!)
(Zuruf des Abg. Peter Boehringer [AfD])
dann ersparen Sie uns hier solche Anträge. Ersparen Sie Wiedereinführung nationaler Währung, das ist tatsäch-
uns Ihren Neusprech! lich das, was Sie wollen. Das ist genau das, wofür Sie
kämpfen. Das sind die Konsequenzen, die sich aus dem
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ letzten Satz ergeben
DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der
FDP – Ulrike Schielke-Ziesing [AfD]: Schön (Beifall bei der CDU/CSU)
geschauspielert! Sehr schön geschauspielert!)
und die Sie nach schönen Darstellungen von vielen, zum
Teil auch richtigen Kritikpunkten erwähnen. Das ist die
Vizepräsidentin Petra Pau: Lösung, die Sie hier als Ergebnis präsentieren: Ende der
Für die CDU/CSU-Fraktion hat Dr. Silke Launert das Währungsunion. Das ist sehr interessant für eine Partei,
Wort. die meint, immer für Deutschland zu sprechen, und es
(Beifall bei der CDU/CSU) dann immer schafft, die Fakten auszublenden. Denn
Fakt ist – und das wissen Sie auch –, dass viele Wirt-
schaftsverbände laut sagen: Bitte wählt nicht die AfD! –
Dr. Silke Launert (CDU/CSU): Ja, warum sagen sie das denn?
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Transmis- (Peter Boehringer [AfD]: Weil sie gut bezahlt
(B) (D)
sionsmechanismus, Reinvestitionsphase, Kapitalschlüs- werden von der Regierung!)
sel, strenge Konditionalität, Überschussliquidität – wirk-
– Nein. – Sie sagen es, weil sie wissen, dass Deutschland
lich alles kann man über diesen AfD-Antrag, über den wir
wie kaum ein anderes Land vom Export abhängig ist und
heute debattieren, behaupten, aber sicher nicht, dass er
arm an Fach- und Fremdwörtern ist. (Peter Boehringer [AfD]: Wir waren Export-
(Beifall der Abg. Dr. Ingeborg Gräßle [CDU/ weltmeister! 20 Jahre!)
CSU]) dass hier zahlreiche Arbeitsplätze – jeder vierte Arbeits-
Das ist überraschend, weil der Antrag ja von einer Partei platz – direkt oder indirekt vom Export abhängig sind. Sie
kommt – ich kann mir fast vorstellen, wer ihn geschrie- wissen, dass wir unseren Wohlstand und damit auch unser
ben hat –, die sich eigentlich auf die Fahnen geschrieben Sozialsystem, auf das wir so stolz sind – es ist nämlich
hat, hier endlich Klartext zu sprechen, weg von den Eliten besser als das der meisten anderen Länder der Welt, auch
der Politik so zu reden, dass es die normalen Menschen wenn es immer mal wieder etwas Kritikwürdiges gibt –,
verstehen. Aber nicht nur das ist überraschend; am über- nur durch Export finanzieren können. Schließlich haben
raschendsten – die Krönung, will ich fast sagen – ist der wir nicht Rohstoffe ohne Ende.
letzte Satz. Ich zitiere: „Es müssen nun endlich Kon- Glauben Sie im Ernst, dass uns all die anderen EU-
sequenzen aus dem Versagen der Währungsunion gezo- Länder und der Rest der Welt aus Dankbarkeit unsere
gen werden.“ Punkt. Konsequenzen. deutschen Produkte abkaufen, wenn wir aus der Euro-
Warum sagen Sie uns, den Bürgern, denn nicht einfach, päischen Union und aus dem Euro austreten? Das tun
was Sie mit diesem Antrag in Wahrheit wirklich wollen? sie nicht.
(Albrecht Glaser [AfD]: Rechtseinhaltung! (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
EU-Verträge! Konformitätsverhandlungen!) neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE
Warum sind Sie nicht ehrlich und verstecken sich hinter GRÜNEN)
schönen Formulierungen und Zitaten aus Urteilen? Das ist das Problem. Jeder, der ein bisschen Verstand hat –
(Beifall der Abg. Dr. Ingeborg Gräßle [CDU/ dafür muss ich kein Volkswirt sein; das kann man auch
CSU]) mit gesundem Menschenverstand erkennen –, weiß, dass
ein Austritt aus der EU in Wahrheit ein Austritt aus dem
Wo ist denn die Klarheit, die Sie sonst immer so feiern? Euro bedeutet. Wie hat Höcke so schön gesagt: „Da muss
(Peter Boehringer [AfD]: Wieso? Das ist doch erst die EU sterben.“ Das wäre für unsere Wirtschaft ein
genau die Klarheit!) Riesenfehler.
Deutscher Bundestag – 20. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. April 2024 21333
Dr. Silke Launert
(A) (Beifall der Abg. Dr. Ingeborg Gräßle [CDU/ Vizepräsidentin Petra Pau: (C)
CSU] – Zuruf des Abg. Albrecht Glaser [AfD]) Das Wort hat die Kollegin Katharina Beck für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Ein Blick über den Tellerrand hilft. Ich nenne als Bei-
spiel nur den Brexit. Die Heilsversprechen sind noch gar (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
nicht so lange her, mit denen man die Leute geködert hat. und bei der FDP sowie bei Abgeordneten der
Leider Gottes wurden auch kleinen und mittelständischen SPD)
Betrieben viele Dinge versprochen. Wie hieß es damals:
Endlich frei, endlich unabhängig, alles wird wirtschaft-
Katharina Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
lich besser!
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
(Zuruf des Abg. Peter Boehringer [AfD]) Liebe Bürgerinnen und Bürger! Als ich den Antrag der
AfD gesehen habe, dachte ich: Okay, jetzt kommt wohl
Was ist davon übrig geblieben? Ich höre von vielen jede Woche ein Antrag zu Euro/Dexit und dazu, dass
kleinen Mittelständlern aus England: Da hat man uns Deutschland alleine besser dran wäre. – Das ist einfach
nicht wirklich die Wahrheit gesagt; wir bereuen den Aus- völliger Unsinn, und ich werde Ihnen gleich erklären,
tritt. wieso.
Dann steht da noch das Wort „Integration“. Bisher hat
(Beifall bei der CDU/CSU und dem BÜND-
man von der AfD ja immer andere Worte, die auf „-nati-
NIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeord-
on“ enden, gehört. Aber „Integration“? Ja, Integration in
neten der SPD)
den Euro, Integration in die EU, das ist etwas Gutes; denn
Wenn ich das alles sehe, frage ich mich, wie man sich Deutschland, seine Unternehmerinnen und Unternehmer,
dann trotzdem hierhinstellen und einen EU-Austritt for- seine 3 Millionen Betriebe, die sehr stark an der Export-
dern kann. Richtig ist: Es läuft nicht alles rund, Herr wirtschaft hängen, profitieren in der gesamten Eurozone
Boehringer. Ich bin die Vorsitzende des Unterausschusses am allermeisten vom Euro.
zu Fragen der Europäischen Union, bei dem es um die Die AfD möchte die Krisen und die Krisenpolitik aller-
Gelder für Europa geht. Ja, auch mich ärgert das eine oder dings nutzen, um die Institutionen und die Demokratie
andere. Ich denke auch, dass manches Geld falsch bzw. hinterhältig anzugreifen. Dabei ist das Gegenteil der
nicht effizient eingesetzt ist und dass man manche Regeln AfD-Darstellung der Fall; meine Kollegin Chantal Kopf
ehrlicherweise sehr großzügig auslegt. Aber wenn eine hat es schön erklärt. Dass wir keine Wechselkurse mehr
der zentralen Adern in einem Haus, zum Beispiel die haben, erleichtert vieles und stärkt Europa. Was würde
Heizung, nicht funktioniert, dann reiße ich das Haus denn passieren, wenn wir aus dem Euro austreten wür- (D)
(B)
doch nicht ab. Dann tausche ich die Heizung aus. Dann den? Sie liebäugeln ja sogar damit, zu prüfen, ob wir aus
versuche ich, etwas zu verbessern und die Situation ehr- der gesamten Europäischen Union austreten. Was würde
lich und sachlich zu klären. Aber ich reiße nicht alles ab, dann passieren? 2,2 Millionen Arbeitsplätze in Deutsch-
was für Frieden und Wohlstand sorgt. land wären in Gefahr, hat das IW errechnet, und
1 000 Euro Wohlstandsverlust würde das für jeden ein-
(Beifall bei der CDU/CSU und dem BÜND- zelnen Bundesbürger und für jede einzelne Bundesbürge-
NIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeord- rin bedeuten, hat die Bertelsmann-Stiftung errechnet.
neten der SPD und der FDP) Machen wir uns nichts vor: Der Euro und Europa stärken
Wir stehen zur EU. Wir sehen aber auch manche Feh- Deutschland und stärken uns auch global.
ler. Wir wissen, was die EU bedeutet, nämlich Stabilität, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
gerade in dieser globalisierten Welt. Wie wollen Sie denn sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)
mithalten mit den Großen in der Wirtschaft, mit China
und den USA? Wir sind sehr dafür, uns wieder weniger Man kann sich, anders als die Kollegin es gerade ge-
auf Umverteilung zu konzentrieren. sagt hat, dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts – die
AfD hat es sogar in ihrem Antrag wiedergegeben – zu den
(Albrecht Glaser [AfD]: Ja!) Anleihekäufen der EZB widmen, die uns geholfen haben,
nach der alles erschütternden Finanzkrise die Stabilität in
Ich gebe Ihnen recht, dass wir NextGenerationEU und Europa wiederherzustellen. Ja, da gab es soziale Umver-
dann den Green Deal zu großzügig und vor allem auch teilung, allerdings eher von unten nach oben. Ich möchte
ein bisschen falsch eingeleitet haben. Wir brauchen mehr noch einmal darauf eingehen, dass die AfD das komplette
Wettbewerb, mehr Wirtschaft sowie mehr strukturelles Gegenteil will. Die AfD ist eine Partei, von der die untere
und strategisches Denken in die Zukunft. Aber deshalb Hälfte in Deutschland null profitieren würde. Auch so
will ich nicht den Austritt aus dem Euro. Dieser würde würde sie den Zusammenhalt zerstören. Denn das ZEW
uns noch mehr schaden; das wissen Sie ganz genau. Mit hat auch errechnet: Menschen, die unter 40 000 Euro ver-
der Forderung nach Austritt kämpfen Sie nicht für dienen, würden überhaupt nicht von den steuerpoliti-
Deutschland, sondern Sie sind eine Gefahr für dieses schen Plänen der AfD profitieren. Sie würden Reiche
Land. entlasten, Sie würden die Erbschaftsteuer abschaffen,
Vielen Dank. Sie würden die Gewerbesteuer abschaffen, Sie würden
die Kommunen ihrer Einnahmen entledigen. So würde
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Deutschland verarmen. Die AfD ist ein Armutsrisiko
ordneten der SPD und der FDP) für Deutschland.
21334 Deutscher Bundestag – 20. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. April 2024
Katharina Beck
(A) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Peter Boehringer [AfD]: Bei der Impfpflicht (C)
sowie bei Abgeordneten der SPD und der zum Beispiel!)
FDP und des Abg. Yannick Bury [CDU/CSU])
Man kann hier ungestraft mit einem Traktor, sogar mit
Ich hatte versprochen, noch auf die anderen, finanz- einem Galgen durch die Gegend fahren. Stellen Sie sich
technischen Themen einzugehen, die wir gestern im mal vor, was in Russland passieren würde. Nach den
„Geldpolitischen Dialog“ besprochen haben. Da geht es Demonstrationen wurden viele Menschen in Russland
zum Teil um den Bilanzabbau und dessen Beschleuni- verhaftet, weil man dort eben nicht frei demonstrieren
gung bei der EZB. Die Bundesbank geht mit dem Thema kann. Die Demonstrationsfreiheit ist ein hohes Gut, selbst
sehr verantwortungsvoll um. Sie haben im „Geldpoliti- wenn uns als Ampel die Demonstrationen nicht immer
schen Dialog“ offensichtlich nicht richtig zugehört. Man passen. Sie gilt es in Europa zu verteidigen.
muss das sehr gewissenhaft machen, weil es sonst Pro-
bleme geben könnte. Die Märkte müssen die Anleihen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
erst absorbieren und sich darauf einstellen können. sowie bei Abgeordneten der SPD und der
Wenn man anders handeln würde, dann würden wir wie- FDP – Peter Boehringer [AfD]: Das ist eine
der in eine Finanzkrise stürzen, und das kann ja nun wirk- unglaubliche Heuchelei! – Albrecht Glaser
lich keiner wollen. [AfD]: Was soll denn das jetzt?)
Auch die angesprochenen Finanzverluste sind kein Das Problem, über das man wirklich sprechen muss,
Grund zur Sorge. Die Bundesbank ist gut vorbereitet ist: Was passiert in einer illiberalen Gesellschaft, was
und kann sogar mit negativem Eigenkapital operieren. passiert in einer Diktatur?
Anderenfalls könnte man auch darüber nachdenken, die (Peter Boehringer [AfD]: Sprechen Sie mit
nicht verzinsliche Mindestreserve anzuheben. Mein Ein- Brüssel!)
druck ist, dass Sie gestern im „Geldpolitischen Dialog“
möglicherweise nicht zugehört haben. Dort werden Menschen aus politischen Gründen gefan-
gen gehalten. Alle reden immer von der Menschenrechts-
Ich glaube, uns wird bis zur Europawahl am 9. Juni
jede Woche ein Antieuropa- und Antieuroantrag vor- lage in China. Ja, dort stecken 1 Million Menschen in
Umerziehungslagern – 1 Million Menschen! Lassen Sie
gelegt werden.
das bitte mal auf sich wirken. In Russland sind – valide
(Dr. Ottilie Klein [CDU/CSU]: So ist es!) Zahlen gibt es nicht, weil die entsprechenden Daten nicht
vorliegen – mindestens 680 Personen politische Gefan-
Aber dieser Antrag ist ein Antiantrag gegen die liberale gene, und von Folter in Gefängnissen wird laut Studien in
Demokratie an sich. 90 Prozent der russischen Regionen berichtet.
(B) (D)
(Peter Boehringer [AfD]: Die EU ist restrik- Das alles haben wir nicht, aus gutem Grund. Es gilt,
tiv!) eine viel größere Liebe zu Europa, zu unserer Demokra-
Das, was rauskommt, ist doch, dass die AfD gar keine tie, zur Freiheit zu entwickeln, als die ganz offensichtlich
Alternative für Deutschland ist, sondern eher eine Alter- als zu selbstverständlich angesehenen Werte sonst erfah-
native für Diktatoren. Was haben wir gesehen? ren. Ich möchte Sie sehr bitten, diese Werte hochzuhalten
und bei der Europawahl auf keinen Fall das Kreuz bei der
(Albrecht Glaser [AfD]: Wir haben gar nichts AfD zu machen, sondern bei einer demokratischen Partei.
gesehen! – Peter Boehringer [AfD]: Pfizer- Vielen Dank.
Deals! Zwangsimpfungen! Das hat man gese-
hen!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)
Spionageverdacht Richtung China, Geld aus Russland für
die Nummer zwei in Europa, für Petr Bystron, der sich
am Telefon beschwert und gesagt haben soll, dass er Vizepräsidentin Petra Pau:
keine 200-Euro-Scheine annehmen möchte, weil er diese Für die FDP-Fraktion hat der Kollege Karsten Klein
nicht an der Tankstelle oder im Geschäft nutzen kann. das Wort.
Das sind die Probleme der AfD.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
(Peter Boehringer [AfD]: 34 Milliarden Dollar der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ-
an Pfizer!) NEN)
Jetzt stellen Sie sich mal vor: Die AfD möchte, wie ich
erläutert habe, den Wohlstand in Deutschland zerstören Karsten Klein (FDP):
und dafür sorgen, dass wir die Europäische Union ver- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
lassen. Sie möchte im Endeffekt, dass die liberale Demo- Kollegen! „Unsere Zukunft ist Europa – eine andere ha-
kratie durch eine Diktatur ersetzt wird. ben wir nicht.“ Das hat der große Europäer Hans-Dietrich
(Peter Boehringer [AfD]: Nichts ist liberal an Genscher gesagt, und das ist für uns Freie Demokraten
der EU! Gar nichts! – Albrecht Glaser [AfD]: ein Leitsatz. Dieser Satz macht aber auch sehr gut deut-
Unglaublich!) lich, was der Unterschied zu Ihnen ist, liebe Kolleginnen
und Kollegen der AfD. Wenn wir über Europa streiten
Ich möchte einmal über die Werte von Europa spre- und diskutieren, streiten wir für ein starkes Europa und
chen, zum Beispiel über die Demonstrationsfreiheit. wollen Europa nicht abschaffen.
Deutscher Bundestag – 20. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. April 2024 21335
Karsten Klein
(A) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Genau das Gegenteil haben wir, hat Christian Lindner (C)
der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- jetzt bei den Verhandlungen erreicht.
NEN) (Beifall bei der FDP)
Ein starkes Europa ist demokratisch, pluralistisch, Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, auch der Blick
wettbewerbsfähig und solide, baut also auf stabile Staats- in die nähere Vergangenheit weist den Weg. Denn in den
finanzen. Genau in diesem Bereich haben wir, hat Jahren nach der Finanzkrise ist es uns in der praktischen
Christian Lindner mit der Neuausrichtung der Fiskal- Politik – da blicke ich noch mal zu den Kolleginnen und
regeln einen großen Erfolg auf europäischer Ebene errun- Kollegen der Union – auf europäischer Ebene nicht ge-
gen. lungen, die Staaten trotz harter Regeln auf einen Ent-
(Albrecht Glaser [AfD]: Das glauben Sie doch schuldungskurs zu zwingen. Praktisch kein Land in Eu-
selber nicht! – Yannick Bury [CDU/CSU]: Was ropa außer Deutschland hat die Staatsverschuldung
ist denn daran ein Erfolg?) wieder auf das Niveau von vor der Finanzkrise zurück-
geführt. Da waren wir die Ausnahme in Europa. Das hat
Diese neue Ausrichtung der Regeln ist nach wie vor ein doch gezeigt, dass die Fiskalregeln, die bisher gegolten
Bekenntnis zu den Begrenzungen bei Staatsdefizit und haben, in der Praxis keine Relevanz hatten. Deshalb
-verschuldung. Sie gibt einen klaren Pfad zur Konsolidie- mussten sie geändert werden, wie Christian Lindner es
rung vor, und sie garantiert und sichert den Schulden- vorgenommen hat.
abbau auch bei den Ländern, die aktuell mit hoher Staats-
verschuldung operieren. (Beifall bei der FDP – Yannick Bury [CDU/
CSU]: Es ist eben falsch geändert worden!)
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
der SPD – Yannick Bury [CDU/CSU]: Das Fakt ist aber auch, liebe Kolleginnen und Kollegen:
stimmt doch nicht!) Wenn wir ein starkes Europa hätten ohne Schuldenunion
und mit einem klaren Bekenntnis, dass NextGeneratio-
Es ist keine Selbstverständlichkeit, dass Christian nEU eine Einmaligkeit ist, dass wir zur Schuldenbremse
Lindner dieser Erfolg gelungen ist. Wie waren denn die wie zum Beispiel in Deutschland stehen
Rahmenbedingungen? Es gab Länder wie Frankreich, die
diese harten Begrenzungen aus dem Vertrag raushaben (Yannick Bury [CDU/CSU]: Einhalten wäre
wollten. Die EU-Kommission, der übrigens Ursula von noch gut!)
der Leyen von der Union vorsteht, wollte eine Ausformu- und dass es auch keine Staatsverschuldung über den Se-
lierung haben, die der EU-Kommission in bilateralen kundärmarkt geben sollte, dann wären solche Anträge
Vereinbarungen nicht nur großen Spielraum gegeben, wie der von der AfD erstens nicht möglich und hätten
(B) sondern mit Blick auf die Erfahrungen der vergangenen zweitens auch keinen Nährboden, auf dem sie wachsen (D)
Jahrzehnte auch dazu geführt hätte, dass es eben nicht zu können. Deshalb sollten wir gemeinsam daran arbeiten:
einem Schuldenabbau in Europa gekommen wäre. für ein solides, demokratisches, pluralistisches Europa.
(Beifall bei der FDP sowie der Abg. Katharina Vielen Dank.
Beck [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
Yannick Bury [CDU/CSU]: Genau das haben der SPD)
Sie doch beschlossen!)
Liebe Kolleginnen und Kollegen der Union, nur ein Satz Vizepräsidentin Petra Pau:
zu Ihnen: Ich hätte mir gewünscht, dass Sie in dieser
Das Wort hat Dr. Ottilie Klein für die CDU/CSU-Frak-
Debatte an der Seite der deutschen Bundesregierung, an
tion.
der Seite von Christian Lindner gestanden hätten, Herr
Kollege Bury, dass Sie der EU-Kommission ein bisschen (Beifall bei der CDU/CSU)
Gegenwind gegeben hätten, dass Sie sich auf den richti-
gen Pfad begeben hätten bei der Konsolidierung der euro- Dr. Ottilie Klein (CDU/CSU):
päischen Staatsfinanzen, statt Vorschläge, wie Sie sie Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
unterbreitet haben, zu machen. Kollegen! Die Plenarsitzung des Deutschen Bundestages
(Beifall bei der FDP) hat heute mit einer Debatte zu 20 Jahren EU-Osterweite-
rung begonnen. Dabei ist noch mal deutlich geworden,
Es ist aber auch nicht selbstverständlich mit Blick auf was für ein Geschenk Europa ist. Und meine Empfehlung
die Vergangenheit. Es waren die deutsche Bundesregie- an die AfD-Fraktion: Schauen Sie sich doch diese De-
rung und Finanzminister Hans Eichel Anfang der 2000er- batte an, gerne auch in den sozialen Medien! Bestimmt
Jahre, die dafür gesorgt haben, dass die Fiskalregeln in gibt es sie auch auf Tiktok.
Europa angepasst worden sind. Das war die Grundlage
für die Staatsfinanzenkrise Anfang der 2010er-Jahre. (Beifall der Abg. Dr. Ingeborg Gräßle [CDU/
CSU])
(Albrecht Glaser [AfD]: Sehr richtig!)
Natürlich ist nicht alles perfekt. Auch die EU muss sich
Wir, alle europäischen Staaten gemeinsam, waren so ab- weiterentwickeln. Regeln müssen eingehalten werden.
hängig von den Finanzmärkten, weil die Schuldenregeln Eine Schuldenunion darf es nicht geben.
so weit geöffnet wurden.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge-
(Albrecht Glaser [AfD]: Sehr richtig!) ordneten der FDP)
21336 Deutscher Bundestag – 20. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. April 2024
(A) Johannes Schraps (SPD): (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des (C)
Verehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des
und Kollegen! Ich glaube, es ist in der Debatte doch Abg. Dr. Thorsten Lieb [FDP] – Albrecht
sehr deutlich geworden, dass wirklich alle Rednerinnen Glaser [AfD]: Schulden!)
und Redner, mit Ausnahme der antragstellenden Frak-
tion, den vorliegenden Antrag klar ablehnen, und zwar Die bloße Existenz des OMT-Programms und die be-
völlig zu Recht. reits erwähnte Aussage Draghis „Whatever it takes“ gab
und gibt Investoren und Marktteilnehmern Vertrauen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ Und auch das Bundesverfassungsgericht hat sehr klar
CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN bestätigt, dass OMT die geldpolitischen Befugnisse der
und der FDP) EZB nicht überschreitet und dass das auch nicht gegen
Es ist schon erstaunlich, wie fröhlich die AfD hier nach das Verbot der monetären Finanzierung von EU-Staaten
stärkerer deutscher verfassungsrechtlicher Kontrolle der verstößt, so wie Sie es in Ihrem Antrag suggerieren.
europäischen Währungspolitik ruft, während der Verfas-
sungsschutz hierzulande ganz erheblichen Anlass dafür (Zuruf des Abg. Peter Boehringer [AfD])
sieht, Deutschland vor dieser Partei hier rechts zu schüt-
zen. Wenn es um die Eurowährungsunion geht – das muss
man wirklich feststellen –, dann muss man erst mal durch
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, des so manche Abkürzungen, die jetzt auch teilweise in der
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Debatte genannt wurden, durchsteigen: vom PSPP über
FDP) das PEPP, NextGenerationEU, REPowerEU.
Und Sie liefern ja auch zahlreiche Anlässe, massiv an
Ihrer Verfassungskonformität zu zweifeln. (Albrecht Glaser [AfD]: Die haben wir nicht
erfunden!)
(Zuruf des Abg. Peter Boehringer [AfD])
Aber allesamt haben diese Programme dazu beigetragen,
Schaut man, was allein in den vergangenen Tagen an
öffentliche Ausgaben für Sozialprogramme, für Dienst-
Verstrickungen dieser Partei von den ganz rechten Bän-
leistungen, für Investitionen zu ermöglichen und damit
ken mit ausländischen Diktaturen umfassend offengelegt
natürlich auch Arbeitsplätze in Europa zu schaffen und
wurde,
zu erhalten. Sie haben dafür gesorgt, die Auswirkungen
(Albrecht Glaser [AfD]: Da ist gar nichts of- der Covid-19-Pandemie aufzufangen und nach der Pan-
fengelegt worden!) demie dann auch wieder Geld für wirtschaftliche Erho-
(B) lung und für langfristige Resilienz und Entwicklung zur (D)
dann bin ich mir ziemlich sicher, dass die Wählerinnen Verfügung zu stellen. Und sie sorgen natürlich auch da-
und Wähler diese Alternative für China und Russland als für, dass der Ausbau erneuerbarer Energien wie Solar-,
das einordnen, was sie ist, nämlich eine Gefahr für Frie- Wind- oder Wasserkraft gefördert wird und dass wir un-
den und Wohlstand in Deutschland und in Europa, ver- abhängiger von fossilen Brennstoffen, aber vor allem
ehrte Kolleginnen und Kollegen. auch unabhängiger von autoritären und diktatorischen
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, des Regimen werden, verehrte Kolleginnen und Kollegen.
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der
FDP) (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des
Auch der vorliegende Antrag reiht sich in dieses be- Abg. Dr. Thorsten Lieb [FDP])
kannte Muster ein; denn anders als von Ihnen beschrie-
ben, leisten viele dieser EZB-Programme – insbesondere Während Europa sich also unabhängiger macht, ma-
übrigens in Krisenzeiten – einen ganz entscheidenden chen sich so einige Vertreter von den rechten Bänken
Beitrag dazu, die Wahrung von Stabilität in der Eurozone, dieses Hauses selbst nur immer mehr zu Nachahmern
die Unterstützung des Wirtschaftswachstums und die Si- und Dienern der Regime von Unfreiheit. Mit Ihren Euro-
cherung des sozialen Wohlstands in Europa zu erhalten anträgen präsentieren Sie hier wirklich jede Sitzungs-
und voranzutreiben. Ich muss das wohl auch noch mal woche eine Inszenierung der Inkompetenz und des Dog-
klarstellen: Denn die Finanzkrise zu Beginn der 2010er- matismus. Egal ob es in den Anträgen um „21 Jahre Euro-
Jahre, auch die Coronapandemie oder die Energiekrise, Experiment“, „22 Jahre – ehrliche Bestandsaufnahme“
die durch den völkerrechtswidrigen russischen Angriffs- oder „Euro-Währungsunion kritisch bewerten“ geht: Sie
krieg gegen die Ukraine verursacht wurde, waren alles sind allesamt gefährlich für unser Land.
sogenannte externe Schocks,
(Albrecht Glaser [AfD]: Eine Staatskrise war (Beifall bei Abgeordneten der SPD, des
das! Nicht extern!) BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der
FDP und der Abg. Dr. Silke Launert [CDU/
deren Ursachen gar nicht innerhalb der Europäischen CSU])
Union liegen, sondern mit denen wir als Europa und
natürlich auch als europäische Gemeinschaft umgehen Kollege Bury hat es richtig gesagt: Zum geldpolitischen
mussten. Das hat Europa zweifellos vor Herausforderun- Dialog im Finanzausschuss hat Ihnen der Bundesbank-
gen gestellt, aber, verehrte Kolleginnen und Kollegen, präsident genau das gestern auch noch mal mit auf den
wir haben Antworten darauf gefunden. Weg gegeben.
Deutscher Bundestag – 20. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. April 2024 21341
Johannes Schraps
(A) Von daher dürfen wir nicht vergessen, dass auch die Überweisungsvorschlag: (C)
Eurozone eine Gemeinschaft ist. Wenn wir die negieren, Finanzausschuss (f)
Wirtschaftsausschuss
dann denken wir rückwärtsgewandt. Das gefährdet Wohl- Ausschuss für Arbeit und Soziales
stand und Arbeitsplätze in Europa. Deswegen lehnen wir Haushaltsausschuss
Ihren Antrag selbstverständlich ab.
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. Bernd Schattner, Stephan Protschka, Peter
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, des Felser, weiterer Abgeordneter und der Frak-
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der tion der AfD
FDP und der Abg. Dr. Silke Launert [CDU/ Deutsche Landwirtschaft schützen – Zoll-
CSU]) freiheiten für ukrainische Getreide- und
Ölsaaten beenden
Vizepräsidentin Petra Pau:
Drucksache 20/11148
Ich schließe die Aussprache.
Überweisungsvorschlag:
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Wirtschaftsausschuss (f)
Drucksache 20/11140 an die in der Tagesordnung auf- Finanzausschuss
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft
geführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es weitere Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und
Überweisungsvorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann Verbraucherschutz
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
verfahren wir wie vorgeschlagen. Haushaltsausschuss
Ich rufe auf die Tagesordnungspunkte 26 a und 26 b c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Jan
sowie die Zusatzpunkte 4 a bis 4 c: Korte, Susanne Ferschl, Nicole Gohlke, wei-
26 a) Erste Beratung des von den Abgeordneten terer Abgeordneter und der Gruppe Die Linke
Stephan Brandner, Peter Boehringer, Für das Recht auf politischen Streik
Dr. Christina Baum, weiteren Abgeordneten
und der Fraktion der AfD eingebrachten Ent- Drucksache 20/10746
wurfs eines Gesetzes zur Änderung des Ge- Überweisungsvorschlag:
setzes über die Ruhebezüge des Bundes- Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)
Ausschuss für Inneres und Heimat
präsidenten Rechtsausschuss
Wirtschaftsausschuss
Drucksache 20/11139
(B) (D)
Überweisungsvorschlag: Es handelt sich um Überweisungen im vereinfachten
Ausschuss für Inneres und Heimat (f)
Rechtsausschuss Verfahren ohne Debatte.
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu
Dietmar Friedhoff, Dr. Christina Baum, überweisen. Gibt es weitere Überweisungsvorschläge? –
Dr. Malte Kaufmann, weiterer Abgeordneter Das ist nicht der Fall. Dann verfahren wir wie vorgeschla-
und der Fraktion der AfD gen.
Systemisch integrativer und interessen-
geleiteter afrikapolitischer Ansatz für Ich rufe auf die Tagesordnungspunkte 27 a bis 27 k
Deutschland sowie die Zusatzpunkte 5 a und 5 b. Es handelt sich um
die Beschlussfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aus-
Drucksache 20/11147 sprache vorgesehen ist.
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick- Tagesordnungspunkt 27 a:
lung (f)
Auswärtiger Ausschuss Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
Ausschuss für Inneres und Heimat richts des Ausschusses für Kultur und Medien
Wirtschaftsausschuss
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
(22. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeord-
Ausschuss für Kultur und Medien neten Dr. Götz Frömming, Dr. Marc Jongen,
Martin Erwin Renner, weiterer Abgeordneter
ZP 4 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Kay und der Fraktion der AfD
Gottschalk, Klaus Stöber, Albrecht Glaser, Generalshotel retten – Denkmäler schützen
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der und nicht zerstören
AfD
Drucksachen 20/8422, 20/8983
Abschaffung des Solidaritätszuschlags –
Erster Schritt einer umfänglichen Steuer- Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
reform zur Entlastung des Mittelstands, lung auf Drucksache 20/8983, den Antrag der Fraktion
von Unternehmen sowie Arbeitnehmern der AfD auf Drucksache 20/8422 abzulehnen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Das sind die
Drucksache 20/11149 Koalitionsfraktionen, die CDU/CSU-Fraktion und die
21342 Deutscher Bundestag – 20. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. April 2024
Acht Petitionen. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt da- Acht Petitionen. Wer stimmt dafür? – Die Koalitions-
gegen? – Wer enthält sich? – Die Sammelübersicht 560 fraktionen und die Gruppe Die Linke. Wer stimmt da-
ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der CDU/ gegen? – Die CDU/CSU-Fraktion und die AfD-Fraktion.
CSU-Fraktion, der Gruppe Die Linke gegen die Stimmen Wer enthält sich? – Niemand. Die Sammelübersicht 565
der AfD-Fraktion angenommen. ist angenommen.
Tagesordnungspunkt 27 f: Tagesordnungspunkt 27 k:
Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-
tionsausschusses (2. Ausschuss) tionsausschusses (2. Ausschuss)
Sammelübersicht 561 zu Petitionen Sammelübersicht 566 zu Petitionen
Drucksache 20/11011 Drucksache 20/11016
Deutscher Bundestag – 20. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. April 2024 21343
Vizepräsidentin Petra Pau
(A) 44 Petitionen. Wer stimmt dafür? – Große Teile der Wer stimmt für diesen Wahlvorschlag? – Wer stimmt (C)
Koalition. Wer stimmt dagegen? – Die CDU/CSU-Frak- dagegen? – Wer enthält sich? – Der Wahlvorschlag ist mit
tion, die AfD-Fraktion und die Gruppe Die Linke. Wer den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der CDU/CSU-
enthält sich? – Niemand. Die Sammelübersicht 566 ist Fraktion und der Gruppe Die Linke gegen die Stimmen
angenommen. der AfD-Fraktion angenommen.
Marc Henrichmann
(A) (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem Dann erledigt sich auch das Problem mit Populisten in (C)
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP – diesem Land. Überzeugen Sie die Menschen. Aber das ist
Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- definitiv zu wenig.
NEN], an die AfD gewandt: Wo ist die Weidel Vielen Dank.
überhaupt?)
(Beifall bei der CDU/CSU – Sebastian
Sie stellen sich hier bei der Migration immer als Hartmann [SPD]: Wie war das denn mit Aser-
Rechtsstaatspartei dar. Sie sind keine Rechtsstaatspartei. baidschan und eurer Connection?)
Man muss sagen, es geht eher in Richtung rechte Verrats-
partei.
Vizepräsidentin Petra Pau:
Aber dass die Ampel diese Aktuelle Stunde aufruft,
Das Wort hat Dr. Konstantin von Notz für die Fraktion
ist natürlich auch einigermaßen spannend. Gestern hat
Bündnis 90/Die Grünen.
die Spitzenkandidatin der SPD getwittert: „Wer AfD
wählt, wählt Chinas und Russlands Lobbyisten.“ So weit, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
so gut. Gleichzeitig schreibt die „NZZ“: „Manuela bei der SPD und der FDP)
Schwesig wird die von Russland finanzierte Pseudostif-
tung nicht los.“ Die „FAZ“ schreibt: „Geisterfahrer Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
Gerhard Schröder hält unbeirrt Spur“. Hören Sie auch NEN):
auf die Historiker in Ihren Reihen. Wenn Putin diesen Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Krieg aufgrund Ihrer Unentschlossenheit gewinnt, dann Auf dem Gebäude, in dem wir uns befinden, weht die
haben wir hier in Deutschland und Europa ganz andere deutsche und die Europafahne. Am Eingang auf der
Probleme. Westseite des Deutschen Bundestages steht „Dem deut-
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) schen Volke“. Deutschland, Europa, unsere Verfassung,
unsere Bevölkerung: Das sind die Bezüge, aus denen sich
Auch Sie nehmen in weiten Teilen die Bedrohung aus unsere Verpflichtung als Parlament und als Abgeordnete
Russland und China nicht ernst genug. Auf der Hannover ergibt.
Messe haben Unternehmer sich beklagt: Ändern Sie was,
sonst stehen hier in zehn Jahren nur noch Chinesen. – Der (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
Kanzler auf China-Besuch. Man fragt sich: Wird Wirt- bei der SPD und der FDP sowie des Abg.
schaftsspionage überhaupt mal thematisiert? Das Ein- Philipp Amthor [CDU/CSU])
zige, was als Erfolg verkündet wird, ist: Der Export von Ihr Laden, Herr Chrupalla, dient dem russischen Prä-
(B) Rindfleisch und frischen Äpfeln ist geregelt. Herzlichen sidenten. Das politische Vorbild Ihrer Partei ist die Kom- (D)
Glückwunsch! munistische Partei in China. All das wird jeden Tag deut-
licher,
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
(Lachen bei der AfD – Gegenruf des Abg.
Gleichzeitig tritt eine Außenministerin allen Verbün- Konstantin Kuhle [FDP]: Natürlich!)
deten – beispielsweise Israel –, die wir im Cyberabwehr-
krieg sicherlich gut gebrauchen könnten, mächtig vor das und all das zeigt: Die AfD ist eine Schande für dieses
Schienbein. All das ist einigermaßen irre. Und wenn man Haus und für unser ganzes Land, meine Damen und Her-
mit den Afrikanern spricht, sagen die uns relativ offen: ren.
Wenn die Chinesen kommen, dann bringen sie einen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
Hafen mit. Wenn Deutschland kommt, dann bringen sie bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)
einen erhobenen Zeigefinger. – Das ist zu wenig, und da
muss mehr kommen. Dass wir klarer auf diese ungeheuerlichen Zustände in
der AfD blicken, verdanken wir der erfolgreichen Arbeit
(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf der Abg. unserer Sicherheitsbehörden,
Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
(Zurufe von der AfD)
NEN])
der Justiz und engagierter Journalistinnen und Journalis-
Auch die Umsetzung der NIS-2-Richtlinie – Schutz ten. Ihnen allen möchte ich danken. Sie alle sind ein
kritischer Infrastruktur – ist auf unbestimmte Zeit ver- essenzieller Bestandteil unserer wehrhaften Demokratie;
schoben; Umsetzungsfrist bis Oktober. Am Horizont ist und wehrhaft müssen wir alle sein in diesen Zeiten.
nichts zu sehen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
(Zuruf der Abg. Renate Künast [BÜND- bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)
NIS 90/DIE GRÜNEN])
In einer solchen Korruptionsaffäre, Herr Chrupalla,
Wir haben einen massiven Konflikt mit China und kann man auf eine schöne alte deutsche Redewendung
Russland. Nehmen Sie den ernst. Schmieden Sie interna- verweisen: Wes Brot ich fress, des Lied ich sing. Wessen
tionale Allianzen. Schützen Sie die deutsche kritische Lied singen Sie von der AfD in Hunderten schwer erträg-
Infrastruktur und stärken Sie die Dienste und Sicherheits- lichen Reden hier in diesem Haus, auf Veranstaltungen,
behörden, statt Polizeibeauftragte und Kontrollquittun- auf Querdenker-Demos und im Wahlkampf? Es ist das
gen in die Welt zu setzen. Lied der Diktaturen, das Sie singen.
(Beifall bei der CDU/CSU) (Lachen bei der AfD)
Deutscher Bundestag – 20. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. April 2024 21347
Dr. Konstantin von Notz
(A) Und man kann an Ihrem devoten Hofschranzentum ge- „Man kann die Reden anhören. Er hat sich immer (C)
genüber China und Russland sehr gut sehen, warum die pro China geäußert. Er war immer massiv prorus-
massiven Korruptionsvorwürfe gegen Sie von der AfD sisch unterwegs. Sie können das jetzt in den Medien
ganz offensichtlich sehr viel Substanz haben. nachlesen. Jeder konnte das. Das konnte auch der
Bundesvorstand.“
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
bei der SPD und der FDP) Zitat Ende. So weit, so ungeheuerlich, meine Damen und
Dafür zwei Beispiele. Der Grund für den hohen Mi- Herren. Der Fisch stinkt vom Kopf, und zwar vom Bun-
grationsdruck aus Syrien in den Jahren 2015 bis heute desvorstandskopf der AfD.
war ohne jeden Zweifel der erbarmungslose Krieg (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
Assads gegen seine eigene Bevölkerung, und das mit bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)
der freundlichen Unterstützung Wladimir Putins, dessen
Taktik, über Migrationsdruck Demokratien zu spalten Sie kriegen diese Leute nicht von der Liste runter, und
und zu schwächen, völlig offensichtlich ist. ich sage Ihnen: Sie werden sie auch nicht verstecken
können. Das verspreche ich Ihnen. Das Einzige, was Sie
(Jörn König [AfD]: Und der „Islamische Staat“ machen können, meine Damen und Herren von der AfD,
spielte keine Rolle?) ist, dazu aufzurufen, nicht die AfD zu wählen.
Statt diese offenkundigen Tatsachen zu benennen, ver- (Zuruf von der AfD: Das würde Ihnen gefal-
breitet die AfD seit Jahren plumpe, russlandgefällige Pro- len!)
paganda gegen Frau Merkel, gegen die CDU/CSU, gegen
unseren Rechtsstaat, gegen die Grünen, gegen die Kir- Das wäre konsequent, das wäre gut für Deutschland, und
chen. Sie verbreiten die hanebüchene, rassistische Ver- das wäre gut für Europa.
schwörungsideologie des „Großen Austausches“ und Ganz herzlichen Dank, meine Damen und Herren.
huldigen Russland als gelobtes Land. Sie machen genau
das, was Putin von Ihnen will. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
bei der SPD und der FDP)
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP –
Konstantin Kuhle [FDP]: Teilweise sogar kos- Vizepräsidentin Petra Pau:
tenlos!) Das Wort hat der Abgeordnete Stefan Keuter für die
AfD-Fraktion.
(B) Anderes Beispiel. Gerne verunglimpft die AfD unser (D)
Land als Meinungsdiktatur. Tatsächlich ist Deutschland (Beifall bei der AfD)
ohne jeden Zweifel – ohne jeden Zweifel! – eines der
freiheitlichsten Länder auf diesem Planeten,
Stefan Keuter (AfD):
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
bei der SPD und der FDP) Herren! Im Sitzungswochenrhythmus finden im Deut-
schen Bundestag Aktuelle Stunden statt – alle beantragt
während in dem von der AfD vergötterten kommunis- von den regierungstragenden Fraktionen, einzig und al-
tischen China jede Form der Meinungsfreiheit grausam lein darauf abzielend, die Alternative für Deutschland zu
und unnachgiebig unterdrückt wird. Diese völlig verque- beschädigen.
ren Argumentationsmuster zeigen, auf wessen Payroll Sie
stehen. (Widerspruch bei der SPD, der CDU/CSU,
dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP)
bei der SPD und der FDP)
Haben Sie vor der Opposition in diesem Hohen Hause so
Sie offenbaren Ihre tiefe Sehnsucht nach autokratischen viel Angst, oder haben Sie keine inhaltlichen Themen, die
Strukturen eben auch in Deutschland. Sie sind schlicht Sie im Europawahlkampf bedienen können? Eine Regie-
demokratiefeindlich und infam. rung, die gegen die Opposition demonstriert, gegen diese
hetzt und agitiert, erinnert an die dunkelsten Zeiten deut-
Der Skandalsumpf um Bystron und Krah ist kein Un-
scher Geschichte.
fall, Herr Chrupalla. Beide sind nicht trotz, sondern we-
gen ihrer Diktaturnähe Spitzenkandidaten der AfD ge- (Beifall bei der AfD)
worden.
Sie sehen in den Kontakten der AfD zu Russland und
(Lachen bei der AfD) China die Demokratie gefährdet. Wir sehen in dem Han-
deln, das Sie an den Tag legen, eine Gefährdung für
Ihre Kollegin Limmer aus der Fraktion Identität und unsere Heimat. Wir verurteilen, wenn CSU-Politiker Mil-
Demokratie im Europäischen Parlament sagte heute Mor- lionen mit Maskendeals scheffeln. Wir verurteilen, wenn
gen im Deutschlandfunk, alle skandalösen Details um CDU-Politiker Millionen aus Aserbaidschan annehmen.
Krah seien dem Bundesvorstand lange vor der Listenauf-
stellung – lange vor der Listenaufstellung! – in Gänze (Zuruf des Abg. Marc Henrichmann [CDU/
bekannt gewesen. Wörtlich sagte sie – ich zitiere –: CSU])
21348 Deutscher Bundestag – 20. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. April 2024
Stefan Keuter
(A) Wir verurteilen das Habeck’sche Amigosystem. Wir ver- (Lachen bei der SPD, der CDU/CSU, dem (C)
urteilen die Verstrickung des SPD-Bundeskanzlers in BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Cum-ex- und Wirecard-Skandale, die den Steuerzahler Zudem soll diese Person auch zwischenzeitlich noch
Milliarden kosten. Mitglied der SPD gewesen sein. Der Präsident des Bun-
(Beifall bei der AfD – Dr. Konstantin von Notz desamtes für Verfassungsschutz, Haldenwang, äußerte,
[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Keuter, Frau Ministerin, man hätte diese Person schon lange auf
reden Sie zur Sache! – Zuruf des Abg. dem Schirm gehabt und auf den richtigen Moment gewar-
Sebastian Hartmann [SPD]) tet. Ist es nicht die Aufgabe des Verfassungsschutzes, die
Verfassungsorgane vor Spionage zu schützen?
Sie wollen lediglich von Ihrem Politikversagen ablenken,
und das jetzt auch noch, Frau Faeser, mit Unterstützung (Lamya Kaddor [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
der deutschen Nachrichtendienste. NEN]: Also geben Sie es zu?)
(Dr. Jens Zimmermann [SPD]: Was kostet Warum haben Sie uns nicht über angebliche Spione, die
denn so eine Rede?) für uns arbeiten sollen, frühzeitig informiert?
Die inszenierte Wannsee-Konferenz 2.0 war ja nun (Lachen bei Abgeordneten der SPD und der
offensichtlich ein Flop. Dann erheben Sie dubiose Vor- CDU/CSU)
würfe gegen Petr Bystron, auch über angebliche tschechi- Warum poppt dieses Thema ausgerechnet jetzt, in Wahl-
sche Nachrichtendienstkontakte: Auch da gibt es nichts kampfzeiten, auf? Das ist ein bisschen sehr durchsichtig.
Greifbares. Jetzt sollen angebliche Tonbandaufnahmen
von Papiergeraschel als Beweis dafür dienen, dass hier (Philipp Amthor [CDU/CSU]: Das wäre mir
Geld gezählt wurde. selbst als AfD-Politiker peinlich! – Lamya
Kaddor [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer
(Marc Henrichmann [CDU/CSU]: Wo verste- hat Ihnen denn diese Sätze aufgeschrieben?)
cken Sie die denn dann?)
Der Mitarbeiter hatte übrigens keinen Zugang zu ein-
Ich erwarte von Ihnen gerichtsfeste Beweise. Solange Sie gestuften Informationen und Daten. Richtig ist, dass die-
diese nicht vorlegen, gilt die Unschuldsvermutung. ser Mitarbeiter die Aufgabe hatte, internationale Kon-
(Beifall bei der AfD – Dr. Konstantin von Notz takte zu pflegen.
[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So, so!) (Lachen bei Abgeordneten des BÜNDNIS-
Generell frage ich mich: Wie soll ein Opfer Ihrer Kam- SES 90/DIE GRÜNEN und der FDP – Peter
pagne hier überhaupt seine Unschuld beweisen können? Beyer [CDU/CSU]: Eine grausame Rede, die
(B) Das ist doch überhaupt nicht möglich. Sie da halten!) (D)
Kommen wir zur nächsten Rakete, die Sie jetzt zünden Dazu gehört auch das Internationale Komitee der Kom-
wollen: die Causa Krah. Unseren Spitzenkandidaten be- munistischen Partei Chinas in Brüssel.
kommen Sie nicht zu greifen. Von der Ethikkommission (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE
der Europäischen Kommission hat Herr Krah gerade ei- GRÜNEN]: Herr Keuter! – Zuruf der Abg.
nen Freispruch erster Klasse bekommen. Die Empfeh- Lamya Kaddor [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
lung, die an die Präsidentin des Europäischen Parlamen- NEN])
tes ging, lautete: No Breach – kein Verstoß.
Dieses Komitee ist international als Teil des Auswärtigen
(Zuruf der Abg. Renate Künast [BÜND- Dienstes anerkannt.
NIS 90/DIE GRÜNEN])
Und wenn Sie mal „Bilder Klingbeil“ in Verbindung
An angeblichen chinesischen Zuwendungen ist auch mit dem Namen dieser Organisation googeln, dann sto-
nichts dran. Angenommene Spesen in Höhe von 600 Euro ßen Sie auf den Vorsitzenden der SPD, der seit 2012
wurden ordnungsgemäß im Transparenzregister der EU immer schick Fotos mit der Kommunistischen Partei
eingetragen. macht, meine Damen und Herren.
(Konstantin Kuhle [FDP]: Wenn Ihnen das mal (Beifall bei der AfD – Mike Moncsek [AfD]:
nicht auf die Füße fällt!) Die Sozis wieder!)
Die EU-Antikorruptionsbehörde hatte wegen angeblicher Unsere Gesprächspartner im Ausland wissen ja auch
Unregelmäßigkeiten im Vergabeverfahren ermittelt; die- nicht unbedingt, wenn sie mit der deutschen Botschaft
ses Verfahren wurde eingestellt. Die Staatsanwaltschaft sprechen und es mit Pol2 zu tun haben, dass sie mit
hat niemals ein Verfahren dazu aufgenommen. dem Bundesnachrichtendienst sprechen, meine Damen
Und weil Sie Herrn Krah nicht greifen können, gehen und Herren.
Sie jetzt an sein Umfeld. Es wurde ein Mitarbeiter ver- Ihr Versuch, mit Geheimdienstunterstützung und will-
haftet – ein Deutscher mit chinesischen Wurzeln, der vor fährigen Medien wie „Spiegel“ und Co
einigen Jahren eingebürgert wurde. Angeblich ist unseren
Nachrichtendiensten und dem Präsidenten des Bundes- (Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/
amtes für Verfassungsschutz seit über zehn Jahren be- DIE GRÜNEN: Och!)
kannt, dass es sich angeblich um eine unzuverlässige die Opposition in diesem Lande zu beschädigen und als
Spionageperson handelt. Da frage ich mich: Prüfen Sie korrupte Spione darzustellen, verfängt nicht. Das ist ein-
eigentlich, wen Sie hier einbürgern? deutig zu offensichtlich.
Deutscher Bundestag – 20. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. April 2024 21349
Stefan Keuter
(A) (Beifall bei der AfD – Daniel Baldy [SPD]: Sie Am 18. April: Zwei deutsch-russische Staatsangehö- (C)
sind doch keine Opposition! Sie sind ein Witz!) rige werden festgenommen, weil sie für russische Nach-
richtendienste kritische Infrastruktur in Deutschland aus-
Ein Unternehmer sagte mir: Die Regierung jagt angeb- gekundschaftet haben sollen.
liche Spione der Opposition, die das Land ruinieren wol-
len. Er fragte: Warum? Dazu braucht man nur Ihre Poli- Am 22. April: Drei deutsche Staatsangehörige werden
tik; die reicht ganz alleine aus. festgenommen, weil sie für chinesische Nachrichten-
dienste wirtschaftliche und militärische Informationen
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ausgeforscht haben sollen.
(Beifall bei der AfD – Dr. Jens Zimmermann Am 23. April wurde der Mitarbeiter des AfD-Politikers
[SPD]: Da ist Ihnen aber wenig eingefallen! Maximilian Krah wegen des Verdachts der geheimdienst-
Was ist denn eigentlich in diesem Aluminium- lichen Agententätigkeit für China festgenommen.
koffer?)
Und gestern, 24. April, wurde in der Öffentlichkeit
bekannt, dass die Generalstaatsanwaltschaft Dresden
Vizepräsidentin Petra Pau: wegen Zahlungen aus Russland und China gegen
Das Wort hat der Kollege Konstantin Kuhle für die Maximilian Krah ermittelt.
FDP-Fraktion. Diese Fälle zeigen uns: Es ist gut, dass die deutsche
Spionageabwehr endlich Zähne zeigt.
(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN – Daniel Baldy [SPD]: (Beifall bei der FDP, der SPD, der CDU/CSU
Da liegen noch 200 Euro auf dem Pult! – Hei- und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
terkeit bei Abgeordneten der SPD – Gegenruf
der Abg. Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE Es muss hier viel mehr passieren. Sie zeigen uns, dass der
GRÜNEN]: 2 000!) Fokus deutscher Behörden viel mehr auf der Spionageab-
wehr und, liebe Kolleginnen und Kollegen, in den kom-
menden Jahren viel mehr auch auf der Gegenspionage
Konstantin Kuhle (FDP):
liegen muss.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Gestern
ist es genau 50 Jahre her gewesen, dass am 24. April 1974 Diese Fälle zeigen uns aber auch, dass wir endlich eine
der damalige persönliche Referent für Parteifragen von gesellschaftliche und politische Debatte darüber brau-
Bundeskanzler Willy Brandt, Günter Guillaume, fest- chen, warum Deutschland eigentlich im Fokus von Spio-
genommen wurde, weil er im Verdacht stand, ein Stasi- nage aus Russland und aus China steht.
(B) spion aus der DDR zu sein. Die Affäre Guillaume führte (D)
Deutschland steht im Fokus von Spionage aus China,
damals nicht nur zum Rücktritt von Willy Brandt; sie weil China in erster Linie ein systemischer Rivale ist, der
löste auch eine Diskussion über Fehler bei der Spiona- es auf wirtschaftliches, wissenschaftliches und militäri-
geabwehr in Deutschland aus. Sie löste eine Diskussion sches Know-how aus Deutschland abgesehen hat.
aus, aus der manche Frage noch heute ungeklärt ist.
Deutschland steht im Fokus von Spionage aus Russ-
Was kann man daran sehen? Man kann daran sehen, land, weil Russland unsere Gesellschaft mürbe machen
dass es Spionage zu allen Zeiten gegeben hat. Und die will, weil ausgerechnet das Land, das die Ukraine in der
Frage ist auch nicht, wie man Spionage gänzlich abstellen Europäischen Union am meisten unterstützt, besonders
oder verhindern kann, sondern die Frage ist, wie man anfällig für hybride Angriffe und für Desinformation
Spionage schnell entdeckt, wie man sensible Informatio- ist. Das sind die Gründe, warum wir im Fokus stehen.
nen schützt und wie man in der Gesellschaft dafür sorgt,
dass die Menschen dabei mithelfen, dass unser Land und (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
unsere Gesellschaft nicht zum Opfer von Spionage wer- der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ-
den, weil sie entsprechend sensibilisiert sind. NEN)
(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/
Es gibt noch einen weiteren Grund, nämlich die Exis-
DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der
tenz einer rechtsextremen Partei, die in deutschen Par-
SPD)
lamenten vertreten ist und die bereit ist, jede Erzählung
Wir haben hier, liebe Kolleginnen und Kollegen, in der aus China und aus Russland bereitwillig aufzugreifen und
vergangenen Sitzungswoche über Erkenntnisse eines weiterzuverbreiten.
tschechischen Nachrichtendienstes gesprochen, nach de-
nen der AfD-Politiker Petr Bystron Geld aus Moskau (Peter Beyer [CDU/CSU]: Gegen Geld! –
bekommen hat. Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN]: So ist es!)
(Zuruf des Abg. Albrecht Glaser [AfD])
Deswegen muss man es ganz klar sagen: Die AfD ist eine
Und es gab hier Kollegen – so auch ich –, die gesagt Schwachstelle der deutschen liberalen Demokratie, wenn
haben, das sei nur die Spitze des Eisbergs. es um ihre Verteidigung geht.
Jetzt muss man sich mal angucken, was in den letzten
zwei Wochen in Sachen Spionage in Deutschland eigent- (Beifall bei der FDP, der SPD, der CDU/CSU
lich so passiert ist. und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
21350 Deutscher Bundestag – 20. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. April 2024
Konstantin Kuhle
(A) Sie wirft sich bereitwillig Diktatoren und Autokraten an Vizepräsidentin Petra Pau: (C)
den Hals, von Moskau bis Peking. Sie nimmt Geld aus Das Wort hat die Bundesministerin des Innern und für
Russland und aus China an, und sie belohnt korrupte und Heimat, Nancy Faeser.
kriminelle Charaktere dann auch noch mit aussichtsrei-
chen Listenplätzen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der
Ich habe bei der Rede vom Kollegen Keuter gemerkt, FDP)
wie manchem in der AfD doch ein bisschen mulmig
geworden ist.
Nancy Faeser, Bundesministerin des Innern und für
(Lachen bei Abgeordneten der AfD) Heimat:
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Abgeord-
Denn das, was Sie hier gesagt haben, wird Ihnen ja beim nete! Meine Damen und Herren Zuschauerinnen und Zu-
Fortgang der Ermittlungen dann irgendwann auf die Füße schauer! Die Nachrichten der letzten Woche sprechen
fallen. eine deutliche Sprache – der Abgeordnete Konstantin
(Jörn König [AfD]: Ja, Ihnen aber auch!) Kuhle hat es gesagt –: letzten Donnerstag zwei Festnah-
men in Bayreuth, um russische Sabotagepläne zu verhin-
Das Interessante ist doch, dass eigentlich jeder in der dern, am Montag drei Festnahmen in Bad Homburg und
AfD, dem gerade ein bisschen mulmig geworden ist, Düsseldorf wegen Spionage im Auftrag Chinas, dann –
sofort dafür sorgen müsste, dass Krah und Bystron auf- noch am selben Abend – eine Festnahme in Dresden,
gefordert werden, erstens, sofort ihre Mandate im Bun- wieder aufgrund einer möglichen Spionagetätigkeit für
destag und im Europäischen Parlament niederzulegen – den chinesischen Geheimdienst – aus einem Abgeord-
sofort! – netenbüro des Europäischen Parlamentes heraus.
(Beifall bei der FDP, der SPD, der CDU/CSU Dass diese Festnahmen jetzt erfolgt sind, ist der Be-
und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) drohungslage geschuldet, vor der wir stehen.
und, zweitens, auf eine Kandidatur für das nächste Euro- (Stephan Brandner [AfD]: Vor dem Wahl-
päische Parlament zu verzichten, und zwar durch eine kampf!)
eigene Erklärung, zurückzutreten von diesem Platz. – Gut, dass Sie hier reinrufen.
(Marc Henrichmann [CDU/CSU]: Eine Selbst- (Stephan Brandner [AfD]: Ja, so bin ich! –
reinigung! – Mike Moncsek [AfD]: Warum?) Stefan Keuter [AfD]: Ist der Wahlkampf eine
Das Interessante ist doch, dass das nicht passieren Bedrohungslage?)
(B) (D)
wird. Über den Zeitpunkt haben die Ermittlungsbehörden ent-
schieden.
(Lamya Kaddor [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Natürlich nicht!) (Stephan Brandner [AfD]: Und wer ist die
Chefin von den Ermittlungsbehörden?)
Das wird nicht passieren, weil es in der AfD zum guten
Ton gehört, auf die Welle des Rechtsextremismus, auf die Die Haftbefehle wurden durch richterliche Anordnung in
Welle der Anbiederung an autokratische Regime immer Gang gesetzt. Auf beides nimmt die Bundesregierung
noch einen draufzusetzen. keinerlei Einfluss, und das ist auch gut und richtig so,
meine Damen und Herren.
(Lachen des Abg. Enrico Komning [AfD])
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
Denn diejenigen, die in der AfD das Sagen haben, sind des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des
nicht Alice Weidel und nicht Tino Chrupalla; es sind Abg. Philipp Hartewig [FDP] – Enrico
Björn Höcke und Wladimir Putin. Komning [AfD]: Nein! Überhaupt gar nicht! –
Stephan Brandner [AfD]: Ihre Nase wird im-
(Lachen bei Abgeordneten der AfD – Enrico mer länger, Frau Faeser! Wie bei Pinocchio!)
Komning [AfD]: Jawohl! Der war gut!)
– Ich kann Ihnen das in aller Deutlichkeit noch mal sagen:
Wir werden Sie genau im Auge behalten, was diese wei- Der entscheidende Unterschied zwischen einem Rechts-
tere Geschichte angeht. staat und den Staaten, die uns bedrohen, ist, dass das
(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜND- alleine die Ermittlungsbehörden entscheiden.
NIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeord- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
neten der CDU/CSU) des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der
FDP – Enrico Komning [AfD]: Sicher! Ganz
Ich kann an dieser Stelle nur sagen, dass das nicht die
sicher! Glaubt jeder!)
letzte Debatte gewesen ist. Wir werden das genau im
Auge behalten. Fakt ist: Deutschland steht aktuell massiv im Fokus
Vielen Dank. ausländischer Nachrichtendienste, insbesondere russi-
scher, und das auch schon länger. Aber seit Putins furcht-
(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜND- barem, barbarischem Überfall auf die Ukraine erleben
NIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeord- wir zunehmend auch hybride Angriffe in ganz neuer Di-
neten der CDU/CSU) mension. Erstmals stehen wir vor der Gefahr russischer
Deutscher Bundestag – 20. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. April 2024 21351
Bundesministerin Nancy Faeser
(A) Sprengstoffanschläge, um unsere Unterstützung für die (Stephan Brandner [AfD]: Logisch! Aber (C)
Ukraine zu unterbinden. Auch das haben unsere Sicher- Staatsanwaltschaften sind weisungsgebunden!
heitsbehörden – Gott sei Dank! – verhindern können. Das wissen Sie auch!)
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten – Gerichte übrigens nicht.
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der (Stephan Brandner [AfD]: Weisungsgebun-
FDP) dene Staatsanwaltschaft haben wir in Deutsch-
Wir haben alle Schutzmaßnahmen massiv hochgefah- land! – Gegenruf der Abg. Renate Künast
ren, und wir haben in den letzten zwei Jahren bereits eine [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber sie hat
große Zahl auch russischer Spione des Landes verwiesen. nicht gewiesen!)
Unsere Sicherheitsbehörden arbeiten international gut – Wissen Sie, das ist der Unterschied: In einem offenen
vernetzt daran, die Pläne aller Staaten und Akteure zu Rechtsstaat sind die Gerichte, anders als in Diktaturen,
durchkreuzen, die uns bedrohen. All das tun wir. nicht weisungsgebunden.
Was wir nicht tun, meine Damen und Herren: Wir (Stephan Brandner [AfD]: Aber die Staats-
lassen uns nicht einschüchtern. Wir stehen auch weiterhin anwaltschaft!)
fest an der Seite der Ukraine!
Das scheinen Sie aber nicht verinnerlicht zu haben, und
(Beifall bei der SPD und der FDP sowie bei das macht es so gefährlich.
Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜND-
NISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, dem
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Die Bedrohungen, denen wir gegenüberstehen, sind Wir als Bundesregierung schaffen die Bedingungen
Ausdruck einer neuen Weltlage; sie sind Ausdruck eines dafür, dass unsere Sicherheitsbehörden gute Arbeit leis-
neuen Wettstreits zwischen Demokraten und Diktaturen. ten können.
Ob Russland, China, der Iran – sie alle greifen verstärkt
auf Mittel ihrer Nachrichtendienste zurück, um ihre geo- (Stephan Brandner [AfD]: Seit zehn Jahren
politischen Interessen durchzusetzen. Davor warnen und wissen Sie das! Seit zehn Jahren wissen Sie
dafür sensibilisieren wir konsequent und seit Langem. von den Geheimdienstumtrieben!)
Deutschland war und ist Ziel von Spionage und Sabotage,
Deshalb haben wir das Bundesamt für Verfassungsschutz
Desinformation und Propaganda – mit dem Ziel, uns als
und die Spionageabwehr massiv gestärkt, personell wie
Gesellschaft zu spalten und uns politisch und wirtschaft-
technisch; und das zeigt nun Wirkung. Herzlichen Dank
(B) lich zu schwächen. Das dürfen und das werden wir nicht für diese gute Arbeit, meine Damen und Herren! (D)
zulassen, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der
DIE GRÜNEN) FDP)
Denn Deutschland weiß sich zu wehren. Wir als Regierung werden außerdem unser Gesetz zum
Die andere Seite handelt so, weil sie um ihre Schwach- Schutz kritischer Infrastrukturen vorlegen,
punkte weiß und sie fürchtet. Deshalb nutzt sie doch (Josef Oster [CDU/CSU]: Wann?)
Agenten, um Oppositionelle auszuspähen, die hier in
Deutschland Schutz gefunden haben. Deshalb versucht in dem wir auch die Unternehmen auffordern, sich resi-
sie, die Wirkung von Sanktionen zu mindern und techno- lienter aufzustellen und Schutzmaßnahmen weiter hoch-
logische Lücken zu schließen – durch Spionage an zufahren.
Universitäten, in Unternehmen und Forschungseinrich- (Marc Henrichmann [CDU/CSU]: Ja, wenn die
tungen. Deshalb versucht sie, ihren Einfluss auch auf mal was davon wüssten!)
unsere demokratischen Institutionen auszuweiten.
Auch das ist ein wichtiger Aspekt, wenn es um die not-
Der Vorwurf wiegt schwer, dass der Arm fremder wendige Sensibilisierung und den größtmöglichen
Mächte bis in unsere Parlamente reicht, dass sie dabei Schutz geht.
politische Entscheidungsträger und deren Mitarbeiter in
ihre Dienste nehmen, meine Damen und Herren. Es ist ein (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Marc
Unding, wenn sich Volksvertreter zu Putins oder Pekings Henrichmann [CDU/CSU]: Das ist im Verzug!
Handlangern und zum Instrument ihrer Propagandama- Mächtig!)
schinerie machen. Ich kann Ihnen sagen: Das werden wir
Trotzdem: Die Bedrohung, vor der wir stehen, muss
nicht zulassen, meine Damen und Herren!
noch stärker ins öffentliche Bewusstsein kommen; denn
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ wir reden hier über reale Gefahren, die uns als Gesell-
DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der schaft konkreten Schaden zufügen. Deshalb halten wir
FDP) dagegen mit Sensibilisierung und Aufklärung auf der
einen Seite, aber auch mit einem harten Durchgreifen
Ich will noch einmal betonen: Über die aktuellen Fest- eines starken Rechtsstaates – und das ist auch gut so,
nahmen haben allein Staatsanwaltschaften und Gerichte meine Damen und Herren – in einer offenen freien Ge-
entschieden. sellschaft, die sich damit verteidigt.
21352 Deutscher Bundestag – 20. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. April 2024
(Stephan Brandner [AfD]: Das ist richtig! Wir (Jörn König [AfD]: Der hat das studiert!)
wollen ein anderes Deutschland als das, was im Unterausschuss Sicherheit und Verteidigung und in
Sie uns hinterlassen haben!) der Delegation für die Beziehungen zu den Vereinigten
Und jetzt zitiere ich einen Redner von gestern: Sie Staaten. Man kann es kaum glauben!
wollen dieses Deutschland ersticken und abwürgen. (Stephan Brandner [AfD]: Was schreien Sie
(Stephan Brandner [AfD]: Das machen Sie denn so rum? Fahren Sie mal ein bisschen run-
doch schon! – Mike Moncsek [AfD]: Wer hat ter, Frau Wittmann! Nicht so hysterisch!)
denn das gesagt?) Ich persönlich vermute: Er hat wohl ein System auf-
Sie wollen hier einen autoritären und diktatorischen Staat gebaut, in dem er Infos an China gegen Geld aus China
errichten, und dafür, soweit man allen Erkenntnissen gibt; jedenfalls lässt er sich von diesem System finanzie-
glauben kann, würden Sie sich auch finanzieren lassen, ren. Denken wir an seine Luxusreisen, von denen wir
steuern lassen aus diesen diktatorischen und autoritären wussten, dass er sie macht.
Staaten,
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der
(Stephan Brandner [AfD]: Aserbaidschan SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ-
meinen Sie, oder?) NEN)
zu denen Sie neigen. Machen wir einen Ausflug nach Bayern. Daniel Ha-
(Stephan Brandner [AfD]: Sagen Sie mal was lemba: Noch bevor er zur ersten Sitzung eintreffen konn-
zu Aserbaidschan!) te, lag bereits ein Haftbefehl gegen ihn vor,
Dafür ist Ihnen keine widerliche Propaganda, keine De- (Stephan Brandner [AfD]: Von der weisungs-
magogie, keine Manipulation und vor allem keine Wäh- gebundenen Staatsanwaltschaft!)
lertäuschung zu schade. weil er seinen Auflagen aus den staatsanwaltschaftlichen
(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem Ermittlungen wegen Volksverhetzung, Verwendung von
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abge- Kennzeichen verfassungswidriger Organe, Geldwäsche
ordneten der FDP) und weiterer Vorwürfe nicht nachgekommen ist. Und
Deutscher Bundestag – 20. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. April 2024 21353
Mechthilde Wittmann
(A) die AfD hatte vor – das wissen Sie wahrscheinlich nicht, Wir brauchen die IP-Adressen bei jeder Art von Krimi- (C)
die Sie nicht aus Bayern stammen; aber ich will es Ihnen nalität und Straftaten. Deswegen hoffe ich, dass wir we-
gerne mitgeben, und bitte verbreiten Sie es –, nigstens da zusammenkommen.
(Stephan Brandner [AfD]: Kein Mensch ver- Vielen Dank.
breitet Ihren Mist, Frau Wittmann!)
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
im Bayerischen Landtag eine Propagandashow zu ver- neten der SPD – Zuruf des Abg. Stephan
anstalten, indem sie ihn dort richtig schön auftreten lässt, Brandner [AfD])
damit er dann in diesem Organ verhaftet werden kann,
und wollte so dem Verfassungsorgan Bayerischer Land-
tag schaden. So handeln Sie! Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Vielen Dank. – Das Wort hat jetzt Omid Nouripour für
(Hannes Gnauck [AfD]: Erzählen Sie doch hier Bündnis 90/Die Grünen.
keine Lügen!)
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
– Das sind keine Lügen, das hat Herr Böhm selbst ge- sowie bei Abgeordneten der SPD und der
äußert, Ihr stellvertretender Vorsitzender. FDP – Zuruf des Abg. Stephan Brandner
(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem [AfD])
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Die weiteren Namen würde ich Ihnen gerne ersparen; Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
aber es gibt sie. Über Björn Höcke brauchen wir gar nicht Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich muss
zu reden. Nummer eins Ihrer EU-Liste ist Herr Krah – zugeben: Ich habe mich zunächst gewundert, dass die
bereits besprochen –, Nummer zwei ist Herr Bystron. AfD heute ausgerechnet einen Mann sprechen lässt,
Nummer drei ist René Aust, Spitzname „Mini-Höcke“; über den es Berichte gibt, dass er im Auftrag der KP
Chinas hier kritische Anfragen zur Demokratiebewegung
(Heiterkeit des Abg. Dr. Konstantin von Notz
in Hongkong gestellt hätte. Die einzige Erklärung, die
[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
mir kam, ist: Die haben wahrscheinlich keine anderen.
er gilt als gesichert rechtsextrem. Nummer vier der EU-
Liste ist Christine Anderson, Aktivistin im rechtsextre- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
men Pegida-Bündnis und übrigens zufällig Mitglied im sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)
Unterausschuss zum Einsatz von Pegasus und weiterer Der Beschluss des Vorstands der AfD dieser Tage hat
Spionagesoftware. es noch einmal dargestellt. Für alle, die ihn noch nicht
(B) (Stephan Brandner [AfD]: Was Sie alles wis- sehen konnten: Wir haben es hier nicht mit dem Fall (D)
sen! – Zuruf von der SPD: Hört! Hört!) „Krah“ zu tun, sondern mit dem Fall „AfD“. Wir haben
hybride Angriffe zahlreicher Staaten, auch gegen
Nein, meine Damen und Herren, das sind keine Deutschland, auch gegen unsere demokratischen Institu-
schwarzen Schafe, das ist das System der AfD. Und die- tionen. Ziel ist immer wieder dasselbe: das Vertrauen in
ses System gilt es zu beenden. unsere Institutionen, in unsere Demokratie zu unter-
(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem minieren. Was macht die AfD seit Jahren?
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP) (Stephan Brandner [AfD]: Und was machen
Deswegen wundern Sie sich doch bitte nicht, wieso wir Sie seit Jahren? Studieren Sie erst mal zu Ende,
gerade eben Ihren Vertreter höchstwahrscheinlich wieder Herr Nouripour!)
nicht in das PKGr gewählt haben. Wir werden doch nicht Die tut so, als gäbe es Sprechverbote. Die vergleicht die
den Bock zum Gärtner machen! EU wahlweise mit Nordkorea oder mit der Sowjetunion.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Die versündigt sich damit an unserer Freiheit, immer
neten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE wieder.
GRÜNEN und der FDP – Stephan Brandner Frohnmaier, AfD-Mann, stellt sich hierhin und sagt
[AfD]: Der Bock ist schon der Gärtner! Die wortwörtlich: „Von China lernen, heißt siegen lernen.“
Gärtnerin!)
(Stephan Brandner [AfD]: Das war Habeck!
Und wenn wir jetzt von einer Zeitenwende reden – die
Sie verwechseln da was!)
Zeitenwende, dass jetzt historisch viele Spione entdeckt
worden sind –, dann meine ich allerdings auch: Wir müs- Meint er damit die Massenüberwachung? Meint er damit
sen unsere Staatsanwaltschaften und unsere Organe wei- die Verfolgung der Uiguren? Meint er damit etwa die
ter ertüchtigen. Es reicht nicht nur der verschärfte Blick, Verfolgung der Leute in Tibet? Meint er damit den Völ-
jetzt brauchen sie wirklich Methoden. Und glauben Sie kerrechtsbruch in Hongkong, die Aggression gegen Tai-
mir: Die Staatsanwaltschaften wären wirklich glücklich, wan? Oder meint er den massiven Wettbewerb des Welt-
wenn sie jetzt dieses Netzwerk nachverfolgen könnten, handels?
wenn sie jetzt die Spuren der IP-Adressen – ich kann es (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS-
uns nicht ersparen – hätten. Frau Faeser, Sie haben uns an SES 90/DIE GRÜNEN)
Ihrer Seite. Setzen Sie sich durch gegen Herrn
Buschmann! Das ist die Art und Weise, wie die FDP
(Beifall bei der CDU/CSU) (Zurufe von der AfD: Ja, genau! Die FDP!)
21354 Deutscher Bundestag – 20. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. April 2024
Omid Nouripour
(A) – Verzeihung –, wie die AfD auch dieses Land haben Und hat die Bezahlung durch Russland auch etwas damit (C)
möchte. zu tun, dass Sie sich dort auf der Krim hinstellen, erzäh-
len, diese sei russisch, und damit einfach das Völkerrecht
(Zurufe von der AfD)
missachten?
– Nein, nein, nein, ich kann hier einen Versprecher ma-
(Stephan Brandner [AfD]: Was stammeln Sie
chen. Sie können sich nicht rausreden. Ich entschuldige
eigentlich für einen Unsinn hier, Herr
mich bei den Kolleginnen und Kollegen der Liberalen;
Nouripour?)
das soll so nicht sein.
Was ist mit den vielen Porträts, die Frau Weidel in den
(Konstantin Kuhle [FDP]: Immer locker blei-
Staatsmedien in China bekommt? Und bekommt
ben!)
Frohnmaier eigentlich Geld dafür, dass er China hier
Im Übrigen ist es derselbe Frohnmaier, über den es immer wieder so gelobhudelt hat?
auch Berichte des russischen Geheimdienstes gibt, er
(Zuruf von der AfD: Nein, der hat bei Habeck
stehe voll unter dessen Kontrolle.
gelernt!)
Gleichzeitig, so der Verfassungsschutz, gebe es kein
Ist das tatsächlich im Sinne der deutschen Wirtschaft, was
Land, das so sehr wie China in Deutschland Wirtschafts-
Sie da so von sich geben? Ich glaube, nicht.
und Wissenschaftsspionage betreibt.
(Zuruf des Abg. Stephan Brandner [AfD])
(Zurufe von der AfD)
Aber ich habe noch eine Frage. Herr Kollege Notz hat
Kriegen Sie eigentlich Geld,
es völlig zu Recht angesprochen: Sie haben zwei Delega-
(Stephan Brandner [AfD]: Ich kriege Geld, tionen nach Syrien geschickt
klar! Und Sie? Sie kriegen auch Geld, oder? (Zuruf des Abg. Stefan Keuter [AfD])
Wir kriegen alle Geld!)
und den Schergen von Assad die blutigen Hände geschüt-
wenn Sie Betriebsbesuche machen? Nehmen Sie da ei- telt. Über eine halbe Million Leute hat er umgebracht.
gentlich Informationen mit aus deutschen Unternehmen, Wer hat diese Reisen eigentlich bezahlt? Hat sie Assad
die Sie weitergeben an die KP China? Das sind die Fra- bezahlt?
gen, die wir uns zurzeit stellen. Ich muss zugeben – das
gilt sicher auch für die anderen hier im Saal –: Niemand (Stephan Brandner [AfD]: Die Grünen haben
erwartet von Ihnen Aufklärung, sondern von den Behör- die bezahlt!)
den. Haben die Russen die bezahlt? Oder vielleicht die andere
(B) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Schutzmacht Assads, nämlich der Iran? Kriegen Sie auch (D)
sowie bei Abgeordneten der SPD und der vom Iran Geld? Das sind alles Fragen, die zurzeit auf dem
FDP – Stephan Brandner [AfD]: Die Behörden Tisch sind, die Sie aber nicht imstande und auch nicht
wussten seit zehn Jahren Bescheid!) gewillt sind zu beantworten.
Zu Russland: Die Staatsmedien in Russland werden (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
sehr oft besucht, auch von Ihren Leuten: Schmidt, Nolte, und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der
Kotré. Teilweise geben Sie Leuten Interviews, die auf FDP)
EU-Sanktionslisten stehen. Und was machen Sie da? Sie arbeiten nicht im Interesse Deutschlands; die deut-
Sie reden ja nicht über den Tiergartenmord, über die Des- schen Interessen liegen Ihnen sehr fern.
information in Deutschland, über den Cyberangriff auf
den Deutschen Bundestag. (Stephan Brandner [AfD]: Warum ist die
Staatsflagge von Deutschland eigentlich nicht
(Stephan Brandner [AfD]: Woher wissen Sie grün?)
das denn? Waren Sie dabei? – Weitere Zurufe
von der AfD) Die Interessen Chinas und Russlands allerdings sind
Ihnen nah. Sie sind eine Gefahr für Wohlstand, für Si-
Sie reden auch nicht über die massiven Vergewaltigun- cherheit und Freiheit in Europa und in unserem Land.
gen, Morde oder aber auch die vielen Kriegsverbrechen
in der Ukraine. Sie labern nach, was der Kreml vorher (Stephan Brandner [AfD]: Sie haben unser
gesagt hat. Sie sind Sprachrohr der Propaganda des Land ruiniert! Sie und Ihre bekiffte grüne
Kremls. Schar!)
(Manuel Höferlin [FDP]: Radio Moskau!) Aber ich habe zwei gute Nachrichten. Die erste Nach-
richt ist: Europa, unser Land, unsere Demokratie ist stark.
Es gibt so viele Fragen, die noch offen sind, jenseits Wir zusammen, wir kriegen Sie klein! Das kann ich hier
der beiden Fälle, die heute hier zu Recht angesprochen allen versprechen.
worden sind. Die vielen Reisen Ihrer Leute auf die Krim:
eine massive Unterwanderung des Völkerrechts. Bei ei- (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS-
nem Fall wissen wir, dass Russland die Reise bezahlt hat. SES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)
Ist das immer so? Zahlt eigentlich jedes Mal Russland die Und die zweite gute Nachricht ist, im Übrigen auch für
Reise, wenn Sie auf die Krim fahren? Sie:
(Zuruf von der CDU/CSU: Oder China! – Zu- (Stephan Brandner [AfD]: Was war denn die
ruf des Abg. Stephan Brandner [AfD]) erste für eine Nachricht?)
Deutscher Bundestag – 20. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. April 2024 21355
Omid Nouripour
(A) Wir führen heute diese Debatte. In den Ländern, denen DIE GRÜNEN – Stephan Brandner [AfD]: (C)
Sie dienen, wären Sie der puren Willkür ausgesetzt. Deshalb scheiden Sie ja bald aus!)
(Stephan Brandner [AfD]: Da fühle ich mich Das sieht, zumindest verbal, anscheinend auch die
dann ganz wie zu Hause!) Führung der AfD so, wenn Frau Weidel und Herr
Chrupalla öffentlich erklären – Zitat –:
Gott sei Dank sind wir hier in einem freiheitlich-demo-
kratischen Rechtsstaat mit starken demokratischen Insti- (Zuruf der Abg. Beatrix von Storch [AfD])
tutionen und mit einer unabhängigen Justiz. „Jegliche Einflussnahme fremder Staaten durch
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Spionage, aber auch der Versuch, Meinungen und
bei der SPD und der FDP) Positionen zu kaufen, müssen aufgeklärt und mit
aller Härte unterbunden werden.“
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Das Wort Herr Dr. André Hahn für Die Linke. (Zuruf von der AfD: Sehr richtig! Sehr rich-
tig!)
(Beifall bei der Linken sowie bei Abgeord-
Na toll, dann seien Sie aber auch konsequent und lassen
neten der SPD – Stephan Brandner [AfD]: Jetzt
diesen Worten Taten folgen!
kommt der Moskau-Experte! Erzählen Sie et-
was von der Stasi! Von der SED! – Beatrix von (Beifall bei der Linken sowie bei Abgeord-
Storch [AfD]: SED-Kader!) neten der SPD)
Weder Herr Krah noch Herr Bystron sind durch die Par-
Dr. André Hahn (Die Linke): teigremien zum Rücktritt aufgefordert worden. Beide ste-
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! hen trotz gravierender Vorwürfe und inzwischen sogar
staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen,
(Stephan Brandner [AfD]: Wie war das denn
damals in Moskau?) (Zuruf von der AfD: Wir sind noch vor den
Ermittlungen!)
Lassen Sie mich eines gleich zu Beginn festhalten: Um zu
wissen, dass die AfD eine massive Bedrohung für unsere die sich nicht mehr nur gegen die Mitarbeiter richten, was
Demokratie ist, schon schlimm genug wäre, sondern gegen sie persön-
lich, weiter an der Spitze der Europaliste.
(Zuruf von der AfD: Sie reden von Demokra-
tie! Ausgerechnet Sie!) Frau Weidel und Herr Chrupalla, wenn Sie hier im
Plenum einmal alle Ihre Abgeordneten aufstehen lassen
(B) brauchte ich nicht erst die jetzt im Raum stehenden Spio- würden, die über ähnliche problematische Kontakte nach (D)
nagevorwürfe, den Verdacht auf Landesverrat und Abge- Russland, nach China und anderen autoritären Staaten
ordnetenbestechung oder das Zusammenwirken von verfügen,
rechtsextremen Parlamentariern mit fremden Mächten
und höchst fragwürdigen Diktaturen. (Hannes Gnauck [AfD]: Was ist denn mit dei-
ner Runde da hinten?)
(Beatrix von Storch [AfD]: Sie sind ein SED-
Kader!) würde vermutlich kaum noch jemand sitzen.
Die AfD will die Demokratie abschaffen; wir wollen das (Beifall bei der Linken sowie bei Abgeord-
nicht. Punkt. neten der SPD – Stephan Brandner [AfD]:
Wenn bei Ihnen alle aufstehen, merkt das kei-
(Beifall bei der Linken sowie bei Abgeord- ner!)
neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/
DIE GRÜNEN – Stephan Brandner [AfD]: Für mich ist das alles schlicht verlogen, und ich hoffe
Sie waren mal eine Diktatur! – Weitere Zurufe sehr, dass immer mehr Menschen begreifen, was die
von der AfD) AfD eigentlich bedeutet und wer hinter dieser Partei
steht.
Gleichwohl wiegen die im Raum stehenden Vorwürfe
gegen diverse Abgeordnete der AfD natürlich sehr Das, worüber aktuell berichtet wurde, ist im Übrigen
schwer. Wer sich von anderen Staaten kaufen lässt, medial zum Teil seit vielen Monaten bekannt. Ich frage
mich schon, warum die Justiz erst jetzt reagiert und die
(Stephan Brandner [AfD]: Und was war mit unbestritten notwendigen Maßnahmen ergreift.
der Stasi?)
(Zurufe von der AfD: Wahlkampf! Wahl-
über seine Mitarbeiter oder womöglich sogar selbst sen- kampf!)
sible politische oder sogar geheime Informationen an
Wäre das früher geschehen, wären diese Personen wo-
andere Länder liefert,
möglich gar nicht erst auf die Liste für die Europawahlen
(Stephan Brandner [AfD]: Wer hat bei der gekommen; man kann sich da aber auch nicht sicher sein.
Stasi gelernt?) Ich bedauere, dass hier nicht rechtzeitig gehandelt wurde.
hat weder im Deutschen Bundestag noch im Europapar- (Beifall bei der Linken)
lament etwas verloren. Nationalstaatsinteressen wahren, wie die AfD immer
(Beifall bei der Linken sowie bei Abgeord- wieder postuliert, das mag vielleicht auch auf manche
neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/ Kooperationspartner der amtierenden und auch der ehe-
21356 Deutscher Bundestag – 20. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. April 2024
Sebastian Hartmann
(A) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Hilfe! – Mike Moncsek [AfD]: Die SPD wird (C)
DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der Sachsen im Landtag verlassen! Das wird sein!)
FDP)
Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, niemand kann Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
sagen, er habe es nicht gewusst. Es sind Ermittlungsver- Vielen Dank, Herr Hartmann. – Jetzt möchte ich die
fahren, es sind öffentliche Vorwürfe, die nachher in Ur- Wahlen schließen und die Schriftführerinnen und Schrift-
teile und Gerichtsverfahren münden. Die Gerichte urtei- führer bitten, mit der Auszählung zu beginnen. – Ich sehe,
len darüber, und diese Urteile haben Bestandskraft. Das dass doch noch nicht alle ihre Stimme abgegeben haben.
ist kein Betriebsunfall bei der AfD. Es ist Vorsatz, es ist Ich habe eigentlich vor acht Minuten darauf hingewiesen,
Strategie. Es hat stattgefunden, es wird wieder stattfin- dass ich die Wahlen gleich schließen werde. Ich kann die
den. Das ist unser Auftrag, liebe Kolleginnen und Kolle- Wahl jetzt nur noch der Kollegin im Rollstuhl ermögli-
gen: deutlich zu machen, dass Sie keinen Schneid haben, chen, weil sie sich nicht so schnell fortbewegen kann wie
sich aber grinsend in dieses Plenum setzen und so tun, als die anderen. Danach sind die Wahlen automatisch ge-
ob das alles in unserem Land nicht stattgefunden hätte. schlossen.1)
(Dr. Rainer Rothfuß [AfD]: Wir grinsen nur (Beatrix von Storch [AfD]: Die konnte vor acht
über Sie!) Minuten losfahren!)
Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten waren es, Jetzt gebe ich Robert Farle das Wort.
die die Demokratie verteidigt haben. Hinter Mitgliedern
der SPD wurden Gefängnistüren abgeschlossen. Sie wur- (Philipp Amthor [CDU/CSU]: Der hat eine
den im KZ ermordet, während Angehörige unseres Vol- neue Lederjacke, oder?)
kes, Mitglieder der extremen Rechten in Deutschland, die
Todesurteile sprachen und Juden ermordeten. Was muss Robert Farle (fraktionslos):
noch passieren, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass wir Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
erkennen, wie fruchtbar dieser Schoß ist, aus dem das und Herren! Heute ist wirklich eine Sternstunde des Par-
kroch? laments. Ich hoffe, dass sich möglichst viele Bürger in
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Deutschland dies hier anschauen und miterleben, mit wie
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) wenig Fakten Sie eine ganze Stunde lang nur Hetze gegen
eine einzige Partei betreiben, bei der Sie die Sorge haben,
Und wie dramatisch ist es, dass die Demokratie nicht dass sie vielleicht mehr Stimmen kriegt als beim letzten
im Inneren zusammenrückt, sondern dass Brunnen ver- Mal.
(B) giftet werden, dass das Volk entlang rassischer Merkmale (Beifall bei Abgeordneten der AfD) (D)
in gute Deutsche und in schlechte Deutsche gespalten
werden soll, dass Potsdamer Wannsee-Konferenzen wie- Das ist nämlich der Sinn Ihrer ganzen Lügen, die Sie jetzt
derholt werden – und all das im Jahr 2024. seit einer Stunde hier verbreitet haben.
(Jörn König [AfD]: Bleiben Sie mal bitte bei (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE
der Wahrheit! – Beatrix von Storch [AfD]: GRÜNEN]: Warum sind Sie denn nicht mehr
Rassentrennung? Also, bei Ihnen hackt’s in der Fraktion, Herr Farle? Warum sind Sie
doch!) denn fraktionslos, Herr Farle?)
Dieses Land, diese Gesellschaft ist stärker geworden. Erstens. Die „Correctiv“-Desinformationskampagne,
Wir sind wehrhafter geworden. Wir haben gelernt. Wir die Sie vor zwei Monaten gestartet haben, ist jämmerlich
werden Öffentlichkeit herstellen. Wir werden die Bür- krepiert.
gerinnen und Bürger nicht im Dunkeln lassen. Wir wer-
den Erkenntnisse teilen. Sie schämen sich dafür noch (Beifall bei Abgeordneten der AfD)
nicht einmal, weil Sie es im Inneren wollen. Sie grenzen Sie haben in der ganzen Bundesrepublik Deutschland
sich nicht ab, aber nicht, weil es um technische Prozesse viele Leute über eine Wannsee-Konferenz belogen, bei
geht, sondern weil Sie nicht in der Lage sind, Herrn Krah der über Deportationen gesprochen worden sein soll.
von der Liste zu bekommen Und wissen Sie was? Dort ist noch nicht einmal das
(Jörn König [AfD]: Das geht ja nun wirklich Wort „Deportationen“ gefallen. Sie belügen die Bevölke-
nicht!) rung in Deutschland aus ganz durchsichtigen Zwecken
der Wahlmanipulation.
oder Herrn Bystron dafür zu verurteilen, dass er Geld
angenommen hat. (Beifall bei Abgeordneten der AfD –
Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE
(Beatrix von Storch [AfD]: Haben soll!) GRÜNEN]: Da klatscht noch nicht mal Frau
Nein, im Kern, im Inneren wollen Sie es. Sie wollen das von Storch, Herr Farle!)
Monster schaffen, das diese Republik zum Scheitern Zweitens. Haldenwang hat im Innenausschuss gesagt,
bringt. Wir werden stärker sein. Und wir werden diesen dass er die Audiomitschnitte nicht hat, die der tschechi-
Rechtsstaat und diese Demokratie immer verteidigen. sche Geheimdienst angeblich hat und auf denen man
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ angeblich russisches Papier rascheln hört,
DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der
FDP – Frank Rinck [AfD]: Suchen Sie sich 1)
Ergebnisse Seite 21366 C
Deutscher Bundestag – 20. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. April 2024 21361
Robert Farle
(A) (Beifall des Abg. Gereon Bollmann [AfD]) Jetzt hat die Kollegin Dorothee Martin das Wort für die (C)
was vielleicht Rubel oder so etwas sein soll, die Herr SPD-Fraktion.
Bystron angeblich bekommen hat. Sie wissen gar nichts! (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
Es liegt nichts auf dem Tisch. Der Geheimdienst soll es des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der
doch mal präsentieren. FDP)
(Beifall bei Abgeordneten der AfD)
Kommen Sie doch mal mit Fakten! Und hören Sie auf, Dorothee Martin (SPD):
hier rumzulügen! Sehr geehrte Frau Präsidentin! Frau Ministerin! Kolle-
ginnen und Kollegen! Und vor allem liebe Gäste! Die
(Lamya Kaddor [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- AfD agiert gegen Deutschland. Die AfD ist Handlanger
NEN]: Warum sind Sie nicht mehr in der für ausländische Diktatoren. Die AfD ist keine Alterna-
AfD, Herr Farle?) tive für Deutschland. Sie beschreiben sich hier als „De-
Was können Sie eigentlich noch sagen, außer dass hier mokraten“ oder „Patrioten“. Dabei kann sich Ihr Spitzen-
ein Monster erschaffen worden sein soll? Wissen Sie, was personal – oder sollte man besser sagen: Spitzelpersonal?
das Monster ist? Das Monster ist diese Regierung aus –
Parteien, die zusammen noch nicht mal an den 40 Prozent
kratzen, (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS-
SES 90/DIE GRÜNEN – Stefan Keuter [AfD]:
(Beifall des Abg. Mike Moncsek [AfD]) Was für ein tolles Wortspiel!])
die es schafft, ein Volk zu regieren, unsere Bevölkerung noch nicht mal entscheiden, für welchen Diktator es jetzt
zu regieren, von denen 80 Prozent ihre Politik ablehnen. die größten Sympathien hat, meine Damen und Herren.
(Beifall bei Abgeordneten der AfD) Wir haben es gerade wieder in der Rede des Kollegen
Keuter gehört: Sie stellen sich hier im Plenum wahlweise
als die rechtsstaatlichen Saubermänner oder als die armen
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Opfer dar.
Herr Farle, Ihre Redezeit ist zu Ende gewesen.
Aber schauen wir uns das doch mal an. Das Gegenteil
ist nämlich der Fall. Drei Ihrer Mandatsträger sind rechts-
Robert Farle (fraktionslos):
kräftig verurteilt. Zehn Urteile sind gerade in Berufung,
Ich bedanke mich für den Hinweis und komme auch
und fast 30 Mitarbeiter Ihrer Partei haben Urteile in erster
zum Schluss.
Instanz, dabei geht es um Waffendelikte, um Körperver-
(B) (Lachen bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ letzung, Freiheitsberaubung. (D)
CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
und der FDP) (Zuruf von der SPD: Hört! Hört!)
Sie sind nicht die Opfer, Sie sind Täter. Sie sind Brand-
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: stifter, meine Damen und Herren.
Nein, es war schon Schluss. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der
Robert Farle (fraktionslos): FDP)
Ich verteidige hier die Demokratie; denn Sie ver-
Sie agieren in jeder Hinsicht gegen Deutschland und
suchen, diese Demokratie einzuschränken und die Mei-
gegen die Menschen in diesem Land.
nungsfreiheit zu zerstören.
Wie düster sähe es hier in Deutschland aus, wenn die
(Beifall der Abg. Dr. Christina Baum [AfD])
rechtsextremen Diktatorenfreunde der AfD was zu sagen
hätten? Machen wir mal einen kurzen Faktencheck: Mit
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: der AfD würden die Renten massiv sinken und das Ren-
Sie haben Ihre Redezeit jetzt um 26 Sekunden über- tenalter steigen. Mit der AfD gäbe es keinen Mindest-
zogen. Deswegen gehen Sie jetzt bitte vom Pult! lohn, keine Tarifverträge.
(Mike Moncsek [AfD]: Jetzt haben Sie Angst!)
Robert Farle (fraktionslos):
Es lebe die Demokratie und der Rechtsstaat. Mit der AfD wäre Deutschland kein EU-Mitglied mehr,
also wäre auch kein freies Reisen mehr möglich. Mit der
(Beifall bei Abgeordneten der AfD – AfD gäbe es hier den Euro nicht mehr, dafür aber Zölle
Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE auf deutsche Produkte, Abwanderung von Firmen und
GRÜNEN], an die AfD gewandt: Was Sie für massive Jobverluste.
Leute hier ins Parlament bringen, das ist wirk-
lich unfassbar!) (Beatrix von Storch [AfD]: Abwanderung von
Firmen haben wird doch jetzt durch Ihre Ener-
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: giepolitik!)
Herr Farle, es bringt auch nichts, neben dem Pult wei- Mit der AfD würden den Betrieben die dringend benötig-
terzusprechen. Bitte schaffen Sie die Möglichkeit, dass ten Fachkräfte aus dem Ausland fehlen. Und mit der AfD
hier die nächste Rednerin zu Wort kommen kann. würden Millionen Menschen aus der Mitte der Gesell-
21362 Deutscher Bundestag – 20. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. April 2024
Dorothee Martin
(A) schaft und aus unserem Land vertrieben werden, weil sie so jemand hat in politischer Verantwortung nichts zu (C)
Ihrem ekelhaften völkischen Weltbild nicht entsprechen. suchen. Wer gegen das eigene Land spioniert, muss zur
Rechenschaft gezogen werden.
(Jörn König [AfD]: Das ist eine Lüge!)
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
Man kann gar nicht oft genug sagen, wie widerlich diese des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Deportationsfantasien sind, meine Damen und Herren.
Meine Damen und Herren, die AfD wütet gegen unsere
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Freiheit, gegen unsere Demokratie, gegen die Menschen-
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der rechte. Die Schlussfolgerung daraus ist meines Erachtens
FDP) ganz einfach: Die AfD hasst Deutschland und will unse-
Liebe Bürgerinnen und Bürger, Sie sehen: Die AfD ist rem Land schaden. Aber seien Sie sich sicher: Der
eine reale Gefahr. Sie bedroht die Existenz und das Leben Rechtsstaat wird sich um die kriminellen und um die
von Millionen von Menschen. Unser Land, unser Wohl- spionierenden AfDler kümmern.
stand würden kollabieren. (Beifall bei der SPD)
(Mike Moncsek [AfD]: Das haben Sie doch Die größte Macht aber liegt bei Ihnen, bei den Bür-
alles schon geschafft!) gerinnen und Bürgern.
Unsere Demokratie, unsere Freiheit würden untergehen. (Mike Moncsek [AfD]: Richtig! Genau!)
Wir im Plenum hören und sehen das hier jeden Tag. Die Es liegt in Ihrer Hand:
AfD sitzt hier und arbeitet entweder gar nicht oder für
fremde Mächte. Das ist eine Gefahr für die Sicherheit (Beatrix von Storch [AfD]: So ist es!)
Deutschlands. Eine Stimme gegen die AfD ist eine Stimme für Deutsch-
land, ist eine Stimme für Wohlstand, für unsere Demo-
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
kratie, für unsere Freiheit.
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Stefan
Keuter [AfD]: Aber dafür haben wir mehr Pro- Vielen Dank.
zente als ihr!) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
Werden wir hier mal konkret. Zum Fall Bystron: Wenn DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der
sich ein AfD-Bundestagsabgeordneter kaufen lässt, um FDP – Stefan Keuter [AfD]: Wahlkampf hier!
als Komplize Putins hier russische Interessen durchzuset- Auf zum letzten Gefecht!)
zen, um Kriegspropaganda zu verbreiten, gefährdet das
(B) eindeutig die Sicherheit Deutschlands. Zum immer wie- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: (D)
derkehrenden Fall Höcke: Wenn der AfD-Fraktionsvor- Damit schließe ich die Aktuelle Stunde und bedanke
sitzende im Thüringer Landtag absichtlich – das ist kein mich bei allen.
Vergessen – die Rhetorik der SA und Hitlers nutzt, wenn
er den rechten Terrormob aufwiegelt, gefährdet das im- Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 13:
mer wieder die Sicherheit Deutschlands, meine Damen
und Herren. Beratung der Unterrichtung durch die Wehr-
beauftragte
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der Jahresbericht 2023 (65. Bericht)
FDP) Drucksache 20/10500
Und zum Fall Krah: Wenn ein AfD-Europaabgeord- Überweisungsvorschlag:
neter einen chinesischen Spion als seinen engsten Mit- Verteidigungsausschuss (f)
arbeiter einstellt, wenn er jahrelang im EU-Parlament Ausschuss für Inneres und Heimat
Sportausschuss
nicht nur für China lobbyiert, sondern auch immer wieder Rechtsausschuss
im Sinne Chinas abstimmt, gefährdet das die Sicherheit Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
Deutschlands.
Hierzu soll 39 Minuten debattiert werden.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Bevor wir zur Aussprache kommen, gebe ich das Wort
zunächst der Wehrbeauftragten des Deutschen Bundes-
Wen wundert es denn dann noch, dass gestern die Staats- tages, Frau Dr. Eva Högl.
anwaltschaft Dresden zwei Vorermittlungen gegen Herrn
Krah zu Zahlungen aus Russland und China eingeleitet (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
hat? Das, meine Damen und Herren, ist Verrat an unseren des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der
Interessen und Werten. FDP)
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
Dr. Eva Högl, Wehrbeauftragte des Deutschen Bun-
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des
destages:
Abg. Manuel Höferlin [FDP])
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
Und es reicht nicht, wenn die AfD-Spitze jetzt heuch- und Herren Abgeordnete! Sehr geehrter Herr Bundes-
lerisch versucht, ihren Spitzenmann im Europawahl- minister Pistorius! Ich grüße auch die Soldaten oben auf
kampf zu verstecken. So jemand hat in einem Parlament, der Tribüne.
Deutscher Bundestag – 20. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. April 2024 21363
Dr. Eva Högl, Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages
(A) (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, dem An dieser Stelle möchte ich ganz herzlich meinen Kol- (C)
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP) leginnen und Kollegen im Amt der Wehrbeauftragten
danken – einige sitzen dort –,
Heute ist ein richtig guter Tag für unsere Veteraninnen
und Veteranen, für unsere Bundeswehr. Denn es ist gran- (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, dem
dios, dass hier heute Mittag ein nationaler Veteranentag BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
beschlossen wurde. die mich bei der Erstellung des Jahresberichtes, bei der
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie Vorbereitung der Truppenbesuche unterstützen und diese
bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE begleiten und die die Eingaben bearbeiten. Jeden Tag
GRÜNEN und der FDP) kümmern sie sich engagiert mit viel Herzblut und Sorg-
falt um die Angelegenheiten unserer Soldatinnen und
Die Debatte war wirklich bewegend, und das war eine Soldaten.
wichtige Entscheidung. Ich freue mich schon heute auf Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, 2023
den 15. Juni im nächsten Jahr, den wir groß begehen ging es darum, unter Hochdruck die Einsatzbereitschaft
werden. unserer Bundeswehr herzustellen und die Rahmenbedin-
Meine Damen und Herren, sehr geehrte Abgeordnete, gungen zu verbessern: Material, Personal, Infrastruktur.
unsere Soldatinnen und Soldaten sind spitze. Sie leisten Ich nenne das im Jahresbericht die „Dauerbrenner“. Ich
jeden Tag ihren Dienst und erfüllen professionell, enga- sage schon jetzt: Es ist viel passiert, es ist viel auf den
giert, pflichtbewusst und kreativ ihren Auftrag. Auf un- Weg gebracht worden, aber es ist weiterhin noch viel zu
sere Bundeswehr ist Verlass. Wir können sehr stolz auf tun.
unsere Bundeswehr und sehr dankbar für sie sein. Ganz kurz ein Blick auf das Material. Man muss es so
zusammenfassen – das ist die Lage –: Die Bundeswehr
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
hat immer noch von allem zu wenig: Munition, Ersatz-
der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE
teile, Funkgeräte, Panzer, Schiffe, Flugzeuge.
GRÜNEN und der FDP)
(Beatrix von Storch [AfD]: Unterhosen!)
Im Jahr 2023 war unsere Bundeswehr wieder enorm
gefordert: Aber, meine Damen und Herren, es geht voran. Im Deut-
schen Bundestag wurden im vergangenen Jahr 55 25-
Erstens durch die Unterstützung der Ukraine. Die Ab- Millionen-Euro-Vorlagen im Wert von 47,7 Milliarden
gabe von Material reißt auch große Lücken in den Be- Euro beschlossen. Das ist richtig viel Geld. Die Truppe
stand unserer Bundeswehr. Und eine wirklich grandiose braucht dieses moderne Gerät. Deswegen sage ich: Es
(B) Leistung ist, dass im vergangenen Jahr 10 000 ukrainische (D)
geht voran, und es ist richtig gut.
Kräfte von unseren Soldatinnen und Soldaten ausgebildet
wurden. Das war herausragend. Ende des letzten Jahres waren zwei Drittel des Sonder-
vermögens gebunden, jetzt sind es sogar schon 99,9 Pro-
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten zent. Das Sondervermögen ist gebunden. Das muss jetzt
der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE bei der Truppe ankommen, und, sehr geehrte Damen und
GRÜNEN und der FDP) Herren Abgeordnete, das muss fortgesetzt und beschleu-
nigt werden.
Zweitens sind unsere Soldatinnen und Soldaten natür-
lich in der Landes- und Bündnisverteidigung gefordert. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
Sie zeigen massive Präsenz an der NATO-Ostflanke. Und DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der
2023 hatte die Bundeswehr die Führung der schnellen FDP)
Eingreiftruppe der NATO, VJTF, inne. Sie kennen das schon von mir; aber ich sage es noch
Und als Drittes möchte ich, nicht zu vergessen, das einmal, weil es so toll ist: Die persönliche Ausstattung,
internationale Krisenmanagement nennen. Auch da ist die moderne Kampfbekleidung und die Schutzausrüs-
die Bundeswehr weiterhin sehr gefordert. Wir erinnern tung – diese 2,4 Milliarden Euro kommen im wahrsten
uns an die Evakuierungsoperation im Sudan, das Ende Sinne des Wortes bei der Truppe an. Ich treffe sehr zu-
des Mali-Einsatzes. Dazu gehört auch der Krieg im Na- friedene Soldatinnen und Soldaten bei meinen Truppen-
hen Osten – er dauert an – und die Lage in Israel. besuchen. Das war eine wichtige Entscheidung.
Wir haben im Amt der Wehrbeauftragten im vergange- Stichwort „Infrastruktur“. Die Infrastruktur ist immer
nen Jahr 3 859 Vorgänge bearbeitet, davon waren 2 423 noch desolat. Die Verfahren sind zu kompliziert. Es
individuelle Eingaben von Soldatinnen und Soldaten. dauert zu lange, es gibt zu wenig Personal. Wir haben
Und wir haben 944 sogenannte meldepflichtige Ereig- im Verteidigungsausschuss am Mittwochmorgen intensiv
nisse verfolgt. Die Zahlen sind wie im Vorjahr. darüber diskutiert. Wir haben einen Investitionsbedarf
Ich habe 90 Truppenbesuche gemacht. Ein wichtiger von ungefähr 50 Milliarden Euro. Alle Bauverwaltungen
Teil meiner Aufgabe sind die Gespräche vor Ort in den schaffen pro Jahr 1,3 Milliarden Euro. Das dauert zu
Kasernen mit den Soldatinnen und Soldaten. Ich war lange, das muss beschleunigt werden.
123 Tage vor Ort bei der Truppe, im Inland und im Aus- Das Positive ist – ich bin dem Ministerium dafür auch
land: in Mali, Anfang des Jahres in Litauen, in Frank- sehr dankbar –: Es gibt jetzt einen Aktionsplan Infra-
reich, in Großbritannien, in den USA, und ich habe die struktur, es gibt Kraftanstrengungen, diese Lage zu ver-
„Gorch Fock“ in Portugal besucht. bessern und im Zusammenschluss mit den Bundeslän-
21364 Deutscher Bundestag – 20. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. April 2024
Wahlkampf auf Kosten der Bundeswehr können wir uns Die Forderung von Christian Mölling von der DGAP
nicht erlauben. nach einer sicherheitspolitischen Dekade trifft den Kern
unserer Zeit. Wir müssen unser Verständnis von Vertei-
Die Mehrheit der Deutschen unterstützt höhere Ver- digung erneuern und eine umfassende Gesamtverteidi-
teidigungsausgaben. Diesen Moment gilt es zu nutzen gung anstreben, wie es auch unsere skandinavischen
und eben nicht zu verspielen. Wenn der eigene Verteidi- und baltischen Partner bereits tun. Das erfordert eine
gungsminister 6,7 Milliarden Euro mehr fordert, dann Priorisierung – nicht für ein Jahr, nicht in der Form eines
macht er das ja nicht aus Lust und Laune, sondern weil Sondervermögens, sondern eben für einen deutlich län-
es zweifelsohne notwendig ist, dass die großspurigen geren Zeitraum; anders werden wir die Defizite bei der
Ankündigungen des Bundeskanzlers und anderer Kabi- Bundeswehr, dem Bevölkerungsschutz und der gesamt-
nettsmitglieder umgesetzt werden. Es ist leider keine gesellschaftlichen Resilienz nicht ausreichend adressie-
Überraschung, dass das Sondervermögen nicht ausreicht. ren können. Wir fordern dieses nicht, weil wir es wollen,
Ohne einen Aufwuchs des regulären Verteidigungshaus- sondern einzig und allein, weil wir es müssen.
haltes kann die Zeitenwende nicht gelingen, und das sa-
gen wir schon seit zwei Jahren. Sehr geehrte Frau Wehrbeauftragte, Ihr Bericht zeigt
wie jedes Jahr, wie gigantisch die Herausforderungen
(Beifall bei der CDU/CSU) sind, vor denen wir stehen. Ich möchte die Gelegenheit
Auch der Bericht der Wehrbeauftragten für das nicht ungenutzt lassen, um Ihnen und Ihrem Team für
Jahr 2023 zeigt das mal wieder. Zwar wird Geld allein Ihre wichtige Arbeit zu danken. Denn Ihr Bericht dient
nicht alle Probleme der Bundeswehr lösen, aber es ist die als dringend benötigter Realitätscheck, als Warnung, wie
weit Anspruch und Realität auseinanderklaffen, als An-
(B) Grundvoraussetzung für das Lösen des Großteils dieser lass, sich ehrlich zu machen, wenn es um den Zustand der (D)
Probleme. Wer mehr Material, mehr Personal und eine
zeitgemäße Infrastruktur will, wird nicht drumherum Bundeswehr geht, und schließlich auch als Beweis dafür,
kommen, mehr Geld für die Verteidigung zur Verfügung dass wir mehr tun müssen, um unsere Verteidigungs-
zu stellen. bereitschaft zu stärken. Es ist an der Zeit, dass wir mit
Taten auf diesen Bericht antworten.
(Otto Fricke [FDP]: Na, dann macht mal!)
(Beifall bei der CDU/CSU)
Da hilft es auch nicht, alles, was nicht bei drei auf dem
Baum ist, zu den Verteidigungsausgaben hinzuzurech-
nen, um krampfhaft die 2 Prozent zu erreichen. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Das Wort hat Merle Spellerberg für Bündnis 90/Die
(Otto Fricke [FDP]: Das ist ja wohl eine
Grünen.
NATO-Vorgabe! Was soll das denn?)
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Zinstilgungen für Staatskredite sowie Pensionen für ehe-
sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)
malige NVA-Soldaten erhöhen nicht die Kampfkraft der
Truppe und ändern übrigens auch nichts an den verrotte-
ten Kasernen. Merle Spellerberg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau
(Beifall bei der CDU/CSU – Torsten Herbst
Wehrbeauftragte! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es
[FDP]: Das machen alle NATO-Staaten so! –
gibt viele Punkte des Berichtes, die ich hier gerne anspre-
Otto Fricke [FDP]: Das ist eine NATO-Vor-
chen würde, doch ich möchte mich heute auf einen Punkt
gabe!)
konzentrieren.
Und ja, es liegt nicht nur am Geld; denn wir verwalten, 13 Prozent, das ist laut Jahresbericht der Wehrbeauf-
statt zu gestalten. Kürzlich meinte ein Soldat zu mir: Die tragten der Anteil der Frauen in den Streitkräften der
Zeitenwende ist in der Praxis mit den Prozessen und Vor- Bundeswehr. Die meisten von ihnen dienen in der Sanität.
schriften von vorvorgestern. Im tagtäglichen Betrieb 6 Prozent, das ist laut einer Umfrage der Anteil von
merke die Truppe nichts von den Ankündigungen hin- Frauen zwischen 16 und 29 Jahren, die sich im Jahr
sichtlich der Entbürokratisierung, der Entschlackung 2022 einen Dienst in der Bundeswehr vorstellen konnten.
und der Beschleunigung der Prozesse. Zwei Jahre zuvor waren es noch mehr als doppelt so
Ankündigungen gab es offenkundig viele. Aber wir viele. Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit sind wir
müssen uns mal vor Augen führen, dass in den letzten noch weit entfernt von den 20 Prozent, die sich das
zwei Jahren die Truppe um circa 2 000 Uniformträger BMVg ab 2024 als Zielmarke gesetzt hat.
21368 Deutscher Bundestag – 20. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. April 2024
Merle Spellerberg
(A) Der Anteil von Frauen in den obersten Führungsposi- lächerliche 39 Minuten zusammengeschrumpft. Der Zu- (C)
tionen ist leider ähnlich ernüchternd und lässt sich an stand der deutschen Streitkräfte ist für Sie offenbar nicht
exakt zwei Händen abzählen; denn es sind zehn Soldatin- viel mehr wert als eine kurze Kenntnisnahme.
nen, allesamt Ärztinnen im Sanitätsdienst. Das BMVg Aber wozu braucht man auch eine lange Debatte zu
führt dies darauf zurück, dass Frauen erst seit 2001 Sol- führen, wenn der Jahresbericht der Wehrbeauftragten
datinnen sein können. Liebe Kolleginnen und Kollegen, nicht wirklich Neues preisgibt? Die Bundeswehr ist wei-
angesichts der inzwischen über 23 Jahre, in denen Frauen terhin nicht wehrfähig. Die Materialabgaben an die
auch den Dienst an der Waffe ausüben können, ist dieses Ukraine wurden nicht kompensiert. Munition und Aus-
Argument meiner Meinung nach kaum noch haltbar. rüstung fehlen weiterhin im großen Stil. Das Personal der
In meinen Gesprächen mit Soldatinnen und den Streitkräfte schrumpft unbeirrt weiter. Und die 100 Milli-
Gleichstellungsbeauftragten wird eines immer wieder arden Euro Sonderschulden sind bereits so gut wie auf-
klar: Es muss ein grundlegendes Umdenken und struktu- gebraucht.
relle Änderungen in der Bundeswehr geben. In diesem Kurz gesagt: Die groß angekündigte Zeitenwende war
Kontext wundere ich mich nicht über die niedrigen ein einziger Rohrkrepierer. Und das ganze Gefasel von
Zahlen. Denn wenn Kinderbetreuung immer noch als Kriegstüchtigkeit ist doch nichts anderes als das typische
Frauensache gilt, wenn männliche Kameraden an den Geschwätz von Politikern, wie wir es in der Bundespoli-
Fähigkeiten von Soldatinnen, insbesondere in Führungs- tik seit Jahrzehnten kennen. Alles wie immer: große Rhe-
positionen, zweifeln, wenn sexualisierte Gewalt und torik, viel Symbolik und keine Wirkung, meine Damen
Übergriffe nicht immer angemessen untersucht und ver- und Herren.
folgt werden und Konfliktsituationen in den meisten Fäl-
len zur Versetzung der Frauen führen, dann wundert man (Beifall bei der AfD – Zuruf des Abg.
sich nicht. Dr. Karamba Diaby [SPD])
Wir müssen mehr tun. Wir brauchen eine gelebte Ver-
einbarkeit von Familie, Pflege und Dienst in der Bundes- „Viel Symbolik“ und „keine Wirkung“, das sind auch
wehr und entsprechende Strukturen. Auch Soldaten muss genau die Stichworte, bei denen einem sofort die Vor-
vermittelt werden, dass sie Elternzeit nehmen können, sitzende des Verteidigungsausschusses, Frau Strack-
und zwar nicht nur durch das Ansparen von Stunden Zimmermann, in den Sinn kommt. Und viel Symbolik
auf Langzeitkonten. Ihnen muss vermittelt werden, dass ist es übrigens auch, wenn die Vorsitzende des Verteidi-
auch sie Verantwortung für Sorgearbeit tragen können. Es gungsausschusses es nicht einmal für nötig hält, an dieser
braucht familienfreundlichere Arbeitszeit- und Karriere- Debatte heute hier teilzunehmen.
modelle, auch und gerade in Zeiten von Landes- und (Beifall bei der AfD)
(B) Bündnisverteidigung. (D)
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Liebe Frau Strack-Zimmermann, wo immer Sie sich
sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP) auch gerade befinden: Anstatt die Bürger auf öffentlichen
Wahlkampfveranstaltungen zu beschimpfen, sollten Sie
Die Wehrbeauftragte hat es ausgeführt: In anderen Be- sich doch mal ehrlich machen. Lassen Sie Ihren Worten
reichen hingegen – das sollte man anerkennen – zeigt der endlich Taten folgen! Wenn Sie doch so versessen darauf
Bericht wichtige Fortschritte und Erfolge auf – ein Zei- sind, in den Krieg zu ziehen, dann hauen Sie doch im Juni
chen, dass die Zeitenwende nicht nur auf dem Papier nicht feige ab ins EU-Parlament nach Brüssel, sondern
steht. Für die wertvolle und wichtige Arbeit der Wehr- ziehen Sie sich endlich eine Uniform an, setzen Sie sich
beauftragten möchte ich mich ganz herzlich bei ihr und einen Helm auf den Kopf, und dann machen Sie sich auf
ihrem Team bedanken – in puncto Gleichstellung durch- den Weg in die Ukraine.
aus ein Vorbild für das BMVg.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall bei der AfD – Merle Spellerberg
sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Uniform dür-
fen Sie ja nicht mehr tragen!)
Ich freue mich, weiterhin gemeinsam am Wohl unserer
Soldatinnen und Soldaten zu arbeiten. Dort können Sie dann gerne für die Ukraine kämpfen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Aber lassen Sie doch bitte die Bürger dieses Landes mit
sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP) Ihrer unsäglichen Kriegsrhetorik in Ruhe! Die Deutschen
wollen Frieden und keinen Krieg, meine Damen und
Herren.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Vielen Dank, Frau Spellerberg. – Jetzt hat Hannes (Beifall bei der AfD sowie des Abg. Robert
Gnauck das Wort für die AfD. Farle [fraktionslos])
(Beifall bei der AfD) Auch die Kollegen der CDU/CSU können nicht aus
ihrer antideutschen Haltung heraus. Der Abgeordnete
Hannes Gnauck (AfD): Roderich Kiesewetter wurde vor ein paar Tagen in einem
Frau Präsidentin! Frau Wehrbeauftragte! Meine Da- Interview gefragt, was denn seine ersten Maßnahmen
men und Herren! Wie wichtig den Regierungsparteien wären, um die Bundeswehr wieder wehrfähig zu machen.
die wehrpolitische Wende in Deutschland ist, das sehen Das Erste, was Herrn Kiesewetter auf diese Frage einfällt,
wir nicht zuletzt an dieser Debatte; die ist nämlich auf ist: Die Ukraine müsse nun stärker unterstützt werden.
Deutscher Bundestag – 20. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. April 2024 21369
Hannes Gnauck
(A) Die Union bereitet ja seit Anfang dieses Jahres die Der Phantomschmerz des Kollegen Gnauck darüber, (C)
nächste schwarz-grüne Kriegstreiberkoalition vor und dass er keine Uniform mehr anziehen darf, sich hier
stellt in nahezu jeder Sitzungswoche Anträge zum Bei- zwar immer als der schneidige Unteroffizier präsentiert,
spiel zur Lieferung von Taurus oder anderen Waffensys- (Beifall bei Abgeordneten der FDP und des
temen oder Anträge, die absurde Titel tragen wie „Der BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Ukraine zum Sieg verhelfen“. Ab 2025 wollen uns dann
Friedrich Merz, Robert Habeck und Ricarda Lang und aber nicht mal mehr in Kasernen gehen darf, während die
Konsorten endgültig in den Dritten Weltkrieg führen. Kollegin Strack-Zimmermann jede Woche eine Kaserne
Die einzige politische Kraft, die sich für Frieden und besucht, muss schon immens sein.
Freiheit des deutschen Volkes einsetzt, ist und bleibt die (Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜND-
AfD, meine Damen und Herren. NIS 90/DIE GRÜNEN – Hannes Gnauck
(Beifall bei der AfD – Torsten Herbst [FDP]: [AfD]: Ich fühle mich hier wohl! – Gerold
… die sich für Putin einsetzt! – Patrick Otten [AfD]: Da gibt es genügend, die die Uni-
Schnieder [CDU/CSU]: Können Sie das auch form verweigert haben! – Weiterer Zuruf von
auf Chinesisch sagen?) der AfD: Taurus-Zimmermann!)
Wir sehen: Sie alle hier kriegen die verteidigungspoli- Wollen wir uns wieder dem Thema widmen, um das es
tische Wende nicht gebacken, weil man dafür zumindest heute geht, nämlich dem Bericht der Wehrbeauftragten.
einen Funken von Vaterlandsliebe und nationalem Durch- Ich danke nicht nur der Wehrbeauftragten, sondern auch
setzungswillen bräuchte. Und wenn von der CDU bis zur der Union, dass wir heute mal zur Sache diskutieren
Linken eines fehlt, dann ist es der Bezug zu Deutschland können und nicht parteipolitische Nebenanträge bei die-
als Vaterland und ein Pathos für das Heroische. sem wichtigen Bericht der Wehrbeauftragten zu erörtern
haben.
(Beifall des Abg. Mike Moncsek [AfD])
(Dietmar Friedhoff [AfD]: Wo ist denn die
Das können Sie vielleicht bei den Ukrainern bewundern, Zeitenwende, Herr Müller?)
und das durchaus zu Recht. Aber für unser Land wollen
Sie das nicht. Ich danke Frau Högl, dass sie so umfangreich die Lage
der Truppe beschrieben hat.
Die Bundeswehr braucht und verdient endlich eine
würdige Führung. Für den Respekt und den Wiederauf- Dazu gehören natürlich – jetzt fangen wir mit den
bau des Soldaten, dafür setze ich mich und setzt sich guten Sachen an – die Fortschritte bei der persönlichen
meine Partei ein. Schluss mit den Waffenlieferungen in Ausrüstung. Diese erlebt man, wenn man die Truppe be-
sucht. Die Kollegin Vieregge hat eben hier kundgetan,
(B) Kriegsgebiete! Wir brauchen alles Material, jeden Mann dass sie das noch nicht mitbekommen hatte. Ich kann (D)
und jede Frau hier in Deutschland. Es ist doch eigentlich
ganz einfach, meine Damen und Herren. Draußen am nur empfehlen, mal zur Truppe zu gehen, in die Kasernen
Reichstagsgebäude steht „Dem deutschen Volke“, nicht zu gehen.
„Alles für die Ukraine“, (Kerstin Vieregge [CDU/CSU]: Da war ich am
(Sara Nanni [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Montag!)
Und wer bezahlt Sie in der AfD? – Gegenruf Die Lage ist wirklich deutlich besser geworden. Das
der Abg. Serap Güler [CDU/CSU]: China und werden Ihnen die Soldatinnen und Soldaten bestätigen.
Russland!) Bei der persönlichen Ausrüstung, bei den Dingen des
nicht „Alles für fremde Streitkräfte“, nicht „Alles für täglichen Bedarfs ist es deutlich besser geworden. Die
Interventionskriege in der ganzen Welt“, sondern alles 100 Milliarden Euro kommen bei der Truppe an. Die
für die Landesverteidigung und alles für, wenn man das Fortschritte sind erkennbar. Das ist ein Fortschritt, den
noch sagen darf, die Bundeswehr. wir sehen.
Vielen Dank. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
der SPD)
(Beifall bei der AfD sowie des Abg. Robert
Farle [fraktionslos]) Zu den in der Tat großen Problemen der Bundeswehr
gehört die Infrastruktur. Frau Högl nennt das den Dauer-
brenner, und das mit Recht.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
(Kerstin Vieregge [CDU/CSU]: Sie nennt das
Das Wort hat Alexander Müller für die FDP-Fraktion. verrottete Kasernen!)
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Es ist tatsächlich so, dass es bei neuen Gebäuden für die
der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- Bundeswehr ewig dauert. Wir reden da über viele Jahre.
NEN) Woran liegt es? Es liegt daran, dass die Landesbauämter
für die Planung zuständig sind. Es ist natürlich verständ-
Alexander Müller (FDP): lich, dass diese Gebäude bei den Landesbauämtern, die
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Wehrbeauftragte! jeweils der Landesregierung unterstehen – eine Landes-
Liebes Team Wehrbeauftragte! Heute wollen wir über die regierung hat wenig Interesse, in ihrem Land Munitions-
Leistungen und den Bericht der Wehrbeauftragten spre- depots, ein Sprengstofflager oder einen militärischen
chen. Ich muss trotzdem vorher noch kurz auf den Vor- Flughafen zu bauen –, ganz niedrig priorisiert sind; das
redner eingehen. ist ganz klar.
21370 Deutscher Bundestag – 20. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. April 2024
Alexander Müller
(A) Solange wir aus dieser Abhängigkeit nicht rauskom- deswehr jetzt erstmalig erbringt und bei denen man wirk- (C)
men, drehen wir uns immer im Kreis. Wir müssen es lich anerkennen muss: Die Bundeswehr ist große Schritte
schaffen, dass wir genauso wie bei Bundesautobahnen, vorangekommen und ist wirklich leistungsfähig.
genauso wie bei ICE-Strecken – mittlerweile regeln wir (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der
bei Windrädern, dass wir die Abstände auf Bundesebene SPD)
festlegen – davon wegkommen, dass jedes Bundesland
seine eigenen Bauordnungen für Kasernen durchsetzen Deswegen will ich zum Schluss an junge Menschen,
darf, jedes Bundesland seine eigene Brandschutzordnung die heute zuschauen und die sich überlegen, welchen
durchsetzen darf. Vielmehr müssen wir das bundesein- Beruf sie in Zukunft ergreifen wollen, appellieren: Schaut
heitlich machen, bundeseinheitlich steuern euch mal um im Karrierecenter der Bundeswehr! Das ist
eine super Idee. Es gibt bei der Bundeswehr ganz viele
(Patrick Schnieder [CDU/CSU]: Ja, dann ma- attraktive Berufe. Man kann bei der Bundeswehr auf
chen Sie es doch!) Kosten der Bundeswehr studieren. Man kann den Master
und vielleicht auch eine gesetzliche Grundlage dafür und den Meister bei der Bundeswehr machen. Es ist ein-
schaffen. Dann kommen wir mit der Infrastruktur für fach ein anderer Job, Soldat zu sein. Es ist ein Unter-
die Bundeswehr schneller voran. schied, ob man in einem Bürohochhaus im Großraum-
(Beifall bei Abgeordneten der FDP) büro versauert oder ob man auf einer Fregatte der
Bundeswehr im Roten Meer an der frischen Luft unsere
Ein weiterer, wichtiger Punkt im Bericht ist die Wert- Seewege sichert oder an einer Operation teilnimmt, –
schätzung für unsere Soldatinnen und Soldaten. Da hat
sich in letzter Zeit einiges getan; darauf hat Frau Högl
auch hingewiesen. Heute ist ein ganz wichtiger Tag. Wir Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
haben den Veteranentag für unsere Soldatinnen und Sol- Herr Kollege.
daten beschlossen, was ganz wichtig für die Wertschät-
zung ist. Aber auch die Invictus Games – Frau Högl hat Alexander Müller (FDP):
sie genannt – waren ganz wichtig. – um Familien aus Afrika zu evakuieren. Das ist ein
Da ist heute hier schon Legendenbildung betrieben ganz anderes Arbeiten. Überlegen Sie sich das!
worden. Wir haben aus der Union gehört, dass angeblich
eine Unionsministerin das vorangetrieben hätte. Da wol- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
len wir doch mal die Fakten sortieren. Es war der Kollege Herr Kollege, Sie kommen zum Ende, bitte.
Marcus Faber, der diese Idee in der letzten Saison hier
(B) eingebracht hat; sie wurde von der Union im Bundestag Alexander Müller (FDP): (D)
abgelehnt.
Ich komme zum Ende. – Ich bedanke mich bei der
(Zurufe von der CDU/CSU: Oh!) Wehrbeauftragten. Ich bedanke mich bei all unseren Sol-
Einen Monat später wurde per Copy-und-paste unser An- datinnen und Soldaten. Es gibt noch viel zu tun. Wir
trag von der Union wieder aufgegriffen; er ist durch- werden weiter daran arbeiten.
gekommen. Dann wollte Annegret Kramp-Karrenbauer Vielen Dank.
in Köln das Event machen, die Kölner wollten es aber
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
nicht. Marie-Agnes Strack-Zimmermann hat dafür ge-
der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ-
kämpft, dass es nach Düsseldorf kommt, und es ist ein
NEN)
ganz tolles Event geworden, ein großer Erfolg für unsere
Soldatinnen und Soldaten, das muss man sagen. Es war
wirklich klasse, dass das letztes Jahr dort stattgefunden Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
hat. Der Kollege Florian Hahn hat das Wort für die CDU/
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten CSU-Fraktion.
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der CDU/CSU)
Die Bundeswehr erlebt eine Zeitenwende, es passieren
historische Dinge, das muss man sagen. Wir installieren Florian Hahn (CDU/CSU):
jetzt eine Brigade bei einem Bündnispartner, in Litauen, Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
und stationieren dort 4 000 Bundeswehrsoldatinnen und Kollegen! Liebe Frau Wehrbeauftragte! Der vorgelegte
-soldaten. Wer hätte vor wenigen Jahren gedacht, dass Bericht der Wehrbeauftragten ist ein umfassender und
wir so vorbildlich in unserem Bündnis vorangehen wür- vor allem neutraler Gradmesser für den Zustand und für
den und Verantwortung für unsere Sicherheit überneh- die Probleme der Truppe. Ich danke der Wehrbeauftrag-
men? ten und ihren Mitarbeitern ganz ausdrücklich auch im
Auch die beiden letzten Einsätze – sie sind teilweise im Namen der Unionsfraktion für die geleistete Arbeit. Sie
Bericht der Wehrbeauftragten genannt worden –, die Eva- ist wichtig für uns, für unsere parlamentarische Arbeit
kuierung von Familien aus dem Kriegsgebiet im Sudan, hier im Hohen Hause.
die die Bundeswehr hervorragend gemeistert hat, und die Dieser Bericht und auch die öffentliche Debatte zeigen
Mission Aspides, von der gerade unsere Fregatte aus dem eins ganz deutlich: Die Bundeswehr wird daran gemes-
Roten Meer zurückkommt, wo sie ganz hervorragend die sen, ob sie einsatz- und kriegsfähig ist, ob sie zur Landes-
Seewege gesichert hat, sind Leistungen, die unsere Bun- und Bündnisverteidigung in der Lage ist. Nicht Einzel-
Deutscher Bundestag – 20. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. April 2024 21371
Florian Hahn
(A) themen, die alle für sich gesehen natürlich ihre Relevanz ziell bräuchte und was Sie als Minister in der Lage sind, (C)
haben, sondern strukturelle Fragen rund um die Auftrags- in dieser „Fortschrittskoalition“ tatsächlich zu erkämp-
erfüllung stehen im Vordergrund dieses Berichts. fen.
Wie fällt die Bilanz der Arbeit der Bundesregierung im (Beifall bei der CDU/CSU)
Berichtszeitraum aus? Sie ist ernüchternd, um nicht zu
sagen: verheerend. Von einer echten Zeitenwende ist bei
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
der Truppe immer noch nichts zu spüren. Vielen Ankün-
digungen durch den Kanzler oder den Minister folgten zu Herr Kollege, Sie kommen zum Ende, bitte.
viele Enttäuschungen. Ob das 2-Prozent-Ziel, die Brigade
Litauen, die Strukturreform der Bundeswehr oder Fragen Florian Hahn (CDU/CSU):
der materiellen Vollausstattung: Zu wenig von Substanz Also deshalb bloß nicht zu hohe Forderungen erheben
wurde bisher eingeleitet und umgesetzt, zu wenig kommt und zu hohe Erwartungen erzeugen! Sehr geehrter Herr
bei der Truppe tatsächlich spürbar an, und die Infrastruk- Minister Pistorius, –
tur ist in einem katastrophalen Zustand, wie es auch die
Wehrbeauftragte heute an dieser Stelle noch mal deutlich Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
gemacht hat.
Herr Kollege!
So ist die Bundeswehr heute nicht einsatzbereiter als
vor dem Einmarsch der russischen Streitkräfte in die
Florian Hahn (CDU/CSU):
Ukraine in 2022. Die Soldatinnen und Soldaten haben
– so machen Sie die Bundeswehr nicht kriegstüchtig,
nicht mehr Munition und Ausrüstung als vorher. Im Ge-
und offensichtlich sind Sie selbst nicht kriegstüchtig ge-
genteil: Durch die Abgabe von Material an die Ukraine
nug, –
sieht es zuweilen sogar schlechter aus, weil wir anders als
andere nicht in der Lage oder willens sind, sofort nach-
zubeschaffen, weil Sie, liebe Bundesregierung, nicht wil- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
lens oder in der Lage sind, sich untereinander abzustim- Herr Kollege!
men und in allen Ressorts die Voraussetzungen für eine
gesamtstaatliche Verteidigung zu schaffen. Die Bundes- Florian Hahn (CDU/CSU):
wehr leidet darunter am meisten. – um sich gerade in Ihren eigenen Reihen durchzuset-
Nichts zeigt die Führungsschwäche der Regierung und zen.
das Ausmaß der rhetorischen Nebelkerzen deutlicher als
(Dr. Karamba Diaby [SPD]: Na, na, na! –
(B) das Herumtänzeln um das politische Kernproblem: die Marianne Schieder [SPD]: Machen Sie es bes- (D)
nachhaltige Finanzierung der Bundeswehr. Ist diese Re-
ser!)
gierung bereit, die politischen Prioritäten richtig, und
zwar so zu setzen, wie sie es selbst in ihren Reden zur
Zeitenwende fordert? Die Antwort ist eindeutig: Nein. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Denn diese Regierung weigert sich, das Thema Sicherheit Herr Kollege Hahn!
und die Finanzierung der Bundeswehr zur Priorität eins
zu machen. Die einzige Antwort, die Ihnen an dieser Florian Hahn (CDU/CSU):
Stelle einfällt, sind neue Stellen. Friedensdividende plus Vielen Dank.
Zeitenwende plus weitere Ausgaben für den Sozialstaat
bedeuten, dass die nächste Schuldenkrise vorprogram- (Beifall bei der CDU/CSU)
miert ist. Da kann ich Ihnen nur sagen: Putin wird genau
dieses freuen. Dazu dürfen wir es nicht kommen lassen. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
(Beifall bei der CDU/CSU) Für Die Linke spricht Dr. Dietmar Bartsch.
Auch die Wehrbeauftragte, völlig unverdächtig, Teil (Beifall bei der Linken)
parteipolitischer Auseinandersetzungen zu sein, fordert –
ich zitiere – „eine deutliche Erhöhung des Verteidigungs- Dr. Dietmar Bartsch (Die Linke):
etats in einer Größenordnung von mehreren Milliarden Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
Euro“. Minister Pistorius fordert für 2025 wieder einen Frau Wehrbeauftragte! Es ist erst mal gut, dass es die
Aufwuchs seines Etats. Er sprach vorhin an dieser Stelle Wehrbeauftragte gibt, und es ist gut, dass es ihr Amt gibt.
von mehreren Milliarden, aber er gab auch schon einen Ich will auch im Namen der Linken den Mitarbeiterinnen
Aufwuchs in Höhe von 6,7 Milliarden Euro zu Protokoll. und Mitarbeitern ganz herzlichen Dank für ihre Arbeit
Letztes Jahr hatte er sich noch für das Haushaltsjahr 2024 sagen.
10 Milliarden Euro gewünscht und nicht mal den Aus-
gleich für die höheren Gehälter bekommen, also prak- (Beifall bei der Linken)
tisch nichts. Herr Minister, weshalb fordern Sie dann Ich will mich auch ausdrücklich bedanken, dass es diesen
diesmal so einen mickrigen Betrag? Sie wissen doch Bericht gibt. Liebe Frau Högl, wenn ich eine Anregung
ganz genau, dass das hinten und vorne nicht reichen kann. geben darf: Natürlich muss es Lob und Kritik geben, aber
Sonst so schneidig und jetzt so zurückhaltend? Ich glau- vielleicht könnten Sie ein ganz klein wenig mehr in Rich-
be, Sie haben Angst, gemessen zu werden – gemessen zu tung Kritik gehen. Das ist nur eine Anregung; mehr will
werden an dem, was die Bundeswehr tatsächlich finan- ich gar nicht sagen.
21372 Deutscher Bundestag – 20. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. April 2024
Philip Krämer
(A) Dementsprechend irritiert es mich dann doch etwas, dass (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- (C)
Sie genau das kritisieren. Vielmehr sind Sie eher durch SES 90/DIE GRÜNEN, der SPD, der CDU/
die Leugnung der Existenzberechtigung des Kosovo auf- CSU und der FDP)
gefallen, was, glaube ich, eher zeigt, welche ideologische Sehr geehrte Damen und Herren, auch die Invictus
Nähe Sie zu despotischen Staaten haben. Games in Düsseldorf haben ein Schlaglicht auf die
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Schicksale, die Sorgen und die Bedürfnisse der Einsatz-
bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeord- versehrten geworfen. Jahrelange Verzögerungen bei ver-
neten der CDU/CSU) dienten Auszeichnungen, teilweise seit dem Kosovokrieg
vor 25 Jahren, Fälle von nicht greifenden Versicherun-
Der Jahresbericht der Wehrbeauftragten ist Gradmes- gen, all das sind Themen, bei denen wir besser werden
ser für den Stand der Zeitenwende geworden. Er er- müssen. Bei allem Fortschritt, den der Bericht aufzeigt,
möglicht den Soldatinnen und Soldaten, auf Missstände macht er auch klar: Hier müssen wir besser werden. Denn
aufmerksam zu machen und Verbesserungsvorschläge all das signalisiert nicht gerade Wertschätzung für den
einzureichen. Gleichzeitig ist er auch eine praktische Prü- Preis, den diese Menschen zur Erfüllung ihres Auftrages
fung unserer Arbeit im Verteidigungsausschuss wie auch zahlen und gezahlt haben. Als Bundeswehr und Verteidi-
der Arbeit des Ministeriums. Dadurch wird die Bundes- gungsministerium, als Deutscher Bundestag, als Gesell-
wehr noch besser in unser demokratisches System ein- schaft sind wir das unseren Soldatinnen und Soldaten
gefasst. Liebe Frau Högl, ich danke Ihnen sowie Ihrem schuldig.
Team für die Erstellung dieses Jahresberichtes.
Herzlichen Dank.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
bei der SPD und der FDP) bei der SPD und der FDP)
Aus dem Jahresbericht der Wehrbeauftragten gehen
erfreuliche Dinge hervor. Die Aufstellung der Heimat- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
schutzverbände schreitet voran. In Hessen beispielsweise Vielen Dank. – Damit schließe ich die Aussprache.
hat das Landeskommando ein besonders arbeitgeber-
freundliches Konzept erarbeitet. Dies hat zu überdurch- Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
schnittlichen Bewerberzahlen für das Heimatschutzregi- Drucksache 20/10500 an die in der Tagesordnung auf-
ment 5 mit beigetragen. Das ist ein gutes, ein wichtiges geführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Damit sind Sie
Signal in der Zeitenwende. einverstanden. Dann werden wir so verfahren.
Gleichwohl gibt es im Heimatschutz und in der Re- Ich komme zum Tagesordnungspunkt 22:
(B) serve Zustände und Vorgänge, die sich demotivierend (D)
auf die Einsatzbereitschaft der Frauen und Männer aus- Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/CSU
wirken: Wartezeiten von einem Jahr und länger, bis Ein-
zelne nach Grundwehrdienst oder Ausbildung im Hei- Für eine ambitionierte und strategische inter-
matschutz einen Beorderungsdienstposten zugewiesen nationale Digitalpolitik
bekommen; Wartezeiten von einem Jahr und länger, um
überhaupt Gefreiter werden zu können; lange Vorlauf- Drucksache 20/10979
zeiten und Verfahrensdauern von mehreren Monaten Überweisungsvorschlag:
und Jahren bei Heranziehungen. Fehlende Ausstattung Ausschuss für Digitales (f)
Auswärtiger Ausschuss
zum Durchführen von Übungen und fehlende Infrastruk- Ausschuss für Inneres und Heimat
tur sind fortwährende Ärgernisse für die übenden Reser- Wirtschaftsausschuss
Verteidigungsausschuss
vedienstleistenden. So muss zum Beispiel der hessische Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Heimatschutz für die Ausbildung nach Thüringen aus-
weichen.
Es ist vorgesehen, 39 Minuten zu debattieren.
Auch wenn Heimatschutz und Reserve zur Erfüllung
Das Wort für die CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege
ihrer Aufträge sicherlich nicht den Ausrüstungsstandard
Nicolas Zippelius.
benötigen wie die aktive Truppe an der Ostflanke oder im
Auslandseinsatz: Zur Steigerung der Motivation bedarf (Beifall bei der CDU/CSU)
es der qualitativen Verbesserung der Ausstattung auch
in der Reserve. Nicolas Zippelius (CDU/CSU):
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten
sowie bei Abgeordneten der SPD und der Damen und Herren! Das Medienecho, das die verspätete
FDP – Beatrix von Storch [AfD]: Warum ha- Veröffentlichung der Strategie für internationale Digital-
ben Sie eigentlich nicht gedient?) politik begleitete, war genauso wie der Inhalt der Strate-
gie: verschwindend gering. Statt klarer Ziele und Maß-
– Frau Storch, anders als der Vertreter, den Sie hier an das nahmen gab es kaum zu übertreffende Plattitüden und
Redepult entsandt haben, darf ich im Heimatschutz in keinerlei Einblicke, was die sogenannten handlungslei-
Hessen eine Uniform tragen. Ich glaube, das ist der Un- tenden Grundsätze in der Praxis bedeuten. Ich wiederhole
terschied zwischen uns. Und anders als Sie würde ich den einleitenden Satz der am 7. Februar 2024 beschlos-
auch Ihre Freiheit verteidigen, wenn es denn zu einem senen Strategie für internationale Digitalpolitik – ich zi-
Ernstfall käme. tiere –:
Deutscher Bundestag – 20. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. April 2024 21375
Nicolas Zippelius
(A) „Das globale Digitalzeitalter eröffnet enorme Mög- Ebenso besorgniserregend ist die steigende Relevanz (C)
lichkeiten, stellt aber alle Akteure auch vor Heraus- von Chinas eigenem Normierungsstandard, Beispiel:
forderungen.“ China Compulsory Certification. Laut Bitkom exportie-
ren knapp ein Drittel der deutschen Unternehmen digitale
Für jede Banalität wie diese in der Strategie nur einen Technologien bzw. Leistungen ins Ausland, 43 Prozent
Euro, dann müsste die Ampel keine Diskussionen über davon nach China. In ihrer Antwort auf eine kürzlich von
die Abschaffung der Schuldenbremse mehr führen. mir gestellte schriftliche Einzelfrage gibt die Bundes-
regierung selbst zu: In vielen Fällen erschwert die China
(Beifall bei der CDU/CSU) Compulsory Certification das Tätigwerden ausländischer
Unternehmen auf dem chinesischen Markt. – Insoweit ist
Neben der Abwesenheit klarer Zielvorstellungen, eine China Compulsory Certification ein technisches
überprüfbarer Maßnahmen oder der Benennung eines Handelshemmnis für den freien Warenverkehr. Diese
konkreten Zeitraumes für die Umsetzung sind drei kon- Umstände werden in der Strategie deutlich herunter-
krete Schwachstellen der Strategie aus Sicht der CDU/ gespielt, was inakzeptabel ist, wenn es darum geht, die
CSU-Fraktion von der Bundesregierung zu beheben: deutsche digitale Souveränität, die Innovations- und
Erstens. Die geopolitische Realität muss stärker be- Wettbewerbsfähigkeit langfristig international zu sichern.
rücksichtigt werden, insbesondere die zunehmende Be- (Beifall bei der CDU/CSU)
drohung durch Cyberangriffe, Desinformation und neue
technologische Anforderungen, zum Beispiel Satelliten- Dritter Punkt. Es ist eine Reduktion des Zuständigkeit-
konstellationen. Denn autoritäre Staaten versuchen on- schaos innerhalb der deutschen Digitalpolitik geboten
line mehr und mehr, ihre eigenen Menschenrechtsverlet- anstatt einer weiteren Verstärkung; denn zu keiner der
zungen zu verschleiern, Wahlen zu beeinflussen oder zwölf Strategien aus acht Ministerien mit Schnittstellen
gegenläufige Meinungen zu zensieren. zur internationalen Digitalpolitik wurden Synergien, Ab-
grenzungen oder Koordinationspläne aufgezeigt. Kurz
Laut Freedom-House-Index hat sich die weltweite In- und knapp: Beenden Sie Ihr Federführungsbingo, und
ternetfreiheit 2023 das 13. Jahr in Folge verschlechtert. bringen Sie endlich Stringenz in die deutsche Digitalpoli-
Dies ist im Kontext der kommenden Landtags- und Eu- tik, meine Damen und Herren!
ropawahlen von besonderer Relevanz, da laut einer Um-
frage von Luminate 71 Prozent der Deutschen wegen (Beifall bei der CDU/CSU – Maximilian
einer möglichen Beeinflussung von Wahlergebnissen Funke-Kaiser [FDP]: Bingo!)
durch KI und Deepfake-Technologie besorgt sind. Ange- Mit unseren im Antrag formulierten Aufforderungen
sichts dieser Bedrohung und der daraus resultierenden an die Bundesregierung stellen wir dafür entsprechend
(B) Verunsicherung in der Bevölkerung reichen Lippenbe- die Weichen. Wir fordern, klare strategische Ziele und (D)
kenntnisse nicht mehr aus. Wir brauchen klare, interna- Maßnahmenkataloge zu entwickeln, sich aktiv interna-
tional abgestimmte Maßnahmen, um diesen besorgnis- tional weniger besetzten Themen wie der digitalen Au-
erregenden Entwicklungen entgegenzuwirken, meine ßenpolitik oder dem digitalen Handel zu widmen und
Damen und Herren. neue Wege zu finden, etablierte Politikbereiche wie die
(Beifall bei der CDU/CSU) Normierung zu bespielen, systemische Konkurrenzen im
digitalpolitischen Bereich konkret zu benennen und aus-
Denn was passiert, wenn wir nicht stärkere Maßnah- zuformulieren sowie anzugehen, sich auch auf europäi-
men gegen die Beeinflussung von außen treffen? Das scher Ebene bei der Gestaltung und Realisierung der
beste Beispiel dafür sitzt hier zu meiner Rechten im Saal. europäischen Digitalpolitik als aktiver und vollwertiger
Russland, China, vielleicht noch Nordkorea oder der Iran, Partner einzubringen und bei systemrelevanten Themen
die „Alternative für alle außer Deutschland“ wie den im Rahmen der G-7-Treffen vereinbarten ver-
tieften Kooperationen zur Stärkung der Resilienz der di-
(Beatrix von Storch [AfD]: Aserbaidschan ha- gitalen Infrastrukturen Worten auch Taten folgen zu las-
ben Sie vergessen!) sen.
ist das mahnende Beispiel, warum wir uns gegen Ein- Meine Damen und Herren, liebe Koalitionäre, die Stra-
flüsse von außen stärker wappnen müssen. tegie der Bundesregierung ist ungenügend; das wissen
Sie, das wissen wir. Wir machen Ihnen einen Vorschlag,
(Beifall bei der CDU/CSU) gemeinsam die richtige Ausrichtung zu erarbeiten. Ich
lade Sie ein, sich zu beteiligen.
Zweitens sollte ein stärkerer Fokus auf die Reduktion Herzlichen Dank.
deutscher Abhängigkeiten sowie auf die Positionierung
Deutschlands innerhalb der globalen digitalen Ordnung (Beifall bei der CDU/CSU)
gelegt werden, insbesondere da diese aktuell von einigen
wenigen privaten Technologiekonzernen aus den USA Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
und China dominiert wird. Der Vormarsch Chinas im
Für die SPD-Fraktion hat Dr. Jens Zimmermann jetzt
Bereich der Normierungsgremien ist in diesem Bereich
das Wort.
besonders besorgniserregend, beispielsweise die Domi-
nanz bei der Proliferation digitaler Infrastruktur und da- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
mit de facto die Normierung im Rahmen der Digital Silk des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der
Road. FDP)
21376 Deutscher Bundestag – 20. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. April 2024
(A) Dr. Jens Zimmermann (SPD): ansiedlungen nach dem Zweiten Weltkrieg, und das ist (C)
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und ein Erfolg dieser Bundesregierung, liebe Kolleginnen
Kollegen! Ich möchte diese Rede zur internationalen Di- und Kollegen.
gitalpolitik mit einem Zitat beginnen: Wir sprechen beim
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
Internet
DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der
FDP)
„nicht nur über eine Technologie, sondern gleich-
zeitig auch über Demokratie, Menschenrechte, un- Mit diesen Ansiedlungen reduzieren wir kritische Abhän-
sere Grundwerte, über Freiheit, Gerechtigkeit und gigkeiten bei Computerchips; denn es ist eben nicht nur
internationale Solidarität. Nicht weniger als das ent- diese eine Ansiedlung. Das entfaltet eine Sogwirkung:
hält die internationale Digitalstrategie der Bundes- TSMC und Infineon in Dresden, Wolfspeed im Saarland
regierung, liebe Kolleginnen und Kollegen.“ und viele andere Ansiedlungen mehr. Das zeigt: Wir ent-
wickeln hier ein Ökosystem.
Natürlich darf momentan in keiner Debatte das Thema
Dieses Zitat stammt dem Plenarprotokoll vom 22. Fe- KI fehlen; ich glaube, Sie nennen auch einige Unterneh-
bruar zufolge von mir, men in Ihrem Antrag. Wenn man sich einmal anschaut,
(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD, der welches Unternehmen das Ranking der Anmeldungen für
CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- Patente im Bereich KI anführt, dann ist das eben nicht ein
NEN und der FDP – Dr. Reinhard Brandl chinesisches oder ein amerikanisches Unternehmen, son-
[CDU/CSU]: Hervorragend! Großartig! – dern es ist die gute alte Firma Bosch aus Deutschland.
Tobias B. Bacherle [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Auch das sollten Sie einmal zur Kenntnis nehmen, liebe
NEN]: Reizend!) Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
weil wir nämlich an diesem Tag an dieser Stelle dieses DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der
Thema bereits diskutiert haben. Ich möchte mich wirklich FDP)
bedanken, liebe Kolleginnen und Kollegen der Union,
dass auch Sie nach zwei Monaten mit diesem Antrag in Insofern danke, dass wir hier noch einmal über die
der Debatte angekommen sind. internationale Digitalstrategie diskutieren durften. Ich
möchte mich insbesondere bei den Kolleginnen und Kol-
(Beifall bei der SPD und der FDP sowie bei legen im Bundesministerium für Digitales und Verkehr
Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE bedanken. Dort haben wir unter Benjamin Brake eine
(B) GRÜNEN) Abteilung, die international so gut vernetzt ist, wie wir (D)
das bisher noch nicht hatten. Das hätte ich mir in der
Für uns sind bei diesem Thema zwei Ziele entschei- Vergangenheit aus dem Kanzleramt heraus so auch ge-
dend. Wir stärken Grundrechte und Ordnung im digitalen wünscht.
Raum und damit das Netz, sodass es sein kann, wie es
sein soll: ein öffentlicher, sicherer globaler Raum für alle, Herzlichen Dank.
und das gerade in Zeiten internationaler Abschottungs- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
fantasien. Und wir müssen im Technologiewettrennen bei DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der
Infrastruktur, KI und Plattformen wettbewerbsfähig blei- FDP – Franziska Hoppermann [CDU/CSU]:
ben. Diese Fragen beantworten wir in der Digitalstrategie Das ist ja lächerlich!)
der Bundesregierung, und vor allem handeln wir auch
danach.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Ich will das an einem Bereich deutlich machen, den Sie Eugen Schmidt hat das Wort für die AfD.
auch in Ihrem Antrag ansprechen, nämlich bei der Redu-
zierung von Abhängigkeiten. Die Union möchte, dass der (Beifall bei der AfD)
Bundestag feststellt, dass wir kritische Abhängigkeiten,
insbesondere von China, reduzieren sollen. Genau diese Eugen Schmidt (AfD):
Erkenntnis haben wir aber schon lange, und genau danach Frau Präsidentin! Liebe Landsleute!
richten wir unser Handeln aus.
(Maximilian Mordhorst [FDP]: Welche?)
Betrachten wir doch einfach mal das Beispiel Com-
puterchips, sogenannte Halbleiter. Wir brauchen diese Das Internet lebt von geschützter Kommunikation und
Technologien, um die Transformation unserer Industrie unzensiertem Zugang zu Informationen. Immer öfter
hinzubekommen. Und weil die Bundesregierung unter kappten autoritäre Staaten den Zugang zum Netz,
Olaf Scholz eine aktive Industriepolitik betreibt, haben (Marianne Schieder [SPD]: Sie haben Spione!
wir dieses Thema in den Fokus gestellt. Das kommt auch vor!)
(Nicolas Zippelius [CDU/CSU]: Da müssen um unliebsame Meinungen zu zensieren und Bürger von
Sie mal China besuchen!) Informationen abzuschneiden.
Ja, wir investieren gemeinsam mit Intel 30 Milliarden (Nicolas Zippelius [CDU/CSU]: Aus euren
Büros heraus!)
Euro in die Halbleiter- und Chipindustrie hier in Deutsch-
land, in Magdeburg. Das ist eine der größten Industrie- Das sind die Worte von unserem Digitalminister.
Deutscher Bundestag – 20. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. April 2024 21377
Eugen Schmidt
(A) (Tobias B. Bacherle [BÜNDNIS 90/DIE sischem Vorbild sein könnte. Der Europachef des Aliba- (C)
GRÜNEN]: Ja! Recht hat er!) ba-Konzerns gab selbst zu, an so etwas wie einem per-
Und wissen Sie was? Da hat er völlig recht. Besser hätte sonalisierten CO2-Budget zu arbeiten.
er seine Politik der Unterdrückung und Bevormundung, (Manuel Höferlin [FDP]: Was sagt denn Krah
der Lüge und der Täuschung nicht beschreiben können. dazu?)
(Lachen bei Abgeordneten der FDP – Manuel Strukturell ähnelt die Corona-App diesem Modell auf
Höferlin [FDP]: Was für ein Unsinn!) erschreckende Weise. Ein einfaches Farbsystem entschei-
Ihr – Zitat – „offenes, freies und sicheres Internet“ det darüber, welche sozialen und ökonomischen Freihei-
ten uns als Bürger zustehen sollen und welche nicht. Die
(Dr. Jens Zimmermann [SPD]: Ja, anders als in Begründungen sind beliebig und wandelbar. Was heute
Russland! Anders als in China!) Covid-19 ist, wird morgen von Lauterbach oder der de-
sperrt Sender und Kanäle Oppositioneller und schickt mokratisch nicht legitimierten WHO als „andere Infekti-
seine Polizei, onskrankheit“ deklariert. Übermorgen könnte es schon
die Überschreitung des persönlichen CO2-Budgets sein.
(Maximilian Funke-Kaiser [FDP]: Was pas-
Sie geben ja selbst zu, dass Sie mit – Zitat – „digitalen
siert denn gerade in Russland?)
Lösungen“ zum Klimaschutz beitragen wollen.
um unter anderem im Rahmen Ihres Aktionstages gegen
Die Deutschen haben längst erkannt, dass diese Flos-
sogenannte Hasspostings Türen unbescholtener Bürger
keln nur ein Vorwand sind, um in ihre Privatsphäre ein-
einzutreten.
zudringen und ihre Freiheiten einzuschränken.
(Manuel Höferlin [FDP]: Wie geht es denn den
(Beifall bei der AfD – Dr. Jens Zimmermann
Oppositionellen in Russland so?)
[SPD]: Sie haben die Geflüchteten vergessen!
Wenn Staatsclown Böhmermann dagegen offen zum Die fehlen noch!)
Mord aufruft, ist das natürlich Satire. Denn das, was Sie
Wie weit wird diese Regierung noch gehen können?
fordern, gilt selbstverständlich immer nur für andere Län-
der und niemals für Sie selbst. Liebe Landsleute, lasst euch nicht bitten!
(Beifall bei Abgeordneten der AfD) Danke.
Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz wird in Deutsch- (Beifall bei der AfD)
land durch ein noch strikteres Meinungsbereinigungs-
gesetz ersetzt: das Digitale-Dienste-Gesetz. Dafür wurde Vizepräsident Wolfgang Kubicki:
(B) extra ein KI-Tool entwickelt, mit dem sich unliebsame Vielen Dank, Herr Kollege. – Nächster Redner ist der (D)
Veröffentlichungen besser melden lassen sollen. „Digi-
Kollege Tobias B. Bacherle, Bündnis 90/Die Grünen.
tale Unterwerfung“, das sollte die Überschrift des Doku-
mentes sein, das uns heute präsentiert wird. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der
(Marianne Schieder [SPD]: Das gibt es in
FDP)
Russland und in China! Da kennen Sie sich ja
aus!)
Tobias B. Bacherle (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Denn Sie vollziehen den Willen internationaler, nicht Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
gewählter Auftraggeber. Seit wann haben wir der EU Kollegen! Ich muss kurz auf die kleine Realsatire von
die Aufgabe gegeben, sich über nationale Souveränität eben eingehen. Ich glaube Ihnen ja, dass Sie vielleicht
hinwegzusetzen und uns Digitalpolitik zu diktieren? über Krah oder direkt oder sonst wie einen besseren Draht
Es geht noch weiter – Zitat –: nach China haben, ich möchte Sie aber doch gerne darauf
hinweisen: Wir haben im AI Act auf europäischer Ebene
„Wir unterstützen die Aktivitäten internationaler Or-
das Social Scoring ganz klar ausgeschlossen. Ich bin mir
ganisationen zur Nutzung digitaler Technologien für
sicher, das haben Sie auch mitbekommen.
die Bewältigung globaler Herausforderungen. Dazu
gehören beispielsweise die Bemühungen der … (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
WHO …“ sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)
Ich fand es vor allem sehr vielsagend, was Sie von
(Dr. Jens Zimmermann [SPD]: Ah, die WHO!) rechts außen in Ihrer Rede hier gerade wieder vorgetra-
Die WHO, die zu 80 Prozent von Pharmakonzernen, gen haben. Sie haben gezeigt, dass Ihre Vorstellungskraft
Milliardären und ihren Stiftungen finanziert wird. keine 3 Zentimeter über den deutschen oder gar euro-
päischen Tellerrand hinausreicht. Sie haben bei der De-
(Dr. Carolin Wagner [SPD]: Und Sie von den batte über internationale Digitalpolitik hier eigentlich nur
Chinesen!) von übrigens völlig haltlosen Ängsten fabuliert und dabei
Als Gesundheitsminister Lauterbach am 1. Mai 2023 vollkommen außer Acht gelassen, dass genau diese Über-
das Ende der Corona-Warn-App verkündete, kündigte wachungssysteme in China, in Russland, in anderen auto-
er gleichzeitig deren Weiterentwicklung für angeblich ritären Regimen schon implementiert sind und dazu ge-
andere Infektionskrankheiten an. Zwangsmaßnahmen- nutzt werden, die Freiheit zu unterdrücken. Und das ist
Skeptiker warnen schon lange, dass diese App nur ein doch das, worum es beim Thema „internationale Digital-
trojanisches Pferd für ein Sozialkreditsystem nach chine- politik“ im Kern geht.
21378 Deutscher Bundestag – 20. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. April 2024
Tobias B. Bacherle
(A) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, men haben – für Content Credentials bzw. Wasserzei- (C)
bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeord- chen, die Content-Authentizität sicherstellen und uns
neten der CDU/CSU) besser gegen Desinformation wappnen sollen.
Es geht darum, zu verstehen – Jens Zimmermann hat es (Nicolas Zippelius [CDU/CSU]: Passiert gar
gesagt, und auch ich habe es vor zwei Jahren gesagt, ganz nichts!)
grob; ich habe das Zitat nicht mehr genau im Kopf –: Da steht nicht im Detail drin, welches Projekt der Sove-
Digitalpolitik macht nicht an nationalen Grenzen halt. – reign Tech Fund gerade aufsetzt als Backbone-Projekt,
Und vor allem müssen wir verstehen: Es geht dabei nicht das zum Beispiel auch unsere Cybersicherheit stärkt.
nur um eine ökonomische Dimension, sondern es geht Nein, die Strategie ist aber sehr gut; denn sie gibt eine
entscheidend darum, welches Menschenbild wir in der klare Ausrichtung, eine klare Leitlinie für alle interna-
Digitalisierung eigentlich haben. Ich glaube, das ist der tionalen digitalpolitischen Vorhaben und Baustellen die-
große Unterschied. ser Bundesregierung.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
bei der SPD und der FDP) und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der
FDP)
Ich erinnere angesichts der Bedrohungen für unsere
Demokratie von innen und von außen – darüber wurde Vizepräsident Wolfgang Kubicki:
vorhin hier auch diskutiert – gerne noch mal an den
Vielen Dank, Herr Kollege Bacherle. – Als nächster
mutmaßlichen Schulterschluss im Büro Ihres europäi-
Redner hat das Wort der Kollege Maximilian Funke-
schen Spitzenkandidaten. Ich glaube, das lässt einen
Kaiser, FDP-Fraktion.
Schluss darauf zu, wo Sie in dieser Debatte, die eine
globale Debatte ist, am Ende stehen. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ-
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- NEN)
SES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der FDP)
Ich bin der Bundesregierung sehr dankbar, dass sie Maximilian Funke-Kaiser (FDP):
diese wichtigen Punkte aufgenommen hat; denn es ist, Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
wie gesagt, immens wichtig, dass wir Digitalpolitik glo- Kollegen! Sei es künstliche Intelligenz, Cybersicherheit
bal betrachten. Ich glaube, in der Betrachtung dieser Stra- oder mittlerweile auch die Verwaltungsmodernisierung –
tegie liegt auch der große Unterschied. Ich finde es ex- es wurde angesprochen –: Digitalisierung macht an na-
(B) trem wichtig, dass sich die Bundesregierung überlegt hat, tionalen Grenzen keinen Halt mehr, sondern muss zuneh- (D)
dass ihre ganzen digitalpolitischen Initiativen und Ansät- mend eben international, global gedacht werden. Deswe-
ze, die im internationalen Raum stattfinden, in Zukunft gen hat sich die Bundesregierung auch zu Recht eine
klar nach einer strategischen Betrachtung ausgerichtet internationale Digitalstrategie gegeben.
werden sollen. Das wird mit der Strategie für interna- Das machen wir nicht aus Selbstzweck. Digitalpolitik
tionale Digitalpolitik eben auch vorgelebt, und der bestimmt mittlerweile ganz fundamental auch unsere Au-
Mensch wird dabei klar in den Mittelpunkt gestellt. ßen- und Sicherheitspolitik – auch bei Themen wie Des-
Wir sagen zum ersten Mal sehr klar, welche großen information und Propaganda von autoritären Regimen.
Probleme durch Internet-Shutdowns auftreten und dass Gerade wenn man sich die letzten Jahre anschaut:
wir uns dem entgegenstellen wollen. Wir haben uns in Deutschland ist in der Gestaltung der internationalen Di-
der Debatte auf UN-Ebene aktuell sehr klar positioniert, gitalpolitik viel zu leise und viel zu wenig selbstbewusst
dass wir den Multi-Stakeholder-Ansatz und auch unser aufgetreten. In Ihrer Zeit, liebe Union, wurde der Begriff
Engagement für ein Internet weiterhin stärken wollen. „internationale Digitalpolitik“ noch nicht mal in den
Mund genommen. Das ist jetzt zu Ende.
Ich glaube, es ist so ein bisschen – Kollege
Zimmermann hat das gerade auch angesprochen – wie Die Tatsache, dass Deutschland nun eine internationale
oft bei Ihnen von der Union – vielleicht ist das auch Digitalstrategie hat, trägt der geopolitischen Dimension
Ihre Auffassung von Oppositionsarbeit –: Sie gucken der Digitalpolitik, des digitalen Wandels endlich Rech-
zu, was die Bundesregierung macht, was da vielleicht nung, liebe Kolleginnen und Kollegen. Deutschland steht
auch Neues, Gutes passiert, und wenn Sie es nicht kom- jetzt eben nicht mehr an der Seite, sondern prägt die Ent-
plett in die Pfanne hauen können, dann kommt so ein scheidungen auf internationaler Ebene aktiv mit.
Antrag nach dem Motto „Hallo, wir sind die Union; uns (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
gibt es auch noch“. der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ-
NEN)
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS-
SES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der FDP) Es ist auch bemerkenswert und vielsagend – das wurde
schon angesprochen –, dass die Union jetzt, drei Monate
Sehr vieles von dem, was Sie fordern, wird angegan- nach Beschluss im Kabinett, mit diesem Antrag um die
gen. Es ist nicht die Aufgabe, im Rahmen einer Strategie Ecke kommt. Und ich habe mir das mal angeschaut. Es ist
darauf hinzuweisen, dass es bei den G 7 den Hiroshima- ja nicht nur das! Die Debatte wurde auch von einer Sit-
Prozess gibt, in dem wir uns klar einen Standardisie- zungswoche in die nächste geschoben, und sie wurde
rungsprozess mit den anderen G-7-Partnern vorgenom- eigentlich für morgen in der Kernzeit angemeldet. Dann
Deutscher Bundestag – 20. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. April 2024 21379
Maximilian Funke-Kaiser
(A) wurde sie auf heute verschoben. Ich meine, ich bin sehr (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Jens (C)
froh, heute reden zu dürfen, aber Donnerstagnachmittag Zimmermann [SPD]: Jetzt können Sie auf die
ist nicht Kernzeit. So ganz wichtig ist Ihnen das Thema Missverständnisse hinweisen!)
halt dann doch nicht.
(Nadine Schön [CDU/CSU]: Wo ist denn Ihr Dr. Reinhard Brandl (CDU/CSU):
Antrag?) Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Verehrte Kollegen von der Ampelkoalition, nur damit
Machen Sie sich also ehrlich, und schauen Sie, dass das kein Missverständnis entsteht:
Thema, wenn es Ihnen so wichtig ist, beim nächsten Mal
an entsprechender Stelle auf die Tagesordnung gesetzt (Dr. Jens Zimmermann [SPD]: Sag ich ja!)
wird!
Wenn Sie hier die internationale Digitalstrategie der Bun-
Wir räumen aktuell auf jeden Fall auf – mit klaren desregierung loben, dann können Sie doch nicht ernsthaft
Leitlinien für internationale Digitalpolitik, die die Bür- dieses Dokument meinen,
gerrechte und das freie Internet schützt. Und wir setzen
auch auf Technologiepartnerschaften mit demokratischen (Der Redner hält ein Schriftstück hoch)
und gleichgesinnten Ländern und stärken somit auch das das vor Kurzem von der Bundesregierung veröffentlicht
Auftreten Deutschlands in multilateralen Foren, was worden ist:14 Seiten nur Allgemeinplätze, keine Rich-
zwingend notwendig ist. tungsentscheidung, keine Antwort auf die Fragen, die
Es ist auch nicht immer alles nur eine Strategie. Ich sich unserem Land in Wirklichkeit stellen.
glaube, die Union meint immer, Politik besteht nur darin, (Beifall bei der CDU/CSU – Tobias B.
eine Strategie zu entwickeln, und dann passiert das auch Bacherle [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da
irgendwie von selbst. Es muss aber natürlich auch gehan- steht doch das meiste von dem, was Sie for-
delt werden, und das machen wir auch. dern, schon drin!)
Wir unterstützen deutsche Unternehmen bereits dabei,
sich wieder aktiv in Standardisierungsgremien einzuset- Machen wir uns doch nichts vor: Das Internet heute,
zen. Es ist ein ganz wichtiger Faktor für digitale Souve- der digitale Raum, ist eine Arena, in der Staaten wie
ränität, dass wir nicht mehr von ausländischer Techno- Russland ihre Kriege austragen, in der Länder wie China
logie abhängig sind – Stichwort „Huawei“. Wir konnten ihre eigene Bevölkerung überwachen, in der sich ame-
die europäische Internetsteuer, die Datenmaut, im Sinne rikanische Unternehmen zu Gesetzgebern aufspielen,
des freien Internets verhindern, und wir haben die Chat- weil sie die Hoheit über ihre Plattformen haben, in der
sich internationale Verbrecherorganisationen schief-
(B) kontrolle gestoppt. Wir reden also nicht nur, sondern wir lachen über die fehlende Durchsetzungskraft nationaler (D)
machen auch – und das mithilfe der internationalen Digi-
talstrategie. Ermittler.
Meine Damen und Herren, was wir dringend brauchen,
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten ist ein Plan, wie wir uns als Deutschland in dieser Arena
der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- behaupten können, um unsere Souveränität zu sichern,
NEN) um unsere Sicherheit zu sichern und um unseren Wohl-
Wir treiben auch den Hiroshima-Prozess der G-7-Staa- stand zu sichern. Deswegen haben wir es ja begrüßt, dass
ten voran, liebe Kolleginnen und Kollegen, um Desinfor- die Bundesregierung, die Ampel, eine internationale Di-
mation zu bekämpfen, insbesondere KI-gestützte Des- gitalstrategie vorlegen möchte, und haben uns eigentlich
information. Dies ist entscheidend für die Verteidigung auch auf das Dokument gefreut. Bis wir es tatsächlich
unserer Demokratie. Mit dieser internationalen Digital- gelesen haben.
strategie sind wir wieder auf dieser internationalen Platt- Jetzt haben Sie natürlich schon davon gesprochen, und
form unterwegs. auch der Kollege Zippelius, der den Antrag formuliert
hat, hat ja einige Sätze schon genannt. Die Strategie be-
Vizepräsident Wolfgang Kubicki: ginnt mit dem wunderschönen Satz: „Wir schützen De-
mokratie und Freiheit im digitalen Raum.“ – Ja, das will
Herr Kollege, Sie sehen die Uhr?
ich auch, und natürlich setze auch ich mich für Men-
schenrechte, für Nachhaltigkeit usw. usw. ein. Aber eine
Maximilian Funke-Kaiser (FDP): Strategie, die im Wesentlichen darauf basiert, dass solche
Die Kritik von Ihnen ist also unberechtigt, und ich Ziele aufgeführt werden, wird Ihnen in einer Welt bzw.
werbe für die Ablehnung des Antrages. einer Arena, in der Interessenvertreter mit harten Ban-
Herzlichen Dank. dagen kämpfen, nicht weiterhelfen.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der CDU/CSU)
der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- Ich zitiere daraus mal eine zentrale Aussage, nämlich –
NEN) ich mache auch Verteidigungspolitik –: „Wir verfolgen
eine Politik der Abrüstung im digitalen Raum …“.
Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (Tobias B. Bacherle [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Kollege NEN]: Sie müssen den Satz schon zu Ende
Dr. Reinhard Brandl, CDU/CSU-Fraktion. lesen!)
21380 Deutscher Bundestag – 20. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. April 2024
Maik Außendorf
(A) Wir als Grüne haben die Notwendigkeit, unabhängig Die Linke fordert deshalb: Statt Ausbeutung und Um- (C)
von chinesischen Technologien zu sein, schon immer weltzerstörung braucht es eine gemeinwohlorientierte
gesehen und uns dafür starkgemacht. Wenn ich sehe, Digitalpolitik mit einer globalen Perspektive, die Nutzen
dass Ihre Bundesregierung, die unionsgeführte, uns eine und Kosten der Digitalisierung gerechter in der ganzen
starke Abhängigkeit von russischem Gas hinterlassen hat, Welt verteilt.
genauso aber auch von chinesischer Technologie – Hua-
wei-Technologie findet sich heute in großen Komponen- (Beifall bei der Linken)
ten bei der Deutschen Bahn wie auch bei der Deutschen Das EU-Lieferkettengesetz sollte genau dazu beitragen,
Telekom –, dann muss ich sagen: Das war Ihr schweres scheiterte aber beinahe – zum Glück jedoch nicht – an der
Vermächtnis, das wir jetzt aufräumen müssen. skandalösen Blockade aus Deutschland.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Schon das zeigt den mangelnden Praxisbezug der Stra-
sowie der Abg. Anna Kassautzki [SPD] und tegie zur internationalen Digitalpolitik der Ampel. Au-
Maximilian Funke-Kaiser [FDP] – Nicolas ßerdem fehlen ihr, wie allen anderen Strategien der Am-
Zippelius [CDU/CSU]: Spitzenarbeit!) pel, konkrete Ziele, Zuständigkeiten und verfügbare
Gut ist, dass Sie als zweiten Schwerpunkt das Thema Ressourcen. Aber ohne konkrete Ziele, ohne Meilen-
Souveränität ansprechen. Auch da arbeiten wir speziell steine kann man Fortschritte ja nicht einmal messen.
an Themen wie Standardisierung und Normung; das Und wo es an Zuständigkeiten fehlt, da fehlt es auch an
haben Sie erwähnt. Wir haben beispielsweise das Pro- Verantwortung. Und wo es an Ressourcen fehlt, da kann
gramm WIPANO, mit dem wir es im BMWK ermögli- man eben auch nichts umsetzen.
chen, Mittel freizustellen, damit auch kleine Unterneh- Diese formalen Mängel kritisiert auch der vorliegende
men sich an internationalen Standardisierungen und Antrag der Union. Aber inhaltlich ist wertebasierte Digi-
Gremien beteiligen können. Daran arbeiten wir. talpolitik dort eben auch nur ein Synonym für nationale
Wir haben daneben den Sovereign Tech Fund, wir Interessen. Den Globalen Süden erwähnt der Antrag der
haben den Sovereign Cloud Stack. Wir arbeiten an der Union nur als Absatzmarkt für digitale Infrastruktur aus
Resilienz im digitalen und im Hardwareraum und haben Deutschland.
für eine Ansiedlung von Halbleiterfirmen in Magdeburg Die Linke wird den Antrag der Union daher ablehnen;
und Dresden gesorgt. denn Defizite der Strategie zur internationalen Digital-
Kurzum: Ihr Antrag greift viele Punkte auf, die in der politik der Ampel beseitigt er nicht.
internationalen Digitalstrategie schon längst enthalten Vielen Dank.
sind. Deswegen brauchen wir ihn nicht.
(B) (Beifall bei der Linken) (D)
Vielen Dank.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP) Vizepräsident Wolfgang Kubicki:
Vielen Dank, Frau Kollegin. – Nächster Redner ist der
Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Kollege Maximilian Mordhorst, FDP-Fraktion.
Vielen Dank, Herr Kollege Außendorf. – Als Nächstes (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
spricht zu uns die Kollegin Anke Domscheit-Berg aus der der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ-
Gruppe Die Linke. NEN)
(Beifall bei der Linken – Beatrix von Storch
[AfD]: Verzweifeltes Klatschen der Linken!)
Maximilian Mordhorst (FDP):
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Anke Domscheit-Berg (Die Linke): Kollegen! Was braucht man für eine internationale Digi-
Sehr geehrter Präsident! Liebe Kolleginnen und Kol- talpolitik? Ich glaube, zwei wichtige Dinge:
legen! In Afrika türmt sich der Elektroschrott unserer
digitalen Gesellschaft und vergiftet Luft und Boden. Aus- Das Erste ist eine digitale Souveränität. Das beginnt
gebeutete Content-Moderatoren und -Moderatorinnen in bei der Bildung vor Ort. Wir alle müssen als aufmerk-
Kenia werden traumatisiert, weil sie verstörende Sachen same Staatsbürgerinnen und Staatsbürger darauf achten,
ansehen und herausfiltern müssen, damit wir Facebook dass wir souverän mit digitalen Mitteln umgehen, dass
nutzen können. Für unsere E-Autos und Smartphones wir uns nichts Verdächtiges draufladen, dass wir wissen,
schuften im Kongo über 40 000 Kinder in Kobaltminen, was wir an digitalen Endgeräten tun. Und zur digitalen
während im kolumbianischen Amazonasgebiet Quecksil- Souveränität gehört natürlich auch, dass wir selbst auf
ber Flüsse verseucht, weil dort Gold auch für unsere höchster parlamentarischer Ebene nicht dem „Who’s
elektronischen Geräte ausgewaschen wird. who“ der autokratischen Regime und Führer auf dieser
Welt nach dem Mund reden und solche Dinge verbreiten.
Das alles zeigt: Die Folgen internationaler Digitalpoli-
tik sind unfassbar ungerecht. Den Nutzen hat vor allem Also: Digitale Souveränität ist ein Grundpfeiler inter-
der Globale Norden. Den Löwenanteil der Last trägt der nationaler Digitalpolitik; sonst kommen wir da nicht vo-
Globale Süden. Wertebasierte Digitalpolitik muss daran ran.
etwas ändern, meine Damen und Herren. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
(Beifall bei der Linken) des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Deutscher Bundestag – 20. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. April 2024 21383
Maximilian Mordhorst
(A) Ein zweiter wichtiger Punkt – der letzte wichtige Punkt haben, Satellitenkommunikation für Partner bereitzustel- (C)
von meiner Seite – ist das Thema Regulierung. Wir reden len.
ganz viel über Werte, wir reden ganz viel darüber, was Es ist auch wichtig, dass wir eine Strategie für die
man alles regulieren könnte; wir brauchen aber erst ein- internationale Digitalpolitik haben. Da wird vieles geleis-
mal die Unternehmen, die internationalen Digitalkonzer- tet, und da möchte ich auf einige Punkte eingehen.
ne, die wettbewerbsfähig sind und mit Silicon Valley oder
China konkurrieren können, damit wir überhaupt irgend- Ich danke schon mal dem Bundesministerium für wirt-
etwas regulieren können. Ich erinnere mal an das Digita- schaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung; denn wir
le-Dienste-Gesetz. Da haben wir über „gutefrage.net“ haben unter anderem bereits 22 Digitalzentren in der Welt
und „chefkoch.de“ gesprochen. Ich habe gar nichts gegen eingerichtet. Mit diesen Digitalzentren schaffen wir eine
die; ich freue mich, dass wir sie haben. Aber das hat Vernetzung vor Ort, Vernetzung untereinander, damit wir
nichts mit Wettbewerbsfähigkeit auf dem internationalen lernen können – auch voneinander – und so Wissen wei-
Parkett zu tun. tergeben können. Danken möchte ich auch der Deutschen
Welle Akademie; denn diese schafft es, dass wir Medien-
Und, liebe Union, dass Sie sich dann hinstellen und kompetenz weitergeben können.
hier etwas von internationaler Digitalpolitik erzählen,
während Ursula von der Leyen auf europäischer Ebene (Beifall bei Abgeordneten der SPD, des
den Regulierungsmotor nur so angeworfen hat und es in BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der
fünf Jahren nicht geschafft hat, Bedingungen zu schaffen, FDP)
unter denen hier Konzerne entstehen könnten, die man
dann regulieren kann, ist Doppelmoral, und das bringt Im Antrag der CDU/CSU heißt es unter dem
uns nicht voran. Punkt II.2.c, dass Kooperationen zur Bekämpfung von
(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Tobias B. Desinformation angestrebt werden sollen.
Bacherle [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
(Tobias B. Bacherle [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
Internetsteuer, Digitalsteuer, KI-Steuer, Plattform-
NEN]: Da war heute Morgen aber niemand
richtlinien, Lieferkettengesetz: Das ist all der Unsinn,
von Ihnen! – Dr. Jens Zimmermann [SPD]:
den wir von Ihnen abwehren, abmildern oder teilweise
Knallharte Forderung!)
sogar durchlaufen lassen müssen. Wenn wir gemeinsam
die dafür notwendige Zeit investieren würden, um dafür
Jetzt ist es aber schon der Fall, dass das Bundesministe-
zu sorgen, dass wir überhaupt eine wirtschaftliche Per-
rium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick-
spektive für starke Digitalkonzerne aus der EU haben,
lung entsprechende Projekte zur gemeinsamen Identifi-
(B) dann könnten wir auch über Werte und andere Dinge kation und Bekämpfung von Desinformation fördert. Das (D)
sprechen. Nur etwas zu regulieren im irrealen Raum,
heißt, Ihr Antrag ist an der Stelle schon durch Regie-
bringt uns nicht weiter.
rungshandeln erledigt.
Das wäre eine gute internationale Digitalpolitik.
(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Dr. Jens (Beifall bei Abgeordneten der SPD, des
Zimmermann [SPD]) BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der
FDP)
Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Ein weiterer Punkt, den Sie kritisieren, ist, dass es aus
Vielen Dank, Herr Kollege Mordhorst. – Letzter Red- Ihrer Sicht zu viele Strategien gibt bzw. dass internatio-
ner in dieser Debatte ist der Kollege Kevin Leiser, SPD- nale Digitalpolitik ein Schnittstellenthema ist. Die Welt
Fraktion. ist mittlerweile allerdings hochgradig komplex und in-
(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Maik einander verwoben. Es gibt wechselseitige Abhängigkei-
Außendorf [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) ten; deswegen haben wir eine komplexe Welt.
Schauen wir doch mal zurück in die Zeit, als die Welt
Kevin Leiser (SPD): noch relativ einfach war, in die 80er- und 90er-Jahre, wo
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Da- Sie leider hängen geblieben sind:
men und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor
wenigen Wochen durfte ich als Mitglied des Ausschusses (Heiterkeit des Abg. Tobias B. Bacherle
für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung in [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
die Mongolei reisen. Die Mongolei ist das am dünnsten
besiedelte Land der Welt. Das heißt, man merkt relativ Damals haben Sie leider schon versagt; denn die sozial-
schnell, wenn kein Festnetzinternet und kein Mobilfunk liberale Koalition unter Helmut Schmidt als Kanzler
mehr da ist und die einzig verbleibende Technologie für wollte ein westdeutschlandweites Glasfasernetz aufbau-
Kommunikation das Satelliteninternet ist, wenn also per en. Dann gab es einen Regierungswechsel hin zu Helmut
Satellit der Internetzugang zur Verfügung gestellt wird. Kohl. Der hat dieses Glasfaserprojekt eingestampft und
Und da sind wir leider schnell an den Punkt gekommen, uns dafür Kabelfernsehen beschert. Ich habe ein Zitat aus
dass es nur den US-Anbieter Starlink gab. Deswegen ist der „WirtschaftsWoche“ dabei:
es wichtig, dass sich die Europäische Union mit IRIS²
eine eigene Megakonstellation aufbaut, damit wir im in- „Wäre der Plan umgesetzt worden, hätte Deutsch-
ternationalen Wettbewerb selbst auch eine Möglichkeit land heute das beste Glasfasernetz der Welt.“
21384 Deutscher Bundestag – 20. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. April 2024
Kevin Leiser
(A) Das zeigt: Wer nicht mal Digitalpolitik im eigenen seit über einem Jahrzehnt keinen Frieden findet. Es ist (C)
Land schaffen kann, der schafft es auch nicht im interna- richtig, es ist klug, es ist notwendig, sich vor diesem
tionalen Bereich. Wir haben eine gute internationale Di- Hintergrund mit allen Mitteln, die wir nach dem Völker-
gitalpolitik. recht haben, für die Einhaltung des UN-Waffenembargos
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. einzusetzen. Genau das tut dieses Mandat, und deshalb
werben wir heute auch um Ihre Zustimmung.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS-
FDP) SES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)
Bei den Diskussionen um dieses Mandat wird meine
Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Fraktion oft mit einem Vorwurf konfrontiert – dahinter
Vielen Dank, Herr Kollege Leiser. – Mit diesen Worten steckt natürlich eine berechtigte Frage; ich nehme mal an,
schließe ich die Aussprache. dass wir die auch heute wieder hören werden –: Warum
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf habt ihr in der Opposition diesem Mandat nicht zuge-
Drucksache 20/10979 an die in der Tagesordnung auf- stimmt, aber in der Regierung schon? Diese Frage hängt
geführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es weitere damit zusammen, dass es für meine Fraktion keine wich-
Vorschläge? – Das höre und sehe ich nicht. Dann ver- tigere Messlatte als das Völkerrecht gibt, wenn wir darü-
fahren wir so. ber beraten, ob wir Soldatinnen und Soldaten in einen
Auslandseinsatz, in eine Operation wie EUNAVFOR
Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 15: MED Irini entsenden. Deshalb kann ich hier sehr gut ver-
treten, was wir seit der Regierungsübernahme in diesem
– Beratung der Beschlussempfehlung und des Mandat verändert haben.
Berichts des Auswärtigen Ausschusses
(3. Ausschuss) zu dem Antrag der Bundes- (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS-
regierung SES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)
Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter Wir haben die Ausbildung der libyschen Küstenwache
deutscher Streitkräfte an der durch die aus dem nationalen Mandat gestrichen und machen uns in
Europäische Union geführten Operation Europa konstant für einen Kurswechsel stark. Wer die
EUNAVFOR MED IRINI internationale Debatte verfolgt, weiß: Das ist kein grünes
Hirngespinst, sondern es gibt wirklich jeden Grund, die-
Drucksachen 20/10508, 20/11023 sen Kurs einzuschlagen; denn die Ausbildung der liby-
(B) – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Aus- schen Küstenwache aus dem Mandat zu streichen, das ist (D)
schuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung Gegenwind für kriminelle Schlepper, für Menschen-
rechtsverletzer der Küstenwache. Deutschland ist kein
Drucksache 20/11024 potenzieller Partner dieser Küstenwache mehr unter die-
sen Umständen; und das ist auch gut so, liebe Kollegin-
Über die Beschlussempfehlung werden wir später na- nen und Kollegen.
mentlich abstimmen.
Für die Aussprache ist eine Dauer von 39 Minuten ver- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
einbart, und ich begrüße hierzu unsere Wehrbeauftragte, sowie bei Abgeordneten der SPD)
Frau Dr. Eva Högl, besonders herzlich. Wir haben die Verpflichtung zur Seenotrettung im
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Mandat verankert, und das ist keine Kleinigkeit. Gerade
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) in Zeiten, in denen andere die Notwendigkeit der See-
notrettung in Abrede stellen, muss doch für alle in diesem
Nun bitte ich, den Platzwechsel zügig vorzunehmen; es
Haus klar sein: Da gibt es nichts zu diskutieren. Wir
wird früh dunkel heute.
können unterschiedlicher Meinung über die Fragen der
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red- Steuerung von Migration sein, wir können unterschiedli-
ner dem Kollegen Max Lucks von Bündnis 90/Die Grü- cher Meinung in der Diskussion über die Vermeidung von
nen das Wort. Fluchtursachen sein. Aber in einer Sache sollten wir uns
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN doch einig sein, liebe Kolleginnen und Kollegen, nämlich
sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP) darin, dass kein Mensch im Mittelmeer ertrinken sollte.
Und dafür leisten wir einen Beitrag.
Max Lucks (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und sowie bei Abgeordneten der SPD)
Kollegen! Jedes Menschenleben ist gleich viel wert.
Wir haben völkerrechtliche Leerstellen in diesem
(Dr. Karamba Diaby [SPD]: Stimmt!) Mandat behoben. Eine Aktivität in Anrainerstaaten ist
Aber nicht jedes Menschenleben ist gleich sichtbar. Der damit nicht mehr möglich. Und das ist gut so; denn ge-
bewaffnete Konflikt in Libyen ist aus dem Auge der rade in diesen Zeiten brauchen wir international mehr
Öffentlichkeit verschwunden, dabei ist er nicht Geschich- denn je die Stärke des Rechts. Doch für die Frage des
te; der Konflikt hält an. Er verursacht reales Leid – reales langfristigen Friedens in Libyen ist – und das wissen
Leid von Vätern, Müttern, Kindern – in einem Land, das wir alle – das Mandat Irini alleine nicht ausreichend.
Deutscher Bundestag – 20. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. April 2024 21385
Max Lucks
(A) Für einen dauerhaften Frieden in Libyen braucht es wie viele sagen – ein Staat, der so fragil ist, dass er zum (C)
zwei Dinge: Es braucht erstens einen starken politischen geopolitischen Spielball geworden ist, in dem nicht zu-
Prozess. Und da haben wir mit dem Berliner Prozess letzt Russland deutlich versucht an Einfluss zu gewinnen.
wirklich Grundlagen, auf denen wir aufbauen können,
und mehr Aktivität in diesem politischen Prozess. Gerade Zudem ist es ein Land, das direkt an der NATO-Außen-
jetzt, nach dem Rücktritt des UN-Sonderbeauftragten grenze und der Außengrenze der Europäischen Union
Bathily, müssen wir gemeinsam mit unseren Partnern liegt, und zwar dem Mittelmeer. Ich nehme es vorweg:
daran arbeiten, dass es eine rasche Lösung gibt. Unsere Präsenz dort ist schon aus diesem Grunde so
immens wichtig, und natürlich steht die Union hinter
Wir brauchen zweitens aber auch einen konsequenten
der Verlängerung des Mandats.
Stopp der Waffenlieferungen an Libyen. Wir wissen: Die
Vereinigten Arabischen Emirate, die Türkei und andere
Akteure waren und sind bereit, über den Seeweg, über (Beifall bei der CDU/CSU)
den Landweg und über den Luftweg Waffen nach Libyen
zu bringen. Wir müssen uns mehr engagieren, um dem Wir müssen uns im Klaren sein, dass Russland den
Einhalt zu gebieten, liebe Kolleginnen und Kollegen! Versuch unternimmt, das Land weiter zu destabilisieren.
Putins Wagner-Truppen, die sich jetzt bezeichnender-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN weise „Afrika-Korps“ nennen, provozieren insbesondere
sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP) in Zentralafrika, in der Sahelzone gezielte Flüchtlings-
– Keine Sorge, Frau von Storch, ich bin gleich fertig. bewegungen, die in der Folge gerade auch über Libyen
(Beatrix von Storch [AfD]: Ich habe doch gar den Weg nach Europa suchen. Und ja, wir werden nicht
nichts gesagt! Sie warten nur darauf, oder?) jedes einzelne Schiff durchsuchen können. Aber allein
die Präsenz, allein die Stichproben haben doch Signal-
Zuletzt geht es hier um ein ernstes Thema, wirkung an die Schlepperbanden, dass die Gefahr be-
(Beatrix von Storch [AfD]: Von dem Sie keine steht, entdeckt zu werden, und dass es vielleicht besser
Ahnung haben!) ist, dieses schmutzige Handwerk ruhen zu lassen.
und zwar um die Frage, ob wir Soldatinnen und Soldaten
(Beifall bei der CDU/CSU)
in einen Einsatz schicken. Wie könnten wir uns diese
Frage stellen, ohne über diesen bedeutsamen Einsatz un-
serer Truppe nachzudenken? Unserer Wehrbeauftragten, Auf die gleiche Art und Weise leistet diese Mission
die heute hier ist und der Debatte folgt, den Soldatinnen ihren wichtigen Beitrag zur Durchsetzung des von den
und Soldaten, die sich hier einsetzen, die einen immensen Vereinten Nationen gegen Libyen verhängten Waffen-
(B) Beitrag zum Frieden in Libyen leisten und damit auch zu embargos. Jede Waffenlieferung, die entdeckt wird, jede (D)
unserer Sicherheit, 350 Kilometer von der europäischen Kalaschnikow weniger, die in dieses Land gelangt, ist ein
Grenze entfernt, dieser Truppe gilt unser ausdrücklichster Beitrag zur Hoffnung für dieses schwer erschütterte Volk
Dank. Wir bitten herzlich um Ihre Zustimmung zu diesem und den gesamten Staat. Die Präsenz von tapferen deut-
sehr guten Mandat. schen Männern und Frauen im Rahmen von EUNAVFOR
MED Irini, auch wenn es im Moment vielleicht nur ein
Danke. Dutzend ist, ist ein wichtiger Beitrag zur Stabilisierung
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN der Region. Es ist richtig, dass wir die deutsche Betei-
sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP) ligung auf bis zu 300 Personen aufstocken können.
Volker Mayer-Lay
(A) Meine Damen und Herren, abschließend danke ich den Meine sehr verehrten Damen und Herren, diese bishe- (C)
Soldatinnen und Soldaten, den Männern und Frauen, die rige Bilanz spricht für sich. Seit Beginn der Mission
im Rahmen des Mandats EUNAVFOR MED Irini betei- wurden sage und schreibe 13 000 Schiffe im Mittelmeer
ligt waren oder sind. Ihnen gebührt unsere Anerkennung abgefragt. An dieser Stelle sagen wir herzlichen Dank an
für ihren wichtigen Einsatz. unsere Soldatinnen und Soldaten. Sie machen da eine
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- sehr gute Arbeit. Danke schön!
neten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
GRÜNEN und der FDP) der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE
Die Union stimmt der Verlängerung zu, schon aus un- GRÜNEN und der FDP)
seren ureigensten Sicherheitsinteressen in einer immer Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Lage in
komplizierter werdenden Welt. Libyen droht in einer Sackgasse zu enden. Das Land ist
Vielen Dank. nach wie vor gespalten. Premierminister Abdul Hamid
Dbeibah regiert den Westen, General Khalifa Haftar den
(Beifall bei der CDU/CSU)
Osten. Dieser Status quo verfestigt sich. Die Verantwort-
lichen wollen sich an der Macht halten, anstatt sich end-
Vizepräsident Wolfgang Kubicki: lich für nachhaltigen Frieden einzusetzen. Ich sage: Die
Vielen Dank, Herr Kollege. – Als Nächster hat das Interessen der Machthaber in Libyen dürfen nicht über
Wort der Kollege Dr. Karamba Diaby, SPD-Fraktion. den Interessen der Zivilbevölkerung in diesem Land ste-
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten hen.
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Was mir persönlich noch ganz wichtig ist: Wenn wir
FDP) über Libyen sprechen, dürfen wir eine Gruppe nicht ver-
gessen: die Migrantinnen und Migranten.
Dr. Karamba Diaby (SPD): (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Damen und Herren! Liebe Frau Wehrbeauftragte! Der
Friedensprozess in Libyen darf nicht auf Kosten der Be- Gegen sie werden schwerste Menschenrechtsverletzun-
völkerung verzögert werden. – Mit diesen Worten hat gen verzeichnet. Erschreckende Bilder von Massengrä-
Abdoulaye Bathily letzte Woche sein Amt als UN-Son- bern und willkürlichen Verhaftungen erreichen uns. Das
derbeauftragter für Libyen niedergelegt. Ja, wie seinen können wir nicht schweigend hinnehmen, meine sehr ver-
acht Vorgängern ist es ihm nicht gelungen, zu einer Lö- ehrten Damen und Herren!
(B) sung der politischen Krise zu kommen. Das sind (D)
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
schlechte Nachrichten für das Land. Und das ist ein deut- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der
licher Weckruf für uns: Wir müssen jetzt handeln! FDP)
Jedes Jahr debattieren wir um diese Zeit über die Betei- Darum arbeitet die Mission Irini nicht mit der liby-
ligung an Irini. Jedes Jahr berichte ich über die schwie- schen Küstenwache zusammen. Die Union hat das mehr-
rige Situation in Libyen, auf die wir unsere Aufmerksam- fach kritisiert, wir haben mehrfach erklärt, warum wir das
keit lenken müssen. Jedes Jahr sage ich: Wir dürfen die nicht machen, und Sie werden das bei der nächsten De-
Menschen nicht im Stich lassen. Und doch hat sich die batte noch mal wiederholen. Aber ich sage noch mal: Wir
Lage in Libyen nicht verbessert: Das Land ist weiterhin arbeiten mit dieser Küstenwache nicht zusammen. Das ist
gespalten. Die Lage für Geflüchtete ist unerträglich. eine entschlossene Entscheidung. Ich finde, das ist auch
Menschenrechtsverletzungen sind immer noch an der Ta- eine gute Entscheidung.
gesordnung.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
Warum sollten wir uns also weiter in Libyen engagie-
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf
ren? Weil wir den Friedensprozess weiter unterstützen
von der AfD: Sie haben gestern unseren Antrag
müssen, weil wir uns eben nicht entmutigen lassen dürfen
dazu abgelehnt!)
und weil wir konsequent unsere internationale Verant-
wortung wahrnehmen müssen. Und das heißt: Wir müs- Das Mandat beinhaltet die völkerrechtliche Verpflich-
sen die Beteiligung der Bundeswehr an der EU-Mission tung, Menschen in Seenot zu retten. Das ist auch gut so.
Irini fortsetzen. Meine Damen und Herren, für seinen Rücktritt gab der
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten UN-Sonderbeauftragte Bathily drei wichtige Gründe an:
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Erstens. Die Hoffnung auf den UN-Friedensprozess
Abg. Dr. Marcus Faber [FDP]) schwindet. Zweitens. Das Land wird zur Bühne, auf der
Ich nenne dafür drei konkrete Gründe. Erstens. Das internationale Akteure ihre Kämpfe austragen. Drittens.
Mandat setzt das Waffenembargo der Vereinten Nationen Libyen wird durch Spannungen in der gesamten Region
gegen Libyen um. Die Operation ist damit essenziell für destabilisiert. Da nenne ich: im Mittelmeer, in der Sahel-
den Friedensprozess. Zweitens. Das Mandat bekämpft zone, im Golf, aber auch in Nahost.
Schleuser, Menschenhändler und Ölschmuggler und Aber Abdoulaye Bathily betonte auch: Der Großteil
sorgt damit für mehr Sicherheit im Mittelmeer. Drittens. der libyschen Bevölkerung wünscht sich demokratische
Vom Frieden in Libyen hängt auch die Stabilität im Sahel Wahlen. Und: Sie haben die UN-Vertreterinnen und -Ver-
und der gesamten Region ab. treter offen in ihrem Land empfangen. Das kann ich auch
Deutscher Bundestag – 20. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. April 2024 21387
Dr. Karamba Diaby
(A) bestätigen. Als ich vor einem Jahr in Libyen war, wurde mals so vorgekommen. Die Bundesregierung formuliert (C)
mir klar: Deutschland wird hier als verlässlicher Partner hier mit Absicht irreführend und will eine Durchgriffs-
angesehen. Das heißt, meine Damen und Herren: Noch fähigkeit suggerieren, die nicht da ist. Sie hofft offenbar,
können wir etwas bewegen. dass der Wähler, der das dann liest, nicht genug im
Thema ist, um das zu durchschauen. Das ist unanständig.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der (Beifall bei der AfD)
FDP) Dazu kommt – auch das ist bekannt –: Ein großer Teil
Meine Damen und Herren, Abdoulaye Bathily sprach der Waffenlieferungen erfolgt über den Land- oder den
im UN-Sicherheitsrat von den vielen engagierten Men- Luftweg. Da kommt Irini sowieso nicht ran. Und selbst
schen in Libyen – Frauen, Männern, Kindern –, die da- wenn der Ansatz erfolgreich wäre – man muss unterstel-
rauf warten, dass aus dem Friedensprozess endlich wirk- len, dass das mal die Intention gewesen ist –, dann wäre ja
lich Frieden in diesem Land wird. das Ergebnis, dass nur eine Streitpartei von ihrem Nach-
schub abgeschnitten würde, und das ist ausgerechnet die
Ich wiederhole es wie jedes Jahr: Diese Menschen
international anerkannte Regierung in Tripolis. Unsere
dürfen wir nicht im Stich lassen. Ich bitte um Verlänge-
Partner in Libyen würden wir entwaffnen, während deren
rung des Mandates. Wir bitten um Ihre Unterstützung.
Gegner General Haftar seine Waffen noch hätte – ein
Danke schön. völlig irres Konzept, das aus Tripolis in der Vergangen-
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ heit zu Recht scharf kritisiert wurde.
DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der (Beifall bei der AfD)
FDP)
Was mir dann so ein bisschen auf den Zeiger geht,
wenn man die Reden hier hört: Hier sind, glaube ich,
Vizepräsident Wolfgang Kubicki: viele Ampelabgeordnete, die ganz genau wissen, wie in-
Vielen Dank, Herr Kollege Diaby. – Als nächstem effektiv dieser Einsatz ist. Trotzdem wird jedes Jahr zu-
Redner erteile ich das Wort dem Kollegen Jan Ralf Nolte, gestimmt, trotzdem wird das argumentativ irgendwie ver-
AfD-Fraktion. teidigt. Der Nutzen, den die Bundesregierung wirklich
daraus ziehen will, ist wahrscheinlich ein außenpoliti-
(Beifall bei der AfD) sches Zugeständnis: Deutschland leistet eben einen Bei-
trag. Ob die Mandatstitel wirklich umgesetzt werden oder
Jan Ralf Nolte (AfD): nicht, das ist dann zweitrangig.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Dem Wähler erzählt man das natürlich nicht. Da kom- (D)
(B) Herren! Wir sollten die Operation Irini heute beenden –
men dann so allgemeine Reden mit Worthülsen, mit All-
nicht in erster Linie, weil der Einsatz besonders kostspie- gemeinplätzen, ohne dass irgendwie mal auf die konkre-
lig oder sehr gefährlich wäre, sondern weil er seine Ziele ten Probleme dieses Mandates eingegangen wird, die hier
gar nicht erreichen kann. Was sind die Ziele? Zum einen jedes Jahr wieder angesprochen werden.
ist es der Kampf gegen Schleppernetzwerke, zum ande-
ren der Kampf gegen Waffen- und Ölschmuggel zur See. Das ist nicht in Ordnung. So sollten wir weder mit dem
Wähler noch mit Bundeswehrmandaten umgehen. Ein
Was die Schleppernetzwerke angeht, sind bisher kei- Einsatz, der seine Ziele nicht erreichen kann, der darf
nerlei Erfolge zu verzeichnen. Es hätte vielleicht helfen nicht immer wieder verlängert werden; der muss irgend-
können, beim Kapazitätsaufbau in Libyen zu unterstüt- wann auch mal beendet werden, am besten heute. Wir
zen. Aber gerade das schließt die Bundesregierung aus. lehnen ab.
Bleibt also noch der Kampf gegen die Schmuggler.
(Beifall bei der AfD)
Dafür fehlen Irini einfach die Durchgriffsrechte. Wenn
man in den Mandatstext reinschaut, wird klar: Die Bun-
desregierung weiß ganz genau, dass es im Grunde nicht Vizepräsident Wolfgang Kubicki:
vermittelbar ist, ein Mandat auf den Weg zu bringen, das Vielen Dank, Herr Kollege Nolte. – Nächster Redner
Schmuggler bekämpfen soll, dessen Konzept aber vor- ist der Kollege Dr. Marcus Faber, FDP-Fraktion.
sieht, dass man die Schmuggler erst fragen muss, bevor
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
man deren Schiffe durchsucht.
der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ-
Deswegen wird so ein bisschen mit kluger Formulie- NEN)
rung – mit geschickter Formulierung, müsste man viel-
leicht eher sagen – versucht, das zu verschleiern. Es wird Dr. Marcus Faber (FDP):
zwischen einem Friendly Approach mit Zustimmung des Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kapitäns und einer Durchsuchung gegen den Willen der Kollegen! Meine Damen und Herren! Wir haben es jetzt
Schiffsführung unterschieden. schon mehrfach gehört: Die Lage in Libyen ist geprägt
Das klingt ja erst mal knallhart. Die Bundesregierung von bewaffneten Konflikten und wirtschaftlicher Not.
weiß aber ganz genau, dass es auf den Willen der Schiffs- Die humanitäre Lage ist besorgniserregend. Viele Men-
führung sowieso nicht ankommt. Diese ist nur Vermittler, schen sind auf humanitäre Hilfe angewiesen. Millionen
sie nimmt den Hörer in die Hand und ruft den Flaggen- sind von Vertreibung, Armut und auch mangelndem Zu-
staat an. Der Flaggenstaat untersagt dann die Durch- gang zu grundlegender Versorgung betroffen. Die Ver-
suchung des Schiffes. Das ist in der Vergangenheit mehr- sorgung etwa mit sauberem Wasser, Nahrungsmitteln
21388 Deutscher Bundestag – 20. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. April 2024
Albert Stegemann
(A) Maß eingefunden. Wir sehen teilweise sogar Unterschrei- mitteln ersatzlos streichen bis zum Sommer – wir haben (C)
tungen des Vorkriegsniveaus. Beim Weizen fällt der Preis aktuell Ende April. Haben Sie eigentlich mal mit Land-
momentan unter die 200-Euro-Marke. Da kommen Dis- wirtinnen und Landwirten über Ihre Idee gesprochen und
kussionen, die auch auf Tiktok geführt und ganz bewusst erläutert, was das für diese bedeuten würde? Es ist ja noch
von Putin gefördert werden, auf, in denen gesagt wird: gar nicht so lange her, da haben Sie sich als Retter der
„Das liegt jetzt aber an den ukrainischen Importen in die Landwirtschaft präsentiert und die Ampel auf allen Büh-
Union“, und es wird überhaupt nicht über das russische nen dieses Landes dafür kritisiert,
Getreide gesprochen. Das kann nicht sein. Das müssen (Dr. Oliver Vogt [CDU/CSU]: Zu Recht! –
wir dringend ändern. Wir müssen dafür sorgen, dass Alexander Hoffmann [CDU/CSU]: Ja, zu
Russland kein Getreide mehr in die Europäische Union
Recht!)
exportiert. Das macht auch hier die Preise ein Stück weit
kaputt. Es finanziert seinen Krieg. dass wir die Landwirtschaft nicht genug beachten und
unter Druck setzen würden. Was Sie jetzt hier fordern,
Wir haben zwei Stoßrichtungen; beide lohnt es zu ver-
läuft im Ergebnis doch aufs Gleiche hinaus.
folgen. Deswegen ist das ein guter Antrag. Die Situation
hat sich komplett geändert. Daher bitte ich an dieser (Dr. Oliver Vogt [CDU/CSU]: Nee!)
Stelle um Unterstützung unseres Antrags. Ich persönlich komme aus dem Oldenburger Münster-
Vielen herzlichen Dank. land, einer der landwirtschaftlichen Boom-Regionen die-
ses Landes. Auch hier höre ich immer wieder, die CDU
(Beifall bei der CDU/CSU)
stehe an der Seite der Landwirtinnen und Landwirte.
(Dr. Oliver Vogt [CDU/CSU]: Das stimmt ja
Vizepräsident Wolfgang Kubicki: auch!)
Besten Dank, Herr Kollege Stegemann. – Als nächster
Redner hat das Wort der Kollege Alexander Bartz, SPD- Als selbsternannte Agrarexperten darf man in dieser Sa-
Fraktion. che aber wirklich etwas mehr Weitsichtigkeit und Ehr-
lichkeit von Ihnen verlangen können.
(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Anja
Liebert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) (Albert Stegemann [CDU/CSU]: Was meinen
Sie denn?)
Das zeigen Sie in diesem Antrag definitiv nicht.
Alexander Bartz (SPD):
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegin- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
(B) nen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! der FDP) (D)
„Strenge Sanktionen gegen Russland und Belarus im Ag- Und noch ein Punkt aus Ihrem Antrag, liebe Union, hat
rarbereich einführen“, das klingt beim ersten Lesen und mich sehr stutzig gemacht. Sie schreiben: Sollte eine
Hören erst mal richtig und wichtig. Dass das Ganze aber Einigung auf EU-Ebene nicht schnell genug erzielt wer-
nicht so einfach ist, wie es der vorliegende Antrag ver- den, wollen Sie Importverbote im Alleingang durchset-
muten lässt, zeigt sich beim genaueren Hinsehen, und, ich zen. – An dieser Stelle frage ich mich, ehrlich gesagt, was
denke, das wissen Sie auch, liebe Union. wohl Ihre Parteikollegin Ursula von der Leyen zu dieser
Wir haben uns über viele Jahre hinweg viel zu abhän- Idee sagt.
gig von Russland gemacht. Das mag man bewerten, wie
(Beifall bei der SPD)
man will. Ich persönlich bin jedenfalls sehr froh, dass wir
in diesem Punkt bereits die Kehrtwende eingeleitet haben Haben Sie sich mal mit ihr über dieses Gedankenspiel
und da auf einem anderen Weg sind. Der Geldfluss nach unterhalten? Wäre es mit Blick auf die Europawahl für
Russland, mit dem Putin seine Kriegswirtschaft finan- Sie nicht sinnvoller, mehr Zusammenhalt zu betonen?
ziert, muss lieber gestern als heute auf ein Minimum (Albert Stegemann [CDU/CSU]: Das geht ge-
reduziert werden und bestenfalls sogar vollständig ein- gen Russland! – Dr. Oliver Vogt [CDU/CSU]:
gestellt werden. So weit sind wir uns an dieser Stelle Konzentrieren Sie sich mal auf Ihren Europa-
doch einig. wahlkampf! Das reicht!)
Bei allen Forderungen nach möglichst harten Sanktio-
Trotz aller Differenzen, die es zwischen manchen EU-
nen ist es aber doch Aufgabe einer vorausschauenden
Staaten gibt, bin ich persönlich mehr als froh, dass weit-
Regierung, mit Bedacht vorzugehen und mögliche Kon-
reichende Entscheidungen, die das Festlegen von Sank-
sequenzen für unsere Wirtschaft immer mitzudenken.
tionen betreffen, nur im gemeinsamen europäischen Kon-
Der vorliegende Antrag der Union liest sich so, als könne
sens getroffen werden.
man die Sanktionsschraube bedingungslos und beliebig
fest anziehen. Was Sie dabei in Ihrem Antrag aber nicht (Beifall bei Abgeordneten der SPD)
erwähnen, sind die negativen Auswirkungen für unsere Alleingänge sorgen nicht für Ergebnisse. Alleingänge
Agrarbetriebe, die ein solches Vorgehen leider auch mit sorgen für mehr Spaltung innerhalb der Europäischen
sich bringen würde. Union. Sie wären ein Zeichen von Schwäche. Sie wären
Sie fordern, alle Vorkehrungen zu treffen, um bis zum Wasser auf die Mühlen von rechten Strömungen, und sie
Sommer 2024 ein Importverbot auf alle Agrargüter, Dün- wären vor allen Dingen ein Erfolg für Putin. Deswegen
gemittel und Lebensmittel aus Russland und Belarus ein- wird es solche Alleingänge mit uns an dieser Stelle de-
führen zu können. Sämtliche Importverbote von Dünge- finitiv nicht geben.
Deutscher Bundestag – 20. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. April 2024 21393
Alexander Bartz
(A) (Beifall bei der SPD – Zuruf des Abg. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (C)
Alexander Hoffmann [CDU/CSU]) Vielen Dank, Herr Kollege Bartz. – Nächster Redner
Um eines klarzustellen: Sanktionen gegen Russland ist der Kollege Frank Rinck, AfD-Fraktion.
und Belarus sind natürlich ein elementarer Bestandteil (Beifall bei der AfD)
in der Auseinandersetzung mit Russland. Deswegen pas-
siert auf europäischer Ebene aktuell auch einiges. Die Frank Rinck (AfD):
EU-Kommission prüft aktuell Sanktionspakete im Agrar- Herr Präsident! Werte Kollegen! Liebe Mitbürger! Wir
bereich, zum Beispiel gegen die Einfuhr von Getreide benötigen in der EU und in Deutschland keine weiteren
und Ölsaaten. Sie tut dies aber nicht alleine. Sie tut dies Sanktionen gegen Russland oder gegen Weißrussland,
mit Bedacht und immer eng abgestimmt mit ihren Mit-
gliedstaaten. So soll es sein, und auch nur so macht das (Zuruf des Abg. Alexander Hoffmann [CDU/
Ganze wirklich Sinn. CSU])
(Dr. Oliver Vogt [CDU/CSU]: Ja, vielen Dank nicht im Agrarbereich und auch sonst nirgendwo. Darun-
für das Lob für Ursula von der Leyen!) ter leidet nur einer, und das ist die deutsche Wirtschaft.
Was wir zum aktuellen Zeitpunkt tatsächlich selbst tun (Beifall bei der AfD)
können, ist, unsere Agrarbranche Schritt für Schritt von Wir brauchen Handel und eine Friedensinitiative. Wir
Russland unabhängig zu machen. brauchen Kali- und Stickstoffdünger aus Russland – das
(Beifall bei Abgeordneten der SPD) hat mein Vorredner eben schon richtigerweise angespro-
chen –, da unsere Produktionsanlagen wegen Ihrer ver-
Schauen wir uns speziell die Düngemittel an, so wird fehlten Sanktionspolitik, über die Sie hier ganz hervor-
deutlich, dass diese vor Putins menschenverachtender ragend im Einklang abgestimmt haben, und Ihrer völlig
Invasion mit billigem russischem Gas in Deutschland verfehlten Energiepolitik nicht mehr in ausreichender
produziert wurden. Die Energiekrise hat die Hersteller Menge produzieren. Sie haben unsere heimische Dünger-
hart getroffen. Was war die Folge? Hohe Gaspreise, ge- produktion plattgemacht.
drosselte Produktion, direkter Import von Stickstoffdün-
Mit Ihrer Sanktionspolitik ging leider auch der Abbau
ger aus Russland. Unser Hebel bei alldem ist doch der
von Zigtausend Arbeitsplätzen einher. Scheinbar wollen
Ausbau der erneuerbaren Energien. An dieser Stelle sind
Sie von der CDU/CSU jetzt in genau dieselbe Kerbe
wir doch aktiv, meine Damen und Herren.
schlagen und damit weitermachen. Die Kosten für Dün-
(Beifall bei Abgeordneten der SPD – ger würden dann wieder in astronomische Höhe steigen.
(B) Dr. Oliver Vogt [CDU/CSU]: Ganz massiv!) Anteil an dem Problem haben natürlich auch die ille- (D)
Wie auch alle anderen energieintensiven Branchen galen Getreideimporte aus der Ukraine, die unseren
wird die Düngemittelindustrie hiervon massiv profitie- Markt hier in Deutschland massiv geschädigt haben und
ren. Deswegen bringt die Ampel nach vielen Jahren des immer noch weiter schädigen. Meine Damen und Herren,
Stillstands nun unter anderem das Thema Wasserstoff die sogenannten Getreidesolidaritätskorridore durch
voran. Wir bauen LNG-Terminals, besorgen Flüssiggas unser Land entwickeln sich zu großartigen, illegalen
aus den USA, Schmuggelrouten für internationale Investoren in und
aus der Ukraine. Dadurch werden die Läger und Mühlen
(Dr. Oliver Vogt [CDU/CSU]: Wahnsinn! Da in Deutschland und Europa mit ukrainischem Getreide
wird einem ganz schwindelig!) geflutet. Dies führt zu einem Preisverfall auf dem deut-
schließen Partnerschaften mit Kanada, Australien und schen Getreidemarkt bei gleichzeitiger Produktionskos-
Neuseeland. Das alles wird uns dabei helfen, den Preis- tensteigerung hier bei uns.
druck von unseren Düngemittelherstellern zu nehmen, Ohne kostengünstigen Dünger aus den Ländern, die
die Produktion in Deutschland zu stärken Sie sanktionieren wollen, meine Damen und Herren von
(Dr. Oliver Vogt [CDU/CSU]: Bis dahin gibt es der CDU/CSU, ist die deutsche Landwirtschaft in dieser
gar keine Produktion mehr, wenn Sie so wei- Art und Weise doch gar nicht mehr darstellbar. Eigentlich
termachen!) wundert es mich, dass Sie hier einen solch verrückten
Antrag stellen.
und Putin damit ein großes Druckmittel zu nehmen –
(Beifall bei der AfD)
ganz unabhängig von Sanktionen.
Warum sollen wir den Ast absägen, auf dem wir sitzen,
Um das Thema abzuschließen, sehr geehrte Union: Wir
für einen Konflikt, dessen Preis unsere Betriebe und un-
sind uns einig, dass die Sanktionen gegen Russland und
sere Unternehmen zahlen? Das ist nicht unser Krieg.
Belarus ein wichtiger Bestandteil im Umgang mit Putin
Aber er gefährdet wegen Ihrer Politik unsere gesamte
sind. Unsere Position bleibt aber klar: Wir wollen ein
Wirtschaft und auch unsere Versorgungssicherung mit
abgestimmtes Sanktionsregime, das auf EU-Ebene koor-
Lebensmitteln.
diniert und beschlossen wird, um eine größtmögliche
Wirkung zu entfalten. Die bisherigen Sanktionen tragen im Übrigen auch mit
dazu bei, dass das deutsche Wirtschaftswachstum mo-
Vielen Dank, meine Damen und Herren.
mentan bei 0,2 Prozent steht, während das Wirtschafts-
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten wachstum der Russischen Föderation bei 3,2 Prozent
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) liegt.
21394 Deutscher Bundestag – 20. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. April 2024
Frank Rinck
(A) (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- – Ja, gucken Sie mal an. (C)
NEN]: Wie viel Geld haben Sie für den Satz Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will
gekriegt?) etwas zu meinem Vorredner sagen. Wenn Sie hier sagen,
– Frau Künast, jetzt hören Sie mal genau zu: Das sage Ihre Standards seien die deutschen, glaubt das kein
nicht ich, das sagt der IWF. Mensch.
(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
NEN]: Jawoll! – Stephan Brandner [AfD]: sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)
Ah! Wie viel Geld hat der denn bekommen?)
Herzlichen Glückwunsch! Ihr Versagen in Gänze ist Das glaubt kein Mensch. Sie sagen doch immer, alles sei
kaum noch besser darstellbar. hier falsch; Sie reden immer pro Russland, pro China.
(Beifall bei der AfD) (Karsten Hilse [AfD]: Niemand redet pro
Natürlich wollen wir keine Produkte auf unserem Russland!)
Markt, die unsere Standards nicht erfüllen. Das wissen
Sie, das ist eine der Kernpositionen der AfD. Die deut- Sie sagen, Ihre Politik sei so toll auf die Bauern aus-
schen Standards sind unantastbar, völlig egal, ob ukrai- gerichtet. In Ihrem Programm steht, dass Sie den Bauern
nisches oder russisches Getreide. Nichtsdestotrotz brau- sämtliche Subventionen streichen wollen. Warum bekla-
chen wir den Dünger von dort; denn hier produzieren wir gen Sie dann unser Vorgehen beim Agrardiesel? Das
keinen mehr. macht keinen Sinn. Als Letztes füge ich hinzu: Wenn
irgendjemand in diesem Land das Wort „Vernunft“
Sie und Ihre Parteien haben der deutschen Landwirt- schreibt, wird das bestimmt nicht mit den Buchstaben
schaft in diesem Jahr doch eigentlich schon mehr als der AfD buchstabiert.
genug geschadet. Denkt man nur mal ein paar Monate
zurück: Ausgleichszahlungen werden nicht rechtzeitig (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS-
ausgeschüttet, die Agrardieselrückvergütung haben Sie SES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)
abgewickelt. Auch Sie von der CDU/CSU haben sich
da nicht mit Ruhm bekleckert; Sie hätten sich ja mit uns Ich will eines klar sagen zu dem Antrag der CDU/CSU:
abstimmen können. Gut, dass Sie ihn stellen und damit ein Thema adressie-
ren, das uns alle bewegt und interessiert. Sie adressieren
Vielleicht sollten Sie mal aus dem Elfenbeinturm raus-
damit ein Thema, das auf europäischer Ebene längst se-
kommen, alle Mann, und die Realität auf den deutschen
riös diskutiert wird. Ich halte daher Ihre sehr rabiaten
Straßen sehen. Kein deutscher Bürger möchte, dass wir
(B) Äußerungen – vollumfängliches Importverbot für Agrar- (D)
diesen Konflikt weiter befeuern.
güter, Düngemittel, Lebensmittel aus Russland und Be-
(Beifall bei der AfD) larus und sogar ein Exportverbot für Landmaschinen aus
Wir brauchen eine Politik der Vernunft, eine Politik der Deutschland nach Russland – für ein bisschen undifferen-
Diplomatie und, meine Damen und Herren, keine Politik ziert. Ich will Ihnen auch sagen, warum. Ich glaube, dass
der weiteren Eskalation. die Debatte den richtigen Punkt trifft – deshalb wird ja in
Brüssel über Sanktionen, Zölle und Ähnliches dis-
(Dr. Daniela De Ridder [SPD]: Wer das will, kutiert –, dass man aber schon genauer hinsehen muss.
darf aber nicht die AfD wählen!) Das heißt, dass man sehr genau nach den einzelnen Pro-
Frieden und Wohlstand sollten eigentlich das Ziel deut- duktgruppen, um die es in diesem Bereich geht, differen-
scher Politik sein. Das erreichen wir nicht mit weiteren ziert. Dann muss man sich überlegen: Sind Sanktionen
uns selbst schädigenden Sanktionen. oder Zölle besser? Was hat die größere Wirkung? Wofür
kriegt man eher eine Mehrheit?
Vielen Dank.
Dann müssen wir uns zum Beispiel überlegen, welches
(Beifall bei der AfD) Preissignal das für die europäischen Märkte bei den Dün-
gemitteln aussendet. Das spricht noch nicht gegen Sank-
Vizepräsident Wolfgang Kubicki: tionen. Aber wir müssen dann auch die Landwirte über-
Vielen Dank, Herr Kollege Rinck. – Wenn ich das zeugen. Wenn die Preise dann steigen und Düngemittel
richtig sehe, ist die nächste Rednerin die Kollegin Renate teurer sind, müssen wir – da würde ich mir Ihre Unter-
Künast, Bündnis 90/Die Grünen. stützung wünschen – ein paar gute Programme auflegen,
zum Beispiel für mehr Leguminosenanbau und Stick-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN stoffbindung im Boden, anstatt GLÖZ abzuschaffen. Da
sowie bei Abgeordneten der SPD und der müssen Sie sich bitte ganzheitlich bewegen, meine Her-
FDP – Stephan Brandner [AfD]: Wie viel ren.
Geld kriegen Sie für die Rede, Frau Künast?)
Ich möchte auch eine Folgenabschätzung für Drittstaa-
ten vornehmen und schauen, ob Produkte durch Deutsch-
Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): land durchgeleitet werden, die dann Ländern, in denen
Ich kriege das, was Sie auch kriegen, die sogenannten gehungert wird, ein Problem bereiten. Jetzt will ich nie-
Diäten, Herr Kollege. manden in die Situation bringen, russisches Getreide zu
(Stephan Brandner [AfD]: Ah, gucken Sie mal essen, um den Hunger zu stillen. Aber wir müssen uns
an!) alles ansehen.
Deutscher Bundestag – 20. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. April 2024 21395
Renate Künast
(A) (Karsten Hilse [AfD]: Das ist ja menschenver- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, (C)
achtend, was Sie da erzählen! Menschenver- bei der SPD und der FDP – Stephan Brandner
achtende Grüne!) [AfD]: Wo lesen Sie die Geheimdienstberichte,
Frau Künast?)
Vizepräsident Wolfgang Kubicki:
Frau Kollegin, kommen Sie zum Schluss, bitte. Vizepräsident Wolfgang Kubicki:
Nun unterbreche ich kurz die Aussprache und komme
Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): zurück auf den Tagesordnungspunkt 15. Die Zeit für die
Ich wollte damit sagen: Sie haben im Prinzip recht, namentliche Abstimmung ist gleich vorbei. Ist jemand im
aber die Situation ist komplexer. Wir müssen unseren Saal, der seine Stimme noch nicht abgegeben hat? – Das
eigenen Markt im Auge behalten. Wir sollten keine Al- sehe ich nicht. Dann schließe ich die Abstimmung und
leingänge machen, sondern das Ganze seriös in Brüssel bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der
beraten. Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung
wird Ihnen zu einem späteren Zeitpunkt bekannt gege-
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- ben.1)
SES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der FDP –
Hermann Färber [CDU/CSU]: Das ist ja fast Wir kommen jetzt zurück zu unserer Aussprache zu
ein Kompliment!) TOP 16, und ich erteile als nächstem Redner dem Kolle-
gen Carl-Julius Cronenberg, FDP-Fraktion, das Wort.
Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
Vielen Dank. – Sie können gleich noch mal zu Wort der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ-
kommen. Die AfD-Fraktion hat um eine Kurzinterven- NEN)
tion gebeten, die ich zulasse. Herr Kollege Rinck, Sie
haben das Wort. Carl-Julius Cronenberg (FDP):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit
Frank Rinck (AfD): dem vorliegenden Antrag fordert die Union die Bundes-
Nun, Frau Künast, da Sie mich gerade nach meinem regierung auf, sich in Brüssel für strenge Sanktionen
Redebeitrag angesprochen haben: Ich weiß nicht genau, gegen Russland im Agrarbereich einzusetzen.
für wen Sie und Ihre Partei hier Politik machen. Aber (Max Straubinger [CDU/CSU]: Dem sollten
über mich kann ich Ihnen sagen: Ich mache Politik für Sie sich anschließen!)
(B) das deutsche Volk. Sie sollten vielleicht auch mal lesen, Damit wäre geklärt, wie groß sie den Einfluss auf die (D)
was am Deutschen Bundestag steht: „Dem deutschen
eigene Spitzenkandidatin bei der anstehenden Europa-
Volke“.
wahl, Ursula von der Leyen, einschätzt.
(Beifall bei der AfD – Dr. Daniela De Ridder
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
[SPD]: Das steht da! Aber ist das auch Ihre
der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ-
Realität?)
NEN – Alexander Hoffmann [CDU/CSU]: Sie
sind doch nicht frei von Verantwortung!)
Vizepräsident Wolfgang Kubicki:
Vielleicht ist er tatsächlich nicht sonderlich groß, was
Frau Kollegin Künast, Sie müssen darauf nicht ant- dann aber automatisch zu der Frage führt, warum die
worten. Sie können darauf antworten, wenn Sie wollen. Union eine Kandidatin kürt, die in Brüssel konsequent
missachtet, was die Union in Berlin beschließt.
Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
Ich sage Ihnen, Herr Rinck: Ich lese immer in den
der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ-
Berichten der Geheimdienste, wer bei Ihnen welches
NEN)
Geld bekommt.
Vielleicht verleiht der heutige Antrag aber auch der Er-
(Stephan Brandner [AfD]: Ach so! Wo liest
kenntnis Ausdruck, dass es an der Politik der Bundes-
man denn Geheimdienstberichte? Ich kenne
regierung, was die Russland-Sanktionen anbetrifft, genau
die Geheimdienstberichte nicht! Sind Sie im
genommen nichts auszusetzen gibt.
PKGr, oder was? – Frank Rinck [AfD]: Mei-
nen Namen haben Sie da noch nie gelesen!) Oder aber die Antragsteller wollen kurz vor der Euro-
pawahl der heimischen Landwirtschaft ein protektionis-
– Trotz alledem gibt es in Ihrer Gruppe eine ganze Menge
tisches Zückerle anbieten, ohne in die missliche Lage zu
Leute, die Geld nehmen.
geraten, derselben erklären zu müssen, dass die Union
(Frank Rinck [AfD]: Meinen Namen haben Sie sich an anderer Stelle vehement für den Abschluss von
da noch nie gelesen!) mehr und neuen Handelsabkommen – von Kanada bis
Wenn Sie Herrn Krah, Herrn Bystron und andere nicht Neuseeland, von Australien bis Argentinien – einsetzt.
auffordern, ihre Mandate niederzulegen, dann müssen Sie (Beifall bei der FDP – Max Straubinger [CDU/
sich das quasi im Wege des Organisationsverschuldens CSU]: Ja, aber nicht mit Russland!)
mit anrechnen lassen.
Danke. 1)
Ergebnis Seite 21397 D
21396 Deutscher Bundestag – 20. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. April 2024
Carl-Julius Cronenberg
(A) Ich sage mal so: Ihrer politischen Glaubwürdigkeit Das mindert chinesischen und russischen Einfluss im (C)
sind solche wahlkampftaktischen Nebelkerzen wohl Globalen Süden. Das stärkt Europa im Wettbewerb mit
kaum dienlich, verehrte Kolleginnen und Kollegen von den Autokraten und bringt verlorenes Vertrauen zurück.
der Union.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP)
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen, es mag uns nicht
zufriedenstellen, dass Sanktionen kurzfristig nicht viel
Also unterstellen wir mal, Sie seien ernsthaft der An- nutzen, vielleicht sogar schaden. Aber langfristig können
sicht, dass Strafzölle auf russische Agrarexporte in der klug verhängte Sanktionen Russland tatsächlich schwä-
Lage wären, Putins Kriegswirtschaft empfindlich zu chen. Bis dahin geht es darum, die Ukraine in ihrem
schwächen. Das Volumen der russischen Agrarexporte tapferen Verteidigungskampf weiter massiv zu unterstüt-
in die EU wird auf 2 Milliarden Euro im Jahr geschätzt. zen. Dafür brauchen wir eine starke Wirtschaft – so stark,
Nach Abzug aller Kosten für Erzeugung, Speicherung dass wir immer die Ressourcen haben, die es braucht,
und Transport dürfte ein mittlerer dreistelliger Millionen- whatever it takes. Das schaffen wir mit mehr freiem Han-
betrag für Putins Kriegskasse übrig bleiben. Fiele der del, weniger Bürokratie und der Wirtschaftswende in
weg, wäre das nicht nichts; ganz sicher nicht. Aber der Brüssel und Berlin.
Einfluss auf die finanziellen Fähigkeiten des Kremls
bleibt ehrlicherweise marginal. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ-
Anders verhält es sich mit den russischen Ölexporten. NEN)
Die spülen tatsächlich Jahr für Jahr Zigmilliarden Dollar
in Putins Staatssäckel und finanzieren somit quasi die
gesamten Kriegskosten von geschätzten 100 Milliarden Vizepräsident Wolfgang Kubicki:
Dollar per annum. Kurzfristig können wir – leider, leider – Vielen Dank, Herr Kollege Cronenberg. – Nächster
daran nichts ändern. Langfristig ist es der Ausbau der Redner ist der erfolgreiche CSU-Abgeordnete Max
erneuerbaren Energien, der zu weltweit sinkender Nach- Straubinger.
frage nach Rohöl und damit zu weniger Petrodollars für (Beifall bei der CDU/CSU)
Putin führt. So schwächen wir den russischen Aggressor,
liebe Kolleginnen und Kollegen. Wenn die Welt kein Öl
mehr braucht, trocknet Putins Kasse aus. Max Straubinger (CDU/CSU):
Mein geschätzter Herr Präsident! Werte Kolleginnen
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten und Kollegen! Wir diskutieren heute über den von der
der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- CDU/CSU-Fraktion eingebrachten Antrag, die Sanktio- (D)
(B) NEN) nen im Agrarbereich gegenüber Russland zu verstärken
Welche Auswirkungen hätten Strafzölle auf russischen bzw. sie insgesamt auszubauen, soweit in einzelnen Be-
Weizen kurzfristig? Zunächst bedeutet weniger Angebot reichen noch nicht geschehen.
steigende Preise für Lebensmittel – nicht gut für Verbrau- Wir haben den Agrarbereich in der Regel von den
cherinnen und Verbraucher in Europa, für unsere Her- Sanktionen ausgenommen ob der globalen Sichtweise
steller von Lebensmitteln auch nicht und erst recht nicht auf die Ernährungssituation auf der Welt. Ich glaube,
gut für die Menschen in den ärmsten Ländern der Welt das war auch richtig so in der Vergangenheit. Aber wir
wie Somalia und Eritrea, dort, wo es noch Millionen müssen jetzt feststellen, dass die vermehrten Exporte von
Menschen gibt, die Hunger leiden. Russland in die Europäische Union mittlerweile einen
(Beifall der Abg. Carina Konrad [FDP] und Beitrag dazu leisten, Destabilisierungspolitik gegenüber
Dr. Daniela De Ridder [SPD]) der EU zu betreiben.
Ich frage Sie: Haben Sie Ihren eigenen Antrag eigent- (Beifall bei der CDU/CSU)
lich mal zu Ende gedacht? Wollen Sie ernsthaft für ein
Während im Jahr 2022 noch rund 400 000 Tonnen Wei-
paar Sympathiepunkte bei den Bauern steigende Lebens-
zen von Russland in die EU exportiert wurden, so hat sich
mittelpreise in Eritrea als Kollateralschaden billigend in
der Export Russlands innerhalb eines Jahres auf
Kauf nehmen? Das kann doch nicht Ihr Ernst sein.
818 000 Tonnen verdoppelt.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP, der SPD
Lieber Herr Cronenberg, hier geht es nicht um die
und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN –
Frage, ob damit in irgendeiner Art und Weise der Preis
Albert Stegemann [CDU/CSU]: Das haben
beeinträchtigt wird. Die Preise bilden sich auf den Welt-
wir doch erklärt! Sie hätten zuhören sollen! –
märkten. Es gibt ein großes Angebot; aber mittlerweile ist
Alexander Hoffmann [CDU/CSU]: Fragen Sie
Russland dazu übergegangen, die Preise bzw. die Stabi-
doch mal Ihre Agrarpolitiker, wenn Sie selber
lität in der Europäischen Union mit einer Niedrigpreis-
nichts davon verstehen!)
politik beim Angebot zu unterlaufen. Das dient letztend-
Am Ende des Tages stärkt Ihr Antrag das chinesisch- lich dazu, die Märkte bei uns zu destabilisieren, und ist
russische Narrativ, dass es der Westen nicht gut meint mit dazu angetan, die Kriegswirtschaft von Putin zu finanzie-
dem Rest der Welt. Statt mit protektionistischen Zöllen ren.
Märkte zuzumachen, wäre es besser, wir öffneten unsere Lieber Herr Cronenberg, ich verstehe Sie an dieser
Märkte für Exporte aus Afrika und Südamerika. Stelle wirklich nicht. Ihrer Logik folgend müsste man
(Beifall des Abg. Nils Gründer [FDP]) auch weiterhin Gas aus Russland beziehen.
Deutscher Bundestag – 20. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. April 2024 21397
Max Straubinger
(A) (Beifall bei der CDU/CSU – Carl-Julius Schaden zugefügt haben? Ist das ein Ungleichgewicht? (C)
Cronenberg [FDP]: Nein!) Ist es richtig, dass in der Metallindustrie oder auch im
– Natürlich, genau so. Lebensmitteleinzelhandel und im sonstigen Einzelhandel
oder im Dienstleistungsbereich – Stichwort „keine Inge-
(Beifall bei der CDU/CSU) nieurleistungen“ – und, und, und viele deutsche Anbieter
So wie Sie die Logik des freien Handels vorgetragen nicht mehr tätig werden durften? Die sind auch geschä-
haben, müsste das geschehen. digt.
(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Wenn man mit Sanktionen arbeitet, dann braucht man
NEN]: Das hat er doch gerade klar gesagt!) eine konsequente Politik. Denn es geht hier nicht nur um
die Preisbildung, Herr Kollege Cronenberg. Es geht letzt-
Bei den Vorwürfen, die Sie an die Europäische Kom- endlich auch um die Stringenz der Haltung gegenüber der
mission richten, haben Sie der Kollegin Künast offen- Kriegswirtschaft von Russland und Putin.
sichtlich nicht zugehört. Denn Frau Kollegin Künast hat
dargelegt, dass auf der europäischen Ebene bereits über (Beifall bei der CDU/CSU)
Sanktionen bezüglich Nahrungsmittelimporten aus Russ-
Dazu wollen wir mit unserem Antrag einen Beitrag leis-
land sehr intensiv diskutiert wird.
ten.
(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
Wir bitten um Unterstützung unseres Antrags, damit
NEN]: Oder Zölle!)
die Bundesregierung in dieser Richtung tätig wird und
Ich würde den werten Ampelkollegen empfehlen, sie zusätzlich auf die Europäische Union entsprechenden
diese Diskussion auch mitzugestalten. Denn die europäi- Einfluss ausübt,
schen Vertreter sind schon wesentlich weiter als Sie, die
Sie hier die Diskussion führen. (Zuruf von der SPD: Da haben Sie doch gute
Beziehungen!)
(Beifall bei der CDU/CSU)
damit diese Importe aus Russland endlich gestoppt wer-
Sie sind nämlich für entsprechende Sanktionen gegen- den.
über Russland.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
(Zuruf von der SPD)
(Beifall bei der CDU/CSU)
– Ja, natürlich wird das getan, Herr Bartz.
Ich bin überzeugt, dass wir diese Sanktionen insbeson-
dere bei Getreideimporten erleben werden, verbunden Vizepräsident Wolfgang Kubicki:
(B) mit zusätzlichen Zöllen, weil das auch richtig ist. Der Vielen Dank, Herr Kollege Straubinger. (D)
Weizen, der in Russland produziert wird, soll auf den Bevor ich dem nächsten Redner das Wort erteile,
Weltmärkten woanders angeboten werden, aber nicht in komme ich zurück zu Tagesordnungspunkt 15.
der Europäischen Union,
(Dr. Daniela De Ridder [SPD]: Das macht dann Ich gebe Ihnen das von den Schriftführerinnen und
die Kriegskassen auch nicht leerer!) Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Ab-
stimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärti-
wo er für harte Währung verkauft wird und damit letzt- gen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung auf
endlich die Kriegswirtschaft Russlands und Putins stärkt. Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streit-
So ist es, Herr Bartz. kräfte an der durch die Europäische Union geführten
(Beifall bei der CDU/CSU) Operation EUNAVFOR MED IRINI bekannt:
Wenn Sie sich gegen Sanktionen wehren, dann frage Abgegebene Stimmkarten 657. Mit Ja haben gestimmt
ich mich nur: Wie viele Sanktionen haben wir ausgespro- 555, mit Nein haben gestimmt 100, Enthaltungen 2. Die
chen, die der deutschen Wirtschaft letztendlich auch Beschlussempfehlung ist damit angenommen.
(A) Wolfgang Hellmich Jörg Nürnberger Emily Vontz Serap Güler (C)
Anke Hennig Lennard Oehl Dirk Vöpel Fritz Güntzler
Nadine Heselhaus Mahmut Özdemir Dr. Carolin Wagner Olav Gutting
Heike Heubach (Duisburg) Hannes Walter Christian Haase
Thomas Hitschler Aydan Özoğuz Carmen Wegge Florian Hahn
Angela Hohmann Dr. Christos Pantazis Lena Werner Jürgen Hardt
Jasmina Hostert Wiebke Papenbrock Dirk Wiese Matthias Hauer
Verena Hubertz Natalie Pawlik Dr. Herbert Wollmann Dr. Stefan Heck
Markus Hümpfer Jens Peick Gülistan Yüksel Mechthild Heil
Frank Junge Christian Petry Stefan Zierke Thomas Heilmann
Josip Juratovic Jan Plobner Dr. Jens Zimmermann Mark Helfrich
Oliver Kaczmarek Sabine Poschmann Armand Zorn Marc Henrichmann
Elisabeth Kaiser Achim Post (Minden) Katrin Zschau Ansgar Heveling
Macit Karaahmetoğlu Martin Rabanus Susanne Hierl
Carlos Kasper Ye-One Rhie Christian Hirte
Andreas Rimkus
CDU/CSU
Anna Kassautzki Alexander Hoffmann
Gabriele Katzmarek Daniel Rinkert Knut Abraham Dr. Hendrik
Dr. Franziska Kersten Sönke Rix Stephan Albani Hoppenstedt
Helmut Kleebank Dennis Rohde Norbert Maria Altenkamp Franziska Hoppermann
Dr. Kristian Klinck Sebastian Roloff Philipp Amthor Hubert Hüppe
Lars Klingbeil Dr. Martin Rosemann Peter Aumer Erich Irlstorfer
Annika Klose Jessica Rosenthal Dorothee Bär Anne Janssen
Tim Klüssendorf Michael Roth (Heringen) Thomas Bareiß Thomas Jarzombek
Dr. Bärbel Kofler Dr. Thorsten Rudolph Melanie Bernstein Anja Karliczek
Simona Koß Tina Rudolph Peter Beyer Dr. Stefan Kaufmann
Anette Kramme Nadine Ruf Marc Biadacz Ronja Kemmer
Dunja Kreiser Bernd Rützel Steffen Bilger Michael Kießling
Martin Kröber Sarah Ryglewski Michael Brand (Fulda) Dr. Ottilie Klein
Kevin Kühnert Johann Saathoff Dr. Reinhard Brandl Volkmar Klein
Sarah Lahrkamp Axel Schäfer (Bochum) Dr. Helge Braun Julia Klöckner
Andreas Larem Rebecca Schamber Sebastian Brehm Axel Knoerig
Dr. Karl Lauterbach Johannes Schätzl Heike Brehmer Anne König
(B) Sylvia Lehmann Dr. Nina Scheer Ralph Brinkhaus Markus Koob (D)
Kevin Leiser Marianne Schieder Dr. Carsten Brodesser Carsten Körber
Luiza Licina-Bode Udo Schiefner Dr. Marlon Bröhr Gunther Krichbaum
Esra Limbacher Peggy Schierenbeck Yannick Bury Dr. Günter Krings
Helge Lindh Timo Schisanowski Gitta Connemann Tilman Kuban
Bettina Lugk Christoph Schmid Mario Czaja Ulrich Lange
Thomas Lutze Dr. Nils Schmid Astrid Damerow Armin Laschet
Dr. Tanja Machalet Uwe Schmidt Alexander Dobrindt Dr. Silke Launert
Isabel Mackensen-Geis Dagmar Schmidt (Wetzlar) Michael Donth Jens Lehmann
Holger Mann Daniel Schneider Hansjörg Durz Paul Lehrieder
Dr. Zanda Martens Carsten Schneider (Erfurt) Ralph Edelhäußer Dr. Katja Leikert
Dorothee Martin Johannes Schraps Alexander Engelhard Dr. Andreas Lenz
Parsa Marvi Christian Schreider Martina Englhardt-Kopf Andrea Lindholz
Franziska Mascheck Michael Schrodi Thomas Erndl Dr. Carsten Linnemann
Katja Mast Svenja Schulze Hermann Färber Patricia Lips
Andreas Mehltretter Frank Schwabe Uwe Feiler Bernhard Loos
Takis Mehmet Ali Stefan Schwartze Enak Ferlemann Daniela Ludwig
Dirk-Ulrich Mende Andreas Schwarz Alexander Föhr Klaus Mack
Robin Mesarosch Rita Schwarzelühr-Sutter Thorsten Frei Dr. Astrid Mannes
Kathrin Michel Dr. Lina Seitzl Dr. Hans-Peter Friedrich Andreas Mattfeldt
Dr. Matthias Miersch Svenja Stadler (Hof) Stephan Mayer
Matthias David Mieves Martina Stamm-Fibich Michael Frieser (Altötting)
Susanne Mittag Dr. Ralf Stegner Ingo Gädechens Volker Mayer-Lay
Claudia Moll Mathias Stein Dr. Thomas Gebhart Dr. Michael Meister
Siemtje Möller Claudia Tausend Dr. Jonas Geissler Friedrich Merz
Bettina Müller Michael Thews Fabian Gramling Jan Metzler
Michael Müller Markus Töns Dr. Ingeborg Gräßle Dr. Mathias Middelberg
Detlef Müller (Chemnitz) Carsten Träger Hermann Gröhe Dietrich Monstadt
Michelle Müntefering Anja Troff-Schaffarzyk Michael Grosse-Brömer Maximilian Mörseburg
Dr. Rolf Mützenich Derya Türk-Nachbaur Markus Grübel Axel Müller
Brian Nickholz Frank Ullrich Manfred Grund Florian Müller
Dietmar Nietan Marja-Liisa Völlers Oliver Grundmann Sepp Müller
Deutscher Bundestag – 20. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. April 2024 21399
(A) Carsten Müller Bettina Margarethe Dr. Franziska Krumwiede- Renata Alt (C)
(Braunschweig) Wiesmann Steiner Christine Aschenberg-
Stefan Müller (Erlangen) Klaus-Peter Willsch Renate Künast Dugnus
Dr. Stefan Nacke Elisabeth Winkelmeier- Markus Kurth Christian Bartelt
Petra Nicolaisen Becker Ricarda Lang Jens Beeck
Moritz Oppelt Tobias Winkler Steffi Lemke Ingo Bodtke
Florian Oßner Mechthilde Wittmann Anja Liebert Friedhelm Boginski
Josef Oster Mareike Wulf Helge Limburg Dr. Jens Brandenburg
Henning Otte Emmi Zeulner Dr. Tobias Lindner (Rhein-Neckar)
Ingrid Pahlmann Paul Ziemiak Denise Loop Mario Brandenburg
Stephan Pilsinger Nicolas Zippelius Max Lucks (Südpfalz)
Dr. Christoph Ploß Dr. Anna Lührmann Sandra Bubendorfer-
Dr. Martin Plum Dr.-Ing. Zoe Mayer Licht
BÜNDNIS 90/ Karlheinz Busen
Thomas Rachel DIE GRÜNEN Susanne Menge
Swantje Henrike Carl-Julius Cronenberg
Kerstin Radomski
Stephanie Aeffner Michaelsen Bijan Djir-Sarai
Alexander Radwan
Luise Amtsberg Dr. Irene Mihalic Christian Dürr
Alois Rainer
Andreas Audretsch Boris Mijatovic Dr. Marcus Faber
Henning Rehbaum
Maik Außendorf Sascha Müller Daniel Föst
Dr. Markus Reichel
Tobias B. Bacherle Beate Müller-Gemmeke Otto Fricke
Josef Rief
Lisa Badum Sara Nanni Maximilian Funke-
Lars Rohwer Kaiser
Stefan Rouenhoff Annalena Baerbock Dr. Ingrid Nestle
Felix Banaszak Dr. Ophelia Nick Martin Gassner-Herz
Thomas Röwekamp Knut Gerschau
Erwin Rüddel Karl Bär Dr. Konstantin von Notz
Katharina Beck Omid Nouripour Anikó Glogowski-
Albert Rupprecht Merten
Lukas Benner Cem Özdemir
Catarina dos Santos-Wintz Nils Gründer
Dr. Franziska Brantner Julian Pahlke
Dr. Christiane Schenderlein Thomas Hacker
Dr. Anna Christmann Lisa Paus
Jana Schimke Philipp Hartewig
Dr. Janosch Dahmen Dr. Paula Piechotta
Patrick Schnieder Ulrike Harzer
Ekin Deligöz Filiz Polat
Nadine Schön Peter Heidt
Dr. Sandra Detzer Dr. Anja Reinalter
Felix Schreiner Katrin Helling-Plahr
Katharina Dröge Tabea Rößner
Detlef Seif Markus Herbrand
(B) Thomas Silberhorn Deborah Düring Claudia Roth (Augsburg) (D)
Dr. Manuela Rottmann Torsten Herbst
Björn Simon Harald Ebner
Michael Sacher Katja Hessel
Tino Sorge Leon Eckert
Jamila Schäfer Dr. Gero Clemens
Katrin Staffler Marcel Emmerich Hocker
Emilia Fester Dr. Sebastian Schäfer
Dr. Wolfgang Stefinger Stefan Schmidt Manuel Höferlin
Albert Stegemann Schahina Gambir Dr. Christoph Hoffmann
Matthias Gastel Marlene Schönberger
Johannes Steiniger Christina-Johanne Schröder Reinhard Houben
Christian Freiherr von Kai Gehring Olaf In der Beek
Stefan Gelbhaar Kordula Schulz-Asche
Stetten Gyde Jensen
Dr. Jan-Niclas Gesenhues Melis Sekmen
Dieter Stier Dr. Ann-Veruschka
Nyke Slawik
Diana Stöcker Katrin Göring-Eckardt Jurisch
Dr. Anne Monika Spallek
Stephan Stracke Dr. Armin Grau Karsten Klein
Merle Spellerberg
Max Straubinger Erhard Grundl Daniela Kluckert
Dr. Till Steffen
Christina Stumpp Dr. Robert Habeck Pascal Kober
Hanna Steinmüller
Dr. Hermann-Josef Tebroke Britta Haßelmann Dr. Lukas Köhler
Dr. Wolfgang Strengmann-
Hans-Jürgen Thies Linda Heitmann Kuhn Carina Konrad
Alexander Throm Bernhard Herrmann Kassem Taher Saleh Michael Kruse
Antje Tillmann Dr. Bettina Hoffmann Awet Tesfaiesus Wolfgang Kubicki
Astrid Timmermann- Ottmar von Holtz Katrin Uhlig Konstantin Kuhle
Fechter Bruno Hönel Dr. Julia Verlinden Ulrich Lechte
Markus Uhl Dieter Janecek Niklas Wagener Dr. Thorsten Lieb
Dr. Volker Ullrich Lamya Kaddor Robin Wagener Michael Georg Link
Kerstin Vieregge Dr. Kirsten Kappert- Johannes Wagner (Heilbronn)
Dr. Oliver Vogt Gonther Beate Walter-Rosenheimer Oliver Luksic
Christoph de Vries Michael Kellner Stefan Wenzel Kristine Lütke
Nina Warken Katja Keul Tina Winklmann Till Mansmann
Dr. Anja Weisgerber Misbah Khan Christoph Meyer
Maria-Lena Weiss Maria Klein-Schmeink Maximilian Mordhorst
Sabine Weiss (Wesel I) Chantal Kopf FDP Alexander Müller
Kai Whittaker Laura Kraft Valentin Abel Frank Müller-Rosentritt
Annette Widmann-Mauz Philip Krämer Katja Adler Claudia Raffelhüschen
Dr. Klaus Wiener Jürgen Kretz Muhanad Al-Halak Dr. Volker Redder
21400 Deutscher Bundestag – 20. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. April 2024
Abgeordnete, die sich wegen gesetzlichen Mutterschutzes für ihre Abwesenheit entschuldigt haben
oder an einer Parlamentarischen Versammlung teilnehmen, sind in der Liste der entschuldigten
Abgeordneten (Anlage 1) aufgeführt.
Wir kommen jetzt zurück zu Tagesordnungspunkt 16. Sanktionen gegen Russland, hier zu diskutieren und zu
debattieren.
Ich erteile der nächsten Rednerin das Wort. Das ist die
Kollegin Dr. Daniela De Ridder, SPD-Fraktion. In der Tat, lieber Herr Straubinger, hat Russland am
24. Februar 2022 die territoriale Integrität und die Sou-
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten veränität der Ukraine aufs Schändlichste angegriffen.
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der
FDP) (Max Straubinger [CDU/CSU]: Das war schon
früher so! Das war schon 2014!)
Dr. Daniela De Ridder (SPD): Es ist leider bis heute kein Ende des Krieges in Sicht.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Ich bin Vizepräsidentin der Parlamentarischen Ver-
Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich sammlung der Organisation für Sicherheit und Zusam-
will mich zunächst bei der CDU/CSU-Fraktion für die menarbeit in Europa. Ich war bis zum letzten Herbst
Einbringung dieses Antrags bedanken. Er erlaubt uns, Sonderbeauftragte für Osteuropa und damit für die Ukrai-
zu einem ganz wichtigen Thema, nämlich zu dem der ne, Belarus und Moldau zuständig. Ich kann Ihnen sagen:
Deutscher Bundestag – 20. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. April 2024 21401
Dr. Daniela De Ridder
(A) Ich hatte Gelegenheit, nach Kiew, nach Butscha und nach Aber wir dürfen darüber nachdenken – die Einladung (C)
Irpin zu fahren. Die Eindrücke begleiten mich noch so dazu nehme ich gerne an –, wie wir die bisherigen Sank-
manche Nacht. tionen besser dokumentieren und besser monitoren kön-
Deshalb ist es gut, dass wir das Thema diskutieren nen. Die russische Zivilbevölkerung – lassen Sie mich
können. Ja, liebe Kolleginnen und Kollegen, der Aggres- das sagen – leidet unter einem Pseudopräsidenten; ich
sor Russland darf diesen Krieg nicht gewinnen; nein, die nenne ihn „Pseudopräsident“, weil er eben nicht durch
Ukraine muss diesen Krieg gewinnen. Daran darf es freie und faire Wahlen legitimiert ist. Putin, Lawrow,
keine Zweifel geben. der ehemalige ukrainische Präsident Wiktor Janukow-
ytsch, aber auch der Oligarch Roman Abramowitsch
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie und viele andere haben keinen Zugang mehr zu ihren
bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE Vermögen. Das ist ein richtiger Anfang. So sollten wir
GRÜNEN und der FDP) weiter verfahren, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Aber es ist gut. Lassen Sie uns darüber reden, dass wir (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der
nicht nur militärische Mittel zur Verfügung haben, um der Abg. Dr. Ingrid Nestle [BÜNDNIS 90/DIE
Ukraine zur Seite zu stehen – bei aller Bewunderung, die GRÜNEN])
ich für unseren Verteidigungsminister Boris Pistorius he- Ihren Antrag müssen wir leider ablehnen. Er ist unter-
ge, der sich seit dem Tag seines Amtsantrittes proaktiv für komplex und nicht zu Ende gedacht.
die Ukraine einsetzt. Nein, liebe Kolleginnen und Kolle-
gen, wir müssen auch darüber diskutieren, welche wirt- (Lachen bei der CDU/CSU)
schaftspolitischen Sanktionsmittel wir zur Verfügung ha-
ben. Wer A sagt, muss auch B sagen und zur Not auch das
ganze Abc aufsagen.
Nun fordern die Damen und Herren von der Union ein
vollumfängliches Importverbot für alle Agrargüter, Dün- Vielen Dank.
gemittel und Lebensmittel aus Russland und Belarus. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
Solche Vorschläge klingen ja zunächst mal ganz gut, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der
FDP – Max Straubinger [CDU/CSU]: Vorher
(Zuruf von der CDU/CSU: Die sind gut!)
haben Sie aber ausgeführt, dass er zu weit
wenn man reaktiv-emotional arbeiten und handeln will. geht!)
Die Lage, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Uni-
(B) on, ist aber komplizierter und die internationale Situation Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (D)
hochkomplex.
Vielen Dank, Frau Kollegin. – Als Nächster erhält das
Lassen Sie mich das kurz erläutern. Es gibt gute Grün- Wort der fraktionslose Abgeordnete Robert Farle.
de, warum die EU mit solchen Sanktionen bei genau
dieser Situation so zurückhaltend reagiert hat; denn Er-
nährungssicherheit und Bezahlbarkeit von Lebensmit- Robert Farle (fraktionslos):
teln, so der Europäische Rat, sind die höchste Priorität Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und
für die EU-Staaten. Die Sanktionen der EU – und damit Herren! Auf den Krieg wird diese Sanktionspolitik kei-
auch unsere eigenen – zielen nämlich darauf, Russlands nen Einfluss haben – das ist schon klar gesagt worden –,
Fähigkeit zur Finanzierung dieses Krieges – Sie haben es weil das Volumen, das hier gestrichen wird, keinen Ein-
angesprochen – zu schwächen; aber sie richten sich ins- fluss darauf nehmen kann; es ist zu niedrig.
besondere gegen die politische, militärische und wirt- Auf die Antwort, worum es wirklich geht, kommt man
schaftliche Elite des Landes, die für die Invasion verant- nur, wenn man sich intensiver mit den realen Fakten
wortlich ist. Die restriktiven Maßnahmen sollen explizit beschäftigt, nämlich zum Beispiel damit, dass im
nicht die russische Zivilgesellschaft treffen. Sommer 2022 in der Ukraine Selenskyj 17 Millionen
Aus diesem Grund hat der Europäische Rat, hat die Hektar des ukrainischen Schwarzerdebodens in das Ei-
Europäische Union entschieden, gerade die Bereiche Le- gentum von US-Konzernen wie Monsanto, Cargill und
bensmittel, Landwirtschaft, Gesundheit und Arzneimittel DuPont überführt hat, hinter denen sich BlackRock, Van-
von den verhängten restriktiven Maßnahmen auszuneh- guard und Co verstecken. Diese Agrarkonzerne der USA
men und das mit großer Sorgfalt, lieber Herr Straubinger, übernehmen jetzt zollfreie Exporte in die EU. Das ist das,
zu behandeln. was hier im Hintergrund passiert. Das haben Sie in der
Wir brauchen also ganz andere Maßnahmen, nämlich CDU nur nicht gewusst.
solche, die auf das Finanz- und Wirtschaftswesen und auf (Max Straubinger [CDU/CSU]: Wir reden über
den Militärapparat in Russland abzielen. Wir müssen uns die Importe aus Russland!)
dafür starkmachen, den Oligarchen in Russland, die das
finanzieren, das Handwerk zu legen. Dafür müssen wir Sogar das Geschäft mit dem Wiederaufbau hat Selen-
Vermögen einfrieren. Auf keinen Fall sollten wir Maß- skyj an BlackRock-Chef Larry Fink übertragen. Selen-
nahmen unterstützen, die in nicht intendierter und indi- skyj hat aus seinem Land eine US-Kolonie gemacht.
rekter Weise die russische Zivilgesellschaft treffen oder – Wenn sich Herr Merz und Selenskyj treffen, dann trifft
Kollege Cronenberg hat es gesagt – ärmere EU-Länder sich der Vertreter von BlackRock Deutschland mit dem
oder Länder des Globalen Südens schädigen. aus der Ukraine, der die Kolonie Ukraine vertritt.
21402 Deutscher Bundestag – 20. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. April 2024
Robert Farle
(A) Ich kann Ihnen nur eins sagen: Das ist das, was wir Blick haben, und das haben wir im Blick, bzw. unsere (C)
nicht dulden können, dass wir auch bei unserer Ernäh- Kolleginnen und Kollegen in Europa arbeiten auch an
rungssicherheit immer mehr von den USA abhängig ge- genau diesem Thema; und das ist gut so.
macht werden –
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN –
Max Straubinger [CDU/CSU]: Dann sollten
Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Sie hier auch arbeiten!)
Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen, bitte. – Wir arbeiten auch daran. Ehrlich gesagt, ich freue mich
über Ihren Antrag.
Robert Farle (fraktionslos):
Ich habe schon öfter im bilateralen Gespräch mit Kol-
– und die eine Abhängigkeit durch die andere ersetzt leginnen und Kollegen von Ihnen, aber auch schon öf-
wird. fentlich gesagt: Wenn wir im globalen Wettbewerb mit
systemischen Rivalen, wie wir sie euphemistisch nennen,
Vizepräsident Wolfgang Kubicki: mit China, oder mit echten Gegnern wie Russland auch
Herr Kollege Farle, bitte. nur den Hauch einer Chance haben wollen, dann brau-
chen wir langfristig angelegte geopolitische Strategien,
Robert Farle (fraktionslos):
und Handelspolitik ist ein Teil davon. Es reicht auch
Das machen Sie mit den Grünen, weil Sie mit den nicht, wenn eine Bundesregierung das mal ein paar Jahre
Grünen eine Koalition bilden wollen. Pfui Deibel! verfolgt, sondern das müssen wir wirklich längerfristig
anlegen. Deswegen ergeht meine ganz herzliche Ein-
(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ladung an Sie von der Union: Das müssen wir langfristig
NEN]: Was? Nein! Das kann nicht sein! Wir gemeinsam auf den Weg bringen und dann auch über
sind ja deren Hauptfeind!) Regierungen hinweg weiterverfolgen. Wenn wir im glo-
Vielen Dank. balen Wettbewerb bestehen wollen, dann ist das essen-
ziell.
(Lachen bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN und der FDP sowie bei Abgeord- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
neten der CDU/CSU) sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)
Deswegen ist es aber auch so wichtig, dass wir uns jetzt
Vizepräsident Wolfgang Kubicki: nicht darauf versteifen, wie Sie es ja vorschlagen: Wenn
Vielen Dank, Herr Kollege Farle. – Letzter Redner in das in Europa nichts wird, dann machen wir es halt selber
(B) dieser Debatte ist der Kollege Maik Außendorf, Bünd- hier auf nationaler Ebene. – Das wäre genau der falsche (D)
nis 90/Die Grünen. Weg; denn das wäre das Zeichen, dass wir uns in Europa
nicht einig sind. Das ist aber unsere erste Aufgabe: diese
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Einigkeit auf europäischer Ebene herzustellen. Und dafür
sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP) brauchen wir auch Sie.
(Max Straubinger [CDU/CSU]: Lettland macht
Maik Außendorf (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): es!)
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegin-
nen und Kollegen! Kommen wir wieder zurück zur ei- Wir haben ja Ihre Kommissionspräsidentin an unserer
gentlichen Debatte. In der Vergangenheit und bis vor Seite. Wirken Sie doch darauf hin, dass wir da zu einem
Kurzem war es ja so, dass die Union Handelspolitik vor guten Ergebnis auf europäischer Ebene kommen!
allen Dingen als einen Mechanismus gesehen hat, mög- (Max Straubinger [CDU/CSU]: Lettland macht
lichst billig Produkte nach Deutschland zu bekommen. es!)
Ich sage ausdrücklich: Es ist gut, dass Sie jetzt gesehen
haben, dass Handelspolitik auch Ausdruck und Teil einer Am Ende –
wertegeleiteten strategischen geopolitischen Politik sein (Bernd Schattner [AfD]: Ende ist gut!)
kann und muss. Dafür danke ich Ihnen.
ich wiederhole mich hier und komme damit auch zum
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Schluss – funktioniert es nur in Einigkeit, in europäischer
sowie bei Abgeordneten der SPD) und in nationaler Einigkeit. Dann können wir es schaffen.
Aber – das haben auch schon meine Vorredner/-innen Ich lade Sie noch mal ein und fordere Sie auf: Helfen Sie
teilweise angesprochen – es ist an dieser Stelle ein ganz- mit, national und europäisch! Dann haben wir hier gute
heitlicher Blick nötig. Es bringt jetzt nichts, wenn wir aus Chancen. So sollten wir weitermachen.
dem Bauch heraus spontane Sanktionsforderungen stel- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
len, sondern wir müssen mit Augenmaß vorgehen, und und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der
wir müssen in alle Richtungen gucken und differenziert FDP – Bernd Schattner [AfD]: Hat jetzt ein
abwägen. Gerade Sanktionen im Nahrungsmittelbereich Grüner „national“ gesagt? Darf der das?)
können über Deutschland hinaus weitreichende Folgen
haben. Sie können – das wurde schon angesprochen –
die Märkte beeinflussen, vor allen Dingen möglicher- Vizepräsident Wolfgang Kubicki:
weise die Versorgung von ärmeren Staaten im Globalen Vielen Dank, Herr Kollege Außendorf. – Damit
Süden nachteilig beeinflussen. All das müssen wir im schließe ich die Aussprache.
Deutscher Bundestag – 20. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. April 2024 21403
Vizepräsident Wolfgang Kubicki
(A) Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf sich mit der Vermittlung von Geschäften, dem Verkauf (C)
Drucksache 20/11141 an die in der Tagesordnung auf- von Schutzmasken an staatliche Stellen die Taschen zu
geführten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Federführung füllen.
ist strittig. Die Fraktionen SPD, Bündnis 90/Die Grünen (Zuruf von der AfD: Hört! Hört!)
und FDP wünschen Federführung beim Wirtschaftsaus-
schuss. Die Fraktion der CDU/CSU wünscht Federfüh- Zu ihnen zählte auch ein Mitglied dieses Hauses.
rung beim Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft. Liebe Kolleginnen und Kollegen, dieses Verhalten we-
Wie wird das ausgehen? niger Abgeordneter war nicht nur höchst unmoralisch,
Ich lasse zuerst abstimmen über den Überweisungs- sondern es untergrub zudem die Integrität unserer demo-
vorschlag der Fraktion der CDU/CSU. Wer stimmt da- kratischen Institutionen. Zeitungen titelten „Schnelles
für? – Die CDU/CSU. Wer stimmt dagegen? – Die regie- Geld mit der Maskennot“, „Maskenaffäre ist beispielhaft
rungstragenden Fraktionen, die AfD und der Rest der für das Politik-Verständnis von CDU und CSU“ oder
Linken-Gruppe. Damit ist der Überweisungsvorschlag „‚Maskenaffäreʼ … beschädigt ohnehin geringes Ver-
abgelehnt. trauen in Parteien und Politik“ – Schlagzeilen, die dem
Ansehen unserer Parlamente schaden.
Ich lasse nun abstimmen über den Überweisungsvor-
schlag der Fraktionen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und In einer Zeit, in der Millionen Bürger um ihre wirt-
FDP: Federführung beim Wirtschaftsausschuss. Wer schaftliche Zukunft bangten, erhielten allein ein CSU-
stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – Die regie- Bundestagsabgeordneter und ein CSU-Landtagsabgeord-
rungstragenden Fraktionen, AfD und Gruppe Die Linke. neter rund 10 Millionen Euro für die Vermittlung von
Wer stimmt dagegen? – CDU/CSU-Fraktion. Enthaltun- Maskengeschäften, ohne zur Rechenschaft gezogen wer-
gen? – Keine. Dann ist der Überweisungsvorschlag an- den zu können. Im Sommer 2022 fällte der Bundes-
genommen. gerichtshof eine Entscheidung, die das Kapitel rechtlich
abschloss. Das Verhalten war demnach nicht nach den
Ich rufe auf den Zusatzpunkt 7: vorhandenen strafrechtlichen Vorschriften zu ahnden,
weil der Tatbestand der Bestechlichkeit nur dann erfüllt
Zweite und dritte Beratung des von den Frak- ist, wenn Abgeordnete bei der Wahrnehmung ihres Man-
tionen SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und dats entgeltliche Drittinteressen vertreten. Demzufolge
FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes ist bisher lediglich entsprechendes Handeln im Rahmen
zur Änderung des Strafgesetzbuches – Straf- der parlamentarischen Tätigkeiten, also vor allen Dingen
barkeit der unzulässigen Interessenwahrneh- im Plenum, wie etwa theoretisch das Sich-bezahlen-Las-
mung sen für ein Abstimmverhalten, strafbar. Aktivitäten au-
(B) ßerhalb der parlamentarischen Arbeit, bei denen ein Man- (D)
Drucksache 20/10376
datsträger gegen Provision seine durch das Mandat
Beschlussempfehlung und Bericht des Rechts- erworbenen Kontakte und Beziehungen nutzt, sind nicht
ausschusses (6. Ausschuss) erfasst.
Drucksache 20/11177 Dass die Beschuldigten straffrei davonkamen, dürfte
auch bei den Richtern des Bundesgerichtshofs Zähne-
Für die Aussprache ist eine Dauer von 39 Minuten ver- knirschen ausgelöst haben. In ihrer Entscheidung beton-
einbart. ten sie ausdrücklich, dass es in der Verantwortung des
Gesetzgebers liegt, mögliche Strafbarkeitslücken zu
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Red- schließen.
nerin der Kollegin Katrin Helling-Plahr, FDP-Fraktion,
das Wort. Meine Damen und Herren, mit dem vorliegenden Ge-
setzentwurf wollen wir dieser Aufgabe nachkommen.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Mit der Einführung des neuen § 108f StGB werden Hand-
der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- lungen, wie sie bei den Maskendeals vorkamen, künftig
NEN) unter Strafe gestellt. Abgeordnete des Deutschen Bun-
destages, der Landesparlamente und des Europaparla-
ments, die künftig ihre Position und das ihnen entgegen-
Katrin Helling-Plahr (FDP): gebrachte Vertrauen ausnutzen und die sich obendrein
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her- mit hochpreisigen Deals auf Kosten unseres Landes und
ren! Während der Coronazeit war es gemeinsames Ziel der Steuerzahler bereichern, haben mit einer Freiheits-
der demokratischen Fraktionen hier im Haus, unser Land strafe von bis zu drei Jahren oder einer Geldstrafe zu
bestmöglich durch die Pandemie zu navigieren, rechnen.
(Stephan Brandner [AfD]: Nee, das ist eine Meine Damen und Herren, jedweder Verflechtung von
Falschaussage!) monetären Interessen und Mandat muss Einhalt geboten
eine Aufgabe, der sich jedes Mitglied dieses Hauses und werden, wenn das Vertrauen in die parlamentarische De-
der Landesparlamente hätte annehmen sollen. Einige mokratie und ihre Mandatsträger nicht unterlaufen wer-
Mandatsträger ließen sich in dieser Zeit allerdings von den soll.
anderen Motiven leiten. Statt sich für das Wohlergehen (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
unseres Landes einzusetzen, verfolgten sie Eigeninteres- der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ-
sen und missbrauchten ihre Einflussmöglichkeiten, um NEN)
21404 Deutscher Bundestag – 20. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. April 2024
Katrin Helling-Plahr
(A) Es gibt keinen vernünftigen Grund, dem Gesetzentwurf (Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: So ist es!) (C)
heute nicht zuzustimmen. Lassen Sie uns die Strafbar-
So halten wir es etwa für angezeigt, im Gesetzentwurf
keitslücke schließen und damit auch das Vertrauen in
den funktionalen Nexus zwischen Mandat und unzulässi-
unsere Demokratie stärken!
ger Interessenwahrnehmung tatbestandlich doch noch
Vielen Dank. klarer zu fassen. Dass die unzulässige Interessenwahr-
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten nehmung, wie es im Entwurf heißt, „während des Man-
der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- dats“ eine Strafbarkeit begründet, ist zumindest missver-
NEN) ständlich. Es kann ja nicht darum gehen, dass bestimmte
Handlungen, die zeitlich mit dem Mandat zusammenfal-
len, aber in keinem inhaltlichen Zusammenhang mit ihm
Vizepräsident Wolfgang Kubicki: stehen, eine Strafbarkeit begründen. Hier hätten wir uns
Vielen Dank, Frau Kollegin Helling-Plahr. – Als eine deutlichere Formulierung nicht nur in der Begrün-
nächstem Redner erteile ich dem Kollegen Ansgar dung, sondern im Gesetzestext selbst gewünscht; denn
Heveling, CDU/CSU-Fraktion, das Wort. die Klarheit einer Norm ist gerade im Strafrecht ja der
(Beifall bei der CDU/CSU) entscheidende Faktor. Es muss klar sein, was von der
Strafbarkeit umfasst ist.
Ansgar Heveling (CDU/CSU): (Beifall bei der CDU/CSU)
Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Wir hatten außerdem angesprochen, ob die Neurege-
Kollegen! Ein lebendiger Parlamentarismus fußt auf dem lung im Strafgesetzbuch auch Anlass für Präzisierungen,
Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger. Die repräsenta- etwa im Abgeordnetengesetz, sein sollte, um die ver-
tive Demokratie lebt davon, dass die Repräsentierten da- schiedenen Regelungskonzepte im Strafgesetzbuch und
von ausgehen können, dass sich die Repräsentanten dem im Abgeordnetengesetz zu harmonisieren. Darüber hi-
Allgemeinwohl verpflichtet fühlen und nicht ihre klan- naus hätte unseres Erachtens geprüft werden müssen, ob
destinen Sonderinteressen verfolgen. Schon der Anschein die Pflichten aus dem Parlaments- und Abgeordneten-
einer unzulässigen Interessenwahrnehmung kann dieses recht, die bei Verstoß eine Strafbarkeit begründen, durch
Grundvertrauen zerstören und die demokratischen Insti- entsprechende Verweise im Strafgesetzbuch selbst näher
tutionen von innen aushöhlen. spezifiziert werden sollten. Dies hätte die Rechtssicher-
Wir alle haben gerade den Fall des Europaabgeord- heit erhöht und die Handhabbarkeit durch die Gerichte
neten Maximilian Krah vor Augen, dessen Mitarbeiter ebenfalls. Nicht zuletzt würde dadurch das Risiko einer
wegen Spionageverdacht festgenommen wurde und in Blankettnorm im Strafgesetzbuch vermieden. Auch hier
(B) Untersuchungshaft sitzt. Das ist sicher ein krasser Fall, erfordert das Strafrecht eben besondere Präzision und (D)
zeigt aber, dass gerade der parlamentarische Bereich na- eine besondere Verortung im Strafgesetzbuch selbst.
türlich besonders anfällig für Einflussnahmen aller Art Es sind in der Sachverständigenanhörung aber auch
ist. Wenn der Versuch der Einflussnahme einer fremden noch weitere Fragen aufgetaucht, bei denen sich eine
Macht dann noch auf die Abgeordneten einer populisti- nähere Betrachtung gelohnt hätte: Wie sieht es mit kom-
schen Peking-Partei mit Tendenz zum Verkauf deutscher munalen Mandatsträgern aus? Wie sieht es mit der Betei-
Staatsinteressen trifft, ist der Schaden natürlich besonders ligung an Gesellschaften aus? Das alles sind aus unserer
groß. Aber auch wenn es nichtstaatliche Akteure sind, die Sicht wichtige Fragen, die einer intensiveren Diskussion,
auf politische Entscheidungsprozesse Einfluss nehmen aber auch Entscheidungen bedurft hätten. Wir bedauern
wollen, sondern etwa Privatpersonen oder Unternehmen, sehr, dass wir darüber nicht weiterführend diskutiert ha-
muss dies unterbunden werden. ben, und wir bedauern sehr, dass die Strafnorm dadurch
Um es deutlich zu sagen: Wir als Union unterstützen leider etwas unpräzise bleibt. Der im Grundsatz begrü-
grundsätzlich jeden Versuch, die Instrumentalisierung der ßenswerte Gesetzentwurf hätte besser, um nicht zu sagen:
Politik durch Partikularinteressen zurückzudrängen. richtig werden können. Da diese Diskussion aber aus-
geblieben ist, werden wir uns heute enthalten.
(Dr. Manuela Rottmann [BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN]: Aha!) Vielen Dank.
Daher sind wir – das habe ich bereits in der ersten Lesung (Beifall bei der CDU/CSU)
des heute zur Abstimmung stehenden Gesetzentwurfes
gesagt – im Ausgangspunkt für die Einführung der Straf- Vizepräsident Wolfgang Kubicki:
barkeit der unzulässigen Interessenwahrnehmung.
Vielen Dank, Herr Kollege Heveling. – Nächster Red-
Wir hatten zu diesem Gesetzentwurf dann allerdings ja ner ist der Kollege Dr. Johannes Fechner, SPD-Fraktion.
auch eine öffentliche Anhörung am 13. März, die nach
meinem Eindruck sehr gut und sehr konstruktiv ablief (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
und in der deutlich wurde, dass auch die angehörten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der
Sachverständigen den Entwurf im Grundsatz, im Aus- FDP)
gangspunkt begrüßten. Gleichwohl gab es doch eine
ganze Reihe von sehr gewichtigen Punkten, die – und Dr. Johannes Fechner (SPD):
das möchte ich betonen – nicht nur von den von der Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Union benannten Sachverständigen geltend gemacht Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer! In unserer Demo-
wurden, sondern darüber hinaus. kratie ist entscheidend, dass die Bürgerinnen und Bürger
Deutscher Bundestag – 20. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. April 2024 21405
Dr. Johannes Fechner
(A) Vertrauen haben in das, was wir hier im Bundestag für Mandates erfolgte. Es musste also ein Abgeordneter eine (C)
sie, für die Bürgerinnen und Bürger, machen. Deswegen bestimmte Anfrage gestellt, eine bestimmte Rede gehal-
ist eines ganz klar: Wir müssen sicherstellen, dass wir ten oder bestimmte Anträge im Plenum oder in den Aus-
Abgeordnete hier nicht für den eigenen Geldbeutel, son- schüssen gestellt haben. Das war eine sehr enge Aus-
dern für das Allgemeinwohl arbeiten. legung des Gesetzwortlautes. So kam es dazu, dass
(Stephan Brandner [AfD]: Das machen Sie mal insbesondere die Abgeordneten Nüßlein und Sauter nicht
klar! Das glaubt Ihnen keiner!) bestraft werden konnten, weil sie darlegen konnten – und
das Gericht dem gefolgt ist –, dass es sich um eine zu-
Genau diesen Grundsatz festigen wir noch stärker – straf- lässige Nebentätigkeit gehandelt habe.
rechtlich – mit diesem Gesetz, liebe Kolleginnen und
Kollegen. Deswegen schaffen wir jetzt eine neue Strafnorm,
§ 108f StGB, damit sich zukünftig strafbar macht, wer
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der während des Mandates zur Wahrnehmung von Interessen
Abg. Dr. Manuela Rottmann [BÜNDNIS 90/ des Vorteilsgebers oder eines Dritten Handlungen vor-
DIE GRÜNEN]) nimmt und sich diese unzulässig – entgegen den Regelun-
Denn in der Tat gab es leider Skandale von Abgeord- gen des Abgeordnetengesetzes – bezahlen lässt. Es macht
neten, die das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in sich also strafbar, wer während des Mandats gegen Be-
die Arbeit hier im Bundestag erschüttert haben. In der zahlung die Interessen Dritter vertritt, es sei denn, es liegt
Aserbaidschan-Affäre haben zwei frühere CDU-Abge- nach dem Abgeordnetengesetz eine zulässige Neben-
ordnete Geld über Briefkastenfirmen erhalten, regel- tätigkeit vor. Das Merkmal „während des Mandates“ ist
mäßige Zahlungen angenommen und sich im Gegenzug dabei keineswegs beschränkt auf Nebentätigkeiten. Es
für Aserbaidschan eingesetzt. Bei den Maskendeals ha- erfasst auch Tätigkeiten, die Mandatsbezug haben. Das
ben die früheren Unionsabgeordneten Nüßlein und Sauter haben wir in der Gesetzesbegründung ausdrücklich noch-
hohe Provisionen mit Maskenverkäufen erwirtschaftet, mals klargestellt.
und das zu einem Zeitpunkt, als wir alle händeringend
nach Masken gesucht haben. Da haben sie die Situation Das ist eine weitreichende Verschärfung, die wir heute
ausgenutzt hier beschließen wollen und werden. Wir schließen eine
erhebliche Strafbarkeitslücke, um das Vertrauen der Bür-
(Zuruf von der SPD: Das ist unanständig!) gerinnen und Bürger in unsere Parlamentsarbeit hier wei-
und gegen hohe Provisionen Masken überteuert vermit- ter zu stärken. Das war nach den Unionsskandalen durch-
telt. aus angeknackst.
Der frühere Kollege Hauptmann hat eine Spende von
(B) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (D)
einer Maskenfirma angenommen für seinen Kreisver-
band, hat sich im Gegenzug eingesetzt und fast 1 Million des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der
Euro Provision erhalten. Der Kollege Amthor war als FDP)
Türöffner für eine US-Firma tätig. Er hat Gespräche im
Wirtschaftsministerium vermitteln können und hohe Ak- Ich will nicht verheimlichen, dass wir als SPD-Frak-
tienoptionen bekommen. Noch krasser ist der aktuelle tion uns noch weitere Verschärfungen hätten vorstellen
Fall: Es besteht Verdacht gegen den Abgeordneten können. Wir hätten uns zum Beispiel vorstellen können,
Bystron, dass er 20 000 Euro bekommen hat von einer das Tatbestandsmerkmal „im Auftrag“ oder „auf Wei-
Person, die dem russischen Regime nahesteht. Es soll sung“, was oft schwierig nachzuweisen ist, zu streichen.
auch Tonaufnahmen geben, die das belegen. All das Wir hätten uns auch vorstellen können, dass auch die
sind beschämende Vorfälle. Hier haben Abgeordnete die sogenannte Belohnungskorruption, also dass nicht vor
Hand aufgehalten, sie haben nicht fürs Allgemeinwohl einer Tätigkeit des Abgeordneten bezahlt wird, sondern
gearbeitet. Und das, liebe Kolleginnen und Kollegen, unter Umständen erst zu einem erheblich späteren Zeit-
das geht nicht! punkt, als Strafbarkeit normiert wird.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Eins haben wir aber ganz bewusst nicht ins Strafge-
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der setzbuch aufgenommen, nämlich eine Strafandrohung
FDP – Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Held! gegenüber unseren ehrenamtlichen Kommunalpolitikern.
Den Abgeordneten Held haben Sie vergessen!) Wir meinen, das ist vertretbar. Es geht in aller Regel bei
Gerade weil wir in herausfordernden Zeiten sind, ge- den Beschlüssen in Ortschaftsräten oder in Gemeinderä-
rade weil wir hier oft schwierige Entscheidungen treffen ten nicht um die ganz großen Summen. Außerdem wollen
müssen, muss klar sein, dass wir nicht gegen Geld Dritt- wir diesen Ämtern nicht mit der Keule des Strafrechts
interessen hier vertreten. Deswegen ist ganz klar: Wenn kommen; denn es ist sowieso schwer genug, Menschen
es Strafbarkeitslücken im Strafgesetzbuch gibt, dann zu gewinnen, die sich diese ehrenamtliche Tätigkeit „an-
müssen wir diese schließen. Genau das machen wir mit tun“; so muss man es, glaube ich, sagen. Deswegen, so
dieser Verschärfung und der Einführung eines neuen meinen wir, können wir auf diese Regelung verzichten.
Straftatbestandes. Alles in allem, liebe Kolleginnen und Kollegen, be-
Was machen wir konkret? Bislang forderte die Recht- schließen wir heute eine wichtige Verschärfung im Straf-
sprechung für die Strafbarkeit wegen Abgeordneten- gesetzbuch. Nochmals: Es muss hier der Grundsatz gel-
bestechlichkeit, dass die Handlung, für die ein Abgeord- ten, dass wir Abgeordnete nicht für den eigenen
neter sich hat bestechen lassen, bei der Wahrnehmung des Geldbeutel, nicht für die Interessen von bestimmten In-
21406 Deutscher Bundestag – 20. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. April 2024
Mechthild Heil
(A) und auch die Geschäfte, die wieder eröffnen. Und wir (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. (C)
klammern uns auch an diese Erfolgsmeldungen; denn Matthias W. Birkwald [Die Linke])
anders könnten wir es gar nicht ertragen. Die Investitions- und Strukturbank Rheinland-Pfalz
Was wir aber nicht akzeptieren werden, ist diese Au- lässt nach Bewilligung einer Maßnahme in Einzelfällen –
genwischerei. Die Staatssekretärin Kaiser verweist zum in Einzelfällen! – ein zweites Gutachten erstellen und
Beispiel darauf, dass jeden Monat 50 Millionen Euro ins zahlt, solange daran gearbeitet wird, die bewilligten Mit-
Ahrtal fließen. Das klingt nach total viel. Jeder sagt: tel an den Petenten, an den Bauherrn nicht aus. Sie sagen
Boah, 50 Millionen Euro ins Ahrtal! – Rechnet man mir – ich habe es schriftlich –: Das ist ein interner Pro-
mal nach, sieht man: Es wird 21 Jahre dauern, ehe wir zess. Sie begründen ihn damit, dass sie sich ja gegenüber
an die 13 Milliarden Euro, die fürs Ahrtal veranschlagt dem Bund und dem Land absichern wollen. Da kann ich
wurden, herangekommen sind. 21 Jahre! Da sehen Sie, nur sagen: Machen Sie als Bundesregierung dem Treiben
wie langsam im Ahrtal gearbeitet wird und wie langsam doch mal ein Ende! Das ist doch nicht zu verstehen. Sie
das Geld fließt. als Bundesregierung müssen klarstellen, dass die Aus-
Vielen Menschen im Ahrtal droht jetzt der dritte Win- zahlung für genehmigte Vorhaben Vorrang hat und nicht
ter in Folge mit einem Heizungsprovisorium, weil sie irgendeine Bürokratie, die irgendeine Behörde meint auf-
zum Beispiel auf Fördermittel der Dorfwärme warten. bauen zu können. Tun Sie was!
Straßen können deswegen nicht erneuert werden, weil (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg.
man eben nicht weiß: Was kommt denn da in die Erde? Matthias W. Birkwald [Die Linke])
Kommt die Dorfwärme, oder kommt sie nicht? Nach bald Herr Bartol – Sie sind der Einzige, der da ist –, bitte
drei Jahren steht noch keine sanierte Schule, kein sanier- nehmen Sie es mit!
ter Kindergarten und keine öffentliche Einrichtung. Das
ist die Realität, der wir uns stellen müssen. Von Neubau- Und von mir noch ein Hinweis zum Schluss – Frau
ten für Schule oder Kindergarten brauchen wir gar nicht Präsidentin, wenn ich das noch sagen darf –: Die Ent-
zu reden. scheidung der Staatsanwaltschaft Koblenz, die Katastro-
phe nicht in einem Gerichtsverfahren zu untersuchen, hat
Sie haben eben darauf hingewiesen, Herr viele Flutopfer und uns alle in der Region sehr getroffen.
Diedenhofen – und Rheinland-Pfalz sagt das auch –,
dass Sie eine Bewilligungsquote von 98 Prozent in die-
sem Bereich hätten. 98 Prozent von fast nichts ist eben Vizepräsidentin Yvonne Magwas:
auch nicht viel. Kommen Sie bitte zum Schluss.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg.
(B) Matthias W. Birkwald [Die Linke]) Mechthild Heil (CDU/CSU): (D)
Egal wie nachvollziehbar die Argumente der Staats-
Wir haben drei zerstörte Sportplätze in drei verschie- anwaltschaft sein müssen: Wir alle hier im Raum – das
denen kleinen Orten. Jeder einzelne wird gefördert mit ist mir echt wichtig, zu sagen –, wir alle hier und darüber
Fördermitteln, darf wieder aufgebaut werden. Eine Zu- hinaus wissen doch: Deutschlands Staatsanwälte sind
sammenlegung aber in eine Anlage, weisungsgebunden und in eine hierarchische Ordnung
eingegliedert –
(Emmi Zeulner [CDU/CSU]: … was sinnvoll
wäre!)
Vizepräsidentin Yvonne Magwas:
was man vor Ort gerne machen würde, geht nicht. Da Liebe Kollegin Heil!
verweist das Land auf den Bund, der Nein sagen würde.
Ich habe es schriftlich. Das Bauministerium sagt mir nun:
Nee, es läge am Land. – So geht das seit drei Jahren hin Mechthild Heil (CDU/CSU):
und her. Hören Sie doch endlich auf mit dem Schwarze- – im Unterschied zu Richterinnen und Richtern; die
Peter-Spiel zwischen den beiden Ampeln, der Ampel hier sind unabhängig. Deswegen erwarten wir ein unabhängi-
bei uns in Berlin und der Ampel in Rheinland-Pfalz! ges Verfahren im Ahrtal, und ich glaube, darauf haben
wir auch ein Recht.
(Sebastian Münzenmaier [AfD]: Ihre Partei-
Danke schön.
freunde sind das, Herr Diedenhofen!)
(Beifall bei der CDU/CSU)
Sie müssen wirklich mehr tun, als einfach nur die Wieder-
aufbaumittel zu verwalten.
Vizepräsidentin Yvonne Magwas:
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Für Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt das Wort Anja
neten der AfD und des Abg. Matthias W. Liebert.
Birkwald [Die Linke])
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Passen Sie endlich die Aufbauhilfe an das an, was vor Ort sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)
notwendig ist! Hinweise dazu finden Sie bei uns im An-
trag. Anja Liebert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Schaffen Sie auch einen Ansprechpartner über die Res- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und
sorts hinweg, einen Ansprechpartner, der den Leuten im Kollegen! Auch wenn im Ahrtal vieles schon wieder auf-
Ahrtal hilft und sich um ihre Anliegen kümmert. gebaut wird: Der Verlust vieler Menschenleben und der
Deutscher Bundestag – 20. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. April 2024 21415
Anja Liebert
(A) Heimat wiegt immer noch schwer. Wir haben auf der Und Sie wissen ja, dass wir interfraktionell auch schon (C)
einen Seite die Zuversicht und auf der anderen Seite einige Verbesserungen auf den Weg gebracht haben: die
den Schmerz der Betroffenen; oft liegt beides nah bei- Fristverlängerung, die Wiederaufbaugebiete im Bau-
einander. Daher geht auch von meiner Seite der Dank gesetzbuch – auch durch zahlreiche Gespräche, die wir
an alle engagierten Menschen für ihre Solidarität und mit dem Finanzministerium, mit den Ländern, den Kom-
natürlich auch für ihr Durchhaltevermögen über diesen munen geführt haben.
langen Zeitraum. Ich möchte noch daran erinnern, dass es ja unser ge-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN meinsames Ziel ist, einen klimaangepassten und nach-
sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP) haltigen Wiederaufbau zu machen.
Wie ist der aktuelle Stand? Die Ministerpräsidentin (Emmi Zeulner [CDU/CSU]: Deswegen wer-
Malu Dreyer sagte im Dezember 2023: „Der Wiederauf- den drei Sportplätze gebaut!)
bau im Ahrtal schreitet sichtbar voran.“ Ich komme aus
Nordrhein-Westfalen. Die dortige Bauministerin Ina 2023 war das wärmste Jahr in Deutschland und global seit
Scharrenbach von der CDU sagte im Januar dieses Jah- Beginn der Messungen. Wir müssen die Realität der Kli-
res: „In den letzten zwei Jahren haben wir viel beim makrise annehmen und schneller ins Handeln kommen.
Wiederaufbau erreicht.“ Offensichtlich unterscheidet
sich die Sicht der Länder auf den Stand des Wiederauf- Vizepräsidentin Yvonne Magwas:
baus doch erheblich von der Einschätzung der Unions-
Kommen Sie bitte zum Schluss.
fraktion hier im Bundestag und in Ihrem Antrag.
(Mechthild Heil [CDU/CSU]: Die Scharren-
bach kann es halt wenigstens!) Anja Liebert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Lassen Sie uns gemeinsam im Gespräch bleiben! Wir
Im CDU-Antrag steht: Die Herausforderungen in den stehen natürlich auch bereit, gemeinsam weitere Maß-
Flutgebieten „sind nur durch eine grundsätzliche Novel- nahmen zu ergreifen, damit die Menschen in den betrof-
lierung des Regelwerks … zu meistern“. Das ist natürlich fenen Kommunen dauerhaft ihre Heimat aufbauen und
ein Punkt, mit dem Sie im Moment alleine stehen, weil wieder Zuversicht haben.
die betroffenen Länder ja sagen: Es funktioniert.
Vielen Dank.
Sie hatten vorhin die Zahlen angesprochen, das, was
schon bewilligt wurde. Laut Bericht der Bundesregie- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
rung, den wir ja letztens zum Stand der Wiederaufbau- sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)
(B) hilfe bekommen haben, wurden 80 Prozent der eingegan- (D)
genen Anträge bewilligt. Das gilt für private
Vizepräsidentin Yvonne Magwas:
Wohngebäude und Hausrat, aber auch für die kommunale
Infrastruktur. Für die AfD-Fraktion hat das Wort Sebastian
Münzenmaier.
(Mechthild Heil [CDU/CSU]: Es ist noch keine
Schule in Planung! Da kann doch noch nichts (Beifall bei der AfD)
bewilligt sein!)
Wir haben ja schon viele Gespräche dazu gehabt, Frau Sebastian Münzenmaier (AfD):
Heil. Ihr Wunsch, flexibler und unbürokratischer wieder Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Her-
aufzubauen und in Einzelfällen flexibler zu sein, ist na- ren! Was für Schlagzeilen für die Menschen im Ahrtal in
türlich verständlich. den letzten Tagen! Zuerst erfahren wir, dass gegen den
ehemaligen Landrat Pföhler keine Anklage erhoben wird,
(Alexander Hoffmann [CDU/CSU]: Ihr könnt
und dann taucht Anne Spiegel wieder auf, und man mun-
es einfach nicht! Das ist das Problem! – Lars
kelt bereits über ein Comeback bei der nächsten Bundes-
Rohwer [CDU/CSU]: Keine Brücke ist in Pla-
tagswahl. Noch deutlicher kann die Ampel in Rheinland-
nung, Frau Kollegin!)
Pfalz den Menschen im Ahrtal eigentlich überhaupt nicht
Aber wir können aufgrund von Einzelfällen nicht gleich mitteilen, dass Ihnen allen das Befinden der Menschen im
das ganze Verfahren infrage stellen, weil ja vieles auch Ahrtal völlig egal ist, meine Damen und Herren.
funktioniert hat.
(Beifall bei der AfD)
Sie sprachen auch vom Hin- und Herschieben der Ver-
antwortlichkeiten. In Ihrem Antrag heißt es ja: Der Bund Alle Politiker, die in der Flutnacht eklatante Fehler
soll sich kümmern. machten, haben sich reihenweise aus der Verantwortung
geschlichen und bis heute ihr Handeln nicht einmal be-
(Mechthild Heil [CDU/CSU]: Ja, weil im Land reut. Roger Lewentz trat auf Druck zwar als Innenminis-
sind Sie ja am Regieren!) ter zurück, aber nur, um sich dann als Landesvorsitzender
Die Regelungen über die Verwendung der Mittel haben der SPD wieder wählen zu lassen.
Bund und Länder aber gemeinsam und nach intensivem Und Herr Diedenhofen, der eben hier am Pult dicke
Austausch beschlossen. Backen gemacht hat, der sich nicht getraut hat, auf
(Emmi Zeulner [CDU/CSU]: Wir sind halt hier eine Frage zu antworten: Sie sitzen mit dem Flutversager
im Deutschen Bundestag! – Zuruf des Abg. Lewentz gemeinsam im Landesvorstand Rheinland-
Sebastian Münzenmaier [AfD]) Pfalz.
21416 Deutscher Bundestag – 20. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. April 2024
Sebastian Münzenmaier
(A) (Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Ganz einfach deshalb, weil unsere Vorstellung von par- (C)
DIE GRÜNEN) lamentarischer Demokratie bedeutet, dass wir Lösungen
Sie sollten sich schämen, dass Sie überhaupt hier ans Pult im Sinne der Bürger vor Ort suchen.
getreten sind! (Widerspruch bei der SPD)
(Beifall bei der AfD – Widerspruch bei der Altparteienpolitik hier im Haus ist eigentlich immer ein
SPD – Gabriele Katzmarek [SPD]: Sie sollten Spiel der Eitelkeiten, während das Wohl der Bürger am
sich was schämen! Sie sollten sich schämen Ende hinten runterfällt.
wegen Bystron und Höcke!) (Beifall bei der AfD – Zurufe von der SPD)
Und der CDU-Landrat Jürgen Pföhler, gegen den jetzt Sie, meine Damen und Herren von der Ampel, haben
nicht einmal Anklage erhoben werden soll, hat sich um es heute Abend in der Hand: Entscheiden Sie sich doch
19.20 Uhr in der Flutnacht mal kurz in der Einsatzleitung ausnahmsweise mal nicht für kleinliche Parteipolitik. Hö-
blicken lassen. Danach ist er abgetaucht und war für den ren Sie doch heute mal nicht auf Ihre rheinland-pfäl-
Kreisbrandinspektor telefonisch nicht mehr erreichbar. zischen Parteifreunde Dreyer, Lewentz oder Spiegel, son-
Stattdessen hat er in der fraglichen Nacht aber 13-mal dern hören Sie ausnahmsweise mal auf Ihr Gewissen.
mit seiner Geliebten telefoniert. Um 22.30 Uhr hat
CDU-Pföhler seinen roten Porsche Cayman aus der Tief- (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
garage seiner Zweitwohnung gerettet und zur Kreisver- NEN]: Sie und Gewissen!)
waltung gefahren, die weiter weg von der Ahr liegt. Erst Also, entscheiden Sie sich sinnvoll! Geben Sie sich einen
um 23.07 Uhr wurde Katastrophenalarm ausgelöst. Ruck, und lassen Sie uns dafür sorgen, dass dieser Antrag
Alle genannten Politiker haben in der Katastrophen- einstimmig angenommen wird, sodass der Wiederaufbau
nacht systematisch versagt. Gestorben sind 135 Men- endlich schneller vorangeht.
schen. Über 9 000 Gebäude wurden ganz oder teilweise Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
zerstört. Trotzdem werden weder Roger Lewentz noch
Anne Spiegel, weder Malu Dreyer noch Jürgen Pföhler (Beifall bei der AfD)
mit rechtlichen Konsequenzen rechnen müssen. Sie wer-
den ohne Strafe davonkommen. Und als ob das noch Vizepräsidentin Yvonne Magwas:
nicht schäbig genug sei, drängt sich der Eindruck auf, Und für die FDP-Fraktion hat das Wort Sandra Weeser.
dass im Nachgang alle beteiligten Politiker eher damit
beschäftigt waren, die eigene Haut zu retten, anstatt den (Beifall bei der FDP)
betroffenen Menschen wirklich zu helfen.
(B) Sandra Weeser (FDP): (D)
(Oliver Kaczmarek [SPD]: Was für ein
Schwachsinn! Das ist doch widerlich, was Sie Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
von sich geben!) Kollegen! Wir führen hier erneut eine Debatte zum Wie-
deraufbau im Ahrtal – knapp drei Jahre nach der verhee-
Es wäre heute, fast drei Jahre später, das Mindeste, wenn renden Flutkatastrophe und nach dem unendlichen Leid
die Politik den Wiederaufbau für die Menschen vor Ort so der Bewohnerinnen und Bewohner. Das ist auf der einen
einfach wie möglich gestalten würde. Hier besteht drin- Seite gut, weil dadurch der Fokus nach wie vor auf das
gender, immer noch dringender Handlungsbedarf. Ahrtal gerichtet ist; aber auf der anderen Seite ist es
Bis heute ist man „zu keiner befriedigenden Lösung traurig, dass wir die Debatte überhaupt noch führen müs-
bei den Fragen des Wiederaufbaus gekommen“. Das sen.
kommt übrigens nicht von der Opposition, sondern es Ja, es ist schon sehr viel passiert seit der Flut, und das
sind die Worte von Sandra Weeser, der FDP-Vorsitzenden möchte ich hier auch noch einmal würdigen: Gerade im
des Bauausschusses, die uns jetzt gleich erklären wird, Bereich Infrastruktur ist schnell und unkompliziert viel
was in ihrem Brief an Scholz und an Dreyer steht und umgesetzt und auf den Weg gebracht worden. Ich er-
warum sie mit Sicherheit dem Antrag der Union zustim- innere auch an die vielen Helfer mit solidarischer, schnel-
men wird. Es ist nämlich sinnvoll, wenn noch einmal ler Hilfe vor Ort. Auch politisch wurde der Fluthilfefonds
klargestellt wird, dass der Ersatzneubau an weniger flut- umfangreich ausgestattet und schnell aufgelegt. Auf par-
gefährdeter Stelle anstatt des Eins-zu-eins-Wiederauf- lamentarischer Ebene konnten wir als Abgeordnete aus
baus möglich ist. Es ist auch sinnvoll, wenn Standards, der Region mit Blick auf den vereinfachten Wiederauf-
die heute schon für die Zukunft gesetzlich festgeschrie- bau etwas bewegen, etwa bei den Antragsfristen und
ben sind, auch gefördert werden können. Und es ist auch beim § 246c Baugesetzbuch.
sinnvoll, wenn Neubau und Sanierung bei der Wieder-
Jetzt ist die ganze Sache aber etwas ins Stocken ge-
errichtung gleichbehandelt werden.
kommen, und das liegt meiner Meinung nach schlicht an
Für unsere AfD-Fraktion habe ich im Ausschuss sogar der mangelnden Verständigung zwischen Bund und
an einigen Stellen noch weitergehende Punkte angeregt Land. Deswegen muss das Ahrtal erneut zur Chefsache
und diese auch der Bundesregierung mitgegeben: zum gemacht werden.
Beispiel, dass wir darüber reden können, dass Kom-
munen den Kauf von Versickerungsflächen mit Mitteln (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
aus dem Wiederaufbaufonds betreiben könnten. Unsere Ich fordere den Bundeskanzler auf, hier in Führung zu
Ideen wurden leider nicht aufgegriffen, aber wir werden gehen, um für Verständigung zwischen Bund und Län-
dem vorliegenden Antrag der CDU trotzdem zustimmen. dern in den Administrationen zu sorgen.
Deutscher Bundestag – 20. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. April 2024 21417
Sandra Weeser
(A) Bei der Flutkatastrophe im Ahrtal wurde wichtige mich: Jetzt sind die Spitzen der Exekutive gefragt. – Des- (C)
Energieinfrastruktur zerstört. Aber wir haben beim Wie- wegen habe ich die Ministerpräsidentin von Rheinland-
deraufbau nicht die Absicht, wieder in die Vergangenheit Pfalz, Malu Dreyer, und den Bundeskanzler heute mit
zurückzugehen, ins Jahr 1970, um alte Sachen wieder einem Schreiben aufgefordert, zur besseren Koordinie-
aufzubauen; denn es waren gerade Ölheizungen, die maß- rung einen Ahrtal-Beauftragten zu berufen.
geblich dazu beigetragen haben, Häuser zu kontaminie- Wir brauchen einen entschlossenen und koordinierten
ren, sodass sie komplett abgerissen werden mussten bzw. Einsatz auf höchster politischer Ebene, um hier endlich
komplett kernsaniert werden mussten. Es versteht aber Klarheit herzustellen. Den Antrag der Union brauchen
niemand, dass Sanierung und Neubau beim Wiederauf- wir dafür nicht, und deswegen lehnen wir den ab.
bau nicht gleichbehandelt werden.
(Zuruf von der AfD: Da hat sie recht!) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zu-
Keiner will sich hier mit einer Super-High-End-Heizung rufe von der CDU/CSU: Oh! – Oijoijoi!)
bereichern oder goldene Wasserhähne einbauen. Es
macht vor dem Hintergrund der Diskussion ums Gebäu-
deenergiegesetz für die Menschen nur Sinn, jetzt nach Vizepräsidentin Yvonne Magwas:
zeitgemäßen Standards wiederaufzubauen.
Lars Rohwer für die Unionsfraktion ist der nächste
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Redner.
der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN und der AfD) (Beifall bei der CDU/CSU)
Jetzt ist doch die Chance, einiges besser und anders zu
machen.
Lars Rohwer (CDU/CSU):
Von dem 30 Milliarden Euro schweren Hilfsfonds sind Glück auf, Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Da-
bisher wirklich nur Bruchteile abgeflossen. Und was be- men und Herren! Die Flutkatastrophe an der Ahr hat in
deutet das? Das bedeutet, dass das Geld bei den Men- der Dimension, in dem Ausmaß wohl niemand kommen
schen noch nicht in dem Maße angekommen ist, wie sehen.
wir es uns wünschen würden. Der Bund sagt, ein Wieder-
aufbau nach höheren Standards ist möglich, aber nicht (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Na
förderungsfähig aus dem Fluthilfefonds, sondern für die ja!)
Differenzbeträge müssten Mittel der Bundesförderung
Obwohl die Frühwarnsysteme angeschlagen haben, wa-
(B) für effiziente Gebäude beantragt werden. Aber wie kom- ren weder die Bevölkerung noch die Behörden vor Ort (D)
pliziert wollen wir es den Menschen vor Ort denn noch
machen? Diesen bürokratischen Wahnsinn müssen die ausreichend vorbereitet. Doch wäre die Situation in an-
ehrenamtlichen Kommunalvertreter vor Ort jeden Tag deren Regionen unseres Landes eine andere gewesen?
abpuffern; und das darf so nicht weitergehen. Ich glaube, ehrlich gesagt, nein.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie Das Hochwasser im Ahrtal hat uns deutlich gezeigt:
bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE Wir sind auf Ereignisse wie diese flächendeckend viel
GRÜNEN und der AfD) zu wenig vorbereitet. Alle Prognosen warnen aber, dass
die Dichte an Katastrophen aufgrund des Klimawandels
Über die Einschränkung durch den Eins-zu-eins-Wie- in Deutschland steigen wird. Aber wir bereiten uns eben
deraufbauzwang wurden von uns zahlreiche Gespräche viel zu wenig darauf vor.
mit Anwesenden hier im Plenum und den Betroffenen
vor Ort geführt. Wir waren auch mit dem Bauausschuss Die zentrale Frage, die sich mit der Bewältigung der
letztes Jahr im August in einer Sondersitzung vor Ort und Schäden im Ahrtal stellt, lautet: Wie gehen wir zukünftig
haben uns angeschaut, wie die aktuelle Lage ist. In jedem mit Naturkatastrophen um? Mit der Novelle im Bau-
Gespräch kam da das Thema „Auszahlungen aus dem gesetzbuch ist die Bundesregierung einen ersten und
Wiederaufbaufonds“. Und jetzt wiehert hier der Amts- wichtigen Schritt gegangen, um den Wiederaufbau zu
schimmel. Die Verwaltungen auf Bundes- und Länder- vereinfachen und zu beschleunigen und Ländern ein Son-
ebene blockieren sich gegenseitig. derplanungsrecht einzuräumen.
(Zuruf von der AfD: Hört! Hört! Das ist mal Wir als Union haben das unterstützt. Aber ist von der
eine Rednerin!) Ampel in Rheinland-Pfalz diese Regelung scharfgestellt
worden? Nein. Doch dann ist die Bundesregierung auch
Das Problem sind unterschiedliche Auffassungen zu den noch mal stehen geblieben, nämlich bei der großen Frage,
Zahlungsmodalitäten. wie wir mit Naturkatastrophen in der Zukunft umgehen.
Um endlich Klarheit in diese Sache zu bekommen und Brände aufgrund von Dürre, Sturmfluten, Hochwasser
sich nicht politisch aufgeladen gegenseitig wieder den und Hagelschäden werden zunehmen. Wir können nicht
Schwarzen Peter zuzuschieben, habe ich als Bauaus- nach jeder Naturkatastrophe ein Sondervermögen auf-
schussvorsitzende mit meinen Kolleginnen und Kolle- legen. Wir müssen nicht nur Nachlese betreiben, sondern
gen, die auch hier sitzen, Bund und Länder mehrfach an wir müssen mehr Vorsorge schaffen.
einen Tisch gebracht. Wir haben mehrere Runden durch-
geführt, und wir sind bis heute nicht zu einem vernünfti- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge-
gen, befriedigenden Ergebnis gekommen. Das heißt für ordneten der FDP)
21418 Deutscher Bundestag – 20. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. April 2024
Lars Rohwer
(A) Die Wintersturmflut in Schleswig-Holstein hat es uns bundesgesetzlichen Regelungsvorschlag zur Einführung (C)
doch gezeigt: Massive Schäden sind angerichtet worden. einer Elementarschadenpflichtversicherung zu erarbei-
Auch Mecklenburg-Vorpommern war betroffen. Deiche ten.
brachen, Promenaden und Häuser wurden völlig zerstört, Ich komme zum Schluss. Nur wenn wir verstärkt in die
zahlreiche Boote sanken und erlitten Totalschäden. Prävention einsteigen, können wir Todesopfer vermeiden
(Petra Nicolaisen [CDU/CSU]: Und der und die Schäden nach Naturkatastrophen reduzieren.
Kanzler war nicht da!) Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Der Bund hilft vor dem Hintergrund des auf 150 Millio- (Beifall bei der CDU/CSU)
nen Euro geschätzten Schadens lediglich mit den noch
nicht abgerufenen Mitteln aus dem schon bestehenden
Küstenschutzetat beim Wiederaufbau. Vizepräsidentin Yvonne Magwas:
Für die SPD-Fraktion hat das Wort Timo
Die Budgets für das THW und das Bundesamt für Schisanowski.
Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe wurden für
2024 im Bundesetat wieder gekürzt. (Beifall bei der SPD)
(Petra Nicolaisen [CDU/CSU]: Unglaublich!)
Timo Schisanowski (SPD):
Meine Damen und Herren, ich spreche das an, um deut- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und
lich zu machen, dass wir aus der Ahrtal-Katastrophe und Kollegen! Auch wenn die meisten Schäden inzwischen
dem Umgang damit auch lernen müssen, wie wir besser beseitigt sind, so sind die Bilder des Jahrhunderthoch-
werden. In erster Linie retten wir mit einer verstärkten wassers auch heute, fast drei Jahre danach, den Menschen
Prävention Menschenleben. noch sehr präsent. Manches Bild, mancher Schmerz,
mancher Verlust wird nie vergessen werden. Das gilt
(Beifall bei der CDU/CSU)
auf tragische Art und Weise ganz besonders für das Ahr-
Wir müssen erstens den Katastrophenschutz besser tal. Für die SPD-Fraktion hat das mein Kollege Martin
aufstellen und technisch besser ausstatten. Wir müssen Diedenhofen als Abgeordneter aus der betroffenen Re-
gute Lagepläne haben und die Stabsarbeit überall im gion schon ausführlich und zutreffend geschildert. Vielen
Land trainieren. Thomas de Maizière sagt: Die Menschen Dank noch einmal dafür, lieber Martin.
unterscheiden nicht zwischen Zivil- und Katastrophen- Ohne Zweifel waren die Schäden und das Leid der
schutz, zwischen Land und Bund. Für die Menschen im Menschen im Ahrtal am größten. Doch wir wissen auch,
(B) Land muss es Hand in Hand funktionieren. – Deswegen dass in jener Woche nicht nur Rheinland-Pfalz, sondern (D)
müssen wir das THW und die weißen Hilfsgesellschaften auch große Teile Nordrhein-Westfalens von der Natur-
besser aufstellen und die Feuerwehren und die Polizei in katastrophe betroffen waren. Rund um den 14. Juli 2021,
diese Pläne einbeziehen. einen Tag vor dem Geschehen im Ahrtal, traf das Hoch-
Zweitens braucht es ein stärkeres Präventionsbewusst- wasser so auch meine Heimatstadt Hagen. Die Wasser-
sein in der Bevölkerung. Es braucht eben regelmäßige massen verursachten allein an der städtischen Infrastruk-
Übungen für diesen Ernstfall von Naturkatastrophen. Es tur Hagens Schäden in Höhe von weit über 80 Millionen
ist essenziell wichtig, dass die Menschen in unserem Euro. Schulen, Kitas, Sporthallen, Verwaltungsgebäude
Land wissen, wie sie sich auf Notfälle vorbereiten und wurden zum Teil schwer beschädigt. Allein über 100
sich selbst und auch anderen helfen können. Straßen und Brücken waren beschädigt oder zerstört.
Hinzu kommen noch mehrere Tausend Schadensfälle an
Drittens sollten wir nicht müde werden, das Ehrenamt
privatem Eigentum von Hagener Bürgerinnen und Bür-
zu stärken. Es kann nicht genug Ehrenamtliche für den
gern, Unternehmen, Vereinen, Institutionen in der ganzen
Krisen- und Katastrophenschutz geben.
Stadt. Dass dabei niemand in Hagen zu Tode kam, grenzt
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- bis heute an ein Wunder.
ordneten der FDP) Besondere Erwähnung verdienen hier die vielen ehren-
Viertens haben wir in den vergangenen Monaten und hauptamtlichen Einsatzkräfte, die zum Teil selbst ihr
immer wieder die Einführung einer Elementarschaden- Leben riskiert haben, um das von anderen zu schützen
pflichtversicherung diskutiert. Ich bin inzwischen der und zu retten. Die Feuerwehr, die Polizei, das THW, die
Meinung: Wir werden diese unbedingt brauchen. Die DLRG und viele andere Organisationen sowie auch ganz
Versicherungswirtschaft spricht sich auch dafür aus. spontan hilfsbereite Mitmenschen waren tagelang un-
unterbrochen bis an ihre Grenzen und zum Teil darüber
(Dr. Johannes Fechner [SPD]: Na ja!) hinaus im Einsatz. Dafür möchte ich allen Einsatzkräften,
Helferinnen und Helfern heute nochmals persönlich als
Der Bundesrat hat angesichts der Zunahme extremer
Hagener Abgeordneter und ganz gewiss auch im Namen
Unwetter bei der Sitzung am 31. März 2023 einstimmig
aller demokratischen Kräfte hier im Hohen Haus von
beschlossen, dass eine Pflichtversicherung für Elemen-
Herzen unseren tiefen Respekt und großen Dank ausspre-
tarschäden bundesweit gelten muss. Am 11. März 2024
chen.
fand dazu auf Antrag der Bundestagsfraktion der CDU/
CSU hier im Parlament eine öffentliche Anhörung statt. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
Der Rechtsausschuss hat sich alle Argumente angeschaut. der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE
Die Bundesregierung ist jetzt am Zug, einen konkreten GRÜNEN und der FDP)
Deutscher Bundestag – 20. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. April 2024 21419
Timo Schisanowski
(A) Gemeinsam als Politik sind wir auch gefordert, aus katastrophe geworden sind, kann ich verstehen, dass drei (C)
dem Jahrhunderthochwasser die richtigen Konsequenzen Jahre zu lang sind. Wir haben – und das haben meine
zu ziehen, um uns in Zukunft besser auf solche Extrem- Kolleginnen und Kollegen hier bereits umfassend aus-
wetterereignisse vorbereiten zu können, partei- und ebe- geführt – einiges getan, um die Hilfe zu entbürokratisie-
nenübergreifend, Regierungs- wie Oppositionsvertreter, ren. Wir haben das Baugesetzbuch vereinfacht. Und
Kommunalpolitiker wie auch Landtags- und wir Bundes- trotzdem – das hören wir immer wieder – hakt es an
tagsabgeordneten. Denn wir müssen uns der Realität stel- verschiedenen Stellen, gerade im administrativen Be-
len: Solche Extremwetterereignisse werden in Zukunft reich.
zunehmen. Ich danke von Herzen Frau Heil, aber auch Sandra
Was also sind unsere Lehren aus dem Jahrhundert- Weeser, Anja Liebert und euch aus den betroffenen Ge-
hochwasser? Dass wir gemeinsam als Politik gefordert bieten, den Kollegen der SPD, die einfach immer wieder
sind, bestmöglich schon präventiv tätig zu werden. Wir den Finger in der Wunde legen und dafür sorgen, dass
brauchen ganzheitliche Hochwasserschutzkonzepte auf sich der Ausschuss, aber auch der Deutsche Bundestag
der Höhe der Zeit. Dazu gehört ein zeitgemäßer Hoch- damit beschäftigen. Wahr ist, liebe Frau Heil: Wir als
wasserinformations- und -meldedienst mitsamt einem Parlament werden nicht eine Verwaltungsvereinbarung
optimierten Frühwarnsystem. Dazu gehören Starkregen- ändern. Deswegen lehnen wir den Antrag heute ab.
gefahrenkarten, dazu gehören Aufklärungs- und Schu- Aber was auch ganz wichtig ist, ist, dass wir als demo-
lungskampagnen und vieles mehr. Dabei müssen wir kratische Parteien weiter zusammen daran arbeiten, dass
auch in die notwendige Technik investieren, zum Beispiel die Hilfe bei den Menschen vor Ort ankommt.
in Radarsonden für Flusspegel, um diese besser monito-
ren zu können und unvorhersehbare Ereignisse frühzeitig (Sebastian Münzenmaier [AfD]: Weil ihr das
besser erkennbar zu machen. bisher ja auch so gut hingekriegt habt!)
Lassen Sie mich zum Schluss meiner Rede nochmals Ich glaube, es ist auch ein Versprechen, dass wir alle die
betonen: Bei alledem sollten wir als Bund, Länder und Menschen weiter unterstützen.
Kommunen ebenen- und parteiübergreifend eng zusam-
menarbeiten, auch für den notwendigen Wiederaufbau. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Christina- sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)
Johanne Schröder [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- In der Tat wird es so sein, dass Flutkatastrophen, dass
NEN]) Klimakatastrophen zunehmen. Wir hatten erst 2023 das
Das haben die Menschen als das Mindeste verdient. Weihnachtshochwasser in Niedersachsen, in Thüringen,
(B) in NRW, in Sachsen-Anhalt. Und anders als bei der Flut- (D)
In diesem Sinne: Herzlichen Dank für Ihre Aufmerk- katastrophe 2021 sind dabei keine Menschen ums Leben
samkeit. gekommen. Das zeigt, glaube ich, wie gut Retentions-
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten flächen sind, wie wichtig es ist, dass wir in die Klima-
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der anpassung investieren, wie wichtig es ist, dass wir darü-
FDP) ber nachdenken, ob genau so wieder aufgebaut werden
kann oder ob Flüsse einfach viel mehr Platz brauchen.
Vizepräsidentin Yvonne Magwas: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Die letzte Rednerin ist für Bündnis 90/Die Grünen
Christina-Johanne Schröder. Wir wissen auch, dass Flächen, dass Naturräume dafür
sorgen, dass Schäden für den Menschen geringer werden.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Auch darüber müssen wir sprechen: dass das Geld genau
sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP) für diese Präventionsmaßnahmen auch in den betroffenen
Flutgebieten Deutschlands ankommt.
Christina-Johanne Schröder (BÜNDNIS 90/DIE Vielen Dank.
GRÜNEN):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
nen und Kollegen! Sehr geehrte Gästinnen und Gäste, sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)
wozu heute auch meine Stiefmutter und mein Vater ge-
hören! Die Flutkatastrophe im Juli 2021 hat tiefe Spuren
in der Region hinterlassen. Durch die tödlichen Wasser- Vizepräsidentin Yvonne Magwas:
massen sind 180 Menschen gestorben, 788 Menschen Damit schließe ich die Aussprache.
wurden teils schwer verletzt. Tausende haben ihr Hab Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussemp-
und Gut verloren, standen vor dem Nichts. Familienfotos fehlung des Ausschusses für Wohnen, Stadtentwicklung,
gibt es nicht mehr, ebenso das Sofa von der Oma oder Bauwesen und Kommunen zum Unionsantrag mit dem
auch den Fernseher, auf den man lange gespart hat. Titel „Wiederaufbau im Ahrtal durch Anpassungen bei
Es ist schwer in Worte zu fassen, was es abverlangt, der Aufbauhilfe 2021 beschleunigen“. Der Ausschuss
den Verlust von Familie und Freunden zu verschmerzen. empfiehlt hier auf Drucksache 20/11117, den Unions-
Die Wunden dieser Katastrophe sind tief und auch drei antrag abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussemp-
Jahre später noch lange nicht verheilt; denn der Aufbau fehlung? – Das ist die Regierungskoalition. Wer stimmt
dauert an. Aus Sicht derjenigen, die Opfer dieser Klima- dagegen? – Das sind die Unionsfraktion, die AfD-Frak-
21420 Deutscher Bundestag – 20. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. April 2024
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Vizepräsidentin Yvonne Magwas:
DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der Für die Unionsfraktion ist der nächste Redner
CDU/CSU) Dr. Stefan Nacke.
Und für die Gruppe Die Linke hat nun das Wort (Beifall bei der CDU/CSU)
Matthias W. Birkwald.
(Beifall bei der Linken) Dr. Stefan Nacke (CDU/CSU):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Neben der normalen Alterung eines jeden von
Matthias W. Birkwald (Die Linke): uns stellt die Erwerbsminderung aufgrund von Krankheit
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und das zentrale Lebensrisiko dar. Dieses Risiko muss der
Herren! EM-Bestandsrentenverbesserungsauszahlungs- Sozialstaat absichern. Im Unterschied zu anderen Säulen
gesetz, das ist wirklich ein Zungenbrecher. 3 Millionen der Alterssicherung nimmt die gesetzliche Rentenver-
Erwerbsminderungsrentnerinnen und -rentner sollen nun sicherung hier Verantwortung wahr. Rund 16 Prozent al-
mit zwei Jahren Verspätung auf ihre oft niedrigen Renten ler neuen Renten sind Erwerbsminderungsrenten.
endlich die dringend notwendigen Zuschläge erhalten.
Das ist gut. Wie gestern im Ausschuss gezeigt und jetzt in den
Reden auch schon angedeutet, sind alle Fraktionen dieses
(Beifall bei der Linken) Hauses sich darin einig, dass wir die Verbesserung für die
Hauptsache, sie werden ab jetzt ausgezahlt, auch wenn Bezieher von Erwerbsminderungsrenten im Bestand um-
die korrigierten Rentenbescheide erst bis Ende 2025 ver- setzen wollen. Es ist schon erstaunlich, wie die Ampel-
sendet werden können. Die Deutsche Rentenversiche- regierung ein so gutes und von allen unterstütztes Vor-
rung hat das im Kern nicht zu verantworten. haben in der Umsetzung versemmelt.
Meine Damen und Herren, gemeinsam mit den Ge- (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg.
werkschaften und den Sozialverbänden haben wir Linken Matthias W. Birkwald [Die Linke])
seit mehr als elf Jahren für höhere EM-Renten im Bestand Jetzt debattieren wir hier über ein Gesetz mit nahezu un-
gekämpft, und darum wird Die Linke dem Gesetz heute aussprechlichem Namen, ein Gesetz, das die angebliche
zustimmen. Fortschrittskoalition braucht, weil ein anderes Gesetz,
das längst beschlossen ist, nicht umgesetzt werden kann.
1)
Anlage 3 Es ist peinlich, liebe Ampel, 3 Millionen Bestandsrent-
21424 Deutscher Bundestag – 20. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. April 2024
(A) Bernd Rützel (SPD): (Matthias W. Birkwald [Die Linke]: Genau!) (C)
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Wenn wir heute, Gott sei Dank, wieder einmal Es ist wichtig, auf Augenhöhe zu verhandeln, auf Au-
über den Mindestlohn sprechen, dann denke ich zuerst an genhöhe zu entscheiden. Es ist nicht der Geist des Grund-
eine Veranstaltung, die diese Woche Dienstag stattgefun- gesetzes, dass jemand sagt: Da geht es lang. – Das ist
den hat, nämlich die Geburtstagsfeier, der Festakt zu auch nicht der Geist des Tarifvertragsgesetzes. Es wäre
75 Jahren Tarifvertragsgesetz. Im DGB-Haus waren viele gut, wenn es auch nicht der Geist der Mindestlohnkom-
wichtige Menschen versammelt, und man hat sich noch mission wäre. Sonst brauchen wir uns nicht zu wundern,
einmal mit diesem Gesetz beschäftigt. Es ist nämlich am wenn immer wieder Diskussionen über die Mindestlohn-
9. April 1949 in Kraft getreten und damit gut fünf Wo- kommission und über die Höhe des Mindestlohnes statt-
chen vor unserem Grundgesetz. finden.
Das Gesetz wurde damals ohne Gegenstimmen – ein- Vielen Dank.
stimmig – angenommen. Die SPD-Fraktion hat es damals (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
im Wirtschaftsrat als Initiativantrag eingebracht, und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des
alle – die Alliierten, die Parteien, die Arbeitgeber und Abg. Matthias W. Birkwald [Die Linke])
die Gewerkschaften – haben gewusst und waren sich
sicher, dass die Wiederherstellung eines freiheitlichen
Tarifsystems von immenser Bedeutung für die Demokra- Vizepräsidentin Yvonne Magwas:
tie und den Frieden ist, dass unbedingt eine Konfliktrege- Die nächste Rednerin ist Jana Schimke für die Unions-
lung zwischen Kapital und Arbeit geschaffen und dieser fraktion.
gesellschaftliche Großkonflikt, den es auch heute noch
(Beifall bei der CDU/CSU)
gibt, strukturiert werden muss. Sie haben gewusst, dass
die Tarifautonomie zusammen mit der betrieblichen Mit-
bestimmung und der Unternehmensmitbestimmung ein Jana Schimke (CDU/CSU):
Garant für Mindestsicherungen, Arbeitsschutz, Sozial- Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Was wir
leistungen und soziale und gesellschaftliche Teilhabe ist. heute einmal mehr erleben, ist, dass der Mindestlohn, der
2015 eingeführt wurde, immer mehr zum politischen
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des Spielball wird. Das ist genau das, was wir vonseiten der
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Kritiker – es gab Kritiker 2015 – immer wieder gesagt
haben: Die Gefahr besteht, dass man selbst mit diesem
Und alle wussten: Wenn die Tarifbindung als zentrales guten Konstrukt der Mindestlohnkommission, die einen
(B) Instrument zur Lösung dieses Konflikts wegfällt, dann guten Rahmen hat, in aller Regelmäßigkeit über die Er- (D)
bleibt der Konflikt. Wenn ein solcher Konflikt nicht ge- höhung des Mindestlohnes zu beraten, aufgrund der vie-
löst wird, dann sucht er sich andere Ausdrucksformen, len Begehrlichkeiten, die es hier gerade im linken politi-
und das gefährdet unsere Demokratie. schen Spektrum gibt,
Vor 75 Jahren, 1949, gab es dieses gemeinsame Inte-
(Jens Peick [SPD]: Und bei den Menschen!)
resse. Ich hoffe, dass es dieses gemeinsame Interesse
auch heute, nach 75 Jahren, noch gibt. Aber wir sehen: irgendwann tut, was man will, und zwar auf Kosten der
Die Tarifbindung ist deutlich rückläufig. Nur noch jede Arbeitgeber, auf Kosten der Betriebe und damit auch auf
zweite Arbeitnehmerin, jeder zweite Arbeitnehmer wird Kosten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in
von einem Tarifvertrag geschützt. Diesen Leuten geht es Deutschland.
besser als denen, die keinen Tarifvertrag haben. Aber der
Geist damals und auch der von Artikel 9 des Grundgeset- (Zuruf des Abg. Dr. Martin Rosemann [SPD])
zes war nicht: „Ihr könnt, wenn ihr wollt, Tarifverträge Ich darf Ihnen sagen, liebe Kolleginnen und Kollegen:
abschließen“, sondern: „Ihr sollt Tarifverträge abschlie- Der gesetzliche Mindestlohn ist seit 2015 um mehr als
ßen, weil ihr es besser könnt als die Politik. Schließt 40 Prozent gestiegen,
Tarifverträge ab!“
(Hubertus Heil, Bundesminister: 46 Prozent! –
Vor ungefähr zehn Jahren kam die Forderung auf: Ir- Bernd Rützel [SPD]: Meistens war es 1 Euro
gendwie funktioniert das nicht mehr; wir brauchen den für die Leute!)
Mindestlohn, um eine untere Grenze, eine Haltelinie,
unterhalb derer der Lohn sittenwidrig ist, einzuführen. – wohingegen die normale Lohnentwicklung deutlich da-
Manche Staaten brauchen das nicht. Ich wäre auch froh, runter lag, bei etwas über 30 Prozent. Es gibt also einen
wenn wir keinen Mindestlohn bräuchten, weil wir eine deutlich erhöhten Anstieg beim Mindestlohn im Ver-
ganz hohe Tarifbindung hätten. gleich zur normalen Lohnentwicklung in Deutschland.
Wir haben damals nicht zugeschaut, und wir haben Wenn wir jetzt der Gruppe des BSW folgen würden,
auch jetzt nicht zugeschaut. Mit 12 Euro, liebe Kollegin- wäre es die dritte politische Festsetzung des Mindest-
nen und Kollegen, sind wir annähernd in den Bereich lohns in Deutschland – in einer sozialen Marktwirtschaft
gekommen, wo wir europäisch mithalten können. Mit wohlgemerkt –: 2015 die erstmalige, zuletzt die Erhö-
zwei weiteren Trippelschritten auf 12,41 Euro in diesem hung auf 12 Euro, und dann sollen es 14 Euro sein.
Jahr und 12,82 Euro ab dem nächsten Jahr sind wir aber Lieber Bernd, du hast es gerade gesagt: Wir müssen in
wieder zurückgefallen, was die 60 Prozent betrifft. An- Europa mithalten. – Ich will es mal so sagen: Wir sind in
dere haben schnellere Schritte gemacht. Europa Spitzenreiter, was dieses Thema angeht.
21426 Deutscher Bundestag – 20. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. April 2024
Jana Schimke
(A) (Beifall bei der CDU/CSU – Bernd Rützel Diese Entscheidung ist in keiner Weise nachvollziehbar (C)
[SPD]: Das stimmt nicht ganz! – Beate und kann nur scharf kritisiert werden.
Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
NEN]: Wir haben nicht den höchsten Mindest- sowie bei Abgeordneten der SPD und des
lohn und auch nicht die höchste Tarifbindung!) Abg. Matthias W. Birkwald [Die Linke])
Wir haben die höchsten Arbeitskosten. Man will in Enttäuschend war vor allem auch, wie diese Empfeh-
Deutschland nicht mehr investieren, lung zustande gekommen ist. Die Idee ist ja eigentlich,
(Bernd Rützel [SPD]: Doch! Viele kommen dass die Mindestlohnkommission einen Kompromiss fin-
noch!) det, den alle mittragen können, einen Kompromiss, der
auch wegen der hohen Arbeitskosten und einiger anderer die unterschiedlichen Interessen berücksichtigt. Genau
Gründe. das hat nicht funktioniert. Es gab keine Einigung; die
Gewerkschaftsseite wurde überstimmt. Das geht nicht,
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Gruppe des dieser Vorgang ist einfach nicht akzeptabel. Verantwor-
BSW, ich habe es so langsam echt aufgegeben, Ihnen die tung sieht anders aus.
Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft zu vermitteln.
Deswegen: Wir haben die besseren Vorschläge. Folgen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Sie diesen! sowie bei Abgeordneten der SPD und des
BSW und des Abg. Matthias W. Birkwald
Vielen Dank. [Die Linke])
(Beifall bei der CDU/CSU) Das ist die Situation. Und jetzt ist die Frage: Wie geht
es weiter? Die Gruppe BSW fordert jetzt einen Mindest-
Vizepräsidentin Yvonne Magwas: lohn in Höhe von 14 Euro. Ich muss fragen: Und dann,
Für Bündnis 90/Die Grünen hat das Wort Beate wie geht es weiter? Soll der Mindestlohn dann jährlich
Müller-Gemmeke. politisch erhöht werden? Soll die Mindestlohnkommis-
sion abgeschafft werden? Hier bleibt das BSW unklar.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP) Wir Grünen haben einen anderen und ganz klaren Be-
schluss gefasst: Wir wollen die Vorgaben und die Krite-
rien im Mindestlohngesetz nachschärfen, weil sie in der
Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- heutigen Form eben nicht ausreichen, um Erwerbsarmut
NEN): zu verhindern. Konkret wollen wir beim Mindestlohn
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kol- eine Untergrenze einziehen. Sie soll bei mindestens (D)
(B) legen der demokratischen Fraktionen und auch Gruppen!
60 Prozent des mittleren Lohns von Vollzeitbeschäftigten
Ich habe es hier schon häufig gesagt: Die politische Er- liegen. Das wären zurzeit tatsächlich 14 Euro. Der Unter-
höhung des Mindestlohns auf 12 Euro war dringend not- schied zum BSW ist aber: Unsere Regelung ist mit den
wendig. Davon haben insbesondere die Beschäftigten in 60 Prozent dynamisch. Genauso muss es sein; denn damit
den Ostbundesländern im Niedriglohnbereich und vor haben wir eine nachvollziehbare und auch eine langfris-
allem Frauen profitiert. Die ganzen negativen Szenarien, tige Regelung. Sie schützt den Mindestlohn nach unten,
die prognostiziert wurden, Frau Schimke, sind eben nicht ist aber nach oben offen.
eingetreten.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN –
(Beifall des Abg. Matthias W. Birkwald [Die Widerspruch bei Abgeordneten des BSW)
Linke])
In dieser Wahlperiode wird es diese Reform mit der
Laut IAB haben nur sehr wenige Betriebe mit Entlassun- Ampel nicht geben.
gen auf die Erhöhung auf 12 Euro reagiert. Die Anpas-
sung des Mindestlohns war also richtig und wichtig. (Zurufe vom BSW: Oah!)
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Das ist klar, und das muss ich auch nicht weiter erklären.
sowie bei Abgeordneten der SPD) Aber es gibt ja auch noch ein Morgen. Das heißt, wir
bleiben dran; denn der Mindestlohn ist kein Almosen.
Wir haben immer betont, dass nach dieser politischen Die Menschen arbeiten häufig in besonders schwierigen
Erhöhung wieder die Mindestlohnkommission über die Berufen. Sie geben in Krankenhäusern beispielsweise das
Entwicklungen entscheiden soll; denn das entspricht Essen aus, sie versorgen uns im Einzelhandel mit Lebens-
dem Grundverständnis der Tarifautonomie. Für uns war mitteln, sie tragen bei Wind und Wetter Zeitungen und
die Einführung des Mindestlohns Aufgabe der Politik, Briefe aus.
aber die Anpassung Sache der Sozialpartner. Davon wa-
ren wir zutiefst überzeugt. Der Mindestlohn ist die unterste Haltelinie, und die
macht nur dann Sinn, wenn die Beschäftigten in Vollzeit
Und dann kam die Entscheidung der Mindestlohnkom- auch tatsächlich davon leben können. Das ist eine Frage
mission im letzten Jahr: eine Lohnsteigerung von gerade der Gerechtigkeit.
mal 82 Cent in zwei Jahren. Das war angesichts der
damaligen Inflation definitiv zu wenig. (Zuruf der Abg. Amira Mohamed Ali [BSW])
(Beifall der Abg. Markus Kurth [BÜND- Sie ist wichtig für die betroffenen Menschen, aber vor
NIS 90/DIE GRÜNEN, Matthias W. Birkwald allem auch für unseren gesellschaftlichen Zusammenhalt.
[Die Linke] und Andrej Hunko [BSW]) Vielen Dank.
Deutscher Bundestag – 20. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. April 2024 21427
Beate Müller-Gemmeke
(A) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Betroffen von Ihrer aberwitzigen Mindestlohnerhö- (C)
sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP) hung wären insbesondere das verarbeitende Gewerbe
und die Gastronomie, die jetzt schon mit massenhaft
Schließungen zurechtkommen müssen. Massiv betroffen
Vizepräsidentin Yvonne Magwas:
ist auch der Einzelhandel, wo Ladenschließungen zur
Für die AfD-Fraktion hat nun das Wort Gerrit Huy. Verödung der Innenstädte führen. Erst jetzt hat der Han-
(Beifall bei der AfD) delsverband Deutschland die Bundesregierung zu einem
Innenstadtgipfel eingeladen, um noch zu verhindern, dass
aus unseren Städten Geisterstädte werden.
Gerrit Huy (AfD):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kollegen! Liebe (Kai Whittaker [CDU/CSU]: Wenn Sie ein
Zuschauer! Wir tragen den Mindestlohn grundsätzlich Viertel der Bevölkerung remigrieren, dann ha-
mit, weil bei uns der Niedriglohnsektor viel zu groß ist ben wir überall Geisterstädte!)
und weil wir einem Lohndumping durch die Massenein-
wanderung von Helferqualifikationen vorbeugen wollen. Und jetzt wollen Sie den Mindestlohn noch mal erhöhen?
(Anke Hennig [SPD]: War ja klar!) (Beifall bei der AfD – Zuruf vom BSW)
Die Mindestlohnerhöhung soll immer mindestens die In- Betroffen ist auch die Landwirtschaft, die schon mit
flation ausgleichen und, wenn es möglich ist, auch mehr. dem jetzigen Mindestlohn nicht zurechtkommt. Sie
Aber wir wollen damit nicht die Arbeitslosigkeit vergrö- kann ihre Saisonarbeitskräfte nicht mehr bezahlen und
ßern, und die wächst zurzeit. muss deshalb an vielen Stellen Spargel und Erdbeeren
(Kai Whittaker [CDU/CSU]: Doch nicht er- unterpflügen. Auch der gesamte Obstanbau sieht sich
höhen?) vor die Existenzfrage gestellt. Dem Weinbau wird ein
Lebenshorizont von gerade einmal noch 30 Jahren vor-
Nach einem Anstieg des Mindestlohns um 25 Prozent hergesagt. Aber es ist nicht das Klima, das da schuld ist;
innerhalb eines einzigen Jahres will das Bündnis Sahra das sind die Kosten. Und das wollen Sie jetzt noch ver-
Wagenknecht jetzt noch einmal 13 Prozent obendrauf stärken?
legen,
(Zuruf vom BSW)
(Amira Mohamed Ali [BSW]: Genau!)
Auch wir wollen gute Löhne. Aber dazu braucht man
also insgesamt 38 Prozent innerhalb von zweieinhalb nun mal eine gute Wirtschaft. Und die wird erst wieder
Jahren. Da war die Mindestlohnkommission schlauer: kommen, wenn der Lebenshorizont der Ampel zu Ende
(B) Sie hat am Anfang dieses Jahres den Mindestlohn um geht und die Grünen zurück in ihre Märchenstunde ge- (D)
3,4 Prozent erhöht. Es ist auch Quatsch, dass im Antrag hen.
steht, dass damit die Inflation nicht ausgeglichen wäre.
Die beträgt seit Anfang des Jahres 2,9 Prozent oder (Beifall bei der AfD)
weniger, zuletzt 2,2 Prozent. Dem Bündnis Sahra
Wagenknecht fehlt hier offensichtlich das Augenmaß. Deshalb mein Tipp: Nicht Mindestlohn erhöhen, Steuern
senken!
(Beifall bei der AfD – Dr. Till Steffen [BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben wir gar keine Vielen Dank.
Inflation mehr?) (Beifall bei der AfD – Kai Whittaker [CDU/
Noch etwas fehlt Ihnen: die Lust, zu fragen, wo das CSU]: Davon haben diejenigen, die wenig ver-
Geld eigentlich herkommt, das Sie so großzügig vertei- dienen, am wenigsten!)
len. Wie wichtig eine funktionierende Wirtschaft ist, das
müsste doch allmählich auch Ihnen klar sein, jetzt, wo sie
Vizepräsidentin Yvonne Magwas:
uns in Teilen verlässt. Und Sie haben nichts Besseres zu
bieten als einen Aufguss Ihrer alten Anträge? Für die FDP-Fraktion hat das Wort Carl-Julius
Cronenberg.
(Kai Whittaker [CDU/CSU]: Frau Huy, ich
dachte, Sie wollten jetzt den Niedriglohnsektor (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
bekämpfen! Das ist doch widersprüchlich, was der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ-
Sie da machen, Frau Huy!) NEN)
Von einer übermäßigen Mindestlohnerhöhung sind
rund 30 Prozent aller Firmen in Deutschland betroffen, Carl-Julius Cronenberg (FDP):
in den neuen Bundesländern sogar 40 Prozent. Sie wer- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
den Personal entlassen müssen, Investitionen kürzen, die Mit dem Antrag 20/9132 hat die Fraktion Die Linke ge-
Preise erhöhen, wo es möglich ist, und damit auch die fordert, den gesetzlichen Mindestlohn auf 14 Euro zu
Inflation wieder antreiben. erhöhen. Mit dem Antrag 20/10366 fordert die Gruppe
BSW das Gleiche. Ich stelle fest:
(Kai Whittaker [CDU/CSU]: Hü, hott!)
Erstens. Wegen des Mindestlohns hätte man sich nicht
Das alles ist gerade in Kalifornien passiert, wo der Gou- scheiden lassen brauchen.
verneur in einem Handstreich den Mindestlohn auf
20 Dollar festgesetzt hat. (Heiterkeit bei der SPD)
21428 Deutscher Bundestag – 20. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. April 2024
Carl-Julius Cronenberg
(A) Zweitens. Das BSW konkretisiert seinen selbst gesetz- Und Altersarmut verhindern Sie auch nicht, wenn der (C)
ten Anspruch auf Vernunft, indem es auf einen Überbie- Stundenlohn um 1,59 Euro steigt, sondern wenn mehr
tungswettbewerb mit der Linken beim Mindestlohn ver- Teilzeitbeschäftigte in Vollzeit wechseln.
zichtet und bei 14 Euro bleibt. Das ist ja schon mal was. Zu guter Letzt wird in der Debatte immer wieder unter-
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten schlagen, dass der Mindestlohn ein Bruttolohn ist, für das
der SPD) Armutsrisiko aber allein das Nettoeinkommen zählt. Ge-
Noch vernünftiger wäre es allerdings gewesen, Vor- recht ist eben nicht, wenn der Nettolohn nur minimal
schläge zu unterbreiten, die dafür sorgen, dass das An- höher ist als Lohnersatzleistungen. Gerecht ist, wenn
tragsziel der Armutsvermeidung tatsächlich erreicht wer- sich Arbeit lohnt, weil mehr Netto vom Brutto bleibt.
den kann, liebe Kolleginnen und Kollegen; aber genau (Kai Whittaker [CDU/CSU]: Genau deshalb
das leistet der Antrag nicht. haben Sie die Sozialbeiträge erhöht? – Zurufe
Denken wir an Schulabgänger, vielleicht aus bildungs- vom BSW)
fernen Haushalten. Je höher der Mindestlohn, desto ge- Wenn es geltendes Recht ist, dass die Angleichung des
ringer der Abstand zur Ausbildungsvergütung, also desto Bürgergelds automatisch erfolgt, dann ist es Unrecht,
größer auch der finanzielle Anreiz, auf Qualifikation und wenn die Erhöhung des steuerlichen Grundfreibetrags
Bildung zu verzichten. und der Inflationsausgleich in der Lohnsteuertabelle im-
(Zurufe vom BSW) mer noch Gegenstand politischer Verhandlungen sind,
liebe Kolleginnen und Kollegen. Was dem Bürgergeld-
Dabei wissen wir genau: geringer die Qualifikation, desto empfänger im Sozialrecht zusteht, darf dem Niedriglohn-
höher das Armutsrisiko. Gerecht ist nicht der politische empfänger im Steuerrecht nicht länger verwehrt bleiben.
Eingriff in die Lohnfindung; gerecht sind attraktive An- Auch das ist im Kern die liberale Botschaft in Zeiten der
gebote für mehr Qualifikation. Das verringert das Ar- Wirtschaftswende.
mutsrisiko im langen Lauf, liebe Kolleginnen und Kolle-
gen. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU)
(Beifall bei der FDP)
Denken wir an Zuwanderer oder Langzeitarbeitslose.
Vizepräsidentin Yvonne Magwas:
Je höher der Mindestlohn, desto höher die Eintrittsbarrie-
ren in den Arbeitsmarkt. Je länger aber die Arbeitslosig- Axel Knoerig hat jetzt das Wort für die Unionsfraktion.
keit, desto schwerer fällt dann die Aufnahme von Arbeit, (Beifall bei der CDU/CSU)
desto höher ist das Risiko, dauerhaft in Leistungsbezug
(B) und Armut zu bleiben. Ist das gerecht? Nein! Gerecht ist (D)
Axel Knoerig (CDU/CSU):
es, die Festsetzung des Mindestlohns dem Wahlkampf zu
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
entziehen und in den Händen der unabhängigen Mindest-
und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Jetzt
lohnkommission zu belassen, auch wenn einem das Er-
geht es wieder los: das Bieterverfahren um die Höhe
gebnis mal nicht passt.
des Mindestlohns. Die Gruppe BSW fordert einen Min-
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – destlohn von 14 Euro, Grüne und Linke ebenso, und die
Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE SPD träumt von 15 Euro. Wir werden es erleben: Bis zur
GRÜNEN]: Nein, aber dann müssen wir die nächsten Bundestagswahl werden die Zahlen weiter an-
Regeln verändern!) steigen. Wir als Union sagen ganz klar: Wir lehnen nicht
Gerecht sind Rahmenbedingungen, die Aufstieg aus ei- die Höhe des Mindestlohnes ab. Wir lehnen einen poli-
gener Kraft und aus eigener Leistung möglich machen, tisch gemachten Mindestlohn ab.
liebe Kolleginnen und Kollegen, und das fängt immer mit (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Martin
einem ersten Job an. Rosemann [SPD]: Sie lehnen immer erst alles
(Beifall bei der FDP) ab, und hinterher behaupten Sie, Sie wären es
gewesen!)
Denken wir an Teilzeitbeschäftigte oder auch Minijob-
ber. Deren Armutsrisiko hängt ja nicht maßgeblich vom Erinnern Sie sich! Der Mindestlohn ist ein Instrument
Stundenlohn ab, sondern vom Arbeitsvolumen. Wer in der Ordnungspolitik. Er soll verhindern, dass Unterneh-
Teilzeit arbeitet und sonst kein weiteres Einkommen men ihren Wettbewerb auf dem Rücken der Beschäftigten
hat, der ist von Armut bedroht – egal, ob er 12,41 Euro austragen. Er ist in diesem Sinne auch ein Schutzgesetz
oder 14 Euro verdient. für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in unserem
Land. Trotzdem bleibt der Grundsatz richtig: Die Lohn-
Aber: Je besser die Vereinbarkeit von Familie und
findung ist nicht Sache der Politik, sondern Sache der
Beruf gelingt, je attraktiver Homeoffice- und ÖPNV-An-
Tarifparteien.
gebote sind, je flexibler die Arbeitszeiten gestaltet wer-
den dürfen, desto höher ist auch die Wahrscheinlichkeit, (Beifall bei der CDU/CSU)
dass Frauen und auch Männer von Teilzeit in Vollzeit Aus diesem Grund hat die Union die Mindestlohnkom-
wechseln. Das sind doch in Wahrheit die Hebel, die das mission eingeführt. Sie soll die Erhöhung des Mindest-
Armutsrisiko nachhaltig senken, liebe Kolleginnen und lohns mit Vertretern der Arbeitnehmer- und Arbeitgeber-
Kollegen. seite beschließen. Doch wir müssen feststellen: In den
(Beifall bei der FDP) letzten Jahren hat die Kommission zu geringe Erhöhun-
Deutscher Bundestag – 20. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. April 2024 21429-21456
Axel Knoerig
(A) gen beschlossen; da ist sie weit hinter den Erwartungen Und für den Einzelnen gilt: Für Fachkräfte mit Ausbil- (C)
zurückgeblieben. 41 Cent zum 1. Januar, das ist wirklich dung oder Weiterbildung sind auch die Löhne deutlich
viel zu mickrig. besser. Das zeigt ein Beispiel ganz klar: Ein Pflegehelfer
(Zurufe von der Linken und dem BSW) geht im Schnitt mit 1 800 Euro netto im Monat nach
Hause, die Pflegefachkraft dagegen hat zusätzlich
Deshalb lautet die Frage: Wie können wir für einen 500 Euro netto im Monat mehr.
angemessenen Mindestlohn sorgen, ohne ihn zu einem
Spielball der Politik zu machen? Die Antwort könnte, Daher gilt: Eine hohe Tarifbindung und gute Bildung
so wie wir es ja auch bei den Wochenarbeitszeiten ge- sind der beste Schutz vor Armut, nicht ein Bieterverfah-
macht haben, aus Europa kommen. Möglich wäre es, den ren von Politikern, was die Höhe des Mindestlohns an-
Mindestlohn an den Durchschnittslohn zu koppeln, ge- geht. Daher lehnen wir diesen Antrag ab.
nauer gesagt: an den Median. (Beifall bei der CDU/CSU)
(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN]: Genau, 60 Prozent! Super, die Vizepräsidentin Yvonne Magwas:
Union macht mit!)
Für die Gruppe Die Linke hat nun das Wort Susanne
Gestatten Sie mir noch zwei letzte Gedanken: Der Ferschl.
Mindestlohn wird immer eine Lohnuntergrenze sein.
Gute und faire Löhne werden in Tarifverträgen verhan- (Beifall bei der Linken)
delt. Deswegen müssen wir daran arbeiten, dass die Ta-
rifbindung deutlich steigt Der gesamte und damit endgültige Stenografische
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Bericht der 166. Sitzung wird am 30. April 2024
Linken) veröffentlicht.
(B) (D)
Deutscher Bundestag – 20. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. April 2024 21457
Anlage 1
Entschuldigte Abgeordnete
Abgeordnete(r) Abgeordnete(r)
Anlage 2
(A) Ergebnis der Wahl eines Mitglieds des Parlamentarischen Kontrollgremiums gemäß Artikel 45d des Grund- (C)
gesetzes
(Tagesordnungspunkt 11)
Namensverzeichnis
(Tagesordnungspunkte 10 und 11)
(A) Markus Töns Dr. Jonas Geissler Dr. Michael Meister Christoph de Vries (C)
Carsten Träger Fabian Gramling Friedrich Merz Dr. Johann David
Anja Troff-Schaffarzyk Dr. Ingeborg Gräßle Jan Metzler Wadephul
Derya Türk-Nachbaur Hermann Gröhe Dr. Mathias Middelberg Nina Warken
Frank Ullrich Michael Grosse-Brömer Maximilian Mörseburg Dr. Anja Weisgerber
Marja-Liisa Völlers Markus Grübel Axel Müller Maria-Lena Weiss
Emily Vontz Manfred Grund Florian Müller Sabine Weiss (Wesel I)
Dirk Vöpel Oliver Grundmann Sepp Müller Kai Whittaker
Dr. Carolin Wagner Serap Güler Carsten Müller Annette Widmann-Mauz
Maja Wallstein Fritz Güntzler (Braunschweig) Dr. Klaus Wiener
Hannes Walter Olav Gutting Stefan Müller (Erlangen) Bettina Margarethe
Carmen Wegge Christian Haase Dr. Stefan Nacke Wiesmann
Lena Werner Florian Hahn Petra Nicolaisen Klaus-Peter Willsch
Bernd Westphal Jürgen Hardt Moritz Oppelt Elisabeth Winkelmeier-
Florian Oßner Becker
Dirk Wiese Matthias Hauer
Josef Oster Tobias Winkler
Dr. Herbert Wollmann Dr. Stefan Heck
Henning Otte Mechthilde Wittmann
Gülistan Yüksel Mechthild Heil
Ingrid Pahlmann Mareike Lotte Wulf
Stefan Zierke Thomas Heilmann
Stephan Pilsinger Paul Ziemiak
Dr. Jens Zimmermann Mark Helfrich
Dr. Christoph Ploß Nicolas Zippelius
Armand Zorn Marc Henrichmann
Katrin Zschau Ansgar Heveling Dr. Martin Plum
Susanne Hierl Thomas Rachel BÜNDNIS 90/
Christian Hirte Kerstin Radomski DIE GRÜNEN
CDU/CSU
Alexander Hoffmann Alexander Radwan Stephanie Aeffner
Knut Abraham Dr. Hendrik Hoppenstedt Alois Rainer Luise Amtsberg
Stephan Albani Franziska Hoppermann Dr. Peter Ramsauer Andreas Audretsch
Norbert Maria Altenkamp Hubert Hüppe Henning Rehbaum Maik Außendorf
Philipp Amthor Erich Irlstorfer Dr. Markus Reichel Tobias B. Bacherle
Peter Aumer Anne Janssen Josef Rief Lisa Badum
Dorothee Bär Thomas Jarzombek Lars Rohwer Felix Banaszak
Thomas Bareiß Anja Karliczek Dr. Norbert Röttgen Karl Bär
Melanie Bernstein Dr. Stefan Kaufmann Stefan Rouenhoff Canan Bayram
(B) Peter Beyer Ronja Kemmer Thomas Röwekamp Katharina Beck
(D)
Marc Biadacz Roderich Kiesewetter Erwin Rüddel Lukas Benner
Steffen Bilger Michael Kießling Albert Rupprecht Agnieszka Brugger
Michael Brand (Fulda) Dr. Ottilie Klein Catarina dos Santos-Wintz Frank Bsirske
Dr. Reinhard Brandl Volkmar Klein Dr. Christiane Schenderlein Dr. Anna Christmann
Dr. Helge Braun Julia Klöckner Jana Schimke Dr. Janosch Dahmen
Sebastian Brehm Axel Knoerig Patrick Schnieder Ekin Deligöz
Heike Brehmer Jens Koeppen Nadine Schön Dr. Sandra Detzer
Ralph Brinkhaus Anne König Felix Schreiner Katharina Dröge
Dr. Carsten Brodesser Markus Koob Detlef Seif Deborah Düring
Dr. Marlon Bröhr Carsten Körber Thomas Silberhorn Harald Ebner
Yannick Bury Gunther Krichbaum Björn Simon Leon Eckert
Gitta Connemann Dr. Günter Krings Tino Sorge Marcel Emmerich
Mario Czaja Tilman Kuban Katrin Staffler Emilia Fester
Astrid Damerow Ulrich Lange Dr. Wolfgang Stefinger Schahina Gambir
Alexander Dobrindt Armin Laschet Albert Stegemann Matthias Gastel
Michael Donth Dr. Silke Launert Johannes Steiniger Kai Gehring
Hansjörg Durz Jens Lehmann Dieter Stier Stefan Gelbhaar
Ralph Edelhäußer Paul Lehrieder Diana Stöcker Dr. Jan-Niclas
Alexander Engelhard Dr. Andreas Lenz Stephan Stracke Gesenhues
Martina Englhardt-Kopf Andrea Lindholz Max Straubinger Katrin Göring-Eckardt
Thomas Erndl Dr. Carsten Linnemann Christina Stumpp Dr. Armin Grau
Hermann Färber Patricia Lips Dr. Hermann-Josef Tebroke Erhard Grundl
Uwe Feiler Bernhard Loos Hans-Jürgen Thies Dr. Robert Habeck
Enak Ferlemann Dr. Jan-Marco Luczak Alexander Throm Britta Haßelmann
Alexander Föhr Daniela Ludwig Antje Tillmann Linda Heitmann
Thorsten Frei Klaus Mack Astrid Timmermann- Bernhard Herrmann
Dr. Hans-Peter Friedrich Yvonne Magwas Fechter Dr. Bettina Hoffmann
(Hof) Dr. Astrid Mannes Markus Uhl Dr. Anton Hofreiter
Michael Frieser Andreas Mattfeldt Dr. Volker Ullrich Ottmar von Holtz
Ingo Gädechens Stephan Mayer (Altötting) Kerstin Vieregge Bruno Hönel
Dr. Thomas Gebhart Volker Mayer-Lay Dr. Oliver Vogt Dieter Janecek
21460 Deutscher Bundestag – 20. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. April 2024
(A) Lamya Kaddor Beate Walter-Rosenheimer Maximilian Mordhorst Fabian Jacobi (C)
Dr. Kirsten Kappert- Stefan Wenzel Alexander Müller Steffen Janich
Gonther Tina Winklmann Frank Müller-Rosentritt Dr. Marc Jongen
Michael Kellner Claudia Raffelhüschen Dr. Michael Kaufmann
Katja Keul Dr. Volker Redder Stefan Keuter
FDP
Misbah Khan Bernd Reuther Norbert Kleinwächter
Maria Klein-Schmeink Valentin Abel Frank Schäffler Enrico Komning
Chantal Kopf Katja Adler Ria Schröder Jörn König
Laura Kraft Muhanad Al-Halak Anja Schulz Dr. Rainer Kraft
Philip Krämer Renata Alt Matthias Seestern-Pauly Rüdiger Lucassen
Jürgen Kretz Christine Aschenberg- Dr. Stephan Seiter Mike Moncsek
Dr. Franziska Krumwiede- Dugnus
Rainer Semet Matthias Moosdorf
Steiner Christian Bartelt
Judith Skudelny Sebastian Münzenmaier
Renate Künast Jens Beeck
Bettina Stark-Watzinger Edgar Naujok
Markus Kurth Ingo Bodtke
Konrad Stockmeier Jan Ralf Nolte
Ricarda Lang Friedhelm Boginski
Dr. Marie-Agnes Strack- Gerold Otten
Anja Liebert Dr. Jens Brandenburg Zimmermann
(Rhein-Neckar) Tobias Matthias Peterka
Helge Limburg Benjamin Strasser
Mario Brandenburg Martin Erwin Renner
Dr. Tobias Lindner Linda Teuteberg
(Südpfalz) Frank Rinck
Denise Loop Jens Teutrine
Sandra Bubendorfer-Licht Dr. Rainer Rothfuß
Max Lucks Michael Theurer
Dr. Marco Buschmann Bernd Schattner
Dr. Anna Lührmann Stephan Thomae
Carl-Julius Cronenberg Ulrike Schielke-Ziesing
Dr.-Ing Zoe Mayer Nico Tippelt
Bijan Djir-Sarai Eugen Schmidt
Susanne Menge Manfred Todtenhausen
Swantje Henrike Christian Dürr Jan Wenzel Schmidt
Michaelsen Dr. Marcus Faber Dr. Florian Toncar Jörg Schneider
Dr. Irene Mihalic Daniel Föst Dr. Andrew Ullmann Uwe Schulz
Boris Mijatovic Otto Fricke Gerald Ullrich Martin Sichert
Sascha Müller Maximilian Funke-Kaiser Johannes Vogel Dr. Dirk Spaniel
Beate Müller-Gemmeke Martin Gassner-Herz Tim Wagner René Springer
Sara Nanni Knut Gerschau Sandra Weeser Klaus Stöber
Dr. Ingrid Nestle Anikó Glogowski-Merten Nicole Westig Beatrix von Storch
Nils Gründer Katharina Willkomm Dr. Harald Weyel
(B) Dr. Ophelia Nick Dr. Volker Wissing Wolfgang Wiehle (D)
Dr. Konstantin von Notz Thomas Hacker
Omid Nouripour Philipp Hartewig Dr. Christian Wirth
Cem Özdemir Ulrike Harzer AfD Joachim Wundrak
Julian Pahlke Peter Heidt Kay-Uwe Ziegler
Katrin Helling-Plahr Dr. Christina Baum
Lisa Paus
Markus Herbrand Dr. Bernd Baumann
Dr. Paula Piechotta Die Linke
Torsten Herbst Roger Beckamp
Filiz Polat
Dr. Gero Clemens Hocker Marc Bernhard Gökay Akbulut
Dr. Anja Reinalter
Tabea Rößner Manuel Höferlin Andreas Bleck Dr. Dietmar Bartsch
Dr. Manuela Rottmann Dr. Christoph Hoffmann Peter Boehringer Matthias W. Birkwald
Michael Sacher Reinhard Houben Gereon Bollmann Clara Bünger
Jamila Schäfer Olaf In der Beek Dirk Brandes Jörg Cezanne
Dr. Sebastian Schäfer Gyde Jensen Stephan Brandner Anke Domscheit-Berg
Stefan Schmidt Dr. Ann-Veruschka Jurisch Jürgen Braun Susanne Ferschl
Marlene Schönberger Karsten Klein Marcus Bühl Nicole Gohlke
Christina-Johanne Schröder Daniela Kluckert Tino Chrupalla Christian Görke
Kordula Schulz-Asche Pascal Kober Dr. Gottfried Curio Ates Gürpinar
Melis Sekmen Dr. Lukas Köhler Thomas Dietz Dr. André Hahn
Nyke Slawik Carina Konrad Thomas Ehrhorn Susanne Hennig-
Dr. Anne Monika Spallek Michael Kruse Dr. Michael Espendiller Wellsow
Merle Spellerberg Wolfgang Kubicki Peter Felser Jan Korte
Dr. Till Steffen Konstantin Kuhle Dietmar Friedhoff Ina Latendorf
Hanna Steinmüller Ulrich Lechte Dr. Götz Frömming Caren Lay
Dr. Wolfgang Strengmann- Jürgen Lenders Albrecht Glaser Ralph Lenkert
Kuhn Dr. Thorsten Lieb Hannes Gnauck Dr. Gesine Lötzsch
Kassem Taher Saleh Christian Lindner Kay Gottschalk Cornelia Möhring
Awet Tesfaiesus Michael Georg Link Mariana Iris Harder-Kühnel Petra Pau
Katrin Uhlig (Heilbronn) Jochen Haug Victor Perli
Dr. Julia Verlinden Oliver Luksic Martin Hess Heidi Reichinnek
Niklas Wagener Kristine Lütke Karsten Hilse Bernd Riexinger
Robin Wagener Till Mansmann Nicole Höchst Dr. Petra Sitte
Johannes Wagner Christoph Meyer Gerrit Huy Kathrin Vogler
Deutscher Bundestag – 20. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. April 2024 21461
(A) Janine Wissler Andrej Hunko Alexander Ulrich Matthias Helferich (C)
Christian Leye Dr. Sahra Wagenknecht
Johannes Huber
BSW Amira Mohamed Ali
Fraktionslos Stefan Seidler
Ali Al-Dailami Zaklin Nastic
Klaus Ernst Jessica Tatti Robert Farle
Abgeordnete, die sich wegen gesetzlichen Mutterschutzes für ihre Abwesenheit entschuldigt haben
oder an einer Parlamentarischen Versammlung teilnehmen, sind in der Liste der entschuldigten
Abgeordneten (Anlage 1) aufgeführt.
(A) Rente wegen Todes der gesetzlichen Rentenversicherung Aus dem Verfahren lassen sich außerdem einige Dinge (C)
eingeführt, deren EM-Rentenbeginn zwischen 1. Januar lernen: Deutschland hat bei der Digitalisierung seiner
2001 und 31. Dezember 2018 lag. Verwaltung noch einiges zu tun. Das geht leider nicht
im Hauruckverfahren, weil beispielsweise die Rentenaus-
Die Verbesserung erfolgt aus Gründen der Verwal-
tungspraktikabilität in Form eines pauschalen Zuschlags zahlung für Millionen von Menschen jeden Monat pünkt-
zur Rente ab dem 1. Juli 2024 und knüpft an die indivi- lich funktionieren muss. Auch muss die Digitalisierung
hohen Sicherheitsstandards genügen, denn sonst wäre
duelle Vorleistung (persönliche Entgeltpunkte) an. Lau-
fende Altersrenten, die sich unmittelbar an Renten wegen unsere Verwaltung ein leichtes Ziel für Cyberangriffe.
Erwerbsminderung anschließen, erhalten ebenfalls den Deshalb braucht es bei der Umsetzung von Gesetzen,
die umfangreiche IT-Arbeiten für die Verwaltung bein-
Zuschlag.
halten, ein gutes Krisenmanagement, das rechtzeitig
Die weitgehend automatisierte Umsetzung des Zu- Alarm schlägt, wenn unerwartete Hürden den Zeitplan
schlags für die insgesamt rund 3 Millionen Bestandsren- gefährden, und das schnell Ausbesserungsvorschläge
ten durch die Deutsche Rentenversicherung hat sich im macht. Die Deutsche Rentenversicherung hat diese An-
Nachhinein als deutlich komplexer herausgestellt als ur- forderung mustergültig erfüllt – vielen Dank dafür!
sprünglich von der Deutschen Rentenversicherung an-
genommen. Denn es muss im Rentenbestand bei einer Anja Schulz (FDP):
sehr großen Zahl von Menschen noch einmal das ganze
Rentenkonto betrachtet werden, ein sehr komplexer Vor- Es ist mittlerweile fast zwei Jahre her, dass wir die
gang, der normalerweise nur einmal im Leben erfolgt. Verbesserungen für die Erwerbsminderungsrente im Be-
Das betrifft beispielsweise Menschen, die vor 20 Jahren stand beschlossen haben. Zum 1. Juli 2024 sollte alles
eine Erwerbsminderungsrente bekommen hatten, aber seinen Gang gehen.
vorübergehend wieder gesund wurden, noch einmal neu
geheiratet haben, später wieder eine Erwerbsminderung Es ist natürlich schade, dass die Auszahlung des Zu-
bekamen und inzwischen eine Altersrente beziehen. Eine schlags noch nicht nach der eigentlichen gesetzlichen
Auszahlung des Zuschlags auf der Grundlage der persön- Vorgabe anhand der Entgeltpunkte berechnet werden
lichen Entgeltpunkte entsprechend den Regelungen des kann und damit auch keine gebündelte Auszahlung des
Rentenanpassungs- und Erwerbsminderungsrenten-Be- Zuschlags mit der Rente in einer Zahlung möglich ist,
standsverbesserungsgesetzes kann daher erst zum 1. De- sondern befristet zwei Zahlungen an die Erwerbsmin-
zember 2025 erfolgen. derungsrentner erfolgen werden. Das Wichtigste ist aller-
dings, dass die Erwerbsminderungsrentner im Bestand,
Eine so späte Auszahlung wäre aber für die Menschen,
die nun seit der Verabschiedung des Gesetzes vor zwei
(B) die jetzt schon seit Jahren auf die Verbesserung warten, Jahren auf die Auszahlung dieses Zuschlags warten, die- (D)
nicht mehr tragbar. Ziel des vorliegenden Gesetzentwurfs
sen nun im Juli erhalten. Egal ob als separate Auszahlung
ist es deshalb, dass der Zuschlag zur Rente an die Berech-
oder gebündelt, Hauptsache, das Geld kommt an.
tigten dennoch ab Juli 2024 ausgezahlt wird. Zu diesem
Zweck werden zwei Stufen, mit unterschiedlichen Aus- Ich will anmerken, dass dieser Umsetzungsweg alter-
zahlungsmodalitäten, eingeführt. In der ersten Stufe wird nativlos ist. Es wäre für uns keine Option gewesen, die
die monatliche Auszahlung des Zuschlages neben der Zuschläge erst ab Dezember 2025 rückwirkend aus-
„normalen“ Rente, beginnend ab Mitte Juli 2024, im zuzahlen, denn hiermit befänden wir uns dreieinhalb
Rahmen einer gesonderten monatlichen Zahlung aus- Jahre hinter dem eigentlichen Inkrafttreten. Diejenigen
gezahlt. Die Umsetzung dieser ersten Stufe muss nun zu unterstützen, die gesundheitlich nicht mehr in der
gesetzlich flankiert werden. Ab Dezember 2025 soll Lage sind, für ihren eigenen Lebensunterhalt aufzukom-
dann die zweite Stufe starten. Ab diesem Zeitpunkt men, ist eine der Kernaufgaben unserer Solidargemein-
wird der Zuschlag durch die originäre Rentenberechnung schaft.
ermittelt und zusammen mit der Rente ausgezahlt (inte-
grierte Zuschlagszahlung). Daher ist es sehr erfreulich, dass die Rentenversiche-
Anders als ursprünglich geplant erfolgt der Zuschlag in rung einen anderen Weg gefunden hat, den Erwerbsmin-
der ersten Stufe in Form eines pauschalen Aufschlags auf derungsrentnern ihren Anspruch fristgerecht zukommen
den Rentenzahlbetrag. Erst in der zweiten Stufe gibt es zu lassen. Ich freue mich auch darüber, dass wir diese
den ursprünglich geplanten Aufschlag auf die persönli- Übergangslösung als Ampel gemeinsam so schnell ein-
chen Entgeltpunkte, das heißt eine Rentenneuberech- bringen konnten. Danke an die Koalitionspartner, dass
nung. Nach Abschluss der Berechnungen in der zweiten dies gemeinsam so unkompliziert möglich war!
Stufe erhalten Betroffene, bei denen die Abweichungen Trotzdem sollte es uns zu denken geben, dass die Ren-
in der ersten Stufe zu ihren Ungunsten ausgefallen waren, tenversicherung trotz Umpriorisierung und personeller
eine Kompensation. Betroffene, deren Abweichungen zu Aufstockung ihrer Aufgabe nur mit Verzögerung nach-
ihren Gunsten ausgefallen sind, können die Beträge be- kommen kann. Dr. Fasshauer hat uns in der öffentlichen
halten. Anhörung eindrücklich geschildert, wie viel Aufwand
Letztendlich lösen wir mit dem vorliegenden Gesetz- dahintersteckt, jedem einzelnen Bürger mit seinem indi-
entwurf also unbürokratisch und schnell ein IT-Problem viduellen Lebenslauf gerecht zu werden. Jede Rentenzah-
und zahlen die wichtigen Verbesserungen für Erwerbs- lung spiegelt ein Leben wider, sowohl beruflich als auch
minderungs-Bestandsrentner/-innen pünktlich aus. Die privat. Dem Rechnung zu tragen, ist natürlich aufwendig
Rente ist und bleibt verlässlich. und mit nichts anderem zu vergleichen.
Deutscher Bundestag – 20. Wahlperiode – 166. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. April 2024 21463-21468
(A) Dementsprechend sollten wir darauf achten, etwas so len, ob wir Ziele nicht auch mit deutlich weniger Ver- (C)
Komplexes wie die Rente nicht noch unnötig komplizier- waltungsaufwand und -kosten erreichen können. So kön-
ter zu machen. Viele Maßnahmen der Vergangenheit wa- nen wir Spielräume offenhalten für Dinge, die einer
ren viel zu verstrickt konstruiert und binden zu viele schnellen Umsetzung bedürfen.
Kapazitäten bei der Rentenversicherung, die dann wiede-
rum zu Verzögerungen bei anderen wichtigen Maßnah- Der gesamte und damit endgültige Stenografische
men, wie eben der Erwerbsminderungsrente im Bestand, Bericht der 166. Sitzung wird am 30. April 2024
führen. Grundsätzlich sollten wir immer die Frage stel- veröffentlicht.
(B) (D)
Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co. KG, Buch- und Offsetdruckerei, Bessemerstraße 83–91, 12103 Berlin, www.heenemann-druck.de
Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.bundesanzeiger-verlag.de
ISSN 0722-8333